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Meinen zwei lieben Bruͤdern
Wilhelm und Ferdinand Grimm
zugeeignet
aus Treue, Liebe und Einigkeit
.


[][[1]]

Ueber
den altdeutſchen
Meiſtergeſang
.


[[2]][[3]]

Vorrede.


Die gegenwaͤrtige Abhandlung iſt polemiſcher Art
und war noch zudem darauf angelegt worden, in derſel-
ben Zeitſchrift zu erſcheinen, worin bereits ihre Veran-
laſſung gedruckt ſteht. Daher ruͤhrt der groͤßten Theils
gegebene und beſchraͤnkte Plan, daher eine beabſichtigte
Kuͤrze, an die gleichwohl manche Leſer nicht glauben wer-
den und die auch weniger im Einhalten der Worte, als
der Sachen liegt. Namentlich wurde es unvermeidlich,
die Beweisſtellen zu excerpiren, deren woͤrtliches Ein-
ruͤcken zwar einiges anſchaulicher gemacht, aber eine
Menge Raum gekoſtet haͤtte. Als ich mich nun auf
meines Gegners eigene Einladung an die berliner Heraus-
geber des altdeutſchen Muſeums wendete, und den bal-
digen Abdruck meines laͤngſt fertigen Auſſatzes auszuma-
chen wuͤnſchte, moͤgen einige zu ſpaͤt angekommene Briefe
die erwartete Antwort hintertrieben haben. Wenigſtens,
da ſie endlich eintraf, hatte ich bereits mit einem Ver-
leger die beſondere Erſcheinung verabredet; es war mir
eigen zuwider, den ſchon durch andere Zufaͤlle aufgehal-
tenen Streit meinerſeits laͤnger liegen zu laſſen. Denn
es ermuͤdet gleich einer anhaltend fortgeſetzten Arbeit,
A 2
[4] wenn man eine an ſich bereitete und erwartete ruhig auf-
heben ſoll, ohne daß man Zeit oder Luſt gewinnt, ſie von
neuem vorzunehmen, wozu es an Veranlaſſung und Reiz
bei einem ſolchen Gegenſtand gar nicht fehlen kann.


Dieſer iſt einer der trockenſten und verwickeltſten in
der altdeutſchen Poeſie uͤberhaupt und in keiner Hinſicht
dem ſchon in der Arbeit uͤberall erfreuenden und im Re-
ſultat viel reicher lohnenden Studium der poetiſchen Sa-
gen an Seite zu ſetzen, welchem ich meine hauptſaͤchlichſte
Neigung zugewendet. Sollte indeſſen die hier gelieferte
Entſcheidung von den Kennern unſerer Literatur gebilligt
werden, ſo gedenke ich in der Folge noch einmal etwas
beſſeres und ich kann wohl ſagen, fuͤr mich viel leichteres,
in der Sache zu thun. Ich werde dann ſo manches aus-
laſſen koͤnnen, was jetzt der Streit erforderte, und dafuͤr
anderes ausarbeiten, woran ich jetzt nicht kommen durfte.
Die Irrthuͤmer, die in dem doch uͤberall zu beruͤhrenden
Einzelnen leichtlich untergelaufen ſind, will ich alsdann,
ſo viel an mir, ſelber berichtigen oder die Zurechtweiſung
anderer dankbar erkennen. Mein Verzeichniß aller Toͤne
des aͤlteren und neueren Meiſtergeſanges iſt ſchon jetzo
ziemlich vollſtaͤndig, ich muß es aber mitzutheilen auch
noch verſparen, weil es bloß die unbequeme Anordnung
der Bodmeriſchen Sammlung entweder unnoͤthig weitlaͤuf-
tig oder unſicher machen wuͤrde, da ich nicht einmal die
einzelnen Lieder, geſchweige denn die Strophen anders
als nach Blattſeite und mit Bezeichnung der Anfaͤnge
citiren koͤnnte, wie auch in vorliegender Abhandlung ge-
ſchehen.


[5]

Ich benutze den hier vergoͤnnten Raum, meine Ge-
danken uͤber einige ſchwere Puncte zu bekennen, viel-
leicht daß dadurch einige Seiten meines Aufſatzes ver-
vollſtaͤndigt werden. Man mag darein ſtimmen oder
nicht, ich bin mir bewußt, nichts mehr zu meiden, als
ein todtes ſyſtematiſches Feſtſtehen in der Geſchichte der
Poeſie, wo eine Idee, nachdem ſie lange ſcheint unter-
gegangen zu ſeyn, ſich noch ploͤtzlich einmal regt und ein
lang geſchwiegener Ton leiſe nachhallt, wo alles in ein-
ander greift und verwandt iſt, wie in aller Natur ſelbſt,
die zwei edle Metalle, Gold und Silber, in einer Erde
wachſen laͤßt.


Ich habe einigemal den Unterſchied zwiſchen Natur
und Kunſtpoeſie beſtimmt vorausgeſetzt. Die Verſchie-
denheit deſſen, was unter dem ganzen Volk lebt, von
allem dem, was durch das Nachſinnen der bildenden
Menſchen an deſſen Stelle eingeſetzt werden ſoll, leuchtet
uͤber die Geſchichte der Poeſie, und dieſe Erkenntniß al-
lein verſtattet es uns, auf ihre innerſten Adern zu ſchauen,
bis wo ſie ſich flechtend in einander verlaufen. Es iſt,
als ziehe ſich eine große Einfachheit zuruͤck und verſchließe
ſich in dem Maße, worin der Menſch nach ſeinem goͤtt-
lichen Treiben ſie aus der eigenen Kraft zu offenbaren
ſtrebt. Da nun die Poeſie nichts anders iſt, als das
Leben ſelbſt, gefaßt in Reinheit und gehalten im Zauber
der Sprache, (welche in ſo fern mit Recht eine himmli-
ſche genannt und der Proſa entgegengeſtellt werden darf,)
ſo theilt ſie ſich in die Herrſchaft der Natur uͤber alle
Herzen, wo ihr noch jedes als einer Verwandtinn ins
[6] Auge ſieht, ohne ſie je zu betrachten; und in das Reich
des menſchlichen Geiſtes, der ſich gleichſam von der erſten
Frau abſcheidet, als deren hohe Zuͤge ihm nach und nach
fremd und ſeltſam daͤuchen. Man kann die Naturpoeſie
das Leben in der reinen Handlung ſelbſt nennen, ein lebendi-
ges Buch, wahrer Geſchichte voll, das man auf jedem
Blatt mag anfangen zu leſen und zu verſtehen, nimmer aber
auslieſt noch durchverſteht. Die Kunſtpoeſieiſt eine Ar-
beit des Lebens und ſchon im erſten Keim philoſophiſcher Art.


In den Heldengeſaͤngen reicht nur noch ein Zweig aus
der alten Naturpoeſie in unſer Land heruͤber, die Freude,
das Eigenthum des Volks an ſeinen geliebten Koͤnigen
und Herren muß ſich, ſo zu ſagen, von ſelber an und
fortgeſungen haben. Ueber der Art, wie das zugegan-
gen, liegt der Schleier eines Geheimniſſes gedeckt, an
das man Glauben haben ſoll. Denn die Leugner, die
ſich dafuͤr lieber mit einer duͤrren Wahrſcheinlichkeit
behelfen wollen, bringen Syſteme auf, welche man
mit Wahrheit widerlegen kann und nach denen ih-
nen nichts uͤbrig bleibt. Dieſe Unbewußtheit der Tiefe
iſt es auch, was die alten großen Lieder auf die ſpaͤteſten
des Volks geerbt haben. Alle ſagen ein Leben, ein Freuen
und Leiden aus 1), das an ſich hoͤchſt klar vor uns liegt,
allein ſie thun es ſo, in Gleichniſſen mehr denn in Wor-
ten, daß außer der Klarheit noch eine reine tiefe Bedeu-
tung erſcheint. Vielleicht iſt es eine verſchiedene Weiſe,
worin wir jetzo die alte Poeſie genießen. Die Vorfah-
[7] ren ſchauten in dem Brunnen ſich ſelbſt und ihr Leben,
wir fuͤhlen das nur hiſtoriſch mit und nach, allein zugleich
ſenken wir in die Tiefe ein.


Man muß auch fragen: wer es denn uͤbernehme,
die Poeſie zu verwalten? wer ſie gleichſam anzugreifen
wage, weil ſie doch da iſt, und den Klang zu ruͤhren,
der in der Saite verborgen ruht? Die Poeſie iſt kein
Eigenthum der Dichter 2) und das zu keiner Zeit weni-
ger geweſen als in der epiſchen, da ſie, ein Blut, den gan-
zen Leib des Volks durchdrungen. Niemand weiß von
Dichtern, geſchweige daß es die Nachwelt erfahren ſollte,
aber die Saͤnger ziehen in Haufen herum, und wem eine
toͤnende Stimme zu Theil geworden, oder wer in ein
treueres Gedaͤchtniß alte Lieder und Sagen niederlegen
kann, da ihm das Licht der Augen entzogen wor-
den, der tritt hin vor Koͤnig und Volk und ſingt fuͤr
Ehre und Gaben. Es hat auch keinen Zweifel, (ſo ge-
wiß duͤrfen wir uͤber unbekannte Dinge urtheilen,) daß
Erbſchaft und Lehre das Amt des Geſanges fortpflanzten,
weil in der Lehre die natuͤrliche Verehrung des Alters und
in dem Stand die natuͤrliche Erbſchaft der Jugend liegt.
Beides, daß der Saͤnger keiner hohen Abkunft und an
keinem feſten Ort geſeſſen iſt, bringt alſo die Sache mit,
[8] und der herrliche Held und Spielmann Volker war
doch ſelbſt eines Koͤnigs Dienſtmann geweſen. Ferner,
Lehre und Sitte hielt die Saͤnger zuſammen, und der
Gebrauch mag einer der fruͤheſten ſeyn, weil er ſo ganz
einfaͤltig iſt, daß ſie unter ſich ein Reich ſtifteten, ein
Haupt hatten und es ihren Koͤnig nannten. So iſt der
Dienſt der Poeſie in alter Zeit geſchehen.


Daß in dem erbluͤhenden Minneſang eine eigen-
thuͤmliche Kunſt zu walten anfange, habe ich mich zu
zeigen bemuͤht und eben damit den Urſprung des Mei-
ſtergeſangs geſetzt. Und doch moͤchte man in gewiſſer
Hinſicht dieſe Poeſie kein Eigenthum der Dichter nennen.
Unter andern iſt offenbar, daß nie eine Poeſie frauen
hafter geweſen, als dieſe war, mit ihrer unermuͤdlichen
Blumenliebe, mit ihrem ſtillen Glaͤnzen. Wer wollte
noch Zweifel tragen, daß in dem Gemuͤth der Frauen
damals ganz eine ſolche Welt geſtanden und tauſend ſol-
cher Klaͤnge erklungen haben? Welche Herzenliebe (das
bedeutet Minne) werden ſie ſich in all ihrer Heimlichkeit
erdacht, weiches Herzenleid geklagt haben, zaͤrter als es
je ein Mann geſungen! Auszuſprechen [fiel] aber jenen
niemals bei, ihr Leben blieb ihr Dichten und Trachten,
ihre Ohren oͤffneten ſich den Liedern mit Dank und Glau-
ben, welche die Maͤnner, als einzige Pfleger der Poeſie
vor ihnen ſangen. — Auf der andern Seite habe ich
ausgefuͤhrt, wie in eigener Kunſt der Reime der Dich-
ter ein Eigenthum zu ſchaffen und ſeine Kraft zu be-
weiſen ſtrebte. Aber ungeachtet der allgemeinen Empfaͤng-
lichkeit fuͤr die neue Dichtkunſt, uͤberhoben ſich doch die
[9] Meiſter nicht ſo, daß ſie nicht mehr haͤtten damit dienen
wollen; ihr ganzer Sinn ſtand zu den Hoͤfen, wo ſie an
einigen ſolche Beguͤnſtigung erfuhren, als ſie hernach
nur etwa in Italien vorkommt, denn deutſcher Adel,
Fuͤrſten und Koͤnige nahmen an der Lieblichkeit des Min-
negeſanges lange Zeit ihren eigenen Theil. Als aber die
ewige Wiederkehr in die dageweſenen Toͤne die Beſchuͤtzer
muͤde machte, ſo ſangen faſt bloß arme Dichter, klagend
uͤber die abnehmenden Gaben. Da wandten ſie ſich vom
Lieben aufs Loben, von Minne auf Ehrenlieder, ohne je
damit rechte Wurzel zu faſſen, bis ſie zuletzt die Hoͤfe
ſeyn ließen und ihre zu lieb gewonnene Kunſt in den
Staͤdten anſetzten. In der geſellſchaftlichen, urſpruͤnglich
von den Volksdichtern mitgebrachten Verbindung und in
der ſich immer mehr dehnenden Reimkunſt habe ich den
Samen nicht verkannt, woraus ſich die lange Dauer
und das unergoͤtzliche Alter des Meiſtergeſangs entfal-
tete. Nichts deſto weniger, und bei mancher Verwor-
renheit, iſt der ſpaͤtere Meiſtergeſang nicht ohne das
geweſen, was man in den Geſellſchaften das gute deut-
ſche Princip nennen moͤchte; hieruͤber wuͤnſche ich nicht
mißverſtanden zu werden.


In den Geſellſchaften herrſchen eigentlich zwei Ele-
mente. Das gute iſt ein inneres, die Liebe, welche bin-
det und haͤlt. Das andere ein aͤußeres und boͤſes, wenn
der Eingang ohne Weihung iſt und ſich die Zeichen zu
ſehr erheben. So wie der Staat einzig und allein in
dem Worte: Vaterland, verſtanden wird, und ohne die
Einheit der bis zum Tod bereiten Herzen alles Recht und
[10] alle Sicherheit eine elende Einrichtung bleibt, ſo ſtirbt
alle Verbindung oder hat nie gelebt ohne jenen befruch-
tenden Thau. Je mehr wahrer Geſellſchaften ein Staat
zaͤhlt, deſto gluͤckſeliger iſt er zu preiſen, weil da kein
Staat im Staate iſt, wo Liebe in Liebe wohnt.


Man hat neuerdings das Weſen deutſcher Univerſi-
taͤten erkannt und faßt alles darin zuſammen, daß Freund-
ſchaft die Herzen ſtaͤrkt und freut, und der allerſeits an-
geregte Geiſt auf den Punct gebracht wird, dem er ſich
frei und unabhaͤngig auf ſein Leben ergeben ſoll. Wo-
gegen der Begriff der Aeademieen in ſeiner Nichtigkeit
he[r]vortritt, weil es ihnen an gemuͤthlicher Gemeinſchaft
und Betriebſamkeit mangelt.


Die Natur anderer deutſchen Einrichtungen iſt erſt
noch anzuerkennen. Den innern feſten Bau der Hand-
werkszuͤnfte bezeugt ihre Haltſamkeit, ſeitdem alle Ver-
folgung uͤber ſie ergangen, nachdem man faſt alle Zeichen
ihrer Luſt ihnen abgeriſſen, mit dem Untergang gedroht
und wirklich Hand angelegt hat. Unter dieſen Hand-
werkern hatte ſich Froͤmmigkeit und Tugend erhalten 3),
und von Sinn und Erfindung haben ſie aller Welt mehr
Beiſpiel gegeben, als auswaͤrtige, bei denen die beſte
[11] Kraft ſich auf Plane zu Gelderwerb, ſtatt auf ein ehr-
liches Auskommen gewendet. Die Poeſie geht aus hei-
liger Stille des Gemuͤths auf, aus unter die Menſchen,
und ſoll darum in keinen aͤußeren Banden liegen. Ich
will hier nicht den Unſinn der vielen Dichtergeſellſchaften
herbeiziehen und ſtrafen, aber die Meiſterſaͤnger damit
entſchuldigen, daß, nachdem ſchon alle ihre Regel aus
den wahren Schranken getreten war, die bloße Foͤrm-
lichkeit auf die Reinheit ihrer Sitten gewirkt und ein
Band geſtiftet hat, werther denn ihre Kunſt war. Der
Meiſtergeſaug zeigt ſich mithin als ein Mittel mehr, welches
auf den Bund der Buͤrger wohlthaͤtig gewirkt hat. Ihre
Kunſt trieben ſie fern von aller Anmaßung und in Ver-
ehrung ihrer Lehrer. Wenig Dichter haben, z. B. die
letztere ſo herzlich dargegeben, als Puſchmann, wenn
er den Meiſter im Traum erblickt in einem wunderſelt-
ſamen Gartenhaͤuslein ſitzen, weiß von Alter wie eine
Taube, er neigt ſich bloß, er hoͤrt nicht und antwortet
auf keine Frage mehr, nur der Sinn des Geſichts iſt
ihm unvergangen, das braucht er, in dem goldbeſchla-
genen heiligen Werk bis an ſein ſeliges Ende zu leſen.
Dieß alles iſt zugleich die reinſte Poeſie. Man iſt leicht
damit fertig geweſen, die Geſchmackloſigkeit und Trok-
kenheit der ſpaͤteren Meiſterſaͤnger zu tadeln, hat aber
dabei die Ehrlichkeit und Selbſtverkennung ganz uͤberſe-
hen, womit ſie ihre fromme Kunſt uͤbten. Die bibli-
ſche Geſchichte kam ihnen in der eckigten Einfaſſung
neu ehrwuͤrdig vor; haͤtte man nach ihrer Poeſie ge-
fragt, ſo wuͤrden ſie freudig auf ſolche Meiſtergeſaͤnge
[12] hingezeigt haben. Dieſe copirten ſie fleißig und zierlich
ab, waͤhrend es ihnen nicht beifiel, das aufzuſchreiben,
was von wahrem Dichten in jedem ſtillen und kraͤftigen
Leben vorkommen muß, und das zu einer Zeit, da ſich
treffliche Buͤcher in Proſa genug fanden, mitten darun-
ter alte herrliche Lieder fortlebten und neue geſungen
wurden. In ein ſchlechtes dunkeles Bretterhaus weiß
dennoch die Poeſie, gleich der Sonne, durch einen Ritz
oder ein Aſtloch warm und mildthaͤtig herein zu bre-
chen. — Ueberhaupt muͤßte ſich von mehreren Seiten
aus die Geſchichte des deutſchen Handwerkerweſens recht
intereſſant ſchreiben laſſen.


Caſſel, am 19. Auguſt 1810.


J. G.


[13]

Einleitung.


Ich halte es fuͤr beſonders nothwendig, den Leſer in den
Geſichtspunct zu bringen, worin ein zwiſchen Herrn Docen in
Muͤnchen und mir uͤber das Verhaͤltniß des Minneſangs zum
Meiſtergeſang gepflogener literaͤriſcher Streit Anfangs geſtanden,
und wie er ſich nunmehr gewendet hat. Ob ich naͤmlich gleich
den erſten Band des altdeutſchen Muſeums in den Haͤnden
aller Freunde altdeutſcher Literatur vorausſetzen darf, und darin
mein Gegner nicht nur ſeinen erſten Aufſatz gaͤnzlich, ſondern
auch die meinigen groͤßten Theils und auszugsweiſe wiederum
abdrucken laſſen, ſo muß gerade eine einfache Darſtellung der
Sache den Lefern jener Zeitſchrift ſelbſt zu einem Beduͤrfniß
geworden ſeyn.


Wenige Zeilen, die ich vor einigen Jahren (1807.) in dem
neuen liter. Anz. erſcheinen ließ, hatten die Abſicht, Quellen
und Huͤlfsmittel zu erwecken, welche fuͤr eine gruͤndliche Aus-
einanderſetzung der nachſtehenden Meinung erſt gebraucht wer-
den mußten. Ich ſtellte auf, daß man in der Geſchichte un-
ſerer altdeutſchen Poeſie falſch verfahre, wenn man die Mei-
ſterfaͤnger von den fruͤheren Minnedichtern trenne, fuͤr welche
Trennung man nicht einmal eine beſtimmte Zeit anzuſetzen wiſſe,
beide ſeyen identiſch, und ihrem Grundweſen nach, das ich in
nichts anders, als in die bisher mehr an den Meiſterfaͤngern
verachtete, wie an den Minneliedern bewunderte, in keinen von
beiden aber recht verſtandene Kuͤnſtlichkeit legen konnte.


Die von Herrn Docen in demſelben Blatt dagegen ein-
geruͤckte Beſtreitung, halte ich, aufrichtig zu geſtehen, noch
jetzo fuͤr eigens unklar geſchrieben, und daß ein gewiſſer ab-
thuender Ton abſichtlich ſtreitentzuͤndend geweſen ſeyn ſoll (S. 81.)
[14] mag ebenſo auf ſich beruhen, als ich die nunmehrige Beſchei-
denheit gewiß noch hoͤher achten wuͤrde, wenn ſie nicht nach
jener Conſequenz, da ſie auch auf mich ausgeſtreckt worden
iſt (S. 76.) 1), fuͤr uns beide etwas Niederſchlagendes haben
muͤßte. Er erklaͤrte aber in jener Abhandlung hin und wieder
im Weſentlichen: man muͤſſe, als woruͤber ich ganz hinausge-
gangen, auf die Verſchiedenheit der Gegenſtaͤnde des Meiſter-
und Minnegeſangs Acht geben, eine Form habe am Ende je-
der Sang, allein das Lied fuͤr ſeine Gefuͤhle verlange eine
ganz andere, wie die ernſihafte Betrachtung; und wenn in den
Minneliedern Wohllaut herrſche, ſo ſey in den Meiſtergeſaͤngen
ſtrenges Bauwerk wahrzunehmen, daher die Form anlangend,
jene ſich in harmoniſchen Weiſen darſtellen, dieſe in beſchloſſe-
nen Strophen. Ich moͤge einmal fuͤr meine Meinung in der
ganzen Sammlung der Minnedichter von Veldeck an ein Lied
aufweiſen, das mit den Meiſterſaͤngen eines Frauenlob oder
Folz formell uͤbereinkomme, und finde ſich etwa Aehnlichkeit, ſo
ſey ſie gewiß zufaͤllig; was ſpaͤter Verabrodung, Regel, fruͤ-
herhin nur eine Zierde der Kunſt. Alles das laſſe ſich an dem
Versmaß eines erzaͤhlenden beruͤhmten Gedichts, des Tyturel,
ins Klare bringen, ob dieß gleich kein Meiſterſaͤngerton, ſo
liege doch der Keim dazu in ihm vorgebildet 2), es ſey ein
epiſch-lyriſcher. Was die Namen betreffe, Minneſaͤnger ſolle
man abſchaffen, da dieſe Dichter mannichmal auch andere Sa-
chen beſungen, dafuͤr aber die aͤlteren Meiſter Meiſterſin-
ger
und die ſpaͤteren, wie uͤblich, Meiſterſaͤnger nennen.
[15] Anf die Handwerker ſeyen auch nach dem 14. J. H. einige
Formen uͤbergegangen, doch beide ganz verſchieden.


In dieſem offenbar einem fruͤheren Papier (das woͤrtlich
ausgezogen wird) zu Gefallen geſchriebenen Aufſatz, war mir
das Schwanken zwiſchen dem Erkennen der alten bisher igno-
rirten Meiſter, und doch wieder das Verwerfen und Umgehen
alles deſſen, was ſie mit den ſpaͤtern gemein machen ſollte,
faſt unerklaͤrlich, mitunter unverſtaͤndlich. Dieſe Ungewißheit
ſuchte ich nun vornehmlich durch eine Reihe innerer und hiſto-
riſcher Beweiſe zu vernichten; auf Namen machen kam es nicht
an, die vorgeſchlagenen, im Dialect verſchiedenen, in der Sache
gaͤnzlich nichts ſagenden waren ohnedas dem menſchlichen Ge-
daͤchtniß hoͤchſt verwirrlich, und Herr Docen wird ihnen
ohne Muͤhe entſagen 3). Allein deſto angelegentlicher beſtand
ich darauf, daß es hier gerade nicht auf die Gegenſtaͤnde des
Geſanges ankomme, uͤberhaupt und zwar nothwendig alle er-
wachende Kunſtpoeſie an Toͤnen und Farben haͤnge, und eben
dieſer vernachlaͤſſigte Punct in der Geſchichte unſerer Poeſie
zu bearbeiten ſey. Daß aber in den fruͤheren, wie den ſpaͤ-
ten Dichtern ein nicht bloß aͤhnliches, ſondern gleiches Princip
der Foͤrmlichkeit regiere, bewies ich durch Beiſpiele 4) und da
uͤberdieß noch andere, aͤltere und neuere Zeugniſſe, die ich zu-
ſammen ſtellte, hinzukamen, ſo glaubte ich meine Anſicht um
ſo mehr gerechtfertigt, als ohne Schaden des Ganzen allen-
[16] falls einige ſpecielle Beweiſe wegfallen konnten. Daß Meiſter-
gefang an ſich unlyriſch ſeyn ſollte, verwarf ich mit demſelben
Grunde, wodurch ich ein gleiches Schickſal von dem Sonett
abhielt, das ſich in unſern Streit ganz unſchuldig, wiewohl gar
nicht zum Vortheil des Gegners, zu verlaufen ſchien.


In der gleich damals angekuͤndigten, jedoch erſt vor kur-
zem (im altdeutſchen Muſeum Heft 1 u. 2.) erſchienenen neuen
Erwiederung Docens iſt nicht ſowohl die unternommene ge-
naue Pruͤfung, die manchmal ſcharfſinnige Umwendung einiger
literariſchen Beweisſtellen zu beruͤckſichrigen, Hauptfache iſt die
von dem Gegner ergriffene, eigene Meinung. Jene Stellen
waren noch ſehr unvollſtaͤndig, ungenau und in Eile, aus Eifer
einen nicht ganz gerechten Angriff abzuwehren, niedergeſchrie-
ben worden, und mußten mancherlei Einwendungen bloßgege-
ben ſeyn; ich hatte das Gefuͤhl, daß es mir eben noch um
mehr Huͤlfe und Aufklaͤrung zu thun ſey, ſchon durch die
erſte Veranlaſſung gezeigt. Geſetzt nun, es waͤre Docen ge-
lungen, alle dieſe Gruͤnde zu widerlegen, ſo noͤthigten ſie ihn
doch mit ſeiner eigenen Anſicht der Sachen herauszutreten,
und was hat er als eine ſolche gegeben? Folgendes: unter
den Dichtern, die man ſeither pflegt Minneſaͤnger zu nennen,
gibt es auch unſtreitig Meiſterſinger, die uͤbrigen ſind aber
bei weitem keine geweſen. Nun muß man gleich fortfragen,
weil doch nichts an den Namen liegt, beſonders wo ſie nicht
recht bewieſen werden: worin unterſcheiden ſich dann dieſe bei-
derlei Dichter von einander, welche zu einerlei Zeit lebten und
deren Gedichte ſich auf ein Haar gleichen? Gerade uͤber die-
ſen Hauptpunct wird nirgends beſtimmt geſprochen, und alles
was ich muͤhſam aus der ganzen Abhandlung zu gewinnen
ſuche, iſt: Dieſe aͤlteren Meiſterſinger waren arme, an Fuͤr-
ſtenhoͤfen umfahrende Ritter oder Buͤrgerliche, die ſich gewiſſe
Regeln machten und fuͤr Lohn ſangen. — Die eigentlichen
[17] Minneſaͤnger ſind die Koͤnige, Herzoge, Fuͤrſten, Grafen und
reiche Edelleute 5), welche Poeſie uͤbten aus freier Luſt und
Ueppigkeit, nichts damit erwerben wollten, dabei ſich ſchoͤne
Neigung aber keine Regel zeigt. Daß ſie nicht wandern, ſon-
dern an ihren Hoͤfen ſitzen bleiben, verſteht ſich hiernach na-
tuͤrlich auch.


Nun moͤchte ich vor allem wiſſen, ob Docen in den
Minneliedern ſelbſt, ſey es an ihrer Form oder dem Inhalt,
Anlaß zu dieſem ſehr auffallenden, dem Anſchein nach ganz un-
noͤthigen, Unterſchied entdeckt, oder ob ihn vielmehr die aus
aͤußern Zeugniſſen wenigſtens hervorgehende, alſo von ihm nicht
abgeleugnete, Exiſtenz 6) der alten Meiſter gezwungen habe,
ſich in eine ſolche Paradoxie und damit wenigſtens ſeine vor-
nehmen Minneſinger vor dem unangenehmen Meiſterweſen zu
retten? Letzteres muß durchgehends ſcheinen, denn waͤre eine
Verſchiedenheit in der Sache ſelbſt zu ſehen, ſo koͤnnte er eine
genaue Liſte aller Meiſterſinger geben, und haͤtte ſie in ſeinem
bei der Gelegenheit ausgearbeiteten Dichterverzeichniſſe gegeben.
B
[18] So aber erfahren wir daruͤber nichts ſicheres, und alle die fuͤr
Meiſter zugeſtandenen ſind lauter ſolche, die ſich nach jenen
aͤußeren Umſtaͤnden dazu eignen. Ohne letztere haͤtte Docen
an Hadloub nimmermehr etwas Meiſterfaͤngeriſches entdeckt,
und ich war mit Recht erſtaunt, den Veldeck, deſſen Lieder
mir erſt als ein wahres Gegenmuſter aller Meiſterſaͤnger auf-
gegeben wurden, nunmehr unter ihnen ſelbſt zu finden.


Es mag ſeyn, daß ſich Docen dieſe nicht zu verbergende
Behauptung nicht recht eingeſtanden hat, er ſcheint ſogar einige
mal ſein Syſtem auf die Gedichte uͤberzutragen, einen Mei-
ſterſinger anzunehmen, welcher außerdem auch noch Minnelieder
gemacht habe, und dann in ſo fern kein Meiſterſaͤnger ſey 7).
Aber das beſſert nichts, denn nun weiſe er dieſe gewiſſen Mei-
ſterlieder her, ob ſie von den Minneliedern des naͤmlichen
Dichters ſo verſchieden ausſehen 8), und iſt nicht eines ſo un-
recht wie das andere, anzunehmen, entweder: es haben Zeit-
genoſſen gelebt und einerlei Lieder geſungen, die einen ſind
davon Meiſterſaͤnger geweſen, die andern nicht? oder: ein
und derſelbe Dichter hat außer den Meiſterliedern auch noch
Minnelieder gemacht, da doch beiderlei dieſelbe Foͤrmlichkeit in
ſich tragen und in den Handſchriften mitten unter einander
ſtehen?


Darin mißverſteht mich Docen am meiſten, daß er thut,
als ob ich das Weſen des Meiſtergeſangs in einige Zufaͤllig-
keiten ſetze, darum weil ich dieſe mit zu Beweiſen brauche.


[19]

Dergleichen koͤnnen ſich fruͤher finden und ſpaͤter nicht, oder
umgekehrt, unſtreitig muͤſſen wir aber auszumachen ſuchen,
welche zu beiden Zeiten gegolten haben, damit wir auch in
Beſonderem das Allgemeine beſiaͤtigt ſehen. Andererſeits liegt
die offenbarſte Unhaltbarkeit ſeiner Meinung darin, daß er
zwar den Begriff ſeines Meiſtergeſangs in folche Zufaͤlligkei-
ten ſetzt, ſtatt ihre Wandelbarkeit zu erkennen, dennoch aber
nicht beſtimmt damit heraustritt.


Wie man ſieht, ſo ſcheint ſich beinahe aller Zweifel vom
Verhaͤltniß der alten Dichter zu den ſpaͤteren Meiſterſaͤngern
weg zu entfernen. Docen gibt die Exiſtenz fruͤherer Meiſter-
ſaͤnger zu und verredet nicht allen Zuſammenhang mit denen
der folgenden Zeit. Ich haͤtte alſo nur ſeinen zwiſchen den
alten Meiſtern und andern Minnedichtern gelaſſenen Unterſchied
zu widerlegen, und mein ganzer Satz waͤre von ihm unange-
fochten. Die allmaͤlige Veraͤnderung, worin dann eine offen-
bare Verſchlechterung, bliebe bloß noch hiſtoriſch aufzuhellen.


Freilich, ſo haͤtte meiner Meinung nur eine einzige con-
ſequente entgegengeſtellt werden koͤnnen, wenn ſie auszufuͤhren
geweſen waͤre, die naͤmlich, welche eigenthuͤmliche Kennzeichen
ſpaͤteres Meiſtergeſanges zum allgemeinen, nothwendigen
Character annehmend, alle Dichter, die nun jene nicht an ſich
truͤgen, fuͤr Nichtmeiſterſaͤnger erklaͤrte 9). Hierin iſt neben
der ſcheinbaren Conſequenz aber eine große Uncritik zu finden;
wenn eine Unterſuchung kein allmaͤliges Bilden (oder Verbil-
den) zulaͤßt und gleich ein feſtſtehendes will, ſo mangelt ihr
ein Hauptſtuͤck hiſtoriſcher Forſchung, Empfaͤnglichkeit fuͤr alles
B 2
[20] Lebendige und Bewegliche. Docen hingegen hat die fruͤhen
literariſchen Spuren des Meiſtergeſangs nicht verkennen koͤnnen,
und ſcheint mir damit ſein Spiel verloren zu geben, das Wahre,
Einfache einzuſehen, hindert ihn eine vorgefaßte Meinung von
der Harmonie und Leichtigkeit des Minnegeſanges, die ich
nicht leugne, ſondern hiſtoriſch nachweiſe. Er mag ſie aber
auf keine Weiſe mit dem Meiſterſang vereinbaren, ſelbſt wenn
man ihn, wie doch nothwendig, im Entſtehen in der freieſten
Art, annimmt.


Vielleicht waltet ein Mißverſtaͤndniß ob, das ihn jenen
Unterſchied zwiſchen den reichen Dichtern, die ihrer Poeſie ſtolz
ſind, und den armen, die damit dienen wollen, machen laͤßt.
Vermuthlich denke ich mir die Erſcheinung einer dienenden und
wandernden Dichtkunſt ganz anders. Meiner Meinung zufolge
hat aller Kern, alle Kraft des Minneſangs in den dienenden
Dichtern gelegen, und erſt an ihrem Feuer haben ſich die
Reichen und Hohen entzuͤndet und begeiſtert, die Lieder aber,
welche ſie jenen nachgeſungen, reichen an Zahl und Wichtigkeit
nicht an die der aͤrmeren Dichter 9 b). Aus dieſem einen Grund-
ſtock iſt die Minnepoeſie in die ganze Zeit ergangen, die Fuͤr-
ſten, der hohe Adel mit dem Schutz und Lohn nicht zufrieden,
den ſie der lieblichen Kunſt gewaͤhrten, wollten ſich ſelber darin
zeigen; was Docen ſo ſehr verwirrt, ſtellt ſich hoͤchſt einfach
dar. Sie mochten nun beſtimmte Lehre genoſſen oder ſich an
der bloßen Sitte gebildet haben, ſo war doch all ihre Kunſt
in dem Bilde des Meiſters empfangen und geboren, und es
iſt nicht abzuſehen, warum man zu Gefallen ihrer Lieder eine
eigene, verſchiedene Claſſe machen will. Sind ſie naͤmlich in
ſich frei und herrlich, ſo ſind es auch die andern nicht min-
der, denn wie vermochte der Einklang einer Grundweiſe, die
[21] ſich in hunderterlei Verſchiedenheit entwickeln konnte, der Friſche
dieſer Poeſie ſelbſt etwas zu benehmen?


Das alles wuͤrde ſich noch klaͤrer ergeben, haͤtte die Un-
gunſt der Zeit nicht die meiſten Minnelieder der alten großen
Meiſter verloren. Wie wenige haben ſich des reichen Wolf-
rams
erhalten und von Gottfried nur ein Paar koſtbare,
ja von Ofterdingen gar nichts, uͤber deſſen Perſon uͤber-
haupt ein ſonderbares Dunke! waltet! Beſaͤßen wir nur von
Veldeck ſo viel als von Walter! Andererſeits faͤllt es
auf, daß mancher ſangliebende Fuͤrſt, wie Landgr. Herrmann,
keine eigene Lieder hinterlaſſen hat.


Docen ſucht ſich ſo zu helfen, daß nach ihm die Minne-
ſaͤnger zwar einigen Unterricht erhielten, — das waͤre nicht
einmal noͤthig anzunehmen — doch aber deßhalb in keiner
engſten Verbindung geſtanden haͤtten.


Dieß letzte zu behaupten, waͤre auch gewiß ſehr unhiſto-
riſch 10), und um nur eines zu ſagen, der Wuͤrdigkeit der
hoͤheren Staͤnde unangemeſſen; weniger die aͤußerliche Zuthat,
ſondern die Bedingung des inneren Auftreibens bluͤhender Poeſie
ſoll ja hier erklaͤrt werden. In ſo fern iſt es uns gleichviel,
ob ſie ſelbſt damals fuͤr Meiſter geachtet worden 11), denn es
[22] genuͤgt, daß ihre Poeſie dieſelbe Farbe traͤgt, und fuͤr uns
hiſtoriſch betrachtet muß ſie wahrer Meiſterſang ſeyn. Sie
ſelbſt moͤgen eifriger an ihre Frauen als an ihre Singkunſt
gedacht, und ſich mehr vor den Merkern ihrer Liebe als ihrer
Geſaͤnge gehuͤtet haben.


Gegen dieſe Vorſtellung und fuͤr die Exiſtenz einer beſon-
deren vom Meiſterſang verſchiedenen Fuͤrſtenpoeſie, welche dann
als Quelle des Minneſangs zu betrachten waͤre, ließe ſich ſa-
gen: unter den aͤlteſten Meiſterſaͤngern, d. h. folglich unter
denen, die Docen aus aͤußerlichem Grund fuͤr ſolche haͤlt, kom-
men bloß arme, adeliche oder buͤrgerliche Dichter vor, nie aber
Koͤnige, Fuͤrſten und reicher Adel, von denen wir bloß Minne-
lieder haben und deren Reihe die maneßiſche Sammlung eroͤffnet.


Nichts iſt gefaͤhrlicher, als ſolche negative Beweiſe beizu-
bringen, denen leicht eine Menge aͤhnlicher und ſtaͤrkerer ent-
gegen geſtellt werden kann.


Ich raͤume eln, daß ſich von den letztgenannten Dichtern
faſt nur Liebeslieder finden, aber die Urſache iſt, weil ſie ſich
nur gelegentlich und gleichſam ſpielend dem Geſang ergeben
haben, darum hoͤren ihre Lieder gar nicht auf meiſterſaͤngeriſch
zu ſeyn. Die Unbedeutendheit dieſer Dichter im Verhaͤltniß
zu den andern, auch minneſingenden Meiſtern, mag am beſten
aus Gottfrieds Stelle im Triſtan dargethan werden, wo er
von den Nachtigallen ſprechend keinen einzigen Koͤnig oder Her-
zog u. ſ. w. nennt, ſondern bloß den Walter und den in Dun-
kelheit getretenen Hagenau, (nur, daß er nicht aus hoͤherem
Stande, moͤchte kaum zu bezweifeln ſeyn); alſo mußten da-
mals ſchon die Minnelieder der Vornehmen ganz richtig als
Nebenſproſſen und Zweige erſcheinen; ich frage mit allem Fug:
ob ein ſolcher Ruhm des Minneſanges haͤtte verſchwiegen blei-
11)
[23] ben koͤnnen? Alle Stimmen wuͤrden ſich des kaiſerlichen Ur-
ſprungs erfreut und die Sage ihn fortgepflanzt haben!


Das Schweigen der ſpaͤteren Meiſter waͤre alſo ſchon in
den fruͤheren gerechtfertigt, es beſtaͤtigt nur, daß jene Reichen
ſich nie zu großen, wichtigen Werken gewendet; die maneßiſche
Sammlung beinahe allein iſt es, welche in ihrem Glanze ſtrahlt
und ſich deſſen wohl bewußt geworden zu ſeyn ſcheint; augen-
ſcheinlich iſt ſie nicht nach dem Alter der Dichter angeordnet,
ſondern nach ihrem aͤußeren Rang 12).


Was noch mehr, andererſelts erblicken wir, nach dem Ex-
tract aus der ſpaͤten Straßburger Tabulatur in einem gewiß
nicht nach den uns bekannten Minneliederſammlungen gemach-
ten, alles unter einander werfenden Verzeichniß der alten Mei-
ſter mehrere aus den hoͤheren Staͤnden, indem ich der adeli-
chen geſchweige, einen Graf von Bernburg, von Helderung,
Herzog Otto von Oeſtreich, Leopold und Wenzel von Boͤhmen.
Man darf daher nicht behaupten, den ſpaͤteren Meiſterfingern
ſey die Exiſtenz ihrer fuͤrſtlichen Vorfahren gaͤnzlich unbekannt
geblieben, allein ſie haben nicht darin die Ehre ihrer Kunſt
geſetzt, weil der Urſprung der Kunſt nicht in jenen gelegen.
Und dieſes kann auch wohl dienen, die Paradoxie eines Freun-
des zu widerlegen, daß vielleicht kein Fuͤrſt die ihm zugeſchrie-
benen Lieder ſelbſt gemacht, ſondern ſie auf ſeinen Namen von
beruͤhmten Dichtern habe verfaſſen laſſen. Dem widerſpraͤche
auch ſo manches, was aus dem Leben der Provenzal- und
franzoͤſiſchen Dichter bekannt geworden; einem Richard Loͤwen-
[24] herz, Wilhelm von Poitou, einem Koͤnig von Navarra laͤßt
ſich das Eigenthum der Lieder nicht abſprechen. In ganz Eu-
ropa ergriff damals das Dichten die Fuͤrſten, wie ſpaͤter im
15. und 16. Jahrh. die Gelehrſamkeit, oder wie ſie vorher
von den Spielleuten Geſang und Harfe erlernten.


Eine Stelle Meiſter Alexanders kommt mir gerade in Ge-
danken, welche ich noch erwaͤhne, damit ſie keiner gegen mich
gebrauchen will. Er klagt darin den Verfall der Saͤngerkunſt,
die ehedem von Herren und Koͤnigen waͤre getrieben werden.
Gleich ſchon der Umſtand, daß hier ein unbeſtrittener Meiſter-
ſaͤnger ſpricht, iſt dem Schluß entgegen, den man aus der
Stelle ziehen koͤnnte, ſie wuͤrde dann bloß beweiſen, daß die
aͤlteſten und beruͤhmteſten Meiſter aus hohem Stande gewe-
ſen, was ich gewiſſermaßen leugne. Auch ließe ſich etwa al-
les von dem Schutz auslegen, der ehemals dem Meiſterge-
ſang zu Theil geworden, da er noch an den Hoͤfen beliebt ge-
weſen, was niemand leugnen wird. Man braucht indeſſen nur
die folgende Strophe Alexanders zu leſen, um zu merken, daß
er dießmal weit uͤber die deutſche Zeit hinaus an das Beiſpiel 13)
des ſingenden David und der tanzenden Herodias gedacht.


Hiermit hoffe ich gezeigt zu haben, daß ein Unterſchied
zwiſchen den alten Meiſtern und gleichzeitigen Minnedichtern
unhiſtoriſch ſey, ja widerſinnig, und noch vielmehr einer zwi-
ſchen gleichzeitigen Meiſter- und Minneliedern, nach welchem
ſich zweierlei Geſang in einer und derſelben Perſon und in
denſelben Weiſen darthun ſoll.


Gibt man mir dieſes zu, ſo habe ich ſtreng genommen
meinen Gegner widerlegt. Da er indeſſen von der Exiſtenz
der alten Meiſter manchmal zweideutig redet und den innigen
Zuſammenhang mit den ſpaͤtern nicht gern eingeſtehet, ſo laſſe
ich nun meine ganze Vorſtellung folgen. Die ſeinige wird da-
[25] bei unfehlbar von allen Seiten eroͤrtert und dadurch daß ich
die Gruͤnde fuͤr den alten Meiſtergeſang auch bei ſeinen vorbe-
haltenen Minnedichtern eben ſo gut, als bei ſeinen Meiſterſin-
gern entdecke, im Einzelnen beſtritten werden. Denn darin
liegt der von Docen begehrte Veweis, der Unzertrennlichkeit
der Minnelieder und alten Meiſtergeſaͤnge, daß in beiden die
naͤmliche innere Geſtalt und an den Verfaſſern beider die naͤm-
liche Sitte dargethan werde.


Zweierlei wuͤnſche ich, moͤge uͤberall deutlich bleiben, wie
um dieſe zwei Puncte dreht ſich meine ganze Meinung, in ih-
rer Einigung und Durchgreifung liegt mir die ganze Hiſtorie
des Meiſtergeſangs. Einmal, daß das Lebendige und Gute
als das Urſpruͤngliche aufgewieſen und erkannt werde, ſelbſt
noch aus der ſpaͤteſten Entartung; zweitens daß dieſe, oder
das Toͤdtende als nicht urſpruͤnglich entwickelt, jedoch keimend
erſcheine. Keines kann in Trennung des Alten vom Neuen
vollbracht werden. Ich halte es fuͤr den Hauptmangel meiner
fruͤheren Aufſaͤtze, daß in ihnen das foͤrmliche Princip des
Meiſtergeſangs, obgleich durch Beiſpiele bewieſen, nicht klar
ausgeſprochen worden iſt, es fehlte mir dazumal an Zeit zu
der muͤhſamen Unterſuchung, ohne welche zwar Vorausſetzung
aber keine Darlegung des Rechten moͤglich war und deren Re-
ſultat ich gegenwaͤrtig der Pruͤfung des Publicums unterwerfe.


Den wahren Sinn meiner Anſicht kurz und eigenſt aus-
zudruͤcken, bietet mir der philoſophiſche Sprachgebrauch ein
Mittel dar, wenn er dem Leſer uͤberall gangbar oder gegenwaͤr-
tig vorauszuſetzen waͤre: die Identitaͤt des Minne- und Mei-
ſtergeſangs will ich ausfuͤhren, ihre Einerleiheit leugnen. Daß
ich fruͤherhin, dieſer Terminologie uneingedenk, den letzten Aus-
druck einigemal fehlerhaft gebraucht habe, darf mir natuͤrlich
keinen Schaden thun, uͤberhaupt aber, wen die Worte nichts
angehen, der halte ſich an die Sache.


[26]

Ueberſicht
der Meiſterkunſt
von Anfang bis zu Ende
.


Ueber den Urſprung des Meiſterſangs etwas Beſtimmtes
oder nur Wahrſcheinliches zu ſetzen, iſt auf den erſten Anblick
unthunlich. Vor allem nach der bisherigen Anſicht, wie ſollte
ſich eine ſo ſcharfe und engfoͤrmliche Geſellſchaft, als man doch
in dem 15ten und 16ten Jahrhundert erkennt, niedergeſetzt und
geſtiftet haben, ohne daß es dabei zu ſchriftlichen Urkunden
gekommen waͤre? Dieß anzunehmen, ſcheint um ſo noͤthiger,
da man weiß, daß ſpaͤterhin in den Schulen der Meiſterſaͤnger
gewiſſe geſchriebene Ordnungen und Geſetze vorhanden waren;
warum ſollten ſich alſo dieſe nicht von einer fruͤheren herleiten?


Allein gerade alle ſolche Urkunden, oder gar die einer
Stiftung mangeln gaͤnzlich. Die aͤlteſte bekannte Tabulatur 14),
die Straßburger, kann hoͤchſtens nur eine fuͤr die dortige Zunft
neu aufgeſetzte und veraͤnderte ſeyn, ſie iſt voll hiſtoriſcher
Verirrung uͤber gar viel aͤltere Meiſter. (Man ſehe den Aus-
zug bei Schilter v. Bardus.) Die Straßburger Zunft
mag immerhin erſt 1493, (nach dem vermuthlich von C. Span-
genberg aufgeſetzten Brief des Raths von 1598) aufgekommen
ſeyn, unerachtet manches mit Grund dagegen zu ſagen waͤre;
ſo iſt doch die Meiſterſaͤngerei des vierzehnten Jahrhunderts zu
unleugbar, als daß wir ihn erſt ſo ſpaͤt duͤrften beginnen laſ-
ſen. Und keine einzige Chronik, kein Document des vierzehn-
ten oder funfzehnten Jahrhunderts thut Meldung einer ſolchen
[27] Stiftung, da doch ſonſt der Buͤrgerſtand fuͤr das Gedaͤchtniß
anderer Dinge, die ihn betrafen, nicht unbeſorgt war. Wer
wollte an eine ſpaͤtere Stiftung des Meiſtergeſangs glauben?


Gleichen Grund, nur daß deſſen Gewicht immer bedeu-
tender wird, je mehr aͤußerliche Widerſpruͤche ihm entgegen
ſtehn, hat Docen gegen ſich, der genau genommen gar zu
gern zweierlei, wo moͤglich unterſchiedene Arten Meiſterſaͤnger
annehmen moͤchte. Die aͤlteſten Meiſter, ein Eſchenbach, Of-
terdingen, ja der reſtituirte Veldeck, ſollen immer noch keine
rechte Meiſterſaͤnger ſeyn, ihr eigentliches Weſen, (woruͤber er
uns freilich in Unſicherheit ſchweben laͤßt, allenfalls das ſchul-
maͤßige iſolirte,) ſoll erſt mit Frauenlobs Zeit 15) angegangen
haben. Gut, ſo weiſe er eine Art Urkunde vor, oder zeige,
daß dergleichen erſt ſeitdem exiſtirt! Aber weder Frauen-
lob, noch irgend einer ſeiner Zeit- und Kunſtgenoſſen reden
von ihrer geſtifteten Schule 16), von ihren neuen Einrichtun-
gen. Sie ſtellen ſich vielmehr immer als Nachfolger aͤlterer
Meiſter dar, und wenn ſie ſich deren einigemal in der Kunſt
uͤberheben, ſo klagen ſie deſto mehr uͤber den Verfall der letz-
tern, uͤber die zunehmende Gleichguͤltigkeit der Fuͤrſten und
reichen Herren, wie deſſen jede Seite der Jenaiſchen H. S.
Zeugniß ablegt.


Allen ſolchen Einwuͤrfen, die ſich im Verfolg noch deutli-
cher ergeben ſollen, iſt meine Anſicht nicht bloßgeſtellt, darum
weil ſie eine allmaͤhlige aber unzertrennliche Entwickelung des
ganzen Weſens in einer vollſtaͤndigen Erſcheinung annimmt.


[28]

Schon lange vordem, ehe das in Deutſchland zu gelten
anfing, was in meiner ganzen Abhandlung unter dem Mei-
ſtergeſang verſtanden wird, waren Geſaͤnge und Saͤnger. Was
die Geſaͤnge angeht, ſo zeigte ſich in ihnen ein hoͤchſt einfa-
ches und einfoͤrmiges Gebaͤude; wir haben wenig Gruͤnde zu
bezweifeln, daß die Weiſen von vier langen Zeilen das alte
und recht volksmaͤßige Maas geweſen, aber wir duͤrfen dieß
nicht auf die epiſchen Lieder beſchraͤnken. Auch alte Minne-
lieder, und gewiß im zwoͤlften Jahrhundert, haben ſich darin
bewegt, gerade wie deren noch einige in der maneßiſchen Samm-
lung ſtehen, obwohl dieſe zum groͤßten Theil neuer gedich-
tet ſind 17).


Sodann aber iſt wieder kein Bedenken, daß die Dichter
und Saͤnger einen eigenen Stand gebildet, der unter dem Volk
und an den Hoͤfen herum gezogen und auf irgend eine Weiſe
zuſammen gehalten hat.


Aus dieſem Beſtehenden und Alten ging nun ein Neues
hervor, wohin ſchon auf eine nicht zu uͤberſehende Art der
[29] Name ſelber weiſt (mehr davon unten) und wie es faſt uͤberall
geſchieht. Was erſt allgemein geweſen, trat in ein charakteri-
ſtiſches uͤber und nahm mit der vorher nicht dageweſenen Schaͤrfe
eine eigentliche Differenz an. Die Anwendung iſt leicht zu
machen: der innere Grundbau der Lieder wurde hervorgehoben,
und ihnen zugleich eine Fuͤlle der Entfaltung gelaſſen, weßhalb
man dann die alten Meiſterlieder einmal feſter und ſtrenger,
dann auch freier und gewandter als den Volksgeſang erkennen
muß. Andrerſeits blieb die perſoͤnliche Sitte beſtehen, die Mei-
ſterſinger lebten an den Hoͤfen, und wandten ihre Kunſt auf
den Lohn der Fuͤrſten, nur iſt hier wieder entſcheidend, daß
ſich die Dichter eben ihres Kunſtmaͤßigen, Eigenthuͤmlichen be-
wußt werden und ſich darum auf einer hoͤhern Stufe glauben
mußten, um ſo mehr als vermuthlich ſchon damals die Le-
bensart der Volksſinger in der oͤffentlichen Achtung geſunken
war 18).


Beides nun, das Verfeinern der Form und die Wiederer-
hebung des Standes wurde befoͤrdert und veranlaßt durch ei-
nen uͤberwiegenden, aber laͤngſt zeitigen Hang zu dem ſubjecti-
ven, lyriſchen Princip. Die Zeit ſtand mitten in zwiſchen der
raſtloſen Heldenthaͤtigkeit und dem ernſten Niederſetzen und
Arbeiten des Geiſtes; es war eine ſehnende ſeelige Bewegung
des Gemuͤths, das ſich uͤber ſich ſelbſt zu beſinnen anfing und
[30] an ſeiner Zierde und Pracht ein reines Wohlgefallen trug.
Bei dieſer natuͤrlichen Stimmung fuͤr eine feine und glaͤnzende
Dichtkunſt braucht die ploͤtzlich aufſtehende Vielheit der Min-
nelieder gar keine Erklaͤrung und zu einer Zeit, wo geiſtliche
und weltliche Orden gelten und aufkommen, iſt es an ſich
zu erwarten, daß man die Poeſie gerade ſo und nicht anders
als ſo vieles im ganzen Leben genommen.


Dieſe drei Momente ſetzen mir die Entſtehung des Mei-
ſtergeſanges und es iſt ſchwer zu beſtimmen, wie das letztere
allgemeine auf die beiden erſteren eingewirkt und auch durch
ſie verſtaͤrkt worden, oder wie ſie beide in einander gegriffen
haben. Die Epoche aber faͤllt in keine andere als Veldecks
Lebenszeit, und hieruͤber iſt Gottfrieds beruͤhmte Stelle ganz
und gar entſcheidend. Indem er ſich ausdruͤcklich auf das
Zeugniß anderer Meiſter bezieht, verſichert er beſtimmt: 〟daß
Veldeck das erſte Reis in deutſcher Zunge geimpft, von dem
nachher alle Blumen gekommen.〟 Die aͤlteren Gedichte, die
erzaͤhlenden langen und die kleineren konnten dem Gottfried
gewiß nicht unbekannt geblieben ſeyn, allein er dachte nicht an
ſie, als die ganz außer dem Kreiſe der neu geſchaffenen bluͤ-
henden Kunſt lagen. Fruͤhere Meiſterſaͤnger haben alſo vor
Veldeck nicht gelebt, damals ſtand der neue Geſang auf und
gleich in bedeutender Menge da, indem ihm ſeine Lieblichkeit
eine allgemeine Theilnahme und Nachahmung erweckten.


An eine Stiftungsurkunde des Meiſtergeſangs iſt kein Ge-
danke, (denn bloß ihr Andenken wuͤrde der Nachzeit feſter an-
gehangen haben) gleich Anfangs die Regel auszuſprechen kam
niemanden bei, was ſich ſelbſt guͤltig machte, blieb und galt
fort. Aber Regel und Meiſter gab es mit dem Anfang des
dreizehnten Jahrhunderts ſchon genug und dafuͤr haben wir
gluͤcklicherweiſe mittelbare Documente uͤbrig. Die Verherrli-
chung der Gegenwart ſchien viel reitzender, als der todten Hel-
[31] den Thaten und Ruhm, die Poeſie wurde lebendiger und ins Le-
ben eingreifender, ſo wie das Verdienſt der Perſon des Dichters
eigenthuͤmlicher, ehrenvoller war. In Staͤdten, auf dem Lande
mag der Minnegeſang wenig Eingang gefunden haben, die
ließen ſich das Alte nicht ſo nehmen und wiederum verſchmaͤh-
ten es die meiſten Hofdichter, ſich durch Ergoͤtzung des unge-
bildeten Volks gleichſam zu erniedrigen. Dieſem mußten die
Liebesklagen zu fein und geſtaltlos vorkommen, wie haͤtte es
fuͤr allegoriſche Deutung, Gelehrſamkeit und Tiefe Sinn ge-
habt? — Das war unſtreitig der Urſprung und die hoͤchſte
Bluͤthe der Meiſterkunſt, als ſie an den Hoͤfen herrſchte und
von ihren Goͤnnern belohnt und mitgetrieben froͤhlich ausbrei-
tete 19).


Die zweite Epoche iſt ſchon viel fruͤher vorbereitet, erſt
im vierzehnten Jahrhundert beſonders hervorgegangen. Wo
die Kunſt im Leben ſchwer gemacht wird, zieht ſie ſich in ſich
ſelbſt zuruͤck, ſobald ſie noch Kraft hat zu dauern; gerade auf
den Meiſterſang mußte die Wirkung nachtheilig und einſeitig
ſeyn. Die Fuͤrſten ermuͤden der Minnelieder nach und nach,
das Volk kann ſie nicht brauchen. Die Meiſter klagen uͤber
den Verfall des hoͤfiſchen Sangs, die Loblieder auf die Fuͤrſten
und Herren gerathen immer haͤufiger, ſchmeichelnder und ge-
[32] zierter, je ſchlechter ſie bezahlt werden, und ſie unterlaſſen
dabei nie zu ſagen, daß ihr Lob ein wahres ſey und ſie das
der Schlechten verabſcheuen. Sie moͤgen aus allen freien
Kuͤnſten ſchoͤpfen, um neue reizende Gleichniſſe zu erfinden,
ihr Anfehen kann nun nicht mehr erhalten werden. Der Mei-
ſter kehret ſich ganz ſeinem Gemuͤth zu, die Luſt, große Ro-
mane zu reimen, verliert ſich, aber die Luſt, den Weltlauf zu
ergruͤnden, die goͤttlichen und menſchlichen Dinge zu betrach-
ten wird immer reger 20), ohne Zweifel waren die meiſten
Dichter mit der Frucht ihrer Arbeit hoͤchſt vergnuͤgt. Dabei
verſieht ſich von ſelbſt, daß ſie die Form der Worte aufs
hoͤchſte trieben und durch deren geheimnißvolle Stellung das
Geheimnißreiche (nicht ohne Grund) zu ehren ſtrebten, eben ſo
glaublich iſt es, daß ſie ihre aͤußerliche Verbindung unter ein-
ander weit entfernt fahren zu laſſen, in manchen Ceremonien
zu befeſtigen ſuchten. Man darf die im vierzehnten Jahrhun-
dert erſchienenen Meiſterlieder nicht ſogleich ſchlecht heißen, noch
weniger ihre Verfaſſer herunterſetzen. Unter dieſen lebten aͤcht
poetiſche Gemuͤther, Frauenlobs Werke ſind uͤberreich, wun-
derbar und von einer Verworrenheit, aus der ſie ſich gleichſam
zu ihrem eigenen Schmerz nicht zu loͤſen vermoͤgen. Nicht ſo
wohl er, wenn wir nach dem Uebriggebliebenen urtheilen, (ob-
gleich ſein ganz anders zu erklaͤrender Name, und die Sage
darauf hinweiſen), ſondern andere mit ihm gleichzeitige, fallen
[33] zuweilen in die alten Liebestoͤne ein. Alexanders Geſang
uͤber ſeine Kindheit iſt in einer zarten Ruhe gedichtet, die uns
jetzt viel werther daͤucht, als die ſchwerſten Kunſtlieder; auch
Wizlau21) macht eine Ausnahme, und Hadloub, von dem
wir bluͤhende Minnelieder uͤbrig haben, obſchon er um 1300
ſchrieb, und wir das ohne Zweifel der laͤngeren Neigung ei-
niger Schweitzerherrn verdanken.


In der dritten Epoche, welche ich vom funfzehnten Jahr-
hundert bis ans Ende rechne, wies es ſich nun noch deutlicher
aus, daß fuͤr die Meiſterpoeſie die Zeit des Hoflebens und Wan-
derns voruͤber 22) war, denn es hatten die Fuͤrſten den Mei-
ſtern alle Gunſt entzogen, und auf andere Staͤnde konnten ſie
eine Einwirkung nicht erneuern, die ſie nie gehabt. Dagegen
gerieth die Kunſt in den Buͤrgerſtand allmaͤlig herab, nicht
als ob vorher keine Buͤrger derſelben theilhaftig geweſen, ſon-
dern weil jetzo eine Menge aus dieſem Stand ſie umfaßten
und bluͤhender als je machten, wenn man auf die Anzahl der
Ausuͤbenden ſieht. Nirgend haͤtte der ſinkende Meiſtergeſang
ſo lange gehalten, wenn er nicht in die deutſchen Staͤdte ge-
langt waͤre, wo die wohlhabenden Buͤrger es ſich zur Ehre
erſahen, daß ſie die Kunſt einiger ihrer Vorfahren nicht aus-
C
[34] gehen ließen, und bald war ſie durch eine Menge Theilnehmer
in Anſehen und Foͤrmlichkeit geſichert 23). Die gelehrten Mei-
ſter der vorigen Periode ſtarben aus, in den Formen hatten
ſich leicht Schuͤler angelernt. Von den tiefen, ſubtilen For-
ſchungen wandte ſich der einfache Sinn allmaͤlig ab und hielt
ſich an die Darſtellung von Wahrheiten der heiligen Schrift und
leichter Allegorien. Zwiſchen den Minneliedern lag ohnedem
die Kluft der vorigen Periode, und in den proteſtantiſchen
Staͤdten, den Hauptſitzen des ſpaͤteren Meiſterſangs kam die
Reformation hinzu, die uͤberall reines Haus haben wollte, es
wurden daher weltliche Gegenſtaͤnde durch Sitte oder vielleicht
ſelbſt in einigen Ordnungen vom Geſang ausgeſchloſſen. Man
darf aber durchaus nicht dieſe ſicher nicht allgemeine Einſchraͤn-
kung aus dem Princip des Meiſtergeſangs ableiten, dem ſie
nur aufgedrungen und fremdartig war; wir haben ſogar nicht
wenig wirkliche Meiſterlieder aus der letzten Zeit, welche von
Liebe oder luſtigen Spaͤßen handeln 24). Wenn das auch nicht
gern auf den Schulen oͤffentlich abgeſungen wurde, ſo ſchrieben
es doch zu Haus die Meiſter in ihre Buͤcher mitten unter
die andern und niemand wird in der That Lieder, die in
[35] kunſtgerechten Meiſtertoͤnen gedichtet ſind, fuͤr etwas anderes
halten wollen. Die Regeln fuͤr aͤußerliche Form und Feier-
lichkeit wurden anſcheinlich immer noch vermehrt 24 b), waͤhrend
doch manche Feinheit der Alten verloren ging und von der ei-
gentlichen Grundform die ſpaͤten Tabulaturen, als einer uͤbri-
gens bekannten Sache, faſt gaͤnzlich ſchweigen.


C 2
[36]

Innere Beweiſe.


Das Weſen alles Geſangs beſteht in einem Maaß, wo-
durch ſich gewiſſe gleiche Abſchnitte oder Ruhen einſetzen, und
das man zuletzt nur aus demſelben Princip zu begreifen ver-
mag, welches das Athmen, das Schlagen des Bluts, die
Schritte des Gehens leitet. Ein Satz, durch den auf die
Innigkeit der ganzen Natur mit der Poeſie helles Licht faͤllt,
ohne den keine Metrik in der allgemeinſten Bedeutung des
Worts verſtanden werden kann, deſſen Ausfuͤhrung aber nicht
hierher gehoͤrt. Ich habe ſchon anderswo 25) angedeutet, wie
die Volkspoeſie alles ihr Maaß klar und rein in ſich behaͤlt, die
Kunſtpoeſie hingegen nicht ſelten falſch anwendet und eigenen
Gefallen findet, ſich zu beſchraͤnken.


Eine ſolche Beſchraͤnkung tritt auch an unſerm Meiſter-
geſang ſichtbar hervor. Seine ganze Art zeigt und ſeine Ge-
ſchichte beſtaͤtigt, daß ein tiefgegruͤndetes, herrliches Princip
nach und nach ausgehoͤhlt und ein todtes aus einem lebendi-
gen geworden iſt.


Als ich das Weſen des Meiſtergeſanges in eine gewiſſe
Kuͤnſtlichkeit der Form ſetzte, haͤtte ich darauf am wenigſten
die Einwendung erwartet: daß jedes Gedicht, wenigſtens je-
der Geſang, eine Form haben muͤſſe, jene Beſtimmung mit-
hin gar nichts ausſage. In dem Meiſterſang iſt ſich nicht nur
die Form durchaus ihrer bewußt geworden, ſondern ſie uͤbt
ſich auch neben groͤßter Mannichfaltigkeit in gezogenen Kreiſen.
Wir haben folglich, wenn wir ſie einer eigenen Klaſſe von
Dichtern Jahrhunderte hindurch beſonders zuſprechen muͤſſen,
immer das Recht dieſelbe Form von allen andern hiſtoriſch
abzuſondern.


[37]

Gegen das dreizehnte Jahrhundert hin, bis wo man
nichts als die lang gemeſſenen Laute alter Heldenlieder geſun-
gen und gehoͤrt 26), erſchallt auf einmal, wie aus der Erde
geſtiegen, ein wunderbares Gewimmel von Toͤnen und Klaͤn-
gen. Von weitem meinen wir denſelben Grundton zu verneh-
men, treten wir aber naͤher, ſo will keine Weiſe der andern
gleich ſeyn. Es ſtrebt die eine ſich noch einmal hoͤher zu he-
ben, die andere, wieder herunter zu ſinken, und mildernd zu
maͤßigen, was die eine wiederhohlt, ſpricht die andere nur
halb aus. Denkt man dabei an die begleitende Muſik, ſo
kann dieſe ſchon wegen der Menge Stimmen, denen die In-
ſtrumente nicht genuͤgt haͤtten, nicht anders, als hoͤchſt einfach
geweſen ſeyn. Sie muß beinahe mit in den Reimen gelegen,
und zwar der Harmonie, nicht aber der Melodie entbehrt ha-
ben 27). Tauſend reine bunte Farben liegen dahin gebreitet,
grell froͤhlich an einander geſetzt, gar ſelten vermiſcht, daher
es kommt, daß alle Minnelieder ſelbſt die verſchiedenſten ſich
dennoch zu gleichen ſcheinen. Dieſe Dichter haben ſich ſelbſt
Nachtigallen genannt 28), und gewißlich koͤnnte man auch durch
[38] kein Gleichniß, als das des Vogelſangs, ihren uͤberreichen, nie
zu erfaſſenden Ton treffender ausdruͤcken, in welchem jeden
Augenblick die alten Schlaͤge in immer neuer Modulation wie-
derkommen. An der jugendlichen friſchen Minnepoeſie hat alle
Kunſt ein Anſehen der Natuͤrlichkeit gewonnen, und ſie iſt auf
gewiſſe Weiſe auch nur natuͤrlich 29); nie hat vorher, noch
nachher, eine ſo unſchuldige, liebevolle, ungeheuchelte Poeſie
die Bruſt des Menſchen verlaſſen, um den Boden der Welt zu
betreten, und man darf in Wahrheit ſagen, daß von keinem
dichtenden Volk die geheimnißvolle Natur des Reims in ſolcher
Maße erkannt und ſo offenbar gebraucht worden. Allein wir
ahnen voraus, wie das poetiſche Leben, das ſich zarter Kind-
lichkeit aufgethan, auf einmal falſch verſtanden und die goͤtt-
liche Blume den abgoͤtternden Haͤnden ihren Kelch der reichſten
Farben zuſchließend, nur die Außenſeite uͤbrig laſſen werde,
die gleiche Geſtalt hat, aber bleich iſt. So ſtreift der hoͤchſte
Gipfel des lebendigen Spiels ſchon mit einigen Zuͤgen in ſtille
28)
[39] Erſtarrung, die erſtiegene Hoͤhe iſt zu fern, als daß wir nicht
noch eine Weile geblendet in der Taͤuſchung fortdauern ſollten.


Einige Jahrhunderte ſpaͤter ſehen wir keine Hoͤfe mehr,
vor denen Saͤnger ankommen, mit ihren Liedern das Feſt zu
erfreuen und die Freigebigkeit des Herren in ſinnreichem Lob
zu erheben. Wir finden ſtille, geſchloſſene Staͤdte, in deren
Mauern ehrſame Buͤrger wohnen, die unter einander eine ſelt-
ſame ſteife Kunſt treiben. Betrachten wir dieſe naͤher, ſo hat
ſie in nichts das Anſehen einer neuen Erfindung. Schon uͤber-
haupt ließe ſich kein Grund einbilden, warum der Buͤrgerſtand
eine beſondere Reimkunſt unter ſich eingefuͤhrt haben ſollte;
viele ſprechen dafuͤr, daß er mit Stolz und Treue bewahrte,
was aus der Borzeit hergekommen war. Aller andere Schmuck
iſt ferngehalten aus ihrer Poeſie, die Reime aber ſtehen ver-
waiſt an den alten Orten, wohin ſie nicht recht mehr gehoͤren,
und ohne Bedeutung, wie man lange noch die Zeichen eines
verloren gegangenen Guts fortfuͤhrt, ohne ihres Sinns zu ge-
denken. Man hat den ſpaͤteren Meiſterſang bisher ganz un-
verſtaͤndig aufgefaßt und eben in ſeiner Unbehuͤlflichkeit den al-
ten Urſprung nicht geſehen. Ich behaupte, ſeine Erſcheinung
wuͤrde uns unerklaͤrlich fallen, wenn wir nicht bis auf die erſte
Bluͤte des Minneſangs zuruͤckgehen koͤnnten. Denn je feſter, toͤd-
tender etwas Unſcheinbarem angehangen wird, deſto herrlicher und
kraͤftiger muß die Grundlage geweſen ſeyn, und ohne Entzuͤk-
kung im Anfang ließe ſich nicht begreifen, mit welcher Scheu
ein Volk den leeren Dogmen eines Glaubens treu bleiben kann.
Alſo weiſen auch unſere beiden Perioden nothwendig auf ein-
ander hin und es bliebe in jeder da ein unverſtaͤndlicher Punct,
wo man ſie nicht innig mit einander verbindet.


Oder will man das Alles in der Zeit ſuchen, die im
Mittel liegt, ſo daß man ſie nicht als wahrhaft vermittelnd
betrachtet, ſondern dahin ein beſtimmtes Endigen der einen
[40] und ein Anfangen der neuen Erſcheinung ſetzt? Dann ließe
ſich zur Noth noch jenes Ende begreifen, (weil ein Leben ab-
geſchnitten werden kann,) aber durchaus nicht dieſer neue An-
fang. Der Meiſtergeſang im vierzehnten oder funfzehnten Jahr-
hundert als etwas eigenthuͤmliches erſtanden, waͤre ein Kind
ohne Jugend, und die ganze Geſchichte dieſer Zeit koͤnnte uns
nirgends ſeine Wundergeburt deutlich machen. Vielmehr ſtoßen
wir allerſeits an eine eigentliche Mitte, welche auf fruͤheres
und ſpaͤteres hinweiſt und unſere Kenntniß von beiden erſt
vollſtaͤndig macht.


Ich wende mich nun naͤher zu dem, was ich fuͤr den be-
ſten Leitſtern unſerer Unterſuchung, fuͤr das Charakteriſtiſche des
Meiſterſangs halte, um dadurch, wofern es der fruͤheren und
ſpaͤteren Zeit auf gleiche Art zukommt, meine Vorſtellung zu
rechtfertigen.


Unter allen Regeln der Metrik, ſo willkuͤrlich ſie auch
ſcheinen moͤgen, liegt zuletzt ein Geheimniß, deſſen Kunde uns
entgangen ſeyn kann, waͤhrend die aus ihm hervorgewachſenen
Bildungen es beſtaͤndig fort in ſich tragen. Wenn ſich nun ſo-
gar in unſerer deutſchen Kunſtpoeſie ein ſolches Fundament
nicht verleugnet hat und beſtimmt waltet, ſo erwirbt ſich auch
hier die Nation das Vorrecht einer Gruͤndlichkeit, wie ſie bei
andern die Geſchichte der Poeſie wenigſtens nicht ſo deutlich
ausfinden oder nachweiſen kann.


Es iſt hier von andern metriſchen Grundformen keine Rede
und ſoll daruͤber nicht entſchieden werden, aber gewiß, die der
Dreiheit traͤgt das Merkmal der Einfachheit und zugleich
großen Sinnes und tiefer Bedeutung in ſich. Wie ſich in ei-
nem Theil der Natur, z. B. im Pflanzenreich, die Bildung eines
Ganzen meiſtens in und durch einen ungleichen Theil beſchließt,
oder deutlicher vielleicht, der zuletzt hinzutretende Schlußſtein
eine ungleiche Zahl macht, ſo entwickelt ſich hier in der Poeſie
[41] aus zweien gleichen Saͤtzen ein dritter ungleicher nach einer in-
nerlichen Nothwendigkeit. Folgte ein zweiter gleicher Satz un-
mittelbar auf den erſten und weiter nichts, ſo wuͤrde das
Ganze leer, matt und unfruchtbar erſcheinen; folgte aber in
dem zweiten ſelbſt ſchon ein dem erſten ungleicher, ſo wuͤrde
das Ganze unempfaͤnglich ſeyn. In dem erſten Fall waͤre keine
Ruhe, kein Schluß, ſondern unendliches Schwanken; im zwei-
ten wuͤrde der Reitz des letzten als des neuen Satzes immer
uͤber den alten ſiegen und deſſen Wirkung in ſeine hinuͤberzie-
hen, folglich vernichten. Da aber das Weſen der Poeſie auch
in ein gemuͤthliches Gleichgewicht geſetzt werden muß, und weil
das Folgende nur in dem Vorausgehenden erklaͤrt werden kann,
ſo kommt der erſte Satz zweimal, damit er Staͤrke gewinne,
den dritten zu zeugen, zu tragen und ſelber neben ihm zu blei-
ben. Es iſt auch, als ob mit einem Mal die poetiſche Luſt
an der gewonnenen Weiſe noch nicht erſchoͤpft ſey, als daß
man den Satz ſchon fahren laſſen koͤnne, oder als ob erſt in
ſeiner Wiederhohlung, da das Anheben gleichſam zu frei und
ſorglos geweſen, das Neue in mehr Bedaͤchtigkeit vorbereitet
werden koͤnne.


Man erklaͤre paſſender und deutlicher, was man leichter
fuͤhlen wird, aber die Wahrheit des Grundſatzes ruht auf dem
Element des Volksgeſanges und Tanzes, wo immer der erſte
Theil wiederhohlt wird, bevor er ſich in ein Trio aufloͤſen kann.


Iſt aber nicht alle Volkspoeſie (als ihrer Natur nach ſang-
und ſtrophenmaͤßig) in Strophen von gleichen Zeilen, und zwar
die deutſche Anfangs von vier langen, nachher auch von acht kur-
zen? Ich gebe eine vermuthliche, mir gleichwohl ſehr wahrſcheinti-
che Erklaͤrung dieſes anſcheinenden Widerſpruchs, eben die große
Einfachheit der Volkslieder bietet ſie dar. Alles liegt hier an
der begleitenden Stimme und Muſik. Wahrſcheinlich wurde die
zweite Haͤlfte der Strophe, nachdem man die erſte entweder
[42] wiederhohlt oder bloß in zwei gleiche Theile zerlegt hatte, in
einer andern Melodie abgeſungen. In manchen Faͤllen wird
auch der Refrain fuͤr einen dritten Theil gegolten haben. Hier-
aus erklaͤrt ſich nun das Neigen der letzten Zeile in Volkslie-
dern zu einer groͤßeren Laͤnge, weil die eigenthuͤmliche Natur
der zweiten Haͤlfte des Ganzen (nach meiner Anſicht des dritten
Theils) dieſe ſcheinbare Ungleichheit moͤglich und ganz natuͤr-
lich macht.


Iſt noch eine andere Anwendung hier erlaubt, ſo offen-
bart ſich in der nordiſchen Alliterationspoeſie ein analoges Sy-
ſtem; denn in den vier- (oder acht-) zeiligen Strophen ſtehen
zwei Reimbuchſtaben meiſtentheils in der erſten Zeile, der
dritte aber erfuͤllt die zweite ganz allein; in den ſechszeiligen
hingegen hat die erſte und die zweite Zeile jede nur einen ſol-
chen Reim, die dritte aber deren zwei eigene. Die Aehnlich-
keit, die ferner im Verhaͤltniß der griechiſchen Strophe und
Gegenſtrophe liegt, wird niemand verkennen, ob ſie gleich ſchief
ausgelegt werden koͤnnte.


Nirgends nun tritt unſer trilogiſches Princip klaͤrer auf,
als in dem altdeutſchen Meiſtergeſang, in deſſen ſpaͤteren Pro-
ductionen es auch von jeher anerkannt und hervorgehoben wor-
den iſt, eben weil es in der ſpaͤteren Sitte aͤußerlich (ich
meine, in den Handſchriften) ausgezeichnet wurde. Auf der
andern Seite hat dieſer letzte Umſtand eine falſche, (wie in
ſich ungenuͤgende ſo hoͤchſt uncritiſche) directe Herleitung aus
dem Griechiſchen veranlaßt. Meine Abſicht geht jetzt dahin,
dieſe Trilogie auch in dem Bau der fruͤheren Meiſterlieder,
alſo der Minneſaͤnge nachzuweiſen. Sehr merkwuͤrdig bleibt
es, wenn gezeigt werden kann, was ich hiermit behaupte, daß
unter den Liederweiſen der maneßiſchen Sammlung (als fuͤr
uns wenigſtens des Inbegriffs und Vorraths aller Minnepoeſie)
vielleicht nur funfzig nicht recht unter die aufgeſtellte Regel
[43] paſſen, die uͤbrigen aber ſie geradezu in ſich darſtellen. Mit-
hin kann ſchon jetzo faſt kein Zweifel obwalten, daß die Regel
ſelbſt gegolten, eher darf man ſich wundern, daß in einer auf
das vielſeitigſte ſpielenden Reimkunſt ſo wenig Abweichung von
einem Grundſatz in der That vorkomme, deſſen Tiefe wohl
den meiſten Dichtern unbewußt war. Wenigſtens duͤrfte der,
welcher um der Ausnahmen willen, die Regel leugnete, ſie
auch ſpaͤterhin nicht mehr finden wollen, indem ſich auch ſpaͤ-
tere Anomalien aufweiſen laſſen werden, und worin wollte
dieſer dann die Eigenthuͤmlichkeit des ſpaͤtern Meiſtergeſanges
ſetzen? Von Allem iſt nun im Einzelnen zu handeln.


I.Regel.


In allen Meiſterſaͤngen, ſowohl in den Minneliedern als
in denen der mittleren und letzten Periode erkenne ich folgen-
den Grundſatz:


Die ganze Strophe, oder das ganze Geſaͤtz, hat drei Theile,
davon ſind ſich die zwei erſten gleich und ſtehen in nothwendi-
gem Band, der dritte ſteht allein und iſt ihnen ungleich 30).
Ich werde der Bequemlichkeit wegen die bekannteſten Namen
[44] gebrauchen, und die beiden erſten; Stollen, den dritten den
Abgeſang nennen, das Ganze aber Strophe 31). Der gewoͤhn-
liche Fall iſt, daß ſich die Stollen durchaus gleich ſind, in Zahl
der Silben und Zeilen, und Stellung der Reime. Letzteres iſt
jedoch nicht nothwendig, denn man begreift, daß der Haupt-
eindruck der Gleichheit gar nicht verletzt werde, wenn auch zu-
weilen die Reime eine andere, etwa umgekehrte Richtung er-
halten, und alsdann richten ſich die Silben entweder nach den
Zeilen oder den Reimen. Ferner, meiſtentheils werden die
Reime der Stollen freilich in ihnen ſelbſt gebunden, es wider-
ſpricht aber dem Princip wiederum nicht, wenn ſie manchmal
[45] erſt in dem Abgeſang gebunden werden, oder gar in und mit
der folgenden Strophe 32). Was die Silbengleichheit angeht,
ſo iſt ſie zu natuͤrlich, als daß ſie im eigentlichen Sinn ver-
letzt werden koͤnnte. Doch muß man hier den alten einfachen
Minneliedern eine Freiheit vor den ſpaͤtern Meiſtergeſaͤngen
zulaſſen, die erſtern gleichen darin oft noch dem Volksgeſang,
daß ſie unter dieſelbe Melodie ein Paar Silben mehr bringen,
oder einige weniger und in die Laͤnge ziehen koͤnnen. Am lieb-
ſten ergibt ſich die Schlußzeile des zweiten Stollen einer groͤße-
ren Laͤnge. Man vergleiche Friedrich von Huſens Lied: wol ir
ſie iſt ꝛc. (1. 95. und im weimar. C. in ſchlechtem Text aber
mit zwei Strophen mehr.) Hier neigt die vierte Zeile uͤber
die ihr entſprechende zweite ſichtlich hinaus in den beiden er-
ſten Strophen, allein faſt gar nicht in der dritten, und im
weimariſchen Text dieſes Geſangs ſcheinen ſich beide Zeilen in
allen Strophen gleich zu ſeyn.


Der Abgeſang iſt gewoͤhnlich keiner weiteren Zerlegung
faͤhig, zuweilen koͤnnte man ihn auch in zwei eigene Theile zer-
ſchneiden, wo ſich aber faſt immer zuletzt ein Anhang findet.
Uebrigens kann er laͤnger oder kuͤrzer ſeyn, als die beiden
Stollen zuſammen, oder gar kuͤrzer, als einzelne 33). Man
fuͤhlt zugleich, daß die ungewoͤhnlicheren Faͤlle doch etwas ſtei-
fes, unbefriedigendes in ſich tragen, dagegen iſt ein anderer
ziemlich haͤufiger, wo in dem Abgeſang einzelne Partien aus
[46] den Stollen wleder anklingen, deſto anmuthiger und durchaus
von guter Wirkung; es kann wohl der ganze Stoll nochmals
zu Ende des Abgeſangs wiederhohlt werden 34). Das Ge-
gentheil war jedoch auch in ſpaͤterer Zeit bei weitem gebraͤuch-
licher, und Wagenſeil (S. 522.) fehlt, wenn er das Ano-
maliſche als eine Regel zu behandeln ſcheint.


Folgende beide Puncte, als charakteriſtiſch fuͤr den Mei-
ſterſang, muß ich noch verwerfen:


1) Daß der Sinn der Gedanken mit der Strophe ſchließe,
alſo jede fuͤr ſich ein Ganzes bilde. — Dieß iſt bekanntlich nicht
bei den Minneliedern der Fall, aber eben ſo wenig bei den
ſpaͤteren Meiſterliedern, obgleich hier der Gegenſtand haͤufiger
ein Abbrechen mit ſich bringt, z. B. in der mittlereu Zeit bei
Lobgeſaͤngen auf Fuͤrſten, wo jeder meiſtens in einer Strophe
abgethan wird. Docen, welcher obigen Satz aufſtellt (S. 93.
102.), hat ſelber Gedichte, wie den Wartburger Krieg, nicht
umgehen koͤnnen und das als eine ſich von ſelbſt verſtehende
Ausnahme behandelt. Dieſe einzige Ausnahme iſt indeſſen von
der Beſchaffenheit, daß ſie in meinen Augen ſeine ganze Regel
umſtoͤßt. Uebrigens laſſen ſich auch Minnelieder aufzeigen, die
nur aus einer Strophe beſtehen, man ſehe die des Veldeck,
Dietmar v. Aſt
ꝛc. und die letzte Strophe des Alram (2.
110.), und neue Meiſtergeſaͤnge von nur einem Geſaͤtz kann
man in einem Band des Ambr. Metzger S. 69. 70. finden.
(Handſchriftl. in Arnims Beſitz.)


2) Daß ein Meiſterſang aus drei Strophen beſtehen muͤſſe.
Dieſe auch von Docen ausgeſprochene Regel widerſpricht
nun zwar der vorigen nicht gerade in ſeiner Meinung, indem
er wohl annimmt, daß man drei ſolcher in ſich unzuſammen-
haͤngender Strophen in demſelben Ton abgeſungen. Die Sache
[47] iſt aber ganz falſch. Es gibt viel ſpaͤtere Meiſterſaͤnge von
mehr als drei Strophen 35), und wenn in der That die mei-
ſten nur aus dreien beſtehen, (worin man leicht moͤglich etwas
ſuchte, was meinem trilogiſchen Princip allenfalls nicht unver-
wandt), ſo haben auch eine Menge fruͤherer Dichter ſchon den-
ſelben Gebrauch befolgt 36), den ich um deswillen nicht zur
Regel machen will, weil gleichfalls oͤfters die fruͤheren Mei-
ſterlieder regelmaͤßig aus fuͤnf Strophen beſtehen 37).


Erſte Einwendung gegen das dreitheilige
Princip
. (Einfache Lieder.)

Es gibt in der maneßiſchen Sammlung einige einfache Min-
nelieder, in welchen man ſchwerlich den aufgeſtellten Grundſatz
zu entdecken ſcheint. Dahin gehoͤren vor allen die folgenden,
ſaͤmmtlich aus Strophen von vier langen Reimen beſtehenden:

  • Veldeck 1. 22. (Anfang: manichen herzen ꝛc.) Die dritte
    Zeile iſt kuͤrzer, dadurch ein Unterſchied und Abſchnitt.
  • Nifen 1. 23. (von walhen fuor ꝛc.) Die dritte kuͤrzer, die
    vierte viel laͤnger.
  • Kiurenberg 1. 38. Die letzte neigt zu uͤberwiegender
    Laͤnge, leider iſt das herrliche Lied incorrect und ver-
    dorben.
  • Dietmar v. Aſt 1. 39. (ahy nu kumt ꝛc.)
  • von Mure 1. 49. (ahy nu ſol ꝛc.) Die letzte offenbar
    laͤnger.
  • Reinmar 1. 72. (hoh alſam ꝛc.) Dritte kurz.
  • Rubin 1. 169. (wol im der ſin ꝛc.) Wie vorhin.


[48]

  • Lichtenſtein 2. 30. 31. (ir edeln frowen ꝛc.)
  • Derſelbe 2. 32. (alle die in ꝛc.) Dritte kurz.
  • Alram 2. 110. (mich dunket ꝛc.)
  • v. Regensburg 2. 117. Dritte kuͤrzer.


ſo wie auch einige ſechszeilige, als:


  • Milons von Sevelingen Lieder (die zwei letzten Stro-
    phen gehoͤren ihm ſchwerlich.)
  • Kol von Niuſſen.

In den gleich zugefuͤgten Anmerkungen habe ich nun ſchon dar-
gethan, wie ſich die Zeilen des Abgeſangs meiſtens aͤußerlich
unterſcheiden, und ſelbſt was die ganz gleichzeitigen darunter
betrifft, ſo komme ich auf meine obige Bemerkung zuruͤck, daß
uns hier die Muſik fehlt, welche nicht anders als in den Ni-
belungen die drei Theile beſtimmt haben wird. Da ich an-
nehme, daß der Meiſterſang nicht allein die Sitte der Volks-
dichter beibehalten, ſondern auch ſein eigenes Princip aus dem
Volksgeſang geſchoͤpft und nur aͤußerlich aufgeſtellt und fortge-
fuͤhrt hat, ſo finde ich es ganz natuͤrlich, daß die Form dieſer
einfachen Lieder an den Volksgeſang erinnere. Ich halte ſie
uͤbrigens fuͤr vortrefflich und groͤßten Theils ſehr alt, man
glaubt in ihnen die Grundlage aller Liebeslieder zu erblicken.
Allein der meiſterſaͤngeriſchen Regel widerſtehen ſie nicht, wenn
ſie ſolche auch am unſcheinbarſten und ſchwaͤchſten darſtellen.
Haben doch die ſpaͤten Meiſter noch die einfache Aufloͤſung der
langen gleichen Zeilen, in acht kurze gleiche (Wolframs Hoͤn-
weis) ohne Anſtoß geduldet und in den Schulen gebraucht, und
den Abgeſang gerade zu mit der fuͤnften (alſo ohne Aufloͤſung,
mit der dritten) Zeile angefangen 38); womit die Muſiknoten
dieſer Weiſe in Volksliederbuͤchern (wie Forſters) ganz uͤber-
einſtimmen.


[49]

Nicht viel anders verhaͤlt es ſich mit den bei Hiltbolt
1. 146. (kalte rifen und ſne ꝛc.) und Nithart 2. 82. (ein
altu vor ꝛc.) befindlichen kurzzeiligen Strophen von vier Rei-
men. In ſolchen ſtreift Volksgeſang in den meiſterlichen hinuͤ-
ber, oder umgekehrt. Noch weniger koͤnnen die in einem Liede
Wolframs 1. 147. (der helden minne ꝛc.) und bei Walter
1. 102. (ich ſas uf einem ꝛc.) 1. 109. (do der ſumer ꝛc.) vor-
kommenden, nicht uͤberſchlagenden 39) Reime eingeworfen wer-
den, in denen nichts volksmaͤßiges liegt. In Dietmars
Liede 1. 39. (es ſtuont ein frowe ꝛc.) treten ſie kaum aus den
Aſſonanzen heraus, reiner ſind ſie bei demſelben 1. 41. (ſlafeſt
du friedel ꝛc.) und bei Friedr. v. Huſen 1. 93. (ſi darf mich ꝛc.)
Ich brauche bloß zu bemerken, daß eine gleiche Anomalie in
Hans Sachſens Spruch- und Roſenweis ſtatt findet, worin
auch ſolche unmittelbare Reime. Dahin gehoͤrt endlich die
fuͤnfzeilige Strophe Walters 1. 113. (uns hat der Winter ꝛc.)
und ſein Vocalenſpiel 1. 125.


Zweiter Einwand. (Abnorme Faͤlle.)

Wichtiger ſcheinen ſich einige offenbare kunſtmaͤßige Lieder
nicht das Syſtem gefallen zu laſſen. Sie fodern eine genaue
Aufmerkſamkeit.


1) Die maneßiſche Sammlung zaͤhlt Lieder, die nur aus
zwei zu einander zugewandten oder ſich genau auf einander be-
ziehenden Theilen zu beſtehen ſcheinen, ſo daß das Ende des
einen an den Anfang des andern reicht und nun dieſelbe Reim-
leiter wieder hinaufgeſtiegen wird; oder auch nur ſo, daß alle
in dem erſten Theil aufgewandte Toͤne in dem zweiten ihre
D
[50] Bindung erreichen, ſey es nun in welcher Ordnung. Der Ab-
geſang ſcheint mithin zu fehlen. Allein da ſich dann in keinem
dieſer Lieder ein eigentlicher Mittelpunct faͤnde, und uͤberhaupt
nicht anzunehmen iſt, daß eine Melodie von der Mitte heraus
zu ihrem Anfang und Ende hin ſich gleichmaͤßig ausbreite, ſo
iſt wohl in den nachſtehenden Schematen der Abſchnitt nach
der punctirten Linie zu verwerfen und es verhaͤlt ſich damit
wahrſcheinlich ſo: ſtatt, daß ſonſt der Abgeſang auf die zwei
Stollen folgt, iſt er hier in die Mitte zwiſchen beide genom-
men und der zweite Stoll macht den Beſchluß. Den Beweis
koͤnnte wieder erſt die Muſik ſolcher Lieder liefern, wohin nur
die nachſtehenden gehoͤren. Dabei muß Herrn Docen auf-
fallen, daß dieſe Anomalie ſich noch dazu ganz beſonders bei
Walter von der Vogelweide, alſo einem von ihm anerkann-
ten Meiſterſaͤnger und zum Theil bei ernſthaftem Inhalte fin-
det. Aus dem ſpaͤtern Meiſterſang weiß ich dießmal kein Bei-
ſpiel zu liefern.


[figure]
  • (Gewißheit haben wir uͤber ſolche Abtheilungen freilich
    noch nicht, und es ließen ſich auch einige anders
    verſuchen.)

[51]
[figure]
[figure]

2) In andern Geſaͤngen ſpringen zwar die drei Theile deut-
lich hervor, aber die Reimfolge in den beiden erſten (den Stol-
len) iſt nicht gleichmaͤßig. Hierin liegt, wie ſchon oben be-
ruͤhrt worden, an ſich nichts Unnatuͤrliches, weil die Gleich-
heit im Ganzen wohl vorhanden iſt. Alle erregten Toͤne wer-
den befriedigt und geloͤſt, ob nun der letzte dießmal zuerſt,
oder wie es geſchehen mag, beleidigt nicht das Princip. We-
nigſtens bekommen die beiden Stollen, wo ſie ſich einander
bloß zudrehen, eine Art von Rundung und Ganzem; ich ver-
D 2
[52] muthe aber, daß zu demſelben Reim auch die Muſik des er-
ſten Theils zuruͤckgekehrt ſey. Hierher ſind folgende zu rechnen:


Rudolf v. Neuenb. 1. 8. (gewan ich ꝛc.) Stretlin-
gen
1.45. (ach dar ich ꝛc.) Bligge 1. 177. (min alte ſwere ꝛc.)
Schwerer und unangenehmer aͤußert ſich dieſe Anomalie manch-
mal da, wo die Stollen aus mehrern Zeilen beſtehen. Ich
laſſe in den Beiſpielen die Abgeſaͤnge aus:


[figure]

In einigen dieſer Lieder muͤſſen die Reime warten, bis
ſie im Abgeſang gebunden werden; will man aus der Zeit des
[53] ſpaͤteren Meiſtergeſangs auch dazu Beiſpiele haben; ſo ſchlage
man den verwirrten Ton Vogels oder den verkehrten Mi-
chael Pehams
nach. Hier ſprechen merkwuͤrdig genug die
Namen fuͤr die Abweichung und alſo mit fuͤr die Regel, dieſe
ſtand feſt und bekannt da, die Kuͤnſtlichkeit wagte ſich aber
dennoch in Anomalien, die ſie ſchon in der Benennung auszu-
druͤcken ſorgte.


3) Von geringer Abweichung ſind einige andere Faͤlle, die
ich deßwegen auch lieber zufaͤllig erklaͤren moͤchte. Bei Vel-
deck
1. 20. ſtehen einige Lieder: gern het ich ꝛc. es tuont diu
Vogelin ꝛc. die bloß einzelne Strophen ſind, woraus ſich noch
gar nichts abnehmen laͤßt, um ſo mehr, als andere dem An-
ſchein nach ebenfalls abnorme wie einige von Nifen 1. 22. 23.
nun nicht mehr ſo erſcheinen, ſeitdem die in Bodmers Ab-
druck mangelnden Zeilen ergaͤnzt worden ſind (ſ. Benecke 4.
und 21.) So verhaͤlt es ſich ungefaͤhr mit der 1. 175. einſam
da ſtehenden Strophe: got weis wol ꝛc. Das Lied des von
Tuifen 1. 45: ich minne in minem muote ꝛc. iſt auf den er-
ſten Anblick unregelmaͤßig, ſodald man aber merkt, daß die
folgende abgeſetzte: min munt demſelben ꝛc. keine eigentliche
iſt, ſondern nur den Abgeſang zu den in der vorigen liegenden
Stollen enthaͤlt, kommt alles in Ordnung. Sonderbar iſt das
2. 33. ſtehende Lied Lichtenſteins: wißet frowe ꝛc. Man
koͤnnte die erſte und zweite Strophe fuͤr den einen Stollen,
die dritte und vierte fuͤr den zweiten, die fuͤnfte fuͤr den Ab-
geſang auslegen, in allen fuͤnfen alſo eigentlich nur eine Stro-
phe (einen Bar) finden. Vielleicht iſt es aber ein Stuͤck Leich,
wovon bald nachher.


Walters ſchoͤnem aber unregelmaͤßigem Tagel. 1. 107: fruͤnt-
liche lag ꝛc. ſcheint der Refrain und darin der Abgeſang zu mangeln.
Denn ſo gewiß das, was wir unter Refrain verſtehen, in den
Meiſterliedern manchmal von dem Abgeſang ganz unabhaͤngig iſt,
ſo wahrſcheinlich hat es ihn andremal gerade gebildet. Einige
[54] Lieder, welche deutlich nur aus zwei Theilen beſtehen, moͤgen
auch einen ſolchen Anhang in der Muſik bekommen haben, oder
man kann ſie wirklich fuͤr ein Paar Ausnahmen gelten laſſen.
Dahin gehoͤren: Walter von Metz 1. 166. (mirſt min ꝛc.)
Lichtenſtein 2. 26. (nu ſchouwent ꝛc.) und Hawart 2. 111.
112. (ob es an ꝛc.), bei welchem letzten man jedoch auf die
Silbenzaͤhlung zu achten hat. Vergl. auch den gereimten Pro-
log Conrad Megenbergs (Muſeum 1. 148.)


4) Zuweilen zeigt ſich in fruͤhern und ſpaͤteren Meiſterſaͤngen
eine ganz eigene Kuͤnſtlichkeit; ſtatt daß die Reime ſonſt die
Zeile ſchließen, ſtehen ſie da zu Anfang und zwar um einen
irgendwo liegenden Endreim zu binden, der ſonſt Waiſe geblie-
ben waͤre, oder um ſich unter einander Anfangsreim mit An-
fangsreim zu vereinigen. Sie brauchen nicht gerade ganz vorne
vorzukommen, ſondern koͤnnen auch erſt nach einer, zwei oder
mehr Silben folgen. Characteriſtiſch ſcheint mir nun: beiderlei
Faͤlle haben zu gleicher Zeit und untereinander ſtatt, koͤnnen
in jeder Zeile ſtehen, in beiden Stollen, oder nur in einem,
nur im Abgeſang oder im Abgeſang und einem Stollen. Dar-
aus folgt dann: dieſe Anfangsreime haben auf das Princip
der eigentlichen Reime, d. h. der zu Ende ſtehenden keinen Ein-
fluß, Waiſen (ungebundene Reime) ſind ja ohnedem zulaͤſſig im
alten und neuen Meiſtergeſang. Jene alſo greifen in das Ge-
baͤude der Stollen und Abgeſaͤnge gar nicht ein, womit ſie
ſonſt in Widerſpruch ſtehen wuͤrden; es iſt folglich fehlerhaft,
ſie im Druck in neue Zeilen abzuſetzen, als wenn ſie ſelber
wahre Endreime waͤren, was ſie dadurch werden. Benecke,
ſo wie er ſonſt das Reimſyſtem weit ſorgfaͤltiger behandelt,
als die Raßmanniſche Vergleichung thut, hat hierin zu viel
geleiſtet, und offenbar durch das Ausruͤcken ſolcher Aufangs-
reime den Typus des Meiſterſangs verruͤckt, beſonders einzelnen
Zeilen ihre Silbengleichheit benommen.


[55]

Ich ſchlage vor, dergleichen Reime bloß zu unterſtreichen,
da ſie allerdings verſtanden werden ſollen und, wo ſie nicht ins
Geſicht fallen, von unſern entwoͤhnten Ohren gewiß uͤberhoͤrt
werden muͤſſen. Zuweilen ſcheinen ſie in der That unvernehm-
lich, zwoͤlf und mehr Zeilen liegen dazwiſchen, und es muß
uns das Zwang und leere Spielerei ſeyn, was im Urſprung
leicht eine andere Bedeutung gehabt hat.


Ich moͤchte ſolche Reime Alliterationsreime nennen und
glaube, daß ihnen auch ein aͤhnliches Gefuͤhl zum Grunde
liege, nur daß hier den Vocalen ganz die einſchlagende Macht
der Conſonanten uͤbertragen iſt, die Conſonanten ſelbſt aber
nicht alliteriren. Sollte hierin eine Spur altdeutſcher Allite-
ration bis in ſpaͤtere Zeiten gelangt ſeyn? 40)


[56]

Die Beiſpiele will ich bloß andeuten, damit ſie jeder ſelbſt
nachſchlagen kann.


  • Walter 1. 121. (ich wil niht me ꝛc.) Das erſte Wort der
    letzten, bindet das letzte der erſten Zeile.
  • Ebenderſ. 1. 121. (ob ich mich ſelben ꝛc.) Die erſte und letzte
    Z. des Abgeſ. reimen ſich durch Anfang und Schluß.
  • Ebenderſ. 1. 122. (ir reinuͤ wib ꝛc.) Hier iſt der Abgeſang
    in der Mitte. Der Anfang der erſten Zeile des Abgeſ.
    reimt in das Ende der zweiten und der Anfang der drit-
    ten in das Ende der vierten, die Ende der erſten und
    dritten reimen ordentlich.
  • Lichtenſtein 2. 37. (wol mich iemer.) Das erſte und letzte
    Wort jeder Strophe reimen und zwar in allen drei
    Strophen auf einem Reim.
  • Derſelbe 2. 38. (frouwe min got.) Schlußzeile bindet ſich
    ſelbſt durch ihren Anfang und ihr Ende.
  • Derſelbe. 2. 41. (ein man bedarf.) Wie vorhin.
  • Derſelbe 2. 43. (wißet alle das ich kan.) Die erſte Z. des
    Abgeſ. wie vorhin.
  • Brunwart v Oughen 2. 55. (jarlang valwent.) Die
    letzte Zeile des Abgeſ. wird in der zweiten Silbe des
    erſten Stollen gebunden.
  • Hawart 2. 111. (ich wil dir herre ꝛc.) Hier reimt die
    erſte Silbe beider Stollen mit der letzten des Abgeſ.

Die beſonders haͤufigen Beiſpiele aus Nifens Liedern citire
ich aus Benecke:


  • Num. 1. Die letzte Zeile des Abgeſ. gebunden durch die
    fuͤnfte Silbe der erſten Zeile des erſten Stollen.
  • — 5. Die erſte und letzte Silbe des Ganzen.
  • — 6. Ebenſo.

40)


[57]
  • Num. 10. Die zweite Silbe des erſten Stollen mit der letz-
    ten des Ganzen.
  • — 25. Die letzte Silbe diesmal im Abgeſang ſelbſt ge-
    bunden und zwar in der Anfangsſilbe ſeiner zweiten Zeile.
  • — 38. Hier binden ſich die erſte und letzte Silbe des Abgeſ.
  • — 43. Letzte Silbe gebunden mit des zweiten Stollen erſter.
  • — 45. Die letzte Zeile gebunden durch die vierte Silbe des
    erſten Stollen und der Schlußreim des zweiten Stollen
    mit der dritten Silbe der zweiten Zeile des Abgeſangs.
    (In dieſem reimverwirrten Lied werden uͤberdem die
    Stollenreime erſt im Abgeſang vermaͤhlt. Oder will man
    zwei gleiche Haͤlften jeder Strophe annehmen?)

Das merkwuͤrdigſte Beiſpiel und einer der unverſtaͤndigſten
Toͤne, die je erdacht worden, iſt der, welcher gleich die wei-
mariſche Handſchrift eroͤffnet, deſſen Namen ich nicht ange-
ben kann, weil mit einigen verlorenen Blaͤttern die Rubrik
mangelt. (Ich bezweifle nicht, daß er von Frauenlob; ſollte
es deſſen Tagsweis oder Kupferton ſeyn, die ich mir noch
nicht verſchaffen koͤnnen? denn beide ſind zwanzigreimig.)
Schon iſt es alles moͤgliche, daß die Stollenreime erſt im
Abgeſ. Band erhalten, und zwar auf folgende Art: jeder
Stoll hat 5, der Abg. 10, das Ganze alſo 20 Reime, 1
bindet mit 13, 2 mit 17, 3 mit 11, 4 mit 19, 5 mit 18,
6 mit 15, 7 mit 12, 8 mit 16, 9 mit 14, 10 mit 20.
Allein das iſt lange noch nicht alle Kunſt, denn nun treten
unſere Anfangsreime daneben auf. Die erſte Silbe der er-
ſten, zweiten und vierten, imgleichen die zweite der dritten
Zeile reimen ſich unter einander. Ferner die erſte Silbe der
fuͤnften, ſechsten und eilften Zeile reimen ſich und zwar auf
denſelben Endreim, den die zehnte und zwanzigſte Zeile ha-
ben. Die Anfangsſilbe der ſiebenten und achten Zeile endlich
reimen wiederum die erſte der neunzehnten und zwanzigſten.
Es muͤſſen wenig Lieder ſo ſteif ſeyn, als dieß uͤberladene,
[58] manche Stellen werden dadurch ganz [unverſtaͤndlich], noch
dazu in dem ſchlechten Text, aber die Regel iſt dafuͤr genau
durch alle Strophen ausgehalten. —


Das waͤren ungefaͤhr alle anomale Faͤlle, außer zweien,
die in der dritten und vierten Einwendung eigens abgehandelt
werden ſollen. Ich habe mich dabei auf die maneßiſche Samm-
lung eingeſchraͤnkt, als die reinſte und erſte Quelle des Min-
neſangs, auf den es vorzuͤglich abgeſehen.


Vielleicht ſind mir Einzelnheiten oder Beiſpiele entgan-
gen, die Unterſuchung war eben ſo muͤhſam als langweilig,
gleichwohl hielt ich ſie zur Sicherung des laͤngſt vermutheten
Reſultats fuͤr unumgaͤnglich. Ich frage alſo: was beweiſen
dieſe wenigen Anomalien unter zwoͤlfhundert Toͤnen, in wel-
chen das Princip deutlich regiert? Und ich habe die Abwei-
chung zu erklaͤren verſucht, und, was nicht zu uͤberſehen iſt,
bewieſen, daß ſie fruͤh und ſpaͤt vorkommen und in jenem
Fall nicht bloß in den Minneliedern, ſondern auch in denen,
welche Docen ausſchließlich zu Meiſtergeſaͤngen machen will.


Dritte Einwendung. (Der Ton des Titurel.)

Betrachtet man bloß die Reime, ſo iſt dieſer Ton ein ſehr
einfacher und regelmaͤßiger, von ſechs Reimen oder vielmehr
ſieben Zeilen, wo dann die mittlere des Abgeſangs ungebunden
bleibt. Eine auffallende Abweichung zeigt ſich aber ſogleich im
Silbenverhaͤltniß, und dieſe hat offenbar immer darin gelegen
und iſt aus keinem ſpaͤtern Mißverſtand herzuleiten. Wolfram
verſichert ſelbſt, daß er die Lieder (Strophen) ſorgfaͤltig nach-
gemeſſen, und nach den Regeln des Meiſtergeſangs. Wir
muͤſſen alſo glauben, es ſey ein Meiſterton und ſein Silben-
verhaͤltniß mit allem Bedacht von dem Dichter angenommen
worden. Was Wolfram ſelbſt befuͤrchtet, Entſtellung unter
den Haͤnden der Abſchreiber, iſt zwar eingetroffen und wir
haben den Ton in ſeiner Reinheit in keiner der bekannten
[59] Handſchriften des Titurels, ſondern in der vortrefflichen ma-
neßiſchen Sammlung bei Otto v. Turne40 a) aufzuſuchen.
Ich bin danach uͤberzeugt, daß der ganze Ton aus 60 Silben
beſteht, naͤmlich die drei erſten Zeilen jede aus 7, die ſechste
auch aus 7, die vierte, fuͤnfte und ſiebente aber aus 11 Silben.
Mithin fallen davon auf den erſten Stoll 14, auf den zweiten
17, auf den Abgeſang 29 41). Zur Entſchuldigung dieſer Un-
gleichheit ließe ſich allerdings ſagen, daß die erſten Zeilen je-
des Stollen regelmaͤßig und gleich ſind, und da der Schluß
des zweiten um drei Silben laͤnger, der erſte vollſtaͤndig darin
enthalten, das weiter Folgende ein bloßer Anhang iſt, wie
denn ſchon oben erwaͤhnt, daß die Natur alles Geſangs gern
mit ſich bringe, auf dem Schluß eines Abſchnitts laͤnger zu
weilen.


Gluͤcklicherweiſe findet ſich aber uͤber die ganze Anomalie
ein befriedigender hiſtoriſcher Aufſchluß. Wolfram gedenkt
einer fruͤheren, ein halb Jahrhundert aͤlteren Bearbeitung der-
ſelben Geſchichte, dieſe hat ſich in einer Muͤnchener Hand-
ſchrift erhalten. Herr Docen iſt ſo guͤtig geweſen, mir einen
Theil des in aller Ruͤckſicht vortrefflichen alten Gedichts mit-
zutheilen 41 a). Was auf den erſten Blick erhellt, iſt, daß es
[60] Wolfram zu dem Grund ſeiner ſpaͤteren Arbeit gelegt, ſo weit
es ihm nur vergoͤnnt geweſen, faſt alle Worte laſſen ſich nach-
weiſen. Und was uns hier beſonders intereſſirt, die neue Form
hat ſich aus der alten entwickelt und iſt durch ſie lediglich be-
ſtimmt worden.


Der alte Titurel hat vierzeilige Strophen, wie ich ſie
außer ihm noch nirgends in altdeutſcher Poeſie angetroffen 42),
es iſt in ihnen ein einfacher Geiſt, wie in den Volksliedern,
und keine genaue Silbenhaltung. Doch laͤßt ſich ungefaͤhr feſt-
ſetzen, daß die zweite Zeile um einige Silben laͤnger als die
erſte, die dritte um einlge kuͤrzer als die erſte, und die vierte,
wo nicht der zweiten gleich, meiſtens noch um einige laͤnger iſt,
als die zweite. Wir haben alſo hier wieder das Laͤngern der
Schlußzeile des Ganzen, wie in den Nibelungen, von deren
Bau uͤbrigens eine ſichtliche Verſchiedenheit. Namentlich
in der characteriſtiſchen Kuͤrze der dritten Zeile, welche in den
Nibelungen ohne Beiſpiel, wohl aber habe ich vorhin einige
alte Minnelieder angegeben, welche gleichfalls die dritte Zeile
verkuͤrzen. Und ſelbſt von dieſen weicht der alte Titurel wie-
der durch die merkwuͤrdige Verlaͤngerung der zweiten Zeile ab.
Ich zweifele faſt nicht, daß die Muſik der erſten Zeile in der
41 a)
[61] zweiten wiedergekehrt und nur mit einem laͤngeren Verweilen
geſchloſſen habe; die dritte und vierte muͤſſen das Trio gebil-
det haben.


Nun iſt offenbar, wie Wolfram mit dem, was er vor-
fand, verfuhr. Die beiden erſten Zeilen zerſchnitt er in vier
Theile und erfand fuͤr ſeine nunmehrige erſte und dritte neue
Reime, wozu ſich im alten Bau durchaus keine Vorneigung
ſpuͤrt. In der zweiten und vierten ließ er die Reime der
alten erſten und zweiten, ſo wie in ſeiner fuͤnften und ſechsten
(oder ſiebenten) die der alten dritten und vierten ſtehen; ſehr
begreiflich, weil er ſonſt alles Herrliche haͤtte zerſtoͤren muͤſſen.
Aber eben dieſen beibehaltenen alten Reimen zu Gefallen durfte
er das Ganze nicht vermengen. Zu zwei ſilbengleichen Stollen
konnte er mithin unmoͤglich gelangen, haͤtte er jede der zwei
erſten alten Zeilen in gleiche Haͤlften geſchnitten, ſo wuͤrde ſich
ſein erſter und zweiter Stoll in keiner Zeile gleich geworden
ſeyn, daher ſchnitt er die zweite alte Zeile in ungleiche Theile
und wendete die uͤberfließende Laͤnge ſeiner Schlußzeile (d. i.
ſeiner vierten) allein zu. Nicht nur in richtigem Gefuͤhl des
alten Klanges, ſondern auch, weil er ein ſolches Ueberfließen
nicht gerade mit ſeinem Meiſtergeſang unvereinlich hielt. We-
niger Muͤhe koſtete ihm der Abgeſang, oder vielleicht gar keine,
denn es laͤßt ſich nicht ganz entſcheiden, ob die Trennung der
ſechsten, leer gelaſſenen Zeile ſchon von ihm hergeruͤhrt oder
erſt ſpaͤter beliebt worden ſey. Wenigſtens theilt die hannoͤ-
veriſche H. S. nicht, wie der Druck, die ſechste und ſiebente
Zeile, und darin ſcheint ſie mit der Wiener 43) uͤberein zu
kommen. Andererſeits iſt nicht unvermuthlich, daß Eſchen-
bach
eine gewiſſe aͤußere Gleichſtellung aller Zeilen beabſichtigt
und indem er von der alten vierten 7 Silben fuͤr ſeine ſechste
abgenommen, darin die erſte Zeile der Stollen wieder erſchei-
nen laſſen wollen. Dazu kommt, daß in Wolframs Titurel
[62] und bei Otto von Turne nach den ſieben Silben der Ab-
ſchnitt deutlich zu vermerken iſt, nicht aber im alten Titurel,
folglich iſt er abſichtlich eingelegt worden. Der Umſtand, daß
die Caͤſuren im alten Gedicht gar nicht auf die ſpaͤtere Abaͤn-
derung hindeuten, darf ja nicht uͤberſehen werden. Es ver-
ſteht ſich von ſelbſt, daß Wolfram gern ein Wort inmitten
der erſten oder hauptſaͤchlich zweiten alten Zeile fuͤr ſeinen
einzulegenden Reim benutzte, weil er ſonſt zu viel aͤndern muͤſ-
ſen, nur zuweilen, wo ſich gar nichts paſſendes vorfand, mußte
er in beiden neue Reime ſetzen. In der Regel kann man da-
her annehmen, daß ſeine zwei erſten Zeilen am meiſten vom
alten Text weichen und eine gewiſſe Steifheit verrathen.


Wenn es ſich nun fragt: warum hat Wolfram uͤber-
haupt nicht den alten Bau gelaſſen, da ſeine Neuerung der
Sache ſelbſt gar nicht nutzte und ſichtlich einige fließende Wen-
dungen verdrehte? Die Antwort darauf iſt meiner Abſicht ge-
rade willkommen, denn ich wuͤßte keine zu geben, als: er ſuchte
das Princip des Meiſterſangs klaͤrer herauszuheben und aus-
zugleichen 44).


Es muß uns befremden, daß der beruͤhmte Ton eines ſo
großen Meiſters ſpaͤterhin ungebraͤuchlich geworden; er findet
ſich in Fuͤterers, Labers und Puͤterichs Gedichten, und
in einigen noch aͤlteren Minneliedern im weimar. Cod., Cod. vatic.
348. und in Nyerups Symb. Allein in keinem der mir bekann-
ten Meiſtergeſangbuͤcher, weder unter Wolframs noch einem
andern Namen. Seine Anomalie im Silbenverhaͤltniß ſtieß
vielleicht die ſpaͤtern, aͤußerlich immer ſtrengeren Meiſter an,
vielleicht aber haben ſie ihn nur gebeſſert, die Stollen voͤllig
[63] gleichgeſetzt, die Reimverſchlingung ganz beibehalten. Ich will
jedoch nicht verbuͤrgen, daß in einem der ſiebenzeiligen Toͤne,
welche Buͤſching im N. lit. Anz. Col. 404 — 406. anfuͤhrt,
die Umformung unſeres Tons enthalten ſey. Denn dieſe Art
gehoͤrt zu den einfachſten mit und ließe ſich durch Beiſpiele,
auch aus alten Minneliedern her, ſtark vermehren. Wenn an-
ders die Silben einſtimmten, ſo ſchiene mir die Aufloͤſung der
ſechsten Zeile (der Waiſe) in eineu fruͤhern Reim keine erheb-
liche Abweichung, zumal da einzelne Strophen im Titurel das
ſchon angeben 45) und ſich die ſpaͤteren Meiſter mit fruͤhern
Toͤnen wohl noch mehr herausnahmen. Vielleicht waͤre auch
unter den ſechszeiligen zu ſuchen, ob nicht eine Schlußzeile lei-
det, in zwei geſondert zu werden.


Vierte Einwendung. (Leiche.)

Man hat uͤber die Etymologie des Wortes Leich geſchrie-
ben und iſt auf eine ſo allgemeine und vage gerathen, daß
man gar nicht einmal nach Gedichten fragte, denen dieſer Name
bei unſern alten Dichtern zukaͤme, um dann deren Form ge-
nauer zu betrachten. Der Ausdruck ſelbſt kommt in Minne-
liedern faſt gar nicht vor, außer bei dem Gliers 1. 43. Da-
fuͤr aber haͤufiger in gleichzeiligen erzaͤhlenden Gedichten, beſen-
ders in Gottfrieds Triſtan, (cf. 3395. 3402. 3496. 3466.
7948. 13212 u. 18967.) woraus man freilich ziehen koͤnnen, das
Wort ſey von dem Umdichter aus dem welſchen, gleich ſo viel
andern offenbaren, beibehalten worden.


Ich verwerfe durchaus die Ableitung und Verwandtſchaft
mit Lied, Liod, leudus und zwar wegen des in dieſer Wurzel
characteriſtiſchen t oder d; dann aber, weil die Dichter des
dreizehnten Jahrhund. unter Leich genau etwas anderes verſte-
[64] hen als unter Lied. Nicht weniger mangelhaft iſt die andere
aus Lais, Leiſen, wegen des fehlenden ſ. Jedermann ſieht,
daß in der uns noͤthigen Wurzel das k oder ch die Characte-
riſtik gibt und die einzig richtige Etymologie iſt in laikan,
ſchwed. leka, islaͤnd. leika, daͤn. leege = ſpielen, wie denn
auch das im Deutſchen uͤblich geweſene Verbum laichen, lei-
chen nichts anders heißt und ſchon alle Gedanken an Lied haͤtte
entfernen muͤſſen, aus deſſen Wurzel ſich ſchwerlich ein ſolches
Activum bilden kann 46). Mit leichen iſt ganz uͤberein das
leccare der romaniſchen Sprachen, nur daß hier die ſpaͤter
auch in den deutſchen Mundarten hinzutretende Nebenbedeu-
tung von betriegen und ſchmeicheln vordrang 47), weil die Spiel-
leute ein gemeines, kriechendes und verachtetes Leben zu fuͤh-
ren anfingen. Leccator und lecheour heißt erſt ein Spiel-
mann (wie lekar oder leikar auf isl.) und dann ein nichts-
nutziger Menſch, ein Lecker. Aus allem dem folgt: Leich iſt
ein in Deutſchland laͤngſt uͤbliches Wort, nicht dem Franzoͤſi-
ſchen nach uͤberſetzt, und hat, wenn man ſich darunter einen
Geſang denkt, durchaus die Nebenidee eines Spiels oder In-
ſtruments 48). Spielen kann nicht: bloß Singen bedeuten.


Große Huͤlfe gewaͤhrt uns ferner das Verſtaͤndniß der
Form. In der maneßiſchen Sammlung ſtehen mehrere Ge-
dichte, in denen etwas Unregelmaͤßiges vorherrſcht, und die
ſich nicht immer in wiederkehrende Strophen eintheilen laſſen,
[65] ſondern mancherlei Toͤne vermiſchen. Nun ſagte uns aber nie-
mand beſtimmt, daß dieſe unſere Leiche waͤren, denn die an-
gezogene Stelle des Gliers iſt erſt dann recht verſtaͤndlich,
wenn man uͤber jenes gewiß iſt; er fuͤhrt lauter beruͤhmte Lei-
chere an und das ſelbſt in einem eigenen Leich, aber Bodmer
hatte gerade die Geſaͤnge mehrerer dieſer Dichter ausgelaſſen.
Der weimariſche Codex bringt alles ins Reine, denn nicht nur
rubricirt er ein ſolches gemiſchtes auch in der maneßiſchen
Sammlung befindliches Gedicht Frauenlobs: „den Leich
Frauenlobs,“ ſondern enthaͤlt noch zwei andere von derſelben
Art, die wiederum „Minnen leich Frauenlobs und Leich vom
h. Creuz“ uͤberſchrieben ſind. Keine andere Geſaͤuge im gan-
zen Buch werden mehr ſo genannt, und keine andere dieſer
Art befinden ſich darin, alſo ſteht an dem beſtimmten Namen
fuͤr die beſtimmte Form nicht zu zweifeln.


Ich fuͤge ein Verzeichniß der mir bekannten Leiche bei:
einer von Gliers (1. 43.), von Vogelweide (1. 101.), von
Otto von Turne (1. 192.), von Winli (2. 23), mehrere von
Tanhauſer (2. 59 — 65.) 49), einer von Niuniu (2. 117. 118),
von Reimar von Zweter (2. 122. 123.), zwei Conrads von W.
(2. 198 — 201.), einer von Alexander (CLXV.) und H. Damen
(DCIC.), einer von Frauenlob (2. 213. 214.)


Der letzte befindet ſich, wie bereits gemeldet, auch im
weim. Codex, nebſt zwei andern, vermuthlich desſelben Meiſters.


Eine große Bereicherung haben wir durch die Ergaͤnzung
des Bodmeriſchen Abdrucks erhalten, naͤmlich: einen Leich von
Votenlaube, ſechs von Rotenburg, einen des Heinrich v. Sax,
den des Gliers vollſtaͤndig, einen von Gutenburg, ſieben von
Winterſteten. (Nach Benecke.)


Sollten ſich etwa im Pariſer Codex die Leiche des Hart-
mann von Aue und Friedrich von Huſen finden, dann waͤre
die Klage des Gliers vollſtaͤndig erklaͤrt? Ich zweifle.


E
[66]

Außerdem hat Docen einen Leich des Lichtenſtein in den
Miſc. 1, 102 — 104. mitgetheilt, aber gar keine Sorge auf
die richtige Abtheilung verwendet. Derſelbe liefert in den Zu-
ſaͤtzen zu den Miſc. (S. 14.) ein Anfangs des Jenaiſchen M.
G. B. befindliches Fragment eines Leichs gegen die Juden 50).


Aus drei und dreißig Muſtern (wo ich richtig zaͤhle) koͤn-
nen wir ſchon die Natur der Leiche vollkommen verſtehen, und
duͤrfen ſie in nichts anderes ſetzen, als in die Beweglichkeit
und den beſtaͤndigen Wechſel mehrerer Toͤne. Keiner wird
ausgehalten und bald in einen neuen uͤbergegangen. Mitunter
drei oder mehr Geſetze in einer Weiſe, dann ploͤtzliches Unter-
brechen und wieder faͤllt der Geſang in die alte Melodie zu-
ruͤck, oder doch in einen Theil derſelben. Kurz, im Ganzen
herrſcht gar keine Regel, im Einzelnen iſt alles kuͤnſtlich gehal-
ten. Oft heben die neuen Toͤne da an, wo ein neuer Sinn an-
geht, oft kehren ſie ſich an dieſen gar nicht und ſchon in fruͤhe-
ren iſt eine Neigung zu dem, was ſich in einigen Leichen Frauen-
lobs zeigt, er ſcheint mit dem Einfachen anzufangen und ins
Schwerere, Verwickeltere fortzuſchreiten. (Merkwuͤrdige, hier zu
weit fuͤhrende Hindeutung auf den ſtets wechſelnden Rhythmus
der Dithyramben, der νόμοι ohne Wiederkehr.)


Beſchraͤnkung auf einen gewiſſen Gegenſtand kann man
nicht behaupten, denn wir haben geiſtliche, klagende 51), er-
zaͤhlende, luſtige und Tanzleiche. Jedoch ſind die letzten allzu-
haͤufig, als daß man nicht in dem freikuͤnſtlichen Reihentanz
den Anlaß zu der ganzen Art und Weiſe ſuchen duͤrfte. Figu-
ren ſetzen ſich an Figuren, alle ſind in ſich geſchloſſen, eine
neue entſpringt ploͤtzlich aus der vorigen, im Verfolg kehren
die alten wieder; etwas großes wird in demſelben Verhaͤltniß
[67] kleiner ausgefuͤhrt, oder umgekehrt, der Schluß iſt willkuͤrlich,
und abgebrochen wie das Ganze. Das erinnert an das be-
gleitende Inſtrument, worauf die Etymologie ſchon hingewie-
ſen, ſprang die Saite, ſo war das Lied aus und auch der
Tanz, alles das willkuͤrliche Aufhoͤren bezeichnend, woher dann
auch die abweichende Laͤnge der Leiche.


Was in ihnen der Idee des Meiſtergeſangs entgegen waͤre,
erblicken wir nichts rechtes und wieder haben ſie Docens
Meiſter, als: Conrad, Reinmar, Frauenlob, ſo gut
gedichtet wie ſeine Minneſinger Lichtenſtein, von Turne
u. ſ. w. Geſang und Strophen haben wir immer, nur in groͤß-
ter Mannichfaltigkeit neben einander, man koͤnnte ſagen: es
ſind mehrere Lieder in einander gemiſcht. Es iſt wahr, manch-
mal ſcheint das Lied bloß auf- und nicht abzuſingen, manch-
mal ſind die Abgeſaͤnge da, und ſelbſt in jenem Fall iſt es
noch zweideutig, ob man nicht den folgenden Ton als ein Ab-
ſingen zu betrachten hat. Sogar in einigen Leichen ſcheint ſich
der Typus des Meiſtergeſangs in dem Ganzen zu zeigen, man
ſehe den des Lichtenſtein. In denen des Rotenburgers bei
einzelner Unaͤhnlichkeit, iſt eine fortſchreitende Analogie im
Verhaͤltniß der Saͤtze leicht wahrzunehmen.


Bedeutender waͤre, daß die ſpaͤteren Meiſterſaͤnger, ſo viel
ich weiß, keine Leiche gedichtet haben, und nicht einmal der
Ausdruck mehr vorkommt. Da aber Frauenlob deren verfaßt
hat, welchen mir doch niemand vom Leib des eigentlichen Mei-
ſterſangs herunterſchneiden ſoll, ſo liegt eben nichts daran, daß
ſpaͤterhin, wie vieles andere, auch dieſe Geſangsart abgekom-
men. Und wenn wir ſie auf die Gelegenheit des Tanzes be-
ſonders anwenden, ſo wich ſchon der zunehmende Ernſt dem
Gegenſtande aus 52). Dafuͤr koͤnnte man die Leiche eine Aus-
E 2
[68] weichung in die Volkspoeſie nennen (nur nicht ihrer Form,
ſondern ihres Inhalts wegen). Wenigſtens ſtehen die meiſten
auf gleicher Linie mit der Manier Neidharts und anderer
ſeiner Zeit.


Das ſtelle ich bloß dahin und bemerke noch auf der an-
dern Seite, daß ganz ſpaͤt in dem Meiſtergeſang Zuſammen-
ſetzungen von Toͤnen ſtatt finden, die ich zwar fuͤr keine wirk-
liche Leiche ausgebe, ſchon des fehlenden Namens halben, die
aber, was die Hauptſache, von der Gewohnheit abweichend,
dem feſtſtehenden Princip untreu zu werden ſcheinen und den-
noch Meiſterſaͤnge ſind. Man ſehe die Erzaͤhlung vom Ur-
ſprung der Kunſt bei Wagenſeil, viele Toͤne und nur ein
Ganzes, aus jedem Ton nur ein Geſetz und ſo abgebrochen,
daß Worte und Sinn in den neuen Ton mit fallen. Die Ana-
logie iſt gewiſſermaßen noch ſtaͤrker in dem Probeſtuͤck des neuen
Singers (Wagenſeill. c. 554.), wo nicht einmal ein Geſetz
52)
[69] in einem Ton ausgehalten, ſondern das Ganze ſo aus den
vier gekroͤnten Toͤnen componirt wird, daß der erſte Stoll aus
einem, der zweite aus einem andern, der Abgeſang aus dem
dritten und der wiederkehrende Stoll aus dem vierten Ton
geht. Hier alſo ein Meiſterſang der aͤußern Eintheilung und
dem Namen nach und doch das Grundprincip, die Gleichheit
des Stollen zerſtoͤrt. Dieſe Ausnahme beweiſt eben ſo wenig
gegen die Regel, als die Leiche. In Puſchmanns Meiſter-
hort auf Hans Sachs, wo drei ordentlich ausgeſungene Toͤne
ein Ganzes bilden, iſt die Vereinigung weniger tadelhaft, in
jenem Beiſpiel faſt unvernuͤnftig.


Bodmer mag es auch gefuͤhlt haben, als er mehrere Leiche
ausließ, ich finde in ihnen eine ſchwaͤchere Poeſie, es iſt etwas
eintoͤniges, und kein Ruhepunct. Die dem Dichter gegebene
Mannichfaltigkeit hat ihm nur anſcheinende, ſtatt wahrer Frei-
heit gelaſſen, denn er wird zu dem bunteſten Wechſel genoͤ-
thigt, wo ihm einfache Wiederholung viel naͤher liegt. Unge-
recht koͤnnte indeſſen das Urtheil immer heißen, ſo lange wir
nichts von der begleitenden Muſik wiſſen, die ſicher bei den
Leichen mehr bedeutet hat, als bei andern Liedern.


Was ſchließlich die franzoͤſiſchen lais betrifft, (wobei man
einmal an laxatum, les; und dann an das entgegenſtehende
lay, Geſaͤtz, Band, nordiſch lag, denken kann); ſo ſind ſie et-
was anderes geweſen, und hat Gottfried unleugbar das Wort
in Leich verdeutſcht, ſo lag ihm das letzte zu nah und gab
einen vollkommenen Sinn, nur mehr unſern urſpruͤnglichen als
meiſterſaͤngeriſchen. Nach Legrand 1. 105, der auch etwas
von dem deutſchen Lied gehoͤrt hat, wurden die lais geſungen
und waren mit chauson einerlei. Vergleicht man aber die
gedruckten lais von Lanval, Graelent, Aristote und de l’oi-
seau,
ſo ſtehen in einigen zwar ein Paar Sangverſe, das
meiſte aber und die andern ganz iſt wie jedes andere Fabliau
unſingbar; alſo wieder der Gegenſatz zu Geſang, um ſo mehr,
[70] als eine bekannte Stelle aus Wace dentlich auf die vieles,
rotes, harpes
und fietalx (Fideln) hinweiſt.


Die ſpaͤtern lays, z. B. die des Froißart, habe ich
noch nicht geſehn, es ſollen regelmaͤßige Strophen geweſen
ſeyn, was ſind aber die virelays, die Roquefort durch
lais tournés erklaͤrt? Eine weitere Unterſuchung liegt von
unſeren Leichen und dem Meiſterſang abwaͤrts.


II. Mannichfaltigkeit.


Ich habe gezeigt, welche Regel in dem Meiſterſang walte,
und zu beweiſen geſucht, daß ſie in den fruͤheſten und letzten
Erzeugniſſen desſelben auf gleiche Weiſe erkannt werden muß.
Uebrig bleibt noch durchzufuͤhren, daß ihre Anwendung die
groͤßte Mannichfaltigkeit zulaͤßt und eben dieſe unerſchoͤpfliche
Entfaltung wieder von alten und neuen Meiſterſingern gleich-
ſam als zweite Regel gehalten worden iſt. Mit Recht be-
trachte ich alſo dieſen zweiten Punct als einen zweiten innern
Beweis meiner Vorſtellung und verfahre darum vergleichungs-
weiſe, indem ich die Mannichfaltigkeit fruͤher und ſpaͤter Pe-
riode zuſammenſtelle. Vollſtaͤndigkeit iſt hierin vorerſt noch
eben ſo unnoͤthig als weitlaͤufig.


Unter den Minneliedern ſind die einfachen Toͤne die haͤufi-
gen und darunter wieder die von ſieben und beſonders acht
Zeilen, in dieſen beiden iſt ein gutes Viertel aller Lieder der
maneßiſchen Sammlung gedichtet. Naͤchſtdem trifft man die
zehnreimigen am meiſten an, und gewoͤhnlich ſo, daß der Stoll
3, der Abgeſ. 4 Zeilen, nicht ganz ſo oft, daß der Stoll 2,
der Abgeſ. 6 Zeilen hat, am ſeltenſten, daß er aus 4, der A.
aus 2 beſteht. Hiernach ſind die ſechs-, dann die neun-, dann
die eilfzeiligen Strophen die haͤufigſten, jede Art wieder mit
eigenen Verſchiedenheiten.


Indeſſen fehlt es auch an alten Meiſterliedern nicht, die
immer laͤnger und verwickelter werden, es wuͤrden ſich faſt zu
[71] allen innerhalb eines gewiſſen Kreiſes moͤglichen Faͤllen Bei-
ſpiele finden. So habe ich, wenn man einmal nach den Zeilen
der Stollen claſſiſiciren wollte, (welches in vieler Ruͤckſicht am
bequemſten,) zu den Liedern mit dreizeiligen Stollen Variatio-
nen der Abgeſaͤnge von 1 bis 9 Reimen, (alſo Strophen von
7 bis 15 Reimen) gefunden; zu denen mit vierzeiligen Stollen
Abgeſaͤnge von 1 bis 9, und zwei von 12, einen von 18
Reimen, mithin Toͤne von 9 — 17 und von 20 und 26.


Fuͤnfreimiger Stollen finde ich in der maneßiſchen Samm-
lung 32 Lieder, mit Abgeſ. von 3 bis 11 Reimen. Der mit
ſechszeiligen habe ich nur 15 notirt, und zwar mit Abgeſ. von
4, 6, 7, 8, 9 und 10 Reimen, welches Toͤne von 16, 18 — 21
gibt. Seltner werden die Lieder, wo es hoͤher ſteigt, doch kenne
ich zwei mit ſiebenreimigen Stollen, naͤmlich eins des Nifen
1. 23. (ſeht an die heide ꝛc.), wo der Abgeſang 9, der ganze
Ton alſo 23 Reime zaͤhlt, und eines von Canzler 2. 244.
(helfent mir ꝛc.), wo im Abgeſang 14, im Ganzen 28 Reime
ſtecken 53). Das Minnelied (manigerleie blute ꝛc.) von Winli
[72] 2. 22. hat Stollen von 10, Abgeſ. von 8, alſo auch 28 R,
in ihm iſt der Refrain offenbar eine vom Bau des Abgefangs
unabhaͤngige Zuthat. Die einzelne Strophe von Walter 1.
116. (ich minne ſi ꝛc.) hat in den Stollen 11, im Abgeſ. 22,
uͤberhaupt 44 Reime. Das reimreichſte aller Minnelieder in
der maneßiſchen Sammlung iſt das von Conrad v. Wirzburg
2. 203. (gar bar lit wit ꝛc.); welches 54 Reime, und zwar in
jedem Stollen 13, im Abgeſang 28 aufzuweiſen hat.


Der Leiche will ich hierbei nicht eigentlich gedenken, weil
ſie zwar eine groͤßere Menge Reime, aber mitten in ihrer
Kuͤnſtlichkeit eine gewiſſe freie Bewegung haben. Inzwiſchen
gehoͤren die einzelnen Toͤne, woraus ſie zuſammengeſetzt, nicht
ſelten an ſich betrachtet zu den verwickeltſten. In Otto von
Turnes Leich 1. 192. ſind achtreimige Stollen gar nicht zu ver-
kennen, und bei Frauenlob 2. 214. bilden die drei Abſaͤtze:
der ſmid ꝛc. wiewol ꝛc. und ich bins ꝛc. angenſcheinlich nur eine
Strophe, die beiden erſten die Stollen, die letzte den Abgeſ,
das Ganze enthaͤlt 48 Reime 54).


Die Mannichfaltigkeit in der maneßiſchen Sammlung iſt
zu bewundern, man wird wenig fehlen, wenn man eben ſo
viel verſchiedene Weiſen als Lieder anſetzt, etwas uͤber 1200.
Findet man zwei Lieder von gleicher Reimezahl, ſo koͤnnen
dieſe ſehr verſchieden unter Stollen und Abgeſ. ausgetheilt,
53)
[73] und ſind ſie gleich ausgetheilt, ſehr verſchieden verflochten ſeyn.
Und findet ſich ſelbſt hierin Uebereinkunft, ſo macht die ab-
wechſelnde Silbenzahl neue Differenzen moͤglich, ſo wie auch
die verſchiedene Anwendung maͤnnlicher und weiblicher Reime.
Denn wird in vielen beſonders aͤlteren Liedern der letzte Un-
terſchied nicht beachtet 55), ſo ſehen andere unleugbar darauf 56).


Das, was wir jetzo reiche Reime nennen, findet ſich wohl
in einigen Meiſterliedern, cf. Nifen bei Benecken. XVIII.,
aber daß dieſe kuͤnſtliche Zugabe vom eigentlichen Ton ganz
unabhaͤngig, beweiſe ich mit einem der letzten Lieder des Weim.
Codex in des Regenbogen langem Ton, in welchem ſonſt keine
reiche Reime ſtehen, hier aber hinzugefuͤgt worden ſind. Spaͤ-
ter hießen ſie ruͤhrende Reime und waren verboten. Wagen-
ſeil
519.


Bei den ſpaͤteren Meiſtern, zu denen ich mich wende, fin-
den wir dieſelbe characteriſtiſche Tonmannichfaltigkeit. Dennoch
ſtehen ſie hinter den aͤlteren an Erfindung zuruͤck. Wagen-
ſeils
bekanntes Verzeichniß begreift nur 221 Toͤne, und dar-
unter ſchon einige aͤltere, die Zahl der Meiſter faͤllt dafuͤr faſt
noch anſehnlicher aus. Freilich iſt es unvollſtaͤndig und geht
nicht uͤber die Toͤne von 34 Reimen hinaus, ich koͤnnte es
ſchon jetzo mit gegen 100 Toͤnen bereichern. Man muß aber
zur Erklaͤrung des immer bleibenden Abſtandes hinzunehmen,
daß ſpaͤterhin die Nachbildung alter Toͤne haͤufiger wurde, (wo-
von unten).


Die einfachen Toͤne ſind verhaͤltnißmaͤßig weniger beliebt,
natuͤrlich weil die Formen immer ſteifer wurden, nachdem aber
im einfachen, feinen alles ſchon erſtarrt und geſchloſſen, immer
[74] noch ein Spielraum im großen uͤbrig blieb, ja nothwendig war.
Wagenſeil fuͤhrt nur 8 ſieben- und 7 achtreimige Toͤne an,
allein 30 von 20 und 16 von 21 Reimen. Indeſſen hat
z. B. Frauenlob vorzuͤglich eine Menge Lieder in ſeiner kur-
zen Weis (von 8 Reimen) gedichtet, von gewiß ſimpler Zu-
ſammenſetzung. Unter den Meiſtergeſaͤngen des 17ten Jahrh.
ſind einige von ſolcher Einfachheit, daß ſie darin alle Minne-
lieder zu uͤbertreffen ſcheinen, wenn man ihnen das Geſuchte
und Gezwungene eben in dieſer Kuͤrze nicht anſaͤhe. Ich ver-
weiſe auf des vielgeuͤbten Ambr. Metzger’s Felten und uͤber-
kurze Senftkoͤrnlin und Einbeer W. In der letzten iſt nur ein
einziger Reim, auf den die zwei Zeilen jedes Stollen und die
eine des Abgeſ. ausgehen, auch findet ſich in der Silbenzahl
keine Abweichung (wie in gleichem Fall bei Canzler 2. 243.
„leider winter ungeſtalt ꝛc.“); aber gewiß iſt durch die Muſik
etwas hervorgehoben worden.


In dem Aufſteigen hingegen ſuchte einer den andern zu
uͤberbieten, und unter den ſpaͤten laſſen ſich mehrere Strophen
aufſuchen, die es zu hundert und druͤber Reimen bringen.
Benedicts v. Watt Rieſenweis hat 97, deſſen uͤberlanger
122, Puſchmanns Adlerweis 100, M. Gumpels uͤberlan-
ger T. 120, die eben ſo benannten des Caſpar Betz u. Mich.
Vogel 108 und 105 Reime. Die gute Wahl des letzten
Namens erzeigt ſich beim Leſen eines ſolchen Meiſterſangs noch
viel unzweifelhafter, ich moͤchte aber dieſe reimuͤberbietende Pe-
riode nicht, ſondern eher die mittlere (des 14ten Jahrh.) fuͤr
die aller kunſtreichſte halten, denn hier entdecken ſich Schwie-
rigkeiten im Kleinen, Feinheiten in Worten und Farben, die
kein Meiſterſaͤnger zu Nuͤrnberg herausgebracht haͤtte.


[75]

Aeußere Beweiſe.


I.Geſellſchaft, (Schule?)


Wir haben geſehen, daß ein naͤmliches Princip in der
ganzen Zeit des Meiſterſangs herrſcht, ohne daß es ſeloͤſt durch
eine ſchriftliche Urkunde aufgeſtellt worden. Halten ſich doch
ſpaͤtere Tabulaturen, von welchen Kenntniß auf uns gelangt
iſt, nicht eigentlich an den Grundſatz, als an eine bekannte
Sache, vielmehr beſtimmen ſie allerhand auswendig hinzugetre-
tene Regeln und Gebraͤuche. Es iſt recht merkwuͤrdig, daß in
keinem der mir vorgekommenen, Schulkunſt uͤberſchriebenen
Meiſterlieder ein Wort von Stoll oder Abgeſang und deren
Unerlaͤßlichkeit ſtehet.


Selbſt Anfangs mag hieruͤber nichts ausdruͤcklich verabre-
det worden ſeyn. Die Regel mußte einmal durch ſich ſelbſt
gelten und galt ſo fort. Durch Lehre 57) und Nachahmung
entſtand der Meiſtergeſang. Die, welche ihn ausuͤbten, waren
deßhalb in keiner gewiſſen Geſellſchaft, wohl aber in einer
Claſſe; ſie moͤgen ſich immer fuͤr ihres Gleichen anerkannt
und etwa in einem ſolchen Verhaͤltniß geſtanden haben, wie es
ſpaͤter, z. B. zwiſchen einem Nuͤrnberger und Straßburger
Meiſter eintrat 58). Schon das unſtete Leben der erſten Mei-
ſter ſchließt ein fixirtes Zuſammenleben aus; was die ausge-
[76] zeichnete Vorneigung des Thuͤringer 59) Landgrafen und eini-
ger anderen that, war nicht uͤberall ſo, und dennoch haben
die Dichter vielleicht nie eine lange Zeit in Eiſenach zugebracht;
von Walter wiſſen wir, daß er noch haͤufiger in Oeſtreich
lebte, wo auch Ofterdingen, wohl ſchon ſeinem Geburtsort
nach, mehr einheimiſch geweſen. Es konnten ſich ſogar unter
den Dichtern eines Orts Streitigkeiten und Parteien bilden,
was hernach z. B. unter den Straßburger Meiſtern wegen ih-
rer buͤrgerlich bruͤderlichen Verbindung ganz undenkbar geweſen
waͤre, allein wirklich noch im 14ten Jahrh, eingetreten iſt.
Daher wir denn dieſe engere Geſellſchaft nicht in das Weſen
des Meiſterſangs hineinlegen duͤrfen. Daß Schuͤler ſich an
ihre Lehrer hielten und mit ihnen vielleicht herumzogen, iſt et-
was ganz anderes, wenn man hiernach eine merkwuͤrdige Stelle
im Triſtan auslegen will, (v. 4696.), wo Gottfried von Wal-
ter und deſſen werther Companie ſpricht. Es ſcheint auch
glaublich, daß ſich die Saͤnger zuweilen nach den Landſchaften
zuſammengerechnet, Gervelyn (CCIV.) wirft dem Miſner vor,
er mißgoͤnne dem Marner, aber es gebe noch andere wohl-
dichtende Saͤnger in Oſterfranken. Man ſehe auch Maneße
2. 207a. von Singern bei Rhein.


Dieß iſt meine Vorſtellung von Verbindung der fruͤheren
Meiſter unter einander; ſie muß durchaus exiſtirt haben, wenn
man ſich darunter eine Anerkennung der Genoſſenſchaft in Be-
folgung gleicher Kunſtregel und unterſchieden von den Saͤngern
des Volks denkt; eine ſo foͤrmliche Geſellſchaft, als ſpaͤter
daraus geworden 60), in dieſer Fruͤhe anzunehmen, iſt mir
[77] nie beigefallen. Habe ich mich alſo in meiner Erwiederung
hieruͤber unrichtig ausgedruͤckt, ſo berichtige ich das gern, ob-
gleich Docen die wichtigen Folgerungen, die er aus der ſchein-
baren Einſeitigkeit vorzulegen verſprach, (N. l. A. 1807. C. 686.
N. 6.) nachher zuruͤckbehalten hat.


Deutlicher wird meine Anſicht von dem aͤußerlichen Ver-
haͤltniß der alten Meiſterſaͤnger durch das Folgende werden,
worin ich die hauptſaͤchlichſten Stellen uͤber dieſen Gegenſtand
zu ſammeln ſuche. Vieles ſpaͤtere findet ſich ſchon ganz fruͤh,
manches fruͤhe hat aber auch nachher abkommen und neuer
Regel und Sitte weichen muͤſſen 61).


1. Die wichtigſte Stelle iſt und bleibt der Wartburger
Krieg
. Er beweiſt, daß die Meiſter auf einen Tag zum Sin-
gen zuſammen kamen, in Gegenwart der Fuͤrſten und Herren,
und ſelbſt der Frauen 62). Dieſe Oeffentlichkeit muß ſchon
Feierlichkeit mit ſich gebracht haben, das Singen geſchah nach
einer gewiſſen Ordnung, Ofterdingen hebt zuerſt an. Vielleicht
hatte der erſtſingende die Wahl des Gegenſtandes, dießmal
legte Ofterdingen das Lob der Fuͤrſten vor, in der Folge des
Streits aber ging man daraus in Raͤthſel, Fragen und Gleich-
niſſe uͤber, welche die Heiligthuͤmer der Natur und des Glau-
bens begriffen.


[78]

Es ſcheint, daß der proponirende Theil auch befugt war,
die Richter des Streits zu waͤhlen, ſie werden hier Kieſer oder
Merker genannt, und daß ſie ihre Wuͤrde geltend gemacht,
erhellt z. B. aus der 48ſten Str. des Jen. Cod., wo es heißt:
„da wurde geklagt, er haͤtte ſich verſprochen“, auch der Gries-
wart fehlte nicht. Alles das erinnert an die Ritterſpiele uͤber-
haupt. Was an einem Tag nicht ausgeſungen wurde, konnte
an einem andern fortgeſetzt werden, unſer ganzer Krieg geht
zu verſchiedenen Zeiten vor, und einmal liegt ein langer Raum
dazwiſchen. Beſonders merkwuͤrdig iſt endlich die Bedingung
des Streits, nicht dem Sieger waren Kraͤnze oder Preiſe aus-
geſetzt, ſondern dem Beſiegten Strafen, der Kampf ging auf
Tod oder Leben, der Unterliegende ſollte in Henkershaͤnde kom-
men, allmaͤlig wuchs die Erbitterung der Parteien ſo, daß
„ohne Friede“ ſollte geſungen werden. Die Bedingung des
Kampfs mag mithin weniger in der Sitte gegeben geweſen,
als jedesmal fuͤr die einzelnen Faͤlle von den Streitenden ſelbſt
beſtimmt worden ſeyn. Der Ernſt aber, welcher hier in die
Kunſt der Poeſie gelegt wird, iſt ſo ſtreng und hart, daß man
um deswillen an der Wirklichkeit des Ereigniſſes zweifeln
moͤchte, zumal da es bei den Turnieren gewoͤhnlich nur auf
ein erluſtigendes Spiel abgeſehen wurde 63).


Es iſt hier gar nicht der Ort, meine Meinung uͤber den
Wartburger Krieg, und uͤber Klinſors geheimnißvolles Dazwi-
ſchentreten, vollſtaͤndig darzulegen, ich kann nur erklaͤren, daß
ſie derjenigen vermuthlich ganz entgegenſteht, welche darin der
Sache nach bloße Allegorie, der Form nach, die Arbeit eines
einzigen Dichters erblickt. Ich gebe zu, daß manche Stellen
ſpaͤter und anderwaͤrts interpolirt worden, allein annehmen,
Eſchenbach habe das Ganze verfaßt, hieße faſt das Factum
[79] uͤberhaupt leugnen. Entweder aber iſt dieſes wahr oder nicht.
Fuͤr den erſten Fall ſpricht vieles in der innern Sache, die
Wahrſcheinlichkeit, daß die Erzaͤhlung der Chroniken nicht aus
dem Gedicht ſelbſt, ſondern anderswoher, aufgefaßt; und (um
nur das bekanntaͤlteſte zu nennen) das Zeugniß des nicht viel
ſpaͤteren Dieterich von Thuͤringen, warum ſollen alſo die Ori-
ginale einer ſo merkwuͤrdigen Begebenheit nicht aufbewahrt
worden und warum ſollen die Umſtaͤnde erdichtet ſeyn? Zur
Annahme des zweiten Falls haben wir wenig bedeutende innere
Gruͤnde und aͤußere gar keine. Die Meiſter hatten wohl ſolch
eine wuͤrdige Vorſtellung von ihrer Kunſt, daß ſie alles daran
ſetzten, ſelbſt ihr Leben; es iſt etwas Herrliches in jeder edlen
Leidenſchaft, wenn ſie ſich aufs Hoͤchſte bringt, und etwas
durchaus Freies, daß die alten Germanen vom Spiel entzuͤn-
det ihre Freiheit zuletzt lieber verſpielen, als im Wagen da-
hinten bleiben wollten. Solcher Zuͤge hat die deutſche Ge-
ſchichte mehr 64). Wer aber dem Wartburger Krieg nur eine
ſymboliſche Wahrheit zugeſtehen will, von dem verlange ich
bloß etwas viel leichteres, naͤmlich daß er mir die griechiſchen
Sagen von Apollo, Silen, Midas, Chiron und Orpheus ꝛc.,
(die unvergleichbar mythiſcher liegen,) auf ſeine Art, jedoch
einigermaßen vernuͤnftig erklaͤre.


Dieſer Krieg, ſicher der merkwuͤrdigſte, war nicht der ein-
zige in der Geſchichte unſeres Meiſterſangs, von andern mag
keine Nachricht auf uns gelangt, ihr Gegenſtand jedoch ſehr
[80] mannichfaltig geweſen ſeyn 65). Der Hynnenberger ſagt CCXIV,
daß dumme Laien nicht von der Natur reden ſollen, ſelbſt einem
weiſen Pfaffen ſey es zu viel, man ſolle ſich aber daruͤber
einen meiſterlichen 66)Streit mit rechter Kunſt entſtricken
[81] ſehen, mit Toͤnen und guter Rede. Womit eine Parallelſtelle
des Meiſter Heinrich Moͤgelin (im Goͤttinger Ms. gleich ein-
gangs) zuſammen zu nehmen, welcher beweiſen will, daß un-
moͤglich und beſchwerlich ſey einem Laien, zu dichten von Gott
und den Wundern der Natur, leichtlich vergeſſe er ſich mit
einem Wort, dann werde ſein Geſang wund von der Meiſter
Strafen, vor den Fuͤrſten ſolle niemand dichten als ein wahrer
Meiſter.


Ein Dichtſtreit des Frauenlob mit andern Zeitgenoſſen be-
zog ſich auf den Vorzug, welcher dem Wort „Frau“ vor
„Weib“ gebuͤhre. (Cf.Maneße 2. 216.) Frauenlob erhoͤhte
erſteres und hat vermuthlich daher den Namen, nicht etwa
von den Minneliedern, die er weltlichen Frauen zu Ehren, oder
dem Leich, den er auf die himmliſche gedichtet. (Vergl. indeſſen
Herman Damen DCCXXXII.) Gerade die Lieder in dem Je-
naiſchen Geſangbuch, welche ſich hierauf beziehen, hat Docen,
als er Frauenlobs Gedichte zu vervollſtaͤndigen angefangen,
nicht bekannt gemacht, was er vor allem haͤtte thun ſollen;
im Weimariſchen Codex kommen ebenfalls viele dahin gehoͤrige,
zum Theil wohl dieſelben vor, aber in ſehr entſtelltem Text.
66)
F
[82] In einem derſelben behauptet der Saͤnger durchaus, Gottes
Mutter ſey niemals Weib, ſtets Frau geheißen worden, denn
das erſte Wort bezeichne mehr die irdiſchen, das andere die
himmliſchen Tugenden. Der ganze Streit mag viel aͤlterer
Anregung ſeyn, Vogelweide iſt anderer Meinung und ſetzt wip
uͤber frowe, (1. 116. Col. 2. unten. cf. 1. 119. die fuͤnfte Str.
des Lieds: ir ſult ꝛc.) uͤberein mit dem Myſner DCI. Solche
Streite koͤnnen Feindſchaften und bittere Vorwuͤrfe veranlaßt
haben, wie man auch an einem wirklichen boͤſen Verhaͤltniß
zwiſchen Wolfram und Klinſor 67), Frauenlob und Regenbogen,
Moͤgelin und Regenbogen, Rumelant und Singof (cf. CCLXIV
mit CCCXVI.) nicht zweifeln darf.


Daß die poetiſchen Wettſtreite nach und nach aufhoͤren,
erklaͤrt die Geſchichte des Meiſterſangs und kann nichts gegen
mich beweiſen. Einmal nahm die geringere Gelehrſamkeit der
ſpaͤteren Meiſter den Gegenſtand weg, dann litt das engere
buͤrgerliche Leben kein unfreundliches Zuſammentreten mehr.
Vielleicht waͤhrte das einfachere Aufwerfen oder Vorlegen von
Fragen und Raͤthſeln (wie es Kelyn (XCV.) thut) etwas laͤn-
ger. Man hat einen Geſang von Regenbogen, in dem er,
(gleich wie in aͤlteren erzaͤhlenden Gedichten die chriſtlichen
Ritter mit den Heiden) mit einem Juden uͤber die Vorzuͤge
des Chriſtenthums diſputirt. Ungeachtet hier auch der Gries-
waͤrtel angerufen wird, ſo geht doch Kampf und Entſcheidung
von einem Dichter aus, und darf alſo nicht mit jenen Mei-
ſterwettſtreiten vermiſcht werden. In dieſem Sinn, ohne alle
Perſoͤnlichkeit, hat auch Hans Sachs ſeine Kampflieder zwi-
ſchen Leib und Seele, Tugenden und Laſtern gedichtet; bekannt
iſt der noch aͤltere Streit zwiſchen der Liebe und Schoͤne 68),
[83] und nicht weniger eine Reihe der beſten Volkslieder, als zwi-
ſchen dem Buchsbaum und Felbinger, dem Waſſer und Wein ꝛc.
Die Concurrenz der ſpaͤteren Meiſter mit ihren Liedern zu ei-
nem gewiſſen Preis (nach dem Memminger Bericht S. 52.
Gleichen, d. h. mit Liederſingen um die Gabe ſtreiten) iſt
etwas Verſchiedenes und doch etwa damit Verwandtes. Es
wurde in den Liedern aber ſelbſt nichts beſtritten, ſondern das
formell beſte des Preiſes wuͤrdig erkannt.


2. Wolfram in der letzten Strophe des vierten Cap. im
Titurel (oder in der 542ſten) ſagt:


mit reymen ſchon zwigenge
ſeint diſe lieder worden
gemeßen recht die lenge
gar in ir don nach meiſterſanges orden
zu vil zu klain das tuot ein lied verſwachet
ich wolfram bin unſchuldig
ob ſchreiber dicke recht unrichtig machet.
()

Das erklaͤre ich ſo: „ſchon zweimal ſind dieſe Lieder, d. h.
Strophen in ihrem Ton, wie ihn die Regel des Meiſterſangs
mit ſich bringt, nachgemeſſen teorden; die Abſchreiber aber
machen die rechten Lieder haͤufig unrichtig, indem ſie Silben
auslaſſen oder zufuͤgen, daran bin ich ohne Schuld.“


Die Stelle beweiſt unwiderleglich die Exiſtenz des Mei-
ſterſangs zu Wolframs Zeit und daß der Titurel ein Meiſter-
geſang 69) ſey. Dieſer Sinn beſteht bei jeder Erklaͤrung und
jeder Variante. Die richtige Lesart enthaͤlt ſogar unſer ei-
gentliches Wort, wie es ſpaͤter uͤblich war. Puͤterich fuͤhrt die
Stelle in der Hauptſache eben ſo an, ſtatt „in ihr Ton“ hat
er „vil jar gerecht“ — hinten im Druck iſt die Strophe zum
F 2
[84] Schluß des Ganzen wiederhohlt und mit einigen andern Ab-
weichungen. Dreigeng ſtatt zweigeng, und in der vierten Zeile:
„weiſe und Wort mach meiſterlichen orden.“ 70) Ich werde
nachher ausfuͤhren, daß das Adjectiv meiſterlich hier nothwen-
dig dasſeibe ausſage, was in dem Subſtantiv Meiſterſang
liegt; gern aber moͤchte Docen der ohne Zweifel entſtellten
und durch Puͤterich widerlegten Lesart anhangen, um dann
etwa: „nach vollkommenſter Ordnung“ allgemein zu interpre-
tiren; wie gezwungen und uncritiſch, gebe ich jedem anheim.


Vielleicht koͤnnte man noch beſtimmter ſo uͤberſetzen: zwei-
mal hab ich nun ſchon all dieſe Lieder der Regel unſeres Mei-
ſterſangs nachmeſſen laſſen, — da man weiß, daß reiche oder
beruͤhmte Dichter dieſe Arbeit andern, etwa ihren Dienern,
uͤbertrugen. Man ſehe Adelung 2. 235. (anno 1410.)


Inzwiſchen laͤßt ſich gegen meine Auslegung eine weitere
Stelle des Titurel einwerfen. Str. 1140 erwaͤhnt der Dich-
ter: „zweifalt Rede war dies Maͤr geſauͤmt, wenn ein Mei-
ſter ſtirbt, ſo nimmt es der andere auf.“ Das heißt: dieſe
Geſchichte iſt nun zweimal bearbeitet worden, nach dem Tod
des erſten Dichters, habe ich ſie neuerdings uͤbernommen.
Scheint aber nun nicht unſer obiges “zwigenge” mit dieſem
„zwifalt“ zuſammenzuhaͤngen, und erſteres ſo erklaͤrt werden zu
muͤſſen: „ſchon zweimal iſt dieſe Geſchichte gereimt oder bear-
beitet worden“? Dann zwar ginge die gegebene Erlaͤuterung
vom Meſſen verloren und man haͤtte auch die andere Arbeit
fuͤr meiſterfaͤngeriſch erklaͤrt. Allein hier ſpricht ja der Meiſter
gerade nur von ſeiner neuen Bearbeitung, die zu beſtimmten
Worte: „dieſe Lieder“ ſchließen allen Zweifel aus, das kann
nicht heißen: dieſe Geſchichte, ſondern nur: dieſe meine Bear-
beitung. Eſchenbach hat hier keinen Anlaß von der Geſchichte
der Bearbeitungen zu reden, vielmehr will er bloß der ſchlech-
[85] ten Copiſten erwaͤhnen und verſichern, daß ſeinerſeits alles
geſchehen 71).


Oder will man endlich den Ausdruck: „zwigenge“ uͤber-
haupt nicht auf die Zeit, ſondern auf die Form beziehen? 71 b)
wo man denn: ſchon durch: ſchoͤn, erklaͤrte, (zumal bei Puͤte-
rich ſchlecht ſtehet) und folgenden Sinn erhielte: „dieſe Lieder
ſind in ſchoͤnen zweigaͤngigen Reimen gemacht worden.“ Vor-
erſt ſcheint mir das ſprachwidrig, und: gang oder: gaͤnge, ge-
rade in dem Sinn zu verſtehen, wie die Daͤnen noch jetzt ihr
gange (to gange, tre gange = mal) oder die Niederdeutſchen
ihr: werf, (die Altdeutſchen: ſtund, die Englaͤnder: times und
die romaniſchen Sprachen ihr: veces, fois) gebrauchen. Dann
aber, wie ſoll das Characteriſtiſche des Wolframiſchen Titu-
[86] reltons in dieſen zweigaͤngigen Reimen erklaͤrbar ſeyn? etwa,
weil er die langen zwei erſten Zeilen nun entzwei geſchnitten
und geflochten hat? Und warum konnte ein ſpaͤterer Ueberar-
beiter (der bekannte Albrecht) geradezu „dreigeng“ ſetzen, da
er doch an der Wolframiſchen Form gar nichts aͤnderte? ſchon
er muͤßte alſo den Wolfram mißverſtanden haben.


3. Eine merkwuͤrdige Strophe unter Walters Liedern (1.
113.), die aber vermuthlich nicht von ihm, ſondern einem drit-
ten gemacht und gegen den ſonſt unbekannten „her Volenant“
gerichtet iſt, enthaͤlt, daß dieſer keine Ehre habe, daß er den
Meiſtern ihre meiſterlichen Spruͤche treten wolle, er moͤge das
bleiben laſſen, Herr Walter ſey Korn, er Spreu und das
wird noch in einer andern, nachdruͤcklicheren Vergleichung aus-
gedruͤckt 72). Dieſer Volenant koͤnnte etwa ein Volksdichter
geweſen ſeyn, wenigſtens wird er hier von der Gattung der
Meiſterſaͤnger beſtimmt ausgeſondert. Wie Docen im Muſ. 1.
216 von einem Uebermuth gegen Weiber ſpricht, verſtehe ich
nicht, es ſoll wohl „Meiſter“ heißen.


4. Nach der bekannten Stelle Gottfrieds von Straßburg
im Triſtan v. 4516 u. ſ. w. ſollte man doch wohl annehmen
[87] duͤrfen, daß unter den Meiſtern auch Kraͤnze und Lorbeerzweige
dem Sieger ausgetheilt worden. Von dem Urtheil dabei, von
der Kure ſpricht der Dichter ausdruͤcklich, und die Gloßen im
ſchwarzen Buch koͤnnen freilich auch allgemein genommen wer-
den, warum aber ſollen wir nicht an eine beſtimmte Sitte der
Meiſterſaͤnger, das Schulbuͤchlein oder Codicill, denken duͤrfen?


5. Werner von Tuifen, (1. 45. in ſ. letzten Lied,) vermuth-
lich einer von Docens Nichtmeiſterſingern, legt ein Spiel,
ein Raͤthſel vor, und ſagt dabei: „nun merket alle Meiſter
was es ſey!“ — Er ſcheint in Gegenwart von andern Mei-
ſtern geſungen zu haben.


6. Auch nach einem Liede Walters 1. 120. iſt anzunehmen,
daß gewiſſe Tage zur Zuſammenkunft 73) angeſetzt wurden.
„Wann Sanges tag komme, ſolle man ihn ſchon ſingen hoͤ-
ren, er ſinge nicht, es wolle denn tagen.“ Oder will man
[88] darunter eine beſſere, ruhigere Zeit verſtehen? Den Gedan-
ken hat uͤbrigens Marner nachgeſungen 2. 173 a. oben.


Derſelbe Walter (1. 106.):


Dis biſpel iſt zemerkene blint
ſwas nu davon geſchehe, meiſter, das vint
74).
()

7. Singenberg (1. 152.): koͤnnte ich ſingen, das unter ſechſen
zweien dauͤchte gut. Sollte das darauf deuten, daß die Billi-
gung anderer Meiſter ein Lied beſonders gut gemacht haͤtte? ſo
wuͤnſcht auch Walter (1. 105.) ein untadelhaftes, ungehaßtes
Lied zu Stand zu bringen, er koͤnne den Redereichen nicht in
allem zu Dank ſingen. Frauenlob am Schluß eines Lieds
(Docen Miſc. 2. 280) ruft aus: „beſiegelt mir dieß Lied,
es ſollens die beſten ſehen,“ man mag nun hierbei an ein
ſchriftliches Eintragen oder bloß muͤndliche Billigung der uͤbri-
gen gegenwaͤrtigen Meiſter denken. Siehe auch Helleviur v. 61.


8. Beſondere Aufmerkſamkeit verdienen hier die Erwaͤhnun-
gen aͤlterer Meiſter. Walter in dem ſchon angefuͤhrten Lied
1. 120. ſagt, die Zweifler klagten es ſey alles todt, (alſo
ſchon ſo fruͤhe!) auf den Geſangtag werde man aber ſchon ſin-
gen hoͤren. Selbſt kleinmuͤthig klagt er in einem andern Liede
uͤber den verdorbenen Geſang und des Reimars Tod (1. 105.)


Marner (2. 173.): „lebte ſein Meiſter Herr Walter von
der Vogelweide, der Venis, der von Rugge, die zwei Reimar,
Heinrich Veldeck, Wachsmut, Rubin und Neithart, welche von
Minne, Heide, Blumen und Voͤgeln ſangen, aus deren Gar-
ten und Spruͤchen er Blumen leſe, ſo wollte er ſie zu Zeugen
nehmen. Doch lebten noch andere Sangesmeiſter und ſo moͤge
ihm ſein Herr von Heinberg, dem Rede, Wort und Reim in
Spruͤchen kund ſeyen, zeugen, daß er mit Sange niemand
[89] truͤge, d. h. fremden fuͤr eigenen ausgebe, wie leicht koͤnne
man aber nicht auf ſchon dageweſene Gedanken verfallen.“ —
Hier werden ein Graf Venis, Rugge, Wachsmut, von deren
Armuth nichts bekannt iſt und die hier geradezu als Minne-
ſinger characteriſirt ſind, eben ſo gut wie andere unter die
Meiſter gerechnet, in deren Claſſe ſich Marner ſelber mitzaͤhlt.


Ein anderes mit dem vorigen gleichzeitiges Lied, das in
einer vatic. H. S. mitten unter unleugbaren Meiſterliedern
ſteht, zieht Adelung 2. 251. 252. aus:
wa ſint nu alle die von minnen ſangen
ſie ſint meiſteilig dot ꝛc.
()

Nun werden genannt: Reimar, Walter v. V. W. (wieder als
des Dichters Meiſter) von Buwenburg, von Rugge, von Jo-
hannisdorf, Friedr. von Huſen, Walter von Metz, Robin,
Wachsmut, Ulrich von Gutenberg — mithin groͤßtentheils ſol-
che, die Docen nicht in die Reihe der Meiſter gebracht haͤtte 75).


Robin (in dem Jen. M. G. B.) klagt den Reimar, Wal-
ter, Stolle den Bock, Nithart und Bruder Werner.


Bei Rumelant iſt eine andere nicht weniger deutliche Stelle,
(CCCLXIII.) Myſner, Conrad von W., Helleoiur und der
Unverzagte werden die vier beſten Meiſterſaͤnger genannt, wo-
gegen Singofs Kunſt nicht aufkommen koͤnne. Dieß iſt mit
Singof CCLXI. CCLXIV. zuſammen zu halten. CCCXIII.
nennt R. den Marner den beſten deutſchen Singer.


H. Damens Klage (X. XI.): die Schandendienſtmann wol-
len meinen guten Geſang vernichten, wenige uͤben die rechte
Meiſterkunſt nach ihrer Wuͤrde 76), hievor iſt in aller Welt
rechter Meiſterſang geweſen und hat bei reichen Koͤnigen ge-
[90] wachſen. Reimar, Walter, Robin, Sonnenburger ſind dahin,
Marner, Ofterdingen, Wolfram und Klinſor (deren beider
Gedicht meiſterlich) — Meiſner, Meiſter Conrad ſind nun die
beſten mit ihrem gemeſſenen, ebenen Geſang. — Ich wieder-
hohle hier nicht die vorigen Bemerkungen, ſondern fuͤge die
ſich aufdringende hinzu, daß wenn wir ausgemachte Meiſter zum
Theil uͤber verlorenen Minneſang klagen hoͤren, uns Buwen-
bergs Klage (2. 181.) gar nicht befremdet, welchen Docen
fuͤr nur Minneſinger zu halten ſcheint. (S. 458.)


8b. Reinmars Stelle vom Seven bei Adelung 1. 95. welche
Docen 449. dadurch zu ſchwaͤchen ſucht, daß er zwar die
Meiſter als ſolche zugibt, uͤber die ſich Luͤtolt erhebt, ihn ſelbſt
aber als keinen darſtellt. Das iſt wenigſtens gezwungen und
mit nichts wahrſcheinlich gemacht.


9. Ganzes wichtiges Lied des Hadloub (2. 187.): nirgends
finde man ſo viel Lieder geſammelt, als im Zuͤricher Buche,
deß pruͤft man oft da Meiſterſang, die Singer moͤchten ſich
des Maneßen Hof neigen und ſein Lob allerwaͤrts pruͤfen, er
und ſein Sohn werbe nach allem guten und edeln Geſang.
Den Sang, welcher der Frauen Lob mehrt, wollen ſie nicht
zergehen laſſen. Der Sang komme von edlem Sinne, durch
klare Frauen und edle Minne, der Weiber Suͤßigkeit treibe
gut Gedicht, und ſuͤß Getoͤne aus den Herzen.


Nichts kann klaͤrer ſeyn, denn dieſes Lied, das noch ſo
ſpaͤt den ſchoͤnen Grund des Meiſterſangs erkennt. Es denkt
eben ſo offenbar nur an die Minnelieder unſerer eigenen ma-
neßiſchen Sammlung, als es gewiß nur von Meiſterſang
ſpricht.


10. Meiſter Gervelyn klaget (CXCIV.): manche Neider ſin-
gen vor den Herren ohne der Kunſt zu haben, dieſe laſſen es
ſich gefallen, ſo lange niemand anders da iſt, „wenn aber die
Meiſter kommen“ hat es bald ein Ende. Unter dieſen Nei-
dern kann man Volksſpielleute verſtehen oder ſchlechte Nachah-
[91] mer der Meiſterſinger. Ein ſolcher iſt leicht der „her dunkel
Meiſter“, auf den die folgende Strophe anſpielt.


10b. Herman der Damen (DCCXIX.) bricht in die Worte
aus: „ſteht auf, laßt mich in Kreiſes Ziel, ich will mit Lobe
fechten die brandenburger Fuͤrſten vor“, ſo daß hier wieder
eine Verſammlung und ein Auftreten des vortragenden Saͤngers
etwa in der Mitte eines Kreiſes vorausgeſetzt werden muß. Das
„Kreyſes zil“ kommt eben ſo im Wartburger Kriege vor, und in
M. G. des 16. u. 17. Jahrh. mehrmals das Betreten der Sing-
ſtuhlsſtufen. Frauenlob ſingt: „ſetz mir den Stul.“ (Weim. H. S.)


11. Rumelant (CCCLXIII.) haͤlt dem Singof die Vermeſ-
ſenheit vor, daß er ſich ſo hoch mit Sang in Meiſterfaͤnger
Grad geſetzet habe. Hieraus folgt zweierlei; einmal daß hier
Meiſter einen beſtimmten Grad anzudeuten ſcheint, dann, daß
man ſich ſelbſt, oder die Meinung des Publicums dieſen bei-
legen konnte, und es noch nicht feierlich durch andere Meiſter
geſchah, wie ſpaͤter auf den Schulen. Wenn man die ganze
Stelle nicht eher vom Mißbrauch als vom Gebrauch verſtehen
muß. Der naͤmliche Meiſter (Man. Samml. 2. 225. 226.)
gibt ein Raͤthſel uͤber Marners Namen, nach meiſterlicher Re-
gel zu rathen auf, und in einem der folgenden Lieder, welches
ganz deutlich ein Meiſterſang iſt, wuͤnſcht er ſich aller Meiſter
Kunſt, um an den guten Frauen zu vollſprechen.


Rumelant von Schwaben (derſ. Dichter?) ſagt CCCLXXXIV:
zwoͤlf Meiſterſinger moͤchten nicht volldichten die Tugend ꝛc.,
wobei ich auf die Zwoͤlfzahl aufmerkſam mache, deren Bedeu-
tung freilich faſt allerwaͤrts etwas Heiliges in ſich hat. Allein
hier denkt man doch an die zwoͤlf alten Meiſter, an eine be-
ſtimmte Sage oder Sitte unſeres Ordens 77). Daß ſpaͤter
[92] auf die Zahl von zwoͤlf Meiſtern geſehen wird, beweiſt die
unten citirte Stelle aus einem Meiſtergeſang Metzgers von der
Singſchul, der, wie zu erwarten, dabei an die zwoͤlf Apoſtel
erinnert 78).


12. Eine Beziehung des Meiſtergeſangs auf Minnepoeſie
liegt auch in einem Lied Canzlers (2. 240.), die Meiſter haͤt-
ten ihn mit Sprache ſo uͤberliſtet, daß er nichts neues zum
Lob der Frauen ſagen koͤnne.


13. Frauenlob (2. 214 f.) ſetzt ſich mit Reimar, Eſchilbach,
Vogelweide in eine Claſſe, er uͤbergolde ihren Sang, ſie ha-
ben nur den Schaum beruͤhrt, er aber aus dem Grund geſun-
gen, mit Worten und Toͤnen, ſeines Sanges Schrein ſolle
man reichlich kroͤnen (Haͤtte er allenfalls den eigentlichen
Meiſterſang aufgebracht, ſo wuͤrde er bei dieſer Gelegenheit
anders geſprochen haben.) 78 b) Darauf ſetzt ihn Regenbogen
deſto mehr herab, daß er ſich ſo viel gegen dieſer Meiſter
Sang herausnehme. So ſpricht auch derſelbe in ſeiner zwei-
ten Antwort von den Meiſtern, die mit Ruhm geſungen,
(Wolfram, zwei Reimar u. Walter), in der dritten ſchimpft er
ihn: Meiſterli. In der vierten nennt er ihn: Geſanges-
freund
, welches an das Schulfreund der ſpaͤtern Tabulatur
erinnert, (wo es einen bezeichnet, der Meiſtergeſang wohl ver-
[93] ſteht, allein noch nicht ſingt oder ſelbſt dichtet. Eine andere
hierher gehoͤrende Stelle Frauenlobs (2. 218.) interpretirt Do-
ren
nicht ganz richtig. Der Dichter ſagt: „Viel Saͤnger be-
ruͤhmen ſich jetzt ihrer Kunſt und haben doch wenig gute Sa-
chen hervorgebracht. Der muß in Wahrheit wohl begabt
ſeyn, der die fehlerloſen Toͤne der alten Meiſter recht ſingen
kann.“ Alſo wieder ein deutliches Erkennen des fruͤheren M. S.
Docen aber S. 459. verſteht das: „laſſen“ in der Original,
ſtelle nicht durch relinquunt, ſondern bezieht es auf: „krum-
bes bar“, und mittelſt einer gezwungenen Verwandlung in:
„laſſen wuͤrden“, bringt er dann den Sinn heraus: der muß
wohl berichtet ſeyn, der die Toͤne ſchlichtet, welche die alten
Meiſter ungetadelt laſſen wuͤrden. Krumm heißt aber nie Ta-
del, ſondern bezeichnet das: was tadelnswuͤrdig, das ſchlechte.
Frauenlob will hier offenbar nicht gewiſſe Toͤne, ſondern die
alten Meiſter loben, vor denen die jetzigen zuruͤcktreten muͤß-
ten. An ein Provociren auf ſolche oder auf lebendige iſt uͤber-
haupt keine Veranlaſſung. — Die Stelle ſelbſt war uͤberhaupt
faſt nicht zu uͤberſehen, dagegen bin ich Herrn D. fuͤr die
Mittheilung einiger anderen aus Handſchriften verpflichtet.


14. An die ſpaͤteren Gebraͤuche mahnen nun auch eine Menge
einzelner Redensarten und Woͤrter, indem ſie ſich entweder
gar erhalten haben, oder doch in demſelben Geiſt eingefuͤhrt ſind.


Hier muß ich vor allen des Worts Merken und Mer-
ker
gedenken, deren fruͤhe im Meiſtergeſang beſtimmte Bedeu-
tung man mir gleich abgewieſen hat, weil einige der von mir
in der Schnelle angegebenen Beiſpiele beſſer allgemein verſtan-
den werden muͤſſen 79). Merken heißt bekanntlich in Acht
behalten, und wurde im 13ten Jahrhundert faſt mit Melden
[94] uͤbereinſtimmend gebraucht fuͤr: alles anbringen, was man an-
dere thun ſieht. Characteriſtiſch aber bedienten ſich die alten
Meiſter dieſes Worts fuͤr das Aufſuchen und Merken der Feh-
ler im Geſang. Es iſt unnoͤthig, die Stellen auszuzeichnen,
in denen es in dem allgemeinen Sinn vorkommt 80), oder
ſolche, wo man zwiſchen dieſem und dem engeren zweifelhaft
bleiben koͤnnte. Ich beſchraͤnke mich bloß auf die hauptſaͤchlich-
ſten derjenigen, wo die meiſterſaͤngeriſche Terminologie hervor-
leuchtet.


a) Die beruͤhmte Stelle im Wilh. v. Orlenz. Vergl. Docen
Miſc. 2. 155.


b) Tyturel Str. 1141. an ſpaͤhender Merke verſeſſen. 1144.
ſich der Merke ruͤhmen. 2938. (nachdem ein Streit geweſen)
die Richte (Entſcheidung) merken. 6006. es jehent die merk-
reichen, daß ich die und die Fehler in meinen Gedichten ge-
macht.


Und ſo ſcheinen noch einige andere Woͤrter: pruͤfen,
ſpaͤhen, kieſen
außer der unleugbaren allgemeinern Bezie-
hung 81) gleicherweiſe auf den Meiſterſang angewandt worden
[95] zu ſeyn. Das Maͤr pruͤfen kommt mehrmals im Titurel vor,
(1139. 2099. 4470. 5314.) aber auch ſchon in der Klage, (ed.
Bodmer v. 192. 4424.) Hadloub a. a. O. ſpricht vom Pruͤfen
des Meiſtergeſangs. Frauenlob (2. 216.) ſagt deutlich: „das
pruͤf ein Mann der dichten kann“, und: „nach pruͤfen waͤr ein
Singen gut“ nach der Lesart des Weim. Cod. Bei Maneße
2. 218. ſtehet dafuͤr: „bi pfiffen were ein ſwigen gut.“ Ul-
rich von Winterſteten (1. 61.): „pruͤve er wol ſwer tihten
kunne“, wofuͤr Benecke noch beſſer: „rihten“ lieſt. Denn es
iſt wohl zu denken, daß die Merker oder Pruͤfer, ſobald ſie
vermuthlich fuͤr den einzelnen Fall geſetzt worden waren, eine
Art von richterlichem Anſehen und Entſcheidung bekamen, wel-
ches auch die im Wartburger Krieg erwaͤhlten Kieſer beſtaͤti-
gen 82).


Um aber auf das klarſte in dem Beiſpiel der Merker dar-
zuthun, daß die Anordnung meiſterſaͤngeriſcher Gebraͤuche auf
die freieſten Zeiten und Gelegenheiten der Ritterpoeſie zuruͤck-
gefuͤhrt werden koͤnne und muͤſſe, nehme ich einen Beweis aus
der Geſchichte fremder Dichtkunſt her 82 b). In der 61ſten
der cento novelle antiche, einer wahrſcheinlich ſchon vor
Boccaccio verfaßten Sammlung, die uns wenigſtens eine Menge
altitalieniſcher fuͤr die Poeſie merkwuͤrdiger Anecdoten bewahrt,
findet ſich eine den Ritter und Dichter Messer (Herr) Alamaño
angehende Erzaͤhlung. Der Troubadour wußte die ſchwere Auf-
gabe ſeiner erzuͤrnten Dame aͤußerſt ſinnreich zu loͤſen und zu
[96] machen, daß ihr vierhundert Stimmen Gnade riefen, indem
er bloß ein kunſtreiches Lied (in mancherlei romaniſchen Dia-
lecten) 83) verfaßte, das Wort merces nicht fehlen ließ und
die ganze Hofverſammlung leicht zum Mitſingen bewegte. —
Damals erhoben ſich nach gehaltenem Spiel die Ritter ihres
Ruhms, oder ihrer Liebe, oder anderer Gluͤcksguͤter, auch
wurde auf Bitten oͤffentlich geſungen. Unter andern ſtehen
nun folgende, fuͤr uns wichtige Worte da: i cavalieri e don-
zelli, che erano giulivi e gai, si faceano di belle canzoni
e’l suono e’l motto,
(nach Wort und Weiſe) e quattro ap-
provatori
(Merker, Pruͤfer) erano stabiliti, che quelle, che
haveano valore, ſaceano mettere in conto; e l’altro a chi
l’havea ſatte, diceano che le migliorasse.
Was ſich hier-
aus fuͤr den Zuſammenhang der provenzaliſchen mit unſerer
Dichtkunſt ſchließen laͤßt, werde ich unten eroͤrtern. Hier ge-
nuͤgt es, daß eine aͤußere Aufſicht, folglich Regel fuͤr den freie-
ſten Geſang gegolten, und wir finden nicht anders als in un-
ſern Meiſterſingſchulen des 16ten u. 17ten Jahrhunderts vier
Merker ſitzen, welche auf die geſungenen Lieder Acht geben,
die nach ihrer Einſicht geltenden aufzeichnen und dadurch billi-
gen, den Verfaſſern der ſchlechtern aber anempfehlen, ſie zu
beſſern. In Deutſchland ſaßen ſpaͤterhin die Merker hinter
einem Vorhang, der eine hatte die lutheriſche Bibel vor ſich
liegen, um nach ihr die Sprachreinheit zu urtheilen, der zweite
achtete auf Weiſe, der dritte auf Reime oder auch wohl ein
vierter noch auf das Abſingen. Wir wiſſen nicht einmal, ob
die ſpaͤtern Merker auf einzelne Faͤlle oder laͤngere Zeit beſtellt
wurden und von wann an das Strafen nach den Silben an-
gefangen habe, wird noch ſchwerer auszumachen ſeyn. Ich
[97] bemerke noch, daß die provenzaliſche Sitte ins 13te Jahrh. geht
und Alamaño der Bertrand d’Alamanon ſeyn koͤnnte, ſo we-
nig Millot oder Noſiradam bei ihm des Vorfalls gedenken.


Es iſt uͤbrig, noch mit einigen andern Beiſpielen der
gleichmaͤßigen Neigung fruͤheres und ſpaͤteres M. G. zu eigenthuͤm-
licher Terminologie zu erwaͤhnen. Viele Redensarten z. B. ſind
vom Bauen hergenommen, weiſen aber weniger auf geraden Ein-
fluß, als gleichen Grund mancher Symbole und Braͤuche, die
damals und fruͤher unter Handwerkern gegolten haben muͤſſen.
Der Gegenſtand iſt ein Gebaͤude, ihn wohl dichten, heißt
ihm ein Dach zimmern, oder decken, gute Rede iſt des Sinnes
Dach, bleibt etwas unbefriedigt, ungeloͤſt, ſo iſt es ohne Dach;
mit Erz decken bedeutet: etwas vollkommen und ſicher aufloͤ-
ſen. (cf. Wartb. Krieg Str. 35. 36. 38. 39. 74. Parcifal
10084. 11010. Lohengrin in Adelungs Ausz. S. 45. und fuͤr
die ſpaͤtere Zeit Moͤgelin im Goͤttinger Ms. num. V. Str. 3.)
So heißt es auch den Gaten (Thuͤr) finden, (W. Kr. 68. 98.)
zur Verte weiſen (98.) Haͤufige Reden ſind von den Farben
abgeleitet, eine Rede, ein Maͤr bruͤnen, Moͤgelin ſagt, aus
Pinſel Lobes Farbe ſtreichen, an die Faͤrber und das Faͤrben
in Gottfrieds bekannter Stelle brauche ich kaum zu erinnern.
Andere von Kleidern, nach Moͤgelin ſchneiden die Meiſter den
Spruͤchen Wat an, im Titurel ſteht, das Maͤre ſaͤumen, Bor-
ten in Gedichte wirken, weben ꝛc. Das Bluͤmen, Floriren, (= ſin-
gen) Uebergolden iſt freilich allgemein, oder vielmehr noch heut
zu Tage gelaͤufig, aber die alten Meiſter bedienen ſich dieſer
Woͤrter ſo oft, daß ſie ohne Frage mit den Coloraturen der
ſpaͤteren zuſammenhaͤngen. Vergl. Gottfrieds Tr. 4526 — 35.
Noch kommt: einen Haft 84), Strang oder Knoten loͤſen, oder
flechten, nicht ſelten vor, ja flechten geradezu fuͤr dichten. Ei-
nen Baum meſſen und ſpalten braucht Wolfram vom Veldeck
im Parcifal 8708 — 8712. Auch ſcheinen die Meiſter ihre
Kunſt vorzugsweiſe die hohe genannt zu haben. (Wartb. Kr.
G
[98] Jen. Cod. 47. Titurel 6008. u. 4898, in welcher letzten Stelle
der beſcheidene Dichter an ſich ſelbſt bezweifelt, was ihm an-
dere zuſprechen.)


Daß figuͤrliche Redensarten aller Poeſie nahe liegen, fließt
aus ihrem Weſen, das man in ein Bemuͤhen ſetzen kann, die
Natur ſammt dem Leben in einer Figur, in einem Gleichniß
auszudruͤcken. Dieß Gefuͤhl der hoͤheren, gleichſam goͤttlichen
Mittel kommt auch noch in die Kunſtpoeſie hinuͤber und zeigt
ſich in dem Streben der Dichter, ihr geheimnißvolles Werk in
Bild und Metapher zu treiben. Leicht erhaͤrtet die urſpruͤng-
liche Friſchheit und Innigkeit in unverſtandenem Aeußerlichen;
von den nordiſchen Kenningar muß man urtheilen, daß ſie
zum Theil in herrlicher Naturpoeſie entſprungen, zum Theil
auch eitele Spielerei und Verworrenheit an ſich tragen. Ob
nun gleich von dieſer Seite unſer Meiſterſang noch ziemlich ge-
maͤßigt und die Bilderſprache weit unentfalteter iſt, als die
ſcandinaviſche; ſo ragt in ihm dennoch ein merklicher und boͤ-
ſer Mißbrauch hervor 85).


Die oben gegebenen Exempel beweiſen indeſſen, daß man-
che Figuren, nachdem ſie im langen Gebrauch die Bedeutung
einfacher Woͤrter wieder erlangt, fuͤr den Meiſterſang characte-
riſtiſch gegolten haben.


II.Namen.


Jedermann weiß, daß die Namen Meiſtergeſang und Mei-
ſterſinger im 16ten und 17ten Jahrhundert die von uns un-
[99] terſuchte Poeſie und die, welche ſie ausuͤbten, ganz eigentlich
bezeichneten. Verhielt es ſich fruͤher damit eben ſo, oder gar
urſpruͤnglich?


Ich bemerke gleich vorerſt, daß nach dem oben uͤber den
Urſprung unſerer Dichtkunſt geſagten, der Name anfaͤnglich
eben ſo wenig ein gewaͤhltes Kennzeichen geweſen ſeyn wird,
als beſtimmte Geſetze da waren. Wer ſich irgend einer Kunſt
oder Geſchicklichkeit 86) bis zu einer gewiſſen Stufe von Vor-
trefflichkeit bemaͤchtigt hatte, der hieß Meiſter, und beſon-
ders wurde er von den Juͤngern, die ſich um ihn bildeten,
als ſolcher anerkannt, alſo: Lehrer. Uralt iſt die deutſche
Wurzel des Worts, und wenn mit der griechiſchen verwandt,
nicht wohl daraus abzuleiten, noch Meiſter, gleich dem franzoͤſ.
maistre u. ſ. w. aus dem lateiniſchen magister geworden, ſon-
dern eine ſprachgemaͤße Ueberſetzung dieſes Ausdrucks, der
auch, jedoch vielleicht beſchraͤnkter, als das deutſche Wort,
einen Lehrer bedeutet. Der Begriff eines graduirten Lehrers
liegt aber weder in dem einen noch dem andern Wort und
wurde auch erſt nach dem Anfang des 13ten Jahrhunderts in
das lateiniſche magister gelegt 87). Man kann annehmen,
daß nach und nach und gewiß ohne dieſe Analogie vor Augen
zu haben, der noch allgemeinere Name Meiſter eine aͤhnliche
Beſtimmtheit erhalten hat.


G 2
[100]

Wenn ſich alſo mehrere unſerer alten Dichter des 13ten
Jahrhunderts Meiſter nennen, oder ſo benannt werden, ſo be-
weiſt das weder gerade, daß die andern nicht ſo benannten, ande-
rer Art geweſen ſeyn muͤßten, ſondern etwa bloß, daß ſie nicht
ſo beruͤhmt waren, noch weiſt es auf buͤrgerlichen Stand hin.
Gerade die aͤlteſten Meiſter ſind haͤufig aus dem armen Adel
hervorgegangen, und ſelbſt bei Provenzalen und Franzoſen fin-
den wir gleichſinnig das Wort maitre ꝛc. gebraucht. Auf die
dichtenden, reichen Fuͤrſten paßte der Ehrenname gar nicht,
wie ſchon einmal erinnert. Ferner habe ich bereits verworfen,
daß die Entſtehung des Meiſterſangs mit einem Grad in den
freien Kuͤnſten in Verbindung zu bringen ſey, vermuthlich ſind
unſere erſten Meiſter aͤlter, als letztere Einrichtung ſelbſt. Am-
broſtus Metzger im 17ten Jahrhundert war wirklich ein magi-
ster artinm,
aber er wurde — erſt ſpaͤter ein Meiſterſinger.


Ganz etwas anders bleibt es hingegen, daß uns die fruͤhe
Exiſtenz des Namens fuͤr die Sache beweiſen muß, gleichwie
in dem, was noch nicht feſtſtehend, bereits die Verwandtſchaft
mit dem ausgebildeten wahrzunehmen. Faͤnde ſich etwa fruͤher
ein anderer Name, ſo wuͤrde daraus eine gegentheilige Ver-
muthung entſtehen. Das zufaͤllig auf die Singkunſt 88), wie
[101] auf viel anderes angewandte Worte, wurde nach und nach
characteriſtiſch und war es ohne Zweifel viel fruͤher, ehe die
Poeſie bloß in die Haͤnde von Handwerkern kam. Haͤtten dieſe
den Meiſterſang aufgebracht, ſo wuͤrden ſie etwa ein anderes
Wort gewaͤhlt haben, da ja doch jeder ihrer Mitbruͤder ein
Meiſter, wenn ſchon nicht im Geſang war, woraus ſich viel-
leicht erklaͤrt, daß ſie ſeltner Meiſter allein gebrauchen, fon-
dern das Singer hinzu zu ſetzen pflegen. Mit allem dem will
ich nicht abreden, daß vielleicht in der mittleren Periode die
Idee des latein. magister artium der Terminologie eine noch
fixirtere Bedeutung gegeben haben koͤnne, die ſie ſowohl erſt
nicht hatte, als auch bald wieder verlor.


Unſere Dichter haben alſo ſchon im Anfang Meiſter ge-
heißen, die Zeit zu beſtimmen, wann ſie ſich den Namen ganz
zu eigen gemacht, faͤllt aber unmoͤglich. Waͤre er es ſchon in
der erſten Haͤlfte des 13ten Jahrhunderts geweſen, ſo wuͤrden
ſie ſich vielleicht nicht ſo haͤufig der allgemeinen Bedeutung des
Worts bedient haben, als ſie thun 88 b), gleichwohl muß es
noch im Laufe dieſes Jahrh. der Fall geweſen ſeyn, ſpaͤter
88)
[102] hingegen wurde er erſt fuͤr die Lieder recht uͤblich 89), die wir
inzwiſchen auch ohne den ausdruͤcklichen Namen fuͤr Meiſterge-
ſaͤnge erkennen.


Die Anfuͤhrung der nachſtehenden Beweisſtellen waͤre bei-
nahe uͤberfluͤſſig, daher ich viele andere auslaſſe.


  • 1. Im Wartburger Krieg kommt mehrmals das Wort Meiſter
    fuͤr Singer vor, und merkwuͤrdig ſetzt die maneßiſche H. S.
    das erſte, da wo die Wiener das letzte hat. Beide mithin
    hier in gleicher Bedeutung (d. h. ohne daß dabei an eine
    gewiſſe Stufe von Vortrefflichkeit gedacht wurde), und die
    Dichter, wovon die Rede, anerkannte Meiſterſinger.
  • 2. Im Tyturel Str. 542. Meiſterſang; 632. hohe Meiſter;
    1140. Meiſter; 2395: ſo ſuͤng ich Meiſter; 4897. 5814.
    Lauter Stellen, wo die Beziehung auf Geſang und Dicht-
    kunſt nicht zu verkennen. 5295. 96. wird auch der allge-
    meine Sinn gerechtfertigt, denn an aller Kunſt vermoͤge
    man Meiſterſchaft zu erwerben.
  • 3. Gottfried im Triſtan 4616. Meiſter fuͤr Saͤnger. Dage-
    gen wenn Iſalde den Triſtan Meiſter anredet (11440.
    11524.) iſt: Herr darunter zu verſtehen. Vriberc gedenkt
    im Eingang des Meiſters u. ſ. meiſterlichen Werks. 2574
    der beſſeren Meiſter.
  • 4. Der Truchſeß von Singenberg 1. 157. bezieht ſich bei der
    Nachahmung eines von Walters Liedern auf den Meiſter,
    der eh von der Nebelkraͤhe geſungen. Das: „luͤgen un-
    ſere Meiſter nicht“ in dem vorhergehenden Lied, kann
    gern allgemeiner genommen werden. Anderwaͤrts (Adelung
    1. 100.) nennt er den Walter: unſeres Sanges Meiſter.
    Sangmeiſter haben noch ſpaͤtere Chroniken und Tabula-
    turen gleichbedeutend mit Meiſterſinger.

[103]
  • 5. von Eſchenbachs Meiſterkunſt redet der Dichter oder Ueber-
    arbeiter des Loherengrins
  • 6. Die Stelle im Wolfdieterich Str. 5. von zwei Meiſtern,
    die das Buch zu deutſch abſchreiben ſollen, hat nur eine
    undeutliche Beziehung auf den Geſang. Ebend. Str. 30.
    nach meiſterlicher pflichte ein Gedicht auf den Rahmen wir-
    ken, d. i. ſticken.
  • 7. Laurin 1695 — 1708: man ſah vor die Koͤnigin gehen
    zwei kurze Saͤnger (Zwerge), die ſungen hoͤfeliche Maͤr,
    die ſungen meiſterlich Geſang; und nachdem waren noch
    zwei andere beſonders, zwei kurze Fideler, worunter ge-
    meine Spielleute zu denken.
  • 8. Marner ſagt in einem Minnelied 2. 168. 169. und haͤtte
    er tauſend Meiſter Sinn, ſo waͤre er zu klein, die Liebe
    zu beſchreiben. Derſelbe 2. 173. Sangesmeiſter.
  • 9. Myſner (DLXXV.) Meiſter.
  • 10. Rumelant (CCCLXIII.) Meiſterſingergrad. (CCCLXXXIV.)
    Meiſterſinger.
  • 11. Meiſter Elias (CXVI.): am Sang unmeiſterlich thun.
    So kommt noch ganz ſpaͤt das Beiwort vor, Wagenſeil
    P. 501. meiſterliche Toͤne. Klinſor im Wartb. Kr. Str. 89.
    von meiſterlichen Sitten. Gottfr. Tr. 4623. meiſterlicher
    Fund. Maneß. S. 2. 225. meiſterlicher Orden. 5. 226.
    Meiſterkunſt.
  • 12. Urenheimer (CCVI.) Meiſter.
  • 13. Hynnenberger (CCXIIII.) meiſterlicher Streit.
  • 14. H. Damen (X.) Meiſterkunſt und Meiſterſang.
  • 15. Unverzagler (IX.) Meiſterſang. (XIV.) der Meiſter Sin-
    gen, Geigen und Sagen. (XX.) Sang und Geigen Mei-
    ſterkunſt.

Im 14ten Jahrhundert haͤufen ſich die Citate immer mehr.
In einer Stelle des Renners (Docen Marg. zu Koch 324. 25.)
iſt von hohen Meiſtern die Rede, und der ganze Zuſammen-
[104] hang lehrt, daß Hugo dabei an magister artium gedacht hat.
Anderwaͤrts (Docen Miſc. 1. 79.) von Meiſter Conrads mei-
ſterlichem Dichten. Hugo ſelbſt iſt uͤbrigens ein wirklicher
Schulmeiſter (magister) und wohl kein M. S. geweſen, wie
wir dann auch gar keine Lieder von ihm haben. (Cf. Muſeum
1. 586. 587.)


Welche Dichter in dem Inhaltsverzeichniß der maneßiſchen
Sammlung Meiſter genannt werden, kann jeder ſelbſt nach-
ſehen. Offenbar iſt dabei ſehr willkuͤrlich verfahren, beruͤhm-
ten Meiſtern, wie Veldeck, Vogelweide, Misner, Marner,
Reinmar, Canzler fehlt der Titel, folglich kann er auch bei
andern fehlen, die mir Docen nicht zugibt, dagegen hat ihn
gerade einer, den er nicht gern zugeben wird, Meiſter Gott-
fried von Straßburg. Vielleicht iſt eben dieß, oder ein aͤhn-
liches Beiſpiel die Urſache, warum er mir beſtreiten will, daß
ich unſern Namen mit dem ſpaͤtern Meiſterſang zuſammen-
bringe. Ich wuͤßte ſonſt wirklich keine.


Außerdem ſcheint das Wort: Singer oder Saͤnger89 b)
am uͤblichſten und kann gewiß einen wahren Meiſter bezeichnen,
wie denn noch ſpaͤt in den Tabulaturen Singer fuͤr Meiſter
geſetzt wird (Wagenſeil 520). Freilich iſt die daneben guͤltige
allgemeinere Bedeutung von Saͤnger weniger zu verkennen.
Fuͤr unſern beſtimmten Fall verweiſe ich lediglich auf den
Wartburger Krieg, auf Tanhuſer 2. 59, wo alle Singer; auf
Conrad 2. 207. (Singer bei Rhein); Bruder Wirner XLIV.
Gervelin CCIV. und Rumelant CCCXIII.


Seltener ſtoßen wir auf das Wort Dichter und Dich-
ten 90), obſchon deſſen Alter uͤber das 13te Jahrhundert weit
hinaufgeht. Haͤufiger wird es hernach im 14ten (z. B. bei Moͤ-
[105] gelin) u. 15ten (Limburg. Chronik.) Da es in der Tabulatur
bei Wagenſeil auch brauchlich, ſo kann es recht gut einem Mei-
ſterſaͤnger zukommen, eben ſo gut aber auch anderen. Zuwei-
len findet man: Reimer. Reinmar 2. 131: ir hohen rimere 91),
(wie vom beruͤhmten altengliſchen Dichter Thomas the Rymer.)
Puͤterich Str. 108. bedient ſich des Worts Schreiber fuͤr
Dichter, wobei man an unſern tugendhaften Schreiber denken
kann, der Ausdruck ſelbſt iſt ſchon volksmaͤßig. (Nibel. 9042.)
Auch im Titurel 2510 ſchreiben fuͤr dichten, und bekannt iſt,
daß Montfort den Heße von Straßburg gleichfalls Schreiber
nennt, wohin auch noch gehoͤrt, daß Wizlau (CCCLXXXIV)
ein Lied mit den Worten „Wizlau diz ſcrip“ endiget.


Bei dieſer Gelegenheit gedenke ich einer auffallenden Ge-
wohnheit einiger Meiſter, ſich allegoriſche Namen beizulegen.


Ich haͤtte das vorhin als einen Beweis fuͤr das Geſell-
ſchaftliche der alten Meiſter beibringen koͤnnen, weil ſolche Na-
men auf eine Anerkennung mehrerer Gleichen unter einander
ſchließen laſſen, wie denn auch die Glieder einer Menge von
Geſellſchaften, z. B. der fruchtbringenden, oder ſchon des ge-
lehrten Vereins unter Carl dem Großen, liebten, unter be-
ſondern Namen hervorzutreten. Allenfalls waͤre ſelbſt Vogel.
weide hierher zu nehmen, (man vergl. Adelung 1. 100, und
erinnere ſich an Gottfrieds Nachtigallen,) oder laſſen ſich aͤltere
Nachrichten von einer Familie Vogelweide geben? Worauf
mag ſich wohl der Beiname des tugendhaften Schreibers gruͤn-
den? Wenn bei Vogt „der ungelart tugendhaft Schreiber“
vorkommt, ſo koͤnnte er gar mit dem ganz allegoriſchen Unge-
larten dieſelbe Perſon ſeyn, deſſen ſehnender Weiſe Wizlau
denkt, und von dem die ſpaͤtern Meiſter den ſchwarzen Ton
brauchen. Hierher gehoͤren ferner: Raumslant, Singauf,
Spervogil, (?) der wilde Alexander, der Lietſchauer (ein guter
[106] Merkername, wie ſchon Docen bemerkt), der Unverzagte, der
Helleviur, und vor allen Frauenlob. Die eigentlichen Namen
ſind uns meiſt dadurch verloren worden. Wie Nithart zu ſei-
nem boͤſen gekommen, erklaͤrt er ſelbſt in einem Lied (Brenta-
nos H. S.). Im 14ten u. 15ten Jahrhundert finden ſich noch
einige allegoriſche Benennungen: Frauenehr (wenn das nicht
Reinmar), Maiſchein, Lilienfein, Sucheſin (Suchs im Sinn),
Muſcatbluͤt. Roſenbluͤt moͤchte ein rechter Name ſeyn, zudem
iſt er ein Spruchdichter, aus welchem Grund ich auch den al-
ten Frigedank ausgelaſſen. Unter den ſpaͤtern Meiſtern ging
der Gebrauch ein, vermuthlich weil ſie in den Toͤnenamen Blu-
men genug anbringen konnten.


III.Toͤne.


Bei groͤßter Tonmannichfaltigkeit ſcheint dennoch in der
erſten Zeit die ſpaͤtere Sitte unterſcheidender Namen nicht ge-
legen zu haben, welches auch daraus hervorgehet, daß ſich
faſt jeder Dichter eine neue Weiſe 92) fuͤr ſein neues Lied ſchuf.
Einzelne Toͤnenamen aus der fruͤheſten Epoche des Meiſterge-
ſangs ſind indeſſen auf uns gekommen, wovon freilich die
meiſten auf Zeugniſſen ſpaͤterer Meiſter beruhen. In den al-
ten Gedichten finde ich nur wenige Stellen.


Im W. Kr. hebt Ofterdingen Str. 1. in dem Thuͤrin-
ger Herrenton
an, worin mehrere Lieder abgeſungen wer-
den, Klingsor wiederholt den Namen Str. 71. Ofterdingen
ſcheint hier einen fruͤher bekannten Ton vorgefunden zu haben.


[107]

Maneß. Samml. 1. 38. ſingt ein Ritter in des Kiuren-
bergers
Weiſe, welches dieſer uͤbel zu deuten ſcheint. Doch
iſt die Stelle dunkel und leidet andere Auslegung 93).


Wizlau nennt des Ungelarten ſehnende Weiſe, was
man doch wohl nicht ſo allgemein als durch Liebeslied erklaͤren
darf. Burkart 1. 87. die vil ſuͤße Stadelwiſe.


Auf neue Toͤne legen die Dichter dadurch Gewicht, daß
ſie ihrer Neuheit ausdruͤcklich erwaͤhnen. Sachſendorf faͤngt
ein Lied an: „in dieſem neuen Tone wollte ich gerne neue
Lieder ſingen.“ Von Raute am Schluß eines anderen (2. 47.)
verſpricht, von ſo ſuͤßer Handelung ein hohes neues Lied in
ſuͤßer Weiſe zu ſingen. Nicht anders Meiſter Sigeher 2. 220.
„ich beginne an in dieſem Tone“, und 221: „an dem ich be-
ginne in dieſem neuen Tone.“ Vergl. Rumelant CCCLVII.
CCCLXII.
Helleviur CLXXX: „in dieſer Weiſe das erſte Lied.“
Hermann Damen XXXVI: „in dieſem neuen Tone.“ Tanhau-
ſer klagt 2. 69. er koͤnne keinen guten Ton, gebe ihm jemand
dergleichen, ſo wolle er ſchon Minnelieder ſingen. Rubin 1. 170.
er habe der Minne ſo manchen Ton geſungen. Courad 2. 207.
von reſen (rauhen) Toͤnen.


Beim Niederſchreiben der Lieder ſcheint man Anfangs auch
die Toͤne gar nicht unterſchieden zu haben, wir ſehen aus Raß-
manns Vergleichung der Originalhandſchrift, daß ſelbſt die bei
Werners von Honberg (1. 24. 25.) auf einmal befindliche Ru-
brik jedes Lieds: „ein ander Ton“ ſpaͤtere Zuthat war. So
moͤchte auch einem Lied Walters (1. 137.) erſt ſpaͤterhin die
[108] Anfangszeile eines anderen (verlorenen) vorgeſetzt worden ſeyn,
um damit gleich die Melodie zuruͤck zu rufen. Merkwuͤrdiger
iſt, daß nachdem die vielen Lieder Reinmars von Zweter, die
immer in demſelben Ton ſtehen, zu Ende gegangen (2. 155.)
vor dem letzten noch bemerkt wird: „dieß iſt in Frauen
Ehren ton
.“


Die nachherigen Meiſterſaͤnger fuͤhren uns hingegen viele
Toͤne an, die den fruͤhern, ſelbſt den fruͤhſten Dichtern an-
gehoͤren. Da ſieht man: Ofterdingens Morgenweis, Wal-
ters langen und Creuzton, von Wolfram einen langen, gulde-
nen und (verſchiedenen) verguldten Ton, ferner ſeine kurze,
Flam- und Hoͤnweis; von Canzler einen langen und kurzen;
von Conrad v. W. einen abgeſpitzten Ton; von Stoll den Bluͤt
und Almentton, um anderer von Tanhauſer, Marner, Erenbot,
(der ſich doch ſelbſt in keiner ſpaͤtern Meiſterſaͤngerliſte findet).
Regenbogen und Frauenlob zu geſchweigen.


Sollen wir das fuͤr bloße Luͤge halten? Man wird leicht
ſagen, daß ſich keine Spur der Namen in der maneßiſchen S.
zeige und unter den Liedern dieſer Dichter ſchwerlich ſolche an-
getroffen werden, deren Schema mit dem ſpaͤter bekannten und
uͤblichen uͤbereinſtimme. Allein vorerſt bemerke ich, daß wenn
die Toͤnenamen unguͤltig ſeyn ſollen, weil ſie nicht in maneßi-
ſcher S. den Liedern vorgeſetzt ſind, alsdann ihr Gebrauch
uͤberhaupt ſehr weit zuruͤckgeſetzt werden muß. Denn warum
ſetzt dieſe zu Frauenlobs, Marners, Regenbogen ꝛc. Geſaͤngen
ebenfalls nie einen Namen bei, da ſich doch hier die beſtimm-
ten Toͤne, ſo wie ſie gerade ſpaͤterhin gangbar, genau vorfin-
den und die beſtimmt uͤblichen Namen in dieſem Fall doch nicht
leicht einer ſpaͤteren Erdichtung beziehen werden moͤgen?


Ferner: eine Anzahl der angefuͤhrten alten Toͤne iſt ja
eben bei den ſpaͤten Meiſtern nicht ſehr im Gebrauch, es ſchei-
nen wirklich bloß ihre Namen bekannt geblieben zu ſeyn. Die
Erdichtung der Namen waͤre alſo zwecklos. Nur ein Beiſpiel.
[109] Den beruͤhmten ſchwarzen Ton Klingsohrs wird man in ſpaͤte-
ren Meiſtergeſangbuͤchern aͤußerſt ſelten finden, ob er gleich in
Wagenſeils Liſte ſteht und in den Chroniken genau mit Neben.
umſtaͤnden genannt wird. Buͤſching hat indeſſen auch ein ſpaͤ-
teres Meiſterlied in dieſem Tone angetroffen und mitgetheilt 94).


Abgeſehen von der Ungenauigkeit 95) der ſpaͤteren Liſten
und weil auch die Toͤne kleinen Veraͤnderungen allerdings aus-
geſetzt geweſen, ſind denn alle Lieder der alten Meiſter auf
uns gekommen? Auf faͤllt es, daß wir von Klingsor und Of-
terdingen faſt nichts, von Wolfram, von Gottfried ſo wenig
Meiſterlieder haben, koͤnnen ſich die fehlenden Toͤne nicht un-
ter den verlorenen finden? Nur ein Paar Blaͤtter bleiben
uns vom Bruder Werner und er ſingt, 2. 162: „ich habe ſo
viel geſungen, daß mancher ſchwoͤren wuͤrde, ich haͤtte mich
ausgeſungen, ich habe aber noch alle Ecken voll von Liedern.“


Nun waͤre es Hauptſache, daß die Exiſtenz der Toͤne ſelbſt
gerechtfertigt ſtuͤnde, ob die Namen eben ſo alt, bliebe aus.
zumachen; das wenigſtens leuchtet ein, daß alle dieſe angebliche
Namen alter Toͤne ſehr einfach lauten und dadurch den eige-
nen, blumigten der ſpaͤteren Meiſter entgegenſtehen. Die
Toͤne ſelber moͤgen ſich mit einigen Beiſpielen legitimiren.
Klinſors eben genannter ſchwarzer Ton iſt im ſpaͤtern Meiſter-
ſang gerade ſo geſtaltet, wie im W. Kr ſelbſt, er hat eilf
Zeilen oder zehn Reime, indem die letzte ohne Band. Bei-
ſpiele vom Marner und Bremberger habe ich ſchon im fruͤhe-
ren Aufſatze gegeben. Es findet ſich des Tanhaͤuſers Hofton faſt
eben ſo Man. 2. 67. und des Canzlers kurzer und guldener Ton
[110] genau 2. 238., wie bei den letzten M. S. Desgl. Conrads abge-
ſpitzter Ton von 21 Reimen, Maneße 2. 202. (Aſpis ein Wurm ꝛc.)
Ich geſtehe, daß es ſchwierig haͤlt, die dem Wolfram zugeſchriebe-
nen aufzudecken, am wenigſten unter den Paar Liedern von ihm
ſelbſt. Daß er die Hoͤnweis 96) erfunden, iſt mir ſogar unwahr-
ſcheinlich, indem ihm ſchwerlich die Aufloͤſung des Heldenbuchs zu-
geſchrieben werden darf. Die Reime des verguldten Tones
ſind ſo in manchen Liedern, (1. 12. ich clage nicht ꝛc. — 1. 22.
mir was wie ꝛc. — 1. 153. ſwer minekliche ꝛc. — 1. 159. in
dieſem nuwen ꝛc. — 2. 22. ſich froeit ꝛc. — 2. 49. achtent
wie ꝛc.), allein Silben und anderes variirt beſtaͤndig. Der
Flamweis iſt aͤhnlich 1. 186. ob allen tugenden ꝛc. — 2. 166.
merkent an ꝛc. — 2. 220. ze rome ꝛc. — 221. geliuckes rat ꝛc.
aber dennoch welche Verſchiedenheiten. Waͤren nicht Silben
und Reimgeſchlecht, ſo koͤnnte man des Canzlers erſtes Lied
(2. 238.) und ein anderes (2. 244. ſo wol dir hoh ꝛc.) fuͤr den
guldenen Ton halten (der ſonderbar mit dem blauen Regen-
bogens zuſammenfaͤllt, ſo wie Walters Creuz- mit Frauen-
lobs Ritterweis) und mit dem Bauwerk des langen hat
Aehnlichkeit Misners: ſwen uns das alter ꝛc. (2. 157.) Ich
glaube alſo nicht, daß man eines der letztangefuͤhrten aͤhnlichen
Lieder fuͤr eine Nachbildung der genannten Toͤne halten darf,
eben weil dazumal Nachbildungen ſelten. Die Beiſpiele haben
ihr Intereſſe, weil ſie die bewaͤhren, wie die Abweichung oft
nur an kleinen Zuͤgen haͤngt; ein Verzeichniß der Meiſtertoͤne,
das bloß die Reime zaͤhlte und ihre Verſchlingungen angaͤbe,
waͤre eine hoͤchſt unvollkommene Arbeit. Außerdem zeigen ſie,
daß der Totaleindruck der Form alter Minnelieder durchaus
einerlei mit dem ſpaͤteren Meiſtergeſange iſt.


Wo das Weſen in kuͤnſtlicher Form liegt, wie im Meiſter-
geſang, iſt es ganz in der Ordnung, daß auf die Eigenthuͤm-
lichkeit erfundener Form gehalten wird, und von jeher ſcheint
[111] in der Convenienz der Dichter etwas gegen Nachahmung gele-
gen zu haben. Spaͤter, wo dieſe haͤufiger geſchehen, hielt
man es jederzeit ehrenvoller eigene neue Weiſen zu erfinden,
und die bloßen Nachahmer wurden zuletzt durch den Namen
Singer von den Meiſtern unterſchieden.


Inzwiſchen muß man auch ſchon in der erſten Zeit einige
Nachahmungen zugeſtehen. Singen nicht in dem Wartburger
Krieg viele Dichter hinter einander in ein und demſelben Ton?
(Ich moͤchte daraus am wenigſten abnehmen, daß das Gedicht
nur einen Verfaſſer gehabt.) Ferner, Wolframs Titurelsweiſe
iſt genau von Otto von Turne nachgebildet und nachher von
vielen andern. Walters Lied mit dem Vocalſpiel (1. 125.)
haben der Singenberg (1. 157.) und Rudolf der Schreiber (2.
181.) nachgeſungen. Wizlan erklaͤrt ſelbſt, daß er die Minne-
weiſe des Ungelehrten nachſinge. Die von Regenbogen zwiſchen
Frauenlobs und von Singof zwiſchen Rumelants interpolirten
Strophen folgen gleichfalls der angegebenen Weiſe und der Har-
degger (2. 120. 121.) genau dem erſten Ton des Wengen (2. 98.).


Ein Ton Boppos (2. 235.) findet ſich mit leiſen Aende-
rungen bei Frauenlob, (2. 219.) ja die eine Strophe „Natu-
ren“ ſelber wiederholt; wer nun von beiden Meiſtern hier ei-
nen Reim ausgelaſſen oder zugefuͤgt haben mag, genug, die
Abweichung iſt ſichtlich mit Fleiß hinein gearbeitet worden 97).
[112] Walters Ton (1. 134. got in vier elem) kommt genau bei
Rumelant (2. 224. got aller wunder ꝛc.) wieder, auch wird er-
ſteres Lied im A. M. G. B. p. 7. 8. wirklich dem Rumelant
beigelegt. (Marners Creuz- und des Ungelarten ſchwarzer T.
ſind, in Reimen eben ſo, in Silben anders.) Dietmars Lied:
„ich ſufte und hilfet“ ꝛc. (1. 40.) iſt doch wohl gleichtoͤnig mit
des von Liunz: „es ging ein iuncor“ ꝛc. (1. 90.) und Friedrichs
von H. „min herze den gelouben hat“ ꝛc. (1. 94.) weicht nur darin
von beiden ab, daß es dieſelben Reime aushaͤlt. Markgr. Otto:
„ruͤment den Weg“ ꝛc. (1. 4.) kann mit des Suonegge: vil
ſuͤße minne ꝛc. (194.) verglichen werden, imgleichen Lichten-
ſteins: „er tore vil“ ꝛc. (2. 30.) und Hiltbolts: „ein ſchap-
pel“ ꝛc. (1. 143), und das allererſte Kaiſer Heinrichs mit
Heinrichs von Meiſen erſtem. Sehr aͤhnlichen ſich: Ottos v.
Br. „uns kumt aber“ ꝛc. (1. 4.) Heinrichs v. Sax: „ich ſachs
an“ ꝛc. (1. 35.) Heſſo’s: „ich wil jungen“ ꝛc. (1. 90.) Wal-
ters: „alrerſt lebe“ ꝛc. (1. 104.) Lichtenſteins: „ſt ſol mir“ ꝛc.
(2. 26.) u. ſ. w. Einerlei aber auch von einem Dichter geſun-
gen, lauten: „ich han erwelt“ ꝛc. (1. 15.) und: „were criſtes“ ꝛc.
(1. 16.) Bei den erſten Meiſtern iſt es ſogar ſelten, daß einer
ſeinen eigenen Ton mehrmals brauche, bereits zu Frauenlobs
Zeit war aber das entſchieden braͤuchlich geworden. Gewiß ha-
ben nachgeſungen dem Marner 2. 169. (Maria) Stolle (hinter
Triſtau) u. demſelben 2. 170. Kelyn C-CXII. (wo nicht letzterem,
wegen einzelner doppelter Verſe das Ganze eigen iſt.)


97)


[113]

Ich laſſe es dahin geſtellt, ob ſtatt findende Aehnlichkeiten
manchmal als abſichtliche Aenderungen gelten koͤnnen oder nicht
lieber fuͤr unbewußte Verſchiedenheiten gehalten werden muͤſſen.
Eine vollſtaͤndig ausgefuͤhrte Vergleichung aller Weiſen wuͤrde
noch beſſere Beiſpiele anbieten, waͤre aber auch gar muͤhſam
anzuſtellen und ganz entſchlage ich mich der Muͤhe, die Nachah-
mungen ſpaͤterer Meiſter, ſowohl in alten als neuen Toͤnen,
darzulegen, niemand zweifelt daran. Erklaͤrt aber nicht das
ſich mehrende Nachſingen am fuͤglichſten die Einfuͤhrung der
vielen Toͤnenamen 98)?


Ich hatte in meinem vorigen Aufſatz von Rechten der
Meiſterſaͤnger unter einander geſprochen und muß das in dem
Sinn, worin ich es niederſchrieb, zuruͤcknehmen, was ich um
ſo eher kann, da auch bei ſpaͤtern Meiſtern nichts von derglei-
chen vorkommt. In unſerer Kunſtgenoſſenſchaft gab es wohl
nie andere als perſoͤnliche Befugniſſe, (die wir in der letzten
Epoche freilich ſichtbarer erblicken, als aus der erſten wiſſen
koͤnnen,) allein keine ſachliche. Leſſing, an deſſen bewußte
Behauptung ich damals vorzuͤglich dachte, hat den Spangen-
berg mißverſtanden. Obgleich, wie wir geſehen, das Nachſin-
gen fremder Toͤne (aus andern Gruͤnden) ſelten war, ſo fand
es eben im Wartb. Kr. ohne Anſtoß ſtatt. In den Schulen
des 15. u. 16. Jahrh. wurde kein Meiſter geſtraft, daß er in
einem fremden Ton geſungen, wohl aber, wenn er ihn fehler-
haft abſang, nicht weniger als haͤtte er in ſeinem eigenen ge-
fehlt; oder wenn er in einem angeblich neuerfundenen in einen
alten eingriff, welches nur unter vier Silben erlaubt war.
Daß ein Meiſter auf ſeinen Ton, wie auf ſeinen Gedanken
hielt, iſt zu natuͤrlich; bloße Nachſinger waren gering geach-
H
[114] tet und verhoͤhnt. Auf dieſe Art iſt die oben citirte Stelle
Kiurenbergers und vielleicht auch die dunkele Spangenbergs von
Klingſors ſchwarzem Ton zu nehmen. Der Marner wirft Re-
gimarn v. Zweter (2. 169.) vor, daß er alte Sachen auftiſche
und nennt ihn: Toͤnedieb. Noch deutlicher iſt eine Strophe
Conrads von Wirzburg (2. 206.) von den ſchlechten Singern,
die den kunſtreichen Meiſtern Rede und Toͤne ſtehlen und ſich
damit verdienen.


Ob die nachherige Sitte: gewiſſe vorzuͤglich gefallende
Toͤne zu kroͤnen, fruͤher ſchon ſtatt gefunden? laͤßt ſich nicht
gut ausmachen. Es gab ſpaͤter vier gekroͤnte Toͤne, die vier
langen von Marner, Frauenlob, Regenbogen und Moͤgeling,
denn offenbar beguͤnſtigte man das Muͤhſame in dem Langen,
vielleicht iſt Marners Ton erſt nach ſeinen Lebzeiten gekroͤnt
worden. Zu Anfang des 14ten Jahrhunderts war indeſſen der
Gebrauch ſicher bekannt, Frauenlob redet 2. 215. deutlich vom
Kroͤnen des Sanges, Moͤgelin (Goͤtting. Ms. XIII. Str. 1.)
will einen gekroͤnten Reien ſingen, und im Weimar. Codex in
einem der letzten Geſaͤnge, iſt auch von einem Singen des ge-
kroͤnten Horts, und von dem Kroͤnen desſelben mit den ſieben
Toͤchtern, freien, die Rede. Der letzte Beiſatz weiſt wieder
aufs 14te Jahrhundert. Was der von Klingen 1. 32. ſagt,
daß er aus den manchen Toͤnen ſeiner Frau einen kroͤnen
wolle, kann dem Zuſammenhange nach auch nichts mehr als:
ſchmuͤcken, zieren bedeuten; doch finden wir auch bei Nithart
2. 75: „einen neuen Reien Sanges kroͤnen.“ Aus Wagenſeil
554. erhellt, daß die ſpaͤteren Meiſter mit Kraͤnzlein geziert
wurden, welches an Titurel Str. 5314. (wo vom Bekraͤnzen
der Meiſter) und Gottfried erinnert, wenn er dem Auer den
Lorbeerzweig zuſpricht, wie denn auch Geltar (2. 119.), in un-
verhohlen irdiſcher Geſinnung, fuͤr ſeinen Geſang lieber vier
Kappen, als ein Krenzelin nehmen will. Der Lohn durch Be-
[115] kraͤnzen 99) iſt aber in zu altem, gemeinem Gebrauch, als daß
ich aus ſolchen Stellen eine Uebereinſtimmung mit ſpaͤterer
Gewohnheit beweiſen wollte. Wichtiger ſcheint mir die Wahr-
nehmung, daß es nie, weder den alten noch juͤngeren Meiſtern,
eingefallen iſt, einen Koͤnig ihres Geſanges zu haben 100), da
ſie nicht nur bei Volksſaͤngern, ſondern ſelbſt bei gleichzeitigen
Franzoſen und ſpaͤterhin bei Niederlaͤndern das Vorbild dazu
gefunden haͤtten, wovon noch nachgehends.


IV.Tradition der ſpaͤteren Meiſter.


Einen weiteren Beweis fuͤr das Alter des Meiſtergeſangs
erkenne ich in der hier als bekannt vorausgeſetzten Erzaͤhlung
der ſpaͤteren von dem Urſprung ihrer Kunſt. Dieſe hat ganz
die Natur jeder Sage, den unhiſtoriſchen Schein und das
fluctuirende Weſen. Auch noch dann, als Beſtimmungen hin-
zugekommen, welche mit ihr in Widerſpruch ſtehen, erhaͤlt ſie
ſich fort und zum Beweis, ſie ſtamme nicht aus einer einzigen
neuen Quelle her, hat ſie ſich faſt in jeder Schule anders
geſtaltet. Keiner der Geſaͤnge, die ſie uns berichten, ſteigt
uͤber das 16te Jahrhundert hinaus, und dennoch darf man ſie
am wenigſten fuͤr eine Erdichtung der damaligen Zeit halten.
Nur eines zu gedenken. Dazumal wiederholten gedruckte Chro-
niken die Geſchichte des Wartb. Kr.; waͤre man alſo darauf
verfallen der Meiſterkunſt einen alten Urſprung anzudichten, ſo
wuͤrde man vor allen die geruͤhmten Meiſter dieſes Krieges
mit aufgenommen haben, allein den Biterolf, den rugendhaf-
H 2
[116] ten Schreiber wuͤrde man in irgend einer Recenſion der Sage
vergebens ſuchen, ſogar es fehlt in einigen die Hauptperſon,
Ofterdingen ſelber. Und muß man eingeſtehen, die Sage ſey
aͤlter als das 16te Jahrh., ſo hat man damit noch mehr zu-
gegeben. Der juͤngſte unter den genannt werdenden Meiſtern
iſt Moͤgelin aus dem 14ten, darum kann ſie aber immer hoͤher
hinaufgehen, zumal er einigemal fehlt, und durch Ofterdin-
gen 101) oder Klinſor erſetzt wird. Frauenlob zwar ſteht im-
mer da, ja meiſt als allererſter, ſo daß viel aͤltere auf ihn
folgen. Das beweiſt gerade, daß ſein großer Ruhm ihn an
die Stelle eines unbekannteren geſetzt hat.


Wir, die wir die Werke der alten Meiſter des 13ten Jahr-
hunderts beſſer kennen und Mittel mancherlei an Hand haben,
den einfach glaubigen Bericht einer Sage an helle, hiſtoriſche
Puncte zu halten, werden nicht ſo ſchnell an die Reiſe unſerer
Dichter im zehnten Jahrhundert nach Pavia oder Paris, wo-
ſelbſt ſie in ihrer Singkunſt Probe abgelegt und beſtanden,
glauben. Allein wir ſollen uns huͤten, daruͤber abzuſprechen
und wie mit einem harten Luftzug die Aſche der alten Tradition
zu zerſtaͤuben. Es iſt wahr, die Werke der Poeſie, die aus dem
13ten Jahrh. auf uns gekommen ſind, ſchweigen gaͤnzlich der ge-
daͤchtnißwuͤrdigen, den Dichtern ehrenvollen Begebenheit, ob ſie
gleich uͤber den geiſtlichen Stand voll freier Ausſaͤlle ſind und
eben das den ganzen Auftritt veranlaßt haben ſoll. Daraus
ſcheint etwas wahres hervor. Will man annehmen, er gehoͤre
wirklich ins zehnte, oder eilfte und zwoͤlfte Jahrhundert, die
ſpaͤtern Namen ſeyen in die fruͤhere Geſchichte eingetreten, ſo
[117] bliebe allerdings zu verwundern, daß die Dichter des 13ten
Jahrhunderts (der Chroniſten zu geſchweigen) ſeiner ganz ver-
geſſen geworden. Indeſſen frage ich: wuͤrden nicht manche mo-
derne Critiker die Sage z. B. des Wartburger Kriegs gera-
dehin verdammt haben, wenn wir ſie bloß aus ſpaͤtern Chro-
niken geſchoͤpft und nicht gluͤcklicher Weiſe die Streitlieder ſelbſt
gefunden? Denn weder die gleichzeitigen Dichter, noch die
des 14ten Jahrhunderts gedenken dieſes Vorfalls, deuten nicht
einmal darauf hin, Wolframs Ausfaͤlle gegen Klinſor im Par-
ciſal und Titurel wuͤrden in ihrem mythiſchen Licht unverſtan-
den bleiben. Der einzige Herman Damen (XI.) hat eine leiſe
Anſpielung, ohne die, verbuͤrge ich nicht, daß man nicht Klin-
ſors 102) ganze perſoͤnliche Exiſtenz in Zweifel genommen haͤtte.
Es iſt alſo auch moͤglich, daß uͤber jenen aͤlteren Vorfall aͤl-
tere jetzt verlorene Lieder und Quellen da geweſen ſind.


Die Anachroniſmen in unſerer Sage hat ſchon Spangen-
berg geruͤgt, und gewieſen, daß ein Klinſor und Frauenlob
nicht zugleich leben koͤnnen, allein er ſelbſt nimmt keinen An-
ſtand, den erſteren auf einer Univerſitaͤt ſtudiren zu laſſen, die
ſogar fuͤr den letzteren zu neu waͤre 103). Ich weiß gar nicht,
woher ihm dieſe Notiz kommt, noch weniger, woher die ungleich
wichtigere, zweideutigere: daß die zwoͤlf erſten Dichter aus Mag-
deburg, Osnabruͤck, Helmſtaͤdt, Wirzburg und Mainz her gewe-
ſen waͤren. Ein Umſtand, deſſen Erklaͤrung vor allem zu wuͤn-
ſchen iſt, denn in dem Hauptpunct leitet den Spangenberg
ein rechtes Gefuͤhl, daß er mit den Namen nicht die Sache
ſebſt verwirft. Es iſt merkwuͤrdig, daß die zwoͤlf Meiſter gar
[118] nichts von einander gewußt, ſondern (wie die heil. 3 Koͤnige
auf eine Reiſe) auf eine Kunſt verfallen ſeyn ſollen. Ueber
den Kaiſer oder Papſt zu ſtreiten, waͤre vorerſt ganz uͤberfluͤſſig,
die Veraͤnderung, welche ſich Puſchmann in der zweiten Aufl.
ſeines Werkes erlaubt hat, (wo er ſtatt Otto 1. gerade Otto 2.
ſetzt,) bleibt bei ihrer Willkuͤrlichkeit problematiſch. Paris iſt
zwar ſchon im 12ten Jahrhundert Univerſitaͤt geweſen, (was
haben aber hier Papſt und deutſcher Kaiſer zu ſchoſſen?) Pa-
via es erſt im 14ten Jahrh. geworden. Nothwendig waͤre es
geweſen, fruͤher in den Mainzer Archiven genau nachzuſpuͤren,
die Meiſter berufen ſich beſtimmt auf ein altes in der Jo-
hanniterkirche angekettetes Buch 104), auch ſoll daſelbſt der
von Otto gegebene goldene Cranz liegen.


Meine Meinung iſt: das Aufkommen des Meiſtergeſangs
fruͤher anzuſetzen, wie ich oben gethan, hat gar zu viel gegen
ſich, es iſt kaum glaublich, daß ſchon zu Gottfrieds v. Str.
Zeit die alsdann vor dem Veldeck zu ſetzenden Dichter verſchol-
len geweſen. Spangenberg weiß zwar, daß vor und nach 1200
deutſche Dichter gebluͤht, und hat gewiſſermaßen recht, woher
hat er: daß Klinſor ſo viel Dichter uͤberwunden, als Wochen
im Jahre ſind? Andrerſeits mangelt es der Erzaͤhlung nicht
an innerer Wahrſcheinlichkeit, beſonders wenn man ſie ins
Ende des 12ten Jahrhunderts verlegt, wohin die meiſten Na-
men reichen, wo freie Reden gegen die Geiſtlichkeit in allen
Gedichten ſtehen und eine Pruͤfung der lautgewordenen Mei-
nung, eine Verwendung des Kaiſers in den Sitten der Zeit iſt,
ihre Losſprechung und Beſtaͤtigung koͤnnte die nachher ſichtba-
[119] ter gewordene, aber ſchon dem Anfang nicht fremde Neigung
des Meiſtergeſangs zu Theologie und Naturwiſſenſchaft erlaͤu-
tern; die Sage will weniger den Urſprung ſelbſt, als die fruͤhe
oͤffentliche Anerkennung und Losſprechung der Kunſt berichten.
Eine andere Conjectur duͤrfte faſt auf keinen Beifall rechnen,
wonach der Tradition keine unſern Meiſtergeſang betreffende
Begebenheit zu Grunde laͤge, ſondern folgende andere, deren
Andenken in Deutſchland lang gehaftet und zuletzt etwas un-
geſchickt auf den Meiſtergeſang angewendet worden waͤre. Man
weiß naͤmlich, daß Carl der Gr. Saͤnger mit nach Rom brachte,
die daſelbſt einen Streit mit den roͤmiſchen, uͤber Muſik und
Kirchengeſang hielten, (ſ. Forkel Geſch. der Muſik, 2. 208.
209, oder auch Dippoldt Leben Carls p. 94. 95.) und nach
dem Moͤnch von S. Gallen ſandte der Papſt dem Kaiſer 12
treffliche Saͤnger, den rechten Kirchengeſang im Reich zu un-
terhalten (Forkel a. a. O. 210. 211.) Sonderbar iſt ein
Umſtand, den ich bei Fauchet (unter Jonglet und Doete de
Troyes
) beruͤhrt finde, daß Kaiſer Conrad zu ſeiner Hofhal-
tung nach Mainz beruͤhmte Dichter berufen habe, unter an-
dern auch franzoͤſiſche. Allein das altfranzoͤſ. Gedicht, worauf
ſich Fauchet beruft, enthaͤlt, nach Meons Ausgabe, keine
Silbe davon, ſo daß leider ein ſo merkwuͤrdiges Citat entſtellt
und nicht zu finden iſt.


Dem ſey, wie ihm wolle, und wenn ſich auch eine ganz
verſchiedene, oder vermuthlicher nach der zu langen Verſchmaͤhung
niemals eine genuͤgende Aufklaͤrung dieſer Sage ergeben ſollte, ſo
bleibt dennoch ihre Beweiskraft fuͤr das, worauf es mir hier
ankommt, naͤmlich daß die ſpaͤtern Meiſterſinger allerdings ge-
wohnt waren, ſo weit hinaufzuſehen, und ihre Kunſt von ſol-
chen Namen abzuleiten, welche wir fuͤr alte Minneſaͤnger hal-
ten, und in denen ich auf ganz andern Wegen die Quelle des
Meiſtergeſangs nachgewieſen habe. Hoͤchſt wahrſcheinlich hat-
ten die ſpaͤteren Schulen die Werke dieſer Vorfahren nicht
[120] mehr alle vor Augen, (wir wuͤrden ſonſt nicht ſo wenige H. S.
davon beſitzen) und beinahe bloß an den Namen erhaltener
Toͤne mußte ſich einige hiſtoriſche Nachricht fortbreiten, darum
darf es uns nicht befremden, wenn ſich alles in dem Munde
einfaͤltiger Handwerker ungenau und uncritiſch ausnimmt 105).
Bei vielen hat endlich die Sage von den zwoͤlf alten Meiſtern
ihrer eigenen Stadt alles andere verdraͤngt und doch wieder in
ſich gefaßt 106). In der Hinſicht ſind die Nachrichten eines
Meiſterſaͤngers zu Ende des 16ten Jahrhunderts Valentin
Vogts bedeutend, der eine Menge alter Namen beibringt,
und dieſe mitten unter die 12 alten Meiſter miſcht, ja vorher
noch vier beſondere alte Meiſter (beruͤhmte alte Merker?) an-
fuͤhrt. Und viele dieſer Namen 106 b), die nicht in den Toͤnen
ſpaͤterer Schulen mehr vorkommen, weiſen uns in aller Ent-
ſtellung auf unſere alten Meiſter des 13ten Jahrh. hin, oder
entdecken uns auch gaͤnzlich unbekannte. Vermuthlich iſt ſeine
Quelle ein nun leider verlorener Codex geweſen, aus dem ſpaͤteren
Goldaſt hat er nicht geſchoͤpft, das verſteht ſich von ſelbſt.


[121]

Warum Docen die Guͤltigkeit meines Beweiſes, den ich
aus der ſpaͤtern Anſicht der Meiſter entnehme, anfechten will,
begreift man ſchwer, wenn man bedenkt, daß er ſelbſt die
alten Meiſter ſo fruͤh, wie ich, annimmt, und dießmal wenig-
ſtens kein bloßer Minnefaͤnger unter den zwoͤlfen ſteckt. Ich
habe an die alten Sagen vielfach glauben gelernt, hauptſaͤch-
lich auf ihnen beruht die ganze hiſtoriſche Erkenntniß der Poeſie.
Freilich kann ſeine Unterſcheidung zwiſchen den alten Meiſtern
und Nichtmeiſtern auch hier nicht beſtehen, es iſt eben ſo of-
fenbar, daß das Wiſſen der Meiſter im 16ten u. 17ten Jahr-
hundert von ihren Vorgaͤngern unvollſtaͤndig, als daß ſie an-
derwaͤrts (namentlich thut das Vogt) manche der alten angeb-
lichen Nichtmeiſter darunter zaͤhlen. Da ſich von ſo offenba-
ren Meiſtern, z. B. Miſner, Werner, Sonnenburg, Robin
keine Toͤne ſpaͤter gehalten haben, ſo duͤrfen wir uns nicht
lange wundern, daß auch keine z. B. von Gottfried von Straß-
burg im Gebrauch geblieben ſind.


V.Zeugniß fruͤherer Schriftſteller.


Ich gruͤnde mich auch auf das Verfahren verſchiedener
gelehrter Maͤnner des 15ten, 16ten und 17ten Jahrhund., wel-
che ſich mit der Poeſie aͤlterer Zeit mehrſeitig bekannt gemacht
hatten. Wo nun dieſe der Dichter erwaͤhnen, da ſtiften ſie
keinen Unterſchied, ſondern nennen die Singer, wie recht,
Meiſter; am wenigſten ſtellen ſie ſolche den ſpaͤterlebenden, ih-
ren Zeitgenoſſen, entgegen. Aventin an einigen Orten ſpricht
ſo beſtimmt von alten Meiſterſaͤngen, daß er dabei an keine
neue Schule derſelber denken kann, und er haͤtte gewiß einen
unrichtigen Ausdruck vermieden, wenn ihm deſſen damalige
beſtimmte und wohlbekannte Bedeutung fuͤr die Vorzeit un-
paſſend erſchienen waͤre. Spangenberg hat der Geſchichte
des Meiſtergeſangs ein eigenes Werk gewidmet und ohne Zweifel
[122] daruͤber nachgedacht, er wuͤrde die aͤlteren nicht ſo leicht un-
tergemengt haben, wenn er etwas anderes gewußt oder ge-
merkt haͤtte, von Parteilichkeit ſpricht ihn ſchon der offene Ta-
del jener Anachroniſmen los, ſo daß er gewiß nicht an dem
Buchſtaben des Vorgefundenen geklebt 107). Keine andere
Meinung hegt der gelehrte Wagenſeil, und an ihr ſtießen
auch viele nicht an, welche die Genannten ausgeſchrieben 108).


Herr Docen, in der Ungewißheit, ob dieſer mein Grund
die geringſte Widerlegung verdiene, hilft ſich dadurch gut her-
aus, daß er eine ſcheinbare verſucht. Dieſe Leute haͤtten nichts
von dem bluͤhenden Minneſang gewußt. Davon waͤren alſo
alle auszunehmen, die nach der Erſcheinung von Goldaſts viel-
geleſenen paraenet. gelebt; und ſollten die Minnelieder uͤbri-
[123] gens ſo ignorirt geweſen ſeyn, da man deren im 14ten und
15ten Jahrh. noch manche in die Geſangbuͤcher aufnahm 109),
und zum mindeſten die der mittleren Meiſter, als: Frauenlobs,
Muͤglings, in den Schulen ziemlich kannte.


Die Autoritaͤt jener Schriftſteller ruht darauf, daß ſie
einen auch in Anſehung der alten Meiſter exiſtirenden Sprach-
gebrauch forterhielten, den ſie ſicherlich nicht zuerſt aufgebracht
haben. Darin bin ich einverſtanden, daß in unſerm Streit
auf die Anſicht der zwiſchen Gottſched und Docen liegen-
den Schriftſteller, — einer der fruͤheren ſpricht faſt in Docens
Sinn, daß von den Minneſaͤngern einige zugleich Meiſterſaͤn-
ger, aber nicht alle Meiſterſaͤnger Minneſaͤnger waren. (Joh.
Jac. Rambach vermiſchte Abh. aus der Geſch. u. Lit. Halle,
1771. p. 350. 351.) — wenig oder nichts ankomme.


VI.Einrichtung der Handſchriften.


Unſere maneßiſche Sammlung, wie vorhin beruͤhrt worden
iſt, gibt ſich ſelbſt fuͤr eine Sammlung von Meiſterliedern.
Auch ohne ſolche ausdruͤckliche Verſicherung muͤßte die Sache
ſchon dafuͤr ſprechen. Sie enthaͤlt mehrentheils Minnelieder,
weil ſie dieſe aͤlteſte Periode des Meiſtergeſangs befaßt, aber
mitten unter denſelben gibt ſie uns ſolche Geſaͤnge, welche die
mir entgegenſtehende Meinung nur allein fuͤr meiſterſaͤngeriſche
erkennen will. Waͤre die letztere Anſicht gegruͤndet, und der
Meiſtergeſang ſo etwas fixirtes, ſo wuͤrde nicht ſo leicht ein
Compilator ihn mit den freieren Minneliedern ohne ausdruͤck-
[124] liche Bemerkung vermengt, oder er wuͤrde ſtillſchweigende Son-
derung unternommen haben. Allein hier dachte niemand das
zu ſcheiden, was noch dazu oͤſters aus dem Mund eines naͤm-
lichen Dichters gefloſſen war. Nur einige Beiſpiele. Mitten
unter faſt lauter Minneliedern Reinmars des Alten erblicken
wir 1. 80. eine Strophe (blatte und krone ꝛc. ꝛc.), die in je-
nem beſchraͤnkten Sinne fuͤr allein meiſtermaͤßig gehalten wer-
den muͤßte, waͤhrend der Meiſter ſelbſt in den zwei folgenden
Strophen, die politiſche Klage fahren laſſend, ſich zu einem
minnichlichen Wunder wendet, den Ton aber genau haͤlt. Der
Minneſinger von Singenberg hat 1. 156. gleichfalls ein recht
ernſtes Wort von der betrogenen Welt mit unterlaufen laſſen;
ja Johannes von Ringenberg wuͤrde ohne ſeinen adlichen Na-
men fuͤr einen jener eigentlichen Meiſter gelten, ob ihn ſchon
die ſpaͤten Schulen, gleich vielen andern, vergeſſen haben.
Gehoͤrt das Lied: Lute und Lant 2. 45., wie es ſcheint, dem
Gottfried, ſo iſt immer bedenklich, wie es der Sammler dem
anmuthigen Lichtenſtein nur zumuthen koͤnnen; aber auch der
Adliche von Wengen hat ſich an dergleichen Gegenſtaͤnden ge-
uͤbt. Andrerſeits ſchen wir einige Erzmeiſter Minnelieder un-
ter ihre uͤbrigen miſchen, als wie den Reimar von Zweter
(2. 125. 126. 142. 143. 145. 150.), und alles zwar in derſel-
ben Tonart. Zwei Liebeslieder ſchließen die des jungen Miſners,
vom Marne[r] ſtehen 2. 166 — 169. viel Minne- und Tanz-
lieder, und 2. 177. noch eine Strophe (do minne manigen ꝛc.)
Conrad von Wirzb. auf einen weltlichen Leich, laͤßt einen geiſt-
lichen folgen, hernach in den Liedern wechſeln Betrachtung und
Liebesgedanken ab. (2. 203 — 205.) In einem Lied ſpricht
es der Meiſiter aufs deutlichſte aus, daß er eigentlich von Ro-
ſen und der Maienbluͤte ſingen wolle, aber dießmal ſich an
einen ernſteren Gegenſtand kehren muͤſſe. (2. 202. ich ſolt aber
ſingen ꝛc.) Bei einem Meiſter herrſchen die Minnelieder, bei
einem anderm die moraliſchen vor, in der ganzen Sammlung
[125] die erſteren freilich, ſo aber immer, daß in beiderlei einerlei
Art und Geiſt zu erkennen iſt.


Dieſe Gleichſetzung offenbart ſich nun auch in der Jenai-
ſchen Sammlung 110), worin aber umgekehrt die ſogenannten
wahren Meiſterlieder uͤberwiegen, weil ſie in eine etwas ſpaͤ-
tere Zeit fiel, wo die Minnepoeſie bereits abnahm. Spuren
der letzteren ſind inzwiſchen noch genug hier, und wenn man
einmal gewiß dieß Buch dem rechten Meiſtergeſang nicht ab-
ſprechen darf, ſo waͤre es ſonderbar, anzunehmen, daß dem
Sammler die Ungehoͤrigkeit der Wizlauiſchen Lieder, der Strophe
Miſners DXXVIII, oder der CXLVIII. CXLIX. Alexanders
gar nicht aufgefallen ſeyn ſollte.


Auf gleiche Weiſe werden ſich aus den ferneren Hand-
ſchriften entweder die einzelnen Liebes- oder die einzelnen ernſt-
haften Lieder fuͤr meine Sache anfuͤhren laſſen, ſobald nur
beſſere Nachricht daruͤber vorhanden waͤre. Merkwuͤrdig iſt
ſchon, daß die aͤlteſte vaticaniſche v. 357, welche meiſtentheils
Minnelieder enthalten wird, mit den drei Reinmars und Wal-
ter anhebt. Der Weingartener Codex iſt wohl eben ſo wie
die maneß. Sammlung vorzugsweiſe der Minnepoeſie gewidmet,
und der Colmarer und Wirzburger wieder mehr dem Jenai-
ſchen entſprechend. Der Weimarer gibt mehrere Minnelieder,
die auch in dem Maneßiſchen vorhanden, mitten unter andern
von Frauenlob. Spaͤtere Meiſtergeſangbuͤcher enthalten zwar
mehr gleichzeitige und darum einartige Gedichte, aber immer
darunter ſicher ſolche, die den von Docen gezogenen Kreis
des Meiſtergeſangs uͤbertreten. Die Geſaͤnge Moͤgelins im
Goͤttinger Ms. werden mit mehreren Minneliedern beſchloſſen.
[126] In anderen mir bekannt gewordenen Sammlungen des 16ten
und 17ten Jahrhunderts, z. B. in einigen von H. Sachs und
der des Ambr. Metzger 110b), iſt eine gleiche Vermiſchung
geiſtlicher und weltlicher Gegenſtaͤnde zu finden.


Einen Einwurf kann man mir freilich auch aus der Ein-
richtung der H. SS. machen. Es gibt einige, beſonders
aus dem 15ten Jahrhundert, welche Geſaͤnge in Meiſtertoͤnen
unter andern volksmaͤßigen Liedern und dann wieder unter
Spruͤchen und Fabliaux bewahren. Dahin gehoͤrt beſon-
ders ein Codex in Brentanos Beſitz und auch der vaticani-
ſche Num 329. So gut alſo dieſe Volkslieder und Spruͤche
unter Meiſterliedern ſtehen, eben ſo koͤnnen auch alte Minne-
lieder dazwiſchen geſchrieben worden ſeyn? Allein hier darf
nicht außer Acht gelaſſen werden, daß dieſe alten Minne- und
Meiſterlieder durchaus dieſelbe Form an ſich haben, daß ſie
von den naͤmlichen Dichtern herruͤhren, folglich die erſtern
nicht als etwas beſonderes geſetzt und etwa aus dem Volkslied
erklaͤrt werden koͤnnen, mit dem ſie wohl der tieferen Grund-
lage, nicht aber dem Character nach verwandt ſind. Dahin-
gegen ſpaͤterhin die Volksſaͤnger vieles aus den Toͤnen der
Meiſter angenommen haben (wovon nachher). Wenn alſo in
einer ſolchen H. S. allerlei Lieder von einer Menge ungenann-
ter Dichter unter einander geſammelt ſind, ſo iſt der Fall al-
lerdings verſchieden von dem der aͤlteren Sammlungen.


Noch unſchicklicher wuͤrde man daraus eine Einwendung
entnehmen, daß die fruͤheren H. S. die aͤußere Einrichtung
ſpaͤterer Meiſterbuͤcher nicht an ſich haben, namentlich die Ab-
[127] theilung der Stollen und Abgeſaͤnge nicht geben und keine
Toͤnenamen anfuͤhren. Letzteres iſt z. B. in drei vaticaniſchen
Ms. (Nr. 350. 392 und 680.) 111) immer der Fall. Inzwi-
ſchen iſt hier deutlich manches erſt ſpaͤter uͤblich geworden, wie
z. B. das Beifuͤgen von Jahr und Tag vermuthlich erſt nach
Hans Sachs. Von den Toͤnen habe ich vorhin meine Meinung
geaͤußert, eben ſo verhaͤlt es ſich mit den Namen derſelben.
So bald ſie bei zugegebenen Meiſterliedern fehlen, kann es
nicht befremden, daß ſie auch nicht vor Minneliedern ſtehen.
Manches beruht auf zufaͤlliger Bequemlichkeit und Kenntniß
des Copiſten, oder dem Fleiß und den Koſten, die man auf
eine Abſchrift wenden ließ. So haben viele Meiſtergeſangbuͤ-
cher aus dem 17ten [Jahrhundert] Muſiknoten, andere wieder
nicht, warum hat ihrer alſo die ſorgſame Jenaiſche Handſchrift
ebenfalls, da ſie dagegen den meiſten andern abgehen? Warum
fuͤgen einige H. S. von Minneliedern die Namen der Dichter
hinzu (wie die Maneßiſche) und andere nicht? (z. B. die H. S.
der Leipz. Rathsbibl.); eben ſo halten es auch die H. S. ſpaͤ-
terer Meiſterlieder in ihrer aͤußeren Einrichtung.


VII.Geographiſche Ausbreitung.


Folgende Wahrnehmung verdient gleichfalls Erwaͤgung, be-
ſonders nach allem, was vorhergegangen. Es iſt bekannt, daß
die alten Meiſter aus Suͤddeutſchland hauptſaͤchlich aus Schwa-
[128] ben und Baiern 112) ſtammen, theils tiefer herunter aus
Oeſtreich, Steiermark und Schweiz, theils liefen Aeſte des
Geſanges den Rhein hinauf, in den Elſaß, nach Franken bis
nach Thuͤringen und Meißen. Bei dieſem unverkennbaren
Strich, den die Poeſie gehalten, kommen wenig einzelne und
ſpaͤtere nicht in Betracht, als wie Elias von der Leine, Reinolt
von Lippe, Wizlau, (bei dem auch in der Sprache deutliche
Vorneigung des niedern Dialects), zudem ſie derſelben Regel
folgend wohl ſogar dasſelbe Idiom beizubehalten ſtrebten.
Minder noch ſtehen einige Fuͤrſten entgegen, der von Bran-
denburg, Brabant, als welche gerne, wie haͤufig, fremde
Feinheit und Bildung vaterlaͤndiſcher Gewohnheit vorſetzten.
Den aͤlteſten Meiſter werfe ich mir ſelber ein, in deſſen Lie-
dern ſich kenntliche Spuren niederdeutſcher, niederrheiniſcher,
(Feldkirchen in der Grafſchaft Wied am Rhein?) Mundart er-
halten haben (wie auch bei dem ſpaͤtern eben gedachten Johann
von Brabant.) Allein wiſſen wir uͤber Veldecks Geburts- und
Lebensumſtaͤnde etwas gewiſſes, ſcheint er ſich nicht ſelbſt nach
Thuͤringen gewendet und in oberdeutſchem Dialect geſchrieben
zu haben? Denn warum hat ſich nicht ein einziges plattdeut-
ſches Ms. z. B. von ſeiner Eneidt erhalten? Und wo ſind
Sammlungen plattdeutſcher Minnelieder aufzuweiſen? Was
uns die Moͤſerſchen Fragmente liefern, ſtellt ſich nur zu deut-
lich als Uebertragungen aus dem ſchwaͤbiſchen Idiom dar, aus
dem manches unplattdeutſche beibehalten werden mußte 113).


Nun muß es ordentlich auffallen, wie der ſpaͤtere Mei-
ſtergeſang auf derſelben Linie des Bodens geblieben.


[129]

Im vierzehnten Jahrhundert bluͤht er zu Mainz, Straß-
burg, Colmar, Frankfurt 114), Wirzburg, Zwickau, Prag.
Im funfzehnten zu Nuͤrnberg, Augsburg 115). Im ſechszehn-
ten zu Regensburg, Ulm, Muͤnchen, Steiermark, Maͤhren,
(Iglau), Breslau, Goͤrliz bis nach Danzig. Im ſiebenzehnten
zu Memmingen, Baſel, Duͤnkelsſpiel. So unvollſtaͤndig dieſe
Angaben ausfallen, (an manchen Oertern mag er auch [fruͤher]
oder ſpaͤter in Aufnahme geweſen ſeyn, laͤnger oder kuͤrzer be-
ſtanden haben), ſo beweiſen ſie unleugbar im Allgemeinen. Die
Sitte des Geſangs blieb im Lande, wo ſie zuerſt entſprungen,
und da ſchlug ſie ihren Sitz auf, wo die Buͤrgerſchaft am
freieſten, kraͤftigſten wohnte, alſo in den ſuͤdlichen Reicheſtaͤdten.
Den Einwohnern der noͤrdlich gelegenen fiel etwas, wovon ſie
niemals geſehen noch gehoͤrt, nicht in Gedanken. Alles was
die Wanderungen der Handwerker, die aus dem Suͤden kamen,
oder aus dem Norden in jenen gezogen, bewirkten, war, ein-
zelne Liebhaber ihrem Geſang zu erwecken. Dieſe einzelnen
Ausnahmen aber genauer zu verfolgen, fehlt es an guten Nach-
weiſungen. So findet man Spuren, daß ſich in Heſſen Mei-
ſterſinger aufgehalten 116), ſo mag auch der bekannte Valen-
tin Vogt, ein Magdeburger, ſeine Kunſt aus Nuͤrnberg oder
Augsburg mitgebracht und fuͤr ſich allein getrieben haben.
Denn an Schulen, worauf es hier jetzt ankommt, iſt bei ſol-
chen Faͤllen nicht zu denken. Man zeige mir Meiſterſaͤngerſchu-
len in Sachſen 117), Niederſachſen, Weſtphalen, Pommern,
Meklenburg, Brandenburg u. a. m.


J
[130]

Da der Weinbau ſein eigenes Erdreich und eine beſondere
Luft und Sonne begehrt, ſo daß er ſchon die ganze Zeit in
Deutſchland ſeine alten Grenzen nicht uͤberſchritten hat, warum
ſoll ſich nicht auch eine Sitte, eine aͤußere Geſtalt der Poeſie
nur in einer urſpruͤnglichen Gegend fort aufhalten? Man er-
kennt zwei Nationen ihre eigenthuͤmliche Sprache und Land-
ſchaften ihren eigenen Dialect zu, und hart und auf einmal
ſchneidet die Grenze ab. So wie wir aber noch in heutigen
Mundarten auf Eigenthuͤmlichkeiten ſtoßen, die ein altes Ge-
dicht an ſich traͤgt und ihm ſomit ſein Vaterland ausmitteln,
ſo erkenne ich auch in der aͤußeren Stelle des ſpaͤten Meiſter-
ſangs ſeine innige Verbindung mit dem alten 118). Die Blu-
menſpiele zu Toulouſe, der letzte Reſt provenzaliſcher Poeſie
behielten ſich denſelben Ort, wo ſie vor Alters ſo lebhaft ge-
bluͤht hatte.


117)


[131]

Verhaͤltniß des Meiſterſangs
zu
der uͤbrigen altdeutſchen Poeſie
.


I.Zur Volkspoeſie.


Dieſes ſtellt ſich klar und einfach dar.


1. In wandernden Saͤngern erſcheint die Poeſie zuerſt allen
Laͤndern der Welt. Das Volk heiligt die Saͤnger, der Koͤnig
lohnt, die Helden treiben die Kunſt ſelber zu eigener Luſt 119)
und lernen das Fideln und Harfenſpiel. Denn Begleitung der
Inſtrumente ſcheint immer dabei geweſen zu ſeyn, obwohl ſich
einige bloß auf ſolche und andere bloß auf Geſang gelegt ha-
ben moͤgen. Alle halten ſich zuſammen 120), nach und nach
J 2
[132] ſinkt mit der Ehre ihres Standes dieſer ſelbſt herunter, als ſie
ſich durch Spiele, Mummereien und Gelage ein ſchlechtes 121),
verachtetes Leben angewoͤhnt. Dazwiſchen liegen freilich Jahr-
hunderte.


2) Der Meiſterſang bildete ſich aus der Sitte des Volks-
geſangs und bewahrte vieles davon, dennoch ſchied er ſich gleich
120)
[133] ſchon perſoͤnlich ab 122). Die Meiſter lebten an den Hoͤfen,
gleich den Spielleuten, aber ſie draͤngten dieſe faſt weg. Ge-
ſellſchaftliches behielten ſie auch von jenen bei. Andrerſeits
gingen ihre Weiſen von dem natuͤrlichen Princip aus, das
auch in dem Gewaͤchs der Volkspoeſie liegt, ſie aber trieben
es mit Abſicht und endlich toͤdtender Gewalt in alle Aeſte und
Zweige 123). Die Volkspoeſie iſt mithin wie im Leben, ſo
auch in ſich ſelbſt vom Meiſtergeſang geſchieden, beſtand jedoch
immer neben dem letztern und uͤberlebte ihn bei weitem. Die
alten Meiſter achten ſolche Saͤnger gering und moͤgen ihre
Mißgunſt ſogar auf den Gegenſtand alter Volksdichtung uͤber-
tragen haben 124), welche ſie baͤuriſch im Gegenſatz zu ihrer
hoͤflichen zu nennen pflegen 125).


[134]

3. Nach und nach, beſonders in der Letzte, zeigte ſich doch
wieder eine Annaͤherung beider. Die Volksſaͤnger ſuchten ſich
manche einfache Weiſe des Meiſtergeſangs anzueignen, und
dieſer fiel allmaͤlig ſo in den buͤrgerlichen, gemeinen Stand
herab, daß es ſchon aus dem Grund, in Ermangelung ande-
rer Kennzeichen, zweifelhaft ſeyn kann, ob ein befragtes Ge-
dicht von einem (um dann ſo zu ſagen) wirklichen Meiſter, oder
von einem Baͤnkelſaͤnger in Meiſterton gedichtet worden.


Meine Meinung kann hier nicht zweifelhaft ſeyn. Da ich
den Meiſtergeſang weſentlich in das Formelle ſetze, ſo halte
ich ein ſolches Lied auch dann fuͤr ein meiſterliches 126), wenn
es nicht aus der (damals geſchloſſenen) Geſellſchaft hervorge-
gangen, und auch dann, wenn der Volksdichter dem Ton einen
andern, gelaͤuſigeren Namen gegeben, wie haͤufig geſchehen.
Ja ſelbſt, wenn er die Weiſe etwas geaͤndert und nachlaͤſſig
gehandhabt hat, genug daß das Meiſterſaͤngeriſche vorherrſche.
Ein Meiſterſinger waͤre freilich dieſer Dichter zu der Zeit nicht
mehr, wo die Geſellſchaften buͤrgerlich beſtimmt und angeſtellt,
denn auch z. B. Valentin Vogt war kein eigentlicher, weil
ſich an ſeinem Aufenthalt keine Schule befunden 127).


[135]

Hier muß ich alſo noch von einigen beruͤhmten Toͤnen re-
den, denen wir gleichmaͤßig in den Verzeichniſſen der Meiſter-
ſaͤnger und der Volkspoeſie begegnen. Auf den Bremberger
habe ich gleich Anfangs aufmerkſam gemacht, wir finden in
der maneßiſchen Sammlung noch das Muſter, woran ſeine
ungetruͤbte Schoͤnheit erkannt werden mag, ſo wie ihn der
Erfinder aufgeſtellt. Den ſpaͤteren Namen verdankt er moͤglich
weniger dieſer Erfindung, als einem Lied, worin eine bekannte
Sage auf den altdeutſchen Meiſter, Reinmann von Brennen-
berg uͤbertragen und in deſſen eigenem Ton geſungen wird.
Unter den ſpaͤteren Meiſtern iſt der Ton auch nicht ganz ver-
geſſen, obgleich ſelten vorkommend, Hans Folz dichtete mehre-
res in des Prenbergers Ton und auch Benedict von Watt ci-
tirt ihn in ſeiner (handſchriftlichen) Sammlung von Meiſter-
geſaͤngen 128).


Ausgebreiteter war der Gebrauch zweier Weiſen, welche
die ſpaͤteren Meiſter beſtimmt dem Wolfram von Eſchenbach
zuſchreiben, ohne daß ſie ſich doch in den uns gebliebenen Lie-
dern desſelben nachweiſen laſſen (ſ. oben.) Die Hoͤnweis
iſt die Aufloͤſung des alten großen Nibelungenmaßes in acht
Zeilen, welche den meiſterſaͤngeriſchen Typus nicht eben her-
ausheben, wenn ſie gleich ihm nicht zuwider. Denn bis in
den ſpaͤteſten Schulen iſt die Weiſe beliebt und viel gebraucht
und wird in den Handſchriften nach Stollen und Abgeſang
127)
[136] regelmaͤßig abgetheilt 128b). In den Volksliedern erſcheint
ſie vielnamig, Bruder Veit, Benzenauer, Hildebrand, Ro-
land 129), Wilhelmus von Naſſauen u. ſ. w.


Faſt noch merkwuͤrdiger iſt die Flammweis, welche un-
ter ſpaͤtern Meiſtern nicht minder uͤblich, (ebenfalls von dem
Folz einige Lieder darin) aber doch noch bekannter unter dem
Namen: Herzog Ernſt oder Bernerton geworden iſt, weil die
Volksdichter ſich ſeiner gern zu erzaͤhlenden langen Liedern be-
dient haben. Sein hohes Alter wuͤrde geleugnet worden ſeyn,
wenn das Lied von Ecken Ausfahrt nicht ſchon in einer H. S.
des dreizehnten Jahrhunderts ſtuͤnde 130) Vielleicht, daß ſol-
che deutſche Volkslieder vor dieſer Zeit in der zwoͤlfreimigen
Strophenform, welche in altengliſcher und daͤniſcher Poeſie ſo
haͤufig vorkommt, abgefaßt und ſpaͤter in unſern Meiſterton
umgedichtet worden. Die ſechs erſten Zeilen konnte man naͤm-
lich ungeaͤndert laſſen, nur die zweite Haͤlfte ward zu einem
ſiebenzeiligen Abgeſang. Einiges, was dieſer Vermuthung zu
Huͤlfe kommt, werde ich anderswo mittheilen.


II.Erzaͤhlende und Spruchgedichte.


Verbindung der Poeſie mit Geſang iſt uralt und vermuth-
lich von Anfang her vorhanden; gleichwohl ſcheint man auch
ſchon in fruͤher Zeit laͤngere Erzaͤhlungen ohne dieſes Medium
[137] vorgetragen zu haben. Von einem Unterſchied zwiſchen Sin-
gen
und Sagen ſind daher die altdeutſchen Gedichte haͤufig
nachzuſehen, und verſtehen unter dem letzten Ausdruck das
bloße Sprechen oder Vorleſen, ohne daß dazu Muſik oder Ge-
ſang getreten waͤre 131). Es iſt nicht damit geſagt, daß man
ſich im letzten Fall der ungebundenen Rede bedient, welches
im Gegentheil fuͤr die meiſten Faͤlle unwahrſcheinlich, vielleicht
auch daß man gerade das, was man zu einer Zeit wirklich
ſang, zu einer andern bloß vorlas, wie die Nibelungen und
andere lange Lieder. Freilich die Minnelieder moͤgen beſtaͤndig
nur geſungen worden ſeyn, ſo wie man gewiß die kurzzeiligen
Gedichte, den Parcifal, Triſtan, oder die Spruͤche des Frei-
gedanks nie anders als leſend vorgetragen haben wird 132).
Ein merkwuͤrdiges Beiſpiel, dem ich kein deutſches beizufuͤgen
wuͤßte, wo man ſich abwechſelnd gebundener und ungebundener
Rede bediente, ſang und ſagte, liefert die zugleich ſchoͤnſte al-
ler altfranzoͤſiſchen Erzaͤhlungen, das Fabliau von Aucaßin
und Nicolette 133)


Das Wort gibt es ſchon, daß der Meiſter geſang bloß
fuͤr das Singen gemacht; wenn ich daher fruͤher die Vermu-
thung hinwarf, daß unſere Dichtkunſt auch auf laͤngere Ge-
dichte in kurzen unverſchraͤnkten Reimzeilen ihren Einfluß ge-
[138] zeigt haben koͤnne, ſo wollte ich damit nichts weniger thun,
als dieſe ſelbſt fuͤr Meiſterſaͤnge erklaͤren 134). Hans Sach-
ſens Schauſpiele ſind gewiß auch keine, ungeachtet darin
manche Spur der Meiſterſchule zu weiſen waͤre. Die Bemer.
kung gehoͤrte inzwiſchen gar nicht in unſere ſtreitige Frage-
Daß ich ferner literariſche Zeugniſſe fuͤr den Meiſterſang eben
in einigen ſolcher Gedichte gefunden hatte, iſt ſo wenig auf-
fallend, als wenn in der Comoͤdie von der Singſchule Nach-
richten daruͤber ſtehen. Es ſcheint gar nicht unmoͤglich, daß
Rudolf von Montfort ſelbſt kein Meiſterſinger war, (obſchon
es faſt nicht zu vermuthen,) und einige der von ihm genann-
ten Meiſter ſind auch deßhalb keine 135). Wir haben oben
die allgemeine Bedeutung dieſes Namens geſehen, in welcher
jeder Verfaſſer eines langen Gedichts ſein oder der Aventure
Meiſter heißen mag. Meiſter ſaͤnger wuͤrde man jedoch ſchwer-
lich fuͤr einen ſolchen gebraucht finden.


Der fruͤhere Meiſtergeſang war durchaus auf keinen Ge-
genſtand beſchraͤnkt, er konnte daher auch erzaͤhlende, lange
Gedichte umfaſſen, und hier waren ihm eigentlich wieder die
[139] ſtrophenmaͤßigen, ſingbaren Volksgedichte ein Vorbild geweſen.
Das iſt nun auch der Fall, und ſchon oben im Beiſpiel von
Wolframs Tyturel bewieſen. Ein wirklicher Meiſterſang, im-
gleichen der Loherangrin und einige andere.


Ob ein Lied von der Laͤnge dieſes Tyturels jemals vor-
oder ausgeſungen worden iſt, kann uns hier gleich gelten. Es
hat zu viel fuͤr ſich, daß man es mit den Nibelungen in der
That und fruͤher immer ſo gehalten, die einzelnen Abenteuer
boten die Ruhepuncte, womit man es etwa fuͤr einen Abend
bewenden ließ 136). Auch das bloße Leſen kurzzeiliger Ge-
dichte erforderte ſolche Abſchnitte, in deutſchen habe ich ſie ſel-
ten angedeutet gefunden, mehr in einigen altfranzoͤſiſchen 137).


Nicht anders verhaͤlt es ſich endlich mit den Spruchge-
dichten. Unſere Meiſter koͤnnen dergleichen gemacht haben und
thaten es von Conrad von Wirzburg bis auf Hans Sachs.
Aber Meiſterſaͤnge ſind das nicht 138). Vermuthlich hat es
auch bloße Spruchdichter gegeben, wie wir in dem Teichner
und ſpaͤter in dem Nuͤrnberger Wilhelm Weber ſehen. Dieſes
[140] letzte Beiſpiel wird hier entſcheidend. Ich bemerke noch, daß
Spruch zuerſt eine viel allgemeinere und gelaͤufigere Bedeutung
gehabt und manchmal das bezeichnet hat, was wir jetzo Phraſe
nennen, manchmal ein ganzes Lied. So erwaͤhnt Walter 1.
116. ſeiner freudenreichen und Werner 2. 162. ſeiner ſuͤßen,
Hadloub 2. 196. der loſen Spruͤche von der Minne, in wel-
chen drei Beiſpielen wir nichts anders als wirkliche Geſaͤnge
darunter verſtehen duͤrfen. Die Sitte ſpaͤterer Spruchdichter
ihren Namen jedesmal in den Schluß des Gedichts zu brin-
gen, treffe ich auch bei Minneſingern an (Hetzboldt 2. 18.
Neithart 2. 82. Conrad v. W. 2. 199.) ſehe darin aber keine
weitere Beziehung. Es iſt vielmehr eine der Volkspoeſie ei-
gene Wendung, die meiſtentheils gar unſchuldig und fein her-
auskommt. In dieſer zierlichen Art ſchließt Wildonie (1. 194.)
ein huͤbſches Lied recht anmuthig mit: ein Waldvoͤgelein hat
es vorgeſungen.


[141]

Beſtaͤtigung
durch
die Geſchichte ausheimiſcher Poeſie
.


Auf das alte Epos folgt uͤberall eine Poeſie, die ſtatt
aus dem Gemuͤth des Ganzen, aus dem des Einzelnen hervor-
quillt. Wie in unſerm Meiſtergeſang Kunſtpoeſie walte, habe
ich ſeither zu begruͤnden geſucht. Es kann gar nicht anders
ſeyn, als daß in den aͤlteſten Minneliedern nicht noch hin nnd
wieder Klaͤnge aus den alten epiſchen geblieben ſeyn ſollten 139),
jedoch iſt der Totaleindruck deutlich ein verſchiedener. Wir
hoͤren nicht mehr den ruhigen, gleichen Fluß einer hohen Ge-
ſchichte, wir fuͤhlen, daß dieſe Lieder Herzensergießungen ge-
worden ſind, in denen ſich die Seele eines einzigen Menſchen
ſeine Luſt uͤberdenkt, oder an ſeiner Trauer weidet. Dieſe
Individualitaͤt leuchtet auch aus dem ſpielenden Wohlgefallen
an Toͤnen und Farben hervor, gerade die Fom war ſo innig
und weſentlich, daß es daruͤber gar keinen Zweifel zu geben
ſchien. In dem Anſetzen und Feſthalten einer ſolchen Sitte
haben wir den einzigen Urſprung des Meiſtergeſangs gefunden
und gleichwie der Erfolg nur dadurch verſtaͤndlich, ſo macht
auch er jene Entſtehung erſt ganz gewiß; als die Poeſie im-
mer einen tiefſinnigeren, ernſteren Gang nahm, als ſie ihre
Schritte immer ſteifer und feſter that, da war ihr Ende laͤngſt
vorbereitet und die alleinige Herrſchaft des Foͤrmlichen mußte
[142] all ihre Kraft uͤberziehen und aufzehren. Der ewig lebendige
Volksgeſang ſtand als eigentlicher Gegenſatz des meiſterlichen
daneben.


Dieſe Anſicht muͤßte gleichwohl falſch ſeyn, wenn ſie nicht
auch auf die Geſchichte anderer Voͤlker angewendet werden
koͤnnte, nur iſt damit lange nicht geſagt, daß ſich bei irgend ei-
nem die beiden Erſcheinungen ſo rein geloͤſt und ſo gruͤndlich
ausgeſprochen haͤtten, als unter dem deutſchen Stamm. Es
ſteht außer allem Zweifel, daß die Franzoſen z. B. keine Hel-
denlieder, gleich unſeren, je gehabt, denn ſie wuͤrden ſich nicht
ganz ohne Spur verloren haben, und noch jetzo muͤßte dort
unter dem Ganzen des gemeinen Volks eine viel reichere Volks-
poeſie zuruͤckbleiben, als ſie angetroffen wird, ſo ungerecht es
wieder waͤre, ihnen einzelne Faͤlle 140) abſtreiten zu wollen.
Mehr indeſſen liegt es mir hier ob, darzuthun, daß auch aus-
laͤudiſche Kunſtpoeſie nirgendwo ſo eigenthuͤmlich gebluͤht und
gewurzelt habe, als auf unſerm Boden. Damit der Irrthum
verſchwinde, als ſey die deutſche gar aus fremder Quelle oder
Anregung entſprungen. Zu einer ſolchen Unterſuchung fehlen
freilich, ohne unſere Schuld, faſt alle Huͤlfsmittel, wodurch
die Darſtellung, indem ſie ſich auf das Einzelne einlaſſen
koͤnnte, anſchaulicher und ſicherer gehen wuͤrde. Wir haben je-
doch von der Zukunft alle Beſtaͤtigung einer ziemlich unzweifel-
haften Sache zu erwarten und wenig Widerlegung zu befuͤrch-
ten. Ich will hier keine vollſtaͤndige Anſicht der fremden Dicht-
kunſt geben, ſondern nur die Seiten ausheben, welche man
mit dem Characteriſtiſchen des Meiſtergeſangs fuͤglich zuſam-
men halten kann.


[143]

I.Provenzalen.


Zuerſt nun treten die Provenzaldichter auf, eine Poeſie,
von der wir nicht viel mehr wiſſen 141), als daß ihr Ge-
halt die nordfranzoͤſiſche weit uͤbertreffe, und bereits genug,
um zu muthmaßen, daß ſie an innerer Lebendigkeit und Fuͤlle
hinter unſerer deutſchen geblieben ſey. Ueber ihre Metrik ge-
ben uns einzelne bei Creſcimbeni, Noſtradam ꝛc. verſtreute
Fragmente leider keine vollſtaͤndige Auskunft. Mannichfaltig-
keit wird man auch ihnen zuſprechen muͤſſen, obwohl keine ſo
große, unerſchoͤpfliche, wie den Altdeutſchen. Die dreigliedrige
Structur finde ich in zwei Dritteln der mir vorgekommenen
Lieder hingegen nicht, und daß ſie in dem uͤbrigen da iſt, ver-
ſteht ſich beinahe von ſelbſt, ich habe vorhin ausgefuͤhrt, wie
natuͤrlich dieß Princip dem Geſang liegt 142). Ich kann mir
aber nicht einbilden, daß es bei ihnen bis zur Klarheit einer
unbewußten, und doch allgemein geachteten Regel durchgedrun-
gen ſey 143), vielmehr treffe ich eine andere unbedeutendere
[144] Kuͤnſtlichkeit, daß die Reime in zwei oder mehr Strophen
dieſelben bleiben, beſonders haͤufig an, welchen Fall man bei
deutſchen Dichtern wenig ſuchen duͤrſte 144).


Viel deutlicher reden provenzaliſche Sitte und Dichterge-
brauch. Es ſind zwar ebenfalls Hof- und Ritterdichter aus
allen Staͤnden, ſelbſt aus dem buͤrgerlichen 145) meiſt wieder
dem armen Adel, waͤhrend der reiche nur ſeine voruͤbergehende,
kurze Luſt damit hatte. Allein welche Verſchiedenheiten erge-
ben ſich in folgenden Puncten von aller deutſchen Gewohnheit.


1) Der Name troubadour, ſo wie das Zeitwort, dem er
entſpricht, trovar, fuͤr Dichter und Dichten ſind hoͤchſt be-
zeichnend, um die ritterlichen Saͤnger von den gemeinen des
Volks zu unterſcheiden. Dieſe Namen, oder eine Ueber-
ſetzung davon ſcheinen damals in Deutſchland unerhoͤrt 146),
143)
[145] fuͤr letztere wird man „Dichter“ am wenigſten nehmen, wel-
thes Wort ohnedem im 13ten Jahrh. nur ſparſam vorkommt,
(Gottfrieds Triſtan 4564. Conrads troj. Kr. anfangs. Canz-
ler 2. 238. anfangs), andererſeits aber ſchon weit aͤlter ſeyn
muß, (mehrmals bei Otfried und dictando imitari, bei Ros-
witha, in praefat.
und Docen Miſc. 1. 217. v. hantalot.) —
Dagegen findet ſich auch unſer: Meiſter nicht in der eigen-
thuͤmlichen Beziehung bei den Provenzalen, ſondern nur in all-
gemeinem Sinn 147). Man verwechſele mit mestro nicht das
messer, limouſ. mosèn, mein Herr, das aber auch wie im
Altdeutſchen gewoͤhnlich nichts als: Herr bedeutet 148).


2) Eben ſo wenig kennen wir Deutſchen die Namen der
Tenzonen und Sirventes, und unſer: Sang iſt gewiß keine
Verdeutſchung von: canzone oder chanson. Letztere ſind der
Sache nach natuͤrlich vorhanden; uͤber die Sirventes 149) weiß
man nicht einmal etwas zuverlaͤſſiges, waren ſie, wie es
ſcheint, hiſtoriſche Lieder zum Preis oder Tadel der Herren, ſo
haben ihrer die deutſchen Meiſter auch gedichtet, die nordiſchen
Scalden noch viel mehr. Unter Tenzonen aber denke ich nicht
an unſere Wettſtreite.


146)


K
[146]

3) Naͤmlich dieſe Tenzonen ſcheinen mit einer andern Ein-
richtung zuſammen zu haͤngen, die noch uͤber die Dichtkunſt
hinaus ins Leben des Ritterthums eingriff. Den Liebeshoͤfen,
bei aller Feinheit und Gemuͤthlichkeit liegt dennoch etwas fri-
voles, undeutſches bei, und nie iſt dergleichen in Deutſchland
aufgekommen. Der Deutſche ſang, man ſolle ihm ſein Herz
aufbrechen, ſo werde ſeiner Frauen Bild darin ſtehen, er ſuchte
lieber nach tauſend Gleichniſſen, um ſeine unſaͤgliche Liebe zu
benennen, als daß er daruͤber mit ſpitzfindigen Reden und Mei-
nungen entſchieden und damit alles zweifelhaft gemacht haͤtte 150).


Unſere alten Gedichte vermoͤgen die ſchiefe Vorſtellung zu
berichtigen, die man ſich von der Verehrung der Weiber im
Mittelalter gemacht und einige ſogar aus germaniſcher Wurzel
ableiten. Man leſe in den Nibelungen, wie weit ab von aus-
laͤndiſcher Galanterie rechte und wahre Ehre den Frauen gebo-
ten wird und wie aufrecht daneben alle andere Tugend ſtehet.
Die Helden ſchlagen den Weibern die Bitte ab, wo ſie der
ritterlichen Treue entgegen, Wolfdieterich hat es der geliebten
Kaiſerinn gar kein Hehl, daß er ihrer tauſend dahin gaͤbe fuͤr
ſeine gefangenen „eilef Dieneſtmann.“ In der Wendung: um
Gottes und der Frauen willen die uns geboren haben 151),
liegt einmal die religioͤſe Bedeutung, dann die Liebe zu der
Mutter; es wird indeſſen damit gar nicht geleugnet, daß die
Zeit der Minnepoeſie einen weicheren, beſonnenen Frauendienſt
gehabt oder hervorgebracht. Bekannt iſt, daß die Lieder vor
den Frauen, und ihrentwillen geſungen wurden, daß ſie den
Dichtern Lieder abverlangten 152) und die Minneſinger ſich
[147] als in ihrem Dienſt betrachteten und ihnen alle Begeiſterung
zur Kunſt beilegten 153).


4) Die freiere Sitte provenzaliſcher Damen vertrug es
nicht bloß, daß ſie an den Liebeshoͤfen richteten und Urtheil
ſprachen, ſondern daß ſie auch ſelber Lieder dichteten und oͤf-
fentlich ſangen 154). Wir hoͤren aber nie von einer Meiſte-
rinn, als wider alle deutſche Zucht 155). Da, wo im Dich-
ten eine eitele Urſache liegt, iſt ſchon ein Hauch auf die Rein-
heit der Poeſie gekommen, dieſe wohnet in den Frauen, al-
lein ſie ſollen ſie nicht oͤffentlich ausſprechen, ſo wenig als ſie
Krieg ziehen ſollen. In einigen Minneliedern, wo Wei-
ber reden, iſt es unzweifelhaft, daß ſie von dem Dichter ſelbſt
geſungen worden, unter deſſen Namen ſie ſtehen; man ver-
gleiche: Reinmar 1. 61. (ſt koment ꝛc.) 1. 81. (wa von ſolt ꝛc.)
Milon 1. 97. (ich han vernomen ꝛc.) Wachsmut 1. 178. (junc-
herre ꝛc.) Hartmann 1. 181. (ob man mit ꝛc.) 1. 183. (dis
weren ꝛc.) In andern ſind Geſpraͤche der Ritter mit ihren
Frauen, wie ſie wirklich vorgegangen ſeyn koͤnnen und die ſie
nachher in Gedichte verfaßten. Johansdorf 1. 176. (ich vant
ſi ꝛc.) Trosberg 2. 53. (willekomen ꝛc.) Steinmar 2. 108.
(du vil liebe ꝛc.) und das ſchoͤne Lied Hawarts 2. 111, wo die
Frau dem Ritter wohl Redegeſellinn ſeyn will, wenn es ihrer
Ehre nicht ſchade, und wo ſie ihm Fragen uͤber die Minne
thut, welche an aͤhnliche Stellen bei Lichtenſtein und im Ti-
turel erinnern. Am Schluß eines Geſangs des Hug von Wer-
K 2
[148] benwag (2. 49.) bekommt der Ritter von ſeiner Frau, die er
mit Klagen an Kaiſer und Koͤnig bedroht, den Beſcheid, er
ſolle doch lieber Minne nehmen als Recht. Eine Stelle, die
gerade alle Gedanken an cours d’amour widerlegt, wozu ſonſt
hier der Ort geweſen waͤre.


Die wohlbekannten Worte Kaiſer Heinrichs, der allen
und jeden auftraͤgt, Weib oder Mann, die ſeine Lieder ſaͤngen,
ſeine geliebte Frau zu gruͤßen, (wie ein Gebet durch den Mund
vieler gegangen beruhigende Kraft gewinnt) beweiſen nicht, daß
die Weiber zu den Saͤngern mitgehoͤrt, wohl aber, was ſich
verſteht, daß ſie die Lieder geſungen. So ſingt bei Stamheim
eine Jungfrau mit ihren Geſpielinnen ein Tanzlied vor 156).


Zur Noth finde ich einige ſpaͤte Meiſterſaͤngerinnen; Schil-
ter (v. Bardus) hat deutlich, daß in Straßburg Perſonen bei-
derlei Geſchlechts den Meiſterſang geliebt und getrieben haben
ſollen 157), vielleicht daß Witwen und alte Jungfrauen darin
eine gottesfuͤrchtige Uebung gefunden. Allein außerdem wuͤßte
man von dieſen nicht das geringſte und ſchwerlich haben die
wenigen ſich bei Fiſchart Raths erhohlt, welcher (Garg, cap.
28. fin.
) uͤber die Lage der Maͤnner ſcherzt, deren Frauen Mei-
ſtergeſang 158) ſingen wollen.


5) Es iſt wahrzunehmen, daß die meiſten Liebeshaͤndel der
Provenzalen mit allen beſtimmten Namen auf die Nachwelt
[149] gekommen ſind, wogegen die deutſchen Minneſaͤnger aber nie-
mals ihre Geliebten nennen. Was noch mehr, die Namenver-
ſteckerei 159) haͤtten ſie doch nachahmen koͤnnen, aber auch da-
von keine Spur. Dafuͤr liefert herumgedreht die auswaͤrtige
Poeſie keine Beiſpiele der allegoriſchen Dichternamen 160), die
in Deutſchland gebraͤuchlich geweſen und es alſo auch hier
ſcheint, der Deutſche habe mit ſeiner Kunſt geſpielt, der Pro-
venzal mit ſeiner Liebe.


6) Ein Hauptpunct iſt endlich der, daß in Italien und Pro-
venze eigene Verhaͤltniſſe zwiſchen den troubadours und jon-
gleurs
beſtanden, wovon wir nichts in Deutſchland wiſſen,
weder dem Namen, noch der Sache nach. Die jongleurs
waren entweder bloße Muſikanten oder zugleich Volksdichter 161),
die ſich von den Troubadurs zum Abſingen ihrer Lieder brau-
then ließen und zuweilen in deren Dienſt geſtanden haben muͤſ-
ſen, ja ſich zu der Wuͤrde eines Troubadours ſelbſt erheben
konnten 162). Manchmal moͤgen ſie ein beſonderes Gewerbe
getrieben haben, denn die Troubadours klagen uͤber ihre ganze
Claſſe. In Deutſchland waren nun auch Volksdichter neben
den Meiſtern, und es wird an ſchlechten, unberufenen Nach-
ſingern nicht gefehlt haben; allein daß dieſe niederen Saͤnger
von den andern, wie die Jonglenrs von den Troubadours waͤ-
ren gebraucht worden, duͤrfte ſich mit nichts darthun, zudem
gerade die ſogenannten envois in unſern Minneliedern fehlen.
Daß ſie aber zuweilen den Frauen uͤberſandt wurden durch
Boten, kommt vor beim Rotenburg 1. 34 a., Dietmar v. Aſt
1. 41. (ich bin ein ꝛc.) Reinmar 1. 71. (ſage das ich ꝛc.) von
[150] Huſen 1. 95. (lihte ein ꝛc.) Hartman 1. 180. (ſwes ſproͤide ꝛc.)
und 1. 182. (dir hat entboten ꝛc.) Auch vergl. Nithart 2. 73.
(nu gruͤnet ꝛc.) und beſonders den Taler 2. 100. 101. (kunzeli
bring mir ꝛc.), entweder weil der Dichter zu vornehm, oder zu
weit war, oder ſich ſonſt geheim halten mußte. S. Walter 1.
103. (Bote ſage dem Kaiſer ꝛc.) Vielleicht uͤbernahmen oͤfters
die Freunde den Geſangbotendienſt, cf. Hug v. Werbenw. 2. 49.


Wird aber eine Dichtkunſt aus einem Land in ein anderes
fortgepflanzt, ſo muß man annehmen, daß ſie mit all ihren
Individualitaͤten und Namen uͤbergehe, voraus in den empfaͤng-
lichen Zeiten des 12. u. 13. Jahrh. Ich habe nur auf Eigenhei-
ten der provenzaliſchen Poeſie, die der Zeit nach die aͤltere iſt,
gewieſen und gezeigt, daß ſie nicht in Deutſchland exiſtirt ha-
ben, folglich nicht dahin angefuͤhrt ſind. Es ließe ſich auch aus
vielem Eigenthuͤmlichen deutſcher Dichtkunſt, das ſich nicht in
Provenze zeigt, ein gleicher Schluß machen, was ich hier nicht
ausfuͤhren mag. Nur eines Puncts muß ich noch gedenken, der
oben S. 96. angefuͤhrten Stelle von den approvatori, die wir am
Hof zu Po im 13ten Jahrh. erblicken. Eine Uebereinſtimmung,
welche, wie ich glaube, aus dem damals in ganz Europa bluͤhen-
den Ritterweſen erlaͤutert werden muß; die Sitte der Turniere,
die Richter, welche auf das Benehmen der Kaͤmpfer achteten
und Preiſe zuſprachen, wurde auf jede Poeſie uͤbertragen, die
unter dem Einfluß der Hoͤfe und des Ritterthums ſtand 163).


Daß die Troubadours eine gewiſſe Claſſe bildeten und ihre
Regeln hielten 164), iſt eben ſo ſicher, wie bei den Minneſaͤngern,
[151] warum ſoll man aber die deutſche Poeſie aus einem fremden
Samen aufgehen laſſen, da ſie ſo kraftvoll iſt, daß ſie von
Anfang bis zu Ende nur ein eigenthuͤmliches Ganze gebildet
haben kann? 165)


Es iſt hingegen ausgemacht, daß den deutſchen Meiſtern
manche erzaͤhlende große Gedichte der Provenzalen zukamen und
uͤberſetzt wurden und unſere Dichtkunſt in ſofern weit mehr
mit der provenzaliſchen als nordfranzoͤſiſchen zuſammen ſtehet.
Selbſt einzelne Liebeslieder moͤgen gekannt worden ſeyn,
Bodmer hat eine ganz unleugbare Nachahmung oder Ueber-
ſetzung wirklich nachgewieſen, die ſich unter den Liedern eines
ſchweizeriſchen Dichters, des Rudolf von Neuenburg findet.
Das iſt nun eine im Ganzen gleichguͤltige Ausnahme; mit
dem Verkehr der Laͤnder konnte ſich auch die Poeſie beruͤhren,
ohne daß dadurch der Eigenthuͤmlichkeit der einen oder der an-
deren abgebrochen waͤre, geſchweige, daß ſie ſich aus aͤhnlichen
Zufaͤllen geſtaltet haͤtte. Sehr intereſſant, der Form wegen,
muͤßte hier eine Vergleichung des Originals von Folquet von
Marſeille ſeyn. Damals konnte ſich der Saͤnger aus fremden
Gedanken, und ſelbſt Worten dennoch ein ganz eigenthuͤmliches
Lied erſchaffen. Denke man an die Menge der lieblichſten
Waͤchterlieder in der Maneß. S., wo die einfachſten faſt im-
mer gegebenen Ideen faſt immer anders und gar herrlich ge-
164)
[152] wendet find; und wer will z. B. entſcheiden, ob der von
Wißenlo (2. 97.) oder von Winterſteten (b. Benecke Nr. XIV.)
fuͤßer geſungen hat? ſo gewiß der eine dem andern die bei-
den erſten Zeilen abgehoͤrt haben muß.


Von der ſpaͤteren Dichtkunſt in Provenze iſt wenig vor-
handen, in Italien verdraͤngte ſeit Dante, Boccaccio und
Petrarch der Reiz einer gebildeten Mundart bald die alte und
damit die Luſt zu alter Poeſie. Laͤnger ſcheint man in dem
franzoͤſiſchen Theil daran gehalten zu haben. Zu Toulouſe ent-
ſtand im erſten Viertel des 14ten Jahrh. eine poetiſche Geſell-
ſchaft, ſich alle Jahr im Mai verſammelnd und goldne und ſil-
berne Blumen fuͤr den Sieger im Geſang ausſetzend. Sie-
ben 166) Mantenedors (Unternehmer) ſtanden der Geſellſchaft
vor und waͤhlten unter ſich einen Canzler und einen Secretair,
ſo viel ich weiß, ſind aber die Regeln, welche dieſe aufſetzten,
nie bekannt gemacht worden. Da ſie loix d’amour hießen,
ſo widerſpricht das einer andern Angabe, die zu beſingenden
Gegenſtaͤnde ſeyen auf die Ehre Gottes, der Jungfrau oder
der Heiligen beſchraͤnkt geweſen. Das ſcheint man wenigſtens
aufgegeben zu haben, wie ſchon der bekannte (jedoch viel aͤl-
tere) Name der gaie science167) andeutet; um Glied der
Geſellſchaft zu werden, mußte man den ordentlichen Grad ei-
nes docteur et maître dans le gai sçavoir erlangt haben.
Im Jahr 1356. nahm die Geſellſchaft den Namen collège de
rhétorique
an, wurde 1694. vom Koͤnig beſtaͤtigt 168) und
[153] dauert als academie des jeux floraux noch gegenwaͤrtig, ohne
Zweifel, ſo wie ſie angefangen, in wahrer Unpoeſie fort.


Unſern Meiſtergeſang wird niemand mit dieſer Anſtalt in
Verbindung ſetzen, welche ſelbſt mit den aͤlteſten Troubadours
zuſammenhaͤngt, und auf einige andere auswaͤrtige Inſtitute
ihrerſeits gewirkt hat.


Im 15ten und 16ten Jahrhundert bildeten ſich in Italien
eine Menge poetiſcher Geſellſchaften unter ſchrecklichen Namen 169),
deren Treiben man nicht erſt weiter zu kennen braucht, um zu
urtheilen, daß ſie ohne allen inneren Geiſt aus einer verkehr-
ten Anmaßung entſprungen waren. An ihrem ſchlechten An-
fang muß man ihnen ſchon die kurze Dauer anſehen (unaͤhnlich
dem gleichzeitigen Meiſterſang, der das Aufglimmen einer al-
ten Flamme war), und ſie wurden nicht einmal mit der Gruͤnd-
lichkeit getrieben, die bei der fruchtbringenden Geſellſchaft und
dem Blumenorden (ſicher mehr als jener auswaͤrtig entlehnt) in
Deutſchland doch einige Lebensſpuren hinterlaſſen zu haben ſcheint.


II.Franzoſen.


Eine Betrachtung der altfranzoͤſiſchen Poeſie in Beziehung
auf unſern Meiſtergeſang kann weit kuͤrzer ſeyn, theils weil
der Abſtand um vieles gewiſſer, theils manches von den Pro-
venzalen geradezu uͤbergegangen war 170). Auch hier finden
wir Trouveurs, obwohl keine oder wenig tensons und sirven-
tes
und der chansons uͤberhaupt ſind wenig gegenuͤber der
ungeheueren Zahl von Reimen in erzaͤhlenden Gedichten. Auch
koͤnnen einige Dichterinnen aufgezaͤhlt werden.


[154]

Was die Formen betrifft, ſo waͤre das vorige zu wieder-
hohlen; bei Thibault von Navarra, ohne Bedenken dem beſten
Saͤnger in der langue d’oeil, zeigen ſich mannichfaltige Wei-
ſen, von denen einige, und ſehr viele nicht zur Anlage des
deutſchen Meiſtergeſangs paſſen. Unter andern hat er ſchon
foͤrmliche Octaven. Das Wort maitre fuͤhren einige Dichter
vor ihren Namen, da ſie aber keine der beruͤhmten ſind, ſo
mag es hier auf ein Gewerbe oder einen andern Zuſtand, nicht
aber ihre Dichtkunſt bezogen werden. In den Gedichten ſelbſt
habe ich nach einer ſolchen ſpeciellen Beziehung vergebens ge-
ſucht. Zu bemerken iſt, daß ein Paar normaͤnniſche Dichter
(Adenez, Huon) den Beinamen roi haben, wie das in der
Volkspoeſie uͤblich; etwas naͤheres uͤber die eigentliche Bedeu-
tung des Titels erfaͤhrt man von den franzoͤſiſchen Literatoren
nicht, die ſich ſogar noch beſinnen, ob er nicht aus dem Amt
eines Wappenkoͤnigs zu erlaͤutern ſey. Man kann alle Ge-
danken an irgend eine bedeutende Einwirkung der nordfranzoͤſ.
Poeſie auf unſere altdeutſche fahren laſſen. Ich weiß zwar,
daß Walter von Metz ſogar beiden Nationen und Sprachen
angehoͤrt haben ſoll und daß Eſchenbach den Chriſtian von Troyes
gekannt hat, obwohl er ihn bloß nennt, um ihn zu tadeln 171).
Niemals aber ſind die eigentlich beruͤhmten franzoͤſiſchen Ge-
dichte von uns uͤberfetzt, z. B. der Roman von der Roſe und
beſonders die vielen von Charlemagne, nie iſt die ſo beliebte
Reimform der erzaͤhlenden Gedichte, die langen Alexandriner,
deren eine (unbeſtimmte) Menge einen einzigen Reim hat, nach-
geahmt worden. Dieſe Form allein gibt ſchon einen rechten
Gegenſatz zu der deutſchen, in welcher der Reim auf der Wur-
zel des Wortes ruht, nicht wie in jener ganz unbedeutſam
und aͤußerlich auf der Biegung. Gegen die Mitte des 14ten
Jahrh. ſcheint auch in Frankreich die Mannichfaltigkeit der Lie-
[155] derformen außer Gebrauch zu kommen oder von einzelnen be-
ſtimmten verdraͤngt zu werden. Man hoͤrt ſeitdem nur noch
von chants royaux, ballades, rondeaux, lais und virelais.
In den ballades, wobei man nicht mehr an die anfaͤngliche
Idee von Tanz denken darf, iſt faſt immer einige Abweichung,
Cretins ſeine ſind achtreimig und mithin von den italieniſchen
verſchieden; bei Faifeu haben ſie zehn Reime. Allein weder
in ihnen noch den funfzehnzeiligen Rondeaux iſt meiſterſaͤnge-
riſche Structur.


Die Hauptkuͤnſtlichkeit des chant royal (etwa auf obiges
Beiwort roi hindeutend?), und man muß gerade ſagen, eine
toͤdtende, beruht darauf, daß in allen Strophen dieſelben
Reime ſeyn muͤſſen. Die einzelnen Strophen ſind von zehn,
bei Marot eilf Zeilen, ſo daß die letzte immer einen Refrain
macht, am Schluß des Ganzen kommt ein beſonderes renvoi
dazu, ſonſt koͤnnten hier die vier erſten Zeilen die Stollen das
uͤbrige den Abgeſang abgeben.


Auf einfachere Weiſe ſtoͤßt man ſeltner, in Molinets be-
kannter Reimchronik hat der Ton einen Anklang von dem
Hildebrandston, welcher indeſſen ſo nahe liegt, daß ihn Opiz
in ſeinem ſchoͤnen Lied: iſt irgend zu erfragen ꝛc. auch von
neuem erfunden hat. Die franzoͤſiſchen Dichter nannten ſich
damals gern fatistes (Sprecher von φατιζειν); es ſind unter
ihnen wohl fruͤher oder ſpaͤter, gleichwie die Liebeshoͤfe ins
noͤrdliche Frankreich uͤbergingen auch die Blumenſpiele oder doch
rhetoriſche Geſellſchaften in Gebrauch gekommen.


Die Geſchichte aller ihrer Foͤrmlichkeiten 172) ermuͤdet,
indem ſie an ſich ohne Leben, auf kein fruͤheres hinweiſen.


[156]

III.Niederlaͤnder.


Dennoch verdienen die Niederlaͤnder, die es im Fache lee-
rer Kuͤnſtlichkeit ebenfalls ſehr weit gebracht haben, eine um-
ſtaͤndlichere Erwaͤhnung, weil man aus Zufaͤlligkeiten eine
Uebereinſtimmung mit Deutſchland gemuthmaßt hat, und ſolche
bei einem aus uns hergeſtammten Volk allerdings eher ſuchen
ſollte. Schon einige Schriftſteller haben geaͤußert, daß die
ſeit Jahrhunderten in den Niederlanden gewoͤhnlichen Retho-
riker
, oder wie ſie ſich auch ſelber nennen, Rederyker,
mit den Meiſterſaͤngern verwandt waͤren. Auffallender muß
das ſcheinen, da unſere Minneſaͤnger einigemal das Wort
„Redereiche“ und in einem Zuſammenhang gebrauchen, der es
leidet, auf jene Wahrnehmung bezogen zu werden. Die deut-
lichſte Stelle waͤre die bei Walter 1. 105, ſo wie auch Gott-
fried den Veldeck ſinnig und rederich nennt (Tr. 4605.) Dieſe
Meinung hat einigen Schein, ich habe ſie aber aus folgenden
Gruͤnden verworfen:


1) Die Biegung des Worts ſtreitet entgegen, welches der
Analogie gemaͤß in der Mehrzahl rederyke und nicht rederyker
bilden mußte, da man doch letzteres allgemein ſagt. Dazu
iſt rederyker der ſpaͤtere, ungebraͤuchlichere Ausdruck, fuͤr den
haͤufigſten: „rethoriker“, einigemal: „rethroſynen“ — alſo ver-
dient die Herleitung der beiden Formen aus rhetoriques oder
rhetoriciens unbedingten Vorzug, obgleich man bei der erſten
Entſtellung recht gut an den zufaͤllig aͤhnlichen Begriff von
Wohlredend (redenryk) gedacht haben kann.


2) Ueber den Urſprung der Geſellſchaft finden die hollaͤndi-
ſchen Literatoren 173), daß der Name erſt im 15ten Jahrh.
[157] vorkomme und nicht fruͤher. Auf des beruͤhmten Dichters
Maerlant (†. 1300.) Grabſchrift ſtehe zwar rhetor, allein
der Stein koͤnne juͤnger ſeyn, die Kammer zu Dieſt ſey zwar
ſchon angeblich 1302. geſtiftet, aber unter dem Namen colle-
gium poëticum
174). Anfangs ſcheint ihr Sitz und Glanz
in Flamland geweſen zu ſeyn. Fuͤrſten waren ihre Mitglieder,
wie Jan von Brabant (nicht unſer Johans v. Br.) der Cammer
in Bruͤſſel, Wilhelm von Oranien der zu Antwerpen; und viele
Adliche. Spaͤter hingegen zogen ſie ſich mehr ins eigentliche
Holland und mehrten ſich außerordentlich. Im 18ten Jahrh.
ſanken ſie zuſehends und mußten aus den Staͤdten in die Doͤr-
fer wandern, ſie wurden zuletzt (was ſie fruͤher nie geweſen wa-
ren) faſt ganz volksmaͤßig, indem ſie ſtatt der Toneel- nun Wa-
genſpiele in Wirthshaͤuſern und bei oͤffentlichen Feſten auffuͤhr-
ten. Zu Kops Zeiten exiſtirten aber noch in Flandern und
Holland eigentliche Kammern.


3) Die Einrichtung der Geſellſchaft entſcheidet voͤllig. Vorerſt
heißt ſie Cammer (chambre) und waͤhlt, um ſich von andern
zu unterſcheiden, einen Blumennamen nebſt einem Sinnſpruch.
An einem Ort koͤnnen zugleich 2, 3, 4 und mehr Cammern ſeyn
und gehen einander nichts an. Unter den Gliedern findet ein
gewiſſer Rang und Dienſt ſtatt, das vornehmſte heißt Kaiſer,
dann folgen Prinzen, Decane, Finder (vinder), Factoren,
Macher 175), Zuſteller. Wenn nun eine Cammer eine Frage
[158] ausſetzt 176), und zugleich einen Preis (hieß juweel) fuͤr den
beſten Beantworter, ſo ſchickt ſie an benachbarte Cammern
aus, damit ſie concurriren. Die Verſammlung ſelbſt iſt ſehr
auf aͤußerlichen Prunk berechnet, daher Proceſſionen, ſogar
eigene Narren, den Zuſchauern zur Luſt. Nicht ganz deutlich
iſt mir, ob bei jeder Zuſammenkunft Toneelſpiele von den Rhe-
torikern gegeben wurden, und ob ſie etwa auch ohne vorgelegte
Frage die letzteren geben konnten. Gewiß aber, daß dieſes
Schauſpielen die hauptſaͤchlichſte Beſchaͤftigung der ganzen Ge-
ſellſchaft war, am meiſten einwirkte und ſich auch zulaͤngſt er-
halten hat, wie ſich ſchon volksmaͤßig Spiel und Sang verbinden.


4) Was ihre Reimkunſt betrifft, ſo hat daruͤber Matthys
de Castelein
177) in der Mitte des 16ten Jahrh. ein eigenes
Werk geſchrieben, das ich nicht eingeſehen habe; ſo viel er-
hellt, ſie ſingen in gewiſſen, gegebenen Formen, welche Bal-
laden, Rondeel, Retrograden (vor- und ruͤckwaͤrts Sinn ge-
bend) Referein ꝛc. hießen, und wovon die erſteren zwar ge-
ſungen, die Referein 178) aber bloß geſprochen wurden. Laͤ-
cherlich ſind ihre Kniegedichte, die binnen angeſetzter Zeit auf
dem Knie, ohne Tiſch und Stuhl fertig werden mußten. In
den Toneelſpielen ſcheint oft eine ganz unkuͤnſtliche Form beob-
achtet worden zu ſeyn.


5) Alles das beſtaͤtigt, was ſchon der Name zeigt, daß ſie
Nachahmung und Uebertragung franzoͤſiſcher Sitte 179) ſind,
[159] den Ausdruck trouveur ſehen wir hier deutlich uͤberſetzt. Die
Blumennamen deuten auf die jeux floraux, um ſo mehr, da
die Preiſe nicht in Blumen, ſondern in reellen Silberſchalen
und Kannen beſtanden. Auf das Schauſpielen haben unſtrei-
tig die franzoͤſ. Geſellſchaften de la passion und die enfans
sans souci
eingefloſſen. Wenig erinnert dabei an den gleich-
zeitigen deutſchen Meiſtergeſang. Dieſer weiß von keinen Preis-
aufgaben, was er bekraͤnzt ſind neue, gebilligte und recht ge-
ſungene Toͤne, der Gegenſtand iſt in des Saͤngers Wahl 180),
wofern er fromm und tugendhaft. Alle Saͤnger eines Orts
halten ſich zuſammen, haben nur eine Schule, außer den Mer-
kern (und etwa den zwoͤlf Meiſtern), keine Vorgeſetzte; uͤber-
haupt kennt der Meiſtergeſang nichts von den angefuͤhrten Ter-
minologien, ſo wie die Rhetoriker keine meiſterſaͤngeriſche, na-
mentlich keine Toͤnenamen. Die Feierlichkeit der Meiſterſchulen
geſchah ehrbar aber einfach, an Proceſſionen und Narren kein
Gedanke und eben ſo wenig an Schauſpiele. Die Faſtnachts-
ſpiele, welche Hans Sachs, Peter Probſt von Nuͤrnberg, Se-
baſtian Wild von Augsburg, Wickram von Colmar und wohl
noch andere Meiſterſinger gedichtet, waren bekanntlich keine
Meiſterſaͤnge, und was Hauptſache, wurden nie von der Ge-
ſellſchaft aufgefuͤhrt 181). Die Kunſt des Meiſtergeſangs war
in der letzten Periode nicht mehr ſo ſchwer, allein die Auf-
nahme in eine Rhetorikcammer muß gar nichts geweſen ſeyn.
179)
[160] Vermuthlich gab es in ganz Deutſchland von Anfang bis zu
Ende nicht ſo viel Meiſter, als in dem verhaͤltnißmaͤßig klei-
nen Bezirk der Niederlande zugleich auf einmal Rhetoriker. Im
Jahr 1561. kamen ihrer bloß aus eilf Staͤdten 1473 zu Pferd
nach Antwerpen geritten; ſpaͤter muß es noch zugenommen
haben, indem Kops, nicht einmal vollſtaͤndige, Liſte 200 Cam-
mern namhaft macht.


Zum Ueberfluß, daß eine Reimanſtalt, die nur in einigen
Luſtſpielen an das Poetiſche ſtreifte, nicht aus unſerer Mitte
gekommen iſt, beweiſe ich damit: wie unſer Meiſtergeſang
nicht im noͤrdlichen, Holland angrenzenden, Deutſchland gefun-
den wird, ſo haben andererſeits die an uns liegenden Provinzen
Geldern und Friesland keine Rhetoriker gehabt, welche auf
Holland, Seeland und Brabant eingeſchraͤnkt blieben.


IV.Norden.


Eine erfreulichere und in allem gleich den kraftvollen Ur-
ſprung verrathende Kunſtpoeſie iſt in Scandinavien. Wir er-
kennen, wie in Deutſchland, ein gleiches Verhaͤltniß zu der
daneben beſtehenden Volkspoeſie, und duͤrfen es auch hiſtoriſch
faſt eben ſo erklaͤren. Die ſpaͤteren Sagas unterſcheiden ge-
nau die „leikara, harpara, gigiara und fithlara“ 182) von
den kunſtdichtenden Scalden 183), die auch hier an den Hoͤfen
[161] das Uebergewicht erlangten. An einen Zuſammenhang, oder
nur Einfluß ihrer Kunſt auf den altdeutſchen Meiſterſang iſt
aber nicht zu glauben.


1) In der nordiſchen uralten wie in der Scaldenpoeſie gilt
die Alliteration 184) herrſchend und unſere Reime fehlen. Erſt
L
[162] ſpaͤter wurden auch letztere noch dazu eingefuͤhrt 185), ohne
daß ſie in das Syſtem der Alliteration eingriffen. In dieſem
ſelbſt habe ich zwar oben (S. 42.) eine aͤhnliche Trilogie nach-
gewieſen, wobei indeſſen ſchon der Umſtand einen eharacteriſti-
ſchen Unterſchied gibt, daß hier eigentlich jede Strophe aus
zwei gleichen Theilen beſteht, folglich in jeder Haͤlfte das drei-
fache vorkommt. Mithin zeigt es ſich auch immer ganz noch
beiſammen, liegt im Einzelnen innerlich, und nicht wie beim
Meiſtergeſang im Ganzen, wo es das Strophenverhaͤltniß
ſelbſt bildet.


2) Der nordiſche Reim 186) hat die Eigenthuͤmlichkeit, daß
er die Vocale fuͤr gleichbedeutend nimmt und nur Einklang
184)
[163] der umſtehenden Mitlauter verlangt. Ob er gleich hierin mit
dem Princip der Alliteration zuſammenfaͤllt, ſo greift er den-
noch nie in dieſe ſelbſt ein, Reim und Alliteration ſtehen ne-
ben einander, in denſelben Worten oder nicht 187).


3) Die Alliteration iſt der innern Freiheit ungeachtet, wieder
etwas ſtetiges, und fordert, wie geſagt, Naͤhe, weil ſie ſonſt
verhallen und nichts wirken wuͤrde. Eben dieſe Eigenſchaft hat
auch der Reim in der nordiſchen Poeſie angenommen. Daher
iſt kein Verſchraͤnken oder Ueberſchlagen thunlich, weder im
Syſtem der Alliteration, noch der Reime 188).


4) Das iſt zugleich mit Grund, warum die Scalden auch
in Mannichfaltigkeit ihrer Weiſen hinter den Deutſchen zu blei-
ben ſcheinen. Worm und Olavius haben es fuͤr die aͤltere
Zeit weit uͤbertrieben, daß 136 Veraͤnderungen im Silbenmaaß
ſtatt gefunden haͤtten. Die reine Alliteration litt faſt gar
keine, bloß durch die Silbenzahl kam eine Abwechſelung hinein.
Als aber in der Form Runhend die Reime hinzu traten, und in
Drott- und Togmaͤllt, (Koͤnigs- und Herzogsweiſe?) ſo zu
ſagen, die Alliteration auf den Reim angewendet wurde, oͤff-
186)
L 2
[164] nete ſich der Kuͤnſtlichkeit ein weiterer Platz, doch immer in
aͤußerlich ſehr engen Kreiſen. Durchaus nothwendig mußte
faſt alle Kuͤnſtlichkeit in der Scaldenpoeſie augenblicklich in
leere Geſuchtheit uͤbergehen, waͤhrend in unſern Minneliedern
die Kunſt ſo frei und fließend bleibt, daß ſie ganz uͤberſehen
werden kann.


5) In der Terminologie der Scaldenkunſt verglichen mit
unſerm Meiſtergeſang findet ſich beinahe gar keine Beruͤhrung.
So wie wir den Namen Scalde, oder einen gleichlautenden
nicht kennen 189), weiß man dort nichts von unſern Meiſtern.
Von den drei Rimmaͤrker heißt der erſte Hofudſtafur, die zwei
andern Studlar (Stuͤtzen). Das erinnert freilich an unſere
Stollen, aber auch an das lateiniſche Wort pes, denn im
Gang 190) aller Terminologie iſt eine gewiſſe Verwandtſchaft
nicht zu verkennen Allein eine unmittelbare zwiſchen unſerm
Stoll und dem ſcandinaviſchen Studull iſt ſchon um deswillen
[165] nicht anzunehmen, weil letztere Benennung ſich bloß auf die
einzelnen Buchſtaben, nicht auf ganze Saͤtze bezieht. Eine
auffallendere Aehnlichkeit liegt auch in dem haͤufigen Wort:
„yrkia“ 191) fuͤr dichten, mit unſerm deutſchen „wirken“, das
in demſelben Sinn bei den aͤlteren Meiſtern oftmals ſteht,
aber auch in aͤhnlichen ſchon bei Otfried cap. 1. v. 87.


6) Was die perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe der Scalden betrifft, ſo
fehlt es zwar an genauer Nachricht 192). Zu bezweifeln ſteht es
kaum, daß bei der Genoſſenſchaft in der Kunſt auch eine im
Leben ſtatt gefunden habe. Wir wiſſen, daß ſie haͤufig von einem
Hof zum andern wanderten, ſie recitirten ihre Geſaͤnge oͤffentlich
bei Feſten und Gaſtmahlen 193), und gewoͤhnlich waren es nur
eigene, doch konnte einer auch von ſeinem Freunde dazu beauf-
tragt ſeyn. Der Stand ſchien hoͤchſt ehrenvoll, ſie ruͤhmen ſich
gleich den deutſchen Lobmeiſtern 194), ſtets der Wahrheit tren
[166] zu bleiben in ihrem Verhaͤltniß zu den Fuͤrſten. Um ein Sealde
zu ſeyn, war außer der foͤrmlichen Verskunſt auch eine Kennt-
niß der Mythologie und poetiſchen Sprache erforderlich, welche
wir uns indeſſen nicht ſo ſchwer, ſondern als allgemeiner ver-
breitet, vorſtellen muͤſſen.


7) Ich glaube, daß die Alliteration urſpruͤnalich ihren Sitz
in der ganzen Poeſie des deutſchen Sprachſtammes gehabt
hat 195). Zur Zeit des Meiſtergeſangs aber muͤſſen in Deutſch-
land ſelbſt bereits alle Spuren verloren geweſen ſeyn, weil
ſonſt die Dichter mit Vergnuͤgen ein neues Mittel zu neuer
Kuͤnſtlichkeit gebraucht haben wuͤrden. Das Alte war vergeſ-
ſen, die aͤußerliche Verbindung mit dem Norden gering, den
ſuͤddeutſchen Dichtern ſelbſt die Mundart zu weit abgelegen,
daher auch der oben (S 54 ff.) abgehandelte anomale Fall am
wenigſten aus einer directen Nachahmung nordiſcher Weiſe
verſtanden werden darf. Rumelant (CCCXXXIII.) erwaͤhnt
eines Singers Harald, der aus Spott die boͤſen Herren ge-
lobt und die guten geſcholten habe, ſo daß man gleich gewußt,
was von einem Lob in Haralds Ton zu halten ſey, naͤmlich
das Gegentheil. Wenn hiermit dentlich auf einen Scalden
gezielt wird, obgleich ich keinen dieſes Namens aufgezeichnet
194)
[167] finde 196), ſo kann der deutſche Meiſter recht gut die Sache
von Hoͤrenſagen 197) wiſſen, ohne daß er je ſcaldiſche Lieder
zu Geſicht bekommen. In der Sitte ſelbſt, in den Lobliedern
auf die Herren, zeigt ſich freilich auch eine Uebereinſtimmung
mit deutſcher Dichtkunſt, nur daß die Scalden wieder das
weit mehr ins Große, ja als ihr eigentliches Amt trieben, und
die Thaten der Fuͤrſten, welchen ſie dienten, in ausgeſuchte
Worte faßten. Was ſie dadurch an hiſtoriſchem Intereſſe ge-
winnen, iſt wenig zu rechnen gegen das, was ſie an wahrer
Poeſie einbuͤßten. Liebeslieder, womit doch in Deutſchland al-
ler Meiſtergeſang entſprang, unbefangene Klagen uͤber den Zu-
ſtand ihres Gemuͤths findet man bei ihnen faſt nicht 198),
ſelbſt die alten nordiſchen Heldenſagen wurden nicht geſungen.
[168] Sie lebten der Gegenwart und den Thaten der Zeitgenoſſen 199),
und daher kommt auch der Verfall ihrer Kunſt. Als die Tha-
ten abnahmen, nahm die Kuͤnſtelei immer zu, bis daß die
Saͤnger endlich an den Hoͤfen nicht mehr geliebt waren. Selbſt
durch ihr Schickſal erinnert alſo die Scaldenpoeſie aͤußerlich
an den Meiſtergeſang, ohne daß ſie jedoch gleich dieſem in den
buͤrgerlichen Stand niederſchlug. Vielmehr ſind es faſt Ge-
lehrte aus den beſſeren Staͤnden, welche ſich noch nachher, bis
in unſere Zeiten, damit beſchaͤftigten.


V.Englaͤnder.


England, in welches der Reihe nach Sachſen, Daͤnen und
franzoͤſiſche Normannen einzogen und ſich zum Theil mit den
fruͤheren Britten und Welſchen vermiſchten, iſt ſchon aus die-
ſem Grunde zu keiner ruhigen Entfaltung ſeiner Kunſtpoeſie
gelangt. Die germaniſchen Staͤmme fuͤhrten wenigſtens die
Alliteration ein, wo ſie nicht ſchon fruͤher unter dem wel-
ſchen 200) einheimiſch war. So viel iſt ausgemacht, daß wie
198)
[169] England keine Minnepoeſie gehabt, dieſe alſo auch nicht in
dem ernſthaften ſpaͤteren Meiſtergeſang endigen konnte. Die
erzaͤhlenden engliſchen Gedichte des 13ten und 14ten Jahrhun-
derts wurden entweder franzoͤſiſchen nachgeahmt, oder in dieſem
Sinn doch aus alten Liedern und Sagen hergenommen. Die
Form iſt daher jene franzoͤſiſche ſelbſt, oder eine ſangmaͤßige,
etwas ſteifer und ſtrenger gehaltene. Im Stil der letzten Art
iſt eine Aehnlichkeit mit gewiſſen unſerer erzaͤhlenden gleichzeiti-
gen Gedichte kaum zu verkennen, von denen ſich ſagen laͤßt,
einmal, daß ſich das Meiſterſaͤngeriſche in ihnen freier, dann,
das Volksartige enger und beſchraͤnkter zeige. Dagegen be-
ſtand auch in England, vermuthlich zu aller Zeit eine Menge
herrlicher Volkslieder, die beſonders Schottland bis auf die
neuſte gebracht hat. Hierhin rechne ich auch die beruͤhmten,
verloren gegangenen altbritanniſchen Leiche, fuͤr welche, koͤnn-
ten wir noch zu ihnen, als der friſchen und lauteren Quelle
aller Sagen von Artur und der Tafelrunde gehen, wir gerne
den ſchon getruͤbten franzoͤſiſchen Fluß geben wollten.


200)


[170]

Zuſammengenommenes Reſultat.


Was die Natur nach ihrer Unbewußtheit rein und vollen-
det in ſich gibt, dasſelbe ſtrebt die Kunſt frei zu erſetzen 201),
allein unerreichbar ſteht ihren anfaſſenden Haͤnden der Gipfel
alter Herrlichkeit, dem ſie ſich kaum angenaht hat, als ſie
ſchon wieder zuruͤckweichen muß. Wie es zu den Sagenele-
menten gehoͤrt, die ſich am weiteſten ausgebreitet, daß in der
erſten und zweiten That etwas Ungeloͤſtes und Unganzes, hin-
gegen erſt in der dritten das Gelingen, gleichſam ein Schluß-
ſtein, liege; ſo iſt die Trilogie, welche in den meiſten Liedern
lebt, in dem Meiſtergeſang aufgegangen. Der deutſche Mei-
ſterſang, aus dem Schoos der Volkspoeſie entſprungen, hat
in der Sonne des Ritterthums gebluͤht und da feſte Geſtalt
genommen. Eigenmaͤchtig, wie er ſich gebildet, hat er ſich
eigenthuͤmlich erhalten. Zwar in Art und Geiſt ausheimiſcher
Dichtkunſt aͤhnlich, (weil ſich die Natur gleicht auf dem ganzen
Erdboden, und ohne daß man darum Zuͤge und Minnen aus
einander
erklaͤren darf) iſt er doch wieder von jeder ver-
ſchieden, und in ſeiner gruͤndlichen Darſtellung mit nichts ver-
[171] wandt, als mit ſich ſelbſt, ſein ſpaͤteres mit ſeinem fruͤheren,
ſein fruͤheres mit ſeinem ſpaͤteren. In der Haͤrte und Be-
ſtimmtheit ſpaͤterer Regel und Terminologie mag faſt noch
uͤberall die fruͤhere Weichheit und Allgemeinheit wieder gefun-
den werden. Minne- und Meiſtergeſang ſind eine Pflanze,
die erſt ſuͤß war, hernach im Alter herb, und die verholzen
mußte; aber wo wir nicht zum Saft ihrer Jugend zuruͤckgehen,
verſtehen wir nimmer die Zweige und Aeſte, die daraus ge-
trieben haben 202). Dieſe Dichter ſtifteten eine Schule,
menſchliches Fachwerk in eine himmliſche Gabe; als der Zau-
ber von den Banden gewichen, als nichts mehr da war, wie
ein leeres Geruͤſt, ließ ſich jene nicht laͤnger halten. Wann
das Haus ausgewohnt iſt, geht es zuſammen, waͤhrend mit-
ten in Schutt und warmer Aſche die ſinnenden Menſchen Ge-
danken und Kraft zu dem neuen Bau geſammelt haben.


Dieß iſt meine Anſicht von Minne- und Meiſtergeſang,
man hat mir geſagt, zuerſt Herr Docen und (nach ihm) ein
Recenſent des altdeutſchen Muſeums in der Halliſchen Lit. Z.,
daß ſie nicht neu waͤre, wenn ich ſie auch nirgends geborgt
haͤtte. Daran laͤge nichts, wenn nur die Beweiſe neu ſind
fuͤr eine Sache, deren anfaͤngliche Erwaͤhnung Docen nur
mittelſt eines „ſogar“ einleiten mochte. Er ſcheint alſo ſchon
damals auf ein Paar Worte Adelungs nicht viel gegeben zu
haben, die er mir in der Folge nachgewieſen (Seite 100.)
In der That, ſo beruht auch Adelungs ganze Aeußerung
[172] bloß auf dem wahrgenommenen Umſtand, daß mehrere Dichter
der maneßiſchen Sammlung das Beiwort: Meiſter, vor ſich
tragen; ich darf annehmen, daß er ſonſt weder vom Weſen
der Minne- noch auch der Meiſterſaͤnger, weder der alten
noch der neuen, die zur Ausfuͤhrung ſeiner Vermuthung er-
forderliche Erkenntniß gehabt haben wird. Ich bin uͤbrigens
ſelber ſo wenig bemuͤht geweſen, meine Meinung neu zu ma-
chen, als ich vielmehr das Alter der ihr entgegenſtehenden
angefochten und die Uebereinſtimmung fruͤherer Jahrhunderte
in meinen Vortheil gezogen habe.


Was das Intereſſe der ganzen Frage anlangt, ſo wuͤrde
man noch viel zu wenig dafuͤr anfuͤhren, wenn man nur be-
merkte, daß eine Geſchichte der Poeſie nichts tauge, welche
einzelnen Schwierigkeiten vorbeiginge, weil man ſie fuͤr klein
und wenig halten koͤnnte. Haͤngt in ihr nicht alles zuſammen
und ſoll nicht alles offenbar werden? Ein noch ſo unſcheinen-
der Punct leitet auf den tiefeingreifendſten, in dem Kleinen
liegen die Spuren des Groͤßten, Goͤttlichen ſo wohl als
Menſchlichen; darum aber, weil das Wahre und Poetiſche
den Kern und die Schale durchdringt, muß es auch in beiden
erkannt werden. Ich halte daher; in der Ueberzeugung, wie
nothwendig es ſey, die Gruͤndlichkeit und Innigkeit der Form
darzulegen, die von mir angeregte Unterſuchung fuͤr eine ſehr
wichtige in unſerer altdeutſchen Poeſie, und wuͤnſche nur, daß
meine Entſcheidung des Gegenſtandes nicht ganz unwuͤrdig
ausgefallen ſey, ſo unvollſtaͤndig und mangelhaft ſie in der
einzelnen Ausfuͤhrung erſt noch bleiben mußte.


Wie in ihr ein Wortſpiel obwalten ſoll 203), hat mir nie
eingeleuchtet, gerade am Wort war mir nichts gelegen, ich
will nur das 14te, 15te und 16te Jahrhundert aus dem 13ten
verſtehen. In aͤhnlichem Sinn, wie Docen, koͤnnte z. B.
[173] ein anderer aufſtellen, daß Frauenlob oder ſeines Gleichen
keine rechte Meiſterſaͤnger ſeyen, obgleich ſich manche Aehnlich-
keit zeige, und wenn man dem Beſtreiter dieſer Meinung ei-
nen Wortſtreit zumuthen wollte, ſo geſchaͤhe es gewiß nicht
mit beſſerem Fug, als mir gegenuͤber Herrn Docen. Nicht
ja ſoll einzelnes im fruͤheren aus dem ſpaͤteren erklaͤrt, ſondern
umgekehrt dargethan werden, wie das Ganze ſpaͤter aus dem
Fruͤheren gefolgt iſt, und das iſt es, was ich wahrſcheinlich
zu machen geſucht habe. Ein Paar direct und gerade ausſa-
gende Zeugniſſe, (welche uns fehlen, und gewiſſermaßen fehlen
muͤſſen) wuͤrden allerdings erſt der Unterſuchung einen Stempel
aufdruͤcken, ohne den gewiſſe Literatoren den Geiſt immer aus
der Flaſche entflogen waͤhnen, waͤhrend ich mich nicht habe
abhalten laſſen, aus Geruch und Geſchmack des Inhalts ſeine
Wahrheit zu pruͤfen, wohl bedenkend, daß man bei Verſen-
dung eines friſchen Trunks in alter Zeit nicht jedesmal auf
dergleichen critiſches Siegelwachs eingerichtet war. Es kann
Leute geben, welche meinen, ihre Freude an den Minneliedern
gehe nun verloren, dadurch daß man ſie hier fuͤr Meiſterſang
ausgebe. Anderen, die wirklich glauben, daß auf die ſchlech-
ten Meiſterlieder der Geſchichte nichts ankomme, daß die Min-
nelieder Poeſie, jene keine, beide ewig verſchieden ſeyen, ſie
haͤngen zuſammen oder nicht, moͤchte ich ohne die Falſchheit
ihrer Meinung zu beruͤhren, bloß erwiedern, daß bekanntlich
auch die ſchleſiſche Dichterſchule vom Meiſterſang abweiche und
hier wirklich nicht einmal Zuſammenhang ſtatt finde. Ueber-
haupt, wenn ſpaͤter, z. B. unter uns Zeitgenoſſen, ziemlich
wenig mehr an den Formen der Poeſie in einer Geſchichte der-
ſelben 204) liegt, da jeder Dichter aus eigener Macht aufzu-
M
[174] treten hat und beinahe einzeln daſteht, ſo faͤllt es unmoͤglich
fruͤherhin perſoͤnlich zu ſcheiden, ſelbſt da, wo die Perſoͤnlich-
keit in einer ſtrengeren Ordnung hervorgetreten waͤre, wie bei
den ſpaͤteren Meiſtern. Daraus folgt aber, daß die Betrach-
tung des Unpoetiſchen, und ſelbſt des Schlechten keineswegs
ausgeſchloſſen werden duͤrfe. Mir ſchien auch das Ende des
Meiſtergeſangs eine Anerkennung verdient zu haben, ſey es
zu lieb dem friſchen Anfang, oder der Treue wegen, womit
man dem abſterbenden Koͤrper angehangen.


204)


[175]

Berichtigungen und Zuſaͤtze.


  • Seite 24. letzte Zeile lies: 1327 ſtatt 1320.
  • S. 29 Anmerk. 18. Im Wartb. Kr. (Jen. H. S. 102.) heiße
    es: „gab euch got ſinne und ſanges ſite.“
  • Ebendaſ. Z. 5. von unten iſt hinter dem Wort Krieg einzuſchal-
    ten: v. 46.
  • S. 36. Z. 7. von u. ſtatt: durchaus, l. „wie von ſelbſt“, um
    dem Schein eines Widerſpruchs mit S.... zu begeanen.
    Ein wirklicher iſt nicht da, ſobald man das Wort: gewor-
    den, recht faßt, die nachherigen Meiſter muͤſſen es wohl
    gewußt haben, daß ſie ohne Stollen und Abgeſang keine
    Meiſterſaͤnge machten.
  • S. 41. Z. 10. v. u. moͤchte der allgemeine Ausdruck „immer“ zu
    viel ſagen, indem in ſo vielen Volksliedern ꝛc. die ſich aͤußerlich
    rein ausſprechende Duplicitaͤt zwar mannichfaltig erſt durch
    Muſik und Refrain (der eine eigene Unterſuchung erfor-
    derte) geſtimmt wird, aber doch auch oft genug von unſe-
    rer Dreitheiligkeit des Satzes fern bleibt. Und wenn bald
    weiter, die Strophenmaͤßigkeit richtig allem Volksgeſang
    zugeſchrieben wird, ſo mag doch fruͤherhin die Strophe aus
    vier langen Zeilen nicht die einzige Art geweſen ſeyn. Ho-
    hes Alter naͤmlich muͤſſen ſchon die aus vier oder ſelbſt
    zwei kurzen ungeſchlungenen Reimzeilen beſtehenden Weiſen
    gehabt haben, (ſ. auch Anm. 26. S. 37.) wie ſie bis in
    ſpaͤtere Volkslieder noch vorkommen, uͤber deren Melodie
    man eine intereſſante, mir nicht ganz verſtaͤndliche, Note
    des Herrn von Weſtenberg im Wunderhorn 2. 302. nach-
    ſehe. Eine andere willkommene Beſtaͤtigung geben die dem
    altfranz. Lied von Aucaßin beigedruckten Muſiknoten, welche
    M 2
    [176] den ganzen Geſang durch fuͤr jedes Reimpaar immer dieſel-
    ben bleiben. In den alten Vifer der Daͤnen machen die
    Strophen von zwei Langzeilen, oder auch zwei kuͤrzeren bei
    weitem die Regel aus, vierzeilige, reimverſchlingende ſind
    allemal neuer anzunehmen; desgleichen auch in ſolcher Art
    deutſchen und ſchottiſchen Volksliedern die Unvollkommenheit
    der Reime, wofuͤr manchmal bloße Abſchnitte, ſich in die
    alte Zweizeiligkeit ſcheint zuruͤckzuneigen. Hierher gehoͤrt die
    Frage: in welche Strophen die altſpaniſchen Volkslieder zer-
    fallen? woruͤber ich gelegentlich meine Meinung verſuchen
    werde.
  • S. 42. Kein Einwand waͤre unebener oder ſeichter wie der,
    zu ſagen, daß eine Menge neuer und ſelbſt auslaͤndiſcher Lie-
    der den Bau an ſich truͤgen, den wir dem Meiſtergeſang zu-
    geeignet haben. Es wuͤrde auch in der That nichts verdaͤch-
    tiger ſeyn, als wenn der Grund, worin die lebensvolle Poeſie
    des 13ten Jahrh. geſtanden, nicht weit uͤber die Zeit und
    den Raum des Meiſterſangs hinausginge. Man darf anneh-
    men, daß waͤhrend die Haͤlfte unſerer beſten modernen Lie-
    der in zwei Theile zerfaͤllt, vielleicht die andere die drei Theile
    des Meiſtergeſangs beobachtet und das gewiß, ohne es je
    zu wollen, aus dem wahren Gefuͤhl dadurch erreichter Sing-
    barkeit. Es ſcheint paradox, aber iſt es nicht, (weil der
    Minneſang ſich nachher aus dem meiſterlichen, deſſen Quelle
    und Bluͤhen er geweſen, ab und zu der Volkspoeſie hinge-
    wendet,) daß wir viele Lieder des 14ten und 15ten Jahrh.,
    an ſich ſchwerer und componirter, wie ſo manche alte Min-
    neſaͤnge, nicht gleich den letzteren dem Meiſtergeſang zu-,
    ſondern vielmehr abſprechen muͤſſen; uͤberhaupt ihm am ſicher-
    ſten keinen Geſang aus der ſpaͤteren Zeit zuſprechen duͤrfen,
    der ſich nicht der Strenge nach (daß er verdorben ſeyn koͤnnte,
    verſchlaͤgt nichts) in den damaligen Schultoͤnen aufweiſen
    laͤßt. Um hier noch einmal das ſchon mehr gebrauchte Bei-
    [177] ſpiel zu geben, ſo zweifele ich gar nicht, daß ſich im Ambr.
    Metzgers Venerisbluͤmlein, die er gedichtet, ehe er den Mei-
    ſtergeſ. erlernt, ſteifere und verwickeltere Lieder befinden, als
    die einfachen unter ſeinen Schulweiſen ſeyn moͤgen, und Lie-
    der, die dem Grundprincip des Meiſtergeſangs durchaus nicht
    widerſprechen, ihn aber hiſtoriſch betrachtet auch gar nicht
    beruͤhren und eben daher fuͤr keine Meiſterlieder gehalten
    werden duͤrfen. Wie nothwendig dieſen die Regel der Drei-
    heit zum Character gegeben werden muß, beweiſt der andere
    dabei ausgefuͤhrte Umſtand, daß ſie ſelbſt in der Mannich-
    faltigkeit der Kunſtſpielerei, wo ſie gewiß von keinem innern
    Gefuͤhl mehr gefordert wurde, unuͤbertreten blieb, da ſie z.
    B. doch die Italiener bei unvergleichlich geringerem Reich-
    thum an Toͤnen haͤufig aufopferten; woraus ſchon, wie auf
    ganz andern Wegen auch noch, gefolgert werden kann, bei
    letzteren bluͤhe mehr kunſtreicher Recitirgeſang, wofuͤr ſie ein
    ſo leiſes Gehoͤr haben, bei uns ſeyen mehr die herzlichen,
    wahren Lieder zu Hauſe.
  • S. 47. Die Gleichguͤltigkeit der Strophenzahl druͤckt auch der
    Memminger Bericht S. 49. aus, ein Ton hat nach Belieben
    Geſetze, ſo viel der Dichter will.
  • S. 57. Hier ſind die ſpaͤteren Beiſpiele vergeſſen worden. In
    Frauenlobs blauem Ton reimt die zweite Silbe des erſten
    Stollen mit der vorletzten Zeile des Abgeſangs — in ſeinem
    neuen, die erſte Silbe des erſten Stollen mit der letzten des
    Abgeſangs, und ferner die erſten Silben der erſten und
    zweiten Zeile des Abgeſangs mit der letzten Silbe der vor-
    letzten Zeile des Abgeſangs — in Caſpar Ottendoͤrfers ho-
    her Juͤnglingsweis die erſte Silbe der erſten und letzte der
    zweiten Zeile jedwedes Stollen — in Walters langem Ton
    (wie ihn die ſpaͤteren Schulen ſingen) reimen die erſten Sil-
    ben jedes Stollen zuſammen. Auch gehoͤrt noch hierher Liet-
    [178] ſchauer CCIL, Wizlau CCCCLXXIX, Singof CXLIX
    LXIV. (wo gewoͤhnlich der letzte Reim mitten der erſten Z.
    des Abgeſ. gebunden); Sigeher, Maneße 2. 220. (got din
    zorn) u. ſ. w.
  • S. 59. Z. 3. iſt ſich offenbar verzaͤhlt und ſtatt 60 „61“ zu le-
    ſen, desgl. Z. 7. ſtatt 17. lies 18.
  • S. 60. Anmerk. 42. Hier iſt die Aehnlichkeit einiger Strophen
    im Lied von Morolf mit dem Versmaaß im alten Titurel
    bemerkt worden; da letzteres in lauter weibliche Reime aus-
    geht, ſo haͤtten die Beiſpiele auch damit uͤbereinſtimmender
    ausgehoben werden ſollen. Man vergleiche alſo 1546 — 51.
    1962 — 67. 2577 — 81. 2627 — 32, in welchen Strophen
    nichts als weibliche Reime ſtehen, obſchen im Ganzen, wie
    in den Nibelungen, die maͤnnlichen uͤberwiegen, ohne daß in
    dieſem Stuͤck irgend Regelmaͤßigkeit Statt finde.
    Eigentlich kann jene Wahrnehmung viel weiter fuͤhren.
    So wie das Nibelungenmaaß, als es nach und nach die Frei-
    heit der Caͤſuren und Silben eingebuͤßt hatte, und (wohl eben
    durch unſerer Meiſter Miteinfluß) in doppelt ſo viel Reime
    zerſchnitten war, immer nun trockener ausgeſchliffen wurde,
    ſo ſcheinen mir auch andere ſpaͤter haͤufig gebrauchte Volks-
    liedertoͤne aus einer aͤlteren, friſcheren Quelle abgefloſſen zu
    ſeyn; und eine ſolche iſt es vermuthlich, von der uns im
    alten Titurel, unerachtet darin einiges, als: das Aushalten
    des weiblichen Reims und Vorherrſchen eines gewiſſen Rhyth-
    mus, die Zumiſchung kuͤnſtlicher Elemente verraͤth, woruͤber
    uns erſt das provenzaliſche Original vollſtaͤndigen Aufſchluß
    gewaͤhren koͤnnte, — ein reineres Bild geblieben ſeyn
    mag. In den Nibelungen ſelbſt kann die Beweglichkeit in
    den Ruhen und der freie Fluß der Fuͤße kaum hoͤher ſteigen.
    Das Characteriſtiſche dieſes Tons ruht in dem Ziehen der
    zweiten und vierten, noch mehr aber in Kuͤrzung der dritten
    [179] Zeile. Nehmen wir nun das ſehr unrein auf uns gekommene
    und am Ende erſt, nachdem es ſich im Mund der Saͤnger
    vielfach ausgeſungen, aufgezeichnete Lied von Salomon und
    Morolf hinzu, ſo erblicken wir darin außer jenen langzeili-
    gen Strophen eine große Zahl gemiſcht gehaltener, aber auch
    eine merkbare, wo die beiden erſten Zeilen, vorzuͤglich der
    dritte kurz ausfallen, und nur die vierte (indem man die
    abgeſetzte, reimloſe dazu zu ſchlagen hat) bedeutend lang
    wird und einen großen Abſtand von der dritten macht. Ver-
    gleichen wir die Strophen letzter Art mit einer andern im
    16ten und 17ten Jahrhundert gangbarſten Weiſe, in welcher
    ſich freilich die Form ſchon wieder mehr geſetzt, namentlich
    fuͤr die beiden letzten Zeilen auf weiblicher Endung beſtan-
    den hat, (doch auch dieſes im Morolf z. B. 256 — 260.
    272 — 276. 292 — 297.) ſo haben wir wieder unleugbare
    Uebereinſtimmung gefunden. Das koͤnnte alſo fuͤr das Al-
    ter und zugleich die anfaͤnglich groͤßere Ungebundenheit der
    hiermit gemeinten Jacobsweiſe (Wunderh. 2. 327.) Zeug-
    niß ablegen, in welcher ſo manches Lied, z. B. der Linden-
    ſchmied, Koͤnig Laſla, Stoͤrtebecher, Henneke Han, die Pa-
    viaſchlacht, Magdeburger Fehde u. ſ. w. gedichtet worden iſt.
    (In Brentanos Liederhandſchrift wird dieſer Volkston ge-
    nannt: Beſteuzer oder Beſtenzer, ich vermuthe: Schreibfeh-
    ler fuͤr Koſtenzer, indem damit das bekannte Striegellied
    gemeint ſeyn kann.)
    Allein noch einen andern Weg hat vielleicht jener alte
    Ton bis in die ſpaͤtere Volkspoeſie eingeſchlagen. Naͤmlich
    gleichwie der Hildebrandston aus dem Nibelungenlied ent-
    ſtand, oder Wolfram die zwei Stollzeilen des alten Titurels
    in vier kleinere theilte, ſo mag dieſe Verrichtung auch hier
    ihrerſeits und fuͤr ſich die Volkspoeſie unternommen haben,
    nur daß ſie dabei, wie zu erwarten ſtehet, freier zu Werke
    ging. So ſcheint mir weiter aus dem alten Ton mit der
    [180] dritten kurzen Zeile entſprungen zu ſeyn, was im 16ten und
    17ten Jahrhundert allgemein unter dem Namen der Tag-
    weis
    bekannt war und wonach alle die vielen Lieder im Ton:
    ich ſtund an einem Morgen ꝛc., es wonet Lieb bei Liebe ꝛc., des
    Fraͤuleins von Brittannia ꝛc. gingen (auch Wunderh 1 265.).
    Und merkwuͤrdig ſteht dieſe Tageweis, oft halb unaufgeloͤſt,
    in einem mit ſeiner Aechtheit geſtempelten Soldatenlied,
    (Simpliciſſ Buch 2. c. 28.) allenfalls auch im Lied vom Ha-
    berſack. Bedeutender als alles dieß aber, und wohin be-
    reits der mit den alten Tageliedern zuſammenhaͤngende Na-
    men ſchließen ließ, iſt die Gewißheit des weit aufſteigenden
    Alters dieſer Weiſe, indem ſie ganz genau, ſelbſt in Sil-
    ben und Reimgeſchlecht bei Steinmar 2. 107. (ein kneht ꝛc.)
    vorkommt, noch dazu in einem Lied, das man ſogleich fuͤr
    eine Parodie der Waͤchter- oder Tagelieder erkennen muß.
    Ja, aus dieſem Grund ſcheint ſich Steinmar (welcher ohne-
    hin zu den Hofdichtern gehoͤrt, die einen Fuß auf das Land
    der Volkspoeſie ſtellen) eben an die im Volk gangbare Tag-
    weiſe gebunden zu haben, deren ſich ſonſt — was wieder
    gut zu meiner allgemeinen Anſicht paßt — kein einziger
    Meiſter in einer anſehnlichen Zahl von Waͤchterliedern, die
    wir beſitzen, bedient hat, (obwohl auch in der Volkspoeſie
    daneben einige Tagelieder in anderer Form vorkommen.)
    Guͤnther vom Vorſte, deſſen langes Tagelied auch etwas
    baͤnkelſaͤngeriſch anhebt, haͤlt zwar dieſelben Reime, hat aber
    meiſt maͤnnliche und mehr Silben zu jeder Zeile, als jene
    dazumal ſchon fixirte Form, ſonſt gehoͤrt allerdings ſein Ton
    zu demſelben Haupttypus.
    Alles das iſt zum Theil bloß Conjectur. In der Dun-
    kelheit dieſer vielgaͤngigen Hoͤhle noch die wechſelſeitigen Ein-
    fluͤſſe nachzurechnen, da nun die Lichter ſo vieler Quellen ab-
    gebrennt ſind, hat ſeine große Schwierigkeit. Gewiß hat
    ſich aber der Volksgeſang aus der erſten Einfachheit nachher
    [181] in Varietaͤten entfaltet, nur leiſer und loſer uͤberall, zugleich
    dem Vorhergehenden doch anhaͤngender, wie der Meiſterge-
    ſang, der auf einmal aus dem Grund der Poeſie in aller
    Pracht der Faden und Kelche aufſchoß, dann bei falſcher
    Hege und Pflege im groͤberen Erdreich ausging, niemals
    aber einen ſo kuͤhlen Wald beiſammenſtehender Baͤume des
    Volksgeſangs gebildet hat, der in Wind und Wetter lange
    Zeiten hinhaͤlt, ſo genug er in den letzten aus- und zu
    ſchanden gehauen worden iſt.
    Vermuthungen uͤber die Formen des Meiſtergeſanges
    haben weit behutſamer zu gehen, weil ſeine Varietaͤten weit
    bedaͤchtiger erſcheinen, deßhalb ich mich gehuͤtet habe, die
    große Anzahl ſo ſpaͤter, als fruͤher Meiſtertoͤne von ſechs
    Reimen (und ſieben Zeilen) hier in Vergleichung zu zieben.
    Auf jeden Fall ſind ſich das Studium der volksmaͤßigen und
    meiſterlichen Poeſie einander unentbehrlich.
  • S. 64. Z. 2. iſt zwar die Herleitung des deutſchen Wortes
    Leich aus den franzoͤſiſchen lais und den Leiſen richtig ver-
    worfen worden. Wegen der Zuſammenſtellung der beiden
    letzten Ausdruͤcke koͤnnte man indeſſen glauben, daß ich ſie
    fuͤr einerlei halte, da ſie doch Form und Sache nach durch-
    aus nichts gemein haben. Leiſen bedeutet immer einen
    geiſtlichen Geſang, den man oͤffentlich und geſellſchaftlich in
    Noth und Gefahr ꝛc. anſtimmt und worin urſpruͤnglich we-
    nigſtens das Kyrie eleiſon woͤrtlich vorgekommen ſeyn wird.
    (Die Beweisſtellen ſind: Herzog Ernſt v. 1924. 2158. 3070.
    4538 — 4544. 4759. vergl. 2294. 3166. 3582, wo ſo gar
    einigemal die ganze Litanei eingeruͤckt iſt, eine andere, aͤl-
    tere ſteht in Docen Miſc. 1. S. 4.) Weder mit Lied
    noch Leich haͤngen alſo dieſe Leiſen zuſammen. Die lais hin-
    gegen, (im Singular beſſer lai ohne s zu ſchreiben, obgleich
    letzteres mißbraͤuchlich) ſo gewiß aus ihnen nicht unſer Leich
    gekommen iſt (ſchon im alten Gloßar, Docen Miſc. 1.
    [182]spililih durch carmen metricum uͤberſetzt) haben dennoch
    ein gleiches Etymon mit ihm, welches ſich aus dem Ein-
    fluß normaͤnniſch-engliſcher Sprache und Poeſie erklaͤrt. Die
    S. 69. verſuchte Leitung aus lax (lais, los) und lai = Geſetz iſt
    unrichtig, wenigſtens die letztere weit hergehohlt, indem frei-
    lich, hoͤher hinaufgeſtiegen, jedem Spiel auch ein Band,
    Geſetz, (Gebaͤnd, gibenti-alligatura) Grund liegt, und die
    Verwandtſchaft mit lag, ſo wie dieſes analoge Anwendung
    im Norden (Olafſen, Anhang §. 34.) daher entſprungen ſeyn
    kann. Richtig bleibt uͤbrigens, daß noch unſer Leich nachher
    bei den Meiſterſingern die eigene Bedeutung angenommen
    hat, wovon die franzoͤſiſche Poeſie auch nichts weiß, deßwe-
    gen es doppelt fehlerhaft waͤre, unſere ſpaͤteren Leiche aus
    jener ableiten zu wollen.
  • S. 71. Anm. 53. In der Rubrik eines Minneliedes von Moͤ-
    gelin (n. XXII.) werden ſolche Reime „ſich ſuchende“ ge-
    nannt, mit einem faſt modern klingenden Ausdruck.
  • S. 91. Z. 9. Hierher auch noch Regenbogens (2. 215.) „ſitz
    ab der kuͤnſte ſeſſel, daruf ſie ſaßen.“ Die ſingenden Mei-
    ſter ſcheinen auf einer erhoͤhenden Bank oder einem Stuhl
    geſeſſen oder geſtanden zu haben. Wieder wie bei Volks-
    dichtern, was gleich der Name Baͤnkelſaͤnger zeigt.
  • S. 96. Z. 1. Wer Morungens ſuͤße Geſaͤnge durchlieſt, erin-
    nert ſich unwillkuͤrlich an dieſes Gnadeſingenhelfen bei fol-
    genden Worten (1. 57.):
    helfet ſingen alle
    mine frunt und zieht ir zuo
    .... mit ſchalle
    das ſi mir genade tuo u. ſ. w.
    ()

[183]
  • S. 109. Z. 19. Die einfache, bedeutende Schoͤnheit der alten
    Toͤnenamen ſtimmt ausnehmend in die Unſchuld und Rein-
    heit der Minnelieder. Unſere neuen Dichter ſind den golde-
    nen und blauen Ton, die gekroͤnte, die zarte und ſuͤße Ge-
    ſangweis zu ſingen verluſtig geworden, und muͤſſen ſich nun
    auch zu ihren Ueberſchriften die fremden Namen Hexame-
    ter, Diſtich, Sonett, Triolett oder Madrigal behaben, welche
    Strafe noch leidlicher iſt, als die ſich ſelbſt auferlegte, ſchon
    lang verſungene Herrlichkeit alter Weiſe kalt nachmeſſen zu
    wollen. Sonſt koͤnnte die Rubrik eines langen Maien-
    ſcheins, kurzen oder langen Regenbogens von oben herein
    auf das ganze Lied eigenthuͤmliche Beleuchtung werfen.
    Uebrigens fallen einem bei jenen Namen einmal die koͤnigli-
    chen der Scaldenweiſen, dann mancher Volkslieder, ſelbſt
    englaͤndiſcher ein (to the tune of black and yellow. Percy
    1. B. 2. n. X.) und das Ganze erinnert gewiß an die ge-
    heime Verwandtſchaft zwiſchen Toͤnen und Farben uͤberhaupt.
  • S. 111. Anmerk. 97. Hierher auch die Kuͤnſtlichkeit, Anfangs
    der neuen Strophe den Ausgang der vorigen wieder aufzu-
    nehmen, reimlich oder ſelbſt woͤrtlich, was ſo haͤufig in
    Volksliedern, beſonders daͤniſchen. S. bei Rudolf von
    Neuenburg Th. 1. S. 8. 9. und bei Rudolf von Rotenburg
    1. 34. (vierſtrophiſches Lied: ich will in miner ꝛc.) Bei
    Wizlau iſt es mir beſonders noch aufgefallen.
  • S. 111. Z. 14. Daß die Meiſter von einander Wendungen
    beſonders zum Eingang borgen, ohne ſich an den Ton zu
    binden, waͤre leicht zu belegen. Ein Beiſpiel ſteht ſchon
    S. 152. oben. Walters Lied 1. 102: „ich ſas uf einem
    ſteine“ ꝛc. muß dem Boppo vorgeſchwebt haben, als er 2.
    235: “ich ſas uf einer gruͤne“ ꝛc. dichtete (im gruͤnen Ton
    Frauenlobs.)

[184]
  • S. 117. Anm. 102. Zu dieſen koͤnnen auch noch die von Mo-
    rungen
    und Rifen gerechnet werden, auf welche ohne
    Zweifel das bekannte Lied vom edlen Moͤringer und Neuffen
    geht. (Vielleicht Grund des Spangenbergiſchen Irrthums
    Anm. 107.) Nicht nur zeigen die Worte der 30ſten Strophe:
    ein langes ſchweigen hab ich bedacht
    ſo will ich aber ſingen als eh
    darzu haben mich die ſchoͤnen frauen bracht
    die moͤgen mir wohl helfen meh
    ()

    offenbar, daß Moͤringer unſer Minneſinger iſt (der Ausdruck
    Hoflied Str. 28. beſtaͤtigend meine S. 123. Anm. 109 ge-
    machte Bemerkung), ſondern ſie weiſen deutlich auf des Dichters
    Strophe: „wer ir mit minne“ ꝛc. in der maneß. Samml.
    1. 50. Dazu tritt, daß das Versmaaß der Romanze (wie-
    der wie beim Bremberger) ſchon von Morungen ſelber vor-
    gebildet zu ſeyn ſcheint, in ſeinen Liedern: „in ſo hoher“ ꝛc.
    (1. 50.) in der einzelnen Strophe: „fraue wilt“ ꝛc. (1. 54.)
    im Lied: „ich bin kaiſer ꝛc. (1. 56, wovon die erſte Strophe
    auch in Docens Miſc. 2. 200.) und: „hat man mich geſe-
    hen“ ꝛc. (56. 57.) zugleich zum Beleg, daß ein Singer ſeine
    eigenen Toͤne oͤfters gebraucht.
    Eine andere Frage bleibt, ob die wunderbare Heimkehr
    aus dem heiligen Land aus der Sage von Heinrich dem Loͤ-
    wen uͤbergegangen iſt, oder umgekehrt, oder ob beide, was
    am glaublichſten, ſich zu einem aͤlteren Fall zuruͤckfuͤhren.
    Auch der heil. Andreas wird im Schlaf von Jeruſalem nach
    Drontheim entruͤckt. (Kaͤmpeviſer 714 — 716.) Noch viel
    haͤufiger und aͤlter in den Sagen iſt die juſt rechte Ankunft
    des Mannes zur neuen Hochzeit und die Ringerkennung u. ſ. w.
  • S. 125. Z. 22. Aus bloßer Vergeſſenheit iſt folgendes Scheinbare
    gegen mich anzufuͤhren unterlaſſen worden: daß dieſe wei-
    mariſche H. S. die ſpaͤteren Lieder zwar nach Frauenlobs
    Toͤnen rubricire, aͤltere Minnelieder hingegen nur mit der
    [185] Ueberſchrift: „ein ander weis“ einfuͤhre. Allein wenn man
    erwaͤgt, daß der, wohl in der erſten Haͤlfte des 15ten
    Jahrhunderts lebende Copiſt ein Paar alte Minnelieder
    hoͤchſt incorrect, fragmentariſch und unter einander gewor-
    fen, mitten unter Frauenlobiſche Meiſterlieder geſtellt hat,
    ſo iſt leicht zu ermeſſen, daß er zu den vielleicht ſeiner
    Zeit noch gangbaren Weiſen die Tonnamen angeben konnte,
    die aͤlteren Weiſen aber nicht mehr recht verſtand, oder
    noch glaublicher, daß er ſich nach den verſchiedenen Origi-
    nalen, die er ausgeſchrieben, gerichtet, wo er dann leicht
    erſtere Lieder mit, letztere ohne Namen vorfand. Außerdem
    ſind ja ſelbſt die alten Minnelieder hier aͤußerlich nach Stol-
    len und Abgeſang getheilt, ſo wie einige in jeder Abſicht
    unbeſtreitbare Meiſterlieder ebenfalls bloß als „ein ander
    Ton“ angezeigt. Mithin bleibt der Einwurf eben ſo unbe-
    deutend, wie jener, daß Frauenlobs Lieder in der maneßi-
    ſchen Handſchrift ohne Rubrik der Toͤne ſtehen.
  • S. 37. Anm. 26. Daß Otfried ſeine Arbeit fuͤr den Geſang der
    Franken beſtimmte, laͤßt ſich nach ſeinen eigenen Aeußerungen
    und dem vierzeiligen Strophenbau kaum bezweifeln. Aber
    ob ſie je geſungen worden ſind! die unſanghaften, meiſt auf
    leerer Endung ruhenden Reime.
  • S. 135. Z. 3. Die maneßiſche Sammlung bekanntlich ent-
    haͤlt nur zwoͤlf ſolcher Brennberger (ſollte aber nicht ſpaͤter
    die Weiſe mit des Tanhaͤuſers Hofton verwechſelt worden
    ſeyn, unerachtet der verkuͤrzten zweiten und vierten Zeile
    des Abgeſangs?), wovon wiederum nur neun zu der be-
    ruͤhmten Liebesgeſchichte des Dichters gehoͤren. Ich habe
    dieſe aus andern Handſchriften ſchon mit neunzehn neuen
    Strophen (worunter ausgezeichnete) vermehren koͤnnen, und
    werde bei Gelegenheit das Ganze, nebſt verſchiedenen an-
    dern Liedern in derſelben Geſangweiſe bekannt machen.

[186]
  • S. 147. Dagegen haben die Scandinavier namhafte Scal-
    dinnen (Skaldmoͤ), ſo wie ſie auch Schildjungfrauen haben.
  • Seite 100. Z. 15. Wie es ſich in dieſem Stuͤck mit einigen
    andern Magiſtermeiſtern ſpaͤterer Zeit verhaͤlt, z. B. dem
    Georg Danbeck zu Augsburg und dem (durch ſeine Ueberſet-
    zungen) bekannteren Joh. Spreng kann ich ohne naͤhere Nach-
    richt nicht wiſſen. — Man hat die uͤbrigens wahre Bemer-
    kung gemacht, wie unter den Buͤrgern, welche Wiſſenſchaft
    und Dichtkunſt beruͤhrt, die Schuſter großen Vorzug behaup-
    ten. Auffallend iſt es, daß viele Meiſterſaͤnger Kuͤrſchner
    geweſen ſind: Daniel Holzmann, Paul Fiſcher, Dan. Gra-
    ner, Hans Panzer ꝛc. und erſt hierdurch wird die oben Anm.
    116. aus einem Roman des 17ten Jahrh. beigebrachte Stelle
    deutlich.
  • S. 114. Z. 7. v. u. Auch der von Morungen 1. 56, und wohl
    noch andere, brauchen die Redensart: „mit Geſang kroͤnen.“
  • S. 100. A. 88. Da die volksmaͤßige Fahrlaͤſſigkeit immerher
    der erwachenden Critik eine Art Greuel geweſen iſt, ſo weiſt
    ſich die Wirkung hiervon nicht bloß in Verachtung der Sa-
    chen, ſondern ſelbſt in Herabſetzung der Namen aus. Auf
    dieſem Wege ſind uͤberall noch die Sagen (fabulae) und Maͤ-
    ren zu Fabeln und Maͤhrlein geworden, und was mehr, die
    Leute, welche ſie vortrugen, (weil auch in ihrem Leben und
    Amt ſolche Nachlaͤſſigkeit zu ſpuͤren war) uͤbel angeſchrieben.
    Die joculatores galten mit der Zeit fuͤr nichtswerthe Gauk-
    ler, die trouveurs (denn auch dieſer Name war eher popu-
    laͤr, als fuͤr die Ritterpoeſie der Provenze uͤblich) wandelten
    ſich in trufatores, etwas ſchwerer moͤchte ſich Schalk (und
    am leichteſten noch in dem engliſchen Idiom) aus den Scal-
    den und Schallern ableiten. Von allem dem machen unſere
    Meiſter eine Ausnahme, von denen man umgekehrt ſagen kann,
    [187] daß ſie einen alten Namen wieder zu Ehren gebracht und
    durch ihren ſittlichen Wandel dabei erhalten haben. — Gleich
    wie wir aber ſchon hinter aller jener Verderbniß den beſſe-
    ren Urſprung ſehen, ſo ſoll auch die nun erwachſene Critik
    die Wahrheit der Poeſie und Geſchichte in der oft zerfloſſenen
    Sage wieder ſuchen und die Spanier und Deutſche nachah-
    men, bei denen der rechte Sinn von „hablar“ und „ſagen“
    wohl behalten worden iſt.
  • S. 129. Z. 2. Unter den Staͤdten des Meiſterg. haͤtte vor
    andern auch Eßlingen namentliche Erwaͤhnung verdient, allwo
    der Daniel Holzmann Schule gehalten, (Eſchenburg Denkm.
    378.) und wobei einem der alte Schulmeiſter von Eßlingen
    einfallen darf, ungeachtet deſſen Amt eine doppelte Ausle-
    gung hat und der Ort auch der in Oeſtreich ſeyn kann.
  • S. 133. Z. 9. Einen lebhaften Beleg, daß die Volkspoeſie
    wieder an den Hoͤfen des 16ten Jahrh. geliebt geworden,
    kann der luſtige Schwank vom Saͤnger Gruͤnenwald geben,
    den Wikram im Rollwagenbuͤchlein ſo gut berichtet. Ver-
    muthlich iſt das Lied im Wunderh. 3. 147. von demſelben.
  • S. 138. A. 135. Dieſe Ungewißheit begreift auch weniger die
    Reimchroniſten als viele Spruch- und Fabliauxdichter, z. B.
    den Kaufringer, Joh. von Nuͤrnberg, Jacob Appet, (der in
    dem Roman von Reinfried von Braunſchweig faſt eben ſo
    wie in der Erz. von der Weiber Liſt angefuͤhrt wird) u. ſ. w.
  • S. 157. Z. 16. Die Fortdauer der gelehrteren Cammern noch
    jetzt in Flandern beweiſt folgendes ſo eben zu Courtray her-
    ausgekommene Buch: het nut van de vrede, in dry ver-
    scheide dichten, bekroond in de Vergaadering van den
    19 Augusty 1810. door de maatschappy van rhetorica met
    ken — zin: vrede-minnaars binnen Kortryk. 28. S. 8.
  • S. 159. Z. 18. Zu den angefuͤhrten Comoͤdienſchreibern (außer-
    halb des Meiſtergeſ.) gehoͤren beſonders noch Puſchmann und
    Georg Hager, muthmaßlich hat auch die literariſch bekannt
    gewordene Comoͤdie von der Singſchule einen Meiſter zum
    Verfaſſer.

[188]
  • S. 161. Z. 184. Folgender Ausdruck, um den Grund der Alli-
    teration und des Reims zu unterſcheiden, macht das Geſagte
    wohl deutlicher Erſteren koͤnnte man das zeugende, bleibende,
    letzteren das bildende, biegende Princip nennen. Daher
    kommt, daß wenn wir nach der Wurzel eines jeden Worts
    fragen, die nothwendige Identitaͤt des anhebenden Conſo-
    nanten das Merkmal gibt, hingegen die Gleichguͤltigkeit al-
    ler Vecalen ſogleich hervortritt, deren mehr oder mindere
    Uebereinſtimmung durchaus nur die naͤhere oder fernere Ver-
    wandtſchaft (und das nicht allzeit) anzeigt, allein nie fuͤr Ab-
    ſtammung oder nicht den Ausſchlag gewaͤhrt. Der Conſo-
    nantismus ruht ſtehend auf der Wurzel und gibt (wie das
    ſchon v. d. Hagen gut ausgedruͤckt hat) Knochen und Seh-
    nen; der Reim neigt ſich offenbar in die Biegung hinaus.
    Freilich hat der Reim in den germaniſchen Sprachen zwei
    Theile, indem er einmal auf dem Vocalis der Wurzel liegt,
    dann auch, in ſeiner Ausbildung auf dem Conſonant der En-
    digung. In andern, z. B. der franzoͤſiſchen kann er bekannt-
    lich ſelbſt bloß auf die Biegung treten. Aus beiderlei Grund
    iſt das Uebergewicht unſerer maͤnnlichen Reime hoͤchſt ſchaͤtz-
    bar und der ſpaͤtere Gebrauch der Reime insgemein wahr-
    ſcheinlich, zumal da in aͤlteren und in Volksliedern die Vo-
    cale nicht nur, ſondern auch die Endconſonanten viel gleich-
    guͤltiger angewendet werden. — Auf der andern Seite iſt zu
    erwarten, daß das, was der Alliteration zum Grund liegt,
    ſich nicht bloß in einzelnen Woͤrterfamilien offenbart, ſondern
    in ganzen Reihen grammatiſcher Formen uͤberhaupt, der, z. B.
    daß im Deutſchen alle geraden Fragwoͤrter mit einem W. an-
    gehen u. ſ. w.

[189]

Zweiter Nachtrag.


(Geſchrieben am 12. Februar 1811.)


Der Druck meines vor laͤnger als einem halben Jahr fer-
tig geſchriebenen Buchs verzoͤgerte ſich ohne meine Schuld bis
jetzt, wo gerade ein wichtiger Aufſatz in dem erſt dieſer Tage
in unſere Gegend angekommenen dritten Heft des altd. Muſ-
erſcheint, ſo daß ich jenes nicht ausgeben laſſen mag, ohne dar-
uͤber mein Urtheil kuͤrzlich beyzufuͤgen. Herr Prof. von der
Hagen
hat darin ſchaͤtzbare, wohl ſchon lang in ſeinem Beſitz
geweſene Nachrichten uͤber den Colmarer Codex bekannt gemacht,
und was zu erwarten ſtand, mit aller Gelehrſamkeit verarbeitet.
Sicher haͤtte ich dieſe Abhandlung in der meinigen haͤufiger zu
benutzen und anzufuͤhren gehabt, als ſeine fruͤhere, deren bloßes
Reſultat in meiner Anmerk. 202. niedergelegt worden iſt. Haͤlt
man nun dieſes zu der Ausbeute ſeines weiteren Studiums, ſo
ſieht man wohl, daß er jetzo nicht mehr, wie damals geſchrie-
ben haben wuͤrde. Aeußerlich zwar bekennt er ſich genau zu dem
Meiſterſinger- und Meiſterſaͤngerſyſtem, deſſen Nullitaͤt aus der
Sache eben ſo ſehr, als aus den Namen hervorleuchtet, es
hielte ordentlich ſchwer etwas zu erdenken, womit die erſtere ſich
ſo fuͤglich vergleichen ließe, wie mit der letzteren, durch deren
Erfindung mir meine Gegner gluͤcklich zu Huͤlfe gekommen ſind.
Von der Hagen beruͤhrt hier eigentlich nur eine Seite der Sa-
che, das Verhaͤltniß ſeiner Meiſterſinger zu ſeinen Meiſterſaͤngern,
dasjenige der Meiſter- zu den Minneſaͤngern hat er (abſicht-
lich?) liegen gelaſſen; gleichwie aber aus dem, was er auf-
ſtellt, unleugbar die innige Verwandtſchaft der Singer zu den
Saͤngern fließt, ſo wird ſich auch aus dem von mir Erlaͤuter-
ten die zwiſchen minne- und meiſterſingenden Hofdichtern erge-
ben. Welche geſunde Critik kann einen Augenblick, nach Leſung
des hier Num. X. abgedruckten Lieds Conrads von Wirzburg
anſtehen, ihn fuͤr einen eben ſo ausgemachten, eigentlichen, ja
eigentlichen Meiſterſaͤnger zu halten, als er aus andern gleich
dauerhaften Urſachen ein Minneſaͤnger iſt? Es waͤre eine rechte
Klaͤglichkeit, der Wahrheitsliebe und Scharfſinnigkeit von der
Hagens und Docens unwuͤrdig, wenn ſie im Grund das-
ſelbe glauben muͤſſend und ſchon jetzt darlegend, noch laͤnger ein
ſcheinbares Gegentheil behaupten und ſich dabei aͤhnlicher Wen-
dungen behelfen wollten, als hier erſterer thut, indem er z. B.
Conrad, Frauenlob, Regenbogen „Vorgaͤnger“ des Meiſterge-
ſangs nennt (S 156. 197.) Das ſind ſie freilich immerhin,
und wenn es ſchon drei hundert Jahre nichts als lauter eigent-
lichſte Meiſter gegeben haͤtte, weil ſie nun einmal vor den ſpaͤte-
ren gelebt haben, nur aber iſt der Ausdruck etwa eben ſo tref-
N
[190] fend, als ob einer ſagte, Veldeck ſey Vorbereiter des Minne-
ſangs geweſen: welcher erſt mit Walter oder Gottfried (wen
man will) entſpringe! das Gegentheil aber wuͤrde ich unter an-
dern aus Gottfrieds verſchiedener Meinung darthun, wie ich aus
der der ſpaͤten Meiſter jene Identitaͤt mit den fruͤhern auch ge-
rechtfertigt habe. Etwas zu natuͤrlich ſcheint mir alſo die An-
merkung Hagens S. 171, daß die ſpaͤten Meiſterſaͤnger dem
Regenbogen „gewiß mittelbar (!) viel verdanken“, oder daß
(S. 182.) „Moͤgelin mit den Meiſterſaͤngern ſchon naͤher zuſam-
menhaͤnge“, oder wenn (S. 152.) von „bedeutendem, wenn auch
ſchon nicht unmittelbarem Einfluß“ geredet wird. Mir ſteht
klarer als je vor Augen, daß Vogelweide und Hans Sachs Mei-
ſterſaͤnger ſind, obſchon ſie nicht einerlei ſind noch ausſehen, aus
dem trivialen Grund, weil ſie nicht in einem Jahrhundert ge-
lebt haben, allein wenn wir von des erſten Nachkommen in der
Kunſt hiſtoriſch ſchreiben wollen, ſo werden wir unausbleiblich auf
den letzten gerathen und alle Mittelglieder nachweiſen koͤnnen.
Ich wuͤnſche, daß v. d. Hagen zu Ehren der Wahrheit ſein Sy-
ſtem von Meiſterſingern, Meiſterſaͤngern, vorbereitenden Acade-
mikern und niedergeſeſſenen Scholaſtikern (S. 149.) fahren laſſe,
indem darin lauter Ehebruͤche, Trauungen an die linke Hand,
Mißheirathen und Adoptivfaͤlle vorausgeſetzt werden, davon
der einfache Gang unſerer alten Poeſie nichts weiß; denn aͤr-
mer und ſchwaͤcher iſt das Geſchlecht immer geworden, hat ſich
aber in rechter Liebe und Hausehe fort gezeugt bis ans Ende.
Das bezeugt vor allem die Nothwendigkeit der Dreiform, wel-
che auch unſer Gegner erkannt, vielmehr bloß gefuͤhlt hat (S.
175.), da ſich das wie geſucht ausſehende Beiſpiel Wenzels
ganz unſchuldig in lauter Geſellſchaft gleichgewachſener Lieder
ſiehet. Was ſich v. d. Hagen vielleicht in meine Seele von ei-
nem fixirten Orden einbildet, habe ich laͤngſt widerlegt, und wie-
derhohle hier, daß ſich nicht einmal im ſpaͤteſten Meiſterg. alles
ſo ſtreng-zuͤnftig nehmen laͤßt, ſondern betraͤchtlich loſer gewe-
ſen ſeyn muß, als das eigentliche Handwerk. Wie man aber von
der fruͤheren und mittleren Meiſterkunſt ſagen kann: (S. 149)
„dennoch iſt bis dahin noch nirgends eine beſtimmte Hinweiſung
auf eine auch nur in den freieſten Verhaͤltniſſen ſich gegenſeitig
bildende und geſammtthaͤtig wirkende Geſellſchaft“, da man doch
gerade die Wettſtreite, das Merken, das Aufgeben und Loͤſen,
die Singverſammlung vor Augen hat, welche geſellſchaftliches Trei-
ben und mancher Art Convenienz beurkunden, iſt mir unbegreif-
lich. Nicht weniger falſch, wenn noch dazu etwas darauf an-
kaͤme, heißt es S. 147, daß ſich in der Colmarer H. S. keine
fuͤrſtliche, adliche Minneſaͤnger zeigen, da doch der Brennberger
und ein Graf von Arberg mitten darunter ſtehen, (S. 184.)
[191] uͤberhaupt: hat ſich wohl von der Hagen nach Gottfried oder
Hadloub z. B. gefragt, in welche Claſſe er dieſe bringen will?
und warum geſchweigt er des letzten wichtiger Stelle, wie ſo
mancher andern, ihm wohlbekannten? — Kurz und in aller Be-
ſcheidenheit zu ſagen, von Seiten der Minneſaͤnger halte ich
meine Anſicht des Meiſtergeſangs fuͤr unangreifbar, waͤhrend aus
dem gegenſeitigen Einfließen der Volkspoeſie, oder der erzaͤhlenden
Gedichte noch eher ſcheinbare Einwuͤrfe vorgebracht werden koͤnnten.


Doch um auf die lobenswerthe Seite der Hagenſchen Ab-
handlung zu kommen, ſo laͤßt ſich aus dem Einzelnen darin gar
manches Einzelne meiner Schrift ergaͤnzen und erleuchten, da,
wo wir von verſchiedenem Weg ausgegangen zuſammentreffen,
haͤtte mir keine erwuͤnſchtere Beſtaͤtigung widerfahren koͤnnen.
Ganz in meinem Sinn ſind die vortrefflichen Bemerkungen uͤber
Marners und Klinſors Namen (S. 154 u. 177.), welche daber
noch, nebſt dem Regenbogen und Erenbot (Tanhaͤuſer?) bei mir
S. 105. 106. anzufuͤhren ſind. Wer in Frauenlobs Geſchichte
die Poeſie der Wahrheit ſo richtig gegen Adelungiſche Proſa ver-
theidigt, der wird auch einmal den uͤbrigen Sagen der Meiſter-
ſchulen ihr Recht geben, uͤber welche hier vorerſt noch als „Maͤhr-
chen“ (S. 106.) abgeſprochen worden iſt. Auch uͤber die Leiche
war mir die Einſtimmung erfreulich (S. 165.), nur daß hier
nicht die urſpruͤngliche Bedeutung, und daraus die ſpaͤtere be-
ſchraͤnkte nachgewieſen worden iſt. Daß letztere Art Leiche dem
Meiſtergeſang vindicirt werden muß, iſt nach Conrads Vorwurf-
lied außer Zweifel, ich moͤchte auch wiſſen, ob der dem Regen-
bogen zugelegte Leichton hierher oder nicht zu ziehen iſt, da deſ-
ſen Reimzahlbeſtimmung es nicht vermuthen laͤßt. Zu bemerken
iſt, daß in den Handſchriften die Lieder eines einzelnen Meiſters
gern mit ſeinen Leichen anheben oder doch ſchließen, letzteres bei
dem w. Alexander. — Die Bemerkung des oͤrtlichen Zuſammen-
haltens der Saͤnger (S. 76. meiner Abh.) ſcheint mir in Hagens
fuͤnfter Note etwas einſeitig ausgefuͤhrt. Sollen die Rheinlaͤn-
der, Schwaben und Franken gegen die Sachſen gewetteifert ha-
ben, ſo paßt ja nicht, daß der Sachſe Gervelyn die Franken,
ſammt dem Schwaben Marner lobt, und dieſer die rheiniſchen
tadelt. Unrichtig iſt es, daß ſich wie die maneßiſche fuͤr ſuͤd- die
jenaiſche H. S. fuͤr norddeutſchen Sang beſtimmt habe, finden
wir nicht in der letzten einen Br. Werner, Tanhuſer, Spervo-
gel, Rumelant von Schwaben, Stoll, Alexander, Robin und die
Thuͤringer und Meiſner muͤſſen viel eher zu den Suͤddeutſchen
und Franken geſchlagen werden, z. B. der von Sonnenburg, der
ohnedem viel ſuͤddeutſche Herren lobpreiſt. Auf letzten Punct iſt
wieder zu viel Gewicht gelegt; hat Rumelant den Braunſchwei-
ger, Stettiner und Daͤnemarker gelobt, ſo haͤtte nicht verſchwie-
N 2
[192] gen werden ſollen, daß er auch Baiern und Rudolf von Habs-
burg beſingt. Und ruͤhmen nicht der ſaͤchſiſche Kelyn: Tyrol,
Schwaben, den von Kemenat, der Miſner (Frauenlob) nicht ei-
nen Grafen Ludwig v. Oettingen, Koͤnig von Boͤhmen und Herrn
von Grindelach; oder umgekehrt, der ſuͤdliche Tanhaͤuſer nicht den
brabaͤntiſchen Conrad von Landsberg, Graf Dieterich von Bren-
nen und ebenfalls (2 64.) den Erich von Daͤnemark, ſo wie
Reinmar (2. 132.) denſelben? Genug Beiſpiele, um zu zeigen,
daß die Preislieder zwar bedeutend, aber nicht entſcheidend bei
dem damaligen Wandern der Meiſter fuͤr ihr Vaterland gebraucht
werden duͤrfen. Um ſo mehr bleibt meine dem Meiſtergeſang
gezogene Linie ſtehen, das heißt dem Kern nach ganz in Suͤd-
deutſchland, zeigen ſich fruͤher einige Sachſen, oder vielmehr Meiſ-
ner (noch viel weniger, daß jene Plattdeutſch gedichtet haͤtten)
ſo trieben auch die neueren Schulen aus Schleſien bis Danzig
hinauf. — Unter den hier aus der Colmar. H S. (deren voll-
ſtaͤndige Herausgabe gar ſehr zu wuͤnſchen bleibt) mitgetheilten
Liedern ſind die Nummern 1. 4 und 10. fuͤr unſern Gegenſtand
am wichtigſten. N. 1. iſt ein Bewillkommnungslied, oder eine ſo
genannte Empfahung, und nothwendig in einer Geſellſchaft vor-
geſungen. Der Ausdruck: „gut edel geſang“ erinnert an Con-
rads (in meiner 18ten Rote) citirte Stelle, und zeigt, wie der M.
G. urſpruͤnglich in dem Adlichen, Hoͤflichen gewaltet haben muß,
da ſich noch ſpaͤtere dieſe Woͤrter zueignen duͤrfen. Der fremde
Regenbogen kommt als Gaſt zu den Rheinſingern, und fordert
heraus, wer ihm mit Kunſt anſingen wolle, froͤhlich auf den
Plan zu ziehen. Auffallend iſt, daß er nach dem zweiten Geſaͤtz
erſt um Singens willen nach Ungerland ziehen wollen, weiches
vielleicht ſagenhaft mit Klinſors Aufenthalt daſelbſt zutrifft, und
dann bloße Redensart waͤre, allein auch hiſtoriſch zu erklaͤren
ſeyn kann, da gerade anfangs des 14ten Jahrh. Wenzel von
Boͤhmen und Otto von Baiern in Ungarn regierten; ſind alſo
deren Hofſaͤnger gemeint, ſo wuͤrde das einigermaßen die von
Horneck angefuͤhrten in beſſeres Licht ſetzen. (S. 101. m. Abh.)
Ferner erhellt hieraus und aus Nr. 4. u. 10, daß „Geſanges Mei-
ſter“ dasſelbe was Meiſterſaͤnger ausſagt. Das Aushaͤngen des
Kranzes, zum Abgewinnen, als von ritterlicher Sitte abſtam-
mend, iſt gerade noch das ſpaͤtere Kranzſingen (S. 114. 115. m. A.);
bemerkenswerth die damals alſo ſchon eingefuͤhrte Silbenhaltung,
am Schluß die bekannte Beziehung auf die freien Kuͤnſte.


Num. 4. iſt ein gar huͤbſches Lied, worin es den ehrlichen
Schmied gereuet, daß er ſeine weiße Haͤndlein verloren, eh ſich
ſein Herz in ſolche Kunſt begeben und den innern Beruf zur letz-
tern wird ihm niemand abreden, haͤtte er auch nur die eine Zeile
gedichtet: „meine Kunſt gruͤnet in der Sinne Zweig.“ Schief
[193] aber iſt die Bemerkung (S. 170.), daß der Schmiedhammertact
auf den abgezaͤhlten Silben und Reimfall unverkennbar ein-
gewirkt, haͤtte hier Herr v Hagen nicht durchs Tuch geblickt, ſo
haͤtte er nichts gerathen; Schade, daß die goldne Schmiede nicht
von ihm, ſondern Conrad geſungen worden iſt; bei den ſpaͤteren
Meiſtern muͤßten wir dann noch mannichfaltigere Einfluͤſſe der
Pfrieme, Nadel ꝛc. wahrnehmen, mir ſcheinen Frauenlobs Lieder
nicht weniger, wo nicht mehr zuſammengeſchweißt, als die des
Regenbogen. Merkwuͤrdig iſt auch dieſer Geſang uͤber die Unei-
nigkeit der letzt genannten Meiſterſaͤnger, S 82. m. Abb.; das
Spotten und Strafen iſt wie im Wartburger Krieg, (S. 78. m A.)
uͤbrigens ſieht man, daß gleich den ſpaͤteren der buͤrgerliche Mei-
ſter von hoͤflichem Geſang ausgeht und vor Kaiſer und Fuͤrſten
ſingen will.


Am belehrendſten uͤber die damalige Meiſterkunſt bleibt Nr.
10. von Conrad von Wirzburg und einzelne Terminologien, denen
vorher ſchwerlich Docen ein ſolches Alter zugetrauet haͤtte fin-
den hier die Rechtfertigung, wie: Differenzen (Buchſtaben
verſetzen, oder Wiederhohlen desſelben Worts in einerlei Zeit)
und ſchullende Reime, (denn ſtatt: Unterfutter im Abgeſ.
der erſten Strophe muß offenbar: unterſchulle geleſen werden ꝛc.)
wogegen wir auch einige neue ſpaͤterhin verlorene kennen lernen.
Dahin ſelbſt die merkwuͤrdigen Forderniſſe, die Conrad nach den
Buchſtaben macht, aͤhnlich dem Reinmar der Man. 2. 154 aus
denen im Wort Maria die goͤttlichen Eigenſchaften erlaͤutert. Die
Reiel ſind regelmaͤßige Tanzlieder, unregelmaͤßige wuͤrden wohl
zu den Leichen gehoͤren. Sonderbar, daß der hier abgedruckte
gulden Reyel, bei ganz gleichen Reimen in dem erſten Stollen die
zweite und dritte Zeile Silben verkuͤrzt, da wir nun hier einen ge-
wiſſen Meiſtergeſang vor uns haben, ſo wird die oben im Tyturel
(S. 59 u. 61.) bemerkte Anomalie ganz willkommen erlaͤutert und
iſt derſelben Erklaͤrung faͤhig. Der Hofeweiſer werden mit Be-
deutung zwoͤlfe verlangt, und vielleicht damit zu damaliger Zeit
noch die Minnepoeſie, als an den Hoͤfen die beliebteſte gemeint.
Man erwaͤge, daß hier z. B. Nr. 3. ein Minnelied Muſcabluͤts
in deſſen Hofweiſe gehet, wie ein anderes im Muſ. 1. 123. ab-
gedrucktes, auch zum Beweis, daß die Minnelieder, gleich den
andern meiſterſaͤngeriſche Toͤnenamen gehabt, wie ich in m. Abh.
S. 185. behauptet habe. Am aller merkwuͤrdigſten ſind aber die
von jedem Meiſter gefoderten 12 Barant und 3 Schalltoͤne, uͤber
deren Weſen uns die Colmarer H. S. hoffentlich noch Aufſchluß
geben wird. So viel iſt deutlich, daß das Bar aus dem Parat
Barat geworden iſt, wonach meine Note 61. etwas zu berichtigen
waͤre, imgleichen durch das Schall meine 189ſte.


[194]

Noch waͤren aus den hier abgedruckten Liedern und dem Ha-
genſchen Commentar fuͤr die Namen und Abtheilungen mehrerer
Meiſtertoͤne intereſſante Nachrichten zu nehmen, der abgeſpitzte Ton
Conrads (110. m. Abh.) muß offenbar in „Aſpiston“ hergeſtellt
werden, auch wird vielleicht Wagenſeil S. 161. gegen meine Note
95. entſchuldigt, und daß innere Erweiterungen den Ton nicht ge-
rade abaͤndern (N. 97. m. Abh.) neu belegt. Ich enthalte mich
aber in dieſen Theil des Gegenſtands weiter einzugehen; iſt erſt
einmal der Meiſtergeſang anerkannt, ſo kann ſicherer und unbefan-
gener uͤber die Geſchichte gewiſſer Meiſtertoͤne gehandelt werden;
von der Richtigkeit der hier im Druck beibehaltenen Abtheilungen
bin ich um ſo weniger uͤberzeugt, als dabei offenbare Nachlaͤſſig-
keiten mitunter laufen, z. B. in der zweiten Strophe des letzten
Lieds iſt der deutliche zweite Reim des Abgeſangs auszuruͤcken
vergeſſen worden.


Docen hat in demſelben Heft des Muſ. S. 18 — 29. einen an-
dern, fuͤr mich nicht weniger zeugenden Meiſtergeſang Hornburgs
edirt. Vorerſt ein neuer Beleg zur ſagenhaften Anwendung der
Zwoͤlfmeiſterzahl. Dann wieder die dem Ton nicht ſchadende Va-
rietaͤt im langen Marner. Die Anrede: Geſangesfreund (S. 92.
m. A.) und die unleugbare Meiſterverſammlung. Warum wun-
dert ſich Herr Docen nicht ein wenig uͤber den Meiſterſinger Nit-
hart? Das „parat“ kommt zu der vorhin gemachten Anmerkung;
auch Wizlau gebraucht „parteren“ (CCCLX.). Das „fundelen“
gehoͤrt zu meiner Note 146, auch bei Frauenlob im Weim. Codex
(mihi Nr. 65.) ſteht „fundelern.“ S. 23. wird die von mir (S.
84. 85.) widerlegte Interpretation von „zwigenge“ verſucht, wenn
es nur „zwigengen“ hieße, ſo waͤre es ſcheinbarer. Die Aeuße-
rung, daß Walter, Eſchenbach u. a. durchgaͤngig den Minneſang
geuͤbt, Reimar v. Zw. aber ſeine Anſpruͤche (!) auf Erfindung
reizender Lieder und muſikaliſche Compoſition aufgegeben, und ſich
zuerſt (?) auf moraliſchen lehrenden Inhalt beſchraͤnkt habe“
(S. 26.), wird mir Docen mit nichts wahrmachen koͤnnen.


Es gehoͤrt noch viel dazu, und die bisherigen Arbeiten zeigen
das uͤberall, bis wir die Geſchichte unſerer Meiſterkunſt in das ver-
diente Licht ſetzen; ſtatt, daß ich hier einige fluͤchtige Zuſaͤtze ge-
macht, haͤtte ich freilich den Reichthum des neuen Materials lie-
ber reiflich in meine Abhandlung verarbeitet; wenn man dieſer die
Quellen, worauf ich beſchraͤnkt war, anſieht, ſo iſt es mir gewiſſer-
maßen ein erfreulicher Verdienſt, daß ich die Wahrheit, von An-
fang an gegen meine beiden Widerſtreiter, denen beſſere Huͤlfs-
mittel zu Gebot ſtanden, erkannt und vertheidigt habe.


[[195]]

Inhalt.


  • EinleitungSeite 13
  • Hiſtoriſche Ueberſicht26
  • Innere Beweiſe36
  • 1. Regel 43
  • Erſte Einwendung. Einfache Minnelieder 47
  • Zweite — Anomalien 49
  • Dritte — Titurelston 58
  • Vierte — Leiche 63
  • 2. Mannichfaltigkeit der Regel 70
  • Aeußere Beweiſe.
    1. Geſellſchaftliches 75
  • 2. Namen 98
  • 3. Toͤne 106
  • 4. Tradition 115
  • 5. Zeugniß von Schriftſtellern 121
  • 6. Handſchriften 123
  • 7. Geographiſche Ausbreitung 127
  • Verhaͤltniß zur uͤbrigen altdeutſchen Poeſie.
    1. Volkspoeſie 131
  • 2. Erzaͤhlende und Spruchgedichte. 136
  • Verhaͤltniß zur ausheimiſchen Poeſie. 141
  • 1. Provenzalen 143
  • 2. Franzoſen. 153
  • 3. Niederlaͤnder 156
  • 4. Scandinaven 160
  • 5. Englaͤnder 168
  • Reſultat. 170
  • Berichtigungen und Zuſaͤtze. 175
  • Nachtrag189

[[196]]

Appendix A Nachſchrift.


Der auf dem Titel hinzugegebene Spruch ſoll die Identitaͤt
des Minne- und Meiſterſangs in einem Gleichniß faſſen. Die
Blumen ſpielen in unendlicher Mannichfaltigkeit, die einfache
Form des Klees iſt immer dieſelbe. Wenn alſo der von Jo-
hannisdorf ſingt (1. 175.):
wiße rote roſen blawe blumen gruͤne gras
brune gel aber rot, darzuo des klewes blat

ſo mag man zu Gefallen der Allegorie den vom Dichter nicht
einmal geahnten Nebenſinn einlegen, daß zu den einfachen,
froͤhlichen, liebenden, ſehnenden, ernſten und ſcheltenden Liedern
uͤberall die ſtete Regel des Meiſtergeſangs hinzutrete. Auch
ſymboliſirt das Trifolium trefflich die dreigliedrige Structur,
indem aus zwei gleichgeſetzten Blaͤttern ein neues drittes her-
vorſteigt, von ihnen getragen wird und ſie ſchließt; wie denn
ferner der Klee nicht nur die Liebesblume iſt, ſondern auch,
wenn man der ſpaͤteren Entwickelung des Meiſtergeſangs geden-
ken will, bekanntlich (im Kartenſpiel) den gruͤnenden Buͤrger-
ſtand repraͤſentirt. Die Vergleichung mit der Pflanzennatur,
als worin auch drei die Urzahl und die erſte Zahl der Erſchei-
nung, rechtfertigt ſich in den neueſten uͤber letzteren Gegenſtand
angeſtellten Unterſuchungen: „es kann keine Pflanze mit ur-
ſpruͤnglich zwei Blumenblaͤttern geben.“ (Oken Lehrbuch der
Naturphiloſophie. Th. 3.)

[[197]][[198]][[199]]
Notes
1).
In des Nibelungenlieds hertlichem Eingang iſt die vollſtaͤndige
Idee des Epos ausgeſprochen.
2).
Es iſt zu beachten, daß eine in ſich beziehungsvolle Sage von
dem durch Schlauheit entwundenen, von der ſtaͤrkeren Kunſt
des Dichters aber wieder behaupteten Liedereigenthum, nirgends
von einem Volksdichter vorkommt. So findet ſie ſich von dem
indiſchen Hofſaͤnger Kalidas und mit aͤcht ſagenhafter Abwei-
chung von Virgilius, und wieder vom Provenzalen Arnoldo
Daniello. Moderner Nachſage, als truͤber Quelle entfloſſen,
hier zu uͤbergehen.
3).
Auf dem Reinhalten ruht alle Reinheit, leiſes Anruͤhren verletzt
die Schamhaftigkeit am erſten, man kann den Anſtand abbla-
ſen, waͤhrend man ihm noch gar nichts genommen zu haben
meint. Das bleibt ein Grund gegen alle Miſchung der Katho-
liken mit den Proteſtanten, der Chriſten und Juden und gar
wohl der Tuͤrken. Es iſt Thatſache, ſeitdem die Zuͤnfte gezwun-
gen worden, uneheliche Kinder aufzunehmen, daß dieſer ſo viel
geworden ſind, daß viel mehr als ſonſt uͤbrig bleiben, die zu kei-
nem Handwerk gelangen.
1).
Es iſt bei dieſer Stelle vermuthlich auf zwei Aufſaͤtze der Her-
ren von Hagen und Buͤſching abgeſehen, worin dieſe ihre
Meinung uͤber den ſtreitigen Punet niedergelegt. Sie ſtehen
im erwaͤhnten lit. Anz. 1808. gedruckt.
2).
Die Unſchicklichkeit in dieſem gerade etwas anomalen Ton eine
Weiſſagung des ſpaͤteren M. G. zu erblicken, hat Docen her-
nach ſelber erkannt. Davon unten mehr.
3).
Ich ſchlage ſonſt gleich vor, den Geſang in Liet und Lied
zu unterſcheiden, unter erſtem das epiſche, unter letztem das
lyriſche zu verſtehen. — Uebrigens ſchreibt Wagenſeil u. a.
beſtaͤndig unſer Wort mit einem i, und nicht aͤ.
4).
Den Marner und Bremberger, beide ſtehen in der mane-
ßi[ſch]en Sammlung, ich konnte aber viel wiſſen, ob ſie Docen
fuͤr Minne- oder Meiſterſinger gelten haben will. Es hat ſich
gezeigt, daß er wohl den erſten fuͤr einen ſolchen nimmt, nicht
aber den Reinman von Brennenberg.
5).
Auch von der Hagen definirt den Minneſang: eine freie
adeliche Kunſt. Nur eine Thatſache dagegen: zweifelt er wohl
an der Armuth und der Noth, etwas zu verdienen, die der
Minneſaͤnger Geltar ſo deutlich ausſpricht?
6).
Dieſe will ſchon in ſeiner erſten Aeußerung Docen nicht ge-
leugnet haben, allein dagegen halte man, was er noch jetzo in
der zweiten ſagt, ſie waͤren recht beſehen keine eigentliche Mei-
ſterſaͤnger u. ſ. w. Ohnedem waͤre es mir unmoͤglich geweſen,
den Ausweg, den er ſpaͤter genommen, oder doch erſt ausge-
ſprochen, fruͤher zu ahnen, und das Verwerfen meiner Anſicht
war ſo beſtimmt und die billigende Erwaͤhnung der alten Mei-
ſter ſo zweifelhaft. Ich ziehe hierher auch die ſonderbare, aber
deutliche Neigung, unter meinen Beweismitteln ſelbſt die zu
entkraͤften, welche doch auch die Exiſtenz ſeiner eigenen alten
Meiſter haͤtten beweiſen muͤſſen. — Bei der Unſicherheit ſeiner
Meinung uͤber den aͤlteren Meiſtergeſang haͤtte er um ſo weni-
ger eine Bemerkung uͤber deſſen Beſtimmung zuruͤck behalten
ſollen. (S. 448, 449.)
7).
S. 453 hat er das wieder nicht angenommen, hier heißt es
beſtimmt, die ſieben Wartburger Dichter ſeyen keine Minneſaͤn-
ger. S. 454 ſcheinen ſie wieder: „nicht bloß Minneſinger.“
8).
Es iſt damit ganz anders, als wenn der Meiſterſaͤnger Sachs
auch andere Gedichte ſchreibt, die keiner fuͤr Meiſterſaͤnge haͤlt,
und ich auch nicht, oder wenn die alten Meiſter in unver-
ſchlungenen Reimen lange Romane.
9).
Buͤſching hat in der That ſo etwas unternommen, indem
er den Urſprung des Meiſtergeſangs von der Zeit der wirklichen
Tabulaturen an abhaͤngig macht. (N. lit. A. 1808. Col. 406.)
Zum Ungluͤck muͤßte dann etwa die Auffindung einer fruͤheren
Tabulatur das ganze Syſtem umwerfen! Davon abgeſehen,
daß, ſo viel ich weiß, alle Tabulaturen local geweſen ſind.
9 b).
Das ſtaͤrkſte Beiſpiel hiergegen ſcheint einer der trefflichſten
Minneſaͤnger, Ulrich von Lichtenſtein abzugeben.
10).
Daß ich wenigſtens das nie gewollt, ſehe man aus meinem
erſten Aufſatz, wo ich ſagte:„vielleicht alle Minneſinger
ſind eigentliche Meiſterſinger,“ einen ſolchen Einwand ahnend.
Die Sache iſt aber deutlicher, wenn das unterſirichene Wort
wegbleibt.
11).
Zum wenigſten iſt es ganz erklaͤrlich, wenn ſie nicht eben Mei-
ſter genannt werden, welches Docen S. 446. gegen mich bei-
bringt. In dem Glanz ihres Standes erblaßte ſchon wieder
der Ehrenname des Dichters. Im 17. und 18. Jahrhundert
war z. B. das Drechslen eine Lieblingsbeſchaͤftigung mancher
deutſchen Fuͤrſten, keiner wird aber Drechslermeiſter geheißen
haben, obgleich ſie wirkliche Drechslerarbeit lieferten. Die auf
den ſpaͤtern Meiſterſchulen von den bloßen Singern oder Schul-
11).
freunden gemachte Meiſtergeſaͤnge ſind eben ſo gewiß wirkliche,
obſchon ihre Dichter im damaligen Sinn keine Meiſter waren.
12).
Es moͤgen noch viel Minnelieder außer ihr exiſtirt haben, und
eine genaue Beſtimmung des Verhaͤltniſſes der vatieaniſchen
H. S. zu ihr, welche wir von Gloͤckle hoffen, hat ſchon darum
ihr großes Intereſſe. Spaͤter hat man offenbar fuͤr die H. S.
der aͤlteren Meiſterlieder wenig geſorgt, ſonſt muͤßten ihrer mehr
erhalten worden ſeyn. In Puͤterichs ganzer Bibliothek
keine einzige!
13).
Dieſes figurirt auch noch terminologiſch in den Meiſterſchulen.
Vergl. auch Morolf u. Sal. v. 1320 u. 2508.
14).
Dieſes Wort iſt ſchon fruͤher, als es in Meiſterſchulen gebraucht
wurde, fuͤr die Muſik uͤblich geweſen, und es wohl noch.
15).
S. z. B. S. 115. Seite 473. ſcheint der Punct des eigentli-
chen Meiftergeſangs erſt auf dem Jahr 1500 zu ſchweben! Anno
1600 war er gewiß noch eigentlicher.
16).
Vielleicht ſoll ein Beweis in ſpaͤtern Behauptungen, (wie in
dem Memminger Bericht vorkommend) liegen, wonach die er-
ſten Schulen zu Mainz, Frauenlobs Ort, gehalten worden.
Meinethalben auch, die beſtimmte Schulfeierlichkeit gehoͤrt nicht
zum Weſen des Meiſtergeſangs.
17).
Wie will man anders die Fragmente des alten Titurels erklaͤ-
ren, der noch vor Veldeck faͤllt? Hier iſt naͤmlich bei der Aehn-
lichkeit einzelner Wendungen ein großer Abſtand vom Stil der
Nibelungen, aber auch noch gar wenig von der ausſchweifen-
den ſpaͤtern Manier. Die Form ganz einfach und ohne Mei-
ſterſaͤngeriſches. — Will man mir aber einwerfen, warum ich
denn die adliche Minnepoeſie nicht als eine Fortſetzung ſolcher
alten Lieder, unabhaͤngig vom Meiſterweſen, gelten laſſe? ſo
iſt die Antwort: eben weil die adlichen Dichter ſich hoͤchſt
wahrſcheinlich und einige erweislich nach den armen gebildet,
und weil ihre Lieder das entſcheidend meiſterfaͤngeriſche an ſich
tragen. Denn gewoͤhnlich haben wir von ihnen auch recht kuͤnſt-
liche Geſaͤnge, den Kuͤrenberger etwa koͤnnte man fuͤr einen
aͤlteren Dichter halten, der noch nichts von unſerm Meiſterſang
gewußt. Unrecht thut man mir uͤbrigens mit jener Frage, zu
glauben, daß ich die ſpaͤtere Minnepoeſie von jener alten tren-
nen wolle.
18).
Wenn Docen aus irgend einem bloßen Minneſaͤnger eine der
nachſtehenden aͤhnliche Stelle beibraͤchte, ſo wuͤrde er damit um
ſo weniger gegen mich beweiſen, als dieſe ſelbſt von einent un-
beſtrittenen Meiſter herruͤhrt. Conrad von Wirzburg ſingt 2.
207 a: 〟Edelſang ſey eine innerliche Kunſt, die nicht gelchrt
werden koͤnne, ſondern von ſelber kommen muͤſſe. 〟enſelben
Gedanken mit andern Worten im troj. Krieg: Der Meiſter,
dem die Kunſtregel nicht verborgen geweſen ſeyn kann, erkennt
die hoͤhere Nothwendigkeit innerliches Berufs. In aͤhnlichent
Sinn ſagt auch der von Morungen 1. 53, daß er durch Sang
zur Welt geboren worden.
19).
Daher der ſehr uͤbliche Ausdruck: 〟hofelicher Sang.〟
Truchſeß (bei Adelung 1. 100.) von Walter, womit dieſer
ſelbſt zu vergl. Maneße 1. 112 und 131. Tanhuſer 2. 69.
Marner 2. 179. Suonenburg 2. 213. conf. Titurel 1609.
Gottfried Er. 1843 will nicht von Siechheit und Arzenei ſpre-
chen, er vermeide alle Rede, die nicht 〟des Hovis ſi.〟 Ru-
melant nennt ausdruͤcklich als Zweck der Kunſt: 〟die Herren
froh zu machen〟 (CCCXXXI.) und Miſner ſich ſelbſt einen
Fuͤrſtendiener, der auf Gnade ſinge. (DXC.) Das Wort:
hoͤflich, nahm in der Folge die viel allgemeinere, und eben
aus ihm entſprungene Bedeutung von huͤbſch (hobiſch, hin-
biſch), und ſo koͤnnen auch ſpaͤte Meiſter noch 〟ſunſt ander
hoͤffliche Gedicht〟 anpreiſen. (Arnims Codex, Num. 70.)
20).
Die merkwuͤrdigſte und deutlichſte mir bekannte Stelle, worin
die ſaͤmmtlichen ſieben freien Toͤchter auf den Meiſtergeſang
angewendet werden, iſt in einem Geſang in dem langen Re-
genbogen, bald zu Ende des Weimariſchen Codex. Ich wuͤrde
ihn gern mittheilen, wenn es der Raum erlaubte. Daß aber,
ſo bald wir den Meiſtergeſang richtig, d. h. hiſtoriſch betrach-
ten, ſein Weſen von dem Studium der ſieben Kuͤnſte, unab-
haͤngig iſt, wird noch unten vorkommen, Note 66. Man vergl.
Regenbog Maneße 2. 197. Canzler 2. 246 u. Wagenſeil
552. 553.
21).
Dieſen ſcheint D. nach S. 113. nicht fuͤr einen Meiſterfinger
paſſiren zu laſſen, obgleich er die ſenende (Minne-) weiſe
eines gleichzeitigen Meiſters nachgeſungen habe!
22).
Ein ſpaͤtes Beiſpiel iſt bekanntlich der Chriſtian Hafner,
deſſen Amſel den daͤniſchen Hof auf den Meiſtergeſang ihres
Lehrers neugierig machte, worauf der gute Mann aus Nuͤrn-
berg (1666.) nach Copenhagen reiſte und jedermann uͤberaus
wohlgefiel. Eine fruͤhere Erzaͤhlung von einem Nuͤrnberger (?)
Meiſterſaͤnger, der 1551 in Preußen auf einer Hochzeit vom
heidniſchen Abgott Baechus ſang, hat Kotzebue Geſch. von
Preußen 2. 194. 195. aus Vincentii moguntini chronicon
prussiae,
oder vielmehr dem Auszug daraus in Beckers Ver-
ſuch einer Geſch. der Hochmeiſter. Berlin 1798.
23).
Hans Sachs ſoll den Meiſtergeſang ſo aufgebracht haben, daß
mit ihm 250 zu Nuͤrnberg geweſen. (Vogt.)
24).
Docen hat ſelbſt einige dergleichen aus etwas fruͤherer Periode
mitgetheilt, die er ja nicht Minnelieder, aber doch erotiſche
nennt. Ueberhaupt ſind ihm einige Abfertigungen zur Hand,
welche auf alle Beiſpiele paſſen, die man gegen ihn anfuͤhrt.
Citirt man ihm das gefoderte Exempel einer ſpaͤtern Form in
fruͤher Zeit, ſo ſcheint der Dichter entweder ein armer — dann
iſt es ja auch ein Meiſterſinger, — oder ein reicher — dann
iſt die Aehnlichkeit zufaͤllig. Citirt man ein Minnelied eines
alten Meiſters, — ſo iſt es nebenbei, außerhalb der Meiſter-
kunſt gemacht und kein eigentliches Meiſterlied, — oder eines
ſpaͤten — ſo iſt es kein eigentliches Minnelied. Ich moͤchte
wiſſen, wo die Zeit angeht, nach der er ein Minnelied in
unleugbarer Meiſterform fuͤr einen Meiſterſang gelten laͤßt!
24 b).
Und alles in der beſten Meinung von wahrem Fortſchreiten
in der Kunſt; wie es ein Lied aus dem ſechszehnten Jahrhun-
dert ausdruͤckt:
man thut von tag zu tag ſich gar

drin ſterken und fortwalten.
25).
Heidelberg. Jahrb. 1810. Heft 27.
26).
Oder in kurzen einfachen Reimzeilen erzaͤhlt. Otfrieds Evan-
gelia waren ſo wenig fuͤr den Geſang, als Werners Maria,
allein Ludwigs Ehrenlied wurde doch geſungen, und nicht un-
moͤglich auch Koͤnig Rother in deſſen abweichender Form das
unvolksmaͤßige beigemiſchte Element vorzuͤglich anzuerkennen.
27).
Es verdient beſonders unterſucht zu werden, ob ſich nicht auch
darin der Meiſterſang von dem Volkslied unterſcheide, wie ich
vermuthe, daß das natuͤrliche allgemeine Moll dem letztern,
das individuelle Dur dem erſtern gemaͤß iſt.
28).
Ich begnuͤge mich hier an Gottfrieds von Straßburg be-
kannte Stelle zu erinnern, Triſtan 4631 ꝛc. Da er hier bloß
von erzaͤhlenden Meiſtern reden will, ſo ſcheidet er ganz recht
bloße Liederdichter, wie den von Hagenau und Walter von
den vorgenannten Veldeck, Blicker, Hartmann u. ſ. w.,
ob gleich dieſe auch einige Lieder gemacht. Jene aber: „horent
nicht zu dirre ſchar.“ An einen Unterſchied zwiſchen Meiſtern
29).
Ich fuͤhle es wohl, darin muß etwas gegen meine Anſicht lie-
gen, daß man ſich die Unſchuld dieſer Poeſie mit der Kunſt
nicht zuſammen denken mag. Ohne zu wiſſen oder ſelbſt zu
glauben, daß Tiek meine Vorſtellung billigt, kann ich mich hier
nicht beſſer ſchuͤtzen, als mit deſſen eigenen Worten: „ſo viel
Kunſt und ſtrenge Schule auch ſo manche Gedichte dieſer Zeit
verrathen, ſo moͤchte man doch dieſe Poeſie nicht Kunſt nen-
nen; ſie iſt gelernt, aber nicht um gelehrt zu erſcheinen, die Mei-
ſterſchaft verbirgt ſich in der Unſchuld und Liebe, der Poet iſt
unbeſorgt um das Intereſſe, daher bleibt er in aller Kuͤnſtlich-
keit ſo einfaͤltig und naiv, er ſucht ſeinen Gegenſtand lieber
durch eine neue Anordnung der Reime, als durch neue und auf-
fallende Gedanken hervorzuheben.“
28).
und Minneſ. denkt aber der Dichter nicht, wozu gerade der Ort
geweſen waͤre, ja er nennt die Nachtigall von der Vogelweide
ſelber eine Meiſterinne (v. 4680.), wenn auch im allgemeinen
Sinn, der aber hier, falls jener Unterſchied Statt geſunden,
ſelbſt vermieden worden waͤre.
30).
Ich habe es ſchon vorhin zu dem Hauptfehler meines erſten
Aufſatzes gemacht, daß ich anfaͤnglich dieſes dreigliedrige Prin-
cip in einigen alten Minneliedern nicht anerkennen zu duͤrfen
waͤhnte. Dazu verleiteten mich einige Anomalien, die ich da-
mals nicht recht zu erklaͤren wußte, dann die anſcheinend gluͤck-
liche hiſtoriſche Nachweiſung des Namens der Stollen. (ſ. folg.
Note.) Jedoch muß ich ausdruͤcklich aufheben, daß mir Do-
cen
mit Unrecht S. 105. die Leugnung des dreigliedrigen Satzes
da zuſchreibt, wo ich nur von fruͤher nicht dageweſenen ſpaͤte-
ren Kleinigkeiten ſpreche. Wie haͤtte ich die allerſichtbarſte Ei-
genſchaft des ſpaͤteren Meiſtergeſangs eine Kleinigkeit heißen
koͤnnen? Ich dachte aber bei dem Worte Abtheilungen an
nichts als das aͤußerliche Abtheilen und Abſetzen in den Hand-
ſchriften, wie jeder Aufmerkſame ſogleich ſehen wird.
31).
Strophe, als etwas Wiederkehrendes, (versus) iſt zwar hier unei-
gentlich und wuͤrde ſich eher fuͤr den Begriff unſeres Stollen paſſen.
Indeſſen das Wort: Geſaͤtz, wuͤrde ungewohnt, und Lied
ganz verwirrend ſeyn, obgleich ich recht gut weiß, daß die ſpaͤ-
tern den erſten Ausdruck brauchten, und die Minneſaͤnger ſo-
wohl, als die ſpaͤtern Meiſter ganz beſtimmt dasjenige, was ich
hier unter Strophe verſtehe, Lied benennen. Es iſt uns jetzo
aber viel zu [gelaͤufig], darunter das ganze Gedicht zu begreifen,
oder eigentlich, ſo haben wir den noch aͤlteren, volksmaͤßigen
Gebrauch dieſes Wortes wiederum eingeſetzt, nach welchem z. B.
das ganze Gedicht der Nibelungen Lied heißt. Eine aͤhnliche
Vermiſchung hat das Wort Weiſe betroffen, worunter wir
jetzt nur den Ton, die Melodie einer Strophe verſtehen, da die
Daͤnen mit ihren Viſer auch ganze Lieder bezeichnen.
Den Namen Stoll betreffend, ſo nehme ich meine fruͤhere
Vermuthung, als ob er mit dem Meiſter Stolle in Verbindung
zu bringen ſey, zuruͤck, da er ſich auch weit natuͤrlicher (er mag
aufgekommen ſeyn, wann er will) im terminologiſchen Geiſt des
Meiſtergeſangs erklaͤren laͤßt, das ganze Geſaͤtz ruhte oder ſaß
gleichſam auf zweien Fuͤßen. Aufgeſang fuͤr Stoll, welches
Docen durch ein Beiſpiel von 1515 rechtfertigt (Note 11. ſei-
ner Abh.) waͤre eine ſehr paſſende Benennung und entſpraͤche
dem Abgeſang. Man vergleiche das Jen. M. z. B. CCCLXIII.
wo Rumelant auf Singofs Namen anſpielt:
ſingof, ſing abe, ſing hin, ſing her.“
welche Stelle fuͤr das ziemlich hohe Alter beider Woͤrter ſtreitet.
32).
Fuͤr letzteres haben die ſpaͤtern Meiſter den techniſchen Ausdruck
Korn oder Koͤrner.
33).
Z. B. Dietmar v. Aſt (1. 40. Lied: „ich ſufte und hilfet ꝛc.“)
und derſelbe Ton in dem erſten Lied des Burggr. v. Liunz
(1. 90.), in welchen beiden der Stoll 4, der Abh. nur 2 Zeilen
hat. Dasſelbe Verhaͤltniß in anderem Ausdruck bei Winli
(2. 23. Lied: ſwer in leide ꝛc.) Fuͤr den ſpaͤten Meiſtergeſang
begnuͤge ich mit den Beiſpielen von Nunnenbecks abgeſchie-
denem und Kettners hohem Ton.
34).
Der ganze Stoll wiederhohlt in einem Minnelied Meiſter Teſch-
lers
2. 88. (frowe minne) u. Roſts 2. 90. (hei roͤſelechter.)
35).
Das heißt in ihrer Sprache: außer den gedritten gibt es z. B.
noch gevierte, gefunfte, geſiebente Meiſterlieder. Man
ſehe Puſchmanns Lieder auf H. Sachs bei Raniſch und den
Cod. vatic. 680.
36).
Z. B. Lupin, Diuring, Hetzbolt, Bubenburg, Teſch-
ler, Roſt, Canzler
(ſehr haͤufig) Rifen (bei Benecke.)
37).
Man ſehe Frauenlobs Geſaͤnge im weimar. Cod.
38).
Dieſe Aufloͤſung ſehe man in einem merkwuͤrdigen Beiſpiel
ſchon in dem Minnelied des Joh. v. Brabant, 1. 8. frowe
durch got genade ꝛc.) Vergl. auch den Meiſterſaͤnger Had-
loub
2. 194. (o we ſi wigt ſo kleine ꝛc.)
39).
Beſſer waͤre ein poſitiver Ausdruck. Man koͤnnte ſie die ſo-
gleich gebundenen, unmittelbaren nennen, im Gegenſatz zu den
ſich verſchlingenden.
40).
Folgender Punct iſt aͤußerſt merkwuͤrdig. In der ſeandinavi-
ſchen Poeſie exiſtirt ganz derſelbe anomale Fall in den beiden
Sangarten Drottmaͤllt und Togmaͤllt, wo ſich jedwede Zeile in
ſich ſelbſt reimt, und zwar 1) ohne daß dieſe Reime in das da-
neben beſtehende Alliterationsſyſtem eingriffen, denn ſie koͤnnen
gleichguͤltig an den alliterirenden Woͤrtern ſelbſt oder an andern
angebracht werden, (eine hoͤchſt willkommene Analogie fuͤr die
Unabhaͤngigkeit unſerer deutſchen Anomalie vom Princip des
Meiſtergeſangs. 2) Die Reime ſind unvollkommen, inſofern
es mehr auf die Conſonanten ankommt und alte Vocalen gleich-
bedeutend gebraucht werden koͤnnen, (ein wahrer Gegenſatz der
Aſſonanz — und ein Beweis der Verwandtſchaft mit der Alli-
teration, man koͤnnte das Ganze eine verſtaͤrkte und verſetzte
Alliteration nennen.) 3) Sie uͤberſchlagen nie und bleiben in
einer Zeile, worin eine Unaͤhnlichkeit mit dem deutſchen Fall;
allein in der nordiſchen Poeſie war die Grundeinfachheit nie ver-
draͤngt worden, daß die alliterirenden Woͤrter noch beiſammen
ſtehen muͤſſen, Ueberſchlagen iſt ungebraͤuchlich, wie man aus
den Runhend ſehen kann. In Deutſchland mußte ſich die Ano-
malie, gleich der uͤbrigen Reimkunſt, mehr Freiheit in der Stel-
lung und Verſetzung nehmen, dafuͤr aber auch die nordiſche
Willkuͤrlichkeit der Vocalenaufgeben. Olafſen irrt, daß er das
Princip des Drott- und Togmaͤllt dem Norden ausſchließlich
40).
zuſpricht. Man darf bei unſerm deutſchen Fall uͤbrigens auch
an die Art denken, wie Otfried ſeine Akroſtichen in den Anfang
und das Ende der Zeilen bringt.
40 a).
Damit ſtimmen auch die ſeitdem bekannt gemachten Frag-
mente einer guten Regensburger H. S. des Titurel uͤberein.
41).
Es iſt naͤmlich ganz gewiß, daß ſchon fruͤhe Meiſter die Silben
ihrer Lieder nachgemeſſen. Wolfram ſpricht ausdruͤcklich vom
Meſſen dieſes Tons, und man ſehe die große Regelmaͤßigkeit
vieler anderer in dem Stuͤck.
Marner hat die Silben am Finger, nach Rumelant
CCCXIII.Herman Damen (XI.) von gemeſſenem, ebenem
Geſang. Hingegen in manchen alten Liedern iſt noch die Frei-
heit der Volkspoeſie, wo es auf einige Silben mehr oder we-
niger gar nicht ankommt.
41 a).
Er hat es nunmehr drucken laſſen, und entwickelt die neue
aus der alten Form auf eine aͤhnliche Weiſe. Beruͤckſichtigung
verdient die intereſſante Bemerkung, daß einige Zeilen der alten
42).
Haͤtten wir das Lied von Morolf und Salome in aͤlterer
Geſtalt, ſo faͤnde ſich hier vielleicht große Uebereinſtimmung im
Bau der Strophen. Man vergleiche folgende Strophe, die in
den Verſen 2014 — 19 der Hagenſchen Ausg. liegt; ſchon ſo iſt
die Aehnlichkeit bedeutend:

Die kele worden bereit an den ſtaden
Die morolf vnd die reiſe uͤber das waſſer ſoltent tragen
Darinne gingen die hilde lobeſam
Da furt er zehen duſent uber des wilden meres ſtran.
Cfr. 2187 — 90. 2191 — 96 u. ſ. w.

41 a).
Form an die hexametriſche erinnern. Dieß koͤnnte weiter ver-
folgt werden, und dazu dienen die Natur des volksmaͤßigen
Hexameters dem ſpaͤtern kuͤnſtlichen und bewußten entgegen zu
ſtellen.
43).
Altdeutſches Muſ. 1. 575.
44).
Warum wurde aber der Ton des Nibelungen in den unſeres
H. B. aufgeloͤſt? Auch, um die Forderung des Meiſtergeſangs
zu erfuͤllen? Das will ich nicht ſogleich verwerfen, obſchon ſich
noch einige Einwendungen machen laſſen.
45).
Zu einiger Beſtaͤtigung der Wahrſcheinlichkeit, daß Wolfram
ſelbſt die ſechste Zeile abgeſetzt.
46).
Wie koͤnnte auch Gottfried (im Triſtan) ſagen: einen
Leich thun“ wenn das Lied hieße. (v. 3490.)
47).
Ich erinnere an die analoge Verwandtſchaft von ludere und
illudere.
48).
Zur Beſtaͤtigung des Geſagten vergl. man eine intereſſante Stelle
im Koͤnig Rother, der aus einer fruͤhern Zeit iſt, v. 171 —
175 und 2510 — 2526. Die Beziehung auf die Harfe iſt ganz
deutlich, und Liet in den Verſen 1826. 1907 ꝛc. gewiß was
anderes als Leich. Auch die Nibelungen unterſcheiden das Liet-
Singen (v. 6835.) vom Leich-Spielen (8085. 8115.)
49).
Vermuthlich bilden die ſechs erſten Abſaͤtze von Taler (2. 99.
100.) auch einen Leich.
50).
Die Vermuthung, daß er von Regenbogen, gruͤndet ſich wohl
auf Adelungs Nachr. 2. 253, allein dieß Gedicht ſteht im
Weim. Cod. und iſt kein Leich.
51).
Titurel Str. 622. klagende Leich.
52).
Haben die ſpaͤtern Meiſterſinger ohne begleitende Inſtrumente
geſungen? und wie die Minneſinger (außer den Leichen)? Ei-
52).
nige Gruͤnde ſind fuͤr die Bejahung jener Frage, es fehlen aber
hier noch Rachforſchungen, die man bisher vernachlaͤſſigt hat.
Der innige Zuſammenhang des Meiſtergeſangs mit Muſik ſeit
der mittleren Epoche unterliegt keinem Zweifel, dahin weiſt
ſchon der entlehnte Ausdruck: Tabulatur, hin. Die musica
gehoͤrte ja unter die ſieben Kuͤnſte, Marner 2. 177. ſingt
auch: melos et thonos canere dulcis nos docet musica.
(Im Zweifel jedoch, wo die Dichter von Toͤnen ſprechen, denke
man mehr an die Form als die Muſik.) Rumelant ſagt
von dieſem Marner: er habe Mußk an der Hand und Silben
am Finger. GervelynCCIV. wirft dem Miſner vor, daß
er ſeine Toͤne von den Pfaffen habe, weiter nichts wiſſe, unter
den Pfaffentoͤnen muß aber natuͤrlich die unter der Geiſtlichkeit
beſonders getriebene mußkaliſche Singkunſt verſtanden werden.
Auf Inſtrumente moͤchte ich, wie geſagt, dieſe Muſik der mitt-
leren und ſpaͤteren Meiſterſaͤnger nicht ausdchnen. Die aͤlteren
haben vielleicht ſich manchmal der Geigen (cf. Unverzagter XIV-
XX.
) und der Harfe (Walter 1. 112. u. Triſtan 4585. 88.)
bedient, gleich den Volksſpielleuten. Ich erinnere auch hier an
Reinmar den Fideler.
53).
In dieſem und einigen der folgenden ſind zwar viele Reime
ganz hart auf einander folgend und faſt allein die Zeile aus-
fuͤllend. Es ſtaͤnde auszumachen, ob man nicht mehrere in eine
Zeile zuſammenſetzen muͤßte, wogegen ich weniger haͤtte, wenn
die Analogie ſpaͤterer nicht dagegen waͤre. Die Mss. entſcheiden
hier nichts, da man erſt ſeit dem 15ten Jahrhundert die ein-
zelnen Zeilen abgeſetzt findet, obgleich man ſchon fruͤher die
Stollen und Abgeſaͤnge unterſchied, was ſich in den fruͤhſten
Mss. auch nicht einmal zeigt.
Die ſpaͤtere Terminologie benennt ſolche Reime Pauſen
oder Schlagreime, je nachdem ſie ein- oder zweiſilbig. In
den Buͤchern ſind ihnen zuweilen ganze Zeilen eingeraͤumt, zu-
weilen nicht, dann ein oder zwei rothe Striche dahinter. Das
ſtaͤrkſte Beiſpiel iſt mir in Ambr. Metzgers Irgaͤng Labyrinth
weis bekannt, welche aus 62 (naͤmlich 17 + 17 + 28) lauter
einſilbigen Reimen beſteht, die auch in dem vorliegenden Exem-
plar in eben ſo viel einzelne Zeilen abgeſetzt waren.
54).
Ich habe bei dieſen Citaten mir einmal vergoͤnnt, die maneßi-
ſehe Sammlung als ein Einartiges anzuſehen, nicht als aus
Minne- und entgegenſtehenden Meiſterliedern zuſammengeſetzt.
Docen wird ſelber wahrnehmen, daß meine Beiſpiele auf ſeine
beiden Arten gerecht ſind.
53).
Uebrigens moͤchte ich dieſe Faͤlle nicht mit den oben in der
zweiten Einwend. Nro. 4. abgehandelten verwechſeln. Dieſe hier
beſtehen ganz genau mit unſerm Typus und paſſen hinein, jene
ſind davon unabhaͤngig. Hiernach ſind zweideutige Faͤlle zu be-
ſtimmen, cfr.Doeens Note 21.
55).
Gleich das erſte Lied der maneß. S. — oder Walter 1. 108.
(ein nuͤwer ꝛc.) — oder Tugendh. Schr. 2. 104. (ſo wol ꝛc.)
56).
Walter 1. 109. (do der ſumer ꝛc.) Conrad v. Wirzb. 2.
203. (gar bar lit ꝛc.)
57).
Walter ſagt (1. 132.): „zu Oeſtreich lernte ich fingen und
ſagen.“ Friedr. von Sonnenburg in der bekannten, fruͤher
mißverſtandenen Stelle: „das rieth mir der von Nif und
andere gute Meiſter nicht.“ (Nach Docen iſt dieſer Nif ein
bloßer Minneſinger.)
58).
Gervelyn ſingt CCIV. vom Myſner, wo er ihn des Ver-
dachts ſchuldlos befinde, ſey er „ſein gut Geſelle.“ 2. 226.
„min geſelle Spervogel.“ Walter 132. „blasgeſelle“ (?)
59).
Man leſe wie Walter (im Weingartn. Cod.) den Thuͤringer
Hof lobpreiſt. Fragm. u. kl. Ged. pag XLVII.
60).
Wo man z. B. noch von dem eigentlichen Meiſter (Tonerfinder)
den eingeſchriebenen Geſellſchafter zu unterſcheiden wußte. Je-
doch hat man ſich dieſe Geſellſchaft nicht ſo feſt, wie eine an-
dere Zunft vorzuſtellen.
61).
Dahin gehoͤrt z. B. die Ueblichkeit des Wortes Bar, fuͤr den
Inbegriff aller Geſetze eines Lieds. Vor dem 16ten Jahrhun-
dert kommt es aber bei keinem Meiſter vor, und haͤngt ſchon
darum mit dem alten Bardenweſen nicht zuſammen. Vielleicht
heißt es ſo viel als Art, Weiſe, genus. Die Baratreyen eini-
ger Meiſter des 15ten Jahrh. darf man nicht hierher ziehen,
Parat fuͤr Putz, Schmuck, Geraͤuſch ſteht in der maneß. S.
und im Titurel mehrmals.
62).
Man ſehe im maneß. Codex Str. 10 u. 17. und im Wiener 4
und 9; auch das Gemaͤhlde im maneßiſchen, nachgeſtochen im
erſten Bande des altdeutſchen Muſeums.
63).
Wenigſtens fruͤher. Cf.Reinmar v. Zw. 2. 129. Str.
„Turniren was“ ꝛc.
64).
Siegfried ſchlaͤgt dem Guͤnther vor, jeder ſoll Land und Leute
in das Spiel des Streits ſetzen. (Nib. 465.) Brunhildens
Freier hauptverluſtig, ſobald er gegen die Braut verliert. (v.
1324.) u. ſ. w. Egil Skalagrim hingegen bekommt ſein verwirk-
tes Leben geſchenkt, um eines ſchoͤnen Liedes willen, das daher
den Namen Hoͤfdlauſn (Hauptesloͤſung) fuͤhrt. S. Egils ſaga.
cap. 63. 64. Der Dichter ſieht dieſen Preis noch fuͤr gering
an, (ebendaſ. p. 657.)
65).
Wolfh. Spangenberg nennt dieſe Lieder einmal Streit- und
Reiz- dann auch Haft-Lieder, welches letzte an die Auffo-
derung: nun Meiſter loͤſe mir dieſen Haft! (W. Kr. Sir. 30.)
erinnern wird. Dem Fr. von Sunnenburg (CCCCXXX.) legte
ſeine Liebſte (Vredelin) ein Beiſpiel vor, und er ſingt: „ſit ich
durch ire liebe dieſen haft untſliezen ſol.“
66).
Hier iſt der Ort, einem Einwurf zu begegnen. Man koͤnnte
darauf verfallen, das Weſen des fruͤheren Meiſtergeſanges eben
durch die Anwendung der Poeſie auf die Lehren der ſieben freien
Kuͤnſte zu erklaͤren, alſo in ihm eine beſtimmte gelchrte, alleao-
riſche, theologiſche Dichtkunſt zu ſuchen, die denn ſpaͤterhin
nur moraliſch und bibliſch geworden waͤre. (Cf.Docennot.
30. p. 448.) Außer mehreren andern noch nachher anzufuͤhren-
den Stellen (vergl. oben Note 20. und den N. l. A. 1807. 772.
773.), laͤßt ſich anſcheinlich auch die Idee der Wettſtreite dar-
auf deuten. Allein:
1) es bliebe unerklaͤrt, warum eine ſich als hoͤchſt characteri-
ſtiſch darſtellende Form auch in den andern Liedern uͤber welt-
liche, gemeine Gegenſtaͤnde vorkaͤme, oder warum die gelehrte
Kunſt ſich auch nicht aͤußerlich einen eigenen Kreis gezogen haͤtte.
2) Bei den ſpaͤten Meiſtern gelten dieſe weltiichen Lieder
doch gewiß fuͤr rechte und foͤrmliche Meiſtergeſaͤnge, uͤberhaupt
eine ſolche ſachliche Trennung iſt nirgends ausgeſvrochen.
3) Die fuͤrſtlichen Loblieder, wovon namentlich der Wartb.
Kr. den Anlaß genommen, paſſen nicht recht unter eine ſolche
Anſicht.
4) Wir duͤrfen doch nur wenigen unter den anerkannt aͤlte-
ren Meiſtern dieſe Gelehrſamkeit beilegen, unter den aͤlteſten
etwa allein dem Klinſor; aus Wolframs eigenen Gedichten
ſtaͤnden ſonſt eine Menge Stellen, worin er ſeine Laienſchaft
erkennt, entgegen, ungeachtet dieſer Meiſter unſtreitig einen Reich-
thum von allerlei Kenntniſſen beſaß. Rumelant ſtellt ſich
auch den gelehrten Meiſtern entgegen. CCCV. u. CCCXIII.
5) Gerade die Meiſter, in deren Periode jener poſtulirte Be-
griff des Meiſtergeſangs noch am erſten zu finden waͤre, klagen
66).
uͤber den Verfall der Kunſt und der Minnepoeſſe, die Namen,
welche ſie dabei nennen, gehoͤren letzterer zum Theil ausſchließlich.
6) Die ſpaͤten Tabulaturen ermahnen zu Liedern aus der
ehriſtlichen und roͤmiſchen Geſchichte und zu andern hoͤfli-
chen
Gedichten. Folz tadelt den Zorn und Schneider, daß
ſie uͤber „gemeine laiiſche Art“ gedichtet, zweifelt aber wohl
nicht an ihrer Meiſterſaͤngerſchaft, wie denn auch H. Sachs in
der Summa ſeiner Gedicht ausdruͤcklich ſagt, daß ſeine Mei-
ſterlieder
außer ernſthaften Gegenſtaͤnden auch kurzweilige,
froͤhliche Schwaͤnke behandelt haͤtten.
7) Viele der einzelnen, noch vorkommenden literaͤriſchen Be-
weiſe widerſtreiten endlich. Ich raͤume aber gern ein, daß ſol-
che Wettſtreite in der erſten Periode wenigſtens immer nur von
großen beruͤhmten Meiſterſingern herruͤhren werden, die reichen
und fuͤrſtlichen befaßten ſich nur mit Liebesliedern.
67).
Allenfalls auch zwiſchen dem Marner und Reinmar von Zwe-
ter. Cf. 2. 169.
68).
Spuren davon bereits bei Reinm. v. Brennenberg.
69).
Herr D. hat hernach ſelbſt im Muſeum S. 149. einen Ton,
der in Conrad von Megenbergs Prolog vorkommt, dem Meiſter-
ſang zugeſprochen, obwohl dabei alles zweifelhafter ausſteht.
70).
Hiernach citirt offenbar auch Hanemann zu Opiz.
71).
Aber wie kommt er darauf? weil hier im Gedicht ein Haupt-
abſchnitt, mit dem gewiß das Vorſingen oder Leſen auf das-
mal beſchloſſen wurde. (Merkwuͤrdig faͤngt auch gerade nun
das alte Fragment an.) Unſtreitig paßte die Stelle beſſer an
den Schluß des Ganzen, wo ſie auch der Druck wiederhohlt,
nicht aber das Hannoͤver. Ms.
71 b).
Das thut auch Docen in ſeinem, ſeitdem obiges geſchrieben
wurde, erſchienenen Sendſchreiben, indem er die Str. 542 mit
der Str. 1140 ꝛc. verbindet. Ich darf mich hier nicht umſtaͤnd-
lich in ſeine Interpretation der letzten Stelle einlaſſen. Dieſe
iſt allerdings dunkel und ſchwierig. Die Beziehung des: zwei-
falt auf den Bau der alten Strophe liegt nah und hat einiges
fuͤr ſich. Allein daß unſer: zwigeng ebenfalls dahin deute, be-
zweifele ich nach dem oben Ausgefuͤhrten eben ſo ſehr, als die
weiter verſuchte Erklaͤrung von Schlicht und Krumm, wovon
erſteres das nach der „aͤchten Meiſterſingerkunſt“ gebundene,
letzteres das freie alte bedeuten ſoll. Das waͤre mir wirklich
gerade willkommen, wenn nicht viel andere Stellen im Titurel
(Str. 20. 65. 1654. 1701. 2099. 2243. 2293. 2404. 2938.
3077 ꝛc. ꝛc.) und beſonders auch im Puͤterich (Str. 58. 59. 141.
142.) widerſpraͤchen. Es ſcheint eher, daß: ſchlecht, wenig-
ſtens in der urſpruͤnglichen Anwendung auf die Rede gerade die
freie, ungebundene ausgedruͤckt habe, ſ. Pe; v. sleht, und bei
Otfried cap. 1. v. 37. prosun slihti ganz deutlich.
72).
Auch iſt merkwuͤrdig, wenn es an dieſem Ort heißt, Walter
ſinge was er wolle, des kurzen und des langen; gleicher-
weiſe bietet Wolfram 1. 148. ſeiner Frauen kurzen oder lan-
gen
Geſang an, welchen ſie wolle. Denn dieß ſteht wahr-
ſcheinlich mit dem Tabulaturfehler des zu kurzen oder zu
langen
Singens (Wagenſeil n. XXII.) in Verbindung, und
Docen fehlt, (N. lit. Anz. 1807. Col. 773.) daß er dieſe Ter-
minologie zuerſt bei Frauenlob (Miſcell. 2. 280. ganz oben) zu
erblicken glaubt. Man vergl. die Stelle eines Gedichts aus
dem 14ten Jahrhundert (Adelung 2. 223.) Das zu viel und
zu klein in der eben angefuͤhrten Str. Titurels mag leicht
dasſelbe bezeichnen, auch ſehe man den Myſner DCXII. zu lane
zu kurz, zu breit, zu ſmal ꝛc. ꝛc. Otfrieds v. 43. (thio lengi
ioh thie kurti)
ſteht in Beziehung auf die Metrik der Alten.
73).
Sollte zu der erſten Idee ſolcher Zuſammenkuͤnfte der Saͤnger
untereinander nicht auch die alte Sitte der Kirchenſaͤnger mit-
gewirkt haben, weiche eine Schule bildeten, und von denen
Gerbert (1. 294.) ſagt: vivebant in communi et habebant
primicerium.
Man denke hierbei an die Geiſtlichen unter den
alten Meiſterſingern, an den Moͤnch von Salzburg, Bruder
Eberhard, Bruder Werner, den Abt Sighart, (bei Vogt) u.
den raͤthſelhaften Klinſor, der ſelbſt ein Meiſterpſaff heißt. Und
Gervelyn CCIV. ſpricht ausdruͤcklich von den Toͤnen der Pfaf-
fen, ſo wie ſich Rumelant CCCV. uͤber ſie aufhaͤlt. In der
That laͤßt ſich auch an einigen Zuſammenhang des Meiſtergeſ,
mit der gelehrten Muſik nicht zweifeln und manches Termino-
logiſche der alten Meiſter nur auf dieſem Weg erklaͤren. Wenn
z. B. Walter (1. 205.) von dreierlei Geſang, von dem hohen,
niedern
und dem Mittelſchwank ſpricht, ſo verſteht er
gerade das naͤmliche darunter, was 400 Jahr ſpaͤter der bekannte
Filip Zeſen, der in ſeinem Gedicht an die uͤberirdiſche Roſe-
mund (Amſterd. 1645. S. 302.) von der Nachtigall ſagt: „bald
brummet ſie den Grund und zieht den Mittelſchall, bald hoch,
bald uͤber hoch.“ Cf. Titurel 3561. von kleinen, großen und
mittelmaͤßigen Saiten.
74).
Gerade ſo der Sunnenburg CCCCIV., nachdem er ein Raͤthſel
von einem wunderbaren Frauenbild vorgelegt:
„der vrouwen namen meyſter untrat!“
75).
Der von Gliers, welcher 1. 43. auch todte Dichter beklagt, will
beſtimmt nur ſolche nennen, die ſich als Verfertiger von Lei-
chen beruͤhmt gemacht.
76).
So klagt auch der Urenheimer (CCVI.), ehedem habe man
rechte Meiſter werth gehalten und nicht Lecker fuͤr ſie gegehrt.
77).
Die Sitte laͤßt ſich vieileicht auch auf das geſellſchaftliche Le-
ben der alten Volksdichter zuruͤckfuͤhren. Im Koͤnigreich der
fahrenden Leute waren ſpaͤterhin noch die Zwoͤlfer, d. h. zwoͤlf
beiſitzende Rechtſprecher uͤber ihre Angelegenheiten.
78).
Darnach man auf der Singſchul auch thut zwoͤlf erfahrene
Meiſter haben ſo wißenſchaft der kunſt gebrauch ſampt derſelbi-
gen ſchoͤnen gaben ꝛc., welches die lieben Apoſtel ſeyn, das ſie
durch ihr heilſames lehren ſollen der ganzen Welt Gemein zur
geiſtl. Singſchul bekehren. (Ms. in Arnims Beſitz.)
78 b).
In dem Jen. M. G. B. ſagt Frauenlob von der Minne: ſie
elaget an euch „vurſumen und vurgahen“, und nachher: „ich
muß ein lieblich ſtrafen zern.“ (Docen Miſc 2. 278. 279.)
Erinnert an die Klage uͤber Verſprechen im Wartb. Krieg. Vergl.
auch den Myſner DCXII. In dem alten Woͤrterverz. (Do-
cens
Miſc. 1. 211.) wird „Firſumen“ durch dissimulare
gioſſirt.
79).
Ich hatte das ſelber am erſten berichtigt, (Docens Aufſatz
S. 469. Not. 49.) und habe in dem mir citirten oberliniſchen
W. B. gar nichts Neues geſunden.
80).
Man ſollte denken, es habe eigene Sittenwaͤchter und Anbrin-
ger gegeben, ſo haͤufig ſind Beiſpiele, als waͤre man vor ihnen
in Furcht geweſen, und ſie haͤtten manchen geſchadet. cf. Man.
Samml. I. 91 97. 103. 160. 173. II. 96. 106. 182. 187 ꝛc.
Allgemein heißt es im Parzifal (8846): merchaͤre, u. Eneidt
1640. und bei Reimar von Zw. (2. 127.) Gedank und Merken
kann niemand erwehren. Ecken Ausf. 145. von den die mer-
ken koͤnnen. Vergl. auch den Goldener Str. III. am Schluß
und Rumelant CCCLXVIII. Spaͤterhin bediente man ſich viel
mehr des Namens Klaͤffer fuͤr ſolche Merker im allgemeinen
Sinn; Heinrich von Mor. 1. 55. ſagt Schimpfer. Im allg.
Sinn brauchen auch altfranzoͤſ. Gedichte das Wort: noter.
Cf. Meon fabliaux. T. 2. p. 196. v. 193.
81).
Pruͤfen heißt ganz eigentlich: etwas unterſuchen, ob es gut u.
recht iſt, probare, provar; in den Nibelungen haͤufig Wat oder
Gewand pruͤfen.
82).
Walter 1. 116. vom Merken des Sangs und Kieſen. Auch
des Goldeners letzte Strophe verdient fuͤr die Exiſtenz der Mer-
ker nachgeleſen zu werden.
82 b).
Und erinnere an die alte indiſche Sage von Calidas, der vor
dem Preis ausſetzenden Raia, die von ſeinen Nebenbuhlern be-
ſtrittenen Verſe auf Steine ſchreibt und in das Waſſer wirft,
die rechten ſchwimmen oben, die falſchen ſollen untergehen.
Polier 1. 186. 187.
83).
In der vor mir liegenden ed. Firenze 1572. 4. iſt das Lied
hoͤchſt incorrect abgedruckt und an mehrern Stellen dunkel.
Hoffentlich hat es Manni in ſeiner critiſchen Ausgabe ver-
beſſert.
84).
Oben Note 65.
85).
Dagegen ließen ſich auch viele, eben ſo feiner, als tiefer Bilder
aufweiſen. Die Anwendung eines gegebenen Beiſpiels machen,
welches ſonſt haͤufig heißt: „die Folge finden“ (das inde se-
quitur
) druͤckt Alexander recht gluͤcklich durch: „der wilden
Rede den Kern nehmen“ aus. Oder wenn Frauenlob die Rein-
heit eines Fuͤrſten beſchreiben will, waͤhlt er folgendes lebendige
Bild: von der Schanden Traufe fiel nie Tropfe an ſeinen
Leib u. ſ. w.
86).
Nur zwei Stellen fuͤr hundert. Nibelungen 1707. Eines Mei-
ſter ſeyn, wie noch heute, einem gewaltig, uͤberlegen ſeyn. ibid.
1911. Im Titurel heißt es ausdruͤcklich, daß an aller Kunſt
Meiſterſchaft liege. So allgemein iſt auch das Wort in dem
Adjectiv meiſterlos zu verſtehen (Walter 1. 111. Conrad v.
W. 2. 202.), welches: entmeiſtert, ſchwach, regellos bedeutet
und noch im ſuͤddeutſchen Provincialismus lebt. Cf. Fiſcharts
Garg. Cap. 28. in fine. Phil. von Sittewald, 4. 42. Auch
Gottfr. Triſtan, v. 939.
87).
Hieruͤber: Meiners, Geſch. der hohen Schulen. 2. 211. 212.
88).
Denn es iſt wahrſcheinlich, daß fruͤherhin auch Volksſaͤngern
der Name Meiſter beigelegt worden, und bedeutend, daß in ſo
fern von einem Meiſter der Abentheuer, des Buchs oder der
Rede (ſ. die Klage) geſprochen wird. Wenn wir manche Sitte
des Meiſtergeſangs aus der Volkspoeſie erklaͤren, ſo duͤrfen wir
auch den Namen eben dahin zuruͤckfuͤhren. Die Nibelungen ſind
gewiß im allgemeinſten und eigenſten Sinn der wahre Meiſter-
geſang unſerer Poeſie, man koͤnnte indeſſen daran denken, daß
auch das Lied vom alten Hildebrand ſo benannt worden. Nicht
zu vergeſſen, daß Aventin (fol. 21verso) das Singbarliche,
dem Gedaͤchtniß behilfliche, dem alten Meiſtergeſang zuſchreibt,
Spaͤter mag etwa der Name, als er fuͤr unſere Kunſt termino-
logiſch ward, andern Saͤngern entzogen worden ſeyn. Die
88 b).
Ein Grund, gegen den ſich manches einwenden ließe, und
die Allgemeinheit kann neben der Beſtimmtheit gegolten haben,
wie wir eben vorhin bei dem Wort Merker geſehen. Wenn
Hartm. v. Aue (Iwan v. 246.) merken durch ein fruchtbares
Hoͤren erklaͤrt, ſo beweiſt z. B. der Gebrauch dieſes Sinns nichts
gegen die damalige Exiſtenz unſerer Singmerker. Denn ich er-
biete mich aus Hans Sachs ebenfalls zu zeigen, daß er merken
ohne Ruͤckſicht auf meiſterſaͤngeriſche Bedeutung gebraucht hat.
88).
Stelle bei Horneck (bald im Anfang), welche Docen 449 —
452 abhandelt, iſt an ſich wegen der Saͤngernamen intereſſant,
in unſerm Streit aber unbedeutend. Einiges ſpricht dafuͤr, daß
dieſe Saͤnger wahre Meiſterſaͤnger und nicht bloße Spielleute
waren, daher ihre Namen im Dichterverzeichniß eine Erwaͤh-
nung verdient haͤtten.
89).
Docen iſt in der Verlegenheit, daß er fuͤr ſeine Meiſterfinger
und Meiſterſaͤnger nur das eine Wort: Meiſterſang gebrauchen
kann.
89 b).
Obſchon Docen die letztere Form neuer machen will, ſo ſagt
doch bereits Geltar 1. 119. Minneſenger.
90).
Dichten und ſingen, z. B. bei dem von Rappersweil 1. 189.
91).
Gottfried ſpricht vom Leimen der Reime in gutem Sinn, fuͤgt
aber auch hinzu: als ob ſie gewachſen waͤren. Triſtan 4596. 97.
92).
Der Urſprung des Worts Weiſe iſt merkwuͤrdig, indem er
noch an die alte Alliterationspoeſie, naͤmlich die dabei vorkom-
menden vitteae, angeſchloſſen werden mag. Wohl gar der
Name der Waiſen, (als deren Begriff in Reimloſigkeit be-
ſtcht) leidet es, auf die alte, unreimige Poeſie bezogen und
daher erklaͤrt zu werden.
93).
Sollte der in dieſem Lied vorkommende Name Kiurenberger
allgemeiner zu nehmen ſeyn? Kuͤrer heißt auf altdaͤniſch ſo
viel als Waͤchter (K. V. p. 60. Str. 20. p. 615. Str. 18. und in
W. H. 2. 284. ſteht ein Tagelied des Waͤchters des edeln von
Kerenſtein. Im W. Kr. (Ms. jen.Docen Str. 70.) ein
Kberenbere der Limburgere. Spangenberg (Adelſp. fol. 93vo)
nennt indeſſen Kuͤrner von Kuͤrnberg einen baieriſchen Adel.
94).
N. lit. Anz. 1808. Col. 403.
95).
Wagenſeils Liſte iſt unvollſtaͤndig (er fuͤhrt von Frauenlob uͤber
12 Toͤne nicht an) und ungenau (Fr. langer Ton hat nicht 24
ſondern 19 Reime, die Zeilen und Reime im Zaͤhlen haͤufig
verwechſelt.) (Gegen Buͤſching.)
96).
Hoͤhen, hohe Weis? oder ſpoͤttiſche?
97).
Wer nicht glauben will, daß eine kleine Abweichung, z. B.
wenn ſie Mittelreime zuthut oder wegnimmt, den Ton ſelbſt
nicht geaͤndert habe, uͤberzeuge ſich an Reimars Strophe: „die
kluogheit iſt“ ꝛc. (2. 130.), wo dießmal ein neuer Reim in je-
dem Stollen angezuͤndet wird, der gewoͤhnlich fehlt. Auch das,
was wir: reiche Reime nennen, darf als Ueberfluß zu dem
Ton hinzu kommen, ohne ihn zu veraͤndern, wie ich beweiſen
kann. Etwas aͤhnliches gilt vom Refrain (referein, von re-
ferre,
oder refloit von reflectere), welcher in Volksliedern,
zwar gewoͤhnlich am Schluß ſtehend, doch eigentlich keine be-
ſtimmte Stelle hat, ſondern auch anfangs oder mitten vorkom-
men kann. Daher engl. paſſend; the overword of the ſong.
97).
oder daͤniſch: bikväd. In den Meiſterliedern macht er manch-
mal den Abgeſang, aber nicht immer. (Docen Miſe. 2. 204.
205. 207.) Manchmal ſteht er thematiſch vorangeſetzt, wie bei
Winli (2. 22.) Das Reptiz (repetitio) in Buͤchern des 14ten
und 15ten Jahrhunderts ſcheint etwas davon verſchiedenes zu
ſeyn, und theils darin der Abgeſang zu den beiden vorgegange-
nen versus, theils das zu liegen, was man im geiſtl. Geſange
als responsum der lectio entgegen ſtellte. (ſ. Reinecke de
Vos
, 1. cap. 5.)
98).
Andererſeits mag auch das handwerkeriſche Ceremoniel darauf
eingefloſſen haben. Wie man die Geſellen taufte, wollte man
auch den Toͤnen einen ehrlichen Namen geben, ſelbſt zwei Ge-
vatter wurden dazu erbeten.
99).
Bekanntlich findet bei den ſpaͤtern Meiſtern der Unterſchied
ſtatt, daß die Krone das eigentliche Kleinod, die Kranzgabe
aber ein viel geringerer Preis iſt, ſo wie auch die Singſchul
feierlicher gehalten wurde, als das bloße Kranzſingen.
100).
Ueber den Kunig von Otenwalde (ſ. Docens Dichterverz.
p. 146.) aus dem 14ten Jahrhundert waͤre erſt naͤhere Auskunft
zu wuͤnſchen.
101).
Einer beſonders hierauf gegruͤndeten Vermuthung Buͤſchings:
daß Ofterd. u. Muͤg. nur eine Perſon, kann ich ſchon darum
nicht beiſtimmen, weil zuweilen beide neben einander unter den
zwoͤlf alten Meiſtern aufgefuͤhrt werden. Andere meinen, Frauen-
lob und Ofterdingen ſeyen dieſelben, allein auch dieſe beiden
kommen zugleich beſonders vor.
102).
Gebuͤrtiger Unger ſcheint er nicht geweſen zu ſeyn, namhafte deut-
ſche Familien fuͤhrten ſeinen Namen. An die Namen beruͤhmter
Dichter hat ſich von jeher die Fabel geſetzt, z. B. an Virgilius im
Mittelalter, den waliſchen Merlin, den engliſchen Thomas, unter
den Deutſchen auch noch an Brennenberg und Tanhaͤuſer.
103).
Cracau erſt 1400 geſtiftet. Wolfhart Sp. ſpricht hier von
Oxonien und Loͤwen!
104).
Cf.Tenzel 1697. 420. Jetzo iſt es wohl fuͤr immer zu ſpaͤt
geworden, Herr Praͤſident Bodmann hat mir bei aller Bereit-
willigkeit aus ſeinen reichen Sammlungen keine Auskunft zu
geben vermocht. Vogt in ſ. Geſch. von Mainz 1. 44. redet
von den viel aͤltern Kirchengeſaͤngen, die zum Theil noch im
Dom vorhanden ſeyn ſollen.
105).
Der alte fuͤrſtliche Glanz des Meiſtergeſ. iſt nie ganz vergeſſen:

vorzeiten man geſang groß acht
fuͤrſten und hern haben das getriben
haben vil toͤn und lieder gemacht
herlichen ſolds habens darum empfangen
mancher ſinger iſt bei fuͤrſten blieben.

(Cod. rudiger.)
106).
Wir wiſſen von zwoͤlf alten Nuͤrnberger und Augsburger Mei-
ſtern; uͤber die letztern ſ. ein Programm Beiſchlags und
Tenzel 1697. p. 424. Es ſcheint, daß die zwoͤlf Meiſter in
der letzten Zeit ſtaͤndig gewaͤhlt wurden und naͤchſt den Merkern
eine gewiſſe Autoritaͤt in der ganzen Gemeine hatten. Metzger
vergleicht ſie mit den zwoͤlf Apoſteln, die drei Merker mit den
drei Erzengeln, Gabriel, Michael und Raphael. Da wo bei
letztern die Vierzahl vorkommt, mag man die vier Evangeliſten
im Sinn gehabt haben.
106 b).
Hat nicht die Unſicherheit uͤber Namen und Verfaſſer ſchon aͤl-
tere Beiſpiele? ſchreibt nicht unſere beſte, die maneß. H. S. Lie-
der, die ſie doppelt gibt, verſchiedenen Saͤngern zu? noch viel
mehr, wenn wir ſie mit der jenaiſchen und andern vergleichen.
107).
An Irrthuͤmern fehlt es ihm nicht, wie er z. B. den Boden-
laube, Morungen, Nyfen u. ſ. w. fuͤr Namen von Geſchichten
haͤlt. (Adelsſp. 172b.) Sein Sohn Wolfhart hat das vaͤter-
liche Werk einer eigenen neuen Arbeit zum Grund gelegt, die
manches Gute weggelaſſen haben mag, aber auch an Goldaſts
herausgegebenen Koͤnig Tyrol und andern [handſchriftlichen] Mit-
theilungen ſich neuen Stoff fand. Merkwuͤrdig iſt, daß er ver-
muthlich unſere maneß. Samml. ein Stamm- und Geſellen-
buch Kaiſer Heinrichs nennt, worin dieſer ſeine Hofleute ſich
mit Meiſterliedern einſchreiben laſſen. Nicht wegen dieſer offen-
bar zu kuͤhnen Conjectur, ſondern weil ihm gar nicht einfaͤllt,
die Minnelieder, davon er genug aus Schobingers oder Gold-
aſts Abſchriften vor Augen gehabt, fuͤr etwas anders als M. G.
zu betrachten. Und ſo fuͤhrt er aus denſelben eine Menge ein-
zelner Stellen im Verfolg ſeiner Abhandlung an und zaͤhlt die
Minnedichter unter den andern Meiſtern auf.
108).
Faſt alle Schriftſteller aus dem 17ten und Anfang des 18ten
Jahrhunderts uͤber die Meiſterſaͤnger koͤnnen mittel- und un-
mittelbar auf Goldaſt und Spangenber [...] zuruͤckgefuͤhrt werden,
namentlich Gryphius, Hanmann, Haisdoͤrfer, Kindermann,
Morhof, Omeis ꝛc. Deßwegen haͤtte Docen in ſeinem Verz.
der bei Philander v. Sittewald vorkommenden Minnelieder gar
nicht zu erwaͤhnen gebraucht.
109).
Ich erinnere an die andern Liederhandſchriften außer der ma-
neßiſchen. Daß die Goldaſtiſche Copie der letzteren auf dem
Titel: „Hoflieder der deutſchen Meiſterſaͤnger“ rubricirt iſt,
(Benecke Vorr. p IV.) zeugt von einer vollkornmen richtigen
Anſicht des Gegenſtandes, und Bodmer haͤtte das ohne Be-
denken fuͤr ſeine Ausgabe behalten koͤnnen.
110).
Es iſt Beduͤrfniß, daß dieſer zerſtreut, unvollſtaͤndig und
durch einander gedruckten Handſchrift eine beſſere Ausgabe wi-
derfahre, wobei die Muſiknoten nicht zu vergeſſen waͤren. Dem
Vernehmen nach hat Herr von Finkenſtein neulich eine
complete Abſchrift genommen.
110b).
Dieſe iſt betitelt: geiſtl. und weltl. Hiſtorien, auch kurzwei-
lige Reden und dergl. in Meiſterthoͤn gebracht durch M. A. M. ꝛc.
Unter andern habe ich ein Fruͤhlingslied darin gefunden, das
gleichen Inhalt mit ſo vielen alten Minneliedern hat, aber lange
nicht gleiche Zartheit.
111).
Wie gewuͤnſcht haͤtte ich, namentlich dieſen Codex benutzen zu
duͤrſen! Die von Adelung daraus verzeichneten Lieder 10. 18.
28. 29. 31. 32. 37. koͤnnen gar manche Erlaͤuterung enthalten.
Bloß ſchon wegen der Toͤne muͤſſen ſie wichtig ſeyn, ſo wie die
zu Dresden liegenden zwei und zwanzig Baͤnde, Meiſtergeſaͤnge
aus dem 16ten u. 17ten Jahrh. enthaltend, beſonders Nr. 13,
aus dem 15ten Jahrh. Die Einſicht dieſer Quellen war mir
vorerſt theils unmoͤglich, theils zu umſtaͤndlich, ſo ſehr ich den
Mangel fuͤhle.
112).
Myſner DLXXV: der ſang unrecht, er ſey ein Schwabe oder
ein Baier“, d. h. er ſey gleich einer der beſten Dichter.
113).
Man leſe das in der Allg. deutſchen Bibliothek zur Probe abge-
druckte, im Ms dem Nifen beigelegte, in der Maneß. Samml.
dem Reinmar (1. 71.) gehoͤrende Lied. Andrerſeits bedienen
ſich einige gewiß Oberdeutſche einzelner mehr plattdeutſcher
Woͤrter. Z. B. blide, im Titurel, bei Lichtenſtein ꝛc.ꝛc.
114).
Herr Pfarrer Kirchner zu Frankfurt hat in den Archiven dieſer
Stadt nichts auffinden koͤnnen, was uͤber den alten Meiſterge-
ſang daſelbſt Licht geben koͤnnte.
115).
Beiſchlag will aber ſehr unwahrſcheinlich erſt vom Anfang des
16ten die Meiſterſaͤnger in Augsburg gelten laſſen.
116).
Conf. Simpliciſſimus (Nuͤrnb. 1713.) 1. 128.
117).
Wiedeburg 152. nennt einen Otmar Wetter aus Dresden. Die
Rachricht einiger, daß Luther ein Meiſterſaͤnger geweſen, gruͤn-
118).
Was ich dem noͤrdlichen Deutſchland dadurch abſpreche, wird
auf der andern Seite verguͤtet, daß die volksmaͤßige Dichtkunſt
(und wohl eben aus dieſem Grunde, weßhalb die Bemerkung
nicht ungehoͤrig) daſelbſt wirkſamer fortgebluͤht. Man ſehe den
Ogier, Valentin und Namelos, Flos und Blankfloße ꝛc. Auch
ſagenreicher ſcheint im Ganzen der noͤrdliche Theil, das Harz-
volk weiß viel mehr und beſſer zu erzaͤhlen, als die ſingenden
Hirten der Alpen und Tirols.
117).
det ſich auf nichts, als einen Verſuch Wolfh. Spangenbergs
dem Meiſtergeſang durch Luthern, oder Luthern durch den Mei-
ſtergeſang eine Ehre zu bereiten.
119).
Der deutſchen Sage und Hiſtorie mangelt es nicht an Beiſpie-
len, Folker fidelt und hoſirt, (Roſengarten Str. 228. und Ni-
belung an vielen Orten; vergl. Chlage 1519. 2581.), beſonders
iſt die nordiſche voll davon. Ueber Koͤnig Hother z. B. ſ. Suhm
1. 190. (deutſche Ueberſ.) In einem altdaͤn. Lied K. v. p. 42.
v. 22. heißts vom ſechszehnten Schild:
den foͤrer Rigen Raadengaard
ſom vel kunde digte og rime.
()
120).
Urkunden von ſolchen Zuͤnften fahrender Spielleute laſſen ſich
in Deutſchland zwar nicht uͤber das 14te Jahrhundert hinauf-
fuͤhren, allein die Sache ſelbſt iſt ohne weiteres viel aͤlter. Ge-
gen das Ende des 14ten Jahrhunderts belehnte der Kaiſer an-
dere Staͤnde mit dem Oberſpielgrafenamt, die dann wieder zu
ihrer Stellvertretung einen Pfeiferkoͤnig erwaͤhlten. Das Docu-
ment von der Ernennung eines ſolchen in der Herrſchaft Rap-
poltſtein hat Scheid de iure in musicos, (auch bei For-
kel
abg. 751. Vergl. Joh. Muͤller 3. 161. 162. 4. 226.
Nr. 57.) Die ganze Bruͤderſchaft dieſes Reichs theilte ſich in
die obere, mittlere und untere und jede verſammelte ſich an
gewiſſen Tagen des Jahrs zu Rappoltsweiler, Altentann und
121).
Die Armuth fluͤchtet ſich in den Stand der Saͤnger, womit
nicht gerade zuſammenfaͤllt, daß auch die Blindheit darin Troſt
und Labſal ſucht. Zu letzterem koͤnnte ich Veiſpiele von dem
goͤttlichen Homer und Oſſian bis auf den Niecolo Cieco von
Arezzo geben. Man ſ. Titurel Str. 3358:
ſo ſingent uns die blinden
daß ſiegfried huͤrnein waͤre.
()

Aus Wolframs Gedichten, ſo wie dem Triſtan, ließen ſich viele
Erlaͤuterungen uͤber die Spielleute ſchoͤpfen, deren Weſen aus-
fuͤhrlicher zu beſchreiben ich mir anderswo vornehme.
120).
Biſchweiler, die Ceremonien ſ. bei Mattheson in crit. [...]u-
sica
2. 343. Wie denn die Freuden des Volks meiſtentheils
unter Vorwand oder Einbildung liberaler Urſachen zerſtoͤrt wer-
den, ſo geſchah auch zu Wien im Jahr 1782. die Aufhebung
dieſer Einrichtung, weil man ſie der natuͤrlichen Freiheit eines
jeden, durch Kunſt ſein Brot zu verdienen, fuͤr unangemeſſen
hielt. (Nicolais Reiſen 3. 298.) In manchen Staͤdten ent-
ſprang aus ſolchen Spielleuten die beſondere Ordnung der
Stadtpfeifer. (Vergl. P. von Stetten Kunſt und Hand-
werksgeſch. p. 526.)
Aehnliche Geſellſchaften beſtanden in andern Reichen, zum
Beweis ihres Alters mit, die Idee war durchaus volksmaͤßig,
daher allgemein. Ueber einen King of the minstrels and
of the fidlers
zu Tutbury in Staffordſhire unter Richard 2.
ſehe man Ritson’s observat. on the minstrels p. VIII.
IX. Conf.
auch Blounts law dictionary. h. v.Floͤ-
gels
Hofnarren p. 393. In Frankreich 1330. die confrerie
de S. Julien des menestriers
geſtiftet, ſie hatten einen roi
des menestriers
und eine eigene Straße zu Paris, die noch
den Namen fuͤhrt. (Du Cange v. rex ministellorum, zuletzt
hieß er roi des violons[und] wurde 1773 gaͤnzlich eingezogen.
Forkel 2. 750.) Die eigentliche Ausfuͤhrung des ſehr inte-
reſſanten Gegenſtandes wuͤrde nicht hierher gehoͤren.
122).
An dem Gegenſatz zwiſchen Volkspoeſie und Meiſtergeſang habe
ich nie gezweifelt, ſehe alſo nicht ab, warum mir Docen S. 457
zu verſtehen geben will, daß außer letzterem auch noch etwas
anderes beſtanden habe. Die Stelle aus den annal. domin. iſt
mithin ganz klar; moͤchte er dafuͤr deren Quelle, die groͤßere
Stelle aus der Limburg. Chronik erklaͤrt haben, worin mir ganz
unverſtaͤndlich iſt, daß die Lieder mit 3 Geſetzen erſt 1360. auf-
gekommen ſeyn ſollen. Das iſt ſo falſch, daß es nicht einmal
eines widerlegenden Beiſpiels bedarf. Und das Wort Wider-
ſanc ſteht ſchon bei Vogelweide 1. 123.
123).
Das Verhaͤltniß des Meiſtergeſangs zur Volkspoeſie laͤßt ſich
folglich in der Kuͤrze ſo angeben: in der letzten liegt der unter-
ſchiedene dritte Theil faſt bloß in Melodie und Begleitung, in-
den Meiſterliedern iſt er nothwendig aͤußerlich in die Worte
getreten.
124).
Denn ſie haben vermieden, ſie zu bearbeiten, woruͤber man
nur Rud. v. Montf. Stelle im Orlenz und Puͤterichs Catalog
nachſehe. Marners Strophe 2. 176. kann leicht ſo ausgelegt
werden, daß ſie nicht widerſpricht.
125).
Daher ſteht noch in ſpaͤtern Chroniken uͤber Dieterich v. Bern:
„von dem die Bauern ſingent.“ Im Gegenſatz redet noch
Ambroſ. Metzger im 27ten Jahrhundert verſchiedentlich von der
adelichen Kunſt des Meiſterſangs, der er ſich befliſſen.
126).
Nur ein Beiſpiel. Das bei Morhof 313. gebruckte Soldaten-
lied iſt mir ausgemacht ein Meiſterſang, und zwar einer der
herrlichſten.
127).
Man koͤnnte mir etwa die Frage thun: ob ich einen im 14ten
Jahrh. (nach der Limb. Chronik) dichtenden Gerlach von L.
oder Reinhart von Weſterburg fuͤr einen Meiſterſinger halte oder
nicht? Es iſt zu erwarten, daß die hoͤhern Staͤnde, als an-
faͤngliche Beguͤnſtiger und eifrige Mitpfleger des Minneſangs
auch noch ſpaͤter eigene Faͤlle von Dichtern aufzuweiſen haben.
Das ſicherſte Merkzeichen aber, ob dieſe Lieder noch aus dem
alten Minneſang herſtammen und Meiſterſaͤnge ſind, oder ob
ſie dem Ton der Volkspoeſie (welche den Verliebten wohl eine
Zuflucht darbieten muͤſſen) angehoͤren, iſt ihre Form ſelbſt.
Danach ſind ſo manche Lieder aus dem 15ten Jahrh., nament-
128).
Gegen Hagen, Jenaiſche L. Z. 1810. Nr. 37. p. 291. 292.
Der Ton im Wunderhorn iſt ganz ſicher der naͤmliche.
127).
lich in einer H. S. Clemens Brentanos zu beurtheilen, deren
einige kenntliche Meiſtergeſaͤnge, andere der Manier annaͤhernd,
die man in vielen (man moͤchte ſagen: halb volksmaͤßigen) un-
ter Forſters friſchen Liedlein antrifft. Zu beachten iſt fuͤr dieſe
Unterſcheidung, wie Hans Sachs (in der Summa ſeiner Ge-
dichte) die von ihm erfundenen Volkstoͤne genau von den Mei-
ſiertoͤnen trennet.
128b).
Außer den bereits oben S. 48. gegebenen Beiſpielen kann auch
der Canzler 2. 238. angefuͤhrt werden, der jedoch die ganze Weiſe
als bloßen Abgeſang braucht, welche Art der Zuſammenſetzung
mehrmals ſtatt gefunden hat.
129).
Moͤchte doch dieſes deutſche Lied von Roland irgend aufgefun-
den werden! Cf.Koch 2. 87.
130).
Docen Miſc. 2. 194. Cf. uͤber dieſen Ton: N. lit Anz. 1808.
Col. 100. Altd. Muſ. 1. 142. 284. 285. Adelungs Nacht.
2. 304. 322. Ein Lied im W. H. 2. 145. Georg Schiller
hat ihn etwas ausgeputzt und ſeinen Hofton genannt.
131).
Nur einige Stellen: Nibel. v. 91. Titurel 514. 901. 1612.
2127. Wolfdiet. Str. 447. Roſeng. 189. Laurin 1858. Troj.
Krieg v. Conrad v. W. 6 u. 7. und 16321. Flor u. Vl. v. 4.
von der Minnen v. 21. von Morungen. Maneße 1. 50 u. 54.
von Toggenburg 1. 11. Marner 2. 176.
132).
Auf Selbſtleſen, nicht Vorleſen hoͤren, kann wohl eine Stelle
in Vriberes Triſtan bezogen werden, v. 2638.
133).
Meon T. 1. Beſondere Rubriken zeigen in der Handſchrift je-
desmal o [...] dient ([f]ablent) und or chantent. Etwas aͤhnli-
ches findet ich in noch gangbaren franzoͤſiſchen und deutſchen
Volksliedern, wovon ein Beiſpiel in Hagens und Buͤſchings
Samml. p. 30. — Ein Gedanke im unſere Opern laͤge zu weit.
134).
Den Widerſpruch in adjecto zu vermeiden, den mir Docen
p. 487. Schuld gibt, haͤtte ich freilich nur das Adjectiv: mei-
ſterlich oder ein anderes Subſtantiv (Meiſterkunſt) gebrauchen
ſollen! Allein, gegen die Sache entſcheidet u. a. auch, daß die
Meiſter des 16ten und 17ten Jahrhunderts Kunſt und Namen
nur fuͤr den Geſang haben und kein bloßes Les- oder Spiel-
gedicht, ſo meiſterlich es auch ſey, damit belegen. Das mußte
fruͤherhin natuͤrlich anders ſeyn, wo die allgemeine, vermuthlich
volksmaͤßige Bedeutung des Worts viel zu nahe lag. Wenn
es am Schluß des Laurin heißt, daß die Abenteuer in Ofter-
dingens neuer Bearbeitung „ſo meiſterlichen“ ſtehe, ſo wird
darum niemand in dieſer Dichtung einen Meiſlerſang unſeres
beſtimmten Sinnes finden.
135).
So den Reinbot von Doren, Fleck den gu[t]en Conrad, koͤn-
nen wir nicht mit Gewißheit fuͤr Meiſterſinger annehmen, bis
ſich etwa auch Lieder von ihnen auffinden.
136).
Wurde die Ilias mehr geſungen oder recitirt? In dem erſten
allerdings zu vermuthenden Fall, da die Begleitung mit der
Cither ſchwach geweſen zu ſeyn ſcheint und die griechiſche Har-
monie mit dem Rhythmus innig verwandt war, iſt anzunehmen,
daß der in jedem Hexameter liegende Grundrhythmus zugleich
auch die Muſik beſtimmt habe. Maaß und Muſik kehrten alſo
(innerer ſteter Abwechſelung unbeſchadet) mit jeder Zeile wieder,
ohne je zu ermuͤden; ein Hauptunterſchied von unſerer Nibe-
lungenweiſe, wo die Zuſammennahme von vier Zeilen zu einem
Ganzen und zu einer Melodie.
137).
Z. B. in dem (von unſerm Loherangrin durchaus verſchiede-
nen) Garin le Loherens. Da heißt es im Anfang neuer Ab-
ſchnitte: huimes dirom oder lirom. (Aujourdhui nous
dirons, lirons.)
138).
Cf. Raniſch 323. Spruͤche und Spiel vom Meiſtergeſang un-
terſchieden.
139).
Man duͤrfte kuͤhnlich einzelne Strophen der einfachen vier-
zeiligen Lieder in der maneß. S. in die Nibelungen einſchalten,
wo ſie nicht ſtoͤren wuͤrden. Die ganze Idee der Tage- oder
Waͤchterlieder iſt hoͤchſt volksmaͤßig.
140).
Das Volkslied: sur le pont d’Avignon iſt z. B. herrlich und
den beſten deutſchen im W. H. vergleichbar; aber eine ganze
ſolche Sammlung koͤnnte man in Frankreich nicht zu Stande
bringen.
141).
Ein Herr de Rocheguͤde ſoll ſchon Jahre lang zu Paris mit
dem Studium dieſer Dichtkunſt umgehen; daß er die H. S.
Palayes endlich einmal edire, iſt ſehr zu wuͤnſchen. Noch mehr,
daß Gloͤckle in Rom ſich auch um die Provenzalen verdient
mache.
142).
Ueberfluͤſſig ſcheint mir daher Docens Frage an mich: ob
ich denn die provenzal. Dichter fuͤr unkuͤnſtlicher halte, als die
Minnelieder? Das moͤgen ſie ſeyn oder nicht, und beides wird
ſicher ſtatt finden, ſobald wir einzelne Faͤlle gegen einander hal-
ten; worauf es hier ankommt, iſt: ob die beſondere Structur
in ihnen characteriſtiſch vorwalte, wie im Meiſtergeſang. Denn
an ſich iſt A. Metzgers Einbeerweis einfacher als nur irgend ein
provenz. Lied ſeyn kann, oder als viele von Goͤthe, die ihres
Baues halben auch in den Meiſterſchulen gelten koͤnnten.
143).
Allenfalls laͤßt ſich das ſelbſt aus den Silbenmaßen ſchließen,
welche die italieniſche Poeſie als Frucht jener Bluͤthe behalten
hat. Nur in der Canzone iſt gruͤndliche Uebereinſtimmung mit
unſerm Grundſatz, im Sonett aber ſchon die ungewoͤhnlichere
144).
Das einzig mir beifallende Lied, worin etwas dergleichen vor-
kommt, iſt das erſte des tugendh. Schreib. 2. 101., wo der
Reim ere in allen 5 Str. wieder kehrt, ſo jedoch, daß er in
der zweiten und vierten die erſte Zeile des Stollen, in den
uͤbrigen die zweite beſetzt.
145).
Um nur beruͤhmte zu nennen: Pierre Vidal und Faidit.
146).
Bloß bei Gettfried von Straßburg im Triſtan 18962 und 66.
ſteht „vant“ in einer ſolchen Bedeutung, allein gerade hier iſt
eine dirccte Ueberſetzung aus dem Provenzaliſchen (lamparti-
ſchen) nicht zu bezweifeln. Cf. Oberlin v. Orthaber. Andrer-
ſeits liegt der Gebrauch des Worts den germaniſchen Sprachen
ſelbſt nah genug und Egil ſingt: thuiat hrodr of fann.
143).
Aufloͤſung des Abgeſangs fuͤr ſich in zwei gleiche Theile, worin
allerdings etwas unbefriedigendes, ſo daß ſich ſchon italieniſche
Dichter (wohl darum) Freiheiten damit erlaubt haben. Der
Bau der Octavreime mag im Vorleſen von großer Wirkung
ſeyn, aber etwas unſangbares tragen ſie an ſich, welches ſicher
wegfiele, wo ſie zwei Zeilen weniger haͤtten. Terzinen ſind auch
bloß zum Leſen und die Seſtinen meiſt ein kalter Reimmißbrauch.
Der Ballaten und Madrigale zu geſchweigen, die außerdem
ſehr verſchieden vorkommen.
147).
Ferrari heißt maestro, ſo wie der Bernard d’Auriac. Petrarch
nennt den Arnoldo Daniello einen gran maestro d’amore
(Minnenmeiſter wie im Parcifal 15881. — oder: mein Meiſter?)
148).
Tanhuſer 2. 66 b. Titurel Str. 632. „mein her Walter“ (die
hier gemeinte Stelle Walters ſteht Maneße 1. 102.) Str. 2167.
meine Frau (madame) Parcifal 4264. 9009.
149).
Zweifelhafte Etymologie; am vermuthlichſten von servire,
Dienſtgedichte. Roquefort v. servantois ſieht immer Bittge-
dichte und keine ſatyriſche darin.
146).
(Egilsſaga p. 431.) So allgemein ſprechen unſere Meiſter mehr-
mals von falſchen und rechten Fuͤnden, Triſtan (4623.), Mis-
ner (DX in fine), Hermann Damen (XIV.) in einem Sinn,
wie er noch jetzo gaͤng und gebe iſt. S. Walter oben S. 88.
und Morungen 1. 56.
150).
In den Regeln und Geſetzen der Minne, die man in Aretins
Ausgabe vor den eigentlichen Urtheilen findet, iſt nichts, was
nicht auch in Deutſchland erdacht ſeyn koͤnnte.
151).
„Die frawen ſeind vns berende zer welt.“ Titurel 1891.
152).
Auch ernſthafte Betrachtung wurde den Meiſtern von ihren
Frauen aufgegeben. M. ſ. die oben Note 65. von Fr. v. Son-
ncnburg angezogene Stelle.
153).
Walter v. V. W. ſehr zierlich:
„ſwelche ſchone vrowe mir danne gabe ir habedank.
der lies ich gilien und roſen us ir wengel ſchinen.“
154).
Beiſpiele: Azalais de Porcairague, Donna Castelloza, Clara
d’Anduse, comtesse de Provence, comtesse de Die, Natibors.
155).
Walter ſingt (1. 119.), er habe viel Lande geſehen, in dent-
ſchen aber ſeyen die Weiher als Engel gethan, „tiutſchin zuht
gât vor allen.“
156).
Etwas anders iſt es auch, daß ſich bei wandernden Volksſin-
gern, vermuthlich ſehr fruͤh ſchon, die Weiber des Amts mit
angenommen. S. die alte Gloße: Spilewiba = tympanistae.
(Docen Miſc. 1. 236.)
157).
Wolfg. Spangenberg bringt wirklich eine Weißbeckin aus dieſer
Stadt, Suſanna Granerin bei. (Neuer Buͤcherſaal, 19. Oeffn.
p. 523.)
158).
Gegen dieſe Meiſterſchaft der Frauen ſtimmt ſchon Reinmar v.
Zw. (2. 129. ſwa gut man ꝛc.), indeſſen ſteht im Leipz. Ms. von
Minneliedern der Gegenſatz dazu.
159).
Beiſpiele davon: belregard, beldeport, belri [...], belcavalier,
miels de donna, monplazer, fleur delys.
160).
Etwa den einzigen Cercamons ausgenommen.
161).
Wie ſchon der Name angibt, joculator (von jocus), jugleur.
giullare (gioia).
162).
Faidit war 20 Jahr Jongleur und dann erſt Troubadour.
163).
Wie man ſieht, durchaus kein Grund gegen die Identitaͤt der
ſpaͤteren mit den alten Merkern. Zur Zeit des ſpaͤteren Mei-
ſtergeſangs und beſonders im buͤrgerlichen Stand war eben nichts
mehr vom Geiſt des Ritterthums zu ſpuͤren.
164).
Arnoldo Daniello wurde von einem Jongl[eu]r in ſchweren Rei-
men aufgefordert, Ferrari beantwortet alle Fragen, die man
ihm gethan, in kuͤnſtlichen Liedern, und wird von andern
165).
Die alte Tradition iſt daher eben ſo wahrhaft als wuͤrdig:
es trieb der heilig Geiſt alſo
zwoͤlf Maͤnner froh
die fingen an zu dichten.

((Aus Ben. v. Watt’s Samml. von Meiſterliedern.))
164).
Jongleurs als Richter und Meiſter der Kunſt anerkannt. Einen
weiteren Beweis koͤnnen die, uns bekannteren, Lieder der mit
den provenzaliſchen genau zuſammen haͤngenden ſpaniſchen Trou-
badours liefern, deren preguntas und respuestas faſt nur lite-
rariſch etwas bedeuten. Dabei kommen auch Redensarten wie:
apuntar los metros vor. (Schubertbibl. castell. 2. 287.)
166).
Die Feierlichkeit der Zahl 7 tritt viel zu oft im Mittelalter
hervor, als daß man hier an deutſche Einrichtung, an die ſie-
den Wartburger Meiſter oder die ſieben Kuͤnſte denken ſollte.
167).
Auch dieß iſt ſchwerlich auf die „holdſeelige Kunſt“ unſeres
Meiſtergeſangs anzuwenden; haͤngt aber mit joculator und
giullari zuſammen.
168).
Hist. de Languedoc IV. 196 — 198. und daraus Velly hist.
de fr.
8. 139 — 144. Alſo konnte auch Kaiſer Carl 4. dem
laͤngſt ſtehenden Meiſterg. neues Wappen und Recht verleihen!
169).
Tiraboschi VII. P. 1. 112.
170).
In dem Veſtreben der franzoͤſiſchen Literatoren, die noͤrdliche
Poeſie uͤber die ſuͤdliche wo moͤglich zu erheben, liegt außer dem
gar ungerechten, etwas ungruͤndliches. Das Ausſchließen der
Provenzalen allein erregt Zweifel gegen den guten Erfolg der
neueſten Preisaufgabe des Pariſer Inſtituts.
171).
Außer der bekannteren Stelle am Schluß des Parcifals iſt
auch noch Wilh. der Heil. 2. 57 a) nachzuſehen.
172).
Man vergl. Pasquier lib. VII. ch. 5. und die gedruckten
Werke von Cretin, Molinet, die anciennes blasons. (Neue
Samml. daron, Paris 1809. 8.)
173).
Hauptſchriftſteller: Schets eoner Geschiedenisse der Redery-
keren door Willem Kops
(in den Werken van de maet-
schappy der nederlandsche Letterkunde te Leyden. Tweede
deel 1774. 4. p.
212 — 351.) und Henryk van Wyn in ſ.
avondstonden. Amsterd. 1800. 1. 299. 346 ‒ 354.
174).
Auf jeden Fall verdienen zwei Gedichte Maerlants beſondere
Ruͤckficht, worin er mit ſeinem „Compan“ Martin verſchiedene
Fragen aufwirft und beantwortet. Offenbar erinnert alles mehr
an die Tenzonen und Preguntas, als an unſere Meiſterlieder.
Ich halte daher, daß man dieſen Maerlant nicht wohl von den
ſpaͤtern Rhetorikern trennen darf.
175).
Freilich ein ſehr allgemeiner Ausdruck, etwa wie poeta, oder
das altdeutſche Scof (Schoͤpfer, Schaffer), welches dasſelbe
bedeutet. Docen Miſc. 1. 233.
176).
Z. B. was einen Sterbenden am meiſten troͤſte? Cf. Kops 244 ff.
177).
Const van Rhetoryke, verſch. gedruckt u. a. 1616. Die Bal-
laden koͤnnen 7 — 9 regelen (Zeilen) haben.
178).
Das Wort erinnert an das aͤhnliche: Referenzen. in
einem Meiſterlied des 15ten Jahrh. (n. lit. Anz. 1807. Col. 773.)
ſ. oben Note 97. Im 17ten Jahrh. wurden in Deutſchland auch
Wiederkehren gedichtet, von der ſchleſiſchen Schule aber.
179).
Merkwuͤrdig iſt in der Hinſicht ein altniederlaͤndiſches Gedicht
des Claes Willems, betitelt: Minnenloop, worin gleichwie im
180).
Bloß bei der Taufe eines Tons ſcheint das Gemerk zuweilen
eine bibliſche Materie aufgegeben zu haben, die darin ausge-
fuͤhrt werden mußte.
181).
Indeſſen finde ich, in Beiſchlags Beitr. zur Geſch. des
M. G., daß ſich die letzten Augsburger Meiſterſinger im Jahr
1770. „verbuͤrgerte Comoͤdianten und Meiſterſaͤnger“ nennen.
Eine ſpaͤtere, im Ganzen unbedeutende Ausnahme.
179).
provenzaliſchen beurtheilt wird, in welchem Grad der Minne
Floris mit ſeiner Geliebten geſtanden. Cf. Huydecoper op Stoke
2. 53. 54.
182).
Ynglinga S. Cap. 25. Die alten und volksmaͤßigen Lieder ſchei-
nen daher vorzugsweiſe, und im Gegenſatz der Skaldenviſer
Slag oder Hliod geheißen zu haben. Merkwuͤrdige nament-
liche Beiſpiele in der Nornageſturs Saga Cap. 2, in der Her-
rauds og Boſe S. Cap. 11. Seite 50.
183).
Hauptſchrift, bis der dritte Theil der Edda (Liodsgreinir) ge-
druckt ſeyn wird, iſt: Om Nordens gamle Digtekonſt, ved John
Olaſſen. Kiobenh. 1786. 4. Grabergs neue Abh. uͤber die Scal-
den (im 2ten Band der Atti della academia italiana) iſt mir
noch nicht zugekommen.
184).
Wenn es erlaubt iſt, Gleichniſſe fuͤr eine Sache zu verſuchen,
die uns zu lange aus Erfahrung und Beiſpiel herausgeruͤckt ge-
weſen iſt, ſo kann man ſich das Weſen der an- und eintoͤnen-
den Alliteration von dem austoͤnenden Reim ſo erklaͤren, daß
in dieſem ein allgemein muſikaliſches Princip, in jener das der
Menſchenſprache vorwaltet. Der Reim iſt ein fließendes, in
ſich ſelber klingendes Waſſer, die Alliteration, das Einſchneiden
des Schiffs, deſſen Ruderſchlag; oder, der Reim iſt das We-
ſen der Luſt, die Alliteration die Stimme der Blaͤtter, woran
der Wind ſtreicht, daher in ihr etwas eigen heimiſches und er-
greifendes. Daher werden auch alle Interjectionen, ſobald ſie
aus den, ſo zu ſagen ſtummen, Luſt- und Schmerzenslauten
in das Menſchlichbewegende gehen, alliterirend, wie die kindli-
chen Liebkoſungen. Aus allem dem, und den Spuren, worin
ſie ſich von orientaliſcher Poeſie (ja vom griechiſchen Augment)
an bis in unſere Sprichwoͤrter und Nachſprecheſpiele zeigt, er-
gibt ſich das unerdichtete, der menſchlichen Natur nahliegende
Element der Alliteration. Zwei große Vortheile hat ſie vor
dem Reim voraus, die Bedeutſamkeit, indem ſie nur ſinnwich-
tige Woͤrter ergreift und mit dem Accent der Sprache aufs in-
nigſte zuſammenſtimmt, daher ihre Beſtandtheile mit Recht die
Staͤbe des Lieds (hliodstafir, Liedſtaben), deſſen Seele ſie aus-
machen, genannt werden; — dann die Beweglichkeit, indem
ſie in der Zeile an keine Stelle gebunden iſt, waͤhrend der Reim
das Schlußwort der Zeile halten muß. So wie jene Innigkeit
des Accents mit dem Sinn der Worte und der genaue Schritt,
den wieder das alliterirende Metrum damit haͤlt, ein koͤſtlicher,
nicht gehoͤrig erkannter Vorzug der germaniſchen Sprachen iſt;
ſo erreicht andererſeits die Alliteration faſt die innere Freiheit
griechiſcher Rhythmen. Aus beiden Gruͤnden mochte man in
dem Reimprincip zum Theil etwas Undcutſches oder doch Spaͤ-
teres finden.
Schon die Namen beſtaͤtigen dieſe Anſicht der Alliteration.
Wenn in der Edda gefragt wird: wie viel Laute (Lieder) gibt
185).
Dieß iſt nicht mißzuverſtehen. Ich weiß wohl, daß die Reime
laͤngſt in der nord. Poeſie gebraͤuchlich waren, ehe unſer Mei-
ſtergeſang aufkam, allein die alten eddiſchen Geſaͤnge ſind doch
ſaͤmmtlich in Fornyrdalag oder Syngeſproget.
186).
Um uͤber die Formen nordiſcher Poeſie klar und leicht zu re-
den, muͤßten wir vor allem einige beſſere Benennungen einfuͤh-
ren. Ich ſchlage vor, die Alliteration Anreim, und im Ge-
184).
es? ſo iſt die Antwort: drei: Naturlaut, Thierlaut, Menſchen-
laut. Zu dem erſten gehoͤrt Windesbrauſen, Waſſerrinnen,
Erdedroͤhnen, und dieſe werden genannt vitlaus hliod, welches
mir Nyerup (Skand. Lit. ſelſkabs Skrifter 1807. p. 172.) nicht
gut durch: ufornuftig Lyd zu uͤberſetzen ſcheint, da es vielmehr
ſo viel als ungebunden, ungemeſſen bedentet (wie die Schwe-
den einen ungegraͤnzten, ungemeſſenen Acker witulös iord nen-
nen) und mit den altdeutſchen Witten vermuthlich zuſammen-
haͤngt. (ſ. oben Anm. 92.) Die weit in alle germaniſche Spra-
chen einſchlagende und vielfach modificirte Wurzel dieſes Wortes
ſcheint mir allenthalben auf Menſchenwitz und Menſchenkunſt
hinzudeuten, ſo daß ihr entgegenſteht, was auch ohne die Men-
ſchen auf der Erde waͤre; z. B. das hallende Echo, welches die
Scandinaven wiederum bedeutend die Sprache der Zwerge,
(Dvergewaal) heißen. — Der intereſſante Gegenſtand fuͤhrt zu
weit ab, ich wollte hier nur darauf hinzeigen, wie die Verſchie-
denheit von Lied und Weiſe ſchon auf der urſpruͤnglichen der Vocale
und Conſonanten (weibl. u. maͤnnl. Princip) zu beruhen ſcheint.
187).
Daran kann man das aͤltere Fundament der Alliteration er-
kennen, daß ſie ſtets auf im Sinn bedeutenden Woͤrtern ruht,
waͤhrend die nordiſchen Reime ſchon auch mit Flickwoͤrtern vor-
lieb nehmen muͤſſen.
188).
Conf. Olafsen cap. 2. §. 50. cap. 6. § 32. Indeſſen iſt mir
doch ein Beiſpiel von uͤberſchlagenden Reimen bekannt, in den
144 erſten Zeilen der Rimur von Karl und Grim, eingangs
der bioͤrneriſchen Sammlung. Dieſes uͤberkuͤnſtliche, unpoctiſche
Stuͤck iſt aber ohne Zweifel nicht ſehr alt. Vergl. uͤber ſolche
Rimur uͤberh. Olafſen pag. 69. § 39. und pag. 200. §. 20.
186).
genſatz unſern Reim Ausreim zu nennen. Wie aber den
Reim in Drott- und Togmaͤllt? den man einen in das Wort
weiter einfreſſenden (jedoch umgedrehten) Anreim nennen kann,
ſo daß er (in einſilbigen Worten) oft zu einem wirklichen Aus-
reim wird. Alſo innerer, Mitte-, Ein- reim.
189).
D. h. als characteriſtiſch in unſerm altdeutſchen Geſang. Uebri-
gens verdient es bemerkt zu werden, daß Frauenlob in einem
Preisgedicht (Docens Miſe. 2. 283.) ganz eigentlich das Zeit-
wort ſchallen activ fuͤr: lobſingen braucht. Bloß etymolo-
giſch iſt die Uebereinſtimmung der haͤufigen Redensart: „die
Voͤglein erhuben Schall und Bracht“ mit dem nordiſchen
skald und bragd. Ich ſehe, daß auch Rumelant CCLXXXV.)
in der wichtigen, noch von niemand bemerkten Stelle, woraus
ſich zu ergeben ſcheint, daß Marner in ſeinem Alter, und er-
blindet, gemordet worden — das Zeitwort ſcallen eben ſo
wie Frauenlob gebraucht. Bei Wizlau (CCCCL.) kommt es
zwar activ vor, aber mehr im Sinn des Rufens als Singens.
Aus einem anderen Ort bei Gervelyn (CXCIV) „Neider, ohne
Kunſt, ſchallen vor den Herrn“ iſt wenigſtens zu nehmen, daß
die jenen entgegengeſetzten Meiſter den Ausdruck nicht characte-
riſtiſch fuͤr ihre Kunſt gemacht hatten, wie ſo viel anderes.
190).
Wenn wir die Stafur, Studlar, Bialkar u. a. zuſammenneh-
men, ſo tritt in der ſcandinaviſchen eine bedeutende Conſa-
quenz hervor.
191).
Cfr.Olafſen S. 247. §. 10.
192).
Olafſen S. 184 ff. iſt daruͤber aͤußerſt unbefriedigend.
193).
Egils Saga S. 150. (edit. hafn. 1809.) „that var thar haft
aulteiti (Trinkgelag), at men koadu viſur.“ Die Fuͤrſten mach-
ten dafuͤr den Saͤngern Gaben, lobten und billigten die Geſaͤnge.
Ebendaſ. 152. „Yngvar hellt upp (conservavit, approba-
vit
) viſu theirri, og thakadi vel (daͤuchte gut) Agli viſuna.“
So natuͤrlich iſt das Billigen und Merken geweſen, auch un-
ter den Norden.
194).
Indeſſen iſt ſchon die Nothwendigkeit der ſo oft wiederkehren-
den Verſicherung ein boͤſes Zeichen. Unſere Meiſter reden
manchmal ganz offen, Urenheimer (CCVI.) ſtellt gerade den
Satz auf: „alſo man den meiſter lohnet, alſo wiſchet er das
Schwert.“ Der Mysner bekennt (DXC.): „ich bin Fuͤrſten
dieniſt, auf gnaden lied ich ſinge“, und der tugendh. Schreiber
(2. 104.) bewaͤhrt das hohe Alter des Spruchs: „weß Brot ich
eß, deß Lied ich fing.“ — Rumelant v. Schw. (CCCLXXXI.)
geſteht, daß er gelogen habe. Winterſteten (b. BeneckeXVI.)
ſwer vil dienet ane lon
mit geſange
tut ers lange
der verluret manigen don
()
195).
Obſchon ſie nur in Scandinavien recht kuͤnſtlich ausgebildet
worden zu ſeyn ſcheint, ſo wie die fruͤhere Macht des Chriſten-
thums unter uns die Runen vertilgt hat. In Sprichwoͤrtern
und Redensarten ſind noch eine Menge Alliterationen in Deutſch-
land uͤbrig. Aber mehr zufaͤllig als geſucht, oder doch aus
einem andern Trieb geſucht, find das bekannte: „Ren ram rint
rehte rate enruoche“ (Man. 2. 225.) und andere namhafte Bei-
ſpiele. Der Miſner bringt das ganze Alphabet in die Anfangs-
buchſtaben dreier Zeilen (DXXV.)
194).
Von Volksſaͤngern verſteht ſich die Abſicht auf Gaben, und das
Schmeicheln noch viel mehr. S. eine bei Oberlin zum W.
Lotter angezeigte Stelle.
196).
Olaſſen p. 186. gedenkt des geſangliebenden Hofes von Koͤnig
Harald, worunter alſo jener Hofſcalde ſelbſt nicht gemeint ſeyn
kann.
197).
Str. CCCLIV u. CCCLXXVIII - XXX. beſingt er die Er-
mordung des daͤniſchen Koͤnigs. Auch Reinmar preiſt den Koͤ-
nig Erich von Tenemarcke (2. 132.)
198).
Oder ſind der Manſaungr mehr geweſen, als aufgezeichnet
worden? Ich kenne nur einen in der Egilsſaga cap 56. p 325.
(coll. cap. 2. pag. 5.) und einen aus der Viglunds S. von
Thorlacius (antiqq. bor. spec. 1. p. 41. 42.) beigebrachten.
Auffallend iſt uͤbrigens der Zuſammenhang des Worts mit un-
ſerm Minneſang, indem ich lieber man, von mana, mona,
mun[a,] gemynan, = meminisse
als mit Thorlacius p 39.
von man (Jungfrau) ableite. Jenes muna iſt nun wohl mit
minna verwandt, erinnert an das nordiſche, aber auch Ribe-
lungiſche „Minnetrinken“ und fuͤhrt uns mithin auf die alte
Bedeutung unſeres Wortes „Minne.“ S. auch Olafſen,
Anhang § 20.
In den Kaͤmpeviſer p. 416. iſt die erſte Strophe eines Lie-
beslieds aufbewahrt, welches Koͤnig Magnus (Barfuß) von
Norwegen der Kaiſerstochter Mathild geſungen haben ſoll, (er
faͤllt ins Ende des 11ten Jahrh.) und deſſen Eingang: hvad er
i heimi bettra, enn vife fogra? an ſo viel deutſche Minnelie-
199).
Eine merkwuͤrdige Stelle hieruͤber in der Egilsſaga (Hafn. 1809.
4.) pag. 650. — Uebrigens iſt auch in der nordiſchen Poeſie die
Idee der Streit- und Wechſellieder zu alt, als daß ſie nicht
auch noch von ſpaͤten Scalden ergriffen ſeyn ſollte. S. Thor-
lacius l. c. p.
43. 44. Viele alte Lieder beſtehen faſt nur in
aufgegebenen und geloͤſten Fragen, wie Fioͤlſoinns- und Vaf-
thrudinsmal, oder wie die Reden zwiſchen Gieſtur und Heidre-
kur in der Hervora S. oder zwiſchen Erich und Frode. (Suhms
nord. Fabelzeit. 1. 319. 320.)
200).
Eine gruͤndliche Unterſuchung der welſchen Saͤnger, ihres Or-
dens und ihrer weitgetriebenen Regeln waͤre ein augenſcheinli-
cher Gewinn fuͤr die Litteratur des ganzen Mittelalters. Leider
198).
der mahnt, wie an H. von Meiſen (1. p. 6.) Rubin, (1. 171.)
den von Landeck (1. 203.) Aber herrlich ſteht unter allen die-
ſen Vogelwoides Geſang aus dem Herzen (1. 108.)
Was hat die welt zegebene
Liebers danne ein wib ꝛc.
()
200).
ſind einige neuere engliſche Schriftſteller, beſ. Edward Jones
und William Owen nicht critiſch genug verfahren, obwohl es
ihnen an reichen Materialien nicht gefehlt haben mag, da ſie
ſchon ſo recht vieles mittheilen Die Alliteration hieß bei den
Barden cyfrinach y beirdd oder poetio secret of the bards.
An Foͤrmlichkeit hat es hier ſicher nicht gemangelt, ſo wenig un-
bedingten Glauben auch manche, wie Keating, zu verdienen
ſcheinen.
201).
Die tiefſinnige Unſchuld der Volkspoeſie iſt mit der großen
indiſchen Sage vom goͤttlichen Kind Criſchna vergleichbar, dem
die irdiſche Mutter von ungefaͤhr den Mund oͤffnet, und in-
wendig in ſeinem Leib den unermeßlichen Glanz des Himmels
ſammt der ganzen Welt erblickt, das Kind aber ſpielt ruhig
fort und ſcheint nichts davon zu wiſſen. — Dieſen Satz von
der Ganzheit der Natur und der Halbheit menſchlicher Willkuͤr,
hat auch bei Gelegenheit der griechiſchen Metrik erkannt Boͤkh
in ſeiner Schrift uͤber die Versmaße Pindars, gleich eingangs.
202).
Da ich oben Note 1. der Abhandlung v. d. Hagens uͤber den
Meiſtergeſang gedacht habe, ſo finde auch hier ſein dem unſe-
ren ganz entgegen ſtehender Schluß einen Platz: „der Meiſter-
geſang war und iſt ganz etwas neues und eigenes; der fruͤhere
Minnegeſang war ſchon ganz verſchollen und fuͤr jenen ſo gut,
wie gar nicht vorhanden und iſt und bedeutet in der That und
Wahrheit im innerſten Geiſt und Form, ſo wie in der aͤußeren
Erſcheinung und Umgebung, durchaus etwas Anderes, Hoͤheres.“
203).
Hagen im N. l. A. 1808. Col. 84.
204).
Und auch in der neuen Poeſie ſelbſt nicht, weßwegen aller Haß
und Streit daruͤber thoͤricht. Das neu und bewußt eingefuͤhrte
kann nur durch den Gebrauch ſpaͤter geheiligt werden und wird
ſich ſchon von ſelbſt auswerfen, wo es uͤberkuͤnſtlich und unan-
204).
gemeſſen. Wie anders war es mit den unbewußt und noth-
wendig gebrauchten Kunſttoͤnen der Minneſaͤnger! Selbſt un-
ſer heutiger Geſang koͤnnte nicht alles dasjenige dulden, was
wiederum in dem haͤufig gewordenen Leſen und Vorleſen ganz
ſtatthaft erſcheint oder ſich doch entſchuldigt.

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TextGrid Repository (2025). Grimm, Jacob. Ueber den altdeutschen Meistergesang. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjxx.0