[]

Verſuch
über die wahre Art

das Clavier zu ſpielen

Zweyter Theil,

in welchem die Lehre von dem Accompagnement
und der freyen Fantaſie
abgehandelt wird.

Nebſt einer Kupfertafel.


In Verlegung des Auctoris.
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Berlin,: 1762.
Gedruckt bey George Ludewig Winter.

[]

An den Buchbinder.
Die Kupfertafel wird am Ende beygebunden.


[]
[figure]

Vorrede.


Endlich habe ich das Vergnügen, meinen
Gönnern und Freunden dieſen zwey-
ten Theil
meines Verſuches zu über-
geben. Ich war im Anfange willens, die dazu ge-
hörigen Noten in Kupfer ſtechen zu laſſen, und
hatte bereits mit einer Fantaſie, welche dieſem
Buche am Ende beygefüget iſt, eine Probe gema-
chet: ich habe aber nachher meinen Vorſatz geän-
dert, und die ſchöne Erfindung der Drucknoten
gewählet, damit die Exempel gleich bey dem Text
* 2ſtehen,
[]Vorrede.
ſtehen können, und das beſchwerliche Aufſuchen in
den Tabellen wegfallen möge. Der vornehmſte In-
halt dieſer Anleitung, wodurch ſie ſich von allen
noch bisher bekannten Generalbaßlehrbüchern un-
terſcheidet, betrift das feine Accompagnement.
Die Anmerkungen über das letztere ſind nicht aus
bloſſer Speculation entſtanden, ſondern die Erfah-
rung hat ſie hervorgebracht und das Wahre, wel-
ches ſie enthalten, beſtätiget. Eine Erfahrung,
welcher, ohne Ruhmredigkeit zu ſagen, ſich vielleicht
noch niemand rühmen kann, weil ſie aus einer viel-
jährigen Bearbeitung des guten Geſchmacks, bey
einer muſicaliſchen Ausführung, welche nicht beſſer
ſeyn kann, erwachſen iſt.


Ich habe die Exempel auf einem Syſtem vor-
bilden müſſen, damit dieſes Werk nicht zu weit-
läuftig und zu koſtbar werden möchte: man muß
alſo bey dieſen Exempeln hauptſächlich auf die
Urſache ſehen, warum ſie angeführet ſind, und ſich
an die vorgeſchriebene Höhe und Tiefe nicht binden,
weil wegen der Lagen auſſerdem das nöthige allezeit
an
[]Vorrede.
angemerkt iſt. Bey der Unterweiſung können die
Feinheiten des Accompagnements, und der zweyte
Abſchnitt eines jeden Capitels zuletzt durchgegangen
werden. Die erſten Gründe des Generalbaſſes
müſſen vorher gehen. In den kurzen Capiteln iſt
alles ohne Abſchnitt beyſammen.


Die dreyſtimmigen Sätze ſind mehrentheils mit
einem Telemanniſchen Bogen bezeichnet worden,
und ein jeder Bezifferer wird wohl thun, wenn er
in ſeinen Bezifferungen die Dreyſtimmigkeit die-
ſer Sätze durch dieſen Bogen allezeit kennbar ma-
chet. Dem Sextquartenaccorde, wobey die aufge-
haltene Terz allein nachgeſchlagen wird, und wel-
cher im vierſtimmigen Accompagnemente keine
Octave, wohl aber eine verdoppelte Sexte ver-
träget, habe ich ein beſonderes Zeichen, nehmlich ,
geben müſſen, damit man ihn von dem dreyſtimmi-
gen Sextquartenaccorde, welcher allenfalls zur vier-
ten Stimme die Octave bey ſich leidet, unterſcheiden
könne. Ichhabe mit Fleiß die Erklärung dieſer Kenn-
zeichen vorläufig beybringen wollen, damit ſie man-
* 3chem,
[]Vorrede.
chem, der dieſes Buch nur flüchtig anſiehet, nicht be-
denklich oder gar fürchterlich vorkommen mögen, ſon-
dern damit man die Erleichterung, welche dadurch ab-
gezielet iſt, ſo gleich einſehen könne. Die zwey Ex-
empel, welche nebſt der groſſen in die Höhe gehenden
Septime, ſtatt der Secunde die None über ſich haben,
und wovon das erſtere auf der 79ſten Seite, auf dem
dritten Syſtem das zweyte iſt, und das letztere auf
der 129ſten Seite am Ende des erſten Syſtems
ſtehet, ſcheinen zwar meiner im vierten Paragraph
der 149ſten Seite angegebenen Lehrart zu wider-
ſprechen: allein ich habe ſie beyde mit Fleiß ſo
vorgebildet, wie ich ſie gefunden habe, damit man
dieſe Art der Bezifferung, ohngeacht ich ſie nicht
ſo bequem finde, wie die meinige, ebenfalls
kennen lerne, weil ſie von einigen gebrauchet
wird.


Wenn ich in den erſten Capiteln die Exempel
nur auf diejenigen Aufgaben allezeit hätte einrich-
ten wollen, welche ſchon da geweſen ſind: ſo hätte
ich oft die nöthigſten Erinnerungen vorbeygehen,
oder
[]Vorrede.
oder wenigſtens aus ihrem Zuſammenhange reiſſen
müſſen, und viele harmoniſche Veränderungen in
der Auflöſung und Vorbereitung hätten nicht ange-
führet werden können. Man ſiehet aus unterſchie-
denen Anleitungen zum Generalbaß den Zwang
gar deutlich, den die Verfaſſer ſich alsdenn ange-
than haben, wenn ſie neue Aufgaben in den Exem-
peln nicht eher haben vorbringen wollen, als bis
dieſe Aufgaben vorher ausführlich abgehandelt wor-
den ſind. Ich habe dieſe Ungleichheit vermieden,
und verlaſſe mich auch hierinnen auf die Geſchick-
lichkeit der Unterweiſer. Man wird mir gar leicht
vergeben können, daß verſchiedene Urſachen mich
zuweilen genöthiget haben, einige Exempel und
Hauptwahrheiten mehr als einmahl anzuführen.
Der Ueberfluß in dieſer Art kann niemals ſchaden,
die Wichtigkeit ſolcher Wahrheiten entſchuldiget
ihn, und meine Leſer haben den Vortheil, wenn
ſie gewiſſe einzelne Stelle nachſchlagen wollen, daß
ſie alles in der gehörigen Ordnung beyſammen
finden.


Ich
[]Vorrede.

Ich wünſche auch dieſer Anleitung den Beyfall,
welchen der erſte Theil erhalten hat, und erwarte
ganz gewiß mit beſonderm Vergnügen den aus-
nehmenden Nutzen für die Lehrbegierigen von die-
ſem zweyten Theile, welchen meine Freunde mit
mir von dem erſten augenſcheinlich geſpüret haben.
Dieſes kann mich ermuntern, mit der Zeit noch
einige Beyträge, beſonders zu dem letzten Capitel
dieſes Buches zu liefern, ohngeacht mir meine an-
dern Arbeiten nicht viele Zeit zur Autorſchaft übrig
laſſen. Ich habe mit vielen Exempeln und nutzba-
ren Anmerkungen über die Fantaſie zurück halten
müſſen, damit die Koſten nicht zu hoch auflaufen möch-
ten. Vielleicht erſcheinen dieſe Beyträge mit denen
zu dem erſten Theile alsdenn zu gleicher Zeit.

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[]

Inhalt.

  • Einleitung  Seite 1
  • I. Capitel. Von den Intervallen und den Signaturen  11
  • II. Capitel. Vom harmoniſchen Dreyklange  32
  • III. Capitel. Vom Sextenaccord  45
  • IV. Capitel. Von dem uneigentlichen verminderten Dreyklange  61
  • V. Capitel. Von dem uneigentlichen vergröſſerten Dreyklange  64
  • VI. Capitel. Vom Sextquartenaccord  66
  • VII. Capitel. Vom Terzquartenaccord  74
  • VIII. Capitel. Vom Sextquintenaccord  87
  • IX. Capitel. Vom Secundenaccord  97
  • X. Capitel. Vom Secundquintenaccord  109
  • XI. Capitel. Vom Secundquintquartenaccord  111
  • XII. Capitel. Vom Secundterzaccord  112
  • XIII. Capitel. Vom Septimenaccord  113
  • XIV. Capitel. Vom Sextſeptimenaccord  134
  • XV. Capitel. Vom Quartſeptimenaccord  139
  • XVI. Capitel. Vom Accord der groſſen Septime  148
  • XVII. Capitel. Vom Nonenaccord  156
  • XVIII. Capitel. Vom Sextnonenaccord  161
  • XIX. Capitel. Vom Quartnonenaccord  162
  • XX. Capitel. Vom Septimennonenaccord  165
  • XXI. Capitel. Vom Quintquartenaccord  169
  • XXII. Capitel. Vom Einklange  172
  • XXIII. Capitel. Von der einſtimmigen Begleitung mit der linken Haud
    allein  Seite 176
  • XXIV. Capitel. Vom Orgelpunct  181
  • XXV. Capitel. Von den Vorſchlägen  185
  • XXVI. Capitel. Von rückenden Noten  219
  • XXVII. Capitel. Vom punctirten Anſchlage  222
  • XXVIII. Capitel. Vom punctirten Schleifer  235
  • XXIX. Capitel. Vom Vortrage  242
  • XXX. Capitel. Von den Schlußcadenzen  259
  • XXXI. Capitel. Von den Fermaten  266
  • XXXII. Capitel. Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements  268
  • XXXIII. Capitel. Von der Nachahmung  290
  • XXXIV. Capitel. Von einigen Vorſichten bey der Begleitung  295
  • XXXV. Capitel. Von der Nothwendigkeit der Bezifferung  298
  • XXXVI. Capitel. Von durchgehenden Noten.  301
  • XXXVII. Capitel. Von dem Vorſchlagen mit der rechten Hand  309
  • XXXVIII. Capitel. Vom Recitativ  313
  • XXXIX. Capitel. Von den Wechſelnoten  320
  • XXXX. Capitel. Vom Baßthema  322
  • XXXXI. Capitel. Von der freyen Fantaſie  325
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[[1]]
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Einleitung.


§. 1.


Die Orgel, der Flügel, das Fortepiano und das
Clavicord ſind die gebräuchlichſten Clavierinſtru-
mente zum Accompagnement.


§. 2.

Es iſt Schade, daß die ſchöne Erfindung des Hol-
feldiſchen Bogenclaviers
noch nicht gemeinnützig geworden iſt;
man kann dahero deſſen beſondere Vorzüge hierinnen noch nicht
genau beſtimmen. Es iſt gewiß zu glauben, daß es ſich auch bey
der Begleitung gut ausnehmen werde.


§. 3.

Die Orgel iſt bey Kirchenſachen, wegen der Fugen,
ſtarken Chöre, und überhaupt der Bindung wegen unentbehrlich.
Sie befördert die Pracht und erhält die Ordnung.


§. 4.

So bald aber in der Kirche Recitative und Arien,
beſonders ſolche, wo die Mittelſtimmen der Singſtimme, durch ein
Bachs Verſuch. 2. Theil. Aſimpel
[2]Einleitung.
ſimpel Accompagnement, alle Freyheit zum Verändern laſſen, mit
vorkommen, ſo muß ein Flügel dabey ſeyn. Man hört leyder
mehr als zu oft, wie kahl in dieſem Falle die Ausführung ohne
Begleitung des Flügels ausfällt.


§. 5.

Dieſes letztere Inſtrument iſt auſſerdem beym Theater
und in der Cammer wegen ſolcher Arien und Recitative unentbehrlich.


§. 6.

Das Fortepiano und das Clavicord unterſtützen
am beſten eine Ausführung, wo die gröſten Feinigkeiten des Ge-
ſchmackes vorkommen. Nur wollen gewiſſe Sänger lieber mit
dem Clavicord oder Flügel, als mit jenem Inſtrumente, accom-
pagnirt ſeyn.


§. 7.

Man kann alſo ohne Begleitung eines Clavier-
inſtruments kein Stück gut aufführen. Auch bey den ſtärkſten
Muſiken, in Opern, ſo gar unter freyem Himmel, wo man gewiß
glauben ſolte, nicht das geringſte vom Flügel zu hören, vermißt man
ihn, wenn er wegbleibt. Hört man in der Höhe zu, ſo kann man
jeden Ton deſſelben deutlich vernehmen. Ich ſpreche aus der Er-
fahrung, und jedermann kann es verſuchen.


§. 8.

Einige laſſen ſich beym Solo mit der Bratſche oder
gar mit der Violine ohne Clavier begleiten. Wenn dieſes aus
Noth, wegen Mangel an guten Clavieriſten, geſchiehet, ſo muß
man ſie entſchuldigen; ſonſt aber gehen bey dieſer Art von Ausfüh-
rung viele Ungleichheiten vor. Aus dem Solo wird ein Duett,
wenn der Baß gut gearbeitet iſt; iſt er ſchlecht, wie nüchtern
klingt er ohne Harmonie! Ein gewiſſer Meiſter in Italien hatte
dahero nicht Urſache, dieſe Art der Begleitung zu erfinden. Was
können nicht für Fehler entſtehen, wenn die Stimmen einander
überſteigen! oder will man etwa, dieſes zu verhüten, den Geſang
verſtümmeln? Beyde Stimmen halten ſich näher bey einander auf,
als der Componiſt wolte. Und die vollſtimmigen Griffe, welche in
der
[3]Einleitung.
der Hauptſtimme zuweilen vorkommen, wie jung klingen ſie, wenn
ſie nicht ein tiefer Baß unterſtützt? Alle Schönheiten, die durch
die Harmonie herausgebracht werden, gehen verlohren; ein groſ-
ſer Verluſt bey affectuöſen Stücken.


§. 9.

Das vollkommenſte Accompagnement beym Solo,
dawider niemand etwas einwenden kann, iſt ein Clavierinſtrument
nebſt dem Violoncell.


§. 10.

Wir ſehen alſo, daß wir heut zu Tage wegen der
Generalbaßſpieler eckler ſind, als vor dem. Nichts, als die Fei-
nigkeiten der jetzigen Muſik, ſind hieran Schuld. Man iſt nicht
mehr zufrieden, einen Accompagniſten zu haben, der als ein wah-
rer muſicaliſcher Pedant weiter nichts als Ziffern geſehen und
geſpielet hat; der die dazu gehörigen Regeln auswendig weiß und
ſie bloß mechaniſch ausübt. Man verlangt etwas mehreres.


§. 11.

Dieſes mehrere hat mich zur Fortſetzung mei-
nes Verſuches veranlaſſet, und ſoll der vornehmſte Gegenſtand
meiner Anleitung ſeyn. Ich werde ſolche Begleiter zu bilden ſu-
chen, welche nebſt der Regel dem guten Geſchmack aufs genau-
eſte folgen.


§. 12.

Damit man ſich zur Erlernung des Generalbaſſes hin-
länglich geſchickt mache: ſo iſt nöthig, daß man vorher eine ge-
raume Zeit gute Handſachen ſpielt.


§. 13.

Gute Handſachen nenne ich die, worinnen eine
gute Melodie und reine Harmonie ſteckt, und wobey jede Hand
hinlänglich geübt wird.


§. 14.

Das Gehör gewöhnt ſich durch dieſe Beſchäftigung
bey Zeiten an einen guten Geſang, auf welchen, wie wir in der
Folge bemerken werden, beym Accompagnement hauptſächlich mit ge-
ſehen wird.


A 2§. 15.
[4]Einleitung.

§. 15.

Man bekommt einen empfindbaren Begriff von aller-
hand Tactarten und Zeitmaſſe, ſamt ihren Figuren; eine ſehr nutz-
bare Bekanntſchaft mit den meiſten Aufgaben des Generalbaſſes;
eine Fertigkeit in den Fingern und Leichtigkeit vom Blatte zu ſpie-
len; folglich werden durch dieſe Handſachen zugleich Augen, Ohren
und Finger geübt.


§. 16.

Das fleißige Anhören guter Muſiken, wobey man
auf gute Begleiter genau Achtung giebt, iſt beſonders anzura-
then; das Ohr wird dadurch gebildet, und zur Aufmerkſamkeit
gewöhnt.


§. 17.

Dieſe genaue Aufmerkſamkeit läßt keine Schönheit
in der Muſik ohne Rührung vorbey. Man empfindet ſogleich,
wie ein Muſicus auf den andern genau höret, und ſeinen Vortrag
darnach einrichtet, damit ſie vereint den geſuchten Endzweck errei-
chen. Dieſes Lauſchen iſt überhaupt bey der Muſik und alſo
auch beym Accompagnement, ohngeacht der beſten Bezifferung,
unentbehrlich.


§. 18.

Der heutige Geſchmack hat einen ganz andern Ge-
brauch der Harmonie, als vordem, eingeführet. Unſre Melodien,
Manieren und der Vortrag erfordern dahero oft eine andere Har-
monie, als die gewöhnliche. Dieſe Harmonie iſt bald ſchwach, bald
ſtark, folglich ſind die Pflichten eines Begleiters heut zu Tage
von einem weit gröſſern Umfange, als ehemals, und die bekannten
Regeln des Generalbaſſes wollen nicht mehr zureichen, und leiden
auch oft eine Abänderung.


§. 19.

Ein Accompagniſt muß alſo jedem Stücke, welches
er begleitet, mit dem rechten Vortrag die ihm zukommende
Harmonie,
und zwar in der gehörigen Stärke und Weite
gleichſam anpaſſen. Er muß hierinnen dem Componiſten auf das
genaueſte zu folgen ſuchen, und zu dem Ende beſtändig auf die
Ripien-
[5]Einleitung.
Ripienſtimmen mit gut Achtung geben. Iſt aber keine Harmonie in
Mittelſtimmen ausgeſetzt, z. E. beym Solo, oder Trio, ſo wird die
Begleitung ganz allein nach dem Affecte des Stückes und dem
Vortrag der Mitmuſicirenden eingerichtet, damit die Abſichten des
Componiſten und der Ausführer befördert werden.


§. 20.

Auch hier iſt das Vorherſehen auf die Folge eben
ſo nöthig, als beym Notenleſen überhaupt.


§. 21.

Nach dem, was im 19 §. erwehnet iſt, werde ich
alſo ſo kurz und deutlich, als möglich, die gewöhnlichen Regeln,
ihre Abänderungen, und hiernächſt ein Haufen Anmerkungen ſo wohl
über das ganze Accompagnement überhaupt, als über jede Aufgabe
beſonders anführen. Ich werde auf Mittel bedacht ſeyn, dieſe Aufga-
ben leicht finden zu lernen. Die Gefährlichkeit, Fehler zu begehen,
und die Mittel dawider ſollen treulich angezeigt werden. Die beſte
Lage gewiſſer Aufgaben werde ich bekannt machen und überall ſa-
gen, welches die unentbehrlichen, die weniger nothwendigen, die al-
lenfals zu wiſſenden und die zu verdoppelnden Intervallen ſind.


§. 22.

Dieſes letztere iſt deswegen nöthig, weil die Har-
monie bald ſchwach bald ſtark ſeyn muß, und bisweilen ein Stück
in Anſehung der Vollſtimmigkeit alle Arten des Accompagnements
erfordert.


§. 23.

Das Accompagnement kann ein — zwey —
drey — vier
— und mehrſtimmig ſeyn.


§. 24.

Das durchaus vier und mehrſtimmige Ac-
compagnement
gehört für ſtarke Muſiken, für gearbeitete Sa-
chen, Contrapuncte, Fugen u. ſ. w. und überhaupt für Stücke wo
nur Muſik iſt, ohne daß der Geſchmack beſonders dran Antheil hat.


§. 25.

Bey dem vierſtimmigen Accompagnemente werde ich
ſowohl auf die Reinigkeit als beſonders auf eine geſchickte Fort-
ſchreitung der Intervallen
bedacht ſeyn. Eine Menge von
A 3Exem-
[6]Einleitung.
Exempeln wird darthun, wo es, um in einer bequemen Lage zu blet-
ben, beſſer ſey, zwo Stimmen in den Einklang zuſammen gehen zu
laſſen, als auf vier klingenden Taſten allezeit ſteif zu beſtehen, und
lieber unnöthige Sprünge und ungeſchickte Fortſchreitungen dafür
zu wählen. Es werden auch Exempel vorkommen, wo die linke
Hand der rechten zu Hülfe kommen muß, um dieſe Fehler zu ver-
meiden; Fehler, welche man den Clavieriſten zuweilen, wegen ihres
vierſtimmigen Satzes vorgeworfen hat.


§. 26.

Das drey — und wenigerſtimmige Accompag-
nement
braucht man zur Delicateſſe, wenn der Geſchmack, Vor-
trag oder Affect eines Stücks ein Menagement der Harmonie for-
dert. Wir werden in der Folge ſehen, daß alsdenn oft keine an-
dre, als ſchwache Begleitung möglich iſt.


§. 27.

Bey unrichtigen und ungeſchickten Compoſitionen,
wo oft gar keine reine Mittelſtimme, wegen des falſchen Baſſes,
woraus ſie flieſſen ſollen, vorhanden iſt, deckt man, ſo viel möglich,
die Fehler mit einer dünnen Begleitung zu; man geht ſparſam
mit der Harmonie um; man greift zur Noth eine Ziffer; man
nimt ſeine Zuflucht zu Pauſen, Nachſchlägen u. ſ. w.; man än-
dert, wenn man allein accompagnirt und es ſich thun läßt, aus
dem Stegereif den Baß und erhält dadurch richtige und natür-
lich flieſſende Mittelſtimmen eben ſo gewiß, als wenn man mit
den falſchen Ziffern ſo verfährt. Wie oft iſt dies letztere nicht nöthig!


§. 28.

Das einſtimmige Accompagnement beſtehet
entweder aus den vorgeſchriebenen Baßnoten allein, oder aus
ihrer Verdoppelung mit der rechten Hand.


§. 29.

Im erſtern Falle ſetzt man über die Noten t. s.
tasto, tasto solo;
im zweyten, all’uniſono, uniſoni. Weil dieſe
Andeutungen zuweilen fehlen, ſo werde ich durch Anmerkungen und
Exem-
[7]Einleitung.
Exempel Gelegenheit geben zu errathen, wo das einſtimmige Ac-
compagnement Statt hat.


§. 30.

Unter der Hauptſtimme verſtehe ich die Stimme,
welche den Hauptgeſang in einem Stücke führt, wo nicht alles
gleich gearbeitet iſt, z. E. in einem Solo, Concerte, Arie u. ſ. w.


§. 31.

Die Oberſtimme nenne ich die höchſte, ſo der
Accompagniſt nimmt.


§. 32.

Bey dem Unterricht muß man ſeine Schüler das
vorgelegte erſt ſpielen und alsdenn in zwey Syſteme ausſetzen
laſſen. Das Ohr und das Auge lernen dadurch deutlich das
Wahre von dem Falſchen unterſcheiden.


§. 33.

Hierbey muß man es aber nicht bewenden laſſen,
ſondern mit ihnen über beydes urtheilen; man fordre von jeder
Note gleichſam Rechenſchaft; man mache ihnen Einwürfe, welche
ſie mit Gründen, warum z. E. dieſe und jene Note ſo, und nicht
anders
da ſtehen könne, aus dem Wege räumen müſſen.


§. 34.

Man fängt beym vierſtimmigen Accompagnement
billig an, und legt es zum Grunde. Wer dieſes gründlich lernt,
kann auch ſehr leicht mit den übrigen Arten umgehen.


§. 35.

Man gehe mit ſeinen Schülern, beſonders beym
vierſtimmigen Accompagnement, die Aufgaben in allen Lagen durch,
damit ſie ihnen bekannt werden. Da man hierbey bloß auf dieſen
Endzweck ſiehet, ſo iſt es freylich nicht zu ändern, daß zuweilen
ungeſchickte Fortſchreitungen mit unterlaufen, und Lagen vorkom-
men, welche nicht die beſten ſind. Sie lernen indeſſen doch dadurch
die beſten Fortſchreitungen und Lagen von den ſchlechten unter-
ſcheiden; man muß ihnen aber bey Gelegenheit das Ungeſchickte
und die Verbeſſerung zugleich mit deutlich zeigen.


§. 36.

Ob aber dieſe Fortſchreitungen gleich ungeſchickt ſeyn
können, ſo müſſen ſie dennoch nicht falſch ſeyn: es muß nehmlich in der
nöthi-
[8]Einleitung.
nöthigen Vorbereitung und Auflöſung nichts verſehen, und die ver-
botnen Quinten und Octaven müſſen aufs ſtrengſte vermieden werden.


§. 37.

Indem man mit den Scholaren die vierſtimmige
Begleitung in allen drey Lagen durchgehet, ſo lernen ſie noch
auſſerdem, was im 35 §. angeführt iſt, (1) bey gewiſſen Gele-
genheiten, wenn es nöthig iſt, eine von den Mittelſtimmen mit der
linken Hand nehmen; (2) werden ihnen die Fälle bekannt, wo
zwo Stimmen in den Einklang zuſammen gehen; (3) wird ihnen
gezeiget, wie man zuweilen, um Quinten zu vermeiden, ohne
zur Lage zurück zu kehren, die ſchon da geweſen iſt, noch eine
Stimme mehr in der rechten Hand nimmt, welche man nachher
wieder verläßt; (4) kommt die Wiederholung der Harmonie in
einer höhern Lage auf derſelben Baßnote mit vor, um wieder in
die Höhe zu kommen, wenn man zu tief herunter geweſen. Alle dieſe
vier Hülfsmittel ſind beym Generalbaſſe nicht allein erlaubt, ſon-
dern, wie wir in der Folge ſehen werden, oft nöthig.


§. 38.

Die unvermeidlichen ſteifen Fortſchreitungen, des-
gleichen die verdeckten Quinten und Octaven, und einige erlaubte
Quinten gegen den Baß, bringt man in die Mittelſtimmen; die
Oberſtimme muß jederzeit ſingend, und in Anſehung des Baſſes
ganz rein ſeyn.


§. 39.

Man fange in der Unterweiſung bey den leichten Auf-
gaben an, und gehe ſie in der Ordnung alle durch. Ueber jede
Aufgabe muß ein kurzes Uebungsexempel vorgeſchrieben
werden. Dieſe Kürze erhält die Gedult, weil man nicht eher
an ein neues Exempel gehen darf, biß das alte recht feſt im Kopfe
und in Händen iſt. Im Gegentheil hält man die Lehrbegierigen
durch eine unnöthige’ Weitläuftigkeit zu lange auf, und gewinnt
nichts weiter, weil das fleißige Accompagniren ganzer und verſchie-
dener Stücke nach der Kenntniß der Aufgaben, wozu kurze Exem-
pel
[9]Einleitung.
pel hinreichen, folgen muß. Durch dieſe Uebung, wobey immer
weniger Fehler nach und nach vorgehen, entſtehet endlich eine Fer-
tigkeit, womit man zufrieden ſeyn kann.


§. 40.

Man überſetze dieſe kurzen Exempel mit allen Lagen
in alle Tonarten, weiche und harte, damit ſie, nebſt ihrer Schreib-
art den Scholaren recht bekannt werden. In der Folge über-
laſſe man ihnen dieſes Ueberſetzen ſelbſt.


§. 41.

Ich habe angemerkt, daß es beſſer ſey beym Ue-
berſetzen, die Tonarten auſſer der Reihe, und nicht neben einander
zu nehmen, weil einige Scholaren gerne, ohne eignes Nachſin-
nen, das Unüberſetzte mit der kleinen Veränderung durch Hülfe
ihres guten Gedächtniſſes gar leicht Note vor Note nachſpielen
und nachſchreiben. Sie verliehren dadurch ungemein; hingegen
erlangen ſie im erſtern Falle nach und nach eine Fertigkeit, die
Ziffern gleich zu treffen, und in einer proportionirten Lage zu blei-
ben. Dieſe letzteren kommen immer verſchieden vor, und man hat
alle Augenblicke Gelegenheit, ſich der erlaubten Hülfsmittel zu be-
dienen, um in der gehörigen Weite zu bleiben; mit einem Worte,
man wird endlich Meiſter über die Intervallen, ſie mögen liegen,
wo ſie wollen.


§. 42.

Bey Gelegenheit des Ueberſetzens muß man ſeinen
Schülern die Vorzeichnung jeder Tonart und die Urſache davon
bekannt machen. Man mahle ihnen die Tonleiter von C dur und
A moll vor, und laſſe ſie nach der erſten alle harte, und nach der
letzten alle weiche Tonarten aufſchreiben. Es iſt ohne mein Erin-
nern bekannt, daß man hierinnen von oben herunter (chagf u.
ſ. w.) Stufenweiſe verfährt, und die Stufen, welche ohne Vor-
zeichnung zu groß oder zu klein nach ihrem Vorbilde ſind, durch
Verſetzungszeichen gleich machet. Sie lernen dadurch gar bald
auswendig herſagen, wo, und wie viele Verſetzungszeichen bey
Bachs Verſuch. 2. Theil. Bdie
[10]Einleitung.
dieſer und jener Tonart vorgezeichnet werden müſſen; wie viel
z. E. Des dur Been, und Cis dur Creuze hat. Geht man mit
ihnen die Tonarten in Quinten- und Quartenprogreßionen durch,
ſo ſehen ſie den allmähligen Anwachs der Verſetzungszeichen deutlich.


§. 43.

Dieſe Fertigkeit iſt allen Muſiklernenden anſtändig
und nöthig. Es können unvermeidliche Fälle kommen: Man ſoll
den Augenblick ans Accompagnement gehen, ohne daß man ſo
viel Zeit hat, ſeine vorgelegte Stimme nur obenhin durch zu ſehen;
kaum kann man aus der Schlußnote die Tonart erforſchen; die
Vorzeichnung ſiehet man nur flüchtig an. Unangenehme Zumu-
thung für einen, der die raren Verdienſte und ſchwehren Pflich-
ten eines Ripieniſten genau kennt, und der gar wohl weiß, daß
alle Ripienſtimmen von Rechtswegen, zur Erhaltung eines guten
Vortrages, vor der Ausführung eines Stückes ſolten genau durch
geſehen werden! Es können auch, auſſer dem Vortrag, Schreib-
fehler, wenigſtens Undeutlichkeiten, Zweydeutigkeiten, unerwartete
Veränderungen in Tactarten, Zeitmaſſe, Figuren, Tonarten u. ſ.
w. vorfallen, welche auch bey dem geübteſten Ausführer eine
Vorbereitung erfordern.


§. 44.

Hat man aber Zeit, ſeine Stimme vorher durch-
zuſehen: ſo ſehe man zugleich genau auf die Vorzeichnung. Dieſe
letztere iſt oft verſchieden, ohngeacht nur eine davon nach der obi-
gen Vorſchrift gut iſt. Vor dieſem fand man ſelten das D moll
mit einem Be, das C moll mit dem As, u. ſ. w. vorgezeichnet.
Einige Componiſten thun daſſelbe noch jetzo, vielleicht aus Ge-
wohnheit, vielleicht aus Liebe zum Alterthum, vielleicht aus an-
dern Urſachen. Oft will der Componiſt aus guter Abſicht den
Ausführer nicht verwirren, und alle Augenblicke eine neue Vorzeich-
nung himahlen, beſonders bey Stücken mit vieler Chromatik,
bey Recitativen, wo man im Moduliren viele Freyheit hat u. ſ. w.:
ſon-
[11]Einleitung.
ſondern bleibt lieber bey einerley Vorzeichnung, oder ſetzt kein Ver-
ſetzungszeichen vors Syſtem. Man vermißt alsdenn auch in der
Bezifferung viele dieſer Zeichen, weil eine genaue Kenntniß jeder
Tonart voraus geſetzt wird.

[figure]

Erſtes Capitel.
Von den Intervallen und den Signaturen.


§. 1.


Jeder Componiſt, der mit Recht ſeine Arbeit gut accompag-
nirt haben will, iſt verbunden, die Baßſtimme recht und
hinlänglich zu beziffern. Alle mögliche Regeln über unbezifferte
Bäſſe langen nicht zu, und ſind oft falſch.


§. 2.

Findet ſich bey einem Solo die Hauptſtimme über
dem Baſſe, oder alle Stimmen bey mehrſtimmigen Stücken drüber
in Partitur: ſo kann der Accompagniſt allenfals ohne Ziffern zu
rechte kommen; nur muß er in der Compoſition hinlänglich ge-
übt ſeyn. Iſt aber überdem noch eine genaue Bezifferung über
dem Baſſe, ſo kann das Accompagnement gut ſeyn. Ich ver-
ſtehe hier unter dem guten Accompagnement den vollkom-
menſten Grad. Auſſerdem weiß ich wohl, daß einem Clavierſpie-
ler ſehr oft unbezifferte Bäſſe vorgelegt werden, und daß er ſich
nicht allezeit alsdenn von dem Accompagnement loß machen kann.


§. 3.

Ich werde zu dem Ende Anmerkungen beybringen,
wodurch ein geübter Accompagniſt eine groſſe Erleichterung
ſpüren wird, auch unbezifferte Bäſſe ſo abzufertigen, daß man
zufrieden ſeyn kann. Mein Hauptaugenmerk bey der Lehre
B 2des
[12]Erſtes Capitel.
des Generalbaſſes wird jedoch auf die bezifferten Bäſſe gerichtet
werden.


§. 4.

Man kann ſeine Schüler in Erlernung der Ziffern
nicht genug tummeln; ich bin deswegen kein Vertheidiger der zu
ſehr gehäuften Ziffern; ich haſſe alles das, was einem Lehrbe-
gierigen unnütze Mühe macht und die Luſt benehmen kann. Es
kann jedoch niemand ohne vollkommene Wiſſenſchaft aller Ziffern
den Generalbaß gründlich lernen und gehörig accompagniren.
So bald man ſich vor keiner Ziffer mehr fürchtet, ſo hat man
alle mögliche Freyheit an die Feinigkeiten des Accompagnements
zu denken. Dieſe letztern ſind Urſache, daß wir mehr Ziffern
brauchen müſſen, als vordem bey der gewöhnlichen Art zu beglei-
ten nöthig war. Kann man wohl bey der Erklärung ſeiner
Gedanken hierüber der Ziffern entbehren?


§. 5.

Man laſſe dahero ſeine Scholaren fleißig Stücke
begleiten, wo wegen der darinnen vorkommenden Chromatik die
Bäſſe hinlänglich und folglich ſtark beziffert ſind. Ich habe in
dieſer Abſicht meines ſeeligen Vaters bezifferte Bäſſe mit groſſem
Nutzen und ohne Lebensgefahr der Scholaren gebraucht. Auch
den Fingern ſind ſie nicht ſchädlich. Man wechſle fein oft mit
richtig bezifferten Compoſitionen verſchiedener Meiſter ab. Man
lernt dadurch allerhand Arten von Bezifferung und Modulation
kennen. ;an raiſonnire mit ſeinen Schülern, wenn ſie ſchon
hinlängliche Begriffe haben, darüber. Die Einſichten, welche hie-
raus entſtehen, ſind in der Folge von groſſem Nutzen, machen
aber dabey eine vollkommene Wiſſenſchaft aller Ziffern nicht nur
unentbehrlich, ſondern defördern ſie vielmehr.


§. 6.

Das Generalbaßſtudium könnte viel leichter und
angenehmer gemacht werden, wenn man wegen der Art zu be-
ziffern überall einig würde. Hierzu müſten gute Clavierſpieler,
wel-
[13]Von den Intervallen und den Signaturen.
welche ſelbſt gut accompagniren können, das meiſte beytragen.
Man trift groſſe Componiſten und Muſiker an, die ſich ein gu-
tes Accompagnement ſehr wohl gefallen laſſen, denen es aber viel-
leicht ſchwehr fallen ſolte, alles ſo, wie es auf dem Claviere ſich
ausnimmt, und wie es folglich ſeyn muß, anzudeuten. Unter die
vornehmſten Puncte, worüber man überein kommen müſte, wür-
den wohl folgende gehören: Man muß alles nöthige genau an-
zeigen; man muß weder zu viel noch zu wenig Ziffern über die
Noten ſetzen; man muß ſolche Ziffern wählen, welche dem Vor-
trage gemäß ſind; man muß dieſe Ziffern an ihren rechten Ort
ſetzen; man muß Zeichen der Andeutung machen, wenn man
keine hat; man muß alle Arten vom Accompagnement, beſonders
das drey — zwey — und einſtimmige, da, wo es ſeyn ſoll, an-
deuten u. ſ. w.


§. 7.

Die Vergleichung eines Tons mit dem andern heißt
ein Intervall.


§. 8.

Alle im Generalbaſſe vorkommende Zeichen, welche
das Accompagnement angehen, heiſſen: Signaturen.


§. 9.

Alle Intervallen werden von der Baßnote aufwärts
durch Stufen abgezählt und erhalten daher ihren Namen, welcher
durch die Ziffer angedeutet wird.


§. 10.

Die brauchbarſten Intervallen im Generalbaß ſind
folgende:


[figure]
B 3
[14]Erſtes Capitel.
[figure]

§. 11.

Ein Intervall behält ſeinen Namen, ſo lang es auf
ſeiner Stufe bleibt, es mögen noch ſo viele Verſetzungszeichen da-
vor ſtehen; alſo ſtehen alle Secunden auf der zweyten, alle
Terzen auf der dritten Stufe u. ſ. w.


§. 12.
[15]Von den Intervallen und den Signaturen.

§. 12.

Die Verſchiedenheit der Gröſſen, ſie mögen durch
Verſetzungszeichen oder ohne dieſelben entſtehen, geben den In-
tervallen gewiſſe Beywörter.


§. 13.

Wir merken hierbey, um uns über dieſe Verſchie-
denheit deutlich erklären zu können, daß der Schritt von einer
Taſte zur nächſten ein halber Ton heiſſe, und daß zween halbe
Töne
zuſammen genommen einen ganzen Ton begreifen.


§. 14.

Die kleine Secunde enthält einen halben Ton, die
groſſe einen ganzen, und die übermäßige anderthalb Ton.


§. 15.

Die verminderte Terz begreift einen ganzen Ton,
die kleine anderthalb Ton, und die groſſe zween ganze Töne.


§. 16.

Die verminderte Quarte enthält zween ganze
Töne; die reine liegt einen halben Ton höher als die groſſe Terz;
die übermäßige begreift einen ganzen Ton mehr als die groſſe
Terz.


§. 17.

Die falſche Quinte liegt einen halben Ton höher
als die reine Quarte; die reine begreift einen ganzen Ton mehr
als die reine Quarte; die übermäßige liegt einen halben Ton
höher als die reine.


§. 18.

Die verminderte Sexte enthält ſo viel Töne als
die reine Quinte; die kleine liegt einen halben Ton höher als
die reine Quinte; die groſſe liegt einen ganzen Ton, und die
übermäßige anderthalb Ton höher als die reine Quinte.


§. 19.

Die verminderte Septime enthält einen halben Ton
mehr als die kleine Sexte; die kleine liegt einen ganz Ton niedriger
als die Octave; die groſſe einen halben Ton unter der Octave.


§. 20.

Die verminderte Octave iſt um einen halben Ton
niedriger als die reine; die reine beſteht aus fünf ganzen und
zween halben Tönen; die übermäßige liegt einen halben Ton
höher als die reine.


§. 21.
[16]Erſtes Capitel.

§. 21.

Die kleine None hat mit der kleinen Secunde, und
die groſſe mit der groſſen Secunde gleichen Sitz im Gebrauche.
Eigentlich iſt ſie von jener um eine Octave unterſchieden.


§. 22.

Die Primen, Decimen, Undecimen und Duo-
decimen
ſind nichts anders als Octaven, Terzen, Quarten
und Quinten. Sie werden mit einer 1, 10, 11 und 12 an-
gedeutet, und kommen mehrentheils in der galanten Schreibart
und beym dreyſtimmigen Accompagnement vor. Man braucht ſie,
um die ſangbare Fortſchreitung der Stimmen deutlich zu be-
merken. Z. E.


[figure]

Wir ſehen hierbey, daß die Fortſchreitung der 1 in die 2,
und der 2 in die 1 natürlicher iſt, und deutlicher ins Auge fällt,
als wenn man von der 8 in die 2, und von der 2 in die 8 gehen
wolte (a). Eben dieſe Deutlichkeit äuſſert ſich bey dem Gebrauch
der 10, 11 und 12 (b). Man braucht dieſe zuſammen geſetzte
Zahlen nur alsdenn, wenn die einfachen, 7, 8 und 9 entweder
drauf folgen, oder vorhergegangen ſind (c). Ferner giebt dieſe
Bezeichnung deutlich zu erkennen, ob man mit zwoen Stimmen
in Terzen oder in Sexten fortgehen ſoll (d); ein Umſtand, der in
dem feinen Accompagnement nicht allezeit willkührlich iſt.


§. 23.

Der Einklang im eigentlichen Verſtande iſt:
Wenn zwo oder mehrere Stimmen auf einer Taſte zuſammen kom-
men.
[17]Von den Intervallen und den Signaturen.
men. Er kann alſo nicht wohl ein Intervall heiſſen. Die Octave
wird mehrentheils darunter verſtanden, und wir werden weiter
unten vom Einklange in dieſer Art beſonders handeln. Einige
wählen, ſtatt der Prime, den Ausdruck Einklang, und bezeichnen
ihn auch mit der 1.


§. 24.

Die Intervallen behalten in allen Octaven ihren
Sitz und Namen.


§. 25.

Die Secunde hat zwar mit der None gleichen Sitz, iſt
aber, wie wir unten hören werden, von ihr ſehr unterſchieden.


§. 26.

Die Intervallen nimmt man, was ihre Gröſſe be-
trift, ſo wie es die Beſchaffenheit des Syſtems mit ſich bringt;
folglich nehmen ſie alſo auch die beym Syſtem vorgezeichneten
Verſetzungszeichen ohne beſondere Andeutung mit an. Wenn z. E.
beym Syſtem vor dem f ein × ſtehet, ſo iſt die Sexte zu a nicht
mehr f, ſondern fis, und die bloſſe 6 wird übers a geſetzt.


§. 27.

Wenn aber bey den Intervallen Verſetzungszeichen
vorkommen, welche beym Syſtem nicht vorgezeichnet ſind, ſo wird
es beſonders angedeutet.


§. 28.

Ein Intervall heißt natürlich groß u. ſ. w. wenn
es ſo iſt, wie es das Syſtem abmahlet: zufällig groß u. ſ. w.
wird ein Intervall durch neu hinzu gefügte Verſetzungszeichen.


§. 29.

Ein Strich durch die Ziffer, oder ein × darneben,
erhöht das Intervall um einen halben Ton:


[figure]

Die Art der Bezeichnung mit dem Strich iſt überall bey uns
Deutſchen bekannt und gewöhnlich. Auch die Italiäner haben ſie;
bloß die Franzoſen gehen hierinnen ab, und richten eine Verwir-
Bachs Verſuch. 2. Theil. Crung
[18]Erſtes Capitel.
rung an. Man beſehe Le Clairs bezifferte Bäſſe, welcher ſo wohl
die natürlich groſſen als zufällig kleinen Intervallen beyde gleich,
nehmlich mit einem Strich, bezeichnet.


§. 30.

Ein b durch die Ziffer, oder darbey, erniedrigt das
Intervall um einen halben Ton:

[figure]

§. 31.

Ein ♮ durch die Ziffer, oder darneben, ſetzt das
Intervall in ſeinen natürlichen Platz. Es iſt, ohne mein Erin-
nern, bekannt, daß dieſes ♮ in den Tonarten mit Creuzen ernie-
drigt, und in denen mit Been erhöhet:

[figure]

§. 32.

Zween Striche, zwey Creuze, oder ein einfaches Creuz
durch die Ziffer, oder darbey, erhöhen das Intervall um einen
ganzen Ton:


[figure]

Die Andeutung durch zwey Creuze iſt die ſeltenſte und undeutlichſte.


§. 33.

Zwey Been, oder ein groſſes b durch die Ziffer,
oder darneben, erniedrigen das Intervall um einen ganzen Ton.


Z. E.
[19]Von den Intervallen und den Signaturen.

Z. E.

[figure]

Das groſſe b iſt noch nicht ſehr eingeführt, ſo bequem es auch iſt.


§. 34.

Die Zeichen, ♮♭ und ♮×, welche nach einer doppel-
ten Verſetzung die einfache wieder herſtellen, ſind zwar bey der
Bezifferung nicht ſo gewöhnlich als es die genaue Schreibart er-
fordert. Weil ſie aber doch vorkommen können, ſo wollen wir
ſie mit anmerken, damit man nicht davor erſchrecke.


§. 35.

Man laſſe es ſich nicht befremden, wenn einige
über die Noten zuweilen Been und Striche durch die Ziffern, ſtatt
des viereckigten Be, ſetzen. Die verſchiedene Bedeutung dieſes Be
Quadrats, welches bald erniedriget bald erhöhet, kann an derglei-
chen Zerſtreuung Schuld haben. Z. E.


[figure]

Von der falſchen Quinte, auch von der kleinen und verminder-
ten Septime iſt man es eher gewohnt, daß ſie mehrentheils mit
einem Be erſcheinen.


§. 36.

Die Terz kann, ohne 3, durch bloſſe Verſetzungs-
und Wiederherſtellungszeichen angedeutet werden:

[figure]
C 2§. 37.
[20]Erſtes Capitel.

§. 37.

Die Andeutung der Striche, der viereckigten und
runden Been durch die Ziffer, wenn es ſeyn kann, iſt am leichte-
ſten zu überſehen, und zeigt bey den nahe neben einander ſtehenden
Ziffern deutlich an, welcher Ziffer dieſe Zeichen zukommen.


§. 38.

Wenn dieſe Zeichen aufgehoben werden ſollen, ſo
muß man es andeuten, ſonſt gelten ſie fort.


§. 39.

Derſelbe Umſtand iſt auch bey den Ziffern nöthig,
wenn ſie über oft wiederholten Noten ſtehen, welche ihr eigen Ac-
compagnement haben. Man bleibt bey der erſten Ziffer ſo lange,
bis eine neue kommt:


[figure]

Hier wird zu den erſten vier Noten die Sexte viermahl ange-
ſchlagen, ehe die Quinte eintritt.


§. 40.

Die Ziffern, welche gerade über einer Note ſtehen,
werden mit ihr zugleich angeſchlagen; wenn ſie ſich aber zur rech-
ten Hand der Note ſeitwärts befinden, ſo ſchlägt man ſie nach,
ob ſie gleich zur Note gehören und von ihr abgezählt werden:

[figure]

§. 41.

Es iſt nicht gut, die Ziffern unter die Noten zu
ſetzen, weil dahin die Zeichen des forte und piano gehören: es
ſey denn bey gewiſſen Stellen, wo es nicht zu ändern iſt, wenn
z. E. zwo Stimmen in einem Syſtem übereinander ſtehen, eine
für das Violoncell und die andere für das Clavier.


§. 42.
[21]Von den Intervallen und den Signaturen.

§. 42.

Wenn bey Fugen der Eintritt der Thematum in
der Grundſtimme vorkömmt, ſo ſpielt man nach der Vorſchrift,
und ſchlägt nicht eher Accorde an, als bis Ziffern kommen. Eben
dieſes gilt überhaupt bey kurzen Stellen, wo die rechte Hand etwas
obligates ausführen ſoll; man pflegt dieſes in kleinen Noten aus-
zudrücken.

[figure]

§. 43.

Die Ziffern, die über einem Puncte ſtehen, wodurch
die Noten verlängert werden, ſchlägt man beym Eintritt des
Puncts an; ſie beziehen ſich auf die vorhergehende Note.


§. 44.

Die Ziffern, welche über einer kurzen Pauſe ſte-
hen, werden zur Pauſe angeſchlagen, und beziehen ſich auf die
folgende Note:

[figure]

§. 45.

Die Ziffern über langen Pauſen werden zwar auch
zur Pauſe angeſchlagen, ſie beziehen ſich aber auf die vorherge-
hende Note:


[figure]

Das geübte Ohr kann gar bald das Beziehen, wovon in die-
ſem und vorhergehenden § die Rede iſt, aus dem Zuſammenhange
entdecken.


C 3§. 46.
[22]Erſtes Capitel.

§. 46.

Man theilt die Ziffern, welche nachgeſchlagen wer-
den, folgender Geſtalt in die Geltung der Baßnote ein. Wenn
dieſe letztere zween gleiche Theile, und eine Ziffer, oder mehrere
über einander ſeitwärts bey ſich hat, ſo werden die Ziffern, die zur
Seite ſtehen, zum zweyten Theil der Baßnote angeſchlagen:


[figure]

Bey einer Note von zween gleichen Theilen mit zwoen Ziffern
neben einander, theilen ſich die Ziffern in die Geltung der Note
gleich:


[figure]

Sind drey Ziffern neben einander über einer ſolchen Note, ſo
kommt die erſte Hälfte der erſten Ziffer, welche gerade über der
Note ſtehet, zu, und die andere Hälfte fällt in gleicher Theilung
auf die zwo letztern Ziffern:

[figure]

§. 47.

Wenn eine Note von drey gleichen, oder, welches
einerley iſt, von zween ungleichen Theilen, zwo Ziffern neben ein-
ander über ſich hat: ſo fällt der erſte groſſe Theil, oder zween
Dritttheile auf die erſte Ziffer, und der kleine Theil, oder ein
Dritttheil auf die letzte Ziffer:


Z. E.
[23]Von den Intervallen und den Signaturen.

Z. E.


[figure]

Bey einer Note von dieſer Art mit dreyen Ziffern neben einander,
fällt auf jede Ziffer ein Dritttheil:

[figure]

§. 48.

Dieſe Art der Eintheilung iſt die gewöhnlichſte;
wer hiervon abgehen will, muß es ausdrücklich andeuten, als z. E.


[figure]

Bey beyden Exempeln will der Vortrag dieſer Vorſchläge, daß
man von der obigen Regel abweichet; das Strichelgen, welches
in mehreren Fällen die Fortdauer einer Ziffer bedeutet, zeigt hier
die Eintheilung deutlich an. Einige laſſen das Strichelgen weg,
und ſondern die letzte Ziffer von den zwoen erſten etwas ab: allein
dieſe Art der Bezeichnung iſt verwerflich, weil ſie Zweydeutigkeiten
veranlaſſen kann. Oft weiß man nicht zuverläßig, ob der Com-
poniſt oder der Abſchreiber die Ziffern ſo zuſammen gerückt und
abgeſondert hat. Z. E.


[figure]

In dieſem Fache fehlt es noch an Zeichen, wie wir weiter
ſehen werden.


§. 49.
[24]Erſtes Capitel.

§. 49.

Bey folgenden Exempeln werden die Ziffern zu
zween gleichen Theilen in die Noten eingetheilt:

[figure]

§. 50.

Weil alſo auf den Stand der Ziffern viel ankommt:
ſo muß ſowohl der Componiſt als Copiſt beym Schreiben auf
genugſamen Platz bedacht ſeyn, zumahl wenn viele Bogen und
andre Zeichen des Vortrags über die Noten geſetzt werden, damit
die Ziffern da ſtehen können, wo ſie ſollen.


§. 51.

Alle Intervallen ſind entweder conſonirend oder
diſſonirend.


§. 52.

Ein Intervall, welches man ohne Vorbereitung,
d. i. ohne, daß es in dem vorigen Griffe ſchon da iſt, anſchla-
gen, verdoppeln,
und in der Folge damit herauf oder hin-
unter gehen
oder ſpringen kann, heißt conſonirend.


§. 53.

Mit der kleinen und groſſen Terz, mit der rei-
nen Quinte,
mit der kleinen und groſſen Sexte und mit
der reinen Octave kann man ſo verfahren; folglich ſind dieſe
Intervallen conſonirend.


§. 54.

Wir merken beylänſig mit an, daß die Octave
und Quinte vollkommene Conſonanzen heiſſen, weil ſie
(1) keine Verändrung als Conſonanzen mit ſich vornehmen laſſen,
ſondern ſogleich diſſoniren, ſobald ſie gröſſer oder kleiner gemacht
werden; (2) weil ein einziger Anſchlag von ihnen das Ohr ſo
vergnügt, daß man niemals mit zwoen fortſchreiten darf. Es
entſpringt daher die bekannte und erſte Hauptregel der Harmonie:
Man muß niemals mit zwo Octaven oder reinen Quin-
ten hinter einander in zwo Stimmen in gleicher Bewe-

gung
[25]Von den Intervallen und den Signaturen.
gung weder fortſchreiten noch ſpringen. Dieß Vergehen
heißt ſchlechtweg Quinten und Octaven machen:


[figure]

Die gerade Bewegung iſt, wenn ſich zwo oder mehrere
Stimmen zugleich hinauf oder herunter bewegen (a); bey der
Gegenbewegung gehen und ſpringen ſie auseinander (b):

[figure]

§. 55.

Man weiß ohne mein Erinnern, daß man die ver-
botenen Octaven nicht da ſuchen muß, wo der Componiſt aus
guten Urſachen zuweilen die Stimmen, wie es heißt, im Uniſono
gehen läßt. In der Verbindung der Accorde ſind ſie anzutreffen.


§. 56.

Die Terz und Sexte heiſſen unvollkommene
Conſonanzen, weil ſie groß und klein gemacht werden können,
und doch gut klingen; das Ohr kann auch viele Terzen und
Sexten hinter einander vertragen.


§. 57.

Mit den übrigen Intervallen kan man ſo eigent-
lich
nicht verfahren, als wie wir bey §. 52. von den Conſonanzen
gehört haben: folglich ſind ſie aus der Urſache diſſonirend.


§. 58.

Die weſentlichen Eigenſchaften der Diſſonanzen lie-
gen ſchon in der Benennung. Vermöge dieſer Benennung ma-
chen ſie einen Uebellaut. Hieraus folgt, daß man ſie mit ge-
wiſſen Umſtänden gebrauchen muß. Ihre natürliche Härte muß,
ſo viel möglich, gemindert werden. Dieſes geſchiehet, wenn man
Bachs Verſuch. 2. Theil. Dſie
[26]Erſtes Capitel.
ſie vorbereitet und auflöſet, d. i. wenn ſie vorher als Con-
ſonanzen ſchon da ſind, und nachher wieder zu Conſonanzen wer-
den. Sie klingen einfach widrig genug, folglich darf man ſie
nicht verdoppeln; ihre Auflöſung iſt nöthig, folglich würde dieſe
Verdoppelung verbotene Octaven hervorbringen.


§. 59.

Damit wir bey dieſer Gelegenheit einen deutlichen
Begriff von dem Gebrauch der Diſſonanzen überhaupt bekommen,
ſo ſehen wir bey dem erſten Tacte in folgenden Exempeln ihre Vor-
bereitung, und bey dem zweyten ihre Auflöſung, vermöge wel-
cher ſie entweder eine Stufe herunter oder hinauf treten:

[figure]

§. 60.

Die Auflöſung iſt bey den Diſſonanzen ganz und
gar nothwendig, aber die Vorbereitung nicht allezeit. Wir wer-
den weiter unten von ein paar Fällen handeln, wo ebenfals die
Auflöſung wegbleiben kann.


§. 61.

Ueber liegenden, oder in einem Tone bleibenden
Baßnoten können alle Diſſonanzen unvorbereitet angeſchlagen
werden. Weil hier keine Vorbereitung wegen der Unbeweglich-
keit des Baſſes möglich iſt: ſo wird dieſer Mangel durch dieſe
Unbeweglichkeit erſetzet.


§. 62.

Aber auch auſſer dieſem Falle können viele Diſſo-
nanzen bisweilen unvorbereitet vorkommen.


§. 63.

Ein neu hinzugefügtes Verſetzungszeichen, welches
eine vorbereitete Diſſonanz noch mehr erniedrigt, hebt die Vorberei-
tung nicht auf. Es folgt dieſes aus dem, was wir im eilften
§ angeführet haben:


Z. E.
[27]Von den Intervallen und den Signaturen.

Z. E.

[figure]

§. 64.

Die Diſſonanzen werden oft wieder zu Diſſonanzen bey
der Auflöſung (a), auch ohne Auflöſung, durch Vermittelung des
Baſſes (b), zu letzt aber muß doch die Hauptauflöſung in eine Con-
ſonanz geſchehen:


[figure]
[figure]

Dieſes Verfahren nennt man eine Aufhaltung (retardatio)
der Auflöſung.


§. 65.

Zuweilen wartet die rechte Hand den Eintritt der
Baßnote, worüber eine Diſſonanz aufgelöſet werden ſoll, nicht
ab, ſondern fällt mit der Auflöſung vorher ein (a); dann und
wann thut daſſelbe der Baß (b):


[figure]

Beyde Fälle nennt man eine Vorausnahme (anticipatio)
der Auflöſung.


D 2§. 66.
[28]Erſtes Capitel

§. 66.

Wenn man vor der Reſolution den Ton der Grund-
ſtimme mit einem andern in der rechten Hand verwechſelt: ſo
gehet eine Verwechſelung der Harmonie vor:

[figure]

§. 67.

Wenn der Baß den Ton, worein eine Diſſo-
nanz in der rechten Hand ſolte aufgelöſet werden, ergreift: ſo
nennt man dieſes eine Verwechſelung der Auflöſung. Dieſe
Diſſonanz erhält dadurch die Freyheit, und überläßt dem Baſſe
die Reſolution:


[figure]

Wir überlaſſen den Componiſten die gute Art, dieſer Freyheit ſich
zu bedienen, und machen ſie den Accompagniſten hier nur bekannt.


§. 68.

Unter den geſchwinden Noten hat ſelten eine jede
ihr eignes Accompagnement. Von den Noten, welche ohne Ac-
compagnement angeſchlagen werden, ſagt man: Sie gehen
durch.


§. 69.

Einzelne durchgehende Noten werden nicht an-
gedeutet; wenn aber viele hinter einander vorkommen, ſo ſetzt
man einen Queerſtrich darüber, welcher ſo weit reicht, als die
rechte Hand ruhen ſoll. Sie kommen bey allerley Zeitmaaſſe
und Tactarten in allerhand Figuren vor. Bisweilen geht die
Hälfte von den Noten durch (a); zuweilen weniger als die
Hälfte (b); manchmal gehen bey geſchwinder Zeitmaaſſe, und
wenn die Noten kurz ſind, die allermeiſten durch (c):


Z. E.
[29]Von den Intervallen und den Signaturen.
[figure]
[figure]

§. 70.

Bey einer langen Dauer durchgehender Roten
kann das zuletzt da geweſene Accompagnement wiederholt werden:

[figure]

§. 71.

Bey gewiſſen Gelegenheiten, welche an ihrem Orte
vorkommen werden, pflegt man auch von den Intervallen zu
ſagen: Sie gehen durch. Dieſes kann auf dreyerley Art geſche-
hen: (1) Wenn der Baß liegen bleibt:


[figure]

(2) Wenn bey der Bewegung des Baſſes die Ziffern liegen
bleiben:


[figure]
D 3(3) Wenn
[30]Erſtes Capitel.

(3) Wenn ſich beyde bewegen:

[figure]

§. 72.

Bey geſchwinden Trommelbäſſen, woran man ſich
ſteif ſpielen kann, läßt man auch zuweilen in der linken Hand Noten
durchgehen. Das mehrere hiervon kann man im erſten Theile
meines Verſuchs, in der Einleitung, in einer Note

nachſehen.


§. 73.

Den Ausdruck Durchgang (tranſitus) braucht
man eigentlich von ſtufenweiſe gehenden Baßnoten.


§. 74.

Wenn alsdenn das gehörige Accompagnement blos
auf die dem innerlichen Werthe nach lange Noten fällt:
ſo iſt der Durchgang regulär (tranſitus regularis). Unter
Noten von gleicher Geltung iſt die erſte, dritte u. ſ. w. dem
innerlichen Werthe nach (virtualiter) lang; und die zweyte,
vierte u. ſ. w. kurz:

[figure]

§. 75.

Wenn die Begleitung, welche der virtualiter kur-
zen Note zukommt, vorausgenommen, und zur langen Note an-
geſchlagen wird, ſo iſt der Durchgang irregulär (tranſitus
irregularis
) und die Noten heißt man alsdenn Wechſelnoten:

[figure]
§. 76.
[31]Von den Intervallen und den Signaturen.

§. 76.

Wenn man die anſchlagende Note nicht beziffern
will, ſo ſetzt man entweder die Ziffern über die nachſchlagende
Noten allein, oder bezeichnet die anſchlagenden Noten noch oben
ein entweder mit einem Seitenſtrich, einer Null, einer halben Null,
oder einem m, welches, wenn es nöthig iſt, verlängert wird:


[figure]

Das Zeichen mit dem ſchrägen Strich bey Numer (2) iſt
das beſte.


§. 77.

Dieſer irreguläre Durchgang beſtehet aus ſol-
chen Vorausnahmen der Auflöſung, davon wir einige im
§. 65. bey (a) geſehen haben.


§. 78.

Man braucht die Diſſonanzen, welche in beyderley
Arten von Durchgängen vorkommen, wenn ſie gleich vorbereitet
ſind, nicht allezeit aufzulöſen:

[figure]

§. 79.

Dieſelbe Freyheit hat man bey Diſſonanzen, welche
durch Verwechſelung des Klanggeſchlechts zu Conſonanzen werden:

[figure]

§. 80.

Hingegen werden wir in der Folge ſehen, daß
die Conſonanzen zuweilen ihre Freyheit verlieren, und wie Diſſo-
nanzen vorbereitet und aufgelöſet werden.



[32]Zweytes Capitel. Vom harmoniſchen Dreyklange.

Zweytes Capitel.
Vom harmoniſchen Dreyklange.


Erſter Abſchnitt.


§. 1.


Die vollkommenſte Harmonie von Conſonanzen, mit der ſich
mehrentheils ein Stück anfängt, und allezeit endiget,
iſt der eigentliche harmoniſche Dreyklang.


§. 2.

Es beſtehet ſolcher aus dem Grundtone, deſſen
Quinte und Terz.


§. 3.

Wenn hierzu die Octave genommen wird, ſo ent-
ſtehet der eigentliche Accord, bey welchem die Quinte rein
ſeyn muß; blos die Terz kann verändert und groß oder klein
werden.


§. 4.

Dieſer Accord heißt hart, wenn die Terz groß
iſt; und weich, wenn die Terz klein iſt.


§. 5.

Der uneigentliche harmoniſche Dreyklang hat
entweder eine falſche oder eine vergröſſerte Quinte bey ſich.


§. 6.

Man nennt ihn im erſtern Falle den vermin-
derten,
und im letztern, den vergröſſerten Dreyklang.


§. 7.

Wir werden die Lehre von dieſen uneigentlichen
Dreyklängen,
welche Diſſonanzen bey ſich haben, abhandeln,
ſobald wir mit den conſonirenden Accorden zu Ende ſeyn.


§. 8.

Der eigentliche Accord kann, wie alle vierſtimmige
Sätze, in dreyen Lagen verändert werden; einmal kann die
Quinte, einmal die Octave und einmal die Terz in der Ober-
ſtimme
ſeyn:


Z. E.
[33]Vom harmoniſchen Dreyklange.

Z. E.

[figure]

§. 9.

Wenn über einer Note, welche nicht durchgehet,
entweder gar nichts, oder ein Verſetzungszeichen allein, oder eine
8, 5, 3 einzeln, oder zwey davon, oder alle drey ſtehen: ſo greift
man den eigentlichen Accord.


§. 10.

Weil bey dieſem Accorde die Quinte rein ſeyn
muß: ſo nimmt man ſie auch ohne Andeutung rein:

[figure]

§. 11.

Es kann nach Beſchaffenheit der Umſtände die
Octave wegbleiben, und ſowohl die Terz als Quinte verdoppelt
werden.


§. 12.

Wenn aber die Terz zufällig groß iſt, ſo wird ſie
nicht verdoppelt.


§. 13.

Im dreyſtimmigen Accompagnement bleibt die
Octave weg, es ſey dann, daß wegen einer Auflöſung oder we-
gen des Geſanges der Hauptſtimme die Quinte dafür weggelaſſen
würde.


Bachs Verſuch. 2. Theil. E§. 14.
[34]Zweytes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 14.

Bey der zweyſtimmigen Begleitung nimmt man,
wenn es kein andrer Umſtand hindert, die Terz allein.


§. 15.

Man merke ſich, um auf dem Syſtem einen ge-
meinen Accord leicht finden zu lernen, daß Noten auf drey Li-
nien oder drey Spatiis, welche zunächſt über einander ſind, einen
Dreyklang abgeben.


§. 16.

Wenn ich zween Töne greife, wo drey Taſten dar-
zwiſchen ſind, ſo habe ich die groſſe Terz; ſind aber nur zwo
Taſten in der Mitte, ſo iſt die Terz klein.


§. 17.

Die Gegenbewegung iſt überhaupt beym Accom-
pagnement die ſchönſte und ſicherſte, beſonders bey unſern Accorden;
man entgehet dadurch den offenbaren und verdeckten Quin-
ten
und Octaven.


§. 18.

Verdeckte Quinten und Octaven erkennt man,
wenn bey zwoen in der gleichen Bewegung ſpringenden Stim-
men die ledigen Intervalle ausgefüllt werden, und bey dieſer
Ausfüllung in einigen von den letzten Noten Quinten und Octa-
ven vorkommen:

[figure]

§. 19.

Man kann ſie noch eher in den Mittelſtimmen
unter ſich, und gegen den Baß, als in der Oberſtimme gegen
den Baß erlauben, weil bey der letztern auf eine genaue Reinig-
keit und auf den guten Geſang hauptſächlich geſehen werden muß;
dieſe Progreßion aber macht einen unreinen, und folglich ſchlechten
Geſang.


§. 20.

Folgende verdeckte Quinten können auch in den
äuſſerſten Stimmen angehen:


Z. E.
[35]Vom harmoniſchen Dreyklang.

Z. E.

[figure]

§. 21.

Zwo offenbare Quinten von verſchiedener Art
können auf einander folgen.


§. 22.

Im Heruntergehen kann in allen Stimmen auf
eine reine Quinte eine falſche folgen:


[figure]

Aber die Folge einer reinen Quinte auf eine falſche erlaubt
man nur aus Noth, und nicht leicht in den äuſſerſten Stimmen:

[figure]

§. 23.

Im Heraufgehen iſt die Progreßion von einer
reinen Quinte zur falſchen beſſer (a), als von einer falſchen
zur reinen, weil die falſche Quinte von Natur ſich herunter
neigt (b):


[figure]

Beyde Arten gehören in die Mittelſtimmen.


§. 24.

Mit der rechten Hand überſchreitet man nicht leicht
das zweygeſtrichne f: es ſey dann, daß der Baß ſehr hoch geht,
oder ſtatt des Baßſchlüſſels ein höherer in der Grundſtimme ſtehet,
oder eine gewiſſe Zierlichkeit in der Höhe ausgedruckt werden ſoll,
wenn zum Exempel die Lage bey einer wiederholten Paſſagie ver-
ändert werden ſoll u. ſ. w.


E 2§. 25.
[36]Zweytes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 25.

Tiefer als die Hälfte der ungeſtrichenen Octave,
darf die rechte Hand nicht wohl gehen; es wären dann derglei-
chen Umſtände im Gegentheil vorhanden, wie wir im vorigen §
angeführet haben.


§. 26.

Bey der Information kann man dieſe vorgeſchriebene
Höhe und Tiefe überſchreiten, damit die Scholaren die Exempel
in allen Lagen üben können, und dadurch überall bekannt werden.


§. 27.

Auſſerdem pflegt die rechte Hand mit der Ober-
ſtimme im Bezirk des Discantſyſtems anzufangen; wenn daſſelbe
die Grundſtimme innerhalb ihres Baßſyſtems thut.


§. 28.

Man kann den Grund zum Accompagnement nicht
beſſer legen, als wenn man ſeine Schüler alle vier und zwanzig
Accorde aufs genaueſte lernen läßt. Dieſes muß nach und nach
geſchehen; man läßt ſie dieſe Accorde in allen dreyen Lagen auf
der ganzen Taſtatur hinauf und herunter greifen. Im Anfange
iſt man zufrieden, wenn dieſes langſam geſchiehet; nach und nach
aber muß man beſtändig auf eine mehrere Hurtigkeit dieſer Uebung
dringen, damit die Hände endlich die nöthige Fertigkeit erhalten,
jeden Accord, welchen man nur will, ſogleich ohne Anſtoß an-
zuſchlagen.


§. 29.

Der Anfang muß mit ein paar ſolcher Accorde ge-
ſchehen, und man gehet nicht eher weiter, als bis die hinlängliche
Wiſſenſchaft und Fertigkeit davon da iſt.


§. 30.

Man verbinde in der Folge eine Lection mit der
andern; auf dieſe Art wird das Alte immer wiederholt und nicht
vergeſſen.


§. 31.

Sowohl hier, als bey allen übrigen Aufgaben,
muß man die Scholaren fleißig nach den Intervallen fragen,
damit ſie bey der mechaniſchen Fertigkeit im Treffen auch im
Stande bleiben, ſolche ohne langes Beſinnen gleich herzuſagen.
Ich
[37]Vom harmoniſchen Dreyklang.
Ich habe dieſe Anmerkung aus der Erfahrung nöthig befunden,
weil viele durch eine lange Uebung und ihr gutes Ohr die mei-
ſten Accorde und Ziffern treffen, ja ganze Stücke begleiten, ohne
daß ſie dafür können; die Intervallen ſind ihnen ſo wenig bekannt
als die Regeln. So nützlich und nöthig ein gutes Ohr iſt: ſo
verführeriſch und ſchädlich kann es ſeyn, wenn man ſich lediglich
darauf verläßt, und den Kopf nicht dran ſträngen will.


§. 32.

Man nimmt die Accorde da, wo ſie am nächſten
ſind. Dieſes iſt überhaupt beym Accompagnement zu merken.


§. 33.

Wenn alſo der Baß um zwo Stufen ſteigt: ſo be-
hält man die Intervalle, welche zur letzten Note ſchon da ſind,
und nimmt nur die Quinte aufs neue darzu:


[figure]

Und wenn er um zwo Stufen fällt; ſo hat man blos die
Octave aufzuſuchen:

[figure]

§. 34.

Steigt oder fällt aber der Baß um eine Stufe:
ſo braucht man in allen Stimmen die Gegenbewegung:


E 3Z. E.
[38]Zweytes Capitel. Erſter Abſchnitt.

Z. E.

[figure]

§. 35.

Steigt der Baß, mit zwoen groſſen Terzen über ſich,
um einen halben Ton eine Stufe höher: ſo geht man entweder mit
der Quinte und Terz von einander in die Octav, oder zuſammen in
den Einklang; folglich nimmt man zur letzten Note die Terz dop-
pelt, und die Octave bleibt weg:


[figure]

Nimmt man dieſen Gang rückwärts, ſo muß bey der erſten
Rote die Octave weggelaſſen, und die Terz doppelt genommen
werden:


[figure]
Widri-
[39]Vom harmoniſchen Dreyklang.

Widrigenfalls begehet man mit der einen Stimme eine unme-
lodiſche Fortſchreitung in die übermäßige Secunde, welche zu
vermeiden iſt:

[figure]

§. 36.

Die Quinte muß bey den Schlüſſen niemals in
der Oberſtimme ſeyn. Die Octave iſt hierzu das geſchickteſte In-
tervall, wenn man kann; nächſt dieſer aber die Terz, nur muß
die Schlußnote der Hauptſtimme nicht tiefer ſeyn, als dieſe Terz.


§. 37.

Wenn beyde Hände einander zu nahe kommen, oder
die rechte Hand zu tief herunter iſt: ſo kann man über eben derſel-
ben Note, wenn ſie nicht zu geſchwind iſt, den Accord in einer
höhern Lage noch einmal wiederholen; hat man aber die Zeit
nicht hierzu, ſo nimmt man in der Höhe noch eine Stimme
mehr, und verläßt in der Folge die unterſte. Dieſes Hülfs-
mittel braucht man (1) nur aus Noth, weil ich glaube,
daß man auſſerdem bey vier regulären Stimmen bleiben und
nicht leicht darüber gehen muß; (2) bey Conſonanzen, weil die
Diſſonanzen das Accompagnement mehr einſchränken.


Zweyter Abſchnitt.


§. 1.


Man dringe bey ſeinen Schülern fleißig auf die Gegenbewe-
gung auch alsdenn, wenn ſie nicht höchſtnöthig iſt. In
den Uebungsexempeln bringe man zu dem Ende alle mögliche
verführeriſche Gänge vor, um ihnen die Fehler, ſo dabey vorge-
hen können, deutlich zu zeigen. Hier thut das Ausſetzen des
Generalbaſſes beſonders gute Dienſte.


§. 2.
[40]Zweytes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 2.

Endlich, wenn man merkt, daß ſie die Gefährlich-
keiten vollkommen kennen, ſo kann man ihnen auch die Fälle
zeigen, wo zuweilen, des Geſanges wegen, die gerade Bewegung
der andern vorzuziehen iſt, z. E.

[figure]

§. 3.

Wir ſehen aus dieſen Exempeln, daß es gut thut,
wenn die Oberſtimme in gleicher Bewegung mit dem Baſſe in
Terzen fortgehet. Die groſſen Terzen beſonders mögen gerne in
die Höhe gehen, wenn es durch eine vorbereitete Diſſonanz, oder
durch die Gefahr einer widrigen Verdoppelung nicht gehindert
wird, als z. E.

[figure]

§. 4.

Daher muß man bey folgendem Exempel, wenn man
nun ſchon einmal die groſſe Terz oben hat, nicht mit ihr durch
die Gegenbewegung in die Quinte herunter fallen:


Z. E.
[41]Vom harmoniſchen Dreyklang.

Z. E.


[figure]

ſondern lieber ein kleineres Uebel, nemlich verdeckte Octaven,
wählen, als obige unnatürliche Fortſchreitung bey einer Cadenz:

[figure]

§. 5.

Die zufällig groſſen Terzen lieben am meiſten das
Aufſteigen (a); dahero nimmt man zur letzten Note des dritten
Exempels, wenn die Octave vorher in die Septime gegangen iſt,
eine Stimme noch darzu, damit der Dreyklang am Ende voll-
kommen da ſey (b): wenn man aber die Quinte verläßt, und
dafür die Septime ergreift, ſo iſt dieſes Hülfsmittel alsdenn
nicht nöthig (c):

[figure]
Bachs Verſuch. 2. Theil. F§. 6.
[42]Zweytes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 6.

Beym vierſtimmigen Accompagnement nimmt man
es mit dieſen groſſen Terzen, wenn ſie nicht oben liegen, ſo genau
nicht, ſondern ſie können herunter ſpringen:

[figure]

§. 7.

Iſt das Accompagnement aber dreyſtimmig, ſo geht
man mit der groſſen Terz auch in der Mittelſtimme in die Höhe,
und ſiehet nicht auf die Vollſtändigkeit des Dreyklanges:

[figure]

§. 8.

Unſer Accord wird zwar ohne Andeutung gegriffen:
wenn man aber die Ziffern, welche ſeine Intervallen anzeigen, einzeln,
oder zuſammen über Noten antrift, ſo hat es ſeine guten Urſachen.
Bald ſind Diſſonanzen, welche über derſelben Note in unſern
Accord aufgelöſet werden, daran Schuld (a); bald werden zu meh-
rerer Deutlichkeit aus dem Accord Ziffern über eine Note geſetzt,
wenn Diſſonanzen nachgeſchlagen werden (b), oder die ganze Har-
monie ſich verändert (c); bald pflegt man dadurch das Ac-
compagnement einer Note zu bemerken, welche durchzugehen
ſchei-
[43]Vom harmoniſchen Dreyklang.
ſcheinet (d). In allen dieſen vier Fällen nimmt man den ganzen
Accord.


[figure]
[figure]

§. 9.

Zuweilen aber will man, bey geſchwinden gehenden
Noten, durch darüber geſetzte Terzen, dem Begleiter zu verſtehen
geben, daß die rechte Hand mit dieſem Intervall ganz allein der
Grundſtimme in gleicher Bewegung folgen ſoll:

[figure]

§. 10.

Die Uebungsexempel über die eigentlichen Accorde
müſſen ſich nicht über die natürliche Modulation erſtrecken, da-
mit das Gehör nicht auf einmal mit allen vier und zwanzig Tönen
gleichſam überſchüttet werde. Man muß es vielmehr beyzeiten vor
Ausſchweifungen bewahren, und an einen natürlichen Zuſammen-
hang der Harmonie gewöhnen. Wenn dieſe kurzen Exempel in
alle Tonarten überſetzt werden: ſo kommen die Accorde ohnedem
alle vor; man ſiehet durch dieſes Ueberſetzen hernach die
Urſachen ein, warum gewiſſe Töne zuweilen mit Creuzen, zu-
weilen mit Been geſchrieben werden, und doch dieſelben blei-
ben, z. E.


F 2Z. E.
[44]Zweytes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
[figure]

§, 11.

Folgende kleine Exempel mögen hinlänglich ſeyn,
meine Meinung wegen des vorhergehenden § zu erklären. Die
Ziffern über den Noten zeigen das Intervall in der Oberſtimme
bey der beſten Lage an.

[figure]
§. 12.
[45]Vom harmoniſchen Dreyklang.

§. 12.

Wenn die Accorde im getheilten Accompagne-
ment
vorkommen, ſo iſt entweder eine Zierlichkeit oder Noth-
wendigkeit
daran Schuld. So viel einem Accompagniſten
hievon zu wiſſen nöthig iſt, wird an ſeinem Orte in deutlichen
Exempeln vorkommen. Das getheilte Accompagnement iſt, wenn
die linke Hand auch etwas von Ziffern nimmt, ohne daß der
Satz vollſtimmiger wird. Die Harmonie wird dadurch zerſtreut
und folglich oft ſchöner; die Auflöſung der Diſſonanzen macht
dieſes zuweilen nothwendig.


§. 13.

Was wir oben von der Prime, Decime und
Duodecime angeführet haben, gilt auch hier.



Drittes Capitel.
Vom Sextenaccord.


Erſter Abſchnitt.


§. 1.


Der Sextenaccord, welcher blos die groſſe und kleine
Sexte angehet, beſtehet aus lauter Conſonanzen, näm-
lich der Sexte, Terz und Octave.


§. 2.

Die gewöhnlichſte Bezeichnung dieſes Accordes iſt
eine 6 allein; auſſerdem findet man zuweilen die übrigen In-
tervallen aus gewiſſen Urſachen mit angedeutet.


§. 3.

Die nöthigen Verſetzungszeichen müſſen bey der
Andeutung nicht vergeſſen werden.


§. 4.

Die Unterterz vom Grundtone iſt die Sexte davon,
und der Dreyklang von dieſer Unterterz oder Sexte iſt der
Sextenaccord.


F 3§. 5.
[46]Drittes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 5.

Man nimmt den Sextenaccord mit der Octave am
ſeltenſten, etwa bey einzelnen Grundnoten mit der 6, und aus
Noth, wenn es die Diſſonanzen fodern u. ſ. w. Man verdop-
pelt
lieber die Terz oder Sexte und läßt die Octave weg.


§. 6.

Bey dieſer Verdoppelung, welche ſowohl mit dem
Einklange als mit der Octave geſchehen kann, geht keine Ziffer
verlohren. Die Intervallen eines eigentlichen Accords, welche er
enthält, bleiben allezeit:


[figure]

Hingegen entgehet man dadurch vielen Fehlern, und der
gute Geſang wird erhalten, wie wir weiter ſehen werden.


§. 7.

Folgende Regeln ſind bey der Verdoppelung zu
beobachten: (1) Bey der natürlich groſſen Sexte mit der
groſſen Terz überhaupt, kann man von beyden Intervallen
verdoppeln, welches man will:


[figure]

(2) Weder die natürlich noch zufällig groſſe Sexte
wird verdoppelt, wenn ſie die kleine Terz bey ſich hat.


[figure]

(3) Wenn aber die zufällig groſſe Sexte eine zufäl-
lig groſſe Terz
bey ſich hat, ſo läßt ſich beydes verdoppeln;
in dieſem einzigen Falle wird eine Terz von dieſer Art verdoppelt:


Z. E.
[47]Vom Sextenaccord.

Z. E.


[figure]

(4) Ein zufällig erhöhendes Verſetzungszeichen vor
einer Grundnote
mit dem Sextenaccord wird nicht ver-
doppelt (a): wenn aber über ſolchen Noten die Sexte zufällig
groß
iſt, ſo kann es verdoppelt werden (b):

[figure]

§. 8.

Das dreyſtimmige Sextenaccompagnement beſte-
het aus der bloſſen Terz und Sexte.


§. 9.

Bey der zweyſtimmigen Begleitung unſerer Ziffer
verliehrt man allezeit ein Intervall; ſie kommt alſo nicht leicht
vor. Wenn die Hauptſtimme viele Sexten hinter einander piano
vorzutragen hat, ſo wäre dieß der Fall, da der Accompagniſt
die Terzen allein darzu nähme:

[figure]

§. 10.

Wenn bey gehenden, oder in Terzen ſpringenden
Grundnoten viele Sexten hinter einander vorkommen, ſo braucht
man die Verdoppelung wechſelsweiſe, um keine Octaven zu
machen:


[figure]
[48]Drittes Capitel. Erſter Abſchnitt.
[figure]

Obgleich die Nothwendigkeit der Verdoppelung bey dieſen
gehenden Baßnoten gröſſer iſt, als bey den ſpringenden:
ſo verdoppelt man doch gerne bey den letztern um des guten
Geſanges in der Oberſtimme willen.


§. 11.

Dieſe Gänge werden am bequemſten dreyſtimmig
accompagnirt, wenn die Zeitmaaſſe hurtig iſt. Man hat als-
denn nur eine gute Lage; bey der zweyten werden aus den
Quarten Quinten. Die Sexte muß alſo beſtändig oben liegen;
auch beym vierſtimmigen Accompagnement iſt dieſes die ſangbarſte
und ſicherſte Lage.


§. 12.

Wenn man den Sextenaccord mit der Octave
nimmt, ſo greift man die letztere nicht gerne in der Oberſtimme.


§. 13.

Die unmelodiſchen Fortſchreitungen (x) werden durch
die Verdoppelung vermieden:

[figure]

§. 14.

Wenn auf die 6 gleich darauf eine 5 folgt, ſo
geht man in derſelben Stimme mit der Sexte in die Quinte,
und läßt die übrigen Stimmen liegen. Dieſe Aufgabe kommt
zuweilen
[49]Vom Sextenaccord.
zuweilen oft hinter einander vor. Man kann alle drey Arten
des Sextenaccompagnements brauchen, wenn nur die oben ange-
führten Regeln wegen der Verdoppelung auch hier in acht ge-
nommen werden. Wenn dieſe folgenden Exempel in die übrigen
Lagen überſetzt werden: ſo kommt die Verdoppelung mit dem Ein-
klange mit vor. Bey einem paar Exempeln mit der doppelten
Terz finden wir, daß die eine Terz zuweilen die Quinte ergreift,
indem die Sexte liegen bleibt; man vermeidet dadurch Sprünge,
und kann ſich in der Lage erhalten, welches ohne dieſe Hülfe
nicht wohl möglich iſt, wenn dieſe Aufgabe nur einmal vor-
kömmt:

[figure]

§. 15.

Wenn über einer Note 56 ſtehet: ſo ſchlägt man
beym Eintritt der Note den eigentlichen Accord an, und geht
mit der Quinte in die Sexte. Die übrigen Stimmen bleiben
Bachs Verſuch. 2. Theil. Gliegen;
[50]Drittes Capitel. Erſter Abſchnitt.
liegen; kommt dieſer Satz aber oft hinter einander vor: ſo iſt
das dreyſtimmige Accompagnement mit der Terz allein das leich-
teſte, und bey geſchwinden Noten in Stücken, welche ohnedem
eine ſtarke Begleitung nicht nöthig haben, das vorzüglichſte.


§. 16.

Soll in dieſem Falle die Begleitung vierſtimmig
ſeyn: ſo hilft man ſich gar leicht, um keine Fehler zu machen,
durch die Verdoppelung, weil die ganze Aufgabe aus Conſo-
nanzen beſteht. Die Exempel, wo beyde Arten der Verdoppelung
abwechſeln, ſind die beſten. Von dieſer regelmäßigen Verdoppe-
lung muß man die diſſonirenden falſchen Quinten, die ſich mit
einmiſchen können, ausſchlieſſen (a); hiernächſt vermeidet man
den Sprung in die übermäßige Quarte (b). Das ſpringende
Accompagnement mit, und ohne Verdoppelung bey (c) iſt nicht
unrecht, aber nicht allezeit ſchöne. Bey (d) ſehen wir ein Ex-
empel im getheilten Accompagnement.


[figure]
[51]Vom Sextenaccord.
[figure]

Die falſche Quinte ſcheint zwar wider ihre Art bey (a)
(b) (c) (d) im Durchgange in die Höhe zu gehen: allein wenn
man den Satz genau betrachtet, ſo ſiehet man die Auflöſung
deutlich:

[figure]

§. 17.

In der galanten Schreibart kommt zuweilen  vor.
Dieſes iſt ein dreyſtimmiger Satz, und muß von derſelben Signa-
tur, welche vier Stimmen erfordert, ſehr wohl unterſchieden wer-
den. Hier wäre es gut, ein Unterſcheidungszeichen zu beſtimmen,
weil die Fälle, wo dieſe Bezifferung vorkommt, oft zweydeutig
ſind. Dieſe  trift man über Grundnoten an, wo zuweilen die
Terz (a), zuweilen die Quarte (b), zuweilen gar keine Ziffer
weiter, ohne groſſe Härte, zur vierten Stimme genomenen
G 2wer-
[52]Drittes Capitel. Erſter Abſchnitt.
werden könnte, wenn man nicht bey dreyen Stimmen blei-
ben müßte (c).

[figure]

§. 18.

Wenn man aber die Begleitung vierſtimmig einzu-
richten hat: ſo kommt dieſe Signatur bey Auflöſungen vorher-
gehender Diſſonanzen (a), auch auſſerdem, wenn man die
Modulation einer Stimme deutlich bemerken will, vor (b). Da
nun dieſe letztere Urſache auch bey dieſem dreyſtimmigen Satze
da iſt, und kein Unterſcheidungszeichen hingeſetzt wird: ſo kann
man nichts beſſers anrathen, als hören und urtheilen.

[figure]

§. 19.

Der Vorgang und die Folge doppelter Ziffern iſt
mehrentheils in dieſem Falle ein Zeichen, daß das Accom-
gagnement dreyſtimmig ſeyn ſoll; deswegen wenn man über dieſe
Signatur einen Telemanniſchen Bogen ſetzte (): ſo würde man
die vorhergehenden und folgenden dreyſtimmigen Sätze leicht daran
erkennen.


§. 20.

Wenn die Sexte die verminderte Octave
bey ſich hat: ſo greift man weiter nichts darzu. Dieſe Octave
geht herunter, und wird als eine Vorhaltung der folgenden Note
angeſehen. Folgende Exempel ſind merkwürdig; beym letztern
kommt  vorher, und ♮ folgt im Durchgange nach:


Z. E.
[53]Vom Sextenaccord.
[figure]

§. 21.

Die übermäßige Sexte iſt eine Diſſonanz,
welche mit (a) und ohne Vorbereitung (b) vorkommt, alle-
zeit aber in die Höhe gehet. Das nöthige Verſetzungszeichen
wird mit der Ziffer angedeutet. Wenn mit dieſer Sexte weiter
keine Signatur über der Grundnote ſtehet: ſo hat ſie im drey-
ſtimmigen Accompagnemente die Terz bey ſich, welche, wenn der
Satz vierſtimmig ſeyn ſoll, verdoppelt wird.

[figure]

§. 22.

Die verminderte diſſonirende Sexte kommt
ſelten vor. Sie erfordert einen beſondern Liebhaber. Wer ſie
braucht, der vorbereitet ſie und löſet ſie im Heruntergehen
auf.
Am leidlichſten klingt ſie, wenn ſie die groſſe Terz allein
bey ſich hat. Das nöthige Verſetzungszeichen darf hier auch
nicht fehlen:


G 3Z. E.
[54]Drittes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

Z. E.

[figure]

Zweyter Abſchnitt.


§. 1.


Man merke überhaupt, daß das Vorherſehen auf die Folge
am allernothwendigſten bey ſolchen Aufgaben iſt, wo mehr
als eine Art der Begleitung vorkömmt. Man hat nicht allezeit
die freye Wahl, weil man ſich auf die folgenden Fälle geſchickt
machen muß.


§. 2.

Bey den Cadenzen, zumahl wenn ſtatt , die
kleine Sexte mit der zufällig groſſen Terz gleich eintritt,
nimmt man gerne die Octave zur Sexte (a); ingleichen iſt ſie
nothwendig, wenn die Vorbereitung (b), oder die Auflöſung
(c) einer folgenden Diſſonanz dieſes fordert. Beym letzten Exempel
iſt die Octave nöthig, um den unnöthigen Sprüngen aus dem
Wege zu gehen. Auch hier kann man zur Vorſicht einen Tele-
manniſchen Bogen ſetzen ([1D1A3;]6).

[figure]
§. 3.
[55]Vom Sextenaccord.

§. 3.

Wenn in der Grundſtimme eine Note mit dem
Sextenaccord um eine Stufe in die Höhe tritt, wobey dieſe letz-
tere Note  über ſich hat: ſo nimmt man am ſicherſten die
Octave zur Sexte, wenn es ſeyn kann. Dieſe Fortſchreitung
der Stimmen iſt die beſte (a). Bey der doppelten Terz geht in
einer von den dreyen Stimmen ein Sprung vor (b). Mit ſo
vielem Recht ein Componiſt zuweilen aus guten Urſachen in den
Mittelſtimmen Sprünge anbringt, mit eben ſo zureichendem
Grunde vermeidet ſie ein Accompagniſt ſo viel möglich. Die
doppelte Sexte kann bey unſerm Exempel leicht Anlaß zu Quin-
ten geben (c); will man ſie vermeiden, ſo muß man in zwoen
Stimmen Sprünge vornehmen (d). Ich ſage oben mit Fleiß:
Wenn es ſeyn kann, weil man dann und wann gezwungen
wird, entweder die Sexte oder Terz zu verdoppeln. An der Ver-
doppelung der Terz kann ein zufälliges Erhöhungszeichen Schuld ſeyn,
welches man nicht verdoppeln darf (e); die Verdoppelung der
Sexte können Diſſonanzen verurſachen, welche gehörig aufgelöſet
werden müſſen, wie wir bey (f) an der Septime und übermäßi-
gen Quinte ſehen:

[figure]

§. 4.

Wenn bey einer Grundſtimme Noten mit vielen Sex-
ten nach einander ſtufenweiſe herauf und hinunter gehen, und
ſich durchgehende Noten mit einmiſchen: ſo wird dadurch die
Nothwendigkeit der Verdoppelung bey der vierſtimmigen Beglei-
tung nicht aufgehoben;


Z. E.
[56]Drittes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
[figure]

§. 5.

Daß ſelbſt die Gegenbewegung bey gewiſſen Lagen
nicht allezeit hinlänglich ſey, Quinten zu vermeiden, ſehen wir
aus folgenden Exempeln. Durch die Verdoppelung werden dieſe
Fehler verbeſſert (a). Bey (b) thut die Gegenbewegung in allen
Lagen ohne Verdoppelung gut, blos die Lage bey (c) taugt
nicht:

[figure]

§. 6.

Die Verdoppelung mit dem Einklange macht in der
Oberſtimme einen guten Geſang, hält die Lage beſſer zuſammen, als
die mit der Octave, und iſt alſo oft vorzüglicher, wie wir aus
folgenden Exempeln ſehen:

[figure]

§. 7.

Wenn man nicht gehörig auf die Folge ſiehet, und
den Sextenaccord darnach einrichtet, ſo iſt es noch ein Glück,
wenn man den Fehlern kaum entgehen kann. Im erſtern
fol-
[57]Vom Sextenaccord.
folgenden Exempel muß man bey der durchgehenden Note die
Octave wieder ergreifen, damit die Septime vorherliege (a).
Dieſe Art von Bäſſen ſind überhaupt für die Accompagniſten
bequem, ſie erlauben ſo viel Zeit, daß man ſich allenfalls vor-
her beſinnen kann, was angeſchlagen werden ſoll. Indeſſen wird
dieſe Nothhülfe bey (a) niemals zur Schönheit werden. Beym
zweyten Exempel muß die kleine Terz zur groſſen Sexte verdop-
pelt werden, oder man muß, wenn die Octave zur Sexte ſchon
angeſchlagen iſt, das getheilte Accompagnement wählen, weil die
Quarte da, wo ſie iſt, liegen bleiben muß (b); aus der Urſache
muß man bey dem letzten Exempel entweder die Sexte beym Sext-
quartenaccord verdoppeln (×), oder über dem folgenden a bey der
zwoten Hälfte dieſer Note die Verdoppelung fahren laſſen, und
dafür die Octave ergreifen, damit die Septime vorbereitet ſey: (c)

[figure]

§. 8.

Bey folgendem erſten Exempel, wo zwo Verdoppe-
lungen hinter einander vorgenommen werden müſſen, ſehen wir
die Nothwendigkeit mit den Arten der Verdoppelung abzuwechſeln,
Bachs Verſuch. 2. Theil. Hdamit
[58]Drittes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
damit keine Octaven vorgehen. Bey dem letztern Exempel nimmt
dieſe Nothwendigkeit wegen mehrerer Verdoppelungen zu. Auf dieſe
Art bleibt man in der Lage, und vermeidet unnütze Sprünge:

[figure]

§. 9.

Die groſſe Sexte, wenn ſie die kleine Terz bey ſich
hat, neigt ſich in die Höhe, folglich iſt das letztere Accompa-
gnement bey folgendem Exempel dem erſtern vorzuziehen. Dieſe
Anmerkung iſt am nöthigſten, wenn die Sexte in der Oberſtimme
liegt:

[figure]

§. 10.

Die Verdoppelung im Einklange erlaubt mehr Frey-
heit als die in der Octave. Bey jener kann allenfalls ein
zufällig Erhöhungszeichen verdoppelt werden, wenn man z. E.
den Sprüngen aus dem Wege gehen will:


[figure]
[59]Vom Sextenaccord.

Da dieſes die Componiſten zuweilen in ihren Mittelſtim-
men thun, wobey doch allezeit dieſe Verdoppelung zween Töne
hören läßt: ſo kann man es den Clavieriſten noch eher erlauben,
weil auf ihrem Inſtrumente nur ein Anſchlag zum Gehör kommt.


§. 11.

Der im erſten Abſchnitte §. 10. angeführte Gang,
wenn er dreyſtimmig geſpielt wird, nimmt ſich am beſten aus,
wenn die Stimmen vom Baſſe nicht zu weit entfernt ſind, weil
ſonſt die einzelnen Quarten zu ſehr hervorſtechen. Uebrigens darf
man wegen dieſer Quarten, weil ſie herauf und herunter gehen
und ſpringen, keine Unruhe haben; es ſind Quarten gegen die
Mittelſtimmen, aber nicht gegen den Baß. Man ſey nur beſorgt,
daß ſie durch die Umkehrung nicht zu Quinten werden.


§. 12.

Wenn bey einem unbezifferten Baſſe, die darüber
ſtehende Hauptſtimme durch eine kurze Note die Terz oder Sexte ver-
ändert: ſo kehrt man ſich hieran nicht, ſondern bleibt bey den ſchon
gegriffenen Ziffern, wenn auch die Zeitmaaſſe langſam iſt:

[figure]

§. 13.

Zuweilen nöthigt uns die Folge, das Accompagne-
ment der Sexte fünfſtimmig einzurichten:

[figure]
H 2§. 14.
[60]Drittes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 14.

Es iſt ſchon mehr als einmal angeführt worden,
daß man beym Accompagnement die Fortſchreitung in die über-
mäßige Secunde zu vermeiden habe. Da aber dem ohngeachtet
dieſe Progreßion in der Melodie oft eine Zierde iſt, ſo ereignen
ſich daher gewiſſe Fälle, wo man ſie nicht allein ohne Verant-
wortung braucht, ſondern man würde den Geſang verderben, wie
wir bey (a) ſehen, wenn man das Accompagnement anders einrich-
tete. Auſſer dem vermeidet man dieſe Fortſchreitung billig.

[figure]
Viertes
[61]

Viertes Capitel.
Von dem uneigentlichen verminderten harmoniſchen
Dreyklange.


§. 1.


Der uneigentliche verminderte Dreyklang hat, im vier-
ſtimmigen Accompagnement, auſſer der falſchen Quinte
noch die kleine Terz und Octave bey ſich. Bey der drey-
ſtimmigen Begleitung bleibt die Octave weg.


§. 2.

Er wird entweder gar nicht, oder durch die gewöhn-
liche Signatur der falſchen Quinte ([5b]) angedeutet. In den Ton-
arten mit Creutzen kann, ſtatt des runden Bees, ein viereckigtes
bey der 5 ſtehen (5♮). Zuweilen ſtehen die übrigen Ziffern dieſes
Dreyklanges noch mit über der Grundnote.


§. 3.

Das Zeichen der falſchen Quinte allein wird oft der
Bequemlichkeit wegen über Grundnoten geſetzt, wo dieſes Inter-
vall die Sexte bey ſich hat. Die Modulation muß alsdenn ent-
ſcheiden, ob unſer Dreyklang, oder der Sextquintenaccord gegrif-
fen werden ſoll. Im erſtern Falle ſetzt der Herr Capellmeiſter
Telemann mit gutem Grunde in ſeinen Bezifferungen einen
Bogen über die . Das Verſetzungszeichen behält dieſe Ziffer
demohngeachtet, wenn es nöthig iſt (). Hierdurch wird
aller Verwirrung vorgebeuget, und die Ungeübten, welche noch
nicht hinlängliche Einſichten in die Modulation haben, werden
aus einer groſſen Verlegenheit gezogen.


H 3§. 4.
[62]Viertes Capitel.

§. 4.

Die falſche Quinte iſt eine Diſſonanz, welche
mit (a), und ohne Vorbereitung (b) vorkommt, und bey der
Auflöſung herunter gehet:

[figure]

§. 5.

Sie kommt öfter mit andern Ziffern, als mit der
Octave und Terz vor, wie wir in der Folge ſehen werden. Unſer
Dreyklang klingt dreyſtimmig gut, aber vierſtimmig etwas leer.
Wenn man, ſtatt der Octave, alsdenn die Terz verdoppelt, ſo
conſoni[r]en alle Mittelſtimmen unter ſich, dieſes macht ihn erträg-
licher: iſt aber die Octave in der Oberſtimme, ſo klingt er am
ſchlechteſten. Die Einrichtung der Lage hängt noch eher von
einem vorſichtigen Begleiter ab, als die Verdoppelung. Die
Auflöſung einer Diſſonanz kann die letztere zuweilen verhindern:

[figure]

§. 6.

Wenn vor der Grundnote, mit unſerm Dreyklange,
ein zufälliges Erhöhungszeichen ſtehet, ſo läßt man die Octave
weg,
[63]Von dem uneigentl. verminderten harm. Dreyklange.
weg, und verdoppelt die Terz (a). Dieſe Verdoppelung iſt auch
auſſerdem zuweilen nothwendig, um einen guten Geſang zu er-
halten, und unmelodiſche Sprünge zu vermeiden (b):

[figure]

§. 7.

Die zweyte Klangſtufe in weichen Tonarten leidet die
falſche Quinte, ſowohl mit der Octave, als auch mit der groſſen
Sexte, über ſich: wenn nun bey folgenden Exempeln der Baß
nicht beziffert iſt, die Hauptſtimme aber über dem Baſſe ſtehet,
ſo iſt wegen der Folge dieſe Bezifferung die beſte, welche unter
den Grundnoten ſtehet. Bey (a) ſehen wir, daß man in die
unvorbereitete falſche Quinte ſpringen kann. Dieſe Diſſonanz hat
bey unſerm Dreyklange mehr Freyheit, als auſſerdem:

[figure]
Fünftes
[64]Fünftes Capitel.

Fünftes Capitel.
Von dem uneigentlichen vergröſſerten harmoniſchen
Dreyklange.


§. 1.


Der uneigentliche vergröſſerte Dreyklang hat auſſer der
übermäßigen oder vergröſſerten Quinte bey der vier-
ſtimmigen Begleitung noch die groſſe Terz und Octave bey
ſich. Im dreyſtimmigen [Accompagnement] bleibt die Octave weg.


§. 2.

Die dazu gehörige Grundnote hat entweder das Zei-
chen der übermäßigen Quinte allein ([5]) (5♮), oder nebſt dieſer
die übrigen dazu gehörigen Ziffern über ſich.


§. 3.

Die übermäßige Quinte iſt eine Diſſonanz,
welche nicht leicht ohne Vorbereitung vorkommt, und bey der
Auflöſung in die Höhe tritt. Man findet ſie, wenn der Compo-
niſt zuweilen, wegen der Zierlichkeit des Geſanges, ſtatt der rei-
nen Quinte, dieſes übermäßige Intervall nimmt (a); auſſerdem
kommt ſie mehrentheils bey einer aufgehaltenen Sexte vor (b);
dann und wann iſt ſie wegen der Modulation ohne Andeutung
nothwendig (c):

[figure]
§. 4.
[65]Von dem uneigentl. vergröſſerten harm. Dreyklange.

§. 4.

Die Verdoppelung der Terz, mit Weglaſſung
der Octave, thut bey unſerm Dreyklange nicht übel, weil die
Mittelſtimmen alsdenn insgeſammt unter ſich conſoniren:

[figure]

§. 5.

Weil die übermäßige Quinte in unſerm Dreyklange
mehrentheils als eine Zierlichkeit vorkommt, ſo verträgt ſie das
dreyſtimmige Accompagnement eher als das vierſtimmige. Dieſes
letztere kommt eigentlich vor, wenn dieſe Diſſonanz mehr Ziffern
bey ſich hat.


§. 6.

Eine langſame Modulation durch halbe Töne,
wobey unſre Quinte vorkommt, wird dreyſtimmig begleitet. Dieſe
halben Töne in der Hauptſtimme ſchicken ſich nicht wohl in eine
geſchwinde Zeitmaaſſe: wenn ſie aber ja vorkommen ſollten, ſo
werden ſie nicht mitgeſpielt:

[figure]
Bachs Verſuch. 2. Theil.Sechstes
[66]Sechstes Capitel. Erſter Abſchnitt.

Sechstes Capitel.
Vom Sextquartenaccord.


Erſter Abſchnitt.


§. 1.


Der Sextquartenaccord hat auſſer den Intervallen, wovon
er den Nahmen führt, die Oetave zur vierten Stimme
bey ſich; bey der dreyſtimmigen Begleitung bleibt die letztere weg.


§. 2.

Die Signatur  iſt hinlänglich, dieſen Accord an-
zudeuten.


§. 3.

Die kleine und groſſe Sexte, und alle unſere
drey Arten von Quarten kommen dabey vor; folglich enthält
er nur eine Diſſonanz, nemlich die Quarte. Die Gröſſe dieſer
Intervallen wird aus dem Syſtem und aus den beygefügten
Verſetzungszeichen erkannt.


§. 4.

Die verminderte Quarte hat einer Vorbereitung
nöthig (a); die reine und übermäßige nicht allezeit (b). Die
erſtern beyden gehen bey der Auflöſung herunter; die letztere tritt
in die Höhe, indem der Baß herunter geht:*

[figure]

§. 5.

Wenn man den Dreyklang von der Quarte des Grund-
tones weiß, ſo kennt man auch den Sextquartenaccord.


§. 6.
[67]Vom Sextquartenaccord

§. 6.

Die Folge wird uns lehren, daß die Sexte, als eine
Conſonanz, bey dieſem Accorde gar wohl aus gewiſſen Urſachen
verdoppelt werden kann: es gehet kein Intervall verlohren, obgleich
alsdenn die Octave wegbleibet.


§. 7.

Die reine Quarte diſſonirt zwar bey unſerer Auf-
gabe am wenigſten, dem ohngeachtet aber muß ſie dennoch aufge-
löſet werden, wenn ſie nicht im Durchgange vorkommt. Bey dem
letztern kann ſie allenfalls verdoppelt werden, wenn es nöthig iſt,
und die vorhergehenden Ziffern es erlauben. Folgende Exempel ſind
wegen der durchgehenden Quarte anzumerken:

[figure]

§. 8.

Die reine Quarte kann die groſſe und kleine Sexte
bey ſich haben. Die Auflöſung dieſes Accords kann gleich drauf
in  geſchehen (a); doch iſt dieſes nicht allezeit nothwendig, der
Baß mag liegen bleiben oder ſich fortbewegen, weil wir oft die
Folge von Ziffern anders finden, wobey zuweilen die Auflöſung
der Quarte zwar aufgehalten, aber nicht abgebrochen wird (b):


[figure]
[68]Sechstes Capitel. Erſter Abſchnitt.
[figure]

§. 9.

Wenn bey dem Sextenaccorde die Terz durch die
Quarte aufgehalten wird, ſo verträgt dieſer delicate Satz am
beſten das dreyſtimmige Accompagnement. Soll die Begleitung
aber vierſtimmig ſeyn: ſo läßt man die Octave weg, und ver-
doppelt dafür die Sexte. Wir werden aus ein paar Exempeln
unter dem folgenden § ſehen, daß ſich dieſer Fall auch vor dem
Sextquintenaccord, wobey die Quinte falſch iſt, ereignen
kann. Alle drey Quarten, und beyde conſonirende Sexten kön-
nen hierbey vorkommen; die erſtern müſſen insgeſamt vorbereitet
ſeyn und gehen herunter. Dieſe Aufgabe kommt bey unſern
heutigen und gefälligen Geſchmacke alle Augenblicke vor, und
verträgt die Octave ganz und gar nicht. Wie nöthig iſt es alſo
nicht, ſie durch ein Zeichen den Ungeübten kennbar zu machen!
Wir wollen folgendes Zeichen wählen ().


§. 10.

Bey der verminderten Quarte iſt die Sexte
klein
(a); bey der übermäßigen iſt ſie groß (b), und bey der
reinen kann ſie groß und klein ſeyn, wie wir ſchon oben
gehöret haben (c). Wenn wir das mit einem (×) bezeichnete
Exempel ausnehmen, ſo werden wir finden, daß dieſer Fall nicht
leicht anders, als bey herauf und hinuntergehenden Grundnoten
vorkommt. Bey den zweyen letztern Exempeln iſt dies die beſte
Lage, wo die vorhergehende , oder  zerſtreuet liegen.


[figure]
[69]Vom Sextquartenaccord.
[figure]

§. 11.

Wenn bey einem ruhenden Baſſe, nach der fal-
ſchen Quinte,
unſere  vorkommt, ſo bleibt man bey der
dreyſtimmigen Begleitung: will man aber die vierte Stimme
darzu nehmen, ſo verdoppelt man gleichfalls die Sexte und läßt
die Octave weg:


[figure]

Die  kommt hier im Durchgange vor, und der ſimple Satz
ſieht eigentlich ſo aus:

[figure]

§. 12.

Wenn bey , wo die Sexte groß iſt, die kleine
Terz
nachſchlägt, ſo nimmt man im vierſtimmigen Accompagne-
mente, gleich :

[figure]

§. 13.

Bey der übermäßigen Quarte, wenn ſie im Durch-
gange
vorkommt, darf der Baß nicht allezeit herunter gehen (a).
Das zweyte Exempel verträgt nur eine dreyſtimmige Begleitung.
J 3Bey
[70]Sechstes Capitel. Erſter Abſchnitt.
Bey dem Exempel (b) tritt die übermäßige Quarte über dem f,
durch eine Vorausnahme, zu zeitig ein, anſtatt, daß ſie um ein
Achttheil ſpäter durchgehend in die groſſe Sexte ſchreiten ſolte,
wie wir bey (c) ſehen. In dem letzten Exempel kann die Sexte
über dem f verdoppelt werden, wann die Terz zum h oben liegt;
dieſe Lage iſt hier die beſte:

[figure]

§. 14.

Wenn eine Grundnote mit dem eigentlichen Drey-
klange, oder mit dem Sextenaccord um eine Stufe herunter ſteigt,
und die letztere Note den Sextquartenaccord über ſich hat: ſo
muß bey der erſtern, um Octaven zu vermeiden, eine Verdop-
pelung vorgenommen werden:

[figure]

§. 15.

Bey dem Heraufſteigen des Baſſes mit einer 6,
in eine Note mit , kann man die Octave, und auch die Ver-
doppelung zum Sextenaccorde nehmen, es ſey dann, daß die Terz
oben läge: alsdenn verdoppelt man die letztere entweder mit der
Octave,
[71]Vom Sextquartenaccord.
Octave, oder mit dem Einklange (a); widrigenfalls kann ſelbſt
die Gegenbewegung die Quinten nicht verhindern (b). Wenn in
dieſem Falle die Terz klein und die Sexte groß iſt, ſo nimmt man
am beſten die Octave zur Sexte; die Lage aber mit der Terz in der
Oberſtimme muß man alsdenn vermeiden, und lieber dafür, wenn
man kann, die Sexte oben nehmen (c):

[figure]

Zweyter Abſchnitt.


§. 1.


Es iſt beynahe beſſer, wenn man im folgenden Exempel die Auf-
löſung der falſchen Quinte durch eine Verwechſelung dem Baſſe
überläßt, und bey dem Sextquartenaccord die Sexte verdoppelt,
als wenn man ſo verführe, wie es eigentlich ſeyn ſolte, daß
nemlich die falſche Quinte bey der zwoten Note in die Octave
ginge. Bey dieſer Art von Sextquartenaccord klingt die letztere
allezeit widrig. Aus dieſem Grunde würde die Bezifferung unſers
Exempels bey (b) beſſer ſeyn, als die vorhergehende bey (a):

[figure]

§. 2.

Bey folgendem Exempel muß im vierſtimmigen
Accompagnemente die Verdoppelung der Sexte bey  aufge-
hoben
[72]Sechstes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
hoben werden, ſobald der uneigentliche verminderte Dreyklang
eintritt:

[figure]

§. 3.

Die übermätzige Quarte klingt in dem vierſtimmigen
Accompagnement unſers Sextquartenaccordes etwas leer; wenn
ſie die Secunde oder die Terz bey ſich hat, ſo thut ſie beſſer.
Bey unſerm Accorde, wo die Sexte nothwendig mit angedeutet
ſeyn muß, hat ſie, wie wir geſehen haben, dann und wann die
Octave, und dann und wann die doppelte Sexte bey ſich. Dieſe
letztere Verdoppelung klingt nicht allein gut, weil alsdenn die
Mittelſtimmen unter ſich conſoniren, ſondern ſie iſt auch, auſſer
dem Falle mit , zuweilen nothwendig, um Fehler zu vermeiden
und eine geſchickte Progreßion der Stimmen beyzubehalten:

[figure]

§. 4.

Die reine Quarte mit der Sexte kommt zuweilen
bey einer aufgehaltenen ♭ vor, und wird dreyſtimmig begleitet.
Man muß dieſe reine Quarte nicht mit demſelben übermäßigen
Intervall verwirren, ob ſie ſchon in den folgenden Exempeln
alle
[73]Vom Sextquartenaccord.
alle die Verſetzungszeichen beynahe bey ſich hat, welche ſonſten
die übermäßige Quarte kennbar machen:

[figure]

§. 5.

Wenn nach dem dreyſtimmigen Satze , bey einem
heraufſteigenden Baſſe,  im Wechſelgange folgt: ſo wird dieſe 
auch nur dreyſtimmig abgefertiget:

[figure]

§. 6.

Wenn der Bezifferer im folgenden Exempel über die
zweyte Note, worüber eine bloſſe 6 ſtehen muß, entweder ,
oder  ſetzen wolte, weil in der Hauptſtimme die Quarte nach-
ſchlägt: ſo hat er unrecht. Dieſe Quarte iſt nur der Zierlich-
keit wegen da, um durch dieſen Durchgang mit Manier in den
Vorſchlag vor der letzten Note zu kommen. Der ſimple Gang
iſt bey (a) abgebildet. Wir wollen hier beyläufig mit anmerken,
daß man zur vierten Stimme über dem fis keine Quinte, wegen
des vorhergegangenen c, ſondern dafür die Octave zu nehmen hat:


Bachs Verſuch. 2. Theil. KZ. E.
[74]Siebentes Capitel. Erſter Abſchnitt.
[figure]

Siebentes Capitel.
Vom Terzquartenaccord.


Erſter Abſchnitt.


§. 1.


Dieſer Accord beſtehet aus der Terz, Quarte und Sexte.


§. 2.

Er wird durch die Signatur  angedeutet.
Dieſer Bezeichnung iſt das Auge ſchon eher gewohnt, als wenn
einige  ſetzen. Die 6 wird nur alsdenn noch mit darüber ge-
ſetzt, wenn ſie ein Verſetzungszeichen bey ſich hat (a); oder
wenn die Auflöſung einer Diſſonanz in ihr vorgehet (b); oder
wenn ſie über derſelben Note durch den Durchgang in eine an-
dere Ziffer ſchreitet (c).

[figure]

§. 3.

Die kleine, die groſſe und übermäßige
Sexte;
die reine und übermäßige Quarte; die kleine und
groſſe Terz ſind die Intervallen, welche bey unſerm Accorde
vorkommen.


§. 4.
[75]Vom Terzquartenaccord.

§. 4.

Das Sonderbare hierbey iſt, daß die Terz wie eine Diſſo-
nanz gebraucht wird, und die Quarte daher mehr Freyheit bekommt,
als auſſerdem. Die erſtere wird von der letzteren zuweilen
gebunden, und geht allezeit herunter. Die Quarte bleibt als-
denn entweder liegen, oder gehet in die Höhe. Wir werden
bey Unterſuchung aller Arten dieſes Accordes, wodurch uns vor-
nehmlich der ſo ſehr verſchiedene Gebrauch der beyden Quarten
nöthiget, in deutlichen Exempeln dieſe Progreßionen genau
betrachten.


§. 5.

Wenn die groſſe Sexte die reine Quarte und
kleine Terz bey ſich hat, ſo muß entweder die Quarte, oder
die Terz vorbereitet ſeyn. Am öfterſten pflegt die Terz ſchon da
zu ſeyn, und tritt nachher herunter. Die Quarte bleibt liegen.
Dieſe Aufgabe kann bey einer gebundenen Grundnote, auch
auſſerdem vorkommen, und wird zuweilen durch eine bloſſe
6, ſtatt der , angedeutet. Der Baß gehet nachher um eine
Stufe hinauf oder herunter. Im erſtern Falle pflegt die Grund-
note eine 6, und im zweyten Falle den eigentlichen Dreyklang
über ſich zu haben. Wer den Sextquartenaccord weiß, der kann
auch unſern Accord leicht finden; er darf nur bey jenem die
Octave weglaſſen, und dafür die Terz nehmen:

[figure]
K 2§. 6.
[76]Siebentes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 6.

Folgende etwas ſonderbare Exempel erfordern
die Signatur  ausdrücklich. Bey dem zweyten Exempel iſt der
Sextenaccord ohnſtreitig beſſer als der Terzquartenaccord:

[figure]

§. 7.

Bey der dreyſtimmigen Begleitung unſers Accordes
geht zwar allezeit ein Intervall verlohren; es können aber doch
gewiſſe Feinigkeiten vorkommen, welche das vierſtimmige Accom-
pagnement nicht wohl vertragen. Der Ausdruck erfordert z. E.
einen ſchwachen Vortrag, welchen der Begleiter auf ſeinem ſtar-
ken Inſtrumente vielleicht nicht anders erreichen kann, als durch
eine dünne Harmonie u. ſ. w.; alsdenn iſt man verbunden eine
Ziffer wegzulaſſen. Bey den im fünften § bemerkten Fällen kann
allenfalls die Quarte wegbleiben. Die unter dem ſechsten § an-
geführten Exempel ſetzen zum voraus, daß der Bezifferer nicht
weniger als vier Stimmen haben will.


§. 8.

Wenn die groſſe Sexte die übermäßige Quarte
und groſſe Terz bey ſich hat, ſo muß entweder die Quarte
oder die Terz vorher liegen. Die letztere gehet hernach hinunter,
indem
[77]Vom Terzquartenaccord
indem die erſtere entweder liegen bleibt, oder in die Höhe tritt.
Der Baß kann gebunden auch ungebunden ſeyn, und geht nach-
her um eine Stufe hinauf oder herunter. Die Signatur 
oder  iſt hier ſchon nöthiger als im fünften §. (*) Es giebt Ge-
legenheit zu Verwirrungen, wenn einige in dieſem Falle, ſtatt der
nöthigen , eine bloſſe 6, oder gar eine  über die Noten ſetzen.
Die Lage, wo die Quart und Terz zerſtreuet liegen, klingt über-
haupt, beſonders aber bey dieſer Art von Terzquartenaccord am
beſten. Bey dem Exempel (a) können Quinten vorgehen, wenn
man vorher zur Sexte die Terz verdoppelt, welche man in dieſer
Lage, wenn man ſie ſchon hat, dadurch vermeidet, indem man
die Quarte oben behält (b). Bey dem dreyſtimmigen Accom-
pagnement kann hier die Sexte wegbleiben, nur bey (a) nicht:

[figure]

§. 8.

Wenn die kleine Sexte die reine Quarte und
kleine Terz bey ſich hat, ſo muß entweder die Quarte oder
Terz vorher ſchon da ſeyn; die erſtere bleibt hernach liegen, und
die letztere gehet herunter. Dieſe Aufgabe kann über einer ge-
bundenen und ungebundenen Grundnote vorkommen, welche nach-
her um eine Stufe herunter tritt. Die Exempel (a) kommen
zwar zuweilen vor, ſie ſind aber nicht ſonderlich. Die Aus-
K 3füh-
[78]Siebentes Capitel. Erſter Abſchnitt.
führung bey (b), mit der groſſen Sexte, iſt die beſte. Die
Signatur unſerer Aufgabe iſt , und die Sexte wird, wenn es
nöthig iſt, mit dem erniedrigenden Verſetzungszeichen noch oben
darüber geſetzet. In dem zweyten und dritten Exempel, wobey 
nachfolgt, iſt nur eine Lage, wo die Sexte oben liegt, gut; in den
übrigen beyden Lagen macht man Quinten. Bey der dreyſtim-
migen Begleitung wird bey (a) und (b) die Quarte weggelaſſen:

[figure]

§. 9.

Wenn die groſſe Sexte die übermäßige Quarte
und die kleine Terz bey ſich hat, ſo liegt gemeiniglich vor-
her entweder die Quarte oder die Terz. Bey dem Exempel (a)
werden ſie beyde, durch eine Vorausnahme des Durchganges (b),
frey angeſchlagen. Die Terz tritt bey der Auflöſung herunter,
und die Quarte hinauf. Die Grundnote kann gebunden ſeyn,
und auch nicht: ſie geht aber hernach um eine Stufe herunter.
Die Signatur hierzu iſt ,  oder . Wer den harten Dreyklang
von der Secunde weiß, der kann auch dieſe Aufgabe leicht treffen;
er darf nur ſtatt der 2 die 3 nehmen. Wenn man dreyſtimmig
accompagnirt, ſo bleibt die 6 weg, nur bey (×) nicht:


Z. E.
[79]Vom Terzquartenaccord.
[figure]

§. 10.

Wenn die groſſe Sexte die reine Quarte und
groſſe Terz bey ſich hat, ſo liegt entweder die Quarte oder
die Terz vorher. Die letztere wird herunterwärts aufgelöſet,
indem die erſtere liegen bleibt. Der Baß kann in einem Tone
aushalten, wie es bey den Orgelpunkten gewöhnlich iſt, er kann
ſich auch fortbewegen. Dieſe Aufgabe klingt am beſten, wenn
die Terz und Quarte zerſtreuet liegen, und wird mit  bezeichnet.
Wenn der Baß gebunden iſt, ſo bleibt man bey vier Stimmen:
auſſerdem aber kann die Quarte wegbleiben. Die beyden letzten
Exempel vertragen lieber den Sextenaccord ſtatt .

[figure]

§. 11.

Wenn die übermäßige Sexte, die übermäßige
Quarte
und groſſe Terz bey ſich hat, ſo kann die Sexte
vorbereitet ſeyn, auch nicht: die Quarte aber, oder die Terz
muß
[80]Siebentes Capitel. Erſter Abſchnitt.
muß ſchon da ſeyn, welche letztere hernach hinunter gehet. Die
Quarte kann liegen bleiben, und auch in die Höhe gehen. Man
findet hierbey den Baß gebunden, und auch frey anſchlagend;
in beyden Fällen gehet er hernach mit der Terz zugleich um eine
Stufe herunter. Viele beziffern dieſe Aufgabe nicht deutlich
genug mit einer bloſſen 6 mit dem Verſetzungszeichen; beſſer iſt
es, wenn man alle drey Intervallen über die Note zeichnet.
Bey der dreyſtimmigen Begleitung kann die Quarte gar wohl
wegbleiben:

[figure]

§. 12.

Zuweilen muß man, nicht ſowohl der Vollſtim-
migkeit wegen, als vielmehr wegen der Auflöſung einer vorher-
gegangenen Diſſonanz (a), oder wegen der nöthigen Vorberei-
tung einer folgenden Diſſonanz (b) zu  die 8 noch dazu neh-
men. Es iſt gut, wenn alsdenn alle vier Ziffern angedeutet
ſind, damit man nicht rathen darf. Bey den Exempeln (a)
tritt die  zu zeitig ein; eigentlich ſolte die None und Quarte vor-
her aufgelöſet werden, wie wir bey (c) ſehen, alsdenn zeigt es ſich,
daß dieſe Aufgabe (a) ein bloſſer Durchgang iſt, wobey der Baß
nicht herunter gehet, ſondern ſpringet:


Z. E.
[81]Vom Terzquartenaccord.
[figure]

Zweyter Abſchnitt.


§. 1.


Wenn man zur groſſen Sexte mit der kleinen Terz die
reine Quarte, ohne ausdrückliche Andeutung nimmt (a),
ſo vermeidet man dadurch zuweilen Fehler (aa); man bleibt
bequem in der Lage (b), ohne Sprünge zu machen (c), und
erhält einen guten Geſang (d):

[figure]

Bachs Verſuch. 2. Theil. L
[82]Siebentes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

[figure]

§. 2.

Bey dem Exempel (a) klingt die  zu dem langen
Vorſchlage ſehr gut, die folgenden Ziffern liegen ſchon meiſten-
theils, und die Oberſtimme geht ſingend in Terzen mit dem
Baſſe fort. Das Exempel (b), wenn man es ſimpel be-
trachtet, leidet weder die doppelte Terz zum d, noch das
Heraufſteigen dieſer Terz bey der letzten Grundnote c, weil
dieſes f, als die Septime zum g, angeſehen wird (c). Die
Diſſonanzen in den Exempeln (d) werden durch dieſe  bequem
vorbereitet:

[figure]

[83]Vom Terzquartenaccord.

[figure]

§. 3.

Bey folgendem Exempel nimmt man zu dem d
den Sextenaccord. Der Terzquartenaccord klingt, wegen des
zweymal nachſchlagenden a, zu widrig (a). Die Modulation
leidet oft nicht, daß man  greift (b); auch gewiſſe durchge-
hende Noten im Baſſe, wie hier das f (c), wollen den ge-
wöhnlichen Sextenaccord. Die Folge von Ziffern, welche bey
dieſem letzten Accord ſchon bequem in der Hand liegen (d), und
die Folge von Noten, wobey die Terz bey dem Terzquarten-
accord nicht gehörig heruntergehen kann (e), und wo man alſo
bey dieſem Accord Fehler machen würde (f), verbinden den
Accompagniſten ſtatt , den Sextenaccord zu nehmen. Die
Aufgaben im Generalbaſſe, wobey vielerley Arten von Begleitung
möglich, und gleichwol nicht allezeit willkührlich ſind, machen
das Vorherſehen auf die Folge, und das Lauſchen mit dem
Ohre beſonders nothwendig:

[figure]

L 2
[84]Siebentes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

[figure]

§. 4.

Bey folgendem Exempel glauben einige Bezifferer,
daß es genug ſey, wenn ſie nach der ,  ſetzen, weil hier-
durch die Fortſchreitung dieſer zwo Ziffern angedeutet wird (a):
allein ein Ungeübter kann zu dieſer  gar leicht die Octave,
nach der Regel des Sextquartenaccordes greifen, anſtatt, daß die
Terz dazu gehört. Die Bezifferung dieſes Exempels bey (b)
iſt richtiger und deutlicher, ohngeachtet das Auge eine Ziffer
mehr zu überſehen hat.

[figure]

§. 5.

Das folgende Exempel iſt ſonderbar, und die Be-
gleitung davon kann Gelegenheit zu vielen Fehlern geben. Bey
der erſten  wird die Terz nicht aufgelöſet, ſondern ſie bleibet
liegen, und wird in der Folge zur Quarte, weil dieſe  wie
durchgehend angeſehen wird; die übermäßige Quarte aber geht
regelmäßig in die Höhe. Bey der zweyten  iſt das Ver-
fahren ſo, wie es ſeyn ſoll. Damit keine Ziffer bey der erſten
Signa-
[85]Vom Terzquartenaccord.
Signatur [...] fehle, und dieſe übermäßige Quarte gehörig in die
Höhe gehen könne; ſo nimmt man zu dieſer  die Secunde
doppelt:

[figure]

§. 6.

Bey folgendem Exempel macht die Verdoppelung
der Sexte mit dem Einklange eine geſchicktere Fortſchreitung
(a), als die Verdoppelung der Terz (b):

[figure]

§. 7.

Einer der beſten Fälle, wo die übermäßige Quarte
zur übermäßigen Sexte genommen werden muß, iſt wohl fol-
gender; auſſerdem klingt die Begleitung der übermäßigen Sexte
mit der Quinte oder mit der doppelten Terz allezeit beſſer.
Das h, welches hier in der Harmonie meiſt ganz durch aushält,
und eine ſtudirte Hartnäckigkeit verräth, macht das Accom-
pagnement der  gut:

[figure]
L 3§. 8.
[86]Siebentes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 8.

Bey folgendem Exempel will der Geſang der Haupt-
ſtimme, und vornehmlich die Vorbereitung der Terz, daß man
das Verbot wegen der Progreßion in die übermäßige Secunde,
übertrete. Das vorhergegangene Verſetzungszeichen bey der 6
wird bey  ohne Andeutung aufgehoben, weil dieſe übermäßige
Quarte die groſſe Sexte zum voraus ſetzet:

[figure]

§. 9.

Die oben gegebenen Vorſchriften, wegen der drey-
ſtimmigen Begleitung unſers Accordes, haben zwar überhaupt
ihre Richtigkeit: man muß ſich aber doch auch in dieſem Stücke
vornehmlich nach der Hauptſtimme richten, damit man zu-
weilen das Intervall, welches dieſe Hauptſtimme hat, bey der
ſchwachen Begleitung weglaſſe:

[figure]
Achtes
[87]

Achtes Capitel.
Vom Sextquintenaccord
.


Erſter Abſchnitt.


§. 1.


Dieſer Accord beſtehet aus der Sexte, Quinte und Terz.


§. 2.

Er wird durch die Signatur , oder 5♭, wenn
die Quinte falſch iſt, angedeutet. Die Terz wird nicht eher
dazu geſetzet, als wenn ſie ein zufälliges Verſetzungszeichen an-
nimmt. Dieſe letztern müſſen bey der Sexte und Quinte eben-
falls nicht vergeſſen werden, wenn ſie nöthig ſind.


§. 3.

Es kommen dreyerley Sexten, die übermäßige, die
groſſe und kleine, zweyerley Quinten, die falſche und reine,
und zweyerley Terzen, die groſſe und kleine dabey vor.


§. 4.

Die Quinte wird wie eine Diſſonanz gebraucht;
ſie läßt ſich zuweilen von der Sexte binden, und gehet alle-
zeit
nachher herunter.


§. 5.

Die reine Quinte kommt nicht leicht anders, als
gebunden vor (a); die falſche hingegen kann vorher liegen und
auch frey angeſchlagen werden (b); im letztern Falle pflegt die
Sexte gemeiniglich ſchon da zu ſeyn. Bey der Auflöſung der
Quinte, wenn die letztere zumahl falſch iſt, geht der Baß eigent-
lich
eine Stufe in die Höhe. In den Exempeln mit (c) ſehen
wir, daß der Baß zuweilen auch liegen bleiben und in die Höhe
und Tiefe ſpringen kann, wobey manchmal die Auflöſung der
Quinte
[88]Achtes Capitel.
Quinte aufgehalten wird. Bey dem letzten Exempel mit (c) gehet
eine Vorausnahme des Durchganges vor (d):

[figure]

[89]Vom Sextquintenaccord.

[figure]

§. 6.

Wer die Aufgaben 65, und 56 weiß, der kann
unſern Sextquintenaccord auch leicht treffen, wenn er bey jenen die
Octave wegläßt, die nebeneinander ſtehenden Ziffern mit der Terz
zugleich anſchlägt, und auf die Vorbereitung genau Acht hat.


§. 7.

Zuweilen muß die Octave zur fünften Stimme,
wegen der Auflöſung (a) und Vorbereitung (b) einer Diſſonanz
genommen werden:

[figure]

§. 8.

Wenn bey einer ruhenden Grundnote  vorkommt,
ſo nimmt man die Octave zur vierten Stimme, und läßt die
Terz weg, weil der ſimple Satz eigentlich der Sextquartenaccord
iſt, wobey die Quarte durch die Quinte aufgehalten wird. Dieſe
letztere iſt alsdenn rein und vorbereitet (a): wenn aber bey
dieſer ruhenden Grundnote auf die 5 keine 4, ſondern andere
Ziffern folgen (b), und wenn ſich dieſe Grundnote ſelbſt gleich
darauf fortbeweget (c): ſo bleibt man bey der gewöhnlichen
Begleitung der . Im erſtern Falle kann man über dieſe Auf-
gabe, welche man mit der, bey dem vorigen Paragrapho, nicht
Bachs Verſuch. 2. Theil. Mver-
[90]Achtes Capitel. Erſter Abſchnitt.
verwirren muß, und welche beſonders bey den Orgelpunkten vor-
zukommen pflegt, den Ungeübten zu gefallen, einen Teleman-
niſchen Bogen (𝆣) ſetzen. Das letzte Exempel unter (a) iſt
wegen des getheilten Accompagnements und der verdoppelten Sexte
anzumerken:

[figure]

[91]Vom Sextquintenaccord.

[figure]

§. 9.

Die übermäßige Sexte hat in unſerm Accord
allezeit die reine Quinte und groſſe Terz bey ſich. Die
Quinte liegt gemeiniglich vorher (a); wenn der Baß liegen bleibt,
ſo kann ſie auch frey angeſchlagen werden, wobey zuweilen
die Sexte ebenfalls unvorbereitet iſt (b). Die letztere ſolte eigent-
lich um ein Achttheil ſpäter eintreten, wie wir bey (c) ſehen.
Die Sexte geht in der Folge in die Höhe, die Quinte bleibt
liegen, tritt aber endlich auch eine Stufe herunter:

[figure]
M 2§. 10.
[92]Achtes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 10.

Weil bey der dreyſtimmigen Begleitung ein Intervall
verlohren gehet, ſo muß man ſie hier ohne Noth nicht brauchen,
und, wenn ſie nöthig iſt, genau bemerken, welches Intervall zu
miſſen iſt. Die Terz, die reine Quinte und auch die Sexte,
wenn dieſe letztere zumahl die falſche Quinte bey ſich hat, kön-
nen nach Beſchaffenheit der Umſtände weggelaſſen werden. Wenn
unſere Aufgabe im Durchgange vorkommt, ſo wird die Quinte
nicht aufgelöſet, ſondern bleibt liegen; hier thut die Terz dazu nicht
gut, man läßt ſie daher lieber weg, und greift die Sexte und Quinte
allein. Bey folgenden Exempeln werden die, vor der , hergehen-
den Aufgaben, wobey die 5 zum Sextquintenaccord ſchon liegt,
ebenfalls dreyſtimmig abgefertiget: (*)

[figure]

Zweyter Abſchnitt.


§. 1.


Aus folgenden Exempeln ſehen wir: daß die Sexte ſowohl,
als die falſche Quinte zugleich frey angeſchlagen werden
können
[93]Vom Sextquintenaccord.
können (a). Bey (b) ſind dieſe Fälle ohne Vorausnahme ſimpel abge-
bildet. Bey der erſten Grundnote e muß man die Quinte nicht oben
nehmen. Dieſe falſche Quintenprogreßion gehört in die Mitte.

[figure]

§. 2.

Wer folgendes Exempel (a) mit der unvorbereiteten
reinen Quinte, welches zwar zuweilen vorkommt, aber dennoch
nichts taugt, ſetzen will, muß es entweder durch die Voraus-
nahme der Quinte, ſtatt der Signatur 65 (b), oder durch die
nachſchlagende Septime bey (c) vertheidigen. Bey dem g und f.
muß man, aus der Vorbereitung der Sexte ſchreiten, um keine
Quinten in gleicher Bewegung zu machen (d). Dieſe Quinten-
progreßion in der Gegenbewegung iſt hier bey dem a und c
nicht zu hindern und auch erlaubt. Das Exempel bey (e) iſt
noch häßlicher:

[figure]
M 3
[94]Achtes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 3.

Die Auflöſung einer Diſſonanz (a), die Aufrecht-
haltung einer bequemen Lage und guten Geſanges (b), und die
Vermeidung unreiner Progreßionen in den äuſſerſten Stimmen
(c) ſind rechtmäßige Urſachen, aus der Vorbereitung der falſchen
Quinte, welche ohnedem frey angeſchlagen werden kann, zu ſchrei-
ten. Auſſerdem aber iſt die Hauptregel jederzeit zu beobachten,
daß man gebundene Intervallen in derſelben Stimme liegen läßt
und auflöſet:

[figure]

§. 4.

Man nimmt zuweilen bey einer Grundnote mit der
falſchen Quinte, ſtatt der Sexte, die doppelte Terz, ohngeachtet
die Sexte nicht wider die Modulation wäre, blos deswegen,
damit, bey der Auflöſung vorhergegangener Diſſonanzen, die
frey anſchlagende Sexte nicht aufs neue einen widrigen Klang
verurſache (a); auſſerdem braucht man dieſe doppelte Terz auch,
um einen guten Geſang zu erhalten (b), und Fehler zu ver-
meiden (c):
Z. E.
[95]Vom Sextquintenaccord.

[figure]
[96]Achtes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 5.

Von Rechtswegen muß das zufällige Verſetzungs-
zeichen, wie bey allen Ziffern, alſo auch bey der Terz vorgebil-
det werden: dem ohngeachtet aber findet man es zuweilen nicht
angedeutet; man ſetzt zum voraus, daß man aus der Modulation
von ſelbſt wiſſe, wie die Terz ſeyn muß. Bey folgenden
Exempeln müſte die verminderte Terz ausdrücklich mit einem Be
über die Grundnote geſetzt werden, wenn man ſie nehmen ſolte:

[figure]

§. 6.

Den Liebhabern fremder Harmonie zu gefallen,
kann folgendes Exempel mit  und  in langſamer Zeit-
maaſſe,
bey Gelegenheit der übermäßigen Sexte mit der Quinte,
im Durchgange, wobey die  und  zerſtreut liegen, allen-
falls paßiren:

[figure]

§. 7.

Wegen gewiſſer Vorſchläge in der Hauptſtimme,
bey einem ſchwachen Vortrage, in langſamer Zeitmaaſſe, kann
bey dem erſten Exempel zu  die Sexte, und bey dem zweyten
die Terz wegbleiben. In dem dritten Exempel kann man auch
ſowohl bey , als auch bey , die Terz miſſen, um der Haupt-
ſtimme genugſame Freyheit und Stille zu verſchaffen, das Durch-
ziehen der langſamen Noten dem Affect gemäß auszudrücken:
Z. E.
[97]Vom Sextquintenaccord.

[figure]

Reuntes Capitel.
Vom Secundenaccord
.


Erſter Abſchnitt.


§. 1.


Dieſer Accord beſtehet aus der Secunde, Quarte und
Sexte.


§. 2.

Die Signaturen davon ſind: 2, [4][𝆺𝅥], 4 ♮, (dieſes ♮
iſt hier erhöhend,)  und .


§. 3.

Es kommen bey unſerer Aufgabe die groſſe und
kleine Sexte, die übermäßige und reine Quarte, die groſſe,
kleine
und übermäßige Secunde vor.


§. 4.

Die Diſſonanz liegt hier im Baſſe, und kommt in
der Bindung (a), und im Durchgange (b) vor, geht aber
allezeit nachher herunter. Die Octave davon darf daher in
der rechten Hand, als eine Mittelſtimme, nicht gegriffen werden,
Bachs Verſuch. 2. Theil. Nob
[98]Neuntes Capitel. Erſter Abſchnitt.
ob ſie ſchon die linke zur Verſtärkung nehmen kann. Die
Secunde ſelbſt verhält ſich wie eine Conſonanz; ſie kann frey
angeſchlagen werden, liegen bleiben, fortgehen und auch verdoppelt
werden.

[figure]

§. 5.

Wenn die groſſe Secunde, die groſſe Sexte und
reine Quarte bey ſich hat, ſo kann die letztere nachher hinauf und
herunter gehen, ſie kann liegen bleiben und auch herunter ſpringen.
(a). Eben dieſelbe Freyheit hat die reine Quarte bey der groſſen
Secunde und kleinen Sexte (b); und bey der kleinen Secunde
und kleinen Sexte (c):

[figure]

[99]Vom Secundenaccord.

[figure]

N 2
[100]Neuntes Capitel. Erſter Abſchnitt.

[figure]

§. 6.

Wenn die übermäßige Quarte bey der groſſen
Secunde und groſſen Sexte iſt, ſo kann ſie hernach liegen bleiben,
und in die Höhe gehen (a); auf dieſelbe Art verhält ſie ſich, wenn
ſie die übermäßige Secunde und groſſe Sexte bey ſich hat (b);
bey dem letzten Exempel geht ſie zwar im Durchgange herunter:
gleich drauf aber geht ſie wieder in die Höhe:

[figure]

[101]Vom Secundenaccord.

[figure]

§. 7.

Bey dem vierſtimmigen Accompagnement, wobey
man allezeit auf vier klingende Taſten ſiehet, pflegt man zuwei-
len die übermäßige Quarte herunter ſpringen zu laſſen, und ich
ſehe auch nicht die Möglichkeit, vier Klänge allezeit anzuſchlagen,
ohne jene Progreßion zu erlauben: allein, die Stimmen haben
eine weit ſangbarere und der Natur der übermäßigen Quarte
gemäſſere Fortſchreitung, wenn man dieſe letztere in die Höhe gehen
N 3läßt,
[102]Neuntes Capitel. Erſter Abſchnitt.
läßt, und auch hier mit der Art der Verdoppelung abwechſelt.
Alle Lagen ſind alsdenn zu gebrauchen, da auſſerdem der Sprung
der übermäßigen Quarte zur Noth in der Mitte erträglich iſt:

[figure]

§. 8.

Unſer Secundenaccord iſt leicht zu finden; wenn
man den Dreyklang von der Secunde des Grundtones weiß,
ſo weiß man auch jenen.


§. 9.

Weil nun dieſer Secundenaccord auf einem Drey-
klange beruhet, ſo hat man ſich bey vorhergehenden Dreyklängen
und Accorden, welche auf einen Dreyklang zurückgeführet wer-
den können, in acht zu nehmen, damit man keine Quinten mache:

[figure]
§. 10.
[103]Vom Secundenaccord.

§. 10.

Zur Verſtärkung kann man zuweilen zur fünften
Stimme die groſſe und kleine Secunde doppelt nehmen; auch
auſſerdem, um den üblen Sprung mit der übermäßigen Quarte
zu bedecken. Die groſſe Secunde, wenn ſie bey der kleinen
Sexte iſt, und die übermäßige Secunde überhaupt vertragen dieſe
Verdoppelung niemals.

[figure]

§. 11.

Bey der dreyſtimmigen Begleitung verliehret man ein
Intervall, daher braucht man ſie nicht leicht, es müſten denn hinläng-
liche Urſachen dazu da ſeyn. Im letztern Falle bleibt die Sexte weg.


§. 12.

Man greift ohne Andeutung zur übermäßi-
gen Quarte die groſſe Sexte (a), und zur kleinen Secunde die
kleine Sexte (b); zur übermäßigen Secunde die übermäßige
Quarte (c), und zur übermäßigen Quarte, mit einem doppelten
Erhöhungszeichen (4 [♯]), die groſſe Secunde und die groſſe Sexte
(d). Das Auge wird alsdenn mit allzu vielen Signaturen
nicht überhäuft:

[figure]
§. 13.
[104]Neuntes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 13.

Bey folgenden Exempeln aber iſt es nöthig, die
Sexte mit dem Erhöhungszeichen anzudeuten, und wer es nicht
thut, der ſetzt einen in der Modulation nicht genug geübten Be-
gleiter in eine Verlegenheit und Verwirrung, anſtatt, daß er,
ihm eine Bequemlichkeit zu verſchaffen, glaubt. Bey dem letzten
Exempel kann man auch, ſtatt der Sexte, die doppelte Secunde,
als eine Vorausnahme des folgenden Dreyklanges, nehmen:

[figure]

§. 14.

Wenn eine Grundnote mit  um eine Stufe in
den weichen Dreyklang in die Höhe ſteigt, ſo findet man zuwei-
len über der letzten Note  oder  die Urſachen davon ſind Vor-
ſchläge, welche mitgeſpielt werden müſſen, und wobey alſo der
Baß nicht herunter tritt, weil dieſe  nur der Zierlichkeit wegen da
iſt, und der Dreyklang die eigentliche Harmonie iſt. Die Secunde
und Quarte gehen in die Terz, und die Sexte in die Quinte. Bey
einer ſchwachen Begleitung kann die Quarte (a), und zuweilen
die Sexte wegbleiben (b):
Z. E.
[105]Vom Secundenaccord.

[figure]

§. 15.

Bey einem liegenden, oder in einem Tone
bleibenden Baſſe,
kommt zuweilen die Signatur  vor; die-
ſes iſt ein dreyſtimmiger Satz, und es wird weiter nichts darzu-
gegriffen. Beyde Intervallen brauchen ſo wenig, wie die Grund-
ſtimme einer Auflöſung, weil ſie im Durchgange vorkommen, und
ſie können herauf und hinunter gehen. Die vorhergehenden und
folgenden Ziffern auf dieſe  werden insgemein auch dreyſtimmig
abgefertiget. Die Stimmen, ſo man begleitet, haben mehren-
theils dieſelbe Progreßion; dann und wann hält eine davon in der
Octave oder Quinte aus; im letztern Falle könnte, wenn die Be-
gleitung vierſtimmig ſeyn muß, auch die groſſe Septime zu dieſer
 mit gegriffen werden (a). Man kann auch hier über die 
einen Telemanniſchen Bogen zur Vorſicht ſetzen:

[figure]

Bachs Verſuch. 2. Theil. O
[106]Neuntes Capitel. Zweyter Abſchnitt

[figure]

Zweyter Abſchnitt.


§. 1.


Wenn zweymahl hinter einander in folgendem Exempel  vor-
kommt, ſo trift bey der zweyten Grundnote die  um ein
Achttheil zu zeitig ein, wie wir bey (a) ſehen. Dieſer Fall kann
auch vorkommen, wenn eine reine Quarte vor der übermäßigen
vorhergehet (b):

[figure]

§. 2.

Wenn einige Bezifferer in folgenden Exempeln die
Signatur der übermäßigen Quarte allein über die Grundnote
ſetzen, ſo iſt es unrecht. Der Secundenaccord, welcher durch
dieſe [4][♯], oder 4♮, angedeutet wird, findet bey dem erſten Exem-
pel, wobey gis kurz vorhergegangen iſt, nicht ſtatt, und bey dem
zweyten kann er wegen der Auflöſung der Diſſonanzen auch nicht
gegriffen werden. Der Sextquartenaccord iſt es, welchen man
in beyden Fällen nehmen muß:
Z. E.
[107]Vom Secundenaccord.

[figure]

Aus Uebereilung vergißt man zuweilen, daß die Signa-
tur [4][♯] durch eine eingeführte Bequemlichkeit, einen ganzen Accord
andeutet, und verwirrt daher den Sextquartenaccord mit dem
Secundenaccord.


§. 3.

Wenn bey dem Sextquintenaccord, mit der falſchen
Quinte, die letztere und die Terz durch einen langſamen doppelten
Vorſchlag
aufgehalten werden, und dieſer etwas widrige Vorſchlag
mitgeſpielt werden ſoll: ſo muß man   über die Noten ſetzen,
und bey dieſer  die Sexte weglaſſen (a). Wenn bey dem
Secundenaccord die Secunde durch einen langſamen Vorſchlag
von der übermäßigen Octave aufgehalten wird: ſo greift
man, wenn zumahl der Gedanke ſchwach vorgetragen wird, blos
die Quarte, und nimmt die Secunde und Sexte nicht eher darzu,
als wenn die erſtere in der Hauptſtimme eintritt. Jedoch, da
dieſe übermäßige Octave fürchterlicher in die Augen als in die
Ohren fället, und das Gehör, wenn die Zeitmaaſſe langſam und
bloß die Quarte bey dieſer Octave iſt, bey der Auflöſung auf eine
nicht widrige Art hintergangen wird, ſo kann man ſie ſowohl
O 2mit
[108]Neuntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
mitziffern als auch mitſpielen (b). Die Ausführung bey (c),
wo die Terz durch einen Vorſchlag in die Quarte gehet, klingt auch
nicht übel. Wer gar zu delicate Ohren hat, dem ſtehet es frey, in
beyden Fällen dieſe Vorſchläge ohne Begleitung mit der rechten
Hand vorbeygehen zu laſſen. Wenn das Accompagnement ſehr
ſchwach ſeyn ſoll, ſo überläßt man ohnedem den Hauptſtimmen
dieſe Feinigkeiten allein. Die übermäßige Octave iſt eine in
die Höhe gehende und nur als ein Vorſchlag vorkommende
Diſſonanz.

[figure]

§. 4.

Um Octaven zu vermeiden, muß man in folgendem
Exempel, bey der letzten Grundnote die Quinte oder die Terz
verdoppeln:
Z. E.
[109]

[figure]

Zehentes Capitel.
Vom Secundquintenaccord
.


§. 1.


Dieſer Accord beſtehet aus der Secunde und Quinte;
zur vierten Stimme wird eines von beyden Intervallen
verdoppelt.


§. 2.

Er wird durch  angedeutet. Die Secunde iſt hier-
bey groß, und die Quinte rein.


§. 3.

Die Diſſonanz liegt wiederum, wie bey allen Se-
cundenaccorden, im Baſſe, welcher ſchon da ſeyn muß und nach-
her hinunter gehet.

[figure]

§. 4.

Es erhellet aus dem erſten vorhergehenden Exempel, daß
unſer Accord der vorausgenommene Sextenaccord von der folgenden
Grundnote ſey. Wenn bey jenem die Secunde verdoppelt wird,
ſo hat man bey dieſem ; und wenn die Quinte doppelt gegrif-
fen iſt, ſo liegt nachher .


O 3§. 5.
[110]Zehntes Capitel. Vom Secundquintenaccord.

§. 5.

Der Secundquintenaccord klingt allezeit leer, er mag
drey- oder vierſtimmig ſeyn. Die Auflöſung macht ihn voll.
Er kommt in der galanten Schreibart ſelten vor, aber in der
gearbeiteten, und bey den Bindungen deſto öfter; folglich bleibt
man bey der vierſtimmigen Begleitung.


§. 6.

Weil bey unſerm Accorde eine Verdoppelung auſſer
dem Grundtone vorkommt, ſo muß man bey vorhergehenden Ac-
corden, mit ſolchen Verdoppelungen, die nöthige Vorſicht brau-
chen, damit keine Octaven vorgehen. Man muß mit der Art
zu verdoppeln abwechſeln:

[figure]

§. 7.

Unſer Accord mit der vergröſſerten oder über-
mäßigen Quinte
kommt zuweilen bey dem irregulairen
Durchgange
oder bey den Wechſelnoten vor:

[figure]
Eilftes
[111]Eilftes Capitel. Vom Secundquintquartenaccord.
[figure]

Eilftes Capitel.
Vom Secundquintquartenaccord
.


§. 1.


Dieſer Accord beſtehet aus den Intervallen, wovon er den
Namen hat.


§. 2.

Seine Signatur iſt . Die Secunde iſt in dieſem
Accorde groß; die Quinte und Quarte rein.


§. 3.

Auch hierbey iſt der Baß gebunden, und gehet her-
unter, weil die Diſſonanz da liegt. Entweder die Quinte oder
Quarte muß auch vorher liegen. Der Sextquintenaccord mit
der falſchen Quinte, welcher über der vorletzten Note ſtehet,
wird durch unſern Accord vorausgenommen:

[figure]

§. 4.

Weil dieſe Aufgabe auch nur bey Compoſitionen
vorkommt, welche das vierſtimmige Accompagnement gar wohl
vertragen, ſo bleibt man dabey, um ſo vielmehr, da kein In-
tervall von unſerm Accorde gemiſſet werden kann.


§. 5.

Wenn man den Sextquintenaccord von der
Unterſecunde des Grundtones nimmt, ſo hat man unſere
Aufgabe.


Zwölftes
[112]Zwölftes Capitel. Vom Secundterzaccord.

Zwölftes Capitel.
Vom Secundterzaccord
.


§. 1.


Dieſer Accord beſtehet aus der kleinen Secunde, groſſen
Terz
und reinen Quinte.


§. 2.

Seine Signatur iſt eine 2 mit dem erniedrigenden
Verſetzungszeichen, und eine 3; wenn dieſe letztere zufällig
groß iſt, ſo ſetzet man über die 2 ein bloſſes erhöhendes Ver-
ſetzungszeichen ([𝇏][2][♮]).


§. 3.

Die Grundſtimme hat hier wiederum die Diſſonanz,
iſt gebunden und wird herunterwärts aufgelöſet:

[figure]

§. 4.

Der Secundterzaccord wird allezeit vierſtimmig ge-
nommen, weil er ausdrücklich geſetzt wird, damit kein Intervall
verlohren gehen ſoll. Wenn man bey dem Dreyklange, ſtatt der
Octave, die Secunde nimmt, ſo hat man den Secundterzaccord
in Händen.


§. 5.

In dem irregulären Durchgange kommt dieſer Accord
als ein vorausgenommener Terzquartenaccord zuweilen mit der
groſſen Secunde (a), und zuweilen mit der kleinen Terz vor (b):


Z. E.
[113]
[figure]

Dreyzehntes Capitel.
Vom Septimenaccord
.


Erſter Abſchnitt.


§. 1.


Der Septimenaccord iſt dreyerley: er beſtehet (1) aus
der Septime, Quinte und Terz; (2) aus der Septime,
Terz
und Octave; (3) aus der Septime und doppelten
Terz.


§. 2.

Er wird durch 7 oder  angedeutet. Die Verſe-
tzungszeichen müſſen nicht vergeſſen werden, beſonders wenn die
zufällig groß oder klein iſt.


§. 3.

Es kommen bey dieſem Accorde vor: die vermin-
derte,
die kleine und groſſe Septime; die übermäßige,
die reine und falſche Quinte; die groſſe und kleine Terz
Terz und die Octave.


§. 4.

Die Septime iſt eine Diſſonanz, welche mit
(a), und ohne Vorbereitung(b) geſetzet wird, und nachher
herunter gehet. Den groſſen Septimenaccord, wobey
Bachs Verſuch. 2. Theil. Pdieſes
[114]Dreyzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.
dieſes Intervall in die Höhe tritt, werden wir beſonders abhan-
deln. In dem gegenwärtigen Accorde muß die groſſe Septime ſo
gut, wie die übrigen Septimen herunterwärts aufgelöſet werden;
blos die durchgehenden Septimen können zuweilen liegen
bleiben
(c), wenn ſie aber nicht mit der Grundnote zugleich ein-
treten, ſo gehen ſie auch herunter (d):

[figure]

§. 5.

Die Septime iſt die Unterſecunde vom Baſſe; und
der Septimenaccord mit der Quinte iſt der Dreyklang von der
Terz der Grundnote.


§. 6.

Bey der dreyſtimmigen Begleitung bleibt die Octave
und Quinte weg. Die Terz muß allezeit da ſeyn, wenn wir die
galante Schreibart ausnehmen.


§. 7.

Die dreyfache Einrichtung unſers Accordes iſt nicht
allezeit willkührlich. Es entſtehen daher, wie wir in der Folge
bemerken werden, zuweilen groſſe Schwierigkeiten, und es würde
eine ſchlechte Mühe ſeyn, und nicht blos Anfängern, ſondern
auch Geübten zur groſſen Erleichterung dienen, wenn man alle-
zeit die 5 und die 8 ausdrücklich mit über die Noten ſetzte, wo
ſie gegriffen werden ſollen. Dem Auge ſind dieſe Ziffern nichts
neues, weil ſie doch oft mit angedeutet werden. Das vor-
nehm-
[115]Vom Septimenaccord.
nehmſte, worauf man bey der Einrichtung des Septimenaccordes
zu ſehen hat, iſt dieſes: daß die vorbereitete Septime da,
wo ſie iſt, liegen bleiben, und in derſelben Stimme auf-
gelöſet
werden muß.


§. 8.

Die groſſe Terz, wenn ſie auch natürlich iſt, wird
bey der kleinen Septime nicht verdoppelt.


§. 9.

Die Septime wird dann und wann über derſelben
Grundnote, zuweilen aber auch über einer folgenden aufgelöſet.
Beyde Fälle kommen einzeln, auch oft hinter einander vor.


§. 10.

Einzelne Noten mit 7 6 vertragen überhaupt
eher die doppelte Terz, oder die Octave, als die Quinte. Wenn
die letztere rein und nicht wider die Modulation iſt, ſo kann
man ſie allenfalls nehmen, nur muß man ſich vor verbotenen
Quintenprogreßionen in acht nehmen. Man kann ſogar die
übermäßige Quinte zuweilen, auch ohne Andeutung, zu dieſer
7 6 greifen, wenn ſie modulationsmäßig iſt; beſonders wenn ſie
aus einer vorhergegangenen und noch nicht aufgelößten über-
mäßigen Quarte, gebunden herkommt. Die falſche Quinte fin-
det bey unſerer 7 6 zuweilen auch ſtatt, und man nimmt ſie, auch
ohne Andeutung darzu, wenn ſie in der Folge aufgelöſet werden
kann. Exempel von allerley Art werden meine Meynung erklären.


§. 11.

Bey (a) kann man ſowohl die Octave, als auch
die doppelte Terz nehmen. In jenem Falle gehet die rechte
Hand der linken mit der Terz entgegen. Die Lage, wobey zur
erſten Grundnote die Quinte oben liegt, iſt die ſchlechteſte, und
die, wo die Octave oben iſt, die beſte. Bey der Verdoppelung
der Terz mit der Octave verfahren beyde Hände in der geraden
Bewegung. Bey (b) iſt, wegen der verbotenen Progreßionen
keine andere Begleitung, als die mit der doppelten Terz möglich.
P 2Keines
[116]Dreyzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.
Keines von beyden Exempeln, weder (a) noch (b), leidet die
Quinte, weil wegen der heraufſteigenden erſten Grundnote ver-
botene Quinten vorgehen würden. Bey (c) kann man die Quinte,
weil ſie reine iſt, zur Noth dazu nehmen, doch ſind die übrigen
beyden Arten unſers Accordes beſſer. Bey (d) iſt die Quinte,
wegen der übermäßigen Sexte über der folgenden Grundnote,
wider die Modulation, und kann alſo nicht genommen werden.
Die Octave iſt hier nothwendig, weil die doppelte Terz nach
dem achten Paragrapho nicht ſtatt hat. Bey (e) iſt die Quinte
nach dem Umfang der Tonart falſch, und kann in der Folge nicht
aufgelöſet werden; ein Umſtand, worauf man beſonders zu ſehen
hat, und welcher die Begleitung mit der Quinte in dieſem Falle
gefährlich machet, Die zwo andern Arten unſers Accordes finden
alſo bey dieſem Exempel allein ſtatt. Die vielen auf einander
folgenden Sexten müſſen, wo möglich, in der Oberſtimme genom-
men werden, widrigenfalls machet man Fehler, oder wenigſtens
einen ſchlechten Geſang. Bey (f) iſt unſer Accord mit der
Octave allein gut, weil ſonſt unſangbare und unreine Progreſ-
ſionen vorgehen:

[figure]
[117]Vom Septimenaccord.

§. 12.

Bey (g) kann man alle drey Arten des Septi-
menaccordes brauchen. Die falſche Quinte wird hier deswegen
allenfalls erlaubet, weil ſie bey der folgenden groſſen Sexte in
die Quarte gehen kann. Bey (h) muß die Quinte übermäßig
ſeyn, wenn man ſie nehmen will, und muß hernach mit der
Sexte in den Einklang zuſammen gehen. Dieſe Quinte wird
oft ſo wenig, als die falſche angedeutet, und wer weiß denn alle-
zeit, ob ſie der Componiſt hier haben wolte? Man pflegt ja
ſonſt nicht leicht ohne Vorſchrift ein diſſonirend Intervall zu
nehmen, welches den ohnedem diſſonirenden Accord noch widri-
ger macht. Ein anders iſt es, wenn dieſe Quinten ausdrücklich
da ſtehen. Die Art der Begleitung, wobey man beſtändig auf
vier klingende Taſten gedrungen hat, iſt Urſache, daß dieſe un-
gebetene Quinten ſich eingeſchlichen haben. Bey dem Gebrauch
der Verdoppelung mit dem Einklange hat man ſie nicht nöthig.
Die übrigen zwo Arten des Septimenaccordes ſind alſo hier,
bey (h), ſicherer. Das Exempel bey (i) iſt merkwürdig: die
doppelte Terz findet hier nach dem achten Paragrapho nicht ſtatt;
die Octave verträgt ſich mit der darauf folgenden Grundnote
gis nicht wohl: folglich iſt die Quinte nothwendig. Bey (k)
iſt die bequemſte Begleitung die Octave, und allenfalls die Quinte.
Die doppelte Terz gehet hier nicht an. Die Verdoppelung mit
dem Einklange thut hier gute Dienſte:


[figure]
[118]Dreyzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.
[figure]

§. 13.

Bey (l) iſt ſowohl die reine als übermäßige Quinte,
wegen der vorhergegangenen übermäßigen Quarte nothwendig. Die
Auflöſung dieſer Quarte nöthiget beyde Quinten nachher in die
Höhe zu gehen. Wenn bey einem vorhergegangenen Secunden-
accord die Quarte rein iſt, ſo pflegt hernach bey der Septime
die falſche Quinte mit angedeutet zu ſeyn (m), und wenn bey
dieſer reinen Quarte die Sexte klein iſt, ſo pflegt die vermin-
derte Septime mit der falſchen Quinte darauf zu folgen (n).
Bey (o) iſt die Octave, wegen der vorhergegangenen Ziffern,
nothwendig. Bey (p) accompagnirt man dreyſtimmig, weil die
Modulation der Hauptſtimme die vierte Stimme nicht wohl ver-
trägt. Die Auflöſungen müſſen hier nicht eher und nicht ſpäter,
als es nöthig iſt, vor ſich gehen. Bey (q) muß man zur erſten
Grundnote die Octave zur fünften Stimme nehmen, damit die
Septime vorbereitet ſey. Man behält bey dieſer letztern entwe-
der , oder , und die Septime gehet mit der übermäßigen
Quinte hernach in den Einklang zuſammen:


[figure]
[119]Vom Septimenaccord.
[figure]

§. 14.

Viele Grundnoten hinter einander mit 7 6
pflegen ſowohl bey dem Abſteigen als Hinaufgehen vorzu-
kommen. Im erſtern Falle iſt die dreyſtimmige Begleitung die
leichteſte und in den Gelegenheiten, welche keine ſtarke Harmo-
nie vertragen, die vorzüglichſte. Die vierſtimmige erhält ihre
Reinigkeit durch die Verdoppelung, indem dabey alle Arten von
Sexten- und Septimenaccorden mit und ohne Verdoppelung
abwechſelnd vorkommen. Alles das, was hierüber bereits
erinnert worden iſt, und alſo nicht wiederholet werden darf,
muß genau beobachtet werden. Mit einem Worte: alle Vor-
bereitungen, Auflöſungen und Verdoppelungen müſſen regelmäßig
geſchehen.


§. 15.

Das unten ſtehende Exempel kann auf vielfache
Art begleitet werden. Die Arten ſind die beſten, wobey die
meiſten Veränderungen wegen der Verdoppelung vorkom-
men (a): wo aber zu viel Gleichförmigkeit iſt, indem der
Grundton, oder die Terz, oder die Sexte zu oft hinter-
einander in einerley Art
verdoppelt werden, da kann man
leicht Fehler machen, und zuweilen ſtechen die Quinten
und Octaven zu ſehr hervor; z. E. die Ausführung unſers
Exem-
[120]Dreyzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.
Exempels in folgenden Ziffern  ꝛc. iſt wegen der vielen
Quinten widrig, zudem ſind ſie nicht alle rein, und die falſchen wer-
den nicht aufgelöſet. Die Begleitung mit  ꝛc. iſt wegen
der Octaven in der Oberſtimme ekelhaft und wegen der Terzen
gefährlich, weil man in der Folge leicht wider den achten Para-
graphus unſers Capitels anſtoſſen kann. Die Ausſührung mit
 ꝛc. iſt wegen der Terzen und Quinten zugleich Fehlern unter-
worfen. Das Accompagnement mit  ꝛc. taugt wegen der
unaufgelößten falſchen Quinte, und überhaupt wegen der in der
Oberſtimme liegenden Quinten gar nicht; kommen folgends un-
richtige Verdoppelungen dazu, ſo iſt alsdenn alles Uebele bey-
ſammen. Die Ausführung mit  gehet an, ſo lange keine
groſſe Sexten mit der kleinen Terz ſich einmiſchen. Die Beglei-
tung mit  ꝛc. iſt wegen der unaufgelößten falſchen Quinte,
und wegen der Octaven in der Oberſtimme nicht gut:

[figure]

§. 16.

Wenn viele Grundnoten hinter einander bey
dem Aufſteigen 7 6 über ſich haben, ſo kann man nicht
wohl anders als vierſtimmig verfahren. Die rechte Hand gehet
hier der linken entgegen. Man nimmt ſowohl zur Septime als
zur
[121]Vom Septimenaccord.
zur Sexte die Octave und Terz, dieſe Begleitung iſt die beſte (a),
die unter (b) iſt nicht ſo natürlich:

[figure]

§. 17.

Einzelne Noten mit der Septime, wobey die
Auflöſung in der Folge geſchiehet, leiden mehrentheils das
vollſtimmigſte Accompagnement unſers Accordes, welches das mit
der Quinte iſt. Die beſondern Fälle in dieſer Art verſparen wir
bis in den zweyten Abſchnitt. Wenn die Quinte nicht rein iſt,
ſo muß ſie ebenfalls in der Folge aufgelöſet werden:

[figure]

§. 18.

Viele Grundnoten hinter einander mit der
Septime,
wo die Auflöſung in der Folge geſchiehet, kommen
vor, wenn der Baß in Quarten und Quinten herauf und hinun-
ter ſpringet. Bey der dreyſtimmigen Begleitung, wenn ſie nöthig
iſt, wird blos die Terz zu der Septime genommen; bey der vier-
ſtimmigen wechſelt man mit  und  ab (a). Dieſe Aus-
führung iſt die ſicherſte und beſte. Bey den doppelten Terzen
Bachs Verſuch. 2. Theil. Qkann
[122]Dreyzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.
kann man leicht wider die Regeln der Verdoppelung anſtoſſen;
indeſſen habe ich doch bey (b) ein Exempel abgebildet, wo dieſe
Verdoppelung gut iſt:

[figure]

§. 19.

Die durchgehende Septime in den folgenden
Exempeln verträgt die Ouinte nicht wohl; die doppelte Terz,
oder die Octave klingen beſſer dazu (a). Wenn die Quarte
vorher lieget und die Terz in der Folge herunter gehen kann, ſo
kann man beyde Intervallen zu dieſer Septime nehmen. Die
Exempel (b) gehören nicht hieher, ſondern zu den geſchwinden
durchgehenden Noten, wobey die rechte Hand ſtille ſchweiget;
ſie werden dahero nicht beziffert:

[figure]
[123]Vom Septimenaccord.

§. 20.

Die nachſchlagende durchgehende Septime
bleibt am beſten
in der Stimme, wo die Octave vorher war
(a): auſſerdem aber iſt es nicht unrecht, wenn man eine Ver-
änderung der Lage vornehmen muß, in dieſe Septime zu ſprin-
gen, weil der vorhergehende Accord aus lauter Conſonanzen beſte-
het (b). Dieſe Freyheit fällt weg, und man bleibet bey der
erſten Vorſchrift, wenn der Baß aushält, wobey viele Ziffern
auf dieſe 8 7 zu folgen pflegen (c). Wir wollen bey dieſer
Gelegenheit, obgleich auſſer der Ordnung, den Fall mit berühren,
wo die Octave mit der nachſchlagenden Septime Diſſonanzen bey
ſich hat, und ſelbſt wie eine Diſſonanz vorbereitet und aufgelöſet
wird; alsdenn muß auch die Octave in die Septime gehen (d):

[figure]
Q 2Zwey-
[124]Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

Zweyter Abſchnitt.


§. 1.


Wenn bey einer Cadenz, auch auſſer derſelben, der Baß eine
Stufe in die Höhe gehet, oder eine Quarte hinauf oder
eine Quinte herunter ſpringet: ſo kann bey der vorletzten Note
ohne Andeutung der Septimenaccord genommen werden, wenn die
darauf folgende Note einen Dreyklang über ſich hat. Hier wird
mehrentheils die Quinte zur Septime gegriffen (a): befürchtet
man aber mit der rechten Hand zu tief herunter zu kommen, ſo
kann man zum erſten Exempel (a) die Octave ſtatt der Quinte
behalten (b). Der gute Geſang wird nicht allein oft dadurch
erhalten, ſondern der letzte Dreyklang behält alle ſeine Inter-
vallen. Wenn der Baß eine Stufe in die Höhe ſteiget, ſo iſt
bey dem letzten Dreyklange zuweilen eine Verdoppelung nöthig (c):

[figure]

§. 2.

Folgende Exempel erfordern die Octave bey de[r]
Septime: bey (a) würden Quinten vorgehen, wenn die Septime
oben lieget, und die Quinte darzu genommen würde. Man muß
alſo in dieſer Lage dieſes letztere Intervall weglaſſen, und dafür
die Octave behalten. In den andern beyden Lagen gehet die
Quinte an. Bey (b) vermeidet man durch die Octave die ver-
botenen Quinten, welche zwiſchen der Hauptſtimme und dem
Accompagnement bey  und  vorgehen können, wenn jene nicht
tiefer lieget als dieſes. Dieſe Anmerkung ſcheinet zwar etwas
zu
[125]Vom Septimenaccord.
zu weit hergeholet zu ſeyn: allein bey einem langſamen Tempo
und einer feinen Ausführung ſind ſolche Quinten gar wohl zu
hören, und man iſt alſo auch verbunden, wenn die Haupt-
ſtimme über dem Baſſe ſtehet,
ſie zu vermeiden. Bey (c)
muß die falſche Quinte durch die vorhergehende Octave vorbe-
reitet ſeyn. Dieſes Exempel hat nur eine gute Lage. Bey (d)
liegt ſowohl die Sexte als auch die falſche Quinte zum h, wenn
die Octave zum g genommen wird. Die groſſe Terz zu dieſem
g gehet alsdenn natürlich in die Höhe, und macht mit der Grund-
ſtimme eine gute Fortſchreitung in Terzen. Bey (e) gehet man
den verbotenen Quinten aus dem Wege, wenn man zu dem e
die Octave nimmt. Bey (f), wo durch eine Aufhaltung der
Auflöſung, wie wir bey (ff) abgebildet ſehen, eine Septime in
die andere aufgelöſet wird, muß zur erſten die Octave genommen
werden: widrigenfalls machet man Quinten. Bey (g) erfordert
die Vorbereitung der zweyten Septime, die Octave zur erſten zu
greifen. Bey (h) würde kein Platz für die Terz zum c ſeyn,
wenn man die Quinte bey der vorhergehenden Septime genom-
men hätte. Bey (i) gehet die groſſe zufällige Terz zum a natür-
lich in die Höhe, und die Sexte zu dem darauf folgenden Se-
cundenaccord lieget alsdenn ſchon, wenn bey dem a die Octave
gegriffen iſt. Bey (k) machet man Octaven, wenn die Quinte
bey der Septime iſt. Bey (l) gehet eine Verwechſelung der
Harmonie vor, wie wir bey (ll) abgebildet ſehen; die zweyte
Septime ſcheint zwar eine Auflöſung von der erſtern zu ſeyn: ſie
iſt es aber nicht, ſondern man muß ſie nur als eine zierliche
Fortſchreitung der Oberſtimme anſehen, welche dieſe Verwechſe-
lung unmerklich machet. Man nimmt zur erſten Septime die
Octave, damit die erwehnte Fortſchreitung nicht gehindert werde,
Q 3und
[126]Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
und damit bey dem darauf folgenden c die Secunde ſchon liege.
Bey (m) muß die erſte verminderte Septime in die Octave der
folgenden Note aufgelöſet werden. Man nimmt bey (n) die
Octave zur Septime, damit in der Folge keine verbotenen Quin-
ten vorgehen, und der ganze Nonenaccord zum e ſchon da ſey.
Bey (o) verhütet man durch die Octave ebenfalls eine unreine
Progreßion, und der Quartterzenaccord zum h liegt alsdenn ſchon
in der Hand. Bey (p) muß man zum f die Octave zur
fünften Stimme nehmen, wenn der Bezifferer ausdrücklich  über
dieſes f geſetzet hat, damit die darauf folgende verminderte Septime
vorbereitet ſey. Bey (q) iſt die Octave bey der Septime nöthig,
wegen der Vorbereitung der darauf folgenden Quinte. Bey (r)
thut die Octave beſſer als die Quinte, um die im Baſſe nach-
ſchlagenden Octaven durch die Gegenbewegung zu vermeiden.
Bey (s) verhindert die Octave eine unmelodiſche Fortſchreitung,
welche die Quinte in der Folge verurſachen würde.


[figure]
[127]Vom Septimenaccord.
[figure]

§. 3.

Folgende Exempel erfordern die Quinte zur Septime:
bey (a) iſt ſie wegen des folgenden Sextquintenaccordes nöthig.
Bey (b) wird die falſche Quinte, ohne Andeutung, zur kleinen
und verminderten Septime genommen. Die Lage, wobey die
Quinte zur erſten Note oben lieget, tauget nicht. Bey (c) wür-
den Octaven vorgehen, wenn man bey dem erſten e die Octave
nähme, weil zum c die Octave, wegen der Vorbereitung der
darauf folgenden Septime gegriffen werden muß. Dieſer letztere
Um-
[128]Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
Umſtand verurſachet dieſe Fehler, wenn man nicht in der einen
Stimme aus dem gis in die Höhe in das c ſpringen will, (cc)
nicht die Auflöſung der Septime zu dem e, dieſe übernimmt der
Baß durch eine Verwechſelung: man nimmt alſo am beſten die
Quinte zur erſten Septime, und ſteiget mit ihr hernach in die
Höhe in das c. Die Lage mit der Septime zu dem erſten e in
der Oberſtimme, tauget nicht. Bey (d) iſt die Quinte nöthig,
damit bey der folgenden Note die Quarte, und folglich alle drey
Ziffern da ſeyn. Bey (e) muß die Septime zu dem letzteren c,
durch die vorhergehende Quinte zum e, vorbereitet werden.
Man nimmt hier bey dem letzteren c die Terz zur fünften Stimme.
Schon vorher bey dem e kann man dieſes mit der Octave thun.
Bey (f) erfordert die nöthige Vorbereitung der None über der
letzten Note, daß man vorher zur Septime die Quinte greife.
Im erſten Exempel (f) kann man zu dem e die Octave zur fünf-
ten Stimme nehmen, ſo hat man alsdenn bey dem a die Quinte
in der Hand, und der Dreyklang iſt bey der Auflöſung voll-
ſtändig. Aus dem zweyten und vierten Exempel des erſten §
dieſes zweyten Abſchnittes ſehen wir, daß die Quinte ebenfals
beſſer bey der Septime ſey, als die Octave, wenn die Grund-
ſtimme eine Stufe in die Höhe tritt, und die letztere Note den
Dreyklang über ſich hat.


[figure]
[129]Vom Septimenaccord.
[figure]

§. 4.

Folgende Exempel ſind ſowohl der Bezifferung, als
Begleitung wegen merckwürdig: Bey (a) findet ſich im zweyten
Tacte die fünfte Stimme ein; man verläßt ſie in der Folge wie-
der, ohne Bedenken, wenn ſie nicht mehr nöthig iſt, und ſiehet
nur auf eine regelmäßige Vorbereitung und Auflöſung. Bey (b)
hat man ſich, wegen der durchgehenden Noten im Baſſe, vor
Quinten und Octaven in acht zu nehmen: man kann ihnen
aber gar leicht durch die zweyfache Art der Verdoppelung aus
dem Wege gehen, wie wir aus den beygefügten Ausführungen
dieſes Exempels ſehen. Bey (c) gehet die erſte Septime über
einer Wechſelnote in die Höhe, weil dieſe  eigentlich ein voraus-
genommener Sextquartenaccord zu dem darauf folgenden e iſt.
Bey (d) kann man die Quinte im ungetheilten Accompagnement
nicht zu dem d ohne Fehler nehmen; die groſſe Terz darf nicht
verdoppelt werden: folglich nimmt man die Octave. Auſſer
dem muß man dieſes Exempel entweder dreyſtimmig begleiten,
oder das getheilte Accompagnement wählen. Ueber dem c hätte
ſchon die Auflöſung der None eigentlich geſchehen ſollen, ſo
wäre alsdenn die darauf folgende Septime vorbereitet worden.
Dieſe Aufhaltung der Auflöſung fällt durch die Vorſtellung un-
ſers Exempels bey (dd) deutlich in die Augen. Die Ausfüh-
rung von dem Exempel (d) im ungetheilten Accompagnement iſt
Bachs Verſuch. 2. Theil. Rdie
[130]Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
die beſte, wobey die None oben lieget. Wenn über dem c,
unter der 9, eine 7 zugleich ſtünde, wie man dieſen Satz oft
findet, ſo würde die Begleitung viel leichter ſeyn. Bey (e) ge-
hen alle drey Arten des Septimenaccordes an, nur muß man
nicht bey e und f mit einer Quinte in die andere ſchreiten, wie
wir bey der erſten Ausführung dieſes Exempels ſehen. Bey (f)
ſehen wir in der erſten Ausführung die Begleitung ſo, wie ſie
eigentlich ſeyn ſoll: man nimmt nemlich zur erſten Septime
die Octave, und zur zweyten Septime die Quinte, damit die
dritte Septime vorbereitet ſey: Wenn man aber dieſes ver-
ſehen, und die Septimenaccorde verwechſelt hat, ſo theilet man
bey der zweyten Septime den Accord, wenn die Länge der
Grundnote es, wie hier, erlaubet, und nimmt hernach das gehö-
rige Accompagnement zu dieſer Septime. Bey dieſem erlaubten
Hülfsmittel muß man aber ja bedacht ſeyn, damit keine Vor-
bereitung geſtöhret werde. Bey (g) greift man zur erſten Sep-
time die doppelte Terz, und zur zweyten die Quarte und Terz;
dieſe beyden letztern Intervallen nimmt man wegen der darauf
folgenden groſſen Sexte, man hat alsdenn bey der Auflöſung
den Terzquartenaccord in der Hand. Die Quinte kann man
zur erſten Septime, wegen der folgenden groſſen Sexte cis nicht
nehmen; auch nicht die Octave, wegen der Quinten, die man
machen würde, wie wir bey (gg) ſehen. Dieſes Exempel iſt
bey (x) ohne Aufhaltung der Auflöſung abgebildet. Bey (h)
greift man die doppelte Terz zur Septime, weil der Grundton
wegen des zufälligen Erhöhungszeichen nicht verdoppelt werden
darf, und die Quinte keine ſtatt hat. Bey (i) finden wir, we-
gen der Bezifferung, zwey ſonderbare Exempel, die ich gefunden
habe; ſie ſollten eigentlich die Signaturen von (ii) über ſich
haben.
[131]Vom Septimenaccord.
haben. In jenem Falle iſt keine andere, als die getheilte Beglei-
tung, ohne Fehler, und ohne die fünfte Stimme darzu zu nehmen,
möglich, wie wir aus der Ausführung ſehen. Bey (k) muß
man ſich vor unmelodiſche und falſche Fortſchreitungen hüten.
Die angeführten zwo Lagen ſind gut; in der dritten gehen bey
der zweyten und dritten Grundnote Quinten vor. Bey (l) ſind
auch nur zwo Lagen zu gebrauchen; die dritte, wo zum c die
Octave oben lieget, veranlaſſet Fehler. Bey (m) iſt die Abwech-
ſelung der Art zu verdoppeln nothwendig. Bey (n) wird im
vierſtimmigen Accompagnement die zufällig kleine Terz ohne
Andeutung
genommen. Die dem Syſtem gemäſſe vermin-
derte Terz muß beſonders angedeutet werden, wenn ſie jemand
haben will; in der Chromatick thut ſie nicht übel (o):


[figure]
R 2
[132]Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
[figure]
[133]Vom Septimenaccord.
[figure]

§. 5.

Bey einer feinen Begleitung läßt man zur kleinen
und verminderten Septime die Terz weg, zumahl wenn die letztere
ein zufälliges Erhöhungszeichen bey ſich hat (a). Im letzteren
Falle verdoppeln einige Componiſten lieber dafür die falſche
Quinte, und glauben, daß dieſe Verdoppelung erträglicher ſey
als jene zufällig kleine Terz. Die übrigen Ziffern fertiget man
bey unſern Exempeln ebenfalls dreyſtimmig ab:


R 3Z. E.
[134]Dreyzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
[figure]

§. 6.

Wenn vor einer Cadenz die Grundnote mit  er-
höhet wird, und hernach einen halben Ton in die Höhe tritt:
ſo nimmt man gerne des guten Geſanges wegen, die doppelte
Terz zum letzten Dreyklange mit Auslaſſung der Octave:

[figure]

Vierzehentes Capitel.
Vom Sextſeptimenaccord
.


§. 1.


Dieſer Accord iſt zweyerley: er beſtehet (1) aus der Sep-
time, Sexte
und Terz; (2) aus der Septime,
Sexte
und Quarte.


§. 2.
[135]Vierzehntes Capitel. Vom Sextſeptimenaccord.

§. 2.

Seine Signatur im erſten Falle iſt . Die Terz
wird nicht eher angedeutet, als wenn ſie ein zufälliges Ver-
ſetzungszeichen annimmt; dieſe letzteren müſſen bey den übrigen
Jutervallen unſers Accordes ebenfalls nicht vergeſſen werden.


§. 3.

Wenn, ſtatt der Terz, die Quarte bey dieſer Auf-
gabe ſeyn ſoll, ſo wird ſie ausdrücklich mit über die Grundnote
geſetzet, und pflegt neben ſich, unter der 5, eine 3 zu haben ().


§. 4.

Die kleine Septime, die groſſe und kleine
Sexte,
die groſſe Terz, oder, ſtatt dieſer, die reine Quarte
kommen bey unſerm Accorde vor.


§. 5.

Die Septime wird frey angeſchlagen und bleibt her-
nach liegen; die Sexte wird von ihr, wie eine Diſſonanz, gebun-
den, und lieget alſo vorher; bey der Auflöſung gehet ſie herunter
in die Quinte. Wenn die Quarte die vierte Stimme iſt, ſo
muß ſie auch ſchon vorher da ſeyn, und ſteiget mit der Sexte
zugleich herunter in die Terz. Der Baß kann frey und ge-
bunden ſeyn:

[figure]

§. 6.

Wir ſehen bey obigen Exempeln aus der Auflöſung
dieſes Accordes, daß der ſimple Satz der Septimenaccord mit
der
[136]Vierzehntes Capitel.
der Quinte iſt, wobey die letztere von der Sexte, und die Quarte
von der Terz aufgehalten werden. Wenn die Sexte oben, und
die Septime in der tiefſten Mittelſtimme lieget, ſo iſt man in der
beſten Lage; es hänget nur nicht allezeit von dem Begleiter ab,
dieſe letztere zu nehmen, weil ſie durch die nöthige Vorbereitung
beſtimmet wird.


§. 7.

Das dreyſtimmige Accompagnement hat an dieſem
Capitel nicht vielen Antheil. Unſer Accord kommt in der galau-
ten Schreibart nicht leicht vor: und ſollte er ja vorkommen, ſo
bleibet man bey vier Stimmen, es müßte dann ein ſchwacher
Vortrag den Begleiter nöthigen die Terz auszulaſſen.


§. 8.

Wir ſchlieſſen dieſes Capitel, ſtatt des zweyten Ab-
ſchnittes, mit vier merkwürdigen Exempeln. In dem erſten
kommt bey , ſtatt der Quarte, die Secunde im Durchgange
vor, welche letztere nachher in die Terz gehet. Dieſer Satz
kommt bey den Orgelpunkten vor, und läßt ſich, wie die übrigen
von der Art, am beſten erklären, wenn man den Baß wegläſſet.
Wie er alsdenn beſchaffen iſt, ſehen wir bey (a). In dem
zweyten Exempel kommt die verminderte Septime mit der kleinen
Sexte und kleinen Terz vor (b). Der eigentliche Satz iſt bey (c)
abgebildet, allwo wir ſehen, daß die Quinte von der Sexte auf-
gehalten wird. Dieſe Aufgabe klinget in allen Lagen widrig,
auch die, wobey die Sexte oben lieget, klinget nicht viel beſſer:
dahero würde ich die Ausführung dieſes Exempels bey (d) vor-
ziehen. Es iſt etwas beſonders, daß die vordem ſo übel beſchrieene
verminderte Octave hier ohnſtreitig beſſer thut, als jene ganz
gewöhnlichen Intervallen bey (b), dawider überhaupt niemand
jemahls etwas eingewendet hat. So wenig ich für den Gebrauch
gar zu fremder Intervallen bin: ſo gewiß bin ich aus unter-
ſchiede-
[137]Vom Sextſeptimenaccord.
ſchiedenen Anleitungen zum Accompagnement überzeuget, daß ſehr
oft der Uebellaut hauptſachlich von einer ungewöhnlichen Ver-
bindung ganz gewöhnlicher Intervallen abhänget. Bey dem
dritten Exempel hat die verminderte Septime die verminderte
Sexte und kleine Terz bey ſich (e). Der eigentliche Satz iſt
bey (f) zu ſehen. Die Quinte wird hier abermahls von der
Sexte aufgehalten. Wenn die letztere oben lieget, ſo klinget die
Ausführung bey (e) nicht gar übel: auſſerdem aber gehören
hierzu Ohren, die ſo ſonderbar ſind, wie das Exempel. Die drey-
ſtimmige Begleitung bey (g) iſt ſchon erträglicher. Bey dem
vierten Exempel geſchiehet im dritten Tacte die aufgehaltene
Auflöſung
der Quarte in die kleine Terz, wobey die Quinte
einen halben Ton herunter tritt (h). Dieſes Exempel wird da-
durch gut, daß der Baß vorher und nachher lieget; daß die
Zeitmaſſe etwas langſam iſt, und die groſſe Terz zum e, gis,
nicht ſo gar kurz vor dieſer aufgelöſeten Quarte vorhergegangen
iſt, wie wir bey dem letzten Exempel des 5ten § geſehen haben:


[figure]
Bachs Verſuch. 2. Theil. S
[138]Vierzehntes Capitel. Vom Sextſeptimenaccord.
[figure]

Das letzte Exempel (h) gehört auch mit zu den Orgel-
puncten. Wir werden weiter unten davon beſonders handeln,
und melden hier nur zum Voraus denen zum Troſt, welchen
die Bezifferung davon zu fürchterlich vorkommet, daß die rechte
Hand bey dieſen Orgelpuncten zu ruhen pflegt, und daß man
ſie dahero nicht beziffert, ſondern bloß taſto ſolo darüber ſetzet.
Hier iſt die Vorbildung der Ziffern nöthig, um die Fortſchrei-
tungen der Stimmen, und die Veränderungen der Harmonie
anzuzeigen.


Funf-
[139]

Funfzehntes Capitel.
Vom Quartſeptimenaccord
.


§. 1.


Dieſe Aufgabe gehöret zwar eigentlich zu der Abhandlung von
den Vorſchlägen, welche wir noch vor uns haben: weil
man ſie aber doch bey Stücken angedeutet findet, wo die
Vorſchläge nicht mit geziffert ſind, ſo wollen wir ſie hier beſon-
ders betrachten.


§. 2.

Unſer Accord kommt über Grundnoten vor, welche
eigentlich entweder mit dem Septimenaccord, oder mit
dem Sextquartenaccord begleitet werden ſollten.


§. 3.

Wenn ſtatt des Septimenaccordes unſer Accord
gezeichnet ſtehet, ſo iſt er zweyerley: (1) beſtehet er aus der
Septime, Quinte und Quarte; 2) aus der Septime,
Octave
und Quarte. In beyden Fällen iſt ſeine Signatur .
Auch hier würde es eine ſchlechte Mühe ſeyn, die dritte Ziffer
dazu zu ſetzen. Anfänger würden dadurch eine groſſe Erleichte-
rung bekommen, und der Verwirrung mit den: Accord der groſſen
Septime, welcher zuweilen eben ſo angedeutet wird, wie wir
bald hören werden, wäre vorgebeuget.


§. 4.

Die groſſe, kleine und verminderte Septime;
die übermäßige, reine und falſche Quinte; die vermin-
derte, reine
und übermäßige Quarte kommen bey dieſem
Accorde vor.


§. 5.

Der ſimple Satz davon iſt eigentlich, wie wir ſchon
oben angeführet haben, der Septimenaccord. Den ganzen Unter-
S 2ſchied
[140]Funfzehntes Capitel.
ſchied machet die Terz, welche hier von der Quarte aufgehalten
wird. Sowohl die Septime, als auch die Quarte können vor-
her liegen, und auch nicht; im letzteren Falle aber muß doch
wenigſtens eines von dieſen beyden Intervallen da ſeyn. Beyde
gehen bey der Auflöſung herunter, auch ſo gar die übermäßige
Quarte, weil ſie hier bloß einen zierlichen Vorſchlag, der allen-
falls gemiſſet werden könnte, und keine Hauptziffer vorſtellet.
Die Auflöſung der Septime und Quarte geſchiehet ſelten zugleich;
mehrentheils gehet eine nach der andern herunter. Der Baß
verhält ſich hier, wie bey dem Septimenaccord.


§. 6.

Was bey dem letzteren wegen der Quinte und
Octave angeführet worden iſt, findet ebenfalls hier ſtatt; folg-
lich nimmt man auch bey unſerm Accord bald die Quinte, bald
die Octave, nachdem es der ſimple Septimenaccord leidet.


§. 7.

Wenn über derſelben Grundnote die Septime
in die Sexte aufgelöſet wird, ſo kommt unſer Accord ſelten vor,
und am ſeltenſten geſchiehet alsdenn die Auflöſung der Septime
und Quarte zugleich, weil es ſchlecht klinget, und auch nach Be-
ſchaffenheit der Lage, wegen der Fehler, gefährlich iſt, mit zwey-
ſtimmigen Vorſchlägen
in Quarten einher zu gehen. Ich
ſage mit Fleiß: mit zweyſtimmigen Vorſchlägen, weil die
Diſſonanzen, beſonders ſolche, welche über derſelben Grundnote
aufgelöſet werden, im Grunde nichts anders als Vorſchläge ſind.


§. 8.

In folgenden Exempeln wird die Septime mit der
Quarte zugleich aufgelöſet. Die Ausführung bey (bb) iſt der,
bey (b), vorzuziehen; Man kann allezeit, wenn die Septime
in die groſſe Sexte, und die Quarte in die kleine Terz herunter
tritt,  zugleich nehmen. Bey (c) muß die falſche, und bey (cc)
die übermäßige Quinte ausdrücklich mit angedeutet ſeyn. Das
Exem-
[141]Vom Quartſeptimenaccord.
Exempel (d) wird am beſten dreyſtimmig abgefertiget; und das,
bey (e), iſt deswegen nicht ſonderlich, weil man die beſte Lage,
wobey die übermäßige Quarte und groſſe Terz zum f zerſtreuet
liegen, wegen der Quinte nicht brauchen kann.

[figure]

§. 9.

Bey folgenden Exempeln, wo die Quarte vor der
Septime (a), und wo die letztere vor der erſtern (b) aufgelöſet
wird, verfähret man dreyſtimmig. Die vierte Stimme iſt
bey (a) etwas gezwungen, und bey (b) ohne Fehler gar nicht
möglich.


S 3Z. E.
[142]Funfzehntes Capitel.
[figure]

§. 10.

Bey folgenden Exempeln gehet die Quarte gleich
in die Terz, die Septime aber wird erſt über den folgenden
Grundnoten
aufgelöſet. Wenn man bey der frey anſchla-
genden Septime
die Wahl hat, die Quinte oder die Octave
zur dritten Stimme zu nehmen: ſo nimmt man die erſtere, weil
nach der Auflöſung die Harmonie alsdenn vollſtändiger iſt, als
wenn man die Octave hat, wie wir den Unterſchied hievon
bey (a) und (aa) ſehen. Die beſte Lage mit der Quinte iſt die,
wobey die Quarte oben lieget. Zuweilen muß man wegen der
nöthigen Vorbereitung darauf folgender Ziffern die Octave zu 
nehmen (b). Die Quinte kann alsdenn, wenn man es gut
findet, zur fünften Stimme mitgegriffen werden. In dem Exem-
pel (c) verdoppelt man vorher bey dem Dreyklange die Terz,
oder die Quinte (1) (2); auſſerdem ſchreitet man lieber aus der
Vorbereitung der Quarte (3), als daß man dieſe letztere ſollte
liegen laſſen (4). Die Urſache hievon iſt dieſe: Wenn man die
Fortſchreitung des Baſſes von a in das gis, und der Mittel-
ſtimme vom a in das f anſiehet, und das ledige Intervall der
letzteren Stimme ausfüllet, ſo findet man einen unharmoni-
ſchen
[143]Vom Quartſeptimenaccord.
ſchen Queerſtand, welcher zwar heute zu Tage nicht von der
Wichtigkeit iſt, als vordem, aber doch gar leicht vermieden wer-
den kann. Niemand wird läugnen, daß die Ausführung dieſes
Exempels, wenn man es ſimpel ſetzet, bey (5) in der Gegen-
bewegung nicht beſſer ſeyn ſollte, als die bey (6) in der geraden
Bewegung. Auſſer dem galanten Styl bleibet man bey (1) und (2).

[figure]
§. 11.
[144]Funfzehntes Capitel.

§. 11.

Bey der gebundenen Septime in unſerm Accord
iſt man wegen der dritten Stimme ſchon mehr eingeſchränket, und
wir werden unter folgenden Exempeln nur wenige finden, wo
es willkührlich iſt, die Quinte oder die Octave zu nehmen.
Die Ausführung bey (x) klingt in der vorgeſchriebenen Lage
am beſten.

[figure]

§. 12.

Wenn viele gebundenen Septimen bey einer
in Quarten und Quinten ſpringenden Grundſtimme hinterein-
ander
vorkommen, ſo pflegt zuweilen eine Septime um die an-
dere die 43 bey ſich zu haben; man kann in dieſem Falle gar
wohl vierſtimmig verfahren, wenn es nöthig iſt (a): Sollten
aber
[145]Von dem Quartſeptimenaccord.
aber alle Septimen mit 43 vorkommen, ſo kann man mit gutem
Gewiſſen bey dem dreyſtimmigen Accompagnement bleiben.
Dieſer Fall kommt nur in der galanten Schreibart vor; Bey (b)
iſt der ausführliche Satz, und bey (bb) die Begleitung davon
angedeutet. Die dreyſtimmige Begleitung hat überhaupt den
mehreſten Antheil an dieſem Capitel, weil die Aufgabe davon in
ſchwer gearbeiteten Compoſitionen nicht leicht vorkommt.

[figure]

§. 13.

Wenn man bey der durchgehenden Septime
im folgenden Exempel die Mittelſtimme mit dem Baſſe in Terzen
fortgehen laſſen will, wobey die Septime und Quarte liegen blei-
ben: ſo pflegen einige nicht deutlich genug  über die Grund-
note zu ſetzen. Die Signatur  iſt hierzu beſſer; Die Beglei-
Bachs Verſuch. 2. Theil. Ttung
[146]Funfzehntes Capitel.
tung dieſes Exempels mit der doppelten Terz, oder mit der Terz
und Octave, iſt dieſer hierunten ſtehenden vorzuziehen:

[figure]

§. 14.

Wenn unſer Accord ſtatt des Sextquarten-
accordes
vorkommt, ſo wird die Sexte von der Septime auf-
gehalten, und dieſe letztere, nebſt der Quarte und Octave ſind
die Intervallen, woraus er beſtehet. Die Septime iſt mehren-
theils
klein, die Quarte aber allezeit rein. Beyde Intervallen
werden herunterwärts, und jenes vor dieſem aufgelöſet. Die
Signatur dieſer Aufgabe iſt .


§. 15.

Aus folgenden Exempeln läſſet ſich dieſer Accord
genauer betrachten. Bey (a) bleibt der Baß liegen; weder die
Septime, noch die Quarte ſind vorbereitet. Bey (b) lieget die
Septime ſchon, die Quarte aber nicht. Zur erſten Note kann
man ſowohl , als auch  nehmen. Bey (c) iſt die Septime
nebſt der Quarte vorher da. Zur erſten Note nimmt man ;
die doppelte Terz mit der Sexte machet verdeckte, und die 
offenbare Octaven (cc). Bey (d) lieget die Septime ſchon.
Zur erſten Note mit dem Dreyklange kann man , , oder 
greiffen. Dieſer Dreyklang mit der Octave thut ſehr gut; aber
die Quinte darf nicht oben liegen, weil man ſonſt Fehler machet.
Bey (e) ſind beyde Diſſonanzen, ſowohl die Septime, als auch
die Quarte vorbereitet. Zur erſten Note greift man entweder
, oder . Die Octave kann bey dieſer erſten Septime nicht
ſeyn, weil ſie bey der zweyten nöthig iſt. Bey (f) lieget die
Septi-
[147]Vom Quartſeptimenaccord.
Septime ſchon. Zur erſten Note nimmt man , wegen der
nöthigen Vorbereitung der Septime. Die Lage, wo bey dieſem
Sextenaccorde die Terz oben lieget, machet Quinten. Bey (g)
ſind beyde Diſſonanzen vorbereitet. Hier muß man bey der
erſten Note die Octave zur fünften Stimme nehmen, damit die
Septime vorbereitet ſey. Bey (h) liegen wiederum die Quarte
und die Septime. Zur zweyten Note nimmt man bey 7 6 die
Quinte. Im getheilten Accompagnement kann man auch die
doppelte Terz zu dieſer 7 6 greifen, wie wir aus der letzten Aus-
führung dieſes Exempels ſehen. Die Octave kann man ohne
Fehler zu dieſer 7 6 nicht nehmen:

[figure]

T 2
[148]Sechzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.

[figure]

Sechzehntes Capitel.
Vom Accord der groſſen Septime
.


Erſter Abſchnitt.


§. 1.


Dieſer Accord beſtehet eigentlich aus der groſſen Septime,
der reinen Quarte und der groſſen Secunde.


§. 2.

Seine gewöhnlichſte Signatur im vierſtimmigen Accom-
pagnemente iſt  mit den nöthigen Verſetzungszeichen. Es giebet
Gele-
[149]Vom Accord der groſſen Septime.
Gelegenheit zu Verwirrungen, wenn einige bey der Bezeichnung
dieſes Accordes die 2 weglaſſen, oder gar nur eine 7 allein hin-
ſetzen, und dem ohngeacht vier Stimmen verlangen.


§. 3.

Unſere Aufgabe kommt ſowohl über einer ruhenden
Grundnote im Durchgange, als auch bey der Bewegung des
Baſſes als eine Vorhaltung des Dreyklanges vor. In jenem
Falle können alle drey Intervallen frey angeſchlagen werden,
und hernach in die Höhe gehen (a); in dieſem muß die Septime
und Secunde vorher liegen, die Quarte kann mit (b), und ohne
Vorbereitung (c) darbey ſeyn. Die Septime und Secunde
gehen in der Folge hinauf, die Quarte aber herunter.
Wenn bey (a) die letztere in der höchſten Stimme vorhanden iſt,
ſo läſſet man ſie auch herunter gehen.

[figure]

§. 4.

Man findet oft über Grundnoten  geſetzet, an ſtatt,
daß nach unſerer Methode,  darüber ſtehen ſollte: Wir werden in
der Folge bemerken, daß gewiſſe Fälle beyde Signaturen vertragen.
Hier unterſcheiden wir ſie dadurch, daß die groſſe Septime mit der
None allezeit herunterwärts aufgelöſet wird, und daß die erſtere
ſamt der Secunde bey unſerm Accord allezeit in die Höhe
gehen. Die letztere, weil ſie auſſer der gebundenen Grundnote,
und folglich nur im Durchgange, oder als eine Vorhaltung
vorkommt, hat auch hier daſſelbe Recht, was ſie bey andern
Aufgaben hat, nehmlich, daß ſie in die Höhe gehen kann.


T 3§. 5.
[150]Sechzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.

§. 5.

Wenn man den Dreyklang von der Septime des
Grundtones nimmt, ſo hat man  in der Hand.


§. 6.

Bey der dreyſtimmigen Begleitung kann entweder
die Secunde, oder die Quarte wegbleiben. Man pflegt dieſes
alsdenn, wenn es nöthig iſt, durch  , oder   anzudeuten.
Bey der letzten Signatur, muß man auf die Auflöſung der
Septime genau acht haben, damit man nicht, ſtatt unſeres Accor-
des, den Quartſeptimenaccord nehme.


§. 7.

Bey unſerm Accorde findet ſich zuweilen die fünfte
Stimme
ein. Es iſt dieſe entweder die Sexte, welche groß
und klein ſeyn kann, oder die reine Quinte. Der Baß kann
dabey ruhen, und auch ſich fortbewegen.


§. 8.

Beyde Sexten können mit, und ohne Vorbereitung
zu unſerm Accord genommen werden: ſie gehen aber hernach in
die Quinte herunter, dadurch erhält der Dreyklang bey der
Auflöſung ſeine Vollſtändigkeit. Die Secunde bleibet zuweilen
alsdenn weg, wenn man nur bey vier Stimmen bleiben will;
dieſes ereignet ſich am öfterſten, wenn eine Grundnote mit 6
oder  eine Stufe herunter tritt, wobey über der letzteren Note
unſer Accord vorkommt: Iſt in dieſem Falle die Sexte über der
erſten Note übermäßig, ſo kann die Secunde zur zweyten ohnedem
nicht genommen werden, weil ſie nicht konnte vorbereitet werden.


§. 9.

Folgende Exempel werden meine Meynung deut-
licher erklären. Eine genaue Andeutung der Ziffern iſt auch hier
beſonders nöthig. Bey (a) kann die Secunde bey unſerm Ac-
corde mit da ſeyn, und auch nicht, nachdem es verlanget wird.
In den letztern Exempeln gehet die Sexte in die Quinte, indem
die Septime und Quarte liegen bleiben. Die Exempel mit der
groſſen Sexte klingen nur in der vorgeſchriebenen Lage gut.
Bey
[151]Vom Accord der groſſen Septime.
Bey (b) und (c) wird das fünfſtimmige Accompagnement, wel-
ches bey der erſten Note ſeinen Anfang nahm, fortgeſetzet. Alle
Intervallen zu unſerer Aufgabe liegen bey (b) ſchon in der Hand;
Bey (c) hat man bloß die Sexte aufzuſuchen. Bey (1) und (2)
kommt die Secunde, wegen der zierlichen Fortſchreitungen der
Mittelſtimmen in das Gedränge, darum läſſet man ſie gerne weg.
Bey (3) hat man wegen der Secunde die Wahl. Die [...] wird
hier vor der  aufgelöſet. Bey (4) (5) und (6) bleibt ſie aus
der im vorigen § angeführten Urſache weg.


[figure]
[152]Sechzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.
[figure]

§. 10.

Wenn die Quinte bey unſerm Accord zur fünften
Stimme genommen wird, ſo bleibet ſie hernach liegen; ſie kann
im vorigen Griffe ſchon da ſeyn, und auch nicht. Durch ſie
wird der letzte Dreyklang vollſtändig, und man behält auch ſo
gar in den Exempeln, wo die Secunde wegbleibet, vier richtige
Stimmen, wie wir aus den dreyen letztern Exempeln ſehen. Hier
muß man wiederum auf die Auflöſung der Septime Achtung geben,
um unſere Aufgabe mit dem Quartſeptimenaccorde nicht zu ver-
wirren, weil die Signatur von beyden einerley iſt. Das vierte
und fünfte Exempel wird zuweilen, ſtatt der 2, mit der 9 bezeichnet.

[figure]
Zwey-
[153]Vom Accord der groſſen Septime.

Zweyter Abſchnitt.


§. 1.


Die groſſe Septime darf niemahls aus der Octave der vorher-
gehenden Grundnote vorbereitet werden: folglich würde das
folgende Exempel falſch ſeyn:

[figure]

§. 2.

Wenn bey unſerm Accord die Septime von der
Octave aufgehalten wird, ſo kehren ſich die übrigen Stimmen
nicht daran, ſondern treten gleich mit der Grundnote ein. Dieſe
Octave verhält ſich hier wie eine Diſſonanz, ſie läſſet ſich von
der Secunde binden, und wird in die groſſe Septime herunter-
wärts aufgelöſet. Bey der Signatur dieſer Aufgabe ſtehet die
8 und 7 neben einander; die übrigen Ziffern ſo mit der Octave
zugleich gegriffen werden, müſſen darunter ſtehen. Im Exem-
pel (a) wird nebſt dieſer Septime, zugleich die Secunde von der
Terz aufgehalten. Dieſe letztere nimmt alsdenn ebenfalls, wie
die Octave, die Eigenſchaften einer Diſſonanz an. Bey (b)
wird in unſerm Accorde bloß die 2 von der 3 aufgehalten;
dieſe letztere kann bey dem Dreyklange vorher verdoppelt wer-
den (c). Die vorgeſchriebene Lage bey allen dieſen Exempeln iſt
die brauchbarſte.


Bachs Verſuch. 2. Theil. UZ. E.
[154]Sechzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.
[figure]

§. 3.

Wenn in der Hauptſtimme die Quarte von der
Quinte durch einen Vorſchlag aufgehalten wird, ſo nimmt man
gleich bey dem Eintritt der Grundnote , , oder nur , nachdem
die Begleitung ſtark, oder ſchwach ſeyn ſoll:

[figure]

§. 4.

Bey folgendem Exempel verfährt man am beſten
dreyſtimmig: ſoll und muß aber die vierte Stimme dabey ſeyn, ſo
nimmt man, ſtatt der Quarte, die Quinte, theils deswegen, damit
die, wegen der Wiederholung ohnedem ſchon gehäuften Vorſchläge
nicht
[155]Vom Accord der groſſen Septime.
nicht durch die Quarte noch mehr vermehret, und dadurch ein
Eckel erwecket werde; theils damit die vorgeſchriebene Vorſchläge
in der Hauptſtimme vorzüglich gehöret werden, und theils, damit
bey der Auflöſung der Dreyklang vollſtändig da ſey. Dieſe Voll-
ſtändigkeit kann hier durch die fünfte Stimme nicht hergeſtellet
werden, weil dieſes Exempel nicht einmahl das vierſtimmige Ac-
compagnement wohl verträget, geſchweige das fünfſtimmige.

[figure]

§. 5.

Wenn bey folgenden Exempeln (a) die groſſe Sep-
time herunter zu gehen ſcheinet, ſo iſt eine Ellipſis hieran Schuld.
Der vollſtändige Satz iſt bey (b) abgebildet. Das Exempel (c)
zeiget den Unterſchied unter der Auflöſung der  und  deutlich.
Wer bey dem letzten Tacte, ſtatt unſers Accordes,   greifet,
wird zwar in der Auflöſung nichts verſehen: er wird aber auch
nicht wohl läugnen können, daß die Begleitung in derſelben
vorgeſchriebenen Progreßion dem Sinne des Componiſten hier am
nächſten komme:

[figure]

U 2
[156]Siebzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.

[figure]

Siebzehentes Capitel.
Vom Nonenaccord
.


Erſter Abſchnitt.


§. 1.


Dieſer Accord beſtehet aus der None, Quinte und
Terz.


§. 2.

Seine Signatur iſt 9 8, wenn die None über der-
ſelben Grundnote aufgelöſet wird; gehet aber die Auflöſung die-
ſes Intervalles über den folgenden Noten vor ſich, ſo iſt eine 9
allein hinlänglich. Die Verſetzungszeichen müſſen hier eben ſo
wenig, als bey den andern Aufgaben vergeſſen werden.


§. 3.

Die groſſe und kleine None, die übermäßige,
reine
und falſche Quinte, die groſſe und kleine Terz kom-
men bey dieſem Accorde vor.


§. 4.
[157]Vom Nonenaccord.

§. 4.

Die None iſt eine Diſſonanz, welche allezeit vor-
bereitet wird, und bey der Auflöſung eine Stufe herunter tritt:

[figure]

§. 5.

Die None hat auf dem Syſtem mit der Secunde
einerley Sitz, iſt aber in der Begleitung, Vorbereitung und Auf-
löſung von ihr ſehr unterſchieden. Bey der Secunde ſtecket die
Diſſonanz im Baſſe, wo ſie vorbereitet und aufgelöſet wird. Bey
der None hingegen iſt die Diſſonanz in dem oberſten Termino,
wo ihre Vorbereitung und Auflöſung vor ſich gehet. Den Un-
terſchied der Begleitung dieſer zwo Diſſonanzen haben wir theils
ſchon geſehen, und werden in dieſen und folgenden Capiteln noch
mehr davon überführet werden.


§. 6.

Wenn man bey dem Dreyklange des Grundtones,
ſtatt der Octave, die None greifet, ſo hat man den Nonenaccord
in der Hand. Wer den Secundterzenaccord weiß, der weiß
auch den Nonenaccord.


§. 7.

Die groſſe None kommt mit der reinen und
übermäßigen Quinte vor. Bey der reinen Quinte kann
die Terz groß (a) und klein ſeyn (b): bey der übermäßigen
aber iſt die Terz allezeit groß. Dieſe letztere Quinte lieget als-
denn vorher, und wird in der Folge entweder mit der None
zugleich, oder für ſich beſonders aufgelöſet (c). Die kleine None
kann die reine und falſche Quinte bey ſich haben. Bey der
reinen Quinte kommt die groſſe (d) und kleine Terz vor (e).
Im letzteren Falle pfleget zuweilen die Quinte, bey der Auflöſung
U 3der
[158]Siebzehntes Capitel. Erſter Abſchnitt.
der None, in die Sexte zu ſteigen (e). Die falſche Quinte mit
der kleinen None kann zwar frey angeſchlagen werden (f): beſſer
aber iſt es, wann ſie vorher lieget (g):

[figure]

§. 8.

In folgendem Exempel, wo der Nonen- und Sext-
quintenaccord abwechſeln, iſt nur eine Lage, nehmlich die, wo die
None in der Unterſtimme lieget, ohne Fehler zu gebrauchen. Die
Quinten, welche in den zwo übrigen Lagen vorgehen, ſie mögen
auch noch ſo ſehr vertheidiget werden, ſind und bleiben allezeit
dem Ohr eckelhaft. Es iſt beſſer, wenn man die gute Lage nicht
haben kann, daß man bey  die Sexte wegläſſet, und dafür
die
[159]Vom Nonenaccord.
die doppelte Terz nimmt (a). Auſſerdem iſt die Ausführung
bey (b) im getheilten Accompagnement zu merken und gelegentlich
zu gebrauchen:

[figure]

§. 9.

Bey der dreyſtimmigen Abfertigung unſers Accordes
bleibet die Quinte weg. Weil ein Intervall dabey verlohren gehet,
ſo muß man, wegen dieſer Begleitung, dieſelbe Behutſamkeit auch
hier brauchen, welche wir bey den übrigen Aufgaben von dieſer
Art nöthig gefunden haben.


Zweyter Abſchnitt.


§. 1.


Die None iſt und bleibet allezeit eine None, wenn ſie auch
dichte neben der Grundnote genommen wird. Man kann
dieſes oft nicht ändern. Die Componiſten, wenn ſie z. E. für
ein baßirend Inſtrument etwas obligates ſetzen, werden ſehr oft
in dieſe Nothwendigkeit geſetzet. Ein Contraviolon kann alsdenn
in dieſem Falle der Grundſtimme am beſten ihre gehörige Gra-
vität geben. Auſſerdem aber iſt es freylich allezeit beſſer, wenn
man die None auf der neunten Stufe nehmen kann.


§. 2.
[160]Siebzehntes Capitel. Zweyter Abſchnitt.

§. 2.

Folgende zwey Exempel, wo bey dem erſten die None
im Durchgange ohne Auflöſung bleibt (a), und bey dem zwey-
ten die Auflöſung aufgehalten wird (b), erfordern, wenn man
vier Stimmen nehmen will, das getheilte Accompagnement.
Auſſerdem fertiget man die dritte Grundnote nur allein drey-
ſtimmig ab (c). Bey (d) iſt die Verdoppelung der Terz oder
Sexte bey den Sextenaccorden, die vorzüglichſte Art der Beglei-
tung, weil dadurch Sprünge vermieden, und die vorkommenden
falſchen Quinten in dem Nonenaccord vorbereitet werden. Bey
(e) verfährt man am ſicherſten dreyſtimmig. Wenn die vierte
Stimme darzu kommet, ſo muß bey der erſten Note, mit ,
die Sexte oben liegen (f). Die zwo anderen Lagen verur-
ſachen Quinten.


[figure]
[161]Achtzehntes Capitel. Vom Sextnonenaccord.
[figure]

§. 3.

Die None darf niemahls aus der Octave der vor-
hergehenden Grundnote vorbereitet werden: alſo würde folgendes
Exempel falſch ſeyn:

[figure]

Achtzehntes Capitel.
Vom Sextnonenaccord
.


§. 1.


Dieſer Accord beſtehet aus der None, Sexte und
Terz.


§. 2.

Seine Signatur iſt  mit den nöthigen Verſetzungs-
zeichen. Bey der Auflöſung der None hat man den Sexten-
accord
des Grundtones mit der Octave in der Hand, und
wer alſo dieſen gut kennet, kann auch den Sextnonenaccord
leicht finden.


§. 3.

Alle drey Intervallen, woraus unſer Accord be-
ſtehet, kommen groß und klein dabey vor, wie wir aus folgen-
den Exempeln ſehen. Die Lage, wobey die None in unſerm Ac-
corde oben lieget, iſt überhaupt die beſte. Die drey letzten Exem-
Bachs Verſuch. 2. Theil. Xpel
[162]Neunzehntes Capitel.
pel (a) klingen auch in dieſer beſten Lage etwas widrig. Die Ver-
beßrungen ſind gleich darneben geſetzet.

[figure]

Neunzehntes Capitel.
Vom Quartnonenaccord
.


§. 1.


Dieſer Accord beſtehet aus der None, Quinte und
Quarte.


§. 2.

Seine Signatur iſt  mit den nöthigen Verſetzungs-
zeichen. Wenn die Auflöſung dieſer zwo Diſſonanzen zugleich
über derſelben Grundnote geſchiehet, ſo wird  neben die oben
ſtehende Signatur geſetzet.


§. 3.

Sowohl die None als Quarte müſſen vorbereitet
ſeyn, folglich hat man nur die dritte Stimme aufzuſuchen. Man
merke
[163]Vom Quartnonenaccord.
merke folgendes zur Erleichterung: Wenn man den Sextquinten-
accord von der Unterſecunde des Grundtones nimmt, ſo hat man
unſern Accord in der Hand, welcher mehrentheils nach dem er-
ſtern bey dem Heraufſteigen des Baſſes vorkommet. Ferner,
wenn man den Secundquintquartenaccord weiß, ſo kennet
man auch dieſen. Die beyden diſſonirenden Intervallen unſers
Accordes gehen in der Folge mehrentheils zugleich(a), dann und
wann nach einander herunter (b):

[figure]

§. 4.

Die None kann bey dieſem Accorde groß und klein
ſeyn; die Quinte iſt bald übermäßig, bald rein und bald
falſch: die Quarte hingegen muß allezeit rein ſeyn, wie wir
aus folgenden Exempeln ſehen. Auch hier iſt es beſſer, daß die
falſche Quinte vorbereitet ſey, als wenn man ſie frey anſchläget.
Die übermäßige Quinte muß vorher liegen:

[figure]

§. 5.

Wenn bey unſerm Accorde, ſtatt der Quinte, die
Sexte gegriffen werden ſoll: ſo muß es durch  ausdrücklich an-
gedeutet ſeyn. Dieſe Sexte kann alsdenn groß und klein ſeyn.
X 2Wenn
[164]Neunzehntes Capitel.
Wenn man den Secundenaccord vom Grundtone nimmt, ſo hat
man dieſe Aufgabe in der Hand. Bey der Auflöſung der None
und Quarte gehet zuweilen die Sexte in die Quinte mit herunter;
es ſind alsdenn nur zwo Lagen zu gebrauchen, weil man in der
dritten Quinten machen würde. Die drey letzten Exempel ſind
von dieſer Art:

[figure]

§. 6.

In der galanten Schreibart kann die Quarte zu-
weilen unvorbereitet, mit der None vorkommen (a); dieſe
unvorbereitete Quarte kann ſo gar übermäßig ſeyn (b).
Dieſes geſchiehet bey Vorſchlägen, wobey man dreyſtimmig
verfährt. Das erſte Exempel iſt beſſer, als das letzte.

[figure]

§. 7.

Folgende Exempel werden ebenfalls dreyſtimmig be-
gleitet. Bey dem zweyten Exempel (a) ſcheinet es, als ob weder
die None noch Quarte vorbereitet wären: bey (b) hingegen ſiehet
man
[165]Vom Quartnonenaccord.
man das Gegentheil, ſo bald die Vorſchläge weg ſind. Die Beglei-
tung beyder Exempel iſt nicht anders, als die Ausführung bey (a).

[figure]

Zwanzigſtes Capitel.
Vom Septimennonenaccord
.


§. 1.


Dieſer Accord beſtehet aus der None, Septime und
Terz.


§. 2.

Seine Signatur iſt  mit den nöthigen Ver-
ſetzungszeichen. Wenn dieſe zwo Diſſonanzen über derſelben
Grundnote zugleich aufgelöſet werden, ſo findet man  gleich
darbey geſetzet.


§. 3.

Sowohl die None, als die Septime müſſen vorbe-
reitet ſeyn; in der Folge gehen ſie beyde zugleich (a), zuweilen
auch nach einander (b) herunter:
X 3Z. E.
[166]Zwanzigſtes Capitel.

[figure]

§. 4.

Alle drey Intervallen, woraus unſer Accord be-
ſtehet, können groß und klein dabey vorkommen, wie wir aus
folgenden Exempeln erſehen:

[figure]

§. 5.

Zuweilen muß man, wegen der Vorbereitung der
Septime, vorher die Octave zur fünften Stimme nehmen: alsdenn
behält man hernach die ſchon in der Hand liegende Quinte
bey unſerm Accord, dieſe letztere mag falſch, rein oder über-
mäßig
ſeyn:

[figure]
§. 6.
[167]Vom Septimennonenaccord.

§. 6.

Wenn bey dieſem Accord, ſtatt der Terz, die Quarte
genommen werden ſoll: ſo muß es ausdrücklich angedeutet ſeyn.
Da die letztere ebenfalls vorher lieget, ſo hat man die ganze Auf-
gabe in der Hand; auch ſo gar, wenn die Quinte noch mit zur
fünften Stimme muß genommen werden. Dieſe letztere kann
auch bey dieſer Aufgabe rein, falſch und übermäßig ſeyn, und
lieget, wie wir nur jetzo gehöret haben, ſchon vorher. Die nöthige
Vorbereitung der Septime iſt hier wiederum Urſache, daß man
zuweilen fünfſtimmig verfahren muß, wie wir aus den vier letzten
Exempeln ſehen. Bey den zwey erſten Exempeln iſt die Lage zu
vermeiden, wo bey der erſten Note die 7 oben lieget:

[figure]

§. 7.

Das Exempel (a) wird dreyſtimmig begleitet, und
iſt von eben der Art, als wir ſchon mehrere angeführet haben.
Bey dem Secundenaccord ergreift man die vierte Stimme wie-
der. In den Exempeln (b) und (c), wo im Durchgange die
None und Septime vor ihrer Auflöſung in der Höhe gehen, ver-
fährt
[168]Zwanzigſtes Capitel. Vom Septimennonenaccord.
fährt man ebenfalls dreyſtimmig. Bey (d) tritt der Septimen-
accord zu zeitig ein. Dieſe Vorausnahme iſt bey (e) deutlich
zu ſehen. Bey (f) kommt unſer Accord, ohne Auflöſung, im
Durchgange vor. Dieſer Satz pflegt oft in allerhand Figuren,
bey ſtark beſetzten und lärmenden Stücken, in Sinfonien ꝛc.
vorzukommen (g):

[figure]
Ein
[169]

Ein und zwanzigſtes Capitel.
Vom Quintquartenaccord.


§. 1.


Der Quintquartenaccord beſtehet aus der Quarte, Quinte
und Octav.


§. 2.

Seine Signatur iſt 43, oder , wenn die Quarte
gleich über derſelben Grundnote in die Terz aufgelöſet wird: wenn
aber dieſe Auflöſung in der Folge erſt geſchiehet, ſo iſt 4 oder 
genug. Im erſtern Falle findet man oft, ſtatt der 3, ein Ver-
ſetzungszeichen, welches die Gröſſe dieſer Terz beſtimmet. Dieſes
Verſetzungszeichen muß nicht zu nahe an der 4 ſtehen, damit
man deutlich ſehe, daß es nicht der 4 zugehöre, ſondern die Terz
bedeute.


§. 3.

Die reine und falſche Quinte, die reine Quarte,
und Octave, ſind die Intervallen, welche bey unſerm Accorde
vorkommen.


§. 4.

Die Quarte iſt allezeit vorbereitet, und tritt
bey der Auflöſung herunter. Die Quinte, welche jene Diſſo-
nanz bindet, lieget nicht allezeit vorher, wenn ſie auch falſch iſt,
ſondern wird zuweilen frey angeſchlagen:

[figure]

Bachs Verſuch. 2. Theil. Y
[170]Ein und zwanzigſtes Capitel.

[figure]

§. 5.

Wenn man bey dem Dreyklang zur Grundnote, ſtatt
der Terz, die Quarte nimmt, ſo hat man unſern Accord in Hän-
den. Man lernt durch dieſes Hülfsmittel die Lage und Auflöſung
der Quarte leicht kennen.


§. 6.

Wenn man bey (a) den Quinten aus dem Wege
gehen will, ſo muß man bey unſerm Accord die Octave weglaſſen,
und dafür die doppelte Quinte nehmen. Es gehet dadurch kein
Intervall verlohren. Dieſe Hülfe iſt bey den zwo übrigen Lagen
des Septimenaccordes nicht nöthig. Bey (b) muß vor dem
Quintquartenaccord die doppelte Terz genommen werden: wenn
man aber dieſe letztere nicht haben kann, ſo muß man das ge-
theilte Accompagnement wählen (bb):

[figure]
§. 7.
[171]Vom Quintquartenaccord.

§. 7.

In der galanten Schreibart kommt zuweilen durch
einen Vorſchlag, den man ohne zu pauſiren nicht vorbeygehen
kann, die reine und übermäßige Quarte ohne Vorbereitung, mit
der Quinte vor. Bey (a) kann man in die reine Quarte ſowohl
gehen, als auch ſpringen: bey (b) hingegen gehet man bloß in die
übermäßige Quarte, und man muß alsdenn  über die Grundnote
ſetzen. Die vorgeſchriebene Lage iſt die leidlichſte von dieſem
Exempel; auſſerdem kann man gar wohl ohne Begleitung,
durch eine Viertheilpauſe dieſen Vorſchlag in der rechten Hand
vorüber gehen laſſen (c). Bey (d) kann man über der erſten
Note alle Arten des Sextenaccordes brauchen, und hernach in die
reine Quarte gehen und ſpringen: nur muß man die Ausführun-
gen bey (dd) vermeiden.

[figure]

§. 8.

Wenn man einen hinlänglichen Beruf zur dreyſtim-
migen Begleitung unſers Accordes hat: ſo kann man die Octave
gar wohl weglaſſen.



[172]

Zwey und zwanzigſtes Capitel.
Vom Einklange.


§. 1.


Unter dem Einklange wird hier die Octave mit begriffen. Wenn
alſo bey einem Stücke mehr als eine Stimme im Einklange
oder in Octaven einerley Fortſchreitungen haben, ſo ſagt man:
die Stimmen gehen im Einklange (all’ uniſono), wenn auch
ſchon die Figuren hiebey verſchieden ſind:

[figure]

§. 2.

Wir brauchen die Ausnahme dieſer Art von Aus-
führung, welche durch die weggelaſſene Harmonie ihre Schönheit
bekommt, nicht zu erheben; die häufigen muſikaliſchen Ausarbei-
tungen guter Meiſter ſind hierinnen zuverläßige Zeugen.


§. 3.

Nichts deſtoweniger hat man mit Verwunderung
angemerkt, daß einige Componiſten, bey der Bezeichnung ihrer
Grundſtimmen, dieſe Progreßionen im Einklange nicht allezeit
andeuten. Man findet zuweilen Ziffern über den Baß geſetzet,
wo keine gegriffen werden ſollen. Der Erfolg davon kann nicht
anders als widrig ſeyn. Man ſtelle ſich vor: Ein Componiſt
arbeitet ein Stück mit vielem Fleiß aus; er verſchwendet gleich-
ſam
[173]Zwey und zwanzigſtes Capitel. Vom Einklange.
ſam dabey alle melodiſchen und harmoniſchen Künſte, welche er
auf das reizendeſte zuſammen verbindet. Nunmehro glaubet er,
daß es Zeit ſey, die Aufmerkſamkeit ſeiner Zuhörer durch einen
neuen Gegenſtand zu ermuntern; er ſuchet zu dem Ende mit einer
Art von Begeiſterung einen Gedanken auf; die Pracht und das
Erhabene dieſes Gedanken ſoll hervorragen und empfunden wer-
den. Er entſaget dahero gleichſam auf einige Zeit den Schönhei-
ten der Harmonie; ſein Gedanke ſoll einſtimmig bleiben; er ſoll
allein der Gedanke und die Beſchäftigung aller Begleiter zugleich
ſeyn; er wechſelt nachher glücklich mit dem Gebrauch der Har-
monie wieder ab u. ſ. w. Sein Stück wird fertig. Es wird
aufgeführet. Mitten in der angenehmſten Erwartung der er-
wünſchten Ausnahme dieſes Gedanken ſtöhrt ihn die Begleitung
des Clavieriſten. Dieſer vorbereitet und löſet ſeine vorgeſchrie-
benen Intervallen ſo ehrlich, und ſo regelmäßig auf, als nur
möglich; zur andern Zeit mit vielem Beyfall, nur jetzo zum
Verdruß. Zum Glücke für den Accompagniſten beſinnet ſich der
Componiſt, daß er ſelbſt in der Vorſtellung der Grundſtimme
etwas verſehen hat, und iſt überaus froh, daß jener aus Eckel
über ſeine unrechte Begleitung von ſelbſt ſeine Harmonie fahren
läſſet, ſich an keine Ziffer weiter kehret, und dieſen Gedanken
mit dem Einklange ſo weit verſtärken hilft, als es nöthig iſt, weil
ihm die erſte Grundregel des Accompagnements gleich beyfällt,
welche wir im 19ten § der Einleitung angeführet haben:
Ein Accompagniſt muß jedem Stücke, welches er begleitet, die
ihm zukommende Harmonie, in der gehörigen Stärke gleich-
ſam anpaſſen.


§. 4.

Um dieſer Regel genug zu thun, merken wir hier zween
Fälle an,
welche einem Accompagniſten verbinden, die Beglei-
Y 3tung
[174]Zwey und zwanzigſtes Capitel.
tung mit dem Einklange zu gebrauchen. Die Begleitung mit
dem Einklange
iſt: wenn man die Baßnoten mit beyden
Händen in Octaven ſpielet.


§. 5.

Der erſte Fall betrifft gewiſſe Stellen, welche ein-
ſtimmig geſetzet ſind. Wenn alſo alle Stimmen eines Stückes
im Einklange fortgehen: ſo iſt nichts natürlicher, als daß auch
der Accompagniſt dieſem Einklange folget, und die Harmonie
wegläſſet. Dieſer Fall pfleget durch die Wörter uniſoni, all’
uniſono
angedeutet zu werden.


§. 6.

Wir merken hierbey einige beſondere Fälle mit an,
welche von dem vorigen etwas abgehen. Wenn bey einem
Stücke nur die Ripienſtimmen mit dem Baſſe den Einklang ha-
ben, die Hauptſtimme aber zu dieſer einſtimmigen Begleitung
entweder eine lange Aushaltung oder einen beſondern Geſang
vorträget: ſo giebet man auf die Melodie der Ripienſtimmen
genau Acht, ob ſie ſo beſchaffen iſt, daß die nöthigſten Inter-
vallen der Grundharmonie, beſonders die Diſſonanzen mit ihrer
Auflöſung, in der gebrochnen Harmonie darinnen berühret wer-
den; iſt dieſes letztere, ſo bleibet man auch bey der Begleitung
im Einklange (a). Wenn aber der die Hauptſtimme begleitende
Gedanke ſimpel iſt, und nicht allein Harmonie verträget, ſon-
dern dadurch wohl gar einen beſondern Glanz erhält: ſo wählt
man die mehrſtimmige Begleitung (b). Weil zu dieſer Wahl
eine gute Einſicht gehört, welche im Stande iſt zu urtheilen, ob,
und wenn man durch die Harmonie der Hauptſtimme ſchade,
oder helfe, und weil der in dieſem § feſtgeſetzte Fall beyde
Arten von Begleitungen, nachdem die Umſtände ſind, verträget:
ſo iſt deswegen eine genaue Andeutung beſonders nöthig.


Z. E.
[175]Vom Einklange.
[figure]

§. 7.

Wenn ein Componiſt aus gewiſſen Urſachen einen
Gedanken in die Grundſtimme ſetzet, welcher im eigentlichen
Einklange von den übrigen Stimmen begleitet wird, und folg-
lich keine Verdoppelung der Octaven, weder in der Höhe, noch
in der Tiefe verträget, weil er juſt in der vorgeſchriebenen und
keiner andern Lage ausgeführet werden ſoll: ſo läſſet man hierbey
die rechte Hand pauſiren, und ſpielt dieſen verführeriſchen Ein-
klang bloß mit der linken einſtimmig. Eben ſo werden die Ge-
danken abgefertiget, welche zwar nicht allezeit etwas glänzendes
haben, aber doch von beſonderm Ausdrucke ſind, und zuweilen
ganz allein bey der Grundſtimme in der Tiefe vorkom-
men, damit ſie durch eine harmoniſche Begleitung weder bedecket,
noch durch eine Verdoppelung der Octave jünger gemachet wer-
den ſollen. Der Componiſt, welcher dergleichen ſtudirte Plans
machet, muß ſie ſehr accurat bezeichnen, oder er ſtehet in Gefahr,
daß ſeine Abſichten nicht erreichet werden.


§. 8.

Der zweyte Fall, wo die Begleitung im Einklange
gut thut, betrift alle brillante Stellen in der Grundſtimme, wo-
bey der Verfertiger eine beſondere Abſicht gehabt hat; ſie mö-
gen in Sprüngen, in Läufern, in gebrochener Harmonie, in
Ketten von Trillern, und wer weiß in was für Figuren mehr
beſtehen. Unſere Abſicht iſt hiebey, daß dieſe Stellen deutlich
hervorragen ſollen, welches durch die harmoniſche Begleitung
nicht ſo gut geſchiehet, als durch die, mit dem Einklange. Es
iſt
[176]Drey und zwanzigſtes Capitel.
iſt noch nicht eingeführt, dieſen Fall mit uniſoni, oder all’ uni-
ſono
zu bezeichnen: er wird alſo der Diſcretion eines verſtändi-
gen Accompagniſten überlaſſen. Ich bin von der guten Aus-
nahme dieſer Begleitung bey ſolchen Stellen durch die Erfahrung
genugſam überführet.


§. 9.

Bloß bey einem zweyſtimmigen Stücke, einem
Solo, oder einer Soloarie, werden dieſe brillante Bäſſe meh-
rentheils harmoniſch begleitet.


§. 10.

Wenn die Begleitung im Einklange aufhören ſoll,
ſo muß man es durch Ziffern über den Noten, wo die Har-
monie wieder angehet, andeuten. Geſetzt, daß die erſte Note
den Dreyklang, welcher auch ohne Ziffern gegriffen wird, über
ſich hätte: ſo muß man dennoch in dieſem Falle wenigſtens eine
von den Ziffern, welche er enthält, über dieſe Note ſetzen.



Drey und zwanzigſtes Capitel.
Von der einſtimmigen Begleitung mit der linken
Hand allein.


§. 1.


Dieſe Art von Begleitung, welche durch t. s, taſto, oder taſto
ſolo
angedeutet wird, und wobey die Grundnoten mit der
linken Hand allein einſtimmig geſpielet werden, iſt bey gewiſſen
Stellen eines Stückes eben ſo nöthig, als die Begleitung mit
dem Einklange, davon wir im vorigen Capitel gehandelt haben.
Bey einer unrichtigen Bezeichnung leidet die Ausführung in
beyden Fällen gleich viel.


§. 2.
[177]Von der einſtim̃igen Begleit. mit der linken Hand allein.

§. 2.

Die Italiäner brauchen beyde Arten entweder gar
nicht, oder glauben vielleicht, daß man auf unſerm Inſtrumente
bey der Begleitung nichts als Ziffern ſpielen könne, und hal-
ten es folglich zu ungeſchicki zum Accompagnement der ſchönſten
und affecktuöſeſten Stellen, bey welchen ſehr oft die einſtimmige
Begleitung vorkommt. Das Geklimper ihrer Clavieriſten
wollen ſie alsdenn nicht dabey haben, um ſo viel weniger, da
ſie von ihnen wiſſen, daß ſie beynahe keinen Accord, ohne ihn
zu brechen, anſchlagen können. Man findet alſo bey ihren
Sachen, in delicaten Fällen, gemeiniglich zur Warnung die
Wörter, ſenza Cembalo über die Grundnoten geſetzet. Ganze
Arien ſind auf dieſe Art bezeichnet, und es kommt ſelbſt den
Sängern dieſes Landes lächerlich vor, wenn man ihnen dieſe
Vorſchrift in ihren Muſikalien zeiget.


§. 3.

Wir brauchen das taſto ſolo, wenn es nöthig iſt,
mit groſſem Nutzen. Wenn z. E. Grundnoten mit der Haupt-
ſtimme in vielen Terzen oder Sexten nacheinander fortgehen,
ohne daß eine Mittelſtimme weiter darzu geſetzet iſt, ſo findet
unſere Art von Begleitung ſtatt. Das Stück kann zwey- oder
mehrſtimmig ſeyn. Wenn dieſe Grundnoten piano vorgetra-
gen werden ſollen, wenn die Terzen und Sexten ganz nahe bey
einander liegen, und folglich in keiner Stimme mit der Octave
verdoppelt werden, alsdenn iſt kein ander Accompagnement nach
der Natur möglich, als das unſrige; der Contraviolon ſchwei-
get alsdenn ſtille, und die übrigen Bäſſe ſpielen mit dem Clavier
dieſe Noten im eigentlichen Einklange ganz ſchwach mit. Fol-
gende Exempel ſind von dieſer Art:


Bachs Verſuch. 2. Theil. ZZ. E.
[178]Drey und zwanzigſtes Capitel.
[figure]

§. 4.

Wenn aber dergleichen Gedanken ſtark vorgetragen
werden ſollen, und die Terzen und Sexten nicht zu nahe beyſam-
men liegen, ſo kann man die Begleitung mit dem Einklange
oder uniſono brauchen, und die Grundnoten verdoppeln. Wenn
die letzteren nicht zu tief herunter moduliren, ſo nimmt man dieſe
Verdoppelung lieber eine Octave tiefer als höher. Dieſer Fall
kommt zuweilen in Sinfonien und Concerten vor, wo die zwo
Violinen zuſammen, und die Bratſche mit dem Baſſe auch zu-
ſammen im Einklange fortgehen. Z. E.

[figure]

§. 5.

Bey ganzen und halben Cadenzen, worein die Haupt-
ſtimme mit einem Vorſchlag gehet, und wo der Abzug nachher,
wie wir im erſten Theile dieſes Verſuches geſehen haben,
piano
[179]Von der einſtim̃igen Begleit. mit der linken Hand allein.
piano vorgetragen wird, ſchläget man ebenfalls auf dem Flügel
bloß die Baßnote an: auf dem Clavicord oder Fortepiano
hingegen kann man ſowohl den Vorſchlag, als den Abzug mit
der rechten Hand mit begleiten; nur muß dieſes in einer nach der
Hauptſtimme abgemeſſenen Stärke und Länge geſchehen, damit
jene alle Freyheit behalte, bey dem Vorſchlage ſo ſtark und lange
anzuhalten, als es der Affect haben will. Auſſerdem kann man
auch auf den zuletzt genannten Inſtrumenten bey dem Vorſchlage
den Baß allein, ſo ſtark als es ſeyn muß, anſchlagen, und den
Abzug ganz ſchwach mit der rechten Hand begleiten.


§. 6.

Man braucht ferner das taſto ſolo bey Grundnoten,
worüber der Geſang in der Tiefe ſich aufhält, ohne daß eine
Begleitung in der Höhe dabey iſt. Wenn dieſer tiefe Geſang
von mehrern Stimmen harmoniſch in der Tiefe begleitet wird,
ſo kann man zwar Ziffern über die Grundſtimme ſetzen, welche
ein verſtändiger Accompagniſt, der die Einrichtung des Stückes
gleich einſiehet, nicht anders als in derſelben tiefen Lage greifen
wird: da man ſich aber nicht allezeit auf die Diſcretion des
Generalbaßſpielers, welches ſehr oft Dilettanti ſind, verlaſſen
kann, ſo iſt es ſicherer und beſſer, auch in dieſem Falle das t. ſ.
über die Grundnoten zu ſetzen, und die Harmonie allenfalls bey
dem Clavier zu verliehren, als ein Accompagnement zu erdulden,
welches wegen der Höhe alles überſchreyet und die Ausnahme
verdirbt. Bey Concerten überhaupt, beſonders wenn ſie für
baßirende Inſtrumente geſetzet ſind, bey Arien für tiefe Stim-
men u. ſ. w. kommen dergleichen tiefe Melodien mit einer tiefen
Harmonie zuweilen vor.


§. 7.

Wir wollen noch folgende Exempel wegen unſerer
Art von Begleitung mit anmerken. Bey (a), wo die Haupt-
Z 2ſtimme
[180]Drey und zwanzigſtes Capitel.
ſtimme mit dem Baſſe im eigentlichen Einklange anfänget, wird
die erſte Note t. ſ. geſpielet. Bey (b) ruhet die rechte Hand
ebenfalls bey der Note, worunter t. ſ. ſtehet, wenn auch Ziffern
darüber ſtünden. Der Vortrag würde bey einer langſamen Zeit-
maaſſe ſehr leiden, wenn man hier der Hauptſtimme in der Ver-
änderung der Harmonie vorgreifen wollte.

[figure]
§. 8.
[181]Von der einſtim̃igen Begleit. mit der linken Hand allein.

§. 8.

Bey unſerer Art von Begleitung werden die Grund-
noten niemahls mit der linken Hand verdoppelt, es ſey denn,
daß der Vortrag des Gedanken ſo ſtark und das Clavier ſo auſſer-
ordentlich ſchwach wäre, daß man eine Proportion auf dieſe
Weiſe ſuchen müßte. Es iſt jedoch allezeit beſſer, und der Natur
des taſto ſolo gemäſſer, wenn man dieſe Nothhülfe nicht brau-
chet. Hierinnen beſtehet eben der weſentliche Unterſchied des taſto
vom uniſono, daß bey dieſem die Verdoppelung ſtatt findet, bey
jenem aber nicht.


§. 9.

Der Eintritt der Harmonie nach dem t. ſ. muß
ebenfalls durch Ziffern angedeutet werden, wie wir im vorigen
Capitel geſehen haben.



Vier und zwanzigſtes Capitel.
Vom Orgelpunkt.


§. 1.


Wenn über lange aushaltenden oder in einem Tone bleibenden
Baßnoten allerhand harmoniſche Veränderungen, welche
mehrentheils aus Bindungen zu beſtehen pflegen, vorkommen: ſo
nennt man dieſes einen Orgelpunkt oder Point d’orgue.


§. 2.

Dieſer letztere kommt gemeiniglich in gearbeiteten
Sachen, beſonders in Fugen, am Ende über der Quinte der
Tonart, oder über der Schlußnote vor. Zuweilen findet man ihn
auch in der Mitte eines Stückes über der Quinte oder Prime
der Tonart, worinnen ſich die Modulation aufhält. Im
erſtern Falle pflegen die Componiſten über dieſem Orgelpunkt alle
Z 3mög-
[182]Vier und zwanzigſtes Capitel.
mögliche contrapunktiſche Künſte gerne in der Enge zuſammen
zu bringen.


§. 3.

Dieſe Orgelpunkte können drey- und mehrſtimmig
ſeyn. Die Harmonie darüber iſt oft auch ohne den aushaltenden
Baß vollſtändig, doch giebet ihr der letztere alsdenn die gehörige
Gravität. Wenn man die hierbey vorkommenden Veränderungen
der Harmonie und beſondere Zuſammenſetzung der Intervallen
recht deutlich überſehen und erklären will, ſo läſſet man den
Baß weg. Die ungewöhnlichſten Signaturen werden alsdenn zu
ganz gewöhnlichen Aufgaben des Generalbaſſes.


§. 4.

Man beziffert die Orgelpunkte nicht leicht, ſondern
fertiget ſie mit dem taſto ſolo ab. Wer ſie beziffert, muß ſich
gefallen laſſen, daß man ſie dem ohngeacht taſto ſolo ſpielet.
Es iſt hieran nicht allein eine ſehr nöthige Bequemlichkeit,
ſondern oft die Unmöglichkeit Schuld: und geſetzet, man könnte
alle Orgelpunkte mit der rechten Hand mit begleiten: ſo würde
doch der Dank dafür lange noch nicht ſo groß ſeyn, wie die Angſt
und Mühe, die es manchem dabey koſtet.


§. 5.

Bey dem t. ſ. in den Orgelpunkten hat das Auge
nicht nöthig, ſo viele übereinander gethürmte Ziffern und unge-
wöhnliche Aufgaben zu überſehen. Oft iſt die Einrichtung der
Harmonie ſo beſchaffen, daß eine Stimme die andere überſteiget,
welches eine Verwechslung der Stimmen im Generalbaſſe ver-
anlaſſen kann, die deswegen nicht erlaubet iſt, weil man ſonſt
dadurch viele Fehler vertheidigen könnte, ohne daß dem ohngeacht
das Ohr zufrieden wäre; man müßte alſo bey dieſem Falle,
wenn die rechte Hand nicht zu tief herunter kommen ſollte, den
ganzen Orgelpunkt wegen der richtigen Vorbereitung und Auf-
löſung im getheilten Accompagnement mitſpielen, welches nicht zu
for-
[183]Vom Orgelpunkt.
fordern iſt. Oft kommen die Veränderungen der Harmonie ſo ge-
ſchwinde hintereinander, daß ſie beynahe nicht heraus zu bringen
ſind, wenn man ſie auch mitſpielen wollte.


§. 6.

Folgende Exempel, wobey die Ziffern geſetzet ſind,
um von der Einrichtung der Harmonie einen deutlichen Begriff
zu geben, und wo die Ausführung ohne Baß gleich hinterher
folget, werden hinlänglich ſeyn, das, was im vorigen § ange-
führet iſt, zu erklären:


[figure]
[184]Vier und zwanzigſtes Capitel. Vom Orgelpunkt.
[figure]

[185]

Fünf und zwanzigſtes Capitel.
Von den Vorſchlägen.


§. 1.


Es würde zu weitläuftig ſeyn, hier alles zu wiederholen, was
bereits im erſten Theile dieſes Verſuches von den Vor-
ſchlägen angeführet worden iſt. Ich ſetze zum voraus, daß
meine Leſer jene Abtheilung, welche davon handelt, mit Achtſam-
keit durchgeſehen haben, weil ſie von dieſem Capitel untrennbar iſt.


§. 2.

Die Vorſchläge kann man bey der Begleitung nur
ſehr ſelten übergehen; ſie haben mehrentheils einen groſſen Antheil
daran. Sie kommen am öfterſten in Stücken vor, wo der Ge-
ſchmack herrſchet, weil ſie eine der vornehmſten Zierden deſſelben
ſind. Dieſe Stücke erfordern ein feines Accompagnement, welches
die darinnen vorkommenden Schönheiten, an ſtatt ſie zu verdunkeln,
oder gar zu verderben, vielmehr auf alle mögliche Art erheben muß.


§. 3.

Die Vorſchläge halten die Harmonie auf, welche
der Grundnote eigentlich zukommt. Es iſt bekannt, daß nach
den Regeln des guten Vortrages der Vorſchlag ſtark, und der
Abzug ſchwach ausgeführet werden. Folglich haben die Bezifferer
doppelt unrecht, wenn ſie in der Bezeichnung dieſelben überge-
hen; die Begleitung kann alsdenn mehrentheils nicht anders als
widrig ausfallen. Die durch die Vorſchläge aufgehaltene Har-
monie krieget durch eine genaue Andeutung mehrentheils ein ganz
anderes Anſehen, und wir können alſo mit den ſchon da gewe-
ſenen Aufgaben nicht auskommen, ſondern müſſen noch einige
fremde Signaturen kennen lernen, an die man ſich aber gar
Bachs Verſuch. 2. Theil. A aleicht
[186]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
leicht wird gewöhnen können. In den Stücken, wo keine Haupt-
ſtimme über dem Baſſe ſtehet, ſind dieſe Signaturen unentbehr-
lich, weil man da die Vorſchläge nicht errathen kann; und ge-
ſetzt, man hat die Hauptſtimme mit allen ihren Vorſchlägen über
dem Baſſe, wie ändert man gleich im Spielen die Bezifferung,
wenn ſie auf die Vorſchläge nicht eingerichtet iſt, und was
nimmt man für Mittelſtimmen zu den letzteren, wenn ſie derglei-
chen vertragen?


§. 4.

Bey den Aufgaben iſt ſchon vieles wegen der Vor-
ſchläge abgehandelt worden: dieſes laſſen wir mehrentheils hier
vorbey, und fangen unſere neue Betrachtungen bey den langen
und veränderlichen Vorſchlägen an. Die kürzeſten darunter
dürfen nicht geſchwinder, als ein Achttheil im Allegretto, ſeyn.


§. 5.

Wenn eine Grundnote ohne Rückſicht auf den Vor-
ſchlag, der darüber vorkommt, beziffert iſt, und die Intervallen
dieſes Vorſchlages und des darauf folgenden Abzuges ſich ent-
weder mit der vorgeſchriebenen Aufgabe vertragen, oder wohl gar
darinnen ſtecken: ſo bleibet man in der Begleitung dabey, welche
letztere allenfalls vierſtimmig ſeyn kann, wenn es nöthig iſt.
Folgende Exempel ſind von dieſer Art:


[figure]
[187]Von den Vorſchlägen.
[figure]

§. 6.

Wenn aber der Vorſchlag alle Intervallen der vor-
geſchriebenen Aufgabe nicht verträget, weil dieſe letztere auf die
Harmonie des folgenden Abzuges gerichtet iſt: ſo ſpielet man den
Vorſchlag mit, und nimmt aus der angezeigten Signatur ſo viele
Stimmen noch darzu, als die Stärke des Vortrages und die Har-
monie des Vorſchlages erlauben. Wenn der letztere mit vielem
Affeckt und ſchwach vorgetragen wird, wobey deſſen Länge bloß
von der Willkühr der Hauptſtimme abhänget, ſo greift ihn der
Begleiter nicht mit, ſondern nimmt nur eine oder höchſtens zwo
Nebenſtimmen. Dieſes ereignet ſich auch oft bey Vorſchlägen,
A a 2welche
[188]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
welche wider die Modulation einen halben Ton zu hoch ſind. Die
zweyſtimmigen Vorſchläge werden mit geſpielet, und alſo drey-
ſtimmig abgefertiget. Einige Vorſchläge leiden gar keine Harmonie.
Aus allen dieſen merken wir überhaupt an: daß, je mehr ein Stück
Affeckt enthält, je feiner das Accompagnement ſeyn müſſe. Dieſe
Feinigkeit äuſſert ſich in der Wahl, in dem Eintritte, in dem
Menagement, auch oft in der Weglaſſung der Harmonie. Exempel
von allerley Art werden meine Meynung noch mehr erklären.


§. 7.

In folgenden Exempeln kommen alle drey Gattungen
von Secunden als Vorſchläge von unten vor. Ohngeacht
man ſie bey der Begleitung nicht allezeit mitſpielet, ſo muß man ſie
doch in der Bezifferung andeuten. Wenn man dieſe Secunden nicht
als Nonen tracktiren kann, ſo iſt ihre Signatur mehrentheils 2 3.
Die nöthigen Verſetzungszeichen dürfen nicht vergeſſen werden,
und die übrigen dazu gehörigen Ziffern ſetzet man noch darüber.
Wenn über der 2 noch eine Ziffer ſtehet, ſo verfährt man drey-
ſtimmig. Bey dieſen Exempeln ſowohl, als bey den übrigen die-
ſes Capitels iſt anfänglich die Bezifferung, ohne Rückſicht auf
den Vorſchlag, angemerket; bey der Ausführung aber, welche
gleich auf jedes Exempel folget, iſt die Bezeichnung ſo, wie ſie
ſeyn ſoll. Bey (a) kann im zweyten Tackte  genommen werden;
im vierten Tackte hingegen läßt man die übermäßige Secunde
durch eine Achttheilpauſe halb vorüber gehen, und nimmt nachher
bloß die Quinte. Bey (b) greift man bloß die Septime, und
bey (bb), wo ein zweyſtimmiger Vorſchlag vorkommt, auch die
Secunde mit darzu. Bey (c) kann man, nachdem es nöthig iſt,
die Septime auch allein, oder die Secunde mit darzu nehmen,
weil ſie vorher ſchon in der Hand iſt. Bey (d) iſt derſelbe Um-
ſtand; man nimmt entweder , oder die 6 allein. Bey (e)
machet
[189]Von den Vorſchlägen.
machet man aus der Secunde eine None. Bey (f) kann man
allenfalls den Vorſchlag mitſpielen, wenn die Zeitmaaſſe langſam
iſt; auſſerdem übergehet man ihn mit einer Viertheilpauſe und
ſchläget die Septime allein an. Bey (g) nimmt man die Vor-
ſchläge und ihre Abzüge mit. Ueber  muß ein Bogen ſtehen, da-
mit die Sexte wegbleibe. Bey (h) würde die Achttheilpauſe zu
kurz ſeyn, wenn man dadurch den Vorſchlag vorbey gehen laſſen
wollte: man nimmt ihn alſo lieber mit, zumahl da er ſchon in
der Hand lieget. Bey (i) läſſet ſich die Secunde, wegen des im
Baſſe darauf folgenden ſis, nicht als eine None brauchen: man
kann ſie aber weglaſſen, und  allein nehmen. Zum erſten fis darf
man noch nicht die Sexte greifen, weil man ſonſt Quinten ma-
chen würde. In dieſem Exempel pfleget zuweilen die Hauptſtimme
bey langſamer Zeitmaaſſe aus Affeckt bey dem a anzuhalten, und
ſich bis zum folgenden Tackt fortſchleppen zu laſſen. Der Accom-
pagniſt kehrt ſich hieran nicht, ſondern bleibet bey ſeinem gleichen
Tempo. Bey (k), wenn die Zeitmaaſſe langſam iſt, kann
man gar wohl aus den Secunden Nonen machen: auſſerdem
aber übergehet man ſie, und ſchläget den Dreyklang gleich zu den
Grundnoten an. Bey (l) und (ll), wo ſo viele Vorſchläge wider
die Modulation vorkommen, muß man die Harmonie ganz dünne
einrichten und mit Pauſen abwechfeln, damit die Zuſammen-
klänge nicht zu widrig ausfallen und die Vorſchläge gut vorſtechen.
Bey (m) behält man den Vorſchlag, weil er ſchon vorher lag,
und nimmt die Quinte allein dazu. Bey (n) kann man zwar
dieſe Secunden mitſpielen: doch iſt die Begleitung, ſo nach die-
ſem Exempel folget, bey einem ſchwachen Vortrage beſſer, und
auch auſſerdem werden dieſe Vorſchläge in der Hanptſtimme durch
das Pauſiren deutlicher, und das Durchziehen wird nicht gehin-
A a 3dert.
[190]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
dert. Bey (o), wo der Vorſchlag bey dem Eintritt einer verän-
derten Grundnote um einen halben Ton erhöhet wird, nimmt
man die Sexte allein. Bey (p) findet dreyerley Begleitung ſtatt:
(1) die Quinte allein; (2) die letztere mit der übermäßigen Se-
cunde, und (3) die Octave nebſt der Quinte und dieſer Secunde.
Nachdem die Begleitung ſchwach oder ſtark ſeyn ſoll, nachdem
wählet man. Bey (q) machet man die erſte Secunde zur None.
und nimmt zur zweyten Secunde die Sexte allein, und ſchläget
die Terz nach. Zum c greift man bloß die Quinte und None.
Bey dem fis nimmt man die falſche Quinte und Terz. Die
Quarte und ihre Auflöſung übergehet man in der Begleitung bey
dem zweyten Tackte aus der Urſache, damit die Hauptſtimme mit
aller Freyheit dieſe Auflöſung vornehmen könne, wenn ſie will.
Dieſer Fall gehöret mit zu denen Feinigkeiten, welche die Haupt-
ſtimme vorausbehalten muß. Wir wollen bey dieſer Gelegenheit
überhaupt anmerken: Alle Schönheiten des Geſanges und der
Ausführung deſſelben, ſie mögen in Intervallen wider die Modu-
lation, in Aufhaltungen oder Vorausnahmen der Auflöſung, oder
überhaupt in Rückungen beſtehen, muß man bey einem Stücke,
worinnen viel Affect iſt, und wo ein langſames Tempo genom-
men wird, durch die Begleitung in ein noch helleres Licht zu ſetzen
ſuchen, oder wenigſtens nicht verdunkeln. Das erſtere geſchiehet
am bequemſten durch Pauſen, und das letztere durch eine Vermin-
derung der Harmonie. Wollte man alle ſolche Feinigkeiten auf
dem Claviere mit ausdrücken, ſo würden die Zuhörer nicht mehr
wiſſen, ob ein Stück nur begleitet, oder mit geſpielet würde.
Bey (r) hält ein Secundenvorſchlag von oben den Dreyklang
durch den Accord der groſſen Septime auf. Wir haben ſchon
mehrere Exempel von dieſer Art gehabt. Dieſe Vorhaltung iſt
nur ſelten gut; der ſchlechte Geſchmack brauchet ſie alle Augenblicke.


Z. E.
[191]Von den Vorſchlägen.
[figure]
[192]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
[figure]
[193]Von den Vorſchlägen.
[figure]
Bachs Verſuch. 2. Theil. B b
[194]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
[figure]

§. 8.

Auſſer dieſen Vorſchlägen in der Secunde ſind meh-
rere betrachtungs werth. In folgenden Exempeln wird der Septi-
menaccord
durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) kann
man den Vorſchlag entweder mit ſpielen, wie es die Bezifferung
über dem Syſtem, welche bloß die Grundnoten angehet, erfordert:
oder man wählet die gleich hinterher folgende Ausführung. Das
Aushalten mit der falſchen Quinte und Terz bey der letztern Be-
gleitung läßt der Hauptſtimme die Freyheit, ihren Vorſchlag mit
dem gehörigen Affect vorzutragen. Das Exempel (aa) wird eben
ſo abgefertiget, wie das bey (a). Bey (b) nimmt man entweder 
zur erſten Grundnote, und  zur zweyten; oder man läſſet den Vor-
ſchlag
[195]Von den Vorſchlägen.
ſchlag und Abzug in der Begleitung weg, und greift bloß die Quarte,
und nachher die Terz, wenn es nöthig iſt. Bey (c), wo ein zweyſtim-
miger Vorſchlag vorkommt, iſt das Accompagnement dem Exempel
gleich. Wenn die Begleitung ſchwach ſeyn ſoll, ſo läſſet man den
Vorſchlag durch eine Viertheilpauſe vorüber gehen, und nimmt nach-
her . Die Exempel (d) und (dd) ſind einerley, und unter-
ſcheiden ſich bloß dadurch, daß in dem erſtern ein einſtimmiger,
und in dem zweyten ein zweyſtimmiger Vorſchlag vorkommt.
Die Begleitung beyder Exempel iſt beynahe gleich. Weil bey (dd)
langſame und gezogene Noten vorausgeſetzet werden, ſo hat man
die Pauſe bey dem Accompagnement weggelaſſen, welche bey (d),
wo die Zeitmaaſſe geſchwinder iſt, gut thut. Bey (e) iſt die
Begleitung dem Exempel gleich.


[figure]
B b 2
[196]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
[figure]

§. 9.

In folgenden Exempeln wird der Secundenaccord
durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) ſchläget man zur
Achttheilpauſe den Terzquartenaccord vor, und nimmt nach her
zum e den harten Dreyklang. Bey (b) wird zum zweyten f 
angeſchlagen; die Quinte gehet gleich darauf in die übermäßige
Quarte, indem die Sexte und Secunde liegen bleiben. Bey (c)
nimmt man den Terzquartenaccord, und gehet darauf mit der
Terz in die Secunde; die übrigen zwo Ziffern läßt man liegen.
Bey (d) wird  genommen und die Sexte nachgeſchlagen, indem
die Quarte und Secunde liegen bleiben. Die Septime muß in
der Oberſtimme ſeyn, oder man läſſet den Vorſchlag lieber durch
eine
[197]Von den Vorſchlägen.
eine Viertheilpauſe vorüber gehen. Bey (e) nimmt man bloß die
Septime und Quinte, und gehet damit nachher in den Secunden-
accord. Man kann über  einen Bogen ſetzen, damit die Terz
wegbleibe. Bey (f) wird der vorhergegangene Sextquinten-
accord behalten, und nachher der Secundenaccord gegriffen.
Bey (g) läßt man, wegen der vorhergegangenen kleinen
Sexte, zum zweyten d dieſes groſſe Intervall weg, und nimmt
bloß die Quinte und Secunde ([𝆣]); die erſtere gehet darauf in
die übermäßige Quarte. Bey (h) verdoppelt man am beſten zur
erſten Grundnote die Terz, und nimmt hernach die Quarte bey
dem Terzquartenaccord unten. Bey (i) kommt der eigentliche
oder dreyſtimmige Dreyklang vor, weil die vorhergehenden
Sätze auch nur dreyſtimmig ſind. Das Exempel (k) vertrüge
zwar ganz wohl den vierſtimmigen Terzquartenaccord, und man
ſpielte alsdenn den Vorſchlag mit: allein, wenn die Begleitung
fein ſeyn ſoll, ſo darf man, wegen der Fermate, die Hauptſtimme
in ihrer Freyheit, den Vorſchlag dem Affeckt gemäß aufzulöſen,
nicht einſchränken, weil man ſonſt Gefahr läuft, mit der Haupt-
ſtimme in der Auflöſung ungleich einzutreffen. Wir haben im
erſten Theile dieſes Verſuches geſehen, daß der Affeckt bey
dieſen Fermaten viele Freyheit zuläſſet, und daß die Vorſchläge
hiebey in der Melodie, wegen angebrachter weitläuftigen Manie-
ren und Auszierungen, zuweilen verkürzet, zuweilen aber auch
ohne weiterm Schmuck ausgehalten und verlängert werden. In
beyden Fällen braucht man zur Vorſicht entweder die beygefügte
dreyſtimmige Begleitung, oder man ſchläget die Grundnote zum
Vorſchlage allein an, und nimmt nachher den Secundenaccord.
Bey (l), wo daſſelbe Exempel mit zweyſtimmigen Vorſchlägen
vorkommt, pauſirt die rechte Hand bey den letzteren, und ergreift
B b 3nach-
[198]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
nachher den Secundenaccord, indem ſie die Harmonie von unten
hinauf langſam bricht. Bey (m) iſt die Begleitung dem Exempel
gleich, oder man nimmt zum Vorſchlage den Sextquintenaccord.


[figure]
[199]Von den Vorſchlägen.
[figure]
§. 10.
[200]Fünf und zwanzigſtes Capitel.

§. 10.

Bey folgenden Exempeln wird der Sextenaccord
durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) nimmt man im vier-
ſtimmigen Accompagnement zum Dreyklange über dem e entweder
die Octave, oder noch beſſer die doppelte Terz; in der dreyſtim-
migen Begleitung bleibet man bloß bey der Quinte und Terz,
und wenn man nur eine Stimme in der rechten Hand nehmen
darf, ſo iſt es die Terz, welche liegen bleibet. Bey (aa), mit
dem beygeſetzten allegretto und piano, kann man von den zwo
beygefügten Begleitungen eine wahlen, welche man will. Wenn
der Vortrag nicht piano ſeyn ſoll, ſo kann man bey der erſtern Be-
gleitung die Vorſchläge mit ihren Abzügen mitſpielen. Bey (b)
nimmt man nicht mehr als drey Stimmen, weil der ſimple Satz
auch damit zufrieden iſt. Wenn die Begleitung noch ſchwächer
ſeyn ſoll, ſo gehet man bloß in Terzen mit der Grundſtimme
hinauf und herunter: nur muß man wegen der Lage bedacht ſeyn,
damit, ſtatt der Quarten, keine Quinten gegen die Hauptſtimme
vorgehen. Bey (c) kann man nach Gutdünken, wie wir aus
dem Exempel und der beygefügten Begleitung ſehen, drey und vier
Stimmen, aber nicht weniger nehmen. Bey (d) verfährt
man dreyſtimmig: wenn aber aus denſelben Urſachen, welche
wir bey (k) im vorigen § angeführet haben, das Accompagne-
ment fein ſeyn ſoll, ſo nimmt man zum gis bloß die Terz, und
bleibet mit ihr liegen. Die Begleitung zu (e) und (f) iſt
den Exempeln vollkommen gleich. Der Vortrag müßte ſehr
ſtark ſeyn, wenn die vierte Stimme noch darzu ſollte genommen
werden. Bey (g) kann man die beygefügte Begleitung wählen,
wenn man nach dem fünften § den Terzquartenaccord nicht
nehmen will.


Z. E.
[201]Von den Vorſchlägen.
[figure]
Bachs Verſuch. 2. Theil. C c
[202]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
[figure]

§. 11.

In folgenden Exempeln wird der Dreyklang
durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) nimmt man zu dem f ,
und den Dreyklang darauf: Bey (b) hingegen greift man
nur , und  nachher. Bey (c) kann man unter den zwo bey-
gefügten Begleitungen wählen. Beyde ſind mit ihrer Bezifferung
in den Aufgaben ſchon vorgekommen. Bey (d) findet fünferley Art
von Begleitung Statt, worunter die zwo letztern die feineſten ſind.
Wir haben ſie hier mit Fleiß zuſammen angeführet, ohngeacht
ſie ebenfalls ſchon einzeln da geweſen ſind. Bey (e) klinget zu
dem Vorſchlage wider die Modulation weiter gar nichts: man
muß ihn alſo in der rechten Hand durch eine Viertheilpauſe vor-
bey gehen laſſen:

[figure]

[203]Von den Vorſchlägen.

[figure]

§. 12.

In folgenden Exempeln wird der Sextquinten-
accord
durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) kann man
den Vorſchlag mitſpielen, oder nur die Sexte allein nehmen, wie
man es nöthig findet. Bey (b) läſſet man am beſten den
Vorſchlag durch eine Pauſe vorbey gehen. Bey (c) kann man
eine Begleitung wählen, ſo ſtark oder ſchwach man ſie haben will.
Bey der erſtern iſt die vorgeſchriebene Lage die beſte. Bey (d)
iſt das Accompagnement dem Exempel gleich.


C c 2Z. E.
[204]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
[figure]

§. 13.

In folgenden Exempeln wird der Accord der
groſſen Septime
durch Vorſchläge aufgehalten. Die gute
Ordnung iſt Schuld, daß einige Aufgaben noch einmahl vorkom-
men, die ſchon da geweſen ſind. Bey (a) wird  genommen;
die Septime wird nachgeſchlagen, und die Quarte und Seeunde
bleiben liegen. Weil der Vorſchlag in der leeren Octave geſchie-
het, ſo muß wenigſtens  darzu angeſchlagen werden, wenn man
nicht
[205]Von den Vorſchlägen.
nicht gut findet, ihn mitzuſpielen. Bey (b) nimmt man entwe-
der  allein, und bleibet damit liegen: oder man nimmt den
Vorſchlag mit darzu, es muß aber alsdenn die Terz oben liegen.
Bey (c) hat man unter der drey- und vierſtimmigen Begleitung
die Wahl. Bey der letzteren iſt die vorgeſchriebene Lage die beſte.
Zu allen Exempeln bey (d) iſt die einzige zuletzt beygeſetzte Beglei-
tung mit der Pauſe die vorzüglichſte.

[figure]
C c 3§. 14.
[206]Fünf und zwanzigſtes Capitel.

§. 14.

In folgenden Exempeln wird der Sextquarten-
accord
durch Vorſchläge aufgehalten. Bey (a) hat man die
Wahl, ob man den Vorſchlag mit der Quarte zugleich anſchla-
gen will, oder ob man die Quinte von der Sexte will binden
und nachher herunter gehen laſſen. Im erſtern Falle muß die
Quinte oben liegen. Bey einer ſchwachen Begleitung wird die
Quarte allein genommen. Bey (b) iſt das Accompagnement
dem Exempel gleich. Bey (c) verträget dieſer erhöhete Vorſchlag
die Quarte gar wohl, wenn man ihn mitſpielen will. Bey (d)
iſt die Ausführung des Exempels und der Begleitung einerley.
Bey (e) nimmt man, ſo lange der Vorſchlag dauert, den Drey-
klang, und hernach den Sextquartenaccord. Die Begleitung
dieſes Exempels mit zweyſtimmigen Vorſchlägen (ee) iſt dieſelbe.
Bey (f) kann man den ganzen Septimenaccord zum Vorſchlage
nehmen, oder nur , auch wohl gar bloß die Septime, nach-
dem der Vortrag und Affeckt viel oder wenig Harmonie verträ-
get. Wenn dieſes Exempel mit zweyſtimmigen Vorſchlägen (ff)
vorkommet, ſo iſt das Accompagnement entweder dem Exempel,
oder der beygefügten Vorbildung gleich. Die Exempel (g) und (h)
ſind denen bey (f) und (ff) ähnlich.


[figure]
[207]Von den Vorſchlägen.
[figure]
[208]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
[figure]

§. 15.

In folgenden Exempeln, das letzte ausgenommen,
wird der Terzquartenaccord durch Vorſchläge aufgehalten.
Bey (a) hat man die Wahl unter dem drey- und vierſtimmigen
Accompagnement. Bey der erſten Vorbildung deſſelben iſt die
vorgeſchriebene Lage die beſte. Bey (b) bleibet man bey dem
Sextquintenaccord, und gehet hernach mit der Quinte in die
Quarte. Man kann auch in der Begleitung den Vorſchlag
weglaſſen, wie wir bey (bb) in demſelben etwas weniges geän-
derten Exempel ſehen. Bey (c) nimmt man den Septimen-
accord, und bleibet mit der Terz liegen, indem die  in die 
herunter ſteigen. Bey (d) kann man unter den beygefügten
vier- drey- und zweyſtimmigen Begleitungen diejenige wählen,
welche man nöthig findet. Bey (e) wird der Nonenquarten-
accord
durch einen Vorſchlag aufgehalten. Weil dieſer
letztere ſich mit der Bezifferung gar nicht verträget, ſo wird er
durch eine Pauſe übergangen:
Z. E.
[209]Von den Vorſchlägen.

[figure]

Bachs Verſuch. 2. Theil. D d
[210]Fünf und zwanzigſtes Capitel.

[figure]

§. 16.

Wenn bey einem Solo, oder überhaupt bey einem
Stücke, wo die Begleitung fein ſeyn muß, in der Hauptſtimme,
bey einer etwas langſamen Zeitmaaſſe, viele Vorſchläge hinterein-
ander vorkommen: ſo ſpielet man ſie in der rechten Hand nicht
alle mit, damit der Vortrag der Hauptſtimme nicht verdunkelt
werde. Wenn man dieſe Vorſchläge ohne Zwang nicht vorbey
gehen kann, ſo machet man wenigſtens durch Pauſen eine Ver-
änderung, wodurch der Vortrag der Hauptſtimme unterſchieden
wird. Man überläſſet dadurch der letzteren den Vorzug, dieſe
Manier ohne Begleitung zuerſt hören zu laſſen, und ſchläget ſie
in der Begleitung nach. Die Veränderung, welche durch dieſe
Pauſen entſtehet, iſt deſto angenehmer, je länger die einförmige
Bewegung der Grundnoten vorher ſchon da geweſen iſt, und
je länger ſie noch nachher dauert. Die Schönheit und das
Schmeichelnde der Vorſchläge wird folglich dadurch auf das
deutlichſte empfunden. Die Componiſten kennen die gute Aus-
nahme dieſer Art von Ausführung ſehr wohl, und pflegen zu dem
Ende
[211]Von den Vorſchlägen.
Ende bey dem Eintritte der Vorſchläge der Grundſtimme oft
Pauſen zu geben: ſind dieſe letztern aber im Baſſe nicht da, ſo
kann man ſie doch in der Begleitung anbringen. In folgenden
Exempeln thun die Pauſen gut:

[figure]

D d 2
[212]Fünf und zwanzigſtes Capitel.

[figure]

§. 17.

In den Exempeln bey (a), welche man zuweilen
antrifft, ſollten in der Grundſtimme Punkte auf die Achttheile
folgen, wie wir in der zweyten Vorbildung aller dieſer Exempel
ſehen. Der einmahl feſtgeſetzte Vortrag dieſer Vorſchläge machet
dieſe Exempel falſch, woran eine Zerſtreuung oder eine Unwiſſen-
heit Schuld ſeyn kann. Wenn man die Vorſchläge ausſchriebe,
und ordentlich nach ihrer Geltung in den Tackt mit eintheilete,
ſo würden ſolche Fehler nicht vorkommen. Es entſtehet durch den
Vortrag dieſer Vorſchläge gegen die Grundſtimme eine unleid-
liche Härte, an ſtatt, daß man ſonſt bey allen Vorſchlägen das
Schmeichelnde zum Endzweck hat. Oft kann man ſich hier nicht
einmahl durch Pauſen helfen, welche die Auflöſung der Vorſchläge
oder den Abzug abwarten, indem nachher die rechte Hand bey
dieſer Auflöſung wieder einfällt. Der Vorſchlag, der Abzug, alles
diſſonirt bey der Fortſchreitung der Grundſtimme. Es flieſſen aus
dieſen Exempeln entweder gar keine, oder wenigſtens keine natür-
lichen, und folglich guten Mittelſtimmen. Ein ſicheres Kennzeichen
eines ſchlechten, oder wenigſtens nicht recht überdachten Satzes.
Wer bey der Compoſition richtig denken will, der muß Melodie
und Harmonie zugleich denken. Es ſind nicht leicht Exempel
mög-
[213]Von den Vorſchlägen.
möglich, wo man ſo leicht und ſo viele Quinten machen kann, wie
hier: Wenn aber die Grundſtimme Punkte bekommt, ſo iſt die
Bezifferung und Begleitung natürlich und leichte. Bey den
Exempeln, wo nur eine erträgliche Begleitung möglich iſt, habe
ich die letztere beygefüget, welche aber niemahls die Hauptſtimme
überſteigen muß. Man geräth zuweilen in Umſtände, wo man
nicht das geringſte ändern darf. In den Exempeln, wo gar keine
Begleitung darauf iſt, muß man ſich an das tafto ſolo halten.
Bey (b) würde die Begleitung ſehr widrig ausfallen, wenn man
ſie der Bezifferung gemäß einrichten wollte, welche unter dem
Exempel ſtehet, und leyder oft ſo vorkommt. In den beygefügten
Accompagnement dieſes Exempels iſt die richtige Bezifferung da-
von zugleich mit angemerket. Bey (c) ſollte billig im Anfange
eines jeden Tacktes eine Achttheilpauſe in der Grundſtimme ſtehen,
damit die eckelhaften anſchlagenden Quinten wegfielen. Unter
den heutigen leichten Arbeiten der Italiäner trifft man zuweilen
dieſes Exempel an. Wenn ein verſtändiger Accompagniſt mit
leichter Mühe gewiſſe Fehler der Componiſten aus dem Stegreife
verbeſſern kann und darf: ſo hat er alle Ehre davon, wenn er es
thut, ohngeacht ſolche Flecken allezeit auf die Rechnung des Com-
poniſten fallen. Es iſt alſo auch bey unſerm Exempel rathſam,
daß man mit beyden Händen die Vorſchläge durch Pauſen vor-
über gehen läſſet. Bey (d) iſt die Begleitung dem Exempel
gleich. Die Diſſonanzen kommen hier im Durchgange vor, und
man folget mit der rechten Hand der Hauptſtimme auf das ge-
naueſte. Der Componiſt würde übel zufrieden ſeyn, wenn man
hier die Strenge der Auflöſung genau beobachten und nur das
geringſte in der Vollſtimmigkeit und Fortſchreitung ändern
wollte. Die zwo letzten Grundnoten dieſes Exempels vertragen
D d 3das
[214]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
das vierſtimmige Accompagnement. Bey (e) ſpielet man ent-
weder das Exempel ganz mit, oder läſſet die rechte Hand ruhen.
Bey (f) und (ff) darf das Accompagnement die Hauptſtimme
nicht überſteigen.


[figure]
[215]Von den Vorſchlägen.
[figure]
[216]Fünf und zwanzigſtes Capitel.
[figure]
§. 18.
[217]Von den Vorſchlägen.

§. 18.

Die kurzen und unveränderlichen Vorſchläge
werden nicht mitgeſpielet. Sie machen zwar überhaupt in der
Begleitung keine Aenderung: wir wollen aber dennoch einige Ex-
empel anführen, wo bey einer langſamen Zeitmaaſſe gewiſſe
Vorſichten gebraucht werden müſſen. Bey (a) kann zu dem zwey-
ten gis weder , noch der Sextenaccord, ſondern blos die falſche
Quinte und die Terz genommen werden. Bey (b) und (c) thun
die Pauſen gut; ſie machen bey (b) in der Bewegung eine Ver-
änderung, und die Vorſchläge werden zugleich deutlich. Bey (c)
ſind die die Pauſen nöthig, weil die mit den Grundnoten zu-
gleich angeſchlagenen Terzen ekelhafte Quintenſchläge machen.
Bey (d), wo viele Vorſchläge hinter einander vorkommen, ver-
mindert man ebenfalls durch Pauſen den widrigen Zuſammenklang,
und bey (dd) mit zweyſtimmigen Vorſchlägen läſſet man die rechte
Hand gar weg, weil es beſſer iſt gar keine, als eine widrige Har-
monie zn haben. Das Exempel bey (e) mit zweyſtimmigen
Vorſchlägen erfordert, aus den bey (b) angeführten Urſachen,
auch Pauſen:

[figure]

Bachs Verſuch. 2. Theil. E e
[218]Fünf und zwanzigſtes Capitel.

[figure]
§. 19.
[219]Von den Vorſchlägen.

§. 19.

Wenn vor einer Grundnote ein Vorſchlag ſtehet,
ſo wird der Accord, welcher der Grundnote zukommt, mit dem
Vorſchlage zugleich angeſchlagen: ſoll aber der letztere eine be-
ſondere Aufgabe haben, ſo muß man ſie darüber ſetzen.



Sechs und zwanzigſtes Capitel.
Von rückenden Noten.


§. 1.


Durch Rückungen wird die gewöhnliche Harmonie entwe-
der vorausgenommen, oder aufgehalten.


§. 2.

Langſame Rückungen, welche die Harmonie
vorausnehmen
, machen in der Begleitung keine Veränderung.
Der Accompagniſt ſchlägt mit der Grundnote zugleich ſeine Ziffern
an (a): wenn dergleichen rückende Noten aber die Harmo-
nie aufhalten
, ſo verfähret man; wie wir bey den Vorſchlä-
gen geſehen haben; bald ſpielet man das aufhaltende Intervall
in der Begleitung mit, bald läſſet man es weg, man vermindert
die Harmonie und nimmt blos die Nebenziffern, welche ſich mit
der anſchlagenden und folgenden Note vertragen (b), oder man
pauſiret gar (c), oder man ſpielet auch zuweilen alle rückende Noten
mit (d). Bey (c) muß die rechte Hand aufgehoben werden, ſo-
bald das Dis in der Hauptſtimme eintritt. Wenn das Exempel
(d) langſam mit Terzen vorkommt (dd), ſo iſt die Begleitung drey-
ſtimmig und dem Exempel gleich: auſſer einer langſamen oder we-
nigſtens gemäßigten Zeitmaaſſe aber wird es taſto ſolo geſpielet.
Dieſes Exempel (d) ohne Terzen, und bey einem geſchwinden
Tempo, hat die Begleitung und Bezifferung von (e):
E e 2Z. E.
[220]Sechs und zwanzigſtes Capitel.

[figure]

§. 3.

Geſchwinde Rückungen werden, nachdem ihre
Beſchaffenheit iſt, mit vorausgenommener oder aufgehaltener Har-
monie begleitet, aber niemals mitgeſpielet; ſie mögen in der Haupt-
ſtimme
[221]Von rückenden Noten.
ſtimme oder im Baſſe ſtecken, ſo gehet der Accompagniſt ſeinen glei-
chen Weg fort, und ſchläget bey folgenden Exempeln ſeine Accorde
in Viertheilen an; hierdurch erhält die rechte Hand das Gleich-
gewicht des Tactes, wenn die rückende Noten im Baſſe liegen (a):

[figure]

§. 4.

Die Begleitung der Rückungen durch halbe Töne
muß beſonders fein ſeyn, damit dieſe halben Töne ihre Deut-
lichkeit behalten, und der Uebellaut nicht befördert werde. Bey
(a) wird zu der Grundnote f der Dreyklang ohne Octave genom-
men. Bey (b) beſtehet die Begleitung in einer zierlichen Nach-
ahmung der halben Töne (bb). Wenn die Harmonie ſtärker
ſeyn ſoll, ſo kann man die Intervallen der Hauptſtimme, nach
Anweiſung der Bezifferung bey (bb), mitſpielen. Alle dieſe Ex-
empel ſetzen ein langſames oder wenigſtens gemäßigtes Tempo
voraus:

[figure]

E e 3
[222]Sechs und zwanzigſtes Capitel.

[figure]

Sieben und zwanzigſtes Capitel.
Vom punctirten Anſchlage.


§. 1.


Dieſes Capitel kann nicht mit dem gehörigen Nutzen geleſen
werden, wenn man ſich nicht vorher das, was im erſten
Theile dieſes Verſuches
von dieſer Manier abgehandelt wor-
den iſt, bekannt gemacht hat. Man wird vieles gar nicht, und
das meiſte unrecht verſtehen: ſobald man aber unſere Manier
recht kennet, ſo ſiehet man gar leicht ein, daß ſie in der Har-
monie von Wichtigkeit ſeyn müſſe.


§. 2.

Der punctirte Anſchlag kommt nur in Stücken
vor, wo der Geſchmack und der Affect den meiſten Antheil haben,
und wo alſo die Begleitung beſonders fein ſeyn muß. Die der
Grundnote eigentlich zukommende Harmonie wird durch dieſe Ma-
nier noch länger aufgehalten, als wir bey den Vorſchlägen geſehen
haben, weil in der Ausführung die Hauptnote der Hauptſtimme
erſt nach dem letzten kurzen Nötgen dieſes Anſchlages eintritt.
Die Stärke und Schwäche des Vortrages iſt bey unſerer Manier
und den Vorſchlägen einerley, folglich höret man die aufgehal-
tene Hauptnote ſchwach, und die Vorhaltung ſtark. Alle dieſe
Um-
[223]Vom punctirten Anſchlage.
Umſtände ſolten billig, ſeit der Einführung dieſer Zierde des Ge-
ſanges, in der Bezifferung eine genaue Andeutung deswegen ver-
anlaſſet haben: aber wir müſſen leider auch hier daſſelbe bekla-
gen, was wir ſchon bey den Vorſchlägen gethan haben. Noch
bis hieher haben die Bezifferer unſere Manier ihrer Achtſamkeit
nicht werth geachtet.


§. 3.

Bey der Begleitung einer Grundnote, worüber ein
punctirter Anſchlag vorkommt, hat man dieſelben Hülfsmittel
nöthig, welche ſchon bey den Vorſchlägen angezeiget ſind. Man
ändert, man vermindert die vorgezeichnete Harmonie, zuweilen
läſſet man ſie auch gar weg. Wenn unſer Anſchlag oft hinter
einander vorkommt, und nur einigermaaſſen Harmonie verträget,
ſo brauchet man, bey nicht gar langſamer Zeitmaaſſe, die Pauſen
nicht allezeit gerne, weil die dadurch entſtehenden vielen Nach-
ſchläge in der rechten Hand den gezogenen Geſang leicht ſtöhren
können.


§. 4.

Die Harmonie, welche nachgeſchlagen wird, tritt
mehrentheils bey der zweyten Hälfte der Grundnote ein. Wenn
die letztere von ſehr langer Geltung iſt, ſo wird ihre zweyte Hälfte
noch einmal gleich getheilet, und die nachſchlagende Harmonie erſt
in der letzten Hälfte angeſchlagen.


§. 5.

In folgenden Exempeln wird durch unſere Manier
die Secunde des Grundtones vorgehalten. Bey den Exempeln
dieſes Capitels ſelbſt iſt wiederum die gewöhnliche Bezifferung,
ohne Rückſicht auf den Anſchlag, beygeſetzet: bey der Ausführung
aber folget die richtige Bezeichnung. Bey (a) wird bey dem erſten
Viertheil zur Grundnote h pauſirt, und der Sextquintenaccord
nachgeſchlagen. Unſere Manier iſt bey (a) nach ihrer wahren Gel-
tung abgebildet; bey (x) iſt ihre gewöhnliche Schreibart zu ſehen.
Das Exempel (b) hat dieſelbige Begleitung. Bey (c) wird zum h
ganz
[224]Sieben und zwanzigſtes Capitel.
ganz allein die Septime gendmmen und die Terz nachgeſchla-
gen. Bey (d) wird die Septime und falſche Quinte, und nachher
der Sextquintenaccord grgriffen. Bey (e), wenn die Begleitung
ſchwach ſeyn ſoll, nimmt man die Septime allein und ſchläget
die Terz nach: wenn aber der Vortrag mehr Harmonie verlan-
get, ſo kann man gleich zur Septime die Secunde mit anſchlagen.
Dieſe Anmerkung gilt bey allen Fällen von dieſer Art. Bey (f)
greift man die falſche Quinte allein, oder die Secunde mit dazu,
nachdem es nöthig iſt; die Sexte bleibet weg. Bey (g) wird
pauſirt und der Sextenaccord nachgeſchlagen. Bey (h) nimmt
man die Sexte und allenfalls die Secunde mit darbey. Bey
(i) ſchläget man den Nonenaccord, und bey (ii) den No-
nenquartenaccord an, und die gewöhnliche Auflöſung folget dar-
auf. Bey einem ſchwachen Vortrage können in beyden Fällen
dieſe Accorde wegbleiben, indem man nach einer Viertheilpauſe
den Dreyklang nimmt. Bey (k) und (l) kann die Quinte in
Geſellſchaft der Secunde, oder allein genommen werden. Bey (l)
kann man auch, nach dem erſten Septimenaccorde, den durchge-
henden Secundenaccord und den Dreyklang darauf greifen, und
die Begleitung drey- oder vierſtimmig einrichten, nachdem man
es gut findet (x). Bey (m) ſchlägt man nach einer Achttheil-
pauſe die Quinte allein an, und die Terz nachher darzu. Bey
(n) nimmt man entweder die Septime allein, und ſchlägt die
übermäßige Sexte mit der Terz nach, oder man greift gleich zur
Septime die Secunde mit, oder man pauſiret ein Achttheil und
ſchlägt darauf die  an. Alle drey Arten von Begleitung ſind
gut, nachdem der Vortrag und Affect ſtark oder ſchwach iſt. Bey
(o) iſt es am beſten, daß man pauſirt, und  nachſchläget.
Bey (p) nimmt man blos die Sexte und und übermäßige
Quarte, und läſſet oie Terz weg. Bey (q) machen die Pauſen
in
[225]Vom punctirten Anſchlage.
in der Oberſtimme den Anſchlag deutlich; die Septime kann gleich
eintreten. Bey (r) wird nach der Achttheilpauſe die Quinte
allein, oder die Terz mit darzu angeſchlagen, nachdem es nöthig
iſt. Bey (s) nimmt man die Septime und Quarte, und löſet
beyde Diſſonanzen nachher auf.


[figure]
Bachs Verſuch. 2. Theil. F f
[226]Sieben und zwanzigſtes Capitel.
[figure]
[227]Vom punctirten Anſchlage.
[figure]

§. 6.

Auſſer dieſen Vorhaltungen in der Secunde ſind noch
mehrere zu betrachten übrig. In folgenden Exempeln wird der
Septimenaccord durch unſere Manier aufgehalten. Bey (a)
kann man unter beyden Begleitungen wählen. Die erſtere kann
allenfalls vierſtimmig eingerichtet werden. Das Exempel bey (aa),
weil es aus geſchwinden Noten beſtehet und keinen Affect enthält,
kann vierſtimmig begleitet werden. Bey (b) vermehret die erſte
Note unſeres Anſchlages das Rauhe der anſchlagenden vermin-
F f 2der-
[228]Sieben und zwanzigſtes Capitel.
derten Septime; alſo pauſirt man am beſten ein Achttheil, und
ſchläget  dreyſtimmig nach. Bey (c) kann man die beygeſetzte
Begleitung nehmen, oder ſtatt , eine Achttheitpauſe wählen, und
darauf  ohne Terz nachſchlagen. Die zwey letztern Exempel
bey (d) klingen widrig, ob ſie gleich vorkommen. Der Endzweck
des Gefälligen und Schmeichelnden iſt durch unſere Manier hier
verfehlet. Der Gedanke ohne die letztere klinget weit beſſer, und
wenn ja eine Manier angebracht werden ſoll, ſo iſt es der ge-
ſchwinde Anſchlag mit dem Terzenſprunge
. Man läſſet
am beſten einen Theil unſerer Manier bey der Begleitung durch
eine Achttheilpauſe vorbeygehen und ſchläget  dreyſtimmig nach:
hingegen bey dem erſten Exempel (d) kann man auch [𝆣] drey-
ſtimmig nehmen. Das Exempel (e) iſt deswegen nicht gut, weil
durch unſere Manier der Satz einem platten Sextengange ähnlich,
und die Septime, welche die Schönheit von dieſem Satze iſt, kaum
gehöret wird. Man nimmt bey dem Eintritte der Manier die
Terz allein, und zum letzten Viertheil die Sexte und Terz.
Das Exempel (f), mit der ſchon vorherliegenden 5b, iſt beſſer.
Man nimmt [𝆣] dreyſtimmig und zum letzten Viertheil den Sext-
quintenaccord. Bey (g) kann man unter den zwoen Begleitun-
gen wählen, oder bey dem Eintritt der Manier ein Achttheil pau-
ſiren, und zum zweyten Achttheil entweder , oder , beydes drey-
ſtimmig, anſchlagen. Die Urſache von der Weglaſſung eines In-
tervalles bey dem letztern Septimenaccord iſt die Schwäche des
Vortrages, womit das letzte Nötgen unſerer Manier, und die
Hauptnote ausgeführet werden.


[figure]
[229]Vom punctirten Anſchlage.
[figure]

§. 7.

Bey (a) wird der Secundenaccord durch unſern
Anſchlag aufgehalten. Dieſe lange Vorhaltung machet das
F f 3Exem-
[230]Sieben und zwanzigſtes Capitel.
Exempel etwas widrig. Ein kurzer Anſchlag thut hier beſſer. Man
nimmt zum f den Dreyklang, und ſchläget den Secundenaccord
nach. Die dreyſtimmige Begleitung iſt hier die beſte. Bey
(b), (c) und (d) wird der Sextenaccord aufgehalten. In
dem Exempel (b) wird der Dreyklang genommen, und der Sex-
tenaccord nachgeſchlagen. Man kann auch zu dem f blos die
Terz nehmen, und nachher die Sexte. Bey (c) hat man unter
den beygefügten Begleitungen die Wahl, wenn man eine Achttheil-
pauſe nicht brauchen will. Das Accompagnement von (d) iſt
dem bey (b) gleich. Die Exempel von (dd) wo der dreyſtim-
mige Satz [𝆣] aufgehalten
wird, werden auf einerley Art beglei-
tet. In den noch übrigen hierunter angeführten Exempeln wird der
Dreyklang aufgehalten. Bey (e) iſt einerley Begleitung, nem-
lich  dreyſtimmig, oder eine Achttheilpauſe mitdem nachgeſchlage-
nen Dreyklange. Bey (f) nimmt man entweder  dreyſtimmig,
oder man pauſirt ein Achttheil und ſchlägt den Dreyklang nach.
Bey (g) wird der Nonenaccord mit ſeiner Auflöſung genommen.
Bey (h) findet der Nonenquartenaccord Statt und wird nachher
aufgelöſet. Bey (i) wird  und nachher  genommen.


[figure]
[231]Vom punctirten Anſchlage.
[figure]

§. 8.

Bey (a) und (b) wird der Sextquintenaccord
durch unſere Manier aufgehalten. Unter den dreyen beygefüg-
ten Begleitungen zu (a) kann man wählen; ingleichen unter den
zweyen bey (b). Bey den übrigen Exempeln wird der Accord
der
[232]Sieben und zwanzigſtes Capitel.
der groſſen Septime verzögert. Das Exempel (c) thut mit
dem kurzen Anſchlage beſſer als mit dem punctirten. Der letztere
klinget wegen der lange vorgehaltenen Octave leer, und die Be-
gleitung muß es wieder gut machen; beyde Arten von Accompa-
gnement ſind gut. Bey (d) und (e) iſt die Begleitung einerley,
und kann drey und vierſtimmig genommen werden. Bey (f) nimmt
man den vierſtimmigen Accord der groſſen Septime gleich bey
dem Eintritt der Manier; die Hauptſtimme muß die Begleitung
in dieſem Exempel überſteigen, damit die Sexte und Septime
zerſtreuet liegen. Bey (g) und (h) thut der kurze Anſchlag beſſer,
als der punctirte. Bey (g) verlanget das Ohr ohne Pauſe, gleich
bey dem Eintritte der Manier, Harmonie; bey (h) findet eine
Viertheilpauſe ſtatt.


[figure]
[233]Vom punctirten Anſchlage.
[figure]

§. 9.

In folgenden Exempeln wird der Sextquarten-
accord
durch den Anſchlag aufgehalten. Bey (a) hat man unter
dreyen Begleitungen die Wahl. Die zwo erſtern können drey-
und vierſtimmig eingerichtet werden; die dritte bleibet bey zwoen
Stimmen und iſt die ſchwächſte. Die erſtere kann in einer andern,
als in der vorgeſchriebenen Lage, nicht wohl gebraucht werden. Bey
(b) nimmt man die beygeſetzte Begleitung, wenn man bey dem
zweyten c keine Achttheilpauſe anbringen will. Dieſe letztere iſt
bey (c) nöthig. Das Accompagnement zu (d) muß in der an-
gezeigten Lage bleiben; auſſerdem kann man den Eintritt der Ma-
nier durch eine Achttheilpauſe vorüber gehen laſſen. Bey (e) und
(f) iſt die letztere von Nothwendigkeit. Wenn bey (d), (e) und
(f), ſtatt der erſten Grundnote fis, c mit dem Dreyklange vor-
kommt, ſo bleibet man bey den vorgeſchriebenen Begleitungen.


Bachs Verſuch. 2. Theil. G gZ. E.
[234]Sieben und zwanzigſtes Capitel.
[figure]

§. 10.

Bey (a) und (b) wird der Quintquartenaccord
aufgehalten.
Das Exempel (a) iſt deswegen nicht gut, weil
die Schönheit der angebrachten Diſſonanz durch die Länge un-
ſerer Manier mehrentheils verlohren gehet. Ein kurzer Anſchlag
thut hier beſſer. Die Begleitung kann nicht anders ſeyn, als
wie ſie vorgeſchrieben iſt; oder man müſte bey dem erſten g ein Acht-
theil pauſiren, und den ganzen Quintquartenaccord nachſchlagen.
Bey (b) iſt die Begleitung einerley, das erſte c mag 4, oder 
über ſich haben. Das Accompagnement zu (c) iſt daſſelbige.
Bey (b) und (c) wird der Quartnonenaccord, und bey (d)
der
[235]Vom punctirten Anſchlage.
der Septimennonenaccord aufgehalten. Die Begleitung des
letztern Exempels kann drey- und vierſtimmig ſeyn. Bey dem
Eintritt der Manier pauſirt man ein Achttheil, und ſchlägt  nach.

[figure]

Acht und zwanzigſtes Capitel.
Vom punctirten Schleifer.


§. 1.


Was bey dem vorigen Capitel in den zwey erſten Paragraphen
von der unentbehrlichen Kenntniß des punctirten Anſchlages
aus dem erſten Theile dieſes Verſuchs, in Anſehung des
G g 2wich-
[236]Acht und zwanzigſtes Capitel.
wichtigen Antheils, welchen dieſe Manier an der Harmonie nimmt,
und von der daraus folgenden nothwendigen Bezeichnung der-
ſelben geſaget worden iſt, kann mit allem Rechte auch von
dem punctirten Schleifer geſagt werden.


§. 2.

Dieſer letztere kommt zwar nicht ſo oft vor, als die
zwo Manieren, welche wir ſchon abgehandelt haben: doch wird die
Harmonie zuweilen durch unſern Schleifer hier noch länger auf-
gehalten,
als dort. Der Affect, mit welchem die punctirten Schlei-
fer zuweilen vorgetragen werden, und wo alsdenn bey der erſten
punctirten Note länger, als gewöhnlich, angehalten wird, nöthiget
den Begleiter in dieſem Falle, der Aufgabe, welche nach unſerer
Manier folget, noch die Hälfte von ihrer Geltung abzuziehen,
und ſie dem vorhergehenden Accord zuzulegen. In der ſechsten
Tabelle unter der drey und neunzigſten Figur des erſten Theils
von dieſem Buche finden wir einige Exempel, wobey die Ausfüh-
rung unſerer Manier ſehr verſchieden iſt. Wir werden die da-
durch verurſachte Veränderung in der Begleitung jedesmal in
den folgenden Exempeln anführen.


§. 3.

Bey allen hierunten vorgebildeten Fällen bleibet man
in der Begleitung bey den vorgeſchriebenen Aufgaben, ob ſie
ſchon ohne Rückſicht auf unſere Manier hingeſetzet ſind; blos ein
gewiſſer Vortrag dieſer Manier kann eine kleine Aenderung ver-
anlaſſen, wie wir unten angemerkt haben:

[figure]
[237]Vom punctirten Schleifer.
[figure]
[238]Acht und zwanzigſtes Capitel.
[figure]

In den obigen Exempeln wird bey (a) die Begleitung nicht
verändert, wenn auch noch ſo lange bey dem Schleifer angehal-
ten wird: bey (b) hingegen verfähret man nach der Vorſchrift,
welche gleich auf das Exempel folget, wenn das erſte Nötgen
unſerer Manier noch bey der folgenden Grundnote anhält. Bey
(b) (×) klinget die vorhaltende Quarte in dem punctirten Schlei-
fer nicht gut, ob man ſie ſchon zuweilen in der Ausführung höret.
Wenn unſere Manier nebſt der Hauptnote zuſammen nicht mehr, als
die Geltung einer Viertheilnote, beträgt, oder wenn das punctirte
Nötgen d noch bey der letzten Grundnote dieſes Tactes vorhält, ſo
kann die Wirkung paßiren: auſſerdem aber nicht wohl, wenn nem-
lich in der Eintheilung beyde f in der Hauptſtimme und in dem Baſſe
zugleich zum Gehör kommen. Dieſe leere Octave nebſt der vor-
her-
[239]Vom punctirten Schleifer.
hergegangenen nüchternen Quarte machen hintereinander unan-
genehme Zuſammenklänge. Die Ausführungen dieſes Exempels
(b) (×) mögen indeſſen ſeyn, wie ſie wollen, ſo verfähret man
dreyſtimmig und nimmt die Sexte und Terz, oder auch die Quarte
und Terz, wie wir beydes angemerkt haben. Bey (b) (y) darf
von Rechtswegen die leere Octave nicht zu lange vorgehalten wer-
den: wenn es aber dennoch geſchiehet, und das f zur letzten
Grundnote c anſchläget, ſo wird zu dieſem c, ſtatt des Drey-
klanges, 4 3 genommen.


§. 4.

In folgenden Exempeln würde das Accompagnement
widrig ausfallen, wenn man es nach der gewöhnlichen Vor-
ſchrift einrichten wolte: man muß alſo in der Bezifferung eine
Aenderung treffen. Dieſe letztere iſt hinter jedem Exempel beyge-
füget, die gewöhnliche Bezeichnung iſt bey den Exempeln ſelbſt
angemerket. Wo der auſſerordentlich langſame Vortrag der Ma-
nier eine Aenderung veranlaſſet, da iſt ſie in der letzten Ausfüh-
rung des Exempels abgebildet.


[figure]
[240]Acht und zwanzigſtes Capitel.
[figure]
[241]Vom punctirten Schleifer.

Bey (b) vermindert der Schleifer die Härte der anſchlagen-
den Septime. Ob dieſe letztere gleich in der Harmonie vorher
ſchon da iſt, ſo thut man doch wohl, wenn man ſie in der
Begleitung wegläſſet, und blos die falſche Quinte und Terz zu
der Manier und zu dem ganzen Tacte durch anſchläget. Beyde
Exempel von (c) haben einerley Accompagnement. Bey (d) kann,
wegen der Sexte, womit der Schleifer eintritt, der Dreyklang nicht
genommen werden: da nun dem ohngeacht der Dreyklang und
kein anderer Accord dieſer Grundnote zukommt, ſo nimmt man
entweder blos das Intervall, welches der Sextenaccord auſſer der
Octave mit dem Dreyklange gemein hat, nemlich die Terz, oder man
ſchlägt die Grundnote allein an. Wenn ſich mit dieſem Exempel ein
Stück anfängt, ſo iſt es am beſten, daß der Baß bey dieſer Manier
pauſiret Wenn bey (e) der Schleifer gewöhnlich lang iſt, daß nem-
lich in der Hauptſtimme das g mit dem letztern h in dem Baſſe
zugleich eintritt, ſo ſchläget man mit der rechten Hand zu dieſem
letztern Viertheil des Tactes den vollen Sextquintenaccord noch
einmal an: wenn aber das erſte kleine punctirte Nötchen in un-
ſerer Manier noch bey dem letztern h der Grundſtimme anhält,
ſo muß die Begleitung ſo eingerichtet werden, wie ſie neben dem
Exempel abgebildet iſt. Beyde Exempel (f) haben die zwiſchen
inne ſtehende Begleitung. Bey (g) muß gleich bey dem zweyten
Viertheil! der Sextquartenaccord in beyden Exempeln eintreten.
Bey (h) nimmt man den Terzquartenaccord, und bey (i) die
dreyſtimmige Aufgabe [𝆣]; wenn bey dieſem letztern Exempel die
erſte Note des Schleifers länger als gewöhnlich, gehalten wird,
ſo wird die Terz erſt bey dem letzten Achttheile des Tactes nach-
geſchlagen, und die Sexte noch einmal dazu wiederholet, wie
wir in der letzten Ausführung angemerket haben.


Bachs Verſuch. 2. Theil.
[242]Neun und zwanzigſtes Capitel.

Neun und zwanzigſtes Capitel.
Vom Vortrage.


§. 1.


Es iſt ein Irrthum wenn man glaubt, daß ſich die Regeln
des guten Vortrags blos auf die Ausführung der Handſachen
erſtrecken. Man hat alles dasjenige, was im erſten Theile dieſes
Verſuchs
vom Vortrage abgehandelt worden iſt, und wohin ich
meine Leſer verweiſe, auch bey dem Accompagnement in gewiſſen
Umſtänden zu beobachten. Das letztere nimmt noch mehrern
Antheil an den Regeln des guten Vortrages, als die Ausübung
der Handſachen, weil ein Begleiter nicht nur ſeine vorgeſchriebe-
nen Grundnoten dem wahren Inhalt gemäß ausführen muß,
ſondern noch überdem wegen der Stärke und Schwäche, und
wegen der Höhe und Tiefe der Harmonie vernünftige Einrichtun-
gen zu machen hat. Wir haben uns darüber ſchon in dem 19ten
Paragraph der Einleitung
erkläret, und von einem Accom-
pagniſten gefordert, daß er jedem Stücke, welches er begleitet, die
ihm zukommende Harmonie mit dem rechten Vortrage in der ge-
hörigen Stärke und Weite
gleichſam anpaſſen ſoll.


§. 2.

Je wenigerſtimmig ein Stück iſt, je feiner muß die
Begleitung dabey ſeyn. Ein Solo, oder eine Soloarie giebet alſo
die beſte Gelegenheit, einen Accompagniſten zu beurtheilen. Hier
muß man die meiſte Vorſicht anwenden, damit die Abſichten der
Hauptſtimme gemeinſchaftlich erreichet werden. Ich weiß nicht,
ob dem Begleiter alsdenn nicht noch mehr Ehre gebühre, als
dem, der begleitet wird. Dieſer letztere kann vielleicht lange Zeit
zuge-
[243]Vom Vortrage.
zugebracht haben, um ſein Stück, welches er nach jetziger Mode
ſelbſt verfertiget haben muß, gut heraus zu bringen, und darf den-
noch deswegen noch nicht auf den Beyfall verſtändiger Zuhörer
gewiſſe Rechnung machen, weil ſein Vortrag durch eine gute Be-
gleitung erſt belebet werden ſoll. Der Accompagniſt hingegen hat
manchmal kaum ſo viele Zeit, das ihm vorgelegte Stück nur flüch-
tig anzuſehen, und muß demohngeachtet aus dem Stegreife alle
die Schönheiten unterſtützen und befördern helfen, welche mit ſo
vieler Mühe und Zeit ausſtudiret ſind. Der Soloſpieler oder
der Sänger behält indeſſen alles Bravo gemeiniglich für ſich, und
giebet ſeinem Begleiter nichts davon ab. Er hat Recht, weil er
den Schlendrian kennet, vermöge deſſen ihm dieſes Bravo eigen-
thümlich und ganz allein gegeben wird.


§. 3.

Die Schönheit eines guten Accompagnements beſtehet
nicht in vielen bunten Figuren und einem ſtarken Geräuſche, wel-
ches man ohne Vorſchrift erfindet. Hierdurch kann der Haupt-
ſtimme leicht Tort geſchehen; man benimmt ihr die Freyheit aller-
ley Veränderungen bey dem Wiederholen, und auch auſſerdem an-
zubringen. Der Begleiter kann zuweilen am meiſten hervorragen,
und die Achtſamkeit verſtändiger Zuhörer auf ſich ziehen, wenn er
in ſeinem ganz gelaſſenen Accompagnement eine bloſſe Feſtigkeit
und edle Einfalt blicken läſſet, und dadurch den glänzenden Vor-
trag der Hauptſtimme nicht ſtöhret. Ihm darf nicht bange ſeyn,
daß man ihn bey dem Zuhören deswegen vergißt, weil er nicht
alle Augenblicke mit lärmet. Nein, einem verſtändigen Zuhörer
kann nicht leicht etwas entwiſchen; in den Empfindungen ſeiner Seele
ſind Melodie und Harmonie jederzeit untrennbar. Erfordert es
die Gelegenheit und der Character eines Stückes, ſo kann der Be-
gleiter alsdenn ſeinem aufgehaltenen Feuer allenfalls den Zügel
ſchieſſen laſſen, wenn die Hauptſtimme pauſiret, oder ſimple Noten
H h 2vor-
[244]Neun und zwanzigſtes Capitel.
vorträget. Es wird jedoch hierzu viele Geſchicklichkeit und Ein-
ſicht in den wahren Inhalt eines Stückes erfordert, und man
kann ſchon mit einem Accompagnemente zufrieden ſeyn, welches
blos die Anforderungen, auch ohne ausdrückliche Andeutung,
erfüllet, welche im 19ten Paragraph der Einleitung geſchehen
ſind. Wir werden zu dem Ende in dieſem Capitel, und in der
Folge fortfahren, unſere Anmerkungen nebſt der Reinigkeit zugleich
hauptſächlich mit auf das Feine der Begleitung zu richten.


§. 4.

Es iſt zuweilen nöthig, und dem Begleiter nicht eben
unanſtändig, ſich vor der Ausführung eines Stückes mit dem, der
die Hauptſtimme vorzutragen hat, zu beſprechen, und dem letztern
die Freyheit wegen der Einrichtung des Accompagnements zu über-
laſſen. Einige wollen den Begleiter ſehr eingeſchränkt wiſſen, einige
aber nicht. Man gehet alſo durch eine vorher genommene Abrede
den ſicherſten Weg, weil die Meynungen verſchieden ſind, und die
Hauptſtimme zu wählen hat.


§. 5.

Wir machen unter den Gegenſtänden des Vortrages
den Anfang bey der Stärke und Schwäche, und finden, daß der
Flügel mit einer Taſtatur unter allen Inſtrumenten, worauf man
den Generalbaß ſpielet, den Begleiter wegen des Forte und Piano
am meiſten in Verlegenheit ſetzet. Es bleibet ihm hier nichts
übrig, als daß er durch eine verſtärkte und verminderte Harmonie
dieſe Unvollkommenheit des Inſtruments zu verbeſſern ſuchet. Man
muß ſich alsdenn in acht nehmen, damit keine nöthige Ziffer aus-
gelaſſen, und keine unrechte verdoppelt werde. Einige nehmen
zur Herausbringung des Piano einen ganz kurzen Anſchlag der Ta-
ſten noch mit zur Hülfe: allein der Vortrag leidet hierbey er-
ſtaunlich, und ſelbſt unter den abgeſtoſſenen Noten vertragen
die wenigſten dieſen ſo gar kurzen Druck. Durch einen ſeltenern
Anſchlag mit der rechten Hand, bey durchgehenden Noten, kann
man
[245]Vom Vortrage.
man noch eher die Stärke der Begleitung ſchwächen. Die ſchöne
Erfindung unſers berühmten Herrn Holefelds, wodurch man
ſeit kurzem alle Regiſter des Flügels in währendem Spielen,
vermittelſt eines leichten Fußtrittes ab- und anziehen kann, hat
die Flügel überhaupt, und beſonders diejenigen, welche nur ein
Manual haben, vollkommener gemachet, und die Schwierigkeit, we-
gen des Piano, bey den letztern glücklich gehoben. Es wäre zu
wünſchen, daß alle Flügel in der Welt zur Ehre des guten Ge-
ſchmacks ſo eingerichtet würden.


§. 6.

Dieſer Erfindung ungeachtet behält das Clavicord
und das Fortepiano wegen der mancherley Art, die Stärcke und
Schwäche allmählig vorzutragen, vor den Flügeln und Orgeln
vieles voraus. Das Pedal bey den letztern thut ſeine guten
Dienſte, wenn die Noten in der Grundſtimme nicht zu geſchwinde
ſind, und der Baß durch ein ſechzehnfüßiges Regiſter durchdrin-
gender gemacht werden kann. Ehe man aber den Geſang der
Grundſtimme verſtümmelt, weil die Noten nicht alle mit den
Füſſen heraus gebracht werden können: ſo thut man beſſer, wenn
man das Pedal wegläſſet, und die Grundnoten blos mit der linken
Hand ſpielet.


§. 7.

Die Regeln, welche man überhaupt wegen des
Forte und Piano bey einer Orgel und einem Flügel mit zwo
Taſtaturen geben kann, ſind folgende: Das Fortißimo und das
Forte wird auf dem ſtärkern Manuale genommen. Bey jenem
können die conſonirenden Accorde ganz, und bey den diſſoniren-
den, nur die Conſonanzen daraus in der linken Hand mit gegrif-
fen werden, wenn es die Ausführung der Grundnoten erlaubet.
Dieſe Verdoppelung muß alsdenn nicht in der Tiefe, ſondern nahe
an der rechten Hand geſchehen, damit die Harmonie beyder Hände
zuſammen gränze, und kein Zwiſchenraum entſtehe, zu geſchweigen,
H h 3daß
[246]Neun und zwanzigſtes Capitel.
daß widrigenfalls durch die brummende Tiefe eine ekelhafte Un-
deutlichkeit verurſachet würde. Die bloſſe Verdoppelung der Grund-
noten mit der Octave in der linken Hand iſt ebenfalls von einer
durchdringenden Wirkung, und alsdenn unentbehrlich, wenn dieſe
Noten nicht ſehr geſchwind ſind, und leicht heraus gebracht wer-
den können, dabey aber einen gewiſſen Geſang enthalten, welcher
eine ziemliche Weite einnimmt. Bey Fugen, wenn das Thema
eintritt, bey Nachahmungen, welche ſtark vorgetragen werden
ſollen, thut dieſe Verdoppelung der Grundnoten ſehr gut. Wenn
aber bey einem Thema, oder überhaupt bey einem Gedanken, wel-
cher einen beſondern Ausdruck erfordert, einige bunte Figuren vor-
kommen, welche mit einer Hand in Octaven nicht wohl heraus
gebracht werden können: ſo verdoppelt man wenigſtens die Haupt-
noten, und ſpielet die übrigen einfach (a). Hierdurch behält die
rechte Hand ihre Harmonie, welche bey contrapunctiſchen Sachen
nicht wohl gemiſſet werden kann. Bey dem mezzo forte kann die
linke Hand mit den Baßnoten allein auf dem ſtärkern Manuale
bleiben, indem die rechte auf dem ſchwächern ihre Harmonie vor-
träget. Bey dem Piano ſpielen beyde Hände auf dem ſchwächern
Manuale. Das Pianißimo wird auf eben dieſer Taſtatur durch
die Verminderung der Harmonie heraus gebracht. Man muß,
um dieſen Vorſchriften genug zu thun, das Ohr beſtändig mit
zu Hülfe nehmen, weil die Andeutungen nicht allezeit genau bey-
geſetzet ſind, und weil auch oft die Schwäche und Stärke des Vor-
trages von der Willkühr des Ausführers der Hauptſtimme ab-
hänget.

[figure]
[247]Vom Vortrage.

§. 8.

Ein Begleiteiter muß genau Achtung geben, ob der-
jenige, den er begleitet, mit ſeiner Stimme, oder mit ſeinem In-
ſtrumente die Höhe und Tiefe gleich ſtark habe, und ob die Töne
der Hauptſtimme in der Ferne und in der Nähe gleich deutlich
klingen. Iſt dieſes letztere nicht, ſo muß man die Begleitung,
auch ohne ausdrückliche Andeutung, ſo einrichten, damit die ſchwa-
chen Töne durch ein zu ſtarkes Accompagnement nicht bedecket
werden. Man weiß Z. E. von der Queerflöte, daß ſie in der
Höhe weit durchſticht, in der Tiefe aber nicht, ohngeachtet ſie
übrigens von gleichem Tone ſeyn kann.


§. 9.

Man muß, wegen der Stärke, das Forte im Tutti
vom Forte im Solo wohl unterſcheiden. Das letztere muß in einem
genauen Verhältniß mit der Stärke der Hauptſtimme ſtehen;
das erſtere hingegen kann ſchon ſtärker ſeyn.


§. 10.

Wenn ſich die Modulation ändert, ſo giebt man
es durch eine Verſtärkung in der Begleitung zu erkennen. Wenn
der Vortrag alsdenn z. E. fortißimo ſeyn ſoll, ſo nimmt man beyde
Hände voller Harmonie, bricht die letztere von unten hurtig her-
auf, und läſſet hernach in der linken Hand blos die Grundnote
mit ihrer Octave, in der rechten Hand aber alle Ziffern liegen (a).
Wenn gewiſſe Gänge durch eine Verſetzung wiederholet werden,
ſo verdoppelt man mit der linken Hand blos die Hauptgrund-
noten zu mehrerer Deutlichkeit (b). Sind dieſe Gänge ſo beſchaf-
fen, daß ſie ganz durch mit der Octave mitgeſpielet werden können,
ſo unterſcheidet man ſolche Hauptnoten durch eine verſtärkte Har-
monie, allenfalls mit beyden Händen. Die Noten bey (c) mit
einem darüber geſetzten Striche ſind es, von denen hier die Rede
iſt. Auſſer der guten Ausnahme dieſes Forte, bekommen bey kur-
zen Pauſen die vorſchlagenden Noten dadurch ein beſonderes Ge-
wichte, und die Mitſpielenden eine groſſe Erleichterung, weil bekann-
ter-
[248]Neun und zwanzigſtes Capitel.
termaaſſen dergleichen kurze Pauſen, auſſer dem Clavier, viele
Schwierigkeiten machen (d). Dieſe letztere Anmerkung erſtrecket
ſich auf alle Gelegenheiten, wo kurze Pauſen vorkommen.

[figure]

§. 11.

Die erſte Note nach einer Fermate oder General-
pauſe ſchläget man gerne ſtark an. Wenn auch ſchon piano unter
dieſer Note ſtehen ſolte, ſo giebet man ihr dennoch durch einen
mäßig ſtarken Anſchlag einen Nachdruck. Dieſe Freyheit des
Vortrages iſt alsdenn beſonders nöthig, wenn der vorhergegangene
Stillſtand von dem Baſſe allein zuerſt gebrochen wird. Es iſt
beſſer, daß man alsdenn eine Note etwas ſtärker, als es eigent-
lich ſeyn ſolte, anſchläget, und dadurch die Mitſpielenden in
der Ordnung erhält: als wenn man aus einer übertriebenen
Genauigkeit dieſes, denen übrigen Mitmuſicirenden, wegen der
gehörigen Nachfolge, unentbehrliche Zeichen weglaſſen, und dadurch
wagen wolte, daß ein anſehnlicher Theil vom Stücke, wo der
Com-
[249]Vom Vortrage.
Componiſt oft eine beſondere Schönheit angebracht hat, durch
eine Unrichtigkeit verdorben würde. In dergleichen Fällen iſt der
erſte Anfänger der Führer, und wenn es auch die Bratſche trift.


§. 12.

Die Noten, welche in eine Schlußcadenz einleiten,
werden ſtark vorgetragen, wenn es auch nicht ausdrücklich ange-
deutet iſt. Man giebet der Hauptſtimme dadurch zu verſtehen, daß
man eine verzierte Cadenz erwarte, und daß man deswegen anhalten
werde. Dieſes Zeichen iſt beſonders bey dem Allegro nothwen-
dig, weil die verzierten Cadenzen bey dem Adagio mehr einge-
führet ſind, als bey jenem. Die Hauptſtimme pfleget oft in dieſem
Falle die letzten Noten vor der Schlußcadenz durch ein ſchlep-
pendes Forte vorzutragen, damit die Begleiter vorher wiſſen, daß
die Cadenz verzieret werden ſoll.


§. 13.

Wenn die Hauptſtimme eine lange Aushaltung hat,
welche nach den Regeln des guten Vortrages mit einem Pianißimo
anfängt, bis auf ein Fortißimo allmählig anwächſet, und wieder
nach und nach bis auf ein Pianißimo abnimmt: ſo richtet ſich der
Begleiter hiernach auf das genaueſte. Er wendet alle Künſte,
das Forte und Piano herauszubringen, ſo viel ihm möglich iſt,
an. Er wächſt und fällt zugleich mit; nicht mehr, nicht weniger.


§. 14.

Bey Gelegenheit der abgeſtoſſenen und gezoge-
nen Noten
merken wir an, daß man bey den Accorden, wozu
die Grundnoten nicht ausdrücklich abgeſtoſſen werden ſollen, nicht
nöthig hat, alle Stimmen auf das neue anzuſchlagen. Die In-
tervallen, welche im vorhergehenden Accorde ſchon da ſind, und
im darauf folgenden liegen bleiben können, läſſet man liegen.
Durch dieſen Vortrag, wenn er zumal mit flieſſenden Progreſ-
ſionen in der beſten Lage vergeſellſchaftet iſt, erhält die Begleitung
eine ſingende Wirkung. Bey gezogenen Noten iſt er unentbehr-
lich. Aus dieſer guten Urſache ſind die meiſten Exempel dieſes
Bachs Verſuch. 2. Theil. J iBuches
[250]Neun und zwanzigſtes Capitel.
Buches in dergleichen Ausführung vorgebildet worden, damit die
Lernenden beyzeiten an dieſe Art von unterhaltendem Vortrage gewöh-
net, und vor dem ſo gewöhnlichen als ekelhaften Gehacke bey dem
Generalbaſſe bewahret werden. Wenn die Zeitmaaſſe ſo ſehr lang-
ſam, und das Inſtrument worauf man ſpielet, ſo ungemein ſchlecht
iſt, daß die liegen gebliebenen Intervallen nicht hinlänglich nach-
klingen: ſo iſt alsdenn ein wiederholter Anſchlag nöthig. Auf den
Orgeln brauchet man dieſe Nothhülfe nicht.


§. 15.

Der Vortrag der Sechzehntheile in den unten fol-
genden Exempeln klinget im Adagio ſehr matt, wenn keine Puncte
darzwiſchen ſtehen. Man thut alſo wohl, wenn man bey der
Ausführung dieſen Mangel erſetzet. In der Schreibart der punc-
tirten Noten überhaupt fehlet es noch ſehr oft an der gehörigen
Genauigkeit. Man hat daher wegen des Vortrags dieſer Art von
Noten eine gewiſſe Hauptregel feſtſetzen wollen, welche aber viele
Ausnahme leidet. Die nach dem Punct folgenden Noten ſollen
nach dieſer Regel auf das kürzeſte abgefertiget werden, und meh-
rentheils iſt dieſe Vorſchrift wahr: allein bald machet die Ein-
theilung gewiſſer Noten in verſchiedenen Stimmen, vermöge wel-
cher ſie in einem Augenblicke zuſammen eintreten müſſen, eine
Aenderung; bald iſt ein flattirender Affect, welcher das dieſen
punctirten Noten ſonſt eigene Trotzige nicht verträget, die Urſache,
daß man bey dem Puncte etwas weniger anhält. Wenn man
alſo nur eine Art vom Vortrage dieſer Noten zum Grundſatze
leget, ſo verliehrt man die übrigen Arten.

[figure]
§. 16.
[251]Vom Vortrage.

§. 16.

Unter die noch fehlenden Signaturen gehören
hauptſächlich die Puncte, welche zwiſchen den Ziffern mit eben
dem Recht ſtehen ſolten, mit welchem man ſie zwiſchen den Grund-
noten antrift. Man muß ſich wundern, daß man noch bis jetzo
bey der Bezifferung dieſe Puncte übergangen hat, ohngeachtet
bey dem jetzigen feinen Geſchmacke ihre Nothwendigkeit gar ſehr
einleuchten muß. Wie viele Ungleichheiten können nicht bey dem
Mangel dieſer Puncte wegen der Auflöſungen vorgehen! Wie
ſehr leidet oft nicht auſſerdem der Vortrag und das Genie eines
Stückes, und wie unendlich aufmerkſam muß nicht das Ohr ſeyn,
um keine Fehler zuzulaſſen! Folgendes Exempel mag einen Beweis
von meiner Meynung abgeben:

[figure]

§. 17.

Wenn bey einem langſamen Tempo viele geſchleifte
Grundnoten auf einer Stufe hintereinander vorkommen, und man
will ſie mit der tiefern Octave verdoppeln: ſo geſchiehet dieſes nur
bey der erſten und dritten, oder in den Triolen blos bey der erſten.
Die unterſten verdoppelten Noten werden alsdenn ausgehalten (a).
Wenn dergleichen Noten aber geſchwind und abgeſtoſſen aus-
geführet werden ſollen, damit ſie ein ſtarkes Geräuſche machen (b):
ſo kann man nach der bey (c) abgebildeten Art vom Vortrage
verfahren. Gar lange dürfen dergleichen Paßagien nicht dauern,
ſonſt werden die Hände zu ſteif und zu müde. Man thut als-
denn beſſer, wenn man ſie wie andere Trommelbäſſe ſpielet, und
J i 2der
[252]Neun und zwanzigſtes Capitel.
der deswegen im erſten Theile dieſes Verſuchs, in der Ein-
leitung, in einer Note
gegebenen Vorſchrift folget.

[figure]

§. 18.

Wenn bey einem Concert, oder überhaupt bey einem
vielſtimmigen Stücke der Baß mit allen Ripienſtimmen eine Aus-
haltung hat, da unterdeſſen die Hauptſtimme ihre beſondere Bewe-
gung beybehält, auch ſolche wol gar zuweilen durch Rückungen ver-
ändert: ſo thut der Accompagniſt wohl, wenn er zur Aufrecht-
haltung des Tactes, und zur Sicherheit der übrigen Mitmuſici-
renden die Tactheile mit der rechten Hand harmoniſch anſchläget,
ob ſich auch ſchon die Harmonie bey der Aushaltung nicht ein
einziges mahl verändern ſolte. Hat der Baß ganz allein eine
lange Aushaltung, ſo kann man die auszuhaltende Grundnote
alsdenn einfach wieder anſchlagen, wenn ſie nachzuklingen bey-
nahe aufgehöret hat. Nur muß dieſes nicht, wie man zu
ſagen pfleget, wider den Tact geſchehen. Bey den geraden
Tacten
[253]Vom Vortrage.
Tacten kann dieſe Wiederholung im Anfange und in der Mitte
geſchehen, nachdem die Tactart viele Theile hat, und nachdem das
Tempo langſam oder geſchwinde iſt. Bey den ungeraden Tacten
findet dieſer wiederholte Anſchlag nur im Niederſchlagen Statt:
kommt aber im währenden Aushalten ein Forte vor, nachdem
ein Piano vorhergegangen iſt, ſo kehret man ſich nicht an die ange-
führte Tacteintheilung, ſondern ſchläget, ſo viel man abmerken kann,
gleich bey dem Eintritt des Forte die Grundnote nebſt der Har-
monie mit beyden Händen, und wenn ein Fortißimo angezeiget
iſt, mit vollen Händen an. Auch hier kann man, wegen Man-
gel an Zeichen, den Eintritt der Stärke und Schwäche bey der
Grundnote und ihren Ziffern nicht pünctlich andeuten.


§. 19.

Wenn mit dem Baſſe zugleich mehrere Stimmen
die vorgeſchriebenen Noten geriſſen (pizzicato) auszuführen haben,
ſo pauſirt der Clavieriſt, und überläſſet dieſen Vortrag dem Vio-
loncell und Contraviolon. Trift aber dieſes pizzicato blos die
Grundſtimme, ſo ſpielet der Accompagniſt ſeine Noten mit der lin-
ken Hand allein, und ſtöſſet ſie ab: es ſey dann, daß der Com-
poniſt aus guten Urſachen Ziffern über die Noten geſetzet hätte, ſo
träget man mit der rechten Hand auch die Harmonie abgeſtoſſen vor.
Wenn der Vortrag des pizzicato und coll’arco nur mit wenigen
Noten abwechſelt: ſo muß jenes von dieſem durch einen ſehr merk-
lichen Vortrag unterſchieden werden, es geſchehe nun durch ein
gänzliches Pauſiren, durch ein abgeſtoſſenes taſto ſolo oder uniſoni,
oder durch einen kurzen Anſchlag der Harmonie. Wenn bey dieſer
Nothwendigkeit des Abſtoſſens in der Hauptſtimme Vorſchläge vor-
kommen, welche man in der Begleitung ſonſt nicht übergehet, ſo
ſpielet man ſie nicht mit, ſondern nimmt blos die übrigen dazu
gehörigen Ziffern, weil der geſchleifte Vortrag der Vorſchläge und
Abzüge ſich mit dem Abſtoſſen nicht wohl verträget.


J i 3§. 20.
[254]Neun und zwanzigſtes Capitel.

§. 20.

In langſamer oder gemäßigter Zeitmaaſſe wird über-
haupt
bey den Einſchnitten länger angehalten als es ſeyn ſoll,
beſonders wenn der Baß mit den übrigen Stimmen, oder, bey
einem Solo, mit der Hauptſtimme allein gleiche Pauſen und Noten
hat. Man muß alsdenn genau Acht haben, damit der Vortrag
gleich ſey, und keiner eher oder ſpäter, als der andere, nach den
Pauſen fortgehe. Dieſer Fall ereignet ſich auch oft auſſer den Ein-
ſchnitten bey Fermaten, Cadenzen u. ſ. w. Man pfleget alsdenn
mit Fleiß in dem Tempo etwas zu ſchleppen, und man muß alſo
von der Strenge des Tactes etwas fahren laſſen, weil ſowohl bey
der letzten Note vor der Pauſe, als auch bey der Pauſe ſelbſt, ge-
meiniglich länger angehalten wird, als es ſeyn ſolte. Auſſer der
Gleichheit, die man durch dieſe Art von Ausführung erhält, be-
kommt der Gedanke einen Nachdruck, welcher ihn erhebet.

[figure]

§. 21.

Bey dem Schlußtriller eines Stückes wird mehren-
theils angehalten, das Tempo ſey wie es wolle. Hat das Stück
Repriſen, ſo wird dieſer Triller, und folglich auch die Grundnote
dazu, erſt bey der letzten Wiederholung am Ende, verlängert.
Hierdurch giebet man dem Schluſſe des Stückes noch zuletzt ein
Gewichte, und läſſet den Zuhörer empfinden daß es aus ſey.
Dieſe
[255]Vom Vortrage.
Dieſe Art zu ſchlieſſen kann vielleicht, ohngeachtet ihrer guten Aus-
nahme, in einigen Gegenden nicht eingeführet ſeyn. Der Begleiter
muß alſo in dieſem Falle viele Aufmerkſamkeit anwenden, zumal da
auch bey uns zuweilen Schlußtriller vorkommen, wo entweder
das Feurige oder das Traurige eines Gedanken erfordert, daß man
in dem Tempo gerade fortgehe (a). Es verſtehet ſich von
ſelbſt, daß der Accompagniſt ebenfalls nicht anhält, wenn die Grund-
noten bey dem Schlußtriller fortgehen (b). Wenn aber bey die-
ſem Fortgange der Grundſtimme die letzte Note die Quinte der
Tonart iſt, ſo hält man dabey noch ſo lange ſtille, bis man merket,
daß die Hauptſtimme, oder die übrigen Mitmuſicirenden mit ihrem
Triller fertig ſind (c). Eben ſo verfähret man, wenn in der
Grundſtimme, nach dem Eintritt des Trillers blos die Quinte
der Tonart in der höhern oder tiefern Octave wiederholet wird (d).
Wenn ſich ein Stück ohne Schlußtriller endiget, ſo gehet man auch,
ohne anzuhalten, gleich weiter fort (e).


[figure]
[256]Neun und zwanzigſtes Capitel.
[figure]

§. 22.

Wenn man einem tiefen Inſtrumente, einem Fo-
gott, Violoncell u. ſ. w. oder einer tiefen Singſtimme, einem Tenor
oder Baß, ein Solo oder eine Soloarie accompagnirt, ſo muß
man ſich in der Begleitung niemals wegen der Höhe von der
Hauptſtimme zu weit entfernen, ſondern auf die Weite der Mo-
dulation der letztern genau Acht haben. Man pfleget ſich als-
denn nicht leicht über die eingeſtrichne Octave mit der Harmonie
zu verſteigen. Iſt es nöthig, die Aufgaben ganz tief zu nehmen,
ſo muß man die Harmonie verdünnen, weil die Tiefe nicht viele
Harmonie verträget, ohne die Deutlichkeit zu verliehren.


§. 23.

Sind Ripienſtimmen zu einem Stücke mit einer tie-
fen Hauptſtimme geſetzet, ſo muß man auf die Höhe und Tiefe
der erſtern genau hören, und die Begleitung des Claviers in
derſelben Weite nehmen. Der Geſang der Hauptſtimme muß
durch überſteigende Mittelſtimmen alsdenn nicht undeutlich gemacht
werden. Aus dieſer Urſache ſetzen zuweilen die Componiſten, der
guten Ausnahme und Veränderung wegen, die Mittelſtimmen in
die Tiefe, wenn der Hauptgeſang ſich daſelbſt aufhält, und wech-
ſeln nachher glücklich wieder mit der Höhe bey den Rittornellen ab.
Nach allen dieſen muß der Accompagniſt ſich genau richten. Ge-
wiſſe Fälle, wobey man ſich in Anſehung der Höhe und Tiefe der
Harmonie, der Zierlichkeit wegen, gewiſſer Freyheiten bedienen kann,
werden an einem andern Orte abgehandelt werden. Hier wol-
len wir nur dasjenige den Begleitern nochmals anrathen, worauf
wir ſchon öfter gedrungen haben, nemlich, daß in der Ober-
ſtimme
[257]Vom Vortrage.
ſtimme auf einen guten Geſang geſehen werde. Die beſten Lagen
ſind hierbey, ſo viel es nur möglich iſt, zu nehmen, und wenn
man ja in der Nothwendigkeit ſtehet, die Hauptſtimme mit der
Harmonie zu überſteigen, ſo muß man diejenigen Intervallen in
die Oberſtimme legen, welche mit andern Mittelſtimmen unter ſich
(a), oder mit der Hauptſtimme (b), oder mit dem Baſſe (c) in
Terzen oder Sexten fortſchreiten:

[figure]

§. 24.

So verwerflich die Begleitung iſt, wobey man in
der Oberſtimme den Geſang der Hauptſtimme beſtändig mitſpielet:
ſo nöthig, und folglich auch erlaubt iſt ſie zuweilen im Anfange
eines geſchwinden Stückes, beſonders wenn dieſes letztere
zweyſtimmig iſt. Man bietet ſich dadurch, wegen des Tempo, ein-
ander gleichſam die Hände, und die Zuhörer verliehren nicht das
geringſte vom Anfange, wegen der Gleichheit und guten Ordnung.
Schwachen Muſikern überhaupt, ſie mögen begleiten oder führen,
iſt dieſes Hülfsmittel der Einförmigkeit allenfalls auch auſſer dem
Anfange
erlaubet, wenn ſie dadurch wieder in die Gleichheit des
Tactes kommen können, woraus ſie gefallen waren.


Bachs Verſuch. 2. Theil. K k§. 25.
[258]Neun und zwanzigſtes Capitel.

§. 25.

Wenn die rechte Hand durch viele unterwärts auf-
gelöſete Diſſonanzen zu tief herunter gekommen iſt, ſo muß man
alle, in dieſer Anleitung angezeigte Gelegenheit, beſonders bey
langen Grundnoten, bey conſonirenden Sätzen, bey der Wieder-
holung derſelben, bey durchgehenden Noten u. ſ. w. ergreifen,
mit guter Art nach und nach wieder in die Höhe zu kommen.
Dieſes letztere iſt oft aus einer guten Vorſicht nöthig, wenn die
Hauptſtimme nicht über dem Baſſe ſtehet, weil die erſtere oder auch
mehrere Stimmen zuweilen unvermuthet aus der Tiefe in die Höhe
ſpringen können, welches der Accompagniſt nicht thun darf. Wir
ſehen alſo aus dieſem und mehrern möglichen Fällen, die ſich zwar
nicht alle beſtimmen laſſen, welche aber ein verſtändiger Begleiter
gar bald entdecket, die Nothwendigkeit, durch eine fleißige Ue-
bung im Accompagnement mit der Zeit Meiſter von der erforder-
lichen Höhe und Tiefe der Harmonie zu werden. Ich verſtehe
hierunter nicht blos eine Fertigkeit, die Interoallen allenthalben
gleich angeben zu können, ſondern eine Geſchicklichkeit, dahin, wo
man man nur will, und wo es nöthig iſt, mit der Harmonie
auf eine gute Art gleich hinzukommen. Wir wollen bey dieſer Ge-
legenheit noch einige Fälle mit anmerken, wobey man bequem mit in
die Lagen kommen kann, welche man in Anſehung der Höhe und Tiefe
der Harmonie nöthig findet. Wenn z. E. der Baß mit einem con-
ſonirenden Satze in die Octave ſpringet, ſo kann man ohne Gefahr,
durch die Gegenbewegung, alsdenn die Lage eher verändern, als
bey andern Sprüngen der Grundnoten (a). Auſſerdem ſind die
Aufgaben mit nachſchlagenden und unvorbereiteten Diſſonanzen
ebenfalls bequem, daß man unter den Lagen wählen kann (b):

[figure]
[259]Vom Vortrage.
[figure]

§. 26.

Bey der Begleitung muß man eben ſo wenig nur
ganz leicht über die Oberfläche der Taſten hinfahren, als bey den
Handſachen, ſondern man muß dem Niederdruck allezeit eine ge-
wiſſe Kraft geben. Dieſes kann nicht leicht geſchehen, ohne daß
man die Hände etwas hoch aufhebet. Wenn dieſes nicht zu
Holzhackermäßig geſchiehet, ſo iſt die Erhebung der Hände nicht
allein kein Fehler, ſondern vielmehr gut und nöthig, um den
Mitmuſicirenden das Tempo leichter merkend zu machen, und
den Taſten das gehörige Gewichte zu geben, damit die Töne nach
den Regeln des guten Vortrages deutlich herausgebracht werden
können.



Dreißigſtes Capitel.
Von den Schlußcadenzen.


§. 1.


Meine Leſer werden aus dem erſten Theile dieſes Ver-
ſuches
geſehen haben, daß die Schlußcadenzen mit und
ohne Verzierung vorkommen. Wir wollen alſo den Begleiter
hier unterrichten, wie er ſich in beyden Fällen zu verhalten habe.


§. 2.

Bey dem Eintritt der verzierten Cadenzen, ſie mögen
durch ein Ruhezeichen in der Grundſtimme angedeutet ſeyn oder
nicht, hält der Accompagniſt den Sextquartenaccord eine Weile
aus, und ruhet hernach ſo lange, bis bey dem Ende der Cadenz
K k 2die
[260]Dreißigſtes Capitel.
die Hauptſtimme durch einen Schlußtriller, oder andere Figuren, die
Auflöſung des erwehnten Accordes nothwendig machet, welche
alsdenn durch den Dreyklang, wozu man noch die Septime zur
fünften Stimme nimmt, auf dem Claviere vor ſich gehet. Vom
Adagio molto an bis zum Andante wird der Sextquartenaccord
ſowohl, als der darauf folgende Dreyklang langſam, oder etwas
hurtiger von unten hinauf gebrochen, nachdem es die Zeitmaaſſe,
oder der Affect erfordert.


§. 3.

Wenn bey einem mehr als zweyſtimmigen Stücke die
Grundſtimme, bey dem Eingange in die verzierte Cadenz, Pauſen
hat, ſo ſchläget der Accompagniſt bey dem Schluſſe der Cadenz, es
mag ſich dieſe letztere durch einen langen Triller, oder ohne den-
ſelben durch eine andere Figur, oder durch ein Pianißimo endigen,
den Dreyklang, nebſt der Dominante im Baſſe an, und pauſiret
hernach weiter fort, wenn noch mehr Pauſen nachfolgen.


§ 4.

Wenn nach einer verzierten, oder auch nur nach einer
mit einem bloſſen langen Triller aufgehaltenen Cadenz, der Baß
gleich darauf fortgehen ſoll: ſo muß dieſes mit einer Feſtigkeit und
ſichern Wiederergreifung des Tempo ſogleich geſchehen, als man
merket, daß der Triller von der Hauptſtimme lange genug geſchla-
gen worden iſt, und daß er matt werden möchte. Die Noten,
womit der Baß gleich nach dem Triller fortgehet, müſſen, auch
ohne Andeutung, kräftig und ſtark vorgetragen werden, damit die
übrigen Ausführer das wieder ordentlich fortgehende Tempo deut-
lich fühlen. Solten dieſe nach der Cadenz ſich gleich weiter fort-
bewegenden Grundnoten mit einem Piano bezeichnet ſeyn, welches
aber ſelten vorkommt, ſo ſchläget man wenigſtens die erſteren,
welche vor dem Eintritte des folgenden Tactes vorkommen, ſtark
an, oder giebet allenfalls den Mitmuſicirenden durch eine Bewe-
gung des Cörpers die Tacteintheilung zu erkennen.


Z. E.
[361[261]]Von den Schlußcadenzen.
[figure]

§. 5.

Zuweilen fehlet es dem Ausführer der Hauptſtimme
an der Dispoſition, ſich bey der Cadenz aufzuhalten, ohngeacht
ein Ruhezeichen über der Grundnote ſtehet; er pfleget dieſes als-
denn ſeinen Begleitern durch eine Bewegung mit dem Kopfe, oder
mit dem Leibe zu verſtehen zu geben. Wenn der Accompagniſt
dieſes merket, ſo ſchläget er, ſtatt einer auszuhaltenden Grund-
note lauter ſolche kurze Noten an, dergleichen vorhergegangen ſind,
damit die gute Ordnung erhalten werde, und die übrigen Muſi-
ker den Fortgang im Tempo ohne Aufhaltung deutlich hören:

[figure]

§. 6.

Wenn im folgenden Exempel der Componiſt bey
der Schlußcadenz, ohne Rückſicht auf eine Verzierung derſelben,
die Bewegung der Grundnoten fortgehen läſſet: ſo hält der Accom-
pagniſt bey dem erſten g gleich an, und wiederholet dieſes Intervall
bey dem Triller, worauf er den folgenden Tact anfängt. Dieſer
Fall kommt oft im Allegro vor, und erfordert alsdenn ein auf-
merkſames Ohr:

[figure]
§. 7.
[262]Dreißigſtes Capitel.

§. 7.

Im Andantino und Allegretto wird zur Cadenz ſo-
wohl der Sextquartenaccord, als auch der folgende Dreyklang kurz
von unten hinauf gebrochen und liegen gelaſſen. Im Allegro hin-
gegen ſchläget man, vor der Verzierung der Cadenz, den Sextquar-
tenaccord ſammt der Grundnote mehrentheils ganz kurz an. Die
Hauptſtimme erhält dadurch die Freyheit, bey einem feurigen
Stücke ihre Verzierungen, nach einem ganz kurzen Stillſtand, gleich
anzufangen, und viele geſchwinde, und zugleich ſolche Noten anzu-
bringen, welche ſich auf den vorgeſchlagenen Accord nicht eben
beziehen. Es iſt dieſes auch nicht allezeit nöthig, ohngeacht
man dennoch ſo viel möglich bey dem Anfange der Verzierung
auf den Sextquartenaccord mit ſiehet. Wenn man das Feld der
verzierten Cadenzen zu ſehr einſchränken wolte, ſo würde der Miß-
brauch
davon, den man nun ſchon mit Geduld ertragen muß,
und nicht leicht abſchaffen kann, noch unleidlicher werden, als er
ſchon iſt. Auſſer dem Falle, da die Hauptſtimme gleich nach dem
Sextquartenaccord mit der Verzierung anfänget, pflegen ſich die
Ausführer der gedachten Hauptſtimme, um an die nachklingende
Harmonie der  nicht zu ſehr gebunden zu ſeyn, dadurch zu hel-
fen, daß ſie ihre Note mit dem Ruhezeichen noch eine Weile
aushalten und alsdenn erſt ihre Schönheiten anbringen, wenn
der Nachklang des Claviers mehrentheils vorbey iſt. Dieſe Art
des Vortrages iſt auch deswegen gut, weil die Zuhörer auf die
Cadenz gehörig vorbereitet werden, nachdem vorher der Sexquar-
tenaccord ihrem Gehör gut eingepräget worden iſt.


§. 8.

Der Triller, womit man die verzierte Cadenz endiget,
wird mehr aus Gewohnheit, als aus einer Schuldigkeit in der
Quinte, und wenn die Tonart weich iſt, zuweilen auch in der
Sexte geſchlagen. Weil nun der Accompagniſt auf dieſen Triller
lauren muß, damit er bey dem Eintritt deſſelben den Drey-
klang
[263]Von den Schlußcadenzen.
klang ſogleich darzu anſchlagen könne: ſo muß man ſich bey ſolchen
Cadenzen, welche mit Ketten von Trillern verziert werden, durch eine
allzu groſſe Sorgfalt nicht verführen laſſen, und mit dem Dreyklange
gleich zuplatzen, ſo bald ein etwas langer Triller in der Terz geſchla-
gen wird. Dieſer Triller iſt gemeiniglich ein ſicheres Kennzeichen,
daß die Cadenz noch nicht zu Ende iſt, und man waget alſo durch
einen zu frühen Anſchlag noch viele Töne zu hören, welche zu
dem Dreyklange nicht paſſen. Ein verſtändiger Ausführer der
Hauptſtimme wird ſich zwar alsdenn auf alle mögliche Art ein-
ſchränken, und, damit das Gehör nichts widriges empfinde, bald
zum Schluſſe eilen: allein dieſen Zwang muß ein Accompagniſt
nicht veranlaſſen. Solte jemand aus beſonderm Gefallen mit
einem ſolchen Triller in der Terz der Grundnote ſeine Cadenz
endigen wollen: ſo muß er ſich gefallen laſſen, wenn der Clavieriſt
mit ſeinem Dreyklange nicht gleich bey der Hand iſt, ſondern die-
ſen Triller zuvor eine Weile anhöret, bis er gewiß weiß, daß die
Cadenz damit geſchloſſen werden ſoll. Einige Ausführer der
Hauptſtimme haben einen Wohlgefallen daran, wenn ſie den Ac-
compagniſten durch einen langen Triller in der Quinte hintergehen
und vermögen können, daß er mit ſeiner Auflöſung des Sextquar-
tenaccordes dabey einfällt, ob ſie ſchon nachher in ihren Verzie-
rungen, welche ſehr oft zu der vorhergegangenen Auflöſung nicht
harmoniren, fortfahren: allein der Accompagniſt kann bey dieſer
Heldenthat ganz geruhig und vor allen rechtmäßigen Vorwürfen
ſicher ſeyn. Er gönnet ſeinem Führer dieſes Vergnügen, und über-
läſſet ihm zugleich die Ehre der guten Ausnahme.


§. 9.

Bey folgenden Exempeln, welche zuweilen vorkom-
men, wird zur erſten Note der Dreyklang genommen, womit man,
wenn die Zeitmaaſſe hurtig iſt, bis zur letzten Note liegen bleibet,
und alsdenn erſt anhält. Die mittlern Noten läſſet man, ohn-
geacht
[264]Dreißigſtes Capitel.
geacht der darüber geſetzten Ziffern, ohne Begleitung mit der rech-
ten Hand durchgehen (a). Bey einem langſamen Tempo muß die
Bezifferung geändert werden, indem man die Begleitung nach der
Abbildung bey (b) einrichtet, und bey dem d anhält:

[figure]

§. 10.

Die halben Cadenzen, wobey über der vorletzten Note
eines Stückes [7][6] oder [7] ſtehet, kommen jetzo nicht mehr ſo oft
vor, wie vordem. Man hält dabey mit dem Septimenaccorde
ſo lange an, bis in der Hauptſtimme die Auflöſung erfolget, welche
mehrentheils mit einem langen Triller in der Sexte oder Terz der
Grundnote geſchiehet, nachdem zuweilen einige Verzierungen vor-
hergegangen ſind. Der Begleiter ſchläget alsdenn ſeinen Sexten-
accord ſogleich ausgehalten, und wenn das Tempo langſam iſt,
gebrochen an.

[figure]

§. 11.

Wenn in Arien oder andern Stücken, aus einer
harten Tonart, der zweyte Theil in die weiche übergehet, und
ein Da Capo darauf folget: ſo muß nach der Cadenz des zweyten
Theiles der Accord der letzten Grundnote auch ohne Andeutung hart
ſeyn. Eben daſſelbe iſt bey Stücken aus einer harten Tonart in
acht zu nehmen, wo der Componiſt zuweilen mit einem Gedanken
aus derſelben weichen Tonart in die Cadenz hinein gehet. Ob gleich
in dieſem Falle, ſtatt der groſſen Septime und Sexte, dieſe Inter-
vallen
[265]Von den Schlußcadenzen.
vallen klein vorkommen: ſo muß dennoch der letzte Dreyklang, nach
der Cadenz, hart ſeyn:

[figure]

§. 12.

Bey dem unten angeführten Exempel, wo die Be-
zifferung ohne Rückſicht auf eine Aufhaltung der Cadenz über die
Grundnoten geſetzet iſt, kehret ſich der Accompagniſt nicht an die
vorgeſchriebene Aufgabe, ſondern nimmt zum g, ſtatt [4][3],  , ſo
bald er merket, daß die Hauptſtimme bey der Cadenz anhalten will,
es mag dieſes mit, oder ohne Verzierung geſchehen. Es werden
auf dieſe Art alle Exempel in dem angeführten Falle abgefertiget,
ſie mögen beziffert ſeyn, wie ſie wollen.

[figure]
Bachs Verſuch. 2. Theil.
[266]Ein und dreißigſtes Capitel.

Ein und dreyßigſtes Capitel.
Von den Fermaten.


§. 1.


Aus dem erſten Theile dieſes Verſuches wiſſen wir, daß
die Fermaten auf verſchiedene Art ausgeführet werden.
Es bleibet uns hierbey nichts übrig, als zu zeigen, wie man bey
der Begleitung mit dieſen Fermaten zu verfahren habe.


§. 2.

Die Hauptſtimme mag in eine Fermate ſpringen (a),
oder durch einen Vorſchlag hinein gehen (b), in beyden Fällen
wird die fermirende Grundnote ohne Begleitung mit der linken
Hand allein angeſchlagen, und bey dem Ende der Fermate mit
der gebrochenen darzu gehörigen Harmonie noch einmal wieder-
holet. Die Hauptſtimme erhält hierdurch überhaupt alle mög-
liche Freyheit dieſe Fermate auszuführen, wie ſie will. So wird
z. E. in dem Falle bey (a) das künſtliche Ab- und Zunehmen
der Stärke des Trillers, oder Aushaltens, durch das Rauſchen
der Harmonie nicht verdunkelt, und bey (b) dem Vortrage des
Vorſchlages nichts in den Weg geleget. Solten auch noch andere
Verzierungen von der Hauptſtimme angebracht werden, ſo iſt das
taſto ſolo in aller Art hier unentbehrlich. Wenn bey (a) unter
der fermirenden Grundnote Forte ſtehet, ſo kann man alsdenn
die Harmonie in der rechten Hand kurz abgeſtoſſen oder ganz
kurz gebrochen
mit der Grundnote anſchlagen.

[figure]
§. 3.
[267]Von den Fermaten.

§. 3.

Wenn die Hauptſtimme ſchleppend in eine Fer-
mate gehet, ſo muß ſich der Accompagniſt mit fortſchleppen laſſen.
Dieſes iſt in dem unten folgenden Exempel durch 𝅃 𝅃 vorgebildet.
Wenn die Hauptſtimme daſelbſt bey dem a anhält, und darauf
Verzierungen anbringet, ſo gehet der Accompagniſt bis zum fis
fort, und bleibet damit, ſamt der dazu gehörigen Harmonie ſo
lange liegen, bis er merket, daß der Vorſchlag über der folgenden
Grundnote eintritt, da er alsdenn das g allein mit der linken
Hand anſchläget, und es bey dem Ende der Verzierung mit dem
gebrochenen Dreyklange noch einmal wiederholet.

[figure]

§. 4.

Der Begleiter muß ſich überhaupt wegen des Anhal-
tens und Fortgehens bey den Fermaten nach der Vorſchrift genau
richten, welche wir deswegen im erſten Theile dieſes Verſuches
angemerket finden. Es beruhet alles darauf, daß bey der Haupt-
ſtimme ſowohl die ſimpeln Noten, als auch die Auszierungen vor
der Fermate mit den Grundnoten ſamt ihren Accorden gehörig
harmoniren und zugleich eintreffen.


§. 5.

Fermaten ohne Vorſchläge oder Verzierungen, und
wo zuweilen das Ruhezeichen über einer folgenden Pauſe ſtehet,
werden kurz und platt abgefertiget.


§. 6.

Folgendes Exempel, dergleichen wir im 20ſten Pa-
ragraph des neun und zwanzigſten Capitels
mehrere ge-
ſehen haben, wird zuweilen wie eine Fermate ausgeführet, ohn-
geacht kein Ruhezeichen angedeutet iſt. Die Hauptſtimme pfleget
alsdenn aus Affect, wider die Strenge des Tactes, mit dem
L l 2Vor-
[268]Zwey und dreyßigſtes Capitel.
Vorſchlage c ganz langſam in das h zugehen, dieſes letztere lange
auszuhalten, die Sechzehntheilpauſe zu verlängern, und alsdenn
erſt weiter zu gehen. Der Accompagniſt muß auf alles dieſes
genau Achtung geben, und vornehmlich die Quinte bey dem dritten
f, welche ſich auf den Vorſchlag beziehet, nicht zu frühzeitig auf-
löſen Dieſe Auflöſung wird in einer langſam gebrochenen Har-
monie des Secundenaccordes nachgeſchlagen, wenn die Haupt-
ſtimme kurz vorher in das h gegangen iſt.

[figure]

Zwey und dreyßigſtes Capitel.
Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.


§. 1.


Wir erinnern hier nochmals, daß die Zierlichkeit des Accom-
pagnements nicht in bunten Figuren und Manieren, welche
man zur Unzeit erfindet, und wodurch einige ſo gar den Geſang
der Grundnoten verſtellen, beſtehen müſſe: wir haben bereits in
unſerer Anleitung ganz andere Gegenſtände gezeiget, wodurch ſich
ein Begleiter den allgemeinen Beyfall erwerben kann, und wollen
noch ferner in dieſer Art fortfahren.


§. 2.

Es wird in dieſem Capitel unterſchiedenes vorkommen,
woran ein Accompagniſt nicht eher Theil nehmen muß, als bis ſeine
Ein-
[269]Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
Einſichten ſo weit ſind, daß er pünctlich weiß, wenn, und wo
Zierlichkeiten angebracht werden können. Auſſerdem iſt es beſſer,
daß er ſich nicht weiter verſteiget, als ihm die Flügel gewach-
ſen ſind.


§. 3.

Der gewöhnlichſte Ausdruck, wodurch man einen
guten Accompagniſten kennbar machet, pfleget dieſer zu ſeyn: er
accompagniret mit Discretion.
Dieſes Lob iſt von weit-
läuftiger Bedeutung, und man will damit ſo viel ſagen: Der
Begleiter weiß gut zu unterſcheiden, und hiernach ſeine Einrichtun-
gen zu machen, nachdem der Inhalt eines Stückes, deſſen Voll-
ſtimmigkeit, die Mitgehülfen in der Ausführung, beſonders der
Ausführer der Hauptſtimme, die Inſtrumente oder Singſtimmen,
der Ort, die Zuhörer u. ſ. w. beſchaffen ſind. Er ſuchet mit der
gröſſeſten Beſcheidenheit denenjenigen, die er begleitet, ohngeacht
er ſie zuweilen mit ſeinen Kräften überſiehet, die erwünſchte Ehre
mit zu erwerben. Dieſe Beſcheidenheit zeiget er beſonders gegen
Perſonen, die nicht vom Metier ſind. Er läſſet dieſe letztern lieber
hervorragen, als daß er ſie verdunkeln ſolte. Ueberdem ſchläget
er in die Abſichten des Verfaſſers und der Ausführer eines Stückes
jederzeit ein; er ſuchet dieſe Abſichten zu befördern und zu unter-
ſtützen; er ergreifet alle mögliche Schönheiten des Vortrages und
der Begleitung überhaupt, ſo bald es der Inhalt eines Stückes
fordert; er wendet aber auch bey dem Gebrauche dieſer Schön-
heiten zugleich die nöthige Behutſamkeit an, damit er niemanden
einſchränke; zu dem Ende bringet er ſeine Künſte nicht alle Augen-
blicke, ſondern ſparſam und nur alsdenn an, wenn ſie die gute
Ausnahme befördern. Keine allzu groſſe Weisheit darf ihn drü-
cken, und er vergißt niemals, daß er nur begleitet und nicht füh-
ret; er weiß, daß ein gutes Accompagnement die Ausführung eines
Stückes belebet, und daß im Gegentheil der beſte Ausführer durch
L l 3eine
[270]Zwey und dreyßigſtes Capitel.
eine elende Begleitung ungemein verliehret, weil ihm alle Schön-
heiten verdorben werden, und was das vornehmſte iſt, weil er
dadurch aus der guten Dispoſition, worin er war, kommen muß.
Mit einem Worte, ein discreter Accompagniſt muß eine gute
muſicaliſche Seele haben, welche vielen Verſtand und guten
Willen hat.


§. 4.

Mit Discretion accompagniren heiſſet auch
zuweilen die Fehler anderer übertragen, und denenſelben nach-
geben. Oft befiehlet dieſes die Höflichkeit, oft auch die Noth-
wendigkeit, wenn z. E. ein vielſtimmiges Stück von vielen Ausfüh-
rern, welche nicht gleiche Fähigkeiten beſitzen, ordentlich ausge-
führet werden ſoll. Der beſte Anführer muß alsdenn nachgeben,
und folglich auch der Accompagniſt.


§. 5.

Mit Discretion accompagniren heiſſet auch ge-
wiſſen Freyheiten, welche ſich die Ausführer der Hauptſtimme zu-
weilen herausnehmen, nachgeben. Dieſe letztern pflegen alsdenn
bey der Auszierung oder Veränderung des Geſanges, ohne daß
es eigentlich ſeyn ſolte, von der Vorſchrift in etwas abzuge-
hen. Dem verſtändigſten Ausführer der Hauptſtimme kann dieſes
begegnen, wenn er weiß, daß er einen tüchtigen Accompagniſten
hat, und ſich folglich mit aller möglichen Freyheit dem Affecte
überläſſet. Dieſe Freyheiten müſſen alſo nicht aus einer Unwiſ-
ſenheit, ſondern aus einer vernünftigen Sonverainität herrühren,
und betreffen nur gewiſſe Kleinigkeiten, welche einem erfahrnen Ac-
compagniſten nichts, als ein wenig Aufmerkſamkeit koſten. In
den unten angeführten Exempeln (a) pflegen die Ausführer der
Hauptſtimme zuweilen in der Ausſchmückung ihres Vortrages eine
Bezifferung für die andere zu nehmen. Der Accompagniſt muß
ſeine Harmonie hiernach einrichten. Auſſer dieſer Verwechſelung
der Aufgaben muß man bey der Begleitung auch aufmerkſam ſeyn
und
[271]Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
und nachgeben, wie die Hauptſtimme in ihren Verzierungen mit
der Harmonie nicht auf den Punct eintrift, wie es die vorgeſchrie-
bene Signatur eigentlich erfordert (b):

[figure]

§. 6.

Unter die Zierlichkeiten der Begleitung gehören vor-
nehmlich mit, die gleichen Fortſchreitungen in Terzen mit
den Grundnoten. Die rechte Hand bindet ſich hier niemals an
eine gleiche Vollſtimmigkeit. Das durchaus vierſtimmige Accom-
pagnement findet ſelten, und nur bey langſamen Noten Statt (a),
weil dieſe Terzen, wenn die Zeitmaaſſe hurtig iſt, nicht gut her-
aus gebracht werden können. Die dreyſtimmige, und am aller-
meiſten die zweyſtimmige Begleitung, wo man blos die Terzen zu
den Grundnoten mitſpielet, ſind hier die vorzüglichſten. Aus
allen unten angeführten Exempeln ſehen wir, daß gehende, und
in Terzen ſpringende Grundnoten in gewiſſen Umſtänden
am bequemſten dieſe Begleitung in Terzen erlauben. Die Ver-
meidung falſcher Progreßionen nöthiget den Begleiter dieſe Terzen
oft zu nehmen. Gewiſſe Einleitungsclauſeln können ebenfalls mit
bloſſen Terzen begleitet werden (b). Wenn das letzte Exempel
(b) in der weichen Tonart vorkommt, ſo muß man die Begleitung
ändern (c):
Z. E.
[272]Zwey und dreißigſtes Capitel.

[figure]

[273]Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.

[figure]

§. 7.

Wenn bey einem zweyſtimmigen Stücke die Grund-
noten ſo beſchaffen ſind, daß ſie in der rechten Hand mit fort-
ſchreitenden Terzen könnten begleitet werden, die Hauptſtimme
aber hat entweder dieſe Terzen, oder andere ſich fortbewegende
Intervallen vorzutragen, welche mit den Grundnoten von glei-
cher
Geltung ſind: ſo nimmt man die Accorde ſimpel und läſſet
die Fortſchreitung mit Terzen weg. Man würde auſſerdem im
erſtern Falle dieſelben Noten mitſpielen, welche blos der Haupt-
ſtimme zukommen, und im zweyten Falle den Geſang der Haupt-
ſtimme und des Baſſes durch eine neu hinzu gekommene dritte
Bewegung, von derſelben Art verdunkeln. Folglich hat der Fort-
Bachs Verſuch. 2. Theil. M mgang
[274]Zwey und dreyßigſtes Capitel.
gang mit Terzen in der rechten Hand mit den Grundnoten alsdenn
am beſten Statt, wenn die Hauptſtimme entweder eine Aushal-
tung hat (a), oder ſich in einem Tone beweget (b), oder ſimplere
Noten (c), oder wenigſtens noch einmal ſo hurtige Noten, als
der Baß, vorzutragen hat (d). Im letztern Falle muß man die
Behutſamkeit, welche überhaupt bey dem Gebrauche dieſer Terzen
nöthig iſt, verdoppeln, damit keine widrige Zuſammenklänge (e),
oder verbotene Fortſchreitungen (f) dadurch verurſachet werden.

[figure]

§. 8.

Zuweilen werden bey dieſem Fortgange die Terzen
mit Sexten vermiſchet
(a). Man kann dadurch vielen Feh-
lern aus dem Wege gehen, indem man die Intervallen der Mit-
telſtimme gegen die durchgehenden Noten des Baſſes vertauſchet (b).
Bey
[275]Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
Bey (c), wo preſto darüber ſtehet, beläſtiget man ſich nicht bey
der erſten Note mit einem vollſtimmigen Accord, ſondern richtet
die Begleitung ſo ein, wie ſie gleich neben dem Exempel abge-
bildet iſt. Dieſe Ausführung iſt leichte, und die Geſchwindig-
keit machet, daß ſie vollſtimmiger klinget, als ſie iſt. Von dem
Exempel (d) läſſet ſich daſſelbe ſagen. Bey (e), wo der Baß
mit einer Note, worüber eine 6 ſtehet, eine Terz herunter, und
wieder zurück ſpringet, kann man ſowohl alle drey Grundnoten
mit Terzen abfertigen, als auch die Terz zur erſten Grundnote
liegen laſſen, und in der Mittelſtimme 6, 3, 6 nehmen. Die Ex-
empel bey (f) ſind deswegen merkwürdig, weil in der Haupt-
ſtimme allerley Bewegungen, Bindungen und Aushaltungen darbey
vorkommen. Bey (g), wo der Baß geſchwinde Noten hat, würde
die Leichtigkeit des Vortrages leiden, wenn man die vierſtimmige Be-
gleitung durchaus brauchte: folglich verfähret man der beygefüg-
ten Abbildung gemäß, welcher auch mäßige Finger gewachſen ſind.
Man ſiehet aus dieſen Exempeln, wie bequem man ſich ſolche ge-
ſchwinde fortgehende Bäſſe theils durch die Terzen und Sexten,
theils auch vornehmlich durch das Liegenlaſſen ſchon daſeyender
Intervallen machen kann. Folglich iſt dieſes Liegenlaſſen aus
vielen Urſachen gut; es bindet und ſinget mehr, iſt auch leichter
und unſchädlicher als das Anſchlagen. Dieſes letztere iſt, zumal
bey der vierſtimmigen Begleitung, in geſchwinder Zeitmaaſſe bey-
nahe unmöglich und von ſchlechter Wirkung. Bey (h) iſt ein
Septimengang mit der Begleitung in Terzen abgebildet. Da das
Accompagnement hierzu vierſtimmig iſt, ſo darf das Tempo nicht
ſehr hurtig ſeyn. Bey (i) verhindert die Gegenbewegung der
unterſten Mittelſtimme die Octaven, und man brauchet alsdenn
nicht herunter in die Quinte zu ſpringen. Bey (k) können zu
zu allen Grundnoten Terzen mitgeſpielet werden. Bey (l) darf
M m 2man
[276]Zwey und dreyßigſtes Capitel.
man, wegen der Modulation, den Fortgang in Terzen nicht brau-
chen; man ſchläget alſo die Accorde ſimpel an, oder gehet mit der
erſten Terz in der Gegenbewegung mit dem Baſſe fort. Bey (m)
und (n) ſind ein Haufen Exempel vorgeſtellet, wo zuweilen die
rechte Hand mit dem Baſſe zierlich fortgehet. Bey (o) kann
man von den angeführten Exempeln auf die Beſchaffenheit meh-
rerer und anderer ſchlieſſen, welche in der rechten Hand eine Terz
oder Sexte tiefer durchaus mitgeſpielet werden können, wie wir
in der Abbildung ſehen. Dieſes Accompagnement findet nur bey
zweyſtimmigen Stücken Statt, wo die Hauptſtimme über dem
Baſſe ſtehet. Die gleiche Stärke des Vortrages ſowohl in der
Hauptſtimme, als in der Begleitung, wird hier vorausgeſetzet.


[figure]
[277]Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
[figure]
M m 3
[278]Zwey und dreyßigſtes Capitel.
[figure]
[279]Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
[figure]
[280]Zwey und dreyßigſtes Capitel.
[figure]
[281]Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
[figure]

§. 9.

Eine feine Begleitung, welche ſich an eine gleiche
Anzahl von Mittelſtimmen nicht allezeit bindet, verträget zuweilen
gewiſſe Sprünge mit der Harmonie in der rechten Hand.
Die gute Ausnahme wird oft dadurch befördert. Die Fälle, wo-
bey dieſe Freyheit am meiſten Statt findet, werden veranlaſſet durch
gewiſſe Gedanken, welche Nachahmungen vertragen (a); durch Aus-
haltungen (b), durch Paſſagien, worinnen ſich die Hauptſtimme meh-
rentheils in einerley Tönen aufhält, und welche mit (c), und ohne
Verſetzung (d) wiederholet werden. Ein verſtändiger Accompagniſt
kann bey dieſen Paſſagien die gerechten Anſprüche, welche das Ohr,
wegen ihrer allzu groſſen Gleichförmigkeit, auf Veränderungen ma-
chet, gar leicht, und mit vieler Freyheit befriedigen. Man kann über-
haupt anmerken, daß derjenige Gedanke am bequemſten eine Verände-
rung in der Einrichtung der Harmonie erlaube, welcher in ſich wenig
Abwechſelung hat. So ſehr, als man einem Stücke, worin ſolche
Gedanken ſind, durch eine feine und freye Begleitung aufhelfen kann:
ſo viel Behutſamkeit iſt dem ohngeacht nöthig, damit auch dieſe
Schönheit des Accompagnements nicht zu oft, und nicht zur Un-
zeit gebrauchet werde.


Bachs Verſuch. 2. Theil. N nZ. E
[282]Zwey und dreyßigſtes Capitel.
[figure]
[283]Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
[figure]
N n 2
[284]Zwey und dreyßigſtes Capitel.
[figure]

§. 10.

Das getheilte Accompagnement, wozu man
durch vorher geſpielte gute Clavierſachen geſchickt gemachet wird, iſt
ſehr oft eine groſſe Zierde. Wir haben bereits in den vorhergehenden
Capiteln die ſich zuweilen ereignete Nothwendigkeit dieſer Art von
Begleitung gezeiget. Auſſer dieſer Nothwendigkeit iſt es ſattſam be-
kannt, wie vorzüglich beſſer die Ausnahme einer zerſtreuten Harmo-
nie zuweilen vor einer nahe zuſammen liegenden ſey. Wir ſehen
z. E. bey (a), daß die gewöhnliche Einrichtung der Harmonie,
wegen ihrer allzu groſſen Gleichförmigkeit, widrig klinget, und
daß es alſo beſſer iſt, wenn man den Secundenaccord in dieſem
Exempel entweder in einer andern Lage, oder am beſten im ge-
theilten Accompagnemente nimmt (b). Wenn ein Satz wieder-
holet wird, ſo kann man ihn durch eine Abwechſelung mit dem
ungetheilten und getheilten Accompagnemente angenehm machen (c).
Bey (d) ſtechen die Sexten in der rechten Hand beſſer durch, und
dieſe ſangbare Fortſchreitung wird deutlicher, wenn die unterſte
Mittelſtimme, welche keinen Geſang hat, ſondern nur der Voll-
ſtimmigkeit wegen da iſt, eine gleiche Bewegung mit den Grund-
noten annimmt, und mit der linken Hand gegriffen wird.


Z. E.
[285]Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
[figure]
N n 3§. 11.
[286]Zwey und dreyßigſtes Capitel.

§. 11.

Die nöthige Ausfüllung langſamer Noten
gehöret mit zur Zierde der Begleitung. Wenn die Zeitmaaſſe lang-
ſam iſt, ſo kann man bey (a) die Puncte in der rechten Hand
mit Doppelſchlägen ausfüllen. Wer dieſe Manier auch bey den
Grundnoten hier anbringen wolte, würde in den Fehler der Un-
deutlichkeit fallen. Weil der Ton eines Flügels nicht allezeit hin-
länglich nachklinget, und langſame und auszuhaltende Noten über-
haupt auf dieſem Inſtrumente etwas leer klingen: ſo kann man
bey (b), wenn das Tempo langſam iſt, ein Accompagnement wäh-
len, welches die Grundnoten mit dem Puncte ausfüllet. Dieſes
Exempel ſtellet eine Einleitungsclauſel vor, wobey die Hauptſtimme
pauſiret, und den Accompagniſten folglich in die Nothwendigkeit
ſetzet, etwas zu erfinden, damit das Gehör nicht zu ſehr leer ge-
laſſen werde. Wenn die Hauptſtimme in dieſem Falle ſelbſt mit
den Grundnoten in die Folge einleitet, und mit Terzen, oder auf
eine andere Art fortgehet: ſo bleibet der Accompagniſt bey ſeiner
ſimplen Begleitung. Auſſerdem aber ſind dieſe Einleitungsclau-
ſeln ſehr bequem, den erfinderiſchen Geiſt des Clavieriſten heraus-
zufordern; nur muß man alsdenn ſeine Erfindungen dem Affecte
und Inhalte des Stückes gemäß einrichten. Kann man etwas aus
den vorhergegangenen Gedanken alsdenn anbringen, ſo iſt es deſto
beſſer und man kann alsdenn, wenn es nothwendig iſt, die
Grundnoten ändern, und die Einleitung auf eine andere Art ein-
richten. (*) Bey (c) kann man zur Ausfüllung unter den beyden an-
gezeigten Begleirungen wählen. Bey der letztern muß die Zeit-
maaſſe langſamer ſeyn, als bey der erſteren. Die Hauptſtimme
kann bey dieſen Exempeln eine Aushaltung, oder Pauſen haben.
Wenn
[287]Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
Wenn man bey (d) der Hauptſtimme etwas voraus laſſen, und
die nachſchlagenden Intervallen nicht mitſpielen will, ſo kann man
eine von denen bey (1) angeführten Begleitungen nehmen. Ver-
ändert aber die Hauptſtimme dieſes Exempel, indem ſie einen jeden
Tact durch in der Terz der Grundnote ohne, oder mit einem
Triller aushält (2): ſo wählet man das Accompagnement von (3).

[figure]
§. 12.
[288]Zwey und dreyßigſtes Capitel.

§. 12.

Endlich merken wir noch gewiſſe Ziffern an,
welche von einigen bey der Unterweiſung blos der Zierlichkeit
wegen über die Grundnoten geſetzet werden. Man findet dieſe
Ziffern zuweilen einzeln, dann und wann auch mehrere über ein-
ander. Sie werden entweder nach dem Eintritt einer Grundnote,
oder auch mit durchgehenden Noten zugleich angeſchlagen, und
zeigen eine zierliche Progreßion einer oder mehrerer Stimmen an.
Die Diſſonanzen, welche hier im Durchgange vorkommen, haben
keiner Auflöſung nöthig, Die übrigen Intervallen der vorher-
gegangenen Aufgabe läſſet man liegen. Alle hierunten vorgebil-
dete Exempel haben eine vierſtimmige Begleitung, bis auf die vier
letztern, welche dreyſtimmig abgefertiget werden. Die Signaturen,
welche auf dieſe zierliche Fortſchreitung eingerichtet ſind, findet
man unter dem Syſtem: die gewöhnliche Bezifferung aber iſt
über dem Syſtem zu ſehen. Zu dem Gebrauche dieſer harmoni-
ſchen Schönheiten wird viele Vorſicht erfordert, damit die Haupt-
ſtimme niemals dadurch eingeſchränket oder verdunkelt werde.


[figure]
[289]Von gewiſſen Zierlichkeiten des Accompagnements.
[figure]
Bachs Verſuch. 2. Theil. O o
[290]Drey und dreyßigſtes Capitel.
[figure]

Drey und dreyßigſtes Capitel
Von der Nachahmung.


§. 1.


Die Nachahmungen gehören mit unter diejenigen Gedanken,
welche bey der Wiederholung pflegen verändert zu werden.
An dieſer Veränderung muß ein Accompagniſt Theil nehmen, damit
die Nachahmungen deutlich bleiben und folglich ihre Schönheit
nicht
[291]Von der Nachahmung.
nicht verliehren. Man muß alſo mit der Begleitung dem Vor-
gänger, ſo viel möglich, auf das genaueſte folgen: Z. E.

[figure]

§. 2.

Bey dieſen Nachahmungen müſſen beyde, ſowohl der
Vorgänger als der Nachfolger, ſich gut zuſammen verſtehen, und
ihre Kräfte und Einſichten kennen, weil ſonſt in der Ausführung
vieles verdorben werden kann. Dieſe Vorſicht iſt beſonders dem
Accompagniſten anzurathen, wenn er den Anfang der Nachahmung
vorzutragen hat, damit er wiſſe, wie viel er ſeinem Nachfolger wegen
der Veränderungen zumuthen dürfe. Kann er ſich in dieſem Falle
auf die Geſchicklichkeit des letztern nicht gewiß verlaſſen: ſo muß
er ſich ſeiner Luſt zum Verändern begeben, und bey den ſimplen
Noten bleiben. In folgendem Exempel fänget der Baß die Nach-
ahmung an:
O o 2Z. E.
[292]Drey und dreyßigſtes Capitel.

[figure]

§. 3.

Hat der Begleiter einen ſchlechten Vorgänger, wel-
cher ihm mit ungeſchickten, oder gar unrichtigen Veränderungen vor-
gehet: ſo muß er das ſicherſte wählen, und ebenfalls den bloſſen
vorgeſchriebenen Noten folgen. Er ſetzet ſich dadurch auſſer aller
Schuld, und weiß, daß man ſich begnügen könne, eine ſchlechte
Veränderung einmal zu hören.


§. 4.

Iſt der Mitſpieler des Accompagniſten hinlänglich
geſchickt und vernünftig, ſo kann ihn der letztere, ſo wie über-
haupt durch eine gute Begleitung, alſo beſonders auch bey den
veränderten Nachahmungen durch einen geſchickten Vorgang und
eine richtige Nachfolge aufmuntern, und zuweilen in ein Feuer
und in eine gute Dispoſition bringen, worinnen er vorher nicht
war. Nur muß der Accompagniſt, wenn er mit den Verände-
rungen anfänget, ſeinem Mitſpieler hernach die hinlängliche Frey-
heit laſſen, richtig nachzufolgen. Man muß hierbey mit dem
Glänzenden und Simplen vernünftig abwechſeln und überhaupt
ſo verfahren, wie im letzten Paragraph des erſten Theils die-
ſes Verſuchs
gezeiget worden iſt. Der Accompagniſt, als Anfänger
der Nachahmung, muß auf die Art von Noten, welche in der Haupt-
ſtimme, wenn ſie keine Pauſen hat, zugleich mit der anfangenden
Nachahmung vorkommen, ſehr wohl Acht haben, damit er eine Ver-
änderung erfinde, welche ſich hinlänglich unterſcheidet. Ebenfalls
bey dem Ende der Veränderungen muß man mit der Begleitung
ſogleich zur Einfalt wieder zurück kehren, damit die Hauptſtimme
ihre Nachfolge, wenn ſie zumahl aus vielen Figuren beſtehet,
aus-
[293]Von der Nachahmung.
ausnehmend endigen könne. Es iſt eben ſo unrecht, wenn
beyde zugleich lärmen, als wenn ſie beyde zugleich einſchlafen wol-
len. Beyde dürfen alſo weder unwiſſend noch boshaft ſeyn. Im
erſtern Falle wird einer dem andern ohne böſe Abſicht, im zwey-
ten aber mit Fleiß das Seinige verderben.


§. 5.

Wenn der Clavieriſt mehrere Bäſſe bey ſich hat, ſo
muß er mit ſeinen Veränderungen zurück halten, wenn er nicht
gewiß weiß, daß ihm die andern zugleich nachfolgen werden.


§. 6.

Zuweilen erlauben gewiſſe Sätze, welche mit bloſſen
Terzen begleitet werden, daß die Mittelſtimme die veränderte Nach-
ahmung mit dem Baſſe zugleich in Terzen nachmachet (a). Wenn
die Hauptſtimme, ſtatt des einfachen Satzes bey (b), die Ver-
änderung von (c) anbringet: ſo kann weder der Baß noch die
Mittelſtimme juſt in derſelben Fortſchreitung nachfolgen; man be-
gnüget ſich alsdenn eine Nachahmung zu erfinden, welche dieſel-
ben Figuren hat und die ſimplen Grundnoten beybehält, ob ſie
gleich etwas weniges verändert iſt.


[figure]
O o 3
[294]Drey und dreißigſtes Capitel.
[figure]

§. 7.

Wer eine gute Einſicht in die Setzkunſt beſitzet,
kann auch zuweilen, ſtatt der gewöhnlichen Begleitung, eine Mit-
telſtimme erfinden, welche die Hauptſtimme zierlich nachahmet.
Die Sätze, wobey viele Septimen- und Sextquintenaccorde vor-
kommen, indem die Grundnoten ſteigen und fallen, ſind hierzu
die bequemſten. Die Zeitmaaſſe darf aber nicht ſehr geſchwind
ſeyn, ſonſt fällt man in den Fehler der Undeutlichkeit:

[figure]
[295]Von der Nachahmung.
[figure]

Vier und dreyßigſtes Capitel.
Von einigen Vorſichten bey der Begleitung.


§. 1.


Da wir das mehreſte von dieſer Materie am gehörigen Orte be-
reits abgehandelt haben: ſo wollen wir nur noch einige wenige
Anmerkungen in dieſem Capitel über gewiſſe Fälle machen, welche
einen vorſichtigen Begleiter erfordern.


§. 2.

Bey (a) nimmt man, ſtatt der 6, lieber 76 zum h,
damit keine Quinten vorgehen, wenn die Hauptſtimme das Accom-
pagnement überſteiget. Bey (b) läſſet man zum e die Sexte weg,
und nimmt dafür , und nachher zum Puncte . Bey (c) läſſet man
zum erſtern a ebenfalls die Sexte aus, und greift dafür die
doppelte
[296]Vier und dreyßigſtes Capitel.
doppelte Terz und Quinte. In beyden Fällen (b) und (c) würde
man in der vorgeſchriebenen Lage Quinten machen, wenn die
Begleitung nach den Signaturen eingerichtet würde. Wir haben
bereits im 17ten Capitel, §. 8. des erſten Abſchnittes ein
ähnliches Exempel angeführet. Alle Aufgaben, wobey Fortſchrei-
tungen in Quarten vorkommen, ſind wegen der Quinten gefähr-
lich, wenn die Lage verändert wird. Wenn man kann, ſo nimmt
man freylich die beſten und ſicherſten Lagen: zuweilen aber iſt
es unmöglich. Man ſuchet alsdenn mit guter Gelegenheit aus
der Gefahr, und in eine andere Lage zu kommen, indem man
durch die Verdoppelung einer Conſonanz die fünfte Stimme ergrei-
fet, oder den Anſchlag der Harmonie wiederholet, wenn die
Grundnote etwas lang iſt, oder eine Folge von einer, oder von
mehrern durchgehenden Noten bey ſich hat. Wenn man aber
alle dieſe Hülfsmittel nicht brauchen kann, ſo müſſen diejenigen Zif-
fern wegbleiben, welche Fehler veranlaſſen. Die Figuren bey (d)
ſind ſehr bequem, die Harmonie in einer andern Lage über den
durchgehenden Noten zu wiederholen, wenn es die Vermeidung
der Fehler erfordert. Bey (e) iſt die zweyte Begleitung der erſtern
vorzuziehen, wenn man die Noten der Hauptſtimme nicht in der
Oberſtimme mit ſpielen will. Die erſtere Begleitung, wenn ſie
die Hauptſtimme überſteiget, mit welcher ſie in der gleichen Bewe-
gung fortgehet, verurſachet Quinten. Bey (f), wo die Grund-
ſtimme in gebrochener Harmonie Diſſonanzen auflöſet, muß man
in der Begleitung eine Aenderung vornehmen, damit die nach-
ſchlagende eckelhaften Octaven vermieden werden. Man läſſet
daher die in den Signaturen des erſten Tacktes ſteckenden Diſ-
ſonanzen mit gutem Gewiſſen aus. Bey (g) bleiben die Anhänge
weg, welche man zuweilen am Ende eines Stückes in der Grund-
ſtimme findet, wenn bey dem Schlußtriller vorher angehalten wor-
den
[297]Von einigen Vorſichten bey der Begleitung.
den iſt. Der Accompagniſt höret alsdenn mit der Hauptſtimme
zugleich auf.

[figure]
Bachs Verſuch. 2. Theil. P p§. 3.
[298]Fünf und dreyßigſtes Capitel.

§. 3.

Wenn ein Uniſonus einfällt, ſo kann man die Auf-
löſung der Diſſonanzen abbrechen, indem man dieſen Uniſonum
ſogleich mit beyden Händen ergreifet. Ein geübtes Ohr erſetzet
dieſe Auflöſung in der Einbildung.


§. 4.

Es iſt zwar ziemlich gewöhnlich, aber eben nicht noth-
wendig, daß die Ausführung eines Stückes bey dem Anfange
unordentlich gehet. Es pflegen daher auch die geübteſten Ausführer,
der guten Ordnung und des gleichen Vortrages wegen, die Art
von Noten, die jeder bey dem Anfange vorzutragen hat, vorher
gerne einander zu zeigen. Folglich würde es ſehr gut ſeyn, weil
zu dieſem Durchſehen zuweilen keine Zeit da iſt, und ein einziges
Stück oft vielerley Tempo annimmt, daß wenigſtens der Anfang
der Hauptſtimme in kleinen Noten über die anfangenden Grund-
noten geſetzet würde. Dieſe Vorſicht würde auch nach General-
pauſen und nach Fermaten von ſehr gutem Nutzen ſeyn, beſonders
wenn der Baß nachher mit der hauptſtimme nicht zugleich wieder
anfänget.



Fünf und dreyßigſtes Capitel.
Von der Nothwendigkeit der Bezifferung.


§. 1.


Wir ſehen allenthalben aus dem Inhalte unſerer Anleitung, daß zu
einem guten Accompagnement noch ſehr viel gehöre, wenn
auch die Bezifferung ſo iſt, wie ſie ſeyn ſoll. Es erhellet hieraus das
Lächerliche der Anforderung, unbezifferte Bäſſe zu accompagniren,
und man ſiehet zugleich die Unmöglichkeit ein, die letztern dergeſtallt
abzufertigen, daß man nur einigermaſſen zufrieden ſeyn könnte. Man
hat
[299]Von der Nothwendigkeit der Bezifferung.
hat ſeit einiger Zeit angefangen, mit mehrerm Fleiſſe, als vor-
her, die kleinen weſentlichen Manieren, und die nöthigen Zeichen
des guten Vortrages in der Schreibart zu bemerken; möchten
doch auch die unbezifferten Bäſſe nach und nach rarer werden, und
die Clavieriſten weniger Gutwilligkeit zeigen, alles dasjenige gleich
zu thun, was man von ihnen fordert! Jeder anderer Ripieniſt
darf ſich beſchweren, wenn man ihm eine unrichtig geſchriebene
Stimme vorleget, da hingegen der Accompagniſt zufrieden ſeyn
muß, wenn ſeine Grundſtimme entweder gar nicht, oder ſo ſpar-
ſam beziffert iſt, daß die wenigen Ziffern, welche man noch etwa
findet, mehrentheils da angebracht ſind, wo ſie leicht zu errathen
waren. Kurz zu ſagen: Man verlanget mit Unrecht von einem
Begleiter, daß er den Generalbaß mit, und ohne Ziffern aus
dem Grunde gelernet haben ſoll.


§. 2.

Es haben ſich einige wegen der Abfertigung un-
bezifferter Bäſſe viele Mühe gegeben, und ich kann nicht läugnen,
daß ich zuweilen ſelbſt Verſuche von dieſer Art angeſtellet habe:
allein, je mehr ich hierüber nachdachte, deſto reicher fand ich die
Harmonie an Wendungen, welche durch die Feinigkeiten des Ge-
ſchmacks noch alle Tage dergeſtalt vermehret werden, daß man
unmöglich den freyen Gedanken eines Componiſten, welchem die
gütige Natur das Unerſchöpfliche ſeines Metiers einſehen läſſet,
durch feſt geſetzte Regeln gleichſam Schranken ſetzen, und ſeine
willkührlichen Wendungen errathen kann. Und geſetzt, es lieſſe
ſich etwas hierinnen beſtimmen: ſoll man etwa mit dem Auswen-
diglernen dieſer Regeln, deren Anzahl nicht geringe ſeyn kann,
und die dennoch nicht allezeit Stich halten, das Gedächtniß mar-
tern? Soll man nachher auf das neue, wenn man nun endlich
die gegebenen Regeln gelernet hat, viele Zeit und Mühe verſchwen-
den, um die Ausnahmen wider dieſe Regeln zu behalten? Und
P p 2deſſen
[300]Fünf und dreyßigſtes Capitel.
deſſen allen ohngeacht würde der Nutzen ſehr geringe ſeyn, weil
der geſchickteſte Muſiker fehlen kann, wo nur zwo Möglichkeiten
da ſeyn, geſchweige bey mehrern.


§. 3.

Es bleibet alſo unumſtößlich wahr, daß zur guten
Ausführung eines Stückes eine richtig bezifferte Grundſtimme
unentbehrlich ſey. Jeder Componiſt, welcher wünſchet, daß ſeine
Arbeit ſo gut als möglich ausgeführet werde, muß auch alle
Mittel ergreifen, dieſen Endzweck zu erlangen. Er muß ſich alſo
überhaupt in der Schreibart ſo deutlich erklären, daß er an einem
jeden Orte verſtanden werden könne. Hierzu gehöret vornemlich
mit eine richtige Bezifferung der Grundſtimme. Dieſes iſt das we-
nigſte, was man mit Recht fodern kann, weil wir ſchon öfter
angeführet haben, daß zur genauen Andeutung des Accompagne-
ments noch etwas mehreres, als Ziffern, gehöre. Wir haben ſogar
erwieſen, daß es noch hier und da an Zeichen fehle. Ein ſicherer
Beweis, daß eine Begleitung mit gar keiner Bezeichnung
nicht anders als ſchlecht ausfallen kann. Die Signaturen ſind
einmal da; man bediene ſich alſo dieſer nützlichen Erfindung, und
martre weder ſich mit dem Ausdenken unzulänglicher Regeln, noch
ſeine Schüler mit der Erlernung dieſer letzteren. Wer zu bequem
oder zu unwiſſend iſt, ſeine Bäſſe ſo, wie es die gute Aus-
nahme erfordert,
ſelbſt zu bezeichnen, der laſſe ſolches durch
einen geſchickten Accompagniſten verrichten.


§. 4.

Bey der Bezifferung muß man zwar nicht alle Klei-
nigkeiten berühren, und aus einem Generalbaß ein Handſtück
machen: indeſſen muß dennoch das Nothwendige und Weſent-
liche nicht vergeſſen werden. Viele gehen mit ihren Bezeichnun-
gen zu ſparſam um, weil ſie das Auge des Accompagniſten nicht
zu ſtark bemühen wollen: allein ein geübter Clavierſpieler überſiehet
gar leicht eine Grundſtimme, wenn ſie auch etwas mehr Andeutun-
gen,
[301]Von durchgehenden Noten.
gen, als insgemein Mode iſt, über ſich hat, weil er lange vor
der Erlernung des Accompagnements zwey Syſteme, manchmal mit
vielen Noten, Verſetzungszeichen und andern über einander
ſtehenden Characteren hat überſehen müſſen. Was iſt aber leichter
zu überſehen, jene Syſteme mit ſo vielen verknüpften Schwierig-
keiten, oder drey, höchſtens vier Ziffern über einander, welche
man ohnedem bey der Lehre des Generalbaſſes kennen lernen
muß, welche bey dem fleißigen Accompagniren alle Augenblicke
vorkommen, und folglich ſo unbekannt und fürchterlich nicht ſeyn
können, als mancher bequemer Accompagniſt vielleicht glaubet?



Sechs und dreyßigſtes Capitel.
Von durchgehenden Noten.


§. 1.


Die Andeutung der durchgehenden Noten iſt in den mehreſten
Fällen eben ſo nöthig, als die Andeutung der Ziffern.
Weil nun die Bezifferer auch hierinnen nicht genau genug ver-
fahren, ſo muß man nach und nach durch eine fleißige Uebung im
Accompagniren, und durch ein aufmerkſam Ohr die durchgehenden
Noten heraus ſuchen lernen (a). Man erräth dieſe letztern Zu-
weilen
aus der vorher gegangenen Harmonie, welche zu den
folgenden Noten paſſet (b), und aus der nöthigen Vorbereitung
und Auflöſung (a) und (c):

[figure]
P p 3§. 2.
[302]Sechs und dreyßigſtes Capitel.

§. 2.

Man hat zwar einige Regeln, die durchgehenden
Noten zu erkennen: ſie ſind aber auch nicht immer zuverläßig.
Da man alſo auf dieſe Regeln nicht allezeit ſicher bauen kann,
da ſich die durchgehenden Noten nicht allezeit gewiß errathen
laſſen, und da man weiß, daß es ungleich mehr ſchlechte als gute
Begleiter giebet: ſo handelt man durch eine genaue Andeutung
am ſicherſten, und thut allenfalls lieber zu viel, als zu wenig.
Ein guter Accompagniſt läſſet ſich durch einige überflüßige Queer-
ſtriche nicht verwirren, und einem Anfänger iſt dadurch ſehr ge-
holfen. Man muß den Franzoſen die Gerechtigkeit wiederfahren
laſſen, daß ſie ihre durchgehenden Noten mit groſſem Fleiſſe be-
zeichnen. Sie brauchen hierzu insgemein einen ſchrägen Strich:

[figure]

§. 3.

Die durchgehenden Noten kommen im Gange, und
im Sprunge vor, und ſind mehrentheils etwas geſchwinde. Wenn
ſie einzeln vorkommen, ſo findet man ſie nicht angedeutet. Von den
gehenden und ſpringenden Noten bey (a) gehet die zweyte durch.
Man kann hierbey zur Regel annehmen, daß auf jene kein Sprung
folgen darf, und bey dieſen die Octave der durchgehenden Note ſchon
vorher in der rechten Hand liegen muß. Folglich haben die Noten
bey (b), wo dieſe zween Umſtände fehlen, allerſeits ihre eigene
Begleitung. Wenn die Grundſtimme, anſtatt in die Unterſecunde
zu ſteigen (c), in die Septime herauf ſpringet (d): ſo kann dieſe
letztere ebenfalls durchgehen, ohne daß die Octave davon ſchon
gelegen hat. Ein Sprung in die Octave wird hier nicht als
ein Sprung ſondern als eine wiederholte Note angeſehen. Wenn
mehr als eine durchgehende Note hintereinander vorkommt, ſo
iſt
[303]Von durchgehenden Noten.
iſt die Andeutung durch unſern Queerſtrich eben ſo nothwendig,
als wenn langſame Noten durchgehen ſollen (e).

[figure]

§. 4.

Unter den Grundnoten pflegen ihr eigenes Accom-
pagnement zu haben: die Zweyviertheilnoten im Allabreve-
und Dreyzweytheiltacte, wenn der letztere kein langſames Tempo
hat, und die geſchwindeſten Noten Achttheile ſind; die Vier-
theile
im langſamen Dreyzweytheiltacte, in der ſogenannten ſchlech-
ten Tactart vom Allegretto an, wo keine geſchwindere Noten als
Zweyunddreyßigtheile vorkommen, bis zum Preſto, und im Drey-
und Sechsviertheiltacte bey geſchwinder Zeitmaaſſe; die Acht-
theile
im Vierviertheiltacte vom Adagio an, bis an das Alle-
gretto, und in langſamen ⅜, \frac{6}{8}, \frac{9}{8}, \frac{12}{8}, ¾ und \frac{6}{4} Tacten. Wenn
dieſe letztern Tactarten ein geſchwindes Tempo haben, ſo hat
jede Figur, welche drey Achttheile oder drey Viertheile enthält,
ihr eigenes Accompagnement.


§. 5.

Noten, welche ihre eigene Begleitung zu haben ſchei-
nen, und dennoch durchgehen ſollen, müſſen vorzüglich einen
Queerſtrich über ſich haben. Noten, welche zwar das Anſehen
des Durchganges haben, aber demohngeacht ihre beſondere Har-
monie erfordern, müſſen beziffert ſeyn. Im erſtern Falle waget
man bey einer unrichtigen Andeutung noch mehr, als im letztern.


§. 6.
[304]Sechs und dreyßigſtes Capitel.

§. 6.

Auf was Art gewiſſe durchgehende Noten mit bloſſen
Terzen begleitet werden, iſt bereits im zwey und dreyßigſten Ca-
pitel angeführet worden.


§. 7.

Wegen der Abfertigung vieler in einem Tone
bleibender und durchgehender Grundnoten
wollen
wir noch unterſchiedenes anmerken. Dieſe Anmerkungen ſind
auf die Zeitmaaſſe gerichtet, wie ſie hier eingeführet iſt, und
wobey die Adagio weit langſamer, und die Allegro weit ge-
ſchwinder ausgeführet werden, als man in andern Gegenden
zu thun pfleget.


§. 8.

Von dem langſamſten Tempo an, bis zum Largo
werden die Viertheile und noch langſamere Noten mit beyden
Händen angeſchlagen, und ganz ausgehalten. Die Achttheile
werden ebenfalls alle mit beyden Händen angeſchlagen, aber nur
halb ausgehalten. Die Sechzehntheile ſchläget die linke Hand
alle an, und hält ſie aus, wenn keine Zeichen des Abſtoſſens
vorhanden ſind. Die rechte Hand ſchläget zu dieſen Sechzehntheilen,
und zu den noch geſchwinderen Noten halb ausgehaltene Achttheile
an, ſo lange kein beſonderer Ausdruck hierinnen eine Aenderung
machet. Wenn die Grundſtimme beſtändig hintereinander, oder
wenigſtens ſehr viele Zwey und dreyßigtheile, oder noch geſchwin-
dere Noten hat: ſo kann der Accompagniſt, wenn er noch einen
Baßiſten neben ſich hat, in der linken Hand eine, oder mehrere
Noten ohne Anſchlag durchgehen laſſen; iſt er aber ohne Gehül-
fen, ſo muß er ſich mit dieſer zitternden Bewegung allein mar-
tern. Zu ein- und zweymahl geſchwänzten Triolen ſchläget die
rechte Hand bloß bey der erſten Note an, ingleichen zu jeder
Figur von drey Achttheilen, oder dem Inhalt davon, in den
⅜, \frac{6}{8}, \frac{9}{8} und \frac{12}{8} Tackten.


§. 9.
[305]Von durchgehenden Noten.

§. 9.

Vom Largetto und Andante an, bis zum Alle-
gro
werden in der rechten Hand zu den Baßviertheilen, Acht-
theilen, noch geſchwinderen Noten, und zu den Triolen ganz ausge-
haltene Viertheile angeſchlagen. Die langſamern Noten werden
mit beyden Händen ausgehalten.


§. 10.

Im Siciliano, es ſey geſchwind oder langſam,
werden die Viertheile und noch langſamere Roten mit beyden
Händen angeſchlagen und ausgehalten. Die einzelne Achttheile,
welche auf die Viertheile folgen, werden in der rechten Hand eben-
falls mitgeſpielet. Auſſerdem mögen die Figuren im Baſſe aus-
ſehen, wie ſie wollen, ſo ſchläget die rechte Hand blos zu dem
Inhalte von drey Achttheilen einmal an.


§. 11.

Vom Allegro aſſai bis zum Preſtißimo werden
in der rechten Hand entweder ausgehaltene halbe Tacte, oder halb
ausgehaltene Viertheile zu den Baßachttheilen angeſchlagen. Die
Viertheile werden in beyden Händen halb, und die noch lang-
ſamern Noten ganz ausgehalten. Im übrigen berufe ich mich
auf die in der Anleitung des erſten Theiles meines Ver-
ſuches befindliche Nota.


§. 12.

Dieſe Anmerkungen gelten nur ſo lange, als die
Bezifferung und Andeutung des Vortrages keine Aenderung
machet.


§ 13.

Wenn man die Einleitungsclauſeln nicht mit Ter-
zen, oder auf eine andere zierliche Art, dergleichen wir im zwey-
und dreyßigſten Capitel angeführet haben, begleiten kann: ſo
läſſet man ſie durchgehen. Die Anhänge nach dem Schluſſe eines
Stückes gehen ebenfalls durch.


§. 14.

Wir wollen dieſes Capitel mit folgenden merkwür-
digen Exempeln beſchlieſſen. Bey (a) erfordert zuweilen ein be-
ſonderer Ausdruck, den man aus dem Inhalte des Stückes, oder
Bachs Verſuch. 2. Theil. Q qauch
[306]Sechs und dreyßigſtes Capitel.
auch aus der Begleitung der Ripienſtimmen entdecket, daß die
rechte Hand die Harmonie zu jeder kurzen punctirten Note wie-
derhole, anſtatt daß man auſſerdem die zweyte davon allezeit
durchgehen läſſet. In Recitativen mit Accompagnement kommt
dieſer Fall oft vor. Wenn der Componiſt die bey (b) im erſten
Tacte befindliche durchgehende Note e, wegen des Ausdruckes,
begleitet wiſſen will: ſo muß er ausdrücklich eine 6 darüber ſetzen.
Bey (c) werden durchgehende Noten begleitet, um Fehler zu ver-
meiden; man wechſelt alsdenn entweder in einer Stimme
mit der Baßnote, oder wiederholet die vorige ganze Harmonie.
Bey (d) erfordert die Vorbereitung der Septime zu fis, daß die
durchgehende Note e durch eine neue Einrichtung des Septimen-
accordes beſonders begleitet werde. Wenn man mit der rechten
Hand nicht zu weit herunter gehen will, und zugleich Quinten
zu vermeiden hat: ſo wiederholet man bey (e) über den durch-
gehenden Noten die vorige Harmonie. Bey (f) vermeidet man
durch dieſe Wiederholung Quinten, wenn vorher zum a die Terz ver-
doppelt iſt, und Octaven, wenn zu dieſem a  genommen wird,
und man bleibet in der Lage. Bey (g), wo man voraus ſetzet,
daß zu der erſten Grundnote f die vorgeſchriebene Verdoppelung
mit der Sexte oder Terz nöthig iſt, muß der Sextenaccord
ohne Verdoppelung zu den durchgehenden Noten gleichfalls wie-
derholet werden, damit man bey dem gis die nöthige Verdoppe-
lung, ohne unreine und ungeſchickte Fortſchreitungen zu machen,
vornehmen könne und in keine tiefere Lage komme. Nach der
Italiäniſchen guten Singart pflegen die Sänger vor dem Ende
einer Aushaltung um einen ganzen oder halben Ton, nachdem
die Modulation iſt, in die Höhe zu ſteigen, und hernach wieder
in das vorige Intervall zu fallen, ohne daß das geringſte hievon
angedeutet iſt. Bey (h) ſehen wir die Schreibart, und bey (i)
die
[307]Von durchgehenden Noten.
die Ausführung einer ſolchen Aushaltung. Dieſe Art des Vor-
trages findet man zuweilen ausgeſchrieben. Man läſſet alsdenn
dieſen Zierat ohne Begleitung durchgehen, und ſchläget die Har-
monie mit der rechten Hand nur einmal an, damit das Steigen
und Fallen der Hauptſtimme ſeine Deutlichkeit erhalte. Bey (k)
ſind zwey Exempel von dieſer Art vorgebildet. Das Accompa-
gnement dazu iſt gleich hinterher bemerket. Die Bezifferung dieſer
Exempel bey (l) iſt unrecht. Wenn der Componiſt nicht genau
genug beziffert, beſonders wenn er bey ſolchen Stellen, wo man
eine Auflöſung vermuthet (m), die durchgehenden Noten nicht
andeutet, ingleichen, wenn er die durchzugehen ſcheinenden Noten,
welche aber doch ihre eigene Harmonie erfordern (n), nicht be-
ziffert: ſo iſt auch der geübteſte Accompagniſt Fehlern unterwor-
fen, und iſt auſſer Schuld, wenn die Hauptſtimme nicht über
dem Baſſe ſtehet. Wir haben dieſes überhaupt bereits im
fünften Paragraph angemerket. Bey (o) ſehen wir die gute Art,
zur Warnung überflüßige Ziffern über durchgehende Noten zu
ſetzen. Man giebet dadurch mäßigen Accompagniſten die Noth-
wendigkeit der Verdoppelung deutlich zu erkennen, damit Fehler
vermieden werden. Bey (p) iſt der Queerſtrich deswegen nöthig,
damit man nicht, ſtatt die vorige Harmonie zu wiederholen, den
Dreyklang zur folgenden Note über der Pauſe anſchlage.


[figure]
Qq 2
[308]Sechs und dreyßigſtes Capitel.
[figure]
[309]Von durchgehenden Noten.
[figure]

Sieben und dreyßigſtes Capitel.
Von dem Vorſchlagen mit der rechten Hand.


§. 1.


Das Vorſchlagen mit der Harmonie in der rechten Hand zu
kurzen Pauſen in der Grundſtimme iſt oft nothwendig, die
Ordnung zu erhalten und eine gute Ausnahme zu befördern.


§. 2.

Diejenigen Bezifferer, welche dieſes Vorſchlagen an-
deuten, indem ſie die Aufgabe, oder den Queerſtrich, welcher der
auf die kurze Pauſe folgenden Grundnote zukommt, über die
Pauſe ſetzen, thun ſehr wohl, und es wäre zu wünſchen, daß
jedermann, znr Erleichterung vieler Accompagniſten, dieſe Ge-
nauigkeit im Bezeichnen in Acht nähme.


§. 3.

In Ermangelung der gehörigen Andeutung wollen
wir überhaupt zweyerley anmerken: erſtlich, daß die Pauſen,
wovon wir in dieſem Capitel handeln, nicht langſamer, als ein
Sechzehntheil im Allegretto ſeyn dürfen; zweytens, daß die mit
der Pauſe eintretenden Noten der übrigen Stimmen ſich mit der
Q q 3vor-
[310]Sieben und dreyßigſtes Capitel.
vorausgenommenen Harmonie vertragen müſſen. Folgende Ex-
empel werden meine Meynung deutlicher erklären.


§. 4.

Bey (a) iſt es einem Anfänger, um den Tact gewiß
zu nehmen, erlaubet, zu der Pauſe den Dreyklang c anzuſchla-
gen: ein geübter Accompagniſt fällt erſt bey dem e mit dem Sex-
tenaccord in der rechten Hand ein, und läßt ſowohl die Pauſe,
als auch das c durchgehen. Bey (b) bleibet nichts übrig, als
die Nothwendigkeit zur Pauſe vorzuſchlagen, wenn man nicht
die ganze Hälfte des Tactes ohne Begleitung vorbeygehen laſſen
will. Die Hauptſtimme ſowohl als der Begleiter haben dieſe
Tacthülfe bey hurtiger Zeitmaaſſe ſehr nöthig. Dieſes Exempel
darf nicht geſchwinder als Andante ſeyn, wenn man mit der rechten
Hand erſt nach den Pauſen anſchlagen will, weil ſonſt dieſer An-
ſchlag eine widrige Bewegung im Tacte veranlaſſen würde. Bey
(c) mag das Tempo beſchaffen ſeyn, wie es will, ſo kann man
den Dreyklang c nicht eher, als bey dem Eintritt der erſten
Grundnote, anſchlagen, weil dieſer Dreyklang nicht mit dem f
in der Hauptſtimme harmoniret. Bey (d) iſt es wegen der Unbeweg-
lichkeit der Hauptſtimme, und wegen der rückenden Noten im Baſſe
nöthig, daß die Harmonie, auch bey einer langſamen Zeitmaaſſe, in
Achttheilen angeſchlagen werde. Das erſte Achttheil kann allenfalls
ohne Begleitung vorbey gehen, um das Piano, womit gemeinig-
lich eine Aushaltung angefangen wird, nicht zu verdunkeln. Bey
(e) iſt das Vorſchlagen zur Pauſe unentbehrlich, zumal wenn
dieſes Exempel bey einem weitläuftigen und ſtark beſetzten Orche-
ſter, wo alle Stimmen mit ſolchen kurzen Noten zugleich eintre-
ten, vorkommt. Dieſer Umſtand ereignet ſich beſonders oft in
Opern bey affectuöſen Recitativen mit accompagnirenden Inſtru-
menten, welche von den Sängern, wegen der vielen und heftigen
Actionen, bald ganz hinten, bald vorne, bald auf der Seite, und
bald
[311]Von dem Vorſchlagen mit der rechten Hand.
bald in der Mitte des Theaters, zuweilen unter vielem Geräuſche
abgeſungen werden. Hier muß der Clavieriſt führen, und bey
der kurzen Pauſe das Signal durch einen ſo ſtarken Anſchlag,
als nur möglich iſt, geben. Bey (f), wo die Noten, welche
auf die Achttheilpauſe folgen, nicht ſo kurz ſind, wie im vori-
gen Exempel, und wo ebenfalls alle Stimmen nach einer Gene-
ralpauſe mit dem Einklange zugleich einfallen, wird nicht vorge-
ſchlagen. Bey dem Exempel (g) mit punctirten Noten ſchlägt
der Accompagniſt ebenfalls nicht vor, weil in der Hauptſtimme
ein Vorſchlag da iſt, welcher ſich erſt nach der kurzen Grund-
note auflöſet. Das Exempel (h) mit dem pathetiſchen Baſſe
nach franzöſiſchem Geſchmacke muß ohne vorzuſchlagen accompa-
gniret werden, weil es ſonſt vieles von ſeinem Trotzigen verlieh-
ret. Die Abbildung bey (i) ſtellet einen Fall vor, wo der Com-
poniſt zuweilen ein gewiſſes Gewicht in den Ausdruck der Haupt-
ſtimme leget, und zugleich verlanget, daß die letztere mit der Verän-
derung der Modulation allein anfangen ſoll. Die Begleitung dieſes
Exempels iſt gleich hinterher beygefüget. Bey (k) leidet der
Vorſchlag keinen Dreyklang zur Pauſe; man pauſirt alſo am
beſten mit der rechten Hand ein Achttheil. Bey (l) wird zu den
Puncten und gebundenen Noten vorgeſchlagen.


[figure]
[312]Sieben und dreyßigſtes Capitel.
[figure]
[313]Von dem Vorſchlagen mit der rechten Hand.
[figure]

Acht und dreyßigſtes Capitel.
Vom Recitativ.


§. 1.


Die Recitative waren vor nicht gar langer Zeit von lauter
Verwechſelungen der Harmonie, der Auflöſung und der
Klanggeſchlechter gleichſam vollgepfropfet. Man ſuchte, ohne
mehrentheils die geringſte Urſache zu haben, in dieſen harmoni-
ſchen Seltenheiten eine beſondere Schönheit, und man hielte die
natürlichen Abwechſelungen der Harmonie für zu platt zum Reci-
tativ. Dank ſey es dem vernünftigen Geſchmacke, vermöge deſſen
man heute zu Tage nur ſehr ſelten, und mit zureichendem Grunde
in den Recitativen harmoniſche Sonderheiten anbringet. Der
Accompagniſt darf alſo bey der Abfertigung der Recitative von
der jetzigen Art nicht ſo ſehr mehr ſchwitzen, wie vordem. In-
deſſen iſt doch noch allhier eine genaue Bezifferung nöthig, wenn
auch die Hauptſtimme über dem Baſſe ſtehet.


Bachs Verſuch. 2. Theil. R r§. 2.
[314]Acht und dreyßigſtes Capitel.

§. 2.

Gewiſſe Recitative, wobey der Baß, oder die übri-
gen darzu geſetzten Inſtrumente entweder ein gewiſſes Subject, oder
eine ſolche Bewegung in Noten haben, welche beſtändig fortdauret,
ohne ſich an die Abſätze der Singſtimme zu kehren, müſſen we-
gen der guten Ordnung ſtrenge nach der Eintheilung des Tactes
ausgeführet werden. Die übrigen Recitative werden nach ihrem
Inhalte bald langſam, bald hurtig, ohne Rückſicht auf den Tact,
abgeſungen, ob ſie ſchon bey der Schreibart in den Tact eingetheilet
werden. Ein Accompagniſt muß in beyden Fällen genau auf-
merkſam ſeyn, beſonders in dem letzteren. Er muß beſtändig auf
den Ausführer der Hauptſtimme hören, und wenn das Recitativ
mit Action iſt, auch ſehen, damit er mit ſeinem Accompagne-
ment bey der Hand ſey, und den Sänger niemals verlaſſe.


§. 3.

Declamirt der letztere hurtig, ſo muß die Harmonie
auf das bereiteſte da ſeyn, beſonders alsdenn, wenn ſie bey den Abſä-
tzen der Hauptſtimme vorgeſchlagen werden muß. Der Anſchlag
einer neuen Harmonie muß auf das geſchwindeſte geſchehen, ſo
bald die vorige Harmonie zu Ende iſt. Hierdurch wird der Sän-
ger in ſeinem Affecte, und in dem daher nöthigen geſchwinden Vor-
trage niemals geſtöhret, weil er bey Zeiten die Modulation und Be-
ſchaffenheit der Harmonie beſtändig voraus weiß. Wenn man
unter zweyen Uebeln wählen müſte, ſo würde hier das Eilen dem
Schleppen vorzuziehen ſeyn. Doch beſſer iſt allezeit beſſer. Bey
der geſchwinden Declamation muß ſich der Accompagniſt des Har-
peggirens enthalten, zumal wenn ſich die Harmonie oft ändert.
Man hat hierzu keine Zeit, und wenn man ſie auch hätte, ſo
würde der Clavieriſt ſelbſt, der Sänger und die Zuhörer leicht da-
durch in eine Verwirrung gerathen. Dieſes Harpeggiren iſt auch
alsdenn unnöthig, weil es blos auſſer dieſem Falle, und bey lang-
ſamen Recitativen und lange daurender Harmonie gebrauchet wird,
um
[315]Vom Recitativ.
um den Sänger zu erinnern, daß er in derſelben Harmonie bleiben
ſoll, anſtatt daß er widrigenfalls durch die Länge der Dauer gar leicht
aus dem Tone kommen, oder in eine Veränderung der Harmonie
gerathen könnte. Kommen dergleichen feurige Recitative in der
Oper vor, wo der Umfang des Orcheſters weitläuftig iſt, wo
der Sänger auf dem Theater von ſeinen Begleitern entfernt de-
clamiren muß, wo noch darzu die Bäſſe zertheilet ſpielen: ſo war-
tet der erſte Flügel, wenn zween da ſind, die Cadenzen der Sing-
ſtimme nicht völlig ab, ſondern ſchläget ſchon bey den letzten
Silben die von Rechtswegen erſt darauf folgende Harmonie an,
damit die übrigen Bäſſe oder Inſtrumente ſich bey Zeiten hier-
nach richten und mit einfallen können.


§. 4.

Die Geſchwindigkeit und Langſamkeit des Harpeggio
bey der Begleitung hänget von der Zeitmaaſſe und dem Inhalte
des Recitatives ab. Je langſamer und affectuöſer das letztere iſt,
deſto langſamer harpeggirt man. Die Recitative mit aushalten-
den begleitenden Inſtrumenten vertragen das Harpeggio beſonders
wohl. So bald aber die Begleitung, ſtatt der Aushaltungen, kurze
und abgeſtoſſene Noten krieget, ſogleich ſchlägt auch der Clavieriſt
die Harmonien, ohne Harpeggio, kurz und trotzig mit vollen
Händen an. Wenn auch ſchon in dieſem Falle weiſſe gebundene No-
ten da ſtehen ſolten, ſo bleibet man dennoch bey dem kurz abgeſtoſ-
ſenen Vortrag. Die Stärke des Anſchlagens iſt vor dem Theater,
bey auswendig geſungenen Recitativen wegen der Entfernung am
nöthigſten. Auſſerdem muß allerdings der Accompagniſt auch
zuweilen vor dem Theater, am allermeiſten aber in der Kirche
und in der Kammer, wo die lärmenden und furieuſen Recitative
nicht eben hingehören, ſeine Begleitung ganz ſchwach anſchlagen,
weil die Harmonie ebenfalls den Recitativen in der gehörigen
Stärke angepaſſet werden muß.


R r 2§, 5.
[316]Acht und dreißigſtes Capitel.

§. 5.

Bey einem Recitative mit aushaltenden begleitenden
Inſtrumenten bleibet man auf der Orgel blos mit der Grundnote
im Pedale liegen, indem man die Harmonie bald nach dem
Anſchlage mit den Händen aufhebet. Die Orgeln ſind ſelten
rein geſtimmet, und folglich würde die Harmonie zu den erwehn-
ten Recitativen, welche oft chromatiſch iſt, ſehr widrig klingen,
und ſich mit der Begleitung der übrigen Inſtrumente gar nicht
vertragen. Man hat oft zu thun, ein Orcheſter, welches nicht
das ſchlechteſte iſt, in dieſem Falle reinklingend zu machen. Das
Harpeggio fällt überhaupt auf dem Pfeifwerke weg. Auſſer
der gebrochnen Harmonie brauchet man auch auf den übrigen
Clavierinſtrumenten zu der Begleitung der Recitative keine an-
dere- Manier und Zierlichkeit.


§. 6.

Bey einem Intermezzo und einer comiſchen Oper,
wo viele lärmende Actionen vorkommen, ingleichen bey andern
theatraliſchen Stücken, wo zuweilen die Actionen ganz hinten
auf dem Theater vorgehen, muß man beſtändig, oder wenigſtens
ſehr fleißig harpeggiren, doch ſo, daß die Sänger und der Ac-
compagniſt einander beſtändig deutlich hören können. Wenn der
Inhalt der Worte, oder eine darzwiſchen kommende Action ma-
chet, daß der Sänger nach der vorgeſchlagenen Harmonie nicht
gleich anfängt: ſo bricht der Accompagniſt die Harmonie noch
einmal langſam von unten in die Höhe, bis er merket, daß die
Declamation wieder angehet. Man muß überhaupt, wenn es
nicht höchſtnöthig iſt, weder zu viel noch zu wenig Leeres bey
der Begleitung übrig laſſen. Wenn gewiſſe Recitative mit meh-
rern Inſtrumenten, als mit dem Baſſe, ohne Aushaltung begleitet
werden: ſo muß der Clavieriſt die darzwiſchen kommenden kleinen Ver-
änderungen der Harmonie, dergleichen 8b7 oder 65b ſeyn, wenn ſie
blos die Grundſtimme angehen, und zuweilen oft hintereinander vor-
kommen,
[317]Vom Recitativ.
kommen, entweder ganz ſchwach anſchlagen, oder gar übergehen,
damit die Hauptſtimme nicht zu viel accompagnirt werde, und damit
die übrigen Inſtrumente den Sänger deutlicher hören, und folglich
beſſer Acht haben können, wenn ſie nachher wieder einfallen ſol-
len. Das Geräuſche des Flügels, welches die Inſtrumentiſten
in der Nähe ſehr ſtark hören, zumal, wenn der Ton deſſelben
durchdringend iſt, kann alsdenn oft die gute Ordnung gar leicht
ſtören. Zuweilen gewinnet auch bey dieſer Unthätigkeit des Cla-
vieriſten der Nachdruck gewiſſer Worte, welche der Componiſt aus
guter Urſache bey aller Stille der Inſtrumente will hergeſaget
wiſſen. Gehet eine heftige Action ganz hinten auf dem Theater
vor, ſo iſt dieſe Vorſicht um ſo viel nöthiger, weil alsdenn die
Töne des Sängers mehrentheils über das Orcheſter wegfliehen,
welches letztere aus Urſachen tiefer angeleget iſt, als das Parterre.


§. 7.

Wenn der Sänger nicht recht tonfeſte iſt, ſo thut
man beſſer, daß man die Harmome zugleich einigemal hinter
einander anſchläget, als wenn man einzelne Intervallen angie-
bet. Bey den Recitativen kommt es hauptſächlich auf die Rich-
tigkeit der Harmonie an, und man muß nicht allezeit fordern,
daß der Sänger, zumal bey gleichgültigen Stellen, juſt die vor-
geſchriebenen Noten, und keine anderen ſingen ſoll. Es iſt genug,
wenn er in der gehörigen Harmonie declamirt. Bey einer frem-
den Ausweichung kann man allenfalls das ſchwere Intervall
allein anſchlagen. Wenn man ſich auf die Geſchicklichkeit des
Sängers hinlänglich verlaſſen kann, ſo muß man nicht gleich ſtutzen,
wenn er in folgendem Exempel (a), ſtatt der Vorſchrift, die Aus-
führung von (1) und (2) wählet. Oft iſt hieran eine Bequem-
lichkeit wegen der Höhe und Tiefe Schuld, oft auch eine Vergeſ-
ſenheit, weil die Sänger bey dem Auswendiglernen, die ſich im-
mer ähnlichen Recitativmodulationen leicht verwechſeln, indem
R r 3ſie
[318]Acht und dreyßigſtes Capitel.
ſie ſich mehr die Grundharmonien, als die vorgeſchriebenen Noten
einprägen. Ich vergebe es eher einem Accompagniſten, daß er
von dem zuweilen vorkommenden Exempel (b) überraſcht wird,
wenn die Ziffern fehlen, das Tempo hurtig iſt, und die Hälfte
des Exempels vielleicht gar auf dem Anfange einer neuen Zeile
geſchrieben ſtehet: als wenn er vor den verwechſelten Ausführun-
gen bey (a) ſtutzet.

[figure]

§. 8.

Der Accompagniſt thut wohl, wenn er überhaupt,
beſonders aber bey fremden Modulationen, das erſte Intervall
des Sängers, zu deſſen Erleichterung, bey der letzten Brechung
der vorgeſchlagenen Harmonie in der Oberſtimme nimmt, weil
es da am deutlichſten zu hören iſt. Ehe man dieſe Hülfe unter-
läſſet, ſo erlaubet man lieber einige Unregelmäßigkeiten, wenn
es nicht zu ändern iſt, und gehet aus der Vorbereitung einer Diſ-
ſonanz, oder nimmt die Auflöſung derſelben in einer unrechten Stimme
vor, blos damit man geſchwinde in die Lage kommen könne, wo es die
Noth erfordert, welches letztere jedoch, ohne ſich einer ſolchen Freyheit
zu bedienen, mehrentheils durch ein geſchwindes Harpeggio gar leicht iſt.


§. 9.

Wenn bey einem Recitativ mit begleitenden Inſtrumen-
ten nach einer Cadenz, oder nach einem Abſatze, der Baß vorſchlägt
und die übrigen Inſtrumente nachſchlagen: ſo muß der Clavieriſt
ſeine
[319]Vom Recitativ.
ſeine Note mit der Harmonie ſo gleich, wenn es Zeit iſt, ſicher
und ſtark anſchlagen, zumal wenn das Orcheſter weitläuftig iſt (a).
Haben aber alle Begleiter den Anſchlag zugleich, ſo muß der Clavieriſt
ſich nicht übereilen, ſondern zuvor denen übrigen mit dem Kopfe
oder mit dem Leibe bey Zeiten ein merkliches Zeichen geben, damit
ſie alle zugleich geſchwind einfallen können (b). Das Exempel (c)
erfordert zum f den Sextquartenaccord, wobey man gerne die
Octave in der oberſten Stimme nimmt; zur Pauſe wird nach-
her die Septime und Quinte vom f angeſchlagen. Endlich ge-
höret noch hieher das Exempel (c) des vierten Paragraphen im
vorigen Capitel mit der dazu gehörigen Anmerkung, wohin ich
meine Leſer verweiſe. Man kann von dieſem Exempel auf meh-
rere von derſelben Art ſchlieſſen.

[figure]

[320]Neun und dreyßigſtes Capitel.

Neun und dreyßigſtes Capitel.
Von den Wechſelnoten.


§. 1.


Wir haben bereits im erſten Capitel erkläret, was unter
dem irregulären Durchgange, oder unter den Wech-
ſelnoten
verſtanden werde. Die Andeutung davon iſt ſehr noth-
wendig, weil die Anfänger im Generalbaſſe dieſe Noten nicht
leicht errathen können.


§. 2.

Einige beziffern die dem innerlichen Werthe nach
lange, und zur Harmonie anſchlagende Note; andere ſetzen die
Ziffern über die nachſchlagende Note. Jene Art der Bezifferung
iſt nicht zu verwerfen, zumal wenn ſie ſolche Aufgaben betrift,
welche bey dem Accompagnement gewöhnlich ſind (a), und wenn
eine Zweydeutigkeit dadurch gehoben werden kann (b). Auſſer-
dem aber erhält man durch die Andeutung der Wechſelnoten mit
einem ſchrägen Striche leichtere Signaturen, und der Accompagniſt
darf wegen der ungewöhnlichen Folge, welche ſich bey der erſtern Art
der Bezifferung mehrentheils äuſſert, nicht leicht ſtutzen. Indeſſen
wollen wir dem ohngeacht jedem Generalbaßſchüler rathen, ſich
mit den Ziffern recht bekannt zu machen, weil beyde Arten von
Bezeichnung noch zuweilen vorkommen.

[figure]
§. 3.
[321]Von den Wechſelnoten.

§. 3.

Die dem innerlichen Werthe nach lange Noten bey
dem irregulären Durchgange ſind als ausgeſchriebene und in den
Tact mit eingetheilte Vorſchläge zu betrachten, davon die Gel-
tung genau beſtimmet iſt. Die rechte Hand nimmt zu dieſen
Vorſchlägen die Harmonie, welche der folgenden Grundnote ei-
gentlich zukommt, voraus. Wenn alſo gleich die vorausgenom-
menen Conſonanzen zu der anſchlagenden Grundnote diſſoniren:
ſo behalten ſie doch ihre Freyheit und Eigenſchaft. Sie können
verdoppelt werden (a), und haben weder einer Vorbereitung noch
Auflöſung nöthig (b). Eben ſo wenig verliehren die vorausge-
nommenen Diſſonanzen von ihrem Weſentlichen und ihren Ge-
rechtſamen, ob ſie gleich zu der anſchlagenden Grundnote con-
ſoniren (c).

[figure]

§. 4.

Bey den Wechſelnoten kann der Dreyklang ohne An-
deutung nicht ſeyn, ſondern er muß wenigſtens durch eine Ziffer
vorgebildet werden (a). Wenn nach dem ſchrägen Striche Aufga-
ben folgen, wobey die Verdoppelung nöthig iſt (b), oder welche
überhaupt mehr, als eine Art der Begleitung haben (c), ſo muß
Bachs Verſuch 2. Theil. S sder
[322]Neun und dreyßigſtes Capitel. Von den Wechſelnoten.
der Accompagniſt ſchon vorher auf die rechte Einrichtung der Har-
monie bedacht ſeyn, beſonders wenn Fehler vermieden werden
ſollen (d):

[figure]

Vierzigſtes Capitel.
Vom Baßthema.


§. 1.


Ein gutes Baßthema mit einer ungezwungenen Ausarbeitung
gehöret mit zu den Meiſterſtücken der Compoſition. Die
berühmten Capellmeiſter Telemann und Graun, nebſt meinem
ſeligen Vater
, haben in dieſer Art vortrefliche Proben abgelegt,
welche zu vollkommenen Muſtern dienen können. Der Geſang
eines ſolchen Thema muß eine männliche Annehmlichkeit haben,
welche zuweilen aus den übrigen Stimmen der dazu gehörigen
Harmonie durch eine Brechung derſelben, oder durch andere Aus-
zierungen der Modulation etwas borget, ohne das Fundament zu
ver-
[323]Vom Baßthema.
verſtecken. Die Modulation darf nicht ausſchweifen. Die Cadenzen
und Einſchnitte müſſen baßmäßig ſeyn, wenigſtens müſſen die letzteren
eine natürliche Harmonie über ſich vertragen. Die Vorſchläge
müſſen in der Grundſtimme mit groſſer Behutſamkeit gebrauchet wer-
den, damit ſie das Flieſſende der Harmonie nicht ſtöhren; auſſerdem
überläſſet man dieſe und andere Schönheiten des Geſanges lieber
der Hauptſtimme, welche zu ſehr eingeſchränkt ſeyn würde, wenn
der Baß an allen dieſen Zierden gleichen Antheil nehmen wolte.
Statt deſſen müſſen die Grundnoten eine Harmonie mit vielen
und guten Bindungen bey ſich haben, damit darüber eine ſang-
bare Hauptſtimme gebauet werden könne. Die Gänge, wobey
viele Septimen-Quintquarten-Sextquinten- und Nonenaccorde
vorkommen, ſind beſonders vorzüglich, wie wir aus folgenden
ſimplen Grundnoten ſehen:

[figure]

§. 2.

Bey der Einrichtung eines Baßthema können es
gewiſſe Componiſten gar leicht auf zweyerley Art verſehen: zu-
weilen wollen ſie dabey ihren guten Geſang auf einmal, und zur
Unzeit ausſchütten; ſie ſchreiben alſo eine gute Melodie hin, welche
jung und ohne Grundnoten iſt, und zu welcher ſich allenfalls
S s 2ein
[324]Vierzigſtes Capitel.
ein guter Baß ſetzen lieſſe. Einem verſtändigen Accompagniſten
würde es alsdenn bey der Begleitung gar leicht ſeyn, anſtatt
einen beſondern Geſang zu dieſem Thema zu erfinden, dieſes
Thema in der rechten Hand zu nehmen, und mit der linken aus
dem Stegereife eine Grundſtimme dazu, mit der gehörigen Har-
monie zu machen. Im andern Falle pflegen die Baßthemata gar
zu trocken zu ſeyn, indem der Componiſt, um den jetzt gedachten
Fehler zu vermeiden, und ſich zur Ausarbeitung der Hauptſtimme
alle mögliche Bequemlichkeit zu verſchaffen, einen guten, ehrlichen
und ſimplen Baß hinſchreibet, der weiter nichts ausdrücket.
Dieſe letztern Themata haben jedoch noch dieſes Gute, daß ſie ein
geſchicktes Accompagnement zulaſſen, indem bey jenen oft gar keine
Harmonie darauf iſt.


§. 3.

Die Baßthemata werden entweder von den übrigen
Inſtrumenten im Einklange begleitet, oder blos von den Bäſſen
allein ausgeführet. In jenem Falle läſſet der Accompagniſt die Har-
monie weg, und ſpielet ſeine vorgeſchriebenen Noten ebenfalls in
Octaven mit beyden Händen: wenn aber der Componiſt aus
guten Urſachen
Ziffern über den Baß geſetzet hat, weil die
Bindungen, welche dabey angebracht werden können, gerne ge-
höret ſeyn wollen, und das Thema nicht allein nicht verdunkeln,
ſondern vielmehr erklären, ſo muß man ſie mitſpielen. Gewiſſe
Themata ſind ſo beſchaffen, daß ein verſtändiger Zuhörer nur ein
halbes Vergnügen ſpühret, wenn die Harmonie dazu fehlet, weil
dieſe letztere in der Vorſtellung ſeiner Seele von den Tönen, die
er höret, untrennbar iſt. Die Orgel iſt alsdenn, ſowohl wegen
der Bindungen, als auch wegen der durchdringenden Stärke zur
Begleitung das vorzüglichſte Inſtrument. Im zweyten Falle,
welcher bey zweyſtimmigen Sing- und Spielſachen vorkommt, iſt
eine harmoniſche Begleitung nöthig.


§. 4.
[325]Vom Baßthema.

§. 4.

Das Accompagnement eines Baßthema kann zweyer-
ley ſeyn, und giebet allezeit einem geſchickten Accompagniſten eine
gute Gelegenheit, ſeine Wiſſenſchaft zu zeigen. Wer hinläng-
liche Einſichten in die Setzkunſt hat, und bey einem glücklich
erfinderiſchen Geiſte eine gute Beurtheilungskraft beſitzet, der kann
bey den Pauſen der Hauptſtimme, auch allenfalls bey gewiſſen
fimplen Noten oder Aushaltungen derſelben, einen beſondern
Geſang erfinden, und ihn mit der rechten Hand, ſtatt der gewöhn-
lichen Harmonie, vortragen. Dieſer Geſang muß nach dem
Inhalt und Affect des Stückes abgepaſſet ſeyn, und darf die
Hauptſtimme niemals einſchränken.


§. 5.

Wer aber die hierzu gehörigen Fähigkeiten nicht be-
ſitzet, bleibet bey ſeiner vorgeſchriebenen Harmonie, und träget
ſie nach den Regeln des guten Vortrages vor, wobey allezeit,
ſo viel es nur möglich iſt, die beſten Fortſchreitungen und Lagen
gewählet werden, und auf eine ſangbare Oberſtimme geſehen wird.



Ein und vierzigſtes Capitel.
Von der freyen Fantaſie.


§. 1.


Eine Fantaſie nennet man frey, wenn ſie keine abgemeſſene
Tacteintheilung enthält, und in mehrere Tonarten auswei-
chet, als bey andern Stücken zu geſchehen pfleget, welche nach
einer Tacteintheilung geſetzet ſind, oder aus dem Stegreif erfun-
den werden.


§. 2.

Zu dieſen letztern Stücken wird eine Wiſſenſchaft des gan-
zen Umfanges der Compoſition erfordert: bey jener hingegen ſind
S s 3blos
[326]Ein und vierzigſtes Capitel.
blos gründliche Einſichten in die Harmonie, und einige Regeln
über die Einrichtung derſelben hinlänglich. Beyde verlangen
natürliche Fähigkeiten, beſonders die Fantaſien überhaupt. Es kann
einer die Compoſition mit gutem Erfolge gelernet haben, und gute
Proben mit der Feder ablegen, und dem ohngeacht ſchlecht fanta-
ſiren. Hingegen glaube ich, daß man einem im fantaſiren glück-
lichen Kopfe allezeit mit Gewißheit einen guten Fortgang in der
Compoſition prophezeyen kann, wenn er nicht zu ſpät anfän-
get, und wenn er viel ſchreibet.


§. 3.

Eine freye Fantaſie beſtehet aus abwechſelnden har-
moniſchen Sätzen, welche in allerhand Figuren und Zergliede-
rungen ausgeführet werden können. Man muß hierbey eine Ton-
art feſtſetzen, mit welcher man anfänget und endiget. Ohngeacht
in ſolchen Fantaſien keine Tacteintheilung Statt findet, ſo ver-
langet dennoch das Ohr, wie wir weiter unten hören werden,
ein gewiſſes Verhältniß in der Abwechſelung und Dauer der
Harmonien unter ſich, und das Auge ein Verhältniß in der
Geltung der Noten, damit man ſeine Gedanken aufſchreiben könne.
Es pfleget alsdenn gemeiniglich der Vierviertheiltact dieſen Fan-
taſien vorgeſetzet zu werden, und man erkennet die Beſchaffenheit
der Zeitmaaſſe aus den im Anfange darüber geſchriebenen Wör-
tern. Wir ſind bereits aus dem erſten Theile dieſes Ver-
ſuchs
, in dem letzten Hauptſtücke deſſelben, von der guten
Wirkung der Fantaſien belehret worden, wohin ich meine Leſer
verweiſe.


§. 4.

Der Flügel und die Orgel erfordern bey einer Fan-
taſie eine beſondere Vorſicht; jener, damit man nicht leicht in
einerley Farbe ſpiele, dieſe, damit man gut und fleißig binde,
und ſich in den chromatiſchen Sätzen mäßige; wenigſtens muß
man dieſe letztern nicht wohl kettenweiſe vorbringen, weil die Or-
geln
[327]Von der freyen Fantaſie.
geln ſelten gut temperirt ſind. Das Clavicord und das Forte-
piano ſind zu unſerer Fantaſie die bequemſten Inſtrumente. Beyde
können und müſſen rein geſtimmt ſeyn. Das ungedämpfte
Regiſter des Fortepiano iſt das angenehmſte, und, wenn man die
nöthige Behutſamkeit wegen des Nachklingens anzuwenden weiß,
das reizendeſte zum Fantaſiren.


§. 5.

Es giebet Gelegenheiten, wo ein Accompagniſt noth-
wendig vor der Aufführung eines Stückes etwas aus dem Kopfe
ſpielen muß. Bey dieſer Art der freyen Fantaſie, weil ſie als
ein Vorſpiel angeſehen wird, welches die Zuhörer zu dem In-
halt des aufzuführenden Stückes vorbereiten ſoll, iſt man ſchon
mehr eingeſchränkt, als bey einer Fantaſie, wo man, ohne weitere
Abſicht, blos die Geſchicklichkeit eines Clavierſpielers zu hören ver-
langet. Die Einrichtung von jener wird durch die Beſchaffenheit
des aufzuführenden Stückes beſtimmt. Der Inhalt oder Affect
dieſes letztern muß der Stoff des Vorſpielers ſeyn: bey einer
Fantaſie hingegen, ohne weitere Abſicht, hat der Clavieriſt alle
mögliche Freyheit.


§. 6.

Wenn man nicht viele Zeit hat, ſeine Künſte im
Vorſpielen zu zeigen, ſo darf man ſich nicht zu weit in andere
Tonarten verſteigen, weil man bald wieder aufhören muß, und
dennoch im Spielen die Haupttonart im Anfange nicht zu bald
verlaſſen, und am Ende nicht zu ſpät wieder ergreifen darf. Im
Anfange muß die Haupttonart eine ganze Weile herrſchen, damit
man gewiß höre, woraus geſpielet wird: man muß ſich aber auch
vor dem Schluſſe wieder lange darinnen aufhalten, damit die
Zuhörer zu dem Ende der Fantaſie vorbereitet werden, und die
Haupttonart zuletzt dem Gedächtniſſe gut eingepräget werde.


§. 7.

Die kürzeſte und natürlichſte Art, deren ſich auch
allenfalls Clavierſpieler von wenigen Fähigkeiten bey dem Vor-
ſpielen
[328]Ein und vierzigſtes Capitel.
ſpielen bedienen können, iſt dieſe: daß man die auf- und abſtei-
gende Tonleiter der Tonart, woraus geſpielet werden ſoll, mit
allerhand Bezifferungen (a), und einigen eingeſchalteten halben
Tönen (b), in, und auſſer der Ordnung (c) mit einer gewiſſen
Vorſicht, zum Grunde leget, und die dabey vorkommenden Auf-
gaben gebrochen, oder ausgehalten in einem beliebigen Tempo
vorträget. Die Orgelpuncte über der Prime ſind bequem, die
erwählte Tonart bey dem Anfange und Ende feſtzuſetzen (d). Vor
dem Schluſſe können auch ſehr wohl Orgelpuncte über der Do-
minante angebracht werden (e):

[figure]

[329]Von der freyen Fantaſie.

[figure]

Bachs Verſuch 2. Theil. T t
[330]Ein und vierzigſtes Capitel.

[figure]

§. 8.

Bey Fantaſien, wo man Zeit genug hat, ſich hören
zu laſſen, weichet man in andere Tonarten weitläuftiger aus.
Hierzu werden nicht eben förmliche Schlußcadenzen allezeit erfor-
dert; dieſe letztern finden am Ende, und allenfalls einmal in der
Mitte Statt. Es iſt genug, wenn die groſſe Septime derjenigen
Tonart, (ſemitonium modi), worein man gehet, im Baſſe, oder in
einer andern Stimme da iſt. Dieſes Intervall iſt der Schlüſſel
zn allen natürlichen Ausweichungen, und das Kennzeichen davon.
Wenn es in der Grundſtimme lieget, ſo hat der Septimen-Sexten-
und Sextquintenaccord darüber Statt (a): auſſerdem aber findet
man es bey ſolchen Aufgaben, welche durch die Verkehrung jener Ac-
corde entſtehen (b). Es iſt bey dem Fantaſiren eine Schönheit,
wenn man ſich ſtellet, durch eine förmliche Schlußcadenz in eine
andere Tonart auszuweichen, und hernach eine andere Wendung
nimmt. Dieſe, und andere vernünftige Betrügereyen machen eine
Fantaſie gut: allein ſie müſſen nicht immer vorkommen, damit
das Natürliche nicht ganz und gar darbey verſtecket werde.


[figure]
[331]Von der freyen Fantaſie.
[figure]

§. 9.

Man kann bey einer freyen Fantaſie aus der Haupt-
tonart in die nächſtverwandten, in die etwas entferntern, und
in alle übrigen Tonarten ausweichen. So wenig man bey Stücken,
welche ſtrenge nach dem Tact ausgeführet werden, fremde und viele
weitläuftige Ausweichungen vornehmen darf: ſo einfältig klinget
eine Fantaſie, welche bey den nächſten Tonarten ſtehen bleibet.
In den harten Tonarten geſchehen die nächſten Ausweichungen be-
kannter maaſſen in die Quinte mit der groſſen Terz, und in die
Sexte mit der kleinen. Aus den Molltönen gehet man zunächſt
in die Terz mit dem harten Dreyklange, und in die Quinte mit
dem weichen. Wenn man in entlegenere Tonarten gehen will, ſo
geſchiehet es bey den Durtönen in die Secunde und Terz mit
dem weichen Dreyklange, und in die Quarte mit dem harten.
Aus den Molltönen weichet man alsdenn in die Quarte mit der
kleinen Terz, und in die Sexte und Septime mit der groſſen. Die
übrigen Tonarten insgeſammt gehören unter die entlegenſten, und
können bey einer freyen Fantaſie gleich gut berühret werden, ob
ſie ſchon in einer ungleichen Entfernung von der Haupttonart
abſtehen. Dieſes letztere kann man aus den bekannten muſicali-
ſchen Cirkeln ſehen, an welche man ſich aber bey der Einrichtung
einer Fantaſie nicht weiter binden darf, weil es ein Fehler ſeyn
würde, im Fantaſiren alle vier und zwanzig Tonarten cirkel-
mäßig
durchzugehen. Wir überlaſſen dem eignen Nachſinnen
unſerer Leſer, durch eine geſchickte Ergreifung des ſemitonii modi
Proben in den nähern Ausweichungen vorzunehmen, und wollen,
Tt 2der
[332]Ein und vierzigſtes Capitel.
der Kürze wegen, blos einige beſondere Arten, in die nahe ver-
wandten Tonarten nach und nach zu kommen, durch die hierunter
vorgebildete Exempel zeigen. Wir erkennen hieraus die Mög-
lichkeit, auf eine immer verſchiedene Weiſe auszuweichen, man mag
nach der erſten Grundnote ein Intervall nehmen, welches man
nur will. Die Weitläuftigkeit ſchrecket uns ab, dieſen Satz klar
zu beweiſen.

[figure]
§. 10.
[333]Von der freyen Fantaſie.

§. 10.

In folgenden Exempeln wird die Art vorgebildet,
aus einer harten Tonart durch wenige Umwege in die übrigen
Tonarten, welche im vorigen Paragraph noch nicht berühret wor-
den ſind, auszuweichen. Die nahe Verwandtſchaft des a moll
mit dem c dur überhebt uns der Weitläuftigkeit, noch eben ſo
viele Exempel, wo die weiche Tonart zum Grunde lieget, anzu-
führen. Wenn man entlegenere Tonarten nicht nur obenhin
berühren, ſondern darein förmlich ausweichen will: ſo muß man
bey der bloſſen Ergreifung des ſemitonii modi nicht beruhen,
und alsdenn glauben, daß man nunmehro da ſey, wo man hin
wolte, und daß man ſo gleich weiter gehen müſſe: man muß viel-
mehr das Ohr durch einige andere eingeſchaltete harmoniſche
Sätze zu der neuen Tonart allmählig vorbereiten, damit es nicht
auf eine unangenehme Art überraſchet werde. Man wird Cla-
vierſpieler antreffen, welche die Chromatik verſtehen, und ihre
Sätze vertheidigen können: aber nur wenige, welche die Chro-
matik angenehm vorzutragen wiſſen, und ihr das Rauhe beneh-
men können. Wir merken überhaupt, beſonders aber bey dieſen
hierunter angeführten Exempeln an, daß man ſich bey den Auf-
gaben, wobey man anfänget, ſich etwas weit von der feſtgeſetzten
Tonart zu entfernen, etwas länger aufhalten müſſe, als bey den
übrigen. Durch das Verſetzen dieſer, und der bereits angeführten
Exempel, und durch die Verbindung derſelben erlanget man nach
und nach eine beſondere Fertigkeit im Ausweichen.


[figure]
T t 3
[334]Ein und vierzigſtes Capitel.
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§. 11.
[335]Von der freyen Fantaſie.

§. 11.

Auf eine noch kürzere, und dabey angenehm über-
raſchende Art in die entfernteſten Tonarten zu kommen, iſt kein
Accord ſo bequem und fruchtbar, als der Septimenaccord mit der
verminderten Septime und falſchen Quinte, weil durch ſeine Ver-
kehrungen, und durch die Verwechſelung des Klanggeſchlechts
ſehr viele harmoniſche Veränderungen vorgenommen werden können.
Wenn man hierzu die übrigen harmdniſchen Künſte und Sel-
tenheiten, welche wir in den vorhergehenden Capiteln abgehan-
delt haben, mit zur Hülfe nimmt: was eröfnet ſich nicht alsdenn
für ein unzuüberſehendes Feld von harmoniſcher Mannigfaltigkeit!
Solte es alsdenn wohl noch ſchwehr fallen, dahin zu gehen, wo
man nur will? Nein, man darf nur wählen, ob man viele,
oder gar keine Umwege nehmen will. Es ſind von dem oben ge-
dachten Accorde, welcher aus dreyen über einander geſetzten klei-
nen Terzen beſtehet, nur dreye möglich; bey dem vierten iſt die
Wiederholung des erſtern ſchon da, wie wir aus der Vorbildung
bey (a) ſehen. Wir würden zu weitläuftig werden, wenn wir
alle Möglichkeiten anführen wolten, die Harmonie durch dieſen
Accord dahin zu lenken, wohin man nur will. Es ſey die bey
(b) gegebene Gelegenheit zu Verſuchen in dieſer Art für dieſes
mahl hinlänglich. Wir wiederholen nochmals, dergleichen chro-
matiſche Sätze nur dann und wann, mit guter Art, und
langſam vorzutragen.


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[336]Ein und vierzigſtes Capitel.
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§. 12.

Das Schöne der Mannigfaltigkeit empfindet man
auch bey der Fantaſie. Bey der letztern müſſen allerhand Figu-
ren, und alle Arten des guten Vortrages vorkommen. Lauter
Laufwerk, nichts als ausgehaltene, oder gebrochene vollſtimmige
Griffe ermüden das Ohr. Die Leidenſchaften werden dadurch
weder erreget, noch geſtillet, wozu doch eigentlich eine Fantaſie
vorzüglich ſolte gebrauchet werden. Durch die Brechungen darf
man nicht zu hurtig, noch zu ungleich (a) von einer Harmonie
zur andern ſchreiten. Blos bey chromatiſchen Gängen leidet dieſe
Vorſchrift zuweilen mit guter Wirkung einige Ausnahme. Man
muß nicht beſtändig in einerley Farbe die Harmonie brechen.
Auſſerdem kann man zuweilen mit beyden Händen aus der Tiefe
in die Höhe gehen; man kann dieſes auch blos mit der vollen
linken Hand thun, indem man die rechte in ihrer Lage läßt.
Dieſe Art des Vortrages iſt auf den Flügeln gut, es entſtehet
daraus eine angenehme Abwechſelung eines gekünſtelten Forte und
Piano. Wer die Geſchicklichkeit beſitzet, thut wohl, wenn er
nicht beſtändig gar zu natürliche Harmonien brauchet, ſondern
das Ohr zuweilen betrüget: wo aber die Kräfte nicht ſo weit
hinreichen, ſo muß eine verſchiedene und gute Ausführung in
allerhand Figuren diejenige Harmonie angenehm machen, welche
durch
[337]Von der freyen Fantaſie.
durch einen platten Anſchlag derſelben einfältig klinget. In der
linken Hand können die meiſten Diſſonanzen ebenfalls verdoppelt
werden. Die dadurch entſtehende Octaven verträget das Ohr
bey dieſer ſtarken Harmonie: die Quinten hingegen ſind zu ver-
meiden. Die Quarte, wenn ſie bey der Quinte und None iſt,
und die Nonen überhaupt verdoppelt man nicht.

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§. 13.

Alle Accorde können auf vielerley Art gebrochen, und
in geſchwinden und langſamen Figuren ausgedrucket werden. Die
Brechungen eines Accordes, wobey ſowohl deſſen Haupt- als
auch gewiſſe Nebenintervallen wiederholet werden (a), ſind be-
ſonders angenehm, weil ſie mehr Veränderungen hervor bringen,
als ein ſimples Harpeggio, wobey man blos die Stimmen ſo,
wie ſie in den Händen liegen, nach und nach anſchläget. Bey
allen gebrochenen Dreyklängen und Aufgaben, welche ſich auf
einen Dreyklang zurück führen laſſen, kann man aus Zierlichkeit
vor jedem Intervalle die groſſe (b) oder kleine Unterſecunde (c)
mit berühren, ohne ſie nachher liegen zu laſſen. Dieſes nennet
man: mit Acciaccaturen brechen. Bey den Läufern werden
die ledigen Intervallen der Accorde ausgefüllet; mit dieſer Aus-
füllung kann man eine, und mehrere Octaven, in der gehörigen
Modulation herauf und hinunter gehen. Wenn bey ſolchen Läu-
fern Wiederholungen vorkommen (d), und zugleich fremde Inter-
vallen eingeſchaltet werden (e): ſo entſtehen hieraus angenehme
Veränderungen. Die Läufer, wobey viele Progreßionen durch
halbe Töne vorkommen, erfordern eine mäßige Geſchwindigkeit.
Bachs Verſuch 2. Theil. U uEs
[338]Ein und vierzigſtes Capitel.
Es können zuweilen mitten in dem Laufwerk allerhand Aufgaben
abwechſeln (f). Der Dreyklang mit ſeinen Verkehrungen kann
einerley Läufer haben, und der Septimenaccord mit ſeinen Ver-
kehrungen ebenfalls. Man vermeidet zuweilen bey den Auf-
gaben, worin eine überflüßige Secunde ſtecket, die Progreſ-
ſion in dieſes letztere Intervall (g); in gewiſſen Figuren kann
dieſe Fortſchreitung angehen (h). Gewiſſe Nachahmungen, ſowohl
in der geraden als Gegenbewegung, laſſen ſich ſehr gut in ver-
ſchiedenen Stimmen anbringen (i). Die im eilften Paragraph an-
angeführten chromatiſchen Accorde ſchicken ſich am beſten zu langſa-
men Figuren und tiefſinnigen Erfindungen, wie wir aus dem letzten
Probeſtück des erſten Theiles dieſes Verſuchs
ſehen.


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[339]Von der freyen Fantaſie.
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U u 2§. 14.
[340]Ein und vierzigſtes Capitel.

§. 14.

Damit meine Leſer in verbundenen Exempeln von
allerhand Art einen deutlichen und nutzbaren Begriff von der
Einrichtung einer freyen Fantaſie bekommen: ſo verweiſe ich ſie
auf das im vorigen Paragraph angeführte Probeſtück, und auf
das in der beygefügten Kupfertafel befindliche Allegro. Beyde
Stücke enthalten eine freye Fantaſie; jenes iſt mit vieler Chro-
matik vermiſchet, dieſes beſtehet mehrentheils aus ganz natür-
lichen und gewöhnlichen Sätzen. Ich habe das Gerippe von dem
letztern, in bezifferten Grundnoten, hierunter vorgeſtellet. Die
Geltung der Noten iſt ſo gut, als es hat ſeyn können, ausgedruckt.
Bey der Ausführung wird jeder Accord im Harpeggio zweymahl vor-
getragen. Wenn bey dem zweyten mahle, in der rechten, oder in
der linken Hand, eine andere Lage vorkommt, ſo iſt es angedeutet.
Die Intervallen in den langſamen vollen Griffen, welche alle har-
peggirt werden, haben einerley Geltung, ob man ſchon des engen
Raumes wegen, zu mehrerer Deutlichkeit, weiſſe und ſchwarze
Noten hat über einander ſetzen müſſen. Bey (1) ſehen wir die
lange Aufhaltung der Harmonie im Haupttone bey dem Anfange
und Ende. Bey (2) gehet eine Ausweichung in die Quinte vor,
worinnen man eine ganze Weile bleibet, bis bey ([\&𝅃]) die Har-
monie in das weiche e gehet. Die drey Noten bey (3), wor-
unter ein Bogen ſtehet, erklären die Einleitung in die darauf fol-
gende Wiederholung des Secundenaccordes, welchen man durch
eine Verwechſelung der Harmonie wieder ergreift. Die Einleitung
bey (3) geſchiehet in der Ausführung durch langſame Figuren,
wobey die Grundſtimme mit Fleiß weggelaſſen worden iſt. Der
Uebergang vom h mit dem Septimenaccord, zum nächſten b mit
dem Secundenaccord verräth eine Ellipſin, weil eigentlich der
Sextquartenaccord vom h oder c mit dem Dreyklange hätte vor-
hergehen ſollen. Bey (4) ſcheinet die Harmonie in das weiche d
über-
[341]Von der freyen Fantaſie.
überzugehen: Statt deſſen aber wird bey (5) mit Auslaſſung
des weichen Dreyklanges d die übermäßige Quarte im Secun-
denaccorde zum c genommen, als wenn man in das harte g
ausweichen wolte, und ergreift dem ohngeacht die Harmonie
des weichen g (6), worauf man mehrentheils durch diſſonirende
Griffe wieder in die Haupttonart gehet, und die Fantaſie mit einem
Orgelpuncte beſchlieſſet.

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[[342]]

Appendix A [Druckfehler].


  • Seite 1. §. 3. Linie 2. ſtatt Bindung, lies Bindungen.
  • S. 46. in der unterſten Linie, ſtatt in dieſem einzigen, lies auch in dieſem.
  • S. 51. L. 2. muß (b) weggeſtrichen werden.
  • S. 58. Syſtem 2. muß vor der vorletzten Note h ein 𝇏 ſtehen.
  • S. 62. Syſtem 1. muß über der erſten Note a eine 6 ſtehen.
  • S. 62. Syſtem 3. muß über dem c eine 6 ſtehen.
  • S. 66. muß über dem Syſtem der Bogen, welcher zwiſchen dem dritten und vierten Exempel
    ſtehet, weg, und die zwey h des vierten Exempels müſſen durch einen Bogen gebunden
    werden.
  • S. 80. L. 4. von unten, muß bey None und Quarte noch hinzu geſetzt werden: Septime.
  • S. 86. Syſt. 1. muß bey der Begleitung des Exempels die erſte Octave c wegbleiben, und dafür
    die Terz e mit dem Einklange verdoppelt werden.
  • S. 88. L. 2. ſtatt eine Vorausnahme, lies eine [Verwechſelung] der Harmonie und
    eiue Vorausnahme.
  • S. 89. L. 5. von unten, muß über 4 ein Queerſtrich ſtehen.
  • S. 103. Syſt. 2. muß über dem letzten Exempel (b) ſtatt [𝅯], 2 ſtehen.
  • S. 105. Syſt. 1. muß über dem letzten Exempel (a) ſtehen.
  • S. 105. Syſt. 3, Tact 3. muß über  kein Queerſtrich, ſondern ein Bogen ſtehen.
  • S. 113. §. 2. L. 2. muß am Ende das Wort Terz hinzu geſetzt werden.
  • S. 113. §. 3. L. 4. muß das erſte Wort Terz weggeſtrichen werden.
  • S. 126. Syſt. 2. muß bey dem Exempel (d) über der erſten Note eine 7 ſtehen.
  • S. 134. Syſt. 1. muß bey dem Exempel (a) das unterſte vorgezeichnete ♭ auf der zweyten Linie
    ſtehen.
  • S. 136. L. 1 und 2. ſtatt Quarte von der Terz, lies Terz von der Quarte.
  • S. 148. auf der unterſten Linie muß ſtatt ,  ſtehen.
  • S. 149. muß das dritte Exempel, ſtatt (b), (c) über dem Syſtem haben.
  • S. 151. L. 8. ſtatt bleibt ſie, lies bleibt die Secunde.
  • S. 153. L. 1. ſtatt die groſſe, lies die in die Höhe gehende groſſe.
  • S. 155. Syſt. 1. Tact 2. ſtatt \frac{8}{2}, muß \frac{8}{3} ſtehen.
  • S. 163. Syſt. 1. muß im zweyten Exempel die zweyte Grundnote c ein Viertheil ſeyn.
  • S. 202. L. 2. ſtatt f, muß ſtehen c.
  • S. 202. Syſt. 3. muß bey dem Exempel (b) die erſte Grundnote g ſeyn.
  • S. 207. Syſt. 3. muß im zweyten Exempel, unter der zweyten Grundnote g,  ſtehen.
  • S. 237. Syſt. 4. muß das erſte f ein Viertheil, und das darauf folgende g ein Acht
    theil ſeyn.
  • S. 271. L. 1. ſtatt wie die, lies wenn die.
  • S. 279. Syſt. 5. muß die zweyte Note in der Oberſtimme e ſeyn.
  • S. 289. Syſt. 3. Exempel 2 muß über dem Syſtem ſtatt ,  ſtehen.
  • S. 319. L. 10 muß ſtatt (c), (e) ſtehen.

[[343]]
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[[344]]
Notes
*
Weil die wenigſten Exempel mit der übermäßigen Quarte in unſerm Sextquar-
tenaccorde taugen, ſo bin ich genöthiget geweſen, um den eigentlichen Gebrauch
dieſes Intervalles deutlich zeigen zu können, Vorbilder mit dem Secundenaccorde,
wo dieſe Quarte am meiſten gebraucht wird, anzuführen.
(*)
Die Ziffern unter den Noten beziehen ſich nicht auf die, ſo über den
Noten ſtehen.
(*)
Weil wir ſchon öfter dreyſtimmige Sätze, zum Unterſchied der vierſtimmigen,
mit dem Telemanniſchen Bogen bezeichnet haben: ſo kann auch hier über , wenn
die Terz wegbleibet, dieſer Bogen geſetzt werden.
(*)
In dieſem Falle muß man dem Accompagniſten ebenfalls eine vernünftige
Souverainität um ſo vielmehr zugeſtehen, je weniger die Hauptſtimme dabey ein-
geſchränkt wird.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Bach, Carl Philipp Emanuel. Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bk0p.0