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Das
Nationaltheater
des
Neuen Deutſchlands.
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Das
Nationaltheater
des
Neuen Deutſchlands.


Eine Reformſchrift



Leipzig,:
Verlag von J. J. Weber.
1849.
[[4]][[5]]

Das preußiſche Cultusminiſterium hat mich durch
den Auftrag geehrt, ihm meine Anſichten mitzutheilen:
welche Geſtaltung dem Theater zu geben ſei, um es,
zu einem gedeihlichen Wirken, in Uebereinſtimmung
mit den übrigen Künſten zu ſetzen.


Dieſer Auftrag hat mich zur Abfaſſung der vorlie¬
genden Schrift veranlaßt. In dem Glauben, daß ſie
von zeitgemäßem und allgemein deutſchem Intereſſe
ſei, übergebe ich ſie hiermit der Oeffentlichkeit.


Dresden, im December 1848.


Eduard Devrient.


[[6]][[7]]

Noch in keinem Momente des Völkerlebens iſt die
höhere Sendung der Künſte zur Veredlung des Men¬
ſchengeſchlechtes ſo leuchtend hervorgetreten, hat ſich noch
nie zu ſo kräftiger, tiefgreifender Wirkung angeboten,
als in der großen Wendung unſerer Tage.


Schule und Kirche, die bisher allein anerkannten
Erziehungsſtätten, ſind einem Streite verfallen, der noch
langehin ein heftiges Sträuben des mündig gewordenen
Volkes gegen jeden fühlbaren Zwang erhalten wird.
Was kann daher willkommener ſein, als die ſanfte Ge¬
walt der Künſte, die es allein vermag, die Gemüther zu
beſchwichtigen, in rein menſchlichem Antheil die Herzen
[8] aller Parteien zu vereinigen, durch unmerklichen Zwang
wieder Achtung vor Sitte, Friede und ſtillem Glück zu
verbreiten, auf dieſem heitren Wege die Geiſter wieder
den ſtrengen Erziehungsſtätten zuzuführen und der gro¬
ßen, gemeinſamen Begeiſterung für eine neue, edle Frei¬
heit des Völkerlebens den höchſten Schwung und den
ſchönſten Ausdruck zu verleihen!


Ueberall muß es daher als ein Zeugniß ſorgſamer
Staatsweisheit anerkannt werden, wo die Organiſation
des Kunſteinfluſſes auf das Volksleben von der Landes¬
regierung in thätigen Angriff genommen wird.


Daß unter allen Künſten keine von ſo allgemeiner
und volksthümlicher Wirkung iſt, als die Schauſpiel¬
kunſt, bedarf hier keiner Beweisführung, die tägliche Er¬
fahrung liefert ſie. Keine Kunſt wird alſo in dem
Maße die Aufmerkſamkeit der Staatsgewalt verdienen,
ſo wie keine einer Organiſation ſo dringend bedürftig
iſt, welche ſie mit allen anderen höheren Culturmitteln
des Staates in Uebereinſtimmung ſetzt, als die Schau¬
ſpielkunſt.


Faßt man ihre rein künſtleriſche Wichtigkeit in's
Auge, ſo drängt ſich als ihre weſentliche Eigenheit her¬
vor: daß ſie alle übrigen Künſte umfaßt; ſie erhebt ſich
[9] auf allen anderen und wird ſo zur Spitze der Pyramide;
ſie iſt die Kunſt der Künſte.


Plaſtik, Malerei, Dichtkunſt, Muſik, Redekunſt,
Mimik und Tanzkunſt ſammelt ſie in den gewaltigen
Brennpunkt unmittelbaren Lebens, und dieſer trifft in
eine verſammelte Menge, wo die Gemeinſamkeit des
Antheils das Feuer des Enthuſiasmus um ſo mächtiger
entzündet. Wenngleich daher die ſchon vollendeten
Werke der übrigen Künſte, welche der Schauſpielkunſt
zum Stoffe dienen, dabei an ihrer Selbſtändigkeit ein¬
büßen müſſen, ſo macht dennoch keine Kunſt für ſich
ſchlagendere Wirkungen, als von der Bühne herab.


Wie dringend nothwendig iſt es alſo, daß die Schau¬
ſpielkunſt endlich in den Kreis der akademiſchen Bildung
aufgenommen werde, damit ihre draſtiſchen Wirkungen
eine grundſätzliche Uebereinſtimmung mit den übrigen
Künſten gewinnen!


Die Bühne vermag den Schönheitsſinn, des Volkes
ſowohl als der Künſtler, in die größte Verwirrung zu
bringen, ſie vermag ihn aber auch zu heben und zu rei¬
nigen. Daß ſo viel Unpoetiſches, Unmuſikaliſches und
Unmaleriſches auf der Bühne Glück macht, bleibt ein
unabläſſig fortwirkendes Moment der Verführung und
[10] Corruption für Dichter, Muſiker, Maler und Bildhauer;
dagegen hat an die einzelnen, im rechten Geiſte gelunge¬
nen Erſcheinungen der Bühne ſich von jeher eine Kette
der fruchtbringendſten Anregungen geknüpft. Die Fä¬
higkeit der Schauſpielkunſt
: den wohlthä¬
tigſten Einfluß auf die übrigen Künſte
,
alſo auf den Kunſtſinn überhaupt, zu
äußern
, iſt außer Zweifel, es muß daher
als Pflicht erkannt werden
: dieſe Fähig¬
keit zum weſentlichen Zweck der Bühne zu
erheben
.


Und nun, den Einfluß auf die Sittlichkeit in's
Auge gefaßt, welche Kunſt übt ihn ſtärker, als die der
Bühne? — Der Gegenſtand iſt zu oft erörtert worden,
als daß es nöthig wäre, ihn hier noch einmal aufzuneh¬
men; wer damit unbekannt iſt, ſei zunächſt auf Schiller's
Vorleſung: „die Schaubühne, als eine moraliſche An¬
ſtalt betrachtet“, verwieſen.


Gewiß iſt — das geſtehen ſelbſt die Feinde der
Bühne nicht nur zu, ſondern ſie machen es als ihre
größte Gefahr geltend — daß die Schauſpielkunſt die
gewaltigſten Wirkungen auf das Volk hervorbringt.
Starke Wirkungen aber ſind entweder wohlthätig oder
[11] nachtheilig, gleichgültig können ſie nicht ſein. Wenn
alſo die Bühne den Geſchmack und die Verſittlichung
nicht fördert, ſo muß ſie ihnen ſchaden; unab¬
weisbar wird daher die Verpflichtung für
den Staat ſein
: ſich der Wirkung ſeiner
Schaubühnen zu vergewiſſern
, dafür zu
ſorgen
, daß ſie die Bahn ſeiner Grundſätze
über Volkscultur innehalten
.


Daß dies bisher nicht, oder nur ſehr lau und man¬
gelhaft geſchehen iſt, der Einfluß der Bühne daher oft
in den ſchreiendſten Widerſpruch mit den Staatsmaximen
gerathen*), das liegt ebenſo vor Aller Augen, als
daß die Schauſpielkunſt noch immer ganz außerhalb des
Kreiſes einer, mit den übrigen Künſten übereinſtimmen¬
den Bildung ſich bewegt; ganz außerhalb der Ketten¬
[12] glieder, welche die Regierungen zur Verſittlichung und
Veredlung des Volkes ſo ſorgfältig ineinanderfügen.


Die Forderung, dieſem Zuſtande ein Ende zu machen,
dem deutſchen Theater eine andere, grundſätzliche Baſis
und Einrichtungen zu geben und es dadurch in Stand
zu ſetzen: ſeine künſtleriſche und ſociale Beſtimmung zu
erfüllen, iſt ſeit lange ſchon laut genug geworden. Sie
wird bei der Bewegung unſerer Zeit immer lauter und
ungeſtümer, ſie wird unabweislich werden und ſich natür¬
lich zunächſt gegen die bedeutendſten, tonangebenden
Theater richten, die reich dotirt, den höheren Forderun¬
gen des Volksgeiſtes am eheſten zu entſprechen verpflich¬
tet erſcheinen.


Es ſind die Hoftheater.


In ihrer Entſtehung rühmlich für die Fürſten und
wohlthätig für Kunſt, ſind ſie im Verlaufe der Zeit —
wie dies allen menſchlichen Einrichtungen begegnet —
von ihrer urſprünglichen Beſtimmung abgewichen; ihre
heutige Erſcheinung entſpricht ihrer erſten Idee nicht
mehr.


Als in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
die deutſchen Höfe ſich ernſtlich und dauernd der vater¬
ländiſchen Schauſpielkunſt annahmen, repräſentirten die
[13] Fürſten noch alle Staatsgewalt. Es war der Staat,
welcher durch ſie der wandernden Kunſt heimiſche Stät¬
ten, Anerkennung, Schutz und Unterſtützung gab. Für¬
ſten waren es, der edle Kaiſer Joſeph II. an der Spitze,
welche den höheren Staatszweck der Bühne thatſächlich
proklamirten. Kaiſer Joſeph gab ſeiner Hofbühne den
Namen und die Grundſätze eines Nationalthea¬
ters
, er erklärte: es ſolle keine andere Beſtimmung
haben, als zur Verbreitung des guten Ge¬
ſchmacks und zur Veredlung der Sitten zu
wirken
*). Faſt überall folgten Höfe und Magiſtrate
des Kaiſers Beiſpiele, die Nationaltheater wurden allge¬
mein und die Schauſpielkunſt gewann eine bewunde¬
rungswürdig raſche und nationale Entwickelung, weil ſie
ihr in einer gewiſſen Freiheit und Selbſtändigkeit ge¬
gönnt war. Die Höfe nämlich übten im Allgemeinen
nur Schutz und Oberaufſicht über ihre Theater aus, die
künſtleriſche Thätigkeit wurde fort und fort von künſtle¬
[14] riſchen Directoren geleitet. Ja Kaiſer Joſeph erkannte
die Nothwendigkeit der Selbſtregierung der Künſtler ſo
vollſtändig an, daß er dem Wiener Nationaltheater eine
ganz republikaniſche Verfaſſung gab, deren Grundſätze in
Mannheim unter Dalberg eine denkwürdige Fortbildung
fanden*).


Aus ſolchem Geiſte und unter ſolchem Schutze wuchs
die deutſche Schauſpielkunſt, geführt von Meiſtern, wie
Eckhoff, Schröder, Iffland, zu der kräftigen Reife, welche
unter Schiller's und Goethe's Einfluß ihre poetiſche
Vollendung erhielt.


Als aber nach dem Wiener Congreß die Höfe den
alten Glanz wieder gewannen, neue Theater in den Re¬
ſidenzen errichtet, die beſtehenden in größeren Flor ge¬
bracht wurden, da veränderte ſich Stellung und Organi¬
ſation der Bühnen weſentlich.


Die Verbreitung der conſtitutionellen Regierungs¬
form trennte die Staatsgewalten, der Fürſt vertrat nicht
mehr allein den Willen der Nation; indem alſo die
Höfe das Theater an ſich behielten, gab der Staat, gab
[15] die Nation ſtillſchweigend den Anſpruch auf, den ſie bis¬
her daran zu haben glaubten.


Es war ganz folgerichtig, daß der Name „Natio¬
naltheater
“ überall dem Titel „Hoftheater
Platz machen mußte und Kaiſer Joſeph's Principien auf¬
gegeben wurden. Da die Höfe immer reichlichere Geld¬
mittel für die Bühnen bewilligten, ſo wollten ſie dieſe
auch ganz in ihrem Sinne verwendet ſehen und dehnten
daher die Verantwortung der Hofintendanten über den
ganzen Umfang der theatraliſchen Leiſtungen aus. So
kam es denn, daß faſt überall die künſtleriſchen Directio¬
nen — ſelbſt die eines Goethe — der neuen Ordnung
der Dinge weichen mußten und die Hofintendanten in
die falſche Stellung geriethen: die ſpecielle künſtleriſche
Leitung der Bühne zu übernehmen. Das Bureau
wurde nun der Mittelpunkt der Kunſtthä¬
tigkeit
.


Dieſe Veränderung der Theaterorganiſation erwies
ſich viel tiefer greifend, als man wohl vorausgeſehen
hatte. Die dramatiſche Kunſt war dadurch nicht nur
dem Staatsintereſſe entfremdet, auch die unausweichbare
Nothwendigkeit ihres inneren Verfalles war damit aus¬
geſprochen.


[16]

Eine Kunſt, die ſich nur in Totalwirkungen vollen¬
det, kann den Sammelpunkt einer künſtleriſchen Direction
ſchlechterdings nicht entbehren. Der einige Geiſt, wel¬
cher in der Uebereinſtimmung aller Theile lebendig wer¬
den ſoll, kann nur aus innerſtem, praktiſchen Verſtänd¬
niß der Kunſtthätigkeit ſelbſt hervorgehen. Der Schau¬
ſpielkunſt die künſtleriſche Direction neh¬
men
, hieß: ihr das Herz ausſchneiden.


Umſonſt haben die Intendanten, theils mit Talent,
meiſtens mit gutem Willen und redlichem Eifer das Na¬
turwidrige ihrer Stellung zu überwinden geſucht; es
konnte nicht gelingen. Erwägt man, wie mannichfache
ſpecielle Kenntniſſe, Fähigkeiten und Erfahrungen für
die Leitung eines Theaters erforderlich ſind, ſo iſt es
leicht zu begreifen, daß dieſe nicht bei Männern gefun¬
den werden können, welche, bis dahin Kammerherren,
Hofmarſchälle, Oberſtall- oder Oberjägermeiſter, Offi¬
ciere u. ſ. w. gar keine Veranlaſſung gehabt hatten ir¬
gend einem dieſer Erforderniſſe genug zu thun. Zwar
hat man geglaubt, dem Weſen der Kunſt hinläng¬
lich Rechnung zu tragen, indem dem nichtſachver¬
ſtändigen Director die ſachverſtändigen Regiſſeure zur
Seite geſtellt blieben, denen das augenfällig Techniſche
[17] der Leitung und die Abhaltung der Proben u. ſ. w. über¬
laſſen iſt; in dieſem Irrthume aber liegt eben
der eigentliche Knotenpunkt der Verwir¬
rung unſeres heutigen Theaterweſens
.


Die Leiſtungen der Bühnenkunſt ſollen einheitliches
Leben haben, darum verträgt ihre Leitung keine Thei¬
lung der Gewalt. Indem die weſentlichſten Beſtimmun¬
gen: Wahl, Beſetzung und Ausſtattung der aufzufüh¬
renden Werke, Zuſammenſetzung des Kunſtperſonals
durch Anſtellungen und Entlaſſungen, Urlaube, Gaſt¬
rollen u. dergl. vom Intendanten, wohl auch von höhe¬
ren Verfügungen, abhängig ſind, bleibt der Regie nur
ein beſchränkter und durchaus bedingter Kreis des Wir¬
kens, in welchem ſie keine abſolute Verantwortung für
das Gelingen der Kunſtwerke übernehmen kann, weil
alle Vorbedingungen dazu nicht in ihren Händen liegen.
Rühmend muß es anerkannt werden, daß einige Intendan¬
ten durch Anſtellung von Oberregiſſeuren oder Dramatur¬
gen der künſtleriſchen Autorität eine größere Ausdehnung
gegeben und eine Annäherung an die alten Zuſtände
bewirkt haben, in welchen die Intendantur nur Ober¬
aufſicht und adminiſtrative Gewalt ausübte; aber es iſt
auch nur eine Annäherung. So lange die Intendanten
2[18] noch für alle Einzelheiten der theatraliſchen Thätigkeit
verantwortlich gelten, können ſie ſich auch der Beſtim¬
mung über dieſelben nicht entſchlagen, und ſo muß, bei die¬
ſen beſtgemeinten Einrichtungen, der Nachtheil kreuzen¬
der Anordnungen ebenfalls lähmend für die Ausführung
bleiben.


Das Theater ſoll lebendige Kunſtwerke ſchaffen,
ſeine Thätigkeit muß alſo eine organiſche, von einem
Lebenspunkte ausgehende ſein. Die ganze complicirte
Kette der Maßregeln, welche bis zum Aufſteigen
des Vorhanges nothwendig ſind, darf eine Hand
nur halten, wenn das Werk in Einheit zur Erſchei¬
nung kommen ſoll; und das muß die Hand eines
Sachverſtändigen ſein. Nur der verſteht aber eine Sache,
der ſie ausübt. Halbheit in der Machtvoll¬
kommenheit der künſtleriſchen Leitung
, Ein¬
miſchung kunſtfremder Gewalten muß noth¬
wendig Halbheit und Zerfahrenheit in ihre
Reſultate bringen
.


Nicht glücklicher iſt die Hofintendanz in anderer Be¬
ziehung geſtellt; die innere Selbſtändigkeit, welche ſie
der Kunſt entzog, gewann ſie nicht für ſich, ja ſie gerieth
in Abhängigkeit, da, wo ſie abſolut zu herrſchen unter¬
[19] nommen hatte. Außerdem immer im Gedränge der wi¬
derſprechendſten Forderungen: hier den Wünſchen des
Hofes zu genügen, dort den Forderungen der höhern
Bildung der Nation, entgegen denen der bloßen rohen
Vergnügungsluſt der Menge, unvermögend ſich auf eine
dieſer Parteien mit Sicherheit zu ſtützen, unausgeſetzt im
Schaukelſyſtem: es bald hier, bald dort recht zu machen —
mußte ſie es zuletzt mit Allen verderben. Zum Ueber¬
fluß noch verantwortlich gegen eine Oberbehörde, (das
Hausminiſterium) die, ihrer Natur nach blos verwal¬
tend, für das [Kunſtinſtitut] nur den Geldmaßſtab haben
kann, überwuchs die Verlegenheit um vortheilhafte Kaſ¬
ſenabſchlüſſe zuletzt faſt alle übrigen, und ſo ſehen wir
alle, ſo reich dotirten Hoftheater in unausgeſetzter ängſt¬
licher Bemühung um die Einnahme. Der Zuſchuß aus
Staatsmitteln ſcheint ſeinen eigentlichen Zweck: die
Kunſt unabhängig zu machen
, gar nicht zu er¬
füllen; er hat die Kaſſenverlegenheit nur auf größere
Zahlenverhältniſſe gebracht, hat den vornehmen Hofbüh¬
nen dieſelbe plebejiſche induſtrielle Richtung der Privat¬
unternehmungen gegeben. In ſtetem Kreislaufe von
hazardirten Ausgaben und kleinlicher Noth ſie wieder
zu decken, erinnert man ſich kaum zu welchem höhern
2 *[20] Zweck ſie eigentlich in Bewegung geſetzt werden? Das
Mittel iſt zum Zweck geworden und der Zweck (die Kunſt)
zum Mittel; das Theater ſcheint lediglich eine Anſtalt
für den Geldumſatz zu ſein.


Conſequent war es da freilich, daß man auf den
Gedanken gerieth: adminiſtrativen Capacitäten müſſe
die Leitung des Theaters übergeben werden; der Mann
der Erſparniſſe galt nun für den wünſchenswertheſten
Intendanten. Man hatte vergeſſen, daß ein Theater
für jeden feſtzuſtellenden Etat zu führen iſt, daß es nicht
darauf ankommt: wie viel oder wie wenig ausgege¬
ben
, ſondern was für das Ausgegebene geleiſtet
wird, und daß nur der Sachverſtändige für den mög¬
lichſt geringen Preis das möglichſt Beſte herzuſtellen ver¬
mag. Die Controllanſicht der Hausminiſterien ſiegte, die
Höfe bemühten ſich um die Wette den knappſten Haus¬
halter zum Intendanten zu machen. Mit dieſem Expe¬
rimente büßte die Hofintendanz ihren unbeſtreitbaren
Vorzug ein: den einer würdigen, achtunggebietenden
Haltung, einer edlen, kunſtbelebenden Liberalität. Mehr
als ein Hoftheater iſt, bei ſolcher Umwandlung, an Würde,
Anſtand und künſtleriſchem Geiſte tief herabgekommen,
[21] obenein ohne die goldenen Hoffnungen auf Kaſſenüber¬
ſchüſſe erfüllt zu ſehen.


Daß dieſer Zuſtand unhaltbar geworden, daß die
Miſſion der Hofintendanz an ihr Ziel gelangt ſei, iſt
eine allgemeine Ueberzeugung; es fragt ſich nur: was
an deren Stelle geſetzt werden ſoll?


Es fehlt nicht an Stimmen, welche jede Unterſtü¬
tzung des Theaters verwerfen und verlangen: es ſolle
ganz frei gegeben, d. h. ſich ſelbſt und der Concurrenz
der Privatunternehmung überlaſſen werden; es ſolle aus
eigener Kraft bewähren: was es werden und was es der
Nation nützen könne.


Aus dieſer Forderung ſpricht eine untergeordnete
Anſchauung der Kunſt überhaupt. Alles, was die
Menſchheit bilden und veredeln ſoll
, muß
vom Staate geſtützt
, vom bloßen Erwerbe
unabhängig gemacht werden
; das gilt von
der Kunſt
, wie von der Schule und der
Kirche
. Die Concurrenz iſt in unſern Tagen, ſelbſt
in ihrer Anwendung auf die Gewerbe, verdächtig ge¬
worden, und ſicherlich birgt ſie ein ſo ſtarkes Moment
der Verführung zu ſchlechten Hülfsmitteln, daß ſie von
den Maßregeln zur Hebung der Künſte ein für alle¬
[22] mal ausgeſchloſſen ſein ſollte. Privatinduſtrie, in
Pachtverhältniſſen wie in ſelbſtändigen Unternehmun¬
gen, kann, bei den Bedingungen unſerer Zeit, dem
Theater kein höheres Gedeihen bringen; ohne den Rück¬
halt kräftiger Geldunterſtützung
, welche
den Bühnen Unabhängigkeit von der geld¬
bringenden Menge ſichert
, iſt ihre Füh¬
rung nach reinen Grundſätzen unmöglich
.
Die Erfahrungen der Geſchichte und unſere täglichen
Erlebniſſe beweiſen es, daß alle Bühnen, welche auf
Selbſterhaltung angewieſen ſind, kleine und große, den
Kampf der reinen Kunſtrichtung gegen die Forderungen
der materiellen Exiſtenz nicht beſtehen können. Männer
wie Schröder ſelbſt ſind ihm unterlegen, auch ſeine Di¬
rection zielte zuletzt nur auf Gewinn.


Befreit aber ſoll die Kunſt allerdings werden, be¬
freit von allen Bedingungen, die ihrer Natur zuwider
ſind, unter denen die erſte die der unbedingten Abhän¬
gigkeit vom Erwerbe iſt. Frei auf ſich ſelbſt und ihre
hohe Beſtimmung: den Menſchen die Menſchheit
darzuſtellen
, dem Volke das Leben der Völker
abzuſpiegeln
, ſoll die dramatiſche Kunſt geſtellt wer¬
den. Unabhängig von der Herrſchaft des Geſchmacks
[23] einzelner Standesſchichten, ſeien es die höchſten, ſeien
es die niedrigſten, nur auf die Vernunft und den beſſe¬
ren Willen der Nation geſtützt, ſoll ſie die Oppoſition
gegen das wandelbare Urtheil der Maſſen halten können,
eine unbeſtechliche Prieſterſchaft der Wahrheit und des
Adels der menſchlichen Natur.


Dieſe Freiheit aber der Schaubühne kann nur auf
dem Boden einer höheren Geſetzlichkeit ſtehen, einer
ernſten Verpflichtung zur Treue gegen ihre Beſtimmung.
Streng gehalten muß ſie werden: der Nation zu leiſten,
was dieſe berechtigt iſt von ihr zu fordern.


Kein Zweifel alſo, daß die Staatsregierung
ſelbſt die Schaubühnen des ganzen Landes unter
ihre Oberleitung nehmen muß
, daß dasjenige Mi¬
niſterium, welches die Erziehung und Veredlung des
Volkes zur Aufgabe hat, welches Religion, Wiſſen¬
ſchaft und Kunſt — dieſe dreieinige Beglaubigung un¬
ſerer höhern Natur — in ihrem Zuſammenwirken über¬
wacht, nicht länger ſäumen darf ſich auch der Schauſpiel¬
kunſt zu bemächtigen.


Nehme Niemand Anſtoß an der frivolen Miene, die
noch die Bühne unſerer Tage zeigt und die ſie der Ver¬
bindung mit Schule und Kirche unwerth zu machen
[24] ſcheint; ihrer inneren Natur nach iſt die Schauſpielkunſt
zu hohen Dingen beſtimmt, bei allen Völkern war ſie
die Trägerin des urſprünglichen Gottesdienſtes. Auch
muß durch dieſe einzige Maßregel
: die
Bühne zur Staatsanſtalt zu erklären
, un¬
ausbleiblich ihre ganze Beſchaffenheit ſich
verwandeln
.


Soll aber die Grundlage der nothwendigen Theater¬
reform in Uebertragung der Oberleitung, von der unver¬
antwortlichen Autorität des Hofes auf die, dem Lande
verantwortliche, der Regierung, beſtehen, ſo darf dabei
doch nicht aus den Augen gelaſſen werden: was die Hof¬
theater der Kunſt genützt haben, damit dieſe Vortheile
einem neuen Zuſtande der Dinge möglichſt erhalten wer¬
den. Allen Glanz, alle Sicherſtellung und Würde, alle
äußere Vervollkommnung und Achtung verdankt das
Theater dem Schutze und der Intimität der Höfe. Ohne
das bisherige Verhältniß der Zugehörigkeit würde kein
Theater ſo hoch dotirt, würden die Anſprüche des Publi¬
kums daran nie ſo hoch geſteigert worden ſein. Auch
hat der gewähltere Geſchmack der höheren Geſellſchaft
allem künſtleriſchen Streben nach Adel, Feinheit, Grazie
und Eleganz, den derberen Forderungen des großen
[25] Publikums gegenüber, einen wichtigen Rückenhalt dar¬
geboten. Alles dies darf künftig nicht verloren gehen.


Nicht nur die bisherigen Geldzuſchüſſe, auch der per¬
manente Antheil des Hofes muß dem Theater erhalten
bleiben.


Der hin und wieder laut gewordene Vorſchlag: das
Theater lediglich zur Landesſache zu machen und dem
Fürſten anheim zu geben, ſeine Logen darin zu bezahlen
— wie dieß in Frankreich und England üblich — iſt
unbedingt und aus Staatsprincip zurückzuweiſen. In
jedem wahrhaften Nationalinſtitute muß der Erſte der
Nation, der Träger der Majeſtät des Volkes, ohne alle
Bedingung zu Haus ſein, und ſein Intereſſe an der Kunſt
zu nähren muß ein Antrieb des Ehrgeizes bleiben.


Allerdings wird es ſelbſt politiſch conſequent ſein,
in dieſer Zeit, welche die Fürſten von Verantwortung
frei zu machen trachtet, den Höfen auch die für das
Theater — deſſen Oeffentlichkeit unabläſſige Angriffe
jedes Einzelnen herausfordert — abzunehmen; aber da¬
mit darf doch, zum Vortheil der Kunſt, das Protectorat
der Fürſten nicht aufgegeben werden.


Der Landesfürſt hat nur die Organe ſeines Willens
zu wechſeln, anſtatt Hofbeamten, die von ſeiner Will¬
[26] kür abhängig, die Oberleitung des Theaters Staats¬
beamten zu übergeben, die außer ihm auch dem Lande
verantwortlich ſind.


Der jetzige Moment iſt entſcheidend. Die Umge¬
ſtaltung unſerer ſtaatlichen und bürgerlichen Verhältniſſe
muß auch das Theater ergreifen; es kann nicht anders
ſein, denn das Theater iſt zu jeder Zeit das kleine Spie¬
gelbild des großen Außenlebens geweſen. Jetzt kommt
es darauf an: was es dem Vaterlande werden ſoll?


Wie vor hundert Jahren alle Stimmen die Höfe
um Schutz für die heimathliche Kunſt anriefen, wie es
als eine That ruhmwürdigen Patriotismus geprieſen
wurde, wenn ein Fürſt ſeinen Mantel über ein Noma¬
denhäuflein deutſcher Comödianten ausbreitete, ſo blik¬
ken die Freunde der Kunſt und des Vaterlandes jetzt
wieder auf die Fürſten, verhoffend: ſie werden die erſte
Wohlthat durch die zweite, großmüthigere vollenden, ſie
werden den verweichlichenden Gnadenmantel zurückſchla¬
gen und den üppig aufgeſchoſſenen Pflegling ihrer Gunſt
in die ernſte Pflicht: der höheren Wohlfahrt
des Volkes dienſtbar zu ſein
, entlaſſen.

[[27]]

Nun aber die praktiſche Ausführung dieſer tiefgrei¬
fenden Theaterreform! Was iſt zu thun, wenn ſie den
angekündigten Zwecken entſprechen ſoll?


Hier meine Vorſchläge:


Der Landesfürſt überträgt dem Miniſterium für
Cultus, Wiſſenſchaft u. Kunſt, neben der Oberaufſicht
über die Inſtitute für Muſik und bildende Künſte —
Conſervatorien, Akademien, Muſeen — auch die über
die bisherigen Hoftheater. Er gewährt die Uebertra¬
gung der Summen, welche die Hofkaſſe bisher jährlich
zur Erhaltung des Theaters zugeſchoſſen, auf die Staats¬
kaſſe. Alle Unterſtützungen und Vortheile, welche andre
Theater des Landes von Staats wegen genießen, ſo wie
die Aufſicht über dieſelben, welche bis jetzt meiſtentheils
[28] von dem Miniſterium des Innern ausgeübt worden, alles
dieß wird ebenfalls in die Hand des Cultusminiſteriums
gelegt, ſo daß die Staatspflege aller Kunſt
im ganzen Lande durch eine Abtheilung die¬
ſes Miniſteriums vollkommen vertreten
und ihr organiſches Leben geſichert iſt
.


Der Beamte, dem die Generaldirection der Landes¬
bühnen übertragen wird, braucht keine ſpecielle Kenntniß
vom Theaterweſen zu beſitzen; — er ſoll ſich in die künſt¬
leriſche Thätigkeit nicht miſchen — ein äſthetiſch gebil¬
deter Sinn, das genaue Verſtändniß deſſen, was die
Bühne für die höhere Volksbildung zu leiſten habe, ein
richtiger adminiſtrativer Ueberblick werden die Erfor¬
derniſſe für dieſes Amt ſein. Eine würdige perſönliche
Repräſentation wird die Wirkſamkeit dieſes Beamten
weſentlich unterſtützen. Erleichtern wird es die Thea¬
terreform, wenn bisherige Hofintendanten von geeigne¬
ten Fähigkeiten, in dieſes Miniſterialamt eintreten. In
welcher Weiſe daſſelbe auf die eigentliche Theaterdirec¬
tion einzuwirken hat, wird ſich aus der Organiſation
derſelben ergeben.


Die Reſidenztheater ſind es, welche die nächſte und
hauptſächlichſte Aufmerkſamkeit in Anſpruch nehmen;
[29] nichts darf verſäumt werden, um ihnen eine wahre Mu¬
ſtergültigkeit zu verleihen. Ihre künſtleriſche Verfaſſung
wird am weſentlichſten dazu wirken.


Die bisherigen Hoftheater erhalten unter dem Na¬
men: Nationaltheater eine von künſtleriſchen
Vorſtänden gebildete
, ſelbſtändig abge¬
ſchloſſene
, der Landesregierung verant¬
wortliche Direction
.


Dieſelbe beſteht aus den Vertretern derjenigen
Künſte, welche den weſentlichen Kern der Dramatik aus¬
machen: Dichtkunſt, Muſik und Schauſpielkunſt; alſo
aus einem Theaterdichter und Schriftfüh¬
rer
(dem bisherigen Theaterſecretair), einem Kapell¬
meiſter
und einem darſtellenden Künſtler.


Dieſe drei Männer berathen und beſchlie¬
ßen
— mit Hinzuziehung der weiter unten zu beſpre¬
chenden Vorſtände zweiten Ranges — über alle An¬
gelegenheiten des Theaters
; aber Einem unter
ihnen ſteht die endliche Entſcheidung in al¬
len Beſchlüſſen und ihre Ausführung mit
[30] vollkommener Gewalt und unter ſeiner al¬
leinigen Verantwortlichkeit zu
.


Weil nun die Schauſpielkunſt diejenige iſt, in welche
alle übrigen aufgehen, weil es auf ſie ankommt: was die
Dicht- und Muſikwerke von der Bühne herab wirken,
weil ſie in letzter Inſtanz für Alles verantwortlich ſein
muß, was auf der Bühne geſchieht, ſo wird auch die Di¬
rection des Theaters nur dann naturgemäß organiſirt
ſein, wenn ein darſtellender Künſtler an ihrer
Spitze
ſteht.


Man pflegt gegen die Direction eines Schauſpielers
vielfache Bedenken geltend zu machen. Man ſagt: er
mißbrauche gewöhnlich ſeine Macht zur Befriedigung der,
dem Schauſpieler nahe liegenden Rollenſucht, ſäe
dadurch Mißtrauen und Zwietracht im Perſonal, benach¬
theilige wohl auch dadurch die Wirkung der Darſtellungen.


Wahr iſt es, faſt alle Schauſpielerdirectoren in der
ganzen Kunſtgeſchichte haben dieſen Vorwurf verſchuldet.
Aber da jede Direction ihre Mängel haben wird, ſo iſt
dieſer, gegen den unermeßlichen Vorzug einer kunſtver¬
ſtändigen Leitung, ſehr gering anzuſchlagen; wird auch
zudem, aus Rollenſucht der übrigen Schauſpieler, ge¬
wöhnlich übertrieben angegeben. Den Meiſtern Eckhof,
[31]Schröder, Iffland u. A., obſchon ſie manche Rolle,
die ihnen nicht zukam, ſich aneigneten, hat dennoch die
deutſche Kunſt ihr erſtaunlich raſches Wachsthum zu dan¬
ken. Uebrigens iſt in der Organiſation des Theaters
ein hinlängliches Gegengewicht gegen egoiſtiſche Ueber¬
griffe aufzuſtellen, wie die weitern Vorſchläge zeigen
werden.


Ferner macht man den Einwand geltend: die erfor¬
derliche Bildung und Charakterwürde ſei unter den
Schauſpielern zu ſelten anzutreffen, um dem Stande die
Selbſtregierung überall anvertrauen zu können.


Der Vorwurf iſt, in ſeiner Anwendung wenigſtens,
unbegründet. An jeder irgend bedeutenden Bühne wird
ein darſtellender Künſtler zu finden ſein, der hinlänglich
befähigt iſt, die Direction — wenn auch nicht tadellos —
jedenfalls beſſer zu führen, als ſie bisher von Nichtſchau¬
ſpielern geführt worden iſt. Ein Fortſchritt alſo wäre
der Bühne damit jedenfalls garantirt, ſelbſt bei dem ge¬
genwärtigen Bildungsſtande. Dieſer aber wird ſich
durch Einführung künſtleriſcher Directionen erſtaunlich
ſchnell verändern. Die Directionstalente unter den
Schauſpielern, ſeit 30 Jahren niedergehalten und vom
Steuer entfernt, weil ſie der Bureauherrſchaft unbequem
[32] ſein mußten, werden ſich wieder erheben, die Bühne, zur
Staatsanſtalt erklärt, wird immer mehr an Mitgliedern
aus den gebildeten Ständen gewinnen, es werden Ta¬
lente, welche vielleicht, wegen mangelhafter Begabung,
auf der Bühne nicht die größten Erfolge zu erlangen ver¬
mögen, andere von vorherrſchender Verſtandesrichtung,
ſich mehr auf Ausbildung der künſtleriſchen Einſicht le¬
gen, und wenn ſie einen Weg praktiſcher Entwicklung in
der Theaterorganiſation offen finden, eine Vervollkomm¬
nung erlangen, wie wir ſie ähnlich in andern Künſten
bei Talenten antreffen, die vortrefflich als Lehrer und Di¬
rectoren, in ihren Werken ſelbſt aber nicht bedeutend ſind.
Und dieſe Entwicklung wird man um ſo geduldiger ab¬
warten können, als bei der vorgeſchlagenen Directions¬
einrichtung von dem Schauſpielerdirector nicht aller Ver¬
ſtand und alle Einſicht allein gefordert wird, weil ihm
die, in den Berathungen gleichberechtigten muſikaliſchen
und literariſchen Vorſtände zur Seite ſtehen, hier alſo
der Geiſt der dramatiſchen Kunſt und die praktiſche
Ausführbarkeit
ſich lebendig durchdringen können.


Man hat vielfach der Direction eines Dichters vor
der eines Schauſpielers den Vorzug gegeben um der hö¬
hern Bildung willen, welche ſein Beruf ihm aneignet,
[33] die Directionen von Goethe, Schreyvogel (Weſt),
Klingemann und Immermann ſcheinen dieſen Vorzug zu
rechtfertigen; und wo es zur Zeit nicht möglich ſein
ſollte, einem Schauſpieler das volle Directionsvertrauen
zu ſchenken, dagegen, was ſelten genug der Fall ſein
wird, der Theaterdichter beſonders vorragendes ſchau¬
ſpieleriſches und praktiſches Talent zeigen ſollte, mag
man ausnahmsweiſe den Literaten an die Spitze ſtellen.


Der Natur der Dinge wird es immer widerſprechen,
und der Mißſtand, den dies erzeugt, iſt jederzeit, auch bei
den beſten Literaten-Directionen, hervorgetreten. Wie der
Dichter den geiſtigen Stoff hergiebt in der Dramatik, der
Schauſpieler aber ihm Geſtalt und ſinnliches Leben verleiht,
ſo muß auch bei der Leitung der Kunſt im
Ganzen der Dichter die berathende Stimme
haben
, die künſtleriſche Praxis aber das
letzte Wort behalten
.


Die Frage: wie der künſtleriſche Vorſtand gefunden,
wie die bis jetzt unerkannten Directionstalente unter den
Schauſpielern hervorgezogen werden ſollen? muß ſich
3[34] wiederum aus der Natur und dem Weſen der Kunſt be¬
antworten.


Das Weſen der Schauſpielkunſt aber iſt vollkom¬
mene Vergeſellſchaftung Aller, mit Erhaltung der
Eigenheit des Einzelnen. Sie fordert gänzliche
Hingebung an den Geſammtvortheil der Totalwirkungen,
fordert Selbſtverläugnung in einer Thätigkeit, welche
Ehrgeiz und Eitelkeit am gewaltigſten aufregt, fordert,
daß der Einzelne die Befriedigung ſeines eignen Vor¬
theils in der Befriedigung des allgemeinen finde,
die Schauſpielkunſt fordert alſo republi¬
kaniſche Tugend in höchſter Potenz
.


Um dieſe zu wecken und zu pflegen bedarf das
Theater folgerichtig auch republikaniſcher Einrichtungen.
Dieſe Erkenntniß datirt nicht etwa aus den politiſchen
Bewegungen unſerer Tage, ſchon die abſoluteſten Herrſcher
haben ihr gemäß gehandelt. Ludwig XIV. gab dem théâ¬
tre français
die erſte Verfaſſung, die Napoleon ſpäterhin
ausbildete. Joſeph II. führte eine ähnliche am Wiener
Nationaltheater ein. Dalberg in Mannheim, Schröder
in Hamburg u. A. m. nahmen ihre Grundſätze auf. Es
iſt alſo nichts Neues, wenn das Theater eine künſtleriſche
Selbſtregierung durch Vertretung, und aus freiem Ver¬
[35] trauen gewählte Vorſtände erhält, es iſt eine Nothwen¬
digkeit, die ſich aus tauſend Hemmungen und Mißhellig¬
keiten in der Theaterpraxis ergiebt. Denn es ſind nicht
blos mechaniſche Verrichtungen, welche von dem Perſonal
— ſelbſt dem untergeordneten — gefordert werden, der
gute Wille, der lebendige Antheil an der gemeinſamen
Sache, die eifrige Betheiligung müſſen überall das Beſte
thun. Dies Alles aber iſt nicht zu erlangen, wenn nicht
jeder Einzelne fühlt, daß er wirklichen Theil hat an dem
organiſchen Leben des Inſtitutes, dem er angehört, wenn
die Führer nicht Männer des allgemeinen Vertrauens
ſind.


Darum muß die Gliederung der verſchiedenen Kör¬
perſchaften im Perſonale feſtgeſtellt und der Grundſatz
der Wahl von Vertretern und Führern, von unten auf
geltend gemacht werden; die Direction wird dadurch
erleichtert und vereinfacht.


Die Mitglieder des Orcheſters, des Chors und
des Balletts wählen ſich alljährlich Ausſchüſſe
von drei bis fünf Männern etwa. Bei Chor und Bal¬
lett übernehmen dieſe das bereits eingeführte Geſchäft
der Inſpicienten, handhaben Ordnung in Vorübungen,
Proben und Vorſtellungen u. ſ. w.; alle aber vertreten
3*[36] ihre Körperſchaft der Direction gegenüber, bei Wahl
von Vorſtänden, bei Verwaltung gemeinſamer Kaſſen
und in Streit- und Beſchwerdeſachen. Zum Theil
beſteht dieſe Einrichtung bereits an einigen Bühnen, ſie
bedarf aber grundſätzlicher Regelung.


Dieſe Ausſchüſſe mit ihren Vorſtänden — Kapellmei¬
ſter, Muſikdirector und Conzertmeiſter, Chordirector und
Ballettmeiſter — treten mit ſämmtlichen darſtellenden Mit¬
gliedern, männlichen und weiblichen, zuſammen *)und
wählen den Künſtler, dem ſie die meiſten Fä¬
higkeiten zutrauen
, die Ehre und Würde des
Inſtitutes zu fördern
, durch mindeſtens zwei Drit¬
tel Mehrheit der Stimmen, zum Director.


Dem Miniſterium ſteht es zu, die Wahl zu beſtä¬
tigen.


[37]

Man darf ſich überzeugt halten, daß der rechte Mann
auf dieſe Weiſe gefunden wird. Wie gering man auch
den allgemeinen Bildungsſtand der Theatermitglieder
anſchlagen mag, was zu ihrem Fache taugt, verſtehen ſie
beſſer, als irgend ſonſt Jemand, und wo es ſich um Ehre
und Gedeihen des Theaters handelt, wird perſönliche
Parteilichkeit die Freiheit des Urtheils nicht mehr benach¬
theiligen, als dies bei anderen Wahlen geſchieht.


Dem Miniſterium ſowohl, als den künſtleriſchen
Ausſchüſſen ſteht es frei: Wahlcandidaten, auch von an¬
dern Bühnen, vorzuſchlagen.


Eine Dauer der Amtsführung kann im Voraus nicht
vorgeſchrieben werden, ein Theaterdirector kann ſo wenig,
als ein Staatsminiſter, auf Lebenszeit oder auf eine be¬
ſtimmte Anzahl von Jahren eingeſetzt werden. Es muß
ihm freiſtehen, den Poſten aufzugeben, wenn er Muth,
Kraft und Luſt dazu verliert, — was in dieſem Amte
ſchneller, als in jedem anderen geſchieht, — aber es muß
auch möglich ſein, ihn des Poſtens zu entheben, wenn er
ſtumpf wird, ohne es zu merken, oder er dem Vertrauen
der Kunſtgenoſſenſchaft und der Regierung nicht ent¬
ſpricht.


[38]

Dieſe Enthebung darf aber nur — um Gewaltſam¬
keit oder Intrigue zu entwaffnen — in derſelben Weiſe,
wie die Wahl geſchehen, durch Beſchluß des Miniſteriums
und der zwei Drittel Mehrheit der Stimmberechtigten.


Der austretende Director — wenn nicht Straffällig¬
keit ihn aus der Genoſſenſchaft entfernt — nimmt ſeine
frühere Stellung im Perſonale, oder diejenige ein, welche
auf dieſen Fall mit dem Miniſterium verabredet worden.
Es leuchtet ein, daß das Miniſterium überhaupt in
jedem einzelnen Falle mit dem gewählten Director über
die Bedingungen der Annahme übereinkommen muß.
Dazu iſt aber die dringende Warnung auszuſprechen:
den Director der Reſidenztheater in keiner Weiſe
bei den Einnahmen zu betheiligen. Er darf niemals
perſönlichen Gewinn, ſondern nur die Ehre und Würde
des Inſtitutes im Auge haben.


Die Stellung des Directors wird ſich erſt überſehen
laſſen, wenn die ganze Organiſation des Theatervorſtan¬
des klar iſt.


[39]

Der Kapellmeiſter in der Direction
hat die Verantwortung für das geſammte
Muſikweſen des Theaters zu übernehmen
.
Ihm ſind die übrigen Orcheſterdirigenten, ſo wie der
Chorlehrer untergeben, mit deren Beirath er über An¬
ſtellungen, Verabſchiedungen und Penſionirungen im
Orcheſter, über Wahl, Reihefolge und Ausführung der
Muſikwerke Vorſchläge zu machen, und ſobald dieſe durch
die Direction zum Beſchluß erhoben worden, für Betrei¬
bung des Studiums und für die Vollkommenheit der
Ausführung zu ſorgen hat.


Der Kreis dieſer Wirkſamkeit wird bereits an vielen
Bühnen von dem Kapellmeiſter beherrſcht, darum würden
die in Amt befindlichen faſt überall für die neue Organi¬
ſation paſſen. Es gälte nur: den Umfang ihrer Macht¬
vollkommenheit und alſo ihrer Verantwortlichkeit zweifel¬
los feſtzuſtellen und da, wo die muſikaliſchen Angelegen¬
heiten in verſchiedenen Händen liegen, ſie in einer
einzigen zu centraliſiren. Wo zwei gleichberechtigte
Kapellmeiſter im Amte ſind, müßte der eine dem anderen
untergeordnet oder die Directionsgewalt jährlich ab¬
wechſelnd in ihre Hand gelegt werden, bis ein Perſonen¬
wechſel über dieſe Auskunft hinweghilft. Denn unver¬
[40] rückt muß an dem Grundſatze feſtgehalten werden, daß
die Verantwortung überall in eine einzige Perſon aus¬
laufe, damit die ſo geregelten einzelnen Kreiſe ſchnell und
gelenkig für den allgemeinen Zweck bewegt werden können.


Dieſe Einrichtungen dürfen natürlich nur in Ueber¬
einkunft mit dem Director getroffen werden, weil der¬
ſelbe ſich mit dem muſikaliſchen Mitdirector in grund¬
ſätzlicher Uebereinſtimmung fühlen muß. Wenn daher
die Stelle des Kapellmeiſters neu zu beſetzen iſt, ſo muß
der Director ſich mit der Aufſtellung der Candidaten,
welche das Miniſterium oder der muſikaliſche Ausſchuß,
neben den von ihm ſelbſt vorzuſchlagenden, präſentiren
will, einverſtanden erklären.


Die Ernennung eines neuen Kapellmeiſters
geſchieht durch Wahl der muſikaliſch Bethei¬
ligten
mit zwei Drittel Stimmenmehrheit und Beſtä¬
tigung der Regierung. Stimmberechtigt ſind — in
Analogie mit der Wahl des Directors — die Sänger und
Sängerinnen der Oper, die übrigen muſikaliſchen Vor¬
ſtände und die Ausſchüſſe des Orcheſters *) und des Chors.


[41]

Ob die Anſtellung auf Zeit oder auf Lebensdauer
geſchehen ſoll, wird von den Bedingniſſen jedes einzelnen
Falles abhängen. Zu erwägen iſt nur, daß der Rück¬
tritt, lediglich von der Theilnahme an der Direction,
nur da möglich iſt, wo ein zweiter Kapellmeiſter dafür
einzutreten vorhanden iſt.


Der Theaterdichter und Schriftführer
man mag ihn auch Dramaturg nennen — hat, wie
herkömmlich, für das Bedürfniß der Bühne an Gelegen¬
heitsgedichten, Bearbeitungen, Abänderungen, Verbeſſe¬
rungen der Operntexte u. ſ. w. zu ſorgen, auch die Bu¬
reaugeſchäfte und Correſpondenz zu führen, ſo weit ihm
letztere nicht vom Kapellmeiſter und Director erleichtert
wird. Seine weſentliche Aufgabe aber wird ſein, die
Literatur
, den Geiſt der Dramatik zu ver¬
treten
. Er ſoll von dieſer Seite her immer neue An¬
regungen geben, damit die Direction ſich nicht einer blos
herkömmlich theatraliſchen Richtung und den gewöhn¬
lichen Tagesforderungen hingebe. Er ſoll alſo der wich¬
tigſte Rathgeber des Directors ſein in Allem, was die
[42] höhere Bedeutung der Bühne berührt; beſonders alſo in
der Wahl der aufzuführenden dramatiſchen Werke. Er ſoll
den Director vornehmlich unterſtützen: im Kunſtperſonale
ein allgemeines Bildungsbeſtreben zu wecken und zu
nähren. Durch Anregungen aller Art, durch Vorträge,
Regelung der Lectüre, Aufſicht über Vervollſtändigung
und Benutzung der Theaterbibliothek in dieſem Sinne,
durch bereite Auskunft über wiſſenſchaftliche Fragen,
durch Vermittelung eines innigen Verkehrs mit literari¬
ſchen Capacitäten und eines Zuſammenhanges mit den
Vereinen dramatiſcher Autoren — deren Bildung durch
die Reorganiſation des Theaters gewiß angeregt wer¬
den wird — ſoll er den Geiſt des Inſtitutes heben und
erweitern.


Daß dieſer Poſten von der allergrößten Wichtigkeit,
leuchtet ebenſowohl ein, als daß die meiſten zur Zeit
fungirenden Theaterſecretaire — die ebenſowohl beim Poſt-
oder Steuerfache angeſtellt ſein könnten — dieſen Forde¬
rungen nicht entſprechen werden; dieſe Stelle wird alſo
bei einer Bühnenreform faſt überall neu beſetzt werden
müſſen.


Aus einer Wahl kann dieſes Mitglied der Direction
nicht hervorgehen, weil keine wahlberechtigte Körper¬
[43] ſchaft dazu vorhanden iſt*). Die darſtellenden Mitglie¬
der können in ihrer Mehrheit kein Urtheil über ſeine
Befähigung haben, auch ſind ſie in dienſtlicher Beziehung
nicht dergeſtalt von ihm abhängig, daß er der Mann
ihres Vertrauens ſein müßte. Es wird genügen, wenn
die Majorität des Ausſchuſſes der darſtellenden Künſtler
der Ernennung beiſtimmt, welche vom Miniſterium, in
Uebereinkunft mit den beiden andern Directionsmitglie¬
dern, vorgenommen wird.


Dieſer Ausſchuß der darſtellenden Künſt¬
ler
iſt für die Geſammtorganiſation überhaupt von gro¬
ßer Wichtigkeit.


Gleich den Muſikern, Choriſten und Tänzern erwählt
alljährlich das darſtellende Perſonal, Herren und Da¬
men, einen Ausſchuß von mindeſtens fünf Männern,
darunter wenigſtens je zwei aus Oper und Schauſpiel.


[44]

Von dieſen Vertrauensmännern des Perſonals hat
der Director ſich die Regiſſeure zu ſeinen künſtleri¬
ſchen Mitarbeitern zu wählen. Im Fall längerer Krank¬
heit oder Abweſenheit eines derſelben ernennt der Di¬
rector aus den übrigen Ausſchußmitgliedern einen Stell¬
vertreter
. Die Entfernung eines Regiſſeurs von ſeinem
Poſten muß natürlich in der Gewalt des Directors
ſtehen, doch hat er ſich mit dem übrigen Ausſchuſſe des¬
halb zu benehmen.


In ähnlicher Weiſe, d. h. unter Beirath der betref¬
fenden Ausſchüſſe, werden alle Vorſtände zwei¬
ten Ranges
eingeſetzt: Orcheſterdirigenten,
Chordirector, Ballettmeiſter. Dieſe können
natürlich nicht aus Vertrauensmännern ernannt werden,
welche das Perſonal bezeichnet, weil ſie oft von andern
Theatern berufen werden müſſen, immerhin aber wird es
wichtig ſein, daß die Direction verpflichtet ſei: ſich der
Zuſtimmung des betreffenden Ausſchuſſes zu verſichern,
damit das unentbehrliche Moment des ausgeſprochenen
Vertrauens zu allen Vorſtänden die ganze Bühnenver¬
faſſung durchdringe.


Der, nach Wahl zweier Regiſſeure mindeſtens aus
drei Perſonen beſtehende Ausſchuß der darſtellenden
[45] Künſtler wird in dieſer Zahl jährlich neu gewählt,
wenn nicht der Austritt eines oder beider Regiſſeure
eine Ergänzungswahl nöthig macht.


Der Ausſchuß der drei Künſtler iſt, wie bei den an¬
dern Genoſſenſchaften, Vorſtand der Almoſen-, Penſions-
und Wittwenkaſſen u. ſ. w., zugleich aber übt er die
Vertretung des Kunſtperſonals der Direction gegenüber.
Er wird dadurch zum Mittelgliede der Ausgleichung für die
entgegenſtehenden Intereſſen, die ſich ſo oft in der Thea¬
terpraxis geltend machen. In vielen Streitfällen,
welche nach dem Buchſtaben der Theatergeſetze nicht,
ſondern nur nach dem Urtheile Sachverſtändiger zu ent¬
ſcheiden ſind, bei Beſchwerden über parteiiſche Rollen¬
vertheilung, über Beeinträchtigung künſtleriſcher Rechte,
welche durch kein geſchriebenes Wort zu ſichern ſind, hin¬
gegen auch bei beſtrittenen Anſprüchen der Direction wird
das Hinzutreten des Ausſchuſſes zu denjenigen Vorſtänden,
in deren Gebiet der Fall ſchlägt, eine Jury bilden, welche
dem Ausſpruche eine größere Unparteilichkeit verleihen
muß. Alle Geſetze, Ordnungs- und Strafverfügungen,
Entlaſſungen wegen Dienſtvergehungen oder gröblicher
Vernachläſſigung — welche auch lebenslänglich Ange¬
ſtellten nicht erſpart werden dürfen — werden, unter
[46] Mitwirkung des Ausſchuſſes erlaſſen, eine gerechtere
Anerkennung erlangen und verdienen. Der Ausſchuß,
die Intereſſen des Perſonals vertretend und zugleich auf
der Schwelle der Direction ſtehend, wird das Gleich¬
gewicht zwiſchen dem allgemeinen und dem Einzelintereſſe
am ſicherſten halten können. Und was noch überaus
wichtig iſt, der Ausſchuß wird eine Vorbereitungsſtufe
abgeben für die Directionstalente, die raſcher als bisher
in die künſtleriſchen Aemter eintreten werden, wenn ſie
ſich auszeichnen, weil die kräftigere Bewegung, welche die
Selbſtregierung in den Genoſſenſchaften hervorbringen
muß, die abgenutzten Vorſtände nicht lange an der Spitze
dulden, überhaupt die Hemmniſſe der Anciennetät, des
Rollenmonopols u. ſ. w. beſeitigen wird.


Vor Allem aber muß dieſe allgemeine Betheiligung
an der künſtleriſchen Selbſtregierung das eine wichtigſte
Lebenselement der Schauſpielkunſt ſtärken, das der
künſtleriſchen Geſinnung, des Geſammt¬
geiſtes
. Das ſelbſtſüchtige Sonderintereſſe einzelner
Talente, durch hervorragende Fähigkeiten und durch ge¬
ſchickte und dreiſte Ausbeutung der bisherigen Verhält¬
niſſe, faſt an allen Hofbühnen zu einer Gewalt gelangt,
die das allgemeine Gedeihen ſchlechterdings unmöglich
[47] macht, dieſer Krebsſchaden des heutigen Theaterweſens,
der die beſte Lebenskraft der Inſtitute zur Beute der
Eitelkeit und Eigenſucht weniger Bevorrechteter macht,
kann nur durch die Geſundheit und Kräftigung der ge¬
ſammten Körperſchaft geheilt werden. Entweder werden
die Theatermatadore durch eine edlere Richtung der
Bühne zu einer edlen Hingebung an die Herrſchaft des
Gemeinweſens der Kunſt bewogen, oder ihre Anmaßung
wird durch die gehobene Geſinnung der Kunſtgenoſſen
beſchämt und niedergehalten werden. Dies wird um ſo
eher geſchehen, als das Sonderintereſſe ſich nicht mehr
in dem Mißbrauch der Hofgunſt nähren wird, die Di¬
rection dagegen, auf beſtimmte Staatsgrundſätze geſtützt
und dem Lande verantwortlich, das allgemeine In¬
tereſſe dem einzelnen gegenüber energiſcher wird vertreten
können und müſſen.


Bei einer ſolchen Bühnenverfaſſung wird die Di¬
rection — aus dem beſonnenen Vertrauen der Ge¬
noſſenſchaft hervorgegangen, deren beſte Einſicht
ſie repräſentirt — an und für ſich ſtark ſein,
[48] aber die Oberbehörde darf ſie auch in keiner Machtvoll¬
kommenheit beſchränken, welche es ihr möglich macht, die
ganze Verantwortung für die Leiſtungen der Bühne zu
übernehmen und dem Perſonal gegenüber die vollkom¬
menſte Autorität zu behaupten.


Von der künſtleriſchen Direction müſſen daher alle
Anſtellungen, Verabſchiedungen, Beurlau¬
bungen
und Penſionirungen abhängig ſein. Dem
Miniſterium bleibe die Beſtätigung, damit Ueberſchreitungen
im Ausgabeetat oder Uebereilungen vermieden werden.
Die Beurtheilung aber und Entſcheidung über die Zuſam¬
menſetzung des Perſonals muß der Direction durchaus
anheim gegeben werden. Ebenſo hat ſie allein über die
Zuläſſigkeit der Gaſtſpiele zu entſcheiden; wobei ihr
nur zur Pflicht gemacht werden muß, dem allgemein ein¬
geriſſenen tief verderblichen Mißbrauche derſelben zu
ſteuern, der die Geldmittel der Theater vergeudet, das
künſtleriſche Enſemble untergräbt, das vereinzelte Virtuo¬
ſenſpiel bei den Künſtlern und das Vergnügen daran bei
dem Publikum hervorruft, auch deſſen Neuigkeitsgier und
Parteinahme ſteigert.


Der Direction muß ferner die Entſcheidung über
Wahl und Reihenfolge der aufzuführen¬
[49] den Werke
, die Rollenbeſetzung, Ausſtat¬
tung
in Decorationen und Coſtüm, die Auf¬
ſtellung des Repertoirs überlaſſen ſein. Daß ein
verderblicher Eigenwille ſich in den Entſcheidungen des
Directors geltend machen werde, iſt nicht zu fürchten,
weil alle Dinge mit den übrigen Vorſtänden berathen
werden müſſen, der Director nur der Erſte unter Glei¬
chen, er auch der Ueberwachung und zuletzt der Anklage
bei der Miniſterialdirection von Seiten des Ausſchuſſes
ausgeſetzt iſt.


Mit unbeſchränkter Gewalt ſoll aber der künſtleriſchen
Führung die Kunſt zurückgegeben, der Mittelpunkt ihrer
Thätigkeit aus dem Bureau wieder auf den Regieplatz
in's Proſcenium der Bühne, wo er naturgemäß liegt,
verſetzt werden. Die künſtleriſche Arbeit ſei
wieder die Hauptaufgabe der Theaterdi¬
rection
.


Dabei aber darf ſie, ebenſowenig wie von der Mini¬
ſterialdirection, von der Einmiſchung des Ausſchuſſes be¬
einträchtigt werden. An der regelmäßigen Geſchäftsfüh¬
rung darf demſelben kein Theil zuſtehen, die ſchon ſo com¬
plicirte Theaterpraxis würde ſonſt in babyloniſche Verwir¬
rung gerathen, der Ausſchuß würde dadurch ein integrirender
4[50] Theil der Direction werden und ſeinen Charakter als
Vertreter der Genoſſenſchaft, der Direction gegen¬
über
, einbüßen.


Die Stärke der Theaterdirection ſoll aber keines¬
weges den Einfluß der Staatsbehörde ausſchließen. Die
Direction — abgeſehen von ihrer ſpäter zu beſprechenden
adminiſtrativen Abhängigkeit — hat alle ihre Pläne,
vorhabenden Einrichtungen und vorzubereitenden Arbei¬
ten vierteljährlich etwa, dem Miniſterialdirector vorzu¬
legen, damit er ſich überzeuge, ob das Inſtitut die Staats¬
tendenzen innehalte.


Ferner iſt das Miniſterium in allen Streitſachen letz¬
ter und oberſter Gerichtshof, ſowohl in Differenzen zwi¬
ſchen Direction und Untergebenen, als zwiſchen den Mit¬
gliedern der Direction ſelbſt, oder in Klagen gegen die¬
ſelbe von Seiten der Autoren, des Publikums u. ſ. w.,
ſie mögen ſich nun auf materielle Forderungen oder auf
ſolche, welche den Geiſt des Inſtitutes betreffen, richten.


Die Aufgaben, welche dem ſo reformirten National¬
theater geſtellt werden müſſen, ſind nicht gering.


[51]

Vor allem thut es Noth, ein Stammrepertoir
der bedeutendſten Dicht- und Muſikwerke aufzuſtellen, das
in alljährlicher Wiederkehr die Künſtler in der Uebung
am Vortrefflichen erhält, dem Volke den Genuß ſeines
Kunſtſchatzes in Muſteraufführungen ſichert, ihm den
ganzen Entwicklungsproceß des Theaters zugleich klar
macht und ihm Ehrfurcht für das, was es leiſtet, ein¬
flößt*).


Auf einem Nationaltheater ſoll keine Woche ver¬
gehen, in welcher nicht eins der Werke aus dieſem klaſſi¬
ſchen Cyklus gegeben wird. Jedes kirchliche oder politi¬
ſche Feſt, jeder für die Nation merkwürdige Tag — bezeichne
er eine große Begebenheit oder die Geburt eines großen
Künſtlers u. ſ. w. — werde durch eine entſprechende Vor¬
ſtellung gefeiert und in die Sympathie der Gegenwart
gezogen. Auch die wichtigen Ereigniſſe des Tages ſollen
ihren Ausdruck auf der Nationalbühne finden; ſie ſoll
nicht beſtimmt ſein, die Eindrücke des Lebens vergeſſen zu
machen, ſondern dem Volke ein höheres und heiteres
Verſtändniß derſelben zu eröffnen.


4*[52]

Um all dieſer Zwecke willen wird dem Nationalthea¬
ter die Ermuthigung und Befeuerung der Auto¬
ren
dringend angelegen ſein müſſen. Auffordernde Anre¬
gungen aller Art, angemeſſenere Regulirung des Honorars,
Eröffnung einer achtungsvollen Stellung zur Bühne — wie
ſie den Schöpfern der geiſtigen Nahrung derſelben ge¬
bührt — werden die nächſten Schritte dazu ſein.


Dagegen fordert gerade die Achtung vor der Autor¬
ſchaft, daß eine ſtrenge Auswahl unter den Tageserzeug¬
niſſen vorgenommen, das Mittelmäßige und Schlechte
nicht gleichberechtigt mit dem Guten betrachtet werde.
Es fordert die Achtung und Rückſicht für die darſtellenden
Künſtler, daß ihre Kraft und ihr Eifer nicht durch die
Beſchäftigung mit nichtsbedeutenden Arbeiten abgeſtumpft
werden. Es fordert die Achtung vor dem Publikum:
daß man es ſicher ſtelle gegen die Langeweile an der Dar¬
ſtellung von Arbeiten, wie ſie zufällig einlaufen und wor¬
über dem Publikum hinterher das Urtheil überlaſſen
wird. Die Direction iſt dazu eingeſetzt, ein Urtheil im
Voraus zu haben und dem Publikum nur wahrhaft Er¬
freuendes oder Begeiſterndes anzubieten, nicht aber das
Vertrauen zu täuſchen, mit dem das Volk ſein Theater
betritt, nicht die Kräfte und Mittel, die es ihr zur Ver¬
[53] wendung übergiebt, aus perſönlicher Rückſicht oder Furcht
vor Journalartikeln abgewieſener Autoren zu vergeuden.
Die Direction eines Nationaltheaters ſoll ihre Bühne
nicht zum Tummelplatz für bloße Neuigkeiten und unreife
Verſuche eröffnen, dagegen ſie mit aller Hingebung den
werthvollen Arbeiten anbieten und das Intereſſe der Au¬
toren bei der Darſtellung zu ihrem eigenen machen.


Die ganze Praxis der künſtleriſchen Leitung hier zu
beſprechen, iſt weder zuläſſig noch nöthig, einige Momente
aber ſcheinen mir anregender Erwähnung zu bedürfen.


So wird unter Allem, was für die möglichſte Voll¬
endung der Darſtellungen geſchehen muß, auf das Ma¬
leriſche
derſelben eine größere Sorgfalt, als ſie bisher
in Deutſchland üblich, zu wenden ſein.


Die Decorationen werden meiſt auf einzelne
Beſtellung, bald hier bald dort, oder doch von verſchiede¬
nen Malern gefertigt. Natürlich entſteht dadurch die
größte Ungleichartigkeit. Werden auch die auffallendſten
Mißgriffe dabei vermieden, ſo ſieht man doch ſelten die
Decorationen ein und deſſelben Stückes in übereinſtim¬
mender Farbe und Behandlungsart. Oft ſieht man in
ein und derſelben Scene Proſpect, Couliſſen und Setz¬
ſtücke von dreifach grell verſchiedener Manier. Hierin
[54] Uebereinſtimmung zu ſchaffen, die richtige Unterordnung
der Farbe bei den Decorationen überhaupt einzuführen,
genügt aber nicht allein, auch auf die Farben der Coſtüme
und ihre Stimmung zum Hintergrunde der Handlung ſollte
Aufmerkſamkeit gewendet werden. Das ganze Gebiet der
Theatertracht bedarf im Allgemeinen einer gründlichen
Regelung. Bei den wenigſten Bühnen ſind Coſtümiers
angeſtellt, Unkenntniß, Laune, Geſchmackloſigkeit und Putz¬
ſucht erzeugen daher das grundſatzloſeſte, bunteſte Durch¬
einander, das für jedes einigermaßen gebildete Auge eine
wahre Beleidigung iſt.


Coſtümier und Decorateur müſſen alſo in genauem
Einverſtändniß gehalten werden. Wo es die Verhältniſſe
geſtatten, muß ihnen der Rath großer maleriſcher Capa¬
citäten gewonnen werden; wie denn überhaupt mit den
Höchſtbefähigten in Literatur, Plaſtik, Muſik, auch aller
Wiſſenſchaft, die ſonſt der Bühne dienen kann, die Ver¬
bindung mehr geſucht und unterhalten werden muß, als
es bisher der Fall war. Zu dieſen Zwecken müſſen die
Theatervorſtände zugleich Mitglieder der Kunſtakademie
ſein. Auch wird die miniſterielle Geſammtleitung aller
Künſte dem Theater große Unterſtützung verſchaffen, ſich
[55] von allen Künſten das Beſte anzueignen, ſich ſtets mitten
in der Strömung allſeitigen Lebens zu halten, um ſo in
ſeinen Werken der Nation das Trefflichſte bieten zu
köunen.


Ihre Eigenheit dabei zu bewahren, wird freilich eine
neue Aufgabe der Schauſpielkunſt und ihrer Leitung ſein.
Indem ſie aber von Allen entlehnt, das Entlehnte jedoch
anders und frei benutzt, werden in ihr auch die übrigen
Künſte ihr eignes Weſen ſchärfer erkennen; ſie wird ſo
den Kreis der akademiſchen Künſte erſt verſtändigend ab¬
ſchließen.


Selbſtändig muß die Theaterdirection ſich durchaus
erhalten, unabhängig von allen Forderungen, in deren
Erfüllung die einzelnen Künſte ſich ſelbſt gern auf dem
Theater fänden. Die Schauſpielkunſt muß wiſſen, was
ſie auszuführen vermag, und darum Alles abweiſen was
ſie nicht lebendig machen kann. Sie muß die Productio¬
nen der andern Künſte zu verwenden wiſſen, nicht aber
ſich ihnen dienſtbar machen. Gleichweit von theatraliſcher
Herkömmlichkeit, wie von unfruchtbaren Experimenten,
hat ſie den ſchwierig einzuhaltenden Weg einer unabläſſi¬
gen Fortentwicklung und Bereicherung der Kunſt in den
Grenzen ihrer eigenſten Natur zu finden.


[56]

Um dies ausführen zu können, wird die Direction es
aber auch nicht an Anregungen zur Bildung und zum
Kunſtverſtändniß des Perſonals fehlen laſſen dürfen.
Was die Eckhof'ſche Schauſpielerakademie*), die Man¬
heimer Ausſchußſitzungen**), der Berliner Schauſpie¬
lerverein in der neuern Zeit, geſollt: die Schauſpieler
nämlich zu gemeinſamem Kunſtſtreben und gegenſeitiger
Forthülfe ſammeln, das dürfte bei wahrhaft künſtleriſch
organiſirten Theatern endlich, zu unberechenbarem Vor¬
theil des Geſammtgeiſtes und des nachwachſenden Ge¬
ſchlechtes, Beſtand gewinnen.


Von großer Wichtigkeit wird es ſein, wenn die Na¬
tionaltheater die Spieltage vermindern. Die Alltäg¬
lichkeit des Schauſpiels ernüchtert Publicum und Künſtler.
Könnten zwei Tage, oder auch nur einer in der Woche
ausfallen, ſo würden die Vorſtellungen wieder einen grö¬
ßeren, einen feſtlichen Reiz für das Publicum gewinnen,
und der um ſo lebhaftere Beſuch den Kaſſenverluſt der
ausfallenden Tage hinlänglich erſetzen. Die Künſtler
aber gewönnen durch die Ruhetage größere Elaſticität und
[57] wärmere Begeiſterung und, was nicht minder wichtig iſt,
mehr Zeit und Sammlung, um die Vorſtellungen mit
der letzten Sorgfalt vorzubereiten. Die Haſt und Noth
für jeden Tag eine Vorſtellung zu ſchaffen, iſt eines der
weſentlichſten Hinderniſſe für die heutige Bühne: höhere
Kunſtforderungen zu befriedigen.


Die Abende, an denen das Theater feiert, würden,
für das Publicum um ſo gelegener, durch Concerte oder
Kunſtgenüſſe anderer Art ausgefüllt werden.


Ferner müßte das Nationaltheater dahin ſtreben, die
Eintrittspreiſe, beſonders für die wohlfeileren und mitt¬
leren Plätze zu ermäßigen. Der Theaterbeſuch iſt noch
viel zu koſtſpielig, als daß er ſeine volle Wirkung auf alle
Schichten des Volkes äußern könnte. Der durch wohl¬
feilere Preiſe vermehrte Beſuch würde die Kaſſe entſchädi¬
gen, oder Erſparniſſe im Ausgabeetat müßten es thun,
deren nähere Angaben hier zu weit führen würden.


Es iſt noch übrig, den Punkt, welcher bisher als der
wichtigſte gegolten, zu erörtern, den der Finanzen,
des richtigen Verhältniſſes zwiſchen Einnahme und Aus¬
gabe.


[58]

Nach dem Prinzip des Nationaltheaters ſollen die
Einnahmen nur durch würdige Mittel, durch mög¬
lichſt vollkommene, dem Volksgeſchmacke wahrhaft gedeih¬
liche Vorſtellungen erzielt werden; dieſe können durch die
künſtleriſche Direction als geſichert erachtet werden, denn
beſſere Leiſtungen bringen auch beſſere Einnahmen. Die
Verwaltungsfrage wird ſich daher weſentlich um die rich¬
tige Verwendung der Geldmittel, welche dem Thea¬
ter zu Gebote ſtehen, drehen.


Der Ausgabeetat werde nach der Summe, welche der
Staatszuſchuß und dem Minimalſatz der jährlichen Ein¬
nahme ergeben, feſtgeſetzt. Derſelbe müſſe nur nach Ma߬
gabe erworbener Ueberſchüſſe überſchritten werden dürfen,
jährlich aber ein Theil des Staatszuſchuſſes zu einem Re¬
ſervefonds zurückgelegt werden, damit die mannichfachen
Wechſelfälle, denen das Theater durch die Zeitereigniſſe
ausgeſetzt iſt, daſſelbe niemals mittellos finden. Von
dieſen Grundzügen der Theaterökonomie müſſe niemals
gewichen werden, damit der Staat die Garantie hätte: nur
in den außer aller menſchlichen Berechnung liegenden
Fällen vor den Riß treten zu müſſen.


Daß der Theaterhaushalt auf dieſer Baſis zu führen
iſt, ſteht bei einer künſtleriſchen Direction außer Zwei¬
[59] fel, die durch beſtimmte Staatsgrundſätze geſchützt iſt:
nicht jedem koſtſpieligen Gelüſten eines dominirenden Ge¬
ſchmackes, nicht jeder unmäßigen Geldprätenſion hervor¬
ragender Talente fröhnen zu müſſen. Bei jedem, wenn
nur irgend geſicherten
, hohen oder niedrigen
Einnahmeetat iſt ein Theater herzuſtellen
, in
dem der Geiſt lebendig iſt
, und wenn hierauf nur der
Accent gelegt wird, ergiebt ſich alles Uebrige leicht. Man
nehme keinen Anſtand, einer ſelbſtändigen, künſtleriſchen
Direction die Aufgabe zuzuſchieben, ſie kann, ſie wird ſie
löſen. Sie wird bei einer ſicherer berechneten und gelei¬
teten Verwendung der Talente ſchon im Gehaltetat, gewiß
aber in den Ausgaben für allen Apparat, der ſo unge¬
heure Summen verzehrt, große Erſparniſſe herbeiführen
können. Inmitten der Production ſtehend, kann ſie das
Auge überall haben, ſie verſteht mit Wenigem Viel aus¬
zurichten, Dinge doppelt und dreifach zu benutzen, welche
bei mancher Hofbühne — die in der Fülle ihres aufgehäuf¬
ten Apparates faſt erſtickt — bereits doppelt und dreifach
exiſtiren und doch immer wieder aufs Neue beſchafft
werden.


Der Ausgabeetat werde nach monatlichen Durch¬
ſchnittsſummen, je nach den verſchiedenen Zweigen geord¬
[60] net, wie dies ſchon jetzt gebräuchlich iſt. Das Miniſte¬
rium hat dieſe Eintheilung zu beſtätigen, aber auch ſpe¬
ciell darüber zu wachen, daß ſie nicht ohne Noth über¬
ſchritten werde. Künſtler ſind ſelten geſchickte Haushal¬
ter, daher muß der Regierung zuſtehen: die Direction, in
Bezug auf die Geldverwendung genau zu controlliren und
jeden Augenblick darüber Rechenſchaft fordern zu dürfen.


Erleichtert wird dies, wenn der ganze Theaterhaus¬
halt, wie dies bereits bei einigen Hofbühnen der Fall iſt,
in die Hand eines einzigen Beamten gelegt iſt, der jede
materielle Beſchaffung vermittelt, das geſammte Theater¬
inventarium unter ſeiner Aufſicht hat und die Controlle der
Einnahme und Ausgabe führt. Damit iſt auch die Ver¬
antwortlichkeit für die materielle Verwaltung in der Per¬
ſon dieſes ökonomiſchen Inſpectors concentrirt
und durch ihn kann die Oberbehörde in jedem Augenblick
vollſtändigen Aufſchluß über den complicirten Theater¬
haushalt erlangen.


Dieſer Poſten, ſo wie der des Caſſirers und anderer
bloß verwaltenden Beamten, wird durch die Regierung,
in Uebereinkunft mit der künſtleriſchen Direction, beſetzt.


Mit der Bemerkung: daß Anordnungen über Bau¬
lichkeiten in den Theatern, über Hausordnung, die Auf¬
[61] nahme des Publicums u. ſ. w. von der künſtleriſchen Di¬
rection, aber nur unter ſpecieller Beſtätigung der Ober¬
behörde vorzunehmen ſind, daß alſo die Direction, wie
frei ſie auch auf rein künſtleriſchem Gebiete zu ſchalten
habe, auf dem der Adminiſtration doch entſchieden abhän¬
gig ſein müſſe — wird die Auseinanderſetzung des Ver¬
hältniſſes zwiſchen Miniſterium und Theaterdirection ab¬
geſchloſſen ſein.


Dieſe hier vorgeſchlagene Reorganiſation der großen
und tonangebenden Bühnen in Deutſchland müßte ſich
am vortheilhafteſten in Wien und Berlin erweiſen, wo
mehrere Theater vorhanden, welche eine Trennung der
verſchiedenen dramatiſchen Gattungen und dadurch eine
um ſo vollkommnere Ausbildung jeder einzelnen begün¬
ſtigen. Denn die Schwierigkeit das ganze recitirende
Schauſpiel, vom Trauerſpiel bis zur Poſſe, daneben he¬
roiſche und komiſche Oper und Ballett, kurz die ganze
dramatiſche Möglichkeit auf ein und derſelben Bühne, mit
ein und demſelben Perſonal zur Vollkommenheit zu brin¬
gen, wird immer ungeheuer bleiben; ſelbſt wenn die vor¬
geſchlagene organiſche Gliederung einer Direction von
[62] Kunſtverſtändigen die Löſung dieſes Problems erleichtert*).
In Wien aber z. B., wo Schauſpiel, Oper und Poſſe
bereits abgeſonderte Theater und abgeſonderte Directio¬
nen beſitzen, wo noch zwei andere Bühnen vorhanden ſind,
mit deren Hinzuziehung ſich eine noch weitere Eintheilung
nach dem Muſter der Pariſer Theater vornehmen ließe,
wonach dem Burgtheater ſein bisheriges Gebiet des
recitirenden Schauſpiels verbliebe, dem Kärnth¬
nerthortheater
die große Oper (nach dem Mu¬
ſter der Academie royale), dem Joſephſtädter Thea¬
ter
die komiſche Oper und das Singſpiel, dem
Wiedner-Theater das Spektakelſtück und
Melodram
, dem Leopoldſtädter Theater die
Volkspoſſe zufiele — dort würde jede Gattung, bei
der vorgeſchlagenen Organiſation, ſich ihrer Vollendung
zuführen laſſen.


Freilich müßten aber alle fünf Theater Staatsanſtal¬
ten werden und ihre abgeſonderten Directionen dem ge¬
meinſamen höheren Prinzipe und der Beaufſichtigung der
Regierung unterworfen werden.


[63]

Die preußiſche Regierung hat den wichtigſten Grund¬
ſatz der auf dieſen Blättern vorgeſchlagenen Theaterreform,
den einer miniſteriellen Oberleitung, bereits vor vierzig
Jahren auf einige Zeit anerkannt*), Berlin hat unter
Iffland ſchon eine muſterhafte künſtleriſche Direction
gehabt, dort würde man alſo nur auf ſchon anerkannte
Zuſtände zurück zu fußen brauchen.


Die erſte und unabweisbare Maßregel einer
Reorganiſation der Berliner Theater würde die
Trennung der dramatiſchen Gattungen ſein
müſſen
.


Berlin beſitzt drei Theater, angemeſſen in Lage und
Beſchaffenheit, um eine natürliche Scheidung mit dem
ſchönſten Erfolge vornehmen zu können.


Im Schauſpielhauſe, das zu der, leider immer
geringer werdenden Zahl derjenigen gehört, deren glück¬
liche mittlere Größe noch eine naturgemäße Menſchendar¬
ſtellung zuläßt, wo der Schauſpieler noch nicht genöthigt
iſt zum Ueberbieten aller Mittel zu greifen um nur einen
Eindruck hervorzubringen, im Schauſpielhauſe bliebe das
ſogenannte recitirende Schauſpiel, der eigentliche Kern
[64] der dramatiſchen Kunſt: Tragödie, Drama und Comödie, in
reiner Gattung abgeſchloſſen, wie dies im Wiener Burg¬
theater muſterhaft und erfolgreich der Fall iſt; nur ohne
jene peinliche Beſchränkung, welche ſelbſt Lieder und Chöre
aus dem Schauſpiele verbannt. Im glanzvollen Opern¬
hauſe
die große Oper und die komiſche, ſo weit ſich
dieſe vom Burlesken frei hält und die muſikaliſche Ent¬
wicklung als ihre weſentliche Aufgabe darlegt. Dieſen
ſchlöſſe das Ballett ſich an.


Das behagliche Königsſtädter Theater dage¬
gen werde ſeiner urſprünglichen Beſtimmung eines Volks¬
theaters
zurückgegeben. Hier werde der Maßſtab des
höheren Schönheitsprinzipes und der Claſſicität nicht an¬
gelegt, in Ernſt und Scherz mögen die grellen Effecte
walten, wie der Volksgeſchmack ſie heiſcht. Dies Thea¬
ter umfaſſe in ſeiner Thätigkeit das Schauerdrama, das
Spektakelſtück und Melodram, die niedrig-komi¬
ſche Oper
und Poſſe, das komiſche Liederſpiel, die
Genrebilder, komiſche Pantomime und Grotesk¬
tanz u
. ſ. w. Hier kann das Berliner Localſtück
wenn ihm, was bisher nie geſchehen, das Gebiet unbeein¬
trächtigt überlaſſen wird — ſeine mögliche Ausbildung finden.


Es wird dies ein Theater ſein, am beliebteſten bei
[65] dem großen Publicum und vielleicht mit einem geringe¬
ren Zuſchuß, als ihr jetzt durch die Krone zu Theil wird,
im ſchönſten Flor zu erhalten*).


Die Subvention des Königl. Theaters würde zwiſchen
Oper und Schauſpiel zu vertheilen ſein. Nach der Erfah¬
rung, welche die Trennung der Wiener Theater an die
Hand giebt, würde Oper und Ballet ⅔, das Schauſpiel
⅓ davon brauchen.


Alle drei Theater erhielten abgeſonderte Directionen,
nach der vorbeſchriebenen Organiſation, und fänden ihre
gemeinſame Oberdirection im Miniſterium. Dieſelbe
hätte nicht nur Einſicht zu nehmen von den Arbeitsplä¬
nen der einzelnen Directionen — wie früher angegeben —
ſie hätte dieſe auch ſämmtlich, vielleicht monatlich, zu ge¬
meinſchaftlichen Sitzungen zu verſammeln, damit die ver¬
ſchiedenartige Thätigkeit doch nach einem übereinſtimmen¬
den Plane und Geiſte geordnet werde, die neuen Werke
ſich nicht gegenſeitig im Eindruck beim Publicum hindern,
die Gattungen richtig geſondert blieben u. ſ. w. Zugleich
5[66] würden, durch dieſe gemeinſchaftliche miniſterielle Ober¬
direction, ausnahmsweiſe Aufführungen von Werken,
welche den Zuſammentritt der erſten Talente aller Gattun¬
gen erfordern, möglich bleiben; wie die Vorſtellungen der
Antigone, des Sommernachtstraumes u. ſ. w. Der Ue¬
belſtand einer abſoluten Trennung des muſikaliſchen vom
recitirenden Drama, der in Wien ſo oft empfunden wird,
wäre dadurch vermieden und die großartigſte Entfaltung
der Dramatik, dem ganzen Umfang ihrer Mittel nach,
bliebe freigegeben.


Natürlich dürften ſolche combinirte Vorſtellungen nur
ausnahmsweiſe und durch die hohe Bedeutung ihres Ge¬
haltes gebotene ſein, damit eine abgeſonderte Entwicklung
der Gattungen und der einzelnen Theater nicht zu oft
gehindert würde.


Welch eine Vollendung die dramatiſche Kunſt in Ber¬
lin durch ſolche Organiſation gewinnen könnte, getragen
durch die Empfänglichkeit und Befeuerung eines, die
Sommitäten der Intelligenz und des Geſchmackes reprä¬
ſentirenden Publicums, iſt leicht zu überſehen.


Die Vereinigung der höheren Intereſſen der drei
Directionen in der gemeinſamen Leitung der Regierung
würde auch eine gegenſeitige Förderung garantiren. Der
[67] falſche Antrieb feindſeliger Concurrenz — welcher vier¬
undzwanzig Jahre lang dem Königl. Theater nach¬
theilig und dem Königſtädter an ſeiner Ausbildung ent¬
ſchieden hinderlich geweſen und gar keinen Vortheil ge¬
bracht hat — würde dem edlen Wetteifer Platz machen:
in gleichem Intereſſe des Nationalruhms ſich den Kranz
ſtreitig zu machen*).


Freilich müßten — wenigſtens bis dieſe drei Theater
ſich ganz conſolidirt hätten — alle übrigen Bühnen in
Berlin geſchloſſen, auch die italiäniſche Oper und das
franzöſiſche Schauſpiel verbannt werden. Man muß Thea¬
ter und Publicum erſt im Geiſt und Sinne für ein wahr¬
haft nationales Theater erſtarken laſſen, bis man beide
verlockender und zerſtreuender Rivalität preisgeben darf.


5*[68]

Soll nun aber das künſtleriſche Gedeihen der natur¬
gemäß organiſirten großen Nationalbühnen geſichert ſein,
ſo dürfen ihnen die vorbereitenden Theaterſchulen
nicht länger fehlen. Sie ſind endlich zu einer gebieteri¬
ſchen Nothwendigkeit geworden, wenn die Schauſpielkunſt
nicht überhaupt binnen Kurzem als ein gauklerhaftes Vir¬
tuoſenthum alle Achtung des deutſchen Volkes verſcher¬
zen ſoll.


Was ich über die Nothwendigkeit der Schulen, wie
über ihre praktiſche Einrichtung zu ſagen weiß, habe ich
bereits 1840 in einer kleinen Schrift: Ueber Thea¬
terſchule
gegen das Publicum ausgeſprochen*), ich
kann alſo hier die Wiederholung ſparen. In den acht
Jahren, welche ſeitdem verfloſſen, haben alle Uebel der
künſtleriſchen Zuchtloſigkeit dergeſtalt zugenommen, daß
ſelbſt die Gegner der Schulen — die jede methodiſche
Vorbildung verwarfen und die Behauptung verfoch¬
ten: die Schauſpieler müßten wild, wie die Pilze auf¬
wachſen — von ihrer Anſicht bekehrt worden ſind. Sie
geben jetzt zu, daß dieſer Mangel an Unterricht in den [69] künſtleriſchen Elementen, die jungen Talente unſerer Tage
maſſenhaft zu Grunde gehen läßt und alle Natur, alle
Vernunft und allen Geſchmack von der Bühne zu ver¬
bannen droht.



Der Zeitpunkt die Theaterſchulen einzurichten, iſt folge¬
richtig der einer Reorganiſation der Directionen. Bei
unkünſtleriſcher Leitung der Bühnen konnten die Schu¬
len allerdings nur halbe Frucht bringen, viele ihrer Vor¬
theile würden wieder verloren gegangen ſein; der künſtle¬
riſchen Direction dagegen werden ſie eine organiſche Ver¬
vollſtändigung ihres Lebens und Wirkens ſein.


Der Schuleinrichtung, welche ich in der angezogenen
Schrift angegeben, habe ich nur noch die dringende Em¬
pfehlung des engſten Anſchluſſes an die übrigen Kunſt¬
ſchulen hinzuzufügen. Jeder Staat bilde eine allge¬
meine umfaſſende Kunſtakademie
, entſpre¬
chend der Univerſität, die das Geſammtſtudium aller
Wiſſenſchaften umfaßt.


Wenn der Staat alle Künſte auf eine höhere Bil¬
dung des Volkes lenken will, ſo muß er ihre Ueberein¬
ſtimmung dazu ſchon in den Kunſtſchulen vorbereiten. Die
Künſte und die Künſtler müſſen mit einander verſtändigt
werden. Indem man die Theaterſchule mit den bereits
[70] beſtehenden Anſtalten für Muſik und für bildende Künſte
vereinigt, wird man eine größere allgemeine künſtleriſche
Bildung des heranwachſenden Geſchlechtes erreichen, die
jetzt nur zu oft vermißt wird, weil Jeder in ſeinen Fach¬
ſtudien eingeengt bleibt.


Auch die Koſten der Schulen würden geringer wer¬
den, indem viele Gegenſtände gemeinſchaftliche Studien zu¬
laſſen. Wie ſehr Muſik- und Theaterſchule in einander grei¬
fen, hat man längſt erkannt — das Pariſer Conſervato¬
rium vereinigt darum beide — aber wie ſehr dies auch
mit den bildenden Künſten der Fall iſt, hat man ſich bis¬
her verhehlt. Nicht allein daß Hülfswiſſenſchaften, wie
Geſchichte und Mythologie, allen Kunſtjüngern überein¬
ſtimmend zu lehren ſind*), daß dem Theatereleven Bil¬
dung des Auges für Schönheit und Charakteriſtik der Form
im Zeichnenunterricht, daß den Zöglingen der bildenden
Künſte dagegen zu Förderung einer harmoniſchen Bildung
Theilnahme an manchem Unterricht der Theaterſchule, dem
Geſange, der Redekunſt**), der höhern Gymnaſtik u. ſ. w.
[71] wünſchenswerth ſein wird, ſondern es würden auch die
beiderſeitigen Fachſtudien ſich fördernd berühren können.
Die Uebungen der Geberdenſprache von den Theatereleven
z. B. könnten den Schülern der bildenden Kunſt einen
Reichthum lebendiger Motive zu raſchen Skizzen liefern,
an denen das Urtheil über die beiderſeitige Leiſtung ſich
ſchärfen würde. So könnte die gegenſeitige Anregung
fortwachſend ſich bis auf die wirkliche theatraliſche Thä¬
tigkeit ausdehnen und in der Dramatik eine wahrhafte
Verſchwiſterung aller Künſte erzeugen.


Noch eine Wohlthat würde aus ſolch einer Univerſi¬
tät der Künſte erwachſen, indem ſie die Mißgriffe der jun¬
gen Talente über ihren Beruf zu berichtigen vermöchte,
wie dies auf den Univerſitäten der Wiſſenſchaften der Fall
iſt, wo mancher Jüngling zu ſeinem Heile — wie man
es nennt — umſattelt. Abgeſehen von denen, deren Ta¬
lentloſigkeit in der Schule zur Erkenntniß kommt und
die ſomit bei Zeiten von einer falſchen Lebenstendenz ge¬
heilt werden können, giebt es Viele, die ſich in unbe¬
ſtimmtem Triebe zur Kunſt auf einen falſchen Zweig der¬
ſelben werfen. Wie man auf den jetzigen Kunſtakade¬
mien wohl junge Bildhauer zu Malern umſchlagen ſieht
und umgekehrt, ſo würde eine allgemeine Kunſtſchule
[72] manchen Theatereleven belehren, daß er zum Maler oder
Bildhauer, manchen jungen Maler, daß er zum Schau¬
ſpieler geboren ſei. In den Abtheilungen für Muſik und
Theater würden dieſe gegenſeitigen Berichtigungen ebenſo¬
wenig ausbleiben und jeder wahrhaft zur Kunſt berufene
junge Menſch würde, in noch bildungsfähiger Zeit, an den
Platz geſtellt werden wohin er gehört, wo er der Kunſt
wahrhaft nützen und über ſeine Zukunft außer Sorge ſein
könnte.


Denn Wien und Berlin würden, auf ihren vielen
Theatern, faſt den ganzen Nachwuchs aus ihren Schulen
anzuſtellen im Stande ſein, hier alſo würden die darauf
verwendeten Koſten augenſcheinlichen Vortheil bringen.
Dieſe Koſten aber würden, wenn die Landesvertreter nicht
geneigt wären beſondere Bewilligungen dazu zu machen,
zur Noth von dem bedeutenden Zuſchuſſe, den die Büh¬
nen bereits genießen, abzuzweigen ſein!


Die drei Theater in Berlin z. B. koſten dem Hofe
jährlich an 200,000 Thlr. Was wäre es für drei künſt¬
leriſche Directionen — die unfehlbar große Erſparungen
und größere Einnahmen als bisher herbeiführen werden —
von dieſer Summe gemeinſchaftlich 6–8000 Thlr. an
die allgemeine Kunſtakademie abzutreten? Und dieſe wür¬
[73] den zureichen — wenn man alle vereinzelte Muſikinſtitute
des Staates und was ſonſt an Deklamationslehrern, Bal¬
lettſchulen u. ſ. w. verausgabt wird, zuſammenzöge und
zu einer großen Schule vereinfachte — dem ausge¬
dehnteſten Plane zu genügen. Im Akademiegebäude,
ſeinem ganzen Umfange nach, würden — wenn man
Ställe und Caſerne daraus entfernte — alle Künſte
unter einem Dache eine Pflanzſtätte finden, wie ſie
Europa noch nicht kennt und wie ſie doch, ohne unver¬
hältnißmäßige Opfer, durch guten und energiſchen Wil¬
len ſehr wohl herzuſtellen wäre.


Selbſt der Anſtalten von ſo großem Umfange be¬
dürfte es nicht, um auch mit kleineren Mitteln in kleinerem
Kreiſe höchſt Wohlthätiges zu leiſten. Das muſikali¬
ſche Conſervatorium Sachſens
z. B., auch das von
Prag, wären durch veränderte Organiſation und Hinzu¬
fügung einiger Disciplinen, leicht zu Muſik- und Theater¬
ſchulen umzugeſtalten und im Anſchluß an die vorhandenen
Akademien zu wahrhaft praktiſcher Nutzbarkeit des Staa¬
tes auszubringen.


Und wo auch ſolche Anlehnungspunkte nicht vorhan¬
den ſind, ſollte doch, wenigſtens an jeder ſtehenden
Bühne, ein erfahrener Künſtler dazu angeſtellt ſein: den
[74] Anfängern die nothdürftigſten Anweiſungen zu geben,
damit die jungen Talente ihre beſten Jahre nicht ganz in
irrthümlichen und verkehrten Verſuchen — die das
Theater ſelbſt immer mitbüßen muß — verlören. Der
praktiſche Nutzen davon iſt ſo einleuchtend, und doch iſt
im ganzen großen Deutſchland nirgend eine ſolche Ein¬
richtung getroffen. Unter den tauſend Pro¬
feſſoren der verſchiedenen Künſte giebt es
noch keinen einzigen der Schauſpielkunſt
.
Künſtleriſche Directionen und Theaterſchulen werden
auch dieſe Verhältniſſe verändern oder ſie durch die rich¬
tigen Maßregeln ausgleichen.


Iſt mit der hier beſprochenen, durchgreifenden Er¬
neuerung des ganzen Kunſtlebens für eine mögliche Voll¬
kommenheit deſſen, was die großen, tonangebenden Thea¬
ter leiſten, geſorgt, ſo wird der wohlthätige Einfluß
davon auf die Bühnen zweiten Ranges, auf die Stadt¬
theater
, nicht ausbleiben. Damit aber darf die Lan¬
desregierung ſich nicht beruhigen, ihre Oberleitung muß
[75] ſich grundſätzlich bis auf die letzte Wanderbühne geltend
machen.


Die Directionen der Stadttheater ſind — man darf
ſich darüber nicht täuſchen — nichts anderes, als indu¬
ſtrielle Unternehmungen. Die Magiſtrate oder die Re¬
gierungspolizei, denen bis jetzt die dramatiſche Kunſt
in den Provinzen unterworfen iſt, ſetzen daher auch
ihre höchſte Forderung an den Director, bei Uebergabe
des Theaters, in ſeine Zahlungsfähigkeit.


In welchem Geiſte er es führen werde, davon iſt
niemals die Frage. Gute Einnahmen gelten für den
Beweis, daß er das Publikum zu unterhalten verſtehe,
und wenn dies auch in der geſchmackverderblichſten Weiſe
geſchieht, ſo hat die Behörde ihn deshalb nicht anzu¬
fechten.


Dieſer Zuſtand verändert ſich ſchon durchaus, ſobald
die Oberaufſicht von der Landespolizei auf das Cultus¬
miniſterium übergeht, dem der Geiſt der Inſtitute als das
Weſentliche, ihr materieller Beſtand nur als deſſen
Grundlage gilt. Das Miniſterium würde vor Allem darüber
wachen müſſen, daß die Directoren der Stadttheater
künſtleriſch befähigte und geſinnungstüchtige
Männer ſeien und daß ſie die Verpflichtung
[76] übernähmen
: ein der Muſterbühne des Landes
analoges Verfahren einzuhalten
. Dies müßte
der Hauptpunkt der Pachtverträge oder Conceſſions¬
ertheilungen ſein. Nach Ort und Verhältniſſen würde
ſich das Maß für die Erfüllung dieſer Bedingung beſtim¬
men laſſen, wobei die Directionen der Reſidenztheater die
ſachverſtändige Regulirung übernehmen könnten. Das
Wichtigſte dabei müßte die Aufſtellung eines Stamm¬
repertoirs
ſein, das jeder Director — nach Maßgabe
ſeiner Kräfte und ſeines Publikums — in jährlicher
Wiederkehr feſtzuhalten hätte. Denn womit ein Theater
ſich beſchäftigt, das beſtimmt ſeine Beſchaffenheit. Iſt ein
Director gezwungen, alljährlich gewiſſe treffliche Stücke
aufzuführen, ſo wird er, um ſeines eignen Vortheils wil¬
len, ſie möglichſt gut zu geben ſuchen und an dem Um¬
gang mit dem Trefflichen wird das Inſtitut ſich erheben.


Die Regierung müßte ferner dahin wirken, das Re¬
präſentativſyſtem der Direction
auch bei dieſen
Theatern einzuführen. Hier, wo die Einnahmen zur Lebens¬
frage für alle Mitglieder werden, wird die Organiſation bald
zu einem vollſtändigen Societätsverhältniſſe führen,
das, wenn es gehörig geregelt und beaufſichtigt wird, die
trefflichſte Schule für den ſchauſpieleriſchen Gemeingeiſt ab¬
[77] geben und der Ausbeutung der Kunſt und der Künſtler
durch das Unternehmerweſen ein Ziel ſetzen muß.


Freilich hätte die Regierung auch dahin zu wirken,
daß die Städte den verkehrten Grundſatz aufgäben: vom
Theater Nutzen ziehen zu wollen, daß die Stadttheater
von einer Menge von Laſten und Abgaben und dadurch
von ſteten Sorgen befreit würden, welche die Befolgung
reinerer Grundſätze unmöglich machen.


Zunächſt müßte dies mit dem Miethzins der Fall
ſein, der für die Benutzung der Schauſpielhäuſer gezahlt
wird. Jede bedeutende Stadt muß unter ihren öffent¬
lichen Gebäuden auch ein Theater beſitzen, und ebenſo¬
wenig als für Benutzung der Kirchen
, Schul¬
häuſer
, Bibliotheken, Muſeen u. ſ. w. ein
Miethzins eingezogen wird
, ſollte er für das
Theater gefordert werden
.


Es ſollte ein Ehrenpunkt für unſere Städte ſein —
wie dies in Frankreich der Fall iſt — ihre Schauſpiel¬
häuſer der Kunſt ohne Eigennutz zu eröffnen, dann wür¬
den ſie auch höhere Anſprüche an das, was drinnen ge¬
leiſtet werden ſoll, machen können.


Auf die Directionen ſolcher Theater, welche aus
Staatsmitteln Unterſtützungen erhalten — wie dies in
[78] mehreren Provinzialhauptſtädten Preußens der Fall iſt
— würde die Regierung einen dictatoriſchen Einfluß
üben können, auf die andern würde dieſer zunächſt ein
vermittelnder, aber darum nicht weniger wichtiger ſein.


Entſchiedener und gewaltſamer müßte dagegen der
Eingriff in das Weſen der Wanderbühnen, der gro¬
ßen und kleinen ausfallen; hier iſt einem Unfuge zu ſteuern,
der nicht allein auf dem Gebiete der Volksbildung,
ſondern auch der bürgerlichen Sitte und Ordnung wahre
Verwüſtungen anrichtet.


Aeußerſt wenige der ſogenannten reiſenden Ge¬
ſellſchaften
bewähren durch dauernden Beſtand ihre
Achtbarkeit. Die bei Weitem größere Zahl der
Comödiantenbanden, welche ſchaarenweis Deutſchland
durchſchwärmen, in mittleren und kleinen Städten, Flecken
und Dörfern ſich einander auf die Ferſen treten und die
Schauluſt der Einwohner — auf eine, zu deren übriger
Lage, unverhältnißmäßige und meiſtentheils unwürdige
Weiſe — ausbeuten, ſchleppen ſich von einem Bankerott
zum andern. Sie entſtehen aus zuſammengerafften Leu¬
ten, halten ſich einige Monate, oft nur einige Wochen,
[79] bezeichnen ihre Wanderſpur mit der liederlichſten Wirth¬
ſchaft, hinterlaſſenen Schulden, verführter Jugend u. ſ. w.
und zerſtreuen ſich dann über das Land hin, eine Schaar
vagabundirender Bettler. Meiſtens ſind es bethörte
Menſchen, die im äußerſten Elende die unergiebigen Som¬
mermonate durchkämpfen, um mit dem Herbſte den Kreis¬
lauf ihrer verzweifelten Exiſtenz von Neuem zu beginnen.
Zu keiner regelmäßigen Thätigkeit mehr brauchbar, gera¬
then dieſe Abenteurer des luſtigen Elends endlich bis zur
unterſten Stufe der phyſiſchen und moraliſchen Verſun¬
kenheit.


Und dieſe Zuſtände werden von den Landesbehörden
recht eigentlich herbeigeführt und gehegt. Das Uebermaß
der Conceſſionen, die leichtſinnige Unbedenklichkeit, mit
welcher ſie ertheilt werden, erſchaffen dem Staate eine
ganze Klaſſe von bedauernswerthen und unheilbringenden
Landſtreichern.


Man hat zur Entſchuldigung dieſes laxen Regie¬
rungsverfahrens angeführt: auch der Kleinbürger und
Bauer bedürfe der Erregung ſeiner Phantaſie, die ihn der
drückenden Alltäglichkeit enthöbe und dadurch erfriſche,
das Schauſpiel ſei dazu das geeigneteſte und unſchuldigſte
[80] Mittel, wer ihm alſo dies verſchaffe, dürfe in ſeiner Ge¬
werbthätigkeit nicht gehindert werden.


Abgeſehen davon aber, daß ein Erwerb, der notoriſch
trügeriſch iſt, an welchen entſchieden polizeiwidrige Fol¬
gen geknüpft ſind, nicht unbedingten Schutz verdient, iſt
die Gleichgültigkeit gegen den geiſtigen Einfluß dieſer
bettelhaften Schauſpiele auf Bürger und Bauer gewiß
nicht zu rechtfertigen. Es darf dem Staate nicht
gleichgültig ſein, wenn dem Volke das menſchliche Leben
in Zerrbildern und in unſinniger Verkehrtheit dargeſtellt
wird. Gerade den unteren Schichten des
Volkes
, auf welche der ſinnliche Eindruck
ungemäßigt durch Ueberlegung und Urtheil
wirkt
, muß im Schauſpiele ein möglichſt rei¬
ner und lehrreicher Spiegel des Lebens ge¬
boten werden
.


Iſt es doch in unſern Tagen zur Anerkennung ge¬
kommen: das Volk habe ein Recht, vom Staate Bil¬
dung zu verlangen. Soll ſie ihm nun lediglich auf dem
Wege des Buchſtabens und des Erlernens angeboten, ſoll
ſie ihm nicht auch durch lebendige Kunſteindrücke in's
Gemüth geprägt werden? Und wenn dies nicht überall
in rechter Weiſe geſchehen kann, hat der Staat nicht
[81] die Verpflichtung: das Volk wenigſtens vor falſchen
Eindrücken zu bewahren?


Zudem wäre es eine ſträfliche Inconſequenz, wenn
die Regierung länger zugeben wollte, daß in den Pro¬
vinzen und auf dem Lande gerade das Gegentheil von
dem geſchieht, was ſie mit ſo bedeutenden Geldopfern in
den Hauptſtädten zu bewirken ſucht.


Darum muß alſo die Generaldirection des Cultus¬
miniſteriums ihre Hand über das ganze Land hinſtrecken,
der Polizei die Beurtheilung und Entſcheidung der Büh¬
nenangelegenheiten abnehmen, ſie höchſtens zur Voll¬
ſtreckerin ihrer Beſchlüſſe machen.


Alle Comödiantentruppen, welche die
Würde der Menſchendarſtellung gerade¬
hin verletzen
, müſſen ohne Weiteres abge¬
ſchafft werden
. Alle Conceſſionen ſind nach ihrem
Ablauf einzuziehen, nur dem Cultusminiſterium ſtehe es
zu: ſie nach einem neuen Modus zu erneuern.


Nun grenze man beſtimmte Wanderbezirke ab, welche
vielleicht eine Provinzialhauptſtadt und einige nahe ge¬
legene, oder eine genügende Anzahl von mittleren und
kleinen Städten umfaſſen, und übergebe ein jedes dieſer
Gebiete einem erprobten Direcor, daß er nach Ueberein¬
6[82] kunft mit den betreffenden Städten ſie nach einer jähr¬
lichen Reihefolge mit ſeiner Truppe beſuche.


Man richte dieſe Bezirke nicht zu eng, nicht nach
einer knappen, ſondern nach einer reichlichen Veranſchla¬
gung des Theaterpublikums ein, damit dieſe Geſellſchaf¬
ten anſtändig beſtehen, damit das koſtſpielige Reiſen und
an verſchiedenen Orten Wohnen in unanſtößiger Weiſe
geſchehen könne. Man ſchütze dieſe Truppen gegen jede
Concurrenz — welche jederzeit die Theater nur gegen¬
ſeitig verſchlechtert, niemals verbeſſert hat — man orga¬
niſire ſie nach dem Muſter der Reſidenztheater, mit
angemeſſenem Stammrepertoir*) und grundſätzlichen
Verpflichtungen, mit Repräſentativverfaſſung, die
ganz natürlich auch hier zu Societätsverhältniſſen,
mit ſelbſtgewählten Führern, ausſchlagen wird, dann wer¬
den dieſe ambulanten Theater ſo in Flor kommen, daß man¬
che Stadt, die jetzt einen Ehrgeiz darein ſetzt, ein ſtabiles
Theater kümmerlich zu erhalten, es vorziehen wird, in
ſolch einen Wanderbezirk zu treten und lieber vier oder
[83] ſechs Monate gutes Theater, als das ganze Jahr über
[ſchlechtes] zu haben. Denn dieſe reiſenden Geſellſchaf¬
ten werden den großen Vortheil genießen, nur einen kleinen
Kreis von Vorſtellungen zu brauchen, um das Publikum
jeder Stadt eine Zeit lang in regem Antheil zu erhalten.
Dieſe Vorſtellungen können daher ſehr ſorgfältig ſtudirt
ſein und in jeder Stadt neu geſpielt, vor immer neuen
Zuſchauern, immer vollkommener werden. Die Truppen
werden auch, wenn bei ihrer Abweſenheit kein anderes
Schauſpiel ſtattfinden darf, das Publikum immer wieder
voll friſcher Theaterluſt und begierigem Antheil finden.


Man ſchelte dieſe durchgreifende und beſchränkende
Einrichtung — welche allerdings ſo viele Intereſſen be¬
rührt, daß ſie, ſowie die geſammte Theaterorganiſation,
durch ein eignes Geſetz von den Landesvertretern adoptirt
werden müßte — nicht eine Beeinträchtigung der Frei¬
heit des Theaterpublikums und der Erwerbthätigkeit.
Man darf das Theater nicht länger als
eine bloße Vergnügungs- und Induſtrie¬
anſta
lt betrachten. Soll es aber eine höhere Cul¬
turbedeutung gewinnen, ſo müſſen die Grenzen ſeiner
Wirkſamkeit, ebenſo wie die der Kirche und Schule, vom
Staate feſtgeſtellt werden.


6*[84]

Die Zahl der reiſenden Geſellſchaften wird über die
Hälfte vermindert werden, das iſt ein Glück für die bür¬
gerliche Geſellſchaft und für die Kunſt, denn um ſo eher
wird der Schauſpielerſtand nur aus wirklich Berufenen
beſtehen. Den Bewohnern der Dörfer und kleinen
Städte wird es beſſer ſein, wenn ſie nicht mehr von
Wandertruppen heimgeſucht werden, dagegen ein wohl¬
geordnetes Theater in den Städten finden, ſobald ſie dieſe
zu Jahrmärkten oder feſtlichen Zeiten beſuchen. Die
Mittelſtädte werden nur eine beſtimmte Theaterſaiſon
haben, aber ſie wird ihnen auch etwas bieten, das des
Antheils werth iſt.


Man braucht nicht zu beſorgen, daß die Bezirks¬
geſellſchaften, auf die Ausſchließlichkeit des Privilegiums
pochend, ſich vernachläſſigen und das Theaterbedürfniß
ihres Publikums mit Bequemlichkeit ausbeuten werden;
dagegen bürgt die allgemeine Betheiligung der Mitglie¬
der an Ehre und Vortheil der Geſellſchaft und die Ab¬
hängigkeit von der Landesregierung, die, auf eine begrün¬
dete Beſchwerde des Bezirks, der Geſellſchaft das Privi¬
legium nehmen, oder ſie in einen andern Bezirk verſetzen
kann.


[85]

Dieſe letzte Maßregel eines Wechſels der Geſellſchaf¬
ten könnte übrigens auch unter anderen Umſtänden an¬
wendbar ſein.


Der Vortheil, der hierin aus der Centraliſation der
Oberleitung ſämmtlicher Landesbühnen entſpringt, wird
ſich noch in einer Menge von anderen Dingen darthun.
In großen Staaten wird die Ausübung des Miniſterial¬
einfluſſes allerdings einer weitläuftigeren Gliederung
bedürfen, in den kleineren dagegen in ungemein abgerun¬
detem Zuſammenhange wirken.


So werden z. B. die allgemeinen und einzelnen Ein¬
richtungen, Bearbeitungen von Stücken, Ueberſetzungen,
zur dramatiſchen Handlung gehörige Muſiken, verbeſſerte
Operntexte, Scenirungen u. ſ. w., wenn ſie ſich in der
Reſidenz als zweckmäßig erwieſen haben, ſich ohne erheb¬
liche Koſten den übrigen Landesbühnen mittheilen laſſen;
mithin werden die beſten Talente, welche die Muſterthea¬
ter verſammeln, für die Hebung des geſammten Theater¬
weſens im ganzen Lande arbeiten. Junge Leute, die ſich
bei den untergeordneten Theatern auszeichnen, werden in
[86] der Unparteilichkeit der, allen Theatern gemeinſamen
Oberbehörde den Weg zu den beſſeren Bühnen unver¬
ſperrter finden, während, bei dem verbeſſerten Zuſtande
der Provinztheater, man künftig ohne Sorge vor Verbil¬
dung, junge Leute, Eleven der Theaterſchule, auf Lehr-
und Uebungsjahre dorthin geben kann.


So manches Mitglied der erſten Theater, das unter
den jetzigen Verhältniſſen bei voller, kräftiger Geſundheit
penſionirt wird, — weil es etwa die Stimme verloren hat,
oder dem jugendlichen Fache entwachſen, für ein älteres
gerade kein Talent zeigt — würde als Director eines Pro¬
vinzial-Theaterbezirkes dem Staate noch gute Dienſte lei¬
ſten können. Oder der Halbinvalide eignete ſich für eine
Profeſſur an der Theaterſchule; eine Wirkſamkeit,
welche einem abgetretenen Director auch wohl anſtehen
würde. Oder wenn der für die Bühne Untauglich¬
gewordene von untergeordneten Fähigkeiten iſt, könnte er
ſich auf irgend einem Beamtenpoſten der Bühne noch
nützlich machen. Immer vermöchte ſo die Miniſterialdirec¬
tion, durch ihre umfangreiche Verfügung, dem Staate die
ungebührlich langen Penſionsleiſtungen und den altern¬
den Künſtlern die Schmach eines bezahlten Müßigganges
[87] zu erſparen, in einem Alter, wo ſie noch arbeiten kön¬
nen*).


Genügen werden die hier angegebenen Momente, um
den Blick auf den außerordentlichen Gewinn zu lenken,
den das Theater in ſeinen Mitteln, durch deren ge¬
ſammelte Verwendung machen wird. Genügen wird die
ganze bisherige Darſtellung, um den unermeßlichen Ge¬
winn darzuthun, den der Geiſt und die Würde der
deutſchen Bühne von der vorgeſchlagenen Reform ziehen
und dem Volke mittheilen muß.


Die Schwierigkeiten der Reorganiſation ſind nicht ſo
groß, als die Umſtändlichkeit dieſer Beſprechung vielleicht
[88] erſcheinen läßt, denn die Einrichtungen beruhen auf der
Natur der Sache, geſtalten und regeln ſich darum aus
ſich ſelbſt.


In einer freien Entwicklung der künſt¬
leriſchen Kräfte
, bei gemeinſam berech¬
tigter Betheiligung
, muß die auf ſich
ſelbſt geſtellte Kunſt werden
, was ſie wer¬
den kann
: in ihrer Wirkung auf das
Volk
, vom Geiſte deſſelbender ſich in
der Staatsregierung auszuſprechen hat

geleitet, wird ſie dem Volke leiſten,
was ſie ihm leiſten kann.


Dies ſind die Bedingungen eines wahrhaften Natio¬
tionaltheaters. Uebereinſtimmend, wie in Kirche und
Schule, müſſen die Kräfte und Mittel der Nation dazu
wirken; nur die organiſch verbundenen Lan¬
desbühnen erſchaffen ein Nationaltheater
.


Zum Schluß noch einen Blick auf ein Moment dieſes
Reformvorſchlages, das in rein menſchlicher Beziehung
[89] allein ſchon volle Beherzigung verdient: es iſt die Wir¬
kung auf den Schauſpielerſtand
.


Allen Plänen, die Schaubühne auf eine höhere Stufe
zu heben, pflegt man den Einwurf entgegenzuhalten: ſie
müßten an der unabänderlichen Beſchaffenheit des Schau¬
ſpielerſtandes ſcheitern.


Wäre es wahr, daß die allerdings ſtarken und man¬
nichfachen Verſuchungen dieſes Standes unüberwindlich
wären, ſo hätte der Staat die Pflicht, denſelben aufzu¬
heben und nach Plato's und Rouſſeau's Rath das Theater
aus ſeinem Bereiche zu verbannen.


Aber es iſt nicht ſo. Die Kunſtgeſchichte zeigt uns
unter den Schauſpielern wahre Muſter an ſittlicher
Würde und Charaktergröße. Waren dieſe möglich, ſo
muß auch die Hebung des ganzen Standes möglich ſein
und es hat bisher nur an den Bedingungen dazu ge¬
fehlt.


Was hat der Staat, was hat die bürgerliche Geſell¬
ſchaft zur Bildung und Verſittlichung des Standes ge¬
than? Nichts! Ja ſchlimmer als das, man hat Alles
gethan ihn in verderblicher Stellung zu erhalten.


Das erſte Erforderniß zur Hebung eines Standes:
Bildung, der Staat hat ihm bis auf den heutigen
[90] Tag die Gelegenheit und damit auch die Nöthi¬
gung
dazu verſagt. Der Schauſpieler iſt der
einzige Staatsbürger
, dem keine Fachbil¬
dung geboten
, dem auch keine abgefordert
wird
. Darf man ſich wundern, daß er ſie nicht beſitzt?


Unſittlichkeiten unter den Theatermitgliedern — ob¬
ſchon ſie verhältnißmäßig kaum häufiger vorkommen, als
in andern Ständen, nur bei der Oeffentlichkeit ihrer
Stellung auffallender ſind — entfernen noch immer die
gute Geſellſchaft von dem ganzen Stande, und Einzelne
finden nur trotz ihres Standes Zutritt. Aber um dem¬
ſelben eine ſittlichere Haltung aufzunöthigen, was hat
denn der Staat, was die Geſellſchaft gethan? Wür¬
den wohl andere öffentliche Stände: Geiſtliche, Richter
u. ſ. w. ein im Allgemeinen ſittliches Verhalten zeigen,
wenn es ihnen nicht ſtreng abgefordert, wenn der einzelne
Beſcholtene nicht, als des Standes unwürdig, ausgeſtoßen
würde? Alle bürgerlichen Tugenden haben ihre Grund¬
lage im Zwange des Geſetzes und der Sitte.


Dem Schauſpieler aber macht die irregeleitete öffent¬
liche Meinung Unſittlichkeit beinahe zur Bedingung künſt¬
leriſcher Anerkennung; man läßt es ihn merken: einige
Flecken Schande ſtänden ihm gut zu Geſicht. Man
[91] nimmt dem Schauſpieler nichts übel, aber man verachtet
ihn. Das Spiel der Leidenſchaften im Privatleben des
Künſtlers ſieht man als in nothwendiger Beziehung zu
dem auf der Bühne ſtehend an, läßt ſeine entfeſſelten
Neigungen als eine Würze der Kunſtproduction gelten.
Sogar die erſten Grundbedingungen des rechtlichen Ver¬
trauens legt man ihm nur locker auf, er gilt als ein pri¬
vilegirter Freibeuter im bürgerlichen Leben. Ein con¬
traktbrüchiger, durchgegangener Bühnenkünſtler findet
ſelbſt an Hoftheatern bereite Aufnahme.


Darf man ſich wundern, daß in dieſer Stellung
manche Theatermitglieder es mit ſittlichen Verpflichtungen
nicht genau nehmen?


Darf man die allerdings tief eingeriſſene Selbſtſucht,
— aus der in der Kunſtübung das vereinzelte Virtuoſen¬
ſpiel und die verderbliche Effectjägerei entſpringen —
dem Künſtler ſo unbedingt zum Vorwurf machen, wenn
er behaupten darf, daß die jetzigen Bühnenzuſtände ihm,
von allen Antrieben für ſeine Kunſt, nur den Egoismus
übrig gelaſſen? Daß er ſich als ein Miethling fühle,
entweder gewinnſüchtiger Unternehmer oder kunſtfremder
Behörden, die für ſeine Leiſtungen keinen andern Ma߬
ſtab als den Beifall der Maſſen und der Journale haben,
[92] der denn alſo um jeden Preis errungen werden müſſe,
wenn man ſich eine Stellung ſichern wolle.


Sobald das Theater zur Staatsanſtalt er¬
hoben iſt
, werden die Forderungen an die
Künſtler ſtrenger
, die Achtung für ſie aber
darum auch größer werden
. Verletzungen der
öffentlichen Moral werden keine Bemäntelung mehr fin¬
den, der Stand wird an ſittlicher Haltung gewinnen.
Er wird für ſeinen Beruf gebildet und geprüft wer¬
den, wie das in andern Künſten der Fall iſt. Die
Anerkennung ſeiner Bedeutung und ſeines Nutzens im
Staate wird ihm geſellſchaftliche Achtung verſchaffen,
er wird ſich immer mehr aus den gebildeten Schichten der
Geſellſchaft recrutiren. Seine gemeinweſenliche Verfaſſung
wird die Elemente feinerer Bildung mit der Kraft natur¬
wüchſigen Talentes unausgeſetzt durchdringen, eine edle
künſtleriſche Geſinnung ſich geltend machen können.


Darum iſt es menſchlich und gerecht, wenn
man dem Schauſpieler endlich eine Verfaſſung
zugeſteht
, die ſeine Selbſtändigkeit anerkennt,
ihm Bildung und höhere Geſittung garantirt;
den Anſpruch daran erhebe ich im Intereſſe meines Stan¬
des mit dieſen Reformvorſchlägen. Wir haben ein
[93] Recht: endliche Gleichſtellung mit den übrigen
Ständen zu verlangen
, Gleichſtellung in Unter¬
richt und moraliſcher Verpflichtung
. Wir ſind die
einzigen davon Ausgeſchloſſenen, wir ſind die Parias un¬
ter den Ständen. Willig ſind wir zu leiſten, was man
von uns fordern kann, aber wir können es nicht, wenn
man es nicht fordern, wenn man die Leiſtung nicht er¬
möglichen will. Erſt wenn Alles geſchehen iſt, wie bis¬
her Nichts geſchehen iſt, unſern Stand zu heben und er
ſich unfähig dazu erwieſen, erſt wenn man ihm höhere
Zwecke gegeben und er ihnen nicht entſprochen — dann
mag man ihn verwerfen, aber erſt dann. Jetzt hat die
Geſellſchaft kein Recht dazu, ſie hat verſchuldet, was ſie
uns vorwirft.


Ueber dieſe höhere Lebensfrage unſeres Standes wird
zugleich mit der über die deutſche Bühne entſchieden
werden.


Der bisherige Zuſtand hat keine Dauer mehr. Das
deutſche Volk, an ſeiner Spitze ſeine Fürſten, muß ſich
erklären, was es von ſeiner Schaubühne will?


Soll ſie ihm nur zum Vergnügungsort, zur Zuflucht
des Zeitvertreibes, zur Reunion der feinen Welt, zur
Gelegenheit: Toilette zu machen und ſich Rendezvous zu
[94] geben, daneben zur Befriedigung der Schauluſt oder des
Bedürfniſſes der Erſchütterung durch Lachen oder Weinen
dienen — wozu dann die enormen Summen, welche aus
Landesmitteln zu Gunſten ſo frivoler Anſtalten flie¬
ßen? Dann mögen diejenigen das Vergnügen bezahlen,
die es genießen, man ziehe alle Subventionen zurück,
verpachte die Theater und laſſe den Unfug auf der Bahn
induſtrieller Speculation dahinſchießen. Die engliſche
Bühne zeigt: wohin ſie führt; die franzöſiſche wird vor
ihren Gefahren bis jetzt nur noch durch den angeborenen
richtigen Sinn ihres Volkes für die dramatiſche Kunſt
bewahrt. Gewiß iſt, daß auf dieſem Wege keine Bühne
zur Veredlung des Volkes wirken, ja daß ſie vom
Strome der Vergnügungsluſt ſo weit fortgeriſſen werden
kann, daß ihre Exiſtenz für die öffentliche Moral bedenk¬
lich wird.


Soll aber dem deutſchen Volke ſein Nationaltheater
ſein, was die Folgerichtigkeit ſeines geiſtigen und ſittli¬
chen Bildungsſtrebens fordert, ſoll es ihm ein Spiegel
des Lebens, eine Stätte der Selbſterkenntniß, ein heiterer
Tempel der Begeiſterung für Schönes, Edles und Erha¬
benes ſein, ſo müſſen ihm auch ernſter Wille und volle
Mittel dafür zugewendet werden. Ein ächtes Natio¬
[95] naltheater wird die Erwartungen der Na¬
tion niemals täuſchen
.


Mögen zu der alsdann nothwendig werdenden durch¬
greifenden Umgeſtaltung des heutigen Theaterweſens
meine Anſichten und Vorſchläge behülflich ſein, ſie ſind
ein Ergebniß dreißigjähriger Erfahrung in allen Zweigen
der Dramatik und einer unzerſtörbaren Ueberzeugung von
der erhabenen Beſtimmung des Theaters.


Dresden im December 1848.


Eduard Devrient.

[]

Appendix A

Druck von Otto Wigand in Leipzig.

[][][]
Notes
*)
Mit welchem ſtrengen Eifer hat z. B. der Staat den
neuen ſocialen Theorien entgegenzuwirken und die Achtung vor
der Ehe, der Familie und allen Gliederungen der geſellſchaft¬
lichen Ordnung, welche daraus hervorgehen, aufrecht zu erhalten
geſucht, während die Theaterrepertoire — die der Hofbühnen
keinesweges ausgeſchloſſen — von Stücken wimmelten, in denen
die Heiligkeit der Ehe verhöhnt, die Familienpietät lächerlich ge¬
macht, ja eine förmliche Verherrlichung der Nichtswürdigkeit ge¬
trieben wird!
*)
Das Genauere über dieſen geſchichtlichen Moment iſt in
meiner „Geſchichte der deutſchen Schauſpielkunſt“ (Leipzig 1848,
bei J. J. Weber) im II. B. zu finden. Ich muß mich hier und
fernerhin auf dies Buch beziehen, weil es bis jetzt das einzige
über dieſen Gegenſtand iſt.
*)
Geſch. der deutſch. Schauſpielkunſt ll. B., S. 402, und
III. B., S. 16.
*)
Obwohl die darſtellenden Mitglieder ebenfalls einen ver
tretenden Ausſchuß haben müſſen, von dem nachher die Rede
ſein wird, ſo betheiligen ſie ſich doch bei der Wahl des Di¬
rectors unmittelbar, weil jeder Einzelne in unmittelbarer
Beziehung zu dieſem ſteht. Die übrigen Genoſſenſchaften, Or¬
cheſter, Chor und Ballett, ſtehen größtentheils nur in ihrer Ge¬
ſammtheit — da ſie in dieſer nur wirken — in Bezug zum Di¬
rector, darum wählen ſie nur als Genoſſenſchaft durch Vertre¬
tung. Auch würde ihre Stimmenüberzahl ein unrichtiges Be¬
theiligungsverhältniß ergeben.
*)
Ob man alle Orcheſtermitglieder für ſtimmberechtigt erklä¬
ren will, muß lokalen Beſtimmungen überlaſſen bleiben.
*)
Bis jetzt exiſtiren keine Vereine dramatiſcher Autoren,
denen eine corporative Vertretung beizumeſſen wäre und denen
man darum eine Betheiligung bei der Wahl dieſes Vertreters der
dramatiſchen Literatur zumuthen könnte.
*)
Was Goethe davon ſagt, ſiehe Geſchichte der deutſchen
Schauſpielkunſt B. III. S. 379 — 382.
*)
Geſch. d. deutſchen Schauſpielkunſt. Bd. II. S. 88.
**)
Ebendaſ. Bd. III. S. 18.
*)
Ausführlicheres hierüber Geſch. d. deutſch. Schauſpiel¬
kunſt. Bd. III. S. 413 u. f.
*)
Geſch. d. deutſch. Schauſpielk. Bd. III. S. 422 u. f.
*)
Auf welche Weiſe das Königſtädter Theater gänzlich in
Beſitz der Krone und ſo der Regierung zu bringen wäre, muß
Gegenſtand abgeſonderter Erörterung bleiben.
*)
Es braucht kaum noch erwähnt zu werden, daß auch hier
alle drei Theater wetteifern würden, ſich den Antheil des
Hofes ungeſchwächt zu erhalten und die Erfüllung eines Wun¬
ſches deſſelben als einen beſondern Vorzug zu betrachten. Auch
bei beſondern Vorſtellungen in den königl. Schlöſſern fände
verwaltungsmäßig keine weſentliche Veränderung ſtatt, da dieſe
bisher ſchon beſonders in Rechnung kamen.
*)
Sie iſt im IV. Bande meiner dramatiſchen und dramatur¬
giſchen Schriften wieder abgedruckt.
*)
Ueber das Wie? habe ich mich in der angezogenen Schrift
erklärt.
**)
Der Unterricht hierin wird, bei unſerer parlamentariſchen
Entwicklung, bald zu einer Bedingung guter Erziehung werden.
*)
Wie man den beſſeren dieſer Truppen gewiſſe Vorſtellun¬
gen zu gebieten hätte, ſo müßte man den untergeordneten an¬
dere verbieten, damit ſie nicht, was über ihre Kräfte geht, her¬
abwürdigen.
*)
Uebereinſtimmende und angemeſſene Anſtalten zur Pen¬
ſionirung der Schauſpieler zu treffen, würde erſt möglich ſein,
wenn die Reorganiſation des ganzen Theaterweſens feſten Fuß
gefaßt hätte. Auch dieſe, ſo überaus wichtige Angelegenheit müßte
nach einem umfaſſenden Plane geordnet werden, auf alle Büh¬
nen des Landes, nach den erweiterten Grundſätzen des preußiſchen
Staatspenſionsfonds ſich erſtrecken, vielleicht, nach Eckhof's altem
Entwurfe, ganz Deutſchland umfaſſen. Für's Erſte wird man
an den beſtehenden Einrichtungen feſthalten müſſen, mit denjeni¬
gen Modificationen, welche an den Reſidenztheatern die Ver¬
wandlung der Theatermitglieder aus Hofdienern in Staatsdie¬
ner nothwendig macht.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Das Nationaltheater des neuen Deutschland. Das Nationaltheater des neuen Deutschland. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bk0s.0