aus der Schweiz.
Vögelein und das arme Margrithli.
: Verlag von Jent \& Gaßmann.
1842.
Gedruckt bei J. Gaßmann, Sohn,
in Solothurn.
Vorwort.
Viele aus Norden und Süden, Deutſche und Welſche
ſchrieben über das Schweizerland und ſeine Bewohner,
ſie waren auf den Landſtraßen gefahren, an den Wirths¬
tafeln geſeſſen und hatten von Weitem an die Fen¬
ſter geſchaut, die ſo ſchön glitzern an den Häuſern im
Abendſchein.
Ein Schweizer, der in ſeinem Lande geboren wurde
und darin lebte, der viele Fußwege kennt, an gar man¬
cherlei Tiſchen geſeſſen und gegeſſen, durch gar manches
Fenſter in ſchweizeriſche Häuſer und ſchweizeriſche Her¬
zen geſehen hat, wird daher kaum der Entſchuldigung
bedürfen, wenn auch er von ſeinem Lande reden will,
wie es war, wie es iſt, wie es werden ſollte.
Freilich weiß er wohl, daß mancher Franzoſe, wenn
er auf die Bötzinger Höhe ſeine Naſe ſtreckt, und man¬
cher Buraliſt, der die ſeinige zuweilen auf die Höhe
ſeines Schreibtiſches hebt, Alles weit beſſer wiſſen werde
als er; aber eben für die ſchreibt er nicht.
Glätter freilich mögen vielen Beſchreibern der Schweiz
die Worte vom Munde gehen, ehrlicher kamen ſie aber
wohl Keinem aus dem Herzen.
[—IV—]
Auf Glätte hat aber auch der Schweizer nie beſon¬
dere Anſprüche gemacht, wird ſie kaum je machen; ehr¬
lich aber waren die Väter, es ſollen es auch, ſo Gott
will, die Söhne bleiben, mag die Ehrlichkeit im Laufe
der Welt hoch oder niedrig im Preiſe ſtehen.
In aller Ehrlichkeit alſo will der Verfaſſer erzählen,
was er von der Schweiz ihren Sitten und Sagen weiß
und erfahren hat, und nicht deßwegen will er es er¬
zählen, um es eben nur zu erzählen, ſondern er möchte
als guten Samen freundliche Worte ſtreuen in die Her¬
zen ſeiner lieben Landsleute, die auch ihm bereits ſo
manches liebe Wort haben zukommen laſſen; Worte
ſollten es ſein, welche das Gemüth erheitern, den Glau¬
ben ſtärken: daß noch etwas Gutes an uns iſt, daß
dieſes Gute mit Gottes Hülfe und unter treuer Pflege
Teufel und Welt zum Trotze gedeihen werde mitten in
dieſer Zeit.
Dieſe Büchlein ſollten freundliche Grüße werden,
die zweimal im Jahre der Verfaſſer denen ſenden will,
die an ſeinem rauhen Weſen ſich nicht ärgern, ſondern
ihn lieb gewonnen haben wie er iſt und bleiben wird
Jeremias Gotthelf.
Die ſchwarze Spinne.
1[[2]][[3]]Ueber die Berge hob ſich die Sonne, leuchtete in klarer
Majeſtät in ein freundliches aber enges Thal und weckte
zu fröhlichem Leben die Geſchöpfe, die geſchaffen ſind an
der Sonne ihres Lebens ſich zu freuen. Aus vergolde¬
tem Waldesſaume ſchmetterte die Amſel ihr Morgenlied,
zwiſchen funkelnden Blumen in perlendem Graſe erſcholl
der ſehnſüchtigen Wachtel eintönend Minneruf, über
dunkle Tannen tanzten brünſtige Krähen ihren Hochzeit¬
reigen oder krächzten zärtliche Wiegenlieder über die dor¬
nichten Bettchen ihrer ungefiederten Jungen.
In der Mitte der ſonnenreichen Halde hatte die Na¬
tur einen fruchtbaren, beſchirmten Boden eingegraben;
mitten drinn ſtand ſtattlich und blank ein ſchönes Haus,
eingefaßt von einem prächtigen Baumgarten, in welchem
noch einige Hochäpfelbäume prangten in ihrem ſpäten
Blumenkleide; halb ſtund das vom Hausbrunnen be¬
wäſſerte üppige Gras noch, halb war es bereits dem
Futtergange zugewandert. Um das Haus lag ein ſonn¬
täglicher Glanz, den man mit einigen Beſenſtrichen, an¬
gebracht Samſtag Abends zwiſchen Tag und Nacht, nicht
zu erzeugen vermag, der ein Zeugniß iſt des köſtlichen
Erbgutes angeſtammter Reinlichkeit, die alle Tage ge¬
pflegt werden muß, der Familienehre gleich, welcher eine
einzige unbewachte Stunde Flecken bringen kann, die
[4] Blutflecken gleich, unauslöſchlich bleiben von Geſchlecht
zu Geſchlecht, jeder Tünche ſpottend.
Nicht umſonſt glänzte die durch Gottes Hand er¬
baute Erde und das von Menſchen Händen erbaute
Haus im reinſten Schmucke; über beide glänzte heute
ein Stern am blauen Himmel, ein hoher Feiertag. Es
war der Tag, an welchem der Sohn wieder zum Va¬
ter gegangen, zum Zeugniß, daß die Leiter noch am
Himmel ſtehe, auf welcher Engel auf- und niederſteigen
und die Seelen der Menſchen, wenn ſie dem Leibe ſich
entwinden und ihr Heil und Augenmerk beim Vater
droben war und nicht hier auf Erden; es war der
Tag, an welchem die ganze Pflanzenwelt dem Himmel
entgegenwächst und blüht in voller Ueppigkeit, dem
Menſchen ein alle Jahre neu werdendes Sinnbild ſeiner
eigenen Beſtimmung. Wunderbar erklang es über die
Hügel, man wußte nicht woher das Klingen kam,
es tönte wie von allen Seiten; es kam von den Kir¬
chen her draußen in den weiten Thälern; von dort
her kündeten die Glocken, daß die Tempel Gottes ſich
öffnen Allen, deren Herzen offen ſeien der Stimme ihres
Gottes.
Ein reges Leben bewegte ſich um das ſchöne Haus.
In des Brunnens Nähe wurden mit beſonderer Sorg¬
falt Pferde geſtriegelt, ſtattliche Mütter umgaukelt von
luſtigen Füllen; im breiten Brunnentroge ſtillten behag¬
lich blickende Kühe ihren Durſt und zweimal mußte der
Bube Beſen und Schaufel nehmen, weil er die Spu¬
ren ihrer Behaglichkeit nicht ſauber genug weggeräumt.
Herzhaft wuſchen am Brunnen mit einem handlichen
Zwilchfetzen ſtämmige Mägde ihre rothbrächten Geſichter,
die Haare in zwei Knäuel über den Ohren zuſammen¬
gedreht, trugen mit eilfertiger Emſigkeit Waſſer durch
[5] die geöffnete Thüre und in mächtigen Stößen hob ſich
gerade und hoch in die blaue Luft empor aus kurzem
Schornſteine die dunkle Rauchſäule.
Langſam und gebeugt ging an einem Hakenſtock der
Großvater um das Haus, ſah ſchweigend dem Treiben
der Knechte und Mägde zu, ſtreichelte hier ein Pferd,
wehrte dort einer Kuh ihren ſchwerfälligen Muthwillen,
zeigte mit dem Stecken dem unachtſamen Buben noch
hier und dort vergeſſene Strohhalme und nahm dazu
fleißig aus der langen Weſte tiefer Taſche das Feuer¬
zeug, um ſeine Pfeife, an der er des Morgens trotz
ihres ſchweren Athems ſo wohl lebte, wieder anzu¬
zünden.
Auf rein gefegter Bank vor dem Hauſe neben der
Thüre ſaß die Großmutter, ſchönes Brod ſchneidend in
eine mächtige Kachel, dünn und in eben rechter Größe
jeden Biſſen, nicht ſo unachtſam wie Köchinnen oder
Stubenmägde, die manchmal Stücke machen an denen
ein Wallfiſch erſticken müßte. Wohlgenährte ſtolze Hüh¬
ner und ſchöne Tauben ſtritten ſich um die Broſamen
zu ihren Füßen, und wenn ein ſchüchternes Täubchen
zu kurz kam, ſo warf ihm die Großmutter ein Stücklein
eigends zu, es tröſtend mit freundlichen Worten über
den Unverſtand und den Ungeſtüm der andern.
Drinnen in der weiten reinen Küche kniſterte ein
mächtiges Feuer von Tannenholz, in weiter Pfanne
knallten Kaffeebohnen, die eine ſtattliche Frau mit höl¬
zerner Kelle durcheinander rührte, nebenbei knarrte die
Kaffeemühle zwiſchen den Knieen einer friſchgewaſchenen
Magd, unter der offenen Stubenthüre aber ſtund, den
offenen Kaffeeſack noch in der Hand, eine ſchöne etwas
blaſſe Frau und ſagte: „Du, Hebamme, röſte mir den
Kaffee heute nicht ſo ſchwarz, ſie könnten ſonſt meinen,
[6] ich hätte das Pulver ſparen mögen. Des Göttis (Pa¬
then) Frau iſt gar grauſam mißtreu und legt einem
alles zu Ungunſten aus. Es kömmt heute auf ein
halb Pfund mehr oder weniger nicht an. Vergiß auch
ja nicht das Weinwarm zu rechter Zeit bereit zu halten.
Der Großvater würde meinen, es wäre nicht Kinds¬
taufe, wenn man den Gevatterleuten nicht ein Wein¬
warm aufſtellen würde, ehe ſie zur Kirche gehen. Spare
nichts daran, hörſt du. Dort in der Schüſſel auf der
Kachelbank iſt Safran und Zimmet, der Zucker iſt hier
auf dem Tiſche, und nimm Wein, daß es dich dünkt,
es ſei wenigſtens halb zu viel; an einer Kindstaufe
braucht man nie Kummer zu haben, daß ſich die Sache
nicht brauche.“
Man hört, es ſoll heute die Kindtaufe gehalten
werden im Hauſe, und die Hebamme verſieht das Amt
der Köchin ebenſo geſchickt, als früher das Amt der
Wehmutter; aber ſputen muß ſie ſich, wenn ſie zu rech¬
ter Zeit fertig werden und am einfachen Herde Alles
kochen ſoll, was die Sitte fordert.
Aus dem Keller kam mit einem mächtigen Stück
Käſe in der Hand ein ſtämmiger Mann, nahm vom
blanken Kachelbank den erſten beſten Teller, legte den
Käſe darauf und wollte ihn in die Stube auf den Tiſch
tragen von braunem Nußbaumholz. „Aber Benz, aber
Benz, rief die ſchöne blaſſe Frau, wie würden ſie lachen,
wenn wir keinen beſſern Teller hätten an der Kinds¬
taufe.“ Und zum glänzenden Schrank aus Kirſchbaum¬
holz, Buffert genannt, ging ſie, wo hinter Glasfenſtern
des Hauſes Zierden prangten. Dort nahm ſie einen
ſchönen Teller, blau gerändert, in der Mitte einen großen
Blumenſtrauß, der umgeben war von ſinnigen Sprü¬
chen, z. B.:
[7]
Neben den Käſe ſtellte ſie die mächtige Züpfe, das
eigenthümliche Berner Backwerk, geflochten wie die Zöpfe
der Weiber, ſchön braun und gelb aus dem feinſten
Mehl, Eiern und Butter gebacken, groß wie ein jähriges
Kind und faſt ebenſo ſchwer; und oben und unten pflanzte
ſie noch zwei Teller. Hochaufgethürmt lagen auf den¬
ſelben die appetitlichen Küchlein, Habküchlein auf dem
einen, Eierküchlein auf dem andern. Heiße dicke Nidel
ſtund in ſchön geblümtem Hafen zugedeckt auf dem Ofen
und in der dreibeinigen glänzenden Kanne mit gelbem
Deckel kochte der Kaffee. So harrte auf die erwarteten
Gevatterleute ein Frühſtück, wie es Fürſten ſelten haben
und keine Bauern auf der Welt als die Berner. Tau¬
ſende von Engländern rennen durch die Schweiz, aber
weder einem der abgejagten Lords noch einer der ſteif¬
beinichten Ladies iſt je ein ſolches Frühſtück geworden.
„Wenn ſie nur bald kämen, es wäre alles bereit,
ſeufzte die Hebamme. Es geht jedenfalls eine gute Zeit,
bis alles fertig iſt, und ein jedes ſeine Sache gehabt
hat, und der Pfarrer iſt grauſam pünktlich und gibt
ſcharfe Verweiſe, wenn man nicht da iſt zu rechter Zeit.”
„Der Großvater erlaubt auch nie das Wägeli zu nehmen,
[8] ſagte die junge Frau. Er hat den Glauben, daß ein
Kind, welches man nicht zur Taufe trage, ſondern
führe, träge werde und ſein Lebtag ſeine Beine nie recht
brauchen lerne. Wenn nur die Gotte (Pathin) da wäre,
die verſäumt am längſten, die Göttene machen es kür¬
zer und könnten immerhin nachlaufen.“ Die Angſt nach
den Gevatterleuten verbreitete ſich durchs ganze Haus.
„Kommen ſie noch nicht?“ hörte man allenthalten; in
allen Ecken des Hauſes ſchauten Geſichter nach ihnen
aus, und der Türk bellte aus Leibeskräften, als ob er
ſie herbeirufen wollte. Die Großmutter aber ſagte: „Ehe¬
mals iſt das doch nicht ſo geweſen, da wußte man,
daß man an ſolchen Tagen zu rechter Zeit aufzuſtehen
habe und der Herr Niemanden warte.“ Endlich ſtürzte
der Bub in die Küche mit der Nachricht: die Gotte
komme.
Sie kam, ſchweißbedeckt und beladen wie das Neu¬
jahrkindlein. In der einen Hand hatte ſie die ſchwarzen
Schnüre eines großen blumenreichen Wartſäckleins, in
welchem, in ein fein weißes Handtuch gewickelt, eine
große Züpfe ſtach, ein Geſchenk für die Kindbetterin.
In der andern Hand trug ſie ein zweites Säcklein und
in demſelben war eine Kleidung für das Kind, nebſt
etwelchen Stücken zu eigenem Gebrauch, namentlich
ſchöne weiße Strümpfe, und unter dem einen Arme
hatte ſie noch eine Drucke mit dem Kränzchen und der
Spitzenkappe mit den prächtigen ſchwarzſeidenen Haar¬
ſchnüren. Freudig tönten ihr die Gottwilchen (in Gott
willkommen) entgegen von allen Seiten und kaum hatte
ſie Zeit von ihrer Bürde eine abzuſtellen, um den ent¬
gegengeſtreckten Händen freundlich zu begegnen. Von
allen Seiten langten dienſtbare Hände nach ihren La¬
ſten und unter der Thüre ſtand die junge Frau und
[9] da ging ein neues Grüßen an, bis die Hebamme in
die Stube mahnte: ſie könnten ja drinnen einander ſa¬
gen, was der Brauch ſei.
Und mit handlichen Manieren ſetzte die Hebamme
die Gotte hinter den Tiſch, und die junge Frau kam
mit dem Kaffee, wie ſehr auch die Gotte ſich weigerte
und vorgab, ſie hätte ſchon gehabt. Des Vaters Schwe¬
ſter thäte es nicht, daß ſie ungegeſſen aus dem Hauſe
ginge, das ſchade jungen Mädchen gar übel, ſage ſie.
Aber ſie ſei ſchon alt und die Jungfrauen (Mägde)
möchten auch nicht zu rechter Zeit auf, deßwegen ſei ſie
ſo ſpät; wenn es an ihr allein gelegen hätte, ſie wäre
längſtens da. In den Kaffee wurde die dicke Nidel
gegoſſen, und wie ſehr die Gotte ſich wehrte und ſagte,
ſie liebe es gar nicht, warf ihr doch die Frau ein Stück
Zucker in denſelben. Lange wollte es die Gotte nicht
zulaſſen, daß ihretwegen die Züpfe angehauen würde,
indeſſen mußte ſie ſich doch ein tüchtiges Stück vor¬
legen laſſen und eſſen. Käſe wollte ſie lange nicht, es
hätte deſſen gar nicht nöthig. Sie werde meinen, es
ſei nur halbmagern und deßhalb ſchätze ſie ihn nicht,
ſagte die Frau, und die Gotte mußte ſich ergeben.
Aber Küchli wollte ſie durchaus nicht, die wüßte ſie
gar nicht wohin thun, ſagte ſie. Sie glaube nur, ſie
ſeien nicht ſauber und werde an beſſere gewöhnt ſein,
erhielt ſie endlich zur Antwort. Was ſollte ſie anders
machen als Küchli eſſen? Während dem Nöthen aller
Art hatte ſie abgemeſſen in kleinen Schlücken das erſte
Kacheli ausgetrunken und nun erhob ſich ein eigentlicher
Streit. Die Gotte kehrte das Kacheli um, wollte gar
keinen Platz mehr haben für fernere Gutthaten, und
ſagte: Man ſolle ſie doch in Ruhe laſſen, ſonſt müßte
ſie ſich noch verſchwören. Da ſagte die Frau: Es ſei
[10] ihr doch ſo leid, daß ſie ihn ſo ſchlecht finde, ſie hätte
doch der Hebamme dringlichſt befohlen, ihn ſo gut als
möglich zu machen, ſie vermöchte ſich deſſen wahrhaftig
nicht, daß er ſo ſchlecht ſei, daß ihn Niemand trinken
möge, und an der Nidle ſollte es doch auch nicht feh¬
len, ſie hätte dieſelbe abgenommen, wie ſie es ſonſt nicht
alle Tage im Brauch hätte. Was ſollte die arme Gotte
anders machen, als noch ein Kacheli ſich einſchenken
laſſen?
Ungeduldig war ſchon lange die Hebamme herum¬
getrippelt und endlich bändigte ſie das Wort nicht län¬
ger, ſondern ſagte: Wenn ich dir etwas helfen kann,
ſo ſage es nur, ich habe wohl Zeit dazu. „He, preſſire
doch nicht“, ſagte die Frau. Die arme Gotte aber, die
rauchte wie ein Dampfkeſſel, verſtand den Wink, ver¬
ſorgte den heißen Kaffee ſo ſchnell als möglich, und
ſagte zwiſchen den Abſätzen, zu denen der glühende
Trank ſie zwang: „Ich wäre ſchon lange z’weg, wenn
ich nicht mehr hätte nehmen müſſen, als ich hinunter
bringen kann, aber ich komme jetzt.“ Sie ſtund auf,
packte die Säcklein aus, übergab Züpfe, Kleidung, Ein¬
band, ein blanker Neuthaler eingewickelt in den ſchön
gemahlten Taufſpruch, und machte manche Entſchuldi¬
gung, daß alles nicht beſſer ſei. Darein aber redete die
Hausmutter mit manchem Ausruf, wie das keine Art
und Gattung hätte, ſich ſo zu verköſtigen, wie man es
faſt nicht nehmen dürfte, und wenn man das gewußt
hätte, ſo hätte man ſie gar nicht anſprechen dürfen.
Nun ging auch das Mädchen an ſein Werk, ver¬
beiſtändet von der Hebamme und der Hausfrau, und
wendete das Möglichſte an, eine ſchöne Gotte zu ſein
von Schuh und Strümpfen an, bis hinauf zum Kränz¬
chen auf der koſtbaren Spitzenkappe. Die Sache ging
[11] umſtändlich zu, trotz der Ungeduld der Hebamme, und
immer war der Gotte die Sache nicht gut genug, und
bald dieß bald das nicht am rechten Ort. Da kam die
Großmutter herein und ſagte: „Ich muß doch auch kom¬
men und ſehen wie ſchön unſere Gotte iſt.”
Nebenbei ließ ſie fallen, daß es ſchon das zweite
Zeichen geläutet habe und beide Götteni draußen in der
äußern Stube ſeien. Draußen ſaßen allerdings die zwei
männlichen Pathen, ein alter und ein junger, den neu¬
modiſchen Kaffee, den ſie alle Tage haben konnten, ver¬
ſchmähend, hinter dem dampfenden Weinwarm, dieſer
alterthümlichen, aber guten Bernerſuppe, beſtehend aus
Wein, geröſtetem Brod, Eiern, Zucker, Zimmet und
Safran, dieſem eben ſo alterthümlichem Gewürze, das
an einem Kindstaufſchmaus in der Suppe, im Vor¬
eſſen, im ſüßen Thee vorkommen muß. Sie ließen es
ſich wohlſchmecken, und der alte Götti, den man Vetter
nannte, hatte allerlei Späße mit dem Kindbettimann,
und ſagte ihm: Daß ſie ihm heute nicht ſchonen wollten
und nach dem Weinwarm zu ſchließen, gönne er es ihnen,
daran ſei nichts geſpart, man merke, daß er ſeinen zwölf¬
mäßigen Sack letzten Dienſtag dem Boten mit nach Bern
gegeben um ihm Safran zu bringen. Als ſie nicht
wußten, was der Vetter damit meine, ſagte er: Letzthin
habe ſein Nachbar Kindbetti haben müſſen; da habe er
dem Boten einen großen Sack mitgegeben und 6 Kreu¬
zer mit dem Auftrage: er ſolle ihm doch in dieſem Sacke
für 6 Kr. von dem gelben Pulver bringen, ein Mäß
oder anderthalbes, von dem man an den Kindstaufen in
allem haben müſſe, ſeine Weiber wollten es einmal ſo
haben.
Da kam die Gotte hinein, wie eine junge Morgen¬
ſonne, und wurde von den Mitgevattern Gottwilchen
[12] geheißen und zum Tiſch gezogen, und ein großer Teller
voll Weinwarm vor ſie geſtellt und den ſollte ſie eſſen,
ſie hätte wohl noch Zeit, während man das Kind zu¬
recht mache. Die arme Gotte wehrte ſich mit Händen
und Füßen, behauptete, ſie hätte gegeſſen für manchen
Tag, und könne nicht mehr ſchnaufen. Aber da half
alles nichts. Alt und Jung war mit Spott und Ernſt
hinter ihr, bis ſie zum Löffel griff, und ſeltſam, ein
Löffel nach dem andern fand noch ſein Plätzchen. Doch
da kam ſchon wieder die Hebamme mit dem ſchön ein¬
gewickelten Kinde, zog ihm das geſtickte Käppchen an
mit dem roſenrothen Seidenbande, legte daſſelbe in das
ſchöne Deckbettlein, ſteckte ihm das ſüße Lulli ins Mäul¬
chen und ſagte: Sie begehre Niemand zu verſäumen
und hätte gedacht, ſie wolle Alles zurecht machen, man
könne dann immer gehen, wann man wolle. Man um¬
ſtand das Kind und rühmte es wie billig, und es war
auch ein wunderappetitlich Bübchen. Die Mutter freute
ſich des Lobes und ſagte: „Ich wäre auch ſo gerne mit
zur Kirche gekommen und hätte es Gott empfehlen hel¬
fen, und wenn man ſelbſt dabei iſt, wenn das Kind
getauft wird, ſo ſinnet man um ſo beſſer daran, was
man verſprochen hat. Zudem iſt es mir ſo unbequem,
wenn ich noch eine ganze Woche lang nicht vor das
Dachtraufe darf, jetzt wo man alle Hände voll zu thun
hat mit dem Anpflanzen.“ Aber die Großmutter ſagte:
So weit ſei es doch noch nicht, daß ihre Sohnsfrau
wie eine arme Frau in den erſten acht Tagen ihren
Kirchgang thun müſſe, und die Hebamme ſetzte hinzu,
ſie hätte es gar nicht gerne, wenn junge Weiber mit
den Kindern zur Kirche gingen. Sie hätten immer
Angſt, es gehe daheim etwas Krummes, hätten doch
nicht die rechte Andacht in der Kirche und auf dem
[13] Heimweg preſſirten ſie zu ſtark, damit ja nichts ver¬
ſäumt werde, erhitzten ſich, und gar Manche ſei übel
krank geworden und gar geſtorben. Da nahm die Gotte
das Kind im Deckbette auf die Arme, die Hebamme
legte das ſchöne weiße Tauftuch mit den ſchwarzen
Quaſten in den Ecken über das Kind, ſorgfältig den
ſchönen Blumenſtrauß an der Gotte Bruſt ſchonend, und
ſagte: „So geht jetzt in Gottes, heiligen Namen.“ Und
die Großmutter legte die Hände in einander und betete
ſtill einen inbrünſtigen Segen. Die Mutter aber ging
mit dem Zuge hinaus bis unter die Thüre und ſagte:
„Mein Bübli, mein Bübli, jetzt ſehe ich dich drei ganze
Stunden nicht, wie halte ich das aus!“ Und alſobald
ſchoß es ihr in die Augen, raſch fuhr ſie mit dem Für¬
tuch darüber und ging ins Haus.
Raſch ſchritt die Gotte die Halde ab den Kirchweg
entlang, auf ihren ſtarken Armen das muntere Kind,
hintendrein die zwei Götteni, Vater und Großvater,
deren keinem in Sinn kam, die Gotte ihrer Laſt zu ent¬
ledigen, obgleich der jüngere Götti in einem ſtattlichen
Maien auf dem Hute das Zeichen der Ledigkeit trug,
und in ſeinem Auge etwas leuchtete wie großes Wohl¬
gefallen an der Gotte, freilich alles hinter der Blende
großer Gelaſſenheit verborgen.
Der Großvater berichtete, welch ſchrecklich Wetter es
geweſen ſei, als man ihn zur Kirche getragen, vor
Hagel und Blitz hätten die Kirchgänger kaum geglaubt
mit dem Leben davon zu kommen. Hintenher hätten
die Leute ihm allerlei geweiſſaget, dieſes Wetters wegen;
die Einen einen ſchrecklichen Tod, die Anderen großes
Glück im Kriege; nun ſei es ihm gegangen in aller
Stille wie den Andern auch, und im fünf und ſieben¬
zigſten Jahre werde er weder frühe ſterben noch großes
[14] Glück im Kriege machen. Mehr als halben Weges wa¬
ren ſie gegangen, als ihnen die Jungfrau nachgeſprun¬
gen kam, welche das Kind nach Hauſe zu tragen hatte,
ſobald es getauft war, während Eltern und Gevatter¬
leute nach alter ſchöner Sitte noch der Predigt bei¬
wohnten. Die Jungfrau hatte auch anwenden wollen
nach Kräften, um auch ſchön zu ſein; ob dieſer hand¬
lichen Arbeit hatte ſie ſich verſpätet und wollte jetzt der
Gotte das Kind abnehmen; aber dieſe ließ es nicht,
wie man ihr auch zuredete. Das war eine gar zu gute
Gelegenheit dem ſchönen ledigen Götti zu zeigen, wie
ſtark ihre Arme ſeien und wie viel ſie erleiden möchten.
Starke Arme an einer Frau ſind einem rechten Bauer
viel anſtändiger als zarte, als ſo liederliche Stäbchen,
die jeder Bysluft, wenn er ernſtlich will, auseinander
wehen kann; ſtarke Arme an einer Mutter ſind ſchon
vielen Kindern zum Heil geweſen, wenn der Vater
ſtarb, und die Mutter die Ruthe allein führen, alleine
den Haushaltungswagen aus allen Löchern heben mußte,
in die er gerathen wollte.
Aber auf einmal iſt’s, als ob Jemand die ſtarke
Gotte an den Züpfen halte, oder ſie vor den Kopf
ſchlage; ſie prallt ordentlich zurück, gibt der Jungfrau
das Kind, bleibt dann zurück und ſtellt ſich, als ob ſie
mit dem Strumpfband zu thun hätte. Dann kömmt ſie
nach, geſellt ſich den Männern bei, miſcht ſich in die Ge¬
ſpräche, will den Großvater unterbrechen, ihn bald mit
dieſem bald mit jenem ablenken von dem Gegenſtand,
den er gefaßt hat. Der aber hält, wie alte Leute meiſt
gewohnt ſind, ſeinen Gegenſtand feſt, und knüpft un¬
verdroſſen den abgeriſſenen Faden immer neu wieder an.
Nun macht ſie ſich an des Kindes Vater, und verſucht
dieſen durch allerlei Fragen zu Privatgeſprächen zu ver¬
[15] führen; allein der iſt einſylbig und läßt den angeſpon¬
nenen Faden immer wieder fallen. Vielleicht hat er
ſeine eigenen Gedanken, wie jeder Vater ſie haben ſollte,
wenn man ihm ein Kind zur Taufe trägt, und nament¬
lich das erſte Bübchen. Je näher man der Kirche kam,
deſto mehr Leute ſchloſſen dem Zuge ſich an, die Einen
warteten ſchon mit den Pſalmenbüchern in der Hand
am Wege, andere ſprangen eiliger die engen Fußwege
hinunter, und einer großen Prozeſſion ähnlich, rückten
ſie ins Dorf.
Zunächſt der Kirche ſtand das Wirthshaus, zwei Häu¬
ſer, die ſo oft in naher Beziehung ſtehen und Freud und
Leid mit einander theilen und zwar in allen Ehren. Dort
ſtellte man ab, machte das Bübchen trocken und der Kind¬
bettimann beſtellte eine Maaß, wie ſehr auch alle ein¬
redeten: er ſolle doch das nicht machen, ſie hätten ja
erſt gehabt was das Herz verlangt und möchten weder
Dickes noch Dünnes. Indeſſen als der Wein einmal
da war, tranken doch alle, vornehmlich die Jungfrau;
die wird gedacht haben, ſie müſſe Wein trinken, wenn
Jemand ihr Wein geben wolle und das geſchehe durch
ein langes Jahr durch nicht manchmal. Nur die Gotte
war zu keinem Tropfen zu bewegen, trotz allem Zureden,
das kein Ende nehmen wollte, bis die Wirthin ſagte:
Man ſolle doch nachlaſſen mit dem Nöthigen, das Mäd¬
chen werde ja zuſehens bläſſer und Hoffmannstropfen
thäten ihm nöther als Wein. Aber die Gotte wollte
deren auch nicht, wollte kaum ein Glas bloßes Waſſer,
mußte ſich endlich einige Tropfen aus einem Riechfläſch¬
chen aufs Nastuch ſchütten laſſen, zog unſchuldigerweiſe
manchen verdächtigen Blick ſich zu und konnte ſich nicht
rechtfertigen, konnte ſich nicht helfen laſſen. An grä߬
licher Angſt litt die Gotte und durfte ſie nicht merken
[16] laſſen. Es hatte ihr Niemand geſagt, welchen Namen
das Kind erhalten ſolle, und den die Gotte nach alter
Uebung dem Pfarrer, wenn ſie ihm das Kind über¬
gibt, einzuflüſtern hat, da derſelbe die eingeſchriebenen
Namen, wenn viele Kinder zu taufen ſind, leicht ver¬
wechſeln kann.
In der Haſt, ob den vielen zu beſorgenden Dingen und
der Angſt, zu ſpät zu kommen, hatte man die Mitthei¬
lung dieſes Namens vergeſſen, und nach dieſem Namen
zu fragen, hatte ihr ihres Vaters Schweſter, die Baſe,
ein für alle Mal ſtreng verboten, wenn ſie ein Kind
nicht unglücklich machen wolle; denn ſobald eine Gotte
nach des Kindes Namen frage, ſo werde dieſes zeit¬
lebens — neugierig.
Dieſen Namen wußte ſie alſo nicht, durfte nicht
darnach fragen, und wenn ihn der Pfarrer auch ver¬
geſſen hatte, und laut und öffentlich darnach fragte,
oder im Verſchuß den Buben Mädeli oder Bäbeli taufte,
wie würden da die Leute lachen und welche Schande
wäre dieß ihr Lebenlang! Das kam ihr immer ſchreck¬
licher vor; dem ſtarken Mädchen zitterten die Beine wie
Bohnenſtauden im Winde, und vom blaſſen Geſichte
rann ihm der Schweiß bachweiſe. Jetzt mahnte die
Wirthin zum Aufbrechen, wenn ſie vom Pfarrer nicht
wollten angerebelt werden; aber zur Gotte ſagte ſie:
„Du Meitſchi ſtehſt das nicht aus, du biſt ja weiß wie
ein friſchgewaſchenes Hemd.“ Das ſei vom Laufen,
meinte dieſe, es werde ihr wieder beſſern, wenn ſie an
die friſche Luft komme. Aber es wollte ihr nicht beſſern,
ganz ſchwarz ſchienen ihr alle Leute in der Kirche und
nun fing noch das Kind zu ſchreien an, mörderlich und
immer mörderlicher. Die arme Gotte begann es zu
wiegen in ihren Armen, heftiger und immer heftiger,
[17] je lauter es ſchrie, daß Blätter ſtoben von ihrem Maien
an der Bruſt. Auf dieſer Bruſt ward es ihr enger und
ſchwerer, laut hörte man ihr Athemfaſſen. Je höher
ihre Bruſt ſich hob, um ſo höher flog das Kind in ih¬
ren Armen, und je höher es flog, um ſo lauter ſchrie
es, und je lauter es ſchrie, um ſo gewaltiger las der
Pfarrer die Gebete. Die Stimmen praſſelten ordentlich
an den Wänden und die Gotte wußte nicht mehr wo
ſie war; es ſauste und brauste um ſie wie Meeres¬
wogen und die Kirche tanzte mit ihr in der Luft herum.
Endlich ſagte der Pfarrer „Amen“, und jetzt war der
ſchreckliche Augenblick da, jetzt ſollte es ſich entſcheiden,
ob ſie zum Spott werden ſollte für Kind und Kindes¬
kinder; jetzt mußte ſie das Tuch abheben, das Kind dem
Pfarrer geben und den Namen ihm ins rechte Ohr flü¬
ſtern. Sie deckte ab, aber zitternd und bebend, reichte
das Kind dar, und der Pfarrer nahm es, ſah ſie nicht
an, frug ſie nicht mit ſcharfem Auge, tauchte die Hand
ins Waſſer, netzte des plötzlich ſchweigenden Kindes
Stirne und taufte kein Mädeli, kein Bäbeli, ſondern
einen Hans Uli, einen ehrlichen wirklichen Hans Uli.
Da wars der Gotte als ob nicht nur ſämmtliche Emmen¬
thaler Berge ihr ab dem Herzen fielen, ſondern Sonne,
Mond und Sterne, und aus einem feurigen Ofen ſie
Jemand trage in ein kühles Bad; aber die ganze Pre¬
digt durch bebten ihr die Glieder und wollten nicht wie¬
der ſtille werden. Der Pfarrer predigte recht ſchön und
eindringlich, wie eigentlich das Leben der Menſchen nichts
anders ſein ſolle als eine Himmelfahrt; aber zu rechter
Andacht brachte es die Gotte nicht, und als man aus
der Predigt kam, hatte ſie ſchon den Text vergeſſen.
Sie mochte gar nicht warten, bis ſie ihre geheime Angſt
offenbaren konnte und den Grund ihres blaſſen Geſichtes.
l. 2[18]
Viel Lachens gab es und manchen Witz mußte ſie hö¬
ren über die Neugierde und wie ſich die Weiber davor
fürchten und ſie doch allen ihren Mädchen anhängten,
während ſie den Buben nichts thäte. Da hätte ſie nur
getroſt fragen können. Schöne Haberacker, niedliche
Flachsplätze, herrliches Gedeihen auf Wieſe und Acker
zogen aber bald die Aufmerkſamkeit auf ſich und feſſel¬
ten die Gemüther. Sie fanden manchen Grund lang¬
ſam zu gehen, ſtille zu ſtehen, und doch hatte die ſchöne
ſteigende Maiſonne allen warm gemacht, als ſie heim
kamen, und ein Glas kühlen Weins that Jedermann
wohl, wie ſehr man ſich auch dagegen ſträubte. Dann
ſetzte man ſich vor das Haus, während in der Küche
die Hände emſig ſich rührten, das Feuer gewaltig praſ¬
ſelte. Die Hebamme glühte wie Einer der Drei aus
dem feurigen Ofen. Schon vor eilf rief man zum Eſſen,
aber nur die Dienſten, ſpeiste die vorweg, und zwar
reichlich, aber man war doch froh wenn ſie, die Knechte
namentlich, einem aus dem Wege kamen.
Etwas langſam floß den vor dem Hauſe Sitzenden
das Geſpräch, doch verſiegte es nicht; vor dem Eſſen
ſtören die Gedanken des Magens die Gedanken der Seele,
indeſſen läßt man nicht gerne dieſen innern Zuſtand inne
werden, ſondern bemäntelt ihn mit langſamen Worten
über gleichgültige Gegenſtände. Schon ſtand die Sonne
überm Mittag, als die Hebamme mit flammendem Ge¬
ſicht, aber immer noch blanker Schürze, unter der Thüre
erſchien und die allen willkommene Nachricht brachte,
daß man eſſen könnte, wenn alle da wären. Aber die
Meiſten der Geladenen fehlten noch und die ſchon frü¬
her nach ihnen geſandten Boten brachten wie die Knechte
im Evangelium, allerlei Beſcheid, mit dem Unterſchied
jedoch, daß eigentlich alle kommen wollten, nur jetzt noch
[19] nicht; der Eine hatte Werkleute, der Andere Leute be¬
ſtellt und der Dritte mußte noch wohin, — aber warten
ſolle man nicht auf ſie, ſondern nur fürfahren in der
Sache. Räthig war man bald, dieſer Mahnung zu fol¬
gen, denn wenn man allen warten müßte, ſagte man,
ſo könne das gehen bis der Mond käme; nebenbei frei¬
lich brummte die Hebamme: es ſei doch nichts dümme¬
res als ein ſolches Wartenlaſſen, im Herzen wäre doch
jeder gerne da und zwar je eher je lieber, aber es ſolle
es Niemand merken. So müſſe man die Mühe haben
alles wieder an die Wärme zu ſtellen, wiſſe nie, ob
man genug habe, und werde nie fertig. War aber ſchon
der Rath wegen den Abweſenden ſchnell gefaßt, ſo war
man doch mit den Anweſenden noch nicht fertig, hatte
bedenkliche Mühe ſie in die Stube, ſie zum Sitzen zu
bringen, denn Keiner wollte der Erſte ſein, bei dieſem
nicht, bei jenem nicht. Als endlich alle ſaßen, kam die
Suppe auf den Tiſch, eine ſchöne Fleiſchſuppe mit Sa¬
fran gefärbt und gewürzt und mit dem ſchönen weißen
Brod, das die Großmutter eingeſchnitten, ſo dick geſät¬
tigt, daß von der Brühe wenig ſichtbar war. Nun ent¬
blößten ſich alle Häupter, die Hände falteten ſich und
lange und feierlich betete jedes für ſich zu dem Geber
jeder guten Gabe. Dann erſt griff man langſam zum
blechernen Löffel, wiſchte denſelben am ſchönen weißen
Tiſchtuch aus und ließ ſich an die Suppe, und man¬
cher Wunſch wurde laut, wenn man alle Tage eine
Solche hätte, ſo begehrte man nichts anders. Als man
mit der Suppe fertig war, wiſchte man die Löffel am
Tiſchtuch wieder aus, die Züpfe wurden herumgeboten,
jeder ſchnitt ſich ſein Stück ab, und ſah zu wie die
Voreſſen an Safranbrühe aufgetragen wurden, Voreſſen
von Hirn, von Schaffleiſch, ſaure Leber. Als die erledigt
[20] waren in bedächtigem Zugreifen, kam in Schüſſeln hoch
aufgeſchichtet das Rindfleiſch, grünes und dürres, jedem
nach Belieben, kamen dürre Bohnen und Kannenbiren¬
ſchnitze, breiter Speck dazu und prächtige Rückenſtücke
von dreizentnerigen Schweinen, ſo ſchön roth und weiß
und ſaftig. Das folgte ſich langſam alles, und wenn
ein neuer Gaſt kam, ſo wurde von der Suppe her alles
wieder aufgetragen und jeder mußte da anfangen, wo
die Andern auch, Keinem wurde ein einziges Gericht
geſchenkt. Zwiſchendurch ſchenkte Benz, der Kindbetti¬
mann, aus den ſchönen weißen Flaſchen, welche eine
Maaß enthielten und mit Wappen und Sprüchen reich
geziert waren, fleißig ein. Wohin ſeine Arme nicht rei¬
chen mochten, trug er andern das Schenkamt auf, nö¬
thete ernſtlich zum Trinken, mahnte ſehr oft: „Machet
doch aus, es iſt dafür da, daß man ihn trinkt“, und
wenn die Hebamme eine Schüſſel hineintrug, ſo brachte
er ihr ſein Glas und andere brachten die ihren ihr
auch, ſo daß, wenn ſie allemal gehörig hätte Beſcheid
thun wollen, es in der Küche wunderlich hätte gehen
können. Der jüngere Götti mußte manche Spottrede
hören, daß er die Gotte nicht beſſer zum Trinken zu
halten wiſſe; wenn er das Geſundheit machen nicht
beſſer verſtehe, ſo kriege er keine Frau. „O, Hans Uli
werde keine begehren“, ſagte endlich die Gotte, „die le¬
digen Burſche hätten heut zu Tage ganz andere Sachen
im Kopf als das Heirathen, und die Meiſten vermöch¬
ten es nicht einmal mehr.“ „He“, ſagte Hans Uli,
„das dünke ihn nichts anders. Solche Schlärpli, wie
heut zu Tage die meiſten Mädchen ſeien, geben gar
theure Frauen, die Meiſten meinten ja, um eine brave
Frau zu werden, hätte man nichts nöthig als ein blau
ſeidenes Tüchlein um den Kopf, Händſchli im Sommer
[21] und geſtickte Pantöffeli im Winter. Wenn einem die
Kühe fehlten im Stalle, ſo ſei man freilich übel ge¬
ſchlagen, aber man könne doch ändern; wenn man aber
eine Frau habe, die einem um Haus und Hof bringe,
ſo ſei es austubacket, die müſſe man behalten. Es ſei
einem daher nützlicher, man ſinne anderen Sachen nach
als dem Heirathen und laſſe Mädchen, Mädchen ſein.“
„Ja, ja, du haſt ganz recht“, ſagte der ältere Götti,
ein kleines, unſcheinbares Männchen in geringen Klei¬
dern, den man aber ſehr in Ehren hielt und ihm Vetter
ſagte, denn er hatte keine Kinder, wohl aber einen be¬
zahlten Hof und 100,000 Schweizerfranken am Zins,
„ja, du haſt recht,“ ſagte der, „mit dem Weibervolk iſt
gar nichts mehr. Ich will nicht ſagen, daß nicht hie
und da noch Eine iſt, die einem Hauſe wohl anſteht,
aber die ſind dünn geſäet. Sie haben nur Narrenwerk
und Hoffart im Kopf, ziehen ſich an wie Pfauen, zie¬
hen auf wie ſturme Störche, und wenn eine einen hal¬
ben Tag arbeiten ſoll, ſo hat ſie drei Tage lang Kopf¬
weh und liegt vier Tage im Bett, ehe ſie wieder bei
ihr ſelber iſt. Als ich um meine Alte buhlte, da war
es noch anders, da mußte man noch nicht ſo im Kum¬
mer ſein, man kriege ſtatt einer braven Hausmutter
nur einen Hausnarr oder gar einen Hausteufel.“ „He,
he, Götti Uli“, ſagte die Gotte, die ſchon lange reden
wollte, aber nicht dazu gekommen war, „es würde einen
meinen, es ſeien nur zu deinen Zeiten rechte Bauren¬
töchter geweſen. Du kennſt ſie nur nicht und achteſt
dich der Mädchen nicht mehr, wie es ſo einem alten
Manne auch wohl anſteht; aber es gibt ſie noch im¬
mer ſo gut als zur Zeit, wo deine Alte noch jung ge¬
weſen iſt. Ich will mich nicht rühmen, aber mein Vater
hat ſchon manchmal geſagt, wenn ich ſo fortfahre, ſo
[22] thue ich noch die Mutter ſelig durch, und die iſt doch
eine berühmte Frau geweſen. So ſchwere Schweine wie
voriges Jahr, hat mein Vater noch nie auf den Markt
geführt. Der Metzger hat ihm manchmal geſagt: er
möchte das Meitſchi ſehen, welches die gemäſtet habe.
Aber über die heutigen Buben hat man zu klagen; was
um der lieben Welt willen iſt dann mit dieſen? Tu¬
backen, im Wirthshaus ſitzen, die weißen Hüte auf der
Seite tragen und die Augen aufſperren wie Stadtthore,
allen Kegelten, allen Schießeten, allen ſchlechten Meit¬
ſchene nachſtreichen, das können ſie; aber wenn einer
eine Kuh melken oder einen Acker fahren ſoll, ſo iſt er
fertig, und wenn er ein Werkholz in die Finger nimmt,
ſo thut er dumm wie ein Herr oder gar wie ein Schrei¬
ber. Ich habe mich ſchon manchmal hoch verredet, ich
wolle keinen Mann, oder ich wiſſe denn für gewiß wie
ich mit ihm fahren könne, und wenn ſchon hie und da
noch einer ein Bauer abgibt, ſo weiß man doch noch
lange nicht, was er für ein Mann wird.“ Da lachten
die Andern gar ſehr, trieben dem Mädchen das Blut
ins Geſicht und das Geſpött mit ihm: Wie lange es
wohl meine, daß man einen auf die Probe nehmen
müſſe, bis man für gewiß wiſſe was er für ein Mann
werde. So unter Lachen und Scherz nahm man viel
Fleiſch zu ſich, vergaß auch die Kannenbirenſchnitze nicht,
bis endlich der ältere Götti ſagte: „Es dünke ihn, man
ſollte einſtweilen genug haben und etwas vom Tiſche
weg, die Beine würden unter dem Tiſche ganz ſteif
und eine Pfeife ſchmecke nie beſſer, als wenn man zu¬
vor Fleiſch gegeſſen hätte.“ Dieſer Rath erhielt allge¬
meinen Beifall, wie auch die Kindbettileute einredeten:
man ſolle doch nicht vom Tiſche weg; wenn man ein¬
mal davon ſei, ſo bringe man die Menſchen faſt nicht
[23] mehr dazu. „Habe doch nicht Kummer, Baſe“, ſagte
der Vetter, „wenn du etwas Gutes auf den Tiſch ſtellſt,
ſo haſt du mit geringer Mühe uns wieder dabei, und
wenn wir uns ein wenig ſtrecken, ſo geht es um ſo
handlicher wieder mit dem Eſſen.“
Die Männer machten nun die Runde in den Stäl¬
len, thaten einen Blick auf die Bühne, ob noch altes
Heu vorhanden ſei, rühmten das ſchöne Gras und
ſchauten in die Bäume hinauf, wie groß der Segen
wohl ſein möge, der von ihnen zu hoffen ſei.
Unter einem der noch blühenden Bäume machte der
Vetter Halt und ſagte: „da ſchicke es ſich wohl am
beſten abzuſitzen und ein Pfeifchen anzuſtecken, es ſei
gut kühl da, und wenn die Weiber wieder etwas Gu¬
tes angerichtet hätten, ſo ſei man nahe bei der Hand.“
Bald geſellte ſich die Gotte zu ihnen, die mit den
andern Weibern den Garten und die Pflanzplätze be¬
ſehen hatte. Der Gotte kamen die andern Weiber nach,
und eine nach der andern ließ ſich nieder ins Gras,
vorſichtig die ſchönen Kittel in Sicherheit bringend, da¬
gegen ihre Unterröcke mit dem hellen rothen Rande der
Gefahr ausſetzend, ein Andenken zu erhalten vom grü¬
nen Graſe.
Der Baum, um den die ganze Geſellſchaft ſich la¬
lagelte, ſtand oberhalb des Hauſes am ſanften Anfang
der Halde. Zuerſt ins Auge fiel das ſchöne neue
Haus; über daſſelbe weg konnten die Blicke ſchweifen
an des jenſeitigen Thales Rand, über manchen ſchönen
reichen Hof und weiterhin über grüne Hügel und dunkle
Thäler weg.
„Du haſt da ein ſtattlich Haus, und Alles iſt gut
angegeben dabei“, ſagte der Vetter, „jetzt könnt ihr auch
ſein darin und habt Platz für Alles, ich konnte nie
[24] begreifen, wie man ſich in einem ſo ſchlechten Hauſe
ſo lange leiden kann, wenn man Geld und Holz genug
zum Bauen hat, wie ihr zum Exempel.“ „Vexier nicht,
Vetter“, ſagte der Großvater, „es hat von Beidem
nichts zu rühmen; dann iſt das Bauen eine wüſte Sache,
man weiß wohl wie man anfängt, aber nie wie man
aufhört, und manchmal iſt einem noch dies im Wege
oder das, an jedem Orte etwas anderes.“
„Mir gefällt das Haus ganz ausnehmend wohl“,
ſagte eine der Frauen. „Wir ſollten auch ſchon lange
ein neues haben, aber wir ſcheuen immer die Koſten.
Sobald mein Mann aber kommt, muß er dieſes recht
beſehen, es dünkt mich, wenn wir ſo eins haben könn¬
ten, ich wäre im Himmel. Aber fragen möchte ich
doch, nehmt es nicht für ungut, warum da gleich ne¬
ben dem erſten Fenſter, der wüſte ſchwarze Fenſterpoſten
(Byſtel) iſt, der ſteht dem ganzen Hauſe übel an.“ —
Der Großvater machte ein bedenkliches Geſicht, zog noch
härter an ſeiner Pfeife und ſagte endlich: „Es hätte
an Holz gefehlt beim Aufrichten, kein anderes ſei gleich
bei der Hand geweſen, da habe man in Noth und Eile
einiges vom alten Hauſe genommen.“ „Aber“, ſagte
die Frau, „das ſchwarze Stück Holz war ja noch dazu
zu kurz, oben und unten iſt es angeſetzt, und jeder
Nachbar hätte euch von Herzen gerne ein ganz neues
Stück gegeben.“ „ Ja, wir haben es halt nicht beſſer
g'ſinnet und durften unſere Nachbaren nicht immer von
neuem plagen, ſie hatten uns ſchon genug geholfen mit
Holz und Fahren“, antwortete der Alte.
„Hör, Aetti“, ſagte der Vetter, „mache nicht Schnecken¬
tänze, ſondern gib die Wahrheit an und aufrichtigen
Bericht. Schon Manches habe ich raunen hören, aber
Punktum das Wahre nie vernehmen können. Jetzt ſchickte
[25] es ſich ſo wohl, bis die Weiber den Braten z’weg ha¬
ben, du würdeſt uns damit ſo kurze Zeit machen, darum
gib aufrichtigen Bericht.“ Noch manchen Schneckentanz
machte der Großvater, ehe er ſich dazu verſtund; aber
der Vetter und die Weiber ließen nicht nach bis er es
endlich verſprach, jedoch unter dem ausdrücklichen Vor¬
behalt, daß ihm dann lieber wäre, was er erzähle, bliebe
unter ihnen und käme nicht weiter. So etwas ſcheuen
gar viele Leute an einem Hauſe, und er möchte in ſei¬
nen alten Tagen nicht gerne ſeinen Leuten böſes Spiel
machen.
„Allemal wenn ich dieſes Holz betrachte“, begann
der ehrwürdige Alte, „ſo muß ich mich verwundern, wie
das wohl zuging, daß aus dem fernen Morgenlande,
wo das Menſchengeſchlecht entſtanden ſein ſoll, Menſchen
bis hieher kamen, und dieſen Winkel in dieſem engen
Graben fanden, und muß denken, was die, welche bis
hieher verſchlagen oder gedrängt wurden, alles ausge¬
ſtanden haben werden, und wer ſie wohl mögen gewe¬
ſen ſein. Ich habe viel darüber nachgefragt, aber nichts
erfahren können, als daß dieſe Gegend ſchon ſehr früh
bewohnt geweſen, ja Sumiswald, noch ehe unſer Hei¬
land auf der Welt war, eine Stadt geweſen ſein ſoll;
aber aufgeſchrieben ſteht das Nirgends. Doch das weiß
man, daß es ſchon mehr als ſechshundert Jahre her
iſt, daß das Schloß ſteht, wo jetzt der Spital iſt, und
wahrſcheinlich um dieſelbe Zeit ſtund auch hier ſchon
ein Haus, und gehörte ſammt einem großen Theil der
Umgegend zu dem Schloſſe, mußte dorthin Zehnten und
Bodenzinſe geben, Frohndienſte leiſten, ja die Menſchen
waren Leibeigen und nicht eigenen Rechtens, wie jetzt
jeder iſt, ſobald er zu Jahren kömmt. Gar ungleich
hatten es damals die Menſchen, und nahe bei einander
[26] wohnten Leibeigene, welche die beſten Händel hatten und
ſolche, die ſchwer, faſt [unerträglich], gedrückt wurden,
ihres Lebens nicht ſicher waren. Ihr Zuſtand hing je¬
weilen von ihren Herren ab; die waren gar ungleich
und doch faſt unumſchränkt Meiſter über ihre Leute und
dieſe fanden Keinen, dem ſie ſo leichtlich und wirkſam
klagen konnten. Die, welche zu dieſem Schloſſe gehör¬
ten, ſollen es ſchlimmer gehabt haben zu Zeiten als die
Meiſten, welche zu andern Schlöſſern gehörten. Die
meiſten andern Schlöſſer gehörten einer Familie, kamen
von dem Vater auf den Sohn, da kannten der Herr
und ſeine Leute ſich von Jugend auf, und gar Mancher
war ſeinen Leuten wie ein Vater. Dieſes Schloß kam
nämlich frühe in die Hände von Rittern, die man die
Teutſchen nannte, und der, welcher hier zu befehlen
hatte, den nannte man den Comthur. Dieſe Obern
wechſelten nun, und bald war Einer da aus dem Sach¬
ſenland und bald Einer aus dem Schwabenland; da
kam keine Anhänglichkeit auf und ein jeder brachte Brauch
und Art mit aus ſeinem Lande.
„Nun ſollten ſie eigentlich in Polen und im Preußen¬
lande mit den Heiden ſtreiten, und dort, obgleich ſie
eigentlich geiſtliche Ritter waren, gewöhnten ſie ſich faſt
an ein heidniſch Leben und gingen mit andern Menſchen
um, als ob kein Gott im Himmel wäre, und wenn ſie
dann heim kamen, ſo meinten ſie noch immer, ſie ſeien
im Heidenland und trieben das gleiche Leben fort. Denn
die, welche lieber im Schatten luſtig lebten als im wü¬
ſten Lande blutig ſtritten, oder die, welche ihre Wunden
heilen, ihren Leib ſtärken mußten, kamen auf die Güter,
welche der Orden, ſo ſoll man die Geſellſchaft der Rit¬
ter genannt haben, in Deutſchland und in der Schweiz
beſaß, und thaten jeder nach ſeiner Art und was ihm
[27] wohlgefiel. Einer der Wüſteſten ſoll der Hans von
Stoffeln geweſen ſein, aus dem Schwabenlande, und
unter ihm ſoll es ſich zugetragen haben, was ihr von
mir wiſſen wollt, und was ſich bei uns von Vater auf
den Sohn vererbet hat.
„Dieſem Hans von Stoffeln fiel es bei, dort hinten
auf dem Bärhegenhubel ein großes Schloß zu bauen;
dort, wo man noch jetzt, wenn es wild Wetter geben
will, die Schloßgeiſter ihre Schätze ſonnen ſieht, ſtand
das Schloß. Sonſt bauten die Ritter ihre Schlöſſer
über den Straßen, wie man jetzt die Wirthshäuſer an
die Straßen baut, beides um die Leute beſſer plündern
zu können, auf verſchiedene Weiſe freilich. Warum aber
der Ritter dort auf dem wilden wüſten Hubel in der
Einöde ein Schloß haben wollte, wiſſen wir nicht, ge¬
nug er wollte es, und die Bauern welche zum Schloß
gehörten, mußten es bauen. Der Ritter fragte nach
keinem von der Jahreszeit gebotenen Werk, nicht nach
dem Heuet, nicht nach der Ernte, nicht nach dem Säet.
So und ſo viel Züge mußten fahren, ſo und ſo viel
Hände mußten arbeiten, zu der und der Zeit ſollte der
letzte Ziegel gedeckt, der letzte Nagel geſchlagen ſein.
Dazu ſchenkte er keine Zehntgarbe, kein Mäß Boden¬
zins, kein Fasnachthuhn, ja nicht einmal ein Fasnachtei;
Barmherzigkeit kannte er keine, die Bedürfniſſe armer
Leute kannte er nicht. Er ermunterte ſie auf heidniſche
Weiſe mit Schlägen und Schimpfen, und wenn einer
müde wurde, langſamer ſich rührte oder gar ruhen
wollte, ſo war der Vogt hinter ihm mit der Peitſche,
und weder Alter noch Schwachheit ward verſchont. —
Wenn die wilden Ritter oben waren, ſo hatten ſie ihre
Freude dran, wenn die Peitſche recht knallte, und ſonſt
trieben ſie noch manchen Schabernack mit den Arbeitern;
[28] wenn ſie ihre Arbeit muthwillig verdoppeln konnten, ſo
ſparten ſie es nicht, und hatten dann große Freude an
ihrer Angſt, an ihrem Schweiß.
„Endlich war das Schloß fertig, fünf Ellen dick die
Mauren, Niemand wußte, warum es da oben ſtand,
aber die Bauren waren froh, daß es einmal ſtand, wenn
es doch ſtehen mußte, der letzte Nagel geſchlagen, der
letzte Ziegel oben war.
„Sie wiſchten ſich den Schweiß von den Stirnen,
ſahen mit betrübtem Herzen ſich um in ihrem Beſitz¬
thum, ſahen ſeufzend wie weit der unſelige Bau ſie zu¬
rückgebracht. Aber war doch ein langer Sommer vor
ihnen und Gott über ihnen, darum faßten ſie Muth
und kräftig den Pflug, und tröſteten Weib und Kind,
die ſchweren Hunger gelitten, und denen Arbeit eine
neue Pein ſchien.
„Aber kaum hatten ſie den Pflug ins Feld geführt,
ſo kam Botſchaft, daß alle Hofbauren eines Abends zur
beſtimmten Stunde im Schloſſe zu Sumiswald ſich ein¬
finden ſollten. Sie bangten und hofften. Freilich hatten
ſie von den gegenwärtigen Bewohnern des Schloſſes noch
nichts Gutes genoſſen, ſondern lauter Muthwillen und
Härte, aber es dünkte ſie billig, daß die Herren ihnen
etwas thäten für den unerhörten Frohndienſt, und weil
es ſie ſo dünkte, ſo meinten viele, es dünke die Herren
auch ſo, und ſie werden an ſelbem Abend ihnen ein
Geſchenk machen oder einen Nachlaß verkünden wollen.
„Sie fanden ſich am beſtimmten Abend zeitig und
mit klopfendem Herzen ein, mußten aber lange warten
im Schloßhofe, den Knechten zum Geſpött. Die Knechte
waren auch im Heidenlande geweſen. Zudem wird es
geweſen ſein wie jetzt, wo jedes halbbatzige Herren¬
[29] knechtlein das Recht zu haben meint, geſeſſene Bauren
verachten zu können und verhöhnen zu dürfen.
„Endlich wurden ſie in den Ritterſaal entboten; vor
ihnen öffnete ſich die ſchwere Thüre; drinnen ſaßen um
den ſchweren Eichentiſch die ſchwarzbraunen Ritter, wilde
Hunde zu ihren Füßen, und obenan der von Stoffeln,
ein wilder mächtiger Mann, der einen Kopf hatte wie
ein doppelt Bernmäß, Augen machte wie Pflugsräder,
und einen Bart hatte wie eine alte Löwenmähne. Kei¬
ner ging gerne zuerſt hinein, einer ſtieß den andern vor;
da lachten die Ritter, daß der Wein über die Humpen
ſpritzte und wüthend ſtürzten die Hunde vor; denn wenn
dieſe zitternde, zagende Glieder ſehen, ſo meinen ſie,
dieſelben gehören einem zu jagenden Wilde. Den Bauren
aber ward nicht gut zu Muthe, es dünkte ſie, wenn ſie
nur wieder daheim wären und einer drückte ſich hinter
den andern. Als endlich Hunde und Ritter ſchwiegen,
erhob der von Stoffeln ſeine Stimme und ſie tönte wie
aus einer hundertjährigen Eiche. „Mein Schloß iſt fer¬
tig, doch noch eins fehlt, der Sommer kömmt und dro¬
ben iſt kein Schattengang. In Zeit eines Monates ſollt
ihr mir einen pflanzen, ſollt einhundert ausgewachſene
Buchen nehmen aus dem Münneberg, mit Aeſten und
Wurzeln, und ſollt ſie mir pflanzen auf Bärhegen und
wenn eine einzige Buche fehlt, ſo büßt ihr mir es mit
Gut und Blut. Drunten ſteht Trunk und Imbiß, aber
morgen ſoll die erſte Buche auf Bärhegen ſtehn.“ Als
von Trunk und Imbiß einer hörte, meinte er, der Ritter
ſei gnädig und gut gelaunt, und begann zu reden von
ihrer nothwendigen Arbeit und dem Hunger von Weib
und Kind und vom Winter, wo die Sache beſſer zu
machen wäre. Da begann der Zorn des Ritters Kopf
größer und größer zu ſchwellen und ſeine Stimme brach
[30] los wie der Donner aus einer Fluh und er ſagte ihnen:
Wenn er gnädig ſei, ſo ſeien ſie übermüthig. Wenn im
Polenlande einer das nackte Leben habe, ſo küſſe er ei¬
nem die Füße, hier hätten ſie Kind und Rind, Dach
und Fach, und doch nicht ſatt. Aber gehorſamer und
genügſamer mache ich euch, ſo wahr ich Hans von Stof¬
feln bin, und wenn in Monatsfriſt die hundert Buchen
nicht oben ſtehen, ſo laſſe ich euch peitſchen bis kein
Fingerlang mehr ganz an euch iſt, und Weiber und
Kinder werfe ich den Hunden vor.
„Da wagte keiner mehr eine Einrede, aber auch kei¬
ner begehrte von dem Trunk und Imbiß; ſie drängten
ſich, als der zornige Befehl gegeben war, zur Thüre
hinaus, und jeder wäre gerne der Erſte geweſen, und
weit hin folgte ihnen des Ritters donnernde Stimme
nach, der andern Ritter Gelächter, der Knechte Spott,
der Rüden Geheul.
„Als der Weg ſich beugte, vom Schloſſe ſie nicht
mehr konnten geſehen werden, ſetzten ſie ſich an des
Weges Rand und weinten bitterlich, Keiner hatte einen
Troſt für den Andern, und Keiner hatte den Muth zu
rechtem Zorn, denn Noth und Plage hatten den Muth
ihnen ausgelöſcht, ſo daß ſie keine Kraft mehr zum Zorne
hatten, ſondern nur noch zum Jammer. Ueber 3 Stun¬
den weit ſollten ſie durch wilde Wege die Buchen füh¬
ren mit Aeſten und Wurzeln den ſteilen Berg hinauf;
und neben dieſem Berge wuchſen viele und ſchöne Bu¬
chen, und die mußten ſie ſtehen laſſen. In Monatsfriſt
ſollte das Werk geſchehen ſein, zwei Tage drei, den
dritten vier Bäume, ſollten ſie ſchleppen durchs lange
Thal, den ſteilen Berg auf, mit ihrem ermatteten Vieh.
Und über alles dieſes war es der Maimond, wo der
Bauer ſich rühren muß auf ſeinem Acker, faſt Tag und
[31] Nacht ihn nicht verlaſſen darf, wenn er Brod will und
Speiſe für den Winter.
„Wie ſie da ſo rathlos weinten, Keiner den Andern
anſehen, in den Jammer des Andern ſehen durfte, weil
der Seinige ſchon über ihm zuſammenſchlug, und keiner
heim durfte mit der Botſchaft, keiner den Jammer heim
tragen mochte zu Weib und Kind, ſtund plötzlich vor
ihnen, ſie wußten nicht woher, lang und dürr ein grü¬
ner Jägersmann. Auf dem kecken Baret ſchwankte eine
rothe Feder, im ſchwarzen Geſichte flammte ein rothes
Bärtchen, und zwiſchen der gebogenen Naſe und dem
zugeſpitzten Kinn, faſt unſichtbar, wie eine Höhle unter
überhangendem Geſtein, öffnete ſich ein Mund und frug:
„Was gibt es, ihr guten Leute, daß ihr da ſitzet und
heulet, daß es Steine aus dem Boden ſprengt und Aeſte
ab den Bäumen?“ Zweimal frug er alſo, und zweimal
erhielt er keine Antwort.
„Da ward noch ſchwärzer des Grünen ſchwarz Ge¬
ſicht, noch röther das rothe Bärtchen, es ſchien darin
zu kniſtern und zu ſprezeln, wie Feuer im Tannenholz;
wie ein Pfeil ſpitzte ſich der Mund, dann that er ſich
auseinander und frug ganz holdſelig und mild: „Aber
ihr guten Leute, was hilft es euch, daß ihr da ſitzet
und heulet? Ihr könnet da heulen bis es eine neue
Sündfluth gibt, oder euer Geſchrei die Sterne aus dem
Himmel ſprengt; aber damit wird euch wahrſcheinlich
wenig geholfen ſein. Wenn euch aber Leute fragen, was
ihr hättet, Leute, die es gut mit euch meinen, euch
vielleicht helfen könnten, ſo ſolltet ihr ſtatt zu heulen,
antworten und ein vernünftig Wort reden, das hülfe
euch viel mehr.“ Da ſchüttelte ein alter Mann das
weiße Haupt und ſprach: „Haltet es nicht für ungut,
aber das, worüber wir weinen, nimmt kein Jägersmann
[32] uns ab, und wenn das Herz einmal im Jammer ver¬
ſchwollen iſt, ſo kommen keine Worte mehr heraus.“
„Da ſchüttelte ſein ſpitziges Haupt der Grüne und
ſprach: „Vater, ihr redet nicht dumm, aber ſo iſt es
doch nicht. Man mag ſchlagen was man will, Stein
oder Baum, ſo gibt es einen Ton von ſich; es klaget.
So ſoll auch der Menſch klagen, ſoll alles klagen, ſoll
dem erſten Beſten klagen, vielleicht hilft ihm der erſte
Beſte. Ich bin nur ein Jägersmann, wer weiß, ob ich
nicht daheim ein tüchtiges Geſpann habe, Holz und
Steine oder Buchen und Tannen zu führen?“
„Als die armen Bauren das Wort Geſpann hörten,
fiel es ihnen allen ins Herz, ward da zu einem Hoff¬
nungsfunken, und alle Augen ſahen auf ihn und dem
Alten ging der Mund noch weiter auf; er ſprach: „Es
ſei nicht immer richtig dem Erſten, dem Beſten zu ſa¬
gen, was man auf dem Herzen hätte, da man ihm es
aber anhöre, daß er es gut meine, daß er vielleicht
helfen könne, ſo wolle man kein Hehl vor ihm haben.
Mehr als zwei Jahre hätten ſie ſchwer gelitten unter
dem neuen Schloßbau, kein Hausweſen ſei in der gan¬
zen Herrſchaft, welches nicht bitterlich im Mangel ſei.
Jetzt hätten ſie friſch aufgeathmet, in der Meinung,
endlich freie Hände zu haben zur eigenen Arbeit, hätten
mit neuem Muth den Pflug ins Feld geführt, und ſo¬
eben hätte der Comthur ihnen befohlen, aus im Münne¬
holz gewachſenen Buchen in Monatsfriſt beim neuen
Schloß einen neuen Schattengang zu pflanzen. Sie
wüßten nicht wie das vollbringen in dieſer Friſt, mit
ihrem abgekarrtem Vieh, und wenn ſie es vollbrächten,
was hülfe es ihnen? Anpflanzen könnten ſie nicht und
müßten nachher Hungers ſterben, im Fall die harte
Arbeit ſie nicht früher tödtete. Dieſe Botſchaft dürften
[33] ſie nicht heimtragen, möchten nicht zum alten Elend noch
den neuen Jammer ſchütten.“
„Da machte der Grüne ein gar mitleidiges Geſicht,
hob drohend die lange, magere, ſchwarze Hand gegen
das Schloß empor und vermaß ſich zu ſchwerer Strafe
gegen ſolche Tyrannei. Ihnen aber wolle er helfen.
Sein Geſpann, wie keines ſei im Lande, ſolle vom Kilch¬
ſtalden an, dieſſeits Sumiswald, ihnen alle Buchen, ſo
viele ſie dorthin zu bringen vermöchten, auf Bärhegen
führen, ihnen zu lieb, den Rittern zum Trotz und um
geringen Lohn.
„Da horchten hoch auf die armen Männer bei die¬
ſem unerwarteten Anerbieten. Konnten ſie um den Lohn
einig werden, ſo waren ſie gerettet, denn bis an den
Kilchſtalden konnten ſie die Buchen führen, ohne daß
ihre Landarbeit darüber verſäumt und ſie zu Grunde
gingen. Darum ſagte der Alte: „So ſag an, was du
verlangſt, auf daß wir mit dir des Handels einig wer¬
den mögen.“ Da machte der Grüne ein pfiffig Geſicht;
es kniſterte in ſeinem Bärtchen und wie Schlangenaugen
funkelten ſie ſeine Augen an, und ein gräulich Lachen
ſtand in beiden Mundwinkeln als er ihn von einander
that und ſagte: „Wie ich geſagt, ich begehre nicht viel,
nicht mehr als ein ungetauftes Kind.“
„Das Wort zuckte durch die Männer wie ein Blitz,
wie eine Decke fiel es von ihren Augen, und wie Spreu
im Wirbelwinde ſtoben ſie auseinander.
„Da lachte hell auf der Grüne, daß die Fiſche im
Bache ſich bargen, die Vögel das Dickicht ſuchten und
grauſig ſchwankte die Feder am Hute und auf und nie¬
der ging das Bärtchen.
„„Beſinnet euch, oder ſuchet bei euren Weibern Rath,
in der dritten Nacht findet ihr hier mich wieder!““ ſo
I. 3[34] rief er den Fliehenden mit ſcharf tönender Stimme nach,
daß die Worte in ihren Ohren hängen blieben, wie
Pfeile mit Widerhaken hängen bleiben im Fleiſche.
„Blaß und zitternd an der Seele und an allen Gliedern
ſtäubten die Männer nach Hauſe; keiner ſah nach dem
andern ſich um, keiner hätte den Hals gedreht, nicht
um alle Güter der Welt. Als ſo verſtört die Männer
daher geſtoben kamen, wie Tauben vom Vogel gejagt
zum Taubenſchlag, da drang mit ihnen der Schrecken
in alle Häuſer, und alle bebten vor der Kunde, welche
den Männern die Glieder alſo durcheinander warf.
„In zitternder Neugierde ſchlichen die Weiber den
Männern nach, bis ſie dieſelben an den Orten hatten,
wo man im Stillen ein vertraut Wort reden konnte.
Da mußte jeder Mann ſeinem Weibe erzählen, was ſie
im Schloß vernommen, das hörten ſie mit Wuth und
Fluch; ſie mußten erzählen, wer ihnen begegnet, was
er ihnen angetragen. Da ergriff namenloſe Angſt die
Weiber, ein Wehgeſchrei ertönte über Berg und Thal,
einer Jeden ward, als hätte ihr eigen Kind der Ruch¬
loſe begehrt. Ein einziges Weib ſchrie nicht den An¬
dern gleich. Das war ein grauſam handlich Weib, eine
Lindauerin ſoll es geweſen ſein, und hier auf dem
Hofe hat es gewohnt. Sie hatte wilde ſchwarze Augen
und fürchtete ſich nicht viel vor Gott und Menſchen.
Böſe war ſie ſchon geworden, daß die Männer dem
Ritter nicht rundweg das Begehren abgeſchlagen; wenn
ſie dabei geweſen, ſie hätte ihm es ſagen wollen, ſagte
ſie. Als ſie vom Grünen hörte und ſeinem Antrage und
wie die Männer davon geſtoben, da ward ſie erſt recht
böſe, und ſchalt die Männer über ihre Feigheit, und
daß ſie dem Grünen nicht kecker ins Geſicht geſehen,
vielleicht hätte er mit einem andern Lohne ſich auch be¬
[35] gnügt, und da die Arbeit für das Schloß ſei, würde
es ihren Seelen nichts ſchaden, wenn der Teufel ſie
mache. Sie ergrimmte in der Seele, daß ſie nicht da¬
bei geweſen, und wäre es nur, damit ſie einmal den
Teufel geſehen und auch wüßte, was er für ein Aus¬
ſehen hätte. Darum weinte dieſes Weib nicht, ſondern
redete in ſeinem Grimme harte Worte gegen den eige¬
nen Mann und gegen alle andern Männer.
„Des folgenden Tages, als in ſtilles Gewimmer das
Wehgeſchrei verglommen war, ſaßen die Männer zu¬
ſammen, ſuchten Rath und fanden keinen. Anfangs
war die Rede von neuem Bitten bei dem Ritter, aber
Niemand wollte bitten gehen, keinem ſchien Leib und
Leben feil. Einer wollte Weiber und Kinder ſchicken mit
Geheul und Jammer, der aber verſtummete ſchnell als
die Weiber zu reden begannen, denn ſchon damals wa¬
ren die Weiber in der Nähe, wenn die Männer im
Rathe ſaßen. Sie wußten keinen Rath, als in Gottes
Namen Gehorſam zu verſuchen, ſie wollten Meſſen leſen
laſſen, um Gottes Beiſtand zu gewinnen, wollten Nach¬
baren um nächtliche geheime Hülfe anſprechen, denn
eine offenbare hätten ihnen ihre Herren nicht erlaubt,
wollten ſich theilen, die Hälfte ſollte bei den Buchen
ſchaffen, die andere Hälfte Haber ſäen und des Viehes
warten. Sie hofften auf dieſe Weiſe und mit Gottes
Hülfe täglich wenigſtens 3 Buchen auf Bärhegen hin¬
auf zu ſchaffen; vom Grünen redete Niemand; ob Nie¬
mand an ihn dachte, iſt nicht verzeichnet worden.
„Sie theilten ſich ein, rüſteten die Werkzeuge, und
als der erſte Maitag über ſeine Schwelle kam, ſammel¬
ten die Männer ſich am Münneberg und begannen mit
gefaßtem Muthe die Arbeit. Im weiten Ringe mußten
die Buchen umgraben, ſorgfältig die Wurzeln geſchont,
[36] ſorgfältig die Bäume, damit ſie ſich nicht verletzen, zur
Erde gelaſſen werden. Noch war der Morgen nicht hoch
am Himmel, als drei Buchen zur Abfahrt bereit lagen,
denn immer drei ſollten zuſammen geführt werden, da¬
mit man auf dem ſchweren Weg mit Hand und Vieh
ſich gegenſeitig helfen könne. Aber ſchon ſtund die Sonne
im Mittag und noch waren ſie mit den drei Buchen
nicht zum Walde hinaus, ſchon ſtand ſie hinter den
Bergen und noch waren die Züge nicht über Sumis¬
wald hinaus; erſt der neue Morgen fand ſie am Fuße
des Berges, auf dem das Schloß ſtand, und die Bu¬
chen ſollten gepflanzet werden. Es war, als ob ein ei¬
gener Unſtern Macht hätte über ſie. Ein Mißgeſchick
nach dem andern traf ſie: die Geſchirre zerriſſen, die
Wagen brachen, Pferde und Ochſen fielen oder weiger¬
ten den Gehorſam. Noch ärger ging es am zweiten
Tage. Neue Noth brachte immerfort neue Mühe, un¬
ter raſtloſer Arbeit keuchten die Armen und keine Buche
war noch oben, keine vierte Buche über Sumiswald
hinausgeſchafft.
„Der von Stoffeln ſchalt und fluchte; je mehr er
ſchalt und fluchte, um ſo größer ward der Unſtern, um
ſo ſtättiger das Vieh. Die andern Ritter lachten und
höhnten, und freuten ſich gar ſehr über das Zappeln
der Bauren, den Zorn des von Stoffeln. Sie hatten
gelacht über des von Stoffeln neues Schloß auf dem
nackten Gipfel. Da hatte der geſchworen: in Monats¬
friſt müßte ein ſchöner Laubgang droben ſein. Darum
fluchte er, darum lachten die Ritter, und weinen thaten
die Bauren.
„Eine fürchterliche Muthloſigkeit erfaßte dieſe, keinen
Wagen hatten ſie mehr ganz, keinen Zug unbeſchädigt,
[37] in zwei Tagen nicht drei Buchen zur Stelle gebracht,
und alle Kraft war erſchöpft.
„Nacht war es geworden, ſchwarze Wolken ſtiegen
auf, es blitzte zum erſten Male in dieſem Jahre. An
den Weg hatten ſich die Männer geſetzt, es war die
gleiche Beugung des Weges, in welcher ſie vor drei
Tagen geſeſſen waren, ſie wußten es aber nicht. Da
ſaß der Hornbachbaur, der Lindauerin Mann, mit zwei
Knechten und andere mehr ſaßen auch bei ihnen. Sie
wollten da auf Buchen warten, die von Sumiswald
kommen ſollten, wollten ungeſtört ſinnen über ihr Elend,
wollten ruhen laſſen ihre zerſchlagenen Glieder.
„Da kam raſch, daß es faſt pfiff wie der Wind
pfeift, wenn er aus den Kammern entronnen iſt, ein
Weib daher, einen großen Korb auf dem Kopfe. Es
war Chriſtine, die Lindauerin, des Hornbachbauren Ehe¬
weib, zu dem derſelbe gekommen, als er einmal mit
ſeinem Herrn zu Felde gezogen war. Sie war nicht von
den Weibern die froh ſind, daheim zu ſein, in der
Stille ihre Geſchäfte zu beſchicken, und die ſich um nichts
kümmern als um Haus und Kind. Chriſtine wollte
wiſſen was ging, und wo ſie ihren Rath nicht dazu
geben konnte, da ginge es ſchlecht, ſo meinte ſie.
„Mit der Speiſe hatte ſie daher keine Magd ge¬
ſandt, ſondern den ſchweren Korb auf den eignen Kopf
genommen und die Männer lange geſucht umſonſt; bit¬
tere Worte ließ ſie fallen darüber, ſobald ſie dieſelben
gefunden. Unterdeſſen war ſie aber nicht müßig, die
konnte noch reden und ſchaffen zu gleicher Zeit. Sie
ſtellte den Korb ab, deckte den Kübel ab, in welchem
der Hafermuß war, legte das Brod und den Käſe zu¬
recht, und ſteckte jedem gegenüber für Mann und Knecht
die Löffel ins Muß, und hieß auch die andern zugreifen,
[38] die noch ſpeislos waren. Dann frug ſie nach der Män¬
ner Tagewerk und wie viel geſchaffet worden in den
zwei Tagen? Aber Hunger und Worte waren den
Männern ausgegangen, und keiner griff zum Löffel und
keiner hatte eine Antwort. Nur ein leichtfertig Knecht¬
lein, dem es gleichgültig war, regne oder ſonnenſcheine
es in der Ernte, wenn nur das Jahr umging und der
Lohn kam, und zu jeder Eſſenszeit das Eſſen auf den
Tiſch, griff zum Löffel und berichtete Chriſtine, daß
noch keine Buche gepflanzet ſei, und alles gehe als ob
ſie verhext wären.
„Da ſchalt die Lindauerin, daß das eitel Einbildung
wäre und die Männer nichts als Kindbetterinnen; mit
Schaffen und Weinen, mit hocken und heulen, werde
man keine Buchen auf Bärhegen bringen. Ihnen würde
nur ihr Recht widerfahren, wenn die Ritter ihren Muth¬
willen an ihnen ausließen; aber um Weib und Kinder
willen müſſe die Sache anders zur Hand genommen wer¬
den. Da kam plötzlich über die Achſel des Weibes eine
lange ſchwarze Hand und eine gellende Stimme rief:
„Ja, die hat Recht.“ Und mitten unter ihnen ſtand mit
grinſendem Geſicht der Grüne, und luſtig ſchwankte die
rothe Feder auf ſeinem Hute. Da hob der Schreck die
Männer von dannen, ſie ſtoben die Halde auf wie Spreu
im Wirbelwinde.
„Nur Chriſtine, die Lindauerin, konnte nicht fliehen, ſie
erfuhr es, wie man den Teufel leibhaftig zu ſehen kriegt,
wenn man ihn an die Wand mahlt. Sie blieb ſtehen
wie gebannt, mußte ſchauen die rothe Feder am Baret,
und wie das rothe Bärtchen luſtig auf- und niederging
im ſchwarzen Geſichte. Gellend lachte der Grüne den
Männern nach, aber gegen Chriſtine machte er ein zärt¬
lich Geſicht und faßte mit höflicher Geberde ihre Hand.
[39]
Chriſtine wollte ſie wegziehen, aber ſie entrann dem
Grünen nicht mehr, es war ihr als ziſche Fleiſch zwi¬
ſchen glühenden Zangen. Und ſchöne Worte begann er
zu reden und zu den Worten zwitzerte lüſtern ſein roth
Bärtchen auf und ab. So ein ſchön Weibchen habe er
lange nicht geſehen, ſagte er, das Herz lache ihm im
Leibe; zudem habe er ſie gerne muthig, und gerade die
ſeien ihm die liebſten, welche ſtehen bleiben dürften,
wenn die Männer davon liefen. Wie er ſo redete kam
Chriſtinen der Grüne immer weniger ſchreckhaft vor:
mit dem ſei doch noch zu reden, dachte ſie, und ſie
wüßte nicht warum davon laufen, ſie hätte ſchon viel
Wüſtere geſehen. Der Gedanke kam ihr immer mehr:
mit dem ließe ſich etwas machen, und wenn man recht
mit ihm zu reden wüßte, ſo thäte er einem wohl einen
Gefallen, oder am Ende könnte man ihn übertölpeln
wie die andern Männer auch. Er wüßte gar nicht, fuhr
der Grüne fort, warum man ſich ſo vor ihm ſcheue, er
meine es doch ſo gut mit allen Menſchen, und wenn
man ſo grob gegen ihn ſei, ſo müſſe man ſich nicht
wundern, wenn er den Leuten nicht immer thäte, was
ihnen am liebſten wäre. Da faßte Chriſtine ein Herz
und antwortete: Er erſchrecke aber die Leute auch, daß
es ſchrecklich wäre. Warum habe er ein ungetauft Kind
verlangt, er hätte doch von einem andern Lohn reden
können, das komme den Leuten gar verdächtig vor, ein
Kind ſei immer ein Menſch und ungetauft eins aus den
Händen geben, das werde kein Chriſt thun. „Das iſt
mein Lohn an den ich gewohnt bin, und um anderen
fahre ich nicht, und was frägt man doch ſo einem Kinde
nach, das noch Niemand kennt. So jung gibt man ſie
am liebſten weg, hat man doch noch keine Freude an
ihnen gehabt und keine Mühe mit ihnen. Ich aber habe
[40] ſie je jünger je lieber, je früher ich ein Kind erziehen
kann auf meine Manier, um ſo weiter bringe ich es,
dazu habe ich aber das Taufen gar nicht nöthig und
will es nicht.“ Da ſah Chriſtine wohl, daß er mit kei¬
nem andern Lohne ſich werde begnügen wollen; aber es
wuchs in ihr immer mehr der Gedanke: das wäre doch
der Einzige der nicht zu betrügen wäre.
„Darum ſagte ſie: wenn aber einer etwas verdienen
wolle, ſo müßte er ſich mit dem Lohne begnügen, den
man ihm geben könne, ſie aber hätten gegenwärtig in
keinem Hauſe ein ungetauft Kind und in Monatsfriſt
gäbe es keins, und in dieſer Zeit müßten die Buchen
geliefert ſein. Da ſchwänzelte gar höflich der Grüne und
ſagte: „Ich begehre das Kind gar nicht zum Voraus.
Sobald man mir verſpricht, das Erſte zu liefern unge¬
tauft, welches geboren wird, ſo bin ich ſchon zufrieden.“
Das gefiel Chriſtine gar wohl. Sie wußte, daß es in
geraumer Zeit kein Kind geben werde in ihrer Herren
Gebiet. Wenn nun einmal der Grüne ſein Verſprechen
gehalten und die Buchen gepflanzet ſeien, ſo brauche
man ihm gar nichts mehr zu geben, weder ein Kind
noch etwas anders; man laſſe Meſſen leſen zu Schutz
und Trutz und lache tapfer den Grünen aus, ſo dachte
Chriſtine. Sie dankte daher ſchon ganz herzhaft für das
gute Anerbieten und ſagte: es ſei zu bedenken und ſie
wolle mit den Männern darüber reden. „Ja“, ſagte der
Grüne, „da iſt gar nichts mehr weder zu denken noch
zu reden. Für heute habe ich euch beſtellt, und jetzt will
ich den Beſcheid; ich habe noch an gar vielen Orten
zu thun und bin nicht blos wegen euch da. Du mußt
mir zu oder ab ſagen, nachher will ich von dem gan¬
zen Handel nichts mehr wiſſen.“ Chriſtine wollte die
Sache verdrehen, denn ſie nahm ſie nicht gerne auf ſich,
[41] ſie wäre ſogar gerne zärtlich geworden um Stündigung
zu erhalten, allein der Grüne war nicht aufgelegt,
wankte nicht, jetzt oder nie, ſagte er. Sobald aber der
Handel geſchloſſen ſei um ein einzig Kind, ſo wolle er
in jeder Nacht ſo viel Buchen auf Bärhegen führen,
als man ihm vor Mitternacht unten an den Kilchſtal¬
den liefere, dort wollte er ſie in Empfang nehmen. —
„Nun, ſchöne Frau, bedenke dich nicht“, ſagte der Grüne,
und klopfte Chriſtine holdſelig auf die Wange. Da
klopfte doch ihr Herz, ſie hätte lieber die Männer hin¬
eingeſtoßen, um hintendrein ſie ſchuld geben zu können.
Aber die Zeit drängte, kein Mann war da als Sünden¬
bock, und der Glaube verließ ſie nicht, daß ſie liſtiger
als der Grüne ſei, und wohl ein Einfall kommen werde,
ihn mit langer Naſe abzuſpeiſen. Darum ſagte Chri¬
ſtine: Sie für ihre Perſon wolle zugeſagt haben, wenn
aber dann ſpäter die Männer nicht wollten, ſo ver¬
möchte ſie ſich deſſen nicht, und er ſolle es ſie nicht ent¬
gelten laſſen. Mit dem Verſprechen, zu thun was ſie
könne, ſei er hinlänglich zufrieden, ſagte der Grüne.
Jetzt ſchauderte es Chriſtine doch an Leib und Seele,
jetzt meinte ſie, komme der ſchreckliche Augenblick, wo ſie
mit Blut von ihrem Blute dem Grünen den Akkord
unterſchreiben müſſe. Aber der Grüne machte es viel
leichtlicher und ſagte: Von hübſchen Weibern begehre
er nie eine Unterſchrift, mit einem Kuß ſei er zufrie¬
den. Somit ſpitzte er ſeinen Mund gegen Chriſtinens
Geſicht und Chriſtine konnte nicht fliehen, war wiederum
wie gebannt, ſteif und ſtarr. Da berührte der ſpitzige
Mund Chriſtinens Geſicht, und ihr war als ob von
ſpitzigem Eiſen das Feuer durch Mark und Bein fahre,
durch Leib und Seele; und ein gelber Blitz fuhr zwi¬
ſchen ihnen durch und zeigte Chriſtine freudig verzerrt
[42] des Grünen teufliſch Geſicht, und ein Donner fuhr über
ſie, als ob der Himmel zerſprungen wäre.
„Verſchwunden war der Grüne und Chriſtine ſtund
wie verſteinert, als ob tief in den Boden hinunter ihre
Füße Wurzeln getrieben hätten in jenem ſchrecklichen
Augenblick. Endlich war ſie ihrer Glieder wieder mäch¬
tig, aber im Gemüthe brauste und ſauste es ihr, als
ob ein mächtiges Waſſer ſeine Fluthen wälze über thurm¬
hohe Felſen hinunter in ſchwarzem Schlund. Wie man
im Donner der Waſſer die eigene Stimme nicht hört,
ſo ward Chriſtine der eigenen Gedanken ſich nicht be¬
wußt im Toſen, das donnerte in ihrem Gemüthe. Un¬
willkürlich floh ſie den Berg hinan, und immer glühen¬
der fühlte ſie ein Brennen an ihrer Wange, da wo des
Grünen Mund ſie berührt; ſie rieb, ſie wuſch, aber
der Brand nahm nicht ab.
„Es ward eine wilde Nacht. In Lüften und Klüf¬
ten heulte und toste es, als ob die Geiſter der Nacht
Hochzeit hielten in den ſchwarzen Wolken, die Winde
die wilden Reigen ſpielten zu ihrem grauſen Tanze, die
Blitze die Hochzeitfackeln wären und der Donner der
Hochzeitſegen. In dieſer Jahreszeit hatte man eine ſolche
Nacht noch nie erlebt.
„In finſterem Bergesthale regte es ſich um ein gro¬
ßes Haus und viele drängten ſich um ſein ſchirmend
Obdach. Sonſt treibt im Gewitterſturm die Angſt um
den eigenen Herd den Landmann unter das eigene Dach,
und ſorgſam wachend ſo lange das Gewitter am Him¬
mel ſteht, wahret und hütet er das eigene Haus. Aber
jetzt war die gemeinſame Noth größer als die Angſt vor
dem Gewitter. Dieſe trieb ſie in dieſem Hauſe zuſam¬
men, an welchem vorbeigehen mußten die, welche der
Sturm aus dem Münnebrg trieb, und die, welche von
[43] Bärhegen ſich geflüchtet. Den Graus der Nacht ob dem
eigenen Elend vergeſſend, hörte man ſie klagen und
grollen über ihr Mißgeſchick. Zu allem Unglück war noch
das Toben der Natur gekommen. Pferde und Ochſen
waren ſcheu geworden, betäubt, hatten Wagen zertrüm¬
mert, ſich über Felſen geſtürzt, und ſchwer verwundet
ſtöhnte Mancher in tiefem Schmerze, laut auf ſchrie
Mancher dem man zerriſſene Glieder einzog und zu¬
ſammenband.
„In das Elend hinein flüchteten ſich auch in ſchauer¬
licher Angſt die, welche den Grünen geſehen, und er¬
zählten bebend die wiederholte Erſcheinung. Bebend hörte
die Menge, was die Männer erzählten, drängte ſich
aus dem weiten dunkeln Raume dem Feuer zu, um
welches die Männer ſaßen und wenn der Wind durch
die Sparren fuhr oder Donner über dem Hauſe rollte,
ſo ſchrie laut auf die Menge, und meinte, es breche
durchs Dach der Grüne, ſich zu zeigen in ihrer Mitte.
Als er aber nicht kam, als der Schreck vor ihm ver¬
ging, als das alte Elend blieb und der Jammer der
Leidenden lauter wurde, da ſtiegen allmälig die Gedan¬
ken auf, die den Menſchen, der in der Noth iſt, ſo
gerne um ſeine Seele bringen. Sie begannen zu rechnen
wie viel mehr werth ſie Alle ſeien als ein einzig unge¬
tauft Kind, ſie vergaßen immer mehr, daß die Schuld
an einer Seele tauſendmal ſchwerer wiege als die Ret¬
tung von tauſend und abermal tauſend Menſchenleben.
„Dieſe Gedanken wurden allmählig laut und be¬
gannen ſich zu miſchen als verſtändliche Worte in das
Schmerzensgeſtön der Leidenden. Man fragte näher
nach dem Grünen, grollte, daß man ihm nicht beſſer
Rede geſtanden; genommen hätte er Niemand und je
weniger man ihn fürchte, um ſo weniger thue er den
[44] Menſchen. Dem ganzen Thale hätten ſie vielleicht
helfen können, wenn ſie das Herz am rechten Orte ge¬
habt hätten. Da begannen die Männer ſich zu ent¬
ſchuldigen. Sie ſagten nicht, daß es ſich mit dem
Teufel nicht ſpaßen laſſe, daß, wer ihm ein Ohr leihe,
bald den ganzen Kopf ihm geben müſſe, ſondern ſie
redeten von des Grünen ſchrecklicher Geſtalt, ſeinem
Flammenbarte, der feurigen Feder auf ſeinem Hute,
einem Schloßthurm gleich, und dem ſchrecklichen Schwefel¬
geruch, den ſie nicht hätten ertragen mögen. Chriſtinens
Mann aber, der gewöhnt worden war, daß ſein Wort
erſt durch die Zuſtimmung ſeiner Frau Kraft erhielt,
ſagte: ſie ſollten nur ſeine Frau fragen, die könne ih¬
nen ſagen, ob es Jemand hätte aushalten mögen, und
daß die ein kuraſchirtes Weib ſei, wüßten Alle. Da
ſahen alle nach Chriſtine ſich um, aber Keiner ſah
ſie. Es hatte Jeder nur an ſeine Rettung gedacht,
und an Andere nicht, und wie jetzt Jeder am Trockenen
ſaß, ſo meinte er, die Andern ſäßen eben ſo. Jetzt
erſt fiel Allen bei, daß ſie Chriſtine ſeit jenem ſchreck¬
lichen Augenblicke nicht mehr geſehen, und ins Haus
war ſie nicht gekommen. Da begann der Mann zu
jammern und alle Andern mit ihm, denn es ward ih¬
nen Allen, als ob Chriſtine allein zu helfen wüßte.
Plötzlich ging die Thüre auf und Chriſtine ſtand mit¬
ten unter ihnen, ihre Haare trieften, roth waren ihre
Wangen und ihre Augen brannten noch dunkler als
ſonſt in unheimlichem Feuer. Eine Theilnahme, derer
Chriſtine ſonſt nicht gewohnt war, empfieng ſie, und
Jeder wollte ihr erzählen, was man gedacht und ge¬
ſagt, und wie man Kummer um ſie gehabt. Chriſtine
ſah bald, was Alles zu bedeuten hatte und verbarg
ihre innere Glut hinter ſpöttiſche Worte, warf den
[45] Männern ihre übereilte Flucht vor und wie Keiner um
ein arm Weib ſich bekümmert, und Keiner ſich umge¬
ſehen, was der Grüne mit ihr beginne. Da brach der
Sturm der Neugierde aus, und Jeder wollte zuerſt
wiſſen, was nun der Grüne mit ihr angefangen, und
die Hinterſten hoben ſich hoch auf, um beſſer zu hören
und die Frau näher zu ſehen, die dem Grünen ſo nahe
geſtanden. Sie ſollte nichts ſagen, meinte Chriſtine
zuerſt, man hätte es nicht um ſie verdient, als Fremde
ſie übel geplaget im Thale, die Weiber ihr einen übeln
Namen angehängt, die Männer ſie allenthalben im
Stiche gelaſſen, und wenn ſie nicht beſſer geſinnet wäre
als Alle und wenn ſie nicht mehr Muth als Alle hätte,
ſo wäre noch jetzt weder Troſt noch Ausweg da. So
redete Chriſtine noch lange, warf harte Worte gegen
die Weiber, die ihr nie hätten glauben wollen, daß der
Bodenſee größer ſei als der Schloßteich, und je mehr
man ihr anhielt, um ſo härter ſchien ſie zu werden,
und ſtützte ſich beſondes darauf, daß, was ſie zu ſagen
hätte, man ihr übel auslegen, und wenn die Sache gut
käme, ihr keinen Dank haben werde, käme ſie aber übel,
ſo lüde man ihr alle Schuld auf und die ganze Ver¬
antwortung.
„Als endlich die ganze Verſammlung vor Chriſtine
wie auf den Knieen lag, mit Bitten und Flehen und
die Verwundeten laut aufſchrien [und] anhielten, da ſchien
Chriſtine zu erweichen und begann zu erzählen, wie ſie
Stand gehalten und mit dem Grünen Abrede getroffen;
aber von dem Kuſſe ſagte ſie nichts, nichts davon,
wie er ſie auf der Wange gebrannt, und wie es ihr
getoſet im Gemüthe. Aber ſie erzählte, was ſie ſeit¬
her geſinnet im verſchlagenen Gemüthe. Das Wich¬
tigſte ſei, daß die Buchen nach Bärhegen geſchafft wür¬
[46] den; ſeien die einmal oben, ſo könne man immer noch
ſagen, was man machen wolle, die Hauptſache ſei, daß
bis dahin, ſo viel ihr bekannt, unter ihnen kein Kind
werde geboren werden.
„Vielen lief es kalt den Rücken auf bei der Erzäh¬
lung, aber daß man dann noch immer ſehen könne,
was man machen wolle, das gefiel Allen wohl.
„Nur ein junges Weibchen weinte gar bitterlich,
daß man unter ſeinen Augen die Hände hätte waſchen
können, aber ſagen that es nichts. Ein alt ehrwürdig
Weib dagegen, hochgeſtaltet und mit einem Geſichte,
vor dem man ſonſt ſich beugen oder vor ihm fliehen
mußte, trat in die Mitte und ſprach: Gottvergeſſen
wäre es gehandelt, auf das Ungewiſſe das Gewiſſe
ſtellen und ſpielen mit dem ewigen Leben. Wer mit
dem Böſen ſich einlaſſe, komme vom Böſen nimmer los,
und wer ihm den Finger gebe, den behalte er mit Leib
und Seele. Aus dieſem Elend könne Niemand helfen
als Gott, wer ihn aber verlaſſe in der Noth, der ver¬
ſinke in der Noth. Aber dießmal verachtete man der
Alten Rede und ſchweigen hieß man das junge Weib¬
chen, mit Weinen und Heulen ſei einem dießmal nicht
geholfen, da bedürfe man Hülfe anderer Art, hieß es.
„Räthig wurde man bald die Sache zu verſuchen.
Bös könne das kaum gehen im böſeſten Falle; aber
nicht das erſte Mal ſei es, daß Menſchen die ſchlimmſten
Geiſter betrogen, und wenn ſie ſelbſt nichts wüßten,
ſo fände wohl ein Prieſter Rath und Ausweg. Aber
im finſtern Gemüthe ſoll mancher gedacht haben, wie
er ſpäter bekannte: gar viel Geld und Umtriebe wage
er nicht eines ungetauften Kindes wegen.
„Als der Rath nach Chriſtinens Sinn gefaßt wurde,
da war es als ob alle Wirbelwinde über dem Hauſe
[47] zuſammenſtießen, die Heere der wilden Jäger vorüber¬
ſausten; die Pfoſten des Hauſes wankten, die Balken
bogen ſich, Bäume ſplitterten am Hauſe, wie Speere
auf einer Ritterbruſt. Blaß wurden drinnen die Men¬
ſchen, Grauen überfiel ſie, aber den Rath löſten ſie
nicht; bei grauendem Morgen begannen ſie ſeine Aus¬
führung.
„Schön und hell war der Morgen. Gewitter und
Hexenwerk verſchwunden, die Aexte hieben noch einmal
ſo ſcharf als ſonſt, der Boden war locker und jede
Buche fiel gerade wie man ſie ſonſt haben wollte, kein
Wagen brach mehr, das Vieh war willig und ſtark
und die Menſchen geſchützt vor jedem Unfall, wie durch
unſichtbare Hand. Nur eines war ſonderbar. Unterhalb
Sumiswald führte damals noch kein Weg ins hintere
Thal; dort war noch Sumpf, den die zügelloſe Grüne
bewäſſerte, man mußte den Stalden auf durchs Dorf
fahren, an der Kirche vorbei.
„Sie fuhren wie an den frühern Tagen immer
drei Züge auf einmal, um einander helfen zu können
mit Rath, Kraft und Vieh, und hatten nun nur durch
Sumiswald zu fahren, außerhalb des Dorfes den Kirch¬
ſtalden ab, an dem eine kleine Kapelle ſtand; unterhalb
deſſelben auf ebenem Wege hatten ſie die Buchen ab¬
zulegen. Sobald ſie den Stalden auf waren und auf
ebenem Wege gegen die Kirche kamen, ſo ward das
Gewicht der Wagen nicht leichter, ſondern ſchwerer und
ſchwerer, ſie mußten Thiere vorſpannen, ſo viele ſie
deren hatten, mußten unmenſchlich auf ſie ſchlagen,
mußten ſelbſt Hand an die Speichen legen, dazu ſcheu¬
ten die ſanfteſten Roſſe, als ob etwas Unſichtbares vom
Kirchhofe her ihnen im Wege ſtehe, und ein dumpfer
Glockenton, faſt wie der verirrte Schall einer fernen
[48] Todtenglocke, kam von der Kirche her, daß ein eigen¬
thümlich Grauen die ſtärkſten Männer ergriff und jedes¬
mal Menſchen und Thiere bebten, wenn man gegen die
Kirche kam. War man einmal vorbei, ſo konnte man
ruhig fahren, ruhig abladen, ruhig zu friſcher Ladung
wieder gehen.
„Sechs Buchen lud man ſelbigen Tages neben ein¬
ander ab an die abgeredete Stelle, ſechs Buchen waren
am folgenden Morgen zu Bärhegen oben gepflanzet,
und durchs ganze Thal hin hatte Niemand eine Achſe
gehört, die ſich umgedreht um ihre Spule, Niemand
der Fuhrleute üblich Geſchrei, der Pferde Wiehern, der
Ochſen einförmig Gebrüll. Aber ſechs Buchen ſtanden
oben, die konnte ſehen, wer wollte, und es waren die
ſechs Buchen, die man unten an dem Stalden hinge¬
legt hatte, und nicht andere.
„Da war das Staunen groß im ganzen Thale und
die Neugierde regte ſich bei Männiglich. Abſonderlich
die Ritter nahm es Wunder, welche Pacht die Bauern
geſchloſſen und auf welche Weiſe die Buchen zur Stelle
geſchafft würden. Sie hätten gerne auf heidniſche Weiſe
den Bauern das Geheimniß ausgepreßt. Allein ſie ſahen
bald, daß die Bauern auch nicht Alles wüßten, da ſie
ſelbſt halb erſchrocken waren. Zudem wehrte der von
Stoffeln. Dem war es nicht nur gleichgültig, wie die
Buchen nach Bärhegen kommen, im Gegentheil, wenn
nur die Buchen heraufkommen, ſo ſah er gerne, daß
die Bauern dabei geſchont wurden. Er hatte wohl
geſehen, daß der Spott der Ritter ihn zu einer Un¬
beſonnenheit verleitet hatte, denn wenn die Bauern zu
Grunde gingen, die Felder unbeſtellt blieben, ſo hatte
die Herrſchaft den größten Schaden dabei; allein was
der von Stoffeln einmal geſagt hatte, dabei blieb es.
[49]
Die Erleichterung, welche die Bauern ſich verſchafft, war
ihm daher ganz recht, und es war ihm auch ganz gleich¬
gültig, ob ſie dafür ihre Seelen verſchrieben; denn was
gingen ihn der Bauern Seelen an, wenn einmal der Tod
ihre Leiber genommen. Er lachte jetzt über ſeine Ritter und
ſchützte die Bauern vor ihrem Muthwillen. Dieſe woll¬
ten den Handel doch ergründen und ſandten Knappen
zur Wache; die fand man des Morgens halb todt in
Gräben, wohin eine unſichtbare Hand ſie geſchleudert.
„Da zogen zwei Ritter hin nach Bärhegen; es wa¬
ren kühne Degen, und wo ein Wagniß zu beſtehen ge¬
weſen im Heidenland, da hatten ſie es beſtanden. Am
Morgen fand man ſie erſtarrt am Boden, und als ſie
der Rede wieder mächtig waren, ſagten ſie, ein rother
Ritter mit feuriger Lanze hätte ſie niedergerannt. Hie
und da konnte eine neugierige Weibsſeele ſich nicht ent¬
halten, wenn es Mitternacht war, durch eine Spalte
oder Lucke nach dem Wege im Thale zu ſehen. Alsbald
wehete ein giftiger Wind ſie an; das Geſicht ſchwoll
auf, Wochen lang konnte man weder Naſe noch Augen
ſehen, den Mund mit Mühe finden. Da verging den
Leuten das Spähen, und kein Auge ſah mehr zu Thale,
wenn Mitternacht über demſelben lag.
„Einmal aber kam plötzlich einen Mann das Ster¬
ben an; er bedurfte des letzten Troſtes, aber Niemand
durfte den Prieſter holen, denn Mitternacht war nahe
und der Weg führte am Kilchſtalden vorbei. Da lief ein
unſchuldig Bübchen, Gott und Menſchen lieb, aus
Angſt um den Vater ungeheißen Sumiswald zu. Als
es gegen den Kilchſtalden kam, ſah er von dort die
Buchen auffahren vom Boden, jede von zwei feurigen
Eichhörnchen gezogen und nebenbei ſah es reiten auf
ſchwarzem Bocke einen grünen Mann, eine feurige Geiſel
I. 4[50] hatte er in der Hand, einen feurigen Bart im Geſichte,
und auf dem Hute ſchwankte glutroth eine Feder. So
ſei der Zug gefahren hoch durch die Lüfte über alle
Egg weg, und ſchnell wie ein Augenblick. Solches ſah
der Knabe, und Niemand that ihm was.
„Noch waren nicht drei Wochen vergangen, ſo ſtun¬
den neunzig Buchen auf Bärhegen, machten einen ſchö¬
nen Schattengang, denn alle ſchlugen üppig aus, keine
einzige verdorrte. Aber die Ritter und auch der von
Stoffeln ergingen ſich nicht oft darin, es wehte ſie alle¬
mal ein heimlich Grauen an; ſie hätten von der Sache
lieber nichts mehr gewußt, aber Keiner machte ihr ein
Ende, es tröſtete ein Jeder ſich: fehle es, ſo trage der
Andere die Schuld.
„Den Bauern aber wohlete es mit jeder Buche,
welche oben war, denn mit jeder Buche wuchs die Hoff¬
nung, dem Herrn zu genügen, den Grünen zu betrü¬
gen; er hatte ja kein Unterpfand, und war die Hun¬
derteſte einmal oben, was frugen ſie dann dem Grünen
nach? Indeſſen waren ſie der Sache noch nicht ſicher;
alle Tage fürchteten ſie, er ſpiele ihnen einen Schaber¬
nack und laſſe ſie im Stiche. Am Urbanustage brach¬
ten ſie ihm die letzten Buchen an den Kilchſtalden und
Alt und Jung ſchlief wenig in ſelber Nacht; man
konnte faſt nicht glauben, daß er ohne Umſtände und
ohne Kind oder Pfand die Arbeit vollende.
„Am folgenden Morgen, lange vor der Sonne,
waren Alt und Jung auf den Beinen, in Allen regte
ſich die gleiche neugierige Angſt; aber lange wagte ſich
Keiner auf den Platz, wo die Buchen lagen; man
wußte nicht, lag dort eine Beize, für die, welche den
Grünen betrügen wollten.
[51]
„Ein wilder Küherbub, der Ziger von der Alp
gebracht, wagte es endlich, ſprang voran und fand
keine Buchen mehr, und keine Hinterliſt that auf dem
Platze ſich kund. Noch trauten ſie dem Spiele nicht;
ihnen vorauf mußte der Küherbub nach Bärhegen.
Dort war Alles in der Ordnung, hundert Buchen
ſtanden in Reih und Glied, keine war verdorret, Kei¬
nem aus ihnen lief das Geſicht auf, Keinem that ein
Glied weh. Da ſtieg der Jubel hoch in ihren Herzen
und viel Spott gegen den Grünen und gegen die Rit¬
ter floß. Zum dritten Mal ſandten ſie aus den wil¬
den Küherbub und ließen dem von Stoffeln ſagen:
es ſei auf Bärhegen nun Alles in der Ordnung, er
möchte kommen und die Buchen zählen. Dem aber
ward es graulicht und er ließ ihnen ſagen, ſie ſollten
machen, daß ſie heimkämen. Gerne hätte er ihnen
ſagen laſſen, ſie ſollten den ganzen Schattengang wie¬
der wegſchaffen, aber er that es nicht, ſeiner Ritter
wegen, es ſollte nicht heißen, er fürchte ſich; aber er
wußte nicht um der Bauern Pacht und wer ſich in den
Handel miſchen könnte.
„Als der Kühersbub den Beſcheid brachte, da ſchwol¬
len die Herzen noch trotziger auf; die wilde Jugend
tanzte im Schattengange, wildes Jodeln hallte von
Kluft zu Kluft, von Berg zu Berg, hallte an den
Mauern des Schloſſes Sumiswald wieder. Bedächtige
Alte warnten und baten, aber trotzige Herzen achten
bedächtiger Alten Warnung nicht; wenn dann das
Unglück da iſt, ſo ſollen es die Alten mit ihrem Za¬
gen und Warnen herbeigezogen haben. Die Zeit iſt
noch nicht da, wo man es erkennt, daß der Trotz das
Unglück aus dem Boden ſtampft. Der Jubel zog ſich
über Berg und Thal in alle Häuſer, und wo noch ei¬
[52] nes Fingers lang Fleiſch im Rauche hing, da ward
es gekocht, und wo noch eine Hand groß Butter im
Hafen war, da wurde geküchelt.
„Das Fleiſch ward gegeſſen, die Küchli ſchwanden,
der Tag war veronnen, und ein anderer Tag ſtieg
am Himmel auf. Immer näher kam der Tag, an wel¬
chem ein Weib ein Kind gebären ſollte; und je näher
der Tag kam, um ſo dringlicher ward die Angſt wie¬
der: der Grüne werde ſich wieder künden, fordern was
ihm gehöre, oder ihnen eine Beize legen.
„Den Jammer jenes jungen Weibes, welches das
Kind gebären ſollte, wer will ihn ermeſſen? Im gan¬
zen Hauſe tönte er wieder, ergriff nach und nach alle
Glieder des Hauſes, und Rath wußte Niemand, wohl
aber, daß dem, mit dem man ſich eingelaſſen, nicht zu
trauen ſei. Je näher die verhängnißvolle Stunde kam,
um ſo näher drängte das arme Weibchen ſich zu Gott,
umklammerte nicht mit den Armen allein, ſondern mit
dem Leibe und der Seele und aus ganzem Gemüthe
die heilige Mutter bittend um Schutz um ihres gebene¬
deiten Sohnes willen. Und ihr ward immer klarer,
daß im Leben und Sterben in jeder Noth der größte
Troſt bei Gott ſei, denn wo der ſei, da dürfe der
Böſe nicht ſein, und hätte keine Macht.
„Immer deutlicher trat der Glaube vor ihre Seele,
daß wenn ein Prieſter des Herrn mit dem Allerheiligſten,
dem heiligen Leibe des Erlöſers bei der Geburt zugegen
wäre, und bewaffnet mit kräftigen Bannſprüchen, ſo
dürfte kein böſer Geiſt ſich nahen, und alſobald könnte
der Prieſter das neugeborne Kind mit dem Sakramente
der Taufe verſehen, was die damalige Sitte erlaubte,
dann wäre das arme Kind der Gefahr für immer ent¬
riſſen, welche die Vermeſſenheit der Väter über daſſelbe
[53] gebracht. Dieſer Glaube ſtieg auch bei den andern auf,
und der Jammer der jungen Weiber ging ihnen zu
Herzen, aber ſie ſcheuten ſich, dem Prieſter ihre Pacht
mit dem Satan zu bekennen, und Niemand war ſeit¬
her zur Beichte gegangen, und Niemand hatte ihm
Rede geſtanden. Er war ein gar frommer Mann,
ſelbſt die Ritter des Schloſſes trieben keinen Kurzweil
mit ihm, denn er ſagte ihnen die Wahrheit. Wenn
einmal die Sache gethan ſei, ſo könne er ſie nicht mehr
hindern, hatten die Bauern gedacht; aber jetzt war doch
Niemand gern der Erſte, der es ihm berichtete, das
Gewiſſen ſagte ihnen wohl warum?
„Endlich drang einem Weibe der Jammer zu Her¬
zen; es lief hin und offenbarte dem Prieſter den Han¬
del und des armen Weibes Wunſch. Gewaltig ent¬
ſetzte ſich der fromme Mann, aber mit leeren Worten
verlor er die Zeit nicht; kühn trat er für eine arme
Seele in den Kampf mit dem gewaltigen Widerſacher.
Er war einer von denen, die den härteſten Kampf nicht
ſcheuen, weil ſie gekrönt werden wollen mit der Krone
des ewigen Lebens und weil ſie wohl wiſſen, es werde
Keiner gekrönt, er kämpfe dann recht.
„Ums Haus, in welchem das Weib ihrer Stunde
harrte, zog er den heiligen Bann mit geweihtem Waſſer,
den böſe Geiſter nicht überſchreiten dürfen, ſegnete die
Schwelle ein, die ganze Stube und ruhig gebar das
Weib, und ungeſtört taufte der Prieſter das Kind.
Ruhig blieb es auch draußen, am klaren Himmel flim¬
merten die hellen Sterne, leiſe Lüfte ſpielten in den
Bäumen. Ein wihernd Gelächter wollten die Einen
gehört haben von ferne her; die Andern aber meinten,
es ſeien nur die Käuzlein geweſen an des Waldes
Saum.
[54]
„Alle, die da waren aber freuten ſich höchlich, und
alle Angſt war verſchwunden, auf immer wie ſie mein¬
ten; hätten ſie den Grünen einmal angeführt, ſo könn¬
ten ſie es immer thun mit dem gleichen Mittel.
„Ein großes Mahl ward zugerichtet, weit her wur¬
den die Gäſte entboten. Umſonſt mahnte der Prieſter
des Herrn von Schmaus und Jubel ab, mahnte zu
zagen und zu beten, denn noch ſei der Feind nicht be¬
ſiegt, Gott nicht geſühnt. Es ſei ihm im Geiſte, als
dürfe er ihnen keine Buße zur Sühnung auferlegen,
als nahe ſich eine Buße gewaltig und ſchwer aus Got¬
tes ſelbſteigener Hand. Aber ſie hörten ihn nicht, woll¬
ten ihn befriedigen mit Speiſe und Trank. Er aber ging
betrübt weg, bat für die, welche nicht wüßten, was ſie
thäten, und rüſtete ſich mit Beten und Faſten zu käm¬
pfen als ein getreuer Hirt für die anvertraute Herde.
„Mitten unter den Jubelirenden iſt auch Chriſtine
geſeſſen, aber ſonderbar ſtille mit glühenden Wangen,
düſtern Augen, ſeltſam ſah man es zucken in ihrem
Geſichte. Chriſtine war bei der Geburt zugegen ge¬
weſen als erfahrne Wehmutter, war bei der plötzlichen
Taufe zu Gevatter geſtanden mit frechem Herzen ohne
Furcht, aber wie der Prieſter das Waſſer ſprengte
über das Kind und es taufte in den drei höchſten
Namen, da war es ihr, als drucke man ihr plötzlich
ein feurig Eiſen auf die Stelle, wo ſie des Grünen
Kuß empfangen. In jähem Schrecken war ſie zuſam¬
men gezuckt, das Kind faſt zur Erde gefallen und ſeit¬
her hatte der Schmerz nicht abgenommen, ſondern ward
glühender von Stunde zu Stunde. Anfangs war ſie
ſtille geſeſſen, hatte den Schmerz erdrückt und heimlich
die ſchweren Gedanken gewälzet in ihrer erwachten
Seele, aber immer häufiger fuhr ſie mit der Hand nach
[55] dem brennenden Fleck, auf dem ihr eine giftige Wespe
zu ſitzen ſchien, die ihr einen glühenden Stachel bohre
bis ins Mark hinein. Als keine Wespe zu verjagen
war, die Stiche immer heißer wurden, die Gedanken
immer ſchrecklicher, da begann Chriſtine ihre Wange zu
zeigen, zu fragen, was darauf zu ſehen ſei, und immer
von Neuem frug Chriſtine, aber Niemand ſah etwas,
und bald mochte Niemand mehr mit dem Spähen auf
den Wangen die Luſt ſich kürzen. Endlich konnte
ſie noch ein altes Weib erbitten; eben krähte der Hahn,
der Morgen graute, da ſah die Alte auf Chriſtinens
Wange einen faſt unſichtbaren Fleck. Es ſei nichts,
ſagte die Alte, das werde ſchon vergehen, und ging
weiter.
„Und Chriſtine wollte ſich tröſten, es ſei nichts und
werde bald vergehen; aber die Pein nahm nicht ab und
unmerklich wuchs der kleine Punkt und alle ſahen ihn
und frugen ſie: was es da ſchwarzes gebe in ihrem
Geſichte? Sie dachten nichts beſonders, aber die Re¬
den fuhren ihr wie Stiche ins Herz, weckten die ſchwe¬
ren Gedanken wieder auf, und immer und immer mußte
ſie denken, daß auf den gleichen Fleck der Grüne ſie
geküßt, und daß die gleiche Glut, die damals wie ein
Blitz durch ihr Gebein gefahren, jetzt bleibend in dem¬
ſelben brenne und zehre. So wich der Schlaf von ihr,
das Eſſen ſchmeckte ihr wie Feuerbrand, unſtät lief ſie
hiehin, dorthin, ſuchte Troſt und fand keinen, denn
der Schmerz wuchs immer noch, und der ſchwarze
Punkt ward größer und ſchwärzer; einzelne dunkle
Streifen liefen von ihm aus, und nach dem Munde hin
ſchien ſich auf dem runden Flecke ein Höcker zu pflanzen.
„So litt und lief Chriſtine manchen langen Tag und
manche lange Nacht, und hatte keinem Menſchen die
[56] Angſt ihres Herzens geoffenbaret, und was ſie vom
Grünen auf dieſe Stelle erhalten; aber wenn ſie ge¬
wußt hätte, auf welche Weiſe ſie dieſer Pein los wer¬
den könnte, ſie hätte Alles im Himmel und auf Erden
geopfert. Sie war von Natur ein vermeſſen Weib,
jetzt aber ganz erwildet in wüthendem Schmerze.
„Da geſchah es, daß wiederum ein Weib ein Kind
erwartete. Dießmal war die Angſt nicht groß, die
Leute wohlgemuth, ſobald ſie zu rechter Zeit für den
Prieſter ſorgten, meinten ſie, des Grünen ſpotten zu
können. Nur Chriſtine war es nicht ſo. Je näher der
Tag der Geburt kam, deſto ſchrecklicher ward der Brand
auf ihrer Wange, deſto mächtiger dehnte der ſchwarze
Punkt ſich aus; deutliche Beine ſtreckte er von ſich aus,
kurze Haare trieb er empor, glänzende Punkte und
Streifen erſchienen auf ſeinem Rücken, und zum Kopfe
ward der Höcker, und glänzend und giftig blitzte es
aus demſelben, wie aus zwei Augen hervor. Laut auf
ſchrien Alle, wenn ſie die giftige Kreuzſpinne ſahen auf
Chriſtines Geſicht, und voll Angſt und Grauen flohen
ſie, wenn ſie ſahen, wie ſie feſt ſaß im Geſichte
aus demſelben herausgewachſen. Allerlei redeten die
Leute, der Eine rieth dieß, der Andere ein anderes,
aber Alle mochten Chriſtine gönnen, was es auch ſein
mochte, und Alle wichen ihr aus, und flohen ſie, wo
es nur möglich war. Je mehr die Leute flohen, deſto
mehr trieb es Chriſtine ihnen nach; ſie fuhr von Haus
zu Haus; ſie fühlte wohl der Teufel mahne ſie an das
verheißene Kind, und um das Opfer den Leuten ein¬
zureden mit unumwundenen Worten, fuhr ſie ihnen
nach in Höllenangſt. Aber das kümmerte die Andern
wenig; was Chriſtine peinigte, that ihnen nicht weh;
was ſie litt, hatte, nach ihrer Meinung, ſie verſchul¬
[57] det, und weil ſie ihr nicht mehr entrinnen konnten, ſo
ſagten ſie zu ihr: „Da ſiehe du zu. Keiner hat ein Kind
verheißen, darum gibt auch Keiner eins.“ Mit wüthen¬
der Rede ſetzte ſie dem eigenen Manne zu. Dieſer floh
wie die Andern, und wenn er nicht mehr fliehen konnte,
ſo ſprach er Chriſtine kaltblütig zu, das werde ſchon
beſſern, das ſei ein Malzeichen, wie gar viele deren
hätten, wenn es einmal ausgewachſen ſei, ſo höre der
Schmerz auf und leicht ſei es dann abzubinden.
„Unterdeſſen aber hörte der Schmerz nicht auf, je¬
des Bein ward ein Höllenbrand, der Spinne Leib die
Hölle ſelbſt, und als des Weibes erwartete Stunde
kam, da war es Chriſtine als umwalle ſie ein Feuer¬
meer, als wühlten feurige Meſſer in ihrem Mark, als
führen feurige Wirbelwinde durch ihr Gehirn. Die
Spinne aber ſchwoll an, bäumte ſich auf, und zwiſchen
den kurzen Borſten hervor quollen giftig ihre Augen.
Als Chriſtine in ihrer glühenden Pein nirgends Theil¬
nahme, die Kreiſende wohl bewacht fand, da ſtürzte ſie
einer Wirbelſinnigen gleich den Weg entlang, den der
Prieſter kommen mußte.
„Raſchen Schrittes kam derſelbe der Halde entlang,
begleidet vom handfeſten Sigriſt; die heiße Sonne und
der ſteile Weg hemmten die Schritte nicht, denn es galt
eine Seele zu retten, ein unendlich Unglück zu wenden,
und von entferntem Kranken kommend, bangte dem
Prieſter vor ſchrecklicher Säumniß. Verzweifelnd warf
Chriſtine ſich ihm in den Weg, umfaßte ſeine Knie,
bat um Löſung aus ihrer Hölle, um das Opfer des
Kindes, das noch kein Leben kenne, und die Spinne
ſchwoll noch höher auf, funkelte ſchrecklich ſchwarz in
Chriſtines roth angelaufenem Geſichte und mit grä߬
lichen Blicken glotzte ſie nach des Prieſters heiligen
[58] Geräthen und Zeichen. Dieſer aber ſchob Chriſtine
raſch zur Seite, und ſchlug das heilige Zeichen; er ſah
da den Feind wohl, aber er ließ den Kampf, um eine
Seele zu retten. Chriſtine aber fuhr auf, ſtürmte ihm
nach und verſuchte das Aeußerſte; doch des Sigriſten
ſtarke Hand hielt das wüthende Weib vom Prieſter ab
und zur Zeit noch konnte er das Haus ſchützen, in
geweihte Hände das Kind empfangen und in die Hände
deſſen legen, den die Hölle nie überwältigt. Draußen
hatte unterdeſſen Chriſtine einen ſchrecklichen Kampf ge¬
kämpfet. Sie wollte das Kind ungetauft in ihre Hände,
wollte hinein ins Haus, aber ſtarke Männer wehrten es.
„Windſtöße ſtießen an das Haus, der fahle Blitz
umzüngelte es, aber die Hand des Herrn war über
ihm; es wurde das Kind [getauft] und Chriſtine um¬
kreiste vergeblich und machtlos das Haus. Von im¬
mer wilderer Höllenqual ergriffen ſtieß ſie Töne aus,
die nicht Tönen glichen einer Menſchenbruſt; das Vieh
ſchlotterte in den Ställen und riß von den Stricken;
die Eichen im Walde rauſchten auf, ſich entſetzend.
„Im Hauſe begann der Jubel über den neuen
Sieg, des Grünen Ohnmacht, ſeiner Helfershelferin
vergeblich Ringen; draußen aber lag Chriſtine von ent¬
ſetzlicher Pein zu Boden geworfen, und in ihrem feurigen
Geſichte begannen Wehen zu kreiſen, wie ſie noch keine
Wöchnerin erfahren auf Erden, und die Spinne im
Geſichte ſchwoll immer höher auf und brannte immer
glühender durch ihr Gebein.
„Da war es Chriſtine, als ob plötzlich das Geſicht
ihr platze, als ob glühende Kohlen geboren würden
in demſelben, lebendig würden, ihr gramſelten über
das Geſicht weg, über alle Glieder weg, als ob alles
an ihr lebendig würde und glühend gramsle über den
[59] ganzen Leib weg. Da ſah ſie in der Blitze fahlem
Scheine langbeinig giftig, unzählbare ſchwarze Spin¬
nen laufen über ihre Glieder, hinaus in die Nacht,
und den entſchwundenen liefen langbeinig giftig, un¬
zählbare andere nach. Endlich ſah ſie keine mehr den
frühern folgen, der Brand im Geſichte legte ſich, die
Spinne ließ ſich nieder, ward zum faſt unſichtbaren
Punkte wieder, ſchaute mit erlöſchenden Augen ihrer
Höllenbrut nach, die ſie geboren hatte, und ausgeſandt,
zum Zeichen, wie der Grüne mit ſich ſpaſſen laſſe.
„Matt, einer Wöchnerin gleich, ſchlich Chriſtine nach
Hauſe, wenn ſchon die Glut ſo heiß nicht mehr brannte
auf dem Geſichte, die Glut im Herzen hatte nicht ab¬
genommen; wenn ſchon die matten Glieder nach Ruhe
ſich ſehnten, der Grüne ließ ihr keine Ruhe mehr; wen
er einmal hat, dem macht er es ſo.
„Drinnen im Hauſe aber da jubelten ſie und freu¬
ten ſich, und hörten lange nicht, wie das Vieh brüllte
und tobte im Stalle. Endlich fuhren ſie doch auf,
man ging nachzuſehen, ſchreckensblaß kamen die wieder,
die gegangen waren, und brachten die Kunde, die
ſchönſte Kuh liege todt, die Uebrigen tobten und wüthe¬
ten, wie ſie es nie geſehen. Da ſei es nicht richtig,
etwas Abſonderliches walte da. Da verſtummte der
Jubel, Alles lief nach dem Vieh, deſſen Gebrüll erſcholl
über Berg und Thal, aber Keiner hatte Rath. Gegen
den Zauber verſuchte man weltliche und geiſtliche Künſte;
aber alle umſonſt; ehe noch der Tag graute, hatte der
Tod das ſämmtliche Vieh im Stalle geſtreckt. Wie es
aber hier ſtumm wurde, ſo begann es da zu brüllen
und dort zu brüllen; die da waren, hörten wie in ihre
Ställe die Noth gebrochen, wehlich das Vieh ſeine
Meiſter zu Hülfe rief in ſeiner grauſen Angſt.
[60]
„Als ob die Flamme aus ihrem Dache ſchlüge eil¬
ten ſie heim, aber Hülfe brachten ſie keine; hier wie
dort ſtreckte der Tod das Vieh; Wehgeſchrei von Men¬
ſchen und Thieren erfüllten Berge und Thäler, und
die Sonne, welche das Thal ſo fröhlich verlaſſen, ſah
in entſetzlichem Jammer hinein. Als die Sonne ſchien,
ſahen endlich die Menſchen, wie es in den Ställen,
in denen das Vieh gefallen war, wimmle von zahllo¬
ſen ſchwarzen Spinnen. Dieſe krochen über das Vieh,
das Futter, und was ſie berührten, war vergiftet, und
was lebendig war, begann zu toben, ward bald vom
Tode geſtreckt. Von dieſen Spinnen konnte man kei¬
nen Stall, in dem ſie waren, ſäubern, es war als
wüchſen ſie aus dem Boden herauf; konnte keinen Stall,
in dem ſie noch nicht waren, vor ihnen behüten, unverſe¬
hens krochen ſie aus allen Wänden, fielen Haufenweiſe
von der Diele. Man trieb das Vieh auf die Weiden,
man trieb es nur dem Tode in den Rachen. Denn
wie eine Kuh auf eine Weide den Fuß ſetzte, ſo be¬
gann es lebendig zu werden am Boden, ſchwarze lange
Spinnen ſproßten auf, ſchreckliche Alpenblumen, kro¬
chen auf am Vieh, und ein fürchterlich wehlich Geſchrei
erſchallt von den Bergen nieder zu Thale. Und alle
dieſe Spinnen ſahen der Spinne auf Chriſtinens Ge¬
ſicht ähnlich wie Kinder der Mutter, und ſolche hatte
man noch keine geſehen.
„Das Geſchrei der armen Thiere war auch zum
Schloſſe gedrungen, und bald kamen ihm auch Hirten
nach, verkündend, daß ihr Vieh gefallen von den gif¬
tigen Thieren, und in immer höherm Zorne vernahm
der von Stoffeln, wie Herde um Herde verloren ge¬
gangen, vernahm, welchen Pacht man mit dem Grü¬
nen gehabt, wie man ihn zum zweitenmale betrogen
[61] und daß die Spinnen ſo ähnlich ſeien wie Kinder der
Mutter, der Spinne in der Lindauerin Geſicht, die mit
dem Grünen den Bund gemacht alleine, und nie rech¬
ten Bericht darüber gegeben. Da ritt der von Stof¬
feln in grimmem Zorn den Berg hinauf und donnerte
die Armen an, daß er nicht um ihretwillen Herde um
Herde verlieren wolle, um was er geſchädigt worden,
müßten ſie erſetzen, und was ſie verſprochen, das müßten
ſie halten, was ſie freiwillig gethan, das müßten ſie
tragen. Schaden leiden ihretwegen wolle er nicht, oder
leide er, ſo müßten ſie ihn büßen tauſendfältig. Sie
könnten ſich vorſehen. So redete er zu ihnen, un¬
bekümmert um das, was er ihnen zumuthete, [und] daß
er ſie dazu getrieben, fiel ihm nicht bei, und was ſie
gethan, rechnete er ihnen zu.
„Den Meiſten ſchon war es aufgedämmert, daß
die Spinnen eine Plage des Böſen ſeien, eine Mah¬
nung, den Pacht zu halten, und daß Chriſtine Nähe¬
res darum wiſſen müßte, ihnen nicht Alles geſagt hätte,
was ſie mit dem Grünen verhandelt. Nun zitterten
ſie wieder vor dem Grünen, lachten ſeiner nicht mehr,
zitterten vor ihrem weltlichen Herren; und wenn ſie
jenen befriedigten, was ſagte der geiſtliche Herr dazu,
erlaubte er es, und hätte dann der keine Buße für ſie?
So in der Angſt verſammelten ſich die Angeſehenſten
in einſamer Scheuer, und Chriſtine mußte kommen und
klaren Beſcheid geben, was ſie eigentlich verhandelt.
„Chriſtine kam verwildert, rachedurſtig, aufs neue
von der wachſenden Spinne gefoltert.
„Als ſie das Zagen der Männer ſah und keine
Weiber, da erzählte ſie Punktum, was ihr begegnet:
wie der Grüne ſie ſchnell beim Worte genommen und
ihr zum Pfande einen Kuß gegeben, den ſie nicht mehr
[62] geachtet als andere. Wie ihr jetzt auf ſelbigem Fleck
die Spinne gewachſen ſei unter Höllenpein vom Au¬
genblicke an, als man das erſte Kind getauft. Wie
die Spinne, eben als man das zweite Kind getauft
und den Grünen genarrt, unter Höllenpein die Spin¬
nen geboren in ungemeſſener Zahl; denn narren laſſe er
ſich nicht ungeſtraft, wie ſie es fühle in tauſendfachen
Todesſchmerzen. Jetzt wachſe die Spinne wieder, die
Pein mehre ſich, und wenn das nächſte Kind nicht des
Grünen werde, ſo wiſſe Niemand, wie gräßlich die
einbrechende Plage ſei, wie gräßlich des Ritters Rache.
„So erzählte Chriſtine und die Herzen der Männer
bebten, und lange wollte Keiner reden. Nach und nach
kamen aus den angſtgepreßten Kehlen abgebrochene
Laute hervor, und wenn man ſie zuſammenſetzte, ſo
meinten ſie gerade was Chriſtine meinte, aber kein
Einzelner hatte ſeine Einwilligung gegeben in ihren
Rath. Nur einer ſtand auf und redete kurz und deut¬
lich: das Beſte ſchiene ihm, Chriſtine todt zu ſchlagen,
ſei einmal die todt, ſo könnte der Grüne an der Tod¬
ten ſich halten, hätte keine Handhabe mehr an den
Lebendigen. Da lachte Chriſtine wild auf, trat ihm
unter das Geſicht und ſagte: er ſolle zuſchlagen, ihr
ſei es recht, aber der Grüne wolle nicht ſie, ſondern
ein ungetauft Kind, und wie er ſie gezeichnet, eben
ſo gut könne er die Hand zeichnen, die an ihr ſich ver¬
greife. Da zuckte es in des Mannes Hand, der al¬
lein geredet, er ſetzte ſich und hörte ſchweigend dem
Rathe der Andern. Und abgebrochen, wo Keiner Al¬
les ſagte, ſondern Jeder nur etwas, das wenig bedeu¬
ten ſollte, kam man überein, das nächſte Kind [zu] opfern,
aber Keiner wollte ſeine Hand bieten dazu, Niemand
das Kind an den Kilchſtalden tragen, wo man die
[63] Buchen hingelegt hatte. Zum allgemeinen Beſten, wie
ſie meinten, den Teufel zu brauchen, hatte Keiner ſich ge¬
ſcheut, aber perſönliche Bekanntſchaft mit ihm zu machen
begehrte Keiner. Da erbot ſich Chriſtine willig dazu;
denn hat man einmal mit dem Teufel zu thun gehabt,
ſo kann es das zweite Mal wenig mehr ſchaden.
Man wußte wohl, wer das nächſte Kind gebären ſollte,
aber man redete nichts davon und der Vater deſſelben
war nicht zugegen.
„Verſtändigt mit und ohne Worte, ging man aus¬
einander.
„Das junge Weib, welches in jener grauenvollen
Nacht, wo Chriſtine Bericht vom Grünen brachte,
gezaget und geweinet hatte, ſie wußte damals nicht
warum, erwartete nun das nächſte Kind. Die frühern
Vorgänge machten ſie nicht getroſt und zuverſichtlich;
eine unnennbare Angſt lag auf ihrem Herzen, ſie
konnte ſie weder mit Beten noch Beichten wegbringen.
Ein verdächtiges Schweigen ſchien ihr, ſie zu um¬
ringen, Niemand ſprach von der Spinne mehr; ver¬
dächtig ſchienen ihr alle Augen, die auf ihr ruhten,
ſchienen ihr zu berechnen die Stunde, in welcher ſie ihres
Kindes habhaft werden, den Teufel verſöhnen könnten.
„So einſam und verlaſſen fühlte ſie ſich gegen die
unheimliche Macht um ſich; keinen Beiſtand hatte ſie
als ihre Schwiegermutter, eine fromme Frau, die zu
ihr ſtund, aber was vermag eine alte Frau gegen
eine wilde Menge. Sie hatte ihren Mann; der hatte
alles Gute wohl verſprochen; aber wie jammerte der
um ſein Vieh und gedachte ſo wenig des armen Wei¬
bes Angſt! Es hatte der Prieſter verheißen, zu kom¬
men, ſo ſchnell und ſo früh zu kommen als man ihn
verlange, aber was konnte begegnen vom Augenblicke
[64] an, da man geſandt, bis daß er kam, und das arme
Weib hatte keinen [zuverläſſigern] Boten als den eignen
Mann, der ihm Schutz und Wache ſein ſollte; und
ſie wohnte dazu noch mit Chriſtine in einem Hauſe
und ihre Männer waren Brüder und keine eigenen
Verwandte hatte ſie; als Waiſe war ſie ins Haus
gekommen! Man kann ſich des armen Weibes Her¬
zensangſt denken, nur im Beten mit der frommen
Mutter fand ſie einiges Vertrauen, das allſobald wie¬
der ſchwand, ſobald ſie in die böſen Augen ſah.
„Unterdeſſen war die Krankheit noch immer da; ſie
unterhielt den Schrecken. Freilich nur hie und da fiel ein
Stück, nur ſelten zeigten ſich die Spinnen. Aber ſobald
bei Jemand der Schreck nachließ, ſobald irgend einer
dachte oder ſagte: das Uebel laſſe von ſelbſten nach und
man ſollte ſich wohl bedenken, ehe man an einem Kinde
ſich verſündige, ſo nahm Chriſtinens Höllenpein zu,
die Spinne blähte ſich hoch auf, und dem der ſo ge¬
dacht oder geredet, kehrte mit neuer Wuth der Tod in
ſeine Herde ein. Je näher die erwartete Stunde kam,
um ſo mehr ſchien die Noth wieder zuzunehmen, und
ſie erkannten, daß ſie beſtimmte Abrede treffen müßten,
wie ſie des Kindes ſicher und ſonder Fehl ſich bemäch¬
tigen könnten. Den Mann fürchteten ſie am meiſten,
und Gewalt gegen ihn zu brauchen, war ihnen zuwi¬
der. Da übernahm Chriſtine ihn zu gewinnen, und
ſie gewann ihn. Er wollte um die Sache nicht wiſſen,
ſeinem Weibe zu Willen ſein, den Prieſter holen, aber
nicht eilen, und was in ſeiner Abweſenheit vorgehe,
darnach wolle er nicht fragen; ſo fand er ſich mit ſei¬
nem Gewiſſen ab; mit Gott wollte er ſich durch Meſ¬
ſen abfinden, und für des armen Kindes Seele ſei
vielleicht auch noch etwas zu thun, dachte er, vielleicht
[65] gewinne der fromme Prieſter es dem Teufel wieder ab,
dann ſeien ſie aus dem Handel, hatten das Ihre ge¬
than und den Böſen doch geprellt. So dachte der
Mann, und jedenfalls, es möge nun gehen, wie es
wolle, ſo hätte er an der ganzen Sache keine Schuld,
ſobald er nicht mit ſelbſt eigenen Händen dabei thätig
ſei.
„So war das arme Weibchen verkauft, und wußte
es nicht, hoffte mit Bangen nach Rettung; und be¬
ſchloſſen im Rathe der Menſchen war der Stoß in
ſein Herz — aber was der droben beſchloſſen hatte,
das deckten noch die Wolken, die vor der Zukunft
liegen.
„Es war ein gewitterhaftes Jahr und die Erndte
gekommen; alle Kräfte wurden angeſpannt, um in den
heitern Stunden das Korn unter das ſichere Dach zu
bringen. Es war ein heißer Nachmittag, ſchwarze
Häupter ſtreckten die Wolken über die dunkeln Berge
empor, ängſtlich ums Dach flatterten die Schwalben,
und dem armen Weibchen ward ſo eng und bang
allein im Hauſe, denn ſelbſt die Großmutter war drau¬
ßen auf dem Acker zu helfen mit dem Willen mehr
als mit der That. Da zuckte zweiſchneidend der Schmerz
ihr durch Mark und Bein, es dunkelte vor ihren
Augen, ſie fühlte das Nahen ihrer Stunde, und war
allein. Die Angſt trieb ſie aus dem Hauſe; ſchwer¬
fällig ſchritt ſie dem Acker zu, aber bald mußte ſie ſich
niederſetzen; ſie wollte in die Ferne die Stimme ſchicken,
aber dieſe wollte nicht aus der beklemmten Bruſt. Bei
ihr war ein klein Bübchen, das erſt ſeine Beinchen
brauchen lernte, das nie noch auf eignen Beinen auf
dem Acker geweſen war, ſondern nur auf der Mutter
Arm. Dieſes Bübchen mußte das arme Weib als
l. 5[66] ihren Boten brauchen, wußte nicht, ob es den Acker
finden, ob ſeine Beinchen dahin es tragen würden.
Aber das treue Bübchen ſah, in welcher Angſt die
Mutter war, und lief und fiel und ſtand wieder auf,
und die Katze jagte ſeine Kaninchen, Tauben und
Hühner liefen ihm um die Füße, ſtoßend und ſpielend
ſprang ſein Lamm ihm nach; aber das Bübchen ſah
Alles nicht, ließ ſich nicht ſäumen und richtete treulich
ſeine Botſchaft aus.
„Athemlos erſchien die Großmutter, aber der Mann
ſäumte; nur das Fuder ſolle er noch ausladen, hieß es.
Eine Ewigkeit verſtrich, endlich kam er, und wiederum
verſtrich eine Ewigkeit, endlich ging er langſam auf
den langen Weg, und in Todesangſt fühlte das arme
Weib, wie ihre Stunde ſchneller und ſchneller nahte.
„Frohlockend hatte Chriſtine draußen auf dem Acker
Allem zugeſehen. Heiß brannte wohl die Sonne zu
der ſchweren Arbeit, aber die Spinne brannte faſt gar
nicht mehr und leicht ſchien ihr der Gang in den näch¬
ſten Stunden. Sie trieb fröhlich die Arbeit und eilte
mit dem Heimgehn nicht, wußte ſie doch, wie langſam
der Bote war. Erſt als die letzte Garbe geladen war,
und Windſtöße das nahe Gewitter verkündeten, eilte
Chriſtine ihrer Beute zu, die ihr geſichert war; ſo
meinte ſie. Und als ſie heimging, da winkte ſie be¬
deutungsvoll manchem Begegnenden; ſie nickten ihr zu,
trugen raſch die Botſchaft heim; da ſchlotterte manches
Knie und manche Seele wollte beten in unwillkürli¬
cher Angſt, aber ſie konnte nicht.
„Drinnen im Stübchen wimmerte das arme Weib
und zu Ewigkeiten wurden die Minuten, und die
Großmutter vermochte den Jammer nicht zu ſtillen,
mit Beten und Tröſten. Sie hatte das Stübchen wohl
[67] verſchloſſen und ſchweres Geräthe vor die Thüre ge¬
ſtellt. So lange ſie allein im Hauſe waren, war es
noch dabei zu ſein, aber als ſie Chriſtine heimkommen
ſahen, als ſie ſchleichende Tritte an der Thüre hörten,
als ſie draußen noch manch andern Tritt hörten und
heimliches Flüſtern, kein Prieſter ſich zeigte, kein an¬
derer treuer Menſch, und näher und näher der ſonſt
ſo erſehnte Augenblick trat, da kann man ſich denken,
in welcher Angſt die armen Weiber ſchwammen, wie
in ſiedendem Oele, ohne Hülfe und ohne Hoffnung.
Sie hörten, wie Chriſtine nicht von der Thüre wich;
es fühlte das arme Weib ihrer wilden Schwägerin
feurige Augen durch die Thüre hindurch, und ſie brann¬
ten ſie durch Leib und Seele. Da wimmerte das erſte
Lebenszeichen eines Kindes durch die Thüre, unterdrückt
ſo ſchnell als möglich, aber zu ſpät. Die Thüre flog
auf von wüthendem vorbereiteten Stoße, und wie auf
ſeinen Raub der Tiger ſtürzt, ſtürzt [Chriſtine] auf
die arme Wöchnerin. Die alte Frau, die dem Sturm
ſich entgegenwirft, fällt nieder; in heiliger Mutterangſt
rafft die Wöchnerin ſich auf, aber der ſchwache Leib
bricht zuſammen, in Chriſtinens Händen iſt das Kind;
ein gräßlicher Schrei bricht aus dem Herzen der Mut¬
ter, dann hüllt ſie in ſchwarzen Schatten die Ohnmacht.
„Zagen und Grauen ergriff die Männer, als Chri¬
ſtine mit dem geraubten Kinde heraus kam. Das Ahnen
einer grauſen Zukunft ging ihnen auf, aber keiner
hatte Muth, die That zu hemmen, und die Furcht vor
des Teufels Plagen war ſtärker, als die Furcht vor
Gott. Nur Chriſtine zagte nicht; glühend leuchtete ihr
Geſicht, wie es dem Sieger leuchtet nach überſtandenem
Kampfe; es war ihr, als ob die Spinne in ſanftem
Jucken ihr liebkoſe; die Blitze, die auf ihrem Wege zum
[68] Kilchſtalden ſie umzüngelten, ſchienen ihr fröhliche Lich¬
ter, der Donner ein zärtlich Grollen, ein lieblich Säu¬
ſeln der racheſchnaubende Sturm.
„Hans, des armen Weibes Mann, hatte ſein Ver¬
ſprechen nur zu gut gehalten. Langſam war er ſeines
Weges gegangen, hatte bedächtig jeden Acker beſchaut,
jedem Vogel nachgeſehen, den Fiſchen im Bache abge¬
wartet, wie ſie ſprangen und Mücken fingen vor dem
eintretenden Gewitter. Dann juckte er vorwärts, raſche
Schritte that er, einen Anſatz zum Springen nahm er;
es war etwas in ihm, das ihn jagte, das ihm die
Haare auf dem Kopfe emportrieb; es war das Gewiſſen,
das ihm ſagte, was ein Vater verdiene, der Weib und
Kind verrathe; es war die Liebe, die er doch noch hatte
zu ſeinem Weibe und ſeiner Leibesfrucht. Aber dann
hielt ihn wieder ein anderes, und das war ſtärker als
das erſte, es war die Furcht vor den Menſchen, die
Furcht vor dem Teufel und die Liebe zu dem, was
dieſer ihm nehmen konnte. Dann ging er wieder lang¬
ſamer, langſam wie ein Menſch, der ſeinen letzten
Gang thut, der zu ſeiner Richtſtätte geht. Vielleicht
war es auch ſo; weiß doch gar mancher Menſch nicht,
daß er den letzten Gang thut; wenn er es wüßte, er
thäte ihn nicht, oder anders.
„So war es ſpät geworden, ehe er auf Sumis¬
wald kam. Schwarze Wolken jagten über den Münne¬
berg her; ſchwere Tropfen fielen, verſengten im Staube,
und dumpf begann das Glöcklein im Thurme die Men¬
ſchen zu mahnen, daß ſie denken möchten an Gott und
ihn bitten, daß er ſein Gewitter nicht zum Gerichte
werden laſſe über ſie. Vor ſeinem Hauſe ſtand der
Prieſter, zu jeglichem Gange gerüſtet, damit er bereit
ſei, wenn ſein Herr, der über ſeinem Haupte daher
[69] fuhr, zu einem Sterbenden oder einem brennenden Hauſe
oder ſonſt wohin ihn rufe. Als er Hans kommen ſah, er¬
kannte er den Ruf zum ſchweren Gange, ſchürzte ſein
Gewand und ſandte Botſchaft ſeinem läutenden Sigriſt,
daß er ſich ablöſen laſſe am Glockenſtrang und ſich ein¬
finde zu ſeinem Begleit. Unterdeſſen ſtellte er Hans
einen Labetrunk vor, ſo wohlthätig nach raſchem Laufe
in ſchwüler Luft, deſſen Hans nicht bedürftig war;
der Prieſter ahndete die Tücke des Menſchen nicht.
Bedächtig labte ſich Hans. Zögernd fand der Sigriſt
ſich ein, und nahm gerne Theil an dem Tranke, den
Hans ihm bot. Gerüſtet ſtand vor ihnen der Prieſter,
verſchmähend jeden Trank, den er zu ſolchem Gang
und Kampf nicht bedurfte. Er hieß ungerne von der
Kanne weggehen, die er aufgeſtellt, ungerne verletzte
er die Rechte des Gaſtes; aber er kannte ein Recht,
das höher war als das Gaſtrecht, das ſäumige Trin¬
ken fuhr ihm zornig durch die Glieder.
„Er ſei fertig, ſagte er endich, ein bekümmert Weib
harre, und über ihm ſei eine grauenvolle Unthat, und
zwiſchen das Weib und die Unthat müßte er ſtehen
mit heiligen Waffen, darum ſollten ſie nicht ſäumen,
ſondern kommen, droben werde wohl noch etwas ſein,
für den, der den Durſt hier unten nicht gelöſcht. Da
ſprach Hans, des harrenden Weibes Mann: es eile
nicht ſo ſehr, bei ſeinem Weibe gehe jede Sache ſchwer.
Und alſobald flammte ein Blitz in die Stube, daß Alle
geblendet waren, und ein Donner brach los überm
Hauſe, daß jeder Pfoſten am Hauſe, jedes Glied im
Hauſe bebte. Da ſprach der Sigriſt, als er ſeinen
Segenſpruch vollendet: Hört wie es macht draußen,
und der Himmel hat ſelbſt beſtätigt, was Hans geſagt,
daß wir warten ſollen, und was nützte es, wenn wir
[70] gingen, lebendig kämen wir doch nimmer hinauf, und
er ſelbſt hat ja geſagt, daß es bei ſeinem Weibe nicht
ſolche Eile habe. Und allerdings ſtürmte ein Gewitter
daher, wie man in Menſchengedenken nicht oft erlebt.
Aus allen Schlünden und Gründen ſtürmte es heran,
ſtürmte von allen Seiten, von allen Winden getrieben
über Sumiswald zuſammen; und jede Wolke ward zum
Kriegesheer und eine Wolke ſtürmte an die andere, eine
Wolke wollte der andern Leben, und eine Wolkenſchlacht
begann und das Gewitter ſtund, und Blitz auf Blitz
ward entbunden, und Blitz auf Blitz ſchlug zur Erde
nieder, als ob ſie ſich einen Durchgang bahnen wollten
durch der Erde Mitte auf der Erde andere Seite. Ohne
Unterlaß brüllte der Donner, zornesvoll heulte der
Sturm, geborſten war der Wolken Schooß, Fluthen
ſtürzten nieder, aber ſeiner Gefährten wegen zauderte er.
Als ſo plötzlich und gewaltig die Wolkenſchlacht los¬
brach, da hatte der Prieſter dem Sigriſten nicht geant¬
wortet, aber ſich nicht niedergeſetzt, und ein immerſtei¬
gendes Bangen ergriff ihn, ein Drang kam ihn an,
ſich hinauszuſtürzen in der Elemente Toben; da ward
ihm als höre er durch des Donners ſchreckliche Stimme
eines Weibes markdurchſchneidenden Wehruf; der Don¬
ner ward ihm plötzlich zu Gottes ſchrecklichem Schelt¬
wort ſeiner Säumniß; er machte ſich auf, was auch
die beiden andern ſagen mochten. Er ſchritt, gefaßt
auf Alles, hinaus in die feurigen Wetter, in des
Sturmes Wuth, der Wolken Fluth; langſam, unwillig
kamen die Beiden ihm nach.
„Es ſauſte und brauſte und toſete, als ſollten dieſe
Töne zuſammenſchmelzen zur letzten Poſaune, die der
Welten Untergang verkündet, und feurige Garben fielen
über das Dorf, als ſollte jede Hütte auflammen; aber
[71] der Diener deſſen, der dem Donner ſeine Stimme gibt
und den Blitz zu ſeinem Knechte hat, hat ſich vor die¬
ſem Mitknechte des gleichen Herrn nicht zu fürchten,
und wer auf Gottes Wegen geht, kann getroſt Gottes
Wettern das Seine überlaſſen. Darum ſchritt der Prie¬
ſter unerſchrocken durch die Wetter dem Kilchſtalden zu.
Aber nicht in gleichem Muthe folgten ihm die andern,
denn nicht am gleichen Orte war ihr Herz; ſie wollten
nicht den Kilchſtalden ab, nicht in ſolchem Wetter, nicht
in ſpäter Nacht, und Hans hatte noch einen beſondern
Grund, warum er nicht wollte. Sie baten den Prieſter
umzukehren, auf andern Wegen zu gehen, Hans wußte
nähere, der Sigriſt beſſere, beide warnten vor den
Waſſern im Thale, der aufgeſchwollenen Grüne. Aber
der Prieſter hörte nicht, achtete ihrer Rede nicht; von
einem wunderbaren Drange getrieben, eilte er auf den
Flügeln des Gebetes dem Kilchſtalden zu, ſein Fuß
ſtieß an keinen Stein, ſein Auge ward durch keinen
Blitz geblendet; bebend und weit hinter ihm, gedeckt,
wie ſie meinten, durch das Heiligſte, das der Prieſter
ſelbſten trug, folgten Hans und der Sigriſt ihm nach.
„Als ſie aber hinaus kamen vor das Dorf, wo ins
Thal hinunter der Stalden ſich ſenkt, da ſteht der Prie¬
ſter plötzlich ſtill und ſchirmt mit der Hand die Augen.
Unterhalb der Kapelle ſchimmert in des Blitzes Schein
eine rothe Feder, und des Prieſters ſcharfes Auge ſieht
aus grünem Haage hervorragen ein ſchwarzes Haupt,
und auf dieſem ſchwankt die rothe Feder. Und wie er
noch länger ſchaut, ſieht er am jenſeitigen Abhange in
ſchnellſtem Laufe, wie gejagt von des Windes wilde¬
ſtem Stoße, daher fliegen eine wilde Geſtalt dem
dunkeln Haupte zu, auf dem einer Fahne gleich die
rothe Feder ſchwankte.
[72]
„Da loderte im Prieſter auf der heilige Kampfes¬
drang, der, den Böſen ahnend, über die kömmt, die
Gott geweihten Herzens ſind, wie der Trieb über das
Samenkorn kömmt, wenn das Leben in daſſelbe dringt,
wie er in die Blume dringt, wenn ſie ſich entfalten
ſoll, wie er über den Helden kömmt, wenn ſein Feind
das Schwert erhebt. Und wie der Lechzende in des
Stromes kühle Fluth, wie der Held zur Schlacht,
ſtürzte der Prieſter den Stalden nieder, ſtürzte zum
kühnſten Kampf, drang zwiſchen den Grünen und Chri¬
ſtine, die eben das Kindlein in des andern Arme legen
wollte, mitten hinein, ſchmetterte zwiſchen ſie die drei
höchſten heiligen Namen, hält das Heiligſte dem Grü¬
nen ans Geſicht, ſprengt heiliges Waſſer über das
Kind und trifft Chriſtine zugleich. Da fährt mit fürch¬
terlichem Wehegeheul der Grüne von dannen, wie ein
glutrother Streifen zuckt er dahin, bis die Erde ihn
verſchlingt; vom geweihten Waſſer berührt, ſchrumpft mit
entſetzlichem Ziſchen Chriſtine zuſammen, wie Wolle
im Feuer, wie Kalk im Waſſer, ſchrumpft ziſchend,
Flammen ſprühend zuſammen, bis auf die ſchwarze,
hochaufgeſchwollene, grauenvolle Spinne in ihrem Ge¬
ſichte, ſchrumpft mit dieſer zuſammen, ziſcht in dieſe
hinein, und dieſe ſitzt nun giftſtrotzend trotzig mitten
auf dem Kinde, und ſprüht aus ihren Augen zornige
Blicke dem Prieſter entgegen. Dieſer ſprengt ihr Weih¬
waſſer entgegen, es ziſcht wie auf heißem Steine ge¬
wöhnliches Waſſer; immer größer wird die Spinne,
ſtreckt immer weiter ihre ſchwarzen Beine aus über das
Kind, glotzt immer giftiger den Prieſter an; da faßt
dieſer in feuriger Glaubenswuth nach ihr mit kühner
Hand. Es iſt als wenn er griffe in glühende Stacheln
hinein, aber unerſchüttert greift er feſt, ſchleudert das
[73] Ungeziefer weg, faßt das Kind, und eilt mit ihm ſon¬
der Weile der Mutter zu.
„Und wie ſein Kampf zu Ende war, ſtillte ſich
auch der Kampf der Wolken, ſie eilten wieder in ihre
dunkeln Kammern; bald flimmerte in ſtillem Sternen¬
licht das Thal, in dem kurz vorher die wildeſte Schlacht
getobet, und faſt athemlos ereilte der Prieſter das Haus,
in welchem an Mutter und Kind die Frevelthat be¬
gangen worden.
„Dort war die Mutter noch ohnmächtig, mit dem
gellenden Schrei hatte ſie ihr Leben fortgeſendet; neben
ihr ſaß betend die Alte, ſie baute noch auf Gott, daß er
mächtiger ſei als der Teufel böſe. Mit dem Kinde
brachte der Prieſter der Mutter auch das Leben zurück.
Als ſie erwachend das Kindlein wieder ſah, durchfloß
ſie eine Wonne, wie ſie nur die Engel im Himmel
kennen, und auf der Mutter Armen taufte der Prieſter
das Kind im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes
und des heiligen Geiſtes; und jetzt war es entriſſen
des Teufels Gewalt auf immer, bis es ſich ihm frei¬
willig übergeben wollte. Aber vor dem hütete es Gott,
in deſſen Gewalt jetzt ſeine Seele übergeben worden,
während der Leib von der Spinne vergiftet blieb.
„Bald ſchied ſeine Seele wieder, und wie mit
Brandflecken war das Leibchen gezeichnet. Die arme
Mutter weinte wohl, aber wo jeder Theil wieder da¬
hin gehet, wo er hin gehöret: zu Gott die Seele,
zur Erde der Leib, da findet ſich der Troſt ein, früher
dem, ſpäter jenem.
„Sobald der Prieſter ſein heilig Amt verrichtet hatte,
begann er ein ſeltſam Jucken zu fühlen in Hand und Arm,
womit er die Spinne weggeſchleudert. Kleine ſchwarze
Flecken ſah er auf der Hand, ſichtbarlich wurden ſie größer
[74] und ſchwollen auf; Todesſchauer rieſelte ihm durchs
Herz. Er ſegnete die Weiber und eilte heim; die heiligen
Waffen wollte er als getreuer Streiter wieder dahin brin¬
gen, wo ſie hin gehörten, damit ſie einem andern nach
ihm zur Hand ſeien. Hoch auf ſchwoll der Arm, ſchwarze
Beulen quollen immer höher auf; er kämpfte mit des
Todes Mattigkeit, aber er erlag ihr nicht.
„Als er an den Kilchſtalden kam, da ſah er Hans,
den gottvergeßnen Vater, von dem man nicht wußte wo
er geblieben, mitten im Wege auf dem Rücken liegen.
Hochgeſchwollen und brandſchwarz war ſein Geſicht,
und mitten auf demſelben ſaß groß und ſchwarz und
grauſig die Spinne. Als der Pfarrer kam, blähte ſie
ſich auf, giftig bäumten ſich die Haare auf ihrem
Rücken, giftig und ſprühend glotzten ihre Augen ihn an,
ſie that wie die Katze, wenn ſie ſich rüſtet zu einem
Sprunge in ihres Todfeindes Geſicht. Da begann
der Prieſter einen guten Spruch und hob die heiligen
Waffen und die Spinne ſchrack zuſammen, kroch lang¬
beinig vom ſchwarzen Geſichte, verlor ſich in ziſchendem
Graſe. Darauf ging der Pfarrer vollends heim, ſtellte
das Allerheiligſte an ſeinen Ort, und während wilde
Schmerzen den Leib zum Tode riſſen, harrte in ſüßem
Frieden ſeine Seele ihres Gottes, für den ſie recht ge¬
ſtritten in kühnem Gotteskampfe, und lange ließ Gott
ſie nicht harren.
„Aber ſolch ſüßer Friede, der ſtill des Herrn harret,
war hinten im Thale, war oben auf den Bergen nicht.
„Von dem Augenblicke an, als Chriſtine mit dem
geraubten Kinde den Berg hinunter gefahren war dem
Teufel zu, war heilloſer Schreck in alle Herzen gefah¬
ren. Während dem fürchterlichen Ungewitter bebten
die Menſchen in den Schrecken des Todes, denn ihre
[75] Herzen wußten wohl, wenn Gottes Hand vernichtend
über ſie komme, ſo ſei es mehr als wohlverdient. Als
das Gewitter vorüber war, lief die Kunde von Haus
zu Haus, wie der Pfarrer das Kindlein zurückgebracht
und getauft, aber kein Hans, keine Chriſtine geſehen
worden.
„Der grauende Morgen fand lauter bleiche Geſich¬
ter, und die ſchöne Sonne färbte ſie nicht, denn Alle
wußten wohl, daß nun erſt das Schreckliche kommen
werde. Da hörte man, daß mit ſchwarzen Beulen der
Pfarrer geſtorben, man fand Hans mit ſchrecklichem
Geſichte, und von der gräßlichen Spinne, in die Chri¬
ſtine verwandelt worden, hörte man ſeltſam verwirrte
Worte.
„Es war ein ſchöner Erndtetag, aber keine Hand
rührte ſich zur Arbeit; die Leute liefen zuſammen, wie
man es pflegt am Tage nach dem Tage, an welchem
ein großes Unglück begegnet iſt. Sie fühlten erſt jetzt
in ihren bebenden Seelen ſo recht was es heiße, von
irdiſcher Noth und Plage mit einer unſterblichen Seele
ſich loskaufen zu wollen; fühlten, daß ein Gott im
Himmel ſei, der alles Unrecht, das armen Kindern,
die ſich nicht wehren können, angethan wird, fürchterlich
räche. So ſtunden ſie bebend zuſammen, und jammerten,
und wer bei den Andern war, der durfte nicht mehr
heim, und doch war Zank und Streit unter ihnen,
und Einer gab dem Andern Schuld, und Jeder wollte
abgemahnt und gewarnt haben, und Jeder hatte nichts
darwieder, daß Strafe die Schuldigen treffe, ſich und
ſein Haus wollte aber Jeder ohne Strafe. Und wenn
ſie in dieſem ſchrecklichen Harren und Streiten ein neu
unſchuldig Opfer gewußt hätten, es wäre Keiner gewe¬
ſen, der nicht an demſelben gefrevelt, in der Hoffnung,
ſich ſelbſt zu retten.
[76]
„Da ſchrie mitten im Haufen Einer entſetzlich auf,
es war ihm, als ſei er in einen glühenden Dorn ge¬
treten, als nagle man mit glühendem Nagel den Fuß
an den Boden, als ſtröme Feuer durch das Mark ſei¬
ner Gebeine. Der Haufe fuhr auseinander, und alle
Augen ſahen nach dem Fuße, gegen den die Hand des
Schreienden fuhr. Auf dem Fuße aber ſaß ſchwarz
und groß die Spinne und glotzte giftig und ſchadenfroh
in die Runde. Da ſtarrte Allen zuerſt das Blut in
den Adern, der Athem in der Bruſt, der Blick im Auge,
und ruhig und ſchadenfroh glotzte die Spinne umher,
und der Fuß ward ſchwarz und im Leibe wars, als
kämpfe ziſchend und wüthend Feuer mit Waſſer; die
Angſt ſprengte die Feſſeln des Schreckens, der Haufe
ſtob auseinander. Aber in wunderbarer Schnelle hatte
die Spinne ihren erſten Sitz verlaſſen, und kroch die¬
ſem über den Fuß und jenem an die Ferſe, und Glut
fuhr durch ihren Leib und ihr gräßlich Geſchrei jagte
die Fliehenden noch heftiger. In Windeseile, in To¬
desſchrecken, wie das geſpenſtige Wild vor der wilden
Jagd, ſtoben ſie ihren Hütten zu, und Jeder meinte
hinter ſich die Spinne, verrammelte die Thüre, und
hörte doch nicht auf zu beben in unſäglicher Angſt.
„Und einen Tag war die Spinne verſchwunden,
kein neues Todesgeſchrei hörte man, die Leute mußten
die verrammelten Häuſer verlaſſen, mußten Speiſe ſu¬
chen fürs Vieh und für ſich, ſie thaten es mit Todes¬
angſt. Denn wo war jetzt die Spinne, und konnte
ſie nicht hier ſein und unverſehens auf den Fuß ſich
ſetzen? Und wer am vorſichtigſten niedertrat und mit
den Augen am ſchärfſten ſpähte, der ſah die Spinne
plötzlich ſitzend auf Hand oder Fuß, ſie lief ihm übers
Geſicht, ſaß ſchwarz und groß ihm auf der Naſe, und
[77] glotzte ihm in die Augen, feurige Stacheln wühlten
ſich in ſein Gebein, der Brand der Hölle ſchlug über
ihn zuſammen, bis der Tod ihn ſtreckte.
„So war die Spinne bald nirgends, bald hier, bald
dort, bald im Thale unten, bald auf den Bergen oben;
ſie ziſchte durchs Gras, ſie fiel von der Decke, ſie tauchte
aus dem Boden auf. Am hellen Mittage, wenn die
Leute um ihr Habermuß ſaßen, erſchien ſie glotzend unten
am Tiſch, und ehe die Menſchen vom Schrecken auseinan¬
der geſprengt, war ſie allen über die Hände gelaufen, ſaß
oben am Tiſch auf des Hausvaters Haupte, und glotzte
über den Tiſch, über die ſchwarz werdenden Hände weg.
Sie fiel des Nachts den Leuten ins Geſicht, begegnete
ihnen im Walde, ſuchte ſie heim im Stalle. Die Men¬
ſchen konnten ſie nicht meiden, ſie war nirgends und
allenthalben, konnten im Wachen vor ihr ſich nicht
ſchützen, waren ſchlafend vor ihr nicht ſicher. Wenn
ſie am ſicherſten ſich wähnten unterem freien Himmel,
auf eines Baumes Gipfel, ſo kroch Feuer ihnen den
Rücken auf, der Spinne feurige Füße fühlten ſie im
Nacken, ſie glotzte ihnen über die Achſel. Das Kind
in der Wiege, den Greis auf dem Sterbebette ſchonte
ſie nicht; es war ein Sterbet, wie man noch von kei¬
nem wußte, und das Sterben daran war ſchrecklicher,
als man es je erfahren; und ſchrecklicher noch als das
Sterben war die namenloſe Angſt vor der Spinne, die
allenthalben war und nirgends, die, wenn man am
ſicherſten ſich wähnte, einem todtbringend plötzlich in
die Augen glotzte.
„Die Kunde von dieſen Schrecken war natürlich
alſobald ins Schloß gedrungen, und hatte auch dorthin
Schreck und Streit gebracht, ſo weit er bei den Regeln
des Ordens ſtattfinden konnte. Dem von Stoffeln
[78] machte es bange, daß auch ſie eben ſo heimgeſucht wer¬
den möchten, wie früher ihr Vieh, und der verſtorbene
Prieſter hatte manches geäußert, welches ihm jetzt die
Seele aufrührte. Er hatte ihm manchmal geſagt, daß
alles Leid, welches er den Bauern anthue, auf ihn
zurück fahre; aber er hatte es nie geglaubt, weil er
meinte, Gott werde einen Unterſchied zu machen wiſſen
zwiſchen einem Ritter und einem Bauer, hätte er ſie
doch ſonſt nicht ſo verſchieden erſchaffen. Aber jetzt war
ihm doch Angſt, es gehe nach des Prieſters Wort, gab
harte Worte ſeinen Rittern und meinte, es käme jetzt
ſchwere Strafe ihrer leichtfertigen Worte wegen. Die
Ritter aber wollten auch nicht Schuld ſein, und Einer
ſchob es dem Andern zu, und wenn es auch Keiner
ſagte, ſo meintens doch Alle, das gehe eigentlich nur
den von Stoffeln an, denn wenn man es recht nehme,
ſo ſei der an Allem Schuld. Und neben dieſem ſahen
ſie einen jungen Polenritter an, der hatte eigentlich
die meiſten leichtfertigen Worte über das Schloß ge¬
ſprochen, und den von Stoffeln am meiſten zum neuen
Bau und vermeſſenen Schattengange gereizt. Der war
noch ſehr jung, aber der wildeſte von Allen, und wenn
es eine vermeſſene That galt, ſo war er voran; er war
wie ein Heide und fürchtete weder Gott noch Teufel.
Der merkte wohl, was die Andern meinten, aber ihm
nicht ſagen durften, merkte auch ihre heimliche Angſt.
Darum höhnte er ſie und ſagte, wenn ſie vor einer
Spinne ſich fürchteten, was ſie dann gegen Drachen
machen wollten? Dann wappnete er ſich gut und ritt
ins Thal hinauf, ſich vermeſſend, nicht zurückkehren zu
wollen, bis ſein Stoß die Spinne hingeſtreckt, ſeine
Fauſt ſie zerdrückt.
„Wilde Hunde ſprangen um ihn her, der Falke
[79] ſaß ihm auf der Fauſt, am Sattel hing die Lanze,
luſtig bäumte ſich das Pferd; halb ſchadenfroh, halb
ängſtlich ſah man ihn aus dem Schloſſe reiten und
gedachte der nächtlichen Wache auf Bärhegen, wo die
Kraft der weltlichen Waffen gegen dieſen Feind ſo
ſchlecht ſich bewährt hatte.
„Er ritt am Saume eines Tannenwaldes dem
nächſten Gehöfte zu, ſcharfen Auges ſpähend um und
über ſich. Als er das Haus erblickte, Leute darum,
rief er den Hunden, machte das Haupt des Falken
frei, loſe klirrte in der Scheide der Dolch. Wie der
Falke die geblendeten Augen zum Ritter kehrte, ſeines
Winkes gewärtig, prallte er ab der Fauſt und ſchoß
in die Luft, die hergeſprungenen Hunde heulten auf
und ſuchten mit dem Schweife zwiſchen den Beinen
das Weite. Vergebens ritt und rief der Ritter, ſeine
Thiere ſah er nicht wieder. Da ritt er den Menſchen
zu, wollte Kunde einziehen, ſie ſtunden ihm, bis er
nahe kam. Da ſchrien ſie gräßlich auf und flohen in
Wald und Schlucht, denn auf des Ritters Helm ſaß
ſchwarz, in übernatürlicher Größe die Spinne und
glotzte giftig und ſchadenfroh ins Land. Was er
ſuchte, das trug der Ritter und wußte es nicht; in
glühendem Zorne rief und ritt er den Menſchen nach,
rief immer wüthender, ritt immer toller, brüllte immer
entſetzlicher, bis er und ſein Roß über eine Fluh hinab
zu Thale ſtürzten. Dort fand man Helm und Leib,
und durch den Helm hindurch hatten die Füße der
Spinne ſich gebrannt, dem Ritter bis ins Gehirn hin¬
ein, den ſchrecklichſten Brand ihm dort entzündet, bis
er den Tod gefunden.
„Da kehrte der Schreck erſt recht ein ins Schloß;
ſie ſchloſſen ſich ein und fühlten ſich doch nicht ſicher;
[80] ſie ſuchten nach geiſtigen Waffen, fanden aber lange
Niemand, der ſie zu führen wußte und zu führen
wagte. Endlich ließ ſich ein ferner Pfaffe locken mit
Geld und Worte; er kam und wollte ausziehen mit
heiligem Waſſer und heiligen Sprüchen gegen den böſen
Feind. Dazu aber ſtärkte er ſich nicht mit Gebet und
Faſten, ſondern er tafelte des Morgens früh mit den
Rittern, und zählte die Becher nicht und lebte wohl
an Hirſch und Bär. Dazwiſchen redete er viel von
ſeinen geiſtigen Heldenthaten, und die Ritter von ihren
weltlichen, und die Becher zählte man ſich nicht nach
und die Spinne vergaß man. Da löſchte auf einmal
alles Leben aus, die Hände hielten erſtarrt Becher oder
Gabel, der Mund blieb offen, ſtier waren alle Augen
auf einen Punkt gerichtet; nur der von Stoffeln trank
den Becher leer und erzählte an einer Heldenthat im
Heidenlande. Aber auf ſeinem Kopfe ſaß groß die
Spinne und glotzte um den Rittertiſch, und der Ritter
fühlte ſie nicht. Da begann die Gluth zu ſtrömen durch
Gehirn und Blut, gräßlich ſchrie er auf, fuhr mit der
Hand nach dem Kopfe, aber die Spinne war nicht
mehr dort, war in ihrer ſchrecklichen Schnelle den Rit¬
tern allen über ihre Geſichter gelaufen, keiner konnte es
wehren; einer nach dem andern ſchrie auf, von Gluth
verzehrt, und von des Pfaffen Glatze nieder glotzte ſie
in den Gräuel hinein, und mit dem Becher, der nicht
aus ſeiner Hand wollte, wollte der Pfaffe den Brand
löſchen, welcher loderte vom Kopfe herab durch Mark und
Bein. Aber dieſer Waffe trotzte die Spinne und glotzte
von ihrem Throne herab in den Gräuel, bis der letzte
Ritter den letzten Schrei ausgeſtoßen, am letzten Athem¬
zuge geendet.
„Im Schloſſe blieben nur wenige Diener verſchont,
[81] die nie Hohn mit den Bauern getrieben; ſie erzählten,
wie ſchrecklich es gegangen. Das Gefühl, daß den
Rittern ihr Recht geſchehen, tröſtete aber die Bauern
nicht, der Schreck ward immer größer, gräßlicher.
Mancher ſuchte zu fliehen. Die Einen wollten das Thal
verlaſſen, aber gerade die fielen der Spinne zu. Auf
dem Wege fand man ihre Leichname. Andere flohen auf
die hohen Berge, aber droben vor ihnen war die Spinne,
und wenn ſie ſich gerettet glaubten, ſo ſaß ihnen die
Spinne im Nacken oder im Geſicht. Das Unthier ward
immer boshafter, immer teufliſcher. Es überraſchte nicht
mehr unerwartet, brannte nicht mehr unverſehens den
Tod ein; es ſaß vor dem Menſchen im Graſe, hing
über ihm am Baume, glotzte giftig ihn an. Dann floh
der Menſch, ſo weit ſeine Füße ihn trugen, und ſtund
er athemlos ſtille, ſo ſaß die Spinne vor ihm, und
glotzte giftig ihn an. Floh er abermal, und mußte er
abermals die Schritte hemmen, ſo ſaß ſie wieder vor
ihm, und konnte er nicht mehr fliehen, dann erſt kroch
ſie langſam an ihn heran und gab ihm den Tod.
Da verſuchte wohl Mancher in der Verzweiflung Wider¬
ſtand, und ob die Spinne nicht zu tödten ſei; warf
zentnerige Steine auf ſie, wenn ſie vor ihm im Graſe
ſaß, ſchlug mit Keulen, mit Beilen nach ihr; aber
Alles war umſonſt, der ſchwerſte Stein erdrückte ſie
nicht, das ſchärfſte Beil verletzte ſie nicht, unverſehens
ſaß ſie dem Menſchen im Geſicht, unverſehrt kroch ſie
an ihn heran. Flucht, Widerſtand, alles war eitel.
Da ging alles Hoffen aus, und Verzweiflung füllte
das Thal, ſaß auf den Bergen.
„Ein einziges Haus hatte das Unthier bis dahin
verſchont, und war nie in demſelben erſchienen; es war
das Haus, in welchem Chriſtine gewohnt, aus welchem
I. 6[82] ſie das Kindlein geraubet. Ihren eigenen Mann hatte
ſie auf einſamer Weide angefallen; dort fand man ſei¬
nen Leichnam gräßlich zugerichtet, wie keinen andern,
ſeine Züge zerriſſen in unausſprechlichem Schmerze; an
ihm hatte ſie ihren gräßlichſten Zorn ausgelaſſen, das
gräßlichſte Wiederſehen dem Ehemanne bereitet. Aber
wie es zuging, hat Niemand geſehen.
„Zum Hauſe war ſie noch nicht gekommen; ob ſie
es bis zuletzt ſparen wollte, oder ob ſie ſich ſcheute
davor, das errieth man nicht.
„Aber nicht weniger als an andern Orten war die
Angſt dort eingekehrt.
„Das fromme Weibchen war geneſen, und es zagte
nicht für ſich, aber faſt ſehr um ſein treues Bübchen
und deſſen Schweſterchen, und wachte über ſie Tag und
Nacht, und die treue Großmutter theilte ihre Sorgen
und Wachen. Und gemeinſam beteten ſie zu Gott,
daß er ihnen ihre Augen offen halten möchte zur Wache,
daß er ſie erleuchten und ſtärken möchte zur Rettung
der unſchuldigen Kindlein.
„Oft war es ihnen, wenn ſie wachten lange Nächte
durch, als ſehen ſie die Spinne glimmen und glitzern
im dunkeln Winkel, als glotze ſie zum Fenſter hinein,
dann ward ihre Angſt groß, denn ſie wußten keinen
Rath, wie vor der Spinne die Kindlein ſchützen, und
um ſo brünſtiger baten ſie Gott um ſeinen Rath und
Beiſtand. Sie hatten allerlei Waffen zur Hand gelegt,
aber wie ſie hörten, daß der Stein ſeine Schwere, das
Beil ſeine Schärfe verliere, ſie wieder bei Seite gelegt.
Da kam es der Mutter immer deutlicher vor, immer
lebendiger in den Sinn: wenn Jemand es wagen
würde, die Spinne mit der Hand zu faſſen, ſo ver¬
möchte man ſie zu überwältigen. Sie hörte auch von
[83] Leuten, die, als der Stein nichts half, mit der Hand
ſie zu erdrücken verſuchten, allein vergeblich. Ein grä߬
licher Gluthſtrom, der durch Hand und Arm zuckte, tilgte
jede Kraft und brachte den Tod ins Herz. Es kam
ihr auch vor, zu erdrücken vermöchte ſie die Spinne
nicht, aber ſie erfaſſen dürfte ſie wohl, und ſo viel
Kraft würde ihr Gott verleihen, dieſelbe irgend wohin
zu thun, ſie unſchädlich zu machen. Sie hatte ſchon
oft gehört, wie kundige Männer Geiſter eingeſperrt
hätten in ein Loch in Felſen oder Holz, welches ſie
mit einem Nagel zugeſchlagen, und ſo lange den Nagel
Niemand ausziehe, müſſe der Geiſt gebannt im Loche
ſein.
„Gleiches zu verſuchen drängte der Geiſt ſie immer
mehr. Sie bohrte ein Loch in das Byſtal, das ihr
am nächſten lag zur rechten Hand, wenn ſie bei der
Wiege ſaß, rüſtete einen Zapfen, der ſcharf ins Loch
paßte, weihte ihn mit geheiligtem Waſſer, legte einen
Hammer zurecht, und betete nun Tag und Nacht zu
Gott um Kraft zur That. Aber manchmal war das
Fleiſch ſtärker als der Geiſt, und ſchwerer Schlaf drückte
ihr die Augen zu, dann ſah ſie im Traume die Spinne,
glotzend auf ihres Bübchens goldenen Locken, dann fuhr
ſie aus dem Traume, fuhr nach des Bübchens Locken.
Dort aber war keine Spinne, ein Lächeln ſaß auf ſei¬
nem Geſichtchen, wie Kindlein lächeln, wenn ſie ihren
Engel im Traume ſehen; der Mutter aber glitzerten in
allen Ecken der Spinne giftige Augen, und auf lange
wich der Schlaf von ihr
„So hatte ſie auch einmal nach ſtrengem Wachen
der Schlaf überwältigt, und dicht umnachtete er ſie.
Da war es ihr, als ſtürze der fromme Prieſter, der
in der Rettung ihres Kindleins geſtorben, herbei aus
[84] weiten Räumen und rufe aus der Ferne her: Weib,
wache auf, der Feind iſt da! Dreimal rief er ſo,
und erſt beim dritten Mal rang ſie ſich aus des Schla¬
fes engen Banden; aber wie ſie die ſchweren Augen¬
lieder mühſam hob, ſah ſie langſam, giftgeſchwollen
die Spinne ſchreiten übers Bettlein hinauf, dem Geſichte
ihres Bübchens zu. Da dachte ſie an Gott und ergriff
mit raſcher Hand die Spinne. Da fuhren Feuerſtröme
von derſelben aus, der treuen Mutter durch Hand und
Arm bis ins Herz hinein; aber Muttertreue und Mut¬
terliebe drückten die Hand ihr zu, und zum Aushalten
gab Gott die Kraft. Unter tauſendfachen Todesſchmer¬
zen drückte ſie mit der einen Hand die Spinne ins be¬
reitete Loch, mit der andern den Zapfen davor und
ſchlug mit dem Hammer ihn feſt.
„Drinnen ſauste und brauste es, wie wenn mit
dem Meere die Wirbelwinde ſtreiten, das Haus wankte
in ſeinen Grundfeſten, aber feſt ſaß der Zapfen, ge¬
fangen blieb die Spinne.
„Die treue Mutter aber freute ſich noch, daß ihr
Kindlein gerettet, dankte Gott für ſeine Gnade, dann ſtarb
ſie auch den gleichen Tod wie Alle, aber ihre Muttertreue
löſchte die Schmerzen aus, und die Engel geleiteten
ihre Seele zu Gottes Thron, wo alle Helden ſind, die ihr
Leben eingeſetzt für Andere, die für Gott und die Ihren
Alles gewagt. Nun war der ſchwarze Tod zu Ende.
Ruhe und Leben kehrten ins Thal zurück. Die ſchwarze
Spinne ward nicht mehr geſehen zur ſelben Zeit, denn
ſie ſaß in jenem Loche gefangen, wo ſie jetzt noch ſitzt.“
„Was, dort im ſchwarzen Holz?“ ſchrie die Gotte,
und fuhr eines Satzes vom Boden auf, als ob ſie in
einem Ameiſenhaufen geſeſſen wäre. An jenem Holze
hatte ſie geſeſſen in der Stube. Und jetzt brannte ſie
[85] der Rücken; ſie drehte ſich, ſie ſchaute hinter ſich, fuhr mit
der Hand auf und ab, und kam nicht aus der Angſt:
die ſchwarze Spinne ſitze ihr im Nacken. Auch den
Andern waren die Herzen zugeklemmt, als der Gro߬
vater ſchwieg. Es war ein banges Schweigen über ſie
gekommen. Spott mochte Niemand wagen, der Sache
beiſtimmen auch nicht gerne; es hörte Jeder lieber auf
das erſte Wort des Andern, um darnach die eigene
Rede richten zu können, ſo verfehlte man ſich am we¬
nigſten. Da kam die Hebamme, die ſchon mehrere
Male gerufen hatte, ohne Antwort zu bekommen, her¬
gelaufen, ihr Geſicht brannte hochroth, es war, als ob
die Spinne auf demſelben herumgekrochen wäre. Sie
begann zu ſchmählen, daß Niemand kommen wolle,
wie laut ſie auch rufe. „Das ſei ihr doch auch eine
wunderliche Sache; wenn man gekochet habe, ſo wolle
Niemand zum Tiſch, und wenn dann Alles nicht mehr
gut ſei, ſo ſolle ſie Schuld ſein an Allem, ſie wiſſe
wohl wie es gehe. So fettes Fleiſch wie drinnen ſtehe,
könne Niemand mehr eſſen, wenn es kalt geworden;
dazu ſei es noch gar ungeſund.“ Nun kamen die Leute
wohl, aber gar langſam, und Keiner wollte der Erſte
bei der Thüre ſein, der Großvater mußte voran. Es
war dießmal nicht ſowohl die übliche Sitte, nicht
den Schein haben zu wollen, als möge man nicht war¬
ten, bis man zum Eſſen komme, es war das Zögern,
das Alle befällt, wenn ſie am Eingang ſtehen eines
ſchauerlichen Ortes, und doch war drinnen nichts ſchauer¬
liches. Hell glänzten auf dem Tiſche, friſch gefüllt,
die ſchönen Weinflaſchen, zwei glänzende Schinken
prangten, gewaltige Kalbs- und Schafbraten dampf¬
ten, friſche Züpfen lagen dazwiſchen, Teller mit Ta¬
teren (Torten), Teller mit dreierlei Küchlene waren
[86] dazwiſchen gezwängt, und auch die Kännchen mit dem
ſüßen Thee fehlten nicht. So wars ein ſchönes Schauen,
und doch achteten ſich Alle deſſelben wenig, aber Alle
ſahen ſich um mit ängſtlichen Augen, ob nicht die
Spinne aus irgend einer Ecke glitzere oder gar vom
prangenden Schinken herab ſie anglotze mit ihren gif¬
tigen Augen. Man ſah ſie nirgends, und doch machte
Niemand die üblichen Komplimente: was man doch
ſinne, noch ſo viel aufzuſtellen; wer das doch eſſen ſolle,
man habe bereits mehr als zu viel, ſondern Alle dräng¬
ten ſich an die untern Ecken des Tiſches, Niemand
wollte hinauf.
Umſonſt mahnte man die Gäſte nach oben und
zeigte auf die leeren Plätze, ſie ſtunden unten wie an¬
genagelt; vergebens ſchenkte der Kindbettimann ein und
rief, ſie ſollten doch kommen und Geſundheit machen,
es ſei eingeſchenkt! Da nahm derſelbe die Gotte beim
Arme und ſagte: Sei du das Witzigeſte und gieb
das Exempel. Aber mit aller Kraft, und die war
nicht klein, ſperrte ſich die Gotte und rief: Nicht um
tauſend Pfund ſitze ich mehr da oben. Es gramſelt
mir den Rücken auf und nieder als führe man mit
Neſſeln daran herum. Und ſäße ich dort vor dem
Byſtal, ſo fühlte ich die ſchreckliche Spinne ſonder Un¬
terlaß im Nacken. Daran biſt du Schuld, Großvater,
ſagte die Großmutter, warum bringſt du ſolche Dinge
aufs Tapet. So etwas trägt heut zu Tag nichts mehr
ab, und kann dem ganzen Hauſe ſchaden. Und wenn
einſt die Kinder aus der Schule kommen und weinen
und klagen, die andern Kinder hielten ihnen vor, ihre
Großmutter ſei eine Hexe geweſen und in’s Byſtal ge¬
bannt, ſo haſt du es dann.
Sei ruhig, Großmutter, ſagte der Großvater, man
[87] hat heut zu Tag Alles bald wieder vergeſſen, und be¬
hält nichts mehr lange im Gedächtniß wie ehedem.
Man hat die Sache von mir haben wollen und es iſt
beſſer die Leute vernehmen Punktum die Wahrheit, als daß
ſie ſelbſt etwas erſinnen; die Wahrheit bringt unſerm
Hauſe keine Unehr. Aber kommt und ſitzet, ſeht, vor
den Zapfen will ich ſelbſten ſitzen. Bin ich doch ſchon
viel tauſend Tage da geſeſſen ohne Furcht und ohne
Zagen und darum auch ohne Gefährde. Nur wenn
böſe Gedanken in mir aufſtiegen, die dem Teufel zur
Handhabe werden konnten, ſo war es mir, als ſchnurre
es hinter mir, wie eine Katze ſchnurret, wenn man
ſich mit ihr anläßt, ihr den Balg ſtreicht, ihr behag¬
lich wird, und mir fuhr es den Rücken auf ſeltſam
und abſonderlich. Sonſt aber hält ſie ſich mäuſeſtill
da innen, und ſo lange man hier Außen Gott nicht
vergißt, muß ſie warten da Innen.
Da faßten die Gäſte Muth und ſetzten ſich, aber
ganz nahe zum Großvater rückte Niemand. Jetzt end¬
lich konnte der Kindbettimann vorlegen, legte ein mäch¬
tiges Stück Braten ſeiner Nachbarin auf den Teller,
dieſe ſchnitt ein Stückchen davon ab, und legte den
Reſt auf des Nachbars Teller, ihn mit dem Daumen
von der Gabel ſtreifend. So ging das Stück um,
bis einer ſagte: er denke, er behalte es, es ſei noch
mehr, wo das geweſen ſei; ein neues Stück begann
die Runde. Während der Kindbettimann einſchenkte
und vorlegte, und die Gäſte ihm ſagten, er hätte heute
einen ſtrengen Tag, ging die Hebamme herum mit
dem ſüßen Thee, ſtark gewürzt mit Safran und Zim¬
met, bot Allen an und fragte: wer ihn liebe, ſolle es
nur ſagen, er ſei für Alle da. Und wer ſagte, er ſei
Liebhaber, dem ſchenkte ſie Thee in den Wein und
[88] ſagte: ſie liebe ihn auch, man möge den Wein viel
beſſer ertragen, er mache einem nicht Kopfweh. Man
aß und trank. Aber kaum war der Lärm vorbei, der
allemal entſteht, wenn man hinter neue Gerichte geht,
ſo ward man wieder ſtille, und ernſt wurden die Ge¬
ſichter, man merkte wohl, alle Gedanken waren bei der
Spinne. Scheu und verſtohlen blickten die Augen nach
dem Zapfen hinter des Großvaters Rücken, und doch
ſcheute Jeder ſich, wieder davon anzufangen. Da ſchrie
laut auf die Gotte und wäre faſt vom Stuhle gefallen.
Eine Fliege war über den Zapfen gelaufen, ſie
hatte geglaubt, der Spinne ſchwarze Beine gramſelten
zum Loche heraus, und zitterte vor Schreck am ganzen
Leibe. Kaum ward ſie ausgelacht; ihr Schreck war
willkommener Anlaß, von neuem von der Spinne
anzufangen, denn, wenn einmal eine Sache unſere
Seele recht berührt hat, ſo kommt dieſelbe nicht ſo
ſchnell davon los.
„Aber hör mal Vetter, ſagte der ältere Götti, iſt
die Spinne ſeither nie aus dem Loche gekommen, ſon¬
dern immer darin geblieben ſeit ſo vielen hundert Jah¬
ren.“ „Eh, ſagte die Großmutter, es wäre beſſer man
ſchwiege von der ganzen Sache, man hätte ja den
ganzen Nachmittag davon geredet.“ „Eh Mutter, ſagte
der Vetter, laß deinen Alten reden, er hat uns recht
kurze Zeit gemacht, und vorhalten wird Euch das
Ding Niemand, ſtammet ihr ja nicht von Chriſtine
ab. Und du bringſt unſere Gedanken doch nicht von
der Sache ab, und wenn wir nicht von ihr reden
dürfen, ſo reden wir auch von nichts anderm, dann
gibts keine kurze Zeit mehr. Nun Großvater, rede,
deine Alte wird es uns nicht vergönnen.“ „He wenn
ihr es zwingen wollet, ſo zwinget es meinethalben,
[89] aber geſcheidter wäre es geweſen, man hätte jetzt von
etwas Anderm angefangen und beſonders jetzt auf die
Nacht hin“, ſagte die Großmutter.
Da begann der Großvater, und alle Geſichter ſpann¬
ten ſich wieder: „Was ich weiß, iſt nicht mehr viel,
aber was ich weiß, will ich ſagen, es kann ſich vielleicht
in der heutigen Zeit Jemand ein Exempel daran neh¬
men, ſchaden würde es wahrhaftig vielen nichts.
„Als die Leute die Spinne eingeſperrt wußten, ſie
ihres Lebens wieder ſicher waren, da ſoll es ihnen geweſen
ſein, als ſeien ſie im Himmel und der liebe Gott mit
ſeiner Seligkeit mitten unter ihnen, und lange ging es
gut. Sie hielten ſich zu Gott und flohen den Teufel,
und auch die Ritter, die friſch eingezogen waren ins
Schloß, hatten Reſpekt vor Gottes Hand und hielten
milde die Menſchen und halfen ihnen auf.
„Dieſes Haus aber betrachteten alle mit Ehrfurcht,
faſt wie eine Kirche. Anfangs ſchauderte es ſie freilich,
wenn ſie es anſahen, den Kerker der ſchrecklichen Spinne
ſahen und dachten, wie leicht ſie da losbrechen und
das Elend von vornen anfangen könnte mit des Teu¬
fels Gewalt. Aber ſie ſahen bald, daß da Gottes
Gewalt ſtärker ſei als die des Teufels, und aus Dank
gegen die Mutter, die für Alle geſtorben, halfen ſie
den Kindern und bauten ihnen unentgeltlich den Hof,
bis ſie ihn ſelbſten arbeiten konnten. Die Ritter wollten
ihnen bewilligen, ein neues Haus zu bauen, damit
ſie vor der Spinne ſich nicht zu fürchten hätten, oder
dieſe durch Zufall im bewohnten Hauſe los komme,
und viele Nachbarn wollten ihnen helfen, die der Scheu
vor dem Unthier, vor dem ſie ſo ſchrecklich gezittert,
nicht los werden konnten. Aber die alte Großmutter
wollte es nicht thun. Sie lehrte ihre Enkel: hier ſei
[90] die Spinne gebannt durch Gott Vater, Sohn und
heiligen Geiſt, ſo lange dieſe drei heiligen Namen gel¬
ten in dieſem Hauſe, ſo lange in dieſen drei heiligen
Namen an dieſem Tiſche gegeſſen und getrunken werde,
ſo lange ſeien ſie vor der Spinne ſicher und dieſe feſt
im Loche, und kein Zufall mache etwas an der Sache.
„Hier an dieſem Tiſche, hinter ihnen die Spinne,
werden ſie nie vergeſſen, wie nöthig ihnen Gott und
wie mächtig er ſei; ſo mahne ſie die Spinne an Gott
und müſſe dem Teufel zum Trotz, ihnen zum Heil wer¬
den. Ließen ſie aber von Gott, und wäre es hundert
Stunden von da, ſo könnte die Spinne ſie finden oder
der Teufel ſelbſt. Das faßten die Kinder, blieben im
Hauſe, wuchſen gottesfürchtig auf, und über dem Hauſe
war der Segen Gottes.
„Das Bübchen, welches ſo treu an der Mutter
geweſen, ſo treu die Mutter an ihm, wuchs auf zu
einem ſtattlichen Manne, der lieb war Gott und Men¬
ſchen, und Gnade bei den Rittern fand. Darum ward
er auch geſegnet mit zeitlichem Gut, und vergaß Gott
nie darob, ward nie geizig damit; er half Andern in
ihren Nöthen, wie er wünſchte, daß ihm geholfen
werde in der letzten Noth; und wo er zu ſchwach zu
eigener Hülfe war, da ward er ein um ſo kräftiger
Fürſprecher bei Gott und Menſchen. Er ward geſegnet
mit einem weiſen Weibe, und zwiſchen ihnen war ein
unergründlicher Friede, darum blühten fromm ihre Kin¬
der auf, und beide fanden ſpät einen ſanften Tod.
Seine Familie blühte fort in Gottesfurcht und Recht¬
thun.
„Ja über dem ganzen Thale lag der Segen Gottes,
und Glück war in Feld und Stall, und Friede unter
den Menſchen. Die ſchreckliche Lehre war den Menſchen
[91] zu Herzen gegangen, ſie hielten feſt an Gott; was ſie
thaten, thaten ſie in ſeinem Namen, und wo Einer
dem Andern helfen konnte, da ſäumte er nicht. Vom
Schloſſe her ward ihnen kein Uebel, aber viel Gutes.
Immer weniger Ritter wohnten dort, denn immer här¬
ter ward der Streit im Heidenlande und immer nöther
jede Hand, die fechten konnte; die aber, welche im Schloſſe
waren, mahnte täglich die große Todtenhalle, in der
die Spinne an Rittern wie an den Bauern ihre Macht
geübt, daß Gott mit gleicher Kraft über Jedem ſei,
der von ihm abfalle, ſei er Bauer oder Ritter.
„So ſchwanden viele Jahre in Glück und Segen,
und das Thal ward berühmt vor allen andern. Statt¬
lich waren ihre Häuſer, groß ihre Vorräthe, manch
Geldſtück ruhte im Kaſten, ihr Vieh war das ſchönſte
zu Berg und Thal, und ihre Töchter waren berühmt
Land auf und Land ab, und ihre Söhne gerne geſehen
überall. Und dieſer Ruhm welkte nicht über Nacht,
wie dem Jonas ſeine Schattenſtaude, ſondern er dauerte
von Geſchlecht zu Geſchlecht; denn in der gleichen
Gottesfurcht und Ehrbarkeit wie die Väter lebten auch
die Söhne von Geſchlecht zu Geſchlecht. Aber wie
gerade in den Birnbaum, der am flüſſigſten genähret
wird, am ſtärkſten treibt, der Wurm ſich bohrt, ihn
umfrißt, welken läßt und tödtet, ſo geſchieht es, daß,
wo Gottes Segenſtrom am reichſten über die Men¬
ſchen fließt, der Wurm in den Segen kömmt, die Men¬
ſchen bläht und blind macht, daß ſie ob dem Segen
Gott vergeſſen, ob dem Reichthum, den, der ihn ge¬
geben hat, daß ſie werden wie die Iſraeliten, die, wenn
Gott ihnen geholfen, ob goldenen Kälbern ihn vergaßen.
„So wurden, nachdem viele Geſchlechter dahinge¬
gangen, Hochmuth und Hoffart heimiſch im Thale,
[92] fremde Weiber brachten und mehrten beides. Die Klei¬
der wurden hoffärtiger, Kleinode ſah man glänzen, ja
ſelbſt an die heiligen Zeichen wagte die Hoffart ſich, und
ſtatt daß ihre Herzen während dem Beten inbrünſtig
bei Gott geweſen wären, hingen ihre Augen hoffärtig
an den goldenen Kugeln ihres Roſenkranzes. So ward
ihr Gottesdienſt Pracht und Hoffart, ihre Herzen aber
hart gegen Gott und Menſchen. Um Gottes Gebote
bekümmerte man ſich nicht; ſeines Dienſtes ſeiner Die¬
ner ſpottete man; denn wo viel Hoffart iſt oder viel
Geld, da kömmt gerne der Wahn, daß man ſeine Ge¬
lüſten für Weisheit hält, und dieſe Weisheit höher als
Gottes Weisheit. Wie ſie früher von den Rittern ge¬
plagt worden waren, ſo wurden ſie jetzt hart gegen
das Geſinde und plagten dieſes; und je weniger ſie
ſelbſt arbeiteten, um ſo mehr mutheten ſie dieſem zu,
und je mehr ſie Arbeit von Knechten und Mägden for¬
derten, um ſo mehr behandelten ſie dieſelben wie un¬
vernünftiges Vieh; und daß dieſe auch Seelen hätten,
die zu wahren ſeien, dachten ſie nicht. Wo viel Geld
oder viel Hoffart iſt, da fängt das Bauen an, Einer
ſchöner als der Andere, und wie früher die Ritter
bauten, ſo bauten jetzt ſie, und wie früher die Ritter
ſie plagten, ſo ſchonten ſie jetzt weder Geſinde noch
Vieh, wenn der Bauteufel über ſie kam. Dieſer Wandel
war auch über dieſes Haus gekommen, während der
alte Reichthum geblieben war.
„Faſt zweihundert Jahre waren verfloſſen, ſeit die
Spinne im Loche gefangen ſaß; da war ein ſchlau und
kräftig Weib hier Meiſter; ſie war keine Lindauerin,
aber doch glich ſie Chriſtine in vielen Stücken. Sie
war auch aus der Fremde, der Hoffart, dem Hoch¬
muthe ergeben, und hatte einen einzigen Sohn; der
[93] Mann war unter ihrer Meiſterſchaft geſtorben. Dieſer
Sohn war ein ſchöner Bube, hatte ein gutes Gemüth
und war freundlich mit Menſch und Vieh; ſie hatte
ihn auch gar lieb, aber ſie ließ es ihn nicht merken.
Sie meiſterte ihn jeden Schritt und Tritt und keiner war
ihr recht, den ſie ihm nicht erlaubt, und längſt war
er erwachſen und durfte nicht zur Kameradſchaft und
an keine Kilbi, ohne der Mutter Begleit. Als ſie ihn
endlich alt genug glaubte, gab ſie ihm ein Weib aus
ihrer Verwandtſchaft, eins nach ihrem Sinn. Jetzt
hatte er zwei Meiſter ſtatt nur einen, und beide waren
gleich hoffärtig und gleich hochmüthig, und weil ſie es
waren, ſo ſollte auch Chriſten es ſein, und wenn er
freundlich war und demüthig, wie es ihm ſo wohl an¬
ſtund, ſo erfuhr er, wer Meiſter ſei.
„Schon lange war das alte Haus ihnen ein Dorn
im Auge, und ſie ſchämten ſich ſeiner, da die Nach¬
barn neue Häuſer hatten und doch kaum ſo reich als
ſie waren. Die Sage von der Spinne und was die
Großmutter geſagt, war damals noch in Jedermanns
Gedächtniß, ſonſt wäre das alte Haus längſt ſchon
eingeriſſen worden, aber Alle wehrten es ihnen. Sie
nahmen aber dieſes Wehren immer mehr für Neid, der
ihnen kein neues Haus gönne. Zudem ward es ihnen
immer unheimeliger im alten Hauſe. Wenn ſie hier
am Tiſche ſaßen, ſo war es ihnen entweder als ſchnurre
hinter ihnen behaglich die Katze, oder als ginge leiſe
das Loch auf und die Spinne ziele nach ihrem Nacken.
Ihnen fehlte der Sinn, der das Loch vermachte, darum
fürchteten ſie ſich immer mehr, das Loch möchte ſich
öffnen. Darum fanden ſie einen guten Grund, ein
neues Haus zu bauen, in welchem ſie die Spinne nicht
zu fürchten hätten, wie ſie meinten. Das alte wollten ſie
[94] dem Geſinde überlaſſen, das ihrer Hoffart oft im Wege
war, ſo wurden ſie räthig.
„Chriſten that es ſehr ungern, er wußte, was die
alte Großmutter geſagt, und glaubte, daß der Fami¬
lienſegen an das Familienhaus geknüpfet ſei, und vor
der Spinne fürchtete er ſich nicht, und wenn er hier
oben am Tiſche ſaß, ſo ſchien es ihm, er könne am
andächtigſten beten. Er ſagte, wie er es meinte, aber
ſeine Weiber hießen ihn ſchweigen; und weil er ihr
Knecht war, ſo ſchwieg er auch, weinte aber oft bit¬
terlich, wenn ſie es nicht ſahen.
„Dort oberhalb des Baumes, unter welchem wir
geſeſſen, ſollte ein Haus gebaut werden, wie keiner
eines hätte in der ganzen Gegend.
„In hoffärtiger Ungeduld, weil ſie keinen Verſtand
vom Bauen hatten und nicht warten mochten, bis ſie
mit dem neuen Hauſe hochmüthig thun konnten, plag¬
ten ſie beim Bauen Geſinde und Vieh übel, ſchonten
ſelbſt die heiligen Feiertage nicht, und gönnten ihnen
auch des Nachts nicht Ruhe, und kein Nachbar war,
der ihnen helfen konnte, daß ſie zufrieden waren, dem
ſie nicht Böſes nach gewünſcht, wenn er nach unent¬
geltlicher Hülfe, wie man ſie ſchon damals einander
leiſtete, wieder heim ging, um auch zu ſeiner Sache
zu ſehen.
„Als man aufrichtete und den erſten Zapfen in
die Schwelle ſchlug, ſo rauchte es aus dem Loche
herauf, wie naſſes Stroh, wenn man es anbrennen
will; da ſchüttelten die Werkleute bedenklich die Köpfe,
und ſagten es heimlich und laut, daß der neue Bau
nicht alt werden werde, aber die Weiber lachten darü¬
ber, und achteten des Zeichens ſich nicht. Als endlich
das Haus erbaut war, zogen ſie hinüber, richteten ſich
[95] ein mit unerhörter Pracht und gaben als ſogenannte
Hausräuchi eine Kilbi, die drei Tage lang dauerte,
und Kind und Kindeskinder noch davon erzählten im
ganzen Emmenthal.
„Aber während allen dreien Tagen ſoll man im ganzen
Hauſe ein ſeltſam Surren gehört haben, wie das einer
Katze, welcher es behaglich wird, weil man ihr den
Balg ſtreicht. Doch die Katze, von welcher es kam,
konnte man trotz alles Suchens nicht finden, da ward
Manchem unheimlich, und trotz aller Herrlichkeit lief er
Mitten aus dem Feſte. Nur die Weiber hörten nichts
oder achteten ſich deſſen nicht, mit dem neuen Hauſe
meinten ſie alles gewonnen.
„Ja, wer blind iſt, ſieht auch die Sonne nicht,
und wer taub iſt, hört auch den Donner nicht. Darum
freuten die Weiber des neuen Hauſes ſich, wurden alle
Tage hoffärtiger, dachten an die Spinne nicht, ſondern
führten im neuen Hauſe ein üppiges, arbeitsloſes Le¬
ben mit putzen und eſſen; kein Menſch konnte es ihnen
treffen, und an Gott dachten ſie nicht.
„Im alten Hauſe blieb das Geſinde alleine, lebte
wie es wollte, und wenn Chriſten daſſelbe auch unter
ſeiner Aufſicht haben wollte, ſo duldeten die Weiber
es nicht, und ſchalten ihn, die Mutter aus Hochmuth
hauptſächlich, das Weib aus Eiferſucht zu meiſt. Da¬
her war drunten keine Ordnung und bald auch keine
Gottesfurcht, und wo kein Meiſter iſt, geht es ſo
durchweg. Wenn kein Meiſter oben am Tiſche ſitzt,
kein Meiſter draußen und drinnen die Zügel hält, ſo
meint ſich bald der der Größte, welcher am wüſteſten
thut, und der der Beſte, welcher die ruchloſeſten Reden
führt.
[96]
„So ging es zu im Hauſe drunten, und das ſämmt¬
liche Geſinde glich bald einer Rudel Katzen, wenn ſie
am wüſteſten thun. Von beten wußte man nichts mehr,
hatte darum weder vor Gottes Willen, noch vor ſei¬
nen Gaben Reſpekt. Wie die Hoffart der Meiſterwei¬
ber keine Grenzen mehr kannte, ſo hatte der thieriſche
Uebermuth des Geſindes keine Schranken mehr. Man
ſchändete ungeſcheut das Brod, trieb das Habermuß
über den Tiſch weg mit den Löffeln ſich an die Köpfe,
ja, verunreinigte viehiſch die Speiſe, um boshaft den
Andern die Luſt am Eſſen zu vertreiben. Sie neckten
die Nachbarn, quälten das Vieh, höhnten jeden Got¬
tesdienſt, läugneten alle höhere Gewalt und plagten
auf alle Weiſe den Prieſter, der ſtrafend zu ihnen ge¬
redet hatte; kurz ſie hatten keine Furcht mehr vor Gott
und Menſchen und thaten alle Tage wüſter. Das
wüſteſte Leben führten Knechte und Mägde, und doch
plagten ſie einander wie nur möglich, und als die
Knechte nicht mehr wußten, wie ſie auf neue Art die
Mägde quälen konnten, da fiel es einem ein, mit der
Spinne im Loche die Mägde zu ſchrecken oder zahm zu
machen. Er ſchmiß Löffel voll Habermuß oder Milch
an den Zapfen, und ſchrie, die drinnen werde wohl
hungerig ſein, weil ſie ſo viele hundert Jahre nichts
gehabt.
„Da ſchrien die Mägde gräßlich auf und verſpra¬
chen alles was ſie konnten, und ſelbſt den andern
Knechten graute es. Da das Spiel ſich ungeſtraft wie¬
derholte, ſo wirkte es nicht mehr, die Mägde ſchrien
nicht mehr, verſprachen nichts mehr, und die andern
Knechte begannen es auch zu treiben. Nun fing der
an mit dem Meſſer gegen das Loch zu fahren, mit den
gräßlichſten Flüchen ſich zu vermeſſen, er mache den
[97] Zapfen los, und wolle ſehen was drinnen ſei, und
ſie müßten einmal auch was neues ſehn. Das weckte
neues Entſetzen, und der Burſche, der das that, ward
Allen Meiſter, und konnte zwingen was er wollte,
beſonders bei den Mägden.
„Das ſoll aber auch ein ſeltſamer Menſch geweſen
ſein, man wußte nicht woher er kam. Er konnte ſanft
thun wie ein Lamm, und reißend wie ein Wolf; war
er alleine bei einem Weibsbilde, ſo war er ein ſanftes
Lamm, vor der Geſellſchaft aber war er wie ein reißen¬
der Wolf und that als ob er Alle haßte, als ob er
über Alles aus wolle mit wüſten Thaten und Worten;
ſolche ſollen den Weibsbildern aber gerade die liebſten
ſein. Darum entſetzten ſich die Mägde öffentlich vor
ihm, ſollen ihn aber doch, wenn ſie alleine waren, am
liebſten von Allen gehabt haben. Er hatte ungleiche
Augen, aber man wußte nicht von welcher Farbe, und
beide haßten einander, ſahen nie den gleichen Weg,
aber unter langem Augenhaar und demüthigem Nieder¬
ſehen wußte er es zu verbergen. Sein Haar war ſchön
gelockt, aber man wußte nicht war es roth oder falb;
im Schatten war es das ſchönſte Flachshaar, ſchien
aber die Sonne darauf, ſo hatte kein Eichhörnchen
einen röthern Pelz. Er quälte wie Keiner das Vieh.
Daſſelbe haßte ihn auch darnach. Von den Knechten
meinte ein Jeder, er ſei ſein Freund, und gegen Jeden
wies er die Andern auf. Den Meiſterweibern war er
unter Allen alleine recht; er alleine war oft im obern
Hauſe, dann thaten unten die Mägde wüſt; ſo bald
er es merkte, ſteckte er ſein Meſſer an den Zapfen und
begann ſein Drohen, bis die Mägde zum Kreuze kro¬
chen. Doch behielt dieſes Spiel auch nicht lange ſeine
Wirkung. Die Mägde wurden deſſen gewohnt und
I. 7[98] ſagten endlich: thue es doch, wenn du darfſt, aber du
darfſt nicht.
„Es nahte Weihnacht, die heilige Nacht. An das,
was dieſelbe uns weihet, dachten ſie nicht; ein luſtiges
Leben hatten ſie abgerathen in derſelben. Im Schloſſe
drunten hauste ein alter Ritter nur, und der beküm¬
merte ſich wenig mehr um das Zeitliche; ein ſchelmi¬
ſcher Vogt verwaltete Alles zu ſeinem Vortheil. Um
ein Schelmenſtück hatten ſie dieſem edlen Ungarwein
abgehandelt, neben welchem Lande die Ritter in großem
Streite lagen; des edlen Weines Kraft und Feuer
kannten ſie nicht. Ein fürchterliches Unwetter kam her¬
auf, mit Blitz und Sturm, wie ſelten ſonſt um dieſe
Zeit, keinen Hund hätte man unter dem Ofen hervor¬
gejagt. Zur Kirche zu gehen hielt ſie das Unwetter nicht
ab, ſie wären bei ſchönem Wetter auch nicht gegangen,
hätten den Meiſter alleine gehen laſſen; aber es hielt
andere ab, die Kirche zu beſuchen; ſie blieben allein
im alten Hauſe beim edlen Weine.
„Sie begannen den heiligen Abend mit Fluchen und
Tanzen, mit wüſtern und ärgern Dingen; dann ſetzten
ſie ſich zum Mahle, wozu die Mägde Fleiſch gekocht
hatten, weißen Brei und was ſie ſonſt Gutes ſtehlen
konnten. Da ward die Rohheit immer gräßlicher, ſie
ſchändeten alle Speiſen, läſterten alles Heilige; der ge¬
nannte Knecht ſpottete des Prieſters, theilte Brod aus
und trank ſeinen Wein, als ob er die heilige Meſſe
verwaltete, taufte den Hund unterm Ofen, trieb es bis
es angſt und bange den Andern wurde, wie ruchlos ſie
ſonſt auch waren. Da ſtach er mit dem Meſſer ins
Loch und fluchte, er wolle ihnen noch ganz andere Dinge
zeigen. Als ſie darob nicht erſchrecken wollten, weil er
das Gleiche ſchon manchmal getrieben, und mit dem
[99] Meſſer gegen den Zapfen kaum viel abzubringen war,
ſo griff er in halber Raſerei nach einem Bohrer, ver¬
maß ſich aufs ſchrecklichſte, ſie ſollten es erfahren, was
er könne, büßen ihr Lachen, daß ihnen die Haare zu
Berge ſtünden, und drehte mit wildem Stoße den Boh¬
rer in den Zapfen hinein. Laut aufſchreiend ſtürzten
Alle auf ihn zu; aber ehe Jemand es hindern konnte,
lachte er wie der Teufel ſelbſt, that einen kräftigen
Ruck am Bohrer. Da bebte von ungeheurem Donner¬
ſchlag das ganze Haus, der Miſſethäter ſtürzte rück¬
lings nieder; ein rother Gluthſtrom brach aus dem Loche
hervor, und mittendrin ſaß groß und ſchwarz aufge¬
ſchwollen im Gifte von Jahrhunderten die Spinne und
glotzte in giftiger Luſt über die Frevler hin, die ver¬
ſteinert in tödtlicher Angſt kein Glied bewegen konnten,
dem ſchrecklichen Unthiere zu entrinnen, das langſam
und ſchadenfroh ihnen über die Geſichter kroch, ihnen
einimpfte den feurigen Tod. Da erbebte das Haus von
ſchrecklichem Wehgeheul, wie hundert Wölfe es nicht
auszuſtoßen vermögen, wenn der Hunger ſie peinigt.
Und bald erſcholl ein ähnliches Wehgeſchrei aus dem
neuen Hauſe, und Chriſten, der eben den Berg herauf¬
kam von der heiligen Meſſe, meinte, es ſeien Räuber
eingebrochen, und ſeinem ſtarken Arme trauend, ſtürzte
er den Seinen zu Hülfe. Er fand keine Räuber, aber
den Tod; mit dieſem rangen Weib und Mutter und
hatten ſchon keine Stimme mehr in den hochaufgelaufe¬
nen ſchwarzen Geſichtern; ruhig ſchlummerten ſeine Kin¬
der und geſund und roth waren ihre muntern Geſichter.
Es ſtieg in Chriſten die ſchreckliche Ahnung deſſen auf, was
geſchehen war; er ſtürzte ins untere Haus, dort ſah
er die Dienſten alle verendet, die Stube zur Todten¬
kammer geworden, geöffnet das ſchauerliche Loch im
[100] Byſtal, in des ſcheußlich entſtellten Knechtes Hand den
Bohrer und auf des Bohrers Spitze den ſchrecklichen
Zapfen. Jetzt wußte er was da geſchehen war, ſchlug
die Hände über dem Kopfe zuſammen, und wenn die
Erde ihn verſchlungen hätte, ſo wäre es ihm recht
geweſen. Da kroch etwas hinterem Ofen hervor,
ſchmiegte ſich ihm an; entſetzt fuhr er zuſammen, aber
es war nicht die Spinne, es war ein armes Bübchen,
das er um Gotteswillen ins Haus genommen und un¬
ter dem ruchloſen Geſinde gelaſſen hatte, wie es ja auch
jetzt viel geſchieht, daß man Kinder um Gotteswillen
nimmt und ſie dem Teufel in die Hände ſpielt. Das
hatte keinen Theil genommen an den Gräueln des Ge¬
ſindes, war erſchreckt hinter den Ofen geflohen; es
allein blieb von der Spinne verſchont, und konnte nun
den Hergang erzählen.
„Aber noch während das Bübchen erzählte, ſcholl
durch Wind und Wetter Angſtgeſchrei von andern Häu¬
ſern her. Wie in hundertjähriger aufgeſchwellter Luſt
flog die Spinne durch die Thalſchaft, las zuerſt die
üppigſten Häuſer ſich aus, wo man am wenigſten an
Gott dachte, aber am meiſten an die Welt, daher von
dem Tode am wenigſten wiſſen mochte.
„Noch war es nicht Tag geworden, ſo war die
Kunde in jeglichem Hauſe: die alte Spinne ſei los¬
gebrochen, gehe aufs Neue todtbringend um in der
Gemeinde; ſchon lägen Viele todt und hinten im Thale
fahre Schrei auf Schrei zum Himmel auf von den Ge¬
zeichneten, die ſterben müßten. Da kann man ſich den¬
ken, welch Jammer im Lande war, welche Angſt in
allen Herzen, was das für eine Weihnacht war in
Sumiswald. An die Freude, die ſie ſonſt bringt, konnte
kein Menſch denken, und ſolcher Jammer kam vom Frevel
[101] der Menſchen. Der Jammer aber ward alle Tage
größer, denn ſchneller, giftiger als das frühere Mal war
die Spinne jetzt. Bald war ſie zu vorderſt, bald zu
hinderſt in der Gemeinde, auf den Bergen, im Thale
erſchien ſie zu gleicher Zeit. Wie ſie früher meiſt hier
Einen, dort Einen gezeichnet hatte zum Tode, ſo ver¬
ließ ſie jetzt ſelten ein Haus, ehe ſie Alle vergiftet; erſt
wenn Alle im Tode ſich wanden, ſetzte ſie ſich auf die
Schwelle und glotzte ſchadenfroh in die Vergiftung, als
ob ſie ſagen wollte: ſie ſei es und ſei doch wieder da,
wie lange man ſie auch eingeſperrt.
„Es ſchien als ob ſie wüßte, ihr ſei wenig Zeit
vergönnt, oder als ob ſie ſich viele Mühe ſparen wollte,
ſie that, wo ſie konnte, Viele auf einmal ab. Darum
lauerte ſie am liebſten auf die Züge, welche die Todten
zur Kirche geleiten wollten. Bald hier, bald dort, am
liebſten unten am Kilchſtalden, tauchte ſie mitten in den
Haufen auf, oder glotzte plötzlich vom Sarge herab auf
die Begleitenden. Da fuhr dann ein ſchreckliches Weh¬
geſchrei aus dem begleitenden Zuge zum Himmel auf,
Mann um Mann fiel nieder, bis der ganze Zug der
Begleitenden am Wege lag und rang mit dem Tode;
bis kein Leben mehr unter ihnen war, und um den
Sarg ein Haufen Todte lag, wie tapfere Krieger um
ihre Fahne liegen, von der Uebermacht erfaßt. Da
wurden keine Todten mehr zur Kirche gebracht, Nie¬
mand wollte ſie tragen, Niemand geleiten, wo der Tod
ſie ſtreckte, da ließ man ſie liegen.
„Verzweiflung lag überem ganzen Thale. Wuth
kochte in allen Herzen, ſtrömte in ſchrecklichen Verwün¬
ſchungen gegen den armen Chriſten aus; an Allem
ſollte jetzt er Schuld ſein.
[102]
„Jetzt auf einmal wußten Alle, daß Chriſten das
alte Haus nicht hätte verlaſſen, das Geſinde nicht ſich
ſelbſt überlaſſen ſollen. Auf einmal wußten Alle, daß
der Meiſter für ſein Geſinde mehr oder minder verant¬
wortlich ſei, daß er wachen ſolle über Beten und Eſſen,
wehren ſolle gottloſem Leben, gottloſen Reden und gott¬
loſem Schänden der Gaben Gottes. Jetzt war Allen
auf einmal Hoffart und Hochmuth vergangen, ſie tha¬
ten dieſe Laſter in die unterſte Hölle hinunter, und hät¬
ten es kaum Gott geglaubt, daß ſie dieſelben noch vor
wenig Tagen ſo ſchmählich an ſich getragen; ſie waren
Alle wieder fromm, hatten die ſchlechteſten Kleider an,
und die alten verachteten Roſenkränze wieder in den
Händen, und überredeten ſich ſelbſt, ſie ſeien immer
gleich fromm geweſen, und an ihnen fehlte es nicht,
daß ſie Gott nicht das Gleiche überredeten. Chriſten
allein unter ihnen Allen ſollte gottlos ſein, und Flüche
wie Berge kamen von allen Seiten auf ihn her. Und
war er doch vielleicht unter Allen der Beſte; aber ſein
Wille lag gebunden in ſeiner Weiber Willen, und die¬
ſes Gebundenſein iſt allerdings eine ſchwere Schuld für
jeden Mann, und ſchwerer Verantwortung entrinnt er
nicht, weil er anders iſt, als Gott ihn will. Das ſah
Chriſten auch ein, darum war er nicht trotzig, pochte
nicht, gab ſich ſchuldiger dar, als er war; aber damit
verſöhnte er die Leute nicht, erſt jetzt ſchrien ſie einan¬
der zu, wie groß ſeine Schuld ſein müſſe, da er ſo
viel auf ſich nehme, ſo weit ſich unterziehe, er ja ſelbſt
bekenne, er ſei nichts werth.
Er aber betete Tag und Nacht zu Gott, daß er
das Uebel wende; aber es ward ſchrecklicher von Tag
zu Tag. Er ward es inne, daß er gut machen müſſe,
was er gefehlt, daß er ſich ſelbſt zum Opfer geben
[103] müſſe, daß an ihm liege, die That, die ſeine Ahnfrau
gethan. Er betete zu Gott, bis ihm ſo recht feurig
im Herzen der Entſchluß empor wuchs, die Thalſchaft
zu retten, das Uebel zu ſühnen, und zum Entſchluß
kam der ſtandhafte Muth, der nicht wankt, immer be¬
reit iſt zur gleichen That, am Morgen wie am Abend.
„Da zog er herab mit ſeinen Kindern aus dem neuen
Haus ins alte Haus, ſchnitt zum Loch einen neuen
Zapfen, ließ ihn weihen mit heiligem Waſſer und hei¬
ligen Sprüchen, legte zum Zapfen den Hammer, ſetzte
zu den Betten der Kinder ſich, und harrte der Spinne.
„Da ſaß er, betete und wachte, und rang mit dem
ſchweren Schlafe feſten Muthes und wankte nicht; aber
die Spinne kam nicht, ob ſie ſonſt allenthalben war,
denn immer größer war der Sterbet, immer wilder die
Wuth der Ueberlebenden. Mitten in dieſen Schrecken
ſollte ein wildes Weib ein Kind gebären. Da kam den
Leuten die alte Angſt, ungetauft möchte die Spinne das
Kindlein holen, das Pfand ihrer alten Pacht. Das
Weib gebehrdete ſich wie unſinnig, hatte kein Gott¬
vertrauen, deſto mehr Haß und Rache im Herzen.
„Man wußte, wie die Alten gegen den Grünen ſich
geſchützt vor Zeiten, wenn ein Kind geboren werden
ſollte, wie der Prieſter der Schild war, den ſie zwiſchen
ſich und den ewigen Feind geſtellt. Man wollte auch
nach dem Prieſter ſenden, aber wer ſollte der Bote
ſein? Die unbegrabenen Todten, welche die Spinne
bei den Leichenzügen erfaßt, ſperrten die Wege, und
würde wohl ein Bote über die wilden Höhen der Spinne,
die Alles zu wiſſen ſchien, entgehen können, wenn er
den Prieſter holen wollte? Es zagten Alle. Da dachte
endlich der Mann des Weibes, wenn die Spinne ihn
haben wolle, ſo könne ſie ihn daheim faſſen wie auf
[104] dem Wege; wenn ihm der Tod beſtimmt ſei, ſo entrinne
er ihm hier nicht und dort nicht.
„Er machte ſich auf den Weg, aber Stunde um Stunde
rann vorüber, kein Bote kam wieder. Wuth und Jammer
wurden immer entſetzlicher, die Geburt rückte immer näher.
Da riß das Weib in der Wuth der Verzweiflung vom
Lager ſich auf und ſtürzte hin nach Chriſtens Haus, dem
tauſendfach Verwünſchten, der betend bei ſeinen Kin¬
dern ſaß, des Kampfes mit der Spinne gewärtig.
Weither ſchon tönte ihr Geſchrei, ihre Verwünſchungen
donnerten an Chriſtens Thüre lange, ehe ſie dieſelbe
aufriß und den Donner in die Stube ihm brachte. Als
ſie hereinſtürzte ſo ſchrecklichen Angeſichtes, da fuhr er
auf, er wußte erſt nicht, war es Chriſtine in ihrer
urſprünglichen Geſtalt. Aber unter der Thüre hemmte
der Schmerz ihren Lauf, an den Thürpfoſten wand ſie
ſich, die Fluth ihrer Verwünſchungen ausgießend über
den armen Chriſten. Er ſollte der Bote ſein, wenn er
nicht verflucht ſein wolle mit Kind und Kindeskindern
in Zeit und Ewigkeit. Da überwallete der Schmerz
ihr Fluchen, und ein Söhnlein war geboren vom wil¬
den Weibe auf Chriſtens Schwelle, und Alle die ihr
gefolget waren, ſtoben ins Weite, des Schrecklichſten
gewärtig. Das unſchuldige Kindlein hielt Chriſten in
den Armen; ſtechend und wild und giftig ſtarrten aus des
Weibes verzerrten Zügen deſſen Augen ihn an und es
ward ihm immer mehr, als trete die Spinne aus ihnen
heraus, als ſei ſie es ſelbſt. Da kam eine Kraft Got¬
tes in ihn und ein übermenſchlicher Wille ward in ihm
mächtig; einen innigen Blick warf er auf ſeine Kinder,
hüllte das neugeborne Kind in ſein warm Gewand,
ſprang über das glotzende Weib, den Berg hinunter
das Thal entlang, Sumiswald zu. Zur heiligen Weihe
[105] wollte er das Kindlein ſelbſten tragen, zur Sühne der
Schuld, die auf ihm lag, dem Haupte ſeines Hauſes;
das Uebrige überließ er Gott. Todte hemmten ſeinen
Lauf; vorſichtig mußte er ſeine Tritte ſetzen. Da ereilte
ihn ein leichter Fuß, es war das arme Bübchen, dem
es graute bei dem wilden Weibe, das ein kindlicher
Trieb dem Meiſter nachgetrieben. Wie Stacheln fuhr
es durch Chriſtens Herz, daß ſeine Kinder alleine bei
dem wüthenden Weibe ſeien. Aber ſein Fuß ſtund nicht
ſtille, ſtrebte dem heiligen Ziele zu.
„Schon war er unten am Kilchſtalden, hatte die
Kapelle im Auge, da glühte es plötzlich vor ihm mit¬
ten im Wege, es regte ſich im Buſche, im Wege ſaß
die Spinne, im Buſche wankte roth ein Federbuſch und
hoch hob ſich die Spinne als wie zum Sprunge. Da
rief Chriſten mit lauter Stimme zum dreieinigen Gott,
und aus dem Buſche tönte ein wilder Schrei; es ſchwand
die rothe Feder; in des Bübchens Arme legte er das
Kind und ergriff, dem Herren ſeinen Geiſt empfehlend,
mit ſtarker Hand die Spinne, die wie gebannt durch
die heiligen Worte am gleichen Flecke ſitzen blieb. Gluth
ſtrömte durch ſein Gebein, aber er hielt feſt; der Weg
war frei und das Bübchen verſtändigen Sinnes eilte
dem Prieſter zu mit dem Kinde. Chriſten aber, Feuer
in der ſtarken Hand, eilte geflügelten Laufes ſeinem
Hauſe zu. Schrecklich war der Brand in ſeiner Hand,
der Spinne Gift drang durch alle Glieder. Zu Gluth
ward ſein Blut. Die Kraft wollte erſtarren, der Athem
ſtocken, aber er betete fort und fort, hielt Gott feſt vor
Augen, hielt aus in der Hölle Gluth. Schon ſah er
ſein Haus, mit dem Schmerz wuchs ſein Hoffen, unter
der Thüre war das Weib. Als daſſelbe ihn kommen
ſah ohne Kind, ſtürzte es ſich ihm entgegen, einer
[106] Tigerin gleich, der man die Jungen geraubt, es glaubte
an den ſchändlichſten Verrath. Es achtete ſich ſeines
Winkens nicht, hörte nicht die Worte aus ſeiner keu¬
chenden Bruſt, ſtürzte in ſeine vorgeſtreckten Hände,
klammerte an ſie ſich an; in Todtesangſt muß er die
Wüthende ſchleppen zum Hauſe herein, muß frei die
Arme kämpfen, ehe es ihm gelingt, ins Loch die Spinne
zu drängen, mit ſterbenden Händen den Zapfen vorzu¬
ſchlagen. Er vermags mit Gottes Hülfe. Den ſterben¬
den Blick wirft er auf die Kinder, hold lächeln ſie im
Schlafe. Da wird es ihm leicht, eine höhere Hand
ſchien ſeine Gluth zu löſchen, und laut betend ſchließt
er zum Tode ſeine Augen, und Frieden und Freude
fanden die auf ſeinem Geſichte, die vorſichtig und angſt¬
voll kamen, zu ſchauen, wo das Weib geblieben. Er¬
ſtaunt ſahen ſie das Loch verſchlagen, aber das Weib
fanden ſie verſengt und verzerrt im Tode liegen; an
Chriſtens Hand hatte ſie den feurigen Tod geholt. Noch
ſtanden ſie und wußten nicht, was geſchehen war, als
mit dem Kinde das Bübchen wiederkehrte, vom Prieſter
begleitet, der das Kind ſchnell getauft nach damaliger
Sitte, und wohlgerüſtet und muthvoll dem gleichen
Kampfe entgegen gehen wollte, in dem ſein Vorgänger
ſiegreich das Leben gelaſſen. Aber ein ſolch Opfer for¬
derte Gott nicht von ihm, den Kampf hatte ſchon ein
Anderer beſtanden. Lange faßten die Leute nicht, welch
große That Chriſten vollbracht. Als ihnen endlich Glaube
und Erkenntniß kam, da beteten ſie freudig mit dem Prie¬
ſter, dankten Gott für das neu geſchenkte Leben, und für
die Kraft, die er Chriſten gegeben. Dieſem aber baten
ſie im Tode noch ihr Unrecht ab, und beſchloſſen mit
hohen Ehren ihn zu begraben und ſein Andenken ſtellte
ſich glorreich wie das eines Heiligen in Aller Seelen.
[107]
„Sie wußten nicht, wie ihnen war, als der ſo
ſchreckliche Schreck, der fort und fort durch ihre Glieder
zitterte, auf einmal geſchwunden war, und ſie mit Freu¬
den wieder in den blauen Himmel hinauf ſehen konn¬
ten, ohne Angſt, die Spinne krieche unterdeſſen auf ihre
Füße. Sie beſchloſſen viele Meſſen und einen allge¬
meinen Kilchgang; vor Allem aber wollten ſie die bei¬
den Leichen beſtatten, Chriſten und ſeine Drängerin,
dann ſollten auch die andern eine Stätte finden, ſo
weit es möglich war.
„Es war ein feierlicher Tag, als das ganze Thal
zur Kirche wanderte, und auch in manchem Herzen
war es feierlich, manche Sünde ward erkannt, manch
Gelübde ward gethan; und von dem Tage an wurde
viel übertriebenes Weſen auf den Geſichtern und in den
Kleidern nicht mehr geſehen.
„Als in der Kirche und auf dem Kirchhofe viele
Thränen gefloſſen, viele Gebete geſchehen waren, gingen
Alle aus der ganzen Thalſchaft, welche zur Begräbniß
gekommen waren — und gekommen waren Alle, die ihrer
Glieder mächtig waren — zum üblichen Imbiß ins Wirths¬
haus. Da geſchah es nun, daß, wie üblich, Weiber und
Kinder an einem eigenen Tiſche ſaßen, die ſämmtliche
erwachſene Mannſchaft aber Platz hatte an dem berühm¬
ten Scheibentiſche, der jetzt noch im Bären in Sumis¬
wald zu ſehen iſt. Er ward aufbewahrt zum Andenken,
daß einſt nur noch zwei Dutzend Männer waren, wo
jetzt an zwei Tauſende wohnen; zum Andenken, daß
auch das Leben der Zweitauſende in der Hand deſſen
ſtehe, der die zwei Dutzend gerettet. Damals ſäumte
man ſich nicht lange an der Gräbt; es waren die Her¬
zen zu voll, als daß viel Speiſe und Trank Platz ge¬
habt hätte. Als ſie aus dem Dorfe hervor auf die freie
[108] Höhe kamen, ſahen ſie eine Röthe am Himmel, und
als ſie heim kamen, fanden ſie das neue Haus nieder¬
gebrannt bis auf den Boden; wie es zugegangen, er¬
fuhr man nie.
„Aber was Chriſten an ihnen gethan, vergaßen
die Leute nicht, an ſeinen Kindern vergalten ſie es.
Fromm und wacker erzogen ſie dieſelben in den frömm¬
ſten Häuſern; an ihrem Gute vergriff ſich keine Hand,
obgleich keine Rechnung zu ſehen war. Es wurde ge¬
mehret und wohl beſorgt, und als die Kinder aufer¬
wachſen waren, ſo waren ſie nicht nur nicht um ihr
Gut betrogen, ſondern noch viel weniger um ihre See¬
len. Es wurden rechtſchaffene gottesfürchtige Menſchen,
die Gnade bei Gott hatten und Wohlgefallen bei den
Menſchen, die Segen im Leben fanden und im Himmel
noch mehr. Und ſo blieb es in der Familie, und man
fürchtete die Spinne nicht, denn man fürchtete Gott,
und wie es geweſen war, ſo ſoll es, ſo Gott will,
auch bleiben, ſo lange hier ein Haus ſteht, ſo lange
Kinder den Eltern folgen in Wegen und Gedanken.“
Hier ſchwieg der Großvater, und lange ſchwiegen
Alle, und die Einen ſannen dem Gehörten nach, und
die Andern meinten, er ſchöpfe Athem und fahre dann
weiters fort.
Endlich ſagte der ältere Götti: „An dem Scheiben¬
tiſch bin ich manchmal geſeſſen und habe vom Sterbet
gehört und daß nach demſelben ſämmtliche Mannſchaft
in der Gemeinde daran Platz gehabt. Aber wie Punk¬
tum alles zugegangen, das konnte mir Niemand ſagen.
Die Einen ſtürmten dieß, und Andere anders. Aber
ſage mir, wo haſt du denn Alles das vernommen?“
„He, ſagte der Großvater, das erbte ſich bei uns
vom Vater auf den Sohn, und als das Andenken da¬
[109] von bei den andern Leuten im Thale ſich verlor, hielt
man es in der Familie ſehr heimlich und ſcheute ſich,
etwas davon unter die Menſchen zu laſſen. Nur in der
Familie redete man davon, damit kein Glied deſſelben
vergeſſe, was ein Haus bauet, und ein Haus zerſtört;
was Segen bringt und Segen vertreibt. Du hörſt es
meiner Alten wohl noch an, wie ungern ſie es hat,
wenn man ſo öffentlich davon redet. Aber mich dünkt,
es thäte je länger je nöther davon zu reden, wie weit
man es mit Hochmuth und Hoffart bringen kann.
Darum thue ich auch nicht mehr ſo geheim mit der
Sache, und es iſt nicht das erſte Mal, daß ich unter
guten Freunden ſie erzählte. Ich denke immer, was
unſere Familie ſo viele Jahre im Glücke erhalten, das
werde andern auch nicht ſchaden, und recht ſei es nicht,
ein Geheimniß mit dem zu machen, was Glück und
Gottes Segen bringt.“
„Du haſt recht, Vettermann, antwortete der Götti,
aber fragen muß ich dich doch noch: war denn das
Haus, welches du vor ſieben Jahren einriſſeſt, das
uralte, ich kann das faſt nicht glauben.“
„Nein, ſagte der Großvater. Das uralte Haus
war gar baufällig geworden ſchon vor faſt dreihundert
Jahren, und der Segen Gottes in Feldern und Mat¬
ten hatte ſchon lange nicht mehr Platz darin. Und
doch wollte es die Familie nicht verlaſſen und ein neues
bauen durften ſie nicht, ſie hatte nicht vergeſſen, wie
es dem früheren ergangen. So kam ſie in große Ver¬
legenheit, und fragten endlich einen weiſen Mann,
der zu Haslebach gewohnt haben ſoll, um Rath. Der
ſoll ihnen geantwortet haben: ein neues Haus könn¬
ten ſie wohl bauen an die Stelle des alten und nicht
anderswo, aber zwei Dinge müßten ſie wohl bewahren,
[110] das alte Holz worin die Spinne ſei, den alten Sinn,
der ins alte Holz die Spinne geſtoßen, dann werde
der alte Segen auch im neuen Hauſe ſein.
„Sie bauten das neue Haus und fügten ihm ein
mit Gebet und Sorgfalt das alte Holz, und die Spinne
rührte ſich nicht, Sinn und Segen änderten ſich nicht.
„Aber auch das neue Haus ward wiederum alt
und klein, wurmſtichig und faul ſein Holz, nur der
Poſten hier blieb feſt und eiſenhart. Mein Vater hätte
ſchon bauen ſollen, er konnte es erwehren; es kam nun
an mich. Nach langem Zögern wagte ich es. Ich
that wie die Frühern, fügte das alte Holz dem neuen
Hauſe bei und die Spinne regte ſich nicht. Aber ge¬
ſtehen will ich es: mein Lebtag betete ich nie ſo brün¬
ſtig wie damals, als ich das verhängnißvolle Holz in
Händen hatte; die Hand, der ganze Leib brannte mich,
unwillkürlich mußte ich ſehen, ob mir nicht ſchwarze
Flecken wüchſen an Hand und Leib, und ein Berg
fiel mir von der Seele, als endlich alles an ſeinem Orte
ſtund. Da ward meine Ueberzeugung noch feſter, daß
weder ich noch meine Kinder und Kindeskinder etwas
von der Spinne zu fürchten hätten, ſo lange wir uns
fürchten vor Gott.“
Da ſchwieg der Großvater, und noch war der
Schauer nicht verflogen, der ihnen den Rücken her¬
aufgekrochen, als ſie hörten, der Großvater hätte das
Holz in Händen gehabt, und ſie dachten, wie es ihnen
wäre, wenn ſie es auch darein nehmen müßten.
Endlich ſagte der Vetter: „Es iſt nur ſchade,
daß man nicht weiß, was an ſolchen Dingen wahr
iſt. Alles kann man kaum glauben, und etwas muß
doch an der Sache ſein, ſonſt wäre das alte Holz
nicht da.“
[111] „Sei jetzt daran wahr, was da wolle, ſo könne
man viel daraus lernen, ſagte der jüngere Götti, und
dazu hätten ſie noch kurze Zeit gehabt, es dünke ihn,
er ſei erſt aus der Kirche gekommen.“
„Sie ſollten nicht zu viel ſagen, ſagte die Gro߬
mutter, ſonſt fange ihr Alter ihnen eine neue Geſchichte
an, ſie ſollten jetzt auch einmal eſſen und trinken, es
ſei ja eine Schande, wie Niemand eſſe und trinke. Es
ſolle doch nicht alles ſchlecht ſein, ſie hätten alles an¬
gewendet, ſo gut ſie es verſtanden.“
Nun ward viel gegeſſen und viel getrunken und
zwiſchendurch gewechſelt manche verſtändige Rede, bis
groß und golden am Himmel der Mond ſtund, die
Sterne aus ihren Kammern traten, zu mahnen die
Menſchen, daß es Zeit ſei, ſchlafen zu gehen in ihre
Kämmerlein.
Die Menſchen ſahen die geheimnißvollen Mahner
wohl, aber ſie ſaßen da ſo heimelig und Jedem klopfte
es unheimlich unterm Bruſttuch, wenn er ans Heim¬
gehn dachte, und wenn es ſchon Keiner ſagte, ſo wollte
doch Keiner der Erſte ſein.
Endlich ſtund die Gotte auf und ſchickte mit zittern¬
dem Herzen zum Weggehen ſich an, doch es fehlte ihr
an ſicheren Begleitern nicht, und mit einander verließ
die ganze Geſellſchaft das gaſtliche Haus mit vielem
Dank und guten Wünſchen, trotz allen Bitten an Ein¬
zelne, an die Geſammtheit: doch noch länger zu bleiben,
es werde ja nicht finſter.
Bald war es ſtill ums Haus, bald auch ſtill in
demſelben. Friedlich lag es da, rein und ſchön glänzte
es in des Mondes Schein das Thal entlang, ſorglich
und freundlich barg es brave Leute in ſüßem Schlum¬
mer, wie die ſchlummern, welche Gottesfurcht und gute
[112] Gewiſſen im Buſen tragen, welche nie die ſchwarze
Spinne, ſondern nur die freundliche Sonne aus dem
Schlummer wecken wird. Denn wo ſolcher Sinn woh¬
net, darf ſich die Spinne nicht regen, weder bei Tage
noch bei Nacht. Was ihr aber für eine Macht wird,
wenn der Sinn ändert, das weiß der, der Alles weiß,
und Jedem ſeine Kräfte zutheilt, den Spinnen wie den
Menſchen.
Der Ritter von Brandis.
I. 8[114]Dieſe Sage und ihre Umrahmung ſind der kleinen
Schrift entnommen, welche unter dem Titel: „Die Waſſer¬
noth im Emmenthal“, im Jahr 1838 bei Langlois in
Burgdorf heraus kam.
Dieſe Sage nebſt einer bedeutenden Anzahl Stellen der
genannten Schrift wurden von Herrn Seeger geverſet,
gereimt und in verſchiedene Zeitſchriften, namentlich in
das Morgenblatt, eingerückt. Da aber Herr Seeger nicht
angegeben hat, weſſen Worte er verſete und reimte, ſo
glaubt der Verfaſſer jener Schrift und Herausgeber dieſer
Schrift das Recht zu haben, es hier zu ſagen, damit er
von dem Verdacht frei bleibe, als ob er es wäre, der
des Herrn Segers Reime ungereimt dem Publikum auf¬
tiſche.
[115]
Sonntag Abends den 13. Auguſt 1837 ſtand auf der
Brücke zu Lützelflüh, welche auf der Straße von Luzern
nach Bern über die berneriſche Emme führt, eine be¬
bende Menge.
Eine angſtvolle, ſeltſame Woche war dem Tage des
Herrn vorangegangen.
Ein ſchwer Gewitter, den 4. Auguſt, ſchien den Herbſt
herbeigerufen zu haben, der nun einen gräulichen Kampf
mit dem Sommer rang. Nebelvoll, herbſtlich waren
die Morgen, man glaubte das Läuten der Kühe, der
Hunde Jagdgebell hören zu müſſen; gegen Mittag
brannte die Sonne durch die Dünſte in verdoppelter
Gluth, und am Abend hallten von des Donners ge¬
waltiger Stimme die Berge wieder.
Ganze Nebelheere hatten in die Schweiz ſich gezo¬
gen, waren über die Berge geſtiegen, hatten in die
Thäler ſich geſtürzt und lagerten ſich grau und wüſt
über den Thalgründen und an den Thalwänden. Von
allen Seiten waren ſie hergekommen, als ob alle Mächte
der ehemaligen ſogenannten heiligen Allianz, die rings
uns umwohnen, in ihren Ländern alle Dünſte, alles
die Luft trübende zuſammengeblaſen und fortgeblaſen
hätten über ihre Gränzen, über unſere Berge herein,
daß es ſich da ablagere und niederſchlage zu Graus
und Verderben der argloſen Schweizer. Aſtronomen
[116] berichteten ſpäter, in Deutſchland und beſonders in deſſen
Norden, wo die pfiffigen Preußen wohnen, die witzi¬
gen Berliner, die Morgens und Abends unſern Herr¬
gott bedauern, weil er nicht Witze macht wie ſie, ſei
die Atmoſphäre nie ſo lauter und durchſichtig geweſen,
wie in jenen Tagen des Auguſts, wo am Morgen
Nebelmaſſen, am Abend Wolkenmaſſen ſchwarz und
ſchwer den Schweizern über die Köpfe hingen. Später
vernahm man, daß das ſeltſame Wetter mit einem
Sturme auf den weſtindiſchen Inſeln, welcher den 2ten
Auguſt mit ſeltener Heftigkeit wüthete, ſeinen Anfang
genommen. Dieſe Maſſen waren nicht argloſe Wölk¬
chen, die auf ſanfter Winde leiſen Fittigen reiſen von
Land zu Land und roſenroth in der Abendröthe Schein
lächeln übers Land herein; die Maſſen bargen Verder¬
ben in ihrem Schooße, trugen es unter Blitz und Don¬
ner über das ganze Land.
Sie begannen die Ergüſſe ihrer Wuth am blauen
Berge, jagten die Kühe in die Sennhütten, ſchwemm¬
ten den Längnauern ihre Schweine durchs Dorf, er¬
ſchreckten mehr als ſie ſchadeten. Dann zogen ſie vom
Jura weg das Land hinauf, der Hauptſtadt zu, trüb
und feucht; und über der Hauptſtadt wetterten ſie zwei
Tage lang. Bäume brachen, Häuſer krachten, Thürme
wankten, bleich verſtummte der Menſch, barg ſein ſün¬
dig Haupt in des Hauſes ſicherſten Winkel.
Von da wälzten ſie ſich, jeden Tag von neuen
Dünſten ſchwerer, durch neue Nebelmaſſen gewaltiger,
das Land hinauf den Bergen zu. Aber zu reich geſät¬
tiget, vermochten ſie ſich nicht zu ſchwingen über der
hohen Berge hohe Firnen dem trockenen Italien, dem
weiten Meere zu. Schon an den Voralpen blieben ſie
hängen, tobend und wild, ſprühten um ſich mit ge¬
[117] waltigen Waſſergüſſen. Den 12. Auguſt wurden die
Truber, die Schangnauer, die Marbacher und Eſcholz¬
matter tüchtig eingeſchwemmt; die Röthenbacher mein¬
ten argen Schreck erlebt zu haben, Menſchenleben gingen
verloren, viel Land wurde verwüſtet. Die zwei wilden
Schweſtern, von verſchiedenen Müttern geboren, die
zornmüthige Emme, die freche Ilfis ſtürzten brüllend,
aufbegehrend, in raſender Umarmung das Land hinab,
entſetzten Brücken und Menſchen, und überall ward es
ihnen zu enge im weiten Bette. Am allgewaltigen
Strome ſtand bebend der Menſch. Er fühlte die Grän¬
zen ſeiner Macht, fühlte, daß nicht er es ſei, der die
Waſſerſtröme brauſen laſſe über die Erde und ſie wieder
zügle mit kühner mächtiger Hand.
So wild und zügellos war die Emme lange nicht
geſehen worden, unzählbare Tannen, borſtigen Schup¬
pen gleich, bedeckten ihren grauen Rücken, der Menſch
erwartete Entſetzliches, aber die Hand, die ſie losge¬
laſſen, zügelte ſie wieder, die Gefahr entfloh, in ſein
Bette gebunden ward der ohnmächtig gewordene Strom.
Bleich erhob ſich Tags darauf, Sonntag den 13ten
Auguſt, die Sonne über ihrem lieben Ländchen. Der
Menſch glaubte, der Schreck von geſtern, als ſie ſo
ſchnell vom wilden Wolkenheer überzogen ward, weile
noch auf ihren Wangen; der arme Menſch wußte nicht,
daß das Grauen vor dem, deſſen Zeuge ſie ſein ſollte
an ſelbigem Tage, auf der lieben Sonne Antlitz war.
Still verfloß im unteren Lande der Sonntag; Be¬
ſonderes ahnete kein Menſch, aber vom geſtrigen Schreck
redete man, welchen die bereits verlaufene Emme ver¬
urſacht. Gegen drei Uhr Nachmittags ſah man wohl
einen ſchwarzen Wolkenrand über die obern Berge ſich
erheben, im Rande ſah man Blitze und Regen; ein
[118] dumpfer Donnerlaut drang zuweilen ins untere Thal,
aber man achtete ſich deſſen kaum, weil es zu gewöhn¬
lich war. Dunkler ward der Himmel, kleine Tropfen
fielen ſpärlich, dann ſtrich ein ſchöner Regen übers
Land, und ihre Tabakspfeifen rüſteten gelaſſen die Män¬
ner, dem ſonntäglichen Schoppen nachzugehen. Aber
wenn der Menſch wüßte zu jeder Stunde, wie es an¬
dern Menſchen wäre zur ſelben Stunde, ſelten wäre
ihm eine glückliche Stunde vergönnt.
Da donnert es auf einmal ſo ſchrecklich und ſeltſam
von den Bergen her ins friedliche ſonntägliche Gelände,
näher und immer näher, ein bleicher Schreck legte
ſich über die Geſichter der Menſchen; die Meiſten kann¬
ten dieſen Donner nicht, der ſo ſchrecklich näher und
näher donnerte.
Nur die Alten kannten ihn, denn er wird gar ſel¬
ten gehört, und als ſie ihn nannten, als ſie ſagten,
das ſei der Emme Gebrüll, wie man es in einem Jahr¬
hundert ſelten zweimal höre, und ſeit dem Jahre 1764
nicht mehr vernommen; da ſtürzte die Menge dem Ufer,
der Brücke zu.
Noch floß trüb und matt der Strom unter der Brücke,
aber Windſtöße ſtrichen über dieſelbe und näher und
näher wälzte der Donner ſich. Lebendig, ſchwarz ward
es weit oben auf dem Bette der Emme, ein ſchauerlich
Gewimmel rollte heran, ein ungeheurer Leib, deſſen
tauſend Glieder ſich durcheinander wanden, über ein¬
ander fuhren, in einander ſich ſchlangen und bargen.
Der Druck der Luft, der ſchwere mit Mergel geſättigte
Strom trieb vor ſich her rollend, polternd eine Maſſe
leichten Holzes. Es war als hätte er mit demſelben
ſeine Stirne gewappnet zu deſto wilderem Anlauf. Es
war aber ein entſetzlich Schauen, wie dieſer Holzſtoß,
[119] von einer unſichtbaren Macht getrieben, daher wirbelte,
als wäre in jedem Stücke ein eigenes Leben, als ſuchte
jedes ſich zu retten und könnte nicht. Da ſpritzte zwi¬
ſchen dem dunkeln Gerölle das graue Waſſer auf, und
Woge um Woge bäumte ſich höher empor, ihre Häupter
zerſchlugen ſich an der Brücke, ihre Zungen leckten über
Tentſche. Mit Entſetzen ſah man in dieſe ſchäumende
Wuth hinein, in welcher Hausgeräthe tanzte von jeg¬
licher Art; Bütten Spinnräder jagten, Tiſche Züber
vor ſich her trieben, Körbe, ja Wiegen dahin fuhren,
ganze Stücke von Häuſern und Brücken anfuhren. Je¬
des Herz brach in Jammer aus über das entſetzliche
Unglück, das man nicht ſah, deſſen Zeugen aber der
immer lauter brüllende Strom an den Augen vorüber
führte. Dem leichtern Geräthe führte er die gewaltigen
Tannen nach, Tauſend um Tauſend, welche er bei den
Sägen nahm und aus den Wäldern, ſtürmte mit ihnen
die Brücke, ſtauchte zu Hunderten ſie auf, ſchmetterte
Trämel um Trämel an die Joche, ſchleuderte in wü¬
thendem Grimme ganze Tannen wie Schwefelhölzer
über die aufgeſtauchten Haufen hin an die Brücke hoch
empor, doch umſonſt. Da wälzte er das Dach einer
gebrochenen Brücke heran, ſperrte damit die Bahn zwi¬
ſchen den beiden Jochen mitten im Strome, warf Tanne
um Tanne dazu und ſtemmte mit der unermeßlichen
Gewalt ſeines ganzen Gewichtes ſich gegen die Brücke;
ſie bog ſich, ſie krachte, hoch auf ſpritzten die Waſſer
mit jauchzendem Gebrülle. Ein jäher Schreck ergriff
die Menſchen auf der Brücke, kaum trugen ſie die zit¬
ternden Glieder auf ſichern Grund; ein angſtvolles
Bangen klemmte die Herzen der Umſtehenden zuſammen,
in des Menſchen Bruſt ſtockte die Stimme. Der Nach¬
bar faßte am Arme den Nachbar, und hier und da
[120] ein Jetzt, Jetzt, wurde hörbar unter der lautloſen
Menge.
Da zerſchlug in ſeiner Wuth der Strom ſein eigen
Werk, ſchmetterte einen ungeheuren Baum an das
ſchwellende Dach; ſtatt der Brücke borſt das Dach und
verſchwand unter der Brücke in den ſich bäumenden
Wellen. Da ward der Durchgang den Waſſern wieder
geöffnet, die Stimme wieder frei in der Menſchen
Bruſt und aus jeder ſtieg ein freudiges Gottlob als
Opfergabe zu dem empor, der dem Verderben ſeine
Schranken ſetzet. Das Aergſte hatte man erwartet, als
blinde Wuth ſich ſelbſt den Weg verlegte, da half Gott,
und die maßloſe Wuth mußte die eigenen Zwecke ſelbſt
zerſtören.
Doch wenn auch dieſe Gefahr vorüber war, ſo
brachte jeder Augenblick eine neue; die Waſſer nahmen
nicht ab, immer friſche Tannen ſtürmten daher. Die
Brücke bebte ununterbrochen in den Holz- und Waſſer¬
ſtößen. Die Poſt wagte ſich nicht hinüber, nur die
verwegenſten Menſchen betraten ſie. Die Nacht kam,
Wolken lagen am Himmel, deckten den Mond; aber
das Donnern der unſichtbaren Fluth erfüllte mit drei¬
fachem Grauſen die Menſchen. Zuweilen riſſen die
Wolken auseinander, durch die Spalte warf der Mond
ſein Licht auf die Waſſerwüſte, ſeine blaſſen Strahlen
erleuchteten Streifen des ſchauerlichen Bildes.
Dann ſah man die Spitzen der Wogen wie Silber
funkeln, Tannen im Waſſer ſich bäumen oder wiegen,
rieſigen Schlangen gleich, ſah ganze Bäume ſich heben,
ihre dunkeln Aeſte ſtrecken aus flimmerndem Wellen¬
ſchaum, ungeheuren Krakken ähnlich, die ihre Arme
ausbreiteten in den ungewohnten Waſſern. Plötzlich
ſchloß die Spalte in den Wolken ſich, das Licht ſchwand,
[121] in Nacht war das grauſe Bild verſunken, im Donner
der Fluth hörte man es an ſich vorüber fahren.
Endlich, ſchon 10 Uhr wars, nahmen die Waſſer
ab; die größte Gefahr war vorüber, aber nicht die
Aufregung der Menſchen. Zur Ruhe konnten die Män¬
ner noch nicht; die Angſt um das Unbekannte, was
geſchehen war, der Trieb, zu vernehmen, was Andere
wußten, trieb ſie zuſammen zu den Schoppen, von
denen die Emme ſie abgerufen hatte. Und wie auf
Windesflügeln flog allerlei Kunde den Fluß hinauf,
den Fluß hinab, man wußte nicht wer ſie brachte, wo¬
her ſie kam; aber einem elektriſchen Schlage gleich war
ſie in allen Ohren, und jeder Mund ſprach gläubig ſie
nach. Eine halbes Dutzend Dörfer ſollten zerſtört, unge¬
zählte Menſchenleben verloren gegangen ſeien; Viele
nannte man mit Namen, erzählte ihres Todes Art und
Weiſe. Mit der Ruegsaubrücke ſollten wenigſtens fünf¬
zig Leben dem Tode zur Beute geworden ſein; mit dem
Lochbachſteg nicht ganz ſo viele, aber deſto vornehmere,
und wie die Brücken zu Burgdorf, Kirchberg und Bät¬
terkinden gebrochen worden, wußte man ganz genau.
Neben dem, was in der Ferne ſich zugetragen, er¬
zählte man ſich Dinge, die an Ort und Stelle vorge¬
fallen ſein ſollten, die von befreundeten Augen geſehen
worden, und wer ſie einmal weiter erzählt, bildete ſich
das Zweitemal in der innigen Ueberzeugungen an ihre
Wahrheit ein, ſie ſelbſt geſehen zu haben.
Noch auf der Brücke von Lützelflüh erzählte man
ſich von Kühen, welche lebendig darunter durchge¬
ſchwommen, von einem Kinde, das ſchlafend in der
Wiege, von Männern, welche auf einer Tanne unter
der Brücke durchgeritten vor Aller Augen. Man erzählte:
Auf dem Klapperplatze, eine Stunde oberhalb Lützelflüh
[122] hätte die Emme eine Bäuerin ſammt Roß und Wagen fort¬
genommen, dieſe unter der Brücke durchgefahren, das Roß
eingeſpannt lebendig voraus, die Bäuerin bolzgrade, mun¬
ter und fett hinten auf dem Sitze, das Leitſeil in der
einen Hand, in der andern aber ein rothes Nastuch,
mit welchem ſie ſich die Augen getrocknet, und als ſie
gegen die Brücke gekommen, hätte ſie zu den Leuten
auf derſelben geſagt: Guten Abend geb ech Gott!
Ja man erzählte: Auf einem ganz aufrechtſtehenden
Kirſchbaum ſei einer dahergeſchwommen, und derſelbe
habe in ſeiner Seelenangſt immer zugekirſet. Als er
gegen die Brücke gekommen, habe er ſeinen Kraten,
welcher voll geweſen, den Leuten daſelbſt entgegenge¬
ſtreckt und geſagt: Nät, wenn d’r mögigt!
Es iſt eine merkwürdige Sache, wie bei großen Un¬
glücksfällen an Ort und Stelle, und noch während das
Unglück waltet, Dinge erzählt werden, ob denen die
Haare Einem zu Berge ſtehen; ſie ſind lauter Lug und
Trug, werden geglaubt wie das Evangelium von Mann
zu Mann, und wie ſie entſtanden, und von wem ſie
gekommen, wird nie ergründet.
Aber ſelten auch wird ein bedeutendes Unglück ſich
ereignen, welches nicht durch beſondere Zeichen ange¬
kündigt worden ſein ſoll.
Als die Menſchen bei ihrem Schoppen ſaßen, die
erzählten Unglücksfälle ſattſam verhandelt hatten, die
Nacht mit ihren geheimnißvollen Schauern näher ihrer
Mitte rückte, ſagte Einer: Die furchtbare Waſſernoth
hätte ihm jüngſt Einer vorausgeſagt, er habe ſich
aber leider ſeiner Worte nicht geachtet. Es ſei ein Holz¬
händler geweſen, der ihm erzählt habe, wie er vor
wenig Tagen Wälder hinter Röthenbach beſichtigt und
dort Kröten oder Fröſche auf Tanngrotzen angetroffen
[123] hätte. Wenn dieſe Thiere ſich in die Höhe flüchten,
ſo ſei dieß ein ſicheres Zeichen einer nahen Waſſerfluth,
in welcher ſie nicht ſicher auf Erden wären.
Dieß hätte er nicht gewußt, ſagte ein Anderer;
aber ganz natürlich komme es ihm vor, merkten die
Katzen ja das Erdbeben und flüchteten ſich. Doch hätte
auch er es beſtimmt gewußt, daß die Emme anlaufen
werde. Ob Niemand in vergangener Nacht gehört hätte,
wie Pfähle geſchlagen worden ſeien längs der Emme,
wie man es immer höre, wenn ſie anlaufe. Nun wu߬
ten Alle von dieſem Pfähleſchlagen, und Einige hatten
es gehört in vergangener Nacht, und Alle bezeugten,
daß es eine ſichere Vorbedeutung ſei, und gar zu gerne
hätten ſie vernommen, was es eigentlich ſei, von wem
es herrühre, aber dieſes wußte Keiner. Stille in einer
Ecke war ein Männlein geſeſſen und hatte zu Allem
kein Wort geſagt. Aber als Einer ausrief, es reute
ihn ein Fünfbätzner, ja zwei nicht, wenn Einer ihm
erzählen könnte, aber Punktum die Wahrheit, wer dieſe
Pfähle ſchlage der Emme nach in den Wehren und
Schwellen; denn Jemand müſſe es ſein, man höre zu
deutlich Streich auf Streich. Da that jenes Männchen
den Mund auf und ſprach: wenn jenes Verſprechen
gehalten werde, ſo wolle er erzählen, wer ſchwellen
müſſe um Mitternacht vor jeglicher Waſſergröße, ſeine
Großmutter hätte es ihm viel Hundertmal erzählt, und
die hätte mehr gewußt als gegenwärtig die meiſten Leute.
Da ward ihm alſobald ein ſchöner Lohn verheißen, und
er begann, was unten zu leſen.
„Wo das Schloß Brandis geſtanden, welches ver¬
brannt wurde, als die Franzoſen kamen, das wißt ihr
Alle; es war ein ſchönes Schloß, weit und breit ward
es geſehen, und ſchön ſtund es dem Lande. Vor vielen
[124] hundert Jahren ſtund das Schloß Brandis nicht auf
der gleichen Stelle, ſondern auf dem ſteilen Hügel ober¬
halb, von wo man gar weit umher ſah im Lande und
hinein in ſo manchen Graben. Da hauſten die Frei¬
herren von Brandis von uralten Zeiten her, ein reiches
aber grimmiges Geſchlecht, ſicher vor Feinden wohnten
hinter ihrem Schilde ihre Angehörigen; aber was ihren
Herren in Sinn fiel, das thaten dieſe, und ſie mußten
es dulden, ohne Recht und ohne Klage. Der Zwing¬
herr, von dem ich erzählen will, war unter allen der
Grimmigſte, und ärger als das Vieh behandelte er ſeine
Leute. Er war grauſam reich, und doch thaten ihm
ſeine Leute nie genug, mußten für ihn jagen, fiſchen,
pflügen, holzen u. ſ. w., vielmehr als verbriefet war.
Aber er hatte die Gewalt, was frug er daher den Brie¬
fen nach. Weit und breit war ſein das Land. Da ſaß
er ganze Tage auf hohem Thurm und ſchaute übers
Land, ſchaute, wie man arbeitete für ihn, ſchaute nach
einer müßigen Hand. Wo er Einen läſſig ſah oder
matt, da ſprengte er auf fuchsrothem Hengſte an ihn
hin und züchtigte ihn auf unmenſchliche Weiſe, oder
geiſelte ihn Abends im Schloßhofe mit eigener Hand.
Je mehr Arbeit er forderte, um ſo weniger gab er
ihnen zu eſſen; wollten ſie bleiben bei der Kraft, ent¬
rinnen der Peitſche, ſo mußten ſie eſſen, was Weiber
und Kinder für ſich gepflanzet hatten, und Weiber und
Kinder mußten arbeiten, was ſonſt die Männer thaten.
Aber die hatten ſelten mehr einen Tag für ſich, und
doch waren ſie ihm dieſes Alles laut ihren pergamen¬
tenen Briefen nicht ſchuldig.
„Aber wenn Einer nur ein Wort redete von dieſen
Briefen, oder daß ihm etwas nicht recht ſei, ſo ward
er ins Thurmloch geworfen und unter Kröten und
[125] Schlangen ließ ihn der Zwingherr vermodern. Weithin
durchs Thal hörte man dieſe Gefangenen ſchreien und
jammern, wenn der Freiherr oder der Hunger, oder
das giftige Ungeziefer ſie marterten.
„Einmal konnten die Leute einen ganzen Winter
nichts arbeiten für ſich, nicht einmal holzen, geſchweige
dann ſchwellen an der Emme, und doch war die
Schwelle weg und ſchon im vergangenen Herbſte die
Emme eingebrochen und hatte grobes Unheil angerich¬
tet. Gerade da ſoll es geweſen ſein, wo jetzt Farb
und Bleiche ſtehen. Sie mußten einen unnöthigen Bau
dem Zwingherrn bauen, und in ſeiner zornigen Un¬
geduld preßte er Menſchen und Vieh faſt das Leben
aus.
„Da merkte in den Märztagen der Müller eines
Abends, daß der Flühluft (Föhn) über die Berge
komme vom warmen Italien her, und daß der Styggrad
ſeinen ſchwarzen Weg bekommen hatte, von oben bis
unten, das ſicherſte Zeichen von eintretendem Thau¬
wetter. „Marei, ſagte er ſeiner Frau, morgen ſoll ich
Steine führen von Oberburg her, zum verfluchten Bau,
aber das darf ich nicht. Sieh wie der Styggrad den
ſchwarzen Streifen hat und grauſam viel Schnee in den
Flühnen liegt. Schmilzt der Schnee und haben wir
nicht geſchwellt, ſo nimmt die Emme uns Haus und
Mühle weg. Ja, ich will Morgen früh hin aufs Schloß,
und dem Herrn es ſagen, daß geſchwellt werden muß,
iſt es doch zu ſeinem Nutzen wie zu meinem, und wo
es zu ſeinem Nutzen geht, da hat er noch Verſtand.“
„„Uli, hat darauf die Frau geſagt, ins Schloß gehſt du
mir bei Leib und Sterben nicht, Verſtand ſuche beim
Herren nicht. Beſſer iſt es, die Emme nehme die
Mühle weg, als der Herr ſchlage den Kopf dir ein;
[126] Mühlen kann man neue bauen, aber Kopf kriegſt du
keinen andern, wenn der Herr den Deinen dir ein¬
geſchlagen.““
„Aber der Müller gab der Frau nicht nach; die
Mühle war ihm lieb, und ſeinem Kopfe traute er was;
die halbe Nacht disputirte ſie mit ihm, er aber wars
gewohnt, und im Schlafe ſtörte es ihn nicht. Aber
am Morgen, während ſie noch ſchlief, machte er ſich
auf, dem Schloſſe zu, und betete in der Kirche von
Lützelſtüh, die an ſeinem Wege lag, noch zwei Unſer
Vater; denn zur ſelben Zeit beteten nicht nur die
Müller noch, ſondern ſogar die Wirthe.
„Der Müller war ein mächtiger Mann, ſein Rü¬
cken war wie ein Tennthor breit, aber doch wurden
ihm die Beine ſchwer, als er den Schloßweg aufging.
So früh er auch war, ſo war doch im Schloſſe oben
ſchon gewaltiger Lärm; Hunde bellten im Hofe, Pferde
wieherten, Knechte klirrten mit Waffen und mitten im
Hofe ſtand demüthig ein Bäuerlein.
„Demſelben waren zwei Bären in die Heerde ge¬
brochen und ihrer Spur war er nachgegangen, ſie führte
gerade zur Hölle; ſo heißt noch heut zu Tage ein dunk¬
ler Waldgrund auf der Egg, zwiſchen Lützelflüh und
Affoltern. Die Hölle war er umgangen, die Bären
waren darin, die Rache trieb ihn zum Schloſſe, dem
Ritter die Bären zu verrathen. Wen nicht was be¬
ſonders trieb, ging nicht freiwillig zum Schloſſe. Aus
dem Bette war der Freiherr gefahren, hatte Jagd be¬
fohlen, befohlen, ſo viel Bäuerlein zuſammen zu trei¬
ben als möglich; er lechzte nach Bärenſtreit und Bä¬
renfleiſch, am Bauernfleiſch aber war ihm nichts
gelegen
„Zugleich mit dem Müller trat er in den Hof, raſ¬
ſelnd in ſchwerer Rüſtung, faſt ſieben Schuh hoch, mit
rothen Augenbraunen faſt fingerslang. Sein graues
Augenpaar blitzte wild durch den Hof, Flüche donnerte
ſein bärtiger Mund über die Knechte, die ihm zu lang¬
ſam ſchienen in ſeiner Bärenbrunſt. Da nahm der
Müller ſein Herz in beide Hände, ſtellte ſich ihm unter
das Geſicht und bat mit demüthigen Geberden gar
dringlich: daß der hohe Herr ihm doch geſtatten möchte,
zu Hauſe zu bleiben mit noch Einigen, zu ſchwellen
an der Emme, ſonſt gehe Haus und Hof zu Grunde.
Der Flühluft gehe, der Styggrad habe einen Weg faſt
ſo breit wie der Schloßweg; ſchon regne es warm
über die Berge und Schwelle ſei keine mehr, wie der
Freiherr ſelbſt geſehen. Wie er ſo geredet, ſchlug mit
eiſernem Handſchuh der Ritter den Müller aufs Maul,
und donnerte die Worte ihm zu: „Wohl, die Steine
magſt du laſſen, aber die Bären hilfſt du treiben; die
Steine fährſt du morgen; die Mühle iſt mein, und
was die Emme mit ihr macht, kümmere dich nicht.“
Der Müller wollte noch einmal anſetzen zur Rede,
aber der Ritter, ſchon zu Roß, ſchlug ihn auf den
Kopf mit der Eiſenfauſt, trieb ihn mit bäumendem
Roſſe zum Thore hinaus, und voran durch den ſchmel¬
zenden Schnee mußte der Müller dem Ritter. Mit
altem Buchenlaube wiſchte der Müller ſein blutend
Geſicht ab, aber ſein wuthblutendes Herz konnte er
mit keinem Laube abwiſchen.
„Raſch ritt der Ritter der Hölle zu, voran der Mül¬
ler, er mochte nicht erwarten bis er darinnen war;
raſch trieben die Knechte die keuchenden Bäuerlein nach.
Als ſie hinaus kamen, wo jetzt Neuegg liegt, weit
außen auf der Egg, fand ſich die Bärenſpur und
[128] führte ſchnurſtracks zur Hölle. Die Schlucht ward
umgangen, die Jäger verſtellten ſich, die Hunde blie¬
ben gekoppelt, die Bäuerlein begannen zu treiben. Der
Ritter wagte lieber Bauern als Hunde an die gefähr¬
liche Jagd.
„Die Bären hielten hart, wie kein Wild gerne ſein
trocknes Lager verläßt, wenn der Sturm beginnt. End¬
lich ſtürzten ſie, faſt berührt von den Treibern, aus
dem finſtern Schlund und brummend und zornig aus
dem Dickicht, beide ſchnurſtracks auf den Ritter zu.
Derſelbe ſtand, abgeſeſſen vom Roſſe, mit Schwert und
Spieß gerüſtet, alleine in der Rinne, durch welche die
Bären kamen, ſtellte ſich ihnen entgegen, wie eine
Mauer, wehrte ſich handlich mit Schwert und Spieß,
aber zwei wüthende Bären ſind doch mehr als ein
Ritter, der abgeſeſſen vom Roſſe, darhalten muß.
Der Müller, der Erſte unter den Treibern, ſah des
Ritters Drangſal, gedachte als ein biederer Schweizer¬
mann nicht an das Vergangene, ſondern nur, daß in
Bärennoth ein Menſch ſei; dem Ritter ſprang er zu
Hülfe und ſchnell waren die Bären gefällt, lagen todt
auf blutigem Grunde.
„Der Ritter ſaß wieder hoch zu Roß; auf Schlitten
waren die Bären gelegt, die Bäuerlein zogen die
Schlitten; der Müller zog mit an den Schlitten, und
kein Wort des Dankes hatte ihm der Ritter geſagt.
Sie hatten ein mühſelig ziehen. Der mit dem warmen
Winde gekommene Regen hatte Schnee und Boden
aufgeweicht und des Müllers Kraft war nöthig. Als
ſie an Schaufelbühl vorbei gezogen waren und hervor
gegen die Hochwacht kamen, wo man niederſieht auf
die Emme und hin an die Furrenfluh, unterhalb welcher,
aber dießſeits des Stromes, die Mühle ſteht, ſahen ſie
[129] der Emme tobende Wuth und wie ſie bereits ins Land
gebrochen, durch den Farbſchachen niederfluhtete. Da
ließ der Müller ungefragt ſeinen Schlitten fahren,
ſtürzte durch Wald und Weid ins Thal hinab, den
nächſten Weg ſeiner Mühle zu. Aber ſchon fand er
ſie nicht mehr, fand oben an der Halde Weib und
Kinder, aber der Säugling fehlte. Nachbarn hielten
das verzweifelnde Weib, welches in die Fluthen ſich
ſtürzen wollte, dem ertrunkenen Kinde nach. Lautlos,
mit gerungenen Händen ſtand der Müller über dem
wilden Waſſer und der Halde Rand. Da kam auf
fuchsrothem Hengſte der Ritter angeſprengt, fuhr mit
Toben und Drohen auf den Müller ein, daß er unge¬
fragt und unerlaubt den Schlitten verlaſſen.
„Der aber hob ſeine Fäuſte geballt zum Ritter auf
und nannte ihn Kindesmörder und des Teufels leib¬
haftiger Sohn. Da ſchmetterte des Ritters Streitaxt
auf ſeinen Retter nieder, dem er kein Wort des Dan¬
kes geſagt, und mit geborſtenem Schädel ſtürzte dieſer
rücklings die Halde hinab in die wilde Fluth. Als
die Müllerin ſah des Ritters That, riß ſie ſich aus
den haltenden Armen, hob hoch zum Himmel ihre Hände
und verfluchte den Ritter, daß er keine Ruhe im Grabe
haben ſolle, ſondern Emme auf, Emme ab ſchwellen
müſſe in dunkler Nacht, bei drohender Waſſergröße,
und ſtürzte ſich Mann und Kinde nach in die Wel¬
len. Lange noch ſah die betäubte Menge blutige Kreiſe
von des Müllers gebrochnem Schädel das Waſſer nie¬
derziehen, und neben ihnen hochaufgeſtreckt die fluchende
Hand der Müllerin. Trotzig ſah der Ritter über die
betäubte Menge den verſchwindenden Leichen nach;
trotzig, würdig ſeines trotzigen Geſchlechtes, ritt er heim
und trotzig geberdete er ſich je einen Tag wie den an¬
I. 9[130] dern. Aber eine unſichtbare Gewalt ſchien den mäch¬
tigen Leib zu verzehren; er fiel Tag um Tag ſichtbarlich
zuſammen, und ehe das Jahr um war und der Flüh¬
luft wieder kam von den Bergen her, ward der tro¬
tzige Freiherr von Brandis begraben zu Lützelflüh. Dort
liegt er tief in der Kirche Chor, ſein Grabmal ſieht
man nicht.
„Aber wenn der Flühluft über die Berge weht, der
Styggrad den ſchwarzen Streifen zeigt, heiße Dünſte
wettern wollen in den Bergen, ſo regt es ſich und
ſtöhnt in des Ritters Grabe. Er muß auf, muß die
ſchwere Streitaxt faſſen mit knöcherner Hand, muß in
eiſernem Gewande die Emme auf und ab, die rothen
Augenbraunen flatternd im Nachtwinde. Wo er lockere
Pfähle in den Schwellen ſieht, da muß er ſie feſtſchla¬
gen mit ſeiner Streitaxt, muß neue einſchlagen, wo
es Noth thut und der Menſch es nicht gewahrt; muß
durch ſein Klopfen und Schlagen, das in dunkler
Nacht ſo ſchauerlich von Felſen zu Felſen hallt, die
Anwohner warnen, zu wehren und zu wahren zu rech¬
ter Zeit der Emme Schwellen und ihr Eigenthum;
und muß dann ſtehen, da wo er den Müller erſchlagen,
bis er wittert Morgenluft, bis ſeine Augenbraunen
flattern im Morgenwinde, bis von der Mühle herauf
der Hahn kräht, dann darf er wieder in ſeines Gra¬
bes Moder. Dieſer Bann drückte gewaltig die ſtolze
Familie. Um ſchwer Geld ſollte ein kundig Mönchlein
ihn löſen; denn der Glaube, daß Geld und Gewalt
Alles möglich ſei, hatte ſie ſo trotzig gemacht. Das
Mönchlein aber ſprach nach langem Forſchen: Dieſen
Bann kann ich nicht löſen, der Fluch wird den Ritter
wecken im Grabe, rufen an der Emme Schwellen und
Wehren, bis die Emme zahm wird, bis ſie keine
[131] Schwellen mehr braucht, bis kein Herr mehr einen
Müller drückt, bis kein Freiherr mehr den Dank ver¬
gißt.
„Da erſchrak die Familie, es kam ihr vor, als
werde dieſer Fluch ſie überleben; ſie verkaufte Haus
und Hof. Sie wollte den grauenvollen Ahnherrn
nicht ſchwellen und hämmern hören von hohem Schloſſe
in dunkler Nacht, an den Schwellen und Wehren der
Leibeigenen. Der alte aber mußte bleiben, wohin ihn
der Fluch gebannt; er konnte nicht mit ſeiner Familie
ziehen in die Bündnerlande, wohin ſie ſich wandte;
da wird er noch fürder bleiben; denn wann wird der
Fluch ſich löſen, wann die Emme zahm werden, kein
Freiherr mehr den Dank vergeſſen?“
So ſprach das Männchen, aber viel weitläufiger
als es hier zu leſen iſt.
Seinen Zuhörern war manch kalter Schauer über
die Haut gelaufen; aber gar wohlig war es ihnen ums
Herz geworden, und die Schoppen, die ſie bezahlten,
zählten ſie nicht. Sie hätten die ganze Nacht durch
Schoppen gezahlt ungezählt, wenn das Männchen nur
die ganze Nacht durch erzählt hätte.
Aber er endigte, und wie er endigte, ging die
Thüre auf, und ein Ruck gabs durch Alle, und manch
Glas fiel zur Erde und manch anderes ward verſchüt¬
tet; unter der Thüre ſahen ſie den alten Ritter, die
rothen Augenbraunen, flatternd im Nachtwinde.
Als ſie wieder kaltblütiger wurden, ſahen ſie keinen
Ritter mehr, aber den Poſtillion der zurückgebliebenen
Poſt, welcher von ſeinen Pferden her in die Stube
kam im Stiefeltritt, mit rothe Augenbraunen flatternd
im Geſicht.
[132]
Aber Manchem fröſtelte es den Rücken auf, bis er
daheim war, den Kopf auf dem Hauptkiſſen hatte.
Keinem fehlte der Schlaf, aber dem Einen begann ſein
Bett zu ſchwimmen in der Emme, und Trämel um
Trämmel fuhr auf ihn ein; ein Anderer ſah die Bäue¬
rin daher fahren auf ihrem Wägelein und mit dem
rothen Schnupftuch die Augen wiſchen; ein Dritter
reckte die Hand nach dem Kirſchenkratten, der über die
Brücke herein gereicht ward, reckte und reckte, und
konnte ihn doch nicht erlangen; ein Vierter war auf
der Bärenjagd; ein Fünfter meinte er ſei der Müller
und fühlte des Ritters Streitaxt an ſeinem Schädel.
Aber alle ſchliefen in weichen Betten, keine Schuttſtatt
war ihr Lager, keinem war ein theuer Haupt verloren
gegangen, und wem kein Engel an der Haupteten
wachte, deſſen ſelbſteigene Schuld war es. Rechten
Bericht, was in den Bergen vorgegangen, vernahm
man erſt am folgenden Tag.
Da hörte man, daß die ganze Dunſt- und Nebel¬
maſſe, welche 8 Tage lang im Lande herum gewettert,
am Samſtag den Zug über die Berge umſonſt verſucht,
ſich geſammelt hatte in den oberſten Thälern des Em¬
menthals, dießſeits der Berge, welche das Emmenthal
ſcheiden vom Oberland. Als ob allen Nebelſchaaren,
allen Wolkenheeren entboten worden wäre, ſich loszu¬
reißen aus allen Thälern, von allen Höhen, ſei es
geweſen. Auf Windesflügeln, in Windesſauſen, ſei
Heer um Heer gekommen, hätte an der Hohnegg ſich
gelagert, um über dieſelbe, in grauenvoller Maſſe ge¬
ballt, durchzubrechen ins Thunerthal, um von dieſem
lüſternen Städtchen weg ſich den Weg zu bahnen aus
dem frömmern Lande ins ſinnlichere Land. Von Minute
zu Minute ſei dichter geworden und grauenvoller der
[133] ungeheure dunkle Wolkenknäuel, der an die Wände
der Hohnegg ſich gelegt, und deren Gipfel zu beugen
geſucht, zu leichterm Durchgange für die ſo ſchwer be¬
ladene Wolkenmaſſe. Aber der alte Bernerberg hätte
nicht gewankt, wie ungeheuer der Andrang auch gewe¬
ſen, wie klug ein kleines Beugen geſchienen. Als die
Wolkenheere mit tauſend Stimmen heulend, tauſend¬
mal fürchterlicher als tauſend Hunnenheere, herange¬
ſtürmt, ſei ſchweigend in trotziger Majeſtät der Berg
da gelegen und hätte kühn den Weg geſperrt nach al¬
ter Schweizerweiſe, die den Feind hineinließ ins Land
aber nicht wieder hinaus.
Da hätte höher und höher der Knäuel ſich gehoben,
aber eigene Schwere ihn immer niedergedrückt; ſo ſei
er ergrimmt zu fürchterlicher Wuth, hätte aus feurigem
Schooße Blitz um Blitz geſchleudert auf des Berges
Gipfel, und in Stürmen und Donner zu erſchüttern
verſucht des Berges Grund und Seiten.
Aber umtoſet von den grimmigſten Wettern hätte
der alte Bernerberg nicht gewankt, ſein Haupt nicht
gebeugt vor den zornerglühten Blitzesſtrahlen. Wie ein
ſchwarzes Leichentuch, durchwirkt mit feurigen Blitzen,
hätte das Wolkenheer ſich immer tiefer geſenket auf
die ergrauende Erde; da ſei plötzlich der ungeheure
Wolkenſchooß zerriſſen; entbunden ſeien die Waſſermaſ¬
ſen geworden in ihren luftigen Kammern; Waſſer¬
meere ſeien niedergefluthet über Berge und Thäler;
Waſſerſtröme ſeien geſtürzt vom Himmel, Waſſerſtröme
die Seiten der Berge nieder; zum ungeheuren Strome
ſei der kleine Röthenbach geworden, der ganze Thal¬
grund das Bett ſeiner Fluth; auf dem Rücken ſeiner
Wellen ſeien in wildem Tanze Wälder und Häuſer
daher gefahren. Der Donner ſei nie verhallt, die Blitze
[134] hätten nie verleuchtet; es ſei geweſen als ob Himmel
und Berge und Erde vom Waſſer ſatt daher kämen,
das Thal hinunter, und von einem Wirbel alles er¬
griffen, alles verſchlungen, zum alten Chaos werden
ſollte. Da hätten die Menſchen erkannt vor Gottes
Gewalt und ihrer Sündenſchuld; der jüngſte Tag ſei
angebrochen, hätten ſie gemeint, und um nichts anders
gebeten, als um Gottes Gnade und ihrer Schuld Ver¬
gebung. Aber noch ſei es nicht an der Zeit geweſen;
des Schreckens Poſaunen ſeien verſtummt, und den
Menſchen ſeien die Augen wieder aufgegangen für das
Zeitliche. Da hätten ſie ein weites Grab geſehen ver¬
gangener Herrlichkeit, und ſtundenlang ſei dieſes Grab,
grau und graus, und um daſſelbe ſtünden weinende
Menſchen, und jammerten um die untergegangene Herr¬
lichkeit, die nie wiederkehren werde; und ſo war es
auch. Aber die Herrlichkeit iſt wiedergekehrt und die
verheerten Thäler blühen herrlicher als früher; ein
Zeichen Gottes, daß alles Irdiſche vorübergeht, nicht
die Freude nur und die Herrlichkeit, ſondern auch das
Leid, ſondern auch der Graus.
Das gelbe Vögelein
und
das arme Margrithli.
[[136]][[137]]In einem kleinen Stübchen begann es zu dunkeln. Am
Fenſter ſaß ein altes Mütterchen; an ſeiner Schürze
hingen ihm zwei muntere Enkel. Draußen hingen
die Bäume voll Schnee; beißig war die Kälte und an
den kleinen Scheiben begann ſie Blumen zu bilden.
Gar gewaltig plagten die Kleinen das Großmütterli,
daß es ihnen noch etwas erzählen möchte, und das
Großmütterli klagte, es wiſſe bald nicht mehr was.
Von den Erdmännchen hätte es ihnen erzählt, wie ſie
ganz kleine kleine Leutchen ſeien und den lieben Kindern
allerlei ſchönes Gfätterzeug brächten; auch von der ſchö¬
nen Feefrau, die im Walde ſei und verirrte Kinder
heimbrächte; auch vom Mäuschen und ſeinem Gro߬
mütti, und jetzt wiſſe es nichts mehr. Aber die Kinder
ließen nicht nach und baten fort und fort: Großmütti,
ume no eis G’ſchichtli. Da rief plötzlich eins der Kin¬
der: „Luegit, luegit doch das ſchön gäl Vögeli, das
da am Fenſter ſteit mit dene Spatze u ſo gwungerig is
Stübli luegt. Großmütti lueg doch, wie ſchön und wie
gwungerig es iſch, dörfe mer ne Brodbrösmeli gäh us
dr Tiſchdrucke?“ Die Großmutter konnte natürlich, wie
die meiſten Großmütter, den Kleinen nichts abſchlagen,
und das Fenſterchen ward geöffnet und die Brösmeli
auf den Sinzel geſtreut.
Die Vögelchen flogen beim Oeffnen des Fenſters
auf die nächſten Bäume, und wie es wieder zu ging,
[138] flatterten ſie emſig herbei, vergaßen ihre kalten Füßchen,
die ſie vorhin durch herabhängendes Gefieder zu erwär¬
men geſucht hatten. Die Kinder freuten ſich gar ſehr,
daß auch das gelbe Vögelein (ein Gilberich, Goldammer)
wieder kommen werde, damit ſie es recht beſchauen
könnten. Aber das kam nicht und immer nicht; die
Kinder weinten faſt vor Betrübniß. Sie wollten ab¬
ſolut von dem Großmütti wiſſen, warum gerade dieſes
Vögelchen nicht wiederkomme, ob es nicht auch hungrig
geweſen, und wo es wohl möge hingeflogen ſein? Das
Großmütti, lange gedrängt von dieſen Fragen, ſagte
endlich, es wolle ihnen erzählen, wer das Vögelchen
eigentlich geweſen ſei, warum es gekommen und wohin
es geflogen, aber ſie müßten hübſch ſtille ſein und auf¬
merkſam. Als die Kinder das mit großer Freude ver¬
ſprachen, nahm die Großmutter noch eine Priſe, fuhr
mit verkehrter Hand unter der Naſe durch und begann
folgende Geſchichte.
„Der liebe Gott hat gar viele tauſend Engelein,
und alle braucht er zu Lieb und Nutz der Menſchen.
Dieſer Engelein hat er gar vieler Gattig, und manch¬
mal ſieht ſo ein Engelein aus wie ein Menſch und
manchmal wie ein Vögelein. So ſind dieſe gelben Vö¬
gelein auch Engelein Gottes, und die ſendet er im
Winter her zu Lieb und Nutz den armen Leuten. Und
da war einmal ein Mann, der hatte Frau und Kin¬
der; es waren gar arme Leute, ſie hatten nichts, als
was ſie verdienten, und gar manchmal hatten ſie nichts
zu verdienen. Wenn es recht kalt war oder ſtark reg¬
nete, ſo ſchickte der Bauer, bei dem der Vater taunete,
ihn nach Hauſe, dann machte er keinen Lohn und mußte
daheim eſſen. Und der arme Vater mußte ſo viel an¬
ſchaffen, Kleider für die Kinder, Eſſen für alle, den
[139] Hauszins bezahlen und im Winter ſollte er noch Holz
kaufen. Sein Bauer gab ihm keinen Spreißen zur
Behauſung, aber er bot ihm manchmal an, wenn er
in fremdem Holz ſtehlen wolle, ſo wolle er es ihm mit
ſeinen Roſſen heimführen. Sie hatten eine magere Geiß,
von der nahmen ſie die Milch, und die Mutter machte
noch manchmal Anken von dieſer Milch in einer Flaſche,
um doch zuweilen etwas Schmutziges zu haben, um
eine rechte Suppe zu machen, was ſie oft lange, lange
nicht vermochte. Ja, Kinder, das ſind ſehr arme Leute
geweſen, und die Kinder ſo mager und bleich, ich kann
euch nicht ſagen wie.
„Und doch waren es gar brave Leute und blieben
brave Leute. Der Vater nahm auch kein Scheit frem¬
des Holz; von dem Flachs, den die Mutter zu ſpin¬
nen bekam, nahm ſie nie auch nur für einen einzigen
Näthlig. Auch den Kindern ſchärften ſie früh ein,
wie der liebe Gott im Himmel es nicht wolle, daß
man auch nur das Geringſte nehme, was andern Leu¬
ten ſei, und wie es ihm ein Herzenleid ſei, wenn er
Kinder ſich verſündigen ſehe an fremder Sache. O wie
gluſtig ſahen manchmal die armen Kinder ſchöne Aepfel
und Birnen am oder im Wege am Boden liegen;
aber ſie nahmen nichts für ſich, freundlich ſahen ſie
die ſchönen rothen Backen an und gingen dann weiter
und dachten: der liebe Gott werde ihnen ſicher auch
einen ſchönen rothen Apfel oder eine ſaftige Birne zu¬
kommen laſſen, wenn ſie ſeine getreuen lieben Kinder
blieben. Und allerdings, wenn ein Bauer oder eine
Bäuerin ſah, wie die armen Kinder neben den ſchön¬
ſten Aepfeln vorbeigingen oder ſie aufhoben und in die
Hofſtatt warfen, damit ſie im Wege nicht vertrappet
würden, ſo erhielten ſie manchmal ganze Scheuben
[140] voll Aepfel und Birnen von den ſchönſten und nicht
bloß halbfaules Auflesobſt. Und ſie erhielten es un¬
gebettelt, denn betteln wollten ſie nicht und die Eltern
hießen ſie nicht. Aber wenn etwas zu verdienen war,
Nüßlikraut zuſammenzuleſen oder Rabünzli, Erdbeeren
oder Brombeeren, ſo waren ſie auf den Beinen früh
und ſpät und freuten ſich ſo kindlich und herzlich, wenn
ſie dem armen Müetti einen Kreuzer Geld heimbringen
konnten, daß es konnte ein Stückli Brod kaufen oder
ein Schlückli Milch. Das älteſte Kind hieß Margrithli
und war ein gar kluges und (anſchlägiges) difiges
Mädchen. Es machte ſchon faſt die ganze Haushaltung,
damit die Mutter ungeſtört am Spinnrad ſitzen konnte;
und dem kleinſten Kind war es wie ein kleines Müetti,
ſo lieblich und gedultig ging es mit ihm um.
„Da gab es einmal einen gar grauſam kalten Winter,
wo Stein und Bein Monate lang gefroren waren und die
Kälte in alle Häuſer drang; ach, und in das Stübchen
der Armen drang ſie gar grauſam. Der Vater hatte mit
Mieſch (Moos) die Wände vermacht, ſo gut er konnte,
aber das half nichts. Die Fenſter waren ſchlecht und
fielen faſt aus den faulen Einzeln heraus, die Thüre
ſchloß nicht und von allen Seiten war das Häuschen
dem Bysluft zweg. Auch das tüchtigſte Heizen hätte
nicht lange gefruchtet; aber wie ſollten ſie tüchtig hei¬
zen in den grundſchlechten Ofen, den neu zu bauen
ſchon des Bauern Vater Steine geführt hatte, die
dann aber der Sohn für etwas anderes brauchte?
Wie ſollten ſie tüchtig heizen, die armen Leute — das
Holz war ſo theuer geworden, daß der Vater faſt ei¬
nen Taglohn gebraucht hätte, um die Stube recht
warm zu machen, und dazu hatte er eben wegen der
Kälte wenig zu verdienen. Und eben weil das Holz
[141] ſo viel Geld galt, ſo verkauften es die Leute lieber als
daß ſie es verſchenkten. Sonſt hatten gute Leute dem
Vater immer ein dürres Tannli gegeben oder erlaubt,
einige Bäume aufzuſchneiden, jetzt aber wollte ihm
Niemand etwas erlauben, alle Leute hatten alles ſelber
zu brauchen, wie ſie ſagten. Aber was ſollen die
armen Leute anfangen, wenn man ihnen, je theurer
das Holz wird, deſto weniger ſchenkt, wenn kein Ver¬
dienſt mehr beim Spinnen iſt, und die alten Oefen
in den kleinen Häuschen immer ſchlechter werden, ſagte
die Großmutter. Was die armen Leute im ſchlechten
Häuschen anfangen wollten, wußten ſie ſelbſt nicht.
Es war ſo kalt bei ihnen, Biecht an allen Wänden,
und wenn ſie heizten, ſo ward es ſo feucht und naß
und bald wieder um ſo kälter, und ihre Betten waren
ſo ſchlecht und dünn, daß ſie faſt Tag und Nacht ſchlot¬
terten, die armen Leute.
„Wenn der Vater den ganzen Tag in der Kälte
gearbeitet hatte in ſeinen dünnen Kleidern, ſo fand er
daheim keinen warmen Ofen, kein gutes Bett, wo er
recht erwarmen konnte; kalt mußte er am Morgen wie¬
der in die Kälte hinaus. Aber eines Morgens konnte
der Vater nicht mehr fort, ein ſchreckliches Fieber kam
ihn an, bald war ihm, als ob er im Feuer läge, bald
als ob er zu einem Eiszapfen werden ſollte, und als
ob man ihn mit Spießen gusle; bald ſchüttelte es ihn,
daß faſt das Häuschen zitterte, bald kam er in Angſt,
daß es ihm zu eng ward im Häuschen. Da ward es
ſeiner Frau und den Kindern gar Angſt um den Aetti,
ſie ſtunden um das Bett herum und fragten alle Augen¬
blick: o Aetti, Aetti beſſerts no nüt? Die Mutter hatte
in einem Säckli noch ein Hämpfeli Bocksbart, und von
dem machte ſie geſchwind Thee und gab ihm ein davon;
[142] aber das Fieber wollte nicht abnehmen. Da jammerte
ſie, wenn ſie doch nur dürre Kirſchen hätte, fürs Fie¬
ber ſei nichts Beſſeres als ab denſelben zu trinken, es
ſagten es alle Leute; aber arme Hüng, wie ſie, hätten
keine dürre Kirſchen. Das ging dem Margrithli wie
ein Stich durchs Herz, daß dem Vater es beſſern würde,
wenn er ab Kirſchen trinken könnte, und daß ſie keine
hätten, und der gute Vater ſtöhnte ſo jämmerlich! Da
ging Margrithli leiſe zur Thüre hinaus, der arme
Vater ſollte Kirſchen haben; es wollte zum erſten Male
betteln gehen. Es wußte eine Frau, die hatte ihm ſchon
manches gute Wort gegeben, die werde ihm wohl auch
Kirſchen geben, dachte es. Und es irrte ſich nicht, ſie
gab ihm ein ganzes Kacheli voll, als es halb weinend
bat und verſprach, es wolle ihr dann im Sommer Ka¬
mille dafür z’ſäme leſe, oder was ſie ſonſt wolle; aber
Geld hätte ſie keins, ſie ſeien gar grauſam arm und
wüßten nicht, wann der Aetti wieder etwas verdienen
könne.
„Der Aetti konnte nichts mehr verdienen, und ſo
wurden ſie noch alle Tage ärmer, und kälter ward es
alle Tage in ihrem Stübchen. Die Kinder gingen
zwar alle Tage in den Wald, dürre Aeſte zuſammen¬
zuleſen, aber der Wald war ſchon ſo erleſen, daß ſie
wenig fanden, bloß ein kleines Hämpfeli, kaum genug,
des Tags einmal etwas Warmes zu machen, und dazu
war es ſo grauſam kalt, daß ſie es kaum erleiden moch¬
ten. Da fiel auf einmal ein tiefer Schnee und die ar¬
men Kinder konnten nicht mehr in den Wald, ſie hatten
kein Holz mehr, konnten nichts Warmes mehr machen.
Sie entlehnten hier ein paar Scheiter, dort ein paar;
aber ſie durften nur einmal an einem Ort entlehnen;
ſie waren nicht unverſchämt, wie Viele ſind. Sie wu߬
[143] ten nicht mehr zu entlehnen, und immer elender ward
der Vater, und immer kälter wurden ſeine Beine und
ſeine Backen, wenn ſie auch Alles auf ihn deckten, was
ſie vermochten. Da hielt es Margrithli nicht mehr aus
in dieſem Jammer. Es dachte, der liebe Gott werde
ſicher nicht zürnen, wenn es betteln gehe in dieſer Noth;
er habe ja ſo vielen Leuten gute Herzen gegeben und
Reichthum, damit ſie armen Kindern hülfen, wenn der
Aetti oder das Müeti krank ſeien. Es ſchlich ſich leiſe
wieder zur Thüre hinaus in die ſtrenge Kälte, und doch
wollte es nicht in der Nähe betteln, nicht einmal bei
der guten Frau, die ihm Kirſchen gegeben hatte. Ins
nächſte Dorf wollte es gehen, da werden doch auch
gute Leute wohnen, die ihm Holz gäben oder einen
Kreuzer Geld, um ſolches zu kaufen. Ach es fror es
ganz grauſam, das arme Meiteli, als es recht an den
Bysluft kam. Es hatte nichts an als ein durchſichtiges
Hemmeli, ein dünnes indienniges Tſchöpeli, ein böſes
kurzes Kitteli, abgeſchabte Strümpfchen und ausgetrap¬
pete Schuhe, wo bei jedem Tritt die blutti Ferſere an die
Kälte kam, kein Gloſchli, kein Pfäffli, keine Händſchli,
die kalten Hände hatte es unter ſeinem baueligen Schäu¬
beli, aber wärmen konnte es ſie da nicht. So lief es
dem nächſten Dorfe zu, und je näher es ihm kam, deſto
ängſter wurde ihm; es hatte noch nie gebettelt bei
fremden Leuten. Und als es zum erſten Hauſe kam,
da durfte es faſt nicht döppeln und döppelte ſo leiſe,
daß man es lange nicht hörte, und als man endlich
kam, da redete es ſo leiſe, daß die Frau es lange nicht
verſtund, am kalten Bysluft ungeduldig wurde, es an¬
ſchnauzte, wenn es ihr das Maul nicht gönnen möge,
ſo ſöll es ſie wyter gheie, und die Küchenthür wieder
zuſchlug. Es durfte nun faſt gar nicht zum nächſten
[144] Hauſe und ſtund lange dort, ehe es ſich zu künden
wagte, und fühlte vor Angſt die Kälte nicht. Endlich
that es es doch; da ſtreckte man ihm aus dem Fenſter¬
läufterli ein Stückli Brod dar, und ehe es ſein An¬
liegen darthun konnte, hatte man das Läufterli wieder
zugeſchoben. Es mußte wieder fort, mußte von einem
Hauſe zum andern, und allenthalben ging es ihm ähnlich.
„Ach, es konnte nicht reden, nicht jammern und
Hände verwerfen, auf welche Weiſe die eingeübten
Bettelkinder den dicken Bäuerinnen ihre weichen Her¬
zen öffnen, und Niemand nahm ſich Zeit abzuwarten,
bis ſein ſchüchtern Stimmlein Worte gefunden von
der Noth des Vaters und ihrem Jammer. Und wie
es weinte das arme Kind, ſah auch Niemand, denn
die Thränen gefroren ihm ja in ſeinen Augen. Es
wurde nach und nach ganz gſtabelig und doch durfte
es ſich nicht das Herz nehmen, irgendwo zu fragen:
ob es nicht hineinkommen und auf dem Ofen ſich wär¬
men dürfte. Es wäre ihm ſicher erlaubt worden und
dann wahrſcheinlich auch geholfen; die Spinnerinnen
ſind immer gwunderig, und wenn ein Bettelkind auf
einem Ofen ſich wärmt, ſo muß es Beſcheid und Ant¬
wort geben, ſchier mehr als es weiß.
„Da hätte man es auch gefragt und es hätte ſein
Herz leeren und das rechte Mitleid erwecken können;
aber ſo gut ward es ihm nicht; ein ſchüchtern Bettel¬
kind iſt im kalten Winter, wo Niemand gerne lange
draußen auf Beſcheid wartet, übel an. Endlich traf
es einen vor ſeinem Hauſe Holz abladenden Bauer
und konnte den nun um welches bitten, und da der
Bauer nicht preſſirte mit der Antwort, hinzuſetzen, wie
kalt ſie hätten und wie krank der Vater ſei. Da ſagte
der Bauer: er führe nicht das Holz zum Hauſe, um
[145] es dann wieder vom Hauſe wegzuſchenken; aber dort,
und mit dem Finger zeigte er nach einer Waldecke hin,
ſeien noch Reſpen, da könne es ſeinetwegen ein Bün¬
deli nehmen. Da goß die Freude dem armen Mar¬
grithli wieder etwas Wärme in ſeine kalten Beinchen
im dünnen Kitteli, und ſo ſchnell es ihm ſeine böſen
Schuhe erlaubten, eilte es dem Walde zu. Dort fand
es einen ganzen Haufen buchige Respen und das
Herz im Leibe lachte ihm; es ward aber bald wieder trau¬
rig, als es ſah, wie wenig es davon wegzuſchleifen
vermochte. Es nahm faſt über ſeine Kräfte, es hoffte,
einmal auf dem Wege, wohl damit fortzukommen.
Aber auch da wollte es nicht rücken; es dünkte ihns,
es möge je länger, je weniger. Die Kälte ſchien ihm
immer tiefer in ſein Leibchen zu dringen. Die Glieder
wurden ihm ſo ſchwer, der ganze Leib ſo matt und
über die Augen legte ſich ein immer gewaltigeres Ge¬
wicht, das ſie zudrücken wollte, und immer mehr wuchs
die Luſt, ein Stücklein zu ſchlafen. Aber dann ſah es
den kalten Vater daheim, fühlte das kalte Stübchen;
dann wurden ihm die Augen etwas leichter und einen
neuen Ruck that es an ſeinen Respen.
„Und vor ihm her auf dem Wege hüpften und
flatterten zwei gelbe Vögelein; ſie warteten faſt bis es
an ihnen an war, dann flogen ſie nur einige Schritte
weiter und ſahen ihns ſo freundlich an, als ob ſie
ſagen wollten: Komm nur, komm, wir kommen im¬
mer näher deinem armen Vater. Ach, dachte das arme
Kind, wenn ich doch nur Fecken hätte wie ſie, daß ich
heim fliegen könnte, oder daß die Vögelein mich ver¬
ſtehen würden, dann wollte ich eines heimſenden, der
Mutter zu ſagen, wo ihr Margrithli ſei, und wie kalt
ihm ſei und wie ſchwer die Augen.
I. 10[146]
„Und immer dunkler ward ihm vor den Augen, und
immer dunkler ſah es die gelben Vögelein, obgleich ſie
immer näher blieben. Es fühlte, daß es nicht weiter
könne, daß es ſchlafen müſſe; aber ehe es auf ſeinen
Respen niederſank, bat es Gott, daß er doch ſeinen
Vögelein befehlen möchte, daß ſie heimflögen und ſeiner
Mutter ſagen möchten, das Margrithli ſchlafe hier im
Walde und habe Holz für den armen Vater, ſie ſolle
doch geſchwind kommen, und ihns wieder wecken und
das Holz holen. Die Vögelein wollten es nicht ſchlafen
laſſen; ſie flogen ihm aufs Geſichtchen, ſie pickten ihm
ſanft auf Backen und Lippen, aber der Schlaf lag gar
zu bleiern auf ihm; ſie konnten es nicht wecken. Da
flogen ſie ſchnell an das trübe Fenſter des ſchlechten
Häuschens und pickten ſo ſtark ſie konnten an die lockern
Scheiben.
„Aber die Mutter ſah die gelben Vögelein nicht am
Fenſter picken. Gerade als Margrithli zum Schlafen ſich
niederlegte draußen im Walde auf ſeinen Respen, hatte
auch der Vater ſich gelegt zum tiefen letzten Schlaf,
ſeine Augen geſchloſſen und die letzten Athemzüge ge¬
than. Und die Mutter hatte ihren Kopf zu dem ſeinen
gelegt in Jammer und ſah und hörte nichts vor Elend,
nichts von den Vögelein und ihrem Margrithli. Das
erwachte auch nicht mehr aus ſeinem Schlafe hier auf
Erden; aber am folgenden Morgen fand man ſein ſtarr
Leiblein im kalten Walde auf ſeinen Respen und legte
es neben des Vaters Leiche aufs Bett, und drei Tage
ſpäter legte man ſie zuſammen ins dunkle Grab, wo es
wärmer war, als in ihrem kalten Stübchen.
„Da aber wurden die gelben Vögelein gar traurig,
daß ſie das arme Margrithli nicht vom Tode retten
konnten, und ſie baten den lieben Gott, daß er ſie doch
[147] alle Winter ausſenden möchte, armen guten Kindern
das Betteln zu erſparen, arme Leute vor ſo tiefem Elend
zu bewahren, daß kein armes Margrithli mehr ſterben
müßte in dunklem Walde. Und der liebe Gott freute
ſich gar ſehr über ihre Bitte und ſchickt ſie alle Winter
aus. Und nun wenn es Winter wird und kalt und
der Schnee girret und glitzert, ſo laſſen ſich dieſe gelben
Vögelein zu den Häuſern; und wo ſie ein klein arm
Hüttlein ſehen, da fliegen ſie auf den Sinzel und lugen
ſcharf ins Stübchen, ob da Noth und Elend ſei, und
ſtecken ihr Schnäbelchen an die Fugen der Fenſter, um
zu merken, ob es kalt oder warm drinnen ſei. Und wo
ſie Elend merken und Noth und kalte Stübchen, da
fliegen ſie vor reiche Häuſer und thun nöthlich vor den
Fenſtern und auf der Bſetzi, und flattern auf den Bäu¬
men herum, damit die Bäuerin merke, es friere eine
arme Familie in der Nähe und leide Noth; da fliegen
ſie ängſtlich vor den Bauern herum auf dem Wege,
wenn ſie ins Holz fahren oder Holz um ſchwer Geld
fortführen, und mahnen ſie, es ſei ein arm Margrithli
auf dem Wege und werde im Walde erfrieren, weil
man nur das Holz verkaufen und keines mehr verſchen¬
ken wolle; da flattern ſie den Förſtern, die auf Holz¬
ſteigerungen reiten oder fahren, gar ängſtlich um die
Beine, dieſe ſchönen gelben Vögelein, und möchten ihnen
ins Herz ſchreien, wie manch arm Margrithli frieren
müſſe, betteln müſſe und umſonſt; wie manche Haus¬
haltung faſt erfrieren müſſe, während ſie viel Geld löſen
für die Staatskaſſe, die kein Herz hat für arme Mar¬
grithli. Aber am meiſten ſieht man ſolche gelbe Vöge¬
lein in Städten, in Bern namentlich; da flattern ſie
nicht nur denen, die am meiſten zu befehlen haben, vor
den Füßen herum, ſo oft ſie über die Gaſſe gehen, ſie
[148] ſetzen ſich auch auf die Fenſterſinzel und ſehen kläglich
und wehmüthig in die Stube hinein, wo die Herren
ſich berathen über des Landes Wohl, und möchten ihnen
reden von armen Margrithlene, kalten Stübchen, kran¬
ken Vätern, troſtloſen Müttern.
„So kommen die guten Vögelein alle Winter und
thun treulich ihr Tagwerk, und der liebe Vater im Him¬
mel ſieht dann auf die Herzen und achtet, welche Reiche
und Vornehme auf dieſe Vögelein achten, der Noth
der Armen ſich erbarmen und Vorſorge treffen, daß
Fleißige nicht betteln müſſen in der Noth und kein
Margrithli erfriere; dieſe Herzen ſchreibt er ſich auf,
denen gibt er ſeinen Segen, und wenn ſie ſterben, ſo
nimmt er ſie zu ſich in ſeinen ſchönen Himmel.“
So erzählte die Großmutter, und andächtig hatten
die Kinder zugehört und hatten geweint über das arme
Margrithli und ſeine Noth. Als die Großmutter fertig
war, da ſahen ſie ihr lange ins Geſicht und ſagten
endlich: „Ach, Großmüetti, mir ſy wüeſti Ching,
z’Baſel-Heiris ſy krank u hei nüt, u mir hei daheim
nüt gſeit u hei’s wohl gewüßt, u jetz ſy nis d’Vögeli
cho mahne. O Großmüetti, gib is gſchwing Brod und
Milch, mir weines ga bringe.“ „Nei Ching, ſagte die
Großmutter, dir müeßet jetz is Bett, aber wenn ihr
ſelligs nimmer weit vergeſſe, ſo will ich ſelbſt noch gehen
und luege, was ſie nöthig haben.“ Die Kinder verſpra¬
chen es und hielten es; ſie vergaßen nie mehr, wenn
Jemand in der Noth war, und kein gelbes Vögelein
mahnte ſie je umſonſt.
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bilder und Sagen aus der Schweiz. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bk07.0