[][][][][][][]
Deutschland.
Ein Wintermährchen.



Hamburg:
Bei Hoffmann und Campe.
1844.
[][[I]]
Heine's
Deutſchland.
[[II]]
[[III]]
Deutſchland.
Ein Wintermährchen.



Hamburg.:
Bei Hoffmann und Campe.
1844.



[[IV]]

H. G. Voigt's Buchdruckerei.

[[V]]

Vorwort.

Das nachſtehende Gedicht ſchrieb ich im dies¬
jährigen Monath Januar zu Paris, und die
freye Luft des Ortes wehete in manche Strophe
weit ſchärfer hinein, als mir eigentlich lieb war.
Ich unterließ nicht, ſchon gleich zu mildern und
auszuſcheiden, was mit dem deutſchen Clima
unverträglich ſchien. Nichtsdeſtoweniger, als ich
das Manuſcript im Monath März an meinen
Verleger nach Hamburg ſchickte, wurden mir
noch mannigfache Bedenklichkeiten in Erwägung
[VI] geſtellt. Ich mußte mich dem fatalen Geſchäfte
des Umarbeitens nochmals unterziehen, und da
mag es wohl geſchehen ſeyn, daß die ernſten
Töne mehr als nöthig abgedämpft oder von den
Schellen des Humors gar zu heiter überklingelt
wurden. Einigen nackten Gedanken habe ich
im haſtigen Unmuth ihre Feigenblätter wieder
abgeriſſen, und zimperlich ſpröde Ohren habe
ich vielleicht verletzt. Es iſt mir leid, aber ich
tröſte mich mit dem Bewußtſeyn, daß größere
Autoren ſich ähnliche Vergehen zu Schulden
kommen ließen. Des Ariſtophanes will ich zu
ſolcher Beſchönigung gar nicht erwähnen, denn
der war ein blinder Heide, und ſein Publikum
zu Athen hatte zwar eine klaſſiſche Erziehung
genoſſen, wußte aber wenig von Sittlichkeit.
Auf Cervantes und Molière könnte ich mich
ſchon viel beſſer berufen; und erſterer ſchrieb
für den hohen Adel beider Caſtilien, letzterer
für den großen König und den großen Hof von
Verſailles! Ach, ich vergeſſe, daß wir in einer
[VII] ſehr bürgerlichen Zeit leben, und ich ſehe leider
voraus, daß viele Töchter gebildeter Stände an
der Spree, wo nicht gar an der Alſter, über
mein armes Gedicht die mehr oder minder ge¬
bogenen Näschen rümpfen werden! Was ich aber
mit noch größerem Leidweſen vorausſehe, das iſt
das Zeter jener Phariſäer der Nazionalität, die
jetzt mit den Antipathien der Regierungen Hand
in Hand gehen, auch die volle Liebe und Hochach¬
tung der Cenſur genießen, und in der Tages¬
preſſe den Ton angeben können, wo es gilt jene
Gegner zu befehden, die auch zugleich die Geg¬
ner ihrer allerhöchſten Herrſchaften ſind. Wir
ſind im Herzen gewappnet gegen das Mißfallen
dieſer heldenmüthigen Lakayen in ſchwarz-roth¬
goldner Livree. Ich höre ſchon ihre Bierſtim¬
men: du läſterſt ſogar unſere Farben, Verächter
des Vaterlands, Freund der Franzoſen, denen
du den freyen Rhein abtreten willſt! Beruhigt
Euch. Ich werde Eure Farben achten und
ehren, wenn ſie es verdienen, wenn ſie nicht
[VIII] mehr eine müßige oder knechtiſche Spielerey ſind.
Pflanzt die ſchwarz-roth-goldne Fahne auf die
Höhe des deutſchen Gedankens, macht ſie zur
Standarte des freyen Menſchthums, und ich will
mein beſtes Herzblut für ſie hingeben. Be¬
ruhigt Euch, ich liebe das Vaterland eben ſo
ſehr wie Ihr. Wegen dieſer Liebe habe ich
dreyzehn Lebensjahre im Exile verlebt, und
wegen eben dieſer Liebe kehre ich wieder zurück
in’s Exil, vielleicht für immer, jedenfalls ohne zu
flennen, oder eine ſchiefmäulige Duldergrimaſſe
zu ſchneiden. Ich bin der Freund der Fran¬
zoſen, wie ich der Freund aller Menſchen bin,
wenn ſie vernünftig und gut ſind, und weil ich
ſelber nicht ſo dumm oder ſo ſchlecht bin, als
daß ich wünſchen ſollte, daß meine Deutſchen
und die Franzoſen, die beiden auserwählten
Völker der Humanität, ſich die Hälſe brächen
zum Beſten von England und Rußland und
zur Schadenfreude aller Junker und Pfaffen
dieſes Erdballs. Seyd ruhig, ich werde den Rhein
[IX] nimmermehr den Franzoſen abtreten, ſchon aus
dem ganz einfachen Grunde: weil mir der Rhein
gehört. Ja, mir gehört er, durch unveräußer¬
liches Geburtsrecht, ich bin des freyen Rheins
noch weit freyerer Sohn, an ſeinem Ufer ſtand
meine Wiege, und ich ſehe gar nicht ein, warum
der Rhein irgend einem Andern gehören ſoll als
den Landeskindern. Elſaß und Lothringen kann
ich freylich dem deutſchen Reiche nicht ſo leicht
einverleiben wie Ihr es thut, denn die Leute in
jenen Landen hängen feſt an Frankreich wegen
der Rechte, die ſie durch die franzöſiſche Staats¬
umwälzung gewonnen, wegen jener Gleichheits¬
geſetze und freyen Inſtituzionen, die dem bür¬
gerlichen Gemüthe ſehr angenehm ſind, aber dem
Magen der großen Menge dennoch Vieles zu
wünſchen übrig laſſen. Indeſſen, die Elſaſſer
und Lothringer werden ſich wieder an Deutſch¬
land anſchließen, wenn wir das vollenden, was die
Franzoſen begonnen haben, wenn wir dieſe über¬
flügeln in der That, wie wir es ſchon gethan
[X] im Gedanken, wenn wir uns bis zu den letzten
Folgerungen deſſelben emporſchwingen, wenn
wir die Dienſtbarkeit bis in ihrem letzten Schlupf¬
winkel, dem Himmel, zerſtören, wenn wir den
Gott, der auf Erden im Menſchen wohnt, aus
ſeiner Erniedrigung retten, wenn wir die Erlöſer
Gottes werden, wenn wir das arme, glück¬
enterbte Volk und den verhöhnten Genius und die
geſchändete Schönheit wieder in ihre Würde ein¬
ſetzen, wie unſere großen Meiſter geſagt und
geſungen, und wie wir es wollen, wir, die
Jünger — ja, nicht bloß Elſaß und Lothrin¬
gen, ſondern ganz Frankreich wird uns alsdann
zufallen, ganz Europa, die ganze Welt — die
ganze Welt wird deutſch werden! Von dieſer
Sendung und Univerſalherrſchaft Deutſchlands
träume ich oft wenn ich unter Eichen wandle.
Das iſt mein Patriotismus.


Ich werde in einem nächſten Buche auf
dieſes Thema zurückkommen, mit letzter Ent¬
ſchloſſenheit, mit ſtrenger Rückſichtsloſigkeit, je¬
[XI] denfalls mit Loyalität. Den entſchiedenſten
Widerſpruch werde ich zu achten wiſſen, wenn
er aus einer Ueberzeugung hervorgeht. Selbſt
der roheſten Feindſeligkeit will ich alsdann ge¬
duldig verzeihen; ich will ſogar der Dummheit
Rede ſtehen, wenn ſie nur ehrlich gemeint iſt.
Meine ganze ſchweigende Verachtung widme ich
hingegen dem geſinnungsloſen Wichte, der aus
leidiger Scheelſucht oder unſauberer Privatgiftig¬
keit meinen guten Leumund in der öffentlichen
Meinung herabzuwürdigen ſucht, und dabey die
Maske des Patriotismus, wo nicht gar die der
Religion und der Moral, benutzt. Der anarchi¬
ſche Zuſtand der deutſchen politiſchen und lite¬
rariſchen Zeitungsblätterwelt ward in ſolcher
Beziehung zuweilen mit einem Talente ausge¬
beutet, das ich ſchier bewundern mußte. Wahr¬
haftig, Schufterle iſt nicht todt, er lebt noch
immer, und ſteht ſeit Jahren an der Spitze einer
wohlorganiſirten Bande von literariſchen Strauch¬
dieben, die in den böhmiſchen Wäldern unſerer
[XII] Tagespreſſe ihr Weſen treiben, hinter jedem
Buſch, hinter jedem Blatt, verſteckt liegen und
dem leiſeſten Pfiff ihres würdigen Hauptmanns
gehorchen.


Noch ein Wort. Das Wintermährchen
bildet den Schluß der „Neuen Gedichte“, die
in dieſem Augenblick bey Hoffmann und Campe
erſcheinen. Um den Einzeldruck veranſtalten
zu können, mußte mein Verleger das Gedicht
den überwachenden Behörden zu beſonderer
Sorgfalt überliefern, und neue Varianten und
Ausmerzungen ſind das Ergebniß dieſer höheren
Kritik. —


Hamburg, d. 17. Sept. 1844.


Heinrich Heine.

[[1]]

Deutſchland.

Ein Wintermährchen.


Geſchrieben im Januar 1844.


Heine's Deutſchland 1[[2]][[3]]

CaputI.

Im traurigen Monat November war's,

Die Tage wurden trüber,

Der Wind riß von den Bäumen das Laub,

Da reiſt' ich nach Deutſchland hinüber.
Und als ich an die Grenze kam,

Da fühlt ich ein ſtärkeres Klopfen

In meiner Bruſt, ich glaube ſogar

Die Augen begunnen zu tropfen.
Und als ich die deutſche Sprache vernahm,

Da ward mir ſeltſam zu Muthe;

Ich meinte nicht anders, als ob das Herz

Recht angenehm verblute.
1 *[4]
Ein kleines Harfenmädchen ſang.

Sie ſang mit wahrem Gefühle

Und falſcher Stimme, doch ward ich ſehr

Gerühret von ihrem Spiele.
Sie ſang von Liebe und Liebesgram,

Aufopfrung und Wiederfinden

Dort oben, in jener beſſeren Welt,

Wo alle Leiden ſchwinden.
Sie ſang vom irdiſchen Jammerthal,

Von Freuden, die bald zerronnen,

Vom Jenſeits, wo die Seele ſchwelgt

Verklärt in ew'gen Wonnen.
Sie ſang das alte Entſagungslied,

Das Eyapopeya vom Himmel,

Womit man einlullt, wenn es greint,

Das Volk, den großen Lümmel.
[5]
Ich kenne die Weiſe, ich kenne den Text,

Ich kenn’ auch die Herren Verfaſſer;

Ich weiß, ſie tranken heimlich Wein

Und predigten öffentlich Waſſer.
Ein neues Lied, ein beſſeres Lied,

O Freunde, will ich Euch dichten!

Wir wollen hier auf Erden ſchon

Das Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich ſeyn,

Und wollen nicht mehr darben;

Verſchlemmen ſoll nicht der faule Bauch

Was fleißige Hände erwarben.
Es wächſt hienieden Brod genug

Für alle Menſchenkinder,

Auch Roſen und Myrthen, Schönheit und Luſt,

Und Zuckererbſen nicht minder.
[6]
Ja, Zuckererbſen für Jedermann,

Sobald die Schooten platzen!

Den Himmel überlaſſen wir

Den Engeln und den Spatzen.
Und wachſen uns Flügel nach dem Tod,

So wollen wir Euch beſuchen

Dort oben, und wir wir eſſen mit Euch

Die ſeligſten Torten und Kuchen.
Ein neues Lied, ein beſſeres Lied,

Es klingt wie Flöten und Geigen!

Das Miſerere iſt vorbey,

Die Sterbeglocken ſchweigen.
Die Jungfer Europa iſt verlobt

Mit dem ſchönen Geniuſſe

Der Freiheit, ſie liegen einander im Arm,

Sie ſchwelgen im erſten Kuſſe.
[7]
Und fehlt der Pfaffenſeegen dabei,

Die Ehe wird gültig nicht minder —

Es lebe Bräutigam und Braut,

Und ihre zukünftigen Kinder!
Ein Hochzeitkarmen iſt mein Lied,

Das beſſere, das neue!

In meiner Seele gehen auf

Die Sterne der höchſten Weihe —
Begeiſterte Sterne, ſie lodern wild,

Zerfließen in Flammenbächen —

Ich fühle mich wunderbar erſtarkt,

Ich könnte Eichen zerbrechen!
Seit ich auf deutſche Erde trat

Durchſtrömen mich Zauberſäfte —

Der Rieſe hat wieder die Mutter berührt,

Und es wuchſen ihm neu die Kräfte.
[8]

CaputII.

Während die Kleine von Himmelsluſt

Getrillert und muſiciret,

Ward von den preußiſchen Douanièrs

Mein Koffer viſitiret.
Beſchnüffelten Alles, kramten herum

In Hemden, Hoſen, Schnupftüchern;

Sie ſuchten nach Spitzen, nach Bijouterien,

Auch nach verbotenen Büchern.
Ihr Thoren, die Ihr im Koffer ſucht!

Hier werdet Ihr nichts entdecken!

Die Contrebande, die mit mir reiſt,

Die hab’ ich im Kopfe ſtecken.
[9]
Hier hab’ ich Spitzen, die feiner ſind

Als die von Brüſſel und Mecheln,

Und pack’ ich einſt meine Spitzen aus,

Sie werden Euch ſticheln und hecheln.
Im Kopfe trage ich Bijouterien,

Der Zukunft Krondiamanten,

Die Tempelkleinodien des neuen Gotts,

Des großen Unbekannten.
Und viele Bücher trag’ ich im Kopf!

Ich darf es Euch verſichern,

Mein Kopf iſt ein zwitſcherndes Vogelneſt

Von konfiszirlichen Büchern.
Glaubt mir, in Satans Bibliothek

Kann es nicht ſchlimmere geben;

Sie ſind gefährlicher noch als die

Von Hoffmann von Fallersleben! —
[10]
Ein Paſſagier, der neben mir ſtand,

Bemerkte mir, ich hätte

Jetzt vor mir den preußiſchen Zollverein,

Die große Douanenkette.
„Der Zollverein“ — bemerkte er —

„Wird unſer Volksthum begründen,

Er wird das zerſplitterte Vaterland

Zu einem Ganzen verbinden.
„Er giebt die äußere Einheit uns,

Die ſogenannt materielle;

Die geiſtige Einheit giebt uns die Cenſur,

Die wahrhaft ideelle —
„Sie giebt die innere Einheit uns,

Die Einheit im Denken und Sinnen;

Ein einiges Deutſchland thut uns Noth,

Einig nach Außen und Innen.“
[11]

CaputIII.

Zu Aachen, im alten Dome, liegt

Carolus Magnus begraben.

(Man muß ihn nicht verwechſeln mit Carl

Mayer, der lebt in Schwaben.)
Ich möchte nicht todt und begraben ſeyn

Als Kaiſer zu Aachen im Dome;

Weit lieber lebt’ ich als kleinſter Poet

Zu Stukkert am Neckarſtrome.
Zu Aachen langweilen ſich auf der Straß’

Die Hunde, ſie flehn unterthänig:

Gieb uns einen Fußtritt, o Fremdling, das wird

Vielleicht uns zerſtreuen ein wenig.
[12]
Ich bin in dieſem langweilgen Neſt

Ein Stündchen herumgeſchlendert.

Sah wieder preußiſches Militär,

Hat ſich nicht ſehr verändert.
Es ſind die grauen Mäntel noch,

Mit dem hohen, rothen Kragen —

(Das Roth bedeutet Franzoſenblut,

Sang Körner in früheren Tagen.)
Noch immer das hölzern pedantiſche Volk,

Noch immer ein rechter Winkel

In jeder Bewegung, und im Geſicht

Der eingefrorene Dünkel.
Sie ſtelzen noch immer ſo ſteif herum,

So kerzengrade geſchniegelt,

Als hätten ſie verſchluckt den Stock

Womit man ſie einſt geprügelt.
[13]
Ja, ganz verſchwand die Fuchtel nie,

Sie tragen ſie jetzt im Innern;

Das trauliche Du wird immer noch

An das alte Er erinnern.
Der lange Schnurbart iſt eigentlich nur

Des Zopfthums neuere Phaſe:

Der Zopf, der ehmals hinten hing,

Der hängt jetzt unter der Naſe.
Nicht übel gefiel mir das neue Coſtum

Der Reuter, das muß ich loben,

Beſonders die Pikkelhaube, den Helm,

Mit der ſtählernen Spitze nach oben.
Das iſt ſo ritterthümlich und mahnt

An der Vorzeit holde Romantik,

An die Burgfrau Johanna von Montfaucon,

An den Freyherrn Fouquè, Uhland, Tieck.
[14]
Das mahnt an das Mittelalter ſo ſchön,

An Edelknechte und Knappen,

Die in dem Herzen getragen die Treu

Und auf dem Hintern ein Wappen.
Das mahnt an Kreuzzug und Turney,

An Minne und frommes Dienen,

An die ungedruckte Glaubenszeit,

Wo noch keine Zeitung erſchienen.
Ja, ja, der Helm gefällt mir, er zeugt

Vom allerhöchſten Witze!

Ein königlicher Einfall war's!

Es fehlt nicht die Pointe, die Spitze!
Nur fürcht’ ich, wenn ein Gewitter entſteht,

Zieht leicht ſo eine Spitze

Herab auf Euer romantiſches Haupt

Des Himmels modernſte Blitze! — —
[15]

CaputIV.

Zu Cöllen kam ich ſpät Abends an,

Da hörte ich rauſchen den Rheinfluß,

Da fächelte mich ſchon deutſche Luft,

Da fühlt' ich ihren Einfluß —
Auf meinen Appetit. Ich aß

Dort Eierkuchen mit Schinken,

Und da er ſehr geſalzen war

Mußt ich auch Rheinwein trinken.
Der Rheinwein glänzt noch immer wie Gold

Im grünen Römerglaſe,

Und trinkſt du etwelche Schoppen zu viel,

So ſteigt er dir in die Naſe.
[16]
In die Naſe ſteigt ein Prickeln ſo ſüß,

Man kann ſich vor Wonne nicht laſſen!

Es trieb mich hinaus in die dämmernde Nacht,

In die wiederhallenden Gaſſen.
Die ſteinernen Häuſer ſchauten mich an,

Als wollten ſie mir berichten

Legenden aus altverſchollener Zeit,

Der heilgen Stadt Cöllen Geſchichten.
Ja, hier hat einſt die Cleriſey

Ihr frommes Weſen getrieben,

Hier haben die Dunkelmänner geherrſcht,

Die Ulrich von Hutten beſchrieben.
Der Cancan des Mittelalters ward hier

Getanzt von Nonnen und Mönchen;

Hier ſchrieb Hochſtraaten, der Menzel von Cölln,

Die giftgen Denunziaziönchen.
[17]
Die Flamme des Scheiterhaufens hat hier

Bücher und Menſchen verſchlungen;

Die Glocken wurden geläutet dabei

Und Kyrie Eleiſon geſungen.
Dummheit und Bosheit buhlten hier

Gleich Hunden auf freier Gaſſe;

Die Enkelbrut erkennt man noch heut

An ihrem Glaubenshaſſe. —
Doch ſiehe! dort im Mondenſchein

Den koloſſalen Geſellen!

Er ragt verteufelt ſchwarz empor,

Das iſt der Dom von Cöllen.
Er ſollte des Geiſtes Baſtille ſein,

Und die liſtigen Römlinge dachten:

In dieſem Rieſenkerker wird

Die deutſche Vernunft verſchmachten!
Heine's Deutſchland. 2[18]
Da kam der Luther, und er hat

Sein großes „Halt!“ geſprochen —

Seit jenem Tage blieb der Bau

Des Domes unterbrochen.
Er ward nicht vollendet — und das iſt gut.

Denn eben die Nichtvollendung

Macht ihn zum Denkmahl von Deutſchlands Kraft

Und proteſtantiſcher Sendung.
Ihr armen Schelme vom Domverein,

Ihr wollt mit ſchwachen Händen

Fortſetzen das unterbrochene Werk,

Und die alte Zwingburg vollenden!
O thörichter Wahn! Vergebens wird

Geſchüttelt der Klingelbeutel,

Gebettelt bei Ketzern und Juden ſogar;

Iſt alles fruchtlos und eitel.
[19]
Vergebens wird der große Franz Lißt

Zum Beſten des Doms muſiziren,

Und ein talentvoller König wird

Vergebens deklamiren!
Er wird nicht vollendet, der Köllner Dom,

Obgleich die Narren in Schwaben

Zu ſeinem Fortbau ein ganzes Schiff

Voll Steine geſendet haben.
Er wird nicht vollendet, trotz allem Geſchrey

Der Raben und der Eulen,

Die, alterthümlich geſinnt, ſo gern

In hohen Kirchthürmen weilen.
Ja, kommen wird die Zeit ſogar

Wo man, ſtatt ihn zu vollenden,

Die inneren Räume zu einem Stall

Für Pferde wird verwenden.
2*[20]
„Und wird der Dom ein Pferdeſtall,

Was ſollen wir dann beginnen

Mit den heil'gen drey Kön'gen, die da ruhn

Im Tabernakel da drinnen?“
So höre ich fragen. Doch brauchen wir uns

In unſerer Zeit zu geniren?

Die heil'gen drey Kön'ge aus Morgenland,

Sie können wo anders logiren.
Folgt meinem Rath und ſteckt ſie hinein

In jene drey Körbe von Eiſen,

Die hoch zu Münſter hängen am Thurm,

Der Sankt Lamberti geheißen.
Der Schneiderkönig ſaß darin

Mit ſeinen beiden Räthen,

Wir aber benutzen die Körbe jetzt

Für andre Majeſtäten.
[21]
Zur Rechten ſoll Herr Balthaſar,

Zur Linken Herr Melchior ſchweben,

In der Mitte Herr Gaspar — Gott weiß, wie einſt

Die Drey gehaußt im Leben!
Die heil'ge Allianz des Morgenlands,

Die jetzt kanoniſiret,

Sie hat vielleicht nicht immer ſchön

Und fromm ſich aufgeführet.
Der Balthaſar und der Melchior,

Das waren vielleicht zwey Gäuche,

Die in der Noth eine Conſtituzion

Verſprochen ihrem Reiche,
Und ſpäter nicht Wort gehalten — Es hat

Herr Gaspar, der König der Mohren,

Vielleicht mit ſchwarzem Undank ſogar

Belohnt ſein Volk, die Thoren!
[22]

CaputV.

Und als ich an die Rheinbrück kam,

Wohl an die Hafenſchanze,

Da ſah ich fließen den Vater Rhein

Im ſtillen Mondenglanze.
Sey mir gegrüßt, mein Vater Rhein,

Wie iſt es mir ergangen?

Ich habe oft an dich gedacht,

Mit Sehnſucht und Verlangen.
So ſprach ich, da hört’ ich im Waſſer tief

Gar ſeltſam grämliche Töne,

Wie Hüſteln eines alten Manns,

Ein Brümmeln und weiches Geſtöhne:
[23]
„Willkommen, mein Junge, das iſt mir lieb,

Daß du mich nicht vergeſſen;

Seit dreizehn Jahren ſah ich dich nicht,

Mir ging es ſchlecht unterdeſſen.
„Zu Biberich hab' ich Steine verſchluckt,

Wahrhaftig ſie ſchmeckten nicht lecker!

Doch ſchwerer liegen im Magen mir

Die Verſe von Niklas Becker.
„Er hat mich beſungen als ob ich noch

Die reinſte Jungfer wäre,

Die ſich von niemand rauben läßt

Das Kränzlein ihrer Ehre.
„Wenn ich es höre, das dumme Lied,

Dann möcht ich mir zerraufen

Den weißen Bart, ich möchte fürwahr

Mich in mir ſelbſt erſaufen!
[24]
„Daß ich keine reine Jungfer bin,

Die Franzoſen wiſſen es beſſer,

Sie haben mit meinem Waſſer ſo oft

Vermiſcht ihr Siegergewäſſer.
„Das dumme Lied und der dumme Kerl!

Er hat mich ſchmählich blamiret,

Gewiſſermaßen hat er mich auch

Politiſch kompromittiret.
„Denn kehren jetzt die Franzoſen zurück,

So muß ich vor ihnen erröthen,

Ich, der um ihre Rückkehr ſo oft

Mit Thränen zum Himmel gebeten.
„Ich habe ſie immer ſo lieb gehabt,

Die lieben kleinen Französchen —

Singen und ſpringen ſie noch wie ſonſt?

Tragen noch weiße Höschen?
[25]
„Ich möchte ſie gerne wiederſehn,

Doch fürcht’ ich die Perſifflage,

Von wegen des verwünſchten Lieds,

Von wegen der Blamage.
„Der Alphred de Müſſet, der Gaſſenbub,

Der kommt an ihrer Spitze

Vielleicht als Tambour, und trommelt mir vor

All ſeine ſchlechten Witze.“
So klagte der arme Vater Rhein,

Konnt ſich nicht zufrieden geben.

Ich ſprach zu ihm manch tröſtendes Wort,

Um ihm das Herz zu heben:
O, fürchte nicht, mein Vater Rhein,

Den ſpöttelnden Scherz der Franzoſen;

Sie ſind die alten Franzoſen nicht mehr,

Auch tragen ſie andere Hoſen.
[26]
Die Hoſen ſind roth und nicht mehr weiß,

Sie haben auch andere Knöpfe,

Sie ſingen nicht mehr, ſie ſpringen nicht mehr,

Sie ſenken nachdenklich die Köpfe.
Sie philoſophiren und ſprechen jetzt

Von Kant, von Fiſchte und Hegel,

Sie rauchen Tabak, ſie trinken Bier,

Und manche ſchieben auch Kegel.
Sie werden Philiſter ganz wie wir

Und treiben es endlich noch ärger;

Sie ſind keine Voltairianer mehr,

Sie werden Hengſtenberger.
Der Alphred de Müſſet, das iſt wahr,

Iſt noch ein Gaſſenjunge;

Doch fürchte nichts, wir feſſeln ihm

Die ſchändliche Spötterzunge.
[27]
Und trommelt er dir einen ſchlechten Witz,

So pfeifen wir ihm einen ſchlimmern,

Wir pfeifen ihm vor was ihm paſſirt

Bei ſchönen Frauenzimmern.
Gieb dich zufrieden, Vater Rhein,

Denk' nicht an ſchlechte Lieder,

Ein beſſeres Lied vernimmſt du bald —

Leb wohl, wir ſehen uns wieder.
[28]

CaputVI.

Den Paganini begleitete ſtets

Ein Spiritus Familiaris,

Manchmal als Hund, manchmal in Geſtalt

Des ſeligen Georg Harris.
Napoleon ſah einen rothen Mann,

Vor jedem wicht'gen Ereigniß.

Sokrates hatte ſeinen Dämon,

Das war kein Hirnerzeugniß.
Ich ſelbſt, wenn ich am Schreibtiſch ſaß

Des Nachts, hab ich geſehen

Zuweilen einen vermummten Gaſt

Unheimlich hinter mir ſtehen.
[29]
Unter dem Mantel hielt er etwas

Verborgen, das ſeltſam blinkte

Wenn es zum Vorſchein kam, und ein Beil,

Ein Richtbeil, zu ſeyn mir dünkte.
Er ſchien von unterſetzter Statur,

Die Augen wie zwey Sterne;

Er ſtörte mich im Schreiben nie,

Blieb ruhig ſtehn in der Ferne.
Seit Jahren hatte ich nicht geſehn

Den ſonderbaren Geſellen,

Da fand ich ihn plötzlich wieder hier

In der ſtillen Mondnacht zu Cöllen.
Ich ſchlenderte ſinnend die Straßen entlang,

Da ſah ich ihn hinter mir gehen,

Als ob er mein Schatten wäre, und ſtand

Ich ſtill, ſo blieb er ſtehen.
[30]
Blieb ſtehen, als wartete er auf was,

Und förderte ich die Schritte,

Dann folgte er wieder. So kamen wir

Bis auf des Domplatz Mitte.
Es ward mir unleidlich, ich drehte mich um

Und ſprach: Jetzt ſteh' mir Rede,

Was folgſt du mir auf Weg und Steg,

Hier in der nächtlichen Oede?
Ich treffe dich immer in der Stund,

Wo Weltgefühle ſprießen

In meiner Bruſt und durch das Hirn

Die Geiſtesblitze ſchießen.
Du ſiehſt mich an ſo ſtier und feſt —

Steh' Rede: was verhüllſt du

Hier unter dem Mantel, das heimlich blinkt?

W[er] biſt du und was willſt du?
[31]
Doch jener erwiederte trockenen Tons,

Sogar ein bischen phlegmatiſch:

„Ich bitte dich, exorzire mich nicht,

Und werde nur nicht emphatiſch!
„Ich bin kein Geſpenſt der Vergangenheit,

Kein grabentſtiegener Strohwiſch,

Und von Rhetorik bin ich kein Freund,

Bin auch nicht ſehr philoſophiſch.
„Ich bin von praktiſcher Natur,

Und immer ſchweigſam und ruhig.

Doch wiſſe: was du erſonnen im Geiſt',

Das führ' ich aus, das thu' ich.
„Und gehn auch Jahre drüber hin,

Ich raſte nicht, bis ich verwandle

In Wirklichkeit was du gedacht;

Du denkſt, und ich, ich handle.
[32]
„Du biſt der Richter, der Büttel bin ich,

Und mit dem Gehorſam des Knechtes

Vollſtreck' ich das Urtheil, das du gefällt,

Und ſey es ein ungerechtes.
„Dem Conſul trug man ein Beil voran,

Zu Rom, in alten Tagen;

Auch du haſt deinen Liktor, doch wird

Das Beil dir nachgetragen.
„Ich bin dein Liktor, und ich geh'

Beſtändig mit dem blanken

Richtbeile hinter dir — ich bin

Die That von deinem Gedanken.“
[33]

CaputVII.

Ich ging nach Haus und ſchlief als ob

Die Engel gewiegt mich hätten.

Man ruht in deutſchen Betten ſo weich,

Denn das ſind Federbetten.
Wie ſehnt’ ich mich oft nach der Süßigkeit

Des vaterländiſchen Pfühles,

Wenn ich auf harten Matratzen lag,

In der ſchlafloſen Nacht des Exiles!
Man ſchläft ſehr gut und träumt auch gut

In unſeren Federbetten.

Hier fühlt die deutſche Seele ſich frey

Von allen Erdenketten.
Heine's Deutſchland 3[34]
Sie fühlt ſich frey und ſchwingt ſich empor

Zu den höchſten Himmelsräumen.

O deutſche Seele, wie ſtolz iſt dein Flug

In deinen nächtlichen Träumen!
Die Götter erbleichen wenn du nah'ſt!

Du haſt auf deinen Wegen

Gar manches Sternlein ausgeputzt

Mit deinen Flügelſchlägen!
Franzoſen und Ruſſen gehört das Land,

Das Meer gehört den Britten,

Wir aber beſitzen im Luftreich' des Traums

Die Herrſchaft unbeſtritten.
Hier üben wir die Hegemonie,

Hier ſind wir unzerſtückelt;

Die andern Völker haben ſich

Auf platter Erde entwickelt. — —
[35]
Und als ich einſchlief, da träumte mir,

Ich ſchlenderte wieder im hellen

Mondſchein die hallenden Straßen entlang,

In dem alterthümlichen Cöllen.
Und hinter mir ging wieder einher

Mein ſchwarzer, vermummter Begleiter.

Ich war ſo müde, mir brachen die Knie,

Doch immer gingen wir weiter.
Wir gingen weiter. Mein Herz in der Bruſt

War klaffend aufgeſchnitten,

Und aus der Herzenswunde hervor

Die rothen Tropfen glitten.
Ich tauchte manchmal die Finger hinein,

Und manchmal iſt es geſchehen,

Daß ich die Hausthürpfoſten beſtrich

Mit dem Blut im Vorübergehen.
3*[36]
Und jedesmal wenn ich ein Haus

Bezeichnet in ſolcher Weiſe,

Ein Sterbeglöckchen erſcholl fernher,

Wehmüthig wimmernd und leiſe.
Am Himmel aber erblich der Mond,

Er wurde immer trüber;

Gleich ſchwarzen Roſſen jagten an ihm

Die wilden Wolken vorüber.
Und immer ging hinter mir einher

Mit ſeinem verborgenen Beile

Die dunkle Geſtalt — ſo wanderten wir

Wohl eine gute Weile.
Wir gehen und gehen, bis wir zuletzt

Wieder zum Domplatz gelangen;

Weit offen ſtanden die Pforten dort,

Wir ſind hineingegangen.
[37]
Es herrſchte im ungeheuren Raum

Nur Tod und Nacht und Schweigen;

Es brannten Ampeln hie und da,

Um die Dunkelheit recht zu zeigen.
Ich wandelte lange den Pfeilern entlang

Und hörte nur die Tritte

Von meinem Begleiter, er folgte mir

Auch hier bey jedem Schritte.
Wir kamen endlich zu einem Ort,

Wo funkelnde Kerzenhelle

Und blitzendes Gold und Edelſtein;

Das war die Drey-Königs-Kapelle.
Die heil'gen drey Könige jedoch,

Die ſonſt ſo ſtill dort lagen,

O Wunder! ſie ſaßen aufrecht jetzt

Auf ihren Sarkophagen.
[38]
Drey Todtengerippe, phantaſtiſch geputzt,

Mit Kronen auf den elenden

Vergilbten Schädeln, ſie trugen auch

Das Zepter in knöchernen Händen.
Wie Hampelmänner bewegten ſie

Die längſtverſtorbenen Knochen;

Die haben nach Moder und zugleich

Nach Weihrauchduft gerochen.
Der Eine bewegte ſogar den Mund

Und hielt eine Rede, ſehr lange;

Er ſetzte mir auseinander warum

Er meinen Reſpekt verlange.
Zuerſt weil er ein Todter ſey,

Und zweitens weil er ein König,

Und drittens weil er ein Heil'ger ſey, —

Das alles rührte mich wenig.
[39]
Ich gab ihm zur Antwort lachenden Muths:

Vergebens iſt deine Bemühung!

Ich ſehe, daß du der Vergangenheit

Gehörſt in jeder Beziehung.
Fort! fort von hier! im tiefen Grab,

Iſt Eure natürliche Stelle.

Das Leben nimmt jetzt in Beſchlag

Die Schätze dieſer Kapelle.
Der Zukunft fröhliche Cavallerie

Soll hier im Dome hauſen.

Und weicht Ihr nicht willig, ſo brauch ich Gewalt,

Und laß' Euch mit Kolben lauſen!
So ſprach ich und ich drehte mich um,

Da ſah ich furchtbar blinken

Des ſtummen Begleiters furchtbares Beil —

Und er verſtand mein Winken.
[40]
Er nahte ſich, und mit dem Beil

Zerſchmetterte er die armen

Skelette des Aberglaubens, er ſchlug

Sie nieder ohn' Erbarmen.
Es dröhnte der Hiebe Wiederhall

Aus allen Gewölben, entſetzlich, —

Blutſtröme ſchoſſen aus meiner Bruſt,

Und ich erwachte plötzlich.
[41]

CaputVIII.

Von Cöllen bis Hagen koſtet die Poſt

Fünf Thaler ſechs Groſchen Preußiſch.

Die Diligence war leider beſetzt

Und ich kam in die offene Beyſchaiſ’.
Ein Spätherbſtmorgen, feucht und grau,

Im Schlamme keuchte der Wagen;

Doch trotz des ſchlechten Wetters und Wegs

Durchſtrömte mich ſüßes Behagen.
Das iſt ja meine Heimathluft!

Die glühende Wange empfand es!

Und dieſer Landſtraßenkoth, er iſt

Der Dreck meines Vaterlandes!
[42]
Die Pferde wedelten mit dem Schwanz

So traulich wie alte Bekannte,

Und ihre Miſtküchlein dünkten mir ſchön

Wie die Aepfel der Atalante!
Wir fuhren durch Mühlheim. Die Stadt iſt nett,

Die Menſchen ſtill und fleißig.

War dort zuletzt im Monat May

Des Jahres Ein und dreyzig.
Damals ſtand alles im Blüthenſchmuck

Und die Sonnenlichter lachten,

Die Vögel ſangen ſehnſuchtvoll,

Und die Menſchen hofften und dachten —
Sie dachten: „Die magere Ritterſchaft

Wird bald von hinnen reiſen,

Und der Abſchiedstrunk wird ihnen kredenzt

Aus langen Flaſchen von Eiſen!
[43]
„Und die Freiheit kommt mit Spiel und Tanz,

Mit der Fahne, der weiß-blau-rothen;

Vielleicht holt ſie ſogar aus dem Grab

Den Bonaparte, den Todten!“
Ach Gott! die Ritter ſind immer noch hier,

Und manche dieſer Gäuche,

Die ſpindeldürre gekommen in's Land,

Die haben jetzt dicke Bäuche.
Die blaſſen Canaillen, die ausgeſehn

Wie Liebe, Glauben und Hoffen,

Sie haben ſeitdem in unſerm Wein

Sich rothe Naſen geſoffen — — —
Und die Freiheit hat ſich den Fuß verrenkt,

Kann nicht mehr ſpringen und ſtürmen;

Die Trikolore in Paris

Schaut traurig herab von den Thürmen.
[44]
Der Kaiſer iſt auferſtanden ſeitdem,

Doch die engliſchen Würmer haben

Aus ihm einen ſtillen Mann gemacht,

Und er ließ ſich wieder begraben.
Hab' ſelber ſein Leichenbegängniß geſehn,

Ich ſah den goldenen Wagen

Und die goldenen Siegesgöttinnen drauf,

Die den goldenen Sarg getragen.
Den Eliſäiſchen Feldern entlang,

Durch des Triumphes Bogen,

Wohl durch den Nebel, wohl über den Schnee,

Kam langſam der Zug gezogen.
Mißtönend ſchauerlich war die Muſik.

Die Muſikanten ſtarrten

Vor Kälte. Wehmüthig grüßten mich

Die Adler der Standarten.
[45]
Die Menſchen ſchauten ſo geiſterhaft

In alter Erinn'rung verloren —

Der imperiale Mährchentraum

War wieder herauf beſchworen.
Ich weinte an jenem Tag. Mir ſind

Die Thränen in's Auge gekommen,

Als ich den verſchollenen Liebesruf,

Das Vive l'Empereur! vernommen.
[46]

CaputIX.

Von Cöllen war ich drei Viertel auf Acht

Des Morgens fortgereiſet;

Wir kamen nach Hagen ſchon gegen Drey,

Da wird zu Mittag geſpeiſet.
Der Tiſch war gedeckt. Hier fand ich ganz

Die altgermaniſche Küche.

Sey mir gegrüßt, mein Sauerkraut,

Holdſelig ſind deine Gerüche!
Geſtofte Kaſtanien im grünen Kohl!

So aß ich ſie einſt bei der Mutter!

Ihr heimiſchen Stockfiſche ſeid mir gegrüßt!

Wie ſchwimmt Ihr klug in der Butter!
[47]
Jedwedem fühlenden Herzen bleibt

Das Vaterland ewig theuer —

Ich liebe auch recht braun geſchmort

Die Bücklinge und Eyer.
Wie jauchzten die Würſte im ſpritzelnden Fett!

Die Krammetsvögel, die frommen

Gebratenen Englein mit Apfelmuß,

Sie zwitſcherten mir: Willkommen!
Willkommen, Landsmann, — zwitſcherten ſie —

Biſt lange ausgeblieben,

Haſt dich mit fremdem Gevögel ſo lang

In der Fremde herumgetrieben!
Es ſtand auf dem Tiſche eine Gans,

Ein ſtilles, gemüthliches Weſen.

Sie hat vielleicht mich einſt geliebt,

Als wir beide noch jung geweſen.
[48]
Sie blickte mich an ſo bedeutungsvoll,

So innig, ſo treu, ſo wehe!

Beſaß eine ſchöne Seele gewiß,

Doch war das Fleiſch ſehr zähe.
Auch einen Schweinskopf trug man auf

In einer zinnernen Schüſſel;

Noch immer ſchmückt man den Schweinen bei uns

Mit Lorbeerblättern den Rüſſel.
[49]

Caput X.

Dicht hinter Hagen ward es Nacht,

Und ich fühlte in den Gedärmen

Ein ſeltſames Fröſteln. Ich konnte mich erſt

Zu Unna, im Wirthshaus, erwärmen.
Ein hübſches Mädchen fand ich dort,

Die ſchenkte mir freundlich den Punſch ein;

Wie gelbe Seide das Lockenhaar,

Die Augen ſanft wie Mondſchein.
Den liſpelnd weſtphäliſchen Accent

Vernahm ich mit Wolluſt wieder.

Viel ſüße Erinnerung dampfte der Punſch,

Ich dachte der lieben Brüder,
Heine's Deutſchland. 4[50]
Der lieben Weſtphalen womit ich ſo oft

In Göttingen getrunken,

Bis wir gerührt einander an's Herz

Und unter die Tiſche geſunken!
Ich habe ſie immer ſo lieb gehabt,

Die lieben, guten Weſtphalen,

Ein Volk ſo feſt, ſo ſicher, ſo treu,

Ganz ohne Gleißen und Prahlen.
Wie ſtanden ſie prächtig auf der Menſur,

Mit ihren Löwenherzen!

Es fielen ſo grade, ſo ehrlich gemeint,

Die Quarten und die Terzen.
Sie fechten gut, ſie trinken gut,

Und wenn ſie die Hand dir reichen,

Zum Freundſchaftsbündniß, dann weinen ſie;

Sind ſentimentale Eichen.
[51]
Der Himmel erhalte dich, wackres Volk,

Er ſegne deine Saaten,

Bewahre dich vor Krieg und Ruhm,

Vor Helden und Heldenthaten.
Er ſchenke deinen Söhnen ſtets

Ein ſehr gelindes Examen,

Und deine Töchter bringe er hübſch

Unter die Haube — Amen!
4*[52]

[Caput]XI.

Das iſt der Teutoburger Wald,

Den Tacitus beſchrieben,

Das iſt der klaſſiſche Moraſt,

Wo Varus ſtecken geblieben.
Hier ſchlug ihn der Cheruskerfürſt,

Der Hermann, der edle Recke;

Die deutſche Nationalität,

Die ſiegte in dieſem Drecke.
Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann,

Mit ſeinen blonden Horden,

So gäb' es deutſche Freiheit nicht mehr,

Wir wären römiſch geworden!
[53]
In unſerem Vaterland herrſchten jetzt

Nur römiſche Sprache und Sitten,

Veſtalen gäb' es in München ſogar,

Die Schwaben hießen Quiriten!
Der Hengſtenberg wär' ein Haruspex

Und grübelte in den Gedärmen

Von Ochſen. Neander wär' ein Augur,

Und ſchaute nach Vögelſchwärmen.
Birch-Pfeifer ſöffe Terpentin,

Wie einſt die römiſchen Damen.

(Man ſagt, daß ſie dadurch den Urin

Beſonders wohlriechend bekamen.)
Der R*** wäre kein deutſcher Lump,

Er wäre ein röm'ſcher Lumpazius.

Der Freiligrath dichtete ohne Reim,

Wie weiland Flaccus Horazius.
[54]
Der grobe Bettler, Vater Jahn,

Der hieße jetzt Grobianus.

Me hercule! Maßmann ſpräche Latein,

Der Marcus Tullius Maßmanus!
Die Wahrheitsfreunde würden jetzt

Mit Löwen, Hyänen, Schakalen,

Sich raufen in der Arena, anſtatt

Mit Hunden in kleinen Journalen.
Wir hätten Einen Nero jetzt

Statt Landesväter drey Dutzend.

Wir ſchnitten uns die Adern auf,

Den Schergen der Knechtſchaft trutzend.
Der Schelling wär' ganz ein Seneka,

Und käme in ſolchem Conflikt um.

Zu unſ'rem Cornelius ſagten wir:

Kakatum non eſt piktum.
[55]
Gottlob! Der Hermann gewann die Schlacht,

Die Römer wurden vertrieben,

Varus mit ſeinen Legionen erlag,

Und wir ſind Deutſche geblieben!
Wir blieben deutſch, wir ſprechen deutſch,

Wie wir es geſprochen haben;

Der Eſel heißt Eſel, nicht asinus,

Die Schwaben blieben Schwaben.
Der Raumer blieb ein deutſcher Lump

In unſerm deutſchen Norden.

In Reimen dichtet Freiligrath,

Iſt kein Horaz geworden.
Gottlob, der Maßman ſpricht kein Latein,

Birch-Pfeifer ſchreibt nur Dramen,

Und ſäuft nicht ſchnöden Terpentin,

Wie Roms galante Damen.
[56]
O Hermann, dir verdanken wir das!

Drum wird dir, wie ſich gebühret,

Zu Dettmoldt ein Monument geſetzt;

Hab' ſelber ſubſkribiret.
[57]

CaputXII.

Im nächtlichen Walde humpelt dahin

Die Chaiſe. Da kracht es plötzlich —

Ein Rad ging los. Wir halten ſtill.

Das iſt nicht ſehr ergötzlich.
Der Poſtillon ſteigt ab und eilt

In's Dorf, und ich verweile

Um Mitternacht allein im Wald.

Ringsum ertönt ein Geheule.
Das ſind die Wölfe, die heulen ſo wild,

Mit ausgehungerten Stimmen.

Wie Lichter in der Dunkelheit

Die feurigen Augen glimmen.
[58]
Sie hörten von meiner Ankunft gewiß,

Die Beſtien, und mir zu Ehre

Illuminirten ſie den Wald,

Und ſingen ſie ihre Chöre.
Das iſt ein Ständchen, ich merke es jetzt,

Ich ſoll gefeyert werden!

Ich warf mich gleich in Poſitur

Und ſprach mit gerührten Gebehrden:
„Mitwölfe! Ich bin glücklich heut

In Eurer Mitte zu weilen,

Wo ſo viel edle Gemüther mir

Mit Liebe entgegenheulen.
„Was ich in dieſem Augenblick

Empfinde, iſt unermeßlich;

Ach! dieſe ſchöne Stunde bleibt

Mir ewig unvergeßlich.
[59]
„Ich danke Euch für das Vertraun,

Womit Ihr mich beehret,

Und das Ihr in jeder Prüfungszeit

Durch treue Beweiſe bewähret.
„Mitwölfe! Ihr zweifeltet nie an mir,

Ihr ließet Euch nicht fangen

Von Schelmen, die Euch geſagt, ich ſey

Zu den Hunden übergegangen,
„Ich ſey abtrünnig und werde bald

Hofrath in der Lämmerhürde —

Dergleichen zu widerſprechen war

Ganz unter meiner Würde.
„Der Schaafpelz, den ich umgehängt

Zuweilen, um mich zu wärmen,

Glaubt mir's, er brachte mich nie dahin

Für das Glück der Schaafe zu ſchwärmen.
[60]
„Ich bin kein Schaaf, ich bin kein Hund,

Kein Hofrath und kein Schellfiſch —

Ich bin ein Wolf geblieben, mein Herz

Und meine Zähne ſind wölfiſch.
„Ich bin ein Wolf und werde ſtets

Auch heulen mit den Wölfen —

Ja, zählt auf mich und helft Euch ſelbſt,

Dann wird auch Gott Euch helfen!“
Das war die Rede, die ich hielt,

Ganz ohne Vorbereitung;

Verſtümmelt hat Kolb ſie abgedruckt

In der Allgemeinen Zeitung.
[61]

CaputXIII.

Die Sonne ging auf bey Paderborn,

Mit ſehr verdroſſ’ner Gebehrde.

Sie treibt in der That ein verdrießlich Geſchäft —

Beleuchten die dumme Erde!
Hat ſie die eine Seite erhellt,

Und bringt ſie mit ſtrahlender Eile

Der andern ihr Licht, ſo verdunkelt ſchon

Sich jene mittlerweile.
Der Stein entrollt dem Syſiphus,

Der Danaiden Tonne

Wird nie gefüllt, und den Erdenball

Beleuchtet vergeblich die Sonne! —
[62]
Und als der Morgennebel zerrann,

Da ſah ich am Wege ragen,

Im Frührothſchein, das Bild des Mann's,

Der an das Kreuz geſchlagen.
Mit Wehmuth erfüllt mich jedesmahl

Dein Anblick, mein armer Vetter,

Der du die Welt erlöſen gewollt,

Du Narr, du Menſchheitsretter!
Sie haben dir übel mitgeſpielt,

Die Herren vom hohen Rathe.

Wer hieß dich auch reden ſo rückſichtslos

Von der Kirche und vom Staate!
Zu deinem Malheur war die Buchdruckerey

Noch nicht in jenen Tagen

Erfunden; Du hätteſt geſchrieben ein Buch

Ueber die Himmelsfragen.
[63]
Der Cenſor hätte geſtrichen darin

Was etwa anzüglich auf Erden,

Und liebend bewahrte dich die Cenſur

Vor dem Gekreuzigtwerden.
Ach! hätteſt du nur einen andern Text

Zu deiner Bergpredigt genommen,

Beſaßeſt ja Geiſt und Talent genug,

Und konnteſt ſchonen die Frommen!
Geldwechsler, Banquièrs, haſt du ſogar

Mit der Peitſche gejagt aus dem Tempel —

Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängſt du am Kreuz

Als warnendes Exempel!
[64]

CaputXIV.

Ein feuchter Wind, ein kahles Land,

Die Chaiſe wackelt im Schlamme,

Doch ſingt es und klingt es in meinem Gemüth:

Sonne, du klagende Flamme!
Das iſt der Schlußreim des alten Lieds,

Das oft meine Amme geſungen —

„Sonne, du klagende Flamme!“ das hat

Wie Waldhornruf geklungen.
Es kommt im Lied ein Mörder vor,

Der lebt' in Luſt und Freude;

Man findet ihn endlich im Walde gehenkt,

An einer grauen Weide.
[65]
Des Mörders Todesurtheil war

Genagelt am Weidenſtamme;

Das haben die Rächer der Vehme gethan —

Sonne, du klagende Flamme!
Die Sonne war Kläger, ſie hatte bewirkt,

Daß man den Mörder verdamme.

Otilie hatte ſterbend geſchrien:

Sonne, du klagende Flamme!
Und denk ich des Liedes, ſo denk’ ich auch

Der Amme, der lieben Alten;

Ich ſehe wieder ihr braunes Geſicht,

Mit allen Runzeln und Falten.
Sie war geboren im Münſterland,

Und wußte, in großer Menge,

Geſpenſtergeſchichten, grauſenhaft,

Und Mährchen und Volksgeſänge.
Heine’s Deutſchland. 5[66]
Wie pochte mein Herz, wenn die alte Frau

Von der Königstochter erzählte,

Die einſam auf der Heide ſaß

Und die goldnen Haare ſtrählte.
Die Gänſe mußte ſie hüten dort

Als Gänſemagd, und trieb ſie

Am Abend die Gänſe wieder durch's Thor,

Gar traurig ſtehen blieb ſie.
Denn angenagelt über dem Thor

Sah ſie ein Roßhaupt ragen,

Das war der Kopf des armen Pferds,

Das ſie in die Fremde getragen.
Die Königstochter ſeufzte tief:

O, Falada, daß du hangeſt!

Der Pferdekopf herunter rief:

O wehe! daß du gangeſt!
[67]
Die Königstochter ſeufzte tief:

Wenn das meine Mutter wüßte!

Der Pferdekopf herunter rief:

Ihr Herze brechen müßte!
Mit ſtockendem Athem horchte ich hin,

Wenn die Alte ernſter und leiſer

Zu ſprechen begann und vom Rothbart ſprach,

Von unſerem heimlichen Kaiſer.
Sie hat mir verſichert, er ſey nicht todt,

Wie da glauben die Gelehrten,

Er hauſe verſteckt in einem Berg

Mit ſeinen Waffengefährten.
Kiffhäuſer iſt der Berg genannt,

Und drinnen iſt eine Höhle;

Die Ampeln erhellen ſo geiſterhaft

Die hochgewölbten Sääle.
5*[68]
Ein Marſtall iſt der erſte Saal,

Und dorten kann man ſehen

Viel tauſend Pferde, blankgeſchirrt,

Die an den Krippen ſtehen.
Sie ſind geſattelt und gezäumt,

Jedoch von dieſen Roſſen

Kein einziges wiehert, kein einziges ſtampft,

Sind ſtill, wie aus Eiſen gegoſſen.
Im zweiten Saale, auf der Streu,

Sieht man Soldaten liegen,

Viel tauſend Soldaten, bärtiges Volk,

Mit kriegeriſch trotzigen Zügen.
Sie ſind gerüſtet von Kopf bis Fuß,

Doch alle dieſe Braven,

Sie rühren ſich nicht, bewegen ſich nicht,

Sie liegen feſt und ſchlafen.
[69]
Hochaufgeſtapelt im dritten Saal

Sind Schwerter, Streitäxte, Speere,

Harniſche, Helme, von Silber und Stahl,

Altfränkiſche Feuergewehre.
Sehr wenig Kanonen, jedoch genug

Um eine Trophee zu bilden.

Hoch ragt daraus eine Fahne hervor,

Die Farbe iſt ſchwarz-roth-gülden.
Der Kaiſer bewohnt den vierten Saal.

Schon ſeit Jahrhunderten ſitzt er

Auf ſteinernem Stuhl, am ſteinernen Tiſch,

Das Haupt auf den Armen ſtützt er.
Sein Bart, der bis zur Erde wuchs,

Iſt roth wie Feuerflammen,

Zuweilen zwinkert er mit dem Aug',

Zieht manchmal die Braunen zuſammen.
[70]
Schläft er oder denkt er nach?

Man kann's nicht genau ermitteln;

Doch wenn die rechte Stunde kommt,

Wird er gewaltig ſich rütteln.
Die gute Fahne ergreift er dann

Und ruft: zu Pferd'! zu Pferde!

Sein reiſiges Volk erwacht und ſpringt

Lautraſſelnd empor von der Erde.
Ein jeder ſchwingt ſich auf ſein Roß,

Das wiehert und ſtampft mit den Hufen!

Sie reiten hinaus in die klirrende Welt,

Und die Trompeten rufen.
Sie reiten gut, ſie ſchlagen gut,

Sie haben ausgeſchlafen.

Der Kaiſer hält ein ſtrenges Gericht,

Er will die Mörder beſtrafen —
[71]
Die Mörder, die gemeuchelt einſt

Die theure, wunderſame,

Goldlockigte Jungfrau Germania —

Sonne, du klagende Flamme!
Wohl mancher, der ſich geborgen geglaubt,

Und lachend auf ſeinem Schloß ſaß,

Er wird nicht entgehen dem rächenden Strang,

Dem Zorne Barbaroſſas! — — —
Wie klingen ſie lieblich, wie klingen ſie ſüß,

Die Mährchen der alten Amme!

Mein abergläubiſches Herze jauchzt:

Sonne, du klagende Flamme!
[72]

CaputXV.

Ein feiner Regen prickelt herab,

Eiskalt, wie Nähnadelſpitzen.

Die Pferde bewegen traurig den Schwanz,

Sie waten im Koth und ſchwitzen.
Der Poſtillon ſtößt in ſein Horn,

Ich kenne das alte Getute —

„Es reiten drey Reiter zum Thor hinaus!“ —

Es wird mir ſo dämmrig zu Muthe.
Mich ſchläferte und ich entſchlief,

Und ſiehe! mir träumte am Ende,

Daß ich mich in dem Wunderberg

Beim Kaiſer Rothbart befände.
[73]
Er ſaß nicht mehr auf ſteinernem Stuhl,

Am ſteinernen Tiſch, wie ein Steinbild;

Auch ſah er nicht ſo ehrwürdig aus,

Wie man ſich gewöhnlich einbild't.
Er watſchelte durch die Sääle herum

Mit mir im trauten Geſchwätze.

Er zeigte wie ein Antiquar

Mir ſeine Curioſa und Schätze.
Im Saale der Waffen erklärte er mir

Wie man ſich der Kolben bediene,

Von einigen Schwertern rieb er den Roſt

Mit ſeinem Hermeline.
Er nahm einen Pfauenwedel zur Hand,

Und reinigte vom Staube

Gar manchen Harniſch, gar manchen Helm,

Auch manche Pickelhaube.
[74]
Die Fahne ſtäubte er gleichfalls ab,

Und er ſprach: „mein größter Stolz iſt,

Daß noch keine Motte die Seide zerfraß,

Und auch kein Wurm im Holz iſt.“
Und als wir kamen in den Saal,

Wo ſchlafend am Boden liegen

Viel tauſend Krieger, kampfbereit,

Der Alte ſprach mit Vergnügen:
„Hier müſſen wir leiſer reden und gehn,

Damit wir nicht wecken die Leute;

Wieder verfloſſen ſind hundert Jahr

Und Löhnungstag iſt heute.“
Und ſiehe! der Kaiſer nahte ſich ſacht

Den ſchlafenden Soldaten,

Und ſteckte heimlich in die Taſch'

Jedwedem einen Dukaten.
[75]
Er ſprach mit ſchmunzelndem Geſicht,

Als ich ihn anſah verwundert:

„Ich zahle einen Dukaten per Mann,

Als Sold, nach jedem Jahrhundert.“
Im Saale wo die Pferde ſtehn

In langen, ſchweigenden Reihen,

Da rieb der Kaiſer ſich die Händ’,

Schien ſonderbar ſich zu freuen.
Er zählte die Gäule, Stück vor Stück,

Und klätſchelte ihnen die Rippen;

Er zählte und zählte, mit ängſtlicher Haſt

Bewegten ſich ſeine Lippen.
„Das iſt noch nicht die rechte Zahl“ —

Sprach er zuletzt verdroſſen —

„Soldaten und Waffen hab' ich genung,

Doch fehlt es noch an Roſſen.
[76]
„Roßkämme hab' ich ausgeſchickt

In alle Welt, die kaufen

Für mich die beſten Pferde ein,

Hab' ſchon einen guten Haufen.
„Ich warte bis die Zahl komplet,

Dann ſchlag' ich los und befreye

Mein Vaterland, mein deutſches Volk,

Das meiner harret mit Treue.“
So ſprach der Kaiſer, ich aber rief:

Schlag' los, du alter Geſelle,

Schlag' los, und haſt du nicht Pferde genug,

Nimm Eſel an ihrer Stelle.
Der Rothbart erwiederte lächelnd: „Es hat

Mit dem Schlagen gar keine Eile,

Man baute nicht Rom in einem Tag,

Gut Ding will haben Weile.
[77]
„Wer heute nicht kommt, kommt morgen gewiß,

Nur langſam wächſt die Eiche,

Und chi va piano va sano, ſo heißt

Das Sprüchwort im römiſchen Reiche.“
[78]

CaputXVI.

Das Stoßen des Wagens weckte mich auf,

Doch ſanken die Augenlieder

Bald wieder zu, und ich entſchlief

Und träumte vom Rothbart wieder.
Ging wieder ſchwatzend mit ihm herum

Durch alle die hallenden Sääle;

Er frug mich dies, er frug mich das,

Verlangte, daß ich erzähle.
Er hatte aus der Oberwelt

Seit vielen, vielen Jahren,

Wohl ſeit dem ſiebenjährigen Krieg,

Kein Sterbenswort erfahren.
[79]
Er frug nach Moſes Mendelsſohn,

Nach der Karſchin, mit Intreſſe

Frug er nach der Gräfin Dübarry,

Des fünfzehnten Ludwigs Maitreſſe.
O Kaiſer, rief ich, wie biſt du zurück!

Der Moſes iſt längſt geſtorben,

Nebſt ſeiner Rebekka, auch Abraham,

Der Sohn, iſt geſtorben, verdorben.
Der Abraham hatte mit Lea erzeugt

Ein Bübchen, Felix heißt er,

Der brachte es weit im Chriſtenthum,

Iſt ſchon Capellenmeiſter.
Die alte Karſchin iſt gleichfalls todt,

Auch die Tochter iſt todt, die Klenke;

Helmine Chezy, die Enkelin,

Iſt noch am Leben, ich denke.
[80]
Die Dübarry lebte luſtig und flott,

So lange Ludwig regierte,

Der fünfzehnte nämlich, ſie war ſchon alt

Als man ſie guillotinirte.
Der König Ludwig der fünfzehnte ſtarb

Ganz ruhig in ſeinem Bette,

Der ſechszehnte aber ward guillotinirt

Mit der Königin Antoinette.
Die Königin zeigte großen Muth,

Ganz wie es ſich gebührte,

Die Dübarry aber weinte und ſchrie

Als man ſie guillotinirte. — —
Der Kaiſer blieb plötzlich ſtille ſtehn,

Und ſah mich an mit den ſtieren

Augen und ſprach: „Um Gotteswill’n,

Was iſt das, guillotiniren?“
[81]
Das Guillotiniren — erklärte ich ihm —

Iſt eine neue Methode,

Womit man die Leute jeglichen Stands

Vom Leben bringt zu Tode.
Bey dieſer Methode bedient man ſich

Auch einer neuen Maſchine,

Die hat erfunden Herr Guillotin,

Drum nennt man ſie Guillotine.
Du wirſt hier an ein Brett geſchnallt; —

Das ſenkt ſich; — du wirſt geſchoben

Geſchwinde zwiſchen zwey Pfoſten; — es hängt

Ein dreyeckig Beil ganz oben; —
Man zieht eine Schnur, dann ſchießt herab

Das Beil, ganz luſtig und munter; —

Bey dieſer Gelegenheit fällt dein Kopf

In einen Sack hinunter.
Heine's Deutſchland. 6[82]
Der Kaiſer fiel mir in die Red:

„Schweig ſtill, von deiner Maſchine

Will ich nichts wiſſen, Gott bewahr',

Daß ich mich ihrer bediene!
„Der König und die Königinn!

Geſchnallt! an einem Brette!

Das iſt ja gegen allen Respekt

Und alle Etiquette!
„Und du, wer biſt du, daß du es wagſt

Mich ſo vertraulich zu dutzen?

Warte, du Bürſchchen, ich werde dir ſchon

Die kecken Flügel ſtutzen!
„Es regt mir die innerſte Galle auf,

Wenn ich dich höre ſprechen,

Dein Odem ſchon iſt Hochverrath

Und Majeſtätsverbrechen!“
[83]
Als ſolchermaßen in Eifer gerieth

Der Alte und ſonder Schranken

Und Schonung mich anſchnob, da platzten heraus

Auch mir die geheimſten Gedanken.
Herr Rothbart — rief ich laut — du biſt

Ein altes Fabelweſen,

Geh’, leg’ dich ſchlafen, wir werden uns

Auch ohne dich erlöſen.
Die Republikaner lachen uns aus

Sehn ſie an unſerer Spitze

So ein Geſpenſt mit Zepter und Kron’;

Sie riſſen ſchlechte Witze.
Auch deine Fahne gefällt mir nicht mehr,

Die altdeutſchen Narren verdarben

Mir ſchon in der Burſchenſchaft die Luſt

An den ſchwarz-roth-goldnen Farben.
6 *[84]
Das Beſte wäre du bliebeſt zu Haus,

Hier in dem alten Kiffhäuſer —

Bedenk' ich die Sache ganz genau,

So brauchen wir gar keinen Kaiſer.
[85]

CaputXVII.

Ich habe mich mit dem Kaiſer gezankt

Im Traum, im Traum verſteht ſich, —

Im wachenden Zuſtand ſprechen wir nicht

Mit Fürſten ſo widerſetzig.
Nur träumend, im idealen Traum,

Wagt ihnen der Deutſche zu ſagen

Die deutſche Meinung, die er ſo tief

Im treuen Herzen getragen.
Als ich erwacht' fuhr ich einem Wald

Vorbey, der Anblick der Bäume,

Der nackten hölzernen Wirklichkeit

Verſcheuchte meine Träume.
[86]
Die Eichen ſchüttelten ernſthaft das Haupt,

Die Birken und Birkenreiſer

Sie nickten ſo warnend — und ich rief:

Vergieb mir, mein theurer Kaiſer!
Vergieb mir, o Rothbart, das raſche Wort!

Ich weiß, du biſt viel weiſer

Als ich, ich habe ſo wenig Geduld —

Doch komme du bald, mein Kaiſer!
Behagt dir das Guillotiniren nicht,

So bleib bey den alten Mitteln:

Das Schwert für Edelleute, der Strick

Für Bürger und Bauern in Kitteln.
Nur manchmal wechſle ab, und laß

Den Adel hängen, und köpfe

Ein bischen die Bürger und Bauern, wir ſind

Ja alle Gottesgeſchöpfe.
[87]
Stell' wieder her das Halsgericht,

Das peinliche Carls des fünften,

Und theile wieder ein das Volk

Nach Ständen, Gilden und Zünften.
Das alte heilige römiſche Reich,

Stell's wieder her, das ganze,

Gieb uns den modrigſten Plunder zurück

Mit allem Firlifanze.
Das Mittelalter, immerhin,

Das wahre, wie es geweſen,

Ich will es ertragen — erlöſe uns nur

Von jenem Zwitterweſen,
Von jenem Kamaſchenritterthum,

Das ekelhaft ein Gemiſch iſt

Von gothiſchem Wahn und modernem Lug,

Das weder Fleiſch noch Fiſch iſt.
[88]
Jag' fort das Comödiantenpack,

Und ſchließe die Schauſpielhäuſer,

Wo man die Vorzeit parodirt —

Komme du bald, o Kaiſer!
[89]

CaputXVIII.

Minden iſt eine feſte Burg,

Hat gute Wehr' und Waffen!

Mit preußiſchen Feſtungen hab' ich jedoch

Nicht gerne was zu ſchaffen.
Wir kamen dort an zur Abendzeit.

Die Planken der Zugbrück ſtöhnten

So ſchaurig, als wir hinübergerollt;

Die dunklen Gräben gähnten.
Die hohen Baſtionen ſchauten mich an,

So drohend und verdroſſen;

Das große Thor ging raſſelnd auf,

Ward raſſelnd wieder geſchloſſen.
[90]
Ach! meine Seele ward betrübt

Wie des Odyſſeus Seele,

Als er gehört, daß Polyphem

Den Felsblock ſchob vor die Höhle.
Es trat an den Wagen ein Corporal

Und frug uns: wie wir hießen?

Ich heiße Niemand, bin Augenarzt

Und ſteche den Staar den Rieſen.
Im Wirthshaus ward mir noch ſchlimmer zu Muth,

Das Eſſen wollt mir nicht ſchmecken.

Ging ſchlafen ſogleich, doch ſchlief ich nicht,

Mich drückten ſo ſchwer die Decken.
Es war ein breites Federbett,

Gardinen von rothem Damaſte,

Der Himmel von verblichenem Gold,

Mit einem ſchmutzigen Quaſte.
[91]
Verfluchter Quaſt! der die ganze Nacht

Die liebe Ruhe mir raubte!

Er hing mir, wie des Damokles Schwert,

So drohend über dem Haupte!
Schien manchmal ein Schlangenkopf zu ſeyn,

Und ich hörte ihn heimlich ziſchen:

Du biſt und bleibſt in der Feſtung jetzt,

Du kannſt nicht mehr entwiſchen!
O, daß ich wäre — ſeufzte ich —

Daß ich zu Hauſe wäre,

Bey meiner lieben Frau in Paris,

Im Faubourg-Poiſſonière!
Ich fühlte, wie über die Stirne mir

Auch manchmal etwas geſtrichen,

Gleich einer kalten Cenſorhand,

Und meine Gedanken wichen —
[92]
Gensd'armen in Leichenlaken gehüllt,

Ein weißes Spukgewirre,

Umringte mein Bett, ich hörte auch

Unheimliches Kettengeklirre.
Ach! die Geſpenſter ſchleppten mich fort,

Und ich hab’ mich endlich befunden

An einer ſteilen Felſenwand;

Dort war ich feſtgebunden.
Der böſe ſchmutzige Betthimmelquaſt!

Ich fand ihn gleichfalls wieder,

Doch ſah er jetzt wie ein Geyer aus,

Mit Krallen und ſchwarzem Gefieder.
Er glich dem bekannten Adler jetzt,

Und hielt meinen Leib umklammert;

Er fraß mir die Leber aus der Bruſt,

Ich habe geſtöhnt und gejammert.
[93]
Ich jammerte lange — da krähte der Hahn,

Und der Fiebertraum erblaßte.

Ich lag zu Minden im ſchwitzenden Bett,

Der Adler ward wieder zum Quaſte
Ich reiſte fort mit Extrapoſt,

Und ſchöpfte freyen Odem

Erſt draußen in der freien Natur,

Auf Bükkeburgſchem Boden.
[94]

CaputXIX.

O, Danton, du haſt dich ſehr geirrt

Und mußteſt den Irthum büßen!

Mitnehmen kann man das Vaterland

An den Sohlen, an den Füßen.
Das halbe Fürſtenthum Bückeburg

Blieb mir an den Stiefeln kleben;

So lehmigte Wege habe ich wohl

Noch nie geſehen im Leben.
Zu Bückeburg ſtieg ich ab in der Stadt,

Um dort zu betrachten die Stammburg,

Wo mein Großvater geboren ward;

Die Großmutter war aus Hamburg.
[95]
Ich kam nach Hannover um Mittagzeit,

Und ließ mir die Stiefel putzen.

Ich ging ſogleich die Stadt zu beſehn,

Ich reiſe gern mit Nutzen.
Mein Gott! da ſieht es ſauber aus!

Der Koth liegt nicht auf den Gaſſen.
[96]

CaputXX.

Von Harburg fuhr ich in einer Stund’

Nach Hamburg. Es war ſchon Abend.

Die Sterne am Himmel grüßten mich,

Die Luft war lind und labend.
Und als ich zu meiner Frau Mutter kam,

Erſchrak ſie faſt vor Freude;

Sie rief „mein liebes Kind!“ und ſchlug

Zuſammen die Hände beide.
„Mein liebes Kind, wohl dreyzehn Jahr

Verfloſſen unterdeſſen!

Du wirſt gewiß ſehr hungrig ſeyn —

Sag’ an, was willſt du eſſen?
[97]
„Ich habe Fiſch und Gänſefleiſch

Und ſchöne Apfelſinen.“

So gieb mir Fiſch und Gänſefleiſch

Und ſchöne Apfelſinen.
Und als ich aß mit großem Ap'tit,

Die Mutter ward glücklich und munter,

Sie frug wohl dies, ſie frug wohl das,

Verfängliche Fragen mitunter.
„Mein liebes Kind! und wirſt du auch

Recht ſorgſam gepflegt in der Fremde?

Verſteht deine Frau die Haushaltung,

Und flickt ſie dir Strümpfe und Hemde?“
Der Fiſch iſt gut, lieb Mütterlein,

Doch muß man ihn ſchweigend verzehren;

Man kriegt ſo leicht eine Grät' in den Hals,

Du darfſt mich jetzt nicht ſtören.
Heine's Deutſchland. 7[98]
Und als ich den braven Fiſch verzehrt,

Die Gans ward aufgetragen.

Die Mutter frug wieder wohl dies, wohl das,

Mitunter verfängliche Fragen.
„Mein liebes Kind! in welchem Land

Läßt ſich am beſten leben?

Hier oder in Frankreich? und welchem Volk

Wirſt du den Vorzug geben?“
Die deutſche Gans, lieb Mütterlein,

Iſt gut, jedoch die Franzoſen,

Sie ſtopfen die Gänſe beſſer als wir,

Auch haben ſie beſſere Saucen. —
Und als die Gans ſich wieder empfahl,

Da machten ihre Aufwartung

Die Apfelſinen, ſie ſchmeckten ſo ſüß,

Ganz über alle Erwartung.
[99]
Die Mutter aber fing wieder an

Zu fragen ſehr vergnüglich,

Nach tauſend Dingen, mitunter ſogar

Nach Dingen die ſehr anzüglich.
„Mein liebes Kind! wie denkſt du jetzt?

Treibſt du noch immer aus Neigung

Die Politik? Zu welcher Parthey

Gehörſt du mit Ueberzeugung?“
Die Apfelſinen, lieb Mütterlein,

Sind gut, und mit wahrem Vergnügen

Verſchlucke ich den ſüßen Saft,

Und ich laſſe die Schaalen liegen.
7*[100]

CaputXXI.

Die Stadt, zur Hälfte abgebrannt,

Wird aufgebaut allmählig;

Wie'n Pudel, der halb geſchoren iſt,

Sieht Hamburg aus, trübſelig.
Gar manche Gaſſen fehlen mir,

Die ich nur ungern vermiſſe —

Wo iſt das Haus, wo ich geküßt

Der Liebe erſte Küſſe?
Wo iſt die Druckerey, wo ich

Die Reiſebilder druckte?

Wo iſt der Auſterkeller, wo ich

Die erſten Auſtern ſchluckte?
[101]
Und der Dreckwall, wo iſt der Dreckwall hin?

Ich kann ihn vergeblich ſuchen!

Wo iſt der Pavillon, wo ich

Gegeſſen ſo manchen Kuchen?
Wo iſt das Rathhaus, worin der Senat

Und die Bürgerſchaft gethronet?

Ein Raub der Flammen! Die Flamme hat

Das Heiligſte nicht verſchonet.
Die Leute ſeufzten noch vor Angſt,

Und mit wehmüth'gem Geſichte

Erzählten ſie mir vom großen Brand

Die ſchreckliche Geſchichte:
„Es brannte an allen Ecken zugleich,

Man ſah nur Rauch und Flammen!

Die Kirchenthürme loderten auf

Und ſtürzten krachend zuſammen.
[102]
„Die alte Börſe iſt verbrannt,

Wo unſere Väter gewandelt,

Und mit einander Jahrhunderte lang

So redlich als möglich gehandelt.
„Die Bank, die ſilberne Seele der Stadt,

Und die Bücher wo eingeſchrieben

Jedweden Mannes Banko-Werth,

Gottlob! ſie ſind uns geblieben!
„Gottlob! man kollektirte für uns

Selbſt bei den fernſten Nazionen —

Ein gutes Geſchäft — die Collekte betrug

Wohl an die acht Millionen.
„Aus allen Ländern floß das Geld

In unſre offnen Hände,

Auch Victualien nahmen wir an,

Verſchmähten keine Spende.
[103]
„Man ſchickte uns Kleider und Betten genug,

Auch Brod und Fleiſch und Suppen!

Der König von Preußen wollte ſogar

Uns ſchicken ſeine Truppen.
„Der materielle Schaden ward

Vergütet, das ließ ſich ſchätzen —

Jedoch den Schrecken, unſeren Schreck,

Den kann uns niemand erſetzen!“
Aufmunternd ſprach ich: Ihr lieben Leut,

Ihr müßt nicht jammern und flennen,

Troya war eine beſſere Stadt

Und mußte doch verbrennen.
Baut Eure Häuſer wieder auf

Und trocknet Eure Pfützen,

Und ſchafft Euch beſſ’re Geſetze an,

Und beß’re Feuerſpritzen.
[104]
Gießt nicht zu viel Cajenne-Piment

In Eure Mokturtelſuppen;

Auch Eure Karpfen ſind Euch nicht geſund,

Ihr kocht ſie ſo fett mit den Schuppen.
Kalkuten ſchaden Euch nicht viel,

Doch hütet Euch vor der Tücke

Des Vogels, der ſein Ey gelegt

In des Bürgermeiſters Perücke. — —
Wer dieſer fatale Vogel iſt,

Ich brauch es Euch nicht zu ſagen —

Denk' ich an ihn, ſo dreht ſich herum

Das Eſſen in meinem Magen.
[105]

CaputXXII.

Noch mehr verändert als die Stadt

Sind mir die Menſchen erſchienen,

Sie geh'n ſo betrübt und gebrochen herum,

Wie wandelnde Ruinen.
Die mageren ſind noch dünner jetzt,

Noch fetter ſind die feiſten,

Die Kinder ſind alt, die Alten ſind

Kindiſch geworden, die meiſten.
Gar manche, die ich als Kälber verließ,

Fand ich als Ochſen wieder;

Gar manches kleine Gänschen ward

Zur Gans mit ſtolzem Gefieder.
[106]
Die alte Gudel fand ich geſchminkt

Und geputzt wie eine Syrene;

Hat ſchwarze Locken ſich angeſchafft

Und blendend weiße Zähne.
Am beſten hat ſich konſervirt

Mein Freund der Papierverkäufer;

Sein Haar ward gelb und umwallt ſein Haupt,

Sieht aus wie Johannes der Täufer.
Den **** den ſah ich nur von fern,

Er huſchte mir raſch vorüber;

Ich höre, ſein Geiſt iſt abgebrannt

Und war verſichert bey Biber.
Auch meinen alten Cenſor ſah

Ich wieder. Im Nebel, gebücket,

Begegnet' er mir auf dem Gänſemarkt,

Schien ſehr darnieder gedrücket.
[107]
Wir ſchüttelten uns die Hände, es ſchwamm

Im Auge des Manns eine Thräne.

Wie freute er ſich, mich wieder zu ſehn!

Es war eine rührende Scene. —
Nicht alle fand ich. Mancher hat

Das Zeitliche geſegnet.

Ach! meinem Gumpelino ſogar

Bin ich nicht mehr begegnet.
Der Edle hatte ausgehaucht

Die große Seele ſo eben,

Und wird als verklärter Seraph jetzt

Am Throne Jehovahs ſchweben.
Vergebens ſuchte ich überall

Den krummen Adonis, der Taſſen

Und Nachtgeſchirr von Porzelan

Feil bot in Hamburgs Gaſſen.
[108]
Sarras, der treue Pudel, iſt todt.

Ein großer Verluſt! Ich wette,

Daß Campe lieber ein ganzes Schock

Schriftſteller verloren hätte. — —
Die Populazion des Hamburger Staats

Beſteht, ſeit Menſchengedenken,

Aus Juden und Chriſten; es pflegen auch

Die letztren nicht viel zu verſchenken.
Die Chriſten ſind alle ziemlich gut,

Auch eſſen ſie gut zu Mittag,

Und ihre Wechſel bezahlen ſie prompt,

Noch vor dem letzten Respittag.
Die Juden theilen ſich wieder ein

In zwey verſchiedne Partheyen;

Die Alten gehn in die Synagog'

Und in den Tempel die Neuen.
[109]
Die Neuen eſſen Schweinefleiſch,

Zeigen ſich widerſetzig,

Sind Demokraten; die Alten ſind

Vielmehr ariſtokrätzig.
Ich liebe die Alten, ich liebe die Neu'n —

Doch ſchwör' ich, beim ewigen Gotte,

Ich liebe gewiſſe Fiſchchen noch mehr,

Man heißt ſie geräucherte Sprotte.
[110]

CaputXXIII.

Als Republik war Hamburg nie

So groß wie Venedig und Florenz,

Doch Hamburg hat beſſere Auſtern; man ſpeiſt

Die beſten im Keller von Lorenz.
Es war ein ſchöner Abend, als ich

Mich hinbegab mit Campen;

Wir wollten mit einander dort

In Rheinwein und Auſtern ſchlampampen.
Auch gute Geſellſchaft fand ich dort,

Mit Freude ſah ich wieder

Manch alten Genoſſen, z. B. Chaufepié,

Auch manche neue Brüder.
[111]
Da war der Wille, deſſen Geſicht

Ein Stammbuch, worin mit Hieben

Die akademiſchen Feinde ſich

Recht leſerlich eingeſchrieben.
Da war der Fucks, ein blinder Heid,

Und perſönlicher Feind des Jehovah,

Glaubt nur an Hegel und etwa noch

An die Venus des Canova.
Mein Campe war Amphytrio

Und lächelte vor Wonne;

Sein Auge ſtralte Seligkeit,

Wie eine verklärte Madonne.
Ich aß und trank, mit gutem Ap'tit,

Und dachte in meinem Gemüthe:

„Der Campe iſt wirklich ein großer Mann,

Iſt aller Verleger Blüthe.
[112]
„Ein andrer Verleger hätte mich

Vielleicht verhungern laſſen,

Der aber giebt mir zu trinken ſogar;

Werde ihn niemals verlaſſen.
„Ich danke dem Schöpfer in der Höh',

Der dieſen Saft der Reben

Erſchuf, und zum Verleger mir

Den Julius Campe gegeben!
„Ich danke dem Schöpfer in der Höh',

Der, durch ſein großes Werde,

Die Auſtern erſchaffen in der See

Und den Rheinwein auf der Erde!
„Der auch Citronen wachſen ließ,

Die Auſtern zu bethauen —

Nun laß mich, Vater, dieſe Nacht

Das Eſſen gut verdauen!“
[113]
Der Rheinwein ſtimmt mich immer weich,

Und löſt jedwedes Zerwürfniß

In meiner Bruſt, entzündet darinn

Der Menſchenliebe Bedürfniß.
Es treibt mich aus dem Zimmer hinaus,

Ich muß in den Straßen ſchlendern;

Die Seele ſucht eine Seele und ſpäh't

Nach zärtlich weißen Gewändern.
In ſolchen Momenten zerfließe ich faſt

Vor Wehmuth und vor Sehnen;

Die Katzen ſcheinen mir alle grau,

Die Weiber alle Helenen. — — —
Und als ich auf die Drehbahn kam,

Da ſah ich im Mondenſchimmer

Ein hehres Weib, ein wunderbar

Hochbuſiges Frauenzimmer.
Heine's Deutſchland. 8[114]
Ihr Antlitz war rund und kerngeſund,

Die Augen wie blaue Turkoaſen,

Die Wangen wie Roſen, wie Kirſchen der Mund,

Auch etwas röthlich die Naſe.
Ihr Haupt bedeckte eine Mütz’

Von weißem geſteiftem Linnen,

Gefältelt wie eine Mauerkron’,

Mit Thürmchen und zackigen Zinnen.
Sie trug eine weiße Tunika,

Bis an die Waden reichend.

Und welche Waden! Das Fußgeſtell

Zwey doriſchen Säulen gleichend.
Die weltlichſte Natürlichkeit

Konnt man in den Zügen leſen;

Doch das übermenſchliche Hintertheil

Verrieth ein höheres Weſen
[115]
Sie trat zu mir heran und ſprach:

„Willkommen an der Elbe,

Nach dreyzehnjähr'ger Abweſenheit —

Ich ſehe du biſt noch derſelbe!
„Du ſuchſt die ſchönen Seelen vielleicht,

Die dir ſo oft begegen't

Und mit dir geſchwärmt die Nacht hindurch,

In dieſer ſchönen Gegend.
„Das Leben verſchlang ſie, das Ungethüm,

Die hundertköpfige Hyder;

Du findeſt nicht die alte Zeit

Und die Zeitgenöſſinnen wieder!
„Du findeſt die holden Blumen nicht mehr,

Die das junge Herz vergöttert;

Hier blühten ſie — jetzt ſind ſie verwelkt,

Und der Sturm hat ſie entblättert.
8*[116]
„Verwelkt, entblättert, zertreten ſogar

Von rohen Schickſalsfüßen —

Mein Freund, das iſt auf Erden das Loos

Von allem Schönen und Süßen!“
Wer biſt du? — rief ich — du ſchauſt mich an

Wie'n Traum aus alten Zeiten —

Wo wohnſt du, großes Frauenbild?

Und darf ich dich begleiten?
Da lächelte das Weib und ſprach:

„Du irrſt dich, ich bin eine feine,

Anſtänd'ge, moraliſche Perſon;

Du irrſt dich, ich bin nicht ſo Eine.
„Ich bin nicht ſo eine kleine Mamſell,

So eine welſche Lorettinn —

Denn wiſſe: ich bin Hammonia,

Hamburgs beſchützende Göttinn!
[117]
„Du ſtutzeſt und erſchreckſt ſogar,

Du ſonſt ſo muthiger Sänger!

Willſt du mich noch begleiten jetzt?

Wohlan, ſo zög're nicht länger.“
Ich aber lachte laut und rief:

Ich folge auf der Stelle —

Schreit' du voran, ich folge dir,

Und ging’ es in die Hölle!
[118]

CaputXXIV.

Wie ich die enge Sahltrepp' hinauf

Gekommen, ich kann es nicht ſagen;

Es haben unſichtbare Geiſter mich

Vielleicht hinaufgetragen.
Hier, in Hammonias Kämmerlein,

Verfloſſen mir ſchnell die Stunden.

Die Göttinn geſtand die Sympathie,

Die ſie immer für mich empfunden.
„Siehſt du“ — ſprach ſie — „in früherer Zeit

War mir am meiſten theuer

Der Sänger, der den Meſſias beſang

Auf ſeiner frommen Leyer.
[119]
„Dort auf der Commode ſteht noch jetzt

Die Büſte von meinem Klopſtock,

Jedoch ſeit Jahren dient ſie mir

Nur noch als Haubenkopfſtock.
„Du biſt mein Liebling jetzt, es hängt

Dein Bildniß zu Häupten des Bettes;

Und ſiehſt du, ein friſcher Lorbeer umkränzt

Den Rahmen des holden Portraites.
„Nur daß du meine Söhne ſo oft

Genergelt, ich muß es geſtehen,

Hat mich zuweilen tief verletzt;

Das darf nicht mehr geſchehen.
„Es hat die Zeit dich hoffentlich

Von ſolcher Unart geheilet,

Und dir eine größere Toleranz

Sogar für Narren ertheilet.
[120]
„Doch ſprich, wie kam der Gedanke dir

Zu reiſen nach dem Norden

In ſolcher Jahrzeit? Das Wetter iſt

Schon winterlich geworden!“
O, meine Göttin! — erwiederte ich —

Es ſchlafen tief im Grunde

Des Menſchenherzens Gedanken, die oft

Erwachen zur unrechten Stunde.
Es ging mir äußerlich ziemlich gut,

Doch innerlich war ich beklommen,

Und die Beklemmniß täglich wuchs —

Ich hatte das Heimweh bekommen.
Die ſonſt ſo leichte franzöſiſche Luft,

Sie fing mich an zu drücken;

Ich mußte Athem ſchöpfen hier

In Deutſchland, um nicht zu erſticken.
[121]
Ich ſehnte mich nach Torfgeruch,

Nach deutſchem Tabaksdampfe;

Es bebte mein Fuß vor Ungeduld,

Daß er deutſchen Boden ſtampfe.
Ich ſeufzte des Nachts, und ſehnte mich,

Daß ich ſie wiederſähe,

Die alte Frau, die am Dammthor wohnt;

Das Lottchen wohnt in der Nähe.
Auch jenem edlen alten Herrn,

Der immer mich ausgeſcholten

Und immer großmüthig beſchützt, auch ihm

Hat mancher Seufzer gegolten.
Ich wollte wieder aus ſeinem Mund

Vernehmen den „dummen Jungen!“

Das hat mir immer wie Muſik

Im Herzen nachgeklungen.
[122]
Ich ſehnte mich nach dem blauen Rauch,

Der aufſteigt aus deutſchen Schornſteinen,

Nach niederſächſiſchen Nachtigall'n,

Nach ſtillen Buchenhainen.
Ich ſehnte mich nach den Plätzen ſogar,

Nach jenen Leidensſtazionen,

Wo ich geſchleppt das Jugendkreuz

Und meine Dornenkronen.
Ich wollte weinen wo ich einſt

Geweint die bitterſten Thränen —

Ich glaube Vaterlandsliebe nennt

Man dieſes thörigte Sehnen.
Ich ſpreche nicht gern davon; es iſt

Nur eine Krankheit im Grunde.

Verſchämten Gemüthes, verberge ich ſtets

Dem Publiko meine Wunde.
[123]
Fatal iſt mir das Lumpenpack,

Das, um die Herzen zu rühren,

Den Patriotismus trägt zur Schau

Mit allen ſeinen Geſchwüren.
Schamloſe ſchäbbige Bettler ſind's,

Almoſen wollen ſie haben —

Ein'n Pfennig Popularität

Für Menzel und ſeine Schwaben!
O meine Göttin, du haſt mich heut

In weicher Stimmung gefunden;

Bin etwas krank, doch pfleg' ich mich,

Und ich werde bald geſunden.
Ja ich bin krank, und du könnteſt mir

Die Seele ſehr erfriſchen

Durch eine gute Taſſe Thee;

Du mußt ihn mit Rum vermiſchen.
[124]

CaputXXV.

Die Göttin hat mir Thee gekocht

Und Rum hineingegoſſen;

Sie ſelber aber hat den Rum

Ganz ohne Thee genoſſen.
An meine Schulter lehnte ſie

Ihr Haupt, (die Mauerkrone,

Die Mütze, ward etwas zerknittert davon)

Und ſie ſprach mit ſanftem Tone:
„Ich dachte manchmal mit Schrecken dran,

Daß du in dem ſittenloſen

Paris ſo ganz ohne Aufſicht lebſt,

Bei jenen frivolen Franzoſen.
[125]
„Du ſchlenderſt dort herum, und haſt

Nicht mahl an deiner Seite

Einen treuen deutſchen Verleger, der dich

Als Mentor warne und leite.
„Und die Verführung iſt dort ſo groß,

Dort giebt es ſo viele Sylphiden,

Die ungeſund, und gar zu leicht

Verliert man den Seelenfrieden.
„Geh' nicht zurück und bleib' bei uns;

Hier herrſchen noch Zucht und Sitte,

Und manches ſtille Vergnügen blüht

Auch hier, in unſerer Mitte.
„Bleib' bei uns in Deutſchland, es wird dir hier

Jetzt beſſer als eh'mals munden;

Wir ſchreiten fort, du haſt gewiß

Den Fortſchritt ſelbſt gefunden.
[126]
„Auch die Cenſur iſt nicht mehr ſtreng,

Hoffmann wird älter und milder,

Und ſtreicht nicht mehr mit Jugendzorn

Dir deine Reiſebilder.
„Du ſelbſt biſt älter und milder jetzt,

Wirſt dich in manches ſchicken,

Und wirſt ſogar die Vergangenheit

In beſſerem Lichte erblicken.
„Ja, daß es uns früher ſo ſchrecklich ging,

In Deutſchland, iſt Uebertreibung;

Man konnte entrinnen der Knechtſchaft, wie einſt

In Rom, durch Selbſtentleibung.
„Gedankenfreiheit genoß das Volk,

Sie war für die großen Maſſen,

Beſchränkung traf nur die g'ringe Zahl

Derjen'gen, die drucken laſſen.
[127]
„Geſetzloſe Willkür herrſchte nie,

Dem ſchlimmſten Demagogen

Ward niemals ohne Urtheilspruch

Die Staatskokarde entzogen.
„So übel war es in Deutſchland nie,

Trotz aller Zeitbedrängniß —

Glaub' mir, verhungert iſt nie ein Menſch

In einem deutſchen Gefängniß.
„Es blühte in der Vergangenheit

So manche ſchöne Erſcheinung

Des Glaubens und der Gemüthlichkeit;

Jetzt herrſcht nur Zweifel, Verneinung.
„Die praktiſche äußere Freiheit wird einſt

Das Ideal vertilgen,

Das wir im Buſen getragen — es war

So rein wie der Traum der Liljen!
[128]
„Auch unſre ſchöne Poeſie

Erliſcht, ſie iſt ſchon ein wenig

Erloſchen; mit andern Königen ſtirbt

Auch Freiligraths Mohrenkönig.
„Der Enkel wird eſſen und trinken genug,

Doch nicht in beſchaulicher Stille;

Es poltert heran ein Spektakelſtück,

Zu Ende geht die Idylle.
„O, könnteſt du ſchweigen, ich würde dir

Das Buch des Schickſals entſiegeln,

Ich ließe dir ſpätere Zeiten ſeh'n

In meinen Zauberſpiegeln.
„Was ich den ſterblichen Menſchen nie

Gezeigt, ich möcht' es dir zeigen:

Die Zukunft deines Vaterlands —

Doch ach! du kannſt nicht ſchweigen!“
[129]
Mein Gott, o Göttin! — rief ich entzückt —

Das wäre mein größtes Vergnügen,

Laß mich das künftige Deutſchland ſehn —

Ich bin ein Mann und verſchwiegen.
Ich will dir ſchwören jeden Eid,

Den du nur magſt begehren,

Mein Schweigen zu verbürgen dir —

Sag an, wie ſoll ich ſchwören?
Doch jene erwiederte: „Schwöre mir

In Vater Abrahams Weiſe,

Wie er Elieſern ſchwören ließ,

Als dieſer ſich gab auf die Reiſe.
„Heb' auf das Gewand und lege die Hand

Hier unten an meine Hüften,

Und ſchwöre mir Verſchwiegenheit

In Reden und in Schriften!“
Heine's Deutſchland. 9[130]
Ein feierlicher Moment! Ich war

Wie angeweht vom Hauche

Der Vorzeit, als ich ſchwur den Eid,

Nach uraltem Erzväterbrauche.
Ich hob das Gewand der Göttin auf,

Und legte an ihre Hüften

Die Hand, gelobend Verſchwiegenheit

In Reden und in Schriften.
[131]

CaputXXVI.

Die Wangen der Göttinn glühten ſo roth,

(Ich glaube in die Krone

Stieg ihr der Rum) und ſie ſprach zu mir

In ſehr wehmüthigem Tone:
„Ich werde alt. Geboren bin ich

Am Tage von Hamburgs Begründung.

Die Mutter war Schellfiſchköniginn

Hier an der Elbe Mündung.
„Mein Vater war ein großer Monarch,

Carolus Magnus geheißen,

Er war noch mächt'ger und klüger ſogar

Als Friedrich der Große von Preußen.
9*[132]
„Der Stuhl iſt zu Aachen, auf welchem er

Am Tage der Krönung ruhte;

Den Stuhl worauf er ſaß in der Nacht,

Den erbte die Mutter, die gute.
„Die Mutter hinterließ ihn mir,

Ein Möbel von ſcheinloſem Aeußern,

Doch böte mir Rothſchild all' ſein Geld,

Ich würde ihn nicht veräußern.
„Siehſt du, dort in dem Winkel ſteht

Ein alter Seſſel, zerriſſen

Das Leder der Lehne, von Mottenfraß

Zernagt das Polſterkiſſen.
„Doch gehe hin und hebe auf

Das Kiſſen von dem Seſſel,

Du ſchauſt eine runde Oeffnung dann,

Darunter einen Keſſel —
[133]
„Das iſt ein Zauberkeſſel worin

Die magiſchen Kräfte brauen,

Und ſteckſt du in die Ründung den Kopf,

So wirſt du die Zukunft ſchauen —
„Die Zukunft Deutſchlands erblickſt du hier,

Gleich wogenden Phantasmen,

Doch ſchaudre nicht, wenn aus dem Wuſt

Aufſteigen die Miasmen!“
Sie ſprach’s und lachte ſonderbar,

Ich aber ließ mich nicht ſchrecken,

Neugierig eilte ich den Kopf

In die furchtbare Ründung zu ſtecken.
Was ich geſehn, verrathe ich nicht,

Ich habe zu ſchweigen verſprochen,

Erlaubt iſt mir zu ſagen kaum,

O Gott! was ich gerochen! — — —
[134]
Ich denke mit Widerwillen noch

An jene ſchnöden, verfluchten

Vorſpielgerüche, das ſchien ein Gemiſch

Von altem Kohl und Juchten.
Entſetzlich waren die Düfte, o Gott!

Die ſich nachher erhuben;

Es war als fegte man den Miſt

Aus ſechs und dreißig Gruben. — — —
Ich weiß wohl was Saint-Juſt geſagt

Weiland im Wohlfahrtsausſchuß:

Man heile die große Krankheit nicht

Mit Roſenöl und Moſchus —
Doch dieſer deutſche Zukunftsduft

Mocht alles überragen

Was meine Naſe je geahnt —

Ich konnt es nicht länger ertragen — — —
[135]
Mir ſchwanden die Sinne, und als ich aufſchlug

Die Augen, ſaß ich an der Seite

Der Göttin noch immer, es lehnte mein Haupt

An ihre Bruſt, die breite.
Es blitzte ihr Blick, es glühte ihr Mund,

Es zuckten die Nüſtern der Naſe,

Bachantiſch umſchlang ſie den Dichter und ſang

Mit ſchauerlich wilder Extaſe:
„Bleib bei mir in Hamburg, ich liebe dich,

Wir wollen trinken und eſſen

Den Wein und die Auſtern der Gegenwart,

Und die dunkle Zukunft vergeſſen.
„Den Deckel darauf! damit uns nicht

Der Mißduft die Freude vertrübet —

Ich liebe dich, wie je ein Weib

Einen deutſchen Poeten geliebet!
[136]
„Ich küſſe dich, und ich fühle wie mich

Dein Genius begeiſtert;

Es hat ein wunderbarer Rauſch

Sich meiner Seele bemeiſtert.
„Mir iſt, als ob ich auf der Straß'

Die Nachtwächter ſingen hörte —

Es ſind Hymeneen, Hochzeitmuſik,

Mein ſüßer Luſtgefährte!
„Jetzt kommen die reitenden Diener auch,

Mit üppig lodernden Fackeln,

Sie tanzen ehrbar den Fackeltanz,

Sie ſpringen und hüpfen und wackeln.
„Es kommt der hoch- und wohlweiſe Senat,

Es kommen die Oberalten;

Der Bürgermeiſter räuſpert ſich

Und will eine Rede halten.
[137]
„In glänzender Uniform erſcheint

Das Corps der Diplomaten;

Sie gratuliren mit Vorbehalt

Im Namen der Nachbarſtaaten.
„Es kommt die geiſtliche Deputazion,

Rabiner und Paſtöre —

Doch ach! da kommt der Hoffmann auch

Mit ſeiner Cenſorſcheere!
„Die Scheere klirrt in ſeiner Hand,

Es rückt der wilde Geſelle

Dir auf den Leib — Er ſchneidet in’s Fleiſch —

Es war die beſte Stelle.“
[138]

CaputXXVII.

Was ſich in jener Wundernacht

Des Weitern zugetragen,

Erzähl’ ich Euch einandermahl,

In warmen Sommertagen.
Das alte Geſchlecht der Heucheley

Verſchwindet Gott ſey Dank heut,

Es ſinkt allmählig in’s Grab, es ſtirbt

An ſeiner Lügenkrankheit.
Es wächſt heran ein neues Geſchlecht,

Ganz ohne Schminke und Sünden,

Mit freien Gedanken, mit freier Luſt —

Dem werde ich Alles verkünden.
[139]
Schon knoſpet die Jugend, welche verſteht

Des Dichters Stolz und Güte,

Und ſich an ſeinem Herzen wärmt,

An ſeinem Sonnengemüthe.
Mein Herz iſt liebend wie das Licht,

Und rein und keuſch wie das Feuer;

Die edelſten Grazien haben geſtimmt

Die Saiten meiner Leyer.
Es iſt dieſelbe Leyer, die einſt

Mein Vater ließ ertönen,

Der ſelige Herr Ariſtophanes,

Der Liebling der Kamönen.
Es iſt die Leyer, worauf er einſt

Den Paiſteteros beſungen,

Der um die Baſileia gefreyt,

Mit ihr ſich emporgeſchwungen.
[140]
Im letzten Capitel hab' ich verſucht

Ein bischen nachzuahmen

Den Schluß der „Vögel“, die ſind gewiß

Das beſte von Vaters Dramen.
Die „Fröſche“ ſind auch vortrefflich. Man giebt

In deutſcher Ueberſetzung

Sie jetzt auf der Bühne von Berlin,

Zu königlicher Ergetzung.
Der König liebt das Stück. Das zeugt

Von gutem antiquen Geſchmacke;

Den Alten amüſirte weit mehr

Modernes Froſchgequacke.
Der König liebt das Stück. Jedoch

Wär' noch der Autor am Leben,

Ich riethe ihm nicht ſich in Perſon

Nach Preußen zu begeben.
[141]
Dem wirklichen Ariſtophanes,

Dem ginge es ſchlecht, dem Armen;

Wir würden ihn bald begleitet ſehn

Mit Chören von Gensd’armen.
Der Pöbel bekäm’ die Erlaubniß bald

Zu ſchimpfen ſtatt zu wedeln;

Die Polizei erhielte Befehl

Zu fahnden auf den Edeln.
O König! Ich meine es gut mit dir,

Und will einen Rath dir geben:

Die todten Dichter, verehre ſie nur,

Doch ſchone die da leben.
Beleid'ge lebendige Dichter nicht,

Sie haben Flammen und Waffen,

Die furchtbarer ſind als Jovis Blitz,

Den ja der Poet erſchaffen.
[142]
Beleid'ge die Götter, die alten und neu'n,

Des ganzen Olymps Gelichter,

Und den höchſten Jehovah obendrein —

Beleid'ge nur nicht den Dichter!
Die Götter beſtrafen freilich ſehr hart

Des Menſchen Miſſethaten,

Das Höllenfeuer iſt ziemlich heiß,

Dort muß man ſchmoren und braten —
Doch Heilige giebt es, die aus der Glut

Losbeten den Sünder; durch Spenden

An Kirchen und Seelenmeſſen wird

Erworben ein hohes Verwenden.
Und am Ende der Tage kommt Chriſtus herab

Und bricht die Pforten der Hölle;

Und hält er auch ein ſtrenges Gericht,

Entſchlüpfen wird mancher Geſelle.
[143]
Doch giebt es Höllen aus deren Haft

Unmöglich jede Befreiung;

Hier hilft kein Beten, ohnmächtig iſt hier

Des Welterlöſers Verzeihung.
Kennſt du die Hölle des Dante nicht,

Die ſchrecklichen Terzetten?

Wen da der Dichter hineingeſperrt,

Den kann kein Gott mehr retten.
Kein Gott, kein Heiland, erlöſt ihn je

Aus dieſen ſingenden Flammen!

Nimm dich in Acht, daß wir dich nicht

Zu ſolcher Hölle verdammen.
[][][]

Appendix A

H. G. Voigt's Buchdruckerei.

[][][]

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Holder of rights
Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Deutschland. Deutschland. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bk0c.0