[][][][][][][[I]]
Vorleſungen
uͤber die
Naturlehre
zur

Belehrung derer, denen es an mathematiſchen
Vorkenntniſſen fehlt.


Zweiter Theil.

Mit 4 Kupfern.

Leipzig: , 1831.
beiGeorg Joachim Goͤſchen.

[[II]][[III]]

Vorrede.


Nur wenige Worte habe ich dieſem zweiten Theile
voranzuſchicken, da ich den Zweck und Plan der Vor-
leſungen ſchon im erſten Theile angegeben habe, und
dieſer, nach den mir bekannt gewordenen Beurtheilun-
gen, mit Billigung aufgenommen iſt. Aber ganz ohne
Vorrede kann ich dieſen zweiten Theil nicht laſſen, da
es wohl einer Entſchuldigung bedarf, daß derſelbe die
Lehre von der Waͤrme noch nicht mit enthaͤlt. Aller-
dings war es meine Abſicht, ſie hier mit zu liefern;
aber da die Verlagshandlung das baldige Erſcheinen
dieſes zweiten Theiles wuͤnſchte, und ich mich der Ge-
fahr zu uͤbereilt zu arbeiten ausſetzte, wenn ich auch
dieſen Gegenſtand noch haͤtte abhandeln wollen, ſo hielt
ich es fuͤr angemeſſener, die Waͤrmelehre fuͤr den drit-
ten Theil zuruͤckzulaſſen, welcher dann freilich die bei-
den erſten an Umfang uͤbertreffen und die hier nicht
ganz erreichte Bogenzahl reichlich ausgleichen wird.
Daß ich die Lehre vom Lichte etwas ausfuͤhrlich dar-
[IV] geſtellt habe, bedarf bei der Wichtigkeit dieſer Lehre
wohl keiner Entſchuldigung; ich hoffe auch die uͤbrigen
Lehren, ohne den Umfang des Buches zu ſehr zu ver-
groͤßern, mit gleicher Vollſtaͤndigkeit vortragen zu koͤnnen.


Leipzig, am 1. Maͤrz 1831.


H. W. Brandes.


[V]

Inhalt.


Erſte Vorleſung. Wirkungen der Anziehungskraft in die Ferne
und bei der Beruͤhrung. Haarroͤhrchen. Laplace' s Theorie, ange-
wandt auf einzelne Erſcheinungen. Vera's Waſſerhebungsmaſchine.
Rotation eines Uhrglaſes.


Zweite Vorleſung. Adhaͤſion fluͤſſiger Koͤrper an feſte; Bewe-
gungen, die daraus entſtehen. Brown's Beobachtungen. — Ab-
ſorption der Luft durch feſte und fluͤſſige Koͤrper. Chemiſche Anzie-
hung. Wahlverwandtſchaft. Cryſtalliſation.


Dritte Vorleſung. Eigenſchaften einiger einfacher Stoffe. Zuſam-
menſetzung der Koͤrper nach feſten Proportionen.


Vierte Vorleſung. Das Licht. Gradlinige Fortpflanzung des
Lichtes. Schatten. Perſpective. Sehewinkel. Bilder der Gegen-
ſtaͤnde im dunkeln Zimmer. Geſchwindigkeit des Lichtes. Photo-
metrie.


Fuͤnfte Vorleſung. Zuruͤckwerfung zerſtreuten Lichtes. Spiegel.
Der Cryſtallwinkelmeſſer. Spiegelſextant. Heliotrop. Hohlſpiegel.
Kugelſpiegel. Cylinderſpiegel. Kegelſpiegel.


Sechſte Vorleſung. Refraction. Prisma. Beſtimmung des Bre-
chungsverhaͤltniſſes. Vollkommene Zuruͤckwerfung, die ſtatt der Bre-
chung eintritt.


[VI]

Siebente Vorleſung. Linſenglaͤſer. Grad der Weiße. Das Auge.
Ueber das Einfachſehen mit zwei Augen, uͤber das Schielen, uͤber das
umgekehrte Bild im Auge. Brillen. Microſcope. Spiegelmicroſcop.
Sonnenmicroſcop.


Achte Vorleſung. Fernroͤhre. Lichtſtaͤrke. Raum durchdringende
Kraft. Micrometer. Strahlenbrechung in der Luft; wunderbare
Erſcheinungen durch dieſelbe. Funkeln der Sterne.


Neunte Vorleſung. Ungleiche Brechbarkeit der Farbenſtrahlen.
Newton's Theorie der Farben. Weiß. Ergaͤnzungsfarben. Pris-
matiſches Sonnenbild. Dunkle Linien in demſelben. Genaue Beſtim-
mungen fuͤr die Brechung. Erſcheinungen im Prisma. Camera lu-
cida. Achromatiſche Linſenglaͤſer.


Zehnte Vorleſung. Theorie des Regenbogens und der Neben-
ſonnen.


Elfte Vorleſung. Farben undurchſichtiger Koͤrper. Farben durch-
ſichtiger Koͤrper. Das Blau des Himmels und die Abendroͤthe.
Daͤmmerung. Subjective Farben-Erſcheinungen. Farbige Schatten.


Zwoͤlfte Vorleſung. Die Emiſſionstheorie.


Dreizehnte Vorleſung. Die Undulationstheorie. — Schwierig-
keit, die ſchon hier beide Theorien darbieten.


Vierzehnte Vorleſung. Ueber die Farben duͤnner Blaͤttchen.
Newton's Farbenringe. Ausrechnung der entſtehenden Farbenmi-
ſchungen. Seifenblaſen. Anwandelungen des leichtern Durchgangs
und der leichtern Zuruͤckwerfung. Beſtimmung der Wellenlaͤnge fuͤr
jeden Farbenſtrahl. Ueber die natuͤrlichen Farben der Koͤrper.


Funfzehnte Vorleſung. Fortpflanzung der Aetherwellen uͤber
die Schattengrenze hinaus. Beugung des Lichts. Verſuche im freien
Lichte, und im dunkeln Zimmer. Erklaͤrung der Beugungs-Erſchei-
nungen durch die Undulationstheorie. Mittel, um dieſe Erſcheinun-
gen leicht zu beobachten. Interferenz-Erſcheinungen beim Durchgange
der Strahlen durch Gitter. Hoͤfe um Sonne, Mond und den eigenen
Schatten. Erſcheinung am Regenbogen. Farben durch Zuruͤckwer-
fung. Fresnel's Verſuch uͤber die Interferenzen.


[VII]

Sechzehnte Vorleſung. Doppelte Brechung. Betrachtung der
verſchiedenen Faͤlle bei Cryſtallen mit einer Axe. Brechung durch
zwei Cryſtalle und Reflexion von der Hinterſeite. Cryſtalle mit zwei
Axen. Geometriſche Verſchiedenheit der einfach und doppelt brechen-
den Cryſtalle. Ungleiche Ausdehnung durch die Waͤrme. Theoretiſche
Erklaͤrungen nach der Emiſſions- und nach der Undulationstheorie.


Siebenzehnte Vorleſung. Polariſation des Lichtes bei der Zu-
ruͤckwerfung von Spiegeln. Faͤlle, wo der Spiegel kein Licht zuruͤck-
wirft. Beſtimmung des Polariſationswinkels. Brechungsverhaͤltniß
fuͤr undurchſichtige Koͤrper. Faͤlle, wo alles Licht durchgelaſſen wird.
Vergleichung mit der Polariſirung durch doppelte Brechung. Biot's
Erklaͤrung. Polariſirung im Turmalin. Fresnel's und Cau-
chy's Theorie.


Achtzehnte Vorleſung. Farben-Erſcheinungen in duͤnnen Gyps-
Blaͤttchen, ſowohl bei der Zuruͤckwerfung des polariſirten Strahles
als beim Durchgange durch den Doppelſpath. Verſchiedenheit der
Farben nach Maaßgabe der Dicke. Bewegliche Polariſation. Oſcil-
lation der Lichttheilchen. Farben zweier Blaͤtter mit gekreuzten Axen.
Fresnel's Erklaͤrung aus den Interferenzen. Farbenringe in Cry-
ſtallen und in ſchnell gekuͤhlten Glasplatten. Polariſirte Strahlen
im Blau des Himmels. Farbenvergleichung.


Neunzehnte Vorleſung. Licht-Erzeugung beim Verbrennen.
Phosphoreſcenz durch Erwaͤrmung, durch Beſtrahlung. Phospho-
reſcenz lebender Thiere, der Theile todter Thiere und der Pflanzen.
Phosphoreſcenz durch Reiben, Zuſammendruͤckung u. ſ. w. Chemiſche
Wirkungen des Lichtes.


[]

Erſte Vorleſung.


Indem ich, m. h. H. heute zu einem neuen Abſchnitte der Unter-
ſuchungen uͤber die Erſcheinungen in der Natur uͤbergehe, finde ich
mich veranlaßt, Sie zuerſt an Betrachtungen zu erinnern, die uns
ſchon zu andrer Zeit beſchaͤftigt haben.


Schon bei den erſten Unterſuchungen, die wir uͤber die we-
ſentlichen Eigenſchaften der Koͤrper anſtellten, wurden wir auf die
Betrachtung einer anziehenden Kraft geleitet, welche in jedem Theil-
chen der Materie wirkſam iſt, durch welche dieſe Theilchen zuſam-
mengehalten werden, und oft mit ſolcher Gewalt zuſammengehal-
ten werden, daß ſie den zu ihrer Trennung wirkſamen Kraͤften mit
großer Staͤrke widerſtehen, und uns gewiſſe Koͤrper als ſehr feſt,
als ſchwer zerbrechlich, als hart, kennen lehren. Dieſe anziehende
Kraft der Materie fanden wir nachher auch da wieder, wo große
Maſſen auf entfernte Koͤrper einwirken, und das Fallen der Koͤrper
gegen die Erde zu, der Kreislauf der Planeten um die Sonne und
mehrere aͤhnliche Erſcheinungen zeigten uns die Geſetze, nach welchen
dieſe Anziehungskraft auch in groͤßere Fernen hinaus wirkt. Eben
dieſe anziehende Kraft, dieſe Attractionskraft, zeigt ſich uns aber
auch in einer Reihe anderer Erſcheinungen, und ſie iſt es, die —
freilich auf eine ſchwer zu ergruͤndende Weiſe — die Verbindungen
und Trennungen der Koͤrper bewirkt, mit welchen die Chemie ſich
beſchaͤftiget.


Um die Wirkungs-Art der anziehenden Kraͤfte da, wo ſie bei
inniger Beruͤhrung der Theilchen auf einander wirkſam ſind, etwas
deutlicher zu uͤberſehen, wird es zweckmaͤßig ſein, von den Erſchei-
II. A
[2] nungen, die dem Gebiete der Mechanik am naͤchſten liegen, anzu-
fangen, und nach und nach zu denen uͤberzugehen, wo ſich uns
endlich nicht mehr eine Bewegung der Koͤrper oder ihrer Theilchen,
ſondern eine Veraͤnderung der Natur der Koͤrper ſelbſt zeigt.


Wirkungen der Anziehungskraft feſter Koͤrper.


So lange die Koͤrpertheilchen nicht in unmittelbarer Beruͤh-
rung ſind, ſcheint, bei geringen wie bei großen Entfernungen, die
Kraft der Anziehung ſo abzunehmen, wie die Quadrate der Ent-
fernung zunehmen, und obgleich die geringe Einwirkung kleiner
Maſſen keine bis auf das Aeußerſte genaue Verſuche geſtattet, ſo
ſcheinen doch Cavendiſhs Verſuche dieſes Geſetz zu beſtaͤtigen.
Dieſe Verſuche wurden ſo angeſtellt, daß man an einem langen
und zarten Faden einen leichten, an beiden Enden mit Kugeln be-
ſchwerten Waagebalken aufhaͤngte, und dieſen durch nahe gebrachte,
ziemlich große Bleimaſſen aus ſeiner Ruhelage zu entfernen ſuchte.
Ein ſolcher Faden ſetzt der Drehung ſo wenig Kraft entgegen, daß
bei Cavendiſhs Verſuchen ſchon eine Kraft, die nur ein Funf-
zigſtel vom Milliontel der Schwerkraft betraͤgt, eine Ablenkung her-
vorbringen konnte, und daher die durch die Attraction der Blei-
maſſen auf die Kugeln am Waagebalken hervorgebrachte Einwir-
kung eine Aenderung der Stellung und eine Oſcillation des Waa-
gebalkens zur Folge hatte. Die Verſuche, die bei der ungemeinen
Empfindlichkeit der Drehwaage (denn ſo nennt man das In-
ſtrument), durch die geringſten fremden Einwirkungen geſtoͤrt und
unſicher gemacht werden koͤnnen, verdienten wohl mit der von Ca-
vendiſh angewandten großen Vorſicht wiederholt, und bei un-
gleichen Abſtaͤnden der Bleimaſſen mehrmals angeſtellt zu werden,
damit die Frage, ob auch bei ſehr geringen Abſtaͤnden noch jenes
Hauptgeſetz der Attractionen gelte, moͤglichſt ſtrenge entſchieden
werde. Cavendiſhs Verſuche haben wenigſtens gezeigt, daß
dieſe Anziehung merklich genug iſt, um bei einer ſo feinen Abmeſ-
ſung noch mit ziemlich viel Genauigkeit beſtimmt zu werden *).


Eine andre Reihe von Verſuchen, welche die Anziehung feſter
Koͤrper gegen einander und auf fluͤſſige Koͤrper zu zeigen ſcheinen,
[3] hat kuͤrzlich Girard bekannt gemacht *). Es iſt bekannt genug,
daß fein zertheilter Thon ſehr lange im Waſſer ſchwebend bleibt
und ſich ſehr langſam zu Boden ſetzt; wenn man nun in dieſes ge-
truͤbte Waſſer ein Araͤvmeter, um das ſpecifiſche Gewicht des fluͤſſi-
gen Koͤrpers abzumeſſen, bringt, ſo ſollte dieſes ſpecifiſche Gewicht
des Gemenges nur ſo groß ſein, als es den Beſtandtheilen des Ge-
menges gemaͤß iſt; aber Girard behauptet, daß man das ſpe-
cifiſche Gewicht groͤßer faͤnde, und erklaͤrt dies aus der groͤßern
Dichtigkeit, welche die von den Thontheilchen angezogenen, dieſe
zunaͤchſt umgebenden Waſſertheilchen annehmen. Das Waſſer
wird nach ſeiner Anſicht dichter in der Naͤhe jedes Thonſtaͤubchens,
und wenn dieſe Staͤubchen nahe genug an einander, zahlreich genug,
da ſind, ſo zeigt ſich uns nun das Waſſer im Ganzen dichter, als
es ohne dies ſein wuͤrde. Schmidt hat indeß aus eigenen Ver-
ſuchen gezeigt, daß dieſe angebliche Verdichtung ſich in ſeinen Ver-
ſuchen nicht wahrnehmen ließ **), und es iſt alſo nur Girards
zweite Reihe von Verſuchen noch als einen Beweis fuͤr die Anzie-
hung gebend anzuſehen. Dieſe zweiten Verſuche wurden mit Glas-
flaͤchen, die an Faͤden von 80 Linien lang pendelartig aufgehaͤngt
waren, angeſtellt, und es wurde die Zeit ihrer Schwingungen be-
obachtet, wenn die eine Glasflaͤche der andern ſehr nahe gebracht
war. Um dieſe Verſuche ganz zu uͤberſehen, ſtellen Sie ſich (Fig. 1.)
zwei ebne Glasplatten AB, CD vor, die man im Waſſer einander
ſehr nahe bringen kann. Sie ſind an den Faͤden AE, CF ſo
aufgehaͤngt, daß ſie Pendelſchwingungen machen koͤnnen, ſobald
man die 80 Linien entfernten Enden E, F, nach e oder f ver-
ſchiebt, und dann die Platten, welche man bis dahin in ihrer Lage
feſtgehalten hat, frei laͤßt. Damit die Wirkung der Schwere hier
geringe ſei und die Pendelbewegung langſam genug, um gut be-
obachtet zu werden, ſtatt finde, werden die Glasplatten mit Kork-
ſtuͤcken verbunden, wodurch ſie ein nur ſehr wenig groͤßeres ſpecifi-
ſches Gewicht als das Waſſer behalten; und bei dieſer geringen
Einwirkung der Schwere werden nun, behauptet Girard, die
Einwirkungen der einen Glasplatte auf die andre merklich. Man
A 2
[4] bringt naͤmlich die beiden Glasplatten einander ſo nahe, daß nur
noch ein duͤnner Silberfaden zwiſchen ihnen Platz hat, ſchraubt,
waͤhrend die Glasplatten noch in ihrer Entfernung erhalten werden,
(Fig. 2.) F nach f, zum Beiſpiel in einem der Verſuche 4½ Lin.
(ein Centimeter) weit, laͤßt dann die Platte CD frei und beobach-
tet die Zeit ihres erſten Pendelſchwunges. Statt nun daß dieſe
erſte Schwingung 91 Secunden gebrauchte, wenn der Silberfaden
die Platten in ⅑ Linie Entfernung erhalten hatte, ſo betrug die
Zeit 217 Secunden, wenn dieſe Entfernung nur \frac{7}{100} Linie gewe-
ſen war, und 440 Secunden, wenn die Entfernung nur \frac{1}{40} Linie
betragen hatte. Stellen Sie ſich naͤmlich in Fig. 2. dieſe kleinen
Bewegungen ſtark vergroͤßert vor, ſo iſt in dem Augenblicke, wo
die Platte CD ihre Bewegung anfaͤngt, der Faden Cf ſeitwaͤrts
abgelenkt; die Platte CD ſollte alſo, weil ſie doch um etwas we-
niges ſpecifiſch ſchwerer als Waſſer iſt, eine langſame Pendelbewe-
gung anfangen; aber die anziehende Kraft der Platte AB und des
zwiſchen beiden durch die ausgeuͤbte Anziehung verdichteten Waſſers
haͤlt CD zuruͤck, bewirkt alſo, daß die Zeit der erſten Oſcillation
laͤnger wird. Nach Girards Beſchreibung bemerkt man dieſe
zuruͤckgehaltene Bewegung auch an der Art, wie die Bewegung erſt
nach ſehr langer Zeit merklich wird. War ein ſo ſehr duͤnner Sil-
berdrath von \frac{1}{20} oder \frac{1}{40} Linie dick zwiſchen die Platten gelegt, ſo
ſchien die frei gelaſſene Platte ſich anfangs gar nicht zu bewegen,
aber nach einer erheblichen Zeit ſah man doch, daß waͤhrend dieſer
hoͤchſt langſamen Fortruͤckung der Abſtand zugenommen hatte, und
daß die noch immer durch die andre Platte zuruͤckgezogene Platte
allmaͤhlig ſchneller fortruͤckte. Erſt wenn der Abſtand ungefehr 1
Linie wird, ſcheint die Platte ſich der anziehenden Kraft der andern
zu entreißen und nimmt eine ſchnellere Bewegung an.


Dieſe Beobachtungen gehoͤren wohl unſtreitig zu den feinſten,
die man anſtellen kann, offenbar ſind ſie, eben dieſer Feinheit
wegen, auch manchen Irrthuͤmern unterworfen; aber da Girard
als ein genauer und zuverlaͤſſiger Beobachter angeſehen wird, ſo
darf man doch wohl einiges Vertrauen auf dieſe Behauptungen
ſetzen, und daher annehmen, daß die Anziehungskraft theils der
Platten auf einander, theils noch mehr der Platten auf das Waſſer,
welches dadurch in einen etwas verdichteten Zuſtand verſetzt zu
[5] werden ſcheint, erheblich genug iſt, um der hier aͤußerſt geringen
Einwirkung der Schwere zu widerſtehen.


Cohaͤſion, vermehrt durch zwiſchenliegende fluͤſſige
Koͤrper
.


Es ſcheint aus dieſem veraͤnderten Zuſtande der Koͤrper durch
die Anziehung auch das feſte Anhaͤngen erklaͤrt zu werden, welches
bei feſten Koͤrpern durch eine duͤnne Schichte Fett oder ſelbſt durch
eine duͤnne Schichte eines fluͤſſigen Koͤrpers bewirkt wird. Es iſt
bekannt, daß zwei recht ebengeſchliffene Metallplatten, aneinander
gedruͤckt, ſchon trocken mit einiger Kraft zuſammenhaͤngen, daß
aber dieſer Zuſammenhang ſehr vermehrt wird, wenn man eine ſehr
duͤnne Schichte Oel zwiſchen ſie bringt. Wir ſind gewohnt, den
Oeltheilen, als Theilchen eines fluͤſſigen Koͤrpers, nur einen ſehr
geringen Zuſammenhang zuzuſchreiben, und dennoch trennen ſie ſich
in dieſem Falle nicht ſo leicht; hier alſo muß wohl, unter der Ein-
wirkung der einander ſo ſehr nahen feſten Oberflaͤchen, ſich die
Natur des fluͤſſigen Koͤrpers veraͤndert haben und dieſer dem Aus-
einanderreißen dadurch mehr Widerſtand entgegenſetzen. Aus aͤhn-
lichen Ueberlegungen mag ſich auch das feſte Anhaften der Moͤrtel-
Arten, des Kittes und ſo weiter erklaͤren laſſen, die eine ſo feſte
Verbindung fuͤr gewiſſe Koͤrper bewirken, daß ſie eher in der Mitte
ihrer eignen Maſſe zerreißen, als von dem Koͤrper, an welchem ſie
anhaften, ſich trennen. Kalk, der ohne Zuſatz von Sand trocken
geworden iſt, erlangt keine erhebliche Feſtigkeit; aber die genaue
Miſchung mit Sand giebt ihm die Eigenſchaft eines ſo feſten Ver-
bindungsmittels; es muß alſo die Einwirkung der Sandkoͤrner auf
die zwiſchen liegende, ſehr duͤnne Kalkſchichte dieſen Kalktheilchen
die Eigenſchaft, feſter zuſammenzuhaͤngen, ertheilt haben.


Es laͤßt ſich hieraus einigermaaßen uͤberſehen, wie die Ver-
ſchiedenartigkeit der Koͤrper Urſache iſt, daß gewiſſe Leim-Arten,
Kitte und andere Verbindungsmittel zwar dienen, einige feſte Koͤr-
per feſt zu verbinden, andre aber nicht; denn es iſt gewiß, wie
wir ſogleich ſehen werden, daß die hier in Betrachtung kommende
Anziehung in den allerkleinſten Entfernungen ſehr verſchieden iſt
nach der ungleichen Natur der Koͤrper.


[6]

Dieſer wichtige Einfluß, den theils ſchon eine ungleiche Glaͤtte
der Oberflaͤche, ganz vorzuͤglich aber die ungleiche innere Beſchaffen-
heit der feſten Koͤrper zeigt, wird am deutlichſten ſichtbar bei der
Beruͤhrung feſter und fluͤſſiger Koͤrper. Es iſt bekannt, daß gewiſſe
Koͤrper vom Waſſer nicht naß werden, ſondern daß das Waſſer ſich
von ihnen zuruͤckzieht, und wo es etwa nicht ganz ſich von der Ober-
flaͤche entfernen kann, ſich in Tropfen zuſammenzieht, ſtatt daß
andre Koͤrper benetzt, mit einer Waſſerſchichte uͤberzogen, aus dem
Waſſer hervorgehn. Wenn eine duͤnne Waſſerſchichte auf einer ho-
rizontalen Oberflaͤche eines fetten Koͤrpers angebracht wird, ſo zieht
ſie ſich in Tropfen zuſammen, und wir ſehen hier deutlich, daß die
fette Oberflaͤche das Waſſer wenig anzieht, daß dagegen die irgend-
wo etwas mehr angehaͤuften oder zufaͤllig etwas mehr feſtgehaltenen
Waſſertheilchen die umgebenden Waſſertheilchen heran ziehen und
ſo die groͤßeren Tropfen bilden. Da hingegen, wo eine Befeuch-
tung der Oberflaͤche ſtatt findet, halten dieſe Oberflaͤchen die Fluͤſ-
ſigkeit mit bedeutender Gewalt feſt, und dieſe Kraft laͤßt ſich in
mehreren merkwuͤrdigen Erſcheinungen nachweiſen.


Erſcheinungen in den Haarroͤhrchen.


Eine der auffallendſten dieſer Erſcheinungen iſt das Aufſteigen
der Fluͤſſigkeiten in Haarroͤhrchen. Es iſt bekannt, daß wir in
einer befeuchteten Feder die Dinte uͤber die Oberflaͤche im Gefaͤße
heraufſteigen ſehen, daß in einer Reißfeder, deren Seitenflaͤchen
einander nahe ſind, die Fluͤſſigkeit, in welche wir ſie eintauchen,
hinauftritt; daß im Loͤſchpapier die Befeuchtung, indem wir es in
Waſſer tauchen, viel hoͤher als die Oberflaͤche geht; und das, was
wir hier oft ſehen, zeigt ſich uns noch genauer in engen Glasroͤhren,
die wir in Waſſer, Alcohol und andre Fluͤſſigkeiten eintauchen.
Dieſe Roͤhren, die man ihres engen Durchmeſſers wegen Haar-
roͤhrchen nennt, fuͤllen ſich, wenn ſie etwas befeuchtet in ſolche
Fluͤſſigkeiten eingetaucht werden, bis uͤber die umgebende Ober-
flaͤche des Fluͤſſigen mit dieſem an, und zeigen uns dadurch, daß
die Roͤhrenwaͤnde eine groͤßere Anziehungskraft auf die Fluͤſſigkeit
ausuͤben, als die Theilchen des Fluͤſſigen unter ſich, indem nur
durch dieſe Anziehungskraft jenes den Geſetzen der Hydroſtatik an-
ſcheinend widerſprechende Hinaufſteigen erklaͤrlich iſt. Dieſes Hin-
[7] aufſteigen findet gewoͤhnlich bei voͤlliger Trockenheit der Waͤnde der
Roͤhre nicht ſtatt, weil die Luft ſo feſt an den Waͤnden anhaͤngt,
daß ſie erſt mit einiger Gewalt weggetrieben werden muß; hat ſie
aber einmal ihren Platz dem Fluͤſſigen eingeraͤumt, ſo uͤbt nun die
Wand ihre ganze Anziehungskraft auf den fluͤſſigen Koͤrper aus.


Dieſe Anziehungskraft, die man in der Anwendung auf dieſes
Phaͤnomen Haarroͤhrchenkraft, Capillar-Anziehung, genannt
hat, aͤußert ſich nur in den allerkleinſten Entfernungen, denn ein
Fett-Ueberzug von der geringſten Dicke hindert jene Einwirkung
der Oberflaͤche, die alſo in hoͤchſt enge Grenzen muß eingeſchloſſen
ſein. Aber wie geringe auch die Entfernung ſein mag, bis zu wel-
cher die Wirkſamkeit dieſer Kraft merklich iſt; ſo erhellt doch, daß
(Fig. 3.) die an der Muͤndung a der Roͤhre ab liegenden Waſſer-
theilchen von der Roͤhrenwand hinauf, von der unteren Waſſermaſſe
hinabwaͤrts gezogen werden, daß dadurch, indem der Zug hinauf
groͤßer iſt als der Zug herab, dieſe zunaͤchſt an a liegenden Theilchen
nicht mit ihrem vollen Gewichte herabwaͤrts druͤcken, alſo dem von
der freien Waſſermaſſe her entgegen wirkenden Drucke nicht das
Gleichgewicht halten koͤnnen, ſondern zu einigem Steigen des Waſ-
ſers in der Roͤhre, wodurch die Gleichheit des von innen her wir-
kenden Druckes und des aͤußern Druckes hergeſtellt wird, Veran-
laſſung geben. Dieſes Steigen des Waſſers uͤber die Oberflaͤche
des umgebenden Fluͤſſigen iſt am ſtaͤrkſten im Innern der Roͤhre,
weil hier die Theile der Wand, indem jeder zum Heben einer und
derſelben Waſſerſaͤule beitraͤgt, ſich einander unterſtuͤtzen; aber in
einigem Grade ſehen wir dieſe Hebung der Oberflaͤche des Fluͤſſigen
auch an der aͤußeren Wand der Roͤhre, ja an jeder Wand, die eine
Befeuchtung des Fluͤſſigen angenommen hat, und der Grund,
warum ſie hier ſehr geringe iſt und ſchon in einer geringen Entfer-
nung von der Wand ſich in die Horizontal-Ebne der uͤbrigen Ober-
flaͤche verlaͤuft, iſt leicht einzuſehen.


Die Hoͤhe, bis zu welcher ſich in derſelben Roͤhre verſchieden-
artige Fluͤſſigkeiten erheben, iſt ſehr ungleich, und richtet ſich nicht
nach den ſpecifiſchen Gewichten der Fluͤſſigkeiten, ſondern nach der
eigenthuͤmlichen Verſchiedenheit der anziehenden Kraft, die auf den
fluͤſſigen Koͤrper ausgeuͤbt wird, oder nach dem Unterſchiede der an-
ziehenden Kraͤfte, welche die Theilchen des Fluͤſſigen unter ſich und
[8] welche die Theilchen der Wand auf den fluͤſſigen Koͤrper ausuͤben.
So ſteigt, nach Schmidts Verſuchen *) in Glasroͤhren von 1
Lin. weit, Waſſer 4,68 Linien, Weingeiſt 2,13 Linien, Schwefel-
Aether 1,77 Linien, alſo die letztern, leichteren Fluͤſſigkeiten weni-
ger hoch als Waſſer; und wenn gleich die Maaße der Hoͤhen nicht
bei allen Verſuchen und bei allen Glas-Arten ganz genau gleich
gefunden werden, ſo findet man doch dieſe ſo ſehr bedeutende Un-
gleichheit fuͤr verſchiedene Fluͤſſigkeiten immer deutlich beſtaͤtiget.
Und ſo wie hier bei einerlei Materie der Roͤhre die Hoͤhen der ver-
ſchiedenen Fluͤſſigkeiten ungleich ſind, ſo ſind dieſe es auch, wenn
man ungleichartige, aber gleich weite Roͤhren in einerlei Fluͤſſigkeit
eintaucht.


Wenn man gleichartige Haarroͤhrchen von verſchiedenem Durch-
meſſer in einerlei Fluͤſſigkeit eintaucht, ſo ſteigt dieſe in den engeren
Haarroͤhrchen hoͤher, und zwar ſo, daß die Hoͤhe doppelt ſo groß iſt
in der halb ſo weiten, dreimal ſo groß iſt in der ein Drittel ſo
weiten Roͤhre und ſo ferner. Der Grund hievon laͤßt ſich ſo uͤber-
ſehen. Da es nur der Umfang der Roͤhre iſt, welcher an der Muͤn-
dung der Roͤhre in a das Heben bewirkt, ſo ſteigt freilich dieſe he-
bende Kraft auf das Doppelte, wenn der Durchmeſſer der Roͤhre
und folglich ihr Umfang doppelt ſo groß iſt; aber wenn unter dieſen
Umſtaͤnden eine gleich hohe Saͤule gehoben wuͤrde, ſo woͤge dieſe bei
doppeltem Durchmeſſer viermal ſo viel **), und es laͤßt ſich daher
leicht erachten, daß jene doppelt ſo große Kraft nur eine halb ſo
hohe (dabei dennoch das doppelte Gewicht beſitzende) Saͤule hebt.
Dieſes Geſetz findet ſich mit großer Genauigkeit in den Verſuchen
beſtaͤtigt.


Wenn man, ſtatt das Waſſer in einer cylindriſchen Roͤhre
aufſteigen zu laſſen, zwei ebne Platten parallel und vertical ein-
taucht, ſo ſteigt es zwiſchen dieſen nur halb ſo hoch als in einer cy-
lindriſchen Roͤhre, deren Durchmeſſer dem Abſtande der beiden pa-
rallelen Platten gleich iſt. Daß es niedriger ſtehen muß zwiſchen
den parallelen Platten iſt offenbar, da ein Heben der Saͤule durch
[9] die rund um gehende Begrenzung in der Roͤhre, dagegen nur
durch die Begrenzung an zwei Seiten zwiſchen den Platten ſtatt
findet. Aber auch daß die eine Hoͤhe die genaue Haͤlfte der andern
iſt, laͤßt ſich zeigen. Wenn die Platten 1 Lin. von einander ent-
fernt ſind, und wir unſre Aufmerkſamkeit auf einen Theil = 1 Lin.
lang richten, ſo tragen hier zwei Waͤnde, die zuſammen 2 Lin. in
der Richtung des Umfanges oder des Horizontes lang ſind, eine
Saͤule von 1 Quadratlinie Querſchnitt; der Kreis-Umfang iſt bei
1 Lin. Durchmeſſer 3,14 Linien und ſein Inhalt 3,14 Viertel-
Quadratlinien. Die hebende Kraft iſt alſo reichlich 1½ mal (genau
\frac{3,14}{2} = 1,57 mal) ſo groß im letzten Falle als im erſten, alſo muß
auch das getragene Gewicht reichlich 1½ mal (genau 1,57 mal) ſo
groß ſein, und wenn jener Plattentheil eine Waſſerſaͤule von 2 Li-
nien Hoͤhe, das iſt 2 Cubiclinien trug, ſo muß die cylindriſche
Roͤhre 1,57 mal 2 Cubiclinien, das iſt 3,14 mal 2 halbe Cubicli-
nien oder 3,14 mal 4 Viertel-Cubiclinien tragen, das iſt eine Hoͤhe
von 4 Linien, weil der Querſchnitt der Saͤule 3,14 Viertel-Qua-
dratlinien betrug.


Auch zwiſchen parallelen Platten alſo ſinkt die Fluͤſſigkeit auf
die halbe Hoͤhe herab, wenn man jene doppelt ſo weit aus einander
ruͤckt, auf ein Drittel der Hoͤhe, wenn man ſie dreimal ſo weit
aus einander ruͤckt, und ſo weiter; und dieſes kann man ſehr be-
quem ſichtbar machen, wenn man die verticalen Ebnen nicht mehr
parallel, ſondern ſo aufſtellt, daß ſie ſich an der einen Seite HI
beruͤhren, an der andern einen erheblichen Zwiſchenraum laſſen.
Alsdann naͤmlich nimmt die Oberflaͤche (Fig. 4.) die Geſtalt ABCF
an, wo die Hoͤhen BD, CE, FG, im umgekehrten Verhaͤltniß
des Abſtandes von der Seite HI ſind, in welcher beide Flaͤchen
ſich einander beruͤhren.


Laplace's Theorie der Erſcheinungen in Haarroͤhrchen.


Gegen die Erklaͤrung dieſer Erſcheinungen, nach welcher ſie
als Folge der anziehenden Kraft der Roͤhrenwand anzuſehen ſind,
von der wir doch behaupten, daß ſie nur bis zu hoͤchſt kleinen Ab-
ſtaͤnden merklich ſei, ſcheint ein Einwurf ſo fern ſtatt zu finden, als
man zweifeln koͤnnte, ob eine in ſo enge Grenzen eingeſchloſſene
[10] Kraft bis in die Mitte des Haarroͤhrchens wirken und dort die Fluͤſ-
ſigkeit gehoben erhalten koͤnne. Indeß iſt dieſer Einwurf offenbar
leicht zu widerlegen, indem es von ſelbſt erhellt, daß die Roͤhren-
wand nur eine ſehr duͤnne Schichte, die mit ihr in unmittelbarer
Beruͤhrung iſt, erhaͤlt, dieſe Schichte ſelbſt aber traͤgt die zunaͤchſt
anliegende Schichte, dieſe die abermals weiter nach dem Innern
liegende u. ſ. w. So bilden ſich Saͤulen, die die ganze Roͤhre
fuͤllen, jede naͤher gegen den Mittelpunct zu liegende immer um
etwas Geringes niedriger, als die der Wand naͤher liegende, und
die Oberflaͤche des Fluͤſſigen in der Roͤhre bildet eine Hoͤhlung, eine
Concavitaͤt, deren Entſtehung wohl aus dieſen Bemerkungen deutlich
wird. Aber dieſe Form der Oberflaͤche hat durch Laplace's theore-
tiſche Unterſuchungen uͤber dieſen Gegenſtand noch eine neue Wich-
tigkeit erlangt, indem Laplace's Unterſuchung zeigt, daß die Anzie-
hungskraft der oberſten Schichte in der Roͤhre das Gleichgewicht der
einmal gehobenen Saͤule erhaͤlt; und da ich die Hoffnung hege, daß
eine etwas naͤhere Einſicht in die ſcharfſinnigen Schluͤſſe, auf denen
Laplace's Theorie beruht, auch Ihnen angenehm ſein wird, ſo
werde ich verſuchen, in populaͤrer Darſtellung Ihnen etwas von
dem anzugeben, was den mathematiſchen Rechnungen Laplace's
zum Grunde liegt.


Wir denken uns alſo jetzt die gehobene Fluͤſſigkeit, ohne noch
zu fragen, woher dieſe Geſtalt der Oberflaͤche entſtehe, als begrenzt
an der obern Seite durch die gekruͤmmte Oberflaͤche ACB, (Fig. 5.)
die wir als eine Kugelflaͤche anſehen duͤrfen. Die Waſſertheilchen
ziehen einander an, und wir muͤſſen alſo zu beſtimmen ſuchen, wie-
fern die Theilchen der den Punct C unmittelbar umgebenden Ku-
gelſchichte anders wirken, als es bei einer ebnen Oberflaͤche der Fall
ſein wuͤrde. Und hier erhellt leicht, daß, ſo eng begrenzt auch die
Anziehungsweite der der Axe benachbarten Theilchen iſt, doch die
um C oberhalb DE liegenden Theilchen eine Anziehung hinauf-
waͤrts ausuͤben, die nicht ſtatt faͤnde, wenn (Fig. 5.) DE die
Oberflaͤche ausmachte. Dieſe aus der kugelfoͤrmigen Geſtalt der
Oberflaͤche entſpringende Anziehung auf die unmittelbar unter C in
der Axe liegenden Waſſertheilchen iſt deſto ſtaͤrker, je kleiner der
Durchmeſſer der Kugel ACB iſt, indem bei einer kleineren
Kugel die Dicke der uͤber DE liegenden Schichte in ſehr geringen
[11] Entfernungen von C ſchneller zunimmt; eine genauere Unterſuchung
zeigt, daß dieſe Anziehung das Doppelte wird bei dem halb ſo gro-
ßen Kugeldurchmeſſer, das Dreifache bei dem ein Drittel ſo großen
Durchmeſſer und ſo ferner; aber dieſer Durchmeſſer ſelbſt iſt der
Weite der Roͤhre proportional, und es iſt daher die Anziehung der
Waſſertheilchen auf einander doppelt ſo groß bei der halb ſo weiten
Roͤhre, dreimal ſo groß bei der ein Drittel ſo weiten Roͤhre und
ſo ferner. Dieſe der Kugelſchichte entſprechende Anziehung findet
in C in der Axe der Roͤhre ſtatt, ſie findet dagegen offenbar nicht
ſtatt in F, in der freien horizontalen Oberflaͤche des Fluͤſſigen; in
C vermindert ſie den hinabwaͤrts gehenden Druck der Saͤule CK,
die daher der ebenſo tief hinab, bis zu einerlei Horizontallinie IK,
reichende Saͤule FI nur dann das Gleichgewicht halten kann, wenn
jene hoͤher iſt. Wir duͤrfen alſo behaupten, daß die Saͤule Cc,
die oberhalb der Oberflaͤche des umgebenden Fluͤſſigen liegt, durch
dieſe gegenſeitige Anziehung der Waſſertheilchen auf einander ge-
tragen werde, daß die Einwirkung einer concaven Oberflaͤche einen
Zug nach außen hervorbringe, welcher allein dieſer Form der Ober-
flaͤche zuzuſchreiben iſt. Daß dieſe hebende Kraft in C, oder allge-
mein dieſe nach außen ziehende Kraft einer concaven Oberflaͤche,
dem Halbmeſſer der Kruͤmmung der Oberflaͤche umgekehrt propor-
tional iſt, erhellt aus dem Vorigen.


Wenn dagegen eine convexe Oberflaͤche ſtatt findet, wie es
beim Queckſilber meiſtens der Fall iſt, ſo laͤßt ſich die Betrachtung
auf eine aͤhnliche Weiſe fuͤhren. Iſt DCE (Fig. 6.) dieſe Ober-
flaͤche, ab die ſie beruͤhrende Horizontallinie, ſo wuͤrden die dicht
an C liegenden Theilchen der horizontalen Oberflaͤche eine anziehende
Kraft hinaufwaͤrts ausuͤben, welche nicht ſtatt findet, wenn die
oberhalb der Kugelflaͤche ihren Platz habenden Theilchen weggenom-
men ſind; es findet daher an der convexen Oberflaͤche ein vermin-
derter Zug hinaufwaͤrts ſtatt, und folglich kann das Gleichgewicht
zwiſchen der Saͤule CH in der Roͤhre und der Saͤule Ff außer der
Roͤhre nur dann beſtehen, wenn jene Saͤule eine geringere Hoͤhe
hat. Man kann dieſe Betrachtung auch ſo ausdruͤcken: So geringe
auch die Abſtaͤnde ſein moͤgen, von welchen her noch eine Einwir-
kung auf C ſtatt findet, ſo ſind es doch in der convexen Kugel-
Oberflaͤche niedriger liegende Theilchen, die auf C wirken, und alſo
[12] herabwaͤrts ziehend wirken; ihre Wirkung wuͤrde zum Theil auf-
gehoben, wenn der Raum bis zur Horizontalflaͤche mit der Fluͤſſig-
keit gefuͤllt waͤre, aber dieſes findet jetzt nicht ſtatt, und die ge-
ſammte Einwirkung des Fluͤſſigen auf ſich ſelbſt beſteht alſo an der
convexen Flaͤche in einem nach innen gekehrten Zuge, wodurch eine
Vermehrung des Druckes hervorgebracht wird. Dieſer nach innen
gerichtete Zug bewirkt es, daß das Queckſilber in der Roͤhre DE
niedriger ſteht als außerhalb, und haͤlt auch in andern Faͤllen dem
nach außen gerichteten Drucke einer hoͤhern Saͤule das Gleichgewicht.


Andere Anwendungen dieſer Theorie.


Daß ganz aͤhnliche Schluͤſſe ſtatt finden, wenn die Oberflaͤche
die Geſtalt gh annimmt, (Fig. 5.) und ſich an der Wand hin-
aufzieht, oder wie FL, (Fig. 6.) ſich an ihr herabdraͤngt, erhellt
nun von ſelbſt. Aber mehrere merkwuͤrdige Erſcheinungen finden
hierin auch eine leichte Erklaͤrung und dienen umgekehrt zur Be-
ſtaͤtigung der eben behaupteten Einwirkung der gegenſeitigen Anzie-
hung der Waſſertheilchen an einer concaven und einer convexen
Oberflaͤche. Wenn man zwei verbundene Roͤhren (Fig. 7.) ABCD,
deren eine, CD, ſehr eng iſt, nach und nach mit Waſſer fuͤllt, ſo
beobachtet man, daß das Waſſer zuerſt in der engen Roͤhre hoͤher
ſteigt, ſo daß die eine Oberflaͤche etwa in LM ſteht, wenn die
andere, bedeutend concave, ſich in NO befindet. Dieſes Hoͤher-
ſtehen dauert fort, bis die concave Oberflaͤche die Muͤndung erreicht;
aber man wuͤrde ſich ſehr irren, wenn man glauben wollte, daß die
Roͤhre bei D ein Ausfließen geſtatten wuͤrde, wenn man fortfaͤhrt,
auf die etwa in PQ angekommene Oberflaͤche noch mehr Waſſer
zu gießen. War PQ die Oberflaͤche in der weiten Roͤhre, als der
Rand der hohlen Oberflaͤche die Muͤndung D erreichte, ſo faͤngt,
indem man bei PQ mehr Waſſer zugießt, die hohle Oberflaͤche an,
ſich abzuflaͤchen, weil keine hoͤher hinauf liegende Roͤhrenwand mehr
das Entſtehen der hohlen Kruͤmmung unterſtuͤtzt; wenn die Oberflaͤche
RS eben ſo hoch ſteht, als die Muͤndung D, ſo iſt die Oberflaͤche
bei D genau eben geworden; aber wenn man auch noch mehr
Waſſer langſam zugießt, ſo laͤuft es bei D nicht aus, ſondern wenn
die Roͤhre trocken iſt, ſo bildet ſich eine convexe Oberflaͤche bei D,
und wenn es gelingt, dieſe bis zu einer vollen Halbkugel hinaufzu-
[13] treiben, ohne daß ſie ſich uͤber den trocknen Rand der Oeffnung D
verbreitet, ſo findet man die Oberflaͤche TU in der weiten Roͤhre
nun eben ſo hoch uͤberD, als PQunterD war, ſo lange die
ganze Tiefe der Hoͤhlung dauerte. Hier zeigt ſich alſo recht uͤber-
zeugend, daß der in der engen Roͤhre auf die untern Theile der
Fluͤſſigkeit ausgeuͤbte Druck vermindert war um das Gewicht der
ganzen oberhalb LM liegenden Saͤule des Fluͤſſigen, ſo lange die
Oberflaͤche NO ihre ganze Concavitaͤt behielt, daß dieſe Vermin-
derung wegfiel, als die Oberflaͤche eben ward, und daß ſie in eine
Vermehrung des Druckes uͤberging, ſobald die Oberflaͤche convex
wurde. Wenn das Experiment nicht ſo vollkommen gelingt, ſon-
dern das Waſſer bei D ſich im Hervordringen uͤber die Dicke der
Roͤhrenwand mit verbreitet, ſo daß die Woͤlbung nicht wie abc
(Fig. 8.) eine Halbkugel, ſondern wie dbe eine flachere Kruͤmmung
bildet, ſo ſteigt das Waſſer im andern Schenkel nicht ganz ſo hoch
ohne auszufließen, ſondern nur ſo viel, als der geringern Kruͤm-
mung angemeſſen iſt.


Von eben dieſer Einwirkung der Attraction der Kugelſchichte
haͤngt eine andere Erſcheinung ab. Man nehme eine nicht zu ſehr
von der cylindriſchen Geſtalt abweichende, aber doch im Innern
merklich coniſche Roͤhre, und bringe in dieſelbe, indem man ſie
vertical und den engern Theil nach oben haͤlt, eine geringe Quan-
titaͤt Waſſer in ihr unteres Ende; ſo ſteigt dieſes Waſſer in ihr
hinauf und koͤmmt erſt an einer beſtimmten Stelle zur Ruhe.
Dies ruͤhrt daher, weil (Fig. 9.) die viel ſtaͤrker gekruͤmmte Ober-
flaͤche AB eine ſtaͤrkere Verminderung des Druckes der ſchweren
Waſſerſaͤule hervorbringt, als die Vermehrung des herabwaͤrts
gehenden Druckes durch die viel flachere Kruͤmmung der Oberflaͤche
CD betraͤgt. Iſt nun in dem untern weitern Theile der Roͤhre
der Unterſchied dieſer Anziehungen ſo groß, daß der Druck der dort nur
kurzen Waſſerſaͤule demſelben nicht das Gleichgewicht haͤlt, ſo zieht
ſich die Waſſerſaͤule hoͤher hinauf in den engern Theil der Roͤhre,
und da ſie dort eine groͤßere Hoͤhe einnimmt, ſo wird endlich dieſe
Hoͤhe groß genug, um dem Unterſchiede beider Anziehungen das
Gleichgewicht zu halten. Waͤre die Waſſermenge ſo geringe, daß
ſie nie die hiezu ausreichende Hoͤhe erlangen koͤnnte, ſo wuͤrde der
Tropfen ſich bis an die obere Muͤndung ziehen und bis ſo weit,
[14] daß die obere Flaͤche die verminderte Concavitaͤt erhaͤlt, wobei das
Gleichgewicht ſtatt finden kann. Ein Queckſilbertropfen wuͤrde ſich
in einer Glasroͤhre hinaufziehen, wenn das untere Ende enger iſt.
Auf aͤhnliche Weiſe zieht ſich zwiſchen zwei ſchief liegenden Glas-
flaͤchen, deren Zwiſchenraum in der obern Gegend enger iſt, ein
Waſſertropfen hinaufwaͤrts.


Erſcheinungen, die mit der Anziehungskraft der Haar-
roͤhrchen zuſammenhaͤngen.


Ehe ich die uͤbrigen Erſcheinungen erzaͤhle, die von eben dieſen
anziehenden Kraͤften abhaͤngen, muß ich Sie noch auf einige uns
allen bekannte Phaͤnomene aufmerkſam machen, die mit den bisher
betrachteten in unmittelbarer Verbindung ſtehen. Wir tauchen ein
Stuͤckchen Zucker in Waſſer und ſehen das Waſſer in demſelben
ſich hinaufziehen. Wir legen ein Streifchen Loͤſchpapier uͤber die
Raͤnder zweier neben einander ſtehender Glaͤſer, und ſehen, wenn
das eine nicht voͤllig mit Waſſer gefuͤllt, das andere leer iſt, daß
nicht allein das Waſſer ſich in dem Loͤſchpapier hinaufzieht, ſondern
ſogar das Waſſer in das andere Gefaͤß hinuͤbergefuͤhrt wird. Wir
ſehen das heiße Oel im Dochte der Lampe hinaufſteigen. — Dies alles
iſt die Wirkung der Haarroͤhrchenkraft, der Attraction, die alle dieſe
Koͤrper auf die fluͤſſigen ausuͤben; ja man kann, wenn man ſich
zum Brennen einer in Glas leicht aufſteigenden Fluͤſſigkeit bedient,
ſtatt des Dochtes glaͤſerne Haarroͤhrchen anwenden. Wenn wir mit
einem Tuche ein Glas austrocknen, ſo iſt es dieſe Anziehungskraft,
welche die Feuchtigkeit in die Zwiſchenraͤume des Leinens und aͤhn-
licher Subſtanzen hineinbringt, durch welche wir das Austrocknen
zu Stande bringen. Man hat das Emporſteigen des Saftes in
den Pflanzen durch eben dieſe Kraft erklaͤrt; und wenn man auch
darin zu weit gegangen iſt, indem dazu gewiß noch eine Lebens-
thaͤtigkeit mitwirkt, ſo iſt doch wenigſtens gewiß, daß auch die
gewoͤhnliche Anziehungskraft nicht ganz ohne Einfluß dabei iſt.


Als eine Merkwuͤrdigkeit muß ich doch hier Vera's Waſſer-
maſchine erwaͤhnen, wo das Waſſer durch die Befeuchtung von
Stricken hinaufgezogen wird. Sie beſteht (Fig. 10.) aus einem
uͤber zwei Rollen A, B, gehenden Seile ohne Ende; die um die
untere Rolle B gehenden Theile des Seiles tauchen ſich in Waſſer
[15] und befeuchten ſich damit, und indem man mit ſchnellem Drehen
der obern Rolle das Seil zu einem Umlaufe noͤthigt, werden die
naſſen Theile b des Seiles hinaufgefuͤhrt und nehmen dabei, ganz
mit Waſſer bedeckt, deſto mehr Waſſer mit hinauf, je ſchneller die
Bewegung iſt; dieſes ſtreifen ſie an der Rolle A ab, wo es in dem
Kaſten C aufgefangen, durch die Roͤhre D abgeleitet und in einem
bei E angebrachten Gefaͤße geſammelt wird. Die obere Rolle iſt
naͤmlich, wie die Figur zeigt, in ein Gefaͤß eingeſchloſſen, das im
Boden zwei Oeffnungen hat, um die Seile durchzulaſſen, das aber
dennoch von dem erſt an der obern Rolle ſich ſeines Waſſers ent-
ladenden Seile ſo reichlich Waſſer erhaͤlt, daß dieſes in Menge
gehoben aus dem Gefaͤße abgeleitet werden kann. Die bedeutende
Geſchwindigkeit des Seiles erhaͤlt man dadurch, daß man die Axe
der obern Rolle durch Huͤlfe eines groͤßern Rades T in eine ſchnelle
Umdrehung ſetzt. Der Erfinder hatte dieſe Maſchine angewandt,
um das Waſſer 63 Fuß hoch zu heben; indeß iſt dieſe Vorrichtung
mehr merkwuͤrdig als nuͤtzlich zu nennen, da die gehobene Quantitaͤt
nicht ſo groß, als bei andern einfachen Hebemaſchinen, iſt.


Das Anhaͤngen des Waſſers am Gefaͤße iſt ein Umſtand, der
uns oft ſehr laͤſtig iſt. Will man nur wenig Waſſer aus einem
Gefaͤße ausgießen, ſo findet man es ſchwer, zu hindern, daß nicht
ein Theil des Fluͤſſigen am Gefaͤße herablaufend verſchuͤttet werde.
Der Strahl, der durch den Antrieb des herandraͤngenden Fluͤſſigen
die Form ABC (Fig. 11.) annehmen ſollte, wird durch die An-
ziehung des Gefaͤßes zuruͤckgehalten und fließt ungefaͤhr, wie AD
zeigt, herab; die anziehende Kraft des Gefaͤßes hebt naͤmlich die
vorwaͤrts dringende Geſchwindigkeit auf, und man ſieht oft recht
deutlich, wie im einen Augenblicke die mit etwas mehr Gewalt
andraͤngende und mehr Geſchwindigkeit ertheilende Waſſermaſſe
dem Strahle ſeine Richtung nach B zu wiedergiebt, aber im andern
Augenblicke der Strahl, weniger lebhaft vorausgetrieben, ſich wieder
an die Wand des Gefaͤßes anlegt. Man entgeht dieſer Unbequem-
lichkeit faſt voͤllig, wenn man die aͤußere Seite des Gefaͤßes ganz
trocken abwiſcht und dann ein vorher benetztes Glasſtaͤbchen in bei-
nahe verticaler Richtung an die Ausgußmuͤndung haͤlt, wie Fig. 12.
zeigt, dann zieht ſich die Fluͤſſigkeit gegen die Oberflaͤche des Staͤb-
chens und fließt an ihr herab, mit deſto weniger Gefahr hinterwaͤrts
[16] am Gefaͤße herabzufließen, je genauer man das Gefaͤß abgetrocknet
hat, vorzuͤglich wenn man dem Strome an dem Staͤbchen ſo viel
Breite als moͤglich giebt.


Faſt alle dieſe Bemerkungen bezogen ſich nur auf die Koͤrper,
die vom Gefaͤße ſtark angezogen werden und ſich daher an den
Waͤnden deſſelben in die Hoͤhe ziehen; aber auch die entgegengeſetzte
Erſcheinung verdient unſere Aufmerkſamkeit. Das Queckſilber ge-
hoͤrt zu den Fluͤſſigkeiten, die ſich nicht leicht an eine Glaswand
anlegen und die daher in Roͤhren eine convexe Oberflaͤche anneh-
men. Da wir nun wiſſen, daß eine ſolche Oberflaͤche, ſelbſt mit
ihrer hoͤchſten Woͤlbung, nicht ſo hoch ſteht, als der Druck es bei
horizontaler Oberflaͤche fordern wuͤrde, ſo muͤſſen wir bei der
Beobachtung des Barometers den Luftdruck nicht allein der bis
zum hoͤchſten Gipfel gerechneten Queckſilberſaͤule gleich rechnen,
ſondern noch etwas groͤßer, und die Zugabe, die wir hinzurechnen
muͤſſen, iſt groͤßer in engen, als in weiten Roͤhren. Indeß iſt dieſe
Verminderung der Barometerhoͤhe durch die ſo große gegenſeitige
Anziehungskraft der Queckſilbertheilchen nicht bei allen Glas-Arten
gleich, und es bleibt daher eine kleine Ungewißheit bei der Verglei-
chung von Barometern, die man nicht unmittelbar neben einander
ſtellen kann, uͤbrig.


Scheinbare Anziehung bis zu groͤßer Entfernungen
durch die Kraft der Haarroͤhrchen
.


Noch eine andere Reihe von Erſcheinungen, wo ſelbſt in be-
deutenden Entfernungen der Schein von Anziehung und Abſtoßung
ſtatt findet, gehoͤrt hieher. Sehen wir auf dem Waſſer in einem
Gefaͤße Korkſtuͤckchen oder auch nur Blaͤschen ſchwimmen, ſo be-
merken wir, daß dieſe ſchnell gegen einander und ſchnell gegen den
Rand des Gefaͤßes zu gehen, wenn auch der Abſtand noch ziemlich
erheblich war; aber der Anſchein einer ſo weit in die Ferne gehenden
Anziehung der Koͤrper beruht nur auf dem eben vorhin betrachteten
hoͤhern Stande des Waſſers zwiſchen zwei einander nahe geruͤckten
Waͤnden. So lange naͤmlich die ſchwimmenden, vom Waſſer bis
uͤber die Waſſerflaͤche hinauf befeuchteten Koͤrper noch ziemlich weit
von einander entfernt ſind, ziehen ſie zwar neben ſich das Waſſer
etwas hoͤher hinauf, aber doch nicht in erheblichem Grade; kommen
[17] ſie aber einander nahe, oder kommen ſie nahe an den Rand, ſo
ſteigt zwiſchen ihnen, wie zwiſchen zwei Glastafeln, das Waſſer
erheblich hoͤher, und uͤbt nun eine die Koͤrper gegen einander zie-
hende Kraft aus. Sind AB, CD, (Fig. 13.) ſolche ſchwimmende
Koͤrper, ſo ſteht die Waſſerflaͤche zwiſchen ihnen hoͤher als an den
aͤußern Seiten, und da beim Eingange des durch ſie begrenzten
Raumes, bei a ein Gleichgewicht der Preſſungen ſtatt findet, ſo iſt
in jedem oberhalb der Waſſerflaͤche EF liegenden Puncte innerhalb
des engen Raumes der Druck niederwaͤrts geringer, als der Zug
hinaufwaͤrts. Wir ſahen naͤmlich vorhin, daß das Gewicht der
oberhalb EF liegenden Saͤule dem Anziehen der Kugelſchichte AC
das Gleichgewicht hielt; der Punkt b alſo, der mit EF gleich hoch
liegt, leidet von oben und von unten gar keinen Druck, da die
oberhalb liegende Saͤule ACb genau von jenem Anziehen der
Schichte AC getragen wird. Aber der Punkt c wird hinaufwaͤrts
gezogen, weil die kleinere Saͤule ACc jenem Zuge nicht das Gleich-
gewicht haͤlt. So lange die beiden Waͤnde AB, CD feſt gehalten
werden, zeigt ſich dieſes Beſtreben zu ſteigen nicht, ſondern c und
alle oberhalb b liegenden Puncte werden nur eben ſo hinaufwaͤrts
gedruͤckt, wie die tiefer liegenden Puncte e hinabwaͤrts, ohne daß
dadurch eine Stoͤrung des Gleichgewichts entſtaͤnde; denn ſollte c
dem Zuge hinaufwaͤrts folgen, ſo muͤßte die Waſſerſaͤule uͤber b
und a, wo Gleichgewicht ſtatt findet, ſich erhoͤhen, was nicht
moͤglich iſt. Aber wenn die Waͤnde beweglich ſind, wie es bei zwei
ſchwimmenden, dieſe Waͤnde bildenden Koͤrpern der Fall iſt, ſo hat
jener in c hinaufwaͤrts gehende Druck den Erfolg, daß die Waͤnde
einander naͤher ruͤcken; denn indem dies geſchieht, wird das Gleich-
gewicht in a immer wieder hergeſtellt, weil die allerdings hoͤher
geſtiegene Saͤule nun auch von dem mehr gekruͤmmten Theile AC
der Oberflaͤche mit mehr Gewalt hinaufgezogen wird. Dieſes Ge-
geneinanderdraͤngen der Waͤnde dauert fort bis ſie ſich beruͤhren,
und hierin liegt der Anſchein des gegenſeitigen Anziehens.


Dieſes Anziehen findet auch ſtatt, wenn Glastafeln in Queck-
ſilber getaucht werden, oder wenn an den beiden beweglichen Waͤn-
den die Fluͤſſigkeit niedriger ſteht, als die Horizontalflaͤche in dem
weitern Gefaͤße. Dann naͤmlich beſteht in a (Fig. 14.) wieder
Gleichgewicht, ſo lange die Waͤnde feſtgehalten werden; b leidet
II. B
[18] einen Druck eben ſo groß als c, und ſelbſt die unmittelbar unter
der convexen Oberflaͤche c liegenden Theile leiden eben den Druck,
wie die in d gleich hoch liegenden; denn die gegen den Mittelpunct
der kleinen Kugel gerichtete Anziehung der Kugelſchichte haͤlt dem
Drucke der Saͤule df das Gleichgewicht. Unſtreitig aber leiden die
oberhalb e liegenden Theile der Waͤnde einen Druck von außen her
und die Waͤnde draͤngen ſich daher gegen einander, und dieſer
Druck wird immer ſtaͤrker, je naͤher ſie ſchon einander ſind, weil
bei groͤßerer Naͤhe das Queckſilber in e immer tiefer ſinkt. Aus
dieſem Grunde vermehrt ſich die Schnelligkeit, mit welcher die
Koͤrper gegen einander zu gehen, immer mehr, je naͤher ſie einander
kommen, und eben dieſer immer ſtaͤrkere Andrang gegen einander
wird im vorigen Falle durch den Zug hinaufwaͤrts innerhalb, wie
hier durch den Druck hinabwaͤrts von außen, hervorgebracht.


Aber das Umgekehrte findet ſtatt, wenn zwei Waͤnde entge-
gengeſetzter Art ſich eingetaucht finden. Waͤre zum Beiſpiel eine
Glasplatte (Fig. 15.) AB neben einer mit Fett beſtrichenen Flaͤche
CD in Waſſer eingetaucht, ſo zieht ſich das Waſſer an der Flaͤche
AB hinauf, und iſt dagegen an CD hinabgedruͤckt; es ſteht aber
gewiß tiefer in I als in H, und hoͤher in K als in G, weil die
entgegengeſetzten Einwirkungen in G und H offenbar der Oberflaͤche
in dem engen Zwiſchenraume eine halb convexe, halb concave
Geſtalt geben, und die Erhoͤhung ſowohl als die Vertiefung der
Oberflaͤche nicht ihren vollen Grad erreichen laſſen. Iſt aber dieſes,
ſo brauche ich wohl nur, auf das Vorige geſtuͤtzt, mit wenigen
Worten zu ſagen, daß AB nach K hin ſtaͤrker gezogen, daß CD
von H abwaͤrts ſtaͤrker gedruͤckt wird, und daher die beiden Waͤnde
oder die beiden ſchwimmenden Koͤrper einander muͤſſen abzuſtoßen
ſcheinen.


Ueber die Figur eines großen Queckſilbertropfens.
Abmeſſung der Kraft des Anhaͤngens feſter Koͤrper an
fluͤſſigen
. Schwimmen ſchwerer Koͤrper.


Noch andere Fragen laſſen ſich aus einer genauer durchgefuͤhr-
ten Theorie jener, durch die hoͤchſte gewoͤlbte oder am meiſten
vertiefte Schichte ausgeuͤbten Anziehung beantworten. Wenn ein
großer Queckſilbertropfen in einer Glasſchale oder ein großer Waſſer-
[19] tropfen auf einer mit Hexenmehl (semen lycopodii) beſtrichenen
Flaͤche liegt, ſo nimmt der eine und der andere ungefaͤhr die Form
ACB (Fig. 16.) an. Die Oberflaͤche eines Fluͤſſigen beſteht allemal
dadurch als Oberflaͤche, daß in ihr gar kein Druck des fluͤſſigen
Koͤrpers ſtatt findet; in den Puncten B oder A iſt, bloß in Bezie-
hung auf die Schwere, ein Druck, welchen die hoͤher liegenden
Theilchen ausuͤben, gewiß wirkſam, und dieſer muß alſo, wie das
Beſtehen der Oberflaͤche in dieſer Form zeigt, durch eine entgegen-
wirkende Kraft zernichtet werden. Da die Oberflaͤche auch bei C
eine ſchwache Woͤlbung hat, ſo verſtaͤrkt der bei C nach innen ge-
richtete Druck noch den durch die Schwere hervorgebrachten Druck;
aber bei A und B iſt die Kruͤmmung der Oberflaͤche viel ſtaͤrker,
als in C, daher iſt der nach innen gerichtete Zug der die convexe
Oberflaͤche bildenden Theile ſehr viel ſtaͤrker als in C, und aus-
reichend, jenen beiden vereinigten Preſſungen das Gleichgewicht zu
halten. Daß eben hierauf die Geſtalt der gewoͤlbten Oberflaͤche
beruht, die wir Waſſer in einem am Rande trockenen Gefaͤße
annehmen ſehen, wenn es ſich uͤber den Rand erhebt, erhellt nun
von ſelbſt. Der entgegengeſetzte Fall findet da ſtatt, wo eine Me-
tallplatte auf die Oberflaͤche AB (Fig. 17.) des Waſſers gelegt
und durch eine fremde Kraft hinaufwaͤrts gezogen wird. Hat man
hier AB ſich vollkommen befeuchten laſſen und bringt nun vermit-
telſt einiger auf die Waageſchale E gelegten Gewichte eine aufwaͤrts
ziehende Kraft an, ſo hebt ſich eine Waſſermaſſe mit AB uͤber die
eigentliche Waſſerflaͤche CD hervor. Sie nimmt an den Seiten
eine concave Oberflaͤche an, ſo wie die Figur zeigt; denn da die
Waſſertheile mit bedeutender Gewalt gegen den feſten Koͤrper AB
gezogen und dadurch ſo erhalten werden, daß ſie ſelbſt in n, in der
Horizontalflaͤche CD, gar keinen Druck ausuͤben, ſo iſt oberhalb a
ein hinaufwaͤrts gehender Zug, der an der Seiten-Oberflaͤche als
ein Zug nach innen ſich zeigen wuͤrde, wenn nicht die hohle Ober-
flaͤche ſich ſo bildete, daß der hinauswaͤrts, gegen die hohle Oberflaͤche
zu, gerichtete Zug jenem genau gleich waͤre. Die Kraft, mit welcher
eine ſolche Platte von Marmor oder Glas AB am Waſſer feſt-
haͤngt, iſt ſo bedeutend, daß ſie nach G. G. Schmidts Verſuchen
51, nach Parrots Verſuche 55 Gran auf den Quadratzoll be-
traͤgt, und Schmidts Unterſuchung zeigt, daß dies mit der
B 2
[20] Berechnung ſehr nahe uͤbereinſtimmt, wenn man dieſe auf die
Hoͤhe gruͤndet, zu welcher das Waſſer in Haarroͤhrchen ſteigt; bei
Weingeiſt betraͤgt ſie gegen Glas 33 Gran, bei Oel gegen Glas
41 Gran; bei Queckſilber gegen eine polirte Zinnplatte ſogar 497
Gran *). Nach Gay-Luſſacs Verſuchen **) fuͤr Waſſer gegen
eine Glasſcheibe 53⅓ Gran.


Zu den kleinen, aber recht anziehenden Verſuchen, die hier
ihre Erklaͤrung finden, gehoͤrt auch noch der, wo man ſtaͤhlerne
Naͤhnadeln auf Waſſer ſchwimmen laͤßt. Die Nadeln muͤſſen ganz
trocken und frei von Roſt ſeyn; wenn man ſie dann ſehr vorſichtig
auf die Oberflaͤche des Waſſers legt, ſo druͤcken ſie um ſich das
Waſſer zuruͤck und liegen in dieſer Hoͤhlung auf der Oberflaͤche.
Sind mehrere einander nahe auf das Waſſer gelegt, ſo gehen ſie
zu einander hin, legen ſich parallel und kommen nach einigen Oſcil-
lationen, durch welche ſie neben einander hin und her gehen, zur
Ruhe. Die glatte Oberflaͤche des Stahles naͤmlich haͤlt die Luft-
theilchen ſo feſt an ſich, daß ſie nicht leicht eine Benetzung zulaͤßt,
und die einander ſtark anziehenden Waſſertheilchen, die von der
Stahlflaͤche ſchwaͤcher angezogen werden, bilden bei e eine convexe
Oberflaͤche (Fig. 18.). Der Punct b leidet offenbar einen Druck
durch die aufliegende Nadel von außen, durch die Waſſerſaͤule de
von innen her, und beide Preſſungen heben einander auf; die
Waſſertheilchen bei c leiden, tiefer liegend als d, einen Druck der
kleinen, hoͤher ſtehenden Waſſerſaͤule; aber die Anziehungskraft,
welche die Fluͤſſigkeit auf ſich ſelbſt an einer convexen Oberflaͤche e
ausuͤbt, iſt nach innen gerichtet und zerſtoͤrt jenen Druck. So ruht
der viel ſchwerere Koͤrper auf dem leichtern Waſſer, ſo lange er ſich
nicht benetzt, und ſo lange ſein Gewicht nicht mehr betraͤgt, als das
von ihm und der ihn umgebenden Hoͤhlung aus der Stelle getrie-
bene Waſſer. Aehnliche Verſuche gelingen, wenn man Nadeln
und aͤhnliche Koͤrper auf eine Waſſer-Oberflaͤche bringt, die mit
Aether oder Terpentin-Oel bedeckt iſt.


Sie ſehen aus dieſen mannigfaltigen Erſcheinungen, theils
wie folgenreich die von Laplace richtig aufgefaßte Betrachtung
[21] der gegenſeitigen Anziehung der Theilchen an einer gekruͤmmten
Oberflaͤche iſt, theils wie bedeutend ſich die Groͤße dieſer Kraͤfte
zeigt. Und doch war hier immer nur von der Differenz dieſer
Kraͤfte die Rede; denn wenn das Waſſer an der emporgehobenen
Platte AB (Fig. 17.) anliegt, ſo iſt es nur der Ueberſchuß der
anziehenden Kraft der Platte gegen das Waſſer uͤber die Anzie-
hungskraft der Waſſertheilchen unter einander, welcher die Platte
faͤhig macht, das Waſſer zu heben, und eben ſo iſt es in den
Haarroͤhrchen nur der Unterſchied der anziehenden Kraͤfte, welche
die Roͤhrenwand und welche die Waſſertheilchen ausuͤben, die wir
kennen lernen. In andern Faͤllen ſehen wir nur, daß die die
krumme Oberflaͤche bildenden Theilchen eine etwas andere Ein-
wirkung auf die benachbarten Theilchen zeigen, als es an einer
ebenen Oberflaͤche der Fall iſt, und immer lernen wir nur den
Unterſchied beider kennen; die ganze Kraft der Anziehung benach-
barter Theilchen auf einander muß daher ganz gewiß noch weit
groͤßer ſeyn.


Ein Verſuch, wo ſich eine noch groͤßere Anziehungskraft
zeigt
.


Es giebt einige Phaͤnomene, wo eine viel groͤßere Anziehungs-
kraft thaͤtig zu ſein ſcheint, und wo wir alſo wohl glauben duͤrfen,
wenigſtens etwas naͤher jene ganze Kraft kennen zu lernen. Dahin
rechnet Laplace den ſchon oft angeſtellten Verſuch, daß man eine
4 oder 5 Fuß lange Glasroͤhre, die am einen Ende in einer reinen
Woͤlbung zugeſchmolzen iſt, mit Queckſilber fuͤllt, ſie dann, wie
eine mit der Muͤndung eingetauchte Barometerroͤhre, umkehrt, ſie
vorſichtig mit dem Finger geſchloſſen haͤlt, bis man ſie zu einer
ganz ruhigen Stellung gebracht hat, und nun ſehr oft das Queck-
ſilber bis zum hoͤchſten Theile der Roͤhre haͤngen bleibend ſieht.
Der Verſuch gelingt etwas ſchwer, aber er gelingt doch, und das
Queckſilber bleibt oft lange genug haͤngen, um die Ueberzeugung,
daß es durch eine Adhaͤſion an der obern Woͤlbung der Roͤhre ge-
halten werde, zu begruͤnden, indem der Druck der Luft es nicht ſo
hoch erhalten koͤnnte. Laplace ſieht dieſe Wirkung als von der
geſammten Groͤße jener Kraft abhaͤngend an, glaubt aber, daß wir
ihre wahre Groͤße doch ſelbſt da nur ſehr unvollkommen kennen
[22] lernen. Ueber ihre wahre Groͤße ſcheinen nur die chemiſchen Er-
ſcheinungen einige Auskunft zu geben.


Rotation eines befeuchteten Glaſes.


Ich fuͤge zum Schluſſe dieſes Gegenſtandes noch die Beſchrei-
bung eines Verſuches bei, der eine ſehr auffallende Erſcheinung
darſtellt. Wenn man ein Uhrglas an der convexen Seite mit einem
Tropfen Waſſer naß macht, und es nun ſo, daß der Tropfen an
der Beruͤhrungsſtelle liegt, auf einen Spiegel legt, ſo bewegt ſich
das Glas bei einer ſchwachen Neigung des Spiegels nicht in gerader
Richtung herab, ſondern geraͤth in eine, oft recht ſchnelle, Drehung.
Dieſe Drehung entſteht ohne Zweifel dadurch, daß der Schwerpunct
des Glaſes von dem durch den Tropfen feſtgehaltenen Puncte etwas
abweicht, die einmal entſtandene Drehung ſetzt ſich, wie bei Kreiſeln,
leicht fort. Um die Urſache dieſer Rotation des Uhrglaſes recht
deutlich zu ſehen, ſcheint mir folgende Anordnung des Verſuches
vorzuͤglich zweckmaͤßig. Man legt das Uhrglas auf den Spiegel ſo,
daß der Waſſertropfen die Mitte des Glaſes befeuchtet und ſich
gleichfoͤrmig um den mittlern Beruͤhrungspunct ausdehnt. Iſt
dies genau der Fall, ſo nimmt auch bei einer etwas geneigten
Stellung des Spiegels, den ich als mit der niedrigern Seite gegen
den Beobachter gekehrt annehme, das Uhrglas keine Rotation an.
Aber nun druͤcke man einen Augenblick lang mit dem Finger den
rechts liegenden Rand des Glaſes nieder, ſo ſetzt ſich ſogleich das
Glas in eine drehende Bewegung, und zwar ſo, daß die links
liegenden Theile unterwaͤrts gehen, und dieſe Bewegung dauert nun
ohne Aufhoͤren fort, bis man durch einen Druck auf die links
liegende Seite eine entgegengeſetzte Bewegung hervorbringt. Die
Urſache der Drehung beſteht alſo darin, daß, indem ich das Glas
an der rechten Seite niederdruͤcke, der Schwerpunct des Glaſes
ohne Unterſtuͤtzung iſt, und alſo, indem er ſinkt, eine Drehung um
den durch den Waſſertropfen feſtgehaltenen Punct anfaͤngt; dieſe
Drehung dauert, nachdem ſie einmal eingetreten iſt, aus aͤhnlichen
Gruͤnden fort, wie die regelmaͤßigen Schwankungen der Axe eines
Kreiſels, wenn dieſer einmal um ſeine nicht genau vertical ſtehende
Axe in drehende Bewegung geſetzt iſt.


[23]

Bei einiger Aufmerkſamkeit kann man dieſe Drehung auf
einem reinen, ganz ebnen Glaſe lange Zeit fortdauern laſſen, und
ſie zu einer großen Schnelligkeit bringen.


Zweite Vorleſung.


Ungleiche Adhaͤſion fluͤſſiger Koͤrper an den Ober-
flaͤchen feſter Koͤrper.


Schon bei den Erſcheinungen, die wir an den Haarroͤhrchen
beobachten, zeigten ſich Ungleichheiten, die von der Natur der ein-
zelnen Koͤrper abhaͤngen; der eine fluͤſſige Koͤrper ward hoͤher, der
andre minder hoch in dem Haarroͤhrchen hinaufgezogen u. ſ. w.
Dieſe ſtaͤrkere Verſchiedenheit zwiſchen der Anziehung der Glastheil-
chen und der Waſſertheilchen die auf Waſſer wirken, die geringere
Verſchiedenheit der auf Alcohol wirkenden Glastheilchen und Alco-
holtheilchen zeigte ſich hier; — alſo ſchon etwas von mehr oder
minderer Verwandtſchaft. Dieſe tritt aber deutlicher hervor in
einem andern, leicht anzuſtellenden Verſuche. Man gießt in eine
flache Schale eine ſehr niedrige Waſſerſchichte, ſo daß der Boden
nur wenig bedeckt iſt, und troͤpfelt nun etwas Schwefel-Aether ſo
hinzu, daß er, mit einiger Gewalt auf die Waſſer-Oberflaͤche
fallend, die Oberflaͤche des Gefaͤßes ſelbſt beruͤhrt, ſo treibt er
das Waſſer zur Seite, indem er ſich uͤber einen breiten Theil des
Bodens verbreitet, das Waſſer zieht ſich, wie auf einem fetten
Koͤrper, in einzelne Tropfen zuſammen und erſt wenn der Aether
verdunſtet iſt oder auch ſich mit dem Waſſer gemiſcht hat, nimmt
das Waſſer ſeinen Platz wieder ein.


Die Erſcheinung beruht offenbar darauf, daß die Glas-Ober-
flaͤche oder Porzellan-Oberflaͤche den Aether mehr anzieht, als das
Waſſer, daß ſie alſo, ſobald der Aether nur in einem Puncte
ſie beruͤhrt hat, ſich des Tropfens bemaͤchtigt, um ihn uͤber alle
benachbarten Theile der Oberflaͤche auszubreiten, wobei dann das
Waſſer den Platz raͤumen muß, und anſcheinend abgeſtoßen wird,
oder zuruͤckflieht. Dieſe groͤßere Neigung der Glasflaͤche, den Ae-
[24] ther zu ſich heranzuziehen, widerſpricht nicht der Erfahrung, daß
das Waſſer hoͤher in den glaͤſernen Haarroͤhrchen ſteht, als Aether;
denn wenn auch die Kraft, mit welcher die Glaswaͤnde den Aether
anziehen, 100 waͤre, und die, womit ſie das Waſſer anziehen, nur
50, ſo kann das Waſſer hoͤher ſteigen, wenn die Waſſertheilchen
gegen einander nur mit 48, die Aethertheilchen gegen einander mit
99 gezogen werden, indem die Differenz = 2 iſt bei den kleinern
Zahlen, die das Waſſer betreffen, und = 1 bei den groͤßern, die
den Aether betreffen.


Eben ſolche Verſuche laſſen ſich nun auch mit Fluͤſſigkeiten,
die ſich uͤber andre fluͤſſige Koͤrper verbreiten, anſtellen. Ein
Tropfen fettes Oel breitet ſich uͤber eine Waſſerflaͤche aus, aber er
wird von aͤtheriſchem Oele zuruͤckgetrieben, und einige Tropfen
Wolfsmilchſaft treiben wieder das aͤtheriſche Oel zuruͤck. Harze in
Weingeiſt aufgeloͤſt wirken ebenſo wie Saft der Wolfsmilch. Link
fuͤhrt noch mehr aͤhnliche Verſuche an und zieht aus ihnen den
Schluß, daß dieſes Beſtreben, ſich der Oberflaͤche zu bemaͤchtigen,
bei den Koͤrpern am ſtaͤrkſten ſei, deren chemiſche Verwandtſchaft
auch zu dem die Oberflaͤche bildenden Koͤrper am groͤßten iſt. Es
iſt naͤmlich aus chemiſchen Verſuchen bekannt, daß das Waſſer zur
Schwefelſaͤure und zum reinen Weingeiſt eine vorzuͤglich ſtarke Ver-
wandtſchaft hat, und beide zeigen ſich auch vorzuͤglich wirkſam, um
Oele und dgl. von der Oberflaͤche des Waſſers zu vertreiben.


Bewegungen, die dieſer ungleichen Adhaͤſion wegen
entſtehen
.


Die Staͤrke dieſer Flaͤchen-Anziehung, die einigen Koͤrpern
gegen andre Koͤrper eigen iſt, laͤßt ſich auf mehr als eine Weiſe
ſichtbar machen. Wenn man auf den trockenen und ganz reinen
Boden einer Glasſchale einen Tropfen Weingeiſt bringt, ſo ver-
breitet er ſich ſogleich uͤber einen bedeutenden Raum, ſtatt daß ein
Waſſertropfen dies in viel geringerem Maaße thut. — Wenn man
Goldblaͤttchen auf reinem Waſſer ſchwimmen laͤßt, und nun einen
Tropfen Weingeiſt oder Aether zwiſchen ſie auf die Oberflaͤche des
Waſſers bringt, ſo ziehen die Goldblaͤttchen ſich vor dem die Ober-
flaͤche einnehmenden Tropfen Weingeiſt zuruͤck; dagegen wenn man
vorher einen Tropfen einer Aufloͤſung von Harz in Weingeiſt auf
[25] die Oberflaͤche des Waſſers gebracht hat, ſo bleiben ſie ganz ruhig,
weil dieſe Aufloͤſung ſich der Oberflaͤche mit ſolcher Gewalt bemaͤch-
tigt hat, daß ſie nicht ſie einer andern Subſtanz frei laͤßt.


Bei einigen Verſuchen zeigen ſich dieſe Bewegungen, die aus
dem Zuruͤcktreiben einer Subſtanz auf der Oberflaͤche einer andern
entſtehen, noch auffallender. Wenn man einen Tropfen Baum-
Oel auf Waſſer fallen laͤßt, ſo daß er nur als ein kleiner Kreis,
nicht zu weit ausgebreitet, auf demſelben ſchwimmt, ſo ſieht man,
daß dieſer ſich erheblich ausbreitet, wenn man einen Salmiakgeiſt-
tropfen, der an einer Glasroͤhre haͤngt, von oben herab demſelben
naͤhert; zieht man den Salmiaktropfen, ehe er das Oel beruͤhrt
hat, wieder zuruͤck, ſo nimmt das Oel ſeine vorige Geſtalt wieder
an, und man kann es ſo abwechſelnd mehr ausgebreitet, oder mehr
zuſammengezogen erhalten. Ein andrer Verſuch, den Corradori
angiebt, der mir aber nicht ſo auffallende Erfolge zu geben ſcheint,
iſt der, daß man Korkſtuͤckchen ſtark mit Oel eingerieben auf dem
Waſſer ſchwimmen laͤßt, und ihnen einen Tropfen Salmiakgeiſt
auch nur naͤhert, ohne das Waſſer zu beruͤhren. Sie gerathen in
eine unregelmaͤßige Bewegung, zuruͤckgeſtoßen von den Daͤmpfen
des Salmiaks, und zeigen allerdings dieſe Bewegung deutlich genug,
jedoch nicht gerade auffallend lebhaft. Dieſen Bewegungen ganz
aͤhnlich ſind nun die, in welche man Kampherſtuͤckchen gerathen
ſieht, wenn ſie auf ganz reinem Waſſer ſchwimmen. Bringt man
naͤmlich kleine zerbroͤckelte Kampherſtuͤckchen auf Waſſer, ſo gerathen
ſie, als ob ſie belebt waͤren, in die mannigfaltigſten Bewegungen,
ſie drehen ſich, ſie ſtoßen ſich ab und ſo ferner. Legt man ein
Stuͤckchen Kampher auf einen nur ſehr duͤnne mit Waſſer bedeck-
ten Teller, ſo vertreibt es das Waſſer um ſich herum, weil, wie
Corradori wohl ganz richtig behauptet, die aus dem Kampher
hervorgehende aͤtheriſche Subſtanz ſich der Oberflaͤche des Gefaͤßes
bemaͤchtigt und ſie dem Waſſer entzieht. Ebenſo nun, wie hier
dieſe im Kampherdunſte ſich anlegende Subſtanz das Waſſer von
dem Beſitze der Oberflaͤche des Gefaͤßes vertreibt, ſo ſcheint die Ver-
breitung der Kamphertheilchen, die ſich dem Waſſer beimiſchen,
jene Bewegung der Kampherſtuͤckchen, deren Ausfluͤſſe dieſe Be-
deckung bewirken, hervorzubringen, und dieſe Bewegung wird of-
fenbar dadurch befoͤrdert, daß die an jedem Spitzchen am lebhaf-
[26] teſten entſtehende Aufloͤſung auf die mannigfaltigſte Weiſe auf die
Kampherſtuͤckchen einwirkt. Das ſchnelle Verdunſten dieſer fluͤch-
tigen Materie iſt, nach Corradori's Meinung, der zweite
Grund der Bewegung, weil dadurch jene Verbreitung uͤber die
Oberflaͤche immer wieder Aenderungen leidet. Indeß dauert es nicht
lange, ſo hoͤrt die Bewegung faſt ganz auf, weil die ganze Waſſer-
Oberflaͤche genug Kamphertheilchen aufgenommen hat, und nun
ganz damit bedeckt iſt. Bringt man die noch uͤbrigen Kampher-
ſtuͤckchen auf ganz reines Waſſer, ſo fangen ſie ihre Bewegung
wieder an. Dagegen mislingt der Verſuch, wenn ſich nur einige
fette oder unreine Beimiſchung im Waſſer befindet *).


Browns Beobachtungen uͤber die eigenthuͤmliche Be-
wegung der kleinſten Koͤrpertheilchen
.


Dieſe Urſachen ſind ohne Zweifel auch die Hauptveranlaſſung
derjenigen Bewegungen, auf welche kuͤrzlich durch Brown die
Aufmerkſamkeit der Phyſiker gelenkt iſt. Dieſer naͤmlich beobach-
tete, zuerſt indem er den Bluͤthenſtaub mehrerer Pflanzen unter
dem Microſcope betrachtete, an den aus den Pollenkoͤrnern bei ih-
rem Aufbrechen hervorgekommenen kleinen Theilchen, nachher auch
bei andern kleinen Theilchen mannigfaltiger Koͤrper, im Waſſer die
mannigfaltigſten Bewegungen, ſo als ob dieſe Theilchen belebt
waͤren. Er glaubte ſich zu uͤberzeugen, daß dieſe Bewegungen nicht
durch aͤußere Umſtaͤnde, nicht durch Verdunſtung der Fluͤſſigkeit
u. ſ. w. hervorgebracht wuͤrden, und es ſchien alſo, als ob ſie dieſen
kleinen Theilchen der Koͤrper eigenthuͤmlich ſein muͤßten, als ob
alle Koͤrper aus belebten Grundbeſtandtheilchen zuſammengeſetzt
waͤren **). Ueberraſchend iſt es allerdings dieſe mannigfaltigen Be-
wegungen unter dem Microſcope zu ſehen, die ganz den zufaͤlligen
und willkuͤrlichen Bewegungen kleiner Thierchen gleichen; indeß
haben Beobachtungen von Ehrenberg und Schultze wohl hin-
reichend gezeigt, daß man ſie mit dieſen nicht verwechſeln darf, und
meine eignen Beobachtungen haben mich uͤberzeugt, daß ſo ſehr
[27] auch dieſe Bewegungen das Anſehen von lebendiger Thaͤtigkeit
haben, ſie doch ohne Zweifel nur von aͤußern Umſtaͤnden abhaͤngen.
Da Schultze's Beobachtungen *) uͤber dieſen Gegenſtand mir
vorzuͤglich belehrend ſcheinen, ſo werde ich daraus das Wichtigſte
hier mittheilen. Da man die Bewegungen ſehr leicht erkennt, die
einem Fortſtroͤmen in den Theilen des Waſſertropfens oder einer
Erſchuͤtterung ihren Urſprung verdanken, ſo iſt es kaum noͤthig
auf dieſe erſt beſonders aufmerkſam zu machen; dagegen koͤnnen
die durch Ausduͤnſtung bewirkten Bewegungen ſchon weit eher zu
Taͤuſchungen fuͤhren. Wenn man die Pollenkoͤrner (Schultze
beobachtete die des Lamium purpureum) in einem Waſſertropfen
unter das Vergroͤßerungsglas bringt, ſo platzen ſie, und die her-
vordringenden kleinen Koͤrperchen, eben die, an welchen Brown
zuerſt ſeine Beobachtung anſtellte, haben eine drehende, zitternde,
auf- und abſteigende Bewegung. Dieſe Bewegung iſt viel leb-
hafter in Weingeiſt, noch lebhafter in Schwefel-Aether, aber faſt
ganz gehemmt in Mandel-Oel. Hieraus laͤßt ſich allerdings ſchlie-
ßen, daß die ſtaͤrkere Verdunſtung der Fluͤſſigkeiten die Bewegung
lebhafter macht, wozu das ungleiche Hervorſtroͤmen dieſer Ausduͤn-
ſtungen aus den verſchiedenen Theilen der feſten Koͤrper beitragen
mag; aber Schultze uͤberzeugte ſich, daß die Ausduͤnſtung nicht
die einzige Urſache der Bewegung ſei, denn ſie dauerte fort, auch
wenn der Waſſertropfen mit Oel bedeckt war. In dieſem Falle
zeigten ſich oft die am lebhafteſten bewegten Theilchen mit kleinen
Luftringen oder Dunſtringen verbunden, die erſt nach und nach
dem Waſſer geſtatteten, die Theilchen ganz zu durchdringen, und
die dabei eintretende Aufloͤſung einiger Theilchen ſchien der Grund
der Bewegung zu ſein. Daß wirklich die allmaͤhlige Aufloͤſung und
damit verbundene Aenderung der Geſtalt ein Hauptgrund ſolcher
Bewegungen, gerade wie bei den Kamphertheilchen, ſei, davon
uͤberzeugte er ſich durch das Verhalten von Pulvern in einer mehr
oder minder verduͤnnten Saͤure; und ſo ſcheint das Meiſte auch
hier auf ſolche Umſtaͤnde, die wir ſchon von groͤßern Koͤrpern her
[28] kennen, zuruͤckzukommen; doch bemerkt Schultze, daß einige Er-
ſcheinungen ihm raͤthſelhaft geblieben ſind. Aus jenen Umſtaͤnden
und aus dem endlich eintretenden Ruheſtande der feinen Theilchen
ließ ſich mit Recht ſchließen, daß jene Bewegung keinesweges eine
allen Koͤrpertheilchen zukommende beſondere Eigenſchaft ſei. Aber
nun fanden ſich in eben den Schultziſchen Beobachtungen aller-
dings auch Koͤrper mit eigenthuͤmlicher Bewegung, Thierchen, die
theils in dem Buͤcherſtaube oder anderen Staube enthalten, durch
die Befeuchtung wieder belebt zu werden ſchienen, theils aber aus
dieſen Staͤubchen als neu gebohren hervorgingen. Doch von dieſen
iſt hier zu reden nicht der Ort.


Adhaͤſion der Luft an feſten Oberflaͤchen.


Nach dieſer Abſchweifung kehre ich zu der wichtigen Bemer-
kung zuruͤck, daß einige Koͤrper eine ſehr große Flaͤchen-Anziehung
zu andern Koͤrpern zeigen, und daß dabei eine Verwandtſchaft, ein
ſtaͤrkeres Anziehen bei dem einen, ein minderes bei dem andern,
ſtatt finde. Eben dieſe Flaͤchen-Anziehung ſcheint auch auf die
Luft-Arten zu wirken, und ſie in gewiſſen Faͤllen ſelbſt da, wo
ſie unter ſchwereren fluͤſſigen Koͤrpern ſich befinden, am Aufſteigen
zu hindern. Die Luftblaſen haͤngen ſich feſt an das Glas und es
iſt oft ſchwer, ſie im Waſſer oder im Queckſilber fortzutreiben. Da-
gegen draͤngt die Luft ſich zuweilen an der Oberflaͤche des Glaſes
da ein, wo ſie durch eine Queckſilberſaͤule anſcheinend zuruͤckgehal-
ten wird, und Daniell erklaͤrt daraus die in einem laͤngern Zeit-
raume ſich im obern Raume der Barometer ſammelnde Luft. Er
nimmt naͤmlich an, daß die wenige Neigung, welche das Queck-
ſilber zu einem dichten Anſchließen an Glas zeigt, der Luft geſtat-
tet, ſich zwiſchen dem Queckſilber und dem Glaſe einzuſchleichen,
und in den offenen Theil der Roͤhre eindringend, nach und nach
in den obern Theil der Roͤhre, welcher luftleer ſein ſollte, zu ge-
langen. Daniell ſchlaͤgt daher vor, einen Platinring in der
Roͤhre anzubringen, weil dieſer, ohne eine Aufloͤſung vom Queck-
ſilber zu erleiden, doch durch daſſelbe benetzt wird, und den Durch-
gang der Luft nicht zulaͤßt. Faraday hat das Entweichen einiger
Luft-Arten, obgleich ſie mit Queckſilber geſperrt waren, noch auf
eine andre Art nachgewieſen. Er brachte uͤber Queckſilber eine Mi-
[29] ſchung aus Waſſerſtoffgas und Sauerſtoffgas in Flaſchen, und
ließ ſie, mit Glasſtoͤpſeln geſchloſſen, mit der Muͤndung in Queck-
ſilber getaucht, 15 Monate ruhig ſtehen. In dieſer Zeit war ein
Theil jener Gasmiſchung durch das Queckſilber, oder an der Glas-
wand fortgehend, entwichen, und atmoſphaͤriſche Luft dafuͤr einge-
drungen *).


Abſorption der Luft durch fluͤſſige und feſte Koͤrper.


Ob auf eine aͤhnliche Weiſe die Luft auch durch eine Anzie-
hung, wobei ſie ihrer Natur nach ungeaͤndert bleibt, in die fluͤſſi-
gen und feſten Koͤrper eindringt, iſt ungewiß; aber bekannt iſt,
daß ein vollkommen ausgekochtes Waſſer in einem luftvollen Rau-
me aufbewahrt, Luft von der Art, wie die uͤber ſeiner Oberflaͤche
befindliche, in ſich aufnimmt, daß es dieſe in ſich behaͤlt, ſo lange
eben der Druck der Luft auf die Oberflaͤche fortdauert, aber einen
Theil davon unveraͤndert entlaͤßt, ſobald der Druck der Luft auf
die Oberflaͤche ſich vermindert. Hiebei findet die Merkwuͤrdigkeit
ſtatt, daß ein Waſſer, welches kohlenſaure Luft aufgenommen hat,
von dieſer Luft etwas hergiebt, wenn ſich uͤber der Oberflaͤche atmo-
ſphaͤriſche Luft befindet, und daß ſie dagegen dann einen Antheil
atmoſphaͤriſcher Luft aufnimmt. Ein eben ſolcher Austauſch, aber
in nicht immer gleichen Verhaͤltniſſen der frei gelaſſenen und der
neu abſorbirten Luft, findet allemal ſtatt, wenn das Waſſer eine
andre Luft-Art aufgenommen hat, und eine andre ſich uͤber ſeiner
Oberflaͤche befindet; und darin hat Dalton einen Hauptgrund
fuͤr ſeine Behauptung, daß jedes elaſtiſche Fluidum nur auf die
ihm gleichartigen Theile einen Druck ausuͤbe, gefunden, daß naͤm-
lich eine auf die Waſſer-Oberflaͤche druͤckende kohlenſaure Luft dem
Beſtreben der im Waſſer enthaltenen kohlenſauren Luft, aus dem
Waſſer hervorzudringen, einen Druck entgegenſetze, waͤhrend eine
ebenſoviel Elaſticitaͤt beſitzende atmoſphaͤriſche Luft dieſes nicht thue.
Die Verſuche uͤber dieſen Gegenſtand ſind ſo ſchwierig, daß man
die Entſcheidung uͤber Daltons Anſicht, die wohl vorzuͤglich in
dieſen Verſuchen gefunden werden koͤnnte, noch nicht als mit voͤlli-
ger Sicherheit gegeben anſehen kann, zumal da doch offenbar ſich
[30] hier ſchon etwas, das Verwandtſchaft heißen kann, einmiſcht. Dieſe
Abſorption von Luft bietet uͤbrigens noch mehr Merkwuͤrdiges dar.
Bringt man ganz luftfreies, durch Kochen von Luft befreites Waſſer
in einen mit einer gewiſſen Luft-Art gefuͤllten Raum, ſo nimmt es
bei ſchwachem und bei ſtarkem Drucke gleich viel Luft derſelben Art
dem Volumen nach auf, naͤmlich ebenſoviel Maaß doppelt ſo dichter
Luft bei doppeltem Drucke, als Luft von der einfachen Dichtigkeit bei
dem einfachen Drucke. Wird das Waſſer waͤrmer, ſo entlaͤßt es etwas
Luft. Wenn das luftfreie Waſſer unter dem Drucke einer gemiſchten
Luftmaſſe ſteht, ſo nimmt es von allen Luft-Arten etwas auf, und
zwar nach Daltons Angabe ſoviel als es aufnehmen wuͤrde, wenn
jede der Luft-Arten in ihrer hier vorhandenen Dichtigkeit allein da
waͤre. Vermindert ſich der von außen wirkende Druck derjenigen
Luft-Art, die im Waſſer enthalten iſt, ſo tritt ſie zum Theil aus dem
Waſſer hervor, und dieſes Hervorkommen wird ſchneller befoͤrdert,
wenn man feſte Koͤrper, beſonders eckige Koͤrper, hineinbringt; daher
ſchaͤumt Bier mehr auf, wenn man harte Koͤrper hinein wirft,
und die Blaͤschen entwickeln ſich auch ſonſt am Boden des Glaſes
am meiſten und vergroͤßern ſich im Aufſteigen. Die Menge der
Luft, welche das Waſſer aufzunehmen faͤhig iſt, findet man bei
verſchiedenen Luft-Arten ſehr ungleich. Ein Maaß Waſſer nimmt
an Waſſerſtoffluft hoͤchſtens \frac{1}{60} Maaß, an Sauerſtoffgas nur un-
gefehr \frac{1}{30} Maaß, an kohlenſaurem Gas 1 Maaß, an ſalzſaurem
Gas gegen 500 Maaß, an Ammoniacgas gegen 700 Maaß auf.
Dabei nimmt das Volumen des Waſſers etwas zu, wenn die Ab-
ſorption nur geringe, wie bei kohlenſaurer Luft, iſt; aber ſehr er-
heblich nimmt es zu, wenn die Abſorption ſo viel, wie bei den zu-
letzt erwaͤhnten Gas-Arten, betraͤgt. Auf aͤhnliche Art verhaͤlt
es ſich bei andern Fluͤſſigkeiten.


Unter den feſten Koͤrpern hat vorzuͤglich die Kohle die Eigen-
ſchaft ſehr viele Luft in ſich aufzunehmen. Die verſchiedenartigen
Kohlen ſind ſich in dieſer Hinſicht nicht gleich; aber 1 Maaß Buchs-
baumkohlen, die vorher durch Ausgluͤhen ganz von Luft befreit
worden, nimmt uͤber 1 Maaß Waſſerſtoffluft, 9 Maaß Sauer-
ſtoffluft, 35 Maaß kohlenſaure Luft, 90 Maaß Ammoniacgas auf.
Bei vermindertem Luftdrucke geht ein Theil der abſorbirten Luft
wieder hervor, und auch wenn die mit abſorbirter Luft gefuͤllte
[31] Kohle in eine andre Luft-Art gebracht wird, entlaͤßt ſie etwas von
der Luft, die ſie ſchon aufgenommen hatte, und nimmt dagegen
etwas von der zweiten Luft-Art auf. Auch bei andern feſten Koͤr-
pern findet etwas Aehnliches ſtatt.


Ob hiebei bloß die Adhaͤſion, eine ebenſolche Anziehungskraft,
wie bei den Haarroͤhrchen, thaͤtig iſt, laͤßt ſich zwar nicht ganz ent-
ſcheiden; aber die dem mechaniſchen Drucke ſo genau folgende Ab-
ſorption, und das unveraͤnderte Hervorgehen der abſorbirt geweſenen
Luft ſcheint hiefuͤr zu ſprechen. Indeß verdichtet ſich die Luft offen-
bar ſehr bedeutend in den Poren der feſten Koͤrper und ſelbſt in den
fluͤſſigen, und dieſe anziehende Kraft der Koͤrper uͤbt alſo ohne
Zweifel eine ſehr bedeutende Gewalt auf die Luft aus. Auch iſt
dieſe Anziehungskraft nach der Verſchiedenheit der Luft-Arten ſehr
ungleich, was uns, da ſchon bei den Haarroͤhrchen eben das ſtatt
findet, nicht ſehr befremden kann *).


Chemiſche Anziehung. Veraͤnderung der Koͤrper bei
chemiſchen Verbindungen
.


Und nun iſt es wohl Zeit, endlich zu den chemiſchen Anzie-
hungen und den chemiſchen Verbindungen uͤberzugehen. Die Stu-
fenfolge von Wirkungen der Anziehung, wo zuerſt nur unbedeu-
tende Erfolge durch die Differenz der Wirkung feſter und fluͤſſiger
Koͤrper auf fluͤſſige entſtanden, wo die Wahl-Anziehung einer Ober-
flaͤche gegen eine Fluͤſſigkeit mehr als gegen die andre ſichtbar wurde,
wo die Luft in hohem Grade verdichtet, aber auch mit einer nach
der Natur der Luft-Art verſchiedenen Gewalt, von fluͤſſigen und
feſten Koͤrpern aufgenommen wurde, — dieſe Stufenfolge von
Wirkungen ſcheint uns zu jenen maͤchtigen Wirkungen gleichſam
hinuͤber zu fuͤhren; aber dennoch iſt der Uebergang zu den chemi-
ſchen Wirkungen dadurch noch keinesweges aufgeklaͤrt. Das laͤßt
ſich wohl einſehen, daß die Theilchen eines Fluͤſſigen, einer Saͤure
zum Beiſpiel, indem ſie einen feſten Koͤrper innig beruͤhren, ſeine
Theilchen ſo anziehen koͤnnen, daß ſie dieſelben noͤthigen, die Ver-
bindung mit ihren naͤchſten Nachbaren aufzugeben, ſich aufzuloͤſen,
[32] in den fluͤſſigen Koͤrper uͤberzugehen; es laͤßt ſich einſehen, daß dieſe
Anziehungskraft des fluͤſſigen Koͤrpers auf die nun ſchon getrennten
Theile des Feſten viel groͤßer ſein mag, wenn dieſe einzeln im Fluͤſ-
ſigen ſchweben, indem nun nicht mehr von der Differenz der Wir-
kung benachbarter Theile des fluͤſſigen und des feſten Koͤrpers die
Rede iſt, ſondern der fluͤſſige Koͤrper ſeine ganze, volle Wirkſamkeit
ausuͤbt; aber daß bei dieſer großen Einwirkung auf einander nun
beide Koͤrper ihre Natur veraͤndern, daß ihre kleinſten Theilchen
ſo mit einander in Verbindung treten, daß ein ganz neuer Koͤrper
entſteht, das bleibt immer gleich dunkel. Und doch iſt eben dies
der Erfolg ſo ſehr vieler chemiſcher Verbindungen. Bei einigen iſt
dies weniger auffallend oder findet uͤberhaupt noch nicht ſtatt; denn
Salz in Waſſer aufgeloͤſt zeigt noch immer die eigenthuͤmlichen Ei-
genſchaften des Salzes, und obgleich man nicht durch mechaniſche
Mittel das Waſſer mehr davon trennen kann, ſo laͤßt doch das
durch Waͤrme, durch Abdampfen fortgetriebene Waſſer wieder daſ-
ſelbe Salz zuruͤck; aber bei andern Verbindungen iſt die Natur des
Koͤrpers ganz veraͤndert, das feſte, glaͤnzende Metall iſt in ein Salz
uͤbergegangen, indem es ſich mit einer Saͤure verband; in dieſer
Verbindung iſt es aufloͤslich im Waſſer u. ſ. w.


Beiſpiele dieſer Art giebt es unzaͤhlige. Wenn man ein Stuͤck
Kalk (Kreide zum Beiſpiel), in Schwefelſaͤure legt, ſo loͤſet ſich
nicht nur die Kalk-Erde voͤllig auf, ſondern je mehr nach und nach
aufgeloͤſet wird, deſto mehr verliert die Saͤure von ihrem ſauern
Geſchmacke, und verliert dieſen gaͤnzlich, wenn ſie ſoviel Kalk, als
ſie uͤberhaupt aufloͤſen kann, aufgeloͤſet hat, oder damit geſaͤttigt
iſt. Durch dieſe Aufloͤſung entſtehet ein Niederſchlag, der ſich im
Waſſer nicht aufloͤſet, Gyps, ſchwefelſaurer Kalk; — ein Koͤrper,
in welchem ſich Kalk mit Schwefelſaͤure verbunden hat, aber ſo
innig verbunden, daß man keinen der beiden Beſtandtheile mehr
in ſeiner fruͤheren Beſchaffenheit darin wahrnimmt. — Soda in
Salzſaͤure gelegt, loͤſet ſich mit großer Lebhaftigkeit aufſchaͤumend
auf, die Saͤure verliert dabei ihren ſauern Geſchmack, die Soda
ihren laugenhaften Geſchmack, und immer mehr, je naͤher die
Aufloͤſung der Saͤttigung koͤmmt, geht der Salzgeſchmack unſers
gewoͤhnlichen Kochſalzes hervor, das ſich auch beim Abdampfen zeigt,
und alſo als eine Verbindung beider Koͤrper erkannt wird.


[33]

Chemiſche Wahlverwandtſchaft.


Daß auch bei dieſen chemiſchen Einwirkungen ſich Ungleich-
heiten, die von der eigenthuͤmlichen Natur der Koͤrper abhaͤngen,
zeigen, laͤßt ſich wohl erwarten; ſie zeigen aber hier noch auffallen-
dere Erfolge, als in den fruͤher angefuͤhrten Erſcheinungen. Wenn
man Kalk in Salpeterſaͤure aufgeloͤſt hat, ſo iſt eine gleichfoͤrmige
ungetruͤbte Aufloͤſung, die keinen Kalk mehr als unveraͤndert ent-
haͤlt, entſtanden. Setzt man aber dieſer Aufloͤſung Schwefelſaͤure
zu, ſo faͤllt ſogleich ein Niederſchlag zu Boden, der im Waſſer
unaufloͤslich iſt, und der ſich ganz dem Gypſe, der ſchwefelſauren
Kalk-Erde gleich zeigt, die wir eben vorhin als aus der Aufloͤſung
des Kalkes in Schwefelſaͤure entſtehend kennen lernten. Es zeigt
ſich alſo die Anziehungskraft der Schwefelſaͤure gegen Kalk-Erde
maͤchtiger, als die der Salpeterſaͤure gegen Kalk-Erde, und daher
nimmt die Schwefelſaͤure die Kalktheilchen zu einer Verbindung mit
ſich auf, indem ſie dieſelben der Aufloͤſung in Salpeterſaͤure entreißt.


Man ſpricht daher von einer Verwandtſchaft der Koͤrper
unter einander und von einer Wahlverwandtſchaft, vermoͤge
welcher hier die Kalk-Erde ſich vorzugsweiſe, gleichſam aus Wahl,
wegen naͤherer Verwandtſchaft, der Schwefelſaͤure hingiebt, waͤhrend
ſie die Salpeterſaͤure verlaͤßt. Eine ebenſolche Wahlverwandtſchaft,
bei welcher die Schwefelſaͤure den Vorzug hat, zeigt ſich ſchon bei
der Aufloͤſung der Kreide in Schwefelſaͤure. Kreide iſt kohlenſaure
Kalk-Erde, das heißt, die Kalk-Erde iſt hier ſchon mit einer
Saͤure, die wir in Luftform, als kohlenſaure Luft, kohlenſaures
Gas, kennen, verbunden; begießt man dieſe kohlenſaure Kalk-Erde
mit Schwefelſaͤure, ſo loͤſt dieſe, vermoͤge ihrer ſtaͤrkern Verwandt-
ſchaft, die Kalk-Erde auf, befreiet aber dadurch die Kohlenſaͤure
von ihrer Verbindung mit der Kalk-Erde, und wir ſehen dieſe in
Luftform, in Blaſen, unter ſtarkem Aufſchaͤumen entweichen.
Ebenſo geſchieht es bei der Aufloͤſung der Sode, des kohlenſauern
Natrum, in Salzſaͤure, und in unzaͤhligen andern Faͤllen. Eine
ganz aͤhnliche Erſcheinung zeigt ſich dann, wenn zwei Fluͤſſigkeiten,
deren eine einen feſten Koͤrper aufgeloͤſt enthaͤlt, eine groͤßere Ver-
wandtſchaft zu einander, als zu dem feſten Koͤrper haben. Wein-
geiſt loͤſet Harz auf, aber ſobald man Waſſer zu dieſer Aufloͤſung
II. C
[34] gießt, entſteht ein Niederſchlag; das Waſſer naͤmlich hat eine
ſtaͤrkere Verwandtſchaft zu dem Weingeiſte und noͤthigt daher die
Harztheile, ihre Verbindung mit dem Weingeiſte aufzugeben, ſo
daß ſie wieder als Harz die Fluͤſſigkeit truͤben und nicht mehr mit
dem Weingeiſt verbunden bleiben. Dieſe einfache Wahlverwandt-
ſchaft tritt da ein, wo ein zuſammengeſetzter Koͤrper durch einen
einfachen zerlegt, einer jener Beſtandtheile durch dieſen dritten
Koͤrper aufgenommen, der andere aber freigelaſſen wird. Dagegen
nennt man es doppelte Wahlverwandtſchaft, wenn zu
einem zuſammengeſetzten Koͤrper ein zuſammengeſetzter Koͤrper ge-
miſcht wird, und dieſer ſo beſchaffen iſt, daß ſein einer Beſtandtheil
ſich mit dem einen Beſtandtheil des erſtern, ſein zweiter Beſtand-
theil ſich mit dem zweiten Beſtandtheile des erſtern verbindet.
Blauer Vitriol, eine Verbindung von Kupfer mit Schwefelſaͤure,
loͤſet ſich im Waſſer auf; ebenſo loͤſet ſich Soda, eine Verbindung
von Natron und Kohlenſaͤure, im Waſſer auf. Bringt man beide
Aufloͤſungen zuſammen, ſo entſteht eine doppelte neue Verbindung,
indem die Kohlenſaͤure mit dem Kupfer (eigentlich mit dem Kupfer-
Oxyd) einen im Waſſer unaufloͤslichen Koͤrper bildet, der zu Boden
faͤllt, waͤhrend die Schwefelſaͤure mit dem Natron in Verbindung
eingeht, aber als aufloͤsliches Salz im Waſſer aufgeloͤſt bleibt,
ſo daß man es erſt durch Abdampfen aus dem Waſſer herſtellen
koͤnnte.


Wenn die Verwandtſchaft des einen Koͤrpers zu einem zweiten
nicht hinreicht, um dieſen zweiten von einem dritten zu trennen,
ſo wird dieſe Trennung zuweilen dadurch, daß noch eine Mitwir-
kung eines neuen Koͤrpers zu Huͤlfe koͤmmt, zu Stande gebracht.
Eiſen zum Beiſpiel hat ein ſtarkes Beſtreben, den Sauerſtoff an
ſich zu ziehen, aber dennoch iſt der Sauerſtoff als Beſtandtheil des
Waſſers zu innig mit dem zweiten Beſtandtheile des Waſſers, dem
Waſſerſtoff, verbunden, als daß jene Anziehung des Eiſens ihn
von dieſem trennen koͤnnte. Miſcht man aber Schwefelſaͤure zu
dem Waſſer, in welches das Eiſen gelegt iſt, ſo wird das Waſſer
zerſetzt. Die Schwefelſaͤure naͤmlich hat zu dem mit Sauerſtoff
verbundenen Eiſen (dem Eiſen-Oxyd,) eine ſo ſtarke Verwandt-
ſchaft, daß indem dieſe ſich mit der Verwandtſchaft des Eiſens zum
Sauerſtoff verbindet, der im Waſſer ſo feſt gebundene Sauerſtoff
[35] ausgeſchieden wird. Wir haben von dieſer Zerſetzung des Waſſers
ſchon bei einer andern Gelegenheit Gebrauch gemacht, naͤmlich bei
dem Fuͤllen der Luftballons mit einer leichten Luft-Art. Dieſe
Luft-Art iſt naͤmlich das Hydrogengas oder Waſſerſtoffgas, und
man erhaͤlt ſie, indem man ein Metall, Eiſenfeile zum Beiſpiel,
in verduͤnnte Schwefelſaͤure thut; hier wird das Waſſer in ſeine
zwei Beſtandtheile, Oxygen oder Sauerſtoff und Hydrogen oder
Waſſerſtoff, zerlegt; der erſtere mit dem Metalle verbunden geht
in eine Verbindung mit der Schwefelſaͤure ein, der zweite Beſtand-
theil des Waſſers (mit Waͤrmeſtoff verbunden,) giebt eben jene
ſehr leichte Luft-Art.


Reagentien. Aufloͤſungen und Niederſchlaͤge.


Aus dieſen Beiſpielen erhellt ſchon, daß es Grade der Ver-
wandtſchaft giebt, indem ein Koͤrper zwar eine Verbindung mit
einem zweiten eingeht, alſo eine Verwandtſchaft zu ihm zeigt, aber
dieſe Verbindung verlaͤßt, wenn ſich ihm ein ihm naͤher verwandter
dritter darbietet, und auch von dieſem ſich wieder trennt, wenn ein
ihm noch naͤher verwandter vierter ihm Gelegenheit zu einer neuen
Verbindung geſtattet. Auf dieſer Kenntniß der Wahlverwandtſchaf-
ten und der Grade dieſer Verwandtſchaften beruht ein großer Theil
der Kunſt der analytiſchen Chemie. Man hat naͤmlich fuͤr ſehr
viele Koͤrper ſo nahe verwandte Koͤrper kennen gelernt, daß man
hoffen darf, durch Huͤlfe dieſer die Gegenwart jener kennen zu
lernen. Von ſolchen Koͤrpern, die man anwendet, um die Gegen-
wart eines beſtimmten Koͤrpers auszufinden, ſagt man, ſie reagi-
ren auf dieſen, und deshalb heißen ſie Reagentien. Eine der
bekannteſten Subſtanzen, die als die Gegenwart des Eiſens nach-
weiſend dient, iſt die Gallaͤpfeltinctur; die Gallusſaͤure iſt ſo nahe
mit dem Eiſen verwandt, daß ſie aus den meiſten Aufloͤſungen das
Eiſen trennt, und da das mit dieſer Gallusſaͤure verbundene Eiſen
eine ſehr leicht kenntlich werdende, blaͤulich ſchwarze Faͤrbung her-
vorbringt, ſo erkennt man die Gegenwart des Eiſens in einer Auf-
loͤſung durch das Hinzuthun dieſer Saͤure, und durch den ſich
alsdann zeigenden Niederſchlag. Ebenſo hat man andere Reagen-
tien, die die Gegenwart anderer Stoffe kenntlich machen. Dieſe
Pruͤfungsmittel koͤnnen jedoch dann keine Entſcheidung geben, wenn
C 2
[36] z. B., der nahen Verwandtſchaft der Gallusſaͤure auf Eiſen unge-
achtet, dennoch das Eiſen an die Koͤrper, von welchen man es zu
trennen hoffte, feſter gebunden waͤre, ſo daß die Trennung nicht
ſtatt faͤnde, und ſo in aͤhnlichen Faͤllen bei Reagentien fuͤr andere
Koͤrper *).


Die Reagentien ſind deſto brauchbarer, je ſicherer ihre Ver-
wandtſchaft zu dem aufzuſuchenden Koͤrper das Uebergewicht uͤber
die meiſten oder uͤber alle Verwandtſchaften eben des Koͤrpers hat,
und je deutlicher ſelbſt ſehr kleine Quantitaͤten des aufzuſuchenden
Koͤrpers durch deutliche Faͤrbung und aͤhnliche Veraͤnderungen ſicht-
bar werden. Einige Beiſpiele ſind ſchon bei Gelegenheit der großen
Theilbarkeit der Koͤrper vorgekommen.


Die verſchiedenen Mittel, deren man ſich bedient, um bald
in den durch Hitze geſchmolzenen, bald in den durch Aufloͤſung in
fluͤſſigen Zuſtand verſetzten, zuweilen auch in den in feſter Geſtalt
unter einander gemiſchten Koͤrpern diejenigen Aenderungen hervor-
zubringen, welche durch die Verwandtſchaft hervorgehen koͤnnen,
laſſen ſich hier nicht umſtaͤndlicher angeben, indem es hier nur mein
Zweck iſt, die allgemeinſten Grundlagen der Chemie anzudeuten.
Wenn ein den feſten Koͤrper beruͤhrendes Fluidum die Theilchen
des feſten Koͤrpers ſtaͤrker anzieht als dieſe einander, und ſo ſtark,
daß die Cohaͤſionskraft uͤberwunden wird, ſo gehen die Beſtandtheile
des feſten Koͤrpers nicht allein in die zunaͤchſt anliegenden fluͤſſigen
Theile uͤber, ſondern dieſe treten ſie auch an die entfernteren ab.
Jedes Theilchen des fluͤſſigen Koͤrpers, das noch keinen Theil des
feſten Koͤrpers erhalten hat, uͤbt ſeine ganze Gewalt auf dieſe ihm
nahe verwandten Theile, die ſich in den benachbarten fluͤſſigen
Theilen ſchon befinden, aus, und indem die dem feſten Koͤrper
anliegenden fluͤſſigen Theilchen die Beſtandtheile des feſten Koͤrpers
den entferntern abtreten, werden ſie ſelbſt deſto mehr wieder faͤhig,
mehr Theile des feſten aufzunehmen. Haben nach und nach alle
Theilchen ſchon viel von dem aufzuloͤſenden Koͤrper aufgenommen,
ſo geht die Aufloͤſung immer langſamer fort, die Kraft, mit welcher
[37] die Theilchen des feſten Koͤrpers angezogen werden, vermindert ſich
in dem Maaße, wie die Verbindung zu Stande gebracht iſt, und
endlich tritt eine Saͤttigung ein, wobei alle fernere Einwirkung
aufhoͤrt.


Die Umſtaͤnde, welche die ſchnellere Aufloͤſung eines feſten
Koͤrpers in einem fluͤſſigen befoͤrdern, laſſen ſich hieraus leicht er-
klaͤren. Iſt der feſte Koͤrper durch Pulveriſirung in kleine Stuͤcke
zerlegt, ſo bietet er mehr Oberflaͤche als in groͤßern Stuͤcken dar,
und iſt daher dem Aufloͤſen mehr ausgeſetzt. Wenn man die Fluͤſ-
ſigkeit umruͤhrt oder umſchuͤttelt, ſo befoͤrdert man die Aufloͤſung,
weil die noch ungeſaͤttigten Theile beſſer mit dem aufzuloͤſenden
Koͤrper in Beruͤhrung kommen. Auch die Erhoͤhung der Tempe-
ratur wirkt zum Theil mechaniſch auf die ſchnellere Befoͤrderung
der Aufloͤſung, theils indem ſie eine innigere Beruͤhrung der Ober-
flaͤche des aufzuloͤſenden Koͤrpers bewirkt, theils indem ſie durch
Stroͤmung eine fortwaͤhrende Miſchung der noch ungeſaͤttigten
Theile mit den geſaͤttigten hervorbringt; aber allerdings zeigt die
Waͤrme auch noch einen andern weſentlichen Einfluß, indem ſie
in vielen Faͤllen das aufloͤſende Mittel faͤhig macht, eine groͤßere
Menge des aufzuloͤſenden Koͤrpers in ſich aufzunehmen. Dieſe
Verſchiedenheit zwiſchen einem ſehr erhitzten fluͤſſigen Koͤrper und
eben dem Koͤrper im abgekuͤhlten Zuſtande iſt oft ſo groß, daß ſich
beim Abkuͤhlen zahlreiche Cryſtalle des vorhin aufgeloͤſten Koͤrpers
niederſchlagen. Alaun zum Beiſpiel loͤſet ſich in kochendem Waſſer
ſo reichlich auf, daß faſt auf jeden Gewichtstheil Waſſer auch ein
Gewichtstheil Alaun koͤmmt, dagegen bei 8° Reaum. ungefaͤhr
18 Theile Waſſer nur 1 Theil Alaun aufloͤſen; er cryſtalliſirt
daher in der Kaͤlte, wenn eine kochende Aufloͤſung der Saͤttigung
nahe war. Dieſer Umſtand macht die Darſtellung von Koͤrbchen,
die wie aus Cryſtall zuſammengeſetzt ausſehen, moͤglich, wenn man
durch Metallſtaͤbchen, die ein Koͤrbchen bilden, die Cryſtalle veran-
laßt, an dieſe angelegt, eine regelmaͤßige Anordnung anzunehmen.


Nicht bloß die Waͤrme, ſondern auch das Licht hat in manchen
Faͤllen Einfluß auf die Affinitaͤts-Erſcheinungen, wovon in der
Folge Beiſpiele vorkommen werden. Aber einen noch wichtigern
Einfluß zeigt die Electricitaͤt, ſo daß die electriſche Beſchaffenheit
der Koͤrper als hoͤchſt wichtig in Beziehung auf die Verwandtſchafts-
[38] grade anzuſehen iſt; doch davon kann erſt bei den electriſchen
Phaͤnomenen die Rede ſein.


Alle dieſe einzelnen Umſtaͤnde und ſelbſt die genaueſten Be-
ſtimmungen aller Umſtaͤnde, die bei der Aufloͤſung vorkommen,
geben uns nur wenig Aufſchluß uͤber das Weſen dieſes Proceſſes.
So offenbar es iſt, daß hier die kleinſten Theile der Koͤrper mit
vieler Gewalt auf einander wirken, ſo bleibt uns doch die Art, wie
ſie ſich ſo innig vereinigen, wie ſie einander ganz zu durchdringen
ſcheinen, und wie dadurch die Natur des neuen Koͤrpers ſo ganz
anders beſtimmt wird, endlich wie ſie bei dieſer innigen Vereinigung
doch noch immer trennbar bleiben, und unter gehoͤrig angeordneten
Umſtaͤnden wieder einzeln hervortreten, ſehr dunkel. Die atomi-
ſtiſche Anſicht, welche den Koͤrpern eine weit uͤber die Grenzen
unſerer ſinnlichen Wahrnehmung hinaus gehende Theilbarkeit bei-
legt, kann uns zwar zu einer Verdeutlichung dieſer Erſcheinung
dienen, aber die Unſicherheit, ob wir das, was die Grenzen unſerer
ſinnlichen Wahrnehmung uͤberſchreitet, richtig anſehen, wird wohl
nie gehoben werden. Stellen wir uns indeß die Koͤrper als in ihre
feinſten Theilchen zerlegt, und nun das eine Theilchen des einen
Koͤrpers mit einem, zwei oder mehr Theilchen des andern feſt ver-
bunden vor, ſo koͤnnte unſerer Wahrnehmung der neue Koͤrper
allerdings als ein gleichfoͤrmiger, von beiden vorigen ganz verſchie-
dener Koͤrper erſcheinen, weil dieſe Verbindung ungleichartiger
Theilchen weit uͤber die Grenzen deſſen hinausliegt, was wir noch
erkennen. Bei dieſer engen Verbindung bliebe aber dennoch die
Eigenthuͤmlichkeit der einen Materie wahrhaft ungeaͤndert, obgleich
das vereinte Wirken zweier Materien auf unſere Sinne uns nicht
mehr geſtattet, jene Eigenthuͤmlichkeit wahrzunehmen; die — doch
immer nur neben einander liegenden, wenn gleich durch ſtarke
Anziehungskraͤfte an einander geknuͤpften Beſtandtheile blieben
immer faͤhig, einzeln wieder in neue Verbindungen einzugehen,
ſobald ſtaͤrkere Kraͤfte als die, welche die vorige Verbindung erhiel-
ten, dazu Veranlaſſung gaͤben. Wenn wir es uns ſo denken, ſo
iſt es zwar freilich moͤglich, daß wir in unſerm Schließen von dem
Bekannten auf das Unbekannte irren; aber doch ſcheint es immer
der am wenigſten unſichere Weg in der Naturforſchung zu ſein,
wenn wir die Erſcheinungen unter ſinnliche Vorſtellungen bringen,
[39] und uns die Vorſtellung von dem, was unſere Sinne nicht mehr
erkennen, durch Vergleichung mit dem deutlich Erkennbaren er-
leichtern.


Cryſtalliſation.


Noch dunkler bleiben uns die Urſachen, warum die Koͤrper bei
dem Ausſcheiden aus fluͤſſigen Aufloͤſungen in ſo beſtimmten Ge-
ſtalten hervortreten, wie es bei dem Cryſtalliſiren der Fall iſt. Es
iſt bekannt, daß eine große Menge von Koͤrpern, zum Beiſpiel die
Salze, ſich immer nur in gewiſſen Formen darſtellen, daß dieſe
Formen regelmaͤßig ſind, und, wenn gleich hie und da an der
vollkommenen Ausbildung gehindert, durch Nebenumſtaͤnde abge-
aͤndert, doch dem Weſentlichen nach immer wieder ſo hervorgehen.
Selbſt in dem Innern mancher Koͤrper, die uns gewoͤhnlich keine
cryſtalliſche Bildung verrathen, findet dieſe, in vielen Faͤllen we-
nigſtens, ſtatt, und ſie tritt oft bei der Aufloͤſung ſo hervor, daß
einige Theile des feſten Koͤrpers, eines Metalles zum Beiſpiel,
leichter aufgeloͤſt werden, und einen cryſtalliſch geformten Koͤrper
uͤbrig laſſen. Einer der bekannteſten und leicht anzuſtellenden Ver-
ſuche, der ſolche Cryſtallformen, wenn auch nur unvollkommen,
zeigt, iſt die Darſtellung des ſogenannten Metall-Moors (Moirée
métallique
), wo man eine recht rein abgewaſchene Tafel verzinnten
Eiſenbleches mit einer verduͤnnten Salpeterſaͤure uͤbergießt oder
benetzt, und in kurzer Zeit die mannigfaltigen bald baumartigen,
bald anders geformten, cryſtalliniſchen Gefuͤge hervorgehen ſieht,
deren Schoͤnheit man durch oͤrtliche Erhitzung auf der andern Seite
des Bleches befoͤrdert. Die Cryſtallformen, die man hier hervor-
treten ſieht, ſind diejenigen, welche das Zinn durch die Erſtarrung
beim Verzinnen des Bleches angenommen hat, die aber ohne jene
Einwirkung der Saͤure unſerm Auge unkenntlich geblieben waͤren.
Eine aͤhnliche Cryſtallbildung in Koͤrpern, die ſie gewoͤhnlich nicht
zeigen, kann man erhalten, wenn man bei Schmelzung durch
Waͤrme die beim Erkalten entſtandene Rinde durchſtoͤßt, ehe noch
die innern Theile erhaͤrtet ſind, indem dann durch das Ausfließen
des noch unerhaͤrteten Koͤrpers die bis dahin entſtandene Cryſtall-
bildung frei liegend wird.


[40]

Die Bildung der Salzcryſtalle, ſie moͤgen nun beim Ab-
dampfen, oder beim Erkalten in den Faͤllen, wo die kalte Aufloͤſung
nicht ſo viel Salz als die warme Aufloͤſung enthaͤlt, entſtehen, iſt
im Allgemeinen bekannt genug. Die Cryſtalle bilden ſich deſto
groͤßer aus, je langſamer die Zuruͤckfuͤhrung in den feſten Zu-
ſtand ſtatt findet, und je mehr die Fluͤſſigkeit dabei in Ruhe bleibt.
Merkwuͤrdig iſt dabei, daß, ſo weit unſere Beobachtungen gehen,
die Geſtalt der Cryſtalle gleich vom kleinſten Anfange an dieſelbe
iſt, wie bei der nachherigen Vergroͤßerung, und daß man die
Ausbildung dieſer Form ſelbſt unter dem Microſcop nicht eigentlich
verfolgen kann.


Welche Kraͤfte wir uns hier als wirkend denken muͤſſen, was
fuͤr Eigenſchaften die kleinſten Theilchen beſitzen muͤſſen, um ſich
gerade in ſo beſtimmter Ordnung an einander anzulegen, das ſcheint
dem Scharfſinn der Naturforſcher noch ganz und gar ein Raͤthſel
zu ſein. Es iſt offenbar, daß wir die ganze Natur der feſten
Koͤrper, die Urſache ihrer mannigfaltigen Bildung, den Grund ihres
in gewiſſen Richtungen groͤßern, in andern Richtungen geringern
Zuſammenhanges verſtehen wuͤrden, wenn wir eine Einſicht in die
Wirkungs-Art dieſer Kraͤfte beſaͤßen.


Aber ſelbſt uͤber das naͤher liegende, uͤber die verſchiedenen
Formen, die bei der Cryſtalliſirung ſtatt finden, uͤber die ſyſtema-
tiſche Ueberſicht dieſer Cryſtallformen u. ſ. w. kann ich Sie hier
nicht unterhalten, weil der Gegenſtand viel zu weitlaͤufig iſt, um
hier eingeſchaltet zu werden, und in der That die Cryſtallographie
zu einer ziemlich ſchwer zu uͤberſehenden, ausgedehnten Wiſſenſchaft
geworden iſt. Nur die Bemerkung mag hier noch Platz finden, die
Hauͤy zuerſt als Begruͤndung einer vollkommenen Cryſtallographie
gemacht hat, daß aus einerlei Grundform ſehr ungleiche Cryſtalle
durch bloße Zuſammenſetzung aus jener Grundform hervorgehen
koͤnnen.


Die Cryſtalle laſſen ſich in gewiſſen Richtungen ſehr leicht,
in andern Richtungen ſchwer zerlegen, und bieten daher natuͤrliche
Durchgangsſchichten dar. Wenn man dieſe Blaͤttchen nach und
nach abhebt, ſo findet man ſie nicht allemal den Seitenflaͤchen
parallel, ſondern ſie koͤnnen zum Beiſpiel bei einem pyramidaliſch
zugeſpitzten Theile gar wohl gegen die Axe dieſer Pyramide ſenkrecht
[41] ſein, ſtatt daß ſie in andern Faͤllen den Oberflaͤchen parallel ſind.
Betrachtet man dieſe natuͤrlichen Schichten des Cryſtalles als aus
lauter gleichen regelmaͤßigen Koͤrpern beſtehend, die man integrirende
Theilchen genannt hat, ſo koͤnnen alle dieſe uͤber einander liegenden
Schichten entweder ſaͤmmtlich aus einer gleichen Anzahl ſolcher
Theilchen beſtehen, und dann bleibt jede folgende Schichte, alſo auch
die die letzte Oberflaͤche bildende gleich groß, die Oberflaͤche ſelbſt
iſt den Schichten parallel; oder dieſe Schichten beſtehen nach der
Laͤngenrichtung aus immer gleich vielen Theilchen, waͤhrend ihre Zahl
nach der Querrichtung abnimmt; dann bilden dieſe immer ſchmaͤleren,
endlich bis zu einer bloßen einfachen Reihe von Theilchen abneh-
menden Schichten eine dachfoͤrmige Geſtalt; oder die Schichten
nehmen zugleich an Laͤnge und Breite ab, bis ſie ſich in eine Spitze
endigen und eine Pyramidenform hervorbringen. Dies reicht hin,
um einen Begriff von den ungleichen Geſtalten zu geben, die aus
gleichen integrirenden Theilchen hervorgehen koͤnnen, und um oben-
hin zu uͤberſehen, daß die Mannigfaltigkeit der Formen theils nach
der Verſchiedenheit der integrirenden Theilchen, theils nach dieſem
Geſetze der Zuſammenſetzung ſehr groß ſein kann; daß aber be-
ſtimmte integrirende Theilchen doch nur beſtimmte Formen geben
koͤnnen, und daher gewiſſe Koͤrper zwar zu verſchiedenen Cryſtall-
formen, aber doch nur zu denen, die einer einzigen Art integrirender
Theilchen entſprechen, geneigt ſind. Ein Beiſpiel von der einfachſten
Art wird dies deutlich machen. Wenn man ſehr kleine Wuͤrfel ſo
auf und an einander ſchichtet, daß alle Schichten zehn Reihen in
der Laͤnge und zehn Reihen in der Breite haben, ſo gelangt man
durch zehn Schichten zu einem großen Wuͤrfel, der tauſend jener
kleinen Wuͤrfel enthaͤlt, und der Wuͤrfel, Cubus, iſt alſo eine der
Cryſtallformen, die aus jenen Wuͤrfelchen hervorgehen kann. Aber
nun laſſe man auf jede aus hundert Wuͤrfelflaͤchen gebildete Seite
des Wuͤrfels eine Schichte von 9 mal 9, auf dieſe eine Schichte
von 8 mal 8, von 7 mal 7, von 6 mal 6 Wuͤrfeln, ſo aufgeſetzt
ſein, daß die Seitenreihen jedesmal frei bleiben; ſo entſteht auf
jeder Wuͤrfelſeite eine vierſeitige Pyramide, und bei dem angenom-
menen Geſetze findet ſich, daß die Ebenen sOI, tOI eine einzige
vierſeitige Seitenflaͤche bilden (Fig. 18 *), und daß dies an allen
Seiten ſo der Fall iſt. Bei dem Uebereinanderſchichten mit gleich-
[42] maͤßiger Abnahme hat ſich alſo aus Wuͤrfeln ein regelmaͤßiger
Cryſtall mit 12 gleichen Seitenflaͤchen gebildet; denn die vier Sei-
tenflaͤchen, die uͤber jeder der 6 Wuͤrfelflaͤchen entſtanden, wuͤrden
24 dreiſeitige Flaͤchen geben; da aber immer zwei derſelben ſich zu
einer vierſeitigen vereinigen, ſo hat der Koͤrper 12 gleiche vierſeitige
Seitenflaͤchen.


Doch dieſe Betrachtung iſt nur ein geringer Anfang deſſen,
was die Cryſtallographie und Cryſtallonomie leiſtet. Ueber die, wie
es ſich aus den Lichtphaͤnomenen zu ergeben ſcheint, nicht nach
allen Richtungen gleiche anziehende Kraft der Theilchen, und uͤber
die Moͤglichkeit, daraus die Bildung der Cryſtalle abzuleiten, wage
ich nicht etwas weiter zu ſagen, da dieſer Gegenſtand mir noch viel
zu wenig klar entwickelt zu ſein ſcheint.


Dritte Vorleſung.


So wenig es auch meine Abſicht iſt, m. h. H., und ſo wenig
ich, als weit davon entfernt, mich fuͤr einen Chemiker auszugeben,
es wagen darf, mich in eine tiefere Entwickelung chemiſcher Gegen-
ſtaͤnde einzulaſſen, ſo ſcheint es mir doch, daß einige in der neuern
Chemie mit Gluͤck beantwortete Hauptfragen hier noch erwaͤhnt
werden muͤſſen, und von einigen Koͤrpern und ihren Verbindungen
hier geredet werden muß, ſo ſehr auch immer dieſe fragmentariſche
Darſtellung das Anſehn der Willkuͤhr und der Unzulaͤnglichkeit
haben mag.


Von der Auffindung der einfachern Beſtandtheile zuſammen-
geſetzter Koͤrper habe ich Ihnen einen Begriff zu geben geſucht;
aber die Frage, welche Koͤrper ſollen wir denn als einfach anerken-
nen, in welche Claſſen laſſen ſich dieſe einfachen Koͤrper eintheilen,
nach welchen Geſetzen gehen ſie Verbindungen ein, habe ich noch
gar nicht beruͤhrt.


[43]

Imponderable Stoffe.


Was die einfachen Koͤrper betrifft, ſo ſind wir genoͤthigt, ma-
terielle Einwirkungen auch da einzuraͤumen, wo wir keine waͤgbare
Subſtanzen als wirkend antreffen. Licht, Waͤrme und Electricitaͤt,
obgleich ſie ſich nicht durch Schwere als Materie zeigen, obgleich
wir nur ihre Wirkungen wahrnehmen und ihre Materialitaͤt nicht
mit den Mitteln, wie bei andern Stoffen, nachweiſen koͤnnen,
zeigen ſich doch ſo einwirkend auf die Koͤrper, daß wir ſie nicht
anders als fuͤr Materie anſehen koͤnnen. Die Chemie ſpricht am
haͤufigſten vom Waͤrmeſtoff als Beſtandtheil der Koͤrper, und ob-
gleich ich ſpaͤter auch von der Einwirkung des Lichtes und der
Electricitaͤt werde reden muͤſſen, ſo wird die Gelegenheit, ſie zu
erwaͤhnen, ſich hier doch noch nicht gerade darbieten.


Ponderable einfache Koͤrper.


Die Eintheilung der waͤgbaren einfachen Koͤrper hat bei den
jetzt ſehr erweiterten und tiefer gehenden chemiſchen Kenntniſſen
große Schwierigkeit, und wenn gleich von der einen Seite die große
Reihe metalliſcher Koͤrper ſich ziemlich leicht als eine Hauptclaſſe
darſtellt, ſo iſt es doch dagegen gar nicht leicht, bei den uͤbrigen als
einfach erkannten Koͤrpern gewiſſe gleiche Eigenthuͤmlichkeiten anzu-
geben, oder bequeme Merkmale, nach welchen ſie wieder eingetheilt
werden koͤnnten, nachzuweiſen. Gmelins Bemerkung, daß bei
jeder Verbindung zweier Stoffe der eine mehr als chemiſch for-
mendes Princip, der andere mehr als chemiſch geform-
tes Princip angeſehen werden koͤnne, und daß die nicht metalli-
ſchen Stoffe den Character des formenden Princips vorzugsweiſe
beſitzen, ſcheint die Eintheilung noch am meiſten ins Licht zu
ſtellen; doch da ich hier nicht in den ganzen Umfang dieſer Unter-
ſuchung einzugehen wagen darf, ſo will ich mich mehr bemuͤhen,
von einigen bekanntern und wichtigern, mit andern Zweigen der
Phyſik in naͤherer Beziehung ſtehenden Stoffen etwas zu ſagen,
als mich uͤber alle zu verbreiten.


Sauerſtoff.


Manche Stoffe kennen wir nur in luftfoͤrmiger Geſtalt und
nehmen, aus Gruͤnden, die in der Lehre von der Waͤrme vor-
[44] kommen, an, daß ſie dieſe gasfoͤrmige elaſtiſche Natur ihrer Ver-
bindung mit dem Waͤrmeſtoffe verdanken. Ein ſolcher Stoff iſt
der Sauerſtoff, das Oxygen, der mit Waͤrmeſtoff verbunden
in der Sauerſtoffluft (dem Oxygengas, der Lebensluft) vorhanden
iſt. Man hat ihn Sauerſtoff genannt, oder Oxygen, Saͤure
erzeugend, weil man eine Zeit lang ſich berechtigt glaubte anzu-
nehmen, daß die Saͤuren nur durch ſeine Verbindung mit andern
Koͤrpern entſtaͤnden. Der Sauerſtoff iſt in der groͤßten Menge
auf der Erde vorhanden, indem er einen Hauptbeſtandtheil der
Atmoſphaͤre, einen Hauptbeſtandtheil des Waſſers ausmacht und
faſt mit allen Koͤrpern Verbindungen eingeht. Bei der Verbindung
mit gewiſſen Koͤrpern, z. B. Kohlenſtoff, Phosphor, Schwefel und
andern, bildet er Saͤuren, — die ſich nicht allein durch ſauern
Geſchmack, ſondern auch durch ihre Eigenſchaft mehrere blaue
Pflanzenfarben zu roͤthen und mit alcaliſchen Koͤrpern und Metallen
Salze zu bilden, auszeichnen. Der Sauerſtoff iſt derjenige Be-
ſtandtheil der Luft, welcher das Verbrennen unterhaͤlt und beim
Athmen das Leben zu erhalten dient. Er verbindet ſich mit den
Metallen zu Oxyden, mit der Kohle beim Verbrennen zu kohlen-
ſaurer Luft u. ſ. w.


Waſſerſtoff.


Ihm in gewiſſer Hinſicht gegenuͤberſtehend (bei der electriſchen
Beſchaffenheit der Koͤrper koͤmmt er als dem poſitiven Ende nahe
ſtehend, vor, ſo wie der Sauerſtoff dem negativen) iſt der Waſ-
ſerſtoff, das Hydrogen, den wir auch nur in Luftform einfach
darſtellen koͤnnen. Er iſt im Waſſer mit dem Sauerſtoff zu einem
Koͤrper verbunden und hat daher, als Waſſer bildend, ſeinen
Namen. Die Waſſerſtoffluft, das Hydrogengas, iſt eine brenn-
bare Luft, die erhitzt ſich entzuͤndet und fortbrennt, wenn der Zu-
tritt des Sauerſtoffgas ſtatt findet. Bei dieſer Verbrennung ver-
binden ſich die ſchweren Beſtandtheile dieſer Luft-Arten zu Waſſer,
und zwar ſo, daß ein Maaß Sauerſtoffgas verzehrt wird, indem
zwei Maaß (dem Volumen nach,) an Waſſerſtoffgas verbrennen.
Da das ſpecifiſche Gewicht des Sauerſtoffgas 15,077 mal ſo groß,
als das des Waſſerſtoffgas iſt, ſo machen alſo 15,077 Gewichts-
theile Sauerſtoff und 2 Gewichtstheile Waſſerſtoff zuſammen Waſ-
[45] ſer, oder in 1000 Gewichtstheilen Waſſer ſind 883 Gewichtstheile
Sauerſtoff, 117 Gewichtstheile Waſſerſtoff. Obgleich ſich der
Waſſerſtoff hier ſo wie der Sauerſtoff, als eine geſchmackloſe, ge-
ruchloſe Subſtanz, das reine Waſſer darſtellend, zeigt, ſo hat doch
auch er die Eigenſchaft, durch ſeinen Zutritt Saͤuren zu bilden,
die zum Theil von eben ſo kraͤftigen Wirkungen ſind, als die Sau-
erſtoffſaͤuren. Mit dem Chlor bildet der Waſſerſtoff die Salzſaͤure,
oder das ſalzſaure Gas, als eine ſehr ſtarke Waſſerſtoffſaͤure.


Das Waſſer entſteht durch Verbrennen des Waſſerſtoffgas in
Sauerſtoffgas, und umgekehrt kann man Waſſerſtoffgas aus dem
Waſſer darſtellen, theils in den oben ſchon erwaͤhnten Proceſſen,
wo Waſſer mit Huͤlfe einer Saͤure, die auf ein Metall einwirkt,
zerſetzt wird, theils indem man Waſſer durch eine weißgluͤhende
eiſerne Roͤhre gehen laͤßt, wo der Sauerſtoff des Waſſers ſich zu
einem Eiſen-Oxyd mit dem Eiſen verbindet, und der Waſſerſtoff
als Waſſerſtoffgas frei wird.


Stickſtoff.


Ein dritter Stoff, den wir nur luftfoͤrmig kennen, iſt der
Stickſtoff. Die Stickſtoffluft macht einen ſehr großen Theil der
atmoſphaͤriſchen Luft aus; ſie iſt allein nicht geeignet, das Ver-
brennen zu unterhalten und ebenſo wenig iſt ſie tauglich zur Er-
haltung des thieriſchen Lebens. Der Stickſtoff verbindet ſich che-
miſch in verſchiedenen Verhaͤltniſſen mit dem Sauerſtoff und bildet
Saͤuren, unter denen die Salpeterſaͤure die bekannteſte iſt. Mit
Waſſerſtoff verbunden giebt er Ammoniak.


Eudiometer.


Als Beſtandtheil der atmoſphaͤriſchen Luft hat er zu der Un-
terſuchung der Luftguͤte oder zu Beſtimmung des Antheils athem-
barer Luft, der ſich in der Atmoſphaͤre findet, gefuͤhrt. Dieſe
Unterſuchung hat man Eudiometrie genannt, und die Inſtru-
mente, deren man ſich dazu bedient, Eudiometer. Da der Ge-
genſtand ſo tief in das Gebiet der Meteorologie und der Kenntniß
der Atmoſphaͤre eingreift, ſo darf ich ihn hier nicht ganz uͤbergehen,
jedoch will ich nur zwei Arten, die Menge des in der Luft enthal-
tenen Sauerſtoffgas zu beſtimmen, angeben, naͤmlich diejenigen,
[46] die mich am wenigſten noͤthigen, in tiefere und mannigfaltigere
chemiſche Angaben einzugehn.


Der Phosphor verbindet ſich mit dem Sauerſtoff zu Phos-
phorſaͤure, und nimmt ſo, in einem ſehr langſamen Verbrennen,
den Sauerſtoff aus der Luft auf. Hat man nun atmoſphaͤriſche
Luft nach beſtimmtem Maaße in eine weite Glasroͤhre gethan und
uͤber Queckſilber geſperrt ein Stuͤck Phosphor hineingebracht, ſo
wird nach und nach das Sauerſtoffgas abſorbirt, und der endlich
uͤbrig bleibende Reſt von reiner Stickluft zeigt, welchen Antheil von
beiden Gas-Arten die angewandte atmoſphaͤriſche Luft enthielt.
Man ſperrt die Luft mit Queckſilber, da aus dem Waſſer ſich Luft
entwickeln oder von demſelben Luft aufgenommen werden koͤnnte;
aber etwas Waſſer muß man, damit es die Phosphorſaͤure auf-
nehme, in den geſperrten Raum bringen. Man koͤnnte durch hoͤ-
here Temperatur die Vollendung der Zerſtoͤrung des Sauerſtoffes
beſchleunigen, was aber leicht ein Zerſprengen der Roͤhre zur Folge
hat, wenn man dieſes nicht etwa durch langſames Hinzulaſſen der
zu pruͤfenden Luft hindert. Ein auffallender Umſtand bei dem lang-
ſamen Verbrennen des Phosphors in niedrigen Temperaturen iſt,
daß es in ganz reinem Sauerſtoffgas nicht eintritt, ſondern die Ent-
wickelung der mit Sauerſtoff verbundenen Phosphordaͤmpfe einen
geſchwaͤchten Druck des Sauerſtoffgas fordert, wenn ſie eintreten
ſoll.


Ein zweites eudiometriſches Mittel bietet das Verbrennen
oder Verknallen des Waſſerſtoffgas dar, wenn es mit Sauerſtoffgas
verbunden iſt. Man bringt in eine aus ſtarkem Glaſe verfertigte
Maaßroͤhre eine Quantitaͤt der zu pruͤfenden Luft und ſetzt ihr rei-
nes Waſſerſtoffgas zu, laͤßt dann einen electriſchen Funken durch-
ſchlagen, der das Gemiſch entzuͤndet, wenn ſich Sauerſtoffgas
darin befindet. Nach dem Explodiren ſieht man, wie viel Maaß
Luft verlohren gegangen, bei dem Verbrennen in Waſſer verwan-
delt worden ſind, und ein Drittel dieſer Quantitaͤt iſt der aufge-
zehrte Antheil an Sauerſtoffgas, weil mit jeden 2 Maaß Waſſer-
ſtoffgas 1 Maaß Sauerſtoffgas verzehrt wird. Haͤtte man zu wenig
Waſſerſtoffgas zugeſetzt, ſo wuͤrde man das daran erkennen, daß
der ganze Luftverluſt nach dem Explodiren 1½ mal ſo viel als die
zugeſetzte Luft betruͤge; in dem Falle koͤnnte noch Sauerſtoffgas
[47] uͤbrig geblieben ſein, und es iſt daher nothwendig, ſogleich ſoviel
Waſſerſtoffgas zuzuſetzen, daß es dem Volumen nach mehr als das
Doppelte der in der Miſchung vorhandenen Sauerſtoffluft betraͤgt.
Wenn eine Miſchung ſehr wenig Sauerſtoffgas enthaͤlt, ſo entzuͤn-
det ſich die zugeſetzte Waſſerſtoffluft nicht, und man muß durch
einen Zuſatz von Oxygengas, den man nachher wieder in Abzug
bringt, die Verbrennung vorbereiten.


Die wichtige Frage, durch welche Mittel die Natur das Ver-
haͤltniß der beiden in der Atmoſphaͤre enthaltenen Luft-Arten be-
ſtaͤndig beinahe unveraͤndert erhaͤlt, iſt noch immer nicht ganz be-
antwortet. Auf mannigfaltige Weiſe wird immerfort und in großer
Menge Sauerſtoff aus der Atmoſphaͤre zu andern Verbindungen
verbraucht, vorzuͤglich in dem Athmen der Thiere und in dem Ver-
brennen, wo Kohlenſaͤure auf Koſten eines Antheils Sauerſtoffgas
erzeugt wird, und dennoch finden wir die Menge dieſer Luft-Art
in Raͤumen, die irgend Zutritt der aͤußern Luft geſtatten, immer
gleich. Man hat zwar ſchon lange gewußt, daß die Pflanzen bei
geſunder und friſcher Vegetation im Sonnenlichte Sauerſtoffgas
erzeugen, aber da ſie bei Nacht und ſelbſt im Schatten dieſe Luft-
Art wieder in ſich aufnehmen, ſo hat man es zweifelhaft gefunden,
ob die Vegetation jene Gleichheit herſtellen koͤnne. Indeß kennen
wir bis jetzt keinen in der Atmoſphaͤre vorkommenden Proceß, der
geeignet waͤre, den durch Athmen, Verbrennen und andre chemi-
ſche Verbindungen verlohren gehenden Sauerſtoff zu erſetzen, und
duͤrfen daher doch wohl glauben, daß dieſer Erſatz durch die Pflan-
zen ſtatt finde, wenn gleich unſre Verſuche im Kleinen und in ge-
ſperrten Gefaͤßen nicht geeignet ſind, uns daruͤber voͤllig zu ver-
ſichern, um ſo weniger, da das friſche Wachſen und Gedeihen der
Pflanzen im eingeengten Raume leicht gehindert wird, und doch
dieſes voͤllig geſunde Gedeihen der Pflanzen zu Hervorbringung des
Sauerſtoffgas erforderlich zu ſein ſcheint.


Kohlenſtoff. — Schwefel.


Auch den Kohlenſtoff, als eine der merkwuͤrdigſten einfa-
chen Subſtanzen kann ich hier nicht ganz uͤbergehen. Die gewoͤhn-
liche Kohle enthaͤlt ihn, aber verbunden mit Waſſerſtoff und eini-
gen andern Materien; im Diamant dagegen, der einer voͤlligen
[48] Verbrennung faͤhig iſt, ſcheint kein andrer Stoff mit ihm gemiſcht
zu ſein. In der Weißgluͤhehitze, in der Hitze des Verbrennens,
verbindet ſich der Kohlenſtoff mit dem Sauerſtoff zu der Kohlen-
ſaͤure, die als elaſtiſche Fluͤſſigkeit, kohlenſaure Luft, fixe Luft, ſich
darſtellt. Dieſe Kohlenſaͤure findet ſich in unzaͤhligen Koͤrpern ge-
bunden, mit den erdigen u. a. Beſtandtheilen der Koͤrper vereinigt,
und entweicht, wie ich ſchon gelegentlich erwaͤhnt habe, in Form
von zahlreichen Luftblaſen, in einem Aufſchaͤumen, wenn ſie einem
naͤher verwandten Koͤrper denjenigen Beſtandtheil, mit welchem ſie
verbunden war, uͤberlaſſen muß, z. B. bei der Aufloͤſung der koh-
lenſauern Kalk-Erde in Schwefelſaͤure.


In dieſer Verbindung erſcheint der Kohlenſtoff als chemiſch
geformtes Princip, als Baſis einer Saͤure, verbunden mit dem
Sauerſtoff als formendem Princip; aber er zeigt ſich in andern
Faͤllen auch als formendes Princip. Auf aͤhnliche Weiſe iſt es mit
dem Schwefel der Fall, der mit Sauerſtoff Schwefelſaͤure bildet,
der mit Waſſerſtoff verbunden eine andre, jedoch ſchwache, Saͤure
darſtellt; aber in ſeiner Verbindung mit Metallen, in den Schwe-
felmetallen, giebt er allen dieſen Verbindungen gemeinſchaftliche
Eigenſchaften, die ihn als das formende Princip zeigen.


Chlor.


Nachdem man bei mehreren Saͤuren die Ueberzeugung erlangt
hatte, daß ſie aus einem, ihre Baſis bildenden, Beſtandtheile
durch Verbindung mit Sauerſtoff hervorgingen, glaubte man an-
nehmen zu duͤrfen, daß alle Saͤuren auf dieſe Weiſe entſtaͤnden, und
die Salzſaͤure, deren Grundbeſtandtheil man nicht hatte entdecken
koͤnnen, wurde angeſehen, als aus einem ſolchen — wenn gleich
unbekannten — Radical und aus Sauerſtoff beſtehend. Eine Luft-
Art, die anſcheinend aus der Salzſaͤure mit Oxygen verbunden
hervorging, erhielt den Namen oxygenirte Salzſaͤure. Aber faſt
zu gleicher Zeit machten Gay-Luſſac und Thenard in Ver-
bindung mit einander, und Davy, ohne durch ihre Arbeiten ge-
leitet zu ſein, die Entdeckung, daß eben dieſe oxygenirte Salzſaͤure,
(oxygenirt ſalzſaure Luft,) ein einfacher Stoff ſei. Unter den
Verſuchen, die zu dieſer Ueberzeugung fuͤhrten, kann ich hier nur
den einen erwaͤhnen, daß die von Waſſerſtoff und Feuchtigkeit
[49] voͤllig befreite Kohle weißgluͤhend erhalten in dieſer Luft-Art den-
noch unveraͤndert blieb, ſo ſehr ſie ſonſt in dieſer Hitze den Sauer-
ſtoff aufzunehmen geneigt iſt. Dieſer Verſuch (der allein ſtehend
freilich allenfalls eine andre Auslegung erlaubte) mit vielen andern
verbunden, lehrte die Einfachheit jener Luft-Art, die nun Chlor,
Chlorgas genannt wurde, kennen. Die Beobachtung, daß man
Sauerſtoff aus der oxygenirten Salzſaͤure da erhalte, wo Salz-
ſaͤure hervorgeht, war ganz richtig; aber man hatte mit Unrecht
dies fuͤr eine Zerlegung jener elaſtiſchen Fluͤſſigkeit gehalten, und
nicht darauf geachtet, daß die Erſcheinung nur ſtatt findet, wenn
Waſſer mit dabei zugegen iſt; mit Ruͤckſicht hierauf aber lautet
die Erklaͤrung des aus dem Chlorgas und dem Waſſer Hervorge-
hens der Salzſaͤure und des Oxygen ganz anders, naͤmlich daß
das zerſetzte Waſſer uns ſein frei gewordenes Oxygen darbietet, die
Salzſaͤure aber aus Chlor und Hydrogen, dem andern Beſtand-
theile des Waſſers, entſtanden iſt. — Ich ſehe wohl, daß in dieſer
Darſtellung der Vorzug dieſer Erklaͤrung vor der fruͤhern nicht hin-
reichend kenntlich wird, aber darauf kann ich bei der hier erforder-
lichen Kuͤrze nicht Anſpruch machen, und meine Abſicht iſt nur,
die wichtige Bemerkung, daß es Hydrogenſaͤuren giebt, wenigſtens
an dieſem merkwuͤrdigen Beiſpiele zu zeigen.


Metalle.


Ich uͤbergehe die uͤbrigen als einfach anerkannten oder ange-
nommenen Koͤrper, die ſich an die bisher betrachteten anſchließen,
und bemerke von der zweiten großen Reihe von Koͤrpern, den Me-
tallen, nur, daß ſie immer als diejenigen Beſtandtheile bei Verbin-
dungen ſich zeigen, welche dieſen Verbindungen als Baſis, als
Subſtrat, dienen; ihre beſtimmte Form, als Oxyde, als Salze,
als Schwefelmetalle u. ſ. w. aber jenen Stoffen verdanken. Alle
Metalle ſind in ihrem einfachen Zuſtande undurchſichtig, und be-
ſitzen den bekannten Metallglanz; ſie ſind gute Leiter der Electrici-
taͤt, uͤbrigens zu den mannigfaltigſten Verbindungen mit jenen
eben vorhin betrachteten einfachen Koͤrpern und den aus ihnen ſchon
hervorgegangenen Verbindungen geeignet. Von dieſen hoͤchſt man-
nigfaltigen Verbindungen will ich nur zwei erwaͤhnen, die Oxyde
als Verbindungen eines Metalles mit Sauerſtoff, und die Salze
II. D
[50] als Verbindungen dieſer Oxyde mit Saͤuren. Unter den Oxyden
nehmen auch die ſonſt ſogenannten feuerbeſtaͤndigen Alcalien ihren
Platz ein, indem ſich aus dieſen durch Trennung des Sauerſtoffs
eigenthuͤmliche Metalle darſtellen laſſen. Daſſelbe gilt von der
Kalk-Erde, Schwer-Erde, Thon-Erde u. ſ. w.


Zuſammenſetzungen der Koͤrper nach feſten Verhaͤlt-
niſſen.


Wenn man die Aufloͤſungen der Koͤrper, wenn man die ver-
ſchiedenen Koͤrper, die aus einerlei Beſtandtheilen gebildet ſind,
oberflaͤchlich betrachtet, ſo kann man zu dem Gedanken, als ob
das Verhaͤltniß der Beſtandtheile in dieſen zuſammengeſetzten Koͤr-
pern ſehr zufaͤllig ſei, veranlaßt werden; aber dieſe Meinung iſt
unrichtig, und die Koͤrper befolgen dagegen in ihren Verbindungen
meiſtens ſehr einfache, und allemal ſehr beſtimmte Verhaͤltniſſe.
Nur da, wo bei der chemiſchen Verbindung keine weſentlich neue
Eigenſchaften hervorgehen, wie z. B. wenn Weingeiſt ſich mit
Waſſer miſcht, da kann, obgleich wir dieſe Miſchung nicht mit einer
bloß mechaniſchen Mengung verwechſeln duͤrfen, ein ſehr mannig-
faltiges Verhaͤltniß der Miſchungstheile eintreten.


Von dem einfachen Verhaͤltniſſe in Ruͤckſicht der Quantitaͤt
der Miſchungstheile habe ich kurz vorher ſchon ein Beiſpiel ange-
fuͤhrt, und es iſt nicht etwa nur beinahe, ſondern ſtrenge wahr,
daß aus einem Maaß Sauerſtoffgas und zwei Maaß Waſſerſtoff-
gas Waſſer entſteht. Und ſo wie hier das 1 und 2 ſo einfach vor-
kommt, ſo iſt es in unzaͤhligen andern Faͤllen. 1 Maaß Chlorgas
verbindet ſich mit 1 Maaß Waſſerſtoffgas zu 2 Maaß ſalzſaurem
Gas, — nur unter der Einwirkung des Lichtes. — 1 Maaß
Sauerſtoffgas verbindet ſich mit 2 Maaß Stickgas zu einer eigenen
Luft-Art, dem oxydirten Stickſtoff; dagegen 1 Maaß Sauerſtoff-
gas mit 1 Maaß Stickgas zum Salpetergas.


Bei andern Verbindungen, wo die Stoffe nicht in Luftform
vorhanden ſind, laͤßt ſich die Regelmaͤßigkeit nach den Gewichten
uͤberſehen. Der Schwefel verbindet ſich mit dem Sauerſtoff zu vier
verſchiedenen Saͤuren; nach Berzelius Angabe entſteht die
erſte, wenn ſich 1 Gewichtstheil Sauerſtoff mit 2,01 Gewichts-
theilen Schwefel verbindet, die zweite, wenn ſich 2 Gewichtstheile
[51] Sauerſtoff mit 2,01 Gewichtstheilen Schwefel verbinden, die dritte,
wenn ſich 2½ Gewichtstheile Sauerſtoff mit 2,01 Gewichtstheilen
Schwefel verbinden, die vierte (die Schwefelſaͤure,) wenn ſich 3
Gewichtstheile Sauerſtoff mit 2,01 Gewichtstheilen Schwefel ver-
binden. Ebenſo kennt man vier Oxydationsſtufen des Stickſtoffs,
in welchen 1, 2, 3, 5 Gewichtstheile Sauerſtoff mit 1,77 Ge-
wichtstheilen Stickſtoff verbunden ſind; und hiebei iſt zugleich in
den Raummaaßen das merkwuͤrdige, daß 2 Maaß Stickgas mit
1 Maaß Sauerſtoffgas, mit 2 Maaß Sauerſtoffgas, mit 3 Maaß,
mit 5 Maaß Sauerſtoffgas dieſe Verbindungen geben *).


Eine ebenſo merkwuͤrdige Zahl als es 2,01 beim Schwefel
war, iſt 3,39 beim Eiſen, 3,96 beim Kupfer. Es verbinden ſich
naͤmlich 3,39 Gewichtstheile Eiſen mit 1 Gewichtstheil Sauerſtoff
zu Eiſen-Oxydul und mit 1½ Gewichtstheilen Sauerſtoff zu Eiſen-
Oxyd; es verbinden ſich 3,96 Gewichtstheile Kupfer mit ½ Ge-
wichtstheil Sauerſtoff zu Kupfer-Oxydul, mit 1 Theil Sauerſtoff
zu Kupfer-Oxyd. Und eben dieſe Zahlen finden ſich nun auch bei
den Verbindungen dieſer Metalle mit Schwefel, dieſer Metalle mit
Schwefelſaͤure u. ſ. w., wieder. Das Eiſen bildet naͤmlich drei
Verbindungen mit Schwefel und zwar ſo, daß 3,39 Gewichtstheile
Eiſen mit 2,01 Gewichtstheilen Schwefel die erſte, 3,39 Gewichts-
theile Eiſen mit 1½. 2,01 (oder mit 3,015) Gewichtstheilen Schwe-
fel die zweite, endlich 3,39 Gewichtstheile Eiſen mit zweimal 2,01
oder 4,02 Gewichtstheilen Schwefel die dritte bilden. Und ebenſo
iſt im Schwefelkupfer ein Gewichts-Antheil von zweimal 3,96
Kupfer zu 2,01 Gewichtstheilen Schwefel.


An dieſe Erfahrungen knuͤpft ſich wohl ſehr natuͤrlich der Ge-
danke, daß dieſe Verbindungen auf eine Vereinigung beſtimmter
Atome dieſer Subſtanzen mit einander hindeuten. Nimmt man an,
daß 1 Atom Sauerſtoff ſich mit 2 Atomen Waſſerſtoff zu Waſſer
verbindet, ſo folgt man genau dem, was die Verhaͤltniſſe der
Raͤume angeben, und ebenſo darf man annehmen, daß 1 Atom
Chlor mit 1 Atom Waſſerſtoff verbunden, die Salzſaͤure, Hydro-
D 2
[52] chlorſaͤure, giebt. Hieraus ergiebt ſich dann das, was man Ato-
mengewichte nennt, von ſelbſt. Die Abwaͤgung zeigt, daß 88,9
Gewichtstheile Sauerſtoff mit 11,1 Gewichtstheilen Waſſerſtoff
Waſſer bilden; da wir in dem letztern Gewichte, wegen des doppel-
ten Volumens doppelt ſo viel Atome als im erſtern annehmen, ſo
iſt 88,9 zu 5,55, oder 100 zu 6,24, das Verhaͤltniß der Atomen-
gewichte beider Koͤrper, und wenn wir 100 als das Atomengewicht
des Sauerſtoffs annehmen, ſo iſt das des Waſſerſtoffs 6,24, das
des Waſſers = 112,5, (naͤmlich 100 und zweimal 6,24.)


Um Sie nicht mit allzuvielen Zahlen zu unterhalten, will ich
nur die oben angefuͤhrten Beiſpiele noch auf die Atomenzahlen zu-
ruͤckfuͤhren. Wenn das Atomengewicht des Schwefels = 201 ge-
ſetzt wird, ſo gehen die vier Verbindungen mit dem Sauerſtoff
hervor, wenn ſich 2 Atome Schwefel mit 2 Atomen oder mit 4
Atomen oder mit 5 Atomen oder mit 6 Atomen Sauerſtoff ver-
binden *). In der letzten Verbindung, welche unter dem Namen
Schwefelſaͤure bekannt genug iſt, ſind alſo an
1 Atom Schwefel = 201,
3 Atome Sauerſtoff = 300, gebunden, und das Ato-
mengewicht der Schwefelſaͤure muß = 501 ſein.


Eben die Gruͤnde veranlaſſen zu der Vorausſetzung, daß 2
Atome Sauerſtoff mit 2 Atomen Eiſen (oder 1 Atom mit 1 Atom)
verbunden Eiſen-Oxydul geben, und 2 Atome Eiſen mit 3 Ato-
men Sauerſtoff verbunden, Eiſen-Oxyd. Hiernach waͤren alſo
1 Atom Eiſen = 339
1 Atom Sauerſtoff = 100
alſo ein Atom Eiſen-Oxydul = 439,
als Atomengewicht des
Eiſen-Oxyduls. Das Eiſen-Oxydul bildet mit der Schwefelſaͤure
das bekannte Salz, den Eiſenvitriol, gruͤnen Vitriol, ſchwefelſau-
res Eiſen-Oxydul, und zwar entſteht dieſes aus 501 Gewichts-
theilen Schwefelſaͤure gegen 439 Gewichtstheilen Eiſen-Oxydul,
ſo daß man ſagen darf, 1 Atom Schwefelſaͤure verbindet ſich mit
[53] 1 Atom Eiſen-Oxydul. Damit das Salz ſich bilde, iſt noch ein
Zutritt von 670 Gewichtstheilen Waſſer noͤthig, die 6 Atome
Sauerſtoff enthalten. Die Verbindung iſt alſo entſtanden aus 1
Atom Schwefel, 3 Atomen Sauerſtoff zu Schwefelſaͤure, aus 1
Atom Eiſen mit 1 Atom Sauerſtoff zu Eiſen-Oxydul, und 12
Atomen Waſſerſtoff mit 6 Atomen Sauerſtoff zu Waſſer.


Ebenſo weiſen ſich die Atome nach im Kupfervitriol, dem be-
kannten blauen Vitriol. Er bildet ſich aus 1 Atom Kupfer-Oxyd,
1 Atom Schwefelſaͤure, 5 Atomen Waſſer, oder, den Gewichts-
verhaͤltniſſen nach, aus 496 Gewichtstheilen Kupfer-Oxyd,
501 Gewichtstheilen Schwefelſaͤure,
562 Gewichtstheilen Waſſer,
und in dieſen ſind verbunden, 396 = 1 Atom Kupfer,
mit 100 = 1 Atom Sauerſtoff,
zu 496 = 1 Atom Kupfer-Oxyd.
Ferner: 201 = 1 Atom Schwefel
mit 300 = 3 Atomen Sauerſtoff
zu 501 = 1 Atom Schwefelſaͤure.
Endlich 500 = 5 Atomen Sauerſtoff
mit 62 = 10 Atomen Waſſerſtoff
zu 562 = 5 Atomen Waſſer.


Dieſe Beiſpiele werden wohl zureichen, um die Veranlaſſung
und den Sinn der Beſtimmungen zu zeigen, die man als Ato-
mengewichte der einfachen und der zuſammengeſetzten Koͤrper auf-
fuͤhrt. Daß man da 1 Atom Waſſer, beſtehend aus 3 Atomen
in etwas anderm Sinne nehmen muß, als das Wort: Atom, —
untheilbar — eigentlich geſtattet, verſteht ſich von ſelbſt. Daß
es manche Schwierigkeiten giebt, welche die Entſcheidung, ob man
von dem Zutritte eines Atoms oder zweier Atome ſprechen ſoll, be-
treffen, laͤßt ſich leicht uͤberſehen *). Daß die Frage, wie ſtrenge
denn in einzelnen Faͤllen die chemiſchen Analyſen die Behauptung
eines genauen Zuſammentreffens der Erfahrung mit dieſen Anga-
ben geſtatten, die moͤglichſt ſorgfaͤltige Beantwortung verdient, und
[54] aͤhnliche Betrachtungen, kann ich hier nur obenhin andeuten, da
der Umfang deſſen, was hieher gehoͤrt, viel groͤßer iſt, als daß es
hier, wo nur einige Hauptbetrachtungen eroͤrtert werden ſollten,
vollſtaͤndig dargeſtellt werden koͤnnte.


Auf dieſe Angabe der Atomenzahl gruͤndet ſich eine kurze Be-
zeichnung der Zuſammenſetzung der Koͤrper, indem die Anfangs-
buchſtaben des Namens eines Stoffes mit einer Zahl, welche die
Anzahl der Atome angiebt, verſehen iſt. Da das Oxygen vorzuͤg-
lich oft vorkoͤmmt, ſo wird dies durch beigeſetzte Puncte angegeben,
z. B. S⃛ bedeutet, daß 1 Atom Schwefel (Sulphur) mit 3 Atomen
Sauerſtoff verbunden iſt, alſo bedeutet S⃛ Schwefelſaͤure; ebenſo
Ċu (Cuprum) 1 Atom Kupfer mit 1 Atom Oxygen, und daher
S⃛.Ċu = ſchwefelſaures Kupfer-Oxyd oder Kupfervitriol, wenn
man das Cryſtalliſationswaſſer nicht beruͤckſichtigt *). Waͤren hier
2 Atome Schwefelſaͤure in der Verbindung, ſo ſchriebe man 2.


Ich breche dieſe Darſtellung einiger Haupt-Anſichten aus
der Chemie ab, um jetzt zu der Lehre vom Lichte uͤberzugehen.
Ueber die Theorie des Verbrennens und uͤber die electro-chemiſche
Theorie wird an den Stellen, wo es mehr hin gehoͤrt, noch etwas
Ausfuͤhrlicheres vorkommen.


Vierte Vorleſung.


Unter den Erſcheinungen, m. h. H., welche wir aus impon-
derablen Materien ableiten, gehoͤren die Erſcheinungen des Lichtes
zu den mannigfaltigſten und wundervollſten. Eine große Anzahl
dieſer Erſcheinungen iſt uns allen bekannt; wir ſind geneigt, ſie
dem von der Sonne oder andern leuchtenden Koͤrpern ausgehenden
Lichte zuzuſchreiben, und es ſo anzuſehen, als ob Koͤrperchen, die
wir uns als Lichtmaterie denken, von jenen Koͤrpern ausgeſendet
werden, vom Spiegel zuruͤckgeworfen werden, im Brennpuncte
[55] des Brennglaſes zuſammentreffen und ſo ferner. Ob wir es mit
Recht ſo anſehen, ob alle Erſcheinungen dieſer Emiſſionstheo-
rie, welche ein Ausgehen der Lichttheilchen von dem leuchtenden
Koͤrper annimmt, gemaͤß erklaͤrt werden koͤnnen; — das zu ent-
ſcheiden, wird eine vollſtaͤndigere Kenntniß der Erſcheinungen erfor-
dert, und dieſe zu erlangen, muß daher zuerſt unſer Beſtreben ſein.
Und ſo wie wir in der Erzaͤhlung der taͤglichen Erſcheinungen des
Himmels von einer Umdrehung der Himmelskugel um ihre Axe
reden, unbekuͤmmert darum, ob dieſer Schein einer ſich drehenden
Sphaͤre in der That das ſei, was unſer Auge darin zu erkennen
glaubt, ebenſo wollen wir hier unbedenklich von Lichttheilchen reden,
welche die Erleuchtung der Koͤrper, die ſie treffen, welche in un-
ſerm Auge die Empfindung des Sehens bewirken, ohne fuͤr jetzt
die Bedenklichkeiten hervorzuheben, zu welchen die Veranlaſſung
uns jetzt noch ferne liegt.


Die Frage, welche Koͤrper es ſind, die ſich uns als leuchtend
zeigen, unter welchen Umſtaͤnden ſie leuchten, und was ſich daraus
uͤber das Weſen des Leuchtens, des Licht-Erzeugens, ſchließen
laſſe, koͤnnte hier vielleicht den erſten Platz einnehmen; aber da
die Umſtaͤnde des Leuchtens ſo mannigfaltig ſind, da die Erklaͤrung
der Entſtehung des Leuchtens ſich an die Theorieen von der Natur
des Lichtes anknuͤpft, ſo verſchiebe ich die Mittheilung dieſer Be-
obachtungen uͤber Leuchten, Brennen und Phosphorescenz, um
zuerſt Sie mit den optiſchen Erſcheinungen, mit dem Wege der
Lichtſtrahlen bekannt zu machen. Und um hier ſogleich einige Kunſt-
Ausdruͤcke zu erklaͤren, mag hier die Bemerkung voranſtehen, daß
man Optik im Allgemeinen die ganze Lehre von dem Wege, den
die Lichtſtrahlen durchlaufen, nennt; daß man aber im engern
Sinne nur diejenigen Erſcheinungen zur Optik rechnet, wo dieſer
Weg gerade iſt, und hingegen zur Catoptrik die Erſcheinungen
der Spiegelung, der Reflexion des Lichtes, zur Dioptrik die
Erſcheinungen, die durch Brechung des Lichtes entſtehen, rechnet.


Gradlinige Fortpflanzung des Lichtes. Schattengrenze.


Das Licht geht in grader Linie von dem leuchtenden Koͤrper
aus zu andern Puncten hin. Dieſer Erfahrungsſatz iſt ſo bekannt,
daß wir ohne weitere Ueberlegung geneigt ſind, den leuchtenden
[56] Koͤrper in der Richtung zu ſuchen, wo wir ihn ſehen, und daß der
mit der Wirkung des Spiegels unbekannte Wilde den Gegenſtand,
den der Spiegel ihm zeigt, hinter dem Spiegel ſucht. Ohne an
dieſen Satz von der gradlinigen Fortpflanzung des Lichtes zu denken,
machen wir unzaͤhlige Anwendungen von demſelben; denn indem
wir beim Feldmeſſen die Linie an unſerm Lineale ziehen, die uns,
bei dem Viſiren nach einem Gegenſtande, als uͤbereinſtimmend mit
der Richtung nach dem Gegenſtande zu angegeben wurde, ſetzen
wir voraus, daß der Lichtſtrahl auch wirklich in grader Linie zu
uns kam; indem wir beim Nivelliren oder Waſſerwaͤgen den Punct,
auf welchen unſer horizontal geſtelltes Fernrohr hinweiſet, als gleich
hoch mit dem Fernrohre liegend bezeichnen, machen wir eben die
Vorausſetzung; und hier kann es uns, wie ſich ſpaͤterhin zeigen
wird, ganz wohl begegnen, daß wir den Satz von der gradlinigen
Fortpflanzung der Lichtſtrahlen weiter, als es geſtattet iſt, anwen-
den, weil bei großen Entfernungen eine Kruͤmmung des Lichtſtrah-
les eintritt.


Da es eine große Menge von Koͤrpern giebt, welche das Licht
nicht durchlaſſen, ſo koͤnnen nur diejenigen Lichtſtrahlen, die von
einem leuchtenden Koͤrper ausgehend neben dem dunkeln, undurch-
ſichtigen Koͤrper vorbeigehen, weiterhin noch die Wirkung des Lich-
tes ausuͤben, Erleuchtung hervorbringen; diejenigen Puncte, zu
welchen hin eine von dem leuchtenden Koͤrper ausgehende grade
Linie durch den undurchſichtigen Koͤrper geht, erhalten von jenem
kein Licht, ſie liegen im Schatten des undurchſichtigen Koͤrpers.
Die Geſtalt des Schattens oder ſeine Begrenzung wird daher
beſtimmt, wenn wir von den Grenzen des leuchtenden Koͤrpers an
den Umfang des undurchſichtigen grade Linien ziehen und dieſe
weiter hinaus verlaͤngern. Iſt der leuchtende Koͤrper ſo klein, daß
wir ihn einen leuchtenden Punct nennen koͤnnen, ſo geben alle von
dieſem Puncte ausgehenden und zugleich den dunkeln Koͤrper beruͤh-
renden graden Linien die Grenze des Schattens an; fuͤr einen groͤ-
ßeren leuchtenden Koͤrper dagegen muß man ſich eine Ebne an den
leuchtenden und den dunkeln Koͤrper beruͤhrend gelegt, und an bei-
den ſo, daß ſie alle Lichtſtrahlen ausſchließt, immer beide beruͤhrend,
fortgefuͤhrt denken, wenn man die Schattengrenze erhalten will.
In dieſem Falle, wenn der leuchtende Koͤrper nicht ganz klein iſt,
[57] entſteht theils ein vollkommen dunkler, durch gar kein Licht jenes
leuchtenden Koͤrpers erhellter, Schatten, theils ein Halbſchat-
ten. Iſt naͤmlich AB ein leuchtender Koͤrper (Fig. 19.), CD
undurchſichtig, ſo gelangt in den Raum CDE gar kein Licht; in
dem Puncte F erhaͤlt man zwar von dem Theile BG des Koͤrpers
Licht, aber da noch ein Theil AG verdeckt iſt, ſo kann die Erleuch-
tung in F noch nicht ſo vollkommen ſein, als ſie ohne das Zwi-
ſchentreten des dunkeln Koͤrpers waͤre, F liegt alſo im Halbſchatten;
dagegen empfangen Puncte, die von H gegen I zu liegen, Licht
von allen Puncten des leuchtenden Koͤrpers, ſie liegen im vollen
Lichte und die Linie DH begrenzt alſo den Halbſchatten, ſo wie
DE den vollen Schatten begrenzt. Ein Beiſpiel hiezu geben die
Sonnenfinſterniſſe. Wegen der Kleinheit des Mondes CD (Fig.
19.
) werden nur wenige Puncte auf der Erd-Oberflaͤche in E alles
Sonnenlichtes beraubt, ſo daß ſie ſich in einer totalen Verfinſterung
befinden; ja, wenn die Erde, deren Entfernung vom Monde nicht
immer gleich iſt, etwas weiter vom Monde entfernt, in K iſt, ſo
liegt kein Punct der Erde im vollen Schatten, ſondern ſelbſt da,
wo des Schattens Mitte hinfaͤllt, ſieht man rund um den Mond
noch Theile der Sonne, ſo daß die Sonnenfinſterniß ringfoͤrmig
iſt; aber eine theilweiſe Sonnenfinſterniß ſieht man von K bis H,
und dabei iſt die Schwaͤchung des Sonnenlichtes deſto ſtaͤrker, der
verdeckte Theil der Sonne deſto groͤßer, je naͤher ſich der Beobach-
ter bei der Mitte K des Schattens befindet. Bei den Mondfin-
ſterniſſen zeigt ſich uns der Halbſchatten dadurch, daß der Rand
des Erdſchattens bei weitem nicht ſcharf iſt, ſondern ein verwaſche-
ner Rand ſich von dem dunkelſten Theile des Schattens bis zu den
noch voͤllig erleuchteten Gegenden des Mondes hin erſtreckt, —
der Rand des Schattens verwaſchen erſcheint. Auch bei Gegen-
ſtaͤnden auf der Erde erkennen wir den ſich allmaͤhlig verlierenden
Halbſchatten, z. B. wenn wir einen kleinen Koͤrper der Lichtflamme
nahe halten.


Grundſaͤtze der Perſpective.


Die Perſpective, diejenige Wiſſenſchaft, welche uns die
einzelnen Theile der Gegenſtaͤnde, ſo wie ſie uns erſcheinen, zeichnen
lehrt, beruht auf dieſem graden Fortgange der Lichtſtrahlen. Um
[58] naͤmlich den Umriß eines Gegenſtandes ſo darzuſtellen, wie er dem
Auge erſcheint, denken wir uns die Zeichnungstafel vor dem Ge-
genſtande aufgeſtellt, und von allen im Umfange des abzuzeichnen-
den Gegenſtandes liegenden Puncten grade Linien nach dem Auge
gezogen; dieſe Linien ſchneiden die Zeichnungstafel und begrenzen
auf ihr den Raum, den das Bild jenes Gegenſtandes einnehmen
muß. Die Hauptregeln der Perſpective laſſen ſich hieraus herleiten.
Es ſei z. B. (Fig. 21.) ABCD eine in der horizontalen Ebne
LM gezeichnete Figur, die nun auf der Zeichnungstafel LN per-
ſpectiviſch ſoll aufgetragen werden, ſo bezeichnen die nach dem Auge
G gezogenen graden Linien AG, BG, CG, DG, die in E, F,
I, H,
die Tafel ſchneiden, die Eckpuncte der aufzutragenden Figur.
Sind hier AD und BC Linien, die mit der Ebne der Tafel LN
parallel gehen, ſo bleiben ſie auch in der Zeichnung parallel, ſind
dagegen AB, DC, Linien, die auf der Ebne der Tafel LN ſenk-
recht ſtehen, ſo ſcheinen dieſe ſich in ihren entfernteren Theilen ein-
ander zu naͤhern. Wenn man von dem Auge G eine Linie ſenk-
recht auf die Tafel zieht, GK, ſo iſt K der Augenpunct, ein
vorzuͤglich zu beachtender Punct, gegen welchen zu alle auf die
Ebne der Tafel ſenkrechten Linien, wie AB, DC, im Bilde auf
der Tafel zuſammen laufen. Daß dieſes ſo ſei, laͤßt ſich durch fol-
gende Betrachtung uͤberſehen. Je weiter man DC, AB uͤber C
und B hinaus verlaͤngert, deſto hoͤher hinauf erſtrecken ſich die dieſe
Linien auf der Tafel vorſtellenden Abbildungen, aber deſto naͤher
ruͤcken ſie auch an einander, weil der immer gleiche Abſtand AD,
BC,
in groͤßerer Entfernung kleiner erſcheint; waͤren alſo AB,
DC,
ſehr weit verlaͤngert, ſo traͤfen ihre Abbildungen faſt voͤllig
in dem Puncte K zuſammen. Auf aͤhnlichen Gruͤnden beruhen
alle perſpectiviſche Regeln, ſo daß dieſe ganze Wiſſenſchaft eine rein
geometriſche iſt *).


Um eine Zeichnung genau richtig zu ſehen, muß man das
Auge in den Punct bringen, wo der Zeichner die Stellung des
[59] Auges annahm. Liegt dieſer Punct ziemlich grade vor der Zeich-
nung und nicht allzu nahe, ſo erſcheint das Bild noch nicht bedeu-
tend unrichtig, wenn man auch das Auge nicht ganz ſtrenge in
dieſen Punct bringt; aber in manchen Faͤllen wuͤrde das Bild aus
einem andern Standpuncte ganz verzerrt, die einzelnen Theile
deſſelben in ſehr unrichtigen Verhaͤltniſſen erſcheinen. Der Maler,
welcher ein Deckengemaͤlde an einem Gewoͤlbe zeichnet, nimmt an,
daß der, welcher das Gemaͤlde betrachtet, ſich unten in O befinde;
er wird daher (Fig.22.) den untern Theil einer Figur BC viel
ausgedehnter als den oberen AB zeichnen, wenn beide dem in O
befindlichen Auge gleich erſcheinen ſollen, denn das Auge nimmt
die gezeichneten Gegenſtaͤnde ſo wahr, als ob ſie in a, b, c laͤgen.
Und ſo wie hier ein Mißverhaͤltniß der Theile in der wirklichen
Zeichnung nicht zu vermeiden iſt, ſo iſt es in geringerem Maaße
auch ſonſt oft der Fall, zumal bei groͤßeren Gemaͤlden oder bei
ſolchen Zeichnungen, wo die Ungleichheit der Theile, die man als
gleich anſehen ſoll, leicht ins Auge faͤllt. Man hat Bilder, die
abſichtlich fuͤr eine ungewoͤhnliche Stellung des Auges gezeichnet
ſind; und die daher unertraͤglich verzerrt erſcheinen, wenn man das
Auge in den gewoͤhnlichen Standpunct bringt; ſoll zum Beiſpiel
(Fig. 23.) das Auge in O die Figur abcd in den richtigen Ver-
haͤltniſſen ſehen, ſo muß ihr oberer Theil ed unnatuͤrlich lang ſein,
und ſo in allen aͤhnlichen Faͤllen.


Daß wir die einzelnen Theile der in einem Gemaͤlde darge-
ſtellten Gegenſtaͤnde nach Regeln der Perſpective beurtheilen, iſt
bekannt. Wir verlangen, daß der gegen uns ausgeſtreckte Arm im
Gemaͤlde gehoͤrig verkuͤrzt erſcheine, daß die Lage aller einzelnen
Theile uns ſchon durch den richtigen Umriß kenntlich werde, und
ſo weiter. Hiebei hat nun freilich der Maler noch weit mehr zu
beachten, als die bloße Perſpective, indem theils Schatten und Licht,
theils ſelbſt gewiſſe falſche Urtheile, die wir alle machen, beruͤckſich-
tigt werden muͤſſen, ſelbſt wo es nur auf eine Darſtellung ankoͤmmt,
die einzig von den Regeln der Perſpective abzuhaͤngen ſcheint.


Sehewinkel. Optiſche Taͤuſchung.


Von dieſen falſchen Beurtheilungen muß ich doch einige Bei-
ſpiele anfuͤhren. Wenn wir nach geometriſchen oder perſpectiviſchen
[60] Regeln urtheilen, ſo iſt es unfehlbar gewiß, daß ein nicht zu großer,
20 Fuß entfernter Gegenſtand uns nur halb ſo groß im Durch-
meſſer erſcheint, als wenn er uns auf 10 Fuß nahe ruͤckt; wir
koͤnnen uns hievon leicht uͤberzeugen, wenn wir an einem vor uns
ſtehenden Maaßſtabe vergleichen, wie vielen Theilen deſſelben der
ſcheinbare Durchmeſſer eines beſtimmten Gegenſtandes in beiden
Stellungen entſpricht; aber unſer Urtheil uͤber die ſcheinbare Groͤße
iſt hiervon ſehr verſchieden, und man uͤberzeugt ſich nur mit Muͤhe,
daß der Kopf eines in 20 Fuß Entfernung ins Zimmer tretenden
Menſchen uns nur ein Viertel ſo groß im Durchmeſſer erſcheint,
als wenn er ſich uns bis auf 5 Fuß genaͤhert hat. Wegen dieſes
falſchen Urtheiles kommen uns die Gegenſtaͤnde in Beziehung auf
ihre Groͤße bedeutend anders vor, wenn wir ſie in einem langen,
ſchmalen Raume hinter einander, ihre Entfernungen gleichſam ab-
gemeſſen, vor uns ſehen, als wenn ſie im Freien in eben der
Anordnung aufgeſtellt ſind. Wenn wir durch mehrere geoͤffnete
Thuͤren, die gerade hinter einander liegen, ſehend, unſere Auf-
merkſamkeit auf die entfernteſte derſelben richten, ſo werden wir es
weit mehr gewahr, wie klein ſie uns erſcheint, als wenn wir im
Freien ſie in eben der Entfernung angeſehen haͤtten. Die Meinung,
daß der Mond uns beim Aufgange groͤßer erſcheine, iſt nicht allein
allgemein verbreitet, ſondern beruht auch auf einer ſo maͤchtigen
Taͤuſchung, daß man, ſelbſt bei der Ueberzeugung, daß es nur
Taͤuſchung ſei, nicht Herr uͤber ſie werden kann. Und doch iſt
dieſes falſche Urtheil nur von eben der Art, wie in den vorhin
angefuͤhrten Faͤllen, und jede Meſſung uͤberzeugt uns, daß der
Mond nicht groͤßer erſcheint *).


Obgleich alſo der Sehewinkel, die ſcheinbare Groͤße
eines Gegenſtandes (das iſt der Winkel, den die von den Grenzen
des Gegenſtandes nach dem Auge gezogenen Linien mit einander
machen), auf eine ſo ſtrenge und ſichere Weiſe aus der wahren
Groͤße und aus der Lage und Entfernung beſtimmt iſt, ſo befinden
wir uns doch in Ruͤckſicht auf die Beurtheilung der ſcheinbaren
Groͤße in einer durch mancherlei Umſtaͤnde veranlaßten Unſicherheit.
Die Gewoͤhnung, Gegenſtaͤnde, welche uns genau bekannt ſind, in
[61] ungleichen Entfernungen zu ſehen, und dabei nicht auf ihr un-
gleiches Erſcheinen zu achten, iſt der Grund der eben erwaͤhnten
unrichtigen Urtheile; aber auch andere Umſtaͤnde koͤnnen unſer Auge
taͤuſchen. Es iſt eine ziemlich bekannte Behauptung, daß man
zuweilen ſehr entfernte Gegenſtaͤnde viel naͤher geruͤckt zu ſehen
glaube, weil man ſie mit ungewohnter Deutlichkeit ſieht, und
dadurch oft zu der Meinung, daß man ſie groͤßer ſehe, verleitet
wird, die gleichwohl ungegruͤndet iſt. Nach meinen eigenen Er-
fahrungen uͤber dieſe Erſcheinungen entſtehen ſie am oͤfterſten aus
der Lebhaftigkeit der Erleuchtung, die uns in Stand ſetzt, jeden
kleineren Theil genau wahrzunehmen, und wir beurtheilen dann die
ſcheinbare Groͤße nach der Leichtigkeit des Erkennens dieſer kleinen
Theile. Es iſt bekannt, daß wir einen ſchwarzen Kreis auf rein
weißem Grunde in viel groͤßerer Entfernung erkennen, als wenn
er auf grauem oder dunkelm Grunde aufgetragen waͤre, und in
Beziehung auf dieſe Ueberzeugung werden wir nicht ſo leicht den auf
weißem Grunde aufgetragenen Kreis fuͤr groͤßer halten, weil wir
ſchon die Ruͤckſicht hierauf in unſer Urtheil mit hinein bringen;
aber wenn wir in einem weit entfernten weißen Gebaͤude jetzt die
Fenſter und andere durch Farbe oder Schatten unterſchiedene Theile
deutlich ſehen, ſtatt daß ſie uns zu anderer Zeit unkenntlich ſind,
ſo ſind wir geneigt, die jetzt kenntlichen Theile als groͤßer erſcheinend
anzuſehen, obgleich ſie nur wegen einer hellern Beleuchtung ſich
kenntlicher gegen das helle Weiß abſtechend zeigen. Dieſe uͤberra-
ſchende Deutlichkeit pflegt beſonders dann ſtatt zu finden, wenn bei
ſehr durchſichtiger, von allem Nebel freier, Luft, die Sonne niedrig
ſtehend die Waͤnde von Gebaͤuden in ſenkrechter Richtung beſcheint;
die alsdann ſtatt findende ſtarke Erleuchtung, die wir durch eine
ungetruͤbte Luft wahrnehmen, geſtattet uns, Fenſter oder andere
dunklere Theile des Gebaͤudes, obgleich ſie bei ſchwaͤcherer Erleuch-
tung nicht wahrgenommen werden koͤnnen, jetzt noch zu ſehen, nicht
deshalb, weil ſie jetzt groͤßer ſind, ſondern weil ſo kleine Theile noch
kenntlich werden, wenn die Erleuchtung lebhaft genug iſt. Um die
Umſtaͤnde, wo dieſe uͤberraſchende Deutlichkeit beobachtet wird, voll-
ſtaͤndig anzugeben, will ich noch beifuͤgen, daß ein Sonnen-Auf-
gang, wobei der Beobachter ſich im Schatten dunkler Wolken
befindet, waͤhrend ein weſtwaͤrts liegender Gegenſtand lebhaft von
[62] den Sonnenſtrahlen erleuchtet wird, vorzuͤglich geeignet iſt, die
Erſcheinung zu beguͤnſtigen. Aber ich habe hier Manches erwaͤhnen
muͤſſen, was hier noch nicht genau erklaͤrt werden kann, und muß
daher abbrechen, obgleich mehr als eine Erlaͤuterung uͤber die Un-
gleichheit der Erleuchtung bei verſchiedener Richtung des auffallenden
Lichtes u. ſ. w. hier noch beizufuͤgen waͤre.


Aber dieſe Betrachtungen uͤber ſcheinbare Groͤße kann ich
dennoch nicht ganz abbrechen, da die Frage, wie groß, unter welchem
Sehewinkel ein Gegenſtand uns erſcheinen muß, um noch kenntlich
zu ſein, hier am beſten beantwortet wird. Daß dieſe Frage keine
allgemein guͤltige Beantwortung geſtattet, iſt bekannt, und erhellt
auch aus dem eben vorhin Angegebenen. Wir nennen dasjenige
Auge ein ſcharfes Auge, welches Gegenſtaͤnde, die unter einem
ſehr kleinen Winkel erſcheinen, noch erkennt, und fuͤr ein ſolches
recht ſcharfes Auge und unter uͤbrigens guͤnſtigen Umſtaͤnden der
Beleuchtung betraͤgt der kleinſte Sehewinkel fuͤr einen weißen Ge-
genſtand auf ſchwarzem Grunde etwa 40 Secunden *), das heißt,
eine weiße Stange, auf dunkelm Grunde erſcheinend, iſt in 500
Fuß Entfernung noch ſichtbar, wenn ſie 1 Zoll dick iſt; — gegen
den hellen Himmel ſieht man eine dunkle Stange noch bei gerin-
gerem Durchmeſſer, und leuchtende Koͤrper koͤnnen unter einem
Sehewinkel von 1 Secunde (das heißt, wenn ſie 200000 mal ſo
entfernt ſind, als die Groͤße ihres Durchmeſſers) noch ſehr wohl
kenntlich ſein. In dunkler Nacht ſind Gegenſtaͤnde von hinreichend
hellem Lichte noch bei viel geringerem Durchmeſſer kenntlich; denn
wir haben Grund, den groͤßern Fixſternen kaum einen Durchmeſſer
von \frac{1}{150} Sec. beizulegen, und doch machen dieſe noch einen ſo
lebhaften Eindruck auf das Auge.


Bilder der Gegenſtaͤnde durch grade fortgehende
Strahlen
.


Die gerade fortgehenden Lichtſtrahlen geben uns zuweilen
Bilder der Gegenſtaͤnde, von welchen ſie ausgehen. Wenn in ein
[63] dunkles Zimmer das Licht nur durch eine ſehr kleine Oeffnung
einfaͤllt, ſo zeigen ſich die außerhalb ſtehenden Gegenſtaͤnde, wenn
ſie nur lichtvoll genug ſind, auf einer in dem dunkeln Raume der
Oeffnung zugekehrten weißen Tafel. Am beſten ſieht man dies,
wenn die Sonne durch jene kleine Oeffnung auf die Tafel ſcheint.
Der von der Oeffnung aus ſich immer mehr erweiternde Kegel,
den wir als erleuchtet in allen ſeinen Theilen wahrnehmen, wenn
das Zimmer mit Rauch oder Staub erfuͤllt iſt, bringt auf die
Tafel eine Erleuchtung, die wir ein Sonnenbild nennen koͤnnen,
einen deſto groͤßern erleuchteten Raum, je weiter wir uns mit der
weißen Tafel von der Oeffnung entfernen. Dieſes Sonnenbild iſt
rund, ſelbſt wenn die Oeffnung, vorausgeſetzt, daß ſie klein genug
bleibt, nicht rund iſt, weil die von den verſchiedenen Puncten des
Sonnenrandes einfallenden Strahlen jenen Kegel beſtimmen. Die-
ſem Umſtande iſt es zuzuſchreiben, daß da, wo die Sonne durch
das Laub von Baͤumen ſcheint, ſich allemal runde erhellte Flecke
zeigen, und nur da die Form der Oeffnungen zwiſchen den Blaͤttern
kenntlich wird, wo dieſe Oeffnungen ſchon eine erhebliche Groͤße
erlangen. Wir ſind gewohnt, dieſe erhellten Flecke immer rund
zu ſehen; aber bei einer Sonnenfinſterniß, wenn der noch uͤbrige
Theil der Sonne mondfoͤrmig erſcheint, zeigen auch jene Sonnen-
bilder ſich mondfoͤrmig.


Im dunkeln Zimmer, wo die Entfernung alles fremden
Lichtes die Erſcheinungen kenntlicher macht, verbindet ſich mit
dieſem Sonnenbilde ſehr leicht noch das Bild erhellter Wolken, und
wir ſehen dieſe im Bilde auf der Tafel von Oſten nach Weſten
ziehen, wenn ſie wirklich ihren Zug von Weſten nach Oſten nehmen.
Es iſt naͤmlich offenbar, daß eine Wolke, etwas weſtwaͤrts von der
ſenkrecht gegen die Tafel durch die Oeffnung gezogenen Linie ſte-
hend, ihr Licht von der Weſtſeite her nach der Oeffnung ſendet,
und daß dieſes alſo innerhalb des dunkeln Zimmers oſtwaͤrts fort-
geht und an der Oſtſeite jener Senkrechten auf der Tafel aufgefangen
wird. Geht die Wolke nach der Oſtſeite hinuͤber, ſo ruͤckt die von
der Wolke ausgehende Erleuchtung auf der Tafel gegen Weſten
fort, und das Bild der Wolke erſcheint umgekehrt. Bei der Beob-
achtung glaͤnzender Wolken uͤberzeugt man ſich daher leicht, daß
man auf der Tafel ein Bild, und zwar ein umgekehrtes Bild der
[64] Gegenſtaͤnde wahrnimmt, welches jedoch nur dann recht gut ſich
darſtellt, wenn einige Gegenſtaͤnde ſich durch ſtarkes Licht vor andern
auszeichnen, — wie dieſes vorzuͤglich bei glaͤnzenden Wolken auf
dem dunkeln Blau des Himmels der Fall iſt. — Man kann auf
dieſe Weiſe das dunkle Zimmer benutzen, um Bilder der Gegen-
ſtaͤnde darzuſtellen und allenfalls abzuzeichnen, doch dient dazu
beſſer eine ſpaͤter zu beſchreibende Einrichtung.


Geſchwindigkeit des Lichtes.


Die Frage, in welcher Zeit das Licht bei ſeinem geradlinigen
Fortgange von einem Puncte zum andern gelangt, ſcheint fuͤr den
oberflaͤchlichen Beobachter ſehr ſchwer zu beantworten, indem wir
uns bald uͤberzeugen, daß die Zeitraͤume zwiſchen dem Hervorgehen
eines Leuchtens und dem Sichtbarwerden deſſelben an einem ent-
fernten Puncte, zu kurz ſind, um beobachtet zu werden, weshalb
denn alle Mittel, deren wir uns bei der Abmeſſung der Geſchwin-
digkeit des Schalles bedienen, fuͤr das Licht als unzulaͤnglich gefunden
werden. Aber was auf der Erde, wegen der Beſchraͤnktheit der
Entfernungen, unmoͤglich iſt, das laͤßt ſich bei den großen Entfer-
nungen der Planeten von der Erde ausfuͤhren, wofern es nur da
Signale giebt, die zu beſtimmten Zeitpuncten gegeben und zu einer
etwas ſpaͤtern Zeit von uns geſehen, Gelegenheit zur Beſtimmung
der Geſchwindigkeit des Lichtes darbieten. Solche Signale ſind die
Verfinſterungen der Jupitersmonde. Die aſtronomiſche Berechnung
laͤßt ſich fuͤr ſie ſo ſtrenge fuͤhren, daß wir den wirklichen Augenblick,
wo ſie eintreten muͤſſen, und die Zwiſchenzeiten von einer Verfin-
ſterung bis zur andern, als vollkommen genau bekannt anſehen
koͤnnen; aber dieſe Zwiſchenzeiten geben uns nun eben Gelegenheit,
die allmaͤhlige Fortpflanzung des Lichtes wahrzunehmen. Der erſte
Jupitersmond, welcher dem Hauptplaneten am naͤchſten iſt, tritt
nach immer gleichen Zwiſchenzeiten (die nur um 4 bis 5 Sec.
verſchieden ſind) in den Schatten des Jupiters I, und wenn man
dieſe Verfinſterungen waͤhrend die Erde in E (Fig. 20.) iſt, beob-
achtet, ſo ſieht man ſie immer nach den berechneten Zwiſchenzeiten
eintreten. Hier bei E naͤmlich bleibt die Erde mehrere Tage lang
dem langſam fortruͤckenden Jupiter I ziemlich gleich nahe, und das
Licht hat daher bei allen Verfinſterungen gleich lange Zeit noͤthig,
[65] um zu uns zu gelangen, ſo daß wir, obgleich die Verfinſterung
ſpaͤter von uns geſehen wird, als ſie eintritt, doch dieſen Zeitverluſt
in der Zwiſchenzeit der Verfinſterungen nicht wahrnehmen. Iſt
hingegen die Erde nach G gekommen, wo ſie ſich von F nach G
vom Jupiter taͤglich mehr entfernt, ſo verſpaͤtet ſich der beobachtete
Anfang der Verfinſterung bei jeder folgenden Verfinſterung immer
mehr. Zwiſchen zwei naͤchſten Verfinſterungen des erſten Mondes
vergehen 42 Stunden und 28 bis 29 Minuten, und in dieſer Zeit
vergroͤßert ſich die Entfernung der Erde vom Jupiter ungefaͤhr um
630000 Meilen; gebrauchte alſo der letzte, vor der Verfinſterung
von dem Monde ausgehende Lichtſtrahl eine gewiſſe Zeit, um nach
F zu gelangen, ſo braucht er bei der folgenden Verfinſterung etwas
mehr Zeit, um nach G zu gelangen, und die Zwiſchenzeit des
Anfanges der Finſterniſſe iſt daher groͤßer. Dieſe Vergroͤßerung
der Zwiſchenzeit betraͤgt ungefaͤhr 15 Secunden, und ſo viel Zeit
verwendet alſo das Licht, um 630000 Meilen zu durchlaufen. Die
entgegengeſetzte Beobachtung findet ſtatt, wenn die Erde ſich in der
Gegend HK ihrer Bahn dem unterdeß langſam fortruͤckenden Ju-
piter naͤhert; hier ſehen wir jede folgende Verfinſterung etwas eher
eintreten, und der Zeit-Unterſchied iſt eben ſo der unterdeß erfolgten
Annaͤherung der Erde zum Jupiter angemeſſen, wie im andern
Falle der groͤßer werdenden Entfernung. Und indem wir ſo zu der
Kenntniß gelangt ſind, daß das Licht ungefaͤhr 40000 Meilen in
einer Secunde durchlaͤuft, ergiebt nun jede Beobachtung eine Pruͤ-
fung und eine Beſtaͤtigung dieſer Angabe. Wir wiſſen naͤmlich
nun, daß wir in E den Eintritt in den Schatten oder den Austritt
aus dem Schatten auch nicht dann ſehen, wenn er ſtatt findet,
ſondern ungefaͤhr 35 Minuten ſpaͤter; wir berechnen dieſe Verzoͤ-
gerung fuͤr die in F, G, L, beobachteten Austritte aus dem Schatten
und fuͤr die in M, H, K, beobachteten Eintritte in den Schatten
nach dem Maaße der jedesmaligen Entfernung, und die Beobach-
tung zeigt, daß dieſe berechnete Zeit, wobei auf die Fortpflanzung
des Lichtes Ruͤckſicht genommen iſt, wirklich die iſt, die der Wahr-
heit gemaͤß iſt.


Der Himmel bietet uns noch eine Erſcheinung dar, welche
uns uͤber die zwar ſehr ſchnelle, aber doch allmaͤhlige Fortpflanzung
des Lichtes belehrt, naͤmlich die Aberration des Lichtes der
II. E
[66] Fixſterne; aber da die Erklaͤrung, woher dieſe entſteht, mehr in die
Aſtronomie gehoͤrt, ſo will ich mich hier begnuͤgen, bloß zu bemer-
ken, daß auch dieſe Erſcheinung auf eine eben ſo große Geſchwin-
digkeit des Lichtes fuͤhrt, und daß wir 41700 Meilen als den Weg
des Lichtes in 1 Sec. angeben koͤnnen *). Das Licht hat daher
8¼ Min. noͤthig, um von der Sonne zu uns zu kommen, 2⅔
Stunden, um von dem entfernteſten Planeten des Sonnenſyſtems
zu uns zu gelangen, und mehr als 6 Jahre, um den Weg von
dem naͤchſten Fixſterne bis zu uns zu durchlaufen. Dieſe Zahlen
geben zugleich den deutlichſten Begriff von der unermeßlichen Groͤße
des Weltgebaͤudes, da das Licht ſo ſchnell iſt, daß die Geſchwin-
digkeit des Schalles nur ungefaͤhr dem 900000ſten Theile derſelben,
die Geſchwindigkeit der Erde in ihrer Bahn dem 10200ſten Theile
der Geſchwindigkeit des Lichtes gleichkoͤmmt.


Abhaͤngigkeit der Erleuchtung von der Entfernung
und dem Einfallswinkel
. — Photometrie.


Der geradlinige Fortgang des Lichtes fuͤhrt uns zur Kenntniß
der in groͤßeren Entfernungen geringeren Wirkungen des Lichtes.
Dieſe Wirkung des Lichtes nennen wir Erleuchtung, und wir
werden nun zu der Frage veranlaßt, ob es denn Mittel gebe, den
Grad der Erleuchtung zu beſtimmen. Wenn wir die Erleuchtung,
welche durch einen leuchtenden Punct hervorgebracht wird, theore-
tiſch zu vergleichen, ihre in verſchiedenen Faͤllen ſtatt findende Groͤße
zu beſtimmen ſuchen wollen, ſo werden wir ſie gewiß als deſto
groͤßer annehmen, je mehr Lichtſtrahlen wir auf denſelben Raum
auffallend finden; nun iſt aber offenbar, daß (Fig. 24.) die von
dem Licht ausſendenden Puncte S erleuchtete Flaͤche ABCD einen
viermal ſo großen Raum, als ſie ſelbſt betraͤgt, EFGH, beſchattet,
wenn man den Schatten in der doppelt ſo großen Entfernung,
SE = 2. SA auffaͤngt, daß in der dreifachen Entfernung SI die
[67] beſchattete Flaͤche neunmal ſo groß iſt, u. ſ. w. oder mit andern
Worten, dieſelbe Zahl von Lichtſtrahlen, welche ABCD erleuchtet,
wird in der doppelten Entfernung eine vierfach ſo große Flaͤche, in
der dreifachen Entfernung eine neunmal ſo große Flaͤche erleuchten,
wenn man die Lichtſtrahlen ungehindert bis nach EFGH oder
IKLM gelangen laͤßt; alſo iſt die Erleuchtung jedes Theiles, jedes
einzelnen Punctes der Flaͤche EFGH nur ein Viertel ſo groß in
der doppelten Entfernung, nur ⅑ ſo groß in der dreifachen Ent-
fernung, nur \frac{1}{16} ſo groß in der vierfachen Entfernung u. ſ. w. Die
Erleuchtung nimmt alſo ab, wenn die Entfernung zunimmt, und
dies nicht in dem einfachen Verhaͤltniſſe der Entfernungen, ſondern
im Verhaͤltniſſe der Quadrate der Entfernungen.


Dieſe theoretiſch gefundene Beſtimmung laͤßt ſich mit der Er-
fahrung vergleichen. Wenn wir zwei gleich hell brennende Lichter
dicht neben einander aufſtellen, ſo iſt es gewiß, daß die Erleuchtung
einer in beſtimmter Entfernung und Lage aufgeſtellten Ebene dop-
pelt ſo groß iſt durch dieſe zwei Lichter, als durch eines, und wir
beſitzen alſo ein Mittel, die doppelte, dreifache, vierfache Erleuchtung
nach Willkuͤr zu bewirken; koͤnnen wir dieſe ſo hervorgebrachten
Erleuchtungen alſo mit einer andern Erleuchtung vergleichen, ſo
bietet ſich uns ein Mittel dar, die Wahrheit der theoretiſchen Be-
ſtimmung zu pruͤfen. Unſer Auge beſitzt nicht die Faͤhigkeit, bei der
Betrachtung zweier erleuchteter Flaͤchen zu entſcheiden, ob die eine
doppelt oder dreifach ſo ſtark, als die andere, erleuchtet iſt, aber es
beſitzt die Faͤhigkeit, Gleichheit oder Ungleichheit der Erleuchtung
recht wohl zu erkennen. Um daher jene Beſtimmung zu pruͤfen,
ſtellt man in AB (Fig. 25.) eine weiße Flaͤche auf, die ihre Er-
leuchtung von den zwei Lichtern C und von dem einen Lichte D in
beinahe ſenkrechter Richtung empfaͤngt; zwiſchen der Ebene AB
und jenen Lichtern ſtellt man den undurchſichtigen Koͤrper EF ſo
auf, daß ſein Schatten vom Lichte D her in ab, ſein in Beziehung
auf die Lichter C entſtandener Schatten in cd, nahe daneben faͤllt.
Es iſt leicht zu uͤberſehen, daß nach ab zwar die Erleuchtung durch
die zwei Lichter C und nach cd zwar die Erleuchtung durch das
eine Licht D gelangt, daß aber jeder dieſer Schatten ab, cd, doch
als minder erleuchtet kenntlich wird, weil ihm die Erleuchtung von
D oder von C mangelt. Unſer Auge erkennt hier leicht, ob die
E2
[68] dem einen Lichte D oder die den zwei Lichtern C zugehoͤrende Er-
leuchtung die ſtaͤrkere iſt, und wenn man D ſo lange naͤher ruͤckt
oder weiter entfernt, bis das Auge die Erleuchtung beider beſchat-
teter Raͤume als gleich erkennt, ſo hat man das beabſichtigte Expe-
riment vollendet. Der wirkliche Verſuch zeigt, daß die Entfernung
DH ſich zu CH wie 5 zu 7 verhalten muß, wenn die Erleuchtung
durch ein Licht D eben ſo ſtark, als durch zwei Lichter C ſein ſoll,
und da 5 mal 5 = 25, 7 mal 7 = 49, die letztere Zahl faſt
genau die doppelte der erſten iſt, ſo giebt das Experiment eine
Beſtaͤtigung des oben gefundenen Satzes. Haͤtte man in C vier
Lichter vereiniget, ſo muͤßte DH nur halb ſo groß ſein, als CH,
weil ein Licht in der halben Entfernung viermal ſo ſtark erleuch-
tet, als ein Licht in der ganzen Entfernung.


Dieſe eine photometriſche Beſtimmung leitet uns zu meh-
reren. Schon eine ſich von ſelbſt darbietende Erfahrung lehrt uns,
daß die Erleuchtung ſchwaͤcher wird, wenn wir das Licht unter
einem kleinen Winkel auf die erleuchtete Ebene fallen laſſen, und
wir fragen daher auch hier nach dem Geſetze der Erleuchtung, ſofern
ſie von dem Einfallswinkel der Lichtſtrahlen abhaͤngt. Sehen wir
auf die Menge der Lichtſtrahlen, ſo erhellt leicht, daß die Ebene
AB (Fig. 26.) nur von eben ſo vielen Lichtſtrahlen, als AC,
getroffen wird, wenn aA, bB die von dem leuchtenden Puncte
herkommenden Lichtſtrahlen ſind; iſt alſo die ſchiefe Flaͤche AB
doppelt ſo groß, als AC, ſo iſt AB in jedem Puncte nur halb ſo
ſtark erleuchtet, als es AC ſein wuͤrde, wenn AC eine die Strahlen
auffangende Ebene waͤre. Der Verſuch, den man auf aͤhnliche
Weiſe, wie den vorigen, durch Vergleichung zweier Schatten an-
ſtellen kann, beſtaͤtigt dieſe Behauptung; wuͤrde er ſo angeſtellt,
daß ein Licht die Flaͤche in ſenkrechter Richtung erleuchtete, eines
dagegen in ſehr ſchiefer Richtung, ſo wuͤrde das ſenkrecht erleuch-
tende Licht viel weiter als das andere hinausgeruͤckt werden muͤſſen,
damit die Erleuchtung als gleich erſcheine. Die vorhin angefuͤhrten
Erfahrungen uͤber den lebhaften Glanz eines in ſenkrechter Richtung
von der Sonne beleuchteten Gegenſtandes erhalten hierdurch ihre
vollkommene Erklaͤrung.


[69]

Andre photometriſche Unterſuchungen.


Die hier ſo eben betrachteten Vergleichungen der Erleuchtung
heißen photometriſche Unterſuchungen, weil ſie uns den Grad der
Erleuchtung kennen lehren, oder das Licht abmeſſen, welches uns
in der Erleuchtung kenntlich wird. Photometer ſind die Werk-
zeuge, die hiezu dienen, und das einfachſte Photometer waͤre alſo
das, wo durch Vergleichung der beiden Schatten, das iſt, durch
Vergleichung der von einer Lichtquelle und von der andern Licht-
quelle erleuchteten Flaͤchen, die Gleichheit der Erleuchtung beſtimmt,
und dann durch Abmeſſung der Entfernungen das berechnete Maaß
der Erleuchtung angegeben wird. Wenn wir zum Beiſpiel die
Erleuchtung, ſo wie ſie durch ein Wachslicht von beſtimmter Art
bewirkt wird, wenn dieſes aus 1 Fuß Entfernung eine Flaͤche ſenk-
recht erleuchtet, als Maaß fuͤr andere Erleuchtungen zum Grunde
legen; ſo laͤßt ſich mit Huͤlfe eines ſolchen Photometers die Er-
leuchtung fuͤr andere Faͤlle finden. Wir wollen wiſſen, wie vielfach
die Erleuchtung durch eine hell brennende Lampe groͤßer iſt, als
durch jenes Wachslicht, ſo ſtellen wir Lampe und Wachslicht ſo auf,
daß ſie beinahe ſenkrecht die Stelle der weißen Tafel erleuchten,
wohin der ſchmale Schatten faͤllt; wir entfernen nun die hell bren-
nende Lampe, und wenn wir ſie bis zu 7 Fuß entfernen muͤſſen,
damit die Erleuchtung ſo groß ſei, wie durch das 1 Fuß entfernte
Wachslicht, ſo eignen wir ihr mit Recht eine Intenſitaͤt des Lichtes
49 mal ſo groß, als die des Wachslichtes zu *).Rumford hat
an dieſe Abmeſſung andere Betrachtungen geknuͤpft, welche das
oͤkonomiſch Vortheilhafte bei verſchiedenen Lichtern betreffen, und
fand ſo, daß eine Lampe, die 9 Wachslichtern gleich kam, nur
5½ Loth Oel in eben der Zeit verzehrte, worin das Wachslicht
1 Loth Wachs, alſo 9 Wachslichter 9 Loth Wachs gebrauchen.


Ritchie hat folgende, der Hauptſache nach aͤhnliche Einrich-
tung des Photometers vorgeſchlagen. Man ſtellt eine kleine weiße
Tafel auf, die in der Mitte durch eine ſenkrecht gegen ſie befeſtigte
ſchwarze Platte AB (Fig. 83.) in zwei Haͤlften getheilt iſt. Bei
[70]DB, EB bringt man zwei gleiche und gleich geſtellte Spiegel an.
Stellt man nun die beiden zu vergleichenden Lichter an beiden Sei-
ten etwa in F, G, auf, ſo laͤßt ſich aus der groͤßern Entfernung
des einen oder des andern Lichtes auf die Intenſitaͤt der von ihm
ausgehenden Erleuchtung ſchließen. — Mir ſcheint indeß, daß man
lieber die Spiegel weglaſſen, und die Lichter in gleicher Winkelrich-
tung ihre Strahlen auf die weiße Tafel ſollte ſenden laſſen, indem
dann die Berechnung deſto einfacher wird. Die ſchwarze Tren-
nungsflaͤche bewirkt, daß jede Haͤlfte nur die dem einen Lichte zu-
gehoͤrende Beleuchtung erhaͤlt, und das Auge, welches beide Haͤlf-
ten zugleich betrachtet, urtheilt hier genau ſo wie im vorigen Ver-
ſuche.


Eine aͤhnliche photometriſche Unterſuchung lehrt uns den Grad
der Durchſichtigkeit eines Koͤrpers kennen. Wenn zwei ganz gleich
brennende Lichter gleich weit von der erleuchteten Flaͤche ſtehen, ſo
erſcheinen die halb erleuchteten Schatten gleich; bringt man aber
eine Glasſcheibe zwiſchen das eine Licht und die erleuchtete Tafel,
ſo muß man das ſo geſchwaͤchte Licht naͤher ruͤcken, um die Gleich-
heit der Erleuchtung herzuſtellen. Man kann hieraus die Reinheit
des Glaſes beurtheilen, man kann entſcheiden, wieviel von dem
verlohrnen Lichte an der Oberflaͤche, wieviel beim Fortgange im
Innern des Glaſes verlohren geht, indem man bald eine einzige
5 mal ſo dicke Glasplatte, bald 5 duͤnne Glasplatten anwendet; —
die Erfahrungen an unſern Doppelfenſtern zeigen uns ſchon, daß
zwei duͤnne Glasplatten weit mehr verdunkeln, als eine dicke Glas-
platte.


Aber auch zu theoretiſcher Beſtimmung bieten die obigen
Hauptgeſetze eine Menge von Anwendungen dar. Eine einfache,
hieher gehoͤrige Frage iſt die, wie ich ein hoͤher oder tiefer zu ſtel-
lendes Licht B, waͤhrend es in der Verticallinie CB bleibt, ſtellen
muß, (Fig. 27.) damit es in der Gegend A die horizontale Flaͤche
A am beſten erleuchte. Bei groͤßerer Hoͤhe nimmt die Erleuchtung
in A wegen der groͤßern Entfernung ab, aber wegen des vortheil-
hafteren Winkels nimmt ſie zu, und man findet, daß der Winkel
BAC = 35° ſein muß, damit die Erleuchtung am vortheilhafteſten
ſei, BC muß = 7 ſein, wenn AC = 10 iſt.


[71]

In manchen Faͤllen haben wir nicht eine von einem einzigen
Puncte ausgehende Erleuchtung; aber auch dann laͤßt ſich eine
Berechnung, die ich hier nur oberflaͤchlich angeben kann, anſtellen.
Wenn eine horizontale Flaͤche durch die Fenſter eines Zimmers er-
leuchtet wird, und dieſe Erleuchtung bloß vom hellen Himmel aus-
geht, deſſen Licht wir als in allen Puncten gleich anſehen, ſo muͤßte
fuͤr jeden Theil des durch das Fenſter ſichtbaren Himmels die dem
ſchiefen Einfallen der Strahlen und der Groͤße jedes Theiles ange-
meſſene Erleuchtung fuͤr eine beſtimmte Stelle berechnet werden,
und die Summe dieſer Erleuchtungen gaͤbe das, was wir zu haben
verlangen. Mit Huͤlfe ſolcher Berechnungen, die eine groͤßere
Schaͤrfe geſtatten, als wir in aͤhnlichen Faͤllen zu fordern pflegen,
koͤnnte man im Voraus beurtheilen, ob eine veraͤnderte Wohnung
oder eine veraͤnderte Stellung des Tiſches, auf dem ich ſchreibe,
mir in Hinſicht der Tageshelligkeit mehr oder mindere Beleuchtung
gewaͤhre. Alle Umſtaͤnde laſſen ſich dabei freilich nicht wohl beruͤck-
ſichtigen, indem die Waͤnde der benachbarten Haͤuſer, der weiße
oder farbige Anſtrich des Zimmers, ſehr erheblich mit einwirken;
indeß iſt es doch angenehm, zu uͤberſehen, welche Beſtimmungen
ſich uns hier darbieten. Zum Schluſſe dieſer Betrachtung will ich
noch beifuͤgen, daß eine horizontale Flaͤche durch den ganzen hellen
Himmel, wenn deſſen Licht im Freien durch nichts aufgehalten
wird, grade halb ſo ſehr erleuchtet wird, als es geſchehen wuͤrde,
wenn alle von der Halbkugel des Himmels auffallenden Lichtſtrah-
len ſenkrecht auffielen.


Auch auf aſtronomiſche Gegenſtaͤnde findet eine Anwendung
dieſer photometriſchen Regeln ſtatt. Der Planet Jupiter iſt 5 mal
ſo weit als die Erde von der Sonne entfernt, alſo wird eine dort
den Sonnenſtrahlen ſenkrecht dargebotene Ebne nur \frac{1}{25} ſo ſtark
erleuchtet, als auf der Erde; auf der Venus hingegen, deren Ent-
fernung von der Sonne nur ¾ der Entfernung der Erde von der
Sonne iſt, muß die Erleuchtung beinahe doppelt ſo groß, als auf
der Erde, ſein; und obgleich wir, bei unſerer Unkunde uͤber Farbe
und ſonſtige Beſchaffenheit der Planeten-Oberflaͤchen, noch keine
weitere Vergleichungen auf dieſe Beſtimmung gruͤnden koͤnnen, ſo
erklaͤrt ſich doch das glaͤnzende Licht der Venus und des der Sonne
noch naͤheren Mercurius aus dieſer Betrachtung.


[72]

Wie die Erleuchtung von der Lage der leuchtenden
Oberflaͤche abhaͤngt
.


Wir haben die Erleuchtung bisher nur in Beziehung auf die
Entfernung und Lage der erleuchteten Flaͤche unterſucht; aber ſie
haͤngt auch von der Lage der leuchtenden Oberflaͤche ab. Wenn
wir uns ein leuchtendes Quadrat denken, und als ſolches kann eine
weiße, von der Sonne ſenkrecht beſchienene Tafel uns dienen, ſo
bemerken wir keinen Unterſchied in der Intenſitaͤt des Glanzes,
wir moͤgen ſenkrecht auf die Tafel blicken oder uns mehr ſeitwaͤrts
ſtellen, das heißt, jeder einzelne Theil der Tafel koͤmmt uns gleich
blendend, unſer Auge in gleichem Grade ruͤhrend, vor, bei der
einen und bei der andern Stellung. Aber die ſcheinbare Groͤße des
leuchtenden Quadrates nimmt ab, wenn ich auf die Seite trete,
und da von jedem ſcheinbar gleich großen Theile, nach dem Urtheile
unſers Auges, gleich viel Licht ausgeht, ſo muß die Erleuchtung,
durch die ganze quadratiſche Flaͤche hervorgebracht, abnehmen. In
dieſem Beiſpiele uͤberſehen Sie zugleich den Unterſchied deſſen, was
man geſehene Helligkeit, oder wahre Intenſitaͤt des
Lichtes, und was man geſammten Glanz, auch wohl Licht-
ſtaͤrke, nennt. Die geſehene Helligkeit bleibt bei jener glaͤnzenden
Quadratflaͤche gleich fuͤr jede Stellung des Auges, aber der ge-
ſammte Glanz, der Eindruck, welchen alle Theile der Flaͤche ver-
eint auf das Auge hervorbringen, und eben deswegen auch die Er-
leuchtung, die einem Koͤrper durch dieſes auffallende Licht zu Theil
wird, nimmt ab, ſo wie die ſcheinbare Groͤße abnimmt. In Be-
ziehung hierauf ſagen wir zum Beiſpiel, das funkelnde Licht des
Sirius ſei glaͤnzender, habe mehr geſehene Helligkeit, als das
Licht des Mondes, deſſen geſammter Glanz gleichwohl mehr be-
traͤgt, als der des Sirius. Haͤtte jeder Punct des Mondes den
blitzenden Glanz, wie der Sirius, ſo wuͤrde das Licht des Mon-
des vielleicht dem der Sonne nichts nachgeben.


Die Behauptung, daß der geſehene Glanz, die Intenſitaͤt
des Lichtes, fuͤr jede ſcheinbar gleich große Flaͤchentheile in der Ent-
fernung nicht abnimmt, hat im erſten Augenblicke etwas Auffal-
lendes, weil man ſo leicht geneigt iſt, die Wirkung, die ſich uns
in der ganzen Erleuchtung zeigt, mit der Intenſitaͤt in jedem
ſcheinbar gleich großen Theile zu verwechſeln. Es iſt ganz gewiß,
[73] daß eine zehnmal ſo weit hinausgeruͤckte Lichtflamme uns nur ein
Zehntel ſo hoch und ein Zehntel ſo breit erſcheint, als in der naͤhern
Stellung, und deshalb iſt die Erleuchtung nur ein Hunderttel der-
jenigen Erleuchtung, welche von eben der Lichtflamme in der naͤ-
hern Stellung hervorgebracht wurde; aber die ſcheinbare Helligkeit
jedes Theiles iſt gleich. Denn, wenn bei der erſten Stellung der
Lichtflamme eine Quadratlinie, ein Raum von 1 Linie lang und
breit, uns in Hinſicht auf Laͤnge und Breite unter einem gewiſſen
Sehewinkel erſchien, ſo ging die, dieſem Sehewinkel entſprechende,
geſehene Helligkeit nur aus dem Lichte einer Quadratlinie hervor;
iſt dagegen die Flamme zehnmal ſo weit hinausgeruͤckt, ſo tragen
100 Quadratlinien der Flamme zu dem Lichte bei, welches uns
in eben dem ſcheinbaren Raume, eben dem Sehewinkel entſprechend,
erſcheint, und ſo kann es nicht anders ſein, als daß die Intenſitaͤt
des Lichtes dieſelbe bleibt. Dem Saturnbewohner erſcheint daher,
abgeſehen davon, daß vielleicht eine den Weltraum erfuͤllende feine
Materie das Licht ſchwaͤchen mag, die Sonne ebenſo blendend als
uns, obgleich ihre Scheibe ihm nur ein Hunderttel mal ſo groß er-
ſcheint, das heißt, wenn wir durch eine Oeffnung nur einen Theil
der Sonne, ein Zehntel ſo groß im Durchmeſſer als die ganze
Sonne, ſehen, ſo ſtellt dieſer Theil der Sonne uns ein genaues
Bild deſſen dar, was wir auf dem Saturn beim freien Anblicke
der Sonne ſehen wuͤrden.


Nach dieſen Ueberlegungen beurtheilen wir den ganzen Ein-
druck, den das Licht der verſchiedenen Planeten auf unſer Auge
machen muͤßte, wenn ſie alle, als ihrer Natur nach gleich, zum
Beiſpiel alle gleich weiß, uns ihre Erleuchtung gleich gut zeigten.
Saturn iſt ungefaͤhr 10 mal ſo weit als unſer Mond von der
Sonne entfernt, alſo jeder Theil ſeiner Oberflaͤche \frac{1}{100} ſo ſtark als
die des Mondes erleuchtet; aber da er uns nur 19 Secunden im
Durchmeſſer zu haben ſcheint, alſo ſeine Scheibe uns nur ungefaͤhr
\frac{1}{10000} ſo groß als die Mondſcheibe erſcheint, ſo giebt er uns nur
ſo viel Erleuchtung, als der zehntauſendſte Theil der Mondſcheibe
mit ein Hunderttel des Mondlichtes thun wuͤrde, das heißt nur
ein Milliontel der Erleuchtung, welche der Mond uns giebt. —
Daß dieſe Abſchaͤtzungen indeß nur oberflaͤchlich ſein koͤnnen, da wir
[74] nicht wiſſen, ob nicht die Oberflaͤche des Saturns ſchneeweiß, die
des Mondes grau iſt, verſteht ſich von ſelbſt.


Ich ſchließe dieſe Bemerkungen, zu denen ſchon die Betrach-
tung des gradlinigt fortgehenden Lichtes Veranlaſſung gab, um zu
den noch mannigfaltigeren Erſcheinungen des zuruͤckgeworfenen
Lichtes uͤberzugehen.


Fuͤnfte Vorleſung.


Zuruͤckwerfung des zerſtreuten Lichtes an den Ober-
flaͤchen der Koͤrper.


Die Erſcheinungen, welche das Licht uns darbietet, m. h. H.,
ſind uns allen in ſo großer Mannigfaltigkeit bekannt, daß es wohl
eben nicht als eine Verletzung der wiſſenſchaftlichen Anordnung des
Vortrages erſcheinen wird, wenn ich zuweilen Erſcheinungen er-
waͤhne, deren Entſtehung noch nicht genau erklaͤrt iſt. In Hin-
ſicht hierauf habe ich kein Bedenken getragen, von der Beobachtung
einer gleichen oder ungleichen Erleuchtung zu reden, ohne Sie
ſchon darauf aufmerkſam zu machen, daß wir dieſe Erleuchtung
vermittelſt des von den Koͤrpern zu unſerm Auge zuruͤckgeworfenen
Lichtes wahrnehmen; auf aͤhnliche Weiſe werde ich die Umſtaͤnde,
wodurch unſer Sehen moͤglich wird, erſt viel ſpaͤter erklaͤren koͤnnen,
obgleich ich vom Sehen ſchon hier, als von etwas Bekanntem, reden
muß. Aber nachdem wir die Erſcheinungen, welche der gradlinigte
Fortgang der Lichtſtrahlen uns darbietet, umſtaͤndlich betrachtet
haben, iſt es Zeit genauer zu fragen, wie denn die an ſich dun-
keln Koͤrper uns durch die empfangene Erleuchtung ſichtbar werden?
Wir ſind gewohnt, dies ſo anzuſehen, als ob nun auch von ihnen
Lichtſtrahlen ausgehen; ſie werfen das empfangene Licht zuruͤck,
auch ſie ſenden nun Licht aus, aber thun dieſes nur vermoͤge der
von andern Koͤrpern empfangenen Erleuchtung, und nach dem
Maaße dieſer Erleuchtung, jedoch ſo, daß ſie lange nicht ſo viel
Licht zuruͤckwerfen, als ſie empfingen, und daß ſie nach Verſchie-
denheit ihrer Beſchaffenheit einen geringern oder groͤßern Theil des
[75] auf ſie fallenden Lichtes zuruͤckgeben. Die weißen Oberflaͤchen geben
mehr Licht zuruͤck, als die grauen, und eine ſchwarze Oberflaͤche
zeigt, je ſchwaͤrzer ſie erſcheint, deſto weniger erleuchtende Wir-
kung; — das voͤllige Schwarz wuͤrde uns da erſcheinen, wo gar
keine Lichtſtrahlen zuruͤckgeworfen wuͤrden. Da von den Farben
der Koͤrper hier noch nicht geredet werden kann, ſo giebt dieſe zer-
ſtreute Zuruͤckwerfung des Lichtes uns nur zu wenigen naͤheren Un-
terſuchungen Veranlaſſung.


Wir legen den weißen Flaͤchen und denen, die in das Graue
uͤbergehen, einen verſchiedenen Grad der Weiße bei, und verſte-
hen eben darunter ihre ungleiche Faͤhigkeit, das Licht zuruͤckzuwer-
fen. Dieſen Grad der Weiße zu beurtheilen, koͤnnte folgendes Ex-
periment, das ſchon hier verſtaͤndlich iſt, dienen. Es iſt bekannt,
daß ſelbſt ein graues Papier unſerm Auge recht lebhaftes Licht zu-
ruͤckgiebt, wenn es eine ſtarke Erleuchtung empfaͤngt, und ein ſehr
weißes Papier neben einem nicht ſo weißen koͤnnte durch verſchiedene
Erleuchtung unſerm Auge als ziemlich nahe dieſem gleich an Glanz
erſcheinen; da wir nun die Erleuchtung ihrem Grade nach berech-
nen koͤnnen, ſo wuͤrden wir dem Papiere nur die Haͤlfte der Weiße
beilegen, das bei doppelt ſo lebhafter Erleuchtung uns nur eben ſo
hell als das andre erſchiene. Auf dieſem Wege koͤnnen wir nicht
allein, — woruͤber unſer Auge ſogleich entſcheidet, — die groͤßere
oder mindere Weiße beurtheilen, ſondern in Vergleichung gegen
einen beſtimmten Koͤrper, z. B. friſch gefallenen Schnee, koͤnnten
wir auch nach einem ſichern Maaßſtabe das beurtheilen, was uns
nicht unmittelbar vor Augen liegt, wenn ein Andrer dieſe Verglei-
chung angeſtellt hat. So beurtheilen wir indeß nur vergleichend
die Weiße des einen Koͤrpers gegen die des andern, und die Frage,
wieviel von dem empfangenen Lichte jeder zuruͤckwirft, bleibt un-
entſchieden; ein Experiment, das daruͤber Entſcheidung gaͤbe, kann
ich erſt ſpaͤter anfuͤhren, und muß mich hier begnuͤgen zu ſagen,
daß ſelbſt das weißeſte Papier nur etwa die Haͤlfte der Lichtſtrahlen
zuruͤckwirft, oder nur diejenige Erleuchtung fuͤr eine andre Flaͤche,
nur denjenigen Eindruck auf unſer Auge hervorbringt, der von
der Haͤlfte des auf die weiße Flaͤche auffallenden Lichtes unmittel-
bar hervorgebracht wuͤrde.


[76]

Eine merkwuͤrdige aſtronomiſche Frage hat man hieran ge-
knuͤpft, naͤmlich welcher Grad der Weiße den verſchiedenen Plane-
ten eigen iſt. Es giebt Zeitpuncte, wo der Mars uns ziemlich
eben den geſammten Licht-Eindruck gewaͤhrt, wie Saturn, und
da ſich aus der Entfernung beider Planeten von der Sonne und
aus ihrer ſcheinbaren Groͤße beſtimmen laͤßt, welcher von beiden
am meiſten geſammten Glanz zeigen ſollte, wenn ſie das Licht gleich
gut zuruͤckwuͤrfen, ſo ergiebt ſich, welcher von beiden Planeten am
meiſten geſchickt iſt, das Licht zuruͤckzuwerfen. Saturn ſcheint
nach dieſen Vergleichungen eine groͤßere Weiße zu beſitzen, und uͤber-
haupt ſcheint ſich zu ergeben, daß die von der Sonne entfernteren
Planeten mehr Licht zuruͤckwerfen.


Dieſe Zuruͤckwerfung des Lichtes von feſten Koͤrpern findet,
mehr oder weniger vollkommen, an der Oberflaͤche aller Koͤrper ſtatt,
und das ſo nach allen Richtungen zerſtreute Licht iſt es, wodurch
uns die an ſich dunkeln Koͤrper ſichtbar werden. An polirten Ober-
flaͤchen dagegen findet bekanntlich eine regelmaͤßige Zuruͤckwerfung
des Lichtes ſtatt, eine Spiegelung, deren Geſetze eine genauere
Erklaͤrung fordern.


Geſetze der Reflexion des Lichtes im ebnen Spiegel.


Wenn ein Lichtſtrahl an eine ebene, polirte Flaͤche antrifft,
ſo zeigt die Erfahrung, daß er unter eben dem Winkel zuruͤckge-
worfen wird, unter welchem er auffiel, und daß er bei ſeiner Re-
flexion in eben der gegen die ſpiegelnde Ebne ſenkrechten Ebne bleibt,
in welcher er auffiel. Iſt naͤmlich AB (Fig. 28.) die Spiegelflaͤche,
CD der einfallende Strahl und DG die auf die Spiegel-Ebne ſenk-
rechte Linie, welche man das Einfallsloth nennt, ſo liegt der
zuruͤckgeworfene Strahl DE in der durch CDG gelegten Ebne
und die Winkel CDG, EDG ſind gleich. Hieraus folgt eine leichte
Regel, wie man die Richtung beſtimmt, nach welcher hin man
ſehen muß, um das Bild eines Gegenſtandes C im Spiegel zu
ſehen. Man zieht naͤmlich von dem Gegenſtande C eine Senkrechte
CF auf den Spiegel, verlaͤngert ſie, bis FH = CF iſt, und H
iſt dann der Punct, wohin jedes Auge ſich richten muß, wenn es
den Gegenſtand C im Spiegel ſehen will. Es iſt offenbar, daß
von C aus Lichtſtrahlen nach allen Richtungen, nach CD, Cd,
[77] CdI
auf den Spiegel fallen; ſie alle werden unter einem, ihrem
Einfallswinkel gleichen, Winkel nach DE, de, dI eI reflectirt,
und die zuruͤckgeworfenen Strahlen haben, wegen dieſer Gleichheit
der Winkel CdA = edB = AdH, die Richtung, als ob ſie
alle von H herkaͤmen. Man nennt daher H das Bild des Gegen-
ſtandes, weil, obgleich in H hinter dem Spiegel nichts Reelles
vorhanden iſt, doch alle Augen ſich nach dieſem Puncte richten, um
den geſpiegelten Gegenſtand zu ſehen.


Auf dieſer Beſtimmung des Bildes beruhen einzelne, leicht zu
erklaͤrende Erſcheinungen. Zum Beiſpiel, wenn ein grader Stab
ſenkrecht auf dem Spiegel ſteht, ſo erſcheinen Bild und Gegenſtand
als ein einziger grader Stab. Wenn ein grader Stab einen halb-
rechten Winkel mit dem Spiegel macht, ſo ſcheint das Bild einen
rechten Winkel mit dem Stabe zu machen. Wenn mein Auge auf
das im Spiegel erſcheinende Auge eines Andern gerichtet iſt, ſo
ſcheint das Bild meines Auges aus dem Spiegel heraus jenen An-
dern anzuſehen.


Bei unſern gewoͤhnlichen Glasſpiegeln zeigen ſich uns immer
doppelte, auch wohl mehrfache Bilder. Hier ſind naͤmlich zwei das
Licht zuruͤckwerfende Flaͤchen, indem auch die Vorderſeite des Gla-
ſes einige Lichtſtrahlen reflectirt, wenn gleich die mehr Licht zuruͤck-
werfende, mit dem Amalgam belegte Hinterflaͤche uns das lebhaf-
teſte Bild darſtellt. Es ſei HI (Fig. 29.) die Dicke des Spiegel-
glaſes HIGE, A ſei der leuchtende Punct, ſo liegt das der Vor-
derflaͤche entſprechende Bild in K, das der Hinterflaͤche entſprechen-
de Bild in L, wenn K ſo weit hinter H, L ſo weit hinter I liegt,
als A vor der einen und vor der andern Flaͤche, AH = HK,
AI
= IL. Das Auge in O erhaͤlt alſo einen von B und einen
von C aus zuruͤckgeworfenen Lichtſtrahl und der letztere macht den
lebhafteren Eindruck. Iſt der Spiegel an der hinteren Seite ſo
geſchliffen, daß ſeine Hinterſeite mit der Vorderſeite parallel iſt,
ſo muͤſſen, wenn man das Auge von O gegen o zu bewegt, beide
Bilder einander regelmaͤßig begleiten, das heißt, der Winkel zwi-
ſchen den beiden reflectirten Strahlen BO, CO iſt bei o nicht er-
heblich von dem bei O verſchieden. Dagegen wenn die Hinterſeite,
ſo wie bei EF, unregelmaͤßig iſt, der Spiegel zwar bis E parallele
Flaͤchen hat, aber gegen F zu duͤnner wird, ſo liegt das der Flaͤche
[78]EF entſprechende Bild in M, (naͤmlich ſo weit hinter der nach N
verlaͤngerten FE, als A vor derſelben liegt, AN = NM) und
das Auge in P ſieht die Bilder auffallend weiter aus einander ge-
ruͤckt, als es in O, o, der Fall war. Wir bemerken dieſe un-
gleiche Fortruͤckung der Bilder ſehr oft in unſern Spiegeln. Der
ſcheinbare Abſtand beider Bilder von einander laͤßt uns zugleich uͤber
die Dicke des Spiegels urtheilen, indem ein ganz nahe an der
Oberflaͤche des Spiegels gehaltener Gegenſtand uns ſein erſtes Bild
unmittelbar hinter der Vorderflaͤche, ſein zweites Bild aber um die
doppelte Dicke des Spiegels hinter der Vorderflaͤche zeigt. Wir
ſehen in unſern gewoͤhnlichen Spiegeln mehr als zwei Bilder; denn
wenn ein in B von der Hinterſeite (Fig. 30.) reflectirter Strahl
die Vorderſeite C erreicht, ſo dringt er zwar groͤßtentheils hervor,
wird aber auch zum Theil nach D und von D wieder nach O zu-
ruͤckgeworfen; das Auge O ſieht daher außer den beiden erſten Bil-
dern E, F, noch ein drittes Bild nach der Richtung OD und
durch wiederholte Zuruͤckwerfung von beiden Oberflaͤchen ſogar noch
mehrere Bilder.


Erſcheinungen bei der Verbindung zweier Spiegel.


Die wiederholte Zuruͤckwerfung des Lichtes zeigt ſich noch viel-
facher bei mehreren Spiegeln. Wenn zwei Spiegel parallel ſind,
wie AB, CD (Fig. 31.) und ein Licht L ſich zwiſchen beiden be-
findet, ſo ſieht man nicht allein das gewoͤhnliche Bild I, welches
ebenſoweit hinter dem Spiegel liegt, als L vor dem Spiegel, ſon-
dern das Bild II aus dem andern Spiegel giebt uns ein neues
Bild III im erſten Spiegel, und es iſt FII = FL, EII = EIII;
ebenſo giebt I ein zweites Bild im zweiten Spiegel IIII und dadurch
ein drittes Bild IIV im erſten Spiegel und ſo weiter; jedes dieſer
aus mehrmaliger Reflexion entſtandenen Bilder iſt ſchwaͤcher, je
oͤfter ſich die Zuruͤckwerfung wiederholt hat, weil bei jeder Reflexion
nicht alles Licht zuruͤckgeworfen wird; man ſieht daher nicht allein
die immer entfernteren Bilder auch kleiner, ſondern zugleich von
matterem Lichte, und erkennt ſelten mehr als ſechs oder acht Lichter.
Auf eben dieſen wiederholten Zuruͤckwerfungen beruhen die Erſchei-
nungen im Winkelſpiegel und im Caleidoſcop. Wenn
man zwei ebene Spiegel CA, CB, (Fig. 32.) unter einem
[79] Winkel von 60 Graden gegen einander geneigt ſtellt, ſo ſieht man
von dem Lichte L die gewoͤhnlichen Bilder II, III in jedem der beiden
Spiegel; aber der Spiegel CA giebt auch die ſcheinbar von dem
Bilde II ausgehenden Strahlen zuruͤck, und dieſes ſo, als ob ſie
von IIII, ebenſo weit hinter CA, als II vor CA iſt, ausgingen;
IIII iſt alſo ein drittes Bild, und ebenſo IIV ein viertes, wenn man
III IIV aufCB ſenkrecht zieht und IIV ſo weit hinter als III vor CB
annimmt; endlich entſteht noch ein fuͤnftes Bild IV, das zugleich
als Abſpiegelung des Bildes IIV in CA und als Abſpiegelung des
Bildes IIII in CB anzuſehen iſt. Waͤre der Winkel ACB ein Ach-
tel des Umfanges, ſo wuͤrden die auf aͤhnliche Weiſe gegen einander
liegenden Lichter LII, IIIIIII IIVIV viermal wieder kommen. Um
dieſe Erſcheinung ganz zu verſtehen und ſich zu uͤberzeugen, daß
auch des Bildes II geſpiegeltes Bild IIII ebenſo, wie fuͤr den Gegen-
ſtand L ſelbſt, beſtimmt wird, hat man nur noͤthig, die in das
Auge O gelangenden Lichtſtrahlen, LmIO, durch welche das Auge
das Bild II ſieht, LmIImIIIO, durch welchen das Auge das Bild
IIV ſieht, und ſo ferner zu zeichnen, um ſogleich die Gleichheit der
Winkel bei der einmaligen Reflexion in mI, (CmIL = BmIO),
bei der zweimaligen Reflexion in mII, mIII, (LmIIA = mIImIIC
= mIImIIIC = BmIIIO) zu erkennen. Und hierin haben Sie
zugleich die Erklaͤrung der bekannten, ſchoͤnen Erſcheinungen im
Caleidoſcope, wo die regelmaͤßig geordneten Bilder der zwiſchen den
beiden Spiegeln CA, CB, liegenden farbigen Koͤrper durch ihre
Symmetrie einen ſo angenehmen Anblick gewaͤhren, welcher durch
die unendliche Mannigfaltigkeit im Wechſel der Anordnungen, weil
die Koͤrper beweglich ſind, einen unaufhoͤrlich erneuerten Reitz er-
haͤlt, ſo daß man faſt nicht muͤde wird, dem immer neuen Wechſel
ſchoͤner Erſcheinungen ſeine Aufmerkſamkeit zu ſchenken.


Taͤuſchungen in Beziehung auf die Lage der Bilder.


Ehe ich zu den nuͤtzlichen Anwendungen uͤbergehe, die wir
von den ebnen Spiegeln bei Inſtrumenten machen, muß ich doch
einen Augenblick bei einem Einwurfe verweilen, den man wohl
einmal in Beziehung auf die ſcheinbare Lage der Bilder im Spiegel
zu machen geneigt iſt. Wenn wir in einem undurchſichtigen ſchoͤn
polirten Spiegel die Bilder der vor dem Spiegel liegenden Gegen-
[80] ſtaͤnde ſehen, ſo erſcheinen ſie uns gewoͤhnlich ſo lebhaft, daß wir
ſie genau ſo, als ob ſie hinter dem Spiegel laͤgen, anerkennen,
und voͤllig geneigt ſind, das Bild jedes Gegenſtandes als da er-
ſcheinend, wohin die Theorie es verſetzt, anzunehmen; aber ſchon
in einem ſchlecht polirten Metalle, in der Oberflaͤche polirten Hol-
zes oder irgend eines andern Koͤrpers, wo die Oberflaͤche ſelbſt uns
durch viele zerſtreut zuruͤckgeworfene Lichtſtrahlen ſichtbar wird, fin-
det jene Taͤuſchung nicht ſo beſtimmt ſtatt, ſondern wir ſind hier
eher geneigt, das geſpiegelte Bild naͤher hinter der Oberflaͤche zu
ſuchen; und etwas Aehnliches iſt der Fall, wenn wir in einem
unbelegten, alſo voͤllig durchſichtigen Glaſe die geſpiegelten Gegen-
ſtaͤnde und zugleich die hinter dem Glaſe liegenden Gegenſtaͤnde
ſehen. Die optiſchen Regeln bleiben auch in dieſen Faͤllen dieſelben,
aber unſer Urtheil verliert an Sicherheit, weil wir zweierlei Gegen-
ſtaͤnde zugleich ſehen; wir werden dann geneigt, die Holzfaſern im
polirten Holze zur Bezeichnung der Stelle, wo der reflectirte Strahl
ausgeht, ins Auge zu faſſen, und je feſter wir das Auge in glei-
cher Stellung feſthalten, deſto vollkommener koͤnnen wir die Taͤu-
ſchung, als erſchiene der geſpiegelte Gegenſtand in dieſer Oberflaͤche
ſelbſt, beſtaͤrken; und ungefaͤhr ebenſo iſt es, wenn wir durch das
ſpiegelnde Glas auf Gegenſtaͤnde jenſeits des Glaſes ſehen. Wollen
wir uns hier uͤberzeugen, daß die nach optiſchen Regeln beſtimmte
Lage des Bildes noch immer richtig beſtimmt iſt, ſo haben wir nur
(Fig. 33.) noͤthig, das Auge von O nach o zu verruͤcken, wo der
entferntere Gegenſtand A uns viel mehr, als der nahe Gegenſtand
B, fortzuruͤcken ſcheint, jener von D nach d, dieſer nur von E
nach e. Aehnliche Vergleichungen finden auch ſtatt, wenn man
den geſpiegelten Gegenſtand auf einen hinter dem Glaſe liegenden
Gegenſtand bezieht.


Der Cryſtallwinkelmeſſer.


Die ebnen Spiegel haben zu mehreren ebenſo merkwuͤrdigen,
als nuͤtzlichen Anwendungen bei Inſtrumenten gefuͤhrt. Zu dieſen
Inſtrumenten gehoͤrt der Winkelmeſſer fuͤr Cryſtalle. Wenn (Fig.
34.
) ABC zwei unter einem Winkel verbundene Spiegel oder
zwei ſpiegelnde Seitenflaͤchen eines Cryſtalles ſind, ſo iſt es offen-
bar, daß man durch eine Drehung des Cryſtalles die Seite BC in
[081[81]] eben die Lage, wo vorhin AB war, bringen kann, und daß dann
das Auge O den Reflex des Lichtes D ebenſo in der zweiten Flaͤche
ſehn wird, wie vorhin in der erſten Flaͤche. Um alſo den Winkel
ABC eines kleinen Cryſtalles zu meſſen, iſt es nur noͤthig, ihn
an der Axe eines eingetheilten Kreiſes ſo zu befeſtigen, daß die
durch B gehende Durchſchnittslinie der beiden Ebnen AB, BC, mit
der Drehungs-Axe des Kreiſes zuſammenfalle; wenn man dann
die auf der einen Seitenflaͤche beobachtete Spiegelung durch Um-
drehung des Kreiſes genau ebenſo auf der andern Flaͤche hervor-
bringt, ſo kann man an der Zahl von Graden, um welche der
Kreis gedreht worden, die Groͤße des neben ABC liegenden Win-
kels oder des Winkels CBa kennen lernen. Die genaue Stellung
des Cryſtalles, ſo daß ſeine Seitenlinie mit der Axe des Kreiſes
parallel iſt, macht an dem zu dieſem Zwecke beſtimmten Wol-
laſtonſchen Goniometer einige Vorrichtungen noͤthig, die
dieſes Inſtrument von andern Winkelmeſſern unterſcheiden. Der
bei h (Fig. 35.) befeſtigte Cryſtall kann naͤmlich, indem man Oo
verſchiebt, der Axe des Kreiſes genaͤhert, oder davon entfernt wer-
den, und das Gelenk bei r, welches die beiden Bogen fr, to,
verbindet, dient, diejenige Seitenlinie, welche als Durchſchnitts-
linie der beiden Seitenflaͤchen in Betrachtung koͤmmt, ſenkrecht
auf die Ebne des Kreiſes zu ſtellen; die Scheibe i dreht die Axe ff,
woran der Cryſtall befeſtigt iſt, allein; die Scheibe k dreht den ge-
theilten Kreis ab, welcher die durch hinreichende Reibung in ihm
feſtgehaltene Axe mit fortfuͤhrt, wenn man nicht durch eine Dre-
hung bei i die Axe beſonders in Bewegung ſetzt.


Der Spiegelſextant.


Ein zweites von den Geſetzen des Spiegels abhaͤngendes In-
ſtrument iſt der Spiegelſextant. Jedem, der ſich auch nie
ſelbſt mit practiſch geometriſchen Arbeiten oder mit dem Feldmeſſen
abgegeben hat, iſt es einleuchtend, daß man die Richtungslinien
(Fig. 36.) AB, AC nach zwei entfernten Gegenſtaͤnden B, C,
zwar auf einem feſtſtehenden Inſtrumente leicht bezeichnen und ſo
den Winkel bAc abmeſſen kann; daß dies aber mit der groͤßten
Schwierigkeit verbunden iſt, wenn man ſich auf einem ſchwankenden
oder ſeine Stelle aͤndernden Schiffe befindet, wenn man am Fen-
II. F
[82] ſter eines Thurmes jene Gegenſtaͤnde nur ſehen kann, indem man
das Inſtrument außerhalb des Fenſters hinaus haͤlt, und unter
aͤhnlichen Umſtaͤnden. Mit Huͤlfe eines gewoͤhnlichen Winkelmeſ-
ſers naͤmlich kann man immer nur einen Gegenſtand nach dem
andern beobachten; das zuerſt gegen B gerichtete Lineal, deſſen rich-
tige Stellung uns den Punct b auf dem Gradbogen kennen gelehrt
hatte, muß nun nach C gewandt werden, damit wir den Bogen
bc ableſen koͤnnen, und es bedarf daher eines feſten Standpunctes,
damit das Inſtrument in der Zwiſchenzeit unverruͤckt bleibe. Um
in einer unſichern, wankenden Stellung oder auf einem nie ganz
unverruͤckt bleibenden Schiffe dieſen Winkel zu meſſen, muͤßte man
nach beiden Gegenſtaͤnden zugleich viſiren, und dieſes iſt mit Huͤlfe
zweier Spiegel, ſo wie ſie beim Spiegelſextanten vereinigt
ſind, moͤglich. Hier naͤmlich (Fig. 37.) iſt AB der ſechſte Theil
eines eingetheilten Kreiſes, (und daher heißt das Inſtrument ein
Sextant,) an welchem im Mittelpuncte C eine Regel, ein um den
Mittelpunct drehbares Lineal, befeſtigt iſt, welches einen Spiegel
lg, ſenkrecht ſtehend auf der Ebne des Kreiſes, mit ſich fortfuͤhrt;
ein zweiter Spiegel iſt feſtſtehend in IF angebracht, und in dieſen
hinein ſieht man durch das ebenfalls an dem Kreiſe befeſtigte Fern-
rohr O. Der Spiegel IF hat nur eine ſolche Hoͤhe, daß er die
Oeffnung des Fernrohrs ungefaͤhr halb verdeckt, ſo daß man durch
O ſowohl den Gegenſtand H uͤber dem Spiegel wegſehend, als die
Bilder von Gegenſtaͤnden im Spiegel, beobachten kann; und zu-
gleich hat der Spiegel IF die Stellung, daß er mit der nach dem
Nullpuncte B gerichteten Lage des Lineals CB parallel iſt. Nun
laͤßt ſich leicht uͤberſehen, daß das durch O beobachtende Auge des
ſehr entfernten Gegenſtandes H Bild im Spiegel ſehen muß, wenn
LG mit IF parallel und beider Lage ſo iſt, daß die Winkel ONF
= INC gleich werden. Der Gegenſtand H braucht naͤmlich nur
einige tauſend Fuß entfernt zu ſein, ſo wird man ſchon die von ihm
herkommenden Lichtſtrahlen KC und HNO, als unter ſich parallel
anſehen duͤrfen, und da parallele Linien KC, HN, mit paralle-
len Linien LG, IF, gleiche Winkel machen, ſo wird, bei der vor-
ausgeſetzten Stellung der Spiegel, der Lichtſtrahl KC vom erſten
Spiegel LG unter dem Winkel NCG = KCL zuruͤckgeworfen,
und erreicht, zum zweiten Male reflectirt, weil INC = ONF =
[83]HNI war, durch das Fernrohr gehend, das Auge. So lange alſo
das Lineal CB mit ſeinem Spiegel auf Null geſtellt bleibt, ſieht
man den Gegenſtand H durch das Fernrohr doppelt, naͤmlich durch
den graden Lichtſtrahl und durch Spiegelung. Wird dagegen das
Lineal fortgedreht, ſo daß es nach und nach die Stellung CD er-
reicht, wobei der Spiegel nach lg koͤmmt, ſo ſieht das Auge durch
das Fernrohr blickend zwar noch immer den Gegenſtand H uͤber
dem Spiegel weg, aber nun gehen die geſpiegelten Bilder andrer
Gegenſtaͤnde vor ihm vorbei; und wenn man die Lage eines gewiſ-
ſen Gegenſtandes S beſtimmen will, ſo haͤlt man das Lineal an,
wenn dieſer Gegenſtand S im Spiegel mit dem nach grader Rich-
tung geſehenen Gegenſtande H zugleich erſcheint. Da das Fern-
rohr und der zweite Spiegel ihre feſte Stellung am Kreiſe behalten,
ſo wird der nach zweimaliger Spiegelung reflectirte Strahl noch
immer in der Richtung NO zum Auge gelangen, und eben deshalb
auch immer nach der Richtung CN vom erſten Spiegel ausgegan-
gen ſein; aber dieſer erſte Spiegel hat jetzt die Stellung lg und der
unter dem Winkel NCg zuruͤckgeworfene Strahl muß unter dem
eben ſo großen Winkel SCI aufgefallen ſein; damit iſt offenbar die
Lage des Punctes S, der bei dieſer Stellung im Spiegel erſcheint,
beſtimmt. Dieſe Lage, um welchen Winkel SCK naͤmlich die
Richtung CS von CK abweicht, oder welcher Winkel zwiſchen den
vom Auge nach H und nach S gezogenen Linien liegt, wird auf
dem Gradbogen BDA beſtimmt. Iſt LG um 20 Grade fortge-
ruͤckt, ſo iſt der Zuruͤckwerfungswinkel NCg um 20 Grade kleiner
als NCG, und ebenſo groß muß der Unterſchied zwiſchen den Win-
keln SCI und KCL ſein; es iſt daher KCS doppelt ſo groß =
40 Grad, weil KCI = KCL + 20°,
SCI = KCL - 20° = NCg = NCG - 20°,
SCK = 40°
iſt, oder mit andern Worten: in-
dem der Spiegel um 1 Grad fortruͤckt, aͤndert ſich ſo wohl der
Einfallswinkel, als der Reflexionswinkel, um 1 Grad, und der
geſpiegelte Gegenſtand iſt alſo um 2 Grade von demjenigen Gegen-
ſtande entfernt, den man bei der vorigen Stellung im Spiegel ſah.


Der Bogen BD enthaͤlt daher allemal halb ſo viel Grade als
der Winkel KCS, und man pflegt deshalb hier die halben Grade
zu zaͤhlen, den Bogen AB des Sextanten in 120 halbe Grade zu
F 2
[84] theilen, um ſogleich jenen Winkel richtig abzuleſen. Sie uͤberſehen
leicht, daß, wenn gleich meine Darſtellung ſo lautet, als ob das
Fernrohr immer unverruͤckt auf H gerichtet bleibe, dieſe feſte Stel-
lung doch durchaus nicht nothwendig iſt. Mag immerhin meine
Hand, die den Sextanten haͤlt, wanken, oder moͤgen die Schwan-
kungen des Schiffes mich in ungleiche Stellungen bringen, ſo werde
ich doch von Zeit zu Zeit wieder die Richtung des Fernrohrs, bei
welcher ich H im Fernrohr ſehe, erreichen, und nach einigem Hin-
und Herruͤcken des Lineals CD es dahin bringen, daß ich den Ge-
genſtand H in grader Richtung und den Gegenſtand S im Spiegel
zugleich ſehe; und wenn ich nun, indem ich mehrmals dieſe Stel-
lung wieder erreiche, oder mit feſter Haltung die Gegenſtaͤnde nicht
mehr aus dem Auge verliere, die Ueberzeugung gewinne, daß das
Zuſammentreffen genau iſt, ſo habe ich den verlangten Winkel ge-
meſſen, der Unſicherheit meiner Stellung ungeachtet. Auf dieſe
Weiſe beſtimmt man auf dem Schiffe die Sonnenhoͤhe, indem man
nach dem Seehorizonte ſieht, und das geſpiegelte Sonnenbild, durch
Verdunkelungsglaͤſer geſchwaͤcht, mit dem Horizonte zuſammenfal-
lend erblickt; auf eben die Weiſe nimmt man den Abſtand des
Mondes von der Sonne, um daraus die geographiſche Laͤnge zu
berechnen, u. ſ. w.


Das Heliotrop.


Durch den, als tiefſinnigen Mathematiker ſo beruͤhmten
Gauß iſt die Zahl der Spiegel-Inſtrumente noch mit einem
neuen vermehrt worden. Bei der großen, uͤber das ganze Koͤnig-
reich Hannover ausgedehnten, hoͤchſt genauen Meſſung, deren
Direction Gauß uͤbertragen war, wurde das, auch ſonſt ſchon oft
gefuͤhlte Beduͤrfniß, weit ſichtbare und einen ſehr genau beſtimm-
ten Punct darbietende Signale zu beſitzen, oͤfter merklich, indem
aufgerichtete Geruͤſte oder andre groͤßere Gegenſtaͤnde, Kirchthuͤrme
und dergl. nicht mit der Schaͤrfe, die man bei der Feinheit unſrer
Inſtrumente fordern darf, beobachtet werden koͤnnen, da ungleiche
Beleuchtung uns z. B. bald die eine, bald die andre Seite einer
Thurmſpitze lebhafter zeigt, und uns dadurch zu Fehlern im Viſi-
ren verleitet. Hellleuchtende Feuerſignale von geringem Durch-
meſſer ſind dieſem Vorwurfe nicht ausgeſetzt, aber meiſtens iſt ihr
[85] Licht am Tage zu ſchwach, um brauchbar zu ſein; Gauß kam
daher auf den Gedanken, das zuruͤckgeworfene Sonnenlicht als
Signal anzuwenden. Bei der großen Lebhaftigkeit des Sonnen-
lichtes iſt ein Spiegelbild der Sonne bis zu ſehr großen Entfernun-
gen ſichtbar, wie uns ſchon die aus weiter Ferne ſichtbaren, glaͤn-
zenden Fenſter, in welchen ſich die Abendſonne ſpiegelt, zeigen, ob-
gleich die Fenſterſcheiben nur ſehr unvollkommene Spiegel ſind.
Dieſes Signal des dem Beobachter zugeworfenen Sonnenlichtes
hat aber nicht allein den Vorzug eines lebhaften Glanzes, ſondern
es iſt auch auf einen ſehr kleinen Raum beſchraͤnkt, indem ein Spie-
gel von 3 Zoll Seite in 1 Meile Entfernung nur unter einem
Sehewinkel von 2 Secunden erſcheint, und folglich, da man ſich
dieſes Mittels nur bei erheblichen Entfernungen zu bedienen noͤthig
hat, man den leuchtenden Gegenſtand leicht als innerhalb ½ Sec.
beſchraͤnkt erhalten kann. Die Intenſitaͤt des Sonnenlichtes und
ſelbſt des reflectirten Sonnenlichtes iſt aber ſo groß, daß man das
geſpiegelte Sonnenbild in einem 2 bis 3 zolligen Spiegel bis auf
120000 Fuß, das heißt bis auf 5 deutſche Meilen, mit bloßem
Auge ſieht, obgleich ein ſolcher Spiegel nur unter einem Sehewin-
kel von ⅓ bis ½ Secunden erſcheint.


Die Schwierigkeit bei der Anwendung dieſes Signales beſtand
aber darin, daß man kein Inſtrument beſaß, mit deſſen Huͤlfe
man mit Sicherheit dem entfernten Beobachter das Sonnenbild
zuwerfen, oder ihn ſicher in Stand ſetzen konnte, das geſpiegelte
Bild zu ſehen, welches man, um ihm einen genauen Abſehepunct
zu geben, hervorbringt; und dieſer Schwierigkeit hilft das von
Gauß unter dem Namen Heliotrop angegebene Inſtrument
ab. Es beſteht (Fig. 38.) aus einem Fernrohre AB, vor welchem
zwei auf einander ſenkrechte Spiegel mq, gz befeſtiget ſind. Stel-
len auch in Fig. 39. mq, gz die beiden Spiegel vor, ſo iſt die
Regel des Gebrauchs dieſe: man richtet das Fernrohr AB auf den
Beobachter, welchem man das Sonnenlicht zuwerfen will, und
wendet, waͤhrend es ſo ſteht, die vereinigten Spiegel ſo, daß man
mit dem Fernrohre in dem kleineren Spiegel gz die Sonne ſieht;
alsdann ſieht der entfernte Beobachter das Sonnenbild im groͤßern
Spiegel. Es iſt naͤmlich einleuchtend, daß der Sonnenſtrahl SN
von dem Spiegel mq nach NO geworfen wird, wenn der Spiegel
[86]gz ihn nach NB zuruͤckwirft, weil aus der Gleichheit der Winkel
SNz = BNg auch die Gleichheit SNm = ONq folgt. NB
und NO machen alſo eine genaue grade Linie. Dieſe durch das
Heliotrop gegebenen Signale ſind freilich auf den Sonnenſchein be-
ſchraͤnkt, dann aber auch wegen der feſten Beſtimmung eines klei-
nen Punctes, wegen der genauen Kenntniß desjenigen Punctes,
wohin der Beobachter, dem man das Sonnenlicht zuwirft, viſirt,
vorzuͤglich geeignet, bei Meſſungen, wo man eine bis auf Theile
des Fußes gehende Genauigkeit fordert, angewandt zu werden.


Der Helioſtat.


Noch ein Spiegel-Inſtrument, den Helioſtat, kann ich hier
zwar nicht wohl umſtaͤndlich beſchreiben; aber ſeinen Zweck muß ich
doch wenigſtens angeben. Es iſt bei manchen Verſuchen erforder-
lich, daß man einen, durch eine Oeffnung ins finſtre Zimmer fal-
lenden Sonnenſtrahl lange Zeit in einerlei Richtung einfallend er-
halte; aber das Fortruͤcken der Sonne geſtattet dieſes nicht. Laͤßt
man das Sonnenbild, von einem ebnen Spiegel reflectirt, jenen
Strahl in das finſtre Zimmer werfen, ſo gewaͤhrt das zwar den
Vortheil, dem Sonnenſtrahle eine willkuͤhrliche Richtung zu geben,
aber mit dem Fortruͤcken der Sonne am Himmel aͤndert ſich dieſe
Richtung. Der Helioſtat iſt dagegen beſtimmt, dem Sonnen-
ſtrahle eine feſte Richtung zu geben, und dieſes bewirkt er dadurch,
daß er, vermittelſt eines Uhrwerkes, den Spiegel ſo fortfuͤhrt, wie
es noͤthig iſt, um den zuruͤckgeworfenen Strahl immer in derſelben
Richtung zu erhalten. Die dazu von 's Graveſand ſchon ge-
machte Anordnung des Inſtrumentes iſt ziemlich zuſammengeſetzt,
und die Erklaͤrung der Gruͤnde fuͤr dieſe Anordnung nicht leicht,
weshalb ich ſie hier uͤbergehe *). In Ermangelung eines ſo koſt-
baren Inſtruments pflegt man den Spiegel, den man an den Fen-
ſterladen anſchraubt, um einen Lichtſtrahl in das dunkle Zimmer
zu werfen, mit zwei Schrauben zu verſehen, damit eine gehoͤrige
Aenderung in der Stellung des Spiegels das zu beobachtende Son-
nenbild ſtets an einer Stelle, den Sonnenſtrahl in ſtets gleicher
Richtung, erhalte.


[87]

Der Hohlſpiegel.


Unter den Spiegeln, deren Oberflaͤchen krumm ſind, verdie-
nen die Hohlſpiegel, die entweder kugelfoͤrmig oder paraboliſch ge-
ſchliffen werden, wegen der mannigfaltigen Anwendung, welche
ſie darbieten, vorzuͤgliche Aufmerkſamkeit. Die Geſetze der Zuruͤck-
werfung des Lichtes ſind bei krummen Flaͤchen dieſelben, wie bei
Ebnen, nur muß man hier die Gleichheit des Einfallswinkels und
des Reflexionswinkels von der beruͤhrenden Ebne an rechnen, oder
unter dem Einfallslothe die auf dieſe beruͤhrende Ebne ſenk-
rechte Linie verſtehen. Sobald man dies beruͤckſichtiget, iſt es leicht,
die Erſcheinungen des Sammelns der Strahlen, des Entſtehens
der Bilder u. ſ. w. zu erklaͤren. Es ſei AB (Fig. 40.) ein Theil
einer ſpiegelnden Kugelflaͤche, deren Mittelpunct in C liegt, D ſei
ein in dem verlaͤngerten Radius CE liegender leuchtender Punct;
ſo iſt leicht zu uͤberſehen, daß ein Lichtſtrahl DG, welcher in G
den Spiegel trifft, ſo nach F zuruͤckgeworfen wird, daß er in F
mit der Linie DC zuſammentrifft, wenn ſo wohl mit der Tan-
gente IH die gleichen Winkel DGH, FGI, als mit dem Ein-
fallslothe CG die gleichen Winkel FGC, DGC gebildet werden;
hier iſt GC auf GH ſenkrecht, der Halbmeſſer zugleich das Einfalls-
loth. Zeichnet man ebenſo fuͤr einen andern Punct g, DgC =
FgC, ſo findet ſich, daß die zuruͤckgeworfenen Strahlen GF, gF,
faſt genau in eben dem Puncte F der Linie ED, welche man die
Axe des Spiegels nennt, eintreffen, und dort alſo eine
ſtarke Erleuchtung hervorbringen. Dieſes genaue Zuſammentreffen
der reflectirten Strahlen in einem Puncte findet nur fuͤr die nahe
bei E einfallenden Strahlen ſtatt; man giebt daher dem Hohlſpie-
gel keine allzu bedeutende Breite in Vergleichung gegen den Halb-
meſſer EC, damit die von entfernteren Puncten A aus zuruͤckge-
worfenen Strahlen, welche nicht in F eintreffen, keine Verwirrung
in das Bild, welches man durch den Hohlſpiegel hervorzubringen
beabſichtigt, bringen.


Um aber richtig zu uͤberſehen, warum hier ein wahres Bild
des Gegenſtandes entſteht, hat man nur noͤthig Folgendes zu uͤber-
legen. Wenn neben D ein zweiter leuchtender Punct d liegt, ſo
findet man fuͤr die von ihm auf den Spiegel fallenden Strahlen
[88] ebenſo auf dem Halbmeſſer Ce, der verlaͤngert durch d geht, einen
Sammelpunct der Strahlen in f, wie wir ihn eben vorhin in F
fanden, und wenn alſo D ein rothes, d ein blaues Licht haͤtte, ſo
wuͤrde auch F mit rothem, f mit blauem Lichte erleuchtet ſein; es
wird ſich alſo bei Ff eine ebenſo geordnete Reihe von erleuchteten
Puncten, wie in Dd von leuchtenden Puncten, finden, alſo ein
Bild des Gegenſtandes Dd entſtehen. Um dieſes Bild in allen
Stellungen des Auges deutlich zu erkennen, muß man entweder
ein weißes Papier oder ein mattgeſchliffenes Glas in Ff halten,
und nur darauf achten, daß dieſer, das zuruͤckgeworfene Licht auf-
fangende Koͤrper nicht zu groß ſei, damit er nicht zu ſehr die von
Dd kommenden Lichtſtrahlen hindre. Das matt geſchliffene Glas
hat den Vorzug, daß auch ein in der Gegend O ſtehendes Auge
dieſes Bild, der Durchſichtigkeit halber, deutlich erkennt. Dieſes
Bild iſt umgekehrt, denn es erhellt, daß f unterhalb F liegt, wenn
d oberhalb D lag.


Wenn der Gegenſtand Dd ſich weiter entfernt, ſo geht das
Bild Ff etwas naͤher gegen E zu, aber es kann hoͤchſtens bis an
die Mitte des Halbmeſſers CE kommen, wie folgende Ueberlegun-
gen zeigen. Es ſei SE (Fig. 41.) ein Lichtſtrahl, der von einem
ſehr entfernten Puncte koͤmmt, ſo wird man einen von eben je-
nem Puncte kommenden Strahl sH als parallel mit dem vorigen
auffallenden Strahl anſehen duͤrfen; denn es iſt Ihnen bekannt,
daß der Winkel, welchen dieſe von einem ſehr entfernten Puncte
ausgehenden Strahlen mit einander machen, hoͤchſt geringe iſt.
Nach dem Geſetze der Reflexion an der Kugelflaͤche wird erſtlich
SE in ſeiner urſpruͤnglichen Richtung wieder zuruͤckgeworfen, weil
er ſenkrecht auffaͤllt; aber zweitens wird der Lichtſtrahl sH nach F
ſo reflectirt, daß sHC = FHC iſt, und da bei Parallellinien
HCF ebenſo groß iſt, ſo hat das Drei-Eck CHF zwei gleiche
Winkel und eben darum auch zwei gleiche Seiten FH = FC,
die den gleichen Winkeln gegenuͤberſtehen. Allemal alſo, oder fuͤr
jeden Punct H des Spiegels, liegt F ſo, daß FH = FC iſt,
und je naͤher H an E ruͤckt, deſto genauer muß HF die Haͤlfte
der EC werden, ſo daß fuͤr ſehr entfernte Puncte das Bild oder
der Vereinigungspunct der bei EH reflectirten Strahlen in die
Mitte zwiſchen E und C faͤllt. Der das Licht ausſendende Ge-
[89] genſtand kann ſchon ziemlich nahe ruͤcken, ehe das Bild ſich ſehr
merklich von jenem Vereinigungspuncte, den man fuͤr ſehr
entfernte Gegenſtaͤnde den Brennpunct des Spiegels nennt,
entfernt; aber wenn der Gegenſtand ſehr nahe ruͤckt, ſo geht das
Bild immer naͤher nach C zu, und faͤllt in C ſelbſt, wenn auch der
Gegenſtand in C angekommen iſt. In allen dieſen Faͤllen iſt das
Bild kleiner, als der Gegenſtand, indem aus Fig. 40. leicht zu
ſehen iſt, daß Ff deſto kleiner gegen Dd iſt, je entfernter Dd
vom Mittelpuncte liegt.


Wenn dagegen der leuchtende Gegenſtand (Fig. 40.) in Ff
liegt, dem Spiegel etwas naͤher als der Mittelpunct C, ſo ruͤckt
das Bild in eine groͤßere Ferne hinaus, und wird nun groͤßer
als der Gegenſtand. Es findet dabei die leicht zu uͤberſehende
Regel ſtatt, daß der Gegenſtand Ff ſein Bild in Dd zeigen
wird, wenn umgekehrt ein Gegenſtand Dd ſein Bild in Ff dar-
geſtellt haͤtte. Stellt man in Ff ein brennendes Licht auf, ſo
ſieht man an der Wand in Dd ein vergroͤßertes und umgekehrtes
Bild der Lichtflamme, und dieſes groͤßere Bild zeigt ſich deſto
matter erleuchtet, je groͤßer es iſt; denn da in dieſem Bilde doch
immer nur die Strahlen zur Erleuchtung beitragen, die von einem
beſtimmten Theile des Spiegels ausgehen, und die Menge der vom
Spiegel aufgefangenen Strahlen ſich nicht ſo ſehr viel aͤndert, wenn
die Flamme auch vom Brennpuncte etwas gegen den Mittelpunct
fortruͤckt, ſo muß das Bild deſto matter erſcheinen, je groͤßer der
Raum iſt, auf welchen ſich die Erleuchtung verbreitet. Dieſes
Groͤßerwerden des Bildes, verbunden mit dem weiteren Hinaus-
ruͤcken deſſelben, findet ſo lange ſtatt, bis der gegen E zu fortgeruͤckte
Gegenſtand die Mitte des Radius CE erreicht hat; bringt man
ihn dem Spiegel noch naͤher, ſo kann man nirgends mehr vor dem
Spiegel ein Bild hervorbringen, ſondern das Bild erſcheint nun,
einigermaßen wie im ebnen Spiegel, als hinter dem Spiegel lie-
gend. Es bedarf nur einer etwas genauen Zeichnung, um die Rich-
tigkeit dieſer Behauptung zu beweiſen, indem dieſe (Fig. 42.) zeigt,
daß die von D kommenden Strahlen DI, Di, faſt genau ſo vom
Spiegel nach IM, im zuruͤckgeworfen werden, als ob ſie von
einem Puncte V hinter dem Spiegel ausgingen; ein Auge in M
ſieht alſo den Gegenſtand D nach der Richtung MV, ein Auge in
[90]m ſieht ihn nach der Richtung mV, und es iſt daher auch hier
beinahe genau richtig, daß alle Augen, die den Gegenſtand D ge-
ſpiegelt ſehen, nach V gerichtet ſind. Ganz ſtrenge richtig, ſo
ſtrenge richtig, wie beim ebnen Spiegel, iſt dieſe Behauptung nicht,
aber nahe genug richtig, um bei einer nicht allzu ſcharfen Beobach-
tung fuͤr richtig zu gelten. Der Ort des Bildes, der Punct V,
ruͤckt immer naͤher an den Spiegel, je naͤher der Gegenſtand ſelbſt
an den Spiegel heranruͤckt. Dieſes Bild im Spiegel iſt aufrecht
und vergroͤßert; denn fuͤr einen zweiten Punct d des Gegenſtandes
liegt jener Punct, nach welchem alle Augen gerichtet ſind, in v,
ſo daß die Linien VDC, vdC beide durch den Mittelpunct C des
Spiegels gehen.


Ich habe Sie hier, m. h. H., mit einer ſo großen Mannig-
faltigkeit einzelner Faͤlle unterhalten muͤſſen, daß ich faſt fuͤrchten
muͤßte, Sie zu ermuͤden, wenn nicht die ſogleich an jeden einzelnen
Fall ſich anknuͤpfenden Verſuche eine ſo lebendige, und zugleich die
einzelnen Regeln ſo klar vor Augen legende Darſtellung gewaͤhrten,
daß dadurch gewiß die Einfoͤrmigkeit, die ſonſt in dem Durchgehen
verwandter Faͤlle liegt, gehoben wird. Um Ihnen aber die eigne
Wiederholung dieſer Verſuche, ſo wie ſie zu jedem einzelnen hier er-
waͤhnten Falle gehoͤren, zu erleichtern, werden Sie mir noch ei-
nige Bemerkungen erlauben. Wenn Sie einen Hohlſpiegel zur
Hand nehmen, ſo iſt es gut, zuerſt den Brennpunct, das iſt den
Vereinigungspunct fuͤr Strahlen, die von ſehr entfernten Puncten
auffallen, zu finden, und dieſes geſchieht, wenn man das Bild Ff,
eines Gegenſtandes auffaͤngt, der einige tauſend Fuß entfernt iſt.
Hat man den Brennſpiegel feſt aufgeſtellt, ſo kann man dieſen
Punct durch ein in ſeiner Naͤhe befeſtigtes Zeichen bemerken, und
nun einen Gegenſtand, zum Beiſpiel den Finger oder eine Cirkel-
ſpitze oder etwas Aehnliches, in die verſchiedenen Stellungen brin-
gen. Laͤßt man das Auge immer in der Gegend D und laͤßt die
Cirkelſpitze von C aus langſam gegen F vorruͤcken (Fig. 40.), ſo
ſieht man ihr Bild deutlich von C aus auf das Auge D zu kommen,
und man uͤberzeugt ſich durch kleine Aenderungen in der Stellung
des Auges leicht, daß das Bild wirklich vor dem Spiegel und zwi-
ſchen dem Mittelpuncte und dem Auge liegt. Wenn die Cirkelſpitze
zu nahe gegen F gelangt, ſo koͤmmt das Bild hinter den Beobachter
[91] zu liegen, und das Ueberraſchende in dem Herannahen des Bildes
findet nicht mehr ſtatt. Man hat ſich dieſer Bilder auf man-
nigfaltige Weiſe bedient, um den Zuſchauer voͤllig zu taͤuſchen.
Befindet ſich naͤmlich ein Gegenſtand in Ff, auf welchen der
bei P ins Zimmer tretende Zuſchauer nicht ſo leicht aufmerkſam
wird, ſo ſieht er ſogleich das ganz deutlich, nahe vor ihm in Dd
in der Luft ſchwebende Bild, und ſieht dieſes ſo, als ob es ein
wahrer Gegenſtand waͤre; aber ſobald man ihn etwas ſeitwaͤrts
fuͤhrt, iſt dieſer Gegenſtand verſchwunden, weil nur da der Be-
obachter das Bild ſieht, wo Lichtſtrahlen, die aus dem Spiegel
kommen, ſein Auge treffen. Soll er auch außer dieſer Richtung,
bei einer ſeitwaͤrts gewaͤhlten Stellung, die Erſcheinung des Bildes
ſehen, ſo muß dieſes ſich auf einem durchſichtigen Vorhange oder
in einem durch das Bild erleuchteten Rauche oder auf aͤhnliche
Art, darſtellen. Die Geiſter-Erſcheinungen, oder die Darſtellung
von Luftbildern, die man wohl unter dieſem Namen ankuͤndigt,
beruhen auf aͤhnlichen Kunſtgriffen.


Um die Erſcheinungen alle zu ſehen, ſo fern ein Auge in D
ſie wahrnehmen kann, muͤßte man den Gegenſtand aus ziemlicher
Ferne heran ruͤcken laſſen, damit das Bild von Ff an gegen
den Mittelpunct C zu ruͤcke, man wuͤrde dann in C Gegenſtand
und Bild zuſammentreffen, und bei noch weiterem Vorruͤcken des
Gegenſtandes nach F zu, das Bild vergroͤßert gegen das Auge zu
kommen ſehen. Gelangt der Gegenſtand bis jenſeits des Brenn-
punctes, ſo ſieht man ihn hinter dem Spiegel vergroͤßert, und
das Bild ſcheint aus der Ferne immer naͤher an die Spiegel-
Oberflaͤche zu ruͤcken, je mehr der Gegenſtand ſelbſt ſich dem
Spiegel naͤhert.


Ich habe den Namen: Brennpunct, als Bezeichnung
des Punctes, wo das Bild ſehr entfernter Gegenſtaͤnde liegt, ge-
nannt, ohne den Grund, warum er ſo heißt, anzugeben. Eigent-
lich gehoͤrt die Erklaͤrung dieſes Namens in die Lehre von der
Waͤrme, und es mag hier die Bemerkung genuͤgen, daß auch
die Waͤrmeſtrahlen ebenſo wie die Lichtſtrahlen reflectirt werden,
alſo auch die von der Sonne zu uns gelangenden Waͤrmeſtrahlen
in jenem Vereinigungspuncte geſammelt werden und dort große
Waͤrme, ein Brennen, bewirken. Ueber die Groͤße der dadurch
[92] hervorgehenden Wirkung werde ich bei der Lehre von der ſtrah-
lenden Waͤrme etwas mehr ſagen.


Hohlſpiegel auf Leuchtthuͤrmen.


Aber ſchließen kann ich doch die den Hohlſpiegel betreffenden
Betrachtungen noch nicht, da ich den großen Nutzen, welchen er
auf Leuchtthuͤrmen und bei andern Beleuchtungen gewaͤhrt, nicht
uͤbergehen darf. So gut, wie Strahlen, die von einem ſehr ent-
fernten Puncte kommen oder die parallel einfallen, in dem
Brennpuncte vereinigt werden, ebenſo gut erhaͤlt man auch ver-
mittelſt des Hohlſpiegels parallel zuruͤckgeworfene Strahlen,
wenn im Brennpuncte ſich ein Licht befindet. Sie erinnern ſich,
daß die allmaͤhlige Schwaͤchung des Licht-Eindruckes oder der Er-
leuchtung bei groͤßerer Entfernung daher ruͤhrt, daß die Lichtſtrah-
len aus einander gehend ſich zerſtreuen; — der Hohlſpiegel haͤlt ſie
zuſammen. Waͤre in F (Fig. 41.) nur ein einziger leuchtender
Punct, ſo wuͤrde in S, wenn die Entfernung FS zehnmal ſo
groß als FH iſt, die Erleuchtung nur ein Hunderttel deſſen, was
ſie in H betraͤgt, betragen; aber der Hohlſpiegel bringt, wenn er
ſeinen Zweck ganz erreicht, auf Ss alle Strahlen, die auf EH
fielen, und bringt folglich eine in hohem Maaße verſtaͤrkte Er-
leuchtung hervor. Nun iſt es freilich wahr, daß die hiernach be-
rechnete Staͤrke der Erleuchtung nicht ganz ſtatt findet, indem
theils der Spiegel lange nicht alle auffallenden Strahlen zuruͤck-
wirft, theils die Atmoſphaͤre nie ſo rein iſt, daß ſie das Licht ganz
ungeſchwaͤcht bis zu ſehr großen Entfernungen gelangen ließe; aber
dennoch iſt die Verſtaͤrkung des Lichtes groß genug, um den Zweck,
die Erleuchtung in hohem Maaße zu vergroͤßern, vollſtaͤndig genug
zu erreichen. Wenn wir auf die Anwendung bei Leuchtthuͤrmen
ſehen, ſo ſcheint es Ihnen vielleicht unpaſſend, wenn ich da von
der Groͤße der Erleuchtung rede; und in der That wuͤrde es auch
eine viel zu umſtaͤndliche Eroͤrterung fordern, wenn man die Staͤrke
dieſer Erleuchtung, die in ſo großer Ferne ſo ſehr ſchwach iſt und
die doch nie von dem Brennpuncte ganz allein ausgehen kann, und
nie von ihm allein ausgehen darf, von einer groͤßern Flamme aus-
gehen muß, wenn ſie eine erhebliche Staͤrke haben ſoll, zu beſtim-
men ſuchen wollte. In Beziehung auf das in großen Fernen ge-
[93] ſehene Licht eines Leuchtthurmes iſt es daher wohl beſſer, den Ge-
genſtand ſo aufzufaſſen. Wenn das Licht F dem Brennpuncte
ſehr nahe ſteht, ſo daß in S ein wahres Bild entſtaͤnde, ſo erhielte
das Auge in S reflectirte Strahlen von allen Puncten des Spie-
gels, der ganze Spiegel EH wuͤrde dem Auge in S faſt eben ſo
glaͤnzend als die Lichtflamme ſelbſt erſcheinen; dadurch haͤtte das
Auge in S den Vortheil, ſtatt des einen leuchtenden Punctes F
den ganzen Spiegel leuchtend zu ſehen, alſo ein Licht von der ſchein-
baren Groͤße des ganzen Spiegels wahrzunehmen. Und ſo verhaͤlt
es ſich in allen ſehr entfernten Puncten, ſo daß man die Entfer-
nung, bis zu welcher man den Spiegel des Leuchtthurms ſehen kann,
nach der ſcheinbaren Groͤße deſſelben beurtheilen muß, und dieſe
ſcheinbare Groͤße braucht nur ſehr klein zu ſein, um bei heller Luft
in dunkler Nacht dem Auge noch einen hinreichenden Eindruck zu
geben. Daß dieſer Glanz des Spiegels uͤbrigens nicht voͤllig ſo
groß iſt, daß naͤmlich der Spiegel nicht alle Lichtſtrahlen reflectirt,
das laͤßt ſich leicht erwarten. Nach Herſchels Beſtimmungen
betraͤgt bei den beſten Spiegeln das reflectirte Licht nur ungefaͤhr \frac{2}{2}
des einfallenden.


Ich habe bisher die Hohlſpiegel immer als genau kugelfoͤrmig
angeſehen, weil wir mit dem Kreiſe, als der Durchſchnittslinie
des Kugelſpiegels, am meiſten vertraut ſind; aber der Kreis hat
nicht auf das Vollkommenſte die Eigenſchaft, daß parallel einfallende
Strahlen in einem einzigen Puncte vereinigt werden, oder daß um-
gekehrt die vom Brennpuncte ausgehenden Strahlen eine genau
parallele Richtung erlangen, ſondern fuͤr recht gute Hohlſpiegel,
die zu Spiegelteleſcopen dienen oder auf Leuchtthuͤrmen gebraucht
werden ſollen, muß die paraboliſche Geſtalt gewaͤhlt werden.
Dieſe hat den Vorzug, daß ſelbſt fuͤr Puncte H, Z, (Fig. 43.)
die von der Axe entfernter ſind, die Vereinigung in einen Punct
fuͤr parallele Strahlen genau ſtatt findet, und daher das auf einen
groͤßern Theil des Spiegels auffallende Licht zur Erleuchtung dieſes
Punctes beitraͤgt. Soll eine brennende Lampe in dem Brennpuncte
eines ſo weit ausgedehnten Brennſpiegels angebracht ſein, ſo laͤßt
man in dieſem eine Oeffnung, um grade oberhalb der Flamme den
noͤthigen Luftzug durchzulaſſen. Der Spiegel bildet einen Theil
einer runden paraboliſchen Flaͤche, eines Paraboloids, naͤmlich einer
[94] Flaͤche, welche entſteht, wenn die Parabel, deren Beſchaffenheit
Sie ſchon aus andern Betrachtungen kennen *), ſich um ihre
Haupt-Axe dreht.


Brennlinien.


Bei dem Kreiſe und eben deshalb bei der Kugelflaͤche iſt das
Zuſammentreffen der reflectirten Strahlen, die den parallel einfal-
lenden zugehoͤren, nicht vollkommen genau, ſondern wenn man
(Fig. 41.) parallele Strahlen sH, BG zeichnet, und die einem
jeden von ihnen zugehoͤrenden zuruͤckgeworfenen Strahlen HF, GI
hinzufuͤgt; ſo treffen zwar die nahe bei E auffallenden ſaͤmmtlich
ſehr nahe in einem Puncte F zuſammen, aber die entfernteren
haben andre Durchſchnittspuncte. Dieſe entfernteren Strahlen darf
man daher, wie ich ſchon fruͤher bemerkt habe, nicht mit gebrauchen,
das heißt, man darf einen zu großen Theil des Kreiſes oder des
Hohlſpiegels nicht anwenden, wenn man ein reines Bild des leuch-
tenden Punctes erhalten will, weil bei einem ſo großen Theile des
Spiegels nicht ein einziger erleuchteter Punct, ſondern eine erleuch-
tete Linie, eine Brennlinie, hervorgeht. Da dieſe Brennlinie
ſich uns am oͤfterſten da zeigt, wo ein nahe ſtehendes Licht ſeine
Strahlen auf eine hohle Cylinderflaͤche wirft, etwa auf die innere
Seite einer cylindriſchen Porcellantaſſe, ſo will ich ſie hier ſo zeich-
nen, wie ſie bei nahe ſtehendem Lichte erſcheint. Es ſtehe naͤmlich
das Licht F uͤber dem Rande der Taſſe (Fig. 44.), deren kreisfoͤr-
migen Querſchnitt die Figur darſtellt, ſo werden, wenn wir bloß auf
dieſen kreisfoͤrmigen Querſchnitt ſehen, die Strahlen Fa nach aα,
Fb nach bβ, Fc nach cγ und ſo ferner zuruͤckgeworfen, und
da alles von dem Bogen ab reflectirte Licht ſich in dem kleinen
Raume αβ, alles von bc reflectirte Licht ſich in dem kleinen
Raume βγ vereinigt, ſo erſcheint die Linie αβγδεζ ſehr erhellt,
und ſie iſt eben das, was wir Brennlinie nennen. Sie iſt am
glaͤnzendſten in der Gegend von α, weil hier die Bogen, deren re-
flectirtes Licht ſich in einem kleinen Raume vereinigt, am groͤßeſten
ſind. Wir bemerken dieſe Linien oft genug, ihre Veraͤnderungen
bei veraͤnderter Stellung des Lichtes u. ſ. w. gewaͤhren eine ange-
[95] nehme Unterhaltung, und Sie ſehen hier nun die geometriſchen
Regeln, nach welchen ſie in allen Faͤllen beſtimmt werden koͤnnen;
Sie ſehen hier die Mittel, wie wir die Puncte, die zur Erleuch-
tung des einen oder andern Theiles derſelben beitragen, angeben,
ja ſogar, wie wir den verhaͤltnißmaͤßigen Grad der in jedem ein-
zelnen Puncte ſtatt findenden Erleuchtung finden koͤnnen.


Convexe Kugelſpiegel.


Weniger wichtig fuͤr Anwendungen, als die Hohlſpiegel, ſind
die erhabenen Kugelſpiegel. Jene geben uns, wie Sie in der Folge
ſehen werden, Mittel, um in Teleſcopen und Microſcopen diejeni-
gen Bilder darzuſtellen, deren Betrachtung den Zweck dieſer In-
ſtrumente ausmacht; die convexen Spiegel dagegen bieten allenfalls
nur einen recht angenehmen Anblick der geſpiegelten Gegenſtaͤnde
dar, ohne bis jetzt weiteren Nutzen zu gewaͤhren.


Die Gegenſtaͤnde erſcheinen im convexen Kugelſpiegel ſo als
ob ihr Bild innerhalb der Kugel laͤge, und ſie erſcheinen ſehr ver-
kleinert. Was das erſtere betrifft, ſo ergiebt die Zeichnung (Fig.
45.
), daß die von A ausgehenden Lichtſtrahlen AB, Ab, nach
BD und bd zuruͤckgeworfen werden; der nach AG auffallende
Lichtſtrahl wird in ſich ſelbſt reflectirt. Alle zwiſchen G und b auf-
fallende Strahlen geben zuruͤckgeworfene Strahlen, die ſich bei-
nahe in einem einzigen Puncte E, der innerhalb des Spiegels liegt,
durchſchneiden, und dieſer Punct iſt als das Bild des Gegenſtandes
A anzuſehen, nach ihm naͤmlich richten ſich, zwar nicht mit voll-
kommener Strenge aber doch beinahe genau, alle Augen D, d,
die den Punct A im Kugelſpiegel ſehen wollen. Die Kleinheit des
Bildes aber laͤßt ſich auch leicht beweiſen. Wenn AL ein leuchten-
der Gegenſtand iſt, und L iſt ebenſo entfernt als A vom Mittel-
puncte C, ſo liegt der Punct, den wir als Bild fuͤr L finden, in
M auf der Linie CL, ſo wie E auf der Linie CA lag, und das
Auge in D oder d ſieht den Gegenſtand AL, ſo als ob ME ſein
Bild waͤre, alſo ſtark verkleinert. Je kleiner der Durchmeſſer des
Kugelſpiegels iſt, deſto kleiner erſcheint dieſes Bild, und man kann
daher einen kleinen Kugelſpiegel, eine kleine mit Queckſilber ge-
fuͤllte Glaskugel, anwenden, um ein ſehr kleines, hellglaͤnzendes
Sonnenbild zu erhalten.


[96]

Dieſes kleine Bild kann nach Wollaſtons Vorſchlag dienen,
um das Licht der Sterne unter einander, ja ſelbſt um das Licht der
Sonne mit dem Lichte eines Sternes, zu vergleichen, und da wir
noch kein recht paſſendes anderes Mittel zu dieſer Vergleichung be-
ſitzen, ſo verdient dieſer Vorſchlag wohl einige Beruͤckſichtigung,
wenn gleich auch hier der genauen Vergleichung manche Schwierig-
keiten im Wege ſtehen. Die Anordnung des Verſuches wuͤrde fol-
gende ſein. Man laͤßt auf zwei gleiche Kugelſpiegel auf den einen
das Sonnenlicht, auf den andern das Licht einer hell brennenden
Lampe fallen und entfernt die letztere ſo weit, bis dieſe Bilder, die
man, in gehoͤriger Entfernung entſtehend, mit dem Fernrohr be-
trachten kann, gleich erſcheinen; ſo erhaͤlt man zunaͤchſt eine Ver-
gleichung des geſammten Sonnenlichtes mit dem Lampenlichte.
Eben die Vergleichung ſtellt man nun Abends mit dem im Kugel-
ſpiegel geſehenen Lampenlichte und einem gradezu, ohne Spiegel,
geſehenen Sterne an, um die zweite Vergleichung zwiſchen dem
Lampenlichte und dem Sterne zu erhalten; und dieſe doppelte Ver-
gleichung kann zu einer Kenntniß, das Wievielfache des Sternen-
lichtes wir im Sonnenlichte beobachten, fuͤhren. Allerdings er-
hellt, daß dieſe Vergleichung wegen der ungemein großen Verſchie-
denheit der Lichtſtaͤrke keine ſtrenge Genauigkeit geſtattet, daß
uͤberdies dabei die gelbe Farbe ſelbſt des beſten Lampenlichtes, ver-
glichen mit dem reinen Weiß des Sonnenlichtes, ſtoͤrend einwirkt;
indeß koͤnnte doch ſelbſt fuͤr dieſen Zweck eine ſolche Vergleichung
belehrend ſein, noch mehr aber ſcheint ſie angemeſſen, um die Licht-
ſtaͤrke zweier Sterne zu vergleichen, da dieſe mit derſelben, nur in
verſchiedenen Entfernungen von dem Kugelſpiegel aufgeſtellten
Lampe verglichen werden koͤnnten, und es alſo da nur darauf an-
kaͤme zu berechnen, welcher geſammte Licht-Eindruck bei den ver-
ſchiedenen Entfernungen der Lampe von dieſem Bilde bewirkt
wuͤrde.


Cylinderſpiegel. Kegelſpiegel.


Diejenigen Spiegel, deren polirte Oberflaͤche eine Cylinder-
flaͤche oder eine Kegelflaͤche iſt, wuͤrde ich, ihrer geringen Anwend-
barkeit halber, gar nicht erwaͤhnen, wenn nicht die verzerrten Zeich-
nungen, die man zu Darſtellung eines kenntlichen Bildes in dieſen
[97] Spiegeln zu beſitzen pflegt, doch wohl verdienten, daß wir einen
Augenblick dabei verweilen. Es laͤßt ſich leicht uͤberſehen, daß im
Cylinderſpiegel der grade vor dem Spiegel ſtehende Gegenſtand in
der Richtung, welche mit der Axe des Cylinders zuſammenfaͤllt,
ſo wie im ebnen Spiegel, dagegen in der darauf ſenkrechten Rich-
tung verkleinert wie im Kugelſpiegel, erſcheinen muß. Die Ge-
genſtaͤnde erſcheinen alſo nicht im richtigen Verhaͤltniß ihrer Theile,
und dies iſt noch weniger der Fall, wenn ſie ſeitwaͤrts von dem
auf den Spiegel ſehenden Beobachter liegen. Ein vor dem Cylin-
derſpiegel liegendes in richtigen Verhaͤltniſſen gezeichnetes Bild gibt
daher ein verzerrtes Spiegelbild, und umgekehrt muß man ein nach
beſtimmten Regeln unrichtiges, verzerrtes Bild zeichnen, wenn es
im Spiegel in richtigen Verhaͤltniſſen erſcheinen ſoll. Die Regeln,
nach denen dieſe Zeichnungen verfertigt werden, ſind ziemlich ver-
wickelt, und ich will daher bei ihnen nicht verweilen, ſondern die
viel leichteren Regeln der Zeichnung fuͤr den Kegelſpiegel angeben.


Wenn man oberhalb des Kegelſpiegels (Fig. 46.) ACB das
Auge in der verlaͤngerten Axe, in O haͤlt, ſo ſieht man alle um
die Grundflaͤche des Kegels herum liegenden Puncte abgeſpiegelt,
und ihr Bild erſcheint ungefaͤhr ſo, als ob die geſpiegelten Gegen-
ſtaͤnde auf dieſer Grundflaͤche AB ſelbſt aufgezeichnet waͤren. Will
man nun einen Gegenſtand, einen Kopf zum Beiſpiel, als Spie-
gelbild erhalten, ſo muß man nach folgender Regel jeden Punct
auf eine die Grundflaͤche umgebende Zeichnung eintragen. Man
zeichnet den Kopf auf einen Kreis AB, der genau von der Grund-
flaͤche des Kegels bedeckt wird; ſoll nun der Punct s dieſes Bildes
in die Zeichnung eingetragen werden, ſo traͤgt man in der Huͤlfs-
zeichnung, welche Fig. 46. zeigt, s ſo weit von der Axe D ein,
als jener Punct vom Mittelpuncte abſteht, zieht sO nach dem Au-
genpuncte, macht die Winkel sEB = BET = CEO gleich, und
bemerkt, indem man ſo ET zieht, den Punct T, wo dieſe Linie
in die Ebne der Grundflaͤche eintrifft; — ſo weit als T von D
entfernt iſt, wird der aufzuzeichnende Punct, auf eben dem Ra-
dius, in welchem s liegt, eingetragen. So verfaͤhrt man in Be-
ziehung auf alle Hauptpuncte, und muß dann ſuchen, geſchickt die
ſo gegebenen Puncte zu Darſtellung des ganzen Zerrbildes zu be-
nutzen. Die Zeichnung fuͤr f und fI, deren Urbild nach ttI
II. G
[98] koͤmmt, zeigt, daß die Puncte, die das Auge O um die Mitte ſehen
ſoll, am weiteſten hinaus geruͤckt werden; daher denn bei einem
abgebildeten Geſichte, deſſen Mund grade die Mitte des Spiegel-
bildes ausmachen ſoll, die Seltſamkeit eintritt, daß die Lippen
rund um den Rand des Zerrbildes laufen, waͤhrend in der Gegend
T zum Beiſpiel die Stirn, in der Gegend U Kinn und Hals liegen.


Nuͤtzliche Anwendungen dieſer Spiegel moͤchten ſich wohl kaum
erdenken laſſen.


Sechste Vorleſung.


Die Behauptung, m. h. H., das Licht gehe nach graden Linien
fort, ſcheint uns eine ſo wohl begruͤndete zu ſein, daß wir bei allen
Gegenſtaͤnden, die wir ſehen, vorausgeſetzt, daß ſie uns nicht im
Spiegel erſcheinen, kaum einen Zweifel hegen, ob ſie anderswo,
als in der Richtung liegen, welche der zu unſerm Auge gelangende
Lichtſtrahl uns angiebt. Und gleichwohl leidet jene Behauptung
noch viele Ausnahmen, die uns oft genug kenntlich werden und zu
unzaͤhligen Taͤuſchungen oder unrichtigen Schluͤſſen Anlaß geben.
Die Brechung der Lichtſtrahlen iſt eine der vorzuͤglichſten Urſachen
dieſer Abweichung des Lichtſtrahles von der graden Richtung.


Brechung der Lichtſtrahlen.


Wenn ich (Fig. 47.) auf dem Boden des Gefaͤßes ADCB
einen Punct E bezeichne, und nun mein Auge in O ſo ſtelle, daß
ich dieſen Punct grade noch an dem Rande B vorbei ſehe, ſo iſt,
wenn das Gefaͤß leer, das heißt bloß mit Luft gefuͤllt, iſt, kein
Zweifel, daß die von E uͤber B nach meinem Auge O gezogne Linie
eine grade Linie ſein muß. Wir ſagen hier mit vollem Rechte,
der von E ausgehende, zum Auge O gelangende Lichtſtrahl koͤmmt,
weil er immer in einerlei Koͤrper, in der Luft, fortgeht, in grader
Linie zum Auge, und da wir ihn, als unmittelbar an B vorbei
gehend erkennen, ſo iſt EBO grade. Aber wenn wir nun Waſſer
[99] eingießen und das Gefaͤß bis an GH fuͤllen, waͤhrend das Auge
unverruͤckt in O bleibt, ſo ſcheint E uͤber den Rand hervorzuſteigen
und ein Punct F, der vorher vom Rande bedeckt war, wird ſicht-
bar. Sucht man den Punct m auf, wo der von E zum Auge ge-
langende Strahl aus dem Waſſer hervordringt, ſo findet man ihn
nicht mehr mit E und O in grader Linie; aber ein Gegenſtand,
(die Spitze eines Cirkels zum Beiſpiel,) der die grade Linie mO
verfolgt, verdeckt dem Auge den Punct E, und eben das geſchieht,
wenn dieſer Gegenſtand die grade Linie mE verfolgt, ſo daß wir
mit Sicherheit ſchließen koͤnnen, der zum Auge gelangende Licht-
ſtrahl ſetze von E bis m, ſo lange er im Waſſer bleibt, ſeinen Weg
in grader Richtung fort, beim Hervortreten aus dem Waſſer aber
gehe er in die veraͤnderte Richtung mO uͤber. Und dieſe Aenderung
der Richtung iſt es, was wir Brechung des Lichtſtrahles, Re-
fraction, nennen.


Dieſe Brechung findet immer ſtatt, wenn der Lichtſtrahl aus
einem durchſichtigen Koͤrper in einen andern in einer ſchiefen Rich-
tung gegen die Trennungsflaͤche uͤbergeht, oder wenigſtens giebt es
nur wenige Koͤrper, die ein ſo genau gleiches Verhaͤltniß gegen das
Licht zeigen, daß der aus dem einen derſelben austretende und
ohne Zwiſchenraum in den andern uͤbergehende Strahl gaͤnzlich un-
gebrochen bliebe. Ein ſenkrecht auf die Oberflaͤche fallender Licht-
ſtrahl behaͤlt dagegen ſeine Richtung auch in dem andern Koͤrper,
in welchen er eindringt. Die Brechung findet ſo ſtatt, daß der
Lichtſtrahl, wenn er in einen dichteren Koͤrper uͤbergeht, tiefer ein-
dringt, als es ſeiner vorigen Richtung angemeſſen iſt, ſtatt daß
beim Eindringen in einen minder dichten Koͤrper der Strahl eine
geringere Neigung gegen die Oberflaͤche annimmt, als der grade
Fortgang des Strahles es fordern wuͤrde. Doch dieſe Beſtimmun-
gen ſind zu oberflaͤchlich, und muͤſſen um ſo mehr in ſtrengeren
Ausdruͤcken angegeben werden, da ſie einem ſo ſehr beſtimmten Ge-
ſetze unterworfen ſind.


Beſtimmung der Geſetze der Brechung.


Um dieſe Geſetze genau anzugeben, denken wir uns in dem
Puncte (Fig. 48.) A, wo der Lichtſtrahl BA die Trennungsflaͤche
der beiden durchſichtigen Koͤrper erreicht, die Senkrechte AC gegen
G 2
[100] dieſe Trennungsflaͤche DE oder das Einfallsloth errichtet. Befindet
ſich nun unterhalb DE ein dichterer, ein das Licht ſtaͤrker brechen-
der Koͤrper, ſo wird, wie man ſich ausdruͤckt, der Lichtſtrahl bei
ſeinem Eintritte in den ſtaͤrker brechenden Koͤrper gegen das
Einfallsloth zu
gebrochen, das heißt, der Winkel, welchen
der in dieſen Koͤrper uͤbergegangene Lichtſtrahl AG mit der Senk-
rechten AH macht, iſt kleiner, als der Winkel, den der Strahl
BA mit AC machte. Bei dieſer Brechung bleibt der Lichtſtrahl
AG in eben der Ebne, in welcher der einfallende Strahl und das
Einfallsloth lagen; er wird alſo nicht ſeitwaͤrts abgelenkt, ſondern
ſein Fortgang wird nur nach der mit AH parallelen Richtung ver-
ſtaͤrkt; er wird zu einem tieferen Eindringen veranlaßt. In wel-
chem Maaße dieſe Verkleinerung des Winkels HAG, der naͤmlich
kleiner als BAC wird, ſtatt findet, das haͤngt von der eigenthuͤm-
lichen Natur der brechenden Koͤrper ab; aber es giebt ein vollkom-
men ſtrenges Geſetz, welches fuͤr einerlei Koͤrper in Beziehung auf
alle Strahlen, der Winkel BAC ſei groͤßer oder kleiner, guͤltig
iſt. Um dieſes Geſetz zuerſt durch ein Beiſpiel zu erlaͤutern, dringe
der Lichtſtrahl aus Luft in einen Glaskoͤrper DGE ein, ſo iſt faſt
genau, wenn man einen Kreis um A zieht, alſo AN = AL
nimmt, die ſenkrecht auf CH gezogene NO zwei Drittel der eben-
falls auf CH ſenkrechten LM, und dieſes Verhaͤltniß bleibt genau
gleich bei allen Einfallswinkeln. Hat man alſo eine Glas-Art,
bei welcher dieſes Brechungsverhaͤltniß genau ſtatt findet, ſo iſt es
ſehr leicht, fuͤr jeden einfallenden Strahl ba die Richtung des ge-
brochenen Strahles zu finden. Man errichtet naͤmlich in a, wo
der Strahl die Oberflaͤche trifft, das Einfallsloth cah, zieht um
a als Mittelpunct mit willkuͤrlichem Halbmeſſer einen Kreis, und
in demſelben von dem Puncte l, wo der einfallende Strahl ihn
ſchneidet, eine Linie lm auf das Einfallsloth ſenkrecht; man ſucht
nun den Punct n deſſelben Kreiſes, deſſen ſenkrechter Abſtand von
ch zwei Drittel der lm iſt, no = ⅔ lm, durch dieſen Punct n
geht der gebrochene Strahl ag. Und was hier fuͤr das Brechungs-
verhaͤltniß 1 zu ⅔ angegeben iſt, das findet auch bei andern Bre-
chungsverhaͤltniſſen auf aͤhnliche Weiſe ſtatt, ſo daß zum Beiſpiel
bei einem Glaſe, wo das Brechungsverhaͤltniß nicht 1:⅔, ſondern
1 zu 0,64 waͤre, allemal no 64 ſolche Theile, deren lm 100 ent-
[101] haͤlt, haben wuͤrde, oder daß beim Waſſer, wo das Brechungs-
verhaͤltniß eines aus Luft in Waſſer uͤbergehenden Strahles, wie
1 zu 0,77 oder wie 100 zu 77 iſt, no 77 ſolche Theile hat, deren
1 m 100 enthaͤlt.


Das Geſetz der Brechung iſt alſo, daß nicht der Winkel, wel-
chen der einfallende Strahl mit dem Einfallslothe macht, zu dem
Winkel, den der gebrochene Strahl mit dem Einfallslothe macht,
einerlei Verhaͤltniß bei allen verſchiedenen Richtungen des einfallen-
den Strahles behaͤlt, ſondern dieſes immer gleiche Verhaͤltniß findet
zwiſchen den nach der vorigen Regel beſtimmten ſenkrechten Linien,
die man die Sinus jener Winkel nennt, ſtatt. Wenn der Strahl
BA nur einen kleinen Winkel mit dem Einfallslothe macht, ſo
kann man beim Glaſe ungefaͤhr ſagen, daß auch der Winkel HAG
ſelbſt nach der Brechung zwei Drittel des Winkels BAC iſt, weil
bei kleinen Winkeln das Verhaͤltniß der Winkel ſelbſt nicht viel von
dem Verhaͤltniſſe jener Senkrechten LM, NO, oder von dem Ver-
haͤltniſſe der Sinus der Winkel verſchieden iſt; aber bei groͤßern
Winkeln darf man dieſe Verwechſelung nicht mehr gelten laſſen,
ſondern muß das Verhaͤltniß auf jene ſenkrechten Linien beziehen.
Ich bemerke uͤbrigens hier, daß man der einfachen Zahlen wegen
das Brechungsverhaͤltniß fuͤr Glas wie 1 zu ⅔ oder wie 1 ½ zu 1,
und ebenſo fuͤr Waſſer wie 1 zu ¾ oder wie 1⅓ zu 1, anzugeben
pflegt, obgleich dieſe Zahlen nicht ganz genau ſind; da wo eine
ſtrenge Richtigkeit erforderlich iſt, muß man die genaueren Zahlen,
die bei verſchiedenen Glas-Arten bedeutend verſchieden ſind, dafuͤr
ſetzen. Uebrigens wird die Richtung des aus dem ſtaͤrker brechen-
den Koͤrper, aus dem Glaſe zum Beiſpiel, hervorgehenden Strah-
les nach derſelben Regel, wie die Richtung des eindringenden Strah-
les, beſtimmt, nur iſt dann n und folglich no bekannt, und man
muß I auf dem Kreiſe ſo ſuchen, daß lm anderthalb mal ſo groß,
als no ſei *)


Ich muß hier doch ſogleich noch eine Bemerkung einſchalten,
die ſich auf die Beſtimmung der Brechung bei krummen Oberflaͤchen
bezieht. Es iſt ziemlich von ſelbſt klar, daß wir einen kleinen Theil
[102] der krummen Oberflaͤche zunaͤchſt um den Punct, wo der einfallende
Strahl dieſe trifft, als eben anſehen koͤnnen, und daß daher die
dort beruͤhrende Ebne uns die Lage desjenigen ſehr kleinen Theiles
der gekruͤmmten Flaͤche, auf den es hier ankoͤmmt, darſtellt. Wir
muͤſſen daher auch bei einer krummen Flaͤche das Einfallsloth, die
Linie, welche an dieſer Stelle ſenkrecht gegen die Oberflaͤche iſt,
ziehen und in Beziehung auf dieſes den Winkel nach der Brechung
aus dem Einfallswinkel ganz ſo wie bei einer Ebne beſtimmen.


Mittel die Staͤrke der Brechung zu beſtimmen.


Obgleich das Prisma uns das angemeſſenſte Mittel darbietet,
um die Staͤrke der Brechung fuͤr verſchiedene Koͤrper zu beſtimmen,
ſo iſt es doch wohl nicht ganz unpaſſend, auch einige einfachere
Mittel, deren man ſich in fruͤhern Zeiten, um dieſen Zweck zu
erreichen, bedient hat, hier anzufuͤhren. Dieſe Mittel, wenn ſie
auch keine vollkommene Genauigkeit geſtatten, ſind doch darum
bemerkenswerth, weil ſie ſich ſo unmittelbar an die einfachſte Er-
ſcheinung anſchließen und deshalb am beſten zur Erlaͤuterung des
bisher Angefuͤhrten dienen. — Stellen Sie ſich einen eingetheilten
Kreis vor, um deſſen Mittelpunct ſich zwei verſchiedene Regeln
oder Lineale drehen laſſen; dieſer ſei bis an ſeinen Durchmeſſer AB
(Fig. 49.) in Waſſer oder in diejenige Fluͤſſigkeit, deren Brechungs-
vermoͤgen man pruͤfen will, eingetaucht, und nun das eine Lineal
CD auf eine beſtimmte Zahl von Graden, zum Beiſpiel ſo geſtellt,
daß der Winkel DCE 12 Grad vom Einfallslothe CE an betraͤgt.
Bringt man nun das außer dem Waſſer befindliche Lineal CF in
die Stellung, wobei man nach der Richtung FC den Punct D
ſieht, ſo iſt GCF nicht 12, ſondern fuͤr Waſſer ungefaͤhr 16 Grad,
und fuͤr eine nicht allzu genaue Meſſung wird man ſelbſt noch,
wenn auch die Winkel groͤßer werden, den Winkel GCF ziemlich
genau in eben dem Verhaͤltniſſe groͤßer finden. Hier bezeichnet DC
den im Waſſer fortgehenden Strahl, CF den gebrochenen aus dem
Waſſer hervorgegangenen Strahl; und man wuͤrde die Ungleichheit
der Brechung, daß naͤmlich das Verhaͤltniß der Winkel oder ihrer
Sinus bei Waſſer faſt wie 3 zu 4, bei Terpentin-Oel beinahe wie
2 zu 3 iſt, ſchon auf dieſe Weiſe wahrnehmen.


[103]

Ein andres Mittel iſt die Beobachtung des Schattens. Man
laͤßt durch eine kleine Oeffnung einen Sonnenſtrahl (Fig. 50.) in
ein dunkles Zimmer fallen, und beobachtet, indem er an der Spitze
B der undurchſichtigen Wand AB vorbeigeht, wo er in C die Ebne
AC erreicht. Hierauf ſtellt man an AB einen durchſichtigen Koͤr-
per AD, z. B. einen Glaskoͤrper, deſſen obere Seite mit AC pa-
rallel iſt, und beobachtet nun, daß der Lichtſtrahl nicht nach C,
ſondern im Glaſe fortgehend nach E koͤmmt; und hierin iſt wieder
ein Mittel gegeben, um die Groͤße der Brechung zu finden, oder
zu beſtimmen, wie der Winkel, welchen der Strahl BC in der
Luft mit dem Einfallslothe machte, von demjenigen verſchieden iſt,
den der gebrochene Strahl BE mit eben dem Einfallslothe macht.
Durch aͤhnliche Verſuche iſt das Geſetz, daß die Sinus jener Win-
kel bei allen Einfallswinkeln einerlei Verhaͤltniß behalten, wenn die
brechende Materie dieſelbe bleibt, gefunden worden.


Einzelne Erſcheinungen, die durch Refraction bewirkt
werden
.


Eine große Menge von Erſcheinungen, die ſich zum Theil
uns taͤglich darbieten, erhalten ſchon aus dem bisher Angefuͤhrten
ihre vollſtaͤndige Erklaͤrung, und auf einige derſelben werde ich Sie
wenigſtens aufmerkſam machen.


Wenn man einen graden Stab in geneigter Richtung in eine
ebne Waſſerflaͤche taucht, ſo erſcheint er wie gebrochen, als ob der
Theil im Waſſer mit dem Theile außer dem Waſſer einen Winkel
machte. Denn, wenn das Auge von der Seite her gegen den
Stab ſieht, ſo erſcheinen alle im Waſſer befindlichen Theile des
Stabes hoͤher hinauf geruͤckt, und der untergetauchte Theil iſt
daher anſcheinend weniger, als der nicht eingetauchte Theil, gegen
die Oberflaͤche des Waſſers geneigt. Und ſelbſt wenn das Auge ſich
in der durch die Richtung des Stabes auf die Oberflaͤche des Waſ-
ſers ſenkrecht gelegten Ebne befindet, gilt eben dieſe Betrachtung.
Der vom Endpuncte A (Fig. 51.) kommende Lichtſtrahl gelangt
naͤmlich in der Richtung BO zum Auge O, weil er in B gebro-
chen wird, und da eben dies fuͤr alle uͤbrigen Puncte D gilt, ſo
ſehen wir den Stab ſo verkuͤrzt, als ob er ſich in der Richtung
Hda befaͤnde. Auch die Taͤuſchung, als ob der Boden des Ge-
[104] faͤßes hoͤher ruͤcke, wenn man nach und nach mehr Waſſer hinein
gießt, laͤßt ſich vollkommen erklaͤren. Koͤnnten wir (Fig. 52.) un-
ſern Blick auf den Boden A des Gefaͤßes ſo beſchraͤnken, daß wir
nur den einzigen Punct A ins Auge faßten, von welchem der ſenk-
recht die Oberflaͤche DE treffende Strahl ABO in das Auge O
koͤmmt, ſo wuͤrden wir nichts bemerken, das eine Brechung ver-
riethe; denn dieſer ſenkrecht auf die brechende Ebne DE treffende
Strahl geht ungebrochen durch. Aber da unſer Blick immer noch
mehr Puncte mit umfaßt, die etwas ſeitwaͤrts liegen, ſo bemerken
wir, daß der gebrochene Strahl OG unter einem etwas groͤßern
Winkel gegen AO geneigt iſt, als es, ehe Waſſer eingegoſſen ward,
fuͤr den ungebrochenen Strahl FO der Fall war; der Raum AF
erſcheint uns daher unter eben dem Sehewinkel, als ob er bis an
af heraufgeruͤckt waͤre, und unſer Auge bemerkt dies ſchon bei
Puncten, die auch nur wenig von der Senkrechten AO entfernt
liegen. Und da bei der geringſten Bewegung des Auges, A ſelbſt
ſo ſehr ſeitwaͤrts zu ruͤcken ſcheint, als ob er in a laͤge, ſo iſt die
Taͤuſchung, als ob der Boden hoͤher geruͤckt waͤre, vollſtaͤndig.


Eine andre Taͤuſchung bietet ſich uns darin dar, daß bei
ſchwankender Oberflaͤche des Waſſers ſich die Gegenſtaͤnde auf dem
Boden des Waſſers, oder alle die, welche ſich unter dem Waſſer
befinden, zu bewegen ſcheinen. Es iſt Ihnen bekannt, daß wir
einen Koͤrper fuͤr bewegt halten, wenn die gegen ihn hin gezogene
Richtungslinie eine andre Lage annimmt, oder wie wir hier es
ausdruͤcken muͤſſen, wenn der von ihm zu unſerm Auge gelangende
Lichtſtrahl in einer veraͤnderten Richtung unſer Auge erreicht; aber
dieſe Richtung des zu uns gelangenden Lichtſtrahles wird gewiß ge-
aͤndert, wenn die Oberflaͤche des Fluͤſſigen bei ihren Schwankungen
eine verſchiedene Lage annimmt. Ich will dies nur fuͤr den
(Fig. 53.) von A ausgehenden Strahl zeigen, der, ſo lange die
Oberflaͤche horizontal bleibt, ungebrochen nach O zum Auge gelangt,
weil er die Oberflaͤche ſenkrecht trifft; wenn die Oberflaͤche die Lage
DE annimmt, ſo gelangt dieſer Strahl AB nicht mehr zum Auge,
ſondern wird vom Einfallslothe BG abwaͤrts in der Luft nach P
gebrochen und ein andrer Strahl AH koͤmmt, bei H gebrochen,
zum Auge, ſo daß dieſes den Punct A nun ſo ſieht, als ob er nach
a fortgeruͤckt waͤre. Bei den abwechſelnden Schwankungen der
[105] Oberflaͤche ſcheint alſo A von ſeiner wahren Lage bald nach der
einen bald nach der andern Seite fortzuruͤcken.


Hieraus kann ſo gar eine ſcheinbare Verdoppelung eines und
deſſelben Punctes entſtehen. Denn wenn bei einer Wellenbewe-
gung die Oberflaͤche in der Gegend um B horizontal, um H da-
gegen ſo geneigt iſt, wie die Linie DE angiebt, ſo kommen in die-
ſem Augenblicke zwei von A ausgehende Lichtſtrahlen, AB unge-
brochen und AH gebrochen ins Auge, und das Auge ſieht den Ge-
genſtand doppelt. Eine aͤhnliche Verdoppelung oder Vervielfachung
der Bilder findet auch bei der Spiegelung in Wellen ſtatt, und da
beide Erſcheinungen, die durch Brechung ſo wohl als die durch Spie-
gelung hervorgebrachte, ein Mittel geben, um die groͤßte Neigung
zu beſtimmen, welche die Wellen-Oberflaͤche irgendwo annimmt;
ſo iſt es wohl nicht unzweckmaͤßig, dabei noch einen Augenblick zu
verweilen. Wenn die Oberflaͤche (Fig. 54.) DE horizontal iſt,
ſo ſieht das Auge O den leuchtenden Punct A auf die ſehr bekannte
Weiſe in B geſpiegelt; aber wenn die Oberflaͤche die Lage FG an-
nimmt, ſo ruͤckt der Reflexionspunct nach C hin und koͤmmt alſo
dem Auge viel naͤher, und auch hier iſt es nur noͤthig, daß ein
kleiner Theil der Wellen-Oberflaͤche in C dieſe Lage habe, ſo er-
ſcheint in C ein zweites Bild, der Punct A wird zugleich in a und
aI geſehen. Wegen der ſehr mannigfaltigen Lage der einzelnen
Theile der Wellen-Oberflaͤche zeigen ſich dem Auge gewoͤhnlich noch
mehrere Bilder und die ganze Wellenflaͤche ſcheint uns bis auf einen
weiten Umfang hinaus einen verworrenen Widerſchein der Sonne
zu geben; aber die Beobachtung der Grenze, bis zu welcher dieſer
Widerſchein ſich erſtreckt, giebt die am meiſten geneigte Richtung
der Oberflaͤche an, und giebt uns alſo eine Beſtimmung uͤber die
Form der Wellen, naͤmlich wie ſtark der am meiſten geneigte Theil
der Oberflaͤche von der horizontalen Ebne abweicht *).


Endlich mag hier noch ein kleines Experiment, wobei ſich
gleichfalls eine Verdoppelung der Bilder zeigt, erwaͤhnt werden.
[106] Wenn man zwei Stecknadeln in paralleler Richtung in einem Brett-
chen feſtſteckt, und nun dieſes Brettchen ſo ins Waſſer taucht, daß
die obere Nadel das Waſſer beruͤhrt, die untere aber eingetaucht
iſt, ſo ſieht man, indem man das Auge ſo ſtellt, daß die untere
Nadel von der obern verdeckt ſein ſollte, die untere verdoppelt. Der
Verſuch gelingt nur, wenn die obere Nadel benetzt iſt und das
Waſſer vermoͤge der Anziehung neben ihr etwas gehoben iſt. In
dieſem Falle wird der von der Nadel B ſeitwaͤrts gehende Strahl
BC in der gekruͤmmten Oberflaͤche, die in C eine gegen CD ſenk-
rechte Richtung hat, (Fig. 55.) gebrochen, ſo daß er nicht grade
nach E, ſondern gebrochen nach O fortgeht; das Auge in O ſieht
daher die Nadel in der Richtung OC, als ob ſie in b laͤge, und aus
ganz gleichen Gruͤnden erſcheint auch an der andern Seite von B
ein Bild der Nadel, und dieſe erſcheint doppelt, obgleich ſie, ohne
Huͤlfe dieſer gekruͤmmten Oberflaͤchen durch die Nadel A verdeckt
ſein wuͤrde.


Weg des Lichtſtrahls, wenn er durch verſchiedene Koͤr-
per geht, deren Trennungsflaͤchen alle parallel ſind.


Ich habe bisher nur von dem Brechungsverhaͤltniſſe, das
beim Uebergange aus Luft in irgend einen andern durchſichtigen
Koͤrper ſtatt findet, geredet, aber wenn man fuͤr zwei Koͤrper dieſes
kennt, ſo laͤßt ſich auch auf die Brechung des von einem dieſer
Koͤrper in den andern uͤbergehenden Strahles ſchließen. Bleiben
wir bei den einfachen Zahlen 1 zu ¾ fuͤr Waſſer, 1 zu ⅔ fuͤr Glas
ſtehen, ſo zeigt die Erfahrung, daß das Brechungsverhaͤltniß beim
Uebergange aus Waſſer in Glas wie ¾ zu ⅔, oder was eben daſſelbe
iſt, wie 9 zu 8 oder wie 1 zu \frac{8}{9} ſtatt findet. — Theoretiſche Be-
trachtungen, die ich hier noch nicht anfuͤhren kann, laſſen ſchließen,
daß es ſo ſein muß. —


Nach dieſem Geſetze laͤßt ſich nun zuerſt fuͤr parallele Ober-
flaͤchen der ganze Weg des Strahles zeichnen. Es ſei (Fig. 56.)
ABCD Glas, in welches der Strahl EF eintritt, ſo muß NO =
LM ſein, um die richtige Richtung des Strahles FG im Glaſe
zu erhalten. Bei G trete der Strahl in Waſſer uͤber, ſo muß
no = \frac{9}{8}lm ſein; und GH iſt dann der richtig gezeichnete Strahl.
Bei H trete der Strahl durch die Ebne PQ wieder in die Luft her-
[107] vor, ſo iſt nIoI = \frac{4}{3}lImI, und es laͤßt ſich nun leicht zeigen,
daß, wenn alle Trennungsflaͤchen parallel waren, der wieder in
die Luft hervorgegangene Strahl eine mit dem einfallenden Strahle
parallele Richtung erlangt hat *). Allemal alſo wird der durch eine
Folge von Koͤrpern gegangene Strahl, wenn alle Trennungsflaͤchen
parallel waren, ſeiner anfaͤnglichen Richtung parallel, wenn er
wieder in dasjenige brechende Mittel, in dieſelbe Art von Koͤrper
gelangt, aus welcher er in jene Schichte uͤbergegangen war.


Wenn der Lichtſtrahl durch einen duͤnnen, von parallelen
Ebnen begrenzten brechenden Koͤrper geht, ſo bemerken wir die
Brechung faſt gar nicht, weil die geringe Abweichung der Linie
CD (Fig. 57.) von der AB in dieſem Falle, wenigſtens dem mit
keinen meſſenden Werkzeugen ausgeſtatteten Auge, nicht merklich
wird. Bei großer Dicke einer Glasſcheibe bemerken wir dagegen
allerdings, daß der Gegenſtand uns in einer veraͤnderten Stellung
erſcheint, indem bei einer ſolchen Dicke, wie der Koͤrper bei HG
hat, die Richtung HI, obgleich parallel mit FG, auf einen an-
dern Punct, als auf F, wo der leuchtende Punct ſich befindet, hin-
weiſet.


Brechung im Prisma. Anwendung deſſelben, um das
Brechungsverhaͤltniß zu finden
.


Um die Brechung deutlicher zu beobachten und um ihre Groͤße
abzumeſſen, dient, wie ich ſchon fruͤher obenhin erwaͤhnt habe, das
Prisma. Gewoͤhnlich bedient man ſich des dreiſeitigen Prisma's,
eines Koͤrpers, deſſen Grundflaͤchen parallele Drei-Ecke ſind, und
deſſen Seitenlinien unter einander parallel und gewoͤhnlich ſenkrecht
gegen die dreiſeitigen Grundflaͤchen ſind; indeß koͤmmt es nur darauf
an, daß zwei Seitenflaͤchen unter einem nicht zu kleinen Winkel
gegen einander geneigt ſind; ſtatt der dritten Seitenflaͤche koͤnnten
zwei oder mehr Seitenflaͤchen da ſein. Das Prisma wird ſo ge-
halten, daß der Lichtſtrahl ziemlich nahe ſenkrecht gegen die des
[108] Prisma's Laͤnge darſtellenden Ecklinien iſt, und ich habe daher nur
noͤthig, den dreiſeitigen Querſchnitt des Prisma's ZXY zu zeich-
nen. Faͤllt nun hier ein Lichtſtrahl in der Richtung (Fig. 58.) AB
auf, ſo wird er innerhalb des dichteren Koͤrpers nach BC gebrochen
fortgehen, und in C abermals gebrochen die Richtung CD anneh-
men, ſo daß ein Auge in D den Gegenſtand A in der Richtung
DE, anſcheinend weit von ſeinem wahren Orte weggeruͤckt, ſieht.
Wenn das Prisma von einem Glaſe iſt, bei dem das Brechungs-
verhaͤltniß 1 zu ⅔ ſtatt findet, ſo zeichnet man den Weg des Licht-
ſtrahles genau, wenn man um B einen Kreis zeichnet und die
Senkrechte LM auf das Einfallsloth OBE zieht, dann aber NO
= ⅔ LM nimmt, um die Richtung des Strahles BC zu beſtim-
men. Ebenſo zeichnet man wieder in C das Einfallsloth nl, und
den Kreis, in welchem nun lm = \frac{3}{2}no genommen wird. Es
erhellt hier leicht, daß die Groͤße der durch das Prisma beobachte-
ten Brechung bei gleichem Einfallswinkel von dem Winkel Z, den
man den brechenden Winkel des Prisma's nennt, abhaͤngt,
indem ſie geringe iſt, wenn Z eine ſehr geringe Groͤße hat. Aber
auch ein zweites Geſetz laͤßt ſich leicht uͤberſehen, naͤmlich, daß die
geſammte Ablenkung des Strahles fuͤr einen beſtimmten Winkel Z,
das heißt, wenn man immer daſſelbe Prisma anwendet, dann am
kleinſten wird, wenn der im Innern des Prisma's fortgehende
Strahl BC (Fig. 59.) ein Drei-Eck, deſſen Seiten ZB = ZC
gleich ſind, abſchneidet. In dieſem Falle naͤmlich ſind offenbar
die Brechungen bei B und C gleich, der Winkel, den BC mit
AB macht, iſt ebenſo groß als der, den BC mit CD bildet.
Man kann nun ſich zwei wenig von AB abweichende Lichtſtrahlen
aB und aIB denken, die grade ſo gewaͤhlt ſind, daß der eine
cd nach der Brechung ebenſo geneigt gegen die zweite Flaͤche ſei,
als der zweite aIB gegen die erſte Flaͤche; dieſe beiden Strahlen
erleiden, obgleich ſie an verſchiedenen Seiten von AB liegen, den-
noch eine gleiche geſammte Brechung, indem aB in der erſten
Flaͤche mehr als AB, aber in der zweiten Flaͤche weniger als AB
gebrochen iſt, und fuͤr aIB das Umgekehrte genau in eben dem
Maaße ſtatt findet. Der Fall, wo BC gleiche Winkel mit ZB,
ZC
macht, iſt alſo ein ſolcher, von welchem an, man mag von
dem Strahle AB zu aB oder zu aIB uͤbergehen, die Aenderung
[109] der geſammten Brechung dieſelbe iſt; aber bei der Vergroͤßerung
des Winkels, den aB mit dem Einfallslothe macht, betraͤgt die
Zunahme der Brechung mehr, als die Verminderung der Bre-
chung bei der Verkleinerung des Winkels, den cd mit dem Ein-
fallslothe macht, und daher iſt die Richtung cd mehr von der
Richtung aB verſchieden, als CD von AB verſchieden war, und
eben das gilt aus denſelben Gruͤnden fuͤr den Strahl aIBcIdI,
der auch mehr als ABCD gebrochen wird *).


Ich glaubte bei dieſem Falle der kleinſten Brechung etwas
laͤnger verweilen zu muͤſſen, theils weil wir in der Folge Erſchei-
nungen kennen lernen, die ſich auf die Kenntniß dieſes Falles be-
ziehen, theils weil uͤberhaupt die naͤhere Erwaͤgung ſolcher Faͤlle,
wo ein Groͤßtes oder Kleinſtes hervorgeht, ſchon an und fuͤr ſich
eine Merkwuͤrdigkeit darbietet. Wenn man die auf das Prisma
einfallenden Strahlen AB (Fig. 59.) alle Winkel mit der Ebne
BZ durchlaufen laͤßt, ſo erhellt aus jeder Zeichnung, die den eben
vorhin erwaͤhnten Regeln gemaͤß ausgefuͤhrt wird, daß der unter
einem kleinen Neigungswinkel gegen die Ebne oder unter einem
großen Einfallswinkel gegen das Neigungsloth einfallende Strahl
bei B ſtark, bei C wenig gebrochen wird; nimmt der Winkel ABG
zu, ſo werden beide Brechungen immer mehr gleich, endlich iſt
dieſe Gleichheit erreicht, und bei noch fortgehender Vergroͤßerung
des Winkels ABG kommen nun die vorigen Faͤlle in umgekehrter
Ordnung wieder, weil das jetzt an der andern Seitenflaͤche ſtatt
[110] findet, was vorhin an der erſten Seitenflaͤche eintrat. Ueberall
wo ein ſolcher Uebergang durch einen Mittelfall zu eben den in um-
gekehrter Ordnung wiederkommenden Faͤllen ſtatt findet, da iſt dieſer
Mittelfall ein Fall des Groͤßten oder Kleinſten und eine naͤhere
Betrachtung der Umſtaͤnde entſcheidet meiſtens ziemlich leicht, wel-
ches von beiden, ob ein Groͤßtes oder Kleinſtes, hier eintritt.


Um aber Ihnen nun fuͤr dieſe theoretiſche Betrachtung, die
vielleicht etwas trocken iſt, auch eine practiſche Erlaͤuterung zu
geben, bitte ich Sie, das Glasprisma in die Hand zu nehmen
und, indem ſie hindurch ſehen, den brechenden Winkel nach unten
zu halten; dann muͤſſen Sie ſtark unterwaͤrts das Auge richten,
um Gegenſtaͤnde, die ebenſo hoch als das Auge liegen, zu ſehen.
Drehen Sie nun das Prisma ſo, daß der brechende Winkel bald
unten, bald etwas hinaufgeruͤckt iſt, ſo ſehen Sie einen einmal
ins Auge gefaßten Punct bald hinauf, bald wieder herab ruͤcken,
und wenn er ſeine hoͤchſte ſcheinbare Stellung hat, das iſt, wenn
er am wenigſten von ſeinem wahren Orte entfernt ſcheint, wenn
die geſammte Brechung am kleinſten iſt, ſo koͤnnen Sie das Prisma
ſchon erheblich drehen, ohne daß eine Aenderung in der ſcheinbaren
Richtung fuͤr dieſen Punct auffallend wird. Dieſes iſt dann eben
die Stellung, die wir vorhin betrachteten, die man daher leicht mit
ziemlicher Genauigkeit auffindet, wenn man auf einen beſtimmten
Punct achtet und bei der langſamen Drehung des Prisma's die
Stellung wahrnimmt, wo das ſcheinbare Steigen jenes Punctes
in ein Herabgehen uͤbergeht.


Das Prisma bietet uns eine Erſcheinung dar, die gewoͤhnlich
am allermeiſten durch ihre große Schoͤnheit unſer Auge auf ſich
zieht, die Erſcheinung der Farben; aber von dieſer muͤſſen Sie mir
erlauben, jetzt noch nicht zu reden, ſondern Sie nur auf einen Ge-
brauch des Prisma's, wobei freilich Farben hervorgehen, aufmerk-
ſam zu machen, der eine anders angeordnete Wiederholung des
vorigen Verſuches iſt. Wenn man einen Sonnenſtrahl durch eine
kleine Oeffnung in ein dunkles Zimmer fallen laͤßt, und dieſen
Lichtſtrahl auf einem Prisma auffaͤngt, ſo ſieht man, daß der her-
vorgehende Strahl an der andern Seite des Prisma's eine ganz
veraͤnderte Richtung hat, und wenn man das Prisma dreht, ſo
findet man leicht die Stellung, in welcher die hervorgebrachte Ab-
[111] lenkung von der urſpruͤnglichen Richtung die geringſte iſt. Der
erleuchtete Raum L ruͤckt (Fig. 60.) bei der Drehung des Pris-
ma's herauf oder herab; aber die tiefſte Stellung I erreicht er dann,
wenn der im Innern des Prisma's fortgehende Lichtſtrahl die Sei-
tenflaͤchen unter gleichen Winkeln trifft, und wenn man dieſe Stel-
lung des Prisma's erreicht hat, ſo kann man etwas weiter fort
oder etwas zuruͤck drehen, ohne die Lage des Bildes merklich zu
aͤndern.


Dieſe Lage iſt auch fuͤr genaue Beſtimmung der Brechung die
vortheilhafteſte, weil, wenn man den Winkel des Prisma's und
die Ablenkung des Strahles kennt, wegen der Gleichheit beider
Brechungen, die Groͤße der Brechung an jeder der beiden Flaͤchen
ſo leicht beſtimmt wird. Die beſte Art, dieſe Staͤrke der Brechung
genau abzumeſſen, iſt die von Fraunhofer angewandte, wo
eine ſehr entfernte Lampe, die ſo verdeckt war, daß nur durch eine
kleine Oeffnung A das Licht auf das Prisma fiel, (Fig. 61.) den
Strahl AB auf dieſes ſandte, das Prisma aber nahe vor einem
Fernrohre ſtand und ſo geſtellt wurde, daß der Lichtſtrahl im
Fernrohr nach L zu ins Auge kam. Wenn nun dieſes Fernrohr
auf einem eingetheilten Kreiſe befeſtiget iſt, und man auf der Grad-
theilung des Randes ſo wohl die Richtung LM des gebrochenen
Lichtſtrahles als die Richtung der Linie CA ablieſet, ſo laͤßt ſich
mit Huͤlfe der mehrere hundert Fuß betragenden Entfernung CA
und der nur wenige Zolle betragenden Entfernung CB, die Groͤße
der Brechung mit einer vollkommenen Genauigkeit finden. Dieſes
Mittel, die Staͤrke der Brechung oder das Maaß des Brechungs-
verhaͤltniſſes zu finden, iſt beſonders bei den verſchiedenen Glas-
Arten wichtig, weil wir fuͤr ſie, um ſie zu guten Fernroͤhren an-
zuwenden, die Brechung in hohem Grade genau kennen muͤſſen;
aber anwendbar iſt es bei allen Subſtanzen, die ſich zu Prismen
von hinreichender Groͤße ſchleifen laſſen. Selbſt fuͤr fluͤſſige Koͤrper
iſt dieſe Methode brauchbar, nur muß man dann ein Prisma aus
feſt verbundenen Glasſcheiben, um die Fluͤſſigkeit hineinzubringen,
beſitzen, oder die in der Hoͤhlung ABDC (Fig. 62.) enthaltene
Fluͤſſigkeit mit zwei Glasplatten AB, CD, ſo daß keine Luft ir-
gendwo uͤbrig bleibt, verſchließen, und den Winkel (etwa mit Huͤlfe
des Reflexions-Winkelmeſſers) abmeſſen, welchen dieſe mit einan-
[112] der machen. Die den fluͤſſigen Koͤrper einſchließenden Glasplatten
muͤſſen genau an beiden Seiten parallel geſchliffen ſein, und ob ſie
das ſind, erkennt man daran, daß der Gegenſtand, den man durch
das bloß mit Luft gefuͤllte Prisma ſieht, in unveraͤnderter Rich-
tung, ebenſo als wenn das Prisma ganz weggelaſſen wird, er-
ſcheint; wenn dieſes nicht der Fall iſt, ſo haben die Glasſcheiben
ſelbſt eine etwas prismatiſche Form und man erhaͤlt daher bei der
Beobachtung der Brechung durch das mit Fluͤſſigkeit gefuͤllte Pris-
ma die Brechung durch dieſe etwas fehlerhaft. Um aber doch die
Unſicherheit, die aus den Farben hervorgeht, welche ſich im Pris-
ma zeigen, hier nicht ganz unerwaͤhnt zu laſſen, muß ich noch die
Bemerkung beifuͤgen, daß man bei ſolchen Meſſungen immer auf
eine und dieſelbe Farbe die Meſſung richten muß. Sie werden in
der Folge ſehen, mit welcher Genauigkeit ſich die dann hervorge-
henden Beſtimmungen angeben laſſen.


Selbſt die Luft, ſo fein ſie auch iſt, bringt dennoch eine Bre-
chung des Lichtes hervor, deren Kenntniß beſonders dem Aſtrono-
men wichtig iſt, und auch dieſe Brechung laͤßt ſich mit Huͤlfe des
hohlen Prisma's beſtimmen. Macht man naͤmlich die Hoͤhlung
AD ſo klein, daß beim Auspumpen der Luft aus derſelben kein Zer-
brechen und keine bedeutende Kruͤmmung der Glasſcheiben AB,
CD
zu befuͤrchten iſt, ſo kann man durch einen ſeitwaͤrts angebrach-
ten Hahn mit Huͤlfe der Luftpumpe dieſen Raum luftleer machen;
der bei CD eindringende Lichtſtrahl wird dann, indem er in ver-
duͤnnte Luft oder in einen beinahe luftleeren Raum uͤbergeht, ein
wenig vom Einfallslothe abwaͤrts, und indem er bei AB wieder
in die dichtere Luft gelangt, ein wenig gegen das Einfallsloth zu
gebrochen, und ſo wenig dies auch betraͤgt, ſo haben doch Biot
und Arago aus ſolchen Verſuchen die Brechung bei dem Ueber-
gange aus dem leeren Raume in die Luft genau beſtimmt. Die
Brechung in kuͤnſtlichen Luft-Arten haben eben dieſe Beobachter
dadurch kennen gelehrt, daß ſie jenen mit Glasplatten geſchloſſenen
Raum mit dieſen Luft-Arten fuͤllten.


Zur Beſtimmung der Brechung in Koͤrpern, die zu klein
oder unregelmaͤßig geformt oder nicht vollkommen durchſichtig ſind,
werden wir noch andre Mittel kennen lernen.


[113]

Zuruͤckwerfung, die ſtatt der Brechung eintritt.


Eine ſehr merkwuͤrdige Erſcheinung bietet ſich uns noch beim
Gebrauche des Prisma's dar, die uͤberraſchend ſchoͤne Spiegelung
in der Hinterſeite des Prisma's; und dieſe Erſcheinung iſt deſto
merkwuͤrdiger, da ſie in einem Umſtande, den die theoretiſche Ue-
berlegung uns kennen lehrt, ihren Grund hat. Ehe ich auf dieſen
komme, muß ich einen andern Umſtand erwaͤhnen, der zwar bei
jener Zuruͤckwerfung mitwirkend, aber doch nicht die Hauptſache
iſt. Ein jeder durchſichtiger Koͤrper wirft auch von ſeiner Hinter-
ſeite Lichtſtrahlen zuruͤck, und gewaͤhrt uns alſo auch von ihr aus
eine Spiegelung; dieſes bemerken wir auch an dem Prisma, indem,
wenn dieſes zum Beiſpiel auf einem beſchriebenen Papiere liegt,
dieſe Schrift bei verſchiedenen Stellungen des Auges O durch das
Prisma ſichtbar iſt, aber dennoch auch andre in der Gegend A lie-
gende Gegenſtaͤnde ſich uns in einem matten Spiegelbilde in der
Seite DE zeigen. (Fig. 63.) Ein ſolches mattes Bild ſehen wir
in DE bei allen nicht zu niedrigen Stellungen des Auges; aber
wenn nun das Auge O immer mehr und mehr herab ruͤckt, ſo ge-
langt es endlich zu einem Puncte, wo die unter DE liegende
Schrift gar nicht mehr geſehen wird, die Gegenſtaͤnde bei A aber
wie in der vollkommenſten Spiegelflaͤche mit dem vollſten Lichte ab-
gebildet erſcheinen. Die Erſcheinung bietet ſich uns leicht und un-
geſucht dar; aber ſie wird uns am verſtaͤndlichſten, wenn wir auf
theoretiſchem Wege zu ihr gelangen und daher eine andre Reihe
von Betrachtungen, die Sie ſchon kennen gelernt haben, weiter
verfolgen.


Die Regel, nach welcher wir den in das Glas eintretenden
und den aus dem Glaſe austretenden Strahl durch Zeichnung zu
beſtimmen gelernt haben, ſcheint zu dieſer Beſtimmung vollkommen
ausreichend und iſt es auch wirklich bei dem Eintritte in einen dich-
teren Koͤrper, aber nicht in allen Faͤllen bei dem Austritte aus dem-
ſelben. Um ſogleich bei dem Prisma zu bleiben, ſei AB (Fig. 63.)
ein einfallender Strahl, der wenig von dem Einfallslothe BC ab-
weicht; er geht mit geringer Brechung nach BG fort, und, um
ſeine Richtung beim Heraustreten zu finden, zeichnen wir den
Kreis, nehmen das 1½ fache der LM, um einen Punct des Krei-
II. H
[114] ſes zu ſuchen, der ſo weit von dem Einfallslothe entfernt iſt, und
uns die Richtung des gebrochenen Strahles angeben ſollte; aber
der Kreis hat gar keinen ſo weit als N entfernten Punct, wenn
GN = \frac{3}{2}LM iſt, und ein ausfallender Strahl kann nach unſrer
Regel nicht gezeichnet werden. Der Grund davon iſt auch leicht
einzuſehen. Waͤre der Strahl ſo wie aB eingefallen, ſo waͤre er
in der Richtung Bd nach d gekommen und es haͤtte ſich der Regel
gemaͤß der ausfallende Strahl dq noch zeichnen laſſen; aber er
haͤtte eine ſo wenig von der Ebne DE abweichende Richtung er-
halten, daß man wohl einſieht, ein noch weniger als Bd gegen
dieſe Ebne geneigter Strahl koͤnne gar nicht mehr hervordringen.
Und dieſe Strahlen nun, die gebrochen nicht mehr hervordringen
koͤnnen, werden nicht bloß theilweiſe, ſondern ganz zuruͤckgeworfen,
und ein Auge in H ſieht den Gegenſtand A mit dem vollen Lichte,
das nur der ſchoͤnſte Spiegel gewaͤhren kann, ſtatt daß andre Ge-
genſtaͤnde, deren meiſte Strahlen aus dem Glaſe hervorgehend nach
q gelangen, nur vermittelſt der unbedeutend wenigen Strahlen,
die allemal reflectirt werden, einem in der Gegend O ſtehenden
Auge ſichtbar werden.


Wenn man umgekehrt den Weg der von Q oder q ausgehen-
den Lichtſtrahlen verfolgt, ſo uͤberzeugt man ſich leicht, daß ein
Auge in A keinen dieſer Puncte ſehen kann; denn welchen von Q
ausgehenden Lichtſtrahl, Qd, QdI, man nehmen mag, alle wer-
den ſo gebrochen, daß ſie uͤber A weggehen, keiner nach A, keiner
alſo zu dem in A befindlichen Auge gelangt; dieſes Auge in A ſieht
daher die unter DE liegende Schrift auf dem weißen Papiere, die
bei unſerm Verſuche dieſen Platz einnahm, nicht mehr; aber Ge-
genſtaͤnde bei H erſcheinen mit vollem Lichte geſpiegelt. Dieſe Spie-
gelbilder ſind von ſo ſehr großem Glanze, weil mit dem wenigen
Lichte, das ſonſt ſchon, als ein mattes Spiegelbild darſtellend, re-
flectirt wurde, ſich nun alle die Strahlen verbinden, die ſonſt ge-
brochen hervorgingen und deshalb ein geringerer Lichtverluſt als faſt
in irgend einem andern Falle ſtatt findet.


Aber jener Verſuch, daß die unter DE liegende Schrift un-
ſichtbar wurde, wenn man dem Auge eine zu niedrige Stellung
gab, laͤßt ſich noch auf eine zweite Weiſe wiederholen, die eine
neue Ueberraſchung darbietet. Auf jene Schrift laſſe man einen
[115] maͤßigen Tropfen Waſſer fallen und lege nun das Prisma wieder
auf, ſo ſieht das Auge A an den benetzten Stellen die untenlie-
gende Schrift, und die ſchoͤne Spiegelflaͤche, die in den unbenetz-
ten Stellen ſich noch ebenſo zeigt, erſcheint an den benetzten Stel-
len durchloͤchert. Der Grund iſt nicht ſchwer einzuſehen. Wenn
der von Q ausgehende Strahl ſogleich bei Q in Waſſer eintritt, und
aus dem Waſſer bei d in Glas uͤbergeht, ſo wird er nur wenig
gebrochen und gelangt daher nicht nach a, ſondern nach A, das
Auge A ſieht die in Q aufgezeichneten Buchſtaben; dagegen ſieht
es nun die Gegenſtaͤnde bei H ſchlecht geſpiegelt, indem der von H
kommende Lichtſtrahl HG bei G in das Waſſer eindringend her-
vorgeht, da die Brechung beim Uebergange in Waſſer nur fordert,
daß der Sinus des Winkels nach der Brechung \frac{9}{8} vom Sinus des
Winkels vor der Brechung ſei, was den Strahl zwar nahe an GE
bringt, aber doch zeigt, daß er allerdings in das Waſſer eindringt,
alſo nicht zuruͤckgeworfen wird.


Und um dieſen Verſuch nun ganz zu benutzen, muß ich noch
zweierlei beifuͤgen. Erſtlich, nachdem der Waſſertropfen angebracht
und dadurch die unten liegende Schrift dem Auge A ſichtbar gewor-
den iſt, geben Sie dem Auge eine noch niedrigere Stellung, ſo
tritt die vollkommene Spiegelung und das Unſichtbarwerden jener
Schrift abermals ein, aus dem ſehr begreiflichen Grunde, weil
bei ſehr weit vom Perpendikel abweichenden Richtungen des Licht-
ſtrahls ſelbſt die Vergroͤßerung des Sinus von 1 auf \frac{9}{8} nicht mehr
ſtatt findet. Zweitens, wenn man neben einander, aber getrennt,
einen Waſſertropfen und einen Tropfen Terpentin-Oel anbringt,
ſo muß man das Auge noch viel tiefer als fuͤr den Waſſertropfen
herabbringen, damit das abermalige Verſchwinden der Buchſtaben
bei Q fuͤr den Tropfen Oel eintrete, ja es kann das Prisma von
einer Glas-Art ſein, wo dies zweite Verſchwinden beinahe gar nicht
mehr in der Gegend, wo ſich das Terpentin-Oel befindet, hervor-
zubringen iſt. Dieſe Fluͤſſigkeit ſteht naͤmlich dem Glaſe in Ruͤck-
ſicht auf die Brechung viel naͤher als das Waſſer, und der von
Q im Terpentin-Oel kommende Strahl geht daher beinahe durch-
aus ungebrochen in das Glas hinein, ſo daß auch in ſehr nie-
drigen Stellungen dennoch das Auge dieſe Lichtſtrahlen empfaͤngt.


H 2
[116]

Beſtimmungen der Staͤrke der Brechung bei unpolirten,
unregelmaͤßigen durchſichtigen Koͤrpern.


Zum Schluſſe dieſer Betrachtungen knuͤpfe ich hieran noch
einen andern Verſuch. Sie wiſſen, daß die an ſich durchſichtigen
Koͤrper die Eigenſchaft haben, daß ſie undurchſichtig werden, wenn
man ihnen eine rauhe, eine matt geſchliffene Oberflaͤche giebt. Dies
hat darin ſeinen Grund, weil die die Oberflaͤche treffenden Strah-
len an dieſer aus unregelmaͤßigen Theilen zuſammengeſetzten Ober-
flaͤche ſo mannigfaltig gebrochen und zuruͤckgeworfen werden, daß
die Strahlen durchaus nicht regelmaͤßig zum Auge gelangen. Dieſe
unregelmaͤßige Brechung hoͤrt auf, wenn der Koͤrper von einer eben-
ſo ſtark brechenden Fluͤſſigkeit umgeben iſt, und die Erfahrung zeigt,
daß alsdann auch die ſchwache Reflexion, die beim Uebergange des
Lichtſtrahls aus Glas in Luft, und ſchon weit ſchwaͤcher bei dem
Uebergange aus Glas in Waſſer ſtatt findet, gaͤnzlich aufhoͤrt; es
kann uns daher nicht wundern, wenn wir ein in Waſſer getauchtes
mattgeſchliffenes Glas ſeine Durchſichtigkeit einigermaßen wieder
erlangen ſehen, und beim Eintauchen in Terpentin-Oel, welches
die Lichtſtrahlen faſt ebenſo ſtark bricht als das Glas, die Durch-
ſichtigkeit faſt voͤllig hergeſtellt finden.


Dieſe Erfahrung leitet auf ein Mittel, um die Brechung fuͤr
diejenigen durchſichtigen Koͤrper zu beſtimmen, die entweder nur in
kleinen Stuͤcken vorhanden ſind, oder deren Oberflaͤchen unpolirt
ſind. Findet man fuͤr dieſe eine Fluͤſſigkeit oder eine Miſchung von
Fluͤſſigkeiten, die ihnen ihre volle Durchſichtigkeit giebt, ſo kann
man ſicher ſein, daß die Fluͤſſigkeit das Licht ebenſo ſtark, als der
feſte Koͤrper, bricht. Brewſter, der dieſen ſo nahe liegenden Ge-
danken zuerſt oͤffentlich ausgeſprochen hat, bemerkt hiebei, daß hierin
ein Mittel liege, um in ungeſchliffenen Edelſteinen die etwa vor-
handenen Spalten und Unregelmaͤßigkeiten, die im Innern die
Durchſichtigkeit hindern, zu entdecken. Denn da der Lichtſtrahl an
der Oberflaͤche des in eine ſolche, gut gewaͤhlte Fluͤſſigkeit einge-
tauchten Minerals kein Hinderniß ſeines Fortganges findet, ſo ſieht
man nun die im Innern ſich befindenden Spalten oder andern Un-
terbrechungen der gleichfoͤrmigen Bildung.


[117]

Siebente Vorleſung.


Die Linſenglaͤſer.


Wir machen einen ſo vielfachen Gebrauch von den kugel-
foͤrmig geſchliffenen Glaͤſern, von den Glaͤſern naͤmlich, deren
Oberflaͤchen Theile von Kugeln ſind, daß ſie vor allem unſre
Aufmerkſamkeit verdienen. Ich habe fruͤher ſchon bemerkt, daß
die Brechung in krummen Oberflaͤchen ganz ſo wie in ebenen
ſtatt findet, wenn nur das Einfallsloth richtig gezogen iſt; bei
einer Kugelflaͤche iſt aber dieſes leicht zu beſtimmen, da hier die-
jenige Linie, welche durch der Kugel Mittelpunct geht, ſenkrecht
gegen die Oberflaͤche iſt. Es waͤre demnach gar nicht ſchwer, fuͤr
jeden Punct der Kugel-Oberflaͤche den Weg des gebrochenen Licht-
ſtrahles zu finden; aber da der Zweck aller unſrer aus ſolchen
Glaͤſern, welche man Linſenglaͤſer, Glaslinſen, nennt,
zuſammengeſetzten Inſtrumente nur ſo fern, als ſie reine Bilder
geben, erreicht wird, ſo wird die Zeichnung des Weges der Licht-
ſtrahlen noch bedeutend erleichtert. Unſre Glaͤſer naͤmlich ſind
von nur kleinen Theilen der Kugelflaͤche begrenzt, und da die
Bogen ADB, AEB, deren Mittelpuncte (Fig. 64.) in C, G,
liegen, nur wenige Grade umfaſſen und keine andre Lichtſtrahlen,
als welche beinahe mit der Linie CG, die man die Axe des
Glaſes
nennt, parallel einfallen, gebraucht werden, ſo kann
man in einer Zeichnung den Winkeln ſelbſt, denjenigen Winkeln
naͤmlich, die zwiſchen dem Einfallslothe und dem Strahle liegen,
das immer gleiche Brechungsverhaͤltniß geben, welches genau ge-
nommen nicht den Winkeln, ſondern ihren Sinus zukoͤmmt.


Dieſe Linſenglaͤſer haben entweder die Woͤlbung nach aus-
waͤrts gekehrt, wie es in Fig. 64. bei beiden Oberflaͤchen der Fall
iſt, oder die Kugelflaͤche bietet eine Hoͤhlung dar; in jenem Falle
heißt die Oberflaͤche convex, in dieſem Falle concav. Die
Glaͤſer koͤnnen nun an beiden Seiten convex oder nur an einer
Seite convex ſein, waͤhrend die zweite eben oder auch concav iſt;
oder die Verbindung zweier concaven Oberflaͤchen oder einer con-
[118] caven und ebenen kann ſtatt finden, und hierauf beziehen ſich
die Namen: convex-convex, plan-convex, concav-convex, concav-
concav, plan-concav. Wir wollen zuerſt bei denen ſtehen bleiben,
deren Oberflaͤchen beide convex ſind.


Wenn man den Durchſchnitt eines ſolchen Glaſes (Fig. 64.)
zeichnet, und einen leuchtenden Punct auf der durch beide Mittel-
puncte C, G, gezogenen graden Linie, ziemlich entfernt annimmt,
wenn man dann die Brechung an beiden Oberflaͤchen den richtigen
Geſetzen gemaͤß zeichnet, ſo findet man, daß die von einem ſolchen
Puncte H vor dem Glaſe ausgehenden Strahlen ſich faſt genau in
einem Puncte I hinter dem Glaſe vereinigen, daß ſie alſo dort
ein Bild des Punctes H darſtellen, und wenn neben H andre Licht
ausſtrahlende Puncte h liegen, auch die von ihnen ausgehenden
Strahlen ebenfalls Bilder geben, ſo daß in Ii ein Bild des Ge-
genſtandes Hh erſcheinen muß. Dieſes Ergebniß einer mit hinrei-
chender Genauigkeit ausgefuͤhrten Zeichnung lehrt uns auch der Ver-
ſuch kennen. Nehmen Sie ein Brennglas, oder ein gewoͤhnliches
Brillenglas von der Art, wie aͤltere, allzu fernſichtige Perſonen es
zum Leſen gebrauchen, und halten es parallel mit einer weißen
Wand, waͤhrend die Strahlen eines zehn oder mehr Fuß entfernten
Lichtes darauf fallen, ſo werden Sie leicht die richtige Entfernung des
Glaſes von der Wand treffen, um das umgekehrte Bild, eine kleine
ſehr helle Lichtflamme an der Wand zu ſehen, — nicht bloß die umge-
kehrte Lichtflamme, ſondern ſelbſt den erhellten Theil des Talg- oder
Wachslichtes ſelbſt erkennt man deutlich. Wenn das Licht naͤher
heran geruͤckt wird, ſo wird das Bild undeutlich, aber man hat nur
noͤthig, das Glas etwas weiter von der Wand zu entfernen, um
abermals ein deutliches, nun etwas groͤßeres Bild zu erhalten; und
ſo kann man es fortſetzen, bis das immer mehr heran gebrachte Licht
dem Glaſe eben ſo nahe iſt, als dieſes dem entſtehenden Bilde an
der Wand, dann ſind Bild und Gegenſtand gleich groß, und ein
weiteres Heranruͤcken des Lichtes gegen die Wand geſtattet nun kein
Bild mehr. Aber wenn man das Licht wieder weiter von der Wand
entfernt, und das Glas zugleich dem Lichte naͤhert, ſo erhaͤlt man
ein Bild an der Wand, welches groͤßer als das Licht iſt; und man
uͤberzeugt ſich bald, daß bei hinreichender Entfernung des Lichtes
von der Wand zwei Stellungen des Glaſes ſtatt finden, die ange-
[119] meſſen ſind, um ein Bild zu zeigen, eine Stellung der Wand
nahe, wobei das Bild klein wird, eine Stellung dem Lichte nahe,
wobei das Bild vergroͤßert erſcheint; wenn das Licht der Wand ſo
nahe ſteht, daß Bild und Gegenſtand gleich werden, ſo iſt die
Grenze der Annaͤherung erreicht, und ſtatt der zwei Stellungen des
Glaſes findet nur noch dieſe eine ſtatt.


Auf die uͤbrigen Umſtaͤnde, welche ſich bei der Erſcheinung der
Bilder darbieten, brauche ich Sie kaum aufmerkſam zu machen.
Die Bilder ſind ſehr glaͤnzend, ſehr ſtark erleuchtet, wenn ſie klein
ſind, dagegen von mattem Lichte, wenn ſie groß ſind; — offen-
bar deswegen, weil die ziemlich gleiche Menge Lichtſtrahlen, in
jenem Falle in einem kleinen Raume vereinigt, dieſen Raum ſehr
lebhaft erleuchtet. Auch andre Gegenſtaͤnde, zum Beiſpiel die Haͤu-
ſer, die ſich in einiger Entfernung befinden, die Fenſter des Zim-
mers, laſſen ſich am Tage, wenn die Gegenſtaͤnde gut erleuchtet
ſind, ſo im Bilde darſtellen; und bringt man das Glas an die
zum Einlaſſen eines Lichtſtrahles beſtimmte Oeffnung im finſtern
Zimmer, ſo ſieht man auf einer gehoͤrig geſtellten weißen Tafel alle
vor dem Glaſe außerhalb liegenden Gegenſtaͤnde mit lebhaftem Lichte
und mit allen natuͤrlichen Farben. Je weiter dieſe Gegenſtaͤnde
entfernt ſind, deſto naͤher ruͤckt das Bild dem Glaſe, jedoch ſo, daß
es ſelbſt im aͤußerſten Falle nicht weiter, als bis zu der Annaͤhe-
rung, die man die Brennweite nennt, heranruͤckt. Dieſe Brenn-
weite, die Entfernung, in welcher die Sonnenſtrahlen ſich ſam-
meln, und mit einem lebhaften Bilde zugleich eine große Erhitzung,
ein Brennen, hervorbringen, findet man nahe genug, wenn man
auch nur von Gegenſtaͤnden, die tauſend Fuß oder einige tauſend
Fuß entfernt ſind, das Bild auffaͤngt.


Dieſe Brennweite laͤßt ſich ſehr leicht theoretiſch beſtimmen,
und wenigſtens fuͤr einige Faͤlle kann ich auch hier, ohne uͤber die
Grenzen mathematiſcher Kenntniſſe, die ich hier vorausſetzen darf,
hinauszugehen, dieſe Brennweite finden lehren. Es ſei (Fig. 65.)
ein plan-convexes Glas AB, auf deſſen ebne Flaͤche die Sonnen-
ſtrahlen ſenkrecht auffallen, ſo gehen dieſe durch die Ebne AB un-
gebrochen ein, weil der ſenkrechte Strahl keine Brechung erleidet.
Dieſes findet fuͤr alle Strahlen, weil man ſie als parallel einfallend
anſehen kann, ſtatt. An der zweiten Oberflaͤche aber werden die
[120] Strahlen vom Einfallslothe abwaͤrts gebrochen, und zwar beim
Glaſe ſo, daß wenn ED der einfallende Strahl, CD das Ein-
fallsloth iſt, FDG nach der Brechung anderthalbmal ſo groß iſt,
als EDC vor der Brechung. Fuͤr Parallellinien ED, CG iſt
EDC = DCG, und alſo am Drei-Ecke der aͤußere Winkel
GDF = \frac{3}{2}GCD; damit iſt aber, bei der hier angenommenen
Kleinheit der Winkel, verbunden, daß CG = \frac{3}{2}DG oder weil
hier GH nur ſehr wenig von DG verſchieden iſt, HG doppelt ſo
groß als CH iſt. Der Brennpunct G liegt alſo doppelt ſo weit
hinter dem Glaſe, als der Mittelpunct C vor dem Glaſe, und in
dieſem Brennpuncte vereinigen ſich diejenigen Strahlen am ge-
naueſten, die nur wenig von der Axe CG entfernt einfallen, die
entfernteren wuͤrden, wenn man dem Glaſe eine zu große Breite
gaͤbe, ſich nicht genau in eben dem Puncte vereinigen und daher
eine Erleuchtung in benachbarten Puncten, damit zugleich aber eine
Undeutlichkeit des Bildes, bewirken.


Haͤtte man ſtatt der Glaslinſe eine Linſe von andrer Sub-
ſtanz angewandt, ſo wuͤrde das Verhaͤltniß der Winkel ein anderes.
Bei Waſſer, das in eine duͤnne Glashuͤlle von eben der Geſtalt
eingeſchloſſen waͤre, oder beinahe auch bei einer planconvexen Eis-
linſe, wuͤrde GDF = \frac{4}{3}GCD, und DG = ¾ CG, beinahe
alſo HG = ¾ CG ſein, das iſt, da laͤge der Brennpunct G,
wegen der viel ſchwaͤchern Brechung, um 3 Halbmeſſer hinter dem
Glaſe. Eine planconvexe Diamantlinſe dagegen, wo das Bre-
chungsverhaͤltniß I zu \frac{5}{2} iſt, giebt den Winkel FDGI = \frac{5}{2}DCGI,
und CGI = \frac{5}{2}GID, oder CGI = \frac{5}{2}GIH, ſo daß GIH nur
CH wird, oder CH drei ſolche Theile, CGI fuͤnf ſolche
Theile enthaͤlt, deren zwei ſich in GIH finden. Eine Diamant-
linſe hat alſo eine ſehr kurze Brennweite.


Wenn die Linſe an beiden Seiten eine gleiche Convexitaͤt hat
oder gleichſeitig iſt, ſo giebt — wenn es eine Glaslinſe iſt — ein
Punct H der um den doppelten Halbmeſſer der Kugelflaͤche vor
dem Glaſe liegt, (Fig. 64.) ein Bild I ebenſo entfernt hinter
dem Glaſe, indem dann der von H kommende Lichtſtrahl im In-
nern der Linſe mit der Axe parallel iſt. Die Brennweite eines
ſolchen Glaſes iſt halb ſo groß oder dem Halbmeſſer der Kugelflaͤche
gleich. In jedem andern Falle erhaͤlt man bei Glaslinſen die
[121] Brennweite, wenn man die Zahlen, welche die Halbmeſſer beider
Linſen angeben, in einander multiplicirt und mit der halben
Summe der Halbmeſſer dividirt, und dieſes iſt genau fuͤr Glaͤſer,
deren Brechungsverhaͤltniß 1 zu 1½ iſt.


Noch in einem zweiten Falle laͤßt ſich der Punct, wo die Licht-
ſtrahlen geſammelt werden, leicht finden, naͤmlich wenn ein großer
Glaskoͤrper nur an ſeiner Vorderflaͤche ſphaͤriſch gerundet iſt, und
die Lichtſtrahlen ſich innerhalb des Glaſes vereinigen, — ein Fall,
der freilich auf dieſe Weiſe eben nicht vorkoͤmmt. Hier wird (Fig.
66.
) wenn C der Mittelpunct, ED der einfallende Strahl, De
deſſen grade Verlaͤngerung iſt, der Winkel CDG = ⅔ CDe, und
weil CDe = ACD iſt, auch CG = ⅔ GD, oder faſt genau
CG = ⅔ GA, alſo der Punct G, wo die ſeitwaͤrts einfallenden
Strahlen die Axe erreichen, dreimal ſo weit als C hinter dem Ein-
fallspuncte A. Hieran knuͤpft ſich ziemlich leicht die eben angefuͤhrte
allgemeine Beſtimmung fuͤr Glaͤſer, die an beiden Seiten convex
ſind; aber da es hier nur meine Abſicht iſt, die Wege anzudeuten,
die man verfolgen muß, um zu genauen Beſtimmungen zu gelan-
gen, nicht aber die meſſenden oder rechnenden Beſtimmungen
ſtrenge in Zahlen nachzuweiſen, ſo breche ich dieſe geometriſche Be-
trachtung ab.


Daß das Bild des Gegenſtandes umgekehrt iſt, laͤßt ſich leicht
uͤberſehen; denn Strahlen, die mit ab parallel einfallen, (Fig. 65.)
haben in g, alſo an der entgegengeſetzten Seite der Axe, ihren
Vereinigungspunct. Hiebei muß ich aber doch noch einen Umſtand
erklaͤren. Man ſieht den durch die Mitte des Glaſes gehenden
Strahl abg als ungebrochen durchgehend an, weil er bei H eine
mit AB parallele Flaͤche antrifft, und daher in einem ziemlich duͤn-
nen Glaſe als ungebrochen durchgehend angeſehen werden darf. Die
mit ab parallel einfallenden Strahlen werden, wenn ihre Neigung
gegen die Axe nicht allzu groß iſt, in eben der Entfernung Hg =
HG hinter dem Glaſe geſammelt, und in Gg ſtellt ſich alſo ein
Bild des entfernten Gegenſtandes dar, deſſen Endpuncte durch die
Linien CH, ab getroffen werden.


Bei concaven Glaͤſern findet ein ſolcher Vereinigungspunct
nicht ſtatt. Parallel mit der Axe einfallende Strahlen AD werden
hier (Fig. 67.) ſo wohl beim Eintritt als beim Austritt von der
[122] Axe abwaͤrts gebrochen; denn beim Eintritt wird der Winkel ADI,
den der ungebrochene Strahl mit dem Einfallslothe DI macht,
verkleinert, FDi kleiner als ADI, alſo DF von der Axe abwaͤrts
gelenkt; und beim Austritt, wo FK das Einfallsloth iſt, bringt
die Vergroͤßerung des Winkels, indem DF nicht nach L, ſondern
nach G fortgeht, auch eine Entfernung von der Axe hervor. Eine
genauere Betrachtung zeigt, daß alle Strahlen, die nahe bei der
Axe und mit ihr parallel einfallen, eine ſolche Richtung annehmen,
als ob ſie alle von einem vor dem Glaſe liegenden Puncte M aus-
gingen, den man hier den Zerſtreuungspunct nennen kann,
weil die ſich zerſtreuenden, divergirenden Strahlen zwar nicht wirk-
lich von ihm herkommen, aber doch die Richtung haben, als ob ſie
von ihm herkaͤmen. Daß dieſe Glaͤſer kein Bild hervorbringen
koͤnnen, verſteht ſich von ſelbſt, indem die von nahen Gegenſtaͤn-
den herkommenden Strahlen noch ſtaͤrker, als die von entfernten
Gegenſtaͤnden kommenden Strahlen aus einander gehen, ein Bild
aber nur durch geſammelte, convergirende, und in einem Puncte
vereinigte Strahlen entſtehen kann. Aber obgleich eben deswegen
dieſer Zerſtreuungspunct ſich nicht auf ſolche Weiſe, wie der Sam-
melpunct, kenntlich macht, ſo kann man ihn gleichwohl durch einen
leichten Verſuch nachweiſen. Man halte das concave Glas ſo, daß
die Sonnenſtrahlen ſenkrecht auffallen, bedecke es aber mit einem
Papiere, das nur genau in der Mitte eine kleine Oeffnung und
bei D eine kleine Oeffnung hat; dann zeigt ſich auf einer in NO
gehaltenen weißen Tafel ein Punct O in der Axe und ein Punct in
N erhellt, und wenn man die Tafel weiter entfernt, ſo ruͤcken
dieſe erleuchteten Puncte immer weiter aus einander nach n und o,
und dieſes findet ſo ſtatt, daß alle ſo gefundenen Puncte N, n, nI,
in einer graden durch den Zerſtreuungspunct M gehenden Linie ſind.


Die Gruͤnde, worauf die Berechnung der Brennweite fuͤr
Linſen, deren Geſtalt und Brechungskraft man kennt, beruht,
laſſen zugleich auch uͤberſehen, daß man umgekehrt die Brechungs-
kraft aus der Brennweite kennen lernen kann, wenn die Geſtalt
der Linſe bekannt iſt; indeß wird dazu eine ſehr ſcharfe Beſtimmung
der Brennweite erfordert, die ſich bei Linſen von kleinen Halbmeſ-
ſern nur wenig aͤndert, wenn auch das Brechungsverhaͤltniß erheb-
lich anders iſt. Brewſters Methode, die Brechung fuͤr weiche,
[123] halbdurchſichtige Subſtanzen zu finden, beruht hierauf, indem er
zwiſchen zwei Glaͤſern, die nach Kugelflaͤchen geſchliffen ſind, aber
nur ſehr wenig Raum zwiſchen ſich laſſen, dem weichen Koͤrper die
Geſtalt einer durch die Glaͤſer beſtimmten Linſe giebt; die Brenn-
weite oder die Lage des bei ſehr geringer Dicke jener Maſſe auch
hier kenntlichen Bildes giebt die Brechungskraft an.


Beſtimmung des Grades der Weiße einer weißen
Flaͤche
.


Ehe ich zu den zuſammengeſetzteren Verbindungen der Linſen-
glaͤſer und den Anwendungen derſelben uͤbergehe, iſt es wohl hier
der paſſendſte Ort, zu zeigen, wie Lambert mit Huͤlfe der Glas-
linſen die ungleichen Grade der Weiße weißer Flaͤchen zu beſtimmen
gelehrt hat. Wenn man ein ſtark erleuchtetes weißes Papier als
den Gegenſtand AB (Fig. 74*) anwendet, deſſen Bild ab man
auf einer weißen Tafel auffangen will, ſo wird offenbar, wenn
die Stellung der Linſe dieſelbe bleibt, dies Bild deſto lebhafter ſein,
je ſtaͤrker das Papier erleuchtet wird und je groͤßer die Weiße des
Papieres iſt; dagegen aber kann man die Erleuchtung des Bildes
durch eine andre Stellung des Papieres und der Linſe nach Willkuͤr
verſtaͤrken oder ſchwaͤchen, indem, wie Sie ſchon wiſſen, dadurch
bald ein groͤßeres, matteres, bald ein helleres, lebhaftes Bild her-
vorgebracht wird. Der Verluſt an Licht, der beim Durchgange des
Lichtes durch die Linſe ſtatt findet, muß aus Verſuchen, die ich ſchon
fruͤher angegeben habe, bekannt ſein, — ich will ihn auf \frac{1}{20}
ſetzen — ; dann darf man ja gewiß ſagen, das Bild ab (Fig. 74*)
erhaͤlt alle von AB auf die Linſe EF fallenden Lichtſtrahlen, jenen
Verluſt abgerechnet, und wenn die Wand Db hindert, daß von
der Flamme L kein Licht nach ab gelange, waͤhrend bc ſenkrecht
von ihr erleuchtet wird, ſo kann man die Stellung der Flamme L
ſo waͤhlen, daß die Erleuchtung bei ab und bc gleich erſcheine.
Die Menge der von AB zuruͤckgeſandten Lichtſtrahlen iſt der Er-
leuchtung, welche durch Abſtand und Lage der Flamme L bekannt
iſt, proportional; aber weil AB nicht alle empfangenen Strahlen
zuruͤckſendet, ſo iſt nur ein beſtimmter Theil davon, ein deſto ge-
ringerer, je mehr AB ſich von der abſoluten Weiße entfernt, als
gegen die Linſe EF zu ausſtrahlend in Rechnung zu bringen; von
[124] dieſen auf die Linſe fallenden Strahlen, deren Menge man aus
der Groͤße und Entfernung der Linſe berechnen kann, ſind nur \frac{19}{20}
in dem Bilde ab angekommen, und ſo hat man alles, was zu Be-
rechnung der Erleuchtung in ab erforderlich iſt, nur die Weiße des
Papieres AB nicht. Ergiebt nun das Experiment die Groͤße der
Erleuchtung in ab derjenigen gleich, welche die Tafel bc unmit-
telbar erhaͤlt, ſo findet man, wie viele der auffallenden Strahlen
das Papier AB zuruͤckgiebt, oder welche Weiße dieſes hat. Lam-
bert findet, daß nur ⅖ der Strahlen, ſelbſt vom weißeſten Pa-
piere, zuruͤckgeworfen werden, — eine Beſtimmung, die wohl
nicht weit von der Wahrheit entfernt ſein kann.


Das Auge.


Der Gebrauch dieſer Linſenglaͤſer iſt ein ſehr vielfacher, aber
ehe ich angeben kann, wie ſie uns dienen, beſſer zu ſehen, deut-
licher zu ſehen, die Gegenſtaͤnde vergroͤßert zu ſehen, muß ich das
wunderbare Organ, wodurch wir uͤberhaupt ſehen, beſchreiben. —
Wodurch wir ſehen! — ohne welches alle dieſe Erſcheinungen des
Lichtes nicht fuͤr uns da waͤren, ohne welches die Verbindung mit
der Außenwelt faſt auf die Entfernung, welche unſre Hand erreicht,
beſchraͤnkt, und ſelbſt die regſte Thaͤtigkeit unſers Geiſtes gehemmt
waͤre. O Gluͤck des Sehens! — So wenig es dem ernſten Fort-
ſchreiten eines wiſſenſchaftlichen Vortrages angemeſſen ſein mag,
Empfindungen auszuſprechen, ſo iſt doch der Gedanke, was alles
wir dem Auge verdanken, ein zu wichtiger und großer, um ihm
nicht einige Augenblicke zu widmen. Selbſt der Blinde lernt nicht
ganz die Noth und Beſchraͤnktheit kennen, die uns druͤcken wuͤrde,
wenn wir der Augen ganz beraubt waͤren, denn fremde Augen,
moͤgen ſie auch nur einen geringen Theil deſſen erſetzen, was ihm
fehlt, ſehen doch fuͤr ihn. Selbſt die dunkelſte Nacht giebt uns
nur in den ſeltenſten Faͤllen auf wenige Augenblicke einen Begriff
vom Nichtſehen, und doch klagen wir, daß die Nacht keines Men-
ſchen Freund iſt, daß tauſend Gefahren uns, von uns unbemerkt,
bedrohen koͤnnen, denen wir durch Klugheit oder Entſchloſſenheit
am Tage leicht entgehen wuͤrden, wenn wir ſie nur wenige Augen-
blicke vorher ſaͤhen. Ein einziger Blick fuͤhrt uns unzaͤhlige neue
Vorſtellungen zu. Ein einziger Blick beſtimmt unſern Entſchluß
[125] und giebt unſrer Thaͤtigkeit eine ſichere Richtung. Ein einziger
Blick lehrt uns, oft bis auf Meilen weit, die Gefahren, die wir
vermeiden, das Ziel, das wir erreichen wollen, kennen. Und wie
oft ſchwelgt unſer Auge im Genuſſe des Sehens! Der um uns
bluͤhende Fruͤhling, das Blau des Himmels, die Pracht der Abend-
roͤthe, der Himmel voll Sterne, und endlich der beredte Blick
eines geiſtreichen Auges! — Das alles, Unzaͤhliges, das uns er-
freut und erhebt, wahrzunehmen, verdanken wir dem Auge!


Wie dieſe Empfindung des Sehens hervorgebracht wird, das
zu erklaͤren, iſt das Beſtreben der Naturlehre, und dieſes Beſtre-
ben iſt, ſo weit eine ſolche Erklaͤrung moͤglich iſt, in hohem
Grade gelungen; aber unſre Erklaͤrung kann nur ſo weit gehen,
als das Koͤrperliche reicht, und die wichtigſte Frage, wie denn jenes
Bild auf zartem Grunde, das ſich ſo ſchoͤn im Auge darſtellt, dem
Geiſte die Empfindung des Sehens gewaͤhre, bleibt, wie alle aͤhn-
lichen, unbeantwortet.


Um die Wirkſamkeit des Auges zu Hervorbringung eines
Bildes zu beweiſen, pflegt man wohl allein dabei ſtehen zu bleiben,
daß wirklich im Auge ein linſenfoͤrmiger, durchſichtiger Koͤrper vor-
handen ſei, der alſo, einer Glaslinſe ganz aͤhnlich, ein Bild auf den
den Boden des Auges bildenden Haͤuten hervorbringen muß. Dieſe
Behauptung iſt im Weſentlichen richtig; aber das Auge enthaͤlt
mehrere hinter einander liegende Feuchtigkeiten, auf welche alle
man Ruͤckſicht nehmen muß, um den Ort des im Auge entſte-
henden Bildes richtig zu beſtimmen. Wenn wir das Auge von
außen anſehen, ſo unterſcheiden wir das Weiße im Auge, als eine
das Licht nicht durchlaſſende Haut, von dem Augenſterne, der in
der Mitte ſchwarz und mit einer blaulichen oder grauen oder brau-
nen Einfaſſung umgeben iſt. Die anatomiſche Unterſuchung des
Auges zeigt, daß wir hier durch die voͤllig durchſichtige Hornhaut
F, hinter welcher in H ſich die waͤſſerige Feuchtigkeit befindet,
(Fig. 68.) theils die Iris, die RegenbogenhautG, G,
ſehen, theils durch die Oeffnung dieſer Haut und durch die ſaͤmmt-
lichen durchſichtigen Fluͤſſigkeiten den ſchwarzen Boden des Auges
erblicken; wenn wir daher, wie es oft geſchieht, das Schwarze
im Auge den Aug-Apfel nennen, ſo iſt das zwar ſofern nicht un-
richtig, als ſogleich hinter dieſer Oeffnung die CryſtalllinſeI,
[126] der wichtigſte Theil des Auges, liegt, aber jener ſchwarze Kreis
ſelbſt iſt nur die Oeffnung in der Regenbogenhaut. Das Auge iſt
alſo, ſofern wir es hier, in Beziehung auf die Haupt-Umſtaͤnde
des Sehens, zu betrachten noͤthig haben, vorne durch die kugel-
foͤrmig gebildete Hornhaut F, hinten durch eine die ganze Hoͤh-
lung EE bekleidende Nervenhaut begrenzt. In dieſer Hoͤh-
lung befindet ſich zwiſchen der Hornhaut und der Linſe I die waͤſſe-
rige Feuchtigkeit, die das Licht ungefaͤhr in eben dem Maaße wie
Waſſer bricht, hinter der Linſe und bis an den Boden des Auges
iſt der Raum mit der glasartigen, einem durchſichtigen Gallert
gleichenden Fluͤſſigkeit ausgefuͤllt; die Linſe ſelbſt aber iſt ein con-
ſiſtenter, durchſichtiger Koͤrper, der an ſeiner vorderen Seite mit
etwas flacherer, an ſeiner hintern Seite mit etwas ſtaͤrkerer Woͤl-
bung in der That eine Linſenform darſtellt, und das Licht etwas
ſtaͤrker als die beiden an ihm anliegenden Feuchtigkeiten bricht.


Indem nun die Lichtſtrahlen auf die Hornhaut und durch ſie
an die waͤſſerige Feuchtigkeit gelangen, werden ſie gegen die Axe
des Auges zu gebrochen, und zwar ſo, daß ſie etwa 15 Linien hin-
ter der Hornhaut ein Bild ſehr entfernter Gegenſtaͤnde darſtellen
wuͤrden, wenn nicht die Linſe ſie ſtaͤrker braͤche; beim Eintritt in
die Linſe und beim Austritt aus der Linſe werden ſie zu einer groͤ-
ßern Convergenz gebracht, ſo daß ſie etwa 8 Linien hinter der Linſe,
das iſt, etwa 11½ Linien hinter der Hornhaut ſich zu einem Bilde
vereinigen. Grade hier aber, und dieſes mit ſo großer Genauig-
keit, als es die Abmeſſung der Kruͤmmung der Hornhaut und der
Linſe zu beſtimmen geſtattet, befindet ſich der mit der Nervenhaut
oder Netzhaut bedeckte Boden des Auges, der alſo dieſes Bild
aufnimmt. Die aus dem Sehenerven ausgehende Netzhaut im
Auge muß alſo ohne Zweifel dadurch, daß ſie durch die auffallenden
Lichtſtrahlen gereizt wird, der Seele die Vorſtellungen, die wir
dem Geſichte zuſchreiben, zufuͤhren. Daß jene optiſchen Bilder der
aͤußere Grund dieſer Vorſtellungen ſind, daran iſt kein Zweifel,
indem die ganze Einrichtung des Auges beweiſt, daß die Darſtel-
lung dieſes Bildes der Zweck der ganzen Anordnung des Organes
iſt; indem die kuͤnſtlichen Mittel, die dieſes Bild deutlich und be-
ſtimmt machen, uns auch den Eindruck eines deutlichen Sehens
gewaͤhren, und Fehler des Auges, durch welche das Bild undeut-
[127] lich wird, durch ſolche kuͤnſtliche Mittel koͤnnen unſchaͤdlich gemacht
werden.


Das Auge iſt aber nicht nur ſeinen Hauptbeſtandtheilen nach
zweckmaͤßig zu Bewirkung des Sehens eingerichtet, ſondern auch
in der Bildung jedes Theiles und in der Anordnung der auf den
Gang der Lichtſtrahlen nicht unmittelbare Beziehung habenden
Theile laͤßt ſich eine große Zweckmaͤßigkeit faſt uͤberall nachweiſen.
Bei unſern Linſenglaͤſern findet, wenn ſie einen zu großen Theil
der Kugelflaͤche umfaſſen, kein genaues Zuſammentreffen der von
einem Puncte ausgehenden Lichtſtrahlen in einem Puncte ſtatt;
bei dem Auge ſcheint dieſes Zuſammentreffen theils dadurch, daß im
Leben die Oberflaͤche der Linſe, vermuthlich auf eine hiezu ange-
meſſene Weiſe, etwas von der Kugelflaͤche abweicht, theils durch
die Ungleichheit ihrer Schichten, die eine nicht genau gleiche Bre-
chungskraft haben, bewirkt zu werden. Aber dieſes reine Bild des
Gegenſtandes koͤnnte, wie Sie wiſſen, nicht immer in derſelben
Entfernung von der Cryſtalllinſe ſich darſtellen, ſondern muͤßte fuͤr
entfernte Gegenſtaͤnde dieſer etwas naͤher liegen, fuͤr naͤhere Ge-
genſtaͤnde auf einem etwas entfernteren Grunde dargeſtellt werden;
und auch dafuͤr iſt bei dem geſunden Auge geſorgt, indem das ge-
ſunde Auge in ſehr kurzer Zeit faͤhig iſt, eine ſolche Aenderung in
der gegenſeitigen Lage ſeiner Theile zu bewirken, daß, wenn wir
auf nahe Gegenſtaͤnde ſehen, das Bild der nahen, wenn wir auf
entfernte Gegenſtaͤnde ſehen, das Bild der entfernten Gegenſtaͤnde
deutlich auf der Netzhaut des Auges abgebildet wird. Daß dies
der Fall iſt, zeigt die Erfahrung; aber da das Auge waͤhrend des
Lebens in ſeinem Innern nicht beobachtet werden kann, ſo ſind
wir noch ungewiß, ob dieſe Veraͤnderung darin beſteht, daß die
Cryſtalllinſe oder die Hornhaut etwas convexer wird, wenn wir auf
naͤhere Gegenſtaͤnde ſehen, oder ob ſie darin beſteht, daß in dieſem
Falle die Linſe ſich um etwas Weniges von dem Boden des Auges
entfernt.


Was die zweckmaͤßige Anordnung des Auges in andern Ruͤck-
ſichten betrifft, ſo laͤßt ſich daruͤber noch Manches bemerken. Der
Boden des Auges iſt unter der Nervenhaut oder Netzhaut mit einer
ſchwarzen, ſchleimartigen Subſtanz uͤberzogen, deren Zweck offen-
bar der iſt, die Reflexion der auf die innere Hoͤhlung des Auges
[128] fallenden Strahlen zu verhindern; — wo dieſes ſchwarze Pigment
fehlt, welches bei den Kakerlaken, deren Pupille daher roth aus-
ſieht, der Fall iſt, da iſt das Auge durch ein etwas ſtaͤrkeres Licht
leicht geblendet; — ein Nachtheil, den jenes ſchwarze Pigment be-
ſeitiget. Um dieſer Blendung durch ſtaͤrkeres Licht, welche auch
bei geſunden, mit jenem ſchwarzen Pigment gehoͤrig verſehenen
Augen ſtatt finden kann, wenn das Bild im Auge von allzu zahl-
reichen Lichtſtrahlen hervorgebracht wird, zu begegnen, dient die
merkwuͤrdige Einrichtung der Iris oder Regenbogenhaut, daß ſie
die Pupille, die ſchwarze Oeffnung des Auges, erweitern oder ver-
engern kann. Sobald naͤmlich ein zu ſtarker Lichtreiz die Netzhaut
des Auges trifft, ſo verengert ſich die Oeffnung der Pupille und
vermindert dadurch die Menge der eingelaſſenen Strahlen, folglich
auch die Erleuchtung des Bildes im Auge und den damit verbunde-
nen Lichtreitz auf die Netzhaut. Im Dunkeln dagegen erweitert
ſich die Pupille, um dem Bilde alle die Erleuchtung, die es durch
Vermehrung der geſammelten Strahlen erhalten kann, zu gewaͤh-
ren. Von dieſer ungleichen Oeffnung der Pupille haͤngt es ab,
daß wir, aus einem ſehr erhellten Raume in einen dunkeln eintre-
tend, faſt gar nichts erkennen, aber nach einiger Zeit die ſchwach
erhellten Gegenſtaͤnde deutlicher gewahr zu werden anfangen. Es
war naͤmlich bei unſerm Eintritte in die Dunkelheit die Pupille ſo
verkleinert, daß ſie nur wenige Lichtſtrahlen einließ, und daher
durch die matt erleuchteten Gegenſtaͤnde, die auf dieſen kleinen
Raum allzu wenig Licht ſenden, kein hinreichend lebhaftes Bild
hervorgebracht werden konnte; aber beim Verweilen in der Dun-
kelheit wird die Pupille groͤßer und daher das Bild im Auge beſſer
erleuchtet, obgleich die Gegenſtaͤnde immer nur noch gleich viel Licht
ausſenden. In dieſer Ungleichheit der Pupille liegt offenbar auch
ein Grund, warum unſer Auge uͤber den Grad der Erleuchtung eines
Gegenſtandes kein ſtrenges Urtheil beſitzt, weil gleiche Erleuchtung bei
verſchiedenen Zuſtaͤnden des Auges uns ungleich erſcheinen muß. Ue-
berdies auch iſt die Reitzbarkeit unſrer Sehenerven nicht immer gleich.


Zu den Nebentheilen des Auges gehoͤren noch die Mus-
keln, welche die Bewegung des Auges bewirken, indem die
ſeitwaͤrts gerichtete Bewegung durch eine Dehnung des einen und
Verkuͤrzung des andern Muskels, die das Seitwaͤrtsziehen bewir-
[129] ken, hervorgebracht wird, und ebenſo die Bewegung hinauf und
hinabwaͤrts von beſtimmten Muskeln abhaͤngt.


Ehe ich zu den kuͤnſtlichen Mitteln, um theils den Augen-
fehlern abzuhelfen, theils das Sehen kleiner oder entfernter Ge-
genſtaͤnde zu verbeſſern, uͤbergehe, muß ich hier noch einige Fra-
gen beantworten, die man gewoͤhnlich in Beziehung auf unſer
Sehen aufwirft. Die erſte iſt, warum wir mit zwei Augen doch
nur die Gegenſtaͤnde einfach ſehen. Da es bekannt iſt, daß wir
durch ein Seitwaͤrtsdruͤcken des Auges bewirken koͤnnen, daß die
Gegenſtaͤnde, die wir bei natuͤrlicher Stellung des Auges einfach
ſahen, doppelt erſcheinen, ſo ergiebt ſich die Antwort auf jene
Frage leicht, naͤmlich daß es uͤbereinſtimmende Puncte auf der
Netzhaut beider Augen geben muß, die die Eigenſchaft haben, daß
die Empfindung nur eines Bildes hervorgeht, wenn die gleichen
Bilder auf dieſe uͤbereinſtimmenden Puncte fallen. Ob dieſes durch
Gewoͤhnung hervorgegangen iſt, oder ob in der Bildung der Ner-
ven etwas ſein kann, dem wir dieſe Vereinigung zweier Eindruͤcke
in eine einzige gemeinſchaftliche Empfindung verdanken, ſcheint
noch ungewiß. Wir ſehen entfernte Gegenſtaͤnde doppelt, wenn
wir beide Augen auf einen nahen Gegenſtand richten; dies geſchieht
aus eben dem Grunde, weil nun die beiden Bilder des nahen Ge-
genſtandes auf correſpondirende Puncte der Netzhaut fallen, eben
darum aber die beiden Bilder entfernter Gegenſtaͤnde nicht auf cor-
reſpondirende Puncte treffen koͤnnen. Bei richtiger Beſchaffenheit
beider Augen ſollen dieſe correſpondirenden Puncte ſo liegen, daß
beide Aug-Apfel in der Mitte ſtehen, um Gegenſtaͤnde grade vor
uns zu ſehen, daß beide Augen nach der rechten Seite gewandt
ſtehen, um rechts liegende Gegenſtaͤnde zu ſehen; bei den Schie-
lenden dagegen ſcheinen die correſpondirenden Puncte eine andre
Lage zu haben, und eben deswegen eine ungleiche Stellung beider
Augen noͤthig zu werden. Indeß iſt beim Schielen ſehr oft das
eine Auge unthaͤtig, und hat daher gar keine beſtimmte Neigung,
die gehoͤrige Richtung anzunehmen.


Es giebt einen Punct im Auge, wo das Bild uns gar keine
Empfindung des Sehens gewaͤhrt. Wenn man zwei ſchwarze Flecke,
etwa von 1 Linie Durchmeſſer 1½ Zoll von einander entfernt auf
weißes Papier gezeichnet, in nahe horizontaler Stellung vor die
II. I
[130] Augen haͤlt, nun das rechte Auge ſchließt, und das linke auf den
rechts liegenden Punct richtet, ſo bemerkt man, indem man das
Papier allmaͤhlig bis auf etwa 6 Zoll naͤhert, daß der links liegende
Fleck gar nicht geſehen wird, obgleich man ihn bei groͤßerer und auch
bei erheblich kleinerer Entfernung wahrnimmt. Der Verſuch iſt
leicht anzuſtellen und gelingt leicht, ſobald man ſich nur gewoͤhnen
kann, das Auge wirklich auf jenen andern Punct unverwandt zu
heften. Bei genauer Ausmeſſung der Lage, die der Gegenſtand
und die folglich das Bild im Auge haben muß, um auf dieſe
Weiſe unſichtbar zu werden, hat man gefunden, daß die Stelle,
wo der Sehenerve ins Auge tritt, oder wo ſich die Central-Arterie
deſſelben befindet, diejenige iſt, die nach dieſem Verſuche unem-
pfindlich fuͤr das Licht iſt. Beim gewoͤhnlichen Sehen bemerken
wir dieſes nicht, weil, wenn wir einen einzelnen Punct genau
wahrnehmen wollen, unſer Auge ſich grade gegen ihn wendet, ſtatt
daß er bei jenem Verſuche ziemlich entfernt von der Axe des Auges
liegen muß.


Eine zweite Frage, die man oft aufgeworfen hat, iſt, warum
wir die Gegenſtaͤnde aufrecht ſehen, da doch ihr Bild im Auge, ſo
wie das durch ein Linſenglas hervorgebrachte Bild, umgekehrt iſt.
Dieſe Frage ſcheint mir auf einem bloßen Mißverſtehen der Art
und Weiſe, wie jenes Bild im Auge unſre Geiſtesthaͤtigkeit erregt,
das Bewußtſein des Sehens hervorbringt, zu beruhen. Es iſt
wahr, wenn ein fremdes Auge auf den Hintergrund unſers Auges
ſaͤhe, ſo wuͤrden dieſem alle Gegenſtaͤnde dort in einem umgekehrten
Bilde dargeſtellt erſcheinen; aber offenbar iſt die Seele nicht ein
ſolcher Beobachter, der die Lage der aͤußern Gegenſtaͤnde zugleich
auch ſieht, der das Oben und Unten noch durch andre Mittel als
grade durch jenes Bild kennen lernt. Vielmehr haͤngt ja der ge-
ſammte Eindruck des Sehens einzig und allein von dieſem Bilde
ab, und nichts in der Empfindung des Sehens belehrt uns dar-
uͤber, welcher Theil des Bildes dem obern oder dem untern Theile
des Kopfes naͤher liegt. Dieſe Lage des Bildes iſt daher in Be-
ziehung auf die Vergleichung mit dem Sinne des Gefuͤhls ganz
gleichguͤltig; aber von den erſten Eindruͤcken des Sehens an hat
ſich die Erfahrung uͤber das, was oben und unten iſt, ſo feſt an
[131] jenes — wenn auch umgekehrte — Bild geheftet, daß die Verbin-
dung auf die richtige Weiſe unzertrennlich ſtatt findet.


Daß dieſes Bild wirklich umgekehrt iſt, brauche ich Ihnen
wohl nicht beſonders nachzuweiſen; aber einen merkwuͤrdigen Ver-
ſuch, der ſich hier am beſten anſchließt, will ich doch noch erzaͤhlen.
Dieſer Verſuch fordert, daß man eine Charte, in die man mit der
Nadel ein kleines Loch gemacht hat, ſo vor das eine Auge und
gegen das Licht halte, daß man eine Lichtflamme durch die feine
Oeffnung ſieht; man haͤlt dabei die Charte am beſten in der Ent-
fernung von 8 bis 10 Zoll vom Auge. Waͤhrend man ſo die Licht-
flamme deutlich durch die Oeffnung ſieht, fuͤhrt man die Spitze
eines Federmeſſers ſehr nahe vor eben dem Auge vorbei, und ſieht
nun, wenn die Spitze wirklich nach der linken Seite gekehrt iſt,
dieſe in jener Oeffnung nach der rechten Seite gekehrt in die Licht-
flamme oder in die Oeffnung eintreten, oder von unten her, wenn
ſie wirklich von oben her bewegt wird. Der Grund hievon iſt in
der umgekehrten Lage des Bildes zu ſuchen. Es ſei AB der Theil
der Lichtflamme (Fig. 75*.), den man durch die Oeffnung C ſieht,
DE ſei der Cryſtall des Auges, ab das Bild jener Lichtflamme im
Auge. Tritt nun bei F die Spitze des Federmeſſers von unten
herauf vor das Auge, ſo hindert dieſes zuerſt die von B kommenden
Lichtſtrahlen zum Auge zu gelangen, und in b wird das Bild be-
ſchattet, der obere Theil B der Flamme nicht mehr geſehen, und
ſo wie die Spitze hinaufgeht, verdeckt ſie immer niedrigere Theile
der Flamme, ſo daß es ausſieht, als ob das Meſſer von oben in
die Oeffnung C eintraͤte.


Fernſichtigkeit und Nahſichtigkeit. Brillen und Au-
genglaͤſer.


Aber ſo viel auch die Natur gethan hat, um das Auge ſeinem
Zwecke angemeſſen zu bilden, ſo iſt doch auch das Auge einer feh-
lerhaften Bildung, ſie ſei nun urſpruͤnglich ſchon vorhanden oder
durch Mißbrauch und Verwoͤhnung oder durch Krankheit oder Alter
entſtanden, faͤhig, und die Folgen davon ſind Geſichtsfehler, de-
nen wir durch kuͤnſtliche Mittel abzuhelfen ſuchen. Einer der haͤu-
figſten Fehler iſt der, daß das Auge die Faͤhigkeit ſich zum Deut-
lichſehen fuͤr nahe und fuͤr entfernte Gegenſtaͤnde einzurichten, nicht
I2
[132] beſitzt. Das geſunde Auge muß, vorzuͤglich im jugendlichen Alter,
faͤhig ſein, Gegenſtaͤnde in 6 Zoll Entfernung und nach einem
kurzen Zwiſchenraume von Zeit hoͤchſt entfernte Gegenſtaͤnde deut-
lich zu ſehen, und es beſitzt daher die Faͤhigkeit, in wenigen Au-
genblicken dieſe Veraͤnderung, die das Naheſehen und das Fernſe-
hen fordert, zu bewirken. Dieſe Faͤhigkeit geht oft ſchon in fruͤhem
Alter durch Verwoͤhnung verlohren, wenn Kinder oder junge
Leute unaufhoͤrlich auf eine nahe an das Auge gehaltene Arbeit
ſehen und nicht abwechſelnd ihr Auge auch uͤben, in die Ferne
zu ſehen; aber auch durch eine allmaͤhlige Veraͤnderung des Auges
im ſpaͤtern Alter, oft auch ploͤtzlich durch Augenkrankheit wird eine
ſolche Veraͤnderung des Auges herbei gefuͤhrt. Um dieſem Nach-
theile, daß das Auge nur fuͤr die Ferne oder nur fuͤr die Naͤhe
brauchbar iſt, abzuhelfen, dienen die Brillen.


Wenn in einem etwas weiter vorruͤckenden Alter, oft ſchon
im 45ten bis 50ten Jahre, die Feuchtigkeiten im Auge ſich vermin-
dern und Linſe und Hornhaut eine etwas weniger convexe Form
annehmen, ſo wird das Auge fernſichtig. Die Brechung iſt bei
dieſer Form des Auges nicht ſtark genug, um die von nahen Ge-
genſtaͤnden kommenden Lichtſtrahlen ſchon auf der Netzhaut zu ver-
einigen, ſondern das Bild wuͤrde erſt in groͤßerer Entfernung ent-
ſtehen, und die auf der Netzhaut noch nicht geſammelten Strahlen
bringen dort ein ebenſo undeutliches Bild hervor, wie es ſich uns
zeigt, wenn wir ein convexes Glas, um das Bild an der Wand
darzuſtellen, dieſer zu ſehr naͤhern. Eine Brille mit convexen Glaͤſern
macht ein fernſichtiges Auge faͤhig, nahe Gegenſtaͤnde gut zu ſehen;
denn wenn der zu betrachtende Gegenſtand ſich im Brennpuncte
des Glaſes befindet, ſo werden die von ihm ausgehenden Strahlen
ſo gebrochen, daß ſie parallel ins Auge kommen, und nun im Auge
ebenſo, als ob ſie von einem ſehr entfernten Puncte kaͤmen, ver-
einigt werden. Daß der Fehler der Fernſichtigkeit einzutreten an-
faͤngt, bemerkt man daran, daß man, um etwas zu leſen, das
Buch weiter als gewoͤhnlich vom Auge entfernen muß, daß man
bei maͤßiger Erleuchtung gar nicht mehr im Stande iſt, eine in ge-
woͤhnlicher Entfernung gehaltene Schrift zu leſen, daß man daher
endlich es noͤthig findet, das Buch, in welchem man leſen will,
hinter das Licht zu halten. Wenn dieſe Umſtaͤnde eintreten, ſo iſt
[133] es Zeit eine Brille zu gebrauchen; doch thut man wohl, ſie an-
fangs nur von geringer Convexitaͤt zu waͤhlen, obgleich man ge-
woͤhnlich die ſtaͤrkern angenehmer findet. Eine ſchon ſehr convexe
Brille macht das Auge leicht noch fernſichtiger, und auch eine maͤßig
ſtarke Brille ſchadet dem Auge, wenn man durch ſie nach entfernten
Gegenſtaͤnden ſieht, weshalb man ſich gewoͤhnen muß, ſie ſogleich
zu entfernen, wenn man vom Buche weg auf einen entfernteren
Gegenſtand ſehen will. Gewoͤhnlich nimmt das Uebel der Fern-
ſichtigkeit mit den Jahren zu, und man muß ſich nach und nach
andrer Brillen mit convexeren Glaͤſern bedienen. Bei der Wahl
derſelben muß man zwar ſich durch die Annehmlichkeit, welche eine
ſtarke Brille darbietet, nicht verleiten laſſen, aber muß doch auch
eine ſolche waͤhlen, durch welche man ohne allzu ſtarkes Licht mit
Leichtigkeit lieſt, damit nicht die Anſtrengung des Auges dieſem
nachtheilig werde. Will man das Auge nicht verwoͤhnen, ſo gebe
man dem Buche, worin man lieſt, die groͤßte Naͤhe, wobei man
noch deutlich und leicht alles erkennt; denn wenn der Gegenſtand
nicht ſo weit als der Brennpunct vom Auge entfernt iſt, ſo erhaͤlt
man die Strahlen noch nicht ganz parallel, ſondern ſo wie ſie von
maͤßig entfernten Gegenſtaͤnden ausgehen. Muß man in einzelnen
Faͤllen in Ermangelung der Brille, um bei Lichte zu leſen, das
Buch hinter das Licht halten, ſo iſt es vortheilhaft, das Auge mit
der Hand gegen die unmittelbare Einwirkung der Lichtflamme zu
ſchuͤtzen, wodurch der Vortheil, den ſtark erleuchteten Gegenſtand
gut zu ſehen, nicht aufgehoben wird. Indeß iſt die Gewoͤhnung
an zu ſtarke, blendende Erleuchtung allemal dem Auge nachtheilig.


Die Kurzſichtigkeit fordert concave Augenglaͤſer. Bei dem
Kurzſichtigen iſt die Kruͤmmung der Hornhaut und der Linſe zu
groß, und es werden daher die von einem nahen Gegenſtande A
ausgehenden Strahlen ſo ſtark gebrochen, daß ſie ein reines Bild
in B auf der Netzhaut darſtellen (Fig. 69.); die Lichtſtrahlen da-
gegen, die von entfernteren Gegenſtaͤnden kommen, wie DH, ſoll-
ten ein reines Bild in C darſtellen, welches, weil die Strahlen
erſt in der Gegend von B aufgefangen werden, wo ſie ſchon wieder
angefangen haben, ſich zu zerſtreuen, nicht rein hervorgeht, ſon-
dern bei B entſteht fuͤr jeden Punct des Gegenſtandes ein groͤßerer
erleuchteter Raum, eben dadurch aber ein verwirrtes Bild. Das
[134] concave Glas EG, durch welches das kurzſichtige Auge auf ent-
fernte Gegenſtaͤnde ſieht, bewirkt, daß die parallelen Strahlen
KE, AG, ſo gebrochen werden, als ob ſie von dem Zerſtreuungs-
puncte A des Glaſes ausgingen, und eben darum werden ſie nun
auf die richtige Weiſe im Auge zu einem Bilde vereinigt, naͤmlich
eben da, wo das Bild eines in A befindlichen nahen Gegenſtandes
hinfallen wuͤrde. Der Kurzſichtige hat bei der Wahl und dem Ge-
brauche ſeiner Glaͤſer aͤhnliche Regeln wie der Fernſichtige zu be-
folgen. Da das jugendliche Auge noch faͤhig zu ſein pflegt, durch
Gewoͤhnung ſich von ſeinen Fehlern zu erholen, ſo iſt es allen
jungen Leuten anzurathen, daß ſie dadurch, daß ſie entferntere Ge-
genſtaͤnde ſcharf ins Auge faſſen und ſich anſtrengen, um dieſe
deutlich zu ſehen, ihr Auge zu verbeſſern ſuchen. Koͤnnen ſie aber
des Glaſes nicht entbehren, ſo muͤſſen ſie kein zu hohl geſchliffenes
waͤhlen, und es nicht anwenden, [we]nn ſie auf nahe Gegenſtaͤnde
ſehen.


Der Gebrauch aller Glaͤſer hat Unbequemlichkeiten und bringt
dem Auge einige Nachtheile; dahin gehoͤrt, wenn das Licht von
der Seite auf das Auge und auf die Brille faͤllt, der Reflex des von
der Hinterſeite der Brille ins Auge fallenden Lichtes, der dem Auge
unangenehm und ſchaͤdlich iſt, und den man daher zu vermeiden
ſuchen muß. Aber dennoch muͤſſen wir es freilich als ein großes
Gluͤck anerkennen, daß beſonders gegen die unvermeidlichen Fehler,
denen unſre Augen unterworfen ſind, dieſe Huͤlfsmittel uns zu
Gebote ſtehen.


Wenn der Fehler des Auges nicht bei beiden Augen gleich iſt,
ſo muß man fuͤr jedes einzelne das angemeſſene Glas ausſuchen. Fuͤr
ein Auge allein eine Lorgnette zu gebrauchen, iſt nachtheilig, weil
das andre Auge ſich dann ganz an Unthaͤtigkeit gewoͤhnt. Die groͤ-
ßern Leſeglaͤſer, als Huͤlfsmittel fuͤr Fernſichtige zu gebrauchen, iſt
nicht zu haͤufiger Anwendung zu empfehlen, weil die Bewegung
des Glaſes nicht immer eine gleichmaͤßige Richtung der zum Auge
gelangenden Strahlen geſtattet und das Auge daher nicht mit ge-
hoͤriger Gleichheit immer ein reines Bild erhaͤlt. Will man ſich
ihrer da, wo es nur fuͤr kurze Zeiten noͤthig iſt, bedienen, ſo kann
es ohne großen Nachtheil geſchehen.


[135]

Vergroͤßerungsglaͤſer. Einfache Microſcope.


Aber ſelbſt das beſte Auge kann doch ſehr kleine Gegenſtaͤnde
nicht mehr deutlich erkennen, und wir ſehen uns daher nach Huͤlfs-
mitteln um, die Sehekraft unſers Auges in dieſer Hinſicht zu
verſtaͤrken. Wenn wir ſehr kleine Gegenſtaͤnde unter einem hinrei-
chend großen Sehewinkel, um noch einzelne Theile zu unterſcheiden,
ſehen wollen, ſo ſind wir genoͤthigt, ſie ſehr nahe an das Auge zu
bringen; aber ein geſundes Auge iſt nicht im Stande ſich ſo anzu-
ordnen, daß bei einer Entfernung von 2 Zoll das Bild im Auge
noch deutlich werde, und es ſieht daher einen ſo nahe gehaltenen
Gegenſtand zwar groß, aber undeutlich; der Kurzſichtige, der alle
Gegenſtaͤnde bis auf 3 oder 4 Zoll dem Auge zu naͤhern gewohnt
iſt, hat darin einen Vorzug, daß er ſehr kleine Gegenſtaͤnde gut
ſieht, ja die Kurzſichtigkeit entſteht eben aus dem oft wiederkehren-
den oder ununterbrochen dauernden Beduͤrfniß, ſehr kleine Gegen-
ſtaͤnde genau mit bloßem Auge zu ſehen. Die convexe Linſe ſetzt
aber ein jedes Auge nach Verſchiedenheit der Brennweite in Stand,
die Gegenſtaͤnde ſo groß zu ſehen, wie ſie in 2 Zoll oder 1 Zoll, ja
in 1 Linie Entfernung erſcheinen, und ſie dient uns daher als Ver-
groͤßerungsglas. Wenn das Auge gewohnt iſt, durch parallele
Strahlen gut zu ſehen, oder wenn es fernſichtig iſt, ſo ſieht es die-
jenigen Puncte durch eine einfache Linſe deutlich, die um den
Brennpunct A liegen; denn die von da auf die Linſe fallenden
Strahlen kommen parallel, wie DO, BO, (Fig. 70.) in das
Auge. Iſt a ein Punct, der neben dem Brennpuncte liegt, und
dieſem ſo nahe, wie es bei den durch ein Vergroͤßerungsglas be-
trachteten Gegenſtaͤnden der Fall iſt, ſo werden auch die von ihm
ausgehenden Strahlen nach der Brechung parallel, und zwar pa-
rallel dem durch die Mitte B des Glaſes gehenden Strahle aB.
So ſieht alſo das Auge in O den Punct A in der Richtung OA,
den Punct a in der Richtung OG, und er erſcheint ſo groß, als
der Sehewinkel GOA, welcher dem aBA gleich iſt, angiebt;
hielte man das Auge in E, ſo waͤre BE der von a zum Auge ge-
langende Strahl, DE der von A kommende; und bei jeder Stel-
lung des Auges in O oder E, oder wo es den ganzen Gegenſtand
Aa uͤberſieht, erſcheint dieſer unter einem Sehewinkel, der dem
[136] Winkel aBA gleich iſt, das heißt, ſo groß als er dem bloßen Auge,
wenn dieſes in B waͤre, erſchiene. Hieraus kann man die Vergroͤ-
ßerung berechnen. Doch ehe ich dieſes nachweiſe, will ich noch die
eine Bemerkung einſchalten, daß auch ein nicht ſo fernſichtiges
Auge den Gegenſtand durch dieſe Linſe deutlich ſehen kann, nur
muß dann der Gegenſtand naͤher an das Glas geruͤckt werden,
damit die Strahlen beim Hervorgehen noch divergirend bleiben;
dieſe Verminderung des Abſtandes braucht nur ſehr wenig zu be-
tragen, und hat auf die eben angegebne Groͤße des Sehewinkels
keinen bedeutenden Einfluß.


Um aber nun die Vergroͤßerung zu berechnen, muß man den
Abſtand kennen, in welchem man mit bloßem Auge deutlich ſieht.
Iſt mein Auge ſo beſchaffen, daß es kleine Gegenſtaͤnde in 10 Zoll
Entfernung am beſten ſieht, und hat meine Glaslinſe 1 Zoll
Brennweite, ſo vergroͤßert dieſe mir 10 mal im Durchmeſſer, das
heißt, ich erkenne \frac{1}{40} Linie unter dieſer Linſe noch eben ſo deutlich,
als ¼ Linie mit bloßem Auge. Dieſes iſt die Vergroͤßerung nach
dem Durchmeſſer; die Vergroͤßerung nach der Flaͤche wuͤrde hun-
dertfach ſein. So verhaͤlt ſich die Vergroͤßerung fuͤr dieſes Auge;
ſieht dagegen ein ſehr Kurzſichtiger, der die Gegenſtaͤnde auf 2 Zoll
Weite dem Auge zu naͤhern pflegt, durch eben die Linſe, ſo ſieht
er den Gegenſtand nur doppelt ſo groß, als bei dieſer ihm gewoͤhn-
lichen Stellung; er konnte ſchon mit bloßem Auge Abtheilungen,
die \frac{1}{20} Linie betragen, ebenſo deutlich erkennen, als jenes Auge
Abtheilungen von ¼ Linie (vorausgeſetzt, daß beide Augen gleich
ſcharf Gegenſtaͤnde erkennen, die einem Sehewinkel von beſtimmter
Groͤße entſprechen,) und dem Kurzſichtigen iſt daher mit der Linſe
nur wenig gedient. Wenn dieſe Linſen eine ſehr kurze Brennweite
haben, z. B, von \frac{1}{32} Zoll, wie bei Rob. Browns Verſuchen, ſo
iſt die Vergroͤßerung ſtark, und wuͤrde fuͤr ein auf 10 Zoll Sehe-
weite eingerichtetes Auge das 320 fache, oder nach der Flaͤche das
102400 fache, betragen; das heißt, wenn ein ſolches Auge noch
\frac{1}{7} Linie in der Laͤnge oder \frac{1}{49} Quadratlinie deutlich erkennt, ſo
kann es mit Huͤlfe der Linſe \frac{1}{2240} Linie in der Laͤnge und \frac{1}{5017600}
Quadratlinie, alſo etwa das Fuͤnftel des Milliontels einer Qua-
dratlinie erkennen.


Hieraus werden Sie auch uͤberſehen, warum wir die Ver-
[137] groͤßerung vorzuͤglich bei Brillen und groͤßern Linſen, wo es leichter
ins Auge faͤllt, als ſtaͤrker erkennen, wenn wir das Glas weiter
vom Auge entfernen; immer naͤmlich erſcheint uns der Gegenſtand
ſo groß, wie er erſcheinen wuͤrde, wenn das Auge da ſtaͤnde, wo
wir das Glas halten, und da wir dieſe Groͤße mit der dem freien
Auge erſcheinenden vergleichen, ſo ſcheint uns die Vergroͤßerung
ſtaͤrker.


Das Entgegengeſetzte findet bei Hohlglaͤſern ſtatt. Wenn
hier das Auge ſeine Stellung O ſo waͤhlt, daß es den von B
(Fig. 71.) kommenden Lichtſtrahl, welcher durch die Mitte des
Glaſes C geht und welcher faſt ungebrochen durchgeht, bekommt,
ſo erhaͤlt es zugleich die von A kommenden Strahlen ſo, als ob ſie
von a ausgingen, (von dem Zerſtreuungspuncte); das Auge ſieht
alſo den Gegenſtand AB unter dem kleinern Sehewinkel aOb,
oder wenn das eine Auge den Gegenſtand AB ohne Glas ſieht,
waͤhrend das andre Auge durch das Hohlglas blickt, ſo ſieht das
letztere den Gegenſtand auffallend verkleinert, da aOb kleiner als
AOB iſt.


Das zuſammengeſetzte Microſcop.


Um ſtarke Vergroͤßerungen mit mehr Bequemlichkeit anzuwen-
den, bedient man ſich des zuſammengeſetzten Microſcops. Seine
Einrichtung beruht darauf, daß Linſenglaͤſer allemal von Gegen-
ſtaͤnden, die nur wenig jenſeits des Brennpunctes liegen, ein ver-
groͤßertes Bild geben, welches bei kurzen Brennweiten ſchon erheb-
lich vergroͤßert und nicht allzu entfernt ſich darſtellen kann, wenn
der Gegenſtand auch nur ſehr wenig weiter, als der Brennpunct
vom Glaſe entfernt iſt. Dieſes ſo entſtandene Bild betrachtet man
durch eine zweite Linſe von kurzer Brennweite, und ſieht ſo das
ſchon vergroͤßerte Bild abermals groͤßer. Waͤre zum Beiſpiel der
Gegenſtand um \frac{11}{10} der Brennweite von der erſten Linſe, die hier
die Objectivlinſe heißt, entfernt, ſo wuͤrde man ein zehnfach
vergroͤßertes Bild erhalten, und wenn man dieſes mit einem Au-
genglaſe, (Ocular,) von 4 Linien Brennweite betrachtete, ſo
erſchiene, in Beziehung auf ein Auge, das in 10 Zoll Entfernung
deutlich ſieht, jenes zehnfach vergroͤßerte Bild abermals 30 mal
vergroͤßert; es entſtaͤnde alſo eine 300 malige Vergroͤßerung dem
[138] Durchmeſſer nach, eine 90000 malige Vergroͤßerung der Flaͤche
nach.


Da das ſtark vergroͤßerte Bild nur dann mit Vortheil ange-
wandt werden kann, wenn es noch Lichtſtaͤrke genug beſitzt, ſo wen-
det man gern alle Huͤlfsmittel zu Vermehrung der Beleuchtung an,
und laͤßt daher durch einen an der andern Seite des Gegenſtandes
angebrachten Spiegel das Licht auf dieſen zuruͤckwerfen, und durch
ein ſeitwaͤrts ſtehendes Sammelglas die vereinigten Strahlen heller
Wolken den Gegenſtand treffen.


Die Staͤrke der Vergroͤßerung kann man aus den gegebenen
Halbmeſſern der Glaͤſer oder aus der beobachteten Brennweite der-
ſelben berechnen; aber da ſehr kleine Brennweiten ſich nicht ohne
Schwierigkeit mit der Genauigkeit beſtimmen laſſen, die man zu
erhalten wuͤnſchen muͤßte, ſo bedient man ſich auch andrer practi-
ſcher Mittel, um die Vergroͤßerung kennen zu lernen. Fuͤr den,
der mit beiden Augen recht gut ſieht, iſt folgendes Mittel das ein-
fachſte und fuͤr viele Zwecke hinreichend genau. Man bringt eine
ſehr feine Theilung, wo zum Beiſpiel der Zoll in tauſend Theile
getheilt iſt, unter das Microſcop, und indem man das ſtark ver-
groͤßerte Bild dieſes Gegenſtandes vor dem durch das Microſcop
blickenden Auge ſchweben ſieht, oͤffnet man das andre Auge, um
in der Richtung, wo jenes Bild erſcheint, einen Maaßſtab von
großen Eintheilungen zu betrachten, oder zwei verſchiebbare Paral-
lellinien ſo zu ſtellen, daß ſie 10 oder 20 jener im vergroͤßerten
Bilde ſichtbaren Eintheilungen zwiſchen ſich faſſen; befinden ſich
dieſe Parallellinien in der gewoͤhnlichen Seheweite, und erſchei-
nen 20 Tauſendtel des Zolles hier gleich 4 Zollen, ſo iſt die
Vergroͤßerung 200 fach. Indeß fordert dieſes Verfahren nicht
bloß zwei gute Augen, ſondern auch Uebung im Vergleichen
der beiden, im Microſcop und frei, geſehenen Gegenſtaͤnde, und
kann nur bei ſehr großer Uebung einen hinreichenden Grad von Ge-
nauigkeit erreichen. Weit mehr findet dieſe ſtatt, wenn man mit
eben demſelben Auge das Bild im Microſcope mit dem frei geſehe-
nen Gegenſtande vergleichen kann, wie von Jacquins ſehr an-
gemeſſene Anordnung des Inſtrumentes es moͤglich macht. Wenn
man, ſtatt das Auge ſelbſt in die gewoͤhnliche Stellung vor dem
Ocular zu bringen, an dem Platze des Auges einen ſchief geſtellten
[139] kleinen ebnen Spiegel anbringt, ſo kann man bei richtig gewaͤhlter,
ſehr naher Stellung des Auges, ſeitwaͤrts in den Spiegel blickend,
das vergroͤßerte Bild genau ſo, wie es dem unmittelbar in das Mi-
croſcop ſehenden Auge erſcheint, im Spiegel wahrnehmen. Stellt
man nun einen in Zolle und Theile von Zollen getheilten Maaßſtab
ſo auf, daß er dem in jenen Spiegel ſehenden Auge ganz nahe
neben dem Spiegelbilde erſcheint; waͤhlt man zu dem im Microſcop
vergroͤßerten und jetzt im Spiegelbilde erſcheinenden Gegenſtande
eine feine Theilung mit Parallellinien und giebt dieſer die Lage,
daß die Theilungslinien im Bilde mit den Theilungslinien des
Maaßſtabes gleichlaufend ſind; ſo kann man mit großer Genauig-
keit wahrnehmen, wie viele Theile des vergroͤßerten Gegenſtandes
mit gewiſſen Theilen des Maaßſtabes zuſammenſtimmen. Die Be-
ſtimmung der Vergroͤßerung findet dann ebenſo wie vorhin ſtatt;
das Auge muß aber in genau bekannter Entfernung von dem
Maaßſtabe ſeine Stellung erhalten, und zwar am beſten in derje-
nigen, welche zum deutlichen Sehen fuͤr den Beobachter am ange-
meſſenſten iſt.


Aber obgleich man ſo ein Mittel hat, um von einer Seite
den Werth eines Microſcopes genau zu beſtimmen, naͤmlich von
Seiten der Vergroͤßerung, ſo iſt damit doch keineswegs die wahre
Brauchbarkeit deſſelben beſtimmt. Es iſt nicht ſo ſchwer, ſehr
ſtarke Vergroͤßerungen bei einem Microſcope anzubringen, aber es
iſt eine große Kunſt des Verfertigers, bei dieſen Vergroͤßerungen
noch immer die vollkommene Klarheit und Deutlichkeit zu erreichen,
die erforderlich iſt, um genau zu ſehen, um bis auf die kleinſten
Theile zu erkennen, was das Inſtrument darſtellt. Um in dieſer
Hinſicht ein Inſtrument, welches zur Vergleichung vorgelegt wird,
mit dem zu vergleichen, was andre Inſtrumente leiſten, ſchlaͤgt
von Jacquin beſtimmte ſehr feine Gegenſtaͤnde vor, die man
durch daſſelbe betrachten ſoll. Solche Gegenſtaͤnde ſind die Schup-
pen vom weißen Schmetterling, Papilio Brassicae, die durchſich-
tig beleuchtet, als fein lineirt erſcheinen; dieſe Linien ſind \frac{1}{10800}
Zoll von einander entfernt und werden bei einem guten Microſcop
ſchon bei 60 bis 80 maliger Vergroͤßerung, ſchoͤner aber bei jeder
ſtaͤrkern Vergroͤßerung ſichtbar. Als einen viel feinern Gegenſtand
empfiehlt von Jacquin die feinen Linien auf den durchſichtigen,
[140] faſt ungefaͤrbten Schuppen der reißbleiartig glaͤnzenden Kleider- und
Pelzmotte; ſie werden nur bei der hoͤchſten Schaͤrfe und Lichtſtaͤrke
des Microſcopes und bei 300 bis 400 maliger Vergroͤßerung ſicht-
bar, und gehoͤren alſo zu den ausgeſuchteſten Pruͤfungsmitteln fuͤr
ſehr vollkommene Inſtrumente *).


Aber um durch ein Microſcop die Gegenſtaͤnde deutlich zu
ſehen, muß auch der Beobachter alle die Vorſichten kennen, die der
Gebrauch des Inſtruments fordert, und den dabei unvermeidlichen
Schwierigkeiten auszuweichen wiſſen. Je geringer die Brennweite
einer Linſe iſt, deſto genauer muß der Gegenſtand in einem ganz
beſtimmten Puncte ſich befinden, um deutlich geſehen zu werden,
und es iſt bei ſtarken Vergroͤßerungen ganz unmoͤglich, Puncte, die
etwas naͤher und die etwas entfernter ſind, zugleich deutlich zu
ſehen; man muß daher die Stellung des Inſtruments aufs ge-
naueſte dem zu beobachtenden Puncte gemaͤß anordnen, und ſie
aͤndern, wenn man in dem Geſichtsfelde, welches man uͤberſieht,
bald entferntere bald naͤhere Puncte beobachten will.


Amici's Spiegelmicroſcop.


Die ſehr mannigfaltig verſchiedenen Anordnungen der Glaͤſer
in Microſcopen hier naͤher anzugeben, ſcheint mir nicht unſerm
Zwecke angemeſſen; aber eine Art von Microſcopen, wo naͤmlich
Hohlſpiegel angewandt werden, muß ich doch, weil ſie zu ſehr von
den uͤbrigen abweichen, beſchreiben. Dieſes von Amici ausge-
fuͤhrte Microſcop iſt aus Spiegeln und Linſenglaͤſern zuſammen-
geſetzt und heißt deshalb catadioptriſch. Ich habe bei den
Spiegeln nicht den elliptiſch geſchliffenen Spiegel erwaͤhnt, der die
Eigenſchaft hat, die aus dem einen Brennpuncte ausgehenden
Strahlen in dem andern Brennpuncte der Ellipſe genau zu ver-
einigen. Die Ellipſe naͤmlich, die ich ſchon in den mechaniſchen
Lehren der Phyſik an mehreren Stellen erwaͤhnt habe **), beſitzt
die Eigenſchaft, daß zwei Linien (Fig. 72.) von ihren beiden
[141] Brennpuncten A, B, aus, nach einem Puncte D des Umfangs
gezogen, mit dem Einfallslothe DE gleiche Winkel oder mit der
Beruͤhrungslinie FDG gleiche Winkel machen *). Dieſe Eigen-
ſchaft der Ellipſe bewirkt, daß ein von A ausgehender, in D an-
treffender Lichtſtrahl nach B reflectirt wird, wenn die ſpiegelnde
Oberflaͤche nach der Ellipſe gebildet iſt, und da dies fuͤr jeden
Punct, der von A ausgehende Strahl mag in D oder in d oder in
dI antreffen, ebenſo geſchieht, ſo entſteht in B ein ſtark erleuchtetes
Bild des Punctes A. Auf eben dieſer Eigenſchaft beruht die Zu-
ruͤckwerfung und Sammlung der Wellen, wie ſie (Fig. 107.
des erſten Theils) in den fruͤheren Vorleſungen angegeben iſt, und
das Hoͤren des Echo an dieſem beſtimmten Puncte.


Dieſe Eigenſchaft des elliptiſchen Spiegels hat Amici zur
Darſtellung eines Bildes kleiner Gegenſtaͤnde benutzt, indem ſich
leicht ergiebt, daß wenn der Punct A ein Bild in B darſtellt, auch
die zunaͤchſt liegenden Puncte auf aͤhnliche Weiſe Bilder geben,
alſo den ganzen Gegenſtand, der allemal nur ſehr klein iſt, bei B
im Bilde zeigen werden. Amici's Microſcop enthaͤlt nun am
einen Ende des Rohres AB (Fig. 73.) einen elliptiſchen Spiegel
E, der naͤmlich durch Umdrehung eines um den Scheitel liegenden
Theiles der Ellipſe um die Axe ebenſo entſteht, wie die Kugelflaͤche
durch die Umdrehung eines Kreiſes um ſeinen Durchmeſſer.
Zwiſchen ſeinem naͤchſten Brennpuncte C und dem Scheitel E be-
findet ſich ein kleiner ebner Spiegel hi, und vor der Oeffnung neben
L das zu beobachtende Object L. Nach dem Geſetze des ebnen
Spiegels kommen die von L ausgehenden, von hi reflectirten
Strahlen ſo auf den elliptiſchen Spiegel E, als ob ſie von dem
[142] Bilde C hinter dem Spiegel ausgingen, und das Object muß
daher ſo geſtellt werden, daß ſein Bild genau mit dem Brennpuncte
C zuſammentrifft. Iſt dieſes der Fall, ſo geben die auf den ellipti-
ſchen Spiegel auffallenden Strahlen ein Bild im zweiten Brennpuncte
G, welches durch die Oculare genau ſo, wie das Bild in den ge-
woͤhnlichen Microſcopen, betrachtet wird. Dieſes Microſcop ge-
waͤhrt den Vortheil, daß der Gegenſtand in L gar nicht ſo ſehr
nahe an die Haupttheile des Inſtrumentes hinangeruͤckt zu werden
braucht, und daß er immer an ſeiner Stelle bleibt, wenn man
auch in M neue Oculare anſchraubt, ſtatt daß bei den dioptiſchen
Microſcopen das dem Gegenſtande allemal ſehr nahe Objectivglas
muß veraͤndert werden, wenn man die bedeutendſten Aenderungen
der Vergroͤßerung hervorbringen will. Die vorzuͤglich gelungene
Ausfuͤhrung, die Amici dieſem Inſtrumente zu geben gewußt
hat, iſt nun freilich wohl der Hauptgrund der guͤnſtigen Reſultate,
die dieſes Inſtrument gegeben hat; aber auch in der Anordnung
ſelbſt liegen allerdings Vorzuͤge, die ſehr bedeutend ſind, zum
Beiſpiel der, daß der Gegenſtand ½ Zoll von der Roͤhrenwand ganz
frei ſtehend der Beleuchtung viel beſſer ausgeſetzt iſt, als ein dem
Objectivglaſe ſo ſehr nahe geruͤckter Gegenſtand, wie man ihn bei
dioptriſchen Microſcopen und ſtarker Vergroͤßerung nothwendig
aufſtellen muß. Den Umſtand, der von der Farbenzerſtreuung
abhaͤngt, daß naͤmlich der Spiegel keine Farbenzerſtreuung giebt,
kann ich hier nur obenhin erwaͤhnen.


Das Sonnenmicroſcop. Die Zauberlaterne.


Um aber nun die Mittel, die man zur Vergroͤßerung kleiner
Gegenſtaͤnde beſitzt, vollends anzugeben, muß ich noch das Son-
nenmicroſcop erwaͤhnen, ein Inſtrument, das den Vortheil
gewaͤhrt, die Vergroͤßerung bis zum hoͤchſten Grade zu treiben, das
aber dennoch zu genauen Beobachtungen nicht tauglich iſt, weil die,
freilich ſehr großen, Bilder nicht den Grad von Schaͤrfe und Be-
ſtimmtheit haben, welche man fordern muß, wenn es darauf an-
koͤmmt, feine Gegenſtaͤnde ſo zu ſehen, daß ihre Betrachtung zu
nuͤtzlichen Schluͤſſen fuͤhren, und unſre Kenntniß uͤber ihre wahre
Beſchaffenheit berichiigen kann. Es iſt Ihnen bekannt, daß das
Bild eines Gegenſtandes, welches ſich an der andern Seite der
[143] Glaslinſe bildet, immer groͤßer wird, je weiter es in die Ferne
ruͤckt; dieſes in immer groͤßere Ferne Hinausruͤcken tritt aber ein,
wenn bei einer einfachen Linſe der Gegenſtand ſich dem Brennpuncte
ſehr naͤhert; und es iſt daher nur noͤthig, den Gegenſtand recht
ſehr nahe an den Brennpunct zu bringen, um in 10 oder 20 Fuß
Entfernung ein ungemein großes Bild zu erhalten. Dieſes an
einer Wand oder großen weißen Tafel aufgefangene Bild iſt es,
welches das Sonnenmicroſcop darſtellt, deſſen Haupt-Einrichtung
alſo von der einen Seite nur darin beſteht, dem Gegenſtande eine
Stellung ein wenig von dem Brennpuncte entfernt zu geben, und
ihn ſo zu ſtellen, daß das Bild auf die Wand faͤllt. Aber bei ge-
woͤhnlicher Beleuchtung, ſelbſt wenn man ſie durch Spiegel und
Sammelglaͤſer verſtaͤrkte, wuͤrde ein ſtark vergroͤßertes Bild ſo matt
erleuchtet ſein, daß man es nicht einmal wahrnehmen, viel weniger
in ſeinen einzelnen Theilen beobachten koͤnnte. Man wendet des-
halb das Sonnenlicht auf eine wirkſamere Weiſe an, indem man das
Rohr, worin ſich die Linſe befindet, in die Oeffnung am Fenſter-
laden eines finſtern Zimmers einſetzt, und nun die Sonnenſtrahlen
entweder unmittelbar grade durch dieſes Rohr einfallen oder vermit-
telſt einer Zuruͤckwerfung von einem außen angebrachten Spiegel den
Gegenſtand treffen laͤßt. Aber um die Erleuchtung aufs hoͤchſte zu
verſtaͤrken, laͤßt man nicht allein (Fig. 74.) die vom Spiegel AB re-
flectirten Sonnenſtrahlen ſo in der Richtung des Rohres CD ein-
fallen, ſondern concentrirt ſie noch durch ein Sammelglas CE, da-
mit ſie dicht vereinigt den Gegenſtand M treffen, der dem Brenn-
puncte des Glaſes DF ganz nahe liegend ſein Bild an der Wand GH
darſtellt. Beſteht nun der Gegenſtand, wie zum Beiſpiel der Fluͤ-
gel einer Fliege, aus durchſichtigen Theilen, zwiſchen welchen un-
durchſichtige Aederchen oder Faſern liegen, ſo zeigt die ſtarke Be-
leuchtung der durchſichtigen Theile, oder das durch dieſe in reicher
Menge durchgehende Licht, das Bild an den entſprechenden Stellen
erleuchtet, an den Stellen, welche den undurchſichtigen Theilen
entſprechen, iſt das Bild unerleuchtet, und dieſe erſcheinen daher
als mehr oder minder deutliche Schatten begrenzt. Obgleich nun
bei 1000maliger Vergroͤßerung des Gegenſtandes das Licht der
hellen Theile ſehr geſchwaͤcht iſt, ſo bleibt doch bei ſo maͤchtiger
Beleuchtung noch immer ein hinreichender Unterſchied kenntlich; aber
[144] fuͤr das Erkennen der kleinſten Theile in ihren zarten Umriſſen
reicht dieſes Bild nicht hin.


Die bekannte Zauberlaterne beruht auf ganz aͤhnlichen
Gruͤnden, nur iſt hier das nach der Richtung des Rohres einfallende
Licht das Licht einer Lampe, noch durch einen dahinter ſtehenden
Spiegel verſtaͤrkt; bei M befindet ſich ein mit halbdurchſichtigen
Farben auf Glas gezeichneter Gegenſtand, deſſen vergroͤßertes far-
biges Bild an der Wand bekanntlich das iſt, was uns die Zauber-
laterne darſtellen ſoll. Je entfernter es aufgefangen wird, deſto
groͤßer erſcheint es an der Wand.


Achte Vorleſung.


Die Anwendungen der Linſenglaͤſer, von welchen ich Sie
neulich unterhalten habe, waren alle beſtimmt, ſehr kleine Gegen-
ſtaͤnde uns groͤßer zu zeigen, und ſo uns mit dem, was unermeßlich
klein fuͤr den gewoͤhnlichen Anblick erſcheint, genau bekannt zu
machen, uns die Anordnung der feinſten Theile der organiſchen
Koͤrper, die Geſetze, nach welchen die Natur in ihnen ſich thaͤtig
zeigt, kennen zu lehren, uns eine neue Welt in dem kleinſten
Waſſertropfen zu eroͤffnen, der den darin lebenden Geſchoͤpfen einen
fuͤr ihre Kleinheit ſchon ſehr ausgedehnten Schauplatz ihrer Wirk-
ſamkeit darbietet. Mit Bewunderung vertieft ſich unſer Blick und
unſre Betrachtung in der Wahrnehmung dieſer Unendlichkeit in dem
beſchraͤnkteſten Raume, dieſer kunſtvollen Bildung, die immer noch
etwas Neues in immer zarteren Geaͤdern und Gefaͤßen zeigt, je
mehr ſich unſre Inſtrumente verbeſſern, und uns Ordnung und
Zweckmaͤßigkeit uͤber alle Grenzen der Kleinheit hinaus bis ins
Unendlich kleine ahnden laͤßt. Aber zu noch wichtigeren und eben
ſo erſtaunenswuͤrdigen Entdeckungen hat die zweite Anwendung der
Linſenglaͤſer in den Fernroͤhren gefuͤhrt. Schon die erſte Entdeckung
der Fernroͤhre zog ſchnell die Aufmerkſamkeit der Welt auf ſich,
[145] und eben dadurch, daß in ſehr kurzer Zeit ihre einfache Conſtruction
von mehrern Kuͤnſtlern aufgefaßt und nachgeahmt wurde, ſcheint
die genaue Kunde, wer der erſte Erfinder geweſen iſt, beinahe ver-
lohren gegangen zu ſein. Brillenmacher in Middelburg (ob
Johann Lippersheim oder Zacharias Janſſen [Jo-
hanns Sohn] oder Metius iſt nicht ganz entſchieden) haben
zuerſt, ſchon vor 1609, Fernroͤhre verfertigt; Galilaͤi erhielt von
dieſer Kunſt, durch Glaͤſer entfernte Gegenſtaͤnde deutlicher zu ſehen,
Nachricht, und erfand nun durch eigenes Nachdenken 1609 im
April oder Mai die Einrichtung, die noch das Galilaͤiſche
Fernrohr heißt; aber auch ſchon in eben dem Jahre ſcheint *)
man in London ſich ſo mit ihrer Verfertigung beſchaͤftigt zu haben,
daß man ſie zum Verkauf ausbot. Das Erſtaunen, welches dieſe
Kunſt, Gegenſtaͤnde auf der Erde beſſer zu ſehen, und am Himmel
ganz neue Gegenſtaͤnde zu entdecken, mag hervorgebracht haben,
kann indeſſen kaum groͤßer geweſen ſein, als das Erſtaunen, mit
welchem wir in unſern Tagen die großen Verbeſſerungen kennen
gelernt haben, die Herſchel den Spiegelteleſcopen, Fraun-
hofer den dioptriſchen Fernroͤhren gegeben hat, von deren Erfolg
ich Ihnen bald mehr ſagen werde.


Das aſtronomiſche Fernrohr.


Wenn man Fernroͤhre aus zwei Glaͤſern machen will, ſo
bietet ſich uns, als ſich anſchließend an die ſchon angeſtellten Be-
trachtungen, dasjenige Fernrohr zuerſt dar, welches man jetzt das
Keplerſche oder aſtronomiſche nennt. Es iſt naͤmlich gewiß,
daß ein dem Einfallen der Lichtſtrahlen von ſehr entfernten Gegen-
ſtaͤnden ſenkrecht dargebotenes Linſenglas, das Objectiv, auch von
dieſem ein Bild und dieſes zwar ganz nahe am Brennpuncte, oder im
Brennpuncte ſelbſt darſtellen wird; und daß wir dieſes, ſeiner Klein-
heit wegen nicht bequem mit bloßem Auge wahrzunehmende Bild
deutlich muͤſſen ſehn koͤnnen, wenn wir es durch ein zweites Linſen-
glas, das Ocular, vergroͤßert ſehen. Dieſe Zuſammenfuͤgung zweier
Linſen giebt das aſtronomiſche Fernrohr, bei welchem wir zuerſt den
II. K
[146] Grund, warum man entfernte Gegenſtaͤnde deutlich ſieht, dann
warum man ſie vergroͤßert ſieht, naͤher betrachten wollen.


Um die erſte Frage zu beantworten, brauche ich nur die von
einem einzigen, ſehr entfernten Puncte ausgehenden Strahlen, die
parallel auf das Objectivglas bAB (Fig. 75.) fallen, zu zeichnen,
SA, sB, und Sie zu erinnern, daß dieſe im Brennpuncte F ſich
vereinigen, und nun von ihm ausgehend das Augenglas DE ſo
erreichen, daß, wenn dieſes ſeinen Brennpunct zugleich auch in F
hat, ſie parallel aus dem Augenglaſe hervorgehen, alſo dem Auge O
den entfernten Punct deutlich zeigen, wenn das Auge gewohnt
iſt, entfernte Gegenſtaͤnde deutlich zu ſehen; aber die Gegenſtaͤnde
erſcheinen auch vergroͤßert. Wenn naͤmlich ST einen ſehr entlege-
nen Gegenſtand andeutet, der einem in A ſtehenden Auge unter
dem Sehewinkel SAT erſcheinen wuͤrde, ſo ſtellt ſich von dieſem
um den Brennpunct F ein ſolches Bild dar, das dem eben ſo gro-
ßen Sehewinkel FAt entſpricht. Alle mit SA parallel einfallenden
Strahlen kommen in F, alle mit TA parallel einfallenden Strahlen
kommen in t zuſammen, und gelangen, indem ſie durch dieſe
Vereinigungspuncte durchgehen, auf das Augenglas DE, wo
die erſtern ſowohl in eine unter ſich parallele Richtung gebrochen
werden, als die letztern, alſo die von F kommenden nach Do, FO,
Eo,
die von t kommenden nach EO, tP, fortgehen. Die erſtern
Richtungen Do, FO, Eo, ſind wir ſchon gewohnt, als mit der
Axe des Fernrohrs parallel anzuſehen, indem wir, weil F der
wahre Brennpunct iſt, die von ihm ausgehenden Strahlen als
der Axe des Glaſes parallel werdend kennen; die in t geſammelten
Strahlen erreichen ebenfalls, ſo weit die Groͤße des Augenglaſes es
geſtattet, das Augenglas; derjenige unter ihnen, welcher durch
die Mitte des Augenglaſes geht, koͤmmt faſt durchaus ungebrochen,
alſo in der Richtung tP an der andern Seite des Glaſes an,
und mit ihm parallel gehen die uͤbrigen von t ausgehenden, durch
den Punct t als Vereinigungspunct durchgegangenen Strahlen, aus
dem Augenglaſe hervor. Befindet ſich alſo ein Auge in O, ſo
ſieht es den Punct F oder den Gegenſtand S durch die Mitte des
Glaſes, den Punct t oder den Gegenſtand T durch einen gegen den
Rand des Augenglaſes hin liegenden Punct E; beide Gegenſtaͤnde
erſcheinen deutlich, weil die von einem Puncte ausgegangenen
[147] Strahlen nach den Brechungen parallel ins Auge kommen; ſie
erſcheinen um den Sehewinkel EOK von einander entfernt, der
mit tKF gleich groß iſt, weil EO und tK parallel ſind. Hieraus
ergiebt ſich eine ſehr leichte Beſtimmung der Vergroͤßerung. Da
naͤmlich bei ſo kleinen Winkeln die Regel ſtatt findet, daß der
Winkel tKF, unter welchem die Linie Ft erſcheint, den Abſtaͤn-
den umgekehrt proportional iſt, das heißt, daß der Winkel auf die
Haͤlfte oder das Drittel herabgeht, wenn die Entfernung doppelt
oder dreimal ſo groß wird, ſo giebt das Verhaͤltniß der Brenn-
weiten beider Glaͤſer die Vergroͤßerung an, die naͤmlich eben ſo
vielfach iſt, als die Brennweite FK in der FA enthalten iſt.
Hiernach wird daher eine ſehr ſtarke Vergroͤßerung am leichteſten
dann zu erhalten ſein, wenn die Brennweite des Objectives ſehr
groß iſt, und bei den ehemals von Huyghens und Andern ge-
brauchten Glaͤſern von 100 Fuß Brennweite, haͤtte ein Ocular
von 1 Zoll Brennweite eine 1200malige Vergroͤßerung im Durch-
meſſer hervorgebracht, ſo daß die Vergroͤßerung faſt unbegrenzt ſchei-
nen koͤnnte, wenn nicht noch andre Umſtaͤnde in Betrachtung zu
ziehen waͤren.


Außer der Vergroͤßerung, welche ein Fernrohr gewaͤhrt, laͤßt
ſich aus dem Wege der Lichtſtrahlen auch noch die Groͤße des
Geſichtsfeldes
beſtimmen. Wir uͤberſehen mit dem Fernrohre
nur einen ſehr beſchraͤnkten Raum auf einmal; dieſer Raum iſt
es, den wir das Geſichtsfeld nennen. Um die Groͤße deſſelben zu
beſtimmen, braucht man nur zu bedenken, daß die durch die Mitte
des Objectives BAb einfallenden Strahlen, die am weſentlichſten
beitragen, um den Gegenſtand gut zu ſehen, ganz unnuͤtz bleiben,
wenn ſie das Augenglas nicht mehr treffen, daß man alſo nur
diejenigen durch die Mitte des Objectivglaſes einfallenden Strahlen
noch gebrauchen kann, die in der vom Rande des Oculars nach der
Mitte des Objectivs gezogenen, uͤber das Objectiv hinaus verlaͤn-
gerten graden Linie liegen. Daraus folgt, daß der Winkel EAK,
oder die ſcheinbare Groͤße des halben Oculars von A aus geſehen,
der Halbmeſſer des Geſichtsfeldes iſt. Um dieſe durch die Mitte
des Objectivs gehenden Strahlen alle mit dem Auge aufzufangen,
muß man das Auge in O, etwas weiter vom Augenglaſe entfernt
halten, als die Brennweite KF angiebt, naͤmlich da, wo die nach
K 2
[148] dem Rande E gezogene EO mit tK parallel iſt. Hiernach waͤre
es vortheilhaft, ſich eines ziemlich großen Oculars zu bedienen,
damit das Geſichtsfeld groß wuͤrde; aber wenn die Vergroͤßerung
nicht zu geringe ſein ſoll, ſo muß die Brennweite KF klein, aber
eben darum auch die Breite des Oculars geringe ſein, weil man ſich
bei kleinen Brennweiten auch nur kleiner Theile der Kugelflaͤchen
fuͤr die Oberflaͤchen der Glaͤſer bedienen darf. Hierin liegt alſo
ein Grund, warum man bei einer groͤßern Brennweite des Oculars
ein groͤßeres Geſichtsfeld, aber auch nur ſchwaͤchere Vergroͤßerung
erhalten kann, und zum Beiſpiel bei ſtaͤrkeren Vergroͤßerungen ſehr
gewoͤhnlich den Mond nicht ganz uͤberſieht, da doch bei ſchwachen
Vergroͤßerungen ein weit groͤßerer Raum auf einmal beobachtet
werden kann.


Noch einige Bemerkungen, die dieſes Fernrohr betreffen, kann
ich nicht wohl uͤbergehen; werde aber das, was in aͤhnlicher Be-
ziehung bei den uͤbrigen Einrichtungen der Fernroͤhre angefuͤhrt
werden koͤnnte, dort nicht wiederholen, indem ſich dort das hier
Geſagte leicht wird anwenden laſſen. Die erſte dieſer Bemerkun-
gen betrifft die Frage, wie ein Kurzſichtiger das Fernrohr anwen-
den muß, um entfernte Gegenſtaͤnde deutlich mit demſelben zu ſehen.
Die Einrichtung aller Fernroͤhre iſt ſo, daß man das Augenglas
ein wenig mehr dem Objective naͤhern oder es davon entfernen
kann, und Sie koͤnnen ſich leicht uͤberzeugen, daß der Kurzſichtige
das Ocular ein wenig hineinſchieben muß. Schon bei dem einfa-
chen Linſenglaſe, wenn wir es als Vergroͤßerungsglas gebrauchen,
habe ich bemerkt, daß der Kurzſichtige das Glas etwas naͤher an
den Gegenſtand ruͤcken muß, damit er die von einem Puncte, naͤher
als die Brennweite liegend, ausgehenden Lichtſtrahlen etwas di-
vergirend empfange, das heißt ſo, wie Lichtſtrahlen, die von einem
ziemlich nahen Gegenſtande ausgehen. Was dort der dem Ver-
groͤßerungsglaſe naͤher zu ruͤckende Gegenſtand war, das iſt hier das
Bild im Brennpuncte des Objectives, und dieſem naͤhert man das
Ocular, um einem Kurzſichtigen ein deutliches Bild zu zeigen.


Die zweite Bemerkung betrifft die Veraͤnderung, die man in
der Stellung des Oculars vornehmen muß, um naͤhere Gegen-
ſtaͤnde, die vielleicht nur 200 Fuß entfernt ſind, deutlich zu ſehen.
Dieſe fordern, daß man das Ocular weiter herausziehe, damit das
[149] Ocular gegen das Bild des naͤhern Gegenſtandes eben die Stellung,
wie vorhin fuͤr das Bild des entferntern Gegenſtandes erhalte; das
Bild des naͤhern Gegenſtandes liegt weiter vom Objectivglaſe ent-
fernt, als das Bild des entfernteren, man muß daher auch das
Ocular immer weiter herausziehen, je naͤher der zu beobachtende
Gegenſtand iſt.


Eine dritte Bemerkung betrifft die Abmeſſung oder Schaͤtzung
der Vergroͤßerung. Man hoͤrt oft von denen, die ſelten ein Fern-
rohr gebrauchen, die Bemerkung, daß ſie durch das Fernrohr ſehend,
den Mond gar nicht ſo erheblich vergroͤßert ſehen, daß ſie ſich die
Vergroͤßerung auffallender gedacht haben. Dieſes Urtheil findet
nur ſtatt, wenn dem durch das Fernrohr ſehenden Auge alle Ver-
gleichung mit den ohne Vergroͤßerung geſehenen Gegenſtaͤnden
fehlt. Wer ſich daher von der Staͤrke der Vergroͤßerung auch nur
obenhin uͤberzeugen will, dem muß man anrathen, waͤhrend er mit
dem einen Auge den Mond im Fernrohre deutlich ſieht, das andre
Auge zu oͤffnen, und Achtung zu geben, daß das Bild des Mondes
in jenem Auge eine ganze Wand, die das andre Auge wahrnimmt,
zu bedecken ſcheint. Dieſes Mittel, das auch bei Gegenſtaͤnden
auf der Erde anzuwenden iſt, kann ſogar zu Beſtimmung des
Grades der Vergroͤßerung dienen, wenn man den Sehewinkel, un-
ter welchem ſo das Bild im Fernrohre erſcheint, ungefaͤhr abzu-
meſſen ſucht. Bei Vergroͤßerungen, die nicht viel uͤber das Zwanzig-
malige gehen, pflegt man dieſes Mittel wohl ſo anzuwenden, daß
man mit dem einen Auge durch das Fernrohr, und mit dem
andern unbewaffneten Auge zugleich auch nach einem Ziegeldache
ſieht; dann ſieht man das vergroͤßerte Bild einzelner Ziegel vor
dem mit dem freien Auge geſehenen Dache ſchweben, und gewoͤhnt
ſich bei einiger Uebung leicht, beide Erſcheinungen ſo wahrzuneh-
men, daß man ſtrenge angeben kann, daß zum Beiſpiel drei ver-
groͤßerte Ziegel die ganze Laͤnge des Daches ſcheinbar bedecken; findet
man nun, daß das Dach 60 Ziegel enthaͤlt, alſo die natuͤrliche
ſcheinbare Groͤße von 60 Ziegeln der vergroͤßerten von drei Ziegeln
gleich iſt, ſo vergroͤßert das Fernrohr 20 mal.


Um einem Beobachter, der an Fernroͤhre nicht ſehr gewoͤhnt
iſt, die Guͤte eines Fernrohres kenntlich zu machen, iſt es nur in
den ſeltenſten Faͤllen rathſam, ſein Auge auf einen Meilen weit
[150] entfernten Gegenſtand zu richten; das recht geuͤbte Auge erkennt
hier wohl die Wirkung des Fernrohres, aber da die Duͤnſte in der
Luft meiſtens das recht ſcharfe Sehen hindern, ſo werden kleine
Theile der Gegenſtaͤnde nicht klar genug ſichtbar, um von dem
Ungeuͤbten in dem minder hellen Bilde wahrgenommen zu werden.
Richtet man dagegen das Fernrohr auf einen Gegenſtand, der
etwa eine halbe Stunde entfernt iſt, laͤßt den Beobachter nun
zuerſt mit dem bloßen Auge wahrnehmen, welche Theile der Haͤu-
ſer, Baͤume u. ſ. w. er noch erkennt, und ihn dann durch das
Fernrohr blicken, ſo wird er gewiß bekennen, daß er nun Gegen-
ſtaͤnde ſehe, die ihm vorhin ganz unkenntlich, ja voͤllig unſichtbar
waren; er ſieht bei 20maliger Vergroͤßerung die Gegenſtaͤnde in
10000 Fuß Entfernung beinahe ſo gut, wie er ſie mit bloßem
Auge in 500 Fuß Entfernung ſehen wuͤrde, und wuͤrde ſie voll-
kommen ſo gut ſehen, wenn nicht einiger Lichtverluſt theils in der
Luft bei groͤßern Entfernungen, theils beim Durchgange durch die
Glaͤſer ſtatt faͤnde.


Das galilaͤiſche oder hollaͤndiſche Fernrohr.


Das bisher betrachtete, nur aus zwei Glaͤſern zuſammenge-
fuͤgte Fernrohr wuͤrde allen Forderungen ſehr wohl entſprechen,
wenn es nicht die Gegenſtaͤnde umgekehrt zeigte; denn ſo wie das
durch ein Linſenglas hervorgebrachte Bild allemal umgekehrt iſt,
ſo muß es auch hier, wo wir ein ſolches Bild betrachten, ſein; der
Lichtſtrahl tEO (Fig. 75.) koͤmmt vom obern Theile des Augen-
glaſes ins Auge, obgleich der Gegenſtand T unterhalb S liegt.
Dieſe Unbequemlichkeit hindert den Aſtronomen nicht, der uͤberdies
bei oftmaliger Beobachtung ſich ganz an dieſe Umkehrung der Lage
gewoͤhnt; aber bei irdiſchen Gegenſtaͤnden iſt ſie ſtoͤrend, und man
kam daher bei Erfindung der Fernroͤhre zuerſt auf diejenigen, die
mit zwei Glaͤſern ein aufrechtes Bild geben, und in der neueren
Zeit hat man Zuſammenfuͤgungen aus mehreren Glaͤſern erfunden,
um den geſehenen Gegenſtand aufrecht zu ſehen.


Jenen erſten Zweck, durch zwei Glaͤſer die Gegenſtaͤnde in
der richtigen Stellung zu ſehen, erreicht man durch das hollaͤndiſche
oder galilaͤiſche Fernrohr, — dasjenige, welches zuerſt erfunden
worden iſt. Dieſes beſteht zwar auch aus einem convexen Ob-
[151] jectivglaſe, aber aus einem concaven Oculare. Das letztere ſteht
dem erſteren naͤher als das hervorgebrachte Bild, und das Auge
ſieht den Gegenſtand durch Strahlen, die noch nicht zu einem
Bilde vereinigt worden ſind. Wenn naͤmlich zuerſt nur (Fig. 76.)
von Strahlen, die mit der Axe CD des Objectives parallel ein-
fallen, die Rede iſt, ſo erhellt, daß, wenn ſie, gegen den Brenn-
punct D zuſammengehend, ſchon vorher von dem Hohlglaſe EG
aufgefangen werden, und dieſes ſo ſteht, daß D ſein Zerſtreuungs-
punct iſt, dieſe Strahlen aus dem letztern parallel hervorgehen, und
nun kein Bild bei D bilden, aber dem Auge in O, wenn es durch
parallele Strahlen deutlich ſieht, eine deutliche Darſtellung des
in der Richtung CS liegenden Punctes gewaͤhren. Um zu uͤber-
ſehen, daß die Gegenſtaͤnde durch dieſe Verbindung zweier Glaͤſer
aufrecht in ihrer wahren Stellung erſcheinen, dienen folgende Ue-
berlegungen. Wenn TC ein Lichtſtrahl iſt, der von einem unter-
waͤrts S ſehr entfernt liegenden Puncte ausgeht, ſo gehn alle von
ihm kommenden, unter ſich parallelen Strahlen, nach ihrer Bre-
chung im Objectivglaſe dem Puncte d zu, wo ſie ſich ſammeln
wuͤrden, wenn ſie ihn erreichten. Aber aufgefangen von dem
Oculare EG, gelangt der durch die Mitte des Oculars gehende
Strahl HO ohne neue Brechung zum Auge, und fuͤr die ange-
nommene Stellung des Oculars, werden auch die uͤbrigen Strahlen,
die von T kommen, mit HO parallel, die von S kommen, mit
SD parallel hervorgehen. Das Auge in O ſieht alſo den Punct
T in der Richtung OH, den Punct S in der Richtung OS, jenen
alſo unterhalb S, der wirklichen Lage entſprechend, folglich den
Gegenſtand aufrecht. Auch hier iſt die Vergroͤßerung durch das
Verhaͤltniß der Brennweite CD zur Zerſtreuungsweite OD aus-
gedruͤckt, alſo zum Beiſpiel 10malig, wenn jene 10mal ſo groß
als dieſe iſt. Dieſes Fernrohr hat die Unbequemlichkeit, nur ein
kleines Geſichtsfeld darzubieten, welches uͤber das ſehr abnimmt,
wenn man das Auge etwas weiter von dem Augenglaſe entfernt.
Man wendet deßhalb dieſes Fernrohr jetzt nur noch da an, wo
man mit 3 oder 4maliger Vergroͤßerung zufrieden iſt, indem hier
das Augenglas ziemlich breit und dabei das Geſichtsfeld hinreichend
groß werden kann. Solche ſchwach vergroͤßernde Fernroͤhre ſind
die kurzen Fernroͤhre, deren man ſich im Theater und in an-
[152] dern Faͤllen bedient, wo man in nicht weite Fernen ſehr ſcharf
ſehen will.


Das Erdfernrohr.


Fuͤr ſtaͤrkere Vergroͤßerungen gebraucht man lieber ein mit
mehreren Ocularen verſehenes Fernrohr, das man das Erdfern-
rohr nennt. Es kann drei oder vier Glaͤſer in der Ocularroͤhre
verbunden, enthalten; da aber unſre gewoͤhnlichen Fernroͤhre vier
zu enthalten pflegen, ſo will ich darauf meine Erklaͤrung einrich-
ten. Wenn man ein Fernrohr, das ungefaͤhr 24 Zoll Laͤnge hat,
wenn es zum Sehen in die Ferne gehoͤrig ausgezogen iſt, aus ein-
ander nimmt, ſo findet man in der vordern Zugroͤhre vier Glaͤſer,
die alle convex ſind, und die man ſaͤmmtlich Oculare nennt. Sie
behalten ihre Lage gegen einander unveraͤndert, koͤnnen aber dem
Objective genaͤhert oder von demſelben entfernt werden; ich will
ſie nach ihrem Abſtande vom Objective das erſte, zweite, dritte,
vierte, nennen, ſo daß das vierte am Auge gehalten wird. Iſt
das Fernrohr richtig ausgezogen, ſo daß ein gut in die Ferne
ſehendes Auge entfernte Gegenſtaͤnde deutlich ſieht, ſo liegt bei
dieſem Fernrohre das durch das Objectiv hervorgebrachte umgekehrte
Bild ganz nahe vor dem erſten Oculare. Da es dieſem Glaſe
naͤher liegt, als der Brennpunct, ſo behalten die von einem Puncte
des Bildes ausgehenden Strahlen auch an der andern Seite des
Glaſes noch eine divergirende Richtung, jedoch mit geringerer Di-
vergenz, als vor dem Glaſe. Das zweite Ocular faͤngt ſie auf und
macht ſie convergent, aber noch ehe ſie ſich vereinigen, faͤngt das
dritte Ocular ſie auf, um ſie noch mehr convergent zu machen,
und in einem Sammelpuncte zu vereinigen. Hier ſtellt ſich alſo ein
Bild dar und zwar ein umgekehrtes Bild des erſten Bildes, alſo ein
aufrechtes Bild des Gegenſtandes; und dieſes befindet ſich im
Brennpuncte des letzten Oculars, ſo daß es dem durch dieſes Ocular
blickenden Auge deutlich erſcheint. Jetzt ſieht alſo der Beobachter
den Gegenſtand aufrecht. In welchem Maaße er hier vergroͤßert
erſcheint, das will ich nicht zu entwickeln verſuchen, da es eine zu
genaue Verfolgung des Ganges der Strahlen fordern wuͤrde. Wenn
man den Gang der Strahlen genau zeichnet, ſo zeigt ſich, daß alle
brauchbaren Strahlen nahe vor dem zweiten Ocular ſehr nahe zu-
[153] ſammen kommen; deshalb liegt hier eine Blendung, eine enge
Oeffnung, die nur den hier eng vereinigten nutzbaren Strahlen den
Durchgang zum Auge offen laͤßt. — Die Vortheile, welche dieſe
Zahl und Stellung der Augenglaͤſer gewaͤhrt, kann ich hier nicht
weiter aus einander ſetzen; einer derſelben iſt eine groͤßere Ausdeh-
nung des Geſichtsfeldes bei gleicher Vergroͤßerung. Einige andre
Bemerkungen uͤber die Lichtſtaͤrke der Fernroͤhre will ich nachher
noch anfuͤhren *)


Das Spiegelteleſcop.


Ein ſehr wichtiges Werkzeug, um entfernte Gegenſtaͤnde groͤ-
ßer zu ſehen, iſt das Spiegelteleſcop. Warum es von Newton
empfohlen wurde, das will ich jetzt, weil es mit der Lehre von den
Farben zuſammenhaͤngt, nicht erwaͤhnen, ſondern nur ſeine Ein-
richtung beſchreiben, und von dem Vortheile, den ein ſehr großer
Spiegel, viel groͤßer als die Objective unſrer Refractoren **) ſein
koͤnnen, gewaͤhrt oder zu gewaͤhren beſtimmt iſt, Ihnen das Wich-
tigſte mittheilen.


Die Einrichtung des Spiegelteleſcopes wuͤrde ganz einfach,
nur die Betrachtung eines durch den Hohlſpiegel entſtandenen Bil-
des fordern, wenn nicht dabei die Schwierigkeit eintraͤte, daß das
Bild vor dem Hohlſpiegel entſteht, und daß der dieſes Bild ver-
mittelſt eines Oculars betrachtende Beobachter vor dem Spiegel
ſtehend den aus der Ferne kommenden Strahlen den Weg zum
Spiegel unterbraͤche; dieſer Umſtand hat es noͤthig gemacht, in den
meiſten Faͤllen zwei Spiegel anzuwenden.


Bei dem Gregorianiſchen Teleſcop geſchieht dies ſo, daß dem
groͤßeren Hohlſpiegel AB gegenuͤber ein kleiner Hohlſpiegel CD
(Fig. 77.) ſteht; dieſer letztere hindert zwar fuͤr einige von SS her
einfallende Strahlen den Zutritt zum Spiegel AB, aber da er nur
[154] klein zu ſein braucht, ſo iſt der dadurch verurſachte Verluſt an Licht
nicht ſehr erheblich. Der große Spiegel giebt in st ein umgekehrtes
Bild des Gegenſtandes, und die durch die Vereinigungspuncte die-
ſes Bildes gegangenen Strahlen erreichen den zweiten Hohlſpiegel,
deſſen Stellung ſo gewaͤhlt iſt, daß ein Gegenſtand in st ein ver-
groͤßertes Bild in uv geben wuͤrde, und folglich auch das Bild st
ein vergroͤßertes Bild uv hervorbringt. Damit die Strahlen dort-
hin gelangen koͤnnen, hat der große Spiegel eine Oeffnung in der
Mitte, die mit einer convexen Linſe geſchloſſen iſt, um die dem
Bilde uv zu gehenden Strahlen fruͤher zu vereinigen und ſchon in
wx das Bild hervorzubringen, welches dann mit dem Oculare FG
betrachtet wird, und, wie aus dem Vorigen erhellt, vergroͤßert
erſcheint, den Gegenſtand unter einem groͤßern Sehewinkel darſtellt.


Das Newtonſche Teleſcop enthaͤlt, um den großen Spie-
gel nicht zu durchloͤchern und ſo den beſten Theil des Spiegels auf-
zuopfern, einen kleinen, ſchiefſtehenden ebnen Spiegel cd (Fig. 78.)
in der Naͤhe der Gegend, wo das Bild aus dem großen Spiegel
IK entſtehen ſollte. Der kleine Spiegel empfaͤngt die Strahlen,
ehe ſie ſich in den einzelnen Puncten des Bildes mn vereinigt haben,
wirft ſie aber, wie Ihnen aus fruͤheren Betrachtungen bekannt iſt,
genau ſo zuruͤck, als wenn ſie von dem Bilde ausgingen; ſie ſtellen
daher, vom Spiegel reflectirt, vor demſelben in pq das Bild dar,
welches durch ſeitwaͤrts angebrachte Oculare AB betrachtet wird und
vergroͤßert erſcheint. Dieſer Anordnung gemaͤß machte auch Her-
ſchel ſeine erſten Spiegelteleſcope; er fand aber nachher, daß man
bei ſehr großen Hohlſpiegeln den kleinen ebnen Spiegel ganz weg-
laſſen kann, indem bei einer etwas von der Richtung nach dem zu
beobachtenden Objecte abweichenden Lage der Axe, das Bild eines
in der Richtung Dc liegenden Gegenſtandes ſich in M darſtellt,
und dann durch Oculare, die in der Richtung der Roͤhre EF liegen,
betrachtet werden kann.


Lichtſtaͤrke. Raumdurchdringende Kraft.


Dieſe Spiegelteleſcope ſind nicht allein zu einer ſtarken Ver-
groͤßerung ſehr geeignet, indem die Vergroͤßerung hier wieder deſto
ſtaͤrker iſt, je oͤfter die Brennweite eines einfachen Oculars in der
Brennweite des Spiegels enthalten iſt; ſondern ſie gewaͤhren auch
[155] eine ſehr große Lichtſtaͤrke. Ueberhaupt muß, wie Sie aus dem
Vorigen gewiß uͤberſehen, die Erleuchtung des Bildes, es mag
nun durch ein Linſenglas oder durch einen Hohlſpiegel hervorge-
bracht werden, deſto ſtaͤrker ſein, je mehrere auf dem Glaſe oder
in dem Spiegel aufgefangene Strahlen ſich in jedem Puncte des
Bildes vereinigen; ſo lange alſo als die in einem Puncte des Bil-
des vereinigten Strahlen nach ihrem Durchgange durch das Ocular
alle zum Auge kommen, ſich nicht uͤber einen groͤßern Raum, als
die Oeffnung des Auges, ausbreiten, iſt es vortheilhaft, einen
großen Spiegel oder ein großes Objectiv anzuwenden. Dieſe nach
dem Maaße des aufgefangenen Lichtes ſteigende Erleuchtung des
Bildes, oder die daraus hervorgehende ſtarke Erleuchtung des auf
der Netzhaut im Auge entſtehenden Bildes iſt vorzuͤglich da nuͤtzlich
und wirkſam, wo der Gegenſtand ſo klein iſt, daß er der Vergroͤ-
ßerung ungeachtet noch immer nur ein Bild von unmerklicher Groͤße
auf der Netzhaut darſtellt, indem da alles geſammelte Licht zur Er-
leuchtung dieſes einzigen Punctes im Auge beitraͤgt. Die Fixſterne
ſind, wie Sie wiſſen, großentheils ſo lichtſchwach, daß unſer Auge
ſie deshalb gar nicht gewahr wird; aber wenn das wenige Licht, wel-
ches ſie uns zuſenden, auf einem Objectivglaſe von 9 Zoll Durch-
meſſer oder auf einem großen Spiegel geſammelt und in einem ein-
zigen Puncte der Netzhaut vereiniget wird, ſo iſt der Lichtreitz ſtark
genug, um ſelbſt ſehr kleine Sterne noch zu erkennen. Herſchel
hat dieſe Staͤrke der Fernroͤhre ihre Raum durchdringende
Kraft
genannt, indem es ganz gewiß richtig iſt, daß ein Stern
ſechster Groͤße, den ein gutes Auge bei recht heiterem Himmel in
dunkler Nacht noch erkennt, gewiß unkenntlich fuͤr das bloße Auge
wuͤrde, wenn er doppelt ſo weit von uns hinausruͤckte, alſo nur
ein Viertel ſo viel Licht auf unſer Auge ſendete, daß er aber wieder
kenntlich werden muß, wenn ein Fernrohr viermal ſo viel Licht-
ſtrahlen vereinigt; — ein ſolches Fernrohr haͤtte alſo doppelt ſoviel
Raum durchdringende Kraft als das bloße Auge. Wenn alles vom
Hohlſpiegel aufgefangene Licht ungeſchwaͤcht zuruͤckgeworfen wuͤrde,
und wenn alles vom Objectivglaſe aufgefangene Licht vollkommen
durchgelaſſen wuͤrde, ſo koͤnnte man hiernach dieſe Raum durch-
dringende Kraft leicht berechnen; aber die beſten Spiegel werfen
nur ungefaͤhr \frac{13}{20} des empfangenen Lichtes zuruͤck und wenn von
[156] dieſen \frac{13}{20}, die der große Spiegel zuruͤckgiebt, abermals nur \frac{13}{20} am
kleinen Spiegel reflectirt werden, ſo iſt dieſe Lichtmenge nur \frac{17}{40}
(eigentlich \frac{169}{400}) der einfallenden, ſo daß ein Spiegel, der 400 mal
ſo viel Flaͤche hat, als die Oeffnung der Pupille des Auges,
doch nur eine 170 mal ſo große Lichtmenge in denſelben Punct
vereinigt, alſo 13 mal ſoviel Raum durchdringende Kraft als das
bloße Auge beſitzt, wenn man den Verluſt bei dem Durchgange
durch das Ocular nicht beachtet. Hierauf gruͤndet ſich Herſchels
Angabe, daß ein 4 zolliger Spiegel eine 13 fache, ein 6⅓ zolliger
Spiegel eine 20 fache Raum durchdringende Kraft hat. Bei den
großen Fernroͤhren, wo der kleine Spiegel wegfaͤllt, z. B. bei der
24 zolligen Oeffnung eines Spiegels von 25 Fuß Brennweite,
wuͤrden, weil man die Oeffnung der Pupille = ⅕ Zoll, alſo nur
\frac{1}{120} des Durchmeſſers dieſes Spiegels annimmt, 120⋅120 =
14400 mal ſo viele Strahlen aufgefangen, als im bloßen Auge,
davon werden \frac{13}{20} alſo 9360 mal ſo viele als im bloßen Auge im
Brennpuncte vereinigt, und in eben dem Maaße waͤchſt, abge-
ſehen von dem Verluſte in den Ocularen, die Erleuchtung des
Bildes im Auge. Wuͤrde ein Stern ſechster Groͤße 96 mal ſo
weit hinaus geruͤckt, als wo er ſich jetzt befindet, ſo bekaͤme unſer
Auge nur \frac{1}{9216} des Lichtes, das wir jetzt erhalten, und da jenes
Fernrohr 9360 mal ſo viel Licht ſammelt, als das bloße Auge, ſo
hat es reichlich eine 96 fache Raum durchdringende Kraft. Die
Refractoren leiſten ſchon bei viel geringerem Durchmeſſer der Ob-
jective ſehr viel, weil ſie das Licht weniger ſchwaͤchen. Nimmt man
an, daß ſie \frac{9}{10} des empfangenen Lichtes durchlaſſen, ſo wuͤrde ein
Objectiv von 9 Zoll Oeffnung etwa 45⋅45 = 2025 mal ſo viel
Licht als das bloße Auge empfangen, etwa 1820 mal ſo viel durch-
laſſen, alſo etwa die 42¾ malige Raum durchdringende Kraft
haben, (da 43⋅43 = 1849 iſt). — Die Beobachtungen mit dem
Fraunhoferſchen Fernrohre in Dorpat ſcheinen eine noch weit
vortheilhaftere Vergleichung in Beziehung auf Spiegelteleſcope zu
geben, ſo daß man den Lichtverluſt bei den Spiegeln wohl noch
groͤßer anſetzen muͤßte.


In eben dem Maaße, wie wir hier berechnet haben, wird
allerdings auch das geſammte Licht, das im Bilde eines groͤßer er-
ſcheinenden Gegenſtandes vereiniget iſt, verſtaͤrkt; aber hier iſt die
[157] Erleuchtung, die jedem Puncte des Bildes im Auge zu Theil wird,
geringer. War zum Beiſpiel in dem vorhin angefuͤhrten 25 fußi-
gen Spiegelteleſcope 9260 mal ſo viel Licht geſammelt, als bei
einer der Pupille gleichen Oeffnung ſtatt faͤnde, aber der Gegen-
ſtand erſchiene unter einem 100 mal ſo großen Sehewinkel, ſein
Bild naͤhme (was daſſelbe iſt,) den 10000 fachen Raum auf der
Netzhaut ein, in Vergleichung gegen den bei unbewaffnetem Auge
durch das Licht gereitzten Raum; ſo iſt die Erleuchtung fuͤr jeden
einzelnen Punct des Bildes nur \frac{926}{1000} deſſen, was ſie ohne Inſtru-
ment war; nehmen wir eine 200 malige Vergroͤßerung, ſo iſt dieſe
Intenſitaͤt der Licht-Erſcheinung in jedem Puncte nur \frac{926}{4000} oder
\frac{231}{1000} und nimmt mit jeder ſtaͤrkeren Vergroͤßerung ab. Daß wir
deſſen ungeachtet mit einem ſehr lichtſtarken Inſtrumente auch
ſchwach erleuchtete Gegenſtaͤnde beſſer erkennen, iſt gleichwohl rich-
tig, indem bei ſchwacher Erleuchtung doch die unter groͤßerem Se-
hewinkel erſcheinenden Gegenſtaͤnde beſſer geſehen werden. Wenn
ein Inſtrument wenig Lichtſtaͤrke hat, ſo wird man aller Vergroͤße-
rung ungeachtet bei anfangender Daͤmmerung die Gegenſtaͤnde nicht
mehr unterſcheiden, weniger ſogar als mit bloßem Auge; bei einem
lichtſtarken Inſtrumente wird der Dienſt, den das Inſtrument uns,
ſelbſt bei anfangender Daͤmmerung, leiſtet, merklich werden, indem
zwar die Erleuchtung eines jeden Punctes des Bildes ſchwaͤcher als
bei bloßem Auge iſt, aber nicht in dem Maaße, daß nicht der Vor-
theil der Vergroͤßerung das Uebergewicht behielte.


Auf dieſe Berechnung der Helligkeit des Bildes im Auge be-
ruht ein von Herſchel angewandtes Mittel, den Glanz der Sterne
zu vergleichen. Hat man naͤmlich zwei gleiche Fernroͤhre, die ei-
nerlei Stern, ſo gut das bald durch das eine, bald durch das andre
Fernrohr blickende Auge es zu ſchaͤtzen im Stande iſt, genau gleich
zeigen; ſo richtet man nun das eine auf einen kleineren Stern, waͤh-
rend das andre auf einen groͤßern gerichtet bleibt; man verklei-
nert alsdann durch vorgelegte Ringe die Oeffnung des andern ſo
weit, bis der hellere Stern durch dieſes geſehen dem dunkleren
Sterne durch jenes geſehen gleich iſt. Faͤnde ſich nun, daß die
Oeffnung nur den halben Durchmeſſer, alſo das Viertel der Groͤße,
behalten haͤtte, ſo wuͤrde man das Licht des minder helleren dem
Viertel des Lichtes des helleren gleich ſchaͤtzen und ſo ferner.


[158]

Micrometer.


Mit den Fernroͤhren ſteht noch ein Gegenſtand in Verbindung,
den ich jedoch nur kurz erwaͤhnen will. Der Aſtronom will durch
die Fernroͤhre nicht bloß ſehen, ſondern er will auch meſſen, er
will die ſcheinbare Groͤße des geſehenen Gegenſtandes beſtimmen
und daraus die wahre Groͤße berechnen. Zu dieſer Meſſung klei-
ner Winkel dienen die Micrometer. Schon da, wo man auch
nicht zu meſſen beabſichtigt, pflegt ein Fadenkreuz im Felde des
Fernrohrs ſeine Mitte zu bezeichnen, und dieſe Faͤden befinden ſich
genau da, wo das letzte Bild des Gegenſtandes ſich darſtellt, oder
bei einem einfachen Oculare in dem Brennpuncte des Oculars.
Das durch das Augenglas blickende Auge ſieht dieſe Faͤden deutlich,
und zugleich das Bild des Gegenſtandes, weil ſie ſich beide an der-
ſelben Stelle befinden, an derjenigen naͤmlich, von wo die Strahlen
ausgehen muͤſſen, um durch das Ocular gebrochen parallel in das
Auge zu gelangen. Will man nun die Groͤße des dort entſtande-
nen Bildes meſſen, ſo kann dazu ein beweglicher Faden, parallel
mit einem jener Kreutzfaͤden, dienen. Stellt man naͤmlich das
Fernrohr ſo, daß der zu meſſende Planet, um nur ein Beiſpiel
zu nehmen, den einen der Kreutzfaͤden beruͤhrt, und bringt man
nun durch die zu dieſem Zwecke angebrachte Schraube den bewegli-
chen Faden ebenfalls zur Beruͤhrung des im Fernrohr geſehenen
Bildes, ſo daß der Planet zwiſchen beiden parallelen Faͤden von
ihnen beruͤhrt erſcheint, ſo ergiebt die Schraube, wie viele Schrau-
ben-Umgaͤnge weit die Faͤden von einander ab ſtanden, folglich wie
groß das Bild im Fernrohre war. Dieſe wahre Groͤße des Bildes
giebt die Groͤße des Sehewinkels, entweder durch die Berech-
nung des Ganges der Lichtſtrahlen im Fernrohre oder durch Ver-
gleichung mit einem auf der Erde in beſtimmter Entfernung beob-
achteten Gegenſtande, deſſen ſcheinbare Groͤße man kennt und mit
den Angaben des Micrometers vergleicht. Mit dieſer Einrichtung
ſtimmen die meiſten Micrometer, wenn gleich die Art, wie das
Bild gemeſſen wird, verſchieden iſt, der Hauptſache nach uͤberein *).
[159] Man bedient ſich aber noch einer zweiten, weſentlich verſchiedenen
Art von Micrometern, wo zwei Bilder hervorgebracht und beob-
achtet werden; dieſe ſind unter dem Namen Heliometer,
Sonnenmeſſer, bekannt. Um ihre Einrichtung zu verſtehen, muß
ich Sie zuerſt auf einen Umſtand aufmerkſam machen, deſſen Rich-
tigkeit Sie aus dem Vorigen vollkommen uͤberſehen werden, und
den Sie auch leicht durch einen Verſuch pruͤfen koͤnnen. Wenn
Sie ein convexes Linſenglas aufſtellen, um das Bild eines Gegen-
ſtandes hinter demſelben aufzufangen, ſo koͤnnen Sie die Haͤlfte
des Glaſes bedecken, ohne daß das Bild dadurch in ſeiner Geſtalt
und Genauigkeit leidet, ſondern es wird nur merklich lichtſchwaͤcher;
die Strahlen von der bedeckten Haͤlfte des Glaſes haͤtten zwar neue
Strahlen zu Erleuchtung der einzelnen Puncte des Bildes hinzu
gelangen laſſen, aber die Form und Groͤße des Bildes haͤtten ſie
nicht anders beſtimmt. Es laͤßt ſich alſo mit jeder Haͤlfte eines in
zwei Haͤlften zerſchnittenen Objectives ein Bild eines Gegenſtandes
hervorbringen, und die Bilder, die durch beide genau gleiche Haͤlf-
ten hervorgebracht werden, ſind, wenn beide Haͤlften getrennt ſind,
genau gleich. Stellen Sie ſich nun am Ende eines gewoͤhnlichen
Fernrohres die eine Haͤlfte des Objectivs feſt eingeſetzt, die andre
aber auf die Art beweglich vor, daß ſie mit Huͤlfe einer Schraube
in der Richtung der Theilungslinie fortgeſchoben werden kann, daß
alſo die bewegliche Haͤlfte DE (Fig. 79.) ungefaͤhr in einer ſolchen
Stellung, wie die Figur zeigt, gegen die feſtſtehende Haͤlfte AB
ſich befindet. Die feſtſtehende Haͤlfte wird das Bild eines nahe an
der Axe des Fernrohrs ſtehenden Gegenſtandes immer in F zeigen;
das durch die andre Haͤlfte hervorgebrachte Bild f dagegen wird
*)
[160] ſich deſto mehr entfernen, je weiter man DE hinaufſchraubt. Waͤhlt
man alſo die Stellung der beweglichen Halblinſe ſo, daß der un-
terſte Punct des Bildes f den oberſten Punct des Bildes F beruͤhrt,
ſo lernt man die Groͤße jedes dieſer beiden Bilder kennen; denn da
die Haͤlfte DE ſo fortgeſchraubt wird, daß die Axen beider Haͤlften
immer parallel bleiben, ſo giebt die Schraube an, um wieviel die
Halblinſe oder um wieviel ihre Axe fortgeruͤckt iſt, und dieſes iſt die
Groͤße des Bildes, aus welcher ſich, wie bei andern Micrometern,
die ſcheinbare Groͤße des Gegenſtandes, der Sehewinkel, unter
welchem er erſcheint, ergiebt.


Strahlenbrechung in der Luft.


Ich verlaſſe endlich die Inſtrumente, um Sie auf einige Er-
ſcheinungen in der Atmoſphaͤre aufmerkſam zu machen, die ebenfalls
von der Brechung der Lichtſtrahlen abhaͤngen; — Erſcheinungen,
die zum Theil ſo auffallend ſind, daß ſie als Zauberbilder von den
Bewohnern der Gegenden, wo ſie ſich am ſchoͤnſten zeigen, angeſe-
hen werden. Ehe ich zu dieſen, als den ſeltneren und ſchwierige-
ren uͤbergehe, muß ich mit der einfachen Bemerkung, daß auch in
der Atmoſphaͤre das Licht gebrochen wird, anfangen. Die Erde
iſt bekanntlich mit kugelfoͤrmigen Luftſchichten umgeben, die gegen
die Oberflaͤche der Erde zu immer dichter werden. So wenig Dich-
tigkeit dieſe Schichten auch beſitzen, ſo wird doch der ſchief auf ſie
auffallende Lichtſtrahl etwas gebrochen, und jedes Geſtirn erſcheint
uns daher etwas hoͤher ſtehend, als es ſollte, wenn keine Atmo-
ſphaͤre da waͤre, indem der Lichtſtrahl (Fig. 80.) AB, wenn er
bei B in die Atmoſphaͤre eintritt, ein wenig und nach und nach
immer mehr, gegen das Perpendikel zu gebrochen wird. Dieſe
Brechung des Lichtſtrahles in der Luft iſt meiſtens geringe, indeß
bemerkt der Aſtronom ſie ſelbſt bei hohen Stellungen der Geſtirne;
nahe am Horizonte aber macht ſie ſich oft ſelbſt dem gewoͤhnlichen
Beobachter kenntlich. Im Allgemeinen iſt offenbar, daß je dichter
die Luft iſt, deſto groͤßer wird die Brechung ſein, und hieraus erhellt,
warum man bei einer moͤglichſt genauen Beſtimmung der Strah-
lenbrechung, wenn man dieſe naͤmlich nicht aus der Beobachtung
folgern, ſondern theoretiſch berechnen will, den Stand des Baro-
meters und Thermometers kennen muß. Ebenſo iſt einleuchtend, daß
[161] bei Geſtirnen, die nahe am Horizonte ſtehen, die Refraction groͤ-
ßer, als bei hoͤherem Stande, ſein wird, da, wie Sie wiſſen, die
Aenderung der Richtung des Lichtſtrahles erheblicher wird, wenn
der Winkel, welchen dieſer mit dem Einfallslothe, hier alſo mit der
Verticallinie, macht, groͤßer iſt. Die Strahlenbrechung verlaͤngert
daher das Verweilen der Sonne uͤber dem Horizonte, da ſie uns
die Sonne ſchon oberhalb des Horizontes zeigt, waͤhrend die grade
Linie zur Sonne hin noch die Erde ſchneidet, und ebenſo wird der
Untergang der Sonne durch die Strahlenbrechung verzoͤgert. Bei
dem mittleren Zuſtande der Atmoſphaͤre kann man ungefaͤhr ſagen,
daß eine nach dem oberen Sonnenrande gezogene Linie, von einem
wenig uͤber die Meeresflaͤche erhobenen Orte ausgehend, die Mee-
resflaͤche beruͤhrt, in dem Augenblicke, wo der untere Sonnenrand
ſich ſchon ſcheinbar aus dem Meere erhebt. Unſre Geſichtslinie,
der Weg, in welchem der Strahl zum Auge koͤmmt, iſt naͤmlich
eine gekruͤmmte Linie FED, die vom untern Sonnenrande aus-
gehend die Meeresflaͤche D beruͤhrt, ſtatt daß die grade Beruͤhrungs-
linie einen hoͤhern Punct traͤfe, und die grade zu dem Gegenſtande
hin gezogene Linie DG die Erde noch in D, H ſchneidet. Und ſelbſt
bei Gegenſtaͤnden auf der Erde wird dieſe Kruͤmmung in erheblichen
Entfernungen merklich, ſo daß man beim Nivelliren auf erhebliche
Weiten darauf Ruͤckſicht nehmen muß.


So verhaͤlt es ſich bei dem gewoͤhnlichen Zuſtande der Atmo-
ſphaͤre, wo die Abnahme der Waͤrme in den hoͤhern Luftſchichten
gleichmaͤßig und nicht ſo ſehr merklich in geringen Hoͤhen ſtatt fin-
det; iſt aber dieſe Abnahme der Waͤrme in den hoͤhern Luftſchichten
unregelmaͤßig, ſo bemerkt man mancherlei auffallende Phaͤnomene.
Um mit einem der bekannteſten anzufangen, deſſen Beobachtung
Ihnen gelegentlich gewiß vorkoͤmmt, will ich Sie auf den Unter-
gang der Sonne an ſchwuͤlen Tagen aufmerkſam machen. Sie
haben gewiß oft bemerkt, wie dann die Sonne als eine ganz rothe
Scheibe, aber auch zugleich als ſehr abgeplattet, ſtark von der Kreis-
form abweichend, untergeht. Wenn Sie an einem ſolchen Tage
Ihr Auge auf die Sonne zu richten anfangen, wenn ſie noch etwa
2 Grad, 4 Sonnendurchmeſſer, uͤber dem Horizonte ſteht, ſo
bemerken Sie ſchon, daß ihr horizontaler Durchmeſſer groͤßer, als
ihr Verticaldurchmeſſer iſt, daß dieſe Ungleichheit mit jedem Augen-
II. L
[162] blicke erheblicher wird, ja endlich ſich ſelbſt darin wahrnehmen laͤßt,
daß die untere Haͤlfte der Sonne abgeplatteter, als die obere Haͤlf-
te, erſcheint. Dieſes iſt eine Wirkung der in der Naͤhe des Hori-
zontes ſtark zunehmenden Strahlenbrechung. Wenn der obere
Rand um 32 Minuten, der untere um 33 Minuten gehoben er-
ſcheint, ſo iſt allerdings ſchon die Sonne im Verticaldurchmeſſer
um 1 Minute zu klein, aber das bemerken wir nicht; wenn dage-
gen der obere Rand z. B. 36 Minuten, der untere 44 Minuten
gehoben wuͤrde, ſo erſchiene der Verticaldurchmeſſer um ganze 8 Mi-
nuten vermindert, alſo nur etwa 24 Minuten groß, ſtatt daß der
Horizontaldurchmeſſer gegen 32 Minuten betraͤgt. Dieſe Erſchei-
nung findet nach heißen Tagen ſtatt, wenn bei Sonnen-Untergang
die unteren Luftſchichten ſich bedeutend abkuͤhlen, waͤhrend in der
Hoͤhe noch die am Tage erlangte Waͤrme ziemlich unvermindert
fortdauert.


Ungewoͤhnliche Erſcheinungen durch Strahlenbrechung.
Luftſpiegelung. Fata Morgana.


Wenn man ſich am Ufer des Meeres oder eines großen Stro-
mes befindet, ſo daß man entfernte Gegenſtaͤnde am Ufer uͤber die
Waſſerflaͤche hin ſieht, ſo verbindet ſich mit dieſer Erſcheinung eine
andere. Man ſieht Gegenſtaͤnde uͤber der Meeresflaͤche hervorragen,
die man ſonſt, ihrer großen Ferne wegen, nicht ſehen konnte, die
ſich hinter der Woͤlbung der Meeres-Oberflaͤche verbargen, die aber
jetzt, weil die Strahlenbrechung eine ſo ſehr bedeutende Kruͤmmung
der Lichtſtrahlen veranlaßt, uͤber dem Meere ſichtbar werden. Man
bemerkt ferner, daß die Gegenſtaͤnde nicht in ihren gewoͤhnlichen
Verhaͤltniſſen erſcheinen, daß ſelbſt Haͤuſer, die nur eine Meile
entfernt ſind, und die man immer zu ſehen gewohnt iſt, ganz an-
ders, weniger hoch in Vergleichung der Breite, ſich darſtellen, weil
auch bei ihnen die hoͤhere Hebung des unteren Theiles in Verglei-
chung gegen den oberen ſie als niedriger, ihre verticale Abmeſſung
als vermindert zeigt. Die Erſcheinung kann noch auffallender wer-
den, wenn man in ein ganz flaches ebnes Land hineinſieht, indem
da bei ſolchem Zuſtande der Luft die hinter einander liegenden Ge-
genſtaͤnde, die ſonſt einander zu verdecken pflegen und dem Auge
nur eine beſchraͤnkte Anſicht der naͤchſten Gegenden geſtatten, nun
[163] uͤber einander hervorragen, die ganze hinterwaͤrts liegende Flaͤche
ſich ſo zeigt, wie man ſie von einem hohen Standpuncte aus ſehen
wuͤrde. Die ganze Gegend liegt Meilen weit vor dem Blicke offen
da, ſo daß man ſtatt einer horizontalen Ebne eine ziemlich anſtei-
gende Flaͤche vor ſich zu ſehen glaubt. Damit dieſe Erſcheinung
ſtatt finden koͤnne, muͤſſen durch ſtarke Erwaͤrmung der oberen
Luftſchichten dieſe duͤnne genug geworden ſein, um den zuerſt vom
Gegenſtande mit ſchwacher Neigung aufwaͤrts gehenden Lichtſtrahl
wieder herabwaͤrts zu brechen. Dieſes iſt bei der ſphaͤriſchen Ge-
ſtalt der Schichten moͤglich; denn (Fig. 81.) wenn der Strahl AB
in C horizontal geworden iſt, ſo ſollte er in D in eine duͤnnere
Schichte uͤbergehen, weil er aber vom Einfallslothe abwaͤrts gebro-
chen nicht in dieſe Schichte uͤbergehen kann, ſo wird er unter eben
dem Winkel zuruͤckgeworfen, unter welchem er an dieſe Schichte
antraf, und ſetzt nun ſeinen Weg herabwaͤrts fort. Der Beobach-
ter in F ſieht dann den Meerhorizont hoͤher als die wahre Horizon-
tallinie FG, ſo wie es bei den vorhin erwaͤhnten Beobachtungen
der Fall iſt.


Die Erſcheinung einer Verdoppelung der Gegenſtaͤnde, die
hiemit oͤfters verbunden iſt, wird ſich beſſer verſtehen laſſen, wenn
ich vorher erzaͤhle, welche Erſcheinungen einem entgegengeſetzten
Zuſtande der Atmoſphaͤre entſprechen. Wir ſind gewohnt die un-
tere Luft immer als die dichtere und folglich als die das Licht am
ſtaͤrkſten brechende anzuſehen; aber bei ſtarker Erhitzung der Erd-
Oberflaͤche leidet dies Geſetz, daß die tiefern Schichten dichter als
die hoͤhern ſind, merkliche Ausnahmen. Die Erde kann leicht 5
Reaum. Grade waͤrmer ſein, als die Luft in 10 Fuß Hoͤhe, und
wenn ſie dann den unterſten Luftſchichten auch nur 2 Gr. Waͤrme
ertheilt, ſo iſt die Luft dort um ein Hunderttel ausgedehnt, alſo
nur ſo dicht mehr, wie ſie bei unveraͤnderter Waͤrme und einem
um 3⅓ Linie niedrigerm Barometerſtande ſein wuͤrde, das iſt nur
ſo dicht, als die kaͤltere Luft in 250 Fuß Hoͤhe iſt. Bei dieſem
Zuſtande der Luft wird alſo ein, wenig von der Horizontallinie ab-
weichender, herabwaͤrts gehender Lichtſtrahl in den unteren Schich-
ten vom Perpendikel abwaͤrts gebrochen, ſeine Neigung gegen den
Horizont wird geringer, er wird endlich ganz horizontal, und nimmt
dann, wenn er weiter geht, eine immer mehr gegen den Horizont
L 2
[164] geneigte, aufwaͤrts gehende Richtung an. Wenn man genau die
Hoͤhenwinkel, unter welchen ein entfernter Gegenſtand erſcheint,
abmißt, ſo findet man in der That, daß die Refraction zuweilen
eine herabwaͤrts gehende iſt, und daß dieſes zu den Tageszeiten
ſtatt findet, wo die Erde am meiſten erhitzt iſt. Hiemit verbindet
ſich nun in voͤllig ebenen, durch gar keine Huͤgel unterbrochenen
Gegenden eine Verdoppelung der Gegenſtaͤnde. Wenn naͤmlich A
ein Gegenſtand iſt, der ſich ſchon hoch genug uͤber der Erde befin-
det, um den Schichten großer Erhitzung nicht mehr anzugehoͤren,
ſo kann der Lichtſtrahl AB, in ziemlicher Hoͤhe uͤber der Erde fort-
gehend, mit geringer Brechung nach B gelangen; die grade Linie
AB (Fig. 82.) kann dieſen Lichtſtrahl vorſtellen. Aber offenbar
gelangen von A aus auch Lichtſtrahlen in die tieferen Schichten, und
da ſie dort, vorzuͤglich in der Gegend D, in der erhitzten, verduͤnn-
ten Luft vom Perpendikel abwaͤrts gebrochen werden, ſo nehmen ſie
ihren Weg wieder aufwaͤrts, und es iſt moͤglich, daß ein zweiter
von A kommender Lichtſtrahl ADB nach B gelangt, ſo daß ein
Auge in B den Gegenſtand A doppelt ſieht, ſo wohl in der natuͤr-
lichen Richtung BA, als in der viel niedrigeren Richtung BD.
Beide Lichtſtrahlen ſind offenbar gleich gut geeignet den Punct A
ſichtbar zu machen, und dieſer zeigt ſich daher verdoppelt. Eben
das findet fuͤr die nahe an A liegenden Puncte ſtatt; aber dabei be-
merkt man das Auffallende, daß im unteren Bilde, oder in der
durch den Strahl DB hervorgebrachten Erſcheinung, die hoͤheren
Puncte a des Gegenſtandes tiefer hinab erſcheinen. Es iſt naͤmlich
nicht ſchwer zu beweiſen, daß ein von a kommender Lichtſtrahl tiefer
in die verduͤnnten Schichten bei DE eindringen muß, um zur ho-
rizontalen und zur aufwaͤrts gehenden Richtung zu gelangen, daß
aber auf einem ſolchen Wege auch von a ein zweiter Lichtſtrahl nach
B gelangen kann und der Gegenſtand Aa nun zum zweiten Male,
ſo als ob er in der durch Ff beſtimmten Richtung umgekehrt ſtaͤnde,
erſcheint.


Durch eben die Betrachtungen, die wir fruͤher einmal an-
wandten, um zu zeigen, daß von der unter dem Prisma liegenden
Schrift dem Auge nichts ſichtbar wird, wenn das Auge ſo ſteht,
daß es die volle Reflexion der Lichtſtrahlen von der unteren Seiten-
[165] flaͤche des Prisma's erhaͤlt, laͤßt ſich auch hier beweiſen, daß Ge-
genſtaͤnde auf der Oberflaͤche der Erde jenſeits E nicht mehr von
dem Auge in B koͤnnen geſehen werden. Da naͤmlich die von E
ausgehenden Lichtſtrahlen, ſelbſt wenn ſie anfaͤnglich horizontal
waren, gekruͤmmt nach B kommen, ſo werden alle uͤbrigen von E
ausgehenden Strahlen uͤber B weggebrochen, und dies iſt ebenſo
mit allen zwiſchen E und G vom Boden ausgehenden Strahlen der
Fall. Bringt der Beobachter in B ſein Auge hoͤher hinauf, ſo er-
weitert ſich ſein Geſichtskreis uͤber E hinaus, und es kommen da-
gegen dann die von hohen Gegenſtaͤnden bei Aa ausgegangenen
Lichtſtrahlen nicht mehr in der Richtung wie EB in das Auge;
ſenkt man das Auge wieder herab, ſo ſcheint das umgekehrte Bild
von Aa die Gegenſtaͤnde, die bei E und jenſeits E ſichtbar waren,
zu verbergen, und man iſt geneigt, es einem auf der Erde ruhen-
den Dunſte zuzuſchreiben, daß die nahen und niedrigen Gegenſtaͤnde
bei E nicht geſehen werden, waͤhrend die hoͤhern Theile der ent-
fernten Gegenſtaͤnde ſich aufrecht und umgekehrt zugleich zeigen.
Wenn dieſe Erſcheinungen der Luftſpiegelung, (denn ſo hat
man ſie oft genannt,) recht ſtark ſind, ſo ſieht man nicht bloß die
irdiſchen Gegenſtaͤnde, ſondern auch den hellen Himmel uͤber ihnen
in dieſem Bilde, und es nimmt ſich daher das ganze Phaͤnomen
ſo aus, als ob zwiſchen jenen entfernten Gegenſtaͤnden und dem
Beobachter Waſſer waͤre, in welchem die Gegenſtaͤnde ſich abſpie-
gelten. Dieſe Erſcheinung iſt am lebhafteſten, wenn man ſich tief
zur Erde herabbuͤckt, und verſchwindet oft ſchon, wenn man ſich
aufrichtet, und noch mehr, wenn man auf einem hoͤhern Puncte ſeine
Stellung nimmt. In heißen Tagen, wenn die Ebne recht erhitzt
iſt, zeigt ſich die Erſcheinung ſelbſt auf nicht ſehr ausgedehnten
Ebnen, und noch vollkommener ſoll ſie ſich in den brennend heißen
Ebnen Africa's zeigen, wo die Taͤuſchung, daß man Waſſer vor
ſich zu ſehen glaubt, und es immer vor ſich verſchwinden ſieht,
wenn man weiter fortgeht, doppelt empfindlich iſt, je mehr die
Hitze die Sehnſucht nach der Erfriſchung des Waſſers befoͤrdert. —
Bei einiger Aufmerkſamkeit hat man an heißen Tagen ziemlich oft
Gelegenheit in ebnen Gegenden dieſe Erſcheinung, als ob die Ge-
genſtaͤnde in der Luft ſchweben, zu ſehen; aber man muß ſich faſt
allemal des Fernrohrs bedienen, um zu erkennen, daß alle Gegen-
[166] ſtaͤnde ihr geſpiegeltes Bild unter ſich haben; — mit Huͤlfe des
Fernrohrs pflegt man dieſes leicht wahrzunehmen.


Seltener als dieſe Erſcheinung iſt eine aͤhnliche ſcheinbare Ab-
ſpiegelung oberwaͤrts. Sie iſt nie anders vorhanden, als wenn die
Strahlenbrechung ſehr ſtark, die Erhebung der Gegenſtaͤnde groß
iſt, und ſich daher die Phaͤnomene zeigen, die ich zuerſt erwaͤhnt
habe. In dieſen Faͤllen muß es wohl zuweilen ſtatt finden, daß
in bedeutender Hoͤhe ſo ſehr warme Luftſchichten vorhanden ſind,
daß durch ihre Wirkung von oberwaͤrts her genau eben das eintritt,
was ich eben als von unterwaͤrts her entſtehend beſchrieben habe;
man ſieht naͤmlich umgekehrte Bilder ſich an den oberen Theil der
Gegenſtaͤnde anfuͤgen, ja wohl gar noch ein drittes aufrechtes Bild
uͤber dem umgekehrten. Die Erſcheinung iſt nur ſelten mit voll-
kommener Deutlichkeit beobachtet worden, und immer nur auf dem
Meere oder bei der Ausſicht uͤber Waſſer. Sie fand ſtatt bei ſchwuͤ-
ler oder wenigſtens fuͤr die Gegend ungewoͤhnlich warmer Witte-
rung, meiſtens vor Gewittern. Man ſah dann hoͤchſt entfernte
Gegenſtaͤnde oberhalb des Meerhorizontes, und in einigen Gegen-
den erſchienen die Schiffe ſo, daß uͤber ihren Maſten ein umgekehr-
tes Schiff und uͤber dieſem wieder ein aufrechtes Schiff geſehen
wurde. In den nordiſchen Meeren iſt nach Scoresby's Erzaͤh-
lung dieſe Erſcheinung nicht ganz ſelten, und da hier die Luft nahe
am Meere immer durch das die Oberflaͤche zum Theil bedeckende
Eis kalt erhalten wird, waͤhrend ſie oben vielleicht erheblich er-
waͤrmt ſein mag, ſo laͤßt ſich der Urſprung der Erſcheinung in
jenen Gegenden wohl einſehen *). Da aber ſelten dieſe drei Bilder
rein und kenntlich hervortreten, ſo entſtehen daraus die auffallenden
Verzerrungen, die der ganzen Reihe von Gegenſtaͤnden, einer gan-
zen Kuͤſte zum Beiſpiel, ein durchaus fremdes Anſehen geben. Ein
ziemlich unbedeutender Eisberg oder weißer Huͤgel kann ſich hier zu
einer hohen Cryſtallſaͤule oder einem hohen weißen Schloſſe umzu-
geſtalten ſcheinen, und der Phantaſie Raum zu mancherlei Vor-
[167] ſtellungen von zauberiſch verwandelten Gegenſtaͤnden geben, zumal
da kleine Aenderungen in dem Zuſtande der Luft Wechſel in die
Erſcheinung bringen, die einem Wechſel zauberiſcher Verwandelun-
gen gar wohl zu entſprechen ſcheinen.


Auf dieſe Weiſe ohne Zweifel entſteht die Fata Morgana
an der Meer-Enge von Meſſina, wo ſich nach der Beſchreibung
oft Gegenſtaͤnde, die ſchoͤnen Saͤulenreihen, prachtvollen Schloͤſſern
gleichen u. ſ. w., zeigen, die nach einiger Zeit in ihr Nichts zuruͤck-
ſchwinden; — die Schloͤſſer der Fee Morgana, wenn wir den Be-
wohnern jener Gegenden glauben wollen, oder verzerrt erſcheinende
Gegenſtaͤnde der gegen uͤber liegenden Kuͤſte, wenn Ihnen meine
minder poetiſche Erklaͤrung glaublicher vorkoͤmmt.


Zittern der Gegenſtaͤnde. Funkeln der Sterne.


Ehe ich dieſen Gegenſtand ganz verlaſſe, muß ich noch eine
Erſcheinung erwaͤhnen, die ſich mit den ungewoͤhnlichen Refractio-
nen und Luftſpiegelungen gewoͤhnlich zu vereinigen pflegt, die aber
auch ſonſt oft beobachtet wird. Wenn Gegenſtaͤnde ſehr erhitzt ſind,
ſo erſcheinen theils ſie ſelbſt, theils die ihnen nahen Gegenſtaͤnde
zitternd, und dieſes Zittern, welches wir, uͤber gluͤhende Kohlen
oder uͤber einen heißen Ofen hin ſehend, oft bemerken, haͤngt of-
fenbar von Luftzuͤgen ab. Die erhitzte Luft ſteigt in der kaͤlteren
Luft in die Hoͤhe, und es bilden ſich dabei Stroͤme hinaufgehender
warmer Luft und Stroͤme herabgehender kalter Luft neben einan-
der; indem nun ein Lichtſtrahl im einen Augenblick in der warmen,
duͤnneren Luft etwas anders als gleich nachher in der dichteren kal-
ten Luft gebrochen wird, ſo veraͤndert er vom einen Augenblick
zum andern ſeine Richtung, und der Punct, von welchem er aus-
ging, ſcheint uns zu zittern. Viel Regelmaͤßiges laͤßt ſich in dieſen
wechſelnden Stroͤmen ungleicher Luftmaſſen nicht wahrnehmen,
doch bemerkt man zuweilen, daß ein wellenfoͤrmiges Fortziehen nach
der Richtung des Windes kenntlich iſt, und dies beſonders da, wo
eine erhitzte horizontale Oberflaͤche beobachtet werden kann, die
unter dieſen Umſtaͤnden nicht grade, ſondern wellenfoͤrmig ge-
kruͤmmt und wie Wellen ſich fortbewegend erſcheint.


Hiemit haͤngt das Funkeln der Sterne zuſammen. Wenn
die Luft entweder aus waͤrmeren und kaͤlteren Maſſen oder wenn
[168] ſie mit Duͤnſten gemiſcht iſt, ſo gelangen auch von den Sternen
die Lichtſtrahlen ungleich gebrochen zum Auge, und der Stern ſcheint
uns zu zittern. Dieſes Funkeln bemerken wir ſtaͤrker an den Fix-
ſternen, weniger an den Planeten, weil der ſcheinbare Durchmeſſer
der Fixſterne ſo hoͤchſt geringe iſt. Wenn zum Beiſpiel jene Zitte-
rung im Funkeln 10 Secunden betruͤge, ſo wuͤrde Sirius, der
noch lange keine Secunde im Durchmeſſer hat, um etwas ſehr be-
deutendes hin und her wanken; beim Jupiter dagegen, deſſen
ſcheinbarer Durchmeſſer 40 Secunden betraͤgt, wuͤrde dieſe anſchei-
nende Vorruͤckung nur wenig in Vergleichung gegen ſeinen ganzen
Durchmeſſer betragen. Am Horizonte ſcheinen uns die Sterne,
beſonders im Fernrohr geſehen, ſtaͤrker zu zittern, und oft ſo ſehr,
daß gar keine genaue Beobachtung mehr moͤglich iſt. Dieſes Zit-
tern iſt oft bedeutend dadurch verſtaͤrkt, daß man das Inſtrument
zum Beobachten innerhalb eines offenen Fenſters ſtehen hat, in
welchem die hinausziehende warme Luft ſich mit der aͤußeren kalten
Luft miſcht.


Welchen Zuſammenhang mit der Witterung dieſes Funkeln
der Sterne habe, daruͤber wage ich nicht etwas zu ſagen. Es iſt
oft ſehr lebhaft bei großer Kaͤlte, oft auch bei feuchter Luft, und
da es von ungleicher Erwaͤrmung abhaͤngen kann, ſo iſt es wohl
moͤglich, daß zuweilen ſelbſt oͤrtliche Umſtaͤnde darauf einwirken
koͤnnen.


Neunte Vorleſung.


Diejenigen Erſcheinungen, m. h. H., die von der Brechung
des Lichtes auf eine ſolche Weiſe abhaͤngen, daß wir dabei an die
Farbenzerſtreuung nicht nothwendig zu denken brauchen, ſind ſo
uͤberaus zahlreich, daß ich Sie lange Zeit damit habe unterhalten
muͤſſen; und obgleich es vielleicht von der einen Seite zweckmaͤßiger
ſcheinen koͤnnte, zuerſt auch die Geſetze der Farben-Erſcheinungen
zu entwickeln, ſo ſchien mir doch die Zuſammenſtellung jener An-
[169] wendungen der Brechungstheorie darum angenehm, weil das An-
knuͤpfen zahlreicher Phaͤnomene an diejenigen theoretiſchen Be-
trachtungen, denen ſie zunaͤchſt angehoͤren, am beſten dient, dieſe
theoretiſchen Unterſuchungen vollſtaͤndig und vielſeitig durchzufuͤhren.
Endlich, nachdem ſo zahlreiche Anwendungen unſre Fortſchritte in
der Unterſuchung der Haupt-Erſcheinungen des Lichtes aufgehal-
ten haben, gehe ich denn zu der wichtigen Bemerkung uͤber, daß
faſt keine Brechung des Lichtes ohne Farben ſtatt findet.


Ungleiche Brechbarkeit der Farbenſtrahlen.


Wenn Sie ein weißes Papier auf einen ſchwarzen Grund
gelegt durch das Prisma betrachten, ſo zeigt es einen ſchoͤnen Far-
benrand, und jeder auf dem Papiere aufgezeichnete ſchwarze und
farbige Punct, ja jedes zu einem Schatten Anlaß gebende Faͤltchen
bietet eine gleiche Farben-Erſcheinung dar. Die Farben zeigen ſich
immer in derſelben Ordnung, die wir ſogleich durch die von New-
ton zuerſt angeſtellten entſcheidenden Experimente wollen kennen
lernen.


Um den Gang der Lichtſtrahlen zu beobachten, iſt es immer
am vortheilhafteſten, einen moͤglichſt eng begrenzten Sonnenſtrahl
in ein ſonſt voͤllig dunkles Zimmer einzulaſſen. Wenn dieſer durch
eine kleine runde Oeffnung einfaͤllt, ſo zeigt ſich auf einer in mehr
oder minder großer Entfernung dem Strahle ſenkrecht dargebotenen
Tafel ein rundes Sonnenbild, das ſich entfernter von der Oeffnung
immer groͤßer zeigt, und welches daher entſteht, daß Strahlen von allen
Puncten der Sonne kommend ſich in der Oeffnung durchſchneiden,
und daher von der Oeffnung ausgehend, wieder einen Kegel bilden,
ſo wie ſie vor dem Hingelangen zur Oeffnung einen Kegel bildeten,
deſſen Grundflaͤche die Sonne ſein wuͤrde, wenn wir ihn bis dahin
verfolgen wollten. Dieſes weiße, runde Sonnenbild, welches durch
graden Fortgang der Strahlen hervorgebracht wird, wird durch ein
den Strahlen dargebotenes Prisma nicht bloß von ſeinem Platze
geruͤckt, weil die Brechung im Prisma die Richtung der Strahlen
aͤndert, ſondern es wird zugleich laͤnglich und farbig. Das weiße
Licht der Sonne wird alſo farbig durch die Brechung im Prisma,
und da wir das Violett und Blau am weiteſten von dem Orte, wo
[170] das weiße Sonnenbild lag, entfernt finden, oder mit andern
Worten, da wir den Lichtſtrahl, der ſich violett zeigt, am meiſten
von ſeiner urſpruͤnglichen Richtung abgelenkt finden, den blauen,
gruͤnen, gelben, rothen in dieſer Ordnung immer weniger; ſo ſagen
wir, aus dem weißen Lichtſtrahle gehen farbige Lichtſtrahlen her-
vor, die ungleich gebrochen werden, der violette am ſtaͤrkſten,
der blaue etwas weniger, der gruͤne, gelbe, orangefarbene immer
weniger, der rothe am wenigſten. Aus dieſer ungleichen Brechbar-
keit laſſen ſich alle Umſtaͤnde, die wir bei dieſem farbigen Sonnen-
bilde bemerken, erklaͤren, und alle fernern Experimente zeigen, daß
wir genoͤthigt ſind, ſie anzunehmen. Schon Newton machte die
Bemerkung, daß das Sonnenbild auch nach dem Durchgange durch
das Prisma auf einer dem Strahle ſenkrecht dargebotenen Tafel faſt
genau rund, aber roth, erſcheinen wuͤrde, wenn die Sonne uns nur
rothe Strahlen zuſendete, Strahlen naͤmlich von gleicher Brechbar-
keit; daß eine gelbe Sonne ein andres rundes Bild geben wuͤrde,
und zwar etwas weiter von der Richtung der grade fortgehenden
Strahlen entfernt, weil die gelben Strahlen etwas mehr gebrochen
werden; daß eine gruͤne Sonne, eine blaue Sonne, eine violette
Sonne, wenn wir uns ihre Strahlen nach und nach auf gleiche
Weiſe einfallend verſchaffen koͤnnten, ein verſchieden gefaͤrbtes run-
des Bild, jedes folgende weiter von der Richtung des ungebrochenen
Strahles entfernt, geben wuͤrden. Indem nun, ſchloß Newton
weiter, dieſe verſchiedenen Bilder zu gleicher Zeit aus den weißen
Strahlen hervorgehen, und ſich ſo wie Fig. 84. zeigt, neben einan-
der darſtellen, zugleich aber ſich in ihren auf einander fallenden
Raͤndern miſchen, entſteht das laͤngliche Farbenbild AB, das am
Ende r roth, am andern Ende v violett iſt, und die Farben r roth,
o orange, g gelb, gr gruͤn, b blau, v violett darſtellt. Dieſes
kann entweder ſo wie Fig. 84. aus einer Reihe von Farben,
Violett am einen, Roth am andern Ende, mit Miſchungs-Ueber-
gaͤngen vom Violett zum Blau, vom Blau zum Gruͤn, vom Gruͤn
zum Gelb, vom Gelb zum Orange, vom Orange zum Roth, ent-
ſtehen, oder ſich bloß an den Enden gefaͤrbt, in der Mitte weiß,
darſtellen, weil die Miſchung aus allen Farben, die offenbar in Fig.
85.
in der Mitte eintritt, wieder eben die Einwirkung auf unſer
Geſicht hervorbringt, wie ſie bei dem freien Sonnenſtrahle, in wel-
[171] chem auch alle jene Farbenſtrahlen gemiſcht waren, ſtatt fand *).
Nach dieſer Vorſtellungs-Art iſt alſo das Sonnenlicht eine Miſchung
aus den verſchiedenen Farbenſtrahlen, die ich, als ſechs Hauptfarben
darbietend, zuerſt nur als ſo viel einzelne Strahlen betrachten will,
obgleich dieſe Vorſtellung noch etwas verbeſſert werden muß; jeder
Farbenſtrahl erleidet eine andre Brechung, giebt daher nach dem
Durchgange durch das Prisma einen in etwas verſchiedener Rich-
tung fortgehenden Strahl und ein eignes Farbenbild. Newton
fand noch keine Mittel, jene von ihm vorausgeſetzten runden Far-
benbilder wirklich vor Augen zu legen; aber die Mittel dazu haben
ſich nachher dargeboten. Die Sonnenſtrahlen koͤnnen uns dieſe
runden Farbenbilder zeigen, wenn ſie durch gefaͤrbte Glaͤſer oder
durch gefaͤrbte Fluͤſſigkeiten gehen, indem zum Beiſpiel verduͤnnte
Lackmußtinctur und einige rothe Glas-Arten faſt allein den rothen
Strahlen den Durchgang geſtatten; — gewoͤhnlich werden noch
einige andre Strahlen mit durchgelaſſen, da dieſes aber bei der
Lackmußtinctur faſt nur blaue und violette ſind, ſo iſt dieſe Fluͤſſigkeit
dennoch geeignet, die runden Bilder zu zeigen. Laͤßt man naͤmlich
den Sonnenſtrahl, ehe er das Prisma erreicht, durch ein mit pa-
rallelen Waͤnden begrenztes, mit einer ſolchen Fluͤſſigkeit gefuͤlltes
Glas gehen, ſo ſieht man in dem prismatiſchen Bilde die uͤbrigen
Farben ganz verſchwunden, und nur ein rundes rothes Bild, an
der Stelle, wo auch vorher das Roth lag, bleibt ſichtbar, entweder
ganz allein, wenn gar keine andern Farbenſtrahlen durchgelaſſen
werden, oder neben einem abgeſonderten blauen und violetten
Bilde, das an der vorigen Stelle des Blau und Violett erſcheint.
Die Erſcheinung zeigt ſich am beſten, wenn von den gelben und
gruͤnen Strahlen gar keine durchgelaſſen werden, indem dann das
runde rothe Bild durch einen dunkeln Zwiſchenraum von dem
ſchwachen blauen oder violetten Bilde getrennt iſt; wuͤrden dagegen
gruͤne Strahlen durchgelaſſen, ſo wuͤrde das letztere Bild ſich in
[172] die Laͤnge gezogen und gruͤn am einen, violett am andern Ende
zeigen.


Dieſer Verſuch iſt einer der Beweiſe, daß wirklich jede
Art von Farbenſtrahlen ein eignes und vollſtaͤndiges Bild darſtellt,
und daß ein jedes nach Verſchiedenheit der Farbe auf einen andern
Ort faͤllt, aus Strahlen nach andern Richtungen gebrochen entſteht.
Aber auch andre Lichter außer dem Sonnenlichte beweiſen eben das.
Wenn wir unſre gewoͤhnliche Lichtflamme durch ein Prisma anſehn,
und dabei am liebſten die parallelen Seitenlinien des Prisma's
vertical, die Laͤngen-Abmeſſung der Flamme parallel, halten; ſo
erſcheint uns erſtlich, wie Sie wiſſen, die Flamme weit von ihrer
wahren Stelle fortgeruͤckt, weil die Strahlen ſtark gebrochen ins
Auge kommen, aber zweitens erſcheint uns auch die Flamme farbig,
und zwar roth an der Seite, die dem wahren Orte derſelben
am naͤchſten iſt, blau und violett an der entgegengeſetzten Seite,
jenes Roth und das in der Mitte entſtehende Gelb iſt vorzuͤglich
lebhaft, weil dieſe Flammen viel rothes und gelbes Licht geben.
Hier iſt alſo die Erſcheinung der Farbenraͤnder und ſo ziemlich der
ganzen Folge aller Farben ſichtbar. Aber wenn man einen mit
Kochſalz ſtark eingeriebenen Docht in eine Spirituslampe ſetzt, und
nur eine ziemlich ſchmale Flamme zu erhalten ſucht, oder noch
lieber die Flamme nur durch eine ſchmale Oeffnung auf das vor das
Auge gehaltene Prisma ihr Licht ſenden laͤßt, ſo ſieht man nicht
eine ganze Reihefolge aller Farben, nicht ein in die Breite gezo-
genes Bild der Flamme, das ſich in Farbenraͤnder endigt, ſondern
eine reine gelbe Flamme ohne allen rothen Rand, und dieſe Flamme
in ihrer ganz natuͤrlichen Form, begleitet jedoch von einer matten
violetten Flamme, die, wenn man ſich mit dem Prisma hinrei-
chend entfernt hat, ganz getrennt von der gelben Flamme, ſo daß
ein dunkler Zwiſchenraum zwiſchen beiden bleibt, erſcheint. Bei
dieſer Flamme tritt der fuͤr unſern Zweck vortheilhafte Umſtand ein,
daß ſie faſt nur rein gelbes Licht, mit einer geringen Beimiſchung
violetten Lichtes, ausſendet. Bei der Brechung findet daher nur
ſofern eine Farbenzerſtreuung, eine Darſtellung verſchiedenfarbiger
Erſcheinungen ſtatt, als ſich neben der gelben Hauptflamme noch
eine ganz davon getrennte matte violette Flamme zeigt, und die
Uebergangsfarben, das Gruͤn und Blau, die ſonſt beide Flammen
[173] verbinden, und eben dadurch ein undeutliches Bild, eine breitgezo-
gene Flamme hervorbringen wuͤrden, gar nicht da ſind. — Dieſe
Verſuche zeigen deutlich, daß da, wo nur eine Art von Farben-
ſtrahlen vorhanden iſt, der Gegenſtand ganz rein, ſelbſt durch das
Prisma geſehen ohne unſicher begrenzte Raͤnder, erſcheint, und daß
dieſe verſchiedenen Farben und Raͤnder alſo nur aus der ungleichen
Brechung der gemiſchten verſchiedenen Farbenſtrahlen entſtehen.


Newtons Verſuche uͤber dieſe ungleiche Brechung der Licht-
ſtrahlen verdienen noch immer, ihrer paſſenden Anordnung wegen,
angefuͤhrt zu werden, obgleich die Wahrheit ſeiner Behauptung,
daß erſtlich die verſchiedenen Farbenſtrahlen eine ungleiche Brechung
haben, und daß zweitens da, wo ſie vereint zur Erleuchtung beitra-
gen, — in demſelben Miſchungsverhaͤltniſſe vereint, wie im Son-
nenſtrahle, — eine weiße Erleuchtung hervorgeht, und wo ſie in
dieſem Verhaͤltniſſe gemiſcht das Auge erreichen, das Auge die
Empfindung des Weiß erlangt, auf unzaͤhlige Weiſe nachgewieſen
werden kann. Newton ſtellte zum Beweiſe, daß die verſchieden-
farbigen Strahlen, auch wenn ſie von gefaͤrbten Koͤrpern ausgehen,
eine ungleiche Brechbarkeit haben, folgenden Verſuch an. Auf
ſchwarzem Grunde wurden zwei neben einander gezeichnete Qua-
drate (Fig. 86.) AB, BD, deren eines roth, das andre blau ge-
faͤrbt war, gelegt; dieſe wurden durch das Prisma, deſſen Seiten
mit AD parallel gehalten wurden, betrachtet, und es zeigte ſich
nun das rothe Quadrat nicht mehr grade neben dem blauen, ſon-
dern wenn jenes dem Auge nach ab herab geruͤckt erſchien, ſo war
das blaue dagegen in der Lage cd zu ſehen; die Brechung der
rothen Strahlen war alſo geringer, hatte eine geringere Aenderung
der ſcheinbaren Lage hervorgebracht, als die Brechung der blauen
Strahlen. Dieſer Verſuch hat nur darin einige Schwierigkeit,
daß unſre Faͤrbeſtoffe nie ganz rein, nur eine Art farbigen Lichtes
geben, ſondern immer noch einige Beimiſchung andrer Farben
enthalten, und daß uͤberdieß die Oberflaͤche ſelten von einigem ſpie-
gelnden Glanze frei iſt, der ein aus allen Farben gemiſchtes weißes
Licht giebt. Indeß obgleich das Roth nicht leicht ohne einen gelben
Rand an der Seite AE, die der ſtaͤrkern Brechung entſpricht, und
noch weniger das Blau ohne einen gruͤnen Rand an der der gerin-
gern Brechung entſprechenden Seite BF zu ſein pflegt, ſo iſt doch
[174] in der That das Experiment uͤberzeugend genug. Einige Arten von
Blumen ſind noch mehr dazu geeignet, indem die Lychnis chalce-
donica
ein faſt reines Roth, und einige blaue Blumen ein wenig-
ſtens nicht mit allzu erheblichem gruͤnem Rande verſehenes Blau
liefern. Man kann den Verſuch auch ſo abaͤndern, daß man
(Fig. 86.) an den obern Rand des rothen Vier-Eckes ein blaues
Blaͤttchen g, einen kleinen Theil des Roth verdeckend, legt; be-
trachtet man nun das Vier-Eck AB durch das Prisma, ſo daß es
nach ab herabgeruͤckt erſcheint, ſo ſieht man bei gI einen dunkeln
Fleck ohne Farbe, das Blau aber zeigt ſich bei e als einen violettern
Schimmer auf dem Roth verbreitend. In der Gegend gI erſchei-
nen dem Auge gar keine Farbenſtrahlen, von dort koͤmmt gar kein
Licht zum Auge, indem dort keine rothe, einer geringen Brechung
empfaͤngliche Strahlen ausgehen, die blauen aber, ſtaͤrker gebrochen,
das Auge ſo treffen, als ob ſie von e ausgingen.


Daß aus dem weißen Sonnenlichte ein farbiges Bild hervor-
ging, hatte Newton durch einen aͤhnlichen Verſuch, wie den
oben beſchriebenen, gezeigt; aber es konnte nun die Frage entſtehen,
ob denn nicht durch eine neue Brechung jeder Farbenſtrahl ſich
abermals ebenſo in neue Strahlen zerſtreuen oder ausbreiten werde.
Newton ſuchte daher zuerſt die bei der erſten Brechung getrenn-
ten Strahlen ſo zu erhalten, daß ſie moͤglichſt ungemiſcht hervor-
gingen, und unterwarf ſie dann einer neuen Brechung. Um das
erſtere zu bewirken, wurde der durch das Prisma A (Fig. 87.)
gebrochene Strahl durch eine kleine Oeffnung B und abermals
durch eine kleine Oeffnung C durchgelaſſen; dadurch konnte man,
indem die Mitte des rothen Strahles durch B nach C fiel, alles
Gelb, und ſo, bei aͤhnlicher Anwendung eines andern Farben-
ſtrahles, faſt alles fremde Licht entfernt halten, alſo auf das Prisma
D moͤglichſt reines, einfarbiges Licht fallen laſſen. Ward nun dieſes
im Prisma D zum zweiten Male gebrochen, ſo zeigte ſich, daß dieſer
farbige Strahl keine merkliche abermalige Ausbreitung, wie es
bei erheblich verſchiedener Brechung ſeiner einzelnen Theile haͤtte
ſtatt finden muͤſſen, zeigte; aber daß die neue Ablenkung, die er
durch das Prisma D erlitt, am geringſten war, wenn man einen
rothen Strahl durch B, C hatte einfallen laſſen, am ſtaͤrkſten, wenn
der Strahl violett war, und daß alſo die ſtaͤrkere Brechbarkeit auch
[175] hier dem Violett zugehoͤrte, waͤhrend der blaue, gruͤne, gelbe, rothe
Strahl ſich in dieſer Ordnung weniger brechbar zeigten.


Ein zweiter, leicht anzuſtellender Verſuch, welcher zeigt, daß
die Farbenſtrahlen, welche bei der erſten Brechung am meiſten von
ihrer Richtung abgelenkt waren, auch bei einer zweiten Brechung
wieder am meiſten gebrochen werden, iſt folgender. Sie haben
ſchon vorhin geſehen, daß das farbige Sonnenbild, das prismatiſche
Spectrum, eine laͤngliche Form AB (Fig. 88.) annimmt, und zwar
hat die Laͤngen-Abmeſſung dieſes Bildes eine verticale Lage an der
verticalen Wand, wenn das Prisma CD horizontal ſteht; laͤßt
man die Strahlen, die dieſes Bild darſtellen, auf ein verticales
Prisma EF fallen, ſo erhaͤlt man ein ſchiefſtehendes Farbenbild, in
welchem das Violett bei A, welches ſchon bei der erſten Brechung
am meiſten von der urſpruͤnglichen Richtung LM entfernt lag, nach
G, mehr ſeitwaͤrts gebrochen erſcheint, als die uͤbrigen Farben,
unter welchen das Roth von B nach H fortgeruͤckt, am wenigſten
ſeinen Platz geaͤndert hat.


Weiß aus der Miſchung der Farben entſtehend.
Andre Miſchungsfarben. Ergaͤnzungsfarben.


Ein andrer Verſuch Newtons hatte die Abſicht zu zeigen,
daß bei der Vereinigung aller aus dem weißen Lichtſtrahle hervor-
gegangenen Farbenſtrahlen ſich wieder Weiß zeige. Um dies zu
beweiſen, diente die Sammlung der durch das Prisma getrennten
Strahlen, die durch ein convexes Glas bewirkt wurde. Wenn
man Lichtſtrahlen, die von A ausgehend (Fig. 89.) divergiren, mit
einem ſo aufgeſtellten Glaſe, daß die Entfernung von A bis BC
der doppelten Brennweite gleich iſt, auffaͤngt, ſo bringt die Brechung
dieſelben in einer Entfernung, die dem Abſtande des Glaſes vom
Puncte A gleich iſt, in D zuſammen, und jenſeits D gehen ſie wie-
der aus einander; wenn man alſo fuͤr die vom Prisma A aus di-
vergirenden Farbenſtrahlen die Glaslinſe auf dieſe Weiſe aufſtellt,
ſo werden alle Farbenſtrahlen in dem Puncte D geſammelt, und
hier zeigen ſie eine weiße Erleuchtung; faͤngt man ſie dagegen dies-
ſeits des Punctes D, zwiſchen D und BC auf, ſo erſcheinen die
Farben in ihrer gewoͤhnlichen Ordnung, (in der Figur, wo die
Brechung nach oberwaͤrts erfolgt iſt, das Violett zu oberſt,) dagegen
[176] erſcheinen die Farben in umgekehrter Folge, wenn man jenſeits D
die Strahlen auffaͤngt, (in der Figur Violett zu unterſt,) weil
hier die Strahlen ſich durchkreuzt haben. Das bloße Zuſammen-
treffen in einem Puncte bringt alſo fuͤr unſer Auge die Empfin-
dung des Weiß hervor, aber die in verſchiedenen Richtungen in
D ankommenden Farbenſtrahlen behalten ihre Eigenſchaft, eine
farbige Erleuchtung hervorzubringen, und zeigen dieſe abermals,
ſobald ſie ſich wieder, ihren graden Lauf fortſetzend, getrennt
haben.


Auch die Miſchung nicht aller, ſondern nur einiger Farben-
ſtrahlen bringt bemerkenswerthe Erſcheinungen hervor. Wenn
man eine ziemlich große Glaslinſe mit einem Schirme bedeckt, in
welchem ſich zwei parallele ſchmale Oeffnungen befinden, und nun
von dem in der doppelten Brennweite aufgeſtellten Prisma her die
Farbenſtrahlen ſo auffallen laͤßt, daß ihre Begrenzungen den offenen
Streifen parallel ſind, ſo iſt es nicht ſchwer, bald dieſe bald jene
zwei Farben auf die Oeffnung, alſo auf die Linſe fallen zu laſſen.
Faͤngt man nun die durch die Linſe gegangenen Strahlen auf einer
weißen Tafel hinter der Linſe auf, ſo ſieht man zwei ungleichfarbig
erhellte Streifen ſo lange die Tafel weniger als die doppelte Brenn-
weite entfernt iſt, und ſieht dieſe wieder, aber in umgekehrter Ord-
nung, wenn ſie mehr entfernt iſt; in der doppelten Brennweite
der Linſe aber zeigen ſich beide Streifen vereint und bieten nun die
Mittelfarbe dar. Dieſe iſt gruͤn, wenn ſich gelb und blau vereini-
gen, orange, wenn ſich roth und gelb vereinigen; aber aus der
Vereinigung von Gruͤn und Orange geht ein blaſſes Gelb, aus
Gruͤn und Violett geht Blau hervor, indem die gemiſchten Strah-
len diejenige Farbe, die zwiſchen ihnen liegt, hervorbringen, zu-
gleich aber in der Miſchung ein Weiß, eine Erleuchtung, die die
Mittelfarbe um ſehr vieles heller (ein lichteres Gelb zum Beiſpiel)
macht, ſich zeigt. Nach v. Grotthus Vorſchrift kann man ein
fuͤr unſer Auge als ganz rein erſcheinendes Weiß erhalten, wenn
man durch zwei Prismen zwei Farbenbilder hervorbringt, die ſo auf
einander fallen, daß das Roth des einen das Blaulichgruͤn des an-
dern deckt; dieſes Weiß iſt aber durch das Prisma geſehen, nicht in
alle Farben, ſondern nur in die, aus denen es entſtanden iſt, zer-
legbar.


[177]

Wenn man durch die Linſe alle Strahlen, das Blau ausge-
nommen, vereinigt, ſo erhaͤlt man Gelb oder Orange, je nachdem
das Blau aus einem naͤher am Violett oder naͤher am Gruͤn lie-
genden Theile des Farbenbildes genommen iſt, und es heißt daher
Blau die Complementairfarbe, die Ergaͤnzungsfarbe
des Orange oder Gelb; ebenſo iſt Roth die Ergaͤnzungsfarbe des
Gruͤn, Violett die Ergaͤnzungsfarbe des Gelb, weil das Zuſam-
menkommen aller Farben außer jener einen, die zugehoͤrige Ergaͤn-
zungsfarbe hervorbringt.


Genaue Beſtimmung des Brechungsverhaͤltniſſes fuͤr
verſchiedene Farbenſtrahlen
.


Von dieſen Verſuchen, welche die vereinte Wirkung mehrerer
Farbenſtrahlen betrafen, kehre ich zu der ungleichen Groͤße der
Brechung zuruͤck, indem es nicht genug iſt, dieſe Ungleichheit
obenhin zu kennen, ſondern auch die Mittel zu einer ganz genauen
Beſtimmung vollſtaͤndiger zu uͤberſehen.


Um dieſe Beſtimmung zu erhalten, wandte Fraunhofer
die ſchon vorhin beſchriebene Einrichtung zu Abmeſſung der Bre-
chung an, die ich kaum noch weiter zu erklaͤren brauche, da die
dem Vorigen beizufuͤgende Eroͤrterung ſich leicht von ſelbſt ergiebt.
Wir ſahen es fruͤher (Fig. 61.) ſo an, als ob der nach der Richtung
AB auf das Prisma fallende Strahl auch nach der Brechung im
Prisma als ein einzelner Strahl, das heißt mit paralleler Richtung
aller ſeiner Theile, hervorgehe; aber Sie wiſſen jetzt, daß dieſes nicht
der Fall iſt, indem die violetten und rothen Strahlen und ſo auch
alle zwiſchenliegenden merklich divergirend hervorgehen; es iſt alſo
bei einer genauen Beſtimmung der Brechung noͤthig, mit jedem
Farbenſtrahle beſonders die Beobachtung zu wiederholen, und in-
dem man das eine Mal den rothen, das andre Mal den gelben
Strahl genau in der Richtung des Fernrohrs ML beobachtet, die
entſtandene Ablenkung von der erſten Richtung zu beſtimmen.
Dieſes laͤßt ſich ſofern ohne Schwierigkeit bewirken, als man die
kleine Oeffnung, durch welche das Lampenlicht auf das Prisma
faͤllt, roth, gelb, u. ſ. w. ſieht, wenn dieſe verſchiedenen Farben-
ſtrahlen durch das Fernrohr zum Auge kommen, und ſo ergeben ſich
Folgerungen, die fuͤr viele Zwecke ſchon genau genug ſind. Aber
II. M
[178] dem genauen Beobachter bietet ſich dennoch hier ein Zweifel dar.
Das prismatiſche Farbenbild zeigt in jeder Farbe eine gewiſſe
Ausdehnung, und obgleich ich das Bild im Fernrohr gruͤn ſehe, es
moͤgen Strahlen, die etwas naͤher nach dem Gelb hin oder die
etwas naͤher nach dem Blau hin liegen, durch das Fernrohr zum
Auge gelangen; ſo iſt doch fuͤr eine ſehr ſtrenge Meſſung derjenige
gruͤne Strahl, welcher dem Blau etwas naͤher liegt, ſchon ſtaͤrker
gebrochen, als der, welcher dem Gelb naͤher liegt, und es iſt daher
nicht ſo leicht, wenn man die Brechung fuͤr verſchiedene Koͤrper
beſtimmen will, ſich zu uͤberzeugen, daß man bei allen genau eben
denſelben gruͤnen, genau eben denſelben blauen Strahl, naͤmlich den,
der im Farbenbilde dieſelbe Stelle einnimmt, angewandt habe. Dieſe
Schwierigkeit wird gehoben durch die von Fraunhofer gemachte
Entdeckung, daß es dunkle Linien im prismatiſchen Sonnenbilde
giebt, die immer ihre beſtimmte Stelle behalten *). Um dieſe Ent-
deckung ſogleich in der Verbindung zu zeigen, wie ſie mir am ver-
ſtaͤndlichſten ſcheint, will ich Sie noch einmal auf die durch das Prisma
geſehene gewoͤhnliche Lichtflamme und auf die durch Weingeiſt und
einen mit Salz eingeriebenen Docht hervorgebrachte Flamme auf-
merkſam machen. Jene zeigt in der Mitte eine vorzuͤglich glaͤnzende
Stelle da, wo das Gelb des prismatiſchen Bildes liegt, und dieſe zeigt
eine auffallende Luͤcke zwiſchen dem Gelb und Violett. Wir finden
den Grund hiefuͤr darin, daß unſre gewoͤhnliche Lichtflamme einen
großen Antheil gelben Lichtes enthaͤlt, desjenigen gelben Lichtes,
deſſen Brechbarkeit faſt genau gleich groß iſt, und das daher in einem
ſehr engen Raume des prismatiſchen Bildes beiſammen bleibt;
dagegen zeigen uns die Luͤcken im prismatiſchen Bilde der zweiten
Flamme, daß es ihr an rothen Strahlen, an gruͤnen Strahlen,
an blauen Strahlen, ganz fehlt, die daher auch im Farbenbilde
nicht ſich darſtellen koͤnnen. So auffallende Luͤcken in der Reihen-
folge der ungleich brechbaren Strahlen giebt es im Sonnenlichte
nicht, ſondern es iſt beinahe richtig, wenn wir behaupten, daß ſich
im Sonnenlichte Strahlen von allen den verſchiedenen Graden der
[179] Brechbarkeit finden, die zwiſchen der Brechbarkeit des aͤußerſten
Roth und des aͤußerſten Violett enthalten ſind; aber obgleich dies
ſehr wenig von der Wahrheit abweicht, ſo zeigen doch die dunkeln
Linien, die man mit Huͤlfe des Fernrohres wahrnimmt, daß ſehr
kleine Luͤcken auch hier, den großen Luͤcken in jenem vorigen Bei-
ſpiele aͤhnlich, vorhanden ſind. Wir waren vorhin geneigt von
ſechs verſchiedenen Farbenſtrahlen zu reden, oder von ſieben, wenn
wir Newton folgen wollen, der im Blau zwei Farben unter-
ſcheidet; aber wir erkennen jetzt, daß wir viel mehrere ungleich
brechbare Strahlen annehmen muͤſſen, wenn gleich unſer Auge
eine ganze Reihe benachbarter Strahlen gruͤn, eine andre Reihe be-
nachbarter Strahlen gelb nennt, u. ſ. w. Ein duͤnner auf das
Prisma fallender Strahl breitet ſich faͤcherfoͤrmig aus, wenn er aus
dem Prisma hervorgeht, und wenn wir den kleinen Winkel, den
der aͤußerſte rothe Strahl mit dem aͤußerſten violetten macht, in
tauſend Theile zerlegen, ſo iſt jede dieſer tauſend Abtheilungen als
mit Strahlen von ungleicher Brechbarkeit erfuͤllt anzuſehen; indeß
lehren Fraunhofers Verſuche, daß unter dieſen tauſend Strah-
len, die nach dem Geſetze der Stetigkeit immer einer etwas mehr
als der andre gebrochen werden, doch hie und da einer fehlt.
So, glaube ich, muß man dieſe wichtige Entdeckung verſtehen,
und folglich muͤſſen wir, wenn gleich im Allgemeinen der Glanz
des Farbenbildes von den Seiten gegen die Mitte zunimmt, zuge-
ſtehen, daß dieſer Fortgang nicht ſtrenge nach dem Geſetze der Ste-
tigkeit erfolgt.


Dieſe Linien nun bieten, da ſie an genau beſtimmten Stellen
des prismatiſchen Sonnenbildes liegen, ein voͤllig ſtrenges Mittel
zur Vergleichung der Brechung in verſchiedenen Koͤrpern dar.
Richtet man naͤmlich das Fernrohr ſo, daß genau die dunkle Linie,
die ungefaͤhr an der Grenze des Orange und Gelb (wo dieſe durch
unmerklichen Uebergang verbunden ſind,) ſich befindet, in der Mitte
des Fernrohres erſcheint, ſo hat man durch die Stellung des In-
ſtruments (Fig. 61.) und durch gehoͤrige Berechnung, die Brechung
eines ganz beſtimmten Farbenſtrahles, den man bei Anwendung
eines andern brechenden Koͤrpers genau wiederfinden kann. Jetzt
erſt laͤßt ſich alſo von dem Brechungsverhaͤltniſſe fuͤr verſchiedene
Koͤrper mit Beſtimmtheit ſprechen, und wenn wir uns fruͤher be-
M 2
[180] gnuͤgten, oberflaͤchlich zu ſagen, die Sinus des Einfallswinkels
und des Brechungswinkels (das iſt, des Winkels, der zwiſchen dem
einfallenden Strahle und dem Einfallslothe liegt, und des Winkels,
der zwiſchen dem gebrochenen Strahle und dem Einfallslothe liegt,)
haͤtten fuͤr den Uebergang aus dem luftleeren Raume in Waſſer das
Verhaͤltniß 1 zu ¾, (oder 1:0,75) oder bei dem Uebergange aus
Waſſer in den luftleeren Raum das Verhaͤltniß 1 zu \frac{4}{3}, (oder 1 zu
1,3333,) ſo koͤnnen wir jetzt beſtimmter ſagen, daß das letztere
Verhaͤltniß durch 1 zu 1,3309 fuͤr eine dunkle Linie, die dem rothen
Ende des Bildes nahe iſt, durch 1 zu 1,3336 fuͤr die dunkle Linie
zwiſchen Orange und Gelb, durch 1 zu 1,3358 fuͤr eine beſtimmte
Stelle des Gruͤn, durch 1 zu 1,3413 fuͤr eine Stelle im tiefen
Blau dem Violett nahe, durch 1 zu 1,3442 fuͤr eine beſtimmte
Stelle gegen die Grenze des Farbenbildes im Violett, dargeſtellt
wird. — Warum die genaue Kenntniß dieſer Brechungsverhaͤlt-
niſſe, namentlich in Beziehung auf die verſchiedenen Glas-Arten,
ſo wichtig iſt, werde ich in der Folge zu erwaͤhnen Gelegenheit
haben.


Verlaſſen kann ich aber dieſen Gegenſtand nicht, ohne noch
die Methode zu erwaͤhnen, deren Fraunhofer ſich bediente, die
ungleiche Intenſitaͤt des Lichtes der verſchiedenen Farben im pris-
matiſchen Farbenbilde der Sonne zu beſtimmen. Indem man
durch das Fernrohr die im Prisma zerſtreuten Strahlen auffaͤngt,
ſieht man dieſe, je nachdem man die eine oder andre Farbe in
das Geſichtsfeld bringt, mit ungleichem Glanze, un[d] um dieſen
Glanz abzumeſſen, ward im Fernrohre ein das halbe Fernrohr ein-
nehmender, ſchief geſtellter Spiegel angebracht, von dem das Licht
einer ſeitwaͤrts ſtehenden Lampe dem durch das Fernrohr ſehenden
Auge zugeworfen wurde. Das Auge ſah alſo zugleich den von der
Lampe erhellten Spiegel und daneben den zu vergleichenden Theil
des Farbenbildes, und indem man durch vergroͤßerte oder verkleinerte
Entfernung der Lampe den Spiegel ſo erhellte, daß der Eindruck
des Glanzes dem des Farbenbildes gleich erſchien, ſo hatte man
vermittelſt der Entfernung der Lampe eine Abmeſſung jener Hellig-
keit. Sie uͤberſehen leicht, daß der Spiegel da ſtehen muß, wo des
Oculares Brennpunct iſt, damit er deutlich geſehen werde, und daß
neben ihm eine Oeffnung an der Seite des Fernrohrs (mit einer
[181] Seitenroͤhre verſehen, um die Lampe aufzunehmen,) angebracht
ſein muß, damit ihn das Licht gehoͤrig treffe. Durch dieſe Verſuche
wurde beſtimmt, daß im Gelb die meiſte Lichtſtaͤrke ſtatt findet, die
vom Gruͤn bis zum Violett ſich ſehr allmaͤhlig abnehmend verliert,
ſtatt daß ſie durch Orange und Roth bis zur Grenze des Roth
weit ſchneller abnimmt.


Geſetze fuͤr die an weißen Gegenſtaͤnden im Prisma
erſcheinenden Farbenraͤnder
.


Die meiſten der bisherigen Betrachtungen betrafen nur einen
beſchraͤnkten auf das Prisma fallenden Lichtſtrahl, und die Beobach-
tung der Farben-Erſcheinungen, die entweder das Sonnenbild an
der Wand oder das gleichfalls beſchraͤnkte Bild einer Flamme,
wenn man es durch das Prisma betrachtet, darbietet; aber auch die
Erſcheinung ausgedehnterer Flaͤchen durch das Prisma verdient um
ſo mehr eine naͤhere Betrachtung, da man bei der Erklaͤrung der-
ſelben oft einige Schwierigkeit gefunden hat. Wenn man eine groͤ-
ßere weiße Flaͤche, am beſten auf ſchwarzem Grunde liegend, deren
obere und untere Seite mit den Kanten des horizontal gehaltenen
Prisma's parallel ſind, durch das Prisma anſieht, und den brechen-
den Winkel des Prismas nach unten wendet, ſo erſcheint die ganze
weiße Flaͤche, vermoͤge der Brechung, hinabwaͤrts geruͤckt, aber an
der untern Seite von einem blauen und violetten Rande, oben da-
gegen von einem gelben und rothen Rande umgeben.


Um den Grund, warum die Farbenraͤnder grade ſo erſcheinen,
zu uͤberſehen, ſei (Fig. 90.) AB die weiße Tafel, oberhalb A und
unterhalb B ſei die Flaͤche ſchwarz, am beſten ſo, daß ſie gar kein
Licht ausſendet. Ein durch das Prisma C ſehendes Auge E wuͤrde
die ganze Tafel nach rR geruͤckt ſehen, wenn ſie nur rothe Strah-
len ausſendete, nach vV geruͤckt, wenn ſie nur violette Strahlen
ausſendete, (um dieſe beiden Erſcheinungen zu unterſcheiden, iſt
die eine etwas hinter der andern angegeben,) und es erhellt nun
ſogleich, daß die weiße Tafel breiter als eine einfarbige Tafel, und
bei r roth, bei V violett erſcheinen wird. Die Figur giebt unge-
faͤhr an, daß das rothe Bild des Punctes A in r, das rothe Bild
des Punctes aI, des Punctes aII, in rI, rII, erſcheinen wird, und
daß alſo der violette Strahl von A und der rothe von aII in einerlei
[182] Richtung zum Auge kommen. In eben der Richtung koͤmmt
offenbar ein gruͤner von aI ausgehender Strahl zum Auge, und
dieſes ſieht daher in der Gegend rIIv reines Weiß wegen der hier
ſtatt findenden Vereinigung aller Farbenſtrahlen. Aber auch bei rI
wird kein reines Roth, ſondern Gelb erſcheinen; denn es liegt in
eben der Richtung der von A aus zum Auge kommende gruͤne
Strahl, ferner ein gelber Strahl, der etwa mitten zwiſchen A und
aI ausgegangen iſt, u. ſ. w., alſo erhaͤlt das Auge in der Richtung
von rI her eine Miſchung rother, gelber und gruͤner Strahlen,
die, wie Sie ſchon wiſſen, reines Gelb geben. Eben ſo ſchließt ſich
an den violetten Rand V ein dunkelblauer aus Blau und Violett,
ein heller blauer aus Gruͤn, Blau und Violett an, und zwiſchen
dem roth und gelben, und dem blau und violetten Rande iſt die
weiße Flaͤche weiß, weil in der Richtung von dorther alle Arten
Farbenſtrahlen zum Auge gelangen.


Ein ſehr ſchmaler Streif, AaI wuͤrde gar kein Weiß in der
Mitte geben, weil der aͤußerſte rothe Strahl rIE aus einer Gegend
koͤmmt, wo ſich noch gar kein Blau und Violett mit dem Roth
miſcht; das gelbe Bild wuͤrde ſich hier, etwas mit dem rothen ge-
miſcht an das rothe, das gruͤne Bild an das gelbe, das blaue an
das gruͤne anſchließen, und ſo der ſchmale weiße Faden eine breitere,
alle Farben darſtellende Flaͤche darbieten.


So wie wir vorhin die weiße Flaͤche oben mit rothem und
gelbem Rande, unten mit violettem und blauem Rande umgeben
ſahen, ſo wird, wenn noch immer die Brechung als herunterwaͤrts
gehend, den Gegenſtand in einer tiefern Lage zeigend, angenommen
wird, eine ſchwarze Flaͤche den violetten und blauen Rand oben,
den rothen und gelben Rand unten zeigen. Die ſchwarze Flaͤche
liege auf einem weißen oder auf einem grauen Grunde, ſo iſt dieſe
angrenzende Flaͤche nun offenbar diejenige, die wir lichtausſendend
nennen muͤſſen, ſtatt daß die ſchwarze als kein Licht gebend ange-
ſehen wird, oder doch hoͤchſtens nur ſehr wenig Licht von ſich giebt.


Bedienen wir uns der vorigen Figur, ſo koͤmmt nun von rR
gar kein rothes Licht, von vV gar kein violettes Licht, und weil die
erſten gelben, gruͤnen, blauen Strahlen, die naͤmlich oberhalb A
ausgehen, gewiß zwiſchen r und v liegen muͤſſen, ſo ſieht das Auge
E zwiſchen v und R gar kein Licht; hier erſcheint die ſchwarze
[183] Flaͤche ſchwarz. Zwiſchen v und r erſcheinen bei v violette, bei rI
ſchon violette, blaue und gruͤne Strahlen, bei r alle Farbenſtrah-
len, alſo wenn bei A die ſchwarze Flaͤche an eine weiße grenzt,
volles Weiß, und dieſes Weiß geht durch Blau und Violett in das
Schwarz uͤber. An der andern Seite fehlen die rothen Strahlen
nur bis R, und zwiſchen R und V gehen zunaͤchſt an R rothe, dann
rothe, orangefarbne, gelbe, dann in einem noch etwas mehr
von R entfernten Puncte alle Farben vom Roth bis zum Gruͤn,
die in der Miſchung Gelb geben, endlich bei V alle Farben hervor,
und es iſt daher an der untern Seite vom Schwarz an ein Ueber-
gang durch Roth und Gelb zum Weiß.


Wenn der ſchwarze Streif zu ſchmal iſt, ſo daß die Grenze R
der fehlenden rothen Strahlen nicht uͤber die entgegengeſetzte Grenze
v der fehlenden violetten Strahlen hinuͤber reicht, ſo entſteht eine
Miſchung der rothen und blauen Strahlen, und die ſchmale
ſchwarze Flaͤche erſcheint gar nicht mehr ſchwarz, ſondern durchaus
farbig und zwar ſo, daß vom Weiß ein Uebergang durch Gelb in ein
pfirſichfarbenes Roth und von dieſem durch Blau wieder ein Ueber-
gang in Weiß geſehen wird. Ich habe, um dies deutlich zu machen,
wohl nicht noͤthig, den Weg der einzelnen durch das Prisma gehen-
den Farbenſtrahlen zu zeichnen, ſondern es wird genug ſein, ſo wie
Fig. 91. es zeigt, die Luͤcke in den rothen Strahlen rR, in den
gruͤnen gG, in den violetten vV bemerklich zu machen; bei r ſieht
das in E ſtehende Auge noch alle Farben, alſo Weiß; bei g alle
Farben vom Gruͤn bis Violett, alſo Blau, (indem die Miſchung
Gruͤn, Blau, Violett, die Mittelfarbe giebt); bei R oder v eine
Miſchung von Roth und Violett, die ſich pfirſichfarben, hellroth,
darſtellt; bei G fehlt das Violett und Blau, daher Roth, Gelb,
Gruͤn, ſich als Gelb darſtellen; bei V endlich erſcheint Weiß, weil
alle Farben wieder zuſammen kommen.


Begrenzung der durch Brechung im Prisma geſehenen
Gegenſtaͤnde
.


Das Prisma, dieſes in der Farbenlehre faſt unerſchoͤpflichen
Reichthum von Erſcheinungen darbietende Werkzeug, giebt uns
Gelegenheit noch zu mehreren Betrachtungen. Wenn Sie durch
[184] das Prisma ſehen, ſo bemerken Sie eine Begrenzung der mit far-
bigen Raͤndern verſehenen Gegenſtaͤnde, und an dieſe ſchließen ſich
geſpiegelte, nicht farbig erſcheinende Gegenſtaͤnde an. Iſt der bre-
chende Winkel nach unten gekehrt, etwa ſo, daß die dem Auge
zunaͤchſt liegende Seitenflaͤche ziemlich vertical iſt, ſo bemerkt man
bald, daß die geſpiegelten Gegenſtaͤnde diejenigen ſind, die ſich uͤber
der zu oberſt liegenden Seite des Prisma's befinden, und daß die
Begrenzung der farbig erſcheinenden Gegenſtaͤnde da liegt, wo die
Verlaͤngerung BD (Fig. 92.) der Seite AB hin trifft. Aber
hiebei bemerkt man etwas Auffallendes, das ſich am deutlichſten
zeigt, wenn man das Prisma ſo haͤlt, daß jene Grenze der farbi-
gen, der durch Brechung geſehenen, Gegenſtaͤnde theils auf den
mit weißen Wolken bedeckten hellen Himmel, theils auf eine graue
oder dunkle Wand faͤllt, und wenn man oberhalb des Prisma's
einen weißen Bogen Papier CE haͤlt, um dieſen geſpiegelt, ſich an
jene Grenze der durch Brechung geſehenen Gegenſtaͤnde anſchließend,
zu ſehen. Alsdann endigt ſich oben das Helle des Himmels in einen
gelben und rothen Rand, da wo dieſe Helligkeit glaͤnzender als die
Weiße des Papieres iſt; aber an das gegen die dunkle Wand abſte-
chend weiße Papier, wo dieſes heller als die Wand iſt, ſchließt ſich
ein blau und violetter Rand, jenen gelben und rothen fortſetzend, an.
Von den letzten noch ſichtbaren Puncten Ff des weißen Himmels
naͤmlich kommen die gebrochenen Strahlen rH, roth, vH violett
in das Auge H; die violetten miſchen ſich mit den rothen, gelben,
gruͤnen eines tiefer liegenden Punctes und zeigen dieſen noch weiß,
ſtatt daß die rothen Strahlen ungemiſcht als Rand uͤbrig bleiben,
an welchen rothen Rand ſich aus den fruͤher angegebenen Gruͤnden
noch ein gelber als Uebergang zum Weiß, anſchließt. Umgekehrt
iſt es da, wo eine dunkle Wand in der Gegend Ff ſich befindet,
die wir, da ſie weniger Licht ausſendet, hier als voͤllig lichtlos be-
trachten duͤrfen. Der erſte Lichtſtrahl, der uns durch vollkommene
Spiegelung ſichtbar wird, iſt eh, der nach G unter einem Winkel
hGB, der = rGA iſt, gelangt; aber von dieſem kann der rothe
Antheil als weniger gebrochen und als bei G eine geringere Bre-
chung leidend, bei G noch nach der Richtung Ga hervordringen,
waͤhrend der blaue und violette Antheil ſchon gegen das Auge H zu
reflectirt wird; darum erſcheint der Rand des weißen Papiers, oder
[185] vielmehr der Rand des in voller Spiegelung deutlich und lebhaft
geſehenen Theiles des weißen Papiers violett und blau.


Etwas genau Entſprechendes zeigt der Sonnenſtrahl im fin-
ſtern Zimmer. Dreht man das Prisma ſo, daß der Sonnenſtrahl
eh nach der Richtung Ga aus dem Prisma hervorgehend nur noch
kaum aus dem Glaſe hervordringen kann, ſo ſieht man in dem Far-
benbilde a das Violett und Blau zuerſt verſchwinden, waͤhrend die
folgenden Farben ſich noch bei a zeigen; dagegen aber nimmt das
geſpiegelte Bild, das man bei O wahrnimmt, ſtatt des reinen Weiß
eine blauliche Farbe an, zum Zeichen, daß die bei a fehlenden blauen
und violetten Farbenſtrahlen ſich jetzt mit dem Spiegelbilde O ver-
bunden haben. Dreht man das Prisma noch etwas weiter, ſo daß
bei a alle Farben verſchwinden, kein einziger Farbenſtrahl mehr bei
G hervordringt, ſo iſt das Spiegelbild O lebhafter und weiß gewor-
den; vorhin naͤmlich beſtand es zuerſt nur aus den wenigen allemal
an der Hinterflaͤche reflectirten Strahlen, dann kamen die violetten
und blauen ſchon vollkommen reflectirten Strahlen hinzu, endlich
zeigt ſich das Sonnenbild durch alle reflectirte Strahlen glaͤnzender,
indem die vollkommene Spiegelung eintritt.


So ließen ſich noch viele einzelne Erſcheinungen des Prisma's
genauer verfolgen, aber es iſt Zeit dieſen Gegenſtand, ſo weit naͤm-
lich vom genauen Wege der Lichtſtrahlen durch das Prisma die Rede
iſt, zu verlaſſen. — Daß die farbigen Bilder, die zugleich verviel-
faͤltigten Bilder, die wir durch geſchliffene Steine, durch geſchliffene
Cryſtallglaͤſer, durch regelmaͤßig viel-eckige Glaͤſer ſehen, ganz hie-
her gehoͤren, verſteht ſich von ſelbſt.


Camera lucida.


Eine Anwendung der von der Ruͤckſeite des Prisma's bewirk-
ten vollkommenen Reflexion giebt Wollaſton's Camera lucida.
Ein vierſeitiges Prisma ABCD (Fig. 93.), deſſen Winkel bei A
= 90I, bei B und D = 68°, bei C = 134° ſind, empfaͤngt die
auf AB ungefaͤhr ſenkrecht auffallenden Strahlen SE, die unge-
brochen nach F gelangen; iſt nun der Winkel EFB ungefaͤhr 22
Grad, ſo kann bei F der Lichtſtrahl nicht hervordringen, ſondern
wird vollſtaͤndig nach G, und dort, wo er unter eben dem Winkel
auffaͤllt, nach H reflectirt, indem er die letzte Oberflaͤche AD wieder
[186] ſenkrecht trifft. Wenn nun ein Auge bei H zugleich dieſen Strahl
empfaͤngt und zugleich bei D vorbei ſehend auf die Tafel I blickt, ſo
erſcheint ihm der in S liegende Gegenſtand auf der Tafel I, und
der Zeichner kann den Gegenſtand daher dort darſtellen, ſeine Um-
riſſe zeichnen. Auf aͤhnliche Weiſe kann man das Prisma in Fern-
roͤhren da gebrauchen, wo man eines Spiegels zur Reflexion bedarf.


Ungleiche Brechung der Farbenſtrahlen bei Linſen-
glaͤſern.


Die ungleiche Brechung, welche bei den verſchiedenfarbigen
Strahlen ſtatt findet, hat offenbar auch Einfluß auf die Wirkung
der Linſenglaͤſer. Wir richteten vorhin bei der Angabe der Brenn-
weite unſre Betrachtung nur auf eine feſt beſtimmte Brechung der
Strahlen, und erhielten ſo, wenigſtens fuͤr Strahlen, die nicht
allzuweit von der Mitte des Glaſes einfielen, einen einzigen be-
ſtimmten Brennpunct; aber wenn nun die rothen Strahlen wenig,
die violetten Strahlen viel gebrochen werden, ſo kann offenbar von
einem vollſtaͤndigen Zuſammenkommen des Lichtes in einem
Puncte nicht mehr die Rede ſein, indem der Brennpunct fuͤr rothe
Strahlen gewiß weiter vom Glaſe ab liegt, als der Brennpunct
fuͤr blaue Strahlen, ebenſo wie er bei der geringeren Brechung des
Waſſers entfernter liegt, als bei der ſtaͤrkeren Brechung des Glaſes.
Dieſe Verſchiedenheit des Erfolges fuͤr ungleichfarbige Strahlen
laͤßt ſich auch an unſern gewoͤhnlichen Linſen wahrnehmen, wenn
wir das Sonnenlicht durch ſie ſammeln. Wenn die Sonnenſtrah-
len AB, CD (Fig. 94.) auf das Glas fallen, ſo werden die im
Sonnenlichte enthaltenen violetten Strahlen in U, die rothen, als
weniger gebrochen, als weniger von ihrer parallelen Richtung abge-
lenkt, erſt in V in einen Punct vereinigt, und der ganze Raum
zwiſchen U, V, iſt als eine Reihe von Brennpuncten zu betrachten.
Faͤngt man das Licht in der Gegend pq auf einer weißen Tafel auf,
ſo erhellt leicht, daß in der Mitte des Strahlenkegels alle Arten
farbiger Strahlen vereiniget ſind, alſo in der Mitte der von den
geſammelten Strahlen erhellte Raum weiß erſcheint; aber in der
Naͤhe von p und q ſind nur rothe Strahlen, weil alle gelben ſchon
vor V zuſammen kommen, und der erhellte Raum erſcheint daher,
weil das, was ich eben bemerkt habe, gegen alle Raͤnder hin ſtatt
[187] findet, mit einem rothen Rande umgeben, der gegen die Mitte hin
in Gelb, dann in glaͤnzendes Weiß uͤbergeht. Stellt man dagegen
in rs eine weiße Tafel auf, ſo ſind hier die violetten Strahlen
ſchon weit aus einander gegangen, und waͤhrend der erhellte Kreis,
der ſich uns zeigt, in der Mitte weiß iſt, ſehen wir ihn mit einem
blauen und violetten Rande umgeben. Jede Beobachtung des nicht
ganz geſammelten Sonnenbildes beſtaͤtigt die Richtigkeit dieſer Ue-
berlegung; denn es erſcheint mit dem rothen Rande umgeben, wenn
man es zu nahe an dem Linſenglaſe auffaͤngt, und mit blauem
Rande umgeben, bei zu großer Entfernung.


Wenn ein Microſcop ſehr genau die rothen Gegenſtaͤnde zeigt,
ſo iſt es fuͤr die blauen nicht ganz ſtrenge richtig geſtellt, und weiße
Gegenſtaͤnde geben kein ganz reines Bild, weil man offenbar nicht
zugleich die rothen und blauen Strahlen, die im Weiß enthalten
ſind, parallel hervorgehend erhalten kann, wenn ſie von einerlei
Puncte ausgehen, aber dann auch das Bild im Auge nicht rein
entſtehen kann. Sehen wir naͤmlich jetzt von der Frage, ob das
Auge ſelbſt eine Verſchiedenheit der Brechung zulaͤßt, ab, (die
wir nachher vornehmen wollen,) ſo iſt gewiß, daß die von A
(Fig. 95.) ausgehenden rothen Strahlen divergirend, wie FG,
DE
aus dem Linſenglaſe hervorgehen werden, wenn die violetten
FI, DH, parallel ſind; vereinigt alſo das Auge die violetten auf
dem Netzhaͤutchen, ſo werden die rothen dort noch nicht vereinigt,
ſondern erleuchten noch einen kleinen Kreis auf der Netzhaut, ſo daß
ſie das ganze Bild undeutlich machen. Das Auge ſelbſt, wenn wir
es bloß als einfache Linſe betrachten, muß dieſen Fehler eher ver-
groͤßern als verkleinern, da auch im Auge die rothen Strahlen am
wenigſten gebrochen werden muͤſſen, und alſo um ſo mehr erſt ihren
Vereinigungspunct hinter der Netzhaut finden wuͤrden. Um aber
die Frage, ob denn nicht auch das Auge fuͤr ſich allein uns dieſe
Undeutlichkeit zeigen muͤßte, zu beantworten, bemerke ich Folgendes.
Wenn die Oeffnung einer Linſe, der freie Raum Im, welcher Licht
auffaͤngt (Fig. 96.), ſo klein iſt, wie bei dem Auge, ſo iſt der
Nachtheil, der aus der Farbenzerſtreuung und der ungleichen Brech-
barkeit hervorgeht, viel weniger erheblich. Mag naͤmlich auch der
Strahlenkegel der rothen Strahlen ſeine genaue Spitze ein wenig
hinter der Netzhaut ab haben, ſo wird doch der Kreis, den ab in
[188] dem ſehr ſchmalen Kegel ghp abſchneidet, nur klein ſein, und die
geringe Unvollkommenheit des Bildes im Auge, die daraus entſteht,
ſcheint keine erheblichen Nachtheile zu bringen, obgleich es wahr-
ſcheinlich iſt, daß wir noch ſchaͤrfer zu ſehen im Stande waͤren,
wenn dieſe geringe Undeutlichkeit des Bildes nicht da waͤre.*)


Um dieſem Nachtheile bei Vergroͤßerungsglaͤſern vorzubeugen,
hat man eine einfarbige Beleuchtung vorgeſchlagen. Sie ſehen
naͤmlich leicht ein und die weitere Folge ſpaͤterer Betrachtungen wird
es noch mehr beſtaͤtigen, daß bei voͤllig einfarbiger Beleuchtung die
Gegenſtaͤnde auch nur die dieſer Farbe entſprechenden Strahlen aus-
ſenden koͤnnen, wodurch dann die Zerſtreuung der Farben ganz
wegfaͤllt. Ein andres Mittel zur Abhuͤlfe waͤre bei einfachen Linſen,
einen durchſichtigen Koͤrper aufzuſuchen, der keine allzu ungleiche
Brechung der verſchiedenen Strahlen gaͤbe, und in dieſer Hinſicht
haben die Microſcoplinſen von Saphir, die man jetzt anwendet,
einen Vorzug, indem der Saphir das Licht etwas ſtaͤrker bricht
als Glas und daher bei gleichen Oberflaͤchen eine kuͤrzere Brenn-
weite giebt, aber das Licht weniger zerſtreut als Glas und daher
weniger Undeutlichkeit wegen der Farben giebt. Dieſe Saphirlinſen,
ſo wie Pritchards Diamantlinſen, welche eine ſehr kurze Brenn-
weite bei maͤßiger Kruͤmmung der Oberflaͤchen haben, ſcheinen unter
den einfachen Linſen in dieſer Hinſicht am brauchbarſten zu ſein.


Achromatiſche Prismen. Achromatiſche Linſenglaͤſer.


Aber eine weit entſchiednere Abhuͤlfe der Farbenzerſtreuung
gewaͤhren die zuſammengeſetzten Objectivglaͤſer, die man bei Ver-
groͤßerungsglaͤſern ſo gut wie bei Fernroͤhren anwendet. Ehe ich
von dieſen rede, muß ich auf einige Augenblicke zu Newton und
[189] zu den Schluͤſſen, die er an ſeine Entdeckungen knuͤpfte, zuruͤck-
gehen. Newton machte die richtige Bemerkung, daß in dieſer
Farbenzerſtreuung ein Hauptgrund der Unvollkommenheit der di-
optriſchen Fernroͤhre liege, und da er glaubte, daß die Farbenzer-
ſtreuung in gleichem Maaße mit der Brechung bei allen Koͤrpern
gleichmaͤßig wachſe, ſo gab er den Gedanken an Verbeſſerung der
dioptriſchen Fernroͤhre gaͤnzlich auf. Dieſes war der Grund, warum
er die Anwendung der Spiegelteleſcope anempfahl, weil dieſe der Far-
benzerſtreuung von Seiten des Spiegels gar nicht unterworfen ſind,
und die Undeutlichkeit, die aus der ungleichen Brechung der Farben
im Oculare hervorgeht, wenigſtens bei weitem nicht ſo bedeutend
iſt. Die Spiegel naͤmlich werfen alle Arten von Strahlen unge-
trennt zuruͤck, geben von weißen Strahlen ein weißes Bild, das,
bei gehoͤrig ausgefuͤhrter Form des Spiegels, alle von einem
Puncte ausgehende Strahlen auch genau in einem Puncte verei-
nigt zeigen muß. Newtons großes Anſehen iſt wohl Urſache ge-
weſen, daß man die Verbeſſerung der Refractoren wirklich lange
Zeit ganz vernachlaͤſſigte; aber er hatte ſich in der Meinung, daß
die Farbenzerſtreuung auf eine beſtimmte Weiſe an die Brechung
gebunden ſei, geirrt, und als Dollond, durch Eulers Unter-
ſuchungen veranlaßt, dieſen Gegenſtand genauer unterſuchte, zeigte
es ſich, daß man durch zwei verbundene Prismen aus verſchie-
denen Glas-Arten eine Brechung ohne alle Farbenzerſtreuung
erhalten koͤnne.


Wenn man zwei gleiche Prismen (Fig. 97.) ſo verbindet, daß
ihre Seiten HE, IB und alſo auch HG, CI, parallel werden,
ſo erhellt leicht, daß alle Farbenzerſtreuung, aber auch alle Bre-
chung aufgehoben wird; ein einfallender Strahl AB wird zwar in
B gebrochen, in C wieder gebrochen, aber da HG, IK parallel
ſind, ſo iſt im zweiten Prisma DE mit BC, dann aber auch AB
mit EF parallel. Fallen alſo bei B rothe, gelbe, blaue Strahlen,
im weißen Strahle vereinigt, in einerlei Richtung ein, ſo gehen
ſie auch in EF wieder parallel fort, und bringen den Eindruck des
Weiß im Auge hervor. Anders wuͤrde es ſein, wenn zwar die mitt-
leren Strahlen, wofuͤr wir die ungefaͤhr an der Grenze des Gruͤn
und Gelb im Farbenbilde liegenden annehmen, gleich gebrochen
wuͤrden, aber die Farbenzerſtreuung im zweiten Prisma groͤßer
[190] waͤre, als im erſten. In dieſem Falle wuͤrde es fuͤr jene mitt-
leren Strahlen noch immer gelten, daß EF mit AB parallel
waͤre; aber da das Roth im zweiten Prisma weniger, das
Violett im zweiten Prisma mehr, als im erſten gebrochen
wird, (denn das eben iſt es, was wir ſtaͤrkere Farbenzerſtreuung
nennen,) ſo wird bei den aͤußerſten Farbenſtrahlen jene Zuruͤckfuͤh-
rung zu der parallelen Richtung nicht eintreten, ſondern der rothe
Strahl Ef, der violette EfI, werden divergirend hervortreten, ein
Auge bei F wird den Gegenſtand A farbig ſehen, obgleich bei den
mittleren Strahlen alle Brechung aufgehoben iſt. Eben dieſe Ver-
bindung von zwei ungleichartigen Prismen kann aber nun auch
umgekehrt dienen, die ſaͤmmtlichen Farbenſtrahlen in einen weißen
Strahl zu vereinigen, waͤhrend doch alle eine Brechung erlitten
haben, alſo nicht wieder mit dem einfallenden Strahle parallel ge-
worden ſind. Um die Erreichung dieſes Zweckes am ſchnellſten zu
uͤberſehen, ſcheint es mir am beſten, zwei etwas ungleiche Prismen
(Fig. 98.) anzunehmen, und zwar das ſchmalere aus dem Koͤrper,
welcher am ſtaͤrkſten die Farben zerſtreut; den mittleren Strahlen
lege ich noch immer gleiche Brechung in beiden Prismen bei. Tritt
nun ein weißer Lichtſtrahl bei B ſenkrecht ein, ſo gehen alle ſeine
Farbenſtrahlen ungebrochen bis C durch, werden aber hier ungleich
gebrochen, und erreichen in etwas verſchiedenen Richtungen das
zweite Prisma. Da die beiden Seiten LM, NO parallel ſind und
die mittleren Strahlen im zweiten Prisma ebenſo ſtark als im
erſten gebrochen werden, ſo iſt fuͤr ſie DE mit BC parallel, aber
dieſer Strahl iſt nicht ſenkrecht auf KM, er wird alſo nach EF
gebrochen fortgehen. Der rothe Strahl leidet bei D eine etwas ge-
ringere Brechung als bei C, er weicht daher von der Richtung AC
unterwaͤrts ab, und aus demſelben Grunde weicht der violette
Strahl oberwaͤrts, nach einem hoͤhern Puncte zu gehend, ab; in-
dem ſie ſo die Seite KM erreichen, macht der mittlere Strahl einen
etwas ſpitzen Winkel mit EK und wird daher in E etwas unter-
waͤrts gebrochen; der rothe Strahl, deſſen Richtung etwas mehr
unterwaͤrts ging, der aber jetzt weniger gebrochen wird, kann alſo
bei richtiger Wahl des Prisma's mit dem mittleren Strahle parallel
werden oder wenigſtens wird die Ablenkung vom mittleren Strahle
unterwaͤrts, die er ſchon hatte, vermindert; und ebenſo wird die
[191] kleine Ablenkung oberwaͤrts, die der violette Strahl hatte, durch
ſeine ſtaͤrkere Brechung zum Theil oder ganz aufgehoben. Dieſe
Ueberlegung zeigt wohl deutlich, daß es moͤglich iſt, einen einfallen-
den weißen Strahl ſo gebrochen zu erhalten, daß er von ſeiner Rich-
tung abweicht, alſo wirklich gebrochen iſt, doch aber alle Farben-
ſtrahlen in paralleler Richtung enthaͤlt, das iſt als weißer Strahl
erſcheint. Zwei ſo zuſammen geordnete Prismen bilden ein achro-
matiſches, farbenfreies Prisma, welches aber nur da entſtehen
kann, wo zwei durchſichtige Koͤrper von ungleicher Farbenzer-
ſtreuung verbunden werden. Als ſolche Koͤrper, die eine ſehr ſtarke
Farbenzerſtreuung geben, hat man ſchon fruͤh diejenigen Glas-
Arten, die viel Blei enthalten, namentlich das engliſche Flint-
glas, kennen gelernt. Wenn man, nach der oben angefuͤhrten
Fraunhoferſchen Beſtimmung ſich einen genau im Sonnen-
bilde beſtimmten rothen, gruͤnen und violetten Strahl bemerkt,
deren erſter dem einen Ende des Farbenbildes, der zweite der hell-
ſten Gegend des Farbenbildes, der dritte dem letzten Ende des Far-
benbildes ziemlich nahe liegt, ſo findet man bei zwei von Fraun-
hofer angewandten Glasſorten
beim Tafelglaſe 1,5258; 1,5330; 1,5466,
beim Flintglaſe 1,6277; 1,6420; 1,6711,

als die Brechungsverhaͤltniſſe; das heißt, wenn ein weißer Licht-
ſtrahl 1 Grad vom Einfallslothe abweichend die innere Seite des
Glaſes erreicht, ſo iſt fuͤr den in die Luft hervorgegangenen Strahl
der Winkel mit dem Einfallslothe
1) beim Tafelglaſe = 1,526 Gr. = 1°.31'.32'' fuͤr den rothen,
1,533 Gr. = 1°.31'.59'' fuͤr den gruͤnen,
1,547 Gr. = 1°.32'.49'' fuͤr den violetten,

2) beim Flintglaſe = 1,623 Gr. = 1°.37'.41'' fuͤr den rothen,
1,642 Gr. = 1°.38'.32'' fuͤr den gruͤnen,
1,671 Gr. = 1°.40'.16'' fuͤr den violetten.

Bei jenem iſt die Abweichung des violetten vom rothen nur 77'',
das iſt \frac{77}{5520} ungefaͤhr = \frac{1}{71} der ganzen mittleren Brechung; bei
dieſem dagegen 155'', das iſt \frac{155}{5910} ungefaͤhr = \frac{1}{38} der ganzen
mittleren Brechung, die Farbenzerſtreuung alſo hier groͤßer.


Die Moͤglichkeit, farbenfreie Objectivglaͤſer darzuſtellen, laͤßt
ſich nun wohl nicht bezweifeln, und es laͤßt ſich auch der Grund der
[192] Berechnungen, welche zu Angabe achromatiſcher Glaͤſer fuͤhren,
ohne Schwierigkeit uͤberſehen. Um dieſen Grund moͤglichſt einfach
darzuſtellen, muß ich Sie zuerſt darauf aufmerkſam machen, daß
man alle Brechung der Strahlen aufheben, damit aber auch den
Zweck des Objectivs im Fernrohre ganz aufheben wuͤrde, wenn man
zwei Linſen von einerlei Glaſe, deren eine genau ſo concav, wie
die andre convex, geſchliffen waͤre, verbinden wollte. Alsdann
naͤmlich wuͤrde die Vorderflaͤche des zweiten Glaſes ſich genau an
die Hinterflaͤche des erſten anlegen und beide Glaͤſer wuͤrden nur
ein Glas bilden, und die vierte Flaͤche wuͤrde mit der erſten faſt
genau parallel ſein; dadurch wuͤrde, wie bei unſern Uhrglaͤſern mit
parallelen Oberflaͤchen, alle Brechung ſo gut wie ganz wegfallen.
Waͤhlen wir dagegen, noch immer von gleichem Glaſe, ein minder
concaves Glas mit Beibehaltung jenes convexen, ſo iſt der Erfolg,
daß die im voranſtehenden convexen Glaſe gebrochenen, dem Brenn-
puncte F (Fig. 99.) zu gehenden Strahlen im concaven Glaſe zwar
etwas minder convergent gemacht werden, aber doch noch in einem
entlegneren Puncte f, als dem jetzigen Brennpuncte zuſammen
kommen. Und nun wird ſich der Erfolg leicht verſtehen laſſen, den
es haben muß, wenn die concave Linſe eine Flintglaslinſe von ſtaͤr-
ker zerſtreuender Brechung iſt. Offenbar muͤſſen wir auch hier ihre
Concavitaͤt ſo waͤhlen, daß ſie die in der erſten Linſe eingetretene
Brechung nicht ganz ausgleicht; die Flintglaslinſe muß daher eine
viel geringere Concavitaͤt haben, die Halbmeſſer ihrer concaven
Oberflaͤchen muͤſſen groͤßer ſein, als die Halbmeſſer der convexen
Oberflaͤchen bei der Tafelglaslinſe, und das um deſto mehr, je
mehr die mittlere Brechung im Flintglaſe groͤßer iſt, als in dieſem;
haben wir ſie aber ſo gewaͤhlt, ſo erhellt die Moͤglichkeit einer Aus-
gleichung derjenigen Ungleichheit, die bei der erſten Linſe aus der
ungleichen Brechung verſchiedener Farbenſtrahlen entſtanden iſt.
Haͤtte jene convexe Linſe allein gewirkt, ſo wiſſen Sie, daß der
Brennpunct der rothen Strahlen etwa in FI, der violetten Strah-
len in FII liegen wuͤrde. Ruͤckt nun der Brennpunct der mittleren
Strahlen vermoͤge der Wirkung der zweiten Linſe nach f hinaus,
ſo erhellt, daß dieſes Hinausruͤcken bei den rothen Strahlen weni-
ger, bei den violetten mehr betragen wird; denn da die rothen
hier in ſtarkem Maaße weniger, als die gelben und gruͤnen gebro-
[193] chen werden, ſo ruͤckt FI nicht in gleichem Maaße wie F hinaus,
und umgekehrt findet fuͤr die violetten, die in ſtarkem Maaße mehr
gebrochen werden, ein ſtaͤrkeres Vorruͤcken ſtatt, ſo daß es moͤglich
iſt, alle dieſe drei Brennpuncte voͤllig oder ſehr nahe in einem
Puncte f zu vereinigen. Ein Beiſpiel wird dies vollends deutlich
machen.


Wenn man eine Linſe von dem oben angenommenen Tafel-
glaſe an beiden Seiten gleich in Schalen ſchleift, deren Halb-
meſſer 60 Zoll iſt, ſo vereinigen ſich die Strahlen der drei dort
angefuͤhrten Farben, die rothen in einer Brennweite von 57,162
Zoll, die gruͤnen 56,286 Zoll, die violetten 54,888 Zoll; es iſt
daher ganz deutlich, daß wenn man in 57 Zoll Entfernung eine
Tafel aufſtellen wollte, jeder leuchtende weiße Punct nicht einen
einzigen Punct des Bildes, ſondern wegen der hier ſchon ſtark
aus einander gehenden violetten Strahlen einen kleinen Kreis er-
hellen wuͤrde, da der rothe und violette Brennpunct um 2,274
Zoll von einander entfernt ſind. Man verbindet daher mit die-
ſem Glaſe eine hohle Flintglaslinſe, deren Zerſtreuungsweite fuͤr
die mittleren Strahlen 96,73 Zoll entfernt iſt. Eine ſolche Linſe
haͤtte ihren Zerſtreuungspunct fuͤr parallel einfallende rothe Strah-
len in 98,90 Zoll, fuͤr violette Strahlen in 92,53 Zoll Entfer-
nung; aber den Punct, wo ſie, dicht an der vorigen anliegend,
die mittleren Strahlen vereinigt, finden wir 134,61 Zoll, wo ſie
die rothen vereinigt, = 135,31 Zoll, wo ſie die violetten verei-
nigt 134,90 Zoll. Die mittleren und violetten ſind alſo faſt ganz
genau vereinigt, und die rothen, die vorhin um 2¼ Zoll von den
violetten entfernt vereinigt wurden, ſind doch jetzt nur ⅖ Zoll von
dieſen entfernt unter ſich vereiniget. Die Vereinigung aller iſt alſo
wenigſtens in hohem Grade beſſer als vorhin zu Stande gebracht,
zumal da bei einem entfernteren Brennpuncte das Auseinandergehen
der Strahlen in ½ Zoll Entfernung auch viel weniger betraͤgt, als
bei einem naͤhern Brennpuncte.


Obgleich nun dieſe Ueberlegungen und Berechnungen wohl
zeigen, daß man der Befreiung von Farben ſehr nahe kommen
kann, ſo ſtehen doch der voͤlligen Farbenloſigkeit große Schwierigkei-
ten entgegen, und damit verbinden ſich noch Schwierigkeiten, die
von der ſphaͤriſchen Geſtalt herruͤhren. Meine eben gefuͤhrte Be-
II. N
[194] rechnung zeigt ſchon, daß die Vereinigung der violetten und gruͤnen
Strahlen nicht zugleich die ganz genaue Vereinigung der gruͤnen
und rothen Strahlen herbeifuͤhrt; dieſes beruht auf einer Ungleich-
heit in der Farbenzerſtreuung bei den einzelnen Farben. Sie wiſſen,
daß wir nach Fraunhofers Entdeckung von einem genau be-
ſtimmten rothen, gruͤnen, violetten Strahle, der naͤmlich einer
jener im Sonnenlichte immer gleichen dunkeln Linien benachbart iſt,
reden koͤnnen; geſetzt nun bei dem Tafelglasprisma haͤtten wir drei
Strahlen aufgeſucht, die gleich weit im Farbenbilde aus einander
laͤgen, ſo liegen dieſe im Farbenbilde des Flintglasprisma's nicht
gleich weit aus einander, und wir ſagen zum Beiſpiel auch in Be-
ziehung auf die im vorigen Beiſpiele angegebenen Brechungsver-
haͤltniſſe, daß die Zerſtreuung zwiſchen Gruͤn und Violett im Flint-
glaſe in Vergleichung gegen Gruͤn und Roth ſtaͤrker iſt *). Wegen
dieſes ungleichen Verhaͤltniſſes laſſen ſich durch zwei verbundene
Linſen nicht alle Farbenſtrahlen voͤllig vereinigen, und die Optiker
muͤſſen ſich begnuͤgen, diejenigen Farbenſtrahlen, die am lichtvoll-
ſten ſind, gut zu vereinigen, damit die nicht genau in denſelben
Brennpunct zu bringenden Strahlen als die ſchwaͤcheren wenig
ſchaden. Nach den unter andern von Prechtl gegebenen Anlei-
tungen vereinigt man am beſten das an das Orange grenzende leb-
haft rothe Licht mit dem noch recht lichtvollen tiefen Blau; dann
liegt freilich ein aus dem aͤußerſten Roth und dem aͤußerſten Violett
gemiſchtes Bild ein wenig nach der einen Seite, ein ſchwaches aus
Gruͤn und Gelb gemiſchtes Bild an der andern Seite des Brenn-
punctes; aber dieſe Bilder ſind ſchwach, weil die allermeiſten Strah-
len der einen Haͤlfte des Farbenbildes mit den allermeiſten der an-
dern Haͤlfte faſt ganz zuſammenfallen. Dieſen geringen und bei
zwei Linſen unvermeidlichen Chromatismus oder Reſt von Farben,
bemerkt man darin, daß der Mond einen ſchwach purpurnen Rand
hat, wenn das Ocular ein wenig zu ſehr, einen ſchwach gelbgruͤnen
Rand, wenn das Ocular nicht ganz weit genug herausgezogen iſt.


[195]

Dieſem Mangel koͤnnte man abhelfen, wenn man zwei Koͤrper
faͤnde, in welchen zufaͤllig die Zerſtreuung der einzelnen Farben
genau einander gemaͤß waͤre; und dies iſt einer der Gruͤnde, warum
Blair und ſpaͤter Barlow Verſuche gemacht haben, eine mit
Fluͤſſigkeit gefuͤllte Linſe der Glaslinſe beizufuͤgen, weil uns hier
eine groͤßere Mannigfaltigkeit zur Wahl offen ſteht und Miſchun-
gen verſchiedener Fluͤſſigkeiten vielleicht ſo angeordnet werden koͤnn-
ten, daß ſie jenen Zweck, alle Farben zugleich zu zerſtoͤren, erfuͤll-
ten. In der neueſten Zeit iſt vorzuͤglich der Schwefel-Alcohol
oder Schwefelkohlenſtoff hiezu empfohlen und als dem Zwecke ſehr
entſprechend geruͤhmt worden; auch hat Blair beſonders ſich be-
muͤht zu zeigen, daß man die Veraͤnderungen, die ſolche Fluͤſſigkei-
ten etwa erleiden koͤnnten, bei voͤllig feſter Einſchließung nicht zu
fuͤrchten brauche. Indeß iſt es mir noch nicht hinreichend bekannt,
ob die Proben, die man mit dieſen Fluͤſſigkeiten angeſtellt hat, mit
hinreichend großen Objectiven und mit ſtarker Vergroͤßerung ange-
ſtellt ſind; und Fraunhofers Bemerkung, daß eine kleine Tem-
peratur-Aenderung allemal das Bild im Fernrohre bei Anwendung
von Fluͤſſigkeiten etwas truͤbe, weil die erkaltenden und die noch
nicht erkalteten Theilchen das Licht ungleich brechen, ſcheint mir ſo
wichtig, daß ich den Zweifel, ob auch wohl Blair und Barlow
ihre Pruͤfungen mit der Strenge angeſtellt haben, die Fraunho-
fer anzuwenden gewohnt war, noch nicht fuͤr gehoben halte.


Jener kleine Reſt von Farben, den man bei Anwendung
zweier Glaͤſer nicht wegſchaffen kann, laͤßt ſich heben, wenn man
dreifach zuſammengeſetzte Linſen anwendet; aber dieſe dreifachen
Objective, die man fruͤher (beſonders wegen der aus der ſphaͤriſchen
Geſtalt entſpringenden Abweichung) empfahl, ſcheinen doch, weil an
den vielen Oberflaͤchen viel Licht verlohren geht, nicht zweckmaͤßig
zu ſein, und Fraunhofers große Fernroͤhre zeigen, daß man
auch ohne dieſe Zuſammenſetzung etwas hoͤchſt Vortreffliches liefern
kann. Um aber doch einen hiebei noch wichtigen Umſtand nicht zu
uͤbergehen, muß ich einen Augenblick bei der zweiten Abweichung,
die naͤmlich von der Kugelgeſtalt herruͤhrt, verweilen. Sie erinnern
ſich, daß, ebenſo wie bei großen kugelfoͤrmigen Hohlſpiegeln ſtatt
eines Brennpunctes eine Brennlinie entſtand, auch bei Linſenglaͤ-
ſern, wenn ſie erheblich groß werden, wenn die Oeffnung des Ob-
N 2
[196] jectives bedeutend groß ſein ſoll, eine aͤhnliche Abweichung ſtatt fin-
det, und nicht alle von einem Puncte ausgehenden Strahlen
auch in einem Puncte des Bildes geſammelt werden. Um dieſer
Abweichung willen, die bei einer einzigen Linie unvermeidlich iſt
und die bei großen Objectiven, wie namentlich die Fraunho-
ferſchen
Fernroͤhre ſie haben, ſehr bedeutend wird, wuͤrde man,
ſelbſt wenn die Farbenzerſtreuung es nicht forderte, zuſammengeſetzte
Objective gern anwenden. In Hinſicht auf die Berechnung der
richtigen Geſtalt der beiden Glaͤſer bieten ſich hier mannigfaltige
Schwierigkeiten dar, die jedoch von dem juͤngern Herſchel durch
die von ihm bekannt gemachte Beſtimmung der Form dieſer Glaͤſer,
noch fruͤher aber von Fraunhofer, welcher ſeinen Glaͤſern die
Form gab, auf welche ſpaͤter auch Herſchel gekommen iſt, ſehr
gluͤcklich uͤberwunden worden ſind. Allerdings iſt auch in Bezie-
hung auf dieſe Abweichung wegen der Kugelgeſtalt keine abſolute
Vollkommenheit zu erreichen, indem die mitten zwiſchen Mittel-
punct und Rand einfallenden Strahlen nicht genau mit den im
Centro einfallenden Strahlen zuſammen kommen, wenn man die
Ranſtrahlen mit den Strahlen um den Mittelpunct genau verei-
nigt; aber dennoch wird die Abweichung ſo vermindert, daß wir
mit dem, was Fraunhofer auch in dieſer Hinſicht geleiſtet hat,
hoͤchſt zufrieden zu ſein Urſache haben, ja alle Erwartungen find
durch ſeine Fernroͤhre uͤbertroffen worden, und die durch ihn erreichte
Vollkommenheit der Fernroͤhre hat die Aſtronomen in Stand ge-
ſetzt, alles das zu ſehen, was der aͤltere Herſchel mit ſeinen
Spiegelteleſcopen entdecken konnte. Dennoch erwarten wir mit
Recht, daß die bisherigen Fortſchritte noch immer zu weiteren Fort-
ſchritten fuͤhren werden und duͤrfen unſern Nachkommen wohl das
Gluͤck, immer noch heller zu ſehen, immer noch tiefer in die Kennt-
niß des Sternenhimmels einzudringen, mit Sicherheit vorausſagen.


Es iſt Zeit, daß ich dieſen Gegenſtand verlaſſe, und ich er-
waͤhne daher nur noch kurz den Umſtand, der von einer andern
Seite ſich der Verbeſſerung der Fernroͤhre entgegen ſetzte. Dieſer
Umſtand liegt in der Unvollkommenheit des Glaſes. Ein recht
ſchoͤnes Glas, das wir fuͤr ganz gleichartig zu halten geneigt ſind,
hat doch ſehr oft kleine Ungleichheiten, die bei der ſcharfen Pruͤfung,
die ein Fernrohr bei ſtarker Vergroͤßerung darbietet, ſichtbar werden,
[197] indem ſie das Bild im Fernrohre undeutlich machen. Beſonders
leiden die ſchweren Glas-Arten, die man ihrer ſtarken Farbenzer-
ſtreuung wegen anwendet, an dieſem Uebel; die Klage uͤber Strei-
fen im engliſchen Flintglaſe war in der neueren Zeit allgemein, und
man fand darin das groͤßeſte Hinderniß der Verfertigung ſo guter
Fernroͤhre, wie ſchon Dollond ſie geliefert hatte. Fraunhofer
hat durch die Darſtellung eines hoͤchſt vollkommenen Glaſes ſich den
Weg zu der Verfertigung ſo vortrefflicher Fernroͤhre gebahnt.


Endlich muß ich denn auch noch mit wenig Worten erwaͤhnen,
daß allerdings auch die Augenglaͤſer des Fernrohrs noch eine Far-
benzerſtreuung veranlaſſen und einen farbigen Rand hervorbringen,
wenn auch das vom Objectivglaſe hervorgebrachte Bild ganz rein
von allen Farben waͤre. Dieſen Farbenraͤndern kann man durch
eine angemeſſene Verbindung mehrerer Oculare abhelfen, und die
Ruͤckſicht hierauf beſtimmt zum Theil die Anbringung und die Art
der Zuſammenordnung mehrerer Augenglaͤſer in Fernroͤhren und
Vergroͤßerungsglaͤſern.


Zehnte Vorleſung.


Ehe ich zu den Erſcheinungen uͤbergehe, m. h. H., die ſich
uns bei farbiger Beleuchtung der Koͤrper darbieten, und die unſer
Auge unter gewiſſen Umſtaͤnden da wahrnimmt, wo auch kein ob-
jectiver Grund die naͤchſte Veranlaſſung dazu zu geben ſcheint, werde
ich heute bei einigen meteoriſchen Erſcheinungen verweilen, die theils
ſehr bekannt, theils wenigſtens, wenn wir ſie auch ſeltner zu ſehen
Gelegenheit haben, merkwuͤrdig genug ſind, um Ihre Aufmerk-
ſamkeit zu verdienen.


Der Regenbogen.


Den Regenbogen brauche ich gewiß nur zu nennen, um in
Ihnen den Wunſch, die Entſtehung dieſer ſchoͤnen Natur-Erſchei-
nung genau kennen zu lernen, zu erwecken, und die bisherigen
Betrachtungen haben uns dazu den Weg vollkommen gebahnt. Daß
[198] er von Brechung der Lichtſtrahlen abhaͤngt, daß die ungleiche Bre-
chung der Lichtſtrahlen ſeine Farben hervorbringt, das laͤßt ſich ei-
nigermaßen vermuthen, und daß Regentropfen erforderlich ſind,
um ihn hervorzubringen, iſt aus der Erfahrung wohl bekannt, in-
dem er nur erſcheint, wenn da, wo es regnet, zugleich die Sonne
ſcheint.


Indem die Sonne auf die herabfallenden Regentropfen ſcheint,
werden ohne Zweifel die allermeiſten Strahlen von dieſen kleinen
Waſſermaſſen durchgelaſſen, und wir ſehen daher die Sonne auch
durch den herabfallenden Regen; aber einige Sonnenſtrahlen wer-
den von den Tropfen zuruͤckgeworfen, welches uns ſchon in der ſehr
merklichen Schwaͤchung des durchgelaſſenen Sonnenlichtes kenntlich
wird, und auch ja mit andern Erfahrungen an durchſichtigen Koͤr-
pern uͤbereinſtimmt. Dieſe Zuruͤckwerfung findet hier, wie faſt
bei allen durchſichtigen Koͤrpern, theils an der Vorderflaͤche, theils
an der Hinterflaͤche ſtatt; aber daß ſich uns in einer beſtimmten
Entfernung von der Sonne eine ſo lebhafte Erleuchtung zeigen
muß, wie ſie ſich uns im Regenbogen darbietet, das iſt es, was
wir naͤher muͤſſen nachzuweiſen ſuchen.


Entſtehung des Hauptregenbogens.


Wenn (Fig. 100.) AB einen kugelfoͤrmigen Regentropfen
vorſtellt, auf welchen Sonnenſtrahlen nach der Richtung SA, sD
einfallen, ſo iſt es offenbar, daß der bei A einfallende Strahl, weil
er grade gegen den Mittelpunct gerichtet iſt, ungebrochen bis B
dringt, und dort theils ungebrochen hervordringt, theils in ſich
ſelbſt zuruͤckgeworfen nach A und S gelangt. Ein bei D einfallender
Strahl wird die hintere Seite des Tropfens in E ſo erreichen, daß
EB kleiner als AD iſt, und der zuruͤckgeworfene Theil des Strahl-
les wird nach EF zuruͤckgeworfen bei F gebrochen, nach t gelangen,
jedoch wird ſo nur ein geringer Theil des einfallenden Lichtes nach
t gelangen, alſo ein dort ſich befindendes Auge auch nur einen
ſchwachen Licht-Eindruck erhalten koͤnnen. Dieſe Bemerkung, die
mit dem Entſtehen eines ſo ſchoͤnen glaͤnzenden Phaͤnomens wie
der Regenbogen im Widerſpruch zu ſtehen ſcheint, iſt gewiß richtig
in Beziehung auf das von A bis D einfallende Licht, welches, wie
die divergirenden Richtungen der Linien AS, yy, Ft zeigen, zer-
[199] ſtreut wird, und alſo nur ungefaͤhr ſo wie bei andern zerſtreut zu-
ruͤckgeworfenen Strahlen dem Auge eine maͤßige, hier ſogar ziemlich
matte Erleuchtung, naͤmlich nur das Grau eines der Sonne ge-
genuͤber ſtehenden Regenſchauers zeigt. Aber wenn man ſorgfaͤltig
die 10 Grad, 20 Grad, 30 Grad von A einfallenden Strahlen
zeichnet, ſo ſieht man bald, daß die Bogen bei B, welche dieſe
Strahlen oberhalb B abſchneiden, ungleich ſind, und immer kleiner
werden, endlich gar kein Hoͤherruͤcken des Punctes E mehr erge-
ben, ſo daß die bei 50 Grad einfallenden Strahlen den Punct E
am hoͤchſten geben und die noch hoͤher bei 70 Grad einfallenden
Strahlen wieder naͤher bei B einſchneiden. Man findet naͤmlich
fuͤr AD = 10 Grad, BE = 5 Grad; fuͤr AD = 20°, BE
= 9¾°; fuͤr AD = 30°, BE = 14°; fuͤr AD = 40°, BE
= 17⅔°; fuͤr AD = 50°, BE = 20¼°; fuͤr AD = 60°,
BE = 21°; fuͤr AD 70°, BE = 19⅔°; fuͤr AD = 80°,
BE = 15¼°; fuͤr AD = 90°, BE = 7¼°. Dieſer merk-
wuͤrdige Umſtand, daß fuͤr die bei 50° und 60° einfallenden Strah-
len uv und wx die gebrochenen Strahlen am hoͤchſten und beinahe
in einen Punct fallen, hat aber einen Erfolg in Hinſicht auf das
reflectirte Licht, woraus die Entſtehung des Regenbogens ſich ſehr
beſtimmt erklaͤrt. Wenn wir uns ſtatt des Regentropfens eine
Glaskugel denken, ſie wir den Sonnenſtrahlen ſo ausſetzen, daß
immer nur 10 Grade in der Gegend von D, v, x, unbedeckt
waͤren, ſtatt daß alle uͤbrigen Puncte gegen das auffallende Son-
nenlicht beſchuͤtzt wuͤrden, ſo wuͤrde das von A bis 10° auffallende
Licht ſich reflectiert auf den Raum Sh, das zwiſchen 10 und 20°
einfallende Licht ſich reflectirt auf den Raum hv verbreiten; das
von 50 bis 60° auffallende Licht zerſtreut ſich dagegen gar nicht,
ſondern bleibt, faſt genau parallel ausfallend, ſo vereinigt, wie es
einfiel. Ein in y ſtehendes und nach der beleuchteten Hinterſeite
der Kugel ſehendes Auge wuͤrde nur durch Zuruͤckwerfung die weni-
gen Strahlen empfangen, die auf den Bogen von einigen Minuten
einfallen; ein bei zz ſtehendes Auge dagegen empfaͤngt alle Strah-
len, die als zuruͤckgeworfene dem Bogen von mehreren Graden zu-
gehoͤren, und ein von y nach t, nach zz fortgehendes Auge muß
daher von zz aus, nach der Richtung zp blickend, einen viel er-
heblicheren Glanz bemerken, als in jeder anderen Stellung. Und
[200] dieſe Richtung zp iſt es eben, in welcher wir die helle Erſcheinung
des Regenbogens ſehen, der 42 Grade von dem der Sonne gegen-
uͤberliegenden Puncte, 42 Grade von dem Puncte, wohin der
Schatten meines Kopfes faͤllt, erſcheint. Daß uͤbrigens das, was
hier von einem Tropfen gezeigt iſt, der 42 Grad von jenem
Puncte entfernt liegt, auch gilt fuͤr alle eben ſo entfernt, rund um
jenen Punct liegende Tropfen, iſt offenbar, und es muß ſich daher
ein heller Kreis von 42 Grad Halbmeſſer uns zeigen. Der Regen-
bogen iſt dieſer helle Kreis, ſein hoͤchſter Punct ſteht 42 Grade uͤber
dem Horizonte, wenn der Regenbogen ſich beim Aufgange oder Un-
tergange der Sonne zeigt; ſteigt die Sonne hoͤher, ſo ruͤckt der
Schatten meines Kopfes, der Mittelpunct des Regenbogens unter
den Horizont hinab und der Bogen ſelbſt erſcheint niedriger; bei
40 Grad Sonnenhoͤhe ſieht man den Regenbogen nur noch ganz
nahe am Horizonte und bei noch hoͤherm Stande der Sonne gar
nicht mehr.


Hiebei laͤßt ſich noch eine Bemerkung machen, die man bei
aufmerkſamer Beobachtung beſtaͤtigt findet. Wenn ein Auge in S
das an der Hinterſeite des Tropfens geſpiegelte Sonnenbild ſehen
will, ſo muß es ſich grade nach A, das iſt nach dem der Sonne
entgegengeſetzten Puncte, richten; ein Auge in y muß nach der Rich-
tung yy blicken, ein Auge in t nach tF, und jede dieſer Richtun-
gen iſt etwas weiter von der der Sonne entgegengeſetzten Richtung
entfernt, bis man nach z koͤmmt; hier aber iſt der Winkel pzq
zwiſchen der Richtung pz, nach welcher jener reflectirte Strahl ins
Auge koͤmmt, und der Richtung zq, die den der Sonne entgegen-
geſetzten Punct bezeichnet, groͤßer als irgendwo; ein Auge jenſeits
z erhaͤlt aus dieſem Tropfen gar keinen reflectirten Strahl mehr,
weil die bei 80° eingefallenen Strahlen nach der Zuruͤckwerfung in
der Richtung nr hervorbringen. Dieſe Ueberzeugung, die ſich an
die genaue Betrachtung der Zeichung unmittelbar anſchließt, zeigt,
daß ein in z ſtehendes Auge dieſe reflectirten Strahlen aus dem
hier gezeichneten Tropfen in dem reichlichſten Maaße erhaͤlt,
weil es den ſich nicht zerſtreuenden Strahlen ausgeſetzt iſt; richtet
das Auge in z ſeinen Blick nach einer mit tF parallelen Richtung,
die weniger von zq abweicht, ſo erhaͤlt es aus einem etwas niedri-
geren Tropfen den auf 40 Grad eingefallenen Lichtſtrahl, und ſo
[201] aus noch niedrigern Tropfen, die bei 20 Grad eingefallenen
Strahlen und ſo weiter; blickt es aber weiter als zp von zq ab-
waͤrts, ſo erhaͤlt es durchaus gar keine ſolche Strahlen, die von der
Hinterſeite des Tropfens zuruͤckgeworfen werden. In der That
bemerkt man, daß die unmittelbar uͤber dem Regenbogen liegende
Gegend des Himmels dunkler, als die innerhalb des Regenbogens
enthaltene, iſt; man bemerkt dies recht deutlich dann, wenn bei
Sonnen-Untergang ein Regenbogen erſcheint, und die roth ſchei-
nende Sonne den ganzen oͤſtlichen Himmel innerhalb des Regen-
bogens mit einem roͤthlichen Grau faͤrbt, indem dann der oberhalb
des Bogens liegende Theil der Wolken- oder der Regenwand von
dieſer roͤthlichen Faͤrbung faſt gar nichts darbietet, deswegen weil
ſich innerhalb des Regenbogens mit dem uͤberall von den Wolken
und vom Regen zuruͤckgeworfenen Lichte auch noch einige von der
Hinterſeite der Tropfen reflectirte Strahlen verbinden, die oberhalb
des Regenbogens gaͤnzlich fehlen.


Die bisherigen Betrachtungen reden nur von einem hellen,
nicht von einem farbigen Bogen; aber Sie uͤberſehen leicht, daß die
ungleiche Brechung der verſchiedenfarbigen Strahlen, ſich auch hier
zeigen wird. Waͤre die Brechung ſtaͤrker, ſo wuͤrde offenbar der
Strahl sD einen niedrigern Punct als E, naͤher naͤmlich an B
liegend, erreichen, eben darum aber auch bei der Zuruͤckwerfung
nicht in F, ſondern zwiſchen F und y ankommen, und alſo in einer
weniger gegen SB oder gegen zq geneigten Richtung ins Auge
kommen; und da eben das fuͤr die wirkſamen Strahlen pz ſtatt
findet, ſo wuͤrde das Auge z den Regenbogen naͤher bei q ſehen,
der Regenbogen wuͤrde einen kleinern Halbmeſſer haben, wenn die
Strahlen ſtaͤrker gebrochen wuͤrden. In dem Falle, der ſich ſo oft
unſrer Beobachtung darbietet, muͤſſen alſo die ſtaͤrker gebrochenen
violetten Farbenſtrahlen den innern Rand des Bogens, die minder
gebrochenen rothen Farbenſtrahlen, den aͤußern Rand darſtellen, ſo
wie es wirklich bei dem Hauptregenbogen der Fall iſt. Nimmt man
bei Waſſer mit Fraunhofer das Brechungsverhaͤltniß fuͤr rothe
Strahlen, die dem Ende des Farbenbildes nahe liegen, wie 1 zu
1,331, fuͤr violette Strahlen 1 zu 1,344, ſo iſt des rothen Bogens
Halbmeſſer oder Abſtand vom Schatten des Kopfes des Beobachters
42°.24'; fuͤr den violetten Bogen dagegen 40°.28'. Die mitt-
[202] leren Farben liegen in ihrer gewoͤhnlichen Ordnung zwiſchen beiden.
Da die Sonne kein einzelner Punct, ſondern eine ziemlich große
Scheibe iſt, ſo ſind die Farben nicht ganz rein. Verſtehe ich unter
dem Mittelpuncte des Bogens den Punct, der genau dem Mittel-
puncte der Sonne gegenuͤberſteht, ſo faͤllt der vom obern Sonnen-
rande entſtehende rothe Bogen 16 Min. tiefer als der vom Sonnen-
mittelpuncte entſtehende, jener miſcht ſich daher mit dem gelben
Bogen des von der untern Haͤlfte der Sonne hervorgebrachten
Bogens und die Farben ſind deshalb minder rein, als ſie bei ge-
ringerem Durchmeſſer der Sonne ſein wuͤrden.


Entſtehung des zweiten, ſchwaͤcheren Regenbogens.


Dieſe Betrachtungen betrafen den Hauptregenbogen; der
Nebenregenbogen, der gewoͤhnlich ſich auch zeigt, aber allemal
viel ſchwaͤcher iſt und oberhalb des Hauptbogens liegt, entſteht
durch zweimalige Zuruͤckwerfung der Lichtſtrahlen innerhalb des
Tropfens. Es iſt naͤmlich gewiß, daß beim Eindringen des Licht-
ſtrahls in D (Fig. 100.), beim Antreffen an die Hinterflaͤche in
E, und endlich auch beim zweiten Antreffen an die Oberflaͤche des
Tropfens in F, ein Theil des Lichtes reflectirt wird, daß alſo auch
in F nicht der ganze bei E zuruͤckgeworfene Strahl hervordringt,
ſondern ein, wenn gleich gegen das Ganze geringer Theil eine
abermalige Reflexion leidet. Bei dieſer zweiten Zuruͤckwerfung giebt
es nun einen ebenſolchen Fall, wie bei der einmaligen Reflexion;
es tritt naͤmlich zwar in den meiſten Faͤllen eine Zerſtreuung der
Lichtſtrahlen ein, aber fuͤr gewiſſe Tropfen findet dieſe Zerſtreuung
nicht ſtatt, ſondern ein Auge in O (Fig. 101.) erhaͤlt alles Licht
vereinigt, unzerſtreut zuruͤck, das aus dem auf einen ſehr erhebli-
chen Bogen bei L aufgefallenen Lichte durch die Reflexion in dieſe
Richtung gebracht iſt. Es wird nicht noͤthig ſein, hier abermals
eine ganze Folge auffallender Strahlen zu zeichnen, ſondern es iſt
hinreichend zu bemerken, daß wenn BA (Fig. 101.) den gegen
die Sonne gerichteten Durchmeſſer des Tropfens bezeichnet, und
man AL = 71½ Grad nimmt, der richtig gezeichnete gebrochene
Strahl LM, der nach MN, NP reflectirt wird und in PO gegen
das Auge O zugeht, derjenige iſt, deſſen naͤchſt benachbarte mit
ihm parallel hervorgehen. Daß dieſe Strahlen alſo wieder wirk-
[203] ſame Strahlen heißen muͤſſen, in Vergleichung gegen die, welche
ſich zerſtreuen und deßhalb gar keinen erheblichen Eindruck auf das
Auge machen, und daß das Auge O in der Richtung OP den
Glanz der zweimal reflectirten Strahlen ſo gut, als die Schwaͤche
dieſer Strahlen es verſtattet, ſehen muß, iſt ganz offenbar. Die
Rechnung giebt fuͤr den Winkel POQ oder fuͤr den Abſtand dieſes
hellen Kreiſes vom Schatten des Kopfes 50½ Grad fuͤr die rothen,
53¾ Grad fuͤr die violetten Strahlen. Dieſer zweite Regenbogen,
der der Natur der Sache nach immer nur matt ſein kann, liegt
alſo hoͤher als der Hauptbogen, umgiebt dieſen, und hat das Roth
an der innern, das Violett an der aͤußern Seite, weil bei ſtaͤrkerer
Brechung der Winkel POQ groͤßer wird. In der Fig. 102. iſt
ungefaͤhr dargeſtellt, wie beide Arten von Strahlen zum Auge O
gelangen, indem die bei P liegenden Tropfen den lebhaftern, die bei
Q liegenden den ſchwaͤchern Regenbogen darſtellen.


Um die Bedenklichkeit, ob denn dieſe im Innern des Tropfens
reflectirten Strahlen ein ſo glaͤnzendes Phaͤnomen, wie der Regen-
bogen iſt, hervorbringen koͤnnen, zu beſeitigen, muß ich noch eine
Bemerkung beifuͤgen. Ich habe immer nur von einem Tropfen,
der uns dieſe Erſcheinung darbiete, geſprochen; es laͤßt ſich aber
leicht uͤberſehen, daß alle in der ganzen Linie (Fig. 102.) OP
liegenden Tropfen ebenſo geeignet ſind, die wirkſamen Strahlen
dem Auge O zuzuſenden, und daß alſo jeder der vielen tauſend
Tropfen, die eben im Fallen durch die Linie OP gehen, zu Ver-
mehrung des Lichtes des Regenbogens beitraͤgt. Aus dieſem Grunde
iſt der Regenbogen matt, wenn der Regen ſchwach iſt, lebhaft, wenn
die Zahl der Tropfen groß iſt.


Auch der Mond bietet zuweilen die Erſcheinung des Regenbo-
gens dar, doch unterſcheidet man in dem matten Lichte des Mond-
regenbogens nicht immer die Farben.


Andre Erſcheinungen bei dem Regenbogen.


Ein Umſtand iſt bei dem Regenbogen noch nicht ganz erklaͤrt,
naͤmlich der, daß am Hauptregenbogen ſich nicht ſelten an der
innern Seite eine Wiederholung des Gruͤn und Violett zeigt, ſo
daß an den violetten Bogen, den unſre Theorie angiebt, ſich noch
ein ſchmaler gruͤner, dann ein violetter, wieder ein gruͤner und
[204] noch ein violetter Bogen anſchließt. Es iſt ungewiß, ob dies von
der nicht genau kugelfoͤrmigen Geſtalt der Tropfen kommen kann,
oder ob es mit den Erſcheinungen der Beugung des Lichtes in
Verbindung ſteht. Dieſe Farbenwiederholung iſt gewoͤhnlich nur
an dem hoͤchſten Theile des innern Bogens kenntlich und verliert
ſich da, wo der Bogen gegen den Horizont herabgeht.


Leichter zu erklaͤren iſt dagegen die zuweilen beobachtete Er-
ſcheinung von vier Regenbogen, die ſich durchſchneiden. Sie kom-
men, ſo viel mir bekannt iſt, nur da vor, wo man ein hinreichend
großes ſtilles Waſſer hinter ſich hat, indem man nach dem Regen-
bogen ſieht. Da naͤmlich haben die aus dem Waſſer auf die
Regentropfen zuruͤckgeworfenen Strahlen eben die Wirkung, als
ob noch eine zweite Sonne unterhalb des Horizontes ſtaͤnde, und
es erſcheint ein farbiger Kreis, deſſen Mittelpunct da liegt, wo die
von der abgeſpiegelten Sonne durch den Kopf des Beobachters
gezogene Linie hinweiſet. Auch hier ſieht man, wenn das aus dem
Waſſer zuruͤckgeworfene Licht lebhaft genug iſt, einen Hauptregen-
bogen und einen Nebenregenbogen. Das Waſſer, aus welchem
die Sonnenſtrahlen reflectirt werden, muß groß genug ſein, damit
alle in der gehoͤrigen Lage befindlichen Regentropfen von den zuruͤck-
geworfenen Strahlen getroffen werden.


Die Ringe um Sonne und Mond, Nebenſonnen u. ſ. w.


Ein viel zuſammengeſetzteres Phaͤnomen, naͤmlich die Erſchei-
nung der Nebenſonnen, der Ringe um Sonne und Mond, der
hellen, durch die Sonne oder den Mond gehenden Kreiſe, haͤngt
auch von Brechung und Zuruͤckwerfung des Lichtes ab. Die klei-
nen Hoͤfe um den Mond dagegen entſtehen durch Beugung des
Lichtes und gehoͤren nicht hieher. Jene Erſcheinungen kommen in
ſehr zuſammengeſetzter Form vor; ich fange indeß mit den einfa-
chern, gar nicht ſeltenen Erſcheinungen an, und gebe die Erklaͤ-
rung, die ich fuͤr die richtigſte halte, mit Bemerkung der Puncte,
die noch zweifelhaft ſcheinen.


Helle durch die Sonne gehende Kreiſe.


Man ſieht ſehr oft, am beſten im Winter bei ſtarkem Froſte,
bei Sonnen-Aufgang oder Sonnen-Untergang einen feurigen
[205] Streifen von der Sonne aus ſenkrecht hinaufwaͤrts gehen, der auch
nach Sonnen-Untergang noch einige Zeit ſichtbar bleibt. Da man
dieſe Erſcheinung zuweilen dann beobachtet, wenn bei heiterem
Froſte feine Schneenadeln in der Luft ſchweben, ſo iſt es wohl
kaum zweifelhaft, daß die Reflexion des Sonnenlichtes von dieſen
cylindriſchen oder prismatiſchen Schneenadeln die Erſcheinung her-
vorbringt. Die Ueberzeugung davon iſt bei mir dadurch beſtaͤrkt
worden, daß man auch am Tage zuweilen bei heiterm Himmel und
bedeutender Kaͤlte dieſe feinen Schneenadeln als glaͤnzende Puͤnct-
chen da erblickt, wo ſie das Sonnenlicht zuruͤckſpiegeln, und daß
dies am beſten der Fall zu ſein pflegt, wenn ſie unter der Sonne
vorbei ziehen. Gewoͤhnlich ſchweben zu ſolchen Zeiten dieſe feinen
Schneecryſtalle nur ſparſam in der Luft, und die meiſten horizontal;
man ſieht ſie am beſten, wenn man im Schatten einer Wand das
Auge ſo ſtellt, daß es kaum noch von dem verticalen Rande der
Wand gegen die Sonne geſchuͤtzt wird; treibt dann der Wind dieſe
Nadelchen ungefaͤhr ſenkrecht gegen die nach der Sonne gezogene
Linie vorbei, ſo ſieht man ſie, ſo klein ſie ſind, vorglaͤnzend, wenn
ſie unter der Sonne vorbeiziehen.


Daß aber dieſe in allerlei Neigungen ſchwebenden Spiegelflaͤ-
chen, wie ſie die Seiten ſolcher horizontalen Nadeln darbieten,
die Erſcheinung eines hellen Streifen bewirken koͤnnen, iſt offenbar;
denn wenn (Fig. 103.) SO der zum Auge gelangende Sonnen-
ſtrahl iſt, ſo wuͤrde ein Spiegel bc den Strahl sa, ein Spiegel
de den Strahl tf, nach O reflectiren, und dem Auge O wuͤrden ſich
Sonnenbilderchen in der Richtung Oa, Of und ſo in allen Rich-
tungen zeigen. Dieſe Sonnenbilderchen, aus vielen tauſend klei-
nen Spiegeln uns zugeſandt, koͤnnen gewiß jene Erſcheinung eines
glaͤnzenden, von der Sonne ausgehenden Schweifes hervorbringen.
Daß man ihn vorzuͤglich gut nur dann ſieht, wenn die Sonne im
Horizonte ſteht, kann theils davon herruͤhren, daß die ſehr weit in
der Atmoſphaͤre fortlaufende, nach einem niedrigen Puncte ge-
richtete Geſichtslinie mehr Schneenadeln darbietet, theils auch da-
von, daß die nicht ganz in der richtigen Richtung liegenden Nadeln
am Horizonte mehr als in der Hoͤhe zu Verſtaͤrkung dieſes glaͤnzen-
den Verticalkreiſes beitragen muͤſſen.


[206]

Eine zweite Erſcheinung, die ſich eben ſo einfach zu erklaͤren
ſcheint, iſt ein zuweilen ſichtbarer horizontaler heller Kreis, der
durch die Sonne geht. Man ſieht ihn faſt immer in Verbindung
mit Nebenſonnen. Ein ſolcher Kreis muß ſich zeigen, wenn verti-
cale Schneenadeln in der Luft ſchweben; denn wenn man einen
vertical gehaltenen Spiegel in allerlei Richtungen, allemal aber ſo
haͤlt, daß er ein Sonnenbild zeigt bei beſtaͤndig verticaler Lage, ſo
erſcheint dieſes Sonnenbild ebenſo hoch uͤber dem Horizonte, als die
Sonne ſelbſt; unzaͤhlige ſolche Spiegel in der Luft ſchwebend
koͤnnen uͤberall ein reflectirtes Sonnenlicht und zwar immer in der
ſcheinbaren Hoͤhe der Sonne geben, alſo einen hellen Horizontalkreis.
Sind die Nadeln nicht vertical, aber ſchweben zahlreich in parallelen
und etwas geneigten Richtungen, ſo muß dieſer Kreis etwas von
der horizontalen Lage abweichen; aber da er immer durch die
Sonne geht, ſo ſchließt ſich in der Naͤhe der Sonne der aus den
etwas geneigten Nadeln hervorgehende Kreis an den Horizontalkreis
an und verſtaͤrkt ihn, und hierin liegt ein Grund, warum der helle
Kreis in der Naͤhe der Sonne ſich lebhafter zeigt. Eine genauere
Unterſuchung beweiſet, daß bei etwas hoͤherem Stande der Sonne
ſelbſt ziemlich geneigt ſchwebende Nadeln bis zu erheblichen Entfer-
nungen von der Sonne zu Verſtaͤrkung des aus den verticalen
Nadeln hervorgehenden Horizontalkreiſes beitragen, und vielleicht
iſt das ein Grund, warum man ihn im Winter oͤfter beim Monde
(wenn ich nicht irre,) geſehen hat, als bei der Sonne, weil naͤmlich
der Mond in der Zeit ſeines beſten Lichtes im Winter hoch ſteht,
die Sonne aber niedrig.


Dieſer horizontale Kreis hat ſich nicht ſelten theilweiſe mit
dem verticalen Streif zugleich gezeigt, und dann entweder ein
Kreutz dargeſtellt, in deſſen Durchſchnittspuncte die Sonne oder der
Mond ſtand, oder ein Kreutz dieſen Geſtirnen gegenuͤber. Die
eben angegebene Erklaͤrung iſt auf dieſe Erſcheinung anwendbar,
nur ſteht ihr das im Wege, daß wir bei der Erſcheinung des
Kreutzes horizontalſchwebende und verticalſchwebende Nadeln zu-
gleich annehmen muͤſſen. Ohne dieſe Schwierigkeit ableugnen zu
wollen, glaube ich doch, daß das ſo ſehr Genuͤgende jener Erklaͤrung
uns berechtigt, ihr getreu zu bleiben, und daß wir die Vermuthung,
es moͤge in einer Luftſchichte die eine Lage der Nadeln, in einer
[207] andern Luftſchichte die andre Lage vorherrſchend ſein, wagen duͤrfen,
um dieſe Verbindung beider Phaͤnomene zu erklaͤren. Moͤglich iſt
dies wenigſtens, da ein Luftzug in der einen Schichte die hori-
zontale Lage bewirken kann, waͤhrend in der andern Schichte voͤllige
Windſtille die verticale Lage beguͤnſtigt.


Ringe um die Sonne.


Dieſe hellen Kreiſe kommen am meiſten im Winter vor, und
dieſes ſcheint der Erklaͤrung aus Eisnadeln zu einer Beſtaͤtigung
zu gereichen; aber eine zweite Erſcheinung, die großen Ringe um
Sonne und Mond, in deren Mittelpuncte dieſe Geſtirne ſtehen,
zeigen ſich auch im Sommer oft, und es koͤnnte daher zweifelhaft
ſcheinen, ob man auch dieſe aus der Brechung in Eisnadeln er-
klaͤren koͤnne. Indeß da, wie Sie bald ſehen werden, ſich eine
genau der Theorie des Regenbogens aͤhnliche Erklaͤrung fuͤr dieſe
Ringe darbietet, wenn man prismatiſche, in der Luft ſchwebende
Eisnadeln annimmt, ſo kann man wohl auch fuͤr ſie einer daran
geknuͤpften Theorie ſeinen Beifall nicht verſagen, um ſo weniger, da
ſich die Ringe ſo oft mit dem hellen Horizontalkreiſe und mit allen
den Kreiſen verbinden, die bei dem vollſtaͤndigen Phaͤnomen der
Nebenſonnen geſehen und aus Eisnadeln erklaͤrt werden. Der
Umſtand, daß auch im Sommer dieſe Ringe gar nicht ſelten ſind,
iſt auch wohl dieſer Theorie nicht entgegen, da in ſehr großen Hoͤhen
doch ſelbſt im Sommer die Gefrierkaͤlte herrſcht, und alſo dort auch
Eisnadeln ſchweben oder herabſinken koͤnnen; fallen ſie bis in die
untern, waͤrmern Schichten herab, ſo werden ſie nicht allein auf-
thauen, ſondern ihrer Kleinheit wegen ſogar auch voͤllig in Duͤnſte
aufgeloͤſt werden, und uns daher nur den Himmel als etwas weiß-
lich, wie mit duͤnnem Dunſte bedeckt, zeigen.


Dieſe Ringe um Sonne und Mond haben faſt immer den
Halbmeſſer von 21 bis 22 Graden, an ihrem innern Rande ſind
ſie genauer begrenzt, als am aͤußern, und der Raum innerhalb
ſcheint weniger weißlich, weniger Licht zuruͤckwerfend, als der uͤbrige
Himmel. Obgleich die Farben dieſer Ringe weit weniger lebhaft ſind,
als beim Regenbogen, ſo laͤßt ſich doch etwas Roth am innern
Rande wahrnehmen, und die Nebenſonnen, die ſich oft als leb-
haftere Theile dieſes Ringes zeigen, haben deutlich das Roth der
[208] Sonne am naͤchſten und daran ſich anſchließend Gelb, Gruͤn,
Blau, jedoch alle dieſe Farben mit einem lebhaften weißen Glanze
gemiſcht, und nirgends rein hervortretend. Wir wollen jetzt ſehen,
was die Theorie der Brechung in Eisprismen uns fuͤr Beſtimmun-
gen giebt.


Daß die in der Luft ſich bildenden Eisnadeln dreiſeitige Pris-
men und zwar gleichſeitige ſind, das nehmen wir mit gutem
Grunde an, weil beim Gefrieren des Waſſers ſich uͤberall die
Cryſtalliſationen in Winkeln von 60 Graden bilden, und weil die
ſechsſpitzigen Schneeſternchen Beweiſe fuͤr dieſe Cryſtallform liefern.
Wir fragen alſo nun, wo kann bei den mannigfaltigen Lagen
ſolcher kleinen Eisprismen, die gewiß ſaͤmmtlich Licht zuruͤckwerfen,
ſich irgendwo eine hellere Erſcheinung durch zuruͤckgeworfene oder
gebrochene Lichtſtrahlen zeigen? Eine ſolche Licht-Erſcheinung
muß ſich da zeigen, wo Prismen, die nicht ganz genau gleich lie-
gen, doch die zuruͤckgeworfenen Strahlen nach gleicher Richtung in
das Auge ſenden, und dies findet bei den Prismen ſtatt, in wel-
chen die Brechung der Strahlen am kleinſten iſt. Offenbar haben
wir, ſo lange die Nadeln noch ſo klein ſind, daß ſie weder vom
Winde noch von der Schwere mit bedeutender Gewalt fortgetrieben
und in eine beſtimmte Richtung gebracht werden, keinen Grund,
eine einzige Richtung der Nadeln als vorwaltend anzuſehen. Die
Brechung in jeder dieſer Nadeln zeigt uns alſo das Sonnenbild
an einem andern Orte, ſo wie die durch das Prisma geſehenen
Gegenſtaͤnde ihren ſcheinbaren Ort aͤndern, wenn wir das Prisma
nach und nach in andere Stellungen bringen; aber ſo wie wir es
durch keine Drehung des Prisma's erzwingen koͤnnen, daß der
Gegenſtand, den wir durch das Prisma ſehen wollen, ganz nahe
bei dem wahren Orte deſſelben erſcheine, ſondern ſelbſt bei der
moͤglichſt geringſten Brechung, das heißt in dem Falle, wo
der Strahl im Innern des Prisma's mit der Seite AIBI
(Fig. 104.) parallel iſt, ein beſtimmter, noch ſehr erheblicher ſchein-
barer Abſtand sOa des durch das Prisma geſehenen Gegenſtandes
vom wahren Orte deſſelben ſtatt findet, ebenſo kann uns auch durch
jene Eisprismen das Sonnenbildchen zwar in ſehr verſchiedenen
Entfernungen vom wahren Orte der Sonne, aber in keinem kleinern
Abſtande, als in jenem, den ich eben als den kleinſten angegeben
[209] habe, erſcheinen. Nahe bei der Sonne erſcheint uns alſo der blaue
Himmel zwar vermoͤge der an den Duͤnſten und an den aͤußern
Seiten der Prismen reflectirten Strahlen etwas erleuchtet, aber
die im Prisma gebrochenen Strahlen fangen erſt in der eben be-
ſtimmten Entfernung, welche die Rechnung zu 21¼ Grad fuͤr die
rothen, zu 22 Grad fuͤr die violetten Strahlen angiebt, an, zu
dieſem matten Lichte beizutragen. Dies iſt der Grund, warum
ein Raum von 21 Graden um die Sonne wenig glaͤnzend und mit
einem rothen Ringe, dem die uͤbrigen Farben ſich anſchließen, um-
geben erſcheint. Aber in eben dieſem Abſtande muß ſich zugleich
ein lebhafteres Licht, als in groͤßern Entfernungen von der Sonne
zeigen. Prismen, die weiter von der Sonne abſtehen, muͤſſen
eine ſehr genau beſtimmte Stellung haben, wenn ſie den gebroche-
nen Strahl ins Auge ſenden ſollen, indem diejenigen, deren
Stellung nur um 1 Grad geaͤndert iſt, den Lichtſtrahl ſchon nicht
mehr dem Auge zuſenden; aber in 21 bis 22 Grad Entfernung
kann man das Eisprisma ſehr erheblich drehen, ohne daß da-
durch die Richtung des ausfallenden Strahles erheblich geaͤndert
wird, und das Auge erhaͤlt daher hier aus einer Menge von
Prismen die gebrochenen Strahlen, und ſieht hier den Himmel
vorzuͤglich hell erleuchtet, — einen hellen Ring um die Sonne.
Dieſer ſollte innen roth, außen violett ſein, aber da die Farben weit
weniger als bei dem Regenbogen aus einander gebrochen werden,
ſo fallen die rothen vom einen Sonnenrande kommenden Strahlen
mit den violetten vom andern Rande zuſammen und geben dem
Ringe die weißliche Farbe, aus welcher nur das Roth am innern
Rande noch am lebhafteſten hervortritt.


Dieſe ſchon von Mariotte angegebene, von Venturi
und Fraunhofer genauer durchgefuͤhrte Theorie des erſten Rin-
ges ſcheint als durchaus wohl begruͤndet angeſehen werden zu koͤn-
nen. Es ſchließt ſich aber nun an dieſe Theorie ſehr natuͤrlich die
Frage, ob es denn nicht noch andre Lagen dieſer Eisprismen gebe,
die ebenfalls etwas Merkwuͤrdiges darbieten. Ich habe ſchon be-
merkt, daß Prismen, die weniger als 21 Grad ſcheinbaren Abſtand
von der Sonne haben, gar keine gebrochenen Strahlen dem Auge
zuſenden, und daß in 21 bis 22 Graden Abſtand diejenigen Pris-
men liegen, die den reichſten Antheil von Strahlen zum Auge ge-
II. O
[210] langen laſſen; ſtellt man die Betrachtung fuͤr noch groͤßere Abſtaͤnde
an, ſo wird je mehr und mehr die Menge der zum Auge gelan-
genden Strahlen geringer, und Prismen, die uͤber 43½ Grad
von der Sonne liegen, ſenden gar keine gebrochenen Strahlen mehr
in das Auge. Sie werden ſich erinnern, daß wir fruͤher einmal den
violetten und blauen Rand betrachteten, der die Grenze der durch
das Prisma vermittelſt gebrochener Strahlen geſehenen Gegen-
ſtaͤnde umgab, und ebenſo ſollte hier in 43 Grad Entfernung von
der Sonne ein violetter und blauer Rand wegen dieſer aͤußerſten
Grenze der gebrochenen Strahlen ſich darſtellen. Indeß koͤnnte
dieſer Rand nur ſehr ſchwach ſichtbar ſein, und gewiß kann er nicht
das Einzige ſein, wodurch ſich uns in ungefaͤhr 43 Graden Abſtand
von der Sonne zuweilen ein ſehr ſchoͤner zweiter Ring darſtellt.
Dieſer, freilich nur ſelten ſichtbare, alſo wohl mehr vom zufaͤlligen
Zuſammentreffen guͤnſtiger Umſtaͤnde abhaͤngende Ring zeigt ſehr
ſchoͤne, reine Farben, reiner als ſie ſelbſt im Regenbogen vorkom-
men; er hat ſein Roth der Sonne am naͤchſten und ein ſchoͤnes
Gruͤn und Blau oder Violett mehr von der Sonne entfernt; aber
ſelten ſieht man mehr als ein kleines Stuͤck grade uͤber der Sonne.


Offenbar reicht die eben angegebene Bemerkung nicht hin,
um dieſen Ring zu erklaͤren; aber aus eben der Gegend koͤnnen
noch andre wirkſame Lichtſtrahlen in das Auge kommen. Wenn
naͤmlich (Fig. 105.) zwei Prismen rnq, qmp ſo verbunden ſind,
oder auch nur in einer ſolchen Stellung frei neben einander ſchwe-
ben, daß der durch das erſte Prisma ſchon gebrochene Strahl xw
mit der Oberflaͤche des zweiten Prisma's einen ebenſo großen
Winkel als mit der des erſten macht, ſo bringt die Brechung im
zweiten Prisma ebenſowohl wirkſame Strahlen hervor, wie es im
vorigen Falle bei einem Prisma ſtatt fand. Es gehen naͤmlich
zwar die Farbenſtrahlen jeder in verſchiedenen Richtungen hervor,
aber gleichfarbige Strahlen, die unter etwas verſchiedenen Rich-
tungen auffallen, gehen in einerlei Richtung hervor, ſo daß auch
hier mehrere Prismen zu den dem Auge zugeſendeten Strahlen
ihren Beitrag liefern. Hier koͤnnte es nun freilich ſcheinen, als
ob die Verbindung unter allerlei Winkeln geſchehen koͤnne, wo-
durch dann offenbar Ringe von ganz verſchiedenen Durchmeſſern
entſtehen muͤßten, und alſo keiner lebhafter als der andre hervortre-
[211] ten wuͤrde. Dieſer Einwurf iſt nicht ganz ungegruͤndet, indem zum
Beiſpiel, wenn wqx = 36° iſt, ein Ring von ungefaͤhr 56 Grad
Halbmeſſer entſtaͤnde, wenn jener 64 Grad iſt, dieſer von 43 Gr.
Halbmeſſer fuͤr die rothen Strahlen wird; aber dabei tritt nun
doch der merkwuͤrdige Umſtand ein, daß fuͤr den Winkel wqx =
70° bis wqx = 90°, wo dieſer Ring ſo klein, als es uͤberhaupt
moͤglich iſt, wird, ſeine Groͤße faſt voͤllig gleich bleibt, und alſo dieſe
unter ſo verſchiedenen Winkeln verbundenen Prismen, wenn ſie in
der richtigen Stellung gegen den Lichtſtrahl ſind, alle geeignet ſind,
einen rothen Ring von 42° 30', einen violetten Ring von 44°
Halbmeſſer hervorzubringen. Dieſer Halbmeſſer des Ringes iſt ge-
nau — ſo weit die wenigen bis jetzt angeſtellten Meſſungen dies zu
behaupten geſtatten, — der Halbmeſſer des beobachteten zweiten
Ringes, welcher alſo hiernach aus zwei vereinigt wirkenden Urſachen
zu entſtehen ſcheint. Es iſt naͤmlich grade bei der Brechung im Eiſe
der Abſtand von der Sonne, in welcher dieſer zweite Ring, durch
zweimalige Brechung entſtanden, ſich zeigen muß, fuͤr die rothen
Strahlen 42° 30', fuͤr die mittleren Strahlen 43° 15', fuͤr die
violetten Strahlen 44°, und die Entfernung, wo jener blaue
Rand ſich zeigen muß, fuͤr die violetten Strahlen 43° 40', fuͤr
die blauen Strahlen ungefaͤhr 43° 30'; das Blau des letztern
miſcht ſich mit dem Gruͤn des erſtern, das Blau des erſtern mit dem
Violett des letztern, und grade dieſe Miſchungen ſcheinen vollkom-
men geeignet, das ſchoͤne Violett, Blau, Gruͤn hervorzubringen,
wodurch dieſer Ring ſich auszeichnet. Genauere Meſſungen und
eine noch ſchaͤrfere Beſtimmung der Farbenzerſtreuung im Eiſe
werden zeigen, ob dieſe Erklaͤrung die richtige iſt.


Nebenſonnen.


Dieſe Ringe oder großen Hoͤfe um die Sonne erſcheinen
ſelten ohne Nebenſonnen, und beſonders der innere, ſo oft er-
ſcheinende Ring zeigt gewoͤhnlich horizontal neben der Sonne oder
neben dem Monde zwei Nebenſonnen oder zwei Nebenmonde.
Sie liegen da, wo der weiße Horizontalkreis den Ring durchſchnei-
det, und ſind ſehr oft kenntlich, wenn auch der weiße Horizontal-
kreis ſelbſt nicht deutlich zu ſehen iſt. Sie zeigen die Farben, die
dem innern Ringe eigen ſind, etwas lebhafter, und haben gewoͤhn-
O 2
[212] lich einen von der Sonne abwaͤrts ſich etwas weiter fort erſtrecken-
den Schweif. Die Theorie giebt Gruͤnde an, warum ſie bei
hohem Stande der Sonne oder des Mondes etwas außerhalb des
Ringes ſtehen koͤnnen, und warum in dieſem Falle zuweilen zwei
neben einander erſcheinen. Nebenſonnen auf dem zweiten Ringe,
der ſich durch ſchoͤne Farben auszeichnet, ſind nur ſelten geſehen
worden, ſo wie denn auch dieſer Ring ſelbſt ſelten geſehen wird,
und noch weit ſeltener mit einiger Vollſtaͤndigkeit erſcheint.


Beſchreibung der vollkommenſten Phaͤnomene
dieſer Art
.


Die bisher beſchriebenen Kreiſe erſcheinen allein oder verbunden,
und ſtellen den doch immer noch haͤufiger vorkommenden Theil des
Phaͤnomens dar; ſie ſind aber nur Theile eines Phaͤnomens, das
in ſeiner ganzen Vollſtaͤndigkeit hoͤchſt ſelten geſehen wird, doch
aber in den noͤrdlichen Gegenden noch am leichteſten hervorzuge-
hen ſcheint. Die Figur (Fig. 106.) ſtellt es ſo dar, wie es ſich
nach den Beſchreibungen derer, die es am vollkommenſten geſehen
haben, zeigt; indeß muß ich bemerken, daß eine Zeichnung auf einer
Kugel einen noch genauern Begriff von der wahren Lage der Kreiſe
giebt, als es auf dem Papiere moͤglich iſt. Hier iſt a die Sonne,
durch welche der horizontale Kreis ayghfx geht, der allemal
weiß iſt; dcex iſt der innere Ring, welcher in ſeltenen Faͤllen,
ſo wie er hier gezeichnet iſt, doppelt erſcheint; wzzzw iſt der
zweite Ring, der ſich allemal mit ſchoͤneren Farben als der erſte
Ring, das Roth innen, zeigt. So weit gehen meine bisherigen
Erklaͤrungen, die auch von den Nebenſonnen bei x, y, Rechenſchaft
gegeben haben. Außer dieſen minder ſeltenen Erſcheinungen zeigen
ſich aber bei dem vollkommenen Phaͤnomene noch: 1. zwei Neben-
ſonnen f, g, von reinem Weiß, deren Stelle auf dem Horizontal-
kreiſe ſich aͤndert, wenn die Sonne hoͤher ſteigt; und uͤber deren
genaue Lage die Beobachter nicht ganz hinreichende Auskunft geben;
2. eine Gegenſonne h, der Sonne gegenuͤber, mit dieſer gleich hoch
ſtehend; 3. zwei allemal hoͤchſt matt erſcheinende Kreiſe, die durch die
Sonne und die Gegenſonne gehen, alh, amh, deren Neigung
gegen einander und gegen den Horizontalkreis, ſo weit die unvollkom-
menen Beſchreibungen es angeben, 60 Grad iſt; 4. mehrere Be-
[213] ruͤhrungskreiſe an den hoͤchſten und tiefſten Puncten der Ringe; die
Figur zeigt nur zwei ref am innern, pzq am aͤußern Ringe, aber
auch bei d kann ein ſolcher erſcheinen; 5. endlich Beruͤhrungskreiſe,
die 60 Grade vom untern Puncte entfernt beruͤhren, wovon bei
xi, yk Spuren als am innern Kreiſe beruͤhrend, bei tt, vv aber
groͤßere Bogen, beruͤhrend am aͤußern Kreiſe gezeichnet ſind. Die
Figur iſt dem gemaͤß gezeichnet, was Lowitz 1790 am 29. Juni in
Petersburg beobachtete.


Die Nebenſonnen f, g, ſcheinen mir aus einer dritten merk-
wuͤrdigen Stellung der Prismen erklaͤrt werden zu muͤſſen. Den
innern Ring erklaͤrten wir aus den am wirkſamſten, als Grenze
der kleinſten Brechung im Prisma hervorgehenden Strahlen, den
zweiten Ring als theils durch zweimal wiederholte Brechung ent-
ſtehend, theils aber als derjenigen Grenze entſprechend, wo noch die
letzten Strahlen aus dem Prisma zum Auge gelangen, und wo
alſo ein blauer und violetter Rand ſich zeigen muß. Die jetzt zu
betrachtenden Nebenſonnen ſcheinen nun da zu entſtehen, wo die
Prismen ſich befinden, die uns eine vollkommene Spiegelung aller
Sonnenſtrahlen zuſenden. Wenn die Sonnenſtrahlen, von s in
das Auge O (Fig. 104.) kommen, von S, SI, SII, SIII auf die
in verſchiedenen Lagen ſich befindenden Prismen fallen, ſo iſt
AIBICI dasjenige Prisma, wo der gebrochene Strahl aIbI der
Seite AIBI parallel iſt, und in welchem die kleinſte Brechung
ſtatt findet; es iſt alſo eines von denen, welche dem Auge O den
innerſten Ring darbieten; hat das Prisma die Lage ABC oder abc,
ſo kommen die aͤußerſten Strahlen durch Brechung in das Auge
O, weil SIIe nur noch an der Seite des Prisma's hinſtreift, alſo
der letzte auffallende Strahl fuͤr ACB iſt, und weil fO nahe
an der Seite des Prisma's abc hervorgeht, und alſo der letzte
hervordringende Strahl iſt. Dieſe beiden Prismen ſenden nur noch
die letzten gebrochenen Strahlen nach O, und bei der geringſten
weitern Fortruͤckung nach α zu gehen alle Strahlen reflectirt nach
OI; und eben dieſe reflectirten Strahlen, wo naͤmlich die auf die
Seite ac fallenden Strahlen, aubc reflectirt nach oI kommen,
ſtellen dem Auge in O vermittelſt des Prisma's αβγ, ein re-
flectirtes Sonnenbild, das aus der Reflexion aller Strahlen ent-
ſteht, dar. Die hiezu erforderliche Lage des Prisma's iſt 88 Grad
[214] von der Sonne, wo ungefaͤhr die Nebenſonnen f, g, beobachtet
worden ſind. Ob dieſe Erklaͤrung ganz ausreicht, das wage ich
nicht zu entſcheiden; aber ſie iſt wenigſtens bis jetzt die einzige, die
einiges Gewicht zu haben ſcheint, und das ſilberweiße Anſehen dieſer
Nebenſonnen deutet auf das Entſtehen aus der vollkommenen
Spiegelung in den Prismen hin *).


Die Erklaͤrung der beiden geneigten Kreiſe rhma, shla muß
ohne Zweifel auf eben den Gruͤnden beruhen, wie die Erklaͤrung des
weißen Horizontalkreiſes, alſo auf Spiegelung in den Schneenadeln.
Da nun die Schneenadeln ſich immer unter Winkeln von 60
Graden vereinigen, ſo giebt es an den verticalen Nadeln gewiß
unzaͤhlige, die unter 60 Grad geneigt ſind, und wenn dieſe oder
eine uͤberwiegende Zahl von ihnen eine parallele Lage haben, ſo
muͤſſen ſolche helle Kreiſe entſtehen. Ihre Seltenheit haͤngt wohl
davon ab, daß nur ſelten dieſe parallele Lage ſtatt findet.


Der ſchwierigſte Theil des Phaͤnomens ſind die Beruͤhrungs-
bogen, die ſich oben und unten an den Ringen zeigen, und
auch in 60 Grad Abſtand von dem untern Puncte vorkommen.
Es iſt wieder wohl anzunehmen, daß die Erklaͤrung, welche fuͤr die
obern und untern Beruͤhrungsbogen paßt, auch fuͤr die ſeitwaͤrts
liegenden tt, vv, paſſen wird, wenn man auf Nadeln Ruͤckſicht
nimmt, die unter einem Winkel von 60 Graden mit denen ver-
bunden ſind, welchen jene Bogen ihr Entſtehen verdanken. Unter
den Eisnadeln, welche das Entſtehen des erſten Ringes bewirken,
muͤſſen diejenigen, die grade oberhalb oder unterhalb der Sonne
liegen, eine horizontale Lage haben; aber unter den horizontalen
Prismen ſind nicht dieſe allein es, die wirkſame Strahlen zum
Auge ſenden koͤnnen, ſondern wenn in irgend einer Schichte der
Atmoſphaͤre viele horizontale Schneenadeln vorhanden ſind, ſo muß
ſich auch neben dem obern und neben dem untern Theile des erſten
[215] Ringes eine Licht-Erſcheinung von bedeutendem Glanze, ein vom
Ringe ſich nach außen entfernender ſehr glaͤnzender Bogen zeigen.
Die Theorie giebt an, daß dieſe Bogen nicht immer als Kreisbogen
erſcheinen muͤſſen, und bei kuͤnftigen Beobachtungen wird es durch
Ausmeſſung dieſer Bogen moͤglich ſein, die Richtigkeit der Theorie
zu pruͤfen. Aehnliche Betrachtungen finden fuͤr die Beruͤhrungs-
bogen am zweiten Ringe, die allemal ſchoͤnfarbig ſind und darin
dem zweiten Ringe ſelbſt gleichen, ſtatt; die Theorie zeigt, daß ſie
bei 30 Grad Sonnenhoͤhe ſich beſſer als bei ganz niedrigem
Stande der Sonne zeigen muͤſſen, und bietet daher wieder den
Beobachtern Pruͤfungsmittel, um zu ſehen, ob die Erfahrung hiemit
uͤbereinſtimmt, dar.


Dies ſind die, wie ich hoffe, nicht ganz mißlungenen Verſuche,
dieſe verwickelte Luft-Erſcheinung, wenn ſie am meiſten regelmaͤßig
ſich darſtellt, zu erklaͤren; manche einzelne Erſcheinungen, wo noch
mehr Kreiſe ſich dargeſtellt haben ſollen, wo der ſtarke Glanz der
Nebenſonnen vielleicht hinreichte, um dieſe wieder mit aͤhnlichen
Kreiſen wie die wahre Sonne zu umgeben, oder wo vielleicht andre
Nebenumſtaͤnde mitwirkten, laſſen ſich ſchwerlich ſchon jetzt voͤllig
erklaͤren, und ich uͤbergehe ſie hier um ſo mehr, da ich ohnehin
ſchon eine Entſchuldigung meines langen Verweilens bei einer
einzigen Erſcheinung noͤthig finde *).


[216]

Elfte Vorleſung.


Zu den bisher mitgetheilten Betrachtungen uͤber die Farben
habe ich heute noch die Erklaͤrung der Erſcheinungen beizufuͤgen,
die ſich uns bei den Farben der natuͤrlichen Koͤrper darbieten, und
die Erſcheinungen, die unſer Auge in gewiſſen Faͤllen da wahr-
nimmt, wo dieſe Farbe nicht objectiv vorhanden iſt.


Farben der undurchſichtigen Koͤrper.


Daß die Entſtehung der Farben ohne die ungleichen Farben-
ſtrahlen des auffallenden Lichtes nicht ſtatt finden koͤnne, das geht
wohl ſchon aus den vorigen Betrachtungen hervor. Der rothe Koͤrper
erſcheint roth, weil er die rothen Lichtſtrahlen zuruͤckwirft, wenig
vermiſcht mit andern Farbenſtrahlen, der weiße Koͤrper erſcheint
weiß, weil er alle Lichtſtrahlen in ziemlich gleichem Maaße zuruͤck-
wirft; und wenn gleich die eigenthuͤmliche Beſchaffenheit des einen
Koͤrpers ihn faͤhig macht, die rothen Lichtſtrahlen zuruͤck zu geben,
waͤhrend ein andrer fuͤr die zerſtreute Reflexion der blauen, ein
andrer fuͤr die zerſtreute Reflexion aller Strahlen geeignet iſt, ſo
muß es doch in der Beleuchtung rothe Strahlen geben, wenn der
Koͤrper, den wir roth zu ſehen gewohnt ſind, roth erſcheinen ſoll.
Dieſe Behauptung zeigt ſich ſchon in gewoͤhnlichen Erfahrungen
beſtaͤtigt, indem weißes Papier dem rothen Lichte gluͤhender Kohlen
ausgeſetzt roth erſcheint u. ſ. w.; aber es laſſen ſich noch auffallen-
dere Verſuche anſtellen, die dies noch mehr beweiſen.


Wir haben ſchon ſo oft von dem prismatiſchen Sonnenbilde
geredet, das auf einer weißen Tafel aufgefangen das Roth, das
Gruͤn, das Blau, auf eben der Tafel, die wir weiß zu ſehen ge-
wohnt ſind, darſtellt; dies laͤßt ſich offenbar in keine andre Erklaͤ-
rung faſſen, als in die, daß die Flaͤche, die als weiß im Sonnenlichte
aller Strahlen faſt genau gleich gut zuruͤckgiebt, uns da, wo nur
rothe Strahlen auf ſie fallen, auch nur rothe Strahlen zuruͤckgeben
kann, und ſo fuͤr alle Farben. Selbſt die im vollen Sonnenlichte
blau erſcheinende Flaͤche zeigt ſich uns roth, aber mit weniger
[217] Erleuchtung, wenn ſie im Roth des prismatiſchen Sonnenbildes
liegt; ſie warf naͤmlich im vollen Sonnenlichte vorzuͤglich die blauen
Lichtſtrahlen zuruͤck, und nur ſehr wenige andre Strahlen, die wir
zum Beiſpiel am blauen Seidenzeuge als den Spiegelglanz der
Oberflaͤche darbietend beobachten, wurden ebenfalls von ihr zuruͤck-
gegeben; daher kann ſie da, wo die blauen Lichtſtrahlen ganz
fehlen, uns nur als ſehr wenig Licht gebend erſcheinen, und wo
nur rothe Strahlen auffallen, da wird dieſes wenige Licht rothes
Licht ſein.


Am auffallendſten ſehen wir, wie die Farben der Koͤrper von
der Erleuchtung abhaͤngig ſind, bei der Erleuchtung durch Lampen-
licht. Ich habe ſchon neulich erwaͤhnt, daß ein mit Kuͤchenſalz
eingeriebener Docht in der Weingeiſtlampe brennend eine Flamme
giebt, die durch das Prisma gar kein Roth, kein Gruͤn, kein Blau
und auch nur wenig Violett zeigt. Wendet man dieſe Lampe zur
Beleuchtung an, ſo erſcheint jeder rein rothe Koͤrper faſt ganz
ſchwarz; nur etwas von gelblicher Faͤrbung, die in das Schwarz
etwas Braun miſcht, bemerkt man, weil die meiſten Koͤrper doch
etwas gemiſchtes Licht, beſonders von glatten Oberflaͤchen, zuruͤck-
werfen. Die gelben Koͤrper erſcheinen gelb, ſind aber von den
weißen nicht gut zu unterſcheiden; ein Roth, das im Tageslichte
auch nur wenig zum Gelb hinzuneigen ſcheint, iſt jetzt nur gelb,
nicht mehr roth. Helles Gruͤn, helles Blau, und ſo alle Farben,
die noch viele weiße Lichtſtrahlen mit zuruͤckgeben, erſcheinen gelblich
grau. — Die Erſcheinungen ſind ſo auffallend, daß es ſehr der
Muͤhe werth iſt, ſie ſelbſt zu ſehen, um ſich von dem Einfluſſe dieſes
beinahe einfarbigen gelben Lichtes zu uͤberzeugen.


Man hat Mittel aufgeſucht, um die Menge des, farbigen
Lichtes, welches die Koͤrper, der eine mehr der andre minder, zuruͤck-
werfen, zu beſtimmen. Lambert hat dazu ein hoͤchſt einfaches
Experiment vorgeſchlagen, wodurch ziemlich gut beſtimmt wird,
ob ein weißer Koͤrper eben ſo viel rothes Licht als Siegellack oder ein
andrer rother Koͤrper zuruͤckwirft. Er legte naͤmlich das Siegellack
neben weißes Papier in ganz gleicher Beleuchtung, betrachtete das
Papier durch das Prisma, und beobachtete, ob der rothe Rand des
weißen Papiers dem mit bloßem Auge geſehenen Roth des Siegellacks
gleich erſchien; war das nicht der Fall, ſo mußte ein minder weißes
[218] Papier gewaͤhlt werden, wenn der rothe Rand ſchoͤner, glaͤnzender roth,
als das Siegellack erſchien; und ſo konnte man ein Weiß auffin-
den, das ungefaͤhr eben ſo geſchickt zur Zuruͤckwerfung aller Strah-
len war, als das Siegellack zur Zuruͤckwerfung des Roth. Statt
Lamberts uͤbriger Verſuche, die zuſammengeſetzter ſind, ſcheint
mir fuͤr einen, immer doch nur oberflaͤchlich zu erreichenden Zweck
folgender Verſuch zu genuͤgen. Man lege Papiere vom ſchoͤnſten
Weiß, von unvollkommnerem Weiß, und von einigen Abſtufungen
eines lichteren und dunkleren Grau bereit, und lege eines derſelben
im dunkeln Zimmer ſo neben den zu unterſuchenden Koͤrper, daß das
prismatiſche Sonnenbild auf beide moͤglichſt gleich falle. Laͤßt man
nun den rothen Strahl auf Siegellack und Papier zugleich fallen,
ſo wird man erkennen, ob beide gleich erſcheinen, und unter den
Papieren das angemeſſene auswaͤhlen, von welchem man dann mit
gutem Grunde ſagen wird, daß die Weiße dieſes Papieres der
Roͤthe des Siegellacks gleich ſei, das iſt, daß das Papier von allen
Lichtſtrahlen eine verhaͤltnißmaͤßig ebenſo große Menge, wie das
Siegellack von den rothen zuruͤckgebe. So koͤnnte man ein gruͤnes
Blatt in Beziehung auf gelb, gruͤn und blau pruͤfen, welcher Weiße
es im gelben, welcher im gruͤnen, welcher im blauen Strahle gleich
ſei. Ja man koͤnnte ſogar, da doch ſelbſt das Siegellack auch einige
andre Farbenſtrahlen zuruͤckwirft, nach der Quantitaͤt der von dem-
ſelben herkommenden gruͤnen Strahlen fragen, wuͤrde aber dann
ein ſehr dunkles graues Papier waͤhlen muͤſſen, um den beinahe
gaͤnzlichen Lichtmangel zu erhalten, den das rothe Siegellack im
gruͤnen Strahle zeigen wuͤrde.


Farben durchſichtiger Koͤrper.


Eine andre merkwuͤrdige Betrachtung bieten die durchſichtigen
farbigen Koͤrper dar. Auch hier laſſen wir die ſchwierige Frage bei
Seite, welche Urſache bei dem einen Koͤrper ein Durchlaſſen gelben
Lichtes, bei dem andern ein Durchlaſſen blauen Lichtes hervorbringt,
ſondern halten uns nur an die Erſcheinungen ſelbſt, und dieſe ſchei-
nen eine Eintheilung dieſer Koͤrper in zwei Claſſen zu fordern. Es
giebt einige Koͤrper, zum Beiſpiel gelbes Glas, die uns das durch-
gelaſſene Licht und das reflectirte Licht ziemlich nahe gleichfarbig
[219] darſtellen, ſtatt daß andre Koͤrper eine andre Farbe durchlaſſen und
eine andre zuruͤckwerfen. Bei jenen muͤſſen wir wohl annehmen,
daß ſie die uͤbrigen Farben ebenſo groͤßtentheils ganz aufheben, wie
es bei den undurchſichtigen Koͤrpern mit den ſaͤmmtlichen Licht-
ſtrahlen ſtatt zu finden ſcheint, die nicht reflectirt werden; das
gelbe Glas abſorbirt faſt alle andern Strahlen, wirft von ſeiner
hintern Oberflaͤche, oder auch von ſeinen einzelnen Theilchen gelbe
Lichtſtrahlen zuruͤck und laͤßt die uͤbrigen gelben Strahlen durch;
die an der Vorderflaͤche ſpiegelnd reflectirten Strahlen ſind weiß,
indem auf ſie der Koͤrper noch nicht einwirkt. Die zweite Claſſe
von Koͤrpern abſorbirt allerdings auch Lichtſtrahlen, abſorbirt auch
wohl einige mehr als die andern, aber hat doch dabei die beſondre
Eigenſchaft, gewiſſe Farbenſtrahlen durchzulaſſen, und die uͤbrigen
zuruͤckzuwerfen. Das weiße Knochenglas iſt ein ſolcher Koͤrper; es
laͤßt vorzuͤglich nur die tief rothen Strahlen durch und die allermei-
ſten andern reflectirt es, ſo daß dieſer Koͤrper blaulich weiß erſcheint,
wenn das Licht auf ihn faͤllt, — weiß, weil ſo viele Farbenſtrahlen
gemiſcht reflectirt werden, blaulich weiß, weil die rothen, durchge-
laſſenen Strahlen in der Miſchung dieſer Farben fehlen und daher
das Blau darin uͤberwiegend wird. Wenn man weiße Koͤrper oder
Koͤrper, in deren Faͤrbung Roth iſt, durch dieſe Glas-Art anſieht,
ſo erſcheinen ſie roth; blaue und gruͤne Koͤrper dagegen erſcheinen
beinahe ſchwarz, ſo daß man deutlich an der geringen uͤbrig bleiben-
den Faͤrbung von Blau oder Gruͤn ſieht, daß dieſe Farbenſtrahlen
ſehr unvollkommen durchgelaſſen werden. Eben dieſe Eigenſchaft
zeigen auch manche fluͤſſige Koͤrper, indem zum Beiſpiel Milch,
wenn die Schichte duͤnne genug iſt, um noch durchſichtig zu ſein,
ziemlich eben die Erſcheinungen wie jene Glas-Art darſtellt. Auf-
fallender noch iſt dieſe Scheidung der ungleichfarbigen Strahlen bei
einem Waſſer, das einige Zeit aus Stuͤcken von Rinde des wilden
Caſtanienbaumes die Saͤfte ausgezogen hat. Dieſes Waſſer ſieht
ſchmutzig gelbbraun aus, wenn man es ſo gegen das Licht haͤlt,
daß die Strahlen durchgehen; dagegen wenn man das Licht auf die
Oberflaͤche ſo fallen laͤßt, daß man nicht den Spiegelglanz des Son-
nenbildes erhaͤlt, ſondern die Oberflaͤche ganz als erleuchtet, als
durch zerſtreute Lichtſtrahlen ſich hell zeigend, ſieht, erſcheint dieſe
blau oder violettlichblau, ſo daß man ſieht, die am meiſten brech-
[220] baren Strahlen werden hier reflectirt, die am wenigſten brechbaren
großentheils durchgelaſſen.


Wie es ſich mit dieſem Durchlaſſen nur gewiſſer Farbenſtrah-
len verhaͤlt, davon giebt die genaue Beobachtung des prismatiſchen
Bildes einer Lichtflamme, wenn man dieſe durch blaues Glas be-
trachtet, ein ſchoͤnes Beiſpiel. Am beſten bedient man ſich hiebei
des ſchon mehrmals erwaͤhnten mit Kochſalz eingeriebenen Dochtes,
den man in einer Weingeiſtlampe anwendet. Dieſe Flamme, —
die man, wenn ſie zu breit iſt, durch eine ſchmale Oeffnung betrach-
ten muß, — dieſe ſchmale Flamme zeigt, wenn man ſie durch das
Prisma beſieht, zwei Farbenbilder, eine lebhaft glaͤnzende gelbe
Flamme und eine davon getrennte, matte violette Flamme. Haͤlt
man nun, indem man immer dieſe prismatiſchen Bilder im Auge
behaͤlt, eine blaue Glasplatte vor das Auge, ſo nimmt die gelbe
Flamme ſtark an Glanz ab, die violette Flamme dagegen wird
wenig geſchwaͤcht, bringt man noch eine zweite, eine dritte blaue
Glasplatte an, ſo verſchwindet die gelbe Flamme faſt gaͤnzlich, die
ſchwache violette aber bleibt uͤbrig, und zeigt ſich nun allein faſt
noch eben ſo deutlich als ohne Glas. Die gelben Strahlen ſind faſt
gaͤnzlich unterdruͤckt, die violetten faſt gar nicht geſchwaͤcht worden,
weil das blaue Glas ſie durchlaͤßt.


Einige Koͤrper laſſen, wie ich auch ſchon fruͤher erwaͤhnt habe,
zwei weit von einander entfernt liegende Farbenſtrahlen durch, und
zeigen ſich daher ungleich, je nachdem ihre Schichte dicker oder duͤn-
ner iſt. Nach Herſchels Bemerkung laͤßt eine Aufloͤſung von
Saftgruͤn die gruͤnen Strahlen in maͤßiger Menge, die dunkelro-
then dagegen ſehr wenig geſchwaͤcht durch, und es entſteht daraus die
Sonderbarkeit, daß eine dicke Schichte Saftgruͤn das durchgelaſſene
Licht dunkelroth zeigt, ſtatt daß eine duͤnne Schichte gruͤn erſcheint.
Im Sonnenlichte ſind nur wenig jener dunkelrothen Strahlen,
aber viele gruͤne, daher durch eine duͤnne Schichte, wenn auch jene
rothen alle durchgehen und von dieſen gruͤnen nur ein maͤßiger An-
theil, doch die gruͤnen noch vorherrſchend bleiben; in einer dickern
Schichte wird die unvollkommene Durchlaſſung der gruͤnen immer
merklicher und die rothen werden endlich, obgleich ihrer wenigere
waren, uͤberwiegend, weil ſie beinahe ohne Verluſt durchgehen.
Es laͤßt ſich dies in Zahlen nachweiſen. Waͤren 10 gruͤne Strah-
[221] len gegen 1 rothen im Sonnenlichte, von jenen aber wuͤrde bei
1 Linie Dicke nur die Haͤlfte, bei 2 Linien Dicke nur ¼, bei 3 Li-
nien Dicke nur ⅛, bei 4 Linien nur \frac{1}{16}, bei 5 Linien nur \frac{1}{32}
durchgelaſſen, ſo waͤren \frac{10}{32} bei 5 Linien Dicke der Ausdruck fuͤr
die 10 Strahlen gruͤnen Lichts; das rothe, wenn es ganz unge-
ſchwaͤcht durchginge, bliebe dagegen immer = 1, alſo hier ſchon
uͤberwiegend.


Die merkwuͤrdige Eigenſchaft einiger Koͤrper, ein doppeltes
Farbenſpiel darzuſtellen, muß ich hiebei noch erwaͤhnen. Der Opal
und einige andre Koͤrper, ſelbſt Miſchungen von Fluͤſſigkeiten, zei-
gen als zuruͤckgeworfenes Licht ein Blau, ein blauliches Weiß und
ein Orange, das eine bei der einen, das andre bei der andern
Stellung hervortretend. Auch hier ſcheint mir die Zuruͤckwerfung
des blauen Lichtes und die Durchlaſſung des gelblichen die Urſache
der Erſcheinung zu ſein. Indem naͤmlich die durch den Koͤrper
durchgegangenen Strahlen an ſeiner Hinterflaͤche zuruͤckgeworfen
werden, kommen ſie als orangefarben zu dem an der erleuchteten
Seite ſtehenden Auge zuruͤck, und es moͤgen hiezu bei den Steinen
die Reflexionen an den einzelnen Schichten noch mehr als die an
der aͤußerſten Hinterflaͤche beitragen, wodurch dann der geringe
Grad von Durchſichtigkeit zugleich auch erklaͤrlich iſt.


Das Blau des Himmels und die Abendroͤthe.


Dieſe Betrachtungen uͤber die ungleiche Faͤrbung durchgelaſſe-
ner und zuruͤckgeworfener Strahlen enthalten, wie es mir ſcheint,
einen vollkommenen Aufſchluß uͤber die Urſache, warum der Him-
mel blau, die Abendroͤthe orangefarben erſcheint. Unſre Atmoſphaͤre
iſt aus Luft und aus Waſſerdaͤmpfen in ſehr ungleichem wechſelndem
Verhaͤltniſſe gemiſcht, und die Eigenſchaften beider Miſchungstheile
in Beziehung auf das Licht muͤſſen wir naͤher unterſuchen. Wenn
die Duͤnſte ſich ſo ſichtbar niedergeſchlagen haben, daß ſie ſich dem
Auge als Nebel oder als Wolken zeigen, ſo bemerken wir nicht,
daß eine Art von Farbenſtrahlen mehr als die andre durchgelaſſen
oder mehr als die andre zuruͤckgeworfen werde; eine Nebelmaſſe
ſieht weiß aus, wenn die Sonne darauf ſcheint, die von der Sonne
ſtark erhellten Wolken erſcheinen mit ſchoͤnem weißen Glanze, da-
gegen ſehen die Wolken grau aus, wo ſie von ſchwaͤcherem Lichte
[222] getroffen werden, und die grauen Schattirungen der an einer
Seite von der Sonne beleuchteten, bergig aufgethuͤrmten Wolken
zeigen uns ihre beſchatteten Theile abſtechend gegen die von der
Sonne erleuchteten. Aber auch die durchgelaſſenen Strahlen ſind
rein weiß, indem bekanntlich die durch einen dicken Herbſtnebel durch-
blickende Sonne voͤllig ſilberweiß erſcheint. Ebenſo zeigen ſich uns
die leichten Wolken ſilberweiß, wenn die Sonne ſie erleuchtet, und
auch die von ihnen bedeckte Sonne zeigt ſich nicht farbig. — An-
ders iſt es mit dem Rauche, der von der Sonne beſchienen blau
erſcheint, und uns die Sonne roth zeigt, wenn wir ſie durch den
Rauch ſehen; der Rauch laͤßt die gelben und rothen Strahlen durch
und reflectirt die blauen. — Trockne Nebel haben einiges mit dem
Rauche gemein.


Die reine Luft ſcheint dagegen die Eigenſchaft zu haben, daß
ſie die mehr brechbaren Strahlen, die zuſammen Blau darſtellen,
beſſer zuruͤckwirft, die weniger brechbaren, die in ihrer Miſchung
Orange geben, vorzugsweiſe durchlaͤßt. Dieſe Eigenſchaft erklaͤrt
das Blau des Himmels und das Roth der Abendroͤthe. Wenn die
Luft mit Duͤnſten, die ſich ſchon niederſchlagen, gefuͤllt iſt, ſo iſt
der Himmel weißlich, weil von dieſen Duͤnſten weiße Lichtſtrahlen
zuruͤckgeworfen werden, die ſich mit dem Blau der in der Luft,
gleichſam an jedem Lufttheilchen reflectirten Strahlen miſchen; zu
ſolchen Zeiten iſt auch die Abendroͤthe weißlich, hellgelb, weil die
durchgelaſſenen Strahlen zwar zum Theil ihres Blau beraubt ſind,
aber die Erfuͤllung mit Duͤnſten kein ſehr ungleiches Verhaͤltniß der
Farben in den durchgelaſſenen Strahlen zulaͤßt; — die Sonne
geht dann nicht roth, ſondern weißlich gelb unter. Bei recht dunſt-
freier Luft dagegen iſt der Himmel dunkelblau, weil die Luft uͤber-
haupt nicht ſehr viele Strahlen zuruͤckwirft, und faſt nur blaue
und violette Strahlen; auf hohen Bergen iſt dieſes Blau immer
dunkler, offenbar weil die Luft dort zu duͤnne iſt, um noch viel
Licht zu reflectiren, und man kann alſo mit Recht ſchließen, daß
nur die Luft die Urſache dieſes zuruͤckgeworfenen Lichtes iſt, daß
alſo in noch viel groͤßern Hoͤhen der Himmel ganz ſchwarz, von
gar keinem Lichte erhellt oder keines zuruͤckſtrahlend, erſcheinen
muͤßte. Daß am Tage, bei hohem Stande der Sonne dieſe uns
weiß erſcheint, obgleich die Strahlen bei ihrem Durchgange durch
[223] die Atmoſphaͤre etwas blaues Licht verlohren haben, iſt wohl nicht
auffallend, da doch immer ein, gegen das geſammte Sonnenlicht,
nur kleiner Antheil blauen Lichtes verlohren gegangen iſt, alſo auch
nur ein wenig merklicher Ueberfluß gelben Lichtes vorhanden ſein
kann. Am Abend aber beim Untergange der Sonne und am Mor-
gen beim Aufgange der Sonne geht der Strahl ſo weit durch dich-
tere Luftſchichten fort, daß er einen bei der ſtarken Schwaͤchung
des Lichtes ſehr merklichen Ueberſchuß an gelben und rothen Strah-
len enthalten muß; daher erſcheint uns dann die Sonne roth und
auch die doch nie fehlenden Duͤnſte zeigen ſich roth oder orangefarben
erleuchtet, der ganze Horizont glaͤnzt in der Abendroͤthe. Stehen
Wolken am Horizonte, ſo ſind einige weißgelblich, andre orange-
farben, andre dunkelroth glaͤnzend; die erſteren ſind die am hoͤch-
ſten ſtehenden, die, wenn die Sonne tiefer unter den Horizont
hinabſinkt, ſich ebenfalls roͤthen, die aber, ſo lange ſie die Strahlen
noch nicht durch die tiefſten Luftſchichten erhalten, noch von minder
rothen Strahlen erleuchtet werden. Zuweilen ſtehen mitten zwiſchen
den glaͤnzenden Wolken dunkle, blaue Wolken; — von dieſen kann
man wohl immer annehmen, daß ſie im Schatten von Wolken, zu-
weilen von Wolken, die unter unſerm Horizonte ſind, ſtehen, und
bei genauer Aufmerkſamkeit ſieht man in manchen Faͤllen, daß die-
ſer Schatten bei tieferem Sinken der Sonne auf andre Wolken
uͤbergeht. Das dunkle Blau dieſer Wolken muß daher ruͤhren, daß
ſie das wenige Licht, welches ſie zuruͤckſenden, nur dem Blau des
Himmels verdanken, indem keine directe Sonnenſtrahlen auf ſie
fallen. Sind am Horizonte Wolken, dick genug, daß ihr eigner
Schatten die Erleuchtung an der uns zugekehrten Seite hindert,
ſo ſehen wir ſie dunkel mit rothem, purpurfarbenem Rande. Sehen
wir die Berge im Glanze des Abendrothes, ſo erſcheinen ſie entwe-
der voͤllig roth, wenn ſie uns ſonſt weiß erſchienen waͤren, oder
violettlich, wenn ihr natuͤrliches Blau ſich mit dem Roth der Abend-
roͤthe miſcht; blau naͤmlich wuͤrden ſie erſcheinen, weil an der der
Sonne gegenuͤber oder ſeitwaͤrts liegenden Seite doch immer noch
die zwiſchen dem Auge und dem Berge liegende Luft unter den von
allen Seiten, vom blauen Himmel her, ſie treffenden Strahlen,
die blauen am beſten zuruͤckwirft, und daher der roth erleuchtete
Berg gleichſam hinter einem blauen Schleier liegt.


[224]

Ich will nicht grade die Behauptung wagen, daß in dieſen
Betrachtungen eine fuͤr jeden einzelnen Fall und fuͤr jede einzelne
Erſcheinung der Morgenroͤthe und Abendroͤthe genuͤgende Erklaͤrung
liegt; aber ich glaube doch gewiß zu ſein, daß man im Weſentlichen
dieſe Erklaͤrungen bei genauer Aufmerkſamkeit auf die Erſcheinun-
gen ſehr genuͤgend finden wird.


Die Daͤmmerung.


Auch die Erſcheinungen der Daͤmmerung laſſen ſich ganz nach
dieſen Grundſaͤtzen erklaͤren. Wenn an einem heitern Abend die
Sonne untergegangen iſt, ſo zeigt ſich bald am oͤſtlichen Horizonte
ein dunkelblauer bogenfoͤrmig begrenzter Raum, uͤber welchem ſich
der Himmel etwas roͤthlich, hoͤher hinauf weiß, endlich gegen das
Zenith blau zeigt. Jener dunkle Kreis-Abſchnitt entſteht durch den
Schatten, welchen die Erde auf die Atmoſphaͤre wirft; weil keine
Sonnenſtrahlen mehr auf dieſe Gegend der Luft gelangen, ſo zeigen
ſich die Duͤnſte und die Luft ſelbſt ſehr ſchwach erleuchtet, und blau
erleuchtet, weil auch der lebhaftere Theil der Abendroͤthe in jener
Gegend der Atmoſphaͤre ſchon untergegangen iſt, alſo das Blau
der in hoͤhern Luftgegenden zuruͤckgeworfenen Strahlen dort noch
am meiſten zu der ſchwachen Erleuchtung beitraͤgt. Der roͤthliche
Bogen uͤber dem Dunkel bezeichnet die Gegend, wo das lebhafte
Abendroth noch genug in der unteren Luft befindliche Duͤnſte trifft,
um ſie durch rothe Erleuchtung kenntlich zu machen; das Weiß,
welches dieſen Bogen umgiebt, gehoͤrt einer Gegend an, wo das
von der reineren oberen Luft reflectirte Blau der Sonnenſtrahlen
ſelbſt ſich mit dem von den Duͤnſten zuruͤckgeworfenen Roth der
Abendroͤtheſtrahlen vermiſcht, und ſo dem Auge ein aus allen Far-
benſtrahlen gemiſchtes Weiß darſtellt; am Zenith endlich iſt der
Himmel blau, weil unſre Geſichtslinie durch zu wenige rothgefaͤrbte
Duͤnſte geht, um uns durch ihre reflectirten Strahlen eine das
Blau ganz aufhebende weiße Miſchung zu zeigen. Ungefaͤhr ebenſo
verhaͤlt es ſich am weſtlichen Himmel, wo ebenfalls das Orange der
Abendroͤthe einige Zeit nach Sonnen-Untergang einen Uebergang
durch Weiß zum Blau, das am Zenith ſich noch zeigt, darſtellt.
Die Duͤnſte naͤmlich, die ſich in der nach dieſem Weiß hin gezoge-
nen Geſichtslinie befinden, geben die rothen Strahlen theils der
[225] Sonne ſelbſt, theils der Abendroͤthe zuruͤck, und die hoͤheren rei-
neren Luftſchichten wuͤrden fuͤr ſich allein ſich blau zeigen, ſie ge-
waͤhren uns daher ebenfalls eine Miſchung aller Farben, und darum
iſt der Uebergang vom Orange zum Blau hier gewoͤhnlich ein ziem-
lich reines Weiß. —


Subjective Farben-Erſcheinungen.


Alle bisher betrachteten Farben-Erſcheinungen zeigten ſich uns
ſo, daß wir ſie als objectiv, als aus einer Erleuchtung durch farbige
Strahlen entſtehend, erklaͤren konnten; aber dieſes iſt bei manchen
andern Erſcheinungen nicht der Fall, ſondern dieſe zeigen ſich uns da,
wo kein aͤußerer Grund dazu da zu ſein ſcheint. Die einfachſten dieſer
Erſcheinungen beſtehen darin, daß ein Theil einer uͤberall gleich er-
leuchteten weißen Flaͤche uns heller vorkoͤmmt, wenn er neben einem
beſchatteten Theile liegt, uns gruͤnlich vorkoͤmmt, wenn er neben
einer rothen Faͤrbung liegt, u. ſ. w.


Wenn wir anhaltend und mit einiger Anſtrengung des Auges
auf einen ſchwarzen Kreis oder eine andre ſchwarze nicht zu ausge-
dehnte Flaͤche ſehen, die auf weißem Grunde liegt, ſo bemerken wir,
ſobald wir das Auge ein wenig von jenem, ſcharf ins Auge gefaßten
Gegenſtande auf die daneben liegenden weißen Flaͤchentheile wenden,
daß dieſe uns etwas glaͤnzender weiß ſcheinen, als die entfernteren;
und umgekehrt, wenn ein weißer Kreis auf grauem Grunde liegend
mit Anſtrengung des Auges angeſehen wird, ſo bemerkt man, daß
das Grau in ſeiner Naͤhe dunkler erſcheint. Wenn man ein gegen
den hellen Himmel gehendes Fenſter lange, bis zu einiger Ermuͤ-
dung des Auges, anſieht und dann das Auge ſchließt, ſo ſieht man
im geſchloſſenen Auge noch ein Bild des Fenſters, in welchem aber
umgekehrt die Scheiben dunkler, die Einfaſſungen heller erſcheinen;
iſt das Auge ſehr reitzbar, ſo kann dieſes falſche Bild im Auge ſich
auch vor dem offenen Auge, wenn man auf eine matt erhellte
Flaͤche ſieht, darſtellen. Dieſe Erſcheinung hat in der Blendung
und dem Ueberreitze, der durch helleres Licht auf einige Theile der
Netzhaut ausgeuͤbt worden, ihren Grund; dieſe Theile naͤmlich,
die bei gleichmaͤßigem ſtarren Hinblicken den ſtaͤrkern Lichtreitz em-
pfunden haben, ſind abgeſtumpfter, als die zunaͤchſt benachbarten;
waͤhrend daher dieſe durch die vom Grau ausgehenden Lichtſtrahlen
II. P
[226] noch lebhaft geruͤhrt werden, erhalten jene durch eben ſolche Licht-
ſtrahlen eine ſchwaͤchere Empfindung und die Flaͤchentheile, deren
Bild auf die mehr gereitzte Stelle faͤllt, erſcheinen uns dunkel. Im
Gegentheil, die Theile der Netzhaut, die ſich bei dem Blicke auf
das Schwarz ausgeruht haben, werden lebhafter von den Strahlen
des Weiß oder Grau gereitzt, und geben uns die Empfindung eines
lebhafteren Eindrucks, eines glaͤnzenderen Weißes, eines helleren
Grau. Daß wir, nachdem wir in die untergehende Sonne geſehen
haben, runde Schattenbilder vor unſerm Auge ſchweben ſehen, iſt
bekannt und hat eben den Grund; der dunkeln runden Bilder ſind
gewoͤhnlich viele, ohne Zweifel weil wir die Sonne nicht gut mit
der Stetigkeit anſehen koͤnnen, daß nur ein immer gleicher Theil
der Netzhaut geruͤhrt wuͤrde.


Hiemit verwandt ſind manche Farben-Erſcheinungen. Wenn
man eine Stange recht ſchoͤn rothes Siegellack auf ein von der
Sonne hell erleuchtetes weißes Papier legt, ſo zeigt ſich, wenn man
das Siegellack unverwandt anſieht und dann das Auge auf das um-
gebende Weiß des Papieres wirft, dieſes nahe am Siegellack ſehr
ſchoͤn blaßgruͤn. Dieſelbe Erſcheinung zeigt ſich als eine blaue Um-
gebung, wenn der Gegenſtand gelb oder orange war, als eine blaß-
rothe, wenn er gruͤn war, oder allgemein, es zeigt ſich dem Auge
auf dem umgebenden Weiß die Ergaͤnzungsfarbe jenes farbigen Koͤr-
pers. Die Erklaͤrung iſt zwar etwas ſchwieriger, als bei dem
Schwarz und Weiß, aber doch dieſer ſehr nahe verwandt. Wir
ſehen naͤmlich, daß das Auge abgeſtumpft wird fuͤr den Eindruck
der rothen Strahlen, wenn dieſe anhaltend und mit lebhaftem
Glanze einen beſtimmten Theil der Netzhaut treffen; faͤllt nun auf
eben den Theil der Netzhaut ein Bild eines weißen Koͤrpers, ſo
machen die aus dem Weiß hervorgehenden blauen, gruͤnen, gelben
Strahlen den gewoͤhnlichen, die rothen Strahlen einen ſchwaͤchern
Eindruck, und das Gruͤn, welches aus der Miſchung der erſtern
entſpringt, zeigt ſich uͤberwiegend in dem Bilde, welches eigentlich
weiß ſein ſollte; ein ſehr helles Gruͤn aber muß ſich zeigen, weil
es ſich nur in dem Maaße mit dem Weiß gemiſcht zeigt, als der
ſchwaͤchere Eindruck des Roth das Gruͤn vorherrſchend macht, indem
ja der Eindruck des Roth keinesweges ganz fehlt. Von Goͤthe
hat dies etwas anders erklaͤrt, indem er eine Gegenwirkung des
[227] Auges annimmt, eine eigene Art von Lebensthaͤtigkeit, die einen
Gegenſatz nach zu ſtarkem Reitze hervorbringt und hier beim Sehen
einen Gegenſatz, der auf unſer Bewußtſein ſo wirkt, wie es die Er-
gaͤnzungsfarbe in andern Faͤllen als objective Farbe thut. Dieſe
Erklaͤrung, die mit andern Erſcheinungen der Lebensthaͤtigkeit zu-
ſammenſtimmt, hat ſehr viel fuͤr ſich; ſie ſcheint mir indeß die vo-
rige nicht aufzuheben, ſondern man kann gar wohl annehmen, daß
die nach optiſchen Geſetzen aus dem Weiß hervorgehende Ergaͤn-
zungsfarbe den Eindruck unterſtuͤtzt, den jener ſich durch eine entge-
gengeſetzte Thaͤtigkeit wieder herſtellende natuͤrliche Zuſtand des Or-
gans bewirkt. Dieſe entgegengeſetzte Thaͤtigkeit ſcheint darum nicht
geleugnet werden zu koͤnnen, weil man Farben-Erſcheinungen im
Hinblicken auf einen dunkeln Grund nach ſehr aͤhnlichen Geſetzen
ſieht.


Aehnliche Erſcheinungen kommen manche vor. Die ſchon
vorhin erwaͤhnten Schattenbilder der Sonne ſind, wenn man ſie
genau betrachtet, blau oder purpurfarben, ſo wie es die Ergaͤn-
zungsfarbe der orangefarben untergehenden Sonne fordert, und das
Bild der Lichtflamme im geſchloſſenen Auge, das nach langem Hin-
ſehen auf die Lichtflamme bemerkt wird, gehoͤrt gleichfalls hieher.


Eine andre hiermit verwandte Erſcheinung iſt das Doppelbild
bei der Spiegelung in einer gefaͤrbten, unbelegten Glasplatte, wo
naͤmlich der dunkle Koͤrper neben einer weißen Flaͤche in dem Bilde,
welches von der Spiegelung an der Hinterſeite der Glasplatte aus-
geht, am Rande die Ergaͤnzungsfarbe zu der des gefaͤrbten Glaſes
zeigt. Stellt (Fig. 107.) AB eine gelbe Glasplatte, DE einen
dunkeln Gegenſtand, O das Auge vor, ſo wiſſen Sie, daß ſich
dem Auge zwei Bilder des dunkeln Gegenſtandes zeigen, eines
durch die zwiſchen d und e zuruͤckgeworfenen Strahlen an der Vor-
derſeite des Glaſes, ein zweites durch die zwiſchen dI und eI an der
Hinterſeite zuruͤckgeworfenen Strahlen. Das Auge O erhaͤlt aber
von fg her reflectirte Strahlen, die von FG ausgehen, alſo ſieht
es auf dem zweiten Bilde des dunkeln Gegenſtandes das Bild des
weißen Himmels, wenn von FG Strahlen des weißen Himmels
herkommen. Da wir annehmen, daß der dunkle Gegenſtand in
D und E begrenzt iſt, ſo kommen aus der Gegend h reflectirte
Strahlen des hellen Himmels zum Auge, und dieſe ſind gelb, weil
P 2
[228] ſie das Glas zweimal durchlaufen haben; daneben kommen von gf
rein weiße Strahlen zum Auge, aber dieſe erſcheinen nun nicht
weiß, ſondern, um es kurz auszudruͤcken, durch den Contraſt blau,
weil das uͤberall nur Gelb ſehende Auge in dem hier rein hervorge-
henden Weiß das Blau als uͤberwiegend erkennt.


Farbige Schatten.


Ganz dieſen Erſcheinungen entſprechend ſind dann auch die
farbigen Schatten, die durch farbiges Licht von der einen Seite
und weißes Licht von der andern Seite hervorgebracht zu werden
pflegen. Dieſe, oft ſehr ſchoͤne Erſcheinung iſt bekannt genug.
Wenn wir bei anfangender Daͤmmerung uns mit einem brennen-
den Lichte an das Fenſter ſetzen, ſo ſehen wir auf weißem Grunde
einen doppelten Schatten aller Gegenſtaͤnde, einen, den die Licht-
flamme giebt und einen, den das Tageslicht giebt; aber dieſe Schat-
ten, die uns jeder einzeln grau vorkommen wuͤrden, in denen wir,
beim bloßen Tageslichte ſo wohl als beim bloßen Kerzenlichte, nur
eine ſchwaͤchere Erleuchtung erkennen wuͤrden, zeigen ſich jetzt ſchoͤn
gefaͤrbt, gelb oder orangefarben der eine, blau der andre. Ueber
den erſten geben wir uns leicht Auskunft. Wir ſagen naͤmlich, da
das Kerzenlicht bekanntlich viel Gelb und Roth enthaͤlt, derjenige
Raum aber, wohin kein Tageslicht faͤllt, nur von dieſem Kerzen-
lichte erleuchtet iſt, ſo muß der dem Tageslichte gegenuͤberliegende,
bloß vom Kerzenlichte erleuchtete Schatten gelb oder orangefarben,
oder roth beim Kohlenfeuer, erſcheinen. Was den dem Kerzenlichte
gegenuͤber liegenden Schatten betrifft, ſo ſollte er hiernach weiß
erſcheinen, denn das noch uͤbrige Tageslicht erhellt dieſen in Be-
ziehung auf die Lichtflamme beſchatteten Raum; gleichwohl erſcheint
uns dieſer Schatten blau, weil das Auge, gereitzt durch die gelbe
Erleuchtung der ganzen von der Flamme beſchienenen Flaͤche, im
Weiß mehr durch die blauen als durch die gelben Strahlen eine
Empfindung der Farbe erhaͤlt. Die unbeſchattete weiße Flaͤche
naͤmlich hat wegen des gelben Kerzenlichtes eine gelbliche Faͤrbung,
die wir, weil alles Weiß, ſo wie wir es dann ſehen, eben die Bei-
miſchung von Gelb hat, nur wenig bemerken; der gegen die Flam-
me beſchattete Theil hat dagegen rein weißes Licht, und der Con-
traſt thut ſich uns in dem Anſchein von Blau dar; die von dieſer
[229] rein weißen Flaͤche ausgehenden Strahlen uͤben mit dem in ihnen
enthaltenen Antheil von Blau auf das von allen Seiten durch das
Gelb fuͤr dieſe Farbe abgeſtumpfte, fuͤr das Gelb gleichſam geblen-
dete, Auge einen vorwaltenden Einfluß aus und die rein weiße
Erleuchtung erſcheint blau, neben dem Gelben.


Die Richtigkeit dieſer Erklaͤrung geht aus mehreren leicht an-
zuſtellenden Verſuchen hervor. Wenn man einen groͤßeren beſchat-
teten Raum, der mit freiem Auge betrachtet ſchoͤn blau erſcheint,
durch ein enges Rohr ſo anſieht, daß von ſeinen Grenzen und von
der umgebenden erhellten Flaͤche gar kein Licht in das Auge koͤmmt,
ſo verſchwindet der Anſchein von Blau, der ſich ſogleich wieder her-
ſtellt, wenn man die erleuchtete Flaͤche und die beſchattete abwech-
ſelnd betrachtet oder zugleich ins Auge faßt. Ferner, man kann
die Erleuchtung vom Kerzenlichte als blau erſcheinend erhalten, wenn
man eine noch mehr gelbe oder noch mehr orangefarbene Erleuch-
tung daneben hat. Um dies zu zeigen, ſtellt man zwei gleiche
Lichtflammen zur Beleuchtung einer weißen Papierflaͤche auf, laͤßt
einen ſchmalen Koͤrper ſeine beiden Schatten werfen und bringt nun
zwiſchen die eine Flamme und den durch ſie erleuchteten Schatten
ein gelbes Glas; ſogleich wird dieſer Schatten als gelb hervortreten
und der andre ſich in einigem Grade blau gefaͤrbt zeigen, aus
Gruͤnden, die im Vorigen enthalten ſind. Sieht man durch ein
gelbes Glas den mit weißen Wolken bedeckten Himmel an, und
haͤlt das Auge ſo, daß es zugleich einen Theil des Himmels neben
dem Glaſe vorbei ſieht, ſo iſt dieſer blaulich; ein rothes Glas wuͤrde
dem frei geſehenen Himmel eine gruͤne Faͤrbung geben u. ſ. w.


So wie in den meiſten Faͤllen blaue Schatten als der Erleuch-
tung durch das Tageslicht entſprechend erſcheinen, ſo kann es auch
gruͤne und rothe Schatten geben. Wenn ein lebhaft gruͤn gefaͤrb-
tes Haus von der Sonne beſchienen, ein helles Licht in das Fenſter
wirft, waͤhrend von einer andern Seite weißes Tageslicht herein
ſcheint, ſo iſt der von jenem gruͤnen Lichte erleuchtete Schatten
gruͤn, der vom Tageslichte erleuchtete hellroth. Noch beſſer zeigt
ſich dies, wenn das Sonnenlicht durch gruͤne Vorhaͤnge einfaͤllt,
und von einer andern Seite her weißes Tageslicht einfaͤllt; dann
ſind alle die weißen Koͤrper, die gegen das gruͤne Licht beſchattet
ſind, hell roͤthlich unter dem Einfluſſe des weißen Lichtes.


[230]

Andre phyſiologiſche und pathologiſche Farben-Er-
ſcheinungen.


Die farbigen Erſcheinungen, die ſich uns bei geſchloſſenem
Auge zeigen, gehoͤren zum Theil gewiß auch in die Reihe dieſer Far-
bengegenſaͤtze. Wenn wir auf eine ſehr erhellte gruͤne Flaͤche geſe-
hen haben, ſo zeigt ſich vor dem geſchloſſenen Auge eine aͤhnliche
Figur in violetter Faͤrbung, die ſich mit einem mehr oder minder
lebhaften gruͤnen Rande umgiebt. Auch die Wechſel, die in dieſen
Farben vorgehen, gehoͤren gewiß hieher, und ſie eben ſind es, die
vorzuͤglich auf eine lebendige Gegenwirkung des Auges, welche ſich
in dem Entſtehen dieſer Ergaͤnzungsfarben zeigt, hindeuten.


Als krankhafte Eigenthuͤmlichkeit mancher Augen aber muß
ich noch die Unſicherheit einiger Menſchen im Unterſcheiden der Far-
ben erwaͤhnen. Sie beſteht darin, daß ſie, bei ſonſt vollkommen
deutlichem Sehen aller Gegenſtaͤnde, ſelbſt bei der reinſten Beleuch-
tung, wo andre Menſchen gar keine Schwierigkeit finden, dunkel-
blau und hellroth, gruͤn und braun, zu unterſcheiden, dieſe Farben
fuͤr ganz gleich erkennen. Die Faͤlle, deren man viele geſammelt
hat, ſind nicht alle uͤbereinſtimmend, indem der eine dunkelblau
und hellroth nicht unterſcheiden konnte, waͤhrend er dunkleres Roth
als eine ganz andre Farbe anerkannte, der andre hellgruͤn mit hell-
roth und tieferes Gruͤn mit dunkelm Roth fuͤr einerlei hielt, und
ſo weiter. Aus dieſer Ungleichheit ſcheint zu erhellen, daß von
Goͤthe
's Meinung, daß dieſer Augenfehler in einer Akyanoblepſie,
in einer Unfaͤhigkeit das Blau zu erkennen, beſtehe, nicht auf alle
Faͤlle paſſe; indeß iſt die genaue Beſtimmung jener Eindruͤcke
ſchwer, und wenn es auch nicht immer das Blau iſt, was in dem
Farbenkreiſe fehlt, ſo iſt doch von Goͤthe's Anſicht, daß eine Un-
faͤhigkeit des Sehenerven, von gewiſſen Farbenſtrahlen afficirt zu
werden, der Grund des Uebels ſei, nicht unwahrſcheinlich. Uebri-
gens laͤßt ſich wohl hoffen, daß uͤber die Farbenreihe, die ſolche
Augen zu unterſcheiden vermoͤgen, vielleicht noch irgend eine allge-
meinere Regel aufgefunden werden kann *).


[231]

Zwoͤlfte Vorleſung.


Die große Reihe von Erſcheinungen, m. h. H., womit ich
Sie bisher unterhalten habe, gewaͤhrt uns eine ſchon ſehr umfaſ-
ſende Kenntniß von den Geſetzen, nach welchen das Licht ſeine Wir-
kungen aͤußert; und obgleich noch ſehr merkwuͤrdige Erſcheinungen
uͤbrig ſind, ſo iſt es doch wohl angemeſſen, hier einmal ſtill zu
ſtehen, und die Verſuche, die man gemacht hat, um die bisher
betrachteten Phaͤnomene aus einer uͤber die Natur des Lichtes an-
genommenen Hypotheſe zu erklaͤren, einer genauern Pruͤfung zu
unterwerfen.


Zwei Hypotheſen ſind es vorzuͤglich, die man zu dieſem Zwecke
aufgeſtellt hat, die Emiſſionstheorie und die Undula-
tionstheorie. Die erſtere iſt vorzuͤglich von Newton ausge-
bildet und in der neueſten Zeit von Biot und dem juͤngern Her-
ſchel ſo weit, als es fuͤr jetzt moͤglich ſcheint, auf alle Erſcheinun-
gen angewandt worden. Die zweite iſt von Huyghens ſchon mit
vielem Scharfſinn durchgefuͤhrt, von Euler vertheidigt und in
neuern Zeiten aus Gruͤnden, die ſpaͤter vorkommen, von Young,
Poiſſon, Fresnel, Fraunhofer weiter ausgebildet worden.
Ich werde heute nur von jener reden.


Die Emiſſionstheorie.


Der Hauptgedanke in der Emiſſionstheorie iſt der allerdings
am natuͤrlichſten ſcheinende, daß die Lichtmaterie, die wir uns als
aus kleinen Koͤrpertheilchen beſtehend denken, von den ſelbſtleuch-
tenden Koͤrpern ausgehe, daß dieſe Lichttheilchen durch eine unbe-
kannte Kraft fortgetrieben in graden Linien den Weltraum durch-
eilen, und unſer Auge treffend uns die Empfindung des Lichtes
gewaͤhren. Daß wir die Urſache der ſo großen, faſt unermeßlichen
Geſchwindigkeit des Lichtes nicht kennen, iſt gegen dieſe Anſicht kein
erheblicher Einwurf, da uns uͤber die erſten Urſachen auch andrer
Erſcheinungen gleiche Dunkelheiten uͤbrig bleiben. Aber bedeutender
[232] hat man den Einwurf gefunden, daß dieſe ſeit Jahrtauſenden von
der Sonne ausgehenden Lichttheilchen die Maſſe derſelben muͤßten
vermindert haben, und daß die von irdiſchen Koͤrpern, vorzuͤglich
von den undurchſichtigen und das Licht wenig zuruͤckwerfenden Koͤr-
pern aufgefangenen und gleichſam abſorbirten Lichtſtrahlen Veraͤn-
derungen in dieſen hervorbringen muͤßten, die wir gleichwohl nicht
wahrnehmen. Dieſen Einwuͤrfen laͤßt ſich die ungemeine Feinheit
der Lichttheilchen entgegenſetzen, und die Vermuthung, daß nur
wenige Koͤrper (denn einige leiden eine Veraͤnderung durch das Licht,)
faͤhig ſind, durch dieſe feine Materie veraͤndert zu werden. Von
der großen Feinheit dieſer Theilchen koͤnnen wir den uͤberzeugendſten
Beweis darin finden, daß die alle Vorſtellung uͤberſteigende Schnel-
ligkeit der Lichttheilchen doch nirgends einen mechaniſchen Effect
weder auf andre Koͤrper noch auch auf unſer ſo zartes Auge hervor-
bringt; nach den Principien der Mechanik kann dies nur bei einer
unermeßlichen Feinheit der ſo ſchnell bewegten Theilchen ſtatt finden.
Ein andrer Einwurf, der aber auf eine aͤhnliche Art auch die zweite
Hypotheſe trifft, iſt der, daß dieſe zahlloſen, ſchnell fortbewegten
Lichttheilchen den Weltraum in einigem Grade erfuͤllen, und einen
Widerſtand fuͤr die Bewegung der Himmelskoͤrper hervorbringen,
vor allem aber durch ihr Zuſammentreffen ihre Bewegung gegenſeitig
ſtoͤren muͤßten. Dieſen Einwurf raͤumt einigermaßen die Voraus-
ſetzung, daß die Lichttheilchen nur in ſehr weiten Zwiſchenraͤumen
ſich einander folgen, weg; denn allerdings dauert der Licht-Ein-
druck in unſerm Auge ſo lange, daß wenn auch nur in jeder Vier-
telſecunde ein neues Lichttheilchen ankaͤme, uns keine Unterbre-
chung merkbar werden wuͤrde, und es koͤnnten folglich die Licht-
theilchen um zehntauſend Meilen von einander entfernt ſein. Daß
aber dieſe laͤngere Dauer des Licht-Eindruckes ſtatt finde, davon
uͤberzeugt uns der bekannte Verſuch, wo man einen leuchtenden
oder glaͤnzenden Koͤrper im Kreiſe herumſchwingt und den ganzen
Kreis leuchtend ſieht, obgleich der leuchtende Koͤrper doch in jedem
Augenblicke nur von einem beſtimmten Puncte her Licht ausſendet.


Erklaͤrung der gradlinigen Fortpflanzung des Lichts.


Der grade Fortgang der Lichtſtrahlen verſteht ſich nach dieſer
Hypotheſe von ſelbſt, indem, ſo lange der Fortgang in einem ganz
[233] gleichfoͤrmigen Medio ſtatt findet, kein Grund zu irgend einer Ab-
weichung von der graden Linie vorhanden iſt. Die mit der groͤßer
werdenden Entfernung abnehmende Erleuchtung iſt ebenfalls leicht
zu erklaͤren; denn da dieſe Erleuchtung ohne Zweifel durch Licht-
theilchen, die von den erleuchteten Koͤrpern zuruͤckgeſandt werden,
uns kenntlich wird, ſo haͤngt ſie gradezu von der Zahl der antreffen-
den Lichttheilchen ab, deren Menge im umgekehrten Verhaͤltniſſe
des Quadrates der Entfernungen abnimmt, und zugleich auf die
oben angegebene Weiſe vom Einfallswinkel abhaͤngt.


Auch die Aberration des Lichtes iſt dieſer Hypotheſe angemeſ-
ſen, indem ſich uns die Einwirkung des Lichtes nach den Geſetzen
der Zuſammenſetzung der Bewegung darſtellen muß, wenn wir die
bewegten Lichttheilchen auf der bewegten Erde wahrnehmen; wir
muͤſſen unſer Fernrohr in die Stellung bringen, die der relativen
Bewegung des Lichttheilchens gegen die Erde gemaͤß iſt, grade ſo,
wie die Beobachtung der Aberration es zeigt.


Die Frage, wie die Lichttheilchen die durchſichtigen Koͤrper
durchdringen, hat man gewoͤhnlich als etwas ſchwer zu beantworten
angeſehen, das aber iſt ſie wohl nicht; denn bei der unendlichen
Feinheit und bei der ſehr großen Geſchwindigkeit des Lichtes mag
es wohl ſelbſt durch die haͤrteſten durchſichtigen Koͤrper mit eben der
Leichtigkeit durchdringen, wie ein groͤßerer und langſam bewegter
Koͤrper durch die Luft. Durchſichtigkeit beſtaͤnde alſo darin, daß
die Lichttheilchen leicht ſich eine Bahn durch den Koͤrper machten,
und undurchſichtige Koͤrper waͤren die, in deren Structur der Fort-
gang des Lichtes Hinderniſſe findet, durch welche es ſeine Bewegung
verliert. Dabei iſt das wenigſtens gewiß, daß Koͤrper, deren
Structur deutlich geſchichtet, faſerig, oder ſonſt von Zwiſchenraͤu-
men unterbrochen iſt, ſich allemal undurchſichtig zeigen, und daß
Gleichfoͤrmigkeit der Dichtigkeit ſelbſt in den kleinſten Theilen, ſo
wie ſie bei fluͤſſigen Koͤrpern in hohem Grade ſtatt findet, die Durch-
ſichtigkeit befoͤrdert; daher wird Papier mit Waſſer getraͤnkt durch-
ſcheinend und mit Oel getraͤnkt noch mehr durchſichtig, weil die
Einwirkung des Oeles auf die Lichttheilchen noch naͤher der Einwir-
kung der Papiertheilchen gleich ſein muß. An den Grenzen ungleich
auf das Licht wirkender Koͤrper wird das Licht reflectirt und zerſtreut,
alſo im Innern der Koͤrper ganz und gar unwirkſam.


[234]

Geſetze der Brechung nach dieſer Theorie.


Da die Brechung des Lichtes ſo ſehr genuͤgend von Newton
erklaͤrt iſt, ſo will ich dieſe hier eher als die Zuruͤckwerfung abhan-
deln, um ſo mehr, da die Einwuͤrfe gegen die Erklaͤrung der letz-
tern dadurch verſtaͤndlicher werden. Nach Newton's Meinung
uͤben alle Koͤrper auf die Lichttheilchen eine anziehende Kraft aus,
und da dieſe ungleich ſtark iſt nach der Dichtigkeit und ſonſtigen
Verſchiedenheit der Koͤrper, ſo muß auch die Aenderung der Rich-
tung des Lichtſtrahls, das iſt die Brechung, verſchieden ſein. Um
hier die hoͤchſt genuͤgende Reihe der Schluͤſſe Newton's zu ent-
wickeln, muß ich auf einige Lehrſaͤtze der Mechanik zuruͤckgehen.


So lange das Lichttheilchen in einer gleichartigen Materie
fortgeht, wird es von allen Seiten gleich angezogen, es iſt daher
kein Grund da, warum es von ſeiner graden Richtung abweichen
ſollte. Naͤhert ſich das Lichttheilchen einem dichteren oder das Licht
mehr anziehenden Koͤrper, und iſt die Trennungsflaͤche beider Koͤr-
per eine Ebne, die ſich weiter als die Wirkungsſphaͤre der Koͤrper-
theilchen erſtreckt, ſo uͤbt dieſer Koͤrper eine auf die Trennungsflaͤche
ſenkrechte Kraft aus, weil die Anziehung ſeitwaͤrts, als nach allen
Seiten gleich, ſich aufhebt. Da, wie wir ſogleich ſehen werden,
die Einwirkung auf die Lichttheilchen in ſehr enge Grenzen, viel
enger, als daß wir die Ausdehnung derſelben ſinnlich wahrnehmen
koͤnnten, eingeſchloſſen iſt, ſo reicht ſelbſt die geringſte Ausdehnung
der Trennungs-Ebne zu, um bis uͤber die Grenzen jener Wir-
kungsſphaͤre zu reichen, und bei Koͤrpern, die durch krumme Ober-
flaͤchen begrenzt ſind, betrachtet man mit allem Rechte die Beruͤh-
rungsflaͤche an dem Puncte, wo der Lichtſtrahl auftrifft, als die-
jenige Ebne, gegen welche hier die Anziehungskraft des Koͤrpers ſenk-
recht iſt, weil die von ihr abweichenden Puncte der Oberflaͤche ſchon
außerhalb der Wirkungsſphaͤre der Theilchen liegen. Die ganze
Einwirkung des unter CD liegenden Koͤrpers (Fig. 108.) auf
das nach der Richtung EF heran kommende Lichttheilchen iſt alſo
ganz derjenigen aͤhnlich, welche die Schwerkraft auf einen ſchief
gegen die Erde zu geworfenen Koͤrper ausuͤbt. Waͤre dieſe Einwir-
kung auf eine bedeutende Entfernung merklich, ſo muͤßte der Weg
des Lichtes EGH allmaͤhlig gekruͤmmt ſein, und erſt da wieder in
[235] eine grade Richtung uͤbergehen, wo das Theilchen tief genug in
den Koͤrper CDH eingedrungen iſt, um von allen Seiten gleiche
Wirkung zu erleiden. Hier zeigt nun die Mechanik, daß das Theil-
chen, wenn es mit einer beſtimmten Geſchwindigkeit ankam, bei
dem Eindringen in den ſtaͤrker anziehenden Koͤrper eine groͤßere und
zwar eine nur von der Natur des Koͤrpers CDH abhaͤngende Ge-
ſchwindigkeit erlangt, die nicht von dem Winkel, unter welchem
das Theilchen auftrifft, abhaͤngt; und aus dieſem feſt begruͤndeten
Satze der Mechanik geht es als nothwendige Folgerung hervor, daß
der Sinus des Einfallswinkels zum Sinus des Brechungswinkels
bei allen Richtungen des Strahls ein gleiches Verhaͤltniß behalten
muß, wenn die Koͤrper, aus welchem und in welchen der Strahl
uͤbergeht, dieſelben bleiben. Dieſer Satz iſt leicht zu erweiſen. Of-
fenbar naͤmlich wird der Fortgang des Lichttheilchens nach einer mit
der Oberflaͤche CD parallelen Richtung durch die anziehende Kraft
weder befoͤrdert noch gehindert, und wenn der Lichtſtrahl in einer
beſtimmten Zeit von I nach K kam vor dem Eintritte und von K
nach Lnach dem Eintritte, ſo iſt IN = LM; daraus aber er-
giebt ſich ſogleich, daß fuͤr KP = IK das Verhaͤltniß der Senk-
rechten IN, PQ immer gleich iſt fuͤr alle Einfallswinkel, weil das
Verhaͤltniß der Geſchwindigkeiten IK, KL, nicht von dem Ein-
fallswinkel abhaͤngt. Ich kann nun auch wohl, ohne unverſtaͤnd-
lich zu ſein, hinzufuͤgen: das Verhaͤltniß dieſer Senkrechten IN
PQ,
(die, wenn ſie zu gleichen Entfernungen KI, KP, gehoͤren,
Sinus der Winkel IKN, PKQ, heißen,) iſt mit dem umgekehr-
ten Verhaͤltniß der Geſchwindigkeiten oder der in gleichen Zeiten
durchlaufenen Raͤume KL, IK, einerlei. In Beziehung auf die
hier gemachten hypothetiſchen Vorausſetzungen ſagen wir alſo, in
einer Glas-Art, wo die Sinus des Einfallswinkels und des Bre-
chungswinkels wie 1 zu ⅔ beim Eindringen oder wie 1 zu 1½ beim
Hervordringen in den leeren Raum ſich verhalten, da iſt die Ge-
ſchwindigkeit des Lichtes 1½ mal ſo groß im Glaſe als im luftlee-
ren Raume, und dieſe roße Vermehrung der Geſchwindigkeit des
Lichtes wird im Eindringen ſo ſchnell hervorgebracht und beim
Herausdringen ſo ſchnell wieder zerſtoͤrt, daß unſre Sinne den
Raum, in welchem dieſe Veraͤnderung als allmaͤhlig eintretend
vorgeht, durchaus nicht wahrnehmen koͤnnen. Daß aber die
[236] im Glaſe erlangte Geſchwindigkeit nach dem Hervordringen des
Lichttheilchens auch voͤllig wieder zerſtoͤrt iſt, wenn das Licht in den
luftleeren Raum uͤbergeht, aus welchem es kam, das iſt wohl leicht
zu uͤberſehen, da die Attraction genau ſo verzoͤgernd beim Austritte,
wie beſchleunigend beim Eintritte, wirken muß.


Bei dieſer Betrachtung bietet ſich uns auch eine genauere
Beſtimmung deſſen dar, was wir hier im ſtrengen Sinne bre-
chende Kraft nennen ſollen. Die Mechanik lehrt, daß die
anziehende Kraft, die hier mit der Brechungskraft des Koͤrpers
einerlei iſt, dem Unterſchiede der Quadrate der Geſchwindigkeiten
proportional iſt; wir werden daher fuͤr Glas, wenn 1 zu 1½ das
Verhaͤltniß der Geſchwindigkeiten im luftleeren Raume und im Glaſe
iſt, die Brechungskraft = \frac{3}{2}⋅\frac{3}{2}-1 oder \frac{9}{4}-1 = \frac{5}{4} finden;
fuͤr Waſſer, wo ich das Brechungsverhaͤltniß 1 zu ¾, die Geſchwin-
digkeit wie \frac{4}{3} zu 1 ſetze, iſt die Kraft \frac{4}{3}⋅\frac{4}{3}-1 = \frac{7}{9}, und ſo
wuͤrde man in allen Faͤllen rechnen. Genauere Beſtimmungen
ergeben die Brechungskraft beim Diamant = 5, 1, beim Sap-
phir = 2,2, beim Flintglaſe = 1,69, beim Tafelglaſe = 1,53,
beim engl. Kronglaſe = 1,37, beim Oliven-Oel = 1,16, beim
Waſſer = 0,78.


An dieſe Berechnung der Brechungskraft hat ſchon Newton
eine wichtige Bemerkung geknuͤpft. Im Allgemeinen ſteigt, wie
ſich erwarten laͤßt, die Brechungskraft mit der Dichtigkeit, ſo
daß zum Beiſpiel die Dichtigkeit des Flintglaſes und Kronglaſes
ſich wie 1,69 zu 1,15, die Brechungskraft, wie 1,69 zu 1,37,
verhalten; die Dichtigkeit des Sapphirs zur Dichtigkeit des Kron-
glaſes wie 2,2 zu 1,38, die Brechungskraft 2,2 zu 1,37 iſt,
u. ſ. w.; aber die brennbaren Koͤrper machen hiervon eine hoͤchſt
auffallende Ausnahme, ſo daß ſie eine viel ſtaͤrkere Brechungskraft
haben, als ihre Dichtigkeit zu fordern ſcheint. Der Diamant iſt
nicht ſo dicht als Flintglas und hat eine dreimal ſo große Bre-
chungskraft als dieſes; der Sapphir iſt bedeutend ſchwerer als der
Diamant, und doch hat dieſer eine 2¼ mal ſo große Brechungs-
kraft; Oliven-Oel iſt ſo leicht, daß Kronglas als 2¾ mal ſo dicht
kann angegeben werden, und doch ſteht die Brechungskraft des
Oliven-Oeles der des Kronglaſes nicht viel nach. Indeß auch bei
[237] andern Koͤrpern haͤngt dieſe Brechungskraft nicht ſo beſtimmt von
der Dichtigkeit ab, und es erhellt, daß auch hier die mannigfaltig-
ſten Verſchiedenheiten, ungleiche Verwandtſchaften der Koͤrper zum
Lichte, ſtatt finden moͤgen. Nimmt man auf die geringe Dichtig-
keit des Phosphors Ruͤckſicht, ſo ſteht er in dem Maaße ſeiner
Brechungskraft noch uͤber dem Diamant, auch der Schwefel geht
dieſem letztern noch voran; nach dem Diamant folgen die Oele,
Harze, Campher; Waſſer und Salzſaͤure, welche Hydrogen ent-
halten, ſtehen vor den Sauerſtoffſaͤuren, den Glas-Arten, den
Edelſteinen u. ſ. w.


Ich kehre zu der Theorie der Brechung zuruͤck, die uns noch
uͤber eine andre, Ihnen ſchon bekannte Erſcheinung vollkommenen
Aufſchluß giebt. Sie erinnern ſich der Umſtaͤnde, wo an der Ruͤck-
ſeite des Glaſes die Brechung in Zuruͤckwerfung uͤberging, wo
z. B. im Prisma ſich alle Gegenſtaͤnde im vollſten Glanze geſpiegelt
zeigten; die Theorie fuͤhrt auf dieſen Fall als auf eine nothwendige
Folgerung. Obgleich die Brechung ſo ploͤtzlich erfolgt, daß die
Kruͤmmung des Lichtſtrahls, durch welche der Uebergang aus der
Richtung vor der Brechung in die Richtung nach der Brechung
ſtatt findet, ganz unmerklich iſt, ſo wird es mir doch erlaubt ſein,
die unmerkliche kleine Kruͤmmung, gleichſam ſtark vergroͤßert geſehen,
ſo darzuſtellen, daß ich den aus dem Glaſe AFGL hervordringenden
Strahl (Fig. 109.) AB, als bei B allmaͤhlich der mindern An-
ziehung der Luft unterworfen, bei C aus dem Glaſe hervordringend,
bei D die ganze Wirkungsſphaͤre des Glaſes verlaſſend, und nun
nach der graden Linie DE in der Luft fortgehend, zeichne. Bei
dem wirklich in die Luft hervordringenden Strahle wird durch die
zuruͤckziehende Kraft des Glaſes AFG die Geſchwindigkeit vermin-
dert und die Richtung des Strahles der Richtung der Oberflaͤche
FG naͤher gebracht; aber wenn der Strahl unter einer ſolchen
Neigung wie IH ſich der Oberflaͤche naͤhert, ſo laͤßt ſich leicht uͤber-
ſehen, daß der Strahl in der Gegend K ſchon alle gegen die
Oberflaͤche zu gerichtete Geſchwindigkeit kann verlohren haben, und
daß, wenn dort ſeine Richtung mit FG parallel geworden iſt, ehe
das Lichttheilchen die Wirkungsſphaͤre des dichteren Koͤrpers ver-
laſſen hat, nun die anziehende Kraft des Glaſes das Lichttheilchen
noͤthigen wird, eine Bahn der IHK ganz aͤhnlich nach KLM zu
[238] durchlaufen. Fuͤr unſre Beobachtung iſt der ganze Theil HKL
der Bahn des Lichttheilchens, als ein unmittelbar an der Oberflaͤche
liegender Punct anzuſehen, und der Lichtſtrahl zeigt ſich uns, als
unter eben dem Winkel reflectirt, unter welchem er ankommend die
Oberflaͤche erreicht hatte.


Dieſe vollkommene Reflexion kann eigentlich, wenn wir die
Betrachtung ſo auf eine, weit uͤber die Schaͤrfe der Sinne hinaus-
gehende Weiſe anſtellen, in zwei verſchiedenen Faͤllen ſtatt finden,
indem jener Punct K, wo der Ruͤckgang gegen das Innere des
dichtern Koͤrpers anfaͤngt, entweder noch innerhalb des dichtern
Koͤrpers, oder auch ſo nahe außerhalb deſſelben in K liegen kann,
daß er noch in der Wirkungsſphaͤre des dichteren Koͤrpers ſich befin-
det. In beiden Faͤllen iſt die vollkommene Zuruͤckwerfung gleich
gut vorhanden; aber nur in dem erſteren Falle laͤßt ſich die intereſ-
ſante Anwendung von dieſer Betrachtung machen, die Wollaſton
davon angegeben hat, bei der ich einen Augenblick verweilen will.


Sie haben im Vorigen geſehen, daß wir Mittel haben, fuͤr
feſte und fluͤſſige durchſichtige Koͤrper das Brechungsverhaͤltniß und
folglich die Brechungskraft zu finden, und daß dieſes ſogar fuͤr ſo
zerſtuͤckelte durchſichtige Koͤrper, von denen man keine erhebliche
Stuͤcke erhalten kann, gelang; aber an die Beſtimmung der Bre-
chung in undurchſichtigen Koͤrpern ſcheint es, duͤrfe man gar nicht
denken; — gleichwohl bietet ſich uns hier ein Weg dazu dar.
Geſetzt der Koͤrper FGE, (Fig. 109.) der eine viel geringere
Brechungskraft als AFG hat, waͤre undurchſichtig, ſo koͤnnte noch
immer die Anziehungskraft des durchſichtigen Koͤrpers AFG, in
Vergleichung gegen die ſchwaͤchere Anziehungskraft des undurchſich-
tigen, bewirken, daß das Lichttheilchen die Bahn IKM durchliefe,
und wenn dieſe ſich ganz innerhalb des durchſichtigen Koͤrpers be-
faͤnde, ſo wuͤrde man die Zuruͤckwerfung wahrnehmen koͤnnen, ſtatt
daß beim Eindringen in den undurchſichtigen Koͤrper alle weitere
Wahrnehmung aufhoͤren wuͤrde. Die Beobachtung, wie klein der
Winkel IHB werden muß, damit dieſe Reflexion einzutreten an-
fange, giebt alſo auf eine der Hauptſache nach leicht zu uͤberſehende
Weiſe die Groͤße der Brechungskraft des undurchſichtigen Koͤrpers.
Dieſe Beſtimmung iſt freilich nur da anwendbar, wo die Bre-
chungskraft des undurchſichtigen Koͤrpers nicht zu groß iſt, und
[239] daher kann man bei Metallen und andern Koͤrpern, die eine große
Brechungskraft zu beſitzen ſcheinen, keinen Gebrauch davon machen;
aber einige Anwendungen finden doch ſtatt. Malus hat dies
am Wachs gezeigt, deſſen Brechungskraft man im fluͤſſigen Zu-
ſtande, wo es durchſichtig iſt, unterſuchen kann, und das man auch
erhaͤrtet, als undurchſichtigen Koͤrper, an die Hinterſeite des Pris-
ma's anbringen, und nun den Winkel, bei welchem die volle Re-
flexion anfaͤngt, beobachten kann. Berechnet man aus dem letztern
Verſuche die Brechungskraft des undurchſichtigen Wachſes, ſo findet
man ſie von der des fluͤſſigen nur ſoviel, als die etwas veraͤnderte
Dichtigkeit fordert, verſchieden.


Zuruͤckwerfung des Lichtes. Ungleiche Zuſtaͤnde der
Lichttheilchen
.


Von dieſen ſo ſchoͤnen Folgerungen aus der bei der Brechung
ſtatt findenden Anziehung der Koͤrper auf die Lichttheilchen gehe ich
zur Erklaͤrung der Zuruͤckwerfung der Lichtſtrahlen an den Spiegeln
uͤber, die nicht ſo einfach, als der Emiſſionstheorie entſprechend,
nachgewieſen werden kann. Zwar hat man ſich oft genug begnuͤgt,
die feinen Lichttheilchen als den Geſetzen der Elaſticitaͤt gemaͤß von
der vollkommen ebenen Oberflaͤche des Spiegels zuruͤckgeworfen
darzuſtellen; aber dieſe Vorſtellung thut nicht einmal der Spiege-
lung auf der Vorderflaͤche des harten oder dichteren Koͤrpers Ge-
nuͤge, und noch weit weniger der Spiegelung an der Hinterflaͤche,
wo ſie doch immer wenigſtens im ſchwachen Grade ſtatt findet.
Selbſt fuͤr die Vorderflaͤche naͤmlich findet der wichtige Einwurf
ſtatt, daß wir aus andern Gruͤnden genoͤthigt ſind, die Lichttheil-
chen ſo fein anzunehmen, daß die Politur unſrer Spiegel dagegen,
als immer noch große Unebenheiten darbietend, anzuſehen iſt.
Daß aber jedes Hineintreffen zwiſchen die Theile der Vorderflaͤche
ein Zerſtreuen der Lichtſtrahlen bewirken muͤſſe, ein Abweichen von
dem genauen Geſetze der Zuruͤckwerfung an einer geometriſch voll-
kommenen Ebene, das iſt wohl klar genug. Wahr iſt es freilich,
daß ſelbſt der ſchoͤnſte Spiegel nicht alles Licht zuruͤckwirft, daß nur
wenig uͤber die Haͤlfte den Geſetzen der Reflexion folgt, und alles
uͤbrige alſo theils zerſtreut zuruͤckgeworfen wird, theils in den feſten
Koͤrper eindringt und verlohren geht; aber es ſcheint dennoch, daß
[240] die Unvollkommenheit der Spiegelflaͤche noch groͤßere Unregelmaͤ-
ßigkeit bewirken muͤßte. Newton hat daher noͤthig gefunden, den
Koͤrpern auch eine an ihren Oberflaͤchen wirkſame Reflexionskraft
oder zuruͤckſtoßende Kraft beizulegen, und wenn man die Wir-
kungsſphaͤre dieſer als die Groͤße der Unebenheiten der Oberflaͤche
uͤbertreffend anſieht, ſo bildet die Grenze der Wirkungsſphaͤren
ABC (Fig. 110.) oder der um a, b, c, d, e, f, g, gezogenen
Kreiſe eine mehr der Ebene nahe kommende Flaͤche, als die feſte
Oberflaͤche afbcgde ſelbſt. Dieſe zuruͤckſtoßende Kraft raubt den
ſich naͤhernden Lichttheilchen ihre gegen die Ebene der Oberflaͤche AB
ſenkrechte Geſchwindigkeit (Fig. 111.); da aber dabei die mit der
Ebne AB parallele Geſchwindigkeit ungeaͤndert bleibt, und das in D
angekommene Theilchen, nachdem es alle gegen AB zu gerichtete
Geſchwindigkeit verlohren hat, eine von AB abwaͤrts gehende Ge-
ſchwindigkeit nach eben denſelben Geſetzen wieder erlangt, wie jene
verlohren war, ſo muß DE unter eben dem Winkel wie CD
gegen AB geneigt ſein.


Aber obgleich niemand zweifeln kann, daß eine ſolche Abſto-
ßungskraft die Geſetze der Spiegelung vollkommen erklaͤre, ſo hat
man doch gegen die Vorausſetzung, daß eine ſolche Kraft hier wirkſam
ſei, den wichtigen Einwurf gemacht, es ſei nicht wohl denkbar, daß in
eben der Gegend, wo eine Anziehungskraft der Koͤrper auf die der
Refraction unterworfenen Lichttheilchen ſtatt finde, eine Abſto-
ßungskraft auf die der Reflexion unterworfenen Lichttheilchen anzu-
nehmen ſei, und ferner es erhelle nicht, warum einige Lichttheil-
chen zuruͤckgeworfen werden, andre aber ihren Weg fortſetzen.
Dem letzten Einwurfe weicht Newton durch eine, hier noch
nicht ganz begruͤndete, aus andern Erſcheinungen aber einen hoͤhern
Grad von Wahrſcheinlichkeit erhaltende Vorausſetzung aus, indem
er die Lichttheilchen als einem wechſelnden Zuſtande unterworfen an-
ſieht, vermoͤge deſſen daſſelbe Lichttheilchen bald zu einer leichtern
Zuruͤckwerfung geeignet, bald einer leichteren Durchlaſſung durch
die jene zwei ungleichen Koͤrper trennende Oberflaͤche faͤhig iſt.
Die Gruͤnde, die fuͤr dieſe Abwechſelungen, fuͤr dieſe Anwand-
lungen, leichtern Durchgangs und leichterer Zu-
ruͤckwerfung ſprechen, werde ich ſpaͤter anfuͤhren; hier genuͤgt
es, zu bemerken, daß die Zuruͤckwerfung einiger Lichtſtrahlen, die
[241] Durchlaſſung anderer allerdings ſtatt finden kann, wenn eine ſolche
ungleiche Einwirkung der Kraͤfte angenommen wird. Ohne eben
mit einer Vergleichung etwas Reelles ausſprechen zu wollen, mag
wenigſtens als Vergleichung ein Beiſpiel von Magnetnadeln her-
genommen werden, die mit ſchneller Bewegung gegen den Nordpol
eines Magnetes geworfen, gewiß ihre Geſchwindigkeit in ſehr un-
gleichem Maaße verlieren wuͤrden, indem die Nadeln, deren
Nordpol dem Nordpole des großen Magnetes zugewandt waͤre,
einer zuruͤckſtoßenden Kraft, die deren Suͤdpol zugewandt waͤre,
einer anziehenden Kraft unterworfen ſein wuͤrden. Wir wuͤrden
demnach die an irgend eine Oberflaͤche antreffenden Theilchen als
in allen verſchiedenen Phaſen der Anwandelungen (das heißt in
allen verſchiedenen Zuſtaͤnden, welche den Uebergang von der leich-
teſten Zuruͤckwerfbarkeit bis zu der groͤßten Faͤhigkeit durchgelaſſen
zu werden, in den andern Koͤrper einzudringen, darſtellen,) an-
treffend anſehen muͤſſen, und dann wuͤrden am leichteſten diejenigen
Theilchen zuruͤckgeworfen werden, die ſich in dem Zuſtande der
leichteſten Zuruͤckwerfung befinden; dieſe wuͤrden, ſelbſt bei ſenkrech-
tem Auftreffen auf die Trennungsflaͤche beider Koͤrper, ihre ganze
Geſchwindigkeit durch die abſtoßende Kraft des Koͤrpers verlieren
und eine neue abwaͤrts gerichtete Geſchwindigkeit erhalten, ſo daß
ſie ſelbſt in dieſem Falle eine theilweiſe Zuruͤckwerfung des Strah-
les ergaͤben. Wenn der Einfallswinkel ſich vom rechten Winkel
entfernt, ſo iſt die ſenkrecht gegen die Oberflaͤche gerichtete Geſchwin-
digkeit deſto geringer, je naͤher die Richtung des Strahles mit der
Richtung der Oberflaͤche uͤbereinſtimmt; je mehr dies der Fall iſt,
deſto leichter wird die abſtoßende Kraft dieſe gegen die Oberflaͤche
ſenkrechte Geſchwindigkeit zerſtoͤren, deſto mehr werden alſo auch
diejenigen Theilchen, die weniger leicht zuruͤckgeworfen werden,
die in einem Zuſtande ſind, der ſie weniger den abſtoßenden Kraͤften
unterworfen macht, ſich mit den zuruͤckgeworfenen vereinigen, und
es wird das eintreten, was ſehr bekannte Erfahrungen lehren, daß
bei ſchief einfallenden Strahlen die durch Spiegelung zuruͤckgehenden
Strahlen immer zahlreicher werden. Dieſe Schluͤſſe gelten auf
aͤhnliche Weiſe da, wo der Lichtſtrahl aus einem duͤnnern Koͤrper
in einen dichtern uͤbergeht, wie da, wo er den dichtern verlaͤßt, um
wieder in einen duͤnneren uͤberzugehen.


II. Q
[242]

Dieſe auf das Licht einwirkenden Kraͤfte ſcheinen an der
Oberflaͤche zweier Koͤrper in abwechſelnden Schichten wirkſam zu
ſein, ſo daß das Theilchen vielleicht einem abwechſelnden Wirken
beider Kraͤfte unterworfen iſt. Die anziehende Kraft muß bei dem
Eintritt in dichtere Koͤrper am fruͤheſten auf den Lichtſtrahl wirken,
indem ſelbſt von denjenigen Lichtſtrahlen, die den allerkleinſten
Winkel mit der Brechungs-Ebne, mit der Ebne, wo beide Koͤrper
an einander grenzen, machen, ſelbſt von den Lichtſtrahlen alſo deren
gegen dieſe Ebne gerichtete Geſchwindigkeit leicht voͤllig zu zer-
ſtoͤren iſt, dennoch immer einige Theilchen in den dichteren Koͤrper
eindringen; waͤre in Beziehung auf dieſe die abſtoßende Kraft die
zuerſt oder bis zu groͤßern Fernen einwirkende, ſo wuͤrden ſie gar
nicht in den Wirkungskreis der anziehenden Kraͤfte gelangen.


Merkwuͤrdig iſt hiebei die Erfahrung, daß dieſe anziehenden
und abſtoßenden Kraͤfte in einer ſo genauen Uebereinſtimmung
ſtehen, daß da, wo beim Uebergange aus einem Koͤrper in den
andern die Brechung geringe iſt, auch die Zuruͤckwerfung geringe
iſt, und wo jene ganz aufhoͤrt, auch dieſe in den meiſten Faͤllen
ganz verſchwindet; indeß macht Brewſter die Bemerkung, daß
dieſes gaͤnzliche Verſchwinden der zuruͤckgeworfenen Strahlen, we-
nigſtens in einigen Faͤlle, wo doch die Brechung vollkommen auf-
hoͤrte, oder wo die anziehenden Kraͤfte ſich als voͤllig gleich bei
beiden Koͤrpern zeigten, nicht im ſtrengſten Sinne ſtatt fand.


Ungleiche Einwirkung auf die verſchiedenen Farben-
ſtrahlen.


Die verſchiedene Brechbarkeit der einzelnen Farbenſtrahlen
erklaͤrt ſich hier aus der ungleichen Gewalt, mit welcher die anzie-
hende Kraft der Koͤrper auf die verſchiedenen Lichttheilchen, die
unſerm Auge den Eindruck einer verſchiedenen Farbe geben, wirkt.
Die Lichttheilchen, die unſerm Auge das Violett darſtellen, werden
in allen Faͤllen am ſtaͤrkſten angezogen, da wo der Uebergang in
einen, das Licht ſtaͤrker anziehenden Koͤrper ſtatt findet, und der
am ſtaͤrkſten gebrochene Strahl zeigt ſich uns daher als violett;
die Theilchen, die den Eindruck des Blau, Gruͤn, Gelb, Orange,
Roth geben, ſind, je naͤher ſie dem Roth ſtehen, deſto weniger
einer ſtarken Anziehung unterworfen, und da es eine Abſtufung,
[243] eine ſtetige Folge dieſer Theilchen giebt, ſo breitet der Strahl ſich
in die ſtetige Folge ungleich gebrochener Strahlen aus, die wir
durch die Verſuche kennen lernen. Die Verwandtſchaft der einzel-
nen Koͤrper gegen die eine und gegen die andre Art der Lichttheilchen
iſt nicht in uͤbereinſtimmendem Maaße ungleich, daher iſt die
Farbenzerſtreuung, ſelbſt bei gleicher Brechung der mittleren Far-
benſtrahlen, bei verſchiedenen Koͤrpern ungleich, daher iſt nicht in
jedem prismatiſchen Farbenbilde die Ausdehnung einer beſtimmten
Farbe gleich im Verhaͤltniß des ganzen Farbenbildes, ſondern es
finden die Ungleichheiten in der Farbenzerſtreuung ſtatt, die ich
ſchon fruͤher erwaͤhnt habe.


Bei der Zuruͤckwerfung findet keine Farbenzerſtreuung ſtatt.
Denn obgleich es wohl nicht zu bezweifeln iſt, daß wegen eben
dieſer ungleichen Einwirkung der anziehenden und abſtoßenden Kraͤfte
auf die verſchiedenartigen Lichttheilchen, der Weg der zuruͤckgewor-
fenen violetten Theilchen ein andrer, als der Weg des rothen Lich-
tes iſt, ſo ſind dieſe Wege doch nur in dem unmerklich kleinen
Raume, ſo weit die Wirkungsſphaͤre jener Kraͤfte ſich erſtreckt,
etwa ſo wie CDE, CdE, (Fig. 111.) verſchieden, und nach
vollendeter Einwirkung iſt fuͤr die einen wie fuͤr die andern, die
Neigung des zuruͤckgeworfenen Strahles ſo groß, wie fuͤr den
einfallenden Strahl, und alle Farbenſtrahlen gehen parallel fort,
vereinigen ihre Wirkung auf unſer Auge und ſtellen uns alſo
ein Weiß dar. Nur da, wo bei dem Hervorgehen aus einem
das Licht ſtaͤrker brechenden Koͤrper einige Farbenſtrahlen ſchon
die vollſtaͤndige Reflexion erleiden, waͤhrend andre noch in den
anliegenden Koͤrper uͤbergehen, muß die Faͤrbung des Spiegelbildes
ſtatt finden, die wir fruͤher kennen gelernt haben.


Groͤße der hier wirkenden Kraͤfte.


Mit welcher Gewalt aber dieſe Kraͤfte auf die Lichttheilchen
wirken muͤſſen, das uͤberſteigt allerdings ganz und gar unſre Vor-
ſtellungen. Das Licht, welches im leeren Raume eine Geſchwindig-
keit von 41000 Meilen in 1 Secunde hat, verliert dieſe an der
Spiegelflaͤche gaͤnzlich und erlangt die eben ſo große Geſchwindigkeit
ruͤckwaͤrts gehend wieder, und dies waͤhrend es einen Raum, der
an Kleinheit als unmeßbar erſcheint, durchlaͤuft. Und ebenſo
Q 2
[244] erlangt das Licht im Glaſe in ſo kurzem Uebergange, in einer
Schichte, deren Dicke uns als voͤllig verſchwindend erſcheint, eine
1½ mal ſo große Geſchwindigkeit, welche beim Wiederhervortreten
eben ſo ſchnell wieder verlohren geht. Aber wenn uns dieſe un-
endlich ſcheinende Wirkſamkeit der Kraͤfte als unglaublich vorkoͤmmt,
ſo noͤthigt uns doch die uns bekannte maͤchtige Einwirkung der
chemiſchen Kraͤfte auf die Koͤrper zu dem Geſtaͤndniſſe, daß auch
dieſe den feſteſten Zuſammenhang der Theilchen uͤberwindenden
Kraͤfte uns ebenſo unbegreiflich ſind, daß wir viel zu wenig dieſe,
gleichſam das innere Weſen der Koͤrper betreffenden, Einwirkungen
zu erkennen im Stande ſind, und daher vom Erſtaunen uͤber die
maͤchtigen Wirkungen nicht zu ſchnell zum Zweifel, ob es ſolche
Kraͤfte geben koͤnne, uͤbergehen duͤrfen.


Dreizehnte Vorleſung.


Die Undulationstheorie.


Obgleich die Hypotheſe, womit ich Sie, m. h. H., neulich
unterhalten habe, fuͤr die bis jetzt naͤher angegebenen Lichtphaͤno-
mene eine in vieler Hinſicht ſehr befriedigende Erklaͤrung darbot, ſo
hat doch ſchon Newton's ſcharfſinniger Zeitgenoſſe Huyghens
eine zweite Hypotheſe aufgeſtellt und ihre Uebereinſtimmung mit
den Erſcheinungen gruͤndlich darzuthun geſucht. Dieſe Theorie,
die man die Undulations- oder Vibrationstheorie genannt hat,
ſchließt ſich an die Uebereinſtimmung, die zwiſchen dem Schalle
und dem Lichte ſtatt findet, an, und gruͤndet ihre Schluͤſſe auf
die Geſetze der Vibrationsbewegung. Es iſt wahr, daß man bei
der oberflaͤchlichen Beobachtung des Schalles gar wohl an eine
Emiſſionstheorie des Schalles denken, von Schalltheilchen, die
mit erheblicher Geſchwindigkeit von dem ſchallenden Koͤrper aus-
gehend unſer Ohr erreichen, die beim Echo zuruͤckgeworfen werden,
reden koͤnnte; und die Ueberzeugung, daß man dieſe, vielen Schein
[245] fuͤr ſich habende Hypotheſe doch ganz aufgeben muͤßte, fuͤhrt offen-
bar die Frage herbei, ob nicht unſre Vertheidigung der Emiſſions-
theorie des Lichtes auf einer ebenſo fehlerhaften Anſicht beruhe. —


Fortpflanzung der Undulationen im Aether. Licht-
wellen.


Die Undulationstheorie geht davon aus, eine den ganzen
Weltraum erfuͤllende feine Materie, die man Aether genannt hat,
anzunehmen. Dieſe muß freilich ſo fein ſein, daß der Widerſtand,
welchen ſie der Bewegung der Planeten entgegenſetzt, als unmerklich
kann angeſehen werden, weil die Beobachtungen nicht geſtatten,
einen fuͤr dieſe erheblichen Widerſtand anzunehmen; indeß iſt wohl
einiger Grund da, um einen die weniger dichten Cometen etwas
in ihrem Laufe aufhaltenden, und die Zuruͤckbeugung ihres
Schweifes vermehrenden Widerſtand vorauszuſetzen, ſo daß das
Daſein eines ſolchen, wenn gleich uͤberaus duͤnnen Aethers eher
etwas fuͤr als gegen ſich hat. Indem wir nun die Entſtehung
der Licht-Erſcheinungen aus Vibrationen oder Undulationen dieſes
Aethers, den Vibrationen der Lufttheilchen beim Schalle ent-
ſprechend, erklaͤren wollen, muͤſſen wir dem Aether einen ſehr
hohen Grad von Elaſticitaͤt beilegen. Sie erinnern ſich naͤmlich,
daß wir ſchon bei der Fortpflanzung des Schalles die Folgerung
theoretiſch begruͤndet fanden, daß die Geſchwindigkeit des Schalles
in irgend einer Luft-Art deſto groͤßer ſei, je groͤßer die Elaſticitaͤt
dieſer Luft-Art in Vergleichung gegen ihre Dichtigkeit iſt; und die
ſo ſehr große Geſchwindigkeit des Lichtes kann daher nur aus einem
noch viel hoͤhern Grade von Elaſticitaͤt des Aethers hervorgehen.
Werden nun die Licht-Erſcheinungen durch Vibrationen der ſelbſt-
leuchtenden Koͤrper hervorgebracht, ſo werden dieſe Schwingungen
durch den Aether ebenſo, wie die Schallvibrationen durch die Luft
fortgepflanzt und gelangen ſo zu unſerm Auge. Was die unauf-
hoͤrlich gleichfoͤrmigen Zitterungen bei den ſelbſtleuchtenden Koͤrpern
hervorbringt, das zu beſtimmen, koͤnnen wir wohl als außer den
Grenzen unſrer Forſchungen liegend anſehen; das aber erhellt we-
nigſtens, daß hier von keinem Verluſte an Beſtandtheilen fuͤr den
leuchtenden Koͤrper und von keinem Zufuͤhren neuer Theilchen fuͤr
den Licht empfangenden Koͤrper die Rede iſt; ſondern jenem wird
[246] nur eine urſpruͤngliche, dieſem, ſofern er ſich als erleuchtet zeigt,
eine durch die Aetherſchwingungen mitgetheilte Vibration zuzu-
ſchreiben ſein.


Bei den Schallſchwingungen fanden wir, daß ſtaͤrkere und
ſchwaͤchere Vibrationen ſich gleich ſchnell fortpflanzen, daß aber die
Verſchiedenheit, welche wir Hoͤhe und Tiefe der Toͤne nennen, von
der Schnelligkeit der Wiederholung gleicher Vibrationen abhaͤngt;
auf aͤhnliche Weiſe haben wir hier allen Grund, die Geſchwindigkeit
des Lichtes fuͤr jede ſtaͤrkere oder ſchwaͤchere Licht-Erſcheinung und fuͤr
alle Farbenſtrahlen als gleich anzuſehen, die Verſchiedenheit der
Farben aber erklaͤrt ſich durch die mit mehr oder minderer Schnel-
ligkeit auf einander folgenden Lichtwellen. Wenn wir bei den Toͤ-
nen nach der Laͤnge einer Welle gefragt haͤtten, ſo wuͤrden wir
den Wellen, die den Ton C hervorbringen, eine Laͤnge von 8 Fuß
beilegen, weil unſer Ohr 128 mal in 1 Secunde durch gleiche Er-
ſchuͤtterungen getroffen wird, wenn es dieſen Ton wahrnimmt, und
eine 8 Fuß Raum einnehmende Welle gerade \frac{1}{128} Secunde ge-
braucht, um mit allen ihren Theilen an unſer Ohr zu treffen;
der Welle des Tones G muͤſſen wir eine Laͤnge von 5⅓ Fuß beilegen
und ſo ferner. Ebenſo koͤnnten wir alſo auch hier von der Wellen-
laͤnge der Lichtwellen reden, wenn es uns gelingen ſollte, dieſe
naͤher zu beſtimmen; und ſo wie dort jedem Tone eine eigene
Wellenlaͤnge zukoͤmmt, ſo nehmen wir hier fuͤr jeden Farbenſtrahl
eine eigene Wellenlaͤnge an.


Geſetze der gradlinigen Fortpflanzung des Lichtes.
Unerklaͤrbarkeit der Aberration.


Dieſe Wellen breiten ſich im Aether nach allen Seiten,
kugelfoͤrmige Wellenſchichten darſtellend, aus, und indem unſer
Sehen ohne Zweifel darin beſteht, daß das Antreffen dieſer Lich-
wellen unſre Sehenerven afficirt, ſo iſt leicht zu begreifen, daß wir den
Gegenſtand in der Richtung ſehen, welche dem Mittelpuncte dieſer
Wellen entſpricht. Wird die Lichtwelle nur durch eine kleine
Oeffnung AB eingelaſſen (Fig. 112.), ſo geht ſie ſo wie die Kreiſe
anzeigen fort, und die Erleuchtung findet nur da ſtatt, wohin die
vom leuchtenden Puncte C durch die Oeffnung gezogenen Linien
gelangen koͤnnen, das iſt, die Lichtſtrahlen CAE, CBF, und ſo
[247] alle andere, gehen in graden Linien fort. Man hat hiegegen den
Einwurf gemacht, daß Waſſerwellen, wenn ſie durch die Oeffnung
AB gehen, ſich auch ſeitwaͤrts uͤber EF hinaus ausbreiten, und
daß, wenn dieſes bei den Lichtwellen ſtatt faͤnde, der Schatten
bei E und F nicht ſo ſtrenge begrenzt ſein koͤnnte; aber Sie werden
in der Folge ſehen, daß die Beugung des Lichtes uns wirklich
ſolche, ſich mehr ausbreitende Wellen zeigt, daß alſo dieſer Einwurf,
den ich in der Folge noch ſorgfaͤltiger in Erwaͤgung ziehen werde,
ſeine Kraft verliert.


Die Abnahme der Erleuchtung bei groͤßerem Abſtande von
dem leuchtenden Koͤrper muß offenbar auch hier ſtatt finden. Der
Schall, mit welchem wir hier das Licht vergleichen, wird nach
eben den Geſetzen ſchwaͤcher, wie die Erleuchtung; und die
Theorie zeigt, daß die Erſchuͤtterung der einzelnen Theilchen in den
kugelfoͤrmigen Wellenſchichten ſo abnimmt, daß die durch dieſe
Erſchuͤtterung hervorgebrachte Wirkung (und dieſe eben zeigt ſich
uns als Erleuchtung) dem Quadrate der Abſtaͤnde umgekehrt pro-
portional iſt. Ich muß hiebei die Bemerkung machen, die Ihnen
ſchon aus der Lehre von den Wellen und vom Schalle bekannt iſt,
daß dieſe Erſchuͤtterung der Theilchen, der abwechſelnde Hingang
und Zuruͤckgang derſelben ſehr verſchieden von der Schnelligkeit der
Fortpflanzung iſt; — waͤhrend der Schall 1000 Fuß in 1 Sec.
durchlaͤuft, beſchreibt jedes einzelne Lufttheilchen nur ſehr kleine
Bahnen, und dieſe werden bei ſchwaͤcherem Schalle kleiner, obgleich
die Geſchwindigkeit der Fortpflanzung gleich groß bleibt bei ſtarkem
und bei ſchwachem Schalle.


So ſcheinen alſo die Geſetze der gradlinigen Fortpflanzung des
Lichtes ſehr vollkommen dieſer Undulationstheorie zu entſprechen.
Aber die Aberration des Lichtes laͤßt ſich, ſelbſt nach Fresnel's
Geſtaͤndniſſe, der zu den eifrigſten Vertheidigern der Undulations-
theorie gehoͤrt, nicht wohl erklaͤren. Wird naͤmlich der vor der
fortruͤckenden Erde liegende Aether mit ihr fortgeriſſen und wird der
hinter ihr liegende Aether genoͤthigt, ihr zu folgen, ſo muͤſſen
die Undulationen in ihren urſpruͤnglichen Richtungen fortgehen oder
auch voͤllig unterbrochen werden, und es findet keine veraͤnderte
Richtung, um die Lichtſtrahlen aufzufangen, ſtatt. Anders wuͤrde
es ſein, wenn der Aether durch die in ihm fortgehende Erde einen
[248] freien Durchgang faͤnde, indem dann ſeine ſchief auffallenden
Wellen dieſer ſchiefen Richtung gemaͤß einwirken wuͤrden; aber
einen ſo ungehinderten Durchgang des Aethers durch die ganze Erde,
die, ihrer großen Maſſe und Dichtigkeit ungeachtet, als faſt gar
kein Hinderniß fuͤr den Aether darbietend angeſehen werden muͤßte,
kann man doch nicht wohl annehmen.


Der Unterſchied zwiſchen durchſichtigen und undurchſichtigen
Koͤrpern beſteht nach dieſer Theorie darin, daß in jenen die Vibra-
tionen des Aethers, von welchem alle Koͤrper durchdrungen ſind,
ſich mit ungeſtoͤrter Regelmaͤßigkeit, wenn gleich mit verſchiedener
Schnelligkeit, fortpflanzen, in den undurchſichtigen hingegen eine
Stoͤrung der regelmaͤßigen Undulationen ſtatt findet, wodurch
dieſe wenigſtens bei weiterem Eindringen voͤllig vernichtet werden.


Erklaͤrung der unregelmaͤßigen Zuruͤckwerfung des
Lichtes nach dieſer Theorie
.


Die Zuruͤckwerfung des Lichtes laͤßt ſich nach der Undulations-
theorie ſehr vollſtaͤndig erklaͤren. Sehen wir zuerſt auf die unregel-
maͤßig von der Oberflaͤche der Koͤrper zuruͤckgeworfenen Lichtſtrahlen,
ſo iſt es vollkommen leicht begreiflich, daß die an dieſe Oberflaͤche
antreffenden Lichtwellen eine wegen der Ungleichheit der Oberflaͤche
unregelmaͤßige Zuruͤckwerfung erleiden, daß alſo von jedem Puncte,
den die Lichtwelle trifft, neue Lichtwellen nach allen Richtungen
ausgehen, und ſo der erleuchtete Koͤrper ſich als ein Licht aus-
ſendender zeigt. Je mehr ſeine Oberflaͤche geeignet iſt, alle Licht-
wellen zuruͤckzuwerfen, deſto mehr Weiße werden wir ihm beilegen,
und kein Koͤrper iſt vollkommen weiß, keiner giebt das Licht mit
der voͤlligen Intenſitaͤt zuruͤck, weil bei keinem die Vibrationen ganz
ungeſchwaͤcht von der Oberflaͤche zuruͤckgegeben werden. Bei farbig
erſcheinenden Koͤrpern muͤſſen wir annehmen, daß nur gewiſſe
Lichtwellen, diejenigen naͤmlich, die eine beſtimmte Schnelligkeit der
Vibrationen haben, zuruͤckgeworfen werden, und dieſes ließe ſich mit
der Eigenſchaft toͤnender Koͤrper vergleichen, die entweder bei der
Reſonanz alle Toͤne zuruͤckzugeben faͤhig ſind, oder nur bei gewiſſen
Toͤnen, bei denen naͤmlich, die eine beſtimmte Anzahl von Vibra-
tionen in beſtimmter Zeit vollenden, zum Mittoͤnen veranlaßt
werden, — die erſtern waͤren den weißen Koͤrpern, die letzteren
[249] den farbigen zu vergleichen. Sind die Koͤrper durchſichtig und
zugleich farbig, ſo muß man annehmen, daß die Theilchen des
Koͤrpers auch im Innern nur die Fortpflanzung einiger Lichtwellen,
und zwar ſolcher, deren Folge beſtimmten Zeit-Intervallen ent-
ſpricht, geſtatten; und dabei wuͤrde man den Unterſchied, daß
bei einigen Koͤrpern die uͤbrigen Wellen an der Oberflaͤche zuruͤck-
geworfen werden, bei andern Koͤrpern die uͤbrigen Wellen im In-
nern voͤllig unwirkſam werden, zugeſtehen muͤſſen; jene naͤmlich
waͤren die, welche bei der Zuruͤckwerfung des Lichtes die Ergaͤn-
zungsfarbe zu der Farbe des durchgelaſſenen Lichtes zeigen, dieſe
hingegen zeigen unter beiden Umſtaͤnden einerlei Farbe.


Ich habe bei dieſen Erklaͤrungen die Anſicht ſo gefaßt, als ob
die groͤberen materiellen Theilchen der Koͤrper einen weſentlichen
Einfluß auf die Durchlaſſung oder Zuruͤckwerfung des Lichtes haͤt-
ten, ſtatt daß nach der Meinung der ſcharfſinnigſten Vertheidiger
dieſes Syſtemes nur der in jedem Koͤrper enthaltene Aether es iſt,
dem wir die Fortpflanzung der Vibrationen zuſchreiben muͤſſen;
aber es ſcheint, als ob man bei den Farben-Erſcheinungen nicht
ganz ausreicht, wenn man nicht den Koͤrpertheilchen einige Einwir-
kung geſtattet, wenn gleich die Theoreme, die ſich ganz auf die
Fortpflanzung im Aether gruͤnden, durch ihre mathematiſche Be-
gruͤndung dieſem Syſteme am meiſten Beifall erworben haben; —
ich gehe jetzt zur Darſtellung einiger dieſer Lehrſaͤtze uͤber.


Gleichzeitige Entſtehung zuruͤckgeworfener und ein-
dringender Lichtwellen.


Jener Aether, deſſen Wellen uns die Empfindung des Lich-
tes gewaͤhren, iſt durch alle Koͤrper verbreitet; aber er iſt weniger
elaſtiſch in den dichteren Koͤrpern. Daß dieſe ungleiche Elaſticitaͤt
ſich nicht genau nach der ſpecifiſchen Schwere der Koͤrper richtet,
ſondern auch noch auf andern Eigenſchaften, unter denen die Brenn-
barkeit eine der merkwuͤrdigſten iſt, beruht, laͤßt ſich wohl erwarten,
indem auch hier eigenthuͤmliche Verwandtſchaften, die ſich uns in
der ungleichen Brechung des Lichtes offenbaren, ſtatt finden moͤgen.
An dieſe Vorausſetzung, daß der Aether in den dichtern Koͤrpern
weniger Elaſticitaͤt beſitze, ſchließen ſich nun mehrere merkwuͤrdige
Folgerungen. Die theoretiſche Unterſuchung naͤmlich zeigt, daß
[250] eine Aetherwelle, an die Grenze jenes minder elaſtiſchen Aethers
antreffend, ſich in zwei Wellen zerlegt, deren eine mit eben der
Fortpflanzungsgeſchwindigkeit *) wieder zuruͤckgeht, zuruͤckgeworfen
wird, die andre aber mit verminderter Fortpflanzungsgeſchwindig-
keit in den weniger elaſtiſchen Aether eintritt. Poiſſon's mathe-
matiſch durchgefuͤhrte Unterſuchung zeigt, daß es auch beim Schalle
ſo ſein muß, wenn er aus einem elaſtiſchen Mittel in ein andres
weniger elaſtiſches uͤbergeht. Er zeigt, daß die Staͤrke des zuruͤck-
geworfenen Lichtes (das heißt hier, die Vibrationsgeſchwindigkeit
der Aethertheilchen in der zuruͤckgehenden Welle,) deſto groͤßer iſt,
je mehr das Licht in dem Koͤrper, in welchen es zum Theil uͤber-
geht, gebrochen wird, je weniger elaſtiſch der Aether in demſelben
iſt. Nach Poiſſon's Berechnung muß bei ſenkrecht auffallenden
Strahlen, wenn ſie aus dem leeren Raume oder aus der Luft auf
Waſſer fallen, nur \frac{1}{49}, wenn ſie auf Glas fallen, \frac{1}{19} bis \frac{1}{16}, wenn
ſie auf Diamant fallen, ein ganzes Sechstel, reflectirt werden;
und die Erfahrung beſtaͤtigt dieſe große Ungleichheit. Es erhellt
hier auch, daß da, wo der Lichtſtrahl aus dem dichtern Koͤrper in
den duͤnnern uͤbergeht, eine Zuruͤckwerfung an der Trennungsflaͤche
ſtatt finden muß, indem auch da, wo die Vibration wieder in den
mehr Elaſticitaͤt beſitzenden Aether uͤbergeht, eine nur wenig ſchwaͤ-
chere zuruͤckgehende Welle entſteht; und die Vertheidiger dieſer
Theorie finden hierin nicht mit Unrecht einen Vorzug derſelben vor
der Emiſſionstheorie, indem hier die Durchlaſſung und Zuruͤckwer-
fung des Lichtſtrahles ohne eine neue Hypotheſe, ohne ungleiche
wechſelnde Zuſtaͤnde der Lichttheilchen und ohne eine zuruͤckſtoßende
Kraft an der Oberflaͤche, erklaͤrt wird. Aber auch der Weg des
[251] zuruͤckgeworfenen Strahles und des gebrochenen Strahles wird nach
dieſer Theorie richtig beſtimmt.


Geſetze der Spiegelung.


Es ſcheint beim erſten Anblicke, als ob die Undulationstheorie
die Reflexion an Spiegeln nicht erklaͤre, indem ja die von A ausge-
henden Wellen in allen Puncten der Ebne BD (Fig. 113.) gleich
gut neue Wellen erregen muͤſſen; aber eine genaue Betrachtung
hebt dieſen Zweifel. Gewiß iſt es freilich, daß die in B antreffende
Wellenfolge eine ebenſolche Wellenfolge, deren Mittelpunct B iſt,
erregt, daß die an E treffende Wellenfolge eine ebenſolche um E
und ſo um F, G, und jeden andern Punct erregt; aber die ver-
einigte Wirkung dieſer Wellen iſt gleichwohl den Geſetzen der Spie-
gelung genau entſprechend. Wenn die um den Mittelpunct A ge-
zeichneten Kreiſe die einzelnen von A ausgegangenen Wellen fuͤr
einen gewiſſen Zeitpunct bezeichnen, ſo erhellt, daß, indem die
ſechſte an E antrifft, die fuͤnfte ſchon eine erſte von B zuruͤckgehende
Welle hervorgebracht hat, daß, indem die ſiebente an F antrifft,
ſchon eine zweite zuruͤckgehende a von B, eine erſte zuruͤckgehende
b von E ausgegangen iſt, daß, indem die achte an G anſtoͤßt, ſchon
eine dritte E 2 von B, eine zweite c von E, eine erſte d von F
zuruͤckgehend ausgegangen iſt. Ein Auge alſo, welches ſich in dem
Momente, da die achte Welle an G anſtoͤßt, in k befindet, erhaͤlt
zugleich den Eindruck der von E kommenden zweiten, der von F
kommenden erſten zuruͤckgehenden Welle, und dieſer Eindruck iſt
aus der Wirkung beider Wellen zuſammengeſetzt; ein Auge in I er-
haͤlt den vereinigten Eindruck der erſten von F ausgehenden Welle
und einer, noch nicht um eine ganze Wellenbreite vorgeſchrittenen
von d ausgegangenen Welle. Dieſer gemeinſchaftliche Eindruck iſt
aber, wie ſich genau und vollſtaͤndig zeigen laͤßt, eben der, welchen
die Welle 2 kG hervorbringen wuͤrde, die alle von B, a, E, b,
F, d
ausgegangenen Wellen, ſo wie ſie in dieſem Momente jede
in ihrem Fortſchreiten angekommen ſind, beruͤhrt; — dieſe Be-
ruͤhrungswelle und ihr Fortſchreiten muͤſſen wir alſo hier betrach-
ten; ſie iſt es, welche die Wirkung aller benachbarten, das Auge
k ruͤhrenden Wellen, welche die Wirkung aller benachbarten, das
Auge I ruͤhrenden Wellen gleichſam in ſich ſchließt, indem ſie mit
[252] den ſich in einander verlaufenden, ſich unter ſehr kleinen ſpitzigen
Winkeln ſchneidenden Wellen in jedem ihrer Puncte einerlei iſt. Die
groͤßere Welle LD, die gleichſam aus den um B, um a, um E,
um F, um G, um H gezeichneten Kreisbogen (welche die Figur
zeigt,) zuſammengeſetzt iſt, laͤßt dies noch deutlicher uͤberſehen.
Dieſe Wellen aber, die der gleichzeitigen Wirkung aller von BD
zuruͤckgeworfenen Wellen entſprechen, ſind Kreiſe, die in P ihren
Mittelpunct haben, ſie pflanzen ſich ſo fort, wie es Wellen von P
ausgehend thun wuͤrden; P aber liegt in der Senkrechten BA ebenſo
weit hinter BD als A vor derſelben liegt, und ein Auge in k oder
M hat folglich eben die Empfindung, als ob die Lichtwellen von P
ausgingen, das iſt, es ſieht den Gegenſtand im Spiegel ebenſo
weit hinter dem Spiegel, als er wirklich vor demſelben liegt.


Dieſe Erklaͤrung der Geſetze der Spiegelung iſt wohl ſo genuͤ-
gend, daß ſie nichts zu wuͤnſchen uͤbrig laͤßt, und daß an ſie ſich
die Erklaͤrung aller der einzelnen Erſcheinungen knuͤpft, die bei
Brennſpiegeln u. ſ. w. vorkommen, verſteht ſich von ſelbſt. Was
die Vereinigung der Wirkung unzaͤhliger im Brennpuncte zuſam-
mentreffender Wellen betrifft, ſo hat man den Zweifel geaͤußert,
ob nicht dieſe Wellen zum Theil ſich gegenſeitig zerſtoͤren und da-
durch ihre Wirkung vermindern muͤßten. Dieſer Einwurf findet
gegen die Emiſſionstheorie ebenſo gut Anwendung, indem, wenn
dort die im Brennpuncte an einander treffenden Lichttheilchen ſich
gegenſeitig von ihren Bahnen ablenken, ebenſogut eine Schwaͤchung
der durch den Brennpunct gegangenen Lichtſtrahlen ſtatt finden
muß, wie hier, wenn die Wellen gegenſeitig ihren Fortgang ſtoͤren.
Dieſer Zweifel laͤßt ſich von der einen Seite durch die Bemerkung,
daß die Lichttheilchen in großen Entfernungen von einander ihre
Bahnen durchlaufen koͤnnen, von der andern Seite durch die theo-
retiſch und empiriſch beſtaͤtigte Bemerkung, daß die Wellen ſich ohne
merkliche Stoͤrung durchkreutzen koͤnnen, widerlegen; aber merk-
wuͤrdig bleibt es, daß Kater eine wirklich geringere Erleuchtung
vermittelſt der durch den Brennpunct gegangenen Strahlen gefun-
den zu haben meint. Es iſt naͤmlich offenbar, daß die nach der
Vereinigung im Brennpuncte aufgefangenen Strahlen, wenn man
ſie in beſtimmter Entfernung hinter dem Brennpuncte auffaͤngt,
ebenſo ſtark erleuchten ſollten, als ſie es in gleicher Entfernung vor
[253] dem Brennpuncte, ehe ſie vereinigt wurden, thaten; nach Kater
findet man jene Erleuchtung ſchwaͤcher.


Geſetze der Brechung.


Ich komme nun zu der Erklaͤrung der Brechung, die bis auf
einen gewiſſen Punct auch keine Schwierigkeit findet, allerdings
aber in Beziehung auf die Farbenzerſtreuung ſich nicht auf eine in
die Undulationstheorie paſſende Weiſe durchfuͤhren laͤßt. Dieſe
Schwierigkeit wollen wir zuerſt noch aus den Augen laſſen.


Die Undulationstheorie faͤngt ihre Erklaͤrung der Brechung
mit der ſchon angefuͤhrten Bemerkung an, daß der Aether zwar in
allen Koͤrpern vorhanden iſt, aber nicht in allen gleiche ſpecifiſche
Elaſticitaͤt beſitzt. Dieſe iſt geringer in den Koͤrpern, die das Licht
ſtaͤrker brechen, und da an den Grenzen zweier Koͤrper offenbar die
abſolute Elaſticitaͤt des Aethers oder der von ihm ausgeuͤbte Druck,
gleich ſein muß, indem er ſonſt aus dem einen in den andern hin-
uͤbergehen wuͤrde, ſo muß der Aether in den dichteren Koͤrpern dich-
ter bei gleicher Spannkraft ſein, und das eben iſt es, was wir ge-
ringere ſpecifiſche Elaſticitaͤt (geringere Elaſticitaͤt bei gleicher Dich-
tigkeit,) nennen. Das Licht pflanzt ſich alſo in den dichteren oder
in den einen dichteren Aether enthaltenden Koͤrpern langſamer fort,
ſo wie der Schall ſich in kohlenſaurer Luft langſamer als in Waſſer-
ſtoffgas fortpflanzt. Es ſcheint auffallend, daß die beiden Theorieen
in einem ſo wichtigen Puncte uneinig ſind, indem die eine dem
Lichte eine ſchnellere Fortpflanzung in den ſtaͤrker brechenden Koͤr-
pern beilegt, die andre eine langſamere; gleichwohl iſt dieſer Ge-
genſatz ganz folgerecht in der Natur dieſer Theorieen begruͤndet, und
es laͤßt ſich durch keine der bis jetzt erklaͤrten Erſcheinungen eine
Entſcheidung fuͤr die eine oder die andre Anſicht finden. Jener
Vorausſetzung gemaͤß alſo nehmen wir an, daß die in den ſtaͤrker
brechenden Koͤrper eintretende Lichtwelle innerhalb deſſelben langſa-
mer als vor dem Eintritte fortſchreitet, und wollen nun ſehen, wie
ſich der geſammte Eindruck der eingetretenen Lichtwellen zeigen wird.
Um die Folgerungen leichter zu uͤberſehen, nehme ich die Lichtwellen
als von einem ſehr entfernten Puncte kommend an, damit die
kleinen Theile derſelben AB, CD, EF, GH (Fig. 114.) als
grade Linien, als unmerklich gekruͤmmte Bogen ſehr großer Kreiſe,
[254] koͤnnen angeſehen werden. Dieſe Wellen treffen an die Grenzflaͤche
eines Koͤrpers an, in welchem ſie, wenn wir das Glas als Beiſpiel
nehmen, nur zwei Drittel ihrer vorigen Schnelligkeit behalten, und
die in A antreffende Welle hat ſich daher innerhalb nur bis R fort-
gepflanzt, waͤhrend ſie außerhalb bis CD gelangt iſt, ſie hat ſich
nur bis S oder T fortgepflanzt, waͤhrend ſie außerhalb bis EF
oder GH gelangt iſt, und es laͤßt ſich daher leicht uͤberſehen, daß
RC, SE, TG die im Innern fortgehenden Wellen darſtellen.
Da wir nun unter der Richtung des Lichtſtrahles die auf die Wel-
lenzuͤge ſenkrechte Richtung, oder diejenige, nach welcher die Wellen
fortruͤcken, verſtehen, ſo iſt UA die Richtung des einfallenden,
AV die Richtung des gebrochenen Strahles; und es iſt VW =
UX, wenn AU = AV und AT = ⅔ GZ iſt. Alſo wenn die
Beſchaffenheit des zweiten Koͤrpers es mit ſich bringt, daß die Ge-
ſchwindigkeit des Lichtes auf zwei Drittel vermindert wird, ſo iſt
der Sinus des gebrochenen Winkels gleich zwei Dritteln vom Sinus
des Einfallswinkels, und das Geſetz der Brechung, daß dieſes Bre-
chungsverhaͤltniß gleich bleibt bei allen Einfallswinkeln, iſt eine
Folgerung, die aus den Geſetzen der Undulationstheorie hervorgeht.


Eine Schwierigkeit ſcheint dagegen die Undulationstheorie in
Beziehung auf die vollkommene Zuruͤckwerfung des Lichtſtrahles an
der Hinterflaͤche eines dichteren, das Licht ſtaͤrker brechenden Koͤrpers
darzubieten. Sie wiſſen, daß dieſe da entſteht, wo gar kein Theil
des Lichtſtrahles hervordringend in den minder dichten Koͤrper uͤber-
geht, und es ſcheint nicht wohl moͤglich, anzunehmen, daß die
Undulationen ſich hier durchaus nicht in jene minder dichten Aether-
ſchichten hinuͤber fortpflanzen ſollten. Poiſſon loͤſet dieſen Zwei-
fel ſehr richtig durch die Bemerkung, daß auch die Theorie aller-
dings die Meinung von einem Entſtehen von Undulationen in jenen
Aetherſchichten beſtaͤtige, aber zugleich zeige, daß dieſe Lichtwellen
von einer ſolchen Schwaͤche ſind, daß ſie bei ihrer Verbreitung
durchaus unmerklich werden. Der Umſtand dagegen, daß da, wo
zwei das Licht genau gleich brechende Koͤrper ſich beruͤhren, auch
keine Zuruͤckwerfung ſtatt findet, erklaͤrt ſich hier ohne Schwierig-
keit, da die gleiche Brechung eine gleiche Elaſticitaͤt des Aethers in
beiden Koͤrpern beweiſt, und dieſe Gleichheit bei aller uͤbrigen Ver-
ſchiedenheit ausreicht, um die Koͤrper als ganz gleich in Beziehung
[255] auf das Licht anzuſehen. Finden alſo hier, wie Brewſter angiebt,
doch noch kleine Verſchiedenheiten in Hinſicht auf die zuweilen nicht
gaͤnzlich verſchwindende Zuruͤckwerfung bei gaͤnzlich verſchwindender
Brechung ſtatt, ſo muͤßte dieſer Umſtand noch beſonders erklaͤrt
werden.


Unzulaͤnglichkeit dieſer Theorie fuͤr die ungleiche Bre-
chung der ungleichfarbigen Strahlen.


Aber nun bietet ſich eine wichtige Schwierigkeit dar, zu deren
Wegraͤumung die Undulationstheorie kein Mittel anzugeben ſcheint.
Es erhellt naͤmlich aus den eben durchgefuͤhrten Betrachtungen, daß
die Groͤße der Brechung ganz allein von der Schnelligkeit der Fort-
pflanzung der Lichtwellen in den an einander grenzenden Materien
abhaͤngt, dieſe Schnelligkeit aber durch die Dichtigkeit des Aethers
beſtimmt iſt; da nun doch gewiß keine verſchiedene Aether-Arten
in einem und demſelben Raume angenommen werden koͤnnen, ſo
muͤſſen auch in dem zweiten Koͤrper alle Lichtwellen eine gleiche Ge-
ſchwindigkeit und folglich auch eine gleiche Brechung haben; eine
Zerſtreuung der Farbenſtrahlen, eine ungleiche Brechbarkeit des ver-
ſchiedenfarbigen Lichtes ſcheint nicht ſtatt finden zu koͤnnen. Da
gleichwohl die Erfahrung dieſe ungleiche Brechung zeigt, ſo muͤſſen
wir etwas genauer die Verſchiedenheit der Umſtaͤnde bei den ver-
ſchiedenen Farben erwaͤgen, um zu ſehen, wo etwa eine Erklaͤrung
dieſer Erſcheinung im Sinne der Undulationstheorie geſucht werden
koͤnnte. Nach dieſer Theorie iſt die Fortpflanzungsgeſchwindigkeit
fuͤr alle Farben gleich, aber da die Wellen des violetten Lichtes *)
ſchneller auf einander folgen, einen geringern Zwiſchenraum zwi-
ſchen den in gleichem Zuſtande befindlichen Theilchen darbieten, ſo
muͤßte die Theorie einen Grund angeben, warum dieſe kuͤrzeren
Wellen mehr gebrochen werden. Euler hatte die Meinung ge-
aͤußert, dies ſei deswegen der Fall, weil jede folgende mehr als bei
laͤngern Wellen auf die Bewegung der Theilchen einwirke; aber
Poiſſon macht die richtige Bemerkung, daß dieſe Einwirkung in
[256] einer verminderten Abnahme der Geſchwindigkeit beſtehen muͤßte,
daß naͤmlich die violetten Strahlen ſich nach dem Eintritte in den
dichteren Koͤrper ſchneller als die rothen bewegen, eben darum alſo
auch jene weniger, dieſe mehr gebrochen werden muͤßten, welches
grade das Gegentheil deſſen iſt, was wir aus Erfahrung wiſſen.
Poiſſon, der unter den Vertheidigern der Undulationstheorie am
allerſtrengſten ſich an die ſicher begruͤndeten theoretiſchen Schluͤſſe
gehalten hat, geſteht, daß bis jetzt dieſe Schwierigkeit nicht gehoben
werden koͤnne, daß man indeß in einer ſo ſchwierigen Unterſuchung,
ohne die Rechnung ganz durchzufuͤhren, nicht den Erfolg aller Um-
ſtaͤnde nach einer ungefaͤhren Vorausſicht angeben koͤnne, und daß
es daher ungewiß ſei, ob vielleicht ein ſolcher Einfluß der ſchneller
einander folgenden Wellen, ſo wie die Erfahrung ihn anzudeuten
ſcheine, da ſtatt finden koͤnne, wo die Wirkungsſphaͤre der Kraͤfte,
welche die Elaſticitaͤt des Aethers beſtimmt, ſich weiter als bis auf
eine Wellenlaͤnge erſtreckt. Doch von dieſer vielleicht moͤglichen,
aber hoͤchſt ſchwierigen Beſtimmung, ob die reine Undulationstheo-
rie bei dieſer Frage ausreiche, kann ich hier keinen genauern Begriff
geben. Young und Fresnel ſuchen die Schwierigkeit auf eine
andre Weiſe zu heben, die ich fruͤher ſchon angedeutet habe, und
der ich hier noch eine kleine Einleitung voranſchicken muß.


Nach den hier durchgefuͤhrten Betrachtungen beruht die reine
Undulationstheorie auf einer Unterſuchung der Undulationen in den
an einander grenzenden Aetherſchichten von ungleicher Dichtigkeit;
dieſe Unterſuchung laͤßt ſich, ganz entſprechend den acuſtiſchen Theo-
rieen in ſtrenger mathematiſcher Form durchfuͤhren, und ſo lange
man dabei ſtehen bleibt, ſo iſt der Ruhm, den Fresnel der
Undulationstheorie beilegt, daß ſie einer ſtrengen mathematiſchen
Entwickelung faͤhig ſei, und nichts Willkuͤhrliches beigemiſcht ent-
halte, ſehr wohl begruͤndet. Aber wenn man bei ihr ſtehen bleibt,
ſo muß man auch die hier nicht wegzuraͤumende Schwierigkeit offen
anerkennen, wie Poiſſon es thut, und nicht zu einem andern
Huͤlfsmittel ſeine Zuflucht nehmen, welches gleichwohl Young
und Fresnel gethan haben. Sie machen naͤmlich bemerklich,
daß durch die Lichtwellen auch wohl die groͤberen materiellen
Theilchen der Koͤrper in Vibrationen geſetzt werden und daß dieſe die
Aetherwellen im Innern des Koͤrpers modificiren koͤnnten. Daß
[257] dies moͤglich ſei, bin ich nicht geneigt ganz zu leugnen; aber
indem wir eine ſolche Einmiſchung andrer Vibrationen annehmen,
geben wir es auf, die theoretiſche Strenge der Undulationstheorie
aufrecht zu erhalten, und ſetzen uns eben dem Vorwurfe aus, den
Fresnel ſo oft der Newton'ſchen Theorie macht, zu jeder neuen
Erſcheinung neue, nicht in der Grundhypotheſe ſchon liegende Vor-
ausſetzungen zu Huͤlfe zu nehmen. Daß uͤbrigens dieſer Einfluß
der materiellen Theilchen vielleicht ein ſehr mannigfaltiger und
grade ſo ſein kann, wie die verſchiedene Brechung der einzelnen Far-
benſtrahlen ihn fordert, das laͤßt ſich weder beweiſen noch leugnen.
Die ungleiche Farbenzerſtreuung, welche darin beſteht, daß nicht
im ſtrengſten Sinne ein gewiſſer Farbenſtrahl eine genau gleiche
Stelle im Farbenbilde einnimmt, iſt offenbar ein Umſtand, der
die Schwierigkeit noch vergroͤßert.


Ruͤckblick auf die Schwierigkeiten bei beiden
Theorieen
.


Indeß, wie wir auch uͤber dieſe Verſuche, eine ſo hoͤchſt wich-
tige Erſcheinung zu erklaͤren, denken moͤgen, ſo iſt doch ſchon in
dem Bisherigen recht vieles zur Empfehlung der Undulationstheorie
enthalten; und da wir bald auf Erſcheinungen kommen, die ſie
hoͤchſt gluͤcklich erklaͤrt, ſo iſt es wohl der Muͤhe werth, die ganze
Vorſtellung, die ſie von den Lichtphaͤnomenen giebt, noch genauer
zu entwickeln. Aetherwellen ſind es, die in unendlich ſchneller
Folge hinter einander kommend unſer Auge ruͤhren. Jede dieſer
Wellen entſteht ſo, wie die Schallwellen in der Luft, durch eine
abwechſelnde Verduͤnnung und Verdichtung des Aethers, und wir
duͤrfen daher von einem verduͤnnten Wellentheile und von einem
verdichteten Wellentheile reden, die zuſammen eine ganze Welle,
eine Wellenlaͤnge ausmachen; dieſe Verduͤnnungen und Verdichtun-
gen ſind mit einem Vibriren der Aethertheilchen ſelbſt, die ihre
Stelle nur hoͤchſt wenig aͤndern, verbunden; aber jener Wechſel
der Dichtigkeiten theilt ſich von einem Theilchen zum andern mit,
und dies mit der Ihnen ſchon bekannten großen Geſchwindigkeit,
die das Licht beſitzt. Da wo zwei Lichtwellen ſich verſtaͤrkend zu-
ſammentreffen, da nimmt die Erleuchtung zu, und wir haben in
den bisher angefuͤhrten Erſcheinungen keinen Grund gefunden zu
II. R
[258] fragen, ob es denn ein andres, als ein ſich verſtaͤrkendes Zuſam-
mentreffen geben koͤnne.


Dieſe Vorſtellung von Lichtwellen wuͤrde vollkommen einfach
ſein, wenn nicht die Mannigfaltigkeit der Farben ſie viel verwickel-
ter machte. Denken wir uns die Lichtwellen, die unſerm Auge
die Empfindung des aͤußerſten Roth im prismatiſchen Sonnenbilde
gewaͤhren, ſo muͤſſen wir dieſen eine gewiſſe Wellenlaͤnge beilegen,
und wo nur dieſes Licht hervorgeht, da folgen ſich gleichmaͤßig alle
Wellen in gleichem Abſtande. Aber dieſer Abſtand iſt ein anderer
bei den Wellen des gelben Lichtes, bei denen des gruͤnen, des
blauen, des violetten, und da, wie ich fruͤher uͤberzeugend gezeigt
zu haben hoffe, es eine unendliche Mannigfaltigkeit ungleich brech-
barer Strahlen giebt, da zwiſchen dem aͤußerſten Roth und dem
aͤußerſten Violett im Sonnenſtrahle faſt alle Abſtufungen von
Brechbarkeit in wenig unterbrochener Reihenfolge vorkommen; ſo
muß es eine unzaͤhlig mannigfaltige Reihenfolge verſchiedener Wel-
len geben, die alle eine gleiche Fortpflanzungsgeſchwindigkeit haben,
aber an Laͤnge oder in Hinſicht des Abſtandes der in gleichem Ver-
dichtungs- und Verduͤnnungszuſtande befindlichen Aethertheilchen,
in einer ganzen Reihe von Abſtufunge von einander verſchieden
ſind. Alle dieſe Wellen-Arten kommen im Sonnenlichte alſo zu
uns und indem ſie alle zugleich unſer Auge ruͤhren, haben wir die
Empfindung des Weiß; alle dieſe Wellen-Arten dringen mit Bei-
behaltung ihrer ganzen Mannigfaltigkeit durch die ungefaͤrbten
durchſichtigen Koͤrper, ſtatt daß die farbigen durchſichtigen Koͤrper
nur einige dieſer Wellen-Arten, nur die, welche in gewiſſen be-
ſtimmten Wellenlaͤngen einander folgen, durchlaſſen. Bei der Bre-
chung nimmt jede dieſer Wellen-Arten eine andre Richtung an,
und jeder im ſtrengſten Sinne keiner weiteren Zerſtreuung faͤhige
Farbenſtrahl enthaͤlt nur eine Art von Wellenfolge. — Gewiß iſt
dieſe Vorſtellung von ſo mannigfaltigen Wellen-Arten, die jede in
eben der Richtung ihre Bewegung regelmaͤßig fortſetzen, deren keine
die andre ſtoͤrt, ſchon etwas ſchwer zu faſſendes, und doch muͤſſen
wir, um die wunderbaren Erſcheinungen des Lichtes zu verſtehen,
noch groͤßere Verwickelungen zugeſtehen.


Dieſe Verwickelung koͤnnte uns geneigt machen, wieder zu der
Emiſſionstheorie zuruͤckzukehren; aber auch dort iſt die Verwickelung
[259] nicht geringer. Es iſt allerdings leichter, denjenigen Lichttheilchen,
die ſich durch verſchiedene Brechbarkeit unterſcheiden, eine Mannig-
faltigkeit der Geſtalt oder Groͤße, und dieſe Mannigfaltigkeit in
tauſend Abſtufungen, nach dem Geſetze der Stetigkeit einander fol-
gend, beizulegen; wir koͤnnen uns dieſe tauſendfach verſchiedenen
Theilchen in eben dem Sonnenſtrahl zugleich oder neben oder hinter
einander ankommend vereinigt denken und annehmen, daß bei der
Brechung jede Art der Theilchen ihren eignen Weg nehme; aber
da wir genoͤthigt ſind, jedem dieſer mannigfaltigen Theilchen un-
gleiche Zuſtaͤnde beizulegen, da wir endlich ſogar Faͤlle werden ken-
nen lernen, wo das Zuſammentreffen von Lichtſtrahlen die Erleuch-
tung zerſtoͤrt, anſtatt ſie zu verſtaͤrken, ſo muͤſſen wir wohl beken-
nen, daß auch dieſe Theorie keinesweges genuͤgende Aufſchluͤſſe uͤber
alle Erſcheinungen giebt.


Vierzehnte Vorleſung.


Die Farben duͤnner Blaͤttchen.


Als ich neulich, m. h. H., Newton's Behauptung, daß
man ſich die Lichttheilchen als einem wechſelnden Zuſtande leichter
Zuruͤckwerfung und leichten Durchganges beim Antreffen an eine
Trennungsflaͤche zweier durchſichtigen Koͤrper unterworfen denken
muͤſſe, erwaͤhnte, mußte Ihnen, fuͤrchte ich, dieſer Gedanke, als
allzu wenig begruͤndet erſcheinen; ich eile daher, Sie mit derjenigen
hoͤchſt merkwuͤrdigen Erſcheinung bekannt zu machen, die beinahe
gradezu auf dieſe Anſicht fuͤhrt, und die, wenn ſie gleich eine andre
Erklaͤrung geſtattet, doch Newton gewiß wegen jener Voraus-
ſetzung ſehr vollſtaͤndig rechtfertiget.


Dieſe Erſcheinung ſtellt ſich uns in den Farben durchſichtiger
ſehr duͤnner Koͤrper, wenn ſie vom Tageslichte oder Sonnenlichte
getroffen werden, dar; — eine Erſcheinung, die ebenſo ſehr durch
die Schoͤnheit ihrer Farben, als durch die auffallende Eigenthuͤm-
R 2
[260] lichkeit, daß ſie aus farbenloſen Koͤrpern, und uͤberdas mit unglei-
chen Farben nach Maaßgabe der Dicke der Schichten hervorgeht,
die Aufmerkſamkeit ſelbſt des gewoͤhnlichen Beobachters auf ſich
zieht. Sie iſt Ihnen an den Seifenblaſen, ja an jedem duͤnnern
Blaͤschen, das in dem Schaume irgend einer Fluͤſſigkeit hervortritt,
bekannt, und noch ſchoͤner koͤnnen Sie dieſelbe in folgendem Expe-
rimente hervorbringen. Stellen Sie ein Gefaͤß mit reinem Waſſer
ſo, daß ſie den hellen Himmel, er ſei nun heiter oder bewoͤlkt, ge-
ſpiegelt im Waſſer ſehen; bringen Sie dann einen kleinen Tropfen
Terpentin-Oel oder ein andres Oel, das ſich leicht auf dem Waſſer
ausbreitet, auf das Waſſer; ſo ſehen Sie dieſen Tropfen, die leb-
hafteſten, ſchoͤnſten Farben gebend, ſich verbreiten. Der Tropfen
muß klein, etwa mit einem Metalldrathe aus dem Gefaͤße mit Ter-
pentin-Oel hervorgehoben, ſein, damit bei recht duͤnner Verbrei-
tung des Tropfens deſto ſchoͤnere Farben hervorgehen.


Newton's Farbenringe.


Aber um dieſe einfachen Verſuche recht zu verſtehen, muͤſſen
wir etwas kuͤnſtlichere Verſuche anſtellen, bei welchen das Maaß
der Dicke dieſer farbenloſen und dennoch Farben zeigenden Schichten
angegeben werden kann; und hier iſt es wieder Newton, der
dieſe Verſuche zuerſt und mit großer Genauigkeit angeſtellt, der
eben dadurch die Regeln, nach welchen ſich dieſe Farben zeigen, voll-
ſtaͤndig entdeckt hat. Newton bemerkte dieſe Farben da, wo
zwiſchen zwei Glaͤſern ein ſehr kleiner Zwiſchenraum, alſo eine
duͤnne Luftſchichte, enthalten iſt, und dieſes veranlaßte ihn, ein
nach einem ſehr großen Halbmeſſer geſchliffenes Linſenglas auf ein
voͤllig ebnes Glas zu legen, um die ſich hier zeigenden Farben zu
beobachten. Die Farben erſcheinen hier in regelmaͤßigen Ringen,
die den Mittelpunct, wo beide Glaͤſer ſich beruͤhren, als concentri-
ſche Kreiſe umgeben; iſt das obere Glas wenig gegen das untere
gedruͤckt, ſo zeigt ſich irgend eine Farbe in der Mitte, die von an-
dern Farbenringen umgeben iſt; verſtaͤrkt man dann den Druck,
ſo daß der Abſtand der Glaͤſer von einander etwas geringer wird,
ſo breitet ſich jene den Mittelpunct ausfuͤllende Farbe in einen Ring
aus, den die vorigen Ringe, nun einen etwas groͤßern Durchmeſſer
annehmend, umgeben, und eine neue Farbe nimmt die Mitte ein;
[261] bei noch mehr verſtaͤrktem Drucke geht wieder die Farbe des Mit-
telpuncts in einen neuen Ring uͤber, und ſo entſtehen nach und
nach bei verſtaͤrktem Druck mehr Ringe, bis endlich in der Mitte
die innige Beruͤhrung beider Glaͤſer erreicht und ein dunkler Fleck
in der Mitte entſtanden iſt, und dann iſt die Folge der Farbenringe
allemal voͤllig gleich. An den ſchwarzen Fleck, der die Mitte ein-
nimmt, grenzt ein ſchmaler violetter und blauer Ring, der von
einem weißen Ringe, dieſer von einem gelben und einem rothen
umſchloſſen iſt; dieſer Farbenfolge ſchließt eine zweite von ſehr
hellen Farben ſich an, deren Ordnung von der Mitte her gerechnet
violett, blau, gruͤn, gelb, roth iſt; eine dritte Farbenfolge zeigt
ein etwas roͤthlicheres Violett, Blau, ſchoͤnes Gruͤn und Gelb,
endlich ein zum Purpur hinneigendes Roth; die Ringe der vierten
Farbenfolge ſind nur gruͤn und roth, doch bemerkt man an der in-
nern Seite des Gruͤn noch ein Hinneigen zum Blau, an der aͤu-
ßern Seite ein Hinneigen zum Gelb; dieſe ſelbigen Farben wieder-
hohlen ſich in der fuͤnften und ſechſten Farbenfolge, aber immer
matter, und endlich gehen die Farben in Weiß uͤber. Man ſieht
dieſe Ringe recht ſchoͤn nur bei einem großen Linſenglaſe, deſſen auf
dem andern Glaſe liegende Woͤlbung nach einem ſehr großen Halb-
meſſer geſchliffen iſt, weil da die Abſtaͤnde beider Glaͤſer, worauf
es hier ankommt, nur ſehr langſam zunehmen; aber auch bei klei-
nern Linſen, etwa bei einem Brennglaſe von 3 oder 4 Zoll Durch-
meſſer, deſſen Brennweite 1 bis 2 Fuß iſt, bemerkt man beim
feſten Andruͤcken gegen ein zweites Glas einen Fleck, der, wenn
man ihn mit einem einfachen Vergroͤßerungsglaſe betrachtet, mit
eben jenen Ringen umgeben iſt. Was aber jenen Newton'ſchen
Verſuch nun ſo hoͤchſt merkwuͤrdig macht, iſt, daß die Farben
immer gleichmaͤßig da hervorgehen, wo der Zwiſchenraum zwiſchen
den Glaͤſern gleich iſt, ſo daß man fuͤr Linſen von verſchiedenen
Halbmeſſern, die man auf ebne Glaͤſer legt, bei Berechnung des
Abſtandes, der in irgend einer Entfernung vom Mittelpuncte ſtatt
findet, genau einerlei Farbe da findet, wo der Zwiſchenraum zwi-
ſchen den ſich in der Mitte genau beruͤhrenden Glaͤſern gleich iſt.
Dieſe Gleichheit der Farbe gilt indeß nur dann, wenn das Auge ſo
ſteht, daß es in einer gleichen und wenig von der Senkrechten ab-
weichenden Richtung die zuruͤckgeworfenen Strahlen empfaͤngt; denn
[262] bei einer veraͤnderten Stellung des Auges aͤndern ſich die Farben,
ſo daß die Ringe der zweiten, dritten Farbenfolge immer deſto groͤ-
ßere Durchmeſſer erhalten oder weiteren Abſtaͤnden der Glaͤſer von
einander entſprechen, je mehr das Auge ſich von der gegen die duͤnne
Luftſchichte ſenkrechten Lage entfernt.


Ich brauche Ihnen nicht umſtaͤndlich zu zeigen, wie (Fig. 115.)
die Abſtaͤnde ab, cd, zwiſchen der ebnen und der gewoͤlbten Glas-
Oberflaͤche in beſtimmten Entfernungen von der Mitte berechnet
werden, und Sie werden leicht uͤberſehen, daß Newton durch
Abmeſſung der Halbmeſſer der Ringe zu der Beſtimmung gelangen
konnte, daß die hellſten Farben bei ſenkrechter Richtung zum erſten,
zweiten, dritten Male da hervorgingen, wo die Dicke der Luftſchichte
\frac{1}{178000} Zoll, \frac{3}{178000} Zoll, \frac{5}{178000} Zoll (des engliſchen Zolles)
betrug, und dieſe Entfernungen, die wir ſpaͤter noch durch andre
Verſuche naͤher kennen lernen, ſtehen alſo in einer weſentlichen Be-
ziehung mit dem Entſtehen dieſer Ringe.


Aber die hier angegebenen, durch Zuruͤckwerfung des Lichtes
ſichtbar werdenden Farben ſind nicht die einzigen, welche ſich hier
beobachten laſſen; ſondern wenn man das Auge auf die entgegen-
geſetzte Seite der Glaͤſer bringt, ſo bemerkt man ebenfalls Ringe,
die in dem durchgelaſſenen Lichte kenntlich ſind, und — was be-
ſonders merkwuͤrdig iſt, — in dieſen iſt an jeder einzelnen Stelle
die Ergaͤnzungsfarbe zu derjenigen Farbe, die man an eben der
Stelle durch die zuruͤckgeworfenen Strahlen erblickte, das heißt,
dem an der einen Seite durch reflectirtes Licht geſehenen rothen
Ringe entſpricht, wenn man das Auge an die entgegengeſetzte Seite
bringt, ein ebenſo großer gruͤner Ring, ſo daß man mit Recht ſagen
kann, da wo das rothe Licht reflectirt iſt, findet ſich das gruͤne
Licht eben deshalb im durchgelaſſenen Lichte im Uebermaaße, wegen
der Ausſcheidung des rothen Lichtes. Die Ringe, die dem durch-
gelaſſenen Lichte ihren Urſprung verdanken, ſind minder lebhaft,
als die durch zuruͤckgeworfenes Licht entſtehenden; dies hat darin
ſeinen Grund, weil viel weißes Licht durchgelaſſen wird, und daher
die hier ſich mit dem weißen Lichte miſchenden Farben nur matt
aus dem weißen Lichte hervortreten, ſtatt daß an der andern Seite
die Farbenſtrahlen ganz ohne Zumiſchung weißen Lichtes kenntlicher
ſich zeigen.


[263]

Der aͤltere Herſchel hat mit großem Fleiße dieſe Verſuche
wiederholt, und ſich Muͤhe gegeben, theils nachzuweiſen, welche
Oberflaͤchen der Glaͤſer es eigentlich ſind, auf die es hier ankoͤmmt,
theils auch die vermoͤge der durchgelaſſenen Strahlen entſtehenden
Ringe bequem und mit den durch zuruͤckgeworfene Strahlen her-
vorgehenden zugleich zu ſehen. In Beziehung auf das erſtere wandte
er als Unterlage einen ebnen Metallſpiegel an, und gebrauchte Lin-
ſen, die feine Riſſe an der Oberflaͤche hatten, u. ſ. w.; alle Ver-
ſuche uͤberzeugten ihn, daß nur die beiden an der duͤnnen Luftſchichte
liegenden Oberflaͤchen zu Hervorbringung der Ringe beitragen, die
ſich auch, wenn die Linſe auf dem Metallſpiegel lag, zeigten. Um
aber beide Arten von Ringen zu ſehen, legte er die Linſe auf einen
ebnen, hinten belegten Glasſpiegel AB; (Fig. 116.) dann ſieht
das Auge O erſtlich die von a ausgegangenen reflectirten Farben-
ſtrahlen, zweitens aber die als farbig bei a durchgelaſſenen und
nachher bei b an der Hinterſeite des Spiegels zuruͤckgeworfenen
Strahlen; indeß ſind dieſe zweiten Ringe ſchwierig aufzufinden
und man ſieht ſie nur ziemlich gut, wenn man an der Stelle c,
wo ſie erſcheinen, durch einen kleinen Gegenſtand das Auffallen
der directen Lichtſtrahlen hindert und ſo die Reflexionsringe unter-
bricht. — Alle Verſuche Herſchel's beſtaͤtigen das, was New-
ton ſchon geſehen hatte.


Durch dieſe Verſuche iſt es alſo ſchon entſchieden, daß ein
enger Zwiſchenraum zwiſchen zwei Oberflaͤchen feſter Koͤrper eine
Farben-Erſcheinung hervorbringt; aber Newton, welcher in der
hier eintretenden Trennung der Farben eine aus der Miſchung
der Farbenſtrahlen im weißen Lichte hervorgehende mindere Ein-
fachheit des Erfolges erkannte, ſah mit ſeinem gewoͤhnlichen Scharf-
ſinne voraus, daß der Verſuch mit einfarbigem Lichte angeſtellt
werden muͤſſe, um leichter die von jedem einzelnen Farbenſtrahle
hier befolgten Geſetze angeben zu koͤnnen. Er ließ im finſtern
Zimmer den durch das Prisma erhaltenen rothen, den gelben,
den gruͤnen Strahl u. ſ. w., jeden allein auf jene auf dem ebnen
Glaſe liegende Linſe fallen, und erhielt nun durch Zuruͤckwerfung
rothe Ringe mit ganz dunkeln Zwiſchenraͤumen, gelbe Ringe,
gruͤne Ringe u. ſ. w. mit ganz dunkeln Zwiſchenraͤumen, jedesmal
dem Lichte entſprechend, das er auf die Glaͤſer fallen ließ. Dieſes
[264] ließ ſich nicht anders erwarten. Aber zugleich zeigte ſich, daß bei
Anwendung derſelben Glaͤſer die von gelbem Lichte hervorgebrachten
Ringe kleiner als die rothen, die gruͤnen kleiner als die gelben, die
blauen kleiner als die gruͤnen, die violetten kleiner als die blauen
waren, daß alſo jede Art von Farbenſtrahlen eine eigene Dicke der
Luftſchichte fordere, um durch Zuruͤckwerfung ſichtbar zu werden.
Newton berechnete aus den Halbmeſſern der Ringe die Dicke der
Luftſchichte, und ſo ergab ſich, daß die Mitte des durch die aͤußer-
ſten violetten Strahlen hervorgebrachten erſten Ringes da lag, wo
der Zwiſchenraum 4 Milliontel Zoll betrug, daß die Mitte des
zweiten durch eben dieſes Violett hervorgebrachten Ringes dem Zwi-
ſchenraume von 12 Millionteln, die Mitte des dritten 20 Million-
teln, die Mitte des vierten 28 Millionteln des Zolles entſprach,
ſo daß dieſe Zahlen in der Folge 1 mal 4, 3 mal 4, 5 mal 4,
7 mal 4, 9 mal 4 u. ſ. w. fortgehen. Fuͤr einen Farbenſtrahl,
der an der Grenze des Gruͤn und Gelb im Farbenbilde lag, waren
die Abſtaͤnde, welche der Mitte der Ringe entſprachen, 1 mal 5¼
Milliontel, 3 mal 5¼, 5 mal 5¼, 7 mal 5¼, 9 mal 5¼; fuͤr
einen Farbenſtrahl, der im Roth dem Ende des Farbenbildes nahe
lag, 1 mal 6⅓, 3 mal 6⅓, 5 mal 6⅓, 7 mal 6⅓, 9 mal 6⅓.


Dieſe Verſuche zeigten alſo ganz deutlich, daß bei einer glei-
chen Stellung des Auges, bei ungefaͤhr ſenkrechter Zuruͤckwerfung
der Strahlen, jede Farbe an einer etwas andern Stelle reflectirt
wird, ſo daß die Zuruͤckwerfung bei violetten Strahlen am beſten
bei dem Abſtande = 4, 12, 20, 28, 36, ſtatt findet, aber doch
erheblich breite Ringe darbietet, die dem Abſtande = 2 bis 6,
= 10 bis 14, = 18 bis 22, = 26 bis 30, = 34 bis 38 ent-
ſprechen. Die Verſuche zeigen ferner, daß jede Farbe ebenſo Ringe
von gewiſſer Breite darbietet, und daß daher im weißen Lichte, wo
alle Farben zugleich vorhanden ſind, Farbenmiſchungen entſtehen
muͤſſen, die ſich nun ſogar nach der Lage jener einzelnen Ringe be-
rechnen laſſen. Der erſte violette Ring faͤngt da an, wo der Ab-
ſtand 2 iſt, und da kein andrer Ring einem kleinern Abſtande ent-
ſpricht oder keiner dem Mittelpuncte des in der Mitte genau be-
ruͤhrenden Glaſes naͤher liegt, ſo erſcheint in der Mitte gar kein
zuruͤckgeworfenes Licht, ſondern ein ſchwarzer Fleck, der da, wo der
Abſtand 2 (immer naͤmlich Milliontel des engl. Zolles) iſt, von
[265] einem violetten und blauen Ringe umgeben iſt. Aber ſchon dem
Abſtande 3¼ entſpricht der innere Rand des rothen Ringes und
hier gehen alſo bei einfallendem weißem Lichte Strahlen aller Far-
ben zuruͤckgeworfen hervor, ſo daß ſich der violette und blaue Ring
nur ganz ſchmal zeigen kann und dann von einem weißen Ringe
umgeben iſt. Bei dem Abſtande 6 hoͤrt der erſte violette Ring auf
und in der Entfernung vom Mittelpuncte, wo der Abſtand = 7
iſt, werden nur noch gruͤne, gelbe, orange und rothe Strahlen
reflectirt, deren Miſchung, wie Sie wiſſen, Gelb giebt, alſo geht
hier der weiße Ring in Gelb uͤber, an welches da, wo der Abſtand
9 iſt, ganz reines Roth ſich anſchließt, indem ſelbſt der orangefar-
bene Ring ſich ſo weit nicht erſtreckt. Der zweite violette Ring
faͤngt bei dem Abſtande 10 an und geht bis 14, der zweite blaue
geht von 10¾ bis 15¾, der zweite gruͤne von 12 bis 18, der gelbe
von 13 bis 19¾, der orange von 14 bis 20½, der rothe von 14¾
bis 22¼. Da alſo, wo der Abſtand nur 10 bis 10¾ iſt, ſieht man
bloß violette Strahlen, bis gegen den Abſtand 12 nur violette und
blaue gemiſcht; bei dem Abſtande 13 und 14 ein aus Violett, Blau,
Gruͤn, gemiſchtes Blau; bei 16 eine Farbenmiſchung, welcher Vio-
lett und Blau fehlen, die alſo aus Gruͤn ſchon in Gelb uͤbergeht;
bei 18 ein aus Gruͤn, Gelb, Orange, Roth entſtehendes Gelb;
bei 19 und 20 ſind Gelb, Orange, Roth des zweiten Ringes ſchon
mit Violett des dritten gemiſcht. Dieſe Nachweiſung der Farben
des zweiten Ringes ſtimmt ſo vollkommen mit den Beobachtungen
uͤberein, daß auch dieſe das Gruͤn als ſchwach und weißlich angeben
(weil bei 15 faſt alle Farbenſtrahlen hervorgehen,) und das Roth
als mit hinuͤbergehend in den dritten violetten Ring. Bei dem
Abſtande 20 naͤmlich koͤmmt das dritte Violett noch mit vielem
Roth der zweiten Ordnung zuſammen; bei 22 bis 24 iſt Blau
theils aus Violett und Blau, theils aus dieſen Farben und Gruͤn
gemiſcht; bei 25 verbinden ſich Blau, Gruͤn, Gelb zu einem ſchoͤ-
nen Gruͤn; ebenſo ſchoͤn tritt das Gelb hervor; aber das Roth,
welches bei 28 bis 31 am lebhafteſten erſcheinen ſollte, iſt ſchon
ſtark mit dem vierten Violett, welches bei 26 anfaͤngt, und Blau,
welches bei 29 anfaͤngt, gemiſcht. Hier fangen nun die Ringe
der naͤchſten Ordnung an, ſo ſtark auf einander zu fallen, daß das
Violett und Blau der vierten Ordnung gar nicht erſcheint; denn
[266] erſt bei dem Abſtand 34¾ endigt ſich voͤllig der dritte rothe Ring,
und da der vierte violette Ring ſich ſogar ſchon fruͤher endigt, ſo
tritt bei 34 nur Blau und Gruͤn, bei 36 bis 38 eine Miſchung
aus dem Gelb der vierten und dem Violett oder Violett und Blau
der fuͤnften Ordnung zu Gruͤn gemiſcht hervor; bei 40 bis 42 iſt
das Orange und Roth der vierten Ordnung mit dem Blau der
fuͤnften Ordnung gemiſcht; und da das Roth der vierten Ordnung
ſich bis 47¾ erſtrecken ſollte, wo zugleich das Gelb der fuͤnften und
das Violett und Blau der ſechſten Ordnung hervorgeht, ſo erhellt,
daß die Ringe, die mit Roth und Gruͤn wechſelnd noch als fuͤnfte
und ſechſte Ordnung hervorgehen, nun je mehr und mehr unkennt-
lich, ſich allmaͤhlig in Weiß verlieren muͤſſen.


Wenn ich dieſe Nachweiſung etwas zu umſtaͤndlich verfolgt zu
haben ſcheine, ſo, hoffe ich, werden Sie dies verzeihlich finden, da
die ſich hier ergebende Uebereinſtimmung zwiſchen dem, was die
Farbenmiſchung ergeben ſoll, und was die Erfahrung zeigt, zu
merkwuͤrdig iſt, um unbeachtet zu bleiben. Sie uͤberſehen nun
auch leicht, warum im einfarbigen Lichte die Zahl der kenntlichen
Ringe groͤßer war, weil naͤmlich dieſes Zuſammenfallen der Ringe
verſchiedener Ordnungen hier nicht eintreten konnte. Man iſt im erſten
Augenblicke geneigt, zu glauben, daß bei gleichfarbigem Lichte eine
noch viel groͤßere Reihe von Farbenringen hervorgehen muͤßte, weil
eine Farbenmiſchung, die Weiß geben koͤnnte, nicht eintreten kann;
aber der Grund, warum doch auch hier endlich eine gleichmaͤßige
farbige Erleuchtung kenntlich wird, iſt leicht einzuſehen. Wenn
wir auch einen ſehr begrenzten Strahl einfarbigen Lichtes, zum
Beiſpiel gruͤnen Lichtes, auffallen laſſen, ſo wiſſen Sie doch ſchon,
daß dieſer immer noch aus einer Folge von ungleich brechbaren, wenn
gleich nur ſehr wenig an Brechbarkeit verſchiedenen Strahlen beſteht,
und genau ſo wie die ungleiche Brechbarkeit in unmerklichen Ueber-
gaͤngen ſelbſt im gruͤnen Strahle da groͤßer iſt, wo das gruͤne Licht
auch nur wenig dem blauen naͤher liegt, ſo iſt auch jener fuͤr die
Entſtehung der Ringe erforderliche Abſtand ſelbſt fuͤr gruͤnes Licht
nicht uͤberall gleich, ſondern etwas geringer fuͤr den dem blauen
Lichte naͤheren Theil des gruͤnen Strahles. Fuͤr die Mitte des
gruͤnen Strahles kann man 5 Milliontel als den Abſtand der beſten
Reflexion angeben, dagegen 4¾ fuͤr einen ſchon voͤllig blauen Licht-
[267] ſtrahl; wir werden alſo ein Licht noch fuͤr vollkommen gruͤn anſehen,
ſo wohl wenn 5 als wenn 4,9 Milliontel dem Abſtande der beſten
Reflexion entſprechen; aber dieſe beiden gruͤnen Lichtſtrahlen geben
im ſtrengſten Sinne genommen ſchon ungleiche Farbenringe dem
Durchmeſſer nach, wenn auch, ſo weit das Urtheil unſeres Auges
geht, nicht der Farbe nach. Die Mitte der aus jenen beiden Licht-
ſtrahlen entſtehenden Ringe entſpraͤche den Abſtaͤnden 5 und 4,9;
15 und 14,7; 25 und 24,5 und ſo weiter; und hier kaͤme ſchon
der zwanzigſte Ring der einen Licht-Art faſt genau auf die Mitte
zwiſchen den Ringen der andern Licht-Art, ſo daß dennoch endlich
ein Unkenntlichwerden der Ringe eintraͤte. Dieſes erfolgt, bei der
Schwierigkeit ein ſo gleichfoͤrmiges Licht zu erhalten, leicht noch
fruͤher, und es iſt ein Zeichen, daß man ſehr gleichartiges Licht
habe, wenn die Zahl der Ringe groß iſt.


Aber nicht bloß die Luftſchichte zwiſchen zwei Objectivglaͤſern
iſt geeignet, dieſe Farben zu zeigen, ſondern auch, wenn der Zwi-
ſchenraum mit Waſſer gefuͤllt iſt, beobachtet man eben ſolche Far-
benringe, welche aber nun von viel geringerem Durchmeſſer ſind,
und mattere Farben, jedoch in eben der Ordnung zeigen. Und
ebenſo iſt jedes duͤnne Blaͤttchen eines Koͤrpers, jede duͤnne Schichte
eines Fluͤſſigen, geeignet, gewiſſe Farbenſtrahlen zuruͤckzuwerfen
und die uͤbrigen durchzulaſſen, ja ſelbſt im luftleeren Raume zeigen
ſich ebenſo Farbenringe. In allen Faͤllen aber iſt die Art der
zuruͤckgeworfenen Strahlen nach der Dicke der Schichte verſchieden,
und zwar ſo verſchieden, daß dieſelben Farbenſtrahlen bei der drei-
fachen, fuͤnffachen, ſiebenfachen, neunfachen, elffachen Dicke zu-
ruͤckgeworfen werden, wenn ſie bei der einfachen Dicke zuruͤckgewor-
fen wurden, und daß dagegen da, wo die zweifache, vierfache, ſechs-
fache, achtfache, zehnfache Dicke ſtatt findet, alle dieſe Farben-
ſtrahlen durchgelaſſen werden. Jene einfache Dicke iſt allemal
kleiner bei dem violetten Strahle und nach der Ordnung groͤßer bei
den uͤbrigen; auch iſt das Verhaͤltniß fuͤr die verſchiedenen Farben-
ſtrahlen immer gleich, ſo daß, wenn 4 Milliontel als dem aͤußerſten
Violett, 5¼ als der Grenze des Gruͤn und Gelb, 6⅓ als dem aͤußer-
ſten Roth entſprechend bei der Luft bekannt ſind, man dieſe Zahlen
nur mit dem Brechungsverhaͤltniſſe zu multipliciren braucht, um
bei andern Koͤrpern die jeder Farbe angemeſſene Dicke zu finden;
[268] fuͤr Waſſer ſind ¾ jener Dicken, fuͤr Glas ungefaͤhr ⅔, fuͤr Ter-
pentin-Oel ungefaͤhr ⅔ anzunehmen, und man braucht nur die ge-
nauen Zahlen fuͤr die Brechungsverhaͤltniſſe zu ſetzen, um die An-
gaben genau zu erhalten.


Andre Faͤlle, wo wir die Farben duͤnner Koͤrper
beobachten
.


Um nicht allzu lange bei dieſen Erſcheinungen zu verweilen,
will ich andre Faͤlle, wo ſich uns dieſe Farben zeigen, nur kurz
erwaͤhnen, und dann zur Theorie ihrer Entſtehung uͤbergehen.
Wir ſehen dieſe Farben oft da, wo bei Koͤrpern, die aus Blaͤttchen
beſtehen, entweder dieſe Blaͤttchen duͤnne genug ſind, um uns
Farben einer niedrigen Ordnung, wo naͤmlich noch keine Miſchung
aller Farben eintritt, zu zeigen, oder wo zwiſchen den Schichten ſich ſo
duͤnne Luftſchichten eingeſchloſſen befinden. Dieſe Koͤrper ſpielen
Farben
, das heißt, die Farbe aͤndert ſich mit der Stellung des
Auges; denn ich habe ſchon oben erwaͤhnt, daß die Ringe bei ſchief
zuruͤckgeworfenen Strahlen etwas groͤßer werden, oder daß einem
gleichen Abſtande Farben einer niedrigern Ordnung entſprechen,
welches offenbar, wenn der Abſtand fuͤr zwei ganze Flaͤchen gleich
iſt, einem Hinuͤbergehen der Farben dritter Ordnung zu denen
zweiter Ordnung bei groͤßerer Schiefe der Zuruͤckwerfung entſpricht.
Der Farbenwechſel, den wir bei dem erſten Experimente mit Ter-
pentin-Oel auf Waſſer beobachteten, geht vorzuͤglich aus der allmaͤhlig
ſich aͤndernden Dicke der Oelſchichte hervor, und ein zu großer
Tropfen giebt keine ſchoͤne Farben mehr, wenn die Dicke der Schichte
ſo groß iſt, daß ſchon die vierte oder fuͤnfte Farbenreihe hervorgehen
muͤßte. Die Seifenblaſen ſind als hoͤchſt duͤnne Waſſerſchichten ſo
gut geeignet, dieſe Farben zu zeigen, und da bei großen Blaſen die
Waſſerſchichte oben merklich duͤnner als unten iſt, ſo gehoͤren die
Farben oben den geringeren Dicken, den kleineren Ringen in den
vorhin betrachteten Faͤllen, an; wenn bei laͤngerer Dauer die Blaſe
oben immer mehr ſich verduͤnnt, ſo zeigt ſich oben der ſchwarze
Fleck, ſo wie in der Mitte der Glaslinſe, und die Ringe der erſten
und zweiten Ordnung umgeben ihn; aber das Zerſpringen der
Blaſe iſt dann auch nicht mehr lange entfernt.


[269]

Anwandelungen des leichten Durchgangs und der
leichten Zuruͤckwerfung
.


Dieſe wunderbare Eigenſchaft der Lichtſtrahlen, bei gewiſſer
Dicke der Schichte gaͤnzlich durchgelaſſen, bei der doppelten, drei-
fachen, vierfachen Dicke wieder ganz durchgelaſſen zu werden, aber
eine Zuruͤckwerfung zu erleiden, wenn die Dicke ein Halb, drei
Halbe, fuͤnf Halbe u. ſ. w. jener Dicke iſt, dieſe hat eigentlich der
Newton'ſchen Vorſtellung von ungleichen, in gewiſſen Perioden
wiederkehrenden Zuſtaͤnden der Lichttheilchen ihre Entſtehung gege-
ben. In der That, wenn wir zuerſt nur von einer Art Farben-
ſtrahlen, zum Beiſpiel von den violetten, reden, ſo ſcheint es bloß
der reine Ausſpruch der Erfahrung zu ſein, daß Lichttheilchen, die in
eine Luftſchichte eingetreten ſind, ſich, nachdem ſie 4 Milliontel Zoll
durchlaufen haben, am faͤhigſten fuͤr die Zuruͤckwerfung zeigen, nach-
dem ſie 8 durchlaufen haben, gar nicht faͤhig der Zuruͤckwerfung
ſind, nachdem ſie 12 oder 20 oder 28 oder 36 durchlaufen haben,
wenn ſie naͤmlich dort eine Grenze der Luftſchichte antreffen, der
Reflexion faͤhig, nachdem ſie 8 oder 16 oder 24 oder 32 durch-
laufen haben, der Reflexion nicht faͤhig ſind. Dieſe Anwande-
lungen leichtern Durchgangs oder leichterer Zuruͤckwerfung kehren
alſo auf gleiche Art nach einer Periode, die 8 Millionteln eines
Zolles entſpricht, wieder; und wenn man dies die Laͤnge einer
Anwandelung fuͤr den aͤußerſten violetten Strahl des prismatiſchen
Farbenbildes nennt, ſo iſt 10½ die Laͤnge der Anwandelung fuͤr
den Strahl an der Grenze des Gruͤn und Gelb, 12¾ die Laͤnge
der Anwandelung fuͤr das aͤußerſte Roth. Daß zwiſchen dieſen
Zuſtaͤnden der leichteſten Reflexion und gar keiner Reflexion ſich
alle Mittelzuſtaͤnde, alle Phaſen leichterer und minder leichter
Zuruͤckwerfung finden, iſt leicht zu erachten.


Nach Newton's Vorſtellung muß man dies ſo auffaſſen.
Indem die in allen moͤglichen Zuſtaͤnden, in allen verſchiedenen
Phaſen der Anwandelungen, an eine Trennungsflaͤche zweier Koͤrper
gelangenden Lichttheilchen eine ungleiche Faͤhigkeit haben, dieſe
Trennungsflaͤche zu durchdringen, werden die vorzuͤglich durch-
gelaſſen, die in dem Zuſtande der leichteren Durchlaſſung ſich
befinden. Waͤren ſie alle genau in dem vollkommenſten Zuſtande
der leichten Durchlaſſung, ſo wuͤrden ſie in der Luft nach Zuruͤck-
[270] legung eines Raumes von 8, 16, 24, genau wieder im voll-
kommenſten Zuſtande der leichteſten Durchlaſſung ſein, alſo an der
Ruͤckſeite der Luftſchichte, beim Uebergange in den andern Koͤrper
gar keine Zuruͤckwerfung leiden, dagegen nach Zuruͤcklegung eines
Raumes von 4, 12, 20, 28, am vollkommenſten der Zuruͤckwerfung
faͤhig ſein; an dieſen letztern Stellen alſo ſaͤhe das die zuruͤckgeworfe-
nen Strahlen empfangende Auge die hellen Ringe, an jenen die
dunkeln. Hiernach laͤßt ſich die ganze Erſcheinung uͤberſehen, wenn
man bloß auf diejenigen Lichttheilchen Ruͤckſicht nimmt, die beim
Eintritte in die duͤnne Schichte ſich beinahe in dem vollkommenſten
Zuſtande des leichteſten Durchgangs befanden, oder, wie man es
ausdruͤckt, in der Phaſe des allerleichteſten Durchgangs waren.
Gewiß aber werden beim Eintritte in die duͤnne Luftſchichte auch
ſolche durchgelaſſen, die ſich ſchon ziemlich weit von dieſer genaueſten
Phaſe des leichten Durchgangs entfernt befinden, und dieſe gehen
durch die zweite Oberflaͤche auch da, wo wir die beſte Reflexion
ſehen, dennoch durch. Aus dieſem Grunde ſind die im durchgelaſſenen
Lichte kenntlichen Farbenringe mit vielem weißen Lichte gemiſcht,
weil Strahlen aller Farben, ſofern ſie ſich an der zweiten Ober-
flaͤche nicht im vollkommenſten Zuſtande der leichteſten Reflexibilitaͤt
befinden, durchgelaſſen werden, und dieſe Ringe ſind nur darum
farbig, weil ihren Lichttheilchen jene beſtimmten Farben fehlen.


Dies wird hinreichen, um von Newton's Vorſtellung uͤber
den wechſelnden Zuſtand der Lichttheilchen einen Begriff zu geben.


Erklaͤrung dieſer Erſcheinungen nach der Undulations-
theorie.


Nach der Undulationstheorie legten wir den Aetherwellen
eine abwechſelnde Verduͤnnung und Verdichtung bei, und machten
die Bemerkung, daß zwei Lichtſtrahlen ſich verſtaͤrken, wenn die
Verdichtung in der einen Lichtwelle mit der Verdichtung in der
andern zuſammentrifft; aber wir muͤſſen offenbar auch hinzufuͤgen,
daß eine Interferenz, eine gegenſeitige Zerſtoͤrung der Wellen
eintreten kann, wenn Verdichtung der einen mit Verduͤnnung der
andern fortwaͤhrend zuſammentrifft. Wir wollen ſehen, wiefern ſo
etwas bei unſerm Phaͤnomene wirkſam ſein kann.


[271]

Daß an jeder Oberflaͤche, wo die Lichtwelle in ein neues
Medium eindringt, ſich zugleich eine reflectirte Welle bildet, wiſſen
Sie. Da wo ſo ſehr nahe an einander zwei zuruͤckgehende Wellen
an zwei nur um wenige Milliontel eines Zolles von einander ent-
fernten Oberflaͤchen entſtehen, da kann dieſe Verſtaͤrkung ſowohl als
dieſe Ausloͤſchung ſichtbar werden, und die Erklaͤrung der Farben-
ringe liegt hier ſehr nahe. Aber ehe wir weiter gehen, muß ich eine
Bemerkung angeben, auf welche hier die Theorie der Wellenbewe-
gung fuͤhrt. Allerdings entſteht allemal eine zuruͤckgehende Welle
ſowohl da, wo die Lichtwelle in ein duͤnneres Medium, als da, wo
ſie in ein dichteres Medium eintritt, jedoch mit dem Unterſchiede,
daß im einen Falle eine halbe Undulationsphaſe verlohren geht.
Beim Uebergange in einen duͤnneren Koͤrper faͤngt die zuruͤckgehende
Welle erſt an, nachdem die herankommende ein wenig in den
duͤnneren Koͤrper eingedrungen iſt, und obgleich es nicht ſtrenge
nachzuweiſen iſt, daß dabei ganz genau eine halbe Undulation, eine
halbe Wellenlaͤnge, verlohren geht, ſo ſcheint doch die Erfahrung
fuͤr dieſe genau halbe Wellenlaͤnge zu entſcheiden. Nehmen wir
dieſes an, ſo entſteht erſtlich eine Interferenz da, wo beide Ober-
flaͤchen der duͤnnen Luftſchichte einander ſo nahe ſind, daß ihr Ab-
ſtand ſelbſt gegen die geringe Laͤnge einer Lichtwelle unbedeutend iſt;
denn hier geht an der erſten Flaͤche die Welle, die ſich um eine halbe
Undulation veraͤndert hat, und an der zweiten die unveraͤnderte
Welle zuruͤck; war alſo der antreffende Theil der Welle ein ver-
dichteter, ſo geht dort ein verduͤnnter, hier ein verdichteter zuruͤck,
und weil dieſe ſich gaͤnzlich ausgleichen, ſo geht gar keine Erleuchtung
bewirkende Lichtwelle zuruͤck, indem bei dem antreffenden verduͤn-
nenden Wellentheile und ſo bei jedem einzelnen Theile der Welle
die beiden neu entſtehenden Wellen ſich ebenſo zerſtoͤren; — da
alſo, wo die Glasflaͤchen einander beruͤhren, erhaͤlt das Auge kein
zuruͤckgeworfenes Licht, weil die zwei Wellen ſich zerſtoͤren; das
durchgelaſſene Licht, welches vermoͤge der eindringenden Welle ent-
ſteht, leidet dabei nur eine geringe Schwaͤchung. Zweitens: da,
wo die Luftſchichte die Dicke einer Viertelwellenlaͤnge hat, entſteht
ein verſtaͤrktes reflectirtes Licht. Um dies deutlich zu uͤberſehen,
wollen wir die Wellenlaͤnge in vier Theile zerlegen, und die Grenze
derſelben als den am meiſten verdichteten, mittlern, am meiſten
[272] verduͤnnten, mittlern Theil bezeichnen. Da nun die vordringende
und die vom feſten Koͤrper, hier von der zweiten Oberflaͤche der
Luftſchichte, reflectirte Welle ſich in Ruͤckſicht der Ordnung dieſer
Theile nicht aͤndern, die an der erſten Oberflaͤche der Luftſchichte
zuruͤckgehende dagegen gleichſam ploͤtzlich in das Entgegengeſetzte des
Zuſtandes uͤbergeht; ſo iſt leicht zu uͤberſehen, daß fuͤr eine Dicke
= ¼ Wellenlaͤnge, der eindringende am meiſten verdichtete Theil
die zweite Seite der Luftſchichte erreicht, wenn der von mittlerer
Dichtigkeit an der erſten Seite eindringt, daß der am meiſten ver-
dichtete Theil wieder durch die erſte Oberflaͤche zuruͤckgeht, wenn
der am meiſten verduͤnnte Theil dort antrifft und dort eine ruͤckge-
hende Welle erregt, die ſogleich mit ihrem am meiſten verdichteten
Theile in eben dem Momente hier ausgeht; ſo gehen alſo nun zwei
verdichtete Wellentheile, die einen verſtaͤrkten Eindruck bewirken,
zugleich von hier aus, und geben dem die reflectirten Strahlen em-
pfangenden Auge den Anblick einer Licht-Erſcheinung oder einer
Farben-Erſcheinung. Drittens: da wo die Dicke der Luftſchichte
eine halbe Wellenlaͤnge betraͤgt, iſt die von der zweiten Oberflaͤche
zuruͤckkehrende Welle, weil ihr Weg vorwaͤrts und ruͤckwaͤrts eine
ganze Wellenlaͤnge betraͤgt, bei der Ankunft an der erſten Oberflaͤche
in eben dem Zuſtande, wie die eben dort eintretende; aber da die
letztere hier eine in entgegengeſetztem Zuſtande befindliche Welle
erregt, ſo hebt Verdichtung der von der zweiten und Verduͤnnung
der von der erſten Welle erregten zuruͤckkehrenden Welle ſich auf, und
dieſe Interferenz hindert an dieſer Stelle die Licht-Erſcheinung,
man ſieht hier kein reflectirtes Licht. Viertens: bei einem Abſtande
von ¾, \frac{5}{4}, \frac{7}{4}, \frac{9}{4} einer Wellenlaͤnge geht es wie bei dem Abſtande =
¼, und bei einem Abſtande = ½, = 1, = \frac{3}{2}, = 2, = \frac{5}{2}, geht
es ebenfalls gleichmaͤßig, alſo ſieht das Auge in jenen Faͤllen Licht-
verſtaͤrkungen, in dieſen Faͤllen dagegen bringen die Interferenzen
Dunkelheit hervor. Endlich muß ich noch den Fall betrachten, wo
die Dicke der Luftſchichte etwas groͤßer als ¼ und kleiner als ½ iſt.
Hier iſt die von der zweiten Oberflaͤche zuruͤckkehrende Welle nicht
genau in dem Zuſtande, in welchem ſich die, ſich mit ihr verbin-
dende von der erſten Oberflaͤche zuruͤckgehende befindet; indeß ſo
lange die Dicke nicht viel von ¼ Wellenlaͤnge abweicht, verſtaͤrken ſie
ſich dennoch einander, aber das Licht erſcheint hier minder lebhaft; —
[273] alſo haben die hellen Ringe einige Breite und ſind in der Mitte am
hellſten, gegen die Orte zu aber, wo die Dicke wenig von ½ verſchie-
den iſt, wird der Licht-Eindruck, obgleich noch keine vollkommene
Interferenz eintritt, zu ſchwach, um das Auge zu ruͤhren, und
deshalb haben auch die dunkeln Ringe einige Breite.


Hiedurch werden die durch Zuruͤckwerfung entſtehenden Ringe
vollkommen erklaͤrt, aber es ſcheint, daß das durchgegangene Licht
keine Ringe bilden koͤnne, da die zuruͤckgehenden Wellen gleich gut
ſtatt finden, ſie moͤgen durch Interferenz unmerklich werden oder
nicht. Dieſem Zweifel begegnet Young auf folgende Weiſe. Offen-
bar findet auch da, wo die Lichtwelle nach der Zuruͤckwerfung wieder
aus der erſten Oberflaͤche hervordringt, eine neue Reflexion ſtatt.
Auch das durchgehende, auf die andre Seite beider Glasſcheiben
gelangende Licht beſteht alſo aus zwei Wellen, einer gradezu durch-
gehenden, und einer an der Hinterflaͤche und dann an der Vorder-
flaͤche abermals zuruͤckgeworfenen, deren Zuſammenkommen fuͤr
den Abſtand = ½ Wellenlaͤnge ich hier noch betrachten will.
Hier iſt der von der erſten Oberflaͤche beim zweiten Antreffen an
dieſelbe reflectirte Wellentheil genau um eine ganze Wellenlaͤnge
dem gradezu durchgehenden voraus geweſen, es treffen alſo ein
nach zweimaliger Zuruͤckwerfung am feſten Koͤrper in der zweiten
Oberflaͤche ankommender und ein gradezu durchgehender ganz
gleicher Wellentheil zuſammen, und das Auge ſieht hier verſtaͤrktes
Licht.


Wenn die duͤnne Schichte keine Luftſchichte iſt, ſondern eine
Waſſerſchichte, ſo haben die Lichtwellen nur ¾ der Laͤnge, die ſie in
der Luft hatten, indem, wie Sie fruͤher geſehen haben, das Bre-
chungsverhaͤltniß 1 zu ¾, wie es bei Luft und Waſſer ſtatt findet,
eben daher entſteht, weil die Geſchwindigkeit des Lichtes von 1 auf
¾ abnimmt. Die Lichtwellen von einerlei Farbe behalten aber
gleiche Zeitperiode, ihre Laͤnge nimmt alſo auf ¾ ab, und die In-
terferenzen finden dieſen kleineren Wellenlaͤngen entſprechend ſtatt;
und grade ſo ergeben es ſchon die Newton'ſchen Meſſungen der
Ringe.


Schwieriger wuͤrde es ſein, hier den Grund nachzuweiſen,
warum die Halbmeſſer der Ringe bei ſchiefem Durchgange der
Strahlen ſich vergroͤßern, und da ich ohnehin ſchon ſo lange hiebei
II. S
[274] verweile, ſo will ich mich bloß auf Fresnel's Autoritaͤt, daß
die Theorie der Undulationen dieſes erklaͤre, berufen.


Ich habe bisher nur von einer beſtimmten Wellenlaͤnge ge-
ſprochen, aber Sie wiſſen ſchon, daß wir jedem Farbenſtrahle eine
eigenthuͤmliche Wellenlaͤnge zuſchreiben und uͤberſehen nun auch,
daß die mit jedem einzelnen Farbenſtrahle angeſtellten Experimente
uns dieſe verſchiedenen Wellenlaͤngen kennen lehren. Jene 4
Milliontel Zoll fuͤr die aͤußerſten violetten, und 6⅜ Milliontel
Zoll fuͤr die aͤußerſten rothen Strahlen ſind das Viertel der Wellen-
laͤnge, ſo daß ich nun nach Herſchel's Beſtimmung 26,6 Mil-
liontel fuͤr das aͤußerſte Roth, 21,9 fuͤr die an der Grenze des
Gelb und Gruͤn *) 16,7 fuͤr die an der Grenze des aͤußerſten
Violett liegenden Strahlen als ganze Wellenlaͤnge angeben kann.
Von der erſten Art Wellen kommen 37640, von der letztern
59750 auf 1 Zoll, und 458 Billionen fuͤr die erſten, 727 Billio-
nen fuͤr die letzten, geben die Zahl der Vibrationen in einer Se-
cunde an. — Sie werden in der Folge ſehen, daß die Schluͤſſe der
Undulationstheorie uns noch zu andern hiemit uͤbereinſtimmen-
den Angaben fuͤr die Wellenlaͤnge der verſchiedenen Farbenſtrahlen
fuͤhren; und ſo wenig wir es vergeſſen duͤrfen, daß dieſe Theorie
uͤber die ungleiche Brechung der verſchiedenen Farben keinen genuͤ-
genden Aufſchluß giebt, und daß nach ihr die ungleichen Grade der
Farbenzerſtreuung voͤllig unerklaͤrt bleiben; ſo muͤſſen wir doch ge-
ſtehen, daß in den eben durchgefuͤhrten Betrachtungen und in denen
uͤber die Beugung des Lichtes, worauf ich bald komme, eine große
Empfehlung dieſer Theorie liegt.


Natuͤrliche Farben der Koͤrper.


Hieher gehoͤrt nun auch eine ſchon von Newton gemachte
Bemerkung uͤber die natuͤrlichen Farben der Koͤrper, die von der
[275] Richtigkeit der einen oder andern Hypotheſe unabhaͤngig iſt. Alle
Koͤrper beſtehen gewiß aus getrennten Theilchen; denken wir uns
dieſe als duͤnne Blaͤttchen, die an ihrer Vorderſeite und Hinterſeite
das Licht zuruͤckwerfen, ſo wird ſich die der Dicke der Blaͤttchen
und ihrer Brechungskraft angemeſſene Farbe als eigenthuͤmliche
Farbe des Koͤrpers zeigen. Wenn die Blaͤttchen, von denen die
Farbe abhaͤngt, dichter ſind, als die die Zwiſchenraͤume fuͤllende
Materie, oder wenn jene das Licht mehr brechen als dieſe, ſo wird
die Farbe der Koͤrper bei verſchiedenen Auffallswinkeln nicht merklich
verſchieden ſein, und dieſes muß alſo bei den meiſten Koͤrpern, die
keinen Farbenwechſel bei ungleicher Stellung des Auges zeigen,
ſtatt finden. Hiemit iſt die Luͤcke ausgefuͤllt, die wir oben in
Beziehung auf dieſen Gegenſtand noch uͤbrig ließen.


Man hat hieran Schluͤſſe geknuͤpft, um die Dicke dieſer die
Farben beſtimmenden Koͤrpertheilchen anzugeben. Ein Glasblaͤtt-
chen von 16 Millionteln eines Zolles dick giebt ſchon das Gruͤn der
dritten Ordnung, und da die kleinſten Theile der Koͤrper vielleicht
das Licht noch ſtaͤrker brechen, (welches zu vermuthen ſich in der
Folge Gruͤnde finden,) ſo koͤnnen diejenigen, welche das Blau oder
Violett der zweiten Ordnung darſtellen, noch aus viel feinern Theil-
chen, naͤmlich ſo getrennt, wie wir hier annehmen, beſtehen.
Doch ſind dies Rechnungen, die nur ſchwach begruͤndet ſind, und
ich fuͤhre ſie bloß an, um das verſtaͤndlich zu machen, was man
wohl als Folgerung uͤber die Groͤße der neben einander liegenden
Theilchen geſagt hat.



[276]

Funfzehnte Vorleſung.


Widerlegung eines Einwurfs gegen die Undulations-
theorie.


Die Undulationstheorie hat oft den ſehr ſcheinbaren Vorwurf
erleiden muͤſſen, daß ſie fuͤr eines der einfachſten Phaͤnomene, fuͤr
die ſcharfe Begrenzung des Schattens, keine genuͤgende Erklaͤrung
gebe. In allen andern Faͤllen naͤmlich, ſagte man, wo wir Wellen
durch eine Oeffnung AB (Fig. 112.) gehen ſehen, bringen ſie keines-
wegs Wellen, die ſich genau durch die Linien AE, BF begrenzen,
hervor, ſondern uͤber dieſe durch den Mittelpunct der Wellen und
die Grenze der Oeffnung gezogenen Linien hinaus erſtrecken ſich die
Wellen; bei den Lichtwellen hingegen ſcheint die ſtrenge Begren-
zung des Schattens ein voͤlliges Aufhoͤren der Lichtwellen an eben
jenen Linien, die hier die Schattengrenze des die Oeffnung ein-
ſchließenden Koͤrpers bezeichnen, anzudeuten.


Dieſe Abweichung von den Geſetzen der Wellen iſt indeß nur
ſcheinbar, da eine zwar ſchwache, aber doch merkliche Licht- Erſchei-
nung auch uͤber die ſtrengen Grenzen des Schattens hinaus ſtatt
findet, und ſich Gruͤnde, warum dieſe nur ſchwach und nur wenig
uͤber die Schattengrenze hinaus, in den Erſcheinungen der Beu-
gung oder Inflexion des Lichtes, ſichtbar iſt, angeben
laſſen. Was dieſen letzten Umſtand betrifft, ſo iſt es ſehr bekannt,
daß Waſſerwellen, die von C (Fig. 117.) ausgehend, die Oeffnung
AB erreichen, dort neue Wellen DEF erregen, welche ſich von der
Oeffnung nach allen Seiten verbreiten und nicht ſo auffallend
ſtaͤrker bei E als bei D und F ſind; aber es iſt auch bekannt, daß
ſchon bei den Schallwellen, wo allerdings die Fortpflanzung nach
D und F merklich iſt, doch der Schall in E viel lebhafter, in D,
F
ſchwaͤcher gehoͤrt wird. Dieſe Erfahrungen deuten darauf hin,
daß zwar jede Wellenbewegung die Eigenſchaft, ſich von der Oeff-
nung, als von einem Mittelpuncte, zu verbreiten, behaͤlt, daß aber
die Staͤrke der Erſchuͤtterung deſto ſchneller jenſeits der Linien AH,
BK,
abnimmt, je groͤßer die Fortpflanzungsbewegung der Wellen
[277] iſt, und daß alſo auch die Lichtwellen ſich freilich ſo wie DEF fort-
pflanzen moͤgen, aber mit einer ſolchen, von E nach D und von E
nach F ſehr ſchnell, ſo ſchnell erfolgenden Abnahme der Vibrations-
geſchwindigkeit, daß nur unmittelbar jenſeits AE, BE, noch
Erleuchtungs-Erſcheinungen kenntlich ſind.


Beugung des Lichtes. Verſuche im frei auffallenden
Lichte
.


Dieſe ſchwachen Lichtphaͤnomene, die ſich unmittelbar an die
eigentliche Schattengrenze anſchließen, ſind nun diejenigen, die man
ſchon lange der Beugung des Lichtes zugeſchrieben hat. Um zu
zeigen, daß ſie ſelbſt im vollen Sonnenlichte nicht ganz unmerklich
ſind, dienen folgende von Flaugergues angegebene Verſuche,
die freilich zum Theil einiger Taͤuſchung, vermoͤge des ſeitwaͤrts
vom hellen Himmel einfallenden Lichtes, unterworfen ſind, aber
doch den Erfolg der Beugung ſchon zeigen. Wenn man eine
Kugel, am beſten mit Ruß geſchwaͤrzt, damit kein Licht am Rande
der Erleuchtung zuruͤckgeworfen werde, frei in der Sonne auf-
haͤngt, ſo ſollte erſt in einer Entfernung gleich dem 107 maligen
Durchmeſſer, der Schattenkegel ſich endigen, und erſt wenn man
das Auge noch etwas weiter entfernt in die Axe des Schatten-
kegels bringt, ſollte die Sonne, als ſcheinbar groͤßer, die ganze
dunkle Kugel umgeben; aber ſchon in einer geringern Entfernung
findet man die Erleuchtung in der Mitte des Schattens ſtark, und
ſtaͤrker als am Rande des Schattens, und auch das in die Naͤhe der
Schattengrenze gebrachte Auge empfaͤngt ſchon Strahlen von der
Sonne, wenn es gleich noch innerhalb der geometriſchen Grenze des
Schattens, naͤmlich innerhalb der dem graden Fortgange der Strah-
len entſprechenden Grenze des Schattens iſt. Alſo werden Licht-
ſtrahlen an dem Rande des dunkeln Koͤrpers von der graden Linie
abwaͤrts, und zwar hier nach dem Innern des Schattens zu abgelenkt.


Verſuche, die hiemit ebenfalls in Verbindung ſtehen, ſind
folgende. Wenn man einen ziemlich ſchmalen Koͤrper, der jedoch
breiter als die Lichtflamme iſt, vor dieſer ſo haͤlt, daß die Lichtflamme
(gegen die man nur mit einem Auge, waͤhrend das andre geſchloſſen
iſt, ſieht,) davon verdeckt wird; ſo ſieht man gleichwohl lichte
Streifchen neben dem Orte der Lichtflamme unmittelbar an den
[278] Grenzen des ſchmalen Koͤrpers. Dieſe hellen Linien ſind nicht etwa
Spiegelung am Rande des Koͤrpers, denn ſie erſcheinen an der ſchaͤrf-
ſten Meſſerſchneide, wenn auch die Seite des Meſſers, die gegen das
Auge gekehrt iſt, gar kein Licht empfaͤngt. Dieſe Lichtlinien werden
immer glaͤnzender, je weniger die ſcheinbare Breite des dunkeln Koͤr-
pers die Breite der Lichtflamme uͤbertrifft, und man kann dieſes an
einer Meſſerklinge zeigen, indem man ſie nach und nach mehr geneigt
gegen die Geſichtslinie haͤlt. Hier kommen alſo (Fig. 118.) Licht-
ſtrahlen von AB nach O, obgleich der ganze Raum zwiſchen E und
F im Schatten liegen ſollte; ſie werden alſo bei C, D, gebeugt, von
ihrer graden Richtung abgelenkt. Eben ſolche Lichtlinien ſieht man
am Rande jedes die zum Auge hingehenden Lichtſtrahlen unterbre-
chenden dunkeln Koͤrpers, und zwar ſo, daß ſie mit dunkeln Linien,
die dieſen Rand umgeben, abwechſeln. Daraus entſteht, wenn
man einen ſchmalen Spalt vor dem Auge gegen die Lichtflamme
haͤlt, die Erſcheinung dunkler und heller Linien, parallel mit den
Seiten des Spalts, und endlich, wenn dieſer einen gewiſſen Grad
von Engheit erreicht, eine dunkle Linie in der Mitte, wo doch grade
das Licht am freieſten ſcheint durchgehen zu muͤſſen.


Verſuche im dunkeln Zimmer.


Alle dieſe Erſcheinungen gehoͤren zu denen, die man der
Beugung des Lichtes zuſchreibt; aber wenn man ſie ſo beobachtet, ſo
kann man dem Zweifel, welchen Antheil die Undeutlichkeit des
Sehens hieran hat, nicht ganz ausweichen, und es iſt daher wichtig,
die Erſcheinungen auf einer weißen Tafel wahrzunehmen, welches
nur im dunkeln Zimmer gut geſchehen kann. Hier kann man nun
auch alles ſeitwaͤrts einfallende Licht vermeiden, wenn man das
Sonnenlicht durch eine kleine Oeffnung, zum Beiſpiel von ½ Linie
Durchmeſſer, einfallen laͤßt, und in bedeutender Entfernung dieſen
ſchmalen Lichtſtrahl durch eine noch engere oder eben ſo enge Oeff-
nung durchlaͤßt; denn wenn hier zum Beiſpiel (Fig. 119.) AB
10 Fuß, oder 2880 halbe Linien betraͤgt, ſo iſt der Winkel, den
die aͤußerſten Strahlen CBa, ABb mit einander machen, nur
wenig uͤber eine Min. und damit die Grenzen des Schattens und
Halbſchattens voͤllig beſtimmt. Hier zeigen ſich nun, wenn man
in der Gegend b einen dunkeln Koͤrper in den Sonnenſtrahl haͤlt
[279] und ſeinen Schatten auf eine weiße Tafel fallen laͤßt, helle Linien
mit der Grenze des Schattens parallel, die jedoch da viel ſchoͤner
hervortreten, wo zwei Schatten nahe an einander geruͤckter Koͤrper
einander gleichſam begegnen. Man bedient ſich am beſten hiezu
zweier in eine grade Schaͤrfe endigender Metallplatten, deren Raͤn-
der entweder parallel oder gegen einander geneigt einander genaͤhert
werden koͤnnen. Iſt hier die Entfernung beider Schaͤrfen noch
ziemlich groß, ſo zeigt ſich, in jenem beſchraͤnkten Sonnenſtrahle
gehalten, der Schatten beider Schaͤrfen mit hellen Linien umgeben;
bei groͤßerer Annaͤherung bemerkt man, wenn der Schatten in
nicht allzu geringer Entfernung hinter dem Spalte auf einer Tafel
aufgefangen wird, deutlich, daß dieſe den Schatten umgebenden
Linien farbig ſind, und immer mehr ſich von der Schattengrenze
entfernen; ruͤcken die Schaͤrfen einander noch naͤher, ſo ruͤcken die
farbigen Linien, die dem einen Schatten angehoͤren, in den andern
Schatten hinein. Wenn die Schaͤrfen einander bis ungefaͤhr auf ¼
Linie nahe gekommen ſind, ſo hat der erhellte Raum zwiſchen den
beiden Schatten ſeine geringſte Breite erreicht, und bei noch ge-
ringerm Abſtande verbreitert er ſich wieder, erhaͤlt aber dann eine
dunkle Schattenlinie in der Mitte.


Wenn man dieſe Erſcheinungen auf der weißen Tafel einmal
geſehen hat, ſo iſt man hinreichend uͤberzeugt, daß nicht etwa nur
eine Taͤuſchung durch undeutliches Sehen ſtatt findet, und kann
ſich dann die Erſcheinungen ſchoͤner verſchaffen, wenn man die
Schatten auf ein matt geſchliffenes Glas fallen laͤßt, und dieſes
mit einer Vergroͤßerungslinſe von der Hinterſeite her betrachtet; ja
wenn man dies mit Aufmerkſamkeit thut, ſo ſieht man, daß es
gar nicht erſt noͤthig iſt, die Schatten und Farbenraͤnder auf dem
matten Glaſe aufzufangen, ſondern die Linſe zeigt, auch unmittelbar
die Strahlen auffangend, die Erſcheinung dem Auge ſo, wie ſie
auf einem in ihrem Brennpuncte gehaltenen matten Glaſe oder
auf einer im Brennpuncte gehaltenen andern Tafel erſcheinen
wuͤrden, und man hat den Vortheil, hier durch die directen Strah-
len eine viel ſchoͤnere Farben-Erſcheinung zu erhalten, als die iſt,
die ſich auf dem matt erleuchteten Papiere, oder dem die Strahlen
unvollkommen durchlaſſenden Glaſe darſtellt.


[280]

Vorzuͤglich ſchoͤn zeigt ſich die Erſcheinung dieſer Farbenraͤnder,
wenn man die beiden Metallplatten mit gegen einander geneigten
Schaͤrfen einander ſo naͤhert, daß ſie ſich am einen Ende beruͤhren
und am andern etwa noch ½ Linie von einander entfernt ſind.
Bringt man hier die matte Glastafel, welche die an den Schaͤrfen
vorbei gegangenen Strahlen auffaͤngt, in einer nicht zu geringen
Entfernung an, oder haͤlt auch die als Ocular dienende Linſe nur
ſo, daß man die Erſcheinung ohne Glastafel gut ſieht; ſo zeigen
ſich da, wo der Zwiſchenraum breit genug iſt, drei Farbenraͤnder an
jeder der Schaͤrfen und ihnen beinahe parallel, aber dieſe Farben-
raͤnder entfernen ſich, da wo der Zwiſchenraum enger wird, mehr
von der Schattengrenze und gehen gekruͤmmt in den entgegenge-
ſetzten Schatten hinuͤber. Dieſes muß offenbar ſo ſein, weil bei
geringerm Abſtande der beiden Schaͤrfen allemal die Raͤnder ſich
weiter von dem Schatten, zu dem ſie gehoͤren, entfernen, alſo hier
fuͤr die dem Scheitel des von den Schaͤrfen gebildeten kleinen Win-
kels naͤhern Puncte eben das ſtatt findet.


Die Farben dieſer Raͤnder folgen einander ſo, daß das Violett
und Blau dem Schatten ſelbſt am naͤchſten liegt, das Roth am
entfernteſten, und eben dieſe Farbenfolge auch in dem ſchwaͤchern
zweiten und in dem noch ſchwaͤchern dritten Farbenrande ſtatt
findet. Dieſe aus dem weißen Lichte hervorgehende Faͤrbung laͤßt
ſchon vermuthen, daß man auch hier die Erſcheinung einfacher
ſehen muß, wenn man die durch das Prisma getrennten Farben-
ſtrahlen einzeln auf den Zwiſchenraum zwiſchen beiden Metallplatten
auffallen laͤßt, und ſchon Newton hat die Verſuche ſo angeſtellt,
und gefunden, daß unter ſonſt gleichen Umſtaͤnden die Raͤnder im
rothen Lichte am breiteſten, im violetten am ſchmalſten waren.
Biot und Pouillet haben dies noch ſtrenger unterſucht, und
die Breite der Raͤnder oder den Abſtand der mehrmals wiederholten
Farben-Erſcheinungen in eben dem Verhaͤltniſſe gefunden, wie die
Anwandelungen, oder die ungleiche Laͤnge der Lichtwellen es fordern.
So wie bei den Newton'ſchen Farbenringen mehr Ringe ſichtbar
werden im einfarbigen Strahle, weil da die Miſchung der Farben
nicht den Uebergang in Weiß hervorbringt, ſo werden hier auch
im einfarbigen Strahle mehr Farbenraͤnder, aber immer nur ein-
farbig, ſichtbar, und dieſe ſind durch ganz dunkle Zwiſchenraͤume
[281] getrennt. Faͤngt man die durch den engen Spalt gegangenen
Lichtſtrahlen in hinreichend großer Entfernung auf, ſo folgen die
hellen farbigen Streifen ſich ſo in gleichem Abſtande, daß die Mitte
jedes Streifens den Entfernungen 3, 5, 7, 9 entſpricht, ſtatt
daß die Mitte der dunkeln Streifen auf die Entfernungen 2, 4, 6,
8, faͤllt; aber dieſe Entfernungen ſind bei den violetten Strahlen
nur 63 Hunderttel deſſen, was ſie bei rothen Strahlen ſind, und
genau ſo ſind auch die Wellenlaͤngen des Violett nur \frac{167}{266} = 0,628
der Wellenlaͤngen des Roth.


Die Verſuche von Biot und Pouillet geben genau an,
theils wie die Erſcheinungen ſich aͤndern, wenn die Weite des Spal-
tes eine andre wird, theils wie man ſie bei gleicher Weite des Spal-
tes in ungleicher Entfernung der die durchgegangenen Strahlen auf-
nehmenden Ebne ſieht; ich glaube aber dieſe Verſuche hier uͤberge-
hen zu koͤnnen, da ſie zwar die Verſchiedenheiten der Erſcheinung
angeben, aber doch die Erklaͤrung der Erſcheinungen nicht herbei-
fuͤhren.


Erſcheinungen des Schattens ſchmaler Koͤrper. Er-
klaͤrung derſelben durch die Undulationstheorie.


Die Emiſſionstheorie hat keine recht genuͤgende Erklaͤrung
fuͤr alle dieſe Erſcheinungen und ebenſo wenig fuͤr diejenigen, die
ich bald noch weiter erwaͤhnen werde, dargeboten; denn wenn man
auch die Attractions- und Repulſionskraͤfte zugeſteht, die an den
Grenzen der Koͤrper auf die Lichttheilchen einwirken und dieſe von
ihrem Wege ablenken koͤnnten; wenn man auch, was hier noth-
wendig geſchehen muͤßte, einen Wechſel dieſer Kraͤfte in unmerklich
kleinen Entfernungen von dem Koͤrper annimmt; ſo wird doch die
gegenſeitige Einwirkung der an beiden Seiten des Spaltes durch-
gehenden Strahlen gar nicht erklaͤrt, und auch die ganz gleiche Ein-
wirkung aller Koͤrper bei der Beugung des Lichtes auf keine Weiſe
mit ihrer ungleichen Einwirkung bei der Brechung in Verbindung
gebracht. Es laͤßt ſich daher wohl nicht leugnen, daß die Emiſſions-
theorie hier einen Mangel zeigt, ſtatt daß gerade einige hieher ge-
hoͤrige Erſcheinungen ſo beſtimmt fuͤr die Undulationstheorie zu
ſprechen ſcheinen, daß ſie zuerſt Young und Fresnel bewogen,
ſich fuͤr dieſe Theorie zu erklaͤren.


[282]

Die Verſuche, die am auffallendſten fuͤr dieſe Theorie ſprechen,
[ſind] diejenigen, welche die Farbenſtreifen in dem Schatten eines
ſehr ſchmalen Koͤrpers betreffen. Ein ſolcher Schatten naͤmlich zeigt
nicht bloß die Raͤnder an der aͤußern Seite, ſondern, wenn der
Koͤrper lang und ſchmal iſt, ſo iſt der Schatten ſelbſt ſeiner ganzen
Laͤnge nach in Farbenſtreifen, die mit dunkeln Streifen abwechſeln,
zerlegt. Da die Erſcheinungen auch hier am einfachſten ſind, wenn
man einfarbiges Licht anwendet, ſo will ich dieſe die ganze Laͤnge des
Schattens durchlaufenden Streifen hell und dunkel nennen, ohne
jetzt die Farben-Ordnung, wie ſie bei weißem Lichte entſteht, zu
beruͤckſichtigen. Laͤßt man das Licht durch eine kleine Oeffnung in
das dunkle Zimmer einfallen, und ſtellt etwa 4 Fuß von dieſer
Oeffnung entfernt einen Koͤrper von ¾ Linien breit auf, ſo giebt
dieſer auf einer 4 bis 5 Fuß entfernten Tafel gar keinen vollkomme-
nen Schatten mehr, ſondern der Schatten iſt aus dunkeln und
hellen Streifen zuſammengeſetzt und viel breiter als er nach dem
graden Fortgange der Lichtſtrahlen ſein ſollte. Dabei zeigt ſich das
Merkwuͤrdige, daß ein an den ſchmalen Koͤrper irgendwo an der
einen Seite angeſetztes breiteres Stuͤck die Geſtalt des Schattens
auch an der andern Seite aͤndert; bleibt dieſe andre Seite grade,
ſo erhaͤlt der Schatten dennoch eine Einbeugung, ſo daß ſeine Ver-
breiterung an dieſer Seite von der nahen Grenze der andern Seite
des Schattens abhaͤngt, und die hellen und dunkeln Streifen gehen
auch an dieſer Seite in eine gleichfoͤrmige matte Erleuchtung uͤber.
Etwas Aehnliches zeigt ſich, wenn man einen breiteren Koͤrper AB
(Fig. 120.) ſeinen Schatten auf CD werfen laͤßt, und nun einen
Koͤrper E innerhalb des Schattens in die Naͤhe der Schattengrenze
bringt. So lange E nicht da war, bemerkte man bloß, daß der
Schatten von C gegen D zu nicht ganz ſchwarz, ſondern von einigen
am Rande A einwaͤrts gebeugten Strahlen erhellt war; aber nun
treten abwechſelnde dunkle und helle Streifen hervor, die alſo daraus
entſtehen muͤſſen, daß die gebeugten und nun an E vorbei gehen-
den Strahlen dort abgelenkt werden und durch ihr Zuſammenwirken
mit den nach F zu von A ausgehenden Strahlen jene Wechſel von
Hell und Dunkel hervorbringen.


Nach der Undulationstheorie laͤßt ſich alles dieſes auf folgende
Weiſe erklaͤren. Indem die Lichtwellen den Rand eines Koͤrpers
[283] treffen, gehen von hier die Undulationen nach allen Richtungen
fort; und vermoͤge dieſer von C aus nicht bloß nach H, (Fig. 118.)
wohin das directe Licht faͤllt, ſondern auch nach O zu gehenden
Lichtwellen findet auch innerhalb des Schattens eine matte Erleuch-
tung ſtatt, die jedoch ſchwach iſt, weil die Staͤrke der Vibrationen
von der eigentlichen Schattengrenze an in bedeutendem Maaße ab-
nimmt. Iſt aber der Koͤrper CD ſchmal, ſo gehen ebenſolche
ſchwache Lichtwellen auch von D aus, und die Erleuchtung in FE
haͤngt nun von dem Zuſammentreffen dieſer von C ſowohl als von
D ausgehenden Lichtwellen ab; in der Mitte des Schattens bei O,
wo die Wege der Lichtſtrahlen CO, DO, gleich ſind, muͤſſen
dieſe Lichtſtrahlen, wenn der Licht ausſendende Punct gleich entfernt
von C und D liegt, ein verſtaͤrktes Licht hervorbringen, weil die
Lichtwellen hier in gleichem, alſo ſich gegenſeitig verſtaͤrkenden Zu-
ſtande ankommen; in G dagegen, wo DG um eine halbe Wellen-
laͤnge groͤßer als CG iſt, findet keine Erleuchtung ſtatt, weil die
zugleich ankommende verdichtende Welle von der einen und verduͤn-
nende Welle von der andern Seite ſich gegenſeitig zerſtoͤren und
die Wirkung, die wir Erleuchtung nennen, aufheben. Daß in
einer etwas groͤßern Entfernung von der Mitte, wo die Differenz
der Wege eine ganze Wellenlaͤnge betraͤgt, wieder verſtaͤrkte Er-
leuchtung, da wo die Differenz drei halbe Wellenlaͤngen betraͤgt, ein
Aufheben der Erleuchtung ſtatt findet, erhellt nun leicht, und die
Erſcheinung paralleler Streifen von Hell und Dunkel iſt hier voll-
kommen erklaͤrt. Die eben vorhin erwaͤhnten Verſuche, wornach
eine bei D angebrachte Aenderung des Randes auch den Schatten
bei E aͤndert, ſind gleichfalls leicht verſtaͤndlich, und ebenſo laͤßt ſich
(in Fig. 120.) uͤberſehen, warum das Zuſammentreffen der von
A gradezu nach F und der von A uͤber E nach F gelangenden Licht-
wellen bei F die Lichtſtreifen und Schattenſtreifen hervorbringt.


Die Breite der Zwiſchenraͤume zwiſchen den hellen Streifen
muß offenbar verſchieden ſein nach Verſchiedenheit der Farben, denn
da die Wellenlaͤnge der violetten Strahlen geringer als die der ro-
then iſt, ſo muß bei violettem Lichte der zweite helle Streifen der
Mitte naͤher liegen, und es laͤßt ſich nun auch angeben, wie be
weißem Lichte die getrennten Farben an einander gereihet ſein und
Mittelfarben hervorbringen muͤſſen.


[284]

Auch der Umſtand, daß in geringerer Entfernung hinter dem
Schatten werfenden Koͤrper die dunkeln und hellen Linien naͤher an
einander liegen, iſt ganz dieſen Vorſtellungen gemaͤß; denn damit
G ein Interferenzpunct ſei, muß DG (Fig. 118.) um eine halbe
Wellenlaͤnge groͤßer als CG ſein, und dazu iſt ein ſehr geringer
Abſtand von der Mitte noͤthig, wenn die Ebne OG ziemlich nahe
hinter CD liegt, ein groͤßerer, wenn dieſe Entfernung DO groͤßer
iſt. Daß die ganze Erſcheinung uͤbrigens ſich nicht allzuweit von
der Schattengrenze entfernt wahrnehmen laͤßt, beruht offenbar auf
der ſeitwaͤrts hin allzuſehr abnehmenden Staͤrke der Vibrationen,
und daher faͤllt bei dem Schatten eines breiten Koͤrpers dieſe Ein-
wirkung des am andern Rande vorbei gehenden Lichtes weg. Aber
nicht bloß dieſe oberflaͤchliche Zuſammenſtimmung zwiſchen der Theo-
rie und der Erfahrung findet ſtatt, ſondern die Abmeſſung bei ge-
nauen Beobachtungen zeigt, daß die Unterſchiede der Wege DG,
CG,
ſo ſtrenge als die Schaͤrfe der Beobachtung es nur erlaubt,
eben die Wellenlaͤngen angeben, die wir ſchon fruͤher aus andern
Beſtimmungen gefunden haben.


Eine der allermerkwuͤrdigſten Uebereinſtimmungen zwiſchen
der Undulationstheorie und den Erſcheinungen der Beugung hat
Arago bekannt gemacht. Wenn man die an dem ſchmalen Koͤrper
CD (Fig. 118.) vorbei gegangenen Strahlen, welche bei EOF
die Streifen im Schatten hervorbringen, etwa bei I ſo durch ein
ſehr durchſichtiges Glas gehen laͤßt, daß die von D kommenden
Strahlen durch das Glas gehen, waͤhrend die von C kommenden
ungehindert nach EF gelangen; ſo aͤndert ſich die Lage der dunkeln
und hellen Streifen, wenn das Glas ſehr duͤnne iſt, und ſie ver-
ſchwinden ganz, wenn es dicker iſt. Dieſe Aenderung der Lage iſt
der veraͤnderten Wellenlaͤnge im Glaſe entſprechend; denn da die
Wellen im Glaſe kuͤrzer ſind, ſo muß man darauf Ruͤckſicht neh-
men, daß drei Wellen im Glaſe nur ungefaͤhr ſo viel Laͤnge haben,
als zwei in der Luft, daß alſo nicht mehr eine helle Linie in der
Mitte den gleichen Wegen entſprechen kann, ſondern daß man die
Laͤnge des Weges nun in Beziehung auf die im Glaſe vermehrte
Wellenzahl berechnen muß.


[285]

Erklaͤrung der uͤbrigen Erſcheinungen nach dieſer
Theorie
.


Eine aͤhnliche Betrachtung findet fuͤr die hellen und dunkeln
Raͤnder, welche den Schatten von außen umgeben, ſtatt. Nach
H fallen offenbar (Fig. 118.) directe Lichtſtrahlen, aber auch die
an C erzeugten Lichtwellen verbreiten ſich dorthin, und verſtaͤrken
das Licht in H, wenn die in H zugleich antreffenden Lichtwellen
gleichartig ſind, ſtatt daß ſie eine Schwaͤchung, eine Interferenz,
hervorbringen, wenn die Lichtwellen in ungleichartigen Zuſtaͤnden
zuſammentreffen. Die Wechſel von Lichtlinien und Schattenlinien,
die den Schatten umgeben, erklaͤren ſich hieraus; aber auch die
genaue Lage, in welcher dieſe ſich finden, muß die Theorie erklaͤ-
ren, und hiebei finden ſich manche Schwierigkeiten. Innerhalb
des Schattens waren es, wenigſtens wenn die Lichtwellen in genau
gleichem Zuſtande in den beiden Endpuncten C, D, des Koͤrpers
ankamen, gewiß gleichartige Wellen, die von C und D (Fig. 118.)
ausgingen, und in der Mitte bei O muß alſo, wenn die Strahlen
bloß in der Luft fortgehen, Erleuchtung ſein; aber die directe Welle,
die von A aus nach H koͤmmt, und die von C ausgegangene koͤnnen
gar wohl Verſchiedenheiten darbieten. Wenn A auch ein einziger
Lichtpunct iſt, ſo koͤnnen wir doch nicht unbedingt behaupten, die
um eine halbe Wellenlaͤnge weiter als C gelangte directe Welle ſei
in eben dem Zuſtande, wie die von C aus um eine halbe Wellen-
laͤnge vorgeruͤckte; — und die Beobachtung zeigt, daß dieſe Be-
denklichkeit gegruͤndet iſt. Um naͤmlich die richtige Lage der erſten
dunkeln, der erſten hellen Linie und ſo ferner fuͤr die aͤußere Be-
grenzung des Schattens zu erhalten, um ſie ſo zu erhalten, wie es
die Beobachtung fordert, iſt man genoͤthiget anzunehmen, daß beim
Antreffen an C eine halbe Undulation verlohren geht, das heißt,
wenn man um den leuchtenden Punct A, den ich hier als den ein-
zigen Lichtpunct anſehe, einen Kreis mit dem Halbmeſſer AC zieht,
und nun Kreiſe um A, die immer um eine halbe Wellenlaͤnge wei-
ter gehen, ſo iſt die verdichtende Welle um eine ganze Wellenlaͤnge
uͤber C hinaus, waͤhrend die neue von C ausgehende verdichtende
Welle ſich erſt um eine halbe Wellenlaͤnge von C entfernt hat;
wenn man alſo die Wege AH und ACH vergleicht, ſo findet die
[286] verſtaͤrkte Erleuchtung ſtatt, da wo dieſe Wege um eine halbe Wel-
lenlaͤnge verſchieden ſind.


Wenn man bei dieſen, den Schatten von außen umgebenden
Lichtlinien und Schattenlinien die Beobachtung ſo anſtellt, daß
man die Tafel HF allmaͤhlig heran nach hf ruͤckt oder auch ſie all-
maͤhlig entfernt, ſo ergiebt ſich in jeder Stellung der Abſtand des
erſten hellen Randes H von der Schattengrenze, und wenn man
dieſen Abſtand in H, in h, und ſo in mehreren Entfernungen von
dem die Beugung hervorbringenden Puncte C ſucht, ſo ſcheint es,
als ob man den gebeugten Lichtſtrahl verfolge, indem man den ſich
verſtaͤrkenden Wellen gleichſam von Punct zu Punct nachgeht. Die
Berechnung der Lage dieſer Durchſchnittspuncte der ſich verſtaͤrken-
den Wellen giebt an, wo nach der Undulationstheorie dieſe hellen
Puncte liegen muͤſſen, oder welchen Gang anſcheinend die gebeug-
ten Strahlen nehmen muͤſſen, und die Erfahrung ſtimmt hiemit
uͤberein. Wenn ich alſo in der Folge von dem Gange der gebeug-
ten Strahlen zu reden Veranlaſſung finde, ſo bitte ich Sie, dies
nur als einen abgekuͤrzten Ausdruck fuͤr das, was ich ſo eben er-
klaͤrt habe, anzuſehen.


Schwieriger werden die theoretiſchen Unterſuchungen da, wo
das Licht durch einen engen Spalt geht. Es iſt hier einleuchtend,
daß das directe Licht durch die von beiden Raͤndern des Spaltes
ausgehenden Lichtwellen verſtaͤrkt oder geſchwaͤcht wird, je nachdem
es die gleichen oder die ungleichen Wellentheile ſind, die zuſammen-
treffen. Fresnel giebt einige Anleitung, um auch hier die hellen
und dunkeln Streifen zu beſtimmen, aber es ſcheint mir, daß hier
die Schwierigkeiten der Erklaͤrung noch nicht ganz uͤberwunden ſind.
Indeß, wenn (Fig. 121.) AB den Spalt vorſtellt, ſo erhellt, daß
auch hier innerhalb des eigentlichen Schattens, der durch BD an
der einen und AC an der andern Seite begrenzt wird, eine Erſchei-
nung von Licht- und Schattenlinien ſtatt finden muß, daß naͤmlich
E, F, dunkle Puncte zeigen werden, wenn hier der Unterſchied
der Wege AE, BE, oder AF, BF eine oder drei oder fuͤnf halbe
Wellenlaͤngen betraͤgt. Je enger der Spalt wird, deſto tiefer wird
hier die Licht-Erſcheinung in den Schatten hineinruͤcken und die
Farbenſtreifen, ſo wie die Beobachtung ſie wirklich zeigt, werden
alſo dem Weſentlichen nach vollkommen gut erklaͤrt.


[287]

Noch einen Umſtand muß ich erwaͤhnen, der guͤnſtig fuͤr die
Theorie der Undulationen iſt, naͤmlich daß die lichten Streifen im
Schatten eines ſchmalen Koͤrpers ihre Stelle aͤndern, wenn der
leuchtende Punct ſeine Stelle aͤndert, und daß dieſes den Laͤngen
der Lichtwellen gemaͤß geſchieht. Um dieſe Beobachtung zu machen,
muß man moͤglichſt genau nur von einem Puncte die Lichtſtrah-
len ausgehen laſſen, und daher bedient man ſich ſtatt einer ſehr
kleinen Oeffnung lieber einer Linſe von ſehr kurzer Brennweite.
Faͤngt naͤmlich dieſe auch die Strahlen von allen Puncten der
Sonne auf, ſo vereinigt ſie doch dieſelben in einen ſehr engen
Raum, von wo ſie, wie von einem einzigen Puncte, ſich von
neuem ausbreiten; bei einer Brennweite von ¼ Zoll iſt dieſer enge
Raum, das Bild der Sonne, nur \frac{1}{40} Linie, was allerdings noch
keinesweges klein in Vergleichung gegen die Laͤnge einer Licht-
welle iſt.


Inflexioſcop.


Dieſe Anwendung einer Linſe von kurzer Brennweite giebt
auch ein Mittel, um die Beugungs-Erſcheinungen ohne ein ver-
dunkeltes Zimmer zu ſehen. Man nimmt eine Roͤhre, etwa von
Pappe gemacht, deren eines Ende durch eine eingeſetzte Glaslinſe
und ihre Faſſung voͤllig geſchloſſen iſt. Am andern Ende bringt
man eine oder mehrere aͤhnliche Roͤhren zum Herausziehen an, und
am Ende dieſer iſt eine Linſe von nicht allzu kurzer Brennweite,
von 1 biſ 2 Zoll Brennweite, befeſtigt. In einer nicht zu geringen
Entfernung von der erſten Linſe wird der Gegenſtand befeſtigt, in
deſſen Schatten oder an deſſen Begrenzung man die Beugungs-
phaͤnomene ſehen will, (eine feine Nadel zum Beiſpiel), und man
beobachtet nun dieſe Erſcheinungen, indem man die Roͤhre mit dem
Ende, wo die Linſe von kurzer Brennweite iſt, nach der Sonne
zu ſo wendet, daß der hereindringende Lichtſtrahl auf jenen Gegen-
ſtand faͤllt. Da man die Stellung der zweiten Linſe, die als Au-
genglas dient, veraͤndern kann, ſo kann man erſtlich den Gegen-
ſtand ganz ſcharf ſehen, wenn er im Brennpuncte des Augenglaſes
ſteht, aber zweitens, wenn man das Augenglas mehr entfernt,
ſieht man jedes Mal diejenigen Erſcheinungen, die in dem Brenn-
puncte des Augenglaſes ſtatt finden. Iſt es alſo eine Nadel, die
[288] die Strahlen empfaͤngt, ſo ſieht man dieſe ihrer ganzen Laͤnge nach
in helle und dunkle, im freien Sonnenlichte in farbige Streifen ge-
theilt. Iſt es ein enger Spalt, der an einem Ende ſich ſehr ſchmal
zuſammenzieht, ſo ſind es die Farbenraͤnder, die ich oben fuͤr dieſen
Fall beſchrieben habe, und ſo gilt es fuͤr alle aͤhnliche Faͤlle. Dieſe
Einrichtung iſt dem Weſentlichen nach die von Mayer unter dem
Namen Inflexioſcop beſchriebene.


Viel vollkommener wird eben der Zweck nach Fraunhofer's
Einrichtung erreicht, wo man den Schirm oder die Oeffnung, wo-
durch die Beugung des Lichtes bewirkt wird, unmittelbar vor dem
Objectiv eines Fernrohrs anbringt, und nun durch das die Son-
nenſtrahlen auffangende Fernrohr ſieht. Fallen die Sonnenſtrah-
len durch eine 15 bis 20 Fuß entfernte ſchmale Oeffnung ein und
man hat das Fernrohr ſo geſtellt, daß es dieſe Oeffnung deutlich
zeigt, ſo ſieht man, wenn ein Schirm mit ſehr engem Spalt vor
das Objectiv geſtellt wird, in der Mitte einen weißen Streifen, der
aber an den Seiten Farbenbilder, die das Roth am weiteſten von
der Mitte entfernt zeigen, neben ſich haben. Sind es mehrere
kleine Oeffnungen, durch welche die Sonnenſtrahlen auf das nahe
hinter denſelben ſtehende Objectiv fallen, ſo ſieht man eine große
Menge ſchoͤne Farbenbilder. Um eine Oeffnung zeigen ſich Ringe,
u. ſ. w.


Erſcheinungen der Beugung bei Strahlen, die durch
mehrere enge Zwiſchenraͤume
, durch Gitter gehen.


Ich gehe zu einer andern Erſcheinung uͤber, die ſich uns oft
zeigt, und die ganz nach denſelben Grundſaͤtzen erklaͤrt wird. Wenn
wir mit nahe an einander gebrachten Augenliedern, ſo daß die Licht-
ſtrahlen nur zwiſchen den Augenwimpern durchgehend zum Auge
gelangen, eine Lichtflamme anſehen, ſo zeigt ſich uns neben ihr
zunaͤchſt an jeder Seite ein Bild der Flamme ohne Farben, dann
aber eine Reihe Farbenbilder, die ihr Violett der Flamme ſelbſt zu-
gewandt darbieten. Noch ſchoͤner ſieht man die Erſcheinung, wenn
man durch ein ſehr feines und ſehr gleichfoͤrmiges Gewebe ſieht, zum
Beiſpiel durch ein Florband; hier ſind die Farben an den ſeitwaͤrts
liegenden Bildern recht ſchoͤn, und man kann ſich auch leicht uͤber-
[289] zeugen, daß, wo nur einfarbiges Licht auffaͤllt, auch hier die Er-
ſcheinung andrer Farben wegfaͤllt.


Fraunhofer hat uͤber dieſe Erſcheinung eine eigne und ge-
naue Reihe von Verſuchen angeſtellt. Wenn man das Sonnen-
licht durch eine ſchmale Oeffnung, etwa von ein Hunderttel Zoll
einfallen laͤßt, und das Fernrohr ſo ſtellt, daß man dieſe Oeffnung
ſcharf ſieht, dann aber ein aus parallelen nach einer einzigen Rich-
tung gezogenen Linien beſtehendes Gitter vor das Objectivglas
bringt; ſo ſieht man erſtlich jenen ſchmalen Spalt deutlich und ohne
Farben, daran zweitens an jeder Seite einen dunkeln Raum, an
welchen ein zweites Bild grenzt, das ſein Violett gegen die Mitte
der ganzen Erſcheinung oder gegen jenes erſte Bild wendet, daran
ſtoͤßt drittens an beiden Seiten ſymmetriſch ein dunkler Raum und
dann ein neues doppelt ſo breites Farbenbild, worin wieder das
Violett dem vorigen Bilde zugewandt iſt und das Roth ſich an der
andern Seite zeigt; viertens grenzt hieran ein neues Farbenbild,
das aber ſchon ſein Violett mit dem Roth des vorigen miſcht, und
ſo folgen noch mehr Bilder, bei denen die Miſchung noch ſtaͤrker
eintritt. Dieſe Farbenbilder werden am breiteſten und haben die
reinſten Farben, wenn die Linien, welche das Gitter bilden, recht
fein und eng an einander ſind; ſie fordern, um ſchoͤn zu erſcheinen,
eine ganz genaue Gleichfoͤrmigkeit. Sind die Zwiſchenraͤume zwi-
ſchen den Linien und iſt die Dicke der Linien ſelbſt ungleich, ſo zeigt
ſich ein nicht mehr farbiger Schweif an beiden Seiten des hellen
Raumes und ebenſo an beiden Seiten einer Lichtflamme; denn da
den weiter von einander abſtehenden Linien eine enger an einander
gereihte Folge von Bildern entſpricht, den naͤhern Linien weiter
entfernte Bilder, ſo fallen die den ungleichen Abſtaͤnden entſpre-
chenden Bilder auf einander, und zeigen den hellen Streifen, den
wir auf einer unreinen Glastafel zu ſehen gewohnt ſind, wenn wir
auf dieſer parallele Zuͤge, etwa mit dem Finger oder einem Tuche
gemacht haben und dann eine Lichtflamme durch ſie anſehen. Um
Gitter, die vermoͤge vollkommener Parallellinien recht ſchoͤne Far-
benbilder zeigten, zu erhalten, wandte Fraunhofer theils mit
Diamant in Glas eingeritzte mit Huͤlfe einer genau theilenden Ma-
ſchine in gleichen Abſtaͤnden gezogene Linien an, theils belegte er die
Glaͤſer mit Gold und radirte hierauf Parallellinien, die dann freie
II. T
[290] Zwiſchenraͤume zwiſchen den undurchſichtigen ſehr feinen Goldlinien
darboten. Jeder dieſer feinen Zwiſchenraͤume geſtattet nun dem
Lichte den Durchgang, und das verſtaͤrkende oder ſchwaͤchende Zu-
ſammentreffen der Lichtwellen iſt es, wodurch auch hier die Neben-
bilder des einen leuchtenden Gegenſtandes entſtehen. Stellt man
dies zuerſt ſo dar, wie es ſich dem bloßen Auge zeigt, ſo iſt folgen-
des offenbar. Von jeder undurchſichtigen Linie gehen Lichtwellen
nach allen Richtungen aus, und da wo dieſe mit dem zwiſchen den
Linien durchgegangenen Lichte verſtaͤrkend zuſammen kommen,
wuͤrde eine hellere Erleuchtung ſtatt finden. Dieſe Orte verſtaͤrkter
Erleuchtung liegen in einer faſt genau graden Linie, und wenn das
Auge alſo von einem derſelben zum andern fortruͤcken koͤnnte, ſo
wuͤrde es immer das verſtaͤrkte Licht erhalten, es wuͤrde alſo dem
verſtaͤrkten Lichtſtrahle zu folgen glauben. Auf dieſe Weiſe beſtimmt
ſich die Richtung des gebeugten Lichtſtrahles nach aͤhnlichen Geſetzen
wie fruͤher, und es wird nun bequem fuͤr den Ausdruck, zu ſagen,
von jedem Faden A oder a des Gitters geht ein erſter, ein zweiter,
ein dritter, gebeugter Strahl, ſo wie AB, AC, AD (Fig. 122.)
andeuten, aus; eigentlich ſollte es heißen, in AB liegt die erſte
Folge aller verſtaͤrkend zuſammentreffenden Wellen, in AC die
zweite Reihe und ſo ferner; ab, ac, ad bedeuten eben das fuͤr
einen andern Faden oder fuͤr eine andre undurchſichtige Linie des
Gitters *). Dieſe ſich verſtaͤrkenden Lichtwellen gewaͤhren alſo dem
Auge in B die Empfindung eines nach der Richtung AB zu ihm
gelangenden Lichtſtrahles, alſo eines um den Winkel SBA von
dem leuchtenden Puncte entfernten Nebenbildes. Befindet das Auge
B ſich zugleich in der Richtung des Strahles ac, den wir als zwei-
ten gebeugten von a kommenden Strahl anſehen duͤrfen, ſo zeigt
ſich in dem Winkelabſtande SBa ein zweites Nebenbild, und auf
aͤhnliche Art ein drittes in der Richtung Bα. Das Auge B wird
in jeder Stellung dieſe Nebenbilder ſehen, denn wenn ac nicht
grade auf B zu ginge, ſo wuͤrde von einem naͤher bei A oder ent-
[291] fernter von A liegenden Faben her, der mit ac oder AC parallele
gebeugte Strahl das Auge treffen.


So entſtehen Nebenbilder an beiden Seiten des leuchtenden
Punctes S, und da die Richtung der gebeugten Strahlen deſto
ſtaͤrker abgelenkt iſt, je naͤher an einander die Faͤden liegen, ſo er-
hellt erſtlich, daß bei ſehr feinen Gittern die Nebenbilder weit vom
Hauptbilde entfernt ſtehen, zweitens daß dieſe Nebenbilder verwirrt
werden, wenn das Gitter nicht aus vollkommen gleichen und voll-
kommen gleich entfernten Faͤden beſteht. Jede Farbe hat, wie Sie
wiſſen, ihren eignen Abſtand oder ihre beſtimmte Richtung bei der
Beugung, und die Nebenbilder eines weißen Lichtes erſcheinen alſo
farbig und mit deſto ſchoͤner getrennten Farben, je feiner das Gitter
und je gleichfoͤrmiger es iſt; bei ungleichfoͤrmigen Streifen vermi-
ſchen ſich die Farben und geben nur Weiß.


Eine Bemerkung muß ich hier noch beifuͤgen. Nach Fraun-
hofer's Anleitung bedient man ſich des Fernrohrs, und ſieht dann
die Farbenbilder mit ganz vorzuͤglicher Schoͤnheit; es laͤßt ſich leicht
einſehen, daß man ſie auch da deutlich ſieht, weil die parallel ein-
fallenden Strahlen AC, ac, αγ, ſich ebenſo als ob ſie von einem
ſehr entfernten Puncte kaͤmen, zu einem Bilde vereinigen, und man
alſo jedes der Nebenbilder mit ſehr verſtaͤrktem Lichte und unter
einem groͤßern Sehewinkel ſieht.


Hoͤfe um Sonne und Mond.


Dieſe Nebenbilder ſind es, die wir in den Hoͤfen um den
Mond ſehen. Es iſt bekannt, daß der Mond, wenn er durch
duͤnne Wolken ſcheint, oft von einem unſcheinbaren, manchmal
aber auch von einem ſehr ſchoͤnen kleinen Hofe umgeben iſt. Daß
dieſe Hoͤfe durch kleine Dunſtblaͤschen hervorgebracht werden, davon
kann man ſich am beſten uͤberzeugen, wenn man eine recht reine
Glasſcheibe leicht anhaucht und dann durch ſie nach einem entfern-
ten Lichte ſieht; das Licht iſt dann von einem Hofe, der nahe am
Lichte weiß, blaulich weiß iſt, und ſich in Gelb und Roth endigt,
umgeben, und dieſer Hof iſt deſto groͤßer und ſchoͤner, je feiner die
angehauchten Dunſttheilchen ſich angelegt haben; bei ſtarkem An-
hauchen, wo ſchon groͤßere und ungleiche Thautropfen ſich anlegen,
geht der farbig begrenzte Hof in eine blaß erhellte Umgebung des
T 2
[292] leuchtenden Punctes uͤber, ſo wie durch ein minder gleiches und
nicht ſo feines Gewebe ſich auch nur ein erhellter Raum um das
Licht oder neben dem Lichte darſtellt, ſtatt der ſchoͤnen Farbenbilder,
die man bei einem feinen und ganz gleichen Gewebe ſah.


Wenn dieſe kleinen Hoͤfe um den Mond recht ſchoͤn ſind, ſo
bieten ſie mehrere Farbenkreiſe dar, indem das ihn umgebende
Weiß in einiger Entfernung in ein blauliches Weiß uͤbergeht, woran
ein gelber und dann ein rother Ring grenzt; dieſer wird von Vio-
lett, Blau, Gruͤn, Gelb, Roth, als zweiter Farbenfolge, dieſe
von einer dritten, meiſtens nur aus Gruͤn, verwaſchenem Gelb
und Roth beſtehenden Farbenfolge umgeben, und es kann ſich
hieran noch eine Farbenfolge, Gruͤn und Roth, anſchließen. Da
die Dunſttheilchen ſehr gleichmaͤßig an Groͤße und Entfernung ſein
muͤſſen, wenn die Erſcheinung recht vollkommen hervorgehen und
recht große Hoͤfe darbieten ſoll, ſo iſt die Erſcheinung in ihrem
vollen Glanze ſelten, und oft, wenn die duͤnnen Woͤlkchen, die
Howardcirro-stratus nennt, am Monde vorbeiziehen, nur
auf die Dauer weniger Minuten beſchraͤnkt. Um die Sonne ſieht
man dieſe Hoͤfe ſelten, weil ihr helles Licht das Auge zu ſehr blen-
det, und die Hoͤfe nicht mehr ſchoͤn ſind, wenn der Wolkenſchleier
zu dicht iſt; aber wenn man an ſolchen Tagen, wo recht zarte Woͤlk-
chen vor der Sonne vorbeiziehen, Gelegenheit nimmt, die Sonne
im Waſſer zu ſehen, ſo ſieht man ſehr oft ſchoͤn gefaͤrbte Stuͤcke
dieſer Hoͤfe, wenn es gleich ſelten iſt, daß man die ganzen Hoͤfe
wahrzunehmen Gelegenheit hat. Die Farben ſind bei der Sonne
viel glaͤnzender als bei dem Monde, und haben oft eine große
Reinheit.


Die Halbmeſſer der Ringe geben uns ein Mittel, uns uͤber
die Kleinheit der hier wirkſamen Dunſttheilchen zu belehren, und
wenn man nach Beobachtungen jener Halbmeſſer rechnet, ſo findet
man die Groͤße der Dunſttheilchen von \frac{1}{2000} bis \frac{3}{2000} Zoll wech-
ſelnd.


Auf aͤhnliche Weiſe erklaͤrt man die Hoͤfe, die man zuweilen
um den Schatten des eignen Kopfes im Nebel geſehen hat. Sco-
resby hat ſie in den dichten und eine niedrige Schichte bildenden
Polarnebeln geſehen, wenn er ſich auf der Spitze des Maſtes ober-
halb der dichteſten Nebelſchichte befand. Dagegen iſt eine ſehr oft
[293] vorkommende Erſcheinung, die ich bei dieſer Gelegenheit erwaͤhnen
will, nicht ganz hieher zu rechnen. Man ſieht naͤmlich bei ſehr
niedrigem Stande der Sonne oft um den Schatten ſeines eignen
Kopfes einen hellen Schein, der ſich beſonders uͤber den oberen
Theil des Schattens weiter fort zu erſtrecken pflegt. Dieſer Schein
iſt am beſten ſichtbar, wenn der Schatten auf eine mit Gras be-
deckte Ebne faͤllt, vor allem wenn die Gewaͤchſe mit Thautropfen
bedeckt ſind. Hier ſcheint die Urſache des Glanzes theils darin zu liegen, daß man den Spiegelglanz von der Oberflaͤche der Thau-
tropfen und von der Ruͤckſeite der Thautropfen ſieht, wenn man
in einer der Sonne entgegengeſetzten Richtung auf die Thautropfen
blickt, theils traͤgt auch die Erleuchtung, vorzuͤglich der cylindriſchen
Grashalme zu der Erſcheinung bei, indem man die voͤllig erleuchtete
Seite am beſten neben der Stelle ſieht, wo der Schatten des
Kopfes hinfaͤllt, ſtatt daß die mehr ſeitwaͤrts liegenden Halme uns
einen großen Theil ihrer dunkeln Seite zeigen, und da die oberhalb
unſers Schattens liegenden cylindriſchen Koͤrper uns alle ihre ganz
erleuchtete Seite zeigen, ſo erſtreckt der Schein ſich hoͤher uͤber das
Ende unſers Schattens hinauf. Wenn man an hoͤhern Gegen-
ſtaͤnden, zum Beiſpiel an den Halmen eines Strohdaches, dieſen
Schein ſieht, ſo kann der zuruͤckgeworfene Glanz der Sonne vom
bethauten Graſe bewirken, daß er ſich noch hoͤher uͤber den Schatten
des Kopfes hinauf erſtreckt. Dieſe Erklaͤrung ſcheint mir fuͤr die
allermeiſten Faͤlle ganz ausreichend; moͤglich iſt es indeß, daß auch
hier, wenn ſehr zahlreiche feine Thautropfen an den Haͤrchen der
Pflanzen haften, ein Hof durch Beugung der Lichtſtrahlen entſtan-
den, ſich mit dieſer Erſcheinung vereinigt. Daß jeder dieſen Schein
nur um ſeines eignen Kopfes Schatten ſieht, und allenfalls nur
um den Schatten eines dem eignen Auge ſehr nahen Gegenſtandes,
laͤßt ſich leicht erklaͤren.


Nebenbogen am Regenbogen.


Noch eine Erſcheinung muß ich hier erwaͤhnen, die hieher zu
gehoͤren ſcheint, wenn man gleich noch nicht ganz einig uͤber ihre
Urſache iſt. Man ſieht ſehr oft an der unteren Seite des Haupt-
regenbogens die Farben Gruͤn und Violett mehrmals wiederholt,
und dieſe Wiederholung zeigt ſich nur an dem hoͤchſten Theile des
[294] Bogens an der untern Seite, ohne ſich an ſeinen Schenkeln bis
zur Erde herab zu erſtrecken. Venturi hat dieſe Erſcheinung aus
einer abgeplatteten Form der Regentropfen erklaͤrt, indem er ganz
richtig zeigt, daß Tropfen, die mehr breit als hoch ſind, einen nie-
drigern Farbenbogen darſtellen muͤſſen; aber ſo richtig dieſes iſt,
ſo muͤßte man, wie es mir ſcheint, Regentropfen von ſo viel be-
ſtimmten Formen, als es die Anzahl dieſer wiederholten Bogen for-
dert, annehmen, und duͤrfte nicht zugeſtehen, daß zwiſchen ihnen
Uebergaͤnge ſtatt faͤnden, und dieſes ſcheint um ſo minder glaublich,
da es außer den Kugeltropfen, die den Hauptbogen darſtellen, noch
wenigſtens zwei beſtimmte andre Formen geben muͤßte, um die ſo
oft deutlich ſichtbaren zwei Farbenwiederholungen zu geben. Moͤg-
lich waͤre es indeß, daß die durch den Widerſtand der Luft beſtimmte
Geſtalt der Regentropfen einen Grund fuͤr die zur Entſtehung meh-
rerer Bogen noͤthige Form enthielte.


Indeß, obgleich wir uͤber die ganz genaue Form der Regen-
tropfen ununterrichtet ſind, ſo ſcheint es mir doch glaublicher, daß
man die Wiederholung der Farben Gruͤn und Violett, die ſogar
oͤfter als zweimal ſcheint vorkommen zu koͤnnen, aus einem andern
Umſtande erklaͤren muͤſſe. Wenn naͤmlich zur Zeit des Entſtehens
eines Regenbogens zugleich ein hinreichend lebhafter Farbenring,
ein Hof um die Sonne erſchiene, ſo muͤßten Nebenbogen erſcheinen,
und dieſe vorzuͤglich an der innern Seite und aus Gruͤn, Blau
und Violett beſtehend. Um dies zu uͤberſehen, muß ich Sie zuerſt
daran erinnern, daß der rothe Bogen des Hauptregenbogens 42½,
der violette Bogen 40½ Grad, alſo der gruͤne etwa 41½ Grad
Halbmeſſer hatte; und nun koͤnnen wir fragen, wie wuͤrden ſich
die Erſcheinungen verhalten, wenn oberhalb und unterhalb der
Sonne zuerſt nur kleine Theile farbiger Ringe ſtaͤnden. Ich will
fuͤr dieſe Ringe die Abſtaͤnde = 1° fuͤr das erſte Roth, 1¼° fuͤr
das erſte Gruͤn, 1½ Grad fuͤr das erſte Violett, 1¾° fuͤr das
zweite Roth annehmen, und dieſe Theile der Ringe als kleine far-
bige Sonnen oberhalb und unterhalb der wahren Sonne anſehen.
Stellen nun (Fig. 123.) ab, cd, ef die drei genannten Farben
des Hauptbogens dar, ſo giebt die obenſtehende rothe Sonne einen
rothen Bogen, der 1 Grad tiefer als ab liegt, die zweite oben ſte-
hende rothe Sonne einen Bogen, der 1¾ Grad tiefer als ab liegt;
[295] beide fallen in den Hauptbogen und ſind zu ſchwach, um ſich dort
kenntlich zu machen; der gruͤne Bogen der erſten oberen gruͤnen
Sonne liegt 1¼ Grad, der zweiten oberen gruͤnen Sonne etwa
2 Grad unter cd, alſo beide ſchon außerhalb des Hauptbogens bei
gh; die violetten Bogen liegen 1½ Grad und 2¼ Grad unter dem
violetten Bogen; und es iſt alſo der erſte gruͤne Bogen unter dem
violetten Hauptbogen kenntlich, der erſte violette Bogen unter dem
erſten gruͤnen; der zweite gruͤne nahe unter dem erſten violetten,
der zweite violette noch tiefer. Sieht man dagegen auf die unter-
halb der Sonne ſtehenden Theile des Hofes, ſo geben dieſe Neben-
bogen oberhalb des Hauptbogens den erſten rothen 1 Grad uͤber
ab, den erſten gruͤnen 1¼ Grad uͤber cd, den erſten violetten 1½
Grad uͤber ef, den zweiten rothen 1¾ Grad uͤber ab, den zweiten
gruͤnen 2 Grad uͤber cd, das iſt 1 Grad uͤber ab, alſo mit dem
erſten rothen zuſammenfallend, wodurch beide unkenntlich werden,
den zweiten violetten finden wir 2¼ Grad uͤber ef mit dem erſten
gruͤnen zuſammenfallend. Und ſo wie hier ungefaͤhr der zweite
gruͤne Bogen den erſten rothen zerſtoͤrt oder unkenntlich macht, ſo
findet es fuͤr den dritten gruͤnen und zweiten rothen Bogen wieder
ſtatt. Es iſt alſo ein guter Grund vorhanden, warum oben kein
Nebenbogen ſich zeigt, ſtatt daß unten allenfalls nur der rothe
dritte Nebenbogen ſich mit dem erſten violetten miſchen koͤnnte,
woraus wegen des allmaͤhlig ſchwaͤchern Lichtes der entfernteren
Hoͤfe kein voͤlliges Zerſtoͤren hervorgehen kann. So ſchiene ſich alſo
das Entſtehen von zwei innern Nebenbogen aus Gruͤn und Violett
gut zu erklaͤren, wenn bloß oberhalb und unterhalb der Sonne
jene Theile der Hoͤfe vorkaͤmen; da ſtatt deſſen aber ganze farbige
Ringe angenommen werden muͤſſen, ſo ſollten ſich eigentlich un-
zaͤhlige, ſo wie gh, ik, lm, ſich in einander verlaufende gruͤne
Bogen und ebenſolche violette Bogen bilden; es ſcheint mir ganz
richtig, daß der vereinte Glanz derſelben einen mit ef gleichlaufen-
den Bogen bildet. Der einzige Umſtand, der unerklaͤrt bliebe, waͤre
alſo, warum dieſe Nebenbogen ſich nicht ganz bis zu dem unteren
Theile des Regenbogens herab erſtrecken.


Doch da dieſe Erklaͤrung der Erſcheinung noch von andern
Phyſikern nicht gepruͤft worden iſt, ſo uͤberlaſſe ich es Ihnen, zu
beurtheilen, ob ſie Beifall verdient.


[296]

Farben-Erſcheinungen durch Zuruͤckwerfung.


Auch durch die Zuruͤckwerfung des Lichtes entſtehen Farben-
Erſcheinungen, die auf aͤhnliche Weiſe, wie bei der Beugung, von
Interferenzen abhaͤngen. Hoͤchſt bekannt ſind die feinen farbigen
Sonnenbilder, die wir an Haaren oder Spinnefaͤden, zuweilen
auch an Clavierſaiten, und in vielen andern Faͤllen ſehen. Noch
ſchoͤner zeigen ſie ſich, wenn man ſpiegelnde Flaͤchen durch ſehr eng
an einander eingeriſſene feine Linien in voͤllig gleiche Theile einge-
theilt hat, indem dieſe Flaͤchen dann bald das rothe, bald das
gruͤne, bald das violette Licht zuruͤckwerfen, ſo wie es die verſchie-
denen Einfallswinkel fordern.


Um dieſe Farben-Erſcheinungen zu erklaͤren, muͤſſen wir auf
die beim Antreffen des Lichtes an einen andern Koͤrper entſtehenden
Lichtwellen zuruͤckgehen, die naͤmlich von jedem Puncte der Spie-
gelflaͤche ausgehen. Iſt hier die ganze Flaͤche AB (Fig. 124.)
gleich gut geeignet die Lichtwellen zu erregen, ſo entſteht, auf die
fruͤher gezeigte Weiſe, die regelmaͤßige Reflexion; aber wenn da-
gegen nur ein ſehr kleiner Raum D, ſo klein, daß er ſelbſt in Ver-
gleichung gegen die Kleinheit der Lichtwellen nicht erheblich iſt, die
Eigenſchaft Lichtwellen zu erregen beſitzt, ſo werden von D nach
allen Seiten Lichtwellen ausgehen, und es wird keine beſtimmte
Richtung des reflectirten Strahles ſtatt finden. Giebt es neben D,
aber ſo daß dazwiſchen eine zu Zuruͤckſendung der Lichtwellen un-
taugliche Stelle iſt, einen zweiten die Lichtwelle zuruͤckgebenden ſehr
kleinen Raum d, und ſo einen dritten e, und ſo ferner; ſo werden
die Lichtwellen, von dieſen getrennt liegenden Puncten ausgehend,
dem Auge, das in einem Puncte gegenſeitiger Verſtaͤrkung ſteht,
eine Licht-Erſcheinung geben, dem Auge dagegen, das in einem
Puncte gegenſeitig zerſtoͤrender Interferenz ſteht, ein Dunkel dar-
bieten. Man muͤßte alſo die um D, d, e entſtehenden Lichtwellen
zeichnen, und wenn hier C die Lichtquelle iſt, diejenigen Durch-
ſchnittspuncte F ſuchen, wo die Summe der Wege CD, DF zu-
ſammen um eine ganze Wellenlaͤnge von der Summe der Wege
Cd, dF verſchieden iſt, und ein ſolcher Punct F waͤre dann fuͤr
die Licht-Erſcheinung geeignet, dagegen bei dem Unterſchiede der
Wege gleich einer halben, gleich drei halben, gleich fuͤnf halben
[297] Wellenlaͤngen ſaͤhe ein in dieſer Stellung befindliches Auge ein
Dunkel. Die Stellungen des Auges, die einer Licht-Erſcheinung
angemeſſen ſind, liegen alſo offenbar anders fuͤr die violetten
Strahlen als fuͤr die rothen, ſie liegen anders fuͤr die um zwei
Wellenlaͤngen verſchiedenen Wege, als fuͤr die um eine Wellen-
laͤnge verſchiedenen Wege u. ſ. w. Eine Betrachtung, der vorhin
fuͤr Gitter gefuͤhrten ganz aͤhnlich, zeigt, daß man mehrere dieſer
Farbenbilder zugleich, aber nach verſchiedenen Richtungen, ſehen
kann, und daß ſie deſto ſchoͤner farbig erſcheinen muͤſſen, je enger
an einander und je gleichmaͤßiger dieſe Licht zuruͤckwerfenden Theile
liegen.


Um dieſe Farben auf gefurchten Flaͤchen bequem zu ſehen,
hat Hoffmann ein eignes Inſtrument angegeben, das er Chro-
madot nennt, (Farbengeber,) wo eine mit feinen und gleich weit
aus einander ſtehenden Linien gefurchte Stahlplatte das Licht
nur durch eine ſchmale Oeffnung empfaͤngt; ein Rohr, vor wel-
chem man das Auge haͤlt, weiſet dieſem ſeinen richtigen Platz an,
und man ſieht nun, wenn man die Neigung der Stahlplatte
nach und nach aͤndert, ſehr ſchoͤne Farbenfolgen erſcheinen.


Beſitzt man ſolche gefurchte Flaͤchen oder die oben beſchriebe-
nen, zum Durchlaſſen der Strahlen eingerichteten Gitter, die ſo
ſorgfaͤltig nach bekannten Maaßen eingerichtet ſind, wie bei
Fraunhofer's Verſuchen, ſo giebt die Beſtimmung des Ab-
ſtandes dieſer Farbenbilder vom Hauptbilde oder im andern Falle
vom leuchtenden Koͤrper ſelbſt, ein neues Mittel, die Laͤnge der
Lichtwellen genau zu berechnen, und auf dieſe Verſuche hat
Fraunhofer ſeine, oben ſchon angefuͤhrten, Angaben fuͤr die
Laͤnge der Lichtwellen gegruͤndet.


Die Farben, welche ſich an Haaren, an Spinnefaͤden, an
Metallſaiten, zeigen, muͤſſen ohne Zweifel aus aͤhnlichen feinen
Furchungen erklaͤrt werden. Der ſchillernde Glanz der Vogelfedern
ſcheint ebenfalls hieher zu gehoͤren *). Nach Brewſter ſoll man
[298] auch das Farbenſpiel des Perlmutters den feinen Furchen zuſchrei-
ben, die ſich auf der Oberflaͤche dieſes Koͤrpers finden. Dieſe Fur-
chen, die zuweilen parallel, zuweilen in verſchiedenen Richtungen
gekruͤmmt ſind, laſſen ſich mit dem Microſcop erkennen, und
Brewſter ſucht in dieſen Furchungen die Urſache des Perlmutter-
glanzes, weil es ihm gelungen iſt, Abdruͤcke von Perlmutter in
ſchwarzem Siegellack mit aͤhnlichem Farbenglanze zu erhalten *).


Fresnel's Experiment uͤber die Interferenz-
Erſcheinungen.


Endlich muß ich noch ein Experiment, welches Fresnel
zu Darſtellung der Interferenz-Erſcheinungen empfohlen hat,
anfuͤhren. Man bedient ſich dabei zweier an der Hinterſeite ge-
ſchwaͤrzter Glaͤſer, deren Vorderſeite alſo als Spiegel dient, und
die dann keine doppelten Spiegelbilder geben. Dieſe werden mit
vollkommener Beruͤhrung ihrer Raͤnder in eine ſehr geringe Nei-
gung gegen einander gebracht, wie BC, CD (Fig. 125.) und
erhalten von einem ſehr feinen Puncte A, der das Licht ausſendet,
ihr Licht. Da hier eine unbeſchraͤnkte Spiegelung ſtatt findet, ſo
ſollte der eine Spiegel ein reines Bild in V, der andre in U hervor-
bringen, die aber, weil die Spiegel ſo ſehr wenig gegen einander
geneigt ſind, ſehr nahe an einander liegen. Ein Auge in E ſieht
alſo durch die in F und G, ein Auge in H durch die in I und K
reflectirten Strahlen zwei Bilder, und die Erleuchtung ſollte in
dieſem und allen zwiſchenliegenden Puncten von beiden Spiegeln
her ſtatt finden, wenn man nicht auf die einander gegenſeitig zer-
ſtoͤrenden Lichtwellen ſehen muͤßte, deren Einfluß bei einer ſo ſehr
*)
[299] geringen Neigung der neben einander fortgehenden Strahlen merklich
wird. Zieht man naͤmlich die den Winkel UCV halbirende Linie
ECW, ſo erhellt leicht, daß in jedem Puncte der Linie CE, zum
Beiſpiel in E, eine durch die Reflexion von beiden Spiegeln ver-
ſtaͤrkte Erleuchtung ſtatt findet, weil die Summe der Wege AG,
GE
ebenſo groß als die Summe der Wege AF, FE iſt. Dagegen
in einem Puncte H neben E kann Mangel an Erleuchtung, Dun-
kelheit durch Interferenz ſtatt finden, wenn AK, KH zuſammen
genau eine halbe Wellenlaͤnge mehr als AI, IH zuſammen betra-
gen. In M wird wieder eine verſtaͤrkte Licht-Erſcheinung eintre-
ten, wenn die Differenz der Wege eine ganze Wellenlaͤnge betraͤgt,
und ſo ferner.


Dieſe neben einander liegenden hellen und dunkeln Puncte
ſieht man nun wirklich, wenn man in HE eine matte Glasplatte
haͤlt, und ſie von der Seite Z aus mit dem Microſcop betrachtet,
oder — was, wie ich oͤfter geſagt habe, einerlei iſt, — wenn man
dieſes mattgeſchliffene Glas weglaͤßt, und mit dem Microſcop die
Strahlen beobachtet, welche in HE ihre Wirkung aͤußern. Daß
aber dieſe Licht-Erſcheinungen wirklich der Interferenz ihren Ur-
ſprung verdanken, ſieht man, wenn man nur die von einem Spie-
gel nach MHE kommenden Strahlen zulaͤßt, die andern aber durch
einen Schirm aufhaͤlt; alsdenn iſt dieſer Wechſel von Hell und
Dunkel nicht mehr zu bemerken.


Sie werden vielleicht einwenden, eben das muͤſſe ſich alſo bei
allen Spiegeln zeigen, auch wenn ihre Neigung groͤßer waͤre;
aber es laͤßt ſich leicht darthun, daß bei einem groͤßern Winkel, den
die Spiegel mit einander machen, dieſe kleinen erleuchteten Puncte
ſo nahe an einander fallen, daß ſie nicht mehr zu erkennen ſind;
ſelbſt die Neigung von 1 Grad giebt den Abſtand zwiſchen den
beiden erſten hellen Puncten nur 60 Wellenlaͤngen gleich, das iſt
ungefaͤhr ein Funfzigſtel einer Linie, und der Winkel muß alſo noch
weniger betragen.


Aus allen dieſen Verſuchen ſehen Sie, daß die Lehre von den
Interferenz-Erſcheinungen des Lichtes auf einer ſolchen Mannig-
faltigkeit von Verſuchen beruht, daß man dieſe Erſcheinungen
unmoͤglich bezweifeln kann. Dieſe Erſcheinungen ſprechen den
Satz deutlich aus, daß nicht unbedingt zwei Lichtſtrahlen zuſammen
[300] kommend die Erleuchtung verſtaͤrken, ſondern daß ſie, nach beinahe
gleicher Richtung fortgehend, einander ſchwaͤchen, ja ſelbſt zerſtoͤren,
wenn ihre Wege von der Lichtquelle an um eine gewiſſe Differenz
der Wege, oder um das Dreifache, Fuͤnffache, Siebenfache dieſer
Differenz verſchieden ſind, ſtatt daß die Verſtaͤrkung ſtatt findet,
wenn die Wege gleich, oder um das Doppelte, Vierfache, Sechs-
fache jener Differenz verſchieden ſind.


Aber ſelbſt einer der ſcharfſinnigſten und gruͤndlichſten Ver-
theidiger der Undulationstheorie, Fraunhofer, hat die ſehr
wahre Bemerkung gemacht, daß daraus nicht unbedingt die Rich-
tigkeit dieſer Theorie folge, ſondern nur die Nothwendigkeit, die
Wirkungen des Lichtes ſo zu erklaͤren, daß die Erfolge in der einen
Haͤlfte des Weges, den wir eine Wellenlaͤnge genannt haben,
zerſtoͤrend fuͤr die der andern Haͤlfte bei genauem Zuſammen-
treffen beider wirken.


Sechszehnte Vorleſung.


So merkwuͤrdige und zum Theil uͤberraſchende Erſcheinungen
ich Ihnen, m. h. H., auch bisher ſchon mitgetheilt habe, ſo haben
doch die in den neueſten Zeiten angeſtellten Unterſuchungen uͤber die
Phaͤnomene des Lichtes noch vieles dargeboten, was noch uͤberra-
ſchender iſt, uns das wunderbare Weſen des Lichtes in noch man-
nigfaltigern Modificationen kennen lehrt, aber auch des Raͤthſelhaf-
ten und Unerklaͤrlichen noch ſehr viel darbietet. Die Erſcheinungen,
womit ich Sie heute unterhalten werde, geben hiervon ſchon
einige Beiſpiele, ſchließen ſich aber doch auch noch an ſehr bekannte
Erſcheinungen an, und geben den Uebergang zu den verwickelten
Erſcheinungen, auf die ich eben vorhin hindeutete.


Die doppelte Brechung der Lichtſtrahlen.


An die Lehre von der Brechung des Lichtes ſchließt ſich eine
Erſcheinung an, die vielleicht im erſten Augenblicke nicht von ſo
[301] ſehr tiefer Bedeutung zu ſein ſcheint, und die dennoch uns Eigen-
ſchaften des Lichtes kennen lehrt, auf die keine der bisher erklaͤrten
Erſcheinungen hinwies. Sie wiſſen, daß faſt bei jedem Uebergange
in einen andern Koͤrper das Licht, wenn es ſchief auffaͤllt, gebrochen
wird, und ſich in Farbenſtrahlen zerlegt; aber einige Koͤrper und
zwar namentlich ſolche, die cryſtalliſirt ſind, haben die Eigenſchaft,
den eintretenden Lichtſtrahl in zwei voͤllig von einander getrennte
Strahlen, deren jeder die Farben-Erſcheinung darbieten kann, zu
zerlegen. Wir ſagen von dieſen Koͤrpern, daß das Licht in ihnen
eine doppelte Brechung erleide, und es zeigt ſich bei genauerer
Unterſuchung, daß die Geſetze der Brechung fuͤr dieſe zwei ge-
trennten Strahlen weſentlich verſchieden ſind.


Einer der bekannteſten Koͤrper, der dieſe Eigenſchaft beſitzt, iſt
der Doppelſpath, ehemals unter dem Namen des Islaͤndiſchen Cry-
ſtalls bekannt. Dieſer iſt ein durch parallele, aber ſchief gegen einan-
der geneigte Ebenen begrenzter Koͤrper, ein Rhomboid, deſſen Sei-
tenflaͤchen ſchiefe Vier-Ecke mit parallelen Seiten ſind, in welchen
die zwei ſpitzen Winkel 78° 5', die zwei ſtumpfen Winkel 101°.
55'. ſind; dieſe Seitenflaͤchen machen mit einander Neigungswinkel
von 74°. 55' und 105°. 5' und dieſe Abmeſſungen finden ſich bei
allen dieſen Cryſtallen gleich. Der Cryſtall laͤßt ſich leicht in
Blaͤttchen, die den Oberflaͤchen parallel liegen, zerlegen, und die
integrirenden Theilchen des Cryſtalls muͤſſen alſo als eben ſolche
Rhomboide angeſehen werden, denen wir uͤberdies gleiche Seitenlinien
und eine mit der Lage der Seiten des großen Cryſtalls uͤbereinſtim-
mende Lage beilegen duͤrfen. Der große Cryſtall ſowohl, als dieſe
Elementarcryſtalle, woraus wir uns ihn zuſammengeſetzt denken,
hat unter ſeinen acht koͤrperlichen Ecken zwei, die aus lauter
ſtumpfen Winkeln von 101°. 55', als Seitenflaͤchen der Ecke, ge-
bildet ſind, die ſechs uͤbrigen haben zwei ſpitze und einen ſtumpfen
Winkel als Seitenflaͤche. Nimmt man von dem großen Cryſtalle
ein Stuͤck, deſſen Seitenlinien AB, BC, AD (Fig. 126.) alle
gleich ſind, und zieht zwiſchen den beiden aus lauter ſtumpfen
Winkeln entſtandenen Ecken eine grade Linie, BK, ſo heißt dieſe
die Axe des Cryſtalls, und ſie hat die Eigenſchaft, daß
ſie gegen alle Seitenflaͤchen eine gleiche Neigung von 45°. 23'. 25''
hat. Sie kann mit Recht die geometriſche Axe des Cryſtalles hei-
[302] ßen, weil in jedem ſolchen Cryſtalle nicht bloß nur eine ſolche,
zwiſchen den ganz ſtumpfen Ecken gezogene Linie vorkoͤmmt, ſon-
dern auch keine andre Linie ſich ebenſo als einzig in ihrer Art dar-
ſtellt. Wenn der zufaͤllig gebildete Cryſtall ungleiche Seiten hat,
ſo muß man dennoch unter der Axe des Cryſtalls dieſe im gleichſei-
tigen Cryſtalle gezogene Linie verſtehen, die bei unſern Betrachtun-
gen vorzuͤglich in Beziehung auf die kleinen Cryſtalle, aus welchen
wir den großen Cryſtall uns zuſammengeſetzt denken, vorkoͤmmt.


An dieſem Cryſtalle zeigen ſich die Erſcheinungen der doppelten
Strahlenbrechung auf folgende Weiſe. Wenn ſich unter der
Grundflaͤche im T (Fig. 126.) ein kenntlicher Punct befindet, zu
welchem die vom Auge O ausgehende Linie gegen beide Oberflaͤchen
ABC, DKL, ſenkrecht gezogen iſt, ſo ſieht das Auge O jenen
Punct doppelt; bei genauerer Unterſuchung uͤberzeugt man ſich,
daß zwar die Richtung, nach welcher das eine dieſer doppelten
Bilder geſehen wird, mit der Senkrechten OT genau uͤbereinſtimmt,
der Lichtſtrahl alſo ungebrochen zum Auge koͤmmt, daß aber der andre
Strahl, ganz den Geſetzen der gewoͤhnlichen Brechung entgegen,
auch hier eine Brechung leidet. Man bemerkt, ſo lange das Auge
genau in der gegen beide Oberflaͤchen ſenkrechten und durch den
Punct T gehenden Linie bleibt, daß beide Bilder in derjenigen
Richtung liegen, die mit der den ſtumpfen Winkel ABC halbi-
renden Linie parallel iſt, und daß die Brechung, die wir die unge-
woͤhnliche Brechung zu nennen berechtigt ſind, in derjenigen
Ebne geſchieht, in welcher ſich die vorhin angegebene Axe des
Cryſtalles befindet. Dieſe Bemerkung gilt in Beziehung auf jedes
Paar paralleler Seitenflaͤchen des Cryſtalles, und es laͤßt ſich alſo
wohl einſehen, daß jene Axe in einer beſtimmten Beziehung mit
der doppelten Brechung ſteht. Entfernt ſich das Auge von der
durch T auf beide Ebenen ABC, DKL, gezogenen Senkrechten,
bleibt aber in derjenigen auf ABC ſenkrechten Ebene, die durch
T mit den Axen der Cryſtalle, aus welchen wir den großen Cryſtall
zuſammengeſetzt anſehen, parallel iſt, ſo bleibt auch der ungewoͤhn-
lich gebrochene Strahl in dieſer Ebne; weicht dagegen das Auge
von dieſer Ebne ab, ſo iſt fuͤr den ungewoͤhnlichen Strahl das bei
der gewoͤhnlichen Brechung ganz allgemeine und auch hier fuͤr den
gewoͤhnlich gebrochenen Strahl immer ſtatt findende Geſetz, daß
[303] der einfallende und der gebrochene Strahl mit dem Einfallslothe in
einer Ebne liegen, nicht mehr richtig.


Doch, ſtatt noch mehr einzelne Beobachtungen durchzugehen,
wollen wir ſogleich den Hauptgedanken, daß jene geometriſche Axe
des Cryſtalles auch als optiſche Axe eine große Wichtigkeit habe,
feſthalten, und daran regelmaͤßig geordnete weitere Verſuche knuͤpfen.
Dabei muß ich Sie nur immer erinnern, wenn der Cryſtall un-
gleiche Seiten hat, jene Axe als Ecklinie fuͤr einen Cryſtall mit
gleichen Seitenlinien zu ziehen, und ſich zu erinnern, daß in
jedem Puncte, wo ein Strahl einfaͤllt oder durchgehend hingelangt,
in den kleinern Cryſtallen, die wir als integrirende Theile des
Ganzen anſehen, ſolche Axen, alle unter einander parallel, vorhanden
ſind. Um den Einfluß dieſer Axen kennen zu lernen, laͤßt man
einen Cryſtall ſo ſchneiden, daß er zwei auf dieſe Axen ſenkrechte
Ebnen als Seitenflaͤchen erhaͤlt; und hier zeigt ſich nun erſtlich,
wenn der Lichtſtrahl mit der Axe parallel, das heißt, ſenkrecht auf
die neuen Oberflaͤchen einfaͤllt, daß er ungebrochen und unzerſpalten
durchgeht, und daher der geſehene Punct einfach erſcheint; dagegen
zweitens, wenn der Strahl geneigt einfaͤllt, der gewoͤhnlich gebro-
chene Strahl der Axe naͤher liegt, als der nun wieder getrennt er-
ſcheinende ungewoͤhnliche Strahl. Da naͤmlich (Fig. 127.) hier BC
die Axe (oder die verlaͤngerte Axe) des an B anliegenden kleinen
Cryſtalles iſt, ſo wird der einfallende Strahl AB in den gewoͤhnli-
chen BO und den ungewoͤhnlichen BE geſpalten, beide erleiden
eine Brechung, aber der ungewoͤhnlich gebrochene Theil des Strahles
verhaͤlt ſich ſo, als ob er durch irgend eine nur auf ihn allein wir-
kende Kraft von der Axe BC zuruͤckgeſtoßen wuͤrde.


Schneidet man den Cryſtall ſo, daß zwar (Fig. 128.) die
eine Seitenflaͤche LM auf die Axe BC ſenkrecht iſt, die andre NQ
aber willkuͤhrlich dagegen geneigt, ſo geht nicht bloß ein bei B
ſenkrecht auffallender Strahl ungebrochen und unzerſpalten nach
BC fort, wo er dann als ungetheilter Strahl, obgleich gebrochen,
nach CP hervorgeht, ſondern auch, wenn bei C ein ſchief auf-
fallender Strahl PC grade ſo auffaͤllt, daß er nach der Brechung
bei C mit der Axe BC parallel wird, geht der ganze Strahl,
(von deſſen Farbenzerſtreuung wir hier abſehen,) ohne zwei Bilder
zu zeigen, hervor. Es iſt daher ein Mittel, um die genaue Axe
[304] des Cryſtalles kennen zu lernen, daß man ihn ſo ſchneidet, daß
das ſenkrecht auf die Ebne LM nach B ſehende Auge nur ein
einfaches Bild der Gegenſtaͤnde erhalte, welches allein dann der
Fall iſt, wenn die Senkrechte BC mit der Axe zuſammenfaͤllt,
oder allen Axen der Cryſtalltheilchen parallel iſt. Sind beide Ober-
flaͤchen auf dieſe Axe ſenkrecht, ſo zeigen ſich die Erſcheinungen
des zweiten Bildes bei ſchief einfallenden Strahlen nach allen Rich-
tungen um die Axe vollkommen gleich.


Eine ebenſolche Axe, welche die Eigenſchaft hat, daß die mit
ihr parallel im Innern des Cryſtalles fortgehenden Strahlen keine
Zerſpaltung in zwei Strahlen leiden, findet man auch bei andern
doppelt brechenden Cryſtallen; aber nicht bei allen iſt der unge-
woͤhnlich gebrochene Strahl der von der Axe entferntere, der
gleichſam von ihr abgeſtoßene, ſondern in einigen z. B. im Berg-
cryſtall, liegt er der Axe naͤher als der gewoͤhnlich gebrochene, ſo
daß man ihn als angezogen anſehen muͤßte.


Um die Geſetze zu beſtimmen, wie die Brechung von der
Lage dieſer Axe abhaͤngig iſt, muß man die Cryſtalle in verſchiede-
nen Richtungen zerſchneiden laſſen, damit man die dann hervor-
gehenden Phaͤnomene wahrnehmen koͤnne. Außer derjenigen Thei-
lung, bei welcher die Ebnen beider Schnitte auf die Axe ſenkrecht
ſind, iſt diejenige die merkwuͤrdigſte, wo beide Schnitte mit der
Axe und unter einander parallel ſind. Am belehrendſten ſind hier
die zwei Faͤlle, wo entweder der einfallende Strahl in einer durch
das Einfallsloth gelegten, mit der Axe parallelen, oder in einer
auf ſie ſenkrechten Ebne liegt. Es ſei AC (Fig. 129.) dieſe Axe
und der Lichtſtrahl IK liege ſo, daß er ſich in einer durch KL
und KM ſenkrecht auf AC gelegten Ebne befinde; ſo bleibt der
ungewoͤhnlich gebrochene und der gewoͤhnlich gebrochene Strahl in
eben dieſer durch MKI oder MKL gelegten Ebne, aber der Winkel,
den der ungewoͤhnlich gebrochene Strahl KE mit dem Einfalls-
lothe KN macht, iſt groͤßer als der, den der gewoͤhnlich gebrochene
KO mit KN macht, und in dieſem Falle, naͤmlich wenn die
Ebne MKI ſenkrecht auf die Axe iſt, haben ſowohl die Sinus der
Winkel IKM, OKN, als die Sinus der Winkel IKM, EKN
ein bei allen Einfallswinkeln gleich bleibendes Verhaͤltniß. Dieſes
Verhaͤltniß wird bei jenen durch 1 zu 0,604 oder 1,656 zu 1,
[305] bei dieſen durch 1 zu 0,674 oder 1,484 zu 1 ausgedruͤckt, und der
Winkel NKE iſt alſo allemal groͤßer als NKO; (z. B. fuͤr IKM
= 10°, iſt EKN = 6° 43⅓', und OKN
= 6° 1½').


Wenn man dieſe Erſcheinungen nach Newton's Anſichten
benutzen wollte, um die Geſchwindigkeit der Lichttheilchen im In-
nern des Cryſtalls zu beſtimmen, ſo wuͤrde man dieſe Geſchwin-
digkeit ungleich finden fuͤr die im gewoͤhnlich gebrochenen Strahle
und fuͤr die im ungewoͤhnlich gebrochenen Strahle vereinigten
Lichttheilchen, indem jene beinahe 1⅔ mal ſo ſchnell als in der
Luft, die ungewoͤhnlich von ihrem Wege abgelenkten Theilchen
aber nur 1½ mal ſo ſchnell als in der Luft fortgehend angenom-
men werden muͤßten. Dieſer Newton'ſchen Anſicht gemaͤß ſahen
wir die in den dichtern und ſtaͤrker brechenden Koͤrpern groͤßere
Geſchwindigkeit ſo an, als ob ſie durch die anziehende Kraft des
Koͤrpers beſchleunigt waͤre, und dieſe Beſchleunigung finden wir
alſo hier geringer bei den der ungewoͤhnlichen Brechung folgenden
Theilchen; dieſes Reſultat laͤßt ſich, wie Biot richtig bemerkt,
mit der Vorſtellung, daß die Axe eine abſtoßende Kraft auf die
Lichttheilchen, — auf diejenigen naͤmlich, welche der ungewoͤhnli-
chen Brechung folgen, — ausuͤbt, vereinigen, indem dieſe Kraft,
weil die Lichttheilchen in dieſem Falle immer ſenkrecht auf die Axen
treffen, nur zu Verminderung der Geſchwindigkeit beitraͤgt, und
daher die dieſer zuruͤckhaltenden Kraft unterworfenen Theilchen ſich
nicht ſo ſehr beſchleunigen, als die im gewoͤhnlichen Strahle ent-
haltenen, das iſt, die dieſer Kraft nicht unterworfenen Theilchen.


Aber bei den doppelt brechenden Koͤrpern darf man nicht
annehmen, daß die Geſchwindigkeit der Fortpflanzung des unge-
woͤhnlich gebrochenen Strahls gleich ſei fuͤr alle Richtungen des
eindringenden Strahls, ſondern, wenn dieſer im Innern fortge-
hende Strahl mit der Axe zuſammenfaͤllt, vereinigt er ſich nicht
allein der Richtung nach mit dem gewoͤhnlich gebrochenen, ſondern
hat auch eben die Geſchwindigkeit, ſtatt daß bei einer gegen die
Axe ſenkrechten Richtung dieſe Geſchwindigkeit des ungewoͤhnlich
gebrochenen Strahles in dem eben vorhin angegebenen Grade ge-
ringer iſt. In Faͤllen, wo der im Innern fortgehende Strahl
irgend eine Neigung gegen jene optiſche Axe hat, erhaͤlt man eine,
nach Maaßgabe der Neigung verſchiedene Geſchwindigkeit.


II. U
[306]

Der zweite merkwuͤrdige Fall, welcher ſich darbietet, wenn
die Oberflaͤche, durch welche der Strahl eintritt, die Axe ſelbſt in
ſich enthaͤlt, iſt der, wo der Strahl in der durch die Axe und das
Einfallsloth gehenden Ebne ſich befindet. Auch in dieſem Falle
geht der ungewoͤhnlich gebrochene Strahl ſo wenig, als der ge-
woͤhnlich gebrochene, aus der durch das Einfallsloth und den ein-
fallenden Strahl gelegten Ebne heraus, weil die abſtoßende Kraft,
die wir der Axe beilegen, hier in eben derſelben Ebne wirkt; aber der
ungewoͤhnlich gebrochene Strahl entfernt ſich mehr als der gewoͤhn-
lich gebrochene Strahl von dieſer Axe, ſo daß wenn (Fig. 130.)
AB die Oberflaͤche und zugleich die Richtung der in ihr liegenden
Axe darſtellt, KL der einfallende Strahl, LP das Einfallsloth iſt,
LE den ungewoͤhnlich gebrochenen, LO den gewoͤhnlich gebroche-
nen Strahl darſtellen wuͤrde. Fuͤr den gewoͤhnlich gebrochenen
Strahl findet auch hier eben das Verhaͤltniß der Sinus, wie
vorhin, ſtatt; aber fuͤr den ungewoͤhnlich gebrochenen Strahl gilt
ein andres Geſetz, das ſich in einer Zeichnung darſtellen laͤßt.


Wenn der einfallende Strahl in einer durch das Einfallsloth
auf die Axe ſenkrechten Ebne lag, ſo fand fuͤr den ungewoͤhnli-
chen Strahl das Geſetz fuͤr die Sinus der Winkel eben ſo wie
bei dem gewoͤhnlichen Strahle ſtatt, nur daß das Brechungsver-
haͤltniß ein andres iſt. Eine Zeichnung, der fruͤher angewandten
aͤhnlich, giebt hier die Richtung beider Strahlen, indem man beide
Senkrechten auf das Einfallsloth nach den oben angegebenen Zah-
len, alſo NO = 0,60. LM (Fig. 131.) und no = 0,67. LM
eintragen, und AO als gewoͤhnlich, AoE als ungewoͤhnlich ge-
brochenen Strahl zeichnen muͤßte; aber es laͤßt ſich dies noch be-
quemer thun. Man zeichne zwei Kreiſe, deren Halbmeſſer ſich
(Fig. 131.) wie 604 zu 674 verhalten, um den Einfallspunct
A; man beſtimme in dem erſten auf die gewoͤhnliche Weiſe den
Punct O, um die Lage des gewoͤhnlich gebrochenen Strahles zu
erhalten und ziehe die Beruͤhrungslinie an O, welche die Bre-
chungsflaͤche in K ſchneidet; zieht man nun von K eine Beruͤh-
rungslinie KE an den zweiten Kreis, ſo giebt AE, nach dem
Beruͤhrungspuncte E gezogen, in dieſem Falle den ungewoͤhnlich
gebrochenen Strahl. Es iſt naͤmlich leicht zu zeigen, daß die Senk-
rechten NO, no, die in einerlei Kreiſe gezogen ſind, alsdann das
[307] richtige Verhaͤltniß haben *). Dieſe Zeichnung galt bei der Lage
des Strahls in einer auf die Axe ſenkrechten Ebne; fuͤr die Lage
des Strahls in einer durch das Einfallsloth parallel mit der Axe
des Cryſtalls gelegten Ebne gilt eine ziemlich uͤbereinſtimmende
Zeichnung. Man giebt wieder dem Halbmeſſer AF eines um
den Einfallspunct A (Fig. 132.) gezogenen Kreiſes die Groͤße von
604 Theilen und traͤgt AG = 674 Theilen auf; man zieht
nun die mit AG parallelen Linien und theilt jede derſelben, ſo
weit ſie zwiſchen AH und dem Umfange des Kreiſes liegen, in
604 Theile, verlaͤngert ſie aber dann um 70 eben ſolche Theile,
ſo daß PO ſich zu PE wie 604 zu 674 verhalte; durch die
ſo beſtimmten Endpuncte zieht man die krumme Linie HEG,
welche eine Ellipſe wird. Nach dieſen Vorbereitungen iſt es zu-
erſt leicht, aus der Lage BA des einfallenden Strahles die Lage
AO des gewoͤhnlich gebrochenen Strahles herzuleiten; und wenn
man nun an O die Beruͤhrungslinie OK zieht, ſo iſt KE eine
Beruͤhrungslinie der Ellipſe, und die nach dem Beruͤhrungspuncte
E gezogene AE die Richtung des ungewoͤhnlich gebrochenen
Strahles.


An dieſe Regeln ſchließen ſich die fuͤr andre Faͤlle an, die ich
indeß hier uͤbergehen will, um nicht zu lange bei ſtrengen geome-
triſchen Conſtructionen zu verweilen. In dieſen andern Faͤllen, wo
die durch den einfallenden Strahl und das Einfallsloth gelegte
Ebne weder mit der Axe des Cryſtalles parallel noch auf ſie ſenk-
recht iſt, bleibt zwar der gewoͤhnlich gebrochene Strahl in eben
jener Ebne, aber der ungewoͤhnlich gebrochene bleibt nicht in dieſer
Ebne, und ſeine Lage wird durch eine Beruͤhrungs-Ebne, die an
eine ſphaͤroidiſche Flaͤche gelegt wird, beſtimmt. — Dieſes Sphaͤroid,
deſſen beide Axen ſich wie die Zahlen 604 und 674 verhalten, iſt
um ſo merkwuͤrdiger, da es mit der Form der Lichtwellen in einer
Beziehung ſteht, die ich ſpaͤter noch erwaͤhnen werde.


U 2
[308]

Einige Verſuche. Rochon's Micrometer.


Aber ehe ich zu andern merkwuͤrdigen Erſcheinungen uͤbergehe,
die ſich bei der doppelten Brechung zeigen, will ich doch vorher
einen Verſuch angeben, der, auch wenn man keine nach den an-
gegebenen Richtungen geſchnittenen Doppelſpathcryſtalle beſitzt, die
Richtung, in welcher die doppelten Bilder gegen einander liegen,
bequem wahrnehmen laͤßt. Wenn man eine grade Linie auf wei-
ßem Papier zeichnet und dieſe unter den Cryſtall legt, waͤhrend
das Auge ſenkrecht gegen die Oberflaͤche des Cryſtalls herabſieht,
ſo ſieht man dieſe Linie doppelt, als zwei Linien neben einander,
wenn ihre Richtung ſenkrecht gegen diejenige Ecklinie des Cry-
ſtalles iſt, die wir zwiſchen den ſtumpfen Winkeln ſo, daß alle
Seitenlinien der obern und untern Seitenflaͤche gleich werden,
ziehen. Iſt jene Linie in einer zu dieſer Axe parallelen Ebne, ſo
fallen beide Linien auf einander, aber wenn man Abtheilungen auf
dieſer Linie bemerkt hat, ſo ſieht man dieſe nach der Laͤngenrich-
tung der Linie verdoppelt erſcheinen. Noch beſſer als eine ſolche
einfache Linie dient zur Beſtimmung der Puncte, von welchen
der gewoͤhnliche und der ungewoͤhnliche Strahl nach gleicher Rich-
tung ins Auge kommen, ein aufgezeichnetes rechtwinkliches Drei-
Eck mit einem ſehr ſpitzen Winkel und eingetheilten Seiten.
Dieſes zeigt ſich, ſo wie Fig. 133. darſtellt, durch den Doppelſpath
verdoppelt, und indem zum Beiſpiel der zehnte Theilungspunct
der Hypotenuſe des einen Bildes mit dem zweiten Theilungspuncte
der Baſis des andern zuſammentrifft, ſo ſieht man, daß der ge-
woͤhnlich gebrochene Strahl von einem dieſer Puncte und der un-
gewoͤhnlich gebrochene Strahl von dem andern in gleicher Richtung
zum Auge kommen; befindet ſich alſo das Auge in einer ſolchen
Stellung, daß der von dem Puncte A der Baſis des Drei-Eckes
BCD kommende gewoͤhnlich gebrochene Strahl beide Oberflaͤchen
des Cryſtalles ſenkrecht ſchneidet, ſo iſt a der Punct deſſelben Drei-
Eckes von welchem der ungewoͤhnliche Strahl in eben der gegen
A gehenden Richtung zum Auge koͤmmt. Die Abmeſſung, die
ſich dabei ergiebt, iſt ſehr paſſend, um den Betrag der Brechung
bei verſchiedenen Lagen des Cryſtalles und des Auges kennen zu
lernen. Und ſo wie hier der wahre Abſtand derjenigen beiden
[309] Puncte gefunden wird, die in den beiden Bildern als zuſammen-
fallend erſcheinen, ſo kann man auch umgekehrt den Weg beider
von demſelben Puncte ausgehenden Strahlen beſtimmen. Gelangt
naͤmlich (Fig. 135.) der in O eintretende Strahl FO als gewoͤhn-
lich gebrochener und der in E eintretende fE als ungewoͤhnlich ge-
brochener in der Richtung AB zum Auge B, ſo ſind gewiß OA,
OC
die beiden von O aus in den Cryſtall eindringenden Strahlen
und OC iſt parallel mit EA; der letztere geht nach D fort und
erreicht das Auge nicht, ſtatt daß ein etwas ſchief auffallender
Strahl Fo ungewoͤhnlich nach oa gebrochen, in a einen mit Fo
parallelen Strahl aB giebt, welcher das Auge B erreicht.


Dieſe Zerſpaltung des in O eintretenden Strahles FO ſieht
man am beſten, wenn man einen Sonnenſtrahl durch eine ſehr
kleine Oeffnung O eintreten laͤßt, indem dieſer theils nach der Rich-
tung AB, theils nach der mit dieſer parallelen Richtung CD her-
vorgeht und ſeinen Weg, den man nur im dunkeln Zimmer gut
ſehen kann, ſo getheilt fortſetzt.


Dieſe doppelte Brechung hat zu einer nuͤtzlichen Anwendung
in Rochon's Micrometer Veranlaſſung gegeben. Wenn aus
einem doppelt brechenden Koͤrper zwei der aͤußern Form nach gleiche
Prismen ABC, BCD, (Fig. 136.) geſchnitten werden, die man
ſo, wie die Figur zeigt, verbindet, ſo wird ein auf AB ſenkrecht
einfallender Strahl, ſo fern er der gewoͤhnlichen Brechung folgt,
ganz ungebrochen durchgehen; der ungewoͤhnliche Strahl aber kann
eine Brechung erleiden. Zu dem hier beabſichtigten Zwecke ſchneidet
man das erſte Prisma ſo, daß AB eine gegen die Axe des Cryſtalles
ſenkrechte Ebne iſt, alſo AC dieſer Axe parallel iſt; das zweite
Prisma wird ſo geſchnitten, daß die Axen ſowohl in der Ebne BC
als in der Ebne CD liegen, alſo die Richtung der Axe mit der
auf BCD ſenkrechten Seitenlinie des Prisma's zuſammenfaͤllt.
Aus den Ihnen bekannten Eigenſchaften des Cryſtalles folgt, daß
der bei F oder f ſenkrecht auf AB eindringende Strahl gar nicht ge-
brochen wird, ſondern bis an BC in grader Richtung fortgeht, in-
dem auch die Theile, die ſonſt der ungewoͤhnlichen Brechung folgen
koͤnnten, doch, parallel mit der Axe fortgehend, keine Brechung
leiden. Wenn die Strahlen die Oberflaͤche BC erreichen, ſo geht
derjenige Theil, welcher der gewoͤhnlichen Brechung unterworfen iſt,
[310] doch immer grade fort, da auch die hier ſtatt findende Lage der Axe
fuͤr ihn keine Aenderung hervorbringt; aber derjenige Theil des
Strahles, der einer ungewoͤhnlichen Brechung faͤhig iſt, leidet hier
eine andre Brechung und geht ſo wie Ge, ge, zeigen, fort.
Der Strahl LO tritt ungebrochen hervor und gelangt zum Auge
P, der Strahl ge und ebenſo GE leiden eine neue Brechung und
der erſtere gelangt in P zum Auge. Wenn der Gegenſtand L weit
entfernt ſteht, ſo ſind Lg, lg Strahlen, die von einerlei Puncte
ausgehen, und das Auge in P ſieht alſo den Punct L verdoppelt
und die beiden Bilder um den Winkel OPe von einander entfernt.
Dieſer Winkel iſt bei beſtimmter Beſchaffenheit des Prisma's immer
gleich; er kann aber dennoch zu Abmeſſung der ſcheinbaren Groͤße
eines im Fernrohr geſehenen Gegenſtandes dienen. Zu dieſem
Zwecke ſtellt man (Fig. 137.) das Doppelprisma AB zwiſchen das
Objectiv HI und den Brennpunct f, um ſtatt eines Bildes im
Brennpuncte zwei Bilder hervorzubringen; dieſe Bilder werden
allemal in der Gegend des Brennpunctes entſtehen, und deſto
weiter aus einander geruͤckt ſein, je weiter das Doppelprisma AB
vom Brennpuncte f entfernt iſt, indem die uͤbereinſtimmenden
Puncte F, f beider Bilder ſo liegen, daß der Winkel FCf immer
derſelbe iſt. Stellt man alſo das Prisma ſo, daß beide Bilder ſich
beruͤhren, ſo laͤßt ſich aus dem beſtimmten Abſtande des Prisma's
vom Brennpuncte die wahre Groͤße des Bildes, alſo die ſcheinbare
Groͤße des Gegenſtandes, herleiten.


Dieſe Micrometer werden gewoͤhnlich aus Bergcryſtall ge-
macht, der in der Hauptſache gleiche Eigenſchaften beſitzt, und in
ſehr reinen Cryſtallen vorkoͤmmt.


Doppelte Brechung durch mehr als einen Cryſtall.


Wenn man nach der Kenntniß der bisher betrachteten Erſchei-
nungen die Frage aufwuͤrfe: Was wird erfolgen, wenn jener aus
dem einen Doppelſpathe hervorgegangene in zwei Strahlen zerſpal-
tene Strahl auf einen zweiten Doppelſpath faͤllt? — ſo ſcheint es
koͤnne man nur zweierlei vermuthen, entweder daß jeder dieſer
Strahlen ſich wieder ebenſo wie bei dem erſten Cryſtalle verhalte,
oder daß die einmal erfolgte Spaltung gar nicht zum zweiten Male
[311] eintreten werde; — und doch ſind beide Vermuthungen nicht in
dem Sinne richtig, daß eine von ihnen fuͤr alle Faͤlle paßte.


Wir wollen zwei ganz gleiche Cryſtalle nehmen und dieſe ſo
uͤber einander ſtellen, daß die ſtumpfen Winkel der Grundflaͤchen
genau uͤber einander ſtehen und die Axen der Cryſtalle unter ſich
parallel ſind. Wenn dann (Fig. 138.) ein Lichtſtrahl BA ſenkrecht
auf die obere Flaͤche faͤllt, ſo zerſpaltet ſich, wie Sie wiſſen, in A
der Strahl; der gewoͤhnlich gebrochene, der durch den erſten Cryſtall
ungebrochen ging, trifft den zweiten ſenkrecht und geht auch hier
ungebrochen und unzerſpalten durch; der ungewoͤhnlich gebrochene
AE wird in E beim Hervorgehen in die Luft wieder mit Ao pa-
rallel, in e, beim Eintritt in den zweiten Cryſtall, erleidet er,
ohne geſpalten zu werden, die ungewoͤhnliche Brechung und gelangt
ſo nach p. Dies ſcheint grade nicht unerwartet; aber wir wollen
einen zweiten Fall betrachten. Noch immer ſei die Lage beider Cry-
ſtalle ſo, daß ihre oberen und unteren Seiten horizontal bleiben;
aber die Axe des einen liege in einer Vertical-Ebne, die ſenkrecht
gegen diejenige iſt, in welcher die Axe des andern liegt; ſo findet
bei einem ſenkrecht auffallenden Strahle DC im erſten Cryſtalle
die Spaltung wie gewoͤhnlich ſtatt; aber obgleich der im erſten
Cryſtalle gewoͤhnlich gebrochene Strahl DG auch auf den zweiten
Cryſtall ſenkrecht gegen die Brechungs-Ebne trifft, ſo geht er
dennoch hier nicht ungebrochen durch, ſondern folgt den Geſetzen
der ungewoͤhnlichen Brechung, jedoch ohne aufs neue geſpalten zu
werden; und gelangt nach H, der ungewoͤhnlich gebrochene, aus
dem erſten Cryſtall hervorkommende Strahl LI dagegen folgt nun
im zweiten Cryſtalle den Geſetzen der gewoͤhnlichen Brechung. In
dieſen zwei Faͤllen, wo jene Hauptſchnitte beider Cryſtalle mit ein-
ander parallel oder auf einander ſenkrecht waren, zerſpalten beide
Strahlen ſich nicht aufs neue; aber nun wollen wir den einen
Cryſtall ein wenig zu drehen anfangen, waͤhrend ſeine obere und
untere Seitenflaͤche noch immer horizontal bleiben. Sobald dies
geſchieht, fangen beide aus dem erſten Cryſtall hervorgegangenen
Strahlen an, ſich im zweiten wieder zu zerſpalten; ſo lange die
Abweichung der Hauptſchnitte von der parallelen Lage geringe iſt,
zeigen ſich unter den vier nun aus dem zweiten Cryſtall hervorge-
henden Strahlen zwei ſchwache und zwei ſtaͤrkere, indem der als
[312] gewoͤhnlich gebrochen den zweiten Cryſtall erreichende Strahl ſich in
einen matteren ungewoͤhnlich gebrochenen und in einen ſtaͤrkeren
gewoͤhnlich gebrochenen zerlegt, und der den zweiten Cryſtall als
ungewoͤhnlicher Strahl treffende ſich in einen ſchwachen, der jetzt
den Geſetzen der gewoͤhnlichen Brechung folgt, und in einen ſtaͤrkern,
der abermals ungewoͤhnlich gebrochen wird, zerlegt. Vergroͤßert
man den Winkel der Hauptſchnitte gegen einander, ſo gehen alle
vier Strahlen mehr der gleichen Lichtſtaͤrke zu, und ſind gleich,
wenn die Hauptſchnitte einen Winkel von 45 Grad mit einander
machen; geht man noch weiter fort, ſo nimmt der Strahl, welcher
zuerſt der ſtaͤrkſte war, noch mehr ab, und verſchwindet voͤllig,
wenn beide Hauptſchnitte ſenkrecht gegen einander ſind.


Alle Faͤlle zeigen ſich alſo hier durch einen ſtetigen Uebergang
verbunden, aber unerwartet und ſeltſam erſcheint dennoch dieſe
Reihe von Erſcheinungen. Was den erſten Fall betrifft, ſo uͤber-
ſieht man ihn am leichteſten; — der zweite Cryſtall iſt nur eine
Fortſetzung des erſten, mit genau ebenſo angeordneten Axen, und
ſo gut wie der Strahl im erſten Cryſtalle nach ſeinem Eintritte,
nachdem er die ihm durch den Cryſtall zu ertheilende Modification
erlangt hat, ohne neue Spaltung fortgeht, ebenſo thut er dieſes auch
im zweiten. Alle anderen Faͤlle dagegen zeigen, daß dieſe Modifi-
cation, welche der Lichtſtrahl erlangt hat, in einer gewiſſen Be-
ziehung der Seiten des Strahls zu den Seiten oder Axen des Cry-
ſtalles ſteht; die verſchiedenen Seiten des Lichtſtrahls haben un-
gleiche Eigenſchaften, das Licht iſt, wie man es genannt hat, po-
lariſirt.


Aehnliche Beſtimmungen fuͤr die Wege des Lichtſtrahls, wie
ſie beim Uebergange in einen zweiten Cryſtall ſich hier ergaben, fin-
den auch da ſtatt, wo ein Strahl von der zweiten Oberflaͤche des
Cryſtalles reflectirt, in das Innere deſſelben zuruͤckgeht. Auch hier
haͤngt der Weg des reflectirten Strahles ebenſo von der Lage der
Axen ab, wie es fuͤr einen ſchon im Durchgange durch einen erſten
Cryſtall modificirten eintretenden Strahl der Fall ſein wuͤrde. Iſt
der zur zweiten Oberflaͤche gelangende Strahl ein gewoͤhnlich gebro-
chener, ſo wird der im Innern reflectirte Theil aus einem gewoͤhn-
lich gebrochenen Strahle beſtehen, der ganz ſo zuruͤckgeht, wie es
in jedem andern Falle ſtatt findet; aber neben ihm geht auch jetzt
[313] ein ungewoͤhnlicher Strahl zuruͤck, deſſen Richtung ſo beſtimmt iſt,
wie es bei der Brechung geſchehen wuͤrde, wenn der reflectirte
Strahl aus einem einfallenden, gebrochenen entſtanden waͤre; man
muß daher zu dem gewoͤhnlich reflectirten Strahle die Richtung
außerhalb des Cryſtalles ſuchen, in welcher ein Strahl einfallen
muͤßte, um jenen Strahl als gewoͤhnlich gebrochenen hervorzubrin-
gen, dann iſt der ungewoͤhnlich gebrochene Theil eben dieſes erdich-
teten Strahles einerlei mit dem eben erwaͤhnten ungewoͤhnlichen
Theile des reflectirten Strahles. Wenn der zur Hinterflaͤche des
Cryſtalles gelangende Strahl ein ungewoͤhnlich gebrochener war, ſo
iſt die Beſtimmung des doppelten, bei der Reflexion hervorgehen-
den Strahles noch etwas ſchwieriger. Hier muß man fuͤr den gegen
die Hinterflaͤche antreffenden Strahl denjenigen zugehoͤrigen Strahl
ſuchen, der als gewoͤhnlich gebrochener Strahl in den Cryſtall ein-
dringen wuͤrde, wenn unſer ungewoͤhnlicher Strahl durch Spal-
tung eines von außen antreffenden Strahles entſtanden waͤre; die
beiden aus Reflexion im Innern entſtehenden Strahlen, die dem
ungewoͤhnlichen zugehoͤren, ſind dann eben die, welche dieſem bloß
fingirten gewoͤhnlich gebrochenen Strahle entſprechen wuͤrden.


Cryſtalle mit zwei Axen doppelter Brechung.


Ich habe mich hier meiſtens an die Erſcheinungen im Dop-
pelſpath gehalten; aber andre Koͤrper, die nur eine Axe doppelter
Brechung haben, zeigen, zweckmaͤßig geſchnitten, ganz aͤhnliche
Erſcheinungen, und die durch ſie durchgegangenen Strahlen ſind
ebenſo modificirt, wie beim Doppelſpath. Andre Cryſtalle zeigen
ſich dagegen als ſolche, die zwei Axen doppelter Brechung haben.
In dieſen giebt es zwei Linien, welche die Eigenſchaft beſitzen, daß
ein im Innern der Richtung der einen oder der andern folgender
Strahl nicht die Erſcheinungen der doppelten Brechung zeigt, ob-
gleich bei allen andern Richtungen des Strahles dieſe beobachtet
wird. In dieſen Cryſtallen giebt es keinen Strahl, der den Geſetzen
der gewoͤhnlichen Brechung gemaͤß gebrochen wird, oder mit andern
Worten, die Geſchwindigkeit im Innern des Cryſtalles iſt fuͤr keine
der beiden Abtheilungen, worin der Strahl ſich ſpaltet, in allen
Faͤllen gleich, ſondern, ſo wie wir es von dem ungewoͤhnlich ge-
brochenen Strahle in den einaxigen Cryſtallen ſchon geſehen haben,
[314] daß ſeine Geſchwindigkeit bei verſchiedenen Richtungen gegen die
Axe eine andre iſt, ſo findet es hier bei beiden ſtatt. Aber auch
in den zwei-axigen Cryſtallen giebt es gewiſſe Ebnen, in welchen
einer der Strahlen, er mag in ihnen welche Richtung man will
erlangen, gleiche Geſchwindigkeit behaͤlt. Eine dieſer Ebnen findet
man, wenn man ſich im Cryſtall die beiden, ſich durchſchneidenden
Axen gezogen denkt, dann eine Linie zieht, die den von ihnen ge-
bildeten Winkel halbirt, und eine Ebne auf ſie ſenkrecht legt; in
dieſer Ebne behaͤlt der eine Strahl bei jeder in ihr liegenden Rich-
tung gleiche Geſchwindigkeit. Die andre Ebne, worin der andre
Strahl immer gleiche Geſchwindigkeit behaͤlt, iſt ſenkrecht auf jene
und auf die durch beide Axen gelegte Ebne, muß alſo zugleich durch
die den Winkel der Axen halbirende Linie gehen. — Daß alle,
dieſen zwei Ebnen parallele Ebnen gleiche Eigenſchaft beſitzen, darf
ich wohl nur obenhin erwaͤhnen, da es eigentlich die Axen der inte-
grirenden Theile des ganzes Cryſtalles ſind, die hier verſtanden
werden muͤſſen.


Die Verſuche, die man, um ſich von dieſen Geſetzen zu uͤber-
zeugen, angeſtellt hat, will ich hier uͤbergehen; ſo wie ich auch des
juͤngern Herſchel merkwuͤrdige und auffallende Entdeckung, daß
in zwei-axigen Cryſtallen die Axen fuͤr die rothen Strahlen nicht
genau mit denen fuͤr die gruͤnen oder blauen oder violetten uͤberein-
ſtimmen, ſondern jeder Farbenſtrahl ſein eignes, jedoch immer in
einerlei Ebne liegendes Axenpaar hat, nur obenhin anfuͤhren kann.


Uebereinſtimmung der geometriſchen Axen mit den
optiſchen Axen
.


Nach Brewſter's Beſtimmung giebt es gewiſſe Arten von
Kerngeſtalten der Cryſtalle, welche einfache Brechung, welche dop-
pelte Brechung mit einer Axe, welche doppelte Brechung mit zwei
Axen geben. Sie erinnern ſich, daß wir fruͤher nach Hauͤys An-
gaben, die von andern Mineralogen vielfaͤltig verbeſſert und ver-
vollſtaͤndigt ſind, jeden Cryſtall als aus gleichen kleinen Cryſtallen,
(nicht allemal dem Ganzen aͤhnlich,) zuſammengeſetzt anſahen. Von
der Geſtalt dieſer Cryſtalle haͤngt es ab, welche von den drei Bre-
chungen ſtatt findet.


[315]

Der Wuͤrfel hat durchaus keine Linie, die als nur einmal
vorkommend, als einzig in ihrer Art koͤnnte angeſehen werden, ſon-
dern uͤberall bieten ſich uns mehr uͤbereinſtimmende Axen dar. Zie-
hen wir eine Linie zwiſchen der Mitte zweier paralleler Seiten, ſo
iſt das allerdings eine Axe, aber die beiden andern Seitenpaare
geben ebenſolche Axen, und alle drei ſind auf einander ſenkrecht.
Iſt der Cryſtall ein regelmaͤßiges Octaëder (Fig. 139.), das heißt,
beſteht er aus zwei vierſeitigen Pyramiden, deren Grundflaͤchen
zuſammenfallen, und deren Seitenflaͤchen gleichſeitige Drei-Ecke
ſind, ſo iſt freilich die Linie AB eine Axe, aber CD auch, EF auch,
und alle drei auf einander ſenkrecht. Solche Cryſtalle brechen das
Licht nie doppelt. Iſt dagegen der Cryſtall ſtatt eines Wuͤrfels ein
Rhomboid, wie der Kalkſpath, ſo daß eine beſtimmte Linie als ein-
zige Axe hervortritt, ſo bricht der Cryſtall, als einaxiger Cryſtall
das Licht doppelt. Eben das iſt der Fall, wenn im Octaëder
zwar CEDF ein Quadrat bleibt, aber die beide Spitzen nicht aus
gleichſeitigen Drei-Ecken, ſondern aus gleichſchenklichen gebildet
ſind; dann iſt BA die einzige Axe und der Cryſtall bricht das Licht
dieſer Form gemaͤß doppelt. Andre Mineralien haben zwei geome-
triſche Axen, zum Beiſpiel das vierſeitige Prisma mit nicht qua-
dratiſcher Grundflaͤche, wie der Topas, deſſen Cryſtalle prismatiſch
mit rautenfoͤrmiger Baſis ſind. Brewſter fuͤhrt die hieher ge-
hoͤrigen Betrachtungen noch weiter aus, indem er zeigt, wie zwi-
ſchen den mehreren Linien, die man Axen nennen koͤnnte, zum
Beiſpiel im Rhomboid zwiſchen den von der Mitte einer Seite zur
Mitte der gegenuͤberliegenden gezogenen, ſich jene eine Haupt-Axe
als gegen dieſe Axen ſymmetriſch liegend ergiebt, und ſo weiter.


An dieſe Beſtimmung, welche die genaue Verbindung zwi-
ſchen der geometriſchen Geſtalt des Cryſtalles und ſeiner Einwirkung
auf das Licht zeigt, hat Mitſcherlich die ganz neue Bemerkung
gefuͤgt, daß auch bei der Ausdehnung durch die Waͤrme die Cryſtalle
ſich nach aͤhnlichen Geſetzen verſchieden zeigen. Die Cryſtalle, welche
keine doppelte Strahlenbrechung zeigen, dehnen ſich nach allen Sei-
ten gleich aus und ihre Winkel bleiben bei jeder Erwaͤrmung un-
geaͤndert. Die Cryſtalle mit einer Axe dehnen ſich nach der Rich-
tung der Axe anders aus, als nach den uͤbrigen Richtungen, und
daher aͤndern ſich die Winkel dieſer Cryſtalle bei zunehmender Er-
[316] waͤrmung. In den Cryſtallen mit zwei Axen iſt die Ausdehnung
nach allen drei Richtungen verſchieden, ſtatt daß in denen mit einer
Axe die Ausdehnung nach den beiden Dimenſionen, welche auf die
eine Axe ſenkrecht ſind, gleich iſt *).


Endlich ſteht hiemit auch noch Fresnel's Bemerkung, daß
man ſelbſt das Glas durch ungleichen Druck doppelt brechend
machen kann, in Verbindung. Fresnel verband vier Prismen
A, B, C, D, die neben einander gelegt waren, (Fig. 140.) ſo,
daß ſie vermittelſt eines nach der Laͤngenrichtung gehenden ſtarken
Druckes in eine ungewoͤhnliche Spannung ihrer Theilchen verſetzt
wurden; die Zwiſchenraͤume wurden nun durch andre Prismen
E, F, G, H, die keinem Drucke ausgeſetzt wurden, ausgefuͤllt;
ein auf die Vorderflaͤche 1 m treffender Strahl ging dann durch
dieſe vermittelſt eines Firniß zu einer Maſſe verbundenen Glaͤſer
und zeigte ſich an der Hinterflaͤche als geſpalten, als doppelt gebro-
chen, wie es bei den doppelt brechenden Cryſtallen der Fall iſt.


Theoretiſche Betrachtungen uͤber die doppelte Brechung.


Die Erklaͤrung dieſer Erſcheinungen hat nicht unbedeutende
Schwierigkeiten. Folgen wir zuerſt Newton's Anſicht, ſo muͤſſen
wir offenbar einraͤumen, daß die Lichttheilchen nicht alle einer
gleichen Anziehung ausgeſetzt ſind, daß naͤmlich in den Cryſtallen
mit einer Axe zwar einige Lichttheilchen, naͤmlich die der gewoͤhn-
lichen Brechung folgenden, eine immer gleiche Geſchwindigkeit er-
langen, die uͤbrigen aber eine nach der Lage des Strahles gegen
die Axe ungleiche Geſchwindigkeit annehmen. Hier wuͤrde es uns
nun freilich nicht ſo ſehr uͤberraſchen, eine von der Richtung der
Axe abhaͤngende Anziehungskraft zu bemerken, da alle Cryſtalliſa-
tion auf einer regelmaͤßig ungleich vertheilten Anordnung der Ma-
terie zu beruhen ſcheint; aber der Grund, warum nur einige Licht-
theilchen der einen Art von Anziehung folgen, andre Theilchen der
andern, bleibt voͤllig unerklaͤrt. Bemerkenswerth iſt es indeß, daß
Laplace aus der bloßen Vorausſetzung, daß die Geſchwindigkeit
der Theilchen im ungewoͤhnlichen Strahle nach einem beſtimmten
Geſetze veraͤnderlich ſei, die fuͤr die doppelte Brechung geltenden
[317] Geſetze, als hieran nothwendig geknuͤpft, nachgewieſen hat, und
es laͤßt ſich wohl annehmen, daß ein in der Lage der Theilchen
liegendes Geſetz der Anziehung dieſe Geſetze der ungewoͤhnlichen
Brechung noch genauer begruͤnden koͤnnte. Aber warum ſind nur
einige Lichttheilchen dieſer Kraft ausgeſetzt? — Die Beantwortung
dieſer Frage iſt offenbar mit der zweiten Frage ſehr nahe verbunden,
warum die beſtimmte Lage eines zweiten Cryſtalles, die ſchon durch
einen Cryſtall gegangenen Strahlen zu ungleichen Brechungen
veranlaßt. Schon Newton hat geaͤußert, es muͤſſe hier auf
Eigenſchaften ankommen, die der einen Seite des Strahles anders
als der andern Seite eigen ſind, und Biot hat dieſe Anſicht, die
in neuern Zeiten noch auf andre Weiſe neue Stuͤtzen fand, ſehr
vollſtaͤndig ausgebildet. Ich glaube die Hauptbeſtimmungen ſeiner
Anſicht in folgende Darſtellung faſſen zu koͤnnen.


Obgleich wir von der Geſtalt und ſonſtigen Beſchaffenheit
der Lichttheilchen ſo wenig wiſſen, ſo finden wir uns doch hier ge-
noͤthigt, ihnen eine durch beſondre Eigenſchaften ausgezeichnete
Axe beizulegen. Die im gewoͤhnlichen Sonnenſtrahle oder in andern
Lichtſtrahlen zu uns gelangenden Lichttheilchen haben dieſe Axe
nach den mannigfaltigſten Richtungen gewandt, und behalten auch
dieſe mannigfaltigen Richtungen bei der Brechung in den einfach
brechenden Koͤrpern; die doppelt brechenden Koͤrper aber beſitzen die
Eigenſchaft die Axen der Lichttheilchen in beſtimmte Richtungen
zu zwingen, die Lichttheilchen zu polariſiren. Wenn man ſich
durch den Weg des Strahles im Innern des Koͤrpers und die
Axe der Cryſtalltheilchen, die der Strahl trifft, eine Ebne gelegt
denkt, ſo laͤßt ſich das Verhalten des Strahles bei den wiederhol-
ten Brechungen aus der Vorausſetzung erklaͤren, daß die Lichttheil-
chen des im doppelt brechenden Cryſtall gewoͤhnlich gebrochenen
Strahls ihre Axen in dieſer Ebne haben, ſtatt daß die Axen der
den ungewoͤhnlich gebrochenen Strahl bildenden Theilchen ſenkrecht
gegen die durch die Bahn des ungewoͤhnlichen Strahles und die
Axen der Cryſtalle gelegte Ebne ſind. Der Cryſtall muß alſo
eine Kraft beſitzen, die Lichttheilchen aus ihrer ganz verſchiedenen
Stellung in jene zwei geordnete Stellungen zu bringen, und die
Lichttheilchen muͤſſen ſogleich beim Eintritte in den Cryſtall dieſe
Stellungen annehmen, welche ſie dann nicht nur beim Fortgange
[318] im Cryſtalle ſelbſt, ſondern auch nach ihrem Wiederhervorgehen in
die Luft behalten. Die eine dieſer Stellungen machte die Licht-
theilchen geeignet, auch in dieſem Cryſtalle der gewoͤhnlichen
Brechung zu folgen, ſtatt daß die andre Stellung ſie der unge-
woͤhnlichen Brechung unterwirft. Erreicht nun der eine oder der
andre dieſer Strahlen einen Cryſtall, deſſen Axen denen des vorigen
parallel ſind; ſo iſt kein Grund, warum ſich die Stellung der
Axen aͤndern ſollte, und da ſie auch hier gegen die Axe des zweiten
Cryſtalles eben die Lage, wie im erſten haben, ſo befolgen ſie auch
gleiche Brechungsgeſetze; der gewoͤhnlich gebrochene folgt ganz den
Geſetzen der gewoͤhnlichen Brechung, der ungewoͤhnliche den der un-
gewoͤhnlichen Brechung. Stellt man dagegen den zweiten Cryſtall
ſo, daß ſeine Axe in einer gegen die durch den Strahl und die Axe
des erſtern gelegten Ebne, ſenkrechte Ebne iſt; ſo iſt zwar wieder kein
Grund, warum die Axen der Lichttheilchen ihre Lage aͤndern ſollten,
aber die in dem zuerſt gewoͤhnlich gebrochenen Strahle fortgehen-
den Theilchen haben jetzt die Lage, welche nach der Stellung des
zweiten Cryſtalls eine ungewoͤhnliche Brechung zur Folge hat, und
die Theilchen in dem Strahle, der ungewoͤhnlich gebrochen war,
haben die der gewoͤhnlichen Brechung entſprechende Lage, und
jeder der beiden Strahlen folgt daher hier andern Geſetzen, als im
erſten Cryſtalle, ohne doch in zwei neue Strahlen zerſpalten zu
werden.


Und nun laͤßt ſich auch der allgemeine Fall, da die durch den
Strahl und die Axen des zweiten Cryſtalles gehende Ebne eine
ſchiefe Richtung gegen diejenige hat, wornach ſich die Lage der Licht-
theilchen im erſten Cryſtall richtete, leicht beurtheilen. Sowohl
die Theilchen des einen als die des andern aus dem erſten Cryſtall
kommenden Strahles haben nicht die von der Axe des zweiten Cry-
ſtalles geforderte Lage; die Einwirkung dieſes Cryſtalles bringt ſie
alſo wieder in zwei Abtheilungen, aber die Menge der fuͤr die eine
Abtheilung ausgewaͤhlten Theilchen iſt nicht mehr der Menge der
fuͤr die andre beſtimmten gleich, ſondern groͤßer fuͤr diejenigen, die
am wenigſten aus ihrer bisherigen Richtung gebracht werden. Iſt
alſo die Ebne des zweiten Cryſtalles, in welcher die den gewoͤhn-
lichen Geſetzen folgenden Theilchen ihre Axen haben muͤſſen, nur
um 10 oder 20 Grad von der Ebne entfernt, in welche der erſte
[319] Cryſtall die Theilchen des gewoͤhnlich gebrochenen Strahls gebracht
hatte, ſo nehmen die meiſten im gewoͤhnlich gebrochenen Strahl
enthaltenen Theilchen die Lage jener Ebne an, ſtatt daß wenige
ſich in die der ungewoͤhnlichen Brechung angehoͤrende Ebne ſtellen,
oder mit andern Worten: der gewoͤhnlich gebrochene Strahl des
erſten Cryſtalls zerlegt ſich in einen ziemlich ſtarken gewoͤhnlich ge-
brochenen und in einen ſchwachen ungewoͤhnlich gebrochenen Strahl.
Aehnliche Beſtimmungen ergeben ſich fuͤr den im Zuſtande der un-
gewoͤhnlichen Brechung durch den erſten Cryſtall gegangenen Strahl,
und fuͤr einen groͤßern Winkel, den beide Hauptſchnitte mit einan-
der machen.


Dieſe Darſtellung, wenn ſie auch zu hypothetiſch ſcheinen mag,
um als den wahren Grund der Erſcheinungen ausſprechend ange-
ſehen zu werden, bringt doch wenigſtens die bis jetzt betrachteten
Erſcheinungen in einen Zuſammenhang, der die Ueberſicht der
mannigfaltigen Phaͤnomene ſehr erleichtert, und hat in dieſer Hin-
ſicht gewiß einen hohen Werth.


Die Undulationstheorie bietet fuͤr einen Theil der Erſcheinun-
gen eine ſehr angemeſſene Erklaͤrung dar. Schon Huyghens
hatte dieſes mit dem ihm eigenthuͤmlichen großen Scharfſinne ge-
zeigt, da indeß die neuern Entwickelungen der Undulationstheorie
eine noch angemeſſenere Darſtellung gegeben haben, ſo will ich nur
dieſe hier in einem kurzen Abriſſe mittheilen. Die gewoͤhnliche Be-
ſtimmung der Fortpflanzung der Aetherwelle ſetzt voraus, daß der
Aether nach allen Richtungen gleich elaſtiſch ſei, und in der That
kann auch wohl kein andrer Fall da angenommen werden, wo die
Koͤrpertheilchen, zwiſchen welchen der Aether enthalten iſt, eine
gleichmaͤßige Austheilung haben; aber in einem cryſtalliſirten Koͤr-
per iſt es nicht unmoͤglich, daß die nach beſtimmten Richtungen
anders als nach den uͤbrigen Richtungen wirkenden Attractions-
kraͤfte dem Aether eine andre Elaſticitaͤt nach der einen als nach der
andern Richtung geben, oder bewirken, daß die von ihrem Gleich-
gewichtszuſtande entfernten Theilchen nach der einen Richtung mit
mehr Gewalt als nach der andern zu demſelben zuruͤck gefuͤhrt wer-
den. Nimmt man eine ſolche Ungleichheit an, ſo iſt die Geſtalt
einer von einem Mittelpuncte ausgehenden Welle nicht mehr kugel-
[320] foͤrmig, ſondern ſphaͤroidiſch oder ellipſoidiſch *), und ihre Fort-
pflanzung von dem Puncte, wo ſie ausgeht, ſtellt ſich, als unter
ſich aͤhnlichen Ellipſoiden um jenen Punct entſprechend, dar. Da
wo eine Lichtwelle einen Cryſtall trifft, entſtehen ſo um die Puncte,
wo ſie nach und nach die Oberflaͤche deſſelben erreicht, ſolche ellip-
ſoidiſche Wellen, und die Fortpflanzung des Strahles haͤngt nun
nach eben den Regeln von der gemeinſchaftlichen Wirkung dieſer
Wellen, wie in den fruͤhern Betrachtungen von den ſich gleichſam
in einander verlaufenden Kreiswellen **) ab; und da zeigt ſich, daß
die Richtung des auf dieſe Weiſe im Innern des Cryſtalles fortge-
pflanzten, ungewoͤhnlich gebrochenen Strahles nach den Geſetzen
beſtimmt wird, die ich bei den Cryſtallen mit einer Axe nachgewie-
ſen habe.


Dieſe theoretiſche Beſtimmung iſt unſtreitig von einem ſehr
bedeutenden Werthe; aber eine große Schwierigkeit ſcheint ſie den-
noch uͤbrig zu laſſen. Sie wiſſen, daß in dieſen Cryſtallen nicht
bloß ein ungewoͤhnlich gebrochener Strahl, ſondern auch ein ge-
woͤhnlich gebrochener Strahl vorhanden iſt, und daß wir alſo zwei
Syſteme von Wellen, ein kugelfoͤrmiges und ein elliptiſches, anneh-
men muͤſſen, folglich auch zwei Arten von Aether, deren einer
nach allen Richtungen gleich elaſtiſch der einen Art von Aetherwellen
ihre Entſtehung giebt, der andre der andern Art von Wellen.
Poiſſon bemerkt zwar nicht mit Unrecht, ſo gut wie Lichtwellen
und Schallwellen in der Atmoſphaͤre zugleich fortgehen, jene im
Aether, dieſe in der Luft fortgepflanzt, ſo laſſe ſich auch hier ein
zweifaches Syſtem von Wellen annehmen ***); aber ganz treffend
ſcheint dieſe Vergleichung doch nicht zu ſein, und daher der Vor-
wurf, daß man zwei Aether-Arten beduͤrfe, immer noch zu beſte-
hen. Dieſes iſt die eine Schwierigkeit. Eine zweite ſcheint mir,
wenn ſie nicht etwa in der Unvollkommenheit meiner Einſicht in
[321] dieſes Syſtem liegt, die zu ſein, daß auch beim Durchgange durch
die Luft die Eigenſchaft der Wellen, die vermoͤge jenes zweiten
Aethers erlangt iſt, fortdauert, und daß ſie nun in dem zweiten
Cryſtalle wieder die den dortigen zwei Wellenſyſtemen entſprechenden
Veraͤnderungen annimmt. Ich werde bald noch etwas mehr von
den Bemuͤhungen, dieſen bleibend ungleichen Zuſtand beider Licht-
ſtrahlen zu erklaͤren, ſagen, aber auch dann das Bekenntniß wie-
derholen muͤſſen, daß mir hier noch viel Dunkelheit uͤbrig zu bleiben
ſcheint.


Siebzehnte Vorleſung.


Die neulich betrachteten Erſcheinungen, welche darauf hinwie-
ſen, daß der Lichtſtrahl bei ſeinem Durchgange durch den doppelt
brechenden Cryſtall eine bleibende Modification erhalten habe, und
nun nicht mehr an allen Seiten gleich ſich darſtelle, haben ein
ganzes Jahrhundert lang allein da geſtanden, ohne durch andre
Verſuche mehr aufgeklaͤrt zu werden; aber endlich hat ſich eine
Reihe neuer Phaͤnomene, wobei das Licht eine eben ſolche Polariſi-
rung erleidet, den Beobachtern dargeboten.


Der von einem Spiegel zuruͤckgeworfene Strahl wird
nicht immer von einem zweiten Spiegel reflectirt
.


Wir ſind gewohnt, anzunehmen, daß da, wo ein Lichtſtrahl
auf eine Spiegelflaͤche faͤllt, unbedingt in allen Faͤllen eine Zuruͤck-
werfung eintreten muͤſſe; aber wenn dieſer Spiegel eine unbelegte
Glasplatte oder ein geſchliffener Obſidian *) oder ein aͤhnlicher
Koͤrper iſt, ſo leidet dieſe Behauptung eine regelmaͤßige und ſeltſam
ſcheinende Ausnahme, die Malus zuerſt entdeckt hat. Man
bedient ſich zu dem Verſuche am beſten in Ermangelung des Obſi-
II. X
[322] dians eines gewoͤhnlichen, aber auf der Hinterſeite geſchwaͤrzten
Glaſes; durch dieſes Ueberziehen der Hinterflaͤche mit ſchwarzer
Tuſche oder einem aͤhnlichen Stoffe raubt man dieſer die Faͤhig-
keit, das Licht zu reflectiren, erhaͤlt ſo die Strahlen bloß von
der Vorderſeite, und wird nicht durch die jenſeits des Glaſes liegen-
den Gegenſtaͤnde geſtoͤrt. Hier zeigen ſich nun folgende Erſcheinun-
gen. Faͤllt von einer Lichtflamme der Strahl auf eine ſolche Spie-
gelplatte, ſo wird er bekanntlich bei jedem Einfallswinkel reflectirt;
aber dieſer reflectirte Strahl iſt nicht immer faͤhig von einer eben
ſolchen zweiten Spiegelflaͤche abermals zuruͤckgeworfen zu werden,
ſondern wenn der Strahl eine Neigung von 34 Gr. gegen die erſte
Spiegelflaͤche hatte, ſo kann man die zweite Spiegelflaͤche ſo ſtellen,
daß er gar nicht reflectirt wird. Um den Verſuch anzuſtellen,
dient am beſten die von Biot angegebene Einrichtung. Man
laͤßt (Fig. 141.) auf einem Geſtelle mehrere parallele Ringe C, D,
E,
ſo an einander befeſtigt aufſtellen, daß ſie ein offenes Rohr bil-
den, oder daß ihre Mittelpuncte in grader Linie liegen. An dem Ver-
bindungsſtuͤcke dieſer Ringe iſt bei F ein Gradbogen GH feſt ange-
bracht und ein Spiegel von der vorhin erwaͤhnten Art iſt an F ſo
befeſtigt, daß er ſich um F, den Mittelpunct des Kreisbogens,
drehen laͤßt. Dieſem Spiegel giebt man die Neigung von 34 Gr.
gegen die Axe der Roͤhre, und ſtellt die Flamme ſo, daß ein bei O
ſtehendes Auge ſie in der Mitte der Roͤhre im Spiegel ſieht. In dem
erſten Ringe E iſt ein beweglicher Ring, der ſich naͤmlich in der Faſſung
E um die gemeinſchaftliche Axe des Rohres drehen laͤßt, mit dieſem
iſt ein Gradbogen MN verbunden und ein um deſſen Mittelpunct
K beweglicher Spiegel KL. Stellt man nun auch dieſen auf 34
Gr. das heißt ſo, daß der durch die Axe des Rohres gehende Strahl
34 Grad mit der Ebne des Spiegels macht, ſo iſt alles zu dem
Verſuche vorbereitet. Da der Ring E und mit ihm der Spiegel
um die Axe des Rohres gedreht werden kann, ſo wollen wir den
Verſuch mit derjenigen (auf dem Rande des bei E befindlichen
Kreiſes bemerkten) Stellung anfangen laſſen, wo beide Spiegel
parallel ſind; ſieht man bei dieſer Stellung des Spiegels von P
her in denſelben, ſo erblickt man die geſpiegelte Lichtflamme, naͤm-
lich ihr im erſten Spiegel dargeſtelltes Bild im zweiten Spiegel,
ohne etwas Ungewoͤhnliches zu bemerken; aber ſchiebt man nun den
[323] Ring E in ſeiner Faſſung fort, ſo daß der Spiegel nach und nach
einen Umlauf um die Axe des Rohres macht, ſo ſieht man das
Bild der Flamme, wenn man auch die Stellung P des Auges ſo
aͤndert, daß man ſie im Spiegel ſieht, allmaͤhlig matter werden,
und wenn die Drehung von der erſten Stellung an um 90 Grade
fort gegangen iſt, verſchwindet dieſes Bild faſt gaͤnzlich, ſo daß
man beinahe ſtrenge ſagen kann, die einmal reflectirten Strahlen
ſind nun fuͤr eine zweite Reflexion unfaͤhig geworden.


Dieſe merkwuͤrdige Erſcheinung, daß die einmal reflectirten
Strahlen nur bei beſtimmter Stellung des zweiten Spiegels zu-
ruͤckgeworfen werden, laͤßt ſich, wenn man die Stellung der Spie-
gel, ſo daß ſie 34 Grad gegen den Strahl geneigt ſind, vorausſetzt,
ſo ausdruͤcken, daß die zweite Reflexion ohne Schwierigkeit ſtatt
findet, wenn beide Reflexions-Ebnen zuſammenfallen, und daß die
Reflexion gaͤnzlich verſchwindet, wenn eben dieſe Ebnen auf einan-
der ſenkrecht ſind. Wenn Sie uͤberlegen, daß bei paralleler Stel-
lung der Spiegel das zweimal zuruͤckgeworfene Bild ſich zeigt, daß
bei einer Drehung des Ringes E um 90° nach einer oder der an-
dern Seite das Bild verſchwindet, und — was ich zum Vorigen
noch hinzufuͤgen muß, — daß es bei einer uͤber 90° fortgehenden
Drehung allmaͤhlig wieder erſcheint und bei 180° ſeine ganze Hel-
ligkeit wieder erhaͤlt; ſo werden Sie dieſe Ausdruͤcke gewiß ver-
ſtehen.


Waͤhlt man fuͤr die Stellung der Spiegel an den Gradbogen
einen von 34° verſchiedenen Winkel, ſo verliert zwar bei der
Drehung des zweiten Spiegels das Bild an Glanz, aber nicht in
ſo bedeutendem Maaße, und jener Winkel heißt daher der eigent-
liche Polariſationswinkel, und die unter dieſem Winkel
zuruͤckgeworfenen Strahlen heißen polariſirte Strahlen,
polariſirtes Licht.


Da es angenehm iſt, einen ſo merkwuͤrdigen Verſuch auch
ohne Huͤlfe von Inſtrumenten anſtellen zu koͤnnen, ſo will ich noch
eine zwar minder vollkommene, aber leicht einzurichtende Anord-
nung des Verſuches angeben. Man legt (Fig. 142.) ein gewoͤhn-
liches dreieckiges Lineal, deſſen Winkel A man zu 34 Grad hat
ſchneiden laſſen, horizontal, ſtellt in ab ein gutes ebnes Glas, das
man an der Hinterſeite mit Tuſche geſchwaͤrzt hat, vertical auf,
X 2
[324] und giebt der Lichtflamme L die Stellung, daß das bei B gehaltene
Auge die Flamme bei c geſpiegelt ſieht; dann iſt die Reflexions-
Ebne horizontal und der Reflexionswinkel 34 Grad. An B wird
nun ein keilfoͤrmig geſchnittener Koͤrper ef geſetzt, der auch einen
Winkel von 34 Grad hat, ſo daß ein auf ihn befeſtigtes, gegen
den Horizont geneigtes, hinten geſchwaͤrztes Glas den horizontal
zuruͤckgeworfenen Strahl unter dieſem Winkel empfaͤngt, und nun
ſtellt man das Auge oberhalb ef ſo, daß man im Spiegel ef das in
ab dargeſtellte Bild der Lichtflamme ſieht; dieſes erſcheint ſehr
matt, ſtatt daß es ſogleich lebhafter wird, wenn man die Stellung
des zweiten Spiegels erheblich aͤndert. Die zweite Reflexions-Ebne
iſt hier vertical, ſtatt daß die erſte horizontal war.


Dieſe Erfahrung, daß der Lichtſtrahl unter gewiſſen Umſtaͤnden
der Zuruͤckwerfung nicht mehr unterworfen iſt, leitet wohl von ſelbſt
zu der Frage, ob denn etwa alles Licht durchgelaſſen wird, und
dieſe Vermuthung findet ſich beſtaͤtigt. Zwar iſt, wenn man die
Strahlen bei der zweiten Spiegelung nicht auf einem an der Hin-
terſeite geſchwaͤrzten, ſondern auf einem durchſichtigen Glaſe auf-
faͤngt, die Menge des durchgehenden Lichtes in allen Faͤllen, auch
dann, wenn erheblich viel Licht zuruͤckgeworfen wird, ſo groß, daß
man die Vermehrung in dem Falle, wo kein Licht reflectirt wird,
nicht ſo auffallend bemerkt; aber wir werden bald Erſcheinungen
kennen lernen, die in der Faͤrbung des Lichtes uns die deutlichſten
Beweiſe fuͤr die Durchlaſſung derjenigen Strahlen geben, welche
bei der Stellung des Spiegels auf 90° der Zuruͤckwerfung entzogen
werden.


Wenn man ſtatt der Lichtflamme das Licht einer weißen
Wolke oder des bedeckten Himmels einfallen laͤßt, (der blaue Him-
mel iſt nicht ſo paſſend dazu,) ſo ſieht man, in den Spiegel KL
blickend, (Fig. 141.) das Bild des hellen Himmels dunkel, faſt
ſchwarz werden, und uͤberzeugt ſich, daß auch dieſe Strahlen faſt
gaͤnzlich ihre Faͤhigkeit, zuruͤckgeworfen zu werden, verlieren. Zwar
tritt kein gaͤnzliches Unſichtbarwerden ein, aber ſo auffallende Dun-
kelheit, daß man die Wirkung hier, ſo gut, wie bei der Lichtflamme,
wenn gleich auch dieſe nicht voͤllig unkenntlich wird, durchaus nicht
verkennen kann.


[325]

Geſetz, nach welchem der Polariſationswinkel ſich
beſtimmt
.


Man bedient ſich bei dieſem Verſuche am beſten des Glaſes
oder glasartiger Koͤrper, aber keinesweges ſind dieſe allein zu Her-
vorbringung der Polariſirung geeignet. Wenn an unſerm Inſtru-
mente die Roͤhre ſo geſtellt wird, daß ſtatt des erſten Spiegels F
eine horizontale Waſſerflaͤche dient, ſo findet man, indem man als
zweiten Spiegel den Glasſpiegel behaͤlt und ihn auf dem Polariſa-
tionswinkel von 34 Grad laͤßt, die Stellung der Lichtflamme aber
bald hoͤher bald tiefer waͤhlt, und die Roͤhre ſo neigt, daß das im
Waſſer geſpiegelte Bild ſeine Strahlen auf LK wirft, ein eben
ſolches Verſchwinden des Spiegelbildes nur mit dem Unterſchiede,
daß der Waſſerſpiegel ungefaͤhr 37° geneigt gegen die Axe der
Roͤhre ſein muß, wenn der Erfolg am beſten ſein ſoll, oder daß
hier der Polariſationswinkel 37° iſt, ſtatt 34° beim Glaſe.
Brewſter giebt an, daß eine Diamantflaͤche die Polariſirung
bei 22° Neigung hervorbringt, und ſo hat jeder Koͤrper einen andern
ihm zugehoͤrigen Winkel der vollkommenſten Polariſirung; aber
die mit dem Lichtſtrahle vorgegangene Veraͤnderung zeigt ſich in
allen Faͤllen als dieſelbe.


Dieſer Polariſationswinkel ſteht in einer merkwuͤrdigen Be-
ziehung zu der Staͤrke der Brechung, welche das Licht in den ver-
ſchiedenen Koͤrpern leidet. Nach Brewſter's Entdeckung iſt
naͤmlich der Polariſationswinkel derjenige Einfallswinkel, bei wel-
chem der eindringende, gebrochene Strahl mit dem zuruͤckgeworfe-
nen Strahle einen rechten Winkel macht. Sie wiſſen, daß im
Glaſe fuͤr den gebrochenen Strahl BE (Fig. 143.) der Winkel
FBE leicht aus dem Winkel ABC, den der einfallende Strahl
AB mit dem Einfallslothe BC macht, beſtimmt wird, und daß
fuͤr den reflectirten Strahl BD der Winkel CBD = CBA iſt.
Nun findet man fuͤr Glas, deſſen Brechungsverhaͤltniß ⅔ iſt,
daß mit dem Neigungswinkel = 34° = ABG, oder ABC
= 56°, der Winkel EBF = 33°. 33'. zuſammen gehoͤren
wuͤrde, alſo DBE = 34° + 56° 27' = 90°. 27' ſein
wuͤrde; — das Glas muͤßte das Brechungsverhaͤltniß 0,6745 oder
beim Hervorgehen des Strahles 1,4826 haben, wenn genaue 90°
[326] herauskommen ſollten, oder wenn der Polariſationswinkel ganz
genau 34° ſein ſollte *). Hingegen ein Flintglas von der Bre-
chung = 1,64 fordert hiernach einen Winkel von 31° 20', um
die vollkommenſte Polariſirung hervorzubringen.


Dies Geſetz findet ſelbſt da ſtatt, wo der Lichtſtrahl nicht
aus Luft, ſondern aus einem andern fluͤſſigen Koͤrper in einen feſten
Koͤrper uͤbergeht. Bedeckt man das Glas mit Terpentin-Oel,
ſo leidet der Lichtſtrahl beim Uebergange aus dieſem in Glas gar
keine Brechung und der Einfallswinkel muß daher 45° ſein,
damit der eindringende und der zuruͤckgeworfene Strahl einen rech-
ten Winkel mit einander machen, und wirklich findet man 45°
dann als Polariſationswinkel.


Bei einigen Koͤrpern, namentlich ſolchen, die einen kleinen
Einfallswinkel fordern, wird das Licht nicht vollſtaͤndig polariſirt;
hier naͤmlich betraͤgt der, nach Verſchiedenheit der Koͤrper ſehr un-
gleiche, Antheil von Licht, der bei der Zuruͤckwerfung nicht polariſirt
wird, ſo viel, daß man keine ſo vollſtaͤndige Erfolge wie bei andern
Koͤrpern wahrnimmt. Daß aber uͤberhaupt bei keinem Einfalls-
winkel eine durchaus vollkommene Polariſirung ſtatt finden kann,
ſcheint ſchon aus der ungleichen Brechung der Farbenſtrahlen zu
erhellen; denn beim Fraunhofer'ſchen Flintglaſe muͤßten die rothen
Strahlen bei 31° 34', die violetten bei 30° 53' vollkommen
polariſirt ſein; es bleibt alſo bei jedem Winkel noch etwas unpolari-
ſirtes Licht uͤbrig, und mit dieſem verbindet ſich dasjenige, welches
als zerſtreutes Licht von der Oberflaͤche zuruͤckgegeben dieſer Veraͤn-
derung gar nicht unterworfen iſt.


Fuͤr diejenigen Koͤrper, die nicht wegen der zu großen Menge
des letztern untauglich fuͤr dieſe Beſtimmung ſind, laͤßt ſich daher
das Brechungsverhaͤltniß finden, wenn ſie auch undurchſichtig ſind,
indem man den Winkel der vollſtaͤndigſten Polariſirung beſtimmt.
Selbſt Schwefel, Siegellack, Porcellan, geglaͤttetes Papier und
andre Koͤrper, obgleich ſie viele farbige, zerſtreute Strahlen re-
[327] flectiren, zeigen doch jenes Verſchwinden ihres Spiegelglanzes, und
man bemerkt, daß namentlich beim Schwefel der Polariſations-
winkel kleiner als bei dem Glaſe iſt. Auch der Spiegelglanz der
Metalle geht in manchen Faͤllen ſehr deutlich verlohren, wenn man
ſie ſtatt des erſten Spiegels anwendet, und ihr Bild unter dem
richtigen Winkel im zweiten Spiegel wahrnimmt.


Polariſirung beim Durchgange durch Glasplatten.


Dieſelbe Veraͤnderung in den Eigenſchaften des Lichtſtrahls
findet beim Durchgange durch mehrere Glasplatten ſtatt. Wenn
mehrere Platten guten Glaſes mit parallelen Oberflaͤchen ſo parallel
aufgeſtellt werden, daß ein Lichtſtrahl ſie unter 34 Grad Neigung
trifft, ſo wird bekanntlich nur ein Theil des Lichtes von der erſten
Platte durchgelaſſen, und der uͤbrige reflectirt; eben das geſchieht
an der zweiten, dritten, vierten Platte, aber immer wird desjeni-
gen Lichtes, welches der Zuruͤckwerfung unterworfen iſt, weniger,
und nach dem Durchgange durch eine große Reihe von Platten hat
der Strahl die Eigenſchaft erlangt, von einer mit den vorigen
parallel gehaltenen Platte gar nicht mehr zuruͤckgeworfen zu werden,
ſondern ungeſchwaͤcht durchzugehen, und ſich als polariſirt zu zeigen.
Sind die Platten nicht unter 34°, ſondern unter einem andern
Winkel geneigt, ſo tritt der Erfolg erſt bei einer groͤßern Anzahl
vollſtaͤndig ein; aber die bald zu erwaͤhnenden Kennzeichen einer
theilweiſen Polariſirung zeigen ſich auch dann ſchon bei wenigen
Platten.


Dieſe verſchiedenen Mittel ſetzen uns alſo in Stand, dem
Lichtſtrahle eine ſolche Beſchaffenheit zu ertheilen, daß ſeine ver-
ſchiedenen Seiten ungleiche Eigenſchaften beſitzen. Bei gewoͤhnli-
chem Lichte iſt es ganz gleichguͤltig, ob ein horizontaler Lichtſtrahl
auf einen Spiegel ſo faͤllt, daß die Reflexions-Ebne vertical iſt,
(daß der zuruͤckgeworfene Strahl ſich in der durch den einfallenden
gelegten verticalen Ebne befindet,) oder ob dieſe Ebne horizontal
iſt, in welchem Falle ich das Auge in eben der Hoͤhe, wo der
einfallende Strahl liegt, halten muß, um den reflectirten Lichtſtrahl
zu erhalten; hier aber iſt dieſes nicht gleichguͤltig, und wenn ich
im letzten Falle den Lichtſtrahl wenig oder gar nicht zuruͤckgeworfen
faͤnde, ſo wuͤrde ich ſchließen, daß jener horizontale Strahl die
[328] Modification, die Polariſirung heißt, erlitten haͤtte, daß er alſo
ſchon von einem andern Spiegel in verticaler Ebne reflectirt ſein
moͤge, oder ſonſt einer polariſirenden Einwirkung ausgeſetzt geweſen
ſei. Ebenſo fanden wir die durch doppelt brechende Cryſtalle durch-
gegangenen Strahlen ſo veraͤndert, daß ſie nach einer Richtung
andre Eigenſchaften als nach der darauf ſenkrechten Richtung zeig-
ten; und es bietet ſich daher die Frage dar, wiefern dieſe Polariſi-
rung in doppelt brechenden Cryſtallen mit der hier betrachteten ei-
nerlei ſei, oder nicht. Dieſe Frage laͤßt ſich auf mehrfache Weiſe
leicht entſcheiden, und die Entſcheidung faͤllt dahin aus, daß beide
Mittel zur Polariſirung des Lichtes genau gleiche Eigenſchaften des
Lichtſtrahls hervorbringen.


Uebereinſtimmung der Polariſirung bei der Reflexion
und bei der doppelten Brechung
.


Sie erinnern ſich, daß ein durch den Doppelſpath gegangener
gewoͤhnlich gebrochener Strahl auch in einem zweiten Doppelſpathe
gewoͤhnlich gebrochen wurde, wenn die Hauptſchnitte beider Cryſtalle
parallel waren; wir koͤnnen alſo ſagen, bei dieſer Lage des zweiten
Cryſtalles behalte der Strahl eben die Polariſirung, die er ſchon
hatte, indem er, auch wenn ein dritter Cryſtall hinzu kaͤme, ſich
beim Durchgange durch dieſen ſo verhalten wuͤrde, als wenn er
nur durch einen Cryſtall gegangen waͤre. Iſt der zweite Cryſtall
zwar immer ſo geſtellt, daß ſeine vom Strahle getroffenen Ober-
flaͤchen denen des erſten parallel ſind, aber zugleich ſo, daß der
Hauptſchnitt des zweiten ſenkrecht auf den des erſten iſt, ſo leidet
der Strahl ganz die ungewoͤhnliche Brechung, ohne ſich zu ſpalten,
und behaͤlt dabei die Eigenſchaft, in einem dritten Cryſtalle ſich
ebenſo zu verhalten, als wenn der zweite nicht da geweſen waͤre.
Dagegen wenn der Hauptſchnitt des zweiten einen vom rechten
Winkel verſchiedenen Winkel mit dem Hauptſchnitte des erſten
macht, ſo wird ſowohl der Strahl, welcher im erſten gewoͤhnlich
gebrochen war, als der ungewoͤhnlich gebrochene in zwei Strahlen
geſpalten, und dieſe Strahlen haben nun ihre Beziehung auf die
Axe des erſten Cryſtalles ganz verlohren. Auf aͤhnliche Weiſe wie
hier der im erſten Cryſtalle gewoͤhnlich gebrochene Strahl verhaͤlt
ſich der unter dem Polariſationswinkel vom erſten Spiegel unſers
[329] Inſtrumentes reflectirte Strahl. Bringt man bei D einen Dop-
pelſpath ſo an, daß der polariſirte Strahl ſenkrecht auf die natuͤr-
liche Oberflaͤche deſſelben trifft, ſo bleibt dieſer Strahl auch nach
dem Durchgange ebenſo polariſirt, ſowohl wenn der Hauptſchnitt
des Cryſtalles mit der erſten Reflexions-Ebne parallel, als wenn
er ſenkrecht auf ſie iſt, bei allen andern Stellungen zeigt er ſich
nicht mehr ſo polariſirt, daß der zweite Spiegel ihn nicht zuruͤck-
werfen kann. Dieſe Verſchiedenheit zeigt ſich, wenn man in den
zweiten Spiegel, der ſo geſtellt iſt, daß er den Strahl bei den vo-
rigen Verſuchen nicht reflectirte, hineinſieht, dadurch, daß das
Bild der Lichtflamme im zweiten Spiegel wieder erſcheint, wenn
man dem Hauptſchnitte des Cryſtalles eine gegen die Reflexions-
Ebne geneigte Stellung giebt, ſtatt daß es verſchwindet, wenn der
Hauptſchnitt mit dieſer Ebne parallel oder darauf ſenkrecht iſt.


Um die Entſcheidung, ob der durch Zuruͤckwerfung polariſirte
Strahl dem im Cryſtalle gewoͤhnlich gebrochenen oder dem unge-
woͤhnlich gebrochenen Strahle entſpreche, zu erhalten, muͤßte man
den polariſirten Strahl bei ſeinem Durchgange durch den Cryſtall
noch genauer beobachten; und dann findet man, daß der auf beide
Oberflaͤchen ſenkrechte Strahl ganz ungebrochen durchgeht, wenn
die Ebne des Hauptſchnittes der erſten Reflexions-Ebne parallel
iſt, daß ein geringer Theil des Strahles der ungewoͤhnlichen Bre-
chung folgt, ein groͤßerer Antheil dagegen gewoͤhnlich gebrochen
wird, wenn der Hauptſchnitt wenig von dieſer Richtung abweicht,
daß dieſer ungewoͤhnlich gebrochene Strahl immer mehr zunimmt,
der gewoͤhnlich gebrochene immer mehr abnimmt, je mehr der
Hauptſchnitt ſich der ſenkrechten Stellung gegen die Reflexions-
Ebne naͤhert, daß bei 45° Neigung beide gleich ſind, bei 90° der
gewoͤhnlich gebrochene ganz verſchwunden iſt. Dieſe Erſcheinungen
ſtimmen mit dem, was ſtatt gefunden haͤtte, wenn jener den Cry-
ſtall treffende Strahl ein durch einen erſten Cryſtall polariſirter,
gewoͤhnlich gebrochener Strahl geweſen waͤre, ſo uͤberein, daß wir
die ſichere Beſtimmung erhalten, daß der von einem Spiegel unter
dem Polariſationswinkel zuruͤckgeworfene Strahl ganz dem durch
einen Cryſtall, deſſen Hauptſchnitt mit der Reflexions-Ebne pa-
rallel laͤge, hervorgebrachten gewoͤhnlichen Strahle gleicht.


[330]

Auf aͤhnliche Weiſe kann man ſich uͤberzeugen, daß der durch
viele Glastafeln unter einem ſchiefen Winkel, am beſten unter dem
Polariſationswinkel, durchgelaſſene Strahl ſich ſo polariſirt findet,
wie es bei dem ungewoͤhnlichen Strahle der Fall waͤre, wenn er
im Durchgehen durch einen Doppelſpath entſtanden waͤre, deſſen
Hauptſchnitt parallel mit der durch das Einfallsloth und den
Strahl gelegten Ebne iſt.


Erklaͤrung dieſer Erſcheinungen nach der Emiſſions-
theorie.


Biot fuͤgt, ſeiner ſchon fruͤher angefuͤhrten Anſicht gemaͤß,
hinzu, bei der Zuruͤckwerfung von einer polirten Oberflaͤche werde,
wenn der Einfallswinkel die genaue Groͤße des Polariſationswinkels
hat, die Axe aller zuruͤckgeworfenen Lichttheilchen in die Ebne der
Zuruͤckwerfung gebracht und ſenkrecht auf die Richtung des Strah-
les geſtellt, und daher ſei es erklaͤrlich, daß am zweiten Spiegel
kein Theilchen reflectirt werde. Sind naͤmlich nur diejenigen Theil-
chen der Zuruͤckwerfung faͤhig, die gegen den zweiten Spiegel und
ſeine Reflexions-Ebne in eine ebenſolche Stellung gebracht werden
koͤnnen, ſo kann keines jener Theilchen zuruͤckgeworfen werden,
wenn die Reflexions-Ebne ſenkrecht auf die vorige iſt, oder allge-
mein, wenn durch irgend eine Polariſirung die Axen aller Licht-
theilchen ſenkrecht auf der Reflexions-Ebne des zweiten Spiegels
ſind, indem dann die Kraͤfte, welche ſie in die Richtung dieſer Ebne
bringen ſollten, offenbar auf beide Enden der Axe gleich wirken
und daher nicht die — wie wir annehmen, — zur Zuruͤckwerfung
erforderliche Lage hervorbringen koͤnnen. Dagegen wenn die zweite
Spiegelflaͤche nicht die Stellung hat, welche die Wirkung auf beide
Enden der Axen der Lichttheilchen gleich macht, ſo werden einige
Theilchen reflectirt, deſto mehrere, je groͤßer die Abweichung der
Reflexions-Ebne von jener vorhin angegebenen Lage iſt.


Biot nennt dieſe Polariſation die feſte oder bleibende
Polariſation
, weil die Lichttheilchen bei ihrem Fortgange eben
die Stellung der Axen behalten. Er nennt einen Lichtſtrahl in
Beziehung auf eine beſtimmte Ebne gewoͤhnlich polariſirt, wenn
die Lichttheilchen ihre Axen in dieſer Ebne haben, ungewoͤhn-
[331]lich in Beziehung auf dieſe Ebne polariſirt iſt er, wenn die Pola-
riſations-Axen der Lichttheilchen ſenkrecht auf dieſe Ebne ſind.


Eigenſchaften des Agats und Turmalins.


Einige Mineralien haben die Eigenſchaft, indem ſie das Licht
durchlaſſen, es zu polariſiren, und dasjenige Licht, welches ſchon
dieſer Polariſirung entſprechend ankoͤmmt, durchzulaſſen, dasjenige
dagegen, welches ſenkrecht auf jene Polariſations-Ebne, die dem
Koͤrper angemeſſen iſt, polariſirt ankoͤmmt, gar nicht durchzulaſſen.
Der Agat iſt ein ſolches Mineral, indem er, ſenkrecht auf ſeine
Schichtungen geſchnitten, das Licht großentheils in Beziehung auf
dieſe Oberflaͤche gewoͤhnlich polariſirt, und einen ſchon ſo polariſirt
ankommenden Strahl recht gut, einen auf dieſe Ebne ſenkrecht po-
lariſirten Strahl faſt gar nicht durchlaͤßt. Beim Turmalin zeigt
ſich dies noch auffallender. Wenn man Turmalinplatten mit der
Axe der prismatiſchen Saͤule, die der Turmalin als Cryſtall dar-
ſtellt, parallel ſchneidet, ſo wird, wenn man einen recht durchſich-
tigen Turmalin gewaͤhlt hat, das Licht gut durchgelaſſen. Haͤlt
man eine zweite eben ſo geſchnittene Platte der erſten parallel und
zugleich ſo, daß in beiden die der Cryſtall-Axe parallelen Linien
gleiche Lage haben, daß die im Cryſtall mit der Axe parallelen Li-
nien auch jetzt wieder parallel werden, ſo geht das Licht gut genug
durch beide Platten; dagegen wenn man die eine Platte ſo dreht,
daß ihre Ebne zwar immer noch der andern parallel bleibt, aber
jene Axenrichtung in der einen nun ſenkrecht gegen die Axenrichtung
in der andern wird, ſo wird das durchgehende Licht in hohem
Grade geſchwaͤcht, ja bei hinreichender Dicke der Platten gaͤnzlich
verdunkelt. Biot, der dieſe Eigenſchaft genauer unterſucht hat,
bemerkt, daß ein aus dem Turmalin ſo geſchnittenes Prisma, daß
die Kanten mit der Axe parallel ſind, durch den duͤnneren Theil
des Prisma's die Gegenſtaͤnde doppelt zeigt, daß dagegen, wenn
man denſelben hellen Gegenſtand durch den dickern Theil betrachtet,
das eine Bild verſchwunden iſt. Die durch den dickern Theil ge-
gangenen Strahlen ſind ſenkrecht gegen die Axe des Cryſtalles oder
gegen die Kanten des Prisma's polariſirt oder ſie ſind die unge-
woͤhnlich gebrochenen, ſtatt daß die gewoͤhnlich gebrochenen eine
dickere Schichte nicht zu durchdringen vermoͤgen. Hieraus erklaͤrt
[332] ſich nun leicht, warum die durch eine erſte Platte von nicht zu ge-
ringer Dicke durchgegangenen Strahlen eine zweite nicht durchdrin-
gen, wenn die Axenrichtung der zweiten ſenkrecht auf die der erſten
iſt, indem die aus der erſten hervorkommenden Lichttheilchen
ſaͤmmtlich diejenige Stellung haben, die um die zweite zu durch-
dringen die unguͤnſtigſte iſt. Und ſo wie hier die Wirkung der
zweiten Platte, ob ſie das Licht durchlaͤßt oder nicht durchlaͤßt, durch
die Richtung der in der erſten Platte erlangten Polariſirung be-
ſtimmt wird, ſo geſchieht es auch bei andern polariſirten Strahlen;
iſt die Ebne, in welcher ſie polariſirt ſind, ſenkrecht auf die Axe,
ſo werden ſie durchgelaſſen, iſt ſie mit der Axe parallel, ſo werden
ſie nicht durchgelaſſen, wofern die Dicke nicht zu geringe iſt. Jene
Axe der Cryſtalle iſt, wie hieraus ſchon von ſelbſt erhellt, die Axe
doppelter Brechung; und wenn man in einer Turmalinplatte ihre
Lage kennt, ſo dient die Platte, um ſogleich bei einem polariſirten
Strahle die Richtung der Polariſation kennen zu lernen. Iſt ein
Strahl nicht gaͤnzlich in einerlei Richtung polariſirt, es iſt aber
doch die Anzahl der nach einer gewiſſen Richtung polariſirten
Theilchen vorwaltend, ſo bemerkt man, indem man ihn durch die
Turmalinplatten gehen laͤßt, waͤhrend man dieſe dreht, eine Schwaͤ-
chung des Lichtes, die bei einer Stellung am bedeutendſten iſt, und
eine Verſtaͤrkung des Lichtes, die in der auf jene Stellung ſenkrech-
ten Stellung am beſten hervortritt. Auf dieſe Weiſe kann man
daher, wie Arago es von gluͤhenden Koͤrpern gezeigt hat, nach-
weiſen, wo etwas polariſirtes Licht ſich mit dem uͤbrigen Lichte
miſcht.


Erklaͤrung der Polariſirung nach der Undulations-
theorie.


Bei der Erklaͤrung aller Erſcheinungen, die nicht von Pola-
riſation abhaͤngen, blieb die Undulationstheorie dem Grundſatze
getreu, das Licht als dem Schalle analog anzuſehen, bei den Vi-
brationen nicht bloß eine kugelfoͤrmige Ausbreitung der Wellen an-
zunehmen, ſondern auch die Vibrationsbewegung der einzelnen
Theilchen als ſenkrecht auf dieſe Wellenſchichten vorauszuſetzen. In
Beziehung hierauf konnte man von einem verduͤnnten Aether in der
einen Haͤlfte der Welle, von einem verdichteten in der andern Haͤlfte
[333] reden, und das Entſtehen der Interferenzen nach den Geſetzen,
wie ſie bei elaſtiſch fluͤſſigen Koͤrpern ſtatt finden muͤſſen, erklaͤren.
Aber die Erſcheinungen der Polariſation ließen ſich nach dieſen An-
ſichten nicht erklaͤren und Fresnel fand daher noͤthig, in Bezie-
hung auf ſie ganz andre Vorausſetzungen anzunehmen. Er be-
merkte, daß die bis dahin gehegte Meinung, es muͤſſe die Materie,
in welcher das Licht ſich fortpflanzt, ein elaſtiſches Fluidum ſein,
in welchem die an einander liegenden Theilchen unmittelbar ſich be-
ruͤhren, in welchem dieſe Theilchen ſich nach Verhaͤltniß des Druckes
zuſammendruͤcken laſſen, eine viel zu beſchraͤnkte ſei, und daß man
uͤber die Art der Vibrationen der Lichtwellen eine andre Vorſtellung
faſſen muͤſſe. Wenn die Vibrationen der Aethertheilchen nach der
Richtung des Strahles gehen, wie wir es mit gutem Grunde beim
Schalle annehmen, ſo iſt nicht einzuſehen, wie der Lichtſtrahl in
Beziehung auf die eine Seite andre Modificationen leiden koͤnne,
als in Beziehung auf die um einen rechten Winkel von jener abſte-
hende Seite; die Moͤglichkeit einer ſolchen Verſchiedenheit wird da-
gegen klar, wenn wir Quervibrationen vorausſetzen. Ohne jetzt
nach der Entſtehungs-Art dieſer Vibrationen zu fragen, iſt es aller-
dings einleuchtend, daß hier die verſchiedenen Seiten des Strahles
ungleich ſind, wenn wir zwar ein Fortgehen der Vibrationen von
einer Kugelſchichte auf die naͤchſte annehmen, die Vibrationen ſelbſt
aber als eine in der Kugelſchichte erfolgende Verſchiebung der Theil-
chen anſehen. Fresnel hat die Moͤglichkeit einer bei dieſer Quer-
richtung der Verſchiebung dennoch ſtatt findenden Fortpflanzung von
einer Kugelſchichte zur andern nachgewieſen, indem er folgendes be-
merkt: Wenn wir uns einzeln ſtehende Koͤrperchen, welche zu
einem Gleichgewichte gelangt ſind, denken, und ſie, um der leich-
tern Vorſtellung willen, als in parallele Schichten geordnet anſehen;
ſo koͤnnten die in einer Schichte liegenden und in dieſer Schichte
bleibenden nicht von ihrer Stelle weichen, ohne vermoͤge der nun
geaͤnderten Attractionen und Repulſionen auch in den Koͤrpern der
naͤchſten Schichte eine Aenderung der Lage hervorzubringen; — ſo
alſo werde eine einmal erregte Quervibration ſich von Schichte zu
Schichte fortpflanzen. Dieſe Bemerkung iſt richtig, aber ſie hebt
nur den Zweifel nicht, warum denn nicht noch weit mehr die in
derſelben Schichte liegenden Theilchen ihren ſeitwaͤrts liegenden Nach-
[334] barn alle dieſe Bewegung auch mittheilen, warum der durch eine
kleine Oeffnung eindringende Strahl nach der Richtung des
Strahles, welche ſenkrecht auf jene Quervibrationen iſt, die ſtarken
Wirkungen der Erleuchtung hervorbringt oder die Entſtehung neuer
gleich ſtarker Quervibrationen zur Folge hat, ſtatt daß ſeitwaͤrts
nur die kaum merklichen Phaͤnomene der Beugung des Lichtes
ſtatt finden, in den Gegenden, wohin die Ausweichungen der
Aethertheilchen grade gerichtet ſind, und, wie es ſcheint, grade die
ſtaͤrkſte Wirkung hervorbringen muͤßten.


Nach Fresnel's Vorſtellung ſollen wir uns nun dieſe Aus-
weichungen der einzelnen Theilchen im unpolariſirten Strahle als
nach verſchiedenen Richtungen in ſo ſchneller Folge eintretend den-
ken, daß keine einzelne Richtung der Vibrationen den Vorzug vor
der andern hat; im polariſirten Strahle hingegen ſind dieſe Quer-
vibrationen nur nach einer Richtung da, und die Veraͤnderung,
welche der Strahl bei der Polariſation leidet, beſteht alſo darin,
daß die in unendlich ſchneller Folge wechſelnden Richtungen der
Vibrationen in den unpolariſirten Strahlen hier dagegen in immer
gleiche Richtungen gebracht werden, daß da, wo zwei Strahlen bei
der doppelten Brechung hervorgebracht werden, durch eine Zerle-
gung nach zwei auf einander ſenkrechten Richtungen, die Vibra-
tionen des einen Strahles in einer durch ſeine Richtung und die
Richtung der Axe gehenden Ebne vorgehen, die des andern Strahles
in einer Ebne ſenkrecht auf die durch die Richtung des Strahles
und der Axe gelegte Ebne. Dieſe feſtbeſtimmte Richtung der Trans-
verſalvibrationen, oder die Zerlegung der mannigfaltigen Vibratio-
nen in ſolche, die nur eine oder die andre conſtante Richtung be-
folgen, kann durch die Brechung (ſo behauptet Fresnel) allemal
hervorgebracht werden, ſowohl wenn die ungleiche Geſchwindigkeit
der Strahlen, als wenn die Neigung der Wellen gegen eine Ebne
es fordert.


Hat man nun dieſe Vorausſetzungen angenommen, ſo ſind
freilich mehrere Erſcheinungen als leichte Folgerungen anzuſehen.
Der polariſirte Strahl hat nun wirklich zwei Seiten in der Rich-
tung der Quervibrationen, die ganz verſchieden von den um 90 Gr.
davon entfernten Seiten ſind. Die entgegengeſetzt polariſirten,
das heißt, in auf einander ſenkrechten Ebnen polariſirten Strahlen
[335] geben keine Interferenzen mehr mit einander, (wie Fresnel
durch Verſuche gefunden hat,) weil dieſe ſo weſentlich verſchiedenen
Vibrationen nicht verſtaͤrkend und ſchwaͤchend auf die von der
Differenz der Wege abhaͤngige Weiſe auf einander einwirken koͤn-
nen; gleich polariſirte Strahlen zeigen dagegen die Interferenzen,
weil hier Hingang und Ruͤckgang der Theilchen zuſammen treffen
oder einander grade entgegengeſetzt ſein koͤnnen, und dies offenbar
der Differenz der Wege entſprechend. Um die Interferenz bei un-
polariſirten Strahlen zu erklaͤren, iſt es offenbar zureichend, die
Wechſel in der Richtung der Vibrationen als eine regelmaͤßige Folge
beobachtend anzuſehen, wo dann allerdings, wenn in zwei Strahlen
an beſtimmtem Orte die Richtung der Vibration einmal zuſam-
menſtimmt, dieſes unaufhoͤrlich der Fall ſein wird, und dagegen
wenn die Laͤnge der Wege um eine halbe Wellenlaͤnge (das heißt,
um den Zwiſchenraum, der die Transverſalverſchiebungen, welche
einander grade entgegengeſetzt ſind, trennt,) verſchieden ſind, ſo
entſteht die zerſtoͤrende Interferenz.


Dieſe allerdings ſcharfſinnige, aber gewiß auch hoͤchſt ver-
wickelte Auskunft uͤber die den Polariſations-Erſcheinungen ent-
ſprechende Beſchaffenheit der Lichtwellen hat Cauchy neuerlich
durch eine theoretiſche Unterſuchung zu beſtaͤtigen geſucht. Die
kurze Anzeige, die er ſelbſt von ſeiner Unterſuchung macht, reicht
nicht hin, um dieſe Unterſuchung ganz zu uͤberſehen, und reicht
noch weniger hin, um zu beurtheilen, ob denn die Vorausſetzungen,
aus welchen er faſt genau alles das, was die Erfahrung ergiebt,
herleitet, Beifall verdienen. Er ſetzt keine nach der Natur fluͤſſiger
Koͤrper bedingte Verbindung der einzelnen Theilchen derjenigen
Materie, in welcher das Licht ſich fortpflanzt, voraus, ſondern
ſucht die Bewegungen zu beſtimmen, die bei getrennten, durch
Attraction und Repulſion auf einander wirkenden Theilchen ent-
ſtehen koͤnnen. Daß hier nun zuerſt die Folgerung hervorgeht,
eine anfaͤngliche, auf einen ſehr kleinen Raum beſchraͤnkte Bewe-
gung einiger Theilchen werde im Fortgange der Zeit eine auf die
entlegnern Theilchen ſich fortpflanzende entſprechende Bewegung
hervorbringen, die in jedem Momente in Erſchuͤtterung geſetzten
Theilchen werden in einer beſtimmten Flaͤche liegen, und dieſe
Welle werde fortſchreitend zu den benachbarten Theilchen uͤbergehen,
[336] laͤßt ſich wohl uͤberſehen. Aber ſchwieriger iſt es, den Grund ein-
zuſehen, warum, wenn dieſe Verſchiebungen der Theilchen in einer
Ebne liegen, eine Theilung dieſer Welle in drei Wellen (eigentlich
ſechs, deren zwei und zwei gleiche entgegengeſetzte Richtungen
haben,) eintreten ſoll, deren jede eine verſchiedene Geſchwindigkeit
beſitzt. Nimmt man dies als richtig an, ſo laͤßt ſich wieder einſe-
hen, daß unter gewiſſen Umſtaͤnden die Zahl dieſer Strahlen oder
Wellenſyſteme ſich auf zwei oder einen Strahl reduciren kann. Sind
die anfaͤnglichen Verſchiebungen der Theilchen zwar in einer Ebne,
aber nach allen moͤglichen Richtungen in derſelben wechſelnd, ſo
ſoll ſich aus dieſer Theorie ergeben, daß die entſtehenden drei Strah-
len eine Polariſirung ganz in dem von Fresnel angenommenen
Sinne haben, und daß jeder dieſer Strahlen bei der Fortpflanzung
in einem ſich gleichen elaſtiſchen Mittel nun keine neue Spaltung
mehr leidet, u. ſ. w. Die ferneren Folgerungen findet Cauchy den
Erfahrungen uͤber die doppelte Brechung ſehr entſprechend und Fres-
nel
's Vorſtellung von Quervibrationen gerechtfertigt; es koͤmmt
aber hier alles darauf an, daß zuerſt die Gruͤnde der allgemeinen Un-
terſuchung deutlicher entwickelt, dann die beſchraͤnkenden Voraus-
ſetzungen uͤber die Geſetze der Wirkſamkeit der hier thaͤtigen Kraͤfte
gepruͤft werden, und endlich die Frage vollſtaͤndig entſchieden werde,
ob in einer Rechnung, wo man allerdings manche Glieder der For-
meln, ihrer Kleinheit wegen, wird weglaſſen duͤrfen, nicht eine zu
große Willkuͤr in dieſer Hinſicht, dadurch aber Unſicherheit der gan-
zen Schlußfolge eintrete.


Ich breche dieſe verwickelten Betrachtungen ab, die freilich
bei ſo mannigfaltigen und wunderbaren Eigenſchaften des Lichtes
vielleicht nicht einfacher aufgefaßt werden koͤnnen, die aber doch den
Vorwurf, auf willkuͤrliche Vorausſetzungen gegruͤndet zu ſein, wohl
nicht ablehnen koͤnnen, und daher den Vorzug groͤßerer Einfachheit
vor der Emanationstheorie nicht mehr zu behaupten ſcheinen.


[337]

Achtzehnte Vorleſung.


Die Verſuche uͤber die Polariſirung des Lichtes, welche ich
Ihnen, m. H., neulich erklaͤrte, bieten zwar viel Unerwartetes und
Ueberraſchendes dar, aber ſie werden von den jetzt anzugebenden bei
weitem uͤbertroffen durch die glanzvollen Farben-Erſcheinungen,
welche ſich, gleichfalls durch die Polariſation hervorgebracht, dar-
ſtellen laſſen. Um an das Vorige anzuknuͤpfen, will ich Sie daran
erinnern, daß der vom erſten Spiegel unſers Inſtrumentes (Fig.
141.
) zuruͤckgeworfene, vollkommen polariſirte und eben deswegen
fuͤr die Reflexion aus dem zweiten Spiegel unfaͤhig gewordene
Strahl, die Faͤhigkeit zuruͤckgeworfen zu werden, durch einen Dop-
pelſpath, welchen er durchbringen mußte, wieder erhalten konnte.
Hielten wir einen doppelt brechenden Cryſtall in den Weg des vom
erſten zum zweiten Spiegel uͤbergehenden Strahles, ſo daß der
Strahl die natuͤrlichen Oberflaͤchen des Cryſtalles ſenkrecht traf, und
richteten wir unſer Auge auf den zweiten Spiegel in der gehoͤrigen
Richtung; ſo ſahen wir im zweiten Spiegel das vom erſten Spie-
gel reflectirte Licht weißer Wolken hell hervortreten, wenn der
Hauptſchnitt des Cryſtalles ſchief gegen die erſte Reflexions-Ebne
geneigt war, und wieder in Dunkelheit verſchwinden, wenn jener
Hauptſchnitt mit der erſten Reflexions-Ebne parallel oder auf ſie
ſenkrecht war. Daß etwas Aehnliches auch bei andern doppelt bre-
chenden Cryſtallen erfolgen wird, laͤßt ſich erwarten; aber unter
gewiſſen Umſtaͤnden tritt dieſes Wiedererſcheinen des zweimal zu-
ruͤckgeworfenen Strahles, dieſe Depolariſirung deſſelben, mit ſchoͤnen
Farben hervor.


Depolariſirung einiger Farbenſtrahlen.


Wenn man blaͤtterigen Gyps, Frauen-Eis, Selenit, ein
Mineral, das ſich in ſehr feine, voͤllig durchſichtige und farbenloſe
Blaͤtter zertheilen laͤßt, in ſehr duͤnnen Blaͤttern dem aus dem erſten
Spiegel zuruͤckgeworfenen polariſirten Strahle ſenkrecht darbietet,
II. Y
[338] und das Auge in der gehoͤrigen Stellung auf den zweiten Spiegel
richtet, ſo bemerkt man in vier Stellungen jenes Blattes ein Ver-
ſchwinden des Bildes, in allen dazwiſchen liegenden Stellungen da-
gegen iſt es ſchoͤn gefaͤrbt ſichtbar, und die Farben ſind faſt bei
jedem andern Blaͤttchen andre. Dieſer blaͤtterige Gyps iſt ein dop-
pelt brechendes Mineral; es beſteht aus prismatiſchen Cryſtallen,
deren Grundflaͤche ein ſchiefwinkliches Parallelogramm iſt, und die
zwei Axen doppelter Brechung liegen in der Grundflaͤche ſelbſt, das
iſt, in der Ebne der Blaͤttchen, die wir mit ziemlich leichter Muͤhe
abloͤſen, und die gern die Form jenes ſchiefen Parallelogrammes
annehmen, welche als eigentliche Cryſtallform dieſer Blaͤttchen an-
zuſehen iſt. Die Mittellinie zwiſchen beiden Axen macht nach
Biot's Beſtimmung einen Winkel von 16¼ Grad mit der einen
Seite des Parallelogrammes, und dieſe Mittellinie iſt es, die wir
hier vorzuͤglich zu beachten haben. Immer bleiben unſre duͤnnen
Cryſtalltafeln ſenkrecht auf die Richtung des polariſirten Strahles,
aber wir geben ihnen, indem wir ſie, ohne ſie von der ſenkrechten
Stellung zu entfernen, drehen, mannigfaltig verſchiedene Lagen.
Sieht man dann, ohne den zweiten Spiegel anzuwenden, durch
das Gypsblaͤttchen von O her in den erſten Spiegel, ſo nimmt
man das Bild der weißen Wolken (denn von dieſen laͤßt man hier
am liebſten Licht auffallen, weil die Farbe der Flamme ſtoͤrend iſt,)
hell und ohne Faͤrbung wahr; bringt man aber den zweiten Spiegel
wieder in diejenige Stellung, wo er die polariſirten Strahlen nicht
zuruͤckwarf, und ſucht das Bild der glaͤnzenden Wolken, welches
vom erſten Spiegel her im zweiten ſichtbar ſein ſollte, auf; ſo er-
ſcheint dieſes erſtlich hoͤchſt dunkel, faſt gar nicht, wenn jene Mit-
tellinie des Blaͤttchens in der Ebne der erſten Reflexions-Ebne
liegt, dagegen zweitens tritt dieſes Bild immer heller und heller,
und mit einer ſich immer glaͤnzender zeigenden Farbe hervor, wenn
man jene Mittellinie von der erſten Reflexions-Ebne entfernt, bis
ſie bei 45° Entfernung den groͤßten Glanz erreicht; von da an
nimmt der Glanz ab, und — drittens — bei der Entfernung =
90° iſt wieder Dunkelheit da. Dieſelben Erſcheinungen zeigen ſich
in allen Quadranten gleich, ſo daß bei 0°, 90°, 180°, 270°,
Dunkelheit ſtatt findet oder dem Strahle die Eigenſchaft vom zwei-
ten Spiegel reflectirt zu werden nicht wieder ertheilt wird, bei 45°,
[339] 135°, oder in der Mitte jedes Quadranten, dieſe Polariſirung am
vollkommenſten aufgehoben, aber ſo aufgehoben wird, daß das
weiße Licht der Wolken farbig erſcheint. Hat man ein vollkommen
gleiches Blaͤttchen des blaͤtterigen Gypſes erhalten, ſo iſt dieſe Farbe
in allen Theilen deſſelben gleich; ſobald aber eine Ungleichheit der
Dicke ſtatt findet, ſo zeigen die ungleich dicken Theile ungleiche
Farben, die ihre Ungleichheit bei jener Drehung beibehalten, in den
Stellungen aber, wo die Polariſirung nicht geſtoͤrt wird, alle in
voͤlliges Dunkel zuruͤckgehen. Dreht man den zweiten Spiegel,
waͤhrend er auf den Polariſationswinkel geſtellt bleibt, um 90
Grade fort, ſo daß er faͤhig wird, das in der Richtung der erſten
Zuruͤckwerfungs-Ebne polariſirte Licht zuruͤckzuwerfen; ſo ſieht man
farbenloſes Licht, wenn des Gypsblaͤttchens Hauptlinie parallel oder
ſenkrecht gegen die erſte Zuruͤckwerfungs-Ebne iſt, dagegen er-
ſcheint die Ergaͤnzungsfarbe zu der bei der vorigen Stellung beobach-
teten Farbe, wenn man die Mittellinie des Blaͤttchens geneigt
gegen jene Ebne ſtellt, und dieſe Farbe iſt am glaͤnzendſten, wenn
die Neigung 45° iſt. War alſo bei der vorigen Stellung des
Spiegels ein ſchoͤnes gelbliches Gruͤn die Farbe des Blaͤttchens, ſo
erſcheint es bei der neuen Stellung des Spiegels im ſchoͤnſten, tie-
fen Violett oder Purpur, und auf gleiche Weiſe ſtehen in andern
Faͤllen ſich die Farben ergaͤnzend gegenuͤber. In den Mittelſtellun-
gen des Spiegels findet ein Uebergang durch farbenloſes Weiß von
einer Farbe zur andern ſtatt.


Wenn man ſich ſtatt des zweiten an der Ruͤckſeite geſchwaͤrz-
ten Spiegels eines durchſichtigen Glaſes, aber in den richtigen Po-
lariſationswinkel und ſo geſtellt, daß die polariſirten Strahlen nicht
zuruͤckgeworfen werden, bedient, ſo ſieht man durch Spiegelung in
dieſem zweiten Glaſe noch die vorigen Erſcheinungen; haͤlt man
aber das Auge in O, um die durchgehenden Strahlen zu empfan-
gen, ſo ſieht man das Bild der weißen Wolken weiß, wenn die
Zuruͤckwerfung aufhoͤrt (bei der Stellung der Platte in 0°, 90°,
180°, 270°,); dagegen erſcheint das Bild der Wolken farbig,
und zwar mit derjenigen Farbe, welche der durch Spiegelung geſe-
henen als Ergaͤnzungsfarbe zugehoͤrt, wenn die Stellung des Gyps-
blaͤttchens eine mittlere iſt. Die Stellung des zweiten Spiegels in
ſeine zwei Hauptſtellungen bringt beim durchgelaſſenen Lichte eben
Y 2
[340] das Hervorgehen der Complementaͤrfarben hervor, wie beim zuruͤck-
geworfenen Lichte, aber immer auf die entgegengeſetzte Weiſe.
Das hier erſcheinende durchgelaſſene Licht iſt zwar immer nur
wenig gefaͤrbt, weil das geſammte reflectirte Licht doch nur einen
geringen Theil des vorhandenen Lichtes ausmacht, das durchgegan-
gene Licht alſo viel weiße Strahlen enthaͤlt; aber die Faͤrbung iſt
deutlich genug, um den neulich ſchon ausgeſprochenen Satz zu be-
ſtaͤtigen, daß da, wo gar kein Licht reflectirt wird, alles Licht durch-
geht, ſtatt daß hier in dem Falle da ein Antheil gruͤnen Lichtes re-
flectirt wird, ſich in dem durchgehenden ein deutlicher Ueberſchuß
an violettem Lichte zeigen muß, und wo violettes Licht zuruͤckge-
worfen wird, das durchgelaſſene Licht gruͤnlich iſt.


Um dieſe auffallende Erſcheinung, daß das farbenloſe Gyps-
blaͤttchen farbig wird, genauer kennen zu lernen, wollen wir noch
folgenden Verſuch anſtellen. Wenn man den zweiten Spiegel
wegnimmt und an deſſen Stelle einen Doppelſpath, deſſen gegen
FI gekehrte Flaͤche bedeckt iſt und nur durch ein einziges Loͤchelchen
dem Lichtſtrahle Zutritt laͤßt, ſo befeſtigt, daß der vom erſten
Spiegel kommende Strahl ſeine Oberflaͤche ſenkrecht trifft; ſo ſieht
man, das Gypsblaͤttchen mag ganz fehlen oder ſeine Hauptlinie
mag mit der erſten Reflexions-Ebne parallel oder auf ſie ſenkrecht
ſein, auch durch den Doppelſpath keine farbigen Bilder. Jenes
eine Loͤchelchen naͤmlich erſcheint in den eben angefuͤhrten drei Faͤllen
einfach, wenn der Hauptſchnitt des Cryſtalles parallel mit der erſten
Zuruͤckwerfungs-Ebne oder auf ſie ſenkrecht iſt; es erſcheint dop-
pelt, wie wir es beim Doppelſpath gewohnt ſind, aber ohne Faͤr-
bung, wenn der Hauptſchnitt eine ſchiefe Stellung gegen jene Ebne
hat. Aber dieſe Farbenloſigkeit hoͤrt ſogleich auf, wenn das Gyps-
blaͤttchen eine andre Stellung, verſchieden von jenen beiden Stel-
lungen hat, und am beſten treten die Farben der Bilder auch in
dieſem Falle hervor, wenn die Hauptlinie des Blaͤttchens, das iſt,
die Mittellinie zwiſchen ſeinen Axen, 45° gegen jene Zuruͤckwer-
fungs-Ebne geneigt iſt. Bleibt hier noch immer der Doppelſpath
an der Stelle des zweiten Spiegels, und empfaͤngt er das Licht
durch ein einziges in der Bedeckung ſeiner Vorderſeite gemachtes
Loͤchelchen; ſo ſieht man nun bei jeder Stellung des Doppelſpathes
ein doppeltes Bild, das aber ſeine Farben bei ungleicher Stellung
[341] des Doppelſpaths aͤndert. Ich nehme an, daß, wie in dem vor-
hin erwaͤhnten Falle, das Gypsblaͤttchen ein gelbliches Gruͤn
bei der einen Stellung des Spiegels, ein Purpur bei der andern
Stellung zeigte; ſo ſieht man im Doppelſpath die beiden Bilder
mit eben dieſen Farben erſcheinen, wenn der Hauptſchnitt des Dop-
pelſpaths parallel mit der erſten Zuruͤckwerfungs-Ebne oder ſenk-
recht gegen ſie iſt, dagegen weiß bei der genau mittleren Stellung;
in den Lagen, die zwiſchen 0° und 45° liegen, und ebenſo zwiſchen
45° und 90° wird die Faͤrbung deſto ſchwaͤcher, je naͤher der
Cryſtall die genaue mittlere Stellung erreicht. Aber obgleich die
beiden Bilder die Farben Gruͤn und Violett immer wieder zeigen,
ſobald die Stellung des Doppelſpaths von der Mittellage abweicht,
ſo iſt doch nicht immer daſſelbe Bild gruͤn und das andre violett,
ſondern dasjenige, welches gruͤn war zwiſchen 0° und 45°, wird
violett zwiſchen der Stellung von 45° und 90°.


Ich fuͤrchte, daß dieſe Eroͤrterung einzelner Faͤlle Ihnen er-
muͤdend ſcheinen kann, aber dennoch noͤthigt mich die große Merk-
wuͤrdigkeit der hier ſtatt findenden Erſcheinungen, noch etwas laͤnger
bei dieſen Gegenſaͤtzen zu verweilen; damit ich aber die Ueberſicht
erleichtere, will ich die Betrachtung der einzelnen Faͤlle mit den
fruͤhern Betrachtungen in Verbindung ſetzen. Sie erinnern ſich,
daß der aus dem erſten Spiegel kommende, vollkommen polariſirte
Strahl ganz einem im Doppelſpathe gewoͤhnlich gebrochenen
Strahle glich, wenn des Doppelſpaths Hauptſchnitt der Zuruͤck-
werfungs-Ebne parallel iſt. So lange das Cryſtallblaͤttchen die-
jenige Lage hat, bei welcher die Art der Polariſirung des Strahles
ungeaͤndert bleibt, wo naͤmlich die Mittellinie beider Axen, die
hier die Stelle des Hauptſchnittes vertritt, parallel mit der Zuruͤck-
werfungs-Ebne oder ſenkrecht auf ſie iſt, bringt die Gegenwart
dieſes Gypsblaͤttchens keine Wirkung hervor, — das Bild des
weißen Himmels erſcheint am dunkelſten im zweiten Spiegel bei
der Stellung auf 90° und vollkommen hell bei 0° oder 180°, der
vom Doppelſpath durchgelaſſene Strahl iſt einfach, keiner Spal-
tung unterworfen, wenn ſein Hauptſchnitt in 0°, 90°, 180°, ge-
richtet iſt, dagegen doppelt bei den dazwiſchen liegenden Stellungen.
Dagegen wenn deſ Gypsblaͤttchens Hauptlinie auf 45° gerichtet iſt,
ſo iſt der Lichtſtrahl theilweiſe depolariſirt, und die Erſcheinung iſt
[342] nur darin von derjenigen verſchieden, die ein dickerer doppelt bre-
chender Koͤrper darbietet, daß die einzelnen Farbenſtrahlen eine un-
gleiche Depolariſirung erleiden. Um bei unſerm Blaͤttchen, dem
die Farben Gruͤn und Purpur angehoͤrten, zu bleiben, muͤſſen wir
hier ſagen, die gruͤnen Strahlen haben ihre Polariſirung verlohren,
die Purpurſtrahlen haben ſie behalten, daher werden jene nun aus
dem zweiten Spiegel, der die in der Richtung der erſten Reflexions-
Ebne polariſirten Strahlen nicht zuruͤckgab, (bei der Querſtellung
ſeiner Reflexions-Ebne,) zuruͤckgeworfen, und die andern hingegen,
die Purpurſtrahlen, werden da zuruͤckgeworfen (bei der Parallel-
ſtellung ſeiner Reflexions-Ebne,) wo die polariſirten Strahlen re-
flectirt wurden. Es folgt aber noch mehr hieraus, naͤmlich daß
die eine Art von Strahlen, in unſerm Beiſpiel die gruͤnen, eine
neue Polariſirung ſenkrecht auf die vorige erhalten haben, und des-
wegen da nicht reflectirt werden, wo die Purpurſtrahlen zuruͤckge-
worfen werden. Das Durchſehen durch einen Doppelſpath, den
man an die Stelle des zweiten Spiegels bringt, um durch ihn grade
in den erſten Spiegel zu blicken, ergiebt eben das. Wenn man
auf ihn das Licht durch eine kleine Oeffnung auffallen laͤßt, ſo wird
es in zwei Strahlen zerlegt, aber dieſe erſcheinen nicht in allen Stel-
lungen mit gleichen Farben. Die gruͤnen Strahlen ſind jetzt nicht
mehr in der Richtung der erſten Reflexions-Ebne, ſondern auf ſie
ſenkrecht polariſirt, ſie leiden alſo, wenn der Doppelſpath ſeinen
Hauptſchnitt in jener Ebne hat, (auf 0°) die ungewoͤhnliche Bre-
chung, ſtatt daß die Purpurſtrahlen als in jener Ebne polariſirt,
den gewoͤhnlich gebrochenen Strahl geben; dreht man den Doppel-
ſpath um 90°, ſo haben ſich die Farben vertauſcht, weil der in der
erſten Zuruͤckwerfungs-Ebne polariſirte Purpurſtrahl nun der un-
gewoͤhnlich gebrochene Strahl iſt; dieſer Uebergang vom Gruͤn zum
Purpur, dem ein entgegengeſetzter Uebergang des andern Strahles
entſpricht, findet dadurch ſtatt, daß beide Bilder weiß erſcheinen,
wenn der Doppelſpath die Mittelſtellung hat, und ſo muß es ſein,
weil der Doppelſpath dann eben ſo viele Lichttheile aus dem nach
der einen Richtung polariſirten Purpurſtrahle als aus dem nach
der darauf ſenkrechten Richtung polariſirten gruͤnen Strahle in dem
gewoͤhnlich gebrochenen Strahle, und ebenſo auch in dem unge-
woͤhnlich gebrochenen Strahle, vereinigt. Und hier laͤßt ſich nun
[343] auch entſcheiden, welches der ungewoͤhnlich gebrochene Strahl iſt.
Wenn die Richtung des aus dem erſten Spiegel kommenden Strah-
les AB (Fig. 144.) ziemlich nahe horizontal iſt, das Gypsblaͤttchen
auf 45° ſteht, der Doppelſpath mit ſeinem Hauptſchnitte der erſten
Reflexions-Ebne parallel ſteht und dieſe vertical iſt; ſo wiſſen Sie,
daß BO der gewoͤhnliche, BE der ungewoͤhnliche Strahl iſt, daß
alſo der gewoͤhnliche der untere iſt, wenn die Axe GH des Cryſtal-
les von oben nach unten gegen den Beobachter P zu geht, und
dieſer gewoͤhnlich gebrochene Strahl muß alſo in unſerm Falle Pur-
pur darſtellen, wenn es gegruͤndet iſt, daß der in der erſten Re-
flexions-Ebne polariſirt bleibende Strahl mit dem gewoͤhnlich gebro-
chenen Strahle des ſo geſtellten Doppelſpathcryſtalls uͤbereinſtimmt.
Die Erfahrung ſtimmt hiemit voͤllig uͤberein, und es verſteht ſich
daher, daß das untere Bild das gruͤne iſt, wenn der Cryſtall die
Lage (Fig. 145.) erhaͤlt, wo alle Buchſtaben eben die Bedeutung
behalten.


Beſtimmung der Farbe nach der Dicke des Gyps-
blaͤttchens.


Ich verweile jetzt nicht bei den Erſcheinungen, die ein in
andre Stellungen gegen die erſte Reflexions-Ebne gebrachtes Gyps-
blaͤttchen hervorbringt, indem die Mannigfaltigkeit der Erſcheinun-
gen zu groß iſt, um hier umſtaͤndlich erklaͤrt zu werden; dagegen
muß ich bei dem Geſetze, nach welchem ſich die Entſtehung der Ver-
ſchiedenheit der Farben richtet, nothwendig verweilen. Und hiebei
bietet ſich die auffallendſte Uebereinſtimmung derjenigen Farben, die
wir hier beobachten, mit denen, die Sie in den Newton'ſchen Far-
benringen kennen gelernt haben, dar. Biot hat die Dicke vieler
Blaͤttchen ſorgfaͤltig abgemeſſen und gefunden, daß die Farben,
welche der Polariſation entzogen werden, genau in eben dem Zu-
ſammenhange mit dem Verhaͤltniß der Dicken der Blaͤttchen ſtehen,
wie die Farben der durch Zuruͤckwerfung entſtehenden Newton'ſchen
Ringe mit den Dicken der Luftſchichten. Nach Biot's Verſuchen
war es zum Beiſpiel ein Blaͤttchen von 82 Tauſendteln eines Mil-
limeters (ungefaͤhr 3 Tauſendtel Zoll), welches das Blau des erſten
ſchoͤnen Farbenringes gab, und es fand ſich nun in allen Faͤllen
beſtaͤtigt, daß ein doppelt ſo dickes Blaͤttchen eben die Farbe Orange
[344] des zweiten ſchoͤnen Farbenringes) gab, die man bei Newton's
Farbenringen da erhaͤlt, wo die Luftſchichte doppelt ſo dick iſt, als
bei jenem Blau; oder allgemein, daß man das Verhaͤltniß der
Dicke eines zweiten Blaͤttchens zu jenem erſten nur zu kennen
brauchte, um die der Polariſirung entzogene Farbe zu beſtimmen,
welche immer diejenige war, die dem Verhaͤltniſſe der Dicken der
Luftſchichten bei Newton's Verſuchen entſpricht. Nach Newton
iſt 14 die Dicke der Luftſchichte fuͤr jenes Blau, und dieſe Zahl nimmt
alſo eben die Stelle ein, wie 82 Tauſendtel Millimeter bei Biot's
Verſuchen; 21 iſt die Zahl, die bei Newton dem Purpur des
naͤchſten Ringes entſpricht, alſo 123 als Dicke der Blaͤttchen gaͤbe
eben dieſes Purpur in den Biot'ſchen Verſuchen; 28 iſt bei
Newton dem Orange deſſelben naͤchſten Ringes entſprechend,
alſo 164 muß eben die Farbe bei Biot geben; 35 dort und 205
hier muͤſſen das Gruͤn der folgenden Ordnung geben, und ſo
weiter. Und dieſes findet, nach Biot's Meſſungen, ſo ſtatt, daß
ſowohl ein einzelnes Blaͤttchen von dieſen Dicken, als mehrere, die
zuſammen dieſe Dicke haben, und mit parallelen Axen auf einan-
der gelegt werden, die hiernach berechneten Farben zeigen; weshalb
denn Gypsſtuͤckchen von ſehr bedeutender Dicke keine Farben mehr
zeigen, ſondern weißes Licht.


Biot's Theorie der beweglichen Polariſation.


Dieſe Farben ſtehen alſo mit den Anwandelungen in einer
ſehr nahen Beziehung, und dieſe Betrachtung hat Biot zu ſeiner
Theorie der beweglichen Polariſation gefuͤhrt. Es ſcheint naͤm-
lich ſich als unmittelbares Ergebniß der Erſcheinungen auszuſpre-
chen, daß zwar in einem dickeren Cryſtalle bei gehoͤriger Lage deſſel-
ben alle Farbenſtrahlen ihre Polariſation verlieren, daß dies aber
beim Durchgange durch ſehr duͤnne Schichten in Beziehung auf
jeden Farbenſtrahl bald geſchehen, bald wieder nicht geſchehen iſt,
alſo ein Wechſel der Polariſation, aͤhnlich dem Wechſel der Anwande-
lungen, ſtatt findet. Um bei einem Farbenſtrahle ſtehen zu bleiben,
wuͤrde man von dem von Biot angefuͤhrten blauen Farbenſtrahle
ſagen muͤſſen, daß er bei einer Dicke von 27 Tauſendteln des
Millimeters zum erſten Male, bei einer Dicke von 3 mal 27,
von 5 mal 27 zum zweiten Male, zum dritten Male der Polari-
[345] ſation entzogen werde, und fuͤr andre Strahlen nach dem Ver-
haͤltniſſe der ungleichen Laͤnge ihrer Anwandelungen eben dieſes ſtatt
finde; dagegen aber in Blaͤttchen von 54 oder 108 Tauſendteln
jener Farbenſtrahl am wenigſten der Depolariſirung unterwor-
fen ſei.


Dieſe Wechſel erklaͤrt Biot durch folgende Anſicht. Indem
die Lichttheilchen eines gleichartigen Farbenſtrahles den doppelt
brechenden Koͤrper erreichen, erlangen ſie, wenn ſie polariſirt waren,
eine oſcillirende Bewegung ihrer Axen, vermoͤge welcher dieſe, vorher
in einer beſtimmten Ebne liegenden, Axen nun in die Ebne des
Hauptſchnittes des Blaͤttchens gefuͤhrt, aber ferner eben ſo weit
uͤber dieſe hinaus gefuͤhrt werden, dann zu der Ebne jenes Haupt-
ſchnitts (der Mittellinie zwiſchen den beiden Axen des Blaͤttchens,)
zuruͤck und uͤber ihn hinaus bis zu der erſten Stellung gehen, und
ſo Oſcillationen um die Richtung des Hauptſchnittes in immer
gleicher Ausdehnung vollenden. Waͤhrend ein ſolcher Uebergang
von der anfaͤnglichen Lage der Axe eines Lichttheilchens bis zum
Aeußerſten jenſeits des Hauptſchnittes erfolgt, iſt das Lichttheil-
chen bis auf eine gewiſſe Tiefe eingedrungen, bei der Ruͤckkehr zur
anfaͤnglichen Polariſations-Ebne hat ſich dieſe Tiefe verdoppelt, beim
neuen Eintreffen in die ſchon einmal erreichte aͤußerſte Lage iſt die
dreifache Tiefe erreicht, und ſo weiter; das Lichttheilchen befindet
ſich alſo nach dem Eindringen zu der einfachen, dreifachen, fuͤnf-
fachen Tiefe in demſelben aͤußerſten Zuſtande der neuen Polariſation,
und nach dem zweifachen, vierfachen, ſechsfachen Eindringen wieder
in dem Zuſtande der urſpruͤnglichen Polariſation. Wenn alſo bei
einfarbigem gruͤnem Lichte, das ſo polariſirt war, daß es aus dem
zweiten Spiegel nicht zuruͤckgeworfen wurde, die Dicke des Blaͤtt-
chens grade einer ſolchen Periode entſpricht, ſo geht das Lichttheil-
chen in einer neuen Richtung polariſirt hervor, und die Ebne dieſer
Polariſation iſt doppelt ſo weit von der urſpruͤnglichen Polariſa-
tions-Ebne entfernt, als die Hauptlinie des Blaͤttchens von der-
ſelben entfernt iſt. Bei der von uns vorhin angenommenen Lage
der Hauptlinie in 45° Neigung, iſt alſo das Aeußerſte der Oſcilla-
tion = 90°, und das hervorgehende gruͤne Lichttheilchen wird
nun grade bei der Stellung des zweiten Spiegels vollkommen gut
reflectirt, bei welcher es vorhin gar nicht reflectirt wurde, und um-
[346] gekehrt, wenn man den zweiten Spiegel in die Stellung bringt,
wo vorhin die Zuruͤckwerfung des polariſirten Lichtes ſtatt fand,
ſo ſieht man nur Dunkel, weil jenes einfarbige Licht gaͤnzlich in
die neue Polariſirung uͤbergegangen iſt. Haͤtte das Blaͤttchen die
dreifache oder fuͤnffache Dicke, ſo ginge es genau eben ſo; bei der
zweifachen oder vierfachen Dicke dagegen faͤnde die fruͤhere Polari-
ſirung ſtatt, und der genau gleichartige Strahl wuͤrde keine Veraͤn-
derung zeigen.


Iſt das Licht von einer andern Farbe, ſo iſt, nach dem von
den Anwandelungen her bekannten Verhaͤltniſſe, die Tiefe, bis zu
welcher die Theilchen eindringen muͤſſen, eine andre; rothes Licht
zum Beiſpiel haͤtte nicht im vollen Maaße die einer vollendeten
Oſcillation aller Theilchen entſprechende neue Polariſation ange-
nommen, wenn die Platte den gruͤnen Strahlen entſprechend ge-
waͤhlt war, und die Erſcheinung des Roth wuͤrde daher minder
lebhaft ſtatt finden; — und ſo fuͤr jede andre Farbe wuͤrde eine
andre Dicke der Blaͤttchen erfordert werden, um die Erſcheinungen
den vollendeten Perioden entſprechend zu zeigen.


Laͤßt man das Licht weißer Wolken ſich im erſten Spiegel
polariſiren, ſo ſind es Lichttheilchen aller Farben, die das Gyps-
blaͤttchen erreichen. Hat nun das Blaͤttchen die Dicke, welche einem
ganzen Ausweichen oder einer vollendeten Oſcillation des Gruͤn ent-
ſpricht, ſo werden die Theilchen gruͤnen Lichtes genau und die dem
Gruͤn benachbarten Theile nahe genug in die neue Polariſations-
Ebne gebracht ſein; die rothen Strahlen dagegen und alle weit vom
Gruͤn liegenden Farbentheilchen ſind noch zu nahe bei der anfaͤngli-
chen Polariſations-Ebne, und zeigen ſich als nach dem Durchgange
ſo polariſirt, wie ſie es vorher waren. Hat alſo das Blaͤttchen dieſe
Dicke, ſo zeigt ſich der in der neuen Richtung polariſirte Strahl
gruͤn, der in der fruͤheren Richtung polariſirte enthaͤlt die uͤbrigen,
alſo Purpur darſtellenden, Theilchen.


Es iſt wahr, daß die Erſcheinungen ſich dieſem gemaͤß verhal-
ten; denn wenn der zweite Spiegel in der Richtung bleibt, daß er
die in der fruͤhern Richtung polariſirten Strahlen nicht zuruͤckwirft,
ſo ſieht man immer dieſelbe Farbe, ſchwaͤcher oder lebhafter erſchei-
nen, wenn man die Hauptlinie des Blaͤttchens in eine ſchiefe Rich-
tung gegen die erſte Polariſations-Ebne bringt. Weicht dieſe
[347] Richtung noch wenig ab, ſo iſt die Farbe noch wenig lichtvoll, weil
der Spiegel die in einer wenig vortheilhaften Richtung polariſirten
Strahlen ſchlecht zuruͤckwirft; iſt die Abweichung 45°, ſo iſt die Zu-
ruͤckwerfung vollkommen; bei einer noch weiter fortruͤckenden Stel-
lung des Blaͤttchens geht die Lage der neuen Polariſations-Ebne uͤber
90° hinaus und wird alſo minder vortheilhaft; aber das mehrere oder
wenigere Licht iſt immer von gleicher Farbe. Bei derjenigen Stel-
lung des zweiten Spiegels, wo er das in der anfaͤnglichen Richtung
polariſirte Licht zuruͤckwirft, findet das Entſprechende ſtatt. Hier
wird die Ergaͤnzungsfarbe von jener immer zuruͤckgeworfen; aber
bei einer geringen Neigung der Hauptlinie des Blaͤttchens gegen
dieſe Ebne wird auch viel von der in der neuen Richtung polariſirten
Farbe zuruͤckgeworfen, wodurch dann ein nur wenig in jene Er-
gaͤnzungsfarbe hinuͤbergehendes Weiß hervorgeht; erſt bei einer
Richtung der Hauptlinie, die nahe gegen 45° iſt, fehlt jene Farbe
ganz, und die Ergaͤnzungsfarbe tritt rein hervor.


Stellt man den zweiten Spiegel nicht in jene zwei Haupt-
ſtellungen, ſondern laͤßt man ihn in der Drehung im Ringe E
(Fig. 141.) um eben ſo viele Grade als jene Hauptlinien von der
erſten Reflexions-Ebne abweichen, ſo zeigt er Weiß, weil er zwar
beide Farben, als nicht ganz angemeſſen fuͤr ſeine Zuruͤckwerfung
polariſirt, unvollſtaͤndig zuruͤckwirft; aber doch beide, als gleich
ſtark von ſeiner Reflexions-Ebne abweichend, gleich gut, die Farben
alſo zu Weiß gemiſcht, zuruͤckgiebt.


Daß bei dickeren Blaͤttchen eine Miſchung der Farben wegen
des Zuſammentreffens der vierten Periode des violetten Strahles
mit der dritten Periode des gelben Strahles und wegen aͤhnlicher
Verbindungen eintritt, das laͤßt ſich nun wohl uͤberſehen.


Farben zweier Blaͤttchen, deren Hauptlinien auf
einander ſenkrecht ſind
.


Aber abbrechen kann ich dieſe Darſtellung der an den Gyps-
blaͤttchen wahrzunehmenden Erſcheinungen immer noch nicht, indem
zwei auf einander gelegte Blaͤttchen recht merkwuͤrdige Erſcheinun-
gen darbieten. Liegen die Hauptlinien beider Blaͤttchen genau auf
einander, ſo bietet ſich nichts Merkwuͤrdiges dar, indem die zwei
Blaͤttchen dann wie ein dickeres wirken. Aber laͤßt man die Axen
[348] ſich ſenkrecht durchſchneiden, ſo verhaͤlt es ſich anders. Ich will
annehmen, der zweite Spiegel ſtehe in der Stellung, wo er die
vom erſten Spiegel polariſirten Strahlen nicht zuruͤckwirft; dann
wirft er ſie auch nicht zuruͤck, wenn die Hauptlinie des einen Blaͤtt-
chens parallel mit der erſten Reflexions- oder Polariſations-Ebne,
die Hauptlinie des andern Blaͤttchens darauf ſenkrecht iſt. Dagegen
bei einer andern Stellung, am beſten, wenn beide Hauptlinien um
45 Grad von jener Ebne abweichen, zeigen die gekreuzten Blaͤttchen
Farben, die ein duͤnneres einzelnes Blaͤttchen geben wuͤrde, naͤmlich
genau die Farben, die ein einzelnes Blaͤttchen geben wuͤrde, wenn
ſeine Dicke gleich dem Unterſchiede der Dicke jener waͤre. Um nicht
hiebei abermals ſo lange zu verweilen, mag es genug ſein, zur Erklaͤ-
rung dieſer Erſcheinung zu bemerken, daß dieſe Kreuzung der Axen
eine entgegengeſetzte Wirkung hervorbringt, ſo daß das duͤnnere
Blaͤttchen einen Theil der Wirkung des dickeren zerſtoͤrt, und nur
die Wirkung uͤbrig laͤßt, die dem Unterſchiede der Dicken entſpricht.


Erklaͤrung dieſer Farben-Erſcheinungen nach der
Undulationstheorie
.


Dieſe Beſtimmungen ſind ſaͤmmtlich den Erfahrungen, die
Biot angeſtellt hat, genau angemeſſen, und obgleich Fresnel
bei anders eingerichteten Verſuchen Folgerungen gefunden hatte, die
dieſen Oſcillationen nicht entſprechend ſchienen, ſo hat doch Biot
ſeine Anſichten dadurch nicht als widerlegt angeſehen. Als ein
paſſender Ausdruck fuͤr die wichtigſten Erſcheinungen kann dieſe
bewegliche Polariſation alſo wohl gelten; aber uͤber die Hypotheſe
einer wirklich ſo angeordneten Bewegung der Axe der Lichttheilchen
bieten ſich freilich manche Zweifel dar, die ich hier umſtaͤndlich zu
eroͤrtern Bedenken trage. Arago und Fresnel haben jene
Farben-Erſcheinungen ſehr genuͤgend aus der Theorie der Interfe-
renzen erklaͤrt. Nach Fresnel's Anſicht muß man bei dem
Durchgange des polariſirten Strahles durch das Gypsblaͤttchen auf
die auch hier ſtatt findende doppelte Brechung ſehen. Iſt die
Hauptlinie des Blaͤttchens BD unter einem ſchiefen Winkel gegen
die anfaͤngliche Polariſations-Ebne AB (Fig. 146.) geneigt, ſo
gehen zwei getrennte Strahlen durch das Blaͤttchen, die wir bei
ſo duͤnnen Blaͤttchen, wo ſie ſich hoͤchſt unbedeutend von einan-
[349] der entfernen, nicht als getrennt wahrnehmen koͤnnen, die aber
doch die Eigenſchaft eines gewoͤhnlich gebrochenen, nach BD pola-
riſirten, und eines ungewoͤhnlich gebrochenen, in der auf BD
ſenkrechten Ebne BE polariſirten Strahles haben. Dieſe beiden
Strahlen haben im Innern des Blaͤttchens ungleiche Geſchwindig-
keiten und die Wellen des einen treffen daher nicht mehr mit den
Wellen des andern zuſammen; aber ſo lange ſie ſo ungleich polari-
ſirt bleiben, geben ſie, als nach ſenkrechten Richtungen polariſirt,
keine Interferenzen, und das unmittelbar durch das Blaͤttchen
ſehende Auge ſieht nichts Ungewoͤhnliches. Treffen aber die aus dem
Blaͤttchen hervorgehenden Strahlen auf einen Doppelſpath, deſſen
Hauptſchnitt in der Ebne BF (uͤberhaupt geneigt gegen AB, BD)
liegt, ſo gehen aus beiden Strahlen zwei Strahlen in den Richtun-
gen der Ebnen BF und GH (ſenkrecht auf BF) polariſirt, hervor.
Das durch den Doppelſpath ſehende Auge erhaͤlt alſo einen aus zwei
Strahlen zuſammen hervorgegangenen nach BF polariſirten Strahl,
und eine Verbindung zweier nach BG und nach BH polariſirter
Strahlen; und hier ſind die zwei erſten zuſammen treffenden Strah-
len der Interferenz faͤhig, weil ſie nach gleicher Richtung polariſirt
ſind und aus einem und demſelben urſpruͤnglichen polariſirten
Strahle herſtammen; die zwei letzten ſind es auch, da ihre Polari-
ſirungs-Ebne eine und dieſelbe iſt, wenn gleich die Polariſirung
nach BD ſich nach den Richtungen BF, BH, und die nach BE
ſich nach BF, BG zerlegt hat. Obgleich nun in dieſem Falle
die Wege der beiden verbundenen Strahlen im erſten Strahle
gleich ſind, ſo iſt doch, wegen der ungleichen Geſchwindigkeiten im
Durchdringen des Blaͤttchens, die Wellenfolge im einen hinter der
im andern zuruͤckgeblieben, und eben das iſt im zweiten Strahle in
Beziehung auf die zwei in ihm vereinigten Strahlen der Fall, jedoch
mit dem Unterſchiede, daß bei dem letztern, wo die Polariſirung auf
zwei einander entgegengeſetzte Richtungen zuruͤckgefuͤhrt iſt, die In-
terferenz ſo ſtatt findet, daß man eine halbe Wellenlaͤnge als verloh-
ren gegangen anſehen muß. Hat zum Beiſpiel das Gypsblaͤttchen
die Dicke, daß grade die Wellen gruͤnen Lichtes um eine ganze
Wellenlaͤnge aus einander ſind, ſo gehen dieſe im erſten Strahle
vollkommen verſtaͤrkt, die benachbarten blauen und gelben, (als
der Phaſe vollkommener Gleichheit nahe,) etwas ſich verſtaͤrkend
[350] hervor, und der erſte Strahl zeigt ſich uns gruͤn; der zweite dage-
gen zeigt, — vermoͤge der noch nicht erklaͤrten, aber der Beobach-
tung entſprechenden Eigenthuͤmlichkeit, eine halbe Wellenlaͤnge
zu verlieren, — eine Verſtaͤrkung der Farben, deren Wellen um
eine halbe Wellenlaͤnge von einander entfernt ſind, das iſt, derer
die im erſten Strahle wegen ihrer ſich zerſtoͤrenden Interferenz nicht
ſichtbar wurden. Daß ſo im letztern Strahle die Ergaͤnzungsfarben
des erſten erſcheinen, iſt offenbar.


Wenn zwei Blaͤttchen mit gekreuzten Axen die Erſcheinung
hervorbringen, ſo wirken ſie einem duͤnnern Blaͤttchen gleich; denn
der im erſten Blaͤttchen gewoͤhnlich gebrochene Strahl iſt im zweiten
der ungewoͤhnlich gebrochene, und das im erſten Blaͤttchen eingetre-
tene Voreilen der einen Wellenfolge vor der andern wird daher im
zweiten, wenn dieſes das duͤnnere iſt, zum Theil wieder ausgegli-
chen, und zwar genau ſo, wie es dem Unterſchiede der Dicken ge-
maͤß iſt. Die Farbenmiſchung wird bei dickern Blaͤttchen eintre-
ten, wenn die Voreilung der einen Wellenfolge vier Wellenlaͤngen
der kuͤrzern und drei Wellenlaͤngen der laͤngern Wellen betraͤgt
und ſo weiter.


Dieſe Erklaͤrung, die ſich leicht auf den Fall, wo ein zweiter
Spiegel da iſt, anwenden laͤßt, bringt allerdings auf eine ſehr genuͤ-
gende Weiſe die Erſcheinungen unter eine den Geſetzen der Undula-
tionen gemaͤße Anſicht, und obgleich die Entſtehung der Polariſa-
tion noch genauer erklaͤrt werden muß, obgleich die Eigenthuͤmlich-
keit, daß nur ein ſchon urſpruͤnglich polariſirter Strahl zu dieſen
Interferenzen Veranlaſſung geben kann, und daß in dem einen
jener Strahlen die Differenz der Wege eine halbe Wellenlaͤnge, in
dem andern eine ganze Wellenlaͤnge betragen muß, wenn eine das
Licht zerſtoͤrende Interferenz ſtatt finden ſoll, noch manches Uner-
klaͤrtes enthaͤlt, ſo laͤßt ſich doch die Verbindung mit den Perioden
der Anwandelungen und alles, was die Hauptumſtaͤnde der Er-
ſcheinung betrifft, hier ſo vollkommen uͤberſehen, daß man das Ein-
treten der Interferenzen wohl als den wahren Grund dieſer Er-
ſcheinungen anſehen muß.


[351]

Farbenringe im polariſirten Lichte.


Unter den mannigfaltigen Erſcheinungen, welche die Polariſi-
rung des Lichtes darbietet, verdient noch eine Claſſe von Erſchei-
nungen hervorgehoben zu werden, naͤmlich die Farbenringe, die ſich
unter gewiſſen Umſtaͤnden im polariſirten Lichte zeigen. Folgendes
von Biot zuerſt angegebene Experiment ſcheint mir am paſſend-
ſten, um ihre Entſtehung zu zeigen. Man nimmt ein Stuͤck
Doppelſpath, das aber zu dieſem Zwecke zwei parallele, auf die Axe
doppelter Brechung genau ſenkrechte Oberflaͤchen haben muß, und
befeſtigt dieſe Doppelſpathplatte ſo zwiſchen den beiden Spiegeln
unſers Inſtruments, daß der vom erſten Spiegel kommende pola-
riſirte Strahl ſie ſenkrecht treffe. Zur Anſtellung des Verſuches
iſt dann weiter nichts noͤthig, als daß man im dunkeln Zimmer
einen lebhaften Lichtſtrahl, von weißen Wolken ausgehend, unter
dem Polariſationswinkel auf den erſten Spiegel fallen laſſe; daß
man den zweiten Spiegel in die Stellung bringe, wo er dieſen
polariſirten Strahl nicht reflectirt, und daß man durch eine ſehr
enge Oeffnung, vor welcher das Auge ſeine Stellung nimmt, in
dieſen zweiten Spiegel ſehe. Dann ſieht man im zweiten Spiegel
Farbenkreiſe, die von einem ſchwarzen Kreuze durchſchnitten ſind.
Dieſe Erſcheinung erklaͤrt ſich leicht aus den Ihnen ſchon bekannten
Geſetzen der Polariſirung. Da das Auge durch eine ſehr kleine
Oeffnung ſieht, ſo bilden die zum Auge gelangenden Lichtſtrahlen
einen Kegel, in deſſen Mitte die genau ſenkrecht auf den Doppel-
ſpath fallenden Strahlen liegen, ſtatt daß die von den Seiten kom-
menden eine kleine Neigung gegen dieſe Senkrechte oder gegen die
Axe des Doppelſpaths haben. Sie wiſſen, daß der zweite Spiegel
die in ihrem polariſirten Zuſtande bleibenden Strahlen nicht zuruͤck-
wirft, alſo da Dunkel zeigt, wo ſie erſcheinen ſollten, und dieſes iſt
erſtlich fuͤr die genau ſenkrechten, das heißt, genau der Axe des
Doppelſpaths folgenden Strahlen der Fall, aber auch zweitens fuͤr
diejenigen, die in der Ebne der erſten Reflexions-Ebne liegen, und
drittens fuͤr die, welche in einer gegen dieſe Ebne ſenkrechten Ebne
liegen. Die erſtern naͤmlich erleiden gar keine Veraͤnderung, die
zweiten erleiden zwar eine ſchwache Brechung, aber ſo daß (um
den kuͤrzeſten Ausdruck zu gebrauchen,) die Axen der Lichttheilchen
[352] ihre Stellung nicht aͤndern, ſondern der erſten Reflexions-Ebne
parallel bleiben; eben das iſt der Fall bei den ein wenig ſchief ge-
neigten Strahlen, die eine auf dem Doppelſpathe ſenkrecht gegen
die erſte Reflexions-Ebne gezogene Linie treffen; daher erſcheint ein
ſchwarzes Kreuz, deſſen Lage durch die auf dem Doppelſpathe in der
Reflexions-Ebne und ſenkrecht gegen ſie gezogene Linie beſtimmt wird.
Alle von dieſen beiden Ebnen abweichenden Strahlen veraͤndern die
Richtung ihrer Polariſation, und da hier aͤhnliche Umſtaͤnde wie bei
den duͤnnen Gypsblaͤttchen eintreten, ſo werden nur gewiſſe Farben-
ſtrahlen depolariſirt. Man mag naͤmlich hier entweder nach Biot's
Anſicht den polariſirenden Kraͤften, die bei ſo geringer Neigung
des Strahles gegen die Axe des Doppelſpaths ſehr ſchwach wirken,
nur die Wirkung, eine bewegliche Polariſation oder eine Oſcillation
der Lichttheilchen hervorzubringen, zuſchreiben, oder nach Arago's
und Fresnel's Anſicht die ungleichen Wellenfolgen des in der
Doppelſpathplatte gewoͤhnlich und ungewoͤhnlich gebrochenen Strah-
les beruͤckſichtigen, ſo laͤßt ſich nachweiſen, daß in einer gewiſſen
Entfernung von der Mitte beſtimmte Farben und zwar genau in
der Ordnung, wie bei Newton's Farbenringen, hervortreten
muͤſſen; ja man kann ſich leicht uͤberzeugen, daß ſelbſt die Groͤße
der Ringe, die von der Dicke jener Platte abhaͤngt, ſich nach beiden
Anſichten berechnen laͤßt. Bei Biot beſtimmt man die Wieder-
kehr eben der Farbe im zweiten, dritten, Ringe nach der fuͤr die
Perioden der Oſcillationen angenommenen Groͤße der Zwiſchenraͤu-
me; bei Fresnel berechnet man ſie nach dem Voreilen der
Wellenfolge des einen Strahles vor der des andern, um eine oder
zwei oder drei Wellenlaͤngen und ſo weiter, und dieſes Voreilen
betraͤgt bei ſo geringer Neigung der Strahlen wenig, da in dieſem
Falle beide Strahlen, der gewoͤhnlich gebrochene und der unge-
woͤhnlich gebrochene, beinahe gleiche Geſchwindigkeit haben. Bei
groͤßerer Verſchiedenheit der Geſchwindigkeiten, das iſt bei einer
viele Wellenlaͤngen betragenden Differenz, kommen hier ſo wenig,
wie bei Newton's Farbenringen, Farben-Erſcheinungen vor.


Eben dieſe Farbenringe kann man auch mit Huͤlfe zweier
Turmalinplatten darſtellen. Da die erſte derſelben, wenn ſie dick
genug iſt, das Licht in einer auf die Richtung der Axe ſenkrechten
Richtung polariſirt, ſo laͤßt die zweite, wie Sie ſchon wiſſen,
[353] dieſes polariſirte Licht nicht durch, wenn ihre Axen ſenkrecht gegen
die Richtung der erſten ſind; aber die Durchlaſſung des Lichtes tritt
wieder ein, wenn ein zwiſchen beide Platten gebrachter doppelt bre-
chender Koͤrper die Lichtſtrahlen ganz oder zum Theil depolariſirt.
Eine ſolche theilweiſe Depolariſirung aber iſt es, die ſich uns in
jenen Ringen kenntlich macht, und daher erſcheinen auch hier,
beim Durchſehen durch die Turmalinplatten, zwiſchen denen ein
gehoͤrig geſchnittener doppelt brechender Cryſtall iſt, aͤhnliche Ringe.
Da dieſe Ringe immer dann entſtehen, wenn man Strahlen, die
nicht zu ſehr gegen die Axen doppelter Brechung geneigt ſind, beob-
achtet, ſo kann man bei den Koͤrpern, deren beide Axen nur einen
kleinen Winkel mit einander machen, zum Beiſpiel beim Salpeter,
die Ringe um beide Axen zugleich wahrnehmen, wenn man die
Platte ſo ſchneidet, daß beide Axen nicht viel von der ſenkrechten
Richtung gegen die Oberflaͤche abweichen. Dann ſtellen ſich zunaͤchſt
um die beiden Mittelpuncte farbige Linien, die beinahe fuͤr Kreiſe
gelten koͤnnen, dar; dieſe werden aber von Linien umfaßt, die beide
Kreisſyſteme zugleich einſchließen, und ſich, je weiter man vom
Mittelpuncte ſich entfernt, deſto mehr einer ungefaͤhr elliptiſchen
Form naͤhern. Auch bei ihnen giebt es dann dunkle Linien, die
das darſtellen, was vorhin das ſchwarze Kreuz war; da ich aber
ohne allzugroße Weitlaͤuftigkeit die Regeln fuͤr die Bildung dieſer
Linien nicht angeben kann, ſo begnuͤge ich mich, ſie obenhin zu er-
waͤhnen.


Verweilen muß ich dagegen noch bei den ſchoͤnen und leicht
darzuſtellenden Farbenringen, die ſich in ſchnell gekuͤhlten Glasplat-
ten darſtellen. Nimmt man Platten von reinem Glaſe, etwa 2
Linien dick und laͤßt ſie nach dem Gluͤhen ſchnell abkuͤhlen, ſo ſind
ſie geeignet, dieſe Erſcheinungen hervorzubringen *). Man ſtellt
naͤmlich die Spiegel unſeres Inſtruments beide auf den Polariſa-
tionswinkel, bringt eine oder mehrere ſolcher Platten ſo, daß ſie
vom polariſirten Strahle ſenkrecht getroffen werden, zwiſchen die
Spiegel, und blickt nun, waͤhrend das Licht weißer Wolken auf den
II. Z
[354] erſten Spiegel faͤllt, in den zweiten Spiegel. Iſt der zweite
Spiegel ſo geſtellt, daß er die polariſirten Strahlen nicht zuruͤck-
wirft, ſo ſieht man bei einer viereckigen Glasplatte, deren eine
Seite mit der erſten Reflexions-Ebne parallel, die andre auf ſie
ſenkrecht iſt, ein ſchwarzes Kreuz durch die Mitte der Seiten ge-
hend, ſo wie Fig. 147. darſtellt; in den Ecken aber zeigen ſich
Flecke, die einfarbig ſein, oder auch ſchon Ringe mehrerer Farben
darſtellen koͤnnen *). Legt man eine zweite Platte auf die erſte, ſo
daß ihre Seiten zuſammenfallen, ſo bleibt jenes Kreuz, aber in
den Ecken nimmt die Zahl der Farben, welche in Kreiſen und
Theilen von Kreiſen jenen vorhin ſchon bemerkten Fleck umgeben,
zu; dieſe Zahl von Ringen ſteigt noch mehr bei vermehrten Plat-
ten, und man nimmt wahr, daß die Farben nach dem Geſetze
der Newton'ſchen Farbenringe fortſchreiten. Dreht man nun den
zweiten Spiegel in ſeiner Faſſung um 90°, ſo daß die polariſirt
aus dem erſten Spiegel kommenden Strahlen vollkommen zuruͤck-
geworfen werden muͤſſen; ſo ſieht man im zweiten Spiegel ein
weißes Kreuz ſtatt des ſchwarzen, und die Farben erſcheinen in
gleicher Anordnung, aber ſo, daß es allemal die Ergaͤnzungsfar-
ben der eben vorhin beobachteten ſind. Dieſe ſchoͤnen Farben-
Erſcheinungen ſind von Seebek entdeckt, und heißen daher die
Seebek'ſchen.


Die Erklaͤrung dieſer Farben, die man entoptiſche genannt
hat, weil ſie im Innern der Koͤrper zu entſtehen ſcheinen, muß
offenbar nach den vorigen Grundſaͤtzen gefuͤhrt werden; aber da das
ſchnell gekuͤhlte Glas keine eigentliche Cryſtallform darbietet, und
deshalb auch keine ſolche innere Bildung wie bei natuͤrlichen Cry-
ſtallen vorauszuſetzen iſt; ſo ſind dieſe Farben-Erſcheinungen nicht
ſo wie vorhin beim Doppelſpath von der Form der Platte unabhaͤn-
gig, ſondern ſie aͤndern ſich, wenn man Stuͤcke derſelben Platte ab-
ſchneidet. Die Lage jener, den Kreisbogen zugehoͤrigen Mittelpuncte
muß ſich alſo theils durch die Bildung im Innern, ſo wie ſie bei
[355] dem ſchnellen Abkuͤhlen entſteht, theils aber auch durch jede Aen-
derung in der aͤußern Form beſtimmen, woruͤber noch keine genauen
Regeln bekannt ſind.


Polariſirtes Licht, das vom blauen Himmel aus-
geht. — Biot's Vorſchlag zur Vergleichung der
Farben
.


Endlich zum Schluſſe dieſer weitlaͤuftigen Mittheilungen uͤber
die Polariſirung des Lichtes will ich nur noch zwei Bemerkungen
anfuͤhren, die erſte betrifft die Polariſirung des vom blauen Him-
mel zuruͤckgeworfenen Lichtes. Ich habe immer das Licht weißer
Wolken als auf den erſten Spiegel unſers Inſtrumentes fallend,
verlangt, weil dieſes Licht noch keine urſpruͤngliche Polariſation
beſitzt, laͤßt man dagegen Licht vom blauen Himmel auffallen,
ſo findet man in dieſem meiſtens ſchon Spuren von Polariſation,
ehe es noch den Spiegel trifft. Man kann dies leicht wahrnehmen,
indem man ein duͤnnes Gypsblaͤttchen ſo haͤlt, daß das vom blauen
Himmel kommende Licht durch daſſelbe gehen muß, ehe es den
erſten Spiegel erreicht; ſieht man dann ungefaͤhr in der Richtung
des Polariſationswinkels in dieſen erſten Spiegel, ſo iſt das Bild
des Gypsblaͤttchens darin farbig zu ſehen, welches nicht der Fall
waͤre, wenn ein unpolariſirtes Licht durch den Gyps auf den erſten
Spiegel gefallen waͤre. Eben ſo geben auch die gegluͤhten Glas-
platten in der vorhin angegebenen Lage gehalten, im erſten Spiegel
geſehen, die Seebek'ſchen Figuren, und dieſe Erſcheinungen ſind
ungleich, je nachdem man die Strahlen von verſchiedenen Puncten
des Himmels, mehr oder minder der Sonne entgegengeſetzt, in den
Spiegel fallen laͤßt.


Die zweite Bemerkung betrifft Biot's Vorſchlag zu einem
Farbenmaaße. Die Polariſation des Lichtes bietet uns erſtlich ein
Mittel dar, die farbigen Koͤrper von ihrem Spiegelglanze zu be-
freien, und daher ihre Farben reiner hervortretend zu zeigen, wie
Sie ſich aus der vorigen Vorleſung erinnern werden; aber zweitens
geben auch Gypsblaͤttchen von genau beſtimmter Dicke immer
gleiche Farben in den vorhin betrachteten Verſuchen, und dieſe
koͤnnen daher zu ſtrenge vergleichbaren Farben-Angaben dienen,
mit denen ſich die Farben der natuͤrlichen Koͤrper in den meiſten
Z 2
[356] Faͤllen genau vergleichen laſſen; Biot hat hiezu noch naͤhere An-
leitung gegeben.


Dieſe durch die Polariſirung des Lichtes hervorgehenden Er-
ſcheinungen moͤgen hinreichen, um Ihnen zu zeigen, welche ganz
neue Eigenſchaften des Lichtes uns durch ſie bekannt geworden
ſind. Erſchoͤpft iſt die große Menge der Erſcheinungen, die man
als von der Polariſirung abhaͤngend kennen gelernt hat, damit
noch lange nicht; aber theils ſcheint es mir nicht angemeſſen, Sie
mit Verſuchen zu unterhalten, deren Erklaͤrung noch ſchwieriger iſt,
theils muß ich doch auch den Mittheilungen uͤber eine einzelne
Claſſe von Phaͤnomenen ein Ziel ſetzen. Und indem ich hiemit zu-
gleich die geſammten Unterſuchungen uͤber die optiſchen Phaͤnomene
beendige, und zu noch einigen Bemerkungen uͤber die Entſtehung
des Leuchtens uͤbergehe, kann ich nicht unterlaſſen, noch einen Ruͤck-
blick auf die bisherigen Betrachtungen zu werfen. Die neueſte Zeit
hat unſre Kenntniß der mannigfaltigſten optiſchen Erſcheinungen in
hohem Grade bereichert, aber wir muͤſſen wohl geſtehen, daß dieſe
Entdeckungen uns tiefer in das Labyrinth raͤthſelhafter Erfolge hin-
eingefuͤhrt haben, ohne uns noch den Faden in die Hand zu geben,
der uns leiten koͤnnte, um den Ausgang aus dem Labyrinthe zu fin-
den. Sie werden daher, hoffe ich, mich nicht tadeln, daß ich keine
entſchiedene Anſicht uͤber die Natur des Lichtes ausgeſprochen habe,
werden aber auch nicht uͤber den Fortgang der Wiſſenſchaft ſelbſt
unzufrieden ſein, der uns, bei ſo reichen und immer neuen Ent-
deckungen, doch immer noch uͤber die wichtigſten Fragen zu keiner
Gewißheit gebracht hat. Ich habe, glaube ich, ſchon bei einer an-
dern Gelegenheit bemerkt, daß der Gewinn, welchen die Naturfor-
ſchung uns darbietet, ſehr oft darin beſteht, daß ſie uns in dem
Reichthume des ſchon entdeckten auf einen neuen Reichthum noch
unentdeckter Geſetze hinweiſt, und daß ſie durch die ſich uns immer
wieder darbietenden Raͤthſel ebenſo ſehr unſre Wißbegierde reizt, als
ſie uns in denſelben die Unermeßlichkeit der Natur kennen lehrt. —
Die neueſten Entdeckungen in der Optik koͤnnen wohl als Beweis
hiefuͤr gelten.


[357]

Neunzehnte Vorleſung.


Nachdem ich Sie, m. h. H., ſo lange mit den Unterſuchungen
uͤber den Weg der Lichtſtrahlen, uͤber die Geſetze der Fortpflanzung
des Lichtes, unterhalten habe, muß ich Sie doch endlich auch noch
mit den verſchiedenen Entſtehungs-Arten des Leuchtens und mit
den chemiſchen Wirkungen, die das Licht ausuͤbt, bekannt machen.


Licht-Erzeugung beim Verbrennen und andern chemi-
ſchen Prozeſſen.


Woher die ſelbſtleuchtenden Himmelskoͤrper ihr Licht haben,
ob die dortige Licht-Erzeugung mit der beim Verbrennen Aehnlich-
keit habe oder nicht, das liegt ſo weit außer dem Kreiſe unſrer
Forſchungen, daß ich dieſe Fragen wohl ganz uͤbergehen darf. Auf
der Erde iſt bekanntlich der Verbrennungsproceß derjenige, der
neben der Waͤrme zugleich auch das lebhafteſte Licht hervorbringt.
Wir wiſſen nicht, ob hier bei der Zerſetzung des Sauerſtoffgas,
womit oft zugleich eine Zerſetzung der brennenden oder gluͤhenden
Koͤrper, faſt allemal aber eine Verbindung des Sauerſtoffs mit
einem Beſtandtheile des brennbaren Koͤrpers, verbunden iſt, ein
Freiwerden des Lichtſtoffs ſtatt findet, oder ob die Gewalt der
chemiſchen Veraͤnderungen jene Vibrationen des Aethers hervor-
bringt, die wir nach den ſchon angefuͤhrten Meinungen vielleicht
als Urſache der Licht-Erſcheinungen anſehen muͤſſen. Da dieſe
Erſcheinungen des Gluͤhens mit oder ohne Flamme immer mit
ſtarker Waͤrme-Entwickelung verbunden ſind, ſo werde ich von den
genauern Bedingungen der Verbrennung bei einer andern Gelegen-
heit reden, und jetzt nur einige Faͤlle, wo vorzuͤglich glaͤnzendes
Licht erſcheint, erwaͤhnen. Dahin gehoͤrt das Verbrennen des
Phosphors, ja auch andrer brennbarer Koͤrper, ſelbſt der Metalle,
im Sauerſtoffgas, wo die bei der Hitze eintretende lebhafte Zer-
ſetzung dieſer Luft-Art ein das Auge blendendes Licht hervorbringt.
Ein zweiter Fall eines glaͤnzend hervortretenden Lichtes iſt das von
Drummond zuerſt beſchriebene helle Gluͤhen des Kalks im
[358] Sauerſtoffgas. Obgleich naͤmlich das Gluͤhen nicht nothwendig
die Gegenwart des Sauerſtoffs fordert, ſo wird es doch allemal bei
dem Zutritt des Sauerſtoffgas und durch die Zerſetzung deſſelben
lebhafter; in ausgezeichnetem Maaße aber iſt dies der Fall, wenn
man Kreide, kohlenſauren Kalk, der Erhitzung durch Weingeiſt-
flammen ausſetzt, und dabei einen Strom jener Luft-Art ſowohl
die Flammen anfachen, als die Kalkmaſſe ſelbſt treffen laͤßt.


Aber nicht bloß beim Zerſetzen des Sauerſtoffgas entſteht
Licht, ſondern auch in vielen andern Faͤllen, wo chemiſche Verbin-
dungen eintreten, namentlich wenn Metalle mit Schwefel ſtark
erhitzt werden, wenn Terpentin-Oel mit Salpeterſaͤure und Schwe-
felſaͤure gemiſcht wird, und in mehreren Faͤllen.


Zu dieſen Licht-Entwickelungen, welche chemiſchen Zerſetzungen
und Verbindungen ihren Urſprung verdanken, gehoͤrt auch das in
niedrigen Temperaturen ſtatt findende Leuchten des Phosphors,
der eben von dieſer Eigenſchaft ſeinen Namen hat. Auch hier iſt
das Leuchten in der atmoſphaͤriſchen Luft mit einer Zerſetzung des
Sauerſtoffgas verbunden, die durch eine Verbindung des Sauer-
ſtoffs mit Phosphor zu Phosphorſaͤure und im eingeſchloſſenen
Raume durch eine Verminderung der Luft kenntlich wird. Dieſe
Verbindung, die alſo als ein langſames Verbrennen des Phosphors
anzuſehen iſt, findet ſchon bei ſehr niedrigen Temperaturen ſtatt;
das lebhafte Verbrennen tritt in atmoſphaͤriſcher Luft bei 30°
Reaum. ein, und ein unter Waſſer erhitzter Phosphor leuchtet
auch da. Es iſt merkwuͤrdig, daß, obgleich dieſes Leuchten auch
bei niedrigen Temperaturen auf der Verbindung mit dem Sauer-
ſtoff beruht, es dennoch im ganz reinen Sauerſtoffgas, wenn die-
ſes die Dichtigkeit beſitzt, welche dem gewoͤhnlichen Drucke der
Luft entſpricht, nicht ſo gut bei niedrigen Temperaturen eintritt;
verduͤnnt man dagegen dieſe Luft-Art, ſo treten ſogleich weiße
Daͤmpfe aus dem Phosphor hervor und das Leuchten ſtellt ſich,
ſelbſt bei niedrigen Waͤrmegraden, ein; und eben ſo wie im letzten
Falle verhaͤlt es ſich, wenn der Phosphor ſich in einer mit Stick-
gas vermiſchten Sauerſtoffluft befindet.


[359]

Phosphoreſcenz durch Erwaͤrmung.


Weſentlich hiervon verſchieden ſcheinen diejenigen Erſcheinun-
gen von Phosphoreſcenz zu ſein, die ohne merkliche chemiſche Ver-
aͤnderungen in den Koͤrpern zu bewirken, bei der Erwaͤrmung
eintreten. Eine Menge von Koͤrpern beſitzt die Eigenſchaft, er-
waͤrmt dieſes ſtille Leuchten ohne Verbrennung, das wir Phos-
phoreſcenz nennen, hervorzubringen. Unter dieſen gehoͤrt der Fluß-
ſpath zu den vorzuͤglich ausgezeichneten, indem er ſchon bei 55°
Reaum. leuchtet, und nach Verſchiedenheit der einzelnen Stuͤcke
ein violettes, gruͤnes oder gelbes Licht ausſendet. Bei einigen Fluß-
ſpathen iſt die Farbe des Lichtes bei erheblicher Waͤrme gruͤn und
geht beim Abkuͤhlen ins Violette uͤber. Auf einen heißen Ofen
gelegt ſieht man ihn faſt allemal leuchten, jedoch iſt dieſes Licht,
wie alle dieſe Phosphoreſcenzen, nur im Dunkeln kenntlich. Die
ſehr zahlreichen Verſuche von Heinrich*) zeigen, daß es ſehr
viele Mineralien giebt, die erwaͤrmt wenigſtens ein ſchwaches Licht
geben, jedoch oft ſo ſchwach, daß nur das lange im tiefſten Dunkel
verweilende Auge empfindlich genug iſt, um es wahrzunehmen.
Unter den uns taͤglich vorkommenden Koͤrpern leuchten Eierſchalen
auf einer heißen Metallplatte gruͤnlich und bei geringerer Hitze gelb,
Auſterſchalen gruͤnlich, Bernſtein ſehr glaͤnzend u. ſ. w.


Phosphoreſcenz durch Beſtrahlung.


Eine vorzuͤglich merkwuͤrdige Art der Phosphoreſcenz iſt die
durch Beſtrahlung. Manche Koͤrper naͤmlich haben die Faͤhigkeit,
nachdem ſie der Sonne ausgeſetzt geweſen, nachdem ſie ihre Strah-
len gleichſam eingeſogen haben, lange Zeit im Dunkeln Licht
auszuſenden. Einige Diamanten beſitzen dieſe Eigenſchaft in ſo
hohem Grade, daß ſie wenige Secunden den Sonnenſtrahlen aus-
geſetzt, eine Stunde lang, und ſelbſt unter Waſſer, ſich im Dun-
keln leuchtend zeigen; aber nur wenige beſitzen dieſe Vollkommen-
heit des Leuchtens. Wenn man Diamanten den blauen Licht-
ſtrahlen ausgeſetzt hat, ſo zeigen ſie ſich beſſer leuchtend, als wenn
[360] man ſie den rothen Strahlen ausſetzt. Einige Diamanten, welche
die Eigenſchaft leuchtend zu werden, nicht beſaßen, haben ſie, nach
Deſſaigne's Erzaͤhlung erlangt, wenn man ſie gegen einander
geſtoßen, oder mit Feilen geſchlagen hatte. Auch der Flußſpath, der
durch Erwaͤrmung ſo bedeutend leuchtet, wird durch eine auch nur
kurze Zeit dauernde Beſtrahlung auf geraume Zeit ſelbſtleuchtend,
nur muß man, wie ſich verſteht, die Beobachtung ſogleich im tiefen
Dunkel anſtellen, nachdem man ihn ſo eben den Sonnenſtrahlen
ausgeſetzt hatte.


Vorzuͤglich verdienen einige kuͤnſtlich bereitete Koͤrper hier
erwaͤhnt zu werden. Der Bononiſche oder Bologneſiſche Leucht-
ſtein, aus gepulvertem Schwerſpath durch Eiweiß wieder zu einer
Maſſe verbunden, und lange ſtark gegluͤht, braucht nur ¼ Min.
der Sonne ausgeſetzt zu werden, um laͤngere Zeit, zuweilen 1
Stunde lang, im Dunkeln feurig roth zu erſcheinen. Der Can-
ton'ſche Phosphor, gebrannte Auſterſchalen mit ein Drittel ſo
viel Schwefelleber gemiſcht und 1 Stunde lang ſtark gegluͤht,
zeigt aͤhnliche Erfolge. Aber noch ſchoͤner zeigt, nach Oſann's
Beobachtung, der Antimonphosphor dieſe Eigenſchaft. Dieſen
erhielt Oſann, indem er calcinirte Auſterſchalen mit Schwefel-
Antimon eben ſo behandelte, wie es bei Verfertigung des Canton'-
ſchen Phosphors geſchieht, und fand ihn, unter gleichen Umſtaͤnden
mit dem Bononiſchen Phosphor 1 Minute lang dem Tageslichte
ausgeſetzt, 149 Minuten leuchtend, ſtatt daß das Leuchten bei
dem Bononiſchen nur 4 Minuten dauerte. Auch durch Erwaͤr-
mung zeigt dieſer Leuchtſtein ſchoͤne Wirkungen.


In Hinſicht auf die Schluͤſſe, welche ſich vielleicht uͤber die
Entſtehung dieſes Leuchtens ziehen laſſen, ſind vorzuͤglich einige
von v. Grotthus angeſtellte Verſuche merkwuͤrdig. Er beob-
achtete das Leuchten ſowohl durch Erwaͤrmung als durch Beſtrah-
lung an einer Flußſpath-Art, die den Namen Chlorophan fuͤhrt,
und fand hier Folgendes: Wenn dieſer Stein ſehr lange im
Dunkeln aufbewahrt war, und nun, ohne dem Lichte ausgeſetzt
geweſen zu ſein, im Dunkeln beobachtet wurde, ſo leuchtete er nicht
und ward auch durch eine maͤßige Waͤrme nicht leuchtend; war er aber
[361] auch nur einige Minuten dem Sonnenlichte ausgeſetzt geweſen, ſo
behielt er mehrere Tage lang, vorzuͤglich, wenn man ihn in der
Zwiſchenzeit zwiſchen den Verſuchen in einer Schachtel dicht verſchloſ-
ſen aufbewahrte, die Eigenſchaft im Dunkeln zu leuchten. Hoͤrte
dann, indem man ihn immer nur im Dunkeln aus der Schach-
tel herausnahm, damit er nicht aufs Neue der Beſtrahlung aus-
geſetzt ſei, nach mehrern Tagen ſein Leuchten auf, ſo brachte
doch die Waͤrme der Hand ihn wieder zum Leuchten, und ſpaͤter,
ſelbſt nach 36 Naͤchten, reichte doch eine Waͤrme von 40° Reaum.
dazu hin. Wurde er in kalter Luft der Sonne ausgeſetzt, ſo
leuchtete er in der Waͤrme im Dunkeln deſto ſchoͤner. Von
Grotthus zieht hieraus den Schluß, daß alle durch Erwaͤr-
mung hervorgehende Phosphoreſcenz nur in Folge einer fruͤher
ſtatt gefundenen Beſtrahlung eintrete und alſo nur eine Wir-
kung des empfangenen Lichtes ſei. Daß uͤbrigens bei der Be-
ſtrahlung die Waͤrme keinen Antheil an dem Leuchtendwerden
hat, erhellt aus der oft nur ſehr kurze Zeit noͤthigen, und bei
großer Kaͤlte eben ſo guten Erfolg habenden Einwirkung der
Sonnenſtrahlen.


Hier ſcheint es alſo allerdings, als ob man ſagen duͤrfe, die
auf den Koͤrper fallende und von ihm eingeſogene Lichtmaterie ſtroͤme
nachher wieder aus; jedoch ſtimmt damit das nicht uͤberein, daß
es keinen merklichen Einfluß auf die Farbe des phosphoriſchen Lich-
tes hat, wenn man den Koͤrper auch einem einfach farbigen Lichte
ausſetzt. Dies letztere ließe ſich wohl eher durch Undulationen er-
klaͤren, wenn man ſagte, daß die auf den Koͤrper treffenden Licht-
wellen ihn doch immer zu denjenigen Vibrationen, die ſeiner eigen-
thuͤmlichen Beſchaffenheit angemeſſen ſind, anregen; aber da erhellt
wieder durchaus nicht, warum denn das Aufbewahren im eng ver-
ſchloſſenen Raume dieſe Vibrationen hindert, und warum ſie wieder
eintreten, wenn man den Koͤrper wieder frei im Dunkeln aufſtellt.
Es ſcheint daher auch hier ſich keine Entſcheidung fuͤr eine der bei-
den Theorieen zu ergeben.


II. Aa
[362]

Phosphoreſcenz lebender Thiere, todter thieriſcher
Koͤrper und Pflanzen
. Leuchten des Meeres.


Sehr merkwuͤrdig ſind unter den Erſcheinungen des Leuchtens
die, welche ſich uns an lebenden Thieren und an den Theilen
todter Thiere, ſo wie an Pflanzen, darbieten. Das Leuchten des
Holzes iſt bekannt. Nach Heinrich's Bemerkung iſt nicht ſchon
ein gewiſſer Grad der Faͤulniß noͤthig, um einiges Leuchten hervor-
zubringen, ſondern ſelbſt geſundes Holz, vorzuͤglich Wurzelſtuͤcke,
leuchten, jedoch nur dann, wenn ihnen die volle Lebenskraft, um
neue Schoͤßlinge hervorzubringen, fehlt. Indeß iſt in den meiſten
Faͤllen dieſe Phosphoreſcenz wohl ſehr ſchwach, und zu dem Her-
vorbringen des ziemlich lebhaften, ſelbſt in der Daͤmmerung ſchon
kenntlich werdenden, weißen Lichtes, das wir zuweilen am Holze
wahrnehmen, ſcheint ein ſehr beſtimmter Grad von Faͤulniß zu
gehoͤren. In einzelnen Faͤllen hat man ganze morſch gewordene
Baumſtaͤmme im Dunkeln leuchtend geſehen. Dieſes Leuchten
dauert ſelbſt unter Waſſer fort, ſcheint aber im Sauerſtoffgas nicht
lebhafter zu werden.


Unter den todten Thieren ſind die Seefiſche ganz vorzuͤglich
zum Leuchten geeignet, und zeigen ſich am beſten in dem Zeitraume
leuchtend, der, ein oder zwei Tage nach dem Tode, der Faͤulniß
vorhergeht; bei der Faͤulniß ſelbſt nimmt das Leuchten wieder ab.
Aber noch weit merkwuͤrdiger und oft einen ungemein ſchoͤnen An-
blick darbietend iſt das Leuchten lebender Thiere, unter denen uns
die Johanniswuͤrmchen am bekannteſten ſind. Das ſchoͤne gruͤn-
liche Licht dieſer an warmen Sommer-Abenden oft in großer Menge
herumſchwaͤrmenden und im Graſe kriechenden Inſecten gewaͤhrt
in der Dunkelheit eines recht freundlichen, milden Sommer-Abends
ein zauberiſch-ſchoͤnes Schauſpiel. Aber auch hier koͤnnen wir faſt
bloß angeben, was man beobachtet hat, ohne die eigentlichen Ur-
ſachen des Leuchtens naͤher auffinden zu koͤnnen. Das Leuchten
ſcheint da ſtatt zu finden, wo kleine Oeffnungen in der Haut uns
die innern Theile als durchblickend zu ſehen erlauben; auch wo das
Thier durch einen Stich verwundet iſt, tritt dieſe leuchtende Sub-
ſtanz hervor. Das Leuchten dauert ſelbſt nach dem Tode noch ei-
nige Zeit fort, iſt aber doch am lebhafteſten, ſo lange das Thier ſeine
[363] volle Lebensthaͤtigkeit hat. Da von dieſer viel abzuhaͤngen ſcheint
ſo laͤßt ſich uͤber den unmittelbaren Einfluß des Sauerſtoffgas und
andrer Luft-Arten auf das Leuchten nicht gut urtheilen, indem
diejenigen Luft-Arten, welche die Lebensthaͤtigkeit erhoͤhen, gewiß
mittelbar das Leuchten befoͤrdern. Dagegen ſcheint das Sonnen-
licht am Tage das Leuchten am Abend zu befoͤrdern, indem Thier-
chen aͤhnlicher Art ſich nicht leuchtend gezeigt haben, wenn man ſie
am Tage im Dunkeln aufbehalten hatte.


Die warmen Gegenden der Erde ſind noch reicher an leuchten-
den Thieren, und einige unter dieſen ſind ſehr groß. Der Later-
nentraͤger ſoll ſoviel Licht geben, daß die dort lebenden Menſchen
ihn als Leuchte beim Reiſen im Dunkeln gebrauchen.


Von einem ſolchen Leuchten lebender Thiere haͤngt auch das
Leuchten des Meeres ab. Am haͤufigſten ſcheint ſich dies feurige
Leuchten des Meerwaſſers in den heißen Gegenden zu zeigen, aber
auch in unſern Gegenden koͤmmt es vor *); und dort wie hier zeigen
die Vergroͤßerungsglaͤſer eine Mannigfaltigkeit von Thierchen, die
dazu beitragen. Da die Thierchen bei der Bewegung am meiſten
leuchten, ſo bringt die Bewegung des Waſſers ein verſtaͤrktes Leuch-
ten hervor. Außer dieſem eigentlichen Leuchten hat man auch ein
ganz weißes Glaͤnzen, als ob das Waſſer mit Schnee bedeckt waͤre,
geſehen.


Licht-Entwickelung beim Stoßen, Reiben und Zer-
brechen feſter Koͤrper.


Es iſt ſehr bekannt, daß Zucker, im Dunkeln zerbrochen oder
zerſchlagen, leuchtet, und eben das findet bei zahlreichen ſproͤden
Koͤrpern, vorzuͤglich bei cryſtalliſirten, ſtatt. Auch hier muß man
einzig durch Verſuche diejenigen Koͤrper, welche dieſe Eigenſchaft in
vorzuͤglichem Grade beſitzen, kennen lernen; doch hat Heinrich
gefunden, daß die durch Erwaͤrmung gut leuchtend werdenden Koͤr-
per auch beim Zerbrechen Licht zu geben pflegen. Reibt man ſolche
Aa 2
[364] Koͤrper an einander, ſo pflegt, wie namentlich bei weißem Zucker,
das Leuchten noch ſchoͤner zu ſein. Dieſes Leuchten iſt bekanntlich
oft ohne erhebliche Waͤrme und kann alſo mit dem Gluͤhen, dem
es ohnehin nicht gleicht, nicht zuſammengeſtellt werden. Daß
Electricitaͤt dabei ſtatt findet, iſt wenigſtens fuͤr die meiſten Faͤlle
eben nicht glaublich. Aber bekannt iſt, daß bei ſtarkem und fort-
geſetztem Reiben die lebhafteſten Licht-Erſcheinungen hervorgehen
koͤnnen, daß Koͤrper, die ſonſt ſehr wenig zum Phosphoreſciren ge-
neigt ſind, an einen ſchnell gehenden Muͤhlſtein gehalten, leuchtend
werden, wozu freilich die dabei ſtatt findende Erhitzung mitwirkt.
Die Farbe des hier entſtehenden Lichtes iſt nach Verſchiedenheit der
Koͤrper verſchieden, aber auch ungleich bei mehr oder minderer
Schnelligkeit und Gewalt des Reibens, wobei es aus dem matten
weißlichen oft ins feuerrothe uͤbergeht. Da wo wegen großer Hitze,
die durch Reiben entſtanden iſt, ein Gluͤhen von Metallen, z. B.
der feinen abgeſtoßenen Stahltheilchen, entſteht, da hat die umge-
bende Luft Einfluß auf die Erſcheinungen, und Sauerſtoffgas ver-
ſtaͤrkt ſie.


Phosphoreſcenz bei der Cryſtalliſation und bei der
Zuſammendruͤckung fluͤſſiger Koͤrper
.


Endlich muß ich zu dieſen Erſcheinungen, die faſt alle raͤthſel-
haft ſind, noch folgende beifuͤgen. Auch bei der Cryſtalliſirung,
wenn gewiſſe Salze ſich ausſcheiden, hat man zuweilen lebhaftes
Leuchten bemerkt. Und endlich entſteht auch bei ploͤtzlicher Aende-
rung der Dichtigkeit der Luft ein Leuchten, ſo wohl wenn man
Luft (am beſten Sauerſtoffgas und Waſſerſtoffgas gemiſcht) durch
einen Stoß comprimirt, als wenn die in einer Blaſe verdichtete
Luft dieſe zerſprengt und ſich ausdehnt. Dieſes Licht bei ploͤtzlicher
Ausdehnung der Luft iſt oft beim Abſchießen der Windbuͤchſe wahr-
genommen, und ſcheint da ſich verſtaͤrkt zu zeigen, wenn die ſehr
verdichtete Luft auf harte Koͤrper ſtoͤßt; — ob dann, wie einige
glauben, Electricitaͤt frei wird, oder ob der Widerſtand, welchen
dieſe feſten Koͤrper der Ausdehnung der Luft entgegenſetzen, Urſache
des Leuchtens ſei, iſt noch unbekannt. Selbſt die ploͤtzliche Com-
preſſion eines ſorgfaͤltig eingeſchloſſenen Waſſers giebt, nach Ver-
[365] ſuchen von Deſſaigne und Heinrich, ein merkliches Leuch-
ten *).


Chemiſche Wirkungen des Lichtes.


Alle dieſe Verſuche haben uns der Entſcheidung der Frage,
ob das Licht als Materie, als Beſtandtheil der Koͤrper anzuſehen
ſei, faſt gar nicht naͤher gebracht, indem freilich bei den Zerſetzungen
ſich dieſes allenfalls mit einigem Grunde annehmen laͤßt, aber in
andern Faͤllen das Entweichen dieſes Lichtſtoffs wenigſtens keine
ſolche Veraͤnderungen in den Koͤrpern hervorbringt, daß man dar-
uͤber irgend etwas Sicheres ſagen koͤnnte. Iſt der Lichtſtoff aus
den durch Beſtrahlung leuchtend gewordenen Koͤrpern entwichen,
ſo ſcheinen uns die Koͤrper darum noch eben dieſelben, und hier ſo
wohl als in den Faͤllen, wo die das Licht nicht zuruͤckſtrahlenden
Koͤrper es in ſich aufzunehmen ſcheinen, bleibt uns nichts uͤbrig,
als zu ſagen, daß dieſe feine Materie in den Koͤrpern vorhanden
ſein kann, ohne uns große Zeichen ihrer Gegenwart zu geben.


Etwas entſcheidender fuͤr die Materialitaͤt des Lichtes ſcheinen
die — verhaͤltnißmaͤßig wenigen — Faͤlle zu ſein, wo der Ein-
fluß des Lichtes merkliche Veraͤnderungen in den Koͤrpern hervor-
bringt. Ich werde nur einige dieſer Faͤlle anfuͤhren.


Das Hornſilber oder Chlorſilber, welches durch Kochſalz als
Niederſchlag aus ſalpeterſaurer Silber-Aufloͤſung erhalten wird,
nimmt, ſtatt der zuerſt weißen Farbe, im Lichte eine violette
Farbe an und wird dann ſchwarz. Hiebei iſt merkwuͤrdig, daß
der violette Strahl dieſe Schwaͤrzung am ſchnellſten und voll-
kommenſten bewirkt, und daß ſie neben dem prismatiſchen Far-
benbilde ſelbſt da noch ſtatt findet, wo uͤber die Grenze des Violett
hinaus keine ſichtbare Lichtſtrahlen mehr hin gelangen. Es ſcheint
hiernach, daß es Sonnenſtrahlen giebt, die noch ſtaͤrker brechbar
als die violetten ſind, die aber auf unſer Auge im hoͤchſten Grade
[366] ſchwach wirken und nur durch dieſe Einwirkung auf chemiſche
Veraͤnderungen ſich uns merklich machen. Und ſo wie hier jenſeits
der am meiſten gebrochenen violetten Strahlen noch Wirkungen
des Lichtes hervorgehen, ſo zeigt ſich umgekehrt an den Grenzen
der am wenigſten brechbaren rothen Strahlen noch Waͤrme; es
ergiebt ſich alſo, daß die Waͤrmeſtrahlen ſich mehr mit den minder
brechbaren Lichtſtrahlen, die Strahlen, welche chemiſche Wirkungen
hervorbringen, mehr mit den ſtaͤrker gebrochenen Lichtſtrahlen verei-
nigt finden. Ebenſo ungleiche Wirkungen zeigen die verſchiedenen
Farbenſtrahlen auf eine Miſchung gleicher Mengen Chlorgas und
Waſſerſtoffgas. Dieſe Miſchung bleibt in maͤßigen Temperaturen
im Dunkeln unveraͤndert, am bloßen Tageslichte verbinden ſich
die beiden Luft-Arten langſam zu Salzſaͤure, im Sonnenlichte
aber erfolgt dieſe Verbindung ſchnell und mit Verpuffung. Setzt
man die Miſchung dem Sonnenlichte ſo aus, daß es nur durch
rothes Glas zu derſelben gelangen kann, ſo tritt die Verbindung
gar nicht oder hoͤchſtens ſehr langſam ein, unter blauem Glaſe
dagegen erfolgt ſie bald und wohl gar auch mit Verpuffung.
Vogel hat bemerkt, daß die Blaͤtter der Klatſchroſe ſich unter
blauem Glaſe ſchneller entfaͤrben, als unter farbeloſem Glaſe.
Aehnliche Einwirkungen des Lichtes uͤberhaupt und der einzelnen
Farbenſtrahlen finden mannigfaltig ſtatt, doch laͤßt ſich ein allge-
meines Geſetz, ob das Licht oxydirend oder desoxydirend wirke,
oder ſonſt zu Entwickelung beſtimmter Stoffe, zur Verbindung
andrer, vorzugsweiſe beitrage, nicht angeben.


Daß dieſe in den Veraͤnderungen waͤgbarer Beſtandtheile
kenntlichen Erfolge ſich beſſer durch den Zutritt einer Lichtmaterie
als durch Vibrationen erklaͤren laſſen, ſcheint wohl einleuchtend;
doch hat Arago gezeigt, daß die Interferenzen auch bei den che-
miſchen Einwirkungen merklich ſind. Er ſtellte naͤmlich zwei ſehr
wenig gegen einander geneigte Spiegel ſo auf, wie es fruͤher (am
Ende der 15. Vorleſ.) angegeben iſt, ſo daß man die durch In-
terferenz ſich darſtellenden hellen und dunkeln Streifen wahrneh-
men konnte. Dieſen Strahlen wurde friſch bereitetes Chlorſilber
ausgeſetzt, und es zeigte ſich nun, daß die Schwaͤrzung deſſelben
ebenſo unterbrochen war, ſich mit ungeſchwaͤrzten Zwiſchenraͤumen
ſo darſtellte, wie ſich die Licht-Erſcheinung dem Auge darſtellte.
[367] Alſo waren die Stellen, wo das Zuſammentreffen zweier Licht-
ſtrahlen die Erleuchtung unterbricht, auch in chemiſcher Beziehung
von dem Lichte nicht veraͤndert worden. Indeß, wenn gleich da-
durch die Ueberzeugung ſich beſtaͤtiget, daß zwei Lichtſtrahlen auf
die ſchon oben angegebene Weiſe ihre Wirkungen aufheben; ſo
bleibt es doch noch immer unentſchieden, ob ein regelmaͤßig wech-
ſelnder Zuſtand der Lichttheilchen, wie die Emanationstheorie ſie
annimmt, oder ob eine regelmaͤßige Folge der nach Fresnel's
Theorie anzunehmenden, jeden Augenblick ihre Richtung aͤndern-
den Quervibrationen die Urſache dieſer Interferenzen iſt; oder —
muͤſſen wir wohl hinzuſetzen, — ob wir einer in weſentlichen
Puncten von beiden Anſichten abweichenden Theorie beduͤrfen, um
die Erſcheinungen des Lichtes zu erklaͤren.

Appendix A

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Notes
*)
Gehlers phyſ. Woͤrterb. 3 Th. S. 950.
*)
Poggend. Ann. d. Phyſ. V. 41.
**)
G. G. Schmidts Lehrbuch. (Gieſſen 1826.) S. 278.
*)
G. G. Schmidt Lehrbuch. S. 267. Gilb. Ann. XXXIII. 97.
**)
Weil ein Kreis von doppeltem Durchmeſſer viermal ſo viel
Flaͤche hat.
*)
G. G. Schmidts Lehrb. S. 271. 273.
**)
Gilb. Ann. XXXIII. 317.
*)
Runge beſchreibt in Poggend. Ann. XVII. 472. die Bewe-
gung kleiner Queckſilbertropfen, die vielleicht auch hieher gehoͤrt.
**)
Poggend. Ann. XIV. 294.
*)
Microſcopiſche Unterſuchungen uͤber des Herrn Robert Brown
Entdeckung lebender Theilchen in allen Koͤrpern von C. A. S. Schultze.
Carlsruhe. Herder. 1828.
*)
Poggendorf Ann. VIII. 127.
*)
Umſtaͤndlicher iſt dieſer Gegenſtand abgehandelt in Gehlers
Woͤrterbuch I. 40.
*)
So z. B. iſt das Eiſen mit der faͤrbenden Subſtanz des Blutes
ſo feſt verbunden, daß es ſich durch die gewoͤhnlichen Reagentien nicht
davon trennen laͤßt. Poggend. Ann. VII. 84.
*)
Das ſpecifiſche Gewicht des Sauerſtoffgas verhaͤlt ſich zu dem
des Stickgas, wie 1,1036 zu 0,9691, oder wie 1 zu 0,88, oder wie 2
zu 1,77.
*)
1 Atom Schwefel mit 1 Atom Sauerſtoff giebt die erſte, 1
Atom Schwefel mit 2 Atomen Sauerſtoff die zweite, 2 Atome Schwe-
fel mit 5 Atomen Sauerſtoff die dritte, 1 Atom Schwefel mit 3 Ato-
men Sauerſtoff die vierte.
*)
Außer dem, was die Lehrbuͤcher der Chemie hieruͤber lehren, iſt
vorzuͤglich zu vergl. Dumas uͤber einige Puncte in der Atomentheorie.
Poggend. Ann. IX. 293.
*)
Ich bin hier Gmelin gefolgt, einige andre Angaben haben
Ċu.S⃛2, weil ſie beim Kupfer Doppel-Atome rechnen.
*)
Handbuch der Perſpective von J. A. Eytelwein. Berlin 1810.
Die freie Perſpective, erlaͤutert durch practiſche Aufgaben und Beiſpiele
hauptſaͤchlich fuͤr Architecten und Maler, von J. E. Hummel. Ber-
lin 1824.
*)
Vgl. die Vorleſ. uͤb. d. Aſtronomie. 1. 80.
*)
v. Humboldt haͤlt es mit Recht fuͤr ein Zeichen ungewoͤhnlich
reiner Luft, wenn man einen weißen Gegenſtand noch bei 13 Sec.
Sehewinkel erkennt, wie es auf Bergen zuweilen der Fall iſt.
*)
Die Erklaͤrung der Abirrung des Lichtes ſetzt voraus, daß man
von der großen Entfernung der Fixſterne und der eben deswegen ganz
unmerklichen Parallaxe uͤberzeugt ſei, und ich kann ſie hier um ſo eher
uͤbergehen, da ſie in den Vorleſungen uͤber die Aſtronomie, 2. Th.
S. 210. vorkoͤmmt.
*)
Vgl. Rumfords Verſuche mit einer Lampe, die 52 Wachs-
lichtern gleichkam. Gilb. Ann. XLVI. 244.
*)
S. Gehlers Woͤrterbuch. Art. Helioſtat.
*)
1. Theil. S. 77.
*)
Eine dabei in gewiſſen Faͤllen vorkommende Schwierigkeit werde
ich etwas ſpaͤter erwaͤhnen.
*)
Spooner, der dieſes Wellenbild Kuͤmatage nennt, findet, daß
die Wellen des nur maͤßig aufgeregten Meeres doch eine Neigung der
Oberflaͤche, die bis auf 25 Grade geht, darbieten. De Zach Corresp.
astronomique. VII.
66.
*)
Wenn ich naͤmlich alle jene Kreiſe gleich zeichne, ſo iſt
nIoI = \frac{4}{3}lImI = \frac{4}{3}no,
aber no = \frac{9}{8}lm = \frac{9}{8}NO,
alſo aIoI = \frac{3}{2}NO = LM.
*)
Ein Zahlenbeiſpiel wird dies vollkommen erlaͤutern. Das Prisma
habe bei Z einen Winkel von 60 Graden, ſo iſt die geſammte Brechung
am kleinſten, wenn BC mit BZ und CZ Winkel von 60 Graden macht,
aber damit das geſchehe, muß ABG = DCH = 41°.25' ſein; macht
dagegen aB einen Winkel aBG = 40°.25', ſo macht Bc mit BZ
einen Winkel von 59°.30', alſo Bc mit eZ einen Winkel von 60°.30',
und der gebrochene Strahl cd iſt gegen die Seite cZ unter einem
Winkel von 42°.23' geneigt, das iſt, waͤhrend aB von AB um 1
Grad abweicht, hat CD ſeine Richtung cd nur um 58 Minuten ge-
aͤndert, und dieſe letzte Aenderung gleicht die erſtere nicht ganz aus,
ſondern die Brechung iſt vergroͤßert. Waͤre aIBG = 42°.25', ſo
wuͤrde dagegen dIcIH = 40°.23', und die Ablenkung, die fuͤr den
Fall der kleinſten Brechung 37°.10' betrug, macht hier 37°.12'.
*)
von Jacquins Aufſaͤtze in Baumgartners und von
Ettingshauſens
Zeitſchrift fuͤr Phyſik. IV. 1.; und V. 129. ent-
halten noch mehr beachtenswerthe Bemerkungen.
**)
1. Theil. S. 81. 185. 330.
*)
Um die Ellipſe zu zeichnen, kann man den Kreis HIKLM
(Fig. 72.) zeichnen; gegen den Durchmeſſer HL eine Reihe ſenkrechter
Linien ziehen, und ihre zwiſchen dem Durchmeſſer und dem Kreiſe liegen-
den Theile alle in gleichem Verhaͤltniſſe theilen, z. B. ND eben ſo gut
= ⅔ NI, wie PQ = ⅔ PK; dann liegen dieſe Theilungspuncte
D, Q, auf dem Umfange der Ellipſe. Zieht man eine Senkrechte KP
durch den Mittelpunct P des Kreiſes, und nimmt den Halbmeſſer PL
zwiſchen die Cirkelſpitzen, um damit von Q aus die Entfernungen
QB = QA = PL aufzutragen, ſo ſind A, B die Brennpuncte der
Ellipſe.
*)
Vgl. auch Gehlers Woͤrterbuch Th. IV. S. 144.
*)
Prechtls practiſche Dioptrik. (Wien 1828.) ſcheint mir ein
vor allen empfehlenswerthes Buch uͤber dieſe Gegenſtaͤnde zu ſein. Alle
bei Fernroͤhren vorkommende Betrachtungen ſind darin, mit Voraus-
ſetzung maͤßiger mathematiſcher Vorkenntniſſe ſehr deutlich dargeſtellt.
**)
Refractoren nennt man naͤmlich die aus bloßen Linſenglaͤ-
ſern zuſammengeſetzten Fernroͤhre, Reflectoren die Spiegelteleſcope.
*)
Man hat mit Recht die Frage aufgeworfen, warum dieſe ſehr
feinen Faͤden, im Brennpuncte des Objectivs ausgeſpannt, nicht ver-
*)
brennen, wenn man das Fernrohr auf die Sonne richtet, da ſie doch
der ganzen Hitze des Brennpunctes ausgeſetzt ſind. Ich habe mir dieſe
Frage ſogleich dadurch beantwortet, daß ein ſo feiner, zugleich viel Licht
reflectirender Faden nicht genug erhitzt werde, und habe deshalb mit
feinen Zwirnfaͤden und Seidenfaͤden, die doch ſchon ungemein dick gegen
jene Spinnewebenfaͤden ſind, Verſuche im Brennpuncte einer 5 zolli-
gen Linſe angeſtellt. Ein ſchwarzer Faden verbrannte ſogleich, ein ro-
ther Seidenfaden auch, ein feiner weißer Zwirnsfaden konnte aber ſchon
mit vieler Sicherheit in den Brennpunct gebracht werden, obgleich drei
oder vier Faͤden zuſammengedreht, auch wenn ſie weiß waren, in Brand
geriethen.
*)
Scoresby's Reiſe zum Wallfiſchfange 1822, Gilb. Ann.
IV. Taf. II. und III. Taf. III. Meine Beobachtungen uͤber die Strah-
lenbrechung (Oldenb. 1807.) und meine Unterhaltungen fuͤr Freunde der
Phyſik und Aſtronomie. 2. Hft. ſtellen Beiſpiele von dieſen Erſchei-
nungen in Abbildungen dar.
*)
Die in Fig. 85. mit r, o, g, gr, b, v, bezeichneten Kreiſe ſollten
eigentlich die dadurch angedeuteten Farben darſtellen; aber nicht allein in
w, wo alle einander bedecken, wird weiß entſtehen, ſondern auch bei b,
wird ein etwas ins Gelbliche ziehendes Weiß, bei oI, gI, ein etwas
blaͤuliches Weiß hervorgehen, und nur bei r, o, g, der rothe, orange,
gelbe, bei bI, vI der blaue und violette Rand ſchoͤn farbig ſein.
*)
Wollaſton hat dieſe ſchon fruͤher geſehen, aber Fraunhofer
entdeckte ſie, ohne dies zu wiſſen, und gab der Entdeckung erſt ihren
rechten Werth durch die Anwendung.
*)

Obgleich es gewiß iſt, daß das Auge nicht ganz achromatiſch
iſt, ſo ſcheint mir doch die Frage, ob nicht auch in dem innern Bau
des Auges noch ein Mittel zu Verminderung dieſer Farbenzerſtreuung
angebracht iſt, noch nicht ganz entſchieden. So viel iſt gewiß, daß der
Nachtheil der Farbenzerſtreuung im Auge ſehr geringe iſt; mich duͤnkt
geringer, als man nach der oben angegebenen Betrachtung zu erwar-
ten berechtigt waͤre. Ob hier nun die Miſchung der in die Retina ein-
dringenden Strahlen oder was ſonſt den Nachtheil vermindert, kann ich
nicht entſcheiden.
*)
Gruͤn und Roth divergirten 27'', Gruͤn und Violett 50'' im
Tafelglaſe, da nun im Flintglaſe Gruͤn und Roth 50'' divergiren, ſo
ſollten Gruͤn und Violett nur 93'' divergiren. Die Erfahrung giebt
aber 105''.
*)
Um nicht mehr zu behaupten, als ſich mit Sicherheit vertheidigen
laͤßt, will ich die Bemerkung beifuͤgen, daß es zweifelhaft bleibt, in
welchem Grade hervorglaͤnzend das Licht der ſo beſtimmten Nebenſonnen
ſein koͤnnte, daß aber die genaue Unterſuchung dieſes aus voller Spie-
gelung entſtehenden Sonnenbildes doch wahrſcheinlich zu der Erklaͤrung
fuͤhren muß, da das Silberweiß dieſer Nebenſonnen ſo ſehr hiefuͤr ſpricht.
*)
Meine umſtaͤndlichen theoretiſchen Unterſuchungen uͤber dieſen
Gegenſtand in Gehlers phyſ. Woͤrterbuch Art. Hof, darf ich wohl
den Beobachtern zur Pruͤfung empfehlen, indem ſie berechnete Zahlen
genug enthalten, mit denen die Beobachtungen uͤbereinſtimmen muͤſſen,
wenn die Theorie richtig iſt.
*)
Vgl. v. Goͤthe zur Farbenlehre I. und Gehlers Woͤrter-
buch. Art. Geſicht. S. 1423.
*)
Ich habe wohl kaum noͤthig, noch einmal zu bemerken, daß ich
unter: Fortpflanzungsgeſchwindigkeit diejenige verſtehe, die wir beim
Schalle: Geſchwindigkeit des Schalles, nennen; unter: Vibrations-
geſchwindigkeit, die Schnelligkeit der in ſehr kleinen Raͤumen hin und
hergehenden Theilchen, alſo diejenige, worauf die Staͤrke des Schalles
oder Lichtes beruht; unter: Schnelligkeit der Folge der Vibrationen,
die Zwiſchenzeit zwiſchen zwei gleichen Vibrationszuſtaͤnden, worauf beim
Schalle die Tonhoͤhe beruht. Fuͤr das Licht iſt die erſtere ungleich in
verſchiedenen, das Licht ungleich brechenden, Medien, die zweite ungleich
bei verſchiedener Intenſitaͤt des Lichts, die dritte ungleich bei verſchie-
denen Farben.
*)
Es iſt wohl kein Fehler ſo zu ſprechen, obgleich nicht die Mei-
nung iſt, daß dieſe Wellen ein violettes Fluidum, verſchieden von den
rothen Wellen, ſind.
*)
Fuͤr eine Stelle im Farbenbilde, die etwas mehr nach dem
Gruͤn zu liegt, giebt Fraunhofer 19,45 Milliontel des Pariſer Zolles
= 20,74 Milliontel des engliſchen Zolles, fuͤr die Grenze des Orange
und Gelb 21,75 Milliontel pariſer Zoll = 23,2 Milliontel engliſche Zoll,
ſtatt daß Herſchel 23,5 Milliontel engliſche Zoll hat. — Alſo hin-
reichend uͤbereinſtimmend.
*)
Fraunhofer bemerkt, es ſei nicht noͤthig, daß das Gitter
aus undurchſichtigen Faͤden oder Linien beſtehe, ſondern Glasfaͤden
leiſten eben das; aber um eine immer gleiche, nicht beſtimmt die Haupt-
ſache ausdruͤckende Bezeichnung zu waͤhlen, behalte ich den Ausdruck bei.
*)
Auch die Farbenſtreifen ſind wohl hieher zu rechnen, die man
oft im Spiegel wahrnimmt, wenn man das Auge ſo haͤlt, daß eine vor
dem Spiegel gehaltene Lichtflamme ganz nahe bei ihrem Bilde im
Spiegel erſcheint. Dieſe Streifen haben ihr Blau dem Spiegelbilde
*)
Um dieſe gut zu erhalten, muß man Perlmutter in recht feines
ſchwarzes Siegellack abdruͤcken; aber das Farbenſpiel, welches man
dann im Sonnenſtrahl erhaͤlt, iſt doch von dem des Perlmutters noch
verſchieden, ſo daß ich den Zweifel, ob nicht die feinen Blaͤttchen im
Perlmutter Antheil an dem Farbenſpiel haben, nicht ganz als widerlegt
anſehe.
*)
zugewandt, und ſind ſenkrecht gegen die durch die Flamme und ihr Bild
gezogene Linie. Sie entſtehen durch die auf dem Spiegel liegenden
Staͤubchen und andre Unreinheiten.
*)
Die rechtwinklichen Drei-Ecke KAO, AON, ſind aͤhnlich, und
ebenſo KAE, Aon, alſo KA : AO = AO : ON
AE : KA = on : Ao
das iſt AE : AO = on : ON = 0,674 : 0,604.
*)
Gilb. Ann. LXIX. 1. Poggend. Ann. X. 137.
*)
Ein Sphaͤroid hat nur eine Axe und alle darauf ſenkrechte
Querſchnitte ſind Kreiſe, ſtatt daß die durch die Axe gehenden Schnitte
Ellipſen ſind; beim Ellipſoid ſind auch die auf jene Axe ſenkrechten
Schnitte Ellipſen.
**)
Aehnlich dem, was bei der Reflexion gezeigt iſt.
***)
Annales de chim. et phys. XXII. 257.
*)
Ein dunkles glasartiges Mineral.
*)
Malus und Biot geben fuͤr Glas 35° 25' als den Polariſa-
tionswinkel an; da aber die Glaͤſer ſo ſehr ungleich ſind, ſo habe ich
lieber den beibehalten, welcher dem Brechungsverhaͤltniß ⅔ beinahe ent-
ſpricht.
*)
Selbſt groͤßere Stuͤcke aus dem Boden der Bologneſer Glaͤſer
zeigen das ſchwarze Kreuz.
*)
Die vier Arme des ſchwarzen Kreuzes breiten ſich ganz nahe an
dem Rande der Platte ſeitwaͤrts aus, und wenn man die Platte ein
wenig von der oben angegebnen Stellung entfernt, ſo daß ihre Seiten
etwas geneigt gegen die erſte Reflexions-Ebne ſind, ſo ſind die vier
Arme des Kreuzes faſt wie ein S gekruͤmmt.
*)
Die Phosphoreſcenz der Koͤrper von P. Heinrich, Nuͤrnberg,
1811, 1812, 1815, 1820.
*)
Michaelis uͤber das Leuchten der Oſtſee.
*)
Da ich in der erſten Abth. des Art. Licht in Gehlers Woͤr-
terbuch alles, was mir uͤber die Entſtehung des Leuchtens bekannt ge-
worden iſt, benutzt habe, ſo verweiſe ich in Hinſicht auf Litteratur auf
dieſen Artikel.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2025). Collection 1. Vorlesungen über die Naturlehre. Vorlesungen über die Naturlehre. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjxg.0