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Die Günderode.


Erſter Theil.


Grünberg und Leipzig,:
bei W. Levyſohn.

1840.
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Briefe
aus den Jahren 1804 — 1806.

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Den Studenten.


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Die Ihr gleich goldnen Blumen auf zertret¬
nem Feld, wieder aufſproſſet zuerſt! In fröhlichen
Zukunftsträumen der Muttererde huldigt, harrend
voll heiligem Glauben daß endlich Eurer Ahnung
Gebild vollende der Genius, und Feſſeln der Liebe
Euch umlege und großer Männer Unſterblichkeit in
den Buſen Euch ſäe. —


Die Ihr immer rege, von Geſchlecht zu Ge¬
ſchlecht, in der Noth wie in des Glückes Tagen
auf Begeiſtrungspfaden ſchweift; in Germanias
Hainen, auf ihren Ebnen und ſtolzen Bergen, am
[] gemeinſamen Kelch heiligkühner Gedanken Euch be¬
rauſchend, die Bruſt erſchließt, und mit glühender
Thräne im Aug, Bruderliebe ſchwört einander, Euch
ſchenk ich dies Buch.


Euch Irrenden Suchenden! die Ihr hin¬
anjubelt den Parnaſſos, zu Kaſtalias Quell; reich¬
lich der aufbrauſenden Fluth zu ſchöpfen den He¬
roen der Zeit, und auch den Schlafenden im ſchwei¬
genden Thal, ſchweigend, feierlichen Ernſtes die
Schale ergießt.


Die Ihr Hermanns Geſchlecht Euch nennt,
[]Deutſchlands Jüngerſchaft! — Dem Recht
zur Seite, Klingenwetzend der Gnade trotzt; mit
Schwerdterklirren und der Begeiſtrung Zuverſicht,
der Burſchen Hochgeſang anſtimmt:
Landesvater, Schutz und Rather!“
mit flammender Fackel, donnernd ein dreifach Hoch
dem Herrſcher, dem Vaterland, dem Bruderbunde
jauchzt, und:
Strömen gleich, zuſammenrauſchet in
ein gewaltig Heldenlied
.“
Ihr die mit Trug noch nicht nach nichtiger Hoff¬
[] nung jagtet! — Wenn der Philiſter Thorenge¬
ſchlecht den Stab Euch bricht, ſo gedenket Muſen¬
ſöhne
! daß ihre Lärmtrommel, des leuchtenden Py¬
thiers Geiſt nicht betäubt; keine Lüge haftet an
ihm, keine That, kein Gedanke! Er iſt wiſſend! —
und lenkt, daß unberührt von des Geſetzes Zwang,
ſchnellen feurigen Wachsthums, das Göttliche er¬
blühe und in der Zeiten Wechſel, ein milder Ge¬
ſtirn ſchützend über Euch hinleuchte.


[[1]]

An die Günderode.

Der Plaudergeiſt in meiner Bruſt hat immer fort
geſchwäzt mit Dir, durch den ganzen holperigen Wald
bis auf den Trages, wo Alles ſchon ſchlief, ſie wachten
auf und ſagten, es wäre ſchon 1 Uhr vorbei, auf dem
Land blaſen ſie Abends die Zeit aus, wie eine Kerz,
die man ſparen will. Wie ich erzählte, daß Du mit¬
gefahren warſt bis Hanau, da hätten ſie Dich All gern
hier haben wollen, ein Jeder für ſich allein, da wär
ich doch um Dich gekommen. Durch Dich feuert der
Geiſt wie die Sonn durchs friſche Laub feuert, und mir
gehts wie dem Keim, der in der Sonn brütet, wenn
ich an Dich denken will, es wärmt mich und ich werd
freudig und ſtolz und ſtreck meine Blätter aus, und oft
bin ich unruhig und kann nicht auf einem Platz blei¬
ben, ich muß fort ins Feld, in den Wald; — in freier
Luft kann ich alles denken, was im Zimmer unmöglich
war, da ſchwärmen die Gedanken über die Berg und
ich ſeh ihnen nach.


1[2]

Alles iſt heut nach Meerholz gefahren zum Vetter
mit der zu großen Naſ, ich bin allein zu Haus, ich
hab geſagt, ich wollt ſchreiben, aber die Haupturſach
war die Naſ.


Eben komm ich aus der Lindenallee, ich hab das
ganze Gewitter mitgemacht, die Bäum geben gut Bei¬
ſpiel, wie man ſoll ſtandhaft ſein im Ungewitter, Blitz
und Donner hinter einander her, bis ſie außer Athem
waren, nun ruhen alle Wälder. Ich war gleich naß,
und ſo warm der Regen, hätt's nur ſtärker noch reg¬
nen wollen, aber bald wars ſchön Wetter. und der Re¬
genbogen auf dem Saatfeld, ich war wohl eine halbe
Stund weit gelaufen und ihm doch nicht näher ge¬
kommen, da fiel mir ein, daß man oft denkt, es wär
ſo nah alles, was man gern erreichen möcht, und wie
man mit allem Eifer doch nicht näher rückt. Wenn
nicht die Schönheit vom Himmel herab uns überſtrahlt,
von ſelbſt, ihr entgegenlaufen iſt umſonſt, — ich hab
den ganzen Nachmittag verlaufen, eben kommen ſie
ſchon angefahren.


Sonntag.


Geſtern ging ich noch allein in der Dunkelheit
durchs Feld. Da fiel mir wieder ein, alles was wir
[3] am Sonntag von Frankfurt bis Hanau im Wa¬
gen zuſammen geredet haben; — wer von uns bei¬
den zuerſt ſterben wird. Jetzt bin ich ſchon acht
Tag hier, unſer Geſpräch klingt noch immer nach
in mir. „Es giebt ja noch Raum außer dieſer klei¬
nen Tags- und Weltgeſchichte, in dem die Seel ih¬
ren Durſt, ſelbſt etwas zu ſein, löſchen dürfe,“ ſag¬
teſt Du. — Da hab ich aber gefühlt, und fühls eben
wieder und immer: wenn Du nicht wärſt, was wär
mir die ganze Welt? — kein Urtheil, kein Menſch ver¬
mag über mich, aber Du! — auch bin ich geſtorben
ſchon jetzt, wenn Du mich nicht auferſtehen heißeſt und
willſt mit mir leben immerfort; ich fühls recht, mein
Leben iſt blos aufgewacht, weil Du mir riefſt, und
wird ſterben müſſen, wenn es nicht in Dir kann fort¬
gedeihen. — Frei ſein willſt Du, haſt Du geſagt? —
ich will nicht frei ſein, ich will Wurzel faſſen in Dir —
eine Waldroſe, die im eignen Duft ſich erquicke, will
die der Sonne ſich ſchon öffnen und der Boden löſt
ſich von ihrer Wurzel, dann iſts aus. — Ja mein Le¬
ben iſt unſicher; ohne Deine Liebe, in die es einge¬
pflanzt iſt, wirds gewiß nicht aufblühen und mir iſts
eben ſo durch den Kopf gefahren, als ob Du mich ver¬
geſſen könnteſt, es iſt aber vielleicht nur weils Wetter
1*[4] leuchtet ſo blaß und kalt, und wenn ich denk an die
feurigen Strahlen, mit denen Du oft meine Seele
durchleuchteſt! — bleib mir doch. —


Bettine.

An die Bettine.

Ich habe die Zeit über recht oft an Dich gedacht,
liebe Bettine. Vor einigen Nächten träumte mir, Du
ſeiſt geſtorben, ich weinte ſehr darüber und hatte den
ganzen Tag einen traurigen Nachklang davon in mei¬
ner Seele. Als ich den Abend nach Hauſe kam, fand
ich Deinen Brief; ich freute mich und wunderte mich,
weil ich glaubte, einen gewiſſen Zuſammenhang zwi¬
ſchen meinen Träumen und Deinen Gedanken zu finden.


Geſtern Abend iſt Clemens hier angekommen, ich
wollte Du wärſt hier, es würde ihm viel behaglicher
und heimlicher ſein, ich glaube, wenn Du nicht bald
hierher kömmſt, ſo geht er nach Trages.


In dieſem ganzen Brief iſt wohl noch kein einzi¬
ges Wort, was Dich erfreut? Du drehſt das Blatt
herum und ſieheſt ob nicht eine Art von ruſſiſchem Ca¬
briolet gefahren kommt; aber es will nichts kommen;
weißt Du warum? weil ich Ihn in der ganzen Zeit
[5] nur zwei Minuten geſehen habe; weil Er geritten kam,
und weil er kein vernünftiges Wort geſprochen hat.
Sei luſtig Bettine, und laß Dir nicht mit Cabriolets
im Herzen herum fahren.


Grüße den Savigny recht freundlich von mir, er¬
innere ihn doch zuweilen an mich, ich habe ihn ſehr
lieb, aber nach Trages komme ich doch nicht.


Thue mir den Gefallen und frage die Sanchen, ob
ich nicht einen Chignonkamm und eine Kette in Trages
hätte liegen laſſen? — Wenn Du noch nicht bald wie¬
der zu uns kommſt, ſo ſchreibe mir wieder, denn ich
habe Dich lieb, ſage mir auch wie Ihr lebt.


Karoline.


Grüße doch auch die Gundel von mir. Auf mei¬
ner Heimfahrt von Hanau hab ich das Geſpräch ge¬
dichtet, es iſt ein bischen vom Zaun gebrochen. — Ich
wollt die Proſa wär edler, daß heißt: ich wollt ſie wär
muſikaliſcher; es enthält viel, was wir im Geſpräch
berührt haben. Du ſchreibſt mit mehr Muſik Deine
Briefe, ich wollt ich könnt das lernen.

[6]

Die Manen.

Schüler. Weiſer Meiſter! ich war in den Kata¬
komben der Schwedenkönige, ich nahte mich dem Sarg
des Guſtav Adolph mit ſonderbarem ſchmerzlichem Ge¬
fühl, ſeine Thaten gingen an meinem Geiſt vorüber,
ich ſah zugleich ſein Leben und ſeinen Tod, ſeine über¬
ſchwengliche Thatkraft und die tiefe Ruhe, in der er
ſchon dem zweiten Jahrhundert entgegenſchlummert; ich
rief mir die grauſenvolle Zeit zurück, in der er lebte,
mein Gemüth glich einer Gruft, aus der die ſchwan¬
kenden Schatten der Vergangenheit heraufſteigen. Ich
weinte ſo heiße Thränen ſeinem Tod, als ſei er heute
erſt gefallen. Dahin! Verloren! Vergangen! ſagte ich
mir, ſind dies des großen Lebens Früchte alle? —
Ach! — ich mußte die Gruft verlaſſen, ich ſuchte Zer¬
ſtreuung, ich ſuchte andre Schmerzen, aber der unterir¬
diſche trübe Geiſt verfolgt mich, ich kann die Wehmuth
nicht los werden, die wie ein Trauerflor über meine Gegen¬
wart ſich legt, dies Zeitalter iſt mir nichtig und leer, ſehn¬
lich und gewaltig zieht michs in die Vergangenheit dahin!
Vergangen, ſo ruft mein Geiſt. O möcht ich mit vergan¬
gen ſein und dieſe ſchlechte Zeit nie geſehen haben, in der
die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verloren iſt. —


[7]

Lehrer. Verloren iſt nichts, junger Schüler, und
in keiner Weiſe, nur das Auge vermag nicht des Grun¬
des unendliche Folgenkette zu überſehen. Aber willſt
Du auch dies nicht bedenken, Du kannſt doch nicht
verloren nennen und dahin, was ſo mächtig auf Dich
wirkt; — Dein eigen Geſchick, die Gegenwart bewegen
Dich ſo heftig nicht, wie das Andenken des großen Kö¬
nigs, lebt er da nicht jetzt noch mächtiger in Dir als
die Gegenwart, oder [nennſt] Du nur Leben was im
Fleiſch und im Sichtbaren fortlebt, und iſt Dir dahin
und verloren was noch in Gedanken wirkt und da iſt? —


Schüler. Wenn es Leben iſt, ſo iſt es doch nicht
mehr als Schattenleben, dann iſt die Erinnerung des
Geweſenen mehr als die bleiche Schattenwirklichkeit.


Lehrer. Gegenwart iſt ein flüchtiger Augenblick,
ſie vergeht indem Du ſie erlebſt, des Lebens Bewußt¬
ſein liegt in der Erinnerung, in dieſem Sinn nur kannſt
Du Vergangnes betrachten, gleichviel ob es längſt oder
eben nur vorging.


Schüler. Du ſprichſt wahr! — So lebt denn ein
großer Menſch nicht nach ſeiner Weiſe in mir fort,
ſondern nach der meinen. Wie ich ihn aufnehme, wie
und ob ich mich ſeiner erinnern mag? —


Lehrer. Freilich lebt das nur fort in Dir, was
[8] Dein Sinn befähigt iſt aufzunehmen, inſofern es Gleich¬
artiges mit Dir hat, das Fremdartige in Dir tritt nicht
mit ihm in Verbindung, darauf kann er nicht wir¬
ken und mit dieſer Einſchränkung nur wirken alle
Dinge. Wofür Du keinen Sinn haſt, das geht Dir
verloren, wie die Farbenwelt dem Blinden.


Schüler. So muß ich glauben nichts gehe ver¬
loren, da alle Urſachen in ihren Folgen fortleben, daß
ſie aber nur wirken auf das, was Empfänglichkeit oder
Sinn für ſie hat. — Der Welt mag genügen an die¬
ſem Nichtverlorenſein, an dieſer Art fortzuleben,
mir iſt es nicht genug, ich möchte zurück in der Ver¬
gangenheit Schooß, ich ſehne mich nach unmittelbarer
Verbindung mit den Manen der großen Vorzeit.


Lehrer. Hältſt Du es denn für möglich? —


Schüler. Ich hielt es für unmöglich als noch
kein Sehnen mich dahin zog, geſtern hätte ich noch
jede Frage danach für thöricht gehalten, heute wünſche
ich ſchon die Verbindung mit der Geiſterwelt wäre mög¬
lich, ja mir deucht ich wäre geneigt ſie glaublich zu
finden.


Lehrer. Mir deucht die Manen des großen Gu¬
ſtav Adolph haben deinem innern Auge zum Lichte ver¬
holfen. So vernehme mich denn. So gewiß alles Har¬
[9] moniſche in Verbindung ſtehet, es mag ſichtbar oder
unſichtbar ſein, ſo gewiß ſind auch wir in Verbindung
mit dem Theil der Geiſterwelt, der mit uns harmonirt.
Ähnliche Gedanken verſchiedener Menſchen, auch wenn
ſie nie von einander wußten, iſt in geiſtigem Sinn
ſchon Verbindung, der Tod eines Menſchen, der in ſol¬
cher Berührung mit mir ſtehet, hebt ſie nicht auf; der
Tod iſt ein chemiſcher Prozeß, eine Scheidung der Kräfte,
aber kein Vernichter, er zerreißt das Band zwiſchen
mir und ähnlichen Seelen nicht, aber das Fortſchreiten
des Einen und das Zurückbleiben des Andern kann
wohl dieſe Gemeinſchaft aufheben, wie Einer, der in
allem Trefflichen fortgeſchritten iſt, mit dem unwiſſend
gebliebnen Jugendfreund nicht mehr zuſammen ſtimmen
wird. Du wirſt dies leicht ganz allgemein und ganz
aufs beſondere anwenden können.


Schüler. Vollkommen! — Du ſagſt Harmonie
der Kräfte iſt Verbindung, der Tod hebt dieſe Verbin¬
dung nicht auf, da er nur ſcheidet und nicht vernichtet.


Lehrer. Ich fügte hinzu, das Aufheben deſſen,
was dieſe Harmonie bedingt, müßte auch nothwendig
dieſe Verbindung aufheben — eine Verbindung mit
Verſtorbenen kann alſo Statt haben, inſofern ſie nicht
aufgehört haben, mit uns zu harmoniren.


1**[10]

Schüler. Ich kann es faſſen.


Lehrer. Es kommt nur darauf an, dieſe Verbin¬
dung gewahr zu werden. Blos geiſtige Kräfte können
unſern äußern Sinnen nicht offenbar werden, ſie wir¬
ken nicht durch Aug und Ohr, ſondern durch das Or¬
gan, durch das allein eine Verbindung mit ihnen mög¬
lich iſt; durch den innern Sinn, auf ihn wirken ſie un¬
mittelbar. Dieſer innere Sinn, das tiefſte und feinſte
Seelenorgan, iſt bei faſt allen Menſchen unentwickelt
und nur dem Keim nach da. — Das Weltgeräuſch,
der Menſchheit Handel und Wandel, der nur ober¬
flächlich und nur die Oberfläche berührt, laſſen es zu
keiner Ausbildung, zu keinem Bewußtſein kommen, ſo
wird es nicht erkannt, und was ſich zu allen Zeiten in
ihm offenbarte, hat viele Zweifler und Schmäher ge¬
funden, und bis jetzt iſt ſein Empfangen und Wirken
nur in ſeltnen Menſchen, die individuellſte Seltenheit. —
Ich will nicht ungeiſtigen Geſichten und Geiſtererſchei¬
nungen das Wort reden, aber ich fühle deutlich, daß
der innere Sinn ſo hoch angeregt werden kann, daß
die innere Erſcheinung vor das körperliche Auge treten
kann, wie auch umgekehrt die äußere Erſcheinung vor
das geiſtige Auge tritt; ſo brauch ich nicht durch Be¬
trug oder Sinnentäuſchung alles Wunderbare zu er¬
[11] klären, doch weiß ich, man nennt in der Weltſprache
dieſe innere Entwicklung der Sinne, Einbildung.


Weſſen Geiſtesauge Licht auffängt, der ſieht dem
Andern unſichtbare, mit ihm verbundene Dinge. Aus
dieſem innern Sinn ſind die Religionen hervorgegan¬
gen, und ſo manche Apokalipſen alter und neuer Zeit.
Aus dieſer Sinnenfähigkeit, Verbindungen wahrzunehmen,
die andere, deren Geiſtesauge verſchloſſen iſt, nicht faſſen,
entſteht die prophetiſche Gabe, Gegenwart und Ver¬
gangenheit mit der Zukunft zu verbinden, den noth¬
wendigen Zuſammenhang der Urſachen und Wirkungen
zu ſehen, Prophezeihung iſt Sinn für die Zukunft.
Man kann die Wahrſagerkunſt nicht erlernen, der
Sinn für ſie iſt geheimnißvoll, er entwickelt ſich ge¬
heimnißvoller Art; er offenbart ſich oft nur wie ein
ſchneller Blitz, der dann von dunkler Nacht wieder be¬
graben wird. Man kann Geiſter nicht durch Beſchwö¬
rung rufen, aber ſie können dem Geiſt ſich offenbaren,
das Empfängliche kann ſie empfangen, dem inneren
Sinn können ſie erſcheinen. —


Der Lehrer ſchwieg und ſein Zuhörer verließ ihn.
Mancherlei Gedanken bewegten ſein Inneres, und ſeine
ganze Seele ſtrebte, ſich das Gehörte zum Eigenthum
zu machen.

[12]

An die Günderode.

Du weißt, daß der Boſtel hier iſt, — der läuft
mir immer nach und ſagt: „Bettine warum ſind Sie ſo
unliebenswürdig?“ — ich frag, wie ſoll ichs machen,
um liebenswürdig zu ſein? — „Sein Sie wie Ihre
Schweſter Loulou, ſprechen Sie ruhig mit Einem und
bezeigen Sie doch nur ein klein wenig Theilnahme an,
was man Ihnen ſagt, aber wenn man Sie auch aus
Mitleid wie ein Mädchen, das ſchon was bedeutet, be¬
handlen wollt, es iſt nicht möglich, Sie haben nicht
weniger Unruh als eine junge Katz, die einer Maus
nachläuft, derweil man Ihnen die Ehre anthut, mit
Ihnen zu ſprechen. Klettern Sie auf Tiſch und Schrän¬
ken herum, Sie ſteigen zu den alten Familienportraiten
und ſcheinen weit mehr Antheil an deren Geſichter zu
nehmen als an uns Lebenden.“ — Ja Herr von Bo¬
ſtel das iſt blos weil die dort ſo ganz überſehen und
vergeſſen ſind, weil kein Menſch mit denen ſpricht, da
gehts mir grade wie es Ihnen mit mir geht. Aus Mit¬
leid, weil ich überſehen bin, ſprechen Sie mit mir jun¬
gem Gelbſchnabel und das ſteckt mich an, daß ich daſ¬
ſelbe Mitleid mit den alten gemalten Perücken haben
[13] muß. — „Aber ſagen Sie, ſind Sie geſcheut? — Wie
wollen ſie Mitleid haben mit gemalten Bildern?“ —
Ei Sie habens ja auch mit mir! — „Nun ja, aber die
Bilder empfinden's doch nicht.“ — Ei ich empfind's
auch nicht. — „Aber bei Gott ich bemitleide Sie,— —
Sie ſind auf dem Weg närriſch zu werden.“ —


Ich hätt Dir die Dummheiten nicht erzählt, wenns
nicht einen großen Lärm gegeben hätt, der Clemens
wollte das vom guten Boſtel nicht haben, ſie redeten
ſo heftig hin und her von Schelmufsky und dem Gro߬
mogul, und im kleinen Häuschen, wo ſie zuſammen
hingegangen waren, ward es ſo laut, daß es ſich von
Weitem wie Streit anhörte, ich ging hinunter und
wartete bis der Boſtel herauskam, der war ganz er¬
hitzt, ich nahm alles auf mich, und bat um Verzeihung,
daß ich ſo unartig geweſen ſei, und was weiß ich, was
ich alles ſagte, bis er endlich verſprach, mit dem Cle¬
mens nicht mehr bös zu ſein, und wenn ich meine Un¬
art eingeſtehe, ſo wolle er mir verzeihen. — Ich ge¬
ſtand alles zu, dachte aber doch heimlich, was der vor
ein poſſierlicher Kerl wär; der Clemens kam dazu, da
ward von beiden Seiten die Schuld auf mich geſcho¬
ben; ich ließ es ohne Widerſpruch geſchehen und be¬
[14] ſänftigte beide, ſie gaben einander die Hand und mir
gute Lehren.


Die Menſchen ſind gut, ich bin es ihnen von Her¬
zen, aber wie das kommt, daß ich mit Niemand ſpre¬
chen kann? — Das hat nun Gott gewollt, daß ich
nur mit Dir zu Haus bin. — Die Manen les ich im¬
mer wieder, ſie wecken mich recht zum Nachdenken.
Du meinſt daß Dir die Sprache nicht drinn gefällt? —
Ich glaub, daß große Gedanken, die man zum erſten¬
mal denkt, die ſind ſo überraſchend, da ſcheinen einem
die Worte zu nichtig, mit denen man ſie aufnimmt,
die ſuchen ſich ihren Ausdruck, das iſt man als zu zag¬
haft einen zu gebrauchen, der noch nicht gebräuchlich
iſt, aber was liegt doch dran? ich wollt immer ſo re¬
den wie es nicht ſtatthaft iſt, wenn es mir näher da¬
durch kommt in der Seel, ich glaub gewiß, Muſik muß
in der Seele walten, Stimmung ohne Melodie iſt nicht
fließend zu denken; es muß etwas der Seele ſo recht
angebornes geben, worin der Gedankenſtrom fließt. —
Dein Brief iſt ganz melodiſch zu mir, vielmehr wie
Dein Geſpräch. „Wenn Du noch nicht bald wie¬
der zu uns kommſt, ſo ſchreibe mir wieder,
denn ich habe Dich lieb.“ Dieſe Worte haben ei¬
nen melodiſchen Gang, und dann: „Ich habe die
[15] Zeit über recht oft an Dich gedacht liebe Bet¬
tine
! vor einigen Nächten träumte mir, Du
ſeieſt geſtorben
, ich weinte ſehr darüber und
hatte den ganzen Tag einen traurigen Nach¬
klang davon in meiner Seele
.“ Ich auch lieb¬
ſtes Günderödchen würde ſehr weinen, wenn ich Dich
ſollt hier laſſen müſſen und in eine andre Welt gehen,
ich kann mir nicht denken, daß ich irgendwo ohne Dich
zu mir ſelber kommen möcht. Der muſikaliſche Klang
jener Worte äußert ſich wie der Pulsſchlag Deiner
Empfindung, das iſt lebendige Liebe, die fühlſt Du für
mich. Ich bin recht glücklich; ich glaub auch daß nichts
ohne Muſik im Geiſt beſtehen kann, und daß nur der
Geiſt ſich frei empfindet, dem die Stimmung treu bleibt.
— Ich kanns auch noch nicht ſo deutlich ſagen, ich
meine man kann kein Buch leſen, keins verſtehen, oder
ſeinen Geiſt aufnehmen, wenn die angeborne Melodie
es nicht trägt, ich glaub, daß alles müßt gleich be¬
greiflich oder fühlbar ſein, wenn es in ſeiner Melodie
dahinfließt. Ja weil ich das ſo denke, ſo fällt mir
ein, ob nicht alles, ſo lang es nicht melodiſch iſt, wohl
auch noch nicht wahr ſein mag. Dein Schelling und
Dein Fichte und Dein Kant ſind mir ganz unmögliche
Kerle. Was hab ich mir für Mühe geben und ich bin
[16] eigentlich nur davon gelaufen hierher, weil ich eine
Pauſe machen wollt. Repulſion, Atraction, höchſte
Potenz. — —


Weißt Du wie mirs wird? — Dreherig — Schwin¬
del krieg ich in den Kopf und dann weißt Du noch? —
ich ſchäm mich, — ja ich ſchäm mich, ſo mit Hacken
und Brecheiſen in die Sprach hinein zu fahren, um
etwas da heraus zu bohren, und daß ein Menſch, der
geſund geboren iſt, ſich ordentliche Beulen an den Kopf
denken muß, und allerlei phyſiſche Krankheiten dem
Geiſt anbilden. — Glaubſt Du ein Philoſoph ſey nicht
fürchterlich hoffärtig? — Oder wenn er auch einen Ge¬
danken hat, davon wär er klug? — O nein, ſo ein
Gedanke fällt ihm wie ein Hobelſpahn von der Drech¬
ſelbank, davon iſt ſo ein weiſer Meiſter nicht klug.
Die Weisheit muß natürlich ſein, was braucht ſie doch
ſolcher widerlicher Werkzeuge, um in Gang zu kommen,
ſie iſt ja lebendig? — ſie wird ſich das nicht gefallen
laſſen. — Der Mann des Geiſtes muß die Natur lie¬
ben über alles, mit wahrer Lieb, dann blüht er, —
dann pflanzt die Natur Geiſt in ihn. Aber ein Philo¬
ſoph ſcheint mir ſo einer nicht, der ihr am Buſen liegt,
und ihr vertraut und mit allen Kräften ihr geweiht
iſt. — Mir deucht vielmehr er geht auf Raub, was
[17] er ihr abluchſen kann, das vermanſcht er in ſeine ge¬
heime Fabrik, und da hat er ſeine Noth, daß ſie nicht
ſtockt, hier ein Rad, dort ein Gewicht, eine Maſchine
greift in die andere, und da zeigt er den Schülern,
wie ſein Perpetuum Mobile geht, und ſchwitzt ſehr da¬
bei, und die Schüler ſtaunen das an und werden ſehr
dumm davon. — Verzeih mirs, daß ich ſo fabelig Zeug
red, Du weißt ich Habs mit meinem Abſcheu nie weiter
gebracht als daß ich erhitzt und ſchwindelig geworden
bin davon, und wenn die großen Gedanken Deines
Geſprächs vor mir auftreten, die doch philoſophiſch ſind,
ſo weiß ich wohl das nichts Geiſt iſt als nur Philo¬
ſophie, aber wends herum und ſag: es iſt nichts Phi¬
loſophie als nur ewig lebendiger Geiſt, der ſich nicht
fangen, nicht beſchauen noch überſchauen läßt, nur em¬
pfinden, der in jedem neu und ideal wirkt, und kurz;
der iſt wie der Äther über uns. Du kannſt ihn auch
nicht faſſen mit dem Aug, Du kannſt Dich nur von
ihm überleuchtet, umfangen fühlen, Du kannſt von ihm
leben, nicht ihn für Dich erzeugen. Iſt denn der
Schöpfernatur ihr Geiſt, nicht gewaltiger als der
Philoſoph mit ſeinem Dreieck, wo er die Schöpfungs¬
kraft drinn hin und her ſtößt, was will er doch? —
meint er dieſe Gedankenaufführung ſei eine unwider¬
[18] ſtehliche Art, dem Naturgeiſt nahzukommen? Ich glaub
einmal nicht, daß die Natur einen ſolchen, der ſich zum
Philoſophen eingezwickt hat, gut leiden kann. „Wie
iſt Natur ſo hold und gut
, die mich am Buſen
hält
.“ — ſo was lautet wie Spott auf einen Philo¬
ſophen. Du aber biſt ein Dichter und alles was Du
ſagſt iſt die Wahrheit und heilig. „Man kann Gei¬
ſter nicht durch Beſchwörung rufen, aber ſie
können ſich dem Geiſt offenbaren
, das Em¬
pfängliche kann ſie empfangen, dem innern
Sinn können ſie erſcheinen
.“ Nun ja! wenn es
auch die ganze heutige Welt nicht faßt, was Du da
ausſprichſt, wie ich gewiß glaub, daß es umſonſt der
Welt geſagt iſt, ſo bin ich aber der Schüler, deſſen
ganze Seele ſtrebt, ſich das Gehörte zum Eigenthum zu
machen. — und aus dieſer Lehre wird mein künftig
Glück erblühn, nicht weil ich's gelernt hab, aber weil
ich's empfind; es iſt ein Keim in mir geworden und
wurzelt tief, ja ich muß ſagen, es ſpricht meine Natur
aus, oder vielmehr, es iſt das heilige Wort „Es Werde“
was Du über mich ausſprichſt. — Ich habs jetzt jede
Nacht geleſen im Bett, und empfind mich nicht mehr
allein und für nichts in der Welt; ich denk, da die
Geiſter ſich dem Geiſt offenbaren können, ſo möchten
[19] ſie zu meinem doch ſprechen; und was die Welt „über¬
ſpannte Einbildung“ nennt, dem will ich ſtill opfern,
und gewiß meinen Sinn vor jedem bewahren, was mich
unfähig dazu machen könnte, denn ich empfinde in mir
ein Gewiſſen, was mich heimlich warnt dies und jenes
zu meiden. — Und wie ich mit Dir red heute, da fühl
ich, daß es eine bewußtloſe Bewußtheit gebe, das iſt
Gefühl, und daß der Geiſt bewußtlos erregt wird. — ſo
wirds wohl ſein mit den Geiſtern. Aber ſtill davon,
durch Deinen Geiſt haucht mich die Natur an, daß ich
erwach wie wenn die Keime zu Blättern werden. —
Ach eben iſt ein großer Vogel wider mein Fenſter ge¬
flogen und hat mich ſo erſchreckt, es iſt ſchon nach
[Mitternacht], gute Nacht.


Bettine.

An die Bettine.

Es kömmt mir bald zu närriſch vor liebe Bettine,
daß Du Dich ſo feierlich für meinen Schüler erklärſt,
eben ſo könnte ich mich für den Deinen halten wollen,
doch macht es mir viele Freude, und es iſt auch etwas
Wahres daran, wenn ein Lehrer durch den Schüler an¬
[20] geregt wird, ſo kann ich mit Fug mich den Deinen
nennen. Gar viele Anſichten ſtrömen mir aus Deinen
Behauptungen zu, und aus Deinen Ahnungen, denen
ich vertraue, und wenn Du ſo herzlich biſt, mein Schü¬
ler ſein zu wollen, ſo werd ich mich einſt wundern,
was ich da für einen Vogel ausgebrütet habe.


Deine Erzählung vom Boſtel iſt ganz artig, nichts
lieber thuſt Du als die Sünden der Welt auf Dich
nehmen, Du trägſt keine Laſt an ihnen, ſie beflügeln
Dich vielmehr zu Heiterkeit und Muthwillen, man
könnte denken, Gott habe ſelber ſein Vergnügen an Dir.
Aber dahin wirſt Du es nicht bringen, daß die Men¬
ſchen Dich als etwas Beſſers achten als ſie ſelber ſind.
Doch wie auch Genie ſich Luft und Licht mache, es iſt
immer ätheriſcher Weiſe, und wär es ſelbſt den Ballaſt
des Philiſterthums auf den Flügeln tragend. In ſol¬
chen Dingen biſt Du gebornes Genie, darin kann ich
nur Dein Schüler ſein, und trachte auch mit großem
Fleiß Dir nachzukommen, es iſt ein ſpaßiges In die
Runde laufen, daß während Dich jedermann ſo oft
über Deine ſogenannte Inconſequenzen verklagt, ich
heimlich mir Vorwürfe mache, daß mein Genie hierzu
nicht ausreicht. — „Sorglos über die Fläche weg, wo
vom kühnſten Wager die Bahn Dir nicht vorgegraben
[21] Du ſiehſt.“ — immerhin nur das einzige thue mir, und
fange nicht alles unter einander an, in Deinem Zim¬
mer ſah es aus wie am Ufer, wo eine Flotte geſtran¬
det war. Schloſſer wollte zwei große Folianten, die
er für Dich von der Stadtbibliothek geliehen hat und
die Du ſchon ein viertel Jahr haſt, ohne drinn zu leſen.
Der Homer lag aufgeſchlagen an der Erde, dein Kana¬
rienvogel hatte ihn nicht geſchont, deine ſchöne er¬
fundne Reiſekarte des Odiſſeus lag daneben und der
Muſchelkaſten mit dem umgeworfnen Sepianäpfchen
und allen Farbenmuſcheln drum her, das hat einen brau¬
nen Fleck auf Deinen ſchönen Strohteppich gemacht,
ich habe mich bemüht alles wieder in Ordnung zu brin¬
gen. Dein Flageolet was Du mitnehmen wollteſt und
vergeblich ſuchteſt, rath wo ichs gefunden habe? — im
Orangen-Kübel auf dem Altan war es bis ans Mund¬
ſtück in die Erde vergraben, du hoffteſt wahrſcheinlich
einen Flageoletbaum da bei Deiner Rückkunft aufkei¬
men zu ſehen, die Liesbet hat den Baum übermäßig
begoſſen, das Inſtrument iſt angequollen, ich hab es
an einen kühlen Ort gelegt, damit es gemächlich wieder
eintrocknen kann und nicht berſtet, was ich aber mit
den Noten anfange die daneben lagen das weiß ich
nicht, ich hab ſie einſtweilen in die Sonne gelegt, vor
[22] menſchlichen Augen darfſt Du ſie nicht mehr ſehen laſ¬
ſen, ein ſauberes Anſehen erhalten ſie nicht wieder. —
Dann flattert das blaue Band an Deiner Guitarre,
nun ſchon ſeitdem Du weg biſt, zum großen Gau¬
dium der Schulkinder gegenüber, ſo lang es iſt zum
Fenſter hinaus, hat Regen und Sonnenſchein ausge¬
halten und iſt ſehr abgeblaßt, dabei iſt die Guitarre
auch nicht geſchont worden, ich hab die Liesbet ein we¬
nig vorgenommen, daß ſie nicht ſo geſcheut war das
Fenſter zuzumachen hinter den dunklen Plänen, ſie
entſchuldigte ſich weils hinter den grünſeidnen Vorhän¬
gen verſteckt war, da doch ſo oft die Thüre aufgeht,
die Fenſter vom Zugwind ſich bewegen. Dein Rieſen¬
ſchilf am Spiegel iſt noch grün, ich hab ihm friſch
Waſſer geben laſſen. Dein Kaſten mit Hafer und was
ſonſt noch drein geſäet iſt, iſt alles durch einander em¬
porgewachſen, es deucht mir viel Unkraut drunter zu
ſein, da ich es aber nicht genau unterſcheiden kann, ſo
hab ich nicht gewagt etwas auszureißen, von Büchern
hab ich gefunden auf der Erde, den Oſſian, die Sa¬
contala, die Frankfurter Kronik, den zweiten Band
Hemſterhuis, den ich zu mir genommen habe, weil ich
den erſten Band von Dir habe, im Hemſterhuis lag bei¬
folgender philoſophiſcher Aufſatz, den ich mir zu ſchenken
[23] bitte wenn Du keinen beſondern Werth darauf legſt,
ich hab mehr dergleichen von Dir, und da Dein Wi¬
derwille gegen Philoſophie dich hindert ihrer zu achten,
ſo möchte ich dieſe Bruchſtücke Deiner Studien wider
Willen
, beiſammen bewahren, vielleicht werden ſie Dir
mit der Zeit intereſſanter. Siegwart, ein Roman der
Vergangenheit fand ich auf dem Klavier das Tintenfaß
draufliegend, ein Glück daß es nur wenig Tinte mehr
enthielt, doch wirſt Du Deine Mondſchein-Compoſition
über die es ſeine Fluth ergoß, ſchwerlich mehr entziffern.
Es rappelte was in einer kleinen Schachtel auf dem
Fenſterbrett, ich war neugierig ſie aufzumachen, da flo¬
gen zwei Schmetterlinge heraus die Du als Puppen
hineingeſetzt hatteſt, ich hab ſie mit der Liesbet auf den
Altan gejagt, wo ſie in den blühenden Bohnen ihren
erſten Hunger ſtillten. Unter Deinem Bett fegte die
Liesbet Karl den Zwölften und die Bibel hervor, und auch
— einen Lederhandſchuh, der an keiner Dame Hand
gehört, mit einem franzöſiſchen Gedicht darin, dieſer
Handſchuh ſcheint unter Deinem Kopfkiſſen gelegen zu
haben, ich wüßte nicht daß Du Dich damit abgiebſt
franzöſiſche Gedichte im alten Styl zu machen, der Par¬
füm des Handſchuh iſt ſehr angenehm und erinnert mich,
und macht mir immer heller im Kopf, und jeden Au¬
[24] genblick ſollte mir einfallen, wo des Handſchuh Gegen¬
ſtück ſein mag; indeß ſei ruhig über ſeinen Beſitz, ich
hab ihn hinter des Kranachs Lukretia geklemmt, da
wirſt Du ihn finden; wenn Du zurückkommſt; zwei
Briefe hab ich auch unter den vielen beſchriebenen Pa¬
pieren gefunden noch verſiegelt der eine aus Darmſtadt
alſo vom jungen Lichtenberg, der andre aus Wien.
Was haſt Du denn da für Bekanntſchaft? — und wie
iſts möglich wo Du ſo ſelten Briefe empfängſt, daß
Du nicht neugieriger biſt, oder vielmehr ſo zerſtreut. —
Die Briefe hab ich auf Deinen Tiſch gelegt. Alles iſt
jetzt hübſch ordentlich, ſo daß Du fleißig und mit Be¬
hagen in Deinen Studien fortfahren kannſt.


Ich habe mit wahrem Vergnügen Dir Dein Zim¬
mer dargeſtellt weil es wie ein optiſcher Spiegel Deine
apparte Art zu ſeyn ausdrückt, weil es Deinen ganzen
Charakter zuſammenfaßt; Du trägſt allerlei wunderlich
Zeug zuſammen um eine Opferflamme dran zu zünden,
ſie verzehrt ſich, ob die Götter davon erbaut ſind das
iſt mir unbekannt.


Karoline.
Wenn Du Muſe findeſt, ſo ſchreib bald wieder.


Bei¬[25]

Beilage zum Brief der Günderode.
(Ein apokaliptisches Fragment.)

1. Auf hohem Fels im Mittelmeer ſtand ich, vor
mir der Oſt, hinter mir der Weſt, und der Wind
ruhte auf der See.


2. Die Sonne ſank, kaum war ſie verhüllt im
Niedergang, enthüllte im Aufgang ſich das Morgen¬
roth; Morgen, Mittag, Abend und Nacht jagten in
ſchwindlender Eile um des Himmels Bogen.


3. Ich ſah ſtaunend ſie ſich drehen, mein Blut,
meine Gedanken bewegten ſich nicht raſcher; die Zeit,
indeß ſie außer mir nach neuen Geſetzen ſich bewegte,
ging in mir den gewohnten Gang.


4. Ich wollte ins Morgenroth mich ſtürzen oder
mich tauchen in die Schatten der Nacht, eilend mit ihr
dahin ſtrömend um nicht ſo langſam zu leben, aber
im Schauen verſunken ward ich müde und entſchlief.


5. Da ſah ich ein Meer vor mir von keinem Ufer
umgeben, nicht im Oſt, noch Süd, noch Weſt, noch im
Nord; kein Windſtoß bewegte die Wellen, aber in ihren
Tiefen bewegte ſich, wie von innerer Gährung gereizt,
die unermeßliche See.


2[26]

6. Und mancherlei Geſtalten ſtiegen auf aus dem
tiefen Meeresſchooß, und Nebel ſtiegen auf, und ſenk¬
ten ſich in Wolken, und in zuckenden Blitzen berührten
ſie die gebärenden Wogen.


7. Und immer mannichfaltiger entſtiegen der Tiefe
Geſtalten, mich ergriff Schwindel und Bangheit, meine
Gedanken wurden hiehin und dorthin getrieben, wie
eine Fackel vom Sturmwind, bis meine Erinnerung
erloſch.


8. Als ich wieder erwachte und von mir zu wiſſen
anfing, da beſann ich mich nicht, ob ich Jahrhunderte
oder Minuten geſchlafen, denn in den dumpfen,
verworrenen Träumen war mir nichts begegnet, was
mich an die Zeit erinnert hatte.


9. Es war dunkel in mir, als habe ich geruht in
dieſes Meeres Schooß und ſei wie andere Geſtal¬
ten ihm entſtiegen. — Ich ſchien mir ein Tropfen
Thaues, ich bewegte mich luſtig in der Luft hin und
wieder, und freute mich, und mein Leben war, daß
die Sonne ſich in mir ſpiegle und die Sterne mich be¬
ſchauten.


10. Ich ließ von den Lüften mich dahin tragen
in raſchen Zügen, ich geſellte mich zum Abendroth, zu
des Regenbogens ſiebenfarbigen Tropfen, ich reihte mit
[27] meinen Geſpielen mich um den Mond, wenn er ſich
bergen wollte, und begleitete ſeine Bahn.


11. Die Vergangenheit war mir dahin, nur der
Gegenwart gehörte ich an, eine Sehnſucht war in
mir, die ihr Begehren nicht kannte, ich ſuchte immer,
und was ich fand, war nicht das Geſuchte, und ſeh¬
nend trieb ich mich umher im Unendlichen.


12. Einſt ward ich gewahr, daß alle die Weſen,
die dem Meer entſtiegen waren, wieder zu ihm zurück¬
kehrten, und in wechslenden Formen ſich wieder er¬
zeugten. Mich befremdete dieſe Erſcheinung, denn ich
hatte von keinem Ende gewußt. Da dachte ich, meine
Sehnſucht ſei auch zurückzukehren zu der Quelle des
Lebens.


13. Und da ich dies dachte und lebendiger fühlte
als all mein Bewußtſein, ward plötzlich mein Gemüth
wie mit betäubenden Nebeln umfangen. Aber ſie
ſchwanden bald, ich ſchien mir nicht mehr ich, meine
Gränzen konnte ich nicht mehr finden, mein Bewußt¬
ſein hatte ich überſchritten, es war größer, anders, und
doch fühlte ich mich in ihm.


14. Erlöſet war ich von den engen Schranken
meines Weſens und kein einzelner Tropfen mehr, ich
war allem wiedergegeben und alles gehörte mir mit an,
2*[28] ich dachte und fühlte, wogte im Meer, glänzte in der
der Sonne, kreiste mit den Sternen; ich fühlte mich in
allem und genoß alles in mir.


15. Drum wer Ohren hat zu hören, der höre!
Es iſt nicht zwei, nicht drei, nicht tauſende, es iſt Eins
und Alles; es iſt nicht Leib und Geiſt geſchieden, daß
das eine der Zeit, das andere der Ewigkeit angehöre,
es iſt Eins, gehört ſich ſelbſt, und iſt Zeit und Ewig¬
keit zugleich, und ſichtbar und unſichtbar, bleibend im
Wandel, ein unendliches Leben.

An die Günderode.

Wie wir hier leben das will ich Dir erzählen. Mor¬
gens kommen wir alle im Schlafzimmer von Savigny's
zuſammen. Da wird gegalert und als ein bischen Krieg
mit Kopfkiſſen und Rouleaux geführt, und im Neben¬
zimmer wird gefrühſtückt dabei. Wir nehmen uns zwar
ſehr in Acht den großen Savigny zu treffen, aber er
iſt geſcheut wenns Gefecht heiß wird da zieht er ſich
zurück. Später zerſtreut ſich Alles. Wir ſind auch jetzt
ſchon zweimal geritten, ich bin beidemal herunter ge¬
[29] fallen, einmal wie wir bergauf ritten und einmal vor
Lachen. Nachmittags gehen wir manchmal in den Wald
und Savigny lieſt vor, da hab ich meine Noth mit
dem Zuhören, auf dem Wald-Raſen hab ich gar zu viel
[Zerſtreuung], alle Augenblick iſt ein Kräutchen oder ein
Spinnchen oder ein Räupchen oder ein Sandſteinchen,
oder ich bohr ein Löchelchen in die Erd und find aller¬
lei da, der Savigny ſagt ich ſei hoffärtig und wollt
nicht zuhören, er kanns nicht leiden, drum ſetz ich mich
hinter ſeinen Kopf, da merkt ers als nicht. Wir
gehen auch als auf die Jagd und ich nehm die kleine
Flint, ich ſchieß aber immer was Du wohl weißt, wo¬
nach ich immer auf die Jagd geh, Hirngeſpinnſte aus
der Luft, geſtern wollte mir der Boſtel lehren nach den
Vögelchen zielen, ich ſchoß und das Vögelchen fiel her¬
unter, ich dacht gar nicht daß ichs treffen würde, ich
war ſehr erſchrocken aber der Boſtel machte ſo großen
Lärm von meinem ſcharfen Blick, und die Andern lob¬
ten mich alle daß ich ſo gut ziele, daß ich meine Reue
über dieſen erſten Mord nicht merken ließ. Ich nahm
das Vögelchen in die Hand wo es vollends erkaltete,
in der Nachtſtille hab ichs begraben unter dem Fenſter
von Deiner Schlafkammer und nicht ohne ſchwere Nach¬
gedanken; wahrlich ich hab es nicht mit Willen gethan,
[30] aber doch mit Leichtſinn. Was liegt am Vogel, alle
Jäger ſchießen ihn ja! — Aber ich nicht, ich hätt es
niemals gethan, aus dem Laub, in ſeiner heiteren Le¬
benszeit den Vogel herunter zu ſchießen, den Gott mit
der Freiheit des Flugs begabt hat. Gott ſchenkt ihm die
Flügel und ich ſchieß ihn herunter, o nein das ſtimmt
nicht!


Eben kommt Dein Brief an, Deinen Kamm und die
Kette haſt Du wohl erhalten? ich hab ſie an Mienchen
geſchickt in einer kleinen Schachtel, Clemens hat einen
kleinen Brief beigeſchloſſen an Deine Schweſter, und
ein paar Zeilen an Dich; mein Zimmer gefällt mir wohl
in ſeiner Unordnung, und ich gefall mir alſo auch wohl
da Du meinſt es ſtelle meinen Charakter vollkommen
dar. Am liebſten iſt mir daß Du zur rechten Zeit kamſt
um die Schmetterlinge zu befreien. Du kommſt immer zur
rechten Zeit um meine Dummheiten gut zu machen. Den
philoſophiſchen Aufſatz wie Du ihn zu nennen beliebſt
ſchenk ich Dir, ich nenne ihn einen ſteifſtelligen verſchnippel¬
ten buchsbaumernen Zwerg, ein fataler grüner Würgen¬
gel von ſupperklugem Gewälſch, ohne Sprach ohne Mu¬
ſik, es ſei denn das hölzerne Gelächter; dem gleichts ganz
im Ton und Inhalt; mach mich nicht närriſch, — ich
will nichts mehr davon wiſſen. Dein apokaliptiſch Frag¬
[31] ment macht mich auch ſchwindlen; bin ich zu unreif, oder
was iſt es daß ich ſo fiebrich werd und daß Deine Fanta¬
ſieen mich ſchmerzlich kränken. „Meine Gedanken
wurden hie hin und dort hin getrieben wie eine
Fackel vom Sturmwind bis meine Erinnerung
erloſch
.“ Warum ſchreibſt Du mir ſo was? — das
ſind mir bittere Gedanken! es macht mich unzufrieden
und voll Bangigkeit daß Du Deinen Geiſt in eine Un¬
bewußtheit hinein verſetzeſt. Ich weiß nicht, wie ich im¬
mer empfinde als ſei alles Leben inner mir und nichts
außer mir, Du aber ſucheſt in höheren Regionen nach
Antwort auf Deine Sehnſucht, willſt „mit Deinen
Geſpielinnen den Mond umwallen
,“ wo ich
keine Möglichkeit mir denken kann mitzutanzen, willſt
erlöſt ſein von den engen Schranken Deines
Weſens
“ und mein ganz Glück iſt doch, daß Gott Dich
in Deiner Eigenthümlichkeit geſchaffen hat; — und dann
ſagſt Du noch ſo was trauriges: „Ich ſchien mir nicht
mehr Ich
, und doch mehr als ſonſt Ich.“ Meinſt
Du damit wär mir gedient? — „Meine Gränzen
konnte ich nicht mehr finden
, mein Bewußtſein
hatte ſie überſchritten
, es war anders.“ Mit
dem allem iſt mein Urtheil geſprochen, mich quält Ei¬
ferſucht, mir ſcheint Dein Denken außer den Kreiſen zu
[32] ſchweifen, wo ich Dir begegne. Du biſt herablaſſend
daß Du vor mir ſolche Dinge ausſprichſt, die ich nicht
nachempfinden kann und auch nicht mag weil ſie un¬
ſern engen Lebenskreis überſchreiten, in dem allein mir
nur lieb zu denken iſt. Straf mich nun mit Worten
wie Du willſt, daß ich ſo dumm bin, aber der Eiferſucht
Brand tobt in mir, wenn Du mir nicht am Boden
bleibſt, wo auch ich bin. In dieſem Fragment leſe ich,
daß Du nur im Vorübergehen mit mir biſt, ich aber
wollte immer mit Dir ſein, jetzt und immer, und unge¬
miſcht mit andern; erſt haſt Du geweint im Traum um
mich, und nachher im Wachen vergißt Du alles Daſein
mit mir, ich kann mir nichts denken als nur ein Leben
wie es grad dicht vor mir liegt, mit Dir auf der Gar¬
tentreppe, oder am Ofen, ich kann keine Fragmente
ſchreiben, ich kann nur an Dich ſchreiben, aber innerlich
weite Wege, große Ausſicht, aber nicht dem Mond nach¬
laufen und im Thau vergehen und im Regenbogen ver¬
ſchwimmen. Zeit und Ewigkeit, das iſt mir alles ſo weit¬
läuftig, da fürcht ich Dich aus den Augen zu verlieren,
was iſt mir „Ein unendliches Leben bleibend im
Wandel
,“ jeder Augenblick den ich leb iſt ganz Dein,
und ich kanns auch gar nicht ändern daß meine Sinne
nur blos auf Dich gerichtet ſind, Du wirfſt mich aus
[33] der Wiege, die Du auf dem großen Ocean ſchwimmend
vor Dir hergetrieben haſt, hinaus in die Wellen, weil
Du in die Sonne fahren willſt, unter die Sterne und
im Meer zerrinnen. — Mir iſt ſchwindelig, taumelig. —
So iſt einem der vom Feuer verzehrt wird, und kann
doch kein Waſſer dulden das es löſche. Du verſtehſt
mich nicht, und wenn Du noch ſo klug biſt und alles
verſtehſt, das Kind in Deine Bruſt geboren, das ver¬
ſtehſt Du nicht. — Ich weiß wohl wie mirs gehen
wird mein ganzes Leben, ich weiß es wohl. Leb wohl.


Bettine.


Heut haben wir den 19. Mai, am 7. Mai hats
zum erſtenmal gedonnert in dieſem Jahr, das wird grad
geweſen ſein wo Du das verdammte apokaliptiſche Fie¬
ber hatteſt.


Noch vierzehn Tag bleiben wir, alles blüht, ein Ab¬
hang voll Kirſchbäume, ſo dunkelrothe Stämmchen ſo jung
wie unſer eins, ich geh alle Morgen früh hinaus, und
ſuch die Raupenneſter dort ab, ſo viel ich hinan reichen
kann bieg ich die Zweige herab und brech die boshaften
Raupenneſter heraus, ſie ſollen ſich freuen dies Jahr, die
Bäume, und nicht mit kahlen Häuptern da ſtehen vor dem
Herbſt. — Ich thus auch, weil ich mich gegen Dich zu¬
2**[34] ſammen nehmen will, haſt Du Deine Regenbogenkränzchen
und Deine Mondcoterieen, wo Du übers Bewußtſein hin¬
ausſpazierſt, und das Heimkehren [vergißt], mit Deiner Hai¬
den, mit Deiner Nees, mit Deiner Lotte Serviere Reigen
im Sternen-Nebel tanzeſt, ſo hab ich meine einſame Un¬
terredungen mit den jungen Erbskeimen und mit den
Mirabellen und Reine claude und Kirſchbäumen in der
Blüthe, und geſtern war ich mit dem Gingerich drauß am
Goldweiher, da haben wir eine Hütte gemacht von
Moos, da haben die zwei jungen Wiedertäufer gehol¬
fen, der mit dem braunrothen Bart der ſo ſtolz drauf
iſt; der ſchöne Hans und der blonde Georg; ſie ließen
beide ihre Pflüge ſtehen und kamen heran mir zu hel¬
fen, und ſchnitten mir Tannenäſte herunter, und alles
was ich Loſes an mir hatte, damit hab ich die Äſte
feſtgebunden, mit meiner hellblauen Schärpe und mit
dem roſa Halstuch, wovon Du die andre Hälfte haſt
hab ich ſie zuſammengeknüpft, und am Nachmittag kam
der Savigny heraus und legte ſich in die Hütte, ſehr
vergnügt, und ich las vor, Gedichte vom Bruder Anton,
eine Waſſerreiſe nach den verſchiedenen Sauerbrünnchen
und ein Gedicht auf Euphroſine Maximiliane, und eine
philoſophiſche Abhandlung von einem gläſernen Eſel, der
auf einer blumenreichen Wieſe ſich ſatt gefreſſen hatte,
[35] und dem die ſeltenſten Blumen durch den Bauch ſchim¬
mern, und ihn ſo verſchönen daß er die Bewunderung
aller Laubfröſche iſt, die alle auf ihn hinaufhüpfen und
ſich vergebens abmühen in dieſem ſchönen Blumen-La¬
byrinth herum zu hüpfen, ſo müſſen ſie ſichs vergehen
laſſen, weil der gläſerne Bauch es umſchließt, und dann
die Moral iſt von dieſer wunderbaren Fabel: „Streben
nach unmöglichen Genüſſen hilft zu nichts und verdirbt
die Zeit,“ denn einmal hatte Gott ſchon früher dieſe
ſchöne Blumenweide zur Verſchönerung des Eſels be¬
ſtimmt und nicht zur Schwelgerei der Fröſche, und zwei¬
tens war der vornehme Eſel auch zu ganz was anderem
beſtimmt als zum Beluſtigungsort gemeiner Fröſche, denn
als ihn zwei verſtändige Philoſophen und Gelehrte aus
der an ſchönen Naturſeltenheiten reichen Stadt Frank¬
furt begegneten, ſo führten beide dieſen wunderſchönen Eſel
an einem grünſeidnen Band durch die Stadt. Am Gal¬
len-Thor wo ſie einpaſſirten, präſentirte die Stadtwache
das Gewehr vor ihm und auf dem Roßmarkt (alſo grade
vor Deinem Stift) verſammelten ſich alle Bürger und
begleiteten ihn mit Siegsgeſchrei auf den Römer, allwo
der Herr Bürgermeiſter mit allen Rathsherrn verſammelt
war, und die Herrn von der erſten Bank wie auch von
der zweiten und dritten ſtimmten alle ein in das Lob
[36] der Wunder Gottes, als ſie in dem Bauch des Eſels
die ſchönen Tulibanen, Levkoyen, Narciſſen, Hyazinthen,
Schwertlilien, Kaiſerkronen und vor allem die ſchönen
Roſen herum floriren ſahen. Als ſie deſſen ſattſam ſich
erfreut hatten, ſo ließ der Herr Bürgermeiſter fortfahren
in den angefangenen Rathſchlägen, und den gläſernen
Blumeneſel einſtweilen auf einem erhabenen Platz auf¬
ſtellen, wie nun der Rath vollendet war, welcher wegen
wichtigen Angelegenheiten etwas lange gedauert hatte,
und man den Eſel in die Raritätskammer führen wollte,
ſo hatte dieſer unterdeſſen ſeine Nothdurft verrichtet,
und es war keine einzige Blume in ſeinem Bauch ge¬
blieben, ſondern war alles zu Miſt geworden, und
der Bauch des Eſels ſah nicht anders aus als eine
ſchmutzige ranzige Ölflaſche. Die Stadtmuſikanten, welche
auf Befehl des Rathes herbeigekommen waren, um dieſe
ſchöne Naturſeltenheit Gottes mit Trommeln und Pfei¬
fen durch die löbliche freie Reichsſtadt zu geleiten, wur¬
den zum großen Leidweſen der Gaſſenbuben verabſchie¬
det, die aus Rache den armen Eſel mit Steinen war¬
fen, daß ſein gläſerner Bauch in tauſend Stücken ging
und er elendiglich ſich auf dem Scherbelhaufen vom
Dippenmarkt am Pfarreiſen zum Verſcheiden hinlegte,
wo er unter dem Geſpött und boshaften Zwicken ſeiner
[37] langen Ohren mit lautem Geſtöhn den Geiſt aufgab.
Die Moral und große weiſe Lehre von dieſer Fabel iſt:
Brüſte dich nicht vor deinem Ende; wenn das falſche
Glück dir den Bauch voll der ſchönſten Blumen ſtopft,
ſo zwingt Dich oft die Nothdurft, alles worauf Du einſt
ſo ſtolz ſein konnteſt, als ſtinkenden Miſt wieder von
dir zu geben, und jene ſo dir früher ſchmeichelten um
deiner ſeltnen Gaben willen, ſind dann grade die, welche
dich am unbarmherzigſten verfolgen. Hätteſt du Eſel, dich
nicht von ein paar überſpannten hochtrabenden Gelehr¬
ten verführen laſſen, deine Blumenſchönheit in der Stadt
Frankfurt, als eine bewundernswürdige Seltenheit zu
zeigen, ſondern wärſt du ruhig in deinen Stall gewan¬
dert, ſo konnteſt du ruhig deine Verdauung abwarten,
und jeden Tag in der Blumenzeit aufs neue deinen
Bauch mit lieblichen würzigen Speiſen füllen, und dein
Ruhm würde auch nicht ausgeblieben ſein, denn man
würde zu dir hinausgekommen ſein ins Feld um dich
zu bewundern. Die dritte Moral iſt die, daß doch ein
hochweiſer Rath es ſich zur warnenden Lehre nehme,
alles womit ein Eſel in ſeinem Bauche prahlt, ja nicht
hoch anzuſchlagen, da es nach kurzer Zeit doch immer
zu Miſt werden muß. —


Den Savigny und alle hat die Geſchichte des An¬
[38] ton höchlich amüſirt, es wurde noch viel gelacht und
zuletzt unter Geſang beim Untergehen der Sonne nach
Hauſe gewandert.


Ich wollte zwar früher zurückkommen und mein
Gewiſſen mahnt mich auch, nicht alles was ich dort
angefangen, ſo lang aus den Augen zu laſſen; aber
es ſchleicht ein Tag nach dem andern ſo anmuthig vor¬
über, und der Savigny iſt ſo anmuthig und kin¬
diſch, daß wir ihn nicht verlaſſen können, alle Augen¬
blick hat eins ihm ein Geheimniß anzuvertrauen, der
führt ihn in den Wald, der andre in die Laube und
die Gundel muß ſichs gefallen laſſen, und Geſcheutſein
iſt gar nicht Mode, der Clemens hat ihm ſchon ein
paar Wände mit abentheuerlichen Figuren vollgemalt,
und Verſe und Gedichte werden mit ſchwarzer Farbe
an alle Wände groß geſchrieben. Der Clemens hat
Wieland, Herder, Göthe und die Prinzeſſin Amalie
grau in grau gemalt und den dir bekannten Vers dazu.
—Heut muß ich aufhören, ich ſchick dir eine Schachtel
mit dem großen Maiblumenſtrauß, ſchmücke Dein Haus¬
altar und verrichte eine Andacht für mich, es iſt meine
liebſte Blum. Geh in Dich und frag Dich, wer Dir
am nächſten ſteht von allen Menſchen; und frag Dich
recht deutlich, wer ſich am liebſten an Dein Herz
[39] ſchmiegt ohne große Anforderungen an ein hyperboräi¬
ſches Glück, und da wirſt Du ſagen müſſen, daß ichs
bin, die allein das Recht hat, Dir nah zu ſtehen, und
wenn Du das nicht einſiehſt, ſo iſt der Schade mein,
aber Dein auch.


Bettine.

Beilage zum Brief der Bettine.
Der Aufſatz, der im Hemſterhuis lag.

Es ſind aber drei Dinge, aus dieſen entſpringt der
Menſch, nicht nur ein Theil oder eine Erſcheinung von
ihm, ſondern er ſelber mit allen Erſcheinungen in ihm,
und ſein Saame und Keim liegt in dieſen drei Dingen,
dieſe aber ſind die Elemente, aus welchen die ganze
erſchaffne Natur ſich in dem Menſchen wieder bildet.


Das erſte iſt der Glaube, aus dieſem entſpringt
der gewiſſe Theil des Menſchen, nemlich der Leib, oder
das Kleid des Geiſtes; der Gedanke; dieſer iſt die Ge¬
burt, und ſichtliche Erſcheinung des Geiſtes, und eine
Befeſtigung ſeines Daſeins. Der Glaube aber iſt Be¬
feſtigung und ohne dieſen ſchwebt alles und gewinnt
keine Geſtalt, und verfliegt, in tauſend Auswegen, die
die erſchaffende Natur noch nicht unter ſich gebracht
[40] hat, ſo wie der Natur Eigenſchaft aber iſt, den ewigen
Stoff, die Zeit zu bearbeiten, ſo iſt jener ihre Eigen¬
ſchaft, die Geſtalt von ſich abzuſtoßen und nicht anzu¬
nehmen, bis ſie von der Natur in ſeligem Kampf be¬
ſiegt iſt.


Der Glaube aber iſt die Erſcheinung Gottes in der
Zeit, der Glaube iſt Gewißheit und Ewigkeit. Die Er¬
ſcheinung Gottes iſt immer ewig, in jedem Augenblick,
und ſo iſt der Menſch ewig, denn ſein Sein iſt Gottes
Erſcheinung. Gott aber iſt Alles, das das Gute iſt als
Gegenſatz gegen Nichts, das das Böſe iſt.


Daher iſt auch alles in dem Menſchen, der die Er¬
ſcheinung Gottes iſt; daher begreift er einzig in ſich
Gott, und den Glauben an ihn, weil ſein Sein der
Glaube iſt, ſein Weſen aber Gott.


Was alſo der Menſch erblickt mit ſeinen Augen
außer ſich, das iſt Gottes Blick in ihm, was er aber
hört mit ſeinen Ohren außer ſich, das iſt Gottes
Stimme in ihm, was er aber fühlt mit ſeinem ganzen
Leib und Geiſt außer ſich, das iſt Gottes Berührung,
der Funke der Begeiſterung in ihm, was aber in ihm
iſt, das erſchafft und bildet aus ihm, was aber er¬
ſchaffen und außer ihm iſt, das ſpricht ihn an und bil¬
det ſich wieder in ihn hinein, in ihm aber liegt auch
[41] die Zeit, und es iſt das Werk des Erſchaffens nichts
anders, als die Zeit umwandlen in die Ewigkeit, wer
aber die Zeit nicht umwandelt in die Ewigkeit, oder
die Ewigkeit herabziehet in die Zeit, der wirkt böſes,
denn alles was ein Ende nimmt, das iſt böſe.


Die Ewigkeit in die Zeit herabziehen, aber heißt
wenn die Zeit der Ewigkeit mächtig wird, wenn die
Nichtigkeit mächtiger wird, als die Gewalt des Schaf¬
fens, wenn der Stoff des Meiſters ſich bemeiſtert, der
ihn behandelt.


Böſe iſt alſo der Selbſtmord, denn der Willen der
Vernichtung iſt zeitlich, und der Gedanke geht in ſich
ſelbſt zu Grund, weil er ein Kleid der Zeitlichkeit iſt,
nicht aber eine ſichtbare Erſcheinung des ewigen Gei¬
ſtes, und hier lehnt ſich der Stoff — die Zeit, gegen
ſeinen Meiſter (das Schickſal der Ewigkeit) auf.


Wenn man aber ſagt, der Menſch iſt im Guten
geboren, ſo iſt dieſes wahr, weil er im Glauben gebo¬
ren iſt; wenn man aber ſagt, er hat das Böſe nicht,
ſondern er zieht es nur an, ſo iſt dieſes nicht wahr,
denn er hat die Kraft, das Böſe von ſich zu ſtoßen,
nicht aber es an ſich zu ziehen, denn das Böſe iſt die
Zeit, und ſie dient zur Nahrung für das Göttliche und
Ewige, die Zeit aber frißt die Ewigkeit und den Geiſt,
[42] der ewig ſein ſoll, wenn er ſich nicht ihrer bemächtigt
und ſich zur Nahrung nimmt; denn das iſt das Böſe,
daß das Zeitliche, Irdiſche, das ewige Himmliſche ver¬
ſchlingt, das Gute aber iſt, wenn das ewige Himm¬
liſche das Irdiſche in ſich umwandelt, und alles zu
Gott in ihm macht.


Gott aber hat das Zeitliche nicht in ſich, denn ſein
Sein iſt die Umwandlung des Zeitlichen ins Himm¬
liſche, weil er aber iſt, ſo iſt die Ewigkeit.


Die Vernunft aber iſt eine Säule, feſtgepflanzt in
dem Menſchen, ſie iſt aber ewig, und alſo eine Stütze
des Himmels, und wie ſie eingegraben iſt in uns und
mit uns eins iſt, ſo geht ihr Haupt in die Wolken,
und in ihrer Wurzel liegt die Zeit, aber wie ſich aus
dem Stoff der Geiſt entwickelt, ſo entwickelt ſich die
Ewigkeit aus dieſer Zeit, und ſteigt in der Vernunft
zur Ewigkeit, und der Menſch wird durch die Vernunft
aus einem Irdiſchen ein Himmliſches.

[43]

An die Bettine.

Frankfurt.


Melonen, Ananas, Feigen, Trauben und Pfirſich
und die Fülle ſüdlicher Blüthen, die eben in eurem Hauſe
ſorglich verpackt werden, haben mir Luſt gemacht, Dir
das Violen- und Narciſſenſträußchen (Wan¬
del und Treue) beizulegen, ich hätte mich gern ſelbſt
mit hineingelegt. Der Heliotrop mit den Nelken und
Jasmin zuſammen iſt ein aparter Strauß vom Gontard
für Dich, er trug mir auf, es Dir zu melden. Es iſt
mir jetzt recht traurig, da Du fort biſt. — Das Schick¬
ſal fröhnt Deiner Zerſtreutheit, bei Euch auch iſt ein
ewiges Wandern
, Kommen, Gehen. Ich bitte
Dich, ſchreib wie lange Ihr bleibt, oder zu bleiben ge¬
denkt. Erſt wollt ich nicht, daß Du hier bliebſt, und
wärſt Du nun ſchon wieder da! — Es iſt keine heitere
Zeit in mir, viel Muſe und keine Begeiſtrung für ſie;
man hängt von manchem ab, dem man gar keinen Ein¬
fluß zugeſtehen würde, die Gewohnheit, Dich zu erwarten
am Nachmittag, hängt mir wie ein zerrißner Glocken¬
ſtrang in den Kopf! — Und doch muß ich immer in die
Ferne lauſchen, ob ich Deinen Tritt nicht höre.


[44]

Der Sommer in der Stadt, — es bedroht mich ganz
dämoniſch, den hellen Himmel zu verſäumen. — Meine
Spaziergänge um das Eſchenheimer Thor ertödten mich
gänzlich. Auch die Engländer wollen Euch dieſe Woche
noch beſuchen, alles geht fort.


Schreib mir viel, auch über meine Sachen, ich
ſchicke dann mehr. Daß ich als Narciß mich gegen
Dich verſchanze, beſſer wie im Geſpräch, wo Du immer
recht behältſt, mußt Du Dir gefallen laſſen, ſo mein
ichs, und ſo hab ich Recht und Du haſt Unrecht; und
ich meine, Du könnteſt immer zufrieden ſein damit, ſo
empfunden zu ſein durch Deine eigne friſche Natur,
daß Du meiner ſicher biſt. Wer im Ganzen etwas
ſein kann, der wird ſich auch fühlbar zu machen wiſſen,
und ſo wird der Wandel nirgend anders als bei der
Treue heimkehren, denn ſie iſt die Heimath. Du biſt
ja auch heute nicht was Du geſtern geweſen, und doch
biſt Du eine ewige Folge Deiner ſelbſt. Mir ſcheint
es noch außerdem höchſt verkehrt durch ſelbſtiſches Be¬
ſtehen auf dem, was nur wie Sonnenſchein vorüberge¬
hendes Geſchenk der Götter iſt, dem Geiſt die Freiheit
zu verkümmern. Treue wächſt in dem Geiſt auf der
liebt, gedeiht ſie zu einem ſtarken Baum, ſo wird kein
Eiſen ſo ſcharf ſein, ihn auszurotten, aber ehe die
[45] Treue von ſelbſt ſtark geworden, kann man ihr nichts
zumuthen, ſie würde nur bei einer Anforderung ihr auf¬
keimendes Leben einbüßen, wenn ſie aber einmal voll¬
kommen ausgebildet iſt, dann iſt ſie kein Verdienſt
mehr, dann iſt ſie Bedürfniß geworden, Lebensathem; —
ſie hat keine Rechte mehr zu befriedigen, weil ſie ganz
organiſches Leben geworden iſt. — Das ſei unſre Sorge,
daß jede Lebensregung eigenthümliches, organiſches Le¬
ben werde, das ſei unſre Fundamental-Treue, durch die
wir in allem Erhabenen mit den Göttern uns vermäh¬
len. Bis dahin laß uns einander treffen in ihrem Tem¬
pel, die Gewohnheit, uns da zu finden, einander die
Hand zu bieten in gleicher Abſicht, die wird den Baum
der Treue in uns pflegen, daß er als ſelbſtſtändiges
Leben von uns beiden ausgehe und ſtark werde.


Ich habe mich mit dem Gedanken oft herumgetra¬
gen, ob nicht alles, was ſich vollkommen und alſo le¬
bendig in der Seele ausbilde, ein ſelbſtſtändiges Leben
gewinnen müſſe, das dann, als willenskräftige Macht,
(wie jene Treue, mit der Du mich magnetiſirſt) Men¬
ſchengeiſter durchdringt, und ſie zu höherem Daſein in¬
ſpirirt. — Was ſich im Geiſt ereignet iſt Vorbereitung
einer ſich ausbildenden Zukunft, und dieſe Zukunft ſind
wir ſelber. — Du ſagſt, alles gehe ins Innere herein
[46] und Du empfändeſt die Welt nicht von außen. Aber iſt
denn die äußere Welt nicht Dein Inneres? — oder
ſoll ſie es nicht werden? — von innen heraus lernt
man Sehen, Hören, Fühlen, um das Äußere ins In¬
nere zu verwandlen, das iſt nicht anders als wie wenn
die Bienen den Blumenſtaub in die Kelche vertragen, die
für die Zukunft ſich befruchten ſollen. In der Seele
liegt die Zukunft in vielfältigen Knospen, da muß aus
reiner Geiſtesblüthe der lebendige Staub hinein getra¬
gen werden. Das ſcheint mir Zukunft zu ſein. — Jahre
vergehen gleich einem tiefen Schlaf, wo wir nicht vor¬
wärts und nicht zurück uns bewegen, und wirkliche
Zeitſchritte ſind nur die, in denen der Geiſt die Seele
befruchtet, in der Zeiten Raum geht das wirkliche Le¬
ben aus ſolchen einzelnen befruchtenden Momenten wie
die Blüthenperlen dicht an einander auf. — Was iſt
auch Zeit in der nichts vorgeht? — die nicht vom Geiſt
befruchtet iſt? — Pauſe, bewußtloſes Nichts! — Raum,
den wir durchſchreiten, der noch unerfüllt iſt. — Aber
jene Momente müſſen noch ſo dicht geſäet werden, daß
der ganze Raum ein ewiges Blüthenmeer von befruch¬
tenden Lebensmomenten ſei. — Alle Anreizung in ſelbſt¬
ſtändiges Leben entwicklen, das Geiſt-bewaffnet nach
eigenthümlicher Weiſe die Zukunftsblüthen erweckt, das
[47] allein iſt lebendige Zeit, aber uns ſelbſt für abgeſchloſſen
halten, und einer Zukunft entgegenſchreiten, die nicht
wir ſelbſt ſind, das ſcheint mir Unſinn und eben ſo
wenig wahr, als wenn unſere Einſicht nicht Folge un¬
ſeres Begriffs wäre. Ich habe mich zuſammengenommen,
um deutlich zu ſein, allein das iſt das ſchwerſte, man
empfindet etwas unwiderſprechlich und kanns dennoch
nicht ausſprechen. — Deine Eiferſucht um mich, die ich
wahrhaftig erſt für Laune hielt, ſpäter aber ihr Ge¬
rechtigkeit widerfahren ließ, obſchon ich ſie nicht billi¬
gen kann, leitete mich zu dieſen Betrachtungen. Ich
bin Dir nicht entgegen Bettine, daß Du mit Ernſt und
auch mit beſonderem und vielleicht auch mit mehr Recht
Theil an mir habeſt, wie alle die andern; denn da wir
ſo unwillkührlich manchem lebendigen Begriff, nur ge¬
genſeitiger Berührung zu danken haben, und ich mehr
Dir, als Du mir, ſo ſollte dies organiſche Ineinander¬
greifen, uns auch frei machen von jeder kleinlichen Ei¬
genſucht, und wir ſollten wie die Jünglinge, während
ſie nach dem Ziel laufen, nicht uns Zeit gönnen, an
was anders zu denken, als im ſchwebenden Lauf aus¬
zuharren. Und was habe ich auch am Ende von allen
Andern? — Du kannſt Dir das ſelbſt wohl beantwor¬
[48] ten, und Deiner Seele darüber den höchſten Frieden,
gönnen. —


Schreibe, wenn Du antworteſt, auch einen Brief
für den Clemens, er mahnt in ſeinem Schreiben an
mich darum, es wird ihm ſehr überraſchend ſein, wenn
er Deinen Aufenthalt im Schlangenbad erfährt. Adieu!
ſchreib bald.


Karoline.


Beilage zum Brief der Günderode.
Wandel und Treue.

Violetta.


Ja. du biſt treulos! laß mich von dir eilen;
Gleich Fäden kannſt du die Empfindung theilen.
Wen liebſt du denn? und wem gehörſt du an?


Narziß.


Es hat Natur mich alſo lieben lehren:
Dem Schönen werd' ich immer angehören
Und nimmer weich ich von der Schönheit Bahn.


Violetta.


So iſt dein Lieben wie dein Leben, wandern!
Von einem Schönen eileſt du zum Andern,
Berauſcheſt dich in ſeinem Taumelkelch,
Bis Neues ſchöner dir entgegen winket —


Nar¬[49]

Narziß.


In höh'rem Reiz Betrachtung dann verſinket
Wie Bienenlippen in der Blume Kelch.


Violetta.


Und traurig wird die Blume dann vergehen,
Muß ſie ſich ſo von dir verlaſſen ſehen!


Narziß.


O Nein! es hat die Sonne ſie geküßt.
Die Sonne ſank, und Abendnebel thauen.
Kann ſie die Strahlende nicht mehr erſchauen,
Wird ihre Nacht durch Sternenſchein verſüßt.
Sah ſie den Tag nicht oft im Oſt verglühen?
Sah ſie die Nacht nicht thränend ſtill entfliehen?
Und Tag und Nacht ſind ſchöner doch als ich.
Doch flieht ein Tag, ein Andrer kehret wieder;
Stirbt eine Nacht, ſinkt eine Neue nieder,
Denn Tröſtung gab Natur in jedem Schönen ſich.


Violetta.


Was iſt denn Liebe, hat ſie kein Beſtehen?


Narziß.


Die Liebe will nur wandlen, nicht vergehen;
Betrachten will ſie alles Treffliche.
Hat ſie dies Licht in einem Bild erkennet,
Eilt ſie zu Andern, wo es ſchöner brennet,
Erjagen will ſie das Vortreffliche?


3[50]

Violetta.


So will ich deine Lieb' als Gaſt empfangen;
Da ſie entfliehet wie ein ſatt Verlangen,
Vergönnt mein Herz Ihr keine Heimath mehr.


Narziß.


O ſieh den Frühling! gleicht er nicht der Liebe?
Er lächelt wonnig, freundlich, und das trübe
Gewölk des Winters, niemand ſchaut es mehr!
Er iſt nicht Gaſt, er herrſcht in allen Dingen,
Er küßt ſie Alle, und ein neues Ringen
Und Regen wird in allen Weſen wach.
Und dennoch reißt er ſich aus Tellas Armen,
Auch andre Zonen ſoll ſein Hauch erwärmen,
Auch Andern bringt er neuen, ſchönen Tag.


Violetta.


Haſt du die heil'ge Treue nie gekennet?


Narziß.


Mir iſt nicht Treue was ihr alſo nennet,
Mir iſt nicht treulos was euch treulos iſt! —
Wer den Moment des höchſten Lebens theilet,
Vergeſſend nicht, in Liebe ſelig weilet;
Beurtheilt noch, und noch berechnend, mißt;
Den nenn' ich treulos, — ihm iſt nicht zu trauen,
Sein kalt Bewußtſein wird dich klar durchſchauen
Und deines Selbſtvergeſſens Richter ſein.
Doch ich bin treu! Erfüllt vom Gegenſtande
[51] Dem ich mich gebe in der Liebe Bande
Wird Alles, wird mein ganzes Weſen ſein.


Violetta.
Giebt's keine Liebe denn, die dich bezwinge?


Narziß.


Ich liebe Menſchen nicht, und nicht die Dinge,
Ihr Schönes nur, — und bin mir ſo getreu.
Ja Untreu' an mir ſelbſt wär andre Treue,
Bereitete mir Unmuth, Zwiſt und Reue,
Mir bleibt nur ſo die Neigung immer frei.
Die Harmonie der inneren Geſtalten
Zerſtören nie die ordnenden Gewalten
Die für Verderbniß nur die Noth erfand. —
Drum laß mich, wie mich der Moment geboren.
In ew'gen Kreiſen drehen ſich die Horen;
Die Sterne wandeln ohne feſten Stand,
Der Bach enteilt der Quelle, kehrt nicht wieder,
Des Lebens Strom, er woget auf und nieder
Und reißet mich in ſeinen Wirbeln fort.
Sieh alles Leben! es hat kein Beſtehen,
Es iſt ein ew'ges Wandern, Kommen, Gehen,
Lebend'ger Wandel! buntes, reges Streben!
O Strom! in dich ergießt ſich all mein Leben!
Dir ſtürz ich zu! vergeſſe Land und Port!


3*[52]

An die Günderode.

Den erſten Tag als wir ankamen wars ſo heiß,
daß es mehr wie unerträglich war; wir warfen unſere
Nankin-Reiſe-Jacken aus, und legten uns in den Un¬
terkleidern, in Hemdsärmel, auf dem Gang vor unſerer
Zimmerthür ins Fenſter, von da kann man verſteckt
hinter Bäumen, auf eine Terraſſe ſehen, wo ſich die Ge¬
ſellſchaft zum Thee bei der Kurprinzeſſin von Heſſen
verſammelt, die grade unter uns wohnt. Das machte
mir Spaß, man konnte Manches verſtehen, und ein
Wort aus der Ferne, wenns auch an ſich unbedeutend
iſt, iſt immer anregend wie eine Comödie. Doch hat
das Vergnügen dran nicht lang gedauert; ein krebsro¬
ther Kammerherr, der mir im Anfang Vergnügen machte
zu ſehen, wie er hin und wieder lief, und den Frauen
allerlei in die Ohren ziſchelte, und dann ein Herzog
von Gotha mit langen Beinen, rothem Haar und ſehr
melancholiſchen Geſichtszügen und ein großes weißes
Windſpiel zwiſchen den Knieen, der trägt einen le¬
berfarbnen Rock; dann viele Damen mit überflüſſigem
Putz, die Hauben auf hatten, als wärs die Flotte vom
Nelſon mit aufgeſchwellten Segeln, und dann fran¬
[53] zöſiſche Schiffe, wenn ſo zwei mit einander parlierten,
das war grad als ob einzelne Schiffe handgemein wür¬
den, bald brüſtete ſich das Schiff, dann thronte es wie¬
der, dann ſtreckte es ſeinen Schnabel in die Höh, und
Herren und Damen von beſonderer Affection gegen ein¬
ander; bald zerſtreuten ſie ſich auf der Promenade, und
plötzlich ſtand der rothe Kammerherr hinter uns auf
dem Gang. Die Tonie entſetzte ſich, und ging ins Zim¬
mer, ich aber war gar nicht erſchrocken und fragte, was
er wünſche; er war verlegen und ſagte, er wünſchte
der Dame Bekanntſchaft zu machen; ich fragte: warum
werden ſie denn ſo roth, er ward noch rother und
wollte mich bei der Hand nehmen, ich ſagte: Nein! und
ging ins Zimmer, er drängte ſich mir nach, ich rief:
Tonie helf mir den Mann bezwingen, ſie war aber ſo
voll Angſt, daß ſie ſich nicht vom Platz regte, denk Dir
nur, und ich lehnte mich mit aller Gewalt wider die
Thür und der rothe Mann dazwiſchen, der durch wollte;
ich rief: Tonie zieh an der Schelle, denn unſre Bedien¬
ten waren alle noch am Packwagen beſchäftigt, aber
die Tonie fand den Schellenzug nicht; — der unartige
Mann, immer wollte er doch noch herein, wo er doch
ſah, daß man ihn nicht wollte, ich konnt gar nicht be¬
greifen, was er wollte, ich dachte einen Augenblick er
[54] wolle uns umbringen, ich erwiſchte einen Sonnenſchirm,
der an der Thür ſtand, und ſtach mit dem nach ſeiner
Lunge oder Leber, ich weiß nicht — er zog ſich zu¬
rück und die Thüre fiel ins Schloß, da ſtand ich wie
einer, der über Berg und Thal gejagt war von einem
Geſpenſt, ich konnte eine viertel Stunde keinen Athem
kriegen; ich dachte wirklich er ſei ein Mörder, ich hatte
ſchon allerlei Anſchläge im Kopf, wie ich ihn erwürgen
wollte. Die Tonie lachte und ſagte, geh doch, ein Kam¬
merherr und ein Mörder; ſie meinte, er ſei nur ein
boshafter und gemeiner Schelm, wies deren am Hof
die meiſten ſeien. — Wir haben aber den Bedienten
die Nacht vor der Schlafzimmerthür ſchlafen laſſen und
die Liſette zu uns ins Zimmer genommen, ich konnte
aber die ganze Nacht nicht ſchlafen, mich ſtörte es, daß
der Diener vor der Thür lag. Es iſt doch zum erſten
Mal in meinem Leben, daß ich Angſt hatte, aber denk
doch nur, am andern Tag meldet uns der Bediente den
rothen Herrn, er komme von der Fr. Kurprinzeſſin mit
einem Auftrag und ließ ſehr bitten, ihn anzunehmen,
ich rufe Nein! wir wollen von keiner Kurprinzeſſin was
wiſſen, die Tonie aber ſagt, das geht nicht an, wir
müſſen ihn annehmen. Ich bewaffnete mich mit dem
Sonnenſchirm als er eintrat und uns zur Frau Kur¬
[55] prinzeſſin zum Thee auf die Terraſſe einlud, zugleich
machte er viele Entſchuldigungen, er habe gar nicht ge¬
ahnt, wer wir ſeien, weil wir in Hemdsärmel im Fen¬
ſter gelegen haben; ich war ſtill, aber ich war ſehr er¬
grimmt über den rothen Mann. Als wir bei der Kur¬
prinzeſſin vorgeſtellt waren, die mich bei der Hand
nahm und ins Geſicht küßte, da ſaßen wir alle in ei¬
nem Kreis, und der Rothe ſtellte ſich hinter mich, daß
ich ſeinen Athem fühlte, das kränkte mich ſehr, ich
ſagte, gehen Sie fort hinter mir Sie garſtiger Mann,
da lief er weg, aber die Tonie ſah mich ſehr ernſthaft
an, und wie wir wieder oben waren, da ſchmälte ſie,
daß ich ſo laut geſprochen habe, das iſt mir aber einer¬
lei, ich kann ihn nicht in meiner Nähe leiden, was liegt
mir dran, obs die Kurprinzeſſin merkt, wenn ſie frägt,
ſo ſag ich, er hat uns wollen ermorden in unſerem
Zimmer, und dann kann er ſich nachher vertheidigen,
wenns nicht wahr iſt, und kann ſagen warum er uns
ſo mörderiſcher Weiſe angefallen hat. — Die Tonie
will auch nicht, daß ich Abends allein ſpazieren gehe,
ſie ſagt der Kammerherr könnte mir begegnen, ſo muß
ich immer einen hinter mir drein laufen haben. — Es
iſt nichts ſchöner als ſo ein Spaziergang im Nebel,
mit dem ſich, wenn die Nacht kommt, alle Schluchten
[56] füllen und in tauſenderlei Geſtalten im Thal herum¬
tanzt und an den Felſen hinauf. — Aber einen hinter
mir drein laufen zu haben das iſt mir verdrießlich. —
Ich kann nicht dichten wie Du Günderode, aber ich
kann ſprechen mit der Natur, wenn ich allein mit
ihr bin, aber es darf niemand hinter mir ſein, denn
grad das Alleinſein macht, daß ich mit ihr bin. Auf der
grünen Burg im Graben, im Nachtthau, da war es
auch ſchön mit Dir, es ſind mir meine liebſte Stunden
von meinem ganzen Leben, und ſo wie ich zurückkomm,
ſo wollen wir noch acht Tage zuſammen dort wohnen,
da ſtellen wir unſere Betten dicht neben einander und
plaudern die ganze Nacht zuſammen, und dann geht
als der Wind und klappert in dem rappeligen Dach,
und dann kommen die Mäuschen und ſaufen uns das
Öl aus der Lampe und wir beiden Philoſophen halten,
von dieſen Zwiſchenſcenen lieblich unterbrochen, große
tiefſinnige Speculationen, wovon die alte Welt in ih¬
ren eingeroſteten Angeln kracht, wenn ſie ſich nicht gar
umdreht davon. — Weißt Du was, Du biſt der Pla¬
ton und Du biſt dort auf die Burg verbannt, und ich
bin Dein liebſter Freund und Schüler Dion, wir lieben
uns zärtlich und laſſen das Leben für einander, wenns
gilt, und wenns doch nur wollt gelten, denn ich möcht
[57] nichts lieber als mein Leben für Dich einſetzen. Es iſt
ein Glück — ein unermeßliches, zu großen heroiſchen Tha¬
ten aufgefordert ſein. Für meinen Platon, den großen
Lehrer der Welt, den himmlichen Jünglingsgeiſt mit
breiter Stirn und Bruſt, mit meinem Leben einſtehen!
Ja ſo will ich Dich nennen künftig, Platon! — und einen
Schmeichelnamen will ich Dir geben, Schwan will ich
Dir rufen, wie Dich der Socrates genannt hat, und
Du ruf mir Dion. —


Es wächſt hier viel Schierling in dem feuchten
Moorgrund, ich fürchte es aber nicht, obſchon's Gift iſt;
es iſt mir ein geheiligt Kraut, ich breche es ab im Vor¬
übergehn und berühre es mit meinen Lippen, weil der
Socrates den Schierlingsbecher getrunken. Lieber Pla¬
ton, es iſt meine Reliquie, die mich von böſen Schwä¬
chen heilen ſoll, daß ich vor dem Tod nicht verzagen
muß, wenn es gilt. — Gute Nacht mein Schwan, gehe
dort ſchlafen auf dem Altar des Eros. —


Am Sonntag. — Schlangenbad.


Hier iſt auch eine Kapelle, und eine kleine Orgel, die
hängt an der Wand, die Kapelle iſt rund, ein mäch¬
tiger Altar nimmt faſt den ganzen Platz ein, ein gro¬
ßer goldener Pelikan krönt ihn, der einem dutzend Jun¬
3**[58] gen ſein Blut zu trinken giebt. Das Ende der Predigt
hörte ich aus als ich hineinkam, ich weiß nicht, wars
der goldne Pelikan, die mit vielen Spinnweben über¬
florten Zierrathen und Kränze von Golddrath, die fri¬
ſchen Sträußer daneben, von Roſen und gelben Lilien
und die düſteren Scheiben, wo oben grad über dem
Pelikan die dunkelrothen und gelben Scheiben die Son¬
nenſtrahlen färben. Der Geiſtliche war ein Franziska¬
ner aus dem Kloſter bei Rauenthal. „Wenn ich jetzt
von Unglück ſprechen höre, ſo fallen mir immer die
Worte Jeſu ein, der zu einem Jüngling ſagte, der un¬
ter ſeine Jünger wollte aufgenommen werden: die Füchſe
haben Gruben, die Vögel des Himmels haben ihre Ne¬
ſter, aber des Menſchen Sohn hat keinen Stein, da er
ſein Haupt hinlege. — Ich frage Euch, ob durch dieſe
Worte allein, nicht ſchon alles Unglück gebannt iſt? —
Er hatte keinen Stein, um auszuruhen, viel weniger
einen Gefährten, der ihm ſein irdiſch Leben heimathlich
gemacht hätte, und doch wollen wir klagen, wenn uns
ein geliebter Freund verloren geht, wollen uns nicht
wieder aufrichten, finden es nicht der Mühe werth, ins
Leben uns zu wagen, werden matt wie ein Schlaf¬
trunkner. Sollten wir nicht gern die Gefährten Jeſu
ſein wollen, wenn die Noth uns trifft? ſollten wir
[59] nicht Helden ſein wollen neben dieſem großen Überwin¬
der, der ein ſo weiches Herz hatte, daß er aus lieben¬
dem Herzen die Kinder zu ſich berief, daß er den Jo¬
hannes an ſeiner Bruſt liegen hieß? Er war menſchlich, wie
wir menſchlich ſind, was uns zu höheren Weſen bildet,
nemlich das Bedürfniß der Liebe, und zu ſelbſtverläug¬
nenden Opfern befähigt, das war die Grundlage ſeiner
göttlichen Natur, er liebte und wollte geliebt ſein, be¬
durfte der Liebe; weil nun die Liebe auf Erden nicht
zu Hauſe war, ſo fand er keinen Stein, da er ſein
Haupt ruhen konnte, da verwandelte ſich dieſes reine
Bedürfniß der Liebe in das göttliche Feuer der Selbſt¬
verläugnung, er brachte ſich dar, ein Opfer für die ge¬
liebte Menſchheit, ſein Geiſt ſtrahlte wieder himmel¬
wärts, von wo er in ſeine Seele eingeboren war, wie
die Opferflamme hinaufſteigt ein Gebet für den Ge¬
liebten, und dies Gebet iſt erhört worden, denn wir
fühlen uns allzumal durch dieſe Liebe geläutert, und
wenn wir uns ihrer Betrachtung weihen, ſo werden
wir göttlich durch ihr Feuer, und dieſes iſt wie der
Odem Gottes, der alles ins Leben ruft, jeden Keim des
Frühling, ſo auch ruft nun die Liebe Jeſu, die auf Er¬
den nicht begnügt und beglückt konnte werden, zu ſich,
alle die mühſelig und beladen ſind, ſie ſind verſchloſſne
[60] thränenſchwere Knospen, die mächtige Sonne der gött¬
lichen Liebe wird ſie zum ewigen Leben der Liebe wecken,
denn dies iſt alles Lebens, alles Strebens Ziel auf Er¬
den. Amen.“ Dieſe ſchönen Worte waren die einzigen,
welche ich von der Predigt hörte, aber ſie waren mir
genügend, um mich den ganzen Tag zu begleiten, ſie
klangen wie ein himmliſch Geläut in mein Ohr, wie
ein ſchöner Sonntag-Morgen; als Alles zum Tempel
hinaus war, ging ich von der Emporkirche herab in
die runde Kapelle, ein andrer Prieſter hatte eben die
Meſſe geleſen, es kam ein alt Mütterchen, die löſchte
die Kerzen und räumte auf; ich frug ob ſie Sacriſtan
ſei, ſie ſagte ihr Sohn ſei Küſter, aber der ſei heut
über Land, ich frug wo ſie die vielen Blumen hernehme,
da ich doch nirgend einen Blumengarten geſehen, ſie
ſagte die Blumen ſind aus unſerem Garten, mein Sohn
pflegt ſie alle; ich hatte eine rechte Luſt mit in den
Garten zu gehen, das war ſie zufrieden; das iſt ein
Garten, ſo groß wie der Hof von unſerem Haus, an
der weißen Wand des Hauſes wachſen Trauben und
ein paar hohe Roſenbüſche ſind dazwiſchen verflochten,
Roſen und Trauben, ich kann mir keine ſchönere Ver¬
mählung denken, Ariadne und Bacchus. Ein hölzern
Bänkchen war da an der Mauer, ich ſetzte mich ganz
[61] ans End, und die Frau neben mich, es war kaum
groß genug, daß wir Platz hatten, ich mußte recht dicht
an die Frau heranrücken, ich legte meine Hand in ihre
auf ihren Schooß, ſie halte eine ſo harte Hand, ſie
ſagt das ſind Schwülen vom Graben im Land, denn
hier iſt ein felſiger Boden. Du glaubſt nicht, wie ſchön
der Garten in der Sonne lag, denn jetzt iſt grade die
reichſte Blumenzeit, alles iſt doch ſo ſchön; wenn die
Natur mit Ordnung bedient wird, gleich iſts ein Tem¬
pel, wo ihre Geſchöpfe als Gebete aufſteigen, gleich
iſts ein Altar, der voll kindlicher Opfergeſchenke bela¬
den iſt. — So iſt das Gärtchen mir ſeinen reinlichen
Kieswegen und buchsbaumnen Feldertheilchen; der Buchs¬
baum iſt ſo ein rechter Lebensfreund, von Jahr zu
Jahr umfaßt und ſchützt er was der Frühling bringt,
es keimt und welkt in ſeiner Umzäunung und er bleibt
immer der grüne Treue, auch unterm Schnee, das ſagt
ich der alten Frau, die ſagte, ja das iſt wohl wahr, der
Buchsbaum muß alles Schickſal mitmachen. — Aber
ſtell Dir doch das hübſche Gärtchen vor, links vom
traubenbewachsnen Haus die Mauer mit Jasmin; ge¬
genüber im Schatten eine recht dichte Laube von Geis¬
blatt, der Eingang zum Haus von beiden Seiten mit
hohen Lilien beſetzt. So viel Levkoyen, ſo viel Ranun¬
[62] keln, ſo viel Ehrenpreiß und Ritterſporn und Lavendel,
ein Beet mit Nelken, ein Maulbeerbaum in der einen
Ecke und in der andern geſchützt gegen die kalten Winde,
zwei Feigenbäume mit ihren lieben rein gefalteten Blät¬
tern, ich war ganz erfreut Kameraden von meinem
Baum zu finden, unter denen ſpringt ein Quellchen her¬
vor in einen Steintrog, da kann die Frau gleich ihre
Blumen begießen, und in den offnen Fenſtern hing ein
Käfig mit Kanarienvögel, die ſchmetterten ſo laut. Ach
es war recht Sonntagswetter, und Sonntagslaune in
der Luft, und Sonntagsgefühl in meinem Herzen. Ich
bitte Dich, ſorg das mein Baum von der Lisbet nicht
verſäumt werde, er muß bald reife Früchte haben, wenn
er ſo weit iſt wie die im Küſtergärtchen, die brech Dir ab.
— Die Frau ſchüttelte mir Maulbeeren ab, die ſam¬
melte ich auf einem Blatt und einen Strauß von Nel¬
ken und Ehrenpreiß und Ritterſporn hatte ich mir auch
gepflückt; und wie ich ſo da ſteh ganz ſtill in der Sonn,
da kommt der geiſtliche Herr aus der Thür, er hatte da
ſein Frühſtück genoſſen, was die Küſterfrau immer nach
der Kirche bereit hält. — Der Geiſtliche iſt ein ſchöner
ganz ſtiller Kopf, und ſanfte Augen, und noch jung.
Mich ſtrahlten die ſchönen Worte, die ich von ihm ge¬
hört hatte, noch einmal aus ſeinem Geſicht an, ich
[63] konnte auch aus Ehrfurcht ihm nichts ſagen, er ſah
mich aber freundlich an und ſagte: Ei wie! ſchon reife
Maulbeeren; ich reichte ihm die Maulbeeren, er nahm
auch welche davon, und den Strauß nahm er mir auch
ab und ſteckte ihn in ſeinen Ärmel, denn ich war ſo
überraſcht, als ich ihn kommen ſah, daß ich nicht wußte
was ich that, und ihm beide Hände entgegenſtreckte, ich
wußte gar nicht, daß ich ihm den Strauß geboten hatte,
und erſt als er mir ihn mit einem Dank abnahm,
merkte ichs. Nun ging er weg und ich blieb betäubt
ſtehen, der Spitzhund aber begleitete ihn ſehr höflich
vor die Gartenthür, ich hörte ihn noch vor der Thür
freundlich mit dem Hund ſprechen: Geh nach Haus
Lelaps ſagte er. — Ich war recht vergnügt, und mehr
als all die Tage über auf der Terraſſe, mit meinem
Sonntagmorgen.


Wie ich nach Haus kam waren alle bei Leonhardi
verſammelt und tranken Chocolade; ſie fragten wo ich
geblieben war nach der Kirche, ich erzählte daß ich im
Küſtergärtchen geweſen und hätte den lieben Prediger
geſehen. Da war aber ſchon die Kritik drüber her ge¬
weſen und hatte die Unmöglichkeiten von unchriſtlicher
Geſinnung drin gefunden; der Mann iſt berühmt und
Leonhardis waren aus Neugierde auch drin geweſen
[64] und die Engländer und die Lotte und der Voigt,
und noch ein paar Stiftsfräulein die Leonhardis ken¬
nen, der Fritz lag auf dem Bett ganz blauſchwarz
von ſeinem Stahlbad, aus dem er eben gekommen war,
wenn das noch lange dauert ſo wird er ein Mohr. Du
hätteſt dieſen Schnattermarkt mit anhören ſollen, und
der Niklas Voigt der im Mainzer Dialekt ſie alle aus¬
lachte und die Lotte mit der beſten Weisheit verſehen
und der Chriſtian Schloſſer, was jeder ſagte oder viel¬
mehr über die andern hinausſchrie, das verſtand ich
nicht, alſo noch weniger was jeder meinte, aber der Nik¬
las Voigt, dem Lotte in Ermanglung eines beſſeren Au¬
ditoriums ihre Weisheit übermachte, taumelte wie ein
Betrunkener um den geſchloſſenen Zirkel der Disputiren¬
den, bejahte alles was ſie ſagten, und dann rief er wie¬
der: „in meinem Leben hab ich kein ärger Kauderwälſch
gehört als die Narren da durcheinander ſchreien, hören
ſie doch Bettine was die vor Zeug ſchwätzen,“ und dann
ſchrie er wieder drein ſie hätten ganz recht, ſo ein Pre¬
diger wär ein eitler Narr, ich ſagte: Ei Voigt! — „Nun
was wollen Sie denn machen wenn Sie mitten unter
den Wölfen ſind ſo müſſen Sie mit heulen, daß dich, daß
dich, was vor kapitale Narren ſinds! Ei freilich iſt ein
Prediger ein Narr, der ſeine himmliſche Weisheit ſo vor
[65] die Narren giebt,“ — und ſo zerrte er mich zum Zimmer
hinaus auf die Terraſſe, war ganz begeiſtert von der
Predigt, „ein Mann iſts wies unter hunderttauſenden
keinen wieder giebt! ein Mann der ſeine individuelle
Natur von Gott durchdringen läßt! ein lebendiger Mann
der leider die Weisheit den hölzernen Maulaffen vor¬
predigt. Kein Menſch hat Andacht, Geiſtes-Andacht hat
kein Menſch! — Maulandacht, und eine Zucht und eine
Sitte, wie man Hunde dreſſirt: ſo dreſſirt die ganze
Menſchheit ihr eigen Gewiſſen, ſie verſtehens nicht beſ¬
ſer, ſie wiſſen nichts davon, daß der ganze Menſch gar
kein Richter mehr über ſich ſelber ſein ſoll, ſondern ein
lebendiger Anger wo kein Urtheil mehr Statt findet, ſon¬
dern lauter Seelennahrung, lauter Himmelsſpeis der
Weisheit; wahre Weisheit die kann nur genoſſen wer¬
den, nicht beurtheilt, denn die iſt größer als daß der
geringe Verſtand ſie durchſchaut, — aber ſo gehts! —
was hilft mich die chriſtliche Religion, die Menſchen
ſind Narren und werdens bleiben, und da hats dem
Herrn Chriſtus auch nicht beſſer geglückt, daß er da
herunter gekommen iſt. Ein Narr der ſich Chriſt nennt
iſt halt eben auch einer! — wenn er hundertmal vom Him¬
melsthron herunter gekommen iſt, er hat tauben Ohren
gepredigt wie unſer geiſtlicher Herr, oder Narren hat
[66] er gepredigt, die es nach ihrem Behagen ausgelegt haben.
— Wäſch mir den Pelz und mach mir ihn nicht naß, das
iſt die ganze Geſchicht mit der Frömmigkeit. Thu die
Augen auf und werd geſcheut, denn unſer Herrgott kann
keine Eſel brauchen, aber Ihr werd' Eſel bleiben, und ſo
tragt nur Euer ſchwere Säck von Vorurtheil auf Euerm
Buckel bis in alle Ewigkeit, Ihr ſeid doch zu nichts
tauglich als die Mühl zu treiben, in der Euch der
Kopf immer duſſeliger wird.“ — Aber das war nicht al¬
les was der Voigt ſagte, und dabei machte er Sätze
links und rechts. Jetzt erzähl ich Dir wieder weiter
wie's noch mit dem rothen Kammerherrn weiter gegan¬
gen iſt, alle Tage ſind wir auf der Terraſſe, da giebt
bald eine Dame bald die andre ein Goutée, und dann wieder
die Prinzeß, aber der Krebs iſt immer wieder hinter
mich gekommen, da hab ich mir eine Schawell aus
unſerm Zimmer geholt und dicht neben die Kurprinzeß
geſtellt, und mich drauf geſetzt; und nun iſt das alle Tag
mein Platz, und da darf er nicht mehr an mich ſtreifen,
und wenn wir ſpazieren gehen über die Bergrücken nach
dem Thee, da nimmt mich die Kurprinzeß immer bei
der Hand; ſie hat ein klein Blondchen weiß und roth,
dem fliegen die Sonnenhaare ſo flammig um den Kopf,
dem lieben Heſſenkind, ich könnt recht gut mit ihm ſpie¬
[67] len, ſie halten mich ja doch für ein Kind, weil ich keine
Geſellſchaftsmanieren hab; Ball werfen, um die Wett
laufen; — aber ſo einem Prinzeßchen iſt nicht beizu¬
kommen; da iſt eine Frau von Gundlach die führt das
Regiment, und Kammerfrauen die begleiten es. Dann
iſt mirs auch nicht möglich mit einem Kind Komödie zu
ſpielen, ich muß mit ihm ſein können unter Gottes
Schutz, nicht unter Menſchenaufſicht. — Prinzeßchen,
in Gold und Silber angethan, — zu ihrer Geburt kommen
gute Feen die ſie beſchenken, — das erfährt man in Feen¬
märchen. Was mögen ſie dem feinen Kind alles ge¬
ſchenkt haben? — Gaben die es noch nicht zu brauchen
weiß, wer wirds ihm lehren? — Scheu! — aber keine ſchein¬
heilige, — ich hab ſie vor allem Kinderſchickſal, unent¬
faltet noch in ſo ſüßer Knospe verſchloſſen, man hat
auch Scheu eine junge Knospe zu berühren die der Früh¬
ling ſchwellt. Ein Wiegenkindchen lallt ſo berührſam wie
kein Geſpräch mit Menſchen. Nur allein mit dir iſt
Sprechen lebendig, wo wir ohne Vor- und Nachurtheil,
den Gedanken uns auf die Schwingen werfen, und jauch¬
zen, und gen Himmel fahren. Um ſo ein Kinderſchickſal
möcht ich einen Kreis ziehn, das Erdenſchickſal wollt ich
aufheben von ihm, daß es ganz gleichgültig wär ob
ihm dies oder jenes zu Theil werde, und nur ſein himm¬
[68] liſch Weisheitsſchickſal darf gelten. Lautere Güte, das
iſt der Erfriſchungsquell für die Kindernatur aus dem
ſie Geſundheit trinkt — und Abends wenns ſchlummert,
da haucht es Segen, wie die ſchlummernden Sträucher
auch Segen duften, an denen man hingeht in der Däm¬
merung. — Ein Kindchen einwiegen bei Mondenſchein,
dazu würden mir gewiß ſchöne Melodieen einfallen, was
geht einem die Welt an, die verkehrt iſt. Alles was ich
ſeh wie man mit Kindern umgeht, iſt Ungerechtigkeit.
Nicht Großmuth, nicht Wahrhaftigkeit, nicht freier Wille
ſind die Nahrung ihrer Seele, es liegt ein Sclavendruck
auf ihnen. Ach wenn ein Kind nicht innerlich eine Welt
hätte, wo wollt es ſich hinretten vor dem Sündenun¬
verſtand, der bald den keimenden Wieſenteppich über¬
ſchwemmt. — Da ſagen die Leute, ein Kind darf nicht
alles wiſſen. — Wie dumm! — Was es faſſen kann,
das darfs auch wiſſen, für was hätte es die Macht zu
begreifen? — Der Geiſt langt wie eine Pflanze mit
jungen Ranken hinaus in die Lüfte und will was faſſen,
und da kommt der Unverſtand, an den kann er ſich
freilich nicht anſaugen, da muß der Kindergeiſt abſter¬
ben; ſonſt, wie bald würde die Weisheit der Unſchuld,
den Aberwitz der Unverſchämtheit beſchämen. Ungeduld
und Zorn und Mißſtimmung werden ihnen wie Autori¬
[69] täten entgegengeſtellt, man ſchämt ſich vor ihnen keiner
böſen Regung, vor Andern hütet man ſich wohl, da
verſteckt man die böſe Natur, aber vor Kindern nicht,
man denkt ſie begreifens noch nicht, man ſollte doch lie¬
ber auf ihre Reinheit bauen, die das Böſe nicht gewahr
wird, oder auf ihre Großmuth, ſie verzeihen viel und
rechnen es einem nicht an. Deswegen ſind ſie aber
nicht witzlos und untüchtig für den höchſten Begriff.
Aber die Menſchen ſind über ſich ſelber ſo dumm, ſie
glauben in ihrem ſchmäligen Unrecht noch an ihre
eigne Weisheit wie an einen Ölgötzen, dem ſie Opfer
bringen aller Art, nur die eigne Bosheit erwiſchen ſie
nicht bei den Ohren, um ſie einmal zu ſchlachten. Der
knospenvolle Lebenstrieb wird nichts geachtet, der ſoll
nicht aufgehen, aus dem die Natur, hervor ans Licht ſich
drängen will; da wird ein Netz geſtrickt wo jede Ma¬
ſche ein Vorurtheil iſt, — keinen Gedanken aus freier Luft
greifen und dem vertrauen, — alles aus Philiſterthum
beweiſen und erfordern, das iſt die Lebensſtraße die ih¬
nen gepflaſtert wird, und wo ſtatt der lebendigen Na¬
tur lauter verkehrte Grundſätze und Gewohnheiten es
umſtricken. Der Voigt ſagte, ihm ſei das Lachen und
Weinen nah geweſen beim Examen in der Muſterſchule,
wo der Molitor mit ſo großem Eifer die Judenkinder
[70] examinirt habe über die Großthaten der Römer und
Griechen, wenn er dächte welchen ſchmutzigen Lebenspfad
ſie wandern müßten, „Zieh Schimmel zieh, im Koth bis
an die Knie,“ ja da mag einer noch ſo ein weißer
Schimmel ſein, er muß im Moraſt ſtecken bleiben; und
das ganze Lehrgebäude iſt blos wie Fabelwerk, alles
lehrt man durch Exempel, aber große Thaten die zeigt
man nur wie die Chimära aus dem Bilderbuch, da dreht
jedermann um und läßt ſie ſtehen ohne weitere Ge¬
brauchsanweiſung. Dieſe Bemerkungen ſind alle aus
Geſprächen mit dem Voigt, der mir gern ſeine Weisheit
bringt aus dem Grund weil ihn kein Menſch ſonſt an¬
hört, er ſagte ich bin jedermann langweilig, aber ich
kann Ihnen verſichern die Leute ſagen Sie wären auch
langweilig; er ſagte: aus einem Kind ſollte lauter Weis¬
heit hervorblühen, daß alles Denken freudige Religion
in ihm würde ohne ihm das Kreuzſchlagen zu lehren, oder
Heiden und Chriſten zu unterſcheiden, und ſeine Seele
müßte aufblühen am Lebensſtamm ohne zu fragen nach
Gutem und Böſem. — Weißt Du was, — heut hat ſich
das zarte Kind in der Thür den Finger ſehr arg ge¬
klemmt, und die Kurprinzeß war ſehr erſchrocken, und
ganz hinfällig geworden, denn es hat ihm ſehr arg weh
gethan, mich hats auch geängſtigt, es hatte Fieber, jetzt
[71] liegts im Bett und ſchläft, als es beruhigt war ging
die Kurprinzeß zur Erholung ſpazieren, ſie nahm mich
mit, ich lief von ihrer Seite um ihr Blumen zu holen
die ich in der Ferne ſah, die nimmt ſie mir immer freund¬
lich ab und zeigt mir wohl ſelbſt, welche ich pflücken
ſoll, ich brach aber ſo viele und kletterte jede ſteile Seite
hinan; die Damen wunderten ſich über meine großen
weiten Sprünge, und ſagten ich beſchwere die Hoheit
mit den vielen Blumen, ich band einen Strauß mit mei¬
nem Hutband und gab ihn ihr zu tragen, ich ſagte er
ſei fürs kranke Kind zum Spielen, nicht ins Waſſer zu
ſtellen; ſie trug den großen Strauß und wollte nicht
daß man ihr ihn abnahm. Die Geſellſchaft wunderte, ſich
über meine naive Art, damit meinen ſie Unart, ich
merkte es; ſie halten mich für einen halben Wilden,
weil ich wenig oder nie mit ihnen ſpreche, weil ich mich
durchdränge wohin ich will, weil ich mich ohne Erlaub¬
niß an der Prinzeß Seite ſetze, als ob ich den Platz
gepachtet habe, ſagt Frau von B. R., weil ich ſo leiſe
geſchlichen komm daß mich keiner merkt, weil ich davon
laufe und nur das Windſpiel vom Herzog von Gotha
ſich mit mir zu ſchaffen macht, das mir nachſetzt und
bellt wenn ich ins Gebüſch ſpring; der L. H. ſagte
mir daß man ſich über meine Unart aufgehalten, den
[72] Hund ſo laut bellen zu machen; er erzählte mir aber
nicht was ich von der Tonie hernach hörte, daß die
Kurprinzeß ſagte: ſie iſt ein liebes Kind, und daß der
Herzog von Gotha ſagte: ein allerliebſtes Kind. — Nun,
ich gefall mir ſelbſt gut. —


Lieb Günderödchen, über allen Wechſel und Zer¬
ſtreuung von heute hinweg klingen noch immer die
Worte der Predigt in mich hinein, als wär heut ein
feierlicher Tag geweſen. — Es iſt ja wahr, Du und
ich ſind bis jetzt noch die zwei einzigen die mit einander
denken, wir haben noch keinen Dritten gefunden der
mit uns denken wollt; oder dem wir vertraut hätten
was wir denken, Du nicht und ich nicht; Niemand weiß
was wir mit einander vorhaben, und wir laſſen jetzt
ſchon ein ganzes Jahr die Leute ſich wundern warum
ich doch alle Tag ins Stift lauf. — Aber den Geiſt¬
lichen, — wärs in Frankfurt geweſen, den hätt ich ange¬
redet daß er mit mir zu Dir gegangen wär. — Der
hat gewiß keinen Freund — ſein Geiſt wird ſein Freund
ſein müſſen, der wird ihm antworten. Ich denk, ob ei¬
ner mit ſeinem eignen Geiſt reden kann? — Der Dämon
des Cocrates wo iſt der geblieben?— Ich glaub jeder
Menſch könnte einen Dämon haben der mit ihm ſpre¬
chen würde, aber worauf der Dämon antworten kann,
das[73] das muß unverletztes Forſchen nach Wahrheit ſein; da
mein ich mit, es darf ſich kein andrer Wille drein mi¬
ſchen, als blos die Begierde zur Antwort. — Frage iſt
Liebe, und Antwort Gegenliebe. Wo die Frage blos
Liebe zum Dämon iſt, da antwortet er, der Lieb kann
Geiſt nicht widerſtehen, wie ich nicht und Du nicht.
So lang ich vom Socrates weiß, geh ich dem Gedan¬
ken nach, wie Er einen Dämon zu haben; er hatte wohl
ein inneres Heiligthum, ein Aſyl wo der Dämon zu
ihm kommen mochte, ich hab in mir geſucht nach dieſer
Thüre zum Alleinſein, wo ich dieſem Weisheitsgeiſt ins
Geſicht ſehen könnt, ſtehend um Lieb. Aber Du haſt
recht, ein muthwilliger Wind jagt meine Gedanken wie
Spreu auseinander, ich werd fortgeriſſen von einem zum
andern von meiner Zerſtreutheit, dann iſts ſo nüchtern
in mir, und ſo beſchämend öde wenn ich mich ſammeln
will, wie ſoll da der Geiſt ſich einfinden, wo es ſo leer
iſt, der Socrates hatte wohl große Thaten gethan vor¬
her, und nie ſeinen Genius verleugnet, dann kam er zu
ihm. — Ich ſag als zu mir, laß nur ab, der Geiſt
würde von ſelber kommen, könnt deine Natur ihn her¬
bergen. Ich denk als der Geiſt muß entſpringen aus
vereinigten Naturkräften und ich hab ſo keine Feuer¬
natur die ſich ſo concentriren kann daß der Geiſt aus
4[74] ihr entſpringe, aber ich wollt es doch, ich ſehne mich nach
ihm. Ich hab ihn nicht, ich denk mir ihn aber, und trag
ihm alles vor in meinen Nachtgedanken, und manchmal
ſchreib ich an Dich als wärſt Du ſein Bote, und er
würde durch Dich alles erfahren von mir. Manchmal
wenn wir zuſammen ſchwätzten im Dunkel bei dem
verglommenen Feuer in Deinem Öfchen, wo der März¬
ſchnee vom Baum vor Deinem Fenſter herunter fiel, da
dacht ich, was ſchüttelt doch den Baum? — und da
war ich gleich ſo begeiſtert, als lauſche was und reize
mich an, und Du ſagteſt es fülle ſich unſer Geſpräch
mit Gas, ein Gedanke nach dem andern ſtieg in die
Wolken, und verglichſt ſie mit romaniſchen Lichtern die
hoch über uns ſich in ſanften Leuchtkugeln ausbreiten.
Das Raſſeln im beſchneiten Baum, an der Wand das
neugierige Mondlicht, das aufflammende Feuerchen, Du,
und ich die mit Deinen Fingern ſpielte beim Sprechen,
das war als ſo, daß ich dacht der Geiſt wär nah bei
uns und trenne uns von allem Unſinn; und das Leben
war auch ſo weit ab, auf der Straße wenn ich nach
Haus ging, wenn mir da Menſchen begegneten, ſo wars
wie eine Scheidewand zwiſchen mir und ihnen und zwi¬
ſchen allem was in der Welt vorgehe. — Ja die Welt,
die auch von Begeiſtrung leben ſollte wie der Baum
[75] vom Thau, die ſtrömt ſo viel Stickluft aus (Lange¬
weile), daß der Geiſt nicht erathmen kann.


Heut ſind die Früchte angekommen und die Blu¬
men all noch friſch, Dein Brief duftet mit dem Helio¬
trop und gelben Jasmin in meiner Bruſt, wo ich ihn
hingeſteckt hab. — Was Du mir ſagſt ſcheint mir auch
vom Dämon durch Dich gemeldet, Du kleideſt ſeine
Weisheit in Balſam hauchende Redeblüthen — ich ſoll
und muß Dir Recht geben, nicht wahr? — Meinſt Du
es wird den Dämon verdrießen wenn ich ihm nicht
nachgebe mit der Eiferſucht? — und daß meine Leiden¬
ſchaft in ſo ſtolzen Flammen aufſprüht, und will ihn
gefangen nehmen wo er ſich verborgen hat in Dir? —
Eiferſucht fährt heraus aus dem Geiſt der Liebe als
wärs der Dämon ſelber, ſie iſt eine ſtarke bewegende
Kraft, ich weiß was ich ihr zu danken hab; — ja viel¬
leicht iſt ſie eine Geſtalt, in die ſich der Dämon klei¬
det; wenn ich eiferſüchtig bin iſt mirs immer göttlich
zu Muth, alles muß ich verachten, alles ſeh ich unter
mir, weil es ſo hell in mir leuchtet und nichts ſcheint
mir unerreichbar, ich fliege wo andre mühſelig kriechen;
und während mirs im Herzen ängſtlich pocht, da rauſchts
im Geiſt ſo übermüthig, ich biete Trotz, ſo arg Trotz,
daß ich ohnmächtig werden muß, aber mein Muth ſinkt
4*[76] nicht, der iſt noch ſtärker wenn ich mich erhole, nach
was verlang ich denn? — was will ich mir erzwin¬
gen? — Ja es iſt gewiß der Dämon den ich wittere;
als ich Dir in die Hand biß und an zu weinen fing,
ſo war es doch der Dämon der mich neckte, nicht Deine
Geheimniſſe die Du mit andern haſt die mich nichts an¬
gehen, ich weiß daß die nicht zwiſchen uns treten, und
Du, wo willſt Du hin? — Ich und Du, uns berührt
nichts in unſerer Eigenthümlichkeit mit einander. Aber
es ſchlägt Feuer aus mir daß ich Ihn faſſen will und
will mich an ihn klammern, denn er war gewiß oft
zwiſchen uns beiden, meine Ahnung war nicht falſch,
und ich wollt ihn gern an mich reißen als ich von Dir
ging, drum biß ich Dich und ſchrie. — Ja es iſt Eifer¬
ſucht — wie ſoll ich aber nicht eiferſüchtig ſein, es iſt
ja die einzige Möglichkeit meines Gefühls, ſchmeichlen
kann ich ihm nicht, ihm vertrauen wie kann ich das,
ich weiß ja nicht, ob er mir lauſcht. Aber daß meine
Eiferſucht rege wird, wo ich ihn ahne, daß ich da mäch¬
tig mit den Flügeln ſchlage um ihn, der mich ſelber
dazu reizt, das iſt die Stimme der Wahrheit heißer Liebe.
Ja! ja! ja! — da brauch ich mich nicht zu erſchöpfen
in Vorbereitungen, da bin ich nicht mehr zerſtreut, und
zaghaft gar nicht. Ach Günderode! und nun antwor¬
[77] tet er mir ſo ſanft in Deinem Brief, Du biſt ganz mit¬
leidig geworden durch ihn, er hat Dich ſo geſtimmt und
verkündet mir in Deinen Worten, wie der Baum der
Treue zwiſchen uns erwachſen und erſtarken werde und
daß ich nicht verzage. — Ja ich glaubs daß er mir
alles ſagt, was Du mir ſchreibſt, er verſüßt mir die
Pauſen mit Träumen von ihm, und verheißt mir daß
er allen Raum ausfüllen werde mit Geiſtesblüthen, wie
das Meer mit Wellen ausgefüllt iſt. Ewigkeit iſt all¬
umfaſſendes Empfinden, nicht wahr, das ſagt die Nar¬
ciſſe zur Viole, und die ſenkt den Blick in den eignen
Buſen und beſchränkt ſich in die Unumkränztheit der
Liebe, die ſie da ahnt und faſſen lernt. — Nicht alles
iſt der Liebe fähig, aber wenn ich dem nachgehe, was
ihrer fähig iſt, dann werd ichs durchdringen. Wo ſoll
mein Geiſt den Fuß aufſetzen, überall iſt er fremd,
wenn es nicht ſelbſt erobertes Eigenthum der Liebe iſt. —
Verſteh ich mich? — ich weiß ſelbſt nicht. — Die Au¬
gen ſind mir vor Schlaf zugefallen ſo plötzlich über dem
Beſinnen, ich muß morgen früh um ſieben Uhr den Brief
dem Bothen mitgeben, überdies brennt mein Licht ſo dü¬
ſter, es wird bald ausgehen, gute Nacht Brief! Der
Mond ſcheint ſo hell in meine Stube, daß ſie ganz
klingend ausſieht — die Berge gegenüber ſind präch¬
[78] tig, ſie dampfen Nebel in den Mond. Alleweil will
das Licht den Abſchied nehmen, ich will aber ſehen, ob
ich nicht im Mondſchein ſchreiben kann. — Ich bin ſo
vergnügt, wie die Blätter wenn ſie ganz beregnet ſind
vom Gewitter in der Nacht und der Himmel wird wie¬
der hell, und ſie ſchlafen dann ruhig ein, weils Gewit¬
ter vorbei iſt. — Da hör ich ſchon die ganze Zeit einen
fremdartigen Vogel ſchreien, ſollte das ein Käuzchen
ſein, das die Frau Hoch einen Todtenvogel nennt, er
ſchreit ganz dicht vor meinem Fenſter; ach Günderöd¬
chen ich ſchäm mich ein wenig, weil ich mich ein we¬
nig fürchte. Meine Stube iſt ſo düſter, das Licht wird
gleich ausgehn, die Berge da üben ſind ſo grauſend,
man ſieht ſonderbare Geſtalten, die kleine Quell unter
meinem Fenſter ruſchelt ſo leiſ und bedächtig wie ein
alt Hausgeſpenſt. Was bin ich ſo dumm? — Da
fällt mir der Dämon ein, und ſollt mich fürchten vor
dem Käuzchen, ſiehſt Du ſo albern bin ich, und doch
macht die inwendig Seel ſolchen Anſpruch, der Geiſt
ſoll ſie heimſuchen, und fürcht mich vor dem Käuz¬
chen! — gleich mach ichs Fenſter auf und ſeh nach ihm,
da fliegts weg, die Sterne funklen zu tauſenden am
Himmel, da unter meinem Fenſter ſteht meine alte In¬
validenſchildwach und paßt vermuthlich auf ein Ständ¬
[79] chen von meiner Guitarre, was er gewohnt iſt alle
Nacht zu hören, ich werd ihm ein Lied von der heili¬
gen Jungfrau Maria ſingen, denn es iſt heut Maria
Himmelfahrt und nicht Sonntag, wie ich irriger Weiſe
ſagte, ich hab dieſe Seite im Mondſchein geſchrieben,
Du wirſt nicht leſen können, nun es ſchad nichts, es
ſteht auch nichts drauf, was Du nothwendig wiſſen
müßteſt, es iſt mir doch ſo wohl ſeit dem kleinen Schauer¬
chen von Furcht, ich hab auch keinen Schlaf mehr. Der
Mond ſchwimmt ſo eilig hinter den weißen Wölkchen
hervor, daß es mir ordentlich im Herzen Gewalt an¬
thut. Ich muß ſingen, ſonſt muß ich weinen.


Gute Nacht. Bettine.


Günderödchen. Die Engländer ſind recht närriſche
Paſſagiere, ſie brachten mir einen Brief vom L'ange mit,
der mich warnt mich nicht in ſie zu verlieben. — Der
mit dem gepuderten Haupte, Mr. Haiſe ließ ſich geſtern
in einem Nanquin-Morgenrock auf der Terraſſe ſehen
und gelben Pantoffeln, die Tonie ſah zum Fenſter hin¬
aus, ſie wollte nicht hinunter, ſie ſchämte ſich vor den
Leuten, wenn er mit ihr ſpreche, weil er ſo abſonderlich
ausſieht. — Ich ſah aber wie er herauflugte nach un¬
ſern Fenſtern, und wie er die Tonie erblickte, da rief
[80] er ſie an, bei dem herrlichen Wetter herunter zu kom¬
men, ich mußte mit; er ſpannte einen grünen Para¬
plüie über ihr auf um ſie vor der Sonne zu ſchützen,
ſo mußte ſie mit ihm die Terraſſe auf und ab wandlen,
ich lief herauf und machte eine Zeichnung davon, die
ich der Tonie ins Arbeitskäſtchen legte, was ſie immer
mit nimmt auf die Terraſſe zum Thee, und freute mich
ſchon auf die Bewundrung, wenn es erblickt würde.
Aber ſie legte das Papier ſchnell zuſammen und wickelte
Seide drauf; ſie wollte nachher ſchmälen, ich hatte ihr
aber einen ſo ſchönen Kranz gemacht von Farrenkraut,
der ihr ſo gut ſtand und ihre Wunderſchönheit noch
erhöhte, daß wir ganz content auf den Ball kamen,
der beinah aus ſo viel Karrikaturen beſtand als Men¬
ſchen da waren. Der Clemens hat mir aus Weimar
geſchrieben und mich gewarnt vor dem Verlieben, —
überflüſſig! — wär er doch auf dem Ball geweſen —
höchſtens daß man einem Rippenſtoß ausgeſetzt iſt, ſonſt
iſt keine Gefahr. — L. H. war auch da mit ſeinen
Schweſtern, wird alle Tage blauſchwärzer von ſeinen
Stahlbädern; ſein extra weißer Jabot und Halsbinde
machten dies in die Augen fallend, er war ſehr fein
und elegant gekleidet, denn da er eine diplomatiſche
Ambition hat, ſo verſäumt er keine Gelegenheit ſich
[81] ſtandesmäßig auszuzeichnen. So lange wir am Ein¬
gang ſaßen, wo viele Menſchen ſich drängten, merkte
keiner was, als L. H. aber vortrat um irgend wem ſein
Compliment zu machen, entdeckte man und Franz der
an meiner Seite ſaß zuerſt, daß er ſtatt eines Fracks
einen Joppel an hatte [ohne] Schößen, rund wie ein
Fleiſcherwams, dies ſah gar zu närriſch aus, mit
ſchwarzſeidnen Beinkleidern, weißſeidnen Strümpfen und
Schnallenſchuh, kurz vollkommne Hofetikette und Feder¬
claque unterm Arm. — Er hatte, während die Familie
ſich zum Ball fertig machte, den Überrock angezogen,
dann lief er in ſein Zimmer, wo ihm der Wind das
Licht auslöſchte, um den Frack anzuziehen, und ergriff
ſtatt deſſen einen engliſchen Halbrock, den die Herrn
nach neuſter Mode bei kühler Witterung über den
Frack anziehen. — Er hatte ſich bis jetzt noch nicht
von hinten dem großen Publikum präſentirt, und noch
mit dem Rücken gegen uns gewendet; es wurde in Eile
Concilium gehalten und beſchloſſen, zwei Damen, Lotte
und die B. ſollten ihn geſprächsweiſe ſanft rückwärts
ſchreiten machen, ohne ihm das verfänglich Dilemma,
in welchem er ſich befinde, zu entdecken bis er gerettet ſei;
dabei ſollten Tonie, Franz und Voigt eine kleine Hin¬
4**[82] tertruppe bilden, um ſeinen Rückzug zu decken; ich
wurde ausgemerzt von dieſer Expedition, weil ich vor
Lachen über die unerſchöpflichen Witze von Franz un¬
tauglich dazu war. Der Zug rückte aus und drängte
ſich ſchon zwiſchen manchen verwunderten Blick, der
auf dem ſchößloſen Rücken haftete, ſie ſchlichen immer
behutſamer heran je näher ſie kamen, ſo ſchleicht man
ſacht hinter einem Vogel her, dem man Salz auf dem
Schwanz ſtreuen will um ihn fangen zu können, aber
er fliegt weg ehe man nah genug kommt; ſo kam es
auch hier, als ſie ſchon ganz nah waren und eben ihn
zu haſchen meinten, wendete er ſich plötzlich um. Ach!
ich ſprang hinter den Vorhang am Fenſter und wickelte
mich hinein, und biß in den Vorhang vor Lachvergnü¬
gen, und ging nachher auch fort, denn mir wars zu
übermüthig für den Geſellſchaftsſaal; der Voigt beglei¬
tete mich und erzählte mir, daß die Arrieregarde ihn
durchpaſſiren laſſen, ſich dann dicht angeſchloſſen und wie
einen vornehmen Staatsgefangenen transportirt bis zum
Eingang, dort habe er ſich nieder gelaſſen wo man
ihm ſeine äſthetiſche Fatalität mittheilte und er ſich
umgeben von ſeinen Getreuen zurückzog; jetzt würden
ſie wohl die ganze Nacht kein Auge zuthun, denn da
er bei dem heſſiſchen Hof angeſtellt ſein möchte, ſo iſt
[83] ihm gewiß bange ſein Schickſal untergraben zu haben
durch den zipfelloſen Aufzug. Voigt ging noch eine
Weile mit mir auf der Terraſſe wo es ſo ſtill war, man
hörte die Violinen vom Ball; die Wolken überzogen
prophezeihend (ein Gewitter nemlich) das Sternenheer,
und ſenkten ſich auf unſere Berge, die Bäume ſtanden
ſo ehrfurchtsvoll ſtill den Gewitterſegen erwartend; die
ganze Gegend ſah aus als ob ſie ſich zu ihrem Schö¬
pfer wende, Voigt vergaß darüber ſeine unzähligen
Witze, mit denen er mich überſchwemmt hatte, die ent¬
fernten Lichter und Feuer, die in den umliegenden Hüt¬
ten brennten, funkelten durch das Grün der Bäume,
wie Opferfeuer zum Allliebenden, ſo weit man ſehen
konnte ſah die Welt aus als ob ſie unſern Herrgott
um eine ſanfte Nacht bitten wolle für Alle; für Dich
und für mich, für unſer ganz Leben, bis an die letzte
Nacht. — So iſt die Natur ſüße Fürbitterin, immerdar;
alle Seufzer wiegt ſie ein, ſo wollen wir ihr denn dan¬
ken dafür und ihr vertrauen bis an die letzte Nacht.


Der Clemens mit ſeinen Warnungen? — Ich hab
ihm heut geſchrieben. Die Linden blühen wohl noch
und hauchen einem ſüß an, aber keine Menſchen, und
die Natur iſt ſchöner und gütiger und größer als alle
Weisheit dieſer Welt. Was einer mit mir ſpricht dar¬
[84] auf möcht ich ihm antworten mit einem Tannenzapfen, den
ich ihm in die Hand drücke, oder eine Schnecke die am Weg
kriecht, oder einen angebiſſnen Holzapfel, es wär im¬
mer noch geſcheuter als die Antwort, die mir einfällt.
Mich geht kein Erdenſchickſal was an, weil ich doch
nicht Freiheit es zu lenken hab; — Wär ich auf dem
Thron ſo wollt ich die Welt mit lachendem Muth um¬
wälzen, ſagte ich geſtern Abend zum Voigt. „Meinet¬
wegen,“ ſagte er, „Schad iſts nicht drum, auf der
neuen Seite kann ſie nicht verkehrter liegen als auf
der alten. Alle die mühſeligen Perſonagen, die etwas
unter Narren bedeuten, ſind ein abſurdes Zeugniß von
ihrer lächerlichen Autorität, ſolche haben ſo großen Re¬
ſpekt vor ihrer hohen Tendenz, daß ſie ſich nicht ge¬
trauen ſich ins Gewiſſen zu reden, ſie meinen was
durch ſie geſchähe wär der Schickſalsſchlüſſel, der durch
ſie die Zukunft aufſchließt die ſchon fertig da läge und
nicht erſt durch ihren Unſinn verkehrt gemacht wird, ſie
würden ſich nicht getrauen vollkommne Menſchen aus
ſich zu bilden und allenfalls die Bedürfniſſe der höheren
Menſchenrechte vor ſich ſelber zu vertreten; O nein!
je dringender die Forderungen der Zeit ihnen auf den
Hals rücken, je mehr glauben ſie ſich mit Philiſterthum
verſchanzen zu müſſen und ſuchen ſich Nothſtützen an
[85] alten wurmſtichigen Vorurtheilslaſten, und erſchaffen
Räthe aller Art, geheime und öffentliche, die weder heim¬
lich noch öffentlich anders als verkehrt ſind; — denn
das rechte Wahre iſt ſo unerhört einfach, daß ſchon
deswegen es nie an die Reihe kommt. Wenn alle
Phariſäer an der Regierungsmaſchine auf einmal
die Staarſucht bekämen, es würde der Welt nichts ab¬
gehen an ihrer Geſundheit, nicht einmal verſchnupfen
würde ſie.“ — So politiſirt mir der Voigt gewöhn¬
lich unterm Sternenhimmel noch eine Stunde vor, wo
ich bei ſchönem Wetter auf der menſchenleeren Terraſſe
mit ihm wandle; er ſagt: hören Sie mir immer zu,
Sie ſind noch jung und haben mehr Energie im Judi¬
rium vor den andern Allen, oder vielmehr: wo iſts ge¬
blieben könnte man die andern fragen, denen die Oh¬
ren nach Fablen jücken, und die ſich von der Wahr¬
heit abwenden oder ſie nach eignem Gelüſt auslegen,
daß ſie ihnen zur Fabel wird. — Den Voigt will kein
Menſch anhören, jedermann ſchreit über ihn, ich aber
fühl mich ſehr geehrt, daß er mir gern das ernſte Große
ſeines Geiſtes darlegt, ich hör ihm begierig zu. Er iſt
ſo kurz und entſchieden zwiſchen Recht und Unrecht,
daß man keine Zeit im Schwanken verliert und daß
man einen Heldencharakter bedarf ihm zu folgen. „Für
[86] einen Freund muß man in den Tod gehen können. —
Wer nicht Alles hingiebt, den eignen Genuß, die ſelbſt¬
erworbne Größe um den Freund zu ſtützen, gehört nicht
zu der Gattung Geſchöpfe, die Freundſchaft empfinden.
— Was iſt Gefühl? — Farbe, die nicht lebendig iſt
als nur im Lichtſtrahl, der iſt die Liebe — alſo braucht
man vor keinem Sentiment Reſpekt zu haben, es iſt
lauter eingebildet Zeug. — Es giebt tauſend Handlun¬
gen die man niemand verargen kann, wer aber Hoch¬
ſinn hat der wird ſelbſt aus Demuth ſolche Handlungen
tödten, zum Beiſpiel: einer der ſeinem Freund alles
Böſe was in ſeiner Natur ihm widerſpricht offenbarte,
tödtet der nicht auf der Stelle alle Phariſäer?“ —
Das war noch geſtern Abend, was ich von ſeinem Ge¬
ſpräch behielt, nicht der zehnte Theil, denn er iſt raſch
wie ein Schmied beim glühenden Eiſen; ich frug ihn
warum er vor andern nicht auch ſo ſpreche, er ſagte
wenn ich, mit einem Wein will trinken, ſo muß ich ei¬
nen Becher haben, in den ich ihn eingieße, Ihre Seele
iſt ein Becher.


Montag
Zwei-, dreimal zwiſchen Eichen und Buchen und
jungem lichten Gebüſch, Berg auf Berg ab — da
[87] kommt man an einen Fels, glatte glänzende Baſalt¬
fläche, die die Sonnenſtrahlen wie ein dunkler Zauber¬
ſpiegel auffängt, dazwiſchen grüne Moosſitze, heute
Morgen war ich hierher gegangen, es iſt mein gewöhn¬
licher Spaziergang wenn ich allein bin, nicht zu weit
und doch verſteckt, — da ſah ich noch den Nebel wie
jungen Flaum zwiſchen den Felsſpalten hin und her
ſchwimmen, und über mir wards immer goldner, die
Morgenſchatten zogen ab, die Sonne krönte mich, ſie
prallte ſcharf vom ſchwarzen Stein zurück, ſie brennte
ſehr ſtark, ſie drückte doch nicht meine Stirn, ich wollte
eine Krone ſchon tragen, wenn ſie nicht ſchärfer drückt
als die heiße Auguſtſonne, ſo ſaß ich und ſang gegen
die Felſen hin und hörte aufs Echo, und die Regie¬
rungsgedanken ſtiegen mir in den Kopf. So nach
Grundſätzen die Welt regieren, die in innerſter Werk¬
ſtätte meiner Empfindung erzeugt wären, und alles
Philiſterthum um und um ſtoßen, das ſind ſolche Wünſche
die an einem ſo heißen Sonnenmorgen mir in den Kopf
ſteigen und wozu Voigts Sternengeſpräche einen ſtar¬
ken Reiz geben; er ſagte, alles Gefühl, aller Begriff
werde zu einem Vermögen, es ziehe ſich wohl zurück,
aber zur unerwarteten Stunde trete es wieder hervor,
— und da ſetze ich mich an einſame Orte und ſimulire
[88] ſo ins Blaue hinein und komme zu nichts, zu keinem
hellen Augenblick, nur daß mir oft das Herz unbändig
klopft wenn ich dran denke daß ich das Geſchrei der
Philiſter, die des Geiſtes Stimme mit Grundſätzen be¬
drängen, durch das bloße Regiment meiner Empfindung
erſticken wolle; ja es wär eine himmliſche Satis¬
faction für die Ruthenſtreiche womit ſie blind alle Be¬
geiſtrung verfolgen. Günderode, ich wollt Du wärſt
ein regierender Herr und ich Dein Kobold, das wär
meine Sach, da weiß ich gewiß daß ich geſcheut würde
vor lauter Lebensflamme. Aber ſo! — iſt es ein Wun¬
der daß man dumm iſt? — Und ſo war ich bald im
Sonnenbrand ganz träumeriſch verſunken, und jagte im
Traum auf einem Renner wie der Wind, nach allen
Weltgegenden, und richtete mit hoher übertragner Be¬
geiſtrung von Dir, die Welt ein, und kommandirte wohl
auch hier und da mit einem Fußtritt mit einem Fluch
dazwiſchen damit es geſchwind gehe, — aber Dein Dra¬
molet zu leſen was ich mitgenommen hatte, mich recht
hinein zu ſtudiren, das hab ich verſäumt durch die vie¬
len heftigen Bewegungen meiner Seele, ich mußte mich
beſchwichtigen mit Schlafen was mich immer befällt,
wenn mir die Schläfe ſo brennen vor heißem Eifer in
die Zukunft. O Seelenbecher, wie kunſtreich und gött¬
[89] lich begabt iſt Dein Rand geformt, daß er die brauſen¬
den Lebensfluthen faßt, wie unrettbar wär ich ſonſt
über dich hinausgebrauſt. — Mein Freund das Wind¬
ſpiel hatte mich aufgeſpürt, es weckte mich mit ſeinem
Bellen und wollte mit mir ſpielen, es bellte daß alle
Felſen dröhnten und echoten, es war als wenn eine ganze
Jagd los wär, ich mußte jauchzen vor Vergnügen und
Luſt mit dem Thier; es hatte mir meinen Strohhut
apportirt den ich dem ſteilen Fels hinabgeworfen hatte,
mit ſo zierlichen langhalſigen Sprüngen — ſo iſts wenn
man einem gut iſt, da mißt man nicht die Gefahr des
Abgrunds, man vertraut in die eignen Kräfte und es
gelingt. — Ach Günderode, es wär viel, wenn der Menſch
nur erſt ſo weit wär ſeinem eignen Genie zu trauen
wie ſo ein Windſpiel, es legte mir ſeine Pfoten um
den Hals wie es mir meinen Hut gebracht hatte
ohne ihn zu verderben; ich nannte es zum Scherz Ero¬
dion, und dachte ſo müſſe der an der Göttin Imortalita
hinauf geſehen haben, denn es iſt ſo edel und ſchön und
kühn, und Menſchen ſehen nicht leicht ſo einfach groß
und ungeſtört aus in ihrer Weiſe, wie Thiere es oft
ſind. Der Herzog war dem Bellen ſeines Hundes nach¬
gegangen und kam hinter den Bäumen hervor, er fragte
warum ich den Hund ſo nenne dem er Cales ruft, und
[90] ſagte es ſei der Name eines Wagenführers vor Troja
den der Diomedes erſchlagen, ich zeigte ihm Dein Ge¬
dicht um zu erklären wo mir der Name Erodion her¬
komme, er ſetzte ſich auf den Fels und las es theilweis
laut und machte mit dem Bleiſtift Bemerkungen, die
ſend ich Dir, Du ſiehſt, er hat es mit Sammlung ge¬
leſen und dann ſogar mit Liebe. Ich weiß nicht wie
oft Dich der Zufall begünſtigen wird die feineren Saiten
der Seele zu rühren, ſo wirds Dich freuen. — Er frug
mich ob ich denn das Gedicht verſtehe? — ich ſagte
Nein! aber ich leſe es gern, weil Du meine Freundin
ſeieſt und mich erziehſt. Er ſagte eine Knospe iſt dieſes
kleine ſorgſam vor jeder fremden Einwirkung geſchützte
Erzeugniß, die die große Seele der Freundin umſchließt,
und in dieſen ſanft gefalteten Keimen einer noch un¬
entwickelten Sprache ſchlummern Rieſenkräfte. Die In¬
ſpiration der Wiedergeburt hebe ahnungsvoll die Schwin¬
gen in Dir; und weil die Welt zu ſchmutzig ſei für ſo
kindlich reine Verſuche, Deine Ahnungen auszuſprechen,
ſo werde ſie dieſen anſpruchloſen Schleier der Deine
weit ausgreifende Phantaſie und Deinen hohen philo¬
ſophiſchen Geiſt umſchlinge, nicht entfalten. — Ich ließ
mir dieſes Lob verwundert gefallen; er begleitete mich,
ich mußte ihm auf dem Weg von Dir erzählen, von
[91] unſerm Umgang, von Deinem Weſen, von Deiner Ge¬
ſtalt, da hab ich mich zum erſtenmal beſonnen wie ſchön
Du biſt, wir ſahen eine vollſaftige weiße Silberbirke in
der Ferne mit hängenden Zweigen die mitten am Fels
aus einer Spalte aufgewachſen iſt und vom Wind ſanft
bewegt gegen das Thal ſich neigt; unwillkührlich deu¬
tete ich hin wie ich von Deinem Geiſt ſprach und auch
von Deiner Geſtalt, der Herzog fragte, die Freundin
werde wohl jener Birke gleich ſein auf die ich hinweiſe?
— Ich ſagte, Ja. So wollte er mit mir zuſammen hin
und Dich von nahem beſchauen, aber es war ſo glatt
und ſteil da hinan, ich meinte nicht daß wir hin kom¬
men würden, — er vertraute auf den Cales der werde
uns ſchon einen Weg ausfinden. „Was hat ſie denn
für Haar?“ — Schwärzlich glänzend braunes Haar,
das in freien weichen Locken wie ſie wollen ſich um
ihre Schultern legt. — „Was für Augen?“ — Pallas¬
augen blau von Farbe, ganz voll Feuer, aber ſchwim¬
mend auch und ruhig. — „Und die Stirn?“ — Sanft
und weiß wie Elfenbein, ſtark gewölbt und frei, doch
klein, aber breit wie Platon's Stirn; Wimpern die ſich
lächelnd kräuſeln, Brauen wie zwei ſchwarze Drachen
die mit ſcharfen Blick ſich meſſend, nicht ſich faſſend und
nicht laſſend, ihre Mähnen trotzig ſträuben, doch aus
[92] Furcht ſie wieder glätten. So bewachet jede Braue, auf¬
geregt in Trotz und Zagheit ihres Auges ſanfte Blicke.
— „Und die Naſe, und die Wange?“ — Stolz ein
wenig und verächtlich, wirft man ihrer Naſe vor, doch
das iſt weil alle Regung, gleich in ihren Nüſtern bebet,
weil den Athem ſie kaum bändigt, wenn Gedanken auf¬
wärts ſteigen von der Lippe, die ſich wölbet friſch und
kräftig, überdacht und ſanft gebändigt von der feinen
Oberlippe. — Auch das Kinn mußt ich beſchreiben,
wahrlich, ich hab nicht vergeſſen daß Erodion dort ge¬
ſeſſen und ein Dellchen drinn gelaſſen das der Finger
eingedrückt, während weisheitsvolle Dichtung füllet
ihres Geiſtes Räume; und die Birke ſtand ſo prächtig,
ſo durchgoldet, ſo durchliſpelt von der Sonne, von den
Lüftchen, war ſo willig ſich zu beugen, hold dem Strom
der Morgenwinde, wogte ihre grünen Wellen freudig
in den blauen Himmel, daß ich nicht entſcheiden konnte
was noch zwiſchen beiden liege, jenem zukömmt und
dem andern nicht. — Cales fand mit manchen Sprüngen
erſt den Weg zur Birke, dann der Herzog, ich blieb zu¬
rück, ich hätte leicht nachkommen können, aber ich wollte
nicht in ſeiner Gegenwart. Er ſchnitt dort Buchſtaben
in die Rinde ganz unten am Fuß und ſagte, er wolle
ſie ſolle die Freundſchaftsbirke heißen; und er wolle auch
[93] unſer Freund ſein. Ich war bereitwillig dazu, Ach laß
ihn, er kommt den Winter nach Frankfurt, erſtlich ver¬
gißt ein Prinz leicht ſo was über vielen andern Zer¬
ſtreuungen, denn der glaubt gar nicht daß es möglich
wär, daß wenn man ſich ganz an etwas hingäbe, daß
dadurch grade allein der Scharfblick die Wägungskraft
der Allſeitigkeit entſpringe, nach der ſie alle jagen und
ſich drin verflattern und dann iſt er auch krank und
hat wenig geſunde Tage, einem ſolchen muß man alle
heilende Quellen zuſtrömen. — Adieu. Morgen Nach¬
mittag iſt eine große Parthie zu Eſel und morgen Vor¬
mittag geht die gute Kurprinzeſſin weg. — Und in
aller Früh um drei Uhr wollen die Engländer mit uns
einen Berg erſteigen und die Sonne aufgehen ſehen,
die andern wollten den Voigt nicht mit haben, ich habs
ihm aber doch geſteckt, ſonſt langeweile ich mich, ſo wie
die andern behaupten, daß er ſie langeweilt. Morgen
früh kommt die Bothenfrau, ich ſchicke dieſen Brief mit,
obſchon er noch nicht ſo gefährlich lang iſt wie mein
erſter, aber du biſt maulhängoliſch und da will ich Dich
ein bischen kitzeln, mit der unmuthigen Geſchichte vom
Herzog, daß Du mit Gewalt lachen mußt wenn Du
auch noch ſo ſehr den Mund zuſammenziehſt. Gelt es
macht Dir doch Plaiſir? Ich hab mir ſeine Liebeserklärung
[94] abgeſchrieben an Deine Immortalita, die von ſeiner Hand
gehört Dein — er hats geſchrieben für Dich, Du kannſt
Werth darauf legen, ich hör daß er ſehr berühmt iſt,
großartig, witzig, und ſehr gefürchtet deswegen von
manchen Menſchen, er wär aber auch ſehr großmüthig
und gutmüthig, aber viele wollen doch nicht gern mit
ihm zu thun haben aus Furcht ſeine beſte Freundlich¬
keit wär doch ein heimlicher Witz. Was das für eine
Narrheit iſt, über mich möcht einer ſich luſtig machen
ſo viel er wollt, es wär mir recht angenehm wenns
ihm Plaiſir macht.


Bettine.


[95]

Beilage zum Brief an die Günderode.
Immortalita.

Perſonen.

Immortalita, eine Göttin.
Erodion.
Charon.
Hekate.

Erſte Scene.

Eine offene ſchwarze Höhle am Eingang der Unterwelt, im
Hintergrunde der Höhle ſieht man den Stir und Charons Nachen
der hin und her fährt, im Vordergrund der Höhle ein ſchwarzer
Altar worauf ein Feuer brennt. Die Bäume und Pflanzen am
Eingang der Höhle ſind alle Feuerfarb und ſchwarz, ſo wie die
ganze Dekoration, Hekate und Charon ſind ſchwarz und Feuer¬
farb, die Schatten hellgrau, Immortalita weiß, Erodion wie
ein römiſcher Jüngling gekleidet. Eine große feurige Schlange
die ſich in den Schwanz beißt, bildet einen großen Kreis, deſſen
Raum Immortalita nie überſchreitet.


Immortalita (aus der Betäubung erwachend). Cha¬
ron! Charon.


Charon (ſeinen Kahn inne haltend). Was rufſt du
mich?


Immortalita. Wann kommt die Zeit?


[96]

Charon. Sieh die Schlange zu deinen Füßen,
noch iſt ſie feſt geſchloſſen, der Zauber dauert ſo lange
dieſer Kreis dich umſchließt, du weißt es, warum fragſt
du mich?


Immortalita. Ungütiger Greis, wenn es mich
nun tröſtet, die Verheißung einer beſſern Zukunft noch
einmal zu vernehmen, warum verſagſt du mir ein
freundlich Wort?


Charon. Wir ſind im Land des Schweigens.


Immortalita. Wahrſage mir noch einmal.


Charon. Ich haſſe die Rede.


Immortalita. Rede! Rede!


Charon. Frage Hekate (er fährt hinweg).


Immortalita (ſtreut Weihrauch auf den Altar). He¬
kate! der Mitternacht Göttin! der Zukunft Enthüllerin
die ſchläft in des Nichtſeins dunklem Schooß! Geheim¬
nißvolle Hekate! Hekate! erſcheine.


Hekate. Mächtige Beſchwörerin! Was rufſt du
mich aus den Höhlen ewiger Mitternacht; dies Ufer
iſt mir verhaßt, ſein Dunkel zu helle, ja mir däucht ein
niedrer Schein aus des Lebens Lande habe hierher
ſich verirrt.


Immortalita. O vergieb Hekate! und erhöre
meine Bitte.


He¬[97]

Hekate. Bitte nicht, du biſt hier Königin, du
herrſcheſt hier und weiſt es nicht.


Immortalita. Ich weiß es nicht! warum kenn'
ich mich nicht?


Hekate. Weil du nicht dich ſelber ſehen kannſt.


Immortalita. Wer wird mir einen Spiegel
zeigen, daß ich mich ſchaue? —


Hekate. Die Liebe.


Immortalita. Warum die Liebe?


Hekate. Weil ihre Unendlichkeit nur ein Maas
für deine iſt.


Immortalita. Wie weit erſtreckt ſich mein
Reich?


Hekate. Über jenſeit einſt, über Alles.


Immortalita. Wie? — die undurchdringliche
Scheidewand, die mein Reich ſcheidet von der Oberwelt,
wird ſie einſt zerfallen?


Hekate. Sie wird zerfallen! Du wirſt wohnen im
Licht! — alle werden dich finden.


Immortalita. O wann wird dies ſein? —


Hekate. Wenn gläubige Liebe dich der Nacht
entführt.


Immortalita. Wann? — in Stunden? — in
Jahren?


5[98]

Hekate. Zähle nicht die Stunden, bei dir iſt keine
Zeit. Siehe zur Erde! — die Schlange, die ängſtlich ſich
windet, — feſter beißt ſie ſich ein, vergeblich möcht in
ihrem engen Kreis ſie dich gefangen halten, vergeblich
iſt ihr Widerſtand; — des Unglaubens Herrſchaft, der
Barbarei und der Nacht ſinkt dahin.


(Sie verſchwindet.)


Immortalita. O Zukunft wirſt du ihr gleichen?
— jener ſeligen fernen Vergangenheit, wo ich mit
Göttern in ewiger Klarheit wohnte. Ich lächelte ſie
Alle an, und ihre Stirnen verklärten mein Lächeln wie
kein Nektar ſie verklären konnte, und Hebe dankte
ihre Jugend mir, und immer blühender Aphrodite ihre
Reize. Aber durch der Zeiten Finſterniß getrennt von
mir, noch ehe mein Hauch ihnen Dauer verliehen, ſtürz¬
ten von ihren Thronen die ſeligen Götter, und gingen
zurück in die Lebenselemente; Jupiter in des Urhimmels
Kräfte, Eros in die Herzen der Menſchen, Minerva in
die Sinne der Weiſen, die Muſen in der Dichter Ge¬
ſänge; und ich Unſeligſte von Allen wand nicht des
unverwelklichen Lorbeers um die Stirne dem Helden,
dem Dichter. Verbannt in dies Reich der Nacht, der
Schatten Land, dies düſtere Jenſeit. muß ich der Zu¬
kunft nun entgegen leben.


[99]

Charon (fährt mit Schatten vorüber). Neigt euch
Schatten, der Königin des Erebos, daß ihr noch lebt
nach eurem Leben, iſt ihr Werk.


Chor der Schatten.


Stille führet uns der Nachen

Nach dem unbekannten Land,
Wo die Sonne nicht wird tagen
An dem ewig finſtern Strand. —
Zagend ſehen wir ihn eilen,
Denn der Blick möcht noch verweilen
An des Lebens buntem Rand.

(Sie fahren weg.)

Die vorige Scene.

Charons Nachen landend. Erodion ſpringt ans Ufer. Im¬
mortalita im Hintergrund.


Erodion. Zurück Charon, von dieſem Ufer, das
kein Schatten darf betreten! Was ſiehſt du mich an?
— Ich bin kein Schatten wie ihr; eine frohe Hoffnung,
ein träumeriſcher Glaube haben meines Lebens Funken
zur Flamme angefacht.


Charon (für ſich). Gewiß iſt dieſer der Jüngling
der die goldne Zukunft in ſich trägt (er fährt ab
mit ſeinem Nachen).


Immortalita Ja du biſts von dem Hekate mir
weiſſagte, bei deinem Anblick werde des Tages Strahl
5*[100] durch dieſe alte Hallen, durch dieſe erebiſche Nacht her¬
einbrechen.


Erodion Wenn ich der Mann bin deiner Weiſſa¬
gungen, Mädchen oder Göttin! wie ich dich nennen
ſoll, ſo glaube, du biſt die innerſte Ahnung des Her¬
zens mir.


Immortalita. Sage, wer biſt du, wie heißeſt
du, und wo fandſt du den Weg zum pfadloſen Ge¬
ſtade hierher? — wo Schatten nicht, noch Menſchen
wandlen dürfen, nur unterirdiſche Götter.


Erodion. Ungern möcht' ich zu dir von an¬
derm reden, als nur von meiner Liebe. Aber red ich dir
von meiner Liebe ſo iſts ja mein Leben. Höre mich
denn: Eros Sohn bin ich und ſeiner Mutter Aphro¬
dite, der Liebe und Schönheit Doppelverein hatte in
mein Daſein ſchon die Idee jenes Genuſſes gelegt, den
ich nirgend fand, und überall doch ahnete und ſuchte.
Lange war ich ein Fremdling auf Erden, von ihren
Schattengütern mocht ich nichts genießen, bis träumend
mir durch deine Eingebung eine dunkle Vorſtellung von
dir in die Seele kam. Überall geleitete mich dieſer
Idee Abglanz von dir, überall verfolgte ich ihre ge¬
liebte Spur, auch wenn ſie mir untertauchte im Land
der Träume, und ſo führte ſie mich zu den Thoren der
[101] Unterwelt, aber nie konnt ich zu dir durchdringen; ein
unſelig Geſchick rief mich immer wieder zu der Oberwelt.


Immortalita. Wie Knabe! — ſo haſt du mich
geliebt, daß lieber den Hälios und das Morgenroth
du nicht mehr ſehen wollteſt, als mich nicht finden?


Erodion. So hab ich dich geliebt, und ohne
dich, konnte die Erde nicht mehr mich ergötzen, nicht
mehr der blumige Frühling, der ſonnige Tag, die
thauige Nacht, die zu beſitzen der finſtere Pluto gern
ſein Zepter hätt vertauſcht. Aber wie eine größere Liebe
in meiner Eltern Umarmungen ſich vereint hatte, als
alle andre Liebe, — denn ſie waren die Liebe ſelbſt, —
ſo die Sehnſucht auch, die zu dir mich trieb, war die
mächtigſte, und über alle Hinderniſſe ſiegreich war mein
Glaube dich zu finden; denn meine Eltern wußten,
daß der aus Lieb und Schönheit entſprungen, nichts
höheres auf Erden finde, als ſich ſelbſt, und hatten
dieſen Glauben zu dir, mir gegeben, daß meine Kraft
nicht ſollt ermüden, nach Höherem zu ſtreben außer mir.


Immortalita. Aber wie kamſt du endlich zu
mir? unwillig nimmt Charon Lebende in das morſche
Fahrzeug, für Schatten nur erbaut.


Erodion. Einſt war mein Sehnen dich zu
ſchauen ſo groß, daß alles was die Menſchen erdacht
[102] dich ungewiß zu machen, mir klein erſchien und
nichtig. Muth begeiſterte mein ganzes Weſen: ich will
nichts, nichts als ſie beſitzen, ſo dacht ich, und kühn
warf ich dieſer Erde Güter alle, weg von mir, und
führte mein Fahrzeug hin zu dem gefahrvollen Fels,
wo alles Irdiſche ſcheitern ſollte. Noch einmal dacht
ich: wenn du alles verlörſt um nichts zu finden? —
aber hohe Zuverſicht verdrängte den Zweifel, fröhlich
ſagt' ich der Oberwelt das letzte Lebewohl, die Nacht
verſchlang mich, — eine gräßliche Pauſe! — ich fand
mich bei dir. — Die Fackel meines Lebens flammt noch
jenſeit der ſtygiſchen Waſſer.


Immortalita. Die Heroen der Vorwelt ha¬
ben dieſen Pfad ſchon betreten, der Muth hat her¬
über zu ſtreifen gewagt, aber der Liebe nur war vor¬
behalten, ein dauernd Reich hier zu gründen. Die Be¬
wohner des Orkus ſagen, mein Daſein hauche ihnen
unſterbliches Leben ein; ſo ſei denn auch du unſterb¬
lich; denn du haſt Unnennbares in mir bewirkt,
ich lebte ein Mumienleben, aber du haſt mir eine Seele
eingehaucht. Ja, theurer Jüngling! in deiner Liebe er¬
blicke ich mich verklärt; ich weiß nun wer ich bin,
weiß, daß ein ſonniger Tag dieſe alten Hallen beglän¬
zen wird.


[103]

Hekate tritt hinter dem Altar hervor.


Hekate. Erodion! trete in den Kreis der Schlange.
(Er thut es: die Schlange verſchwindet.) Zu lange, Immor¬
talita, warſt du, durch die Macht des Unglaubens und
der Barbarei, von Wenigen gekannt, von Vielen be¬
zweifelt, in dieſen engen Kreis gebannt. Ein Orakel,
ſo alt als die Welt, ſagt, der glaubigen Liebe
werde gelingen, dich ſelbſt in dem erebiſchen Dunkel
zu finden, dich hervorzuziehen und deinen Thron in
ewiger Klarheit, zu gründen, zugänglich für Alle. Dieſe
Zeit iſt nun gekommen, dir, Erodion, bleibt nur noch
etwas zu thun übrig.


Der Schauplatz verwandelt ſich in einen Theil der eliſaiſchen
Gärten, die Scene iſt matt erleuchtet, man ſieht Schatten hin und
wieder irren. Zur Seite ein Fels, im Hintergrund der Styx und
Charons Nachen.

Die Vorigen.

Hekate. Sieh Erodion, dieſen Einſturzdrohen¬
den Fels, er iſt die unüberſteigliche Scheidewand, der
des ſterblichen Lebens Reich von dem deiner Gebie¬
terin ſcheidet, er verwehrt der Sonne ihre Strah¬
len her zu ſenden, und getrennten Lieben ſich wie¬
der zu begegnen. Erodion! verſuche es, dieſen Fel¬
ſen einzuſtürzen, daß deine Geliebte auf ſeinen Trüm¬
[104] mern aus der engen Unterwelt ſteigen möge; daß fer¬
ner nichts Unüberſteigliches das Land der Todten von
dem der Lebenden mag trennen.


Erodion ſchlägt an den Felſen, er ſtürzt ein, es wird plötz¬
lich helle.


Immortalita. Triumph! der Fels iſt geſunken,
von nun an ſei den Gedanken der Liebe, den Träu¬
men der Sehnſucht, der Begeiſterung der Dichter ver¬
gönnt, aus dem Lebenslande in das Schattenreich her¬
abzuſteigen und wieder zurück zu gehen auch.


Hekate. Heil! dreifaches, unſterbliches Leben,
wird dies blaſſe Schattenreich beſeelen, nun dein Reich
gegründet iſt.


Immortalita. Komm Erodion, ſteige mit mir
auf, in ewige Klarheit; und alle Liebe, alles Hohe
ſoll meines Reiches theilhaftig werden. Du Cha¬
ron, entfalte deine Stirn, ſei freundlicher Geleiter de¬
nen, die mein Reich betreten wollen.


Erodion. Wohl mir, daß ich die heilige Ahnung
meines Herzens, wie der Veſta Feuer, treu bewahrte;
wohl mir, daß ich, der Sterblichkeit zu ſterben, der
Unſterblichkeit zu leben, das Sichtbare dem Unſichtbaren
zu opfern, Muth hatte.


[105]

Von der Hand des Herzogs Emil Auguſt von
Gotha auf das Manuſcript der Immortalita
geſchrieben.


Es iſt eine Kleinigkeit, die deiner Aufmerkſamkeit
nicht werth iſt, daß ich es ein Geſchenk des Himmels
achte, dich zu verſtehen, du edles Leben. Siehſt du zur
Erde nieder, giebſt gleich der Sonne du, ihr einen ſchö¬
nen Tag, doch auf zum Himmel wirſt du vergeblich
ſchauen, ſuchſt deines Gleichen du unter den Sternen.


Wie friſche Blüthenſtengel ſo ſchmückt deiner Ge¬
danken ſorglos Leben den bezwungenen Mann; ſein
Buſen bebt von tiefen Athemzügen, wenn dein Geiſt
gleich aufgelöſten Locken, die jetzt dem Band entfallen,
ihn umſpielt.


Er ſieht dich an, ein Liebender! wie ſtille Roſen
und ſchwankende Lilien ſchweben deiner ſegnenden Ge¬
danken Blicke ihm zu. Vertraute, nahe dem Herzen
ſind ſie. Wahrhaftiger, heller und ſchöner beleuchten
ſein Ziel ſie ihm und ſeinen Beruf, und auf ſchweigen¬
dem Pfade der Nacht, ſind hochſchauende Sterne, Zeu¬
gen ſeiner Gelübde dir.


5**[106]

Doch iſt eine Kleinigkeit nur, die deiner Aufmerk¬
ſamkeit nicht werth iſt, daß ich als ein Geſchenk des
Himmels es achte, dich zu verſtehen, du edles Leben.


Emil Auguſt.

An die Bettine.

Dein Brief liebe Bettine iſt wie der Eingang zu
einem lieblichen Roman, ich habe ihn genippt wie den
Becher des Lyäus der ein Sorgenbrecher iſt, es that mir
auch ſehr wohl, mich bewegten grade Sorgen um Dinge,
die eine nothwendige Folge des Lebens und daher nicht
unerwartet ſind; die ich Dir nicht mittheile weil ſie in
Deinen Lebensgang nicht einſtimmen*). Du biſt mein
Eckchen Sonne das mich erwärmt wenn überall ſonſt der
Froſt mich befällt. Ich werde die Stadt auf ein paar
Wochen verlaſſen, ein Brief wird mich am Donnerſtag
noch treffen, dann aber, den nächſten find ich wenn ich
zurückkomme, und dann ſind wir bald wieder ganz bei¬
ſammen. Laſſe Deine Briefe recht heiter ſein ohne ſchwer¬
[107] müthigen Nachklang, Deiner Natur iſt eine freie unge¬
hemmte Lebensluſt gemäß; die trüben mißmuthigen Re¬
gungen mit denen Du zuweilen prahlſt, ſind nur Zeichen
geheimnißvoller Gährungen denen der Raum zu eng iſt
ſich zu läutern, das muß ich glauben wenn ich Deine
jetzige natürliche Stimmung vergleiche mit jener gereizten,
die Dich zuletzt hier befiel, wo mir ganz bange um Dich
war. Es war Dir nichts weiter nöthig, als die been¬
gende Stadtluft nicht mehr zu athmen. Du biſt wie
eine Pflanze, ein bischen Regen erfriſcht Dich, die Luft
begeiſtert Dich und die Sonne verklärt Dich. — Die
Tonie ſchreibt hierher daß Du geſund ausſäheſt und
keine Spur von der interreſſanten Bläſſe übrig ſei; —
rathe wer darüber ſeinen Ärger nicht verhehlen kann? —
Elle ne sera plus ce quelle a été“ gab er mir auf alle
Troſtgründe zur Antwort. Indeſſen hoffe ich daß unſereins
auch noch bei Dir gilt, und mir iſts lieber daß Du auf
Koſten jener interreſſanten Bläſſe zunimmſt, als daß ich
immer hören muß Deine Lebendigkeit werde Dich noch
tödten, was komiſch klingt und auf mich geſtichelt iſt.
Ich habe mir ſelber die Vorwürfe nicht erſpart. —
Was Du Schlaftrunkenheit nennteſt, das war nach
Sömmering Nervenfieber, er ſagt Du habeſt keinen
Sinn für Krankheitszuſtände, Du habeſt die Kinder¬
[108] krankheiten wie luſtige Spiele durchgemacht, diesmal
ſei es von überſpanntem Studiren gekommen. Die phi¬
loſophiſchen Ausdrücke Abſolutismus, Dualismus, höchſte
Potenz ꝛc. mit denen Du in Deine Fieberphantaſien ſpielteſt
zeugten wider mich. Ich habe mir feſt vorgenommen,
dieſen Winter nur ſolche Sachen mit Dir zu treiben,
die Dir recht von Herzen zuſagen. — Ich bin zwar
nicht ſo ganz allein an dieſem Mißgriff ſchuld, Andre
denen ich vertraue, die wie mir ſchien nicht mit Unrecht
Dir viel philoſophiſchen Sinn zuſprechen, meinten er
müſſe entwickelt werden, ich folgte unſchuldig dieſen
Weiſungen und nahm Deinen Widerſpruch für die ge¬
wohnte Unbequemheit, Dich etwas Ernſtem zu fügen.
Der Hohenfeld ſagte mir, Ebel erzähle Du habeſt aus
überreiztem Widerwillen gegen die Philoſophie ſtarkes
Erbrechen gehabt, daraus ſich ein galliges Nervenfieber
gebildet habe; er warnte mich und ſagte Du ſeieſt ein
unbedeutendes Mädchen und kein philoſophiſcher Kopf, der
Deine könne zwar übermüthig und überſpannt, weiſer aber
nicht werden ꝛc. — Ich errieth daß er ein diplomatiſcher
Abgeſandter ſei von klugen Leuten, die viel von einem
wiſſen und von denen man nichts weiß; ſeine Citatio¬
nen von überſpannten Reden und abſurden Behaup¬
tungen die hier unter den Philiſtern im Umlauf ſind,
[109] ergötzten mich: Dein eigner Brief der wie der junge
Strauch das kränkelnde Laub abwirft und in friſchen
Trieben ergrünt, macht mich mit dem guten Hohenfeld
einverſtanden über Deine Unbedeutenheit, auch gefällt
ſie mir beſſer, als was ich an Gelahrtheit Dir zuſchan¬
zen könnte, Du biſt gefühlig für die Alltäglichkeit der
Natur, Morgendämmerung, Mittagſchein und Abend¬
wolken ſind Deine lieben Geſellen mit denen Du Dich
verträgſt wenn kein Menſch mit Dir auskommt. —
Wenn Du willſt ſo können wir umtauſchen und ich
Dein Jünger werden in der Unbedeutenheit, ſo wie Du
Dich für meinen Schüler hielteſt als ich einen ſtarken
Geiſt aus Dir bilden wollte. Jetzt wo es rückwärts
geht muß Du mein Lehrer ſein, ein Zaghafter kann
ſicherer bergauf gehen, aber einen ſteilen Weg hinab, dazu
gehört Entſchloſſenheit, die haſt Du, Du ſchwindelſt
nicht und haſt Dich noch nie beſonnen über Hecken und
Gräben zu ſetzen. Es dämmern mir ſchon ganz glück¬
liche Spekulationen über den Geiſt der Unbedeutenheit
auf; ich hatte unſägliche Luſt de[m] Domdechant, der
mich ſo hoch ſtellt, als Überläufer ein paar Dummhei¬
ten zu ſagen, die ihm Zweifel in ſein Urtheil gäben,
ich habe ihm auch eine geſagt worüber er die Hände
zuſammenſchlug, und meine Behauptung, daß ich viel
[110] von Dir empfange und Dein Umgang mich belehre, auf
mein Unvermögen mich ſelbſt zu ſchätzen ſchob, das mir
da einen abſurden Streich ſpiele, alle Welt wundere
ſich daß ich meine Zeit mit dem Sauſewind verbringe
und ihm vor andern ſolche köſtliche Minuten ſchenke.
— Nun es wird mir nicht fehlen daß mir nächſtens die
ergötzliche Unbedeutenheit aus dieſen meinen Verkehrt¬
heiten zuerkannt werde, um die mich keiner beneiden
wird weil man eben das Bedeutende nicht zu ſchätzen
weiß. Ich ahne ſehr hell, daß wenn in dem beſcheide¬
nen Knospenzuſtand Unbedeutenheit verborgen, nicht
der volle innere Lebenstrieb wirkte, das Bedeutende nie
ans Licht blühen würde, am wenigſten wenn diebiſcher
Eigennutz ſich der Zeit vordrängt blos um auf der Höhe
zu ſtehen, wo die Andern zu ſeinen ſchimmernden Phan¬
tomen aufſehen müſſen. Wie die Titanen mit großem
Gepolter ihre Treppe zu der Götter Burgen aufthürm¬
ten, und die ſtillen Gipfel des Olympos als unbedeutend
hinabſtürzten. Eins empfinde ich in Dir, daß die Na¬
tur das Ideal des Menſchengeiſtes, gleichwie das Pflan¬
zenglück unter warmer, nährender Decke vorbereiten
muß, ſonſt werden die Menſchen davon nicht wachſen
und reifen und im Sonnenglanze grünen.


Deine Begebenheiten, Deine Bemerkungen, alles
[111] macht mir Freude, ſorge daß mir nichts verloren gehe,
wenns nur Deiner Geſundheit nicht ſchadet, ſo ſchreibe
doch jeden Abend, darum bittet der Dämon der mirs
zuflüſtert und gern alles von Dir bewahren will.


Wo ſoll ich mit Deinem Kanarienvogel hin? Ich
nehme ihn mit in fremde Lande, es wird nicht viel Mühe
machen, ich kann ihn niemand anvertrauen ſo wenig
wie Dich. — Apropos! Wenn ich nun auch eiferſüch¬
tig ſein wollte auf die Prinzeß mit der Du immer Hand
in Hand gehſt? Haſt Du Dich je von mir an der Hand
führen laſſen, wenn wir draußen waren? — ſummteſt
umher wie eine wilde Hummel durch alle Gebüſche
und ließſt mich allein nachſteigen? Was vermag doch
dieſe Fürſtlichkeit über Dich daß Du Dich ſo zahm an
der Hand führen läßt im Freien? — Dein Vogel iſt
mir eben ſo zahm geworden, daß er mir in den Mund
pickt, das iſt nicht anders als Liebe zu mir, ich weiß
nicht, ob er mir jetzt nicht mehr zuthunlich iſt wie Dir,
grad wie Du mit der Kurprinzeß. — Ich war in Sor¬
gen um ihn, denn wie ich einmal zur Gartenthür hin¬
ausging flog er mir nach in den Garten, aber wie er
eine Weile unter den Bäumen herum geflattert war,
ſetzte er ſich mir auf den Kopf und ließ ſich ruhig wie¬
der hinein tragen, ich war recht froh, denn ich hätte
[112] nicht gewußt wie ich beſtehen ſolle, wenn Du ihn nicht
wiederfandſt. — Der Feigen waren eilf an Deinem
Baum, ich habe am Montag Ernte gehalten, drei da¬
von habe ich vom Baum verſpeiſt, drei habe ich in Ge¬
ſellſchaft verzehrt mit dem Jemand, der mich in der
Thür begegnete, er begleitete mich nach Haus und ſchien
ſich zu freuen, daß der Baum der von ihm ſtammt ſo
ſüße Früchte bringt. Nun liegen noch fünf Früchte, die
noch etwas härtlich waren, unter der Glasglocke beim
Apoll die ich in die Sonne geſtellt habe, ſie haben auch
ſchon nachgereift, ich werde ſie vor meiner Abreiſe in Kom¬
pagnie verzehren, aber mit Niemand der ſie allenfalls
wie eine unbedeutende Frucht mit Stumpf und Stiel
hinunter ſchluckte, ſondern mit Jemand der Deiner
Pflege für den Baum die Süßigkeit der Frucht zuſchreibt,
und ſie dankbar genießt. —


Karoline.


Eine Merkwürdigkeit muß ich Dir noch melden von
Deiner Altan, die Spinnen haben eine große Braban¬
ter Spitze gewoben von einem Ende zum andern, von
der kleinen Edeltanne über den Orangenbaum, über die
Bohnenlaube in die man nicht hinein kann wenn man
dies Kunſtwerk nicht durchbrechen will, dann über
[113] den Granatbaum zum Feigenbaum; ich habe alles ge¬
ſchont beim Brechen der Früchte. Dein Bruder Domi¬
nikus kam herunter und ſprüzte im Kreis ſie alle an
mit der kleinen Gießkanne, die Mittagsſonne ſchien ſehr
hell. Da ſpiegelten die criſtallnen Tropfen allerliebſt in
den Netzen, Dein Bruder meinte, wenn die Netze noch
weiter gingen ſo könne das eine Voliere für Schmet¬
terlinge ſein, die er vergeblich ſich bemüht als Raupen
zu zähmen, denn wenn ſie aus der Puppe ausflögen ſo
hätten ſie aller Pflege und Nahrungsſorgen die er für
ſie als Raupen getragen vergeſſen. — Mich amüſirte
ſehr ſeine ernſthafte Behauptung bei der Raupe und
Puppe auf die Seele des Schmetterlings wirken zu
wollen. — Ich meine die ungeheuren Spinnen würden
wohl alle Dankbaren und Undankbaren verzehren die
in dieſer Voliere eingefangen wären. — Noch ſoll ich
Dir ſagen von ihm, daß der Hopfen übers Dach hinauf
gewachſen iſt in die offnen Fenſter herein. — Du hörſt
gern von Deinem kleinen Paradiesgarten in dem alles
ſo ſchön iſt und kein Baum von dem man die Äpfel
nicht eſſen darf.

[114]

An die Günderode.

Mit der einen Hand hab ich meinen Brief dem
Both gereicht, mit der andern Deinen genommen, wir
kamen eben von unſerm Sonnenaufgang zurück, ſo ſah
ich den Both überm Thal am Berg herſteigen, ich wollt
mit ihm zuſammen ankommen, ich lief, die andern
wußten nicht warum, ſie riefen mir nach, ich galopirte
als an der Bergwand hin und ſchlug mit dem Stecken
an die Äſt, das regnete im heißen Lauf kühlen Thau
auf mich, dann ſchoß ich Berg ab ins Thal und konnt
nicht einhalten, der gut Both ſtellte ſich gegenüber und
fing mich auf; oben ſtand die ganz Geſellſchaft, ein
Kopf über dem andern, der Mſtr. Haiſe in der Mitt
und guckt durchs Perſpektiv, ich legt mich ins Gras
und ſchnaufte aus. — Potztauſend wie viel Hämmerchen
pochten in meinem Kopf, lauter Goldſchmied, und der
große Hammer in meiner Bruſt das war ein Grob¬
ſchmied; die andern kamen herbei, wie ich im hohen
Gras verſchwand glaubten ſie, ich ſei ohnmächtig oder
ſonſt was, der Voigt ſchrie, Gott bewahr, ſolche Ein¬
bildungen hat ſie nicht; ich guckte aus dem Gras her¬
[115] vor und lachte ſie aus, aber da ſchrie alles: ich hätt
können den Hals abſtürzen, ich hätt können Arm und
Bein brechen, mich hätt können der Schlag rühren,
unvorſichtig, tollkühn, ſinnlos ſchrieen ſie. — Was
Guckuck, ich wollts nicht mehr hören, ich ſetzt mich wie¬
der in Galopp, der Badepeter hatte grad die Bäder
angelaſſen, ich rief ihm zu: ſagt nicht, wo ich geblie¬
ben bin, und ſprang ins Waſſer mit Schuh und
Strümpf, und allen Kleidern; da unterm Waſſer warf
ich die Kleider ab, und dacht nicht gleich, daß ich Dei¬
nen Brief im Buſen ſtecken hatt, bis er auf dem Waſ¬
ſer ſchwamm, ich hab ihn gleich aus einander gelegt
und an dem Strick feſtgemacht in der Mitte vom Ba¬
degewölb, womit man die Klapp aufzieht wenns zu
heiß iſt, er flatterte im Luftzug über mir, und drehte
ſich hin und her, ich bin ihm immer nachgeſchwommen,
links und rechts, und hab ihn buchſtabiert, hier ein
Theil und dort wieder, wie der Wind das Blatt drehte,
das hat mich ergötzt und auch hab ich mich gefreut,
wenn ich aus dem Bad käm ihn zu leſen, und dann
ſtimmt ich an: „O du der Götter Höchſter, der über
Olympia mächtiglich waltet, laß beim Laufe der Flur
günſtige Winde in den Schläfe-beſchattenden Kränzen
mir wehen.“ — Da wußten ſie auf einmal, wo ich ge¬
[116] blieben war, denn alles war in den Bädern und meine
Stimme ſchallte laut am Gewölb; und da hört ich ſie
rufen: La voila! — und: wieder eine Tollheit, ſo er¬
hitzt ins Waſſer zu ſpringen. — Wollt ich nicht von
allen Seiten ſchreien hören, ſo mußt ich wieder ſingen:
„Laß o Jupiter mit leichten Füßen mich hingleiten dem
ſchnellfüßigen Tage zuvor, der mich ſieggekrönt am
Abend begrüße mit der Unſterblichkeit ſüß hallendem
Ruf.“ — Da kam die Liſett als Geſandtſchaft von
den andern, was war die verwundert, als ſie die Klei¬
der unter Waſſer ſah, und die Schuh auf der unterſten
Treppe, zwei volle Becher. — Ich ſah ihr die Be¬
ſtürzung an, ſie glaubte ich ſei toll geworden, ſie reichte
mir verſtummt ein Zettelchen, darauf ſtand: „Wohlan
Füllenbändiger, opfere einen feiſten Stier der Roſſebe¬
zähmerin Pallas Athene und ihren goldgewürkten Zü¬
gel wirf ſchnell um den jungfräulichen Hals.“ — Ich
frag wer ihr den Zettel gab, ſie ſagt der Badpeter,
ich frag den Badpeter, der ſagt ſein Sohn Lipps, ich
frag den Lipps, der ſagt am Röhrbrünnchen ein Herr
in Schlappſchuhen, eine Zigarre im Mund. — Was
hatte er an, wie ſah er aus? — Weißer Mantel,
graue Sammetmütze. — Ich hielt fürs beſte zu ſchwei¬
gen und niemand was vom Zettel zu ſagen, den Zettel
[117] legt ich zu meiner merkwürdigen Naturalienſammlung,
worunter iſt ein goldglänzendes Horn von einem Wein¬
ſchröter, das hohl iſt und ſo zierlich, daß es ſehr gut
als Trinkhorn könnt paſſen für ein Elfchen, das ein
Jäger wär, ich habs deswegen aufgehoben, wenn mir
einmal eins begegnet, ferner mehrere durchſichtige Steine,
die ſehr gut Edelſteine ſein könnten, wenn die Sonn
nur noch ein bischen beſſer durchſchien, und eine Puppe,
aus der ich ſelbſt den Schmetterling hab auskriechen
ſehen, die thut ſich auf und entläßt den Schmetterling
und ſchließt ſich wieder, ſie hat inwendig wie kleine
Stahlfedern, an die rührt der Schmetterling, wenn er
reif iſt, und dann öffnet ſie ſich, außen iſt die Puppe
ganz hart, daß man ſie nicht verletzen kann. — Ich
hab mirs expreß aufgehoben für Dich, ich will Dirs
zeigen und über die Unſterblichkeit mit Dir nachdenken
dabei. — Wenn ich ſo was ſeh in der Natur, wovor
geſorgt iſt, daß alles geſchützt iſt ſo ſorgſam, daß es
nicht geſtört wird bis es reif iſt, das ſchauert mich an,
und gewiß iſt nichts ſo traurig, als ſie ſtören, denn ſo
zärtlich wie ſie iſt, muß es ihr durch die Seele gehen.
Ich mag mich nicht an ihr verſündigen, nicht mich
empor drängen und was ſein wollen vor der Zeit, mag
nicht ein ſtarker Kopf werden, ſie wills nicht, die Na¬
[118] tur, ſie ſagt ich ſoll laufen und ſpringen und Überle¬
gung ſoll ich gar nicht haben, und in Deinem Brief
ſtehts nun auch geſchrieben, was mich ſo ſehr freut,
Unbedeutend! — Da bin ich von Herzen dabei, wenn
Du nur auch ſo dumm ſein willſt und mich den bedeu¬
tenden Leuten vorziehen. Du mußt allen Leuten zuge¬
ben, daß nichts iſt mit mir, da wird ſichs bald geben;
eigentlich wer ſchuld iſt, das iſt der Clemens, der hat
aus großer Lieb zu mir, ſich immer an allem gefreut,
was ich gethan hab, und hat meine unbedachtſame Re¬
den als wunderſchön gefunden. Nun was liegt dran?
— Aber auf die Burg kommſt Du doch noch? — Nicht
wahr? da ſind wir zwei mit dem Dämon zuſammen
und fragen nach ſonſt Niemand. — Ich freu mich ſo
drauf, daß mir manchmal das Herz klopft, und wenn
ich mich beſinn, was es iſt, ſo ſind es die acht Tage,
wo wir zwei zuſammen in einer Stube ſchlafen, und
der [Herbſtwind] geht dann ſchon, und ſchüttelt das Laub
ab von den Platanen, und Nachts wecken wir uns,
wenn wir einen Gedanken haben, und ſchlafen dann
gleich wieder. Ich kann Dir auch viel hier erzäh¬
len, ich hab eine Menge Gedanken, die ich nicht auf¬
ſchreiben kann, manchmal ſpring ich auf als müßt ich
zu Dir und Dir gleich was ganz neu gedachtes ſagen.
[119] — Aber ich hab Dir ja noch nicht erzählt, was heut
noch vorgefallen iſt. Um zwölf Uhr ſind wir hinunter,
blos ich und die Tonie zur Kurprinzeſſin, um Abſchied
von ihr zu nehmen, die Tonie hatte ihr auf den Tiſch
im Vorſaal all die ſchönen Früchte aufgeſtellt und die
Blumen dazwiſchen, ſie nahm ſehr freundlich von allen
und ſagte ſo viel herzlich gutes zur Tonie, daß ich
zum erſtenmal empfand, als wenn es wahr wär, was
ich bei andern nie glaub, wenn ſie höflich ſind. Du
frägſt: wenn Du nun auch eiferſüchtig ſein wollteſt auf
die Kurprinzeß. Ei warum biſt du's nicht? — Das iſt
eben, was mir leid iſt, wenn ich Dir heut ſagte, ſie
wollt mich mitnehmen und ganz bei ſich behalten, da
würdeſt Du am End ganz kalt ſchreiben: Liebe Bettine,
es thut mir zwar leid, daß unſer Umgang hierdurch
unterbrochen wird, aber ich rathe Dir ſehr, laß Dich
dadurch nicht abhalten. — Und ich würde das aber
nicht thun, ſelbſt wenn ich mir denk, daß Du mir ſo
kalt antworten könnteſt und könnteſt es leicht verſchmer¬
zen, obſchon mir die Kurprinzeß am liebſten iſt von al¬
len, die ich geſehen hab, denn außer der Großmama
und Dir hab ich nie Frauen geſehen, die mir edel vor¬
kamen, denn ich häng innerlich mit Dir zuſammen, das
weiß ich, und der Dämon hält mich auch feſt bei Dir;
[120] und wo ſollt ich noch einmal fühlen ſo vertraulich? —
kann man ſo bei Prinzeſſinnen ſimuliren, ſo im Mond¬
ſchein im Zimmer an der Erde liegen und ihm nachrücken
und Geſchichten erfinden wie wir den Winter, und wenn
ich Dein Haar flechten wollt, da haſt Du michs laſſen
aufflechten und wieder flechten, und erfandeſt Oſſians-
Geſänge, während ich es kämmte.


Deine Locken gleich den Raben düſter,

Deine Stimme wie des Schilfs Geflüſter,

Wenn der Mittagswind ſich leiſe wiegt.

Weißt Du noch, wie ichs Dir ſtill nachſang, was
Du ſo ſchauerlich mir vorſagteſt, und weißt Du wohl,
daß da mein Herz ganz voll Thränen war, mehr wie
einmal, und heimlich ſtritt ich mit mir, daß ich ſtark
ſein wollt und meine Schmerzen bezwingen? — Ich
wollt Dirs nicht zeigen, wie tief das in mich ging:


Denn mein Schwert umgiebt wie Blitzes Flügel

Dich du liebliche, du ſchönes Licht. —

Wie oft hab ich das geſungen für mich, und war
ein Held. —


Collas Tochter ſank zum Schlafe nieder

O! wann grüßeſt du den Morgen wieder?

Schöngelockte wirſt du lange ruhn? —
Ach! die Sonne tritt nicht an dein Bette

Spricht, erwach aus deiner Ruhestätte,
Collas[121]
Collas ſchöne Tochter ſteig herauf! —

Junges Grün entkeimet ſchon dem Hügel

Frühlingslüfte ſtiegen drüber her.

Sonne birg in Wolken deinen Schimmer!

Denn ſie ſchläft, der Frauen Erſte! — nimmer

Kehret ſie in ihrer Schönheit mehr.

Das hab ich ſo oft geſungen, und auch am Fels
vorgeſtern, und ich kann ſo ſchöne Melodieen drauf,
die mir alle durchs Herz gehen, und wenn wir auf der
Burg ſind den Herbſt, dann wollt ich Dirs vorſingen
wenns dunkel iſt, eh das Licht kommt; wie kannſt Du
denn nur denken, daß ich die Kurprinzeß lieber haben
könnt? — aber Du denkſt es auch nicht, du ſtellſt Dich
nur ſo, denn ſonſt wärs gar zu traurig für mich, daß
Du nicht betrübt darüber wärſt. — Ich kann mir un¬
ter Collas Tochter immer nur Dich denken; denn ſie
ſchläft der Frauen Erſte! — und ſo hab ich in man¬
cher Stunde mit Thränen Dich beſungen, denn ich kann
das nicht ſingen ohne daß es mein Herz ſo ſtark be¬
wegt, Abends wenn ich allein bin, daß ich oft meinen
Kopf in die Kopfkiſſen ſtecke und will alle Wehmuth
erſticken, weil ſie mich gar zu ſchmerzlich befällt. —
Aber was ſoll ich doch hier ſo fern von Dir, Dir von
meinen bitteren Stunden ſagen, das kann Dich nur
traurig machen, und Du biſt jetzt ſo betrübt. — Aber
6[122] laß dichs nicht betrüben von mir, das iſt nur ſo vor¬
übergehend, wie eben die Schloſſen, die hier fielen, ich
will Dir, lieber noch weiter erzählen von der Kurprin¬
zeß, du weißt, daß ich traue in Deine Lieb und gar
nicht denk, daß ich Dir gleichgültig bin und auch nicht,
daß Du an mir zweifelſt. Die Kurprinzeß verlangte
heut morgen, ich ſollte ihr noch ein Lied ſingen zur
Guitarre, das ſie als zuweilen vom Fenſter gehört habe,
das erſchreckte mich ſehr, denn der Herzog ſtand dabei
und zog den Mund ſo kurios zuſammen, und ſagte, er
hab auch meine Stimme gehört, ſie ſei ſehr ſchön; ich
hätt gern ausgewichen, aber ich fühlte, daß es unſchick¬
lich war, ich holte alſo meine Guitarre und unterwegs
bezwang ich meine Angſt vor dem Herzog, vor der
Prinzeß hätt ich mich auch nicht gefürcht, denn ich hatte
ſchon oft die Abende in dem Laubgang vor ihrem Fen¬
ſter allerlei Melodieen improviſirt, weil mich einmal
eine geheime Neigung zu ihr anregte, daß ich als recht
zärtliche Melodieen erfand. Vor dem Herzog hätt ich
mich auch nicht gefürcht, aber weil ich den Morgen im
Bad geſungen hatte, ſo dacht ich, er hätts gehört und
möcht wohl gar davon anfangen, und an den Zettel
dacht ich auch. — Aber da kam mir mit einmal ein
Gedanke, der half mir drüber hinaus, ich nahm dein
[123] Darthulagedicht *) aus meiner Brieftaſche mit und ſang
draus was ich da oben Dir hingeſchrieben aus dem
Kopf in eine Melodie hinein, im Anfang wars ein we¬
nig ſteif, aber bald gings recht wie ich manchmal ſelbſt
überraſcht bin, und tief erſchüttert, wie die Melodie ſo
viel gewaltiger es ausdrückt, und erſt das Herz empfin¬
den lehrt, und ich wiederholte es, da wars ſo ſchön, ach
wenn ichs doch noch einmal ſo ſingen könnt vor Dir;
— der Herzog verlangte, ich ſollte noch fortſingen, da
war ich nicht mehr bang, ich ſang gleich:


„Laß zehntauſend Schwerter ſich empören

Usnoth ſollt von meiner Flucht nicht hören

Ardan! ſag ihm rühmlich war mein Fall.

Winde! warum brauſen eure Flügel?

Wogen warum rauſcht ihr ſo dahin? —

Wellen! Stürme! denkt ihr mich zu halten?

Nein ihr könnts nicht, ſtürmiſche Gewalten!

Meine Seele läßt mich nicht entfliehn.

Wenn des Herbſtes Schatten wiederkehren,

Mädchen, und du biſt in Sicherheit,

Dann verſammle um dich Ethas Schönen

Laß für Nathos deine Harfe tönen

Meinem Ruhme ſei dein Lied geweiht.“ —

Und dies zweite Mal ſang ich noch beſſer, mit tieferer
Stimme und war ſelbſtfühliger; es ſind die zwei Stellen,
die ich aus Deinem Lied auswendig weiß, weil Du ſie
in meiner Gegenwart gemacht haſt, im Dunkel, und
ſagteſt zu mir: behalt es auswendig bis Licht kommt,
6*[124] ich will unterdeß weiter dichten, und ich wiederholte
immer vier Verſe bis noch vier dazu fertig waren, die
Du auch meinem Gedächtniß vertrauteſt und immer
weiter ſchiffteſt im Ocean, Günderode, wie ſchön war
doch das? — wie werd ich je ſchöneres erleben als mit
Dir? — Dem Herzog hab ich Dein Gedicht gegeben
und geſagt, es ſei von Dir, und auch den Don Juan *)
hab ich ihm geſchenkt, er lag dabei, ich dacht du giebſt
mirs wieder; ich wollt ihm es ſo gern geben, weil ich
ſah, daß er große Freude dran hatte. Du giebſt mirs
wieder. — Die Kurprinzeß verlangte, ich ſoll ihr die
Melodie abſchreiben laſſen von dem Lied, ich ſagte ja,
aber wo iſt die hin? ich weiß nicht mehr, — ſie hat
mich auch noch herzlich geküßt auf beide Wangen; und
der Tonie ſagte ſie ſehr freundlich, wenn ſie es erlaube,
ſo wolle ſie den Strauß aus der Ananas mitnehmen
und zum Andenken in ihrem Treibhaus pflanzen laſſen.
— Gelt das war ſo freundlich, und ich will dirs nur
geſtehen, daß mir heimlich recht leid gethan hat, wie
ſie fort war und alles kam mir ſo leer vor, daß ich
doch drüber weinen mußte, obſchon ich nicht wollt, ich
hielt mich auch gar nicht dabei auf, eben weil ich an
Dich dachte und Dir keine Untreue wollte begehen. —
[125] Wir begleiteten ſie bis zum Wagen und ſie ſagte mir
noch, wo ich ſie begegnete, da ſollte ich immer zu ihr
kommen, ich küßte ihre Hand und ging zurück, denn der
Herzog ſprach noch mit ihr. — Sein Wagen war auch
vorgefahren, er legte mir die Hand auf den Kopf und
ſagte, auf Wiederſehen, — und lachte mich an, und
ich dachte: Ach Gott, am End hat er den Zettel dem
Lipps gegeben. Er ſtieg in den Wagen im leberfarb¬
nen Rock, und wie das Windſpiel nachſprang und ſich
zu ſeinen Füßen legte, da ſah ich wohl ſo etwas auf
dem Rückſitz liegen, wie einen weißen Mantel, der hell¬
blau gefüttert war, aber er ſah doch nicht ganz weiß
aus, ſondern mehr hellgrau, aber die graue Mütze ſah
ich, wie mich deucht, auch. — Ja ich ſah ſie gewiß, ich
wollt ſie nur nicht erkennen, weil ich mich ſchämte; —
aber das dauerte noch eine Weile, daß ich mich gar
nicht tröſten konnte, und ſo oft mirs einfällt werd ich
aufs Neue roth vor mir ſelber. — Aber ich denk nur
immer, ein Prinz hat kein lang Gedächtniß, er wirds
bald vergeſſen. Ach wenn ers nur recht bald vergäße!
— Gute Nacht. Morgen erzähl ich Dir noch mehr
von heut, von unſerm Sonnenaufgang hab ich Dir noch
gar nichts erzählt, daß wir den gar nicht geſehen
haben, und daß die Sonne hinter uns aufging, — und
[126] daß alles über die in der Ferne liegenden Berge ſah
und meinte, ſie ſollt dort hervorkommen, und daß ſie
hinter der Felswand in unſerm Rücken aufſtieg und der
Mſtr. Haiſe mit dem Perſpektiv bewaffnet, und der
Voigt, der mir immer ins Ohr ſagte: geben Sie acht
was paſſiren wird, ſie werden ſich alle bald verwundern,
kein Menſch achtete ſeiner Reden. — Es ward hell und
hell und die Sonn kam nicht, und auf einmal war ſie
hinter uns, ganz mäßig und vernünftig, ohne Aufwand,
wie wir ſie beim Frühſtück auf der Terraſſe auch hätten
ſehen können, aber der große Streit, der vorfiel, keiner
wollte der ſein, der es nicht gleich gedacht hatte, jeder
ſollt den andern verführt haben, es war wirklich ein wun¬
derlicher Streit und der Mſtr. Haiſe mit dem Perſpektiv,
mit dem er die Sonn zuerſt hatte entdecken wollen! —
der Voigt wurde am meiſten gezankt und er ſollte zu¬
letzt allein dran ſchuld geweſen ſein, er hätt ſie mit
Fleiß all herum gewendet, und er hätte davon geſpro¬
chen zuerſt, daß dort gen Morgen läg. Er ſagt aber,
nein, er hätt ſie nicht verführt, er hätt es aber wohl
gewußt, drum hätt er auch geſagt: ſie würden ſich bald
alle ſehr verwundern, aber er wüßt, er ſtände in ſo ſchlech¬
tem Kredit bei ihnen, daß er ſich nicht getraut hab es
ihnen zu ſagen, denn ſie hättens doch nicht geglaubt.

[127]

Am Samſtag —


Den Kanarienvogel ſchenk ich Dir, Du ſollſt ihn
behalten, er hat Dich lieber wie mich, und ich bin ihm
gut, was ſoll ich ihm ſeine eingeſperrte Lebensfreud
verketzern. Ich bin aber kein Kanarienvogel und Du
kannſt mich nicht hingeben wollen, denn ich ſchenk Dir
alles, Du ſollſt mich nicht hergeben. — Meine Altan
iſt doch ſchön, nicht wahr? — als Kinder hat uns da
der Herr Schwab die bibliſche Geſchichten vorerzählt,
Abends, eh wir zu Bett gingen, da hab' ich den Mond
zum erſtenmal ſcheinen ſehen. Wie wunderlich wars
doch, und die Fenſter von den Stuben nebenan, wenn
da Abends Licht drinn war, die malten den Schatten
von den Sträuchern auf den Boden, da ſaß ich ſo gern
allein auf dem Boden und ſah den Schatten rund um
mich ſich bewegen. Ich hab mich wohl immer gefürch¬
tet als Kind, aber mehr bei Tag, wenn ich allein war,
und im Zimmer, wo alles ſo nüchtern ausſah, aber in
der Nacht war was vertrauliches, was mich lockte, und
noch eh ich was von Geiſtern gehört hatte, war die
Empfindung in mir, daß etwas Lebendiges in der Um¬
gebung ſei, deſſen Schutz ich vertraute; ſo war mirs
auf der Altan als Kind von drei oder vier Jahren,
wo beim Sonnenuntergang immer alle Glocken den Tod
[128] des Kaiſers einläuteten, und wies da immer nächter
ward und kühler, und es waren keine Leute um mich
und als ob die Luft lauter [Geläute] ſei, was mich um¬
fing; da kam eine Traurigkeit über mein kleines Herz¬
chen, und dann wieder ſo raſches Zuſammennehmen,
ich fühls noch, wie wenn der Schutzengel mich auf den
Arm nähm. Jetzt muß ich aber ſagen: Was iſt doch
das Leben für ein groß Geheimniß, das ſo dicht die
Seel umſchließt, wie die Puppe den Schmetterling, kein
Licht ſtrahlt durch den Sarg, aber die Sonnenwärme
empfindet die inwendige Seele und wächſt und wächſt
unter ſchweren Ahnungen, unter Thränen. Ach ver¬
zeihs, daß ich gleich traurig war, aber die Altan! —
Dort hab ich ganz ſehnſüchtige Augenblicke ſchon ge¬
habt, die mir wie Schwerter durchs Herz gingen und
ich wußte nicht was es war, und weiß es noch nicht. —
Grad in der ſchönen blühenden Zeit war mirs immer
ſo traurig, grad am hellen Mittag, wenn da ſo ein
Bienchen eine Weile herumſchwärmte. — Ach was! —
ich will lieber was anders denken. — Du biſt recht gut,
daß Du allerlei ſo sub rosa hervorleuchten läßt, was
mich heimlich freut. — Was mir doch noch wird? —
ob ich je aus dem Licht heraustrete, was Dein lebendig
Aug auf mich ſtrahlt? — denn Du kommſt mir vor
[129] wie ein ewig lebender Blick— und als wenn von ihm
mein Leben abhing. — Aber davon will ich auch nicht
reden. — Von der Eſelsparthie geſtern nach Rauhen¬
thal, ſie iſt zu Waſſer geworden aber erſt am End, es
kam ein ungeheurer Platzregen wie wir noch eine halbe
Stunde von der Heimkehr entfernt waren, das zuſam¬
menlaufende Waſſer von den Bergen herab ins Thal
gab ordentlich Seen, die der Wind wellig kräuſelte. —
Und wie die Eſel mitten durchs Waſſer pfatſchten mit
uns, kam ein ungeheurer Donnerſchlag, die meiſten
ſchrieen auf, die Eſel ſchrieen nicht, aber ſie warfen
uns alle mit einemmal herunter in die Pfützen und
da konnt keiner ſich halten, nur der Engländer
wollte es zwingen mit ſeinen langen Beinen, der Eſel
warf ſich nieder und bäumte ſich, und ſo galopirten
alle Eſel fort, daß ſie im Nu aus den Augen waren,
die Eſeltreiber hinterdrein, denen nachgerufen wurde,
uns Laternen zu ſchicken. Der ganze Haufe conſultirte
in der Pfütze, ſetzte ſich nach wieder erlangter Beſinnung
in Bewegung, auf das verwirrte Untereinanderſchreien
folgte bald Stille, der Weg war zu beſchwerlich als
daß man auf etwas anders denken konnte als nur wie
man den Fuß mit ſammt dem Schuh wieder aus dem
Moraſt heben wolle, dies aber war nicht möglich, die
6**[130] meiſten Schuhe blieben ſtecken, die Laternen kamen uns
bald entgegen, die beſchwichtigten Eſel wurden wieder
heran geführt, und ſo kamen wir zwar beritten an, aber
in welchem Zuſtand? — Alle Strohhüte hatten im Mo¬
raſt gelegen. Die Schuhe fehlten, die Damengewande
ſo naß, als ſollten ſie zu Statuen Modell ſtehen, und
die Herren nicht minder; man verfügte ſich in die Bä¬
der und kam neugeboren und neugeſtrählt heraus, ein
Geſammt-Abendthee in Pantoffel und Schlafröcken und
Pudermäntel eingenommen, machte den Beſchluß, alles
beſchrie des Unfalls Jammer und lachte ſich halb todt
drüber. Mſtr. Haiſe, deſſen natürliche Haarfarbe jetzt
zu Tag kam, war nicht mehr zu erkennen, aber ſeine
Schönheit wurde allgemein bewundert, ſein braunrothes
Haar ſtand ihm ſo viel ſchöner als der Puder, womit
ers hatte verbergen wollen, daß man ſchrie: jetzt könne
er erſt intereſſiren, was man vorher für unmöglich
hielt. Wer war vergnügter wie Er, der feierlich dem
Puder abſchwor und mit himmliſcher Selbſtzufriedenheit
bei den Frauen herumſpazierte, ſich bewundern zu laſ¬
ſen. — Ich und die Liſett haben noch bis Mitternacht
die Strohhüte renovirt, ich ſchlug ſie alle auf der einen
Seite mit einer Kokarde auf, wenn man nun im Schat¬
ten ſein will, ſo ſetzt man die Schippe nach vornen,
[131] wo die Sonn nicht ſcheint dreht man ſie herum;
die Verwandlung fand allgemeinen Beifall und ſieht
nach Voigt maleriſch aus. Heut morgen kamen die
Eſeltreiber mit den verlornen Schuhen auf ihren Stek¬
ken in Prozeſſion angerückt; ſie hofften ein Trinkgeld,
es mußte auch bezahlt werden, obſchon die Schuhe beſ¬
ſer wären geblieben wo ſie begraben waren; man war
ärgerlich, daß ſie die beſchmutzten Schuhe ſo öffentlich
zur Schau trugen. Das war die geſtrige Geſchichte.
Voigt hatte ſchon lange drum gebeten, die ganze Ge¬
ſellſchaft zu Eſel in ſein Skitzenbuch zeichnen zu dürfen,
heut Morgen war ein ſchöner heller Himmel und doch
wars abgekühlt vom Gewitter, wir machten uns ſo ma¬
leriſch wie möglich, ließen Bänder flattern, Schleier
wehen, die Herrn ſteckten Sträucher auf den Hut, ga¬
ben ſich nachläſſige Poſituren, ſchaukelten mit den Bei¬
nen, ſo gings langſam vorwärts, Voigt war voran mit
ſeinem Malkaſten, hatte die Palette aufgeſetzt, ſaß auf
einem Zeltſtuhl vor der Höhe, wo wir herabkamen und
beobachtete den Zug mit dem Fernglas, auf einmal rief
er halt, ich war voran mit einer grünſeidenen Fahne,
die ich mir gemacht hatte, die ſtemmt ich in die Seite
und hielt recht feierlich ſtill, die Guitarre hing auch am
Sattel Voigt malte eifrig auf ein Stück Wachslein¬
[132] wand, das auf ein Brett genagelt war. Es dauerte
ein Weilchen, die Eſel hingen die Ohren und waren
eingeſchlafen, die Sonne brannte, die Mücken ſtachen,
die Schleier und Bänder hingen ſchlaff, ſie glaubten
alle, ſie könntens nicht länger aushalten, ich hätte doch
dem guten Voigt ſo gern das Plaiſir gegönnt, daß ſeine
Skitze fertig wurde; ich nahm meine Guitarre und
ſtimmte den Koſiusko an, Crothwith begleitete mich auf
dem Flageolett, mehrere Maultrommeln der Eſeltreiber¬
jungen fielen ein, es erhob die Stimme Baß und Dis¬
cant, andere pfiffen, Haiſe neben mir an gab einen
Ton von ſich mit dem er eine Pauke nachmachte, die
mit einer Ruthe und einem Klöppel geſchlagen wird,
pfitſch pfitſch, bum bum. Die Eſel wachten auf und
ſpitzten die Ohren wieder, die Lüftchen regten ſich
wieder in den flatternden Bändern, alles war be¬
geiſtert und Voigt malte ſchneller als eine Wind¬
mühle in die der Sturmwind bläſt; die Eſeljungen
hatten ſich auch in nachläſſigen Stellungen poſtirt, bald
wars ſo weit, daß wir umwenden konnten, Voigt be¬
ſtieg ſeinen Eſel und wir zogen vergnügt und ſingend
zurück. Die Skitze iſt allerliebſt kräftig, er will ſie zu
Frankfurt fertig malen, wärſt Du doch auch dabei ge¬
weſen. — Im Nachhauſereiten ſah ich die Birke von
[133] fern, die ſo leiſe wehte, in der ich ohne daran zu den¬
ken wie eine Viſion Dein Bild geſehen hatte. Ich
dachte daran, ob ichs doch verſuchen wollte, Dich hier
zu beſuchen, wenn man allein iſt, da kann man viel
beſſer klettern, und wie heut Nachmittag alles Siesta
hielt, bin ich hierher gekommen und hab geſehen, was
der Herzog für Buchſtaben in den Baum geſchnitten
hat: Z D F und ſeinen Namen drunter, ich weiß
was es heißt, grade was er unter Dein Manuſcript von
der Immortalita geſchrieben hat. — Der Voigt ſagt
mir, ſein Buch ſei ſehr witzig und hat mir noch man¬
ches Schöne erzählt von ihm und auch Sonderbares. —
Das Buch müſſen wir zuſammen leſen den Winter.
Heut Nachmittag war alles verſammelt beim Thee auf
der Terraſſe. Die Luſt auf weite Parthieen iſt gedämpft,
wir ſpielten Federball, und machten Seifenblaſen, die
flogen zwiſchen die Bäum und bald hier oder dort hin,
auch eine auf dem Haiſe ſeine Naſ glaub ich.


Sonntag.


Heut Morgen war man zum letzten Frühſtück ver¬
ſammelt, denn morgen geht alles fort, der ganze Vor¬
mittag verging mit Spaziergängen von Paar und Paar
im Wald, ich ſchlenderte mit dem Voigt nach einem
[134] grünen Platz und las ihm vor aus deiner Brieftaſche,
ich las ihm die Manen vor, und knüpfte allerlei Ideen
dran, die ich nicht recht ausſprechen konnt, ich kann
vor niemand ſprechen wie vor Dir, ich fühl auch die
Luſt und das Feuer nicht dazu als nur bei Dir, und
was ich Dir auch ſag oder wie es herauskommt, ſo
ſpür ich, daß etwas ſich in mir regt als ob meine Seele
wachſe und wenn ichs auch ſelbſt nicht einmal verſteh,
ſo bin ich doch geſtärkt durch Deine ruhigen klugen Au¬
gen, die mich anſehen, erwartend als verſtänden ſie
mich und als wüßten ſie, was noch kommen wird, Du
zauberſt dadurch Gedanken aus mir, deren ich vorher
nicht bewußt war, die mich ſelbſt verwundern, andre
Leut haben mit mir keine Geduld, auch der Voigt nicht,
der ſagt: ich weiß ſchon was Sie wollen, und ſagt
etwas was ich gar nicht gewollt hab. — Dann mach
ichs aber wie Du und hör ihm zu, und da hör ich al¬
lemal was Kluges, Gutes. — Heut ſagte er: die Ver¬
nunft ſei von den Philoſophen als ihr Gott umtanzt
und angebetet wie jeder ſeinen Gott anbete, nemlich als
ein Götze, der zu allem gelogen werde was man nur
in der Einbildung für wahr halte, Dinge, die man auf
dem Weg des Menſchenſinnes und der Empfindung al¬
lein finden könne und ſolle; die würden zu Sätzen,
[135] die auf keiner empfundenen Wirklichkeit beruhen, nur
als willkührliche Einbildungen gelten und wirken. — Phi¬
loſophie müſſe nur durch die Empfindung begriffen wer¬
den, ſonſt ſei es leeres Stroh was man dreſche, man
ſage zwar Philoſophie ſolle erſt noch zur Poeſie werden,
da könne man aber lange warten, man könne aus
dürrem getheertem Holz keinen grünen Hain erwarten,
und da möge man Stecken bei Stecken pflanzen, und
den beſten Frühlingsregen erbitten, er werde dürr blei¬
ben, während die wahre Philoſophie nur als die
jüngſte und ſchönſte Tochter der geiſtigen Kirche aus
der Poeſie ſelbſt hervorgehe, dies ſagte er dem Mſtr.
Haiſe, der ſtudirter Philoſoph iſt, der war darüber
ſo aufgebracht, daß Voigt die Poeſie die Religion der
Seele nenne, daß er mit beiden Füßen zugleich in die
Höhe ſprang — und nachher mir allein ſagte: ich möge
dem Voigt nicht ſo ſehr trauen, denn ſeine Weisheit
ſei ungeſund und könne leicht ein junges Herz verfüh¬
ren, ſonſt war alles ganz gut, wir tranken Nachmittag
auf dem Muſenfels Kaffee und machten ein luſtig Feuer
im Wald an und tanzten zuletzt einen Ringelreihen
drum, bis die letzten Flammen aus waren, und alle wa¬
ren wie die Kinder ſo vergnügt, und mir kam vor als
wenn gar kein Falſch oder verſteckte Geſinnung mehr
[136] unter allen wär. Ein freies Gemüth iſt doch wohl das
höchſte im Menſchen. Nie eine Periode des Menſchen¬
lebens verlaſſen ſo wie ſie rein erſchaffen iſt, um in eine
andre überzugehen, dabei nie eine derſelben vermiſſen,
ewig Kind ſein, als Kind ſchon Mann, und Sclave
des Guten ſein, Gott anbeten in Ehrfurcht und mit
ihm ſcherzen und ſpielen in ſeinen Werken, die ſelbſt
ein Spiel ſeiner Weisheit, ſeiner Liebe ſind, ſagte Voigt
auf dem Heimweg zum Mſtr. Haiſe und der war zu¬
frieden und reichte ihm die Hand. —


Gute Nacht.

Am Montag.


Geſtern hätt ich nun rechte Zeit gehabt Dir zu
ſchreiben, alles iſt fort, aber ich war müde. Tonie liegt
auf dem Bett und ſchläft, man war bis ſpät in der
Nacht auf geweſen, ich ging noch auf die Terraſſe um
Abſchied zu nehmen, weil am Morgen alles vor Tag
abreiſte; nur der Voigt blieb da bis Mittag, weil er
nur bis Mainz ging. Er ging mit mir in die kleine
Kapelle zur Meſſe, da war eben die Predigt wieder am
Ende, es war unſer Franziskaner. „Warum hat Je¬
ſus, da er ans Kreuz geſchlagen iſt und die bitterſten
Schmerzen leidet, zugleich eine himmliſche Glorie um
[137] ſein Haupt, die allen Anweſenden das Mitleid verbie¬
tet, die zugleich das ſeligſte ruhmvollſte Entzücken an¬
deutet mit dem menſchlichen Kampfe im Elend? —
Warum liegt in jedem ſeiner Thaten, ſeiner Worte,
das Irrdiſche mit dem Ewigen ſo eng verbunden? —
Er hat ſeine Leiden nicht mit Freuden vertauſcht da er
es wohl vermochte. — Alſo Menſch hab dein Schickſal
lieb, wenn es dir auch Schmerz bringt, denn nicht dein
Schickſal iſt traurig, wenn es dir auch noch ſo viel
Menſchenunglück zuführt, aber daß du es verſchmä¬
heſt, das iſt eigentlich das große Unglück, und ſo ſchließ
ich wovon ich ausging, daß allemal das Schickſal des
Menſchen, das höchſte Kleinod ſei, das nicht wegwer¬
fend zu behandlen iſt, ſondern es ſoll mit Ehrfurcht ge¬
pflegt und ſich ihm unterworfen werden.“ — Der Voigt
bereuete ſehr, daß er die Predigt nicht ganz gehört
habe und meint, da er in wenig Worte ſo viel zuſam¬
mendränge, ſo müſſe er in der Entwickelung ſehr geiſt¬
reich ſein. Ich aber war froh, daß wir zu ſpät gekom¬
men waren, denn mir ſchien das Thema ſehr traurig,
Leiden im Voraus zu ahnen und ſich darauf vorzube¬
reiten, das will mir nicht in Sinn. — Am Abend wa¬
ren wir ganz einſam, die Tonie und ich, es iſt gar nie¬
mand mehr hier, ich wär ſo gern noch hinaus ſpazie¬
[138] ren gegangen, und ließ mir den Lelaps holen, den Hund
von der Küſtersfrau, der mich kennt, weil ich ſchon oft
ihn mitgenommen habe auf dem Spaziergang, der kam
mit einem Laternchen am Hals mit einem brennenden
Lämpchen, womit er immer bei neblichem Wetter ſeinen
Herrn begleitet; das machte mir groß Plaiſir, ich nahm
meinen guten Stock, der zuſammengeflochten iſt von
drei guten ſpaniſchen Rohren, und den mir der Savigny
geſchenkt hat und ging mit meinem guten Lelaps als
fort zwiſchen die Schluchten, in denen der Nebel hin
und her wogte und ſein klein Lichtchen verſchwand oft,
daß ich ihn nicht mehr ſah, aber wenn ich rief, da kam
er durch den dicken Nebel herbei gelaufen, da wurde
das Lichtchen wieder ſichtbar, was mir das für Spaß
gemacht hat, der Hund und ich allein, und die Nebel,
die herum flankirten wie Geiſter, herüber und hinüber,
aufſtiegen und hinabkletterten, es war eine Geſchäftig¬
keit in dieſen Felsritzen und an den Bergwänden hinab,
wo man einen freien Blick ins Thal hatte, ich konnt
mir gar nicht denken, daß es nicht Geiſter wären, und
ich glaubs noch, und ich war innerlich recht glücklich
und froh, daß ich dazu gekommen war, und daß ich
und der Hund von den Geiſtern ſo gut gelitten war,
denn Du glaubſt nicht wie gut der Nebel thut, wie
[139] ſanft, wie weich er ſich einem anſchmiegt, mein Geſicht
war ganz glatt davon, und wir ſind auch glücklich
wieder nach Haus gekommen. — Ich bin ſo froh, daß
ich unbedeutend bin, da brauch ich keine geſcheute Ge¬
danken mehr aufzugablen, wenn ich Dir ſchreib, ich
brauch nur zu erzählen, ſonſt meint ich, ich dürfte nicht
ſchreiben ohne ein bischen Moral oder ſonſt was Klu¬
ges, womit man den Briefinhalt ein bischen beſchwert,
jetzt denk ich nicht mehr dran einen Gedanken zurecht
zu meislen oder zuſammen zu leimen, das müſſen jetzt
andre thun, wenn ichs ſchreiben ſoll, ich ſelbſt denk nicht
mehr. Ach von dem Einfältigſten, Ungelehrteſten ver¬
ſtanden und gefühlt zu werden iſt auch was werth;
und dann dem Einzigen, der mich verſteht, der für mich
klug iſt, keine Langeweile zu machen, das kommt auf
Dich an.


Wir waren am Rhein und ſind wieder den andern
Tag zurück ſpät Abends, ſo iſt heut ſchon Donnerstag,
es war ſchön in Rüdesheim, die Tonie hatte dort über
Jemand zu ſprechen, der als Geiſtlicher in unſer Haus
ſoll, ich guckte indeß auf der Bremſerin aus dem großen
ſchwarzen Gewölb auf die Wieſe im Abendſchein, es
flogen als die Schmetterlinge über mich hinaus, denn
da oben auf der Burg wächſt ſo viel Tymian und Gin¬
[140] ſter und wilde Roſen und alles hat der Wind hinauf¬
getragen; man meint als, der fliegende Blumenſamen
müßt eine Seel haben und hätt ſich nicht weiter wollen
treiben laſſen vom Wind, und wär am liebſten da ge¬
blieben, alles blüht und grünt, ſo viel Glockenblumen
und Steinnelken und Balſam, ich dacht wie iſts doch
möglich, daß das alte Gemäuer ſo überblüht iſt. —
Blum an Blum! Unten in der Ruine wohnt ein Bet¬
telmann mit der Frau und zwei Kindern, ſie haben eine
Ziege, die bringen ſie hinauf, die graſt den duftenden
Teppich mir nichts dir nichts ab. — Ich war eine ganze
Stunde allein da und hab hinaus auf dem Rhein die
Schiffe fahren ſehen, da iſt mirs doch recht ſehnſüchtig
geworden, daß ich wieder zu Dir will, und wenns noch
ſo ſchön iſt, es iſt doch traurig ohne Widerhall in der
lebendigen Bruſt, der Menſch iſt doch nichts als Begeh¬
ren ſich zu fühlen im Andern. Du lieber Gott! eh ich
Dich geſehen hatt da wußt ich nichts, da hatt ich ſchon
oft geleſen und gehört, Freund und Freundin, und nicht
gedacht, daß das ein ganz neu Leben wär, was dacht
ich doch vorher von Menſchen? — gar nichts! — Der
Hund im Hof, den holt ich mir immer um in Geſell¬
ſchaft zu ſein; aber nachher wie ich eine Weile mit Dir
geweſen war, und hatte ſo manches von Dir gehört,
[141] da ſah ich jed Geſicht an wie ein Räthſel, und hätt
auch manches gern errathen oder ich habs errathen,
denn ich bin gar ſcharfſinnig. Der Menſch drückt wirk¬
lich ſein Sein aus, wenn mans nur recht zuſammen¬
nimmt und nicht zerſteut iſt und nichts von der eignen
Einbildung dazuthut, aber man iſt immer blind wenn
man dem Andern gefallen will und will was vor ihm
ſcheinen, das hab ich an mir gemerkt. Wenn man je¬
mand lieb hat, da ſollt man ſich lieber recht faſſen, um
ihn zu verſtehen, und ganz ſich ſelbſt vergeſſen und ihn
nur anſehen, ich glaub, man kann den ganz verborgnen
Menſchen aus ſeinem äußern Weſen heraus erkennen.
Das hab ich ſo plötzlich erkennt, wie ich Menſchen ſah,
die ich nicht verſtand, was ſie mir ſollten, und nun
ſind mir die meiſten, daß ich ſie nicht lang überlegen
mag, weil ich nichts merk, was mir gefällt oder mit
mir ſtimmt, aber mit Dir hab ich wie eine Muſik em¬
pfunden, ſo daheim war ich gleich; ich war wie ein Kind,
das noch ungeboren aus ſeinem Heimathland entfrem¬
det, in einem fremden Land geboren war, und nun
auf einmal von weit her übers Meer wieder herüber
getragen von einem fremden Vogel, wo alles neu iſt,
aber viel näher verwandt und heimlicher, und ſo iſt
mirs immer ſeit dem geweſen, wenn ich in Dein Stüb¬
[142] chen eintrat; und ſo wars auch auf den alten Burg¬
trümmern geſtern: ſo lachend wie die Wieſen wa¬
ren und die luſtigen Mädchen die ſangen, und der
Abendſchein und die Schiffe und die Schmetterlinge,
alles war mir nichts, ich ſehnt mich nach Dir, nur nach
Deinem Stübchen, ich ſehnt mich nach dem Winter,
daß doch draus Schnee ſein möcht und recht früh dun¬
kel und drinn brennt Feuer; der Sonnenſchein und's
Blühen und Jauchzen zerreißt mirs Herz. — Ich war
recht froh wie die Tonie mit dem Wagen vorfuhr,
wie ich unten hin kam waren dem Bettelmann ſeine
zwei hübſchen Kinder blos im Hemdchen, und kugelten
mit Lachen über einander und hatten ſich ſo umfaßt;
ich ſagt, wie heißt Ihr denn? — Röſchen und Bien¬
chen. — Das Röſchen iſt blond mit rothen Wängelchen,
und das Bienchen iſt braun mit ſchwarzen ſtechenden
Augen. Das Bienchen und Röſchen hatten ſich ſo recht
in einander gewühlt. — Um Mitternacht heimgekehrt —
höchſt angenehmer Schlaf beim Rauſchen vom Spring¬
brunnen.


[143]

Am Montag.


Ich hab Deinen letzten Brief noch oft geleſen, er
kommt mir ganz beſonders vor, wenn ich ihn mit an¬
dern vergleiche, die ich auch hier in derſelben Zeit
erhalten hab, ſo muß ich denken, daß es Schick¬
ſale giebt im Geiſt, die ſo entfernt ſind von einander
und ſo verſchieden, wie im gewöhnlichen Tagesleben,
der eine wird ſichs nicht einbilden vom andern, was
der denkt und träumt, und was er fühlt beim Träu¬
men und Denken. — Dein ganz Sein mit Andern iſt
träumeriſch, ich weiß auch warum; wach könnteſt Du
nicht unter ihnen ſein und dabei ſo nachgebend, nein
ſie hätten Dich gewiß verſchüchtert, wenn Du ganz
wach wärſt, dann würden Dich die gräßlichen Geſichter,
die ſie ſchneiden, in die Flucht jagen. — Ich hab ein¬
mal im Traum das ſelbſt geſehen, ich war erſt zwei
Jahr alt, aber der Traum fällt mir noch oft plötzlich
ein, daß ich denke, die Menſchen ſind lauter ſchreckliche
Larven, von denen ich umgeben bin, und die wollen
mir die Sinne nehmen, und wie ich auch damals im
Traum die Augen zumachte, ums nicht zu ſehen und
vor Angſt zu vergehen, ſo machſt Du auch im Leben
aus Großmuth die Augen zu, magſt nicht ſehen wies
[144] beſtellt iſt um die Menſchen, Du willſt keinen Abſcheu
in Dir aufkommen laſſen gegen ſie, die nicht Deine
Brüder ſind, denn Abſurdes iſt nicht Schweſter und
nicht Bruder; aber Du willſt doch ihr Geſchwiſter ſein
und ſo ſtehſt Du unter ihnen mit träumendem Haupt,
und lächelſt im Schlaf, denn Du träumſt Dir alles
blos als dahin ſchweifenden grotesken Maskentanz. —
Das leſe ich heute wieder in Deinem Brief, denn es iſt
jetzt ſo ſtill hier und da kann man denken, — Du biſt
zu gut, für mich auch, weil Du unter allen Menſchen
gegen mich biſt als wärſt du mehr wach; als machteſt
Du die Augen auf, und trauteſt wirklich mich anzuſe¬
hen, O ich hab auch ſchon oft dran gedacht, wie ich
Deinen Blick nie verſcheuchen wollte, daß Du nicht auch
am End nachſichtig die Augen zumachſt und mich nur
anblinzelſt, damit Du alles Böſe und Schlechte in mir
nicht gewahr werdeſt.


Du ſagſt: „Wir wollen unbedeutend zuſammen
ſein!“ — Weißt Du wie ich mir das ausleg? — wie
das was Du dem Clemens letzt in meinem Brief ſchriebſt:
immer neu und lebendig iſt die Sehnſucht
in mir
, mein Leben in einer bleibenden Form
auszuſprechen
, in einer Geſtalt, die würdig
ſei
, zu den Vortrefflichſten hinzuzutreten, ſie
zu[145]zu grüßen und Gemeinſchaft mit ihnen zu
haben
. Ja nach dieſer Gemeinſchaft hat mir
ſtets gelüſtet
, dies iſt die Kirche, nach der
mein Geiſt ſtets wallfahrtet auf Erden
.“ —
Du ſagſt aber jetzt, wir wollen unbedeutend zuſammen
ſein, — weil Du lieber unberührt ſein willſt, weil Du
keine Gemeinſchaft findeſt; — und Du glaubſt wohl
jetzt noch, daß irgend wo eine Höhe wär, wo die Luft
ſo rein weht und ein erſehnt Gewitter auf die Seele
niederregnet, wovon man freier und ſtärker wird? —
Aber gewiß iſts nicht in der Philoſophie; es iſt nicht
der Voigt, dem ichs nachſpreche, aber er giebt mir Zeug¬
niß für meine eigne Empfindung. Menſchen, die ge¬
ſund athmen, die können nicht ſich ſo beengen, ſtell Dir
einen Philoſophen vor, der ganz allein auf einer In¬
ſel wohnte, wo's ſo ſchön wär, wie der Frühling nur
ſein kann, daß alles frei und lebendig blühte und die
Vögel ſängen dann, und alles, was die Natur geboren
hätt wär vollkommen ſchön, aber es wären keine Ge¬
ſchöpfe da, denen der Philoſoph was weiß machen könnt,
glaubſt Du, daß er da auf ſolche Sprünge käm wie
die ſind, die ich bei Dir nicht erzwingen konnt. — Hör,
ich glaub, er biß lieber in einen ſchönen Apfel, aber ſo
eine hölzerne Kurioſität von Gedanken-Sparrwerk würde
7[146] er wohl nicht zu eigener Erbauung aus den hohen Ze¬
dern des Libanon zurecht zimmern; ſo verbindet und
verſetzt, und verändert, und überlegt, und vereinigt der
Philoſoph alſo nur ſein Denkwerk, nicht um ſich ſelbſt
zu verſtehen, da würde er nicht ſolchen Aufwand
machen, ſondern um den andern von oben herab, den
erſten Gedanken beizubringen wie hoch er geklettert ſei,
und er will auch nicht die Weisheit ſeinen untenſte¬
henden Gefährten mittheilen, er will nur das Hokuspo¬
kus ſeiner Maſchine Superlativa vortragen, das Dreieck,
das alle Parallelkreiſe verbindet, die gleichſchenklichen
und verſchobenen Winkel, wie die in einander greifen
und ſeinen Geiſt nun auf jener Höhe ſchwebend tragen,
das will er, es iſt aber nur der müßige Menſch, der
noch ſich ſelber unempfundne, der davon gefangen wird;
ein andrer lügt, wenn er die Natur verleugnet und die¬
ſem Sparrwerk anhängt und auch hinaufklettert, es iſt
Eitelkeit, und oben wirds Hoffart, und der haucht
Schwefeldampf auf den Geiſt herab, da kriegen die
Menſchen in dem blauen Dunſt eine Eingebildtheit als
nähmen ſie den hohen Beweggrund des Seins wahr;
ich bin aber um dies Wiſſen gar nicht bang, daß es
mir entgehen könnt, denn in der Natur iſt nichts, aus
dem der Funke der Unſterblichkeit nicht in Dich hinein¬
[147] fährt, ſobald Du's berührſt; erfüll Deine Seele mit dem
was Deine Augen ſchöpfen auf jener ſeegensreichen Inſel,
ſo wird alle Weisheit Dich elektriſch durchſtrömen, ja
ich glaub, wenn man nur unter dem blühenden Baum
der Großmuth ſeine Stätte nimmt, der alle Tugenden
in ſeinem Wipfel trägt, ſo iſt die Weisheit Gottes nä¬
her als auf der höchſten Thurmſpitze, die man ſich ſelbſt
aufgerichtet hat. Alle Früchte fallen zur Erde, daß wir
ſie genießen, ſie haben keine Flügel, daß ſie davon flie¬
gen, und die Blüthen ſchwenken ihren Duft herab zu
uns. Der Menſch kann nicht über den Apfel hinaus,
der für ihn am Baum wächſt, ſteigt er hinauf in den
Wipfel, ſo nimmt er ihn ſich, ſteht er unterm Baum
und wartet, ſo fällt der Apfel ihm zu und giebt ſich
ihm, aber außer am Baum wird er ſich keine Früchte
erziehen. — Du ſprichſt von Titanen, die die Berge mit
großem Gepolter auf einander thürmen, und dann die
ſtillen Gipfel der Unſterblichkeit hinabſtürzen, da meinſt
Du doch wohl die Philoſophen, wenn Du von ihnen
ſagſt, daß ihr diebiſcher Eigennutz ſich der Zeit vordrängt
und ſie mit ſchimmernden Phantomen blendet. — Ach
aller Eigennutz iſt ſchändliche Dieberei, wer mit dem
Geiſt geizt, mit ihm prahlt, wer ihn aufſchichtet oder
ihm einen Stempel einbrennt, der iſt der eigennützigſt[e]
7*[148] Schelm, und was thun denn die Philoſophen, als daß
ſie ſich um ihre Einbildungen zanken, wer zuerſt dies
gedacht hat; — haſt Du's gedacht oder geſagt, ſo war
es doch ohne Dich wahr, oder beſſer: ſo iſts eine Chi¬
märe, die Deine Eitelkeit geboren hat. Was geitzeſt
Du mit Münze, die nur dem elenden Erdenleben ange¬
hört, nicht den himmliſchen Sphären. Ich möcht doch
wiſſen, ob Chriſtus beſorgt war drum, daß ſeine Weis¬
heit ihm Nachruhm bringe? — Wenn das wär, ſo war
er nicht göttlich. Aber doch haben die Menſchen ihm
nur einen Götzendienſt eingerichtet, weil ſie ſo drauf
halten, ihn äußerlich zu bekennen, aber innerlich nicht;
äußerlich dürfte er immer vergeſſen ſein, und nicht er¬
kannt, wenn die Lieb im Herzen keimte. — Ich will
Dir was ſagen, mag der Geiſt auch noch ſo ſchöne er¬
habene Gewande zuſchneiden und anlegen und damit
auf dem Theater herumſtolziren, was wills anders als
blos eine Vorſtellung, die wir wie ein Heldenſtück de¬
klamiren, aber nicht zu wirklichen Helden werden da¬
durch. Du ſchriebſt an den Clemens: „Sagen Sie nicht,
mein Weſen ſei Reflexion oder gar, ich ſei mistrauiſch, —
das Mistrauen iſt eine Harpye, die ſich gierig über
das Göttermal der Begeiſtrung wirft und es beſudelt
mit unreiner Erfahrung und gemeiner Klugheit, die ich
[149] ſtets jedem Würdigen gegenüber verſchmäht habe.„Dieſe
Worte hab ich oft hingeſtellt wie vor einen Spiegel
Deiner Seele und da hab ich immer ein Gebet empfun¬
den, daß Gott einen ſo großen Inſtinkt in Dich gelegt
hat, der einem aus den Angeln der Gemeinheit heraus¬
hebt, wo alles klappt und ſchließt; und wenns ſich nicht
paſſen wollt, zurecht gerichtet wird fürs Leben, ach nein,
Du biſt ein Geiſt ohne Thür und Riegel, und wenn ich
zu Dir mein Sehnen ausſpreche nach etwas Großem
und Wahrem, da ſiehſt Du Dich nicht ſcheu um, Du
ſagſt: Nun ich hoff es zu finden mit Dir.


Am Montag.


So ernſthaft hab ich geſchrieben, ich weiß ſelbſt
nicht wie ich darzu komme, doch iſts der Nachklang von
vor Mitternacht. Ich weiß ſelbſt nicht, wenn ichs an¬
ſehe, warums daſteht. Du gehſt weit über mich hinaus
im reinen Schauen, denn Du biſt ein Seher, ich be¬
trachte nur die Schatten des Geiſtertanzes in den Lüf¬
ten, die Dich umſchweben. Was ſoll das alles vor Dir,
ich fühl, daß ich von einer viel niederen Stufe, zu Dir
hinanrufe, ob dies und das ſo iſt; ich ahne auch, daß
Du mit einem leiſen Zauberſchlag mich ſtrafen kannſt,
daß ich bei ſolchen Nachgedanken mich aufhalte. Ich
[150] weiß und weiß nicht. — Im Thau baden, in den Mond
ſchauen bei nächtlicher Weile iſt ſchöner als ſich wenden
und den Schatten meſſen, den man in die beleuchtete
Ebne wirft; ja ich war auch traurig wie ich geſtern
ſchrieb, und aus der Traurigkeit ſteigt mir immer ſolcher
Qualm von Hyperklugheit auf, Philiſtergeiſt! — Ich
ſchäme mich — es iſt eine ſchlechte Sonate, deren Thema
man bald auswendig kann und die einem abgeleiert
vorkommt, wenn man ſie wiederholen wollt, das kommt
vom Einſamſein her, da meint man, man müſſe was
beſſers vorſtellen, wenn man mit ſich ſelber ſpricht. Ich
merkt es als beim Schreiben das ſelbſtgefällige Geſchwätz,
was ſich ſo ſchön fügte, mich verführte, und nun auf
einmal bin ichs ſatt. Wie anmuthig und ſcherzend haſt
Du alles ausgeſprochen und mit Deinem Zauberſtab Dir
ſpielend einen Kreis gemacht, mit mir drin zu ſcherzen,
und ich hab mit Dornen und Neſſel und Diſteln um
mich gepeitſcht; ach ich fühl einen Widerwillen gegen
meine Schreiberei von geſtern. — Hätt ich Dir nicht beſ¬
ſer den wunderlichen Abend beſchrieben, Die ſeltſame
Nacht, die ich mit der Tonie erlebt habe. — So eine
Wundernacht vergeht nicht, ſie beſteht ewig mit ihren
leiſen Schattenbildern, mit ihren Lichtdämmerungen und
eiligen Luftzügen und wie ſie den Schlummer Woge
[151] auf Woge wälzt; gewiß wie die Welt geboren wurde,
da war es Nacht und da ſtiegen die Gipfel der Unſterb¬
lichkeit, die ſtillen von denen Du ſagſt, zuerſt auf aus
den Waſſern und da drängte ſich die Welt ihnen nach
und liegt nun, und über ihr ſtrömen die Sprachen jener
Einſamen durch den Nachthimmel. — Ja ich find mich
nicht zurecht, wenn in einer ſolchen Nacht alles ſchläft
weit und breit, und der Geiſt mächtig mit ſeinen Flü¬
geln die Luft durchſegelt. — Und alle die Philoſophen,
die die Menſchheit erwecken wollen, ſchlafen doch ſo feſt
und fühlens nicht. — Und ob blos, wenns einem ge¬
gönnt wär in jeder Nacht die Augen zu öffnen, und
ihren tiefen Faltenmantel zu durchſchauen, den ſie über die
Natur ausbreitet und dann ihre heimlichen Geiſter umher¬
ſchweifen, anhauchen — alles Lebende; ob der nicht
hierdurch ein Seher würde himmliſchem Wiſſen. Es
iſt doch ſo Seltſames in der Nacht, man ſollte meinen,
der Tag ſei einmal ſchon in Beſchlag genommen von
der Verkehrtheit, aber die Nacht ſei noch ganz frei da¬
von; man fühlt ſich in der lautloſen ſilbernen Mond¬
zeit aufgezogen wie die rankende Pflanze, die hinaus¬
ſtrebt in die Lüfte, — den vorüberſchweifenden Geiſtern
ſich anzuhängen und hier und dort von ihrem Hauch
zu trinken. — Aber was ſteig ich und ſchwindel ich
[152] denn immer noch, als lief ich am Waldrand hin? —
ja in der Nacht wars ſo klar in meinem Sinn, daß ich
laut lachte, und nun ſchweifts von Berg zu Thal und
betaſtet die Erinnerung. — Und all mein Denken ſol¬
cher Nachhall wie wär ich in eine Kluft gefallen. Wir
waren am Nachmittag zum weiten Spaziergang fort¬
gewandert und wußten wohl nicht genau die Zeit, die
ſpäter war als wir glaubten, und weil überall der Pfad
an etwas Neugierigem ſich hinzog, bald ein brauſend
Bächlein zwiſchen Klippen, bald ſonnenhelles Grün und
Hügel und Gemäuer und dann ein Wald mit mächti¬
gen Kronen, da kamen noch Schaaren von Vögel über
uns hingezogen, denen wir nachſahen, da wars bald
gar aus, wir wußten nicht wo wir hergekommen waren
und wo wir hinwollten, gern wären wir wieder umge¬
wendet, wenn wir nur ahnen konnten wo der Heimweg
war. Wir machten einander Muth durch den Wald
auf einem breitern Weg, der quer lief, fortzuwandern;
weil friſche Spuren da waren, ſo mußte er dort zu Men¬
ſchen führen, noch hielten wir den Wind, die allmälig
ſinkende Helle für vorüberziehende Wolken, aber es war
der Abendwind, der das Laub vor uns her wehte, wir
ſagten es einander nicht, aber merkten es bald, ſchrit¬
ten immer fort und ſahen bald zwiſchen den hohen
[153] Wipfeln durch, den rothen Himmel glänzen, und wie der
ſich verzog in ein dämmerndes Gold, aber ohne Schein
und endlich ein Blau, ſchweigende Sternchen glitzerten,
und der Pfad lief immer fort im Wald und die Sterne
ſahen hoch herab, und keins wagte die Stille zu unter¬
brechen, ſchweigend, ein Tritt nach dem andern raſchelte
durchs Laub. — Ach, ſagt ich, laß uns einen Augen¬
blick ausruhen, Du wirſt ſehen, dann wird der Wald
auf einmal ſich aufthun; ach, ſagte die Tonie leiſe, was wird
das werden, wo kommen wir hin? — ſtatt zu klagen,
mußte ich laut lachen; — „um Gotteswillen wie kannſt Du
ſo ſchaurig lachen, ſchweig ſtill, es können böſe Leute in
der Nähe ſein, die uns hören. „Ich meint aber, wenn
wir ſo ſacht redeten und wanderten, das könnt noch
viel gefährlicher ſein, und die Tonie ließ ſich überreden,
daß ich ein Lied ſang. — Das ſchallte! — Das machte
mich ſo glücklich, und der ſchweigende Wald, — und
dann ich wieder, und dann er wieder. Die Tonie hatte
ſich auf dem Pfad ſo geſetzt, um die Richtung nicht zu
verlieren, der wir ſchon die ganze Zeit gefolgt waren,
ich aber lag rückwärts und ſah in die Höh, auf ein¬
mal entdeckte ich, daß der Wald links lichter ward,
und daß der Himmel ganz frei war; ich ſagte, dort
müſſen wir hin, da ſind wir gleich aus dem Wald.
7**[154] „Um Gotteswillen verlaß den Pfad nicht, denn ſo im
Dickicht herum zu ſtolpern in der Nacht, da können
wir in Gruben fallen, laß uns ruhig auf dem Weg
fortgehen,“ ich war aber ſchon vorwärts geſchritten und
ſtolperte wirklich und raffte mich auf und fiel wieder,
und kletterte über Stock und Stein, und die Tonie
rief von Zeit zu Zeit, ich antwortete, und da war ich
plötzlich im Freien auf der Höhe, die ſich abflachte in
eine weite Ebne, die ich nicht ermeſſen konnt, aber ganz
in der Ferne ſah ichs glänzen, ich rief: hier ſteh ich
und ſeh den Rhein, Du mußt aus dem Wald heraus,
denn auf dem Waldpfad kannſt Du noch Stunden
lang unnütz fortwandern. Wir kamen uns entgegen
mit Rufen durch die Nacht, doch rückt ich nicht weit
herein, aus Furcht, den Weg zu verlieren, endlich reich¬
ten wir einander die Hand und nun zog ich ſie hinter
mir her. Es iſt ein dumm klein Abenteuerchen, aber
es machte mich doch ſo froh, ſo aus dem finſtern Wald
heraus gefunden zu haben. Da ſtanden wir und guck¬
ten uns um — ob das dort ein Dorf iſt; oder dort, ob
das ein Licht iſt? — Wir ſetzten uns am Waldrand hin
und lugten, es ließ ſich nichts hören, kein Vögel¬
chen, es war gewiß ſchon ſpät, vielleicht bald elf Uhr,
und da brennte auch kein Licht mehr in den Örtern,
[155] drum konnten wir ſie in der Ferne nicht ſehen; wir
ruhten gelaſſen ein Weilchen, und da war es ſo groß
um uns her, und das that ſo wohl, und dann ward
es heller, der Mond mußte bald kommen, da wußten
wir, daß es um elf Uhr war. — Jetzt ſah die Tonie
einen Ort für ganz gewiß, ſie ſah das Kirchdach deut¬
lich glänzen, wir ſchlenderten, rutſchten, kletterten und
kamen in die Ebene. Die Tonie behielt das Kirchdach
im Aug, ich war zu kurzſichtig, aber ich lief voran,
denn einen Weg zu bahnen, das kann ich beſſer. — Links! —
rechts! — rief ſie, und ſo gings über abgemähte Felder,
endlich an einen Graben mit Waſſer, den wir glücklich
überſprangen, dann über Zäune, dann Wieſen, dann
Gärten, und der Mond war auf, beleuchtet einen brei¬
ten Weg, der nach dem Ort führt, aber ein großes
feſtes Thor ſchließt dieſe verwünſchte Stadt, die in
ihrem Mondſchein in Todtenſtille verſunken liegt, daß
nicht ein Hund bellt, nicht eine Katz mauzt. Da ſtehen
wir mit unſern Stecken in der Hand und gucken das
Thor an, das war mir ſchon ſehr lächerlich, ich ſag:
ob ich verſuch hinüber zu klettern? — denn es war oben
offen, aber unmöglich, denn es war ſehr hoch, von
eichnen Bohlen in ein Paar glatte dicke Pfähle die An¬
geln eingefügt. Da ſeh mal, ſagt die Tonie, da iſt
[156] zwiſchen dem Pfahl und der Stadtmauer ein Ritz, —
Hand breit — wenn ich die Oberkleider abwerf und
den Athem anhalt, ſo kann ich durch, und nun ge¬
ſchwind alles, was mich hinderte, an die Erd geworfen
und durch war ich, da ſetzte ich mich aber erſt auf den
Eckſtein am Thor und lachte, und das ſchallte die
Straße hinab und fand ein Echo und ſchallte wieder
herauf. — Ach ich bitte Dich, lach nicht, Du weckſt alle
Leute auf und die können uns wer weiß was thun,
flehte ſie durch den Ritz, — ich nahm mich zuſammen,
beſichtigte das Thor, fand daß es mit zwei ſtarken ei¬
ſernen Riegeln zugebummſt war, nahm einen Stein
und klopfte die Riegel zurück. „Mach keinen Lärm,
poltere nicht ſo,“ — aber das half nicht, ich war im hei¬
ßen Eifer, das Thor mußte weichen, auf einmal gingen
beide Flügel aus einander, und da ſtand ſie vor mir
und hielt ihren Einzug; jetzt wanderten wir ſchweigend
durch die Straßen und muſterten die Häuſer, wir klopf¬
ten an den Thüren, an den Laden, kein Laut gab Ant¬
wort, endlich öffnet ſich ein Giebelfenſterchen, ein Männ¬
chen guckt heraus mit einem brennenden Kienſpahn in
die Luft leuchtend, bei deſſen Flamme wir ein bebarte¬
tes Kinn entdecken, und alſo auf ein ungetauftes Mit¬
glied der Menſchheit ſchließen, welches ſeine Stimme
[157] auch nicht läugnet. „Wir ſind Kurgäſte aus Schlan¬
genbad, die ſich verirrt haben und hätten gern einen
Führer.“ — Er bedeutet, daß gegenüber der Thorwächter
wohnt. Wir klopfen an, — eine Weile dauert es,
auf einmal thut ſich ein Loch am Boden auf und un¬
ter der Erde kommt herauf ein in braunem Pelz ein¬
gehüllter Rieſe mit einem Baum in der Hand, ein
Stock wars nicht, dazu wars zu groß, er ſetzt ſich in
Trapp und treibt uns vor ſich her zum Thor hinaus,
immer zu, den Pfad am Berg hinauf, — bald aber
ſagte mir die Tonie ins Ohr, „wenn der gewaltige
Mann dahinter uns mit ſeinem Kolben einen Schlag
gäbe, es iſt mir recht bang,“ — nun wir laſſen den Mann
vor uns gehen, da ſehen wir doch wenn er uns was
thun will. So marſchierte denn der Goliath vor uns
her, ach wie rauſchten die Birken neben uns her und
malten ihren Schatten uns unter die Füße, wie quoll
das Dunkel aus dem Wald dem Mondlicht entgegen,
und die kleinen Wäſſer rauſchten von den Bergen nie¬
der und wallten zwiſchen Weiden fort, und an manchem
ſchlafenden Dorf gings vorüber, und dann auf der Höh,
noch einmal mußt ich mich noch umſehen nach dem
Silberſtreifen des Rheins im Mondglanz, und Berge
in der Ferne ſanken und ſtiegen, aber am meiſten war
[158] doch das Regen in der Luft, was umherſchwirrte und
flüſterte in den Zweigen, und Träume, kindiſche, die mir
das Herz beben machten, und dunkle Bilder, die aus
dem Wald nebenan hervortraten, das hielt mir die
Seele wach und doch wars als ſchlummre ich ſorglos
und wandle nur im Traum, und die Himmelsſterne er¬
blaßten allmählig — und die einzelnen Hütten im Thal
waren noch unbewußt des Tags, der ſich ahnen ließ,
aber die Wachteln ſchlugen im Feld und kündeten ihn
an, da ſahen wir Schlangenbad. Wer war froher wie
wir, ich aber über alles, mich freut die herrliche Nacht.
Die Schatten am Weg, die unſern beleuchteten Weg
ſtill umſtanden, und der Abſchied der Nacht, wie ſie
noch einmal die Wipfel ſchüttelte, das alles iſt mir
lieb, es iſt ein Geſchenk von den Göttern, wie ſo
manche andre Stunden, wo's war als wollten ſie mich
beſchenken mit ſüßem ſchwärmeriſchem Gefühl von in¬
nerlicher Kraft des Entzückens. — Das wars, was ich
Dir erzählen wollt und was viel ſchöner iſt, wie alles
Denken und Urtheilen: ſich dem Leben der Natur na¬
hen und ſtill und ſtumm ihre Vorbereitungen mit an¬
ſehen und wie ſie weiht und reinigt in feierlicher
Nachtſtille.

[159]

An die Günderode.

Offenbach. Mai 1805.


Sorg nicht um meine Geſundheit; im Dachſtübchen
bin ich ganz fidel; ich muß mit meinem Schatten an
der Wand lachen. Drei Sätz die Trepp herauf, und
die Flügel geſpreizt und herunter hinter die Pappel¬
wand, wo was weißes flattert. — Da, wo wir vorm
Jahr den Spitz begraben haben, ſpielte der Wind im
Mondſchein mit einem Papier; es flog aber gleich über
die Gartenwand, wie ichs haſchen wollt. Mit dem gu¬
ten Spitz fürchtete ich mich nicht in der Nacht; er bellte
nur als immer die Geiſter aus dem Weg. Der Kla¬
vierhofmann iſt noch immer unſer Nachbar; heut Nacht
wie ich im Bett lag, da jagte er wieder wie ſonſt ſeine
enharmoniſchen Läufe im geſtreckten Galopp auf und
ab; ich gab meinen Schlaf auf, und meine Sinne
freudig drein, die jagten mit. — Mit dem Verſtand
Muſik faſſen, wie die muſikaliſchen Philiſter, das geht
nicht, — ich muß empfinden. — Sinne-gewiegt von
der Muſik — mich hingeben wie ſchlummernd, dann
hab ich Gedanken, ſchnell — wie die Sterne dahin fah¬
ren, oft — am Himmel. Ich bekümmre mich als, daß
[160] ich nicht denken kann was ich will, und muß von
allem mich irren laſſen, wie auf dem Markt, wo man
hin und her läuft vom Guckkaſten zum Puppenſpiel,
zum Bär der tanzt, oder mit den Zigeunern mich er¬
götzen am Mainufer, wenns Marktſchiff Philiſter aus¬
ſpeit, und die betrunknen Muſikanten ſchmettern ſie
hinaus. Allerlei geht mir im Kopf herum, aber wenn
ich ſchreiben will, iſt die Luft leer von Gedanken, und
die meiſten Worte ſind überflüſſig, ich muß ſie wieder
wegſtreichen, wie hier im Brief. Bei Muſik bin ich
geſammelt, die Gedanken fahren nicht herum, ſie ſind
ſtill und ſchauen innerlich Ding, was mich vergnügt.
Die Seel wächſt, die Knosp ſpringt auf und ſaugt
Mondlicht. — Eine Weil hört ich zu im Bett, wies Ge¬
witter kam ſprang ich heraus und ſetzte mich aufs Fen¬
ſter. — Muſik bringt alles in Einklang, ſie donnert
durch die hellſternige Nacht ihren gewaltigen Strom,
dann tanzt ſie hin und grüßt mit jeder Well die Blum,
die da heimlich blüht am Ufer. Wenn dann die Wol¬
ken vom Windſturm daher gejagt kommen, dann wer¬
den ſie als gleich, als von ihrem Hauch bezaubert; der
Regen rollt Perlen unter ihren tanzenden Schritt, beim
leuchtenden Blitz vom Donner durch die ſchwarze Nacht
geſchnellt, die er mit ſchallenden Schwingen durchraſt,
[161] das iſt alles ein Hymnus mit der Muſik; — nichts
widerſpricht, noch ſtörts das ſtille Brüten der Sinne.
So hab ich die halbe Nacht verlebt, ein Leben, wies
nicht beſſer iſt noch ſein wird mit der Zeit. — Jetzt ſteh
ich in der Blüth, Honig bis an Rand voll, alles aus
dem Innern. Mit den Andern hab ich kein Verſtehen,
ich ſchäm mich, vor ihnen anders zu ſein wie ſie. Du
biſt mir gut, und der Clemens, mit dem kann ich doch
nicht ſein wie ich bin, er fürchtet ſich und kann nicht ver¬
tragen, daß ich mich ausſtröm, bald iſts zu feurig, bald
zu wehmüthig, wo ich doch gar nicht traurig bin, aber
weil er ſchön iſt wie ein Gedanke aus meiner Seel, ſo
muß ich liebvoll zu ihm ſein. — Das weiß er nicht,
daß es Muſik iſt in mir, die ihn liebt, ich muß es ſo
gehn laſſen, alles muß reifen mit der Zeit. — Mit Dir
ungeſtört ſein, da fühl ich das junge Grün, wie das
aus mir hervorkeimt, Du machſt kein Weſen davon,
daß im Frühjahr die friſchen Grashalme und Kräuter
duften; — ſo bin ich zufrieden und blüh all meine Ge¬
danken heraus vor Dir.


[162]

20. Mai.


Geſtern war Sonntag, heut Morgen war ich gar
nicht ärgerlich, wie mich die Hühner aus dem beſten
Traum gegagſt haben, wie als in Frankfurt, wo die
Lisbet als grad Holz in Ofen geworfen hat, wie eben
ein goldner Vogel mir wollt aus die Hand fliegen.
Die Acacien im Hof ſind recht gewachſen, ſie ſchneien
im Sonnenſchein ihr letzt Silber aufs Grün. Der Gar¬
ten lag ſo Morgentrunken vorm Fenſter, ich ging hinab,
meinen alten Weg nach der Bretterwand hinter den
Pappeln, und kletterte herüber ins Boskett, wo ich Dir
hier ſchreib. — Daß doch immer meine Kleider reißen,
wenn ich recht jauchzend bin. Zank nur nicht, daß
ich mein Gewand nicht geſchont habe
. Dornen-
Röschen hat mir ein Fetzchen davon behalten, wie ich
verſucht hab, ob ich noch zwiſchen dem Eiſengeländer
vom Boskett durchwitſchen kann; es geht noch, ich hab
noch nicht zugenommen an Erdenballaſt, — da ſitz ich
auf der Terraß am Main, auf dem die Waſſerſpinnen
luſtig in der Frühſonne herumfahren. Käm der Genius
doch daher gewandelt; — ich könnt ihm mehr nicht ſagen,
als was die Bienen ſummen. — Iſt mir doch als ge¬
hör ich zu dem blühenden Zitronenbaum; iſt ſo ſtill
[163] alles — wie am Feiertag, und der reinliche Kies mir
unter den Füßen klirrt ſchüchtern, — Alles voll Schauer
und Harren, daß Er komme, Der, auf den auch Ich
harre, oder war er ſchon hier? — und hat es früher
ſo geordnet für mich, daß ich merke, Er ſei's geweſen,
dem die ſonnebelaſteten Äſte ſich gebeugt, und die
Welle nachmurmelt zu meinen Füßen. Ich wollts be¬
ſingen, abers Lüftchen, das nach ihm ſucht im Gebüſch,
kehrt wieder und hat ihn nicht gefunden und ſchweigt,
und regt ſich nicht mehr, ſo muß ich auch ſtumm ſein.

An die Bettine.

Dein Brief macht mir Freude, es iſt ein geſundes,
munteres Leben darin, das ich immer lieb in Dir ge¬
habt habe. Du führſt eine Sprache, die man Styl nen¬
nen könnte, wenn ſie nicht gegen allen herkömmlichen
Takt war. Poeſie iſt immer echter Styl, da ſie nur in
harmoniſchen Wellen dem Geiſt entſtrömt, was deſſen
unwürdig iſt, dürfte gar nicht gedacht werden, oder viel¬
mehr darf alles Ereigniß den Geiſt nur poetiſch berüh¬
ren, ſonſt leidet er Abbruch, wie ich das heute Morgen
[164] habe erfahren müſſen, wo mir von Hanau eine veraltete
Familien-Schuhmacher-Rechnung 17 Flr. zugeſchickt
wurde, die ich nicht bezahlen kann, meine Verlegenheit
poetiſch aufzulöſen ſchicke ich Dir den kleinen Apoll als
Geißel ſammt Türkheims Lorbeerkranz, gieb mir das Geld.


Wenn Du einige Stunden in der Geſchichte genom¬
men haſt, ſo ſchreibe doch darüber; beſonders in wel¬
cher Art Dein Lehrmeiſter unterrichtet, und ob Du auch
rechte Freude dran haſt. — An dem Mährchen hab ich
die Zeit ſehr fleißig geſchrieben, aber etwas ſo leichtes,
[buntes], wie mein erſter Plan war, kann ich wohl jetzt
nicht hervorbringen; es iſt mir oft ſchwer zu Muth und
ich habe nicht recht Gewalt über dieſe Stimmung.


Grüße den Clemens wenn Du ſchreibſt, ich denke
daran, ihm zu ſchreiben, und warte nur den Moment
ab, wo mirs wieder leichter iſt, damit ich ihm mit gu¬
tem Gewiſſen ſeinen Unmuth und ſeine Launen vor¬
werfen kann.


Karoline.

[165]

An die Günderode.

Geld liegt im Pult am großen Spiegel, in der
dritten Schublad links, in den andern Schubladen liegt
aber auch vielleicht noch, zieh alle Schubladen ganz
heraus, ob etwas dahinter gefallen iſt. Der Schlüſſel
liegt unter dem Blumenkaſten auf der Altan, wo die
Kapuzinerblumen ſtehn, den Apoll halt rein vom Staub,
und daß ihn die Fliegen nicht bedippeln mit ſammt
dem Lorberkranz; und vom Styl weiß ich nichts als
von Dir, nichts überflüſſiges, nur was zur Sach ge¬
hört ſollt ich ſchreiben. Ich hab meinen Brief verputzt,
wie beim Apfelbaum, alle Raupenneſter und Zweige
ohne Fruchtkeime ausgebrochen, bis er ganz kahl war.
— Man ſoll von jedem unnützen Wort Rechenſchaft
geben, geſchrieben kann man nicht abläugnen, ſo muß
man ſich zuſammennehmen. Der Menſch empfängt den
Geiſt mit Gedanken und Worten, es ſind die Gemächer,
in denen er ihn herbergt, die Ehrengewande, die er ihm
umlegt, aber die müſſen durchſichtig ſein und knapp
anliegen, und die Räume einfach, denn was er nicht
ausfüllt, das verbaut ihn. Ich merk als daß die Men¬
ſchen ſehr dumm ſind, und fürchterliche Umwege ma¬
[166] chen ums Zentrum, ja mir ſcheint jede Wahrheit ein
Zentrum zu ſein, das wir nur umkreiſen, nie berühren.
Geſtern mußt ich der Großmutter aus dem Hemſterhuis
vorleſen, ſie ſagte, „das iſt ein herrlicher Gedanke,“ und
legte mir eine Pfeffernuß drauf, da kam mir dieſer,
Gedanke.


Am Montag.


Der Geſchichtslehrer kommt dreimal die Woch,
Dienſtag, Mittwoch und Donnerſtag, eingeklammert
hinten und vorn in zwei Faulenzer, Freitag Samſtag
am End, Sonntag Montag am Anfang. — Er un¬
terrichtet mich ſo, daß ich wahrſcheinlich der Zukunft
ewig den Rücken drehen werde, und ſo auch um die
liebe Gegenwart geprellt wär, wenn die unreifen Apri¬
koſen in der Großmutter Garten nicht meinen Diebsſinn
weckten, mit dem ich doch für meinen Verſtand etwas
handgreiflicheres zu erbeuten gedenke, als: „Die Ge¬
ſchichte Ägyptens iſt in den erſten Zeiten dunkel und
ungewiß.“ Das iſt ein Glück, ſonſt müßten wir uns
auch noch da rum bekümmern; — „Menes iſt der erſte
König, von dem wir wiſſen,“ — mir auch recht, wenn
wir nur was geſcheutes von ihm erfahren haben. —
„Er erbaute Memphis und leitete den Nil in ein ſiche¬
[167] res Bett. Möris grub den See Möris, die ſchädlichen
Überſchwemmungen des Nils zu hindern. — Dann folgt
Seſotris der Eroberer, der ſich ſelbſt entleibte.“ —
Warum? — War er ſchön?— hat er geliebt?— war
er jung? — war er melancholiſch? — auf all dies er¬
folgt vom Lehrer keine Antwort, nur die Bemerkung,
er möge wohl eher alt zu denken ſein. — Ich demon¬
ſtrire ihm vor, daß er jung war, blos um das Rad der
Zeit in Schwung zu bringen, das im Geſchichtskoth der
Langenweil immer ſtecken bleibt. — Es rumpelte auch
noch über den Buſiris, der Thebä erbaute, Pſamtichus,
der die getheilten Staaten unter ſeine Flügel nahm,
dann die Kriege mit Babylonien, Nebucadnezar, dems
der Cambyſes Cyrus Sohn wieder abnimmt. Die Ägyp¬
ter vereinen ſich mit Lybien, machen ſich wieder frei,
kriegen mit den Perſern, bis Alexander dem Streit und
zu meinem Vergnügen dieſer Geſchichte ein End macht.
— Das iſt der Inhalt der erſten Stunde, Du ſiehſt,
daß ich aufgepaßt hab. Hätt ich aber den Sporn nicht
gehabt, Jagd auf die Langeweile zu machen, und Dir
zu zeigen, wie unnütz es iſt, die Aſche, von der die
Natur nicht einmal das Salz verbrauchen kann, wieder
anzufachen, es giebt doch keine Gluth mehr; ich dächte
wir ließen einſtweilen die alten Herrſcher in ihren Py¬
[168] ramiden fortſchimmeln. — Frühling ſchwellet die Erde,
ringsum drängt er die Keime — und grünt in entfal¬
tenen Blättern — drängt auch wohl meinen Sinn, be¬
rauſchet mir ſchwellend die Lippe, daß in erneuerter
Sonne die ſpröden Hüllen und Knoſpen meiner Gedan¬
ken zerberſten. — Ich war heut Morgen im Wald, an
der Chauſſee ſchon mit der Morgenröth, die eine Saf¬
franbinde um ſeine Wipfel legte, der feuchte Grund
wechſelte die blauen Vergißmeinnichtbeete mit den gold¬
nen Butterblumen, es war ſo feucht, ſo warm, ſo
mooſig, es war ſo brennend im Geſicht, und ſo kühlig
am Boden.


Der Thau war ſo ſtark, ich war ganz naß gewor¬
den; als ich nach Hauſe kam, da trat mir der Lehrer
ſchon mit dem achtzehnhundertſten Jahr der Welt
entgegen, wo Nimrod Babylonien geſtiftet. Ich wollte
nicht fragen, wer der Nimrod war, aus Furcht er möcht
mirs ſagen, und es wär eben auch unnütz, es zu wiſſen.
Wenn nun der Nimrod ein guter Kerl war, um den es
ſchad wär und der mir beſſer gefallen könnt, als die
jetzigen Menſchen, ſo wollt ich ihm wohl die Dauer der
Unſterblichkeit gönnen, aber der Lehrer jagte gleich den
Aſſyrer Ninus hinter drein, der das Reich erobert,
von wo er Mittelaſien beherrſcht, ich jagte alſo ohne
Auf¬[169] Aufenthalt mit, bis das Reich wieder befreit wird durch
Nabopolaſar, von dem ich auch nicht weiß, woher er
geflogen kam. — Nebucadnezar erobert Ägypten; Ba¬
bylonier, Aſſyrer, Meder führen Krieg — bis Cyrus der
Perſer alle Reiche wieder erobert. — Babiloniſche Ge¬
ſchichte umfaßt 1600 Jahr, hat um elf Uhr angefangen
und Glockenſchlag zwölf Uhr aus, ich ſpring in Garten.


Freitag.


Heut Morgen war der Geſchichtskerl nicht da, da
hab ich Generalbaß ſtudiert, von dem könnte ich eher
ſagen, daß ich was gelernt hab, über den hab ich Ge¬
danken, er ſpricht mich an wie Geheimniß, obſchon der
Hofmann ſagt: Alles iſt klar wie der Tag — ich gebs
zu — deswegen iſt der klare Tag mir auch ein Ge¬
heimniß, ſo gut wie der einfache Harmonienſprung, von
dem Hofmann heut ſagte: „Betrachtet man die Tonika
nicht allein als ſolche, ſondern auch in Bezug auf jede
andre Tonika, als eine ihr verwandte Tonart, wo ſie
vermöge, und in dem Grade ihrer Verwandtſchaft wie¬
der Beziehung hat auf alle Seitenverwandtſchaften,
und daher immer wieder als ſolche ſich geltend machen
kann; ſo ſieht man leicht, wie alle möglichen Gattun¬
gen von Dreiklängen vermittelſt einfacher Harmonien¬
8[170] ſprünge auf einander folgen können. Ich glaubs, aber
begreifs nicht; — betrachten? — kann man denn alles
betrachten, wie man will? — kann ich die Wolken da
oben betrachten wie mein Daunenbett, ſo werden ſie
doch nicht herunter kommen, mich zudecken. Der kleine
Hofmann ſieht mich an, erſtaunt über meine Dummheit
und wird ſelbſt ganz dumm, denn er verſtummt. End¬
lich ſagt er ganz freundlich, das nächſtemal werde er
gewiß eine Form gefunden haben, um mirs begreiflich zu
machen, er ging in die Muſikprobe, wo er tauſend Har¬
monienſprünge mitſpringen wird. Käm doch bald die
nächſte Stund, am Tanz der Dreiklänge möcht ich er¬
proben, ob mein Geiſt auch einen kühnen Sprung thun
kann, oder ob ich geboren bin, kriechend zu lernen wie
die Raupe. — Wahrlich, ich möchte gern wiſſen; —
nicht wie mit der alten raupenfräßigen Geſchichte. —
Ach Gott! — ich hab keine Ausſicht! — Geſtern Abend
ging ich noch nach dem Nachteſſen hier im Garten;
da hört ich ordentlich das Gras wachſen, aber ſo was
gilt nicht für Geſcheutheit oder Verſtand. Die grünen
Äpfel am Spalier unterm grauen Laub, die bepelzten
Pfirſich muß ich reſpektiren, die kommen vorwärts, aber
ich — da wollt ich mich beſinnen auf was ich von je
an gelernt hab, da kann ich doch nicht die Gebetchen
[171] mehr, die ich vier Jahr lang jeden Tag herſagte. Das
Vaterunſer, den Glauben, den engliſchen Gruß kann
ich nur noch bruchſtückweis; den ganzen Sommerabend,
auf den ich ſo lüſtern war, hab ich verſimulirt, um
den Glauben wieder zuſammen zu flicken: „Aufgefah¬
ren zu den Himmeln“ — ſo weit, — ſchreibe mirs im
nächſten Brief, was folgt. — Aber im Grund: — Auf¬
gefahren zu den Himmeln, wär ein gut End, wenn
Du's alſo auch vergeſſen haſt, ſo ſchad's nichts, ſo brau¬
chen wir beide es nicht zu wiſſen; aber nachkommen
thut noch was, das weiß ich. —


Samstag.


Ach geſtern war ein Tag voll Sonnenſchein, die
Mückchen und Käfer haben ihn vertanzt und verſummt,
die verſtehn das Schwelgen im Genuß; ich hab ſie be¬
lauſcht, im hohen Gras überbaut von der Leinwand, die
da auf der Bleiche liegt. Die alte Couſine begoß ſie
ein paarmal in der Mittagsgluth, es dauerte eine Weile
bis die einzelnen Tropfen durchkamen und mich benez¬
ten, ich hörte da unten der Muſikprobe zu von den
Symphonien, die aus dem Boskett herüberſchallten in
mein ungebildet Ohr, und es in Erſtaunen ſetzten über
alles was es nicht faſſen konnt. Muſik, — in Tönen da¬
8*[172] her getragen, durch die Lüfte, die ganze Gewalt der Of¬
fenbarung über uns ausſtrömend, und dann verſchwe¬
bend; — wer kann ſie wieder wecken, wenn ſie verhallt
iſt; ich bin ſo närriſch, mir deucht ich müßt verzweifeln,
daß ſie verklungen iſt, und hab ihr nichts abgewinnen
können. So wirds noch manchmal gehen, es wird
klingen und ich werds nicht faſſen
. Geſtern
ſprach ich mit der Großmutter, die ſagte: was der Ver¬
ſtand nicht faßt, das begreift das Herz. — Ich begreif
das wieder nicht.


Heut Morgen ſagt der Hoffmann: „Der einfache
Harmonienſprung iſt, wenn zwiſchen zwei auf einander
folgenden Accorden eine Harmonie im Verſtande gehört
wird.“ — Ich hör nicht im Verſtand dieſe Harmonie,
ich bin ganz durchdrungen von dem was ich fühle, nicht
was ich verſteh. — Glaubs, Muſik wirkt, begeiſtert,
entzückt, nicht dadurch, daß wir ſie hören, ſondern durch
die Macht der übergangnen dazwiſchenliegenden Har¬
monien, dieſe halten den hörbaren körperlichen Geiſt
der Muſik durch ihre unhörbare geiſtige Macht verbun¬
den mit ſich. — Das iſt das ungeheure Einwirken auf
uns, daß wir durchs Gehörte gereizt werden zum Un¬
gehörten; denn wir ſind durch Einen Ton mit allen
[173] verwandt und durch Alle mit jedem einzelnen beſonders;
allein ich kanns ſagen, — gewiß ich bin während der
Muſikprobe auf einen Gedanken gefallen wie Gott die
Welt erſchaffen hat. — Das große Wort: Es werde,
leuchtet mir ein. Ohne das Eine iſt Alles nichts; Ohne
Alles iſt nicht das Eine. Im Athemzug wallt die ganze
Schöpfung: Feuer, Erde, Luft und Waſſer, und alles
Leben und alles Sein iſt Vermählung dieſer vier Geiſter,
die das Leben des Weltalls ſind. Dieſe Vier ſchaffen
und erzeugen auch ſich ſelbſt im Geiſt, den ſie in einan¬
der vereinigen. Muſik iſt Selbſterzeugung dieſer vier
Elemente in einander. In jedem Weſen das lebt, er¬
zeugen ſich die Elemente; das iſt Geiſt der iſt Muſik.
Auch das Thier hat Muſik, es iſt ſinnlich durchdrungen
von Waſſer, Luft, Erde und Feuer, von ihrem Geiſt,
der in ihm ſich erzeugt, darum wirds ſo aufgeregt durch
Muſik, weil ſeine Sinne in ihr ſchlummern, träumen,
und alles hat gleiche Rechte an die Gottheit, was durch
Selbſterzeugung der Elemente in ihm, zu Geiſt erhoben
wird. — Ich habs aufgeſchrieben, ich ſtarr dieſe Zeilen
an, und weiß nicht was ich ſagen wollte. —


Am lichten Tag zerſtiebt das Geiſterheer der Ge¬
danken, aber dort unter der Leinwand, wo die Sonne
[174] durch die geſammelten Waſſertropfen auf mich tropfte,
wo ich im Netz gefangen lag all der blühenden Gräſer,
dort war mirs klar: Nicht was wir mit den Sinnen
vernehmen iſt wahre Wolluſt, nein! — vielmehr das
was unſere Sinne bewegt — zum Mitleben, Mitſchaf¬
fen, das iſt Leben, das iſt Wolluſt, — Wirkend ſein! —
Genug, die Geiſter waren mächtig in mir während der
Muſik; deutlich riefen ſie mir zu: Eine Geige nimm
und fall ein, ſo wie du fühlſt, daß du zur Entfaltung
des Harmonienſtroms mitwirken kannſt, und kannſt ihn
heben und dich geltend machen im Verbrauſen deiner
Begeiſtrung; — und dort auf der Höhe dich ausdeh¬
nen, dich fühlen in jedem Ton durch die Verwandtſchaft
deiner Stimme mit. — Sollte Einer Harmonielehre ver¬
ſtehen und mit Verſtand anwenden, er müßte heimlich
die Welt beherrſchen, ohne daß es einer merkt, und das
ganze Univerſum kläng ihm wie eine Symphonie und
die ganze Weltgeſchichte trommelte und pfiff und ſchal¬
meiete zu ſeinem großen Weltplaiſir.


Ja ich verſtehs, dem Hoffmann werd ichs zwar ſo
nicht ſagen, dem werd ich den erſten, zweiten und drit¬
ten Grad aller Verwandtſchaften darlegen, und wie al¬
les mir unterworfen iſt zu dienen, wie ich jedem die
Herrſchaft übertragen kann, und wieder abnehmen und
[175] wie ich alſo immer herrſche, ſo lang ich im Strom gött¬
licher Harmonie mitſchwimme.


Adieu! ich ſtrecke wie ein Krebs
meine Scheeren aus dem ſeichten Grund
meiner Wahrnehmungen und packe
was ich zuerſt erwiſche um mich aus
dem eignen Unverſtand loszuwinden.

An die Bettine.

Halte doch noch eine Weile aus, mit Deinem Ge¬
ſchichtslehrer; daß er Dir möglichſt kurz die Phyſiogno¬
mien der Völkerſchaften umſchreibt, iſt ganz weſentlich.
Du weißt jetzt, daß Ägypten mit Babylonien, Medien
und Aſſirien im Wechſelkrieg war, fortan wird dieſes
Volk kein ſtehender Sumpf mehr in Deiner Einbildung
ſein Regſam und zu jeder Aufgabe kräftig — waren
ihre Unternehmungen für unſre Faſſungsgabe beinah zu
gewaltig; ſie zagten nicht, bei dem Beginn das Ende
nicht zu erreichen, ihr Leben verarbeitete ſich als Tag¬
werk in die Bauten ihrer Städte, ihrer Tempel, ihre
Herrſcher waren ſinnvoll und umfaſſend heroiſch in ih¬
ren Plänen, das Wenige, was wir von ihnen wiſſen,
[176] giebt uns den Vergleich von der Gewalt ihrer Willens¬
kraft, die ſtärker war, als die jetzige Zeit zugiebt, und
leitet zu dem Begriff hin, was die menſchliche Seele
ſein könnte, wenn ſie fort und fort wüchſe, im einfachen
Dienſt ihrer ſelbſt. Es iſt mit der Seelennatur wohl
wie mit der irdiſchen, ein Rebgarten auf einen öden
Berg gepflanzt, wird die Kraft des Bodens bald durch
den Wein auf Deine Sinne wirken laſſen; ſo auch wird
die Seele auf Deine Sinne wirken, die vom Geiſt durch¬
drungen den Wein Dir ſpendet der Kunſt oder der Dich¬
tung oder auch höherer Offenbarung. Die Seele iſt
gleich einem ſteinigten Acker, der dem Reben vielleicht
grade das eigenthümliche Feuer giebt, verborgne Kräfte
zu wecken; und zu erreichen, zu was wir vielleicht uns
kein Genie zutrauen dürften. Du ſtehſt aber wie ein läſ¬
ſiger Knabe vor ſeinem Tagwerk, Du entmuthigſt Dich
ſelbſt, indem Du Dir den ſteinigten Boden, über den
Dorn und Diſtel ihren Flügelſamen hin und her jagen,
nicht urbar zu machen getrauſt. Unterdeß hat der Wind
manch edlen Keim in dieſe verwilderte Steppe gebettet,
der aufgeht um tauſendfältig zu prangen. — Dein ſcheuer
Blick wagt nicht den Geiſt in Dir ſelber aufzufaſſen.
Du gehſt trutzig an Deiner eignen Natur vorüber, Du
dämpfſt ihre üppige Kraft mit muthwilliger Verſchwörung
[177] gegen ihren Wahrnehmungsgeiſt, der Dirs dann doch
wieder über dem Kopf wegnimmt, denn mitten in Dei¬
ner Deſolationslitanei ſprühſt Du Feuer, wo kommt es
her? — haben Dich die Erdgeiſter angehaucht? — fällt
Dirs vom Himmel? — ſchlürfſt Du's mit der Luft in
Dich? — ich weiß es nicht, ſoll ich Dich mahnen, ſoll
ich Dich ſtillſchweigend gewähren laſſen? — und ver¬
trauen auf den, der Dirs ins Geſicht geſchrieben hat?
ich weiß es wieder nicht. — Ich möchte wohl, aber dann
wird mir zuweilen ſo bange, wenn ich, wie in Deinem
letzten Brief, das Vermögen in Dir gewahr werde, wie
das läſſig in ſich verſchränkt keinen Mucks thut, als ob
der Schlaf es in Banden halte, und wenn's ſich regt,
dann iſts wie im Traum, nur Du ſelber ſchläfſt um ſo
feſter, nach ſolchen Exploſionen! — Ob ich recht thue,
Dir ſo was zu ſagen? — das quält mich auch, man
ſoll den nicht wecken, der während dem Gewitter ſchläft! —
Du kommſt mir nun immer vor, als entlüden ſich elek¬
triſche Wolken über Deinem verſchlafenen Haupt in die
träge Luft, der Blitz fährt Dir in die geſunkne Wimper,
erhellt Deinen eignen Traum, durchkreuzt ihn mit Be¬
geiſterung, die Du laut ausſprichſt, ohne zu wiſſen was
Du ſagſt, und ſchläfſt weiter. — Ja ſo iſts. Denn Deine
Neugierde müßte aufs Höchſte geſpannt ſein auf alles,
8**[178] was Dir Dein Genius ſagt, trotz dem, daß Du ihn oft
nicht zu verſtehen wagſt. Denn Du biſt feige — ſeine
Eingebungen fordern Dich auf zum Denken; das willſt
Du nicht, Du willſt nicht geweckt ſein, Du willſt ſchla¬
fen. Es wird ſich rächen an Dir — magſt Du den Lie¬
benden ſo abweiſen? — der ſich Dir feurig nähert? —
iſt das nicht Sünde? — ich meine nicht mich, nicht den
Clemens, der mit Beſorgniß Deinen Bewegungen lauſcht,
ich meine Dich ſelbſt, — Deinen eignen Geiſt, der ſo
treu über Dir wacht und den Du ſo bockig zurückſtößt. —
Je näher die Berge, je größer ihr Schatten, vielleicht
daß Dich die Gegenwart nicht befriedigt, was uns nä¬
her liegt wirft Schatten in unſre Anſchauung, und da¬
her iſt gut, daß der Vergangenheit Licht die dunkle Ge¬
genwart beleuchte. Darum ſchien mir die Geſchichte we¬
ſentlich, um das träge Pflanzenleben Deiner Gedanken
aufzufriſchen, in ihr liegt die ſtarke Gewalt aller Bil¬
dung, — die Vergangenheit treibt vorwärts, alle Keime
der Entwicklung in uns ſind von ihrer Hand geſäet.
Sie iſt die eine der beiden Welten der Ewigkeit, die in
dem Menſchengeiſt wogt, die andere iſt die Zukunft,
daher kömmt jede Gedankenwelle, und dorthin eilt ſie!
Wär der Gedanke blos der Moment, in uns geboren? —
Dies iſt nicht. Dein Genius iſt von Ewigkeit zwar,
[179] doch ſchreitet er zu Dir heran durch die Vergangenheit,
die eilt in die Zukunft hinüber ſie zu befruchten; das
iſt Gegenwart, das eigentliche Leben; jeder Moment,
der nicht von ihr durchdrungen in die Zukunft hinein¬
wächſt, iſt verlorne Zeit von der wir Rechenſchaft zu
geben haben. Rechenſchaft iſt nichts anders als Zurück¬
holen des Vergangenen, ein Mittel das Verlorne wieder
einzubringen, denn mit dem Erkennen des Verſäumten
fällt der Thau auf den vernachläſſigten Acker der Ver¬
gangenheit, und belebt die Keime noch in die Zukunft
zu wachſen. — Haſt Du's nicht ſelbſt letzten Herbſt im
Stiftsgarten geſagt, wie der Diſtelbuſch an der Treppe,
den wir im Frühling ſo viele Bienen und Hummeln
hatten umſchwärmen ſehen, ſeine Samenflocken aus¬
ſtreute: „Da führt der Wind, der Vergangenheit Sa¬
men in die Zukunft.“ Und auf der grünen Burg in der
Nacht, wo wir vor dem Sturm nicht ſchlafen konnten, —
ſagteſt Du damals nicht, der Wind komme aus der
Ferne, ſeine Stimme töne herüber aus der Vergangen¬
heit, und ſein feines Pfeifen ſei der Drang in die Zu¬
kunft hinüber zu eilen. — Unter dem Vielen, was Du
in jener Nacht ſchwäzteſt, lachteſt, ja frevelteſt, hab ich
dies behalten, und kann Dir nun auch zum Deſſert mit
Deinen eignen großen Roſinen aufwarten, deren Du ſo
[180] weidlich in Deinen muſikaliſchen Abſtraktionen umher¬
ſtreuſt. — Du gemahnſt mich an die Fabel vom Storch
und Fuchs, nur daß ich armes Füchslein ganz unſchul¬
dig die flache Schüſſel Geſchichte Dir anbot, Du aber
Langſchnabel, haſt Dir mit Fleiß die langhalſige Flaſche
der Myſtik im Generalbaß und Harmonielehre er¬
wählt, wo ich denn freilich nüchtern und heißhungrig
dabei ſtehe. Den Blumenſtrauß hat der Jude *) abge¬
geben, den Wachholderſtrauch hab ich hinter dem Apoll
aufgepflanzt, ſie umduften ihn, die blauen Perlen, und
die feinen Nadlen ſtichlen auf ihn. — Wenn Du kommſt,
ſo verbrennen wir ſie im Windöfchen in meiner Kam¬
mer, und alle böſe Omen mit, drum ſei nicht ungehal¬
ten, wenn ich Dir manchmal ein wenig einheitze, ich
freu mich aufs luſtige Feuerchen.


Karoline.


Sei mir ein bischen ſtandhaft, trau mir, daß der
Geſchichtsboden für Deine Phantaſien, Deine Begriffe
ganz geeignet, ja nothwendig iſt. — Wo willſt Du
Dich ſelber faſſen, wenn Du keinen Boden unter Dir
haſt? — Kannſt Du Dich nicht ſammeln, ihre Einwir¬
[181] kung in Dich aufzunehmen? — Vielleicht weil, was Du
zu faſſen haſt gewaltig iſt, wie Du nicht biſt. — Viel¬
leicht weil der in den Abgrund ſpringt freudigen Her¬
zens für ſein Volk, ſo ſehr hatte ihn Vergangenheit für
Zukunft begeiſtert, während Du keinen Reſpekt für Va¬
terlandsliebe haſt, — vielleicht weil der die Hand ins
Feuer legt für die Wahrheit, während Du Deine phan¬
taſtischen Abweichungen zu unterſtützen nicht genug der
Lügen aufbringen kannſt, denen Du allein die Ehre
giebſt, und nicht den vollen ſüßen Trauben der Offenba¬
rung, die über Deinen Lippen reifen.


Ob Hofmann Deine muſikaliſchen Erleuchtungen
unter der naſſen Leinwand begreifen wird bin ich be¬
gierig zu erfahren. — Wenn er verſtehen ſoll, ob Du
recht verſtanden haſt, ſo wirſt Du ihm wenigſtens in deut¬
licheren Modulationen Deinen enharmoniſchen Schwindel
vortragen wie mir. — Das iſt es eben, — die heilige
Deutlichkeit, — die doch allein die Verſicherung uns ge¬
währt, ob uns die Geiſter liebend umfangen. — Wenns
nur nicht bald einmal aus wird ſein mit der Muſik
wie mit Deinen Sprachſtudien, mit Deinen phyſikali¬
ſchen Eruptionen und Deinen philoſophiſchen Aufſätzen,
und dies alles als erſtarrte Grillen in Dein Daſein
hineinragt; wo Du vor Hochmuth nicht mehr auf
[182] ebnem Boden wirſt gehen können, ohne jeden Augen¬
blick einen Purzelbaum wider Willen zu machen. —


Karoline.

An die Günderode.

Du ſtrahlſt mich an mit Deinem Geiſt, Du Muſe,
und kommſt wo ich am Weg ſitze, und ſtreuſt mir
Salz auf mein trocken Brod. — Ich hab Dich lieb!
pfeif in der ſchwarzen Mitternacht vor meinem Fenſter
und ich reiß mich aus meinem mondhellen Traum auf,
und geh mit Dir. — Deine Schellingsphiloſophie iſt
mir zwar ein Abgrund, es ſchwindelt mir da hinab zu
ſehen wo ich noch den Hals brechen werd, eh ich mich
zurecht find in dem finſtern Schlund, aber Dir zu lieb
will ich durchkriechen auf allen Vieren. — Und die lü¬
neburger Haid der Vergangenheit, die kein End nimmt,
mit jedem Schritte breiter wird; — Du ſagſt im Brief,
der mir zu Lieb ſo lang geſchrieben iſt, ſie ſei mir noth¬
wendig zum Nachdenken, zur Selbſterkenntniß zu kom¬
men; ich will nicht widerſprechen! — Könnteſt Du
doch die neckenden grauſenerregenden Geſpenſter gewahr
werden, die mich in dieſer Geſchichts-Einöde verfolgen
[183] und mir den heiligen Weg zum Tempel der Begeiſtrung
vertreten, auf dem Du ſo ruhig dahin walleſt, und mir
die Zaubergärten der Phantaſie unſicher und unheimlich
machen, die Dich in ihre tauſendfarbigen Schatten auf¬
nehmen. — Thut der Lehrer den Mund auf, ſo ſehe ich
hinein wie in einen unabſehbaren Schlund, der die Mam¬
muthsknochen der Vergangenheit ausſpeit, und allerlei
verſteinert Zeug, das nicht keimen, nicht blühen mehr
will, wo Sonn und Regen nicht lohnt. — Indeß brennt
mir der Boden unter den Füßen, um die Gegenwart,
um die ich mich bewerben möcht, ohne mich grad erſt
der Vergangenheit auf den Amboß zu legen und da
plattſchlagen zu laſſen. Du ſprichſt von meinem Wahr¬
nehmungsvermögen mit Reſpekt; hab ichs aus der Ver¬
gangenheit empfangen wie Du meinſt, — wenn ich Dich
nämlich recht verſteh, ſo weiß ichs doch nicht wies zu¬
ging. — Iſts der Genius, der dort herüber gewallt
kommt? — das willſt Du mir weiß machen! — fei¬
ner Schelm! — Mein Genius, der blonde, dem der
Bart noch nicht keimt, — ſollte aus dem Schimmel
herausgewachſen ſein wie ein Erdſchwamm! — Wahr¬
lich, es giebt Geiſter, die drehen ſich um ſich ſelber wie
Sonnen; ſie kommen nicht woher und gehen nicht wo¬
hin, ſie tanzen auf dem Platz, Taumeln iſt ihr Ver¬
[184] gnügen, der meinige iſt ganz berauſcht davon, ich laſſe
mich taumelnd dahin tragen. Der Rauſch giebt Dop¬
pelkraft, er ſchwingt mich auf, und wenn er mich auch
aus Übermuth den vier Winden preis giebt, es macht
mir nicht Furcht, es macht mich ſelig wie ſie Ball mit
mir ſpielen, die Geiſter der Luft! — und dann komm
ich doch wieder auf gleiche Füße zu ſtehen, mein Ge¬
nius ſetzt mich ſanft nieder — das nennſt Du ſchlafen
in träger Luft, das nennſt Du feige? — ich bin nicht
feige; ſeine Eingebungen fordern mich auf zum Denken,
meinſt Du, — und daß ich dann lieber ſchlafe meinſt
Du, — Ach Gott! — Denken, das hab ich verſchwo¬
ren, aber wach und feurig im Geiſt, das bin ich. —
Was ſoll ich denken, wenn meine Augen ſchauen jene
Vergangenheit hinter mir im Dunklen, wie kann ich ſie
an den Morgen knüpfen, der mit mir vorwärts eilt. —
Das iſt die Gegenwart, die mich mit ſich fortreißt ins
ungewiſſe Blaue, ja ins Ungewiſſe; aber ins himmli¬
ſche, blonde, goldſtrahlende Antlitz des Sonnengotts
ſchauen, der die Roſſe gewaltig antreibt, und weiter
nichts. Der Abend fängt mich auf in ſeinem Schooß,
ſinnend lieg ich ein Weilchen, lauſch in die Ferne! grö¬
ßere Helden deucht mir da auf der vollen Heerſtraße der
Geſchichte, am heutigen Tage ihre muthigen Roſſe tummeln
[185] zu hören; ja ich will, ich möcht hin, das Banner vor ihnen
hertragen, wie wollt ich mich des Lüftchens freun das drinn
flattert, wie wollt ich mich der eignen Locken freun, die
getragen im jauchzenden Galopp mich umſpielen mit
leiſem Schlag auf meine Wangen, wie kühn ins Leben
hinein gejagt, wie raſch hinter Ihm drein, über die
Haid! — Wie luſtig! aufwärts, vorwärts, hinab durch
den Dampf. — Der auf dem Berg winkt, ſein Aug
ruht auf mir, ſeine Trommeln lenken, ſeine Trompete
ruft! — und dann in der Nacht — vor ſeinem Zelt!
— und ſchlaf feſt, denn Er, der Zeiten Genius, weckt
zur rechten Stund, und im Schutze ſeines Gefieders,
ſchau ich die Gefilde, Ihn überwallen, die Völker wecken,
ſie anglühn mit ſeinem Feuerblick, daß ſie freudig Hoch¬
zeit machen mit dem Tod, auf Lorbeerumſproßtem
Bett; — nun Kamerad willſt Du mit?


Heute hat die Vergangenheit ausgeſpieen, ſo kurz
wie möglich, denn ich ſaß ihr auf dem Dach, das
aſſyriſche Reich
von Aſſer gleich nach dem babylo¬
niſchen Reich geſtiftet; das Wort „geſtiftet“ macht mir
immer Zerſtreuung, vom Kloſter her noch, wo ich ſo
oft hab vorleſen müſſen, der heilige Bonifacius ſtiftete
den heiligen Orden der Benediktiner, oder der Antonius
von Padua oder Franziscus ꝛc., es gemahnt mich an
[186] jene Kämpfe, die dieſe heiligen Feldherrn mit der Legion
Teufel zu beſtehen hatten, und da denk ich mir gleich
alle Völker, mit denen ſie im Kampf waren, gehörnt mit
Bocksfüßen, feuerſpeiend und peſtilenzialiſchen Geſtank
verbreitend, den mir die Vergangenheit herüberweht. —
Die heiligen Aſſyrer aber in Kutten, die ihnen das
Kämpfen erſchweren. — Ich denk, ich denk — alle Teu¬
fel, unterdeß Ninus der Eroberer von Mittelaſien her¬
überwitſcht, Ninive die Hauptſtadt von Aſſyrien er¬
baut, mit Tod abgeht, ſeinem kriegs- und bauluſtigen
Weib Semiramis noch ein Stück Babylon zu bauen
übrig läßt, worauf ſie glänzende Feldzüge macht; —
das alles verſäumt über dem Kloſter und Waldteufel
ſammt heiligen Ordensmännern. — Durch Winkelzüge
und Fragen kriegt ichs aus dem Lehrer noch heraus,
daß weiter nichts paſſirt war. Über der Geſchichte
der Semiramis hat Vergangenheit ſo dicken Schimmel
wachſen laſſen, daß ſie noch eben mit dem blauen Aug
der Unſterblichkeit ihres Namens davon kommt, ſonſt
wüßten wir gar nichts. In der Folge beherrſchten die
Meder Aſſyrien, es machte ſich wieder frei, bis der ba¬
byloner König Nabopolaſar, (unter welchem ich mir
einen Centaur denk, der Cylbenfall ſeines Namens hat
etwas Ähnliches mit dem Galopp eines leichten arabiſchen
[187] Renners) es erobert und mit den Perſern theilt. —
Damit hat die Vergangenheit für heute noch nicht ge¬
nug, ſondern meldet ferner: „Die älteſte Geſchichte der
Meder iſt unbekannt, Arbazes, ihr Statthalter, befreit
durch Überwindung des Sardanapals vom aſſyriſchen
Joch im Jahr der Welt 3108, genau gemeſſen, des Leh¬
rers Phantaſie erſtreckt ſich lediglich aufs Jahr der
Welt. Dejozes erbaut Eckbatana (lies Tians Offenba¬
rungen über dieſe herrliche Stadt). — Aſtyaches (wo
kommt der her?) vermählt ſeine Tochter dem Perſerkö¬
nig Cambyſes, deſſen Sohn Cyrus ſeinen Großvater
vom Thron ſtieß, (der alſo zu lang ſitzen geblieben
war), — er vereinigt Medien, Aſſyrien und Perſien
und ſtiftet das große Medoperſiſche Reich, der Jud
Hirſch vom Geſchlecht Eſau ſtreckt ſeine rauhe Hand
herein, es in Beſitz zu nehmen, er wirds unterjocht hal¬
ten in ſeinem alten Sack, bis Du's befreieſt, ſchmeißt
Du's ins Ofenloch mit dem alten Papier, ſo bringſt
Du mich um einige ſchwer eroberte Vergangenheit. —


Schreib vom Mährchen. —


Schreib dem Clemens nichts von mir, ſag ihm nur
nichts von meiner Ausgelaſſenheit, er meint gleich, ich
wär beſeſſen, er thut mir tauſend Fragen, er iſt ganz
verwundert, daß ich ſo bin, er forſcht, er ſucht eine Ur¬
[188] ſach und frägt andre Leut, ob ich verliebt ſei, wo ich
doch nur im heiligen Orden meiner eignen Natur lebe.
Zum Beiſpiel wenn er wüßte, daß ich Abends auf dem
Dach vom Taubenſchlag ſitz und der untergehenden
Sonne auf dem Flageolett vorblaſe, würde ers gut hei¬
ßen? — Mein arm jung Leben liegt mir am Herzen,
ich kann ihm nichts verſagen. — Red nichts von mir,
laß die Leute bei ihrer herzlich ſchlechten Meinung von
mir, es iſt meine beſte Freud, ich geh mit meinem Dä¬
mon um, der ſagt: Du ſollſt Dich nicht verthei¬
digen
. — Ich thu was er will, alles andre iſt mir ei¬
nerlei; einmal hab ich Viſionen von ihm, ſo gut wards
der Pſyche nicht, ſie ſah doch nicht ſeinen Wiederſchein,
denn es war ſtockfinſtre Nacht um ſie, ich aber, wenn
ichs im Herzen fühl, ſo ſeh ichs auch was mich ent¬
zückt, warum ich leben mag, himmliſch feucht Leben im
Jugendſtrahl, vortretend, ein Biſchen auf die Seit ge¬
neigt, ſteht er immer vor mir, nicht den Blick mir grade
zuwendend, nein beſcheiden zeigt er ſich in meiner Bruſt,
der Gott, dem ich mich einſchmeichle, mit ſüßen Thrä¬
nen, der mich Morgens vom Lager ſchüttelt, wo's kaum
tagt, ich ſoll mich aufmachen, vielleicht begegne ich ihn
bei Tagesanbruch, ſo eil ich flüchtig vorwärts, ich fühl
mich ſchön im Herzen, ich fühl meine Schönheit, mein
[189] Geiſt iſt ein Spiegel, der iſt voll himmliſchem Reiz, —
jeder Thautropfen am Weg ſagt mir, ich gefalle mei¬
nem — ihm, was brauchts mehr, wem ſollt ich noch
gefallen wollen außer ihm? — Nein glaubs doch nur,
er iſt wirklich! er ſchreitet ſo leicht, er entſchwindet mit
jedem Tritt, aber er iſt gleich wieder da! — Wie ſich
das Licht im Auge ſpiegelt, mich blendend deckt es ſich
im Schatten, dann faßt es wieder Licht, dann ſchwin¬
delts, es ſieht den Strahl verſchweben, doch leuchtet
der fernhin wieder auf, das Auge ſucht ihn, es hat ihn
ſchon gefunden, dann ſchließt ſichs und ſiehet innerlich,
das iſt ein ſtill Genießen. — O ich weiß alles! — ich
weiß zu lieben, aber nur den Genius. — Keiner darf
wiſſen das Geheimniß, was ſich im Feuerkreis um mich
ſchwingt. — Wenn ich ſo da ſteh, ſtill — mit geſchloſſe¬
nen Armen. — Und der Blick, den nennt die Gro߬
mama ſtarr; — Mädele was ſtarrſt, — ſollt man
glauben. Du wärſt außer der Welt entrückt. — Ich
fuhr auf — da lacht ſie. — „Gutes Kind wo biſcht?
— biſcht beim Schutzengel?“ — und zieht meine Hand
an ihre Bruſt, — „ſo ſagen die Schwaben, wenn einer
ſo in ſich verſtummt.“ — Ich wollts bejahen und konnt
doch nicht. — Der ruft mir: Schweig! — und ſollt ich
einen Laut thun? — ? — Nein er ſagt: Schweig! das
[190] ſchließt mir den Mund auf ewig. — Ewig, Günderod.
— Du biſt der Widerhall nur, durch den mein irdiſch
Leben den Geiſt vernimmt, der in mir lebt, ſonſt hätt
ichs nicht, ſonſt wüßt ichs nicht, wenn ichs vor Dir
nicht ausſpräch. — Dem Clemens ſag nichts als daß ich
brav ſtudier wies vom Himmel regnet, und daß nichts
dabei herauskommt, das ſage auch, aber von mir —
von Uns ſag nichts. Er brauchts nicht zu wiſſen, daß
wir ſo himmliſche Kerle ſind, heimlich mit einander, wo
er nicht dabei iſt und keiner. Schau auf, Günderod,
gleich wird ein himmliſcher Tänzer aus den Couliſſen
hervor ſchweben. Tanz iſt der Schlüſſel meiner Ahnun¬
gen von der andern Welt. Er weckt die Seel, ſie redt
irr wie ein Kind, was in Blumen-Labyrinthen ſich
verliert, da ſchwankts Kindchen und die Ärmchen ſtreckts
aus, nach blühenden Zweigen, weils taumelt, weils ſo
lang im Kreiſe ſich drehte;— ſchauts auf, da ſteht der
Mond über ihm und ſänftigt den Schwindel — mit an¬
gehaltnem, ſtillem Blick, an dem erholt's ſich wieder. —
Was meinſt Du was ich Dir da vorſchwindel und muß
die Thränen verbeißen. — Ich mein als, ich könnt die
ganz Welt auf die Welt bringen mit meinem Mund,
wenn der nur ſprechen wollt wies Gott ihm auf
die Zung legt, aber wenn ſie heraus damit ſoll,
[191] dann ſtockt ſie. Aber dabei bleibts, wir mögen ſtammeln
oder lallen oder auch nur ſeufzen, wir wollens einan¬
der alles ſtill verborgen abhören, nicht wahr? — wie
auf der grünen Burg im Abendroth, wo wir im Feld¬
graben lagen, da war ich freudig mit der Zung, da
wars immer als wär einer hinter mir der mirs ein¬
flüſtre, Du frugſt, was ich mich denn umdreh ſo oft? —
ich ſagt: hinter mir tanzt's — denn ich wollt nicht ſa¬
gen: ſprichts, denn es war mehr ſo getanzt, und
flüchtig geſchwungen im Kreis, Nymphen die ſich bei
der Hand hielten hinter den drei großen Cypreſſen her¬
vor, ſchmiegten ſich anmuthig, die Füßchen zuſammen,
und die Köpfchen, Du gucktſt mich an und ſagteſt: ſei
kein Narr! — haha, ich muß lachen — das war zu
ſpät, freilich bin ich ein Narr! — denn was ich Dir
da vorplaudre, das iſt eine Weiſe, nach der wird ge¬
tanzt hinter mir, und ſo war unſer tiefer Philoſophen¬
text in die Luft geſprengt, was wars doch? — von der
innerlichen Wahrnehmung und von der Anſchauung im
Geiſt, ob die verſchieden wären und wo ſie herkämen,
aus der Empfindung oder aus dem Gefühl, und wo
dieſe Quellen ſich herleiten, ob links ob rechts; das alles
wollteſt Du da im zunehmenden Dämmerlicht aus mir
herauspumpen. Schwernoth! — das war zu arg, ich möcht
[192] Dir heut noch eine Ohrfeig geben drüber, — aber das
war grad mein himmliſchſtes, daß Du nicht bös gewor¬
den biſt, und haſt die geſchlagne Wange ſanft an mich
gelehnt, und haſt gegirrt wie eine Taube, und ſagteſt:
„ja“ wie ich fragte, thuts weh, „aber es thut nichts.“
— Hier hab ichs hingeſchrieben, denn wenn ſo viel un¬
nütz Zeug geſchrieben ſteht, ſo kann auch geſchrieben
ſtehen, daß ich Dir eine Ohrfeig gab. — Aber die große
ſchöne Verſöhnungsſtille über uns, — die Dämmerung,
die immer breiter ward und größer, und der Nebel¬
vorhang vor dem Weidengang vom Feldberg herab,
— und der Feuerſaum längs dem ganzen Horizont,
wie werd ichs vergeſſen? — erſt hingen wir einander
im Arm, ganz ſtill, und dann lag ich quer über Deinen
Füßen, ſo dacht ich Du ſchläfſt, weil ich Dich hart ath¬
men hörte, und wollt eben auch einſchlafen. — Da fingſt
Du an zu reden (da haſt Du's in Muſik geſetzt):


Liebſt du das Dunkel

Thauigter Nächte

Graut dir der Morgen?

Starrſt du ins Spätroth

Seufzeſt beim Mahle

Stößeſt den Becher

Weg von den Lippen

Liebſt du nicht Jagdluſt

Reizet dich Ruhm nicht

Schlach-[193]
Schlachtengetümmel

Welken dir Blumen

Schneller am Busen

Als ſie ſonſt welkten,

Drängt ſich das Blut dir

Pochend zum Herzen —

Ach Du ſtockteſt. Das hab ich meiner Ungeduld
zu danken — zu hören, nein zu fühlen Deinen ſüßen Wör¬
tertanz, wie er ſich mit vollem Buſen ſanft hinablehnte
zu den Wellen, die ihn umfaſſen wollten und kühlen. —
Ich konnts nicht erwarten, daß Du weiter tanzteſt Dei¬
ner Seele Tanz. — Und da wars vorbei; da macht ich
einen Vers dazwiſchen um Dich in Trapp zu bringen,
Du ſagteſt: „geh Du Eſel“ — da wars aus. — Ach wie
viel Melodien hab ich auf dieſen Vers geſungen, alle
Stimmungen hat er müſſen aufnehmen, heut noch längs
der Gartenwand ſchlug ich mit einem Stock ans Eiſen¬
gitter, das dröhnte mir im Herzen wieder als als wärs
Herzpochen, und ſang dazu ſo kühn, ſo laut, ſo ſchreivoll,
als ſtünd mein Herz mitten in Flammen und eilte ſich
mit Pochen über alle Maßen. Weißt Du nicht weiter
zu ſingen, was paſſirt, wenn ſich das Blut pochend
zum Herzen drängt? — oder willſt mirs nicht ſagen? —
bin ich Dir dazu auch noch zu jung? — wenn Du das
meinſt, dann will ich Dir beweiſen, daß ich weit drüber
9[194] hinausgreif und daß ich mehr weiß als viele denen
das Herz ſchon gepocht hat wie mir nicht. — Einmal
erregt ſich das Herzpochen durch Anlächeln — das hab
ich aus eigner Wahrnehmung, geſtern Abend erſt auf
der Bank vor der Hofthür, da ſaß ich — es war elf Uhr,
alles ſchlief, beim Nachbar brannte ein Nachtlämpchen.


Adieu, ſchlaf recht wohl, denn es iſt elf Uhr, alles
ſchläft wieder, ich will wieder mich auf die Bank ſetzen
vor die Hofthür, es iſt Vollmond, geht gleich auf, ich
will ihn ſteigen ſehen. Gute Nacht.

An die Bettine.

Dein buntes Füllhorn fröhlicher Verſchwendung er¬
löſt mich vom Übel. — Gedanken ſind mir oft läſtig
in der Nacht, die mir am Tage einen trüben Nachklang
geben, ſo wars heute! — Dein jung friſch Leben, das
Schmettern und Toſen Deiner Begeiſterung und beſon¬
ders Dein Naturgenuß ſind Balſamhauch für mich, laß
mirs gedeihen und ſchreib fort, auch Deine Dithyrambi¬
ſchen Ausſchweifungen, die ſo plötzlich der Flamme be¬
raubt verkohlen, als habe ſie ein muthwilliger Zugwind
ausgeblaſen, ſind mir gar lieb. — — Bleib mir zu
[195] Lieb noch eine Weile bei der Geſchichte, ſo wie Du es
jetzt treibſt kann es Dir nicht läſtig fallen, wenn ſie
auch jetzt Dir noch nicht viel Ausbeute giebt, ſo weißt
Du ſie doch ins Kunſtgeflecht Deines Tags zu verwen¬
den, ich ſeh Dich bald, George hat mir verſprochen,
mich im Gick mit hinauszunehmen, verbring Deine
Nächte nicht ohne Schlaf, klettre nicht auf die Dächer
und Bäume, daß Du den Hals nicht brichſt, und denk,
daß dies der Weg nicht iſt, Deine Geſundheit zu ſtär¬
ken. Was ſagt denn die Großmama dazu, iſt ſie da¬
mit zufrieden? —


Dem Clemens will ich gern von Deinen Briefen an
mich nichts ſagen, weil Du es nicht willſt, und ich fühl
auch, das es nicht ſein kann, es wär Störung ohne
Gewinn, er ſieht Dich ſo ganz anders, ohne daß er
Dich falſch beurtheilt, nur ſieht er in jedem Farbenſtrahl
Deines Weſens, wie Diamanten, die er meint faſſen zu
müſſen und doch nicht erfaſſen kann, weil es eben nur
Strahlenbrechen Deiner Phantaſie iſt, die ihn und jeden
verwirrt. Glaubſt Du denn, daß ich ruhig bin, wenn
Du ſo mit mir ſprichſt, von einem zum andern ſpringſt,
daß ich Dich jeden Augenblick aus dem Auge verliere.
Du hebſt mich aus den Angeln mit Deinen Wunder¬
lichkeiten! — Doch ich will nicht freveln! — Dein La¬
9*[196] chen, das mich oft außer mir gebracht hat, womit Du
mich beſchwichtigen wollteſt — nun ich muß mir es ge¬
fallen laſſen, daß Du mit allen Pfeilen wie ein armes
Wild mich hetzeſt. — Und der Clemens, der mich immer
ſpornt mit Dir zu lernen, der immer von mir wiſſen
will, was und wie Du es treibſt. Dem es leid thut um
jeden Athemzug, der von Dir verloren geht, der hinge¬
riſſen iſt von Deinen kleinen Briefen an ihn, wo Du
ganz anders, wie ein Kind ſchreibſt, ſo fromm, und an
mich ſo ausgelaſſen, was ſoll ich dem nur ſagen? —
Das Eine thu mir nur, und rappel mir nicht einmal
vom Dach herunter mit Deinem Flageolett; hätt ich
nicht Vertrauen in Gott, daß der weiß, zu was alles
in Dir ſo iſt und nicht anders, und daß es ja doch nur
ihn angeht, da es ſein Belieben war. Deine Seele ſo zu
bilden. — Was ſollt ich von Dir denken? — Clemens
ſchreibt, Du müßteſt fortwährend dichten und nichts
dürfe Dich berühren als nur was Deine Kräfte weckt,
es iſt mir ordentlich rührend, daß während er ſelber
ſorglos leichtſinnig, ja vernichtend über ſich und alles hin¬
ausgeht was ihm in den Weg kommt, er mit ſolcher An¬
dacht vor Dir verweilt, es iſt als ob Du die einzige
Seele wärſt, die ihm unantaſtbar iſt. Du biſt ihm ein
Heiligthum, wenn er manchmal von Offenbach herüber¬
[197] kam, da war er ganz ſtill in ſich vertieft, wo ſonſt
ſeine Koketterie fortwährend geſpannt war, kleine Kritze¬
leien von Dir hat er oft ſorgfältig aufgehoben, es wäre
traurig wenn Du keinen liebenden Willen zu ihm hät¬
teſt; ſchreib doch nicht mehr „paſſirt“, das Wort
iſt nicht deutſch, hat einen gemeinen Charakter und
iſt ohne Klang, kannſt Du nicht lieber in den rei¬
chen deutſchen Ausdrücken wählen wie es der reine
Ausdruck fordert. Vorgehet, ereignet, begiebt, geſchieht,
wird, kömmt; das alles kannſt Du anwenden aber nicht:
paſſirt. Ich muß Dir aber doch antworten, weiter paſ¬
ſirt nichts. — Und Du weißts ja ſchon alles beſſer wie
Du ſchreibſt, da Du in der Nacht auf der Hofbank ſo
große Abenteuer erfahren haben willſt, die Dein Herz
bewegten. Ich bin nicht bange, daß Du mir es
nicht ſagen ſollteſt, wenns wirklich was Erlebtes iſt
und Du Deine Lügen bis zum nächſten Brief nicht ver¬
geſſen haſt. — Dann auch bitt ich, daß Du nicht mehr
fluchſt, Deine Briefe ſind mir ſo lieb, und Deine Extra¬
vaganzen alle ſind mir verſtändlich und lieb, aber Worte,
die Du blos um zu prahlen hinzufügſt, wie Schwere¬
noth, und die keine Bedeutung haben in Deinem Mund,
die kannſt Du ungeſagt laſſen, denn ſonſt glaub ich
nicht, daß der Wohllautenheit und des Tanzes Genius
[198] Deine innern Erlebniſſe begleiten. — Zweitens ſchieb mir
nichts zu, was ich nicht verſchuldet habe; des Abends auf
der Burg erinnere ich mich deutlich, grade wie Du ihn
beſchreibſt, ich war auch ſehr heimlich und bewußt, und
bis zum andern Tag war die Stimmung mir geblieben
von den Worten, die Du mit mir wechſelteſt, aber Eſel
hab ich Dich nicht geſchimpft, das iſt wieder eine von
Deinen ungeeigneten Erfundenheiten, — laß nichts der¬
gleichen wieder auf mir belaſten, ich bin empfindlich;
im Anfang Deines Briefes nennſt Du mich Muſe und
am End läßt Du Deine Muſe Dich Eſel ſchimpfen, es
wär zum Lachen, wenns nicht zum Weinen wär, daß
Du Deine eigene Muſe ſo zu beſchimpfen wagſt. —


Karoline.

An die Günderode.

Drei Uhr Morgens! — Hier bin ich — auf der
Terraſſe am Main, ich wollt als immer einmal hergehn
in der Früh wenn der Tag noch nicht auf den Beinen
iſt und Lärm macht, am Tag bin ich zerſtreut, was mir
immer wie Sünde deucht, daß ich Antheil nehm an
[199] was mich nichts angeht. — Aber in der Früh, da hab
ich ein ganz lauter Herz; und ſchäm mich nicht die
Natur zu fragen, und ich verſteh ſie auch, geſtern Abend
war mir ſo wohl hier, wie Bernhards Schiff mit der
Harmonie hin und her fuhr auf dem Main, die meiſten
Leut waren nachgefahren auf Nachen, wir blieben am
Ufer, ich hatt mich ganz in die Ecke geſetzt, da ſteht
ein großer Zitronenbaum, es war Wetterleuchten, aber
die Hitz war doch nicht abgekühlt, und die Blüthen
vom Baum wetterleuchteten auch, oder ſollt ich mich
getäuſcht haben? — denn ich war eingeſchlafen über der
Muſik, und wie ich aufwachte, da ſah ich ganz ver¬
wundert wie der Zitronenbaum Flammen hauchte aus
den Blüthen. — Ich kanns doch nicht geträumt haben? —
Denn ich guckte eine ganze Weile zu, bis ein leiſer Regen
kam, da gingen wir nach Haus. Wer weiß, was doch alles
vorgeht in der Natur, was ſie uns verbirgt. Der Menſch
hat ja auch als Gefühle, die er nimmer wollt belauſcht
haben. Daß aber der Baum über mir fortleuchtete, wie
ich mich beſann und ihm zuſchaute, das iſt mir ſo lieb, —
ich konnt nicht ſchlafen im Bett, es war mir zu wohl
dort geſtern, wo ich den Herzſchlag der Natur fühlte
und wo ſie mit ihren Blumen mich anflammte. Im
Dunkel haucht man die Lieb aus, und ſchämt ſich nicht
[200] vor dem Schatz, weils dunkel iſt. — Nun bin ich mit
Zagen hergeſchlichen, heimlich, daß es nicht gewußt ſei,
wie auch jenes Leuchten nicht gewußt iſt. — Erſt greinte
die Hofthür, aber heut Abend will ich ſie ſalben, wie
der Properz, wenn er einen Liebesweg vor hat; dann
krachte die Gartenthür, dann ſchurrte der Kies unter den
Füßen. — Man ſcheut das Gebüſch zu wecken, ſo ſtill
iſt alles mit Ruh gedeckt. Die verſchlafnen Federnelk¬
chen ſchuckern zuſammen im frühen Thau, und mich
ſchauert auch das ſtille Wirken der Natur, hier über
der ſchlafenden Welt, obſchon der Wind nicht ſo ſcharf
iſt der den Tag heraufweht. Heut iſt doch ganz milde,
geſtern Abend war der Himmel grün und miſchte ſich
mit dem Roth, das vom Untergang heraufzog, unten
waren Purpurſtreifen und Violett mit Feuer umſäumt,
dann kam die Nacht herauf. — Heut früh ſchlagen die
Morgenwolken ihre Feuerflügel um Euern ſchwarzen
Dom, man denkt als, ſie wollten ihn in der Gluth ver¬
zehren; dazu ſchmettern die Nachtigallen, und das blaue
Gebirg drüben, ſo ſtolz und kühl! — das alles freut
mich beſſer als Weisheit, — hier unter dem Zitronen¬
baum, der geſtern Flammen und heut Thränen über
mich ſchüttelt.


Und jetzt geh ich, Dir hab ich alles eingeprägt, das
[201] iſt nicht ausgeplaudert, mich lockts, damit es nicht ver¬
geſſen ſein ſoll, daß ich Dirs vertraut hab.


Nr. 2. Am Abend.


Heut iſt der Jud erſt um ſieben Uhr kommen.


Mit der Großmama bin ich im beſten Vernehmen,
ſo lang die Tante im Bad iſt bleib ich hier, es gefällt
ihr, daß ich gern bei ihr bleib, ich hab aber noch ſo
manch andres was mich anzieht, wovon ſie nichts weiß.
Heut Morgen kam ich dazu wie der Bernhards Gärt¬
ner mit einem Nelkenheber die dunkelrothen Nelken in
einen Kreis um einen Berg von weißen Lilien verſetzte,
in der Mitte ſtand ein Roſenbuſch. Dieſe Früharbeit
gefiel mir wohl und hab mit Andacht dabei geholfen,
der Dienſt der Natur, der iſt wie Tempeldienſt. Wenn
der Knabe Jon vor die Tempelhalle tritt, und die zie¬
henden Störche bedeutet, daß ſie ihm die Zinne des
Tempels nicht verunreinigen ſollen, wenn er dann die
Schwelle mit kühler Fluth beſprengt, die Halle fegt und
ſchmückt, ſo fühl ich in dieſem einſamen Tagwerk ein
hohes Geſchick, vor dem ich Ehrfurcht habe. Ach ich
möcht ein Knab ſein, Waſſer holen in der Morgenfriſche,
wenn alles noch ſchläft, den Marmor poliren von den
Säulen, meine Götterbilder ſtill bedeutſam waſchen, und
9**[202] alles reinigen vom Staub, daß es leuchte im Dämmer¬
licht; dann, nach der Arbeit die heiße Stirn auf die küh¬
len Stufen legen und ruhen, in heimlichem Genügen;
ruhen die Bruſt, die ſchwillt von Thränen, daß es ſo
ſchön iſt in der dämmrigen Stille im Tempel; ſo ſcheint
mir auch die heutige Arbeit ein Tempeldienſt der Natur;
dann ihre Blumen in Kreiſen ſchön verſchlingen, iſt das
nicht ihr gedient? — Die Blumen, die ihren Duft un¬
ter einander ſchwenken in ſo dichter Fülle, iſt denen
nicht ein ſchönerer Frühling bereitet? — denn was uns
ſchöner iſt in der Natur, iſt das nicht auch ihr ſelber
ſchöner? — Und ihre Bäume vom Moos reinigen,
in nachbarliche Reihen pflanzen, ihre Blumenkelche fül¬
len, iſt das nicht ihrem Willen ſich hingeben? — Läßt
ſie die Sorge nicht gedeihen, und giebt der Früchte
vom gepropften Reiß mehr und ſchöner und ſüßer da¬
für? — Tempel und Natur, friedliche Nachbarn, Freunde!
wie ich und Du, theilen ihre Gaben wie ich und Du.
— Vom Frühling bis zum Winter — (da haſt Du
mein Gelübde) theil ich mit Dir, wie mit dem Tempel
der Naturgarten der ihn umzieht — im Frühling haſt
Du meine Keime, die alle dicht um Dich her aufwachen.
Im Sommer wilder Vögelgeſang, der anſchlägt in ein¬
ſamer Nacht an deinen verſchloſſnen Pforten, und dann in
[203] der Ferne auch, wenn die Pilger heimziehen, die am
Tag deinen Göttern huldigten, da glühen die Blumen,
am Weg von mir zu Dir. — Im Herbſt da roll ich
meine Früchte zu Dir hin, leg ſie auf Deinen Altar,
und den Honig meiner Bienen die Dich umſummen, be¬
wahr ich in Deinen Opferſchalen. Dann rauſch ich die fal¬
ben Blätter herab auf Deine Stufen, die umtanzen Dich
im Winterwind, begraben ſich unterm Schnee, den meine
belaſteten Äſte auf Dich niederſtürzen, dann brauſt es
draußen und ſtürmt, aber meine Seele wohnt in Dir und
pflegt Dich, giebt der Lampe reines Öl zu, die Deine
ſtille Halle erleuchtet, und die Sterne vom hohen Fir¬
mament herab, leuchten über Deiner Zinne. Still iſts
dann und verlaſſen von allen Menſchen ſind wir,
die gebahnten Wege verſchneit, allein in Dir zu woh¬
nen, wenn wir des Lebens Grenzen mit einander ermeſ¬
ſen haben. —


Wie die Natur eingeht zum Tempel im Winter
und ruht da im Gottfühlen aus, das nennen die Men¬
ſchen Winterſchlaf, dann kehrt ſie wieder mit neuer
Blüthekraft, und thaut und duftet den eingeſognen Him¬
melsathem, und ewig iſt der Tempel Gottes angehaucht
von der Liebe der Natur.


Ich ſchreibs dahin, daß mirs ſo wohl iſt heut weil
[204] die Sonn mir aufs Papier ſcheint und meine Gedanken
beleuchtet, da leſe ich ſo deutlich in meinem Herzen. —

Der Gärtner iſt ſo gut, er ſuchte mir aus allen
Büſchen die ſchönſten Blumen heraus, der Strauß ragte
mir über den Kopf mit ſchönem Bandgras, auch friſches
Laub dabei, und vom Lerchenbaum und von der Schar¬
lach-Eiche. Dieſer Baum iſt, was man ſchön gewachſen
nennt, er ſtreckt ſein ſcharlachroth Laub in die blaue
Luft hinaus zum Tanzen, der leiſeſte Wind bewegt ihn. —
Im Heimgehn hatt ich Gedanken, die mich ergözten, an
denen mir gelegen iſt, daß ſie wahr ſein möchten, ſie
waren nicht in mich gepflanzt, ſie wuchſen von ſelbſt
auf wie jene Blumen auf der Haide. — Morgenſtund
hat Gold im Mund — wär ich nicht früh draus gewe¬
ſen, ſo hätt ich ſie nicht denken können. — Natur iſt
lehrſam, wer ihre Lehrſtund nicht verſäumt, der hat zu
denken genug, er kriegt die trocknen Lebenswege gar
nicht unter die Füße, auf denen andern die Sohlen
brennen. Was haſt Du zu ſorgen um mein Nacht¬
wachen? — So viel Blumen, die nur des Nachts duf¬
ten! — Müſſen denn alle Menſchen in der Nacht ſchla¬
fen? — können ſie nicht auch wie der Nachtſchatten und
Viola matronalis am Tag ſchlafen und Nachts ihren
Duft aushauchen? — Warum ſind manche Menſchen
[205] ſo unaufgeweckt und können nicht zu ſich ſelbſt kom¬
men am Tag, als weil es Nachtblüthen ſind, aber die
leidige Tagsordnung hat ſie aus den Angeln gerückt,
daß ſie kein Gefühl haben von ihrem Naturwillen. —
Drum verlieben ſie ſich auch verkehrt. weil ihre Sinne
ganz verwirrt ſind. — Manche Leut ſind nur geſcheut
zwiſchen Licht und Dunkel, am Abend verſtehen ſie al¬
les, Morgens haben ſie lebhafte Träume, am Tag ſind
ſie wie die Schaaf, ſo geht mirs, mein Wachen iſt früh,
ich muß dem Sonnengott zuvorkommen, wie jener Tem¬
pelknabe ſeinen, Tempel reinigen — dann kehrt er ein
bei mir und lehrt mir Orakelſprüche — alles paßt, —
fügt ſich wollt ich ſagen — auch daß ich immer ſo
unaufgeweckt bin wenn der Geſchichtslehrer kommt in
der Mittagsſtund, das iſt grad meine verſchlafenſte
Zeit. — Du biſt auch keine Tagsnatur, Dein Wachen
deucht mir anzufangen, wenn der Taggott ſich neigt,
und nicht mehr ſo hoch am Himmel ſteht — Dir neigt
er ſich herab, und wandelſt anmuthig mit Ihm die Bahn
vom ſpäten Nachmittag zum ſpäten Untergang, und
winkt Euch noch mit Eurer Gewande Saum fern hin,
dann leuchtet der Abendſtern zu Deinen Nachgedanken
von ihm, und wogſt einſam in der Erinnerung wie die
Meereswelle am Fels wogt zur Zeit der Fluth, und ihn
[206] abſpühlt von den Gluthen die ihm der Tagesgott ein¬
gebrannt hat zur Zeit der Ebbe. Der Jud kommt,
Adieu. Was haſt Du denn, daß Dich ſo unmuthig
macht, laß Dich anhauchen von meinem Brief. Sa¬
vignys ſind noch drei Wochen auf dem Trages, geh
doch hin. Aber, „Teufel, Donnerwetter“ iſt das auch
geflucht. Darf ich das auch nicht ſagen? —


Vom Clemens glaub doch nicht, daß ich ihn be¬
lüg, ich bin anders mit ihm in meinen Briefen, weil
ich ſo ſein muß. In Bürgel die kleine Orgel hat elf
Regiſter, groß und kleine Choralſtimm, Harfenſtimm,
Trompetenſtimm, Poſaunen-Ton, ſchnarrende Engels¬
ſtimm, was weiß ichs alles — und vox humana, der
Hofmann hat mir geſtern eine halbe Stund lang davon
erzählt, und daß es Orgeln giebt die dreißig Regiſter ha¬
ben, er ſagt meine Kehl wär wie ſo eine Orgel, ich
zög allemal ein ander Regiſter wenn ich ſanft oder be¬
geiſtert ſing, oder ſchmetternd wenn ich tob, oder be¬
wegt wenns zum Seufzen ſtimmt in meiner Bruſt,
oder gewaltig wenn mirs iſt als ob ichs allein alles
zwingen müßt. — Das hat der kleine Kerl alles ge¬
wußt, er hat mir zugehört geſtern Abend wie ich einen
homeriſchen Hymnus an die Diana ableierte aus dem
Dach weils Vollmond iſt. Das deuchte mir ſo ſchön
[207] dieſer Göttin einen vollen ſtrömenden Gottesdienſt aus
meiner Bruſt zu halten, daß ich nicht dran dachte ans
Belauſchen und hab recht geſchmettert. — Der Hof¬
mann ſagt es war zum Verwundern. — Nun ich mein
der Clemens zieht immer das Regiſter der Kinderſtimm
aus meiner Bruſt. — In Frankfurt, in der Geſellſchaft
beim Primas, da prädominirt die quarrende Engels¬
ſtimm. Bei dir da muß ich immer das Gewalts-Po¬
ſaunenregiſter mit Gewalt mit der ſanften vox humana
unterdrücken.

An die Bettine.

Mit dem Clemens verſteh ich Dich, oder ahne
doch wie es zuſammenhängt, ich hab auch gar nicht
die Idee, daß es anders ſein ſolle, nur über das was
er von Dir ſagt, wie er Dich ausſpricht, und das ge¬
ſchieht oft, iſt mir manchmal ſo wunderlich zu Muth,
weil er ganz prophetiſch Dich durchſieht, andre Leute
ſagen er ſchneide auf, und das iſt auch eigentlich ſo,
aber er trifft die Wahrheit wie ich unter allen allein
es am Beſten weiß. — Dann um ſeine Extravaganz
zu beweiſen, fällt wohl alles hinter ſeinem Rücken über
[208] Dich her, was in ſeiner Gegenwart man nie wagt,
wo man immer ſtillſchweigt, mir iſts oft peinlich gewe¬
ſen über Dich urtheilen zu hören, jetzt aber hab ich dieſe
kleinliche Ängſtlichkeit überwunden. Geſtern war Ebel,
St. Clair, Link, die Lotte und ich im kleinen Cabinett bei
der Tonie, da ich weiß, wie weit die Pfeile vom Ziele
ablenken, die man gegen Dich ſchnellt, ſo hat ich keine
Furcht um Dich, Ebel iſt nicht aus perſönlichem Wider¬
willen, ſondern aus Abgeneigtheit ſeiner Natur, wider
Dich. Und weil er während dem Hierſein von Cle¬
mens immer am meiſten erdulden mußte, da er aus
Zaghaftigkeit ſeinem Eifer nie auszuweichen wagte, ſo
iſts ihm nicht zu verdenken, daß er jetzt mit vollem Ge¬
nuß ſich ſchadlos halte. St. Clair ſchüttelte mit dem
Kopf und ſah mich an, weil die Lotte perorirte: gänzli¬
cher Mangel an hiſtoriſchem Sinn und gar keine Logik
beweiſe, daß du ein Narr ſeiſt. Er ſagte: Gebt ihr eine
Fahne in die Hand und laßt ſie uns voranſchreiten, ſo
führt ſie uns ſicher, trotz ihrem Mangel an hiſtoriſchem
Sinn, zu einem geſunden Wendepunkt der Geſchichte.
Möcht Ihr mit Eurer Logik in Gefahr ſchweben, ſo
wird ſie ihr entgehen lehren, ſo unlogiſch ſie's nach Eu¬
rer Weiſe auch anfangen würde. Und geht doch, ſagte
er, mit Eurem Weisheitsurtheil über ein Naturkind,
[209] das von ihr nicht ſtiefmütterlich behandelt iſt, es iſt ihr
an der Stirne geſchrieben, daß ihr keine Sorge zuge¬
meſſen iſt. Er reichte mir die Hand, er ſah mirs an,
daß es mich freute auf der Lotte ihre breite Rede, die
nun mit verdoppeltem Eifer ſich durchdrängte mit ih¬
rer Weisheit, ſagte er nichts weiter, und keiner; das
Geſpräch ging aus wie ein Licht das ein ſtarker Wind¬
zug ausgeblaſen. — Um ſo mehr bin ich geneigt Dich
vor allen zu verſchweigen. — Der Clemens — er wird
Dich einſt nach hundert Jahren auf dem Berge Arafat
finden, — wie Adam, als er nach ſeiner Verbannung
aus dem Paradieſe die Eva aus den Augen verlor, die
in der Nähe von Mekka auf jenem Berge weilte, er
aber auf Serendib oder die Inſel Ceylon verſchlagen
war, er kannte ſie wohl, ihre Seele war in ſeine Seele
eingeprägt, und ſuchte ſie fleißig; oft auch redete er
die wilden Thiere an, und die Gewitter auf den Ber¬
gen und die Vögel, daß wenn ſie hinziehen und ihr
begegnen, ſie ſollen ſie ehren; und ſo ſuchte er nach ihr,
und ſprach von ihr zu dem Gevögel und den Pflanzen
und Thieren des Waldes, bis der Engel Gabriel den
Adam auf den Gipfel jenes Berges bei Mekka führte,
wovon der Berg ſeinen Namen Arafat, heißt auf ara¬
biſch: Erkennen, erhielt. — Auf welchem die Pilgrimme
[210] von Mekka am Tage Arafah, dem neunten im letzten
Monat des arabiſchen Jahres, ihre Andacht auf dieſem
Berge verrichten. Mag denn Clemens wie Adam den
Unthieren und Bergklüften von Dir vorpredigen, ich bin
zufrieden unterdeß, daß Du mich zum Hüter Deiner ver¬
borgnen Wohnung beſtellt haſt und mich zum Kerbholz
Deiner heimlichen Seligkeiten machſt; ich möchte Dir
immer ſtill halten, ſo anmuthig fühle ich mich bemalt
und beſchrieben von Deinen Erlebniſſen, verſäume
nichts, ſchreib mir alles, wie wenn es geſungen wär,
wo Du auch keinen Ton auslaſſen darfſt, ohne die
Harmonie zu zerſtücklen, ich werd gewiß ſtill halten
und ſtill ſchweigen. Und die Gedanken „die Dich er¬
götzen, von denen Du wünſcheſt, daß ſie wahr ſein mö¬
gen, und die von ſelbſt in Dir aufwachſen“, willſt Du
ſie nicht auch aufzeichnen für mich? — Ich warte alle
Tage auf Deine Briefe, mir bangt immer du mögeſt
einen Tag überſchlagen, bis jetzt warſt Du ſehr gütig
gegen mich — ich geh mit Zuverſicht wenn ich Abends
nach Hauſe komme und faſſe den Brief auf meinem
Kopfkiſſen, wo er hingelegt wird von der Magd, im
Dunklen, und halt ihn bis Licht kommt — im Bett
leſe ich ihn noch einmal, das macht mir gute Gedan¬
ken, ich bin auch jetzt ganz heiter, nur kann ich ſelbſt
[211] nichts thun. — Deine Erzählungen und Ahnungen be¬
ſchäftigen mich, ich träum mich in den Schlaf, in dem
ich Dir alles nachfühle und nachdenke. Ich hab einen
innerlichen Glauben an Deine Schwindeleien von mir,
ich ging heut hinaus vors Gallenthor, als der Sonnen¬
gott hinabſtieg, weil du meinſt es ſei meine Zeit mit
ihm, ich war auch da ganz durchdrungen von ſeiner
großen Gegenwart, allein beim Nachhauſegehen verdar¬
ben mir zwei frankfurter Philiſter die Andacht, die
hinter mir gingen und von Dir und mir ſprachen; die
Frau ſagte zum Mann: Im Stift wird dem Mädchen
noch ganz das Conzept verdorben, daß ſie am End gar
närriſch wird, ſie iſt ſo ſchon zu allen Tollheiten auf¬
gelegt, ſie ſoll im Stiftsgarten immer aufs Dach ſtei¬
gen, vom Gartenhaus oder auf einen Baum, und von
da herunterpredigen — und die lange G...s, die Gün¬
derode, ſteht unten und hört zu. — Jetzt gingen ſie an
mir vorüber, ich erkannte die Frau Euler mit ihrer
Tochter Salome und den Doktor Lehr, der erkannte
mich in der Dämmerung und ſagte es ihr, ſie blieb ſte¬
hen und ſah mich an bis ich wieder an ihr vorbei ge¬
gangen war, was doch gewiß noch dummer war als
wenn ich unterm Baum ſtehen blieb, wo du predigſt. —
Teufel, und Donnerwetter iſt auch zum Fluchen üb¬
[212] lich, hat aber einen anregenden kriegeriſchen Geiſt, alſo
unter gewiſſen Bedingungen, wenn zum Beiſpiel Du
jenes Banner wehen lieſeſt, das St. Clair, Dir Glück
und Heil vertrauend, überantworten wollte, allen Phili¬
ſtern zum Trotz; dann magſt Du Deiner Zunge den Zü¬
gel ſchießen laſſen, bis dann aber, laſſe Deinen Muth
nicht in vergeblichen Ausbrüchen verrauchen.


Adieu! Am Märchen ſchreib ich nicht. — Der ver¬
gißt mit dem Pflug umzudrehen; über den Sternen die
er im Waſſer blinken ſieht. Leb wohl und gedenke
meiner
Karoline.


Die Urſache, warum der Streit angegangen war
über Dich, war ein Brief von Dir, den Du im achten
oder neunten Jahr, kurz vor Deines Vaters Tod aus dem
Kloſter an ihn geſchrieben hatteſt, und der Deinen Va¬
ter ſehr gefreut haben ſoll, ſo daß er ihn in ſeiner
Krankheit oft geleſen, St. Clair hatte ihn vom Cle¬
mens, der ihn aufbewahrt, abgeſchrieben, und ſagte in
dieſem Brief läge Deiner ganzen Anmuth Keim. Das
wollte die Lotte nicht zugeben, und meinte es ſei lächer¬
lich nur ihn als Brief zu rühmen, der Clemens verdrehe
Dir den Kopf. Der Brief lautete wie folgt, da magſt
[213] Du ſelbſt Dich beurtheilen: Lieber Papa! Nix — die
Link (da war eine Hand mit der Feder gezeichnet) durch
den Jabot gewitſcht auf dem Papa ſein Herz, die Recht
(wieder eine Hand gemalt) um den Papa ſein Hals.
Wenn ich keine Händ hab kann ich nit ſchreiben
Ihre liebe Tochter Bettine.

Fritzlar 1796 am 4ten April.


Was mich verſtimmte, war, daß die Lotte den
Brief fortwährend mit gellender Stimme vortrug, und
die Dummheit eines achtjährigen Kindes und die Liebe des
verſtorbenen Vaters nicht ſchonte, ich warf dem St.
Clair vor, daß er ihn herausgegeben hatte, ach! ſagte
er, ich habs ſchon hundertmal bereut. — Man kann
ihr auch einſt zurufen wie dem Simſon: Bettine Phili¬
ſter über Dir, zum Glück liegt ihre Stärke nicht in den
Locken, die man abſchneiden kann, ſondern im Geiſt,
und der wird ſich nicht gefangen geben. Gelt, das iſt
ein gut Geſchichtchen, ich glaub der St. Clair liebt Dich,
die Lotte meinte, Du habeſt letzt auf der Gerbermühl
eine ſo lange Unterhaltung heimlich mit ihm gepflogen.

[214]

An die Günderode.

Vor ein paar Jahren wohnte hier neben an in
dem jetzt leerſtehenden Haus ein Mann der war aus der
Fremde gekommen, ich glaub es war die Schweiz, der that
Wunder mit ſeiner Willenskraft, bei Tiſch war viel die
Rede, er könne mit ſeinem Blick die kranken Menſchen
zum Schlafen bringen, daß die ihm dann über ihre
Krankheit im Schlaf mittheilen, wie man ſie heilen
könne, und daß ſie auch hellſehen in die Zukunft
und in die Vergangenheit, beim Erwachen aber nichts
mehr davon wiſſen, — dieſer Mann hatte mir was ge¬
heimnißvolles, da die Leute ſo unheimlich von ihm ſpra¬
chen. Auf einer Raſenbank an der Gartenwand konnt
ich in ſeinen Garten ſehen, wo er im Mondſchein auf
und ab wandelte, er kam auf mich zu und reichte mir
ein paar Erdbeeren über die Wand und ſagte: Eſſe ſie
mit Bedacht und koſte ſie recht, ſo haſt Du mehr da¬
von als wenn Du einen ganzen Korb voll, unbedacht¬
ſam ißt. — Ich ſtieg von der Bank mit meinen Erd¬
beeren und aß eine nach der andern, verwundert über
den freundlichen Mann. Und am andern Tag, wie ich
ihn im Garten wandlen ſah, ging ich wieder hin, er
[215] kam und reichte mir die Hand, die hielt ich feſt und
ſagte: die Erdbeeren hab ich geſchmeckt. „So? —
Nach was ſchmeckten ſie denn?“ — Nach ſchönem Wet¬
ter und ganz fruchtbarem Erdboden. — Dem Mann
gefiel die Antwort, er ſagte: „jetzt iſts zu dunkel, aber
Morgen bei Tag nehme ein Blatt von einem Baum
oder ſonſt von einer Blume und halte es ſo, daß die
Sonnenſtrahlen durchſchimmern, da wirſt Du eine Menge
Gefäße drin erkennen die vom Licht durchſtrömt ſind;
ſo iſt es auch mit Deinen kleinen Kopf, er iſt geeignet,
daß das Licht leichtlich durchſtröme und Dich reife, daß
Du auch dann ſchmeckſt wie die Erdbeere, nach ſchönem
Wetter, nach Sonnen- und Mondſtrahlen“ — ich ſagte
ihm, daß ich gehört habe, er ſchaue mit ſeinem Willen
in die Menſchen, daß ſie denken müſſen was er wolle. —
Er ſagte: „Ja ich will immer, daß ſie die Wahrheit
denken von ſich — und da folgen ſie ganz leicht, weil
es ihrer Natur gemäß iſt; von Dir will ich auch, daß
Du die Wahrheit denkſt die Dir gemäß iſt, wenn Du
dem folgſt, wirſt Du ſo manches in Dir erleben, was
Dir vollauf genügt.“ — Ich redete noch mehr mit ihm
— er ſagte ein paarmal: „Du thuſt recht wunderliche
Fragen, aber ich muß immer Ja dazu ſagen, denn ſie
ſind wahr.“ Er ehrte mich noch mit manchen freundli¬
[216] chen Lehren, ich hab ihn nicht mehr geſehen und hab
auch nichts mehr von ihm gehört, er war wenige Tage
darauf weggezogen, man wußte nicht wohin. — Es
wurde noch mancherlei von ihm geſprochen, als ſei er
ein Betrüger, ich nahm mir das nicht an, ich hielt am
Wort was er mir geſagt hatte, daß die Sonne und
Mond mich wollten wohlſchmeckend machen, obſchon es
mir beinah ſo ging wie den Andern, die beim Erwa¬
chen nichts mehr wiſſen; ich konnte mich nicht mehr
auf das beſinnen, was ich mir doch gewiß vorgenom¬
men hatte, nicht zu vergeſſen. Aber wenn mir ſo Ge¬
danken kommen, die mich belehren, da denk ich manch¬
mal auf den Mann zurück, ich möchte ſie zwar gern
behalten oder aufſchreiben, aber ſie ziehen mich immer
weiter, und um den nächſten nicht zu verſäumen, muß
ich den früheren aufgeben, ſo iſts daß ich nicht anders
kann; es muß doch ſo in der Natur des Lichts liegen
was den Menſchen durchſtrömt und ihn nährt, wie die
Sonnenſtrahlen die Pflanze — daß das friſche Licht
immer das frühere verdrängt, wie im Strom eine Welle
die andere, ſo mag es denn hingehen, daß ich kein
Buch ſchreiben kann wie der Clemens will, ich müßt
ein Herbarium machen und ſie trocknen, daß ich ſie
könnt neben einander hinlegen, unterdeſſen würden ſo
man¬[217] manche Blumen verblühen, das will ich nicht, weil ich
aber auf Dich gerichtet bin, fliegen ſo manche Gedan¬
ken auf zu Dir von ſelbſt. Ja ſie kommen ſogar zwi¬
ſchen uns wenn ich mit Dir bin. Du biſt eben gar
nicht wie ein Menſch der mich faſſen und halten will,
Du biſt wie die Luft, der Sonnenſtrahl fährt nieder
durch Dich in meinen Geiſt, ſo hell biſt Du.


Die Eule, die Jungfer Salome, der weiſe Mei¬
ſter im Abendſchein, eine Viſion des Philiſterthums, in
deſſen Geiſt ſie verſammelt waren.


In der Bibliothek hab ich heute einen geſchnittnen
Stein gefunden, der blecherne lackirte Kerl, der heut
aus Homburg herüber kam, der G. r. g., der die Welt
durchs Perſpektiv beguckt um alles zu durchſchauen, (zu¬
fällig paſſirt nichts vorm Guckloch), erklärt den Stein
für antik, ſonſt wollt die Großmama mir ihn ſchon
ſchenken für Dich. — Daphnis vom Apoll verfolgt, wur¬
zelt feſt mit der flüchtigen Sohle und ſprießt in Lor¬
beer auf. Das paßt ſo ſchön auf Dich. Dein Schick¬
ſal, du ſiehſt's vor Augen, Geliebt, verfolgt, umfan¬
gen vom Gott der Muſen, und dann, ewig immerdar
goldne Keime aufſchoſſend, und der Dichter reiner Or¬
den der Dich umwandelt mit Dir ſich zu berühren, das
iſt kein Philiſterthum, ſolche Geſchicke wie heilige Ge¬
10[218] fäße, umfaßten ein Menſchenleben zur Zeit der Griechen.
(Iſt mir doch als ſpräch ich mit Deinen Lippen.) Aber heut!
aber ich — Mein Kopf ein Feld das brach liegt, — ich
wandle zwiſchen Hecken, ſeh jede Erdſcholle benutzt, der
Sallatkopf in der Mitt, die Bohnenſtangen oben drü¬
ber, und mir bangt daß ich nicht angepflanzt bin, ich
denk daß Du dir Müh giebſt mit mir, daß es nichts
hilft. Nachts denk ich als, wenn die Sonn aufgeht
will ich lernen, am Tag wollt ich, die Nacht käm doch
daß ich allein wär und könnt mich ſelbſt verſtehen, ich
armes Käuzlein kleine.


Und ſtiftete das große Medoperſiſche Reich. — Da
ſind wir geblieben, da hab ich ein groß Meduſenhaupt
in mein Geſchichtbuch gezeichnet mit aufgeſperrtem Rachen,
fräß es doch die ganze alte Geſchichte mit ſammt dem
Arenswald auf. Ich war ſo froh über die Pfingſttage
— eine ganze Woche war er ausgeblieben, ich hatte
mich ſo ſchön entwöhnt! — Die Perſer, von den Grie¬
chen Cephonen genannt, von Cepheo dem Sohne Belli,
deſſen Tochter Andromeda, Perſeus der Sohn Jupiters
und der Danae geehelicht, ich glaub der Kerl hat ge¬
faukelt, ich mein den Geſchichtslehrer. Wird ein Göt¬
terjüngling ein Philiſter ſein und eheligen. Indeß mel¬
det Arenswald einen Sprößling dieſer Ehe der das Ce¬
[219] phonenland beherrſcht unter dem Namen Perſien, Cy¬
rus vereints mit Medien, erobert Babylon, Klein Aſien,
bleibt in der Schlacht gegen die Königin der Maſage¬
ten. Ich frag gar nicht mehr wer und woher — wer
kann das Volk all im Kopf behalten. — 3458, Camby¬
ſes erobert Ägypten, bekriegt die Ethioper, der Magier
Smerdis ſchwingt ſich auf den Thron und hätt das
Land bezaubern können, die Großen des Reichs zu eſel¬
haft von einem Zauberer ſich beherrſchen zu laſſen, ent¬
thronten ihn durch Mord. — 3462, Darius Hystaspis
bezwingt Babylon im Aufruhr, erobert Thrazien, Ma¬
cedonien, Indien. — Sein Sohn Xerxes bezwingt Ägyp¬
ten im Aufruhr, zieht gen Griechenland, wird beſiegt —
heimkehrend ermordet. Artaxerxes ſchließt Frieden, ſein
Feldherr kehrt die Waffen gegen ihn, wird vom II Xer¬
xes unterjocht, Sogdian aber mordet ſeinen Bruder
Xerxem, Ochus aber mordet ſeinen Bruder Sogdian, be¬
herrſcht als II Darius Perſien, der zweite Artaxerxes
aber mordet ſeinen Bruder Ochus, zerſtört das Reich,
der dritte Artaxerxes aber mordet ſeine Brüder alle, er¬
obert Ägypten, Togoas aber ermordet den III Artaxer¬
xem. — Togoas aber mordet deſſen Sohn Aëſtes und
den größten Theil der königlichen Familie, damits gleich
in einem hingeht (Bemerkung des Lehrers), der Stadt¬
10*[220] halter aber mordet den letzten Königsſprößling Darius
Codomanus. Zweihundert fünf und zwanzig Jahr be¬
ſtand die Fürſtenſchlachtbank von Perſien. Alexander
kommt und beherrſcht's 3654. — Der Lehrer ſieht mir
den Ärger über ſeine lederne Geſchichte an, reißt aus,
Gott weiß wies zuging, daß die Thür ſeine Hoſen
faßte, es blieb ein Fetzen dran hängen, jetzt muß ich
ihm für ſeine Mordlitaney noch eine Gratification ge¬
ben, damit er ſich ein paar neue kaufen kann. — Cle¬
mens verfolgt mich mit Bitten, daß ich Bücher oder
Verſe, oder Erlebniſſe und Erinnerungen aus dem Klo¬
ſter aufſchreiben ſoll. — Da haſt Du ſeinen Brief. —
Der Abgrund der vermoderten Geſchichte unter mir, der
unerreichbare Sternenhimmel über mir — und Nachts
Gedanken die mir den Kopf zerbrechen.


(Am 10.)


Heut morgen hab ich Deinen Brief beim Früh¬
ſtück der Großmama vorgeleſen, ſie iſt ſchon ſo alt,
ſie nimmts all mit ins Grab, ſie hat Dich ſo lieb, ſie
ſagt Du wärſt die edelſte Kreatur die ſie je geſehen,
und dann ſprach ſie von Deiner Anmuth; ſie ſpricht im¬
mer ſchwäbiſch wenn ſie recht heiter iſt. „Siehſt Mädele
wie anmuthig und doch gar bequem deine Freundin iſt.“ —
[221] Sie iſt wirklich liebreizend, und da las ich ihr auch meinen
Brief vor, ſie ſagt „Du biſcht halter e verkerts Dingele,“
und dann hat ſie mir den Stein mit der Daphnis doch
geſchenkt für Dich, ich laſſe ihn faſſen, du mußt ihn tra¬
gen und mußt nicht ſagen von wem er iſt. — Was iſt
Dein Brief voll ſchöner Geſchichten, nur der Clemens
iſt doch mein Adam nicht, das prophezeihſt du ſchlecht
daß er mich erſt nach hundert Jahren auf dem Berg
der Erkenntniß treffen werde. Ich hab ihn ſo lieb, ſo
lang kann ich nicht Verſteckelches mit ihm ſpielen, und
doch haſt Du vielleicht recht, im nächſten Brief will ichs
ſagen, aber dem Clemens fall ich um den Hals und
küß ihn, da hat er mich wie ich bin. Aber! — es geht
ein Weg — der führt in die Alleinigkeit. — Iſt der
Menſch in ſein eignen Leib allein geboren, ſo muß er
auch in ſeinen Geiſt allein geboren ſein. — Der St.
Clair iſt gut, voll Herz, er wollt ja zum kranken Höl¬
derlin reiſen — er ſoll doch hin! nach Homburg — ich
möcht wohl auch hin. — Er ſagt es würde dem Höl¬
derlin geſund geweſen ſein, ich möcht wohl, ich darf
nicht. — Der Franz ſagte: „Du biſt nicht recht ge¬
ſcheut, was willſt Du bei einem Wahnſinnigen? willſt
Du auch ein Narr werden? — — Aber wenn ich wüßt
[222] wie ichs anfing, ſo ging ich hin, wenn Du mitgingſt,
Günderode, und wir ſagtens Niemand, wir ſagten wir
gingen nach Hanau. Der Großmama dürften wirs
ſagen, die litts, ich hab heute auch mit ihr von ihm
geſprochen, und ihr erzählt daß er dort an einem Bach
in einer Bauernhütte wohnt, bei offnen Thüren ſchläft,
und daß er Stunden lang beim Gemurmel des Bachs
griechiſche Oden herſagt, die Prinzeß von Homburg
hat ihm einen Flügel geſchenkt, da hat er die Saiten
entzwei geſchnitten, aber nicht alle, ſo das mehrere Kla¬
ves klappen, da fantaſirt er drauf, ach ich möcht wohl
hin, mir kommt dieſer Wahnſinn ſo mild und ſo
groß vor. Ich weiß nicht wie die Welt iſt, wär
das ſo was unerhörtes zu ihm zu gehen und ihn zu
pflegen. Der St. Clair ſagte mir, „ja wenn Sie das
könnten, er würde geſund werden, denn es iſt doch ge¬
wiß, daß er der größte elegiſche Dichter iſt, und iſts
nicht traurig, daß nicht ein ſolcher behandelt werde und
geſchützt als ein heiliges Pfand Gottes von der Na¬
tion, ſagte er, aber es fehlt der Geiſt, der Begriff, kei¬
ner ahnt ihn und weiß was für ein Heiligthum in dem
Mann ſteckt, ich darf ihn hier in Frankfurt gar nicht
nennen, da ſchreit man die fürchterlichſten Dinge über
ihn aus, blos weil er eine Frau geliebt hat um den
[223] Hyperion zu ſchreiben, die Leute nennen hier Lieben,
heirathen wollen, aber ein ſo großer Dichter verklärt
ſich in ſeiner Anſchauung, er hebt die Welt dahin, wo
ſie von Rechtswegen ſtehen ſollte, in ewiger dichteriſcher
Fermentation; ſonſt werden wir nie die Geheimniſſe ge¬
wahr werden die für den Geiſt bereitet ſind. Und glau¬
ben Sie, daß Hölderlins ganzer Wahnſinn aus einer
zu feinen Organiſation entſtanden, wie der indiſche Vo¬
gel in einer Blume ausgebrütet, ſo iſt ſeine Seele, und
nun iſt es die härteſte rauhe Kalkwand die ihn umgiebt,
wo man ihn mit den Uhus zuſammenſperrt, wie ſoll
er da wieder geſund werden. Dieſes Klavier, wo er die
Saiten zerriſſen, das iſt ein wahrer Seelenabdruck von
ihm, ich hab auch den Arzt darauf aufmerkſam machen
wollen, aber einem Dummen kann man noch weniger
begreiflich machen als einem Wahnſinnigen.“ — Er
ſagte mir noch ſo viel über ihn, was mir tief durch die
Seele ging, über den Hölderlin, was ich nicht wieder
ſag, und ich hab mehre Nächte nicht ſchlafen können
vor Sehnſucht hinüber nach Homburg, ja wollt ich ein
Gelübde thun ins Kloſter zu gehen, das könnt doch
niemand wehren, gleich wollt ich das Gelübde thun
dieſen Wahnſinnigen zu umgeben, zu lenken, das wär
noch keine Aufopferung, ich wollt ſchon Geſpräche mit
[224] ihm führen, die mich tiefer orientiren in dem was meine
Seele begehrt, ja gewiß weiß ich daß die zerbrochnen
unbeſaiteten Taſten ſeiner Seele dann wieder anklingen
würden. — Aber ich weiß daß es mir nicht erlaubt
würde. So iſt es, das natürliche Gefühl was jedem
aus der Seele tönt, wenn er nur drauf hören wollte
(denn in jeder Bruſt, auch in der härteſten, iſt die
Stimme die ruft hilf Deinem Bruder), dieſe Stimme
wird nicht allein unterdrückt, ſondern auch noch als der
größte Unſinn geſtraft, in denen ſie ſich vernehmlich
macht. Ich mag gar von Religion und von Chriſten¬
thum nichts mehr hören, ſie ſind Chriſten geworden um
die Lehre Chriſti zu verfälſchen. — Brocken hinwerfen
und den nackten Leib decken, das nennt man Werke der
Barmherzigkeit — aber Chriſtus in die Wüſte folgen
und ſeine Weisheit lernen, das weiß Keiner anzufan¬
gen. — Bildungsflicken hängt man einem auf, mit de¬
nen man nichts anzufangen weiß, aber die Tiefe und
Gewalt eines einzigen Seelengrunds zu erforſchen, da
hat kein Menſch Zeit dazu, glaubſt Du denn nicht
daß ich ſtatt dem Geſchichtsgerümpel, wohl mit der
größten Sammlung, mit der tiefſten Andacht hätte Je¬
nem folgen wollen, wenn er mir gelehrt hätte wie er an¬
dern lehren mußte um ſein Leben zu gewinnen, und wahn¬
[225] ſinnig drüber werden mußte. Wenn ich bedenk — wel¬
cher Anklang in ſeiner Sprache! — Die Gedichte die mir
St. Clair von ihm vorlas — zerſtreut in einzelnen Ka¬
lendern — ach was iſt doch die Sprache für ein heilig
Weſen. Er war mit ihr verbündet, ſie hat ihm ihren
heimlichſten innigſten Reiz geſchenkt, nicht wie dem Goethe
durch die unangetaſtete Innigkeit des Gefühls, ſondern
durch ihren perſönlichen Umgang. So wahr! er muß die
Sprache geküßt haben. — Ja ſo gehts, wer mit den
Göttern zu nah verkehrt, dem wenden ſies zum Elend.


St. Clair gab mir den Oedipus den Hölderlin aus
dem Griechiſchen überſetzt hat, er ſagte man könne ihn ſo
wenig verſtehen oder wolle ihn ſo übel verſtehen daß
man die Sprache für Spuren von Verrücktheit erklärt, ſo
wenig verſtehen die Deutſchen was ihre Sprache Herr¬
liches hat. — Ich hab nun auf ſeine Veranlaſſung die¬
ſen Oedipus ſtudirt; ich ſag Dir, gewiß, auf Spuren
hat er mich geleitet, nicht der Sprache, die ſchreitet ſo
tönend, ſo alles Leiden, jeden Gewaltausdruck in ihr
Organ aufnehmend, ſie und ſie allein bewegt die Seele
daß wir mit dem Oedipus klagen müſſen, tief tief. —
Ja es geht mir durch die Seele, ſie muß mittönen wie
die Sprache tönt, Aber wie mir das Schmerzliche im
Leben zu kränkend auf die Seele fällt, daß ich fühl
10**[226] wie meine Natur ſchwach iſt. So fühl ich in dieſem Mit¬
erleiden eines Vergangnen Verlebten, was erſt im griechi¬
ſchen Dichter in ſeinen ſchärfſten Regungen durch den
Geiſt zum Lichte trat, und jetzt durch dieſen ſchmerzlichen
Überſetzer zum zweitenmal in die Mutterſprache getragen,
mit Schmerzen hineingetragen — dies Heiligthum des
Wehthums, — über den Dornenpfad trug er es ſchmerzlich
durchdrungen. Geweihtes Blut tränkt die Spur der ver¬
letzten Seele und ſtark als Held trug er es herüber. —
Und das nährt mich, ſtärkt mich, wenn ich Abends
ſchlafen gehe dann ſchlag ichs auf und leſe es, leſe hier
dem Päan geſungen, den Klaggeſang, den ſing ich
Abends auf dem Dach vom Taubenſchlag aus dem Steg¬
reif, und da weiß ich, daß auch ich von der Muße be¬
rührt bin und daß ſie mich tröſtet, ſelbſt tröſtet. O was
frag ich nach den Menſchen, ob die den Mangel an
hiſtoriſchem Sinn und der Logik an mir rügen, ich weiß
den Teufel was Logik iſt. — Und daß mir St. Clair
ſo viel zutraut, daß ich die Fahne glücklich ſchwingen
werde und ſicher, und die Beſſeren und Hohen unter
ihr ſammlen. — Sag ihm von mir ich werde nicht feh¬
len, was mir einer zutraut, alle Kräfte dran zu ſetzen.
Den kleinen Brief vom Papa hab ich ihm ſelbſt ge¬
ſchenkt, er wollte ein Andenken von mir zum Gegenge¬
[227] ſchenk für den Oedipus, da hab ich ihn wählen laſſen
unter meinen Papieren, da hat er den hervorgezogen.


Leſe hier den Klaggeſang dem Päan geweiht, obs
Dir nicht durch die Seele weint.


Weh! Weh! Weh! Weh!

Ach! wohin auf Erden?

Jo! Dämon! wo reissest du hin?
Jo! Nachtwolke mein! du furchtbare,

Umwogend, unbezähmt, unüberwältigt!

O mir! wie fährt in mich

Mit dieſen Stacheln

Ein Treiben der Übel!
Apollon wars, Apollon, o ihr Lieben.

Der das Wehe vollbracht,

Hier meine, meine Leiden.

Ich Leidender

Was ſollt ich ſehn,

Dem zu ſchauen nichts ſüß war.
Was hab ich noch zu ſehen und zu lieben,

Was Freundliches za hören?— ihr Lieben!

Führt aus dem Orte geſchwind mich,

Führt, o ihr Lieben! den ganz Elenden,

Den Verfluchteſten und auch

Den Göttern verhaßt am meiſten unter den Menſchen.

ſo hab ich mir die Zeilen zuſammengerückt ſie zu ſingen,
dieſe Leidenſprache, und ſie feſſelt mich an ſeine Ferſe,
der ſich Frevler nennt.


Wirf aus dem Lande mich, ſo ſchnell du kannſt,

Wo ich mit Menſchen ins Geſpräch nicht komme.
[228]

In die Ferne ſehend, nach dem Taunus ſtill getränkt
im Abendſchein, der die Nebel durchlichtet, die flüchten¬
den die ihn umſchweifen; — da denk ich mir das Grab¬
mal ſelber ihm erkoren von Vater und Mutter, ſein
Kithäron. Da ſing ich meinen Geſang hinüber, und der
Wind ſpielt mich an, und gewiß, er bringt mein Lied
hinüber zum Grab; mir iſts eins, ob der Zeiten Laſt
ſich drüber gewälzt, doch dringt die Thrän hinab das
Grab zu netzen, drang doch ſein Weh herauf zu mir;
und heute nur ſtiegs auf mir im Herzen, als ich die Laute
dem Gott — die jammernden, der ganzen Welt geſchrieen —
zaghaft in Muſik verwandelte. — Und dort wohnt auch
Er, der die noch lebenswarme Bruſt voll Wehe, und
geſäet voll der Keime des Dichtergottes, jetzt zermalmt im
Buſen die Saat, — in aufſeufzenden Tönen herübertrug
ins Mutterland, und wärmte — das Jammergeſchick des
Zwillingsbruders — in der Liebe, die aus der Verzweiflung
Abgrund ihn mit heißer Begierde heraufrief, das müde
jammervolle Haupt ſanft zu lehnen, zuſammen mit dem
Geſchick, das ausgeblutet hat. Ja wer mit Gräbern
ſich vermählt, der kann leicht wahnſinnig werden den
Lebenden, — denn er träumt nur hier am Tag, wie
wir träumen in der Nacht, aber drunten im Schlaf
wacht er und geht mit jenen mitleidsvoll Hand in Hand,
[229] die längſt verſchollen der geſchäftigen Eile des Tags
ſind. Dort fällt der Thau auf die Seele ihm, die hier
nicht Feuchtung in der Kehle mehr hatte zum Seufzen.
Dort grünen die Saaten und blühen, die hier der Dumm¬
heit Pflug — die Wurzel umſtürzend, wie Unkraut der Luft
preis gab, und die thauvolle Blüthe rein vom Staube,
ſtürzt in der Erde Grab. — Denn irgendwie muß die
Saat der Götter lebendig werden, ſie können Ewiges
nicht verdorren laſſen. Seine Seele wächſt, die hier
unten ſchläft und verwirrte Träume hat, hinauf als
himmliſches Grün, die ſchwebende Ferſe der Götterjüng¬
linge umſpielend, wie der friſche Raſen hier ſeine tanzenden
Blumen an meinem flüchtigen Lauf hinbewegt. — Ach
Poeſie! heilig Grabmal, das ſtill den Staub des Gei¬
ſtes ſammelt und ihn birgt vor Verletzung. — O du
läßt ihn auferſtehen wieder, laß mich hinabſteigen zu
ihm und die Hand ihm reichen im Traum, daß er mit
heiligem Finger die goldnen Saatkörner mir auf die
offne Lippe ſtreue und mich anblaſe mit dem Odem, den
er nach dem Willen der Götter aus ihrem Buſen trinkt.
Denn ich begehr ſehnſüchtig, mit zu tragen gemeinſam
Weh des Tags, und gemeinſam Tröſtung zu empfangen
in den Träumen der Nacht. —


Was willſt Du? halte mirs zu gut Günderode,
[230] daß ich ſo ſpreche, verfolg den Faden meiner Gedanken,
ſo wirſt Du ſehen es geht nicht anders. Du trägſt ja
auch mit mir, daß ſie Dich meiner Narrheit beſchuldigen.
Mangel an hiſtoriſchem Sinn — iſt es doch, das Weh
was in der Fabelwelt begraben liegt, mit dem zu mi¬
ſchen des heutigen Tages. — Sie haben Recht mir keine
Logik zuzuſprechen, da müßt ich ja den dort verlaſſen,
der aufgegeben iſt, da müßt ich mich aufgeben, was doch
nichts fruchtet. — Sei nicht bang um mich, ich bin
nicht alle Tage ſo, aber ich komm eben vom Tauben¬
ſchlag, wo die Sonne mir die blauen Berge anglänzte,
wo Hölderlin ſchläft über dem Grabe des Oedipus, und
hab ihnen den Geſang geſungen, mit Tönen unzurech¬
nungsfähig der Kunſt, auffaſſend was ſie vermochten
an ſcharfem Wehe und es beſänftigend mit dem Schmelz
der Liebe, den ich durch die Stimme hinzugoß aus dem
Herzen, daß der durch die Wolken dringe,— hinab am Ho¬
rizont, hinauf,— wo die gewaltigen Geſchicke immer auch
weilen, — und ſich miſche mit ihren bitteren, ſalzigen
Fluthen. Was wären doch die Dichter, wären ſie es
nicht, die das ſchauervolle ins Göttliche verwandlen. —
Wo der Geſang doch allein aus meinen Sinnen hervor¬
dringt, nicht aus dem Bewußtſein, da ſprichts nachher
ſo aus mir, daß Stimmen aus mir reden die mit kei¬
[231] nem andern im Einklang ſind, der Ton der Rhythmus,
den ich übe, iſt es auch nicht; keiner würde zuhören
wollen, aber jene denen ich ſinge die müſſens doch wohl
hören, nicht wahr? —


Es ahnt mir ſchon, Du wirſt wieder bange werden
um mich wie vorm Jahr! — aber Du weißt ja, es iſt
nichts, ich raſe nicht, wie die andern mich beſchuldigen,
und mir die Hand auf den Mund legen wenn ich ſpre¬
chen will. Sei nicht dumm, laſſe Dir nicht von den
Philiſtern bange machen um meine Geſundheit, wo ſie
mir ſchon den Verſtand abſprechen; wer ſeinen Bruder
einen Narren ſchilt iſt des Todes ſchuldig, ſie ſind un¬
ſchuldig, ich bin ihr Bruder nicht, Du biſt mein Bruder.
Noch einmal, ich bin nicht krank, ſtöre mich nicht da¬
mit daß Du mir das Geringſte ſagſt, denn ich will Dir
noch mehr ſagen wenns möglich iſt, was hätteſt Du an
mir, wenn ich nicht lernte Dir meine Seele geben, nackt
und blos. Freundſchaft! das iſt Umgang der Geiſter,
nackt und blos. —

[232]

An die Bettine.

Liebe Bettine! — Du drückſt mir die Schreibefinger
zuſammen, daß ich kaum athme noch weniger aber es
wage zu denken, denn aus Furcht, ich könne willkühr¬
liche Gedanken haben, denke ich lieber gar nicht, magſt
Du am Ende meines Briefes fühlen, ob ich in den en¬
gen Grenzen meiner geiſtigen Richtungen Dich nicht ver¬
letzte, ſo daß Dein Vertrauen ohne Hinderniß hinab¬
ſtröme zu mir, ja hinab, denn ich bin nichts. So laſſe
mich denn geſund mit Dir ſprechen, da nichts mir fremd
iſt in Dir, denn in Deine Töne eingehen, das wäre
Deinen Lauf ſtören.


In Dein Lamento über Deine Geſchichtsmiſere ſtimme
ich ein, ſie macht mich mit caput, kauf in Gottes Na¬
men ein paar Beinkleider als Sühnopfer, und entlaſſe
Deinen Arenswald in Gnaden. Clemens ſchreibt, daß
ich ihm Antwort ſchuldig ſei, ich wußte nicht daß er in
Marburg iſt, wenn Du ihm ſchreibſt ſo gieb ihm die
Einlage, er iſt mehr wie unendlich gut gegen Dich, und
es iſt ein eigen Schickſal daß unſer beider Bemühung
Dich zu einer innern Bildung zu leiten oder vielmehr
ſie Dir zu erleichtern nicht gelingen will, ſo ſchreibt er
[233] mir heute. Unter vielen Witzfaſeleien, träumeriſchem Ge¬
ſeufze und Betheuerungen, daß er gar nicht mehr der¬
ſelbe ſei, iſt es das Einzige was auf Dich Beziehung
hat. Weil er Dich immer auffordert, Deine phantaſti¬
ſchen Ahnungen zu ſammlen, dieſe Fabelbruchſtücke Dei¬
ner Vergleiche, Deine Weltanſchauung in irgend einer
Form niederzulegen, ſo meinte ich wie ein guter Bienen¬
vater Deinen Gedankenſchwärmen eine Blumenwieſe um¬
her zu bauen, wo Deine Gedanken nur hin und her
ſummen dürfen Honig zu ſammlen. Ein glücklicher Schif¬
fer muß guten Fahrwind haben; ich dachte Deine Stu¬
dien ſollten wie friſcher Morgenwind Dir in die Segel
blaſen. — Ich ſchrieb heute an Clemens, es werde ſich
nicht thun laſſen Deinen Geiſt wie Moſt zu keltern und
und ihn auf Krüge zu füllen, daß er klarer trinkbarer
Wein werde. Wer nicht die Trauben vom Stock ge¬
nießen will, wie Lyaeus der Berauſcher, der Sohn
zweier Mütter, der aus der Luna geborne, endlich ſie reifen
laſſe, der Vorfechter der Götter, der Raſende; — und hei¬
lige Bäume pflanzte, heilige Wahrſagungen ausſprach.

Der Naturſchmelz, der Deinen Briefen und Weſen
eingehaucht iſt, der meint Clemens, ſolle in Gedichten oder
Märchen aufgefaßt werden können von Dir; — ich
glaubs nicht. In Dich hinein biſt Du nicht ſelbſtthätig,
[234] ſondern vielmehr ganz hingegeben bewußtlos, aus Dir
heraus, zerfließt alle Wirklichkeit wie Nebel, menſchlich
Thun, menſchlich Fühlen in das biſt Du nicht hineingebo¬
ren, und doch biſt Du immer bereit, unbekümmert alles zu
beherrſchen, Dich allem anzueignen. Da war der Icarus
ein vorſichtiger, überlegter, prüfender Knabe gegen Dich,
er verſuchte doch das Durchſchiffen des Sonnenoceans,
mit Flügeln, aber Du brauchſt nicht Deine Füße zum
Schreiten, Deinen Begriff nicht zum Faſſen, Dein Ge¬
dächtniß nicht zur Erfahrung, und dieſe nicht zum Fol¬
gern. Deine gepanzerte Phantaſie die im Sturm alle
Wirklichkeit zerſtiebt, bleibt bei einer Schwarzwurzel
in Verzückung ſtocken. Der Strahlenbündel im Blu¬
menkelch, der Dir am Sonntag im Feldweg in die
Quer kam, wie Du dem rückwärts gehenden Philoſophen
Ebel Deine Philoſophie eintrichtern wollteſt, iſt eine blü¬
hende Scorza nera, ſo ſagt Lehr der weiſe Meiſter. —
Ich werd eingeſchüchtert von Deinen Behauptungen,
ins Feuer gehalten von Deiner Überſchwenglichkeit.
Hier am Schreibtiſch verlier ich die Geduld über das
Farbloſe meiner poetiſchen Verſuche, wenn ich Deines
Hölderlin gedenke. Du kannst nicht dichten, weil Du
das biſt was die Dichter poetiſch nennen, der Stoff
bildet ſich nicht ſelber, er wird gebildet, Du deuchſt mir
[235] der Lehm zu ſein den ein Gott bildend mit Füßen tritt,
und was ich in Dir gewahr werde iſt das gährende
Feuer was ſeine überſinnliche Berührung ſtark in Dich
einknetet. Laſſen wir Dich alſo jenem über, der Dich
bereitet wird Dich auch bilden. — Ich muß mich ſelber
bilden und machen ſo gut ichs kann. Das kleine Ge¬
dicht, was ich hier für Clemens ſende hab ich mit inner¬
lichem Schauen gemacht, es giebt eine Wahrheit der
Dichtung, an die hab ich bisher geglaubt. Dieſe irdiſche
Welt, die uns verdrießlich iſt, von uns zu ſtoßen
wie den alten Sauerteig, in ein neues Leben aufzu¬
ſtreben, in dem die Seele ihre höheren Eigenſchaften
nicht mehr verläugnen darf, dazu hielt ich die Poeſie
geeignet; denn liebliche Begebenheiten, reinere An¬
ſchauungen vom Alltagsleben ſcheiden, das iſt nicht ihr
letztes Ziel; wir bedürfen der Form, unſere ſinnliche
Natur einem gewaltigen Organismus zuzubilden, eine
Harmonie zu begründen in der der Geiſt ungehindert
einſt ein höheres Thatenleben führt, wozu er jetzt nur
gleichſam gelockt wird durch Poeſie, denn ſchöne und
große Thaten ſind auch Poeſie, und Offenbarung iſt
auch Poeſie, ich fühle und bekenne alles mit Dir was
Du dem Ebel auf der Spazierfahrt entgegneteſt und ich
begreife es in Dir als Dein nothwendigſtes Element,
[236] weil ich Deine Strömungen kenne und oft von ihnen
mitgeriſſen bin worden, und noch täglich empfinde ich
Deinen gewaltigen Wellenſchlag. Du biſt die wilde
Brandung und ich bin kein guter Steuermann glücklich
durchzuſchiffen, ich will Dich gern ſchirmen gegen die
Forderungen und ewigen Verſuche des Clemens, aber
wenn auch in der Mitte meines Herzens das feſte Ver¬
trauen zu Dir und Deinen guten Sternen innewohnt,
ſo zittert und erbebt doch alles rings umher furchtſam
in mir vor Menſchenſatzung und Ordnung beſtehender
Dinge, und noch mehr erbebe ich vor Deiner eignen
Natur. Ja ſchelte mich nur, aber Dir mein Bekenntniß
unverholen zu machen: mein einziger Gedanke iſt,
wo wird das hinführen? — Du lachſt mich aus, und
kannſt es auch, weil eine elektriſche Kraft Dich
ſo durchdringt, daß Du im Feuer ohne Rauch keine
Ahnung vom Erſticken haſt. — Aber ich habe nichts
was mich von jenem Lebenerdrückenden Vorläufer des
Feuers rette, ich fühle mich ohnmächtig in meinem Wil¬
len, ſo wie Du ihn anregſt, obſchon ich empfinde, daß
Deine Natur ſo und nicht anders ſein dürfte, denn ſonſt
wär ſie gar nicht, denn Du biſt nur blos das was
außer den Grenzen, dem Gewöhnlichen unſichtbar, uner¬
reichbar iſt; ſonſt biſt Du unwahr, nicht Du ſelber, und
[237] kannſt nur mit Ironie durchs Leben gehen. Manchmal
deucht mir zu träumen, wenn ich Dich unter den an¬
dern ſehe, alle halten Dich für ein Kind das ſeiner ſelbſt
nicht mächtig, keiner glaubt, keiner ahnt was in Dir,
und Du thuſt nichts als auf Tiſch und Stühle ſpringen,
Dich verſtecken, in kleine Eckchen zuſammenkauern, auf
euren langen Hausgängen im Mondſchein herumſpa¬
zieren, über die alten Boden im Dunklen klettern, dann
kommſt Du wieder herein, träumeriſch in Dich verſunken,
und doch hörſt Du gleich alles, will einer was, ſo biſt
Du die Treppe ſchon hinab es zu holen, ruft man Dei¬
nen Namen, ſo biſt Du da und wärſt Du in dem ent¬
fernteſten Winkel; ſie nennen Dich den Hauskobold,
das alles erzählte mir Marie geſtern, ich war zu
ihr gegangen um ſie zu fragen, ob es thunlich ſein
möchte, daß ich mit Dir nach Homburg reiſe, ſie iſt
gut, ſie hätte es Dir gern gegönnt und ich war Dir
zu Gefallen gerne mit Dir hingereiſt; St. Clair hatte
uns begleiten wollen, und ich ſagte auch der Marie
nichts als, ich möchte wohl nach Homburg reiſen und
Dich mitnehmen, dort den kranken Hölderlin zu ſehen,
das war aber leider grad das verkehrte, ſie meinte im
Gegentheil dahin ſolle ich Dich nicht mitnehmen, ſie
glaube man müſſe Dich hüten vor jeder Überſpannung
[238] — ich mußte doch lachen über dieſe wohlgemeinte Be¬
merkung, nun kam Tonie, der es Marie mittheilte, ſie
meinten Du ſeiſt ſo blaß geweſen im Frühjahr und
auch letzt habeſt Du noch krankhaft ausgeſehen, nein,
ſagt Tonie, nicht krank, ſondern geiſterhaft, und
wenn ich nicht wüßte, daß ſie das natürlichſte Mäd¬
chen wär, die immer noch iſt wie ein unentwickeltes
Kind, was noch gar nichts vom Leben weiß, ſo müßte
man fürchten ſie habe eine geheime Leidenſchaft, aber
hier in der Stadt befindet ſie ſich nur wohl in
der Kinderſtube, ſie ſchleicht immer weg aus der Ge¬
ſellſchaft und vom Tiſch, und geht an die Wiege,
nimmt die kleine Max heraus, hält ſie wohl eine
Stunde auf dem Schooß und freut ſich an jedem Ge¬
ſicht das ſie ſchneidet. Das Kind hatte die Röthen,
niemand kam zu mir. Sie allein ſaß Stunden lang
beim Kinde, es hat ihr nicht geſchadet; ſie kann alles
aushalten, noch nie hab ich ſie klagen hören über Kopf¬
weh oder ſonſt etwas, wie lange hat ſie bei der Clau¬
dine gewacht, kein Menſch könnte das, ich glaub ſie iſt
vierzehn Tage nicht ins Bett gekommen, ſie iſt wie zu
Haus in jeder Krankenſtube, und amüſirt ſich köſtlich wo
andre ſich langeweilen. Aber ihr ganzer Geiſt beſteht in
[239] ihrem Sein, denn ein geſcheutes Wort hab ich noch nie
von ihr gehört, ihr liebſtes iſt den Franz zu erſchrecken,
alle Augenblick ſucht ſie ſich einen andern Ort wo ſie
ihn überraſchen kann, letzt hat ſie ſich ſogar auf den
einen Bettpfoſten gehockt, ich dachte ſie könne keine
Minute da aushalten, nun dauerte es eine Viertelſtunde
bis Franz kam, als der im Bett lag, ſchwang ſie ſich
herunter, ich dachte ſie bricht den Hals, wir konnten
ſie die ganze Nacht nicht aus dem Zimmer bringen. —
Über dieſer Erzählung war Lotte gekommen, die be¬
hauptete ernſthaft, Du hätteſt Anlage zum Veitztanz.
Deine Bläſſe deute darauf, du kletterteſt auch beim
Spazierengehen immer an ſo gefährliche Orte, und letzt
wärt Ihr im Mondſchein noch um die Thore gegangen
mit dem Domherrn von Hohenfeld und da ſeiſt Du oben
auf dem Glacis gelaufen bald hin, bald her Dich wen¬
dend ohne nur ein einzigmal zu fallen, und der Hohenfeld
auch, habe geſagt das ging nicht mit natürlichen Dingen
zu. Kaum hatte Lotte ihre Geſchichte, wo immer der Re¬
frain war, Mangel an hiſtoriſchem Sinn und keine Lo¬
gik, geendet, ſo trat Ebel ein, er wurde auch conſultirt
wegen der Fahrt nach Homburg (ach hätt ich doch nicht
in dies Wespenneſt geſchlagen), der fing erſt recht an
[240] zu peroriren, der wußte alles: „um Gottes Willen nicht,“
Lotte ſaß im Seſſel und ſecundirte; nein um Gottes
Willen nicht, man muß logiſch ſein. Ebel ſagte: Wahn¬
ſinn ſteckt an, ja ſagt L.: beſonders wenn man ſo viel
Anlage hat. Nun Lotte Du machſt's zu arg, ſie kann
wohl dumm ſein, und das iſt noch die Frage, denn ſie
iſt eigentlich weder dumm noch geſcheut, oder vielmehr
iſt ſie beides, dumm und geſcheut. — Ebel aber ſagte:
ich muß hier als Naturphiloſoph ſprechen, ſie iſt ein
ganz appartes Weſen, das von der Natur zu viel elek¬
triſchen Stoff mit bekommen, ſie iſt wie ein Blitzableiter,
wer ihr nahe iſt beim Gewitter, der kanns empfinden,
er war nämlich letzt aus der Spazierfahrt mitten im
Gewitter unter Donner und Blitz im ſtärkſten Platzregen
trotz Schuh und Strümpfen blos wegen Dir aus dem
Wagen und im kurzermelichen Rock querfeldein nach
Hauſe geſprungen. Die Tonie ſagte ihm dies und er
geſtand es ein, es ſei Furcht geweſen, das Gewitter
könne durch Deine elektriſche Natur angezogen werden,
er glaubt ſteif und feſt, der Schlag ſei ſo dicht vor den
Pferden niedergefahren, weil Du in Deiner Begeiſtrung
zu viel Elektricität ausſtrömteſt. — Der arme Freund,
ſeine Rockermel ſind vom Regen noch mehr verkürzt. —
Lotte[241] Lotte behauptete es ſei unlogiſch von Ebel zu ſagen, Be¬
geiſterung, denn dazu müſſe ein logiſcher Grund ſein
und der ſei in Deiner Seele nicht zu finden. — Dabei
kam St. Claire auch zur Theeſtunde, ich hatte ihn hin
beſtellt, um zu hören wie der Verſuch ausfallen werde,
wärs gelungen, ſo hätten wir Dich heute überraſcht und
Dich gleich mit dem Wagen abgeholt, aber Franz kam
herauf und George, denen wurde es vorgetragen. Lotte
behauptete fort und fort, es würde das unlogiſchſte der
Welt ſein Dich hingehen zu laſſen, denn trotz Deiner
Unweisheit, Faſelei und gänzlichem Mangel ꝛc. ſeiſt Du
doch ſehr exentriſch und es wurde einmüthig beſchloſſen,
Du ſolleſt nicht mit; Tonie behauptete noch, Du ſeiſt
ihr von Clemens noch mehr auf die Seele gebunden
und der würde ihr ein unangenehmes Conzert machen,
wenn ſie ihren Beifall dazu gäbe. — Ich weiß einen,
der ihnen allen gern die Hälſe herumgedreht hätte, das
war St. Clair, er war ſo ernſt, er that den Mund nicht
auf, aber ich ſah ſeine Lippen beben, kein Menſch wußte,
welchen Antheil er daran nahm, er nahm ohne ein
Wort zu ſagen ſeinen Huth und ging, und ich ſah daß
ihm die Thränen in den Augen ſtanden, Deinem Ritter.


11[242]

An Clemens.

Die Hirten lagen auf der Erde

Und ſchlummerten um Mitternacht,

Da kam mit freundlicher Geberde

Ein Engel in der Himmelspracht.

Mit Sonnenglanz war er umgeben.

Und zu den Hirten neigt er ſich,

Er ſprach geboren iſt das Leben,

Euch offenbart der Himmel ſich. —

Auch ich lag träumend auf der Erde,

Ihr dunkler Geiſt war ſchwer auf mir,

Da trat mit freundlicher Geberde

Die heil’ge Poeſie zu mir,

In ihrem Glanz warſt Du verkläret,

Vertrauet mit der Geiſterwelt,

Den Becher hatteſt Du geleeret.

Der Dich zu ihrem Chor geſellt.

Dein Lied war eine Strahlenkrone,

Die ſich um Deine Stirne wand,

Die Töne eine Lebensſonne

Erleuchtend der Verheißung Land.

Der Liebe Reich hab ich geſehen

In Deiner Dichtung Abendroth;

Wie Moſes auf des Berges Höhen,

Als ihm der Herr zu ſchaun gebot;

Er ſah das Ziel der Erdenwallen

Und mochte fürder nichts mehr ſehn.

Wohin, wohin ſoll ich noch wallen,

Da ich das Heilige geſehn? —
[243]

An die Günderode.

Ich hab mirs nicht gedacht, daß ich ſo ſein könnt
in dieſen ſchönen Tagen. In Deinem Brief, Zeile für
Zeile, leſe ich nichts Trauriges und doch macht er mich
ſchwer. — Du redeſt von Dir als ſeiſt Du anders wie
ich, ganz anders, ach und ſtehſt mir doch allein unter
allen Menſchen gegenüber, und alles was wir mit einan¬
der beſprachen, da waren wir nicht eins, Du warſt an¬
ders geſinnt und ich anders, und doch haſt Du mich
immer vertreten, ja gewißlich ich bin anders wie Du,
ich fühls auch heut aus jeder Zeile Deines Briefs, die
mir doch ſo wahr ſind und den tiefen Grund Deiner
Seele beleuchten. Wie iſt doch jeder Menſch ein groß
Geheimniß, und bis alles ins Himmliſche ſich verwan¬
delt, wie viel bleibt da unverſtanden. Aber ganz ver¬
ſtanden ſein, das deucht mir die wahre alleinige Meta¬
morphoſe, die einzige Himmelfahrt. — Im Gartenhäus¬
chen, wo wir vorm Jahr um die Zeit uns zum erſten¬
mal geſehen haben — alſo ein ganz Jahr ſind wir
ſchon gut Freund mit einander ? ? ? ! ! ! — — — und
ſo könnt ich fortfahren Zeichen zu machen der Verwun¬
derung, des Stummſeins, des Denkens — Seufzens, ja
11*[244] wenn ich ein Zeichen des Schauderns, der Thränen zu
machen wüßte, ſo könnte ich die Blätter voll der merk¬
würdigſten Gefühle bezeichnen, denen ich keine Namen
zu geben weiß. — Das Geisblatt, das da herabſchwankt
über die Latten, blüht dies Jahr viel üppiger. Weißt
Du, das war unſer erſt Wort, ich ſagte zu Dir: es war
ein recht kalter Winter dies Jahr, der Hanenfuß hat
ſeine meiſten Zweige erfroren, die Laube giebt wenig
Schatten; da ſagteſt Du: die Sonne giebt und die
Laube nimmt, was ſie nicht faſſen kann vom Licht das
muß ſie durchlaſſen zu uns, und dann ſagteſt Du dieſe
Pflanze ſei ſchöner benannt Geisblatt als Hahnenfuß,
weil man dabei eine ſchöne Ziege ſich denke, die mit
Anmuth gewürzige Blumen freſſe, und daß die Natur
für jedes Geſchöpf ein idealiſch Leben darbiete. — Und
wie die Elemente in ungeſtörter Wirkung das Leben er¬
zeugen, tragen, nähren und vollenden, ſo bereite ſich im
Genuß einer ungeſtörten Entwickelung abermal ein Ele¬
ment, in dem das Ideal des Geiſtes blühen, gedeihen
und ſich vollenden könne. — Und dann ſagteſt Du, ich
ſolle mich doch weiß kleiden der Natur zu Lieb, die rund
um uns her ſo herrliche Blumen aufſprieße, dabei ein
Kleid tragen zu wollen mit gedruckten Blumen, das ſei
geſchmacklos und man müſſe im Einklang leben wollen
[245] mit der Natur, ſonſt könne die Knospe des Menſchen¬
geiſtes nicht aufblühen. — Ich dachte ein Weilchen über
Deine Reden, ſo waren wir beide ſtill' — die Antwort
war an mir — ich getraute mich gar nicht, Du kamſt
mir ſo weisheitsvoll vor, es ſchien mir Dein Denken
wirklich mit der Natur übereinzuſtimmen, und Dein
Geiſt rage über die Menſchen hinaus, wie die Wipfel
voll duftiger Blüthen im Sonnenſchein, im Regen und
Wind, Nacht und Tag immer fort ſtreben in die Lüfte.
Ja Du kamſt mir vor wie ein hoher Baum von den
Naturgeiſtern bewohnt und genährt. Und wie ich meine
Stimme hörte, die Dir antworten wollte, da ſchämte ich
mich als ſei ihr Ton nicht edel genug für Dich. — Ich
konnts nicht herausſagen, Du wolltſt mir helfen und
ſagteſt, „der Geiſt ſtrömt in die Empfindung, und die
geht aus allem hervor was die Natur erzeugt, der
Menſch habe Ehrfurcht vor der Natur, weil ſie die
Mutter iſt die den Geiſt nährt mit dem, was ſie ihm
zu empfinden giebt.“ — Wie ſehr hab ich an Dich ge¬
dacht, und Deine Worte, und an Deine ſchwarzen Au¬
genwimpern die Dein blau Aug decken, wie ich Dich
geſehen hatt zum allererſtenmal, und Dein freundlich
Mienenſpiel und Deine Hand, die mein Haar ſtreichelte.
Ich ſchrieb auf: Heut hab ich die Günderode geſehen,
[246] es war ein Geſchenk von Gott, — Heut leſe ich das
wieder, und ich möcht Dir alles zu Lieb thun, und ſags
mirs lieber nicht, wenn Du mit andern Menſchen auch
gut biſt. Das heißt: ſei mit andern was Du willſt, nur
laß das uns nichts angehen. Wir müſſen uns mit einan¬
der abſchließen, in der Natur, da müſſen wir Hand in
Hand gehen und mit einander ſprechen nicht von Din¬
gen, ſondern eine große Sprache. Mit dem Lernen
wirds nichts, ich kanns nicht brauchen, was ſoll ich ler¬
nen was andere ſchon wiſſen, das geht ja doch nicht
verloren, aber das was grad nur uns zu Lieb geſchieht,
das möcht ich nicht verſäumen mit Dir auch zu erleben,
und dann möcht ich auch mit Dir all das überflüſſige
Weltzeugs abſtreifen, denn eigentlich iſt doch nur alles
comme il faut eine himmelſchreiende Ungerechtigkeit ge¬
gen die große Stimme der Poeſie in uns, die weiſt die
Seele auf alles Rechte an. Einmal iſt mir die Höflich¬
keit zuwider die ſich immer neigt vor andern und doch
keinen Verkehr mit einem hat, als ob das unhöflich
wär, dem auszuweichen der einem nichts angeht; —
wär die Natur ſo verkehrt, ſo intrigant und unſinnig
wie die Menſchen ſind, es könnte kein Erdapfel reifen,
viel weniger denn ein Baum blühen, alles iſt die reine
Folge der Großmuth in der Natur, jede Kornähre die
[247] den Samen doppelt ſpendet, giebt Zeugniß. Engherzig¬
keit wird nimmer ihren Samen ſpalten zum Licht, ſie
verkeimt. Jetzt fang ich an zu fühlen zu was ich da
bin. Alle Morgen bet ich wenn ich aufwache: „Lieber
Gott, warum bin ich geboren,“ und jetzt weiß ichs, —
darum daß ich nicht ſo unſinnig ſein ſoll wie die an¬
dern ſind, daß ich den reinen Pfad wandle in meinem
Herzen bezeichnet, für was hätt ihn der Finger Gottes
mir eingeprägt und meine fünf Sinne in die Schule ge¬
nommen, daß ein jeder ihn buchſtabiren lerne, wenn es
nicht wär dieſen Weg zu bekennen. — Ja man muß
dem Menſchen Weisheit zumuthen und ſie ihm als den
einfachen Weg der Natur vorſchreiben, aber das Ver¬
läugnen eines großen mächtigen Weltſinnes in uns, iſt
immer Folge unſeres Sittenlebens mit andern, das
hängt ſich einem an, daß man keinen freien Athemzug
mehr thun kann, nicht groß denken, nicht groß fühlen
aus lauter Höflichkeit und Sittlichkeit. Groß handlen,
das dank einem der Teufel, das müßte von ſelbſt ge¬
ſchehen wenn alles natürlich im Leben zuging. Es iſt
eine Schande, was die Menſchen alles mit dem Namen
Großmuth belegen, als ob nicht ein raſches ſelbſtthätiges
Leben, immer das als elektriſches Feuer ausſtrömen
müſſe was man große Handlung nennt. —


[248]

Das mühſelige Menſchengeſchlecht plappert wie
die Elſtern, es verſteht nicht das Stöhnen der Liebe,
das muß ich ſagen weil die Nachtigallen ſo ſüß ſtöh¬
nen über mir. Vier Nachtigallen ſinds, auch im vori¬
gen Jahr warens Vier. Ja lieben werd ich wohl nie,
ich müßt mich vor den Nachtigallen ſchämen daß ichs
nicht könnt wie die. — Wie hauchen ſie doch ihre Seel
in die Kunſt der Wolluſt, in die Muſik — und in ei¬
nen Ton hinein, ſo rein, ſo unſchuldig — ſo wahr und
tief— was keine Menſchenſeele weder durch die Stimme
noch durch das Inſtrument hervorbringen kann. War¬
um doch der Menſch erſt ſingen lernen muß, während
die Nachtigall es ſo rein, ſo ganz ohne Fehl verſteht
tief ins Herz zu ſingen, ich hab noch gar keinen Ge¬
ſang gehört von Menſchen, der mich ſo berührt wie die
Nachtigall — eben dacht ich, weil ich ihnen ſo tief zu¬
hör, ob ſie mir wohl auch zuhören wollten, wie ſie eine
Pauſe machten, kaum heb ich die Stimm, da ſchmettern
ſie alle vier zuſammen los, als wollten ſie ſagen, laſſe
uns unſer Reich. Arien, Operngeſänge ſind wie lauter
falſche Tendenzen der ſittlichen Welt, es iſt die Decla¬
mation einer falſchen Begeiſterung. Doch iſt der
Menſch hingeriſſen von erhabner Muſik, Warum nur,
wenn er nicht ſelbſt erhaben iſt? — Ja, es iſt doch ein
[249] geheimer Wille in der Seele groß zu ſein. Das er¬
quickt wie Thau, den eignen Genius die Urſprache füh¬
ren zu hören, — Nicht wahr? — O wir möchten auch
ſo ſein wie dieſe Töne, die raſch ihrem Ziele zuſchrei¬
ten ohne zu wanken. Da umfaſſen ſie die Fülle, und
dann, in jedem Rhythmus ein tief Geheimniß inner¬
licher Geſtaltung, aber der Menſch nicht. Gewiß,
Melodien ſind gottgeſchaffne Weſen, die in ſich fort¬
leben, jeder Gedanke aus der Seele hervor leben¬
dig, der Menſch erzeugt die Gedanken nicht, ſie er¬
zeugen den Menſchen. — Ach! Ach! Ach! — da fällt
nur ein Lindenblüthchen auf die Nas — und da regnets
ein Biſchen; was ſchreib ich doch hier dumm Zeug hin,
und kanns kaum mehr leſen, jetzt dämmerts ſchon ſtark
— wie ſchön doch die Natur ihren Schleier ausbreitet
— ſo licht, ſo durchſichtig — jetzt fangen die Pflanzen¬
ſeelen an umher zu ſchweifen, und die Orangen im
Boskett. Und der Lindenduft — es kommt Well auf
Well herüber geſtrömt — es wird ſchon dunkel —
Nachtigallen werden ſo eifrig — ſie ſchmettern recht in
die Mondſtille, — ach wir wollen was recht großes
thun — wir wollen nicht umſonſt zuſammen getroffen
haben in dieſer Welt — laß uns eine Religion ſtiften
für die Menſchheit, bei ders ihr wieder wohl wird —
11**[250] ein Sein mit Gott — dein Mahomet hats mit ein paar
Ritt in den Himmel auch zu Wege gebracht. — Ein
bischen Spazierenreiten in den Himmel.

An die Günderode.

Geſtern hab ich vergeſſen Dir zu ſchreiben, daß ich
Dein Gedicht an den Clemens geſchickt hab nach Mar¬
burg, ich hab mirs aber erſt abgeſchrieben, ich wollt
Dir auch ſagen wie ſchön ichs find. Aber vor Dank¬
barkeit daß ich Dich als Freundin hab, hab ichs ver¬
ſäumt. Aber Du ſiehſts doch im Brief geſpiegelt, daß es
Dein groß Herz iſt, das mich rührt, und daß ich mich
unwerth halt Deine Schuriemen zu löſen. — Du wählſt
Dir einen ſchönen Gedanken und fügſt ihn in Reime
zu einem Ehrenmantel für den Clemens, ach was haſt
Du da für eine ſchöne Tugend, hebſt den Geiſt heraus
aus dem Erdenleben. — Gott ſchuf die Welt aus
Nichts, predigten immer die Nonnen, — da wollt ich
immer wiſſen wie das war — das konnten ſie mir nicht
ſagen und hießen mich ſchweigen, aber ich ging umher
und ſchaute alle Kräuter an, als müßte ich finden aus
was ſie geſchaffen ſeien. — Jetzt weiß ichs, er hat ſie
[251] nicht aus nichts geſchaffen, er hat ſie aus dem Geiſt
geſchaffen, das lern ich vom Dichter, von Dir, Gott iſt
Poet, — ja — ſo begreif ich ihn — heut las ich bei
der Großmama aus dem Hemſtruis vor: der Choi¬
ſeil ſagte, il faut que Dieu ait la figure de l'homme
comme il l'a créé d'après son immage
, der d'Allaris
meinte: C'est fort singulier monsieur de se figurer la
figure de Dieu avec un visage humain, comme celui la
est fait pour des besoin et des fonctions terrestres au¬
quelles dieu ne doit avoir aucun raport, en raison de
sa force et de son grand courage le monde entier de¬
vrait s'en aller en poussière si par exemble le bon
Dieu s'amusait une seule foix a eternuer de bon coeur
.
— Wenn Gott den Menſchen nach ſeinem Ebenbild
geſchaffen, ſo begreife ich dies ſo, Gott hat eine Per¬
ſönlichkeit die kann aber er ſelbſt nur faſſen, denn er
ſteht ſich ſelbſt allein gegenüber, aber als Poet ver¬
ſchwindet ihm ſeine Perſönlichkeit, ſie löſt ſich auf in
die Erfindung ſeiner Erzeugung. So iſt Gott perſön¬
lich und auch nicht. Der Dichter ſtellt dies dar — der
iſt perſönlich und auch nicht, eben ganz nach Gottes
Ebenbild, denn er erſchafft mit dem Geiſt was ganz
außer dem ſinnlichen Daſein liegt, und doch iſt es ſinn¬
lich da es die Sinne faſſen, und ſich hierdurch gewiegt
[252] fühlen und genährt, und da doch Nahrung der Sinne
nur ihre höhere Entwicklung iſt, ſo löſt der Dichter, wie
Gott, ſeine Perſönlichkeit auf, durch ſein Denken in
eine höhere Form, und bildet ſich ſelbſt in eine höhere
Entwicklung hinüber. — Was ſag ich Dir da? — Ach
ich habs einen Augenblick verſtanden was Gott iſt, als
könnt ichs in den Wolken leſen, und da ſah ich am
Himmel wie der Mond hervorſchwippt, und zerſtreut
mir die Gedanken, daß ich eben gar nichts mehr leſen
kann, alles iſt zerfloſſen, und die Worte da oben, in
denen ichs feſthalten wollt, die ſind verſchwommen, ich
habs mit andern Worten müſſen reden, es iſt nicht
recht wie ichs gemeint hab. Ja, Gott läßt ſich nicht
fangen, ich dacht ich hätt ihn ſchon. — Aber das eine
hab ich behalten, daß Gott die Poeſie iſt, daß der
Menſch nach ſeinem Ebenbild geſchaffen iſt, daß er
alſo geborner Dichter iſt, daß aber alle berufen ſind
und wenige auserwählt, das muß ich leider an mir ſel¬
ber erfahren, aber doch bin ich Dichter, obſchon ich kei¬
nen Reim machen kann, ich fühls wenn ich gehe in der
freien Luft, im Wald oder an Bergen hinauf, da liegt
ein Rhythmus in meiner Seele, nach dem muß ich den¬
ken, und meine Stimmung ändert ſich im Takt. — Und
denn, wenn ich unter Menſchen bin, und laſſe mich von
[253] ihrem Takt oder Metrum, was ganz auf den gemeinen
Gaſſenhauer geht, mit fortreißen, da fühl ich mich er¬
bärmlich und weiß nichts mehr als lauter dumm Zeug,
fühlſt Du das auch, daß dumme Menſchen einem noch
viel dummer machen als ſie ſelber ſind, — die haben
nicht ſo unrecht, wenn ſie ſagen ich ſei dumm. Aber
Herz was mich verſteht komme nur und ich will Dir
ein Gaſtmahl geben was Dich ehrt. — Aber hör doch
nur weiter: — Alle große Handlung iſt Dichtung, iſt
Verwandlung der Perſönlichkeit in Gottheit, und welche
Handlung nicht Dichtung iſt, die iſt nicht groß, aber
groß iſt alles was mit dem Licht der Vernunft gefaßt
wird — das heißt: alles was Du in ſeinem wahren
Sinn faſſeſt das muß groß ſein, und gewiß iſt es, daß
jeder ſolcher Gedanke eine Wurzel muß haben die in den
Boden der Weisheit gepflanzt iſt, und eine Blume die
blüht im göttlichen Licht. Hervorgehen aus dem See¬
lengrund, nach Gottes Ebenbild, hinüber, hinauf in un¬
ſern Urſprung. Gelt, ich hab recht? — Und wenn es
wahr iſt, daß der Menſch ſo ſein kann, warum ſoll er
anders ſein? — ich begreifs nicht, alle Menſchen ſind
anders als wie es ſo leicht wär zu ſein; — ſie hän¬
gen an dem was ſie nicht achten ſollten, und verachten
das an dem ſie hängen ſollten.


[254]

Ach ich hab eine Sehnſucht rein zu ſein von die¬
ſen [Fehlern]. Ins Bad ſteigen, und mich abwaſchen von
allen Verkehrtheiten. Die ganze Welt kommt mir vor
wie verrückt, und ich ſchußbartele immer ſo mit, und
doch iſt in mir eine Stimme, die mich beſſer belehrt. —
Laſſe uns doch eine Religion ſtiften, ich und Du, und
laſſe uns einſtweilen Prieſter und Laie darin ſein, ganz
im Stillen, und ſtreng danach leben, und ihre Geſetze
entwickeln, wie ſich ein junger Königsſohn entwickelt
der einſt der größte Herrſcher ſollt werden der ganzen
Welt. — So muß es ſein, daß er ein Held ſei,
und durch ſeinen Willen alle Gebrechen abweiſe und
die ganze Welt umfaſſe, und daß ſie müſſe ſich beſſern.
Ich glaub auch, daß Gott nur hat Königsſtämme wer¬
den laſſen, damit ſie dem Auge, den Menſchen ſo erhaben
hinſtellen, um ihn nach allen Seiten zu erkennen. Der
König hat Macht über alles, alſo erkennt der Menſch,
der ſeinem öffentlichen Thun zuſieht, wie ſchlecht er es
anfängt, oder auch wenn ers gut macht, wie groß er
ſelber ſein könne. Dann, ſteht grade der König ſo, daß
ihm allein gelinge, was kein andrer vermag, ein genia¬
ler Herrſcher reißt mit Gewalt ſein Volk auf die Stufe,
wohin es nie ohne ihn kommen würde. Alſo müſſen
wir unſere Religion ganz für den jungen Herrſcher bil¬
[255] den, — O wart nur, das hat mich ganz orientirt, jetzt
will ich ſchon fertig werden. Ach ich bitt dich, nehm
ein bischen Herzensantheil dran, das macht mich friſch
ſo aus reinem Nichts alles zu erdenken wie Gott, dann
bin ich auch Dichter. Ich denke mirs ſo ſchön alles
mit Dir zu überlegen, wir gehen dann zuſammen hier
in der Großmama ihren Garten auf und ab, in den
herrlichen Sommertagen, oder im Boskett, wos ſo
dunkle Laubgänge giebt, wenn wir ſimuliren ſo gehen
wir dort hin und entfalten alles im Geſpräch, dann
ſchreib ichs Abends alles auf und ſchick Dirs mit dem
Jud in die Stadt, und Du bringſt es nachher in eine
dichteriſche Form, damit wenns die Menſchen einſt fin¬
den, ſie um ſo mehr Ehrfurcht und Glauben dran ha¬
ben, es iſt ein ſchöner Scherz, aber nehms nur nicht
für Scherz, es iſt mein Ernſt denn warum ſollten wir
nicht zuſammen denken über das Wohl und Bedürfniß
der Menſchheit. Warum haben wir denn ſo manches
zuſammen ſchon bedacht was andere nicht überlegen,
als weils der Menſchheit fruchten ſoll, denn alles was
als Keim hervortreibt, aus der Erde wie aus dem Geiſt,
von dem ſteht zu erwarten daß es endlich Frucht bringe,
ich wüßte alſo daher nicht, warum wir nicht mit ziem¬
licher Gewißheit auf eine gute Ernte rechnen könnten,
[256] die der Menſchheit gedeihen ſoll. Die Menſchheit, die
arme Menſchheit, ſie iſt wie ein Irrlicht in einem Netz
gefangen, ſie iſt ganz matt und ſchlammig. — Ach
Gott ich ſchlaf gar nicht mehr, gute Nacht, alleweil
fällt mir ein, unſre Religion muß die Schwebe-Re¬
ligion
heißen, das ſag ich Dir Morgen.


Aber ein Geſetz in unſerer Religion muß ich Dir
hier gleich zur Beurtheilung vorſchlagen, und zwar ein
erſtes Grundgeſetz. Nämlich: Der Menſch ſoll immer
die größte Handlung thun und nie eine andre, und da
will ich Dir gleich zuvorkommen und ſagen, daß jede
Handlung eine größte ſein kann und ſoll. — Ach hör!
— ich ſehs ſchon im Geiſt, wenn wir erſt ins Rath¬
ſchlagen kommen, was wird das für Staubwolken
geben. —


Wer nit bet, kan nit denken,
das laß ich auf eine erdne Schüſſel malen und da eſſen
unſre Jünger Suppe draus. — Oder wir könnten auch
auf die andre Schüſſel malen: Wer nit denkt, lernt nit
beten. Der Jud kommt, ich muß ihm eilig unſere Welt¬
umwälzung in den Sack ſchieben, auch wir werden einſt
ſagen können, was doch Gott für wunderbare Werk¬
zeuge zum Mittel ſeiner Zwecke macht, wie die alt
[257] Nonn in Fritzlar. Siehſt Du den St. Clair? —
grüß ihn.

An die Bettine.

Oder am beſten können wir ſagen: Denken iſt
Beten
, damit iſt gleich was gutes ausgerichtet, wir
gewinnen Zeit, das Denken mit dem Beten, und das
Beten mit dem Denken. Du willſt ungereimtes Zeug
vorbringen. Du biſt ungeheuer liſtig, und meinſt ich
ſoll es reimen. Deine Projekte ſind immer ungemein
waghalſig, wie eines Seiltänzers, der ſich darauf ver¬
läßt, daß er balanciren kann, oder einer der Flügel
hat, und weiß, er kann ſie ausbreiten, wenn der Wind¬
ſturm ihn von der Höhe mit fortnimmt. Übrigens hab
ich Dich wohl verſtanden, trotz der vielen ſüßen Lobe,
die Du einſtreuſt wie Opfergras, daß ich das Opfer
bin was Du geſchechtet haſt, um mit dem Jud zu
reden. Ich fühls, daß Du recht haſt, und weiß, daß
ich zu furchtſam bin, und kann nicht, was ich inner¬
lich für recht halte, äußerlich gegen die aus der Lüge
hergeholten Gründe vertheidigen, ich verſtumme und
bin beſchämt grade wo Andre ſich ſchämen müßten, und
[258] das geht ſo weit in mir, daß ich die Leute um Verzei¬
hung bitte, die mir unrecht gethan haben, aus Furcht
ſie möchtens merken. So kann ich durchaus nicht ertra¬
gen, daß einer glaube, ich könne Zweifel in ihn ſetzen,
ich lache lieber kindiſch zu allem was man mir entgeg¬
net, ich mag nicht dulden, daß die, welche ich doch
nicht eines Beſſern überzeugen kann, noch den Wahn
von mir hegen, ich ſei geſcheuter als ſie. Wenn ſich
zwei verſtehen ſollen, dazu gehört lebenvolles Wirken
von einem dritten Göttlichen. So nehm ich auch un¬
ſer Seyn an, als ein Geſchenk von den Göttern,
in dem ſie ſelber die vergnüglichſte Rolle ſpielen; aber
meine innere Fühlungen, folgeloſen Behauptungen aus¬
ſtellen, dazu leiht mir weder die blauäugige Minerva,
noch Areus der Streitbare*)Beiſtand. Ich gebe
Dir aber recht, es wäre beſſer ich könnte mich mann¬
hafter betragen, und dürfte dieſen großmächtigen
Weltſinn in dem Sittenleben
mit andern nicht
mir untergehen laſſen. Aber was willſt Du mit einer
ſo Zaghaften aufſtellen, die ſich immer noch fürchtet im
Stift das Tiſchgebet laut genug herzuſagen. — Laſſe
mich und vertrage mich wie ich bin, hab ich das Herz
[259] nicht meine Stimme zu erheben gegen allen Unſinn, ſo
hab ich auch dafür an dieſem harten Fels keine kleinſte
Welle Deiner brauſenden Lebensfluthen ſich brechen laſ¬
ſen. Er ſteht trocken und unbeſchäumt von Deinen hei¬
ligen Begeiſterungen, ſo kannſt Du auch unbekümmert
darum, Dein Leben dahin fließen. — Ich weiß, daß es
Dir weh thut, weil wir den Hölderlin nicht beſuchten.
St. Clair iſt geſtern abgereiſt, er war noch vorher bei
mir, er ſah Deinen dicken Brief, er war ſo ſehnſüchtig
etwas daraus zu vernehmen, und die Zaghafte war
kühn genug auf ihr richtiges Gefühl hin, ihm die Stelle
zu leſen, wo die Bettine über den Oedipus ſpricht. —
Er wollte es abſchreiben, er mußte es abſchreiben, ſeine
Seele wär ſonſt vergangen, und die Zaghafte war zu
muthlos es ihm abzuſchlagen. Er ſagte, „ich leſe es ihm
vor, vielleicht wirkt es wie Balſam auf ſeine Seele,
und wo nicht, ſo muß es doch ſo ſein, daß die höchſte
Erregung durch ſeine Dichternatur erzeugt, auch wie¬
der an ihm verhalle, ſo wie er verhallte. Ich muß es
ihm leſen, es wird doch zum wenigſten ihm ein Lächeln
abgewinnen.“ — Nun ſieh mich ſchon wieder voll Zag¬
heit, daß Dir meine Kühnheit mißfalle, aber doch — be¬
trog mich mein Ohr nicht, ſo war jener Hymnus auf
dem Taubenſchlag dem armen Dichter geſungen, daß
[260] er ſolle dort mit in ſein zerriſſnes Saitenſpiel ein¬
tönen.


Ich hab jetzt ſo viele Geſellſchaftsnoth, ich muß
dieſe Woche ſchon zum zweitenmal in den ſchwarzen
Stiftstalar kriechen, auch dahinein verfolgt mich meine
närriſche Feigheit, ich komme mir ſo fremd drinn vor,
es iſt mir ſo ungewöhnlich eine angelehnte Würde öf¬
fentlich zu behaupten, daß ich immer den Kopf hängen
muß und muß auf die Seite ſehen, wenn ich angeredet
werde. Geſtern haben wir in Corpore beim Primas zu
Mittag geſpeiſt, da verlor ich mein Ordenskreuz, es lag
unterm Stuhl, ich fühlte es mit der Fußſpitze, das machte
mich ſo confus, und denk nur der Primas ſelbſt hat es
aufgehoben, und bat um Erlaubniß es anzuheften auf
die Schulter, dazu kam unſere Duenna und nahm die
Mühe auf ſich, Gott ſei Dank, — ich konnte doch die
ganze Nacht nicht vor der Geſchichte ſchlafen, ich muß
roth werden, wenn ich dran denke, — dann war ich
bei der Haiden — der Moritz im Cabriolet iſt mir begeg¬
net, von da in der Comödie in Eurer Loge, George
führte mich hinein. Die Geſchwiſter. — Es war ſehr leer
wegen der Hitze, George war fortgegangen, die Frau
Ruth ſaß ganz allein auf meiner Seite, ſie rief aufs
Theater: „Herr Verdy ſpielen Sie nur tüchtig, Ich bin
[261] da“, es machte mich recht verlegen, hätte er geantwortet,
ſo wär ein Geſpräch draus geworden, indem ich am
Ende noch eine Rolle hätte übernehmen müſſen. — Im
Parterre ſaßen keine funfzig Menſchen. Verdy ſpielte
recht gut und die Rath klatſchte bei jeder Scene, daß
es widerhallte, Verdy verbeugte ſich tief gegen ſie, es
war gar wunderlich, das leere Haus und die offnen
Logenthüren wegen der Hitze, durch die der Tag herein¬
ſchien, dann kam Zugwind und ſpielte mit den lumpig¬
ten Decorationen, da rief die Goethe dem Verdy zu,
„Ah das Windchen iſt herrlich“ und fächelte ſich, es war
doch grad als ſpiele ſie mit, und die Zwei auf dem
Theater, ſo gut als wären ſie allein in vertraulich häus¬
lichem Geſpräch, dabei mußt ich an den größten Dichter
denken, der nicht verſchmähte ſo prunklos ſeine tiefe Na¬
tur auszuſprechen. — Ja Du magſt recht haben, es iſt
was Großes darin, und es iſt ſchauerlich, und daher tra¬
giſch geweſen dieſe Leere, dieſe Stille, die offnen Thüren,
die einzige Mutter voll Ergötzen als habe ihr der Sohn
den Thron gebaut, auf dem ſie weit erhaben über den
Erdenſtaub ſich die Huldigung der Kunſt gefallen läßt. —
Sie ſpielten auch recht brav, ja begeiſtert, blos wegen
der Fr. Rath, ſie weiß einem in Reſpekt zu ſetzen. Sie
ſchrie auch am Ende ganz laut, ſie bedanke ſich und
[262] wolle es ihrem Sohn ſchreiben. Darüber fing eine Un¬
terhaltung an, wobei das Publicum eben ſo aufmerk¬
ſam war, die ich aber nicht mit anhörte, weil ich ab¬
geholt wurde. Morgen wird ſie wohl in der ganzen
Stadt herumkommen.


Ich bin nicht wohl, ſonſt wär ich heut hinausge¬
kommen — ſo ſehr interreſſirt mich Dein Brief, Du
hängſt Dich an die Gipfel der Lebenshöhen, wie das
junge Gefieder, und ſiehſt Dich gleich um, wie am be¬
ſten nach der Sonne zu ſteuern ſei, dann zerſtreueſt Du
Dich eben ſo leicht wieder. Wenn ich wohl bin, ſo
komme ich die Woche noch, ich glaube die Angſt vor
dem Aderlaſſen macht mich krank, ich kann mich nicht
drein finden, wenn ich denk daß ich Blut vergießen ſoll
ſo wird mir übel. — Schreibe mir doch heute noch von
der Schwebe-Religion was das heißen ſoll, daß ich was
zu denken und zu faslen hab, weil ich nichts anfangen
kann und das Zimmer hüten muß.


Caroline.

[263]

An die Günderode.

Ach laſſe doch ja nicht zur Ader, aus tauſend Grün¬
den, denn (vielleicht): wenn einer nur einmal zur Ader
gelaſſen hat, ſo kann er kein Soldat mehr ſein, kein
Held! man kann gar nicht wiſſen was ſo ein Eingriff
in die Natur für Verändrung im menſchlichen Geiſt
macht, und wozu er als die Fähigkeit verlieren kann.
Ich bitte Dich, laſſe nicht zur Ader, im Kloſter, da,
wenn der Tag kam wo das Aderlaßmännchen im Ka¬
lender ſteht, ich glaub es war grad in der heißen Zeit
wie jetzt, da ließen die Nonnen alle am linken Fuß zur
Ader, da kam ein Chirurg, ich war immer im Anſtau¬
nen ſeiner Häßlichkeit verloren, er hieß Herr Has. —
Eine alte Nonne ſagte einmal, man könne in ſeine Pok¬
kengruben, in denen ſehr viel erdiger Schmutz war, Kreſſe
ſäen, ſo würde er einen grünen Bart bekommen, ich
hielt alſo immer Kreſſe bereit und paßte auf die Gele¬
genheit ihm den Samen einzuſtreuen, und habe auch
einen Augenblick wo er über dem Warten auf die Non¬
nen eingeſchlafen war, benutzt, und Du magſts glauben
oder nicht, die Kreſſe hatte einen ſehr günſtigen Boden,
ſie begann mit Macht emporzuſchießen, man brauchte
[264] ihn nur mit Eſſig und Öl einzuſeifen, ſo hatte man den
trefflichſten Salat von ſeinem Bartſchabſel. Aber gelt
Du gläubeſt nicht? — Aber hör, da fällt mir ein,
eſſe doch eine recht tüchtige Schüſſel voll Salat, das
kühlt das Blut ab, aber wenn Du bei einer Entzündung
noch Blut verlierſt, ſo wird natürlich dieſe verſtärkt,
denn wenn Du ein Dippen mit Waſſer kochend haſt,
und ſchüttſt einen Theil davon weg, ſo kochts viel ſtär¬
ker. — Die Hahnen krähen es iſt ſchon nach Mitter¬
nacht, und nun will ich Dir fortſchreiben bis morgen
früh, daß Du recht viel zu leſen haſt auf Deinem Kran¬
kenlagerchen, gleich fang ich von der neu Religion an,
aber erſt will ich Dir noch was erzählen, wie der Jud
kam mit Deinem Brief, das war vier Uhr, da dacht
ich auf was, was Dir recht gut wär, da dacht ich gleich
die Aprikoſen in der Großmama ihrem Garten müßten
Dir geſund ſein, da ging ich um die Bäum herum und
erſpähte die beſten, und lernte ſie alle auswendig wo
ſie hingen, und ſo ſpazierte ich in einem Wiederholen
meiner Lection, bis die Sonne unterging, denn bei Tag
konnt ich ſie nicht ſtehlen, ich mußte warten bis alles
am Spieltiſch ſaß, es war Dir das ſchönſte Plaiſir,
dieſe Aprikoſen zu ſtehlen, erſtens die Angſt iſt ein wah¬
rer Spaß, das Herz klopfte mir ſo, ich mußte ſo lachen
vor[265] vor Freud; Herzklopfen iſt ſo was angenehmes, und
denn wars grad als ließen ſie ſich recht gern ſtehlen,
ſie fielen mir in die Hand, ich hatte mir ein Tuch um
den Hals gebunden da warf ich ſie hinein, zwanzig! —
ich war recht froh wie ich ſie all hatte, und glücklich
auf meiner Stube war, da hab ich ſie alle in die jungen
Weinblätter gepackt, die ſind vom zweiten Schuß und
haben einen ſo weichen Sammt auf der linken Seite.
Da liegen ſie in der Schachtel und gucken mich an als
hätten ſie Appetit auf einen Biß von meinem Mund,
aber da wird nichts draus, ſie ſind all für Dich, ſie
müſſen ſichs vergehn laſſen von mir geſpeiſt zu wer¬
den. Eſſe ſie Günderod, ſie ſind gut, Gott hat ſie ge¬
ſchaffen für Entzündungen, damit die aus dem Blut
wieder in den Geiſt zurückgehen ſoll, aus dem ſie ei¬
gentlich nur ausgetreten war ins Blut. Laß nur nicht
zur Ader, denn wie geſagt, es ahnt mir, daß dadurch
etwas im Menſchen zu Grunde gehen könne, vielleicht
das echte Heldenthum; wer weiß, ob nicht einer, der
einmal Ader gelaſſen hat, hierdurch nicht ſeine ganze
Nachkommen um die Tapferkeit gebracht hat, und daß
dieſe Tugend eben darum jetzt ſo rar iſt. — Das Ader¬
laßmännchen iſt der Teufel, der hat ſich ſo ganz ſachte
in den Kalender geſchlichen, um die Menſchen um das
12[266] einzige zu betrügen was ihm Widerſtand leiſten kann,
um den Stahl im Blut, der übergeht in den Geiſt, und
den feſt macht daß er thun kann was er will. Weis¬
heit und Tapferkeit! der Menſch will immer die Weis¬
heit, er hat aber den Muth nicht ſie durchzuſetzen.
Eins bedingt das Andere, denn wenn der Muth dazu
wäre, ſo wär auch die Weisheit da. Denn es iſt nicht
möglich, daß wenn Kraft in der Seele iſt das Höchſte
zu thun, daß in ihr nicht auch der Same der Weisheit
aufblühen ſollte, der das höchſte Thun lehrt. Wer
zum Beiſpiel Muth hat das Geld zu verachten, der
wird bald auch Weisheit haben zu erkennen welch
fürchterlicher Wahnſinn aus dieſem grauſamen Vorur¬
theil hervorſchießt, und wie Reichthum und Macht ſo ſehr
ſehr arm ſind. Weisheit und Tapferkeit müſſen einander
unterſtützen. Ach in unſerer Religion ſoll die Tapfer¬
keit obenan ſtehen, — denn wenn wir nur darüber wa¬
chen daß wir kühn genug ſind das Große zu thun
und die Vorurtheile nicht zu achten, ſo wird aus jeder
That immer eine höhere Erkenntniß ſteigen die uns zur
nächſten That vorbereitet, und wir werden bald Dinge
beweiſen die kein Menſch noch glaubt. Zum Beiſpiel man
kann nicht von der Luft leben! — Ei das könnt doch
ſehr möglich ſein, und es iſt eine ſehr dumme Behaup¬
[267] tung, die der Teufel gemacht hat um den Menſchen an
die Sclavenkette zu legen des Erwerbs, daß man nicht
von der Luft leben könne, daß er nur recht viel habe.
Wer viel hat der kann vor lauter Arbeit nicht zur Hoch¬
zeit kommen; und von der Luft lebt man doch allein,
denn alles was uns nährt iſt durch die Luft genährt
und auch unſere erſte Bedingung zum Leben iſt das
Athemholen. Und Gott ſagt damit: du theilſt die Luft
mit allen ſo theile auch das Leben mit allen, und wer
weiß denn wie ſehr die Natur ſich noch ändern kann,
und kann ſich dem Geiſt anſchmiegen, wenn der einmal
die Seele mehr regiert, ob dann der Leib nicht auch
mehr Luft bedarf und weniger andere Nahrung. Alle al¬
berne Gedanken, Begierden und verkehrte Einbildungen
die machen ſo hungrig nach thieriſcher Nahrung, ich
weiß an mir daß wenn mir etwas durch den Geiſt fährt
dem ich nachgehen muß, aus Ahnung daß es Lebensluft
enthalte, ſo hab ich gar keinen Hunger, und die Fran¬
zoſen, wenn ſie witzig ſind, ſo haben ſie immer auf
was petillantes oder gewürztes Appetit, es käme alſo ſehr
auf den Geiſt an, daß wir am End gern von der Luft
leben. — Und unſer Tiſchgebet ſoll heißen: Herr ich
eſſe im Vertrauen, daß es mich nähre, und die alten
Küchenzettel und Bratſpieß und Backgeſchichten all dem
12*[268] Teufel in die Garküch geſchmiſſen, daß er den Hals
drüber bricht, wir haben keine Zeit uns dabei aufzu¬
halten, geh zum Nachbar und nehm Brod von ihm
und nehme die Frucht vom Baum dazu, und vom Opfer¬
mal ein Weniges, und dulde nicht, daß ſich Bedürfniſſe
des Mahls bei Dir einniſten, zu dieſer oder jener Stunde;
oder ſonſt Dinge, die den Leib abhängig machen. Da
fällt mir noch etwas ein, mit dem verdammten Zugwind,
oder mit der Nachtluft, alle Augenblick heißts, „hier
ziehts!“ — und dann reißen die Leute aus als ob ihnen der
Tod im Nacken ſäß, oder der Nachtwind hindert ſie die
nächtliche Natur zu genießen, oder der Abendthau iſt
ihnen gefährlich, und doch — hat man je bei einem Ge¬
fecht in der Schlacht geſehen daß ein Held vor dem
Nachtthau ausreiße? — alſo auch, über die Verkältung hin¬
weg im Nachtwind wie im Sonnenſchein ſein eigner Herr
bleiben, das muß ein Geſetz unſerer ſchwebenden Religion
ſein. — Ich weiß nicht, es duftet mir ordentlich im Geiſt,
als würden wir auf ſehr wunderbare Entdeckungen kom¬
men. Jetzt haben wir ſchon entdeckt, daß man nicht
Aderlaſſen muß, damit der Stahl im Blute nicht abge¬
laſſen werde der die Begeiſterung der Tapferkeit erzeugt,
— da könnte einer ſagen durch eine Wunde im Krieg
könne denn auch dieſer Geiſt des Stahls entfliehen, ſo
[269] daß ein Tapferer könne zu einem Feigen werden, — dem
iſt aber nicht ſo, denn bei einer Wunde die in der Be¬
geiſtrung ſelbſt empfangen wird, da haucht das Blut
ſelbſt Unſterblichkeit aus. Wenn nämlich die Tugend
(die Tapferkeit) wach iſt in dem Menſchen, das heißt:
wenn der Genius in ſein Blut geſtiegen iſt und kämpft,
und er geht auf die Wunde los die er empfangen ſoll,
da iſt die Kühnheit ſo Herr, daß keine ſclaviſche Ent¬
weichung ſtattfinden könne, denn dann iſt grad aller
Stahl im Blut in den Geiſt übergegangen, — denn wie
Gott immerdar in jedem Hauch erzeugt weil er ganz
Weisheit iſt, ſo erzeugt auch das Genie weil es mit
Gottes elektriſcher Kette verbunden iſt, ewig ſeine Schläge
empfängt und wieder einſchlägt ins Blut. — Ich bitte
Dich, wie willſt Du denn die elektriſche Kraft erklären,
anders, als daß durch Gottes Geiſt die Natur zuckt und
bis ins Blut geht, wo ſie im Menſchen wieder den Weg
in die Begeiſtrung findet, weil der Geiſt hat. — Und
ſiehe da! — die Kraft empfängt den Blitzſtrahl, und ſo erzeu¬
gen Weisheit und Tapferkeit ſich in einander. — Was
hab ich im vorigen Brief geſagt: — Gott ſei die Poeſie,
und heute, daß er die Weisheit iſt, — das iſt ſchon eine
alte Geſchichte, das haben glaub ich die Kirchenväter
herausgeſtellt, und haben deswegen großen Reſpekt vor
[270] Gott, aber heute haben wir herausgekriegt, daß Gott
die große elektriſche Kraft iſt die durch die Natur fährt
und ins Blut des Menſchen, und von da ſich als Ge¬
nius in den Geiſt des Menſchen hinüber bildet. Der Ge¬
nius ſteigt aus dem Stahl auf im Blut, und dort dringt
er auch wieder ein, wenn er wirkend iſt in den Sinnen.
Wer keinen Stahl im Blut hat kann auf die Weiſe Gott
nicht empfangen. Es iſt ſchon drei Uhr, wenn ich ſo
fortſchreib, ich glaub ich brächt allerlei kurioſe Sachen
heraus, die mich ſelbſt verwundern. — Ich wittre ſchon
den Tag, mein Licht brennt ganz nüchtern. Ich ſollt
ſchlafen gehen, aber ich will Dir doch für einen ganzen
Tag zu denken geben weil Du allein biſt. — Aber jetzt
muß ich erſt von der Religion abſpringen und Dir was
dazwiſchen erzählen. — Du ſchreibſt, der Moritz hat
Dich im Kabriolet begegnet, ich bedanke mich, aber ich
hab grad auf vierzehn Tag wo ich noch hier bin ein
Gelübd gethan, und kann alſo Deiner Mahnung kein
Gehör geben, ſags ihm wenn Du ihn ſiehſt. — Der
Bernhards Gärtner iſt ein junger ſchlanker Mann, er
hat eine feingebogne Naſe, blaue Augen, ſchwarze Wim¬
pern, ſchwarze Haare und hat eine ſanfte Stimme —
zum wenigſten gegen mich, denn wie er letzt den Hund
wollt zurückhalten der mich anbellte, da hatte er eine
[271] ſehr kräftige Stimme. — Dem Moritz wird das wun¬
derlich vorkommen, aber mir iſt es keine Scheidewand,
weil er von der gebildeten Klaſſe überſehen wird. Ein
Menſch von Race müßte ſeine Race auch unter der
Sclaventracht wittern, aber das iſt die Unechtheit des
Adels, denn gewiß iſt daß das echte Blut zerſtreut iſt
in der Welt und viel ungeſtempelt herumläuft, und doch
will man nur das gelten laſſen was geſtempelt iſt, aber
das ſag ich Dir, ich halte alle Menſchen für unadelich
die ihre Race nicht erkennen auch im Kittel. — Der
Gärtner alſo, der mir immer Arbeit giebt Morgens früh,
Du weißt, — ich hab ihm die abgeblühten Federnelken von
den Rabatten geſchnitten, ich hab die Erdbeeren umge¬
ſetzt, ich hab die Reben ausgelaubt, ich hab das Geis¬
blatt binden helfen, ich hab die Pfirſich ſpaliert, ich hab
die Nelken geſtengelt, ich hab die Melonenräuber aus¬
gebrochen, und noch mancherlei anders hab ich immer
Morgens früh thun helfen wenn ich in der Früh zum
Mainufer lief, weil ich ſchreiben wollt oder dichten für
den Clemens, und es wollt nicht gehn, weil mir nichts
einfiel, weil die Natur zu groß iſt, als daß man in ih¬
rer Gegenwart ſich erlaubte zu denken, da hab ich denn
mit dem Gärtner lieber Erbſen gepflückt, als auf der
Lauer nach großen Gedanken — da hat mir der Gärt¬
[272] ner als immer einen Strauß verehrt, erſt recht ſchön
voll, und ſeltne Blumen, dann weniger und einfacher,
ich denk weil ich alle Tag kam es wär ihm zu viel,
aber zuletzt — es war grad am Tag wo ich Zuckererb¬
ſen brach, da gab er mir blos eine Roſe und — — —


Morgens.


Da hab ich ſo nachgedacht und bin drüber einge¬
ſchlafen. Die Roſe hab ich mit ins Bett genommen. —
Was ſoll ſie im Glas langſam welken — überall ſollt
man ein Heiligthum der Natur mit herumtragen, das
frei macht vom Böſen, wer kann in Gegenwart einer
Roſe nicht mit edlen Gedanken erfüllt ſein, ich habs
lieb das Röſchen mit dem ich geſchlafen hab, — es
war matt, nun hab ichs ins Waſſer geſtellt, es erholt
ſich. — Ich bin ſo dumm, ich ſchreib ſo einfältig Zeug
— der arme Gärtner. —

[273]

An die Günderode.

Der Jud kommt heut um fünf Uhr und ſagt er
hatt den Brief heut Morgen im Stift abgegeben und
hat nichts von Dir gehört, der ungeheure Eſel mußte
heute wie ein Windſpiel herumlaufen, er hätt müſſen
Paradiesäpfel zum Lauberhüttenfeſt einkaufen, da hätt
er nicht warten können, der Kerl ſah ſo närriſch aus,
aus ſeinem Sack guckten lange Palmzweige über ſeinen
Kopf, mit der einen Hand hielt er ſeinen langen Bart
feſt, mit der andern ſtellt er ſeinen langen Stab weit
von ſich und ſchwört immer bei ſeinem Bart, und keuchte
unter der Laſt; ich ließ ihn eine Weile ſtehen, ſo gut
gefiels mir ihn anzuſehen, ein Bild, wers verſtünd zu
malen. Diesmal haben alſo meine Religionsdepeſchen
wegen der Lauberhüttenangelegenheit nicht können be¬
fördert werden; — wenn Du nur geſund biſt, wie¬
der. — Heut Abend mußt ich mit der Großmama
ſpazieren gehen, am Kanal im Mondſchein. Sie er¬
zählte mir aus ihrer Jugendzeit, wie ſie noch mit dem
Großpapa in Warthauſen beim alten Stadion wohnte,
und wie der den Großpapa weit lieber gehabt als die
andern Söhne, und wie der ihn erzogen hat, gar wun¬
12**[274] derlich mit großer Sorgfalt, er ließ ihn als Jüngling
von nicht achtzehn Jahren ſchon eine große und aus¬
gebreitete politiſche Correſpondenz führen, er gab ihm
Briefe von Kaiſer und König, von allen Reichsverweſern
und Staatsbeamten aller Art zu beantworten, es kamen
Verhandlungen über alle mögliche Staatsangelegenhei¬
ten vor, Handel, Schiffahrt, alte Anrechte, neue For¬
derungen, Ländertheilung, Verräthereien, Umtriebe, Ge¬
fangennehmung großer Perſonen, Mönchs-Sachen, klö¬
ſterliche Stiftungen, Geldangelegenheiten, kurz alles,
was einem großen Staatsminiſter obliegt zu unterſu¬
chen und zu ordnen, dies alles beſprach der Stadion
mit ihm, ließ ihm ſeine Meinung drüber darſtellen —
Aufſätze darüber machen, dann mit eignem Beifügen von
Bemerkungen ließ er dieſe von ihm ins Reine ſchreiben,
Briefe an verſchiedne Potentaten ſchreiben, namentlich
führte er die Correſpondenz mit Maria Thereſia, zuför¬
derſt über Thronbeſteigung, über Mitregentſchaft ihres
Gemals, dann über die leere Schatzkammer, dann über
die Heereskraft des Landes, über Mißvergnügen des
Volks, über die Anſprüche von Baiern an die öſtrei¬
chiſchen Erblande, und wie die Kurfürſten wollten die
Erbfolge der Thereſia nicht anerkennen, über den Krieg
mit Friedrich dem Zweiten, mit England, Anträge um
[275] Hülfsgelder; Briefe an einen franzöſiſchen General
Belle-isle, dann ein Briefwechſel mit Karl von Lothrin¬
gen, mit dem Kardinal Fleuri, mit dem öſtreichiſchen
Feldherrn Fürſten Lobkowitz, dann endlich einen Brief¬
wechſel mit der Marquiſe de Pompadour, immer im In¬
tereſſe der Kaiſerin, dieſe letzte Correſpondenz war erſt
ins Galante und endlich ganz ins Zärtliche übergegan¬
gen, es kamen Briefe mit Madrigalen als Antwort
worauf der Großpapa im Namen Stadions wieder in
franzöſiſcher Poeſie antworten mußte, da habe der Gro߬
papa manche Feder zerkaut, und der Stadion habe ihm
gelehrt die Politik mit einfließen zu laſſen, und hat
Anſpielungen machen müſſen auf Reize, auf blonde und
braune Locken, — und dem Stadion iſts häufig nicht
zärtlich genug geweſen. Die Antworten ſind dann mit
großer Freude vom Stadion ihm mitgetheilt worden,
beſonders wenn ſie Empfindlichkeit für des Großpapas
Galantrieen hatten ſpüren laſſen, da hat der Stadion
ſo gelacht und ihn angewieſen wie die feinſte Delica¬
teſſe zu beobachten ſei. — Und endlich einmal, als nach
der Thronbeſteigung der Maria Thereſia und ihrer Krö¬
nung als Kaiſerin, die Gratulationen abgefertigt waren,
an ſeinem einundzwanzigſten Geburtſtage, da ſchenkte
Stadion dem Laroche einen Schreibtiſch worin er alle ſeine
[276] Briefe in drei Jahren geſchrieben, die er über Land
und Meer gegangen wähnte, noch verſiegelt wiederge¬
funden, und die Antworten, welche von Stadion ſelbſt
erfunden waren und von verſchiedenen Secretairen ab¬
geſchrieben, dazu, und er ſagte ihm daß er ihn ſo habe
zum Staatsmann bilden wollen. Dies hat den Gro߬
papa erſt ſehr beſtürzt gemacht, dann aber ihn tief ge¬
rührt, und hat dieſe Briefe als ein heilig Merkmal
von Stadions großem liebevollem Geiſt ſich aufbewahrt.
Die Großmama hat dieſe Briefe noch alle und will mir
ſie ſchenken. — Sie war geſprächiſch heut, ſie wird alle
Tage liebevoller zu mir, ſie ſagt, mir erzähle ſie gern,
obſchon manches in die Erinnerung zu wecken ihr ſchwer
werde; ſie ſprach viel von der Mama, von ihrer Anmuth
und feinem Herzen, ſie ſagte: Alles was Ihr Kinder
an Schönheit und Geiſt theilt das hat Eure Mutter
in ſich vereint; und dann hat ſie zu ſehr geweint um
von ihr weiter zu ſprechen, die Thränen erſtickten ihre
Stimme. — Sie legte die Hand auf meinen Kopf wäh¬
rend ſie ſprach, und als der Mond hinter den Wolken
hervorkam da ſagte ſie — wie ſchön Dich der Mond
beleuchtet, das wär ein ſchönes Bild zum malen. —
Und ich hatte in demſelben Augenblick auch den Gedan¬
ken von der Großmama, es war gar wunderlich wie
[277] ſie unter einem großen Kaſtanienbaum mir gegenüber¬
ſtand, am Kanal, in dem der Mond ſich ſpiegelte, mit
ihren großen ſilberweißen Locken ihr ums Geſicht ſpie¬
lend, in dem langen ſchwarzen Grosdetourkleid mit
langer Schleppe, noch nach dem früheren Schnitt der
in ihrer Jugendzeit Mode war, lange Taille mit einem
breiten Gurt. Ei wie fein iſt doch die Großmama, alle
Menſchen ſehen gemein aus ihr gegenüber, die Leute
werfen ihr vor ſie ſei empfindſam, das ſtört mich nicht,
im Gegentheil findet es Anklang in nur und obſchon ich
manchmal über gar zu Seltſames hab mit den andern
lachen müſſen, ſo fühl ich doch eine Wahrheit meiſtens
in Allem. — Wenn ſie im Garten geht, da biegt ſie
alle Ranken wo ſie gerne hinmöchten, ſie kann keine
Unordnung leiden, kein verdorbenes Blatt, ich muß ihr
alle Tage die abſterbenden Blumen ausſchneiden, geſtern
war ſie lange bei der Geisblattlaube beſchäftigt, und
ſprach mit jedem Trieb: „Ei kleins Äſtele wo willſt
du hin,“ und da flocht ſie alles zart in einander und
bands mit rothen Seidenfaden ganz loſe zuſammen und
da darf kein Blatt gedrückt ſein, „alles muß fein ſchnaufen
können“ ſagte ſie — und da brachte ich ihr heute Morgen
weiße Bohnenblüthen und rothe, weil ich ihr geſtern eine
Scene aus ihrem Roman vorgeleſen hatte, worin die
[278] eine Rolle ſpielen, ſie fand ſie auf ihrer Frühſtückſtaſſe.
Sie ließ ſich aus über das friſche Rubinroth der
Blüthe, hielts gegens Licht und war ergötzt über die
Gluth — mir iſts lieb wenn ſie ſo ſchwäzt — ich
ſagt ihr, ſie komme mir vor wie ein Kind, das alles
zum erſtenmal ſehe. — „Was ſoll ich anders als nur ein
Kind werden, ſind doch alle Lebenszerſtreuungen jetzt
entſchwunden die dem Kinderſinn früher in den Weg
traten, ſo beſchreibt das Menſchenleben einen Kreis und
bezeichnet ſchon hier daß es auf die Ewigkeit angewie¬
ſen iſt, ſagte ſie, jetzt wo mein Leben vollendet ſo gut
als mirs der Himmel hat werden laſſen — ſo viel der
ſchönen Blüthen ſind mir abgeblüht, ſo viel Früchte
gereift, jetzt wo das Laub abfällt da bereitet ſich der
Geiſt vor auf friſche Triebe im nächſten Lebenskreislauf,
und da magſt Du ganz recht ahnen.“ — Ach Günde¬
rode, ich will auch erſt wieder ein Kind werden eh ich
ſterb, ich will einen Kreis bilden, nicht wie Du willſt,
recht früh ſterben, nein, das will ich nicht, wo iſts ſchö¬
ner als auf der ſchönen Erde, und dann als Kind,
wos am ſchönſten iſt, wieder hinüber wo die Sonne
untergeht. Die Großmama erzählte auch noch eine
ſchöne Geſchichte die ich dir hierher ſchreiben will, weil
ich ſie nicht gern vergeſſen, möchte, von dem Vater des
[279] Stadion, der habe einen Löwen gehabt der ſey zahm
geweſen, der habe Nachts an ſeinem Bett geſchlafen,
da ſei er eines Morgens aufgewacht weil ihn der Löwe
gar hart an der Hand leckte, da war er von ſeiner
rauhen Zunge bis aufs Blut geleckt, und dem Löwen
hat das Blut ſehr gut geſchmeckt, der Stadion hat
ſich nicht getraut die Hand zurückzuziehen und hat,
mit der andern Hand nach einer geladnen Piſtol ge¬
griffen die am Bett hing, und dem Löwen vor dem
Kopf abgedrückt. — Und als die Leut auf den Lärm
hereingedrungen waren zu ihrem Herrn, da hat der
Stadion über dem todten Löwen gelegen und ihn um¬
halſt und ihn ganz ſtarr angeſehn, und hat einen
großen Schrei gethan, „ich hab meinen beſten Freund
gemordet,“ und da hat er ſich mehrere Tage in ſein
Zimmer eingeſchloſſen, weil es ihn ſo ſehr gekränkt hatte.
— Ach ich hätte dies Thier lieber nicht umgebracht, und
hätt auf ſeine Großmuth gebaut, ob der Löwe mich
gefreſſen hätt, ich glaubs noch nicht, und mir wär lie¬
ber geweſen die Geſchicht wär nicht ſo ausgegangen. —
Sie erzählte noch manches von ihm, was ſeine große
Gegenwart des Geiſtes bewieß, und ſprach ſo weiſe
über dieſe große Eigenſchaft, daß ich ganz verſunken
war im Zuhören; ſie ſagte, daß die Menſchen als lang
[280] ſich abmühen was Genie ſei, ſie kenne kein größeres
Genie als in dieſer Macht über ſich ſelber, und daß
die endlich über alles ſich ausbreite, da man alles be¬
herrſchen könne wenn man ſich ſelber nicht mit Zaum
und Gebiß durchgehe, „wie Du, kleines Mädele“, ſagte
ſie zu mir, „ſo ſteil hinanſprengſt mit den Füßen wie
mit dem Geiſt und der Großmama Schwindel machſt“;
— und wenn je große Herrſcher geweſen, ſo wären ſie
durch dieſe Geiſteskraft allein hervorgebildet worden,
die ſie in einem früheren Leben genöthigt waren zu
üben. — Die Großmama glaubt, die Seele, das We¬
ſen des Menſchen gehe aus einem Geiſtesſamen in
ein ander Leben über, dieſer Same ſei was er wäh¬
rend einem Leben in ſich reife, und dann ſich durch all¬
mählige Erkenntniß, durch geübtere Fähigkeiten immer
in höhere Sphären erzeuge. Dann erzählte ſie mir von
dem Ahnherrn unſeres Großvaters, der im dreißigjähri¬
gen Krieg ſei auf dem Schlachtfeld gefunden, bei Dutt¬
lingen, wo die Franzoſen eine große Niederlage erlit¬
ten, als Fahnenjunker die Fahne um den Leib gewik¬
kelt, und die Stange durch Bruſt und Leib geſtoßen
und eingehauen, und ſein Bruder auch todt über ihm
gelegen, der hat die Fahne ſchützen wollen, und mit
[281] ſeinem Leben bezahlt; ſie waren in franzöſiſchen
Dienſten, das hat der große Condé geſehen und
geſagt: ferme comme une roche, da ſie ſonſt Frank
von Frankenſtein geheißen, ſo haben ſie jetzt ſich ge¬
nannt Laroche, weil der König der Wittwe ſeines
Bruders der auch in jenem Gefecht geblieben, ein
Landgut im Elſaß geſchenkt hat und ihnen drei Fah¬
nen zu dem Fels ins Wappen gegeben, über dieſe letzte
Geſchichte hab ich meine eigne Betrachtungen angeſtellt,
eine ſo einfache und doch ſo große Handlung hab ich
mir im Geiſt dargelegt, er war Fahnenjunker dieſer
Ahne von mir, und haben eine unſterbliche That ge¬
than, beide Brüder, indem ſie die Fahne zu der ſie ge¬
ſchworen treu vertheidigten, und ließen ihr Leben dafür,
da der Junker die Fahne ſich um den Leib gebogen und
ſo den Tod fand, ſo ſchützte ſie ſein Bruder der Wacht¬
meiſter war, noch im Tod mit ſeinem Leib, und retteten
dem Heer die Fahne des Condé, daß ſie nicht als
Siegeszeichen in die Hände des kaiſerlichen Tilly komme,
obſchon ſie von Geburt Deutſche waren. — Ein Schwur
muß doch Erwecker einer großen Kraft im Menſchen
ſein, und die gewaltiger iſt wie das irdiſche Leben. —
Ich glaub, alles was gewaltiger iſt wie das irdiſche
[282] Leben, macht den Geiſt unſterblich. — Ein Schwur iſt
wohl eine Verpflichtung, eine Gelobung das Zeitliche
ans Geiſtige ans Unſterbliche zu ſetzen — da hab ichs
gefunden was ich mein was der innerſte Kern unſerer
ſchwebenden Religion ſein müßt. — Ein jeder muß
ein inneres Heiligthum haben dem er ſchwört, und wie
jener Fahnenjunker ſich als Opfer in ihm unſterblich
machen — denn Unſterblichkeit muß das Ziel ſein, nicht
der Himmel, den mag ich denken wie ich will ſo macht
er mir Langeweile, und ſeine Herrlichkeit und Genuß
lockt mich nicht, denn die wird man ſatt, aber Aufopfe¬
rung und Noth die wird man nicht müde. — Und im
Glück, im Genuß wird der Menſch nicht wachſen, in
dem will er immer ſtille ſtehen. Und was iſt denn das
wahre das einzige Fünklein Glück was von dem gro¬
ßen Götterheerd herüber ſprüht ins Leben? — Das iſt
Gefühl, daß Bedrängniß das Feuer ans dem Stahl im
Blut ſchlägt, ja das iſts allein; — die geheime innerliche
Überzeugung der lebendigen Mitwirkung aller Kräfte,
daß alles thätig und raſch ſei in uns, einzugreifen mit
dem Geiſt, und die eigne irdiſche Natur wie ihr Beſitz¬
thum und Alles dran zu ſetzen. — Nun wohl, geiſtige
Kraft die die irdiſche zum eignen Dienſt verwendet, die
iſt das einzige menſchliche Glück. — Ja ich glaub
[283] Beſitz iſt nur inſofern Glücksgüter zu nennen, als ſie
uns gegeben ſind damit wir ſie verläugnen können um
der höheren Bedürfniſſe der inneren Menſchheit willen.
— Dies Verläugnen, dies Dahingeben, daß es durch
jene Glücksgüter in die Hand gegeben iſt, uns über ſie
hinaus zu ſchwingen, das deucht mir göttliche Gabe,
ach! ach! die laſſen wir aber fallen; wir laſſen die
Begeiſterung, die im Göttertrank des Glücks unſre
Sinne durchrauſchen dürfte — und fürchten uns davor,
und wenn wir ſchon lüſtern wären, doch deucht es ge¬
fährlich wie ein Gott trunken den Becher in die Weite
hinzuſchleudern wenn er ausgetrunken iſt. — Merks,
zu unſerer ſchwebenden Religion gehört das auch daß
wir den Wein den Göttern trinken und trunken die
Neige mit ſammt dem Becher in den Strom der Zeiten
ſchleudern. — So iſts, ſonſt weiß ich nichts was glück¬
lich wär zu preiſen als nur Thatenfroh immer Neues
ſchaffen, und nimmer mit Argusaugen Altes bewachen.
— Außerdem wüßt ich nichts was mich anfechte, was
ich möcht ſein oder haben als nur mit meinem Geiſt
durchdringen. — Von mir ſoll niemand hören ich ſei
unglücklich, mags gehen wies will, und was mir begeg¬
net im Lebensweg das nehm ich auf mich als ſeis von
Gott mir auferlegt. Merks wieder, das gehört auch
[284] noch zu unſerer ſchwebenden Religion — und mein in¬
neres Glück das mach ich mit den Göttern ab. Dieſe
Momente, wo ein Gefühl: Göttertriebe ſeien in uns
wach, dem Stolz das Gefieder aufblättert, daß die Ge¬
danken Reſpekt vor uns haben, die Gemeinen, — und uns
aus dem Weg gehen. Ach das iſts — dann ſteigt man
allein auf die Berggipfel und athmet die Lüfte ein im
Nachtwind, in denen der Genius uns anhaucht vor Luſt
und Dank daß er ohne Sünde, ohne Verläugnung
wiedergeboren ward in uns; und dann weiht man aufs
neue ſich ihm und verſchwiſtert ſich mit ſich ſelber, al¬
les zu tragen, zu dulden. Nichts iſt zu klein was
ſolche große Seelenkräfte in Anſpruch nimmt, denn eben
dieſe zu üben iſt ja das Große; und verſäumen kann
man nicht das Höhere um das Geringere, denn eben
daß an das Geringe alle Seelenkraft gewendet werde,
mit Fürſorge gleich der des Lebenſpenders, das iſt das
wahre Opfer was uns göttlich macht. „Man muß al¬
les dem lieben Gott überlaſſen“ ſagen die guten Chri¬
ſten — ja wohl, von ihm nehme ich an was er mir
zuerſt entgegenſendet, wozu die erſte Regung meines
Geiſtes mich mahnt, und laß aus dem Zeitenſtrom mich
dahinſchwimmen den er mir geſchenkt, und ob ich da
früheres verſäume oder größeres, das kann ich nicht
[285] wiſſen, und wenns ein Bienchen wär daß ohne meine
Hülfe ertrinken müßte ſo reich ich erſt den Zweig ihm
ſich zu retten, das iſt das Fundament von meinem in¬
nerlichen Glück, überhaupt was ſollt ich doch um irdiſch
Glück für Noth haben, es ficht mich nicht an. Soll
ſich einer glücklich preiſen, ich müßt ihn auslachen. —
Sagt mir einer dir geſchieht nichts, die Tage gehen
vorbei, und kannſt dein Wirken nicht vereinen mit der
Zeit, ſie will nichts von dir, und läuft ihren Weg, ſie
hat taube Ohren im Gebrauſe aller deren jeder einer
für ſich ſorgend ſeine Stimme will geltend machen und
ſich durchfechten. Nun das iſt mir nichts. — Ob han¬
delnd oder fühlend, tiefempfindend mit dem Genius um¬
gehen, das iſt daſſelbe, was iſt denn Handlen anders
als fühlbar werden das Rechte, und es thun. Handlen
iſt nur der Buchſtabe des Geiſtes, es iſt noch nicht
ſo ſüße als die heimliche himmliſche Schule des
Geiſtes. Wo ich auch hinaus denk, mir deucht nichts
glücklicher als im Schatten liegen jener großen Linde
unter ihren fallenden Blüthen, und durch ihr rauſchend
Gezweig dem Geliebten entgegen lauſchen, dem heiligen
Geiſt. Der iſt mein Geliebter, der kommt und beſucht
mich jetzt in der heißen Jahreszeit, wenn ich im Boskett
lunze, und es regnet Lindenblüthen auf mich mit jedem
[286] leiſen Lüftchen. Ach er macht kein Weſen von der
Weisheit, von Gottesgelahrtheit, von Tugend, von Re¬
ligion. — Ich bin ihm recht wie ich bin, er lacht mich
aus wenn ich belehrt ſein will und bläſt mich an; —
da haſt du Weisheit, ſagt er. — Dann ſpring ich auf
und glüh im Geſicht von ſeinem Hauch — ich lauf ins
Haus, ich denk, wie bin ich doch glücklich! — ich
werf mich auf die Erd mit dem Angeſicht und küß die
Erde. Das iſt mein Gebet — wie ſoll ich ihn umfaſ¬
ſen als blos wenn ich die Erde küß? — Einſam —
bin ich nicht — iſt der Schatz überall, — die dritte
Perſon in der Gottheit überall; auch im Blumenſtrauß
vom Gärtner der an meinem Bett ſteht vom Mond
beleuchtet in der Nacht, wenns alles ſtill iſt und tief
ſchläft alles, und kein Licht mehr brennt in den Nach¬
barhäuſern, da fangen dieſe bunten Farben das Mond¬
licht auf; — wenn ich den anſeh, dann ſag ich: „gelt
das iſt deine Rede zu mir heiliger Geiſt, dies Farben¬
ſpiel in den Blumen?“ — das läugnet er nicht daß ich
ihn verſteh. Dir kann ichs alles ſagen denn durch
Dich hab ich ihn faſſen gelernt, wenn ich Dir gegen¬
über ſaß und Du laſeſt mir vor am Morgen was Du
am Abend gedichtet hatteſt, da ſah ich mich immer nach
Dem um der Dirs wohl vorbuchſtabirt hätt, der
[287] Klang der riß mich hin, ich ahnte es war der Geiſt der
auch mir begegnet draus wenn ich auf der Höhe ſteh,
und er braußt von Ferne daher, beugt die Wipfel auf
und nieder, und kommt näher und näher und fährt
grad auf mich zu — umſchlingt mich! wer ſolls ſein?
— wer kanns wehren? — ich fühl ſeine Weisheit, ſeine
Liebe iſt Rhythmus. — Was iſt Rhythmus? — Wi¬
derhall der Gefühle am großen Himmelsbogen, daß es
ſchallt! — zurück! macht ſich uns hörbar, was wir
fühlten, daß es zärtlich anſchlägt ans Ohr der Seele
bis tief ins Herz, das iſt Rhythmus, das iſt der heilige
Geiſt, aus der eignen Gedankenkelter giebt er uns zu
trinken, ſüßen Moſt, der ſüße heilige Geiſt.


Am Mittag.


Ach Günderode, ich weiß was das iſt, die Welt¬
ſeele, ich hab oft gedacht, was doch ſo braußt wenn
ich ganz allein ſitze in der Mittagsſonne, denn da iſt
das Brauſen am ſtärkſten: das iſt mein Geliebter der
unter der Linde mit mir iſt und im Abendwind. — Der
heilige Geiſt iſt die Weltſeele. — Er berührt alles, er
weckt von den Todten auf, und hätt ich ihn nicht, ſo
wär alles todt. — Und Leben iſt Leben wecken, ich war
verwundert als der Geiſt mirs ſagte. — Ich beſann
[288] mich ob ich Leben wecke oder ob ich todt ſei. — Und
da fiel mir ein, daß Gott ſprach: Es werde, und daß
die Sprach Gottes ein Erſchaffen ſei; — und das
wollt ich nachahmen. Ich ging am Mainufer am Abend,
ich ſah in der Ferne den blauen Taunus, und ſah ihn
drauf an daß er lebendig ſolle werden. Wie bald war
mein Wille erfüllt! Du hätteſt ſehen ſollen und fühlen
den Strom lebendigen Athems der herüberwallte von
ihm auf mich, wo ich ſaß. Die Schwalben kamen
vorausgeflogen, die Nebel ſtiegen herab, die Abendſtrah¬
len überleuchteten ihn flüchtig und die Wieſen am Ab¬
hang, die Blumengärten alles ſtrömte er hinab aus
ſeinem Thalſchooß mir zu, und enthüllte ſich vor mir
daß der Blick ihn deutlich faſſen konnt, wie ſah mein
Aug gewaltig. — Aha! — ſonſt hab ich weiter nichts
gedacht, er war mir der langerwartete, innigbekannte
Geliebte! — ſo wandelt ſich denn der Geiſt in alles
was ich mit Leben- weckendem Blick anſeh. Und keiner
wird mir begegnen mich zu lieben, es iſt der heilige
Geiſt der aus ihm zu mir ſpricht. — Ach ja! — ich
kann von Glück ſagen! — Seelenlauſchen! himmliſche
Grazie! Du trägſt mich ins Liebesbett, auf den grünen
Raſen. — Was du weckſt, das weckt dich wieder, — und
was uns weckt, das iſt der heilige Geiſt, der an ferne
Gi¬[289] Gipfel über den Nebeln mir aufſtieg, denn weil ich gern
mit Augen ihn ſehen wollt. — Wie vertiefte ſich doch
mein Blick in ihn, und merkte nichts vom Abenddun¬
kel und daß er mich im Schleier fing der Nacht
und ganz drinn einwickelte. Ja wecke Du das Leben
ſo iſts gleich ſelbſtſtändig und überrumpelt Dich. Und
Du gehörſt ihm ſtatt das es dein gehöre. — Ich hab
aber noch was ganz anders im Schild, das will ich
Dir hier ſagen: ſtärker die Gewalt je lebendiger iſt
ſie, drum iſt Schönheit der lebendige Geiſt, denn ſie
weckt allein Leben, — alles andre weckt den Geiſt nicht.
Ach wie ſchmachtet doch die Seele nach Schönheit,
nach Leben, — die Schönheit iſt Lebensnahrung der Seele.
Das ganze Unglück iſt wenn nicht alles Schönheit um
uns iſt, da ſtirbt alles ab, und auch für die Ewigkeit
iſt alles verloren was nicht Keim der Schönheit iſt.
Sehnſucht iſt Schönheitskeim der ſich entfaltet. —
Sehnſucht iſt inbrünſtige Schönheitsliebe.


Heute Nachmittag brachte der Büri der Gro߬
mama ein Buch für mich — Schillers Äſtetik — ich
ſollts leſen meinen Geiſt zu bilden; ich war ganz
erſchrocken wie er mirs in die Hand gab als könnts
mir ſchaden, ich ſchleuderts von mir. — meinen Geiſt
13[290] bilden! — ich hab keinen Geiſt, — ich will keinen eig¬
nen Geiſt; — am Ende könnt ich den heiligen Geiſt
nicht mehr verſtehen, — Wer kann mich bilden außer
ihm. — Was iſt alle Politik gegen den Silberblick der
Natur! — Nicht wahr das ſoll auch ein Hauptprin¬
zip der ſchwebenden Religion ſein daß wir keine Bil¬
dung geſtatten, — Das heißt kein angebildet Weſen,
jeder ſoll neugierig ſein auf ſich ſelber, und ſoll ſich zu
Tage fördern wie aus der Tiefe ein Stück Erz oder
ein Quell, die ganze Bildung ſoll darauf ausgehen daß
wir den Geiſt ans Licht hervorlaſſen. Mir deucht mit
den fünf Sinnen die uns Gott gegeben hat könnten
wir alles erreichen ohne dem Witz durch Bildung zu
nahe zu kommen. Gebildete Menſchen ſind die witzlo¬
ſeſte Erſcheinung unter der Sonne. Echte Bildung geht
hervor aus Übung der Kräfte die in uns liegen, nicht
wahr? — Ach könnt ich doch alle Ketten ſprengen die
uns daran hindern jeder innern Forderung Genüge zu
leiſten; — denn dadurch allein würden die Sinne in
ihre volle Blüthe aufbrechen. —


Ich leſe eben meinen Brief durch und wundre mich
über den Paradegaul von prahleriſchen Gedanken der
drinn an der Leine im Kreis läuft. — Ein philoſophi¬
[291] ſcher Harttraber, ich fühl mich nicht bequem wenn ich
ihn reite, was kommt mir doch ſo viel in den Kopf
was ich ſelbſt gar nicht wiſſen mag, — könnt ich nur
immer von der Himmelsleiter des Übermuths herab un¬
ter die Philiſter ſpeien. — Gute Nacht — das iſt der
vierte Tag wo ich nichts von Dir weiß, jetzt wenn Mor¬
gen kein Brief kommt ſo frag Dich doch ſelber was
ich dann denken ſoll. —

An die Bettine.

Geſtern Abend kam ich von Hanau, wo ich drei
Tage in proſaiſchen Geſchäftsaufträgen verbrachte, Deine
zwei Briefe lagen auf meinem Kopfkiſſen, und einer
von Clemens der nach Dir frägt, weil er die ganze
Zeit nichts von Dir gehört habe, keine Antwort auf
mehrere Briefe. Er meint Du könnteſt krank ſein, haſt
Du ihm denn gar nicht geſchrieben? — verſäume doch
nicht gleich zu ſchreiben, er frägt nach Deinen Studien
und meint Dein Generalbaß-Eifer von dem Du mit ſo
viel Begeiſtrung ihm geſchrieben, ſei wohl auch wieder
ins Stocken gerathen. Ich ſoll Dein faſelig Weſen
13*[292] zur Beſonnenheit bringen, und ſchilt mich einen Fa¬
ſelhans, und klagt mich an ich verſäume Dich, ich
mache mir ſelber Vorwürfe und kann doch nach al¬
lem Überlegen zu keinem beſſeren Reſultat kommen als
eben Dich ganz Dir ſelber überlaſſen. — Der Clemens
meint Du habeſt ein enormes Talent zu jeder Kunſt,
und es müſſe die Steine am Wege erbarmen Dich ſo
dahin ſchlampen zu laſſen, Deine Selbſtzufriedenheit
hänge davon ab daß Du Dich mit Leib und Seel ein¬
mal dran gebeſt, es ſei der Schlüſſel Deines ganzen
Lebens. — Ich darf ihm nicht ſagen daß Du ein Reli¬
gionsſtifter biſt, und die ganze Menſchheit auf Dich
genommen haſt, und willſt ſie laſſen von der Luft le¬
ben, und bildungslos dahertappen, und willſt nichts
Gekochtes mehr eſſen, von lauter rohen Moorüben und
Zwiebel leben, und die Bratſpieße alle zum Teufel wer¬
fen, und Dir das ganze Taunusgebirg zur Geſellſchaft
bitten und daß Deine Religion ſchweben ſolle, und daß
Du in dem Gärtner einen adeligen Herrn entdeckt haſt,
das darf ich ihm doch alles nicht ſagen. Was ſoll ich
ihm denn ſagen? — Da helf mir doch einmal ein bischen
drauf. —Der raſche Wechſel von Anregungen in Deinen
Briefen würden dem Clemens die Haare zu Berge ſte¬
[293] hen machen, und Dein zärtlicher Umgang mit dem hei¬
ligen Geiſt, wie Du das nennſt, den Du gleich einem
Jagdhund witterſt, das würde ihm unſägliche Sorgen
machen. Er frägt mich was Du mir ſchreibſt, denn er
wiſſe, daß ich enorm lange Briefe von Dir bekomme.
Wo er das her weiß das iſt mir ein Räthſel, ich hab
mit Niemand davon geſprochen. Ich mein daß der Cle¬
mens recht hat, denn wenn du auch ein neues Leben
ausgefunden haſt indem Du mit Dir ſelber zuſammen¬
triffſt, wie Du ſagſt, ſo mußt Du doch auch füh¬
len: ſo gut wie in jenen Naturerſcheinungen, die Dein
Genius, wie Du meinſt, benutzt, um zu Dir zu gelan¬
gen, ſo würde er jede Kunſt wohl auch benutzen dazu,
wenn Du ihm nur die Pforte öffnen wollteſt, aber der
Arme! ich glaube Du würdeſt ihn eher zerquetſchen ehe
Du ihn da durch ließeſt. — Was Dich einen Augenblick
anregt, wozu ſich wirklich Dein Feuer ſammelt, das
zerſtreueſt Du mit allem Fleiß wieder, und giebſt es
den vier Winden preiß. Du kannſt nicht läugnen
daß die Muſik mit allem was Anregung in Dir
bedurfte übereinſtimmt. Du haſt mir ſelber geſchrie¬
ben, Dein eigner Lebensgeiſt rufe Dir immer zu, eine
Geige nimm, und verſtärke den Strom der Harmonieen,
[294] ſonſt kannſt Du nimmer glücklich werden. Dies wars
oder doch was ganz ähnliches, was Du mir vor vier
Wochen geſchrieben, und daß Du fühleſt die Muſik
ſei der Urgeiſt aller Elemente, und ſie allein wecke den
Geiſt im Menſchen, und Geiſt könne nur Muſik ſein,
und was dergleichen prahleriſche Gedanken mehr wa¬
ren die wie ich ſehe aber gänzlich aus Deinen Kopf
verſchwunden ſind. — Wo iſt nun Dein muſikaliſcher
Urgeiſt jetzt hin? — ich will Deinem Lebensweg gar
nicht in den Weg treten, aber daß Du dem Geiſt der
Dir auf geheimen Wegen entgegen kommt, den Du ſo
liebſt daß Du meinſt in allem ſei nur Er es den
Du je lieben werdeſt, daß Du dem zu Lieb nicht einmal
eine Kunſt üben willſt, Dich zu nichts anſtrengen, kein
Buch leſen; nur ſpazieren gehen, auf Dächer klettern und
über die Hecken auf Nebelpfaden umherſchweifen, ſchwe¬
bende Religionen zu erfinden, das iſt ein wahrer Jam¬
mer! wie gerne wollte ich alles an Dir verſuchen was
Clemens als meine Pflicht mir vorhält, aber Du ſtehſt
mir ja doch nicht Rede, und haspelſt wie ein Schmet¬
terling über Dich ſelber hinaus. — Wie lang bleibſt
Du noch draußen. — Die Tonie läßt Dir ſagen, ſie
werde Dich am Mittwoch abholen Abends um halb
[295] neun Uhr, auf einen Ball den der Moritz in Nieder¬
rath giebt, ſie conſultirte mit Marie und Claudine
über Deine Kleidung, weil Du keinen Ballanzug in
Offenbach haſt, eine weiße Krepp-Tunika eine breite
blaue Schärpe und blaue Achſelſchärpe, meinte Clau¬
dine, und was auf den Kopf? — Du trügeſt nichts
auf dem Kopf, meint die Marie — ich will aber doch
diesmal Dich auffordern daß Du Dir einen Kranz
von Aſchenkraut aufſetzeſt, das muß gar gut ſtehen,
der Moritz will Dir einen Strauß ſchicken. Heut ha¬
ben wir Samſtag, am Mittwoch alſo wenn Du nicht
abſchreibſt.

An die Günderode.

Ich ſchreib nicht den Ball ab, ich freu mich recht
drauf, ich bin jetzt ſchon vier Wochen recht vergnügt
hier, und will auch durchaus noch bei der Großmama
bleiben bis die Tante aus dem Bad kömmt, wir haben
uns gar ſehr ineinander gewöhnt die Großmama und
ich, ich hab ſie um Erlaubniß gefragt ob es ihr nicht
[296] unlieb ſei wenn ich auf den Ball gehe. Sie ſagt nein
gut Mäuschen, haſt lang genug hier ausgehalten,
wann kommſt Du wieder? — Denn Du wirſt doch
wohl den andern Tag in Fr. bleiben? — ich ſagte ich
wolle noch in der Nacht wieder herauskommen, denn
ich ſah ihr an das ſie fürchtete ich möchte in der Stadt
bleiben, und das könnt leicht kommen: daß die Brü¬
der mich dann nicht wieder herauslaſſen, und ich will
doch nicht eher fort bis die Großmama ſelber will und
nicht mehr allein iſt, richte es alſo mit Tonie und Ma¬
rie ſo ein daß die zuſammen fahren und ich mit dem
George ſeinem Gick herausfahren kann, denn ich fürcht
mich nicht vor der Nachtluft, das weißt Du ja daß
das ein Geſetz iſt in unſerer ſchwebenden Religion. —
Und Dein fürchterlich Gebrummel, davor fürcht ich mich
gar nicht, denn ich weiß doch daß es Dir grad ſo ge¬
fällt, und mach dem Clemens weis was Du willſt aber
ſag ihm nichts wieder aus meinen Briefen; wers ihm
geſagt hat daß ich Dir ſo lange Briefe ſchreib, das
war der St. Clair, dem haſt Du ein Stück aus meinem
längſten Brief gezeigt und abgeſchrieben, wenn er ihm
nur nicht auch vom Inhalt geſprochen oder ihm gar
mitgetheilt hat, dann weiß ich gewiß daß mich der
Clemens lang anſehen wird, und wird mit Fragen hin¬
[297] ten herum kommen, ich weiß gewiß er wird allerlei Ku¬
rioſigkeiten fragen, und ſo lang über mich hinausfah¬
ren ins Kreuz mit Segenſprüchen, um mich von der
Behexung los zu machen. Wie ich Dir ſag, mit dem
Clemens führ ich ein ganz ander Leben, es iſt ein an¬
der Regiſter das da aufgezogen iſt wenn ich an ihn
ſchreib, es hat gar denſelben Ton nicht wie mit Dir.


Es iſt noch nicht aus mit der Muſik, es ſind noch
keine erſtarrten Grillen. Ich bin aufrichtig, und die
einzige Tugend der Wahrheit geht durch mein Nerven¬
ſyſtem, alles iſt in ihr aneinander gereiht wies menſch¬
liche häusliche Leben in meinem Geiſt. Wenn ich Dir
den großen Einfluß den die Muſik auf mich hat zu
verſchiedenenmalen mitgetheilt hab, ſo kannſt du den¬
ken daß ich dabei nicht ſtehen blieb, allein wenn man
Wege betritt die noch zu keinem Ziel geführt haben,
wo alles noch wüſte iſt, noch keine Löſung hat, noch
ſelber mir nicht einleuchtet, was kann ich da viel ſpre¬
chen. — Die Bekanntſchaft mit dem innern Leben ei¬
ner Muſik wird von den Virtuoſen ganz auf eine
Weiſe gemacht die bloß auf Auseinanderſetzung ih¬
rer einzelnen Theile geht, und ſie wiſſen ſich recht viel
mit ihrer gelehrten Unterhaltung darüber; ſie wirbelt mir
13**[298] auch nicht, wie ein blauer Dunſt durch den Kopf, — mir
geht noch zugleich ein romantiſch oder geiſtig Bild da¬
bei auf, das eine giebt mir Stimmungen, das andre wohl
Offenbarungen, — erſt geſtern wurde im Bosket unter
verſchiedener neuer Muſik die mich gar nicht anregte,
eine Symphonie aufgeführt von Friedrich dem Zweiten.
Gleich vorne ſteigt er mit klirrenden Sporen in Steifſtie¬
feln muthig auf, von allen Seiten her tönts ihm wieder
er müſſe keck über die ſchüchterne Menſchheit weggalo¬
piren, und bald macht er ſich kein Gewiſſen mehr draus;
nur die einzige Muſe, die Tonkunſt, tritt ihm feſt ent¬
gegen, ſein Roß hat ihn in die einſamſte Öde getra¬
gen, fern von den Menſchen die er wie eine Koppel
Hunde mit einem Pfiff lenkt. Hier ſinkt er vor der
einzig Übermächtigen nieder, hier bekennt er die weite
Leere ſeines Gemüths, hier will er Balſam auf alle
Wunden gelegt haben, ungeduldig und zärtlich, de¬
muthsvoll küßt er die Spuren ihres Wandels, und mit
Vertrauen beugt das gekrönte Haupt ſich unter ihrem
Segen. — Gereinigt, getröſtet, wie wenn nichts geſche¬
hen wär mit ihm, kehrt er aus dieſem Flöten-Adagio
wieder zu den Seinigen in das brillante Geklirre der
Violinen und Hoboen zurück. — Ich aber ſpürs was
[299] die Kunſt für Weisheit übt. Wo keine Hand hinreicht,
wo keine Lippe ſich öffnet, kein Gedanke ſich hinwagt,
da tritt ſie als Prieſterin auf, und das Herz bricht vor
ihr, legt flehend ſeine Bekenntniſſe dar, will jedes Fehls
ſich zeihen, will ganz im Buſen ihr aufgenommen ſein.
Ja Muſik — ſie ſchrotet Gold und Stahl, kein Helm
ſitzt ſo feſt auf dem Haupt, und kein Harniſch auf
der Bruſt, ſie dringt durch, und es gelobet ſich Ihr
der König wie der Vaſall.


Wie aber iſts mit der Symphonie von Beethoven
die gleich drauf folgte? — Willſt Du mit hinüber un¬
ter jenes Ölwalds gleiche Stämme mit Laub wie
Sammt, ſchwimmend im Wind der Wellen ſchlägt in
ihren grünen Schleiern, und ſanft auf flockigem Raſen
den einſam lautloſen Tritt Dir umflüſtert! — Komm!
— ſchau die Sonne im Feuerpanzer ihre Pfeilſtrahlen
vom Bogen ſtrömend ins ewige Blau. — Bald vom
Wechſel der Wogen getragen ſchwankt unter Dir das
unendliche Meer. Der Wind fährt daher zwiſchen thür¬
menden Wellen — bahnt Weg ſilbernen Göttern die
aufrauſchend, ſich umſchlingen mit Dir nach himmliſchen
Rhythmen Dir aus der Bruſt geboren. So nah iſt
alles verwandt Dir. — Doch ohne End wechſelnd dies
[300] Meer, fährt es dahin, in ſeiner Launen-Verzückung
durchſchlüpft Färbung auf Färbung ſein Wellenſpiel,
feſſelt Dein Schauen — durchdringt Deine Sinne, ſchmach¬
tend und dann feurig, lächlend, weinend, blendend und
verhüllt wieder — ſo raſch vorüber ſtreifts wie von ge¬
liebten Augen der Begeiſtrung Blick; kannſt ihn nicht
faſſen, nicht laſſen von ihm. — — Rein von Gewölk der
Himmel, ſein Hauch ſanft jagt vor ſich her Wellchen
— unzählige — eins ums andere, und ſterben am Ufer
alle mit leiſem Geſeufz. — Ach! — ſüßer Moment
herrſchend über der Leidenſchaften Meer! — Da ſtockt
Dein Athem, und mögteſt halten — ganz und immer
was jeden Augenblick ohne Aufhören Dir alles ent¬
ſchwindet. —


Was iſts, die Seele im Meer der Muſik? — fühlt
ſie Schmerzen? — Hat ſie Wonnen, die wunderbar
Bewegliche? — Kein Gedanke mag ihr folgen — fühlt
ſie mit durch Rückwirkung alle Regungen? — Liebt ſie
wenn wir lieben? — Schmeichelts ihrem Schäumen
wenn unſre Thränen hinein ſich miſchen. — O ich
möcht hinein mich werfen in die ſchmaragdnen Lagu¬
nen, über die leiſe hingetragen durchs ungeheure Meer
bis zu ſeiner Höhe, uns zwei verwandte Seelen har¬
[301] moniſch der Kahn wiegt bis zum [letzten] Ton, — und
dann — dieſelbe Luftſtille, dieſelbe Himmelsreinheit, der¬
ſelbe Athem, ſüß — unberührt, — daſſelbe Sonnenlicht
im Geiſt, — trunken von ſüßem Schwanken der Töne
die durch den Buſen wühlen. Doch bald erhebt ſichs!
Der große Geiſt des Erſchaffens — Du hörſt im Brau¬
ſen ſeine Stimme, der alles ſich ſchmiegt, verathmen —
dann hebt im Schauer Deiner Bruſt ihr Hauch ſich wieder
— und jetzt — gewaltig — in unermüdlichem Steigen und
Sinken ſtrömt ſie ſchäumend den Winden entgegen, die
dröhnen — in Abgrund ſich wühlend — ſie — Ja das
iſt Beethovens Meer der Muſik, von Himmel zu
Himmel ſteigen die Töne und kühner je öfter hinab ſie
wieder ſtrömen, und fühlſt hoch über dieſem Doppel¬
ſchall Dich geborgen auf freiem Fels, umkreiſt von
jenen wüthenden Orkanen, jenen Wogen, die ohne Ende
Dir ans Herz ſteigen und ohne Ende zurückgeworfen,
ohne Aufhören wiederkehren mit erneuter Macht, Dich
umſchmettern einander überwogend und doch ſich wieder
theilend im Sonnenocean der Harmonie. Und endlich
die ſehnenden Stimmen all, tummlend in fröhlicher Ver¬
wirrung des Jauchzens der Wehmuth, und der tauſend
Gefühle die von ſeiner Meiſterhand ein einzig lei¬
[302] ſes Zeichen — alle zugleich einſtimmen: jetzt iſts ge¬
nug! —


Ach wie iſts doch da in der Bruſt? — ja geſteh! —
iſt ſie nicht das Meer, die Muſik? — und Er, der Bee¬
thoven, iſt Er es nicht der ihm gebietet? — Und fühlſt
nicht auch hier: das Göttliche, was den Geiſt des Erſchaf¬
fens giebt, ſei die ungebändigte Leidenſchaft? — Und
glaubſt nicht, daß Gottes Geiſt ſei nur lauter Leiden¬
ſchaft? — Was iſt Leidenſchaft, als erhöhtes Leben
durchs Gefühl das Göttliche ſei Dir nah, Du könneſt
es erreichen, Du könneſt zuſammenſtrömen mit ihm? —
Was iſt Dein Glück, Dein Seelenleben, als Leidenſchaft,
und wie erhöht ſich Deines Wirkens Kraft, welche Of¬
fenbarungen thun ſich auf in Deiner Bruſt, von denen
Du vorher noch nicht geträumt hatteſt? Was iſt Dir
zu ſchwer? — welches Deiner Glieder würde ſich nicht re¬
gen in ihrem Dienſt, — wo bleibt Dein Durſt, Dein Hun¬
ger? — ſiehſt Du wohl, da fängſt Du ſchon an von
der Luft zu leben; leicht wie ein Vogel überſteigſt Du,
Unerſteigliches, und in die Ferne hinüber ſendeſt Du
Deiner Unſterblichkeit Flammen, und ſie entzünden Ewi¬
ges, und es weiht ſich Deinem Dienſt, ergießt ſich auch
in Leidenſchaftsſtrömen, in den großen Ocean über dem
[303] die ewigen Sterne Dir leuchten und die Nacht in ih¬
rem Glanz erbleicht und die Morgenröthen freudig auf¬
wachen. — Ja drum! — der Irrthum der Kirchen¬
väter, Gott ſei die Weisheit, hat gar manchen An¬
ſtoß gegeben; denn Gott iſt die Leidenſchaft. —
Groß, allumfaſſend im Buſen der alles Leben ſpiegelt
wie der Ocean, und alle Leidenſchaft ergießt ſich in ihn
wie Lebensſtröme. Und ſie alle umfaſſend iſt Leiden¬
ſchaft die höchſte Ruhe.


Jetzt will ich Dir was ſagen: ich will nicht mehr
haben daß Du voll Angſt ſeufzeſt um mein Nichtsthun!
ich weiß wohl — und wenn ichs beim Licht betracht
ſo konnt ich meine Zeit beſſer zubringen als ſie zu dem
verdammen was mein Herz nicht erfüllt, ſo hätt ich mir
ſelbſt mehr gewonnen, und meine Liebe zum Beſten,
zum Höchſten hätt die Ungerechtigkeit nicht zur Stütze
gehabt, ich weiß wohl daß ich im Eifer allem was mir
nicht unmittelbar Lebensnahrung war unrecht gethan
hab. Ich hab mich immer im Voraus gewaffnet, da
ich nicht wußt ob es Streit geben werde; ich hab
hundertmal die Wahrheit ſelbſt über die Klinge ſpringen
laſſen wenn ich ſagte dieſes oder jenes rege meinen Geiſt
nicht an, denn alles regt ihn an, ja alles, und ich fühle
[304] Deinen Beruf mich zu leiten mich zu lehren mit einer
innern Stimme zuſammentönend, die mich eben mahnt
wie Du; aber der Drang mich meiner Leidenſchaft zu
überlaſſen iſt ſo mächtig in mir daß ich glaub eine ſo
ſtarke Stimme überwinden zu wollen iſt Unſinn! Nicht
möglich, — nein nicht möglich iſt mirs auf irgend etwas
auch nur mehr acht zu geben als nur im Vorüberſchif¬
fen, ſo wie man die Ufer kommen und ſchwinden ſieht;
— mein Blick fängt ſie auf und faſſet ſie ſcharf daß
ich ſie feſt mir einpräge, aber im innern Gefühl
nur vorüberſtreifend. Das Weiterziehen liegt mir im
Herzen, das Abſchiednehmen wo ich kaum anlange,
liegt ſchon im Willkomm; und das geringſte was
meine Fahrt belangt ſeis nur ein Schiffsſeil theeren,
thu ich mit mehr Genuß als an jenen Ufern der Kunſt
und des Wiſſens mich aufhalten; ſollte ihr Sand auch
lauter Gold ſein, ihre Felſen Diamant und ihr Thau
Perlen. — Und wo will ich hin? — auf die Inſel, wos
Äpfel und Birn giebt hätt ich bald geſagt. — Aber ja
freilich — dorthin wos Moos duftet, wos Blüthen reg¬
net, wo die Himmelslüfte ſprechen, wo der Sommerwind
die Äſte ſchüttelt, wo die Wälder die Nacht in ihren
Schatten hüten, daß ſie ſich gefangen giebt ſo lange
[305] der Tag weilt, wo auf blühender Wieſe die Adler nie¬
derfahren und holen die Jünglinge hinan zum Allvater
daß er ihnen koſe einen Augenblick und wieder ſie ent¬
laſſe zum Spiel am Bach. — Wo die Bienenſchaa¬
ren von Dichterlippen und in ſeinen blumenſproſſenden
Tritten Honig ſammlen, und wo Geiſter, lichte Berg¬
gipfel umtanzen, wo die Seele ſich aufſchließt leis
wie eine Knospe und des Geiſtes Strahlen in ihrem
Kelch eingebettet, wie die goldnen Staubfäden in der
Roſe, ihr Leben entwicklen und auch beenden. Dort
will ich hin, das liegt mir im Sinn, nichts wie Blü¬
thenmeer, Duft einathmen, Birn ſpeiſen und reife Trau¬
ben und ſüße Pfirſig getheilt mit mir von Doppellip¬
pen, ich die Hälfte, und die Er der heute noch am
Scheideweg meiner harrte als die Sonne hinunter war.
Was iſts? — es wird mich ſchon erziehen, Thränen wirds
geben, das weiß ich, aber auch Luſt, ſo iſts immer wo
Schönheit reifen ſoll, und das iſt alles was ich ver¬
lang vom Schickſal, es ſoll mich ſcheiden vom
Schlechten, es ſoll keine Sünde in mir dulden, — in mei¬
nen unaufhörlichen Träumen nur möcht ich eine Vollen¬
dung empfinden — der Liebe, der Schönheit — das iſt
mein Ziel, und mein Geiſt ſtrebt eine Natur da heraus
[306] zu finden in dem ich dem Schönen fortwährend begegne.
Das iſts und nichts anders. Und alles was ich erfahre
von der Kunſt, von Poeſie und Wiſſen, das ſchlägt an
wie Echo in den unbekannten Tiefen meiner Bruſt, da
erſchreck ich daß es doch wohl wahr ſein möge was
manchmal nur wie Traum in mir wogt, da toben alle
Pulſe vor Hoffnung es ſei ein Doppelleben was wirk¬
lich auch Doppelliebe kann haben, und daß wenn ich
heiß mich ſehne verſtanden zu ſein daß ich dann verſtan¬
den ſei, wo? — wie — ach was weiß ichs! — vom Nebel
der dort flattert, vom Wind in der Ferne, vom letzten
Lichtſtreif wenn die Nachtkuppel ſchon ſich ſenkt über
mir, — kurz ich weiß nicht, alles was ich anſeh das
müßte Geiſt haben, liebenden Geiſt, — wahrlich ſonſt thut
mirs Unrecht. Welche Wege übernehme ich doch? —
Welche Gefahren beſteh ich im Geiſt?— — da ſchwimm
ich im Dunkel in uferloſen Fluthen, eine Woge ſtürzt
mich auf die andre, aber ich vertrau, und eine Stimme
in mir daß ich dem Genius zu Lieb ſo kühn bin! — o das
lebendige Feuer, und trotz dem Stürmen halt ich die
Palme hoch, und eile dem leiſen Schein des Morgen¬
roths entgegen, weil das Er ſelber iſt. —


Gott ſei die Poeſie hab ich in meinem letzten Brief
geſagt, und die Weisheit, ſagen die Kirchenväter, ich
[307] habs geläugnet und geſagt, Gott ſei die Leidenſchaft,
die Weisheit, die kommt ihm zu gut das Leidenſchaftsall
zu beſtehen, aber ſie iſt nicht er ſelber; meine Gründe:
was ſollte Gott mit aller Weisheit, wenn er ſie nicht
anbringen kann. Wenn aus allem was geſchaffen iſt,
ſich Neues erzeugt, wenn keine Gewalt, keine Kraft
überflüſſig iſt, ſondern grad um ihrer höchſten Entwicke¬
lung willen ſich ewig ſelbſt anregend ſteigern muß, ſo
kann die Weisheit Gottes nicht ſelbſt die Händ in den
Schooß legen wollen. — Himmel und Erde regieren wo
Sonn und Mond und alle Stern ſchon für die Ewig¬
keit angepapt ſind, das kann der Weisheit kein Reiz
ſein; ſich in Menſchenangelegenheit miſchen, ihre Gebete
erhören die alle verkehrt ſind, das muß bei himmliſcher
Hofhaltung doch wohl von ſelber gehen. Sollte Gott ſich
des Dings ſelber annehmen, — es wäre unweiſe,— denn der
Hauch Gottes überwiegt alles geiſtige Wehen der Menſch¬
heit, ſo würde dieſe denn nimmer der eignen Weisheit
Keim löſen können in ſich. Unſer Geiſt iſt feuermächtig,
er ſoll ſich ſelbſt anfachen; wir haben die Leidenſchaft,
ſie ſoll im Geiſtesfeuer gen Himmel ſteigen zum ewigen
Erzeuger, in ſeiner Leidenſchaften Gluth mit allem über¬
gehen; nicht umſonſt ſteigt in der Leidenſchaft der
mächtige Geiſt der Unſterblichkeit auf, jeder Hauch,
[308] jeder Blick ſoll ewig währen, das ſagt eine innere
Stimme. Alles was mich entzückt in der Natur,
dem ſchwör ich ewige Treue, der Lüfte Liebkoſungen,
wie könnt ich ihnen den heißen Athem weigern, der
heiß nur iſt um in der Lüfte Liebe ſich zu kühlen. Die
klaren ſchwankenden Wäſſer, wie ſollt ich ihnen nicht
vertrauen die mich tragen, ruhig gebettet, auf ewig re¬
gem Leben wie die Liebe das Geliebte trägt, und die
ſanfte weiche Erde, wie ſollten die Sinne ihr ſich ab¬
wenden die keine Regung ungeboren läſſet, jeden Keim
in die Lüfte trägt, und Flügel giebt, heimlich in die
Wiege alles Geſchaffnen, die der Geiſt mächtig zum
Himmel einſt entfalte wenn er gereift iſt durch ihre
Spende — ſie die himmliſche Erde, — auf der frohlockend ſich
alles Leben tummelt und alles trägt im Buſen und über
ihm, — die ſie auf ſich herumtrapplen läßt all die Leben¬
digen, — und giebt ihnen die Milch ihrer Kräuter und
Früchte die in ſo großer Fülle aus dem Buſen ihr
ſpringen, — ja wie ſollt ich nicht mit heißer Liebe ſie lieben
die Doppelliebige? — Und dann, — das Licht das nie¬
derſteigt ins Dunkel einſam drinn zu ſpielen; — und
der Einſamkeit Odem einbläſet, und der Erde Kräfte
nährt und tränkt, die dann den Geiſt umſpielen daß
er im verſchloſſenen Dunkel ſeiner Selbſt, des Lichtes
[309] Leidenſchaft für ihn ſich erinnere und auch ihm zuwachſe
ſich mit ihm zu küſſen. Wenn Ihr alle dichtet von jenen
Wahrheiten, ſo mächtig ſo ſelbſtlebend daß ſie dem
Dichter den Buſen bewegen daß er ihr Element werde,
und ſie ewig ausſpreche, o ſo laſſet ſie für mich geboren
ſein daß ich ihnen traue, daß ich mich ihnen hingebe
und ſie genieße, für was drängten ſie ſich ewig in Eu¬
ren Geiſt, für was rührten ſie Eure Lippen die Ihr ſie
ausſprecht, wenn ſie nicht wahrhaft lebendig Leben wä¬
ren das durch Euch wiedergeboren ſoll werden in die
Sinne der Menſchen. Nun meine Sinne ſind frucht¬
barer Acker, ſie haben Euren Samen aufgenommen, o
denket daß nichts von Euch geahnet war, nichts, was
Ihr nur in den Wolken geleſen, was mir nicht lebendig
geworden. Das iſts! — Und was wollt ich doch ſa¬
gen? — Ach wie weit hab ich mich verlaufen, und
wollte doch nur ſagen von dem Gott, und daß er nicht
die Weisheit könne ſein, ſondern die Leidenſchaft, die
der Weisheit bedürfe um kühn und tapfer zu Stande
zu bringen was in ihr gährt. — Wie ſag ich Dirs doch
wenn Du's nicht von ſelbſt verſtehſt, wenn Du nicht
verſtehſt daß alles Weſen durch Leidenſchaft ausgeſpro¬
chen ſein wolle, ja ſelbſt die Ruhe nichts anders ſei als
nur Leidenſchaft, daß der Menſch nur mit einem Göt¬
[310] terbuſen geſchaffen ſei, in dem die Leidenſchaften ihren
Heerd haben, dem Göttlichen ewig lebendige Gluth zu
opfern. — Wenn Du nicht dazu ja ſagſt, wie kann
ichs Dir abdringen. — Drum komm und laſſe uns
Weisheit ſammlen, um unſerer Leidenſchaften Gluth da¬
mit zu ſchüren. —


Das Gott die Weisheit ſei, das haben wir prote¬
ſtirt, aber daß Weisheit und Tapferkeit in einander
verliebt ſeien, — aber nicht die der Kirchenväter, — das iſt
unſere Lehre; ſie ſind der Heerd auf dem die Leiden¬
ſchaften flammen, ohne ſie kann Leidenſchaft nicht ath¬
men. — Und wenn es keine brennenden Leidenſchaften
zwiſchen der Kraft und dem Geiſt gäbe wo ſollt ihr
Feuer herkommen? denn um nichts iſt wieder nichts,
— ſie würden ſich ſchlafen legen und abſterben, die
Kräfte und der Geiſt — aber der heiße Trieb in einan¬
der zu ſchwelgen, einander zu beſitzen, die ſchüren das
Lebensfeuer in ihnen, da iſt fortwährend innerlich Be¬
wegen zu einander. Gefühl in jeder Regung ſie ſei
empfunden von der andern, — das iſt das innere le¬
bendige Leben und alles andre iſt nicht lebendig in uns.
Für was würde man ſich vor ſich ſelber ſchämen, wär
nicht dieſe innerliche Liebesdespotin die das Gefühl zur Re¬
chenſchaft forderte daß man einem inneren Mächtigen
[311] die Treue gebrochen, oder einer Schwäche ſich hingege¬
ben vor dem Geliebten. Was iſt das Gewiſſen anders
als der Minnehof des Geiſtes mit den Sinnen — wo
ſie ſich einander hingeben, und Opfer, Heldenthaten für
einander thun, und innerlichen Minneſold empfan¬
gen. Und dann jene Stimme, die jegliche Stimmung
prüft; je tiefer und weiter ſich dies Leben ausbildet, je
feſter gründet ſie die Anſprüche und Berechtigungen, je
leichter verletzbar. Ach ich ſag Dir, es liegt ein Adel,
ein ſteigernder Trieb in der Seele der auf die Auſſen¬
ſeite des Lebens zurückſtrahlt, alles aus leidenſchaftlicher
Berührung der Sinne mit dem Geiſt; wenn Du ſchrei¬
teſt, wenn Du Dich wendeſt, wenn Du die Stimme er¬
hebſt — was auch des geringſten nur, Dich einen Au¬
genblick aus der Gegenwart (Einwirkung) jener Lebens¬
regungen entfernt, fühlſt Du nicht Vorwürfe? — ein
Stocken, eine Ohnmacht in Dir? — ſchlägt nicht Dein
Herz in Pein als müſſe es rückkehren? — dahin wo die
Sinne ſich geliebt wähnen vom Geiſt, ſich zärtlich um¬
armen mit ihm. —Ach ich muß ſolchen Unſinn reden —
mit Thränen, denn ich bin ſo tief bewegt von etwas,
wie ſoll ich Dir das ſagen? — Der edle Menſch ein
Tummelplatz von Leidenſchaften, lauter Kräfte die auf¬
ſtreben ins Leben durch die Liebe unter einander! —
[312] Die regt jene auf, zärtlich oder feurig alle mitſammt
glühen für einander durch den Geiſt, und da glühts
und da ſprühts, und da ſcheint endlich der Alletagstag
ſo nüchtern hinein, und reißt die Feuer auseinander, und
löſcht die Brände und macht den Alltagsmenſchen aus
einem; das iſt eure Noth um mich, und dieſe Schickſale
ſchweben mir in der Bruſt indeſſen, und fordern Ant¬
wort jeden Augenblick. Ach da giebts Streit, Verſöh¬
nung, heimlich Glückſpenden, und dies alles iſt wie der
laue Abendwind der von ſelbſt herübergeklettert kommt,
ich hör ihn ſchleichen, ſacht an mich heran, und mir am
Herzen flattern, und dann bin ich ſchmerzzerriſſen; von
was? — ich kanns nichts ſagen; — mein Herz — zu
ſchwach iſts. — Daß es geliebt wär von einer höhern
Macht, ſüß begehrend! es kanns nicht tragen. — Den
Geiſt außer mir, in der Luftwelle oder im Mondglanz,
oder ſonſt — ſpricht der mit mir, das ertrag ich nicht
— dann bitt ich laß mich ſchlafen — Dir im Schooß.
Denn ich kann ihm nicht ins Antlitz ſchauen, und ſag
ihm ich wolle ſterben, er ſoll mich zudecken — mit grünen
Zweigen, Er der neben mir ſteht, oder über mir, und
mich anſieht ſo ſtill. Was iſt vernichtendes in der
Liebe? — daß ich ſag ich wolle ſterben? — denn ich
hab[313] hab nichts anders in der Seel als dieſe Sprache; denn
meine Hände können nicht hinlangen. Wollt ich in die
Luft reichen? — nein ich darf nicht er verſchwindet,
und mein Blick, der ſieht nur auf wenns Nacht iſt,
nicht bei hellem Tag. — Aber in der Nacht im Finſtern,
da geh ich ihm entgegen da treibt michs oft eilig in die
dunklen Laubgänge, und ganz am End da ſeh ich wie
wenn ich überzeugt ſein dürfte Er ſei es. — Nicht freu¬
dig, nicht traurig — tiefe Stille in mir, manchmal
ſchlägts Herz bang, dann ſeh ich den Schatten vor ihm
herſtreifen über den Raſen. Dann ruf ich mich auf:
laß mich doch denken können! — und ſammle meine
Sinne, und immer ſo vorwärts ſchreit ich, eilig, und im¬
mer näher, dann am Baum leg ich mich nieder auf die
Wurzeln, die küß ich dieſe Wurzeln — es ſind die Füße
des Dichtergeiſtes über mir. — Aber ich muß ſchlafen
gehen, zu müde bin ich, — ſchon zweimal eingeſchlafen
während dem Schreiben.


Heut ſeh ich daß ich Dir von nichts geſchrieben hab
was Du mich frägſt und bin aus Mangel an Logik
ins Geſchwärm gerathen. Und doch wollt ich Dir nur
ſagen, ich ſtudier noch Geſchichte fort, nur wollt ich Dir
keine trocknen Auszüge mehr davon in meinen Briefen
machen, dafür zeichne ich Landkarten und hab andre
14[314] Speculationen, ſo ſtudier ich die Woche zweimal mit
Hofmann Muſik, nicht mehr Generalbaß, er meint
ich werd den von ſelbſt in mich kriegen, ich ſoll lie¬
ber meine Melodieen aufſchreiben, auf die er einen
Werth legt, und mir gern zuhört wenn ich Abends
ſing, auch hat er mehrere Gänge mir abgehört und
ſie aufgeſchrieben, und letzt hat er im Conzert phan¬
taſirt blos auf Thema die er von mir erlauſchte, drum,
es war nur auch ſo wunderlich, es ſtand mir die ganze
Muſik ſo ſpöttiſch gegenüber, ich wußt gar nicht was
ich dazu ſagen ſollt, ich hatte es nicht errathen, am
Morgen frug er wie mirs gefallen hätt, ich ſagt es
ſei mir geweſen als müſſe ich ihm immer voranlau¬
fen, und wiſſe ſchon alles wies kommen werde; es
ſei geweſen als haben ſeine Phantaſieen einen Ver¬
ſtand den ich begreife. — „Ja das war weil es
Ihre eignen Wege waren, die Sie gegangen ſind;“
und ſeitdem will er daß ich aufſchreiben lerne, das
iſt mir viel ſchwerer als alles andre, kein Gedanke
hält eine Minute feſt, und gelingt mirs an einem
Ende ihn zu faſſen, dann reißt er mitten entzwei und
ich kann das andre nicht dazu finden ſo wie es an¬
fänglich aus meinem Geiſt hervorgegangen war, dann
[315] ſind ich wohl ein ander End, aber weil es nicht das
erſte war was von ſelbſt aus meinen Sinnen hervorge¬
gangen, dann bin ich unruhig als ſei es falſch, und den
Takt zu finden das iſt mir ganz unmöglich — der Hof¬
mann will mir oft Takttheile zuſammenrücken, das kann
ich nicht wollen, oft geb ichs zu, dann wills mein Gefühl
wieder anders, der Hofmann hat eine unſägliche Ge¬
duld mit mir, und meint dies alles werd ſich finden, ſo
wie ich erſt gewohnt ſei aufzuſchreiben da werde ich der
Sache ſchon Meiſter werden; wenn er mir das ſagt das
macht mich ganz traurig— ich mag nicht Meiſter wer¬
den ich will mich bemeiſtern laſſen von dieſen Muſik¬
fluthen von denen ich nicht weiß ob ſie Werth haben
können für ein ander Ohr, das ſchadet nicht, ſie reden
mit mir, und ſagen mir volle Lebensaccorde die ich er¬
kenne als Eins mich machend mit der Natur, das iſts
was mich hindert. Es iſt mir als wolle ich in Weis¬
ſagungen pfuſchen. — — Ja es wird ſchwer gehen mit
dem Lernen. Und doch! — ich hab den Willen und
thue das mögliche in dieſer Einöde von Talentloſigkeit;
— und von dem Geiſt der Leben in mir iſt da muß ich
Abſchied nehmen wenn ich lernen will, da ſag ich mir
es ſei nur auf Zeiten, er werde wiederkehren der Geiſt,
14*[316] und dann fühl ich mich reif zum Abſchied und ſterb
wenn ich lernen will.


Jetzt will ich Dir auch noch auf Deine letzte Frage
antworten von der gemeinen Frau, das war kurz ehe
ich von Frankfurt hier herauskam, da war ich allein
von dem Bockenheimer Thor aus dem Garten wo die
Tonie wohnt hereingegangen in die Stadt. Da begeg¬
nete mir eine Frau der war das Band aufgegangen am
Schuh, und ſie konnte ſich nicht bücken denn ſie ging
mit einem Kinde und ſeufzte ſehr unter ihrer Laſt, ich
ließ ſie ihren Fuß auf mein Knie ſtellen um das Schuh¬
band ihr zuzubinden, dann aber führte ich ſie nach
ihrer Wohnung weil ſie ſo ſehr jammerte über Schmer¬
zen, es war ſchon dämmerig, als wir in die Stadt ka¬
men da begegnete mir eben auch die Frau Euler welche
unſer beider böſer Dämon zu ſein ſcheint, ich machte ihr
eine tiefe Verbeugung zu meinem Plaiſir, und ſchleppte
die Frau weiter, die fing aber an mir bang zu machen
denn ſie ſeufzte ſo ſchwer und ward ſo blaß und der
Schweiß trat ihr auf die Stirn, da kam der gute Dok¬
tor Neville, dem übergab ich die Frau, und als ich auf
den Roßmarkt kam da begegnete mir der Moritz der
ſagte: ach wie blaß ſehen Sie aus, es fehlt Ihnen was,
ich habe ſo großen Hunger, ſagte ich — und es war
[317] auch wahr, die Angſt mit der Frau hatte mir Hunger
gemacht, der Moritz griff in die Taſche die hatte er
voll getrockneter Oliven, die eſſe ich gern, er leerte ſeine
Taſche in meinen Handſchuh aus, den ich ausgezogen
hatte um ſie hineinzufüllen, da führt der Gukuk die Lotte
vorbei; der Moritz ging, die Lotte kam an mich heran
und fragte wie kannſt du nur auf offner Straße mit
dem Moritz Hand in Hand ſtehen, das ärgerte mich,
ich ging ins Stift zu Dir herein wo ich meine Oliven
ſpeiſte und die Kerne alle in eine Reihe legte aufs Fen¬
ſterbrett, Du ſtandſt neben mir und warſt ganz ſtill
verſunken in die Dämmerung und „endlich ſagteſt Du,
warum biſt du heute ſo ſchweigſam? ich ſagte: ich eſſe
meine Oliven das beſchäftigt mich, aber Du biſt doch
auch ſtille, warum biſt Du ſtill?— „Es giebt ein Ver¬
ſtummen der Seele“ ſagteſt Du „wo alles tod iſt in
der Bruſt.“ — Iſt es ſo in Dir, fragte ich — Du
ſchwiegſt eine Weile, dann ſagteſt Du: „es iſt grade
ſo in mir wie da draußen im Garten, die Dämmerung
liegt auf meiner Seele wie auf jenen Büſchen, ſie iſt
farblos aber ſie erkennt ſich, — aber ſie iſt farblos,“
ſagteſt Du noch einmal, und dies letztemal ſo klanglos
auch, daß ich Dich im Nachtſchimmer anſah verwundert
und verſchüchtert, denn ich traute mich nicht mehr zu
[318] reden, ich ſann auf Worte wie ich mit Dir anheben
ſollt; — ich ſuchte in weiten Kreiſen umher, nichts ſchien
mir geeignet dieſe Stille zu unterbrechen, die immer tie¬
fer und tiefer ſich wurzelte und mir wie einen Schlum¬
mer durch den Kopf ſtrömte, dem ich nicht mehr wider¬
ſtand — ich legte mich träumend auf die Fenſterbank mit
dem Kopf, und ſo wer weiß wie viel Zeit verging, da
kam Licht ins Zimmer, und als ich aufſah da ſtandſt
Du über mir gebeugt und ſahſt auf mich, und als ich
Dich fragend anſah, da gabſt Du zur Antwort: —
„Ja ich fühle oft wie eine Lücke hier in der Bruſt,
die kann ich nicht berühren, ſie ſchmerzt;“ ich ſagte
kann ich ſie nicht ausfüllen dieſe Lücke? — „Auch
das würde ſchmerzen ſagteſt Du; da reicht ich Dir die
Hand und ging, und lang verfolgte mich Dein Blick
der ſo ſtill war und ſo innerlich und doch nur wie über
mir hinſtreifte. O ich hatte Dich im Heimgehen ſo lieb,
ich ſchlang meine Arme um Dich ſo feſt in Gedanken,
ich dacht ich wollte Dich tragen auf meinen Armen ans
End der Welt, und dort Dich an einen ſchönen moos¬
reichen Platz niederſetzen, da wollt ich Dir dienen und
nichts Dich berühren laſſen was Dir weh thun könne;
ja ſo wars in meinem kindiſchen Herzen, mit Gewalt
wollt ich Dich fröhlich machen und dachte einen Augen¬
[319] blick es ſolle mir gelingen, aber ich weiß wohl daß mir
ſo was nicht gelingen kann und daß es nur Verwechs¬
len iſt von meinen Sinnen, die wie Kinder Fernes und
Nahes nicht unterſcheiden können, die auch meinen ſie
können den Mond herablangen mit der Hand und kön¬
nen den Spielkamerad damit tröſten wenn er ſtumm
und traurig iſt. — Als ich nach Hauſe kam, da waren
alle beim Thee verſammelt und ich war ſtumm weil
ich an Dich dachte, und ſetzte mich auf einen Schemel
am Ofen, und da ging ich tief in mein Herz hinein
wie ich doch ein inneres Leben aus meinem Geiſt wek¬
ken wolle, das Dich ein bischen berühre, da Du mir
bisher alles allein gegeben haſt und ich hab nie die
Stimme in meiner Bruſt können vor Dir laut werden
laſſen; da dacht ich wenn ich fern von Dir wär da
würd ich in Briefen wohl eher zu mir ſelber kommen,
weil das vielfältige ja das tauſendfältige Getümmel in
mir mich verſtummen macht daß ich nicht zu Wort
komme vor mir ſelber. — Und ich erinnerte mich daß
wie wir einmal von den Monologen des Schleiermacher
ſprachen, die mir nicht gefielen, ſo warſt Du andrer
Meinung und ſagteſt zu mir: „und wenn er auch nur
das einzige Wort geſagt hätte: der Menſch ſolle alles
Innerliche ans Taglicht fördern was ihm im Geiſt
[320] innewohne, damit er ſich ſelber kennen lerne, ſo wär
Schleiermacher ewig göttlich und der erſte größte Geiſt.“
— da dacht ich wenn ich von Dir fern wär da würd
ich in Briefen wohl Dir die ganze Tiefe meiner Natur
offenbaren können — Dir und mir; und ganz in ihrer un¬
geſtörten Wahrheit wie ich ſie vielleicht noch nicht kenne,
und wenn ich will daß Du mich liebſt, wie ſoll ich das
anders anfangen als mit meinen, innerſten Selbſt, — ſonſt
hab ich gar nichts anders, — und von Stund an ging ich
mir nach wie einem Geiſt, den ich Dir ins Netz locken
wollt. Am Abend hatte mir der Franz noch ein paar freund¬
liche aber doch mahnende Worte darüber geſagt daß ich
mit dem Moritz aus der Straß geſtanden hatte und geplau¬
dert; — die Lotte hatte es der Schwägerin geſagt; — ich
antwortete ihm nicht darauf, denn vertheidigen ſchien mir
nicht paſſend, wie denn das meiner Seele ohnedem nicht
einverleibt iſt daß ich ſolche Irrthümer aufklären möchte
und am Ende ſchien mir der Moritz doch werth daß
man freundlich mit ihm Hand in Hand ſtehe, obſchon
er mir bei jener Vermahnung ſehr ſchwarz gemacht
wurde, er begegnete mir am andern Morgen auf dem
Vorplatz und ich ſah mich um ob niemand mich erſpä¬
hen könne und zog ihn in die Ecke wo die Wendel¬
treppe hinaufführt zu meinem Zimmer, da küßte ich ihn
[321] auf ſeinen Mund zwei dreimal, und daß er meine Thränen
auf ſeinem Geſicht fühlte, denn er wiſchte ſie mit der Hand
ab, und ſagte was iſt das? — „was fehlt Dir Kind,
was iſt Dir?“ ich riß mich los und ſprang hinauf auf
die Altan hinter die Bohnen — und war ſehr ſchnell
oben daß ers nicht ſah, er glaubte mich in meinem
Zimmer und kam herauf und klopfte an, und weil er
keine Antwort bekam, ſo machte er leiſe auf und weilte
einen Augenblick im Zimmer, als er herauskam ſah er
nach der Altan, mir war recht bang er würde mein
weiß Kleid erblicken denn das ſchimmerte durch das
dünne Bohnenlaub. Ich weiß nicht ob er mich ſah
und mein Verbergen achtete, aber ich glaubs, und
das gefiel mir ſo wohl von ihm; als ich ins Zim¬
mer kam fand ich auf meinem Tiſch im Cabinett
am Bett ein Fläſchchen in zierlichem Braſilienholz
mit Roſenöl; — am Abend auf dem Ball bei ſeiner
Mutter ſprach er nichts zu mir — wie ſonſt —
aber er kam in meine Nähe und weil das Fläſchchen
ſo ſüß duftete hinter dem Strauß von Aſchenkraut
und Roſen, da lächelte er mich an und ich lächelte
mit, aber ich fühlte daß gleich mir die Thränen
kommen wollten, ich mußte mich abwenden, er merkte
14**[322] es und ging zurück und ſtellte ſich unter die andern,
er mußte auch tanzen mit den Prinzeſſinnen und
hatte viel Geſchäfte und mußte eine Weile mit dem
König von Preußen ſprechen, aber ich ſah doch daß
er mich im Aug behielt den ganzen Abend, und ſelbſt
während er mit dem König ſprach ſah er herüber,
ſehr ernſthaft immer, ich war heimlich vergnügt aber
doch hätt ich jeden Augenblick weinen mögen, als wir
weggingen flüſterte er mir ins Ohr, Du gleichſt der So¬
phie. Was war das alles was mir durch die Seele
ging? — ich weiß es nicht. Am andern Tag wo ich
nicht wie gewöhnlich zu Dir kam, da hatte Moritz am
Morgen ſeinen Gärtner geſchickt mit einem Wagen voll
ſchöner ſeltner Blumen die ſtellte er ohne mein Wiſſen
hinter der Bohnenwand auf — und als ich ſie ſah, war
ich erſt gar erſchrocken, und verſtand nicht wie die Blu¬
men daher gekommen waren, aber bald verſtand ich, er
müßte mich doch wohl geſehen haben hinter der Boh¬
nenwand am vorigen Tag. — — Ach ich war während
dieſen Stunden ſo wunderlich bewegt geweſen: von Dir,
von Kränkungen, von Mitleid daß er verläumdet war;
von ſeinem feinen Weſen zu mir, und dann daß er mir
geſagt hatte ſo leiſe, Du gleichſt der Sophie, die ihm
doch geſtorben war, — daß ich nicht mehr wußte was
[323] ich wollte. Am Nachmittag kam Chriſtian Schloſſer,
vom Neville geſchickt der der Frau beigeſtanden hatte
bei der Geburt von einem kleinen Mädchen, denn das
war gleich in der Stunde auf die Welt gekommen, der
ließ mich fragen ob ich nicht wolle zur armen Frau
kommen, die ſei ſehr krank und auch das Kindchen,
und ich ſolle es aus der Tauf heben, der Chriſtian
Schloſſer wolle mit Taufzeuge ſein, ich ging mit, da
war der Pfarrer, der taufte das Kind, und die Frau
war ſehr krank, wie der Pfarrer weg war, ſo nahm
die Wartfrau das Kindchen auf den Arm und ſagte „es
wird gleich ſterben,“ da war mir ſo bang, ich hatte nie¬
mals jemand ſterben ſehen, und die kranke Frau im
Bett weinte ſo ſehr ums Kind, die Hebamme ſagte,
eben ſtirbts; und ſchüttelte es, da wars plötzlich todt. —
Ach wie ich nach Hauſe kam war ich ſo traurig — der
Franz ſagte: Du ſiehſt ſeit einiger Zeit ſo blaß aus,
Deine Geſundheit ſcheint mir gar nicht feſt, und als
am Abend wieder das Geſpräch auf den Moritz kam
wobei er gar nicht geſchont wurde, da ſchrieb ich an
die Großmama ſie ſolle mich vom Franz zu ſich begeh¬
ren nach Offenbach. Das war Allen recht und mir auch,
ſo war ich ihrer Meinung nach dem Moritz aus dem
Weg geſchafft, und ich meiner Meinung nach, brauchte
[324] doch nichts Böſes von ihm zu hören, denn ich will nichts
Böſes von ihm hören, nein nimmermehr will ich was
Böſes von ihm hören. Aber hier in Offenbach war
ich gleich wieder ruhig, und da ward mir mein Ge¬
lübde gleich wieder klar das ich an jenem Abend vor
Deiner Thür noch ausſprach als Du ſo kalt warſt und
ſo traurig, — daß ich eine Gabe Dir wollt geben von
meiner Seele, daß ich mein Innerſtes wollt Dir zu Lieb
zu Tage fördern, weil Du das ſo hochſchätzeſt wie
jener Schleiermacher. Und da hab ich in meinem In¬
nerſten Wege geſchritten, und bin dahin gerathen wo
Du jetzt ſtockſt, und willſt nicht weiter und fürchteſt
Dich mich anzuhören; denn ich habs wohl gemerkt an
Deinem Brief, Du fürchteſt Dich vor meinen Abwegen.
O fürcht Dich nicht, ich gab Dir treulich wies Echo,
was wiederhallte aus mir. Ach! —


Ich bin jetzt glücklich, ſei Dus auch! — ſchöne
Träume hab ich und das iſt ein Zeichen das die Götter
mit mir zufrieden ſind. — Im Herzen iſt mirs wenn
ich erwache am Morgen als ob ich von Dichterlippen
geküßt ſei, ja merk Dirs von Dichterlippen. Nein
ich fürchte mich nicht mehr vor der Zukunft! — ich
weiß durch was ich ſie mir zum Freund mache, ja ich
weiß es. Ich will auch wie die Großmama einen Ewig¬
[325] keitskreis mit meinem Leben ſchließen, nicht wie Du ge¬
ſagt haſt, jung ſterben. Viel wiſſen, viel lernen, ſagteſt
Du, und dann jung ſterben, warum ſagſt Du das? —
mit jedem Schritt im Leben begegnet Dir einer der was
zu fordern hat an Dich, wie willſt Du ſie alle befriedi¬
gen? — Ja ſage, willſt Du einen ungeſpeißt von Dir
laſſen der von Deinen Broſamen fordert? — nein das
willſt Du nicht! — Drum lebe mit mir, ich hab jeden
Tag an Dich zu fordern. Ach! — wo ſollt ich hin
wenn Du nicht mehr wärſt? — Ja dann, gewiß vom
Glück wollt ich die Spur nimmer ſuchen. Hingehen
wollt ich mich laſſen ohne zu fragen nach mir, denn
nur um Deinetwillen frag ich nach mir, und ich will
alles thun was Du willſt. — Nur um Deinetwillen
leb ich — hörſt Dus? — Mir iſt ſo bang — Du biſt
groß, ich weiß es — nicht Du biſts — nein ſo laut
will ich Dich nicht anreden — nein Du biſts nicht. Du
biſt ein ſanftes Kind, und weils den Schmerz nicht tra¬
gen kann ſo verläugnet es ihn ganz und gar — das
weiß ich, ſo haſt Du Dir gar manchen Verluſt ver¬
ſchleiert. Aber in Deiner Nähe, in Deiner Geiſtesat¬
moſphäre deucht mir die Welt groß; Du nicht —
fürchte Dich nicht, — aber weil alles Leben ſo rein iſt
in Dir, jede Spur ſo einfach von Dir aufgenommen,
[326] da muß der Geiſt wohl Platz gewinnen ſich auszudeh¬
nen und groß zu werden. — Verzeih mirs heut, ein
Spiegel iſt vor meinen Augen, als hätte einer den
Schleier vor ihm weggezogen, und ſo traurig iſt mirs,
lauter Gewölk ſeh ich im Spiegel, und klagende Winde
— als müßt ich ewig weinen weil ich an Dich denk —
ich war draus heut Abend am Main, da rauſchte das
Schilf ſo wunderlich — und weil ich in der Einſamkeit
immer mit Dir allein bin, da fragt ich Dich in meinem
Geiſt, „was iſt das? redet das Schilf mit Dir“, hab
ich gefragt. Denn ich will Dirs geſtehen, denn ich möchte
nicht ſo angeredet ſein, ſo klagvoll, ſo jammervoll, ich
wollts von mir wegſchieben! — Ach Günderode ſo trau¬
rig bin ich, war das nicht feige von mir das ich die
Klagen der Natur abwenden wollt von mir, und ſchobs
auf Dich — als hätte ſie mit Dir geredet wie ſie ſo
wehmuthsvoll aufſchrie im Schilf. — Ich will ja doch
gern alles mit Dir theilen, es iſt mir Genuß, großer
Genuß Deine Schmerzen auf mich zu nehmen, ich bin
ſtark, ich bin hart, ich ſpürs nicht ſo leicht, mir ſind
Thränen zu ertragen, und dann ſprießt die Hoffnung ſo
leicht in mir auf, als könnt wieder alles werden und
beſſer noch als was die Seele verlangt. — Verlaß Dich
auf mich! — wenns Dich ergreift — als woll es Dich
[327] in den Abgrund ſtoßen, ich werde Dich begleiten überall
hin — kein Weg iſt mir zu düſter — wenn Dein Aug das
Licht ſcheut wenn es ſo traurig iſt. — Ich bin gern im
Dunkel liebe Günderode — ich bin da nicht allein, ich
bin voll von neuem was in der Seele Tag ſchaffet —
grade im Dunkel da ſteigt mir der lichte hellglänzende
Friede auf. — O verzweifle an mir nicht, denn ich war
in meinen Briefen auf einſamen Wegen gegangen, ja,
zu ſehr als ſuch ich nur mich ſelbſt, das wollt ich doch
nicht, ich wollte Dich ſuchen, ich wollt vertraut mit Dir
werden, nur um mit Dir die Lebensquellen zu trinken,
die da rieſeln in unſerm Weg. — Ich fühls wohl an
Deinem Brief Du willſt Dich mir entziehen — das kann
ich nicht zugeben die Feder kann ich nicht niederlegen
— ich denk Du müſſeſt aus der Wand ſpringen ganz
geharniſcht wie die Minerva und müßteſt mir ſchwö¬
ren, meiner Freundſchaft ſchwören, die nichts iſt als nur
in Dir — Du wolleſt fortan im blauen Äther ſchwim¬
men, große Schritte thun, wie ſie, behelmt im Sonnen¬
licht wie ſie, und nicht mehr im Schatten traurig wei¬
len. Adieu ich geh zu Bett ich geh von Dir, obſchon
ich könnt die ganze Nacht warten auf Dich daß Du
Dich mir zeigſt, ſchön wie Du biſt und im Frieden, und
Freiheit athmend wies Deinem Geiſt geziemt der das
[328] Beſte das Schönſte vermag. Eine Ruheſtätte Dir auf
Erden das ſei Dir meine Bruſt. — Gute Nacht! —
ſei mir gut — ein weniges nur. —


Montag.


Jetzt hab ich ſchon drei Tage an dieſem Brief ge¬
ſchrieben und heute will ich ihn abſchicken, ach ich mag
ihn nicht überleſen, geſchrieben iſt er, wahrheitsvoll iſt
er auch, wenn Du die augenblickliche Stimmung der
Wahrheit würdigeſt, wie ich ſie deren würdige und nur
ſie allein, obſchon die Philiſter ſagen ſie ſei die Wahr¬
heit nicht, nur was nach reiflichem Überlegen und
wohlgeprüft vom Menſchengeiſt ſie angenommen, das
ſei Wahrheit. Ach dieſe Stimmungen, ſie bauen das
Feld, und was uns zukommt als ſei die Seele mit im
Abendroth zerſchmolzen oder als löſe ſie ſich frei vom
Gewölk, und thue ſich auf im weiten Äther — das
bringt uns auch wie das fruchtbare Wetter Gedeihen.
Iſt mirs doch, da ich meinen Brief ſchließen will als
ob das ſchönſte Leben uns bevorſtehe wenn Du nur
willſt, und willſt ſo viel mich würdigen daß Du ruhig
Deine Hand in der meinen liegen läſſeſt wenn ich ſie
faſſe. — Ich war heut Morgen draus und hab mir
den Aſchenkranz zum Ball beſtellt — wie Dus geſagt
[329] haſt — aber gelt der Moritz hat Dirs geſagt ich ſoll
den Kranz aufſetzen? — Ich kam hin zum Gärtner er
ſtand zwiſchen der Thür vom Bosket und dem Blu¬
mengarten gelehnt, gewiß er hat auf mich gewartet
denn ich war ſchon zwei Tage nicht da geweſen. Aber
geſtern Abend wie ich ſchlafen ging da hat ich mir feſt
vorgenommen ich wollt gewiß keinen Menſchen unglück¬
lich machen, oder beſſer ich wollt gewiß jedem geben an
Glück was ich kann. — Und mir ſolls nichts zu gering
ſein und was iſt ehrender als wenn Du mit einem
Blick oder Wort wohl thun kannſt. — Nun hör nur
mein lieb Geſpräch mit dem Gärtner an. — Weil ich
kam ſo ſagt ich: ich hätt wohl eine Bitte an den
Anton. (Denn ich rede ihn nicht anders an, denn ich
mag ihn nicht Er nennen.) Ich geh auf den Ball
heut und da möcht ich einen Kranz, und weil ich
gar nicht vergnügt bin daß ich zum Tanz ſoll gehen,
ſo wollt ich einen traurigen Kranz gern haben von
Aſchenkraut, und keine Blumen wollt ich gar nicht. Iſt
wohl ſo viel Aſchenkraut da daß wir einen Kranz kön¬
nen machen ohne die Büſche zu verderben? — da ging
er voran und brach mir eins nach dem andern und ich
bands am Draht feſt. Er hatte mir doch noch kein
Wort geſagt und legte mir die Sproſſen nach einan¬
[330] der auf den Schooß, ich ſaß auf der Blumenbank am
Treibhaus, er rückte die Blumen über mir und um mich
her zuſammen während ich meinen Kranz flocht, und
holte noch mehrere aus dem Treibhaus, daß ich wohl
merkt ich war ganz eingerahmt, und da war eine große
purpurrothe Paſſionsblume die hing herab an meiner
Seite, er ſchnitt ſie ab und legte ſie ſchweigend an das
Geflecht, ich band ſie auch ſchweigend mit ein, ich pro¬
bierte ihn auf, er war weit genug, er nahm ihn mir
aus der Hand, ſtreifte ſich den Ermel auf, maß am
Arm die Länge vom Kranz und band ihn ſelber feſt,
ſchnitt die überflüſſigen Stiele und Blätter ab, und
gab ihn mir. Das alles war ſchweigend geſchehen, es
es iſt heut ſo ſchönes Wetter ſagte ich — find ich Euch
Morgen im Garten — wenn ich früh komme? — „O
das werden Sie wohl verſchlafen weil Sie die Nacht
durch tanzen.“ O nein, um halber zwölf fahr ich ſchon
wieder zurück, und Ihr könnt mich heimfahren hören
an Eurer Wohnung vorbei — ich fahr im Cabriolet,
nur mit einem Pferd hier vorbei, da könnt Ihr hören
ob ich Euch nicht Wort halt, da! ich geb Euch meine
Hand drauf. — Er ward roth, der Gärtner, als ich
ihm die Hand reichte und's Schnupftuch fallen lies
das er mit der andern Hand auffing und mir reichte,
[331] ich ſah es an nahms ihm aber nicht ab. — Ich ſagte
der Kranz iſt unbezahlbar. Ihr habt ihn aus der Mitte
von jedem Buſch geſchnitten — wie werd ichs Euch loh¬
nen, ich werd ihn Euch wiedergeben müſſen! — ja ſagt
er plötzlich, — der Kranz gehört mein. Nun, ſagt ich,
verlaßt Euch drauf ich bring ihn wieder.


Geſtern um halb acht Uhr fuhr ich mit der Tonie
auf den Ball, auf dem Weg nach dem Forſthaus wa¬
ren die Leute vom Moritz mit Fackeln zu Pferd und
begleiteten die Wagen, von weitem wars ergötzlich
all die Fackeln galoppirend durch den hochſtämmi¬
gen Weg im Wald. Das Wäldchen war mit bun¬
ten Lampen erleuchtet. Ach wie ſchön wars! — und
dazu lächelten die unendlichen Sterne! — der Moritz
empfing uns, — ich ſagte ach wie ſchön iſts hier! —
„ja? — gefällt Dirs? — Du biſt auch ſchön!“ —
und ſo ging er wieder. — Ach ich war ſo ver¬
gnügt — ich mußte lächeln mit mir, — es weckte
mich aus dem Traum als ich tanzen mußte, und
der Traum war ſo ſchmeichelig ſelbſtvergeſſen —
mitten im Getümmel ein Wonnegrab, da kamen die
Grabesſchauer mir nachgeflogen, und weckten Ge¬
dankenſeelen in der Bruſt begraben, die gaukelten
über mir im Blauen, und der Tag heut, ſpiegelt die
[332] Nacht, und die Nacht wieder den Tag die iſt ſo helle¬
glänzend daß die Sterne erblaſſen und der Tag ſo
ſchattig ſo kühl daß die Sonne nichts vermag. —


Beim Nachteſſen kam der Moritz, wir ſaßen an
kleinen Tiſchen, ich am allerletzten mit der Pauline Cha¬
meau und Willig. Der Moritz ſetzte ſich neben mich,
er fragte: „Wer hat heut Ihre Toilette beſorgt, ſo ein¬
fach, ſo originell! — die blaue Schärpe! — was bedeu¬
ten die blaue Bänder? — und der graue Kranz! —
wer hat den aſchgrauen Kranz beſorgt?“ — ich ſagte,
der Widerhall. — „Gris de cendre, joyeux et tendre,
ſo muß denn der Widerhall freudiger Zärtlichkeit an
Ihr Ohr geſchlagen haben?“ — er ging. — So ein
Liebesgeſpräch, mitten an offner Tafel, von keinem ver¬
ſtanden, nur von mir, ſo leicht — ſo luftig — wie
nimmſt Dus? — iſts nicht Blüthenſtaub vom lauen
Weſtwind Dir ins Geſicht geweht! — ja alles müſſen
wir der Natur vergleichen was voll heiteren Entzückens
uns durchdringt, nichts anders kanns ausſprechen noch
wiedergeben im Bild. Will ich mir von jenen Worten die
Regung im Herzen lebhaft wieder in die Sinne rufen ſo
muß ich doch an Blüthenbäume denken die ihre Geſchenke
dem Morgenwind auf die Flügel laden für mich, und dann
ſchauerts mich ſo frühlingsmäßig wenn ich das denke. —
[333] Als wir alle wegfuhren, die Schwägerinnen im Stadt¬
wagen zuerſt, und ich ins hohe luftige Gick vom George,
da ließ der Moritz ſeinen Mantel holen mir auf die
Füße zu werfen weils kühl ſei, er fragte ob ich froh
geweſen ſei? — ja! ſagte ich, alles war ſchön und
ſtimmte in einander, der Raſenteppich und die bunten
Lichter, und die Sterne am Himmel, rauſchende Bäume
und die Muſik der Geigen und Flöten, und auch die
der ſüßen Reden. — Er drückte mich an ſich und ſagte
„Du warſt die Königin vom Feſt, Dir hab ich die Lichter
angezündet und die Flöten rufen laſſen, es ſchmeichelt
mir unendlich daß Du Gefallen hatteſt dran, und ſchenk
mir was zum Lohn und zur Erinnerung der ſchönen
Nacht.“ — Ich hab nichts, was ſoll ich Ihnen geben? —
„Der Kranz ſteht Dir zu gut den will ich nicht, gieb
mir die blaue Schärpe ich will ſie heut Nacht um den
Hals ſchlingen.“ Ich gab ſie ihm, — er hob mich ins
Gick warf mir ſeinen Mantel über, vier Reiter jagten
mit [Fackeln] voran durch den Wald. Wie war mirs
doch? ein Zauber — ſo ſchnell die Schatten der Bäume
— im Flammenſchein verſchwindend, — und wieder da
gleich, im ſtillen Nachthimmel; ich freute mich — es
dauerte ſo eine Weile daß die Sterne mit den Fackeln
um die Wette mich auffingen, und als wir vor den
[334] Wald kamen da war der Mond aufgegangen, da wa¬
ren die Reiter eben ſo ſchnell wieder in den Wald zu¬
rück und jagten wie die Pfeile, ich ſah ihnen nach,
mein Blick war ganz trunken vom Flammenwind der
da durchbrauſte. Schreib dirs ins Herz ſagt ich mir
heimlich, das iſt dein Leben, wie ein fliegender Feuer¬
drache iſt dein Geiſt, er leuchtet die heilige Natur an,
ihre dunklen Räume; mit heißer durſtiger Zunge leckt
er an ihr hinauf, aber er verſehrt ſie nicht — der Drache
iſt nicht wild und giftig, nein! zahm und ſanft auch;
er ſchwingt ſich in zärtlicher Unruh im Kreis und
ſtrömt ſeine Feuer in ſanften Laven in die Bäche am
Weg und ſein glühender Athem erliſcht in den Nacht¬
nebeln. Ja der Drache iſt zärtlich und liebend auch,
nicht giftig und tödtend, nur will ihn keiner verſtehn,
und alle fürchten ſich vor ihm, aber nicht Du meine
Günderode, Du ſcheuſt den Drachen nicht, Du koſeſt
ihm und legſt ſeinen Flammenrachen zärtlich in Dei¬
nen Schooß. — Jetzt war ich aufgewacht aus meinen
Träumen, ich nahm dem Reitknecht an meiner Seite,
die Zügel und jagte durch die breite Ebne ganz im
Mondlicht ſchwimmend. — Ach wie luſtig! — allerlei
Glücksempfindung! — Mit Dir hab ich den Pindar ge¬
leſen, Du haſt auf Deinen Lippen die Begeiſtrung auf¬
[335] gefangen und mir auf die Seele geträufelt. Wenn der
Sänger mit ſauſenden Schwingen dahin flog, an uns
vorüber! — Weißt Du's noch? — „dahin raſte der hei߬
brauſende Hymnenſturm Latonens Sohn zum Preis!“
— Weißt Du's Günderode noch? — das Licht war
ausgebrannt. Du lagſt auf dem Bett, die Seele voll
Klang, und wiederholteſt die Verſe in feſterprägenden
Rhythmen wo ich das Versmaß ſinken ließ, und bei
der Nachtlampe las ich weiter:


Hört mich Ihr Söhne ſtolzer Helden und bei Götter —

Denn ich verkünde dieſem meergepeitſchen Land,

Einſt werde Epaphus Tochter eine Städtewurzel pflanzen

Auf des harmmoniers Boden, den Sterblichen zur Wonne,

Die kurzbefiederten Delphine vertauſchen alsdann

Mit ſchnellen Roſſen werden ſie, die Ruder mit Zügeln, —

Und fahren auf ſturmfüßigen Wagen dahin.

Ich nahm dieſe letzten Zeilen zwiſchen die Lippen von
Zeit zu Zeit und ſtieß ſie im Geſang hinausrufend in
die weit ſchlafende einſame Weite, und der Mond eilte
mit hinter leichtem Gewölk hervor. Hörſt Du auch
wieder die alten Hymnen Latone, deinen Söhnen ge¬
ſungen, rief ich, — und ſo füllten ſich allmählig meine
Sinne und rauſchten auf als ſeien ſie von einem Har¬
fenrührer erſchüttert mit goldnem Plecktrum und jugend¬
brauſenden Muth. — Glückliche Nacht wo die Gedan¬
[336] ken wie Blüthen im Südwind ſich aufthun fröhlicher
Hoffnung voll, — und ein Gefühl heitern Geſchickes
wie glänzende Strahlen aus den feurigen Blitzen ſich
ergießt die der Drache in die kühlen Mondlüfte ſpie!


So kamen wir nach Offenbach, ich wendete links
ab ſtatt in die Domſtraße zu fahren, der Reitknecht
wollt mir in die Zügel greifen weil ich den Weg ver¬
fehle, ich wehrte ihm und ſo fuhr ich raſch am Bosket
vorüber, wo die Pappeln ſo anmuthig ſich neigten ſo
ſchüchtern rauſchten als wollten ſie mich grüßen. Ich
lenkte in den engen Weg nach des Gärtners Haus, ich
hatte geſagt um halb zwölf Uhr, es war drei Uhr in
der Nacht der Tag war im Aufwachen, der Gärtner
ſtand vor ſeiner Thür und nahm die Mütze ab als er
mich kommen hörte. Guten Morgen ſagte ich, heut
werd ich nicht in den Garten kommen ich will ausſchla¬
fen, da iſt Euer Kranz, und lenkte wieder um voll
Vergnügen daß ichs durchgeführt hatt mit dem Kranz
denn ich war unterwegs voll Zweifel ob ichs thun ſolle
oder nicht. — Dem Moritz den Gürtel dem Gärtner den
Kranz ſagte ich mir immer; aber eine innere Stimme
ſagte mir, warum ſoll der Gärtner den Kranz entbehren
er gehört doch ſein, und er war ihm früher verſprochen
und dann fühlt ich wie weh es ihm thun werde wenn
ich[337] ich mein Verſprechen nicht halten würde und wie das
ohne Lüge nicht abgehen könne, ich müſſe ihm ſagen
der Kranz ſei verloren oder zerriſſen und das wär eine
doppelte Unachtſamkeit und müſſe ihn doppelt verletzen,
nein ich mußt ihn ihm geben. Meine Seele war or¬
dentlich leicht als er hingeworfen war und er ihn mit
der Hand auffing, er erröthete ſo freundlich, grad mit
der Morgenröthe! — die aufſtieg. — Dem Moritz den
Gürtel, ihm den Kranz! ja beiden gehörts. — Denn
beide ſind freundlich geſandt vom Dichter-Genius, der
in der lautloſen Stille, wenns von Menſchen nicht ge¬
wußt oder nicht bedacht, mir durchs Labyrinth der Bruſt
ſchweifet in der Nacht. —


Zu Haus im Bett wie war mirs da? — Letzt ſah
ich dem Franz ſein Kindchen an der Amme trinken
da mußte es ſo ſchnell ſchlucken, es konnt nicht
eifrig genug trinken ſo ſtrömte ihm die Milch zu.
Grad ſo war mirs im Herzen, ich ſchluckte ſüße Milch,
alle ſüße Erinnerung ſtrömte, ſo wie meine Gedanken
nur einen Augenblick wollten an ihr ſaugen, und
wies Kindchen ſich von einer Bruſt zur andern wen¬
det weil ſie zu voll ſtrömen bis es vor Ermüdung
des Saugens einſchläft, ſo wendete ich mich von
einer Seite zur andern, und ſchlief auch endlich
15[338] vor Ermüdung des Genießens ein. — So hab ich
geſchlafen bis Mittag, da brachten ſie mir einen Strauß
der war mir aus dem Bosket geſchickt worden. — Hör
nur was das für ein Strauß war, und wie witzig der
Gärtner iſt; und wie gebunden, und was das bedeuten
mag, — in der Mitte eine Moosroſenknospe, da her¬
um Vergißmeinnicht und Heidekraut die einen Kranz bil¬
den, dann rund herum höher herauf Wachholderzweige
und Neſſeln, die ſchirmt wieder allerlei Dornwerk und
Laub was höher ſteigt, ſo zierlich gebunden wie ein
Kelch in deſſen tiefſter Mitte die Moosroſe glüht. Das
leſe ich ſo: Die Moosroſe iſt mein Geſchenk, der Kranz;
das Heidekraut was die Roſe ſchirmt das iſt der be¬
ſcheidne Gärtner, eine Blume wie ſie unzählig ſich auf
dem Feld ausbreitet, die Vergißmeinnicht, das iſt das
ewige Andenken; er wirds nimmer vergeſſen daß ich
ihm den Kranz geſchenkt hab, der Wachholder iſt der
ſchlichte Weihrauch den er meiner Gabe als Opferrauch
duftet, die Neſſeln bedeuten daß es ihm im Herzen
brennt und ſchmerzt, das Dornwerk und das Laub was
rundum in Kelchform aufſteigt die Roſe zu verbergen,
die ſagen daß es in ſeinem Herzen ſoll geheim blei¬
ben, und daß er es im Herzenskelch vor aller Au¬
gen ſtill bewahren wolle. — Der St. Clair iſt wieder
[339] zurück hat mir die Tonie geſagt. War er bei Dir? —
Was hat er vom Hölderlin erzählt? —

An die Bettine.

Der St. Clair war bei mir, er kam von Mainz,
heut erſt geht er nach Homburg, bleibt acht Tage oder
länger dort, wenn er zurückkommt das wird am Sonn¬
tag ſein, will er nach Offenbach kommen, er glaubt Du
werdeſt dann am Morgen wohl ein paarmal mit ihm
im Garten auf und abgehen da will er Dir vom Höl¬
derlin alles erzählen.


Am Mittwoch reiſe ich auf drei Wochen zur Nees
auf ihr Gut bei Würzburg; von dort will ich Dir deut¬
licher ſchreiben, hier im Augenblick von kleinen Reiſe¬
angelegenheiten geſtört, kann ich nicht, wie ich wohl
möchte, antworten auf Deine Liebe, der ich eben auch
vertrau wie dem untadelichen Grund Deiner Seele.
Schon fühl ich mich bewogen Deine Empfindungen Dein
Thun, ohne Einwurf gelten zu laſſen, thue wie Dirs
der Geiſt eingiebt, weil es das beſte und einzige iſt
wo keines Menſchen Rath auslangt; und auch weil
Du, ſo nur den unberufnen Vorkehrungen und Rath¬
15*[340] gebern kannſt ausweichen; das iſt was hier zu befahren
iſt; — nicht Dein kühner Sinn; Dein ſicher abwägendes
Gefühl haben wir nicht zu befahren, aber das Meſ¬
ſen mit dem Maaßſtab der nirgendwie mit Dir zu¬
ſammenſtimmt. Ich ſelber weiß oft nicht mit wel¬
chem Winde ich ſteuern ſoll, und überlaſſe mich allen.
Hab Geduld mit mir da Du mich kennſt, und denke
daß es nicht eine einzelne Stimme iſt der ich zu wider¬
ſprechen habe, aber eine allgemeine die wie die lernaeiſche
Schlange immer neue Köpfe erzeugt. Was Du ſagſt
und treibſt und ſchreibſt geht mir aus der Seele oder
in die Seele; ich fühle zu nichts [Neigung] was die
Welt behauptet; und muſtere ich gelaſſen ihre Forde¬
rungen ihre Geſetze und Zwecke, ſo kommen ſie alle¬
ſammt mir ſo verkehrt vor wie Dir, — aber Deine ab¬
ſurdeſten Demonſtrationen wie ſie Deine Gegner nen¬
nen, habe ich noch nie in Zweifel gezogen, ich hab Dich
verſtanden wie meinen eignen Glauben, ich hab Dich
geahnt und begriffen zugleich, und doch muß ich in die
Sünde verfallen Dich zu verläugnen; es iſt mir nicht
gleichgültig daß ich dieſe Schwäche habe, kannſt Du
ſie mir ausrotten helfen ſo bin ich willig zur Buße.
Das ſei Dir genug zum Fühlen wie die Vorwürfe, die
Du Dir um mich machſt mich nur drücken können. Das
[341] Produkt jener Stunde, wo Deine Liebe dieſer gewaltſa¬
men Stimmung in mir ſo ſtreng entgegentrat leg ich
Dir hier bei. — Dichten in jedem Herzensdrang hat
mich immer neu erfriſcht, ich war nicht länger gedrückt
wenn ich mein Verſtummen konnt erklingen laſſen.

Des Wandrers Niederfahrt.

Wandrer.
Dies iſt, hat mich der Meiſter nicht betrogen

Des Weſtes Meer in dem der Nachtwind braußt.

Dies iſt der Untergang von Gold umzogen,

Und dies die Grotte, wo mein Führer haußt. —

Biſt du es nicht, den Tag und Nacht geboren

Des Scheitel freundlich Abendröthe küßt!

In dem ſein Leben Hälios verloren

Und deſſen Gürtel ſchon die Nacht umfließt.

Herold der Nacht! biſt du's der zu ihr führet

Der Sohn den ſie dem Sonnengott gebieret?

Führer.
Ja, du biſt an deſſen Grotte,

Der dem ſtarken Sonnengotte

In die Zügel fiel.

[342]
Der die Roſſe weſtwärts lenket,

Daß ſich hin der Wagen ſenket,

An des Tages Ziel.

Und es ſendet mir noch Blicke,

Liebevoll der Gott zurücke

Scheidend küßt er mich;

Und ich ſeh es, weine Thränen

Und ein ſüßes ſtilles Sehnen

Färbet bleicher mich;

Bleicher, bis mich hat umſchlungen,

Sie, aus der ich halb entſprungen,

Die verhüllte Nacht.

In ihre Tiefen führt mich ein Verlangen

Mein Auge ſchauet noch der Sonne Pracht,

Doch tief im Thale hat ſie mich umpfangen

Den Dämmerſchein verſchlingt ſchon Mitternacht.

Wandrer.
O führe mich! du kenneſt wohl die Pfade

Ins alte Reich der dunklen Mitternacht;

Hinab will ich ans finſtere Geſtade

Wo nie der Morgen, nie der Mittag lacht.

Entſagen will ich jenem Tagesſchimmer

Der ungern nur der Erde ſich vermählt,

Geblendet hat mich trüg'riſch, nur der Flimmer,

Der Ird'ſches nie zur Heimath ſich erwählt.

[343]
Vergebens wollt' den Flüchtigen ich faſſen,

Er kann doch nie vom ſteten Wandel laſſen,

Drum führe mich zum Kreis der ſtillen Mächte,

In deren tiefem Schooß das Chaos ſchlief,

Eh, aus dem Dunkel ew'ger Mitternächte,

Der Lichtgeiſt es herauf zum Leben rief.

Dort, wo der Erde Schooß noch unbezwungen

In dunkle Schleier züchtig ſich verhüllt,

Wo er, vom frechen Lichte nicht durchdrungen,

Noch nicht erzeugt dies ſchwankende Gebild

Der Dinge Ordnung, dies Geſchlecht der Erde!

Dem Schmerz und Irrſal ewig bleibt Gefährte.

Führer.
Willſt du die Götter befragen,

Die des Erdballs Stützen tragen,

Lieben der Erde Geſchlecht.

Die in ſeliger Eintracht wohnen,

Ungeblendet von irdiſchen Sonnen,

Ewig ſtreng und gerecht;

So komm, eh ich mein Leben ganz verhauchet,

Eh mich die Nacht in ihre Schatten tauchet.

Horch! es heulen laut die Winde,

Und es engt ſich das Gewinde

Meines Wegs durch Klüfte hin.

Die verſchloß'nen Ströme brauſen,

[344]
Und ich ſeh mit kaltem Grauſen

Daß ich ohne Führer bin.

Ich ſah ihn bläſſer, immer bläſſer werden,

Und es begrub die Nacht mir den Gefährten.

In Waſſerfluthen hör ich Feuer ziſchen

Seh wie ſich brauſend Elemente miſchen,

Wie, was die Ordnung trennet, ſich vereint.

Ich ſeh, wie Oſt und Weſt ſich hier umpfangen,

Der laue Süd ſpielt um Boreas Wangen,

Das Feindliche umarmet ſeinen Feind

Und reißt ihn fort in ſeinen ſtarken Armen:

Das Kalte muß in Feuersgluth erwarmen.

Tiefer führen noch die Pfade

Mich hinab, zu dem Geſtade

Wo die Ruhe wohnt,

Wo des Lebens Farben bleichen,

Wo die Elemente ſchweigen

Und der Friede thront.

Erdgeiſter.
Wer hieß herab dich in die Tiefe ſteigen

Und unterbrechen unſer ewig Schweigen?

Wandrer.
Der rege Trieb: die Wahrheit zu ergründen!

[345]
Erdgeiſter.
So wollteſt in der Nacht das Licht du finden?

Wandrer.
Nicht jenes Licht das auf der Erde gaſtet

Und trügeriſch dem Forſcher nur entflieht,

Nein, jenes Urſein das hier unten raſtet

Und rein nur in der Lebensquelle glüht.

Die unvermiſchten Schätze wollt' ich heben

Die nicht der Schein der Oberwelt berührt

Die Urkraft, die, der Perle gleich, vom Leben

Des Daſeins Meer in ſeinen Tiefen führt.

Das Leben in dem Schooß des Lebens ſchauen,

Wie es ſich kindlich an die Mutter ſchlingt

In ihrer Werkſtatt die Natur erſchauen,

Sehn, wie die Schöpfung ihr am Buſen liegt.

Erdgeiſter.
So wiſſ! es ruht die ew'ge Lebensfülle

Gebunden hier noch in des Schlafes Hülle

Und lebt und regt ſich kaum,

Sie hat nicht Lippen um ſich auszuſprechen,

Noch kann ſie nicht des Schweigens Siegel brechen,

Ihr Daſein iſt noch Traum —

Und wir, wir ſorgen daß noch Schlaf ſie decke

Daß ſie nicht wache, eh' die Zeit ſie wecke.

15**[346]
Wandrer.
O ihr! die in der Erde waltet,

Der Dinge Tiefe habt geſtaltet,

Enthüllt, enthüllt euch mir!

Erdgeiſter.
Opfer nicht und Zauberworte

Dringen durch der Erde Pforte,

Erhörung iſt nicht hier.

Das Ungeborne ruhet hier verhüllet

Geheimnißvoll, bis ſeine Zeit erfüllet.

Wandrer.
So nehmt mich auf, geheimnißvolle Mächte,

O wieget mich in tiefem Schlummer ein.

Verhüllet mich in eure Mitternächte,

Ich trete freudig aus des Lebensreihn.

Laßt wieder mich zum Mutterſchooße ſinken,

Vergeſſenheit und neues Daſein trinken.

Erdgeiſter.
Umſonſt! an dir iſt unſ're Macht verloren,

Zu ſpät! du biſt dem Tage ſchon geboren;

Geſchieden aus dem Lebenselement.

Dem Werden können wir, und nicht dem Seyn ge¬
bieten

Und du biſt ſchon vom Mutterſchooß geſchieden

[347]
Durch dein Bewußtſein ſchon von Traum getrennt.

Doch ſchau hinab, in deiner Seele Gründen,

Was du hier ſucheſt wirſt du dorten finden.

Des Weltalls ſeh'nder Spiegel biſt du nur.

Auch dort ſind Mitternächte die einſt tagen.

Auch dort ſind Kräfte, die vom Schlaf erwachen

Auch dort iſt eine Werkſtatt der Natur.

Der Tonie hat Clemens geſchrieben er komme in
wenig Tagen — er hofft mich hier zu finden, ich kanns
nicht ändern daß ich fortgehe grade wie er kommt, es
thut mir leid, wie gern ich ihn geſprochen hätte,
— Du ſags ihm doch, in drei Wochen bin ich zurück,
bitte ihn daß er ſo lange bleibe ich werde gewiß um
keinen Tag zögern, es liegt mir daran ihn zu ſehen,
das einliegende Blatt gieb ihm er hats von mir ver¬
langt, es iſt ein Gedicht was ich ſchon früher gemacht
habe. Clemens wird zu Dir hinauskommen, ich glaube
Du thuſt wohl noch ſo lang in Offenbach zu bleiben
bis ich wieder zurück bin, Du biſt vergnügt dort und
niemand legt Dir was in den Weg, hier würden Sit¬
len- und Splitterrichter Dich verdrießlich machen, Cle¬
mens würde dabei manche Frage an Dich thun die Dir
unlieb ſein dürfte, und mir iſts unangenehm wenn er
Dich ins Gebet nimmt.


[348]

Du ſchreibſt mir doch! — ſchicke Deine Briefe ins
Stift, dort iſt am Samſtag und den Donnerſtag drauf
Gelegenheit etwas an mich zu ſchicken. — Ich wäre
gern noch hinaus gekommen, glaubſt Du daß George
mich im Cabriolet hinausfahren ließe? — Wollteſt Du
wohl bei ihm drum fragen? —


Was Dir die Großmama aus ihrem Leben erzählt
das merk Dir doch alles wenns auch nur mit wenig
Zeilen iſt, ſpäter iſt es einem gar intereſſant. Adieu
und bleib mir gut, ich will Dirs abzuverdienen ſuchen.


Karoline.
Iſt alles ſtumm und leer,

Nichts macht mir Freude mehr,

Düfte ſie düften nicht,

Lüfte ſie lüften nicht,

Mein Herz ſo ſchwer!
Iſt alles öd und hin,

Bange mein Geiſt und Sinn,

Wollte, nicht weiß ich was

Jagt mich ohn Unterlaß

Wüßt ich wohin? —
Ein Bild von Meiſterhand

Hat mir den Sinn gebannt

Seit ich das Holde ſah

Iſts fern und ewig nah

Mir anverwandt. —
Ein Klang im Herzen ruht,

Der noch erfüllt den Muth
[349]
Wie Flötenhauch ein Wort,

Tönet noch leiſe fort,

Stillt Thränenfluth.
Frühlinges Blumen treu,

Kommen zurück aufs Neu,

Nicht ſo der Liebe Glück

Ach es kommt nicht zurück

Schön doch nicht treu.
Kann lieb ſo unlieb ſein,

Von mir ſo fern was mein? —

Kann Luſt ſo ſchmerzlich ſein

Untreu ſo herzlich ſein? —

O Wonn' o Pein.
Phönix der Lieblichkeit

Dich trägt dein Fittig weit

Hin zu der Sonne Strahl —

Ach was iſt dir zumal

Mein einſam Leid?

An die Günderode.

Warum Du aufs Landgut grade gehſt wie wir im
beſten Verkehr ſind, das begreif ich nicht, es war ſchon
als hätt ich Wurzel gefaßt in dieſem ſchönen Briefle¬
ben, wie die Erdbeeren beim Erröthen fühlt ich einen
aromatiſchen Duft in mir wenn ich mich heiß geſchrie¬
ben hatte, Du biſt immer unterwegs, ich begreif nicht
[350] wo Du Zeit hernimmſt zu Allem! — Dies ſchöne Ge¬
dicht! — Wann haſt Dus geſchrieben? — Es dreht ſich
im Tanz und ſpielt ſich ſelbſt dazu auf — ſo leicht,
als ob ſichs ſo nur aus Deiner Bruſt athme ohne An¬
ſtoß. — Dein Gedicht was Du in der klangloſen Stunde
geſchrieben iſt doch klangreich, es ſchöpft die Töne aus
der Bruſt und ſtimmt ſie zu Melodieen. — Doch weile
ich lieber bei dem erſteren, denn das haſt Du doch ſpä¬
ter gemacht nicht wahr? und fühlſt auch wie ich daß
die Schmerzen im Geiſt immer mit auf die Pein der
Langeweile gegründet ſind. — Denn nehms wie Du
willſt; bräche das Leben ſich mit einmal eine neue
Bahn und wär ſie auch noch ſo uneben und holperig,
die Verzweiflung hätt ein Ende. Denn alles Schmerz¬
gefühl, alle Sehnſucht kommt doch nur daher weil die
grade Bahn des Lebens gehemmt iſt. — Beſinn Dich
doch auf unſere Reiſe-Abentheuer die wir den Winter
mit einander durchmachten, keiner von uns hatte eine
trübe Minute den ganzen Winter nicht, Deine Sehn¬
ſucht ins Innere von Aſien hinein brachte uns immer
unter die wilden Thiere. Tieger und Löwen und Ele¬
phanten haben uns Schabernack geſpielt. Was haben
wir für Sonnenhitz ausgeſtanden mitten im Eis; erſt
ſpäter merkte ich wie ſehr wir uns in dies Leben ver¬
[351] tieft hatten, da alle Leute dieſen Winter als einen der
kälteſten durchgehuſtet haben. Weißt Du am Neujahrs¬
tag kam ich zu Dir! alle Räder pfiffen an den vielen
Staatswagen, die gepuderten Kutſcher mit den rothge¬
frornen Geſichtern! — da kam ich zu Dir in die Stube
herein und ſagte Gott es iſt ſo heiß hier in Aſien daß
wir nur ſo hinſchmachten und drauß vor der Thür in
Frankfurt da hängen dem Kutſcher die Eiszapfen am
Knebelbart. — Was haben wir gelacht Günderode; —
und haben unter Zimmetbäumen eine Taſſe Chokolade
getrunken die wir in Deinem Öfchen kochten mit wohl¬
riechendem Sandelholz; und da kam ein Salamander
ins Feuer und färbte ſich da in allerlei Farben und
warf die Chokoladenkanne um, und wir melkten die
weiße Elephantin die ihr junges in unſerer Nähe ſäugte
und machten Elephantenbutter, ich wollt als immer
Löwenbutter machen das litteſt Du nicht denn Du warſt
ſehr vorſichtig. Du meinteſt es ſei zu viel Gefahr da¬
bei, die Löwin könne mir einmal wild werden über dem
Melken — Und die Erlebniſſe am Ganges und Indus.
die ſchönen Knaben die uns da begegneten wo wir uns
verſteckten und ſahen ſie vorübergehen und ſich waſchen
in den heiligen Fluthen und Gebete thun, da ſagteſt
Du es müſſen wohl Tempelknaben ſein, wir müſſen
[352] nach dem Tempel hier in der Gegend ſuchen. Da führte
eine Allee von großen Tulipanen hin, die hab ich ent¬
deckt, wir brachten Stundenlang hin mit der Bewun¬
drung der Blumen, und da waren Goldfruchtbäume
und Trauben und Melonen, alles das wuchs in ſchön¬
ſter Fülle rund um die Säulen der Tempel zu denen
wir fremde Völkerſtämme hinwallen ſahen, da ſagteſt
Du einen Hymnus her den hätten ſie geſungen beim
Sonnenaufgang: Ätherwüſte! — ſo fing Dein Hym¬
nus an, und ich machte eine Melodie drauf, die ließeſt
Du Dir vorſingen zur Zitter von mir, — und Du hör¬
teſt zu, ſo ſtill als wär es indiſcher Tempelgeſang;
Abends im Mondſchein das war unſre beſte Zeit wo
wir phantaſirten, und hielten uns einander bei den
Händen wenn wir die Berge hinanſtiegen und ruhten
unter Dattelbäumen aus, Du machteſt immer die Reiſe¬
route weil Du die Kenntniſſe des Landes hatteſt, und
da ſtiegen wir auf einen Berg der hieß Bogdo, von
da aus, ſagteſt Du, könne man alle Gebirgsketten über¬
ſehen, da eilte ich mich voran zu kommen um zuerſt
oben zu ſein, und da ſchrie ich Dir entgegen ich ſähe
das rothe Korallenmeer mit der Todespforte. Da hatte
ich mich aber geirrt, denn Du bewieſeſt mir daß man
es von da aus nicht ſehen könne da es an der Grenze
[353] von Afrika liege, und der Bogdo liege in der Mitte
von Hochaſien. — Wir waren doch ſo glücklich, wie
ſchwärmte mein Kopf von brennenden Farben der Blü¬
thenwelt, wie waren wir entzückt vom Duft, der uns
umwallte! — das dauerte den ganzen Winter, und
kein Menſch wußte daß wir in einer ſüdlichen Welt
lebten, wir gingen grade in den Gärten von Damas¬
kus ſpazieren ganz entzückt von dem Blumenparadies
und trunken von ihrem Duft, da kam der alte Herr
von Hohenfeld und brachte Dir das erſte Veilchen was
er auf ſeinen Spaziergang im Stadtgraben gefunden
hatte. Ach da verließen wir Damaskus und ließen uns
von Hohenfeld hinausführen wo er das Veilchen ge¬
funden hatte und ſuchten noch mehrere; und von da
an war der Zauber aufgehoben, und wir lachten recht
daß uns das Veilchen ſo ſchnell aus Aſien herüber ge¬
zaubert hatte nach Frankfurt auf die alten Feſtungs¬
wälle, denn wir gingen von nun an in den ſchönen
Frühlingstagen jeden Mittag hinaus, — und machten
uns Kränze die ſtanden Dir ſo ſchön, ſo war die ge¬
ringſte Wirklichkeit ſchon wieder ein Paradies für uns.
Sieben Spaziergänge haben wir ſo gemacht, Günde¬
rode, ich hab mir ſie gezählt, ſie kamen mir wie das
köſtlichſte im Leben vor. Du ſaßeſt immer unter der
[354] großen Eiche und bedauerteſt Deinen arabiſchen Ren¬
ner, daß Du den nicht mit aus Aſien herüber gebracht
hatteſt; während ich am Abhang nieder kletterte wo Du
immer Furcht hatteſt daß ich hinunter falle; am Neu¬
jahrstag war ich wirklich da hinunter gekollert, ich war
mit George da ſpazieren gegangen es war Glatteis, ich
glitt aus und Er den Augenblick ohne ſich zu beſinnen
mir nach, da faßte er mich und hielt ſich mit der an¬
dern Hand an einer Wurzel feſt. Er war ganz blaß
und wankte denn er konnte ſchwer das Gleichgewicht
halten. Oben ſagte er: jetzt wären wir Beide [zerſchmet¬
tert]
hätte Gott mir nicht beigeſtanden denn ich hätte
mich Dir nachgeſtürzt. — Ich war bis dahin gar nicht
erſchrocken geweſen, denn ich bin ſo faſelig und merk
nie Gefahr. — Aber das erſchütterte mich daß des Bru¬
ders Leben an dem meinen hing wie an einem Haar,
und daß es Gott nicht reißen ließ. — Wie Geſchwiſter
doch aneinander hängen, wie Glieder eines Leibes, eins
ſtürzt dem andern nach in den Abgrund; eins rettet
das andere. Möge ichs doch nie vergeſſen das Vater
und Mutter mir den Bruder geſchenkt haben. —


Was wollt ich Dir doch ſagen! — ja, daß damals
mir zuerſt der Gedanke kam wie das Leben nur als
Nothbehelf vernutzt werde. Ich dachte daß wir Ge¬
[355] danken haben ſo raſch, und daß die Zeit hinten nach¬
kommt und mag nichts erfüllen, und daß die Melan¬
cholie allein aus dieſer Quelle des Lebensdrang fließt,
der ſich nirgend ergießen kann. — Die Welt muß voll
deſſen ſein was unſer Leben entwickelt, kämen die Tha¬
ten und überflügelten unſere Sehnſucht daß wir nicht
immer ans Herz ſchlagen müßten über den trägen Le¬
bensgang — Nicht wahr Du fühlſt es auch — das
wär die wahre Geſundheit, und wir würden dann ſchei¬
den lernen von dem was wir lieben und würden ler¬
nen die Welt bauen, und das würde die Tiefen der
Seele beglücken. So müßte es ſein, denn es iſt viel
Arbeit in der Welt, mir zum wenigſten deucht nichts
am rechten Platz. — Und was ich niemand ſage wie
nur Dir, ich mein immer ich müſſe die ganze Welt um¬
wenden, ja ich ſage Dir, es liegt mir ſo nah daß ich
oft in Träumen mich nach dem Scepter umſehe, wo
Gott den für mich hingelegt hat, und würde gewiß die
Verwirrung lichten. Nur ein einzig Ding am rechten
Ende angefaßt zieht eine Menge andere nach ſich die
von ſelbſt dann ins rechte Geſchick kommen würden.
Die Menſchen lernen dann allmählig auch das Rechte
denken, wenn ſie erſt eine Weile das Rechte haben
thun müſſen. Denn ich ſage nur immer ſo: konnten
[356] ſie ſo feſt in der Unnatur ſich einwurzeln, wie viel fe¬
ſter und kräftiger dann im Boden der ihre höhere Na¬
tur erzieht. Sollt ich irren? — Menſchengeiſt horcht auf
Göttergebot in der eignen Stimme; horcht auf jene
heilige Urphiloſophie die ohne Lehre als Offen¬
barung jedem ſich giebt der mit reinem Willen
zur Wahrheit betet
. — Das haſt Du ſelber geſagt, es
ſind Deine eignen Worte. Wie oft hab ich doch einſam um
Wahrheit gefleht! — und wie unermeßlich iſt doch Vol¬
lendung über die Sterne hinauf, — Und die Zeit darf
nicht mehr ſein da wo wir ſie gegenwärtig fühlen. —
O beſſere Tage wo ſeid ihr? O kommt uns entgegen,
laßt nicht immer nur harren auf euch daß nicht auch
wir nur wie Schattenbilder an euch vorübergehen. Laſ¬
ſet euch dienen ihr Tage die ihr den Geiſt der
Liebe ſollt hinüberſchiffen; ſtill und heimlich euch
landen helfen, und den Genius aufnehmen, lehren die
Menſchen, daß ſie ihn nimmer verſchmähen der in
allem allein nur darf gelten! — ſo red ich das
Morgenlicht an das mich weckt, und denke dabei Dei¬
ner und meiner. — Was ſind Freundſchaftsbande? —
Was iſt Zuſammenleben, und Austauſch der Gedanken
wenn der Dritte nicht niederſteigt, der Göttliche — der
herab ſich läßt um das Leben geneſen zu machen? —
[357] Ach — ſo deutlich ſteht es geſchrieben in meiner Bruſt!
— gefaßt und b ſonnen muß der Geiſt ſein, — das
weiß ich — und das Herz iſt oft ein ungeduldiger Kran¬
ker, aber der Geiſt wird auch alles für es aufbieten,
und eine Höhe muß es geben wo grade durch den Geiſt
es mit allem Leiden verſöhnt werde. — Das denke,
wenn es zu hart Dich bedroht, laſſe Dir nicht ſchwin¬
deln und denk daß Begeiſtrung immer das höchſte Er¬
denſchickſal iſt, und daß die aus dem Schmerz ſich er¬
zeuge wie aus der Freude. — Und mags kommen wies
will ſo ſollen zu Helden wir uns bilden, mit der
Freude wie mit dem Schmerz unſre Freiheit erkaufen.
— O kommt mir das Feld der Schickſale doch vor wie
der Blumengarten Gottes, wo jede Knospe in ihren ei¬
genthümlichen Farben ſich erſchließt, der weiſe Gärtner
giebt Schatten den einen und Kühle und harten Boden,
den andern Sonne und fruchtbare Erde, ſo wie jedes be¬
darf zum Blühen. — Und das Blühen iſt ja die Erfül¬
lung aller Sehnſucht. Drum laſſe uns das Leben lieben,
weil es uns, zu dieſer Blüthe bringt, und denken, die
Wolke über uns, ſchütte ſich aus den Staub von uns
abzuwaſchen und daß dann die Sonne aufs neue uns
anglänzt.


Ich bin traurig, — ich kann nicht von Dir los —
[358] Dein Lied ſchmerzt mich — ja es weckt Melodieen —
aber ſo ſchmerzliche — daß ich in ihrem Geſang den
Widerhall Deines Weh's empfinde, und mich ſchäme
daß ich ſo heiter war dieſe Zeit über, an jedem Weg
mir Blumen ſammelte und Dir zuwarf in Scherz und
Übermuth, und das war ſchlecht lieben gelernt von mir,
wo ich doch herausgezogen war um dieſer Schule mich
ganz zu widmen.


Was werd ich dem Clemens ſagen wenn er auf
meine Bildung zu ſprechen kommt? — Ich freu mich
ſehr auf den Clemens das wird mich für Dein Fortlau¬
fen tröſten, ich mag gar nicht dran denken daß Du mit
ſo viel Menſchen umgehen kannſt mit denen ich kein
ungeſcheut Wort zu ſprechen vermag. — Wie iſt mir
doch Hören und Sehen [verkürzt] durch Dein Weggehen!
— Geſtern Abend noch blies mir die hundertjährige
Couſine das Licht aus, ich ſolle nicht die ganze Nacht
durch ſchreiben meinte ſie, oder ſie wolle es der Gro߬
mama ſagen daß ich meine Geſundheit verderbe, ich
hatte einen Schachteldeckel vors Licht geſtellt daß ſies
nicht ſehen ſollt durchs Schlüſſelloch, aber ſie bemerkte
den Widerſchein; — ich ſagte Sie alte Hundertjährige
was will Sie mit mir auf der Welt. Sie kann doch
unmöglich noch einmal hundert Jahr leben, dann gehen
[359] wir zuſammen, — „nein wenn Dus ſo machſt dann kannſt
Du mir nit e mal Quartier beſtellen ich überleb Dich hun¬
dertmal.“ Ich mußt mirs gefallen laſſen, das Licht war
aus, ich nahm ſie aber dafür auf den Arm und trug
ſie mit ſammt ihrem Laternchen hinunter auf ihren Le¬
derſeſſel. Sie ſchrie erſt, ich werde ſie der Treppe herun¬
terwerfen, aber mitten in der Todesgefahr war ſie vor
Angſt ganz ſtill, unten auf dem Seſſel wollte ſie anfan¬
gen zu zanken, ich nahm aber ihr Federbett und warfs
ihr auf den Kopf und lief fort. — Jetzt kommt ſie ge¬
wiß nicht wieder. — Obſchon ich müde war hätt gern
noch geſchrieben was ich jetzt nicht mehr weiß, heut
ſchwärmt mirs nur vor Augen und Ohren daß Du nicht
mehr auf Deinem alten Plätzchen meine Briefe bekom¬
men ſollſt. Die Großmama hatte geſtern einen Anfall
von Schwindel, ich mag nicht nach Frankfurt verlangen,
und auch mag ich nicht hin, was ſoll ich dort wenn
Deine Haiden Deine Holzhauſen Deine Nees Dich in
Beſchlag nehmen! — Ich glaubte, ja wahrhaftig ich
glaubte ich wär Dir lieber wie die andern und es
wär Dir Ernſt mit unſrer religiöſen Weltumwälzung
wies auch mir iſt, und ſo wars auch recht von Gott
angeordnet daß wir beide nicht beiſammen und doch ſo
nah waren daß jeden Tag unſere Briefe ſich erreichten
[360] ſo kam es doch zu Papier, ſonſt hätten wirs verſchwätzt.
Was hilfts! — übermorgen gehſt Du bis Würzburg,
das liegt außer der Welt, und läßt mich hier auf dem
Dach vom Taubenſchlag ſchmachten. — Wenn Du gut
ſein willſt ſo komm morgen früh um ſieben Uhr auf die
Gerbermühl; hierher komme nicht, weil die Großmama
unwohl iſt, da ich jetzt immer in ihrem Vorzimmer bin,
aber bis morgen um zehn Uhr wo ich erſt zu ihr
gehe, kann ich mit Dir ſein, um ſechs Uhr geh ich
auf die Gerbermühl, der George läßt Dich hinfahren
ich habs ihm geſchrieben. Hinter der Mühl in dem
langen Heckengang auf dem Stein am Kreuz wollen
wir uns ein bischen hinſetzen zuſammen. Du kannſt
nach der Stadt zurückfahren, Du kannſt auch das Ca¬
briolet zurückſchicken und zu Waſſer heimfahren, das
wär mir lieber damit Du nicht ängſtlich ſein ſollſt ums
Cabriolet halten zu laſſen ſo lang mir beliebt. Ach
am Sonntag hab ich auch eine Waſſerfahrt gemacht
mit Jeannot und Dorwille auf Bernhards Nachen hin¬
ter dem Schiff mit der Harmonie, alles war in Scherz
und Liebesreden begriffen wenn die Muſik pauſirte, ich
aber hatte keinen Antheil dran, der Gärtner ſaß am
Steuer dem wollt ich nicht leid thun, er hatte ſchöne
feine

[361] feine Hemdärmel und mein Schnupftuch um den Hals
geknüpft. —

An die Günderode nach Würzburg.

Weil ich jetzt weiß, daß Du außer der Welt biſt
ſo hab ich ein ganz ander Leben angefangen und mein
Sinn hat ſich ganz geändert. — Ich möcht auch fort
in die Welt, ja ich möcht fort! — Ich bin doch in mei¬
nem Leben noch auf keinen Berg geſtiegen, von wo aus
man die ganze Welt überſieht, und in meiner Seel
überſeh ich doch die Welt. — Du zankſt daß ich alles
beſſer wiſſen will, und ich weiß doch alles beſſer, und
ich kann doch nichts davor daß mirs anders und beſſer
einfällt. — Ja mir kömmt vor als ſei mein Bewußt¬
ſein ein Geſang meiner Seele dem ich mit Vergnügen
zuhör, denn wenn ich einmal etwas nicht weiß, ſo iſt
es nur als hätt ichs vergeſſen gehabt, aber ich hatte es
doch ſchon einmal gewußt. — Nur bei kleinen Dingen
ſteht mir manchmal der Verſtand ſtill, zum Beiſpiel ge¬
ſtern bei einer wilden Kaſtanie die ich aus ihrer grünen
Hülfe losmachte, da lagen drei Kaſtanien in einander
16[362] gefügt, noch unreif, blendend weiß, da mein ich immer,
ich müßt mit Gewalt wiſſen lernen was alle dieſe
Formen ſprechen, denn gewiß iſts, alles geſchaffene
iſt durch den heiligen Geiſt erzeugt. Es iſt unmöglich
daß eine Form ſei, ſie iſt denn durch Gottes Wort,
Es Werde, hervorgegangen. Nun, was durch den ewi¬
gen Erzeugungswillen hervorgeht das muß doch eine
Selbſtſprache haben, das muß ſich nemlich ausſprechen
und ſich auch beantworten. Dein Leben muß doch eine
Sprache führen, denn ſonſt iſt es ja nichts. Alſo wen
Gott liebt mit dem führt er Geſpräche, alſo blos Liebes¬
geſpräche, — ja was iſt auch Geſpräch als blos die
Liebe, — ſo iſt denn alle Form in der Natur ein Aus¬
druck der Liebe. Die Sprach der Lieb iſt alſo Sprach
Gottes. Gott iſt der Liebende — iſt denn Gott perſön¬
lich? — hat er ein Antlitz? — kann ich ihm die Hand
reichen? — wo find ich ihn, daß ich Liebesgeſpräch mit
ihm führ. — Meine Lieb zu Menſchen iſt Mitleid, ich
muß um ſie trauren daß es ſo und nicht anders iſt. —
Liebe iſt glaub ich nur Göttergeſpräch. — Weil ich
weiß daß ich alles weiß, nur kann ichs nicht finden, ſo
ſuch ich alles in mir, das iſt ein Geſpräch mit Gott.
Das iſt alſo Liebesgeſpräch, wenn ich mich aufs Geſicht
[363] leg im Schatten und hör den Bach rauſchen neben mir,
was der redet alles, und Antwort drauf geben muß! und
ſtreck die Ärm aus im kühlen Gras überm Kopf, und
frag in meine Seel hinein alles was ich wiſſen will.
Da wird mir Antwort, ich kann ſie aber nicht gleich
in Worte übertragen. Aber es giebt auch ein Geſpräch
ohne Worte. Aber Liebe iſt doch wohl blos Gottheits¬
geſpräch? — Ja was ſoll ſie anders ſein? — Frage
und ſüße Antwort; könnt ich aufhören danach mich
ewig zu ſehnen? — ich wär mir ſelber geſtorben. Und
die Seele die mich am tiefſten verſteht — mir am ſehn¬
ſüchtigſten Antwort giebt, mich wieder frägt um Antwort,
die muß ich lieben. — Wiſſen wollen, iſt ja ſchon Wiſ¬
ſen, es iſt Anſchauen; und wenn ich anſchaue ſo nehm
ich ein Bild in mich auf, und das iſt Wiſſen. Wie
kann ſich doch der Menſch nicht enthalten irgend was
anders ſein zu wollen als ein Liebender? — Wie komm
ich doch darauf? — das iſt von heut früh auf der Ger¬
bermühl unſer Geſpräch; — ich ſag Dir wenn ich ge¬
ſchwiegen hab ſo iſt das weil mir die Worte nicht wohl¬
tönend genug vorkamen, ich ſeh mich im Geiſt um nach
Klang, wenn ich etwas ſagen will da find ich keinen
Ton der ſtimmt, und Du kannſt mirs glauben manches
16*[364] laß ich ungeſagt, weil ichs nicht edel genug auszuſpre¬
chen vermag, durch Muſik hab ichs herausgefühlt daß
aller Geiſt im Menſchen liegt, daß er aber nicht die
Melodie dazu findet ihn auszuſprechen. Denn jeder
Gedanke hat eine Verklärung, das iſt Muſik, die muß
Sprache ſein, alle Sprache muß Muſik ſein, die erſt
iſt der Geiſt, nicht der Inhalt, der wird nur Liebesge¬
ſpräch durch die Muſik der Sprache. — Geiſt iſt grö¬
ßer wie der Menſch, immer will der an ihm hinaufra¬
gen, ſpricht er ihn aus, ſo hat er ſelber ſich in den
Geiſt überſetzt, Geiſt iſt Muſik, ſo muß auch die Sprache
durch die er uns in ſich aufnimmt Muſik ſein. Wie
könnten wir ihn begreifen mit den Sinnen zugleich, in
unwürdiger Geſtalt! — Nein! — Geiſt iſt verinnigt
mit Schönheit, er iſt nur dann Geiſt wenn er Schön¬
heit iſt. — Durch den Dichter ſpricht er ſich aus, denn
der hats Gefühl daß Geiſt nur Schönheit iſt. Alle
ſchöne Handlung, alles Große iſt ein Gedicht des Gei¬
ſtes. — Ach ich ſtreck die Händ zum Himmel und möcht
was anders als was die Menſchen thun. Denn ich
fühl wohl mein Nichtsthun iſt Sünde. — Aber was
ſoll ich thun was mich weckt. — Die Kunſt meint der
Clemens! — ſo iſts blos weil er mich innerlich nicht
[365] kennt, mit was ich alles zu thun hab. — Denn das
muß wohl meine größte Anlage ſein was mich am
ſchnellſten aufregt und mich ganz mit ſich fortnimmt. —
Nun, obſchon ich keine Weltgeſchicht ſtudiren mag, und
bei dem Zeitungleſen vor Ungeduld mich kaum zuſam¬
mennehmen kann, ſo iſts doch die Welt die ich regieren
möcht und mich reißts hin darüber nachzudenken. Wenn
Du an den Clemens ſchreibſt ſo ſag ihms, das ſcheine
mir mein entſchiedenſtes Talent, die Welt regieren; weiß
er Gelegenheit mich darin zu üben ſo will ich fleißig
ſein Tag und Nacht. Schon jetzt nehmen mir die Re¬
gierungsgedanken den Schlaf, von allen Seiten wo ich
die Welt anſeh möcht ich ſie umdrehen. Eine Zeitlang hat
alles was ich im Leben erfahren hab wie eine hölzerne
Maſchine auf mich gewirkt. So der ganze Religions¬
unterricht, der machte mich völlig dumm. — Z. B. die
Lehre, mit welchen Waffen die Ketzer zu bekämpfen,
mit welchen Grundſätzen ſie bekämpfen? — da kam mir
Ketzer und Waffe und Glaube alles wie ein Unſinn vor,
und hätt ich nicht meine Zuflucht dazu genommen gar
nicht zu denken ſo wär ich ein Narr geworden. — Wie
denn wirklich alle Menſchen Narren ſind, mein großer
Courage dies zu glauben und ohne viel Speranzien ſie
[366] auch danach zu reſpektiren das hat mich frei gemacht
von der Narrheit. — Und wie ſollt doch einer aus dem
Schlamm des Philiſterthums herauskommen als von fri¬
ſchem ſich in die Hände Gottes geben, der hat nicht um¬
ſonſt den Menſchen aus Lehm gemacht, da er ihn nur
anzuſpeien braucht daß er wieder feucht wird um ihn
von Grund auf neu durchzukneten und ſeine erſte reine
Geſtalt wiederzugeben. — Woran erkennt man einen
katholiſchen Chriſten? — am Zeichen des heiligen Kreu¬
zes! — dies ſchlug mir den erſten widerſpenſtigen Funken
aus dem Geiſt. Denn was braucht doch der natürliche
Menſch ein katholiſcher Chriſt zu ſein und ſich bekreu¬
zigen? — iſt das der nächſte Weg Gott ähnlich zu
werden? — iſt Gott ein katholiſcher Chriſt? — oder iſt
er wie Du ein Ketzer? — und warum machen wir doch
das Kreuz, als blos um wie die Hunde dem Ketzer die
Zähne zu fletſchen. — Als wir aus dem Kloſter zurück¬
geholt wurden ins väterliche Haus, da ließ uns die
Frau Priorin vor ſich kommen und ſchärfte uns ein, ja
nicht den katholiſchen Glauben zu verlaſſen; wenn wir
zuunſrer Großmutter kommen, die eine lutheriſche Dame
ſei, ſondern wir ſollten alles dran wenden ſie zu be¬
kehren. Sie ſagte das mit ſo viel Herzenswärme, ich hätte
[367] ihr die Hand drauf geben wollen, aber ich wußte nicht
was katholiſch ſei — ich half mir; alles was nicht lu¬
theriſch iſt, das ſei katholiſch. Alles was man lernen
muß hüllt den Verſtand in eine Nebelkappe daß die
Wahrheit uns nicht einleuchte. Alles was wir zu thun
bewogen ſind iſt Eſelei. — Meinungen von geiſtreichen
Männern zu hören was der Großmama ihre Paſſion
iſt, das ſcheint mir leeres Stroh, liebe Großmama —
Du kannſt doch nicht läugnen liebes Kind daß ſie die
Welt verſtehen und dazu berufen ſind ſie zu leiten?
ſagte ſie geſtern. — Nein liebe Großmama mir ſcheint
vielmehr daß ich dazu berufen bin. „Geh ſchlaf aus
Du biſt e närriſch's Dingle.“


Bei der Großmama wird jetzt Abends allerlei
Politiſches unter den Emigranten verhandelt da wird
die Umwälzung des großen Weltkürbiß von allen
Seiten verſucht, er deucht ihnen angefault. Außer
Choiſeil, Ducailas, D'Allaris die immer das Wort
führen, kamen geſtern noch ein Herr von Marcelange
und Varicourt, dieſer letztere beſonders ſchön von edler
Haltung, ritterlich, ich könnt keinen Augenblick glauben
daß ihm je etwas Unebenes in den Sinn komme; er
wendete ſich immer zu mir als ob er um meinen Beifall
[368] werbe— ai-je raison? ſeine Reden machten mir Eindruck,
er war in Begleitung einer Herzogin von Bouillon (Heſ¬
ſen-Rothenburg) und einer Prinzeß Biron die Mittags
auch die Großmama beſucht hatten, durch Frankfurt ge¬
kommen, ein Graf Catälan hat ihn zur Großmama ge¬
führt, die litt nicht, daß die Emigranten wie gewöhn¬
lich Politik ſprachen weil ſie meiſtens getheilter Geſin¬
nung ſind, ſpäter erzählte ſie daß ſein Bruder jener Va¬
ricourt ſei der als garde du roi am 6. October 1790 in
Verſailles an der Thür der Königin ermordet wurde als
er ihr zurief: Königinn! retten Sie ſich, es iſt der letzte
Dienſt den ich Ihnen leiſte, die Großmama erzählte mir
von ſeiner Mutter die ſie kurz nachher in der Schweiz
auf einem verfallenen Landſitz bei Nyon getroffen
hatte in einer düſtern großen Vorhalle die zugleich
Küche war mit alten wollnen Tapeten ſo faltig be¬
hangen, ein altes Ruhebett auf dem der Hut ihres
Sohns mit weißer Cocarde lag, ein paar Strohſtühl¬
chen ein ungeheuer großer Camin mit einem kleinen
Feuer von einigen Rebenreiſer wo ein Keſſelchen mit
Theewaſſer für die kranke alte Frau kochte, eine ſchla¬
fende Katze zu ihren Füßen, ein einziges ſchmales hohes
Fenſter in dieſem zerfallenen Wohnſitz einer ausgeſtor¬
[369] benen Familie, da habe die Frau den Hut ihr gezeigt
und geſagt es war eine Zeit wo das weiße Band ganz
Frankreich zum Gehorſam für ſeinen König aufrief ꝛc.
— Ich hörte der Großmutter gern zu ſo lang ſie dies
erzählte, dabei brachte ſie aber noch ſo manches andre
vor was keinen Zuſammenhang damit hatte, ſo ſprach
ſie von einer Heerde mehrerer hundert Kühe die man
damals an einem Ort zuſammengetrieben, wo ſie wegen
einer Seuche alle todtgeſchoſſen wurden; — ſie jammer¬
ten und tobten bei den erſten Schüſſen, als aber der
Bulle niedergeſchoſſen war, hat keine Kuh ſich mehr ge¬
wehrt, alle haben ruhig den Tod erwartet, vergleiche:
Emigranten und ihren König — dann hat die Gro߬
mama noch Unendliches von unſchätzbaren Leuten
erzählt; von Seideſpinnerei, von 360 Coccons eine
Unze Seide, von 2893 ein Pfund, ſo viel Simmer Sei¬
denwürmer ſpinnen an 5 Pfund Seide — fraßen zu viel
Maulbeerblätter, man gab ihnen Latuk, Spinat, und
Blätter von Johannistrauben welches ſie mit Vergnü¬
gen fraßen recht gut Seide ſpannen nur daß ſie etwas
grüngelb wurde, zuletzt erzählte ſie mir noch aus dem
Leben der heil. Jutta welche Naturgeſchichte und See¬
lenlehre ſtudirt hatte und dies führte ſie auf den Mi¬
16**[370] rabeau, als ich zu Bett ging war ich ganz verwirrt
und konnt an nichts Liebes mehr denken, ich mußt gleich
einſchlafen. — Wies doch in der Großmama ihrem Kopf
ausſehen mag? — ſo viel an einander gehängt wozu
kein Menſch die Löſung fände, ob ich wohl auch ſo
bin! — Das Haus wird jetzt nicht leer an merkwürdi¬
gen Leuten, alle franzöſiſche Journale werden geleſen
und beſprochen, ich muß wider Willen Antheil nehmen
an ihren Witzen über Hof und Hofſtaat, Koſtüm, Li¬
vreen, Uniformen, Schmuck und Spitzenbehänge des
weiblichen Perſonals, alles wird durchgemuſtert, dann
die allgemeine große Ablaßanonce von dreißig Tagen um
die Franzoſen aus des Teufels Sclaverei zu befreien.
Ich ſtehe unter den Disputirenden wie unter einer Traufe;
Proteſtant, Philoſoph, Enciclopediſt, Illuminat, Demo¬
krat, Jacobiner, Terroriſt, homme de sang, alles regnet
auf mich herab, worunter man immer daſſelbe verſteht.
„Von oben herab verkennen ſie alles“ ſagte der Vari¬
court, „von unten iſt alles Bosheit und Lüge der hinan¬
klimmenden“, und ſprach noch über die ungeheuren
Schmeicheleien die Bonaparte einſchlucke: „ce n'est pas
du bon style que d'avaler de si gros mensonges,
la
véracité est le seul moyen de cultiver la nature hu¬
[371] maine; pour la grandeur il y fait faute, il n'a point
le sens céleste pour l'avenir pour lequel seul s'immo¬
lera un grand coeur; il est le grand monstre de la
médiocrité encombrant un monde qui s'ignore soi
même
.“ Die Emigranten hörten ihm feierlich zu, als
ſpreche er von der Kanzel herab. „Nous n'avons que
trop bien
[pas]comprendre ce que c'est que l'esprit régé¬
nérateur, ce n'est que lâcheté que de nous soumettre
à une tyranie, qui a recours aux moyens puérils dont
se sert Buonaparte pour captiver une nation qui a sa¬
crifié son meilleur sang pour la liberté. C'est une ju¬
ste punition pour avoir attenté au sang inviolablement
sacré des rois, que de n'avoir pas reconnu ce que le
grand génie de Mirabeau nous avait prophétisé. La
revolution faite, la première des lois était d'honorer
la loi, mais point cet expédient des têtes bornées, qui
pour maintenir leur pouvoir, ne font que faire trem¬
bler; il faut gagner les coeurs, et puis c'est si facile!

le peuple est déja reconnaissant si ses supérieurs
ne lui font pas tout le mal qui est en leur pouvoir; ce
n'est que la bêtise qui punit, la véritable grandeur
prévient les fautes; c'est abuser du pouvoir que d'a¬
gir autrement, il est maladroit de ne point se servir
[372] des hommes tels qu'ils sont, c'est la sagesse qui
est souveraine, elle exploite le bien du mal, mais
non pas en tranchant les têtes!! — Les lois doivent
être tracées par le génie de l'humanité, ce que
Buonaparte ne sera jamais
. — Und ich möchte auch
über allen Plunder von menſchlichen Zurüſtungen hin¬
ausſtieflen können, ihre Zankäpfel ihnen aus den Hän¬
den winden, und ihnen dafür Selbſtbeſchauung, Selbſt¬
erzeugung empfehlen. Ja! iſts nicht der einzige Zweck
der menſchlichen Natur daß ſie lerne ſich ſelbſt erzeu¬
gen? — Und iſt die Wahrheit nicht das Geheimniß aus
der die Selbſterzeugung hervorgeht? — Und wenn ein
Herrſcher aus ſich hervorgehen könnte ins reine Licht
der Wahrheit, würde er nicht die ganze Menſchheit re¬
generiren? — Ich frag Dich! — Beſinn Dich — hab
ich nicht recht, es ſchwebt mir ſo dunkel vor als ob aus
dem Geiſt des Einen die Wiedergeburt Aller hervorge¬
hen müſſe. — Ach ich würde gar nicht drum verlegen
ſein dies keck anzugreifen denn verderben kann man
nichts, alles was noch grünt und zu blühen ſcheint
ſteckt doch im Sumpf der Dummheit und iſt es eine ſo
große Sache klüger zu ſein. — Wie ſoll einem da nicht
der Verſtand aufgehen, wenn man rund um ſich her
[373] ſieht wie alles Narrheit iſt. — Und liegt es nicht in
der geſunden Menſchennatur die Idee einer göttlichen
Menſchheit in ſich zu entwicklen? — Und was iſt doch
alles Denken als blos dieſe ideale Richtung? — Und
iſt doch ein Menſch geboren, deſſen Aufgabe es nicht
wär ſein eignes Ideal zu erzeugen? — Und wenn das
iſt, wie ſoll mir da nicht jeder unſchuldige Menſch wich¬
tig ſein, ihm meine Gedanken mitzutheilen? — Man
braucht mich auch nicht zu beſchuldigen daß ich alles
durch einander werfe, und von einem zum andern
ſpring, es giebt etwas was andre gar nicht faſſen von
dem ſpring ich eben nicht ab, mein Geiſt bildet ſich
ſelbſt ſeine Übergänge. — Sobald der reine Wille in
uns liegt das Göttliche zu ſuchen, ſo iſt die Religion
da von der ich meine daß ſie den Menſchen allein ent¬
wicklen könne, denn ohne ſein Zuthun iſt es der ihn er¬
füllende Gott der aus ihm redet, und dies eine iſt es
allein was mir Religion deucht; und wie aus einem ed¬
len Samen alles ſich bildet, wie es organiſch muß, ſo
bin ich gewiß daß aus einem Geiſt, der blos das gött¬
liche denkt um ſein ſelbſtwillen, auch alles folgerecht ſich
entwickelt, und in der menſchlichen Handlung nichts
mir ein Anſtoß ſein würde. Denn gegen Denken iſt
[374] das Handlen nichts, denn der Gedanke ſelbſt iſt Gott,
hingegen Handlen iſt nur ſich nach Gott richten, wenn
ich alſo Gott durch mein Denken ſuche, empfinde erlebe,
wie ſollt ich da verlegen ſein ums Handlen, ums Re¬
gieren?— Ei nein! das ging ganz von ſelbſt, ich würd
mich auch keinen Augenblick beſinnen, denn wer den
Geiſt der Wahrheit einathmet wie ſollte der ihn nicht
auch aushauchen? — Nebenabſichten muß der Menſchen¬
geiſt gar nicht haben, er muß eine heilige Richtung ha¬
ben. — Der Menſch iſt ſich immer eine Hauptnebenab¬
ſicht, drum muß er ſich ganz verläugnen ſonſt erreicht
er ſich ſelber nicht, das lautet zwar ganz verkehrt und
iſt doch wahr. Das wahrhafte Ideal des Menſchen iſt
die lautere Selbſtverläugnung, aus ihr auch allein kann
alle Weisheit hervorgehen in allen Handlungen die das
Schickſal erheiſcht; zu derſelben Selbſtverläugnung ſind
wir berechtigt alle Menſchen aufzufordern, denn ſei das
Reſultat eines ſolchen Thun was es wolle — ſie hand¬
len in Gott und das iſt Religion, und da machs Kreuz,
oder ſei Ketzer oder Heid oder Jud. — — — Himmli¬
ſcher Sinn fürs Unſichtbare Unendliche aus dem allein
die wahre Religion hervorgeht weil dies allein zur
Gottheit führt. — Das alles fällt mir ſo ein wenn ich
[375] meine Geſpräche mit dem Franzoſen in Gedanken wei¬
ter führe. — Ich brauch nur auf eine Natur zu treffen
die mir liebreitzend ſcheint ſo bin ich gleich voller Ge¬
danken die mich belehren, als ſeien ſie geweckt von je¬
nem; ſo jagt der Franzoſe in ſeinem adeligen Weſen
jetzt eine Begeiſtrung nach der andern in mir auf, und
ich glaub: keine Frage die ich nicht beantworten könnte
ſobald ich mir innerlich denke er höre mir zu, keine Hand¬
lung die ich nicht kühn genug wäre zu vollbringen
wenn er mir zuſähe, und was das auch ſein möge was
mich ſo anreizt — gewiß iſt es was großes was ganz
göttliches daß der Menſch wo er das göttliche ahnt,
das Schöne und Große gewahr wird, gleich harmoniſch
mit einſtimmt und alle Feuer in ihm aufflammen. Ach
ich denk mich ſchon in eine Schlacht auf einem Schim¬
mel neben ihm herreitend zwiſchen allem Donner der
Geſchütze, Rauch und Pulverdampf, in der Verwirrung
großer entſcheidender Momente, wie ſeinem ſicheren
Blick vertrauend ich alles glücklich vollende, ich denk
noch mehr, alles was glühender Ehrgeiz nur zu unter¬
nehmen wagt das fährt durch meine Seele, ich erleb's
— ich bin glücklich, freudig, jauchze im Gelingen, und
alles Volk umringt mich mitjauchzend und harrt mei¬
[376] ner daß ich ihm Labung zutröpfle heiliger Freiheit. All
dies erleb ich mit dem Franzoſen der ſich vor meinen
Augen zum Heros entwickelt. — Ich möchte doch wiſ¬
ſen wenn man alle Erlebniſſe ſich zuſammen rechnet ob
da nicht dieſe eingebildeten auch gelten, ſie glühen und
damasziren doch die Seele durch dieſen feinen Stahl
der Begeiſtrung der mit ihr zuſammen geſchweißt, ge¬
beizt und geäzt wird, und mir edler deucht wie jede an¬
dre Politur, und beſſer zu benützen, zäher feſter, der
Kraft des Willens nachgebend und ihr folgend. Kühne
feſte Handlung, Thatkraft muß doch auch einen Samen
haben in die Seele geborgen, iſt dies nicht Same? mich
deucht etwas gedacht zu haben iſt Samen im Boden
der Seele der ans Licht dringt und ſich erſchließt, heute
oder morgen.


Da ging die Thür auf, Clemens kam herein,
große Freud! — ſie ſtärkt — es blitzt innerlich. —
Iſt mein Verſtand mir verloren und ſuch ihn an
der leeren weißen Wand und find ihn nicht, aber in
dem ſchönen großen Aug vom Clemens find ich ihn.
Du ſagſt Du kannſt ihm nicht in die Augen ſehen weil
er einen verzehrenden Blick habe, ich nicht, ich ſchöpf
Freud drinn [und] ich weiß nicht was, von lebendiger
[377] Nahrung unüberſetzbares. — Vor allem möcht ich Herr
werden über mein Denken; daß ich nämlich die Zeit
ausfülle mit lebendigem (lebengebendem) Denken. Es
giebt ein Denken was verlebt und eins was erlebt. —
Wie mich ſammlen daß ich meinen Geiſt immer auf
das Erleben richte? — Dies Eine nur! und das Auf¬
fahren gen Himmel iſt mir gewiß.


Das Schlafen kann mit dem Denken im Rapport
geſetzt werden, das Schlafen was aus dem Denken ent¬
ſpringt, erzeugt wieder Denkkraft. — ſo kann ſich
der denkbefliſſne Geiſt erſchaffen. — Überall mit Geiſt
durchdringen ſo iſt das Schlechte geſprengt, denn es hat
keinen Platz mehr, denn es iſt zu ſchwach und zu eng
um Geiſt zu faſſen.


Ich wundre mich über meine Gedanken! — Dinge
über die ich nie etwas erfahren, die ich nie gelernt, oder
vielleicht grade das Gegentheil davon, ſtehen hell und
deutlich in meinem Geiſt. — Kann ich denn wiſſen ob
ich nicht vielleicht von einem Geiſt beſeſſen bin? — und
iſt Beſeſſenſein nicht vielleicht ein Aufgeben der Indivi¬
dualität, und ſind die Widerſpenſtigen die ſich dem Geiſt
widerſetzen nicht vielleicht individuell ſtärker, als die
vom Geiſt durchdrungnen? — Ach liegt wohl die Stärke
[378] im Hingeben? — Iſt nicht manches im Geiſt und in
der Seele Wirkung anderer Welten? — Die Liebe, die
Leidenſchaft, iſt die nicht Anziehungskraft von der
Sonne? —


Wir ſaßen auf der Hoftreppe ich und der Clemens
in der Dämmerung, und ſchwätzten allerlei. — „Es iſt
alles recht lieblich was Du da vorbringſt“, ſagte er —
„aber werd nur nicht faſelig, manchmal ängſtigt michs
was aus Dir werden ſoll, Du zerſplitterſt Deinen Geiſt,
mit dem Du dir eine ſo herrliche Freiheit erringen könn¬
teſt. — Ach kannſt Du Dich denn nicht auf Eins hin¬
wenden mit Deinen fünf Sinnen, und das ganz auf¬
faſſen? — Wenn Du ſprichſt biſt Du geſcheut, und
giebſt manchen Aufſchluß von dem die Philoſophen noch
nichts wiſſen. — Schreib doch was! — haſt Du mir
nicht Kindermärchen verſprochen? — ſchreib doch alles
auf was Du im Kloſter erlebt haſt, Du kannſt ſo ſchön
davon erzählen. — Was treibſt Du denn mit der Gün¬
derode? — Lernſt Du mit ihr? — Ich hab ſo große
Sorge um Dich ich muß manchmal die Hände ringen,
daß alle Anmuth Deines Geiſtes den vier Winden preis¬
gegeben iſt.“ — Der liebſte Clemens! — ich mußte ihn
küſſen in der ſtillen Nachtdämmerung auf ſeine leuch¬
tende Stirn unter den ſchwarzen Locken für ſeine Liebe.
[379] Es ward windig da ſaßen wir beide in ſeinen Mantel ge¬
wickelt, und ſahen den Wolken zu wie ſie ſich eilten, da
ſagte der Clemens ſo viel von Dir was Dich gewiß freut,
Du ſeiſt ſo hell wie der Mond. — Das flüchtige un¬
ſtete Weſen was Dich oft befalle ſei nur wie Wolken
die über den Mond hinziehen und verdunklen — aber
Du ſelber ſeiſt reines poetiſches Licht und Du drängeſt
tief ins Gehör, der Klang Deiner Gedichte ſei Geiſtes¬
muſik, — und dies ſei jetzt nur der Eingang zum Gei¬
ſtesconzert indem ſich immer und nach allen Seiten Me¬
lodieen entfalten; und es ſei ſo edel ſich innerlich einem
ſolchen Leben hingeben, und ſo könnte und ſollte ich
auch mich ſammeln, daß ich meinen Geiſt nicht weg¬
werfe und ein Leben führe das würdig ſei. — Was
meinſt Du daß ich zu all dieſem geſagt hab? — Nichts!
— mir wird bang einen Augenblick, daß ich ſo ſelbſt¬
verlaſſen bin, und daß ſich mein Geiſt nichts um mich
bekümmern will, in die Weite hinausſchweift, wo eine
Biene ſich unſcheinbare Blüthen ſucht, von denen nippt
— aber Honig will er nicht machen, er verzehrt alles
ſelber. — Da nun die Biene aus Inſtinkt Honig macht,
mein Geiſt aber nicht, ſo wird der wohl nicht überwin¬
tern wo er dann keinen Vorrath braucht, — er gehört,
wohl ins Land wo ewiger Frühling iſt. Der Cle¬
[380] mens iſt eben wieder in die Stadt, der ganze Himmel
iſt überzogen — da regnets ſchon ſo gewaltig — ob
er wol ſchon in der Stadt iſt? — er geht in ein paar
Tagen zu Schiff nach Mainz und Coblenz und bleibt
drei Wochen am Rhein, alſo wirſt Du ihn ſehen.


Bettine.


Ich hab ihm verſprechen müſſen, daß ich bei ſeiner
Rückkehr was wollt geſchrieben haben, ich werde nie
beſſer verſtehen lernen wie die Welt mit Brettern zuge¬
nagelt iſt, als wenn ich verſuche ein Buch zu ſchreiben,
und wenn nun gar der Clemens von einer freien Zu¬
kunft ſpricht und daß ich ohne ein Buch zu ſchreiben
nie meine Zukunft werde genießen! — Ein Buch iſt
dick und hat viel leere Seiten, die alle voll zu ſchreiben
kann ich doch nicht aus der Luft greifen, mir deucht
dies erſt recht eine Feſſel meiner Freiheit. — Wenn ich
mich an den kiehnernen Schreibtiſch ſetze und es fällt
mir gar nichts Extraes ein, und ich ſchneide mit dem
Federmeſſer eine dumme Fratze nach der andern in den
Tiſch, die mich alle auslachen daß mir nichts einfällt,
da werf ich mein Buch weg wo lauter Versanfänge
drinn ſtehen und kein Reim drauf. — Es iſt wirklich eine
[381] Unmöglichkeit. Ich möcht dem Clemens alles zu Lieb
thun was er will, aber ich hab einmal keine Gedanken;
andre Leute waren ſchon vor mir da, ich bin zuletzt ge¬
kommen, alſo was ich auch vorbringen könnt, ſo habens
andre ſchon früher erlebt; ich ging einmal mit dem Cle¬
mens dies Frühjahr ſpazieren, da waren allerlei neu auf¬
geblühte Kräuter, die ich nicht kannte, die wollt ich bre¬
chen; er ſagte: wenn Du bei jedem Mauſeöhrchen oder
Vergißmeinnicht hocken bleibſt, ſo werden wir nicht weit
kommen, daran denke ich jetzt immer wenn ich was
neues in mir ſelber erfahr, daß andre dies alles wohl
ſchon wiſſen und nichts Neues mehr für ſie mehr ſein mag,
wie jene Violen und Gänſeblümchen am Weg die ich
mir ſammlen wollte. So ſchreib ichs denn nicht auf,
und auch weil die Gedanken ſich an mich hängen wie
Schmetterlinge an die Blumen, wer ſoll ſie haſchen? —
ſie merkens gleich und fliegen davon, und faſſe ich einen
ſo hab ich bald ſeine ſchöne Farbe abgewiſcht mit dem
Schreibefinger, oder ſeine Flügel erlahmen. Und ſo ein
Gedanke in der Luft flattert ſo luſtig, aber auf dem
Papier kann er ſich nicht wiegen wie auf der Blume;
und kann ſich nicht auf die Roſen ſetzen von einer zur
andern, er ſitzt da wie angeſpießt. Ich ſehs ja an de¬
[382] nen paar die ich ſo erwiſcht und aufgeſchrieben hab. —
Da war ich grad am End vom Garten, ich lief eilig
hinein weil ich ihn geſchwind ins Buch ſchreiben wollt
eh ich ihn vergeſſe, und jetzt, ſo oft ich das Buch auf¬
mache lacht mich der Gedanke aus und ſagt: Du biſt
recht dumm. Jetzt will ich Dir nur gleich das Blatt
herausreißen, und da les die Gedanken die ich wie Haa¬
ſen auf einer dürftigen Jagd hab zuſammenſchießen müſ¬
ſen, und bin mit jedem einzelnen aus meinem Gedanken¬
wäldchen nach Haus gelaufen um ihn aufzuſchreiben,
und immer die drei Treppen hinauf. — Weißt Du was?
— die drei Treppen waren mir nicht zu hoch, aber ich
hab mich geſchämt vor den drei Treppen, wahrhaftig
ich hab die Augen zugedrückt, weil ich dacht ſie merkens
daß ich ſo eine kümmerliche Natur hab, und bring da
die armen nackten Gedanken-Pfeilmuther an; ſo hei¬
ßen im Tyrol die Schmetterlinge, ich habs vorm Jahr
auf der Meſſe gelernt bei dem Tyroler, der im Braun¬
fels Handſchuh verkauft, der mit dem ſchönen ſchwarzen
Bart, Du weißt, Du ſagteſt der habe ein Antlitz und
kein Geſicht, ich fragte: was iſt das ein Antlitz? — Du
belehrteſt mich, das ſei noch aus der Form Gottes, nach
ſeinem Ebenbild geſchaffen, aber Geſichter, die ſeien nur
[383] ſo nachgepetert, wo die Natur nicht hat wollen mit da¬
bei ſein, und die Philiſter allein ſich erzeugen laſſen;
und da hab ich Dich gefragt: hab ich ein Antlitz? —
da haſt Du gelacht und geſagt: „es [ſteckt] noch zu tief
in der Knospe ich kanns nicht erkennen.“ Noch an je¬
nem Abend hab ich mich vor den Spiegel geſtellt und
gebetet Gott ſoll mich doch aus der Knospe herauslaſſen
mit einem Antlitz, und nicht mit einem Geſicht; denn
wenn ich kein Antlitz hab wie kann ich da einem Antlitz
gefallen. Noch an jenem Abend fragte ich die Frau Hoch,
weil Wartfrauen von Schönheitsmitteln manches wiſſen,
ſie meinte wenn man keine Sünde thue, ſo könne man
nicht unſchön werden und wenn es darauf ankomme
ſo werde ich gewiß mich vor allen Sünden hüten; wie
aber die Frau Hoch draus war um den Kindchen die
Suppe zu kochen, da kletterte ich vors Fenſter auf das
Blumenbrett und hockte mich ganz klein zuſammen, wie
ſie wieder hereinkam wars ganz ſtill, es war dunkel
und noch kein Licht angezündet, da meinte die Hoch ſie
wär allein und wollte ihr Abendgebet herſagen weil das
Kindchen noch ſchlief. — „Jetzt geh ich ins ewige Leben,
ſprach er mit freudiger Seele neigte das Haupt und er¬
bleichte.“ Das hörte ich auf dem Blumenbrett vom Ge¬
[384] bet der Frau Hoch. Ich dachte, ob es wohl unrecht
ſein möge ſie zu belauſchen und da fiel mir meine Ant¬
litzknospe ein, ob die vom Meelthau der Sünde hier¬
durch könne angegriffen werden, denn ſo geſcheut war
ich wohl daß dies keine Kapitalſünde ſei, aber weil ich
abſolut wollt wunderſchön ſein, und ohne den geringſten
Tadel, ſo hielt ich mir die Ohren mit beiden Händen
zu um nichts zu hören, da ließ ich die Stange los vom
Brett und wär ſchier in den Hof gefallen. Ich konnt
mir die Ohren nicht [verſperren] wenn ich nicht fallen
wollt, und da hört ich ſie noch ſingen:


Wenn der güldne Morgen blinkt;

Der zu dieſer Hochzeit winkt,

Wo die reinen Seraphinen

Bei der hohen Tafel dienen. —

Da ſang ich die zweite Stimme, die Hoch ſieht ſich in
allen Ecken um, holt Licht, ſucht oben auf dem Ofen,
auf dem Vorhanggeſtell, und überall und kann mich
nicht finden. Ich pflückte eine Nelke vom Stock und
ſtellte mich in den Fenſterrahm, den ſtieß ich auf und
reicht ihr die Nelke. Da ſtand ſie mit ihrem kleinen
Wachsſtock und beleuchtet mich und meint ich wär eine
Erſcheinung. Ich bin ihr aber um den Hals gefallen,
denn[385] denn ich hab die Frau ſehr lieb. Ich fragte obs eine
Sünde ſei daß ich ihr zugehört hab, ſie ſagte: das iſt
grad keine Sünde, aber Sie hätten können in den Hof
fallen, und da wollen wir lieber ein Danklied ſingen
daß Sie nicht gefallen ſind. — Hier haſt Du das Lied,
zu dem ich eine Melodie gemacht hab.


Der du das Land mit Dunkel pflegſt zu decken,

Ach reine mich von jedem leiſen Flecken.

Reich mir der Schönheit Kleid

Daß ich an jedem Morgen meiner Blüthe

Erkennen mag wie Deine Gnad ſie hüte. —
Obſchon die Sonne entzogen ihre Wangen,

Obſchon ihr Gold der Erde iſt entgangen

Das kränket mich nicht ſehr.

Erleucht' in mir nur deines Geiſtes Licht,

Dadurch der Schönheit Geiſt wird aufgerecht.
Kann ich des Nachts gleich nicht zum Schlafen kommen,

So mag dies meiner Schönheit dennoch frommen,

Das endet wenn man ſtirbt.

Gieb nur o Gott daß ich ſo Nacht wie Tag

Der Schönheit Ruhe mir erhalten mag.
Wenn du mich willſt, o Schöpfer, cinſt genießen,

Muß über mich der Born der Schönheit ſtießen,

Wie wollt ich fröhlich ſein! —

Sonſt acht ich nichts was Muth und Blut beliebt,

Noch was die Welt, noch was der Himmel giebt.
17[386]

Die Hoch ſagte: Sie haben das Lied ſchön verketzert,
kein Menſch wirds für ein Andachtslied erkennen — Ich
hab es doch mit wahrer Andacht geſungen, iſt es eine
Sünde, ſo wollen wir lieber ein Bußlied ſingen damit
mir nicht gar noch ein Bart davon wächſt. Die Hoch
ſagte: Ach gehn Sie doch, das wär Ihnen grad recht
wenn Ihnen ein Bart wüchſe.


Am andern Morgen ging die Tonie zum Tyroler
und ich ging mit um mir ſein Antlitz einzuprägen, ich
dachte wenn man ſich ſo was tief in die Seel ſchreibt,
ſo blühts am End mit einem auf, und weil die Tonie
Handſchuh ausſuchte ſetzte ſich ein Schmetterling der vom
Main herübergeflogen kam auf den Strauß an ſeinem
Hut. Ach guck den Schmetterling, den haben die Blu¬
men an Deinem Hut herbeigelockt! — Der Tyroler
fragte: „Was iſt das für ein Ding ein Schmetterling?“
und ſieht ihn fliegen und ruft: „Ei was, das iſt ja ein
Pfeilmuther und kein Schmetterling. Du biſt ein
Schmetterling, und kriegt mich um den Hals und küßt
mich auf den Mund. Die Tonie macht ein bös Geſicht
und kauft gleich keine Handſchuh mehr bei ihm und
geht fort, „na“ ruft er ihr nach, „nem Sies nit übel das
Madel nimts ja auch nit übel auf,“ und die Tonie mußt
[387] lachen und die Handſchuh kaufen. Die Geſchicht wollt
ich als immer aufſchreiben weil ſie mir gefällt, aber zu
einem Buch paßt ſie nicht, denn ſie iſt ja gleich aus,
und was ſoll dann weiter paſſiren? — Der Clemens
meint ich ſoll alles ſchreiben was mir durch den Kopf
geht, er denkt es wär Markt da; er ſchreibt ich ſoll
aus dem Kloſter alles aufſchreiben, aber nun les nur
erſt die dummen Gedanken die in meinem Buch ſtehen
ob man da was vernünftiges dran ſchreiben kann, und
habs noch dazu auf den Deckrl inwendig geſchrieben
weil ich meint, ich wollts recht voll ſchreiben, ja hat ſich
was, ich bin ſchon über vier Wochen noch immer am
Deckel. Du ſteht erſtens oben an:


Ob Tugend nicht auch Genialität ſein möchte,

Und ob wir vielleicht nur deswegen ſo müh¬

ſelig hinanklettern zum Erhabenen, weil wir

kein Genie haben.

Das war auf der Pappel an der ich ſo bequem hinauf¬
klettern kann, ich ſah die Vögel geflogen kommen und
dacht in mir du haſt kein Genie du mußt mühſelig zu
allem hinanklettern und dann kannſt du dich nicht oben
erhalten mußt immer wieder hinunter. — Und da fühlt
17*[388] ich recht in mir wie alles in mir ſchwankt nichts errei¬
chen kann, wie ein Feuer in mir brauſt, jede Kunſt liegt
in mir ſo nah ich mein ich hätte ſie ſchon in mir, die
Wangen glühn mir gleich ſo hoch, ſie brennen mir
wenn ich nur in die Ferne denk, da liegen mir goldne
Berge. Ich ſteh da als hätt ich nur den Zauberſtab in
der Hand, alles inwendig im Geiſt, aber wenns heraus
ſoll, da bleib ich beim Buchdeckel und muß mühſelig
Sandkörnchen für Sandkörnchen zuſammentragen. Wie
ich von der Pappel herunter der Trepp herauf war und
hatt meinen erſten papiernen Gedanken aufgeſchrieben,
der mich noch immer anlachte — ſo wollt ich doch noch
ein bischen im Abendſchein mich wiegen, denn beim Wie¬
gen kommen mir Gedanken. Kaum war ich der halben
Pappel hinaufgeklettert ſo fiel mir ſchon wieder was
ein, ich klettert alſo gleich wieder herunter und wieder
die Trepp hinauf und ſchrieb auf:


Der ganze Menſch muß in ſich einverſtanden

ſein nämlich Herz und Kopf und Hand und

Mund.

Da ſtand ich noch ſo eine Weile vor dem Gedanken
ſtill und dacht vor dem hätt ich immer auf der Pappel
können ſitzen bleiben und es that mir ſchon leid daß
ich das Buch mit bekleckſt hatte, aber weil der Clemens
[389] geſagt hatte ich ſoll alles ſchreiben was mir durch den
Kopf geht, ſo wollt ichs durchſetzen. Jetzt gefällt
mir aber doch etwas in dem Gedanken, ich kann ihn
ja zu was Großem machen wenn ich einen großen
Sinn hineinlege, und wenn ich alles was ich ſo ſchreib
ohne zu wiſſen warum mit Gewalt wahr mache. — Ja
ich fühl es hängt mit dem erſten Gedanken zuſammen,
es iſt die Genialität der Tugend wenn der ganze Menſch
in ſich einverſtanden iſt, und es iſt gewiß was die mei¬
ſten nicht thun. Ach nun kommt mir gar die Moral
in Weg, laß mich nur lieber die Gedanken weiter ab¬
ſchreiben, dann kleb ich den Deckel zu vom Buch daß
ich ſie nicht mehr ſeh. — Dann fallen mir vielleicht beſ¬
ſere Sachen ein die nicht ſo ſteifſtellig ſind. Ich bin
alſo wieder auf meine Pappel geklettert, denn es iſt mir
grad als kämen mir nur da oben Gedanken, aber kaum
war ich droben ſo mußt ich auch ſchon wieder herunter,
und der kam mir ganz begeiſternd vor ſo daß ich mit
großen Freuden meine drei Treppen heraufgeſprungen kam.


Den Geiſt nähren, das iſt Religion.
Ja wenn ich das könnt, dacht ich wie ich wieder auf
meiner Pappel ſaß und jetzt micht mehr herunter wollt,
denn es war ſo ſchön geworden der ganze Himmel,
Abendroth, und der Luftkryſtalle unendlich viele die
[390] ſchnell im Purpur anſchoſſen, was hab ich alles geſehn
von Farben und von wogenden Wipfeln, die ſich ein¬
ſchmelzenden Farben und Lichtglanz in der Ferne und
wie war die Natur ſo gütig gegen mich grad als ob
ich ſie nicht verläugnet hätt gehabt mit meinem Aber¬
witz auf dem Papier. Alles Selbſtdenken kommt mir
wie Sünde vor wenn ich in der Natur bin; könnt man
ihr nicht lieber zuhören? — ja Du meinſt, davon denkt
man ja daß man ihr zuhört, nein das iſt doch noch ein
Unterſchied. Wenn ich der Natur lauſche, Zuhören will
ichs nicht nennen, denn es iſt mehr als man mit dem
Ohr faſſen kann, aber lauſchen das thut die Seele. —
Siehſt Du da fühl ich alles was in ihr vorgeht, ich
fühl den Saft der in die Bäume hinaufſteigt bis zum
Wipfel in meinem Blut aufſteigen, ich ſteh ſo da und
lauſch — und dann — da empfind ich — ich denk aber
nicht grad, oder doch nicht daß ichs wüßt, aber wart
nur einmal wies weiter geht. — Alles was ich anſeh —
ja das empfind ich plötzlich ganz — grad als wär ich
die Natur ſelber, oder vielmehr alles was ſie erzeugt,
Grashalme wie ſie jung aus der Erd heraustreiben, dies
fühl ich bis zur Wurzel und alle Blumen und alle
Knospen alles fühl ich verſchieden. — Seh ich den gro¬
ßen Roſenſtrauch an da auf dem Inſelberg, er hatte
[391] beinah ſchon abgeblüht, jetzt iſt ein Nachſchuß da, das
betracht ich alles, das dringt mir alles mit etwas ins
Herz, ſoll ichs Sprach nennen? — mit was berührt
man denn die Seel, iſt die Sprach nicht die Lieb die
die Seel berührt, wie der Kuß den Menſchen berührt? —
Vielleicht doch, nun ſo iſt das was ich in der Natur er¬
fahr gewiß Sprache denn ſie küßt meinen Geiſt, — jetzt
weiß ich auch was küſſen iſt, denn ſonſt wärs nichts
wenns das nicht wär, jetzt geb acht:


Küſſen iſt die Form und den Geiſt der Form

in uns aufnehmen die wir berühren, das iſt

der Kuß, ja die Form wird in uns geboren.

und darum iſt die Sprache auch küſſen, es küßt uns
jedes Wort im Gedicht, alles aber was nicht gedichtet
iſt das iſt nicht geſprochen das iſt nur gegautzt wie die
Hunde. Ja was willſt Du denn anders mit der Sprache
als die Seele berühren, und was will der Kuß anders,
er will die Form in ſich ſaugen und die Seele berühren,
alles das iſt eins, ich habs von der Natur gelernt, ſie
küßt mich beſtändig ich mag gehn und ſtehn wo ich will,
ſie küßt mich und ich bin auch ſchon ſo ganz dran ge¬
wöhnt daß ich ihr gleich mit den Augen entgegen komme
denn die Augen ſind der Mund den die Natur küßt,
ſiehſt Du, ſo fühl ich auch daß mich eine Knospe an¬
[392] ders küßt als eine Blume, denn warum ſie ſind verſchie¬
den in der Form, dies Küſſen iſt aber ſprechen, ich könnt
ſagen: Natur dein Kuß ſpricht in meine Seele hinein,
— ja das iſt auch ein Gedanke den ich ins Buch ge¬
ſchrieben hab, aber den wollt ich ſtehen laſſen, an ihn
kann ich noch weiteres anknüpfen. Ach wenn ich mich
ſo umſeh, wie ſich alle Zweige gegen mich ſtrecken und
reden mit mir das heißt küſſen meine Seele, und alles
ſpricht, alles was ich anſeh hängt ſich mit ſeinen Lip¬
pen an meine Seelenlippen, und dann die Farbe, die
Geſtalt, der Duft alles will ſich geltend machen in der
Sprache, nun ja die Farbe iſt der Ton die Geſtalt iſt
das Wort und der Duft iſt der Geiſt, ſo kann ich wohl
ſagen die ganze Natur ſpricht in mich hinein das heißt
ſie küßt meine Seele, davon muß die Seele wachſen,
es iſt ihr Element, denn alles hat ſein Element in der
Natur was Leben hat. Der Seele ihr Element iſt alſo
das Schauen, das iſt das Lauſchen, ſie ſaugt alle Form
das iſt Sprache der Natur. Aber die Natur hat nun
auch ſelbſt eine Seele, und dieſe Seele will auch geküßt
ſein und genährt, grad wie meine Seele von ihrer
Sprache genährt wird, wenn ich ſo durchdrungen war
von ihr, (denn es giebt Augenblicke wo die Seele wie
ein Feuer iſt von Leben, wo ſie ganz und gar nur das
[393] iſt was ſie in ſich aufgenommen, nämlich Selbſtſprache
der Natur, da erkennt ſie die Natur wieder als nah¬
rungbedürftig,) ſo hab ich vor ihr geſtanden und hab
mich wieder in ſie hineingeſprochen, ich hab ſie geküßt
mit meinen Seelenlippen. Sieh das war Geiſt, der war
nicht gedacht der war urſprünglicher Lebensgeiſt ohne
Erdform, Gedanken iſt die Erdform des Geiſtes — aber
mein Geiſt hat dieſe Form nicht angenommen als er
mit ihr ſprach, es war nicht Gedanke, es war nicht Ge¬
fühl oder Empfindung, denn das deucht mir auch noch
verſchieden, es war Wille — ja Wille wars, der ſah ſo
raſch und feſt die Natur an als wolle er ihr nun wie¬
der ſchenken alles was ſie ihm gab, nämlich Leben. —
Das iſts, alles iſt ein Wechſelwirken, alles was lebt,
giebt Leben und muß Leben empfangen. — Und glaub
nur nicht daß alle Menſchen leben, die ſind zwar leben¬
dig aber ſie leben nicht, das fühl ich an mir, ich leb
nur wenn mein Geiſt mit der Natur in dieſer Wechſel¬
wirkung ſteht. — Da weiß ich auch daß Thränen noch
gar keine Folgen von Schmerz zu ſein brauchen oder
von Luſt — ſie können auch eine natürliche Folge ſein,
wie auch Schlaf die Folge iſt vom aufgeregten Geiſt. —
Denn ich muß oft plötzlich weinen ohne vorher gerührt
zu ſein, das iſt alſo gewiß wenn die Natur mich ſo er¬
17**[394] faßt heimlich meine Seele erſchüttert daß ſie weinen muß.
Und oft leg ich mich auch am Boden auf die ſammet¬
ſchwarze aufgepflügte Erde die ſo warm von untenauf
dampft, und das wärmt mich weil ich dann frier — ja
der Geiſt friert in mir, da leg ich mich am Boden hin,
da wird gleich der ganze Geiſt wieder warm, da fühl
ichs wies durch den Kopf zieht und durch die Bruſt und
da muß ich gleich die Hände betend zuſammenhalten.
Siehſt Du, das iſt alles nicht gedacht und iſt doch Geiſt.
— Geiſt der mit der Natur in Wechſelwirkung iſt —
ich bin ordentlich froh daß ich heut das Wort gefun¬
den hab, ich hätt ſchon früher mit Dir davon geſpro¬
chen aber ich fand die Worte nicht — aber ich könnt
Dir noch ganz andere Sachen ſagen — ach nein ich
fürcht mich gar nicht vor Dir daß Du mich ſchelten
ſollteſt, Du wirſt wohl auch mit mir einverſtanden ſein
daß ſo weit der Geiſt ſeinen Flug erheben mag ſo weit
darf er auch, warum hat ihm Gott Flügel gege¬
ben, Geiſt iſt ja eigentlich Fliegen. — So muß ich
lachen über die Lotte wenn die von Conſequenz
ſpricht, das iſt kein Geiſt — Inconſequenz iſt Geiſt —
im Flug hin und her ſchweben, alles was er berührt
gleich mit ihm zuſammenfließen, das iſt Geiſt daß er
gleich ſich verwandle in das was er berührt, ſo verwan¬
[395] delt der wahre Geiſt ſich in die Natur, weil die ihm
begegnet all überall, weil ihr Berühren mit ihm allein
Geiſt iſt, er wär nicht, wär die Natur nicht leidenſchaft¬
lich ſeiner bedürftig, das eben ruft ihn jeden Augenblick
ins Leben, Geiſt iſt fortwährendes Lebendigwerden um
die Natur zu küſſen, ſeine Formen in ſie prägen; die
Natur ſaugt die Geiſtesformen in ſich, davon lebt ſie,
und Geiſt fließt durch alle Geſtalten mit ihr zuſammen,
ſo faßt die Natur ſich ſelber in ihren Formen, das iſt
eben der ganz göttliche Reiz in ihr, Reiz iſt Zauber,
wo kann Zauber her entſtehen als durch das Sichſelbſt¬
erfaſſen? — ja das iſt ſchon wieder was neues das
wollen wir morgen beſprechen. Heute Abend thut mir
der Nacken weh vom ſchreiben, — das wollt ich nur
noch ſagen: mein Geiſt, oder durch mich ſpricht der Geiſt
mit ihr, und dabei bin ich ganz unregſam, ich beſinn
mich nicht, ich denk nichts, ich hab keine Betrachtung,
aber nachher kann ich davon erzählen wie Du ſiehſt,
heut zum erſtenmal, alſo erzeugt das Ineinanderfließen
des Geiſtes mit der Natur doch Gedanken, die man
nachher hat. — Was ſind das aber vor Gedanken, ei¬
ner könnt ſagen es ſind Lügen, oder Dummheiten Fabe¬
leien und alſo keine Gedanken, denn was kann ichs be¬
weiſen oder zu was frommen und führen dieſe Gedan¬
[396] ken. Ja das iſt es eben, Geiſtesgedanken berühren
nichts was ſchon da iſt, ſie erzeugen neu, da ſiehſt
Du wieder daß ich recht hab; weil der Geiſt und die
Natur ſich einander berühren ſo ſind ſie fortwährend
lebendig und erzeugen fortwährend neu, denn wir ſol¬
len übergehen in ein neu Leben nach dieſem Leben, wie
ſollen wirs aber anfangen wenn der Geiſt ſich nicht ſelber
hinüber erzeugt in die andre Welt? — er muß ſich alſo
ſelbſt wie ein klein Kind im Mutterleib tragen, er muß mit
ſich geſegnet (guter Hoffnung) ſein und muß ſich nähren
bis er ſelbſt als Frucht in ſich reif wird, dann bringt er ſich
zur Welt, wo wie und wann, — das iſt alles einerlei; eine
reife Frucht kommt allemal zur Welt, die Welt iſt da
vor der Frucht, ſie kann nicht aus jener Welt in das
ihr Leben überſtrebt, herausfallen, ſie kann nur in ſie
geboren werden. Der Geiſt alſo der fortwährend mit
der Natur ſich küßt, das heißt der ihre Sprache trinkt
der nährt ſich ſelbſt in ihr um ſich zu gebähren, die
Natur thut das auch, ſie reift ſich für die künftige Frucht
des Geiſtes, in ihrem Berühren mit ihm, und ſo wird
die neugeborne Frucht des Geiſtes in die Welt einer
höher gereiften Natur übergehen, denn Gott läßt nie
von der Natur, überall iſt ſie es die der neugebornen
Seele wieder begegnet, wieder ihre Formen ihr zu küſ¬
[397] ſen giebt, das heißt ihre Sprache die ihr in die Seele
ſpricht, wovon die Seele ſich nährt, ſo iſt es gewiß mit
allen lebenden Kreaturen die ſo weit ſind daß der Geiſt
ſchon gelöſt iſt und ſelbſt denken kann. — Alle Men¬
ſchen erleiden dieſelbe Berührung von der Natur, ſie
wiſſens nur nicht, ich bin grade wie ſie, [nur] der Unter¬
ſchied iſt, daß ich bewußt bin, denn ich hab das Herz
gehabt dringend, und mit leidenſchaftlicher Liebe zu
fragen, andre Menſchen leſens wohl als poetiſche
Fabel daß die Natur um Erlöſung bitte, andre
Menſchen empfinden wohl eine Unheimlichkeit wenn ſie
ſo in der lautloſen ſtillen Natur daſtehen, es bedrängt
ihr Herz, ſie wiſſen weder den Geiſt zu wecken in ſich,
noch zu bezwingen, da gehen ſie ihr fühllos aus dem
Weg, ihr Inneres ſagt ihnen wohl, hier geht was vor,
du ſollteſt dich dem hingeben, dann überkommt ſie eine
Angſt, und ſie ziehen ſich wieder ins Gewohnheitsleben,
wo eine Mahlzeit die andere verabſchiedet, bis der
Schlaf oben drauf ſich einſtellt und dann iſt der Tag
und die Nacht herum; und dafür hätte man gelebt? —
Nein das iſt nimmermehr wahr! — der Gedanke hat
mich ſchon lang verfolgt „warum lebſt du doch“ —
beſonders eben wenn ich ſo manchmal bei Sonnenun¬
tergang ſpazieren ging — im Wald auf der Hombur¬
[398] ger Chauſſee, da ſtand iſt als ſtill und fragte mich das,
da hörte ich dieſe traurige Stille der Natur, da lag
eine Scheidewand zwiſchen mir und ihr, das fühlt ich
deutlich daß ich nicht bis zu ihr drang; da dacht ich
wenns nicht eine lebendige nähere Beziehung gäb zu
ihr ſo würdeſt du das nicht ſo deutlich empfinden, du
fühlſt ja ordentlich in deiner Seele wie ſie traurig iſt,
alſo geht ſie doch lebendig an dich heran und du
fühlſt daß ſie einen Geiſt hat der ihr allein angehört,
und der ſich mittheilen will, da faßt ich mir einmal ein
Herz und wollte ſprechen, da wußt ich nicht ſollt ich
laut mit ihr ſprechen wie mit den Menſchen, denn ans
Küſſen ihrer Form und ſo mit ihr ſprechen das war
mir nicht deutlich, obſchon gewiß ich es unbewußt im
Kloſter gethan, denn vom Kloſter da kann ich Dir gar
wunderliche Dinge ſagen. — Ich dachte an einem Sonn¬
tag Morgen als wir den Weg von Bürgel aus der
Kirche zurückkamen, heut wollt ich am Nachmittag mir
einen recht einſamen Platz ſuchen, und wollt da mit
ihr ſprechen ganz laut wie man mit den Menſchen
ſpricht, und es war mir ganz ſchauerlich als ich aus ei¬
nem großen Garten, wo wir zuſammen mit andern wa¬
ren, heraus ſchlich und längs der Chauſſee am Wald
ging, dann den Bach verfolgte der mir entgegen ge¬
[399] rauſcht kam und ſo kam ich an eine Stelle wo Fels¬
ſteine liegen, und der Bach theilt ſich und muß Umwege
machen und ſchäumt und brauſt, da blieb ich eine Weil
ſtehen, das Brauſen war mir grad ſo ein Seufzen, das
lautete mir als wärs von einem Kind, da redete ich
auch zu ihr wie zu einem Kind. „Du! — Liebchen —
was fehlt Dir?“ — und als ichs ausgeſagt hatte
da befiel mich ein Schauer, und ich war beſchämt
wie wenn ich einen angeredet hätte der weit über
mir ſtehe, und da legt ich mich plötzlich nieder und
verſteckte mein Geſicht ins Gras, und im Anfang war
ich ganz betäubt, daß ich gar nicht wußte warum ich
daher gekommen war, aber nach und nach beſann ich
mich, und nun wo ich an der Erde lag mit verborgnem
Geſicht, da war ich einmal zärtlich, ach! ich ſag Dir —
— tauſend ſüße Dinge drängten ſich aus meinem Seelen¬
mund, ein Begehren ſie zu lieben ich weiß nicht wies
nachher geweſen iſt, ich konnt ungern vom Platz auf¬
ſtehen, aber da ward mir ſo heiß auf dem Kopf, und
wie ich ihn aufhob ſchien die Sonne ſo kräftig, und
nichts war mehr düſter und traurig, alles lebendig, ich
war in der Seele als hab ich ein neu Leben empfan¬
gen, und die Wellen im Bach die über die Steine ſich
theilten ſchienen mir voller zu rieſeln und lauter und
[400] ich mußte alles ſo tief anſehen, und da lernt ich gleich
ihre Formen faſſen ich ſah ſie viel kräftiger an, und ich
hatte unter zwei Tannen gelegen, die ihre Äſte noch
bis am Erdboden hängen hatten, und guckte die feinen
Nadeln an wie ſie ſo gleichmäßig gereiht waren, und
wie ſie die klebrigen Knoſpen ſo ſchützend in ihrer Mitte
tragen. Da dacht ich, iſt doch kein Gedanke ſo kräf¬
tig und ſo wahr wie dieſer Baum und ich hab noch
nichts gehört von Menſchen ſagen, wo der Gedanke
gleich ſchon ſeine Knoſpe der Zukunft in ſich bewahrte;
und drum iſt auch alles platt und kein Leben drinn,
denn alles was lebendig iſt das muß die ganze Zukunft
in ſich tragen ſonſt iſt es nichts, und alles Thun der
Menſchen muß ſo ſein ſonſt iſts Sünde, und da dacht
ich, wie iſt es möglich daß jede Handlung gleich den
Keim der Zukunft in ſich faſſe? aber da wußt ichs
gleich, nämlich jede Handlung muß den höchſten Zweck
haben, und ein hoher Zweck iſt ja doch die Knoſpe der
Zukunft. O ich wollt gleich die Welt regieren, und die
Leute ſollten ſich verwundern, das hab ich in jenem er¬
ſten Moment gelernt von der Natur, wie ich das ma¬
chen ſoll, und glaub nur, ich würde nie fehl gehen,
im Anfang würde es viel Staub ſetzen, wenn ich gegen
das alte Gemäuer anrennen ließ, wenn aber erſt die
[401] Staubwolken ſich gelegt hätten dann um ſo ſchönerer
hellerer Himmel. — Aber als ich am Boden lag, da
miſchten ſich auch meine Thränen mit dem Erdreich,
aber der Nacken thut mir ſo weh, ich kann nicht mehr
ſchreiben und ich wollt Dir doch noch ſo viel ſagen! —
Es iſt ſchon Morgen die Sonn kommt ſchon, gute
Nacht.


Montag.


Ich hab heut im Schlaf gedacht ich bin doch recht
glücklich, alles was ich Dir geſtern aufgeſchrieben hab
das war in meinem Buch mit folgendem ledernen Ge¬
danken bezeichnet:


Alle Form iſt Buchſtabe wiſſe die Formen zu¬

ſammen zu ſetzen ſo haſt Du das Wort (Kuß),

und durch dieſes den Sinn (Gedanken) Lie¬

besnahrung des Geiſtes. —

Nein daraus würde wohl keiner klug werden! —
und auch keiner ſich drum kümmern, ſo ein Gedanke
den man aufbewahrt, iſt wie eine gedürrte Pflaume
ganz verhutzelt und verkohlt. Nein es iſt eine Unmög¬
lichkeit ein Buch zu machen aus dem was mir durch
den Kopf geht es iſt ungehobeltes Zeug was ſich ſperrt
wenns in Gedanken ſoll gefaßt werden. — Und kein
[402] Menſch kanns brauchen, ſelbſt der Clemens würde fürch¬
ten daß ich übergeſchnappt ſei, von Dir erwart ich daß
Du mich ungeſtört anhörſt, es iſt doch einmal nicht zu
ändern, Ihr gebt Euch Mühe meine Gedanken zu con¬
zentriren
(auf etwas feſt richten ſoll das glaub ich
heißen) das iſt aber grad was nie geſchehen wird, denn
ich ſelbſt kanns nicht erzwingen von mir, ich ſag mir
oft, nur jeden Tag eine halbe Stunde Geduld, ſo wirſt
du gewiß Herr über Alles was du lernen magſt. —
Aber wenn ich das denk ſo ſchauderts mich, als ob ich
geſündigt hätt mit dem Gedanken. Geſtern nahm mich
die Großmama ins Gebet über meine vermöglichen Fä¬
higkeiten, ſie ſagt wer den Moſt nicht faſſen kann in
Gefäße der kann ihn nicht bewahren, da hielt ſie mich
mit beiden Händen und ſah mich ſo groß an, da ver¬
ſprach ich ihr alles, da ſagte ſie: lern doch Latein, und
ich verſprachs ihr aber gleich befiel mich eine freveliche
Angſt, und mir klopfte das Herz vor Ungeduld daß ſie
mich loslaſſen ſolle, aber aus Ehrfurcht bleib ich vor
ihr ſtehen, und wie ſie ſah daß meine Wangen ſo brenn¬
ten, da ſagt ſie geh hinaus liebs Mädele in die Luft
und morgen wollen wir weiter ſprechen. — Gleich klet¬
tert ich aufs Dach von der Waſchküch und erwiſchte
ſo einen Acacienzweig und kletterte hinüber auf den
[403] Acacienbaum und hab ihn umhalſt und wieder abge¬
beten daß ich geſagt hab ich wollt Latein lernen.


Bettine.

An die Bettine.

Ich habe Deine Briefe erhalten die Du ſeit meiner
Abreiſe mir ſchreibſt. Ich muß mich kalt machen daß
Dein Flammen mich nicht angreifen, doch ſuch ich Dir
nachzuempfinden und meine Mühe iſt nicht ganz um¬
ſonſt — doch ſtaun ich wie gewaltig Dich alles ergreift
und daß dies alles nicht Deine Geſundheit aufreibt,
denn wie mir einleuchtet ſo kannſt Du unmöglich viel
ſchlafen? — und dabei dies unruhige Leben wo jeder
Augenblick Dich aufs neue reizt — ich glaub ſelber daß
Du einen Dämon haſt der Dich wieder ſtärkt, wie könn¬
teſt Du ſonſt alles faſſen? — und Dein Herz, iſt es
nicht voll zum Überlaufen, der Gärtner, der Moritz, der
Franzoſe, der Clemens und ich doch auch, — und Deine
frühen Wanderungen im Bosket, Du ſchläfſt nicht aus,
es wird nicht lange ſo fortdauern können, — ich ſelbſt
fühl mich hier anders, wie ſonſt. — Die Zukunft leuch¬
tet mir nicht helle, und ich hab ſo große Luſt nicht mehr
[404] am Lebendigen, an der Mährchenwelt die unſre Einbil¬
dung uns damals ſo üppig aufgehen ließ daß ſie die
Wirklichkeit verſchlang, doch wird ſichs ändern, gewiß,
wenn wir wieder zuſammen ſind, dieſen Winter denk
ich ernſtlich mich zu überwinden, ich hab mir einen
Plan gemacht zu einer Tragödie, die hohen ſpartani¬
ſchen Frauen ſtudiere ich jetzt. Wenn ich nicht helden¬
müthig ſein kann, und immer krank bin an Zagen und
Zaudern, ſo will ich zum wenigſten meine Seele ganz
mit jenem Heroismus erfüllen und meinen Geiſt mit
jener Lebenskraft nähren die jetzt mir ſo ſchmerzhaft
oft mangelt, und wo her ſich alles melancholiſche doch
wohl in mir erzeugt. — Doch fürchte nichts für mich,
es ſind nur Minuten wo michs überfällt wie ſtarker
Froſt, doch Deinen frühlingsheißen Briefen widerſteht
er nicht. — Heut und geſtern war ein Grünen und Blü¬
hen in mir, — und ich leſe ſie gern wieder, dann bin
ich immer wieder glücklicher geſtimmt, ich danke Dir
dafür. — Auch von Clemens ſagſt Du mir was mich
freute. — Lebe wohl. — Dein Naturbrief, beſonders hat
mir Freude gemacht, er iſt wie das Zwitſchern junger
Vögel die ſich noch im Neſt der Ätzung freuen, — die
die Mutter in Fülle ihnen giebt, ſind ſie erſt flücke,
dann werden vielleicht auch da Geiſtesgeſetze herausflie¬
[405] gen von der Natur gegründet für den Geiſt der ſie als
göttlich zu faſſen vermag, aber ſie werden wohl nimmer
im Buchſtaben können gefaßt werden zum wenigſten
nicht in unſerm Jahrhundert. —


Iſt denn das alles von Gedanken was Du in Dein
Buch aufgeſchrieben, o verliere nichts. Hier ſende ich
Dir ein paar Lieder, leſe ſie wie man Gedichte ließt
ohne zu großen Affect. Denk daß der Reim auch die
Stimmung leitet und glaub nicht gleich ich ſei zu trau¬
rig. — Gedichte ſind Balſam auf unerfüllbares im Le¬
ben; nach und nach verharrſcht es, und aus der Wunde
deren Blut den Seelenboden tränkte hat der Geiſt ſchöne
rothe Blumen gezogen die wieder einen Tag blühen, an
dem es ſüß iſt der Erinnerung Duft aus ihnen zu
ſaugen.


Die Pilger hab ich vor acht Tagen geſchrieben, auf
das letzte: Der Lethe Fluß, hatte Dein Emigrantenver¬
kehr Einfluß; ich weiß nicht wie.


Iſt St. Clair noch nicht zurückgekehrt? war er bei
Dir? —


[406]

Beilage. Die Pilger.

Der eine Pilger.
Ich bin erkranket

An Liebespein,

Möcht nur geneſen

Wolltſt mein Du ſein.
Dein liebreich Weſen

Dein Lippenroth,

Hält mich gefangen

Bis an den Tod.
Mein Aug iſt trübe

Meine Jugend verdorrt,

Muß Heilung ſuchen

An heil'gem Ort.
Ich greif zum Stabe

Ich walle zum Meer,

Es brauſen die Winde

Es tobet das Meer.
Die Vöglein fliegen

So luſtig voran,

Sie ſuchen den Frühling

Und treffen ihn an.
Es hält mich die Liebe

Ich bliebe ſo gern,

Doch ziehet mich Wehmuth

Zum Grabe des Herrn.
Mich ſehnet o füße

Geliebte nach Dir
[407]
Doch wähl ich das Grab mit

Des Heilands dafür.
Da knie ich nieder

Voll bitterem Schmerz,

Da kann ich Dich laſſen

Da bricht mirs Herz.
Lebt wohl denn ihr Augen

Voll freundlichem Schein,

Mein Blick ſoll zum Himmel

Gerichtet nur ſein.
Die Heilung iſt bitter

Der Weg iſt wohl weit

Doch greif ich zum Stabe

Und ende mein Leid.
Der andre Pilger.
Ich ſcheide froh vom Vaterland,

Und ſuche den geliebten Strand

Wo Jeſus Chriſtus wallte.

Wo er in Demuth angethan

Des Erdenlebens ſchwere Bahn

Mit ſtillem Sinne wallte.
Was iſt die Herrlichkeit der Welt

Und alles was dem Sinn gefällt? —

Ich will ihm froh entſagen.

Dir irrd'ſche Kette fällt von mir

Und Jeſu! — nur zu Dir! zu Dir! —

Will ich mein Sehnen tragen.
[408]
Die Märterkrone windet mir

Und Seligkeit wohl für und für

Wenn ich, vollendet habe.

O ſüße Buße! himmliſch Leid!

In frommer Einfalt, Seligkeit

Ihr wohnt am heiligen Grabe.
Lethe.
Du rollſt o Bach mit ſtillem Stolz die Fluth

Und düſtergrün umhüllen dich Geſträuche,

In deiner Well erſtirbt die Roſengluth

Die lieblich glänzt vom fernen Geiſterreiche.
Dir ſchmeichelt nicht die Gunſt der Gegenwart

Mit Blüthenduft, mit Zephyrs kühlem Säuſeln,

Kein Glück das in der Zukunft Schleier harrt

Wird deine Wog in holden Spielen kräuſeln.
Erbebend ſchaut es die Vergangenheit

Wann deine Fluth der Schatten Heer umweben,

Wie die Gebilde der entflohnen Zeit

Zum öden Nichts auf deiner Well entſchweben.
Du walleſt ſtolz! — des Helden Lorbeerkranz,

Die Myrte durch Cytherens Hauch erzogen,

Der Tugend Palm' in des Olympos Glanz

Verlieren ſich in deinen düſtern Wogen.
Entführt durch ſie, dahin wo Zeit und Raum

Verſchwinden, wo in trüber Nebelferne

Dein dumpfer Fall ertönt, dein weißer Schaum

Im Chaos ſtrahlt, ſtatt lichtbegabter Sterne.
Hin¬[409]
Hinweg von dir! — die blüthenreiche Luft,

Der Zauber in Elyſiums Gefilden

Verführ mich nicht, der roſenfarbne Duft

Mag ſich umſonſt an deinem Ufer bilden.
Vergebens weht hier magiſch ſüß ein Ton

Zu mir herab aus ſeliger Geiſter-Chören,

Erſchiene ſelbſt Latones großer Sohn,

Sein Phöbusauge wird mich nicht bethören.
Für Seligkeit die ich noch nie genoß

Sollt ich in Lethe meine Luſt verſenken?

Und Schmerzen die ich lang in mir verſchloß

Für unbekannte Freuden hinzuſchenken.
Nein! jed Gefühl, zur Qual und auch zur Luſt,

Vom Hauch der Erdenluft in mich geboren,

Die Leidenſchaft bekämpft in meiner Bruſt —

Den Siegerſtolz! — ich geb ihn nie verloren.
Es drückt das Herz wenn eine fremde Macht

Ihm Gottheit giebt, es ſträubt ſich dieſer Würde,

Mit höherem Stolz entſagt es dieſer Pracht

Und ſchmiegt ſich liebend ſeiner Erdenbürde.
Kann ich die Seligkeit aus jener Flur

Nur durch den Tod von dieſem Ich erringen,

So leite fern von ihrer Zauberſpur

Mich die Erinnerung auf ihren zarten Schwingen.
Ich trag im Buſen mein Elyſium

Und dieſes blühe mir auf Blumenmatten

Elyſiſcher Gefild! ich bringe ſtumm

Es sonst zum Styx, zu ungeweihten Schatten.
18[410]
Dich aber fleh' ich an, Erinnerung!

O Göttin! die den Gram um Freuden tauſchet,

Und wie ein Lilienduft mit leiſem Schwung

Durch die Verzweiflungsnacht zum Troſte rauſchet.
Nimm deinen Wanderſtab und ſchlage kühn

Der ſtolzen Lethe Fluth, daß ihre Wellen

In Nichts verdürſtend, ewig ſchüchtern fliehn,

Elyſiums Strand nicht ſpottend mehr umſchwellen.
Die Schatten jauchzen dann, im Götterglanz

Der Tugend Traum entfaltend, wie der Fehler Bürde,

Wo Lethe floß; umſchwebt vom ewigen Tanz

Der Anmuthſchweſtern, in ihrer Selbſtheit Würde.
Der Kuß im Traum.
Es hat ein Kuß mir Leben eingehaucht,

Geſtillet meines Buſens tiefes Schmachten,

Komm Dunkelheit mich traulich zu umnachten

Daß neue Wonne meine Lippe ſaugt.
In Träume war ſolch Leben eingetaucht,

Drum leb ich ewig Träume zu betrachten,

Kann aller andern Freuden Glanz verachten

Weil mir die Nacht ſo ſüßen Balſam haucht.
Der Tag iſt karg an liebeſüßen Wonnen,

Es ſchmerzt mich ſeines Lichtes eitles Prangen

Und mich verzehren dieſe heißen Gluthen.
Drum birg dich Tag, dem Leuchten irrd'ſcher Sonnen,

Hüll dich in Nacht, ſie ſtillet dein Verlangen

Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Fluthen.
[411]

An die Günderode.

Schon zehn Tage biſt Du fort alle Tag kommt
der Jud mit dem leeren Sack, ich ließ ihn heut den
Sack um und um kehren weil ich dacht es müſſe ſich
Dein Brief drinn finden den ich ſo ſicher erwartete, aber
es war nichts herausgefallen als Brodkrümel, und kein
Krümelchen Deiner Feder für mich, — wonach ich gar
nicht ſo hungrig bin wenn ich nur weiß daß alles noch
beim Alten iſt und daß Du geſund biſt. — Weißt Du
mir nichts zu ſchreiben, ſo ſuch mir aus meinen Brie¬
fen meine Religionsprinzipien zuſammen, ich hab noch
allerlei Nachgedanken berauſchender Quellen der Natur
hervorſtrömen und mir deucht ich ſollte ſie auch noch
zu ſchöpfen verſuchen. —


Bei der Großmama iſt ewiger Beſuch, heute ſpa¬
zierte man zu ſiebzehen Fürſtlichkeiten im Garten auf
und ab, die Großmama zum Bewundern in Anmuth
und Würde alle überſtrahlend, Iſenburg, Reus Erbach,
und etliche Heſſiſche Durchlauchten, und nebenbei noch
der Herzog von Gotha, der ſchon längere Zeit täglich
18*[412] Brod iſt, im Haus, nemlich alle Mittag um drei Uhr
kommt er herausgefahren und läßt ſich von mir die
Depeſchen vorleſen und Journale, dann geht er in den
Garten wo er Bohnen gepflanzt hat, die muß ich ihm
begießen helfen. Die Großmama ſpricht von ſeinem Ge¬
nie, mir gefällt daß er mit mir umgeht wie mit einem
Kind, er nennt mich Du! frägt mich nie nach was an¬
derm als was ich mit Ja oder Nein beantworten kann,
weiter hab ich ihm nichts geſagt bis jetzt, — im Gar¬
ten läßt er mich in der Sonnenhitze den Regenſchirm
tragen und er trägt die Gießkanne, letzt war er ſo matt
daß er ſie hinſtellen mußte, ich ſagte er ſolle den Para¬
plui tragen ich wolle die Gießkanne nehmen, er meinte
die ſei wohl zu ſchwer für mich, als er aber ſah daß
ich ſie mit ausgeſtrecktem Arm weit ab durch die Luft
trug um mein Kleid nicht naß zu machen ſo nennt er
mich ſeitdem die ſtarke Magd. — Seine rothen Haare
die einen verzweiflungsvollen Schwung haben, wie ein
ſchweres Ährenfeld das der Hagel verwüſtet hat und
ſein blaſſes Angeſicht, geben ihm in der Abenddämme¬
rung das Anſehen von einem Geiſt; ich hab mich vor
ihm gefürchtet wie er mich Abends durchs Bosket be¬
gleitete. Die Großmama hatte alle Fürſtlichkeiten an
[413] der Wagenthüre begrüßt und dagegen proteſtirt daß ſie
unter das Dach ihrer Grillenhütte kommen, ſie wollten
aber abſolut in die Grillenhütte herein und ſo ward
dieſe bald zu eng. — Im Garten machte der Herzog
ſelbſt eine Weinkaltſchale mit Pfirſich, denn er panſcht
gern, ich mußte dazu alles herbei holen in die Geis¬
blattlaube, da er mich nun immer ſtarke Magd
nannte, ſo paſſirte ich bei der hohen Geſellſchaft für ein
ſo ſeltnes Monſtrum; zuletzt ſagte er noch: geh an un¬
ſern Bohnenſtangen und ſorge daß die breitfüßigen und
krumbeinigen Spaziergänger ſie nicht umtreten, ich holte
mir die Schawell und ſetzte mich mitten ins Bohnenfeld
wo ich nicht mehr bemerkt wurde, es war mir eine La¬
bung denn ich war betäubt und müde, alles kann ich
ertragen nur nicht das Brauſen der Menſchenreden, die
kein Feuer keinen Zweck haben und immer in der Luft
herumgreifen und nichts fragen und nichts anregen;
beſſer wärs, Schweigen. Bis das Ton wird, was unend¬
lichen Vortheil bringen mag, da kann noch viel Waſſer
dem Main hinunterfließen, am Abend ging alles ins
Bosket die Muſik zu hören, es war mit bunten Lam¬
pen erleuchtet, die Orangerie auf der Terraſſe am Main
jetzt in ihrem ſchönſten Flor, ach ich war ſo müde und
[414] betäubt — was ich geträumt habe weiß ich nicht mehr,
es war ſchön, denn ich wachte auf, wie trunken von
Behagen, aber doch ſo ſchwindlich daß ſich die ſtarke
Magd an der Hand vom Herzog nach Haus führen
ließ, er fuhr in die Stadt, er rief mir noch aus dem
Wagen zu: leg Dich zu Bett ſtarke Magd Du ſiehſt
ganz blaß aus. —


17ten


St. Clair war heute hier, zwiſchen zehn und ein
Uhr, ich lag noch zu Bett, ich hatte die Großmama um
Erlaubniß fragen laſſen auszuſchlafen, weil mich am
Abend der Duft der Orangerie ganz betäubt hatte, er
wartete auf mich hinter der Pappelwand. — Es giebt
Weh darüber muß man verſtummen; die Seele möchte
ſich mit begraben um es nicht mehr empfinden zu müſ¬
ſen daß ſolcher Jammer ſich über einem Haupte ſam¬
meln könne, und wie konnte es auch? — O ich frage!
und da iſt die Antwort: weil keine heilende Liebe mehr
da iſt, die Erlöſung könnte gewähren. O werden wirs
endlich inne werden daß alle Jammergeſchicke unſer eig¬
nes Geſchick ſind? — daß alle von der Liebe geheilt
müſſen werden um uns ſelber zu heilen. Aber wir ſind
uns der eignen Krankheit nicht mehr bewußt, nicht der
[415] erſtarrten Sinne; daß das Krankheit iſt, das fühlen wir
nicht, — und daß wir ſo wahnſinnig ſind und mehr
noch als jener, deſſen Geiſtesflamme ſeinem Vaterland
aufleuchten ſollte — daß die erlöſchen muß im trüben
Regenbach zuſammengelaufner Alltäglichkeit, der lang¬
weilig dahinſikert. — Hat doch die Natur Allem den
Geiſt der Heilung eingeboren, aber wir ſind ſo ver¬
ſtandlos daß ſelbſt der harte Stein für uns ihn in ſich
entbinden läſſet, aber wir nicht, — nein wir können
nicht heilen, wir laſſen den Geiſt der Heilung nicht in
uns entbinden, und das iſt unſer Wahnſinn. Gewiß iſt
mir doch bei dieſem Hölderlin als müſſe eine göttliche
Gewalt wie mit Fluthen ihn überſtrömt haben, und
zwar die Sprache, in übergewaltigem raſchen Sturz
ſeine Sinne überfluthend, und dieſe darinn ertränkend;
und als die Strömungen verlaufen ſich hatten, da wa¬
ren die Sinne geſchwächt und die Gewalt des Geiſtes
überwältigt und ertödtet. — Und St. Clair ſagt: ja ſo
iſts, — und er ſagt noch: aber ihm zuhören, ſei grade
als wenn man es dem Toſen des Windes vergleiche,
denn er brauſe immer in Hymnen dahin die abbrechen
wie wenn der Wind ſich dreht, — und dann ergreife
ihn wie ein tieferes Wiſſen, wobei einem die Idee daß
er wahnſinnig ſei ganz verſchwinde, und daß ſich an¬
[416] höre was er über die Verſe und über die Sprache ſage,
wie wenn er nah dran ſei das göttliche Geheimniß
der Sprache zu erleuchten, und dann verſchwinde ihm
wieder alles im Dunkel, und dann ermatte er in der
Verwirrung, und meine es werde ihm nicht gelingen
begreiflich ſich zu machen; und die Sprache bilde alles
Denken, denn ſie ſei größer wie der Menſchengeiſt, der
ſei ein S[c]lave nur der Sprache, und ſo lange ſei der
Geiſt im Menſchen noch nicht der vollkommne, als die
Sprache ihn nicht alleinig hervorrufe. Die Geſetze des
Geiſtes aber ſeien metriſch, das fühle ſich in der Sprache,
ſie werfe das Netz über den Geiſt, in dem gefangen, er
das Göttliche ausſprechen müſſe, und ſo lange der Dich¬
ter noch den Versaccent ſuche und nicht vom Rhyth¬
mus fortgeriſſen werde, ſo lange habe ſeine Poeſie
noch keine Wahrheit, denn Poeſie ſei nicht das alberne
ſinnloſe Reimen, an dem kein tieferer Geiſt Gefallen
haben könne, ſondern das ſei Poeſie: daß eben der Geiſt
nur ſich rhythmiſch ausdrücken könne, daß nur im
Rhythmus ſeine Sprache liege, während das poeſieloſe
auch geiſtlos, mithin unrhythmiſch ſei — und ob es
denn der Mühe lohne mit ſo ſprachgeiſtarmen Worten
Gefühle in Reime zwingen zu wollen, wo nichts mehr
übrig bleibe, als das mühſelig geſuchte Kunſtſtück zu
[417] zu reimen, das dem Geiſt die Kehle zuſchnüre. Nur der
Geiſt ſei Poeſie der das Geheimniß eines ihm eingebor¬
nen Rhythmus in ſich trage, und nur mit dieſem Rhyth¬
mus könne er lebendig und ſichtbar werden, denn die¬
ſer ſei ſeine Seele, aber die Gedichte ſeien lauter Sche¬
men, keine Geiſter mit Seelen. —


Es gebe höhere Geſetze für die Poeſie, jede Gefühls¬
regung entwickle ſich neuen Geſetzen die ſich nicht an¬
wenden laſſen auf andre, denn alles Wahre ſei pro¬
phetiſch und überſtröme ſeine Zeit mit Licht, und der
Poeſie allein ſei anheimgegeben dies Licht zu verbreiten,
drum müſſe der Geiſt, und könne nur, durch ſie hervor¬
gehen. Geiſt gehe nur durch Begeiſtrung hervor. —
Nur allein Dem füge ſich der Rhythmus, in dem der
Geiſt lebendig werde! — wieder: —


„Wer erzogen werde zur Poeſie in göttlichem
Sinn, der müſſe den Geiſt des Höchſten für geſetzlos
anerkennen über ſich, und müſſe das Geſetz ihm preis¬
geben; Nicht wie ich will, ſondern wie du
willt
! — und ſo müſſe er ſich kein Geſetz bauen,
denn die Poeſie werde ſich nimmer einzwängen laſ¬
ſen, ſondern der Versbau werde ewig ein leeres Haus
bleiben, in dem nur Poltergeiſter ſich aufhalten. Weil
aber der Menſch der Begeiſterung nie vertraue, könne
18**[418] er die Poeſie als Gott nicht faſſen. — Geſetz ſei
in der Poeſie Ideengeſtalt, der Geiſt müſſe ſich in
dieſer bewegen, und nicht ihr in den Weg treten,
Geſetz was der Menſch dem Göttlichen anbilden wolle,
ertödte die Ideengeſtalt, und ſo könne das Göttliche
ſich nicht durch den Menſchengeiſt in ſeinen Leib bil¬
den. Der Leib ſei die Poeſie, die Ideengeſtalt, und
dieſer, ſei er ergriffen vom tragiſchen, werde tödtlich
factiſch, denn das Göttliche ſtröme den Mord aus
Worten, die Ideengeſtalt, die der Leib ſei der Poeſie,
die morde, — ſo ſei aber ein Tragiſches was Leben
ausſtröme in der Ideengeſtalt, — (Poeſie) denn alles
ſei Tragiſch. — Denn das Leben im Wort (im Leib)
ſei Auferſtehung, (lebendig factiſch) die blos aus dem
Gemordeten hervorgehe. — Der Tod ſei der Urſprung
des Lebendigen. —


Die Poeſie gefangen nehmen wollen im Geſetz,
das ſei nur damit der Geiſt ſich ſchaukle an zwei
Seilen ſich haltend, und gebe die Anſchauung als ob
er fliege. Aber ein Adler der ſeinen Flug nicht ab¬
meſſe — obſchon die eiferſüchtige Sonne ihn nieder¬
drücke— mit geheim arbeitender Seele im höchſten Be¬
wußtſein dem Bewußtſein ausweiche, und ſo die hei¬
[419] lige lebende Möglichkeit des Geiſtes erhalte, in dem
brüte der Geiſt ſich ſelber aus, und fliege — vom hei¬
ligen Rhythmus hingeriſſen oft, dann getragen dann
geſchwungen ſich auf und ab in heiligem Wahnſinn,
dem Göttlichen hingegeben, denn innerlich ſei dies Eine
nur: die Bewegung zur Sonne, die halte am Rhyth¬
mus ſich feſt. —


Denn ſagte er am andern Tag wieder: Es ſeien
zwei Kunſtgeſtalten oder zu berechnende Geſetze, die
eine zeige ſich auf der gottgleichen Höhe im Anfang
eines Kunſtwerks, und neige ſich gegen das Ende;
die andre, wie ein freier Sonnenſtrahl, der vom
göttlichen Licht ab, ſich einen Ruhepunkt auf dem
menſchlichen Geiſt gewähre, neige ihr Gleichgewicht
vom Ende zum Anfang. Da ſteige der Geiſt hinauf
aus der Verzweiflung in den heiligen Wahnſinn, in¬
ſofern Der höchſte menſchliche Erſcheinung ſei, wo die
Seele alle Sprachäußerung übertreffe, und führe der
dichtende Gott ſie ins Licht; die ſei geblendet dann, und
ganz getränkt vom Licht, und es erdürre ihre ur¬
ſprüngliche üppige Fruchtbarkeit vom ſtarken Sonnen¬
licht; aber ein ſo durchgebrannter Boden ſei im Aufer¬
ſtehen begriffen, er ſei eine Vorbereitung zum Übermenſch¬
[420] lichen. Und nur die Poeſie verwandle aus einem Leben ins
andre, die freie nemlich. — Und es ſei Schickſal der ſchuldlo¬
ſen Geiſtesnatur, ſich ins Organiſche zu bilden, im regſam
Heroiſchen, wie im leidenden Verhalten. — Und jedes Kunſt¬
werk ſei Ein Rhythmus nur, wo die Cäſur einen Mo¬
ment des Beſinnens gebe, des Widerſtemmens im Geiſt,
und dann ſchnell vom Göttlichen dahingeriſſen, ſich zum
End ſchwinge. So offenbare ſich der dichtende Gott. Die
Cäſur ſei eben jener lebendige Schwebepunkt des Men¬
ſchengeiſtes, auf dem der göttliche Strahl ruhe. — Die
Begeiſtrung welche durch Berührung mit dem Strahl ent¬
ſtehe, bewege ihn, bringe ihn ins Schwanken; und das
ſei die Poeſie die aus dem Urlicht ſchöpfe und hinabſtröme
den ganzen Rhythmus in Übermacht über den Geiſt der
Zeit und Natur, der ihm das Sinnliche— den Gegenſtand
— entgegentrage, wo dann die Begeiſtrung bei der Berüh¬
rung des Himmliſchen mächtig erwache im Schwebepunkt,
(Menſchengeiſt), und dieſen Augenblick müſſe der Dichter¬
geiſt feſthalten und müſſe ganz offen, ohne Hinterhalt
ſeines Karakters ſich ihm hingeben, — und ſo begleite
dieſen Hauptſtrahl des göttlichen Dichtens immer noch
die eigenthümliche Menſchennatur des Dichters, bald das
tragiſch Ermattende, bald das von göttlichem Heroismus
[421] angeregte Feuer ſchonungslos durchzugreifen, wie die
ewig noch ungeſchriebene Todtenwelt, die durch das innere
Geſetz des Geiſtes ihren Umſchwung erhalte, bald auch
eine träumeriſch naive Hingebung an den göttlichen
Dichtergeiſt, oder die liebenswürdige Gefaßtheit im Un¬
glück; — und dies objectivire die Originalnatur des
Dichters mit in das Superlative der heroiſchen Virtuo¬
ſität des Göttlichen hinein. —


So könnt ich Dir noch Bogen voll ſchreiben aus
dem was ſich St. Clair in den acht Tagen aus den
Reden des Hölderlin aufgeſchrieben hat in abgebrochnen
Sätzen, denn ich leſe dies alles darin, mit dem zuſam¬
men was St. Clair noch mündlich hinzufügte. Einmal
ſagte Hölderlin, Alles ſei Rhythmus, das ganze Schick¬
ſal des Menſchen ſei Ein himmliſcher Rhythmus, wie
auch jedes Kunſtwerk ein einziger Rhythmus ſei, und
alles ſchwinge ſich von den Dichterlippen des Gottes,
und wo der Menſchengeiſt dem ſich füge, das ſeien die
verklärten Schickſale, in denen der Genius ſich zeige,
und das Dichten ſei ein Streiten um die Wahrheit, und
bald ſei es in plaſtiſchem Geiſt, bald in athletiſchem,
wo das Wort den Körper (Dichtungsform) ergreife, bald
auch im hesperiſchen, das ſei der Geiſt der Beobachtun¬
[422] gen und erzeuge die Dichterwonnen, wo unter freudiger
Sohle der Dichterklang erſchalle, während die Sinne ver¬
ſunken ſeien in die nothwendigen Ideengeſtaltungen der
Geiſtesgewalt die in der Zeit ſei. — Dieſe letzte Dich¬
tungsform ſei eine hochzeitliche feierliche Vermählungs¬
begeiſtrung, und bald tauche ſie ſich in die Nacht und
werde im Dunkel hellſehend, bald auch ſtröme ſie im
Tageslicht über alles was dieſes beleuchte. — Der ge¬
genüber, als der humanen Zeit, ſtehe die furchtbare Muſe
der tragiſchen Zeit; — und wer dies nicht verſtehe
meinte er, der könne nimmer zum Verſtändniß der ho¬
hen griechiſchen Kunſtwerke kommen, deren Bau ein
göttlich organiſcher ſei, der nicht könne aus des Men¬
ſchen Verſtand hervorgehen, ſondern der habe ſich Un¬
denkbarem
geweiht. — Und ſo habe den Dichter der
Gott gebraucht als Pfeil ſeinen Rhythmus vom Bogen
zu ſchnellen, und wer dies nicht empfinde und ſich dem
ſchmiege, der werde nie, weder Geſchick noch Athletentu¬
gend haben zum Dichter, und zu ſchwach ſei ein ſolcher,
als daß er ſich faſſen könne, weder im Stoff, noch in
der Weltanſicht der früheren, noch in der ſpäteren
Vorſtellungsart unſrer Tendenzen, und keine poetiſchen
Formen werden ſich ihm offenbaren. Dichter die ſich
in gegebene Formen einſtudiren, die können auch nur
[423] den einmal gegebenen Geiſt wiederholen, ſie ſetzen ſich
wie Vögel auf einen Aſt des Sprachbaumes und wiegen
ſich auf dem, nach dem Urrhythmus der in ſeiner Wurzel
liege, nicht aber fliege ein ſolcher auf als der Geiſtes¬
adler von dem lebendigen Geiſt der Sprache ausgebrütet.


Ich verſtehe alles, obſchon mir vieles fremd drinn
iſt was die Dichtkunſt belangt, wovon ich keine klare
oder auch gar keine Vorſtellung habe, aber ich hab beſſer
durch dieſe Anſchauungen des Hölderlin den Geiſt gefaßt,
als durch das wie mich St. Clair darüber belehrte. —
Dir muß dies alles heilig und wichtig ſein. — Ach einem
ſolchen wie Hölderlin, der im labyrinthiſchen Suchen lei¬
denſchaftlich hingeriſſen iſt, dem müſſen wir irgendwie
begegnen, wenn auch wir das [Göttliche] verfolgen mit
ſo reinem Heroismus wie er. — Mir ſind ſeine Sprüche
wie Orakelſprüche, die er als der Prieſter des Gottes im
Wahnſinn ausruft, und gewiß iſt alles Weltleben ihm
gegenüber wahnſinnig, denn es begreift ihn nicht. Und
wie iſt doch das Geiſtesweſen jener beſchaffen die nicht
wahnſinnig ſich deuchten? — iſt es nicht Wahnſinn
auch, aber an dem kein Gott Antheil hat? — Wahnſinn,
merk ich, nennt man das was keinen Widerhall hat
im Geiſt der andern, aber in mir hat dies alles Wider¬
hall, und ich fühle in noch tieferen Tiefen des Geiſtes,
[424] Antwort daraus hallen, als blos im Begriff. Iſts
doch in meiner Seele wie im Donnergebirg, ein Wider¬
hall weckt den andern, und ſo wird dies Geſagte vom
Wahnſinnigen, ewig mir in der Seele widerhallen.


Günderode weil Du ſchreibſt daß Dir mein Denken
und Schreiben und Treiben die Seele ausfülle, ſo will
ich nicht aufhören, wie es auch kommen mag, und einſt
wird ſich Dir alles offenbaren, und ich ſelber werde
dann, wie Hölderlin ſagt, mich in den Leib des Dichter¬
gottes verwandlen, denn wenn ich nur Faſſungskraft
habe! — denn gewiß, Feuer hab ich, — aber in meiner
Seele iſt es ſo, daß ich ein Schickſal in mir fühle das
ganz nur Rhythmus des Gottes iſt was er vom Bogen
ſchnellt, und ich auch will mich bei der Cäſur wo er mir
ins eigne widerſtrebende Urtheil mein göttlich Werden
giebt, ſchnell losreißen und in ſeinem Rythmus in die
Himmel mich ſchwingen. Denn wie vermöcht ich ſonſt
es? — nimmer! ich fiel zur Erde, wie alles Schick¬
ſalloſe. —


Und Du Günderode ſo adelig wie Du biſt in Deinen
poetiſchen Schwingungen! Klirrt da nicht die Sehne
des Bogens des Dichtergottes? und läſſet die Schauer
uns fühlen auch in dieſen leiſen träumentappenden
Liedern: —


[425]
Drum laß mich wie mich der Moment geboren

In ewgen Kreiſen drehen ſich die Horen,

Die Sterne wandlen ohne feſten Stand.

ſagſt Du nicht daſſelbe hier? — klingt nicht ſo der
Widerhall aus der Öde in Hölderlins Seele. —


Ach ich weiß nicht zu faſſen, wie man dies Höchſte
nicht heilig ſcheuen ſollte, dies Gewaltige, und wenn auch
kein Echo in unſeren Begriff es übertrage, doch wiſſen
wir daß der entfeſſelte Geiſt über Leiden die ſo mit Göt¬
terhand ihm auferlegt waren, im Triumph in die Hal¬
len des Lichts ſich ſchwinge, aber wir! — Wiſſen wir
Ungeprüften, ob je uns Hellung werde? — jetzt weiß
ichs, ich werd ihm noch viel müſſen nachgehen, doch ge¬
nug zwiſchen uns davon; eine Erſcheinung iſt er in
in meinen Sinnen, und in mein Denken ſtrömt es
Licht. —

[[426]]

Anhang.

Gedichte der Günderode.

I.
Darthula nach Oſſian.
Nathos ſchiffet durch den Sturm der Wogen,

Ardan, Althos, ſeine Brüder mit,

Caibars, Erins König, Zorn zu meiden,

In geheimnißvolle Schatten kleiden

Dunkle Wolken ihren fliehnden Schritt.
Wer? o Nathos! iſt an deiner Seite!

Traurig ſeufzt im Wind ihr braunes Haar,

Lieblich iſt ſie, wie der Geiſt der Lüfte,

Eingehüllt in leichte Nebeldüfte;

Schön vor allen Collas Tochter war.
Ach Darthula! deine irren Segel

Eilen nicht dem wald'gen Etha zu.

Seine Berge heben nicht die Rücken

Und die Seeumwogten Küſten bücken

Turas Felſen ſchon dem Meere zu.
[427]
Wo verweiltet ihr des Südes Winde?

Schwelltet Nathos weiße Segel nicht?

Trugt ihn nicht zum heimathlichen Strande?

Lange blieb er in dem fremden Lande

Und der Tag der Rückkehr glänzt ihm nicht.
Schön, o König Ethas! warſt du in der Fremde;

Wie des Morgens Strahl dem Angeſicht.

Deine Locken, gleich dem Raben, düſter

Deine Stimme, wie des Schilfs Geflüſter

Wenn der Mittagswind ſich leiſe wiegt.
Deine Seele glich der Sonne Scheiden,

Doch im Kampfe warſt du fürchterlich.

Brauſend wie die ungeſtümen Wogen

Wenn vom Nord die ſtürm'ſchen Winde zogen,

Stürzteſt du auf Caibars Krieger dich.
Auf Selamas grau bemoosten Mauern

Sah dich Collas Tochter, und ſie ſprach:

Warum eilſt du ſo zum Kampf der Speere!

Zahlreich ſind des düſtern Caibars Heere.

Ach! und meiner Liebe Furcht iſt wach.
Freuen wollt ich dein mich, deiner Siege

Aber Caibars Liebe läßt mich nicht.

So ſprachſt du. Jetzt haben dich die Wogen

Mädchen! und die Stürme dich betrogen,

Nacht umringt dein ſchönes Angeſicht.
[428]
Aber ſchweiget noch ein wenig Winde!

Überbrauſt Darthulas Stimme nicht!

Fürſt von Etha! ſind dies Usnoths Hallen?

Jene Ströme die von Felſen fallen

Sind es Ethas blaue Ströme nicht?
Hier empöret Erin ſeine Berge,

Ethas Felſenſtröme brüllen nicht.

Dennoch ruh hier an des Ufers Hügel

Denn mein Schwert umgiebt wie Blitzes Flügel

Dich du Liebliche, du ſchönes Licht.
Nathos: ſagt das braun gelockte Mädchen,

Niemand hat Darthula außer dich,

Denn die Freunde ſind mir früh gefallen,

Laß um ſie noch meine Klage ſchallen

Hör der Trauer Stimme, höre mich.
Abend ward einſt, in der Wehmuth Schatten

Bargen meines Landes Eb'nen ſich,

Über hoher Wälder Wipfel ſchritten

Einzle Lüfte, die aus Wolken glitten,

Da umgaben Trauerſchatten mich.
Die Geſtalten meiner Freunde gingen

Traurig. Geiſtern gleich, an mir dahin.

Da kam Colla mit geſenktem Schwerte,

Seinen Blick geheftet an die Erde,

Brennend glühte noch die Schlacht darin.
[429]
„Collas letzte einz'ge Hoffnung ſprach er;

Braungelocktes Mädchen! Truthil fiel.

Siegreich kehrt dir nicht der Bruder wieder,

Zu Selama naht Erins Gebieter,

Mit ihm Tauſende im Schlachtgewühl.“
Iſt des Kampfes Sohn gefallen? ſeufzt' ich!

Hat der lange Schlaf ſein Aug' verhüllt?

O! ſo ſchütze mich der Jagden Bogen,

Glücklich oftmals meine Pfeile flogen,

Tödlich für das dunkelbraune Wild.
Freud umſtrahlt den Greiſen. Ja Darthula!

Deine Seele brennt in Truthils Glut,

Geh', ergreif das Schwert vergangner Schlachten!

Alſo Colla: ſeine Worte fachten,

Höher noch in mir des Kampfes Muth.
Wehmuthsvoll vergieng die Nacht, am Morgen

Schimmerte im Stahl der Schlachten ich. —

Caibar ſaß zum Mahl in Lonas Wüſte,

Als Celamas Waffenklang ihn grüßte;

Seine Führer rief er da zum Krieg.
Warum ſoll ich, Nathos! dir erzählen

Von des Kampfes ſchwankendem Geſchick?

Ach! umſonſt bedeckt von meinem Schilde,

Sank der Vater mir im Schlachtgefilde,

Und in heißen Thränen ſchwamm mein Blick.
[430]
Treulos zeigte da des Mädchens Buſen,

Caibar mein zerriſſenes Gewand;

Freundlich naht er, ſprach der Liebe Worte,

Führte mich zu meiner Väter Pforte,

Aber Trauer meine Stirn umwand.
Da erſchienſt du Nathos! meinen Augen,

Freundlich wie ein abendlich Geſtirn.

Caibar ſchwand vor deines Stahles Sprühen

Wie der Nachtgeiſt vor des Morgens Glühen,

Doch es wölbte Trauer deine Stirn?
Meine Seele glänzte in Gefahren

Eh' ich dich, du ſchönes Licht! geſehn.

Aber unſre Segel ſind betrogen,

Wolken kommen gegen dich gezogen.

Und du wirſt in ihrer Nacht vergehn.
Oscar weilet noch an Celmas Küſte!

Oscar ſchiffe durch das dunkle Meer!

O daß Winde deine Segel ſchwellten!

Zittern würden dann Temoras Helden.

Friede wäre um Darthula her.
Wo wird Nathos deinen Frieden finden?

Wo Darthula! wo iſt für dich Ruh?

Geiſter der Gefallnen! ſprach Darthula:

Truthil! Colla! Führer von Selama!

Winkt ihr mir aus euren Wolken zu!
[431]
Nathos! reiche mir das Schwert der Tapfern,

Vater! ich will deiner würdig ſeyn,

In des Stahles Treffen werd' ich gehen,

Nimmer Caibars düſtre Hallen ſehen,

Nein! ihr Geiſter meiner Liebe! nein!
Freude glänzt in Nathos bei den Worten,

Die das ſchöngelockte Mädchen ſprach:

Caibar, meine Stärke kehret wieder!

Komm mit Tauſenden Erins Gebieter!

Komm zum Kampfe! meine Kraft iſt wach!
Ja er kömmt mit Tauſenden! rief Ardan;

Schreckbar tönet ihrer Schwerter Schall. —

„Laß zehntauſend Schwerter ſich empören:

Usnoth ſoll von Nathos Flucht nicht hören,

Ardan! ſag ihm; rühmlich war mein Fall.
Winde! warum brauſen eure Flügel?

Wogen! warum rauſcht ihr ſo dahin?

Wellen! Stürme! denkt ihr mich zu halten?

Nein, ihr könnts nicht, ſtürmiſche Gewalten,

Meine Seele läßt mich nicht entfliehn.
Wenn des Herbſtes Schallen wieder kehren,

Mädchen! und du biſt in Sicherheit,

Dann verſammle um dich Ethas Schönen,

Laß für Nathos deine Harfe tönen,

Meinem Ruhme ſei dein Lied geweiht. —
[432]
Nathos blieb geſtützt auf ſeinem Speere;

Schaurig pfiff der Nachtwind um ihn her

Aber bei des Morgens erſtem Strahle,

Drang er vorwärts mit gezücktem Stahle,

Mit dem Führer eilt Darthula her.
Komm zum Zweikampf! ruft er, Fürſt Temoras!

Für Selamas Mädchen! — Caibar ſpricht:

Stolzer, du entflohſt mir mit der Schönen,

Wähnſt du, Caibar kämpf mit Usnoths Söhnen?

Nein, er kämpft mit Unberühmten nicht.
In des königlichen Nathos Augen

Glänzen Thränen; und er wendet ſich

Zu den Brüdern, ihre Speere fliegen

Rache dürſtend und gewiß zu ſiegen,

Erins Reihn verwirren ſchwankend ſich.
Da ergrimmet Caibars finſtre Seele,

Und er winket, tauſend Speere fliehn,

Usnoths Söhne ſinken wie drei Eichen,

Die zur Erde ihre Wipfel neigen,

Wenn des Nordens Stürme ſie umziehn.
Geſtern ſah ſie noch der Wandrer blühen

Ihre ſtolze Schönheit freute ihn,

Heute beugte ſie der Sturm der Wüſte,

Sie, die geſtern noch die Sonne grüßte.

Sprachlos ſtarret Collas Tochter hin.
Höh¬[433]
Höhnend naht ihr Caibar: „Mädchen ſahſt du

Nathos Land, in feines Blau gehüllt?

Oder Fingals dunkelbraune Hügel?

Ha! entrannſt du auch des Sturmes Flügel,

Über Selma hätte meine Schlacht gebrüllt.“
Caibar ſprachs. Da rauſcht ein Pfeil, getroffen

Sinkt ſie, und ihr Schild ſtürzt vor ſie hin.

Wie des Schnees Säule ſank ſie nieder,

Über Ethas ſchlummernden Gebieter

Spreiten ſich die dunklen Locken hin.
Da verſammelten die hundert Barden

Caibars, um Darthulas Grabmal ſich,

Ihre Harfen rauſchten um den Hügel,

Und es ſchwang ſich des Geſanges Flügel,

Für der Mädchen Erins Schönſte! dich!
Trauer ſchreitet an Selamas Strömen,

Schweigen wohnet in den Hallen nun.

Collas Tochter ſank zum Schlafe nieder,

O wann grüßeſt du den Morgen wieder?

Schöngelockte! wirſt du lange ruhn?
Weit entfernet iſt dein Morgen, nimmer

Stehſt du mehr in deiner Schönheit auf;

Ach die Sonne tritt nicht an dein Bette,

Spricht: „erwach aus deiner Ruheſtätte!

Collas ſchöne Tochter! ſteig herauf!“
19[434]
Junges Grün entkeimet ſchon dem Hügel,

Frühlingslüfte fliegen drüber her.

Sonne birg in Wolken deinen Schimmer!

Denn ſie ſchläft, der Frauen Erſte! nimmer

Kehret ſie in ihrer Schönheit mehr.
II.
Don Juan.
Es iſt der Feſttag nun erſchienen

Geſchmücket iſt die ganze Stadt.

Und die Balkone alle grünen,

In Blumen blüht der Fürſtin Pfad.

Da kommt ſie, ſchön in Gold und Seide

Im königlichen Prunkgeſchmeide

An ihres neu Vermählten Seite.
Erſtaunet ſiehet ſie die Menge

Und preiſet ihre Schönheit hoch!

Doch Einer, Einer im Gedränge

Fühlt tiefer ihre Schönheit noch.

Er mögt in ihrem Blick vergehen

Da er ſie einmal erſt geſehen,

Und fühlt im Herzen tiefe Wehen.
[435]
Sein Blick folgt ihr zum Hochzeitstanze

Durch all der Tänzer bunte Reihn,

Erſtirbet bald in ihrem Glanze

Lebt auf im milden Augenſchein.

So wird er ſeines Schauens Beute,

Und ſeiner Augen ſüße Weide

Bringt bald dem Herzen bittres Leiden.
So hat er Monde ſich verzehret,

In ſeines eignen Herzens Gluth;

Hat Töne ſeinem Schmerz verwehret,

Geſtählt in der Entſagung Muth;

Dann könnt er vor'gen Muth verachten

Und leben nur im tiefen Schmachten,

Die Anmuthsvolle zu betrachten.
Mit Philipp war, an heil'ger Stätte,

Am Tag den Seelen fromm geweiht,

Sein Hof verſammelt zum Gebete

Das Seelen aus der Qual befreit;

Da flehen Juans heiße Blicke:

Daß ſie ihn einmal nur beglücke!

Erzwingen will ers vom Geſchicke.
Sie ſenkt das Haupt mit ſtillen Sinnen

Und hebt es dann zum Himmel auf;

Da flammt in ihm ein kühn Beginnen,

Er ſteigt voll Muth zum Altar auf.
19*[436]
Laut will er ſeinen Schmerz ihr nennen,

Und ſeines Herzens heißes Brennen,

In heil'ger Gegenwart bekennen.
Laut ſpricht er: Prieſter! laſſet ſchweigen

Für Todte die Gebete all.

Für mich laßt heiße Bitten ſteigen;

Denn größer iſt der Liebe Qual,

Von der ich wen'ger kann geneſen.

Als jene unglückſel'gen Weſen

Zur Qual des Feuers auserleſen.
Und ſtaunend ſiehet ihn die Menge

So ſchön verklärt in Liebesmuth.

„Wo iſt, im feſtlichen Gepränge?“

Denkt Manche ſtill, „die ſolche Gluth

Und ſolches Wort jetzt hat gemeinet?“

Sie iſt's, die heimlich Thränen weinet,

Die Juans heiße Liebe meinet.
War's Mitleid, iſt es Lieb' geweſen,

Was dieſe Thränen ihr erpreßt?

Vom Gram kann Liebe nicht geneſen,

Wenn Zweifelmuth ſie nicht verläßt.

Er kann ſich Friede nicht erjagen;

Denn nimmer darf's die Lippe wagen,

Der Liebe Schmerz ihr mehr zu klagen.
[437]
Nur einen Tag will er erblicken

Der trüb ihm nicht vorüber flieht,

Nur eine Stunde voll Entzücken

Wo ſüße Liebe ihm erblüht,

Nur einen Tag der Nacht erwecken,

Es mag ihn dann, mit ihren Schrecken

Auf ewig, Todesnacht bedecken.
Es liebt die Königin die Bühne,

Erſchien oft ſelbſt im bunten Spiel.

Daß er dem kleinſten Wunſche diene

Iſt jetzt nur ſeines Lebens-Ziel.

Er läßt ihr ein Theater bauen,

Dort will, die reizendſte der Frauen,

Er noch in neuer Anmuth ſchauen.
Der Hof ſich einſt zum Spiel vereinet,

Die Königin in Schäfertracht,

Mit holder Anmuth nur erſcheinet

Den Blumenkranz in Lockennacht.

Und Juans Seele ſieht verwegen

Mit ungeſtümen wildem Regen,

Dem kommenden Moment entgegen.
Er winkt, und Flamm und Dampf erfüllen

Entſetzlich jetzt das Schauſpielhaus;

Der Liebe Glück will er verhüllen

In Dampf, und Nacht und Schreck und Graus;
[438]
Er jauchzet daß es ihm gelungen,

Des Schickſals Macht hat er bezwungen

Der Liebe ſüßen Lohn errungen.
Gekommen iſt die ſchöne Stunde;

Er trägt ſie durch des Feuers Wuth,

Raubt manchen Kuß dem ſchönen Munde,

Weckt ihres Buſens tiefſte Gluth.

Möcht ſterben jetzt in ihren Armen,

Möcht alles geben ihr! — verarmen

Zu anderm Leben nie erwarmen.
Die eilenden Minuten fliehen,

Er merket die Gefahren nicht

Und fühlt nur ihre Wange glühen;

Doch ſie, ſie träumet länger nicht,

Sie reißt ſich von ihm los mit Beben,

Er ſieht ſie durch die Hallen ſchweben —

Verhaucht iſt der Minute Leben.
Mit ſehnſuchtsvollem, krankem Herzen

Eilt Juan durch die Hallen hin.

In Wonne Gram und ſüße Schmerzen

Verſinket ganz ſein irrer Sinn,

Er wirft ſich auf ſein Lager nieder,

Und holde Träume zeigen wieder

Ihm, ihr geliebtes, holdes Bild.
[439]
Die Sonne ſteiget auf und nieder;

Doch Abend bleibt's in ſeiner Bruſt.

Es ſank der Tag ihm, kehrt nicht wieder,

Und ſie, nur ſie iſt ihm bewußt,

Und ewig, ewig iſt gefangen

Sein Geiſt im quälenden Verlangen

Sie, wachend träumend, anzuſchaun.
Und da, erwacht aus ſeinem Schlummer

Iſts ihm, als ſtieg' er aus der Gruft,

So fremd und todt: und aller Kummer

Der mit ihm ſchlief erwacht und ruft:

O weine! ſie iſt dir verloren

Die deine Liebe hat erkoren,

Ein Abgrund trennet ſie und dich!
Er rafft ſich auf mit trüber Seele

Und eilt des Schloſſes Gärten zu;

Da ſieht er, bei des Mondeshelle,

Ein Mädchen auf ihn eilen zu.

Sie reicht ein Blatt ihm und verſchwindet

Eh er zu fragen Worte findet,

Er bricht die Siegel aus und lieſt:
„Entfliehe! wenn dies Blatt geleſen

Du haſt, und rette ſo dich mir.

Mir iſt als ſei ich einſt geweſen,

Die Gegenwart erſtirbt in mir,
[440]
Und lebend iſt nur jene Stunde,

Sie ſpricht mir mit ſo ſüßem Munde

Von dir, von dir, und ſtets von dir.“
Er lieſt das Blatt mit leiſem Beben

Und liebt's und drückt es an ſein Herz.

Gewaltſam theilet ſich ſein Leben

In große Wonne — tiefen Schmerz.

Sollt er die Theuerſte nun meiden?

Kann ſie dies Trauern ihm bereiten!

Soll er ſie nimmer wieder ſehn?
Er geht nun, wie ſie ihm geboten;

Da trifft ein Mörderdolch die Bruſt.

Doch ſteigt er freudig zu den Todten,

Denn der Erinnerung ſüße Luſt

Ruft ihm herauf die ſchönſte Stunde,

Er hänget noch an ihrem Munde —

Entſchlummert ſanft in ihrem Arm.

Appendix A

Gedruckt bei Trowitzſch und Sohn in Berlin.


[][][]
Notes
*)

Ihr war eine Schweſter geſtorben.
*)

Anhang 1.
*)

Anhang 2.
*)

Ein Briefbote, der alle Tage von Offenbach nach Frank¬
furt ging.
*)

Dem die Jungfrauen einen Widder opferten, wenn ſie öf¬
fentlich einen Wettlauf hielten.

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TextGrid Repository (2025). Arnim, Bettina von. Die Günderode. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bk0m.0