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Geſchichte
Alexanders des Großen


Ὥσπεϱ ϑεὸν ἐν ἀνϑϱώποις εἰκὸς εἶναι
τὸν τοιοῦτον ..... Κατὰ δὲ τῶν τοιούτων
οὐκ ἔστι νόμος· αὐτοὶ γάϱ εἰσι νόμος.

Aristoteles.

Mit einer Karte.

Hamburg,:
bei Friedrich Perthes.

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Seinem Freunde
Dr. Gottlieb Friedlaender,

Cuſtos der Koͤniglichen Bibliothek in Berlin.


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Mein lieber Freund,

Hat mir ſeit Jahren dieß Buch vom Alexander bei mancher
Muͤhe und mancher Beſorgniß, das Rechte wuͤrdig zu ſagen,
viele und ſtets neue Freude gewaͤhrt, ſo mag es mir jetzt
zum Schluſſe die noch bereiten, es Dir zu widmen mit dem
einen Wunſche, daß es Dir meiner herzlichen Liebe ein Zeug-
niß ſei. Vielleicht, daß mir ſpaͤtere Arbeiten beſſer gelingen,
lieber wird mir nicht leicht eine ſein, als dieſe, von der ich
wohl weiß, daß ich mit ihr von den ſchoͤnen Jahren der Ju-
gend Abſchied nehme; Dir aber wollte ich geben, was mir
das Liebſte iſt.


Da Du weißt, daß ich die Geſchichte Alexanders in der
Abſicht, die Zeit der Diadochen und weiter die des Hellenis-
mus zu bearbeiten, entworfen habe, ſo wirſt Du es nicht
unrecht finden, wenn ich ſie nicht als Monographie noch
als Biographie behandelt, ſondern den großen Mann, der
Anſicht gewiß, daß ſeine Perſoͤnlichkeit nur das Organ ſeiner
That, ſeine That nur der erſte Impuls einer Wirkung auf
Jahrhunderte iſt, in ſeiner geſchichtlichen Groͤße darzuſtellen
verſucht habe.


[]

Vieles Andere haͤtte ich vor Dir noch zu rechtfertigen,
oder auch Deiner Nachſicht zn empfehlen: doch da ich deren
gewiß bin, ſo will ich auch das nicht zu beſchoͤnigen verſu-
chen, was ſich nicht ſelbſt vertritt. Findeſt Du aber in den
Noten verhaͤltnißmaͤßig wenig citirt, von den Iskanderſagen
Unbedeutendes, von mittelalterlichen Traditionen gar nichts
benutzt, von neueren Hiſtorikern faſt nur St. Croix erwaͤhnt,
ſo wolle nicht das eine oder andere Uebelſte meinen, es ſei
Fahrlaͤſſigkeit oder Misachtung. Vergiß es lieber, wie oft
ich auf der Bibliothek, Dir damals noch ein Fremder, mit
meinem Fragen und Suchen nach Buͤchern und wieder Buͤ-
chern deine Geduld zu verſuchen genoͤthigt war. Daß ich von
allen nur wenige genannt habe, dazu zwang mich der ſchon zu
große Umfang des Buches; Alles, was irgend entbehrlich war,
mußte uͤber Bord geworfen werden; ein Schickſal, das ich
ſelbſt den Tabellen der Chronologie, der Satrapien und des
Heerweſens, ſo wie den Stammtafeln Perſiſcher und Mace-
doniſcher Familien nicht habe erſparen koͤnnen.


Berlin, den 24. December 1833.


Joh. Guſt. Droyſen.

[]

Geſchichte
Alexanders des Großen.


[][[1]]

Erſtes Kapitel.
Einleitung.


Wenigen Menſchen und wenigen Völkern wird das Vorrecht zu
Theil, eine höhere Beſtimmung als die Exiſtenz, eine höhere Unſterb-
lichkeit als zeitloſes Vegetiren, als das Nichts der körperloſen Seele
zu haben. Berufen ſind alle; aber denen, welche die Geſchichte zu
Vorkämpfern ihrer Siege, zu Werkmeiſtern ihrer Gedanken auser-
wählt, giebt ſie die Unſterblichkeit des Ruhmes, in der Dämmerung
des ewigen Werdens gleich einſamen Sternen zu leuchten.


Weſſen Leben alſo über die öde Dämmerung der Zeitlichkeit
emporſteigt, dem iſt der Friede des Lebens und der Genuß der Ge-
genwart verſagt, und auf ihm laſtet das Verhängniß einer Zukunft;
ſeine That wird ihm zur Schuld, ſeine Hoffnung zu einſamer Sorge
und raſtloſer Arbeit um ein Ziel, das doch erſt ſein Tod erfüllt; und
noch die Ruhe des Grabes ſtören die lärmenden Kampfſpiele um
ſeine Heldenwaffen und ein neues, wilderes Ringen der aufgerüttelten
Völker.


Alſo drängt ſich das Chaos des Menſchengeſchlechtes Fluth auf
Fluth; über den Waſſern wehet der Geiſt Gottes, ein ewiges Werde,
eine Schöpfung ohne Sabbath.


Und wie an dem erſten Schöpfungstage Gott das Licht von
der Finſterniß ſchied, und aus Abend und Morgen der erſte Tag
ward, ſo hat der erſte Tag der Geſchichte die Völker aus Abend
und Morgen zum erſten Male geſchieden zu ewiger Feindſchaft und
dem ewigen Verlangen der Verſöhnung; denn es iſt das Leben des
Geſchaffenen, ſich aufzuzehren und zurückzuſinken in die alte friedliche
1
[2] Nacht des ungeſchaffenen Anfangs; drum ringen die Völker aus
Abend und Morgen den Kampf der Vernichtung; ſie ſehnen ſich
nach endlicher Ruhe.


Dieſe Sehnſucht der Völker iſt ein verlornes Paradies; aus ſei-
nem Paradieſe trieb den Sohn des Morgenlandes die Angſt des
erwachten Gedankens, der umſonſt nach Freiheit rang; gebannt in
die weitlagernde Einöde von Höhen und Tiefen, umfluthet von den
heimathloſen Horden der Urzeit, die er nur zu knechten, nicht zu
ordnen vermochte, verdammt zum ewigen Arhimanskampfe des Ge-
ſetzes und der Ohnmacht, zog er umſonſt gen Abend, gegen die Völ-
ker der Freiheit.


Dieſelbe Sehnſucht iſt das Mährchen von der goldenen Zeit,
von der der Grieche träumte und ſang und nicht müde wurde zu
dichten; denn da herrſchte der Friede der ſeligen Götter und die
Menſchen lebten fromm und glücklich und wandelten mit den Göt-
tern im heiligen Haine, ihr Himmel war auf Erden und der Freude
kein Ende. So dichtete der Grieche, und ſeine Sehnſucht geſtaltete
ſich zu den Kämpfen und Leiden der Heroen, zur Freiheit der Kraft
und des Willens; ſeine Welt ward die Bühne eines ſteten Ringens,
die Paläſtra des Gedankens, ſein Leben dem großen Kampfſpiel der
Zukunft geweiht, deſſen Siegespalme jenſeit des Meeres, jenſeit
des erkämpften Perſerreichs, an den ſtillen Ufern des Ganges grünt.
Dann iſt die Zeit erfüllt, dann kämpft und ſiegt der Heldenjüng-
ling mit ſeinen Getreuen, dann jauchzen und frohlocken die Völker
vom Aufgang bis zum Niedergang; er aber kehrt ohne die Palme
des Ganges zurück, und um ſein frühes Grab fluthet ein neues,
wilder gährendes Chaos.


Denſelben Kampf wiederholen die Jahrhunderte unabläſſig; die-
ſelbe Angſt treibt die Völker Aſiens gen Weſten, daſſelbe Verlangen
den Abendländer zum heiligen Grabe, zu den Schätzen Golkondas,
zum verſchollenen Golde des Altai; mit allen Waffen der Gewalt
und Liſt, der Wildheit und Bildung, des Glaubens und Wiſſens,
der Maſſe und des Gedankens treten neue und neue Völker in die
Schranken, und nur die Potenzen ihrer Gewalt unterſcheiden ſie.
Schon niſtet Aſien nah am Herzen Europas, ſchon hat Europa die
Thore des hohen Aſiens erbrochen; wer kennt die Zukunft? Aber
einſt, wenn aus Abend und Morgen der letzte Kampf entſchieden
[3] iſt, dann wird die Ruhe des ſchweigenden Anfangs wieder ſein und
die Geſchichte hinwegeilen in eine neue Welt.


Beginn und Ende dieſes Kampfes der Jahrhunderte hat die
Veſte der alten Welt in ihrer geographiſchen Bildung präformirt;
es ſcheidet ſich Aſien und Europa im Griechiſchen Meere, es vereint
ſich in den weiten Steppen der Wolga. —


In Aſien ſelbſt ſchließen mächtige Bergwälle die Länder In-
diens, Chinas, des Buddhaismus; in ſich verſunken haben ſie in
den großen Kämpfen der Geſchichte nie fördernd und ſelten leidend
Antheil genommen; von ihnen weſtwärts erſt wohnen die Völker
des geſchichtlichen Kampfes. Er iſt in dem Stromthale Meſopota-
miens zum erſten Male erwacht; aber die Völker von Babylon und
Aſſyrien wies der Lauf ihrer Ströme dem Südmeere zu, ihre
Züge gen Weſten haben ſie mit frühem Untergange gebüßt. Auch
an den Küſten regte ſich das Leben der Völker; aber Aegypten war
für immer der Erde verfallen, Israel ein verſtoßener Liebling Got-
tes, der Phönicier ein Fremdling in ſeiner Heimath. Dann zog
Medien gen Weſten, und die Turanier bedrehten es im Rücken;
es drang ſiegend nach Süden vor, um in der Ueppigkeit des Thal-
landes zu verkommen. Erſt das Geſchlecht der Perſer war beru-
fen, dieſe Völker alle zu beherrſchen und von der hohen Burg Iran
hinab ſeine Waffen und ſeine Ketten bis in das Abendland zu tra-
gen; ihr Reich lehnte ſich an den Weſtabhang des großen Gebirgs-
walles, der Aſien theilt, es knechtete die Tiefländer nordwärts und
ſüdwärts, die Völker von Baktrien und Syrien, es bezwang die
Länder des Taurus und Libanon, des Halys und Nilſtromes, die
Brücken nach Europa und Afrika; aber das Meer und die Wüſte
ward ſeine Grenze; hier brach ſeine Kraft an der todten Gluthitze
Lybiens, dort an der lebendigen Kraft der Europäiſchen Freiheit; die
Rieſenmaſſe des Reiches, nur durch die mechaniſche Bewegung wei-
ter Eroberungszüge zuſammengehalten, begann ſich zu löſen und zu
verweſen; das Herz des Reiches war die Todtenſtadt Perſepolis.


Der traurigen Einförmigkeit des Aſiatiſchen Feſtlandes gegen-
über ſteht die ſchöne Gliederung des Europäiſchen Erdkörpers; eine
reichere, raſchere Entwickelung des geiſtigen Lebens vorgeſtaltend, in-
1 *
[4] dividualiſirt ſich derſelbe zu einem Cyklus von Länderformen, deren
geſchichtliche Stellung unzweideutig ausgeprägt iſt. Die Halbinſel
des Hämus, dem Feſtlande des geſchichtlichen Aſiens am nächſten,
iſt durch ihre geographiſchen Verhältniſſe als der unmittelbare Ge-
genſatz von Aſien gezeichnet. Im reichſten Wechſel von Bergen und
Thälern, durch tiefeindringende Meerbuſen, die den einzelnen Land-
ſchaften den Zugang zum beweglichen Element der Wellen öffnen,
in ſich gleichſam vervielfacht, an den Erzeugniſſen eines ewig heitern
Himmels zu reich, um das Menſchenleben mit Mangel und Elend
kämpfen zu laſſen, arm genug, um es nicht in gedankenloſer Wol-
luſt zu ſchwächen oder zu träger Sicherheit zu verwöhnen, weckt es
Thätigkeit, Kraft und Luſt am raſchen Genuß und bedingt nach der
Verſchiedenheit von Thälern und Bergen, von Küſten und Binnenland,
von fruchtbaren Geländen und dürftigem Felsboden auf einem kleinſten
Raum den größten Wechſel von Lebensweiſen und Bedürfniſſen, von
Betriebſamkeit und Verkehr. Zu der allgemeinen Familie der abend-
ländiſchen Völker gehörig, entwickelten die Autochthonen jenes glücklichen
Landes frühzeitig eine eigenthümliche Beweglichkeit und Mannich-
faltigkeit des Lebens; bald verſchwanden die Pelasger vor den Hel-
lenen, der Naturzuſtand vor der Regſamkeit der erwachten Bildung
und Wanderluſt, die die Hellenen nach Oſten und Weſten verbrei-
tete; vor allen lockten die ſchönen Inſeln der Aegäiſchen See, die
Küſten im Oſten, die in gleicher Weiſe wie die Heimath von Meer-
buchten durchſchnitten, von Gebirgen umſchloſſen und geſchützt ſind.
Die Natur ſelbſt hatte den Hellenen dieſen öſtlichen Gegenden zuge-
führt; denn dorthin ſenken ſich die Berge und Thäler ſeiner Hei-
math, dorthin öffnen ſich die Meerbuchten, deren Fahrwaſſer ſich
mit regelmäßigen Eteſien, die bis Sonnenuntergang wehen, vereint,
um die Schiffe in kleinen und gefahrloſen Tagefahrten von Inſel
zu Inſel bis an die Küſte Aſiens zu führen. Bald füllten ſich die
Inſeln und die ſchönen Geſtade Joniens mit Griechiſchen Anſiedlun-
gen, und wetteiferten mit dem Heimathlande an Reichthum, Lebens-
luſt und heiterer Kunſt; die Geſänge der Homeriden ſind das Ver-
mächtniß dieſer glückſeligen Zeit, da der Grieche in dem engen und
doch ſo reichen Kreiſe des heimathlichen Lebens die Anfangsgründe
des Lebens gelernt hat.


So die Heimath des helleniſchen Volksthums; Gebirge umzie-
[5] hen das Gebiet des Aegäiſchen Meeres vom Hellespont bis zum
Iſthmus, von hier bis zum Tänariſchen Vorgebirge; ſelbſt durch das
Meer hin bezeichnen Cythere, Kreta, Rhodus dieſe Umſchließung,
die auf der Kariſchen Küſte in mächtigeren Gebirgsformen hervor-
tritt, und in reichen Thälern und Berghängen zum Meere hinab-
ſinkend bis zum ſchneereichen Ida und dem Hellespont hinzieht.
Jahrhunderte hat ſich das Helleniſche Leben in dieſem Kreiſe bewegt;
und jene Richtung gen Oſten, die dem Geiſt des Volkes von dem
Boden der Europäiſchen Heimath mitgegeben war, ſchien ſich in je-
ner zweiten Heimath, die er auf der Küſte Aſiens fand, erfüllt und
bewährt zu haben.


Und doch blieb in dem ahnenden Gefühl des Volkes das Mor-
genland, die Völker des Oſtens der ſtete Gegenſatz des Griechen-
thumes; in Sagen und Geſängen geſtaltete ſich die eigene Zukunft
vor; ein goldener Hort oder ein ſchönes Weib wurden der unmit-
telbare Ausdruck einer tieferen Sehnſucht. Aus dem Morgenlande
entführt der Olympier Zeus das Sidoniſche Fürſtenkind und nennt
Europa mit ihrem Namen; nach dem Morgenlande flüchtet Jo, um
dort den Helleniſchen Gott zu umarmen, den ihr in der Heimath
die Göttinn von Argos verſagt. Auf dem Widder mit goldenem
Vließ will Hella gegen Oſten flüchten, um dort Frieden zu finden;
aber ſie verſinkt in das Meer, das ihre Heimath vom Lande des
Friedens trennt. Die Argonauten ziehen aus, das goldne Vließ
heimzuholen aus dem Walde von Kolchis; das iſt der erſte Kriegs-
zug gegen das Morgenland; mit den Helden zurück kommt Medea,
die arge Zauberin, die Haß und Blutſchuld in die Königshäuſer von
Hellas bringt, bis ſie, verſtoßen und misehrt von dem Heros Athens,
zurückflüchtet in die Mediſche Heimath.


Dem Argonautenzuge folgt ein zweiter Heldenkampf, der hei-
mathliche Krieg gegen Theben, das traurige Vorbild des Haſſes und
der brüderlichen Kämpfe, die Griechenland lange zerrütten ſollten.
In verhängnißvoller Verblendung hat Laios gegen das Orakel des
Gottes einen Sohn gezeugt, hat Oedipus ſein Vaterland miskannt
und kehrt, die Fremde ſuchend, zur Heimath zurück, erſchlägt den
Vater, zeugt mit ſeiner Mutter, und herrſcht in der Stadt, der beſ-
ſer das Räthſel ihres Untergangs nie gelöſt wäre. Und als er end-
lich ſeiner Schuld inne wird, ſo blendet er in frecher Wildheit ſein
[6] ſehendes Auge, verflucht ſich, ſein Geſchlecht, ſeine Stadt, und das
Schickſal eilt ſeinen Spruch zu erfüllen, bis der Bruder den Bru-
der erſchlagen hat, bis ein Trümmerhaufe die Stätte dreifacher
Blutſchuld deckt.


Und ſchon beginnt Frevel und Blutſchuld heimiſch zu werden
unter den Menſchen, die Zeit der Heroen eilt ihrem Ende zu; die
Fürſtenſöhne, die um die ſchöne Helena geworben, ſitzen daheim bei
Weib und Kind, und kämpfen nicht mehr gegen Rieſen und Frevel.
Da rufen die Herolde der Atriden zum Heereszuge gen Oſten auf;
gen Oſten iſt Helena entführt von dem Gaſtrechtſchänder Paris.
Von Aulis aus ziehen die Fürſten Griechenlands gen Aſien, und
mit den Fürſten ihre Getreuen und ihre Völker. Lange Jahre
hindurch kämpfen und dulden ſie, und Achilles feiert die Leichenſpiele
ſeines Freundes Patroklus; dann trifft ihn ſelbſt der Pfeil des Ver-
räthers und des Kampfes Ende iſt gekommen; Troja fällt. Wohl
haben die Achäer erreicht, was ſie wollten, aber die Heimath iſt für
ſie verloren; die einen ſterben in den Fluthen des empörten Meers,
andere zerſtreuen ſich in die fernen Länder der Barbaren, oder er-
liegen der blutigen Tücke, die am heimathlichen Heerde ihrer harrt.
Die Zeit der Heroen iſt vorüber, und von dem entarteten Geſchlecht
wenden die Götter ihr Antlitz.


So die Sagen und die Ahnungen des Volks; und als an den
Küſten des Aegäiſchen Meres die Geſänge der Homeriden verſtumm-
ten, begannen ſie ſich zu erfüllen. Aus fernem Oſten drangen die
Heere der Perſer heran, ſie kämpften am Halys, bald unter den
Mauern von Sardes, und mit dem Lydierreiche fielen die Helleniſchen
Städte der Küſte, die, jetzt in Barbarenhand, den Blick der freiern
Hellenen von Neuem gen Oſten lenkten und zu unabläſſigen
Kämpfen für die Freiheit aufriefen. Jene Städte empörten ſich,
von den Athenern unterſtützt drangen die Jonier ſiegreich bis
Sardes vor, aber nur um deſto tiefer zu fallen. Mit der Einnahme
Milets war die ganze Küſte geknechtet; die Inſeln unterwarfen ſich,
die See ward von Phöniziſchen Flotten beherrſcht, ihre Nordküſte
von Perſern beſetzt, ſchon kamen Geſandte des großen Königs nach
dem Griechiſchen Feſtlande und forderten Erde und Waſſer. Aber
in der Ebene von Marathon retteten die Athener ihre junge Frei-
heit, und ſchützten die Helleniſche Heimath vor dem Joche Aſiatiſcher
[7] Sklaverei. Und zum zweiten Male rüſtete der große König, und
die Völker vom Indus und vom Nil ſtrömten über den geknechte-
ten Hellespont nach Europa, die dreihundert Männer der Thermo-
pylen kämpften vergebens, und Theben verbündete ſich mit dem
Sklavenheere des Xerxes; Athen fiel in ſeine Hände, die Tempel,
die Gräber wurden zerſtört; die dreihundert Schiffe der Griechen,
ihre letzte Zuflucht, waren von der Perſerflotte umzingelt in der
Salaminiſchen Bucht, und auf der Düne thronte Xerxes auf golde-
nem Throne, um von dort herab den Sieg ſeiner Völker und den
Untergang der freiheittrotzenden Hellenen zu ſehen. Da brachen die
Griechen mit freudigem Schlachtgeſang hervor, ſie kämpften und
ſiegten, Scheiter und Leichen bedeckten die See und die Geſtade;
der große König zerriß lautjammernd ſein Kleid, und floh in blinder
Flucht heimwärts. Die Ueberbleibſel ſeiner Geſchwader vernichtete
der Tag von Mykale, der Jonien zur Freiheit rief; und unter den
Mauern Platää’s fielen die letzten Perſerſchaaren, die Griechenland
geſehen.


Mit dieſen Kämpfen war unter den Hellenen ein neues, wun-
derreiches Leben erwacht, das der gefährdeten, ihrer ſelbſt ſich be-
wußten Freiheit. Dies Bewußtſein war zugleich Frucht und Saame
der Freiheit, aber die Freiheit, die es zeugte, eine höhere als jene
bewußtloſe, natürliche, autochthoniſche, die, in ſich ſelbſt geſchloſſen,
ohne Kampf, ohne Bethätigung und Berechtigung geblieben war.
Dieſe bewußtloſe Freiheit der vorperſiſchen Zeit iſt in den Doriſchen
Staaten,
namentlich in Sparta feſtgehalten worden; alte Ein-
fachheit und Tüchtigkeit, Ernſt und Stätigkeit in öffentlichen, Ehrer-
bietung und Tugend im häuslichen Leben ſind ihre Vorzüge; Unter-
drückung neben Privilegien der edleren Geſchlechter, Geiſtesarmuth
neben Herrſchſucht, Brutalität neben Heimtücke und Heuchelei, wenn
einmal Begierde die Feſſeln der ſtrengen Lykurgiſchen Zucht zerreißt,
das ſind ihre großen Mängel und zugleich die Mittel, die dem Volke
der Spartaner einmal zur höchſten Macht in Hellas verhelfen ſollten.


Dem gegenüber ſteht die demokratiſche Freiheit Athens;
ihre Grundlage und der Impuls ihres Fortſchrittes und ihrer Ho-
heit iſt jenes Bewußtſein der gleichen Berechtigung aller Bürger,
denn alle haben Theil gehabt an dem Kampfe für die Freiheit; daſ-
ſelbe Bewußtſein treibt ſie zu immer neuem Kampfe, ſo lange ihrer
[8] Freiheit noch Gefahr von den Perſern droht, ſo lange die Freiheit
in ſich noch Elemente der Ungleichheit verbirgt; und dieſe ſelbſt arbeitet
der Kampf gegen die Barbaren hinweg; mit Cimon, dem letzten
Ariſtokraten Athens, hörte der Perſerkrieg auf, Perikles lenkte den
Staat; die Demokratie und die Macht Athens war auf ihrem Gipfel.


Aber die Conſequenzen dieſer Freiheit ſelbſt führten zum Un-
tergange. Warum ſollten Wenige, durch die Zufälligkeiten der Ge-
burt und des Reichthums ausgezeichnet, größeren Einfluß, höhere
Achtung als jeder andere freie Bürger haben? ſo fiel die Ariſtokratie
und die Stätigkeit des gemeinen Weſens. Warum ſollte ferner,
was irgend wer vor Zeiten für und durch das Volk gethan, ihn
ſpäter noch über Andere und Alle erheben, die Zukunft an eine längſt
verbrauchte Vergangenheit gefeſſelt ſein? ſo wurde Ariſtides, The-
miſtokles, Cimon, Thucydides durch den Oſtracismus verbannt, ſo
der Areopagus geſtürzt, ſo alle Entſcheidung an das Volk gegeben,
das Perikles mit immer neuer Kraft zur höchſten Entwickelung des
demokratiſchen Bewußſeins, endlich zum offenbaren Krieg mit den
Doriſchen Staaten führte. Daſſelbe Bewußtſein entwickelte in der
Philoſophie Anaxagoras, des Perikles Freund, der die Ordnung der
Dinge von den Göttern auf den Verſtand hinüber trug, der den
Glauben der Menge durch das Bewußtſein der Verſtändigen Lügen
ſtrafte. Und als der Peloponneſiſche Krieg begann, übernahmen es die
Sophiſten, jenes zerſtörende Warum weiter zu verfolgen, die Dema-
gogen, es in alle Adern des Volkslebens wie ein ſüßes Gift zu ver-
breiten; ſie nannten Geſetz und Recht Willkühr und Satzung, das
eigne Gewiſſen letzte Entſcheidung, den eignen Nutzen höchſten Zweck,
die Macht zur Herrſchaft berechtigt, den Staat um des Einzelnen
Willen und zu deſſen Förderung groß und reich. In den Myſterien
war bisher verborgen und der Frivolität des Geſchwätzes, dem Tau-
mel des öffentlichen Lebens entrückt geweſen, was allem Zweifel und
allem Spott unerreichbar ſein mußte, wenn der Demokratie noch
irgend Charakter und Haltung bleiben ſollte; auch von ihnen wich
jetzt die alte Ehrfurcht; alles Gemeinſame ging unter, das Volk
löſte ſich auf in die Atomiſtik der Ochlokratie, die Theilnahme an
dem öffentlichen Leben in ein wildes Gewirr perſönlicher Leiden-
ſchaften und Lächerlichkeiten, der Glaube der Väter in den Atheis-
mus der ſophiſtiſchen Aufklärung. Mit gleichem Rechte war es,
[9] daß Athen der ſtrengen alterthümlichen Macht der Spartaner erlag,
und daß es jenen Weiſen zum Giftbecher verdammte, der ſtatt der
heimathlichen Götter dem eigenen Dämon gehorchte, der die Jugend
verführte, daß ſie Vater und Mutter verließen, um der neuen Lehre
zu folgen.


Das Ende des Peloponneſiſchen Krieges iſt ein entſchei-
dender Wendepunkt in der Geſchichte Griechenlands; der lineare
Gang der an Athen geknüpften Entwickelung, welche die andern Staa-
ten theils als Feinde, theils als Unterthanen von der Höhe der
Bildung und des Bewußtſeins ausgeſchloſſen hatte, mußte ſich über
alle Griechen ausbreiten, und allen jene Freiheit, wie ſie der Zeit
entſprach, mittheilen. Die Hegemonie kam an den Staat der vor-
perſiſchen Zeit; aber je weiter Sparta hinter der Zeit zurück geblie-
ben war, deſto unnatürlicher und drückender wurde eine Herrſchaft,
die die Hoffnung aller mehr als betrog, und Freunde und Feinde
in daſſelbe Joch zu zwingen begann. Auch war es nicht mehr die
alte Spartanerſtadt; Armuth, Mäßigkeit, Gehorſam waren die er-
ſten Forderungen ihres großen Geſetzgebers geweſen; jetzt ſtrömten
die reichen Tribute Joniens und der Inſeln nach Sparta zuſam-
men, jetzt herrſchten die daheim zu blindem Gehorſam Gewöhnten
in frecher Willkühr über die Städte von Hellas, und brachten Wol-
luſt, Goldgier, jegliche Entartung zurück in die Stadt Lykurgs.
Sie kämpften gegen die Perſer, aber nicht in dem großartigen In-
tereſſe der Helleniſchen Freiheit, über die ſie mit dem Golde der
Barbaren triumphirt hatten; ſie ſandten ein Söldnerheer, mit dem
der Empörer Cyrus gegen ſeinen Bruder und Herrn auszog; ſie
ſandten an die Aſiatiſchen Städte, die ſich in ihre Arme geworfen,
Feldherren und Hauptleute, um nicht die reichen Tribute an Per-
ſien zu verlieren; ſie ſandten endlich ihren hochfahrenden König
Ageſilaus zum Kampf gegen die reichen Satrapien Kleinaſiens, den
dieſer voll eitlen Stolzes, als wäre er ein zweiter Agamemnon, von
Aulis aus mit einem großen Opfer beginnen und als Nationalkrieg
aller Hellenen angeſehen wiſſen wollte, obſchon von den größeren
Staaten keiner Antheil nahm. Vielmehr brach während ſeiner Ab-
weſenheit eine Reaktion aus, die um ſo bedenklicher war, je weni-
ger Sparta ſelbſt auf ſeine alten Bundesgenoſſen rechnen konnte;
kaum hatte Ageſilaus Zeit, aus Aſien zurückzukehren, um in der
[10] Ebene von Koronea ſeinem Staate wenigſtens die Herrſchaft auf
dem Feſtlande zu ſichern, indem die Flotte, durch Konons Sieg mit
Perſiſchen Schiffen, faſt vernichtet war; die Inſeln erhielten von
Konon ihre Autonomie, Athen ſeine langen Mauern wieder; und
Sparta, zu erſchöpft, um allein gegen Athen, Argos, Korinth, The-
ben auftreten zu können, eilte ſich durch Vereinigung mit dem Per-
ſerkönige zu behaupten. Antalcidas machte mit dem Groß-
könige jenen verrätheriſchen Frieden, nach dem alle Helleniſchen
Städte in Aſien nebſt Cypern den Perſern zufallen, alle andern
Städte groß und klein ſelbſtſtändig ſein, endlich, wer den Frieden
nicht anerkannte, von den Perſern und den Theilnehmern des Frie-
dens bekriegt werden ſollte.


Wurde durch dieſen Frieden auch die Küſte Aſiens Preis ge-
geben, ſo war er doch, freilich wider Spartas Willen, für die Ver-
breitung der demokratiſchen Freiheit von der größten Wichtigkeit.
Ueberall löſten ſich die alten Bande, die mehrere Ortſchaften einer
Stadt unterthänig gemacht hatten, und die Bewohner kleiner Städte
nannten ſich fortan mit demſelben Stolz, wie die Männer Athens
oder Thebens, freie Bürger; Griechenland begann in eine Menge
von Mittelpunkten atomiſtiſch zu zerfallen, und auf dieſe Weiſe zu
der fruchtbaren Gährung eines vielfältigen Einzellebens aufgelöſt
alle Kräfte und Formen zu entwickeln, die zur Bewältigung und
Durchgeiſtigung Aſiens, dem letzten Ziele des griechiſchen Lebens,
nöthig waren.


Scheinbar hatte der Antalcidiſche Frieden die entgegengeſetzten
Folgen; Sparta ſetzte die Autonomie der kleineren Gemeinden und
die Auflöſung von Gauvereinen überall durch, wo es mächtige
Staaten zu ſchwächen galt; aber weit entfernt, die eignen Schutz-
bündner und Unterthanen frei zu geben, machte es vielmehr ſeine
Obergewalt in der Peloponneſiſchen Symmachie mehr als jemals
geltend, führte wo es irgend möglich war, oligarchiſche Verfaſſun-
gen ein, und benutzte jede Gelegenheit, um unter dem Vorwande,
die Selbſtſtändigkeit der Städte zu gründen, ſeine Macht über ganz
Hellas auszubreiten; ja mit offenbarem Unrecht wurde Theben von
den Spartanern beſetzt, eine Oligarchie eingerichtet und Alles, was
nicht Spartaniſch war, vertrieben. Aber damit hatte Sparta ſich
ſelbſt den Tod gebracht. Einige Flüchtlinge, Pelopidas an ihrer
[11] Spitze, kehrten nach Theben zurück, er[ſc]hlugen die Oligarchen mit
ihrem Anhang, und riefen das Volk [a]uf, mit ihnen die Demokra-
tie zu vertheidigen, und die alte Ma[c]ht über Böotien wieder zu er-
kämpfen. Die Städte Böotiens, die durch den Frieden unabhän-
gig geworden waren, traten wi[e]der zum Böotiſchen Bunde, nur
Orchomenos, Platää und Thspiä weigerten ſich; ſie wurden be-
zwungen, ihre Gemeinden aufgelöſt, die Bürger exilirt und
zu Sclaven gemacht. Dann drang Theben unter Pelopidas
und Epaminondas nach Süden und Norden weiter vor, und rief
die Städte des Feſtl[a]ndes zur Selbſtſtändigkeit und Demokratie
auf. Die Schlacht von Leuktra öffnete den Weg zum Peloponnes,
in dem ſich, ſeit di[e] Furcht vor den Spartaniſchen Waffen geſchwun-
den war, ein nues Leben regte; überall wurde das Joch der Oli-
garchie abgeſch[ü]ttelt, mit Thebens Beiſtand machte ſich ſelbſt Meſſe-
nien frei; und als endlich die Schlacht von Mantinea gekämpft
war, hat[te] Spartas Macht ein Ende, der Peloponnes eine neue
demokrati[ſ]che Geſtalt im Sinne der Zeit. In jener Schlacht war
Epami[n]ondas und mit ihm die Stütze der Thebaniſchen Macht
gefallen die, getragen und geadelt durch die Perſönlichkeit einzelner
Männe[r], ſchnell zu der alten Unbedeutendheit zurückſank, und durch
den [k]urzen Rauſch eines Vorranges in Hellas zu Uebermuth und
In[ſo]lenz verwöhnt, die alten Laſter und die neue Ohnmacht nur
de[ſt]o widerlicher vermengte. Auch Athen, das ſich im Kampf zwi-
[ſ]chen Sparta und Theben ſtets in der Rolle einer dritten Macht
den Ausſchlag zu geben bereit gehalten und ſich noch einmal eine
große Reihe von Seeſtaaten zu verbünden geſucht hatte, ließ bald,
durch Habſucht, Sorgloſigkeit und unwürdige Demagogen verleitet,
alle Rückſicht auf die Verbündeten und ihre Anrechte ſo außer
Acht, daß dieſe die nächſte Gelegenheit zum Abfall wahrnahmen;
Athen verlor zum zweiten Male ſeine Seeherrſchaft. So war in
Griechenland kein Staat weiter, der gegen die übrigen ein Ueber-
gewicht hätte geltend machen können; die Selbſtſtändigkeit aller ein-
zelnen Gemeinden, wie der Antalcidiſche Friede ſie verheißen, war
faſt durchweg verwirklicht; die Freiheit hatte ſich bis zur Gleichheit
abgeſtumpft; Hellas war reif für fremde Herrſchaft.


Man darf nicht ungerecht gegen dieſe Zeit ſein; es iſt wahr,
daß Beſtechlichkeit, Geſinnungsloſigkeit, Liederlichkeit ſie brandmar-
[12] ken; es iſt wahr, daß aus [d]em öffentlichen Leben aller Ernſt, daß
aus dem häuslichen Leben [a]lle Tugend und Schaam gewichen
war, daß die Führer des Volk[es] ſich, gleichviel von wem, erkaufen
ließen, daß Griechiſche Söldner durch die Welt zerſtreut für und
gegen die Perſer, für und gegen Fr[e]iheit, Tyrannei und Vaterland
kämpften; aber es beweiſet dies alles nur, daß die Zeit des alten
demokratiſchen Lebens, der herrſchenden Stadtgemeinden, des engen
bürgerlichen Intereſſes vorüber, daß eine [n]eue Weiſe des ſtaatlichen
Lebens nöthig war. Zu viel Kraft war in [d]en Kämpfen von einem
Menſchenalter entbunden, zu viel Bedürfniſſe [u]nd Genüſſe zur Ge-
wohnheit, zu viel Leben Bedingung des Lebens[ ]geworden, als daß
der enge Raum eines Städtchens oder der klei[n]liche Streit zwi-
ſchen ſtädtiſchen Gemeinden hätte genügen können. Es hatten ſich
ungeheure Elemente der Gährung entwickelt, die eine Welt umzu-
geſtalten fähig waren; in die engen Schranken der Helle[n]iſchen Hei-
math gebannt konnten ſie nur zerſtörend wirken. Es [k]am alles
darauf an, daß ihnen die rechte Richtung gegeben und ein [w]eiteres
Feld zugetheilt wurde.


Niemals iſt in Griechenland der Gedanke, den Fe[in]d im
Oſten zu vernichten, ganz vergeſſen worden. Alcibiades pha[n]taſti-
ſche Pläne ſcheiterten an ſeinem und ſeines Volkes Leichtſinn, Age-
ſilaus war zu ſehr Spartaner, um Grieche zu ſein; die Tyran[n]en
Theſſaliens vergaßen, daß Tyrannei nicht das Werk der Freihe[it]
zu Ende zu führen vermöge. Aber je lebendiger der Verkehr mit
Aſien wurde, je deutlicher die Ohnmacht und Zerrüttung des gro-
ßen Reiches am Tage lag, je leichter und einträglicher die Ar-
beit erſchien, es zu vernichten, deſto lebendiger und allgemei-
ner wurde dieſer Gedanke in den Völkern von Hellas. Tiefer blik-
kende Geiſter erkannten, daß das Leben des Helleniſchen Volkes,
ſchon zu reich und beweglich für den engen Raum der Heimath,
erſt dann Einheit und Ruhe gewinnen könne, wenn es nach Außen
hin die hochentwickelte Kraft verſuche, und Iſokrates rief mit lau-
ten Worten die Staaten von Hellas auf, ſich zum letzten Kampf
gegen Aſien zu vereinen. Da übernahm es König Philipp von
Macedonien, und begann das große Werk, die Staaten Griechen-
lands zum Kriege gegen Perſien zu vereinen; und man muß geſte-
[13] hen, daß er mit bewundrungswürdiger Gewandtheit dieſe mehr als
herkuliſche Arbeit vollbracht hat; will man die Reinheit ſeiner Mit-
tel in Abrede ſtellen, ſo trifft die Griechen der größere Tadel, daß
es ſolcher Mittel bedurfte, um ſie zu dem Zwecke zu vereinen, den
der edlere Theil des Volkes noch immer als das wahre und ein-
zige Nationalwerk vor Augen hatte.


Philipps Erfolge gründen ſich auf die Einheit, Schnelligkeit
und Conſequenz ſeiner Unternehmungen, die ſo lange von den Grie-
chen überſehen wurden, bis ihnen nicht mehr zu widerſtehen war.
Während die Athener auf den Bundesgenoſſenkrieg, die Thebaner
auf den heiligen Krieg alle Aufmerkſamkeit wandten, die Spartaner
ſich vergebens bemühten wieder einigen Einfluß im Peloponnes zu
erlangen, rückte Philipp nach Süden und Oſten hin ſeine Grenzen
ſo weit vor, daß ihm die Bergwerke von Philippi ihre reichen
Goldminen, die Küſte Macedoniens den freien Zugang zum Meere,
die Einnahme von Methone den Weg nach Theſſalien öffnete.
Dann riefen die Theſſalier, von den Phocäern bedroht, ihn zu Hülfe;
er kam, beſetzte die Städte Theſſaliens, um ſie deſto beſſer ſchützen
zu können, und war im Begriff, die Phocäer durch die Thermopy-
len bis in ihr Land [zu] verfol[g]en; da gingen den Griechen die Au-
gen auf, ſie ſahen, was ſie von dem Macedonier zu erwarten hät-
ten, und Athen unter Demoſthenes Leitung begann den Kampf
für die Selbſtſtändigkeit der Ohnmacht und den Flitterſtaat der alt-
modiſchen Freiheit.


Man muß geſtehen, daß Demoſthenes, der Wortführer der
antiphilippiſchen Parthei, alle Kraft und alle Mittel aufgeboten hat,
um die Pläne des feindlichen Monarchen zu vereiteln, und daß na-
mentlich ſein Eifer gegen Macedonien nicht aus ſo unlautrer
Quelle zu ſtrömen ſcheint als der des Aeſchines und der meiſten
andern Demagogen für den reichen König; und dennoch zeigt die
Geſchichte wenig ſo traurige Geſtalten, wie die des großen Redners
von Athen; er miskannte ſeine Zeit, ſein Volk, ſeinen Gegner und
ſich ſelbſt; ſein Leben, die ermüdende Conſequenz eines Grund-
irrthums, hat keinen andern Erfolg gehabt, als den Sieg Macedo-
niens nur entſchiedener und erfolgreicher zu machen; und mit dem
Eigenſinn der Ohnmacht und Gewohnheit ließ er ſelbſt nach dem
[14] vollkommenen Siege Macedoniens, nach dem Beginn einer neuen,
die Welt umgeſtaltenden Aera, ſeine alten Pläne und Hoffnungen
nicht, die mit ihm ſich ſelbſt überlebt hatten.


Philipp dagegen ging mit der größten Beſonennheit und Si-
cherheit Schritt vor Schritt auf dem Wege vor, den die Zeit for-
derte; Athen war der gefährlichſte Feind; es mußte vereinzelt, um-
ſchloſſen, endlich erdrückt werden. Philipp zerſtörte die Städte der
Chalcidice, gewann Euböas Tyrannen, unterwarf ſich das Thraci-
ſche Küſtenland des Kerſobleptes, landete dann mit ſeinen Schiffen
auf Lemnos, Imbros, ſelbſt in Attika, und führte die Salamiſchen
Triere als Trophäe nach Macedonien. Der Friede, den er jetzt
mit Athen ſchloß, gab ihm Muße, dem Rufe der Thebaner gegen
Phocis, die noch immer den heiligen Krieg fortſetzten, zu folgen;
und während Athen noch eine gütliche Auskunft hoffte, und den
Phocäern ehrenvollen Frieden verhieß, war auf Philipps Betrieb
von den Amphiktyonen bereits das Urtheil über ſie geſprochen; ihre
Gemeinden wurden aufgelöſt, ihre Städte zerſtört, ganze Schaa-
ren nach Macedonien verpflanzt, ihre Stimme im Amphiktyonen-
rathe zugleich mit der Aufſicht der Pythiſchen Spiele an Philipp
übergeben, ſo daß ſich dieſer jetzt mit dem beſten Rechte in die
Angelegenheiten Griechenlands miſchen durfte. Den Peloponnes
gewann oder entzweite er durch Gold und durch die Vorgeſpiege-
lung eines gemeinſchaftlichen Angriffes auf Sparta; ſeine Parthei
war vorherrſchend in Elis, Sicyon, Megara, in Arkadien, Meſſe-
nien und Argos. Dann ſetzte er ſich in Akarnanien und Aetolien
feſt; die Macht Athens war von der Landſeite ſo gut wie gelähmt.
Aber noch beherrſchte ſie das Meer, deſſen Beſitz der Cherſones
und die Küſte der Propontis ſicherte; dorthin wandte Philipp ſein
Auge; während er wiederholentlich den Athenern ſeine Freundſchaft
und Friedlichkeit verſicherte, drang er weiter und weiter vor, ſchon
war Perinthus und Byzanz, der Schlüſſel des Pontus, gefährdet,
fielen dieſe Städte, ſo war Athen vernichtet. Mit der größten
Anſtrengung rüſteten ſich die Athener, mit ihnen verbündeten ſich
Rhodus, Kos, Chios, der Perſerkönig gab ſeinen Satrapen Befehl,
mit aller Macht Perinth zu ſchützen, — Philipp mußte weichen;
Athen ſtand noch einmal ſiegreich da, um deſto tiefer zu fallen.


Die Lokrier von Amphiſſa hatten Delphiſches Tempelland be-
[15] baut, Aeſchines klagte ſie vor dem Rathe der Amphiktyonen an,
man beſchloß ſie zu züchtigen; ſie ſchlugen die Amphiktyonen und
Delphier zurück, und der Rath dekretirte eine außerordentliche Ver-
ſammlung, um die Heiligkeit des Gottes und des Amphiktyonen-
rathes an den Lokriſchen Bauern genügend zu rächen; nur die Ge-
ſandten Athens kamen nicht, vielmehr erhielten die Lokrier auf De-
moſthenes Antrag Unterſtützung und jagten Alles, was den Am-
phiktyonen anhing, aus ihrem Gebiet. Jetzt wurde Philipp aufge-
fordert, „dem Apollo in den Amphiktyonen beizuſtehen, und nicht zu-
zugeben, daß der Gott von den gottloſen Amphiſſäern ſo misachtet
werde, und auch darum nicht, weil ihn die Hellenen, die an der
Verſammlung der Amphiktyonen Antheil hätten, zum unumſchränk-
ten Anführer erwählt hätten.“ Er kam, aber nicht bloß um Am-
phiſſä zu beſtrafen; die Athener baten um Waffenſtillſtand, bevor
noch offener Krieg war; auch Theben, ſeit dem heiligen Kriege noch
erbittert, weil Orchomenos von Philipp geſchützt, Nicäa von ihm
beſetzt worden war, erkannte bald, daß Philipp nicht umſonſt den
Winter hindurch in Lokris blieb; während beide durch freundliche
Briefe oder geſchickte Redner in Unthätigkeit gehalten wurden,
beſetzte Philipp Elatea, eine der wichtigſten Poſitionen gegen The-
ben und Athen. Das erfüllte ſeine Gegner mit paniſchem Schrek-
ken; Demoſihenes beſchwor das Volk, Alles aufzubieten, um dem
Könige entgegenzutreten; er eilte nach Theben, und die Gewalt ſei-
ner Rede bewirkte, daß die Thebaner ihren alten Groll gegen Athen
vergaßen, und mit gleicher Anſtrengung ſich rüſteten; das Bundes-
heer, mit Euböern, Megarern, Korinthiern und Leukadiern verſtärkt,
rückte ins Feld und errang in zwei Gefechten nicht unbedeutende Vor-
theile; endlich begegneten ſich die ganzen Heeresmaſſen, etwa 32,000
Macedonier gegen nah an 50,000 Verbündete in der Ebene von
Chäronea; nach ſehr hartnäckigem Kampfe ſiegte Philipp, das
Schickſal Griechenlands lag in ſeiner Hand.


Er verſchmähte es, Griechenland zu einer Provinz Macedoniens
zu machen; nur für den einen Plan des Perſerkrieges hatte er alles
begonnen und vollbracht. Der Friede, den er nach der Schlacht
von Chäronea gab, bezweckte nichts als die freien Griechiſchen Staa-
ten unter ſeiner Hoheit zu jenem Kriege zu vereinen. Er ließ faſt
überall und in aller Beziehung den bisherigen Zuſtand der Dinge,
[16] nur Theben wurde für ſeinen treuloſen Abfall beſtraft, es mußte
300 Verbannte wieder in die Stadt nehmen, die Feinde Philipps
des Landes verweiſen, ſeine Freunde an die Spitze der Regierung
ſtellen, endlich eine Beſatzung in die Kadmea nehmen, die nicht
bloß Theben, ſondern zugleich Attika und das ganze Hellas zu be-
obachten und in Ruhe zu halten vermochte; ferner wurden Orcho-
menos und Platää, die von Theben zur Zeit ſeiner Hegemonie zer-
ſtört waren, wieder aufgebaut. Mit ſo viel Strenge wie Theben,
mit eben ſo viel Nachſicht wurde Athen behandelt, deſſen Gebiet
der König nicht betrat; für die Inſel Samos wurde es mit dem
Gebiet von Oropus entſchädigt; es erhielt alle Gefangenen ohne Löſe-
geld frei, und mußte ſich nur verpflichten, zum Bundestage nach
Korinth im nächſten Frühling Geſandte zu ſchicken. Dann zog der
König nach dem Peloponnes, und ordnete die dortigen Angelegen-
heiten, namentlich die Grenzen der Meſſenier, der Argiver, der Te-
geaten und Megalopolitaner gegen Sparta. Dann kamen die Ge-
ſandten aller Griechiſchen Staaten, mit Ausnahme Spartas, auf
dem Iſthmus von Korinth zuſammen; Philipps Freigebigkeit und
Leutſeligkeit gewann die Gemüther, ſeine Redner trugen die Wün-
ſche des Königs vor, denen ſich niemand zu widerſetzen wagte; er
wurde zum Oberfeldherrn der Griechen mit unumſchränkter Gewalt
erwählt, um im Namen aller Griechen den Frevel, den die Bar-
baren an den heimiſchen Tempeln geübt hätten, zu rächen, und den
großen Nationalkrieg der Griechen gegen Perſien zu vollenden.
Dann kehrte er nach Macedonien zurück, um alle Vorbereitungen
zum großen Kriege zu treffen.


So ſtand Philipp an der Spitze des freien Griechenlands, das, in
ſich zu vielbewegtem Einzelleben atomiſtiſch aufgelöſt, und, ſo lange
alle Kraft nur nach Innen gewandt war, in furchtbaren Kämpfen
zerriſſen, doch eine Beweglichkeit und Ueberfülle individuellen Lebens
entwickelt hatte, die allein im Stande war, die abgeſtorbenen Völ-
kermaſſen Aſiens mit einem neuen Leben zu durchgähren. — Die
Griechen wurden weder ihrer Freiheit noch Selbſtſtändigkeit be-
raubt, nur mußte dieſe Selbſtſtändigkeit, die in ſich ohnmächtig und
nicht mehr das Höchſte der Zeit war, mit der monarchiſchen Hoheit
Macedoniens überwölbt, und ihre Freiheit, in jener endloſen Zer-
ſplitterung und Beweglichkeit, zu der einen That, die ihre Erfüllung
ſein
[17] ſein ſollte, vereint werden. Die Spartaner der Thermopylen hat-
ten für die Freiheit zu ſterben, die Athener bei Salamis und am
Eurymedon für ſie zu ſiegen gewußt; aber das Reich der Knecht-
ſchaft vernichten konnte nicht Athen noch Sparta, ſondern nur ein
König Macedoniens an der Spitze des freien Griechenlandes.


Wenn in dieſer Weiſe auf der Europäiſchen Seite alles zum
letzten, entſcheidenden Kampfe bereit war, ſo hatte in entſprechender
Weiſe das große Reich der Perſer alle Stadien der Entwickelung
und der Auflöſung durchgemacht, um jetzt, zum Untergange reif,
vor den ſiegreichen Schaaren Griechenlands zu fallen.


Das Perſerreich hatte zur Aufgabe, die durch natürliche
Beſtimmungen geſchiedenen Völker Aſiens zu einer Geſammtheit zu
vereinen; die Berechtigung dazu lag in der höheren ethiſchen Kraft,
mit der die Perſer den anderen Völkern gegenüber auftraten; reli-
giöſe Sagen haben die Erinnerung daran auf unzweideutige Weiſe
aufbewahrt; Dſjemſchid und Guſtaſp, die Hom- und Zerdutſch-
Religion bezeichnen die Epochen dieſes Fortſchrittes.


Denn die Hochebene Irans durchſchwärmten vom Indus bis
zum Kaspiſchen Meere nomadiſche Horden; da erſchien der Ver-
künder des alten Geſetzes, der Schutzgeiſt der Menſchen, Hom,
und verkündete ſeine Lehre dem Vater Dſjemſchids, und die
Menſchen begannen ſich anzuſiedeln und den Acker zu bebauen; und
als Dſjemſchid König wurde, ordnete er das Leben ſeiner Völker
und die Stände ſeines Reiches; unter dem Glanze ſeiner Herrſchaft
ſtarben die Thiere nicht, an Waſſer und Früchten war kein Man-
gel, es war nicht Froſt noch Hitze, nicht Tod noch Leidenſchaft.
Und er ſprach: „Verſtand iſt durch mich, gleich mir iſt noch keiner
gekrönt, die Erde iſt geworden wie ich verlangt, Speiſe und Schlaf
und Freude haben die Menſchen durch mich, die Gewalt iſt bei
mir und den Tod habe ich von der Erde genommen, drum müſſen
ſie mich den Weltſchöpfer nennen.“ Da wich der Glanz Gottes
von ihm, und es begann eine Zeit wilden Aufruhrs, aus der end-
lich ſiegend der Held Feridun hervorging.


Nach dieſen Kämpfen und durch ſie gekräftigt und erſtarkt,
war das Volk von Iran reif zu der neuen Lehre und zu dem
2
[18] neuen Leben, das ihrem Könige Guſtaſp Zerdutſch, der Bote des
Himmels, brachte. Die Grundlage der neuen Lehre war der ewige
Kampf zwiſchen dem Lichte und der Finſterniß; Ormuzd gegen
Arhiman und die ſieben Erzfürſten des Lichts und die ſieben der
Finſterniß, beide mit ihren Heerſchaaren, kämpfen ewig um die
Herrſchaft der Welt; alles Geſchaffene gehört dem Licht oder der
Finſterniß, und muß mit Antheil nehmen an dem großen Streit;
nur der Menſch ſteht zwiſchen beiden, um nach freier Wahl für
das Gute oder Böſe zu kämpfen; die Söhne des Lichtes, die Ira-
nier, kämpfen ſo den großen Kampf für Ormuzd; und ſeinem Reiche
die Welt zu unterwerfen, ſie nach dem Vorbilde des Lichtreiches zu
ordnen und für das Gute zu gewinnen, das iſt der große Impuls
ihres geſchichtlichen Lebens, auf daß einſt die goldne Zeit Dſjem-
ſchids der Erde wiederkehre.


So die religiöſen Sagen des Volkes, die ſich in ſeiner Ge-
ſchichte beſtätigt finden. Cyrus hatte am Mediſchen Hofe jenen
Hochmuth und jene Erſchlaffung des Glückes geſehen, die ihn ſein
ſtrengeres Volk zur Herrſchaft aufzurufen ermuthigte; er ließ ſie
den einen Tag ein Stück Feld urbar machen und die ganze Laſt
der Knechtſchaft fühlen, dann berief er ſie den anderen Tag zum
feſtlichen Mahle; er forderte ſie auf zu wählen zwiſchen jenem trau-
rigen, knechtiſchen Leben, das am Boden haftet und dem herrlicheren
des Siegers; ſie wählten Kampf und Sieg. So zog er gegen
Medien, und unterwarf es dem Perſiſchen Volke; und weiter trieb
ihn das neuerwachte Leben, das Bahyloniſche, das Lydiſche Reich
unterlag dem kräftigeren Volke des Iraniſchen Hochlandes; Cyrus
Sohn Cambyſes fügte der neuen Herrſchaft Aegypten hinzu; dem
neuerwachten geſchichtlichen Leben widerſtand keines der Aſiatiſchen
Völker, ſie alle wurden von dieſem Strudel unwiderſtehlicher Ge-
walt ergriffen. Aber viele ſehnten ſich zurück nach der kampfloſen
und glückſeligen Zeit der Mediſchen Herrſchaft; die Magier, die
Prieſter der alten Lehre, benutzten Cambyſes Abweſenheit zur Em-
pörung, ſie machten einen aus ihrer Mitte zum König und nann-
ten ihn Cyrus jüngeren Sohn, ſie erließen den Völkern die Kriegs-
dienſte und den Tribut auf drei Jahre, und die Völker waren mit
der neuen Herrſchaft zufrieden und glücklich; nur die Perſer nicht.
Sieben Edle des Volkes vereinten ſich, dem Magier [die] Krone zu
[19] entreißen, ſie ermordeten ihn und ſeinen Anhang, ſie riefen das
Volk der Perſer auf, ihrem Beiſpiel zu folgen, und viele Magier
wurden an jenem Tage erſchlagen; dann erhielt der Achämenide
Darius, Hyſtaspis Sohn, die Herrſchaft der Perſer, der größte
ihrer Könige.


Darius hat das Reich organiſirt; da weder durch eine eigenthüm-
lich Perſiſche Bildung, noch durch die Religion des lebendigen Wortes,
die Kampf und Vernichtung, aber nicht Verſchmelzung oder Bekehrung
wollte, die unterworfenen Völker zu einer Einheit zu geſtalten waren, ſo
blieb nichts übrig, als über ſie alle ein möglichſt enges und feſtes
Netz der Knechtſchaft zu werfen. So wurden die Völker, ohne be-
deutende Veränderung in ihrem religiöſen Leben und den inneren
politiſchen Zuſtänden zu erleiden, in Satrapien vertheilt, die edle
Perſer, meiſtens aus dem Geſchlecht der Paſargaden, als Satra-
pen des Königs erhielten; ihr Verhältniß zum Reiche beſtand nur
in der Leiſtung des Tributes und des Heerdienſtes, wenn ein allge-
meines Aufgebot erging, in der Ernährung des Satrapen mit ſei-
nem Hofſtaate, ſeinem Heere und den ſtehenden Beſatzungen der
Städte. Indem ſo die Völker ihre Nationalität und Religion,
oft ihre heimiſchen Fürſten und Verfaſſungen behielten, war das
einzige Band, das ſie an die hohe Pforte zu Perſepolis knüpfte,
die Treue der einzelnen Satrapen gegen den Großkönig; ſeine
Despotenmacht hielt die ganz verſchiedenen Elemente des ungeheu-
ren Reiches zuſammen; er war die Sonne, um die ſich die Sy-
ſteme der Völker in fernen und ferneren Kreiſen bewegten; ſeine
Satrapen, „Könige nur dem Großkönige unterthan,“ hafteten für
ihre Satrapien, zu deren Schutz, ſo wie zur Mehrung des Tributs
und Vergrößerung des Gebiets, ſie mit und ohne Befehl des Groß-
königs Krieg und Frieden machten; nur ſelten rief der König
zum allgemeinen Kriege; dann folgten alle Völker aus allen Sa-
trapien, und der König führte ſie ſelbſt an. Das ſind die Grund-
züge einer Organiſation, die, aus dem Leben des Perſiſchen Volkes
hervorgegangen, ſich nur ſo lange bewähren konnten, als das herr-
ſchende Volk ſich ſelbſt, ſeiner alten Strenge und ſeiner blinden
Verehrung gegen den Gott König getreu blieb; unter Darius hat
die Perſiſche Macht die höchſte Blüthe gehabt, deren ſie fähig war.


Aber bald begannen ſich die Spuren des Verfalles zu zeigen,
2 *
[20] dem das Reich anheim fallen mußte, ſobald es aufhörte ſiegend und
erobernd vorzudringen; einer innern Entwickelung unfähig, verſank
es ſeit dem Tage von Salamis tiefer und tiefer in Ohnmacht und
Entartung. Dieſe offenbarte ſich als Erſchlaffung der despotiſchen
Kraft in den folgenden Herrſchern und in dem damit überhand
nehmenden Einfluß des Harems und des Hofes; bald folgte von
der andern Seite das Streben der Völker, ihre Nationalität und die
alte Selbſtſtändigkeit wieder zu erringen; je glücklicher dagegen die
Satrapen ankämpften, und je unfähiger ſie den perſönlichen Willen
und die Kraft ihres Königs ſahen, deſto natürlicher war ihr Ver-
langen nach ſelbſtſtändiger und erblicher Herrſchaft in ihren Satrapien.


Schon die Regierung des erſten Artaxerxes wurde durch
eine Reihe gefährlicher Empörungen beunruhigt; ſein Bruder ſuchte
ſich in Baktrien unabhängig zu machen, Aegypten, von den Athe-
nern unterſtützt, die einheimiſche Regentenfamilie wieder zur Herr-
ſchaft zu bringen, der edle Megabazus durch wiederholte Empörun-
gen ſich und ſeinen Eid zu retten; und wenn es dem Könige auch
gelang, im Innern des Reiches den Schein ſeiner Macht zu be-
wahren, ſo mußte er doch den ſchmachvollen Bedingungen des Ci-
moniſchen Friedens faktiſch die Beſtätigung geben, daß ſie Perſiſcher
Seits nicht übertreten wurden.


Bei ſeinem Tode zeigte ſich in der Ermordung des rechtmäßi-
gen Thronerben und den Kabalen der Weiber und Eunuchen bereits
die tiefe Entartung im Herzen der Perſiſchen Macht. Als endlich
das Reich in der Hand ſeines Baſtards Darius Ochus blieb,
wurden zwar die Empörungen mehrerer Großen und die frechen
Pläne eines Eunuchen, der ſelbſt ſchon nach dem Diadem trachtete,
vernichtet, aber dem Aufſtande in Aegypten war der große König
nicht mehr gewachſen, er mußte dem Volke einen Fürſten aus dem
alten Saïtengeſchlechte beſtätigen und ſich mit einem Tribute begnü-
gen. Noch mehr gefährdet wurde das Anſehn des Königthums, als
gegen ſeinen älteren Sohn und Nachfolger Artaxerxes der jüngere
Sohn Cyrus, der das untere Aſien als Satrapie hatte, ſich em-
pörte; Cyrus Verbindung mit Griechenland und die Griechiſche
Söldnerſchaar, die er nach den Ufern des Euphrat führte, brachte ein
neues, höchſt gefährliches Element in jene gährende Verwirrung,
die bereits das Reich ergriffen hatte; und wenn auch durch Cyrus
[21] Tod der Sieg bei Kunaxa vergeblich wurde und der Lydiſche Sa-
trap Tiſſaphernes ſelbſt auf der Küſte des Aegäiſchen Meeres die
Perſiſche Macht geltend zu machen wußte, wenn auch Ageſilaus,
nach glücklichen Unternehmungen in Lydien und Phrygien, durch
Kriege in Griechenland, die durch Perſiſches Gold befördert wurden,
aus Aſien, ohne bleibenden Einfluß errungen zu haben, zurückgerufen
wurde, ſo war doch gerade dieſe widernatürliche Verbindung Per-
ſiens mit dem Volke der Freiheit und beſonders jener Cnidiſche Sieg
einer Perſiſchen Flotte unter Führung des Atheners Conon ein deutli-
ches Zeichen, daß die Perſermacht, die, unfähig ſich durch ſich ſelbſt
zu retten und emporzuheben, Griechiſchen Soldaten und Griechiſchen
Feldherrn ſich anvertraute, ſchon den eignen Untergang in ſich
hegte und pflegte. Der Antalcidiſche Friede gab dem großen Könige
zwar die Tribute der reichen Joniſchen Städte zurück, aber nur,
um ihn fortan in den heftigen Kampf der Griechiſchen Staaten
deſto mehr zu verwickeln, und den natürlichen Feinden Perſiens
eine Stelle mehr zu bieten, an der jede Wunde tödtlich wirkte.
Der König Artaxerxes erlangte von dem Fürſten in Cypern durch
zehnjährige Kämpfe nichts, als daß dieſer wieder den alten Tribut
zahlte; die Kaduſier am Kaspiſchen Meere vermochte er mit aller
Anſtrengung nicht zu unterwerfen, und der Fürſt von Aegypten be-
hauptete gegen die Perſiſche Macht, die unter den Befehl des
Atheners Iphikrates geſtellt war, glücklich das Feld; die Empörung
ſämmtlicher Satrapen Kleinaſiens, denen ſich der Dynaſt von Ka-
rien, desgleichen die Jonier, Lycier, Piſidier, Pamphylier, Cilicier,
Syrer, Phönicier anſchloſſen, und ſelbſt die Spartaner und Athener
ihren Beiſtand zuſagten, ſcheiterte nur durch den Verrath des
Rheomithres und Orontes, und durch Artabazus unerſchütterliche
Treue, der des Königs Anſehn gegen die Empörer behauptete.
Noch trauriger offenbarte ſich Artaxerxes Unfähigkeit zu herr-
ſchen im Bereich ſeines königlichen Hofes; die Kabalen ſeiner
wilden Mutter Paryſatis ſind das Scheußlichſte, was jemals ein
Aſiatiſcher Harem geſehen hat; der König, eben ſo ſchwach wie gut-
müthig, eben ſo voll Mistrauen wie ohne Character, war ein Spiel-
ball in den Händen ſeiner Sklavinnen und Eunuchen. Nun
war er ein Greis und ſah mit tiefer Bekümmerniß, wie ſich ſchon
jetzt ſeine Söhne um die Thronfolge beneideten, und der Hof in
[22] Partheien zerfiel; er wollte allem Streit vorbeugen, und beſtellte
ſeinen älteſten Sohn Darius zum Nachfolger, mit der Erlaubniß,
ſchon jetzt den königlichen Turban tragen zu dürfen. Nach Perſi-
ſcher Sitte war demnächſt dem Darius eine Bitte erlaubt,
die der Vater zu erfüllen nicht weigern durfte. Darius bat um
Aspaſia, die ſchöne Jonierin, die dem Könige unter allen ſeinen
Weibern die liebſte war; er wagte nicht ſie zu verweigern, und ver-
mochte nicht ſie hinzugeben; er ſprach, ſie ſei eine freigeborne Grie-
chin, ſie allein dürfe über ſich entſcheiden, gewähren oder verſagen.
Aspaſia wählte den königlichen Prinzen; und der König befahl, ſie
nach Ekbatana in den Tempel der Anytis zu bringen; Darius
war in ſeiner ſchönſten Hoffnung getäuſcht. Den Hofleuten ent-
ging ſeine Erbitterung nicht; unter ihnen war Tiribazus, der längſt
ſchon geheimen Groll gegen den greiſen König hegte; denn Artaxer-
xes hatte ihm ſeine ſchöne Tochter Ameſtris zur Ehe verſprochen,
dann, ſelbſt nach ihrem Genuß lüſtern, ihm eine jüngere Prinzeſſin
Atoſſa verlobt, und auch dieſe wieder in ſeinen Harem genommen.
Tiribazus, ein ächt barbariſcher Charakter, trotzig im Glück, frech
im Unglück, überall voll Tücke und Treuloſigkeit, ſchlich ſich jetzt in
des gekränkten Darius Vertrauen; er ſtellte ihm vor, wie die
Schande, die unerträglicher als der Verluſt ſei, ihn ſelbſt in der
Thronfolge gefährden würde, da der Vater nach der Beleidigung ihn
haſſen und fürchten, die Perſer, wenn er ſie ungerächt laſſe, ihn
verachten und vergeſſen würden, zumal da ſein Bruder Ochus dar-
auf ſinne, ihn zu verdrängen. Darius, voll Gram und Erbitte-
rung, gab ſich ganz in ſeine Hände; der Mord des Königs, der
Tag zum Morde wird beſtimmt, ſchon dringen die Mörder in des
Königs Gemach; aber der Plan iſt verrathen, Tiribazus, und bald
nach ihm Darius, büßen mit dem Leben.


Unter den vielen Söhnen des Königs waren jetzt noch beſon-
ders drei, zwiſchen denen die Thronfolge ſchwankte; die größte Hoff-
nung machte ſich Ochus, nicht bloß weil er der älteſte war, ſon-
dern weil eine mächtige Parthei am Hofe für ihn wirkte, und er
namentlich ſeine Schweſter Atoſſa, die jetzt unter den Weibern ſei-
nes Vaters die Favorite war, durch das Verſprechen, ſie einſt zu
heirathen und zur rechtmäßigen Königin zu machen, gewonnen hatte.
Die Perſer dagegen verlangten den ſanften und offenen Ariaspes
[23] zum Könige, und Artaxerxes ſelbſt ſchien für ſeinen eben ſo ge-
wandten als kühnen Baſtard Arſames entſchieden. Beide mußte
Ochus verderben, um ſeine Pläne durchzuſetzen; der von Allen
geliebte Ariaspes war am meiſten hinderlich; Ochus misbrauchte
ſeine Beſcheidenheit, um Mistrauen, ſeine Sanftmuth, um Beſorg-
niß in ihm zu erwecken; der König, ſein Vater, möge ihn nicht,
haſſe ihn, wolle ihm ſchaden, ihn morden, das hinterbrachten die
Getreuen des Königs, die Ochus beſtochen hatte, dem nur zu will-
fährig Glaubenden, der, nicht zum Widerſtand, nicht einmal zu lau-
ter Klage fähig, in der bittern Qual der Verzweiflung ſich ſelbſt
vergiftete. Der faſt hundertjährige König argwöhnte wohl den
traurigen Zuſammenhang, aber er wagte nicht ihn zu enthüllen;
noch blieb ihm ſein Liebling Arſames, auf ihn wandte er alle Liebe
und Hoffnung, die Perſer mit ihm. Ochus durfte nicht zaudern,
Liſt ſchien gefährlicher als Gewalt; Tiribazus Sohn, des Endes
eingedenk, das ſein Vater genommen, war bereit zur verruchten
That; Arſames wurde meuchlings ermordet; den Schlag überlebte
Artaxerxes nicht; Ochus folgte ihm faſt um dieſelbe Zeit, da in
Macedonien Philipp das Reich übernahm.


Ochus war ſeinem innerſten Weſen nach Aſiatiſcher Despot; zu-
gleich blutdürſtig und feig, zugleich finſter und wollüſtig, erſcheint er
in der kalten und wohlberechneten Entſchiedenheit ſeiner Handlungen
nur deſto entſetzlicher. Ein ſolcher Charakter konnte die im Inner-
ſten verderbte Perſermacht noch eine Zeit hindurch halten und mit
dem krampfhaften Schein von Kraft und Friſche beleben, konnte
die Völker und die empörten Satrapen zur Unterwürfigkeit zwingen,
indem er ſie auch ſeine Launen, ſeine Mordluſt, ſeine wahnſinnige
Wolluſt ſchweigend anzuſehen gewöhnte. — Ochus begann ſeine
Herrſchaft mit dem Morde ſeiner Brüder, das ſicherſte Mittel, ſich
vor ihnen und ihrem Anhange zu ſchützen; und der Perſiſche Hof
nannte ihn voll Bewunderung mit dem Namen ſeines Vaters, der
keine Tugend als die Sanftmuth gehabt hatte.


Unter den Satrapen des Reichs war der des unteren Aſiens,
Artabazus, einer der mächtigſten; er hatte unter dem vorigen Kö-
nige jenen gefährlichen Aufſtand unterdrückt, und ſeitdem den Be-
fehl in jenen Gegenden erhalten; ſeine Anhänglichkeit an das könig-
liche Haus war eben ſo bekannt wie ſein würdiger und edler Cha-
[24] rakter, und Ochus durfte weder hoffen ihn für ſich zu gewinnen,
noch dem Macht, Ruhe und Leben gönnen, der wider ihn ſein
mußte. Artabazus ſchien die nothwendigen Folgen dieſes Verhält-
niſſes vorauszuſehen, und ihnen zuvorkommen zu wollen; ſeine
Macht war bedeutend genug, um eine Empörung gegen den König
glücken zu laſſen, zumal da Griechiſche Söldner in Kleinaſien leicht
zu bekommen waren, da zu gleicher Zeit Aegypten und die Grie-
chiſchen Hauptmächte leicht gewonnen werden konnten, und nament-
lich Sparta, aufgebracht über den Verluſt von Meſſenien, den der
Perſerkönig nach der Schlacht von Mantinea trotz des Antalcidi-
ſchen Friedens beſtätigt hatte, ſeinen König Ageſilaus nach Aegyp-
ten zum Kriege gegen Perſien gehen ließ. Artabazus hatte zwei
junge Rhodiſche Männer, Mentor und Memnon, die beide als
Kriegsleute ausgezeichnet waren, an ſich gezogen, ſich mit ihrer
Schweſter vermählt, ihnen ſelbſt im Bereich ſeiner Macht bedeutende
Ländereien angewieſen, und Griechiſche Söldnerhaufen unter ihren
Befehl geſtellt; der Atheniſche Feldherr Chares war unter der
Bedingung, daß Artabazus den Athenern reichliche Subſidien zum
Bundesgenoſſenkriege zahlte, bereit, ihn mit der ganzen Macht, die
unter ſeinem Befehle ſtand, zu unterſtützen. Und ſchon rückten auf
König Ochus Befehl die nächſten Satrapen mit großen Streitmaſ-
ſen ins Feld; ſie trafen das wohlgeordnete Heer des Empörers,
und wurden beſonders durch Chares Hülfe geſchlagen. Dem Kö-
nige blieb kein anderer Ausweg, als Geſandte nach Athen zu ſen-
den, die Chares verklagten, daß er gegen Perſien gekämpft habe,
ſeine Zurückberufung forderten, und, falls ſie verweigert würde, mit
einer Perſerflotte von 300 Segeln die Bundesgenoſſen zu unter-
ſtützen drohten. Zwar verlor jetzt Artabazus die Atheniſchen
Hülfstruppen, dennoch behauptete er ſich glücklich; ſein Schwager
Memnon unternahm einen Feldzug gegen Leukon, den kriegeriſchen
Tyrannen am Cimmeriſchen Bosphorus, mit dem die Herakleoten
lange ſchon im Kriege waren, deren Einfluß auf der Küſte des
Pontus für Artabazus Pläne von der entſchiedenſten Wichtigkeit
werden konnte. Artabazus ſelbſt hatte Theben zu gewinnen gewußt;
Pammenes, der berühmte Thebaniſche Feldherr, wurde ihm an der
Spitze von fünftauſend Böotiern zu Hülfe geſandt, und beſiegte die
Satrapen in zwei großen Schlachten. Aber die Wendung, die der
[25] heilige Krieg in Griechenland nahm, und die Subſidien, die Ochus
den Thebanern verſprach, bewirkten die Zurückberufung ihres Feld-
herrn; das königliche Heer, unter Führung des Autophradates, ge-
wann einen Vortheil nach dem andern, Artabazus ſelbſt wurde ge-
fangen; ſeine Schwäger Mentor und Memnon hielten ſich noch, ſie
gewannen den Atheniſchen Feldherrn Charidemus, daß er nach
Aſien käme, und ihre Unternehmungen unterſtützte. Endlich gelang
es ihnen, man weiß nicht, ob durch Gewalt oder Liſt, ihren
Schwager zu befreien, und ihm den Beſitz von Lydien, Phrygien
und Paphlagonien wieder zu gewinnen; aber ein ſchneller Glücks-
wechſel läßt ihn noch einmal unterliegen, er flüchtet mit Memnon
nach Macedonien zum König Philipp; Mentor rettet ſich nach
Aegypten zum Fürſten Nektanebus.


Kleinaſien war wieder unter Perſiſche Botmäßigkeit gebracht,
und zeigten auch die Siege des Chares und Pammenes, die Ver-
bindung des Griechiſch gebildeten Artabazus mit Griechenland und
Macedonien, ſeine Verſchwägerung mit Griechiſchen Männern, des
Königs Unterhandlungen in Athen und Theben deutlich genug, wie
das Perſiſche Weſen bereits ſich ſelbſt untreu und ſeiner ſelbſt un-
gewiß geworden, ſo war doch der Schein auf eine glänzende
Weiſe gerettet. Daſſelbe ſollte noch mehr an einem anderen Punkte
geſchehen.


In Aegypten nämlich hatte der Fürſt Tacho, nach jener mis-
glückten Unternehmung des Artaxerxes, in Einverſtändniß mit den
empörten Satrapen des untern Aſiens gegen die Syriſchen Provin-
zen losbrechen wollen; und wenn ſchon jene Empörung unterdrückt
wurde, ſo ſchienen doch ſeine achttauſend Aegypter, ſeine zehntauſend
Griechiſchen Söldner, mehr noch, daß König Ageſilaus und der Athe-
ner Chabrias ſie anführen ſollten, einen glücklichen Ausgang zu
verſprechen. Aber Tacho hatte ſich durch kleinliche Eiferſucht den
König Ageſilaus, durch übermäßige Erpreſſungen das Aegyptiſche
Volk ſo verfeindet, daß, als er mit ſeinen Heeren in Syrien ſtand,
in Aegypten ſein Neffe Nektanebus, von Ageſilaus geleitet, ſich
zum Fürſten machte, und für Tacho kein anderer Rath blieb, als
ſich dem Perſerkönige in die Arme zu werfen. Der Aufſtand eines
Mendeſiers gegen Nektanebus wurde durch Ageſilaus Hülfe bald
unterdrückt, ein Angriff der Perſer unter Anführung des nachmali-
[26] gen Königs Ochus und des vertriebenen Tacho Führung zurückge-
ſchlagen; und als nun Artaxerxes geſtorben war, und der König
Ochus, der ſelbſt den Krieg nicht ſehr zu lieben ſchien, einzelne
Heere vergebens gegen die Aegypter ſandte, da erhob dieſe das
ſtolze Bewußtſein ihrer wieder auflebenden Größe, und nach der
Weiſe ihres Volkes war frecher Spott der nächſte Ausdruck ihrer
Freude und ihres Nationalgefühls; ſie ahneten nicht, was jener
König Eſel, wie ſie Ochus nannten, noch über ſie verhängen
würde.


Den Anlaß dazu gab die Empörung Phöniciens. Die Sido-
nier nämlich, unter ihrem Fürſten Tennes, durch das Beiſpiel Ae-
gyptens aufgeregt und durch den frechen Stolz des Perſiſchen Sa-
trapen erbittert, beredeten auf dem Tage zu Tripolis die Phönici-
ſchen Städte zum Abfall von den Perſern; man eilte ſich mit
Nektanebus zu verbünden, man zerſtörte die königlichen Gärten und
Schlöſſer, verbrannte die Magazine, ermordete alle Perſer, die ſich
im Bereich der Phöniciſchen Städte befanden; alle, namentlich das
durch Reichthum und Erfindſamkeit ſo ausgezeichnete Sidon, rüſteten
ſich mit der größten Lebhaftigkeit. Die Gefahr für Perſien war
groß; wenn Phönicien verloren wurde, ſo war das Meer und die
Provinzen am Meere nicht mehr zu behaupten; Ochus befahl da-
her, während ſich die Völker ſeines Reiches zum großen Heeres-
zuge gegen Phönicien und Aegypten nach Babylon ſammelten, den
Satrapen von Syrien und Cilicien, ſofort einen Angriff auf die
Sidonier zu machen. Aber Tennes, unterſtützt von zwölftauſend Grie-
chiſchen Söldnern, die ihm Mentor vom Fürſten Nektanebus zu-
führte, widerſtand glücklich den beiden Satrapen. Zu gleicher Zeit
erhoben ſich die neun Cypriſchen Städte, ſie verbanden ſich mit den
Phöniciern und den Aegyptern, unter ihren neun Fürſten wie jene
unabhängig zu ſein.


Auf Befehl des Königs Ochus zog jetzt der Kariſche Dynaſt
Idrieus gegen Cypern, mit ihm der Atheniſche Feldherr Phocion,
und Euagoras, der frühere Fürſt von Salamis auf Cypern, der
von dem Perſerkönige für Salamis, das er ſeinem ältern Bruder
Protagoras abtreten mußte, mit einer Satrapie entſchädigt worden
war; der Ruf dieſer Feldherren, noch mehr die Schätze der reichen
Inſel lockten von allen Seiten Söldner in Menge herbei; die ein-
[27] zelnen Fürſten mußten ſich unterwerfen, nur Salamis widerſtand
noch ſeinem ehemaligen Herrn; es begann eine langwierige Bela-
gerung.


Indeſſen hatten ſich auch die Heere in Babylon verſammelt,
und als nun Ochus aufbrach, und ſich mit ſeiner ungeheueren
Uebermacht den Phöniciſchen Städten nahete, da verzagte der Si-
doniſche Fürſt, und begann auf Mentors Rath heimlich Unterhand-
lungen; er verſprach, ſich und ſeine Stadt zu unterwerfen und an
dem Zuge nach Aegyten Theil zu nehmen; Ochus war zu allem
bereit; er zog mit ſeinen Heeren vor Sidon; umſonſt hatten die
Sidonier mit der größten Hingebung Alles gethan, um den Perſern
Widerſtand zu leiſten, ſelbſt ihre Schiffe verbrannt, damit jede
Flucht unmöglich würde; Mentor und Tennes verriethen die Stadt;
und als die Sidonier bereits die Burg und die Thore in Feindes
Hand, und jede Rettung unmöglich ſahen, zündeten ſie ihre Stadt
an, und ſuchten den Tod in den Flammen; vierzigtauſend Menſchen ſol-
len umgekommen ſein. Um dieſelbe Zeit fiel auch Salamis auf
Cypern, und Euagoras wurde in ſeine alten Rechte wieder ein-
geſetzt.


Jetzt endlich konnte Ochus an die Ausführung ſeines Haupt-
zweckes, an die Unterwerfung Aegyptens gehen; er hatte bei den
Griechen in Europa und Aſien werben oder um Söldnerſchaaren
bitten laſſen; nur Sparta und Athen hatten mit Vorbehalt ihrer
guten Geſinnung für den Perſerkönig ſolche Verbindung ausgeſchla-
gen; die Thebaner dagegen ſandten tauſend Schwerbewaffnete unter
Lakrates, die Argiver zweitauſend Mann, denen ſie auf des Königs
ausdrückliches Verlangen den tollkühnen Nikoſtratos als Feldherrn
gegeben hatten; außerdem waren in den Aſiatiſch-Griechiſchen Städ-
ten ſechstauſend Mann geworben, die unter Bagoas Befehl ſtanden;
dazu kam die große Zahl der Aſiatiſchen Schaaren unter ihren Sa-
trapen. Das große Heer zog nun ſüdwärts an der Küſte entlang;
nicht ohne bedeutenden Verluſt gelangte es durch die Sumpfwüſte,
welche Aſien und Aegypten ſcheidet, unter die Mauern der Grenz-
feſtung Peluſium, welche von fünftauſend Griechiſchen Söldnern verthei-
digt wurde; die Thebaner unter Lakrates, voll Begierde ihren Waf-
fenruhm zu bewähren, griffen ſie ſogleich an, wurden aber zurück-
geworfen, und nur durch die einbrechende Nacht vor bedeutendem
[28] Verluſte bewahrt. Nektanebus hatte ſich auf das Trefflichſte gerü-
ſtet, und, obſchon die Zahl ſeiner Streiter geringer war, ſo gab
ihm doch das Andenken früherer Siege die beſte Hoffnung; freilich
fehlten ihm die trefflichen Griechiſchen Generale von damals; aber noch
hatte er zwanzigtauſend Griechen unter den Waffen, dazu eben ſo
viel Libyer und ſechzigtauſend Aegyptiſche Krieger; eine unzählige Menge
von Nilſchiffen war im Stande, den Feinden jeden Flußübergang
unmöglich zu machen, ſelbſt wenn ſie die Reihe von Verſchanzun-
gen, die am rechten Nilarm entlang lagen, überſchritten.


Das Perſerheer vor Peluſium war in drei Colonnen getheilt,
von denen die eine, die Böotier mit ſehr vielem Perſiſchen Fuß-
und Reutervolk unter Lakrates und dem Lydiſchen Satrapen Roiſa-
kes Peluſium beobachtete, die zweite, aus den Argivern und fünftauſend
ausgewählten Perſern unter Nikoſtratus und Ariſtazanes beſtehend, auf
achtzig Schiffen jenſeits Peluſium die Landung forciren, endlich die
dritte, die aus Mentors Söldnern und den ſechstauſend Griechen, die
Bagoas führte, und vielem anderen Volke beſtand, ſich ſüdlich wen-
den ſollte, um wo möglich Peluſium abzuſchneiden. Durch die Kühn-
heit des Nikoſtratus und ſeiner Argiver gelang die Beſetzung einer
wichtigen Poſition innerhalb des Delta, im Rücken der feindlichen
Linie, die nun Nektanebus, eben ſo muthlos in der Gefahr, wie
vorher voll Selbſtvertrauen, aufzugeben eilte, um ſich in die Burg
von Memphis zu werfen. Peluſium, der Schlüſſel Aegyptens, war
umzingelt, nach ſehr tapferem Widerſtande ergab ſich die Griechi-
ſche Beſatzung unter ehrenvollen Bedingungen. Jetzt rückte Men-
tor und Bagoas gegen Bubaſtus vor; die Aufforderungen zur Un-
terwerfung, die Drohung, bei unnützem Widerſtande die Strafe,
welche Sidon erlitten, zu wiederholen, verfeindeten in allen Städ-
ten die Griechiſchen Beſatzungen, die bereit waren bis in den Tod
zu kämpfen, mit den feigeren Aegyptiern; der Einnahme von Bu-
baſtus, die dem Lieblinge des Königs, Bagoas, das Leben gekoſtet
hätte, wenn nicht Mentor zu ſeiner Rettung herbeigeeilt wäre,
folgte ſchnell die Beſetzung der anderen Städte des niederen Landes;
die Perſerheere rückten der Hauptſtadt immer näher. Jetzt hielt
ſich Nektanebus nicht mehr ſicher in ſeiner Hauptſtadt; er gab es
auf für ein Reich zu kämpfen; er rettete ſich mit ſeinen Schätzen
ſtromauf nach Aethiopien.


[29]

Ungehindert rückte Ochus in Memphis ein, entſchloſſen, das
Land ſeinen ganzen Zorn fühlen zu laſſen; die Zeiten des Königs
Kambyſes erneuten ſich; viele Aegyptier wurden hingerichtet, den
heiligen Apis durchbohrte der König mit eigener Hand, befahl die
Heiligthümer ihres Schmuckes, ihres Goldes, ſelbſt ihrer heiligen
Bücher zu berauben, und nur mit ſchwerem Gelde konnten dieſe
wieder zurückgekauft werden. So wurde Aegypten für eine ſechzig-
jährige Unabhängigkeit mit der blutigſten Strenge geſtraft; Ochus
erhielt in hieroglyphiſchen Tempelannalen wie im Munde des Volks
den Namen „der Dolch“. Nachdem Pherendakes zum Satrapen ein-
geſetzt, und die Griechiſchen Söldner reich beſchenkt entlaſſen waren,
kehrte der König mit großer Beute und noch größerem Ruhme
nach Babylon zurück.


Das Perſiſche Reich ſtand gewaltiger als jemals, nur daß es
nicht Perſiſche, ſondern Griechiſche Feldherren und Truppen gewe-
ſen waren, die den Sieg entſchieden hatten. Der König Ochus,
der ſich in dem ächt despotiſchen, launenhaften Wechſel wilder
Kraftäußerung und gedankenloſer Erſchlaffung fortan ganz ſeinem
Hang zur Wolluſt hingab, überließ das Innere des Reiches ſeinem
Liebling, dem Chiliarchen Bagoas, während Mentor die Provinzen
des unteren Aſiens erhielt; beide, Bagoas und Mentor, waren mit
einander im Einverſtändniß, ſie lenkten den König, ſie hatten alle
Macht, das Wohl und Wehe des Reiches lag in ihren Händen.


Zunächſt benutzte Mentor ſein Anſehn dazu, ſeinen Bruder
Memnon, ſeinen Schwager Artabazus und deſſen Familie, die bis-
her bei dem Macedoniſchen Könige einen Zufluchtsort gefunden
hatten, wieder zu Macht und Ehre zu bringen. Sodann ging er
daran, die Dynaſten Kleinaſiens, die ſich während des Aegyptiſchen
Krieges allzu frei benommen hatten, wieder zu unterwerfen; er be-
gann damit, in Verbindung mit ſeinem Bruder Memnon den Ty-
rannen Hermeas von Atarnea in Aeolis, den Verwandten des
großen Ariſtoteles, und ſeine Anhänger durch Hinterliſt zum Gehor-
ſam zurückzubringen; dieß und die Bewältigung der andern Klein-
aſiaten, die ſich empört hatten, machte ſein Anſehn beim Könige
und ſeine Macht im untern Aſien noch entſchiedener. — Indeß
hatte Memnon bei ſeinem Aufenthalte in Macedonien wohl zu er-
kennen Gelegenheit gehabt, wohin ſich des Königs Philipp Plane
[30] richteten; ſie traten immer deutlicher hervor, je näher die Grenzen
Macedoniens den Perſiſchen Satrapien kamen; Atheniſche Ge-
ſandte unterließen nicht, auf die dringende Gefahr aufmerkſam zu
machen; jetzt rückte Philipp gegen Perinth und Byzanz; wenn er
dieſe Städte wegnahm, ſo ſtand ihm der Uebergang nach Aſien
offen. Darum wurden in aller Eile einige Griechiſche Schaaren
die im Perſiſchen Solde ſtanden, unter Apollonius nach Perinth
geſendet, und ſie waren ſtark genug, in Verbindung mit den By-
zantinern die kräftigen Angriffe des Macedoniſchen Königs zurück-
zuſchlagen. Jedenfalls waren Mentor und Memnon die Urheber
dieſer Maaßregel; an der Spitze der Griechiſchen Söldnerſchaaren
im untern Aſien waren ſie die Stütze der Perſiſchen Macht und
deren Verfechter, im Falle daß von Europa her irgend eine Gefahr
drohen ſollte. Nach dem kurz darauf erfolgten Tode Mentors ging
dieſe wichtige Stelle eines Befehlshabers des ſtehenden Heeres für
Kleinaſien an Memnon über, und bald genug ſollte er Gelegenheit
haben, ſein nicht gewöhnliches Feldherrntalent zu bewähren.


Während auf dieſe Weiſe die Satrapien im äußerſten Weſten
des Reiches, entweder in ſich ſelbſt von Kämpfen und Inſurrectionen
bewegt, oder alle Aufmerkſamkeit auf die Verhältniſſe in Europa
gewendet, in immer lebhafteren Verkehr mit Griechenland kamen,
herrſchte der König auf ſeiner Hofburg zu Suſa in zügelloſer Wild-
heit und Grauſamkeit fort; Alle haßten und fürchteten ihn, der Ein-
zige dem er Vertrauen ſchenkte, misbrauchte es. Der Aegyptiſche
Eunuch Bagoas, ſein oberſter Kämmerer, tückiſch und herrſchſüch-
tig von Natur, dem blinden Aberglauben ſeines Vaterlandes, zu
deſſen Untergang er ſelbſt hülfreiche Hand geleiſtet hatte, ganz er-
geben, hatte dem Könige die Schändung ſeiner vaterländiſchen Hei-
ligthümer und den Tod des heiligen Apisſtieres nicht vergeſſen.
Je mehr ſich der König durch ſeine Grauſamkeit verhaßt machte,
deſto kühner wurden die Plane ſeines tückiſchen Lieblings; Bagoas
gewann den Arzt des Königs, ein Gifttrank machte dem Leben des
verhaßten Despoten ein Ende; und ſo groß war die Bosheit des
Eunuchen und ſeine Frechheit, daß er den Leichnam des Großkönigs
nicht nach der Sitte der Väter in die Königsgräber von Perſepolis
bringen, ſondern ihn in Stücke zerreißen, und, was den Perſern das
Scheußlichſte iſt, von Katzen auffreſſen ließ. Das Reich war in
[31] ſeiner Hand; um deſto ſicherer ſeine Stelle zu behaupten, ließ er
des Königs jüngſten Sohn Arſes zum Könige weihen, die Brü-
der deſſelben ermorden; nur der eine, Biſthanes, rettete ſich. Das
geſchah etwa zu der Zeit der Schlacht von Chäronea.


Indeß ertrug Arſes nicht lange den frechen Stolz des Eunu-
chen, er vergaß ihm nicht den Mord ſeines Vaters und ſeiner Brü-
der; Bagoas eilte ihm zuvorzukommen; nach kaum zweijähriger
Regierung ließ er den König mit ſeinen Kindern ermorden; zum
zweiten Male war die Tiara in ſeinen Händen. Aber das könig-
liche Haus war verödet; durch Ochus Hand waren Artaxerxes
Söhne, durch Bagoas Ochus Söhne und Enkel ermordet; der ein-
zige von ihnen, Biſthanes, war vor dem Eunuchen geflohen, zwi-
ſchen ihnen konnte keine Gemeinſchaft ſein. Noch lebte ein Sohn
jenes Darius, dem ſein Vater Artaxerxes die Tiara gegeben, die
ſchöne Jonierin verweigert hatte; aber die Augen der Perſer wand-
ten ſich auf Kodomannus; er war Arſames Sohn, deſſen Vater
Oſtanes ein Bruder des Königs Artaxerxes geweſen war, ſeine
Mutter Siſygambis, deſſelben Artaxerxes Tochter; er wurde be-
wundert wegen ſeiner Sanftmuth, ſeiner Schönheit und Tapferkeit;
in dem Kriege, den Ochus gegen die Kaduſier führte, hatte er allein
die Herausforderung ihres rieſigen Anführers zum Zweikampf an-
zunehmen gewagt, und ihn bewältigt; damals war ihm von den
Perſern der Preis der Tapferkeit zuerkannt, ſein Name von Alt
und Jung gefeiert worden, der König Ochus hatte ihn mit Ge-
ſchenken und Lobpreiſungen überhäuft, und ihm die ſchöne Satra-
pie Armenien gegeben. — Mochte Bagoas jener Stimmung der
Perſer nachgegeben, oder ſich mit der Hoffnung geſchmeichelt haben,
daß Darius Kodomannus für die Tiara, die er durch ihn erlangt
hätte, treu ergeben bleiben würde, früh genug ſollte er erkennen,
wie ſehr er ſich getäuſcht hatte. Der König haßte den Mörder
und verachtete ſeinen Rath; Bagoas beſchloß ihn aus dem Wege
zu räumen, er miſchte ihm Gift in den Becher; aber Darius war
gewarnt, er rief den Eunuchen, und hieß ihn, als wäre es ein Zei-
chen ſeiner Gunſt, den Becher trinken. So fand Bagoas eine
ſpäte Strafe.


Die Zügel der Herrſchaft waren in der Hand eines Königs,
wie ihn Perſien lange nicht gehabt hatte; ſchön und ernſt, wie der
[32] Aſtate ſich gern das vollkommene Bild ſeines Herrſchers denkt, von
Allen verehrt und gegen Alle liebreich, an allen Tugenden ſeiner
großen Ahnen reich, frei von den ſcheußlichen Laſtern, die das Le-
ben der letzten Könige geſchändet und zum Verderben des Reichs
gemacht hatten, ſchien Darius berufen, dem Reiche, das er ohne
Schuld und Blut erworben, den Frieden und das Glück wieder zu
geben, um die der früheren Könige Ohnmacht oder Verruchtheit
das edle Volk der Perſer betrogen hatte. Keine Empörung ſtörte
den glücklichen Beginn ſeiner Herrſchaft; Aegypten war dem
Reiche wiedergegeben, Baktrien, Syrien dem Könige treu und
ergeben; von den Küſten Joniens bis an den Indus prieſen
die Völker den Namen des milden Darius. Und dieſer König
ſollte der letzte Enkel des Cyrus ſein, der über Aſien herrſchte,
gleich als ob ein unſchuldiges Haupt den Fluch des Unterganges,
der auf dem Volke der Perſer ruhte, hätte auch auf ſich nehmen
müſſen.


Denn ſchon begann im fernen Weſten das dunkle Wetter, das
Perſien vernichten ſollte, emporzuſteigen, ſchon kamen in die Hof-
burg von Suſa die Boten der ſeeländiſchen Satrapen, daß Philipp
von Macedonien ſeine Heere zuſammenziehe, um mit dem nächſten
Frühling in die Provinzen Aſiens einzubrechen, daß einzelne Schaa-
ren auf der Küſte gelandet ſeien, und ſich in den Griechiſchen
Städten des untern Phrygiens feſtſetzten. Darius wünſchte auf
jede Weiſe dieſen Krieg zu vermeiden; er wußte, daß gegen die
vereinigte Macht der Macedonier und Griechen ſeine Völker un-
möglich das Feld würden behaupten können, er mochte ahnen, wie
das ungeheure Reich, in ſich erſtorben und verweſet, nur eines
äußeren Anſtoßes bedürfte, um in ſich zuſammenzuſinken.


Aber eben darum war jener Krieg nicht zu vermeiden; das
Reich des Cyrus, dies große Grab der Aſtatiſchen Völker, mußte
erbrochen, und die Völker aus ihrem Scheintode zu neuem Leben
erweckt werden; und auch die Helleniſche Freiheit, einſt die ſchönſte
Blüthe, die den Frühling des Menſchengeſchlechtes geſchmückt hat,
war zur überreifen Frucht gezeitigt. Die Griechen hatten in dem
reich bewegten Leben vieler Jahrhunderte alle Kraft entwickelt und
geübt, mit der ſie von der Natur verſchwenderiſch ausgeſtattet wa-
ren; und je höher ſich in ihnen das Bewußtſein ihrer Freiheit und
Kraft,
[33] Kraft, das Verlangen nach dem fernen Ziele ihres geſchichtlichen
Lebens entwickelt hatte, deſto heftiger bewegt, deſto leidenſchaftlicher
und blutiger waren die Kämpfe geworden, in denen ſie den letzten
großen Kampf vorbereitet hatten. Auf den Feldern von Chäronea
hatte endlich Macedonien den Sieg davon getragen, in der großen
Verſammlung zu Corinth war Philipp von den Griechen zum Füh-
rer des Griechenthums ernannt worden; er ſtand bereit, das große
Nationalwerk der Griechen zu vollenden.


3
[[34]]

Zweites Kapitel.
Das Macedoniſche Koͤnigthum. Alexanders Regierungs-
antritt.


Aber waren Philipp und ſeine Macedonier Griechen, um den
Perſerkrieg im Sinne des Griechiſchen Volkes und der Griechiſchen
Geſchichte übernehmen zu können? Die Vertheidiger der alten de-
mokratiſchen Freiheit haben oft und laut das Gegentheil behauptet,
und ihr großer Wortführer Demoſthenes geht in ſeinem patriotiſchen
Eifer ſo weit, zu verſichern, daß Philipp weder ein Grieche, noch
mit Griechen verwandt, ſondern zu den Barbaren zu zählen ſei, die
man nicht einmal als Sclaven brauchen könne 1). Aber uralte
und glaubwürdige Traditionen beweiſen das Gegentheil; ſie berich-
ten, daß in grauer Vorzeit drei Brüder aus dem Heraklidiſchen
Fürſtengeſchlechte von Argos gen Norden in das Land der roſſekun-
digen Päonier gewandert ſeien, ſich am Oſtabhange des Gebirges
in der Stadt Edeſſa niedergelaſſen, und die Landſchaft Emathia in
Beſitz genommen hätten; der jüngſte dieſer drei Brüder, Perdikkas,
wurde der Stammvater des Macedoniſchen Königshauſes 2). In
allmähligem Wachsthum dehnte ſich das neue Reich über den gan-
zen Landſtrich aus, der, von der Natur auf eine augenfällige Weiſe
abgegränzt, bis in ſpäte Zeiten den Namen des eigentlichen oder
unteren Macedoniens behielt, und die Landſchaften Emathia, Am-
[35] phaxitis, Mygdonia, Bottiäis und Pieria umfaßte 3). Die Ur-
einwohner dieſer Gegenden waren dieſelben Pelasgiſchen oder Thra-
ciſchen Stämme, welche einſt das ganze Helleniſche Land inne ge-
habt hatten, ſpäterhin aber der höheren Entwickelung des Helleni-
ſchen Lebens gegenüber als Barbaren erſchienen. So hatten die
Macedoniſchen Herakliden das gleiche Loos mit allen ihren Stam-
mesgenoſſen, in ein fremdes Land eingewandert ihre Macht auf die
Unterwerfung der einheimiſchen Urvölker gründen zu müſſen, freilich
mit dem wichtigen Unterſchiede, daß hier wie in keinem Doriſchen
Lande das Alte mit dem Neuen zu einem Ganzen verſchmolz, wel-
ches im Stande war, die urkräftige Friſche der Heroenzeit bis in
ſpäte Jahrhunderte zu bewahren. Und wenn berichtet wird, daß
die Trophäen des erſten Sieges, den Perdikkas über die einheimi-
ſchen Stämme davon trug, durch den Willen der Götter über
Nacht von einem Löwen umgeſtürzt worden, zum Zeichen, daß man
nicht Feinde beſiegt, ſondern Freunde gewonnen habe 4), ſo ſpricht ſich
in dem Sinne dieſer Sage die eigenthümliche Kraft des Macedoni-
ſchen Reiches und deſſen Beruf aus, den letzten Krieg Griechen-
lands gegen den Orient glücklich hindurch zu führen, da ja nicht
über Unterworfene triumphirt, ſondern die Völker Aſiens für Grie-
chiſches Leben und Weſen gewonnen werden ſollten.


Während im übrigen Griechenlande das Königthum, das ſich
in dem niederen Volke eine Stütze zu gewinnen verſäumt hatte, ge-
gen die Anmaaßungen eines ebenbürtigen Herrenſtandes zu Grunde
gegangen war, während gegen dieſen Herrenſtand ſelbſt das niedere
Volk, der Rechtloſigkeit und des unerträglichen Druckes müde, ſich
endlich empört, die edlen Geſchlechter ihrer Vorrechte beraubt und
in die gährende Maſſe des demokratiſchen Gemeinweſens hinabgezo-
gen hatte, um ſelbſt bald in Selbſtſucht und Partheiung zu zerfal-
len, hatte Macedonien in ſeiner ruhigen und alterthümlichen Weiſe
fortbeſtehen können, da hier jene Elemente der Reibung und des
Haſſes in dem Verhältniß der verſchiedenen Stände nicht vorhan-
3 *
[36] den waren. Denn die edlen Doriſchen Geſchlechter in Macedonien
hatten keinesweges, wie etwa die Spartaner und andere Dorier,
die alten Landesbewohner zu Peneſten und Heloten erniedrigt; wie
dürftig auch die Nachrichten über das innere Leben Macedoniens
ſind, ſo viel ſteht feſt, daß das Volk frei, daß Jeder des Volks
trotz dem edelſten Herakliden Macedonier war, daß er das Recht
zu freiem und unabhängigem Beſitz, und Zutritt in die Volksver-
ſammlung hatte, daß endlich die Volksverſammlung ſelbſt zu Ge-
richt und Berathung dem Könige zur Seite war, um durch lauten
Zuruf zu billigen oder zu verwerfen. Indem das freie Volk zu glei-
cher Zeit die Maſſe des Heeres bildete, ſo konnte ſich nicht im
Adel des Landes eine einſeitige Vorliebe für den Krieg hervorbil-
den, und der ritterliche Dienſt, zu dem er im Falle eines Krieges
verpflichtet war, ließ den Heerdienſt des Fußvolks in gleichem
Maaße ehrenvoll und ſelbſtſtändig. Der Adel ſelbſt war kaum
als Herrenſtand zu bezeichnen; was ihn auszeichnete, waren nicht
Privilegien auf Koſten des Volkes, ſondern größeres Beſitzthum,
die Erinnerungen edler Abſtammung, nähere Beziehung zu der Per-
ſon des Königs, der treue Dienſte mit Ehren und Geſchenken be-
lohnte. Selbſt die Familien von fürſtlichem Adel, die früher in den
benachbarten Landſchaften Oreſtis, Lynkeſtis, Stymphäa und anderen
ſelbſtſtändig geherrſcht, und, nachdem ſie von den mächtigeren Köni-
gen Macedoniens abhängig geworden, doch den Beſitz ihrer frühern
Herrſchaft behalten hatten, traten wohl mit ihrem Volke in die
Verhältniſſe ein, welche für das übrige Macedonien galten.


Man muß geſtehen, daß die alterthümliche Einfachheit der
Verhältniſſe, wie ſie die Grundlage des in den Homeriſchen Ge-
ſängen geſchilderten Lebens bildet, und Jahrhunderte lang in Macedo-
nien beſtand, in der That einſt allen Hellenen gemeinſam geweſen,
aber im Kampf der Jahrhunderte untergegangen war. Freilich
dankte das Griechenthum dieſen Kämpfen die hohe Bildung, die es,
wenn auch auf Koſten des Glückes und der Tugend, erreicht hat,
und Macedonien war mit ſeiner alterthümlichen Rauheit und Ein-
falt weit hinter der Zeit zurückgeblieben; aber dafür konnte es auch,
glücklich und umſichtig geleitet, die Reſultate jener langen und mü-
hevollen Entwickelung, bei der Griechenland ſeine Kraft erſchöpft
hatte, mit ungeſchwächter Kraft aufnehmen; es konnte die Gedan-
[37] ken der neuen Zeit, deren Keime ſchon in den Formen des heroi-
ſchen Königthumes lagen, mit dem, was es ſelbſt bewahrt hatte,
vereinigen und erfüllen, und ſo das verwirklichen, was die größten
Denker im Helleniſchen Volke als das Höchſte volksthümlicher Ver-
faſſung darſtellten.


Dieß Neue und Zeitgemäße mußte Macedonien, ſo lag es in
der Natur der Sache, durch die Vermittelung ſeiner Könige er-
halten; und in der That, ſeitdem dieſe durch die Perſerkriege, die
ja in allen Hellenen das Bewußtſein und Bedürfniß der Einheit
erwachen ließen, mit in den großen Verband des Helleniſchen Le-
bens eingetreten waren 5), verfolgten ſie mit mehr oder minder
Bewußtſein, Geſchick und Kraft dieſen Plan, ihr Volk, unbeſchadet
der hergebrachten Rechte und Verhältniſſe, in unmittelbaren Zu-
ſammenhang mit den Staaten von Hellas und zur Theilnahme an
der gemeinſamen Helleniſchen Bildung zu bringen. Die Nähe der
reichen und handelkundigen Colonien in Chalcidice, die durch ſie
veranlaßten vielfältigen Berührungen mit den Hauptmächten von
Hellas, die um ihren Beſitz kämpften, und den Einfluß Macedo-
niens ſuchten oder fürchteten, die faſt ununterbrochenen Kämpfe in
Hellas ſelbſt, welche manchen berühmten Namen die Heimath zu
meiden und an dem reichen Hofe von Pella Ruhe und Ehre zu
ſuchen veranlaßten, das alles begünſtigte die ruhigen und ſicheren
Fortſchritte Macedoniens. Vor allen wichtig und erfolgreich war
die Zeit des weiſen Königs Archelaos, und während das übrige
Hellas von dem Peloponneſiſchen Kriege verwirrt und zerriſſen
wurde, verbreitete ſich unter ſeiner weiſen Leitung das Licht höherer
und zeitgemäßer Bildung bis in die entfernteſten Thäler ſeines
ſchönen Landes; ſein Hof, der Sammelplatz von Dichtern und Künſt-
lern aller Art 6) und der glückliche Vereinigungspunkt des Mace-
doniſchen Adels, wurde das Vorbild für das Volk und deſſen fort-
ſchreitende Entwickelung; Archelaos ſelbſt galt in dem Munde der
Zeitgenoſſen für den reichſten und glücklichſten Mann von der Welt 7).


Indeß ſcheint durch die wichtigen und erfolgreichen Neuerun-
[38] gen, wie ſie namentlich durch Archelaos ins Leben getreten waren, eine
Reaction hervorgerufen zu ſein, welche durch die neuen Elemente, die
Macedonien bereits in ſich aufgenommen, nur deſto heftiger und
gefährlicher werden mußte. So lange Archelaos herrſchte, wagte
kein Unwille laut zu werden; aber als mit ſeinem Tode das
Reich an ſeinen unmündigen Sohn Oreſtes überging, da ſchien es
Zeit gegen das Neue anzukämpfen, und die alte gute Zeit wieder
in ihr Recht einzuſetzen, eine Tendenz, die ihrer Natur nach den
hohen und herrſchenden Geſchlechtern angehören mußte, da nur ſie
durch die Förderung des Volkes und der Bildung im Volke, ſo
wie durch die höhere und einflußreichere Stellung des Königthums
beeinträchtigt ſein konnten, wogegen das Volk ſelbſt, wie es ſcheint,
an allen den folgenden Kämpfen und Zerwürfniſſen nicht viel An-
theil gehabt hat, ſondern die einmal aufgenommenen Elemente
langſam und ruhig ſich weiter entwickeln ließ. Das Genauere jener
Bewegungen iſt dunkel; doch beſtätigen die wenigen Andeutungen,
die ſich vorfinden, dieſe Anſicht. Aeropus, der Reichsweſer und
Verwandter des königlichen Hauſes, raubte dem königlichen Knaben
Krone und Leben; Aeropus ſtammte wahrſcheinlich aus dem alten
Bacchiadiſchen Fürſtengeſchlecht der Lynkeſtier 8), das mit dem Kö-
nigshauſe verſchwägert war; was er und ſeine Familie in den näch-
ſten Zeiten ausgeführt, bezeichnet ſie als Gegner der neuen Ord-
nung der Dinge und als Vertreter des Althergebrachten. Es iſt
begreiflich, wie durch eine Partheianſicht, für welche ſich der fürſt-
liche Adel des Landes entſcheiden mußte, Aeropus den Thron be-
haupten und auf ſeinen Sohn Pauſanias vererben konnte. Aber
die Anhänglichkeit für die königliche Heraklidenfamilie war zu groß,
als daß ſich die Uſurpation für lange gegen ihre gerechten An-
ſprüche hätte halten können. Obſchon aus der jüngeren Linie des
königlichen Hauſes entſprungen, begann Amyntas den Kampf gegen
Pauſanias, und entriß ihm den Thron; ſein kühnes Auftreten und
die trefflichen Eigenſchaften, die er als Herrſcher entwickelte, moch-
[39] ten das nähere Anrecht, welches der noch lebende jüngſte Sohn des
Archelaos auf das Reich hatte, vergeſſen laſſen.


Doch war die Zeit der Ruhe, ſo ſehr das Land ihrer bedurfte,
noch nicht gekommen; die Verwirrungen, die das Reich zu entkräf-
ten und zur leichten Beute jedes kühnen Ueberfalls zu machen ſchie-
nen, hatten die Illyrier an die Grenze gelockt, und vielleicht von
den Gegnern des Amyntas aufgemuntert, fielen ſie in das Land,
beſiegten ein königliches Heer und zwangen den König ſelbſt zur
Flucht aus ſeinem Reiche. Die zwei Jahre ſeiner Abweſenheit be-
nutzte Archelaos jüngſter Sohn Argäus zu einem Verſuch, ſich
des väterlichen Reiches zu bemächtigen; aber mit Theſſaliſcher Hülfe
kam Amyntas zurück, und gewann in Kurzem das Verlorene wie-
der. Die großen Gefahren und Zerrüttungen, welche die Parthei-
ungen über das Land gebracht hatten, mochten empfindlich genug
gezeigt haben, wie nothwendig Verſöhnung und Eintracht ſei; Amyn-
tas vermählte ſich mit Eurydice aus dem Lynkeſtiſchen Fürſtenhauſe.
Altes und Neues ward in Einklang gebracht, und zwanzig Jahre
hindurch regierte Amyntas, wenn auch nicht in völligem Frieden,
doch zum Wohl und zur Förderung ſeines Landes. Aber bei ſei-
nem Tode offenbarte ſich, daß die Parthei der Lynkeſtier ihre alten
Hoffnungen und Pläne noch nicht aufgegeben; ſie fand in der Köni-
gin Eurydice eine eben ſo kühne wie furchtbare Vertreterin. Als
Amyntas Sohn und Nachfolger Alexander in Theſſalien kämpfte,
ſtand von ihr veranlaßt Ptolomäus von Alorus, mit dem ſie
ſchon lange ein heimliches Verhältniß pflegte, gegen den König auf,
und kämpfte glücklich; ein Vergleich zwiſchen beiden ſchien nur ge-
macht, um den König deſto ſicherer zu verderben; während eines
feſtlichen Tanzes ward er ermordet 9), und dem Mörder Ptolomäus
gab die Königin ihre Hand und den Thron. Jahr und Tag
herrſchte der Uſurpator, bis Alexanders zweiter Bruder herangereift
war; mit dem Morde des Ptolomäus bahnte er ſich den Weg zum
Throne. Seine Herrſchaft währte zu kurze Zeit; mitten in der
einflußreichſten Wirkſamkeit für die Bildung und Erweiterung ſeines
[40] Reiches rafft ihn der Tod hinweg, ſeine Mutter Eurydice ſoll ihn
ermordet haben. Aber ſchon war ihr und des Amyntas dritter
Sohn Philipp da, die Regierung für ſeines Bruders Perdikkas
unmündigen Sohn zu übernehmen; mit gleicher Vorſicht und Ge-
wandtheit rettet er das Reich vor den drohenden Einfällen der Il-
lyrier und Thracier, die Krone vor den beiden Prätendenten Pau-
ſanias und Argäus, das königliche Haus vor neuen Intriguen und
Verwirrungen; in Kurzem waren die alten Partheiungen verſchwun-
den. Von der Parthei der Lynkeſtier war Eurydice und Ptolo-
mäus todt, und von den Söhnen des Aeropos wurde der älteſte,
Alexander, durch Vermählung mit des treuen Antipaters Tochter,
die beiden jüngeren, Hieromenes und Arrhabäus, durch andere
Gunſtbezeugungen gewonnen, Arrhabäus Söhne Neoptolemus und
Amyntas am Hofe erzogen 10). Von der älteren Linie des Hau-
ſes hatte noch Argäus gegen Philipp um das Reich gekämpft, er
verſchwindet aus der Geſchichte; wahrſcheinlich wurde ihm von Phi-
lipp verziehen, und ſein Sohn Heraklides erſcheint ſpäter unter
den Befehlshabern der Macedoniſchen Armee 11). Auch der zweite
Prätendent Pauſanias, von deſſen Abſtammung und Anſprüchen
nichts Genaueres überliefert wird, verſchwindet aus der Geſchichte.
Den rechtmäßigen Thronerben endlich, des Perdikkas Sohn Amyn-
tas
, in deſſen Namen Philipp wirklich im Anfange die Regierung
geführt hatte, knüpfte er durch die Vermählung mit ſeiner Tochter
Kynane an ſein Intereſſe 12).


So war Macedonien in die Hände eines Fürſten gekommen,
der mit bewundernswürdiger Planmäßigkeit und Gewandtheit die
Kräfte ſeines Reiches zu entwickeln, zu benutzen und bis zu dem
Grade zu erhöhen wußte, daß ſie dem großen Gedanken, an der
Spitze des Griechenthums das Morgenland zu unterwerfen, ge-
wachſen wurden. Faſt hat die Geſchichte über die ſtaunenswürdi-
gen Erfolge die Mittel, durch welche ſie errungen wurden, aufzu-
zeichnen vergeſſen, [und] während ſie die Hand, die einen Staat
Griechenlands nach dem andern zu ſich herüber zog, in jedem ein-
zelnen ihrer ſchlauen Griffe auf das Genaueſte verfolgt, läßt ſie uns
[41] über den Körper, dem dieſe Hand angehört, und dem ſie ihre
Kraft und Sicherheit dankt, faſt ganz im Dunkeln; das verführeri-
ſche Gold, das ſie dieſelbe Hand zeigen und zur rechten Zeit ſpen-
den läßt, erſcheint faſt als das einzige oder doch größte Mittel,
durch welches Philipp ſeine Erfolge errungen. Aber faßt man das
innere Leben des Reiches näher ins Auge, ſo treten deutlich zwei
Momente hervor, die, ſchon früher angeregt, aber durch Philipp erſt
zu voller Kraft entwickelt, die Baſis ſeiner Macht wurden.


Das Macedoniſche Volk hatte allerdings ſchon früher Kriege
mannigfacher Art zu beſtehen gehabt, und nach dem alten Brauch
war dann jeder wehrhafte Mann ausgezogen, um nach Beendigung
des Krieges wieder zu ſeinem Pfluge oder zu ſeiner Heerde zurück-
zukehren. Die Gefahren, unter denen Philipp die Regierung über-
nahm, die Kämpfe, welche namentlich die erſten Jahre ſeines Kö-
nigthums faſt unabläſſig fortwährten, gaben die Veranlaſſung, jene
Kriegspflichtigkeit der Macedonier zur Bildung eines ſtehenden Natio-
nalheeres zu benutzen, das, anfangs zehntauſend Mann Fußvolk und
ſechshundert Ritter ſtark, bald genug auf das Doppelte gebracht
wurde. Die Erfolge dieſer Einrichtung mußten außerordentlich ſein;
ſie bewirkte, daß ſich die verſchiedenen Landſchaften des Reiches als
ein Ganzes, als eine Nation fühlen lernten; ſie machte es mög-
lich, daß die neu erworbenen Thraciſchen, Päoniſchen, Agriani-
ſchen Völkerſchaften, wenn ſie auch ihre einheimiſchen Fürſten
behielten, mit dem Macedoniſchen Volke zu einem Ganzen ver-
ſchmolzen; vor allem aber gab ſie in dieſer Einheit und in der
kriegeriſchen Tendenz, die fortan vorherrſchend wurde, dem Volke
ſchnell und durchgreifend jene höhere ethiſche Kraft und jenes ſtolze
Gefühl des geſchichtlichen Lebens, deſſen höchſtes Ziel der Ruhm iſt.
Ein Heer dieſer Art mußte den Söldnerſchaaren der Griechiſchen
Staaten, eine Nationalität von dieſer Jugendfriſche und dieſem
Selbſtgefühl dem überbildeten, durch geiſtige und körperliche Ge-
nüſſe bis zur Fieberhaftigkeit oder Gleichgültigkeit überreizten Grie-
chenthume überlegen ſein. Die Gunſt des Schickſals hatte in Ma-
cedonien die Weiſe [einer] alten und urkräftigen Zeit ſo lange beſtehen
laſſen, bis es mit ihr in das geſchichtliche Leben eintreten ſollte,
ſie hatte im Kampf des Königthums mit dem Adel nicht, wie in
Hellas Jahrhunderte früher, dem trotzigen Herrenſtande, ſondern dem
[42] Königthume den Sieg gegeben; und dieſes Königthum eines freien
und kräftigen Volkes, dieſe Monarchie im edelſten Sinne des
Wortes gab jetzt dem Leben des Volks die Form, Kraft und Rich-
tung, welche die Demokratien von Hellas wohl als weſentlich er-
kannt, aber vergebens erſtrebt hatten.


Dagegen mußte die Helleniſche Bildung, das ſchöne Reſultat
jenes vergeblichen Strebens, ganz und vollkommen dem Macedoni-
ſchen Volksleben gegeben, und ſo das ſchon von früheren Fürſten
mit Erfolg begonnene Streben mit Sorgfalt und Nachdruck fort-
geſetzt werden. Das Vorbild des Königs und ſeines Hofes war
hier von der größten Wichtigkeit, und der Adel des Landes trat
bald in die eben ſo natürliche wie ehrenvolle Stellung, den gebilde-
ten Theil der Nation auszumachen; ein Unterſchied, der ſich in kei-
nem der Griechiſchen Hauptſtaaten zu entwickeln vermocht hatte,
indem die Spartaner alle roh und nur Herren den unfreien La-
konen gegenüber waren, die freien Athener aber ſich wenigſtens
ſelbſt ohne Ausnahme für höchſt gebildet hielten. Schon Philipp
ſorgte, ſo ſcheint es, durch Einrichtung von Lehrvorträgen aller Art,
die zunächſt für die Edelknaben in ſeiner Umgebung beſtimmt wa-
ren, für die Helleniſche Bildung des jungen Adels, den er ſo viel
als möglich an den Hof zu ziehen, an ſeine Perſon zu feſſeln, und
für den unmittelbaren Dienſt des Königthums zu gewinnen ſuchte;
als Edelknaben, und bei reiferer Jugend in den Leibſchaaren
und als Leibwächter (Somatophylakes) des Königs, als Commandi-
rende bei den verſchiedenen Abtheilungen des Heeres, in Geſandt-
ſchaften an Helleniſche Staaten, wie ſie ſo häufig vorkamen, hatte
der Adel Gelegenheit genug ſich auszuzeichnen oder den Lohn für aus-
gezeichnete Dienſte zu empfangen; überall aber bedurfte er jener Bil-
dung und feinen Attiſchen Sitte, wie ſie der König wünſchte und ſelbſt
beſaß. Sein eifrigſter Gegner mußte geſtehen, daß Athen kaum
einen an feiner Geſelligkeit ihm Aehnlichen aufzuweiſen habe 13);
und wenn der König im häuslichen Kreiſe Macedoniſch und einfach
lebte, ſo waren die Hoffeſte, der Empfang fremder Geſandten, die
Feier der großen Spiele deſto glänzender und Beweis genug, daß
das Macedoniſche Königthum in Bildung und Geſchmack nicht mehr
[43] zurück war; das Macedoniſche Volk ſeinerſeits ſah mit gerechtem
Stolz auf ſeinen König und deſſen Hof, an dem alles prächtig und
großartig, nichts kleinlich und karg war.


Und in der That, dieſer Hof von Pella, wie er zur Zeit des
Königs Philipp war, mußte durch Glanz und Adel ausgezeichnet
ſein, wenn man der edlen Geſchlechter gedenkt, die dort verſammelt
waren. Mehrere von dieſen waren fürſtlichen Urſprungs, ſo das
Bacchiadengeſchlecht von Lynkeſtis, das vierzig Jahre früher ja ſelbſt
die Macedoniſche Krone in Händen gehabt hatte; ſo ferner das
Geſchlecht des Orontes, das einſt in der Landſchaft Oreſtis ge-
herrſcht hatte, aber um die Zeit des Peloponneſiſchen Krieges, wo
es von dem Fürſten Derdas von Elymiotis, wie es ſcheint, ver-
drängt war 14), in Macedonien Schutz geſucht hatte; der ältere
Sohn des Orontes erhielt ſpäterhin die Führung des Phalanx von
Oreſtis, derſelben, wie es ſcheint, welche demnächſt, als er ſelbſt
Führer eines Geſchwaders wurde, an ſeinen Bruder Alketas über-
ging. Das bedeutendſte unter dieſen fürſtlichen Geſchlechtern war
das von Elymiotis, entſtammt von dem eben erwähnten Fürſten
Derdas aus der Zeit des Peloponneſiſchen Krieges; um das Jahr
380 hatte ein zweiter Derdas, wahrſcheinlich des vorigen Enkel,
den Beſitz des Landes, und war damals mit Amyntas von Mace-
donien und den Spartanern verbündet gegen Olynth gezogen 15);
noch bei Philipps Regierungsantritt war er unabhängiger Fürſt ge-
weſen, und hatte ſeine Schweſter Phila mit dem Macedoniſchen
Könige vermählt 16); mit dieſem war er um das Jahr 350 gegen
Olynth gezogen, und in die Gefangenſchaft der Feinde gerathen 17).
Dieſe Gelegenheit mochte Philipp benutzt haben, um ſein Fürſten-
thum mit Macedonien zu vereinen; Machatas, der Bruder des
Derdas wagte wohl nicht Anſprüche zu erheben, ſondern ging an
den Hof des mächtigeren Fürſten; es blieb zwiſchen Philipp und die-
ſer Familie ſtete Spannung, die nicht immer geſchickt genug ver-
[44] hehlt und von dem Könige vielleicht abſichtlich erhalten wurde, um
durch zweifelhafte Gunſt ſie etwas fern und in Beſorgniß zu hal-
ten. Kaum konnte Machatas in einer Rechtsſache, in welcher der
König zu Gericht ſaß, einen gerechten Spruch erlangen, und Phi-
lipp eilte, eine Unrechtlichkeit, die ein Verwandter des Hauſes ſich
zu Schulden kommen ließ, zur öffentlichen Kränkung der Familie zu
benutzen; die Bitten, die des Machatas Sohn Harpalus, dem der
König durch Uebertragung einer politiſchen Miſſion jüngſt Vertrauen
bewieſen hatte 18), für ihn einlegte, wurden nicht ohne Bitterkeit
zurückgewieſen 19). Der Glanz, den dieſe Familie in ſpäterer Zeit
erreicht hat, begann erſt mit Philipps Tode. Harpalus Bruder
war Philipp, der Vater des berühmten Antigonus, deſſen Sohn, der
Städtezertrümmerer Demetrius, Gründer der neuen Macedoni-
ſchen Dynaſtie wurde, die bis zum Untergange des Reiches gewährt
hat. — Es iſt nicht möglich, alle die edlen Geſchlechter, die an dem
Hofe von Pella verſammelt waren, aufzuzählen; doch verdienen
zwei derſelben wegen ihrer beſondern Wichtigkeit Erwähnung, das
des Antipater und des Philotas. Philotas Sohn war jener treue und
gewandte Feldherr Parmenion, dem Philipp wiederholentlich die
Führung der wichtigſten Expeditionen anvertraute; ſeine ſoldatiſche
Biederkeit machte ihn zum Mann des Volkes; ſeine Brüder Aſan-
der und Agathon 19a), und noch mehr ſeine Söhne Philotas, Ni-
kanor und Hektor nahmen ſpäter bedeutenden Antheil an dem
Ruhme des Vaters; ſeine Töchter verbanden ſich mit den vornehm-
ſten Söhnen des Landes; die eine mit Könus, dem Phalangenfüh-
rer, die andere mit Attalus 20), dem Oheim einer ſpäteren Ge-
mahlin des Königs. In nicht minder einflußreicher und ehrenvoller
Stellung war Antipater oder, wie ihn die Macedonier nannten,
Antipas; das bezeichnet des Königs Wort: „ich habe ruhig geſchla-
fen, denn Antipas wachte“ 20a); ſeine erprobte Treue und die
nüchterne Klarheit, mit der er vorliegende Verhältniſſe zu betrachten
pflegte 20b), machten ihn für das hohe Amt eines Reichsverweſers,
das er bald genug einnehmen ſollte, vollkommen geeignet; die Vermäh-
[45] lung mit ſeiner Tochter ſchien das ſicherſte Mittel, die hohe Familie
der Lynkeſtier zu gewinnen; ſeine Söhne Kaſſander, Archias und
Jollas erhielten erſt ſpäter Bedeutung. —


So der Hof, ſo die Nation, wie ſie durch Philipp geſtaltet
waren; man darf hinzufügen, daß das monarchiſche Element in dem
Macedoniſchen Staatsleben eben ſo durch die geſchichtliche Stellung
des Volkes, wie durch die Perſönlichkeit Philipps ein entſchiedenes
Uebergewicht erhalten mußte. Erſt in dem Ganzen dieſes Zuſam-
menhanges iſt des Königs Charakter und Handlungsweiſe begreif-
lich. In dem Mittelpunkte von Widerſprüchen und Gegenſätzen
der eigenthümlichſten Art, Grieche im Verhältniß zu ſeinem Volke,
Macedonier für die Griechen, übertraf er jene wieder an Macedo-
niſcher Treuherzigkeit und Fröhlichkeit, dieſe an Griechiſcher Feinheit
und Hinterliſt, beide an Klarheit des Bewußtſeins und an Ge-
wandtheit nie ſo zu ſcheinen, wie man erwarten mußte; ſein Cha-
rakter war, keinen Charakter zu haben, ſondern Zwecke; Frivolität
und Offenheit verbarg ſeine Abſichten, die feinſte geſellige Bildung
die Laſter und Verbrechen, die man ihm vorwirft; von Natur zu
Wolluſt und Genuß geneigt, war er in ſeinen Neigungen eben ſo
unbeſtändig wie glücklich, in ſeinen Leidenſchaften eben ſo zügellos
wie vorſichtig; über beide ſchien er Herr zu ſein, um ſich ihnen
ganz hinzugeben, und man kann zweifeln, ob ſeine Tugenden oder
ſeine Fehler für erkünſtelt zu halten ſeien; jedenfalls ſtellt ſich in
ihm die ſophiſtiſche Bildung ſeines Zeitalters, ihre Klugheit und
Geſinnungsloſigkeit und die Einſeitigkeit des vollendeten Egoismus
auf das Beſtimmteſte dar.


Das entſchiedene Gegentheil von ihm war ſeine Gemahlin
Olympias, die Tochter des Epirotenkönigs Neoptolemus, aus dem
Geſchlechte Achills; Philipp hatte ſie in ſeinen jüngeren Jahren bei
der Myſterienfeier auf Samothrace kennen gelernt und mit Ein-
willigung ihres Vormundes und Oheims Arymbas geheirathet 21).
Schön, verſchloſſen und voll glühender Leidenſchaftlichkeit, war ſie
dem geheimnißvollen Dienſte des Orpheus und Bacchus und den
dunklen Zauberkünſten der Thraciſchen Weiber eifrigſt ergeben; in
den nächtlichen Orgien ſah man ſie vor Allen in wilder Begeiſte-
[46] rung, den Thyrſus und die Schlange ſchwingend, durch die Berge
ſtürmen; ihre Träume wiederholten die fantaſtiſchen Bilder, deren ihr
ahnendes Gemüth voll war; ſie träumte in der Nacht vor der
Hochzeit, es umtoſe ſie ein mächtiges Gewitter, und der Blitz fahre
flammend in ihren Schooß, daraus dann ein wildes Feuer her-
vorbreche, und in weit und weiter zehrenden Flammen ver-
ſchwinde 21a). — So ſchien das Schickſal aus der Vereinigung
der äußerſten Gegenſätze, zu denen das Griechenthum ſich entwickelt
hatte, den erzeugen zu wollen, in welchem dem Griechiſchen Geiſte die
Welt zu überwinden und ſich zu erfüllen beſtimmt war 22). Und
wenn die Sage berichtet, daß außer vielen anderen Zeichen in der
Nacht, da Alexander geboren wurde, der Dianentempel zu Epheſus,
nach Griechiſcher Anſicht das eigentlich Morgenländiſche Heiligthum,
niedergebrannt ſei, daß ferner der König Philipp die Nachricht von
der Geburt des Sohnes zu gleicher Zeit mit dreien Siegesbotſchaf-
ten erhielt, ſo ſpricht ſie bedeutungsvoll den Sinn des reichſten Hel-
denlebens und den großen Gedanken eines Zuſammenhanges aus,
wie ihn die Geſchichte nachzuweiſen ſich oft umſonſt bemüht und
öfter überhoben hat.


Und doch zeigt gerade Alexanders Leben von der erſten Kind-
heit an dieſen Zuſammenhang aller Verhältniſſe eben ſo unleugbar
wie überraſchend. Man muß eingeſtehen, daß Philipps Blick bei
aller Klarheit und Schärfe, die ihn über die Verhältniſſe der Ge-
genwart mit raſcher Sicherheit entſcheiden und zu deren weiten
und weiteren Folgen hinauseilen ließ, dennoch nicht weiter zu rei-
chen vermochte, als bis zu dem unbeſtimmten Gedanken eines Per-
ſerkrieges, den er für die Aufgabe ſeines Lebens hielt; wohl erkannte
er jenſeits des Meeres das Land der Siege und der Zukunft Ma-
cedoniens, dann aber trübte ſich ſein Blick, und ſeine Pläne wichen
den unbeſtimmten Geſtaltungen ſeiner Wünſche. Daſſelbe Verlan-
gen nach jenem großen Werke theilte von ihm ſich ſeinen Umgebun-
[47] gen, dem Adel, dem geſammten Volke mit, es wurde der ſtets
durchklingende Grundton des Macedoniſchen Lebens, das lockende
Geheimniß der Zukunft; man kämpfte gegen die Thracier und
ſiegte über die Griechen, aber der Orient war das Ziel, für das
man kämpfte und ſiegte. Unter ſolchen Umgebungen wuchs Alexan-
der auf, und früh genug mögen die Sagen vom Morgenlande,
vom ſtillen Goldſtrom und dem Sonnenquell, dem goldnen Wein-
ſtock mit ſmaragdnen Trauben, und der Nyſawieſe des Dionyſus
des Knaben Seele beſchäftigt haben; dann wuchs er auf und hörte
von den Siegen bei Marathon und Salamis, und von den heiligen
Tempeln und Gräbern, die der Perſerkönig mit ſeinen Sklavenhee-
ren zerſtört und geſchändet habe, und daß Macedonien gen Aſien
ziehen und ſie rächen müſſe; und mit dem Knaben wuchs das Ver-
langen nach Aſien und nach Siegen über den großen König in
Suſa. Und als einſt Geſandte aus der Perſiſchen Königsburg
nach Pella kamen, und er, noch ein Knabe, ſie empfing, ſo fragte
er ſorgſam nach den Heeren und Völkern des Reichs, nach Geſetz
und Brauch, nach Verfaſſung und Leben der Völker; und die Per-
ſer ſtaunten über das Kind 23). —


Von nicht minderer Wichtigkeit war, daß Ariſtoteles, der
größte Denker des Alterthums, ihn erzog. Philipp hatte bei der
Geburt ſeines Sohnes ihn darum erſucht: „wiſſe daß mir ein
Sohn geboren iſt,“ ſchrieb er an den Stagiriten; „nicht daß er ge-
boren iſt, ſondern daß er in deinen Tagen geboren iſt, macht mich
froh; von dir erzogen und gebildet wird er Unſerer würdig und der
großen Beſtimmung, die einſt ſein Erbe iſt, gewachſen ſein“ 24).
Der die Welt dem Gedanken erobert hat, erzog den, der ſie mit
dem Schwerte erobern ſollte; ihm gebührt der Ruhm, in dem lei-
denſchaftlichen Knaben jene Hoheit und Strenge des Denkens ge-
weckt zu haben, die ihn den Genuß verachten und die Wolluſt flie-
hen lehrte 25), die ſeine Leidenſchaft adelte und ſeiner Kraft Maaß
[48] und Bewußtſein gab. Alexander bewahrte für ſeinen Lehrer allezeit
die innigſte Verehrung; er ſagte oft, ſeinem Vater danke er nur
ſein Leben, ſeinem Lehrer, daß er würdig lebe.


So in jeder Weiſe vom Glücke begünſtigt, bildete ſich Alexan-
der und ſein Charakter früh, glücklich und entſchieden aus; voll Tha-
tendurſt und Ruhmbegier trauerte er oft um die Siege ſeines Va-
ters, die ihm nichts mehr zu thun übrig ließen. Sein Vorbild
war Achilles, aus deſſen Geſchlecht er ſich gern entſtammt zu ſein
rühmte, und dem er durch Glück und Leid und Ruhm ähnlich wer-
den ſollte. Wie jener ſeinen Patroklus, ſo liebte er den Freund
ſeiner Jugend Hephäſtion; aber einen Homer fand er nicht. Er
liebte mehr ſeine Mutter als ſeinen Vater, von jener hatte er den
Enthuſiasmus 26) und die Innigkeit, die ihn vor allen Helden aus-
zeichnen. Dem entſprach ſein Aeußeres; ſein heftiger Gang, der
funkelnde Blick, das zurückfliegende Haar, die Gewalt ſeiner Stimme
bekundeten den Helden; wenn er ruhte, bezauberte die Milde ſeiner
Miene, das ſanfte Roth, das auf ſeiner Wange ſpielte, ſein feucht-
aufblickendes Auge, das ein wenig zur Linken geneigte Haupt. In
ritterlichen Uebungen war er vor Allen ausgezeichnet; ſchon als
Knabe bändigte er das wilde Theſſaliſche Roß Bucephalus, an wel-
ches ſich kein Anderer wagen wollte, und das ihm ſpäterhin auf
allen ſeinen Zügen als Schlachtroß diente. Die erſte Waffenprobe
legte er unter ſeines Vaters Regierung ab; er bezwang, da Phi-
lipp Byzanz belagerte, die Mäder, und gründete dort eine Stadt
mit ſeinem Namen; noch höheren Ruhm gewann er in der Schlacht
von Chäronea, die durch ſeine perſönliche Tapferkeit gewonnen
wurde. Sein Vater ſah und liebte in ihm den einſtigen Vollender
ſeiner eigenen Hoffnungen; er hörte ſich gern von den Macedoniern
ihren
25)
[49] ihren Feldherrn, Alexander ihren König nennen; er war ſtolz dar-
auf, in ihm einen Nachfolger zu haben, dem das Macedoniſche
Reich zu klein ſein, und der nicht wie er ſelbſt, vieles, was nicht
mehr zu ändern, zu bereuen haben würde 27).


Indeß währte dies Verhältniß zwiſchen Vater und Sohn nicht
lange; Alexander ſah ſeine Mutter von Philipp vernachläſſigt, Theſ-
ſaliſche Tänzerinnen und Griechiſche Hetären ihr vorgezogen; dop-
pelt gekränkt fühlte ſich der Jüngling, als ſein Vater ſich eine
zweite Gemahlin aus den edlen Töchtern des Landes, des Attalus
Nichte Kleopatra, auserkohr. Das Beilager wurde nach Macedoni-
ſcher Sitte glänzend und lärmend gefeiert; man trank und lachte,
ſchon waren Alle vom Wein erhitzt; da rief Attalus, der jungen
Königin Oheim: „Bittet die Götter, ihr Macedonier, daß ſie un-
ſerer Königin Schooß ſegnen und dem Lande einen rechtmäßigen
Thronerben ſchenken mögen!“ Alexander war zugegen; im heftig-
ſten Zorne ſchreit er: „Ich ein Baſtard, Läſterer?“ und ſchleudert
den Pokal gegen ihn. Der König ſieht es, ſpringt wüthend auf,
reißt das Schwert von der Seite, ſtürzt auf den Sohn zu, ihn zu
durchbohren; aber der Wein, die Wuth, die Wunde von Chäronea
machen ſeinen Schritt unſicher; er taumelt und ſinkt zu Boden.
Die Freunde eilen Alexander aus dem Saale zu entfernen; und
[hinausgehend] weiſet er mit bitterem Hohn auf den trunkenen Kö-
nig: „Seht, [liebe] Freunde, mein Vater will von Europa nach
Aſien gehen, und kann nicht den Weg von Tiſch zu Tiſch vollen-
den.“ Dann eilt er zur trauernden Mutter, ſie beſchließen Mace-
donien zu verlaſſen, ſie flüchten nach Epirus, dem Heimathlande
Olympias. Man weiß nicht, was Alexanders Pläne waren; er
ſelbſt ging bald darauf nach Illyrien, wo er den Grenzen Macedo-
niens näher war 28).


Nicht lange darnach kam Demaratus, der Gaſtfreund aus Ko-
rinth, nach Pella an den Königshof; nach dem Gruße fragte der
König, wie es unter den Griechen ausſähe, und ob ſie Fried’ und
Eintracht hielten? Mit edler Freimüthigkeit antwortete der Gaſt-
freund: „O König, ſchön fragſt du nach Fried’ und Eintracht im
4
[50] Griechiſchen Lande, und haſt dein eigen Haus alſo mit Unfrieden
und Haß erfüllt, und die dir die nächſten und liebſten ſein ſollten,
von dir entfremdet!“ Der König ſchwieg; er wußte, wie Alexan-
der geliebt wurde, was er galt und war, er fürchtete den Griechen
Anlaß zu böſem Leumund und vielleicht zu böſeren Plänen zu ge-
ben. Demaratus ſelbſt mußte das Geſchäft des Vermittlers über-
nehmen; bald waren Vater und Sohn verſöhnt, Alexander kehrte
zurück 29).


Aber Olympias vergaß nicht, daß ſie misehrt und verſtoßen
war; ſie lebte in Epirus bei dem Könige Alexander, ihrem Bruder;
wie ſonſt Liebe, war jetzt Rache ihr einziger Gedanke. Sie drang
in ihren Bruder, er möge Krieg mit Philipp beginnen; die Zeit
ſei gekommen, daß er in Wahrheit freier Herr in Epirus werden
könne; Philipp wiſſe wohl, daß er ſelbſt den Thron von Epirus ihm,
ihrem Bruder, großmüthig gegeben habe 30); nun ſei ſie verſtoßen,
bald würde der verſtoßenen Gemahlin Bruder in ſeinem Reich, ſie
ſelbſt in ihrer letzten Zuflucht gefährdet ſein; jedes Zaudern bringe
doppelte Gefahr, nur ein ſchneller Krieg könne ſie und ihn retten.
Dann wieder ſchrieb ſie an ihren Sohn 31), warnte vor den Rän-
ken des Vaters, vor der Heuchelei des Hofes, vor dem Anhange
der jungen Königin; er möge ſich bei Zeiten Freunde erwerben, da-
mit er durch ſie einſt ſein Recht und ſein Erbe behaupten könne,
das der König, ſein Vater, an Buhlerinnen und Baſtarde vertheilen
zu wollen ſcheine. Alexander fand ihre Beſorgniſſe nur zu wahr;
überall ſah er ſich zurückgeſetzt und durch Attalus Parthei in den
Hintergrund gedrängt; und als gar den Geſandten des Kariſchen
Dynaſten Pexodorus, der ſich durch Verſchwägerung mit dem Ma-
cedoniſchen Königshauſe zu einem Kriege gegen den Perſerkönig vor-
bereiten wollte, ſein blödſinniger Stiefbruder zum Eidam angeboten
wurde, ohne daß von ihm ſelbſt auch nur die Rede war, da glaubte
er ſich von ſeinem Vater verrathen, in ſeinen ſchönſten Hoffnungen
gefährdet; ſeine Freunde ſtimmten bei, ſie riethen, mit Entſchloſſen-
heit und höchſter Eile den Plänen des Vaters entgegenzuarbeiten.
So wurde ein Vertrauter, der Schauſpieler Theſſalus, zum Kari-
[51] ſchen Dynaſten geſandt: Pexodorus möge doch ſeine Tochter nicht
dem blödſinnigen Baſtard Preis geben; Alexander, des Königs recht-
mäßiger Sohn und einſtiger Thronerbe, ſei bereit, eines ſo mächti-
gen Fürſten Eidam zu werden. Da erfuhr Philipp die Sache, und
erzürnte auf das Heftigſte; in Gegenwart des Philotas und anderer
Altersgenoſſen Alexanders warf er ihm die Umwürdigkeit ſeines
Mistrauens und ſeiner Heimlichkeiten vor; er ſei ſeiner hohen Ge-
burt, ſeines Glückes, ſeines Berufes nicht werth, wenn er ſich nicht
ſchäme, eines Kariers Tochter, des Barbarenkönigs Sclavin, heimzu-
führen. Alexander zu ſtrafen, wurden mehrere ſeiner Freunde, na-
mentlich Harpalus, Nearchus, der Lagide Ptolemäus, die Brüder
Erigyius und Laomedon, als Anſtifter jener Intrigue, vom Hofe
und aus dem Lande verwieſen, Theſſalus in Ketten geworfen 32);
Alexander war ohne Einfluß.


So kam das Jahr 336. Die Rüſtungen zum großen Perſer-
kriege waren mit der größten Lebhaftigkeit betrieben, die Contin-
gente der Bundesſtaaten aufgerufen, die der tributpflichtigen
Stämme herangezogen, nach Aſien eine bedeutende Heeresmacht un-
ter Attalus und Parmenion vorausgeſendet, um die Helleniſchen
Städte auf der Küſte zu befreien und dem großen Bundesheere den
Weg zu öffnen 33). Indeß entgingen dem Könige die Bewegun-
gen in Epirus nicht; ſie ſchienen einen Krieg zu verkünden, der
nicht bloß den Perſerzug noch mehr zu verzögern, ſondern doppelt
gefährlich für die Treue der Griechiſchen Staaten zu werden drohte,
und ſo, wenn er glücklich beendet wurde, keinen bedeutenden Ge-
winn gebracht, im entgegengeſetzten Falle das mühſame Werk, das
der König in zwanzigjähriger Arbeit vollendet hatte, mit einem
Schlage zerſtört haben würde. Der Krieg mußte vermieden, dem
Epirotenkönig durfte nicht ſeine zweideutige Stellung gelaſſen wer-
den; er wurde durch einen Antrag gewonnen, der ihn zugleich ehrte
und ſeine Macht ſicherte. Philipp verlobte ihm ſeine und Olym-
pia’s Tochter Kleopatra; noch im Herbſt deſſelben Jahres ſollte das
4 *
[52] Beilager gehalten werden, welches der König zugleich als das Feſt
der Vereinigung aller Hellenen und als die gemeinſame Weihe für
den Perſerkrieg mit der höchſten Pracht zu feiern beſchloß, damit
die Völker ſtaunend erkennten, er ſei der Held, den die Götter zum
ſiegreichen Kriege gegen das Morgenland erkoren hätten; denn das
Orakel hatte ihm geantwortet:
„Siehe der Stier iſt gekränzt; nun endet’s; bereit iſt der
Opfrer.“

Philipp ſtand in der Scheitelhöhe ſeines Glückes; er vergaß, daß
keines Menſchen Leben bis an das Ziel ſeiner Wünſche reicht, und
daß, ſobald das letzte Warum, das Myſterium des Daſeins, offen-
bar wird, der Staub dem Staube verfallen iſt.


Unter den Leibwächtern des Königs war Pauſanias, aus der
Landſchaft Oreſtis, ausgezeichnet durch ſeine Schönheit und des
Königs hohe Gunſt; er hatte, da er noch Edelknabe war, Enteh-
rendes von Attalus erlitten, er verlangte Rache an dem Schänder
ſeiner Ehre zu nehmen; nicht ohne Lächeln hatte der König des
entrüſteten Knaben Klage gehört, ihn reich beſchenkt, ihn in die
Schaar ſeiner Leibwächter aufgenommen, vor allen andern ihn hoch
geehrt, aber ihn nicht gerächt. Darauf vermählte ſich Philipp mit
Attalus Nichte, Attalus mit Parmenions Tochter; Pauſanias ſah
keine Hoffnung ſich zu rächen; deſto tiefer nagte der Gram und
das Verlangen nach Rache und der Haß gegen den, der ihn um
ſie betrogen. In ſeinem Haſſe war er nicht allein; die Lynkeſti-
ſchen Brüder hatten nicht vergeſſen, was ihr Vater, was ihr Bru-
der geweſen war; ohne beſondere Auszeichnung an Philipps Hofe
knüpften ſie geheime Verbindung mit dem Perſerkönige an, und wa-
ren um deſto gefährlicher, je weniger ſie es ſchienen 34). Im
Stillen fanden ſich mehr und mehr Unzufriedene zuſammen, Her-
mokrates der Sophiſt ſchürte die Gluth mit der argen Kunſt ſeiner
Rede; er gewann Pauſanias Vertrauen. „Wie erlangt man den
höchſten Ruhm?“ fragte der Jüngling. „„Ermorde den, der das
Höchſte vollbracht hat,““ war des Sophiſten Antwort 34a).


[53]

Es kam der Herbſt, mit ihm die Hochzeitfeier; in Aegä, der
alten Reſidenz, und, ſeit Pella blühte, noch der Könige Begräbniß-
ort, ſollte das Beilager gehalten werden; von allen Seiten ſtrömten
Gäſte herbei, in feſtlichem Pomp kamen die Theoren aus Griechen-
land, die Häuptlinge der befreundeten Bergvölker, die dienſtpflichti-
gen Fürſten der Agrianer, Päonier, Odryſier, die Großen des Rei-
ches, der ritterliche Adel des Landes, unzähliges Volk. In lautem
Jubel, unter Begrüßungen und Ehrenverleihungen, unter Feſtzügen
und Gelagen vergeht der erſte Tag; Herolde laden zum nächſten
Morgen in das Theater, die Wettkämpfe anzuſchauen. Ehe noch
der Morgen graut, drängt ſich ſchon die Menge durch die Straßen
zum Theater in buntem Gewühl; von ſeinen Edelknaben und Leib-
wächtern umgeben naht endlich der König im feſtlichen Schmuck;
er ſendet die Begleitung vorauf in das Theater, er will ſich trau-
lich unter die Menge miſchen, die ihm doppelt fröhlich zujauchzen
wird. Da ſtürzt Pauſanias auf ihn zu, durchbohrt ſeine Bruſt
mit einem Dolch, und, während der König niederſinkt, eilt er zu
den Pferden, die am Thore des Hauſes bereit ſtehen; ſo ent-
flieht er 35).


In wilder Verwirrung löſ’t ſich die Verſammlung; Alles iſt
in Gährung, Alles in Gefahr; wem ſoll das Reich gehören, wer
es retten? Alexander iſt der Erſtgeborne des Königs; aber man
fürchtet den wilden Haß ſeiner Mutter, die dem Könige zu gefallen
Mancher verachtet und misehrt hat; ſchon iſt ſie in Aegä, die Tod-
tenfeier ihres Gemahles zu halten; ſie ſcheint das Furchtbare geah-
net, ja vorausgewußt zu haben; den Mord des Königs nennt man
ihr Werk, ſie habe dem Mörder die Pferde bereit gehalten; auch
Alexander habe um den Mord gewußt, ein Zeichen mehr, daß er
nicht Philipps Sohn, ſondern unter ſchwarzen Zauberkünſten em-
pfangen und geboren ſei; daher des Königs Abſcheu gegen ihn und
ſeine wilde Mutter, daher die zweite Ehe mit Kleopatra; dem Kna-
ben, den ſie eben geboren, gebühre das Reich; und habe nicht Atta-
lus, ihr Oheim, des Königs Vertrauen gehabt? der ſei würdig die
Regentſchaft zu übernehmen. Andere meinten, das nächſte Recht
am Reiche habe Amyntas, Perdikkas Sohn, der als Kind die Zügel
[54] des vielbedrohten Reiches an Philipp habe abgeben müſſen; nur
Philipps Trefflichkeit könne ſeine Uſurpation entſchuldigen, nach un-
verjährbarem Recht müſſe Amyntas jetzt die Herrſchaft erhalten,
deren er ſich in langer Entſagung würdig gemacht habe. Dagegen
behaupteten die Lynkeſtier und ihr Anhang, wenn ältere Anſprüche
gegen Philipps Leibeserben geltend gemacht würden, ſo hätte vor
Amyntas Vorfahren ihr Vater und ihr Bruder das Reich beſeſſen,
deſſen ſie nicht länger durch Uſurpatoren beraubt bleiben dürften;
überdies ſeien Alexander und Amyntas faſt noch Knaben, dieſer von
Kindheit an der Kraft und Hoffnung zu herrſchen entwöhnt, Alexan-
der unter dem Einfluß ſeiner rachedürſtenden Mutter, durch Ueber-
muth, verkehrte Bildung im Geſchmack des Tages, und Verachtung
der alten guten Sitte den Freiheiten des Landes gefährlicher, als
ſelbſt ſein Vater Philipp; ſie dagegen ſeien Freunde des Landes
und aus jenem Geſchlecht, das zu aller Zeit die alte Sitte aufrecht
zu erhalten geſtrebt habe; ergraut unter den Macedoniern, mit den
Wünſchen des Volkes vertraut, dem großen Könige in Suſa be-
freundet, könnten ſie allein das Land vor deſſen Zorne ſchützen,
wenn er Genugthuung für den tollkühn begonnenen Krieg Philipps
zu fordern käme; zum Glücke ſei das Land durch die Hand ihres
Freundes früh genug von einem Könige befreit, der das Recht, der des
Volkes Wohl, der Schwüre und Tugend für nichts geachtet 36).


So die Partheien; aber das Volk haßte die Königsmörder und
fürchtete den Krieg nicht; es vergaß Kleopatras Sohn, da der Ver-
treter ſeiner Parthei fern war; es kannte den Sohn des Perdikkas
nicht, deſſen Thatloſigkeit Beweis genug für ſeine Unwürdigkeit
ſchien; auf Alexanders Seite war alles Recht und die Theilnahme,
die unverdiente Kränkungen erwecken, außerdem der Ruhm des Mä-
diſchen Krieges und der Schlacht von Chäronea, der ſchönere Ruhm
der Bildung, Leutſeligkeit und Hochherzigkeit; ſelbſt den Geſchäften
des Reiches hatte er ſchon oft mit Glück vorgeſtanden; er beſaß
das Vertrauen und die Liebe des Volkes, namentlich des Heeres
war er ſicher. Der Lynkeſtier Alexander erkannte, daß für ihn
[55] keine Hoffnung blieb; er eilte zu Olympias Sohn, und war einer
der Erſten, die ihn als König der Macedonier begrüßten 37).


Alexander, der zwanzigjährige Jüngling, ergriff die Zügel der
Herrſchaft mit ſicherer Hand, und die Verwirrung ordnete ſich
ſchnell und ruhig. Er berief nach alter Macedoniſcher Sitte das
Heer, die Huldigung deſſelben zu empfangen; nur der Name des
Königs ſei geändert, die Ordnung der Dinge, die Hoheit des Rei-
ches, die Hoffnung auf große Eroberungen dieſelbe; demnach erlaſſe
er ſeinem Volke alle anderen Laſten und Dienſte, nur zum Kriegs-
dienſt ſei Jeder pflichtig; im Uebrigen werde er die verbrecheriſchen
Empörungen zu ſtrafen wiſſen, die das Blut des Königs vergoſſen,
um das Recht des Thronerben gefährden zu können. In der That
war die ſtrengſte Beſtrafung der Mörder Philipps das ſicherſte
Mittel, das neue Regiment zu befeſtigen. Es kam an den Tag,
daß die Lynkeſtiſchen Brüder vom Perſerkönige, der den Krieg mit
Philipp fürchtete, beſtochen waren, und in der Hoffnung, durch Per-
ſiſche Hülfe das Reich an ſich zu reißen, eine Verſchwörung geſtif-
tet hatten, für deren geheime Pläne Pauſanias nur das blinde
Werkzeug geweſen war; die Mitverſchwornen wurden am Grabe
Philipps hingerichtet, unter ihnen die Lynkeſtier Arrhabäus und
Heromenes; ihr Bruder Alexander wurde begnadigt, weil er ſich
unterworfen hatte 38).


Während auf dieſe Weiſe die Ruhe im Innern ſchnell herge-
ſtellt wurde, gingen von Außen her die beunruhigendſten Nachrich-
ten ein. In Kleinaſien hatte Attalus, auf die Treue der ihm un-
tergebenen Truppen fußend, den Plan gefaßt, unter dem Scheine,
die Anſprüche ſeines Großneffen, des Sohnes der Kleopatra, zu
vertreten, ſelbſt die Herrſchaft an ſich zu reißen; ſeine Heeresmacht,
und noch mehr die Verbindungen, die er mit den Feinden Mace-
doniens angeknüpft hatte, machten ihn ſehr gefährlich. Dazu kam,
[56] daß ganz Griechenland ſich von Macedonien losreißen zu wollen
ſchien. Unmittelbar nach Philipps Ermordung hatten die Athener
ein Freudenfeſt zu feiern und den Mörder mit goldnen Kränzen zu
ehren dekretirt; Demoſthenes, der alte Gegner Philipps, ſetzte Alles
in Bewegung, Athen, Theben, Theſſalien, ganz Griechenland zum
offenen Bruch mit Macedonien und zum Proteſt gegen die in Ko-
rinth anerkannte Hegemonie zu vermögen; er unterhandelte mit
Perſien über Subſidien gegen Macedonien; Athen rüſtete ſich eifrig
zum Kriege; Theben dekretirte die Vertreibung der Macedoniſchen
Beſatzung und die Weigerung der Hegemonie; die Aetolier beſchloſ-
ſen, die von Philipp aus Akarnanien Verjagten mit gewaffneter
Hand zurückzuführen; die Ambracioten verjagten die Macedoni-
ſche Beſatzung und richteten Demokratie ein; die Argiver, Sparta-
ner, Eleer, Arkadier, alle waren bereit, das Macedoniſche Joch
von ſich zu werfen. Umſonſt ſchickte Alexander Geſandte aus,
die ſein Wohlwollen und ſeine Achtung für die beſtehenden Freihei-
ten verſicherten; die Griechen ſchwelgten in der Hoffnung, die alte
Zeit des Ruhmes und der Freiheit wieder aufleben zu ſehen; ſie
meinten, der Sieg ſei unzweifelhaft; bei Chäronea hätte die ganze
Macedoniſche Macht unter Philipp und Parmenion mit Mühe die
Heere Athens und Thebens beſiegt; jetzt ſeien alle Griechen vereint,
ihnen gegenüber ein Knabe, der kaum ſeines Thrones ſicher ſei,
und lieber in Pella peripathiſiren, als mit Griechen zu kämpfen wa-
gen werde; ſein einziger Feldherr Parmenion ſei in Aſien, mit ihm
ein bedeutender Theil des Heeres von den Perſiſchen Satrapen ge-
drängt, ein anderer unter Attalus bereit, ſich für Griechenland ge-
gen Alexander zu erklären; ſelbſt die Theſſaliſchen Ritter, ſelbſt das
leichte Fußvolk der Thraciſchen und Illyriſchen Bundesgenoſſen ſei
der Macedoniſchen Macht entzogen, nicht einmal der Weg nach
Griechenland offen, wenn Alexander wagen ſollte, ſein Reich den
Einfällen der nordiſchen Nachbarn und den Angriffen des Attalus
Preis zu geben. In der That drohten die Völker im Norden und
Weſten, ſich der Abhängigkeit von Macedonien zu entziehen, oder
bei dem erſten Anlaß die Grenzen des Reiches räuberiſch zu über-
fallen.


Alexanders Lage war peinlich und dringend; ſeine Freunde ver-
zagten; ſie beſchworen ihn, nachzugeben, ehe Alles verloren ſei, ſich
[57] mit Attalus zu verſöhnen und das vorausgeſandte Heer an ſich zu
ziehen, die Griechen gewähren zu laſſen, bis der erſte Rauſch vorüber
ſei, die Barbaren durch Geſchenke zu gewinnen, die Abtrünnigen
durch Gnade zu entwaffnen. So hätte ſich freilich Alexander in
Macedonien recht feſt ſetzen und ein glücklicher König ſeines Landes
werden mögen, er hätte vielleicht einſt denſelben Einfluß über Grie-
chenland und dieſelbe Macht über die Barbaren, die ſein Vater
gehabt hatte, gewinnen, ja endlich wohl auch an einen Zug nach
Aſien denken können. Aber Alexanders Heldenſinn verſchmähte zu
zögern und zu erſchleichen, wo er handeln und entſcheiden konnte;
er wollte nicht wie ſein Vater die Kraft der Jugend in kleinlichen
Kämpfen vergeuden; es drängte ihn nach Oſten. — Das Gewirr
der Gefahren ordnete ſich in drei Maſſen, der Norden, Aſien, Grie-
chenland. Zog er gegen die Völker im Norden, ſo gewann Atta-
lus Zeit, ſeine Macht zu verſtärken und vielleicht nach Europa
zu führen; das Bündniß der Griechiſchen Städte erſtarkte und
zwang den König, das als Treubruch und offene Empörung der
Staaten bekämpfen zu müſſen, was jetzt noch als Partheiſache
und als Einflüſterungen verbrecheriſcher und von Perſiſchem Golde
beſtochener Demagogen beſtraft werden konnte. Zog er gegen Grie-
chenland, ſo konnte auch eine geringe Macht den Marſch durch die
Päſſe ſperren und lange aufhalten, während Attalus durch nichts
gehindert war, in ſeinem Rücken zu operiren und ſich mit den auf-
rühreriſchen Thraciern zu vereinen. Das Unſtatthafteſte war, gegen
Attalus ſelbſt zu ziehen; Griechenland wäre zu lange ſich ſelbſt
überlaſſen geweſen, Macedonier gegen Macedonier zum Bürgerkriege
geführt, in dem vielleicht Perſiſche Satrapen den Ausſchlag ge-
geben hätten, endlich Attalus, der nur als Verbrecher angeſehen
werden mußte, als eine Macht behandelt worden, gegen die zu
kämpfen den König in den Augen der Griechen und Perſer er-
niedrigt hätte. Demnach wurde Attalus als des Hochverrathes
ſchuldig zum Tode verurtheilt; einer der Getreuen, Hekatäus, er-
hielt den Befehl, an der Spitze eines anſehnlichen Corps nach
Aſien überzuſetzen, ſich mit den treuen Truppen Parmenions zu
vereinigen, und Attalus lebend oder todt nach Macedonien einzu-
bringen. Der König ſelbſt beſchloß, da von den Feinden im Nor-
den ſchlimmſten Falls nicht mehr, als verwüſtende Einfälle zu fürch-
[58] ten waren, und ein ſpäterer Zug ſie leicht unterwerfen konnte, mit
ſeinem Heere in Griechenland einzurücken, bevor ihm eine bedeu-
tende Heeresmacht entgegengeſtellt werden konnte.


Um dieſe Zeit kamen Boten von Attalus an den König, welche
die Gerüchte, die über den Feldherrn verbreitet ſeien, Verläumdung
nannten, in ſchönklingenden Worten ſeine Ergebenheit verſicherten,
und zum Zeichen ſeiner aufrichtigen Geſinnung die Briefe, die er
von Demoſthenes über die Rüſtungen in Griechenland empfangen
hatte, in des Königs Hände legten. Der König, der aus die-
ſen Dokumenten und aus Attalus Annäherung auf den geringen
Widerſtand, den er in Griechenland zu erwarten hatte, ſchließen
konnte, nahm ſeinen Befehl nicht zurück; Attalus möge, wenn er
ſich unſchuldig fühle, ohne Arg dem Willen des Königs gehorchen,
wenn er ſein Verbrechen bereue, Gnade bitten und erwarten, wenn
nicht, ſo ſei Vollmacht für jeden Fall ausgefertigt. So wurden
die Boten entlaſſen 39).


Alexander brach jetzt gegen Theſſalien auf; er zog an der
Meeresküſte entlang den Päſſen des Peneus zu; den Hauptpaß
Tempe, ſo wie den Seitenpaß Kallipeuke fand er von Theſſaliſchen
Truppen beſetzt; ſie mit blanker Waffe zu nehmen war unmöglich,
jeder Verzug gefahrbringend; Alexander ſchuf ſich einen neuen Weg.
Südwärts vom Hauptpaß erheben ſich die Felsmaſſen des Oſſa,
weniger ſteil vom Meere her als neben dem Peneus emporſteigend;
zu dieſen minder ſteilen Stellen führte Alexander ſein Heer, er ver-
ſuchte emporzuſteigen, ließ, wo es nöthig war, Stufen in das Ge-
ſtein ſprengen, und von Fels zu Fels vorauf klimmend kam er in
die Ebene Theſſaliens 40), im Rücken des Theſſaliſchen Heeres.
So war er ohne Schwertſtreich Herr des Landes, das er gewon-
nen, nicht unterworfen haben wollte, um für den Perſerkrieg der
trefflichen Theſſaliſchen Ritter gewiß zu ſein; er erinnerte an ihre
gemeinſchaftliche Abſtammung vom Geſchlecht Achills 41), an die
[59] Wohlthaten ſeines Vaters, der das Land von dem Joche der Pheräi-
ſchen Tyrannen befreit und durch die Wiederherſtellung der uralten
Tetrarchien des Aleuas 42) für immer vor Aufſtänden und Tyrannei
geſichert habe; er verlangte nichts, als was ſie freiwillig ſeinem
Vater gegeben hätten, nämlich die Hegemonie, das Aufgebot der
Ritterſchaft zum Kriegsdienſt und die Erhebung der Hafen- und
Marktzölle 43); er verſprach, die einzelnen Familien und Landſchaf-
ten, wie ſein Vater, in ihren Rechten und Freiheiten zu laſſen und
zu ſchützen, in den Perſerkriegen ihren Rittern den vollen Antheil
an der Kriegsbeute zu geben, die Landſchaft Phthiotis aber, die
Heimath ihres gemeinſamen Ahnherrn Achilles, durch Steuerfreiheit
zu ehren 44). Die Theſſalier eilten, ſo günſtige und ehrenvolle
Bedingungen anzunehmen, durch gemeinſamen Beſchluß Alexander
in den Rechten ſeines Vaters zu beſtätigen, endlich, wenn es Noth
thäte, mit Alexander zur Unterdrückung der Unruhen gen Hellas
zu ziehen 44b). Zugleich wurde mit den anwohnenden Bergvöl-
kern Friede und Freundſchaft geſchloſſen, und Alexander konnte un-
gehindert nach den Thermopylen vorrücken.


Die ſchnelle Einnahme und Beruhigung Theſſaliens hatte den
Griechiſchen Staaten nicht Zeit gelaſſen, ſich gehörig zu rüſten und
die wichtigen Päſſe des Oetagebirges zu beſetzen; auf der anderen
Seite lag es nicht in Alexanders Plänen, durch gewaltſame Maaß-
regeln einem Widerſtande, der als das Werk von Partheien angeſe-
hen werden mußte, Vorwand und Bedeutung zu geben. Die Grie-
chen, erſchreckt durch die Nähe der Macedoniſchen Heeresmacht, be-
eilten ſich den Schein des Friedens anzunehmen, und weil demnach
die früheren Verhältniſſe, wie ſie von Philipp gegründet waren,
noch beſtanden, ſo berief Alexander als Vorſtand der Helleniſchen
[60] Amphiktyonie die Abgeordneten der Völkerſchaften nach den Ther-
mopylen, und ließ ſich durch gemeinſamen Beſchluß die Hegemonie
zuerkennen. In derſelben Anſicht geſchah es, daß der König gleich
darnach an die Ambracioten, die ſich demokratiſirt hatten, Geſandte
ſchickte, und in den freundlichſten Ausdrücken Erneuerung der alten
Verträge antragen ließ; er beſtätigte ihnen die [Freiheit] und Selbſt-
ſtändigkeit, die ſie zu gründen ihm nur zuvorgekommen ſeien 45).


Mit wie prunkenden Beſchlüſſen indeß die anderen Hellenen
die Hegemonie Macedoniens anerkannt hatten, die beiden wichtig-
ſten Stimmen der Dorier und Jonier hatten im Amphiktyonenrathe
gefehlt, und mit Sparta und Athen war Theben durch ſeine tumul-
tuariſchen Dekrete vielleicht ein Aeußerſtes zu wagen genöthigt.
Freilich gerüſtet waren ſie nicht; Sparta hatte, ſeit Epaminondas
am Eurotas gelagert, ſich nicht erholen, Theben der Macedoniſchen
Beſatzung in der Kadmea noch nicht frei werden können, in Athen
war wie immer, viel deklamirt und wenig gethan 46); ſelbſt als
die Nachricht kam, daß der König bereits in Theſſalien ſei, daß er
mit den Theſſaliern vereint in Hellas einrücken werde, daß er ſich
über die Verblendung der Athener ſehr erzürnt geäußert habe, wa-
ren, obſchon Demoſthenes nicht aufgehört hatte den Krieg zu predi-
gen, die Rüſtungen nicht eifriger betrieben worden 47). Alexander
rückte indeß aus den Thermopylen in die Böotiſchen Ebenen hinab
und lagerte ſich unter den Mauern der Kadmea; von Widerſtand
der Thebaner war keine Rede. Als man in Athen erfuhr, daß
Theben in Alexanders Händen ſei, ſo daß jetzt ein Marſch von
zwei Tagen den Feind vor die Thore der Stadt bringen konnte,
ſo erwachte das Volk aus ſeinem Freiheitstaumel plötzlich zu der
Muthloſigkeit, wie ſie der Nähe des zürnenden Königs und der
eigenen Ohnmacht angemeſſen war; es wurde beſchloſſen, in Eile
die Mauern in Vertheidigungsſtand zu ſetzen, alles bewegliche Gut
vom Lande in die Stadt zu flüchten, falls Alexander, wie faſt zu
erwarten, ſie ſeinen ganzen Zorn fühlen zu laſſen Willens ſei 48),
zugleich aber auf Demoſthenes Antrag beſtimmt, Geſandte entgegen zu
ſchicken, die ſeinen Zorn beſänftigen, und dafür um Verzeihung bitten
[61] ſollten, daß ſeine Hegemonie nicht ſofort von den Athenern aner-
kannt worden wäre. Demoſthenes, der mit unter den Geſandten
war, kehrte heimlich auf dem Kithäron um, entweder aus Furcht
vor Alexander, oder um ſeine Verhältniſſe mit Perſien nicht bloß
zu ſtellen 49); er überließ es den andern Geſandten, die Bitten
des Athenäiſchen Volkes zu überbringen. Alexander nahm ſie mit
der höchſten Huld auf, verzieh das Geſchehene, und verlangte nur,
daß Athen Bevollmächtigte nach Korinth ſenden ſollte, um dort
Frieden und Bündniß mit ihm zu beſchwören 50).


Er ſelbſt zog gleichfalls nach Korinth, und berief dorthin die
Abgeordneten der Staaten innerhalb des Peloponneſes, um ſich auch
von dem Bundestage der alten Peloponneſiſchen Symmachie die
Hegemonie gegen Perſien übertragen zu laſſen 51). Nur Sparta
ließ ſeine Beiſtimmung verweigern: es ſei nicht Herkommen bei den
Spartanern, Anderen zu folgen, ſondern ſelbſt zu führen. Leicht
hätte ſie der König zwingen können, doch es wäre weder klug, noch
der Mühe werth geweſen; er wollte nichts, als die Hegemonie freier
Staaten und den Ruhm, an der Spitze der Griechen die Barbaren
zu bekämpfen und die Schändung der Helleniſchen Heiligthümer
zu rächen. Nach dieſen Anſichten wurde die Formel des Bundes-
vertrages abgefaßt und beſchworen. Die Hauptpunkte waren, daß
die Griechiſchen Staaten frei und ſouverain ſein, und auch im
Uebrigen das Beſtehende gelten ſollte; wer den Verſuch machen
würde, in irgend einer der Bundesſtädte Tyrannen einzuſetzen, oder
überhaupt die beſtehende Verfaſſung umzugeſtalten oder umzuſtürzen,
der und deſſen Heimath ſolle als Feind des Bundes angeſehen und
durch die Bundesglieder mit Gewalt der Waffen zur Pflicht ge-
zwungen werden; wenn die Verbannten irgend einer Bundesſtadt
von einer anderen Bundesſtadt aus die Heimkehr zu erzwingen ver-
ſuchten, ſo ſolle dieſelbe Stadt aus dem Bunde ausgeſtoßen werden,
damit die gefährdete Bundesſtadt ſich mit Hülfe des geſammten
[62] Bundes ſchützen könne; im Uebrigen ſei zwiſchen den Bundesſtaaten
unverbrüchlicher Friede; ferner hätte der Bundesrath und die zur
gemeinſamen Hut Beſtellten darauf zu achten, daß in den Bundes-
ſtädten weder Hinrichtungen, Verbannungen, Confiscationen gegen
die beſtehenden Geſetze, noch Theilung des Grundbeſitzes, Freilaſ-
ſung der Sklaven, Schuldenerlaß, um Neuerungen zu veranlaſſen, vor-
komme; allen an dem Bunde Theilnehmenden ſei freie See, und
bei Ausſtoßung aus dem Bunde keinem erlaubt, Schiffe der Ver-
bündeten aufzubringen oder ſonſt zu behindern; indeß bleibe für
Kriegsſchiffe jeder andere Hafen, namentlich für die Macedoniſchen
der Piräeus geſchloſſen 52). So die Hauptpunkte für die inneren
Verhältniſſe des Bundes; für den Perſerſerkrieg ſolle Alexanders
unumſchränkte Hegemonie anerkannt, und jeder der Bundesſtaaten
ſein Contingent für den Krieg nach dem Aufgebot des Königs zu
ſtellen verpflichtet ſein 53).


So hatte Alexander erreicht, was er wollte; es würde von
Intereſſe ſein, die Stimmung zu kennen, welche gegen ihn herrſchte;
jedenfalls war ſie nicht ſo empört und erheuchelt, wie es uns die
zweideutige Freiheitsliebe des Demoſthenes oder der affectirte Ty-
rannenhaß Griechiſcher Moraliſten aus der Römiſchen Kaiſerzeit
möchte glauben machen. Theben allein hatte mit Recht den Un-
tergang ſeiner Freiheit zu betrauern; in Athen war die Stimmung
der leichtfertigſten Menge, die je geherrſcht hat, abhängig von den
Demagogen, deren Parthei gerade die Oberhand hatte, und Sparta
in ſeinem dumpfen Hinbrüten war ſeit lange ſchon hinter der Ge-
ſchichte und der Bildung der Zeit zurückgeblieben; ſo viel iſt klar, daß
der beſſere Theil des Griechiſchen Volkes für den jugendlichen Helden
und ſeine hochherzigen Pläne eingenommen ſein mußte; und die
Tage, welche Alexander in Korinth zubrachte, ſchienen den deutlich-
ſten Beweis dafür zu liefern; denn von allen Seiten waren Künſt-
ler, Philoſophen, Gebildete jedes Alters und Standes dorthin zu-
ſammengekommen, den königlichen Jüngling zu ſehen und zu be-
wundern, alle drängten ſich in ſeine Nähe und ſuchten einen Blick,
ein Wort von ihm zu erhaſchen; nur ein Sonderling, Diogenes
aus Sinope, kümmerte ſich nicht um den König und blieb ruhig in
[63] ſeiner Tonne am Cypreſſenhain des Kraneums. So ging denn
Alexander zu ihm; er fand ihn vor ſeiner Tonne liegen und ſich
ſonnen; er begrüßte ihn herablaſſend und fragte ihn, ob er irgend
einen Wunſch habe? „Geh mir ein wenig aus der Sonne,“ war
des Philoſophen Antwort. Und voll Bewunderung wandte der Kö-
nig ſich zu ſeinem Gefolge: „Beim Zeus, wenn ich nicht Alexan-
der wäre, möchte ich Diogenes ſein.“ In der That, wer nicht die
Kraft in ſich fühlt, Alles zu erreichen, dem bleibt der nächſte Ruhm,
Alles entbehren zu können; dies iſt weiſe, jenes königlich 54).


Alexander kehrte gegen den Winter nach Macedonien zurück,
um ſich zu dem bis jetzt verſchobenen Zuge gegen die barbariſchen
Völker an der Grenze zu rüſten. Attalus war nicht mehr zu fürch-
ten; Hekatäus mit ſeinen Macedoniern hatte ſich mit Parmenion
vereinigt, und als er Attalus weder geneigt, ſich zu unterwerfen,
noch ſein eigen Corps, den Feldherrn aus der Mitte ſeiner Solda-
ten gefangen fortzuführen, bedeutend genug ſah, ſo kam er mit
Parmenion überein, in Gemäßheit des königlichen Befehls den
Hochverräther meuchlings ermorden zu laſſen; die verführten Trup-
pen, theils Macedonier, theils Griechiſche Söldner, kehrten dann
zur Treue zurück 55). So in Aſien; in Macedonien ſelbſt hatte
Olympias ihres Sohnes Abweſenheit benutzt, die Wolluſt der Rache
bis auf den letzten Tropfen zu genießen; der Mord des Königs
war, wenn nicht ihr Werk, doch ihr Wunſch und von ihr begünſtigt
geweſen; aber noch lebten die, um deren Willen ſie und ihr Sohn
Unwürdiges hatten dulden müſſen; auch die junge Wittwe Kleopa-
tra und ihr Säugling ſollten ſterben. Olympias ließ das Kind im
Schooß der Mutter ermorden, und zwang die Mutter, ſich am eige-
nen Gürtel aufzuknüpfen 56). Man muß Alexanders Unwillen
[64] über die ungeſtüme Rachſucht ſeiner Mutter ehren; aber, weit ent-
fernt, es ihm zum Vorwurf zu machen, daß er die kindliche Liebe
nicht ſchweigen hieß, um der kalten Strenge des Blutrechts das
Haupt der Mutter zu opfern, iſt ſein Schickſal zu preiſen, das nicht
ihm die Schuld aufbürden wollte, die Keime neuer Zwietracht erſtickt
zu haben. —


Der Frühling des Jahres 335 kam heran, mit ihm die Zeit
zur Unterwerfung der Barbaren, welche auf drei Seiten Macedo-
nien umwohnen. Dieſe Barbaren, theils Thraciſche, theils Illyri-
ſche Völkerſchaften, und in uralter Zeit Herren des geſammten
Hämuslandes, dann aus den tieferen Landſchaften durch die wach-
ſende Macht der Macedonier in die Berge, durch die Griechiſchen
Colonien von der Seeküſte und der Theilnahme am freien Völker-
verkehr zurückgedrängt, ſpäter von dem Macedoniſchen Königthume,
das mit der Griechiſchen Bildung auch das Bewußtſein ſeiner
Macht und ſeines Rechtes über Barbaren zu herrſchen überkommen
hatte, mehr und mehr in der uralten Unabhängigkeit beeinträchtigt,
endlich von den letzten Königen, namentlich von Philipp, theils zu
Unterthanen, theils zu tributpflichtigen Schutzgenoſſen des Reiches
gemacht, waren ſie dennoch nicht von dem Joche der neuen Herr-
ſchaft ſo niedergedrückt, noch von dem Gifte einer ihnen aufgedrun-
genen Civiliſation ſo geſchwächt worden, daß ſie die Gewohnheit
der Raubluſt und Unabhängigkeit vergeſſen, oder die Armuth ihrer
unwirthbaren Berge auch ohne Freiheit zu ertragen vermocht
hätten. Mit Philipps Tode ſchien die Zeit gekommen, die
neuen Verbindungen zu zerreißen und unter ihren Häuptlingen in
alter Unabhängigkeit zu leben. So ſtanden die Illyrier unter ihrem
Fürſten Klitus auf, deſſen Vater Bardylis erſt die verſchiedenen
Stämme zu gemeinſamen Raubzügen vereint hatte, aber von Per-
dikkas und Philipp bis hinter der Lychnidiſchen See zurückgeworfen
war; wenigſtens die alte Unabhängigkeit wollte jetzt Klitus geltend
machen 57). In demſelben Sinne machten ihre nördlichen Nach-
barn, die Taulantiner, Neuerungen; ihr Fürſt Glaukias verband
ſich
[65] ſich mit Klitus, um, wenn es nöthig würde, zur Vertheidigung
oder zum Angriff möglichſt gerüſtet zu ſein 58). Selbſt in den ſtil-
len Thälern der Dinariſchen Berge ſchickten ſich, von der allgemei-
nen Bewegung ihrer Stammesgenoſſen und der Luſt nach Beute
ergriffen, die Autariaten, bisher ein friedliches Alpenvolk, zu einem
Einfall in das Macedoniſche Gebiet an 59). Noch gefährlicher ſchien
der mächtige, den Macedoniern feindliche Stamm der Triballer 60);
der nordwärts vom Hämusgebirge bis an die Ufer der Donau über
eine Landſchaft von funfzehn Tagereiſen ausgebreitet wohnte 61);
ſie hatten ſchon einmal den Weg über das Gebirge bis an das
Aegäiſche Meer gefunden und ſich für den Miswachs in ihren
Ebenen mit der Beute der Griechiſchen Küſtenſtädte entſchädigt 62);
wenn ſie irgend etwas unternahmen, ſo würden die Thraciſchen
Stämme, die, ſelbſt den Räubern als Räuber furchtbar, an den
Päſſen des Hämus hauſeten, nicht etwa die hereinbrechenden
Schwärme aufgehalten, ſondern ſich mit ihnen vereint und die Ge-
fahr verdoppelt haben. Auch die ſüdlicher in der Rhodope und
dem Neſſusthale wohnenden Stämme der ſogenannten freien Thra-
cier hatten früher mit den Triballern den Weg nach den Griechi-
ſchen Küſtenſtädten gefunden, und namentlich Abdera arg heimge-
ſucht. Selbſt die Völkerſchaften innerhalb des Hämus und in den
neuerworbenen Landſtrichen zwiſchen dem Strymon und Neſſus 63),
namentlich die Mäder und Päonier 64), wenn ſchon ſie für den
Augenblick ruhig waren, ſchienen nur auf eine ſichere Gelegenheit
zum Abfall zu warten. Noch unzuverläſſiger waren die ſeeländi-
ſchen Thracier, die von König Philipp erſt nach langem Wider-
ſtande unterworfen waren 65), und ihre nördlichen Nachbarn, die
Odryſer, die, ſeit Darius Scythenzuge zu einem Königthume, das
dem Perſiſchen nachgebildet war, vereint, einſt von Byzanz bis zur
Grenze der Triballer geherrſcht, und nach den wildeſten Parthei-
kämpfen doch noch Kraft genug behalten hatten, dem Könige Phi-
5
[66] lipp lange zu widerſtehen, bis ſie ihm endlich unter einheimiſchen Für-
ſten zu Tribut und Kriegsfolge pflichtig wurden. Ohne daß dieſe
Völker die Verwirrung nach Philipps Ermordung zu offenbaren
Feindſeligkeiten benutzt, oder mit den Verſchwornen, mit Attalus,
mit den Athenern in Verbindung geſtanden hätten, war die Beſorg-
niß vor ihnen im Rath Alexanders ſo groß, daß Alle Nachgiebigkeit
und ſelbſt, wenn ſie abfielen, Nachſicht für gerathener hielten, als
mit Strenge Unterwürfigkeit und Achtung gegen die beſtehenden
Verträge zu fordern. Aber Alexander erkannte, daß Nachgiebigkeit
und halbe Maaßregeln Macedonien, das, wenn es angriff, unüber-
windlich war, zur Ohnmacht der Defenſive erniedrigt, die wilden
und raublüſternen Barbaren kühner, den Perſerkrieg unmöglich ge-
macht hätten, da man weder die Grenzen ihren Angriffen Preis ge-
ben, noch ſie als leichtes Fußvolk in den Perſerkriegen entbehren
konnte.


Jetzt waren die Angelegenheiten Griechenlands glücklich been-
det und die Jahreszeit ſo weit vorgerückt, daß man die Gebirge
ohne bedeutende Hinderniſſe zu durchziehen hoffen durſte. Da von den
bezeichneten Völkerſchaften diejenigen, welche zu Macedonien gehör-
ten, noch nichts Entſchiedenes unternommen hatten, oder wenigſtens
ſeit Alexanders Rückkehr nach Macedonien an weitere Unterneh-
mungen nicht zu denken ſchienen, auf der anderen Seite aber, um
ſie von jedem Gedanken an Abfall und Neuerungen abzuſchrecken,
die Ueberlegenheit der Macedoniſchen Waffen und der beſtimmte
Wille, dieſelben geltend zu machen, gleichſam vor ihren Augen ge-
zeigt werden mußte, ſo beſchloß der König einen Zug gegen die
Triballer, welche noch nicht dafür geſtraft waren, daß ſie Philipp
auf dem Rückmarſche vom Scythenzuge überfallen und beraubt hat-
ten 66), und gegen die Geten, ihre Nachbarn jenſeits der Donau,
gegen welche der ſogenannte Scythenzug Philipps, wie es ſcheint, ge-
richtet geweſen war.


Dem Könige ſtanden zwei Wege über das Gebirge in das
Land der Triballer offen, entweder am Axiusſtrom aufwärts durch
das Gebiet der durch ihre Treue ausgezeichneten Agrianer über
[67] den Paß von Skupi zu den Quellen der Morawa in die Ebene
der Triballer, das ſogenannte Amſclfeld, hinabzuſteigen, oder oſtwärts
durch das Gebiet der freien Thracier bei der Quelle des Hebrus,
wo Hämus und Rhodope zuſammenſtoßen, durch den Paß von Su-
kis 66b) die Feinde an ihrer Oſtgrenze zu überfallen; dieſer zweite
Weg war vorzuziehen, weil er durch das Gebiet unſicherer Völkerſchaften
und an den Grenzen der ſeeländiſchen und Odryſiſchen Thracier vorüber-
führte. Das Heer, mit welchem der König aufbrach, beſtand aus
den ſechs Diviſionen der ſchwerbewaffneten Phalanx, dann den Chi-
liarchien der etwas leichteren Hypaspiſten, aus zweitauſend Mann
Bogenſchützen und Agrianern, und aus den acht Geſchwadern der
Ritterſchaft; zugleich wurde Byzanz aufgefordert, eine Anzahl
Kriegsſchiffe nach den Donaumündungen zu ſenden, um den Ueber-
gang über dieſen Strom möglich zu machen 67). Antipater blieb
zur Verwaltung des Reiches in Pella zurück 68).


Von Amphipolis aus zog der König zuerſt gegen Oſten,
um die ſogenannten freien Thracier, den linken Flügel an Philippi
und die Symboleberge gelehnt, das Neſſusthal hinauf und tief in
das Gebirge hineinzudrängen 69). Darauf ging er über den Neſ-
ſusfluß und die Rhodope, um durch das Gebiet der Odryſer, den
5 *
[68] Hebrus aufwärts, zu den Päſſen zu gelangen, während der Lynke-
ſtier Alexander, mit einem Theile des Heeres die andern Thraci-
ſchen Landſchaften zu durchziehen, oſtwärts ging 70). Nach einem Mar-
ſche von zehn Tagen kam Alexander vor denſelben an; der Weg, der
ſich hier eng und ſteil zwiſchen den Höhen der Rhodope und des
Hämus hindurchdrängt 70b), war von den Feinden beſetzt, die mit
aller Macht den Urbergang hindern zu wollen ſchienen, theils Ge-
birgsbewohnern dieſer Gegend 71), theils freien Thraciern, die hier
den Macedoniern mit beſſerem Glücke zu widerſtehen hofften, als
im Thalbette des Neſſus. Nur mit Dolch und Jagdſpieß bewaff-
net, mit einem Fuchsbalg ſtatt des Helmes bedeckt 72), ſo daß
ſie gegen die ſchwerbewaffneten Macedonier nicht das Feld halten
konnten, wollten ſie die feindlichen Phalangen, wenn ſie gegen die
Höhen anrückten, durch das Hinunterrollen ihrer vielen Wagen, mit
denen ſie die Höhen beſetzt hatten, zerreißen und in Verwirrung
bringen, um über die aufgelöſ’ten Reihen mit gewohnter Heftigkeit
herzufallen. Alexander, der die Gefahr ſah, und ſich überzeugte,
daß der Uebergang an keiner anderen Stelle möglich ſei, gab ſeinen
Phalangen die Weiſung, ſobald die Wagen herabrollten, überall,
wo es das Terrain geſtattete, die Reihen zu öffnen, und die Wa-
gen durch dieſe Lücken hinfahren zu laſſen; wo ſie aber ſich nicht
nach den Seiten hin ausbreiten könnten, ſollten ſie, das Knie gegen
den Boden geſtemmt, die Schilde über ihre Häupter feſt an einan-
der ſchließen, damit die niederfahrenden Wagen über ſie wegrollten.
Die Wagen kamen und jagten theils durch die Oeffnungen, theils
über die Schilddächer hinweg, ohne den geringſten Schaden zu
thun. Mit lautem Geſchrei drangen jetzt die Macedonier auf die
[69] Thracier ein; die Bogenſchützen vom rechten Flügel aus der
Schlachtlinie vorgeſchoben, wieſen die anprallenden Feinde mit ihren
Geſchoſſen zurück, und deckten den bergaufſteigenden Marſch der
Schwerbewaffneten; ſo wie dieſe in geſchloſſenen Phalangen nach-
rückten, vertrieben ſie mit leichter Mühe die ſchlechtbewaffneten Bar-
baren aus ihrer Stellung, ſo daß ſie den aus dem linken Flügel
mit den Hypaspiſten und Agrianern anrückenden König nicht mehr
Stand hielten, ſondern Jeder, ſo gut er konnte, die Waffen weg-
warf und den jenſeitigen Ebenen zuflüchtete. Sie verloren funf-
zehnhundert Todte; ihre Weiber und Kinder und alle ihre Habe
wurde den Macedoniern zur Beute, und unter Philotas und Pau-
ſanias in die Seeſtädte auf den Markt geſchickt 73).


Auf den Höhen des Gebirges iſt ein Heiligthum des Dionyſos,
des uralten Gottes der freien Thraciſchen Völker; dort opferte der
königliche Jüngling nach der Weiſe des Landes; und als er den
Wein in die Opferflamme goß, ſchlug ſie hochflackernd gen Himmel
empor, nach der Deutung der Eingebornen ein göttliches Zeichen
für die künftigen Siege des Königs 74).


Alexander zog nun die ſanfteren Nordabhänge des Gebirges
hinab in das Land der Triballer, über den Lyginos- oder Oiskos-
fluß, der hier etwa drei Märſche von der Donau entfernt oſt-
wärts ſtrömt 75). Syrmus, der Triballerfürſt, längſt ſchon von
Alexanders Zuge in Kenntniß geſetzt, hatte die Weiber und
Kinder der Triballer zur Donau voraus geſchickt, und ſie auf die
Inſel Peuce 76) überzuſetzen befohlen; eben dahin hatten ſich be-
[70] reits die den Triballern benachbarten 77) Thracier geflüchtet; auch
Syrmus ſelbſt war mit ſeinen Leuten dahin geflohen; die Maſſe
der Triballer dagegen zog ſich rückwärts dem Fluſſe Lyginus zu,
von dem Alexander Tages zuvor aufgebrochen war. Kaum hatte
das der König erfahren, ſo kehrte er ſchnell zurück, um ſie aufzu-
ſuchen, und überraſchte ſie, da ſie ſich eben lagerten, und jetzt in
der Eile am Saume des Waldes vor dem Fluſſe aufrückten. Wäh-
rend nun die Kolonnen der Phalanx heranzogen, eilten die Bogen-
ſchützen und Schleuderer vorauf, mit Pfeilen und Steinen die
Feinde aus dem Walde herauszulocken. Dieſe brachen hervor, und
indem ſie, namentlich auf dem rechten Flügel, ſich zu weit vorwag-
ten, ſprengten rechts und links drei Geſchwader der Ritterſchaft auf
ſie ein; ſchnell rückten im Mitteltreffen die anderen Geſchwader,
und hinter ihnen die Phalanx vor; der Feind, der bis dahin das
Gefecht mit Bolzen und Jagdſpeeren kräftig erwiedert hatte, hielt
den Andrang der ſchwergeharniſchten Ritter und der geſchloſſenen
Phalanx nicht aus, und floh durch den Wald zum Fluß zurück;
dreitauſend kamen auf der Flucht um, die anderen retteten ſich,
durch das Dunkel des Waldes und der hereinbrechenden Nacht
begünſtigt 78).


Alexander ſetzte ſeinen früheren Marſch fort, und kam am
dritten Tage an die Ufer der Donau, wo ihn bereits die Schiffe
76)
[71] aus Byzanz erwarteten; ſofort wurden ſie mit Bogenſchützen und
Schwerbewaffneten bemannt, um die Inſel, auf welche ſich die Tri-
baller und Thracier geflüchtet hatten, anzugreifen; aber die Inſel
war zu gut bewacht, die Ufer zu ſteil, der Strom zu reißend, der
Schiffe zu wenige; Alexander zog ſeine Schiffe zurück, und beſchloß
den Angriff auf die Geten am jenſeitigen Ufer ſofort zu unterneh-
men; wenn er durch ihre Demüthigung Herr der beiden Ufer war,
ſo konnte ſich auch die Donauinſel nicht halten.


Die Geten, etwa viertauſend Mann zu Pferde, und mehr als
zehntauſend zu Fuß, hatten ſich am Nordufer der Donau vor einer
ſchlechtgebauten Stadt, die etwas landeinwärts lag, aufgeſtellt; ſie
meinten, der König werde, da ſeine Schiffe nicht einmal zur Lan-
dung auf der Inſel hingereicht hatten, eine Schiffbrücke ſchlagen
laſſen, und ihnen ſo Zeit und Gelegenheit zu Ueberfällen geben;
Alexander kam ihnen zuvor. Es war in der Mitte des Juni,
die Felder neben der Getenſtadt mit Getreide bedeckt, das hoch ge-
nug in den Halmen ſtand, um landende Truppen dem Auge des
Feindes zu entziehen; alles kam darauf an, die Geten durch einen
ſchnellen Ueberfall zu bewältigen; aber da die Schiffe aus Byzanz
nicht Truppen genug faſſen konnten, ſo brachte man aus der Ge-
gend eine große Menge kleiner Nachen zuſammen, deren ſich die
Einwohner bedienen, wenn ſie auf dem Strome fiſchen oder Frei-
beuterei treiben oder Freunde im anderen Dorfe beſuchen; außer-
dem wurden die Felle, unter denen die Macedonier zelteten, mit Heu
ausgefüllt und feſt zugeſchnürt; in der Stille der Nacht nun ſetzten
funfzehnhundert Ritter und viertauſend Mann Fußvolk unter Befehl
des Königs über den Strom, und landeten unter dem Schutze des
weiten Getreidefeldes, unterhalb der Stadt. Mit Tagesanbruch
rückten ſie mitten durch die Saaten vor, vorauf das Fußvolk, mit
der Weiſung, das Getreide mit den langen Lanzen niederzuſchla-
gen, und bis ſie an ein unbebautes Feld kämen, vorzurücken. Dort
ritt nun die Reiterei, die bisher dem Fußvolke gefolgt war, unter
des Königs Anführung bei dem rechten Flügel auf, während links
an den Fluß gelehnt, die Phalanx in ausgebreiteter Linie unter
Nikanor vorrückte. Die Geten, erſchreckt durch die unbegreifliche
Kühnheit Alexanders, der ſo leicht den größten aller Ströme, und
das in einer Nacht, überſchritten, eilten, weder dem Andrang der
[72] Reuter, noch der Gewalt der Phalanx gewachſen, ſich in die Stadt
zu werfen; und als ſie auch dahin die Feinde nachrücken ſahen,
flüchteten ſie, indem ſie von Weibern und Kindern mit ſich nahmen,
was die Pferde tragen konnten, weiter in die Haiden des inneren
Landes. Der König rückte in die Stadt ein, und zerſtörte ſie,
ſandte die Beute unter Philippus und Meleager nach Macedonien
zurück, opferte am Ufer des Stromes dem Retter Zeus, dem He-
rakles und dem Strome Dankopfer. Es war nicht ſeine Abſicht,
die Grenzen ſeiner Macht bis in die weiten Ebenen, die ſich nordwärts
der Donau ausbreiten, auszudehnen; der breite Strom war, nachdem
die Geten die Macht der Macedonier kennen gelernt hatten, eine
ſichere Grenze, und in der Nähe weiter kein Volksſtamm, deſſen
Widerſtand man zu fürchten gehabt hätte. Nachdem der König mit
jenen Opfern das nördlichſte Ziel ſeiner Unternehmungen bezeichnet
hatte, kehrte er noch deſſelben Tages von einer Expedition, die ihm
keinen Mann gekoſtet hatte, in ſein Lager jenſeits des Fluſſes
zurück 79).


Nach einer ſo ſchnellen und erfolgreichen Unternehmung eilten
die freien Völkerſchaften, die in der Nähe der Donau wohnten,
ſich dem Könige zu unterwerfen; die Geſandtſchaften der einzelnen
Stämme kamen mit den Geſchenken ihres Landes, und baten um
Friede und Freundſchaft, die ihnen gern gewährt wurde; auch der
Triballerfürſt Syrmus, der wohl einſah, daß er ſeine Donauinſel
nicht zu halten im Stande ſein würde, unterwarf ſich, und wurde
unter der Bedingung zur Bundesgenoſſenſchaft aufgenommen, daß
er fortan Kriegsſchaaren zum Heere der Macedonier ſtellte 80).


Und ſchon war Alexanders Ruhm weithin unter den ſtreitba-
ren Völkerſchaften der Donauländer verbreitet; ſelbſt von der fernen
Nordſpitze des Adriatiſchen Meeres kam eine Geſandtſchaft Celti-
ſcher Männer, die, wie ein Augenzeuge erzählt, groß von Körper
ſind und Großes von ſich denken, und, von des Königs großen Tha-
ten unterrichtet, um ſeine Freundſchaft werben wollten. Und der junge
König ſah ſich gern von den einfachen Söhnen des fernen Weſtlan-
des bewundert; ſein edler Stolz, der den feilen Wortſchwall Grie-
[73] chiſcher Rhetoren verachtete, freute ſich einer Anerkenntniß, die nicht
ſeiner Gunſt und ſeiner Macht, ſondern dem Ruhme und dem
Schrecken, der ſeinen Waffen vorausging, galt; er fragte ſie, was
ſie wohl am meiſten fürchteten? Mit dem Selbſtgefühl und dem
treffenden Witz, der ihr Volk ſtets ausgezeichnet hat, antworteten
ſie: „nichts, als daß etwa der Himmel einfallen möchte; aber eines
ſolchen Helden Freundſchaft ehren wir am meiſten.“ Der König
nannte ſie Freunde und Bundesgenoſſen, und entließ ſie reich be-
ſchenkt, meinte aber nachmals doch, die Celten ſeien Prahler 81).


Nachdem ſo mit der Bewältigung der freien Thracier auch
die Odryſiſchen und ſeeländiſchen zur Ruhe gezwungen, mit dem
Siege über die Triballer die Macedoniſche Hoheit über die Völ-
ker ſüdwärts der Donau gegründet, durch die Niederlage der
Geten die Donau als Grenze geſichert, ſomit der Zweck dieſer
Expedition erreicht war, eilte Alexander ſüdwärts, über die Päſſe
von Skupi durch das Gebiet der mit Macedonien verbündeten
Agrianer und Päonier in ſein Reich zurückzukehren; denn bereits hatte
er die Nachricht erhalten, daß der Fürſt Klitus ſeine Abweſenheit
benutzt habe, um mit ſeinen Illyriern in die Weſtgrenze des Reiches
einzubrechen, daß der Taulantinerfürſt Glaukias ſchon heranziehe,
ſich mit Klitus zu vereinen, daß die Autariaten mit ihnen im Ein-
verſtändniß ſich anſchickten, das Macedoniſche Heer in ſeinem Mar-
ſche durch die Gebirge zu überfallen. Alexanders Lage war ſchwie-
rig; noch mehr als acht Tagemärſche von den Päſſen der Weſt-
grenze entfernt, welche die Illyrier bereits überſchritten hatten, war
er nicht mehr im Stande, die wichtige Feſtung Pellion, den Schlüſ-
ſel zu den beiden Flußthälern des Haliakmon und Erigon zu ret-
ten 82); hielt ein Ueberfall der Autariaten ihn auch nur zwei Tage
[74] auf, ſo hatten ſich die Illyrier und Taulantiner vereint, und waren
mächtig genug, von Pellion aus bis in das Herz Macedoniens vor-
zudringen, die wichtige Linie des Erigonſtromes zu beſetzen, und,
während ſie ſelbſt die Communication mit der Heimath durch die
Päſſe oberhalb Pellion offen hatten, den König von den ſüdlichen
Landſchaften ſeines Reiches und von Griechenland abzuſchneiden, ohne
daß Antipater das Feld zu behaupten, oder Alexander ſelbſt mit ſiche-
rem Erfolg die Uebermacht der tapferen Feinde anzugreifen hätte
wagen dürfen; ein unglückliches Treffen wäre hinreichend geweſen,
in Griechenland, wo bereits gefährliche Bewegungen merkbar wur-
den, alles das zuſammenſtürzen zu laſſen, was er und ſein Vater
mühſam erreicht hatten.


Langarus, der Fürſt der Agrianer, der ſchon bei Philipps Leb-
zeiten unzweideutige Beweiſe ſeiner Anhänglichkeit an Alexander ge-
geben und mit ihm in freundlicher Verbindung geſtanden, und deſ-
ſen Contingent in dem eben beendeten Feldzuge mit ausgezeichne-
tem Muthe gefochten hatte, war gerade damals mit dem Kern ſeines
Kriegsvolkes, trefflich bewaffneten und eingeübten Hypaspiſten, dem
Könige entgegengekommen; und als nun Alexander, voll Beſorgniß
über den Aufenthalt, den ihm die Autariaten verurſachen könnten,
ſich nach ihrer Macht und Bewaffnung erkundigte, ſo berichtete ihm
Langarus, er brauche vor dieſen Menſchen, den ſchlechteſten Kriegs-
völkern im Gebirge, nicht beſorgt zu ſein; er ſelbſt wolle, wenn der
Könige es geſtatte, in ihr Land einfallen, ſo daß ſie genug mit ſich
ſelbſt zu thun haben, und an feindliche Ueberfälle nicht weiter den-
ken ſollten. Alexander gab gern ſeine Zuſtimmung, und Langarus
drang plündernd und verwüſtend in ihre Thäler ein, ſo daß ſie
den Marſch der Macedonier nicht weiter ſtörten. Der König ehrte
die Dienſte ſeines treuen Bundesgenoſſen auf das Ausgezeichneteſte,
verlobte ihn mit ſeiner Schweſter Kyna, Amyntas junger Wittwe,
und lud ihn ein, nach Beendigung des Krieges nach Pella zu kom-
men, um die Hochzeit zu feiern. Leider ſtarb Langarus gleich nach
dem Zuge auf dem Krankenbette. —


Ueber die Kanaloviſchen Berge, welche die Waſſerſcheide der
Illyriſchen und Macedoniſchen Ströme bilden, führen die gangbar-
ſten Päſſe in der Nähe des Lychnidiſchen Sees; der Beſitz dieſer
Gegend war für Macedonien von der größten Wichtigkeit, weil
[75] nur durch ihn die Illyrier im Zaume gehalten werden konnten; des-
halb hatte Philipp nicht eher geruht, als bis er ſein Gebiet bis an
den See erweitert hatte; unter den Poſitionen und Kaſtellen, welche
die einzelnen Gebirgswege beherrſchten, war die Bergfeſtung Pellion
die letzte und wichtigſte; auf den Vorbergen nach Macedonien zu
belegen, die ſie im Kreiſe umgeben, ſchützte ſie auch den Weg, der aus
dem Thale des Erigon ſüdwärts zu dem des Haliakmon und in das ſüd-
liche Macedonien führte, und welcher namentlich in der Nähe der Stadt
zwiſchen ſteilen Felswänden und dem Eordaikus, einem ſüdlichen
Nebenflüßchen des Erigon, ſo eng wurde, daß ein Heer kaum zu
vier Schilden hindurchziehen konnte 83). Dieſe wichtige Poſition
war bereits in den Händen des Illyriſchen Fürſten; Alexander rückte
in Eilmärſchen den Erigon aufwärts, um wo möglich die Feſtung
vor Ankunft der Taulantiner wieder zu nehmen; vor der Stadt
angekommen, bezog er am Eordaikus ein Lager, um am folgenden
Tage die Mauern Stadt zu berennen. Auch die Illyrier rüſteten
ſich, beſetzten die waldigen Höhen, welche die Stadt rings umgeben,
ſchlachteten zum Opfer drei Knaben, drei Mädchen, drei ſchwarze
Widder, und rückten vor, als wollten ſie mit den Macedoniern
handgemein werden. Doch ſobald dieſe nahe kamen, verließen die
Illyrier ihre feſte Stellung, ließen ſogar die Schlachtopfer liegen,
die den Macedoniern in die Hände fielen, und zogen ſich in die
Stadt zurück, unter deren Mauern ſich jetzt Alexander lagerte, um
ſie, da er ſie nicht durch Ueberrumpelung genommen hatte, mit ei-
ner Umwallung einzuſchließen und zur Uebergabe zu zwingen.
Aber ſchon am folgenden Tage zeigte ſich Glaukias mit einer ſtar-
ken Heeresmacht auf den Höhen, und Alexander gab den Gedanken
auf, mit ſeinen gegenwärtigen Steitkräften die Stadt zu nehmen;
er mußte ſich begnügen, eine Stellung zu nehmen, welche die Ver-
einigung beider Heere hinderte. Doch bald trat in der ſchon ver-
wüſteten Gegend Mangel ein; Philotas mit einem Trupp Reuterei
zum Fouragiren abgeſchickt, wäre faſt in die Hände der Taulanti-
[76] ner gefallen; nur Alexanders ſchnelles Nachrücken mit einigen leich-
ten Corps rettete den wichtigen Transport und deſſen Bedeckung.
Indeß wurde die Lage des Heeres von Tage zu Tage peinlicher;
in der Ebene faſt eingeſchloſſen, hatte er weder Truppen genug, et-
was Entſcheidendes gegen beide Fürſten zu wagen, noch hinreichend
Proviant, um ſich bis zur Ankunft der Verſtärkungen zu halten; er
mußte zurück, aber der Rückzug ſchien doppelt gefährlich. Klitus
und Glaukias hofften nicht ohne Grund, den König auf dieſem
höchſt ungünſtigen Boden in ihren Händen zu haben; die überra-
genden Berge hatten ſie mit zahlreicher Reuterei, mit vielen Wurf-
ſchützen, Schleuderern und Schwerbewaffneten beſetzt, die das Heer
in jenem engen Wege überfallen und niedermetzeln konnten, wäh-
rend die Illyrier aus der Feſtung dem Heere in den Rücken fielen.


Durch eine kühne Bewegung, wie ſie nur ein Macedoniſches
Heer auszuführen im Stande war, machte Alexander die Hoffnun-
gen der Feinde zu Schanden. Während die meiſten der Reuterei
und ſämmtliche Leichtbewaffnete, dem Feinde in der Stadt zugewandt,
jede Gefahr von dieſer Seite unmöglich machen, rücken die Schwer-
bewaffneten mit gefällter Lanze, faſt im vollſtändigen Rechteck von
hundertundzwanzig Mann Tiefe und etwas breiterer Fronte, die Flan-
ken mit zweihundert Rittern gedeckt, ins Feld mit der größten Stille,
damit die Kommando’s ſchnell vernommen werden. Die Ebene iſt
bogenförmig von Höhen umſchloſſen, von welchen die Taulantiner
die Flanken der vorrückenden Maſſe bedrohen; aber das ganze Viereck
macht plötzlich rechtsum, und bietet dem Feinde die Spitze; wieder
ein anderer Haufen der Feinde bedroht die neue Flanke, und von
Neuem kehrt ſich dieſe gegen ihn; ſo abwechſelnd, vielfach und mit
der größten Präciſion eine Stellung mit der anderen tauſchend,
rücken die Macedonier zwiſchen den feindlichen Höhen hin. Bei dem
Anblick dieſer unangreifbaren und mit eben ſo viel Ordnung als
Schnelligkeit ausgeführten Bewegungen wagen die Taulantiner kei-
nen Angriff, und ziehen ſich von den erſten Anhöhen zurück. Als
nun aber die Macedonier den Schlachtgeſang erheben und mit den
Lanzen an ihre Schilde ſchlagen, da bricht ein paniſcher Schrecken
über die Barbaren herein, und eiligſt fliehen ſie über die Höhen
nach der Stadt herum. Nur eine Schaar hält noch eine Anhöhe
beſetzt, über welche der Weg führt; Alexander befiehlt den Ritter-
[77] geſchwadern und der Leibſchaar der Hypaspiſten, die zu jenen auf
die Pferde ſteigen, gegen die Anhöhe vorzuſprengen; wenn die
Feinde Miene machten, ſich zu widerſetzen, ſollten die Hypaspiſten
von den Pferden ſpringen, und unter die Ritter gemiſcht kämpfen;
aber die Feinde ziehen ſich, ſobald ſie die Bewegung bemerken,
rechts und links von der Anhöhe hinab. Der König beſetzt nun
dieſe, läßt die noch übrigen Geſchwader der Ritterſchaft, die zwei-
tauſend Bogenſchützen und Agrianiſchen Jäger, ſo wie die anderen
Hypaspiſten, welche die bisherigen Bewegungen im Rücken gedeckt
hatten, eilig nachrücken, dann dieſe Hypaspiſten und nach ihnen die
Phalangen von der Anhöhe an den Fluß defiliren, dort, um den
engen Weg am Fluſſe zu vermeiden, durch den Fluß waten, und
jenſeits in Schlachtordnung links aufrücken. Alexander ſelbſt bleibt
indeß auf jener Anhöhe mit der Nachhut, und beobachtet die Be-
wegungen der Feinde, welche kaum den Uebergang des Heeres be-
merken, als ſie auch ſchon an den Bergen hin vorrücken, um über
die mit Alexander zuletzt Abziehenden herzufallen. Ein Ausfall des
Königs gegen ſie und der Schlachtruf der Phalangen jenſeits des
Fluſſes ſchreckt ſie zurück, und Alexander führt ſeine Bogenſchützen
und Jäger im vollen Laufe in den Fluß. Er ſelbſt geht zuerſt
hinüber, und läßt, ſobald er ſieht, daß ſeine Nachhut vom Feinde
gedrängt wird, das Wurfgeſchütz gegen die Feinde jenſeits ſpielen,
und die Bogenſchützen mitten im Fluß umwenden und ſchießen; wäh-
rend nun Glaukias mit ſeinen Taulantinern ſich nicht in die Schuß-
weite wagt, gehen die letzten Macedonier über den Fluß, ohne daß
Alexander bei dem ganzen gefährlichen Manöver auch nur einen
Mann verloren hätte 84); er ſelbſt hatte mit ausgezeichneter Tapfer-
keit und an den gefährlichſten Punkten gefochten, und war am
Halſe durch einen Keulenſchlag, am Kopfe durch einen Steinwurf
verwundet 85).


Durch dieſe Bewegung hatte Alexander nicht bloß ſein Heer
aus augenſcheinlicher Gefahr gerettet, ſondern er konnte von ſeiner
Stellung am Ufer des Fluſſes aus alle Wege und Operationen der
Feinde überſehen, und ſie in Unthätigkeit halten, bis ſeine Verſtär-
kungen eintrafen. Indeß gaben ihm die Feinde früher Gelegenheit,
[78] einen Handſtreich auszuführen, der dem Kriege ein ſchnelles Ende
machte. Sie hatten ſich, in der Meinung, jener Rückzug ſei ein
Werk der Furcht geweſen, in breiter Linie vor Pellion gelagert,
ohne daſſelbe mit Wall und Graben zu ſchützen, oder auf den Vor-
poſtendienſt die nöthige Sorgfalt zu wenden. Das wußte Alexan-
der; in der dritten Nacht ging er unbemerkt mit den Hypaspiſten,
Agrianern, Bogenſchützen und zweien Diviſionen der Phalanx über
den Fluß, und ließ, ohne die Ankunft der übrigen Kolonnen abzu-
warten, die Bogenſchützen und Agrianer vorrücken; dieſe brachen
an der Seite des Lagers ein, wo am wenigſten Widerſtand mög-
lich war; und die Feinde, aus tiefem Schlafe aufgeſchreckt, ohne
Waffen, ohne Leitung oder Muth zum Widerſtande, wurden in den
Zelten, in der langen Gaſſe des Lagers, auf dem regelloſen Rück-
zuge niedergehauen, viele zu Gefangenen gemacht, den anderen bis
an die Berge der Taulantiner nachgeſetzt; wer entkam, rettete ſich
mit Verluſt ſeiner Waffen. Klitus ſelbſt hatte ſich in die Stadt
geworfen, ſie dann angezündet und ſich unter dem Schutz der bren-
nenden Stadt zu Glaukias in das Taulantinerland geflüchtet 86). —
So wurde die alte Grenze auf dieſer Seite wieder gewonnen, und
den beſiegten Königen, wie es ſcheint, unter der Bedingung der
Friede gegeben, daß ſie die Oberhoheit Alexanders anerkennten, und
beſtimmte Contingente zu ſeinem Heere ſtellten 87).


Man muß behaupten, daß die glückliche Raſchheit in allen
Unternehmungen dieſes Jahres, und namentlich in dem Kriege,
der unter den Mauern von Pellion geführt wurde, eben ſo ſehr in
dem Charakter des jungen Königs begründet, wie von den Zeit-
umſtänden gefordert war; denn während man im Norden noch voll-
auf zu thun hatte, war im Süden eine Bewegung ausgebrochen,
die, wenn ſie nicht ſchnell gedämpft wurde, den großen Plan eines
Perſerzuges noch lange hindern, wenn nicht für immer unmöglich
machen konnte.


Die Griechen hatten zwar mit hochklingenden Dekreten Alexan-
ders Hegemonie anerkannt, und das Bündniß mit ihm auf dem
[79] Bundestage zu Korinth beſchworen; aber je ferner die Macedoni-
ſchen Waffen waren, deſto lockender klangen die Worte der exaltir-
ten Demagogen und die Perſiſchen Dariken, und die ſchönen Na-
men der alten Freiheit und des alten Ruhmes. Freilich, ſo lange
der Perſerkönig noch Alexanders Jugend verachtete, war auch Grie-
chenland ſtill; ja, die Athener, die Enkel der Marathoniſchen Sieger,
mußten ſich von dem Perſer ſchreiben laſſen: „ich will euch kein
Geld geben, bittet mich nicht, denn ihr bekommt doch nichts 88).“
Aber bald ſah dieſer, was für ein Feind ihm in Alexander erſtan-
den ſei, und daß er, um im hohen Aſien ſicher zu ſein, Macedo-
nien in Griechenland und durch Griechen bekämpfen müſſe. Zehn-
tauſend Dariken brachte Ephialtes aus Aſien nach Athen mit, und
die Redner durften das Volk der Athener, dem von dieſer Summe
nicht viel zu Gute kam 89), wegen ihrer Beſonnenheit und Ach-
tung gegen die in Korinth beſchworenen Verträge rühmen. Aber
ſeit Ephialtes Rückkunft ſah man Demoſthenes eifriger und häufiger
als je, in den Volksverſammlungen; die Entfernung Alexanders
gab ihm und den Volksrednern ſeiner Parthei Muth und Gelegen-
heit, von Niederlagen im Lande der Triballer und von neuen Hoff-
nungen zu reden 90). Auch in anderen Staaten erwachte die alte
Neuerungsſucht und neue Hoffnungen; vor allen fühlten die Theba-
ner das Joch der Macedoniſchen Herrſchaft; die Beſatzung in ihrer
Burg ſchien ſie unabläſſig an ihre jetzige Schmach und den Verluſt
ihres einſtigen Ruhmes zu mahnen.


Da verbreitete ſich das Gerücht, Alexander ſei todt; es wurde
um ſo mehr geglaubt, je unerwarteter es ſelbſt die kühnſten Wün-
ſche übertraf; und damit keinem Zweifel Raum gelaſſen wurde,
brachte Demoſthenes einen Menſchen vor das verſammelte Volk,
der eine Wunde aus derſelben Schlacht aufzuweiſen hatte, in der
Alexander vor ſeinen Augen gefallen ſein ſollte 91). Schnell hob
die antimacedoniſche Parthei ihr Haupt empor, und verſuchte noch
einmal die Gemüther des Volkes zum Abfall zu reizen: die Zeit
ſei gekommen, des Macedoniſchen Joches frei zu werden; Verträge,
die man mit Alexander geſchloſſen, hätten mit ſeinem Tode aufge-
[80] hört; der Perſiſche König, bereit die Freiheit der Griechiſchen Staa-
ten zu ſchützen, habe bereits reichliche Subſidien in die Hände der
Männer, welche mit ihm nichts als das Wohl und die Freiheit
Griechenlands im Sinne hätten, zur Unterſtützung aller gegen die
Macedonier gerichteten Unternehmungen niedergelegt. Nicht weni-
ger, als das Perſiſche Gold half der Coalition, daß neben Demo-
ſthenes der unbeſtechliche Lykurg für ſie ſprach; aber das Nothwen-
digſte war, daß ungeſäumt gehandelt und dadurch allen Wünſchen
und Bemühungen ein Mittelpunkt gegeben wurde.


Theben allein hatte vollen Grund über ſein Schickſal zu kla-
gen; ſeit der Schlacht von Chäronea ſeiner Selbſtſtändigkeit be-
raubt, war es durch den Bundestag von Korinth den Macedoniern
überlaſſen, und durch ſeine Burg in den Händen ſeiner Herren; wa-
ren auch die unruhigſten der Bürger ſeit der Schlacht von Chäronea des
Landes verwieſen, ſo hatte doch das Volk ſchon Philipps Tod zu einer
Empörung zu benutzen ſich bereit gezeigt; durch Alexanders ſchnelle
Ankunft war es damals eingeſchüchtert, und das frühere Joch nicht
erleichtert, murrend trug es das einſt freie Volk; das wußten die
Vornehmen der Stadt, die Leiter der Coalition, die verbannten
Thebaner, deren ſich beſonders in Athen viele aufhielten. Schon
einmal waren Verbannte von Athen aus zur Befreiung der Kad-
mea ausgezogen, Pelopidas hatte ſie geführt, die Siege von Leuktra
und Mantinea waren die ſchönen Früchte jener Heldenthat geweſen.
So kehrten auch jetzt, in Uebereinſtimmung mit mehreren Vorneh-
men der Stadt, die Verbannten nach Theben zurück, ermordeten
in der Stille der Nacht zwei Hauptleute der Macedoniſchen Be-
ſatzung, riefen am Morgen zur Verſammlung, und beriethen, was
geſchehen, was zu hoffen ſei; ſie beſchworen das Volk bei dem
theuren Namen der Freiheit und des alten Ruhmes, das Joch der
Macedonier abzuſchütteln, ganz Griechenland und der Perſiſche Kö-
nig ſei bereit ihnen beizuſtehen; und als ſie verkündeten, daß
Alexander nicht mehr zu fürchten, daß er in Illyrien gefallen ſei,
da beſchloß das Volk, die alte Freiheit wieder herzuſtellen, die Ma-
cedoniſche Beſatzung aus der Kadmea zu vertreiben, und an die an-
deren Staaten Geſandte um Hülfe zu ſenden.


Alles ſchien ihrer Unternehmung den glücklichſten Erfolg zu
verſprechen; die Eleer hatten bereits die Anhänger Alexanders ver-
jagt;
[81] jagt, in Aetolien waren Unruhen ausgebrochen, die Arkadier bereit
gegen Macedonien zu kämpfen, auf Argos konnte man rechnen;
Athen dekretirte ſeine Sympathie für Theben und verſprach Bei-
ſtand. Und als die Geſandten des Macedoniſchen Reichsverweſers
Antipater nach dem Iſthmus kamen, an die Verträge über Zurück-
führung der Verbannten und an das den Macedoniern garantirte
Beſatzungsrecht in Theben zu erinnern, da hörte man nicht auf ſie,
ſondern auf die flehende Bitte der Thebaniſchen Geſandten, die
mit wollenumwundenen Oelzweigen in den Händen, zum Schutz
der heiligen Sache aufriefen 92). Schon ſtand ein Arkadiſches
Söldnerheer am Iſthmus bereit, nach Böotien zu rücken, die Kad-
mea war mit Wällen und anderen Werken eingeſchloſſen, ſo
daß den Macedoniern in ihr weder Hülfe, noch Lebensmittel zu-
kommen konnten; die Thebaner hatten ihre Sclaven freigegeben, ſie
und die Metöken zum Kriege gerüſtet; ſie waren mit allen Vorrä-
then und einer Menge Waffen verſehen, die namentlich Demoſthe-
nes ihnen zugeſandt hatte 93); bald mußte die Kadmea fallen,
6
[82] dann war Theben und ganz Griechenland frei, dann die Schande
von Chäronea gerächt, und der Bundestag von Korinth, dies Trug-
bild von Selbſtſtändigkeit und Sicherheit, verſchwand vor dem fröh-
lichen Lichte eines neuen Morgens, der ſchon über Griechenland
heranzubrechen ſchien. Da verbreitete ſich das Gerücht, die Mace-
donier rückten in Eilmärſchen heran, ſie ſtänden nur zwei Meilen
entfernt in Oncheſtus. Die Aufrührer beſchwichtigten das Volk:
es werde Antipater ſein, ſeit Alexander todt ſei, brauche man die
Macedonier nicht zu fürchten. Dann kamen Boten: es ſei Alexan-
der ſelbſt; ſie wurden übel empfangen: Alexander, der Lynkeſtier,
Aeropus Sohn ſei es, der wahrſcheinlich das Reich geerbt habe,
den brauche man nicht zu fürchten. Tags drauf ſtand der König
Alexander, der todtgeglaubte, mit zwanzigtauſend Mann Fußvolk
und dreitauſend Reutern unter den Mauern der Stadt.


In der That war dies plötzliche Erſcheinen Alexanders ein
Räthſel, das nur die Kühnheit ſeiner Operationen und die außer-
ordentliche Geübtheit ſeiner Truppen erklärte. Noch vierzehn Tage
früher hatte er fern im Norden vor Pellion geſtanden, und die Il-
lyrier und Taulantiner über die Grenzgebirge zurückgeworfen; da
erhielt er die Nachricht von der Empörung der Thebaner, und
rückte durch die Landſchaften Eordäa und Elymiotis, das Thal des
Haliakmon hinab, durch die Perrhäbiſchen Päſſe nach Theſſalien hin-
ein, von da durch die Thermopylen nach Oncheſtus 94). Sein
[83] ſchnelles Erſcheinen hatte zunächſt den wichtigen Erfolg, daß die
Arkadiſchen Hülfsvölker nicht über den Iſthmus hinauszurücken wag-
ten, daß die Athener ihre Truppen ſo lange inne zu halten beſchloſ-
ſen, bis ſich der Kampf gegen Alexander entſchieden hätte, daß ſich
die Orchomenier, Platäer, Thespier, Phocier und andere Feinde
der Thebaner, die ſich ſchon der ganzen Wuth ihrer alten Peiniger
Preis gegeben glaubten, mit doppeltem Eifer um ihn verſammelten.
Indeß hatte der König nicht im Sinn, ſofort die Waffen zu ge-
brauchen; voll Verlangen nach den Kämpfen im Morgenlande,
wünſchte er die Streitigkeiten in Griechenland möglichſt ſchnell und
friedlich zu beenden; er ließ ſein Heer unter den Mauern der
Stadt lagern, um durch den Anblick ſeiner Streitkräfte den Muth
der Thebaner zu lähmen, und wenn ſie ihre böſen Anſchläge bereue-
ten und um Verzeihung bäten, durch Milde ſelbſt die ihm feind-
lich Geſinnten zu gewinnen. Aber die Thebaner waren ſo weit
entfernt ſich zu unterwerfen oder einem gütlichen Vergleich entgegen
kommen zu wollen, daß ſie, von aller Hülfe entblößt und ſelbſt
durch traurige Zeichen gewarnt, nicht allein in der Volksverſamm-
lung beſchloſſen mit freudigem Muthe für ihre Freiheit kämpfen und
ſterben zu wollen, ſondern ſogar ihre leichten Truppen einen Aus-
fall gegen das feindliche Lager machen und die feindlichen Vorpoſten
beunruhigen ließen. Auch jetzt noch zögerte Alexander, einen Kampf
zu beginnen, der gegen Griechen, die ihr Unglück und ihr heißes
Verlangen nach Freiheit entſchuldigen konnte, und durch die be-
deutende Uebermacht auf ſeiner Seite ſchon ſo gut wie entſchieden
war. Am zweiten Tage rückte er an das ſüdöſtliche Thor, welches
nach Athen hinausführt, und an welches innerhalb die Kadmea
ſtößt; er bezog hier ein Lager, um zur Unterſtützung der in der
Burg liegenden Macedonier in der Nähe zu ſein; noch einmal ver-
ſuchte er die Sache auf dem Wege der Güte, und ließ die Theba-
ner auffordern, ihre Waffen niederzulegen; er verſprach ihnen Verzei-
hung, wenn ſie den Phönix und Prothytes, die Urheber ihres trauri-
gen Beginnens, auslieferten; und verwürfe das verblendete Volk
94)
6 *
[84] ſelbſt dieſe Anträge, ſo möchten wenigſtens die Gutgeſinnten ſich
von dem verbrecheriſchen Unternehmen losſagen, zu ihm ins Lager
kommen und künftig an dem gemeinſamen Frieden aller Hellenen
Antheil haben. Zwar verlangten jetzt diejenigen Thebaner, welche
das allgemeine Beſte im Auge hatten, daß man an Alexander ſen-
den und Verzeihung für den Abfall des Volks bitten ſollte; aber
die Böotarchen, die Verbannten und alle die, welche ſie zur Rück-
kehr aufgefordert hatten, von Alexander keiner freundlichen Auf-
nahme gewärtig, reizten die Menge zum hartnäckigſten Widerſtande,
und ſetzten es durch, daß von einem der höchſten Thürme herab
geantwortet wurde: wenn Alexander den Frieden wolle, ſo möge
er ihnen Antipater und Philotas ausliefern; die Gutgeſinnten aber
und die mit dem großen Könige in Aſien und mit den Thebanern
gemeinſchaftlich Griechenland befreien wollten, möchten zu ihnen in
die Stadt kommen, und künftig an der gemeinſamen Freiheit aller
Hellenen Antheil nehmen. Und doch ließ Alexander die Stadt
auch jetzt noch nicht angreifen 95).


Perdikkas mit ſeiner Diviſion hatte die Vorhut des Macedo-
niſchen Lagers, und ſtand in der Nähe der feindlichen Außenwerke.
Die Gelegenheit zu einem Angriffe ſchien ſo überaus günſtig, daß
er Alexanders Befehl nicht abwartete, ſondern gegen die Verſchan-
zungen anſtürmte, ſie durchbrach und über die Vorwache der Feinde
herfiel. Schnell brach auch Amyntas mit ſeiner Diviſion, die zu-
nächſt an der des Perdikkas ſtand, aus ſeinem Lager hervor, und
folgte ihm zum Angriff auf den zweiten Wall. Der König ſah
ihre Bewegungen und fürchtete für ſie, wenn ſie allein dem Feinde
gegenüber blieben; deshalb ließ er eilig die Bogenſchützen und Agria-
niſchen Jäger in die Umwallung eindringen, und die Leibſchaar
nebſt den anderen Hypaspiſten ausrücken, aber vor den äußeren
Werken Halt machen. Da fiel Perdikkas ſchwer verwundet beim
Angriff auf den zweiten Wall, doch die zwei Diviſionen, in Ver-
bindung mit den Schützen und Agrianern, erſtürmten den Wall,
und drangen durch den Hohlweg des Elektriſchen Thores in die
Stadt bis zum Herakleum vor. Da aber wandten ſich plötzlich
und mit lautem Geſchrei die Thebaner, ſtürzten ſich mit der wilde-
[85] ſten Heftigkeit auf die Macedonier, ſo daß dieſe ſich mit bedeuten-
dem Verluſte fliehend auf die Hypaspiſten zurückzogen. In dieſem
Augenblick rückte Alexander, der die Thebaner ohne Ordnung die
Fliehenden verfolgen ſah, mit geſchloſſener Phalanx ſchnell auf ſie
ein; ſie wurden zurückgeworfen, und ihr Rückzug war ſo übereilt,
daß die Macedonier mit ihnen in das Thor eindrangen, wäh-
rend an anderen Stellen die Mauern, die wegen der vielen
Außenpoſten ohne Vertheidiger waren, erſtiegen und beſetzt wur-
den. Jetzt war die Stadt ſo gut wie verloren; die Beſatzung
der Kadmea warf ſich mit einem Theile der Hereingedrungenen in
die Unterſtadt auf das Amphieum, Andere ſtiegen über die Mauern
und rückten im Sturmſchritt auf den Markt; umſonſt kämpften die
Thebaner mit der größten Tapferkeit, von allen Seiten drangen die
Macedonier ein, überall war Alexander und befeuerte die Seinigen
durch Wort und Beiſpiel; die Thebaniſche Reiterei, in die Stra-
ßen zerſprengt, jagte durch die noch freien Thore ins offene Feld
hinaus; von dem Fußvolk rettete ſich jeder, ſo gut er konnte, ent-
weder ins Feld oder in die Häuſer oder in die Tempel, die mit
wehklagenden Weibern und Kindern angefüllt waren. Voll Erbit-
terung richteten jetzt nicht ſowohl die Macedonier, als die Phocier,
Platäer und die übrigen Böotier ein gräßliches Blutbad an, ſelbſt
Weiber und Kinder wurden nicht geſchont, ihr Blut beſudelte
die Altäre der Götter 95a). Erſt das Dunkel der Nacht machte
[86] dem Plündern und Morden ein Ende; von den Thebanern ſollen
ſechstauſend umgekommen ſein, von den Macedoniern fünfhundert,
unter ihnen der Anführer der Bogenſchützen.


Am folgenden Tage ließ der König die gefallenen Macedonier
ehrenvoll beſtatten, berief ſodann eine Verſammlung der Bundes-
genoſſen 96), welche an dem Kampfe Theil genommen hatten, und
überließ ihnen das künftige Schickſal der Stadt. Er konnte keine
beſſeren Vollſtrecker eines Gerichtes finden, das nach ſo ſchnödem
Verrath, nach ſo freventlicher Verachtung aller Milde, nach ſo
hartnäckigem Widerſtande nur zu gerecht war. Die Richter über
Theben waren dieſelben Platäer, Orchomenier, Phocier, Thespier,
Böotier, welche den furchtbaren Druck der Thebaner lange hatten
erdulden müſſen, deren Städte ehemals von ihnen verwüſtet, deren
Söhne und Töchter von ihnen geſchändet und als Sklaven verkauft
waren; jetzt ſollte die ſchuldbelaſtete Stadt den Verrath im Perſi-
ſchen Kriege und die oft gebrochenen Schwüre und die Tyrannei,
die ſie über Böotien ungeſtraft geübt, büßen; es ſchien ſich mit
dem frechen Hochmuth und der gottloſen Verſtocktheit des Oedipus
auch ſein Fluch und ſein furchtbares Verhängniß auf ſie vererbt zu
haben. Es wurde beſchloſſen: die Stadt ſollte dem Erdboden gleich-
gemacht, das Land, mit Ausnahme des Tempellandes, unter Alexan-
ders Bundesgenoſſen vertheilt, alle Thebaner mit Weib und Kind
in die Sklaverei verkauft, und nur den Prieſtern und Prieſterinnen,
den Gaſtfreunden Philipps, Alexanders, der Macedonier die Frei-
heit geſchenkt werden; Alexander gebot auch Pindars Haus und Pin-
dars Nachkommen zu verſchonen. Dann wurden dreißigtauſend
Menſchen 97) jedes Alters und Standes verkauft und in die weite
95a)
[87] Welt zerſtreut, dann die Mauern niedergeriſſen, die Häuſer ausge-
geräumt und zerſtört; das Volk des Epaminondas war nicht mehr,
die Stadt ein grauenvoller Schutthaufen, „der Kenotaph ihres
Ruhmes;“ eine Macedoniſche Wache oben auf der einſamen Burg
hütete die Tempel und „die Gräber der Lebendigen.“


In der That, das Schickſal Thebens war erſchütternd; kaum
ein Menſchenalter früher hatte es die Hegemonie in Hellas ge-
habt, ſeine heilige Schaar Theſſalien befreien, ſeine Roſſe im Eu-
rotas tränken ſehen, und jetzt war es von der Erde vertilgt.
Die Griechen aller Partheien ſind unerſchöpflich in Klagen über
Thebens Fall, und nur zu oft ungerecht gegen den König, der es
nicht retten konnte. Wie weit Alexander von Grauſamkeit und
ſtolzer Härte entfernt war, beweiſet ſein edles Benehmen gegen die
Thebaner, die ſpäter unter den Söldnerſchaaren Aſiens als Kriegs-
gefangene in ſeine Hände fielen; aber auch ſchon jetzt, während der
Kampf kaum beendet war, gab er ſchöne Beweiſe von Milde und
Hochherzigkeit. Eine edle Thebanerin wurde gefangen und gebun-
den vor ihn gebracht; ihr Haus war von Alexanders Thraciern
niedergeriſſen, ſie ſelbſt von dem Anführer derſelben geſchändet, dann
unter wilden Drohungen nach ihren Schätzen gefragt; ſie hatte den
Thracier an einen im Gebüſch verſteckten Brunnen geführt: darin
ſeien die Schätze verſenkt; und als er ſich über denſelben hin-
beugte, hinabzuſehen und in die Tiefe zu ſpähen, hatte ſie ihn hin-
eingeſtürzt, und Steine auf ihn hinabgeſchleudert, bis er todt war;
nun brachten die Thracier ſie vor des Königs Richterſtuhl; ſie
ſprach: „ich bin Timoklea, jenes Theagenes Schweſter, der als
Feldherr bei Chäronea gegen Philipp für die Freiheit der Hellenen
fiel.“ Alexander bewunderte das hochherzige Weib, er ſchenkte ihr
und ihren Verwandten die Freiheit 98).


97)


[88]

Gleiche Milde bewies Alexander gegen die Griechen, welche,
durch Thebens Abfall und die Bemühungen der von Demoſthenes
geleiteten Coalition verführt, die Verträge von Korinth ſo lange
misachtet hatten, als Alexanders Entfernung und das Gerücht von
ſeinem Tode das Gefühl ihrer Ohnmacht mit blinden Hoffnungen
und gedankenloſem Freiheitstaumel übertäubt hatte. Jetzt eilten die
Eleer, alle Anhänger Alexanders, die ſie verbannt hatten, wieder
heimzuführen; die Arkadier riefen ihre Kriegsſchaaren vom Iſth-
mus zurück, und verdammten die zum Tode, die zu dieſem Hülfs-
zuge gegen Alexander aufgemuntert hatten; die einzelnen Stämme
der Aetolier ſchickten Geſandte an den König und baten um Ver-
zeihung für das, was bei ihnen geſchehen ſei. Die Athener hatten
ſich am lebhafteſten für Theben ausgeſprochen; ſie erniedrigten ſich
am tiefſten, um Alexanders Zorn von ſich abzuwenden. Sie feier-
ten gerade die großen Myſterien (im Anfang September), als ei-
nige Flüchtlinge die Nachricht von dem Falle der Stadt brachten;
in höchſter Beſtürzung wurde die Feier unterbrochen, alles beweg-
liche Gut vom Lande in die Mauern der Stadt geflüchtet, dann
eine Verſammlung gehalten, die auf Demades Vorſchlag beſchloß,
an Alexander eine Geſandtſchaft von zehn Macedoniſch geſinnten
Männern zu ſenden, um ihm wegen ſeiner glücklichen Rückkehr aus
dem Triballerlande und dem Illyriſchen Kriege, ſo wie über die Unter-
drückung und gerechte Beſtrafung des Aufruhrs in Theben Glück zu
wünſchen, zugleich aber um die Vergünſtigung zu bitten, daß ihre
Stadt ihren alten Ruhm der Gaſtfreundſchaft und Barmherzigkeit
auch an den Thebaniſchen Flüchtlingen bewähren dürfe. Huldreich
war des Königs Beſcheid, nur forderte er die Auslieferung des De-
moſthenes, Lykurgus, Charidemus, Ephialtes und einiger anderen
Demagogen, die mit dem Perſerkönige in offenbarer Verbindung
und die Anſtifter und Beförderer der letzten Unruhen in Griechen-
land geweſen waren; denn dieſe ſeien nicht bloß die Urſache der
Niederlage, die Athen bei Chäronea erlitten, ſondern auch aller
der Unbilden, die man nach Philipps Tode ſich gegen ſein Anden-
ken und ſeinen rechtmäßigen Nachfolger erlaubt habe; ja den Fall
Thebens hätten ſie nicht minder verſchuldet, als die Unruheſtifter in
Theben ſelbſt. Die Forderung Alexanders veranlaßte die heftigſten
Erörterungen in der Volksverſammlung zu Athen; Demoſthenes
[89] beſchwor das Volk, nicht wie die Schaafe in der Fabel ihre Wäch-
terhunde dem Wolfe auszuliefern. Das Volk wartete in ſeiner
Rathloſigkeit auf des ſtrengen Phocion Meinung; der rieth um
jeden Preis des Königs Verzeihung zu erkaufen, und nicht durch
unbeſonnenen Widerſtand zum Unglück Thebens auch Athens Unter-
gang hinzuzufügen; jene zehn Männer, deren Auslieferung Alexan-
der fordere, möchten jetzt zeigen, daß ſie aus Liebe zum Vaterlande
ſich auch der größten Gefahr zu unterziehen bereit wären. De-
moſthenes aber bewog durch ſeine Rede das Volk, durch fünf Ta-
lente den Macedoniſch geſinnten Redner Demades, daß dieſer an den
König geſandt wurde, und ihn bat, diejenigen, welche ſtrafbar ſeien,
dem Gerichte des Atheniſchen Volkes zu überlaſſen. Der König
that es, theils aus Achtung für Athen, das, wie er geſagt haben
ſoll, ſein Augenmerk auf Griechenland richten müſſe, weil ihnen,
wenn er todt ſei, die Hegemonie über Griechenland zukäme 99),
theils aus Eifer für den Zug nach Aſien, während deſſen er
keine verdächtige Unzufriedenheit in Griechenland zurücklaſſen wollte;
nur die Verbannung des Feldherrn Charidemus, jenes wilden Wüſt-
lings, den ſelbſt Demoſthenes verabſcheute, wurde vom Könige ver-
langt; Charidemus floh nach Aſien zum Perſerkönige. Nicht lange
darauf verließ auch Ephialtes Athen und ging zur See fort 100).


Nachdem auf dieſe Weiſe Griechenland wieder beruhigt war,
und durch die Vernichtung Thebens und die Macedoniſche Beſaz-
zung in der Kadmea auch für die Zukunft neue Bewegungen un-
möglich ſchienen, brach Alexander aus dem Lager vor Theben auf,
und eilte im Herbſt 335 nach Macedonien zurück. Ein Jahr
hatte hingereicht, ſein vielgefährdetes Königthum unerſchütterlich feſt
zu gründen, und des Gehorſams der Barbariſchen Nachbarvölker,
der Ruhe in Griechenland, der treueſten Anhänglichkeit ſeines Vol-
[90] kes gewiß, den großen Tag zu beſtimmen, den der Aufbruch nach
dem Morgenlande für das Schickſal von Millionen und für die
Geſchichte von Jahrhunderten entſcheidend machen ſollte..


Der Winter war den Rüſtungen zum großen Kriege geweiht;
aus Griechenland, aus Theſſalien, aus den Gebirgen Thraciens,
von der Donau her, aus den Thälern Illyriens kamen die Schaa-
ren der Verbündeten; Söldner wurden geworben, Schiffe zur Ueber-
fahrt nach Aſien gerüſtet. Der König und ſeine Generale hielten
Berathungen, die Operationen des Feldzuges nach den genauen Er-
kundigungen, die über die Kriegsmacht und Organiſation des Per-
ſiſchen Reiches, über die Beſchaffenheit der öſtlichen Länder, über
die militäriſche Wichtigkeit der Stromthäler, der Bergzüge, der
Städte und Landſchaften eingezogen waren, zu entwerfen. Dann
wurden die Angelegenheiten der Heimath geordnet, Antipater zum
Reichsverweſer beſtellt, ein Heer von zwölftauſend Mann ſeinem
Befehle übergeben, mit dem er Griechenland ſichern, die Grenzen
des Reiches ſchützen, die Barbaren im Gehorſam halten konnte,
und fortwährend neue Schaaren der großen Armee nachzuſenden be-
reit hätte 101), die Fürſten der verbündeten Barbarenſtämme zur
perſönlichen Theilnahme am Kampfe aufgefordert, damit das Reich
vor Neuerungen deſto ſicherer, die Stammesgenoſſen unter ihrer
Führung deſto tapferer wären 102). Noch eine Sorge wurde im
Kriegsrathe beſonders von Antipater und Parmenion angeregt: weſ-
ſen, im Fall eines unvorhergeſehenen Unglückes, die Thronfolge im
Reiche ſein ſolle? Sie beſchworen den königlichen Jüngling, ſich
vor dem Feldzuge zu vermählen, und die Geburt eines Thronerben
zu erwarten. Er aber verwarf ihre Anträge: es ſei ſeiner und der
Macedonier und Griechenlandes unwürdig, an Hochzeit und Ehe-
bett zu denken, wenn Aſien zum Kampfe bereit ſtehe. Aſien nur
war ſein Gedanke; was daheim ihm gehörte, Landgüter, Waldun-
gen und Dörfer, ſelbſt die Zehnten und Hafenzölle verſchenkte er
an ſeine Freunde. „Was bleibt denn dir, o König,“ fragte Per-
dikkas, als faſt alles vertheilt war. „Die Hoffnung!“ antwortete der
König. Da verſchmähte auch Perdikkas ſeinen Antheil; „laß uns,
[91] die wir mit dir kämpfen werden, die Hoffnung mit dir theilen;“
und viele Freunde folgten dem Beiſpiele des hochherzigen Mannes.
So herrſchte der gleiche Enthuſiasmus in Alexanders Generalen,
in dem ritterlichen Adel, der ihn umgab, in dem geſammten Heere,
das ihm folgte; den Heldenjüngling an ihrer Spitze, forderten ſie
ſtolz eine Welt zum Kampfe heraus. —


[[92]]

Drittes Kapitel.
Der Feldzug in Kleinaſien.


Alexanders Pläne erſcheinen auf den erſten Anblick in nicht
geringem Misverhältniß mit den Hülfsmitteln, die ihm zu Gebote
ſtanden. Der räumlichen Ausdehnung nach kam ſein Reich, ſelbſt
Griechenland mit eingerechnet, kaum dem funfzigſten Theil des Per-
ſiſchen gleich; noch ungünſtiger ſtellten ſich die Zahlenverhältniſſe ſei-
ner und der Perſiſchen Streitkräfte zu Waſſer und zu Lande; fügt
man hinzu, daß der Macedoniſche Schatz bei Philipps Tode er-
ſchöpft, daß das meiſte Krongut verſchenkt, daß die meiſten Abga-
ben und Leiſtungen erlaſſen waren, daß endlich, während in den
Schatzkammern des Perſiſchen Reichs ungeheuere Vorräthe von
Gold und Silber aufgehäuft lagen, Alexander nach Beendigung ſei-
ner Rüſtungen, die ihm achthundert Talente (etwa zweimalhundert-
tauſend Thaler) koſteten, nicht mehr als ſiebenzig Talente übrig hatte,
den Krieg gegen Aſien zu beginnen, ſo erſcheint freilich das Unter-
nehmen tollkühn und faſt chimäriſch.


Indeß ergiebt eine genauere Betrachtung der Umſtände, daß
Alexanders Pläne allerdings kühn, aber nicht unbeſonnen, ſondern
durch die vorhandenen Kräfte und Mittel ausführbar waren. Um
die Möglichkeit der Unternehmungen und die Nothwendigkeit ihres
Erfolges, um die Organiſation der Armee und die Eigenthümlichkeit
ihrer Operationen zu begreifen, muß man die Analogie neuerer
Feldzüge vergeſſen, da ja der Krieg, ſo wenig, wie alles Geſchicht-
liche, von normalen Bedingungen und Geſetzen abhängig, mit den loka-
len und geſchichtlichen Verhältniſſen, auf die er ſich bezieht, ſeine Mittel,
ſeinen Zweck und ſeine Theorie ändert; die Heere, die den Orient be-
zwungen, vermochten nicht der Römiſchen Legion zu widerſtehen.


Was die finanziellen Verhältniſſe anbetrifft, ſo hat man vor
allem zu berückſichtigen, daß Alexander in Feindes Land zog, in
[93] dem er Schätze und Vorräthe aller Art zu finden hoffen durfte;
war einmal ſein Heer gerüſtet, und Geld und Lebensmittel für ſo
lange vorräthig, bis man dem Feinde gegenüber ſtand, ſo bedurfte
es im Uebrigen einer großen Kriegscaſſe nicht, da die Kriege jener
Zeit nicht durch koſtbaren Schießbedarf und weitläuftiges Geſpann-
werk vertheuert wurden. Auf dieſe Weiſe war Alexander durch
den Mangel an Geld nicht behindert, während der Großkönig und
die Perſiſchen Satrapen mit ihren vielgeprieſenen Schätzen den
Macedoniſchen Soldaten deſto willkommnere Feinde waren.


Weſentlicher erſcheint das Misverhältniß der Macedoniſchen
Seemacht. Der Perſerkönig konnte über vierhundert Segel gebie-
ten; ſeine Flotte war die der Phönicier, der beſten Seeleute
der alten Welt; ſie hatte, wenigſtens in der letzten Seeſchlacht,
die Hellenen beſiegt. Die Macedoniſche Seemacht, von Phi-
lipp gegründet, aber bisher noch nicht erprobt, war von keiner
Bedeutung; die Flotte, die jetzt gegen die der Perſer ausziehen
ſollte, beſtand zum großen Theil aus den Trieren der Griechiſchen
Bundesſtaaten, von denen natürlich nicht immer die größte Hinge-
bung erwartet werden konnte. Alexanders Pläne waren ganz auf
die Trefflichkeit ſeiner Landmacht gegründet, und die Flotte nur
dazu da, um jene in ihren erſten Bewegungen zu ſichern. Nach-
dem ſie dieſen Zweck erfüllt, wurde ſie läſtig und hinderlich; Alexan-
der nahm deshalb bald die Gelegenheit wahr, ſie aufzulöſen.


Was endlich das Macedoniſche Landheer anbelangt, ſo erkennt
man in deſſen Einrichtung ein ſeltenes Zuſammenwirken glücklicher
Umſtände und großer militäriſcher Talente. Die moraliſche Ueber-
legenheit Griechiſcher Heere gegen die materielle der Perſiſchen
hatte ſich ſeit faſt zwei Jahrhunderten in jedem Kriege immer herr-
licher bewährt; je mehr ſich die Kriegskunſt bei den Griechen in
heimiſchen und auswärtigen Kämpfen entwickelte, deſto gefährlicher
wurde ſie den Kriegsvölkern des Perſiſchen Reiches; Alexanders
Heer voll Kampfluſt und ſtolzer Erinnerungen, in aller Technik des
Kriegshandwerkes ausgezeichnet, und in ſeiner durchaus zweckgemä-
ßen Organiſation der erſte ſtrategiſche Körper, den die Geſchichte
kennt, trug in ſich ſelbſt die Gewißheit des Sieges 1).


[94]

Die Heere Aſiens ſind zu aller Zeit durch ungeſtümen Angriff,
durch erdrückende Maſſen und durch ihr wildes Umherſchwärmen,
das ſelbſt ihre Flucht gefährlich macht, ausgezeichnet geweſen. Dazu
kam, daß ſtets viele Tauſend Griechen im Perſiſchen Solde ſtanden,
daß alſo Alexander wenigſtens nicht ausſchließlich auf Kämpfe gegen
Barbaren zu rechnen hatte, ſondern auch Helleniſche Bewaffnung,
Tapferkeit und Kriegskunſt auf Seite der Feinde erwarten durfte;
endlich mußte dem natürlichen Zwecke der großen Unternehmung
gemäß die Beweglichkeit, welche die Offenſive, die Stätigkeit, welche
die Occupation fordert, in der Zuſammenſetzung ſeines Heeres zu-
gleich berückſichtigt ſein.


Die Macedoniſche Kriegsmacht beſtand ſchon zu Philipps Zeit
aus dreißigtauſend Mann Fußvolk und zweitauſend bis dreitauſend
Pferden; ungefähr die gleiche Truppenzahl hatte Alexander gegen
Theben geführt; bei ſeinem Aufbruch nach Aſien ließ er zwölftau-
ſend Mann Fußvolk und funfzehnhundert Reuter unter Antipaters
Befehl in Macedonien zurück; ihre Stelle erſetzten achtzehnhun-
dert Theſſaliſche Ritter, fünftauſend Mann Griechiſche Söldner,
und die ſiebentauſend Schwerbewaffneten, die von den Griechiſchen
Staaten geſtellt waren; außerdem folgten ihm fünftauſend Tribal-
ler, Odryſer, Illyrier u. ſ. w., und tauſend bis zweitauſend Bo-
genſchützen und Agrianer als leichtes Fußvolk, ſechshundert Mann
Griechiſcher, neunhundert Mann Thraciſcher und Päoniſcher Reuterei;
die Geſammtzahl ſeiner Truppen belief ſich demnach auf nicht viel
mehr als dreißigtauſend Mann Fußvolk und etwas über fünftauſend
Pferde. So, mit geringen Abweichungen, wie ſie der Verlauf der
Geſchichte an die Hand giebt, die Angaben Diodors. Der Lagide
Ptolemäus hatte in ſeinen Denkwürdigkeiten dieſelben Zahlen; nach
ihm wiederholt ſie Arrian. Wenn Anaximenes vierunddreißigtauſend
Mann zu Fuß und fünftauſendfünfhundert Pferde zählt, ſo rechnet er
vielleicht das Corps, das ſchon von Philipp nach Aſien voraus-
geſandt war, mit hinzu. Kalliſthenes Angabe auf vierzigtauſend
Mann Fußvolk, iſt offenbar zu groß.


Die Geſammtmaſſen des Fußvolkes und der Reuterei waren
nicht nach Art der Legionen oder Brigaden, ſondern nach der Waffe
in Maſſen und zum Theil nach Landsmannſchaften getheilt; gerade
die Vorzüge des Macedoniſchen Heeres bedingten dieſe nach den
[95] heutigen Verhältniſſen mangelhafte Anordnung; die Phalanx wäre
nicht mehr Phalanx geweſen, wenn ſie mit Reuterei, mit leichtem
Fußvolke, mit Thraciſchen Schleuderern zu kleineren Ganzen vereint
gekämpft hätte. Erſt das Allgemeinerwerden des kleinen Krieges hat
es nöthig gemacht, daß die Theile des Heeres ſelbſtſtändig und von
der Geſammtorganiſation Wiederholungen im Kleinen ſind; gegen
Feinde, wie die Völkermaſſen Aſiens ſind, die ohne Ordnung und
Uebung zu einem Hauptſchlage zuſammengerafft, mit einer Nieder-
lage Alles verloren geben, mit einem Siege über organiſirte Trup-
pen nichts als erneute Gefahr gewinnen, gegen ſolche Feinde haben
gleichförmig geordnete, gediegene Maſſen den Vorzug der Einfachheit,
Maſſenwirkung und innerer Stätigkeit; und in denſelben Gegenden,
wo Alexanders Phalanx Darius Heere übermannte, unterlagen ſie-
ben Römiſche Legionen den ungeſtümen Angriffen der Parther.
Im Großen und Ganzen war Alexanders Heer zu ſolchen Haupt-
ſchlägen eingerichtet; ſeine Phalangen, ſeine ſchwere Reuterei waren
darum die Hauptmaſſe des Heeres.


Das Eigenthümliche der Phalanx beſtand in der Bewaffnung
der Einzelnen und in ihrer Zuſammenordnung. Sie waren ſchwer-
bewaffnet im Griechiſchen Sinne, gerüſtet mit Helm, Harniſch und
einem Schilde, der den ganzen Leib deckte, ihre Hauptwaffe war
die Macedoniſche Sariſſa, eine Lanze von mehr als zwanzig Fuß
Länge, und das kurze Griechiſche Schwert. Ganz beſtimmt für
das Nahgefecht in Maſſe, mußten ſie ſo geordnet ſein, daß ſie
einerſeits den heftigſten Anlauf des Feindes ruhig erwarten, anderer-
ſeits die feindlichen Reihen mit einem Anlaufe zu durchbrechen ſicher
ſein konnten; darum ſtanden ſie in der Regel ſechszehn Mann tief,
indem die Lanzen der erſten fünf Glieder über die Fronte hinaus-
ragten, dem gegen ſie anſtürmenden Feinde eine undurchdringliche,
ja unangreifbare Mauer; die folgenden Reihen legten ihre Sa-
riſſen auf die Schultern der Vordermänner, ſo daß der Angriff
der Phalanx durch die furchtbare Doppelgewalt der Schwere und
Bewegung durchaus unwiderſtehlich war. Nur die vollendete gym-
naſtiſche Ausbildung der Einzelnen machte die Einheit, Präciſion
und Schnelligkeit, mit welcher die auf engen Raum zuſammenge-
drängte Menſchenmaſſe die künſtlichſten Bewegungen ausführen
mußte, möglich. Alexander hatte etwa achtzehntauſend dieſer
[96] Schwerbewaffneten, das ſogenannte Fußvolk der Getreuen 2), die
in ſechs Diviſionen vertheilt, bei Eröffnung des Feldzuges unter
den Generalen Perdikkas, Könus, Kraterus, Amyntas Andromenes
Sohn, Meleager und Philipp Amyntas Sohn ſtanden; wenigſtens
der Kern dieſer Truppen war Macedoniſch, und die Diviſionen
nach den Macedoniſchen Landſchaften benannt, aus denen ſie rekru-
tirt wurden; ſo war die des Könus aus Elymiotis, die des Perdik-
kas aus Oreſtis und Lynkeſtis, die des Philipp, die ſpäter Polyſper-
chon führte, aus Stymphäa u. ſ. w. 3).


Was die Phalanx unter dem Fußvolke, waren die Macedo-
niſchen
und Theſſaliſchen Ilen unter der Reuterei; beide be-
ſtanden aus Schwergeharniſchten, ſie waren der ritterliche Adel
Macedoniens und Theſſaliens; gleich an Waffen, Geburt und Ruhm,
wetteiferten ſie, unter den Augen des Königs ſich auszuzeichnen, der
in der Regel an ihrer Spitze focht. Von welcher Bedeutung dieſe
Waffe für Alexanders Unternehmung war, zeigt ſich faſt in jedem
Gefechte; gleich furchtbar im Einzelnkampf und in Maſſenangriffen,
waren ſie durch Ordnung und Rüſtung der leichten Aſiatiſchen
Reuterei, in wie großen Schwärmen ſie auch erſcheinen mochte,
überlegen, ihre Angriffe auf das feindliche Fußvolk in der Regel
entſcheidend. — Nach Diodors Angabe beſtand die Theſſaliſche
und Macedoniſche Ritterſchaft jede aus funfzehnhundert Rittern;
aber er rechnet mit Kalliſthenes im Ganzen nur viertauſendfünf-
hundert Mann Reuterei im Macedoniſchen Heere, während die
beſſeren Autoren mehr als fünftauſend angeben; und nimmt man
eine alte Correctur, die ſich in einem Manuſcripte Diodors befindet,
und jedem der beiden Corps achtzehnhundert Mann giebt, an, ſo
erhält man die offenbar richtige Geſammtzahl von fünftauſendein-
hundert Mann Reuterei. Beide Ritterſchaften waren auf gleiche
Weiſe bewaffnet; den Oberbefehl über die Theſſaliſche hatte Kalas,
des Harpalus Sohn, über die Macedoniſche Philotas, des Parme-
nion Sohn. Letztere hatte natürlich den erſten Rang in der Ma-
cedoniſchen Armee überhaupt, und führte den Namen Ritterſchaft
der
[97] der Getreuen oder die Getreuen des Königs 4). Sie beſteht aus acht
Ilen oder Geſchwadern, die bald nach Macedoniſchen Kreiſen, bald
nach ihren Ilarchen (Oberſten) benannt werden. In der Schlacht von
Arbela ſtehen die einzelnen Geſchwader unter Klitus, Glaukias,
Ariſton, Sopolis, Heraklides, Demetrius, Meleager und Hegelochus,
der an Sokrates Stelle eingerückt war. Das Geſchwader des So-
polis hieß nach Amphipolis am Strymon, das des Heraklides nach
der Landſchaft Bottiäis, das des Sokrates nach Apollonia auf der
Chalcidice, drei andere Geſchwader nach Anthemus, nach Aegä 5)
und dem oberen Macedonien; das des Klitus endlich wurde die
königliche Ile genannt, hatte wieder unter der Macedoniſchen Rit-
terſchaft den erſten Rang 6), und bildete das Agema oder königliche
Geleit der Ritterſchaft. — Außer dieſen Rittern Macedoniens und
Theſſaliens befanden ſich noch ſechshundert Griechiſche Reuter beim
Heere; ſie waren in der Regel den Theſſaliſchen zugeordnet, und
offenbar mit ihnen gleich bewaffnet und geübt; den Befehl über ſie
hatte Philipp, des Menelaus Sohn. —


Dem Range nach ſogleich hinter der Ritterſchaft folgte die
eigenthümlich Macedoniſche Truppe der Hypaspiſten. Schon
der Athener Iphikrates hatte, um eine Waffe zu haben, die behen-
der zum Angriffe als die Hopliten, und ſchwerer als die Leichtbe-
waffneten wäre, ein Corps mit linnenen Panzern, mit leichterem
Schild und längerem Schwert, als die Hopliten trugen, unter dem
Namen von Peltaſten errichtet. In Macedonien war dieſe neue
Waffengattung mit Beifall aufgenommen; für den Dienſt um die
Perſon des Königs war der Phalangite zu ſchwer, der Leichtbewaff-
nete weder würdig noch brauchbar; ſo wurde dieſe Mittelgattung
dazu auserſehen, indem ſie von dem hohen Schilde, der ſogenann-
ten Aspis, den ſie von den Phalangen annahm, den Namen der
Hypaspiſten erhielt. Zu einem Kriege gegen Aſiatiſche Völker war
gerade dieſe Waffe von außerordentlichem Nutzen; denn nur zu oft
7
[98] hinderte das Terrain den vollen Gebrauch der Phalanx, öfter noch
waren Ueberfälle, raſche Züge, Handſtreiche jeder Art zu wagen,
zu denen die Phalangen nicht beweglich, die leichten Truppen nicht
feſt genug waren; Höhen zu beſetzen, Flußübergänge zu forciren,
Cavallerieangriffe zu unterſtützen und zu benutzen, waren dieſe Hy-
paspiſten vor Allen geeignet. Daß ihre Zahl ſich auf ſechstauſend
Mann belief, ſieht man daraus, daß in der Schlachtlinie des
ſchweren Fußvolkes vier Diviſionen der Phalanx, im Belauf von
zwölftauſend Mann, den linken Flügel, zwei andere Diviſionen, im
Belauf von ſechstauſend Mann, und dieſe Hypaspiſten den rechten
Flügel bildeten 6a). Das ganze Corps führte Nikanor, deſſen Bruder
Philotas die Ritterſchaft der Getreuen befehligte, und deſſen Vater
Parmenion als General der Phalangen bezeichnet wird. Die ſechs
Chiliarchien, aus denen es beſtand 7), ſcheinen in ähnlicher Weiſe,
[99] wie die Phalangen, nach Landſchaften getheilt geweſen zu ſein. Die
erſte Chiliarchie war die des Seleukus, welche den Namen der
königlichen Hypaspiſten führte, und in der die Söhne edler Fami-
lien ihre erſten Kriegsdienſte als Edelknaben des Königs machten 8);
die zweite führte den Namen des königlichen Geleites der Hypas-
piſten, und hatte die Wache vor dem Königszelt 9).


Von eigenthümlicher Wichtigkeit waren die leichten Trup-
pen
des Macedoniſchen Heeres; ſie kamen aus den Ländern der
Odryſer, Triballer, Illyrier, Agrianer und dem oberen Macedo-
nien; je nach der Art ihres Landes mit Schutz- und Trutzwaffen
gerüſtet, durch das in ihrer Heimath übliche Jagen und Wegela-
gern, und die unzähligen kleinen Kriege ihrer Häuptlinge geübt,
waren ſie zum fliegenden Gefecht, zur Deckung des Marſches, zu
alle dem, was in neueren Kriegen Sache der Panduren, Kroaten,
Bergſchotten zu ſein pflegt, von entſchiedenem Nutzen. Am berühm-
teſten ſind die Agrianiſchen Jäger und Macedoniſchen Bogenſchützen
geworden, zuſammen vielleicht ein Corps von zweitauſend Mann 10);
es iſt faſt kein Gefecht, in dem ſie nicht eine wichtige Rolle ſpiel-
ten; mit welcher Hingebung ſie kämpften, beweiſet der Umſtand,
daß in einem Jahre dreimal die Stelle eines Toxarchen neu be-
ſetzt werden mußte; bei Eröffnung des Feldzuges hatte ſie Klearch,
ſo wie Attalus das Kommando über die Agrianer. Die übrigen
leichten Truppen, gewöhnlich mit gemeinſchaftlichem Namen Thra-
cier genannt, ſtanden in der Stärke von fünftauſend Mann 11)
unter des Thraciſchen Fürſten Sitalces Befehl. Es iſt klar, daß
Alexander in dieſen Truppen ein ſtrategiſches Element in Aufnahme
brachte, welches bis dahin ſo gut wie nicht vorhanden geweſen war;
7)
7 *
[100] wenigſtens hatten in den Griechiſchen Heeren vor ihm die leichten
Truppen weder durch ihre Anzahl, noch durch ihre Anwendung
große Bedeutung erlangen, auch einer gewiſſen Geringſchätzung nicht
frei werden können, die bei der Neigung der Griechen zum Kampf
mit blanker Waffe, und noch mehr wegen des Umſtandes, daß ihr
leichtes Fußvolk theils aus der Hefe des Volkes, theils aus Bar-
bariſchen Söldnern beſtand, natürlich war; jetzt traten leichte Trup-
pen auf, deren nationale Eigenthümlichkeit ſich gerade in dieſer
Kampfweiſe bewährte, und deren Stärke und Ruhm in jener Kunſt
heimlicher Ueberfälle, lärmender Angriffe, ſcheinbar verwirrter Rück-
züge beſtand, die Griechiſchen Kriegern zweideutig und zwecklos er-
ſchien. Der berühmte Spartaniſche Feldherr Braſidas ſelbſt ge-
ſtand, daß der Angriff dieſer Völkerſchaften, mit ihrem wildſchallen-
den Feldgeſchrei und dem drohenden Schwenken ihrer Waffen et-
was Schreckendes, ihr willkührliches Ueberſpringen aus Angriff in
Flucht, aus Unordnung in Verfolgung etwas Furchtbares habe, da-
vor nur die ſtrenge Ordnung eines Helleniſchen Kriegshaufens zu
ſichern vermöchte. In der That konnten dieſe Schaaren ihren
Zweck vollkommen erfüllen, weil ſie, von Natur leichte Truppen,
mit den geſchloſſenen Maſſen des Heeres combinirt, zu nichts wei-
ter, als was ihrer Natur entſprach, verwendet zu werden brauchten.


Ein ähnliches Verhältniß war das der leichten Reuterei
im Macedoniſchen Heere; ſie beſtand beſonders aus Odryſern, Thra-
ciern und Päoniern, Völkerſchaften, deren Tüchtigkeit im Reuter-
dienſt ſeit den älteſten Zeiten berühmt geweſen iſt. Sie waren zu-
ſammen, nach Diodors vielleicht zu geringer Angabe, neunhundert
Pferde ſtark; wenn derſelbe angiebt, daß ſie ein Corps unter Kaſ-
ſanders Führung ausgemacht hätten, ſo iſt das ein Irrthum; viel-
mehr ſtanden die Päonier unter Ariſtons, die Odryſiſchen Thracier
unter Agathons, die vier Ilen Thraciſcher Plänkerer oder Sariſſo-
phoren unter Protomachus Führung 12).


[101]

Die Fundamentalſchlachtordnung des Macedoniſchen Heeres
war folgende: das Heer bildete zwei Flügel, von denen der linke
unter Parmenions Anführung ſtand, der rechte unter Alexander in
der Regel den Hauptangriff machte. Das Fußvolk beider Flügel,
vier Diviſionen Phalanx links, und zwei Diviſionen nebſt den
Hypaspiſtencorps rechts, bildeten die Hauptlinie; an dieſe ſchloß
ſich die leichte und ſchwere Reuterei und das leichte Fußvolk an,
und zwar waren auf dem rechten Flügel ſtets die acht Ilen der
Macedoniſchen Ritterſchaft, die Päoniſchen Reuter und Plänkerer,
die Agrianiſchen Jäger und Bogenſchützen; auf dem linken Flügel
ſtets die Theſſaliſche Ritterſchaft nebſt den Griechiſchen Reutern,
die Odryſiſchen Thracier des Agathon, endlich die Maſſe des leich-
ten Fußvolkes, die oft aus der Schlachtlinie zur Deckung des La-
gers und der Bagage ausgeſondert wurde. Zur Entwickelung der
ganzen Schlachtlinie war bei der gedrängteſten Aufſtellung, wenn
die Phalanx verſchildet und ſechszehn Mann tief, die Reuterei acht
Pferde tief ſtand, wenigſtens eine Ebene von einer halben Meile
Breite erforderlich; in der Regel aber bildete die Phalanx allein
eine Linie von faſt fünftauſend Schritten. —


So die Armee, mit der Alexander das Morgenland zu erobern
gedachte; verhältnißmäßig gering der Zahl nach hatte ſie in ihrer
organiſchen Geſtaltung, in der trefflichen Kriegsübung der einzelnen
Corps, in der moraliſchen Kraft Aller, endlich in der Perſönlichkeit
des Königs und der Generale alle Ausſicht auf glücklichen Erfolg;
das Perſerreich war nicht dazu angethan, Widerſtand zu leiſten; in
ſeiner Ausdehnung, in dem Verhältniß der beherrſchten Völker, in
dem mangelhaften Charaker der Verwaltung und der Heeresmacht
lag die Nothwendigkeit ſeines Falles.


Betrachtet man den Zuſtand des Perſerreiches, wie er zu der
Zeit war, als Darius Kodomannus den Thron beſtieg, ſo erkennt
man leicht, wie alles in Auflöſung und zum Untergange reif war.
Der Grund war nicht die Sittenverderbniß des Hofes, des herr-
ſchenden Stammes, der beherrſchten Völker; ſtete Begleiterin des
Despotismus, thut ſie niemals der despotiſchen Gewalt Abbruch,
und das größeſte Reich der neueren Zeit giebt den Beweis, wie
mitten unter der ſcheußlichſten Liederlichkeit des Hofes, unter ſteten
Kabalen und Schändlichkeiten der Großen, unter gewaltſamem Thron-
[102] wechſel und unnatürlicher Grauſamkeit gegen die eben noch all-
mächtige Parthei der Despotismus immer weitere und weitere
Grenzen gewinnt. Perſiens Unglück war eine Reihe ſchwacher Re-
genten geweſen, welche die Zügel der Herrſchaft nicht ſo feſt anzu-
ziehen vermocht hatten, wie es zum Beſtehen des Reiches nöthig
war; daraus folgte, daß in den Völkern die ſclaviſche Furcht, in
den Satrapen der blinde Gehorſam, im Reiche die einzige Einheit
ſchwand, die es zuſammenhielt; ſo nahm in den Völkern, die überall
noch ihre alte Religion, ihre Geſetze und Sitten, und zum Theil
einheimiſche Fürſten hatten, das Verlangen nach Selbſtſtändig-
keit, in den Satrapen, zu mächtigen Statthaltern großer und ent-
fernter Länderſtrecken, die Begier nach unabhängiger Macht, in
dem herrſchenden Volke, das im Beſitz und der Gewohnheit der
Gewalt die Bedingungen ihrer Gründung und ihrer Dauer vergeſſen
hatte, die Gleichgültigkeit gegen den Großkönig und gegen das
Geſchlecht der Achämeniden überhand. In den hundert Jahren
faſt gänzlicher Unthätigkeit, welche auf Xerxes Kriegszug nach Eu-
ropa gefolgt waren, hatte ſich in dem Griechiſchen Lande eine eigen-
thümliche Kriegskunſt entwickelt, mit der ſich Aſien zu meſſen ver-
lernt hatte; Griechiſche Waffe erſchien mächtiger als die ungeheueren
Völkerheere Perſiens, ihr vertrauten ſich die Satrapen, wenn ſie
ſich empörten, ihr der König Ochus, als er den Aufſtand in Aegyp-
ten zu unterdrücken auszog; ſo daß das Königthum, auf die Siege
der Perſiſchen Waffen gegründet, ſich durch Griechiſche Söldner zu
ſchützen genöthigt war.


Allerdings hatte Ochus noch einmal die Einheit des Reiches
äußerlich hergeſtellt, und mit der fanatiſchen Strenge, die den Des-
poten gebührt, ſeine Macht geltend zu machen gewußt; aber es
war zu ſpät; er ſelbſt verſank in Unthätigkeit und Schwäche, die
Satrapen behielten ihre allzumächtige Stellung, und die Völker,
namentlich der weſtlichen Satrapien, vergaßen unter dem erneuten
Druck nicht, daß ſie ſchon nahe daran geweſen, ihn abzuthun.
Nach neuen und furchtbaren Verwirrungen war endlich der Thron
an Darius gekommen; er hätte ſtatt tugendhaft energiſch, ſtatt
ſanftmüthig grauſam, ſtatt ehrwürdig Despot ſein müſſen, wenn
das Reich durch ihn ſollte gerettet werden; er hatte die Achtung
der Perſer, und alle Satrapen waren ihm ergeben, aber das rettete
[103] nicht; er wurde geliebt, nicht gefürchtet, und bald ſollte ſich zeigen,
wie den Großen des Reiches ihr eigener Vortheil höher galt, als
die Gunſt und die Vertheidigung eines Herrn, an dem ſie Alles,
nur nicht Herrſchergröße bewunderten.


Darius Reich erſtreckte ſich vom Indus bis zum Helleniſchen
Meere, vom Jaxartes bis zur Libyſchen Wüſte. Seine oder viel-
mehr ſeiner Satrapen Herrſchaft war nicht nach dem Charakter der
verſchiedenen Völker, über die ſie herrſchten, verſchieden; ſie war
nirgends volksthümlich, nirgends durch eine von ihr ausgehende Or-
ganiſation geſichert, ſie beſchränkte ſich auf momentane Willkühr,
auf ſtete Erpreſſungen, und auf eine Art Erblichkeit, wie ſie, ganz
gegen den Sinn einer despotiſchen Herrſchaft, unter den ſchwachen
Fürſten üblich geworden war, ſo daß der Großkönig kaum noch
eine andere Gewalt über ſie hatte, als die der Waffen oder die,
welche ſie aus perſönlichen Rückſichten anerkennen mochten. Die
volksthümlichen Zuſtände, welche in allen Ländern des Perſiſchen
Reiches fortbeſtanden, machten den morſchen Koloß nur noch unfä-
higer, ſich zur Gegenwehr zu erheben; die Völker von Iran, Tu-
ran und Ariana waren allerdings kriegeriſch, und mit jeder Art
von Herrſchaft glücklich, ſo lange ſie dieſe zu Krieg und Plünderung
führte, und Hyrkaniſche, Baktriſche, Sogdianiſche Reuter bildeten
die ſtehenden Satrapenheere in den meiſten Provinzen; aber beſon-
dere Anhänglichkeit für das Perſiſche Königthum war keinesweges
bei ihnen zu finden, und ſo furchtbar ſie einſt in den Völkerheeren
des Cyrus und Cambyſes zum Angriff geweſen waren, eben ſo un-
fähig waren ſie zur ernſten und gehaltenen Vertheidigung, zumal
wenn ſie Griechiſche Kriegskunſt und Tapferkeit gegenüber hatten.
Die weſtlichen Völker gar, ſtets nur durch Gewalt und oft mit
Mühe in Unterwürfigkeit gehalten, waren, wenn ein ſiegreicher
Feind ihren Grenzen nahete, gewiß bereit, die Perſiſche Sache zu
verlaſſen; kaum waren die Griechen der Kleinaſiatiſchen Küſte durch
Tyrannen, deren Exiſtenz von der Macht der Satrapen und des
Reiches abhing, in Abhängigkeit zu erhalten, und die Völker im
Inneren der Halbinſel hatten, ſeit zwei Jahrhunderten im härteſten
Druck, weder die Kraft noch das Intereſſe, ſich für Perſien zu er-
heben; ſelbſt an den früheren Empörungen der Kleinaſiatiſchen Sa-
trapien hatten ſie nicht Theil genommen, ſie waren ſtumpf, träge
[104] und ohne Erinnerung ihrer Vergangenheit. Daſſelbe galt von den
beiden Syrien diesſeits und jenſeits der Waſſer; die Knechtſchaft
langer Jahrhunderte hatte die Völker zur tiefſten Erſchlaffung hin-
abgedrückt, und mit widerlicher Gleichgültigkeit ließen ſie über ſich
ergehen, was auch kommen mochte; nur an der Küſte Phöniciens
war das alte bewegliche Leben, mit ihm mehr Gefahr, als Treue
für Perſien, und nur die Eiferſucht gegen Sidon und der eigene
Vortheil vermochte Tyrus den Perſern treu zu erhalten; Aegypten
endlich hatte niemals ſeinen Haß gegen die Fremdlinge aufgegeben
oder verleugnet, und die Verwüſtungen des Ochus konnten es wohl
lähmen, aber nicht gewinnen. Alle dieſe Länder, von dem Per-
ſiſchen Reiche zum eigenen Verderben erobert, waren bei einem
Angriffe von Weſten her ſchon ſo gut wie verloren.


Deshalb hatte die Perſiſche Politik, die mit der wachſenden
Schwäche des Reiches immer eifriger und intriguanter geworden
war, keine höhere Sorge, als die Eiferſucht der Griechiſchen Staa-
ten zu nähren, die Mächtigen zu ſchwächen, die Schwachen aufzu-
reizen und zu unterſtützen, und durch ein ausgebildetes Syſtem von
Beſtechungen und Verfeindungen eine Geſammtthätigkeit, wie ſie
von den Edlen des Volkes laut gefordert wurde, und der Perſien
nicht Widerſtand zu leiſten vermocht hätte, zu hintertreiben. Lange
war dies gelungen, bis endlich das Macedoniſche Königthum, ſchnell
und ſicher vorwärts ſchreitend, alle dieſe Bemühungen zu Schanden
zu machen drohte; umſonſt hatte Perſiſches Gold dem Könige Phi-
lipp wirkſamen Widerſtand zu erwecken verſucht; er ſiegte bei Chä-
ronea, er ward in Korinth zum Feldherrn gegen Aſien ernannt; die
Rüſtungen wurden begonnen, mit dem Frühjahre 336 ſetzte ein
Macedoniſches Heer von etwa zehntauſend Mann unter Attalus
und Parmenion nach Aſien über, und drang ſiegreich vor; es war
am Tage, daß die größere Gefahr nahe ſei. Der König Darius
hatte eben jetzt den Thron beſtiegen; dem Rhodier Memnon, dem
Bruder des kürzlich verſtorbenen Mentor, dem Freunde und Ver-
wandten des treuen Artabazus, wurde der Befehl, ſchleunigſt den
Macedoniern entgegenzuziehen und die Grenzen des Reiches zu
ſchützen. Dieſer ausgezeichnete Feldherr zog in der Eile viertauſend
Griechiſche Söldner zuſammen und rückte mit dieſen gegen Mag-
neſia, bis wohin Attalus bereits vorgedrungen war; es gelang ihm,
[105] durch geſchickte Manöver dem Feinde vielfachen Verluſt beizubrin-
gen, und durch eine ſtark verſchanzte Poſition in der Nähe der
Stadt den Attalus, welcher das Kommando weniger ſeinem Feld-
herrntalente, als der Verſchwägerung mit König Philipp verdanken
mochte, am weiteren Vordringen zu hindern 13). Indeß war leicht
zu ſehen, daß auf dieſe Weiſe wohl ein einzelnes Corps, nicht aber
das Macedoniſch-Griechiſche Heer, deſſen Avantgarde es war, und
welches bereits ſich zum Uebergange nach Aſien rüſtete, aufzuhalten
ſei; eben ſo wenig konnte bis zu deſſen Ankunft ein Perſiſches
Reichsheer aufgeboten, zuſammengezogen und nach Kleinaſien geſandt
ſein; es ſchien am leichteſten und gerathenſten, die Gefahr in ihrer
Wurzel zu ertödten. So wurden Verbindungen am Macedoniſchen
Hofe angeknüpft, die Parthei der Lynkeſtier durch Ausſicht auf
den Thron gewonnen, König Philipp ermordet; das gefürchtete Un-
ternehmen ſchien mit einem Schlage vereitelt, die Unruhen, die
in Theſſalien, Griechenland, Thracien, Illyrien ausbrachen, ließen
die letzte Beſorgniß verſchwinden; und als nun gar Attalus an der
Spitze ſeines Heeres, und gewiß im Einverſtändniß mit Perſien,
ſich gegen Alexanders Thronbeſteigung erklärte, da ſchienen die Per-
ſiſchen Intriguen noch einmal den vollſtändigſten Sieg über Mace-
donien davon getragen zu haben. Indeß hatte Alexander bald die
Angelegenheiten Macedoniens geordnet, Griechenland beruhigt, Atta-
lus war als Hochverräther angeklagt und hingerichtet, die Truppen
ſchnell zur Treue zurückgekehrt, die Feindſeligkeiten auf der Aſtati-
ſchen Küſte von Neuem begonnen; Parmenion mit dem einen Theile
des Heeres ſuchte ſich von Grynion aus (denn die Stellung von
Magneſia ſcheint Attalus aufgegeben und ſich von dort gegen den
Hellespont zurückgezogen zu haben) der Aeoliſchen Küſtenſtädte zu
bemächtigen, Kalas aber, des Harpalus Sohn, ſich an der Spitze der
übrigen Truppen in der Landſchaft Troas feſtzuſetzen. Der Eifer,
mit dem dieſe Unternehmungen betrieben wurden, und die erneuten
Verpflichtungen der Helleniſchen Staaten zum Perſerkriege, zeigten,
daß man ſich Perſiſcher Seits in der Hoffnung auf Frieden ge-
täuſcht habe; die Abweſenheit Alexanders in Thracien und Illyrien
wurde benutzt, um neue Empörungen in Griechenland zu erregen;
[106] und Memnon erhielt zum zweiten Male Befehl, gegen die Macedo-
nier auf der Küſte zu kämpfen. An der Spitze von fünftauſend
Griechiſchen Söldnern eilte er aus ſeinen Beſitzungen am Skaman-
der 14) über das Idagebirge nach Cyzikus, dem wichtigſten Hafen-
platz an der Propontis, von wo aus die Küſte bis zum Hellespont
beherrſcht wurde; faſt wäre es ihm gelungen, ſich der Stadt, deren
Thore, da man Kalas Heer zu ſehen glaubte, nicht geſchloſſen wa-
ren, zu bemächtigen; da das mislang, verwüſtete er das Gebiet der
Stadt 15) und eilte gen Aeolis, wo Parmenion ſchon Pitane be-
lagerte; Memnons Erſcheinen entſetzte die Stadt. Dann brach er
ſchnell nach Troas auf, wo Kalas bereits bedeutend vorgedrungen
war; die Stadt Lampſakus, ganz der Perſiſchen Sache ergeben,
gab ſeinen Bewegungen einen trefflichen Stützpunkt 15b); an
Truppen überlegen, ſiegte er in einem Gefechte, und Kalas war
gezwungen, ſich an den Hellespont zurückzuziehen und ſich auf die
feſte Stellung von Rhötion zu beſchränken 16). Es iſt auffallend,
daß Memnon hier ſeine Bewegungen einſtellte, bevor er die Mace-
donier ganz aus Aſien verdrängt hatte, daß er ſie auf einer Küſte,
die ihnen bei der überlegenen Seemacht Perſiens leicht geſperrt
werden konnte, im Beſitz zweier ſo wichtigen Poſitionen ließ, von
denen die eine den Hellespont und den Uebergang nach Aſien be-
herrſchte, die andere nicht nur der Macedoniſchen Seemacht in der
Cumäiſchen Bucht eine treffliche Rhede bot, ſondern auch mitten
unter den Aeoliſchen Stämmen und dem befreundeten Mitylene nah
auf die erſten Erfolge eines Krieges entſcheidenden Einfluß ausüben
konnte. Einem Feldherrn, wie Memnon war, konnten dieſe Uebel-
ſtände nicht entgehen; die Satrapen warfen ihm ſpäterhin vor,
daß er, um ſich unentbehrlich zu machen, den Krieg zu verlängern
ſuche; entweder das, oder die Eiferſucht der Satrapen nahm ihm
die Mittel, jene Fehler zu verbeſſern.


Der Gang, welchen die Verhältniſſe in Hellas zu Gunſten
Alexanders genommen hatten, die Rüſtungen, welche während des
[107] Winters 335 in Macedonien gemacht worden waren, ließen keinen
Zweifel mehr obwalten, daß der gefürchtete Heereszug des Mace-
doniſchen Königs mit dem nächſten Frühling begonnen werde.
Deshalb erhielten die Satrapen Vorderaſiens Befehl, mit ihren
Heeren in die Gegend des Hellesponts vorzurücken und dem Ma-
cedonier an der Schwelle Aſiens die Spitze zu bieten, während zu-
gleich die Phöniciſche und Cypriſche Flotte aufgeboten wurde, nach
den Helleniſchen Gewäſſern zu eilen. Demnach verſammelten ſich
die Heere der Satrapen, gegen zwanzigtauſend Mann Perſiſche,
Mediſche, Baktriſche, Hyrkaniſche Reuter in der Ebene von Zeleia
am Aeſopus; eben ſo viel 17) Griechiſche Schwerbewaffnete, theils
Söldner, theils Kleinaſiatiſche Griechen wurden zuſammengezogen,
und auf dieſe Weiſe ein Heer zuſammengebracht, das, wie es der
Erfolg zeigte, tapfer und groß genug war, um, gut geführt, den
Feinden Widerſtand zu leiſten; aber der Großkönig hatte Nieman-
den den Oberbefehl übertragen, ſondern die gemeinſchaftliche Bera-
thung der Anführer ſollte über den Gang der Unternehmungen ent-
ſcheiden; es waren namentlich Arſites, Satrap von Phrygien am
Pontus, der zunächſt bedrohten Landſchaft, Spithridates, Satrap von
Lydien und Jonien, Atizyes, Satrap von Großphrygien, Arſames,
Satrap von Cilicien, Mithrobarzanes, Hyparch von Kappadocien,
der Perſer Omares und der Rhodier Memnon, die Führer des
Griechiſchen Fußvolks, und mehrere Perſiſche Große 18). Unfehl-
bar war unter dieſen Memnon der bewährteſte, wenn nicht der
einzige Feldherr; doch als Grieche und Liebling des Königs verhaßt,
hatte er im Kriegsrathe weniger Einfluß, als für die Perſiſche
Sache zu wünſchen geweſen wäre.


Während dieſer Rüſtungen in Kleinaſien war Alexander mit den
ſeinigen ſo weit gediehen, daß er jetzt, mit Anbruch des Frühlings
334, den Zug gegen das Morgenland beginnen konnte. Nach vie-
len und großen Feſtlichkeiten, namentlich der Feier der Olympien
[108] zu Aegä 19), die mit dem verſammelten Heere auf das feierlichſte
begangen wurden, zog die Armee auf der großen Heerſtraße 20)
über Amphipolis am Strymon hin, über den Neſſusfluß zum Cher-
ſones nach Seſtos, wo ſie am zwanzigſten Tage ankam; hier nahm
Alexander von ſeiner Mutter und von der Heimath Abſchied; ſchon war
die Macedoniſche Flotte in den Hellespont eingelaufen, um das Heer
nach Aſien hinüberzuſetzen, das ſich auf der Küſte des Meerarmes aus-
breitete; Alexander ſelbſt ging nach Eläus, den Troiſchen Geſtaden ge-
genüber, auf dem Grabhügel des Proteſilaus, des erſten Helden, der
im Kriege gegen Troja gefallen war, zu opfern, damit ihm glückli-
cher als jenem der Zug gen Oſten würde. Dann wurde das Heer
eingeſchifft; zweihundert Trieren und viele Laſtſchiffe kreuzten in
dieſen Tagen zwiſchen den ſchönen, in aller Frühlingspracht grünen-
den Geſtaden des Hellesponts, den einſt Xerxes gejocht und gegeißelt;
Alexander, ſelbſt am Steuer ſeines königlichen Schiffes, lenkte vom
Grabe des Proteſilaus aus nach der Bucht hinüber, die ſeit den
Zeiten Achills und Agamemnons der Hafen der Achäer hieß, und
an der die Grabhügel des Aias, des Achilles und Patroklus em-
porragten. Auf der Höhe des Hellesponts opferte der König und
ſpendete für Poſeidon und die Nereiden aus goldener Schaale.
Dann nahete man dem Geſtade; Alexanders Triere war die erſte
am Ufer; vom hohen Bord des Vorderſchiffes ſchleuderte der Kö-
nig ſeine Lanze in das Land der Feinde, und ſprang dann, der
erſte von Allen, in voller Rüſtung an den Strand. Altäre, gebot
er, ſollten fortan die Stelle bezeichnen, wo Aſiens Boden zuerſt
von dem Fuße ſeines Ueberwinders betreten worden. Dann zog er
mit ſeinen Generalen und dem Geleit der Hypaspiſten 21) nach
den Ruinen Ilions, opferte im Tempel der Troiſchen Pallas,
weihte ihr ſeine Waffen, und nahm ſtatt deren von den heiligen
Waffen aus der Zeit des Troiſchen Krieges. Auch am Altare des
[109] heerdſchirmenden Zeus opferte er dem Schatten des Priamus, um
deſſen Zorn gegen Achills Geſchlecht zu verſöhnen, da Achilles Sohn
den greiſen König am heiligen Heerde erſchlagen hatte. Vor al-
lem aber ehrte er das Andenken ſeines großen Ahnen Achilles, er
kränzte und ſalbte des Helden Grab, das Grab des Patroklus ſein
treuer Freund Hephäſtion; dann wurden Wettkämpfe und Spiele
dem Helden gefeiert, den Alexander bald um nichts, als den Herold
ſeiner Thaten beneiden ſollte. Endlich gebot er Troja wieder her-
zuſtellen, gab den Bürgern der neuen Stadt Freiheit und Immu-
nität, und verſprach ihrer noch weiter zu gedenken 22).


Nach dieſen Feſtlichkeiten zog der König nach der Ebene von
Arisbe, wo das übrige Heer, das unter Parmenions Führung 23)
bei Abydos gelandet war, ein Lager bezogen hatte. Unverzüglich
brach man auf, um den Feinden zu begegnen, von denen man
wußte, daß ſie etwa zwanzig Meilen oſtwärts um Zeleia verſam-
melt waren. Der Marſch ging über Perkote nach Lampſakus;
dieſe Stadt hatte ſich bisher entſchieden für das Perſiſche Intereſſe
ausgeſprochen, und durch ihr Benehmen gegen Memnon und ſeine
Söldner Alexanders gerechten Unwillen auf ſich geladen; jetzt wußten
die Bürger keine andere Rettung, als durch eine Geſandtſchaft des
Königs Gnade zu erflehen; an ihrer Spitze ſtand Anaximenes, der
als wiſſenſchaftlicher Mann berühmt, und bei König Philipp frü-
her gern geſehen war; auf ſeine Fürbitte verzieh Alexander der
Stadt 24).


Von Lampſakus aus rückte das Heer unweit der Küſte weiter,
[110] indem der Lynkeſtier Amyntas, der durch längeren Aufenthalt in
dieſer Gegend bekannt war, mit fünf Geſchwadern Reuterei vor-
ausgeſandt, die Gegend recognoscirte; es ergab ſich die Stadt
Priapus an der Propontis; durch ihren Hafen eine wichtige Po-
ſition für das Weiterrücken des Heeres, wurde ſie mit einer Ma-
cedoniſchen Beſatzung verſehen. Gerade jetzt war dieſe Stadt, die
den Lauf des Granikus und die von demſelben durchſtrömte Ebene
Adraſtea beherrſcht, von doppelter Wichtigkeit, da nach den Berichten
des Amyntas das Perſiſche Heer an die Ufer des Granikus vorge-
rückt war, und demnach Alles den entſcheidenden Schlag, nach dem
Alexander und ſein Heer ſo ſehr verlangte, herbeizuführen ſich
vereinte.


Je wichtiger für Alexander ein möglichſt baldiges Zuſammen-
treffen mit dem Feinde ſein mußte, deſto mehr hätten es die Per-
ſiſchen Feldherrn vermeiden ſollen. Memnon ſah das ſehr wohl
ein, er hatte im Kriegsrathe zu Zeleia auf das lebhafteſte wider-
rathen, einen Kampf zu beginnen, der kaum einen Sieg, und wenn
man ſiegte, kaum einen Vortheil hoffen ließe: die Macedonier ſeien
an Fußvolk den Perſern weit überlegen und doppelt gefährlich, da
ſie unter Führung ihres Königs kämpfen würden, während Darius
dem Perſiſchen Heere fehle; ſelbſt angenommen, daß die Perſer
ſiegten, ſo würde den Macedoniern der Rücken gedeckt und ihr Ver-
luſt nur der eines vergeblichen Angriffes ſein; die Perſer dagegen
verlören durch eine Niederlage das Land, das ſie zu vertheidigen
hätten; das einzig Erſprießliche ſei, jedes entſcheidende Gefecht zu
vermeiden; Alexander ſei nur auf kurze Zeit mit Lebensmitteln ver-
ſehen, man müſſe ſich langſam zurückziehen, eine Einöde hinter ſich laſ-
ſen, in der die Feinde keinen Unterhalt, kein Vieh, kein Obdach fän-
den, dann werde Alexander ohne Schlacht beſiegt ſein, durch kleinen
Schaden dem größeren und unberechenbaren vorgebeugt werden.
So Memnons Meinung; aber ſie fand im Rathe der Perſiſchen
Feldherren kein Gehör, man hielt ſie der Hoheit Perſiens nicht
würdig; namentlich widerſprach Arſites, der als Satrap von Phry-
gien am Pontus durch jene Maaßregel allein verloren hätte: auch
nicht ein Haus werde er anzünden laſſen; er verlange, daß man
kämpfe, des großen Königs Heere würden zu ſiegen wiſſen. Die
übrigen Perſer ſtimmten eben ſo ſehr aus Kampfluſt, als aus Ab-
[111] neigung gegen den Griechiſchen Fremdling, der ſchon zu viel beim
großen Könige gelte, und den Krieg nur, um ſeine Unentbehrlichkeit
zu zeigen, verlängern zu wollen ſchiene, wider ſeinen Plan; ſo rück-
ten ſie den Macedoniern bis an den Granikus entgegen, und be-
ſchloſſen, an den ſteilen Ufern dieſes Fluſſes gelagert, jedes Wei-
terrücken Alexanders zu hindern; ſie hatten ſich an dem rech-
ten Ufer ſo aufgeſtellt, daß unmittelbar am Fluſſe die Perſiſche
Reuterei, in einiger Entfernung hinter ihr die Griechiſchen Söldner
lagerten.


Indeß rückte Alexander über die Ebene Adraſtea dem Grani-
kus zu, das ſchwere Fußvolk in die zwei Colonnen des rechten und
linken Flügels getheilt, auf der rechten Flanke die Macedoniſche,
auf der linken die Theſſaliſche und Griechiſche Reuterei; die Pack-
thiere mit dem größeren Theil des leichten Fußvolkes folgten im
Rücken; die Vorhut bildeten die Plänkerer und etwa fünfhundert
Mann leichtes Fußvolk unter Hegelochus Führung. Schon näherte
ſich die Hauptmaſſe dem Fluſſe, als eilends einige von den Plänke-
rern zurückgeſprengt kamen, mit der Nachricht, die Feinde ſtänden
jenſeits des Fluſſes in Schlachtordnung, und zwar die Reuter in
ausgedehnter Linie längs dem ſteilen und lehmigen Flußufer, eine
Strecke rückwärts das Fußvolk auf den Anhöhen, welche die Ebene
jenſeits beherrſchten. Alexander durchſchaute die Fehler der feindli-
chen Dispoſition, welche die Waffe des ungeſtümen Angriffs zur
Vertheidigung eines ſchwierigen Terrains, und die trefflichen Grie-
chiſchen Söldner zu müßigen Zuſchauern eines Kampfes machte,
dem nur ſie gewachſen waren; ein Angriff ſeiner ritterlichen Schaa-
ren mußte hinreichen, das jenſeitige Ufer und damit die Schlacht
zu gewinnen, deren Erfolge zu ſichern und zu benutzen ihm ſeine
Phalangen und Bundesgenoſſen zu Gebot ſtanden. Sofort ließ er
rechts und links aufrücken in die Dispoſition der üblichen Schlacht-
ordnung, während ſich ſeine Generale um ihn zur Berathung
verſammelten. Einige widerriethen den Kampf, namentlich der
vorſichtige Parmenion: es ſei rathſam, ſich vorerſt an dem Ufer des
Fluſſes zu lagern, denn der Feind, an Fußvolk ſchwächer, werde
nicht wagen, in der Nähe der Macedonier zu übernachten, er werde
ſich zurückziehen und es ſo möglich machen, daß man am andern
Morgen, bevor die Perſer ausgerückt und aufgeſtellt ſeien, den
[112] Uebergang ohne Gefahr bewerkſtellige; jetzt dagegen ſcheine ein
Uebergang nicht ohne Gefahr, der Tag neige ſich, der Fluß ſei an
manchen Stellen tief und reißend, das Ufer jenſeits ſteil, man
könne nicht in Linie paſſiren, man müſſe colonnenweiſe durch den
Fluß ſetzen; die feindliche Reuterei werde ſie in die Flanke nehmen
und niederhauen, ehe ſie zum Fechten kämen; der erſte Unfall aber
ſei nicht bloß für den Augenblick empfindlich, ſondern für die Ent-
ſcheidung des ganzen Krieges höchſt bedenklich 25). Darauf ant-
wortete Alexander: „Wohl erkenne ich das, o Parmenion, aber ich
würde mich ſchämen, wenn ich den Hellespont leicht überſchritten
hätte, und dies kleine Waſſer uns abhalten ſollte überzuſetzen, wie
wir ſind; auch würde das weder mit dem Ruhme der Macedonier,
noch mit meinem Sinn, der Gefahr gegenüber, ſtimmen; die Per-
ſer, glaube ich, würden Muth faſſen, als könnten ſie ſich mit Ma-
cedoniern meſſen, weil ſie nicht ſofort erführen, was ſie fürch-
ten!“ Mit dieſen Worten entſandte er Parmenion an den linken
Flügel, während er ſelbſt zu den Geſchwadern des rechten hinab-
ſprengte.


An dem Glanze ſeiner Waffen und an der weißen Feder ſei-
nes Helmes, an der tiefen Ehrfurcht der um ihn beſchäftigten Um-
gebung, ſahen die Perſer jenſeits, daß Alexander ihrem linken Flü-
gel gegenüber ſtand, und daß von dorther der Hauptangriff zu er-
warten ſei; ſie eilten den Kern ihrer Reuterei in dichten Reihen
ihm gegenüber an das Ufer zu ſtellen; dort war Memnon mit
ſeinen Söhnen und der Ciliciſche Satrap Arſames mit der Perſi-
ſchen Reuterei; dann folgte in der Schlachtlinie der Phrygiſche Sa-
trap Arſites und der Lydiſche Spithridates, dann die weiteren Reu-
terhaufen des Centrums und die des rechten Flügels unter Rheo-
mithres. Eine Zeitlang ſtanden beide Heere ſchweigend einander
gegenüber, voll banger Erwartung der nächſten Zukunft. Dann
ſchwang
[113] ſchwang ſich Alexander auf ſein Schlachtroß, rief ſeinen Macedo-
niern zu, ihm zu folgen und als Männer zu kämpfen, und gab
das Zeichen zum Vorrücken. Voran die Edelſchaar des Sokrates,
die Päonier und Plänkerer, und eine Abtheilung der Hypaspiſten,
unter Amyntas und Ptolemäus. Etwas ſpäter ging Alexander an der
Spitze des rechten Flügels, unter dem Schall der Trompeten und
des Schlachtgeſanges gegen den Fluß; er wollte, während Ptole-
mäus durch ſeinen Angriff den äußerſten linken Flügel beſchäftigte,
mit den Macedoniſchen Geſchwadern des rechten Flügels halb links
aufrückend, rechts an Ptolemäus, links an die nachrückende Phalanx
gelehnt, auf das Centrum der Feinde einbrechen und daſſelbe ſpren-
gen. Parmenion ſelbſt ſollte den rechten Flügel der Feinde in Un-
thätigkeit halten, während ſeine Fronte ſich gleichfalls allmählig
dem Fluſſe zu in ſchräger Linie in Bewegung ſetzte 26).


Sobald ſich nun Sokrates und Amyntas dem rechten Ufer
des Fluſſes naheten, begann das Gefecht; die Perſer widerſetzten
ſich mit aller Macht ihrem Hinaufdringen, indem ſie theils vom
hohen Ufer herab ihre Wurflanzen ſchleuderten, theils unmittelbar
an das Waſſer aufrückten und die heraufkämpfenden Macedonier
zurückdrängten; dieſe, durch den ſchlüpfrigen Lehm am Ufer noch
mehr behindert, mußten trotz des tapferſten Kampfes und nachdem
viele niedergehauen waren, ſich auf Alexander zurückziehen. Denn
ſchon war der König mit ſeinen Macedoniſchen Rittern im Strome,
er ſtürmte ſchon gegen die Stelle des Ufers an, wo die dichteſte
Maſſe der Feinde und die Heerführer zuſammen waren. Sofort
begann der heftigſte Kampf um die Perſon des Königs, während
deſſen eine Abtheilung nach der anderen das linke Ufer erreichte und
ſich zum Durchwaten und zum Angriffe formirte. Es begann eine
Reuterſchlacht, die in ihrer Hartnäckigkeit, Stätigkeit und der Wuth
des Handgemenges eher einem Kampfe des Fußvolkes glich; Roß
an Roß, Mann an Mann gedrängt, kämpften die Macedonier mit
ihren Speeren, die Perſer mit ihren leichteren Wurflanzen und bald
mit ihren krummen Säbeln, jene, um die Perſer vom Ufer zurück
8
[114] auf das Blachfeld zu werfen, dieſe, um die Macedonier nicht auf
das Land zu laſſen oder ſie in den Strom zurückzuſtoßen. Alexan-
ders weißen Helmbuſch ſah man im dichteſten Getümmel; in der
Wuth des Gefechtes zerſplitterte ſein Speer, er rief ſeinem Stall-
meiſter zu, ihm einen anderen zu reichen; auch dem war ſein Speer
zerbrochen, ſo kämpfte der König mit dem umgekehrten Stumpf,
und machte ſich freie Bahn. Aber kaum hatte ihm der Korinthier
Demaratus ſeinen eigenen Speer gereicht, ſo ſprengte auch ſchon
ein neuer Schwarm erleſener Perſiſcher Reuter auf ihn los, der
wilde Mithridates, ihr Führer, jagte weit voraus und auf Alexander
zu, ſein Wurfſpieß verwundete des Königs Schulter; ein Speerſtoß
Alexanders ſtreckte den Perſiſchen Fürſten todt zu Boden; laut auf
ſchrieen beide Heere. In demſelben Augenblick jagte des Gefallenen
Bruder, Rhöſaces, auf Alexander los, und zerſchmetterte mit einem
Hiebe deſſen Helm, ſo daß der Säbel noch die Stirnhaut ritzte;
Alexander bohrte ihm den Speer durch den Harniſch bis tief in
die Bruſt, und Rhöſaces ſtürzte rücklings vom Pferde. Zugleich
war der Lydiſche Satrap Spithridates an Alexander hinangeſprengt,
ſchon hatte er über des Königs Nacken, ohne daß dieſer es merkte,
ſeinen Säbel zum tödtlichen Schlage erhoben, da kam ihm der
ſchwarze Klitus zuvor, mit einem Hiebe trennte er des Barbaren
Arm vom Rumpfe und gab ihm den Todesſtoß. Immer wilder
wurde der Kampf, die Perſer fochten mit ungeheuerer Tapferkeit,
den Tod ihrer Fürſten zu rächen, während von den Macedoniern
immer neue Schaaren über den Fluß ſetzten, eindrangen, nieder-
metzelten; umſonſt ſuchten die Feldherren Niphates, Petines und
Mithrobuzanes zu widerſtehen, umſonſt Pharnaces, des Darius
Schwager, und Arbupales, der Enkel des Artaxerxes, die ſich ſchon
löſenden Maſſen zu halten; bald lagen ſie erſchlagen auf dem Felde;
das Centrum der Perſer war völlig durchbrochen, die Flucht wurde
allgemein; etwa tauſend, nach Anderen zweitauſendfünfhundert Per-
ſer waren geblieben, die übrigen flohen weit zerſprengt vom Schlacht-
felde 27). Alexander verfolgte ſie nicht weit, da noch die ganze
[115] Maſſe des feindlichen Fußvolkes unter Omares auf den Höhen
ſtand, entſchloſſen den Ruhm Griechiſcher Söldner gegen die Ma-
cedoniſchen Waffen zu bewähren. Es war das einzige, was ihnen
übrig blieb; müßige Zuſchauer eines blutigen Kampfes, den ihre
Mitwirkung gewonnen haben würde, ohne beſtimmte Befehle für
den Fall, den der Stolz der Perſiſchen Fürſten unmöglich geglaubt
hatte, blieben ſie von Erſtaunen und Rathloſigkeit gefeſſelt auf
ihren Höhen, die wenigſtens einen ehrenvollen Rückzug zu ſichern
vermocht hätten. Die blinde Flucht der Reuterſchaaren hatte ſie
Preis gegeben; auf ſich beſchränkt, erwarteten ſie den Angriff des
ſiegreichen Heeres und den eigenen Untergang, den ſie ſo theuer
als möglich zu machen bereit waren. Alexander rückte mit der
Phalanx auf ſie ein, und ließ zugleich von allen Seiten ſeine Reu-
ter angreifen; nach kurzem, aber ſehr hartnäckigem Kampfe, in wel-
chem dem Könige ein Pferd unter dem Leibe erſtochen wurde, wa-
ren die Söldner, von allen Seiten zugleich angegriffen, bald bewäl-
tigt; es entkam niemand, außer wer ſich etwa unter den Leichen
verborgen hatte; zweitauſend von dieſen Söldnern wurden gefangen
genommen. Alexanders Verluſt war verhältnißmäßig gering: beim
erſten Angriff waren fünfundzwanzig Mann von der Macedoniſchen
Ritterſchaft geblieben, außerdem etwa ſechszig Mann von der Reu-
terei und dreißig vom Fußvolke gefallen. Am folgenden Tage wur-
den ſie in ihrer Waffenrüſtung und mit allen militäriſchen Ehren
begraben, ihren Aeltern und Kindern daheim alle Steuern erlaſſen.
Für die Verwundeten trug Alexander perſönlich die größte Sorg-
falt, er ging zu ihnen, beſah ihre Wunden, fragte, wie ſie ſie em-
pfangen, und hörte eines Jeden Erzählung theilnehmend an. Die
Perſiſchen Heerführer ließ er beerdigen, ſo wie auch die Griechiſchen
Söldner, die im Dienſte des Feindes den Tod gefunden hatten;
27)
8 *
[116] die gefangenen Griechen dagegen wurden in Feſſeln geſchlagen und
zu öffentlicher Strafarbeit nach Macedonien abgeführt, weil ſie wi-
der den gemeinſamen Beſchluß Griechenlands und für die Perſer
gegen Griechenland gefochten hatten; nur die Thebaner erhielten
Verzeihung. Das reiche Perſiſche Lager fiel in Alexanders Hände;
die Beute des Sieges theilte er mit ſeinen Bundesgenoſſen; ſeiner
Mutter Olympias ſchickte er nach Macedonien eine Menge der
goldenen Becher und purpurnen Teppiche und anderer Koſtbarkeiten,
die in den Zelten der Perſiſchen Fürſten gefunden waren; zugleich
gebot er zum Andenken der fünfundzwanzig Ritter, die zuerſt im
Kampfe gefallen waren, eben ſo viel Bronzeſtatuen von dem be-
rühmten Bildhauer Lyſippus gießen und in Dium aufſtellen zu
laſſen. Endlich ſandte er dreihundert vollſtändige Perſiſche Rüſtun-
gen nach Athen, als Weihgeſchenk für Pallas Athene, mit der Auf-
ſchrift: Alexander Philipps Sohn und die Griechen, mit
Ausnahme der Lacedämonier, von den Perſiſchen Bar-
baren
28).


Die Folgen des Sieges am Granikus waren außerordent-
lich 28a); die Macht Perſiens diesſeits des Taurus war vernichtet,
die Heere der Satrapien, welche die Vormauer des Reiches bilde-
ten, zerſtreut, entmuthigt und ſo zuſammengeſchmolzen, daß ſie nicht
wieder im offenen Felde mit den Macedoniern zuſammenzutreffen
wagen durften; auch die Perſiſchen Beſatzungen der einzelnen gro-
ßen Städte, zu klein, um einer ſiegreichen Armee zu widerſtehen,
konnten als überwunden gelten; dazu kam, daß viele Führer der
Perſer, namentlich der Lydiſche Satrap, gefallen waren, daß Arſi-
tes, der Satrap am Hellespont, bald nach der Schlacht, wie es
hieß, aus Reue und Angſt vor Verantwortlichkeit ſich ſelbſt entleibt
hatte, daß endlich die wichtigen Küſtenſtriche um ſo leichter eine
Beute der Macedonier werden mußten, da ſich in den reichen Grie-
chiſchen Städten noch immer demokratiſch geſinnte Männer fanden,
denen ſich jetzt, des Perſiſchen Joches und der Perſiſch geſinnten Oli-
garchen frei zu werden, die ſchönſte Gelegenheit darbot. Alexander
konnte nicht zweifelhaft ſein, wohin er ſich wenden müſſe, um die
[117] Erfolge ſeines Sieges auf die vortheilhafteſte Weiſe zu benutzen:
ein ſchnelles Eindringen in das Innere Kleinaſiens hätte ihn un-
fehlbar Land und Leute gewinnen laſſen; aber ſein Zweck war, die
Perſermacht von Grund aus zu vernichten; und noch war eine
Perſerflotte im Aegäiſchen Meere, die, wenn er ins Innere vorge-
drungen wäre, hinter ſeinem Rücken operiren und ſich der Küſten
bemächtigen konnte; ſeine Operationsbaſis mußte ſo breit und ſo
ſicher als möglich ſein; ſtützte er ſich nur auf den Hellespont, ſo
waren die Satrapien am Aegäiſchen Meere ſtets im Stande, ſeine
Flanke zu beunruhigen. Es war nothwendig, die ganze Küſte Klein-
aſiens zu beſetzen, um von dort aus gegen Oſten vordringen zu kön-
nen. Es kam dazu, daß dieſe Küſtenſtriche, von Griechen bevölkert,
vor allem dazu geeignet ſchienen, für das Intereſſe des ſiegenden
Griechenthums gewonnen zu werden.


Alexander übergab die Satrapie des Arſites, das ſogenannte
Kleinphrygien am Hellespont Kalas, dem Sohne des Harpalus, der
durch zweijährigen Aufenthalt in dieſen Gegenden und durch ſeine
Beliebtheit bei den Griechiſchen Städten der Küſte vor allen geeig-
net ſchien, dieſe in militäriſcher Hinſicht höchſt wichtige Satrapie zu
verwalten; es wurde nichts Weiteres in der Verwaltung geändert,
auch die Abgaben blieben dieſelben, wie ſie an Darius entrichtet
worden waren. Die Landeseingeborenen aus dem Idagebirge ka-
men größten Theils, ſich freiwillig zu unkerwerfen, und wurden ohne
Weiteres in ihre Heimath entlaſſen. Die Zeliten, die mit dem
Perſerheere an den Granikus ausgezogen waren, erhielten Verzei-
hung, weil ſie gezwungen am Kampfe Theil genommen hatten.
Parmenion wurde nach Daskylium, der Reſidenz des Phrygiſchen
Satrapen detaſchirt, er nahm die Stadt, die von der Perſiſchen
Beſatzung bereits geräumt war, in Beſitz, ſie wurde der letzte Po-
ſten auf Alexanders Operationslinie. Weiter oſtwärts in dieſer
Richtung vorzudringen, war für den Augenblick nicht nöthig, da die
Bithyniſchen Völkerſchaften unter ihrem Häuptling Bas ſo gut wie
unabhängig von Perſien geweſen waren, und deshalb die Fortſchritte
Alexanders nicht hinderten; doch behielt er ſich vor, zu gelegener
Zeit ihre Unterwerfung durch Kalas verſuchen zu laſſen 29).


[118]

Alexander ſelbſt wandte ſich ſüdwärts, um auf Sardes, die
Reſidenz der Satrapie Lydien loszugehen. Sardes war berühmt
wegen ſeiner alten Burg, die auf den ſchroffen Felſenvorſprüngen
des Tmolus gelegen und mit dreifacher Mauer umgeben für unan-
greifbar galt; dazu kam, daß ſich in derſelben der Schatz der rei-
chen Satrapie befand, welcher dem Befehlshaber der Stadt Gele-
genheit bieten konnte, die überdies bedeutende Beſatzung zu vermeh-
ren und zu verſorgen, ſo daß Alexanders Vorrücken wenigſtens eine
Zeitlang aufgehalten worden wäre. Deſto erfreulicher war es dem
Könige, als ihm etwa zwei Meilen von der Stadt Mithrines der
Perſiſche Befehlshaber der Beſatzung nebſt den angeſehenſten Bür-
gern der Stadt entgegenkam, dieſe die Stadt, jener die Burg
mit den Schätzen zu übergeben. Der König ſandte den Stymphäer
Amyntas voraus, die Burg zu beſetzen, er ſelbſt folgte nach kurzer
Raſt nach; den Perſer Mithrines behielt er fortan in ſeiner Nähe,
und zeichnete ihn auf jede Weiſe aus, gewiß eben ſo ſehr, um ſeine
That zu belohnen, als um zu zeigen, wie er ſie belohne. Den
Sardern und allen Lydiern gab er die Freiheit und die Verfaſ-
ſung ihrer Väter wieder, deren ſie zwei Jahrhunderte lang unter
dem Druck Perſiſcher Satrapen entbehrt hatten, offenbar der beſte
Weg, ein Volk, das ſich ehemals wenig oder gar nicht von den
Griechen unterſchied, für Griechiſches Leben und Weſen wieder zu
gewinnen. Um die Stadt zu ehren, beſchloß der König, die Burg
mit einem Tempel des Olympiſchen Zeus zu ſchmücken; als er ſich
nach der tauglichſten Stelle dazu im Bereiche der Akropolis um-
ſah, erhob ſich plötzlich ein Wetter, unter Donner und Blitz ergoß
ſich ein heftiger Regenſchauer über den Platz, wo einſt der Lydiſche
Königspallaſt geſtanden hatte; Alexander erkannte das glückliche Zei-
chen des Gottes im Donnergewölk, und wählte dieſen Ort für den
Tempel, der fortan die hohe Burg des unglücklichen Kröſus ſchmük-
ken ſollte.


Sardes wurde der zweite wichtige Punkt in der Operations-
linie Alexanders, das Thor zum Inneren Kleinaſiens, zu dem viel-
fache Straßen von dieſem Mittelpunkte des Vorderaſiatiſchen Handels
hinausführen. Die Statthalterſchaft Lydiens erhielt des Parme-
nions Bruder Aſander; eine Schaar Reuter und leichtes Fußvolk
wurde als Beſatzung der Satrapie unter ſeinen Befehl geſtellt; mit
[119] ihm blieben Nicias und Pauſanias aus der Schaar der Getreuen
zurück, dieſer als Befehlshaber der Burg von Sardes und der Be-
ſatzung, zu der das Contingent der Argiver beſtimmt wurde, je-
ner zur Vertheilung und Erhebung der Abgaben. Ein anderes
Corps, das aus den Contingenten der Peloponneſier, der Theſſalier
und der meiſten übrigen Griechen beſtand, wurde unter Kalas und
dem Lynkeſtier Alexander nach den Gegenden, die dem Rhodier
Memnon gehörten, abgeſandt; Alexander hatte derſelben bisher ge-
ſchont, wie es hieß, um dem Perſerkönige Verdacht gegen ſeinen
beſten, ja einzigen Feldherrn einzuflößen 30); jetzt aber war dieſer
Winkel Aſiens von Alexanders Marſchrouten eingeſchloſſen, und durfte
nicht länger den Zuſammenhang der Occupation unterbrechen.


Der König ſelbſt wandte ſich mit der Hauptmacht von Sar-
des aus nach Jonien, deſſen Städte ſeit langen Jahren das Joch
Perſiſcher Beſatzungen oder Perſiſch geſinnter Oligarchen ertragen
hatten, und ſich, wie ſehr ſie auch durch die lange Knechtſchaft er-
niedrigt ſein mochten, nicht ohne lautes Verlangen ihrer alten Ho-
heit und Freiheit erinnerten, die ihnen jetzt noch einmal wie durch
ein Wunder der Götter wiederkehren zu wollen ſchien; nicht als
ob ſich dieſe Stimmung überall geäußert hätte; wo die oligarchiſche
Parthei ſtark genug war, mußte das Volk ſchweigen; aber eben
das Volk, ſtets, wenn auch irregeleitet oder niedergedrückt, für das
Rechte und Große bereit, zeigte, ſobald es des Druckes frei war,
daß es des Griechiſchen Urſprunges nicht vergeſſen; ungezügelte
Freude und leidenſchaftlicher Haß gegen die Unterdrücker waren der
Beginn der neuen Freiheit.


Epheſus, die Königin unter den Joniſchen Städten, ging den
anderen mit einem großen Beiſpiele voran. Noch zu Philipps Zeit,
und vielleicht durch ihn veranlaßt, hatte ſich das Volk frei gemacht;
ein Perſiſches Heer unter Autophradates war umſonſt gegen die
Stadt gerückt, und das heitere Volk der Epheſier, unbeſorgt um
den Perſer, luſtwandelte und freute ſich auf der Wieſe, während
die Aelteſten der Stadt mit Autophradates unterhandelten; ſeit
der Zeit war wieder eine Perſiſche Beſatzung in Epheſus, und die
Gewalt in den Händen des Syrphax und ſeines Geſchlechtes.
[120] Bald nach Philipps Tode war ein edler Macedonier, Amyntas,
nach Epheſus geflüchtet; er war der Sohn des Antiochus, eines
unter Philipp hochangeſehenen Mannes 31), und ſein Bruder He-
raklides führte das Geſchwader der Ritterſchaft von Bottiäa 32);
obſchon Alexander ihn nie anders, als höchſt gütig behandelt hatte,
war Antiochus, mochte er ſich irgend einer Schuld bewußt ſein,
oder argen Wünſchen Raum geben, voll Haß gegen Alexander, und
entſchloſſen, ihm zu ſchaden, wo er konnte. So war er nach Ephe-
ſus gekommen, hatte mit dem Perſiſchen Hofe Verbindungen ange-
knüpft, während ihn die Oligarchie der Stadt auf alle Weiſe
ehrte. Indeß war die Schlacht am Granikus geſchlagen, Memnon
hatte ſich mit einigen Ueberreſten der geſchlagenen Truppen nach
der Joniſchen Küſte gerettet, und flüchtete auf Epheſus zu; hier
hatte die Nachricht von der Niederlage der Perſer die heftigſte Auf-
regung hervorgebracht; das Volk hoffte, die Demokratie wieder zu
gewinnen, die Oligarchie war in der höchſten Gefahr; da erſchien
Memnon vor der Stadt; die Parthei des Syrphax eilte, ihm die
Thore zu öffnen, und begann in Verbindung mit den Perſiſchen
Truppen auf das fürchterlichſte gegen die Volksparthei zu wüthen;
das Grab des Heropythus, des Befreiers von Epheſus, wurde
aufgewühlt und entweiht, der heilige Schatz im großen Tempel der
Artemis geplündert, des Königs Philipp Bildſäule im Tempel um-
geſtürzt, kurz es geſchah alles, was den Untergang der Gewaltherr-
ſchaft noch mehr, als ihren Beginn zu ſchänden pflegt. Indeß
rückte Alexanders ſiegreiches Heer immer näher, Memnon war be-
reits nach Halicarnaſſus gegangen, um dort möglichſt kräftige Ver-
theidigungsmaaßregeln zu treffen; und Amyntas, der bei der Auf-
regung des Volkes ſich nicht mehr ſicher, noch die Stadt gegen die
Macedonier zu behaupten für möglich halten mochte, eilte an
der Spitze der in der Stadt liegenden Miethsvölker, ſich zweier
Trieren im Hafen zu bemächtigen, und flüchtete zur Perſiſchen
Flotte, welche vierhundert Segel ſtark bereits im Aegäiſchen Meere
erſchienen war. Kaum ſah ſich das Volk von den Kriegsſchaa-
ren befreit, als es auch in allgemeiner Empörung gegen die oli-
garchiſche Parthei aufſtand; eine Menge angeſehener Männer
[121] flüchtete, Syrphax und ſein Sohn und die Söhne ſeiner Brüder
retteten ſich in die Tempel, das wüthende [Volk] riß ſie von den
Altären hinweg und ſteinigte ſie; man ſuchte die Uebrigen, bereit
ſie dem gleichen Tode zu opfern; da rückte Alexander, einen Tag
nach Amyntas Flucht, in die Stadt ein, that dem Morden Ein-
halt, und befahl, die um ſeinetwillen Verbannten wieder aufzuneh-
men; er hob für alle Zeiten die Oligarchie auf und ſtellte die Volks-
herrſchaft wieder her, er befahl, daß die Abgaben, die bisher an
Perſien entrichtet worden waren, der Artemis gezahlt werden
ſollten 33).


Nach Epheſus hin kamen zum Alexander Abgeordnete aus
Tralles und Magneſia am Mäander, um ihm die beiden Städte,
die wichtigſten im nördlichen Karien, zu übergeben; Parmenion
wurde mit einem Corvs von viertauſend Mann Fußvolk und zwei-
hundert Pferden abgeſandt, die Städte in Beſitz zu nehmen. Zu
gleicher Zeit wurde Antimachus, Lyſimachus Bruder, mit eben ſo
viel Truppen nach den Lesbiſchen, Aeoliſchen und Joniſchen Städ-
ten detaſchirt, mit dem Befehl, überall die Oligarchie aufzuheben,
die Volksherrſchaft wieder einzurichten, die väterlichen Geſetze wie-
der herzuſtellen und alle bisher an Perſien entrichtete Abgaben zu
erlaſſen. Alexander ſelbſt verweilte noch einige Zeit in dem ſchönen
Epheſus, ihm doppelt lieb durch den Umgang mit Apelles, dem
größten Maler des Alterthums; das Bild Alexanders, mit dem
Blitze in der Hand, das noch lange eine Zierde des großen Tem-
pels der Artemis war, entſtand in dieſer Zeit 34). Zu gleicher Zeit
beſchäftigten ihn mancherlei Plane für das Wohl und den Handel
[122] der Griechiſchen Küſtenſtädte; vor allem befahl er, die Stadt
Smyrna, die ſeit der Zerſtörung durch die Lydiſchen Könige ſich in
mehrere Flecken aufgelöſt hatte, wieder herzuſtellen, die Stadt Kla-
zomenä durch einen Damm mit ihrer Hafeninſel zu verbinden, und
die Landenge von Klazomenä bis Teos zu durchſtechen, damit die
Schiffe nicht nöthig hätten, den weiten Umweg um das ſchwarze
Vorgebirge zu machen; das Werk iſt nicht zu Stande gekommen,
aber noch in ſpäter Zeit wurden auf der Landenge in einem dem
Könige Alexander geheiligten Haine Wettkämpfe von dem Bunde
der Jonier, zum Gedächtniß ihres Befreiers gehalten 35).


Nachdem Alexander noch im Tempel der Artemis geopfert und
eine Muſterung ſeines Heeres, das in vollem Waffenſchmucke und
wie zur Schlacht aufgeſtellt war, unter den Augen der ſtaunenden
Epheſier gehalten hatte, brach er folgenden Tages mit ſeinem Heere,
das aus vier Geſchwadern Macedoniſcher Ritter, den Thraciſchen
Reutern, den Agrianern und Bogenſchützen, und etwa zehntauſend
Mann Hopliten und Hypaspiſten beſtand, auf der Straße nach
Milet auf, das wegen ſeines geräumigen Hafens für die Perſiſche
Flotte, wenn ſie das Aegäiſche Meer halten ſollte, beim Herannahen
der ſpäten Jahreszeit von der größten Wichtigkeit ſein mußte.
Der Kommandant der Perſiſchen Beſatzung von Milet hatte früher
in einem Schreiben dem Könige die Uebergabe der Stadt angebo-
ten, aber, von der Nähe der großen Perſiſchen Flotte unter-
richtet, die wichtige Hafenſtadt den Perſern zu erhalten und ſich mit
ſeinen Söldnern und den Mileſiern, die ſich für die Perſiſche Sache
entſchieden, den Macedoniern auf das hartnäckigſte zu widerſetzen
beſchloſſen. Deſto eifriger war Alexander, die Stadt zu erobern.


Milet liegt 35a) auf einer Landzunge im Süden des Latmi-
ſchen Meerbuſens, etwa eine Meile ſüdwärts von Samos und
Mykale, die man am fernen Horizont noch aus dem Meere hervor-
ragen ſieht; die Stadt ſelbſt, in die äußere und die mit ſtarken
Mauern und tiefem Graben verſehene innere Stadt getheilt, öffnet
[123] nach dem Meerbuſen zu vier Häfen, von denen der größte und wich-
tigſte auf der Inſel Lade etwas von der Küſte entfernt liegt; groß
genug, um einer Flotte Schutz zu gewähren, iſt er mehr als ein-
mal Veranlaſſung geweſen, daß Seekriege in ſeiner Nähe geführt
und durch ſeine Beſetzung entſchieden ſind; die zunächſt an der
Stadt liegenden Häfen werden durch kleine felſige Inſeln von ein-
ander geſchieden, ſie ſind für den Handel ſehr bequem, aber weni-
ger geräumig, und werden durch die Rhede von Lade mitbe-
herrſcht. — Darum war es von entſcheidender Wichtigkeit, daß
Alexanders Admiral Nikanor vor Ankunft der überlegenen Perſer-
flotte die Höhe von Milet erreichte, und mit ſeinen hundertund-
ſechszig Trieren bei der Inſel vor Anker ging. Zu gleicher Zeit
war Alexander unter den Mauern der Stadt erſchienen, hatte ſich
der äußeren Stadt bemächtigt, ein Lager bezogen und mit einer
Circumvallation eingeſchloſſen, zur Verſtärkung der höchſt wichtigen
Poſition von Lade etwa viertauſend Mann auf die Inſel überſetzen
laſſen, und ſeiner Flotte die Weiſung gegeben, von der Seeſeite
Milet auf das ſorgfältigſte zu ſperren. Drei Tage darauf erſchien
die Phöniciſche Flotte; die Perſer ſteuerten, da ſie die Meerbucht
von Macedoniſchen Schiffen beſetzt ſahen, nordwärts, und gingen,
vierhundert Segel ſtark, bei dem Vorgebirge Mykale vor Anker.


Dies nahe Zuſammenſein der ganzen Macedoniſchen und der
ganzen Perſiſchen Seemacht ſchien ein entſcheidendes Seegefecht un-
vermeidlich zu machen; viele Generale Alexanders wünſchten es;
man glaubte des Sieges gewiß zu ſein, da ſogar der alte vorſich-
tige Parmenion zum Kampfe rieth; ja die Götter ſelbſt ſchienen es
ſo zu wollen, denn ein Adler war geſehen worden, der ſich beim
Spiegel des Admiralſchiffes am Ufer geſetzt hatte. Parmenion
ſprach: Stets hätten die Griechen zur See über die Barbaren
geſiegt, und das Zeichen des Adlers laſſe keinen Zweifel, was der
Götter Wille ſei; ein gewonnenes Seegefecht würde der ganzen
Unternehmung von außerordentlichem Nutzen ſein, durch eine ver-
lorene Seeſchlacht könne nichts weiter verloren werden, als was
man ſchon jetzt nicht mehr hätte, denn mit ihren vierhundert Se-
geln ſeien die Perſer doch Herren zur See; er ſelbſt erklärte, er
ſei bereit an Bord zu gehen und an dem Kampfe Theil zu neh-
men. Alexander erwiederte: unter den jetzigen Verhältniſſen eine
[124] Seeſchlacht zu wagen, würde eben ſo nutzlos, wie gefährlich, es
würde tollkühn ſein, mit hundertſechszig Schiffen gegen die Ueber-
macht der feindlichen Flotte, mit ungeübten Seeleuten gegen die
Cyprier und Phönicier kämpfen zu wollen; die Macedonier, unbe-
zwinglich auf dem feſten Lande, dürften den Barbaren nicht auf
dem Meere, das ihnen fremd ſei, und wo überdies tauſend Zufäl-
ligkeiten mit in Betracht kämen, Preis gegeben werden; der Ver-
luſt eines Treffens würde den Erwartungen von ſeinem Unterneh-
men nicht bloß bedeutenden Eintrag thun, ſondern für die Griechen
die Looſung zum Abfall ſein; der Erfolg eines Sieges könnte nur
gering ſein, da der Gang ſeiner Unternehmungen auf dem feſten
Lande die Perſerflotte von ſelbſt vernichten werde; das ſei auch
der Sinn jenes Zeichens, das die Olympiſchen Götter geſendet hät-
ten; ſo wie der Adler ſich auf das Land geſetzt, ſo würde er die
Perſiſche Seemacht vom Lande aus überwältigen; es ſei nicht ge-
nug, nichts zu verlieren; nicht zu gewinnen, ſei ſchon Verluſt. So
blieb die Flotte ruhig auf der Rhede von Lade.


Indeß kam Glaucippus, ein angeſehener Mileſier, ins Lager
des Königs, im Namen des Volkes und der Söldnerſchaaren, in
deren Hand jetzt die Stadt ſei, zu erklären: Milet ſei bereit, ſeine
Thore und Häfen den Macedoniern und Perſern gemeinſchaftlich zu
öffnen, wenn Alexander die Belagerung aufheben wolle. Alexander
erwiederte: er ſei nicht nach Aſien gekommen, um ſich mit dem zu
begnügen, was man ihm werde zugeſtehen wollen, er werde ſeinen
Willen durchzuſetzen wiſſen; von ſeiner Gnade möge man Strafe
oder Verzeihung für die Wortbrüchigkeit erwarten, die jetzt die
Stadt Milet zu einem eben ſo ſtrafbaren als vergeblichen Wider-
ſtand veranlaßt habe; Glaucippus möge ſchleunigſt in die Stadt zu-
rückkehren und den Mileſiern melden, daß ſie eines Sturmes ge-
wärtig ſein könnten. Mit dem nächſten Tage begannen die Sturm-
blöcke und Mauerbrecher zu arbeiten, bald lag ein Theil der Mauer
in Breſche, und die Macedonier drangen in die Stadt ein, wäh-
rend ihre Flotte, ſobald ſie von ihrem Ankerplatze aus den Sturm
gegen die Stadt gewahrte, dem Hafen zu ruderte und den Eingang
deſſelben ſperrte, ſo daß die Trieren, dicht an einander gedrängt und
die Schnäbel hinausgewendet, der Perſerflotte, Hülfe zu leiſten, und
den Mileſiern, ſich zur Perſerflotte zu retten, unmöglich machten.
[125] Die Mileſier und Söldner, in der Stadt von allen Seiten ge-
drängt und ohne Ausſicht auf Rettung, ſuchten ihr Heil in der
Flucht; die einen ſchwammen auf ihren Schilden zu den Felſen-
inſeln im Hafen, andere ſuchten auf Kähnen den Macedoniſchen
Trieren zu entkommen; die meiſten kamen in der Stadt um. Jetzt
Meiſter der Stadt, ſetzten die Macedonier, von ihrem Könige ſelbſt
geführt, nach den Hafeninſeln über, und ſchon waren die Leitern
von den Trieren an die ſteilen Ufer geworfen, um die Landung zu
erzwingen; da befahl der König, voll Mitleid mit jenen Tapferen, die
ſich auch jetzt noch zu vertheidigen oder rühmlich zu ſterben bereit
waren, ihrer zu ſchonen, und ihnen Gnade unter der Bedingung
anzubieten, daß ſie in ſeinem Heere Dienſte nähmen; ſo wurden
dreihundert Griechiſche Söldner gerettet. Eben ſo ſchenkte Alexan-
der allen Mileſiern, die nicht beim Sturme umgekommen waren,
Leben und Freiheit 36).


Die Perſerflotte hatte den Fall Milets von Mykale aus mit
angeſehen, ohne das Geringſte zur Rettung der Stadt thun zu
können. Jeden Tag lief ſie gegen die Macedoniſche Flotte aus, in
der Hoffnung, ſie zum Kampfe herauszulocken, und kehrte Abends
unverrichteter Sache nach der Rhede des Vorgebirges zurück, einem
höchſt unbequemen Ankerplatze, da ſie ihr Trinkwaſſer aus dem Mä-
ander, etwa drei Meilen weit herholen mußte. Indeß wollte ſie
Alexander ganz aus ihrer Poſition treiben, ohne jedoch ſeine Flotte
ihre zugleich ſichere und ſichernde Stellung aufgeben zu laſſen; ein
Corps von drei Diviſionen Fußvolk und ſämmtlicher Reuterei, unter
Philotas Führung, rückte deshalb an der Küſte entlang nach dem
Vorgebirge Mykale, mit dem Befehle, jeden Landungsverſuch der
Perſer zu vereiteln; nun auf dem Meere gleichſam eingeſchloſſen,
waren ſie, bei gänzlichem Mangel an Waſſer und Lebensmitteln
genöthigt, ſich auf Samos zurückzuziehen. Von dort aus wollten
ſie einen letzten Verſuch machen, die Griechiſche Flotte zu einer
[126] Schlacht zu nöthigen; das ganze Geſchwader der Perſer erſchien
auf der Höhe von Milet, aber da die Macedoniſche Flotte ruhig
im Hafen von Lade blieb, ſo ſandten ſie fünf Schiffe dem Hafen
zu, der, zwiſchen dem Lager und den kleinen Inſeln belegen, das
Heer von der Flotte trennte, in der Hoffnung, die Schiffe unbe-
mannt zu überraſchen, da es bekannt war, daß ſich das Schiffsvolk
in der Regel von den Schiffen zerſtreue, um Holz, Vorräthe und
andere Bedürfniſſe aufzutreiben. Sobald nun Alexander jene fünf
Schiffe heranſteuern ſah, ließ er von dem gerade anweſenden Schiffs-
volke zehn Trieren bemannen, in See ſtechen und auf den Feind
Jagd machen, ſo daß die Perſer ſchon in der Ferne umkehrten und
zu ihrer Flotte zurückflüchteten; eines von den Schiffen fiel, da es
ſchlecht ſegelte, den Macedoniern in die Hände und wurde eingebracht;
es war aus Jaſſus in Karien. Das Perſiſche Geſchwader zog ſich,
ohne weitere Verſuche gegen Milet, auf die Höhe von Samos
zurück.


Der König hatte ſich durch die letzten Vorfälle davon über-
zeugt, daß die Perſerflotte auf die Bewegungen ſeiner Landmacht
nicht nur keinen hindernden Einfluß ausüben, ſondern durch eine
hinreichende Beſetzung der Küſten ſo abgeſchnitten werden würde,
daß ſie ſich weder ergänzen und verproviantiren, noch die Bewegun-
gen der Perſiſchen Landmacht begleiten und unterſtützen könne.
Offenſiv in allem Uebrigen, mußte Alexander ſehen, daß ſeine See-
macht, da ſie unmöglich gegen den dreimal ſtärkeren Feind die See
halten konnte, ſich auf die Vertheidigung beſchränkte; von großer
Wichtigkeit beim Beginn des Feldzuges und zur Deckung der
erſten Bewegungen des Landheeres, war ſie, ſeit die Perſiſche Macht
in Kleinaſien unterlegen, ohne beſonderen Nutzen, dagegen der Auf-
wand, den ſie verurſachte, außerordentlich; hundertſechszig Trieren
forderten zweiunddreißigtauſend Mann Matroſen und Schiffsſolda-
ten, faſt eben ſo viel Menſchen, als das Perſerreich über den Hau-
fen ſtürzen ſollten; ſie koſteten monatlich mehr als funfzig Talente
Sold, und vielleicht eben ſo viel für Unterhalt, ohne, wie das Land-
heer, das nicht viel theuerer zu unterhalten war, mit jedem Tage
neue Eroberung und neue Beute zu machen. Dazu kam, daß ge-
rade jetzt Alexanders Kaſſen erſchöpft waren, offenbar weil den rei-
chen Griechiſchen Städten ſelbſt ihre Abgaben erlaſſen, und die in-
[127] ländiſchen weder gebrandſchatzt, noch geplündert, ſondern nach dem
alten, ſehr niedrigen Anſatz beſteuert wurden. Dies waren die
Gründe, die den König veranlaßten, im Spätherbſt 334 ſeine Flotte
aufzulöſen; er behielt nur wenige Schiffe zum Transporte längs
der Küſte bei ſich, unter dieſen die zwanzig Schiffe, die Athen ge-
ſtellt hatte, ſei es, um dadurch die Athener zu ehren, oder um ein
Unterpfand ihrer Treue zu haben, falls die feindliche Flotte, wie
zu vermuthen, ſich nach Hellas wenden ſollte 37).


Jetzt, nach Auflöſung der Flotte, wurde es für Alexander dop-
pelt wichtig, jede Küſtenlandſchaft, jede Seeſtadt, jeden Hafen zu
beſetzen, um dadurch jene Continentalſperre durchzuſetzen, mit wel-
cher er die Perſiſche Seemacht zu vernichten hoffte. Noch war an
der Küſte des Aegäiſchen Meeres Karien und in Karien Halikar-
noſſus übrig, doppelt wichtig durch ſeine Lage am Eingange dieſes
Meeres, und dadurch, daß ſich in dieſe ſehr feſte Stadt der letzte
Reſt der Perſiſchen Macht in Kleinaſien zum Widerſtande geſam-
melt hatte.


Karien nämlich, von einheimiſchen Fürſten unter Perſiſcher Ho-
heit regiert, war vor etwa funfzig Jahren zur Zeit des zweiten
Artaxerxes ganz unter die Herrſchaft des Dynaſten Hekatomnus
von Halikarnaſſus gekommen, der, von dem Perſiſchen Hofe bis
auf den zweideutigen Schein der Heeresfolge unabhängig, und bereit,
dieſe Unabhängigkeit bei der erſten Veranlaſſung mit gewaffneter
Hand geltend zu machen 38), ſeine Reſidenz nach dem Inneren ſei-
nes Landes, nach Mylaſſa, verlegt, und von hier aus ſeine Herr-
ſchaft bedeutend auszudehnen gewußt hatte. Sein Sohn und Nach-
folger Mauſolus verfolgte die Pläne des Vaters, er vergrößerte auf
jede Weiſe ſeine Macht und ſeine Reichthümer; zum Lyciarchen
ernannt, beherrſchte er zwei wichtige Seeprovinzen Kleinaſiens; der
Plan, eine Seemacht zu gründen, lag nahe; er verlegte darum die
[128] Reſidenz wieder nach Halikarnaß, das er durch Zuſammenziehung
von ſechs kleinen Ortſchaften vergrößerte; er erregte den Bundes-
genoſſenkrieg gegen die Athener, um ihre Seemacht zu ſchwächen.
Nachdem ſeine Schweſter und Gemahlin, die ihm nach Kariſcher
Sitte in der Herrſchaft folgte, geſtorben war, übernahm der zweite
Bruder Idrieus die Regierung; in demſelben Sinne, wie ſein Vater
und Bruder das Reich zu vergrößern bemüht, von den Zeitumſtän-
den begünſtigt, brachte er Chios, Kos und Rhodos in ſeine Gewalt.
Seine Schweſter und Gemahlin Ada folgte ihm, wurde aber ſchon
nach vier Jahren des Reiches durch ihren jüngeren Bruder Pixo-
dorus beraubt, ſo daß ihr nichts als die Bergfeſtung Alinde blieb.
Pixodorus beabſichtigte, durch eine Verbindung mit dem Macedoni-
ſchen Königshauſe, deſſen Pläne in Beziehung auf Aſien kein Ge-
heimniß mehr waren, ſich zu einem Kampfe um ſeine Unabhängig-
keit vorzubereiten; ernſtliche Differenzen am Hofe Philipps zerſtör-
ten ſeine Pläne, ſo daß er dem Wunſche des Perſerkönigs, ſeine
Tochter mit dem edlen Perſer Orontobates zu vermählen, entge-
genkam; ſo wurde Orontobates ſein Schwiegerſohn, und nach ſei-
nem, im Jahre 335 erfolgten Tode, Herr der Kariſchen Dy-
naſtie 39).


Sobald jetzt Alexander in Karien einrückte, eilte Ada ihm ent-
gegen und legte es in ſeine Hand, ſie wieder in ihre Rechte einzu-
ſetzen, um die ſie offenbare Gewalt betrogen habe; ſie verſprach,
ihn auf jede Weiſe bei der Eroberung Kariens zu unterſtützen, ihr
Name ſelbſt würde ihm Freunde gewinnen, die Wohlhabenden im
Lande, unzufrieden über die erneuete Verbindung mit Perſien, wür-
den ſich ſofort für ſie entſcheiden, da ſie im Sinne ihrer Brüder
ſtets gegen Perſien und für Griechenland Parthei genommen; ſie
bat den König, als Beweis ihrer Geſinnung, ihre Adoption anneh-
men zu wollen, daß ſie, ſelbſt kinderlos, einſt ihrem Sohne Alexander
die Kariſche Dynaſtie erblich überlaſſe. Alexander willfahrte gern
der würdigen Fürſtin, und es mag eben ſo ſehr ſeinem Ruhme
und ſeiner Macht, als dem Beiſpiele Ada’s zuzuſchreiben ſein, daß
die
[129] die Karier ſich dem Könige zu ergeben wetteiferten. Namentlich
erklärten ſich die Griechiſchen Städte für Alexander, der ihnen ſo-
fort Selbſtſtändigkeit und Steuerfreiheit gab, und die Demokratie
wieder herzuſtellen befahl.


Nur Halikarnaß war noch übrig; dorthin hatte ſich Oronto-
bates zurückgezogen; ebendahin war Memnon, nachdem er in Ephe-
ſus und Milet weder die Gelegenheit günſtig, noch die Zeit hinrei-
chend gefunden hatte, um gegen den Macedoniſchen König erfolg-
reichen Widerſtand zu organiſiren, mit wenigen Reſten der am
Granikus geſchlagenen Armee gekommen, um mit dem Kariſchen
Satrapen vereinigt die letzte wichtige Poſition auf der Kleinaſiati-
ſchen Küſte ſo lange als möglich zu halten; er ſchickte Weib und
Kind an den Großkönig, angeblich, um ſie außer aller Gefahr zu
wiſſen, in der That aber, um ein Zeichen und Unterpfand ſeiner
Treue zu geben, die ſein Griechiſcher Urſprung nur zu oft ſchon zu
verdächtigen Gelegenheit gegeben hatte. Dieſe Hingebung zu ehren
und ſeinem anerkannten und oft erprobten Feldherrntalent die gebüh-
rende Wirkſamkeit zu eröffnen, hatte ihm der Perſerkönig den Ober-
befehl über das untere Aſien und die geſammte Perſiſche Seemacht
übertragen, und in der That, wenn noch etwas für Perſien zu retten
war, ſchien er der Mann zu ſein, der retten konnte; mit a[u]ßeror-
dentlicher Thätigkeit hatte er die Werke von Halikarnaß wieder her-
ſtellen laſſen, die aus Perſern und Söldnern beſtehende Beſatzung
verſtärkt und mit reichlichen Vorräthen verſehen, die im Hafen der
Stadt liegenden Trieren ausgerüſtet, damit ſie die Operationen
in der Feſtung unterſtützen, und die Stadt im Fall einer längeren
Belagerung mit Lebensmitteln verſehen konnten, hatte die kleine
Inſel Arkonneſus, welche den Hafen beherrſchte, befeſtigen laſſen,
in Myndus, Thera, Kallipolis, Triopium und Kos, alſo rings um
den Meerbuſen von Doris, Beſatzungen gelegt 40), kurz alles ſo
vorbereitet, daß Halikarnaß der Mittelpunkt höchſt erfolgreicher Be-
9
[130] wegungen und ein Bollwerk gegen das Vordringen der Macedo-
nier werden konnte.


Indeß rückte Alexander heran, und lagerte ſich, auf eine lang-
wierige Belagerung gefaßt, etwa tauſend Schritte vor den Wällen
der Stadt. Die Feindſeligkeiten eröffneten die Perſer durch einen
Ausfall auf die ſo eben anrückenden Macedonier, der jedoch ohne
viele Mühe zurückgeſchlagen wurde. Wenige Tage nachher zog ſich
der König mit einem bedeutenden Theile des Heeres nordweſtlich
um die Stadt hin, theils um die Mauern zu beſichtigen, beſonders
aber, um von hier aus die nahe Stadt Myndus, die für den Fort-
gang der Belagerung von großer Wichtigkeit ſein konnte, zu be-
ſetzen, da ihm von der Beſatzung der Stadt die Uebergabe verſpro-
chen war, wenn er um Mitternacht vor den Thoren der Stadt ſein
wollte. Er kam, aber Niemand öffnete; ohne Sturmleitern und
Maſchinen, da das Heer nicht wie zu einem Sturm ausgezogen
war, ließ der König, erzürnt über dieſe Treuloſigkeit, ſofort ſeine
Schwerbewaffneten unter die Mauern der Stadt rücken, und das
Untergraben derſelben beginnen. Ein Thurm ſtürzte, ohne jedoch
Breſche genug zu geben, daß man mit Erfolg hätte angreifen kön-
nen; indeß hatte man in Halikarnaß mit Tagesanbruch den Abzug
der Macedonier bemerkt, und ſofort zur See Unterſtützung nach
Myndus geſchickt, ſo daß Alexander unverrichteter Sache in ſeine
Stellung vor Halikarnaß zurückkehrte.


Die Belagerung der Stadt begann; zunächſt wurde der Wall-
graben, der fünfundvierzig Fuß breit und halb ſo tief war, unter
dem Schutz mehrerer ſogenannter Schildkrötendächer ausgefüllt, da-
mit die Thürme, von denen aus die Mauern von Vertheidigern
geſäubert werden, und die Maſchinen, mit denen Breſche gelegt
wird, gegen die Mauern vorgeſchoben werden konnten. Schon
ſtanden die Thürme den Mauern nah, als die Belagerten über
Nacht einen Ausfall machten, die Maſchinen zu verbrennen; ſchnell
verbreitete ſich der Lärm durch das Lager; aus dem Schlafe ge-
weckt, eilten die Macedonier ihren Vorpoſten zu Hülfe, und nach
kurzem Kampfe bei dem Lichte der Lagerfeuer, mußten die Belagerten
in die Stadt zurück, ohne ihren Zweck erreicht zu haben. Unter
den hundertfünfundſiebenzig Leichen der Feinde fand man auch die
des Lynkeſtiers Neoptolemus, der, ein Bruder des Macedoniſchen
[131] Generales Amyntas, nach der Ermordung des Königs Philipp als
einer der Verſchworenen zum Tode verurtheilt, nach Aſien geflohen
war und im Perſiſchen Heere Dienſte genommen hatte. Macedo-
niſcher Seits waren nur zehn Todte, aber dreihundert Verwundete,
da man bei der Dunkelheit der Nacht ſich nicht ſo vorſichtig hatte
vertheidigen können.


Die Maſchinen begannen zu arbeiten, bald lagen zwei Thürme
und die dazwiſchen liegende Mauer, auf der nordöſtlichen Seite der
Stadt, in Schutt; ein dritter Thurm war ſtark beſchädigt, ſo daß
eine Untergrabung ihn leicht zum Sturz bringen mußte; vielleicht
hätte Alexander ſchon jetzt die Stadt mit Sturm nehmen können,
wenn er nicht ſeine Soldaten ſo viel als möglich hätte ſchonen wol-
len. Da ſaßen eines Nachmittags zwei Macedonier aus der Phalanx
Perdikkas unter ihrem Zelt beim Wein, und ſprachen gegen einander
groß von ſich und ihren Thaten, ſie ſchwuren ganz Halikarnaß auf
ihre Lanzenſpitze zu nehmen, und die Perſiſchen Memmen in der
Stadt dazu; ſie nahmen Schild und Speer und rückten ſelbander
gegen die Mauern der Stadt, ſie ſchwangen ihre Waffen und
ſchrieen nach den Zinnen hinauf; das nun ſahen und hörten die
auf der Mauer, und machten gegen die zween Männer einen Aus-
fall; dieſe aber wichen nicht vom Platz, wer ihnen zu nahe kam,
wurde niedergemacht, und war zurückwich, ausgelacht; aber die Zahl
der Feinde mehrte ſich mit jedem Augenblick, und die zwei Män-
ner, die überdies tiefer ſtanden, erlagen faſt dem Andrange der
Mehrzahl. Indeß hatten ihre Kameraden im Lager dieſen ſonder-
baren Sturmlauf mit angeſehen, und eilten jetzt, da die Gefahr
wuchs, zu ihrer Hülfe herbei; auch aus der Stadt mehrte ſich der
Zulauf, und es entſpann ſich ein hartnäckiger Kampf unter den
Mauern; bald waren die Macedonier im Vortheil, warfen den Feind
in die Thore zurück, und da die Mauern im Ganzen von Verthei-
gern entblößt und an einer Stelle bereits eingeſtürzt waren, ſo
ſchien nichts als der Befehl des Königs zum allgemeinen Angriff
zu fehlen, um die Stadt einzunehmen. Alexander gab ihn nicht;
es war bereits hinter jener Breſche eine neue Mauer mit einſprin-
gendem Winkel erbaut worden, ſo daß ein Sturm nicht ohne gro-
ßes Blutvergießen hätte bewerkſtelligt werden können.


Sofort ließ Alexander ſeine Maſchinen gegen dieſen Theil der
9 *
[132] Mauer vorrücken; Schirmwände aus Weiden geflochten, hohe höl-
zerne Thürme, Schilddächer mit Mauerbrechern füllten den einſprin-
genden Winkel, der ſchon von Schutt und Trümmern gereinigt und
zum Beginn der neuen Sturmarbeiten geebnet war. Und wieder
machten die Feinde einen Ausfall, um die Maſchinen in Brand zu
ſtecken, während von den beiden Thürmen und der Mauer aus ihr
Angriff auf das lebhafteſte unterſtützt wurde; ſchon brannten meh-
rere Schirmwände und ſelbſt ein Thurm, und kaum vertheidigten
die zur Feldwacht aufgeſtellten Truppen die übrigen; da erſchien Ale-
xander mit ſeinem Geleit, und in eiliger Flucht warfen die Feinde Fak-
keln und Waffen hinweg, und zogen ſich hinter die Mauern zurück.


Bald arbeiteten die Maſchinen von Neuem, und Alexander
ſelbſt war zugegen, den Angriff zu leiten. In der Stadt war der
Athener Ephialtes, der um Alexanders Willen ſeine Heimath ver-
laſſen hatte; der beſchwor jetzt den Feldherrn Memnon, es nicht
bis zum Aeußerſten kommen, ſondern einen allgemeinen Ausfall
machen zu laſſen, um die Macedonier aus ihrer Stellung zu ver-
drängen. So brach denn der eine Theil der Beſatzung unter
Ephialtes Führung bei der vielgefährdeten Stelle der Mauer heraus,
während die anderen an einem entgegengeſetzten Thore, wo man es
nicht erwartet hatte, einen Ausfall gegen das Lager hin machten.
Ephialtes kämpfte mit dem größten Muthe, ſeine Leute warfen
Feuerbrände und Pechkränze in die Maſchinen; aber ein kräftiger
Angriff Alexanders, der von den hohen Belagerungsthürmen mit
einem Hagel von Geſchoſſen und großen Steinen unterſtützt wurde,
zwang die Feinde nach ſehr hartnäckigem Kampfe zum Weichen;
viele, unter ihnen Ephialtes, blieben auf dem Platze, noch mehrere
unterlagen auf der Flucht über den Schutt der eingeſtürzten Mauer
und durch die engen Thoreingänge. Indeß hatten ſich auf der anderen
Seite den Feinden einige Abtheilungen Hypaspiſten und leichtes Fuß-
volk unter Ptolemäus Führung entgegengeſtellt; lange währte der
Kampf, Ptolemäus ſelbſt und der Anführer der Bogenſchützen und man-
cher andere namhafte Macedonier war bereits gefallen, als es endlich
gelang, die Feinde zurückzudrängen; unter der Menge der Fliehenden
brach die enge Brücke, die über den Graben führte, viele ſtürzten
hinab und kamen theils von ihrem Kameraden erdrückt, theils von
den Speeren der Macedonier getroffen, um. Bei dieſer allgemei-
[133] nen Flucht hatten ſchnell die in der Stadt Zurückgebliebenen die
Thore ſchließen laſſen, damit nicht mit den Fliehenden zugleich die
Macedonier den Eingang erzwängen; vor den Thoren drängten ſich
nun große Haufen unglücklicher Flüchtlinge zuſammen, die, ohne
Waffen, ohne Muth und Rettung, den Macedoniern preisgegeben,
ſämmtlich niedergemetzelt wurden. Mit Entſetzen ſahen es die Be-
lagerten, daß die Macedonier, von ſo großen Erfolgen angefeuert
und von der hereinbrechenden Nacht begünſtigt, im Begriff ſtanden, die
Thore zu erbrechen, in die Stadt ſelbſt einzudringen; da ertönten durch
die Dunkelheit hin die Trompeten des Lagers, ſie riefen zum Abzuge.
Alexander wünſchte noch immer die Stadt zu retten; er hoffte, daß
nach dieſem Tage, der ihm nur vierzig Todte, dem Feinde dagegen
an tauſend gekoſtet und deutlich genug gezeigt hatte, daß einem
neuen Angriff wohl der Fall der Stadt folgen dürfte, von Seiten
der Belagerten Anträge gemacht werden würden, die er nur erwar-
tete, um dieſem unnatürlichen Kampf von Griechen gegen Griechen
ein Ende zu machen.


In Halikarnaß beriethen die beiden Befehlshaber, Memnon
und Orontobates, welche Maaßregeln zu ergreifen ſeien; es entging
ihnen nicht, daß ſie unter den jetzigen Umſtänden, da bereits ein
Theil der Mauer eingeſtürzt, ein anderer dem Einſturz nahe, und
die Beſatzung durch viele Todte und Verwundete außerordentlich
geſchwächt war, die Belagerung nicht länger würden aushalten kön-
nen; und wozu ſollten ſie die Stadt halten, da doch das Land be-
reits verloren war; der Hafen, den zu behaupten für die Flotte
von Wichtigkeit war, konnte durch Beſetzung der Burg von Ha-
likarnaß und durch die Behauptung der am Meerbuſen von Do-
ris belegenen feſten Plätze genugſam geſichert werden; ſie beſchloſſen,
die Stadt Preis zu geben. Es war um Mitternacht, als die Ma-
cedoniſchen Feldwachen über den Mauern der Stadt eine Feuers-
brunſt emporlodern ſahen; Flüchtende, die aus der brennenden Stadt
ſich ins Feld zu den Macedoniſchen Vorpoſten retteten, berichteten,
daß der große Thurm, der gegen die Macedoniſchen Maſchinen er-
richtet war, und die Waffenmagazine und die Stadtviertel zunächſt
an den Mauern brennten; man ſah, wie ein heftiger Wind die
Feuersbrunſt in die Stadt hineintrieb; man erfuhr, daß das Um-
ſichgreifen der Flamme von denen in der Stadt auf alle Weiſe ge-
[134] fördert würde. Sogleich ließ Alexander trotz der Nacht aufbrechen,
um die brennende Stadt zu beſetzen; wer noch beim Anzünden be-
ſchäftigt war, wurde niedergehauen, Widerſtand fand man nirgend;
die Einwohner der Stadt verſchonte man. Endlich graute der
Morgen; die Stadt, ein weiter Trümmerhaufen, war von den
Feinden geräumt, ſie hatten ſich auf die Burg Salmakis und die
Hafeninſel zurückgezogen, von wo aus ſie den Hafen beherrſchen,
und, ſelbſt faſt vollkommen ſicher, die Trümmerſtätte, die in
den Händen der Feinde war, beunruhigen konnten. Dies er-
kannte der König; um ſich nicht mit der Belagerung aufzuhalten,
die ihm unter den jetzigen Umſtänden nicht mehr entſcheidende Re-
ſultate bringen konnte, ließ er, nachdem die in der letzten Nacht
Gefallenen begraben waren, den Park ſeiner Belagerungsmaſchinen
nach Tralles vorausgehen, die letzten Ueberbleibſel der Stadt, die
ſich ſo hartnäckig der gemeinſamen Sache aller Hellenen widerſetzt
hatte, und überdies die Nähe der Perſer in der Salmakis und auf
Arkonnenſus nur gefährlicher machte, von Grund aus zerſtören; die
Bürgerſchaft wurde in die ſechs Flecken aufgelöſet, die etwa vierzig
Jahre früher der Dynaſt Mauſolus in ſeiner Reſidenz vereint
hatte 41). Ada erhielt, unter dem Namen einer Königin, die
Herrſchaft über ganz Karien, indem die Städte, die mehr oder
minder gräciſirt waren, demokratiſche Verfaſſung bekamen; die Ein-
künfte des Landes fielen der Königin Ada zu; Alexander ließ zu
ihrem und ihrer Lande Schutz zweitauſend Mann vom fremden Fuß-
volk und etwa zweihundert Reuter unter Ptolemäus 42) Oberbe-
fehl zurück, der den Auftrag erhielt, zur gänzlichen Vertreibung der
Feinde aus den einzelnen Küſtenſtrichen, die ſie noch beſetzt hielten,
ſich mit dem Befehlshaber von Lydien zu vereinigen, demnächſt die
Belagerung der Salmakis durch Circumvallation zu beginnen 43).


[135]

Die ſpäte Jahreszeit war herangekommen; mit dem Fall von
Halikarnaß konnte Alexander die Eroberung der Weſtküſte Klein-
aſiens für beendet anſehen; die neubegründete Freiheit in den Grie-
chiſchen Städten der Küſte und die Macedoniſchen Beſatzungen in
Myſien, Lydien und Karien ſicherten dieſe Gegenden vor neuen
Angriffen der Perſerflotten. Dieſen auch die Südküſte Kleinaſiens
zu ſperren, ſo wie die Landſchaften im Inneren Kleinaſiens zu
unterwerfen, mußte der Zweck der nächſten Operationen ſein. Da
indeß vorauszuſehen war, daß weder in den Küſtenſtädten, denen
wegen der Jahreszeit von der See her nicht leicht Hülfe kommen
konnte, noch auch im Innern des Landes, das längſt von den Per-
ſern geräumt war, der Widerſtand groß ſein würde, ſo war es un-
nöthig, das ganze Heer an dieſem beſchwerlichen Zuge Theil neh-
men zu laſſen; dazu kam, daß zu den großen Bewegungen, die den
Feldzug des nächſten Jahres eröffnen ſollten, das Heer mit friſchen
Truppen aus der Heimath verſtärkt werden mußte, da eines Theils
die einzelnen Gefechte, anderen Theils die Beſatzungen dem großen
Heere viele Truppen koſteten. Nun befanden ſich bei dem Heere
eine Menge Kriegsleute, die ſich jüngſt erſt verheirathet hatten; dieſe
wurden auf Urlaub nach der Heimath entlaſſen, daß ſie den Winter
über bei Weib und Kind zubrächten; ihre Führung übernahmen drei
Neuvermählte aus der Zahl der Befehlshaber, nämlich des Seleu-
kus Sohn Ptolemäus, einer der Leibwächter des Königs, Könus,
des alten Parmenion Schwiegerſohn, und Meleager, beide Anführer
von Diviſionen der Phalanx; dieſe erhielten den Auftrag, zugleich
mit den Beurlaubten ſo viel als möglich friſche Mannſchaften nach
Aſien mitzubringen, und im Frühling in Gordium zur großen Ar-
mee zu ſtoßen. Man kann ſich vorſtellen, mit welchem Jubel die-
ſer Urlaub angenommen wurde, mit welcher Freude die heimkehren-
den Krieger von den Ihrigen empfangen und angehört wurden,
wenn ſie von ihren Thaten und ihrem Könige, von der Beute und
den ſchönen Ländern Aſiens erzählten; es ſchien, als ob Aſien und
Macedonien aufhörten, einander fern und fremd zu ſein.


Von den in Aſien zurückbleibenden mobilen Truppen (denn
etwa neuntauſend Mann waren als Beſatzungen verwendet) bildete
Alexander zwei Marſchcolonnen, von denen die kleinere unter Par-
menions Befehl, welche, bis auf einige Geſchwader der Macedoni-
[136] ſchen Ritterſchaft, die geſammte Reuterei, ſo wie den Park der Wa-
gen und Maſchinen enthielt, über Tralles nach Sardes ging, um
in den Lydiſchen Ebenen zu überwintern und mit dem Beginn des
Frühlings nach Gordium hin aufzubrechen. Die größere Colonne,
beſtehend aus den Hypaspiſten, den Diviſionen der Phalanx, den
Agrianern, Bogenſchützen, Thraciern und dem größeren Theil der
Macedoniſchen Ritterſchaft, brach, unter Führung des Königs ſelbſt,
von Karien auf, um die Seeküſte und die inneren Landſchaften
Kleinaſiens zu durchziehen und in Beſitz zu nehmen.


Der Marſch ging durch Karien über Hyparna, das durch Ka-
pitulation mit den in der Feſtung liegenden Söldnern genommen
wurde, nach der Landſchaft Lycien. Lycien war zwar ſeit der Zeit
des Cyrus dem Perſiſchen Reiche einverleibt 44), hatte aber nicht
blos ſeine eidgenoſſiſche Verfaſſung behalten, ſondern auch bald ſeine
Unabhängigkeit ſo weit wieder erlangt, daß es nur einen beſtimm-
ten Tribut nach Suſa zahlte, der an den jedesmaligen Lyciarchen
entrichtet wurde, eine Stelle, die in der letzten Zeit den Kariſchen
Dynaſten gehört hatte und wahrſcheinlich an Orontobates überge-
gangen war; noch in den letzten Jahren hatte der Perſerkönig die Ge-
birgslandſchaft Milyas, auf der Grenze gegen Phrygien hin, zu
dem Bereich des Lyciarchen geſchlagen; Perſiſche Beſatzungen ſtan-
den in Lycien nicht; Alexander fand kein Hinderniß bei der Beſitz-
nahme dieſer an Städten ziemlich reichen und durch Seehäfen aus-
gezeichneten Provinz. — Telmiſſus, und jenſeit des Xanthusfluſſes
Pinara, Xanthus, Patara und an dreißig kleinere Ortſchaften im
oberen Lycien, ergaben ſich den Macedoniern; dann rückte das Heer,
es war in der Mitte des Winters, an die Quellen des Xanthus
hinauf, in die Landſchaft Milyas 44a). Hier empfing Alexander
die Geſandtſchaften der Phaſeliten und mehrerer anderer Städte
des unteren Lyciens, die freundlich empfangen wurden, und nach
des Königs Befehl die Detaſchements, die er zur Beſetzung der
[137] einzelnen Städte mitſchickte, in deren Mauern aufnahmen; den
Phaſeliten, die ihm nach Griechiſcher Weiſe einen goldnen Kranz
zum Ehrengeſchenk geſendet hatten, verſprach er, auf einige Zeit ihre
Stadt zu beſuchen; ſie war ihm werth als die Vaterſtadt des ihm
befreundeten Theodektes, der, gleich ausgezeichnet durch ſeine Schön-
heit 45) und durch ſein poetiſches Talent 46), ein Liebling ihres
gemeinſchaftlichen Lehrers Ariſtoteles 47), eben jetzt zu Athen ge-
ſtorben war, nachdem er kurz zuvor noch eine Lobrede auf Alexan-
der herausgegeben hatte 48).


Die Stadt Phaſelis, Doriſch ihrem Urſprunge nach, und
mächtig genug, einen Freiſtaat für ſich zu bilden, lag außerordent-
lich günſtig an der Pamphyliſchen Meerbucht und den drei Häfen, de-
nen die Stadt ihren Reichthum dankte; gegen Weſten erheben ſich
ſteile, terraſſenförmige Berge, bis zur Höhe von ſiebentauſend
Fuß 49), die ſich halbkreisförmig um die Pamphyliſche Meerbucht
herum bis Perge hinziehen, dem Ufer des Meeres ſo nah, daß der
Weg an mehreren Stellen nur dann nicht von der Brandung be-
deckt wird, wenn Nordwind das Waſſer von der Küſte zurücktreibt;
will man dieſen Weg vermeiden, ſo muß man den bei weitem
beſchwerlicheren und längeren durch die Berge einſchlagen, der gerade
damals durch einen Piſidiſchen Stamm, der ſich beim Eingang des
Gebirges ein Bergſchloß gebaut hatte, und von da aus die Phaſe-
liten heimſuchte, geſperrt wurde. Alexander griff in Verbindung
mit den Phaſeliten dies Raubneſt an, und zerſtörte es. Freuden-
mahle feierten dieſe glückliche Befreiung der oft geängſtigten Stadt
und die Siege des Macedoniſchen Königs; es mochte ſeit Cimons
Siegen am Eurymedon das erſte Mal ſein, daß die Stadt ein Hel-
leniſches Heer in ihren Mauern ſah; auch Alexander ſcheint in die-
ſen Tagen ſehr heiter geweſen zu ſein, man ſah ihn nach einem
[138] der Gaſtmahle mit ſeinen Getreuen im frohen Feſtzuge nach dem
Markte ziehen, auf dem die Bildſäule des Theodektes ſtand, und
ſie mit Blumenkränzen ſchmücken, das Andenken des ihm werthen
Mannes zu feiern 50).


In eben dieſen Tagen war es, daß ein verruchter Plan, der
nichts Geringeres als die Ermordung des Königs beabſichtigte, ans
Licht kam, doppelt verrucht, weil er von einem der erſten Generale
ausging, dem Alexander Großes verziehen und Größeres anvertraut
hatte; der König war vielfach gewarnt worden, noch vor Kurzem
hatte Olympias in einem Briefe ihren Sohn beſchworen, vorſichtig
gegen frühere Feinde zu ſein, die er jetzt für ſeine Freunde halte.
Selbſt die Götter, ſo wird erzählt, hatten ihm ein bedeutſames Zei-
chen geſandt; denn als er eines Tages vor den Mauern von Hali-
karnaß, vom Kampf ermüdet, Mittags ſich zur Ruhe niedergelegt
hatte, war eine Schwalbe mit viel lauterem Gezwitſcher, als er
je gehört, über ſeinem Haupte hin und her geflogen, hatte ſich bald
da, bald dort auf ſein Lager geſetzt, wie um ihn zu ermuntern,
und als ſie der König, der ſich vor großer Müdigkeit des Schlafes
gar nicht erwehren konnte, ſanft mit der Hand hinwegſcheuchte, ſich
auf ſein Haupt geſetzt, immer heftiger gezwitſchert, und nicht
eher aufgehört, als bis er völlig wach geweſen. Ariſtander, der Zei-
chendeuter aus Telmiſſus, ſagte damals: Dies deute auf Verrath
von einem ſeiner Freunde, zugleich aber, daß der Verrath an den
Tag kommen werde; denn die Schwalbe ſei dem Menſchen befreun-
det, und heimlicher und geſchwätziger, als jeder andere Vogel. —
Und in der That geſchah es, wie es das Zeichen der Götter ver-
kündet hatte.


Der Verräther war Alexander der Lynkeſtier, in dem die zwei-
deutigen Anſprüche ſeiner Familie auf den Macedoniſchen Thron
einen eben ſo heimtückiſchen wie hartnäckigen Vertreter fanden.
Theilnehmer an jener Verſchwörung, die dem Könige Philipp das
Leben gekoſtet hatte, wurde er, weil er dem Könige Alexander ſich
ſofort unterworfen und ihn zuerſt als König begrüßt hatte, nicht blos
freigeſprochen, ſondern Alexander behielt ihn mit Auszeichnung in
ſeiner Umgebung, übergab ihm manches wichtige Commando, und
[139] noch zuletzt die Anführung der Theſſaliſchen Ritterſchaft, mit der er-
jetzt an der Seeküſte von Aeolis cantonirte. Aber ſelbſt das edle
Vertrauen des Königs vermochte nicht, des finſteren Mannes Geſin-
nung zu ändern; das Bewußtſein eines vergeblichen, aber nicht be-
reuten Verbrechens, der ohnmächtige Stolz, doppelt gekränkt durch
die Großmuth des glücküberhäuften Jünglings, das Andenken an
zwei Brüder, deren Blut für den gemeinſamen Plan gefloſſen, die
eigene Herrſchſucht, die deſto heftiger quälte, je hoffnungsloſer ſie
war, kurz Neid, Haß, Wunſch und Furcht, das mögen die Trieb-
federn geweſen ſein, die den Lynkeſtier die Verbindung mit dem
Perſiſchen Hofe wieder anzuknüpfen oder vielleicht nicht abzubrechen
bewogen. Des Antiochus Sohn Amyntas, der, landesflüchtig aus
Macedonien, beim Herannahen des Macedoniſchen Heeres Epheſus
verlaſſen hatte, brachte ſchriftliche und mündliche Eröffnungen in
Alexanders Namen an den Perſerkönig, und Aſiſines, einer von
Darius Vertrauten, kam, angeblich um Aufträge an den Phrygi-
ſchen Satrapen zu bringen, mit geheimen Aufträgen nach Klein-
aſien, zunächſt bemüht, ſich in die Cantonirungen der Theſſaliſchen
Ritterſchaft einzuſchleichen. Von Parmenion aufgefangen, geſtand
er den eigentlichen Zweck ſeiner Sendung, den er, unter Bedeckung
nach Phaſelis an den König geſchickt, dahin bezeichnete: daß er im
Namen des Königs Darius die von dem General angebotene Er-
mordung Alexanders habe billigen und dafür verſprechen ſollen, daß
Darius dem Lynkeſtier nach vollbrachtem Morde den Macedoniſchen
Thron, wie er gefordert, verſchaffen, und überdies tauſend Talente
Gold zum Geſchenk ſenden werde. Sofort berief der König die
Freunde, ſich mit ihnen zu berathen, wie gegen den General zu
verfahren ſei. Dieſe waren der Meinung, daß derſelbe als Hoch-
verräther anzuſehen ſei, falls er nicht entſcheidende Beweiſe für
ſeine Treue vorzubringen habe; ſei es früher ſchon nicht wohl ge-
than geweſen, einem ſo zweideutigen Manne den Kern der Reuterei
anzuvertrauen, ſo ſcheine es jetzt um ſo nothwendiger zu ſein, ihn
wenigſtens ſofort unſchädlich zu machen, bevor er die Theſſaliſche
Ritterſchaft noch mehr für ſich gewinne, und ſie in ſeine Verräthe-
rei verwickele; wenn irgend je, ſo hätten diesmal die Götter durch
ein bedeutſames Zeichen gewarnt, das von der Hand zu weiſen,
mehr als unvorſichtig ſein würde. Demnach wurde einer der ge-
[140] treueſten Officiere, Amphoterus, Kraterus Bruder, an Parmenion
abgeſandt; in der Landestracht, um unkenntlich zu ſein, und von
einigen Pergäern begleitet, gelangte er unerkannt an den Ort ſei-
ner Beſtimmung; nachdem er ſeine Aufträge geſagt hatte, denn
Alexander hatte ſo gefährliche Dinge nicht einem Briefe, der leicht
aufgefangen und misbraucht werden konnte, anvertrauen wollen,
wurde der Lynkeſtier in der Stille aufgehoben und feſtgeſetzt; ihn
zu richten, verſchob der König auch jetzt noch, theils aus Rückſicht
auf Antipater, deſſen Schwiegerſohn der Hochverräther war, beſon-
ders aber, um nicht zu beunruhigenden Gerüchten im Heere und
in Griechenland Anlaß zu geben 51).


Nach dieſem Aufenthalt brach das Heer aus der Gegend von
Phaſelis auf, um Pamphylien und den wichtigſten Ort des Landes,
Perge, zu erreichen. Einen Theil des Heeres ſandte Alexander
auf dem langen und beſchwerlichen Gebirgswege, den er durch die
Thracier wenigſtens für das Fußvolk hatte gangbar machen laſſen,
voraus, während er ſelbſt, wie es ſcheint, mit der Ritterſchaft und
einem Theile des ſchweren Fußvolkes den Küſtenweg einſchlug; in
der That ein kühnes Unternehmen, da gerade jetzt in der Winter-
zeit der Weg von der Brandung bedeckt war; den ganzen Tag
brauchte man, um das Waſſer zu durchwaten, das oft bis an den
Nabel hinaufreichte, aber das Beiſpiel und die Nähe des Königs,
der das Wort „unmöglich“ nicht kannte, ließ die Truppen wetteifern,
alle Mühe mit Ausdauer und mit Freudigkeit zu überſtehen; und
als ſie endlich am Ziele angelangt, auf ihren Weg, auf die ſchäu-
mende Brandung des weiten Meeres zurückſahen, da war es ihnen
wie ein Wunder, das die Götter durch Alexander vollbracht, und
ſie erkannten ſtaunend, was ſie ſelbſt vermochten unter ihres Hel-
denkönigs Führung. Die Kunde von dieſem Zuge verbreitete ſich,
mit mährchenhaften Zuſätzen geſchmückt, unter den Hellenen: der
König ſei trotz des heftigen Südwindes, der das Waſſer bis an die
Berge hinaufgepeitſcht, an das Geſtade hinabgezogen, und plötzlich
habe der Wind ſich gedreht, und von Norden her die Waſſer zu-
rückgejagt 52); Andere wollten gar wiſſen, daß er ſein Heer trock-
[141] nen Fußes durch das Meer geführt habe 53); der König ſelbſt
ſchrieb an ſeine Mutter nichts als die einfachen Worte: er habe
ſich durch die Pamphyliſche Leiter, ſo nannte man die Bergabhänge
dort, einen Weg gebahnt, und ſei von Phaſelis aus hindurch-
gezogen 54).


So rückte Alexander in den Küſtenſaum der Landſchaft Piſi-
dien, der in der Regel Pamphylien genannt wird, mit ſeinem Heere
ein; dieſe Küſtenlandſchaft erſtreckt ſich, vom Taurusgebirge im
Norden begränzt, bis jenſeits der Stadt Side, wo das Gebirge
ſich dicht an die Küſte drängt, um ſich nordöſtlich über Cilicien,
der erſten Landſchaft jenſeit des Taurus, hinzuziehen, dergeſtalt, daß
Alexander mit der Beſetzung Pamphyliens die Unterwerfung der
Seeküſte dieſſeit des Taurus beendet nennen konnte. Perge, der
Schlüſſel zum Uebergang über die Gebirge und zu den inneren
Landſchaften, ergab ſich, die Stadt Aspendus ſchickte bevollmäch-
tigte Geſandte an den König, um ſich bereit zur Uebergabe zu er-
klären, zugleich aber zu bitten, keine Macedoniſche Beſatzung ein-
nehmen zu dürfen, eine Bitte, die Alexander unter der Bedingung
gewährte, daß Aspendus außer der Unterhaltung einer beſtimmten
Anzahl Pferde, wodurch ſie dem Perſerkönige ihren Tribut abge-
tragen, noch funfzig Talente zur Löhnung ſeiner Soldaten zahlen
ſollte. Er ſelbſt brach nach Side auf, der Grenzſtadt Pamphyliens,
zugleich der letzten Helleniſchen Kolonie auf der Küſte Kleinaſiens;
denn die Siditen nannten ihre Stadt von Kymäern aus Aeolis
gegründet; aber die Sprache ihrer Heimath hatten ſie ſeit ihrer
Ankunft vergeſſen, ein trauriges Mittelding zwiſchen Griechiſcher
Bildung und Barbariſcher Entartung. Alexander ließ in ihrer
Stadt eine Beſatzung zurück, die, ſo wie die geſammte Küſte der
Pamphyliſchen Bucht unter Nearchus Oberbefehl 55) geſtellt wurde.
Darauf trat Alexander den Rückweg nach Perge an; umſonſt ver-
ſuchte er die mit einer Beſatzung von Landeseingeborenen und frem-
den Söldlingen verſehene Bergfeſtung Syllion 56) zu überrumpeln;
[142] er überließ ſie einzunehmen ſeinem Statthalter, um ſelbſt nicht Zeit
zu verlieren, da ihm bereits die Nachricht zugekommen war, daß
die Aspendier weder die verſprochenen Pferde ausliefern, noch die
funfzig Talente, zu denen ſie ſich verpflichtet, zahlen wollten, ſon-
dern ſich zum ernſthaften Widerſtande gerüſtet hatten. Alexander
rückte gegen Aspendus, beſetzte die von ihren Einwohnern verlaſſene
Unterſtadt, und, weit entfernt ſich durch die Feſtigkeit der Burg, in
die ſich die Aspendier geflüchtet hatten, und durch den Mangel
an Sturmzeug zur Nachgiebigkeit bewegen zu laſſen, antwortete er
den Geſandten, welche die Aspendier, durch ſeine Nähe geſchreckt,
an ihn abgeſandt hatten, um ſich auf die Grundlage des früheren
Vertrages zu ergeben, daß die Stadt außer den früher ver-
langten Pferden und funfzig Talenten, noch funfzig Talente zahlen
und die angeſehenſten Bürger als Geißeln ausliefern, wegen des
Gebietes, das ſie ihren Nachbarn gewaltſam entriſſen zu haben be-
ſchuldigt wurde 57), ſich einer gerichtlichen Entſcheidung unterwer-
fen, dem Statthalter des Königs in dieſer Gegend gehorchen, und
jährlichen Tribut an Macedonien zahlen ſollte. Die Aspendier
wagten nicht, die Bedingungen des erzürnten Königs zu verwerfen.


Jetzt brach Alexander nach Perge auf, um von dort aus durch
die von freien Piſtdiern bewohnten Berge nach Phrygien hinüber
zu gehen. Es konnte um ſo weniger ſeine Abſicht ſein, ſich mit
der Unterwerfung dieſes, in viele Stämme getheilten und zum Theil
unter ſich in Fehde begriffenen Bergvolkes aufzuhalten, da daſſelbe
eben ſo wenig ſeinem großen Plane hinderlich werden, als ſich,
wenn die benachbarten Landſchaften von Macedonien beſetzt waren,
auf die Dauer dem Macedoniſchen Einfluß entziehen konnte; es
genügte ihm für den Augenblick, ſich den Durchzug durch ihre
Berge zu erzwingen, indem er die Bergſtraße, die fortan Phrygien
und Pamphylien verbinden ſollte, für künftige Zeiten zu ſichern,
ſeinen Befehlshabern in den benachbarten Provinzen überließ.


Die Bergſtraße führte von Perge aus zunächſt in ein ſehr
gefährliches Defilee, welches, von der Piſidiſchen Bergſtadt Telmiſ-
[143] ſus beherrſcht, durch eine kleine Truppenzahl ſelbſt einem großen
Heere leicht geſperrt werden konnte; denn von der Stadt aus läuft
eine ſteile Bergwand bis an den Weg, der von einem eben ſo ſtei-
len Berge auf der anderen Seite überragt wird. Beide Berge
fand Alexander von den Barbaren, denn ganz Telmiſſus war aus-
gezogen, ſo beſetzt, daß er vorzog, ſich vor dem Paß zu lagern,
überzeugt, daß die Feinde, wenn ſie die Macedonier ſich ruhig la-
gern ſähen, die Gefahr für nicht ſo dringend halten, den Paß durch
eine Feldwache ſichern, und in die Stadt zurückkehren würden. So
geſchah es; die Menge zog ſich zurück, nur einzelne Poſten zeigten
ſich auf der Höhe; ſofort rückte Alexander mit leichtem Fußvolk
vor, die Poſten wurden zum Weichen gebracht, die Höhen beſetzt,
das Heer zog ungehindert durch den Paß, und lagerte ſich unter
den Mauern von Telmiſſus. Dort empfing Alexander die Geſand-
ten der Selgier, die Piſidiſchen Stammes, wie die Telmiſſier, aber
mit denſelben in fortwährender Fehde, mit dem Feind ihrer Feinde
Vergleich und Freundſchaft ſchloſſen und fortan treu bewahrten.
Die Stadt zu erobern würde längeren Aufenthalt nöthig gemacht
haben; Alexander brach daher ohne vielen Verzug auf.


Er rückte gegen die Stadt Sagalaſſus 58), die, von den
ſtreitbarſten aller Piſidier bewohnt, am nördlichen Abhange der Pi-
ſidiſchen Alpenlandſchaft liegt, und den Eingang in die Hochebene
Phrygiens öffnet; die Berge auf der Südſeite, an denen die Stadt
bergauf gebaut war, hatten die Sagalaſſer, mit Telmiſſiern verei-
nigt, beſetzt, und ſperrten nun den Macedoniern ihren Weg. So-
fort ordnete Alexander ſeine Angriffslinie: auf dem rechten Flügel,
wo er ſelbſt commandirte, rückten die Schützen und Agrianer, auf
dem linken, den der Lynkeſtier Amyntas führte, Sitalkes Thracier
vorauf; ſchon war man bis an die ſteilſte Stelle des Berges vor-
gerückt, als ſich plötzlich die Barbaren rottenweis auf die beiden
Flügel des heranrückenden Heeres ſtürzten, mit doppeltem Erfolg,
da ſie bergab gegen die Berganſteigenden rannten. Die Bogen-
ſchützen des rechten Flügels traf der heftigſte Angriff, ihr Anführer
fiel, ſie mußten weichen; die Agrianer hielten Stand, ſchon war
[144] das ſchwere Fußvolk nahe heran, Alexander an der Spitze; die hef-
tigen Angriffe der Barbaren zerſchellten an der geſchloſſenen Maſſe
der Geharniſchten, im Handgemenge erlag der leichtbewehrte Bar-
bar unter der ſchweren Waffe der Macedonier; überall ſtürzten ſie
verwundet, fünfhundert lagen erſchlagen, die anderen flüchteten, der
Gegend kundig entkamen ſie; Alexander rückte auf dem Hauptwege
nach, und nahm die Stadt beim erſten Sturm 58a).


Nach der Eroberung von Sagalaſſus wurden von den übrigen
Piſidiſchen Burgen die einen mit Gewalt, die anderen mit Kapi-
tulation genommen. Es iſt nicht mit Beſtimmtheit zu ſagen, in
wie weit auf dieſe Weiſe die Piſidier unterworfen worden ſind, und
welches Verhältniß zum Reiche ihnen gegeben wurde; indeß ſcheinen
ſpätere Begebenheiten dafür zu ſprechen 58b), daß ſie ihre alte
Unabhängigkeit behaupteten, daß Alexander ſie mehr ſeine Ueber-
macht habe fühlen laſſen, als ſie derſelben unterwerfen wollen, daß
ſie überhaupt, zu roh, um das Wort Unterthan zu begreifen, zu
arm, um in Frieden zu leben, zu naturkräftig, um ein ehrlich We-
gelagern anſtößig zu finden, mehr eine Naturgrenze zwiſchen dem
Inneren und den Seeküſten, als ein Glied in der großen Kette der
Eroberungen geworden ſind, durch welche Alexander Aſien an Eu-
ropa zu feſſeln gehofft hat.


Im Beſitz von Sagalaſſus hätte der König, wenn ihm um
einen möglichſt ſchnellen Einbruch in das obere Aſien zu thun war,
ſich ſogleich auf der Straße von Ikonium nach Kappadocien und
Cilicien wenden können; aber ſein großer Plan forderte Occupation
jedes einzelnen, durch natürliche Grenzen ſelbſtſtändig abgeſonderten
Gebietes; Phrygien, das ſeine Ströme dem Weſten und Norden
zuſendet, durfte nicht übergangen werden, die Länder jenſeit des
Taurus, namentlich Kappadocien, das ſich zum Euphrat hinabſenkt,
gehörten dem neuen Feldzug an. So zog ſich Alexander ſcheinbar
rückwärts an dem Abhange der Phrygiſchen Hochebene und am
Askaniſchen See vorüber, nach den Quellen des Mäander hin, um
dann
[145] dann bei den Päſſen von Kelänä zu dem nach Norden ſich ſenken-
den Theil Phrygiens überzugehen. Wie Sagalaſſus gegen Süden,
ſo iſt Kelänä gegen Weſten der Schlüſſel von Phrygien; überdies
durch ſeine natürliche Lage, und namentlich durch ſeine außerordent-
lich feſte Burg ausgezeichnet, war es vor allen andern Städten ge-
ſchickt, der Mittelpunkt der Groß-Phrygiſchen Satrapie zu ſein.
Alexander fand dieſe Burg des geflüchteten Satrapen in den Hän-
den einer aus Kariſchen und Griechiſchen Söldnern beſtehenden Be-
ſatzung, mit der er, da er dieſelbe nicht ohne bedeutenden Zeitver-
luſt hätte nehmen können, das Abkommen traf, daß, wenn in ſechs-
zig Tagen kein Entſatz Perſiſcher Seits herankomme 59), die Burg
an die Macedonier übergehen ſollte. Er konnte um ſo eher dieſen
Vergleich eingehen, indem nicht nur ſein bisheriger Zug, ſondern
noch mehr der Plan ſeiner nächſten Operationen das Anrücken einer
feindlichen Armee durchaus unmöglich machte. Er ließ demnach
ein Corps von etwa funfzehnhundert Mann in Kelänä zurück, über-
trug dem bisherigen Anführer der Bundesgenoſſen, Antigonus, die
Satrapie Phrygiens, und rückte, nachdem er ſeinem Heere zehn
Tage Ruhe gegönnt hatte, nach der als Sammelplatz für den näch-
ſten Feldzug beſtimmten Stadt Gordium am Sangarius, von der
aus die große Straße ſtromauf nach dem Inneren Kleinaſiens und
nach Kappadocien führt 60).


10
[[146]]

Viertes Kapitel.
Der Syriſche Feldzug
.


Perſiſcher Seits war die Nachricht von der Schlacht am Grani-
kus mit mehr Unwillen als Beſorgniß aufgenommen worden; die
nächſten Erfolge der Macedoniſchen Waffen übertrafen Alles, was
man je möglich geglaubt hatte; man überſah, daß Alexander, ſo
kühn im Felde, und ſo beſonnen in ſeinen Plänen, als Befreier der
Völker, als Rächer ihrer Volksthümlichkeit, als Vorkämpfer einer
neuen Zeit doppelt gewaltig war, und daß er die Völker durch den
Zauber ſeiner Größe und durch ihre eigenen Hoffnungen an ſich
kettete. Man glaubte, Alexanders Siege ſeien das zufällige Glück
eines Tollkühnen, ſeien durch die Fehler, die ſie nur erleichtert, ver-
ſchuldet worden; meide man dieſe, ſo werde allen weiteren Gefah-
ren vorgebeugt, und des Macedoniers Glück am Rande ſein. Vor
allem ſchien Mangel an Einheit und planmäßiger Führung des
Heeres das Unglück am Granikus herbeigeführt zu haben; Mem-
nons Rath, man bekannte es jetzt, hätte befolgt werden, er ſelbſt
das Heer von Anfang her führen ſollen. So wurde ihm jetzt we-
nigſtens der alleinige unumſchränkte Befehl über die Perſiſche Land-
und Seemacht in den Seeprovinzen übertragen.


In der That ſchien in dieſem General dem Macedoniſchen
Könige ein gefährlicher Gegner gefunden zu ſein; ſchon die hart-
näckige Vertheidigung von Halikarnaß zeigte ſein Talent und ſeinen
Charakter; dann bis auf wenige Punkte von der Küſte verdrängt,
faßte er, begünſtigt durch die Auflöſung der Macedoniſchen Flotte,
den großen Plan, Alexander von Europa abzuſchneiden, den Krieg
nach Griechenland hinüberzuſpielen, und von dort aus in Verbin-
[147] dung mit Macedoniens zahlreichen Feinden in Hellas, namentlich
den Spartanern, die Kraft Alexanders in ihrer Wurzel zu zerſtö-
ren. Von der Rhede von Samos wandte ſich die Perſerflotte
nach der Inſel Chios, die durch den offenbaren Verrath der frühe-
ren Oligarchen genommen und in deren Hände zurückgegeben
wurde 1). Dann ſegelte Memnon gegen Lesbos; die meiſten
Städte, in den Händen von Tyrannen, die ſich gern zur Perſiſchen
Parthei zurückwandten, wurden, trotz des mit Alexander beſchwore-
nen Bundes, den Perſern übergeben. Mitylene, das ſich, in Ver-
trauen auf die in der Stadt befindliche Macedoniſche Beſatzung,
zu halten hoffte, ward von der Landſeite durch einen doppelten, mit
fünf Schanzen verſehenen Wall eingeſchloſſen, durch ein Geſchwa-
der, das den Hafen ſperrte, und ein anderes, welches das Fahrwaſ-
ſer nach Griechenland beobachtete, aller Ausſicht auf Hülfe beraubt,
und auf das Aeußerſte gebracht. Da erkrankte Memnon, und
nachdem er dem Pharnabazus, ſeinem Neffen, dem Sohne des Ar-
tabazus, bis zur weiteren Entſcheidung des Großkönigs ſeine Ge-
walt übertragen, und ſeine Pläne anvertraut hatte, ſank er, wenn
nicht für ſeinen Ruhm, doch für Darius Hoffnungen zu früh, ins
Grab.


Auf die traurige Botſchaft ſeines Todes berief Darius ſofort
einen Kriegsrath, unſchlüſſig, ob er dem Könige Alexander, der raſt-
los vorrückte, die nächſten Satrapen entgegenſchicken, oder in Per-
ſon und an der Spitze des Reichsheeres begegnen ſollte. Die Per-
ſer verlangten ein Reichsaufgebot; unter den Augen des Königs
werde das Heer zu ſiegen wiſſen, eine Schlacht genüge, Alexander
zu vernichten. Aber der Atheniſche Feldherr Charidemus, der, durch
ſeine Kriegszüge berühmt und vor Alexander flüchtig, dem Perſer-
könig doppelt erwünſcht gekommen war, rieth, nicht ohne Billigung
des Königs, vorſichtig zu ſein, nicht Alles auf einen Wurf zu ſetzen,
nicht am Eingange Aſiens Aſien ſelbſt Preis zu geben, das Reichs-
aufgebot und die Gegenwart des durch ſeine Tapferkeit hochbe-
rühmten Großkönigs auf die letzte Gefahr aufzuſparen, zu der es
nie kommen werde, wenn man dem tollkühnen Macedonier mit
Geſchick und Vorſicht zu begegnen wiſſe; an der Spitze von hun-
10 *
[148] derttauſend Mann, von denen ein Drittel Griechen, verbürge er
ſich dafür, den Feind zu vernichten. Auf das heftigſte widerſpra-
chen die ſtolzen Perſer: jene Pläne ſeien des Perſiſchen Namens
unwürdig; ſie ſeien ein ungerechter Vorwurf gegen die Tapferkeit
der Perſer; ſie anzunehmen, werde ein Zeichen des traurigſten Arg-
wohns, das Bekenntniß einer Ohnmacht ſein, an deren Statt des
Großkönigs Gegenwart nichts als Begeiſterung und Hingebung
finden werde; ſie beſchworen den ſchwankenden König, nicht auch
das Letzte einem Fremdling anzuvertrauen, der nichts wollte; als
an der Spitze des Heeres ſtehen, um das Reich des Cyrus zu ver-
rathen. Im heftigſten Zorne ſprang Charidemus auf, er beſchul-
digte ſie der Verblendung, der Feigheit und Selbſtſucht; ſie kenne-
ten ihre Ohnmacht und die furchtbare Macht der Griechen nicht,
ſie würden das Reich des Cyrus in das Verderben ſtürzen, wenn
nicht des Großkönigs Weisheit ihm jetzt folge. Der Perſerkönig,
ohne Vertrauen zu ſich ſelbſt, und doppelt gegen Andere mistrauiſch,
überdies in dem Gefühl Perſiſcher Hoheit verletzt, berührte des
Fremdlings Gürtel, und die Trabanten ſchleppten den Helleniſchen
Feldherrn hinaus, ihn zu erwürgen; ſein letztes Wort an den Kö-
nig war: „meinen Werth wird Deine Reue bezeugen, mein Rä-
cher iſt nicht fern“ 2). Der Kriegsrath des Königs aber beſchloß,
den Macedoniern bei ihrem Eintritt in das obere Aſien ein Reichs-
aufgebot entgegenzuſtellen, das der König ſelbſt zu führen über-
nahm; ſchon waren die Befehle durch alle Lande erlaſſen, daß ſich
die Völker im Frühling in der Ebene von Babylon zuſammenfin-
den ſollten; es wurde beſtimmt, daß von der Flotte ſo viel als
möglich Griechiſche Söldner herangezogen würden, und daß Phar-
nabazus ſie möglichſt bald zu Tripolis an der Phöniciſchen Küſte
ausſchiffen ſollte. Thymondas, Mentors Sohn, erhielt den Auf-
trag, gen Tripolis zu gehen, dem Pharnabazus dagegen die ganze
Gewalt Memnons zu übertragen, und die Völker dem Reichsheere
zuzuführen 3).


Pharnabazus hatte indeß die Belagerung von Mitylene fort-
geſetzt und glücklich beendet; die Stadt hatte ſich unter der Bedin-
gung ergeben, daß gegen die Zurückführung der Verbannten und
[149] die Vernichtung der dem Macedoniſchen Könige errichteten Bild-
ſäulen die Macedoniſche Beſatzung frei abziehen, und die Stadt
nach den Beſtimmungen des Antalcidiſchen Friedens wieder Bun-
desgenoſſin von Perſien ſein ſollte. Aber ſobald Pharnabazus im
Beſitz der Stadt war, achtete er des Vertrages nicht weiter, ſon-
dern ließ ſie durch Erpreſſungen aller Art, durch eine Perſiſche Be-
ſatzung, durch die Einſetzung eines Tyrannen aus der Zahl der
früher verbannten Oligarchen die ganze Schwere des Perſiſchen
Joches fühlen. Dann eilte er, die Griechiſchen Söldner, unter de-
nen ſich der landesflüchtige Amyntas mit den Anträgen des Lyn-
keſtiers Alexander befand, nach Syrien zu bringen, und empfing
dafür den Oberbefehl Memnons, deſſen Pläne freilich durch dies
Zurückrufen der Griechiſchen Söldner ſo gut wie zerſtört waren;
ihre Kraft, die angreifend im Aegäiſchen Meere das Macedoniſche
Reich zu erſchüttern vermocht hätte, ſollte jetzt an falſchen Punkten
vergeudet werden, und den Operationen der Flotte fehlte fortan
jene Energie, die das Bewußtſein der höchſten Entſcheidung zu er-
wecken und des Sieges gewiß zu machen pflegt.


Pharnabazus ſuchte dennoch, zu ſeiner Station nach Lesbos
zurückgekehrt, die Pläne ſeines kühnen Oheims zu verwirklichen.
Ein Geſchwader von zehn Schiffen wurde unter Datames nach
den Cycladiſchen Inſeln und in die Nähe des Peloponneſes abge-
ſendet, während hundert andere Schiffe nach Tenedos hinüber ſegel-
ten, und die Inſel, obſchon ſie ganz der Sache Alexanders ergeben
war, nöthigten, in den Gehorſam der Perſer zurückzukehren. Au-
genſcheinlich war es auf die Beſetzung des Hellespontes abgeſehen;
deshalb beeilte ſich Alexander, wenigſtens die Communikation mit
Macedonien durch eine Flotte zu ſichern, zu deren Bildung Hege-
lochus an die Propontis geſandt wurde, mit der Weiſung, ſämmt-
liche aus dem Pontus herabkommende Schiffe anzuhalten, und
zum Kriegsdienſt einzurichten; zu gleicher Zeit wurden auf Antipa-
ters Befehl einige Schiffe aus Euböa und dem Peloponnes zuſam-
mengezogen, um das Geſchwader des Datames, das ſchon bei der
Inſel Siphnos vor Anker lag, zu beobachten, eine Maaßregel, die
um ſo wichtiger war, da die Athener bereits auf die Nachricht,
daß ihre aus dem Pontus zurückkehrenden Getreideſchiffe angehalten
und zum Kampf gegen die Perſerflotte verwendet würden, von Demo-
[150] ſthenes aufgeregt, eine Flotte von hundert Segeln unter Meneſtheus
in See zu ſchicken dekretirt hatten 4), die beſte Gelegenheit zu ei-
ner näheren Vereinigung mit der Perſerflotte. Darum war es
von großer Wichtigkeit, daß der Macedonier Proteas mit einem
Geſchwader von funfzehn Segeln die Phöniciſchen Schiffe nicht
nur in ihrer Stellung feſthielt, ſondern durch einen geſchickten
Ueberfall ſo überraſchte, daß acht derſelben ſammt ihrer Mann-
ſchaft in die Hände der Macedonier fielen, die beiden anderen
Trieren die Flucht ergriffen, und, von Datames geführt, zu der
übrigen Flotte entkamen, die in der Gegend von Chios und Milet
kreuzte und die Küſten plünderte 5).


Auf dieſe Weiſe war die erſte, und wohl die größte Gefahr,
die Memnons Plan hätte bringen können, glücklich beſeitigt; der
raſche Angriff des Proteas hatte einem Abfall der Griechen vorge-
beugt, Hegelochus Eifer den Hellespont gerettet. Aber zeigten nicht
dieſe Erfolge ſelbſt, daß Alexander Unrecht gethan hatte, ſeine
Flotte aufzulöſen, da er nach kaum ſechs Monaten von Neuem
eine Flotte zu bilden genöthigt war? Alexander kannte ſeinen
Feind, ſo wie ihn der Erfolg gezeigt hat; wenn aber die Griechen auch
zum Abfall geneigt, und ihre Schiffe mit den Perſiſchen zu verei-
nigen bereit waren, ſo konnte Antipater ſie auf dem feſten Lande
im Zaume halten; endlich war es keinesweges ſo ſchwierig, in Eile
eine neue Flotte aufzuſtellen; die Schiffe Macedoniens brauchten
nur bemannt zu werden, um gegen den Feind die See zu halten,
und die Küſten zu decken; Alexander konnte, um den Seekrieg un-
bekümmert, ſeinen großen Plan weiter verfolgen, und das um ſo
mehr, da jeder Schritt vorwärts die Exiſtenz der feindlichen Flotte
ſelbſt gefährdete, indem er derſelben die Küſten der Heimath nahm.
Dies ins Werk zu ſetzen, war Zweck des nächſten Feldzuges.


Mit dem Frühling 333 verſammelten ſich in Gordium die
verſchiedenen Abtheilungen des Macedoniſchen Heeres; von Süden
her aus Kelänä rückten die Truppen ein, welche mit Alexander den
Winterfeldzug gemacht hatten; von Sardes her führte Parmenion
die Reuterei und den Train der großen Armee herbei; aus Mace-
[151] donien kamen die Neuverheiratheten von ihrem Urlaub zurück, mit
ihnen eine bedeutende Zahl Neuangeworbener, namentlich dreitau-
ſend Macedonier zu Fuß und dreihundert zu Pferde, zweihundert
Theſſalier zu Pferde und hundertundfunfzig Eleer, ſo daß Alexan-
der trotz der zurückgelaſſenen Beſatzungen nicht viel weniger Mann-
ſchaften 6) als am Granikus beiſammen hatte. Wie der Geiſt
dieſer Truppen war, läßt ſich aus dem, was Alexander bereits voll-
bracht, und noch mehr aus dem, was er ihnen als den Preis ihrer
Kämpfe zeigte, abnehmen; unüberwindlich in dem Stolz der errun-
genen Siege und dem Enthuſiasmus der kühnſten Hoffnungen, ſa-
hen ſie Aſien ſchon als ihre Beute an; ſie ſelbſt, ihr König und
die Götter waren ihnen Gewähr für neue Siege.


Die Stadt Gordium, berühmt als der uralte Sitz Phrygi-
ſcher Könige, hatte auf ihrer Burg die Palläſte des Gordius und
Midas, und den Wagen, an dem Midas einſt erkannt worden
war als der von den Göttern zur Herrſchaft Phrygiens erkorene;
das Joch an dieſem Wagen war durch einen aus Baumbaſt geſchürzten
Knoten ſo künſtlich befeſtigt, daß man weder deſſen Anfang noch Ende
bemerken konnte; es war aber ein Orakel, daß, wer den Knoten
löſete, Aſiens Herrſchaft erhalten würde. Alexander ließ ſich die
Burg, den Pallaſt, den Wagen zeigen, er hörte dies Orakel, er
beſchloß es zu erfüllen und den Knoten zu löſen; umſonſt ſuchte er
[152] ein Ende des Baſtes, und verlegen ſahen die Umſtehenden ſein ver-
gebliches Bemühen; ſo wäre Aſiens Herrſchaft nicht ſein? er zog
ſein Schwert und durchhieb den Knoten; das Orakel war, gleich-
viel wie, erfüllt. Und in der That, der kühne Schwertſtreich war
ſeiner würdiger und für die Zukunft bedeutſamer, als die müh-
ſamſte Geduld; ja mit dieſer hätte er aufgehört Alexander und der
Ueberwinder Aſiens zu ſein, nur ſein Schwert vermochte das Un-
entwirrbare zu entwirren, vermochte den todten Völkerknäuel und
das Joch Aſiens zu löſen nach dem Spruche der Götter; die
Götter ſelbſt verkündeten in der Nacht mit Donner und Blitz, daß
Alexander ihren Willen erkannt und erfüllt habe, und Alexander
opferte den [Göttern], daß ſie die Löſung des Joches ſeinem Geiſte
offenbart und ihm das Zeichen in der Nacht gegeben hätten 7).


Das Heer brach Tages darauf von Gordium auf und mar-
ſchirte am Südabhange der Paphlagoniſchen Grenzgebirge nach An-
cyra; dorthin kam eine Geſandtſchaft der Paphlagonier, dem Könige
die Unterwerfung ihres Landes unter der Bedingung anzubieten,
daß keine Macedoniſchen Truppen nach Paphlagonien kämen. Ale-
xander willigte gern ein; Paphlagonien blieb unter einheimiſchen
Dynaſten; es trat unter die Hoheit der Statthalterſchaft von Phry-
gien am Hellespont 8).


[153]

Weiter ging der Zug über den Halys nach Kappadocien, das
gleichfalls ohne Widerſtand durchzogen, und, obſchon der nördliche
Theil dieſer wichtigen Provinz nicht occupirt werden konnte, doch
als Macedoniſche Satrapie an Sabiktas übertragen wurde 9); mit
den Griechiſchen Colonieſtädten am Pontus waren längſt Verbin-
dungen angeknüpft, und wenigſtens einige von ihnen nahmen die
Demokratie, die Alexander hergeſtellt wünſchte, wieder an, ſo na-
mentlich Amiſus; in anderen blieb die Perſiſche Parthei und die
Macht der Tyrannen überwiegend, ſo in Sinope und Heraklea,
das am Granikus für die Perſer gekämpft hatte; doch ſchien es
nicht nothwendig, die wichtigeren Unternehmungen länger hinauszu-
ſchieben, um die abgelegene Küſte des Pontus zu beſetzen; Alexan-
der eilte den Küſten des Mittelmeeres zu. Der Weg, den er
nahm, führte in ſüdöſtlicher Richtung am Nordabhange des Taurus
zu den Ciliciſchen Päſſen oberhalb Tyana, denſelben, welche vor
etwa ſiebzig Jahren der jüngere Cyrus mit ſeinen zehntauſend
Griechen überſchritten hatte 10).


[154]

Alexander fand die Höhen mit ſtarken Poſten beſetzt; deshalb
ließ er das übrige Heer lagern, und brach ſelbſt mit den Hypas-
piſten, den Schützen und Agrianern um die erſte Nachtwache auf,
um die Feinde beim Dunkel der Nacht zu überfallen; kaum hörten
die Wachen ihn anrücken, ſo verließen ſie in eiligſter Flucht den
Paß, welchen ſie mit leichter Mühe hätten ſperren können, wenn
ſie ſich nicht auf verlorenem Poſten geglaubt hätten; denn Arſames,
der Ciliciſche Satrap, ſchien ſie nur vorgeſchoben zu haben, um
Zeit zu gewinnen, das Land zu plündern und zu verwüſten, und
ſich dann ſicher, eine Einöde in ſeinem Rücken, auf Darius, der
bereits vom Euphrat her anrückte, zurückziehen zu können. Deſto
eiliger zog Alexander durch die Päſſe, und mit ſeiner Reuterei und
den leichteſten der Leichtbewaffneten auf Tarſus los, ſo daß Arſa-
mes, der die Feinde weder ſo nah, noch ſo raſch geglaubt hatte, in
eiliger Flucht, ohne die Stadt oder das Land geplündert zu haben,
ſein Leben für einen baldigen Tod rettete.


Von Nachtwachen, Eilmärſchen und der Mittagsſonne eines
heißen Sommertages ermattet, kam Alexander mit ſeinen Geſchwa-
dern zum Cydnus, einem klaren und falten Bergſtrome, der durch
die Stadt Tarſus hinſtrömt. Schnell und nach dem Bade verlan-
gend, warf er Helm, Harniſch und Kleid ab, und eilte in den
Strom; da überfiel ihn ein Fieberſchauer, er ſank unter; halbtodt,
10)
[155] bewußtlos, zog man ihn aus dem Strom und trug ihn in ſein
Zelt; Krämpfe und brennende Hitze ſchienen die letzten Zeichen des
Lebens, das zu erretten alle Aerzte verzweifelten; die Rückkehr des
Bewußtſeins wurde zur neuen Qual, ſchlafloſe Nächte und der
Gram um den zu nahen Tod zehrten die letzte Kraft hinweg; die
Freunde trauerten, das Heer verzweifelte, der Feind war nah, Nie-
mand wußte Rettung. Endlich erbot ſich der Akarnaniſche Arzt
Philippus, der den König von Kindheit an kannte, einen Trank zu
bereiten, der helfen würde; Alexander bat um nichts als eilige
Hülfe; Philippus verſprach ſie. Zu derſelben Zeit erhielt Alexan-
der von dem alten, treuen Parmenion einen Brief des Inhaltes:
er möge ſich hüten, Philippus, der Arzt, habe von Darius tauſend
Talente und das Verſprechen, mit einer Tochter des Großkönigs ver-
mählt zu werden, erhalten, um Alexander zu vergiften. Alexander
gab den Brief ſeinem Arzte, und leerte, während jener las, den
Kelch, den ihm Philippus gemiſcht hatte. Ruhig las der Arzt, er
wußte ſich aller Schuld rein, dann beſchwor er den König, ihm zu
trauen und zu folgen, bald werde dann ſein Leiden vorüber ſein;
er ſprach mit ihm von der Heimath, von ſeiner Mutter und ſeinen
Schweſtern, den nahen Siegen und den wunderreichen Ländern
des Oſtens; ſeine treue Sorgfalt ward durch des Königs baldige
Geneſung belohnt, und Alexander kehrte zurück in die Reihen ſeiner
Macedonier 11).


Sofort wurden die Kriegsoperationen mit doppeltem Eifer
fortgeſetzt. Der Beſitz Ciliciens war dem Könige wegen der
Päſſe nach Kleinaſien und nach dem oberen Aſien von der größten
Wichtigkeit; deshalb ſchien es nothwendig, ſich dieſer Landſchaft
ganz zu verſichern 12). Während Parmenion mit den Söldnern
[156] und Bundestruppen, mit den Theſſaliern und den Thraciern des
Sitalces oſtwärts vorrückte, und die Päſſe nach Oberaſien beſetzte,
ging der König weſtwärts, um ſich des Weges von Iconium und
des ſogenannten rauhen Ciliciens zu verſichern, deſſen Bewohner,
freie räuberiſche Bergvölker, wie ihre Piſidiſchen Nachbaren, leicht
die Verbindung mit Kleinaſien ſtören konnten. Er ging demnach
von Tarſus nach der Stadt Anchiale, die, von Sardanapal 13) ge-
gründet, das Standbild dieſes Aſſyriſchen Königs aufbewahrte, mit
der merkwürdigen Inſchrift: „Anchiale und Tarſus hat Sardana-
pal an Einem Tage gegründet; du aber Fremdling, iß, trinke, liebe;
was ſonſt der Menſch hat, iſt nicht der Rede werth.“ — Dann
kam der König nach der Stadt Soli, der Heimath der Solöcis-
men, die, obſchon Griechiſchen Urſprungs 14), den Perſern ſo an-
hing, daß ſich Alexander bewogen fühlte, nicht nur eine Beſatzung
in der Stadt zu laſſen, ſondern ihr eine Buße von zweihundert
Talenten Silber aufzulegen. Von hier aus machte er mit drei
Diviſionen der Macedonier und mit den Schützen und Agrianern
einen Streifzug in das rauhe Cilicien; in ſieben Tagen hatte er
theils durch Gewalt, theils in Güte die Unterwerfung dieſer Ge-
birgsbewohner vollendet und ſomit ſeine Verbindung mit den weſt-
lichen Provinzen geſichert. Er kehrte nach Soli zurück, und, um
den Helleniſchen Urſprung der Stadt zu ehren und ſie für die Helle-
niſche Sache zu gewinnen, veranſtaltete er in derſelben zur Feier
ſeiner Wiedergeneſung und des glücklichen Beginns des Feldzuges
jenſeits des Taurus mannichfache Feſtlichkeiten, deren Freude durch
die Botſchaft aus Karien, daß die Perſer aus allen Plätzen der
Küſte, ſo wie aus Cos verjagt ſeien, erhöht wurde; durch das
große Opfer, das dem Asklepios gebracht wurde, durch den Feſt-
aufzug des geſammten Heeres, durch den Fackellauf, durch die
gymniſchen und künſtleriſchen Wettkämpfe mag in den, der Grie-
chiſchen Sitte faſt ſchon entwöhnten Soliern die Erinnerung an die
Heimath und an den eigenen Urſprung auf das Lebhafteſte er-
[157] weckt worden ſein; nun war die Zeit der Barbaren vorüber, Griechi-
ſches Leben gewann Raum in den Ländern vieljähriger Knechtſchaft,
Griechiſcher Urſprung, ſonſt in Mitten Aſiatiſcher Barbarei verach-
tet und vergeſſen, wurde der ſchönſte Ruhm und die höchſte Berech-
tigung. Alexander gab den Soliern demokratiſche Verfaſſung; er
benutzte die nächſte Gelegenheit, ihnen die Brandſchatzung zu erlaſ-
ſen und ihre Geißeln zurückzugeben 14a).


Nach Tarſus zurückgekehrt, ließ der König ſeine Reuterei, un-
ter Philotas Führung, über das Aleiſche Feld an den Pyramus-
ſtrom vorrücken, während er ſelbſt mit dem anderen Heere an der
Küſte entlang über Magarſus nach Mallus zog, zweien Städten,
deren alte, mit den Heroenſagen der Hellenen verknüpfte Erinne-
rungen dem Könige Gelegenheit gaben, ſie durch das ehrenvolle
Anerkenntniß ihres mit den Macedoniern gemeinſamen Urſprungs
näher an ſein Intereſſe zu knüpfen; auch hatte ſich, namentlich in
Mallus, das Volk ſchon vor dem Erſcheinen Alexanders gegen ſeine
bisherigen Unterdrücker erhoben und ſich laut für die Macedoniſche
Sache erklärt; den blutigen Kampf zwiſchen der Perſiſchen und der
Volksparthei entſchied und ſtillte erſt Alexanders Erſcheinen; er gab
der Stadt die Freiheit, erließ ihr die bisher an den Perſerkönig
entrichteten Tribute und hielt für den Argiviſchen Heros Amphi-
lochus, den angeblichen Gründer der Stadt, mit dem er ſelbſt als
Nachkomme der Argiviſchen Herakliden ſich verwandt nannte, ein
feierliches Todtenopfer 14b). —


Noch während des Aufenthaltes in Mallus erhielt Alexander
die Nachricht, daß der König Darius mit einem ungeheuren Heere
vom Euphrat herangerückt ſei, und bereits einige Zeit in der Sy-
riſchen Stadt Onchä oder Sochi, kaum zwei Tagereiſen von den
Päſſen entfernt ſtehe 14 c). Alexander verſammelte ſofort einen
[158] Kriegsrath und theilte die Nachricht mit; Alle waren der Meinung,
man müſſe eiligſt aufbrechen, durch die Päſſe vorrücken, und die
Perſer, wo man ſie auch fände, angreifen; die Truppen ſeien voll
Verlangen nach einer Schlacht, durch einen Sieg wollten ſie ihrer
Seits des Königs Geneſung feiern. Der König entließ ſeine Ge-
nerale mit gebührenden Lobſprüchen und mit dem Befehl, am näch-
ſten Morgen aufzubrechen; der Marſch ging von Mallus aus um
den Iſſiſchen Meerbuſen hin nach Iſſus. Von hier führen zwei
Wege nach Syrien; der eine, beſchwerlichere, geht oſtwärts durch
die Schluchten und über die Höhen der Amaniſchen Berge;
Alexander wählte dieſen nicht, indem theils ſeine Soldaten durch
den Wechſel von Berg und Thal und durch die Unwegſamkeit der
Gegend doppelt ermüdet an den Feind gekommen wären, beſonders
aber, weil er ſeine Bewegungen nicht früher von der Ciliciſchen
Seeküſte entfernen durfte, als bis ſie ganz in ſeiner Gewalt und
den feindlichen Schiffen geſperrt war; darum rückte er, mit Zurück-
laſſung der Kranken, die im Rücken der Armee am ſicherſten wa-
ren, von Iſſus aus auf der gewöhnlichen und den Griechen durch
Xenophons Beſchreibung bekannten Straße ſüdwärts an der Mee-
resküſte hin, und durch die ſogenannten Strandpäſſe nach der Kü-
ſtenſtadt Myriandrus, unfern vom Eingang der Syriſchen Haupt-
päſſe, um von hier aus mit dem nächſten Morgen in die Ebene
von Syrien und nach Onchä aufzubrechen. Ueber Nacht aber be-
gann heftiges Unwetter, es waren die erſten Novembertage; Sturm
und Regen machten den Aufbruch unmöglich; das Heer blieb im
Lager von Myriandrus, etwa drei Meilen ſüdwärts der Strand-
päſſe, in wenig Tagen hofften ſie den Feind auf der Ebene von
Onchä zur entſcheidenden Schlacht zu treffen.


In der That, entſcheidend mußte das nächſte Zuſammentreffen
der beiderſeitigen Heere werden. Darius hatte ein ungeheures
Heer zuſammengezogen, in dem ſich allein an hunderttauſend wohl-
be waffnete und disciplinirte Aſiaten und dreißigtauſend Griechiſche
Söldner befanden; Darius vertraute auf dieſe Macht, auf ſeine
14 c)
[159] gerechte Sache, auf ſeinen Kriegsruhm; er glaubte gern den ſtolzen
Verſicherungen ſeiner Großen und gewiſſen Träumen, die ihm gün-
ſtig genug von den Chaldäern zu Babylon, wo ſich eben damals
das Reichsheer verſammelte, gedeutet waren; er hatte das Macedoni-
ſche Lager in dem Scheine einer ungeheuren Fcucrsbrunſt, den
Macedoniſchen König in Perſiſcher Fürſtentracht durch Babylons
Straßen reiten, dann Roß und Reuter verſchwinden ſehen. Und
als ſich dann in der Ebene von Babylon ſeine Völker verſammelt
hatten, als das bunte Gewimmel der reichgeſchmückten Neuterſchaa-
ten, der ſchwergewaffneten Griechen und Kardaker, der Völker vom
Indus und vom Nil, von Turan und Iran in endloſem Zuge an
ihm vorüberzog 14 d), da mochte er mit hohem Selbſtgefühl ei-
nem Feinde entgegen gehen, deſſen Macht kaum dem zwanzigſten
Theile ſeines Heeres gleich kam. Umgeben von der ganzen Pracht
eines Aſiatiſchen Sultans, begleitet von ſeinem Hofſtaat und Ha-
rem, von den Harems der Perſiſchen Satrapen und Fürſten, von
den Schaaren der Eunuchen und Stummen, zu den Hunderttau-
ſenden unter den Waffen eine endloſe Karavane geſchmückter Wa-
gen, goldener Baldachine, lärmenden Troſſes, ſo war der König
über den Euphrat in die Ebene von Ouchä gezogen; dort wurde
gelagert, dort in der weiten Ebene, die der Perſiſchen Reutermacht
vor allen günſtig und der Menge leichten Volkes nicht gefährlich
war, wollte man den Feind erwarten, ihn zermalmen. Da kam
der flüchtige Satrap aus Cilicien ins Lager; er brachte die erſte
beunruhigende Nachricht von Alexanders Nähe, von der Schnellig-
keit ſeiner Bewegungen; man erwartete täglich die Staubwolke im
Weſten. Es verging ein Tag nach dem anderen, man wurde gleich-
gültig gegen die Gefahr, die nicht näher kam, man vergaß, was
ſchon verloren, man verſpottete den Feind, der das enge Küſtenland
nicht zu verlaſſen wage, der wohl ahne, daß die Hufe der Perſi-
ſchen Roſſe hinreichen würden, ſeine Macht zu zertreten; nur zu
gern hörte Darius die übermüthigen Worte ſeiner Großen: der
Macedonier werde, eingeſchüchtert durch die Nähe der Perſer, nicht
[160] aus Tarſus gehen, man müſſe ihn angreifen, man werde ihn ver-
nichten. Vergebens widerſprach der Macedonier Amyntas: Alexan-
der werde den Perſern nur zu bald entgegenrücken, ſein Säumen
ſei nichts als ein Vorzeichen doppelter Gefahr, um keinen Preis
dürfe man ſich in die engen Thäler Ciliciens hinabwagen; das
Feld von Onchä begünſtige vor allen die Perſiſche Macht, hier
könnte die Menge ſiegen oder beſiegt ſich retten. Aber Darius,
mistrauiſch gegen den Fremdling, der ſeinen König verrathen, durch
die Schmeichelreden ſeiner Großen und durch die eigenen Wünſche
berauſcht, endlich durch die Unruhe der Schwäche und durch ſein
Verhängniß vorwärts getrieben, beſchloß die Stellung von Onchä
aufzugeben und den Feind, der ihn meide, aufzuſuchen. Das un-
nöthige Heergeräth, die Harems, der größte Theil des Schatzes, kurz
Alles, was den Zug hindern konnte, wurde unter Kophenes, dem
Bruder des Admirales Pharnabazus, nach Damaskus geſandt, wäh-
rend der König, um nicht den Umweg über Myriandrus nehmen
zu brauchen, durch die Amaniſchen Päſſe nach Cilicien einrückte
und in Iſſus ankam. Dies geſchah an demſelben Tage, da Ale-
xander nach Myriandrus gezogen war. Die Perſer fanden in Iſ-
ſus die Kranken des Macedoniſchen Heeres, ſie wurden unter grau-
ſamen Martern umgebracht; die frohlockenden Barbaren meinten,
Alexander fliehe vor ihnen, ſie glaubten, er ſei von der Heimath
abgeſchnitten, ſein Untergang gewiß. Ungeſäumt brachen die Völ-
ker auf, die fliehenden zu verfolgen.


Allerdings war Alexander abgeſchnitten; man hat ihn der Un-
vorſichtigkeit angeklagt, daß er die Amaniſchen Thore nicht beſetzt,
daß er keine Beſatzung in Iſſus zurückgelaſſen, ſondern die zurück-
bleibenden Kranken einem grauſamen Feinde Preis gegeben habe;
ja ſein ganzes Heer, ſagt man, hätte elend untergehen müſſen, wenn
die Perſer eine Schlacht vermieden, das Meer durch ihre Flotte,
die Rückzugslinie Alexanders durch eine hartnäckige Defenſive ge-
ſperrt, jedes Vorrücken durch ihre Reuterſchwärme beunruhigt und
durch Verwüſtungen, wie ſie Memnon gerathen, doppelt gefährlich
gemacht hätten. Alexander kannte die Perſiſche Kriegsmacht; er
wußte, daß die Verpflegung von ſo vielen Hunderttauſenden auf ſei-
ner Marſchlinie und in dem engen Cilicien auf längere Zeit eine
Unmöglichkeit ſei, daß jenes Heer, nichts weniger als ein organi-
ſches
[161] ſches Ganze, zu einem Syſtem militäriſcher Bewegungen, durch die
er hätte umgarnt werden können, unfähig ſei, daß im ſchlimmſten
Falle eine Reihe raſcher und kühner Märſche von ſeiner Seite
jene unbehülfliche Maſſe zum Nachrücken gezwungen, verwirrt, auf-
gelöſt und jedem Ueberfall bloßgegeben hätte. Darius hätte für
ſeine Völkermaſſe das einer Maſſenwirkung günſtige Terrain be-
halten müſſen; in ſeiner Verblendung war er jetzt in die enge
Strandebene am Pinarus vorgerückt; von flüchtigen Landleuten be-
nachrichtigt, daß Alexander kaum einige Stunden entfernt jenſeits
der Strandpäſſe ſtehe und nichts weniger als auf der Flucht ſei,
mußte er ſich jedenfalls, da er ſein ungeheures Heer weder ſchnell
genug zurückziehen konnte, noch gegen dieſe Thermopylen Ciliciens
vorzuſchieben wagte, in der engen Ebene gelagert zu einer Schlacht
vorbereiten, für die er jetzt die Vortheile des Angriffs dem Feinde
überlaſſen mußte. — In der That, hätte es irgend ein Strategem
gegeben, den Großkönig zum Aufbruch aus der Ebene von Onchä
und zu dieſer folgereichen Bewegung nach Cilicien hinab zu nöthi-
gen, ſo würde es Alexander, ſelbſt wenn es einen größeren Verluſt,
als den der Lazarethe von Iſſus gegolten hätte, mit Freuden ge-
wagt haben; ſo unglaublich ſchien ihm das erſte Gerücht von Da-
rius Nähe, daß er einige Officiere auf einer Jacht an der Küſte
entlang fahren ließ, um ſich von der Nähe des Feindes wirklich
zu überzeugen.


Einen anderen Eindruck machte daſſelbe Gerücht auf die Trup-
pen Alexanders 15); ſie hatten den Feind in einigen Tagen und
auf offenem Felde zu begegnen gehofft; jetzt war Alles unerwartet
und übereilt; jetzt ſtand der Feind in ihrem Rücken, ſchon morgen
ſollte gekämpft werden; man werde, hieß es, was man ſchon be-
ſeſſen, dem Feinde durch eine Schlacht entreißen, jeden Schritt
rückwärts mit Blut erkaufen müſſen; vielleicht aber ſeien die Päſſe
ſchon beſetzt und geſperrt, vielleicht müſſe man ſich, wie einſt die
Zehntauſend, durch das Innere Aſiens durchſchlagen, um ſtatt
Ruhm und Beute, kaum das nackte Leben in die Heimath zu brin-
gen; und das alles, weil man nicht vorſichtig vorgerückt ſei; man
11
[162] halte den gemeinen Soldaten nicht werth, und gäbe ihn, wenn er
verwundet zurück bleibe, ſeinem Schickſal und den Feinden Preis.
So und ärger noch murrten die Soldaten, während ſie ihre Waf-
fen putzten und ſich zum Kampfe anſchickten, weniger aus Misver-
gnügen, als weil es anders, wie ſie erwartet hatten, gekommen
war, und um ſich des bangen Gefühls, das die tapferſten Truppen
bei der Nähe einer langerwarteten Entſcheidung ergreift, mit lau-
tem Scheltworte zu entſchlagen.


Alexander kannte die Stimmung ſeiner Truppen; er ſtörte
dieſe Ungebundenheit nicht, die der Krieg erzeugt und fordert.
Sobald die Jacht von ihrer Expedition zurückgekehrt war und Ale-
xander den Bericht erhalten hatte, daß die Ebene von der Pinarus-
mündung bis Iſſus mit Zelten bedeckt, daß Darius in der Nähe
ſei, ſo berief er die Generale, Reuteroberſten und Befehlshaber
der Bundesgenoſſen, theilte ihnen die Berichte, die er empfangen,
mit, und zeigte, daß unter allen denkbaren Möglichkeiten die jetzige
Stellung des Feindes den ſicherſten Erfolg verſpreche; ſie möchten
ſich nicht durch den Schein, umgangen zu ſein, täuſchen laſſen, ſie
hätten zu oft rühmlich gekämpft, um den Muth bei ſcheinbarer Ge-
fahr ſinken zu laſſen; ſtets Sieger, gingen ſie ſtets Beſiegten ent-
gegen; derſelbe Gott, der den Perſerkönig verblendet, die Ebene von
Onchä mit den Schluchten Ciliciens zu vertauſchen, werde ſie zum
Siege führen; Macedonier gegen Meder und Perſer, erfahrene,
unter Waffen ergraute Krieger gegen die längſt der Waffen ent-
wöhnten Weichlinge Aſiens, freie Männer gegen Sklaven, Grie-
chen, die für ihre Götter und ihr Vaterland freiwillig kämpften,
gegen entartete Griechen, die für armſeligen Sold ihr Vaterland
und den Ruhm ihrer Vorfahren verriethen, die ſtreitbarſten und
freieſten Antochthonen Europas gegen die verächtlichſten Stämme des
Morgenlandes, kurz, Kraft gegen Entartung, das höchſte Wollen ge-
gen die tiefſte Ohnmacht, alle Vortheile des Terrains, der Kriegs-
kunſt, der Tapferkeit gegen Perſiſche Horden, könne da der Aus-
gang des Kampfes zweifelhaft ſein? Der Preis dieſes Sieges aber
ſei nicht mehr eine oder zwei Satrapien, ſondern das Perſerreich;
nicht die Reuterſchaaren und Söldner am Granikus, ſondern ein
Reichsheer Aſiens, nicht Perſiſche Satrapen, ſondern den Perſer-
könig würden ſie beſiegen; nach dieſem Siege bleibe ihnen nichts
[163] weiter zu thun übrig, als Aſien in Beſitz zu nehmen, und ſich
reichlich für alle Mühſale zu entſchädigen, die ſie gemeinſam durch-
kämpft. Und nun erinnerte er an jedes Einzelnen Großthaten, er
dankte dem greiſen Parmenion für ſeine Treue, er dankte dem küh-
nen Philotas für den Tag am Granikus, dem Perdikkas für den
erſten Sturm auf Halikarnaß, dem Agrianer Attalus für ſeine
Dienſte bei Sagalaſſus; er wünſchte dem Antiochus Glück, die Bo-
genſchützen zu führen, deren Kühnheit der Tod zweier Führer in
einem Jahre rühmlichſt bezeugte; er ſelbſt geſtehe, nichts ſehnlicher
zu wünſchen, als ſeiner Generale und ſeiner Truppen ſich würdig
zu zeigen; er trage ſeine Narben ſtolzer als ſein Diadem 16).
Das und vieles Andere, was vor der Schlacht im Munde des
tapferen Feldherrn tapfere Männer anzufeuern geeignet iſt, ſprach
Alexander mit der ihm eigenthümlichen Hoheit und Begeiſterung;
Niemand, den nicht des jugendlichen Helden Worte ergriffen hätten;
ſie drängten ſich zu ihm und ſchüttelten ihm treuherzig die dargebotene
Rechte, ſie verlangten, gleich aufzubrechen, gleich zu kämpfen. Ale-
xander entließ ſie mit dem Befehl, zunächſt dafür zu ſorgen, daß
die Truppen gehörig geſpeiſ’t würden, einige Reuter und Schützen
vorauszuſchicken, um den Weg bis zu den Strandpäſſen zu recog-
nosciren und dieſe zu beſetzen, mit den übrigen Truppen für den
Abend zum Marſch bereit zu ſein.


Am ſpäten Abend brach das Heer auf, erreichte um Mitter-
nacht die Päſſe, machte Halt, um ſich etwas zu ruhen, während
Alexander ſeine Vorpoſten mit der größten Vorſicht auf die Berge
vorſchob. Nach wenigen Stunden wurde aufgebrochen; während
der König bei Fackelſchein auf der Höhe opferte, zogen die Ko-
lonnen am Fuße derſelben vorüber; mit dem erſten Tagen verließ
man die Defileen und rückte in die Strandebene 17).


11 *
[164]

Dieſe Ebene erſtreckt ſich von den Strandpäſſen etwa zwei
Meilen nordwärts bis zur Stadt Iſſus; auf der Weſtſeite vom
Meere, auf der Oſtſeite von den zum Theil hohen Felſen einge-
ſchloſſen, erweitert ſie ſich mehr und mehr, je weiter ſie ſich von
den Päſſen entfernt. In der Mitte, wo ſie über eine halbe Meile
breit iſt 18), durchſtrömt ſie ſüdweſtwärts ein kleines Gebirgswaſ-
ſer, der Pinarus, deſſen nördliche Ufer zum Theil abſchüſſig ſind;
er kommt nordöſtlich aus den Bergen, die, ſeinen Lauf begleitend
auf ſeinem Südufer eine bedeutende Berghöhe in die Ebene vor-
ſchicken, ſo daß ſich mit dem Laufe des Pinarus die Ebene etwas
bergein fortſetzet. In einiger Entfernung nordwärts vom Pinarus
begann das Perſiſche Lager.


Sobald Darius Nachricht erhielt, daß Alexander zu den
Strandpäſſen zurückgekehrt, daß er bereit ſei, eine Schlacht anzu-
bieten, und bereits anrücke, wurde ſo ſchnell und ſo gut es ſich
thun ließ, die Perſiſche Heeresmaſſe geordnet. Freilich war das
ſehr beſchränkte Terrain der Uebermacht nicht günſtig, deſto mehr
ſchien es eine ruhige Defenſive zu begünſtigen; der Pinarus mit
ſeinen abſchüſſigen Ufern war wie Wall und Graben, hinter dem
ſich die Maſſe des Heeres ordnen ſollte. Um dies ohne alle Stö-
17)
[165] rung bewerkſtelligen zu können, ließ Darius viele Tauſend Reuter
und leichtes Fußvolk über den Fluß gehen 19), mit der Weiſung,
ſich demnächſt rechts und links auf die Flügel der Linie zurückzu-
ziehen. Sodann wurde die Linie des Fußvolkes ſo geordnet, daß
den rechten Flügel die Griechiſchen Söldner, in der Zahl von drei-
ßigtauſend Mann, unter Thymondas Befehl, den linken bis in die
Berge hinein die ſchwerbewaffneten Kardaker einnahmen. Auf die
Berge zur Linken rückten zwanzigtauſend Mann ſchwerbewaffneter
Barbaren unter Führung des Theſſaliers Ariſtomedes aus Pherä
vor, beſtimmt, den rechten Flügel Alexanders zu gefährden; ſobald
die Macedonier zum Angriff an den Pinarus gerückt waren, ſtand
wenigſtens ein Theil jenes Corps im Rücken des rechten Flügels.
Der enge Raum geſtattete Perſiſcher Seits nur, die bezeichneten
Truppen zur unmittelbaren Theilnahme an der Schlacht zu dispo-
niren; die Mehrzahl der Völker, aus leichtem und ſchwerem Fuß-
volke beſtehend, rückte hinter der Linie colonnenweiſe auf, ſo daß
immer neue Truppen ins Treffen geführt werden konnten. Nach-
dem ſo Alles geordnet war, wurde den verſchiedenen Reuterſchwär-
men das Zeichen zum Rückzuge gegeben; ſie vertheilten ſich rechts
und links auf die Flügel; aber das Terrain ſchien auf dem linken Flü-
gel den Gebrauch der Reuterei unmöglich zu machen, weshalb auch
die dorthin Beſtimmten auf den rechten Flügel verlegt wurden, ſo daß
nun der Küſte zunächſt die geſammte Reuterei, die eigentlich Perſiſche
Macht, unter Führung des Nabarzanes vereint war. Darius ſelbſt
nahm nach der Perſiſchen Sitte auf ſeinem Schlachtwagen im Centrum
der geſammten Linie ſeine Stellung, umgeben von einer Reuter-
ſchaar der edelſten Perſer, die ſein Bruder Oxathres commandirte.
Der Schlachtplan war, daß das Fußvolk ſeine Stellung hinter dem
Pinarus behaupten ſollte, zu welchem Ende die weniger ſteilen Stel-
len des Ufers mit Verſchanzungen ausgefüllt wurden; auf dem
rechten Flügel dagegen ſollte die Perſiſche Reuterei ſich mit aller
[166] Gewalt auf den linken Flügel der Macedonier werfen, während
die Truppen von den Bergen her den Feinden in den Rücken
fielen 20).


Alexander ſeiner Seits hatte, ſobald das Terrain freier wurde,
aus ſeiner Marſchcolonne, in der das ſchwere Fußvolk, die Reuterei,
die Leichtbewaffneten nach einander heranzogen, die einzelnen Di-
viſionen in Schlachtlinie zu ſechszehn Mann Tiefe aufrücken laſ-
ſen 21); beim weiteren Vorrücken öffnete ſich die Ebene mehr und
mehr, ſo daß auch die Reuterei, auf dem linken Flügel die der
Peloponneſier, auf dem rechten, der wie gewöhnlich den Angriff
machen ſollte, die Theſſaliſche und Macedoniſche einſchwenken
konnte. Schon erkannte man in der Ferne die lange Linie des
Perſerheeres; die Höhen zur Rechten ſah man mit feindlichem Fuß-
volke bedeckt, man bemerkte, wie ſich eben vom linken Flügel der
Feinde große Schwärme Reuterei längs der Schlachtlinie hinab-
zogen, um ſich auf dem rechten feindlichen Flügel, wo das Terrain
[167] freier war, wie es ſchien, zu einer großen Reuterattake zu vereinen.
Alexander befahl ſofort der Theſſaliſchen Reuterei, hinter der Fronte,
damit der Feind es nicht ſähe, nach dem linken Flügel hinabzu-
ſprengen, und ſich zunächſt nach den Kretenſiſchen Bogenſchützen
und den Thraciern des Sitalkes, die eben jetzt in die Schlachtlinie
links bei den Phalangen einrückten, aufzuſtellen, indem er zugleich an
Parmenion, der den linken Flügel commandirte, den Befehl ſandte,
mit den Peloponneſiſchen Reutern, die links auf die Theſſalier folg-
ten, ſich ſo dicht als möglich an das Meer zu halten, damit die
Schlachtlinie nicht, was bei der Uebermacht der gegenüber ſtehenden
feindlichen Reuterei zu befürchten war, von der Seeſeite her umgan-
gen und eingeſchloſſen würde. Zugleich detaſchirte der König gegen
die auf den Bergen in ſeiner Rechten aufgeſtellten Kardaker ein
aus Agrianern, Schützen und Griechiſchen Reutern zuſammengeſetz-
tes Corps, während an die Stelle der Theſſalier die Päonier, die
Plänkerer und demnächſt die Macedoniſchen Bogenſchützen in den
rechten Flügel einrückten; dieſe ſollten, wenn die Macedoniſchen Ge-
ſchwader und die Hypaspiſten den Hauptangriff auf das feindliche
Centrum machten, den linken Flügel deſſelben beſchäftigen. Aber
je näher man dem Pinarus kam, deſto deutlicher erkannte man die
bedeutende Ausdehnung der feindlichen Linie, die weit über den rech-
ten Flügel des Macedoniſchen Heeres hinaus bis in die Berge
reichte; Alexander ſah ſich genöthiget, zwei von den Macedoniſchen
Geſchwadern aus ſeiner Linie nach dem äußerſten Flügel vorzuſchie-
ben, indem zugleich die Agrianer, die Bogenſchützen und einige
Eriechiſche Reuter von dem Fuß der Höhen zur Rechten mit in
die Linie gezogen wurden; denn ein heftiger Angriff auf die dort
poſtirten Barbaren hatte dieſe auf die Höhen der Berge zurück-
geworfen, ſo daß jetzt dreihundert Reuter, längs den Höhen aufge-
ſtellt, hinreichend ſchienen, die Bewegungen der Schlachtlinie von
dieſer Seite her zu ſichern.


Auf dieſe Weiſe reichte der rechte Flügel des Königs über
den der Feinde hinaus, indem zugleich die auf die Berge detaſchir-
ten Corps des Feindes von der Perſiſchen Linie ſo gut wie abge-
ſchnitten waren; die beiden Macedoniſchen Geſchwader, die auf
dem äußerſten Flügel ſtanden, die Schützen und Agrianer, die
leichte Reuterei, ſchienen hinreichend, den linken Flügel der Perſer
[168] vollauf zu beſchäftigen, während Alexander mit den übrigen Mace-
doniſchen Geſchwadern und den Hypaspiſten den Hauptangriff auf
das Centrum der feindlichen Linie machen wollte. War dies
durchbrochen, ſo hoffte er den rechten Flügel der Feinde, die durch
ihre ausgezeichnete Reuterei und durch die Phalangen der Griechi-
ſchen Söldner eine entſchiedene Uebermacht über ſeinen linken Flü-
gel hatten, durch einen gleichzeitigen Front- und Flankenangriff zu
vernichten; er konnte vorausſehen, daß jenes Manöver um ſo ent-
ſcheidender werden mußte, da Darius ſich nicht bei der Reuterei
auf dem rechten Flügel, die Perſiſcher Seits den Hauptangriff ma-
chen ſollte, ſondern im Mittelpunkt der Defenſive befand, die,
wenn ſchon durch die natürlichen Uferwände des Pinarus und
durch Erdaufſchüttungen geſchützt, einem heftigen Angriff der Ma-
cedonier nicht widerſtehen zu können ſchien.


Alexander ließ ſeine Linie langſam vorrücken und von Zeit zu
Zeit Halt machen, um mit der größten Ordnung und Energie auf
die Feinde einbrechen zu können; er ritt an der Fronte auf und
ab, ſprach zu den einzelnen Corps und ihren Führern, und von allen
Seiten jauchzten ihm die Schaaren freudig entgegen und forderten
wetteifernd, ſich auf die Barbaren ſtürzen zu dürfen. Sobald ſich
nun die ganze Linie in der ſchönſten und geſchloſſenſten Ordnung
auf Pfeilſchußweite den Feinden genähert hatte, begann der Schlacht-
geſang; im vollen Sturmlauf warf ſich Alexander an der Spitze
der Ritter und Hypaspiſten in den Pinarus; ohne von dem Pfeil-
hagel des Feindes bedeutenden Verluſt zu erleiden, erreichten ſie das
jenſeitige Ufer und warfen ſich mit ſolcher Gewalt auf das Centrum
der feindliche Linie, daß dieſe nach vergeblichem kurzen Widerſtande ſich
zu löſen und zu weichen begann. Schon ſah Alexander des Perſerkönigs
Schlachtwagen, er drang auf dieſen los; es entſpann ſich der blu-
tigſte Kampf zwiſchen den edlen Perſern, die ihren König verthei-
digten, und den Macedoniſchen Rittern, die ihr König führte; der
Kampf ſchwankte, es fielen Arſames, Rheomithres, Atizyes und der
Aegyptiſche Satrap Sabazes, Alexander ſelbſt ward im Schenkel
verwundet, deſto wüthender kämpften die Macedonier; Darius, be-
ſorgt für ſeine perſönliche Sicherheit, wandte ſeinen Wagen aus
dem Getümmel, ihm folgten die nächſten Reihen; bald war die
Flucht allgemein. Die Päonier, die Agrianer und die beiden Ge-
[169] ſchwader des Macedoniſchen Flügels ſtürzten ſich von rechts her
auf die verwirrten Haufen und vollendeten an dieſer Seite den
Sieg.


Indeß hatten dem heftigen Vorrücken Alexanders die ſchweren
Phalangen ſo wenig folgen können, daß ſich eine bedeutende Lücke
in der Macedoniſchen Fronte bildete; der Eifer des Angriffs, durch
die ſteilen Ufer gehemmt und vermehrt, löſte die Reihen immer
mehr; mit der Unordnung wuchs der Eifer, ſie zu vermeiden, und
die Gefahr, ſie zu vergrößern; und als Alexander ſchon in dem
Centrum der Feinde wüthete und ihr linker Flügel wankte, ſtürzten
ſich die Griechiſchen Söldner mit der größten Wuth in die Lücken
der Phalanx, der ſie ſich an Muth, Waffen und Kriegskunſt gewach-
ſen wußten; jetzt galt es, den ſchon verlorenen Sieg wieder zu ge-
winnen; gelang es, die Macedonier wieder hinter die ſteilen Ufer
zurückzudrängen, ſo war Alexander in der Flanke gefährdet und ſo
gut wie verloren; daſſelbe feuerte die Phalangen zu doppelter
Tapferkeit an; wichen ſie jetzt, ſo hatten ſie den Sieg, den Alexan-
der ſchon gewonnen, Preis gegeben. Den Kampf des gleichen Mu-
thes und der gleichen Kräfte machte der alte Haß zwiſchen Grie-
chen und Macedoniern noch blutiger; man wüthete doppelt, weil der
Feind des Feindes Fluch und Todesſeufzer verſtand. Schon lagen
hundertundzwanzig Macedonier, unter ihnen der Phalangenführer
Ptolemäus, erſchlagen, und noch währte das unentſchiedene Ge-
metzel. — So ſchwankte die Schlacht hier, die ſich in der Nähe
des Geſtades bereits für die Perſer zu entſcheiden ſchien; denn die
Perſiſchen Reuter waren über den Pinarus geſetzt und hatten ſich
mit ſolchem Ungeſtüm auf die Theſſaliſchen Reuter geworfen, daß
eines der Geſchwader ganz zerſprengt wurde, und die anderen ſich
nur durch die Geſchicklichkeit ihrer raſchen Pferde, indem ſie ſich
auf anderen und anderen Punkten ſtets von Neuem in die Perſi-
ſchen Schwadronen warfen, zu behaupten vermochten; es war nicht
möglich, daß ſie auf die Dauer der Uebermacht und der ungeheue-
ren Wuth der Perſiſchen Reuter widerſtanden. — Da gerade be-
gann der linke Flügel vor dem Schwerte Alexanders zu weichen,
und Darius ſtatt in der Schlacht und bei ſeinen Getreuen, ſein
Heil in der Flucht zu ſuchen. Alexander ſah ſeine Phalangen
in Gefahr und eilte, ſie zu retten, ehe er den flüchtigen König wei-
[170] ter verfolgte; er ließ ſeine Hypaspiſten links ſchwenken und den
Söldnern in die Flanke fallen, die, unfähig dem Doppelangriff zu
widerſtehen, geworfen, zerſprengt, niedergemacht wurden. Das
Geſchrei der Fliehenden riß Schaar auf Schaar mit ſich; die Per-
ſiſchen Reuterſchaaren, eben noch im kühnſten Kampfe, vernahmen
das Geſchrei „der König flieht“ mit Paniſchem Schrecken, ſie be-
gannen, ſich zu löſen, zu wenden, zu fliehen; ſie jagten durch die
Ebene, durch die ſchreienden, fliehenden, rettungsloſen Schaaren;
Alles ſtürzte den Bergen zu, die Schluchten füllten ſich; das Ge-
dränge aller Waffen und Nationen, der zermalmende Hufſchlag der
ſtürzenden Pferde, das Geſchrei der Verzweifelnden, die mörderiſche
Wuth ihrer Todesangſt, dazu die ſchneidenden Klingen der verfol-
genden Macedonier und das jubelnd: Siegesgeſchrei — das war
das Ende des glorreichen Tages von Iſſus. Der Verluſt der Per-
ſer war ungeheuer, der Wahlplatz mit Leichen und Sterbenden be-
deckt, ganze Schluchten des Gebirges mit Leichen geſperrt, und
hinter dem Wall von Leichen des Königs Flucht ſicher. Denn
Darius, der, ſobald Alexanders erſter Angriff glückte, ſein Vierge-
ſpann gewendet hatte, war durch die Ebene bis zu den Bergen
hingejagt, dann hemmte der jähe Boden die Eile, er ſprang vom
Wagen, ließ Mantel, Bogen und Schild zurück und warf ſich auf
ein Pferd, das zu ſeinem Füllen im heimiſchen Stalle mit der
Eile, die Darius verlangte, heimjagte. Alexander ſetzte ihm nach,
ſo lange es Tag war; den König zu fangen, ſchien der Sieges-
preis des Tages; er fand in der Schlucht des Königs Schlacht-
wagen, ſeinen Schild, Mantel und Bogen, der König ſelbſt war
meilenweit voraus; mit dieſen Trophäen kehrte er ins Lager der
Perſer zurück, das ohne Kampf von ſeinen Leuten beſetzt und zur
Nachtruhe eingerichtet war 22).


[171]

Die Beute, die man machte, war außer dem üppigen Prunke
des Lagers und den koſtbaren Waffen der Perſiſchen Großen, an
Geld und Geldeswerth nicht bedeutend, da die Schätze, die Feld-
geräthſchaften, die Hofhaltungen des Königs und der Satrapen
nach Damaskus geſendet waren. Von deſto größerer Bedeutung
war es, daß die Königin Mutter Siſygambis, die Gemahlin des
Darius und deren Kinder mit dem Lager, in dem ſie über die
Verwirrung der Flucht vergeſſen waren, in des Siegers Hände
fielen. Als Alexander, vom Verfolgen zurückgekehrt, mit ſeinen
Generalen im Zelte des Darius zu Nacht aß, hörte er das Weh-
klagen und Jammern weiblicher Stimmen in der Nähe und erfuhr,
daß es die königlichen Frauen ſeien, die Darius für todt hielten,
weil ſie geſehen, wie ſein Wagen, ſein Bogen und Königsmantel
im Triumph durch das Lager gebracht war; ſogleich ſandte Alexan-
der einen ſeiner Getreuen an ſie, mit der Verſicherung: Darius
lebe, ſie aber hätten nichts zu fürchten, er ſei weder ihr noch Da-
rius perſönlicher Feind, es handele ſich im ehrlichen Kampf um
Aſiens Beſitz, er werde ihren Rang und ihr Unglück zu ehren wiſ-
ſen. Und in der That ſuchte er auf jede Weiſe ſein königliches
Wort zu halten; nicht allein, daß ſie die Schonung genoſſen, die
dem Unglück gebührt, auch die Ehrerbietung, an die ſie in den Ta-
gen des Glückes gewöhnt waren, wurde ihnen nach wie vor gezollt,
ihr Hofſtaat ihnen gelaſſen und mit vielleicht größerem Aufwande
als früher ausgeſtattet; Alexander wollte ſie nicht als Kriegsgefan-
gene, ſondern als Königinnen gehalten, er wollte den Unterſchied
von Griechen und Barbaren vor der Majeſtät des Königthums
verſchwinden ſehen; zum erſten Male offenbarte ſich deutlich, wie
er ſein Verhältniß zu Perſien zu geſtalten dachte. Unter gleichen
Verhältniſſen hätten die Athener und Spartaner ihren Haß oder
ihre Habgier das Schickſal der feindlichen Fürſtinnen beſtimmen
laſſen; Alexanders Benehmen war eben ſo ſehr das Zeugniß einer
feineren Bildung und umfaſſenderen Staatskunſt, wie eine Aeuße-
22)
[172] rung ſeines hochherzigen Charakters; ſeine Zeitgenoſſen prieſen die-
ſen, weil ſie oder ſo lange ſie jene nicht begriffen; faſt keine That
Alexanders haben ſie mehr bewundert, als dieſe Milde, wo er den
ſtolzen Sieger, dieſe Ehrerbietung, wo er den Griechen und den
König hätte zeigen können; bewunderungswürdiger als Alles ſchien
ihnen dieſe Tugend des Jünglings, daß er, diesmal größer als ſein
großes Vorbild Achilles, den ſüßeſten Preis des Sieges verſchmähete,
da doch Darius Gemahlin für die ſchönſte aller Aſiatiſchen Frauen
galt; von ihrer Schönheit auch nur zu ſprechen, wo er nahe war,
verbot er, damit auch nicht ein Wort den Gram der edlen Frau
vermehre. Gern und mit Begeiſterung erzählten ſich die Macedo-
nier von ihrem König, der, ſo menſchlich, wo er ſiegte und doppelt
ſiegreich, wenn er ſeinem Herzen folgte, ſelbſt die Feinde zu Freun-
den gewann; und manche Sage hat, wenn auch nicht den Werth
des Faktums, doch den höheren, ein Ausdruck der gerechten Be-
wunderung für den König zu ſein und zu zeigen, was man als
ſeiner würdig glaubte. So erzählte man ſich in jenen Tagen: der
König ſei, nur von ſeinem Lieblinge Hephäſtion begleitet, in das
Zelt der Fürſtinnen gekommen, dann habe die Königin Mutter,
ungewiß, wer von beiden gleich glänzend gekleideten Männern der
König ſei, ſich vor Hephäſtion, der höher von Geſtalt war, in den
Staub geworfen, nach Perſiſcher Sitte anzubeten; aber da ſie durch
Hephäſtions Zurücktreten über ihren Irrthum belehrt, in der höch-
ſten Beſtürzung ihr Leben verwirkt geglaubt, habe Alexander lä-
chelnd geſagt: „Du haſt nicht geirrt, o Mutter, auch der iſt Ale-
xander.“ Dann habe er den ſechsjährigen Knaben des Darius auf
den Arm genommen und ihn geherzt und geküßt 23). — Wie
ſehr ſolche Herzlichkeit im Sinne des jungen Königs war, zeigte
vor allen auch ſeine Sorge für die am Tage der Schlacht Ver-
wundeten; obſchon ſelbſt verwundet, beſuchte er ſie und dankte ih-
[173] nen für ihre Hingebung und rühmte ihre Tapferkeit; die Gefalle-
nen wurden mit allem militäriſchen Gepränge, indem das ganze
Heer wie zur Schlacht ausrückte, beſtattet; die drei Altäre am Pi-
narus wurden ihr Denkmal 24), die Stadt Alexandria am Ein-
gange der Syriſchen Päſſe das Denkmal des großen Tages von
Iſſus, der mit einem Schlage die Perſiſche Macht vernichtet hatte.


Das Perſiſche Heer war durchaus aufgerieben; die wenigen
Schaaren, die ſich gerettet hatten, ſuchten über die Berge nach dem
Euphrat und zu ihrer Heimath zu gelangen; andere Haufen waren
nordwärts in die Ciliciſchen Berge geflohen, und hatten ſich von
dort nach dem nahen Kappadocien und Groß-Phrygien geworfen;
ein Angriff des Phrygiſchen Statthalters Antigonus jagte ſie aus-
einander 25). Die Griechiſchen Söldner, wie ſehr ſie auch in der
Schlacht gelitten hatten, zeigten nach der Niederlage ſich ihres
Ruhmes würdig; etwa zwölftauſend Mann, zogen ſie von dem
Schlachtfelde über die Berge Syriens in ziemlich geordnetem Rück-
zuge nach Tripolis, wo ſich auf dem Strande die Trieren befanden,
auf denen ſie von Lesbos nach Aſien gekommen waren; ſie ließen
von dieſen Schiffen ſo viele, als zu ihrer Flucht nöthig waren, in
See, verbrannten die anderen, um ſie nicht den Feinden in die
Hände fallen zu laſſen, und ſetzten dann nach Cypern über. Dort
aber trennten ſich die Schaaren; achttauſend Mann gingen nach
Tänarum unter Segel, um im Peloponnes neue Dienſte gegen die
Macedonier zu ſuchen 26). Mit den anderen viertauſend Mann
wandte ſich der Macedonier Amyntas nach Peluſium, um Aegyp-
ten nach des Satrapen Sabazes Tod, im Namen des Perſerkönigs
zu beherrſchen und zu vertheidigen; ſchon war er ſiegreich bis vor
die Thore von Memphis vorgedrungen, ſchon Herr des wichtigſten
Theiles von Aegypten, als ſeine Söldner, durch ihre frechen Plün-
derungen verhaßt, und wieder, um zu plündern, in der Gegend
zerſtreut, von den Aegyptiern überfallen und ſämmtlich, Amyntas
mit ihnen, erſchlagen wurden. Das war das Schickſal eines Man-
[174] nes, der, ſtatt der ruhmwürdigen Laufbahn, zu der ihn ſeine Geburt
und die Güte des edelſten Königs berief, ſein Leben und ſeine Ehre
einem blinden und ohnmächtigen Haſſe gewidmet hatte, um endlich mit
Verbrechen und Schande einen ruhmloſen Tod zu erkaufen 27).


Darius ſelbſt, der unter den Erſten geflohen war, hatte zu Onchä
etwa viertauſend Mann zuſammengebracht und mit dieſen in unab-
läſſiger Eile ſeinen Weg fortgeſetzt, bis er hinter dem Euphrat ſich
vor jeder Gefahr ſicher glaubte. Mehr als der Verluſt der Schlacht
und einiger Satrapien mochte ihn der der Seinigen, mehr als die
Schande der Niederlage und der Flucht die Schande, der er ſeine
Gemahlin, die ſchönſte Perſerin, in den Händen des ſtolzen Feindes
Preis gegeben fürchtete, ſein Herz kränken; er begriff eben ſo we-
nig die Tugend, wie die Pläne ſeines Gegners; und indem er über
ſein häusliches Unglück und ſeinen Kummer die Gefahr und
Ohnmacht ſeines Reiches vergaß, glaubte er kraft der Hoheit und
Rechtmäßigkeit ſeines königlichen Namens den Feind in großmü-
thiger Nachgiebigkeit mit einigen Zugeſtändniſſen abfinden zu kön-
nen. Verblendet in dieſem nichtigen Stolz ererbter Majeſtät, der
den Hellenen ſtets als ein Zeichen der Barbarei und des Despo-
tismus erſchienen iſt, ſchickte er nicht lange nach der unglücklichen
Schlacht durch Miniskus und Arſimas an Alexander ein Schreiben
folgenden Inhaltes 28):


„Dein Vater Philippus war des großen Königs Artaxerxes
„Freund und Bundesgenoſſe; aber ſchon während der Herrſchaft ſei-
„nes Sohnes Arſes, Unſeres Vorgängers, begann Dein Vater zu-
„erſt und ohne den geringſten Anlaß von Seiten Perſiens, viel-
„fache Feindſeligkeiten gegen Unſere Satrapen an den Helleniſchen
„Meeren; als dann Uns die Herrſchaft Aſiens übergeben wurde,
„verſäumteſt Du nicht blos, Geſandte an Unſeren Hof zu ſenden,
„um die alte Freundſchaft und Bundesgenoſſenſchaft zu befeſtigen,
[175] „ſondern bracheſt ſogar mit Heeresmacht in Unſer Land Aſien ein,
„und ſchufeſt den Perſern vieles und mannichfaches Unglück. Des-
„halb zogen Wir ſelbſt mit Unſeren Völkern hinab, Unſere Lande zu
„beſchützen und das Reich Unſerer Väter zu bewahren. Die
„Schlacht hat entſchieden, wie es den Göttern gefiel. Jetzt aber
„fordern Wir als König von Dir dem Könige Unſere Gemahlin,
„Unſere Mutter und Kinder, die ſich in Deinen Händen befinden,
„zurück; Wir ſind geneigt, mit Dir Freundſchaft zu ſchließen und
„verbündet zu ſein. Imgleichen fordern Wir Dich auf, mit Mi-
„niskus und Arſimas, Unſeren Botſchaftern, Bevollmächtigte an
„Uns zu ſenden, die Deine Zuſicherungen an Uns bringen und die
„Unſrigen entgegennehmen mögen.“


Auf dieſes Schreiben und die anderweitigen mündlichen An-
träge der königlichen Botſchafter antwortete Alexander in einem
Schreiben, das er ſeinem Geſandten Therſippus, welcher mit den
Perſiſchen Botſchaftern an den Hof des Darius abging, an den
König abzugeben befahl, ohne ſich auf weitere mündliche Unterhand-
lungen einzulaſſen. Das Schreiben lautete folgendermaßen:


„Eure Vorfahren ſind nach Macedonien und in das übrige
„Griechenland gekommen, und haben, ohne den geringſten Anlaß
„Griechiſcher Seits, mannichfaches Unglück über uns gebracht. Ich,
„zum Feldherrn der Griechen erwählt, und entſchloſſen, die Perſer
„entgelten zu laſſen, was ſie an uns gethan, bin nach Aſien hin-
„übergegangen, nachdem Ihr neuerdings Veranlaſſung zum Kriege
„gegeben habt. Denn die Perinthier, die meinen Vater beleidiget
„hatten, habt Ihr unterſtützt, und nach Thracien, über das wir
„herrſchen, ſandte Ochus ein Heer; mein Vater iſt unter den Hän-
„den von Meuchelmördern, die, wie Ihr ſelbſt auch in Briefen an
„Jedermann erwähnt habt, von Euch angeſtiftet wurden, umgekom-
„men; mit Bagoas gemeinſchaftlich haſt Du den König Arſes er-
„mordet, und Dir den Perſiſchen Thron unrechtmäßiger Weiſe,
„nicht nach dem Herkommen der Perſer, ſondern mit Verletzung
„ihrer heiligſten Rechte angemaßet; haſt in Beziehung auf mich
„Briefe, die nichts weniger als freundſchaftlich waren, den Helle-
„nen, um ſie zum Kriege gegen mich aufzureizen, zukommen laſſen;
„haſt an die Spartaner und andere Griechen Geld geſendet, das
„wenigſtens von jenen angenommen iſt; haſt endlich durch Deine
[176] „Sendlinge meine Freunde beſtochen und den Frieden, den ich den
„Hellenen gegeben habe, zu ſtören geſucht. Aus dieſen Gründen
„bin ich gegen Dich zu Felde gezogen, indem die Feindſeligkeiten
„von Dir begonnen ſind. Im gerechten Kampfe Sieger zu-
„erſt über Deine Feldherren und Satrapen, jetzt auch über Dich
„und die Heeresmacht, die mit Dir war, bin ich durch die Gnade
„der unſterblichen Götter auch des Landes Herr, das Du Dein
„nenneſt. Wer von denen, die unter Deiner Fahne wider mich
„gekämpft haben, nicht im Kampfe geblieben iſt, ſondern ſich zu mir
„und in meinen Schutz begeben hat, für den trage ich Sorge;
„Keiner iſt ungern bei mir, vielmehr treten Alle gern und freiwil-
„lig unter meinen Befehl. Da ich ſo Herr über Aſien bin, ſo
„komm’ auch Du zu mir; ſollteſt Du jedoch zu irgend einer Be-
„ſorgniß, im Fall Du kämeſt, Grund zu haben glauben, ſo ſende
„einige Deiner Edlen, um die gehörigen Sicherheiten entgegenzuneh-
„men. Bei mir angelangt, wirſt Du um die Zurückgabe Deiner
„Mutter, Deiner Gemahlin, Deiner Kinder und um was Du ſonſt
„willſt, bitten, und geneigtes Gehör finden; was Du von mir ver-
„langen wirſt, ſoll Dir werden. Uebrigens haſt Du, wenn Du
„von Neuem an mich ſchickeſt, als an den König von Aſien zu
„ſenden, auch nicht an mich wie an Deines Gleichen zu ſchreiben,
„ſondern mir, dem Herren alles deſſen, was Dein war, Deine
„Wünſche mit der gebührenden Ergebenheit vorzulegen, widrigen-
„falls ich mit Dir als dem Beleidiger meiner königlichen Majeſtät
„verfahren werde. Biſt Du aber über den Beſitz der Herrſchaft
„anderer Meinung, ſo erwarte mich noch einmal zum Kampf um
„dieſelbe im offenen Felde und fliehe nicht; ich für mein Theil
„werde Dich aufſuchen, wo Du auch biſt.“


Allerdings athmet dieſe Antwort des jugendlichen Königs ſtol-
zes Selbſtbewußtſein und die Strenge eines Siegers, dem das
Errungene nur als der Anfang neuer und größerer Siege er-
ſcheint; er verſchmähete es, mit diplomatiſcher Heuchelei die Wahr-
heit zu verhüllen, die ja doch Niemanden verborgen ſein konnte;
er durfte ſich ſchon jetzt, auf der Schwelle Aſiens, die Reſultate
einer Zukunft zuſprechen, die zu erfüllen ſein Wille und ſein Beruf
war, und für welche ihm der wohlberechnete und durchgreifende Er-
folg ſeiner bisherigen Unternehmungen Gewähr leiſten konnte. —


Alexan-
[177]

Alexander hatte die Perſerflotte und ihre Bewegungen in den
Helleniſchen Gewäſſern nicht mehr zu fürchten. Freilich war ſie
ausgezogen, die Macedoniſche Macht da anzugreifen, wo jede Wunde
tödtlich werden mußte; ein Sieg an der Küſte von Hellas, ein
energiſches Auftreten im Peloponnes konnte den Plan Alexanders
von Grund aus zerſtören. Aber eben ſo war ihre Exiſtenz mit
dem Vordringen Alexanders gefährdet, und die größere Kühnheit
und Conſequenz des Willens durfte des erſten Sieges, und damit
der mittelbaren Bewältigung des Gegners gewiß ſein. Dazu kam,
daß der Perſerkönig die Wichtigkeit der Flotte und des Planes,
den Memnon mit ihr gehabt hatte, verkannte; er hatte ihr im
Laufe des Sommers die Griechiſchen Söldner genommen und die-
ſelben nach Tripolis beſchieden, um ſie mit den übrigen Völkern
bei Iſſus aufzuopfern. Die Flotte, um eine bedeutende Anzahl von
Schiffen und Kämpfern vermindert, war in ihren Bewegungen ge-
lähmt; dazu kam die ſichtliche Unfähigkeit ihrer Befehlshaber; wäh-
rend Alexander in Cilicien vordrang, hatten Pharnabazus und Au-
tophradates, ſtatt mit der geſammten Macht zu einem Hauptſchlage
auszuziehen, ihre Flotte in einzelne Geſchwader aufgelöſt, trieben
ſich ſelbſt mit einem Theil ihrer Schiffe in der Gegend von Chios
umher und brandſchatzten, wo ſie konnten, ohne ſich darum zu be-
kümmern, daß die wenigen Plätze, die noch an der Kariſchen Küſte
in den Händen der Perſer waren, von den Statthaltern Alexanders
erorbert wurden. Ein anderes Geſchwader bei Cos behauptete dieſe
Inſel, den größten Theil der Flotte ließ man auf der Rhede von Siph-
nos vor Anker, vielleicht in der Hoffnung, daß die Parthei des De-
moſthenes in Athen, ſo wie die ihrer Heimath beraubten Thebaner
einen Aufſtand gegen Alexander beginnen würden; doch begnügten
ſich beide, zunächſt Geſandte an den Großkönig zu ſenden. Eifriger
war der Lacedämoniſche König Agis; nur mit einer Triere, aber
mit offenbar ſehr zweckmäßigen Plänen kam er zu den Admiralen
nach Siphnos; bereit, gegen die Macedonier zu kriegen, verlangte
er Subſidien und eine möglichſt große Land- und Seemacht, um
mit dieſer nach dem Peloponnes abzugehen, und von da aus, mit den
einzelnen Griechiſchen Staaten vereint, die nur das Zeichen zum Ab-
fall zu erwarten ſchienen, gegen Antipater vorzurücken. Da gerade
traf die Nachricht von der Schlacht bei Iſſus ein, die den Plänen
12
[178] der Perſiſchen Admirale den letzten Stoß gab; man eilte zu retten,
was noch zu retten war; Pharnabazus ſegelte mit zwölf Trieren
nach der Inſel Chios, deren Abfall man fürchten mußte; ſtatt ei-
ner großen Land- und Seemacht zum Angriff gegen Antipater, er-
hielt Agis dreißig Talente und zehn Trieren, die er ſofort nach
Tänarum an ſeinen Bruder Ageſilaus ſandte, mit der Weiſung,
nur ſchleunigſt nach Kreta zu gehen und ſich der Inſel zu verge-
wiſſern. Agis ſelbſt ſegelte nicht lange darnach gen Halikarnaß, um ſich
mit Autophradates zu vereinen; an Unternehmungen zur See konnte
nicht weiter gedacht werden, indem die Phöniciſchen Geſchwader
nur die Jahreszeit abwarteten, um in die Heimath zu ſegeln, die
ſich vielleicht ſchon an Alexander ergeben hatte; auch die Cypriſchen
Könige glaubten für ſich beſorgt ſein zu müſſen, ſobald ſie die Phö-
niciſche Küſte in Alexanders Händen wußten.


Dies geſchah während der Wintermonate in den Griechiſchen
Gewäſſern, indeß Alexander kurz nach der Schlacht von Iſſus,
etwa mit dem Anfang December, nach Süden hin aufgebrochen
war, um dort die Früchte ſeines Sieges zu ärndten. Nicht blos
Aſien dieſſeit des Euphrat war ſein; wichtiger war es, daß die
Küſtenländer ſich ihm entweder freiwillig ergeben mußten, oder, von
aller Hülfe Perſiſcher Seits abgeſchnitten, zur Uebergabe gezwun-
gen werden konnten, daß auf dieſe Weiſe Phönicien, dies uner-
ſchöpfliche Arſenal des Perſerreichs, ſeine Flotte zur Selbſtverthei-
digung aus den Griechiſchen Meeren zurückziehen mußte, daß ſo
die von den Spartanern in Hellas begonnenen Unruhen, aller Un-
terſtützung von Seiten Perſiens beraubt, bald gedämpft werden
konnten, daß endlich mit der Beſetzung des Nillandes, dem kein
weſentliches Hinderniß weiter im Wege ſtand, eine breite und
ſichere Operationsbaſis für den Feldzug gen Oberaſien gewonnen war.


Dem entſprechend mußte im Allgemeinen der Gang der Bewegun-
gen ſein, wenn der Sieg von Iſſus in ſeiner ganzen Ausdehnung be-
nutzt werden ſollte. Alexander ſandte deshalb den Parmenion an
der Spitze der Theſſaliſchen und verbündeten Reuter und mit eini-
gem Fußvolke das Thal des Orontes aufwärts gen Damaskus,
der Hauptſtadt der Satrapie Cöleſyrien, wohin die Kriegskaſſen,
das Feldgeräth, die ganze koſtbare Hofhaltung des Perſerkönigs,
ſo wie die Weiber, Kinder und Schätze ſeiner Großen von Onchä
[179] aus geſendet worden waren. Durch Hülfe des Syriſchen Satra-
pen, der mit den Schätzen und der Karavane von edlen Perſerin-
nen und ihren Kindern flüchten zu wollen vorgab, fielen dieſe und
zugleich die Stadt in Parmenions Hände. Die Beute war unge-
heuer; unter den vielen Tauſend Gefangenen 29) befanden ſich die
Geſandten von Athen, Sparta und den Thebanern, die vor der
Schlacht von Iſſus an Darius gekommen waren. Auf Parme-
nions Bericht von dieſer Expedition befahl Alexander, Alles, was
an Menſchen und Sachen in ſeine Hände gefallen ſei, nach Da-
maskus zurückzubringen und zu bewachen, die Griechiſchen Abgeord-
neten dagegen ihm ſofort zuzuſchicken. Sobald dieſe angekommen
waren, entließ er die beiden Thebaner ohne Weiteres in ihre Hei-
math, theils aus Rückſicht für ihre Perſon; indem der eine des be-
rühmten Ismenias Sohn, der andere ein Olympiſcher Sieger war,
theils aus Mitleid gegen ihre unglückliche Vaterſtadt und den nur
zu verzeihlichen Haß der Thebaner gegen Macedonien; den Athener
Iphikrates, den Sohn des berühmten Feldherrn gleiches Namens,
behielt er aus Achtung für ſeinen Vater und um den Athenern
einen Beweis ſeiner Nachſicht zu geben, in höchſten Ehren um
ſeine Perſon; der Spartaner dagegen, deſſen Vaterſtadt gerade jetzt
offenbaren Krieg gegen Macedonien begonnen hatte, wurde vor
der Hand als Gefangener zurückbehalten, ſpäterhin jedoch, als die
immer größeren Erfolge der Macedoniſchen Waffen das Verhältniß
zu Sparta änderten, in ſeine Heimath entlaſſen.


Während Parmenions Zug nach Damaskus war Alexander
12 *
[180] ſelbſt, nachdem er Menon, Kerdimmas Sohn, zum Satrapen von
Syrien beſtellt hatte, nach der Phöniciſchen Küſte vorgerückt. Die
Stellung der Städte Phöniciens war eigenthümlich und eine Folge
ihrer geographiſchen Lage und ihrer inneren Verhältniſſe; ſeit Jahr-
hunderten zur See mächtig, entbehrten ſie des für Seemächte faſt
unentbehrlichen Vortheils der inſularen Lage; ſie waren nach ein-
ander eine Beute der Aſſyrer, der Babylonier, der Perſer gewor-
den; aber auf der anderen Seite durch die hohen Bergketten des
Libanon faſt vom feſten Lande abgeſchnitten und theilweiſe auf klei-
nen Küſteninſeln erbaut, die wenigſtens dem unmittelbaren und fort-
währenden Einfluß der auf dem Feſtlande herrſchenden Macht nicht
zugänglich waren, behaupteten ſie mit ihrer alten Verfaſſung die
alte Selbſtſtändigkeit in ſoweit, daß ſich die Perſerkönige gern mit
der Oberherrlichkeit und der Befugniß, über die Phöniciſche Flotte
zu disponiren, begnügten. In der häufigen Berührung mit den
Griechen war, wenn nicht der Reichthum der Phönicier, doch ihre
Induſtrie, wenn nicht die Macht, doch der Ruhm ihrer Marine
gewachſen; und während in allen dem Perſerreiche einverleibten
Ländern die frühere volksthümliche Civiliſation entartet oder vergeſ-
ſen war, blieb in Phönicien der alte Handelsgeiſt und ſo viel Sinn
für Unabhängigkeit, als ſich mit ihm verträgt. Wenn ſich dennoch
bei der immer deutlicher hervortretenden Erſchlaffung der Perſiſchen
Macht Phönicien nicht befreiete, ſo lag der Grund in der inneren
Verfaſſung der unter einander eiferſüchtigen Städte; denn als zur
Zeit des Königs Ochus Sidon auf dem Bundestage zu Tripolis
die beiden anderen Hauptſtädte des Bundes, Tyrus und Aradus,
zur Theilnahme an der Empörung aufrief, verſprachen ſie Hülfe,
warteten aber unthäthig das Ende eines Unternehmens ab, das,
falls es glückte, ſie mit befreiete, falls es misglückte, durch Sidons
Untergang ihre Macht und ihren Handel mehren mußte. Sidon
unterlag, wurde zerſtört, verlor die alte Verfaſſung und Selbſtſtän-
digkeit, und Byblus, ſo ſcheint es, trat ſtatt ihrer in den Bundes-
rath von Tripolis, oder hob ſich wenigſtens ſeit dieſer Zeit ſo, daß
es fortan neben Aradus und Tyrus eine Rolle zu ſpielen ver-
mochte. Die neun Städte von Cyprus, in ihrem Verhältniß zum
Perſerreiche den Phöniciſchen ähnlich, aber durch ihren zum Theil
Griechiſchen Urſprung mehr zu Neuerungen geneigt, hatten zu glei-
[181] cher Zeit mit Sidon, den Fürſten Protagoras von Salamis an
der Spitze, ſich empört, waren aber durch Protagoras Bruder
Euagoras bald nach Sidons Fall zum Gehorſam zurückgebracht; und
wenn nach einiger Zeit Protagoras die Herrſchaft von Salamis wie-
der erhielt, ſo war eine völlige Hingebung an das Perſiſche Reich
die Bedingung geweſen, unter der er, wie ehedem, der Erſte unter
den kleinen Fürſten Cyperns ſein durfte.


Zwanzig Jahre waren nach jenem Aufſtande verfloſſen, als
Alexander ſeinen Krieg gegen Perſien begann. Die Schiffe der
Tyrier unter ihrem Fürſten Azemilkus, die der Aradier unter Ge-
roſtratus, die von Byblus unter Enylus, ihnen zugeſellt die von
Sidon 30), ferner die Cypriſchen Schiffe unter Protagoras und
den anderen Fürſten, waren auf des Perſerkönigs Aufruf in die
Griechiſchen Gewäſſer gegangen. Die Schlacht von Iſſus verän-
derte plötzlich alle Verhältniſſe. Sidon war am glücklichſten daran,
es durfte hoffen, durch Alexander wieder zu erhalten, was es im
Kampfe gegen die Perſiſchen Despoten eingebüßt hatte; Byblus,
durch Sidons Fall gehoben, mußte eben ſo beſorgt ſein Alles zu
verlieren, wie es, auf dem Feſtlande gelegen, unfähig war dem
ſiegreichen Heere Alexanders zu widerſtehen; Aradus und Tyrus
dagegen lagen im Meere; doch hatte Aradus, weniger durch aus-
gebreiteten Handel als durch Beſitzungen auf dem Feſtlande mäch-
tig, durch Alexanders Heranrücken mehr zu verlieren als Tyrus,
das, überdies noch im Beſitz von achtzig Schiffen, ſich auf ſeiner
Inſel ganz ſicher glaubte und wie früher bei dem Aufſtande der
Sidonier eine neutrale Stellung anzunehmen beſchloß, in der jeder
Ausgang des Krieges ihrem Vortheil dienen ſollte. —


Als nun Alexander vom Orontes her ſich dem Gebiete der
Phöniciſchen Städte nahete, kam ihm zunächſt auf dem Wege
Straton, des Aradiſchen Fürſten Geroſtratus Sohn, entgegen, über-
[182] reichte ihm einen goldenen Kranz und unterwarf ihm das Gebiet
ſeines Vaters, welches den nördlichſten Theil der Phöniciſchen Küſte
umfaßte und ſich eine Tagereiſe weit landeinwärts bis zur Stadt
Mariamne erſtreckte; auch die große Stadt Marathus, in der ſich
Alexander einige Tage aufhielt, gehörte zum Gebiete von Aradus.
Auf ſeinem weiteren Zuge nahm er Byblus durch vertragsmäßige
Uebergabe. Die Sidonier eilten ſich dem Sieger der verhaßten
Perſermacht zu ergeben, Alexander nahm auf ihre ehrenvolle Ein-
ladung die Stadt in Beſitz, gab ihr ihr früheres Gebiet und ihre
frühere Verfaſſung wieder, indem er den Abdollonymus, einem in
bitterer Armuth lebenden Nachkommen der Sidoniſchen Könige, die
Herrſchaft übertrug 31), und brach dann nach Tyrus auf. Unter-
weges begrüßte ihn eine Deputation der reichſten und vornehmſten
Bürger von Tyrus, an ihrer Spitze der Sohn des Fürſten Aze-
milkus; ſie erklärten, daß die Tyrier bereit ſeien zu thun, was Ale-
xander verlangen würde; der König dankte ihnen und belobte ihre
Stadt: er gedenke mit ſeinem Heere nach Tyrus zu kommen, um
im Tempel des Tyriſchen Herakles ein feierliches Opfer zu halten.
Dieſe Antwort brachten die Abgeordneten zurück. Der Rath von
Tyrus war einig, daß Alexanders Beſuch in der Inſelſtadt zu ge-
fährlich ſein würde, daß den Macedoniern der Eintritt in die Stadt
um jeden Preis verweigert werden müſſe; unter den jetzigen ſo
ſchwierigen Verhältniſſen müſſe die Stadt die ſtrengſte Neutralität be-
obachten, um ihr Verhältniß zum Perſerkönige nicht unbeſonnener
Weiſe bloß zu ſtellen, zumal da die Tyriſche Flotte trotz der im
Aegäiſchen Meere befindlichen Geſchwader bedeutend genug ſei, den
Beſchlüſſen der Inſelſtadt Achtung zu verſchaffen; noch habe die
Perſiſche Seemacht in allen Meeren die Oberhand und Darius
rüſte ſchon ein neues Heer, um Alexanders weiteres Vordringen zu
hemmen; wenn er ſiegte, ſo würde die Treue der Tyrier um ſo rei-
cher belohnt werden, da bereits die übrigen Phöniciſchen Städte
die Perſiſche Sache verrathen hätten; unterliege er aber, ſo würde
[183] Alexander, ohne Seemacht wie er ſei, vergebens gegen die Stadt
im Meere zürnen, Tyrus dagegen noch immer Zeit haben, auf ſeine
Flotte, ſeine Bundesgenoſſen in Cypern, im Peloponnes und Libyen,
ſo wie auf die eigenen Hülfsmittel und die unangreifbare Lage der
Stadt geſtützt, mit Alexander die Bedingungen, die dem Intereſſe
der Stadt entſprächen, einzugehen. Ueberzeugt, eine Auskunft,
die zugleich ſchicklich, gefahrlos und erſprießlich ſei, gefunden zu ha-
ben, meldeten die Tyrier dem Macedoniſchen Könige ihren Beſchluß:
ſie würden ſich geehrt fühlen, wenn er ihrem heimiſchen Gott in
dem Tempel von Alttyrus auf dem Feſtlande ſeine Opfer darbrächte;
ſie ſeien bereit ihm zu gewähren, was er ſonſt fordern würde, ihre
Inſelſtadt müſſe für Macedonien und Perſien geſchloſſen bleiben.


Alexander brach ſofort alle weiteren Unterhandlungen ab, und
beſchloß das zu erzwingen, was er unter ſo freundlicher Form ge-
fordert hatte. Er berief einen Kriegsrath, theilte das Geſchehene
mit, und eröffnete ſeine Abſicht, Tyrus um jeden Preis einnehmen
zu wollen: einerſeits ſei der Marſch nach Aegypten unſicher, ſo lange
die Perſer noch eine Seemacht hätten; andererſeits den König Da-
rius zu verfolgen, während man die Stadt Tyrus mit ihrer offen-
bar feindlichen Geſinnung, und Aegypten und Cypern, die noch in
den Händen der Perſer ſeien, im Rücken habe, ſei namentlich wegen
der Griechiſchen Angelegenheiten noch weit unſicherer; leicht könnten
ſich die Perſer wieder der Seeküſten bemächtigen, und während
man auf Babylon losgehe, mit noch größerer Heeresmacht den
Krieg nach Hellas hinüberſpielen, wo die Spartaner ſchon offen-
bar aufgeſtanden ſeien, und die Athener bisher mehr die Furcht
als die Neigung für Macedonien zurückgehalten habe; würde da-
gegen Tyrus eingenommen, ſo hätte man Phönicien ganz, und die
Phöniciſche Flotte, der ſchönſte und größte Theil der Perſiſchen
Seemacht, würde ſich an Macedonien halten müſſen; denn weder
die Matroſen, noch die übrige Mannſchaft der Phöniciſchen Schiffe
würde, während ihre eigenen Städte beſetzt wären, den Kampf
zur See auszufechten geneigt ſein; Cyprus würde ſich gleichfalls
entſchließen müſſen zu folgen, oder ſofort von der Macedoniſch-Phöni-
ciſchen Flotte genommen werden; habe man aber einmal die
See mit der vereinten Seemacht, zu der auch noch die Schiffe von
Cyprus kämen, ſo ſei Macedoniens Uebergewicht auf dem Meere ent
[184] ſchieden, und zugleich der Zug nach Aegypten ſicher und des Erfol-
ges gewiß; und ſei erſt Aegypten unterworfen, ſo brauche man we-
gen der Angelegenheiten in Griechenland nicht weiter beſorgt zu
ſein; den Zug nach Babylon könne man, über die heimiſchen
Dinge beruhigt, mit deſto größeren Erwartungen beginnen, da dann
die Perſer zugleich vom Meere und von den Ländern dieſſeits des
Euphrat abgeſchnitten ſeien 32). — Die Verſammlung überzeugte
ſich leicht von der Nothwendigkeit, die ſtolze Seeſtadt zu unterwer-
fen; aber ohne Flotte ſie anzugreifen, geſchweige denn ſie zu er-
obern, ſchien unmöglich. Alexander wollte; kühne Pläne
durch kühnere Mittel zu verwirklichen gewohnt, beſchloß er die
Inſelſtadt dem Feſtlande wiederzugeben, um dann erſt die ei-
gentliche Belagerung zu beginnen; ein Unternehmen, für deſſen
Größe und Schwierigkeit in der That des Königs Traum vom
Herakles, an deſſen Hand er in die Thore der Stadt hineinzugehen
glaubte, bedeutſam genug war.


Neutyrus, auf einer Inſel von einer halben Meile Umfang
erbauet, war vom feſten Lande durch eine Meerenge von etwa tau-
ſend Schritt Breite getrennt, die in der Nähe der Inſel etwa
noch drei Faden Fahrwaſſer hatte, in der Nähe des Strandes da-
gegen ſeicht und ſchlammig war. Alexander beſchloß an dieſer Stelle
einen Damm durch das Meer zu legen; das Material dazu liefer-
ten die Gebäude 33) des von den Einwohnern verlaſſenen Alt-
tyrus und die Cedern des waldigen Libanon; Pfähle ließen ſich
leicht in den weichen Meeresgrund eintreiben, und der Schlamm
diente dazu, die eingelaſſenen Werkſtücke mit einander zu verbinden.
Mit dem größten Eifer wurde gearbeitet, der König ſelbſt war häu-
[185] fig zugegen 34); Lob und Geſchenke machten dem Soldaten die
ſchwere Arbeit leicht. Die Tyrier hatten bisher ruhig zugeſehen;
jetzt war der Damm der Inſel bis auf wenige hundert Schritte
genahet; ſie brachten deshalb auf die dem Lande zugewendete Stelle
ihrer hohen Mauer ſo viel Geſchütz als möglich zuſammen und be-
gannen Pfeile und Steine gegen die bloßgeſtellten Arbeiter auf
dem Damm zu ſchleudern, während dieſe zugleich von beiden Sei-
ten durch die Trieren der Tyrier hart mitgenommen wurden. Zwei
Thürme, die Alexander auf dem Ende des Dammes errichten ließ,
mit Schirmdecken und Fellen überhangen und mit Wurfgeſchütz
verſehen, ſchützten die Arbeiter vor den Geſchoſſen von der Stadt
her und vor den Trieren; mit jedem Tage rückte der Damm,
wenn auch wegen des tieferen Meeres langſamer, vor. Dieſer Ge-
fahr zu begegnen baueten die Tyrier einen Brander in folgender
Weiſe. Ein Frachtſchiff wurde mit dürrem Reiſig und anderen
leicht entzündbaren Stoffen angefüllt, dann am Galeon zwei Maſt-
bäume befeſtigt und mit einer möglichſt weiten Gallerie umgeben, um
in derſelben deſto mehr Stroh und Kien aufhäufen zu können; überdies
brachte man noch Pech und Schwefel und andere Dinge der Art
hinein; ferner wurden an die beiden Maſten doppelte Raen befeſtigt,
an deren Enden Keſſel mit allerlei das Feuer ſchnell verbreitenden
Brennſtoffen hingen; endlich wurde der hintere Schiffsraum ſchwer
geballaſtet, um das vordere Werk möglichſt über den Waſſerſpiegel
empor zu heben. Bei dem nächſten günſtigen Winde ließen die
Tyrier dieſen Brander in See gehen; einige Trieren nahmen ihn
ins Schlepptau und brachten ihn gegen den Damm; dann warf
die in dem Brander befindliche Mannſchaft Feuer in den Raum
und in die Maſten, und ſchwamm zu den Trieren, die eiligſt das
brennende Gebäude mit aller Gewalt gegen die Spitze des Dam-
mes trieben. Der Brander erfüllte, von einem ſtarken Nordweſt-
winde begünſtigt, vollkommen ſeinen Zweck, in kurzer Zeit ſtanden
die Thürme, die Schirmdächer, die Gerüſte und Faſchinenhaufen
[186] auf dem Damm in hellen Flammen, während ſich die Trieren an den
Damm ober dem Winde vor Anker legten, und durch ihr Geſchütz jeden
Verſuch, den Brand zu löſchen, vereitelten. Zugleich machten die Ty-
rier einen Ausfall, ruderten auf einer Menge von Böten über die
Bai heran, zerſtörten in Kurzem die Pfahlroſten vor dem Damm
und zündeten die Maſchinen, die noch etwa übrig waren, an.
Durch das Fortreißen jener Roſten wurde der noch unfertige Theil
des Dammes entblößt und den immer heftiger anſtürmenden Wel-
len Preis gegeben, ſo daß der vordere Theil des Werkes durch-
riſſen und hinweggeſpült in den Wellen verſchwand 35).


Von mehreren Schriftſtellern wird behauptet, Alexander habe
nach dieſem unglücklichen Ereigniß, das ihm nicht blos eine Menge
Menſchen und alle Maſchinen gekoſtet, ſondern auch die außeror-
dentliche Schwierigkeit, Tyrus vom Lande her zu bewältigen, gezeigt
habe, daran gedacht, die Belagerung ganz aufzugeben, den von Ty-
rus angebotenen Vertrag anzunehmen und nach Aegypten zu ziehen;
eine Behauptung, die weder mit dem Charakter, noch den Plänen
des Königs übereinſtimmt; je mächtiger und unabhängiger Tyrus
ſeiner Landmacht gegenüberſtand, deſto nothwendiger war es, die
ſtolze Stadt zu demüthigen, je zweifelhafter der Ausgang beſorg-
licheren Gemüthern erſcheinen mochte, deſto beſtimmter mußte Ale-
xander ihn im Auge behalten; ein Schritt rückwärts, ein aufgege-
bener Plan, eine halbe Maaßregel hätte Alles vereitelt. In dieſer
Zeit mag es geweſen ſein, daß von Neuem Geſandte des Darius
eintrafen, die für des Großkönigs Mutter, Gemahlin und Kinder ein
Löſegeld von zehntauſend Talenten, ferner den Beſitz des Landes
dieſſeits des Euphrat, endlich mit der Hand ſeiner Tochter Freund-
ſchaft und Bundesgenoſſenſchaft anboten. Als Alexander nun
ſeine Generale verſammelte und ihnen die Anträge des Perſerkönigs
mittheilte, ſo waren die Anſichten ſehr getheilt; Parmenion nament-
lich äußerte, daß, wenn er Alexander wäre, er unter den gegenwär-
tigen Umſtänden allerdings jene Bedingungen annehmen und ſich
nicht länger dem wechſelnden Glück des Krieges ausſetzen würde.
[187] Alexander antwortete: auch er würde, wenn er Parmenion wäre,
alſo handeln, doch da er Alexander ſei, ſo laute ſeine Antwort an
Darius dahin: daß er weder Geld von Darius brauche, noch des
Landes einen Theil ſtatt des Ganzen nehme; was Darius an Land
und Leuten, an Geld und Gut habe, ſei ſein, und wenn es ihm
beliebe Darius Tochter zu heirathen, ſo könne er es, ohne daß Darius
ſie ihm gebe; ſuche derſelbe aber Freundſchaft mit ihm, ſo möge er
nur in Perſon kommen. So Alexanders Antwort.


Mit doppeltem Eifer wurden die Belagerungsarbeiten fortge-
ſetzt, namentlich der Damm vom Lande aus in größerer Breite
wieder hergeſtellt, um einerſeits dem Werke ſelbſt mehr Feſtigkeit
zu geben, andererſeits mehr Raum für Thürme und Maſchinen zu
gewinnen. Zu gleicher Zeit erhielten die Kriegsbaumeiſter den Auf-
trag, neue Maſchinen ſowohl für den Dammbau als für den
Sturm auf die mächtigen Mauern zu errichten. Alexander ſelbſt
ging während dieſer vorbereitenden Arbeiten mit den Hypaspiſten
und Agrianern nach Sidon, um dort eine Flotte zuſammenzubrin-
gen, mit der er Tyrus zu gleicher Zeit von der Seeſeite her blocki-
ren könne. Gerade jetzt, es war um Frühlingsanfang, kamen die
Schiffe von Aradus, Byblus und Sidon aus den Griechiſchen Ge-
wäſſern zurück, wo ſie auf die Nachricht der Schlacht von Iſſus
ſich von der Flotte des Autophradates getrennt und, ſobald es die
Jahreszeit erlaubte, zur Heimfahrt aufgemacht hatten; es waren
an achtzig Trieren unter Geroſtratus und Enylus; auch die Inſel
Rhodus, die ſich vor Kurzem für Alexanders Sache entſchieden
hatte, ſandte zehn Schiffe; kurze Zeit darauf lief auch das ſchöne
Geſchwader der Cypriſchen Könige, von wenigſtens hundertundzwan-
zig Segeln, in den Hafen von Sidon ein; dazu kamen einige Schiffe
aus Lycien und Cilicien und ſelbſt ein Macedoniſches, das Proteas,
der junge, durch ſeinen Ueberfall bei Siphnos ausgezeichnete Neffe
des ſchwarzen Klitus, führte, ſo daß ſich Alexanders Seemacht wohl
auf dreihundert Segel belief 36).


Während die Flotte vollſtändig ausgerüſtet und der Bau der
[188] Maſchinen beendet wurde, unternahm Alexander einen Streifzug
gegen die Arabiſchen Stämme im Antilibanon, deren Unterwerfung
um ſo wichtiger war, da ſie die Straßen, die vom Thale des
Orontes nach der Küſte führen, beherrſchen und die reichen Kara-
vanen aus Chalybon und Damaskus von ihren feſten Bergſchlöſſern
aus überfallen konnten. Von einigen Geſchwadern der Ritterſchaft,
von den Hypaspiſten, den Agrianern und Bogenſchützen begleitet,
durchzog der König mit gewohnter Kühnheit und Schnelligkeit die
ſchönen Thäler der Libanonketten; mehrere Schlöſſer der Araber
wurden erſtürmt, andere ergaben ſich freiwillig, Alle erkannten die
Oberherrſchaft des Macedoniſchen Königs an, der nach eilf Tagen
ſchon wieder nach Sidon zurückkehrte 37), wo kurz vorher ſieben-
tauſend Mann Griechiſche Söldner, unter Kleanders Führung, ſehr
zur rechten Zeit eintrafen. Denn eben jetzt waren die Rüſtungen
zur förmlichen Belagerung des mächtigen Tyrus ſo weit beendet,
daß Alexander, nachdem er die Bemannung ſeiner Schiffe, um in
offener Seeſchlacht und namentlich im Entern ein entſchiedenes
Uebergewicht über die Tyrier zu haben, mit ſeinen trefflichen Hy-
paspiſten verſtärkt hatte, von der Rhede von Sidon aus in See
ſtechen konnte. In voller Schlachtlinie ſteuerte er auf Tyrus los,
in der Abſicht, die Tyriſche Flotte wo möglich ſogleich durch eine
Schlacht von der See zu verdrängen und dann durch Sturm oder
Blockade die Stadt zur Uebergabe zu zwingen.


Die Tyrier hatten, ſo lange ſie nicht wußten, daß ſich die Cy-
priſchen und Phöniciſchen Geſchwader unter Alexanders Befehl be-
fanden, die Abſicht gehabt, ihm zu einer Seeſchlacht entgegenzuſe-
geln; jetzt ſahen ſie am Horizont die ausgedehnte Schlachtlinie der
feindlichen Flotte herauffahren, mit der es ihre Schiffe, an Zahl
wohl dreimal ſchwächer, um ſo weniger aufzunehmen wagen durf-
[189] ten, da die beiden Häfen der Inſel, von denen der eine nordwärts
gegen Sidon zu, der andere ſüdwärts nach Aegypten hin lag, vor
einem Ueberfall zu bewachen waren, wodurch die Zahl der dispo-
nibeln Schiffe noch mehr verringert wurde. Die Tyrier begnügten
ſich demnach, die enge Mündung des Nordhafens, der dem erſten
Angriffe ausgeſetzt war, durch eine dicht gedrängte Reihe von Trie-
ren mit ſeewärts gewandten Schnäbeln ſo zu ſperren, daß jeder
Verſuch zum Durchbrechen unmöglich war. Alexander ſeinerſeits
hatte, ſobald ſeine Geſchwader auf die Höhe von Tyrus gekommen
waren, Halt machen laſſen, um die feindliche Flotte zum Gefecht
zu erwarten, dann aber, als kein feindliches Schiff ihm entge-
gen kam, unter lautem Ruderſchlage gegen die Stadt losgeſteuert,
vielleicht mit der Hoffnung, durch einen heftigen Anlauf den Ha-
fen zu gewinnen. Die dichte Reihe der Trieren in der engen
Hafenmündung zwang ihn dieſen Plan aufzugeben; nur drei Schiffe,
die am weiteſten aus dem Hafen hinaus lagen, wurden in den
Grund gebohrt, dann ging die Flotte unter der Küſte in der Nähe
des Dammes vor Anker.


Alexander begann jetzt die Stadt einzuſchließen, um von allen
Seiten her anlegen und ſeine Maſchinen gegen die Mauern arbei-
ten zu laſſen. Die Cypriſchen Schiffe unter dem Admiral Andro-
machus und ihren eigenen Königen ſperrten den Nordhafen, wäh-
rend die Phönicier, deren unmittelbare Leitung ſich Alexander ſelbſt
vorbehalten hatte, den Südhafen blockirten. Das Nächſte war nun,
die Maſchinen und Thürme nahe genug an die Mauern zu brin-
gen, um entweder Breſche zu legen oder Fallbrücken auf die Zin-
nen von Tyrus zu werfen. Zu dem Ende war nicht blos der
Damm mit einer Menge von Maſchinen bedeckt, ſondern auch eine
große Anzahl von Laſtſchiffen und alle Trieren, die nicht beſonders
ſegelten, zum Theil auf das kunſtreichſte mit Mauerbrechern, Kata-
pulten und anderen Maſchinen ausgerüſtet. Aber den Maſchinen
vom Damme her widerſtand die feſte, aus Quadern erbauete Mauer,
deren Höhe von hundertfunfzig Fuß, noch vermehrt durch die Auf-
ſtellung hölzerner Thürme auf die Zinnen, die Macedoniſchen Thürme
mit ihren Fallbrücken unſchädlich machte. Schwächer und niedriger
waren die Mauern nach der Seeſeite zu; mit deſto größerer Auf-
merkſamkeit beobachteten hier die Belagerten jede Bewegung der
[190] feindlichen Maſchinenſchiffe; ſchon aus der Ferne wurden dieſe mit
einem Hagel von Geſchoſſen, Steinen und Brandpfeilen empfangen;
und als ſie dennoch näher an den Strand hinruderten, um endlich
anzulegen, fanden ſie namentlich in der Nähe des Dammes die
nähere Anfahrt durch eine Menge verſenkter Steine unmöglich ge-
macht. Die an ſich ſchon mühſelige Arbeit, von den ſchwankenden
Schiffen aus dieſe Steine vom Meergrunde fortzubaggern, wurde
dadurch verdoppelt und oft ganz vereitelt, daß Tyriſche mit Schirm-
dächern verſehene Fahrzeuge die Ankertaue der arbeitenden Schiffe
kappten und ſie ſo der treibenden Strömung und dem Winde
Preis gaben; Alexander ließ eben ſo bedeckte Fahrzeuge vor den
Ankern beilegen, um die Taue zu ſchützen; aber Tyriſche Taucher
ſchwammen unter dem Waſſer bis in die Nähe der Schiffe und
zerſchnitten deren Kabel, bis endlich die Anker an eiſernen Ketten in
den Seegrund gelaſſen wurden. Jetzt konnten die Schiffe ohne weitere
Gefahr arbeiten, in Kurzem waren die Steinmaſſen aus dem Fahr-
waſſer in der Nähe des Dammes hinweggeſchafft, ſo daß die ein-
zelnen Maſchinenſchiffe ſich bereits der Mauer nähern konnten.


Den Tyriern entging keinesweges, wie ſich mit jedem Tage
die Gefahr mehrte, und wie ihre Stadt ohne Rettung verloren ſei,
wenn ſie nicht mehr die Oberhand auf dem Meere hätten; ſie
hatten auf Hülfe, namentlich von Karthago her gehofft, ſie hatten
erwartet, daß die Cyprier wenigſtens nicht gegen ſie kämpfen wür-
den; von Karthago kam endlich das heilige Schiff der Feſtgeſandt-
ſchaft, es brachte die Botſchaft, daß der Mutterſtadt keine Hülfe
werden könnte. Und ſchon war Tyrus ſo gut wie eingeſperrt, da
vor dem Nordhafen die Cypriſche, vor dem ſüdlichen die Phönici-
ſche Flotte ankerte, ſo daß ſie nicht einmal ihre ganze Marine zu
einem Ausfall, der noch die einzige Rettung zu ſein ſchien, ver-
einigen konnten. Mit deſto größerer Vorſicht rüſteten ſie hinter
einer Reihe ausgeſpannter Segel, die den Nordhafen verdeckte, ein
Geſchwader von drei Fünfruderern, eben ſo vielen Vierruderern
und ſieben Trieren aus, bemannten dieſe mit auserleſenem Schiffs-
volk und benutzten die Stille der Mittagsſtunde, in der Alexander ſelbſt
auf dem Feſtlande in ſeinem Zelte zu ruhen, ſo wie die Mannſchaften
der meiſten Schiffe ſich, um friſches Waſſer und Lebensmittel zu
holen, auf dem Strande zu befinden pflegten, zu einem Ausfall. Un-
[191] bemerkt aus dem Hafen geſegelt ruderten ſie, ſobald ſie den auf
der Nordſeite ſtationirten und faſt ganz unbewachten Schiffen der
Cypriſchen Fürſten nahe kamen, mit lautem Schlachtruf auf die-
ſelben los, bohrten mehrere in den Grund, jagten die übrigen auf
den Strand und begannen ſie zu zertrümmern. Indeß hatte Ale-
xander, der dieſen Tag früher als gewöhnlich zu ſeinen Schiffen
auf der Südſeite zurückgekommen war und ſehr bald die Bewe-
gung vor dem Hafen jenſeits der Stadt bemerkt hatte, ſchleunigſt
ſeine Schiffe bemannt, den größten Theil derſelben unmittelbar vor
dem Südhafen auffahren laſſen, um einem Ausfall der Tyrier von
dieſer Seite zuvorzukommen, und war dann mit fünf Trieren und
allen Fünfruderern ſeines Geſchwaders um die Inſel herumgeſteuert,
den bereits ſiegreichen Tyriern entgegen. Von der Mauer der
Stadt aus gewahrte man ſehr bald Alexanders Nahen; mit lautem
Geſchrei, mit Zeichen jeder Art ſuchte man den Schiffen die Ge-
fahr kund zu thun und ſie zum Rückzuge zu bewegen; über den
Lärm des anhaltenden Gefechtes bemerkten es die Kämpfenden nicht
eher, als bis das feindliche Geſchwader ſie faſt ſchon erreicht hatte;
ſchnell warfen die Tyriſchen Schiffe herum und ruderten in der
größten Eile dem Hafen zu, den aber nur wenige wohlbehalten er-
reichten; die meiſten wurden in den Grund gebohrt oder ſo beſchä-
digt, daß ſie für künftigen Seedienſt unbrauchbar waren, und ein
Fünfruderer und einige Vierruderer dicht vor der Münde von
Alexander genommen, während ſich die Mannſchaft durch Schwim-
men rettete.


Dieſer Ausgang des Tages war für Tyrus Schickſal entſchei-
dend; die Tyriſche Flotte, von der See gänzlich verdrängt, lag
fortan nutzlos in den Häfen, die von den Macedoniſchen Schiffen
auf das ſtrengſte bewacht, Tyriſcher Seits durch Sperrketten vor
einem Ueberfalle geſichert wurden. Die Maſchinen legten an den
Mauern an, ohne daß ihnen die Tyrier anders als von den Zin-
nen herab entgegen arbeiten konnten; es begann das letzte Stadium
einer Belagerung, die, von beiden Seiten mit dem größeſten Auf-
wand von Kraft, mechaniſcher Kunſt und außerordentlichen Entwür-
fen geführt, Alles übertraf, was bisher in dieſer Art von Griechen
und Barbaren unternommen war; und während die Tyrier, deren
Maſchinen- und Kriegsbauweſen das ausgebildetſte der damaligen
[192] Zeit war, alle Mittel und Kräfte anſtrengten, um ſich zu ſchützen,
waren Alexanders Ingenieure, aus der Schule des Polyidus, unter
ihnen der berühmte Deimachos, auf das Eifrigſte bemühet, die Er-
findſamkeit der Phönicier zu überbieten. Jetzt, nachdem Alexander
durch ſeinen Damm einen feſten Angriffspunkt und für ſeine Schiffe
einen ziemlich ſicheren Ankerplatz gewonnen, nachdem er den Mee-
resgrund gereinigt und ſeinen Maſchinen das Anlegen an den
Mauern möglich gemacht, nachdem er die Tyriſche Seemacht vom
Meere verdrängt hatte, ſo daß ihm nichts mehr zu thun übrig
blieb, als die Mauern zu überſteigen oder zu durchbrechen, erſt jetzt
wurde die mühevollſte und gefährlichſte Arbeit begonnen. Dem
Damme gegenüber waren die Mauern zu hoch und zu dick, um
erſchüttert oder erſtiegen zu werden; nicht viel mehr richteten die
Maſchinen auf der Nordſeite aus; die Mächtigkeit der in Gyps
gelegten Quadermaſſen ſchien jeder Gewalt zu trotzen. Mit deſto
größerer Hartnäckigkeit verfolgte Alexander ſeinen Plan; er ließ auf
der Südſeite der Stadt die Maſchinen anrücken, arbeiten und nicht
eher ruhen, als bis die Mauer, bedeutend beſchädigt und durchbro-
chen, zu einer Breſche zuſammenſtürzte. Sogleich wurden Fallbrük-
ken hineingeworfen, ein Sturm verſucht; es begann der härteſte
Kampf; die Tyrier ſchlugen die Macedonier zurück, Alexander gab
die zu kleine Breſche auf, welche bald von den Tyriern hinterbauet
wurde.


Nichts weniger als entmuthigt 38) wartete Alexander nur ſtille
See ab, um den Sturm zu wiederholen; drei Tage ſpäter, es war
am 20ſten Auguſt 39), wurde der entſcheidende Angriff gemacht.
Das Meer war ruhig, die Luft klar, der Horizont wolkenlos, Alles ſo,
wie
[193] wie es Alexander wünſchen mochte. Er begann damit, die mächtig-
ſten ſeiner Maſchinenſchiffe gegen die Mauer anrücken und arbeiten
zu laſſen, während zwei andere Schiffe, das eine mit den Hypas-
piſten Admets unter des Königs Führung, das andere mit Frei-
willigen aus der Phalanx Könus bemannt, bereit lagen, um, ſo-
bald die Breſche groß genug ſei, zum Sturm anzulegen; zu gleicher
Zeit ließ er ſämmtliche Schiffe in See gehen, einen Theil der
Trieren ſich vor die Häfen legen, um während des Sturmes vielleicht
die Hafenketten zu ſprengen und in die Baſſins einzudringen; alle
anderen Schiffe, welche Bogenſchützen, Schleuderer, Balliſten, Kata-
pulten, Sturmblöcke oder Aehnliches an Bord hatten, vertheilten
ſich rings um die Inſel, mit dem Befehl, entweder wo es
irgend möglich wäre zu landen, oder innerhalb Schußweite unter
der Mauer zu ankern und die Tyrier von allen Seiten ſo zu be-
ſchießen, daß ſie, unſchlüſſig, wo am meiſten Gefahr oder Schutz ſei,
deſto leichter dem Sturme erlägen. Die Maſchinen begannen zu
arbeiten, von allen Seiten flogen Geſchoſſe und Steine gegen die
Zinnen, an allen Punkten ſchien die Stadt gefährdet, als plötzlich
der Theil der Mauer, auf den es Alexander abgeſehen hatte, zer-
trümmert zuſammenſtürzte und eine anſehnliche Breſche öffnete.
Sogleich legten die beiden Fahrzeuge mit Bewaffneten an der
Stelle der Maſchinenſchiffe bei, die Fallbrücken wurden hinabgelaſ-
ſen, die Hypaspiſten drangen vor, Admet war der Erſte auf der
Mauer, der Erſte, der fiel; mit doppelter Wuth, Alexander voran,
ſtürzten die Getreuen nach, bald waren die Tyrier aus der Bre-
ſche verdrängt, bald ein Thurm und ein zweiter erobert, die Mauer
beſetzt, der Weg nach der Königsburg frei, der gegenüber eine
breite Straße in die Stadt hinab führte. Während deſſen waren
die Phöniciſchen Schiffe in den Südhafen, deſſen Sperrketten ſie
geſprengt hatten, eingedrungen, und hatten die dort liegenden Schiffe
theils in den Grund gebohrt, theils auf das Ufer getrieben; eben
ſo waren die Cypriſchen Schiffe in den Nordhafen eingelaufen und
hatten bereits das Bollwerk und die nächſten Punkte der Stadt
beſetzt, während Alexander mit den Hypaspiſten und der Schaar
des Könus bereits von der Mauer hinabſtürmte. Die Tyrier hatten
ſich von der Mauer zurückgezogen, ſich vor dem Agenorium geſam-
melt, und erwarteten dort die von allen Seiten heranrückenden
13
[194] Macedonier. Nach kurzem aber höchſt blutigen Kampfe wurden
auch dieſe bewältigt und niedergemacht; die Macedonier wütheten
furchtbar, achttauſend Tyrier fanden den Tod. Denen, die ſich in
den Heraklestempel geflüchtet hatten, namentlich dem König Aze-
milkus, den höchſten Beamten der Stadt und einigen Karthagiſchen
Feſtgeſandten ließ Alexander Gnade angedeihen; diejenigen aber,
die ſich der Unterwerfung widerſetzt und die harnäckige Vertheidi-
gung der Stadt angeſtiftet hatten, wurden ans Kreuz geſchlagen,
der größte Theil der Bevölkerung in die Sklaverei verkauft 40).


[195]

Es konnte Alexanders Abſicht nicht ſein, Tyrus zu vernichten;
er würde ſeinem neuen Reiche eine der wichtigſten Städte, ſeiner
Seemacht vielleicht die beſte Station auf dieſer Küſte entzogen ha-
ben; und wenn ſchon ihm die Hartnäckigkeit dieſer einen Stadt ſie-
ben koſtbare Monate und ungeheuere Anſtrengungen gekoſtet hatte,
ſo ſchien ſie doch durch ihr eigenes Schickſal, durch die Hinrichtung
ſo vieler Vornehmen, durch den tödtlichen Stoß, den ihr Handel
und Wohlſtand erlitten hatte, genug geſtraft zu ſein. Auf der an-
deren Seite aber wäre es gefährlich geweſen, der ſo lange wider-
ſpenſtigen Stadt dieſelben Vergünſtigungen zuzugeſtehen, mit denen
die Ergebenheit der anderen Phöniciſchen und Cyprifchen Städte
belohnt wurde; es kam dazu, daß es für jeden Fall nothwendig
war, mitten unter den kleinen Seeſtaaten in dieſen Gewäſſern, die
ihre Fürſten und ihre Flotten, wenn auch unter Macedoniſcher Ho-
heit, behielten, einen bedeutenden Poſten inne zu haben, um ſelbſt
der Verſuchung zu Neuerungen vorzubeugen. So wurde Tyrus
ſeiner alterthümlichen Verfaſſung beraubt 41), und Hauptwaffenplatz
auf dieſer Küſte; der Macedoniſche Befehlshaber der Stadt erhielt die
Weiſung, für den Wiederaufbau ihrer Befeſtigungen zu ſorgen, das
Wiederaufblühen ihres Handels auf alle Weiſe zu begünſtigen.
Alexander ſelbſt hielt demnächſt zur Feier des Sieges das Herakles-
40)
13 *
[196] opfer, das ihm von den Tyriern geweigert war, im Herakleum der
Inſelſtadt, indem das Heer in voller Rüſtung dazu ausrückte und
die geſammte Flotte auf der Höhe der Inſel im Feſtaufzuge vor-
überſteuerte; unter Wettkampf und Fackellauf wurde die Maſchine,
welche die Mauer geſprengt hatte, durch die Stadt gezogen und
im Herakleum aufgeſtellt, und das Heraklesſchiff der Tyrier, das
ſchon früher in Alexanders Hände gefallen war, dem Gott ge-
weiht 42).


Im Beſitz der beiden Städte Tyrus und Damaskus, und
durch ſie Herr der Küſte und des inneren Syriens konnte Alexan-
der gegen das Paläſtiniſche Syrien hin aufbrechen, wo er mehr-
fachen Widerſtand erwarten mußte. Er hatte von Tyrus aus die
Juden und Samaritaner aufgefordert, ſich zu unterwerfen; unter
dem Vorwande, durch ihren Unterthaneneid dem Perſiſchen Könige
verpflichtet zu ſein, hatten ſie die Zufuhren und anderweitigen Lei-
ſtungen, die Alexander forderte, verweigert. Noch gefährlicher ſchien
die Grenzfeſtung Gaza; in dem Paläſtiniſchen Syrien bei weitem
die wichtigſte Stadt, und, wegen ihrer glücklichen Lage auf der
Handelsſtraße vom rothen Meere nach Tyrus, von Damaskus nach
Aegypten, und noch mehr als Grenzfeſtung gegen die ſo oft unru-
hige Aegyptiſche Satrapie, für die Perſerkönige ſtets ein Gegenſtand
beſonderer Aufmerkſamkeit, war ſie von Darius einem ſeiner treueſten
Diener, dem Eunuchen Batis anvertrauet worden, der kühn genug
dem Vordringen des ſiegreichen Feindes ein Ziel zu ſetzen gedachte,
überzeugt, daß, wenn er jetzt den Macedonier aufzuhalten ver-
möchte, einerſeits die reiche Satrapie Aegypten den Perſern erhal-
ten, andererſeits der König Darius Zeit gewinnen würde, ſeine
großen Rüſtungen im oberen Aſien zu vollenden, in die unteren
Satrapien herabzukommen und den tollkühnen Macedonier über
den Taurus, den Halys, den Hellespont zurückzujagen. Der lange
Widerſtand, den Tyrus geleiſtet hatte, erhöhete den Muth des Eu-
nuchen um ſo mehr, da die Flotte, der Alexander die endliche Ein-
nahme der Inſelſtadt dankte, vor Gaza nicht anzuwenden war;
denn die Stadt lag eine halbe Meile von der Küſte, die überdies,
mit Sandbänken und Untiefen geſperrt, einer Flotte kaum zu lan-
[197] den geſtattete; von der Küſte an erſtreckte ſich landeinwärts eine
tiefe Sandgegend bis zum Fuße des Erdrückens, auf dem Gaza
erbauet war. Die Stadt ſelbſt hatte bedeutenden Umfang und
war mit einer hohen und mächtigen Mauer umgeben, die jedem
Sturmblock und jedem Geſchoß widerſtehen zu können ſchien. Dem-
nach hatte ſich Batis auf eine lange Belagerung vorbereitet, eine
Menge Vorräthe aufgehäuft und Araber aus der nahen Wüſte in
Sold genommen, die bald genug Proben ihrer vielgerühmten Tap-
ferkeit geben ſollten.


Alexander brach mit Anfang September mit dem Heere von
Tyrus auf; ohne bei der feſten Stadt Acco, welche den Eingang in
das Paläſtiniſche Syrien ſchließt, Widerſtand zu finden, rückte er
in das Land der Samaritaner ein; durch ſchnelle Unterwerfung
beugten ſie der gerechten Strafe ihrer Hartnäckigkeit vor; Jeruſa-
lem folgte dieſem Beiſpiel, und Alexander, ſo wird berichtet, hielt
im Tempel Jehovahs ein feierliches Opfer; er zeigte ſich in Al-
lem milde und nachſichtig gegen die Nachkommen Abrahams 43),
deren aufrichtige Ergebenheit ihm bei dem Angriff auf die Phili-
ſterſtadt von mannichfachem Nutzen ſein konnte. Andromachus, den
Parmenion in Damaskus als Befehlshaber zurückgelaſſen, erhielt
auch über das Land des Jordan die Aufſicht 44).


So langte das Heer ohne weiteren Aufenthalt vor Gaza an,
und lagerte ſich auf der Südſeite, wo die Mauer am leichteſten
angreifbar ſchien; Alexander befahl ſofort die erforderlichen Maſchi-
nen zu zimmern und aufzuſtellen. Aber die Kriegsbaumeiſter er-
klärten, es ſei bei der Höhe des Erdrückens, auf dem die Stadt
liege, unmöglich, Maſchinen zu errichten, die ſie zu erreichen und
zu erſchüttern vermöchten. Alexander erkannte die Wichtigkeit des
Platzes und die größere des Ruhmes, über die größeſten Schwierig-
[198] keiten geſtegt und das Unmögliche ſelbſt möglich gemacht zu haben;
trotz aller jener Bedenklichkeiten wollte er Gaza mit ſtürmender
Hand erobert wiſſen, da er weder Truppen genug hatte, um vor
der Feſtung ein eigenes Belagerungscorps zurückzulaſſen, noch bei
den Rüſtungen im oberen Aſien ſich die Zeit laſſen durfte, mit dem
ganzen Heere die Stadt einzuſchließen und auszuhungern. Er be-
fahl daher auf der am meiſten zugänglichen Südſeite einen Damm
gegen die Stadt hin aufzuſchütten, der die Höhe des Erdrückens,
auf dem die Mauern ſtanden, erreichte. Die Arbeit wurde möglichſt
beeilt; ſobald ſie vollendet war, wurden die Maſchinen gegen die
Mauer aufgefahren, und begannen mit Tagesanbruch zu arbeiten;
während deſſen opferte Alexander gekränzt und im kriegeriſchen
Schmucke den Göttern und erwartete ein Zeichen; da flog ein
Raubvogel über den Altar hin und ließ einen Stein auf des Kö-
nigs Haupt hinabfallen, fing ſich ſelbſt aber in dem Tauwerk einer
Maſchine; der Zeichendeuter Ariſtander deutete das Zeichen und
ſprach: „Du wirſt, o König, zwar die Stadt erobern, doch haſt
Du Dich an dieſem Tage wohl zu hüten“ 45). Alexander glaubte
dem Zeichen der Götter und hütete ſich, er blieb in der Nähe der
Maſchinen, die nicht ohne Erfolg gegen die mächtigen Mauern ar-
beiteten. Da machten die Belagerten plötzlich und mit großer Hef-
tigkeit einen Ausfall, warfen Feuer in die Schirmdächer und Ge-
ſchütze, beſchoſſen von der hohen Mauer herab die Macedonier,
welche in den Maſchinen arbeiteten und zu löſchen ſuchten, und
drängten dieſe ſo, daß ſie bereits ſich von ihrem Damme zurückzu-
ziehen begannen. Länger hielt ſich Alexander nicht; an der Spitze
ſeiner Hypaspiſten rückte er vor, half, wo am meiſten Gefahr war,
brachte die Macedonier von Neuem in den Kampf, ſo daß ſie we-
nigſtens nicht ganz von dem Damme zurückgeworfen wurden; da
traf ihn ein Katapultenpfeil und fuhr ihm durch Schild und Panzer
bis tief in die Schulter hinein. Der König ſank, die Feinde
drängten jubelnd heran, überall loderten die Maſchinen auf, die
Macedonier wichen von der Mauer der Stadt zurück.


Alexanders Wunde war ſchmerzhaft, aber nicht gefährlich; ſie
hatte Ariſtanders Weiſſagung zur Hälfte wahr gemacht, und der
[199] König war überzeugt, daß ſich nun auch der glücklichere Theil
jenes Zeichens erfüllen werde. Eben jetzt waren die Maſchinen,
mit denen er Tyrus erobert hatte, im nahen Hafen Majumas an-
gekommen; um ſie anwenden zu können, befahl er ſoſort, einen mäch-
tigen Damm von zwölfhundert Fuß Breite und zweihundertfunfzig
Fuß Höhe concentriſch mit den Mauern der Stadt aufzuſchüt-
ten 46); zu gleicher Zeit wurde das Erdreich unter der Mauer
unterminirt, ſo daß ſie bald durch ihre eigene Schwere und durch
die Gewalt der Sturmblöcke an mehreren Stellen zuſammenſtürzte.
Man hatte Breſche genug und begann zu ſtürmen; zurückgeſchla-
gen wiederholte man den Angriff zum zweiten, zum dritten Mal;
endlich beim vierten Sturm, als die Phalangen von allen Seiten
heranrückten, als immer neue Stücke der Mauer zuſammenſtürzten,
und die Maſchinen immer furchtbarer wirkten, als die tapferen
Araber ſchon zu viele Todte und Verwundete zählten, um noch an
allen Orten den gehörigen Widerſtand zu leiſten, gelang es den
Hypaspiſten, Sturmleitern in die Breſchen zu werfen und über
den Schutt der eingeſtürzten Mauern einzudringen, die Thore auf-
zureißen, und dem geſammten Heere den Eingang in die Stadt zu
öffnen. Ein noch wilderer Kampf begann in den Straßen der
Stadt; die tapferen Gazäer vertheidigten ihre Poſten bis auf den
Tod, ein gräßliches Blutbad endete den heißen Tag; an zehntau-
ſend Barbaren ſollen gefallen ſein; ihre Weiber und Kinder wur-
[200] den in die Sclaverei verkauft. Doch war die Lage der Stadt in
jeder Beziehung zu vortheilhaft, als daß Alexander ſie hätte vertil-
gen ſollen; deshalb bevölkerte er ſie von Neuem aus den benach-
barten Ortſchaften, und benutzte ſie als Waffenplatz für ſeine wei-
teren Unternehmungen 47).


Jetzt endlich konnte Alexander nach Aegypten hin aufbrechen,
der letzten Mittelländiſchen Provinz des Perſerkönigs, die, wenn ſie
treu oder in treuen Händen geweſen wäre, vermöge ihrer günſtigen
örtlichen Verhältniſſe lange Widerſtand zu leiſten vermocht hätte.
Aber wie ſollte ſich das Aegyptiſche Volk für die Sache eines Kö-
nigs, an den es durch nichts als die Ketten einer ohnmächtigen
und darum doppelt verhaßten Herrſchaft gefeſſelt war, zu kämpfen
bereit fühlen? Ueberdies lag in der Natur der Aegypter weniger
Neigung zum Kampf als zur Ruhe, mehr Geduld und Arbeitſamkeit
als Geiſt und Kraft, und wenn deſſen ungeachtet während der zweihun-
dert Jahre der Dienſtbarkeit öfter Verſuche gemacht worden waren,
die fremde Herrſchaft abzuſchütteln, ſo hat an dieſen das Volk im
Ganzen um ſo weniger Antheil genommen, da es ſeit der Aus-
wanderung der einheimiſchen Kriegerkaſte daran gewöhnt war, Grie-
[201] chiſche und Libyſche Söldner für Aegypten kämpfen und höchſtens
einige Tauſend Eingeborene als Packknechte mitziehen zu ſehen.
Ueberhaupt kann man den damaligen Zuſtand Aegyptens als den
der vollkommenſten Stagnation bezeichnen; alle inneren Verhält-
niſſe, Ueberreſte der längſt untergegangenen Pharaonenzeit, ſtanden
im offenbarſten Widerſpruche mit jedem der geſchichtlichen Wechſel-
fälle, deren das Land ſeit dem Sturze des prieſterlichen König-
thums ſo viele erfahren hatte; die Verſuche der Saitiſchen Könige,
ihr Volk durch Handel und Verbindung mit fremden Völkern zu
beleben, hatten ſcheitern müſſen, da ſie ſelbſt Aegypter und aus
dem Geſchlecht der prieſterlichen Pharaonen waren; die Funken des
neuen Lebens, die ſie erweckt hatten, fanden unter der Perſiſchen
Herrſchaft keine andere Nahrung, als den dumpfen, ſtets zunehmen-
den Abſcheu gegen die unreinen Fremdlinge, ohne daß das Volk
durch dieſen jemals zu einem allgemeinen und entſchiedenen Abfall
von Perſien gekräftigt wäre; in ſich verſunken, Sclaven der ärm-
lichſten Betriebſamkeit, deren ſie doch nicht froh wurden, belaſtet
mit allen Nachtheilen und aller Superſtition eines Kaſtenweſens,
von dem die Zeit nichts als die abgeſtorbene Form übrig gelaſſen
hatte, bei dem Allen durch die überreiche Fruchtbarkeit ihres Lan-
des, der kein freier und lebendiger Verkehr nach Außen hin Werth
und Reiz gab, mehr gedrückt als gefördert, bedurften die Aegypter
mehr als irgend ein Volk einer entſchiedenen Regeneration, wie ſie
durch Alexander über den ganzen Orient kommen ſollte 48).


Aegypten war, ſobald Alexander nahete, für den Perſerkönig
verloren; ſein Satrap Mazaces, des bei Iſſus gefallenen Sabaces
Nachfolger, hatte die unter Amyntas Führung gelandeten Griechi-
ſchen Söldner aus Eiferſucht oder misverſtandenem Eifer, ſtatt ſie
zur Vertheidigung des Landes in Sold zu nehmen, niedermetzeln
laſſen; jetzt, nach dem Fall von Tyrus und Gaza, nachdem durch
Alexanders Occupation, die bis in die Wüſte Arabiens hinaus-
[202] reichte, Aegypten vom oberen Perſien durchaus abgeſchnitten war,
blieb dem Satrapen und den wenigen Perſern um ihn freilich
nichts übrig, als ſich möglichſt ſchnell zu unterwerfen.


So geſchah es denn, daß, als Alexander von Gaza aus nach
einem Marſche von ſieben Tagen in Peluſium eintraf, Mazaces
ihm ohne Weiteres Aegypten übergab. Während der König ſeine
aus Phönicien bereits gelandete Flotte auf dem Peluſiſchen Nilarm
ſtromauf ſandte, ging er ſelbſt über Heliopolis nach Memphis, um
ſich mit der Flotte dort wieder zu treffen; alle Städte, zu denen
er kam, öffneten ihm die Thore; ohne das geringſte Hinderniß be-
ſetzte er Memphis, die große Hauptſtadt des Nillandes, deſſen Un-
terwerfung mit dieſem Zuge vollbracht war.


Indeß wollte Alexander mehr als unterwerfen; es ſollte den
Völkern ſeines Reiches der Genuß und das Bewußtſein ihrer durch
die Perſer gewaltſam und darum vergebens zurückgedrängten Volks-
thümlichkeit unter der Aegide des Griechiſchen Lebens zurückgegeben
werden, damit der große Gedanke einer völligen Verſchmelzung bei-
der deſto leichter Raum und Kraft gewönne. So opferte der Macedo-
niſche König in den Tempeln der Acgyptiſchen Gottheiten, vor
Allen dem Apis, an deſſen Heiligkeit ſich die Erinnerung der alten
Pharaonenweihe knüpfte 49); zugleich ließ er in den Vorhöfen der
Tempel Griechiſche Wettkämpfe und Muſenſpiele halten, zum Zei-
chen, wie fortan das Fremde hier heimiſch, das Einheimiſche
auch den Fremden ehrwürdig ſein werde. Die Achtung, die er
überdies den Aegyptiſchen Prieſtern zollte 50), mußte ihm dieſe
Kaſte um ſo mehr gewinnen, je tiefer ſie von der oft fanatiſchen
Intoleranz der Perſiſchen Fremdlinge herabgewürdigt worden war.


[203]

Uebrigens lag es am Tage, daß, wenn dies von der Natur
ſo reich ausgeſtattete Aegypten nicht in entſprechender Weiſe blü-
hend und glücklich war, die Schuld davon beſonders darin lag, daß
die unter Pſammetich und ſeinen nächſten Nachfolgern eröffnete
Verbindung mit der See und den überſeeiſchen Völkern während
der Perſiſchen Herrſchaft faſt ganz aufgegeben und der Handel nach
außerhalb in die Hände anderer Völker übergegangen war. Die-
ſen den Aegyptern wieder zuzuführen und ſie zugleich in den raſchen
und belebenden Verkehr der Völker mit hineinzuziehen, anderer Seits
aber dem Griechiſchen Leben einen Mittelpunkt unter den frem-
den Völkern, die Alexander mit jenem zu verſchmelzen wünſchte,
ſo wie ſeiner Herrſchaft über das Mittelmeer und deſſen Küſten
einen neuen Haltpunkt zu ſchaffen, beſchloß er die Gründung einer
neuen Stadt an der Küſte Aegyptens; die Eigenthümlichkeit des
ſchlammführenden Nilſtromes, die oft wechſelnde Geſtalt ſeiner
Mündungen, endlich die Schwierigkeit der Einfahrt in dieſelben,
veranlaßte ihn, nicht eine von dieſen dazu auszuerſehen, ſondern
eine etwas weſtlichere Stelle der Küſte, die mit der vorliegenden
Inſel Pharos den Griechen aus Homers Geſängen bekannt, von
den Aegyptiſchen Königen aber unter dem Namen Rakotis als
Grenzpoſten gegen Libyen gebraucht war, wovon ſowohl die Inſel
als auch der Landſee Mareotis, gleich oberhalb Rakotis, den Na-
men führten 51). Mit den Hypaspiſten und dem königlichen Ge-
ſchwader der Macedoniſchen Ritterſchaft, mit den Agrianern und
Bogenſchützen fuhr Alexander von Memphis aus ſtromabwärts nach
Kanobus, von dort längs der Küſte an die bezeichnete Stelle, und
überzeugte ſich mit eigenen Augen, wie überaus günſtig der Strand
zwiſchen dem See Mareotis und der Küſte zur Gründung einer
Stadt, und der Raum zwiſchen der Inſel und der Küſte zur An-
legung eines ſehr geräumigen und faſt gegen jeden Wind ſichernden
Hafens gelegen ſei.


[204]

Sofort beſchloß Alexander den Bau der Stadt beginnen zu
laſſen; er ſelbſt, ſo wird erzählt, wollte den Plan der Stadt, die
Straßen und Märkte, die Lage der Tempel für die Griechiſchen
Götter und für die Aegyptiſche Iſis ſeinem Baumeiſter Dinokrates
bezeichnen; da eben nichts Anderes zur Hand war, ließ er ſeine
Macedonier ihr Mehl als Grundriß der neuen Stadt ausſtreuen,
worauf unzählige Vögel von allen Seiten herangeflogen kamen und
von dem Mehle zu freſſen begannen, ein Zeichen, das der weiſe
Ariſtander erfreulich genug auf den künftigen Wohlſtand und aus-
gebreiteten Handel der Stadt deutete 52). Es iſt bekannt, auf
wie außerordentliche Weiſe dieſes Zeichen und Alexanders Wün-
ſche erfüllt worden ſind; in Kurzem ſollte die Bevölkerung der
Stadt ins Ungeheuere wachſen, ihr Handel Indien und Europa ver-
binden, ſie ſollte der Mittelpunkt für das Helleniſtiſche Leben der
nächſten Jahrhunderte, die Heimath der aus dem Orient und Oc-
cident zuſammenſtrömenden Weltbildung und Weltliteratur, das herr-
lichſte und dauerndſte Denkmal des großen Alexander werden 53).


[[205]]

Fünftes Kapitel.
Der Babyloniſch-Perſiſche Feldzug
.


Stets iſt das ſtolze Recht des Sieges der Sieg eines höheren
Rechtes; der Heldenkraft des geſchichtlichen Berufes gegenüber
wird die Ohnmacht perſönlicher Tugenden und ererbter Rechte offen-
bar; die geſchichtliche Größe, die höchſte Herrlichkeit des Men-
ſchengeiſtes, iſt mächtiger als Recht und Geſetz, als Tugend und
Pflicht, als Raum und Zeit; ſie ſiegt, ſo lange ſie wagt, kämpft,
zerſtört, ſo lange dem Helden der That der Held des Leides ent-
gegen iſt; erliegt dieſer, ſo iſt der Sieger Erbe des Leides, das
er verſchuldet; des Zerſtörens müde, der Gefahren frei, ohne Feind
und Wunſch, beginnt er zu gründen auf der Zerſtörung und ſeinen
Thron zu bauen aus den Trümmern alter Rechte und Erinnerun-
gen; die Stufen ſeines ſtolzen Thrones ſind Furcht, Haß und
Verrath.


Die Nemeſis der Geſchichte, ſo gerecht gegen die Größe,
ſcheint in großen Zeiten die Ohnmacht deſto bitterer zu verfolgen,
je mehr ſie in ererbtem Recht und perſönlicher Güte Anſpruch auf
Ruhe und Verehrung, auf das Glück des Friedens und der Häuslich-
keit vereint. So Darius dem Macedoniſchen Eroberer gegenüber; treu,
ernſt und milde, ein Muſter der Ehrerbietung gegen ſeine Mutter,
der Liebe und Herzlichkeit gegen ſeine Gemahlin und ſeine Kinder, den
Perſern einſt ſo werth wegen ſeines königlichen Sinnes, ſeiner rit-
terlichen Tap[f]erkeit, ſeiner Gerechtigkeit, für ruhige Zeiten ein Kö-
nig, wie ihn die Throne Aſiens ſelten ſehen, ward er von dem
Strome der Begebenheiten ergriffen, dem zu entgehen, zu wider-
ſtehen vielleicht einem Ochus oder Cambyſes gelungen wäre, ward
[206] er von dem Beſtreben ſeinen Völkern den Frieden zu bewahren,
zu unwürdigen und verbrecheriſchen Plänen gegen das Leben ſeines
Feindes verlockt, ohne dadurch mehr zu erreichen, als den traurigen
Troſt, nicht unſchuldig zu leiden. Und mit der wachſenden Gefahr
mehrte ſich die Verwirrung, die Haltungsloſigkeit und das Unrecht
in Allem, was er that oder verſuchte; immer dunkler umzog ſich die
Zukunft für das Perſiſche Königthum und die gerechte Sache; ſchon
war das Thor gen Aſien erbrochen, ſchon die reichen Satrapien der
Küſte des Siegers Beute, ſchon die Grundfeſte der Achämeniden-
pforte erſchüttert. Und hätte vielleicht des Königs frommer Sinn
all den Verluſt und noch größere Opfer zu ertragen und einſt im
ſtillen Kreiſe der Seinen zu belächeln gelernt, ſo trafen die Schläge
des Schickſals die empfindlichſte Stelle ſeines Herzens, das weniger
an Thron und Reich als an Weib und Kind zu hangen ſchien;
ihn ſollte das größte Maaß des Schmerzes, wie er ihn em-
pfand, die Größe ſeines Sturzes empfinden laſſen. Seine Mutter
Siſygambis, ſeine Kinder, ſeine Gemahlin Statira, die ſchönſte
der Frauen Aſiens, ihm doppelt theuer, da ſie ein Kind unter dem
Herzen trug, ſie waren in Alexanders Händen. Die Hälfte ſeines
Reiches und ungeheuere Schätze bot er dem Feinde für die Gefan-
genen, und der ſtolze Feind forderte Unterwerfung oder neuen
Kampf. Da mochte der Großkönig Aſiens noch einmal ſeiner
Macht, ſeiner Hoheit, ſeines einſtigen Waffenruhmes gedenken, es
mochten die Großen des Reiches und der Stolz despotiſcher Herr-
ſchaft neue Hoffnungen in ihm nähren, es mochte die Gerechtigkeit
der Selbſtvertheidigung und das lockende Vielleicht einer letzten Ent-
ſcheidung ihn erheben, alles Menſchliche und ſein Verhängniß trieb
ihn, was ſchon verloren war, zu vergeſſen, die Schande von Iſſus
zu vergeſſen und die Völker von Iran und Turan aufzurufen zum
neuen Kampfe.


Um dieſe Zeit kam Tireus, der treue Eunuch, der gefangenen Kö-
nigin Hüter, als Flüchtling in die Hofburg von Suſa und brachte
dem Könige die Trauerbotſchaft, die Königin ſei in den Geburts-
wehen geſtorben. Da ſchlug ſich Darius die Stirn und jammerte
laut, daß Statira todt ſei, daß die Königin der Perſer ſelbſt der Ehre
des Grabes entbehren müſſe. Und der Eunuch tröſtete ihn: weder
im Leben noch im Tode habe es ihr der Macedoniſche König ver-
[207] geſſen, daß ſie eines Königs Gemahlin ſei, er habe ſie und die
Mutter und die Kinder in höchſten Ehren gehalten bis auf dieſen
Tag, er habe die königliche Leiche mit aller Pracht nach Perſiſcher
Weiſe beſtatten laſſen und mit Thränen ihr Gedächtniß geehrt.
Beſtürzt fragte Darius, ob ſie keuſch, ob ſie treu geblieben, ob
Alexander ſie nicht gezwungen habe zu ſeinem, wider ihren Willen.
Da warf ſich der treue Eunuch ihm zu Füßen und beſchwor ihn,
nicht das Andenken ſeiner edlen Herrin zu beſchimpfen, und ſich
nicht ſelbſt in ſeinem endloſen Unglück den letzten Troſt zu rauben,
den, von einem Feinde überwunden zu ſein, der mehr als ein Sterb-
licher zu ſein ſcheine; er ſchwur es mit den höchſten Eiden, daß
Statira treu und keuſch geſtorben, daß Alexanders Tugend eben ſo
groß ſei als ſeine Kühnheit. Und Darius hob die Hände gen
Himmel und ſprach: „Du, großer Ormuzd, und Ihr, Geiſter des
Lichtes, wollet das Reich mir erhalten, das Ihr in meine Hand
gegeben; doch ſoll ich nicht länger Aſiens Herr ſein, ſo gebt die
Tiara des großen Cyrus keinem Anderen als dem Macedonier
Alexander“ 1). —


Und ſchon waren die Boten des Königs ausgeſendet in alle
Satrapien des Reichs, von dem, wenn auch große, doch im Ver-
hältniß zum Ganzen nicht bedeutende Länderſtrecken in Feindeshand
waren. Noch war alles Gebiet innerhalb und jenſeits der Gebirge
[208] von Iran, noch dieſſeits der bei weitem größere Theil unter Perſi-
ſchen Satrapen; es waren die tapferſten und treueſten Völker Aſiens,
die nur auf des Königs Befehl warteten, um ins Feld zu rücken;
was galt Aegypten, Syrien, Kleinaſien gegen die ungeheuere Länder-
ſtrecke vom Taurus bis zum Indus, vom Euphrat bis zum Jaxartes;
was der Verluſt ſtets treuloſer Völker gegen die treuen Reuter-
ſchwärme von Turan und die wilden Bergvölker von Ariana und
Iran; ja die verlorenen Küſtenländer und die Bemühungen um
die Seeherrſchaft, zu denen ſie nöthigten, waren es eben geweſen,
welche bisher alles Unheil über das ſchöne Reich des Cyrus ge-
bracht und die Perſer zum eigenen Unheil in die ewigen Streitig-
keiten der Hellenen verwickelt hatten. Jetzt galt es, das Innere
des Morgenlandes zu retten, die hohe Burg Iran zu vertheidigen,
die Aſien beherrſcht; jetzt rief der König der Könige die Edlen ſei-
nes Stammes, die Enkel der ſieben Fürſten, die getreuen Satra-
pen, an der Spitze ihrer Völker für den Ruhm und die Herrſchaft
Perſiens zu kämpfen; in ihre Hand legte er ſein Schickſal; nicht
Griechiſche Söldner, nicht Griechiſche Feldherren ſollten die Eifer-
ſucht und das Mistrauen der Seinen wecken, die wenigen Tauſend
Fremdlinge, die mit ihm von Iſſus geflüchtet waren, hatte das
gemeinſame Unglück mit den Söhnen Aſiens vereinigt; ein ächt
Aſiatiſches Heer ſollte dem Heere Europas vor den Bergwällen
Irans entgegentreten.


Die Ebene von Babylon war der Sammelplatz des großen
Völkerheeres. Aus dem fernſten Aſien führte Beſſus, der Baktri-
ſche Satrap, die Baktrianer und ihre nördlichen Nachbaren, die
Sogdianer, und die ſtreitbaren Indiſchen Völker aus dem Berg-
lande des Indiſchen Kaukaſus heran; ihm hatten ſich das Turke-
ſtaniſche Reutervolk der Saker unter Mabaces und die Daher aus
der Steppe des Aralſees angeſchloſſen. Die Völker aus Aracho-
ſien und Drangiana und die Indiſchen Bergbewohner der Para-
vetiberge kamen unter ihrem Satrapen Barſaentes, ihre weſtlichen
Nachbaren aus Aria unter dem Satrapen Satibarzanes, die Per-
ſiſchen, Hyrkaniſchen und Tapuriſchen Reuterſchwärme aus Koraſſan,
dem Schwertlande Irans, unter Phrathaphernes und ſeinen Söhnen.
Dann die Meder, einſt die Herren Aſiens, deren Satrap Atropa-
tes zugleich die Kaduſier, Sakaſener und Albaner aus den Thälern
des
[209] des Kur, des Araxes und des Urmeaſes führte. Von Süden
her, von den Küſten des Erythräiſchen Meeres kamen die Völker
Perſiens, Gedroſiens und Karamaniens unter Okontobates und
Ariobarzanes, dem Sohne des Artabazus, unter Orxines, aus dem
Geſchlechte der ſieben Fürſten 2). Die Suſianer und das tapfere
Bergvolk der Uxier führte Oxathres, der Sohn des Suſianiſchen
Satrapen Abulites; die Schaaren von Babylon ſammelten ſich
unter Bupales Befehl, die aus Armenien kamen unter Orontes
und Mithrauſtes, die aus Syrien dieſſeits und jenſeits der Waſſer
unter Mazäus; ſelbſt aus dem Kappadociſchen Lande, deſſen We-
ſten der Zug des Macedoniſchen Heeres berührt hatte, kamen Rei-
ſige unter ihres Dynaſten Ariarathes Führung 3).


So ſammelte ſich während des Frühjahres 331 das Reichs-
heer des Perſerkönigs in Babylon, an vierzigtauſend Pferde und viele
hunderttauſend Menſchen, dazu zweihundert Senſenwagen und funf-
zehn Elephanten, die vom Indus hergebracht waren. Es heißt, daß
gegen die ſonſtige Gewohnheit von dem Könige für die Bewaffnung
dieſes Heeres, namentlich der Reuter, geſorgt worden ſei 4). Wich-
tiger war es, einen Kriegsplan zu finden, in dem das Perſerheer die
ganze ihm eigenthümliche Vehemenz der Maſſen entwickeln konnte.
Zwei Ströme, der Euphrat und Tigris durchſchneiden in diagona-
ler Richtung das Syriſche Tiefland, das ſich an dem Fuße der
Iraniſchen Berge hinabzieht; über ſie führen die Wege von den
Küſtengegenden zum oberen Aſien. Es war ein glücklicher Gedanke
des Großkönigs, dem Feinde an den Stromübergängen entgegenzutre-
ten; es war verſtändig, die Hauptmacht hinter dem Tigris aufzu-
ſtellen, da dieſer einerſeits ſchwerer zu paſſiren iſt, andererſeits eine
am Euphrat verlorene Schlacht ihn nach Armenien zurückgeworfen,
und Babylon, ſo wie die großen Straßen von Perſis und Medien
Preis gegeben hätte, wogegen eine Stellung hinter dem Tigris
Babylon deckte, eine gewonnene Schlacht die Feinde in den weiten
Ebenen von Meſapotamien aller Verfolgung Preis gab, eine ver-
lorene Schlacht den Rückzug nach den öſtlichen Provinzen offen
ließ. Darius begnügte ſich, an den Euphrat einige Tauſend Mann
unter Mazäus vorauszuſenden, um die Paſſage des Fluſſes beob-
14
[210] achten zu laſſen; er ſelbſt ging von Babylon aus in die Gegend
von Arbela, einem Hauptorte auf der großen Heerſtraße, vor dem
ſich eine weite Ebene weſtwärts bis an das linke Ufer des reißen-
den Tigris und nordwärts bis an die Vorhöhen des Zagrosge-
birges ausdehnt; von hier aus gedachte er, ſobald Alexander heran-
käme, an die Ufer des Stromes zu rücken und jeden Uebergang
zu hindern. —


Während der König Darius für die Oſthälfte ſeines Reiches
mit allen Streitkräften, die ſie aufbringen konnte, an ihrer Schwelle
zu kämpfen bereit ſtand, war im fernen Weſten der letzte Reſt der
Perſiſchen Macht unterlegen. Memnons Plan, durch einen Angriff
auf Griechenland Alexanders Siege zu paralyſiren, hätte das Reich
retten, er hätte gelingen können, wenn dieſer Angriff mit dem ge-
hörigen Nachdruck gemacht wäre. Aber die anfangs ſo gewaltige
Perſerflotte war durch die Abſendung der zweihundert Schiffe gen
Tripolis, durch die Zurückberufung der Söldner, durch den Abzug
der Phöniciſchen und Cypriſchen Segel endlich ſo geſchwächt, daß
ſie ſich mit Mühe und zum Theil nur durch die Beihülfe der von
den Perſern begünſtigten oder eingeſetzten Tyrannen in dem Beſitz
von Tenedos, Lesbos, Chios und Kos zu behaupten vermochte.
Durch die Vorſicht Antipaters alles Einfluſſes im übrigen Grie-
chenland beraubt, ſtand ſie nur noch mit dem Spartanerkönige
Agis in unmittelbarer Verbindung; aber die Bewegungen, die die-
ſer im Einverſtändniß mit den Perſiſchen Admiralen im Pelopon-
nes zu erregen gehofft hatte, waren durch die allmählige Auflöſung
der Seemacht gleichfalls ins Stocken gerathen, ſo daß er ſich be-
gnügen mußte, durch ſeinen Bruder Kreta beſetzen zu laſſen. In-
deß entwickelte die Macedoniſche Flotte unter den Nauarchen He-
gelochus und Amphoterus während des Jahres 332 in den Griechi-
ſchen Gewäſſern ein ſo bedeutendes Uebergewicht, daß zunächſt die
Tenedier, die nur gezwungen das ehrenvolle Bündniß mit Alexan-
der gegen das Perſiſche Joch vertauſcht hatten, den Macedoniern
ihren Hafen öffneten und das frühere Bündniß von Neuem pro-
klamirten. Ihrem Beiſpiele folgten die Chier, die, ſobald ſich die
Macedoniſche Flotte auf ihrer Rhede zeigte, gegen die Tyrannen
und die Perſiſche Beſatzung einen Aufſtand machten und die Thore
öffneten; der Perſiſche Admiral Pharnabazus, der damals mit funf-
[211] zehn Trieren im Hafen von Chios lag, ſo wie die Tyrannen der
Inſel kamen in die Gewalt der Macedonier; und als während der
Nacht Ariſtonikus, der Tyrann von Methymna auf Lesbos, mit
einigen Kaperſchiffen vor dem Hafen, den er noch in den Händen
der Perſer glaubte, erſchien und einzulaufen begehrte, ſo ließ ihn die
Macedoniſche Hafenwache ein, machte dann die Mannſchaft der Trie-
ren nieder und brachte den Tyrannen als Gefangenen in die Burg.
Immer mehr ſchwand das Anſehen der Perſer und ihrer Parthei;
auch die Koer erklärten ſich bereit zur Sache Alexanders überzutre-
ten, und während Amphoterus mit ſechszig Schiffen dorthin abging,
wandte ſich Hegelochus mit der übrigen Flotte nach Lesbos, das
allein noch durch Tyrannen und Perſiſche Beſatzungen in Unterthä-
nigkeit gehalten wurde; die Beſatzung von Mytilene wurde bewäl-
tiget und die Stadt eingenommen, worauf ſich die übrigen Städte
der Inſel durch Vertrag unterwarfen, ihre Tyrannen auslieferten
und die Demokratie proklamirten 5); dann ſegelte Hegelochus
ſüdwärts nach Kos, das ſich bereits in Amphoterus Händen be-
fand. So waren die Perſer vertilgt, alle Inſeln des Aegäiſchen
Meeres gewonnen, nur Kreta noch von den Lacedämoniern be-
ſetzt; Amphoterus übernahm ihre Unterwerfung und ſegelte mit
einem Theil der Flotte dorthin ab. Hegelochus dagegen ging nach
Aegypten unter Segel, um ſelbſt die Nachricht zu überbringen, daß
die Perſiſche Seemacht bis auf die letzte Spur vernichtet ſei; zu-
gleich übergab er dem Könige die Gefangenen bis auf Pharnaba-
zus, der auf der Inſel Kos zu entweichen Gelegenheit gefunden
hatte. Alexander befahl, die Tyrannen der einzelnen Städte ihren
Gemeinden zum Gericht zurückzuſenden; diejenigen aber, welche die
Inſel Chios an Memnon verrathen hatten, wurden mit einer ſtar-
ken Eskorte nach der Nilinſel Elephantine, dem ſüdlichſten Grenz-
poſten des Reiches, ins Elend geſchickt 6). —


So war mit dem Anfang des Jahres 331 der letzte Reſt
einer Perſiſchen Seemacht, die das Macedoniſche Heer im Rücken
zu gefährden und deſſen Bewegungen zu hindern vermocht hätte, ver-
nichtet, das Mittelländiſche Küſtenland, ſo weit es jemals unter
14 *
[212] Perſiſcher Herrſchaft geſtanden hatte, unterworfen, und damit alle
Bedingungen für den großen Zug ins Innere Aſiens erfüllt; die
Reihe von Waffenplätzen, die ſich vom Thraciſchen Bosporus über
Kleinaſien und Syrien bis zu dem neu gegründeten Alexandria hin
erſtreckte, diente eben ſo ſehr zur vollkommenen Behauptung der
unterworfenen Provinzen, wie ſie die weiteren Unternehmungen
Alexanders von allen Seiten her zu ſtützen vermochte. — Der
neue Feldzug ſollte den Macedoniſchen König in eine durchaus
neue und fremde Welt und unter Völker bringen, denen die Grie-
chiſche Weiſe fremd, das freie Verhältniß der Macedonier zu ihrem
Fürſten unbegreiflich, denen ein König ein Weſen höherer Art war.
Alexander, erfüllt mit dem Bewußtſein ſeiner hohen Sendung, ver-
kannte nicht, daß die Völker, die er zu einem Reiche zu vereinen
gedachte, ihre Einheit zunächſt nur in ihm finden würden und er-
kennen mußten. Und wenn ihn der heilige Schild von Ilion als
den Helleniſchen Helden verkündete, wenn die Völker Kleinaſiens in
dem Löſer des Gordiſchen Knotens den verheißenen Ueberwinder
Aſiens erkannten, wenn in dem Heraklesopfer zu Tyrus und der
feſtlichen Weihe im Apistempel zu Memphis der ſiegende Fremd-
ling ſich mit den beſiegten Völkern und ihrer heiligſten Sitte ver-
ſöhnt hatte, ſo ſollte ihn jetzt in das Innere des Morgenlandes
eine geheimere Weihe, eine höhere Verheißung begleiten, in der die
Völker ihn als den zum König der Könige, zum Herrn von Auf-
gang bis Niedergang Erkorenen erkennen mochten.


In der weiten Einöde Libyens, an deren Eingang das ver-
witterte Felſenbild der hütenden Sphinx und die halbverſandeten
Pyramiden der Pharaonen ſtehen, in dieſer einſamen, todtſtillen
Wüſte, die ſich vom Saume des Nilthales abendwärts in unabſeh-
barer Ferne erſtreckt, und mit deren Flugſand ein glühender Mit-
tagswind die mühſame Spur des Kameeles verwehet, liegt wie im
Meere ein grünes Eiland, von hohen Palmen überſchattet, von
Quellen und Bächen und dem Thau des Himmels getränkt, die
letzte Stätte des Lebens für die rings erſterbende Natur, der letzte
Ruheplatz für den Wanderer in der Wüſte; und unter den Palmen
der Oaſe ſteht der Tempel des geheimnißvollen Gottes, der einſt
auf heiligem Kahne vom Lande der Aethiopen zum hundertthorigen
Theben gekommen, der von Theben durch die Wüſte gezogen war,
[213] auf der Oaſe zu ruhen und dem ſuchenden Sohne ſich kund zu ge-
ben in geheimnißvoller Geſtalt. Ein frommes prieſterliches Geſchlecht
wohnte um den Tempel des Gottes, fern von der Welt, in heiliger
Einſamkeit, in der Ammon Zeus, der Gott des Lebens, nahe
war; ſie lebten für ſeinen Dienſt und für die Verkündigung ſeiner
Orakel, die zu hören die Völker von nah und fern heilige Boten und
Geſchenke ſandten. Zu dem Tempel in der Wüſte beſchloß der
Macedoniſche König zu ziehen, und große Dinge den großen Gott
zu fragen.


Was aber wollte er fragen? Die Macedonier mit ihm er-
zählten ſich wunderbare Geſchichten aus früherer Zeit; damals von
Wenigen geglaubt, von Vielen verlacht, von Allen gekannt, waren
ſie durch dieſen Zug von Neuem angeregt worden; man erinnerte
ſich der nächtlichen Orgien, die Olympias in den Bergen der Hei-
math feierte; man wußte von ihren Zauberkünſten, um deren Wil-
len ſie König Philipp verſtoßen 7); er habe ſie einſt in ihrem
Schlafgemach belauſcht und einen Drachen in ihrem Schooß geſe-
hen, vertraute Männer, die er darum gen Delphi geſchickt, hätten
ihm des Gottes Antwort gebracht, er möge dem großen Ammon
Zeus opfern und ihn vor allen Göttern ehren; man meinte, auch
Herakles ſei einer ſterblichen Mutter Sohn geweſen; man wollte
wiſſen, daß Olympias ihrem Sohne auf dem Wege zum Helles-
pont 8) das Geheimniß ſeiner Geburt vertrauet. Vieles der Art
beſprachen die Macedonier, aber des Königes Willen wußten ſie
nicht; nur wenige Truppen ſollten ihm folgen.


Von Alexandria brach der Zug auf und wandte ſich zunächſt
längs der wüſten Meeresküſte gen Parätonium, der erſten Ortſchaft
der Cyrenäer, deren Geſandten und Geſchenke Alexander freundlich
empfing, indem er ſie als Griechen und Bundesgenoſſen ehrte 9).
Von hier führte der Weg ſüdwärts durch wüſte Sandſtrecken, über
deren eintönigen Horizont kein Baum, kein Hügel hervorragt; die
Luft voll Staubwolken, der Sand ſo loſe, daß jeder Schritt unſicher
war; nirgend ein Grasplatz zum Ruhen, nirgend ein Brunnen oder
Quell, der den brennenden Durſt hätte ſtillen können; — Regen-
[214] wolken, die bald, ein Geſchenk der Jahreszeit, wiederholentlich Er-
quickung gaben, galten für eine Wundergabe des Gottes in der
Wüſte. So zog man weiter; keine Spur bezeichnete den Weg,
und die niedrigen Dünen in dieſem Sandmeer, die mit jedem
Winde Ort und Form wechſeln, vermehrten nur die Verwirrung
der Führer, die ſchon die Richtung zur Oaſe nicht mehr zu finden
wußten; — da zeigten ſich an der Spitze des Zuges ein Paar Ra-
ben 10), ſie erſchienen wie Boten des Gottes, und Alexander be-
fahl, im Vertrauen auf den Gott, ihnen zu folgen. Mit lautem
Krähen flogen ſie vorauf, ſie raſteten mit dem Zuge, ſie flatterten
weiter, wenn das Heer weiter zog. Endlich zeigten ſich die Wipfel
der Palmen und die ſchöne Oaſe des Ammon Zeus empfing den
Zug des Königs.


Alexander war überraſcht von der Heiterkeit dieſes heiligen
Bezirkes, der, reich an Oliven und Datteln, an kryſtalliſchem
Salz und heilſamen Quellen, von der Natur zu dem frommen
Dienſte des Gottes und dem ſtillen Leben ſeiner Prieſter beſtimmt
ſchien. Als der König darauf das Orakel zu hören verlangte, be-
grüßte der Aelteſte unter den Prieſtern ihn in dem Vorhofe des
Tempels, gebot dann ſeinen Begleitern allen, draußen zu verweilen,
und führte ihn in die Zelle des Gottes. Nach einer kleinen Weile
kam Alexander heiteren Angeſichtes zurück und verſicherte, die Ant-
wort ſei ganz nach ſeinem Wunſche ausgefallen. Daſſelbe wieder-
holte er in dem Briefe an ſeine Mutter: wenn er ſie wiederſähe
bei ſeiner Rückkehr, wolle er ihr die geheimen Orakel, die er em-
pfangen, mittheilen 11). Dann beſchenkte er den Tempel und die
gaſtfreundlichen Bewohner der Oaſe auf das reichlichſte, und kehrte
nach Memphis in Aegypten zurück 12).


[215]

Alexander hatte die Antwort des Gottes verſchwiegen, deſto
lebhafter war die Neugier oder Theilnahme ſeiner Macedonier; die
mit im Ammonium geweſen waren, erzählten Wunderbares von
jenen Tagen; des Oberprieſters erſter Gruß, den ſie alle gehört
hätten, ſei geweſen: „Heil Dir, o Sohn!“ und der König habe
erwiedert: „o Vater, ſo ſei es; Dein Sohn will ich ſein, gieb
mir die Herrſchaft der Welt!“ Andere verlachten dieſe Mährchen;
der Prieſter habe Griechiſch reden und den König mit der Formel
„Paidion“ anreden wollen, ſtatt deſſen aber, mit einem Sprach-
fehler „Paidios“ geſetzt, was man wahrlich für „Sohn des Zeus“
nehmen könnte. Aus ſämmtlichen Erzählungen bildete ſich endlich
folgende Sage: Alexander habe den Gott gefragt: ob Alle, die an
ſeines Vaters Tode Schuld hätten, geſtraft ſeien; darauf ſei geant-
wortet: er möge beſſer ſeine Worte wägen, nimmermehr werde ein
Sterblicher den verletzen, der ihn gezeugt; wohl aber ſeien die
Mörder Philipps des Macedonierkönigs alle geſtraft. Und zum
zweiten habe Alexander gefragt, ob er ſeine Feinde beſiegen werde,
und der Gott habe geantwortet, ihm ſei die Herrſchaft der Welt
beſtimmt, er werde ſiegen bis er zu den Göttern heimgehe 13).
Dieſe und ähnliche Erzählungen, die Alexander weder beſtätigte
noch widerrief, dienten ganz dazu, um ſeine Perſon den geheimniß-
vollen Schein zu verbreiten, der dem Glauben der Völker an ihn
und ſeine Sendung Reiz und Gewißheit lieh, und ſelbſt den Blick
der Hellenen zu blenden vermochte. —


Nach Memphis zurückgekehrt fand Alexander eine Geſandt-
ſchaft der bei den Iſthmiſchen Spielen dieſes Jahres verſammelt
geweſenen Griechen, die dem ſiegreichen Könige einen goldenen Kranz
und Glückwünſche für ſeine großen Erfolge überbrachten; andere
Geſandtſchaften einzelner Städte wurden nicht minder freundlich
empfangen, und faſt allen ihre Anträge und Bitten gewährt. Mit
ihnen zugleich waren neue Truppen angekommen, namentlich vier-
tauſend Mann 14) Griechiſche Söldner und fünfhundert Thraciſche
[216] Reuter, die dann ſofort an die gehörigen Abtheilungen des Heeres
vertheilt wurden, welches ſchon in den Rüſtungen zum Aufbruch
begriffen war. Dann ordnete Alexander die Verwaltung der
Aegyptiſchen Länder mit ganz beſonderer Vorſicht, indem er na-
mentlich in eines Mannes Hand zu viele Gewalt zu legen vermied,
was bei der eigenthümlichen Lage dieſer Satrapie allerdings gefähr-
lich werden konnte. Peuceſtes und Balacer, der Sohn des Amyn-
tas, erhielten die Feldhauptmannſchaft dieſer großen Satrapie und
den Befehl über die zurückbleibenden Truppen, mit Einſchluß der
Beſatzungen von Peluſium und Memphis, im Ganzen etwa vier-
tauſend Mann; den Befehl über die Flotte von dreißig Trieren
erhielt der Admiral Polemon; die in Aegypten anſäſſigen oder ein-
wandernden Griechen wurden unter eine abgeſonderte Behörde ge-
ſtellt; die Aegyptiſchen Kreiſe oder Nomen behielten ihre alten No-
marchen, mit der Beſtimmung, an dieſe nach der früheren Taxe
ihre Abgaben einzuzahlen; die Oberaufſicht über die ſämmtlichen
ächt Aegyptiſchen Kreiſe wurde anfangs zweien, dann einem Aegyp-
ter, ſo wie die über die Libyſchen Kreiſe einem Griechiſchen Manne
übertragen; der Verwalter der Arabiſchen Kreiſe Kleomenes, der,
ein Grieche aus Naukratis in Aegypten, die Sprache und Sitten
des Landes kannte, erhielt zugleich die Weiſung, die von den No-
marchen aller Kreiſe geſammelten Tribute in Empfang zu nehmen,
ſo wie ihm auch insbeſondere die Sorge für den Bau der Stadt
Alexandrien übertragen wurde 15).


Nach dieſen Einrichtungen, nach einer Reihe von Beförderun-
gen in der Armee, nach neuen Feſtlichkeiten in Memphis und ei-
nem höchſt feierlichen Opfer, das Zeus dem Könige dargebracht
wurde, brach Alexander im Frühling 331 von Memphis nach
Phönicien auf; zugleich mit ihm traf die Flotte in dem Hafen von
[217] Tyrus ein. Die kurze Zeit, die der König hier verweilte, verging
unter großen und prächtigen Feſtlichkeiten nach Helleniſchem Brauch;
zu den Opfern, die im Tyrustempel auf die großartigſte Weiſe ge-
feiert wurden, hielt das Heer Wettkämpfe aller Art; die berühm-
teſten Schauſpieler Griechenlands waren berufen, um dieſe Tage
zu verherrlichen, und die Cypriſchen Könige, die nach Griechiſcher
Sitte die Chöre ſtellten und ſchmückten, wetteiferten an Pracht und
Geſchmack mit einander 16). Dann lief das heilige Schiff der
Athener, die Paralos, die ſtets nur in heiligen oder höchſt wichti-
gen Angelegenheiten geſendet wurde, in den Hafen der Stadt ein;
die Geſandten, die ſie brachte, kamen dem Könige Glück zu wün-
ſchen und die unverbrüchlichſte Treue ihrer Vaterſtadt zu verſichern,
eine Aufmerkſamkeit, die Alexander mit der Freilaſſung der am
Granikus Gefangenen ehrte. Zugleich unterrichtet von den Bewe-
gungen im Peloponnes, die neuerdings von den Lacedämoniern be-
gonnen waren, und von der Anhänglichkeit, welche die meiſten Land-
ſchaften der Halbinſel für die Macedoniſche Sache zeigten, trug er
dem Admiral Amphoterus, der zur Zeit bei Kreta ſtationirte, auf,
den treuen Peloponneſiern zu Hülfe zu eilen, und befahl zugleich
den Cypriern und Phöniciern, hundert Schiffe ihm nach dem Pe-
loponnes nachzuſenden. Zu gleicher Zeit wurden einige Verände-
rungen in der Verwaltung der bisher unterworfenen Länder vorge-
nommen 17), namentlich nach Lydien hin an die Stelle Aſanders,
der auf Werbung nach Griechenland ging, der Magneſier Menan-
der geſendet, an deſſen Stelle Klearchos den Befehl über die frem-
den Völker erhielt, und die Statthalterſchaft Syriens von Mem-
non, der nicht mit der gehörigen Sorgfalt für die Bedürfniſſe des
durch ſeine Provinz ziehenden Heeres geſorgt hatte, auf Asklepio-
dor übertragen, zugleich dieſem der unmittelbare Befehl über das
Land des Jordan, deſſen bisheriger Befehlshaber Andromachus von den
Samaritanern erſchlagen worden war, und die Beſtrafung der Sama-
ritaner aufgetragen 18). Endlich wurde die Finanzverwaltung der
unterworfenen Länder von der Kriegskaſſe, in welche bisher die
Abgaben unmittelbar eingezahlt wurden, in der Art geſondert, daß
[218] die Provinzen weſtwärts vom Taurus an Philoxenus, die Syriſchen
Länder aber und namentlich die Phöniciſchen Fürſten an Koiranus
zur Tributeinzahlung gewieſen wurden, wogegen die Verwaltung
der Kriegskaſſen Harpalus erhielt 18a).


Dann brach das Macedoniſche Heer, etwa vierzigtauſend Mann
zu Fuß und ſiebentauſend Pferde, von Tyrus auf, und zog die ge-
wöhnliche Heerſtraße zum Euphrat hinauf; Anfangs Auguſt erreichte
man Thapſakus 18b), den gewöhnlichen Uebergangsort, nach wel-
chem auf Alexanders Befehl eine Abtheilung Macedonier voraus-
gegangen war, um zwei Brücken über den Strom zu ſchlagen, da-
mit der Marſch nicht verzögert würde. Alexander fand beide Brük-
ken unvollendet, denn das jenſeitige Ufer hatte der Perſer Mazäus,
mit dreitauſend Reutern 19) und zweitauſend Griechiſchen Söld-
nern zur Deckung des Fluſſes abgeſandt, bisher beſetzt gehalten, ſo
daß es den Macedoniern nicht möglich geweſen war, die Brücken
bis an das jenſeitige Ufer fortzuführen. Mazäus zog ſich beim An-
rücken der großen Armee eilends zurück, um die ihm anvertrauten
Truppen nicht unnöthiger Weiſe aufzuopfern; zu ſchwach, um den
[219] Poſten gegen Alexanders Uebermacht zu behaupten, hätte er höch-
ſtens das Vorrücken der Feinde etwas verzögern können, was für
Darius, deſſen Rüſtungen bereits vollendet waren, kein erheblicher
Gewinn geweſen wäre.


Alexander ließ ſofort den Bau beider Brücken vollenden und
ſein Heer auf das Oſtufer des Euphrat hinüberrücken; ſelbſt wenn
er vermuthete, daß das Perſiſche Heer in der Ebene von Babylon,
in der es ſich geſammelt hatte, zum Kampfe und zur Vertheidigung
der Reichsſtadt bereit ſtand, durfte er nicht, wie ſiebzig Jahre frü-
her die Zehntauſend, den Weg längs des Euphrat, den jene ge-
nommen hatten, einſchlagen. Die Wüſten, durch welche derſelbe
führt, wären in der Hitze des Sommers doppelt mühſelig geweſen
und die Verpflegung eines ſo bedeutenden Heeres hätte die größten
Schwierigkeiten gehabt. Er wählte die große nördliche Straße,
welche nordoſtwärts 20) über Niſibis durch die blühenden Mygdo-
niſchen Hügelketten an den Tigris und dann an dem linken Ufer
des Stromes hinab in die Ebene von Babylon führt. — Da brachte
man eines Tages einige feindliche Reuter, die in der Gegend um-
herſchwärmten, gefangen vor den König; ſie ſagten aus: daß Da-
rius bereits von Babylon aufgebrochen ſei, und auf dem linken
Ufer des Tigris ſtehe, entſchloſſen den Feinden mit aller Macht den
Uebergang über den Strom zu wehren; ſeine jetzige Macht ſei viel
größer als die in den Iſſiſchen Päſſen; ſie ſelbſt wären auf Kundſchaft
ausgeſendet, damit ſich das Perſerheer zur rechten Zeit und am
rechten Orte den Macedoniern gegenüber am Tigris aufſtellen
könne. Alexander durfte es nicht wagen, einen ſo reißenden Strom
wie der Tigris iſt, unter den Pfeilen der Feinde zu paſſiren; er
mußte erwarten, daß Darius die Gegend von Ninive oder Moſul,
wo der gewöhnliche Heerweg über den Strom führt, beſetzt halten
würde; es kam alles darauf an, ſich möglichſt bald auf derſelben
Seite des Stromes mit Darius zu befinden, und den Uebergang
über den Strom unbemerkt zu bewerkſtelligen. Alexander veränderte
deshalb plötzlich die Marſchroute, und ging, während ihn Darius
in der weiten Ebene jenſeits Moſul erwartete, nordöſtlich in Eil-
märſchen auf Bedzabde los 21). Kein Feind war in der Nähe, die
[220] Truppen begannen den ſehr reißenden Strom zu durchwaten; mit
der größten Anſtrengung, doch ohne weiteren Verluſt gewannen ſie
das öſtliche Ufer. Alexander gewährte ſeinen erſchöpften Kriegern
für dieſen Tag Ruhe; ſie lagerten ſich längs den ſchönen bergigen
Ufern des Stromes. Das war am 20ſten September. Der
Abend kam, die erſten Nachtwachen rückten auf ihre Poſten am
Fluß und auf den Bergen, der Mond erhellte die Gegend, die
nach Vieler Meinung manches mit den Macedoniſchen Bergen
Aehnliche hatte; da begann ſich plötzlich das Licht des Vollmondes
zu verdunkeln; bald war die Scheibe des hellen Geſtirnes völlig in
Dunkel gehüllt; es ſchien ein großes Zeichen der Götter; beſorgt
traten die Kriegsleute aus ihren Zelten; Viele fürchteten, daß die
Götter zürnten, Andere erinnerten, daß, als Xerxes gegen Grie-
chenland gezogen, ſeine Magier die Sonnenfinſterniß, die er in
Sardes geſehen, dahin gedeutet hätten, daß die Sonne das Geſtirn
der Hellenen, der Mond das Geſtirn der Perſer ſei 22), jetzt ver-
hüllten die Götter das Geſtirn der Perſer, zum Zeichen ihres bal-
digen Unterganges. Dem Könige ſelbſt deutete der zeichenkundige
Ariſtander, das Ereigniß ſei zu ſeinen Gunſten, noch in demſelben
Monate werde es zur Schlacht kommen; dann opferte Alexander
dem Mond, der Sonne, der Erde, und auch die Opferzeichen ver-
hießen Sieg. Mit Anbruch des Morgens brach das Heer auf, um
dem Heere der Perſer zu begegnen 23).


In ſüdlicher Richtung, auf der linken Seite die Vorhöhen der
Gordyäiſchen Gebirge, auf der rechten den reißenden Tigris, zog das
Macedoniſche Heer weiter, ohne auf eine Spur der Feinde zu ſto-
ßen. Endlich am 24ſten wurde von der Vorhut gemeldet, im
Blachfelde zeige ſich feindliche Reuterei, wie ſtark, laſſe ſich nicht
21)
[221] errathen. Sofort ordnete der König ſein Heer, und rückte zur
Schlacht fertig vor. Bald kam ein neuer Bote herangeſprengt: man
könne die Zahl der Feinde auf ungefähr tauſend Pferde ſchätzen.
Da nahm Alexander das königliche und ein anderes Geſchwader
der Getreuen und von den Plänkerern die Päonier, und eilte mit
dieſen, indem er dem übrigen Heere langſam nachzurücken befahl,
dem Feinde entgegen. Sobald die Perſer ihn heranſprengen ſahen, jag-
ten ſie mit verhängtem Zügel davon; Alexander ſetzte ihnen hitzig nach;
die meiſten entkamen, manche ſtürzten, ſie wurden niedergehauen,
einige gefangen 24). Vor Alexander gebracht, ſagten ſie aus, daß
Darius etwa drei Meilen ſüdwärts bei Gaugamela an dem Fluſſe
Bumodus, in einer nach allen Seiten hin offenen Gegend ſtehe,
daß ſein Heer ſich wohl auf eine Million Menſchen und mehr als
vierzigtauſend Pferde belaufe, daß ſie ſelbſt unter Mazäus auf
Kundſchaft geſendet geweſen ſeien 25). Sofort machte Alexan-
der Halt; ein Lager wurde aufgeſchlagen und ſorgfältig verſchanzt;
in der Nähe einer ſo ungeheueren Uebermacht war die größte Vor-
ſicht Noth; vier Tage Raſt, die den Truppen gegönnt wurde, reich-
ten hin, alles zur entſcheidenden Schlacht vorzubereiten; da ſich weiter
[222] keine feindliche Truppen zeigten, ſo war vorauszuſetzen, daß Darius
eine für ſeine Streitkräfte günſtige Gegend beſetzt habe und ſich nicht
wie früher durch das Zögern ſeiner Feinde und ſeine eigene Unge-
duld in ein ihm ungelegenes Terrain wolle hinauslocken laſſen. Ale-
xander beſchloß deshalb, ihm entgegen zu rücken; während alle un-
nöthige Bagage und die zum Kampf untauglichen Leute im Lager
zurückblieben, brach das Heer in der Nacht vom 29ſten zum 30ſten
September, etwa um die zweite Nachtwache, auf; gegen Morgen
erreichte man die letzte Hügelkette, und ſah, als man über ſie hin-
rückte, in der weiten Ebene, etwa eine Stunde entfernt, die dunk-
len Maſſen der feindlichen Linie. Alexander ließ ſeine Kolonnen
Halt machen, berief ſeine Getreuen, die Generale, die Reuterober-
ſten, die Anführer der Bundesgenoſſen und Soldtruppen zum
Kriegsrath, und legte ihnen die Frage vor, ob man ſofort angrei-
fen oder an Ort und Stelle ſich lagern und verſchanzen, und das
Schlachtfeld zuvor recognoscisren ſollte? Die Meiſten waren da-
für, das Heer, das von Kampfluſt brenne, ſogleich gegen den Feind
zu führen; Parmenion dagegen rieth zur Vorſicht: die Truppen
ſeien durch den Marſch ermüdet, die Perſer, ſchon längere Zeit in
dieſer für ſie günſtigen Stellung, würden wohl nicht verſäumt ha-
ben, ſie auf jede Weiſe zu ihrem Vortheil einzurichten; man könne
nicht wiſſen, ob nicht gar eingerammte Pfähle oder heimliche Gru-
ben die feindliche Linie deckten; die Kriegsregel erfordere, daß man
ſich erſt orientire und lagere. Dieſe Anſicht des alten Generals
drang durch; Alexander befahl, die Truppen nach den Abtheilungen
der Schlachtordnung, in der ſie auch angerückt waren, auf der Hü-
gelkette, im Angeſicht der Feinde, ſich lagern zu laſſen. Das ge-
ſchah am 30ſten September Morgens.


Darius ſeinerſeits, obſchon er lange Zeit die Ankunft der Ma-
cedonier erwartet und in dem weiten Blachfelde von Gaugamela
jedes Hinderniß bis auf das Dornengeſtrüpp und die einzelnen
Sandhügel, die den ſtürmiſchen Angriff ſeiner Reuterſchwärme oder
den Lauf der Senſenwagen hätten ſtören können, aus dem Wege
geräumt hatte, war durch die Nachricht von Alexanders Nähe und
dem ſehr eiligen Rückzuge ſeiner Vorpoſten unter Mazäus in einige
Unruhe verſetzt worden; doch in der ſtolzen Zuverſicht ſeiner Satra-
pen, die kein unberufener Warner mehr ſtörte, und den endloſen
[223] Reihen ſeines Heeres, vor denen kein Charidemus oder Amyntas
dem dichten Häuflein der Macedonier den nur zu gerechten Vorzug
zu geben wagte, endlich in den eigenen Wünſchen, die ſich ſo gern
mit Blindheit ſtatt mit beſonnener Kraft waffnen und die ſüßen Worte
der Schmeichler lieber hören, als die ernſten Mahnungen des ſchon
Geſchehenen, fand der Perſerkönig bald Beruhigung und Zuverſicht;
ſeine Großen überzeugten ihn leicht, daß er bei Iſſus nicht dem
Feinde, ſondern dem engen Raume erlegen ſei, jetzt ſei Raum für
die Kampfluſt ſeiner Hunderttauſende, für die Senſen ſeiner Kriegs-
wagen, jetzt ſei die Zeit gekommen, dem Macedonier zu zeigen,
was ein Perſiſches Reichsheer ſei. — Da ſah man am Morgen
des 30ſten auf der Hügelreihe nordwärts das Macedoniſche Heer
geordnet und wie zur Schlacht geſchaart heranrücken; man erwar-
tete, daß ſofort die Schlacht beginnen würde; auch die Perſiſchen
Völker ordneten ſich über die weite Ebene hin zur Schlacht. Es
erfolgte kein Angriff, man ſah die Feinde ſich lagern; Alles blieb
ruhig, nur ein Reuterhaufe mit einigen Schaaren leichten Fußvolkes
untermiſcht, zog von den Hügeln herab, durch die Ebene hin, und,
ohne ſich der Linie der Perſer zu nahen, wieder zum Lager zurück.
Der Abend kam; beabſichtigten die Feinde einen nächtlichen Ueber-
fall? Das Perſiſche Lager, ohne Wall und Graben, hätte nicht
Schutz gegen einen Ueberfall gewährt; ſo erhielten die Völker den
Befehl, die Nacht hindurch unter den Waffen und in Schlachtord-
nung zu bleiben, die Pferde geſattelt neben ſich bei den Wachtfeuern
zu halten 26). Darius ſelbſt ritt während der Nacht an den Linien
entlang, um die Völker durch ſein Antlitz und ſeinen Gruß zu begeiſtern.
Auf dem äußerſten linken Flügel ſtanden die Reutervölker des Beſſus,
namentlich die Maſſagetiſchen Scythen, tauſend erleſene Baktrianer,
dann die übrigen Baktrianer, die Daer und Sogdianer, vor ihnen hun-
dert Senſenwagen; jenen zunächſt die Arachoſier und Bergindier 27);
ihnen folgte eine Maſſe Perſer, die aus Reuterei und Fußvolk ge-
miſcht war, dann die Suſier und die Kaduſier, welche ſich an das
[224] Mitteltreffen anſchloſſen. Dies Mitteltreffen umfaßte zunächſt die
edelſten Perſerſchaaren, die ſogenannten Verwandten des Königs
nebſt der Leibwache der Apfelträger; zu beiden Seiten derſelben
waren die Griechiſchen Söldner, die ſich noch im Dienſt des Kö-
nigs befanden, aufgeſtellt; ferner gehörten noch zum Mitteltreffen die
Indier mit ihren Elephanten, die ſogenannten Karier, die Mardiſchen
Bogenſchützen und funfzig Senſenwagen. Das Centrum, welches in
der Schlacht am Pinarus ſo bald durchbrochen war, zu verſtärken, waren
hinter demſelben die Uxier, die Babylonier, die Küſtenvölker des Ery-
thräiſchen Meeres und die Sitacener aufgeſtellt; es ſchien ſo feſt und
dicht genug, um den König in ſeiner Mitte aufzunehmen. Auf
dem linken Flügel, zunächſt an den Mardiern, ſtanden die Albaner
und Sacaſiner, dann Phrataphernes mit ſeinen Parthern, Hyrka-
nern, Tapuriern und Sakern, dann Atropates mit den Mediſchen
Völkern, nach ihnen die Völker aus Syrien dieſſeits und jenſeits der
Waſſer, endlich auf dem äußerſten linken Flügel die Kappadoci-
ſchen und Armeniſchen Reutervölker mit funfzig Senſenwagen.


Die Nacht verging ruhig; Alexander hatte, nachdem er
mit ſeinen Macedoniſchen Geſchwadern und dem leichten Fußvolke
vom Recognoſciren des Schlachtfeldes zurückgekommen war, ſeine
Officiere um ſich verſammelt und ihnen angezeigt, daß er morgen den
Feind anzugreifen gedenke: er kenne ihren und ihrer Truppen Muth,
mehr als ein Sieg habe ihn erprobt; vielleicht würde es nothwen-
diger ſein ihn zu zügeln, als anzufeuern, ſie möchten ihre Leute
vor Allem erinnern, ſchweigend anzurücken, um deſto furchtbarer
beim Sturm den Schlachtgeſang zu erheben; ſie ſelbſt möchten beſon-
ders Sorge tragen, ſeine Signale ſchnell zu vernehmen und ſchnell
auszuführen, damit die Bewegungen raſch und mit Präciſion vor
ſich gingen; ſie möchten ſich davon überzeugen, daß auf Jedem der
Ausgang des großen Tages beruhe; der Kampf gelte nicht mehr
Syrien und Aegypten, ſondern den Beſitz des Orientes; es werde
ſich entſcheiden, wer herrſchen ſolle. Mit lautem und frohem Zu-
ruf antworteten ihm ſeine Generale; dann entließ ſie der König,
und gab voll Zuverſicht den Truppen Befehl, zur Nacht zu eſſen
und ſich dann der Ruhe zu überlaſſen. Bei Alexander im Zelte
waren noch einige Vertraute, als Parmenion, wie erzählt wird,
hereintrat, und nicht ohne einige Beſorgniß von der unendlichen
Menge
[225] Menge der Perſiſchen Wachtfeuer und dem dumpfen Toſen, das
durch die Nacht herübertöne, berichtete: es ſei die feindliche Ueber-
macht zu groß, als daß man bei Tage und in offener Schlacht
ſich zu meſſen wagen dürfe; er rathe, jetzt während der Nacht
anzugreifen, das Unvermuthete und die Verwirrung eines Ueber-
falles werde durch die Schrecken der Nacht verdoppelt werden.
Alexander antwortete: „ich ſtehle den Sieg nicht.“ Weiter wird
erzählt, daß Alexander ſich bald darauf zur Ruhe gelegt und ruhig
den übrigen Theil der Nacht geſchlafen habe; ſchon ſei es hoher
Morgen, ſchon Alles bereit zum Ausrücken geweſen, nur der Kö-
nig habe noch gefehlt; endlich ſei der alte Parmenion in ſein Zelt gegan-
gen und habe ihn dreimal bei Namen gerufen, bis Alexander ſich endlich
ermuntert und gerüſtet habe; zwei Erzählungen 28), die man
weder verbürgen noch verwerfen darf, und die, wenn ſie geſchicht-
lichen Grund haben, die ruhige Zuverſicht und den klaren Blick des
großen Königs eben ſo ſchön wie der Sieg, deſſen Vorboten ſie
ſind, bewähren; wie der Held vor der Schlacht der Entſcheidung
ruhig ſchläft, wie er die zweideutigen Vortheile eines heimlichen
Ueberfalles verachtet, um den Sieg im offenen Felde zu ertrotzen,
das ſind lebendige und ſprechende Züge von Feldherrngröße, unter
denen auch die Helden unſerer Zeit in dem Gedächtniß ihrer Krie-
ger und ihres Volkes fortleben.


Am Morgen des 1ſten Oktobers 29) rückte das Macedoniſche
Heer aus dem Lager auf den Höhen, zu deſſen Deckung ein Theil
der leichten Thracier zurückgelaſſen wurde. Bald ſtand das Heer in
der Ebene in Schlachtordnung: die Linie von dem ſchweren Fuß-
volke gebildet, an die ſich rechts bei den Hypaspiſten die Macedo-
niſche Ritterſchaft, links bei der Diviſion Kraterus die Ritter-
ſchaft der Bundesgenoſſen und Theſſalier anſchloß; der rechte Flü-
gel unter Alexander, der den Hauptangriff machen ſollte, war in
der Flanke durch einen Theil der Agrianer, der Bogenſchützen und
Schleuderer gedeckt. Da aber bei der ungeheueren Uebermacht der
Feinde Ueberflügelung unvermeidlich, zugleich aber beſonders darauf
15
[226] zu ſehen war, daß, damit der Hauptangriff mit möglichſt großer
Gewalt gemacht werden könne, alle anderen Punkte nur eben ſtark
genug wären, um die angreifenden Corps in ihren Bewegungen,
und namentlich den Rücken der Linie zu decken, ſo wurde hinter
den beiden Flügeln eine zweite Linie geordnet, hinter dem linken
Flügel ein Theil der Verbündeten und die Odryſiſchen Reuter, ein
Corps leichter Thracier unter Sitalkes, und am weiteſten links ein
Theil der fremden Söldner zu Pferde, unter Andromachus; hinter
dem rechten Flügel ein Theil der Agrianer, die Macedoniſchen
Bogenſchützen und nach ihnen die fremden Veteranen Kleanders;
rechts hin von den Agrianern die Geſchwader der Plänkerer unter
Aretas, die Päonier Ariſtons, endlich die neuangeworbenen Griechi-
ſchen Reuter des Menidas, die heute an der gefährlichſten Stelle
ihre Waffenprobe machen ſollten.


Die Heere beginnen vorzurücken; Alexander mit der Macedo-
niſchen Ritterſchaft, dem rechten Flügel, ſteht dem feindlichen Cen-
trum, den Elephanten der Indier, dem Kern des feindlichen Hee-
res, der doppelten Schlachtlinie gegenüber; er iſt von dem ganzen
linken Flügel der Feinde überragt; er läßt demnach ſeine Linie aus
der rechten Flanke vorrücken, und zwar, um ſich mehr und mehr
der feindlichen Linie zu nähern, in etwas ſchräger Richtung 30);
Bewegungen, die mit der größten Ordnung ausgeführt werden,
während die Feinde bei ihren großen Maſſen einige Gegenbewe-
gung aus ihrer linken Flanke nicht ohne große Störung zu machen
verſuchen. Noch überragt ihre Linie die der Macedonier bei
Weitem, und die Scythiſchen Reuter des äußerſten Flügels traben
ſchon zum Angriff gegen die leichten Truppen in Alexanders Flanke
heran, ohne daß dieſe Demonſtration von Einfluß auf die Haupt
bewegung der Macedonier iſt. Alexander rückt vielmehr ohne
Aufenthalt rechts hinab; nicht lange mehr, und er iſt an den zum
Gebrauch der Senſenwagen geebneten Stellen vorüber, von deren
vernichtendem Anlauf, es ſtehen hier hundert Wagen der Art, der
Perſerkönig ſich ganz beſonderen Erfolg verſprochen hatte; dieſer giebt
deshalb den Scythiſchen und tauſend Baktriſchen Reutern Befehl,
den feindlichen Flügel zu umreiten und ſo am weiteren Vorrücken
[227] zu hindern; Alexander läßt gegen ſie die Griechiſchen Reuter des
Menidas anſprengen; ihre Zahl iſt zu gering, ſie werden geworfen;
die Bewegung der Hauptlinie fordert hier möglichſt feſten Widerſtand,
die Päoniſchen Reuter unter Ariſton werden vorgeſchickt, zugleich
rückt Cleander mit ſeinen Veteranen gegen die Scythen an;
ſchon beginnen die Scythen und Baktrier zu weichen, da jagen die
Schwärme der anderen Baktriſchen Reuter an Alexanders Flügel
vorüber gegen die Päonier und Griechen, die Ihrigen ſammeln
ſich, ſie beginnen von Neuem den Kampf, Viele fallen Macedoni-
ſcher Seits, die Scythen, Mann und Roß gepanzert, ſetzen ihnen
hart zu; doch weichen die Macedonier nicht, ſie ſtehen dem wilden
Anrennen der Feinde, ſie brechen, Schaar um Schaar, in die feind-
lichen Reihen, ſie drängen die Uebermacht für den Augenblick zu-
rück. — Indeß iſt die Macedoniſche Linie unabläſſig rechts hinab-
gerückt, ſchon ſind die Macedoniſchen Geſchwader und die Hypas-
piſtencorps den hundert Senſenwagen des linken Flügels gegen-
über, da brechen dieſe los und jagen raſſelnd gegen die Linie heran,
die ſie zerreißen ſollen; aber die Agrianer, die Bogenſchützen und
Schleuderer empfangen ſie unter lautem Geſchrei mit einem Hagel
von Pfeilen, Steinen und Speeren; viele werden ſchon hier auf-
gefangen, die ſtutzenden Pferde bei den Zügeln ergriffen und nieder-
geſtochen, das Riemenzeug durchhauen, die Knechte herabgeriſſen;
die anderen, welche auf die Hypaspiſten zu jagen, werden entweder
von den dicht verſchildeten Rotten mit vorgeſtreckten Lanzen em-
pfangen oder jagen durch die Oeffnungen, welche ſchnell von
Rotte zu Rotte gebildet werden, unbeſchädigt und ohne zu be-
ſchädigen, hindurch, um hinter der Fronte den Reitknechten in
die Hände zu fallen. — Und ſchon hat ſich die ganze unabſeh-
bare Linie des Perſerheeres in Bewegung geſetzt, ſich nach
wenigen hundert Schritten im Sturmlauf auf den Feind zu
werfen. Anderer Seits rücken die Macedonier immer lebhafter
halb rechts hinaus, und ſchon nähert ſich Alexander an der Spitze
der Geſchwader dem linken Flügel des Feindes, während das Ge-
fecht in ſeinem Rücken von Cleander, Ariſton und Menidas nur
mit der größten Anſtrengung unterhalten wird. Dem Feinde auf
Pfeilſchußweite nahe, befiehlt Alexander jetzt, im entſcheidenden Au-
genblicke, daß Aretas mit ſeinen Reutern ſich in das Gefecht hinter
15 *
[228] der Linie ſtürzen ſoll, um durch dies momentane Uebergewicht die
Kraft der Scythen und Baktrier zu hemmen. Aber zugleich
jagen neue Reuterſchwärme aus der Mitte des feindlichen Flü-
gels in das Gefecht, das um ſo gefährlicher zu werden droht,
da hier bereits die ganze zweite Linie bis auf zwei Abthei-
lungen leichtes Fußvolk im Gefecht iſt. Zugleich kommen vom lin-
ken Flügel der Phalangen Reuter mit der Botſchaft Parmenions her-
angeſprengt, daß beim raſchen Vorrücken ſich die Linie getrennt
habe, daß die Parthiſchen, Indiſchen, Perſiſchen Reuter ſich in die
Lücke geworfen, ſich unwiderſtehlich hindurch geſchlagen und das
Lager überfallen hätten, daß die Reuterſchaaren des rechten feindli-
chen Flügels bereits die Flanke bedroheten, Alexander müſſe Sue-
curs ſenden, oder Alles ſei verloren. Alexander ſendet ſie ohne
Weiteres zurück: Parmenion müſſe von Sinnen ſein, Hülfe zu ver-
langen, er werde wiſſen, den Degen in der Hand, mit Ehren zu
ſterben. Dann läßt er zum Angriff blaſen, wirft ſich auf den Bu-
cephalus und führt die Kolonne der Ritterſchaft im vollen Carriere
zu dem Keilangriff, auf den die Entſcheidung des Tages berechnet
iſt. In die Lücke des linken Flügels, die durch das Vorbrechen
des letzten Reuterhaufens entſtanden war, wirft ſich der König an
der Spitze ſeiner Macedoniſchen Ritter; im Sturmſchritt folgen
die Hypaspiſten, und während die Schützen, Agrianer und Schleu-
derer die nächſten Haufen beſchäftigen, wüthen die Macedonier
in den Reihen der Feinde. Schon ſtürmen auch die nächſten
Phalangen mit vorſtarrenden Lanzen auf die Schlachthaufen der
Suſianer, der Kaduſier, auf die Schaaren, die den Wagen des
König Darius decken; nun iſt kein Halten, kein Widerſtand mehr,
Darius, den wüthenden Feind vor Augen, in Mitten der plötz-
lichſten, wildeſten, lärmendſten Verwirrung, ſieht ſich ſelbſt gefährdet,
giebt Alles verloren, wendet ſich verzweifelnd zur Flucht; nach der
tapferſten Gegenwehr folgen die Perſer, ihres Königs Flucht zu
ſchirmen; die Flucht, die Verwirrung reißt die Schlachthaufen der
zweiten Linie mit ſich, das Centrum iſt vernichtet. — Zugleich hat
die ungeheuere Heftigkeit, mit der Aretas in die feindlichen Haufen
einbrach, das Gefecht im Rücken der Linie entſchieden; die Scythi-
ſchen, Baktriſchen, Perſiſchen Reuter ſuchen, von den Griechiſchen
[229] und Päoniſchen Reutern auf das heftigſte verfolgt, das Weite.
Der linke Flügel der Feinde iſt vernichtet.


Anders der rechte Flügel der Perſer. Durch die breite Lücke
der Macedoniſchen Linie hindurchbrechend, hatten ſich die Perſiſchen,
Indiſchen und Parthiſchen Reuter, ohne Widerſtand zu finden, auf
das Lager geworfen; die wenigen Thracier, leicht bewaffnet und
keines Angriffes gewärtig, vermochten den mörderiſchen Kampf in
den Lagerpforten nur mit der größten Anſtrengung zu halten; da
brachen die Gefangenen los, und fielen ihnen während des Kampfes
in den Rücken; die Thracier wurden bewältigt; ſchreiend und jubelnd
warfen ſich die Barbaren ins Lager zu Raub und Mord. Da jagten
die Odryſiſchen und Griechiſchen Reuter und die Thracier des Si-
talkes aus der zweiten Linie des linken Flügels mit verhängtem
Zügel heran, ſie warfen ſich auf den ſchon plündernden Feind, ſie
überwältigten ihn nach kurzem Gefecht; viele Barbaren wurden
niedergemacht, die anderen jagten ohne Ordnung rückwärts, auf
das Schlachtfeld zurück, den Macedoniſchen Geſchwadern ins Eiſen,
mit denen ſich Alexander, ſobald das Centrum durchbrochen war,
links herum geworfen hatte, um Parmenion zu helfen. Das Reuter-
gefecht, das ſich hier entſpann, war furchtbar und lange ſchwankend; die
Perſer kämpften um ihr Leben, jeder Einzelne ſuchte ſich durchzuhauen;
an ſechszig der Ritter wurden erſchlagen, ſehr viele, unter ihnen He-
phäſtion und mehrere Oberſten, ſchwer verwundet; endlich war der
Sie gauch hier entſchieden; die ſich durchgeſchlagen, überließen ſich un-
aufhaltſam der Flucht. — Während deſſen hatten auch die Theſſaliſchen
Ritter auf dem äußerſten linken Flügel das Gefecht wieder hergeſtellt
und mit glänzen der Tapferkeit die Kappadociſchen und Armeniſchen
Schwärme zurückgeſchlagen; Alexander kam, als ſie bereits beim Ver-
folgen waren; er ſelbſt jagte darum in der Richtung, die Darins ge-
nommen zu haben ſchien, über das Schlachtfeld; er ſetzte ihm nach, ſo
lange es noch hell war; er erreichte, während Parmenion das feindliche
Lager am Bumodus, die Elephanten und Kameele, die ungeheuere
Bagage nahm, den Lykus-Fluß, drei Stunden jenſeits des Schlacht-
feldes. Hier fand man ein furchtbares Gewirre flüchtender Barba-
ren, noch gräßlicher durch die Dunkelheit der einbrechenden Nacht,
durch das erneuete Gemetzel, durch den Einſturz der überfüllten
[230] Flußbrücke; bald war der Heerweg frei, aber Alexander mußte, da
Pferde und Reuter von der ungeheueren Anſtrengung auf das äu-
ßerſte ermüdet waren, einige Stunden raſten laſſen. Um Mitter-
nacht, als der Mond aufgegangen war, brach man von Neuem
auf gen Arbela, wo man Darius, ſein Feldgeräth, ſeine Schätze
zu erbeuten hoffte. Man kam im Laufe des Tages dort an, Da-
rius war fort; ſeine Schätze, ſein Wagen, ſein Bogen und Schild,
ſein und ſeiner Großen Feldgeräth, ungeheuere Beute fiel in Ale-
xanders Hände.


Dieſer große Sieg auf der Ebene von Gaugamela koſtete den
Macedoniern nach Arrian nur hundert Todte, dagegen waren über
tauſend Pferde, von denen die Hälfte bei der Macedoniſchen Ritter-
ſchaft, geſtürzt oder getödtet; nach den höchſten Angaben fielen Ma-
cedoniſcher Seits fünfhundert Mann; Zahlen, die gegen den Ver-
luſt der Feinde, deren an hunderttauſend und mehr gefallen ſein
ſollen, unverhältnißmäßig erſcheinen, wenn man nicht bedenkt, daß
einerſeits, bei der trefflichen Bewaffnung der Macedonier, im Hand-
gemenge nicht Viele tödtlich verwundet wurden, und daß anderer-
ſeits erſt beim Verfolgen das Fleiſchhandwerk beginnen konnte; alle
Schlachten des Alterthums beweiſen, daß der Verluſt der Fliehen-
den bis ins Unglaubliche größer iſt, als der der Kämpfenden 31).


[231]

Mit der Schlacht von Arbela war Darius Macht gebrochen
und ſo gut wie vernichtet; von ſeinem zerſprengten Heere ſammel-
ten ſich einige tauſend Baktriſche Reuter, die Ueberreſte der Grie-
chiſchen Söldnerſchaar, die Melophoren und Verwandten, im Gan-
zen ein Heer von etwa dreitauſend Reutern und ſechstauſend Mann
zu Fuß; mit dieſen wandte ſich Darius in unaufhaltſamer Flucht
oftwärts durch die Päſſe Mediens gen Ekbatana; dort hoffte er
vor dem furchtbaren Feinde wenigſtens für den Augenblick ſicher zu
ſein, dort wollte er abwarten, ob ſich Alexander mit den Reichthü-
mern von Suſa und Babylon begnügen und über ſie das Altperſi-
ſche Land vergeſſen werde, das mächtige Gebirgswälle von dem
Aramäiſchen Tieflande ſcheiden; erſtiege der unerſättliche Eroberer
dennoch die hohe Burg Irans, dann war es ſein Plan, weit und
breit verwüſtend über die Nordabhänge des Hochlandes nach Tu-
ran, dem letzten Quartier des einſt ſo ungeheueren Reiches zu flüch-
ten. — Zu gleicher Zeit hatte ſich auf der Südſtraße, nach dem
hohlen Perſien zu, ein zweiter Haufe aus fünfundzwanzigtauſend, nach
31)
[232] Anderen aus vierzigtauſend Mann 32) beſtehend, unter Führung
des Perſiſchen Satrapen Ariobarzanes, geflüchtet, die Perſiſchen
Päſſe beſetzt und ſich hinter ihnen auf das ſorgfältigſte verſchanzt.
Wenn irgend wo, ſo war an dieſer Stelle noch das Perſiſche Reich
zu retten; es wäre vielleicht gerettet worden, wenn Darius nicht
den nächſten Weg geſucht, nicht durch ſeine Flucht nach dem Nord-
abhang von Iran die Satrapien ſüdwärts ſich ſelbſt und der Treue
der Satrapen überlaſſen hätte; denn dieſe waren nicht alle wie
Ariobarzanes geſinnt, ſie mochten in ihrer eben ſo ſchwierigen wie
verführeriſchen Stellung gern den landflüchtigen König vergeſſen,
um ſich der Hoffnung einer vielleicht längſt erſehnten Unabhängig-
keit hinzugeben, oder durch freiwillige Unterwerfung von dem groß-
müthigen Sieger mehr zu gewinnen, als ſie durch die Flucht ihres
Königs verloren hatten. Die Völker ſelbſt, die, wenn Darius an
den Pforten Perſiens für ſein Königthum zu kämpfen gewagt hätte,
nach ihrer Weiſe zu neuem Kampf zuſammengeſtrömt wären, und
die natürliche Grenze ihres Landes, die ſich ſo oft und ſo glücklich
in der Geſchichte geltend gemacht hat, vielleicht mit Erfolg verthei-
digt hätten, dieſe kriegeriſchen Reuter- und Räubervölker, die Ale-
xander zum Theil mit Mühe und ſpät bewältigt, zum Theil nie
auzugreifen gewagt hat, waren durch jene Flucht des Darius ſich
ſelbſt überlaſſen und gleichſam auf verlorenen Poſten geſtellt, ohne
daß die Sache des Königs von ihnen den geringſten Vortheil gehabt
hätte. — So gewann der Sieg von Gaugamela durch die unglaub-
liche Verwirrung, in welche Darius, um ſich oder irgend etwas zu
retten, immer tiefer verſank, jene rieſenhaft wachſende Gewalt,
welche die Perſiſche Macht bis auf die letzte Spur vertilgen ſollte. —


Alexander dagegen benutzte den errungenen Sieg auf die ein-
fachſte und erfolgreichſte Weiſe; ohne ſich weiter um die Verfol-
gung des flüchtigen Königs zu kümmern, ging er von Arbela aus
auf der großen Straße 33) gen Babylon, der Königin im weiten
[233] Aramäiſchen Tieflande, und ſeit Darius Hyſtaspis Zeit der Mittel-
punkt des Perſiſchen Reiches; der Beſitz dieſer Weltſtadt war der
Preis des Sieges von Gaugamela. Alexander erwartete Wider-
ſtand zu finden; er wußte wie ungeheuer die Mauern der Semira-
mis ſeien, wie ein Netz von Kanälen ſie umſchließe, wie lange die
Stadt des Cyrus und Darius Belagerung ausgehalten hatte; er erfuhr,
daß ſich Mazäus, der bei Arbela am längſten und glücklichſten das
Feld behauptet, nach Babylon geworfen habe; es war zu fürchten,
daß ſich die Scenen von Halikarnaß und Tyrus wiederholten.
Deshalb ließ Alexander, ſobald er ſich der Stadt nahete, ſein Heer
ſchlagfertig vorrücken; aber die Thore öffneten ſich, die Babylonier
mit Blumenkränzen und reichen Geſchenken, die Chaldäer, die Ael-
teſten der Stadt, die Perſiſchen Beamten an der Spitze, ka-
men ihm entgegen; Mazäus übergab die Stadt, die Burg, die
Schätze, und der ſiegreiche König hielt ſeinen Einzug in Semira-
mis Rieſenſtadt.


Hier wurde den Truppen längere Raſt gegeben; es war die
erſte wahrhaft morgenländiſche Fürſtenſtadt, die ſie ſahen; ungeheuer
in ihrem Umfange, voller Bauwerke der ſtaunenswürdigſten Art,
die Rieſenmauer, die hängenden Gärten der Semiramis, des Be-
lus Würfelthurm, an deſſen ungeheuerem Bau ſich Xerxes wahn-
ſinnige Wuth über die Salamiſche Schmach vergebens verſucht
hatte, dazu die endloſe Menſchenmenge, die hier aus Arabien und
Armenien, aus Perſien und Syrien zuſammenſtrömte, dann die
überſchwengliche Pracht und Lüſternheit des Lebens, der tauſendfäl-
tige Wechſel der ſüßeſten Wolluſt und der berechneteſten Genüſſe,
kurz dieſer ganze mährchenhafte Zauber morgenländiſcher Taumel-
luſt ward hier zu Babylon den Söhnen des Abendlandes als Preis
33)
[234] ſo vieler Mühen und Siege; wohl mochte der kräftige Macedo-
nier, der wilde Thracier, der lüſterne Grieche hier Sieges- und
Lebensluſt in überreichen Zügen ſchlürfen und auf duftigen Teppi-
chen, bei goldenen Bechern, im lärmenden Jubelſchall Babyloniſcher
Gelage ſchwelgen, mochte mit wilderer, kühnerer Begier den Ge-
nuß, mit neuem Genuß ſein brennendes Verlangen, mit beiden den
Durſt nach neuen Thaten und neuen Siegen ſteigern. So begann
ſich Alexanders Heer in das Aſiatiſche Leben hineinzuleben und ſich mit
denen, die das Vorurtheil von Jahrhunderten gehaßt, verachtet,
rohe Barbaren genannt hatte, zu verſöhnen und zu verſchmelzen,
es begann ſich Morgen- und Abendland zu durchgähren und eine
Zukunft vorzubereiten, in der beide ſich ſelbſt verlieren ſollten.


Mag es klares Bewußtſein, glückliches Ohngefähr, nothwen-
dige Folge der Umſtände genannt werden, jedenfalls traf Alexander
in den Maaßregeln, die er wählte, die einzig möglichen und rech-
ten. Hier in Babylon war mehr als irgendwo bisher das Ein-
heimiſche mächtig, naturgemäß und eigenthümlich; während Klein-
aſien dem Helleniſchen Leben nahe, Aegypten und Syrien demſel-
ben zugänglich war und mit ihm durch das gemeinſame Meer in
Verbindung ſtand, in Phönicien Griechiſche Sitte ſchon länger in
den Häuſern der reichen Kaufherren und vieler Fürſten eingeführt,
im Lande des Nildelta durch Griechiſche Anſiedelungen, durch Cyre-
nes Nachbarſchaft, durch mannichfache Verhältniſſe mit Helleniſchen
Staaten ſeit der Pharaonenzeit bekannt und eingebürgert war,
lag Babylon fern von aller Beziehung mit dem Abendlande, tief
ſtromab bei dem Doppelſtrome des Aramäiſchen Landes, das durch
die Natur, durch Handel, Sitte und Religion, durch die Ge-
ſchichte vieler Jahrhunderte eher gen Indien und Arabien als gen
Europa hinwies; in dies fremde, buntgemiſchte, in ſich längſt durch-
lebte Völkerleben kamen jetzt die erſten Helleniſchen Elemente, der
Maſſe nach unbedeutend gegen das Heimiſche, und nur durch die
Fähigkeit, ſich ihm anzueignen, überlegen. Dazu ein Zweites: das
Perſerreich war ſo gut wie vernichtet, mit ihm nichts Morgenlän-
diſches mehr als beſtehende Macht, um gegen ſie anzukämpfen oder
ſie anzuerkennen; es war ja Alexanders Abſicht, Aſiens Herr zu
ſein, ſo wie er König in Macedonien war. Wollte er als Mace-
donier, als Grieche über das neue Reich herrſchen, ſo war er ſchon
[235] zu weit gegangen, als er die Grenzen Abendländiſcher Nachbar-
ſchaft überſchritt und jenſeits der Syriſchen Wüſte ſeine Völker
zum Siege führte, wollte er Aſiens Völker nichts als den Namen
der Knechtſchaft tauſchen, ja ſie nichts als den härteren, unnatürli-
chen Druck höherer geiſtiger Entwickelung empfinden laſſen, ſo war
kaum der Augenblick des Sieges ihres Gehorſams gewiß, und ein
Angſtſchrei der Völker, ein ſengender Sommer, ein zweifelhafter
Erfolg hätte genügt, die Chimäre ſelbſtſüchtiger Eroberung zu zerſtö-
ren. Anders Alexander; er ſiegte als Vorkämpfer eines freien
Volkes, und ſeine Siege ſollten die Völker befreien, ſo viel ſie frei
zu ſein vermochten; ſeine Macht ſelbſt, ſo unendlich gering ihrem
materiellen Gehalte nach, ſollte in der Zuſtimmung der Völker Halt
und Erfolg gewinnen; ſie mußte ſich gründen auf die Anerkenntniß
jeder Volksthümlichkeit in Sitte, Geſetz und Religion; was die
Perſer ſo tief gedrückt hatten und ſo gern erdrückt hätten, was
nur ihre Ohnmacht oder Sorgloſigkeit der That, nicht dem Rechte
nach hatte gewähren laſſen, das mußte nun neu und frei erſtehen,
und ſich unmittelbar zum Helleniſchen Leben verhalten, um mit
ihm verſchmelzen zu können. Das hatte der König in Memphis
und Gordium, in Tyrus und Jeruſalem erreicht; das war der Sinn
der neuen Opfer, die er, von Chaldäiſchen Prieſtern unterſtützt, dem
großen Baal darbrachte, das der Grund ſeines Befehles, die von
Xerxes geplünderten Heiligthümer von Neuem zu ſchmücken, den
Belusthurm wieder herzuſtellen, den Dienſt der Babyloniſchen Göt-
ter fortan frei und prächtig, wie zu Nebukadnezars Zeit, zu bege-
hen. So gewann er die Völker für ſich, indem er ſie ſich ſelbſt
und ihrem volksthümlichen Leben wieder gab; ſo machte er ſie fä-
hig, auf thätige und unmittelbare Weiſe in den Zuſammenhang
des Reiches, das er zu gründen im Sinne trug, einzutreten, eines
Reiches, in dem die Unterſchiede von Abend und Morgen, von
Griechen und Barbaren, wie ſie bis dahin die Geſchichte entwickelt
hatte, untergehen ſollten zu der Einheit einer Weltmonarchie.


Wie aber? ſollten fortan die Satrapen, die Umgebung des
Königs, die Großen des Reichs nur Macedonier ſein, ſo war
ja jene Ineinsbildung nur Vorwand oder Illuſion, die Volks-
thümlichkeiten nicht anerkannt, ſondern nur geduldet, die Vergan-
genheit nur durch das Unglück und ſchmerzliche Erinnerungen an
[236] die Zukunft geknüpft, und ſtatt der Aſiatiſchen Herrſchaft, die we-
nigſtens in demſelben Welttheile erwachſen war, ein fremdes, un-
natürliches, doppelt ſchweres Joch über Aſien gekommen. Die Ant-
wort auf dieſe Fragen bezeichnet die Kataſtrophe in Alexanders
Heldenleben, es iſt der Wermuth in dem Becher ſeiner Freuden,
der Wurm, der an der Wurzel ſeiner Größe nagt, das Verhängniß
ſeiner Siege, das ihn beſiegt. Während der König Perſiens die
letzten Wege flieht, beginnt Alexander ſich mit dem Glanze des
Perſiſchen Königthums zu ſchmücken, die Großen Perſiens um ſich
zu ſammeln, ſich mit dem Namen, den er bekämpft und vernichtet,
zu verſöhnen. Er mußte es; König in Abend- und Morgenland
mußte er dem Macedoniſchen Adel einen Adel des Morgenlandes
hinzufügen, und der Adel Aſiens war nach der Natur der Dinge,
nach der Anſicht der Völker und dem Bedürfniß des neuen König-
thums der letzte herrſchende Stamm Aſiens, die Perſer. Es wäre
Wahnſinn geweſen, plötzlich alle Verhältniſſe umgeſtalten, alle Zu-
ſtände in Frage ſtellen, aller Gewohnheit und allem Vorurtheil
mit einem Machtworte entgegentreten zu wollen. Was auch der
Hochmuth der Hellenen und der Siegerſtolz der Macedonier ſagen
mochte, Alexander mußte, wenn er dem Diadem Macedoniens die
Tiara der Aſiatiſchen Herrſchaft hinzufügen wollte, nach der gro-
ßen Weltſcheidung von Oſten und Weſten, die in Babylon ihr
Centrum hatte, fortan Macedonier und Aſiate zugleich ſein, Mace-
doniſchen und Aſiatiſchen Adel in gleichem Rechte anerkennen, den
Völkern des Abend- und Morgenlandes gleich befreundet und gleich
erhaben ſein, und nur das Heer, mit dem er noch weite Strecken
zu erobern hatte, durfte und mußte Macedoniſch und dem Könige
in alter Kameradſchaft vertraulich ſein. Wenn in irgend etwas, ſo
verdient Alexander hierin die höchſte Bewunderung, und die Ge-
ſchichte hat bis auf dieſen Tag die Richtigkeit ſeiner Grundſätze be-
ſtätigt; er hat bewieſen, was den Europäern in Aſien und wie es
ihnen möglich iſt, und vielleicht zeigt ſeine Löſung des großen
Räthſels, daß es unauflöslich iſt.


Stets, wenn in ſich wahre und nothwendige Gedanken in die
Wirklichkeit treten, bewähren ſie ſich zugleich als die nützlichſten
Maximen und als die unter den jedesmaligen Umſtänden zweckmä-
ßigſten Mittel. Nicht ohne pragmatiſchen Scharfſinn hat man be-
[237] hauptet, daß Alexander mit ſeinen wenigen tauſend Macedoniern
ſich in dem weiten Aſien kaum hätte behaupten, geſchweige denn
weiter dringen können, wenn er nicht durch ein fein berechnetes
Benehmen gegen die Perſiſchen Großen zum Abfall zu reizen und
an ſeine Perſon zu feſſeln gewußt hätte. Und allerdings mag ſeit
der Schlacht von Gaugamela mancher der Perſiſchen Großen ſich ein
Beiſpiel an Mithrines von Sardes, an Amminapes und Mazaces
aus Aegypten, die in höchſten Ehren bei dem Könige lebten, ge-
nommen haben. Noch lockender wurde der Uebertritt zur Sache
Alexanders, als dieſer die reiche Satrapie Babylonien an Mazäus,
die Armeniſche Satrapie an Mithrines gab; und von dem ſiegrei-
chen Könige geehrt begannen ſich die Perſiſchen Großen allmählig
um ihn zu ſammeln, die Perſiſchen Satrapen die Sache des land-
flüchtigen Darius aufzugeben, da ihnen Alexander die Ausſicht auf
Macht, Ehre und den ungeſtörten Beſitz ihrer Satrapien öffnete.
Es verſtand ſich übrigens von ſelbſt, daß neben dieſen Perſiſchen
Satrapen fortwährend die bewaffnete Macht in dem Centralpunkte
der Satrapie aus Macedoniern gebildet war und unter Macedoni-
ſchen Befehlshabern ſtand, ſo wie auch in der Regel das Einſam-
meln der Tribute Macedoniſchen Männern übertragen wurde. Letz-
tere Stelle erhielt für die Babyloniſche Satrapie Asklepiodor; in
Babylon ſelbſt blieben tauſend Mann als Beſatzung der Burg un-
ter Agathon, dem Bruder Parmenions, während Apollodor aus
Amphipolis die Feldhauptmannſchaft der Satrapie mit einem der
Wichtigkeit des Landes angemeſſenen Corps erhielt; außerdem
wurde eine mobile Colonne von zweitauſend Mann unter Menes
Befehl dazu beſtimmt, die große Paſſage von Babylon zur
Küſte Ciliciens und die verſchiedenen Transporte aus dem Mor-
genlande nach Europa und umgekehrt zu ſichern 34), eine Ein-
richtung, die wegen der Raubſucht der in der Wüſte hauſenden
Beduinenſtämme doppelt nothwendig wurde. Der erſte Transport
war eine Summe von etwa dreitauſend Silbertalenten, von denen
ein Theil nach Europa an Antipater gehen ſollte, damit er den
eben jetzt beginnenden Krieg gegen Lacedämon mit Nachdruck füh-
[238] ren konnte, das Uebrige aber zu möglichſt ausgedehnten Werbungen
für die große Armee beſtimmt wurde.


Während des etwa dreißigtägigen Aufenthaltes in Babylon
war Suſa, die Stadt der Perſiſchen Hoflager und der königlichen
Schätze, auf gütlichem Wege gewonnen worden. Denn ſchon
von Arbela aus hatte Alexander den Macedonier Philoxenus,
wie es ſcheint an der Spitze eines leichten Corps, vorausgeſandt,
um ſich der Stadt und der königlichen Schätze zu verſichern; er
erhielt jetzt von ihm den Bericht, daß ſich Suſa freiwillig ergeben
hätte, daß die Schätze gerettet ſeien, daß ſich der Satrap Abulites
der Gnade Alexanders unterwerfe 35. Alexander langte zwanzig
Tage nach ſeinem Aufbruch von Babylon in Suſa an 36); er
nahm ſofort die ungeheueren Schätze in Beſitz, die in der hohen
Burg der Stadt, dem Kiſſiſchen Memnonium der Griechiſchen
Dichter, ſeit den erſten Perſerkönigen aufgehäuft lagen 37); allein
des Goldes und Silbers waren funfzigtauſend Talente 38), dazu
noch die aufgehäuften Vorräthe von Purpur, Rauchwerk, edlen
Geſteinen, der ganze überreiche Hausrath des üppigſten aller Höfe,
auch mehrfache Beute aus Griechenland von Xerxes Zeit her, na-
mentlich die Erzbilder der Tyrannenmörder Harmodius und Ariſto-
giton, die Alexander den Athenern als Geſchenk zurückſandte.


Während das Heer noch in Suſa und an den Ufern des
Choaspes verweilte, kam Amyntas, der General der vierten Pha-
lanx, welcher vor einem Jahre von Gaza aus auf Werbung nach
[239] Griechenland gegangen war, mit neuen Truppen heran; es waren
an ſechshundert Macedoniſche Ritter und ſechstauſend Macedonier
zu Fuß, aus Thracien ſechshundert Reuter und dreitauſendfünfhun-
dert zu Fuß, aus dem Peloponnes viertauſend Mann zu Fuß und
nah an tauſend Reuter, endlich waren aus den edlen Macedoniſchen
Familien an funfzig jüngere Söhne geſandt, um in die Schaar der
Edelknaben einzutreten und ſich im Dienſte um des Königs Perſon aus-
zubilden 39). Dieſe ſehr bedeutenden Verſtärkungen veranlaßten
mannigfache Veränderungen in der Organiſation des Heeres; na-
mentlich ſollten die einzelnen Geſchwader der Ritterſchaft fortan
aus je zwei Abtheilungen beſtehen, und die Unterſcheidung nach den
Provinzen der Macedoniſchen Heimath aufgehoben ſein; ferner
wurde die neue Waffe der reutenden Schützen errichtet; die Zahl
der Phalangen wurde, ſo ſcheint es, gleichfalls mit Aufhebung pro-
vinzieller Unterſchiede vermehrt 40), der Hypaspiſten blieben nach
wie vor ſechstauſend 41); über Veränderungen der anderen Heeres-
abtheilungen iſt keine weitere Nachricht aufbewahrt; überhaupt be-
ginnt von dieſer Zeit an das Macedoniſche Heerweſen unklar zu
werden.


Alexander gedachte demnächſt, es mochte Mitte December ſein,
nach den Reichsſtädten der Landſchaft Perſis aufzubrechen, mit de-
ren Beſitz der Aberglaube der Völker die Herrſchaft über Aſien
untrennbar verbunden zu denken gewohnt war; dort auf dem
Throne der Großkönige, in den Palläſten des Cyrus, Darius und
Xerxes wollte Alexander den Sturz der Achämenidendynaſtie ver-
künden; er eilte deshalb, die Angelegenheiten des Suſianiſchen Lan-
[240] des zu ordnen. Er beſtätigte dem Satrapen Abulites die Satrapie,
übergab die Burg der Stadt Suſa an Mazarus 42), die Feld-
hauptmannſchaft der Satrapie nebſt einem Corps von dreitauſend
Mann an Archelaus; er wies die Schlöſſer von Suſa der Mutter
und den Kindern des Perſerkönigs, die bisher in ſeiner Nähe ge-
weſen waren, als künftige Reſidenz an, und umgab ſie mit könig-
lichem Hofſtaat; man erzählt, daß er einige Griechiſche Gelehrte
an dem Hofe der Prinzeſſinnen zurück ließ, mit dem Wunſche, ſie
möchten von dieſen Griechiſch lernen 43). Nach dieſen Einrichtun-
gen brach er mit dem Heere gen Perſien auf.


Der Weg von Suſa 44) nach Perſien führt anfangs durch
die
[241] die ſchönen und überaus bevölkerten Ebenen Suſianas, über den
Euläus, den Kopratas, den Paſitigris im Lande der Uxier, die
theils die Ebenen an dieſem Fluſſe, theils die Berge, in denen er
entſpringt, bewohnten; zwiſchen dem Paſitigris und Aroſis folgen, ſo
ſcheint es, jene ſchwierigen Päſſe, welche den Weg zur Perſiſchen
Landſchaft beherrſchen, und bei denen die räuberiſchen Berguxier
den Karavanen aufzulauern pflegten; den Perſerkönigen nie unter-
worfen, waren ſie ſeit alter Zeit gewohnt, den Hoffahrten gen
Perſepolis nur für reiche Geſchenke den Durchzug zu geſtatten.
Jenſeits dieſer Päſſe, die die Suſiſchen Thore genannt wurden 45),
führte der große Heerweg über die Ebene von Lachter erſt ſüd-
wärts, dann oſtwärts zu den Perſiſchen Päſſen von Kelah-i-Sefid;
ein näherer, aber beſchwerlicherer Weg ging im felſigen Thale des
Aroſisfluſſes hinauf zu eben dieſen Steilpäſſen, die ſo eng ſind,
daß wenige Tapfere hier wohl ein Heer aufzuhalten im Stande
ſein würden 46).


Das war der Weg, den Alexander zu nehmen hatte, um Per-
44)
16
[242] ſepolis und Paſargadä zu erreichen; die Jahreszeit war nichts we-
niger als günſtig, denn es mußte ſchon tiefer Schnee in den Ber-
gen liegen, es mußten die kurzen Tage, die langen und kalten
Nächte den an ſich ſchon beſchwerlichen Weg noch ſchwieriger ma-
chen; es kam dazu, daß man Widerſtand von Seiten der Uxier
und noch mehr von Seiten des Ariobarzanes, der ſich nach der
Schlacht von Gaugamela mit vielen Tauſenden nach Perſien geworfen
hatte, erwarten konnte. Dennoch eilte Alexander gen Perſien, ſo-
wohl um ſich des Landes, der Schätze von Perſepolis und Paſar-
gadä und des Weges ins Innere Irans zu verſichern, als auch
wohl beſonders, damit nicht durch längeres Zögern dem Perſerkönige
Zeit zu ausgedehnten Rüſtungen gelaſſen würde, und er ſich etwa
von Medien hierher wendete, um die Heimath des Perſiſchen Kö-
nigthumes und die hohe Pforte der Achämeniden hinter den ſo
ſchwierigen Perſiſchen Päſſen zu vertheidigen. — So zog Alexan-
der mit ſeinem Heere über die Ebene Suſianas; in wenigen
Tagen überſchritt er den Paſitigris und betrat das Gebiet der
thalländiſchen Uxier, die, ſchon dem Perſerkönige unterworfen und
unter der Herrſchaft des Suſianiſchen Satrapen, ſich ohne Weite-
res ergaben. Die Berguxier dagegen ſandten Abgeordnete an Ale-
xander mit der Botſchaft: nicht anders würden ſie ihm den Durch-
zug nach Perſis geſtatten, als wenn ſie die Geſchenke, die die Per-
ſerkönige gegeben hätten, auch von ihm erhielten. Je wichtiger
die freie Paſſage nach dem oberen Lande war, deſto weniger konnte
Alexander ſie in den Händen eines ſo trotzigen Bergvolkes laſſen;
er ließ ihnen ſagen, ſie möchten nur in die Engpäſſe kommen, und
ſich dort ihr Theil holen.


Mit der Leibſchaar und den anderen Hypaspiſten, mit noch etwa
achttauſend Mann meiſt leichter Truppen wandte er ſich, von
Suſianern geführt, bei Nachtzeit auf einen anderen ſehr ſchwierigen
Gebirgspfad, der von den Uxiern unbeſetzt geblieben war; mit Ta-
46)
[243] gesanbruch erreichte er die Dorfſchaften derſelben, die meiſten der
Bewohner wurden in ihren Betten ermordet, die Häuſer geplün-
dert und den Flammen Preis gegeben; dann eilte das Heer zu
den Engpäſſen, wohin ſich die Uxier von allen Seiten verſammelt
hatten, um die Päſſe zu ſperren. Alexander ſandte Kraterus mit
einem Theile des Heeres auf die Höhen hinter dem von den
Uxiern beſetzten Paßwege, während er ſelbſt gegen den Paß mit
größter Eile vorrückte, ſo daß die Barbaren, umgangen, durch die
Schnelligkeit des Feindes erſchreckt, aller Vortheile, die der Eng-
paß gewähren konnte, beraubt, ſich ſofort, als Alexander in geſchloſ-
ſenen Reihen anrückte, fliehend zurückzogen; viele ſtürzten in die
Abgründe, viele wurden von den verfolgenden Macedoniern, noch
mehr von Kraterus Truppen auf der Höhe, nach der ſie ſich retten
wollten, erſchlagen. Alexander war anfangs Willens den ganzen
Stamm der Berguxier aus dieſen Gegenden zu verſetzen; Siſy-
gambis, die Königin Mutter, legte Fürbitte für ſie ein; man ſagt,
Madates, ihrer Nichte Gemahl, ſei ihr Anführer geweſen. Alexan-
der ließ auf der Königin Bitten dieſen Hirtenſtämmen ihr Bergland,
er legte ihnen einen jährlichen Tribut von tauſend Pferden, fünf-
hundert Haupt Zugvieh, dreißigtauſend Schaafen auf; Geld und
Gewerbe hatten ſie nicht 47).


So war der Eingang in die Gebirge geöffnet; und während
Parmenion mit der einen Hälfte des Heeres, namentlich den Schwer-
gewaffneten und dem Train, auf der großen Heerſtraße weiter zog,
eilte Alexander ſelbſt an der Spitze der Getreuen zu Fuß und
zu Roß, der Agrianer, Schützen und Plänkerer auf dem nächſten,
aber beſchwerlichen Gebirgswege, die Perſiſchen Päſſe zu erreichen;
Eilmärſche brachten ihn am fünften Tage an den Eingang derſel-
ben, den er durch mächtige Mauern geſperrt fand; der Satrap Ario-
barzanes, ſo hieß es, ſtehe mit vierzigtauſend Mann Fußvolk und
ſiebenhundert Reutern hinter der Mauer in einem feſten Lager,
entſchloſſen den Eingang um jeden Preis zu wehren. Alexander
16 *
[244] lagerte ſich; am nächſten Morgen wagte er ſich in die von hohen
Felſen eingeſchloſſene Paßgegend hinein, um die Mauer anzugreifen;
ihn empfing ein Hagel von Schleuderſteinen und Pfeilen, Felsmaſ-
ſen von den Abhängen hinabgeſtürzt, von drei Seiten ein erbitter-
ter Feind; vergebens ſuchten Einzelne die Felswände zu erklimmen,
die Stellung der Feinde war unangreifbar, Alexander zog ſich in
ſein Lager, eine Stunde vor dem Paß, zurück. Seine Lage war
peinlich; nur dieſer Paß führte nach Perſepolis, man müßte denn
den Mediſchen Weg, der vierzig Tagereiſen nordwärts durch die
Gebirge führt 48), nehmen wollen; die Straße, die Parmenion
eingeſchlagen, führte nur auf bequemeren Wegen zu eben dieſen
Päſſen; ſie mußten genommen werden, wenn nicht eine gefährliche
Unterbrechung eintreten ſollte; aber an dieſen Felſenwänden ſchie-
nen die höchſten Anſtrengungen der Kunſt und des Muthes ſchei-
tern zu müſſen; und doch hing Alles von der Einnahme dieſer
Päſſe ab. Von den Gefangenen aus dieſer Gegend erfuhr Alexan-
der, daß die Gebirge meiſt mit dichten Wäldern bedeckt ſeien, daß
kaum einzelne gefährliche Fußſteige hinüber führten, daß ſie jetzt
doppelt mühſelig wegen des Schnees in den Bergen ſein würden,
daß andererſeits nur auf dieſen Felſenpfaden die Päſſe zu umgehen
und in das von Ariobarzanes beſetzte Terrain zu gelangen ſei; Alexan-
der entſchloß ſich zu dieſer, vielleicht der gefährlichſten Expedition
ſeines Lebens. Kraterus blieb mit ſeiner und Meleagers Phalanx,
mit einem Theile der Schützen und der Macedoniſchen Geſchwader
im Lager zurück, mit der Weiſung, durch Wachtfeuer und auf jede
andere Weiſe dem Feinde die Theilung der Armee zu verbergen,
dann aber, wenn er von jenſeits der Berge herüber die Macedoniſchen
Trompeten hörte, mit aller Gewalt gegen die Mauer zu ſtürmen.
Alexander ſelbſt brach mit den Diviſionen Amyntas, Perdikkas, Kö-
nus und Polyſperchon, mit den Hypaspiſten und Agrianern, mit
einem Theile der Schützen und ſechs Macedoniſchen Geſchwadern
unter Philotas in der Nacht auf, und ſtieg nach einem ſehr be-
ſchwerlichen Marſche von etwa zwei Meilen über das mit tiefem
Schnee bedeckte Gebirge. Er war am anderen Morgen jenſeits;
rechts die Bergkette, die an den Päſſen und über dem Lager der
[245] Feinde endete, vor der Fronte das Thal, das ſich zur Ebene des
Araxes, über den hin der Weg nach Perſepolis führt, ausbreitet,
im Rücken die mächtigen Gebirge, die, mit Mühe überſchritten,
vielleicht bei irgend einem Unfalle den Rückweg, die Rettung un-
möglich machten. Alexander theilte nach einiger Raſt ſein Heer;
er ließ Amyntas, Polyſperchon, Könus, Philotas mit ihren Corps
in die Ebene hinab gehen, ſowohl um auf dem Wege nach Perſe-
polis über den Fluß eine Brücke zu ſchlagen 49), als auch um den
Perſern, wenn ſie bewältigt wären, den Rückzug auf Perſepolis zu
ſperren; er ſelbſt rückte mit ſeinen Hypaspiſten, mit der Phalanx
Perdikkas, mit dem Geleit der Ritterſchaft und zwei anderen Ge-
ſchwadern, mit den Schützen und Agrianern rechts gegen die Päſſe
hin; ein höchſt beſchwerlicher Marſch, durch die Waldung des Ber-
ges, durch den heftigen Sturm, durch das Dunkel der Nacht dop-
pelt ſchwierig. Vor Tagesanbruch traf man die erſten Vorpoſten
der Perſer, ſie wurden niedergemacht; man nahete den zweiten, we-
nige entkamen zu der dritten Poſtenreihe, um ſich mit dieſen nicht
in das Lager, ſondern in die Berge zu flüchten. Im Perſiſchen
Lager ahnete man nichts von dem, was vorging, man glaubte die
Macedonier unten im Thale, man hielt ſich in dieſem winterlichen
Sturmwetter in den Zelten, überzeugt, daß Sturm und Schnee
dem Feinde das Angreifen unmöglich machen werde; ſo war Alles
im Lager ruhig, als plötzlich, es war in der Frühſtunde, rechts
auf den Höhen die Macedoniſchen Trompeten ſchmetterten, und
von den Höhen herab, aus dem Thale herauf zugleich der Sturm-
ruf ertönte. Und ſchon war Alexander, der ſich mit dem größeren
Theile ſeines Heeres in den Rücken der Perſer hinabgezogen hatte,
gegen dieſe Seite des Lagers im Anmarſch, während Ptolemäus
mit zweitauſend Mann von der Höhe herabſtürmte; auch Kraterus
hatte vom Thale herauf den Sturm gewagt und die in der Ver-
wirrung ſchlecht vertheidigten Eingänge erbrochen; ſo trafen von
allen Seiten die Macedonier im Lager zuſammen. Hier begann
ein gräßliches Gemetzel, Fliehende ſtürzten den Macedoniern in die
[246] Schwerdter, viele in die Abgründe, Alles war verloren; Arlobarza-
nes ſchlug ſich durch, er entkam mit wenigen Reutern in die Ge-
birge und auf heimlichen Wegen nach Medien 50).


Alexander dagegen brach nach kurzer Raſt gen Perſepolis auf;
um deſto ſchneller die Stadt zu erreichen, ließ er das Fußvolk zu-
rück und jagte mit den Reutern voraus; mit Tagesanbruch war er
an der Brücke, die bereits von der Vorhut geſchlagen war, und
eilte, ohne lange zu ruhen, in höchſt angeſtrengten Märſchen wei-
ter; er beſorgte, daß die ungeheueren Schätze von Perſepolis ge-
plündert werden möchten. Seine unvermuthet ſchnelle Ankunft,
er war faſt der Kunde von dem Gefecht vorausgeeilt, machte
allen Widerſtand und alle Unordnung unmöglich; die Stadt, die
Palläſte, die Schätze wurden ohne Weiteres in Beſitz genommen.
Eben ſo ſchnell fiel Paſargadä dem Sieger mit neuen größeren
Schätzen zu; viele tauſend Talente Gold und Silber, unzählige
Prachtgewebe und Koſtbarkeiten wurden hier aufgehäuft gefunden,
und man erzählt, daß zehntauſend Paar Maulthiere und dreitau-
ſend Kameele dazu nöthig geweſen, um die Schätze der beiden
Perſerſtädte von dannen zu bringen 51). Wichtiger noch als
dieſe Reichthümer, die Alexanders Freigebigkeit aus den todten
Schatzgewölben in den Verkehr der Völker, dem ſie ſo lange ent-
zogen geweſen, zurückzuführen eilte, war der Beſitz dieſer Gegend
ſelbſt, der eigentlichen Heimath des Perſiſchen Königthums. In
dem Thale von Paſargadä hatte Cyrus die Mediſche Herrſchaft be-
wältigt und zur Erinnerung des großen Sieges dort ſein Hoflager,
[247] ſeine Palläſte und ſein Grab gebaut, zwiſchen den Monumenten
höchſter irdiſcher Pracht ein einfaches Felſenhaus, bei dem fromme
Magier jeden Tag opferten und beteten. Ein Felſenweg voll
Skulpturen und Grotten führt ſüdwärts in das ſchöne Thal von
Perſepolis; Darius, des Hyſtaspis Sohn, der zuerſt Erde und
Waſſer gefordert von den Hellenen, der Ordner des Perſiſchen
Reiches hatte hier ſeinen Pallaſt, ſeinen Säulenhof und ſein Grab
gebaut; von vielen ſeiner Nachfolger war mit neuen Prachtgebäu-
den, mit Jagdrevieren und Paradieſen, mit Palläſten und Königs-
gräbern das Felſenthal des Bundemir erfüllt; die Königspforte
der tauſend Säulen, der ſtolze Felſenbau auf dreifacher Terraſſe,
die lagernden Rieſenbilder am Eingange, ein Rieſenplan von Ge-
bäuden der höchſten Pracht und feierlichſten Größe ſchmückten die-
ſen heiligen Bezirk, den die Völker Aſiens ehrten als die Wiege
des Achämenidengeſchlechtes, als den Ort der Königsweihe und der
Huldigungen, als die Grabſtätte des Perſiſchen Fürſtenhauſes, als
Heerd und Mittelpunkt des einſt ſo mächtigen Reiches. Dies
Reich war jetzt geſtürzt; Alexander ſaß auf dem Throne deſſelben
Xerxes, der einſt ſo ſtolz auf der Düne des Salaminiſchen Stran-
des gethront, deſſen frevelnde Hand die Tempel der Helleniſchen
Götter niedergebrannt und die theuern Gräber zerſtört hatte; der
Rächer der Hellenen war jetzt mit dem Rechte des Siegers in
Xerxes Pallaſt; es ſchien die Zeit gekommen, altes Unrecht zu rä-
chen und die Götter und die Todten im Hades zu verſöhnen; hier
an dieſem Heerde der Perſiſchen Herrlichkeit ſollte das Recht der
Vergeltung geübt und die alte Schuld geſühnt werden. In dem
Hochgefühle des Rächers der Helleniſchen Geſchichte, des Siegers
über Xerxes Reich gebot Alexander, den Feuerbrand in das Cedern-
getäfel des Königspallaſtes zu werfen; er hörte nicht Parmenions
Warnung, des ſchönen Gebäudes, ſeines Eigenthumes, zu ſchonen,
nicht die Perſer zu kränken in den Denkmälern ihrer einſtigen
Größe und Herrlichkeit. Der König antwortete: „ich will die Per-
ſer ſtrafen für den Brand Athens und für den Frevel an den Helleni-
ſchen Tempeln, ich will alle das Unheil rächen, das ſie über Hel-
las gebracht“ 52). So brannte ein Theil des Pallaſtes von Per-
[248] ſepolis nieder, zwiſchen Perſern und Hellenen der letzte feindliche
Akt, das letzte Opfer einer alten Blutrache 53).


Fortan war kein Haß und keine Rache mehr gegen die Ueber-
bleibſel des geſtürzten Perſerthums; und als Alexander feierlichſt
den Thron der Perſiſchen Könige, als deren Nachfolger in der
Herrſchaft Aſiens er gelten wollte, beſtiegen, und unter goldenem
52)
[249] Thronhimmel die Huldigungen empfing, und der treue Korinthier
Demaratus ſprach, daß die Hellenen, die vor dieſem Tage geſtor-
ben, der höchſten Wonne entbehrten 54), da war der Macedoni-
ſche König nicht mehr ein Feind Aſiens oder ein glücklicher Wi-
derſacher des Perſiſchen Namens, ſondern Herr und Großkönig
über Aſien und Erbe der Herrſchaft, die zuletzt in der Perſer Hän-
den geweſen. So ſah er es ſelbſt an; er ehrte das Gedächtniß
der Könige, die das Reich gegründet, er ehrte das Grab des gro-
ßen Cyrus, und ließ es ſchmücken und wohl behüten 55). Er ließ
dem Tiridates die Aufſicht in den Palläſten von Perſepolis, er gab
dem edlen Phraſſaortes, dem Sohne des Feldherrn Rheomithres,
der bei Iſſus gefallen war, die Satrapie Perſiens; er zog ſelbſt,
es war im ſtrengſten Winter, gegen die räuberiſchen Bewohner der
nahen Gebirge aus, um das Land für immer gegen ihre Einfälle
zu ſichern. Es waren namentlich die Mardier 56) in den ſüdli-
[250] chen Gebirgen, die, ähnlich den Uxiern, bisher in zu großer Unab-
hängigkeit und in tiefer Barbarei gelebt hatten. Durch [ſ]ehr müh-
ſelige Züge in ihre ſchneebedeckten Bergthäler, zwang ſie Alexander ſich
zu unterwerfen, und es wurden wenigſtens die erſten Anfänge zu ihrer
Anſiedelung und Cultur gemacht. Die Satrapie Karamanien, der
ſich Alexander bei dieſem Zuge genahet haben mochte, unterwarf
ſich und der Satrap Aspaſtes wurde in ihrem Beſitze beſtätigt 57).
Nach einem Monate kehrte der König wieder nach Perſepolis zu-
rück; es ſchien nöthig, nach ſo vielen anſtrengenden Unternehmun-
gen den Truppen noch einige Raſt zu gönnen, bevor die Verfol-
gung des Königs Darius begonnen würde; es kam dazu, daß die
Wege gen Medien während der Jahreszeit noch nicht füglich zu
paſſiren waren; erſt nach viermonatlichem Aufenthalte in dem ſchö-
nen Thale des Araxes brach Alexander, es mochte Ende April ſein,
gen Medien auf 58), wohin Darius mit dem Reſte des Heeres
von Arbela geflüchtet war. —


Darius nämlich hatte ſich nach dem Verluſt der Schlacht
durch die Mediſchen Päſſe gen Ekbatana geflüchtet 59), mit der
Abſicht, hier abzuwarten, was Alexander unternehmen würde, und
ſobald derſelbe ihm auch hierher nachſetzte, verwüſtend in den Nor-
den ſeines Reiches zu flüchten; zu dem Ende hatte er bereits die
Karavane ſeines Harems, ſeine Schätze und Koſtbarkeiten an den
Eingang der Parthiſchen Päſſe gen Ragä geſandt, um durch ſie, wenn
ſchleunige Flucht nöthig würde, nicht behindert zu ſein. Indeß
verging ein Monat nach dem andern, ohne daß ſich auch nur ein
feindliches Streifcorps den Päſſen des Zagrosgebirges, oder der
inneren Grenze Mediens nahete. Dann war Ariobarzanes, der
heldenmüthige Vertheidiger der Perſiſchen Thore, in Ekbatana an-
56)
[251] gekommen und man mochte jetzt die Macedonier erwarten; doch
wieder verging mehr als ein Vierteljahr und kein Feind ließ ſich
ſehen. Gefielen dem Sieger die Schätze von Perſepolis und Paſar-
gadä vielleicht beſſer als neuer Kampf? Hielten ihn und ſein über-
müthiges Heer die neuen und betäubenden Genüſſe des ſchönen
Morgenlandes gefeſſelt? Noch ſah ſich Darius von treuen Trup-
pen, von hochherzigen Perſerfürſten umgeben; mit ihm war der
Kern des Perſiſchen Adels, die Chiliarchie, die Nabarzanes führte,
Atropates von Medien, Authophradates von Tapurien, Phratapher-
nes von Hyrkanien und Parthien, Satibarzanes von Arien, Bar-
ſaentes von Arachoſien und Drangiana, der kühne Baktrianer Beſ-
ſus, Fürſt des Turaniſchen Landes, des Großkönigs Verwand-
ter, umgeben von dreitauſend Baktriſchen Reutern, die ſich mit
ihm aus der letzten Schlacht gerettet hatten; ferner des Groß-
königs Bruder Oxathres und vor allen der greiſe Artabazus, der
vielbewährte Freund des Darius, vielleicht der würdigſte Name des
Perſerthums, mit ihm ſeine Söhne; auch des Großkönigs Ochus
Sohn Biſthanes, auch des abtrünnigen Mazäus von Babylon
Sohn Artabelus war in Ekbatana. Noch hatte Darius ein klei-
nes Heer um ſich, außer den Reſten der Chiliarchie die drei-
tauſend Baktriſchen Reuter des Beſſus, die tapferen Griechiſchen
Söldner unter des Phociers Patron Führung; er erwartete
die Ankunft mehrerer Tauſend Kaduſier und Scythen; leicht
konnten von Ekbatana aus die Völker von Turan und Ariana noch
einmal zu den Waffen gerufen werden, um ſich unter ihren Sa-
trapen um die Perſon des Königs zu ſammeln und den Oſten des
Reiches zu vertheidigen; dazu kam, daß die Mediſche Landſchaft
und die Gegend der Kaspiſchen Päſſe für die Vertheidigung äu-
ßerſt günſtig, den Euröpäiſchen Truppen vielfach beſchwerlich, den
Völkern, die das neue Perſerheer bilden ſollten, bekannt und be-
quem waren. So beſchloß Darius noch einmal das Glück der
Waffen zu verſuchen und mit dem Heere, das er bis zur Ankunft
Alexanders verſammelt haben würde, den Feind am weiteren Vordrin-
gen zu hindern; er hatte durch die Geſandten Spartas und Athens,
die ſich an ſeinem Hoflager befanden, die ſehr wichtige Botſchaft
erhalten, daß die Nachricht von der Schlacht von Gaugamela in
Hellas den tiefſten Eindruck auf alle Gemüther gemacht, und
[252] die antimacedoniſche Parthei zu neuen Verſuchen angefeuert habe,
daß viele Staaten ſich entweder ſchon mit Sparta offenbar vereint
hätten, oder nur den erſten Erfolg abwarteten, um von dem Ko-
rinthiſchen Bunde abzufallen, daß ſich ſo in Griechenland ein Um-
ſturz der Verhältniſſe vorbereite, der die Macedonier bald genug
aus Aſien zurückzukehren zwingen werde. So glaubte Darius hof-
fen zu dürfen, daß das Ende ſeines Unglücks nicht mehr fern
ſei 60).


Und ſchon nahete Alexander; Parätacene, die Landſchaft zwi-
ſchen Perſis und Medien, hatte ſich unterworfen und Oxathres,
den Sohn des Suſianiſchen Satrapen Abulites, zum Satrapen er-
halten; auf die Nachricht, daß Darius unter den Mauern von Ek-
batana, an der Spitze eines bedeutenden Heeres von Baktrianern,
Griechen, Scythen, Kaduſiern das Macedoniſche Heer erwarten
werde, eilte Alexander, den Feinden möglichſt bald zu begegnen; er
ließ, um deſto ſchneller fortzukommen, die Bagage mit ihrer Be-
deckung zurück und betrat nach zwölf Tagen das Mediſche Gebiet;
da erfuhr er, daß weder Kaduſier noch Scythen, die Darius er-
wartet, eingetroffen ſeien, daß Darius, um ein entſcheidendes Zu-
ſammentreffen zu verzögern, ſich bereits zum Rückzuge nach den
Kaspiſchen Päſſen, wohin die Weiber, Wagen und Feldgeräthe ſchon
vorausgegangen ſeien, anſchicke. Doppelt eilte Alexander, er wollte
Darius ſelbſt in ſeiner Gewalt haben, um allem weiteren Kampfe
um den Perſerthron ein Ende zu machen. Da kam, drei Tage-
reiſen vor Ekbatana, Biſthanes, des Königs Ochus Sohn, einer
von denen, die dem König Darius bis dahin gefolgt waren, ins
Macedoniſche Feldlager; er beſtätigte das Gerücht von Darius
Flucht; ſeit fünf Tagen ſei er aus Ekbatana, er habe die Schätze
Mediens, etwa ſiebentauſend Talente, mit ſich genommen, ein
Heer von ſechstauſend Mann Fußvolk und dreitauſend Pferden ſei
[253] ſeine Begleitung 61). Alexander eilte nach Ekbatana 62); ſchnell
wurden die dortigen Angelegenheiten geordnet, die Theſſalier, deren
Dienſtzeit um war, mit vollem Sold und einem Geſchenk von
zweitauſend Talenten in die Heimath geſandt, der Perſer Oxydates,
der in Suſa, früher von Darius zum ewigen Gefängniß verdammt,
durch Alexander befreit war und darum doppelten Vertrauens wür-
dig ſchien, an Atropates Stelle, der mit Darius war, zum Satra-
pen über Medien beſtellt, Parmenion mit einem Theile des Heeres
zurück gelaſſen, um die Schätze aus Perſis, die in Ekbatana nie-
dergelegt werden ſollten, in Empfang zu nehmen und dann durch
das Land der Kaduſier nach Hyrkanien zu marſchixen, Harpalus
mit der Bewachung des Schatzes beauftragt, Klitus, der krank in
Suſa zurückgeblieben war, angewieſen, ſobald es ſeine Geſund-
heit geſtatte, die ſechstauſend Mann, die vorläufig bei Harpalus
blieben, ins Parthiſche zu führen, um ſich dort mit der großen
Armee wieder zu vereinen. Mit den übrigen Phalangen, mit den
Macedoniſchen Geſchwadern, den Agrianern, Schützen und anderen
leichten Corps eilte Alexander dem fliehenden Darius nach; in eilf
höchſt angeſtrengten Tagemärſchen, in denen viele Menſchen und
Pferde liegen blieben, erreichte er Ragä, von wo aus für Alexan-
ders Eile noch eine Tagereiſe von acht Meilen bis zum Eingang
der Kaspiſchen Thore war. Aber die Nachricht, daß Darius be-
reits jenſeits des Paſſes ſei, und einen bedeutenden Vorſprung auf
dem Wege nach Baktrien voraus habe, ſo wie die Erſchöpfung ſei-
ner Truppen bewog den König einige Tage in Ragä zu raſten.


Um dieſelbe Zeit lagerte Darius mit ſeinem Zuge wenige
Tagemärſche im Oſten der Kaspiſchen Päſſe, er hatte kaum noch
[254] zwanzig Meilen Vorſprung vor Alexander; er mußte ſich über-
zeugen, daß es einerſeits unmöglich ſei, bei der ungeheueren Schnellig-
keit, mit der Alexander nacheilte, das Turaniſche Land fliehend zu
erreichen, andererſeits, wenn doch gekämpft werden müßte, möglichſt
langſam vorzurücken ſei, damit die Truppen mit friſcher Kraft den
vom Verfolgen ermatteten Feinden gegenüberträten; dazu kam,
daß aus dem Perſiſchen Zuge ſchon Manche zu Alexander über-
gegangen waren, daß man bei weiterer Flucht immer mehr Abtrün-
nigkeit fürchten mußte, da durch ſie Vieles zu gewinnen, durch
Treue nur zu verlieren war. Darius berief deshalb die Großen
ſeiner Umgebung zur Verſammlung und gab ihnen ſeine Anſicht
kund, das Zuſammentreffen mit den Macedoniern nicht länger mei-
den, ſondern noch einmal das Glück der Waffen verſuchen zu wel-
len. Dieſe Erklärung des Großkönigs machte einen tiefen Eindruck
auf die Verſammelten; das Unglück hatte die Meiſten entmuthigt,
man dachte mit Entſetzen an neuen Kampf; Wenige waren bereit,
ihrem Könige Alles zu opfern; unter ihnen der greiſe Artabazus;
gegen ihn erhob ſich Nabarzanes, der Chiliarch: die dringende Noth
zwinge ihn, ein hartes Wort zu ſprechen, hier zu kämpfen ſei der
ſicherſte Weg zum Verderben, man müſſe gen Turan flüchten und
neue Heere rüſten; aber die Völker trauten dem Glück des Königs
nicht mehr; nur eine Rettung gebe es; Beſſus habe bei den Tura-
niſchen Völkern großes Anſehen, die Scythen und Indier ſeien
ihm verbündet, er ſei Verwandter des königlichen Hauſes; der Kö-
nig möge ihm, bis der Feind bewältigt ſei, die Tiara abtreten.
Der Großkönig riß ſeinen Dolch aus dem Gürtel, kaum entkam
Nabarzanes, er eilte, ſich mit ſeiner Perſerſchaar von dem Lager
des Königs zu ſondern; Beſſus folgte ihm mit den Baktriſchen
Völkern; Beide handelten im Einverſtändniß und nach einem längſt
vorbereiteten Plane; Barſaentes von Drangiana und Arachoſien
wurde leicht gewonnen; die übrigen Satrapen der Oſtprovinzen
waren, wenn nicht offenbar beigetreten, doch geneigter, ihrem Vor-
theile als ihrer Pflicht zu dienen. Darum beſchwor Artabazus den
König, nicht ſeinem Zorne zu folgen, bei den Meuterern ſei die
größere Streitmacht, ohne ſie ſei man verloren, er möge ſie durch
unverdiente Gnade zur Treue oder zum Schein des Gehorſams zurück-
rufen. Indeß hatte Beſſus verſucht, die Schaar der Perſer zum Auf-
[255] bruch gen Baktrien zu bewegen; aber ſie ſchauderten noch vor dem
Gedanken des offenbaren Verrathes, ſie wollten nicht ohne den
König fliehen; Beſſus Plan ſchien mislungen; deſto hartnäckiger
verfolgte er ihn; er ſchilderte ihnen die Gefahr, in die ſie der Groß-
könig ſtürze, er gewöhnte ſie, die Möglichkeit eines Verbrechens zu
denken, das allein retten könne. Da erſchien Artabazus mit der
Botſchaft, der König verzeihe das unüberlegte Wort des Nabarza-
nes und die eigenwillige Abſonderung des Beſſus. Beide eilten in
des Königs Zelt, ſich vor ihm in den Staub zu werfen, und mit
heuchleriſchem Geſtändniß ihre Reue zu erklären.


Des anderen Tages rückte der Zug auf dem Wege nach Thara
weiter; die dumpfe Stille, die mistrauiſche Unruhe, die überall
herrſchte, offenbarte mehr eine drohende als überſtandene Gefahr.
Der Führer der Griechen bemühete ſich, in die Nähe des Königs
zu kommen, deſſen Wagen Beſſus mit ſeinen Reutern umgab.
Endlich gelang es dem treuen Fremdling, er ſagte dem Könige,
was er fürchte, er beſchwor ihn, ſich dem Schutze der Griechiſchen
Truppen anzuvertrauen, nur dort ſei ſein Leben ſicher. Beſſus ver-
ſtand nicht die Sprache, wohl aber die Miene des Helleniſchen Mannes;
er erkannte, daß nicht länger zu zögern ſei. Man langte gegen
Abend in Thara an; die Truppen lagerten, die Baktrianer dem
Zelte des Königs nahe; in der Stille der Nacht eilten Beſſus,
Nabarzanes und Barſaentes mit einigen Vertrauten in das Zelt,
feſſelten den König und ſchleppten ihn in den Wagen, in dem ſie
ihn als Gefangenen mit ſich gen Baktrien führen wollten, um ſich
mit ſeiner Auslieferung Frieden von Alexander zu erkaufen. Die
Kunde von der That verbreitete ſich ſchnell durch das Lager, Alles
löſete ſich in wilder Verwirrung; die Baktrier zogen gen Oſten
weiter, mit Widerſtreben folgten ihnen die meiſten Perſer; Artaba-
zus und ſeine Söhne verließen den unglücklichen König, dem ſie
doch nicht mehr helfen konnten, ſie zogen ſich mit den Griechiſchen
Truppen und den Geſandten aus Hellas nordwärts in die Berge
der Tapurier zurück; andere Perſer, namentlich des Mazäus Sohn
Artabelus und Bagiſthanes von Babylon, eilten rückwärts, ſich der
Gnade Alexanders zu unterwerfen 63).


[256]

Alexander hatte ſeine Truppen einige Tage in Ragä raſten
laſſen; am Morgen des ſechsten Tages brach er wieder auf; Ta-
ges darauf ſtand er innerhalb der Päſſe am Saume der Haide,
über die der Weg oſtwärts nach der Parthiſchen Hauptſtadt Heka-
tompylos, dem Mittelpunkt der Heerſtraße gen Hyrkanien, Baktrien
und Ariana, führt. Während das Heer hier lagerte und ſich ei-
nige Haufen in der Gegend zerſtreueten, um für den Weg durch
die Steppe zu fouragiren, kamen gegen Abend Bagiſthanes und Ar-
tabelus in das Macedoniſche Lager, unterwarfen ſich der Gnade des
Königs und ſagten aus, daß Beſſus und Nabarzanes ſich der Per-
ſon des Großkönigs bemächtigt hätten und eiligſt gen Baktrien
zögen, was weiter geſchehen, wüßten ſie nicht. Mit deſto größerer
Eile beſchloß Alexander die Fliehenden zu verfolgen; indem er den
größeren Theil der Truppen unter Kraterus und mit dem Befehl,
langſam nachzurücken, zurück ließ, eilte er ſelbſt mit den Edelſchaa-
ren, den Plänkerern, den leichteſten und kräftigſten vom Fußvolk den
Fliehenden nach. So die Nacht hindurch bis zum folgenden Mittag;
und wieder nach wenigen Stunden Raſt die zweite Nacht hindurch, mit
Sonnenaufgang erreichte man Thara, wo vier Tage früher Darius von
den Meuterern gefangen genommen war. Hier erfuhr Alexander von
des Großkönigs Dolmetſcher Melon, der krank zurückgeblieben war 64),
daß Artabazus und die Griechen ſich nördwärts in die Tapuriſchen
Berge zurückgezogen hätten, daß Beſſus an Darius Statt die Ge-
walt in Händen habe und von den Perſern und Baktrianern als
Gebieter anerkannt werde, daß der Plan der Verſchworenen ſei,
ſich in die Oſtprovinzen zurückzuziehen, und dem Könige Alexander
gegen den ungeſtörten und unabhängigen Beſitz des Perſiſchen
Oſtens die Auslieferung des Darius anzubieten, wenn er dagegen
weiter vordringe, ein möglichſt großes Heer zuſammenzubringen und
ſich gemeinſchaftlich im Beſitz der Herrſchaft, die ſie hätten, zu be-
haupten, vorläufig aber die Führung des Ganzen in Beſſus Hän-
den zu laſſen, angeblich wegen ſeiner Verwandtſchaft mit dem kö-
niglichen Hauſe und ſeines nächſten Anrechts auf den Thron 65).
Alles
63)
[257] Alles drängte zur größten Eile; kaum gönnte ſich Alexander während
des heißen Tages Raſt, am Abend jagte er weiter, die ganze Nacht
hindurch; faſt erlagen Mann und Roß; ſo kam er Mittags in ein
Dorf, in dem Tages zuvor die Verſchworenen gelagert und das ſie am
Abend verlaſſen hatten, um, wie geſagt wurde, fortan bei Nacht
ihren Zug fortzuſetzen; ſie konnten nicht mehr als einige Meilen
voraus ſein; aber die Pferde waren erſchöpft, die Menſchen mehr
als ermattet, der Tag heiß; Alexander fragte die Einwohner, ob
ſie nicht irgend einen kürzeren Weg hinter den Fliehenden her wüß-
ten; es hieß, es gebe wohl einen, der ſei aber öde, ohne Brunnen.
Dieſen beſchloß Alexander zu verfolgen; er wählte fünfhundert
Pferde der Edelſchaaren und für dieſe die Officiere und tapferſten
Leute des Fußvolkes aus, und ließ ſie in ihren Waffen zu Roß
ſteigen; und mit dem Befehl, daß die Agrianer unter Attalus mög-
lichſt ſchnell auf dem Heerwege nachrücken, die anderen Truppen
unter Nikanor geordnet folgen ſollten, zog Alexander mit ſeinen
„Doppelkämpfern“ um die Abenddämmerung den waſſerloſen Haide-
weg hinab. Viele erlagen der übermäßigen Anſtrengung und blie-
ben am Wege liegen. Als endlich der Morgen graute, ſah man
die zerſtreuete, unbewehrte Karavane der Hochverräther; da jagte
Alexander auf ſie los; der plötzliche Schrecken verwirrte den langen
Zug, mit wildem Geſchrei ſprengten die Barbaren auseinander;
wenige verſuchten Widerſtand, ſie erlagen bald, die übrigen flohen
in wilder Haſt, Darius Wagen in der Mitte, ihm zunächſt die
Verräther. Schon nahete Alexander; nur ein Mittel noch konnte
retten; Beſſus und Barſaentes durchbohrten den gefeſſelten König
und jagten fliehend nach verſchiedenen Seiten. Darius aber ver-
ſchied kurz darauf. So fanden die Macedonier den Leichnam, und
Alexander, ſo ſagt man, deckte ſeinen Purpur über ihn 66).



17
[258]

Das war das Ende des Königs Darius Kodomannus, der,
durch ein finſteres Verhängniß bis in den Tod verfolgt, die Schuld
ſeiner Ahnen gebüßt und geſühnt hat. Nicht daß er ſelbſt ohne
66)
[259] Unrecht geweſen; zu leicht für den Thron, der auf den Stufen
der Erniedrigung gegründet war, zu ſchwach für den Scepter des
entarteten Despotismus, zu klein für die große Zeit der Entſchei-
66)
17 *
[260] dung erlag ſeine Seele dem Kummer, der Schande und der Be-
täubung; verlaſſen und vergeſſen, in ſeinem Reiche heimathlos, ein
Flüchtling unter Verräthern, ein König in Ketten, ſo fiel er von
den Dolchen ſeiner Satrapen, ſeiner Blutsverwandten durchbohrt;
ihm blieb der eine Ruhm, nicht mit der Krone ſein Leben erkauſt,
noch dem Verbrechen ein Recht über die königliche Majeſtät zuge-
ſtanden zu haben, ſondern als König geſtorben zu ſein. Als König
ehrte ihn Alexander; er ſandte den Leichnam zur Beſtattung in die
Gräber von Perſepolis; und Siſygambis begrub den Sohn.


Alexander hatte mehr erreicht als erwartet; nach zwei
Schlachten hatte er den geſchlagenen König fliehen laſſen; aber
ſeit er ſich von Perſiſchen Großen umgeben, von den Völkern
Aſiens als Herrn und König verehrt ſah, ſeit er, Herr der heiligen
66)
[261] Städte Perſiens, auf dem Throne des Cyrus geſeſſen und nach
Perſiſcher Weiſe die Huldigungen der Großen entgegengenommen,
durfte der flüchtige König nicht länger den Namen ſeiner verlore-
nen Herrlichkeit, eine Fahne zu immer neuem Aufruhr, durch die
Steppen von Iran und Turan tragen. Der Wille und die Noth-
wendigkeit, den Feind zu fangen, wurde nach der heroiſchen Natur
Alexanders zur perſönlichen Leidenſchaft, zum Achilleiſchen Zorn;
ſo verfolgte er ihn mit einer Haſt, die an das Ungeheuere grenzte,
und die, vielen ſeiner braven Krieger zum Verderben, ihn dem ge-
rechten Vorwurf der furchtbarſten Schonungsloſigkeit ausſetzen
würde, wenn er nicht ſelbſt Mühe und Ermüdung, Hitze und
Durſt mit ſeinen Leuten getheilt, ſelbſt die wilde Jagd der vier
Nächte geführt und bis zur letzten Erſchöpfung ausgehalten hätte.
Damals, heißt es, brachten ihm Leute einen Trunk Waſſer im Ei-
ſenhelm; er durſtete und nahm den Helm, er ſah ſeine Reuter
traurig nach dem Labetrunk blicken, und gab ihn zurück: „Tränke
ich allein, meine Leute verlören den Muth.“ Da jauchzten die
braven Macedonier: „Führe uns, wohin Du willſt! wir ſind nicht
ermattet, wir dürſten auch nicht, ja wir ſind nicht mehr ſterblich,
ſo lange Du unſer König biſt!“ So ſpornten ſie ihre Roſſe an
und jagten mit ihrem Könige weiter, bis ſie den Feind ſahen und
den todten König fanden 67). Man hat Alexanders Glück
darin wieder erkennen wollen, daß ſein Gegner todt, nicht lebend
in ſeine Hand gefallen; er würde ſtets ein Gegenſtand gerechter
Beſorgniß für Alexander, ein Anlaß gefährlicher Wünſche und
Pläne für die Perſer geweſen ſein, und endlich hätte doch nur über
ſeinen Leichnam der Weg zum ruhigen Beſitze Aſiens geführt;
Alexander ſei glücklich zu preiſen, daß ihm nur die Frucht, nicht
auch die Schuld dieſes Mordes zugefallen; er habe ſich um der
Perſer Willen das Anſehen geben können, als beklage er ihres
Großkönigs Tod. Vielleicht hat Alexander, wie nach ihm der
große Römer, über den ſchmachvollen und erſchütternden Untergang
ſeines Feindes ſich der Vortheile zu freuen vergeſſen, die ihm aus
[262] dem Blute eines Königs zufließen ſollten; große Geiſter feſſelt
an den Feind ein engeres Band als das der Freundſchaft, der
Gewohnheit oder des Intereſſes je werden kann. Bedenkt man,
wie die Königin Mutter, wie die Gemahlin und Kinder des Groß-
königs von Alexander aufgenommen waren, wie er überall ihr Un-
glück zu ehren und zu lindern ſuchte, ſo kann man nicht zweifeln,
welches Schickſal er dem gefangenen Könige gewährt hätte, deſſen
Leben in Feindes Hand ſicherer geweſen wäre, als unter Perſern
und Blutsverwandten.


Alexander hatte Darius verfolgt, um den Beſitz Aſiens nicht
zu gewinnen, ſondern vor dem einzig rechtmäßigen Einſpruch zu
ſichern. Wäre Darius lebend in ſeine Hand gefallen, ſo konnten
die Perſiſchen Großen dem Gewaltrecht des Eroberers mit gleichem
Rechte Gewalt entgegenſetzen, und die Abdikation ihres Königs
unfreiwillig und Verrath an der Perſiſchen Sache, ſich ſelbſt als
die ächten Vertreter des alten Perſerthumes nennen. Umgekehrt
jetzt; jene Großen waren, als Mörder des Königs, Verräther an
der Perſiſchen Sache geworden, das natürliche Vermächtniß des
ermordeten Königs beſtellte den Sieger Alexander zum Rächer an
ſeinen Mördern; die Majeſtät des Perſiſchen Königthums, durch
das Recht des Schwertes gewonnen, ward jetzt zum Schwerte des
Rechtes und der Rache in Alexanders Hand, ſie hatte keinen Feind
mehr, als die letzten Vertreter, keinen Vertreter, als den einſtigen
Feind deſſelben Königthumes.


So hatte ſich die Stellung der Perſiſchen Großen merkwürdig
verändert; die ihren König nach der Schlacht von Gaugamela nicht
verlaſſen hatten, meiſt Satrapen der öſtlichen Provinzen, hatten
ihre eigene Sache geſchützt, wenn ſie um die Perſon des Königs
zuſammenhielten; jene Aufopferung und rührende Anhänglichkeit
des Artabazus, der, einſt in Pydna an König Philipps Hofe will-
kommener Gaſt, einer ehrenvollen Aufnahme bei Alexander hätte
gewiß ſein können, theilten wenige, da ſie ohne Nutzen und voll
Gefahr erſchien; ſobald des Großkönigs Unglück ihren Vortheil, ja
die Exiſtenz ihrer Macht auf das Spiel ſetzte, begannen ſie ſich
und ihre Anſprüche auf Koſten dieſes Königs zu ſchützen, durch deſ-
ſen Verblendung und Schwäche allein ſie das Reich der Perſer
ins Verderben geſtürzt glaubten; das ewige Fliehen des Darius
[263] brachte nun nach dem Verluſt ſo vieler und ſchöner Länder, auch die
Oſtſatrapien in Gefahr; es ſchien natürlich, lieber Etwas zu retten,
als Alles zu verlieren, lieber den Reſt des Perſerreiches zu behaup-
ten, als auch ihn noch für eine verlorene Sache zu opfern; wenn
nur durch ſie noch Darius König ſein konnte, ſo glaubten ſie nicht
minder, ſich ohne Darius im Beſitz ihrer Herrſchaft behaupten zu
können. So hatten ſie Darius gefangen genommen, Alexanders
plötzlicher Angriff zwang ſie, ihn zu morden, um ſich ſelbſt zu ret-
ten; ſie flohen, um die Verfolgung zu erſchweren, in zwei Hau-
fen 68), Beſſus auf dem Wege von Koraſſan nach Baktrien, Na-
barzanes mit den Reſten ſeiner Chiliarchie und von dem Parthiſchen
Satrapen begleitet nach Hyrkanien, um von dort aus gen Baktrien
zu eilen, und ſich mit Beſſus zu vereinigen. Ihr Plan war, die
Perſiſche Monarchie im Oſten wenigſtens aufrecht zu erhalten und
dann aus ihrer Mitte, wie einſt nach Smerdes Ermordung, einen
neuen König der Könige zu ernennen. Indeß war es klar,
daß, wenn Phrataphernes aus Parthien, Satibarzanes aus Aria,
Barſaentes aus Drangiana hinweg nach Baktrien ging, um unter
Beſſus Kommando, wie verabredet war, zu kämpfen, jedenfalls ihre
Satrapien dem Feinde in die Hände fielen, und ſie ihre Länder
einer ſehr fernen Hoffnung aufopferten; ſo blieb Phrataphernes in
Hyrkanien ſtehen, und Nabarzanes ſchloß ſich ihm an; Satibarza-
nes ging nach Aria, Barſaentes nach Drangiana, um nach den
weiteren Unternehmungen Alexanders ihre Maaßregeln zu nehmen;
die elende Selbſtſucht, die ſie zum Königsmorde vereint hatte, zer-
riß die letzte Macht, die den Feinden entgegentreten konnte, und
indem ſie jeder nur ſich und den eigenen Vortheil im Auge hatten,
ſollten ſie vereinzelt deſto ſicherer dem Schwerte des Eroberers
erliegen.


Alexander ſeinerſeits war nach jenem Ueberfall wegen der
gänzlichen Erſchöpfung ſeiner Leute nicht im Stande geweſen, Da-
rius Mörder, die nach allen Seiten hin flohen, zu verfolgen. In
der Ebene von Hekatompylos raſtete er, um die zurückgebliebenen
Truppen an ſich zu ziehen und die Angelegenheiten der Satrapie
Par thien zu ordnen. Der Parther Amminapes, der ſich dem Kö-
[264] nige bei deſſen Eintritt in Aegypten mit Mazaces unterworfen
hatte 69), erhielt die Satrapie, Tlepolemus, aus der Schaar der
Getreuen, wurde ihm zur Wahrnehmung der königlichen Rechte an
die Seite geſetzt. — Im Norden der Stadt beginnen die Vor-
berge der Elburusketten, die von den Tapuriern bewohnt wurden;
von einzelnen Päſſen durchſchnitten, trennen ſie die Grenzen von
Parthien im Süden und Hyrkanien im Norden, die erſt weiter
oſtwärts in den Klippenzügen von Koraſſan an einander ſtoßen; der
Beſitz dieſer Päſſe, die als Verbindung zwiſchen dem Kaspiſchen
Meere und dem Inneren, zwiſchen Iran und Turan ſo wichtig ſind,
war für den Augenblick doppelt nothwendig für Alexander, weil ſich
einerſeits die Griechiſchen Söldner von Thara aus in die Tapuri-
ſchen Berge zurückgezogen hatten, andererſeits Nabarzanes und
Phrataphernes jenſeits des Gebirges in Hyrkanien ſtanden. Dem-
nach verließ Alexander die Straße von Koraſſan, auf der ſich Beſ-
ſus geflüchtet hatte, um ſich erſt dieſer wichtigen Paßgegend zu
verſichern. Zadracarta, eine Hauptſtadt Hyrkaniens 70) am Nord-
abhange des Gebirges, ward als der Vereinigungspunkt der drei
Heeresabtheilungen beſtimmt, mit denen Alexander nach Hyrkanien
zu gehen beſchloß. Auf dem längſten, aber bequemſten Wege führte
Erigyius, von einigen Reuterabtheilungen begleitet, die Bagage und
Wagen hinüber; Kraterus mit ſeiner und mit Amyntas Phalanx,
mit ſechshundert Schützen und eben ſo vielen Reutern, zog über die
Berge der Tapurier, um ſie und zugleich die Griechiſchen Söldner,
wenn er ſie träfe, zu unterwerfen; Alexander ſelbſt mit den übrigen
Truppen ſchlug den kürzeſten, aber beſchwerlichſten Weg ein 71),
[265] der nordweſtlich von Hekatompylos in die Berge führt und in
mannigfachen Wendungen, von ſteilen Felſen überragt, an dem
Bette des wilden, oft unter den Klippen verſchwindenden Bergſtro-
71)
[266] mes Stibötes, den dicht bewaldeten Nordabhang des Gebirges hin-
abführt. Am vierten Tage erreichte er den Eingang der waldigen Paß-
gegend; mit der größten Vorſicht rückten die Colonnen vor; Poſten,
auf die Höhen zu beiden Seiten des Paſſes vertheilt, ſicherten den
71)
[267] beſchwerlichen Zug, den die wilden Stämme jener Berge beutelü-
ſtern zu überfallen bereit lagen; ſie zu bekämpfen wäre zu zeitrau-
bend, wenn nicht gar erfolglos geweſen; ſo eilte Alexander, mit
den Bogenſchützen an der Spitze des Zuges, hinabzukommen, und
erſt als er ſchon vier Tage in ſeinem Lager am Fluſſe Stibötes
ſtand, kamen die Agrianer, die Nachhut des Zuges, nicht ohne ein-
zelne Gefechte mit den Barbaren, von den Bergen herab. Dann
rückte Alexander auf dem Wege nach Zadracarta vor, wo denn
auch demnächſt Kraterus und Erigyius eintrafen, dieſer mit den
Wagen und dem Gepäck, Kraterus mit dem Bericht, daß er zwar
die Griechiſchen Söldner nicht getroffen, daß dagegen die Tapu-
rier theils mit Gewalt unterworfen ſeien, theils ſich freiwillig er-
geben hätten.


Schon in dem Lager am Stibötes hatte Alexander Boten
vom Nabarzanes erhalten, der ſich bereit erklärte, die Sache des
Beſſus zu verlaſſen und ſich der Gnade Alexanders zu unterwerfen;
auf dem weiteren Wege war der Satrap Phrataphernes nebſt meh-
reren anderen der angeſehenſten Perſer 72) aus der Umgebung des
Darius zu Alexander gekommen und hatte ſich unterworfen; den
Bruder des Großkönigs, Oxathres, nahm er ſogleich unter die Zahl
der Getreuen auf; der Chiliarch, einer von denen, die Darius ge-
bunden hatten, mochte ſich mit der Verzeihung für ſein Verbrechen
begnügen müſſen; ſein Name, ſonſt einer der erſten im Reiche, ver-
ſchwindet aus der Geſchichte; Phrataphernes dagegen und ſeine
beiden Söhne Pharismanes und Siſſines gewannen bald Alexan-
ders hohes Vertrauen, deſſen ſie ſich in mehr als einer Gefahr
würdig zeigen ſollten; in Kurzem erhielt der Vater ſeine Satrapien
Parthien und Hyrkanien zurück 73). — Bald darauf, es war im
Lager von Zadracarta, kam der greiſe Artabazus mit dreien ſeiner
Söhne, Arſames, Kophen und Ariobarzanes, dem muthigen Ver-
[268] theidiger der Perſiſchen Päſſe; Alexander empfing ſie mit der höch-
ſten Auszeichnung, indem er zugleich ihre Treue für den unglückli-
chen König Darius und die Erinnerung jener Zeit, die Artabazus
in Pydna an König Philipps Hofe verlebt hatte, ehrte; ſie nahmen
fortan in der Umgebung Alexanders gleichen Rang mit den vor-
nehmſten Macedoniern ein. Mit ihnen zugleich war Autophrada-
tes, der Satrap der Tapurier, gekommen; auch er wurde mit Eh-
ren aufgenommen, und in dem Beſitz ſeiner Satrapie beſtätigt.
Zu gleicher Zeit war von den Griechiſchen Truppen mit Artabazus
eine Geſandtſchaft eingetroffen, bevollmächtigt, im Namen der gan-
zen Schaar mit dem Könige zu kapituliren; auf ſeine Antwort, daß
das Verbrechen derer, die wider den Willen von ganz Hellas für
die Barbaren gekämpft hätten, zu groß ſei, als daß mit ihnen ka-
pitulirt werden könne, daß ſie ſich auf Gnade oder Ungnade erge-
ben, oder ſo gut ſie könnten, retten möchten, erklärten die Bevoll-
mächtigten, daß ſie bereit ſeien, ſich zu ergeben, der König möge
Jemanden mitſenden, unter deſſen Führung ſie ſicher in das Lager
kämen. Alexander wählte dazu den edlen Artabazus, ihren Führer
auf dem Rückzuge von Thara und den Andronikus, einen der an-
geſehenſten Macedonier, den Schwager des ſchwarzen Klitus 74).


Alexander erkannte die außerordentliche Wichtigkeit der Hyr-
kaniſchen Satrapie, ihrer Engpäſſe, ihrer hafenreichen Küſten, ihrer
zum Schiffbau trefflichen Waldungen; ſchon jetzt mochte ihn der
große Plan einer Kaspiſchen Flotte, eines Verkehrs zwiſchen dieſen
Küſten und dem Oſten Aſiens, einer Entdeckungsfahrt in dieſem
Meere beſchäftigen; noch mehr als dies forderte die Communica-
tion zwiſchen den bisherigen Eroberungen und den weiteren Hee-
reszügen vollkommene Beſitznahme dieſer paßreichen Gebirgsland-
ſchaft, die das Südufer des Kaspiſchen Meeres beherrſcht; Alexan-
der hatte ſich eben jetzt der Päſſe der Tapuriſchen Diſtrikte ver-
ſichert; Parmenion war beauftragt, mit dem Corps, das in Me-
dien ſtand, im nächſten Frühling durch das nördliche Medien und
die Kaspiſchen Weſtpäſſe im Lande der Kaduſier nach dem Meeres-
[269] ſtrande hinabzurücken, um die Straße, welche Armenien und Me-
dien mit dem Thale des Kur und dem Kaspiſchen Meere verbin-
det, zu öffnen; er ſollte von dort aus, am Strande entlang, nach
Hyrkanien und weiter der großen Armee nachziehen 75). Die
Päſſe von Pyl-Rudbar, die aus Medien am Amardusſtrom hinab
zum Meere führen, und welche durch das kriegeriſche und raub-
lüſterne Bergvolk der Amardier geſperrt wurden, beſchloß Alexander
durch einen Streifzug gegen dieſe Amardier ſofort zu öffnen 76).
Während die Hauptmaſſe des Heeres im Lager von Arvas zurück-
blieb, zog er ſelbſt an der Spitze der Hypaspiſten, der Phalangen
Könus und Amyntas, einiger Rittergeſchwader und mehrerer leichter
Corps gen Weſten; die Amardier, im Vertrauen auf die Unzu-
gänglichkeit ihrer Berge, da noch nie ein Feind in ihre Wälder
eingedrungen war, hatten ſich bisher um die Macedonier nicht viel
gekümmert; da rückte Alexander von der Ebene heran; die nächſten
Ortſchaften wurden genommen, die Bewohner flüchteten ſich in die
waldigen Gebirge. Mit unſäglicher Mühe zogen die Macedonier
durch dieſe wegeloſen, dicht verwachſenen und ſchauerlichen Wälder
nach; oft mußten ſie ſich mit dem Schwerte den Weg durch das
Dickicht bahnen 77), während bald hier, bald da einzelne Haufen
von Amardiern ſie überfielen, oder aus der Ferne mit ihren Spee-
ren trafen; als aber Alexander immer höher hinaufdrang und die
Höhen mit ſeinen Wegen und Poſten immer dichter einſchloß, da
ſchickten die Amardier Geſandte an den König und unterwarfen
ſich und ihr Land ſeiner Gnade; er nahm von ihnen Geißeln, ließ
ſie übrigens im ungeſtörten Beſitz und ſtellte ſie unter dem Sa-
trapen Autophradates von Tapurien 78).


[270]

In das Lager von Zadracarta zurückgekehrt, fand Alexander
bereits die Griechiſchen Söldner, funfzehnhundert an der Zahl, mit
ihnen Geſandte von Sparta, Athen, Chalcedon, Sinope, die, an
Darius geſandt, ſeit Beſſus Verrath ſich mit den Griechen zurück-
gezogen hatten. Alexander befahl, daß von den Griechiſchen Söld-
nern diejenigen, welche ſchon vor dem Korinthiſchen Vertrage in
Perſiſchem Solde geweſen waren, ohne Weiteres entlaſſen, den an-
deren unter der Bedingung, daß ſie in das Macedoniſche Heer
einträten, Amneſtie bewilligt werden ſollte; Andronikus, der ſich
für ſie verwendet hatte, erhielt den Befehl über ſie. Die Geſand-
ten anlangend entſchied der König, weil Chalcedon und Sinope
nicht mit in dem Helleniſchen Bunde ſeien, überdies Geſandtſchaf-
ten an den Perſerkönig ihnen als ehemaligen Unterthanen deſſelben
nicht zum Vorwurf gemacht werden könnten, ihre Geſandten ſofort
auf freien Fuß zu ſetzen; die Geſandten von Sparta und Athen
dagegen, die offenbar verrätheriſche Verbindungen mit dem gemein-
ſamen Feinde aller Hellenen unterhalten hätten, feſtzunehmen und
bis auf weiteren Befehl in Verwahrſam zu halten.


Demnächſt brach Alexander aus dem Lager auf und rückte in
die Reſidenz der Hyrkaniſchen Satrapie ein, um nach kurzer Raſt
die weiteren Operationen zu beginnen. —


Während dieſer Vorfälle in Aſien hatte in Europa das Glück
der Macedoniſchen Waffen noch eine gefährliche Probe zu beſtehen,
es war der letzte Widerſtand, der Griechiſcher Seits gegen Alexan-
der verſucht wurde; die Entſcheidung war um ſo wichtiger, da
Sparta, nach Athens Unterwerfung, nach Thebens Fall der nam-
hafteſte Staat Griechenlands, ſich an die Spitze dieſer Bewegun-
gen geſtellt hatte. Es iſt bereits berichtet worden, daß König
Agis im Herbſt 333 mit der Perſiſchen Flotte gemeinſchaftlich zu
operiren begann. Hätte damals Athen den Beſchluß, hundert Se-
gel in See gehen zu laſſen, ausgeführt, und dieſe unter Anführung
eines tüchtigen Feldherrn mit den Perſern und Spartanern ge-
78)
[271] meinſchaftlich agiren laſſen, ſo wären bedeutende Erfolge zu erwar-
ten geweſen. Aber damals war Demades aufgetreten, hatte dem Volke
vorgeſtellt, daß, wenn es ſeine Schiffe ausrüſten wolle, es ſich ſelbſt
das Geld zu Feſtſchmaus und Dionyſosfeier entzöge, und dadurch
ſo viel erreicht, daß von Seiten Athens nichts geſchah79). Die
anderen Bundesſtaaten wagten nicht, ohne Athens Vorgang die beſchwo-
renen Verträge zu brechen, und durch den Beiſtand einiger Tyran-
nen und Oligarchen auf den Inſeln war die Perſiſche Seemacht
nicht im Stande geweſen, ſich genug zu verſtärken, um es gegen Am-
photerus und Hegelochus auszuhalten. Dennoch wurde es in Grie-
chenland nicht ruhig; weder die fortwährenden Siege Alexanders
und ſeiner Admirale, noch die Nähe des bedeutenden Heeres, das
der Reichsverweſer in Macedonien unter den Waffen hielt, hatten
die noch immer zahlreiche und einflußreiche Parthei der Mißvergnüg-
ten einzuſchüchtern vermocht; unzufrieden mit allem, was geſchehen
war und noch geſchah, und noch immer in dem Wahne, daß es
möglich ſei, die Demokratie im alten Sinne und Anſehen gegen
die Uebermacht der Macedoniſchen Monarchie aufrecht zu erhalten,
benutzten ſie jede Gelegenheit, in der leichtſinnigen und leichtgläu-
bigen Menge Misgunſt, Beſorgniß, Erbitterung zu nähren; The-
bens unglückliches Ende war ein unerſchöpflicher Quell zu Dekla-
mationen, den Korinthiſchen Bundestag nannten ſie eine ſchlecht-
berechnete Illuſion; alles was von Macedonien ausging, ſelbſt Eh-
ren und Geſchenke, wurde verdächtigt oder als Schmach für freie
Staaten bezeichnet: man wolle nichts Anderes, als die Geſandten
der einzelnen Staaten beim Bundestage ſelbſt zu Werkzeugen der
Macedoniſchen Despotie machen; die Einheit der Hellenen ſei eher
im Haſſe gegen Macedonien als im Kampfe gegen Perſien zu fin-
den; ja die Siege über Perſien ſeien für Macedonien nur ein
Mittel mehr, die ſelbſtſtändige Freiheit der Helleniſchen Staaten
auszurotten. Natürlich war die Rednerbühne Athens der rechte
Ort, dieſes Misvergnügen in unerſchöpflichen Deklamationen zur
Schau zu ſtellen; nirgends ſtanden ſich die beiden Partheien ſchär-
fer gegenüber; und das Volk, bald von Demoſthenes, bald von
[272] Demades und Aeſchines beſchwatzt, widerſprach ſich oft genug ſelbſt
in ſeinen ſouveränen Beſchlüſſen; während einer Seits Geſandte
nach Macedonien gingen, um der Königin Mutter des Volkes
Beileid wegen Ablebens ihres Bruders, des Epirotenkönigs Alexan-
der, zu bezeugen80), ſtand man anderer Seits fortwährend mit
dem flüchtigen Perſerkönig in geſandtſchaftlicher Verbindung, die
nach dem Korinthiſchen Vertrage ſo gut wie offenbarer Verrath
war; während die Athener mit dem Korinthiſchen Bundestage wett-
eifernd Glückwünſche und goldene Kronen für Alexander dekretirten,
eiferte Demoſthenes ſelbſt gegen die Stellung des vertragsmäßigen
Kontingentes, das ja leicht gegen Griechenland ſelbſt gebraucht wer-
den könne81). Indeſſen wurde trotz aller ſolcher Deklamationen
von Seiten der Athener nichts gethan; und je exaltirter man von
alter Hoheit und Freiheit ſprach, deſto tiefer verſank das Volk in
Leichtſinn und Bauchesluſt.


Mit dem Frühjahre 331 war die Perſiſche Seemacht in den
Helleniſchen Gewäſſern verſchwunden, die Tyrannen der Inſeln, die
ſich zu den Perſern gehalten hatten, wurden verjagt oder hingerich-
tet82), ein Macedoniſches Geſchwader unter Amphoterus ſegelte
nach der Inſel Kreta, die ein Jahr vorher von Agis Bruder be-
ſetzt war; Agis ſelbſt, der ſich bis zur Aſiatiſchen Küſte nicht ohne
Glück vorgewagt hatte, war gezwungen, ſich ganz auf das Helle-
niſche Feſtland zu beſchränken. Dennoch gab er ſeine Pläne nicht
auf; er hatte einen bedeutenden Theil der Griechiſchen Söldner,
die ſich nach der Schlacht von Iſſus gerettet hatten, um ſich ver-
ſammelt, hatte auf dem Vorgebirge Tänarum einen förmlichen
Werbeplatz eröffnet, hatte mit den Gleichgeſinnten in anderen, na-
mentlich Peloponneſiſchen Staaten Verbindungen angeknüpft, die
den glücklichſten Fortgang verſprachen, kurz er hatte mit ſolcher
Umſicht und Kühnheit ſeinen Einfluß und ſeine Macht erweitert,
daß die Gegner Macedoniens mit der ſicherſten Hoffnung auf ihn
blickten.


Alexander wußte ſchon, als er von Tyrus aus nach dem obe-
ren
[273] ren Aſien vorrückte, von dieſen Bewegungen des Königs Agis; er
begnügte ſich damals, hundert Phöniciſche Schiffe nach Kreta abzu-
ſenden, die dann unter Amphoterus den Peloponnes beobachten
ſollten; er ehrte die Atheniſchen Geſandten, die ihm in Tyrus mit
Glückwünſchen und goldenen Kränzen entgegengekommen waren,
und gab die am Granikus gefangenen Athener frei, um deſto ge-
wiſſer den Atheniſchen Staat in Unthätigkeit zu halten; er ſchien
gefliſſentlich vermeiden zu wollen, daß es zwiſchen Macedoniſchen
und Spartaniſchen Waffen zum offenbaren Kampfe käme, der bei
der Stimmung vieler Städte gefährlich werden konnte; im Begriff,
einen neuen und entſcheidenden Schlag gegen Darius auszuführen,
behielt er ſich vor, den Eindruck deſſelben mit als Waffe gegen die
Misvergnügten in Hellas zu benutzen. So mußte Antipater wäh-
rend des Jahres 331 ruhig die Rüſtungen des Spartanerkönigs
und deſſen wachſenden Einfluß im Peloponnes mit anſehen, und
ſich begnügen, den Macedoniſchen Einfluß am Korinthiſchen Bun-
destage möglichſt geltend zu machen, im Uebrigen die Bewegun-
gen der feindlichen Parthei genau und ſtets gerüſtet zu beobachten;
er durfte die durch den Tod des Epirotenkönigs entſtandenen Ver-
wirrungen nicht benutzen, um ſeines Herrn Macht zu vermehren,
und ſelbſt den Unwillen und die bitteren Vorwürfe der Königin
Olympias, die, wie es ſcheint, auf das Reich ihres Bruders An-
ſprüche machte, mußte er ruhig ertragen. Als aber jetzt Zopyrion,
der Statthalter des unteren Donaulandes, bei einem Zuge gegen
die Geten vollkommen geſchlagen83) und mit dem größten Theile
ſeines Heeres umgekommen war, als in Folge dieſes Unglücks der
Odryſiſche Fürſt Seuthes Neuerungen verſuchte und der Thraciſche
Feldhauptmann Menon84), im Vertrauen auf ſeine Macht und
18
[274] den Beiſtand des Seuthes und der Thraciſchen Völkerſchaften, die
er zu den Waffen rief85), dem Macedoniſchen Reichsverweſer den
Gehorſam aufkündigte, da war die Verbindung zwiſchen Aſien und
Macedonien gefährdet; Antipater mußte ins Feld rücken, und um
jeden Preis die Empörung zu unterdrücken ſuchen86).


Indeß hatten die Bewegungen in Griechenland einen ſehr ern-
ſten Charakter angenommen; es war die Nachricht von der Schlacht
von Arbela eingelaufen, ſie mußte die Gegner Alexanders entweder
zur Unterwerfung oder zur letzten Kraftanſtrengung veranlaſſen.
Alexanders Entfernung und der Thraciſche Aufſtand begünſtigten das
kühnſte Wagniß; noch durfte man wenigſtens Subſidien von Darius
erwarten, noch durfte Alexander nicht wagen, ſein Heer, das kaum
zur Beſetzung des ungeheuren Weges hinreichen konnte, zu theilen,
um Griechenland anzugreifen; zögerte man jetzt, ſo konnte der letzte
Reſt der Perſiſchen Macht erliegen, ſo konnte man fürchten, daß
Alexander an der Spitze eines ungeheuren Heeres wie ein zweiter
Xerxes Griechenland überfluthen und zu einer Satrapie ſeines Reiches
machen werde. Die fieberhafte Lebendigkeit des Volksgeiſtes, die
exaltirten Deklamationen der demokratiſchen Redner, die alten Erin-
nerungen des Spartaniſchen Namens, die dem Zeitalter eigenthümlicht
Luſt am Uebertriebenen und Unglaublichen, Alles vereinte ſich, eint
Eruption hervorzubringen, die für die Macedoniſche Monarchie ver-
hängnißvoll werden konnte. Ein glückliches Gefecht des Agis
gegen Korragos gab das Zeichen zu einem Aufſtande, der ſich plötz-
lich über den ganzen Peloponnes und den größten Theil von Hellas
verbreitete; Elis vereinte ſich mit Sparta, die Arkadier, die Achäer
fielen von dem Korinthiſchen Bunde ab87), über den Peloponnes
hinaus wiederholten ſich die Bewegungen, die Aetolier zerſtörten
die Stadt der Oeniaden wegen ihrer Anhänglichkeit an Alexander, die
Theſſalier und Perrhäber waren in der heftigſten Aufregung; nut
[275] Athen blieb ruhig, ſelbſt Demoſthenes ſchwieg wider ſeine Gewohn-
heit; man freute ſich der Standbilder der Befreier Harmodius und
Ariſtogiton, die Alexander eben jetzt aus Suſa der Stadt ſandte.
Deſto eifriger war Agis; ſchon war ein Heer von mehr als zwanzig-
tauſend Mann Fußvolk und zweitauſend Reutern bei einander88),
es rückte gegen Megalopolis, die einzige Stadt Arkadiens, welche
aus edler Dankbarkeit gegen das Macedoniſche Königshaus ſtandhaft
in der Treue blieb. Die Stadt wurde belagert; ſie vertheidigte
ſich lange und tapfer, ſie ſchien der Uebermacht doch endlich erliegen
zu müſſen, mit jedem Tage erwartete man ihren Fall; da kam die
Nachricht, daß ein Macedoniſches Heer über den Iſthmus rücke.
Denn Antipater hatte, ſobald er von dem Aufruhr in Griechen-
land erfuhr, mit Menon einen Vertrag abgeſchloſſen, und war
dann ſo ſchnell als möglich nach dem Peloponnes aufgebrochen;
die Aufregung, die überall herrſchte, hatte ſeine Rüſtungen bedeu-
tend verzögert, und ſelbſt von manchen verbündeten Staaten wagte
er nicht Hülfstruppen mit ins Feld zu nehmen89). Endlich, nach-
dem er im ſchnellen Durchzuge die Bewegungen in Theſſalien unter-
drückt und die Contingente der zuverläßigſten Bundesſtaaten an ſich
gezogen hatte, kam er mit einem Heere von etwa vierzigtauſend
Mann im Peloponnes an. Er eilte Megalopolis zu entſetzen;
bald trafen ſich die Heere zu einer Schlacht; die Spartaner
kämpften ihres alten Ruhmes würdig, die Uebermacht Antipaters
war zu groß, Agis, mit Wunden bedeckt, von allen Seiten einge-
ſchloſſen, erlag endlich dem Andrang; er fiel fechtend; Antipater
hatte, wenn auch mit bedeutendem Verluſt, einen vollſtändigen Sieg
errungen90).


18 *
[276]

So ſtürzte die letzte Macht zuſammen, die den Namen der
Helleniſchen Freiheit gegen Macedonien vertreten und retten zu wol-
len vorgab; man muß geſtehen, daß dieſe Schlacht, wenn je eine
andre ein rechtes Gottesurtheil, der Parthei den Untergang gebracht
hat, welche unfähig der alten Eiferſucht und der alten kleinlichen
Anſichten los zu werden, das große Werk des Helleniſchen Lebens
durch heimlichen und offenbaren Verrath geſchändet hatte. Denn
Verrath an der Griechiſchen Sache war jene Weigerung Sparta’s
am Korinthiſchen Bunde Theil zu nehmen, um hinterdrein, wenn
Alexander in Perſien kämpfte, mit dem Erbfeinde von Hellas ver-
bündet ihn hinterrücks zu gefährden; doppelter Verrath war der
Abfall der Peloponneſier, die trotz der beſchworenen Bündniſſe ſich
mit den Feinden Alexanders verbanden. Nur der Sieg kann ſolchen
Verrath rechtfertigen; und die Spartaner hätten geſiegt, wenn ſich
90)
[277] die Hellenen vereint hätten, für die Freiheit ihrer Väter zu kämpfen;
die Zeit war günſtiger als je; aber Gewinn, Genuß, Zerſtreuung
war das Einzige, was die Gemüther feſſelte, Griechenland zer-
ſplittert, verwildert, entnervt, der Freiheit nicht mehr werth noch
fähig; ſo offenbarte ſich, daß dies zerſplitterte Einzelleben der klein-
lichen Staaten, das unter dem Reiz alter theurer Namen Ohn-
macht und Entartung barg, in den Zuſammenhang eines größeren
ſtaatlichen Verbandes untergehen mußte. Man muß die Mäßigung
und Vorſicht der beiden Macedoniſchen Könige bewundern, daß ſie
verſchmähten, die wiederholentlich beſiegten Griechen zu Unterthanen
ihres Reiches zu machen, und daß ſie vielmehr die ſchonendſte und
freieſte Form fanden, die demokratiſchen Städte für die Monarchie
zu gewinnen. Jener Bundestag von Korinth, der den Staaten
ihre Freiheit als ſtädtiſche Freiheiten ließ und für ſich nur die Be-
fugniß, die allgemeinen Angelegenheiten in Uebereinſtimmung mit
Macedonien zu leiten, in Anſpruch nahm, war in der That das
ſicherſte, wenn auch nicht kühnſte oder ſchnellſte Mittel, der Zerſplit-
terung Griechenlands Einheit und Richtung, die ſteten Vorzüge der
Monarchie, zurückzugeben; nur daß dies von Außen Gegebene in
dem erſchöpften Leben Griechenlands keine neuen Entwickelungen mehr
zu erwecken vermocht hat.


Mit jenem Siege Antipaters war die Beruhigung Griechen-
lands vollendet; Eudamidas, des erſchlagenen Königs jüngerer Bru-
der und Nachfolger, rieth ſelbſt, obſchon ſich die Bundesgenoſſen mit
nach Sparta zurückgezogen hatten und noch eine bedeutende Streit-
macht bildeten, keinen weiteren Widerſtand zu verſuchen91); es
wurde an Antipater geſendet und um Friede gebeten. Dieſer for-
derte funfzig der edelſten Spartaner als Geißeln und verwies den
Antrag an den Bundestag nach Korinth; der Bundestag erklärte ſich
nach vielfachen Berathungen für incompetent, und beſchloß die Ent-
ſcheidung dem Macedoniſchen Könige anheimzuſtellen, worauf Spar-
taniſche Geſandte nach dem obern Aſien abgingen. Wenn ſchon
nicht genauer berichtet wird, wie ſie der König beſchieden habe, ſo
iſt doch aus allen Umſtänden zu vermuthen, daß er fortan den Bei-
tritt Sparta’s zum Griechiſchen Bunde forderte; in der Verfaſſung
[278][und] dem Gebiet des Heraklidiſchen Königthums wurde nichts geän-
dert; bis auf wenige Häupter der antimacedoniſchen Parthei wurden
auch die Bundesgenoſſen der Spartaner begnadigt, als Strafe aber
ihnen eine Geldbuße von hundertundzwanzig Talenten an die treue
Stadt Megalopolis zu zahlen auferlegt92).


Von jetzt an traten die Verhältniſſe Griechenlands in den Hin-
tergrund, die einzelnen Städte wetteifern den Macedoniſchen König
mit Ehren zu überhäufen, und der unermüdliche Aerger des
Demoſthenes findet in Athen, in Griechenland kaum noch einen
Anklang; dem leichten Sinn des Volkes hat ſich eine neue Welt
erſchloſſen, die heimkehrenden Krieger bringen aus dem Morgen-
lande unermeßliche Beute, Wundermährchen, neue Genüſſe und
Anſprüche mit in die Heimath; die Jugend des Landes ſucht Ruhm,
Beute, Genuß im Dienſt des ſiegreichen Königs oder vergeudet ihre
Kraft daheim in Studien, Schwelgereien und Privatintriguen; kurz
das Griechiſche Leben, bis zur Zeit Alexanders in gleichförmiger, wenn
auch oft heftiger Entwickelung gereift, bricht auf und zerſtreut ſich
in den endloſen Möglichkeiten perſönlichſter Intereſſen, Leidenſchaften
und Fähigkeiten, in dieſem Trouble wüſter und unnatürlicher Ver-
hältniſſe, in dem die menſchliche Geſellſchaft nie aufhören wird, ſich
ihrer höchſten Vollkommenheit am nächſten zu glauben.


[[279]]

Sechstes Kapitel.
Der Feldzug in Ariana und Turan.


Um die Zeit der Spartaniſchen Niederlage ſtand Alexander in Hyr-
kanien, am Nordabhange jenes Gebirgwalles, der Iran und Turan
von einander ſcheidet, vor ihm die Wege nach Baktrien und Indien,
nach dem unbekannten Meere, das er jenſeits beider Länder als
Grenze ſeines Reiches zu finden hoffte, hinter ihm die Hälfte des
Perſerreichs, und Hunderte von Meilen rückwärts die Helleniſche Hei-
math. Er wußte von Agis Kämpfen, vom Abfall der Peloponneſiſchen
Staaten, von der unſichern Stimmung im übrigen Griechenland,
welche die Alternativen des Kriegsglückes doppelt gefährlich machte;
er kannte die Macht ſeines Gegners und deſſen Vorſicht, deſſen
Thätigkeit. Und doch ging er weiter und weiter gen Oſten, ohne
Unterſtützung an Antipater abzuſenden oder günſtige Nachrichten
abzuwarten. Wenn nun Agis geſiegt hätte? oder trotzte Alexander
auf ſein Glück? verachtete er die Gefahr, der er nicht mehr begeg-
nen konnte? wagte er nicht, um Griechenland zu retten, die Königs-
mörder mit halb ſoviel Truppen zu verfolgen, als zu den Siegen
von Iſſus und Arbela hingereicht hatten? Nichts von alle dem; einſt
war freilich Griechenlands Ruhe und die Anerkenntniß der Macedo-
niſchen Hegemonie die weſentliche Grundlage ſeiner Macht und ſei-
ner Siege geweſen; jetzt garantirten ihm ſeine Siege die Ruhe
Griechenlands, und der Beſitz Aſiens die Anerkenntniß einer Hege-
monie, die ihm ſtreitig zu machen mehr thöricht als gefährlich gewe-
ſen wäre. Unterlag Antipater, ſo waren die Satrapen in Lydien
und Phrygien, in Syrien und Aegypten bereit, nicht Erde und
Waſſer, wohl aber Genugthuung für Treubruch und Verrath im
[280] Namen ihres großen Königs zu fordern; und wahrlich dieſe Frei-
heitsliebe der Misvergnügten, dies zweideutige Heldenthum der
Beſtechung und Verrätherei hätte kein Marathon gefunden.


So durfte der König unbekümmert um die Bewegungen in
ſeinem Rücken ſeine großen Pläne weiter verfolgen. Durch den
Beſitz der Kaspiſchen Päſſe, durch die Beſatzungen, die am Ein-
gange des Mediſchen Paßweges in Ekbatana zurückgeblieben waren,
durch die mobile Kolonne, welche die Linie des Tigris beherrſchte,
war Alexander, wennſchon durch einen Doppelwall von Gebirgen
vom Syriſchen Tieflande getrennt, doch in ſo vollkommen ſicherer
Verbindung mit den fernſten Provinzen ſeines Reiches, daß er un-
bekümmert die große Länder- und Völkergrenze der Hyrkaniſchen
Gebirge zum Ausgangspunkt neuer und kühnerer Unternehmungen
machen konnte, denen die Verfolgung der Königsmörder Namen und
Richtung geben ſollte.


Nachdem Alexander ſeinem Heere einige Raſt gegönnt, nach
Helleniſcher Sitte Feſtſpiele und Wettkämpfe angeſtellt und den Göttern
geopfert hatte, brach er aus der Hyrkaniſchen Reſidenz auf. Er hatte
für den Augenblick etwa zwanzigtauſend Mann zu Fuß und dreitau-
ſend Reuter1) um ſich, namentlich die Chiliarchien der Hypaspiſten,
deren tapferer General Nikanor, Parmenions Sohn, nur zu bald einer
Krankheit unterliegen ſollte, ferner die Phalangen Kraterus, Amyntas,
Könus und, wie es ſcheint, Perdikkas 2), endlich die geſammte Macedo-
niſche Ritterſchaft unter Führung des Philotas, deſſen Vater Parmenion
den höchſt wichtigen Poſten in Ekbatana befehligte; von leichten Trup-
pen hatte Alexander die Schützen und Agrianer bei ſich; während
des Marſches aber ſollten nach und nach die andern Corps wieder
zur großen Armee ſtoßen, und namentlich Klitus die beiden Phalan-
gen Meleager und Polyſperchon, ſo wie ſpäter Parmenion ſelbſt die
leichten Truppen, mit denen er zurückgeblieben war, nachführen 3). —
Das nächſte Ziel der weiteren Bewegungen ſollte Baktra, die Haupt-
[281] ſtadt der Baktrianiſchen Satrapie ſein; denn dorthin, wußte Alexan-
der, hatte ſich Beſſus mit ſeinem Anhange zurückgezogen, dorthin
ſollten ſich alle, die es mit der Altperſiſchen Sache hielten, verſam-
meln, um ſich noch einmal dem Macedoniſchen Eroberer, wenn er
über die Hyrkaniſchen Gebirge hinaus vorzudringen wage, entgegen-
zuſtellen. So konnte Alexander hoffen, mit ſchnellem Vorrücken
an den Ufern des Oxus die letzte namhafte Heeresmacht, die ihm
den Beſitz der Perſiſchen Herrſchaft ſtören konnte, zu treffen und
zu vernichten, um darnach den weiteren Gang ſeiner Operatio-
nen zu beſtimmen. Er folgte zunächſt der großen Heerſtraße, die
von Hyrkanien aus am Nordabhange des Gebirgs entlang nach
Baktrien führte; zwar blieben auf dieſe Weiſe die Arianiſchen Sa-
trapien des Perſiſchen Hochlandes noch unberührt und außer dem
Bereich ſeiner Macht; indeß war von ihnen aus wohl keine Gefahr
zu befürchten; von Medien und Perſien durch die Karamaniſche
Wüſte, von dem Turaniſchen Tieflande durch die unwirthbaren Klip-
penzüge Koraſſans und den rauhen Paropamiſus getrennt, oſtwärts
Indiſchen Völkern benachbart, ſchienen ſie für den Zuſammenhang
ſpäterer Unternehmungen aufbewahrt werden zu können. Demnach
zog Alexander von Hyrkanien aus durch den nördlichen Theil Par-
thiens, durch den Landſtrich der Satrapie Aria, welcher unmittelbar
an die Turaniſchen Steppen grenzt; unweit der Grenze, in der
Stadt Suſia 4) kam der Satrap des Landes Satibarzanes in das
3)
[282] Lager, ſich und das Land dem Könige zu unterwerfen und zugleich
wichtige Mittheilungen über Beſſus zu machen4a). Satibarzanes
blieb im Beſitz ſeiner Satrapie; ſechzig Mann von den reitenden
Bogenſchützen, unter Führung des Anaxippus aus den Edelſchaaren,
wurden zurückgelaſſen, um das Land, wenn die folgenden Kolonnen
4)
[283] des Macedoniſchen Heeres dieſe Gegend durchzögen, vor jeder Art
von Beeinträchtigung zu bewahren; eine Uebereinkunft, welche, viel-
leicht mehr zur Sicherung der Heerſtraße gegen Ueberfälle der Arier
geſchloſſen, deutlich genug zeigte, daß Alexander unter der Form
einer Oberherrlichkeit, die nicht viel bedeutete, den mächtigen Satra-
pen in der Flanke ſeines Marſches zunächſt nur in Unthätigkeit hal-
ten wollte, um ſeinen Zug nach Baktrien ſicher vorſetzen zu können.
Denn ſchon hatte Beſſus, wie Satibarzanes eröffnete und mehrere
der Perſer, welche aus Baktrien nach Suſia kamen, beſtätigten, die
Tiara, den Königsmantel, den Titel König von Aſien, den Königs-
namen Artaxerxes angenommen, hatte viele Schaaren flüchtiger Perſer
und eine bedeutende Zahl Turaniſcher Fürſten verſammelt, und erwar-
tete Hülfsheere aus den nahen Scythiſchen Landſchaften.


So rückte denn Alexander auf dem Wege nach Baktra vor;
ſein Heer, etwa dreiundzwanzigtauſend Mann ſtark, wurde durch
einige hundert Mann ſchwerer Reuterei, die der Reutergeneral Phi-
lippus aus Ekbatana nachführte, verſtärkt, unter dieſen die Theſſa-
lier, welche von Neuem Dienſt genommen hatten 4b). Der König
hoffte an der Spitze ſeines trefflichen Heeres und mit der ihm ge-
wöhnlichen Schnelligkeit den Baktriſchen Uſurpator binnen Kurzem
zu überwältigen. Und ſchon war er den Grenzen von Baktrien
nahe, da liefen höchſt beunruhigende Nachrichten aus Aria ein:
Satibarzanes habe treuloſer Weiſe die Macedoniſchen Poſten über-
fallen und ſämmtliche Macedonier nebſt ihrem Führer Anaxippus erſchla-
gen, das Volk ſeiner Satrapie zu den Waffen gerufen, Artacoana, die
Königsſtadt der Satrapie, ſei der Sammelplatz der Empörer; von dort
aus wolle der treubrüchige Satrap, ſobald Alexander aus dem Be-
reich der Ariſchen Berge ſei, ſich mit Beſſus vereinigen, und die
[284] Macedonier, wo er ſie träfe, mit dem neuen König Artaxerxes
Beſſus gemeinſchaftlich angreifen. Alexander konnte ſich nicht ver-
hehlen, daß ſolche Bewegungen in der Flanke ſeiner Marſchroute
von der größten Gefahr ſein konnten; von Arien aus konnte er
gänzlich abgeſchnitten, von dort aus der Uſurpation des Beſſus viel-
fache Unterſtützung zu Theil werden; unter ſolchen Verhältniſſen
den Zug gegen Baktrien fortzuſetzen, wäre tollkühn geweſen; und
ſelbſt auf die Gefahr hin, dem Uſurpator Zeit zu größeren Rüſtun-
gen zu laſſen, mußte er den Operationsfehler, die ganze Flanke ſei-
ner Bewegungen einem verdächtigen Bundesgenoſſen anvertraut zu
haben, ſchnell und entſchieden wieder gut zu machen und das ge-
ſammte Gebiet in der Flanke ſelbſt erſt zu unterwerfen ſuchen, um
in ihr eine ſichre Operationsbaſis gegen das Tiefland von Turan zu
gewinnen. Demgemäß änderte der König ſeinen Kriegsplan; er gab
die Verfolgung des Beſſus und die Unterwerfung des Baktriſchen
Landes für jetzt auf, um ſich des Beſitzes von Aria und der übri-
gen Arianiſchen Länder zu vergewiſſern und von dort her die unter-
brochenen Unternehmungen gegen den Uſurpator mit doppelter Sicher-
heit fortſetzen zu können. An der Spitze zweier Phalangen, der
Bogenſchützen und Agrianer, der Edelſchaaren und reitenden Schützen
brach der König eiligſt gegen den empörten Satrapen auf, während
das übrige Heer unter Kraterus an Ort und Stelle lagerte. Nach
zwei höchſt angeſtrengten Tagemärſchen ſtand Alexander vor der
Königsſtadt Artacoana 4c), er fand Alles in heftiger Bewegung; Sati-
[285] barzanes, durch den unerwarteten Ueberfall beſtürzt und von dem
zuſammengebrachten Kriegsvolk verlaſſen, war mit wenigen Neutern
über die Gebirge zum Beſſus entflohen; die Arier hatten voll Furcht
vor dem zürnenden König ihre Ortſchaften verlaſſen und ſich in die
Berge geflüchtet; Alexander warf ſich auf ſie, dreizehntauſend Be-
waffnete wurden umzingelt und theils niedergehauen, theils zu Skla-
ven gemacht. Dies ſchnelle und ſtrenge Gericht unterwarf die Arier;
dem Perſer Arſames wurde die Satrapie anvertraut 5).


Das Land der Arier iſt bis auf den heutigen Tag eins der
wichtigſten Gebiete von Iran, es iſt das Paſſageland zwiſchen Iran
und Ariana, und wo der Ariusſtrom ſeinen Lauf plötzlich nordwärts
wendet, dort kreuzen ſich die großen Heerſtraßen aus Hyrkanien
und Parthien, aus Margiana und Baktrien, aus dem Oaſengebiet
von Sejeſtan und dem Stufenland des Kabulſtromes; eine Mace-
doniſche Kolonie, das Ariſche Alexandrien, wurde an dieſer wichtigen
Stelle gegründet, und noch heut lebt unter dem Volke von Herat
die Erinnerung an Alexander, den Gründer ihrer reichen Stadt 6).


Von hier aus hätte das Heer gerade oſtwärts auf der großen
Straße gen Ortoſpana zur großen Königsſtraße und den Eingangs-
päſſen von Baktrien marſchiren können; indeſſen lag ſüdwärts
von dieſem Wege die große Satrapie des Barſaentes, der nament-
lich bei dem Königsmorde thätig geweſen war; das Beiſpiel des
Ariſchen Satrapen war zu ſchlagend, als daß Alexander nicht auf
alle Weiſe einer Gefahr hätte vorbeugen ſollen, die um ſo größer
werden konnte, da Barſaentes faſt das ganze Arianiſche Gebiet, mit
Ausſchluß der Arier ſelbſt, inne hatte. Deshalb wandte ſich Alexan-
der, ſobald Kraterus mit den übrigen Truppen wieder zu ihm
geſtoßen war, ſüdwärts, um die einzelnen Diſtrikte dieſes damals
[286] reichen und wohlbevölkerten Landes zu unterwerfen. Barſaentes
wartete ſeine Ankunft nicht ab, ſondern flüchtete ſich über die Oſt-
grenze ſeiner Satrapie zu den Indiern, die ihn ſpäterhin ausliefer-
ten. Alexander rückte im Thale des Fluſſes von Furrah in das
Land der Zaranger oder Dranger hinein, deren Hauptſtadt Pro-
phthaſia 7) ſich ohne weitres ergab. Südwärts von den Zarangern
wohnten in den damals noch nicht verſandeten Fruchtebenen des
ſüdlichen Sejeſtans die Ariaspen oder, wie die Griechen ſie nannten,
Euergeten 8), ein friedliches, ackerbautreibendes Volk, das, ſeit ural-
ten Zeiten in dieſem „Frühlingslande“ heimiſch, jenes ſtille, fleißige
[287] und geordnete Leben führte, welches in der Lehre des großen Zerdutſch
mit ſo hohem Preiſe geſchildert wird. Alexander ehrte ihre Gaſt-
freundlichkeit auf vielfache Weiſe; es war ihm offenbar von dem
weſentlichſten Intereſſe, dies wohlhabende und oaſenartige Ländchen
in Mitten der hohen Arianiſchen Steppen ſich möglichſt geneigt zu
wiſſen; ein längerer Aufenthalt unter dieſen Stämmen, eine kleine
Erweiterung ihres Gebietes, die ſie längſt gewünſcht hatten, die
Aufrechterhaltung ihrer alten Geſetze und Verfaſſung, die denen der
gebildetſten Griechiſchen Städte in keiner Weiſe nachzuſtehen ſchienen,
endlich ein Verhältniß zum Reiche, das jedenfalls unabhängiger war
als das der andern Satrapien, das etwa waren die Mittel, mit
denen Alexander das merkwürdige Volk der Ariaspen, ohne
Kolonien unter ihnen zurückzulaſſen oder Gewaltsmaaßregeln zu
brauchen, für die neue Ordnung der Dinge gewann 9). — Nicht
minder friedlich zeigten ſich ihm die Stämme der Gedroſier, deren
Gaue er bei weiterem Marſch berührte 9a). Ihre nördlichen Nach-
barn, die Arachoſier, unterwarfen ſich; ihre Wohnſitze erſtreckten ſich
bis in die Paßgegend, welche in das Gebiet der zum Indus ſtrö-
menden Flüſſe hinüberführt; drum gab Alexander dieſe wichtige
Satrapie dem Macedonier Menon, ſtellte viertauſend Mann Fuß-
volk und ſechshundert Reuter unter ſeinen Befehl 10), und befahl
jenes Arachoſiſche Alexandrien zu gründen, das an dem Eingange
[288] der Päſſe 11) belegen und bis auf den heutigen Tag eine der blühend-
ſten Städte jener Gegend, in dem neueren Namen das Andenken
ihres Gründers bewahrt hat 12). Aus dem Arachoſiſchen Lande
rückte das Macedoniſche Heer unter vielen Beſchwerden, denn ſchon
war der Winter gekommen und bedeckte die Berggegenden mit tiefem
Schnee, in das Land der Paropamiſaden, des erſten Indiſchen
Volksſtammes, den es auf ſeinem Zuge fand 13); nordwärts von
dieſem erhebt ſich der Indiſche Kaukaſus, über den der Weg in das
Land des Beſſus führte; aber die ſtrenge, ſchneereiche Winterkälte
zwang den König zu raſten, bis die Straßen wieder auf waren.


So etwa die Märſche, mit welchen Alexander in den letzten
Monaten des Jahres 330 ſein Heer von dem Nordſaume Koraſſans
bis an den Fuß des Indiſchen Kaukaſus führte. Voll Mühſeligkeit
und arm an kriegeriſchem Ruhm ſollte dieſe Zeit durch ein Ver-
brechen eine traurige Berühmtheit erlangen; es galt nichts Geringeres,
als den König mitten in ſeinen Siegen zu ermorden, man rechnete
auf die Stimmung des Heeres, und allerdings hatten ſich mannig-
fache Verhältniſſe ergeben, in denen Erwartungen getäuſcht und
Beſorgniſſe wahr geworden ſein mochten.


Es hatte Alexander, in dem ſich zunächſt und allein die Einheit
des
[289] des ungeheuren Reiches und die Vereinigung des abend- und morgen-
ländiſchen Lebens ausprägte, durch die Gewalt der Umſtände und
im Sinne ſeines großen Planes das morgenländiſche Weſen in der
ausgedehnteſten Weiſe anzuerkennen und an ſich heranzuziehen; und
wenn ſich das Helleniſtiſche Reich Alexanders in der Form zunächſt
wenig von der Achämenidenherrſchaft unterſcheiden mochte, ſo lag
ein weſentlicher und in ſeinen Folgen unberechenbarer Unterſchied in
der neuen Kraft, welche über Aſien zu herrſchen begann; dem
unendlich beweglichen und durchbildeten Geiſte des Griechenthums
durfte die Vollendung deſſen, was die Siege der Maçedoniſchen
Waffen begonnen hatten, überlaſſen werden. Von jener Anerkenntniß
beſtehender Verhältniſſe und Vorurtheile hing für den Anfang die
Exiſtenz des neuen Reiches ab; die Perſiſchen Satrapen, an die ſich
die Völker im Lauf der Jahrhunderte gewöhnt hatten, ſofort mit
Macedoniſchen Generalen, die althergebrachten Formen der Verfaſ-
ſung gar mit neuen Inſtitutionen im Sinne der Europäiſchen Mo-
narchie vertauſchen zu wollen, wäre Wahnſinn geweſen; die Perſi-
ſchen Großen, die morgenländiſchen Sitten, der Glaube an die gött-
liche Majeſtät des Königthums, endlich ein freies Nebeneinander des
Griechiſchen und morgenländiſchen Weſens, das waren die natür-
lichen Mittel, den neuen Thron feſt zu gründen und der begonnenen
Ineinsbildung eine Zukunft zu ſichern.


Alexander ſelbſt war das große Vorbild dieſer Ineinsbildung;
er liebte es, ſie in ſeinem äußeren Leben und in ſeiner Umgebung
hervortreten zu laſſen; ſeit dem Tode des Königs Darius begann er,
Aſiaten, die zu ihm kamen, im Perſiſchen Kleide zu empfangen und
die nüchterne Mäßigkeit des Macedoniſchen Feldlagers mit dem blen-
denden Pomp des morgenländiſchen Hoflebens abwechſeln zu laſſen;
ſo gewann er die Aſiaten, ohne ſich die Macedonier zu entfremden,
die ihren König nach wie vor im Kampf voran, unermüdlich bei
Strapazen, voll Sorge und Umſicht für die Truppen, jedem Einzel-
nen gnädig und zuzänglich ſahen 14).


Anders die Macedoniſchen Großen; nicht alle begriffen wie
Hephäſtion die Abſichten und die Politik ihres Königs, oder hatten,
wie Kraterus, Hingebung und Selbſtverläugnung genug, dieſelbe
19
[290] ihrerſeits zu unterſtützen; die Mehrzahl verkannte und misbilligte
was der König that und unterließ. Während Alexander Alles ver-
ſuchte, um die Beſiegten zn gewinnen und ſie in den Macedoniern
ihre Sieger vergeſſen zu laſſen, hätten viele der Macedoniſchen
Großen in ihrem Hochmuth und ihrer Selbſtſucht lieber ein Verhältniß
gänzlicher Unterwürfigkeit zur Grundlage aller weiteren Einrichtun-
gen gemacht, und zu der despotiſchen Machtvollkommenheit der frü-
heren Satrapen noch das grauſame Gewaltrecht von Eroberern in
Anſpruch genommen; während Alexander den Kniefall der Perſiſchen
Großen und die abgöttiſche Verehrung, die ihm die Morgenländer
ſchuldig zu ſein glaubten, mit derſelben Huld empfing wie die Ehren-
geſandtſchaften der Griechen und den ſoldatiſchen Zuruf ſeiner Pha-
langen, hätten ſie ſich gern als die Gleichen ihres Königs,
alles Andere tief unter ſich im Staube der Unterwürfigkeit
geſehen; und während ſie ſich ſelbſt, ſo viel es das Kriegslager und
die Nähe ihres laut misbilligenden Königs geſtattete, der ganzen
wilden Ueppigkeit und Zügelloſigkeit des Aſiatiſchen Lebens ohne
anderen Zweck als den des verwildertſten Genuſſes hingaben, ver-
argten ſie ihrem Könige das Mediſche Kleid und den Perſi-
ſchen Hofſtaat, in dem ihn die Millionen Aſiens als ihren Gott
König erkannten und anbeteten. So waren viele der Macedoni-
ſchen Großen im böſeſten Sinne des Wortes zu Aſiaten geworden,
und der Aſiatiſche Hang zu Despotie, Kabale und Ausſchweifung
vereinigte ſich mit jenem Macedoniſchen Uebermaaß von Heftigkeit
und Selbſtgefühl, das ſie noch immer nach Ruhm begierig, im
Kampf tapfer, zu jedem Wagniß bereit machte.


Sobald Alexander morgenländiſches Weſen in ſeine Hofhal-
tung aufzunehmen begann, Perſiſche Große um ſich verſammelte,
ſie mit gleicher Huld und Freigebigkeit wie die Macedonier an ſich
zog, mit gleichem Vertrauen auszeichnete, mit wichtigen Aufträgen
ehrte, mit Satrapien belehnte, da war es natürlich, daß die Mace-
doniſchen Großen, in ihrem Stolz und ihrer Selbſtſucht gekränkt,
auf dies Aſiatiſche Weſen, das der König begünſtigte, ihren Abſcheu
wandten und dem gegenüber in ſich die Vertreter des alt und
ächt Macedoniſchen erkannten. Viele, beſonders die älteren Ge-
nerale aus Philipps Zeit, verhehlten ihre Misgunſt gegen die Per-
ſer, ihr Mistrauen gegen Alexander nicht; ſie nannten ſich zurück-
[291] geſetzt und von dem, der ihnen Alles danke, undankbar behandelt;
Jahre lang hätten ſie kämpfen müſſen, um jetzt die Frucht ihrer
Siege in die Hände der Beſiegten übergehen zu ſehen; der König,
der jetzt die Perſiſchen Großen als ihres Gleichen behandele, werde
ſie ſelbſt bald wie dieſe einſtigen Sklaven des Perſerkönigs behandeln;
Alexander vergeſſe den Macedonier, man müſſe auf ſeiner Hut ſein.
Der König kannte dieſe Stimmung vieler Generale, ſeine Mutter
ſelbſt hatte ihn wiederholentlich gewarnt, ihn beſchworen, vorſichtig
gegen die Großen zu ſein, ihm Vorwürfe gemacht, daß er zu ver-
traut und zu gnädig gegen dieſen ſtolzen Adel Macedoniens ſei, daß
er mit überreicher Freigebigkeit aus Unterthanen Könige mache, ihnen
Freunde und Anhang zu gewinnen Gelegenheit gebe, ſich ſelbſt ſei-
ner Freunde beraube 15). Alexander konnte ſich nicht verhehlen,
daß ſelbſt unter ſeiner nächſten Umgebung Viele ſeine Schritte mit
Mistrauen oder Misbilligung betrachteten; in Parmenion war er
gewohnt einen ſteten Warner zu haben; von deſſen Sohn Philotas
wußte er, daß er ſeine Einrichtungen unverhohlen gemisbilligt, ja
über ſeine Perſönlichkeit ſich auf die ſchonungsloſeſte Weiſe geäußert
habe; er hielt es dem heftigen und finſteren Sinne des ſonſt tapfe-
ren und im Dienſt unermüdlichen Generales zu Gute; tiefer
kränkte es ihn, daß ſelbſt der edle Kraterus, den er vor Allen hoch
achtete, nicht immer mit dem, was geſchah, einverſtanden war,
und daß ſogar Klitus, dem Alexander ſo Großes verdankte, ſich mehr
und mehr von ihm entfremdete. Immer deutlicher trat unter den
Macedoniſchen Generalen bei Hofe und im Kriegsrath eine Spal-
tung hervor, die, wenn auch für jetzt ohne bedeutende Folgen, doch
ſchon nicht ſelten momentane Störungen veranlaßte; diejenigen, welche
nicht im Sinne des Königs ſtimmten, wollten die Kriege beendet, das
Heer aufgelöſt, die Beute vertheilt ſehen, ſie wußten ſelbſt in dem
Heere das Verlangen nach der Heimath aufzuregen.


So ſteigerte ſich von Tage zu Tage die Misſtimmung; ſchon
wurde mit Geſchenken, mit Nachſicht und Vertrauen der König
ihrer nicht mehr Herr. Es konnte und durfte nicht lange in dieſer
Weiſe fortgehen; und wenn ſich Alexander von Kraterus, Klitus, Philo-
tas, Parmenion und den anderen Edlen auch keiner That gewärtig
19 *
[292] ſein mochte, ſo mußte er des Beiſpiels und der allgemeinen Stim-
mung im Heere wegen eine Kriſis herbeiwünſchen, die ihm die Fac-
tion offen gegenüberſtellen und ſie niederzutreten Gelegenheit geben
konnte.


Alexander raſtete im Herbſte des Jahres 330 mit ſeinem Heere
in der Hauptſtadt des Drangianerlandes; Kraterus war von dem
Baktriſchen Wege her wieder zu ihm geſtoßen; auch Könus, Per-
dikkas und Amyntas mit ihren Phalangen, auch die Macedoniſche
Ritterſchaft des Philotas und die Chiliarchien der Hypaspiſten wa-
ren um ihn; ihr Führer Nikanor, Philotas Bruder, war vor Kur-
zem geſtorben, dem Könige ein ſchmerzlicher Verluſt; durch den
Bruder hatte er ihn feierlich beſtatten laſſen. Ihr Vater Parme-
nion ſtand mit den meiſten der übrigen Truppen im fernen Medien,
die Straße nach der Heimath und die reichen Schätze des Perſer-
reiches zu hüten; im nächſten Frühling ſollte er wieder zu der
großen Armee ſtoßen. In dem Gefolge des Königs befand ſich der
Macedonier Dimnus aus Chaläſira; nicht eben vom höchſten Range,
war er doch von Alexander ſtets mit Auszeichnung behandelt worden, —
und Niemand mochte ahnen, daß gerade er auf eignen oder fremden
Antrieb des Königs Leben gefährde. Er vertraute ſeinem Liebling
Nikomachus, einem Jüngling aus der Edelſchaar des Königs: daß
er von Alexander an ſeiner Ehre gekränkt und entſchloſſen ſei, ſich
zu rächen; vornehme Perſonen ſeien mit ihm einverſtanden, allge-
mein werde eine Aenderung der Dinge gewünſcht; Alexander, Allen
verhaßt und im Wege, müſſe aus dem Wege geräumt werden; in
dreien Tagen werde er todt ſein. Der Jüngling, für Alexanders
Leben beſorgt, aber zu ſcheu, ſo Großes vor der Majeſtät ſei-
nes Königs zu enthüllen, theilt den verruchten Plan ſeinem älteren
Bruder Cebalinus mit, und beſchwört ihn, mit der Anzeige zu eilen.
Der Bruder eilt zum Schloſſe; um alles Aufſehen zu meiden, war-
tet er im Eingang, bis einer der Generale herauskömmt, dem er
die Gefahr entdecken kann. Philotas iſt der erſte, den er findet;
ihm ſagt er, was er erfahren, er macht ihn verantwortlich für die
ſchleunige Meldung und für das Leben des Königs. Philotas kehrt
zum Könige zurück, er ſpricht mit ihm von gleichgültigen Dingen,
nicht von der nahen Gefahr; auf die Fragen Cebalins, der ihn
am Abend auſſucht, antwortet er, es habe ſich nicht machen wollen,
[293] am nächſten Tage werde noch Zeit genug ſein. Doch auch am
zweiten Tage ſchweigt Philotas, obſchon mehrfach mit dem Könige
allein. Cebalin ſchöpft Verdacht; er wendet ſich an Metron, den
Schildknappen des Königs, er theilt ihm die nahe Gefahr mit, er
beſchwört ihn um eine geheime Unterredung mit dem Könige.
Metron läßt ihn in das Waffenzimmer Alexanders, ſagt dieſem
während des Bades von dem, was Cebalin ihm entdeckt, läßt dann
ihn ſelbſt hervortreten. Cebalin vervollſtändigt den Bericht, ſagt,
daß er nicht Schuld an der Verzögerung dieſer Anzeige ſei, und
daß er dieſe, bei dem auffallenden Benehmen des Philotas und der
Gefahr weiterer Verzögerung, unmittelbar an den König machen zu
müſſen geglaubt habe. Alexander hört ihn nicht ohne tiefe Erſchüt-
terung an; er befiehlt ſofort den Dimnus feſtzunehmen. Der ſieht
die Verſchwörung verrathen, ſeinen Plan vereitelt, und entleibt ſich 16).
Dann wird Philotas zum Könige beſchieden; er verſichert, die Sache
für eine Prahlerei des Dimnus und nicht der Rede werth gehalten
zu haben, er geſteht, daß Dimnus Selbſtmord ihn überraſche, der
König kenne ſeine Geſinnung. Alexander entläßt ihn ohne Zweifel
an ſeiner Treue, er ladet ihn ein, auch heute nicht bei Tafel zu feh-
len; er beruft einen geheimen Kriegsrath, und theilt das Geſchehene
mit; die Beſorgniß der treuen Freunde vermehrt des Königs Ver-
dacht eines weiteren Zuſammenhanges und ſeine Unruhe über Philotas
räthſelhaftes Benehmen; er befiehlt das ſtrengſte Stillſchweigen über
dieſe Verhandlung; er beſcheidet Hephäſtion und Kraterus, Könus und
Erigyius, Perdikkas und Leonnatus zu Mitternacht zu ſich, die wei-
teren Befehle zu empfangen. Zur Tafel verſammeln ſich die Ge-
treuen bei dem Könige, auch Philotas fehlt nicht; man trennt ſich ſpät
am Abend. Um Mitternacht kommen die Generale, von wenigen
Bewaffneten begleitet, der König läßt die Wachen im Schloß ver-
ſtärken, läßt die Thore der Stadt, namentlich die nach Ekbatana
führen, beſetzen, ſendet einzelne Commandos ab, diejenigen, die als
[294] Theilnehmer der Verſchwörung bezeichnet ſind, in der Stille feſtzu-
nehmen, ſchickt endlich den alten Atarras mit 300 Mann zu Phi-
lotas Quartier, mit dem Befehl, erſt das Haus mit einer Poſtenreihe
zu umſchließen, dann einzudringen, den General feſtzunehmen und
ins Schloß zu bringen. So vergeht die Nacht.


Am anderen Morgen wird das Heer zur Verſammlung beru-
fen 17). Niemand ahndet noch, was geſchehen; dann tritt der
König ſelbſt in den Kreis: das Heer ſei nach Macedoniſcher Sitte
zum Gericht berufen, ein hochverrätheriſcher Plan gegen ſein Leben
ſei an den Tag gekommen. Nikomachus, Cebalinus, Metron legen
Zeugniß ab, der Leichnam des Dimnus iſt die Beſtätigung ihrer
Ausſage. Dann bezeichnet der König die Häupter der Verſchwö-
rung: an Philotas ſei die erſte Anzeige gebracht, daß am dritten
Tage der Mord geſchehen ſollte, und obſchon er täglich zweimal in
das königliche Schloß komme, habe er den erſten, den zweiten Tag
kein Wort geäußert; dann zeigt er Briefe des Parmenion, in denen
der Vater ſeinen Söhnen Philotos und Nikanor rieth: ſorgt erſt
für euch, dann für die Euren, ſo werden wir erreichen, was wir
bezwecken; er fügt hinzu, daß dieſe Geſinnungen durch eine Reihe
von Thatſachen und Aeußerungen beſtätigt und Zeugniß für das
ſchnödeſte Verbrechen würden; ſchon bei König Philipps Ermordung
habe Philotas ſich für den Prätendenten Amyntas entſchieden, ſeine
Schweſter ſei Gemahlin des Attalus geweſen, der ihn ſelbſt und
ſeine Mutter Olympias lange Jahre verfolgt, ihn von der Thron-
folge zu verdrängen geſucht, ſich endlich, mit Parmenion nach Aſien
voraus geſandt, empört habe; trotz dem ſei dieſe Familie von ihm
mit jeder Art von Auszeichnung und Vertrauen geehrt worden;
ſchon in Aegypten habe er von den frechen und drohenden Aeußerungen,
die Philotas gegen die Hetäre Antigone oft wiederholt, ſehr wohl
gewußt, aber ſie ſeinem heftigen Charakter zu gut gehalten, dadurch ſei
Philotas nur noch herriſcher und hochfahrender geworden; ſeine zwei-
[295] deutige Freigebigkeit, ſeine zügelloſe Verſchwendung, ſein wahnſinni-
ger Hochmuth hätten ſelbſt den Vater beſorgt gemacht und denſelben
zu der häufigen Warnung, ſich nicht zu früh zu verrathen, veranlaßt;
längſt hätten ſie nicht mehr dem Könige treulich gedient und die
Schlacht von Gaugamela ſei faſt durch Parmenion verloren worden;
ſeit Darius Tode aber ſeien ihre verrätheriſchen Pläne gereift, und
während er fortgefahren, ihnen Alles anzuvertrauen, hätten ſie
den Tag ſeiner Ermordung beſtimmt, die Mörder gedungen,
den Umſturz alles Beſtehenden vorbereitet. Mit der tiefſten Be-
ſtürzung hatten die Macedonier dem Könige zugehört, und ſchon
ergriff Könus einen Stein, um ihn auf Philotas zu ſchleudern und
das Gericht nach Macedoniſcher Sitte zu beginnen; der König hielt
ihn zurück: erſt müſſe Philotas ſich vertheidigen; er ſelbſt verließ
die Verſammlung, um nicht durch ſeine Gegenwart das Recht der
Vertheidigung zu beeinträchtigen. Philotas läugnete die ſchweren
Beſchuldigungen des Königs, er verwies auf ſeine, ſeines Vaters, ſei-
ner Brüder treue Dienſte, er geſtand, die Anzeige des Cebalinus ver-
ſchwiegen zu haben, um nicht als nutzloſer und läſtiger Warner zu er-
ſcheinen, wie ſein Vater Parmenion in Tarſus, als er vor der Arzenei
des Akarnaniſchen Arztes gewarnt habe; aber Haß und Furcht foltere
ſtets den Despoten, und das ſei es ja, was ſie Alle beklagten.
Unter der heftigſten Aufregung entſchieden die Macedonier, daß Phi-
lotas und die übrigen Verſchworenen des Todes ſchuldig ſeien; der
König hob das Gericht bis zum folgenden Tage auf.


Noch fehlte das Geſtändniß des Philotas, das zugleich über
die Schuld ſeines Vaters und der Mitverſchworenen Licht verbreiten
mußte; der König berief einen geheimen Rath; die meiſten ver-
langten das Todesurtheil ſofort zu vollſtrecken; Hephäſtion, Kraterus
und Könus, des Verurtheilten Schwager, riethen, erſt das Geſtänd-
niß zu erzwingen; dafür entſchied ſich endlich die Stimmenmehrheit;
die drei Generale erhielten den Auftrag, bei der Folter gegenwärtig
zu ſein; unter den Martern bekannte Philotas, daß er und ſein
Vater von Alexanders Ermordung geſprochen, daß ſie dieſelben bei
Darius Lebzeiten nicht gewagt hätten, da ſie dann nicht ihnen, ſon-
dern dem Perſer genützt hätte, daß er, Philotas, mit der Vollſtrek-
kung geeilt habe, ehe ſein Vater durch den Tod, dem ſein greiſes
Leben nahe ſei, dem gemeinſchaftlichen Plane entriſſen würde, daß
[296] er dieſe Verſchwörung ohne Vorwiſſen des Vaters angeſtiſtet. Mit
dieſen Zeugniſſen trat der König am nächſten Morgen in die Ver-
ſammlung des Heeres; Philotas wurde vorgeführt und von den
Lanzen der Macedonier durchbohrt. —


Auch Parmenion war des Todes ſchuldig erkannt worden 18),
es erſchien nothwendig, das Urtheil ſo ſchnell wie möglich zu voll-
ſtrecken; denn er ſtand an der Spitze einer bedeutenden Truppen-
maſſe, die er bei ſeinem außerordentlichen Anſehn im Heere und mit
den Schätzen, die ihm zur Bewachung anvertraut waren und die ſich
auf viele Tauſend Talente beliefen, leicht zu dem Aeußerſten bringen
konnte; ſelbſt wenn er an der Verrätherei ſeines Sohnes keinen unmittel-
baren Antheil hatte, ſo war jetzt nach deſſen Hinrichtung alles Mög-
liche zu beſorgen; er ſtand in Ekbatana, 30 bis 40 Tagereiſen ent-
fernt, was konnte, wenn er ſich empörte, in dieſer Zeit geſchehen?
Alexander durfte bei ſolchen Umſtänden nicht ſein Begnadigungs-
recht üben, er durfte nicht wagen, den Feldherrn offenbar und in
Mitten der ſo leicht irre zu führenden Truppen verhaften zu laſſen;
deshalb wurde Polydamas, aus der Schaar der Getreuen, nach
Ekbatana an Sitalces, Menidas und Kleander geſandt, mit dem
ſchriftlichen Befehl des Königs, Parmenion in der Stille aus dem
Wege zu räumen. Auf ſchnellen Dromedaren, von zwei Arabern
begleitet, kam Polydamas mit der zwölften Nacht in Ekbatana an;
der Thraciſche Fürſt und die beiden Griechiſchen Hauptleute entledig-
ten ſich ſchnell ihres Auftrages 19).


[297]

In Prophthaſia gingen indeß die Unterſuchungen fort, mehrere
Hinrichtungen folgten der des Philotas; ihm waren die Söhne des
Stymphäers Andromenes ſehr befreundet geweſen; es kam dazu,
daß Polemon, der jüngſte von den Brüdern, der in den Geſchwa-
dern der Ritterſchaft ſtand, ſich, ſobald er von der Gefangennehmung
ſeines Generals Philotas gehört, in blinder Angſt auf die Flucht
begeben hatte; ſeine und ſeiner Brüder Theilnahme an der Ver-
ſchwörung ſchien ſo gut wie erwieſen; Amyntas, Simmias, Attalus,
alle drei Generale der Phalanx, wurden vorgeführt, und namentlich
gegen Amyntas mehrfache Beſchuldigungen geltend gemacht. Dieſer
vertheidigte ſich und ſeine Brüder dergeſtalt, daß die Macedonier
ihn aller Schuld freiſprachen; dann bat er um die Vergünſtigung,
ſeinen entflohenen Bruder zurückbringen zu dürfen; der König ge-
ſtattete es; er reiſte noch deſſelben Tages ab, und brachte Polemon
zurück; das und der rühmliche Tod, den er bald darauf in einem
Gefecht fand, benahmen dem Könige den letzten Verdacht gegen die
edlen Brüdern, die fortan von ihm auf mannigfache Weiſe ausge-
zeichnet wurden.


Bemerkenswerth iſt, daß bei Gelegenheit dieſer Unterſuchungen
die Sache des Lynkeſtiers Alexanders, der vier Jahre früher in
Kleinaſien einen Anſchlag auf des Königs Leben gemacht hatte, da-
mals aber auf ausdrücklichen Befehl Alexanders nur feſtgenommen
war, jetzt zur Sprache gebracht wurde; mag es wahr ſein, daß
das Heer ſeine Hinrichtung forderte, jedenfalls mußte es dem Könige
genehm ſein, einen Mann, den er mit Rückſicht auf ſeine Ver-
ſchwägerung mit dem Reichsverweſer in Macedonien bisher der ge-
rechten Strafe vorenthalten, von der öffentlichen Stimme gezwungen,
ſeinen Richtern hinzugeben. Indeß iſt es nicht unwahrſcheinlich,
daß neue Anläſſe hinzukamen, gerade jetzt ihn vor Gericht zu ſtel-
len; leider berichten unſere Quellen nichts Genaueres. Aber, wenn
der Zweck der Verſchwörung, wie Philotas eingeſtand, Alexanders
Ermordung war, ſo mußte natürlich die erſte und im Voraus
19)
[298] bedachte Frage ſein, wer nach ihm das Diadem erhalten ſollte; bei
der bekannten Anhänglichkeit der Macedonier für legitime Fürſten
konnte es Niemanden einfallen, etwa Parmenion oder ſeinen Sohn
oder einen Anderen der Generale auf den Thron zu ſetzen; dagegen
mußte der Lynkeſtier Alexander um ſo erwünſchter ſein, als durch
ihn, worauf gewiß beſonders Rückſicht zu nehmen war, Antipater,
ſein Schwiegervater, für die neue Ordnung der Dinge gewonnen
werden konnte; und es iſt in der That merkwürdig, daß Antipater,
ſobald er von den Vorgängen in Prophthaſia und Ekbatana unter-
richtet war, Schritte that, die ohne ſolchen Zuſammenhang unbe-
greiflich wären, daß er ſich namentlich ins Geheim mit den Aeto-
liern verband, die Alexander wegen Zerſtörung der ihm ergebenen
Stadt Oeniadä auf das Strengſte zu beſtrafen befohlen hatte; eine
Vorſicht, die für den Augenblick ohne weiteren Erfolg war, aber
dem Könige nicht unbekannt blieb, und der erſte Beginn eines Mis-
trauens wurde, das in der Folgezeit ſich vielfach bethätigen ſollte 20).


Auf dieſe Weiſe war das Attentat gegen des Königs Leben
mit der ſtrengſten Gerechtigkeit beſtraft worden; das Herr hatte in
ſeiner richterlichen Entſcheidung gezeigt, daß es, weit entfernt, Mis-
trauen oder Abneigung gegen Alexander zu hegen, vielmehr diejeni-
gen verabſcheute, die, unter dem Vorwande, die Macedoniſche Sitte
aufrecht erhalten zu wollen, nur ihren Ehrgeiz und ihre Habſucht
zu befriedigen gedachten; und wenn ſelbſt die Macedonier Alexanders
Mediſche Tracht früher ungern geſehen hatten, ſo war er ihnen durch
die große Gefahr, der er entronnen, durch dies ächt Macedoniſche Ge-
richt, in dem er nach alterthümlicher Weiſe als Kläger erſchien,
durch die Anhänglichkeit ſelbſt, die ſie ihm bezeugt hatten, von
Neuem zu werth geworden, als daß ſie an ſo kleinen Aeußerlich-
keiten hätten haften ſollen. Ueberhaupt iſt ſtets die Menge geneig-
ter zu bewundern, und durch Selbſtſucht weniger mistrauiſch als die
Vornehmeren; dieſe waren durch das ſtrenge Strafexempel genugſam
geſchreckt, um nicht wieder durch ihre engherzigen und eiferſüchtigen
Beſorgniſſe die Pläne des Königs zu ſtören oder in dem Wahne, die
Gleichen des Königs zu ſein, übertriebene Anſprüche zu machen; das
zu große Anſehn, das Parmenion durch ſeinen alten Ruhm, Philotas
[299] durch ſeine Stellung als Anführer der geſammten adeligen Ritter-
ſchaft neben Alexander behauptet hatten, mußte, wenn ſich das
monarchiſche Princip bedeutender entwickeln ſollte, fortan vermieden,
überhaupt die Perſon des Königs höher und gleichſam monarchiſcher
geſtellt werden. In dieſer Anſicht war es, daß weder die Stelle
Parmenions, mit dem Alexander in der Regel den Oberbefehl der
Armee theilte, noch die ſeines Sohnes Nikanor als Führer der
Hypaspiſten wieder beſetzt, und daß der Oberbefehl über die acht
Geſchwader der Ritterſchaft zwiſchen des Königs Liebling Hephäſtion
und dem ſchwarzen Klitus, dem bisherigen Anführer des erſten Ge-
ſchwaders, getheilt wurde. Ueberhaupt benutzte der König, wie es
ſcheint, die Verhältniſſe mit der größten Gewandtheit, um das, was
er früher vielleicht noch nicht hätte verſuchen dürfen, einzuführen
und namentlich der Aſiatiſchen Sitte an ſeinem Hofe mehr und
mehr Raum zu geſtatten 21). —


Während dieſer Vorfälle hatte Beſſus, der den Königsnamen
Artaxerxes angenommen, in den Turaniſchen Ländern mannigfache
Rüſtungen gemacht, um ſich dem weiteren Vordringen der Macedonier
zu widerſetzen 22). Außer den Truppen, die noch ſeit der Ermordung
des Königs um ihn waren, hatte er aus Baktrien und Sogdiana
etwa ſiebentauſend Reuter um ſich verſammelt, auch einige Tau-
ſend Daer waren zu ihm geſtoßen; mehrere Fürſten des Turaniſchen
Landes, Dataphernes und Oxyartes aus Baktrien, Spitamenes aus
Sogdiana, Catanes aus Parätacene, befanden ſich bei ihm, auch
[300] Satibarzanes hatte ſich, nachdem ſeine Empörung im Rücken Alexan-
ders misglückt war, nach Baktrien geflüchtet; ein Unfall, der für
Beſſus den großen Vortheil mit ſich zu führen ſchien, daß Alexander,
einmal von dem großen Wege nach Baktrien abgelenkt, wahrſchein-
lich die ſchwer zugänglichen Päſſe, die über den Kaukaſus nach Tu-
ran führen, meiden, und den Feldzug gegen Baktrien entweder ganz
aufgeben oder wenigſtens Zeit zu neuen und größeren Rüſtungen laſſen,
vielleicht auch einen Einfall nach dem nahen Indien machen werde,
die ſchönſte Gelegenheit, die neuunterworfenen Länder in ſeinem Rücken
zum Abfall zu reizen. Um ſeiner Sache deſto gewiſſer zu ſein, ließ
Beſſus die Gegenden am Nordabhange des Gebirges mehrere Tage-
reiſen weit verwüſten, und hoffte ſo jedes Eindringen eines feind-
lichen Heeres unmöglich zu machen; zugleich übergab er dem Sati-
barzanes, welcher auf die Anhänglichkeit ſeiner ehemaligen Unter-
thanen in Arien rechnen konnte, etwa zweitauſend Reuter, um mit
dieſen eine Diverſion im Rücken der Macedonier zu machen, die,
wenn ſie glückte, den Feind gänzlich abſchnitt. In der That fielen
die Arier bei dem Erſcheinen ihres ehemaligen Herrn ſofort ab und
ſchloſſen ſich ihm an, ja der von Alexander eingeſetzte Satrap Ar-
ſames ſelbſt ſchien die Empörung zu begünſtigen. Auch nach Par-
thien hin ſandte Beſſus einen ſeiner Getreuen, Barzanes, um dort
eine Inſurrection zu Gunſten des alten Perſerthums zu bewirken 23).


Alexander erhielt die Nachricht vom Ariſchen Aufſtande in
Arachoſien; ſofort ſandte er die Reuterei der Bundesgenoſſen, ſechs-
hundert Mann, unter ihren Führern Erigyius und Karanus, ſo wie
die Griechiſchen Söldner unter Artabazus, ſechstauſend Mann, unter
denen auch die in den Kaspiſchen Päſſen übergetretenen unter An-
dronikus waren 24), nach Aria ab, und ließ zugleich dem Satrapen
[301] in Hyrkanien und Parthien, Phrataphernes, den Befehl zukommen,
mit ſeinen Reuterſchaaren zu jenen zu ſtoßen. Zu gleicher Zeit war
das Hauptheer, mit dem ſich bereits die zwei in Ekbatana zurück-
gelaſſenen Phalangen, von Klitus geführt, ſo wie fünftauſend Griechiſche
Söldner und vierhundert Reuter 25) vereinigt hatten, aus dem Ara-
choſiſchen aufgebrochen und unter der ſtrengſten Winterkälte über die
nackten Paßhöhen, welche das Gebiet der Arachoſier von dem der
Paropamiſaden trennen, gezogen. Alexander fand dies Hochland
ſtark bevölkert, und obſchon jetzt tiefer Schnee die Felder überdeckte,
doch Vorräthe genug in den zahlreichen Dörfern, die ihn freundlich
aufnahmen 26). Die Strenge des Winters zwang ihn einige Zeit
zu raſten, da es für jetzt nicht ſeine Abſicht war, dem Lauf der
Gewäſſer oſtwärts in die wärmeren Thäler des Induslandes hinab
zu folgen, ſondern zuvörderſt der Uſurpator Beſſus, der jenſeits des
himmelhohen Hindukuhgebirges ſich ſeines Turaniſchen Königthums
zu ſicher glaubte, vernichtet werden mußte.


Aus dem Hochlande von Kabul führen ſieben Päſſe über das
Gebirge Hindukuh nach dem Stromthale des Oxus; drei von die-
ſen führen an den Quellflüſſen des Pundſchir aufwärts und am
weiteſten öſtlich über den Kamm der Gebirge, dieſe und noch mehr
die drei nächſten, welche zu den Quellen des Surkab und Anderab
hinabführen, ſind vier bis fünf Monate hindurch vom Schnee ſo
bedeckt, daß man ſie nicht paſſiren kann; man muß dann den weſt-
lichſten Paß, den von Dundan Shikan, einſchlagen, auf dem man mit
etwa ſechzig Meilen von Kabul nach Balk gelangt; dieſer Weg führt
durch mehrere Bergketten dieſſeits und jenſeits des Hauptgebirges,
und die Thäler zwiſchen denſelben ſind an Quellen, an Weide und
Heerden reich, von friedlichen Hirtenſtämmen bewohnt 27). Alexander
24)
[302] wartete nur die ſtrengſte Winterkälte ab, um auf dieſem Wege nach
Baktrien hinüberzueilen; er benutzte die Raſtzeit, um an dem Nord-
ſaume der Hochebene, von wo die verſchiedenen Wege zu den Päſſen
des Hochgebirges führen, die Stadt „Alexandria am Kaukaſus“ zu
gründen; er gab ihr eine Beſatzung von ſiebentauſend Macedoniern,
er erlaubte den Dienſtunfähigen, ſich hier anzuſiedeln 28), er beſtellte
den Perſer Proexes zum Satrapen, und übergab dem Niloxenus aus der
27)
[303] Zahl der Getreuen die Feldhauptmannſchaft dieſes wichtigen Landes.
Sobald nun die Tage der ſtrengſten Kälte vorüber waren, brach
Alexander, nach feierlichen Opfern und Wettkämpfen in Helleniſcher
Weiſe, aus der Winterraſt auf, um das erſte Beiſpiel eines Gebirgs-
überganges zu geben, mit deſſen ſtaunenswürdiger Kühnheit nur
die ähnlichen Wagniſſe Hannibals und Napoleons zu wetteifern ver-
mögen. Die Verhältniſſe, unter denen Alexander den Marſch unter-
nehmen mußte, erſchwerten denſelben bedeutend; noch war das Ge-
birge mit Schnee bedeckt, die Luft kalt, die Wege beſchwerlich; zwar
fand man zahlreiche Dorfſchaften und die Einwohner friedlich und
bereitwillig zu geben, was ſie hatten, aber ſie hatten nichts als ihre
Heerden; die Berge, ohne Waldung und nur hie und da mit Ter-
penthinbüſchen bewachſen, boten keine Feuerung dar; ohne Brot und
ungekocht wurde das Fleiſch genoſſen, nur gewürzt mit dem Sil-
phion, das in den Bergen wächſt. So zog man vierzehn Tage lang
über Bergſtraßen; je näher man den Nordabhängen kam, deſto
drückender wurde der Mangel, man fand die Gegenden verwüſtet
und verödet, die Ortſchaften niedergebrannt, die Heerden fortgetrie-
ben; man war genöthigt ſich von Wurzeln zu nähren und das Zug-
vieh der Bagage zu ſchlachten. So von Allem entblößt, von der
Witterung und dem Hunger gequält, mit Verluſt der meiſten Pferde
und Kameele, im traurigſten Aufzuge, erreichte das Heer endlich am
funfzehnten Tage die erſte Baktriſche Stadt Drapſaka oder
Adrapſa 29).


[304]

Hier ließ Alexander raſten, rückte dann durch die letzte Paß-
gegend, welche die nördlichſten Vorberge bilden, nach Aornos hinein
und von dort über die ſchönen Fruchtebenen Baktriens nach Bak-
tra, der Hauptſtadt des Landes, ohne irgend wo Widerſtand zu
finden. Denn Beſſus, ſo lange die Feinde noch fern waren, voll
Zuverſicht und in dem Wahne, daß die Gebirge und die Verwüſtun-
gen an ihrer Nordſeite das Turaniſche Land ſchützen würden, hatte
nicht ſobald von dem Anrücken Alexanders gehört, als er auch eilends
aus Baktra aufbrach, über den Oxus floh, und, nachdem er die
Fahrzeuge, die ihn über den Strom geſetzt, verbrannt hatte, ſich
mit ſeinem Heere nach Nautaka im Sogdianerlande zurückzog;
denn noch hatte er einige Tauſend Sogdianer unter Spitamenes
und Oxyartes bei ſich, die Baktriſchen Reuter dagegen hatten ſich,
ſobald ſie ſahen, daß ihr Land Preis gegeben wurde, von Beſſus
getrennt und in ihre Dörfer zerſtreut, ſo daß Alexander mit leichter
Mühe alles Land dieſſeits des Oxus unterwarf. Zu gleicher Zeit
kam Artabazus und Erigyius aus der Ariſchen Satrapie zurück,
Satibarzanes war nach kurzem Kampfe beſiegt, der tapfere Erigyius
hatte ihn mit eigner Hand getödtet; die Arier hatten die Waffen
ſofort geſtreckt und ſich unterworfen. Alexander ſandte den Mace-
donier Staſanor in jene Gegenden, mit dem Befehl, den bisherigen
Satrapen Arſames, der bei dem Aufſtande eine zweideutige Rolle
geſpielt hatte, zu verhaften, und ſtatt ſeiner die Statthalterſchaft zu
übernehmen. Die reiche Baktriſche Satrapie erhielt der greiſe Arta-
bazus; Aornos, am Nordeingange der Päſſe, wurde zum Waffenplatz
auserſehen 30), die Veteranen, die zum Dienſt untauglich waren,
und die Theſſaliſchen Freiwilligen, deren Zeit um war, reich beſchenkt
in die Heimath entlaſſen 31).


So

[305]

So war mit dem Fruͤhlinge des Jahres 329 alles bereit, die
Unterwerfung des Transoxianiſchen Landes zu beginnen. Die ei-
genthuͤmlichen Verhaͤltniſſe deſſelben haͤtten, gehoͤrig benutzt, einen
langen und vielleicht gluͤcklichen Widerſtand moͤglich gemacht; das
ſchoͤne, reichbevoͤlkerte Thalland von Marakanda, im Weſten durch
weite Wuͤſten, im Oſten durch Gebirge mit hoͤchſt ſchwierigen Paß-
gegenden geſchuͤtzt, war nicht bloß leicht gegen jeden Angriff zu
vertheidigen, ſondern uͤberdieß zu ſteter Beunruhigung Ariens, Par-
thiens und Hyrkaniens guͤnſtig gelegen; leicht konnten bedeutende
Kriegsheere aus dem tapferen Volke der Sogdianer zuſammenge-
bracht werden; die Daiſchen und Maſſagetiſchen Schwaͤrme in den
weſtlichen Wuͤſten, die Scythiſchen Horden jenſeit des Jaxartes
waren ſtets zu Raubzuͤgen geneigt; ſelbſt Indiſche Fuͤrſten hatten
ſich bereit erklaͤrt, an einem Kriege gegen Alexander Antheil zu neh-
men. Im Falle, daß die Macedonier ſiegten, boten die Wuͤſten im
Weſten, die Felsburgen des obern Landes ſichere Zuflucht und Aus-
gangspunkte zu neuen Unternehmungen; es kam dazu, daß die vor-
herrſchende Bevoͤlkerung von Sogdiana, gleich weit entfernt von
der Rohheit der Iraniſchen Gebirgsvoͤlker wie von der Verweich-
lichung Babylons und Syriens, einen eigenthuͤmlichen Sinn der
Unabhaͤngigkeit und Kuͤhnheit bewahrt hatte, der ſelbſt einem Feinde
wie Alexander war, nach wiederholentlichen Siegen noch gefaͤhrlich
werden konnte. Deſto wichtiger war es fuͤr Alexander, ſich der
Perſon des Beſſus zu bemaͤchtigen, bevor ſeine Uſurpation des koͤ-
niglichen Namens zur Loſung eines allgemeinen Aufſtandes wurde.
Er brach aus Baktra auf, um Beſſus uͤber den Oxus hin zu ver-
folgen. Nach einem ſehr muͤhſeligen Marſche uͤber die Einoͤde,
die das Fruchtgebiet um Baktra von dem Strome trennt 32), er-
reichte das Heer das Ufer des maͤchtigen und reißenden Stromes.
Nirgend waren Kaͤhne zum Ueberſetzen; Beſſus hatte ſie auf ſei-
20
[306] ner Flucht verbrannt; hindurchzuſchwimmen oder hindurchzuwaten
war bei der Breite und Tiefe des Stromes unmoͤglich; eine Bruͤcke
zu ſchlagen zu zeitraubend, da man weder Holzung genug in der
Naͤhe hatte, noch das weiche Sandbette und der heftige Strom des
Fluſſes das Einrammen von Pfaͤhlen leicht haͤtte bewerkſtelligen laſſen.
Alexander griff zu demſelben Mittel, deſſen er ſich an der Donau
mit ſo gutem Erfolg bedient hatte; er ließ die Felle, unter denen
die Truppen zelteten, mit Stroh fuͤllen und feſt zunaͤhen, dann zu-
ſammenbinden, pontonartig ins Waſſer legen, mit Balken und Bret-
tern uͤberdecken und ſo eine fliegende Bruͤcke zu Stande bringen,
uͤber welche das geſammte Heer in Zeit von fuͤnf Tagen den Strom
paſſirte 33). Ohne Aufenthalt ruͤckte Alexander auf der Straße
von Nautaka vor; ſein Weg fuͤhrte ihn an einer von Griechen be-
wohnten Ortſchaft voruͤber; es waren die Nachkommen jener Bran-
chiden, die vor 150 Jahren dem Koͤnig Xerxes den Tempelſchatz
von Milet verrathen hatten, und dann nach der Salaminiſchen Nie-
derlage, vor den erbitterten Mileſiern in Furcht, gefluͤchtet waren,
worauf ſie Xerxes in dieſen fernen Gegenden angeſiedelt hatte; in
ihrer Sitte und Sprache ſchon halb Barbaren, ſchienen ſie um ſo
weniger Verzeihung fuͤr das Verbrechen ihrer Vaͤter zu verdienen,
da ſie nicht einmal jetzt dem Intereſſe des Macedoniſchen Siegers
dienen zu wollen ſchienen; Alexander, ſo heißt es, ſtrafte die Nach-
[307] kommen der Tempelraͤuber und Landesverraͤther mit der Zerſtoͤrung
ihrer Stadt und ihrer Heiligthuͤmer; gewiß iſt, daß irgend ein tie-
ferer Grund den vorſichtigen Koͤnig zu dieſem Gericht veranlaßt
hat 34).


Waͤhrend dieſer Zeit hatte das Schickſal des Koͤnigs Artaxer-
xes Beſſus eine Wendung genommen, wie ſie ſeines Verbrechens
und ſeiner elenden Ohnmacht wuͤrdig war; in ſteter Flucht vor Ale-
xander, jedes Wollens und Handelns unfaͤhig, ſchien er den Gro-
ßen in ſeiner Umgebung ihre letzte Hoffnung zu vereiteln und zu
verrathen; es kam dazu, daß ſelbſt in ſolcher Erniedrigung der
Name der Macht noch lockt; und gegen den Koͤnigsmoͤrder ward
Unrecht fuͤr erlaubt gehalten. Der Sogdianer Spitamenes, von dem
Anruͤcken des feindlichen Heeres unterrichtet, hielt es an der Zeit,
durch eine That gegen Beſſus ſich Alexanders Gunſt zu erwerben;
er theilte den Fuͤrſten Dataphernes, Katanes, Oxyartes ſeinen Plan
mit, ſie verſtaͤndigten ſich bald, ſie griffen den Koͤnig Artaxerxes
und legten ihn in Ketten, ſie meldeten es an Alexander: er moͤge
ihnen eine kleine Heeresabtheilung ſchicken, ſo wollten ſie den Koͤ-
nigsmoͤrder Beſſus ausliefern zur gerechten Strafe. Auf dieſe
Nachricht gewaͤhrte Alexander ſeinen Truppen einige Ruhe, und
ſandte, waͤhrend er ſelbſt in kleineren Tagemaͤrſchen nachruͤckte, den
Lagiden Ptolemaͤus mit den Geſchwadern der Ritterſchaft und der
berittenen Schuͤtzen, mit einer Phalanx, einer Chiliarchie der Hypas-
piſten, den Agrianern und einem Theil der Bogenſchuͤtzen, im Gan-
zen etwa fuͤnf bis ſechstauſend Mann voraus, die hinreichend ſchie-
nen, ſelbſt wenn das Barbarenheer ſich der Auslieferung des Beſ-
ſus widerſetzen ſollte, dieſelbe zu bewerkſtelligen. In vier Tagen
legte dieſes Corps einen Weg von zehn Tagereiſen zuruͤck und er-
20 *
[308] reichte die Stelle, wo Tages zuvor Spitamenes mit ſeinen Leuten
geſtanden hatte. Hier erfuhr man, wie Ptolemaͤus ſelbſt in ſeinen
Denkwuͤrdigkeiten erzaͤhlte 35), daß Spitamenes und Dataphernes
in Beziehung auf Beſſus Auslieferung nicht ſicher waren; deshalb
befahl der General dem Fußvolk langſam nachzuruͤcken, waͤhrend er
ſelbſt an der Spitze der Reuterei eiligſt weiterzog und bald vor den
Mauern eines Fleckens ſtand, in dem ſich Beſſus, von Spitamenes
und den anderen Verſchworenen verlaſſen, mit dem kleinen Reſt ſei-
ner Truppen befand; ihn mit eigner Hand auszuliefern hatten ſich
die Fuͤrſten geſchaͤmt. Ptolemaͤus ließ nun den Flecken umzingeln,
und die Einwohner durch einen Herold auffordern, ſie moͤchten den
Beſſus ausliefern, ſo werde er ihrer ſchonen. Man oͤffnete die
Thore, die Macedonier ruͤckten ein, nahmen den Beſſus feſt, und
zogen in geſchloſſenen Colonnen zuruͤck, mit ihrer Beute zu Alexan-
der zu ſtoßen; doch ließ Ptolemaͤus vorher anfragen, wie Alexander
befehle, daß der gefangene Koͤnigsmoͤrder vor ihm erſcheinen ſolle,
[Alexander] befahl, ihn nackt, ins Halseiſen gebunden vorzufuͤhren,
und ihn rechts an dem Wege, wo er mit dem Heere voruͤberzie-
hen wuͤrde, aufzuſtellen. So geſchah es; und als nun Alexander ihm
gegenuͤber war und ſeiner anſichtig wurde, ließ er ſeinen Wagen
halten und fragte ihn: warum er Darius, ſeinen Koͤnig und
Herrn, ſeinen Verwandten und Wohlthaͤter feſtgenommen, gefan-
gen fortgeſchleppt, endlich ermordet habe? Beſſus antwortete: er
habe dies nicht auf ſeine Entſcheidung allein gethan, ſondern in
Uebereinſtimmung mit Allen, die damals um Darius Perſon gewe-
ſen ſeien, in der Hoffnung ſich vor Alexander zu retten. Darauf
ließ ihn der Koͤnig geißeln und durch einen Herold bekannt machen,
was er mit dem Koͤnigsmoͤrder geſprochen; Macedonier und Bar-
baren prieſen ihres Koͤnigs Gerechtigkeit und edlen Sinn. Beſſus
aber ward dem Bruder des ermordeten Koͤnigs, dem Oxathres uͤber-
geben und in Ketten nach Baktra abgefuͤhrt, um zu ſeiner Zeit ge-
richtet zu werden.


Etwas abweichend von Ptolemaͤus erzaͤhlt Ariſtobulus, daß
[309] Spitamenes und Dataphernes ſelbſt den Beſſus an Alexander uͤber-
geben haͤtten; wenn auch der Bericht des zu dieſer Execution com-
mandirten Generals glaubwuͤrdiger iſt, ſo kann man doch aus der
anderen Angabe ſo viel abnehmen, daß ſich Spitamenes, Datapher-
nes und Katanes bald bei Alexander einfanden und, wie es ſcheint,
im Beſitz ihrer Landſchaften unter des Koͤnigs Oberhoheit beſtaͤtigt
wurden. Denn Alexander ruͤckte zwar von Nautaka nach Mara-
kanda, der großen Hauptſtadt Sogdianas, hinab 36), und ließ auch
eine Beſatzung in der Stadt zuruͤck; aber von einem Satrapen, dem
er dies wichtige Land uͤbergeben haͤtte, oder von anderen Maaßregeln
der Unterwerfung wird nichts erwaͤhnt; das Einzige, was fuͤr jetzt
von den Sogdianern verlangt wurde, war, daß ſie die Macedoni-
ſche Reiterei, die im Paropamiſus und auf der Steppe von Baktra
viele Pferde eingebuͤßt hatte, wieder vollſtaͤndig beritten machten 37).


Alexander zog weiter nordoſtwaͤrts, die Ufer des Tanais, den
die Bewohner Jaxartes „den großen Strom“ nennen, zu erreichen.
Die Heerſtraße von Marakanda nach Cyropolis, der letzten Stadt
des Reiches, bei den Suͤdufern des Tanais, fuͤhrt durch die Paͤſſe
der von raͤuberiſchen Staͤmmen bewohnten Oxiſchen Berge, durch
die Landſchaft von Uratippa. Hier war es, wo einige Schaaren
Macedonier, beim Fouragiren in den Bergen verirrt, von den Bar-
baren uͤberfallen und niedergemacht oder gefangen wurden; ſofort
ruͤckte Alexander mit den leichteren Truppen gegen ſie aus; ſie hat-
[310] ten ſich, an drei tauſend Bewaffnete, auf ihre ſteilen und mit Burgen
beſetzten Berge zuruͤckgezogen, von denen aus ſie die heftigen und wie-
derholten Angriffe der Macedonier mit Schleudern und Pfeilen
zuruͤckſchlugen; unter den vielen Verwundeten war Alexander ſelbſt,
dem durch einen Pfeilſchuß das Schienbein zerſchmettert wurde;
dadurch zu neuer Wuth entflammt, nahmen die Seinigen endlich
die Hoͤhe; der groͤßte Theil der Barbaren wurde niedergehauen,
andere ſtuͤrzten ſich von den Felſen hinab und zerſchmetterten in den
Abgruͤnden, nicht mehr als acht tauſend blieben am Leben, ſich dem
Koͤnige zu unterwerfen 38).


[311]

Alexander zog dann aus dieſen Berggegenden nordwaͤrts, ohne
den geringſten Widerſtand zu finden. Der eigenthuͤmliche Charakter
dieſer Landſchaft hat ſie zu allen Zeiten zu einer wichtigen Voͤlker-
graͤnze und zur Vormauer orientaliſcher Kultur gegen die Horden
der Turaniſchen Steppenlaͤnder gemacht. Im Suͤden und Oſten
durch maͤchtige unwegſame Gebirge, im Norden durch den Strom
und die Bergzuͤge, die ihm ihre wilden Gebirgswaſſer zuſenden,
geſchuͤtzt, iſt ſie nur von Weſten und Norden her fremden Ein-
faͤllen offen; und allerdings lauern dort in dem weiten Steppenlande,
das ſich auf beiden Seiten des unteren Jaxartes ausdehnt, un-
zaͤhlige Horden ſtreitbarer Voͤlkerſchaften, welchen das Alterthum
den gemeinſchaftlichen Namen der Seythen zu geben pflegt; es ſind
das die Turanier der alten Parſenlehre, gegen deren Invaſionen
gewiß fruͤhzeitig jene merkwuͤrdige Reihe von Grenzburgen errich-
tet worden iſt, die unter anderen und anderen Voͤlkerverhaͤltniſſen ihre
Wichtigkeit bis in die neuere Zeit behauptet haben. Alexander fand
ſieben Staͤdte dieſer Art vor, die, wenige Meilen von einander ent-
fernt, den Rand der Steppengegend begleiten; die bedeutendſte un-
ter ihnen war die Stadt des Cyrus, die, groͤßer und ſtaͤrker befe-
ſtigt als die uͤbrigen, als Hauptfeſte der Landſchaft galt 39). Ale-
[312] xander ließ in alle dieſe Plaͤtze Macedoniſche Beſatzungen einruͤcken,
waͤhrend er ſelbſt mit der Armee einige Stunden nordoſtwaͤrts an
der Stelle lagerte, wo der Tanais mit allmaͤhliger Wendung gen
Norden die letzten Stromengen bildet, um ſich fortan durch die
Sandſteppen weiter zu wuͤhlen. Alexander erkannte die Wichtig-
keit dieſer Localitaͤt, einer der merkwuͤrdigſten Voͤlkerſcheiden des
inneren Aſiens, der natuͤrlichen Grenzfeſte gegen die Raͤuberhorden
der Wuͤſte; von hier aus war es leicht, den Einfaͤllen der Scythen
im Norden und Weſten zu begegnen; fuͤr einen Feldzug in ihr Ge-
biet bot ſie den gelegenſten Ausgangspunkt 40); Alexander hoffte, daß
ſie nicht minder wichtig fuͤr den friedlichen Verkehr der Voͤlker werden
muͤßte; und wenn, was kaum zu bezweifeln, ſchon in jener Zeit Han-
delsverbindungen des Tieflandes mit dem Inneren Hochaſiens beſtan-
den, ſo fuͤhrte aus dem Lande der Serer die einzige Gebirgsſtraße von
Kaſchgar uͤber Uſch unmittelbar zu dieſer Stelle hin, die zu einem
Markte der umwohnenden Voͤlker uͤberaus guͤnſtig gelegen war 41).


Und in der That ſchienen ſich die Verhaͤltniſſe mit den Scy-
39)
[313] thiſchen Nachbarn freundlich geſtalten zu wollen; von dem merkwuͤr-
digen Volke der Abier 42), ſo wie von den ſogenannten Europaͤi-
ſchen Scythen 43), kamen Geſandſchaften an den Koͤnig, mit ihm
Buͤndniß und Freundſchaft zu ſchließen; Alexander ließ mit den
Scythen einige ſeiner Vertrauten zuruͤckreiſen, angeblich, um durch
ſeine Geſandten Freundſchaft mit ihrem Koͤnige zu ſchließen, in der
That aber, um uͤber das Land der Scythen, uͤber die Bevoͤlkerung
des Landes, uͤber die Lebensweiſe, die koͤrperliche Beſchaffenheit und
das Waffenthum der Scythen ſichere Nachricht zu erhalten. 44)


[314]

Indeß waren im Ruͤcken Alexanders Bewegungen ausgebro-
chen, welche mit außerordentlicher Gewalt um ſich griffen und das
Macedoniſche Heer mit den drohendſten Gefahren umgaben. Der
Haß gegen den erobernden Fremdling vereint mit dem wildbewegli-
chen Sinn, der zu allen Zeiten die herrſchende Klaſſe der Turani-
ſchen Bevoͤlkerung ausgezeichnet hat, bedurfte nur eines Anlaſſes,
um ploͤtzlich in die heftigſte Empoͤrung auszubrechen; und der Fuͤrſt
Spitamenes, der ſich in ſeinen hochfahrenden Hoffnungen getaͤuſcht
haben mochte, eilte dieſe Stimmung, das Vertrauen, das ihm Ale-
xander geſchenkt, und deſſen Entfernung zu benutzen. Er wußte unter
ſeinen ſieben tauſend Reutern, die an dem Verrath gegen Beſſus Theil
gehabt hatten, das Geruͤcht zu verbreiten, daß Alexander im Sinn
habe, ſie alle aus dem Wege zu raͤumen; zur wildeſten Wuth ent-
flammt bildeten ſie den Kern eines allgemeinen Aufſtandes, dem
die kleine Beſatzung der Macedonier in Marakanda erliegen zu
muͤſſen ſchien. Es kam dazu, daß die Maſſageten, die Daer, die
Saker in der Wuͤſte, alte Kampfgenoſſen des Spitamenes und durch
die Macedonier nicht minder bedroht, durch die Vorſpiegelung von
Mord und Pluͤnderung leicht zur Theilnahme gereizt wurden, und
daß Baktrien gemeinſchaftliche Sache mit den Sogdianern zu ma-
chen eilte; die Zuſammenkunft 44b) der Baktriſchen Haͤuptlinge nach
Zariaspa, ſo hieß es, die Alexander fuͤr den naͤchſten Winter ange-
ſetzt hatte, ſei beſtimmt, die Fuͤhrer des Volks mit einem Schlage
uͤber Seite zu ſchaffen; man muͤſſe der Gefahr vorbeugen, und ſich
ſichern, ehe es zum Aeußerſten komme. Oxyartes, Katanes, Chorienes,
44)
[315] Hauſtanes und viele andere Baktriſche Fuͤrſten, mit ihnen der groͤ-
ßere Theil der herrſchenden Bevoͤlkerung, warteten nur auf das
Zeichen zum Aufſtande. Und kaum war dieß Zeichen durch die Er-
mordung der Macedoniſchen Beſatzungen in den ſieben Grenzfeſten ge-
geben, ſo loderten im weiten Bereich des Transoxianiſchen Landes
die wildeſten Flammen des Aufruhrs empor. Die Kunde von dieſen
Vorgaͤngen verbreitete ſich ſchnell uͤber den Jaxartes in die Step-
pen der Aſiatiſchen Scythen; voll Mordluſt und Raubgier draͤng-
ten ſich die Horden an die Ufer des Stromes, um ſogleich bei dem
erſten Erfolge, den die Sogdianer erringen wuͤrden, mit ihren Pfer-
den den Strom zu durchſchwimmen und uͤber die Macedonier her-
zufallen. So war Alexander ploͤtzlich in einem furchtbaren Netze
von Gefahren; der geringſte Unfall oder Verzug mußte ihm und
ſeinem Heere den graͤßlichſten Untergang bereiten; es bedurfte der
ganzen Kuͤhnheit und Geiſtesgroͤße eines Helden, um ſchnell und
ſicher den Weg der Rettung zu finden.


Alexander ruͤckte eiligſt gen Gaza, der naͤchſten der ſieben Fe-
ſten, indem er Kraterus gegen Cyropolis, wohin ſich die meiſten
Barbaren der Umgegend geworfen hatten, voraus ſandte mit dem
Befehl, die Stadt mit Wall und Graben einzuſchließen und Ma-
ſchinen bauen zu laſſen. Vor Gaza angekommen, ließ er ſofort
gegen die nicht hohen Erdwaͤlle der Stadt den Angriff beginnen;
waͤhrend Schleuderer, Schuͤtzen und Maſchinen durch einen Hagel
von Geſchoſſen die Waͤlle beſtrichen und rein fegten, war das ſchwere
Fußvolk von allen Seiten her zugleich zum Sturm herangeruͤckt,
hatte die Leitern angelegt, die Mauern erſtiegen, und in Kurzem
waren die Macedonier Herren der Stadt; auf Alexanders ausdruͤck-
lichen Befehl mußten alle Maͤnner uͤber die Klinge ſpringen; Wei-
ber, Kinder und alle ſonſtigen Habſeligkeiten wurden den Soldaten
Preis gegeben, die Stadt in Brand geſteckt. Noch an demſelben
Tage wurde die zweite Feſte angegriffen und auf die gleiche Weiſe
erſtuͤrmt; die Einwohner traf daſſelbe Schickſal. Am naͤchſten Mor-
gen ſtanden die Phalangen vor der dritten Stadt, auch ſie fiel bei dem
erſten Sturm. Die Barbaren der zwei naͤchſten Feſten ſahen die Rauch-
ſaͤule der eroberten Stadt emporſteigen; Einige, aus derſelben entron-
nen, brachten die Nachricht von dem fuͤrchterlichen Ende der Stadt;
auf dieſe Nachricht hielten die Barbaren in beiden Staͤdten Alles fuͤr
[316] verloren, in hellen Haufen ſtuͤrzten ſie aus den Thoren, in die
Berge zu fluͤchten. Alexander hatte dieß ahnend bereits in der Nacht
ſeine Reuterei vorausgeſandt, mit dem Befehl, die Wege um beide
Staͤdte genau zu beobachten; ſo rannten die fliehenden Barbaren
den dichtgeſchloſſenen Schwadronen der Macedonier in die Klinge
und wurden meiſt niedergemacht, ihre Staͤdte genommen und nie-
dergebrannt 45).


Nachdem ſo in zwei Tagen die fuͤnf naͤchſten Feſten bewaͤltigt
waren, wandte ſich Alexander gegen Cyropolis, vor der bereits Kra-
terus mit einigen Truppen angekommen war. Dieſe Stadt, groͤ-
ßer als die uͤbrigen, mit ſicheren und ſtaͤrkeren Mauern und im
Innern mit einer Burg verſehen, war von ungefaͤhr funfzehn tauſend
Mann vertheidigt, unter denen die ſtreitbarſten Barbaren der Umgegend.
Alexander ließ ſofort das Sturmzeug auffahren und gegen die Man-
ern zu arbeiten beginnen, um moͤglichſt bald eine Breſche zum An-
griff zu gewinnen. Waͤhrend die Aufmerkſamkeit der Belagerten
auf die ſo bedrohten Punkte gerichtet war, bemerkte Alexander,
daß der Fluß, der durch die Stadt herab kam, ausgetrocknet, wie
er war, durch die Luͤcke, die ſich dort in der Mauer befand, einen
Weg darbiete in die Stadt hineinzuſchleichen. Er ließ jetzt Hyp-
aspiſten, Agrianer und Schuͤtzen auf das naͤchſtgelegene Thor les-
ruͤcken, waͤhrend er ſelbſt mit wenigen Anderen durch das Flußbette
unbemerkt in die Stadt hineinſchlich, zu dem naͤchſten Thore eilte,
es erbrach, und die Seinigen einruͤcken ließ. Die Barbaren, ob-
ſchon ſie Alles verloren ſahen, warfen ſich mit der wildeſten Wuth
auf Alexander; ein blutiges Gemetzel begann, Alexander, Kraterus,
viele der Officiere wurden verwundet, deſto heftiger drangen die
Macedonier vor; waͤhrend ſie den Markt der Stadt eroberten, wa-
ren auch die Mauern erſtiegen, die Barbaren, von allen Seiten um-
ringt, warfen ſich in die Burg; ſie hatten an acht tauſend Todte
verloren. Sofort ſchloß Alexander die Burg ein; es bedurfte nicht
weiterer Anſtrengungen, Waſſermangel noͤthigte ſie zur Uebergabe.


Nach dem Falle dieſer Stadt war von der ſiebenten und letzten
Feſte kein langer Widerſtand zu erwarten; und nach dem Berichte
des Ptolemaͤus ergab ſie ſich, ohne einen Angriff abzuwarten, auf
[317] Gnade und Ungnade; nach anderen Nachrichten wurde auch ſie mit
Sturm genommen und die Bevoͤlkerung niedergemacht 46). Wie
dem auch ſei, [Alexander] mußte gegen die aufruͤhreriſchen Barbaren
dieſer Gegend um ſo ſtrenger verfahren, je wichtiger ihr Gebiet
war, er mußte ſich um jeden Preis in vollkommen ſicheren Beſitz
dieſer Paßgegend zu ſetzen ſuchen, ohne welche an die Behauptung
des Sogdiſchen Landes nicht zu denken war; mit dem Blute vieler
Tauſende, mit der Aufloͤſung aller alten Verhaͤltniſſe mußte die
Einfuͤhrung des Neuen, das Transoxiana fuͤr Jahrhunderte umge-
ſtalten ſollte, beginnen.


Durch die Unterwerfung der ſieben Staͤdte, aus denen die
Reſte der Bevoͤlkerung zum Theil in Feſſeln mitgeſchleppt wurden,
um in der neuen Stadt Alexandria am Tanais angeſiedelt zu wer-
den, hatte ſich Alexander den freien Ruͤckweg nach Sogdiana er-
kaͤmpft, und allerdings war es die hoͤchſte Zeit, daß die in Mara-
kanda zuruͤckgelaſſene und von Spitamenes belagerte Beſatzung Huͤlfe
erhielt. Zugleich aber ſtanden die Scythiſchen Horden, durch die Em-
poͤrung der ſieben Staͤdte gelockt, an den Nordufern des Stromes
bereit, uͤber die Macedonier herzufallen; wollte Alexander nicht alle
am Tanais errungenen Vortheile und eine Zukunft neuen Ruhmes
und neuer Macht aufgeben, ſo mußte er die am Strome genom-
mene Poſition auf das Vollſtaͤndigſte befeſtigen, und den Scythen
ein fuͤr Allemal die Luſt zu Invaſionen verleiden, bevor er nach
Sogdiana zuruͤckkehrte; vorlaͤufig ſchien es genug, wenn einige tau-
ſend Mann zum Entſatz von Marakanda geſchickt wurden. So wurden
demnach in einem Zeitraume von etwa zwanzig Tagen die Werke
der neuen Stadt, die gegen dreiviertel Meilen Umfang hatten, vollendet,
[318] und fuͤr die erſten Anſiedler die nothwendigen Wohnungen errich-
tet; Macedoniſche Veteranen, ein Theil der Griechiſchen Soͤldner,
uͤberdieß aus den Barbaren der Umgegend wer da wollte, und die
aus den zerſtoͤrten Feſtungen fortgefuͤhrten Familien bildeten die erſte
Bevoͤlkerung dieſer Stadt, welcher der Koͤnig unter den gebraͤuch-
lichen Opfern, Wettkaͤmpfen und Feſtlichkeiten den Namen Alexan-
dria gab 47).


Indeſſen lagerten die Scythiſchen Horden noch immer am jen-
ſeitigen Ufer des Fluſſes, ſie ſchoſſen wie zum Kampf herausfor-
dernd Pfeile hinuͤber, ſie prahlten und laͤrmten, die Fremdlinge
wuͤrden wohl nicht wagen, mit Scythen zu kaͤmpfen, wagten ſie es,
ſo ſollten ſie inne werden, welch ein Unterſchied zwiſchen den Soͤhnen
der Wuͤſte und den Perſiſchen Weichlingen ſei. Alexander beſchloß
uͤber den Strom zu gehen und ſie anzugreifen; aber die Opfer ga-
ben ihm keine guͤnſtigen Zeichen; es mochte dazu kommen, daß er
von der Wunde, die er bei der Einnahme von Cyropolis empfan-
gen, noch nicht ſo weit wiederhergeſtellt war, um perſoͤnlich an dem
Ueberfall Antheil nehmen zu koͤnnen. Als aber die Scythen mit
ihrem Prahlen immer frecher wurden, und zu gleicher Zeit aus
Sogdiana die bedrohlichſten Nachrichten einliefen, da ließ der Koͤ-
nig ſeinen Zeichendeuter Ariſtander zum zweiten Male opfern und
den Willen der Goͤtter erforſchen; und wieder verkuͤndeten die
Opfer nichts Gutes, ſie bezeichneten perſoͤnliche Gefahr fuͤr den
Koͤnig; da befahl Alexander mit den Worten, daß er ſich ſelbſt lie-
ber der hoͤchſten Gefahr ausſetzen, als laͤnger zum Gelaͤchter der
Barbaren dienen wolle, die Truppen an die Ufer ruͤcken zu laſſen,
die Wurfgeſchuͤtze aufzufahren, die zu Pontons verwandelten Zelt-
felle zum Uebergang bereit zu machen. Es geſchah; waͤhrend auf
dem jenſeitigen Ufer die Scythen auf ihren Pferden laut laͤrmend
auf und niederjagten, ruͤckten die Macedoniſchen Schaaren in voller
Ruͤſtung laͤngs dem Suͤdufer auf, vor ihnen die Wurfmaſchinen, die
dann ploͤtzlich alle zugleich Pfeile und Steine uͤber den Strom zu
ſchleudern begannen. Das hatten die halbwilden Scythen noch nie
geſehen; beſtuͤrzt und verwirrt wichen ſie vom Ufer zuruͤck, waͤhrend
[319] Alexander unter dem Schmettern der Trompeten uͤber den Fluß
zu gehen begann; die Schuͤtzen und Schleuderer, die erſten am jen-
ſeitigen Ufer, deckten den Uebergang der Reuterei, die zunaͤchſt folgte;
ſobald dieſe hinuͤber war, fingen die Plaͤnkerer und die ſchweren Grie-
chiſchen Reuter, im Ganzen etwa zwoͤlfhundert Pferde ſtark, das Ge-
fecht an; die Scythen, eben ſo fluͤchtig zum Ruͤckzug, wie wild im
Angriff, umſchwaͤrmten ſie bald von allen Seiten, beſchoſſen ſie mit
einem Hagel von Pfeilen, und ſetzten, ohne einem Angriff Stand zu
halten, der weit kleineren Zahl der Macedonier hart zu. Da aber bra-
chen die Schuͤtzen und Agrianer mit dem geſammten leichten Fußvolk,
das eben gelandet war, auf den Feind los, bald begann an einzelnen
Punkten ein ſtehendes Treffen; es zur Entſcheidung zu bringen, gab
Alexander den reitenden Schuͤtzen und drei Geſchwadern der Macedo-
nier den Befehl zum Einhauen; er ſelbſt ſprengte an der Spitze der
uͤbrigen Geſchwader, die in tiefen Colonnen vorruͤckten, den Kaͤmpfen-
den in die Flanke, ſo daß ſie jetzt, von allen Seiten beſchaͤftigt, nicht
mehr im Stande, ſich zum fliegenden Gefecht zu zerſtreuen, an allen
Punkten zuruͤckzujagen begannen; die Macedonier ſetzten ihnen auf
das Heftigſte nach; die wilde Haſt, die druͤckende Hitze, der bren-
nende Durſt machte die Verfolgung hoͤchſt anſtrengend; Alexander
ſelbſt, auf das Aeußerſte erſchoͤpft, trank, ohne abzuſitzen, von dem
ſchlechten Waſſer, das die Salzſteppe bot; ſchnell und heftig ſtellte
ſich die Wirkung des ungluͤcklichen Trunkes ein; dennoch jagte er
den Feinden noch uͤber eine Meile weit nach 48); endlich verſagten
ſeine Kraͤfte, die Verfolgung wurde abgebrochen, der Koͤnig krank
in das Lager zuruͤckgetragen, die Gefahr, in der ſich ſein Leben be-
fand, beſtaͤtigte nur zu ſehr die Zeichen der Goͤtter, wie ſie Ari-
ſtander gedeutet hatte 49); mit ſeinem Leben ſtand Alles auf dem
Spiele.


[320]

Indeß genas Alexander bald; der Angriff auf die Scythen
hatte ganz den erwuͤnſchten Erfolg; es kamen Geſandte ihres Koͤ-
nigs, das Vorgefallene zu entſchuldigen, es ſei die Nation ohne
Antheil an jenem Zuge, den ein einzelner Haufe beuteluͤſtern auf
eigene Hand unternommen; ihr Koͤnig bedauere die durch denſelben
veranlaßten Verwirrungen; er ſei bereit, ſich den Befehlen des gro-
ßen Koͤnigs zu unterwerfen 50). Alexander antwortete ihnen auf
das Huldreichſte, und gab die in dem Gefechte Gefangenen, etwa
150 an der Zahl, zum Zeichen ſeiner Verſoͤhnung, ohne Loͤſegeld
frei 51), eine Großmuth, die auf die Gemuͤther der Barbaren nicht
ihren Eindruck zu machen verfehlte, und die, mit den leuchtenden
Heldenthaten des erobernden Fremdlings vereint, ſeinem Namen jene
Glorie uͤbermenſchlicher Hoheit gaben, an welche die Einfalt roher
Naturvoͤlker eher zu glauben als zu zweifeln geneigt iſt. Wie ſieben
Jahre fruͤher an der Donau auch unbeſiegte Voͤlker ihre Huldigun-
gen darbrachten, ſo kamen jetzt voll Bewunderung gegen den Helden,
dem ſelbſt die Scythen der Bergſteppen erlegen waren, Geſandte
der Sakiſchen Scythen, dem Koͤnige Frieden und Freundſchaft anzu-
tragen. So waren ſaͤmmtliche Voͤlker in der Nachbarſchaft von
Alexandria beruhigt und traten zum Reiche in das Verhaͤltniß, mit
welchem Alexander fuͤr jetzt ſich begnuͤgen mußte, um deſto ſchneller
in Sogdiana erſcheinen zu koͤnnen.


Und allerdings ſtanden die Sachen in Sogdiana ſehr gefaͤhr-
lich; dem Aufſtande, welcher von Spitamenes und ſeinem Anhange
begonnen war, hatte ſich der ſonſt friedliche feldbautreibende Theil
der Bevoͤlkerung, vielleicht mehr aus Furcht als aus Neigung 52),
ange-
[321] angeſchloſſen; die Macedoniſche Beſatzung vor Marakanda ward be-
lagert und bedeutend bedraͤngt, dann hatte ſie einen Ausfall ge-
macht, den Feind zuruͤckgeſchlagen und ſich ohne Verluſt in die
Burg zuruͤckgezogen; das war etwa um dieſelbe Zeit geſchehen, als
Alexander, nach der ſchnellen Unterwerfung der ſieben Feſtungen,
Entſatz ſchickte. Auf die Nachricht davon hatte Spitamenes die
Belagerung gaͤnzlich aufgehoben, und ſich nach der (zweiten) Koͤ-
nigsburg von Sogdiana zuruͤckgezogen. Indeß waren die Macedo-
niſchen Truppen, die Alexander nach dem Fall von Cyropolis abge-
ſendet, in Marakanda angekommen, acht hundert Griechiſche Reu-
ter unter Andromachus, ſechsundſechzig Macedoniſche Ritter unter
Karanus, tauſend fuͤnf hundert ſchwerbewaffnete Soͤldner unter
Menedemus; die Fuͤhrung der Expedition hatte Alexander dem
Lycier Pharnuches, der der Landesſprache kundig war, anvertraut,
uͤberzeugt, daß das Erſcheinen eines Macedoniſchen Corps die Empoͤrer
in die Flucht zu jagen hinreichen, im Uebrigen es aber beſonders darauf
ankommen wuͤrde, ſich mit der ſonſt friedliebenden Maſſe der Be-
voͤlkerung Sogdianas zu verſtaͤndigen. Pharnuches und die ihm
beigegebenen Generale hatten ſich, als ſie die Gegend von Mara-
kanda bereits von Spitamenes geraͤumt ſahen, denſelben zu verfol-
gen beeilt; bei ihrem Herannahen war er an die Weſtgraͤnze Sog-
dianas gefluͤchtet; indeß war es den Macedoniſchen Generalen noth-
wendig erſchienen, noch weiter zu verfolgen, und die Scythen in
der Wuͤſte, welche den Empoͤrern Zuflucht zu geſtatten ſchienen, zu
zuͤchtigen. Dieſer unuͤberlegte Angriff auf die Scythen hatte zur
Folge, daß Spitamenes ſie zu offenbarem Beiſtande bewegen und
ſeine Streitmacht mit ſechs hundert jener tapferen Reuter, wie ſie
52)
21
[322] in der Steppe heimiſch ſind, vermehren konnte. Er ruͤckte den
Macedoniern auf der Grenze der Steppe entgegen; ohne einen
foͤrmlichen Angriff auf ſie zu machen oder von ihnen zu erwarten,
begann er die geſchloſſenen Reihen des Macedoniſchen Fußvolks zu
umſchwaͤrmen und aus der Ferne zu beſchießen, der Macedoniſchen
Reuterei, wenn ſie auf ihn losruͤckte, zu entfliehen und ſie durch wilde
Flucht zu ermuͤden, an immer anderen und anderen Punkten ſeine
Angriffe zu erneuen; die Macedoniſchen Pferde waren durch Maͤrſche
und durch Mangel an Futter [erſchoͤpft], viele von den Leuten lagen
ſchon todt oder verwundet auf dem Platze; Pharnuches forderte,
die drei Generale ſollten den Oberbefehl uͤbernehmen, da er nicht
Soldat und mehr zum Unterhandeln als zum Kaͤmpfen geſendet ſei;
die Generale weigerten ſich die Verantwortlichkeit fuͤr eine Expedi-
tion zu uͤbernehmen, die ſchon ſo gut als misgluͤckt war; man be-
gann, ſich von dem freien Felde zum Strome zuruͤckzuziehen, um
dort unter dem Schutz eines Gehoͤlzes den Feinden Widerſtand
zu leiſten; aber der Mangel an Einheit im Befehl vereitelte die
letzte Rettung; Karanus, an den Fluß angekommen, ging an der
Spitze ſeiner Reuter hinuͤber; das Fußvolk, in dem Wahne, daß
Alles verloren ſei, ſtuͤrzte ſich in wilder Haſt nach, um das jenſei-
tige Ufer zu erreichen. Kaum gewahrten dieß die Barbaren, ſo
ſprengten ſie von allen Seiten heran, gingen oberhalb und un-
terhalb uͤber den Fluß, und von allen Seiten umzingelnd, von
hinten nachdringend, von den Flanken her einhauend, die an das
Ufer Steigenden zuruͤckdraͤngend, ohne den geringſten Widerſtand zu
finden, trieben ſie die Macedonier auf einen Werder im Fluſſe zu-
ſammen, wo die Barbaren von den beiden Ufern her den Reſt der
Truppen mit Pfeilen durchbohrten. Wenige waren gefangen, auch
dieſe wurden ermordet; die Meiſten, unter ihnen die Generale, wa-
ren gefallen; nur vierzig Reuter und drei hundert Mann vom Fuß-
volk hatten ſich gerettet 53). Spitamenes ſelbſt ruͤckte ſofort mit
[323] ſeinen Seythen gegen Marakanda, und begann, durch die errungenen
Vortheile ermuthigt und von der Bevoͤlkerung unterſtuͤtzt, die Be-
ſatzung der Stadt zum zweiten Male zu belagern.


Dieſe Nachricht noͤthigten den Koͤnig Alexander, auf das Schleu-
nigſte die Verhaͤltniſſe mit den Scythiſchen Voͤlkern am Tanais zu
ordnen; zufrieden, in der neugegruͤndeten Stadt am Tanais zu-
gleich eine Grenzwarte und eine wichtige Poſition fuͤr kuͤnftige Un-
ternehmungen zu beſitzen, eilte er, indem er den groͤßeren Theil des
Heeres unter Kraterus Fuͤhrung nachruͤcken ließ, an der Spitze des
leichten Fußvolks, der Hypaspiſten und der Haͤlfte der Edelſchaaren
nach dem Soghdthale; mit verdoppelten Tagemaͤrſchen ſtand er am
vierten Tage vor Samarkanda 54). Spitamenes war auf die
53)
21 *
[324] Nachricht von ſeinem Heranruͤcken nach der Wuͤſte zu geflohen;
Alexander folgte, ſein Weg fuͤhrte uͤber jene Ufergegend, die an den
Leichen Macedoniſcher Krieger als Wahlſtatt des ungluͤcklichen Ge
fechtes kenntlich war; er begrub die Todten ſo feierlich als die Eile
geſtattete, ſetzte dann den fluͤchtenden Feinden weiter nach, bis die
Wuͤſte, die ſich endlos gen Weſt und Nord oͤffnet, vom weiteren
Verfolgen abzuſtehen noͤthigte. So war Spitamenes mit ſeinen
Truppen aus dem Lande gejagt; die Sogdianer, im Bewußtſein ihrer
Schuld und voll Furcht vor des Koͤnigs gerechtem Zorn, hatten ſich bei
ſeinem Herannahen hinter die Erdwaͤlle ihrer Staͤdte gefluͤchtet,
und Alexander war an ihnen, um erſt Spitamenes zu verjagen,
voruͤbergeeilt; ſeine Abſicht war nicht, ſie ungeſtraft zu laſſen; je ab-
ſcheulicher dieſer wiederholte Abfall, je wichtiger der ſichere Beſitz dieſes
ſchoͤnen Landes, und je unzuverlaͤſſiger eine erzwungene Unterwer-
fung der Sogdianer war, deſto nothwendiger erſchien die groͤßte
Strenge gegen die Empoͤrer. Sobald Alexander demnach vom
Saum der Wuͤſte zuruͤckkehrte, begann er das reiche Land zu ver-
wuͤſten, die Doͤrfer niederzubrennen, die Staͤdte zu zerſtoͤren, die
Barbaren, die ſich in die Staͤdte gefluͤchtet hatten, niederzumetzeln,
und ſo verheerend und ausrottend fuͤr das neue Weſen, das er in
dieſen Landen gruͤnden zu muͤſſen glaubte, reine Staͤtte zu berei-
ten 55).


Nachdem auf dieſe Weiſe Sogdiana unterworfen war, ging
54)
[325] Alexander, indem er den Peukolaus mit drei tauſend Mann zuruͤck-
ließ, nach Zariaspa im Baktrianiſchen, wohin er die Haͤuptlinge
des Landes zu einer Verſammlung berufen hatte. Moͤgen die Bak-
trianer, geſchreckt durch das hatte Gericht, welches uͤber Sogdiana
verhaͤngt worden, ſich nun unterworfen, oder von Anfang her ihre
Theilnahme an der Empoͤrung minder bethaͤtigt haben, jedenfalls
fand Alexander militaͤriſche Unternehmungen gegen ſie fuͤr jetzt nicht
noͤthig, und von einer Beſtrafung der bei der beabſichtigten Empoͤrung
Betheiligten iſt nicht mehr als eine unbedeutende Notiz uͤberlie-
fert 56). Diejenigen von den Großen, welche mit in den Sog-
dianiſchen Aufſtand verwickelt waren, hatten ſich in die Berge ge-
fluͤchtet und hielten in den dortigen Felſenſchloͤſſern ſich fuͤr ſicher.


Der Winter 329 auf 328, den Alexander in Zariaspa 57)
[326] zubrachte, war in vielfacher Beziehung merkwuͤrdig; das Zuſammen-
ſtroͤmen des hohen Perſiſchen Adels, das Eintreffen neuer Kriegs-
voͤlker aus dem Abendlande, mehrere Geſandtſchaften Europaͤiſcher
und Aſiatiſcher Voͤlker, dazu die gluͤckliche Natur des Baktri-
ſchen Fruchtlandes, das ruͤſtige Leben unter dieſem ſtets ſiegrei-
chen Heere, die unendlichen Reichthuͤmer, die in demſelben ver-
breitet waren, das bunte Gemiſch Macedoniſchen Soldatenlebens,
Perſiſcher Prunkſucht und Helleniſcher Hoffahrt, das alles zuſam-
men giebt das eben ſo ſeltſame wie charakteriſtiſche Bild fuͤr die
Hofhaltung des Koͤnigs Alexander, der ſehr wohl wußte, daß er zu
57)
[327] dem wahren Ruhm ſeiner Siege und Gruͤndungen noch den uͤber-
ſchwaͤnglichen Prunk des Morgenlandes und die volle Majeſtaͤt des
hoͤchſten irdiſchen Gluͤckes hinzufuͤgen muͤſſe, ohne das die neu ge-
wonnenen Voͤlker an der Groͤße irre geworden waͤren, die ſie als
uͤberirdiſch zu verehren bereit waren.


Wie ſehr Alexander die Vorurtheile des Morgenlandes ehrte,
bewies vor Allem das Gericht uͤber Beſſus, das mit aller der Feier-
lichkeit gehalten wurde, die das furchtbare Verbrechen des Koͤnigs-
mordes zu verdienen ſchien. Die in Zariaspa anweſenden Großen
wurden zur Verſammlung berufen, dann Beſſus in Ketten vorge-
fuͤhrt, der Koͤnig ſelbſt trat als Klaͤger wieder ihn auf; es ward
das Urtheil gefaͤllt, daß dem Beſſus zunaͤchſt Naſe und Ohren ab-
geſchnitten, er ſelbſt dann nach Ekoatana abgefuͤhrt und unter den
Augen der Meder und Perſer ans Kreuz geſchlagen werden ſolle 58).
Alexander beſtaͤtigte das Urtheil, und Beſſus, vor den Augen der
Verſammlung nach Perſiſcher Sitte verſtuͤmmelt und geſtaͤupt, ward
zur Hinrichtung nach Ekbatana abgefuͤhrt 59).


Um dieſe Zeit trafen Phratapharnes der Parthiſche Satrap und
Staſanor von Arien zu Zariaspa ein; ſie brachten in Feſſeln den
treuloſen Arſames, der als Ariſcher Satrap die Invaſion des Sa-
tibarzanes beguͤnſtigt hatte, den Perſer Barzanes, dem von Beſſus
die Parthiſche Satrapie uͤbergeben worden war, ſo wie einige an-
dere Großen, die der Uſurpation des Beſſus ihre Unterſtuͤtzung ge-
liehen hatten; mit ihnen war der letzte Reſt einer Parthei vernich-
tet, die bei beſſerer Fuͤhrung gluͤcklicheren Widerſtand zu leiſten und
den letzten Schein des Rechtes fuͤr ſich in Anſpruch zu nehmen
vermocht haͤtte; wer jetzt noch Parthei gegen Alexander hielt, ſchien
ſich einer untergegangenen Sache oder der leichtſinnigſten Selbſt-
ſucht zu opfern.


Unter den Geſandtſchaften, die im Laufe des Winters in dem
Koͤniglichen Hoflager eintrafen, waren beſonders die der Europaͤi-
ſchen Scythen merkwuͤrdig. Alexander hatte im vorigen Sommer
[328] mit den Seythiſchen Geſandten einige ſeiner Vertrauten zuruͤckgehen
laſſen, dieſe kamen jetzt in Begleitung einer zweiten Geſandtſchaft
zuruͤck, welche von Neuem die Huldigungen ihres Volkes und Ge-
ſchenke, wie ſie den Scythen die werthvollſten erſchienen, uͤber-
brachte: ihr Koͤnig ſei in der Zwiſchenzeit geſtorben, des Koͤnigs
Bruder und Nachfolger beeile ſich, dem Koͤnig Alexander ſeine Er-
gebenheit und Bundestreue zu verſichern, deß zum Zeichen biete er
ihm ſeine Tochter zur Gemahlin an; verſchmaͤhe ſie Alexander, ſo
moͤge er geſtatten, daß ſich die Toͤchter ſeiner Großen und Haͤupt-
linge mit den Großen bei Alexanders Hof und Heer vermaͤhlten;
er ſelbſt ſei bereit, wenn Alexander es wuͤnſche, perſoͤnlich vor ihm
zu erſcheinen, um ſeine Befehle entgegen zu nehmen; er [und] ſeine
Scythen ſeien gewillt, ſich in Allem und Jedem Alexanders Be-
fehlen zu unterwerfen. Alexanders Beſcheid war ſeiner hohen
Macht und den damaligen Verhaͤltniſſen angemeſſen; ohne auf die
Vorſchlaͤge zu einer Scytiſchen Brautfahrt einzugehen, entließ er die
Geſandten reichbeſchenkt und mit der Verſicherung ſeiner Freundſchaft
fuͤr das Volk der Scythen. — Um dieſelbe Zeit war der Choras-
mierkoͤnig 60) Pharasmanes mit einem Gefolge von tauſend fuͤnf
[329] hundert Pferden nach Zariaspa gekommen, dem großen Koͤnige per-
ſoͤnlich ſeine Huldigung zu bringen, da bei der freundlichen Auf-
nahme, die Spitamenes unter den ihm benachbarten Maſſageten
gefunden hatte, er ſelbſt leicht verdaͤchtig werden konnte; er herrſchte
uͤber das Land des unteren Oxus, und verſicherte, Nachbar des Kol-
chiſchen Stammes und des Weibervolkes der Amazonen zu ſein; er
erbot ſich, wenn Alexander einen Feldzug gegen die Kolchier und Ama-
zonen zu unternehmen und die Unterwerfung des Landes bis zum
Pontus Euxinus zu verſuchen geneigt ſei, ihm die Wege zu zei-
gen und fuͤr die Beduͤrfniſſe des Heeres auf dieſem Zuge zu ſor-
gen. Alexanders Antwort auf dieſe Antraͤge laͤßt einen Blick in
den großen Zuſammenhang ſeiner Plaͤne thun, die, ſo kuͤhn ſie auch
ſind, von der merkwuͤrdigen Einſicht in das geographiſche Verhaͤlt-
niß der verſchiedenen Laͤnderſtrecken, von deren Daſein durch ſeine
Zuͤge die erſte Kunde verbreitet wurde, das ſicherſte Zeugniß able-
gen. Er hatte ſich bereits durch den Augenſchein und durch die
Berichte ſeiner Geſandtſchaft und der Eingebornen uͤberzeugt, daß
das offenbare Meer keinesweges der Nordgraͤnze des Perſerreiches
nahe ſei, und daß Scythiſche Horden noch ungemeſſenen Landſtre-
cken gen Norden inne haͤtten, daß es unmoͤglich ſei, fuͤr das neue
Reich auf dieſer Seite eine Naturgraͤnze in dem großen Meere zu
finden; dagegen erkannte er ſehr wohl, daß fuͤr die vollkommene
Unterwerfung des weſtaſiatiſchen Hochlandes, die ſeine naͤchſte Abſicht
blieb, der Beſitz der angrenzenden Tieflaͤnder weſentliche Bedingung
ſei, und die Folgezeit hat gelehrt, wie richtig er den Euphrat und
Tigris, den Oxus und Jaxartes, den Indus und Hyphaſis zu Stuͤtz-
punkten ſeiner Herrſchaft uͤber Perſien und Ariana gemacht hat. Er
antwortete dem Pharasmanes, daß er fuͤr jetzt nicht daran denken
koͤnne, in die Pontiſchen Landſchaften einzudringen; ſein naͤchſtes
Werk muͤſſe die Unterwerfung Indiens ſein, dann Herr von Aſien
60)
[330] denke er nach Hellas zuruͤckzukehren, und durch den Hellespont und
den Bosporus in den Pontus mit ſeiner ganzen Macht einzudrin-
gen; bis auf dieſe Zeit moͤge Pharasmanes das, was er jetzt
anbiete, aufſchieben; fuͤr jetzt ſchloß der Koͤnig mit ihm Freund-
ſchaft und Buͤndniß, empfahl ihn den Satrapen von Baktrien, Par-
thien und Arien, und entließ ihn mit allen Zeichen ſeines Wohlwollens.


Indeß geſtatteten die Verhaͤltniſſe noch keinesweges, den In-
diſchen Feldzug zu beginnen; Sogdiana war zwar unterworfen und
verheert worden, aber das ſtrenge Strafgericht, das Alexander
uͤber das ungluͤckliche Land verhaͤngt hatte, weit entfernt, die Ge-
muͤther zu beruhigen, ſchien nach einer kurzen Betaͤubung allgemeine
Wuth hervorgebracht zu haben; bei Tauſenden waren die Einwoh-
ner in die ummauerten Plaͤtze, in die Berge, in die Bergſchloͤſſer
der Haͤuptlinge im obern Lande und in den Oxianiſchen Grenzgebirgen
gefluͤchtet; uͤberall, wo die Natur Schutz bot, lagen Banden von
Gefluͤchteten, um ſo gefaͤhrlicher, je hoffnungsloſer ihre Sache war 61).
Der Statthalter Peukolaus vermochte nicht, mit ſeinen dreitauſend
Mann die Ordnung aufrecht zu erhalten und das platte Land zu
ſchuͤtzen, von allen Seiten her bildeten ſich die Maſſen einer foͤrm-
lichen Inſurrektion, und es ſchien nur ein Anfuͤhrer zu fehlen, der
die Abweſenheit Alexanders benutzte. Spitamenes, der, nach dem
Ueberfall am Polytimetus zu urtheilen, nicht ohne militaͤriſches Ge-
ſchick war, ſcheint, ins Land der Maſſageten gefluͤchtet, ohne weitere
Verbindung mit dieſem zweiten Abfall ſeines Chanates geweſen zu
ſein; wenigſtens waͤre ſonſt nicht zu begreifen, warum er nicht fruͤ-
her mit ſeinen Scythen herbei eilte. Denn daß Alexander den Auf-
ſtand ſich ſo weit entwickeln ließ, ehe er ihn zu unterdruͤcken eilte,
war ein Zeichen, daß fuͤr den Augenblick ſeine Streitkraͤfte nicht
ſo angethan waren, um dieſe kuͤhnen und zahlreichen Feinde in ih-
ren Bergen aufzuſuchen; nach der Beſetzung von Alexandria in Ara-
choſien, am Paropamiſus und Tanais konnten kaum mehr als zehn
tauſend Mann disponibel ſein. Erſt im Laufe des Winters waren
bedeutende Verſtaͤrkungen aus dem Abendlande eingetroffen. Unter
Nearch, dem Statthalter der Suͤdkuͤſte Kleinaſiens, waren acht tau-
[331] ſend Macedonier, unter denen fuͤnf hundert Ritter, unter Aſander,
der von ſeiner Satrapie Lydien aus Werbungen angeſtellt hatte,
drei tauſend Mann Fußvolk und fuͤnf hundert Reuter gekommen;
aus Syrien brachte der Satrap Asklepiodor und der Hyparch Me-
nes andere drei tauſend Mann Fußvolk und fuͤnf hundert Reuter,
die Generale Epocillus, Ptolemaͤus und Menides, die theils von
Suſa, theils von Ekbatana mit Geldtransporten und mit den heim-
kehrenden Theſſaliern an das Meer geſendet waren, kamen mit drei
tauſend Mann Fußvolk und ein tauſend Mann Reuter, ſo daß
Alexander jetzt Truppen genug um ſich hatte, um die Inſurrektion
Sogdianas bis in ihre letzten Schlupfwinkel zu verfolgen 62).


Mit dem Fruͤhjahr 328 verließ Alexander das Hoflager von
Zariaspa, woſelbſt in den Lazarethen einige hundert Mann von den
Macedoniern nebſt einer kleinen Beſatzung von Reutern und Edel-
knaben zuruͤckblieben 63). Das Heer, etwa dreißig tauſend Mann
ſtark, ging an den Oxus; eine Oelquelle, die neben dem Zelte des
Koͤnigs hervorſprudelte, ward von Ariſtander fuͤr ein Zeichen er-
klaͤrt, daß man zwar ſiegen, aber mit vieler Muͤhe ſiegen werde;
und in der That bedurfte es großer Vorſicht, dieſen Feinden, die von
allen Seiten her drohten, zu begegnen. Alexander theilte ſein Heer
ſo, daß Meleager und Polyſperchon mit ihren und zwei anderen
Phalangen hier im Baktriſchen Lande zuruͤckblieben, und, an der
Linie des Stromes aufgeſtellt, eine Baſis fuͤr die verſchiedenen
Bewegungen des uͤbrigen Heeres darboten, welches, in fuͤnf Kolon-
nen getheilt, unter der Fuͤhrung des Koͤnigs, des Hipparchen He-
phaͤſtion, des Leibwaͤchters Ptolemaͤus, des Generals Perdikkas, des
Baktriſchen Satrapen Artabazus, dem der General Koͤnus beigege-
ben war, in verſchiedenen Richtungen in das Sogdianiſche Land
[332] einruͤckten. Ueber die Einzelnheiten in dieſen Unternehmungen ſind
keine weitern Nachrichten uͤberliefert, nur im Allgemeinen wird on-
gefuͤhrt, daß die verſchiedenen feſten Plaͤtze des Landes theils durch
Sturm genommen wurden, theils ſich freiwillig unterwarfen; in
kurzer Zeit war der wichtigſte Theil des Transoxianiſchen Landes,
das Thal des Polytimetus, wieder in Alexanders Haͤnden, und von
den verſchiedenen Seiten her trafen die einzelnen ſiegreichen Kolon-
nen in Marakanda zuſammen. Indeß waren noch die Berge im
Oſten und Norden des Landes in Feindes Hand, und es war zu
vermuthen, daß Spitamenes, der ſich zu den raubluͤſternen Scy-
thenhorden der Maſſageten gefluͤchtet hatte, dieſelben leicht zu neuen
Einfaͤllen bereden wuͤrde; zu gleicher Zeit mußte Alles angewendet
werden, um dem furchtbar zerruͤtteten Zuſtande des Landes moͤglichſt
ſchnell durch eine neue und durchgreifende Organiſation ein Ende
zu machen, und beſonders der zerſprengten, obdachloſen und der noth-
wendigſten Beduͤrfniſſe entbloͤßten Bevoͤlkerung zu helfen. Demnach
erhielt Hephaͤſtion den Auftrag, die Staͤdte des Landes von Neuem
zu bevoͤlkern, neue Staͤdte zu gruͤnden und Lebensmittel herbeizu-
ſchaffen 64), waͤhrend Koͤnus und Artabazus gegen die Scythen
zogen, um wo moͤglich des Spitamenes habhaft zu werden, Ale-
xander ſelbſt aber mit der Hauptmacht aufbrach, um mit der Ein-
nahme der einzelnen Bergſchloͤſſer die Unterwerfung des Landes zu
vollenden.


Unter dieſen Bergſchloͤſſern Sogdianas war das des Arioma-
zes vielleicht das wichtigſte. Der naͤchſte Weg von Marakanda und
[333] Nautaka nach Baktra, welcher gerade durch die Berge des oberen
Sogdianas fuͤhrt, durchſchneidet in den Paͤſſen von Tſchekedalik
und Kaluga zwei bedeutende Gebirgszuͤge, um dann in das Fel-
ſenthal des Fluſſes von Hiſſar und neben dieſem Fluſſe hin zu deſ-
ſen Muͤndung in den Oxus und zur Paſſage von Termez zu fuͤh-
ten 65). Innerhalb jener Paßgegend erhob ſich, wie es ſcheint,
jener Felſen mit der Sogdianiſchen Burg 66) auf einem ſeiner
Vorſpruͤnge, der, im Ruͤcken durch eine ſteile Felswand, auf den an-
deren Seiten durch Abgruͤnde geſchuͤtzt, nur durch einen ſchmalen
Felſenpfad mit der Ebene in Verbindung ſtand. In dieſe Burg
hatten ſich mehrere tauſend Sogdianer gefluͤchtet; auch der Bak-
trier Oxyartes, der in den Aufſtand ſehr verwickelt war, hatte ſeine
Gemahlin und ſeine Toͤchter dorthin in Sicherheit gebracht. Die
Burg war mit Lebensmitteln zu einer langen Belagerung verſehen,
[334] Waſſermangel war um ſo weniger zu fuͤrchten, da reichlich Schnee
gefallen war, welcher zugleich das Erſteigen der Felſen doppelt ge-
faͤhrlich machte. Als Alexander vor dieſer Burg ankam, ließ er
durch Artabazus Sohn Kophenes den Befehlshaber der Burg Ari-
omazes zur Uebergabe auffordern, indem er Allen, die ſich in derſel-
ben befanden, freien Abzug verſprach; die Barbaren antworteten;
er moͤge ſich gefluͤgelte Soldaten ſuchen. Alexander war entſchloſ-
ſen, um jeden Preis den Felſen zu erobern; eine Kriegsliſt mußte
das Unmoͤgliche moͤglich machen. Er ließ in ſeinem Lager durch
Heroldsruf verkuͤnden, die Felſenſtirn, die uͤber der Burg emporrage,
muͤſſe erſtiegen werden; zwoͤlf Preiſe bis zu zwoͤlf Talenten ſeien de-
nen, die die Erſten oben waͤren, beſtimmt; fuͤr Alle, die an dem kuͤh-
nen Wagniß Theil naͤhmen, werde es ruhmvoll ſein. Dreihundert
Macedonier 67), die das Felſenklettern verſtanden, begierig, unter den
Augen des Koͤnigs ſich auszuzeichnen, traten hervor und empfingen
die naͤheren Befehle; dann verſah ſich jeder mit einigen Eiſenpfloͤ-
cken, wie ſie bei den Zelten gebraucht werden, und mit ſtarken
flaͤchſernen Stricken; ſie nahmen Mundvorrath auf zwei Tage und
von den Waffen das Schwert und die Lanze mit. Um Mitter-
nacht naheten ſie ſich der Stelle des Felſens, die am ſteilſten und
deshalb unbewacht war; anfangs ſtiegen ſie muͤhſam, bald began-
nen die jaͤh abgeſtuͤrzten Felswaͤnde, glatte Eislagen, loſe Schnee-
decken, mit jedem Schritt wuchs die Muͤhe und die Gefahr. Drei-
ßig dieſer Kuͤhnen ſtuͤrzten in den Abgrund, endlich mit Tagesan-
bruch hatten die Anderen den Gipfel erreicht, und ihre Faͤhnchen
flatterten hell im Fruͤhwinde. Sobald Alexander, der voll aͤngſt-
licher Erwartung uͤber das Schickſal ſeiner Getreuen unten am
Fuß des Berges ſtand, das verabredete Zeichen ſah, ließ er die
[335] Heertrompeten blaſen und die jubelnden Truppen ausruͤcken, ſandte
dann von Neuem einen Herold, der den feindlichen Vorpoſten zu-
rief, ſie moͤchten ſich ergeben, die gefiuͤgelten Menſchen haͤtten ſich
gefunden, ſie ſeien uͤber ihren Haͤuptern, laͤngerer Widerſtand ſei
nicht moͤglich. Die Barbaren, beſtuͤrzt und uͤberzeugt, daß die Ma-
cedonier einen Weg auf den Felſen entdeckt, zoͤgerten nicht laͤnger,
ſich auf Gnade und Ungnade zu ergeben, und Alexander zog klin-
genden Spieles in die Sogdianiſche Felſenburg ein. Reiche Beute
fiel dort in ſeine Hand, unter dieſer viel Frauen und Toͤchter
Sogdianiſcher und Baktriſcher Haͤuptlinge, auch des Oxyartes Ge-
mahlin und ſeine Tochter Roxane, die Perle des Morgenlandes;
es ſtaunte Alexander vor ihrem Anblick, und das gefangene Maͤd-
chen beſiegte des Siegers ſtolzen Sinn; ſie erkor er, mit ihr den
Thron des Morgenlandes zu theilen, die Vermaͤhlung mit ihr ſollte
den Frieden im Transoxianiſchen Lande beſiegeln. Auf die Kunde
hiervon eilte Roxane’s Vater zu Alexander; um ſeines Kindes
Willen ward ihm verziehen. Der greiſe Artabazus, der die Bak-
triſche Satrapie niederzulegen gewuͤnſcht hatte, erhielt die Felſen-
burg und das theure Kleinod in ihr zu huͤten, bis der Tag des
Friedens gekommen ſei 68).


Alexander ſelbſt kehrte vom Sogdianiſchen Felſen nach Ma-
rakanda zuruͤck; er gedachte gegen die Oxianiſchen Grenzgebirge
aufzubrechen, wo Baktrianiſche und Sogdianiſche Empoͤrer Zu-
flucht gefunden hatten. An Artabazus Stelle wurde die Baktri-
ſche Satrapie dem ſchwarzen Klitus beſtimmt, der dem Koͤnige am
Granikus das Leben gerettet hatte und ſeit Philotas Verrath mit
Hephaͤſtion den Befehl uͤber die Macedoniſche Ritterſchaft theilte.
Alexander wollte die Ruͤckkehr des Hephaͤſtion abwarten, um mit
deſſen Truppen verſtaͤrkt, gegen die nordweſtlichen Grenzen vorzu-
ruͤcken. Große Jagden und Gaſtmaͤhler fuͤllten die Zwiſchenzeit,
[336] es waren gerade die Tage eines Dionyſiſchen Feſtes 69), das aber der
Koͤnig, wie es heißt, zu Ehren der Dioskuren feierte; der Gott
Dionyſus, glaubten die Griechen, habe darum gezuͤrnt und den Koͤ-
nig nicht ungewarnt zu ſchwerem Frevel getrieben. Sie erzaͤhlen,
Alexander habe ſchoͤne Fruͤchte vom Meere her geſandt erhalten,
und Klitus einladen laſſen, daß er mit ihm aͤße; und Klitus habe
das Opfer, das er eben beginnen wollte, verlaſſen und ſei zum Koͤ-
nige geeilt; ihm nach ſeien drei zum Opfer beſprengte Schaafe ge-
laufen, nach Ariſtanders Deutung ein trauriges Zeichen; der Koͤnig
habe fuͤr Klitus zu opfern befohlen, doppelt beſorgt durch einen
ſeltſamen Traum, den er in dieſer Nacht gehabt, und in dem er
Klitus im ſchwarzen Kleide zwiſchen den blutenden Soͤhnen Par-
menions habe ſitzen ſehen. — Abends kam Klitus zur Tafel, man
war beim Weine froh bis in die Nacht; man ſprach von den gro-
ßen Thaten Alexanders, er habe Groͤßeres gethan, als die Diosku-
ren, ſelbſt Herakles ſei ihm nicht zu vergleichen, nur der Neid ſei
es, der dem Lebenden die gleichen Ehren mit jenen Heroen mis-
goͤnne. Schon war Klitus vom Wein erhitzt, laͤngſt hatte die
Perſiſche Umgebung Alexanders, die uͤbergroße Bewunderung der
Juͤngeren, die frechen Schmeicheleien Helleniſcher Sophiſten, die
der Koͤnig in ſeiner Naͤhe duldete, ihn im Innerſten verdroſſen; jenes
leichtſinnige Spiel mit den Namen der großen Heroen brachte ihn
auf: das ſei nicht die Art, des Koͤnigs Ruhm zu feiern, ſeine
Thaten ſeien auch nicht ſo gar groß, wie jene meinten, zum gu-
ten Theile gebuͤhre den Macedoniern der Ruhm. Alexander hoͤrte
mit Unwillen dieſe ruͤckſichtsloſen Reden von einem Manne, den er
vor
[337] vor Allen ausgezeichnet, doch ſchwieg er. Immer lauter wurde der
Streit; auch Koͤnig Philipps Thaten kamen zur Sprache, und als
nun behauptet wurde, er habe nichts Großes und Bewunderungs-
wuͤrdiges gethan, ſein Ruhm ſei, Alexanders Vater zu heißen, da
ſprang Klitus von ſeinem Seſſel auf, den Namen ſeines alten Koͤ-
nigs zu vertreten, Alexanders Thaten zu verkleinern, ſich ſelbſt und
die alten Generale zu ruͤhmen, des todten Parmenion und ſeiner
Soͤhne zu gedenken, alle die gluͤcklich zu preiſen, die gefallen oder
hingerichtet ſeien, ehe ſie die Macedonier mit Mediſchen Ruthen
gepeitſcht und bei den Perſern um Zutritt zum Koͤnige bitten ge-
ſehen. Mehrere der alten Generale ſtanden auf, verwieſen dem
von Wein und Eifer erhitzten Klitus ſeine Rede und ſuchten
vergeblich die ſteigende Unruhe zu ſtillen; Alexander wandte ſich
zu ſeinem Tiſchnachbarn, einem Griechen, und ſprach: „nicht
wahr, ihr Griechen ſcheint euch unter den Macedoniern wie Halb-
goͤtter unter Thieren umherzuwandeln?“ Klitus aber laͤrmte weiter;
er wandte ſich mit lauter Stimme an den Koͤnig: „dieſe Hand hat
dich, Alexander, am Granikus errettet! du aber rede, was dir ge-
faͤllt, und lade fuͤrder nicht freie Maͤnner zu deiner Tafel, ſondern
Barbaren und Sclaven, die deiner Kleider Saum kuͤſſen und dei-
nen Guͤrtel anbeten!“ Laͤnger hielt Alexander ſeinen Zorn nicht,
er ſprang auf, nach ſeinen Waffen zu greifen; die Freunde hatten
ſie fortgeſchafft; er ſchrie ſeinen Hypaspisten auf Macedoniſch zu, ih-
ren Koͤnig zu raͤchen; keiner kam; er donnerte dem Trompeter zu,
Laͤrm zu blaſen, und ſchlug ihn mit der Fauſt ins Angeſicht, da er
nicht gehorchte. Indeß war Klitus, der nicht abließ den Koͤnig zu
verlachen und frech zu prahlen, von den Freunden hinaus gefuͤhrt
vor die Waͤlle des Schloſſes; es war ſtill im Saal, nur Ale-
xander ging in der heftigſten Bewegung auf und ab: gerade ſo
weit ſei es mit ihm gekommen, wie mit Darius zu jener Zeit, da
er von Beſſus und deſſen Genoſſen gefangen fortgeſchleppt ſei
und nichts als den elenden Namen des Koͤnigs gehabt habe; und
der ihn verrathe, das ſei dieſer Menſch, der ihm Alles danke, die-
ſer Klitus! Kaum daß er den Namen genannt, da trat der arge
Mann zum anderen Ende des Saales herein, und ihm gegenuͤber
rief er: „hier iſt ja Klitus, o Alexander!“ er ſang das Spottlied: o
armes Griechenland, wie geht es dir ſo boͤs! Da riß Alexander ei-
22
[338] ner Wache die Lanze aus der Hand und ſchleuderte ſie gegen Kli-
tus, der zaͤhneknirſchend und roͤchelnd zu Boden ſank. Entſetzt wi-
chen die Freunde, des Koͤnigs Zorn war gebrochen; Bewußtſein,
Schmerz, Verzweiflung bewaͤltigten ihn; man ſagt, er habe den
Speer aus Klitus Bruſt gezogen und gegen den Boden geſtemmt,
ſich auf der Leiche zu ermorden; die Freunde hielten ihn zuruͤck,
ſie brachten ihn auf ſein Lager. Dort lag er weinend und weh-
klagend, und rief den Namen des Ermordeten und den Namen
ſeiner Amme Lanice, der Schweſter des Ermordeten: das ſei der
ſchoͤne Ammenlohn, den ihr Pflegling zahle; ihre Soͤhne ſeien für
ihn kaͤmpfend gefallen, ihren Bruder habe er mit eigener Hand [er-]
mordet, ermordet den, der ſein Leben gerettet; er gedachte des gr[ei-]
ſen Parmenion und ſeiner Soͤhne, er wurde nicht ſatt, ſich an[zu-]
klagen als den Moͤrder ſeiner Freunde, ſich zu verfluchen und [den]
Tod zu rufen. So lag er drei Tage lang uͤber Klitus Leich[nam]
eingeſchloſſen in ſeinem Zelte, ohne Schlaf, ohne Speiſe und Tr[ank,]
endlich vor Ermattung ſtumm; nur einzelne tiefe Seufzer toͤ[nten]
noch aus dem Zelte hervor. Die Truppen, voll banger Sorge [um]
ihren Koͤnig, kamen zuſammen und richteten uͤber den Todten: [er]
ſei mit Recht getoͤdtet; ſie riefen nach ihrem Koͤnige, der aber hoͤ[rte]
ſie nicht; endlich wagten es die Generale, das Zelt zu oͤffnen, [ſie]
trugen den Leichnam hinaus, ſie beſchworen den Koͤnig, ſeines [Hee-]
res und ſeines Reiches zu gedenken, ſie ſagten, nach den Zeich[en]
der Goͤtter habe Dionyſos die unſelige That verhaͤngt, ſie erla[ng-]
ten es endlich, daß Alexander aß und trank und ſein Zelt verl[ieß;]
dann ward er ruhiger, er befahl dem zuͤrnenden Gotte zu opf[ern;]
mit kriegeriſchem Freudengeſchrei empfingen ihn ſeine treuen Sch[aa-]
ren 70). —


Waͤhrend dieſer Vorgaͤnge in Marakanda hatte Spitam[enes]
noch einmal einen Verſuch gemacht, in die Baktriſchen Lande [ein-]
zudringen; unter den Maſſageten, zu denen er mit dem Reſt [ſei]
ner Sogdianer gefluͤchtet war, hatte er einen Haufen von ſechs [bis]
achthundert Reutern angeworben und war an deren Spitze ploͤ[tz-]
lich vor einem der feſten Grenzplaͤtze erſchienen, hatte die Beſatz[ung]
herauszulocken gewußt und ſie dann von einem Hinterhalt her uͤ[ber-]
[339] fallen; der Befehlshaber des Platzes fiel in die Haͤnde der Scy-
then, ſeine Leute waren meiſt geblieben, er ſelbſt wurde gefangen
mit fortgeſchleppt. Durch dieſen Erfolg kuͤhner gemacht, erſchien
Spitamenes wenige Tage darauf vor Zariaspa; die Beſatzung des
Platzes, zu der die Wiedergeneſenen aus den Lazarethen, meiſt Ge-
treue der Ritterſchaft, kamen, ſchien zu bedeutend, um einen An-
griff raͤthlich zu machen; pluͤndernd und brennend zogen ſich die
Maſſageten uͤber die Felder und Doͤrfer der Umgegend zuruͤck. Als
das Pithon, der Befehlshaber des koͤniglichen Schloſſes, und Ari-
ſtonikus, der Citherſpieler, erfuhren, riefen ſie die achtzig Reuter Be-
ſatzung, die Wiedergeneſenen von der Ritterſchaft und die Edelkna-
ben, die im Schloſſe den Dienſt hatten, zu den Waffen, und eil-
ten vor die Thore, die pluͤndernden Barbaren zu zuͤchtigen; dieſe
ließen ihre Beute im Stich und entkamen mit Muͤhe, viele wur-
den gefangen oder niedergemacht, und froͤhlichen Muthes kehrte die
kleine tapfere Schaar zur Stadt zuruͤck. Spitamenes uͤberfiel ſie
aus einem Hinterhalt mit ſolchem Ungeſtuͤm, daß die Macedonier
geworfen und faſt abgeſchnitten wurden; ſechzig von ihnen blieben auf
dem Platze, unter dieſen der Citherſpieler Ariſtonikus; Pithon fiel
ſchwer verwundet in die Haͤnde der Feinde, es war nahe daran,
daß die Stadt ſelbſt in ihre Gewalt kam. Schnell ward Krate-
rus von dem Vorfall unterrichtet, die Scythen warteten ſeine An-
kunft nicht ab, ſondern zogen ſich gen Weſten zuruͤck, indem ſich
immer neue Haufen mit ihnen vereinten; am Rande der Wuͤſte
holte ſie Kraterus ein, und es entſpann ſich ein hartnaͤckiger Kampf;
endlich entſchied ſich der Sieg fuͤr die Macedonier; mit Verluſt
von hundert und fuͤnfzig Mann floh Spitamenes in die Wuͤſte
zuruͤck, die jede weitere Verfolgung unmoͤglich machte 71).


Nachrichten ſolcher Art mochten mehr als die Bitten der Ge-
nerale oder der Troſt frecher Schmeichler dazu dienen, den hoch-
herzigen Alexander ſeines bitteren Grames vergeſſen zu machen und
ihn der gewohnten Thaͤtigkeit zuruͤck zu geben. Zwoͤlf Tage nach
dem ungluͤcklichen Gaſtmahl erhielt das Heer Befehl zu marſchi-
ren; die dem Klitus beſtimmte Satrapie von Baktra erhielt Amyn-
tas, Koͤnus blieb mit zwei Diviſionen der Phalanx und vierhun-
22 *
[340] dert Mann von der Ritterſchaft, mit ſaͤmtlichen reutenden Sch[uͤ-]
tzen und den bisherigen Truppen des Amyntas zur Deckung der
Sogdiana zuruͤck; Hephaͤſtion ging mit einem Corps nach dem Bak-
triſchen Lande, um die Verpflegung der Heere fuͤr den Winter
zu beſorgen; Alexander ſelbſt fuͤhrte das Hauptheer gegen die nord-
weſtliche Grenze. Dort hatten in der dorfreichen Berggegend von
Xenippa 72) viele der Empoͤrer Zuflucht gefunden; aber bei der
Nachricht von Alexanders Anruͤcken wurden ſie von den Bergbe-
wohnern, die nicht durch unzeitige Gaſtfreundſchaft ihr Hab und
Gut in Gefahr bringen wollten, verjagt, und ſuchten nun, ſtets an
raͤuberiſches Wegelagern gewoͤhnt, durch heimlichen Ueberfall den
Macedoniern Abbruch zu thun; etwa zweitauſend Pferde ſtark war-
fen ſie ſich auf einen Theil des Macedoniſchen Heeres; erſt noch
einem lange ſchwankenden Gefecht wurden ſie zum Weichen ge-
zwungen, ſie hatten gegen achthundert Mann theils Todte, theils
Gefangene verloren; ſo zuſammengeſchmolzen, ohne Fuͤhrer, ohne
Proviant, zogen ſie es vor, ſich zu unterwerfen. Alexander verzieh
ihnen; er zog durch den Gau von Xenippa, weſtwaͤrts nach den
Bergen von Naura 73). Hier war die Felſenburg des Syſimith[res]
unzugaͤnglich, wohlbefeſtigt, von zweitauſend Mann Bewaffneten aus
der Umgegend, die unter Syſimithres Befehl ſtanden, vertheidigt.
Wie es ſcheint, wurde ſie nach mannigfacher Anſtrengung durch
Sturm genommen, die Beſatzung, welche zum Theil in die Berge
zu entfliehen ſuchte, verfolgt und niedergemacht; Philippus, des
Lyſimachus juͤngerer Bruder, der nicht von des Koͤnigs Seite ge-
[341] wichen war, gab, von der ungeheueren Anſtrengung erſchoͤpft, in
Alexanders Armen den Geiſt auf; der tapfere General Erigyius war
bei dem Sturme gefallen. Nach der Einnahme dieſer Burg mußte
ſich das flache Land unterwerfen; die Beruhigung der Sogdiana
war vollendet 74).


Spitamenes ſeinerſeits glaubte, bevor ihm von dem raſtloſen
Eifer Alexanders das ganze Grenzgebiet geſperrt wuͤrde, noch einen
Verſuch auf das Sogdianiſche Land machen zu muͤſſen; waͤhrend
Alexander an den nordweſtlichen Bergen ſtand, und nur ein Theil
des Heeres unter Koͤnus Fuͤhrung das untere Gebiet deckte, er-
ſchien er mit ſeinen Sogdianern und mit dreitauſend Scythiſchen
Reutern, welche die verſprochene Beute lockte, vor Bagaͤ, an der
ſuͤdweſtlichen Grenze Sogdianas. Von dieſem Einfall benachrichtigt,
ruͤckte ihm Koͤnus ſchleunig mit Heeresmacht entgegen; nach einem
blutigen Gefechte wurden die Scythen mit Verluſt von achthun-
dert Mann zum Ruͤckzuge gezwungen. Die Sogdianer und Baktri-
aner, die auch den letzten Verſuch ſcheitern ſahen, verließen, Data-
phernes an ihrer Spitze, den Spitamenes auf der Flucht und er-
gaben ſich an Koͤnus; die Maſſageten, um die Beute im Sogdia-
nerlande betrogen, pluͤnderten die Zelte und Wagen der Abtruͤnni-
gen; ſie flohen mit Spitamenes der Wuͤſte zu. Da kam die Nach-
richt, Alexander, der eben die Gegend von Naura bewaͤltigt habe,
ſei von Norden her in die Wuͤſte vorgedrungen, und ſomit Flucht
und Rettung unmoͤglich. Damals, ſo heißt es, trat die ſchoͤne Ge-
mahlin des Spitamenes, die kuͤhne Genoſſin ſeiner Plaͤne und
Wagniſſe, in ihres Herren Zelt und flehte ihn fußfaͤllig an, ein
[342] Ende zu machen und ſich der Gnade Alexanders zu unterwerfen.
Spitamenes aber, voll Argwohn, daß ſie ſeiner ſatt ſei, daß ſie
mit ihrer Schoͤnheit den verhaßten Macedonier zu feſſeln hoffe,
ſtieß ſie mit dem Fuß hinweg; ſie ging, ſie bewaͤltigte das Gefuͤhr
des tiefgekraͤnkten Stolzes, ſie kehrte um die Stunde der Daͤmme-
rung zuruͤck und nahte dem Gemahl mit ſuͤßem Bitten [und] Schmei-
cheln; und ihre Thraͤnen ruͤhrten den Fuͤrſten, er zog ſie zu ſich
nieder auf den Teppich, um in ihren Armen, im Rauſch der Liebe
und des Weins, ſeine Sorge zu ertraͤnken; um Mitternacht, da er
ſchlief, ergriff das ſtolze Weib ihres Herren Saͤbel und trennte ſein
Haupt vom Rumpf; dann ſchlich ſie zu ihren Kindern und floh
mit ihnen zu Alexander. Der aber, heißt es, habe ſich mit Ab-
ſcheu von der Moͤrderin gewandt, und ſie in die Einoͤde verwieſen 75).
Nach anderen Berichten 76) waren es die Scythen ſelbſt, die, vom Ale-
xander verfolgt, dem Spitamenes den Kopf abſchnitten und ihn an
den Koͤnig ſandten, um ihn von ſich abzuwenden 77).


Der Tod dieſes eben ſo kuͤhnen wie verbrecheriſchen Mannes
machte der letzten Beſorgniß ein Ende, und verhieß dem Sogdi[a-]
niſchen Lande endlich die Ruhe, deren es nur bedurfte, um ſelb[ſt]
nach ſo vielen Kaͤmpfen und Zerruͤttungen bald den alten Woh[l-]
ſtand und den Ruhm eines Gartens des Orients wieder zu gewinn[en.]
Der Winter war herangekommen, der letzte, den Alexander im
Sogdianerland zuzubringen gedachte; die verſchiedenen Heeresabthei-
lungen ſammelten ſich um Nautaka, die Winterquartiere zu beziehen.
Dorthin kamen die Satrapen der naͤchſtgelegenen Landſchaften,
Phrataphernes von Parthien und Staſanor von Arien, die im ver-
gangenen Winter bei ihrer Anweſenheit in Zariaspa verſchiede[ne,]
wahrſcheinlich auf das Heerweſen bezuͤgliche Auftraͤge erhalten hat-
ten. Phrataphernes wurde darauf zuruͤckgeſandt, um den Sat[ra-]
pen der Mardier und Tapurier, Autophradates, der Alexanders
Befehle auf eine gefahrliche Weiſe zu misachten begann, feſtzuneh-
men. Auch Staſanor ging in ſeine Lande zuruͤck. Nach Med[ien]
wurde Atropates mit dem Befehle geſandt, den Satrapen Oxyda[tes]
[343] der ſich pflichtvergeſſen gezeigt hatte, zu entſetzen und deſſen Stelle
zu uͤbernehmen. Auch Babylon erhielt, da der treffliche Perſer
Mazaͤus geſtorben war, in der Perſon des Stamenes einen neuen
Satrapen. Sopolis, der Befehlshaber des Amphipolitiſchen Ge-
ſchwaders, und die Reuterobriſten Menides und Epocillus gingen nach
Europa, neue Truppen zu werben. — Die Winterraſt in Nautaka
wurde, ſo ſcheint es, zu Vorbereitungen fuͤr den Indiſchen Feldzug
benutzt, den Alexander in dem naͤchſten Jahre zu beginnen gedachte;
doch blieb zuvor noch etwas zu thun; denn in den faſt unzugaͤng-
lichen Bergen von Paraͤtacene 77a) hielten ſich noch einige von den
Baktrianiſchen Haͤuptlingen, die an der Empoͤrung des Jahres 329
Antheil genommen hatten, namentlich Katanes, Auſtanes und Cho-
rienes, deſſen Felſenburg, reichlich mit Vorraͤthen aller Art verſe-
hen, ſelbſt dem Eroberer des Sogdianiſchen Felſens Trotz bieten zu
koͤnnen ſchien. Nach dreimonatlicher Raſt brach das Macedoniſche
Heer gen Paraͤtacene auf; es war um Fruͤhlingsanfang, in den
waldigen Bergſchluchten lag tiefer Schnee, haͤufige Regenſchauer,
Glatteis, Aequinoctialſtuͤrme, furchtbare Gewitter machten die Maͤr-
ſche noch beſchwerlicher, das Heer litt an dem Nothwendigſten Man-
gel, viele blieben erſtarrt liegen; des Koͤnigs Beiſpiel, der Mangel
und Muͤhſal mit den Seinen theilte, hielt allein noch den Muth
der Macedonier aufrecht; es wird erzaͤhlt, daß der Koͤnig, als er
Abends am Bivouacfeuer ſaß, ſich zu erwaͤrmen, und einen alten
Soldaten, von Kaͤlte erſtarrt und wie bewußtlos heranwanken ſah,
aufſtand, ihm die Waffen abnahm und auf ſeinen Feldſtuhl beim
Feuer niederſetzen ließ; als der Veteran ſich erholt hatte, ſei-
nen Koͤnig erkannte, und beſtuͤrzt aufſtand, ſagte Alexander heiter:
„ſiehſt du, Kamerad, auf des Koͤnigs Stuhl zu ſitzen bringt bei
den Perſern den Tod, dir hat es das Leben wiedergegeben.“ End-
[344] lich langte man vor der Burg des Chorienes an; ſie lag auf einem
ſchroffen und uͤberaus hohen Felſen, an dem nur ein ſchmaler und
ſchwieriger Pfad hinauf fuͤhrte; uͤberdieß ſtroͤmte auf dieſer allein
zugaͤnglichen Seite in einer ſehr tiefen Schlucht ein Bergwaſſer
voruͤber. Alexander, gewohnt keine Schwierigkeit fuͤr unuͤberwind-
lich zu halten, befahl ſofort, in den Tannenwaͤldern, die ringsum-
her die Berge bedeckten, Baͤume zu faͤllen und Leitern zu bauen,
um vorerſt die Schlucht zu gewinnen. Tag und Nacht wurde ge-
arbeitet, mit unſaͤglicher Muͤhe gelangte man endlich in die Tiefe
hinab; nun wurde der Bach mit einem Pfahlwerk uͤberbaut, dann
Erde aufgeſchuͤttet, und auf dieſe Weiſe die Schlucht ausgefuͤllt;
bald arbeiteten die Maſchinen und ſchleuderten Geſchoſſe in die
Burg hinauf. Chorienes, der bisher die Arbeiten der Macedonier
gleichguͤltig mit angeſehen hatte, erkannte mit Beſtuͤrzung, wie ſehr
er ſich verrechnet habe; einen Ausfall auf die Gegner zu machen,
verhinderte die Natur des Felſens, gegen Geſchoſſe von oben her
waran die Macedonier durch ihre Schirmdaͤcher geſchuͤtzt. Endlich
mochten fruͤhere Beiſpiele ihn uͤberzeugen, daß es ſicherer ſei, mit
Alexander ſich zu vergleichen, als es zum Aeußerſten kommen zu laſ-
ſen; deshalb ließ er Alexander durch einen Herold um eine Unter-
redung mit Oxyartes bitten; ſie wurde geſtattet, und Oxyartes wußte
ſeinem alten Kampfgenoſſen leicht die letzten Zweifel zu nehmen,
die ihm geblieben ſein mochten; ſo erſchien Chorienes, von einigen
ſeiner Leute umgeben, vor Alexander, der ihn auf das Huldvollſte
empfing und ihm Gluͤck wuͤnſchte, daß er ſein Heil lieber einem
rechtſchaffenen Mann als einem Felſen wollte anvertraut ſein laſ-
ſen. Alexander behielt ihn bei ſich im Zelte und bat ihn, von ſei-
nen Begleitern einige abzuſenden, mit der Anzeige, daß die Feſte
durch guͤtlichen Vertrag an die Macedonier ergeben ſei, und daß
Allen, die ſich auf der Burg befaͤnden, (es waren namentlich viele
bei dem Aufſtande betheiligte Landeshaͤuptlinge dort) das Vergan-
gene vollkommen verziehen ſei. Am Tage darauf zog der Koͤnig,
von einem Corps der Hypaspiſten begleitet, hinauf, um die Burg
in Augenſchein zu nehmen; er bewunderte die Feſtigkeit des Pla-
tzes und ließ den fuͤr eine lange Belagerung getroffenen Vorſichts-
maaßregeln und Einrichtungen alle Gerechtigkeit widerfahren. Cho-
rienes verpflichtete ſich, das Heer auf zwei Monate mit Lebensmit-
[345] teln zu verſorgen; und ſofort ließ er aus den uͤberaus reichen Vor-
raͤthen ſeiner Burg den Macedoniſchen Truppen, die durch die
Strenge des Winters und durch ſo lange Entbehrungen ſehr mit-
genommen waren, Brod, Wein und eingeſalzenes Fleiſch zeltweiſe
vertheilen.


Alexander gab ihm die Burg und die Statthalterſchaft der
umliegenden Gegend zuruͤck; er ſelbſt ging mit dem groͤßten Theile
des Heeres nach Baktra, indem er den Kraterus mit einigen Ge-
ſchwadern der Ritterſchaft und vier Diviſionen der Phalanx weiter
nach Paraͤtacene hinein gegen Katanes und Auſtanes, die einzigen
noch uͤbrigen Empoͤrer, abſandte; die Barbaren wurden in einer
blutigen Schlacht uͤberwunden, Katanes erſchlagen, Auſtanes gefan-
gen vor Alexander gebracht, das Land zur Unterwerfung gezwun-
gen; in Kurzem folgte Kraterus mit ſeinen Truppen dem Koͤnige
nach Baktra 78). —


Es waren zwei Jahre verfloſſen, ſeit Alexander dieſe Gegen-
den zum erſten Male betreten und ein Unternehmen begonnen hat-
te, das, je groͤßere Schwierigkeiten es zu uͤberwinden geboten hatte,
deſto vollſtaͤndiger gelungen war; die Strenge der Maaßregeln,
deren es bedurft hatte, iſt durch den Erfolg und durch ihre Nach-
wirkung auf Jahrhunderte gerechtfertigt worden, und es verſtummt
der Vorwurf der Haͤrte vor der gerechteren Bewunderung, mit der
Alexanders Name noch heute von den Voͤlkern Maveralnahars ge-
feiert wird. In der That, die erſten hiſtoriſchen Beziehungen je-
nes merkwuͤrdigen Gebietes, das fortan in der Geſchichte des Mor-
genlandes eine entſcheidende Rolle ſpielen ſollte, datiren von dieſem
Zuge Alexanders. Nachdem er die Bevoͤlkerung mit maͤchtiger
Hand gebaͤndigt, die Fuͤrſten des Landes geſtraft und ihre Burgen
[346] zerſtoͤrt, denen, die ſich unterwarfen, verziehen und neue Macht
verliehen, endlich in mehreren Kolonien dem Helleniſtiſchen Leben,
fuͤr das er dieſe Voͤlker zu gewinnen hoffte, Kraft, Anhalt und
Beiſpiel gegeben hatte, war es an der Zeit, durch ein offenbares
und erfreuliches Zeugniß die Verſoͤhnung zu feiern, die allein dem
Neuen eine Zukunft ſichern konnte. Des Koͤnigs Vermaͤhlung
mit der Baktrianiſchen Fuͤrſtentochter Roxane 79), eben ſo ſehr
eine Maaßregel der weiſeſten Politik, wie das ſchoͤne Werk einer
Neigung, die dem Herzen des großen Mannes Ehre macht, war
zugleich das Vorbild jener vollkommenen Einigung Aſiens und Eu-
ropas, die Alexander als das Ziel ſeiner Siege und als die Grund-
lage ſeiner Macht erkannt und in allmaͤhliger Erweiterung durch-
zufuͤhren verſucht hat.


Fragt man, in wie weit Alexanders großes Werk einer Ver-
ſchmelzung des Abend- und Morgenlandes gelingen konnte und
ſchon gelungen war, ſo muß man vor Allem auf das Verhaͤltniß der
Elemente ſehen, die zu einander traten. Es iſt die Eigenthuͤmlich-
keit des Aſiatiſchen Weſens uͤberhaupt, ſproͤder, einfoͤrmiger und
beſchraͤnkter zu ſein; es mußte maaßgebend fuͤr die Geſtaltung des
Neuen werden, die Vorurtheile, die Anſchauungsweiſe, die ganze
Eigenthuͤmlichkeit Aſiatiſcher Voͤlker mußte die Richtung bezeichnen,
in der ſie, nachdem ſie einer Europaͤiſchen Macht unterworfen wa-
ren, ſich an dieſe gewoͤhnen, an dem Europaͤiſchen Weſen allmaͤhlig
Theil zu nehmen lernen konnten. Darum die Aſiatiſche Hofhal-
tung, mit der ſich der Koͤnig umgab, darum ſeine Mediſche Tracht,
in der er ſich gefiel, wenn die Waffen ruhten, darum das Ceremo-
[347] niel und die uͤberſchwengliche Pracht des Hofes, die der Morgen-
laͤnder als das „Gewand des Staates“ (Libas-i-daulet) an ſeinem
Gebieter zu ſehn fordert, darum endlich das Maͤhrchen von des
Koͤnigs goͤttlicher Abſtammung, uͤber die er ſelbſt mit ſeinen Ver-
trauten ſcherzte; es war dieß eine aͤhnliche Illuſion, wie die heroi-
ſche Abſtammung altgriechiſcher, wie das „von Gottes Gnaden“
der chriſtlichen Koͤnige. Die Macedonier ihrer Seits hatten laͤngſt
uͤber die Reichthuͤmer Aſiens, uͤber das neue wunderreiche Leben,
das ſich mit jedem Tage herrlicher erſchloß, uͤber die ſtete Muͤhe
des Heerdienſtes und den ſteten Taumel des Sieges, des Ruhmes
und der Herrſchaft jene altvaͤteriſche Einfalt aufgegeben, die vor
einem Jahrzehent noch der Spott der Attiſchen Rednerbuͤhne ge-
weſen war; die Begeiſterung fuͤr ihren Koͤnig, der nach wie vor
unter ihnen kaͤmpfte, der wunderbare Glanz ſeiner Herrlichkeit, in
deren Wiederſchein ſie ſich ſonnten, der unendliche Reiz des Herr-
ſeins, das jedem in ſeiner Sphaͤre hohes Selbſtgefuͤhl und die Be-
gier zu neuen Thaten gab, hatte ſie laͤngſt vergeſſen laſſen, daß ſie
friedliche Buͤrger in der Heimath ſein konnten. Und in der Hei-
math das Macedoniſche Volk, in ſchnellem Aufſchwung auf der
Hoͤhe des geſchichtlichen Lebens, es hoͤrte der Heimkehrenden wun-
derbare Erzaͤhlungen, es ſah die Reichthuͤmer Aſiens dem Vater-
lande zuſtroͤmen, es fuͤhlte ſich als das erſte Volk der Welt,
und die Hoheit des Koͤnigthums, das einſt nah und vertraulich
auf Einer Scholle Erde mit ihnen geweilt hatte, wuchs wie die
Entfernungen nach Babylon, nach Ekbatana, nach Baktrien und
Indien, ins Unendliche. — Was das Griechenthum anlangt, ſo
mußte es als Volk im Verhaͤltniß des ungeheueren Reiches ver-
ſchwinden; deſto wichtiger war es, wie ſich die Griechiſche Bildung,
der Alexander die Wege nach Aſien oͤffnete, zu dem Neuen ver-
hielt; ihr Charakter war der der Aufklaͤrung, laͤngſt war die alte
Religioſitaͤt, der Glaube an Orakel, Opfer und Goͤtter erſchuͤt-
tert; gebildet zu ſein galt hoͤher, als tugendhaft ſein; Frivolitaͤt,
Selbſtſucht und die Begierde, ſich irgendwie hervorzuthun, das wa-
ren die bewegenden und maaßgebenden Richtungen in dem Leben der
Einzelnen, das die Leidenſchaften, die ſo lange jede Vereinigung ge-
hindert und die Zerwuͤrfniſſe immerfort geſteigert hatten, bis Ale-
xanders Zuͤge jeder Kraft und jeder Begierde ein unendliches Feld
[348] erſchloſſen. Fortan wetteiferte der Grieche mit jedem Aſiaten in
Ueppigkeit und Unterwuͤrfigkeit; Rhetoren, Poeten, Witzlinge, wie
ſie waren, gefielen ſie ſich in Phraſen, wie ſie auf die Helden von
Marathon und Salamis, auf Heroen wie Perſeus und Herakles,
auf die Siege des Bacchus und Achilles zu wiederholen, aus der
Mode gekommen war; ſie erhoben den Heldenkoͤnig mit allem Ue-
bermaaß ihrer Rhetorik und ihres gewiſſenloſen Leichtſinnes; die
Ehren der alten Heroen und des Olymps mußten zum Preiſe des
maͤchtigen Herrſchers dienen. Denn laͤngſt hatten die Sophiſten ge-
lehrt, daß alle die, zu welchen man wie zu Goͤttern betete, eigent-
lich ausgezeichnete Kriegshelden, gute Geſetzgeber, vergoͤtterte Men-
ſchen waͤren; und ſo gut manches Geſchlecht ſich von Zeus oder
Apollon abzuſtammen ruͤhmte, eben ſo gut koͤnne ja wieder der
Menſchen Einer durch große Thaten wie einſt Herakles in den
Olymp kommen, oder wie Harmodius und Ariſtogiton heroiſcher
Ehren theilhaftig werden. Ohne Beiſpiel war dergleichen nicht;
der lahme Spartanerkoͤnig Ageſilaus war zwanzig Jahr fruͤher
von den Thaſiern mit Tempel und Altar zum Gott inſtallirt wor-
den, und Koͤnig Philipp hatte ſich im Koſtuͤm eines dreizehnten Olym-
piers bei den großen Feſtlichkeiten von Aegaͤ gezeigt. Um wie viel
Groͤßeres nun hatte Alexander gethan? und Kalliſthenes, der Schuͤ-
ler und Neffe des großen Ariſtoteles, ſchrieb in ſeinen Geſchichts-
buͤchern von dem unmittelbar goͤttlichen Urſprung Alexanders, ohne
daß man Anſtoß daran genommen haͤtte; ja die Athener hatten
ſchon fruͤher das heilige Theorenſchiff mit Geſandten an den Koͤnig
nach Tyrus geſchickt, und wenn ſpaͤterhin in Helleniſchen Staaten
ihm goͤttliche Ehren zu gewaͤhren in Vorſchlag gebracht wurde, ſo
war es nicht im Intereſſe der Religion, ſondern nur in dem
einer politiſchen Parthei, daß dem Antrag theilweiſe widerſprochen
wurde.


Alles dieß vorausgeſetzt, kann man ſich ein ungefaͤhres Bild
von der Umgebung Alexanders machen. Dieß bunte Durcheinander
der verſchiedenartigſten Intereſſen, das geheime Spiel von Rivali-
taͤten und Intriguen, der unablaͤſſige Wechſel von Gelagen und
Kaͤmpfen, von Feſtlichkeiten und Strapazen, von Ueberfluß und Ent-
behrung, von ſtrengem Dienſt im Felde und zuͤgelloſen Genuͤſſen in
den Cantonirungen, dazu das ſtete Weiterdringen in andere und an-
[349] dere Laͤnder, ohne Sorge fuͤr die Zukunft und nur der Gegenwart
gewiß, das Alles vereinte ſich, der Umgebung Alexanders jene aben-
theuerliche und phantaſtiſche Haltung zu geben, die zu dem wun-
derbaren Glanze ſeiner Siegeszuͤge paßte. Neben ſeiner uͤberwie-
genden Perſoͤnlichkeit treten die Einzelnen ſelten aus der Maſſe her-
vor, ihr Verhaͤltniß zum Koͤnige iſt ihr Charakter 80); ſo der edle
Kraterus, der den Koͤnig, der milde Hephaͤſtion, der Alexandern
liebte, ſo der unermuͤdliche Lagide Ptolemaͤus, der gewandte Kar-
dianer Eumenes, der das Kabinet des Koͤnigs leitete. Kenntlicher
ſind die allgemeinen Charaktere: die Macedoniſchen Edlen, kriegeriſch,
ungeſtuͤm, gebieteriſch, die Aſiatiſchen Fuͤrſten, ceremonioͤs, prunkend,
Meiſter in jeder Kunſt des Luxus, der Unterwuͤrfigkeit und Intri-
gue, die Helleniſchen Begleiter, theils in der Adjudantur und fuͤr
wiſſenſchaftliche Intereſſen beſchaͤftigt, theils als Dichter, Kuͤnſtler,
Philoſophen, Muͤßiggaͤnger im Gefolge des Koͤnigs, der, Grieche
genug, um unter den Waffen der Muſen nicht zu vergeſſen, ſich
gern von den Gebildetſten des Jahrhunderts gefeiert ſah, und we-
der Geſchenke noch Huld und Herablaſſung ſparte, um die fuͤr ſich
zu gewinnen, welche er um den Ruhm der Wiſſenſchaft beneidete.


Unter dieſen Hellenen in Alexanders Gefolge waren beſonders
zwei Literaten, die durch ſonderbare Verknuͤpfung der Umſtaͤnde
einige Bedeutung in den Verhaͤltniſſen des Hoflagers gewannen.
Der eine war der oben erwaͤhnte Olynthier Kalliſthenes; Schuͤler
und Verwandter des großen Ariſtoteles, der ihn ſeinem koͤniglichen
Zoͤglinge zugeſandt hatte, begleitete er den Koͤnig nach Aſien, um
als Augenzeuge die Großthaten der Macedonier der Nachwelt zu uͤber-
lifern; Philoſoph ohne Kenntniſſe, hochmuͤthig ohne Charakter, von
ſelbſtgefaͤlliger Wohlbeleibtheit und voll kleinlicher Schwaͤchen, glaubte
er eigentlich der große Mann zu ſein, unter deſſen Augen der Koͤ-
nig und das Heer jene Thaten ausfuͤhre, deren Weſen und Werth
er allein zu wuͤrdigen verſtaͤnde: durch ihn werde Alexanders Name
beruͤhmt werden, ihm und ſeinem Geſchichtswerke, nicht den Maͤhr-
chen, die Olympias ſich einrede, noch den Orakeln des Ammon und
[350] der Branchiden von Milet, danke es Alexander, daß er als Gott
geehrt werde 81). In dieſem Sinne hatte er bereits die Ge-
ſchichte einiger Jahre niedergeſchrieben, und ſeine pomphafte Dar-
ſtellung fand vielen Beifall; ſein Talent des muͤndlichen Vortrages,
ſeine zur Schau getragene Tugendhaftigkeit, ſeine affektirte Strenge
und Wuͤrde machten ihn beſonders bei den jungen Adligen in des
Koͤnigs Leibſchaar, die mit Eifer ſeine Vortraͤge hoͤrten, zu einem
Gegenſtande der Bewunderung. Sehr anders war der Abde-
rite Anaxarchus; er gehoͤrte einer laͤngſt veralteten Philoſophen-
ſchule an, deren materialiſtiſcher Tendenz ſeine Perſoͤnlichkeit ent-
ſprach; er war ein Mann von Welt, nicht kalt gegen die Genuͤſſe
des Lebens, gegen Mindere vornehm, dem Koͤnig der ſtets unter-
thaͤnige und oft laͤſtig; einſt bei einem Gewitter fragte er ihn-
donnerſt Du, Sohn des Zeus? worauf Alexander lachend antwor-
tete: ich mag mich meinen Freunden nicht ſo furchtbar zeigen, wie
du wohl wuͤnſcheſt, der du deswegen meine Tafel verachteſt, daß
ich „ſtatt der Fiſche nicht Satrapenkoͤpfe aufſetzen laſſe“ 82); ein
Ausdruck, deſſen ſich Anaxarchus bedient hatte, als er den Koͤnig
ſich an einem Gericht kleiner Fiſche, die ihm Hephaͤſtion geſchickt
hatte, freuen ſah 82a). Man kann ahnden, in welchem Sinne
ſeine Schrift von dem Koͤnigthum geſchrieben war 82b); noch mehr
zeigen das die Troſtgruͤnde, mit denen er nach Klitus Ermordung
den Koͤnig aufzurichten ſuchte: „weißt du nicht, o Koͤnig, ſagte et
damals, daß darum die Gerechtigkeit zur Beiſitzerin des Koͤnig
Zeus gemacht iſt, weil Alles, was Zeus thut, gut und recht iſt?
eben ſo muß, was ein Koͤnig auf dieſer Welt gethan, zunaͤchſt von
ihm ſelbſt, dann von der uͤbrigen Menſchheit fuͤr Recht erkannt
werden“ 83).


Kalliſthenes glaubte ſich, wie es ſcheint, von dem Koͤnige ver-
nachlaͤſſigt, und Andere vorgezogen; der philoſophiſche Mann be-
[351] gann ſich zu aͤrgern, ſich zuruͤckzuziehen, des Koͤnigs Tafel zu mei-
den oder durch hochmuͤthiges Schweigen die Aufmerkſamkeit auf
ſich zu wenden, und, ſonſt der eifrigſte Vertheidiger alles deſſen,
was Alexander that und wollte, den Republikaner zu ſpielen und
die gute alte Zeit zu ruͤhmen. Einſt war er zur Tafel beim Koͤ-
nige und wurde von dieſem aufgefordert, beim Wein eine Lobrede
auf die Macedonier zu halten; er that es mit der ihm eigenthuͤm-
lichen Kunſt unter dem lauteſten Beifall der Anweſenden. Dann
ſagte der Koͤnig, es ſei leicht das Ruhmreiche zu ruͤhmen, er moͤge
ſeine Kunſt beweiſen, indem er gegen dieſelben Macedonier ſpraͤche
und durch gerechten Tadel ſie des Beſſern belehren; das that der
Sophiſt mit ſchneidender Bitterkeit: der Griechen unſelige Zwie-
tracht habe die Macht Philipps und Alexanders gegruͤndet, im Auf-
ruhr komme auch ein Elender bisweilen zu Ehren. Empoͤrt ſprangen
die Macedonier auf, und Alexander ſagte: nicht von ſeiner Kunſt,
ſondern von ſeinem Haß gegen uns hat der Olynthier einen Beweis
gegeben. Kalliſthenes aber ging heim, und ſagte dreimal zu ſich
ſelbſt: Auch Patroklus mußte ſterben und war mehr denn du! 84).


Alexander wuͤnſchte, die Sitte der morgenlaͤndiſchen Anbetung
an ſeinem Hofe eingefuͤhrt zu ſehen; es haͤtte als ein Vorzug ge-
gen Griechen und Macedonier erſcheinen koͤnnen, wenn er nur von
Aſiaten dieſe Art der Huldigung, die ſeiner Macht gebuͤhrte, an-
nahm; er wuͤnſchte jeden aͤußeren Unterſchied aufgehoben. Den Vor-
urtheilen, an welchen Mancher haftete, mochte er nicht durch einen
Befehl Anlaß zur Misdeutung und Unzufriedenheit geben; er hoffte,
daß ſich die Sache in Form ſtillſchweigender Uebereinkunft machen
wuͤrde. Hephaͤſtion und einige Andere uͤbernahmen es, die Grie-
chen und die Macedoniſchen Generale zu bereden; auch Kalliſthenes
verpflichtete ſich, was bei ſeinem Anſehn wichtig war und Man-
chen uͤber ſeine etwanigen Bedenken beruhigen konnte. Als nun
am verabredeten Tage die Großen bei Alexander zur Tafel waren,
ſo nahm Alexander die goldene Schaale und trank ſeinen Freunden
einzeln zu, worauf ſich jeder zum Altar wandte, ſeinen Becher trank,
dann aufſtand, vor dem Koͤnige das Knie beugte, und ihn kuͤßte.
Als nun die Reihe an Kalliſthenes kam, und der Koͤnig ihm zu-
[352] getrunken, und dann mit Hephaͤſtion ſprach, der an ſeiner Sein
ſaß, ſtand der Philoſoph auf, leerte den Becher und ging zum Koͤ-
nige, um ihn zu kuͤſſen; der Koͤnig wollte es nicht ſehn, daß der
Mann nicht anbetete; aber einer der Getreuen ſagte: „Kuͤſſe ihn
nicht, Koͤnig, er iſt der einzige, der nicht angebetet“. Alexander
weigerte den Kuß, und Kalliſthenes ſprach, indem er ſich hinweg-
wandte: „So gehe ich um einen Kuß aͤrmer fort“. Unverkennbat
hatte der hochmuͤthige Mann dieſen Skandal geſucht; Hephaͤſtion
verſicherte den Koͤnig, daß er die Huldigung verſprochen habe; Ly-
ſimachus und Andere fuͤgten hinzu, es ſei nicht auszuhalten mit dem
Duͤnkel des Sophiſten, er wandle ſo ſtolz einher, als ob er das Koͤ-
nigthum ſtuͤrzen wolle, er ſei gefaͤhrlich, da ſich viele Macedoniſche
Juͤnglinge an ihn hingen, ſeine Worte wie Orakel, ihn ſelbſt wie den
einzigen Freien unter den Tauſenden des Heeres betrachteten. Und
nur zu bald ſollten dieſe Beſorgniſſe eine traurige Beſtaͤtigung fin-
den 85).


Nach
[353]

Nach einer ſchon von Koͤnig Philipp herſtammenden Einrich-
tung pflegten die Soͤhne der Macedoniſchen Großen mit ihrem Ein-
tritt ins Juͤnglingsalter in die Schaar der Edelknaben einzutreten,
um mit dem Dienſt um des Koͤnigs Perſon ihre kriegeriſche Lauf-
85)
23
[354] bahn zu beginnen; ſie waren im Felde ſeine Begleitung, ſie hat-
ten die Nachtwache vor dem Koͤnigszelte, ſie fuͤhrten ihm das Pferd
vor und huben ihn in den Buͤgel, ſie waren um ihn bei Tafel und
auf der Jagd; ſie ſtanden unmittelbar unter ſeiner Obhut, und nur
er durfte ſie ſtrafen; er ſorgte ihrer hohen Geburt und den hohen
Anforderungen ihrer kuͤnftigen Stellung angemeſſen fuͤr ihre wiſſen-
ſchaftliche Ausbildung, und namentlich fuͤr ſie waren beruͤhmte
Griechiſche Gelehrte im koͤniglichen Gefolge. Unter dieſen jungen
Adlichen war Hermolaus, der Sohn des Sopolis, des Befehlshe-
bers vom Amphivolitiſchen Geſchwader, deſſelben, der von Nau-
taka aus auf Werbung nach Macedonien geſandt war 86). Her-
molaus, ein eifriger Verehrer des Kalliſthenes und ſeiner Philoſo-
phie, hatte, ſo ſcheint es, die ſtrengen Anſichten und republikaniſchen
Theorien ſeines Lehrers mit Begeiſterung aufgefaßt, mit jugendlichen
Unwillen ſah er dieſe Vermiſchung des Perſiſchen und Macedoni-
ſchen Weſens, deren Nothwendigkeit er nicht begriff; das Selbſtge-
fuͤhl beſſerer Einſicht und der Trotz des unterdruͤckten Rechtes ver-
leiteten ihn zu einer eben ſo unbeſonnenen wie zweckloſen That.
Bei einer Jagd, als ein Eber auf die Wildbahn kam, und den
Koͤnige, der nach der Hofſitte den erſten Wurf hatte, vor den
Speer rannte, erlaubte ſich der junge Mann den erſten Wurf und
erlegte das Thier; ein Dienſtvergehen, das Alexander unter anderen
Umſtaͤnden vielleicht nicht beachtet haͤtte, bei Hermolaus aber als
abſichtlich anſah und demgemaͤß beſtrafte, indem er ihn zuͤchtigen
und ihm ſein Pferd nehmen ließ. Hermolaus war auf das Heſ-
tigſte empoͤrt; Kalliſthenes ſchuͤrte das Feuer ſeines Ingrimms mit
dem bitteren Troſte: er ſei ja ein Mann; dann ſprach er ihm von
dem Ruhme des Harmodius, der den einen Tyrannen ermordet
habe 87); und der auf goldenem Bette ruhe, ſei ein Menſch ver-
[355] wundbar wie alle. So reifte in der Seele des ungluͤcklichen Juͤnglings
der Gedanke der traurigſten Rache. Sein Buſenfreund war So-
ſtratus, der Sohn des Stymphaͤers Amyntas, deſſelben, der mit
ſeinen drei Bruͤdern bei der Philotasverſchwoͤrung in den Verdacht
der Theilnahme gefallen war, und, um ſich aller Schuld frei zu
zeigen, den Tod im Kampfe geſucht hatte; dieſem Soſtratus theilte
ſich Hermolaus mit: das Leben ſei ihm verleidet, wenn er ſich nicht
raͤchen koͤnne. Leicht war Soſtratus gewonnen: es ſei ja Alexan-
der, der ihm ſchon den Vater entriſſen, der ihm jetzt den Freund
beſchimpft. Die beiden Juͤnglinge zogen noch vier andere aus der
Schaar der Edelknaben ins Geheimniß; es waren Antipater, der
Sohn des Asklepiodor, des geweſenen Statthalters von Syrien,
Epimanes, Arſeas Sohn, Antikles, Theokrits Sohn und der Thra-
ciſche Philotas, des Karſis Sohn; ſie verabredeten, in der Nacht,
wenn Antipater die Wache haͤtte, den Koͤnig im Schlafe zu er-
morden. Die Nacht kam; Alexander hatte mit den Freunden zu
Abend gegeſſen und blieb laͤnger als ſonſt in der Geſellſchaft der
Getreuen; ſchon war Mitternacht voruͤber, man wollte aufbrechen
und ſich zur Ruhe begeben. Nun war, ſo heißt es, ein Syriſches
Weib, voll Zauber und Weiſſagung, in ihrem begeiſterten Wahn-
ſinn dem Koͤnig ſeit Jahren gefolgt, und hatte den Freunden ſchon
oft Anlaß zu Spott und Neckereien gegen Alexander gegeben, der
dann lachend einſtimmte; als ſich aber wiederholentlich ihre Spruͤche
wahr erfunden, misachtete ſie der Koͤnig nicht laͤnger, er befahl, ihr
Nacht und Tag den Zugang zu ſeiner Perſon zu geſtatten, und
oftmals war ſie in der Stille der Mitternacht ploͤtzlich vor ſeinem
Bette erſchienen, mit Warnung oder Rath. Als man jetzt eben
von Tafel aufbrach, ſtand das Weib an des Koͤnigs Seite und bat
ihn: „bleib und trinke die Nacht durch!“ Und Alexander rief froͤh-
lich den Freunden zu, ſie moͤchten bleiben, ſo wollten es die freund-
lichen Goͤtter. So tranken und ſcherzten ſie bis zum Morgen.
Als nun Alexander, da ſchon der Tag anbrach, heimging, und die
Pagen, deren Zeit ſchon lange voruͤber war, noch wachen und ihn
erwarten ſah, lobte er ſie fuͤr ihre Sorge, und entließ ſie reich be-
ſchenkt. Die Verſchworenen gingen heim, entſchloſſen, die naͤchſte
Nachtwache, die auf ſie fiel, zu benutzen. Epimenes ſah Tages
darauf ſeinen Buſenfreund Charikles, den Sohn des Menander,
23 *
[356] der als Befehlshaber eines feſten Platzes im Baktriſchen von Ale-
xander vor Kurzem, weil er den ihm anvertrauten Poſten verlaſſen
hatte, niedergeſtochen war 88). Epimenes mochte ſeinem Freunde
nicht laͤnger das Geheimniß verhehlen; er ſagte ihm, was bereits
geſchehen, was noch im Werke ſei. Beſtuͤrzt und empoͤrt eilte Cha-
rikles zu ſeines Freundes Bruder Eurylochus, und beſchwor ihn
durch ſchnelle Anzeige den Koͤnig zu retten; ſofort ging dieſer in
des Koͤnigs Zelt, und entdeckte dem Lagiden Ptolemaͤus den furcht-
baren Plan. Auf ſeine Anzeige befahl der Koͤnig, ſchleunigſt die
Verſchworenen nebſt Kalliſthenes, deſſen Verhaͤltniß zu ihnen be-
kannt war, zu verhaften; ſie wurden verhoͤrt, ſie bekannten auf der
Stelle ihren Plan, ihre Genoſſen, Kalliſthenes Mitwiſſenſchaft.
Dann wurde das Heer zum Kriegsgericht berufen, die Gefangenen,
außer Kalliſthenes (denn dieſer war Grieche) vorgefuͤhrt; ber Koͤ-
nig klagte auf Hochverrath; mit lautem Unwillen hoͤrten die tap-
feren Macedonier von dem Plan und ihres Koͤnigs Gefahr. Dann
fragte Alexander die Verſchworenen, was ſie zu ihrer Vertheidigung
vorzubringen haͤtten. Hermolaus nahm das Wort, er ſprach mit
dem Gefuͤhl eines Maͤrtyrers der Wahrheit und dem ganzen Stelz
der Hoffnungsloſigkeit: Alexanders Uebermuth koͤnne kein freier
Mann mehr ertragen; der Macedonier Ruhm ſei durch des Koͤ-
nigs Frevel tauſendfach geſchaͤndet; gegen Recht und Sitte ſei
Philotas hingerichtet, der greiſe Parmenion meuchlings ermordet,
trunken habe der Koͤnig den edlen Klitus, der ihm das Leben ge-
rettet, durchbohrt, niemand mehr ſei vor dem Despoten ſicher; mit
Aſiatiſche Sklaven wolle er um ſich ſehen; ſchon ſei verſucht, freie
Macedonier zur Anbetung zu zwingen; der Koͤnig wiſſe, daß er,
Verraͤther an der Sitte der Vaͤter, mit ſeinem Mediſchen Kleide
und ſeiner Aſiatiſchen Wolluſt, mit ſeinem zwiſchen Rauſch und
Schlaf getheilten Leben unter freien Maͤnnern verachtet und ge-
faͤhrdet, nur unter Erniedrigten und mit ihm Entarteten ſeines
unwuͤrdigen Lebens ſicher ſei; die Verſchworenen haͤtten ſich und
die Macedonier befreien wollen, bevor es zu ſpaͤt geweſen. Die
Macedonier aber, empoͤrt uͤber den verruchten Anſchlag, ſteinigten
[357] nach der Sitte der Vaͤter ihn und ſeine Genoſſen. Kalliſthe-
nes aber, der wenn auch nicht unmittelbaren Antheil an dem Ver-
brechen gehabt hatte, wurde in Ketten geworfen, um ſpaͤter im
Beiſein des Ariſtoteles, gegen deſſen Treue der Koͤnig Zweifel zu
hegen begann, gerichtet zu werden. Alexander ſchrieb daruͤber an
Antipater: „die jungen Verraͤther ſind von den Macedoniern geſtei-
nigt worden, den Sophiſten aber will ich ſelbſt beſtrafen, und auch
diejenigen, die ihn zu mir geſchickt haben, und die in ihren Staͤd-
ten Verraͤther gegen mich aufnehmen“. Kalliſthenes aber ſtarb, be-
vor er gerichtet war, waͤhrend des Indiſchen Feldzuges an der
Laͤuſeſucht 89). —


[[358]]

Siebentes Kapitel.
Der Indiſche Feldzug
.


Indien, durch die vollendete Eigenthuͤmlichkeit ſeiner Natur, ſei-
ner Bevoͤlkerung, ſeiner Civiliſation in ſich abgeſchloſſen, iſt lange
Jahrhunderte hindurch von den geſchichtlichen Bewegungen der
Weſtwelt unberuͤhrt geblieben. Von zweien Seiten umfluthen es
Oceaniſche Meere, in denen erſt ſpaͤt Wiſſenſchaft und Betriebſam-
keit die Straßen der leichteſten und ſicherſten Verbindung finden
ſollte; von zweien anderen Seiten thuͤrmen ſich in doppelter und
dreifacher Umwallung Gebirgsmaſſen auf, durch deren Schneepaͤſſe
und gluͤhende Felsſpalten der fromme Pilger, der wandernde Han-
delsmann, der Raͤuber der Wuͤſte einen muͤhſamen Weg findet.
Auch bedarf dieß Land der Hindu nicht des Verkehrs mit der Welt
draußen; vielgeſtaltig in ſich, uͤberreich an Erzeugniſſen aller An,
bis zum Unglaublichen bevoͤlkert, hat es in vollendeter Selbſtſtaͤn-
digkeit eine Geſchichte von Jahrtauſenden entwickelt; ihre Erinne-
rungen ſind dem eigenen Volke faſt verſchwunden, in zeit- und raum-
loſen Phantaſtereien ſcheint deſſen Gedaͤchtniß verkommen zu ſein,
ſeit es aufgehoͤrt hat, ſich ſelbſt anzugehoͤren; aber dem voraus liegt
eine Vergangenheit großer und mannich faltiger Entwickelungen; in ih-
rer Bluͤthe ſcheint ſie der Macedoniſche Eroberer geſehen zu haben, der
erſte Fremdling des Abendlandes, der den Weg nach Indien gefunden.


Ein Strom durchbricht den Felſenwall, der Indien von der
Weſtwelt ſcheiden ſollte; entſprungen aus jenen Bergen, denen
dicht aneinander die Gewaͤſſer von Turan und Ariana, von Balk
und Kandahar entquellen, ſtuͤrzt er ſich oſtwaͤrts zu dem Bette des
Indus hinab; umſonſt thuͤrmen ſich im Norden und Suͤden
[359] des Stromes die wildeſten Felſenmaſſen empor, ſie oͤffnen ſei-
nen Fluthen ein breites Thor, und das Thal von Lamghanat
fuͤhrt zu dem fruchtuͤppigen Tropenklima Indiens hinab. Und doch
iſt es noch nicht das rechte Indien, das ſich hier oͤffnet; die fuͤnf
Stroͤme des Panſchab, die Ueberſchwemmungen der Sommer, der
breite Guͤrtel der Wuͤſte im Oſten und Suͤden machen das Abend-
land Indiens zu einer zweiten Schutzwehr des heiligen Ganges-
landes, und es iſt, als habe die Natur einen Liebling vor Gefah-
ren, denen ſie ſelbſt einen Weg geoͤffnet, doch noch zu ſchuͤtzen ver-
ſuchen wollen. An das Gangesland iſt alles Heilige und Große,
was der Hindu kennt, geknuͤpft, dort iſt der uralte fromme Glaube
und die ſtrenge Sonderung der Kaſten, die aus Brahma gezeugt
ſind, heimiſch, dort ſind die heiligſten Orte der Wallfahrten und der
Strom des geweihten Waſſers; die Staͤmme im Abend der Wuͤ-
ſte, obſchon verwandten Geſchlechtes und Glaubens, ſind abgewi-
chen von der ſtrengen Reinheit des goͤttlichen Geſetzes, ſie haben
nicht den Verkehr mit den Javanen in der Außenwelt gemieden,
ſie haben nicht die Wuͤrde koͤniglicher Herrſchaft, nicht die Lauter-
keit der Kaſten, nicht die Abgeſchloſſenheit gegen die unreinen und
verhaßten Fremdlinge bewahrt, in der doch Bedingung, Sicherung
und Beweis des heiligen Lebens beruht; ſie ſind die Entarteten und
den Fremdlingen Preis gegeben.


Und in der That, die Fremdlinge haben nicht umſonſt jenes
Voͤlkerthor, das zum ſchoͤnen Indien hinabfuͤhrt, geoͤffnet geſehen.
Indier wohnten an dem Weſtſtrom aufwaͤrts bis zu ſeinen Quel-
len im Paropamiſus; aber ſie widerſtanden dem Voͤlkerdraͤngen nicht,
das von Abend her ſich den gluͤcklichen Ebenen Indiens zuwendete.
Aelter als die Geſchichte iſt der Beginn dieſes Vordringens gen
Oſten; aus den wuͤſten Gebirgen Arianas, aus den Klippeneinoͤden
von Koraſſan ſind nomadiſche Horden dorthinabgewandert; aber
zu roh zum Erobern blieben ſie mit ihren Heerden auf den Ge-
birgsweiden, die zu dem reichen Thallande des Indus hinabſchau-
en 1). Dann ward Aſſyrien maͤchtig; aber die ſtolze Semiramis
[360] ſah an der Indiſchen Bruͤcke die Kameele der weſtlichen Steppen
vor den Elephanten des rieſigen Oſtens fluͤchten; und Perſien, ploͤtz-
lich groß um langſam abzuſterben, hat an den Ufern des Indes
den Beginn einer großen Zukunft geſucht, um deren Erfuͤllung es
die Kaͤmpfe im Abendlande betrogen.


Nie hat ſich die Herrſchaft der Achaͤmeniden bis jenſeits des
Indus erſtreckt; die Ebene am Fuß des Paropamiſus mit den
weſtlichſten Zweigen Indiſcher Bevoͤlkerung war das letzte Gebiet,
das die Großkoͤnige mit Sicherheit beſaßen; von dort aus hatte
der große Darins ſeine Schiffe gen Sonnenaufgang hinab geſandt,
daß ſie die Muͤndungen des Indiſchen Stromes erkundeten, von
dort her waren die Elephanten des letzten Perſerkoͤnigs, die erſten,
welche die Weſtwelt ſah, gekommen. Oeſtlichere Landſtriche zu
erobern, gelang jenem großen Darius nur fuͤr die Dauer ſeiner
Herrſchaft, und in der ſpaͤteren Achaͤmenidenzeit verſchwindet jede
Spur eines Verhaͤltniſſes zu den Induslaͤndern. Statt deſſen
tritt im Oſten des Kohiſtan am Kophen auf das Deutlichſte eine
Menge unabhaͤngiger Staaten hervor, die ſich uͤber die fuͤnf Stroͤme
gen Oſten bis zur Wuͤſte, gen Suͤden bis zur Indusmuͤndung aus-
dehnte, eine Muſterkarte kleinerer und groͤßerer Voͤlker, Fuͤrſtenthuͤmer
und Republiken, ein buntes Durcheinander politiſcher Zerſplitterung
und religioͤſer Verwirrung, unter einander ohne andere Gemein-
ſchaft als die der gegenſeitigen Eiferſucht und des ſteten Wechſels
von treuloſen Buͤndniſſen und ſelbſtſuͤchtigen Fehden. —


Alexander hatte mit der Unterwerfung des Sogdianiſchen Landes
die Beſitznahme des Perſerreiches vollendet; die Satrapie des
Paropamiſus, die er im Jahre 329 beſetzt hatte, war, wenn ſchen
von Indiern bewohnt, doch ein Theil des Achaͤmenidenreiches, deſſen
Grenzen er noch nicht uͤberſchritten, aber allerdings ſchon auf die ent-
ſchiedenſte und nach allen Seiten hin drohendſte Weiſe beſetzt hatte.
Seiner Abſicht, auch in Indien das Gluͤck ſeiner Waffen zu ver-
ſuchen, boten die politiſchen Verhaͤltniſſe der Fuͤrſten des Indus-
landes eine erwuͤnſchte Gelegenheit. Leider ſind die Nachrichten
daruͤber mangelhaft, und kaum daß uns die Folgen der vielfachen
ſchon fruͤher angeknuͤpften Verbindungen uͤber ihren Charakter und
ihren Zweck einigen Aufſchluß geben. Von uͤberwiegender Wichtigkeit
war Alexanders Verhaͤltniß mit dem Fuͤrſten von Taxila; das Reich
[361] deſſelben lag auf dem Oſtufer des Indus, der Muͤndung des Ko-
phenfluſſes gegenuͤber, es erſtreckte ſich oſtwaͤrts gegen den Hydas-
pes hin in einer Ausdehnung, die man der der Aegyptiſchen Statt-
halterſchaft gleich ſchaͤtzte. Der Fuͤrſt, mit mehreren ſeiner Nach-
barn, namentlich dem Fuͤrſten Porus am Hydaspes, verfeindet und
zugleich nach Erweiterung ſeines Gebietes begierig, hatte den Koͤ-
nig Alexander waͤhrend ſeines Aufenthaltes in Sogdiana zu einer
Indiſchen Heerfahrt aufgefordert und ſich bereit erklaͤrt, die In-
dier, die ſich ihm zu widerſetzen wagen wuͤrden, mit ihm gemein-
ſchaftlich zu bekaͤmpfen 2). Dieß war, ſo ſcheint es, der erſte aͤu-
ßere Anknuͤpfungspunkt fuͤr den Feldzug, zu dem ſich Alexander,
wie ſeine Antwort an den Chorasmierkoͤnig erweiſet, bereits zur
Zeit der Winterraſt in Zariaspa entſchloſſen hatte. Ein guͤnſtiger
Zufall wollte, daß der Indiſche Fuͤrſt Siſikyptos, der mit Beſſus
in Verbindung getreten war und demſelben Indiſche Huͤlfstruppen,
um das Baktriſche Koͤnigthum zu vertheidigen, zugeſagt hatte, nach
des Koͤnigsmoͤrders Gefangennehmung ſich an Alexander ergab und
in ſeinen Dienſt trat, in dem er ſich bald durch treue Ergebenheit
auszeichnete 3). Durch dieſe und andere Verbindungen konnte Ale-
xander uͤber die Indiſchen Verhaͤltniſſe, uͤber die Natur des Lan-
des und ſeiner Bevoͤlkerung Hinreichendes in Erfahrung bringen,
um den Gang ſeines großen Unternehmens und die zu demſelben
erforderlichen Vorbereitungen und Streitkraͤfte mit einiger Sicher-
heit beſtimmen zu koͤnnen 4).


Und in der That laͤßt ſich in den neuen und bedeutenden Vor-
bereitungen, die waͤhrend des letzten Jahres gemacht wurden, die
richtige Wuͤrdigung der bevorſtehenden Schwierigkeiten keinesweges
verkennen. Das disponible Heer, das ſeit der Vernichtung der
Perſiſchen Macht nicht eben bedeutend zu ſein brauchte, um die
einzelnen Satrapien zu unterwerfen, war zum Kampfe gegen die
ſtark bevoͤlkerten und mit großer Kriegsmacht verſehenen Indiſchen
Staaten unzureichend; die Europaͤiſchen Truppen, obſchon deren im-
[362] mer neue Tauſende von Beute und Ruhm gelockt gen Aſien nach-
gezogen waren, ſo daß die anfaͤngliche Zahl von fuͤnf und dreißig
tauſend Combattanten im Lauf der ſechs Jahre trotz der vielen
Kaͤmpfe und der unberechenbaren Verluſte, welche die unausgeſetzten
Anſtrengungen, die Zuͤge durch Schneegebirge, die Einfluͤſſe frem-
der Klimate und die eben ſo oft durch Mangel wie durch Ueber-
fluß ungeſunde Lebensweiſe hervorgebracht haben mußte, ſich den-
noch verdoppelt haben mochte, waren zum guten Theil als Beſa-
tzungen der occupirten Laͤnder und der Hauptwaffenplaͤtze in denſel-
ben zuruͤck geblieben; das Oxianiſche Gebiet allein behielt ein Corps
von zehntauſend Mann Fußvolk und viertauſend fuͤnfhundert Reu-
tern, fuͤr Ariana waren viertauſend fuͤnfhundert Mann im Ara-
choſiſchen Alexandrien geblieben; nicht minder bedeutende Streit-
kraͤfte mußten in Ekbatana, Babylon, Aegypten u. ſ. w. ſtehen, wenn
ſchon es wahrſcheinlich iſt, daß namentlich die Weſtſatrapien nicht
von der großen Armee, ſondern aus Europa ſelbſt ihre Beſatzun-
gen ergaͤnzten. Um jene Luͤcken auszufuͤllen und fuͤr den Indiſchen
Feldzug die erforderliche Streitmacht ins Feld zu ſtellen, wurden
namentlich aus den ſtreitbaren Voͤlkern der Oxianiſchen und Aria-
niſchen Laͤnder vielfache Schaaren angeworben, die ſich dann in ih-
rer Weiſe bewaffnet der Macedoniſchen Hauptmaſſe anſchloſſen;
Baktrianer, Parthier, Scythen und Sogdianer, desgleichen Phoͤ-
nicier, Aegypter, Kleinaſiaten zogen mit gen Indien 5); die Geſammt-
zahl des Heeres ſoll ſich auf hundert und zwanzigtauſend Mann,
die funfzehntauſend Reuter, wie Einige behaupten, nicht mit einge-
rechnet, belaufen haben 6).


[363]

Gegen Ende des Fruͤhlings 327 brach Alexander von Bak-
trien auf. Die Gebirgswege, die vor zwei Jahren ſo viele Muͤhe
gemacht hatten, lagen jetzt frei von Schnee, Vorraͤthe waren reich-
lich vorhanden; auf einer kuͤrzeren Straße 7) erreichte man nach ei-
nem zehntaͤgigen Marſche die Stadt Alexandrien am Suͤdabhange
des Gebirges. Alexander fand ſie nicht in dem Zuſtande, wie er
erwartet hatte; Niloxenus, der ſeine Befehlshaberſtelle nicht mit
der nothwendigen Umſicht und Kraft verwaltet hatte, wurde ent-
ſetzt, auch der Perſer Proexes verlor ſein Amt als Satrap der
Paropamiſaden; aus der Umgegend wurde die Bevoͤlkerung der
Stadt vermehrt, von dem Heere blieben die zum Dienſt untaugli-
chen in ihr zuruͤck; den Befehl uͤber die Stadt und ihre Beſa-
tzung, ſo wie den Auftrag, fuͤr ihren weiteren Ausbau Sorge zu
tragen, erhielt Nikanor, von den Getreuen des Koͤnigs 8); Tyrias-
pes wurde zum Satrapen des Landes beſtellt, deſſen Grenze fort-
an der Kophenfluß 9) am Weſtabhange des Koondgebirges ſein ſollte.
Alexander zog durch dieß ſchoͤne, blumenreiche Land zu der einhei-
miſchen Hauptſtadt Kabura oder Ortoſpana, der die Macedo-
nier, ſo ſcheint es, zum gluͤcklichen Omen fuͤr den naͤchſten Feldzug
den Namen Siegesſtadt, Nicaͤa 10), gaben; die Opfer, die der
6)
[364] Koͤnig fuͤr Pallas Athene brachte, bezeichneten, ſo war es ſeine
Weiſe, den Beginn des neuen Feldzugs.


Das Heer nahte ſich dem Grenzſtrome der Paropamiſaden;
Herolde waren vorausgeſandt an die Indiſchen Fuͤrſten, die am
unteren Laufe des Kophenſtroms und am Ufer des Indus herrſch-
ten; Alexander ließ ſie zu ſich entbieten, um ihre Huldigung
zu empfangen. So kam der Fuͤrſt von Taxila und mehrere Ra-
jas des Landes dieſſeits des Indus, nach der prunkenden Art der
Hindufuͤrſten auf geſchmuͤckten Elephanten und mit reichem Gefolge; ſie
brachten dem großen Koͤnige koſtbare Geſchenke, ſie boten ihm ihre
Elephanten, es waren fuͤnf und zwanzig, zum beliebigen Gebrauch.
Alexander ſeinerſeits eroͤffnete ihnen, er hoffe im Laufe dieſes Som-
mers das Gebiet bis zum Indus zu beruhigen, er werde die vor
ihm erſchienenen Fuͤrſten belohnen, diejenigen aber, welche ſich nicht
unterworfen haͤtten, zum Gehorſam zu zwingen wiſſen, er gedenke den
Winter am Indus zuzubringen, um mit dem naͤchſten Fruͤhlinge die
Feinde ſeines treuen Verbuͤndeten, des Fuͤrſten von Taxila, zu ſtra-
fen. Sodann theilte er ſeine geſammten Streitkraͤfte zu zwei Ar-
meen, von denen die eine unter Perdikkas und Hephaͤſtion an dem
rechten Ufer des Kophen zum Indus hinabziehen ſollte, waͤhrend
er ſelbſt mit der anderen das ſehr ſchwierige, von ſtreitbaren Voͤl-
kern bewohnte Land im Norden deſſelben Fluſſes durchziehen
wollte 11).


Demnach ruͤckten die beiden Generale Hephaͤſtion und Per-
dikkas mit drei Phalangen, mit vier Geſchwadern der Macedoni-
ſchen Ritterſchaft und der ſaͤmmtlichen fremden, namentlich Aſia-
tiſchen Reuterei, am rechten Ufer des Kophenfluſſes hinab, indem
die Indiſchen Fuͤrſten, die dem Koͤnige gehuldigt hatten, mit ihnen
in ihre Laͤnder zuruͤckkehrten; die Generale hatten Befehl, alle be-
deutenden Staͤdte zu beſetzen, oder falls ihre Uebergabe geweigert
wuͤrde, ſie mit Gewalt zu unterwerfen, an den Ufern des Indus
angelangt, ſofort den Bau der Indusbruͤcke zu beginnen, uͤber
10)
[365] welche Alexander nach dem Inneren Indiens vorzuruͤcken ge-
dachte 12).


So die Suͤdarmee; waͤhrend deſſen ging Alexander mit den
Hypaspiſten, mit vier Geſchwadern der Ritterſchaft, unter dieſen
die Leibſchaar, mit dem groͤßeren Theile der Macedoniſchen Phalangen,
mit den Bogenſchuͤtzen, den Agrianern und den reitenden Schuͤtzen
uͤber den Kophen und durch den Paß von Jellalli oſtwaͤrts vor.
Dort ſtuͤrzt ein Bergſtrom, der Choas oder Choaspes von den ho-
hen Gebirgen im Norden her zum Kophen herab, und bildet laͤngs
den maͤchtigen Felſenlagen des Koond ein wildes Thalland; gegen-
uͤber erheben ſich die Gebirge von Neuem, wenn auch minder ge-
waltig, doch immer gefaͤhrlich genug fuͤr militaͤriſche Bewegungen;
das Volk der Aspaſier oder Hippaſier hatte hier ſeine Sitze, ſeine
Bergfeſten, ſeine zahlreichen Heerden; einige Tage nordwaͤrts am
Choaspes lag die Fuͤrſtenſtadt Gorydale, wichtig auch durch die
Gebirgsſtraße, die hier voruͤber nach dem Quelllande des Oxus
fuͤhrt 13). Sobald nun Alexander uͤber dieſen Fluß geſetzt war,
und dem ſich allmaͤhlig verengendem Thale folgend die Suͤdgraͤnze
des Aspaſiſchen Landes erreichte, fluͤchteten ſich die Einwohner ſofort
theils in die Berge, theils in die feſten Staͤdte, entſchloſſen den
Macedoniern Widerſtand zu leiſten. Deſto mehr eilte Alexander
vorwaͤrts; mit der geſammten Reuterei und achthundert ſeiner Hyp-
[366] aspiſten, die gleichfalls beritten gemacht wurden, ruͤckte er voraus und
gelangte bald zu der erſten Stadt der Aspaſier, die mit einer doppelten
Mauer verſehen war und durch eine bedeutende unter den Waͤllen auf
geſtellte Streitmacht vertheidigt wurde. Unmittelbar vom Marſch
aus griff der Koͤuig an; nach einem heftigen Gefecht, in dem er
ſelbſt in der Schulter, und von ſeiner naͤchſten Umgebung die Leib-
waͤchter Ptolemaͤus und Leonnatus verwundet wurden, mußten ſich
die Barbaren hinter die Mauern ihrer Stadt zuruͤck ziehen. Der
Abend, die Erſchoͤpfung der Truppen, die Wunde des Koͤnigs
machten weiteren Kampf unmoͤglich; die Macedonier lagerten hart
an den Mauern der Stadt. Fruͤh am naͤchſten Morgen begann der
Sturm; die Mauer ward erſtiegen und beſetzt; erſt jetzt ſah man
die zweite ſtaͤrkere Mauer der Stadt, die auf das ſorgſamſte be-
ſetzt war. Indeß war die Hauptmaſſe des Heeres nachgeruͤckt;
ſofort wurde zum neuen Angriff geſchritten; waͤhrend die Schuͤtzen
von allen Seiten her die Poſten auf den Mauern trafen, wurden
die Sturmleitern angelegt, bald waren hie und da die Zinnen er-
klommen; die Feinde hielten nicht laͤnger Stand, ſie ſuchten aus
den Thoren der Stadt auf die Berge zu entkommen; viele wur-
den erſchlagen; die Macedonier, uͤber des Koͤnigs Wunde erbittert,
ſchonten Niemandes; die Stadt ſelbſt wurde dem Erdboden gleich
gemacht 14).


Dieſer erſte Erfolg war nicht ohne den wirkſamſten Eindruck
auf die Feinde; eine zweite Stadt Andaka, an dem Paßwege vom
Choaspes zum naͤchſten Flußthal gen Oſten belegen, ergab ſich ſo-
fort und rettete ſich dadurch; ſie erhielt eine Macedoniſche Beſe-
tzung, da ihre Lage ſie zu einem Hauptpunkte des Landes machte;
ſie beherrſchte den ganzen oͤſtlichen Theil des Aspaſiergebietes, der
ſich laͤngs den Bergen, welche ihre Quellen zum Soaſtusfluß hinab
ſenden, bis nordwaͤrts zur feſten Stadt Arigaͤum hinzog. Krate-
rus mit dem groͤßeren Theil des ſchweren Fußvolkes erhielt den
Auftrag, dieſen Landesſtrich zu durchziehen und zu unterwerfen,
und durch das Thal von Berawal gen Arigaͤum zu ruͤcken 15)
[367] Alexander ſelbſt wandte ſich mit den uͤbrigen Truppen nordoſtwaͤrts
zum Choaspes, um in moͤglichſter Schnelle Gorydale zu erreichen,
und wo moͤglich den Fuͤrſten ſelbſt in ſeine Gewalt zu bekommen.
Bereits am zweiten Tage erreichte er die Stadt, doch war die
Kunde von ſeinem Anruͤcken vorausgeeilt; die Stadt ſtand in vol-
len Flammen, die Wege zu den Bergen waren mit Fliehenden be-
deckt, ein fuͤrchterliches Gemetzel begann; doch hatte der Fuͤrſt ſelbſt
mit ſeiner zahlreichen und wohlbewehrten Leibwache bereits die un-
wegſamen Hoͤhen erreicht. Ptolemaͤus, der im Getuͤmmel den fuͤrſt-
lichen Zug erkannt und heftig verfolgt hatte, ruͤckte, ſobald das
emporſteigende Gelaͤnde fuͤr ſein Pferd zu ſteil wurde, zu Fuß an
der Spitze der wenigen Hypaspiſten, die um ihn waren, in moͤg-
lichſter Eile den Fliehenden nach; da wandte ploͤtzlich der Fuͤrſt
mit ſeinen Kriegern, ſtuͤrmte auf die Macedonier los, warf ſich
ſelbſt auf Ptolemaͤus, ſchleuderte ihm den Speer gegen die Bruſt;
Ptolemaͤus, durch ſeinen Harniſch gerettet, rannte dem Fuͤrſten die
Lanze durch die Huͤften und riß den Sterbenden zu Boden. Der
Fall des Fuͤrſten entſchied den Sieg; waͤhrend die Macedonier ver-
folgten und niedermetzelten, begann der Lagide den fuͤrſtlichen
Leichnam ſeiner Ruͤſtung zu berauben. Das ſahen die Aspaſier von
den Bergen; ſie ſtuͤrzten ſich in wilder Wuth herab, wenigſtens
die Leiche ihres Fuͤrſten zu retten; indeß war auch Alexander her-
angekommen; ein heftiger Kampf entſpann ſich, mit Muͤhe wurde
der Leichnam behauptet, erſt nach ſchwerem Kampf zogen ſich die
fuͤhrerloſen Barbaren tief in die Berge zuruͤck 16).



[368]

Alexander, nicht Willens weiter hinauf in die Schneegebirge
vorzudringen, wandte ſich von der Gegend von Gorydale oſtwaͤrts,
um durch die Bergpaͤſſe, die dem Thale des Guraͤus zufuͤhren, die
Stadt Arigaͤum zu erreichen. Er fand die Stadt niedergebrannt
und verlaſſen, die Bevoͤlkerung war in die Berge geflohen. Die
Wichtigkeit dieſer Lokalitaͤt, welche die einzige Straße zum Choas-
pes beherrſcht, bewog den Koͤnig, Kraterus, der durch das Thal
von Berawal von Suͤden heranruͤckte, mit dem Wiederaufbau der
Stadt zu beauftragen, indem er die zum Dienſt untauglichen Ma-
cedonier, und von den Landeseinwohnern alle, die ſich dazu bereit
erklaͤrten, hier anzuſiedeln befahl. Auf dieſe Weiſe waren die bei-
den Paßwege zum Choaspes durch die Beſetzung von Andaka und
Arigaͤum in Alexanders Macht. Doch ſchien es nothwendig, die
tapferen Alpenbewohner im Norden der Stadt, die in den Bergen
eine drohende Stellung angenommen hatten, das Uebergewicht der
Macedoniſchen Waffen fuͤhlen zu laſſen. So ruͤckte Alexander von
Arigaͤum aus gegen das Alpenland; am Abend lagerte er am Fuß
der Berge; Ptolemaͤus, zum Recognosciren ausgeſandt, brachte die
Nachricht mit, daß der Feuer in den Bergen eine ſehr große Zahl
ſei, und daß man auf eine bedeutende Uebermacht der Feinde ſchlie-
ßen muͤſſe. Sofort wurde der Angriff beſchloſſen; ein Theil des
Heeres behauptete die Stellung am Fuß des Gebirges, mit dem
uͤbrigen ruͤckte der Koͤnig ſelbſt die Berge hinauf; ſobald er der
feindlichen Feuer anſichtig ward, ließ er Leonnatus und Ptolemaͤus
ſich rechts und links um die Stellung der Feinde hinziehen, um
durch einen gleichzeitigen Angriff von drei Seiten die Uebermacht
des Feindes zu zertheilen; er ſelbſt ruͤckte gegen die Hoͤhen, wo die
groͤßeſte Maſſe der Barbaren ſtand. Kaum ſahen dieſe die Mace-
donier vorruͤcken, ſo ſtuͤrzten ſie ſich im Vertrauen auf ihre Ueber-
macht von den Hoͤhen herab auf Alexander; ein hartnaͤckiger Kampf
entſpann ſich. Waͤhrend deſſen ruͤckte auch Ptolemaͤus heran; da
aber die Barbaren hier nicht von ihrer Hoͤhe herabgingen, war er
genoͤ-
16)
[369] genoͤthigt auf ungleichem Boden den Kampf zu beginnen; mit un-
gemeiner Anſtrengung gelang es ihm endlich, die Abhaͤnge zu er-
klimmen, die Feinde, die mit ausgezeichnetem Muthe kaͤmpften, nach
der Seite der Hoͤhe zuruͤckzudraͤngen, die er, um nicht durch voll-
ſtaͤndige Umzingelung zur verzweifelten Gegenwehr zu zwingen,
unbeſetzt gelaſſen hatte. Auch Leonnatus hatte auf ſeiner Seite die
Feinde zum Weichen gebracht, und ſchon verfolgte Alexander die
geſchlagene Hauptmacht der Mitte; ein furchtbares Blutbad vollen-
dete den muͤhſam erkaͤmpften Sieg; vierzig tauſend Mann wurden
kriegsgefangen; ungeheuere Rinderheerden, der Reichthum dieſes Al-
penvolkes, fielen in die Haͤnde des Siegers; Ptolemaͤus berichtet, es
ſeien an acht und zwanzig tauſend Haupt Vieh geweſen, von denen
Alexander die ſchoͤnſten ausgeſucht und zum Behuf des Feldbaues
nach Macedonien geſchickt habe 17).


Indeſſen war die Nachricht eingelaufen, daß die Aſſakaner,
die naͤchſten Anwohner des Indus, ſich auf das Eifrigſte ruͤſteten,
daß ſie Soͤldner von jenſeit des Indus her an ſich gezogen und
bereits eine Streitmacht von dreißig tauſend Mann Fußvolk, zwan-
zig tauſend Pferden, dreißig Elephanten beiſammen haͤtten. Ale-
xander mußte, um ihr Land zu erreichen, zuvor durch das Gebiet
der Guraͤer; dieſe hatten ſich bis jetzt noch nicht unterworfen; des-
halb ruͤckte er mit einem Theile ſeiner Truppen ſchnell vorauf, waͤh-
rend Kraterus mit den uͤbrigen, ſo wie mit den ſchweren Maſchi-
nen von Arigaͤum aus langſamer nachfolgte. Die Bergwege, die
kalten Naͤchte machten den Marſch beſchwerlich; deſto lachender und
reicher war das Thalgebiet der Guraͤer, zu dem man hinabſtieg;
rings Weingelaͤnde, Haine von Mandelbaͤumen und Lorbeeren,
friedliche Doͤrfchen an den Bergen hinaufgebaut, unzaͤhlige Heerden
auf den Alpen weidend 18). Hier, ſo wird erzaͤhlt, kamen die
Edelſten des Landes, Akuphis an ihrer Spitze, zum Zelt des Koͤ-
nigs; als ſie eintraten und ihn im Glanz ſeiner Waffen, auf die
Lanze geſtuͤtzt und mit hohem Helme da ſitzen ſahen, knieten ſie
ſtaunend nieder; der Koͤnig hieß ſie aufſtehen und reden. Sie nun
24
[370] nannten den Namen ihrer Feſte Nyſa, berichteten, ſie ſeien aus
dem Weſten her gekommen, ſeit jener Zeit haͤtten ſie ſelbſtſtaͤndig
und gluͤcklich unter einer Ariſtokratie von dreißig Edlen gelebt. Dar-
auf erklaͤrte Alexander, daß er ihnen ihre Freiheit und Selbſtſtaͤn-
digkeit laſſen werde, daß Akuphis unter den Edlen des Landes die
Vorſtandſchaft haben, daß endlich einige hundert Reuter zum Heere
des Koͤnigs ſtoßen ſollten. Dieß mag ohngefaͤhr das Wahre von
einer Sache ſein, die, vielleicht nicht ohne das Zuthun des Koͤnigs
ſelbſt, auf das Wundervollſte ausgeſchmuͤckt, weiter erzaͤhlt wurde,
fortan hießen die Nyſaͤer unmittelbare Nachkommen von den Beglei-
tern des Dionyſus, deſſen Zuͤge der Griechiſche Mythos bereits
bis Indien ausgedehnt hatte; die tapferen Macedonier fuͤhlten ſich,
in weiter Ferne von ihrem Vaterlande, heimiſch unter heimathlichen
Erinnerungen 18a).


Von Nyſa aus ging Alexander oſtwaͤrts durch den heftigſtroͤ-
menden Guraͤus zum Lande der Aſſakaner; dieſe zogen ſich bei ſei-
[371] nem Herannahen in ihre feſten Staͤdte zuruͤck; unter dieſen war
Maſſaga die bedeutendſte; der Fuͤrſt des Landes hoffte ſich in ihr
zu behaupten. Alexander ruͤckte nach und lagerte ſich unter den
Mauern der Stadt; die Feinde, im Vertrauen auf ihre Macht,
machten ſofort einen Ausfall; ein ſcheinbarer Ruͤckzug lockte ſie eine
halbe Stunde weit von den Thoren hinweg, in ordnungsloſer Haſt,
mit wildem Siegsgeſchrei verfolgten ſie; da wandten ſich die Ma-
cedonier ploͤtzlich, und ruͤckten im Sturmſchritt gegen die Indier
los, voran das leichte Volk, der Koͤnig an der Spitze der Pha-
langen ihnen nach; nach kurzem Gefecht flohen die Indier mit be-
deutendem Verluſt zuruͤck; Alexander folgte ihnen auf den Ferſen,
aber ſeine Abſicht mit ihnen zugleich in das Thor einzubrechen
ward vereitelt. So ritt er an der Mauer dahin, die Angriffspunkte
fuͤr den naͤchſten Tag zu beſtimmen; da traf ihn ein Pfeilſchuß
von den Zinnen der Stadt her; mit einer leichten Fußwunde kehrte
er ins Lager zuruͤck. Am naͤchſten Morgen begannen die Maſchi-
nen zu arbeiten, bald lag eine Breſche, die Macedonier ſuchten
durch ſie in die Stadt zu dringen, die tapfere und umſichtige Ver-
theidigung des Feindes zwang ſie endlich am Abend zu weichen.
Mit Heftigkeit wurde des andern Tages der Angriff unter dem
Schutz eines hoͤlzernen Thurmes, der mit ſeinen Geſchoſſen einen
Theil der Mauer von Vertheidigern rein hielt, erneut; doch auch
ſo kam man noch um keinen Schritt vorwaͤrts. Die Nacht wurde
mit neuen Zuruͤſtungen verbracht, neue Sturmbloͤcke, neue Schirm-
daͤcher, endlich ein Wandelthurm an die Mauer geſchafft, deſſen
Fallbruͤcken unmittelbar auf die Zinnen fuͤhren ſollten. Am Mor-
gen ruͤckten die Phalangen aus, zugleich fuͤhrte der Koͤnig ſelbſt
die Hypaspiſten in den Thurm, er erinnerte ſie, daß ſie auf gleiche
Weiſe Tyrus genommen haͤtten; alle brannten vor Begier zu kaͤm-
pfen und die Stadt zu erobern, die ihnen ſchon zu lange wider-
ſtanden. Dann ward die Fallbruͤcke hinabgelaſſen, die Macedonier
draͤngten ſich auf ſie, jeder wollte der erſte ſein; unter der uͤber-
großen Laſt brach die Bruͤcke, die Tapferen ſtuͤrzten zerſchmettert in
die Tiefe. Lautſchreiend ſahen das die Indier, ſie ſchleuderten von
den Zinnen herab Steine, Balken, Geſchoſſe auf die Macedonier,
ſie draͤngten ſich aus den Mauerpforten aufs Feld hinaus, die Ver-
wirrung zu benutzen; uͤberall zogen ſich die Macedonier zuruͤck;
24 *
[372] kaum daß es der Phalanx Alcetas, der es der Koͤnig geboten, ge-
lang, die Sterbenden vor der Wuth der Feinde zu ſichern und
ins Lager zuruͤckzubringen. Das Alles mehrte nur die Erbitterung
und die Kampfbegier der Macedonier; am naͤchſten Tage ward der
Thurm von Neuem an die Mauern gebracht, von Neuem die Fall-
bruͤcke hinabgeſenkt; doch leiſteten die Indier den erfolgreichſten
Widerſtand, wennſchon ihre Reihen immer lichter, ihre Gefahr
immer groͤßer wurde. Da ward ihr Fuͤrſt von einem Katapulten-
pfeil getroffen, und ſank todt nieder. Dieß endlich bewog die Be-
lagerten, Unterhandlungen anzuknuͤpfen, um ſich der Gnade des
Siegers zu ergeben; und Alexander, voll gerechter Anerkennung ge-
gen die Tapferkeit ſeiner Feinde, war gern bereit einen Kampf ab-
zubrechen, der nicht ohne viel Blutvergießen zu Ende gefuͤhrt waͤre;
er forderte die Uebergabe der Stadt, den Eintritt der Indiſchen
Soͤldner in das Macedoniſche Heer, die Auslieferung der fuͤrſtli-
chen Familie 19). Die Bedingungen wurden angenommen, die
Mutter und Tochter des Fuͤrſten kamen in des Koͤnigs Lager; die
Indiſchen Soͤldner ruͤckten bewaffnet aus und lagerten ſich in ei-
[373] niger Entfernung von dem Heere, mit dem ſie hinfort vereint wer-
den ſollten. Doch voll Abſcheu gegen die Fremdlinge, und des
Gedankens, fortan mit dieſen vereint gegen ihre Landsleute kaͤm-
pfen zu muͤſſen, unfaͤhig, faßten ſie den ungluͤcklichen Plan, Nachts
aufzubrechen und ſich an den Indus zuruͤckzuziehen. Alexander er-
hielt davon Nachricht; uͤberzeugt, daß Unterhandlungen vergeblich,
Zaudern gefaͤhrlich ſein wuͤrde, ließ er ſie Nachts umzingeln und
niederhauen. So war er Herr des wichtigſten Poſtens im Aſſa-
kanerlande 20).


Von Maſſaga aus ſchien es leicht, die Occupation des herren-
loſen Landes zu vollenden; Alexander ſandte demnach einige Truppen
unter Koͤnus ſuͤdwaͤrts zu der Feſtung Bazira, uͤberzeugt, daß ſie ſich auf
die Nachricht von Maſſaga’s Fall ergeben werde; ein anderes De-
taſchement unter Alcetas ging nordwaͤrts gegen die Feſtung Ora 21),
mit dem Befehl, die Stadt zu blokiren, bis die Hauptarmee nach-
ruͤckte. Bald liefen von beiden Orten unguͤnſtige Nachrichten ein;
Alcetas hatte nicht ohne Muͤhe einen Ausfall der Oriten abge-
wehrt, und Koͤnus, weit entfernt, Bazira zur Uebergabe bereit zu
finden, hatte Muͤhe ſich vor der Stadt zu halten. Schon wollte
Alexander dorthin aufbrechen, als er die Nachricht erhielt, daß Ora
in Verbindung mit dem Fuͤrſten Abiſares von Kaſchmir 22) ge-
treten ſei, und durch deſſen Vermittelung eine bedeutende Zahl
Truppen von den Bergbewohnern im Norden erhalten habe; des-
[374] halb ſandte der Koͤnig Befehl an Koͤnus, die Belagerung von Ba-
zira aufzuheben und in einiger Entfernung von der Stadt ein fe-
ſtes Lager zu beziehen. Er ſelbſt eilte gegen Ora; die Stadt, ob-
ſchon feſt und tapfer vertheidigt, vermochte ſich nicht zu halten, ſie
wurde mit Sturm genommen; reiche Beute, unter dieſer einige
Elephanten, fiel in dieſe Haͤnde der Macedonier. Indeß hatte ſich Koͤ-
nus auf den Befehl des Koͤnigs von Bazira zuruͤckgezogen;
ſobald die Indier dieſe Bewegung bemerkten, brachen ſie aus den
Thoren hervor, warfen ſich auf die Macedonier und begannen ein
Gefecht, in dem ſie endlich mit Verluſt zum Ruͤckzuge gezwungen
wurden. Koͤnus verſchanzte ſich der Stadt gegenuͤber auf einer
Hoͤhe, die jede Verbindung der Feſtung mit dem flachen Lande be-
herrſchte. Als ſich nun die Kunde verbreitete, daß ſelbſt Ora den
Macedoniern erlegen ſei, ſo verzweifelten die Baziriten, ſich in ih-
rer Feſte halten zu koͤnnen; ſie verließen um Mitternacht die Stadt
und zogen ſich auf die Felſenburg Aornos am Indus auf der
Suͤdgraͤnze des Aſſakanerlandes zuruͤck 23).


Durch die Beſitznahme der drei Plaͤtze Maſſaga, Ora und
Bazira war Alexander Herr im Lande des Ptarenus, von dem
ſuͤdwaͤrts das Gebiet des Fuͤrſten Aſtes von Peucela lag 24). Die-
ſer Fuͤrſt hatte, ſo ſcheint es, ſein Gebiet auf Koſten ſeiner Nach-
barn vergroͤßert und ſelbſt ſuͤdwaͤrts des Kophenfluſſes feſten Fuß
[375] gefaßt; Sangaͤus, der als Fluͤchtling zum Taxiles gekommen war,
hatte ſeine Herrſchaft durch ihn verloren; als Alexanders Herolde
die Fuͤrſten Indiens gen Nicaͤa beſchieden, war Aſtes ſo wenig
als Aſſakanus zur Unterwerfung bereit geweſen. Aber der gluͤck-
liche Fortgang der Macedoniſchen Waffen, das Naͤherkommen
Alexanders, der Tod des Aſſakanus bewogen den Fuͤrſten von
Peucela, um wenigſtens nicht perſoͤnlich dem großen Koͤnige und
ſeiner furchtbaren Kriegsmacht gegenuͤber zu treten, ſein Stamm-
land zu verlaſſen, und in ſeinem neuen Gebiete ſuͤdwaͤrts vom
Kophen Zuflucht zu ſuchen; dort auf einer feſten Felſenburg hoffte
er der Macedoniſchen Suͤdarmee Trotz bieten zu koͤnnen. Indeſſen
hatte Hephaͤſtion bei ſeinem Vorruͤcken ſich vor die Feſtung ge-
legt, und ſie nach einer dreißigtaͤgigen Belagerung erſtuͤrmt; bei
dem Sturme war Aſtes ſelbſt umgekommen, und Sangaͤus, der
ſich bei Taxiles befand, wurde mit Bewilligung Alexanders in den
Beſitz der Stadt geſetzt. Die Stadt Peucela ſelbſt, ohne Herrn
und ohne Vertheidiger, ergab ſich, ſobald Alexander aus dem be-
nachbarten Aſſakanerlande heranzog, freiwillig, ſie erhielt Macedo-
niſche Beſatzung; ihrem Beiſpiele folgten die anderen minder be-
deutenden Staͤdte am Indus, an deſſen Ufern der Koͤnig zur Ko-
phenmuͤndung bei Embolima hinabzog, wo er ſich wieder mit He-
phaͤſtion vereinigte 25).


So war im Laufe des Sommers durch eine Reihe bedeu-
tender und muͤhſeliger Kaͤmpfe das Land von den Paropamiſaden
bis zum Indus unterworfen. Auf der Suͤdſeite des Kophen, wo
das Flußthal bald durch oͤde Gebirge geſchloſſen wird, hatte He-
phaͤſtion das Land in Beſitz genommen, und die Bergfeſte des
Sangaͤus, ſo wie eine zweite Stadt, Orobatis 26), die er genom-
[376] men und mit Macedoniern beſetzt hatte, wurden die militaͤriſchen
Stuͤtzpunkte fuͤr die Behauptung des Suͤdufers. Im Norden
waren nach einander die Flußthaͤler des Choaspes, des Guraͤus
und des Ptarenus, das Gebiet der Aspaſier, der Guraͤer, der
Aſſakaner und Peucelaoten durchzogen, die Barbaren am oberen
Choaspes und am Guraͤus weit in die Gebirge zuruͤckge-
ſprengt, endlich durch die Feſtungen Andaka und Arigaͤum das Thal
der Guraͤer, durch Maſſaga, Ora, Bazira das der Aſſakaner,
durch Peucela das Weſtufer des Indus geſichert. Das Land, ob-
ſchon es zum guten Theil unter einheimiſchen Fuͤrſten blieb 27),
trat doch fortan in ein Verhaͤltniß der Abhaͤngigkeit gegen Mace-
donien, und erhielt unter dem Namen des dieſſeitigen Indien ei-
nen eigenen Satrapen.


Noch aber war eine Bergfeſte in der Naͤhe des Indus, die,
von Indiern beſetzt, den Weg ſtromaufwaͤrts zu ſperren ver-
mochte; die Macedonier gaben ihr wegen ihrer außerordentlichen
Hoͤhe den Namen Aornos, gleich als ob der Flug der Voͤgel nicht
zu ihr hinaufgereicht haͤtte. Nemlich in der Naͤhe des Indus-
ſtromes erhebt ſich eine einzelne Felſenmaſſe, am Fuß etwa vier
Meilen im Umfang, bis zur Hoͤhe von fuͤnf tauſend Fuß; auf der
Stirn dieſer ſteilen Bergmaſſe lag jene merkwuͤrdige Felſenfeſtung,
deren Mauern Gaͤrten, Quellen und Holzung umſchloſſen, ſo daß
26)
[377] ſich Tauſende von Menſchen Jahr aus, Jahr ein oben erhalten
konnten. Dorthin nun hatten ſich viele Indier des flachen Landes
gefluͤchtet, voll Vertrauen auf die Sicherheit dieſes Koͤnigsſteines,
von deſſen Uneinnehmbarkeit mannigfache Sagen im Schwange
waren 28). Deſto nothwendiger war es fuͤr Alexander, dieſen
Felſen zu erobern; er mußte den moraliſchen Eindruck berechnen,
den eine gluͤckliche Unternehmung gegen Aornos auf ſeine Truppen
und auf die Indier zu machen nicht verfehlen konnte, er mußte
vor Allem darauf Ruͤckſicht nehmen, daß dieſer wichtige Punkt in
Feindeshand den gefaͤhrlichſten Bewegungen in ſeinem Ruͤcken An-
laß und Anhalt werden konnte. Jetzt, nachdem das flache Land
umher unterworfen, nachdem es durch die feſte Stellung am Indus
moͤglich geworden war, das Belagerungsheer ſtets, wie lange auch
die Belagerung waͤhren mochte, mit Vorraͤthen zu verſorgen, be-
gann Alexander ſeine eben ſo verwegenen wie gefaͤhrlichen Opera-
tionen. Sein unerſchuͤtterlicher Wille, dieſe Feſte zu nehmen, war
das Einzige, was einen gluͤcklichen Erfolg denkbar machte. Er
ruͤckte gegen den Felſen an und bezog am Fuße deſſelben ein La-
ger; aber nur ein Weg fuͤhrte hinauf und dieſer war ſo geſchickt
angelegt, daß er an jedem Punkte leicht und vollkommen verthei-
digt werden konnte 29). Da kam ein Greis, von ſeinen zwei
Soͤhnen begleitet, zu Alexander; er hatte lange Jahre an dem
Felſen gewohnt, er erbot ſich, geheime Wege zu zeigen, auf denen
man ſich den Mauern der Feſte naͤhern koͤnne. Der Lagide Pto-
lemaͤus ging, von einem leichten Corps begleitet, mit dem Indier
ab, den Felſen zu erſteigen; auf rauhen und ſchwierigen Fußſtei-
gen gelangte er, den Barbaren unbemerkt, zu der bezeichneten
[378] Stelle, verſchanzte ſich dort und zuͤndete das verabredete Feuerzei-
chen an. Sobald dies Alexander geſehen, beſchloß er den Sturm fuͤr
den naͤchſten Morgen, in der Hoffnung, daß Ptolemaͤus von der
Hoͤhe des Gebirges aus zugleich angreifen wuͤrde. Indeß war
es unmoͤglich, von der Tiefe her das Geringſte zu gewinnen; die
Indier, von dieſer Seite vollkommen ſicher, wandten ſich mit deſto
groͤßerer Keckheit gegen die von Ptolemaͤus beſetzten Hoͤhen, und
nur mit der groͤßten Anſtrengung gelang es dem Lagiden, ſich
hinter ſcinen Schanzen zu behaupten. Seine Schuͤtzen und Agrio-
ner hatten den Feind ſehr mitgenommen, der ſich mit Anbruch der
Nacht in ſeine Feſte zuruͤckzog. Alexander hatte ſich durch dieſen
ungluͤcklichen Verſuch uͤberzeugt, daß es unmoͤglich ſei, von der
Tiefe aus zum Ziel zu gelangen; er ſandte daher durch einen der Ge-
gend kundigen Mann uͤber Nacht den ſchriftlichen Befehl an Pto-
lemaͤus, daß er, wenn am naͤchſten Tage an einer dem Ptolemaͤus
naͤheren Stelle der Sturm verſucht und dann gegen die Stuͤrmenden
von der Feſte aus ein Ausfall gemacht wuͤrde, von der Hoͤhe her-
ab den Feinden in den Ruͤcken kommen und um jeden Preis die
Vereinigung mit Alexander zu bewerkſtelligen ſuchen ſolle. So
geſchah es; mit dem naͤchſten Fruͤhroth ſtand der Koͤnig da an dem
Fuße des Gebirges, wo Ptolemaͤus hinaufgeſtiegen war. Bald
eilten die Indier dorthin, die ſchmalen Fußſteige zu vertheidigen;
bis Mittag wurde auf das Hartnaͤckigſte gekaͤmpft, dann begannen
die Feinde ein Wenig zu weichen; Ptolemaͤus that ſeinerſeits das
Moͤgliche, gegen Abend waren die Pfade erſtiegen, und beide
Heeresabtheilungen vereinigt; der immer eiligere Ruͤckzug der
Feinde und der durch den Erfolg hochaufgeregte Muth ſeiner
tapferen Krieger bewogen den Koͤnig, die fliehenden Indier zu
verfolgen, um vielleicht unter der Verwirrung den Eingang in die
Feſte zu erzwingen; jedoch mislang dies, und zu einem Sturm
war das Terrain zu eng. Er zog ſich auf die von Ptolemaͤus
verſchanzte Hoͤhe zuruͤck, die, niedriger als die Feſte, von dieſer
durch eine weite und tiefe Schlucht getrennt war. Alexander er-
kannte ſofort die Nothwendigkeit, die Ungunſt dieſer oͤrtlichen
Verhaͤltniſſe uͤberwaͤltigen zu muͤſſen; er faßte den ungeheueren
Plan, dieſe Schlucht von faſt viertauſend Fuß Breite mit einem
Damm zu durchbauen, und auf dieſe Weiſe der Feſte wenigſtens
[379] ſo weit zu nahen, daß ſein Geſchuͤtz ihre Mauern zerſchmettern
konnte. Mit dem naͤchſten Morgen begann die Arbeit, der Koͤnig
war uͤberall, zu loben, zu ermuntern, ſelbſt Hand an zu legen; mit
dem lebendigſten Wetteifer wurde gearbeitet, Baͤume gefaͤllt, in die
Tiefe geſenkt, Felsſtuͤcke aufgethuͤrmt, Erde aufgeſchuͤttet; ſchon
war am Ende des erſten Tages eine Strecke von dreihundert
Schritten gebaut; die Indier, anfangs voll Spott uͤber dieß
tollkuͤhne Unternehmen, ſuchten am naͤchſten Tage die Arbeit zu
ſtoͤren; bald war der Damm weit genug vorgeruͤckt, daß die
Schleuderer und die Maſchinen von ſeiner Hoͤhe aus ihre An-
griffe abzuwehren vermochte. Am ſechsten Tage war der Damm
bis in die Naͤhe einer iſolirten Felsſpitze gelangt, die, in gleicher
Hoͤhe mit der Burg, von den Feinden beſetzt war; ſie zu behaup-
ten oder zu erobern, wurde fuͤr das Schickſal der Burg entſchei-
dend. Eine Schaar auserwaͤhlter Macedonier wurde gegen ſie ge-
ſandt; ein entſetzlicher Kampf begann; Alexander ſelbſt eilte an der
Spitze ſeiner Leibſchaar nach; mit der groͤßten Anſtrengung wurde
die Hoͤhe erſtuͤrmt. Dieß und das ſtete Naͤherruͤcken des Dammes,
den nichts mehr aufzuhalten vermochte, ließ die Indier daran ver-
zweifeln, ſich auf die Dauer gegen einen Feind zu behaupten, den
Felſen und Abgruͤnde nicht hemmten, ſondern langſam aber deſto
ſicherer zum Ziele fuͤhrten, und der den ſtaunenswuͤrdigen Beweis
gab, daß Menſchenwille und Menſchenkraft auch die letzte Schei-
dewand, welche die Natur in ihren Rieſengeſtaltungen aufgethuͤrmt,
zu uͤberwinden und zu einem Mittel ſeiner Zwecke umzuſchaffen
im Stande ſei. Sie ſandten an Alexander einen Herold ab, mit
dem Erbieten, unter guͤnſtigen Bedingungen die Feſte zu uͤberge-
ben; ſie wollten nur bis zur Nacht Zeit gewinnen, um ſich dann
auf geheimen Wegen aus der Feſte in das flache Land zu zer-
ſtreuen. Alexander merkte [ihre] Abſicht; er zog ſeine Poſten ein,
und ließ die Feinde ungeſtoͤrt ihren Abzug beginnen; dann waͤhlte
er ſiebenhundert der Hypaspiſten aus, zog in der Stille der Nacht
den Felſen hinauf, und begann die verlaſſene Mauer zu erklettern;
er ſelbſt war der erſte oben; ſobald ſeine Schaar an verſchiedenen
Punkten nachgeſtiegen war, ſtuͤrzten ſie alle mit lautem Kriegsge-
ſchrei uͤber die nur zur Flucht geruͤſteten Feinde; viele wurden er-
ſchlagen, andere zerſchmetterten in den Abgruͤnden; am naͤchſten
[380] Morgen zog das Heer klingenden Spiels in die Felſenfeſte ein.
Reiche und froͤhliche Opfer feierten dieß gluͤckliche Ende einer Un-
ternehmung, die Alexanders Kuͤhnheit und die Tapferkeit ſeiner
Truppen allein moͤglich machen konnte. Die Befeſtigung der Burg
ſelbſt wurde mit neuen Werken vermehrt, eine Macedoniſche Be-
ſatzung in dieſelbe gelegt, der Fuͤrſt Siſikyptos, der ſich des Koͤ-
nigs Vertrauen im hoͤchſten Grade zu erwerben gewußt hatte, zu
ihrem Befehlshaber ernannt. Der Beſitz dieſer Feſte war fuͤr die
Behauptung des diſſeitigen Indiens von der entſchiedenſten Wich-
tigkeit; ſie beherrſchte die Muͤndung des Kophen in den In-
dus 29b).


Indeſſen hatten ſich gefaͤhrliche Bewegungen im Aſſakaner-
lande gezeigt; der Bruder des in Maſſaga gefallenen Fuͤrſten Aſ-
ſakanus 30) hatte ein Heer von zwanzigtauſend Mann und funf-
zehn Elephanten zuſammengebracht, und ſich in die Gebirge des
oberen Landes geworfen; die Feſte Dyrta 31) war in ſeinen Haͤn-
den; er hoffte ſich durch die Unzugaͤnglichkeit dieſer wilden Ge-
birgsgegend genug geſchuͤtzt, er hoffte, Alexanders Entfernung werde
ihm bald Gelegenheit geben, ſeine Macht zu erweitern. Deſto
nothwendiger war es fuͤr Alexander, ihn zu vernichten. Sobald
Aornos eingenommen war, eilte der Koͤnig mit einigen Tauſend
leichter Truppen nach Dyrta im oberen Lande; die Nachricht von
ſeinem Anruͤcken hatte hingereicht, den Praͤtendenten in die Flucht
zu jagen; mit ihm war die Bevoͤlkerung der Umgegend, vor Alex-
anders gerechtem Zorn beſorgt, entflohen. Der Koͤnig ſandte ſo-
[381] fort einzelne Corps aus, um die Gegend zu recognosciren und die
Spur des fluͤchtigen Fuͤrſten und beſonders der Elephanten aufzu-
finden: er erfuhr, daß Alles in die Gebirgswildniß oſtwaͤrts geflo-
hen ſei; er drang nach. Dichte Urwaldung bedeckt dieſe Gegenden;
das Heer mußte ſich muͤhſam den Weg bahnen. Man griff einzelne
Indier auf; ſie berichteten, die Bevoͤlkerung ſei uͤber den Indus
in das Reich des Abiſares gefluͤchtet, die Elephanten, funfzehn an
der Zahl, habe man auf den Wieſen am Strom frei gelaſſen. Da
kam auch ſchon ein Haufe Indiſcher Soldaten vom fliehenden
Heere, das, uͤber das Ungeſchick des Fuͤrſten misvergnuͤgt, ſich em-
poͤrt und ihn erſchlagen hatte; ſie brachten den Kopf des Fuͤr-
ſten 32). Alexander, nicht gewillt, ein Heer ohne Fuͤhrer in un-
wegſames Gebiet zu verfolgen, ging mit ſeinen Truppen zu den
Induswieſen hinab, um die Elephanten einzufangen; von Indi-
ſchen Elephantenjaͤgern begleitet, machte er Jagd auf die Thiere;
zwei ſtuͤrzten in Abgruͤnde, die uͤbrigen wurden eingefangen. Alex-
ander liebte das Außerordentliche, er wußte, wie ſehr es ſeine Ma-
cedonier anfeuerte, und welchen Eindruck es auf die Voͤlker machte;
ſo gebot er hier in den dichten Waldungen am Indus Werkholz
zu faͤllen und Schiffe zu zimmern; in kurzer Zeit war eine Strom-
flotte erbaut, wie ſie der Indus noch nicht geſehen, auf der der
Koͤnig mit ſeinem Heere den breiten und zu beiden Seiten mit
vielen Staͤdten und Doͤrfern bedeckten Strom hinabfuhr; nach
zehn Tagen landete er an der Bruͤcke, die von Hephaͤſtion und
Perdikkas bereits uͤber den Indus geſchlagen war 33). —


Es war in den erſten Fruͤhlingstagen des Jahres 326, daß
das Macedoniſche Heer, verſtaͤrkt von den Kontingenten der Fuͤr-
ſten in der dieſſeitigen Satrapie, an der Kophenmuͤnde ſich zum
[382] Uebergang uͤber den Indus anſchickte. Da erſchien eine Geſandt-
ſchaft der Fuͤrſten von Taxila vor dem Koͤnige, ſie verſicherte
von Neuem die Ergebenheit ihres Herren; ſie uͤberbrachte dem Koͤ-
nige koſtbare Geſchenke, dreitaufend Opferſtiere, zehntauſend Schaaft,
dreißig Kriegselephanten, zweihundert Talente Silber, endlich ſie-
benhundert Indiſche Reuter, das Bundescontingent ihres Fuͤrſten,
ſie uͤbergab dem Koͤnige die Reſidenz ihres Fuͤrſten, die herr-
lichſte Stadt zwiſchen dem Indus und Hydaspes. Alexander be-
lobte ſie; dann befahl er, die Weihe des Indusuͤberganges zu be-
ginnen; unter gymnaſtiſchen Spielen und feſtlichem Umzuge des
Heeres wurde am Stromufer geopfert; und die Opfer waren
gluͤcklich. So begann der Uebergang uͤber den maͤchtigen Strom,
ein Theil des Heeres zog uͤber die Schiffbruͤcke, andere ſetzten auf
Induskaͤhnen hinuͤber, der Koͤnig ſelbſt und ſein Gefolge auf zwei
Jachten, die dazu bereit lagen. Neue Opfer feierten die gluͤck-
liche Vollendung dieſes Ueberganges. Dann ruͤckte das große
Heer auf der Straße von Taxila vorwaͤrts, durch reich bevoͤlkerte
und im Schmucke des Fruͤhlings prangende Gegenden, nordwaͤrts
maͤchtige Schneeberge, die Graͤnze von Kaſchmir, ſuͤdwaͤrts die
weiten und herrlichen Ebenen, welche das Duab des Indus und
Hydaspes erfuͤllen, uͤberall die großen Formen der Landſchaft, die
uͤberreiche Vegetation, die fremdartigen Geſtalten, Trachten und
Sitten der Bevoͤlkerung, wie ſie der Indiſchen Welt eigenthuͤm-
lich ſind. Eine Stunde vor der Reſidenz ſah das ſtaunende Heer
zum erſtenmale jene Indiſchen Buͤßer, die nackt, einſam, regungs-
los unter den Gluthſtrahlen der Mittagsſonne und dem kalten
Thau ſternklarer Naͤchte das heilige Werk des Nivan vollbrin-
gen 33b).


Als Alexander der Stadt Taxila nahete, zog ihm der
34)
[383] Fuͤrſt im hoͤchſten Pompe, mit geſchmuͤckten Elephanten, gewapp-
neten Schaaren und kriegeriſcher Muſik entgegen; und als nun
der Koͤnig ſein Heer halten und ſich ordnen ließ, ſprengte der
Fuͤrſt ſeinem Zuge voraus und zu Alexander hin, begruͤßte ihn
ehrerbietigſt und uͤbergab ihm ſein Reich und ſich ſelbſt. Dann
zog Alexander an der Spitze ſelnes Heeres, der Fuͤrſt an ſeiner
Seite, in die praͤchtige Reſidenz. Hier folgten zu Ehren des gro-
ßen Koͤnigs eine Reihe von Feſtlichkeiten, deren Glanz durch die
Anweſenheit mehrerer Fuͤrſten des Landes, die ihre Geſchenke und
Huldigungen darzubringen gekommen waren, erhoͤht wurde. Alex-
ander bezeugte mit alle dem ſeine Zufriedenheit, er beſtaͤtigte ſie
34)
[384] Alle in ihrem Beſitz und erweiterte das Gebiet Einiger nach ihrem
Wunſche und ihrem Verdienſt, namentlich das des Taxiles, der zu
gleich fuͤr die Fuͤrſorge, mit der er die Suͤdarmee aufgenommen
hatte, und fuͤr die Aufmerkſamkeit, mit der er dem Koͤnige wie-
derholentlich entgegen gekommen, auf das Reichlichſte beſchenkt wur-
de; Mediſche Prachtkleider, einige zwanzig Macedoniſche Schlacht-
roſſe, goldene und ſilberne Trinkſchaalen von Helleniſcher Arbeit,
endlich einen Schatz von tauſend Talenten empfing der Fuͤrſt aus
den Haͤnden des Koͤnigs von Aſien. Auch Abiſares von Kaſchmir
ſchickte eine Geſandſchaft gen Taxila, es war ſein Bruder, von
den Edelſten des Landes begleitet, er brachte Kleinodien, Elfenbein,
feine Webereien, Koſtbarkeiten aller Art zum Geſchenk, er verſi-
cherte die treue Ergebenheit ſeines fuͤrſtlichen Bruders und ſtellte
die heimliche Unterſtuͤtzung, die derſelbe den Aſſakanern zugewandt
haben ſollte, durchaus in Abrede. Wie damals die Angelegenhei-
ten des Duab-Landes geordnet waren, iſt nicht mit Beſtimmtheit
zu erkennen; jedenfalls lagen die Gebietserweiterungen in der dies-
ſeitigen Satrapie, ſo wie anderer Seits die Fuͤrſten ſaͤmmtlich un-
ter die Souverainitaͤt Alexanders traten; vielleicht erhielt Taxiles
das Principat unter den Raja’s dieſſeits des Hydaspes, wenigſtens
wird im Verhaͤltniß zu Alexander fortan nur ſeiner erwaͤhnt. Ue-
brigens blieb in ſeiner Reſidenz eine Macedoniſche Beſatzung, ſo
wie die dienſtunfaͤhige Mannſchaft zuruͤck; die ſogenannte Indiſche
Satrapie wurde dem Philippus anvertraut, deſſen hohe Geburt
und vielfach bewaͤhrte Anhaͤnglichkeit an Alexander der Wichtigkeit
dieſes Poſtens entſprach; ſeine Provinz umfaßte außer dem gan-
zen rechten Indusgebiet auch die Aufſicht uͤber die im Reiche des
Taxiles und der anderen Fuͤrſten zuruͤckbleibenden Truppen 35).


Von
[385]

Von Taxila aus hatte Alexander an den Fuͤrſten Porus ge-
ſandt und ihn auffordern laſſen, ihm an der Grenze ſeines Fuͤr-
ſtenthums entgegen zu kommen, um die koͤnigliche Entſcheidung
uͤber ſein Verhaͤltniß zum Fuͤrſten von Taxila zu erwarten. Po-
rus hatte die Antwort zuruͤckgeſandt, er werde den Koͤnig an der
Grenze ſeines Reiches mit gewaffneter Hand erwarten; zu gleicher
Zeit hatte er ſeine Bundesgenoſſen aufgeboten, hatte den Fuͤrſten
Abiſares, der ihm, trotz der noch neuerdings gethanen Verſicherun-
gen ſeiner Ergebenheit fuͤr Alexander, Huͤlfstruppen verſprochen
hatte, um deren ſchleunige Zuſendung erſucht, war ſelbſt an den
Grenzſtrom ſeines Reiches geruͤckt, und hatte ſich auf deſſen linkem
Ufer gelagert, entſchloſſen, dem Feinde um jeden Preis den Ueber-
gang zu wehren. Auf dieſe Nachricht ſandte Alexander den Ge-
neral Koͤnus an den Indus zuruͤck, mit dem Befehl, die Fahrzeuge
der Stromflotte zum Transport uͤber Land zerſaͤgen und auf Wa-
gen verpackt moͤglichſt ſchnell an den Hydaspes bringen zu laſſen.
Zu gleicher Zeit brach das Heer nach den uͤblichen Opfern und
Kampfſpielen von Taxila auf, es waren fuͤnftauſend Mann Indi-
ſche Truppen des Taxiles und der benachbarten Fuͤrſten dazu ge-
ſtoßen; die Elephanten, die Alexander in Indien erbeutet oder als
Geſchenk erhalten hatte, blieben zuruͤck, da die Macedoniſchen Pferde
nicht an ihren Anblick gewoͤhnt waren, und ſie uͤberdieß der den
Macedoniern eigenthuͤmlichen Angriffsweiſe nur hinderlich geweſen
waͤren 36).



25
[386]

Waͤhrend des Marſches begannen die erſten Schauer des tro-
piſchen Regens ſich von den Gebirgen hernieder zu ſenken, die
Waſſer ſtroͤmten rauſchender, die Wege wurden beſchwerlicher, haͤu-
fige Gewitter, mit Orkanen verbunden, verzoͤgerten den Marſch
vielfach. Man nahte der Suͤdgrenze des Fuͤrſtenthums von Taxila;
eine lange [und] ziemlich enge Paßſtraße fuͤhrte hier in das Gebiet des
Spittakus, eines Verwandten und Bundesgenoſſen des Porus; ſie war
durch die Truppen dieſes Fuͤrſten, welche die Hoͤhen zu beiden Sei-
ten beſetzt hielten, geſperrt; durch ein kuͤhnes Reutermanoͤver unter
der unmittelbaren Fuͤhrung Alexanders wurden die Feinde uͤber-
raſcht, von ihrer Stellung gedraͤngt und dermaßen in die Enge ge-
trieben, daß ſie erſt nach bedeutendem Verluſt das freie Feld ge-
wannen. Spittakus ſelbſt eilte, ohne an die weitere Vertheidigung
ſeines Fuͤrſtenthums zu denken, ſich mit dem Reſte ſeiner Truppen
mit Porus zu vereinigen 37).


Etwa zwei Tage ſpaͤter erreichte Alexander das Ufer des
Hydaspes, der jetzt eine Breite von faſt zwoͤlfhundert Schrit-
ten hatte 38); auf dem jenſeitigen Ufer ſah man das weitlaͤuftige
Lager des Fuͤrſten Porus, und das geſammte Heer in Schlacht-
ordnung aufgeruͤckt, vor demſelben, gleich Feſtungsthuͤrmen, dreihun-
dert Kriegselephanten; man bemerkte, wie nach beiden Seiten hin-
aus bedeutende Schaaren abgeſendet wurden, um die Poſtenlinie
laͤngs dem Stromufer zu verſtaͤrken, und namentlich die wenigen
Fuhrten, die das hohe Waſſer noch gangbar ließ, zu beobachten.
Alexander erkannte die Unmoͤglichkeit, unter den Augen des Feindes
den Strom zu paſſiren, und lagerte ſich auf dem rechten Ufer, den
Indiern gegenuͤber; er begann damit, durch mannichfache Truppen-
36)
[387] bewegungen den Feind uͤber den Ort des beabſichtigten Ueberganges
zu verwirren und ſeine Aufmerkſamkeit zu ermuͤden; er ließ zugleich
durch andere Abtheilungen ſeines Heeres die Ufergegend nach allen
Seiten hin recognosciren, durch andere das von Vertheidigern ent-
bloͤßte Gebiet des Spittakus brandſchatzen und von allen Seiten
her große Vorraͤthe zuſammenbringen, als ob er noch lange an die-
ſer Stelle zu bleiben gedaͤchte; er wußte bis in das feindliche La-
ger das Geruͤcht zu verbreiten, daß er in dieſer Jahreszeit den
Flußuͤbergang allerdings fuͤr unmoͤglich halte, daß er das Ende der
Regenzeit abwarten wolle, um, wenn das Waſſer gefallen waͤre,
den Angriff uͤber den Strom hin zu verſuchen. Zu gleicher Zeit
aber mußten die ſteten Bewegungen der Macedoniſchen Reuterei,
das Auf- und Abfahren ſtark bemannter Boͤte, das wiederholte
Ausruͤcken der Phalangen, die trotz der heftigſten Regenguͤſſe oft
ſtundenlang unter den Waffen und wie zum Kaͤmpfen bereit ſtan-
den, den Fuͤrſten Porus in ſteter Beſorgniß wegen Eroͤffnung der
Feindſeligkeiten halten; ein Paar Werder im Fluſſe gaben Veran-
laſſung zu kleinen Gefechten, es ſchien, als ob ſie, ſobald es zum
ernſteren Kampfe kaͤme, von entſcheidender Wichtigkeit werden
mußten.


Indeß erfuhr Alexander, daß Abiſares von Kaſchmir, trotz al-
ler neuerdings wiederholten Verſicherungen ſeiner Ergebenheit, nicht
bloß heimlich Verbindungen mit Porus unterhalte, ſondern bereits
mit ſeiner ganzen Macht heranruͤcke, um ſich mit demſelben zu ver-
einigen 39); und war es auch von Anfang her keinesweges des
Koͤnigs Abſicht geweſen, die Regenzeit hindurch unthaͤtig am rech-
ten Flußufer ſtehen zu bleiben, ſo bewog ihn doch dieſe Nachricht
noch mehr, ernſtlich an einen baldigen Angriff zu denken, da der
Kampf gegen die vereinte Macht des Abiſares und Porus ſchwie-
rig, wenn nicht gefaͤhrlich werden konnte; aber es war unmoͤglich,
hier im Angeſicht des Feindes uͤber den Fluß zu gehen: einmal war
das Strombette ſelbſt durch die Fuͤlle und Stroͤmung des Waſſers
unſicher und das niedrige Ufer druͤben voll ſchlammiger Untiefen,
ſodann waͤre es tollkuͤhn geweſen, die Phalangen unter den Ge-
ſchoſſen des dicht geordneten und ſicher ſtehenden Feindes an’s Ufer
25 *
[388] fuͤhren zu wollen, endlich war vorauszuſehen, daß die Macedoni-
ſchen Pferde ſich vor dem Geruch und dem heiſeren Geſchrei der
Elephanten, die das jenſeitige Ufer deckten, beim Anlegen ſcheuen,
zu fliehen verſuchen, ſich von den Faͤhren hinabſtuͤrzen, die gefaͤhr-
lichſte Verwirrung anrichten wuͤrden. Es kam alles darauf an,
das feindliche Ufer unbemerkt zu erreichen; darum ließ Alexander,
es war um Mitternacht, im Lager Laͤrm blaſen, die Reuterei an
verſchiedene Stellen des Ufers vorruͤcken und ſich mit Kriegsge-
ſchrei und unter dem Schmettern der Trompeten zum Ueberſetzen
anſchicken, die Bote auslaufen, die Phalangen unter dem Schein
der Wachtfeuer an die Furthen ruͤcken. Sofort wurde es auch im
feindlichen Lager laut, die Elephanten wurden vorgetrieben, die
Truppen ruͤckten an das Ufer, man erwartete bis zum Morgen
den Angriff, der doch nicht erfolgte. Daſſelbe wiederholte ſich in
den folgenden Naͤchten, und immer von Neuem ſah ſich Porns ge-
taͤuſcht, er wurde es muͤde, ſeine Truppen umſonſt in Regen und
Wind die Naͤchte durch wachen zu laſſen, er begnuͤgte ſich damit,
den Fluß durch die gewoͤhnlichſten Poſten zu bewachen.


Das rechte Ufer des Fluſſes iſt von einer Reihe rauher Hoͤ-
hen begleitet, die ſich drei Meilen ſtromauf hinziehen und dort zu
bedeutenden, dicht bewaldeten Bergen emporſteigen, an deren Nord-
abhang ein kleiner Fluß zum Hydaspes hinabeilt 40). Der ſchnell-
ſtroͤmende Hydaspes, der von Kaſchmir herab bis hieher ſuͤdwaͤrts
ſtroͤmt, veraͤndert jetzt ploͤtzlich und faſt im rechten Winkel ſeine
Richtung, und eilt, zur Rechten die rauhe Bergreihe, zur Linken
eine weite und fruchtbare Niederung, abendwaͤrts weiter. Der
Bergecke gegenuͤber, unter der Muͤndung jenes Fluͤßchens, liegt im
[389] Strome die hohe und waldige Inſel Jamad, oberhalb deren die
gewoͤhnliche Straße von Kaſchmir den Hydaspes uͤberſetzt 40a.
Dieß war der Ort, den Alexander zum Uebergange auserſehen.
Eine Reihe Feldpoſten war vom Lager aus laͤngs dem Ufer auf-
geſtellt; ihr gegenſeitiges Zurufen, ihre naͤchtlichen Wachtfeuer, die
neuen Truppenbewegungen in der Naͤhe des Lagers, haͤtten den
Feind vollkommen uͤber den Ort des bevorſtehenden Ueberganges
taͤuſchen muͤſſen, wenn er ſich nicht ſchon daran gewoͤhnt haͤtte,
dergleichen nicht mehr fuͤr bedeutend zu halten. Alexander ſeiner-
ſeits hatte auf die Nachricht, daß Abiſares nur noch drei Tage-
maͤrſche entfernt ſtaͤnde, alles dazu vorbereitet, den entſcheidenden
Schlag zu wagen. Kraterus blieb mit ſeiner Hipparchie, mit der
Reuterei der Arachoſier und Paropamiſaden, mit den Phalangen
Alcetas und Polyſperchon und den Indiſchen Bundestruppen, im
Ganzen etwa zwanzigtauſend Mann, in der Naͤhe des Lagers, er
wurde angewieſen, ſich ruhig zu verhalten, bis er die Feinde druͤ-
ben entweder ihr Lager verlaſſen, oder in der Naͤhe deſſelben ge-
ſchlagen ſaͤhe; wenn er dagegen bemerkte, daß die feindlichen Streit-
kraͤfte getheilt wuͤrden, ſo ſollte er, falls die Elephanten ihm gegen-
uͤber am Ufer zuruͤckblieben, den Uebergang nicht wagen, falls ſie
aber mit ſtromauf gegen die bei der Inſel uͤberſetzenden Macedo-
nier gefuͤhrt wuͤrden, ſo ſollte er ſofort und mit ſeinem ganzen
Corps uͤber den Strom ſetzen, da die Elephanten allein dem gluͤck-
lichen Erfolg eines Reuterangriffs Schwierigkeiten in den Weg
ſtellten 41). Ein zweites Corps, aus den Phalangen Meleager,
Gorgias und Attalus, aus dem geſammten Fußvolk der Fremden und
[390] und der Reuterei der Soͤldner beſtehend, ruͤckte unter des Lagiden
Ptolemaͤus Fuͤhrung anderthalb Meilen ſtromauf, mit der Weiſung,
ſobald ſie jenſeits des Stromes die Schlacht begonnen ſaͤhen,
corpsweiſe durch den Strom zu gehen 42). Der Koͤnig ſelbſt
brach mit den Geſchwadern Hephaͤſtion, Perdikkas, Demetrius und
der Leibſchaar Koͤnus, mit den Scythiſchen, Baktriſchen und Sog-
dianiſchen Reutern, mit den Daiſchen Bogenſchuͤtzen zu Pferde,
mit den ſechs Chiliarchien der Hypaspiſten, den Phalangen Klitus
und Koͤnus, den Agrianern, Schuͤtzen und Schleuderern, im Gan-
zen fuͤnftauſend Mann Reuterei und etwa ſechszehntauſend Mann
Fußvolk, am Morgen aus ſeinem Lager auf. Alle dieſe Bewegun-
gen wurden zwar durch den anhaltenden Regen erſchwert, aber zu-
gleich dem Auge des Feindes entzogen; um deſto ſicherer zu ſeyn,
zog der Koͤnig hinter den waldigen Uferhoͤhen zu dem Orte hin,
den er zum Uebergang auserſehen. Am ſpaͤten Abend kam er dort
an; ſchon war hier der Transport zerſaͤgter Fahrzeuge, den Koͤnus
vom Indus herangeſchafft hatte, unter dem Schutz der dichten
Waldung wieder in Stand geſetzt und verborgen worden, auch an
Fellen und Balken zu Floͤßen und Faͤhren war Vorrath; die Vor-
bereitungen zum Uebergang, das Hinablaſſen der Fahrzeuge, das
Fuͤllen der Haͤute mit Stroh und Werg, das Zimmern der Floͤſſe
41)
[391] fuͤllte die Nacht aus; furchtbare Regenguͤſſe, von Sturm und Ge-
witter begleitet, machten es moͤglich, daß das Klirren der Waffen,
das Hauen der Zimmerer jenſeits nicht gehoͤrt wurde, der dichte
Wald auf dem Vorgebirge und auf der Inſel verbarg die Wacht-
feuer der Macedonier.


Gegen Morgen legte ſich der Sturm, der Regen hoͤrte auf,
der Strom fluthete brauſend an den hohen Ufern der Inſel voruͤ-
ber; oberhalb derſelben ſollte das Heer uͤberſetzen; der Koͤnig ſelbſt,
von Perdikkas, Lyſimachus und Seleukus nebſt einer auserleſenen
Schaar Hypaspiſten begleitet, befand ſich auf der Jacht, welche den
Zug eroͤffnete; auf den andern Jachten folgten die uͤbrigen Hypas-
piſten, auf Boten, Stromkaͤhnen, Floͤßen und Faͤhren die Reuterei
und das Fußvolk, mit Ausſchluß der beiden Phalangen, die zur
Deckung und Beobachtung des Weges von Kaſchmir zuruͤckblie-
ben 43). Und ſchon ſteuerten die Jachten an dem hohen und wal-
digen Ufer der Inſel voruͤber; ſobald man an deren Nordecke vor-
uͤber war, ſah man die Reuter der feindlichen Vorpoſten, die beim
Anblick der heruͤberfahrenden Heeresmacht, eiligſt uͤber das Blach-
feld zuruͤckſprengten. So war das feindliche Ufer von Vertheidi-
gern entbloͤßt und Niemand da, die Landung zu hindern; Alexan-
der war der erſte am Ufer, nach ihm legten die anderen Jachten
an, bald folgte die Reuterei und das uͤbrige Heer, bald war Alles
in Marſchkolonnen formirt, um weiter zu ruͤcken; da zeigte ſich,
daß man auf einer Inſel war; die Gewalt des Stromes, deſſen
Bett ſich an dieſer Stelle ploͤtzlich gen Weſten wendet, hatte das
niedrige Erdreich am Ufer durchbrochen, und einen neuen waſſer-
reichen Arm gebildet. Lange ſuchten die Reuter vergebens und mit
Lebensgefahr eine Furth hindurch, uͤberall war das Waſſer zu breit
und zu tief, es ſchien nichts uͤbrig zu bleiben, als die Fahrzeuge
und Faͤhren um die Spitze dieſer Inſel herbeizuſchaffen, es war
die hoͤchſte Gefahr, daß durch den daraus entſtehenden Zeitverluſt
[392] der Feind zur Abſendung eines bedeutenden Truppencorps, das das
Landen erſchweren, ja unmoͤglich machen konnte, Zeit gewann; da
fand man endlich einige Stellen, die zu durchwaten waren; mit
der groͤßten Muͤhe hielt ſich Mann und Pferd gegen die heftige
Stroͤmung, das Waſſer reichte bis an die Bruſt, den Koͤnig trug
ſein Schlachtroß Bucephalus ſchwimmend hindurch 44), nach und
nach gewannen die verſchiedenen Abtheilungen das jenſeitige Ufer;
in geſchloſſener Linie, rechts die Turaniſche Reuterei, ihr zunaͤchſt
die Macedoniſchen Geſchwader, dann die Hypaspiſten, das leichte
Fußvolk endlich auf dem linken Fluͤgel, ruͤckte das Heer auf, dann
mit rechtsum den Strom hinab in der Richtung zum feindlichen
Lager. Um das Fußvolk nicht zu ermuͤden, ließ Alexander es lang-
ſam nachruͤcken, und ging ſelbſt mit der geſammten Reuterei und
den Bogenſchuͤtzen unter Tauron eine halbe Stunde weit voraus;
er glaubte, wenn Porus auch mit ſeiner ganzen Macht entgegen-
ruͤckte, an der Spitze der trefflichen und den Indiern uͤberlegenen
Reuterei das Gefecht, bis das Fußvolk nachruͤckte, halten zu koͤn-
nen, wenn dagegen die Indier, durch ſein ploͤtzliches Erſcheinen er-
ſchreckt, ſich zuruͤckzoͤgen, an ſeinen fuͤnftauſend Reutern zum Ein-
hauen und zum Verfolgen genug zu haben.


Porus ſeinerſeits hatte, als ihm von ſeinen zuruͤckſprengenden
Vorpoſten das Heranruͤcken bedeutender Truppenmaſſen gemeldet
war, im erſten Augenblick geglaubt, es ſei Abiſares von Kaſchmir
mit ſeinem Heere; aber ſollte der Bundesfreund verſaͤumt haben,
ſein Herannahen zu melden, oder doch, nachdem er uͤber den Strom
geſetzt, Nachricht von ſeiner gluͤcklichen Ankunft vorauszuſenden?
es war nur zu klar, daß die Gelandeten Macedonier ſeien, daß der
Feind den Uebergang uͤber den Strom, der ihm Tauſende haͤtte ko-
ſten muͤſſen, ungehindert und gluͤcklich zu Stande gebracht habe,
und daß ihm Indiſcher Seits das dieſſeitige Ufer nicht mehr ſtrei-
tig gemacht werden koͤnne. Indeß ſchienen die Truppenmaſſen, die
man noch am jenſeitigen Ufer ſtromauf und ſtromabwaͤrts aufge-
ſtellt ſah, zu beweiſen, daß das uͤber den Fluß vorgeſchobene Corps
nicht bedeutend ſein konnte. Porus haͤtte Alles daran ſetzen muͤſſen,
[393] daſſelbe, da es einmal uber den Strom war, abzuſchneiden und zu
vernichten; er haͤtte ſofort die Offenſive ergreiffen muͤſſen, die durch
ſeine Schlachtwagen und Elephanten ſo ſehr beguͤnſtigt und faſt ge-
fordert wurde; ſtatt deſſen war es ihm nur darum zu thun, fuͤr
jetzt das weitere Vordringen des Feindes aufzuhalten und jedes
entſcheidende Zuſammentreffen bis zur Ankunft des Abiſares zu ver-
meiden. Er ſandte ſeinen Sohn mit zweitauſend Reutern und
einhundert und zwanzig Schlachtwagen den Macedoniern entgegen, er
hoffte, mit dieſen den Koͤnig Alexander aufhalten zu koͤnnen 45).


Sobald Alexander dieſes Corps uͤber die Uferwieſen heran-
ruͤcken ſah, glaubte er nicht anders, als daß Porus mit ſeinem gan-
zen Heere heranziehe, und daß dieß der Vortrab ſei; er ließ ſeine
Reuterſchaar ſich zum Gefecht fertig machen; dann bemerkte er,
daß hinter dieſen Reutern und Wagen kein weiteres Heer folgte,
ſofort gab er Befehl zum Angriff. Von allen Seiten her jagten
die Turaniſchen Reuter auf den Feind los, ihn zu verwirren und
zu umzingeln; geſchwaderweiſe ſprengten die Macedonier nach zum
Einhauen, umſonſt ſuchten die Indier zu widerſtehen, ſich zuruͤck-
zuziehen, in kurzer Zeit waren ſie trotz der tapferſten Gegenwehr
gaͤnzlich geſchlagen, vierhundert Todte blieben auf dem Platze, un-
ter ihnen der koͤnigliche Prinz; die Wagen, außer Stand, in dem
tiefen und aufgefahrenen Wieſengrunde ſchnell zu entkommen, fielen
den Macedoniern in die Haͤnde, die jetzt mit doppelter Kampfluſt
vorwaͤrts ruͤckten.


[394]

Die Ueberreſte des zerſprengten Corps brachten die Nachricht
von ihrer Niederlage, von des Prinzen Tod, von Alexanders An-
ruͤcken ins Lager zuruͤck; Porus ſah zu ſpaͤt ein, welchen Feind er
gegenuͤber hatte; die Zeit draͤngte, den traurigen Folgen einer hal-
ben Maaßregel, die die Gefahr nur beſchleunigte, ſo viel noch
moͤglich war, zu begegnen; die einzige Rettung war, ſich noch jetzt
mit Uebermacht auf den heranruͤckenden Feind zu werfen, und ihn
zu vernichten, bevor er Zeit gewann, mehr Truppen an ſich zu
ziehen und ſo den letzten Vortheil, den Porus noch uͤber ihn
hatte, auszugleichen; jedoch durfte das Ufer dem Macedoniſchen
Lager gegenuͤber nicht entbloͤßt werden, damit nicht das vor dem-
ſelben ſchlagfertig ſtehende Heer den Uebergang erzwaͤnge und die
Schlachtlinie der Indier im Ruͤcken bedrohe. Demnach ließ Po-
rus einige Elephanten und mehrere Tauſend Mann im Lager zu-
ruͤck, um die Bewegungen des Kraterus zu beobachten und das
Ufer zu decken; er ſelbſt ruͤckte mit ſeiner geſammten Reuterei,
viertauſend Pferde ſtark, mit dreihundert Schlachtwagen, mit drei-
ßig tauſend Mann Fußvolk und zweihundert Elephanten gegen
Alexander aus. Sobald er uͤber den Wieſengrund, der ſich in
der Naͤhe des Stromes dahinzog, rechts hinaus war und das
freie Feid, das fuͤr die Entwickelung ſeiner Streitmacht und die
Bewegung der Wagen und Elephanten gleich bequem war, erreicht
hatte, ordnete er ſein Heer nach Indiſchem Brauch zur Schlacht,
vorauf die furchtbare Linie der zweihundert Elephanten, die, je
funfzig Schritt von einander, faſt eine Meile Terrain beherrſch-
ten 46), hinter ihnen im zweiten Treffen das Fußvolk, in Schaa-
ren von etwa einhundert funfzig Mann zwiſchen je zwei Elephan-
ten aufgeſtellt; an die letzte Schaar des rechten und linken Fluͤgels,
die uͤber die Elephantenlinie hinausreichte, ſchloſſen ſich je zweitau-
ſend Mann Reuter an; die beiden Enden der weiten Schlachtlinie
45)
[395] wurden durch je einhundert funfzig Wagen gedeckt, von denen je-
der zwei Schwerbewaffnete, zwei Schuͤtzen mit großen Bogen und
zwei bewaffnete Wagenlenker trug. Die Staͤrke dieſer Schlacht-
linie beſtand in den zweihundert Elephanten, deren Wirkung um
ſo entſcheidender ſein mußte, da die Reuterei, auf welche Alexan-
der den Erfolg des Tages berechnet hatte, nicht im Stande war,
ihnen gegenuͤber das Feld zu halten.


In der That haͤtte ein gut gefuͤhrter Angriff die Macedonier
vernichten muͤſſen, die Elephanten haͤtten gegen die feindliche Linie
losbrechen, und, von den einzelnen Abtheilungen Fußvolk wie Ge-
ſchuͤtz durch Scharfſchuͤtzen gedeckt, die Reiterei aus dem Felde
jagen und die Phalanx zerſtampfen, die Indiſche Reuterei nebſt den
Schlachtwagen die Fliehenden verfolgen und die Flucht uͤber den
Strom abſchneiden muͤſſen; ſelbſt die außerordentlich gedehnte und
den Feind weit uͤberfluͤgelnde Schlachtlinie konnte von großem Er-
folg ſein, wenn die Wagen und Reuter auf beiden Fluͤgeln ſogleich,
wenn die Elephanten losbrachen, dem Feinde mit einer halben
Schwenkung in die Flanke fielen; in jedem Falle mußte Porus,
ſobald er den Feind zu Geſicht bekam, den Angriff beginnen, um
nicht die Vortheile der Offenſive und namentlich die Wahl des
Punktes, wo das Gefecht beginnen ſollte, dem Feinde zu uͤberlaſ-
ſen. Er zoͤgerte, Alexander kam ihm zuvor, und benutzte ſeiner-
ſeits Alles mit der Umſicht und Kuͤhnheit, die allein der Ueber-
macht des Feindes das Gleichgewicht zu halten vermochte. Da die
Ueberlegenheit der Indier in den Elephanten beſtand, ſo mußte
der entſcheidende Schlag dieſe vermeiden, er mußte gegen den
ſchwaͤchſten Punkt der feindlichen Linie, und, um vollkommen zu
gelingen, mit dem Theil des Heeres ausgefuͤhrt werden, deſſen
Ueberlegenheit unzweifelhalft war. Alexander hatte fuͤnftauſend
Mann Reuterei, waͤhrend der Feind auf jedem Fluͤgel deren nur
etwa zweitauſend hatte, welche, zu weit von einander entfernt,
um ſich gegenſeitig unterſtuͤtzen zu koͤnnen, nur in den einhundert
funfzig Wagen, die neben ihnen aufgefahren, eine zweideutige Un-
terſtuͤtzung fanden. Theils der Macedoniſche Kriegsgebrauch, theils
die Ruͤckſicht, moͤglichſt in der Naͤhe des Fluſſes anzugreifen, um
nicht ganz von dem jenſeits aufgeſtellten Corps des Ptolemaͤus ab-
geſchnitten zu werden, veranlaßten den Koͤnig, den rechten Fluͤgel
[396] zur Eroͤffnung des Gefechts zu beſtimmen. Sobald er in der
Ferne die Indiſche Schlachtlinie geordnet ſah, ließ er die Reuterei
Halt machen, bis die einzelnen Kolonnen des Fußvolkes nachkamen.
Dieſe marſchirten in moͤglichſter Eile und voll Begier, ſich mit
dem Feinde zu meſſen, heran; einige Evolutionen der Reuterei, die
vor der Linie ausgefuͤhrt wurden, gaben ihnen Zeit, ſich zu ſam-
meln und zu ordnen, und nahmen dem Feinde die Moͤglichkeit,
die Unruhe ihres Einruͤckens in Reih und Glied zum Angriff zu
benutzen. Jetzt war die Linie des Fußvolks, rechts die Edelſchaar des
Seleukus, dann das Agema und die uͤbrigen Chiliarchien unter An-
tigenes, im Ganzen ſechs tauſend Hypaspiſten, ihnen zur Linken
die vier tauſend Mann leichtes Fußvolk unter Tauron, geordnet,
ſie erhielten den Befehl, nicht eher gegen die Elephanten vorzuruͤ-
cken, als bis der linke Fluͤgel des Feindes durch den Angriff der
Reuterei geworfen, und auch das Fußvolk in der zweiten Linie in
Verwirrung waͤre. Sodann zog ſich der groͤßere Theil der Reu-
tergeſchwader an der Fronte des Fußvolkes zum rechten Fluͤgel
hinab, das Geſchwader Demetrius und die Leibſchaar dagegen
ruͤckte unter Koͤnus Fuͤhrung links neben dem Fußvolk auf, mit
der Weiſung, die linke Flanke vor einem etwanigen Angriff
zu decken, wenn aber die feindliche Reuterei ihm gegenuͤber, um
dem anderen Fluͤgel, den Alexander demnaͤchſt zu werfen beabſich-
tigte, zu Huͤlfe zu eilen, mit linksum abritte, derſelben in den Ruͤ-
cken zu fallen und ſo die rechte Flanke der feindlichen Linie zu be-
drohen 47). Alexander ſelbſt fuͤhrte die Geſchwader Hephaͤſtion
und Perdikkas und die zweitauſend Turaniſchen Reuter weiter ge-
gen den Strom hinab, indem er die tauſend Daiſchen Reuter
vorſchob, um durch ſie das Gefecht zu eroͤffnen.


Sobald man auf Pfeilſchußweite genaht war, warfen ſich die
tauſend Daer auf die Linie der feindlichen Reuter, um ſie durch
einen Hagel von Pfeilen und durch den Ungeſtuͤm ihrer wilden
[397] Pferde zu verwirren; zugleich war die Linie der Macedoniſchen
Reuterei halb rechts nachgeruͤckt; das Geſchwader Perdikkas ſprengte
auf die Reihe der Schlachtwagen ein 48), die, bald in vollkom-
menſter Verwirrung, umſonſt ſich zu halten oder zu fliehen ver-
ſuchten, in kurzer Zeit waren ſie vernichtet und die Flanke der
feindlichen Linie geoͤffnet. Bevor noch die Indiſche Reuterei, ſchon
durch den Angriff der Daer beſtuͤrzt und verwirrt, links ſchwen-
ken und ſich in Linie vor der Flanke formiren konnte, ruͤckte Alex-
ander ſchon mit der ganzen Reutermacht ſeines rechten Fluͤgels
zum Angriff auf ſie heran; da erhielten die Wagen und Reuter
vom jenſeitigen Ende der Indiſchen Schlachtordnung Befehl, dem
linken Fluͤgel moͤglichſt ſchnell zu Huͤlfe zu kommen, aber kaum
hatten ſich Reuter und Wagen gewandt, ſo war auch ſchon Koͤnus
mit ſeinem und Demetrius Geſchwader ihnen nach auf der Flanke
und bald hinter der Indiſchen Linie. Die Indier, von zwei Reu-
termaſſen zugleich bedroht, verſuchten beiden die Spitze zu bieten
und eine doppelte Fronte zu formiren; um ſo weniger vermochten
ſie der Uebermacht zu wiederſtehen; bei dem erſten Angriff der
Macedonier jagten ſie zuruͤck, um hinter der feſten Linie der Ele-
phanten Schutz zu ſuchen. Da ließ Porus, auf dem Elephanten
des linken Fluͤgels reitend, einen Theil der Thiere wenden und
gegen die feindliche Reuterei treiben; ihr heiſeres Geſchrei ertru-
gen die Macedoniſchen Pferde nicht, ſcheu flohen ſie ruͤckwaͤrts.
Zugleich aber war die Phalanx im Sturmſchritt angeruͤckt, gegen
ſie brachen die andern Elephanten der Linie los, es begann der
furchtbarſte und moͤrderiſchſte Kampf; die Thiere durchbrachen und
zerſtampften die dichteſten Reihen, ſie ſchlugen heulend mit ihren
Ruͤſſeln nieder und durchbohrten mit ihren Fangzaͤhnen, jede
Wunde machte ſie wuͤthender; dennoch wichen die Macedonier
nicht, die Reihen aufgeloͤſt, kaͤmpften ſie wie im Einzelkampf mit
den Rieſenthieren, aber ohne weiteren Erfolg, als den, noch nicht
vernichtet oder aus dem Felde geſchlagen zu ſein. Indeß hatten
ſich die Indiſchen Reuter geſammelt, ſie begannen noch einmal den
[398] Kampf gegen Alexander, und zum zweiten Male geworfen fluͤchte-
ten ſie wieder zu den Elephanten. Alexander aber warf ſich, die
geſammte Reuterei zu einer furchtbaren Linie formirt, mit heftigem
Ungeſtuͤm auf das Indiſche Fußvolk, das, unfaͤhig zu widerſtehen,
in ordnungsloſer Eile, dicht von den Feinden verfolgt, mit großem
Verluſt zu den kaͤmpfenden Elephanten zuruͤckfloh. So draͤngten
ſich die Tauſende auf den graͤßlichen Kampfplatz der Elephanten
zuſammen; ſchon war Feind und Freund in dichter und bluti-
ger Verwirrung bei einander, die Thiere, meiſt ihrer Fuͤhrer be-
raubt, durch das wuͤſte Geſchrei des Kampfes verwirrt und ver-
wildert, vor Wunden wuͤthend, ſchlugen und ſtampften nieder, was
ihnen nahe kam. Lange wuͤthete das Gemetzel, dann ertoͤnte die
Macedoniſche Trompete durch das Feld, und langſam zogen
ſich die Macedonier aus dem Gefecht zuruͤck; ſie ſammelten ſich
Schaar bei Schaar in neuen geſchloſſenen Reihen; wohin die
ſchon muͤden Elephanten getrieben wurden, wichen ſie aus, die
Agrianer und Schuͤtzen trafen die Thiere aus der Ferne, und
jagten ſie gegen die Indier zuruͤck, oder nahten ſich vorſichtig mit
Beilen, um ihnen die Ferſen zu durchhauen. Schon waͤlzten ſich
viele von dieſen ſterbend auf dem Felde voll Leichen und Sterben-
den, andere wankten in ohnmaͤchtiger Wuth bruͤllend noch einmal
gegen die geſchloſſene Phalanx, die ſie nicht mehr fuͤrchtete. Da
gab Alexander an der Spitze der jenſeit des Schlachtfeldes aufge-
ruͤckten Reuterei das Zeichen zum letzten Sturm; waͤhrend ſie ſelbſt
in dichter Linie mit eingelegten Lanzen herantrabte, ruͤckte auch die Pha-
lanx feſt verſchildet und mit vorſtarrenden Sariſſen auf die Indier
los; ein Doppelangriff ſollte ſie zermalmen. Nun war kein weite-
rer Widerſtand; dem furchtbaren Gemetzel entfloh, wer es ver-
mochte, landeinwaͤrts, in die Suͤmpfe des Stromes, in das Lager
zuruͤck. Und ſchon waren von jenſeit des Stromes dem Befehl
gemaͤß Ptolemaͤus und Kraterus heruͤbergegangen und, ohne Wi-
derſtand zu finden, an’s Ufer geſtiegen; ſie trafen zur rechten Zeit
ein, um den durch achtſtuͤndigen Kampf ermatteten Truppen die
Verfolgung abzunehmen. An zwanzig tauſend Indier waren er-
ſchlagen, unter ihnen zwei Soͤhne des Porus und der Fuͤrſt Spit-
takus, desgleichen alle Anfuͤhrer des Fußvolks, der Reuterei, alle
Wagen- und Elephantenlenker; drei tauſend Pferde und mehr als
[399] hundert Elephanten lagen todt auf dem Felde, gegen achtzig Ele-
phanten fielen in die Haͤnde des Siegers. Koͤnig Porus hatte,
nachdem er ſeine Macht gebrochen, ſeine Elephanten uͤberwaͤltigt,
ſein Heer umzingelt und in voͤlliger Aufloͤſung ſah, kaͤmpfend den
Too geſucht; zu lange ſchuͤtzte ihn ſein goldener Panzer und die
Vorſicht des treuen Thieres, das ihn trug; endlich traf ein Pfeil
ſeine rechte Schulter; zum weiteren Kampfe unfaͤhig, und beſorgt,
lebendig in des Feindes Haͤnde zu fallen, wandte er ſein Thier,
aus dem Getuͤmmel zu entkommen. Alexander, voll Bewunderung
fuͤr den tapferen Fuͤrſten, den er bis zum letzten Augenblick hatte
kaͤmpfen ſehen, eilte ihm nach, ſein Leben auf der Flucht zu ret-
ten; da ſtuͤrzte ſein altes und treues Schlachtroß Bucephalus, von
dem heißen Tage erſchoͤpft, unter ihm zuſammen; ſo ſandte er den
Fuͤrſten von Taxila dem fliehenden Koͤnige nach; als aber der ſei-
nen alten Feind erblickte, wandte er ſein Thier und ſchleuderte mit
der letzten Anſtrengung den Speer gegen den Fuͤrſten, ſo daß die-
ſer mit Muͤhe entkam. Alexander zuͤrnte nicht, er ſandte andere
Indier, unter ihnen den Fuͤrſten Meroes, der ehemals dem Koͤ-
nige Porus befreundet geweſen war. Porus, vom Blutverluſt
erſchoͤpft und von brennendem Durſte gequaͤlt, hoͤrte ihn gelaſſen
an, dann kniete ſein Thier nieder und hob ihn mit dem Ruͤſſel
ſanft zur Erde; er trank und ruhte ein wenig, bat dann den Fuͤr-
ſten Meroes, ihn zu Alexander zu fuͤhren. Als der Koͤnig ihn
kammen ſah, eilte er ihm, von wenigen ſeiner Getreuen begleitet,
entgegen, er bewunderte die Schoͤnheit des greiſen Fuͤrſten, und
den edlen Stolz, mit dem er ihm, obſchon beſiegt, entgegen trat;
er begruͤßte ihn mit Wuͤrde und fragte ihn, wie er ſich behandelt
zu ſehen wuͤnſchte. Koͤniglich, antwortete Porus; und auf Alex-
anders Antwort, ſelbſt Koͤnig werde er ihn nicht anders behan-
deln, er moͤge ſagen, was er fuͤr ſich wuͤnſche, antwortete der
Fuͤrſt, in dieſem Wort ſei Alles enthalten 49).


[400]

Und in der That, Alexander bewies ſich koͤniglich gegen den
Beſiegten; ſeine Großmuth war die der richtigſten Politik. Der
Zweck
49)
[401] Zweck des Indiſchen Feldzuges war keinesweges, die unmittelbare
Herrſchaft uͤber Indien zu erobern. Alexander konnte nicht Voͤl-
ker, deren hoͤchſt eigenthuͤmliche Civiliſation der Helleniſchen den
Rang ſtreitig machte, mit einem Schlage zu Unterthanen eines
Macedoniſch-Perſiſchen Reiches machen wollen. Aber bis an den
Indus hin Herr alles Landes zu ſein, uͤber den Indus hinaus
das entſchiedenſte politiſche Uebergewicht zu gewinnen, und hier
dem Helleniſtiſchen Leben ſolchen Einfluß zu ſichern, daß im Laufe
der Zeiten ſelbſt eine unmittelbare Vereinigung Indiens mit dem
uͤbrigen Aſien ausfuͤhrbar werden konnte, das waren die großen
Abſichten, die Alexanders Politik in Indien geleitet haben; nicht
die Voͤlker, wohl aber die Fuͤrſten mußten von ihm abhaͤngig ſein.
Die bisherige Stellung des Porus in dem Fuͤnfſtromlande des In-
dus konnte fuͤr die Politik Alexanders den Maaßſtab abgeben. Of-
fenbar hatte Porus bis dahin ein entſchiedenes Principat in dem
Gebiet der fuͤnf Stroͤme gehabt, und eben dadurch die Eiferſucht
der Fuͤrſten von Taxila rege gemacht; ſein Reich umfaßte zunaͤchſt
zwar nur die hochcultivirten Ebenen zwiſchen dem Hydaspes und
49)
26
[402] Aceſines, doch hatte im Weſten des Hydaspes ſein Vetter Spit-
takus, im Oſten des Aceſines in der Gandaritis 50) ſein Groß-
neffe Porus wahrſcheinlich durch ihn ſelbſt die Herrſchaft erhal-
ten, ſo daß der Bereich ſeines politiſchen Uebergewichtes ſich oſt-
waͤrts bis an den Hyarotis erſtreckte, der die Grenze gegen die
freien Indiſchen Voͤlker bildete; ja mit Abiſares verbuͤndet, hatte
er ſeine Hand ſelbſt nach ihrem Lande auszuſtrecken gewagt, und
wenn ſchon ſeine Bemuͤhungen an der Tapferkeit dieſer Staͤmme
geſcheitert waren, ſo blieb ihm doch ein entſchiedenes Uebergewicht
in den Laͤndern des Indus. Alexander hatte Taxiles Macht ſchon
bedeutend vergroͤßert; er durfte nicht Alles auf die Treue eines
Fuͤrſten bauen; das geſammte Land der fuͤnf Stroͤme dem Scep-
ter des verbuͤndeten Fuͤrſten zu unterwerfen, waͤre der ſicherſte
Weg geweſen, ihm die Abhaͤngigkeit von Alexander zu verleiden,
und haͤtte ihm Mittel an die Hand gegeben, ſich derſelben leicht
zu entziehen, um ſo mehr, da die alte Feindſchaft gegen den Fuͤr-
ſten Porus ihn in den freien Staͤmmen leicht Verbuͤndete haͤtte
finden laſſen. Alexander konnte ſeinen Einfluß in Indien auf kei-
nen ſicherern Grund bauen, als auf die Eiferſucht der beiden Fuͤr-
ſten Taxiles und Porus; es kam dazu, daß, wenn er Porus als
Fuͤrſten anerkannte, er zugleich damit die Befugniß gewann, die
oͤſtlicheren Voͤlker als Feinde ſeines neuen Verbuͤndeten anzugrei-
fen und auf ihre Unterwerfung ſeinen weiteren Einfluß in dieſen
Gegenden zu gruͤnden; er mußte Porus Macht in dem Maaße
vergroͤßern, daß ſie fortan dem Fuͤrſten von Taxila das Gleichge-
wicht zu halten vermochte, ja er durfte ihm groͤßere Gewalt an-
vertrauen und ſelbſt die Herrſchaft uͤber bisherige Widerſacher
geben, da ja Porus fortan gegen ſie ſo wie gegen Taxiles in der
Gunſt des Macedoniſchen Koͤnigs allein Recht und Ruͤckhalt fin-
den konnte.


Das etwa waren die Gruͤnde, die den Koͤnig Alexander be-
ſtimmten, nach dem Siege am Hydaspes Porus nicht nur in ſei-
ner Herrſchaft zu beſtaͤtigen, ſondern ihm dieſelbe bedeutend zu ver-
[403] groͤßern. Er begnuͤgte ſich, an den beiden wichtigſten Uebergangs-
punkten des Hydaspes zwei Helleniſtiſche Staͤdte zu gruͤnden; die
eine, an der Stelle, wo der Weg von Kaſchmir herab uͤber den
Strom kommt und wo die Macedonier ſelbſt in das Land des
Porus hinuͤber gegangen waren, erhielt nach Alexanders Schlacht-
roß, das in der Schlacht gefallen war, den Namen Bucephala;
etwa drei Meilen unterhalb, wo der Weg aus Taxila uͤber den
Strom fuͤhrt, wurde die Stadt Nicaͤa, zrm Gedaͤchtniß des gro-
ßen Sieges ſo genannt, gegruͤndet 50b). Alexander ſelbſt ließ ſein
Heer in dieſer ſchoͤnen und reichen Gegend gegen dreißig Tage
raſten; die Leichenfeier fuͤr die in dem Kampf Gefallenen, die Sie-
gesopfer mit Wettkaͤmpfen aller Art verbunden, der erſte Anbau
der beiden neuen Staͤdte fuͤllten dieſe Zeit reichlich aus. Den
Koͤnig ſelbſt beſchaͤftigten die vielfachen Anordnungen, welche dem
großen Siege folgten 51). Vor Allem wichtig war das politiſche
Verhaͤltniß zu dem Fuͤrſten Abiſares, der trotz der beſchworenen
Vertraͤge an dem Kampf gegen Alexander Theil zu nehmen im
Sinne gehabt hatte. Es kam dazu, daß um dieſelbe Zeit von Siſikyp-
tos, dem Befehlshaber auf Aornos, die traurige Nachricht ein-
lief, daß die Aſſakaner den von Alexander eingeſetzten Fuͤrſten er-
ſchlagen und ſich empoͤrt haͤtten; die fruͤheren Verbindungen dieſes
Stammes mit Abiſares und deſſen offenbare Treuloſigkeit machten
es nur zu wahrſcheinlich, daß er nicht ohne Theilnahme an die-
ſen gefaͤhrlichen Bewegungen war; die Satrapen Tyriaspes am
Paropamiſus und Philipp in der Satrapie Indien erhielten den
52)
26 *
[404] Befehl, mit ihren Heeren zur Unterdruͤckung dieſes Aufſtandes aus-
zuruͤcken. Um dieſelbe Zeit kam eine Geſandtſchaft des Fuͤrſten
Porus von Gandaritis, eines Großneffen des beſiegten Porus,
der es ſich zum Verdienſt anrechnen zu wollen ſchien, ſeinen fuͤrſtli-
chen Verwandten und Beſchuͤtzer nicht gegen Alexander unterſtuͤtzt
zu haben, und die Gelegenheit guͤnſtig hielt, ſich durch Unterwuͤr-
figkeit gegen Alexander des laͤſtigen Verhaͤltniſſes gegen den grei-
ſen Verwandten frei zu machen; wie aber mußten die Geſandten
erſtaunen, als ſie denſelben Fuͤrſten, den ſie wenigſtens in Ketten
und Banden zu ſeines Siegers Fuͤßen zu ſehen erwartet hatten,
in hoͤchſten Ehren und in dem vollen Beſitz ſeines ehemaligen
Reiches an Alexanders Seite ſahen; es mochte nicht die guͤnſtigſte
Antwort ſein, die ſie von Seiten des hochherzigen Koͤnigs ihrem
Fuͤrſten zu uͤberbringen erhielten. Freundlicher wurden die Huldi-
gungen einiger freien Staͤdte des Gebirges, die deren Geſandt-
ſchaften mit reichen Geſchenken uͤberbrachten, entgegengenommen; ſie
unterwarfen ſich freiwillig einem Koͤnige, vor deſſen macht ſich
der maͤchtigſte Fuͤrſt des Fuͤnfſtromlandes hatte beugen muͤſſen 53).


Deſto nothwendiger war es, die noch uͤbrigen freien Staͤmme
dieſer Gegend durch die Gewalt der Waffen zu unterwerfen; es
kam dazu, daß Abiſares, trotz ſeines offenbaren Abfalls, und viel-
leicht im Vertrauen auf die von Gebirgen geſchuͤtzte Lage ſeines
Fuͤrſtenthums, weder Geſandte geſchickt, noch irgend etwas gethan
hatte, um ſich bei Alexandern zu rechtfertigen; ein Zug in das
Gebirgsland ſollte die Bergſtaͤmme unterwerfen und zugleich den
treuloſen Fuͤrſten an ſeine Gefahr und Pflicht erinnern. Deshalb
brach Alexander nach einer dreißigtaͤgigen Raſt von den Ufern des
Hydaspes auf, indem er Kraterus mit dem groͤßten Theile des
Heeres zuruͤckließ, um den Bau der beiden Staͤdte zu vollenden.
Von den Fuͤrſten Taxiles und Porus begleitet, mit der Haͤlfte der
Macedoniſchen Ritterſchaft, mit Auserwaͤhlten von jeder Abthei-
lung des Fußvolks, mit dem groͤßten Theile der leichten Truppen,
zu denen eben jetzt der Satrap Phrataphernes von Parthien und Hyr-
kanien eine bedeutende Zahl Thracier zugefuͤhrt hatte, zog Alex-
[405] ander nordoſtwaͤrts gegen die Glaukaniker oder Glauſen, die in
den ſchoͤnen Vorbergen oberhalb der Ebene wohnten, eine Bewe-
gung, die zugleich den Gebirgsweg nach Kaſchmir oͤffnete. Jetzt
endlich beeilte ſich Abiſares, durch ſchnelle Unterwerfung die Ver-
zeihung des Koͤnigs zu gewinnen; durch eine Geſandtſchaft, an
deren Spitze ſein Bruder ſtand, unterwarf er ſich und ſein Land
der Gnade des Koͤnigs, er begleitete ſeine Demuͤthigung mit einem
Geſchenk von vierzig Elephanten und mannichfachen Koſtbarkeiten
ſeines ſchoͤnen Landes. Alexander mistraute den Worten eines
Fuͤrſten, der ihm, trotz der heiligſten Verſprechungen, im Augen-
blick der Entſcheidung als Feind gegenuͤber zu treten im Begriff
geweſen war; er befahl, Abiſares ſollte ſofort perſoͤnlich vor ihm
erſcheinen, widrigenfalls er bald ſelbſt an der Spitze eines Mace-
doniſchen Heeres in Kaſchmir ſein werde. So zog er durch
die Berge weiter. Die Glauſen wagten keinen Widerſtand, ſie
unterwarfen ſich, und ihr reichbevoͤlkertes Gebiet (es zaͤhlte ſieben-
unddreißig Staͤdte, von denen keine unter fuͤnftauſend und mehrere
uͤber zehntauſend Einwohner hatten, und außerdem eine große Zahl
von Doͤrfern und Flecken) wurde dem Fuͤrſten Porus uͤberge-
ben 54). Fuͤr Alexander hatte dieſe Gegend noch namentlich die
große Wichtigkeit, daß ſich hier in der Naͤhe des Stromes
bedeutende Waldungen ausdehnten, welche Schiffsbauholz in rei-
chem Maaße lieferten; ſchon jetzt ließ er hier Baͤume faͤllen und
nach Buccphala und Nicaͤa hinabfloͤßen, woſelbſt unter Kraterus
Aufſicht die große Stromflotte gebaut werden ſollte, auf der der
Koͤnig nach Unterwerfung Indiens zum Indus und zum
Meere hinabzufahren gedachte 55).


Das Heer ruͤckte oſtwaͤrts zum Aceſines hinab 56); Alexander hatte
[406] hatte Nachricht erhalten, daß der Fuͤrſt Porus von Gandari-
tis 57), durch das Verhaͤltniß, in welches ſein Großoheim zu
Alexander getreten war, fuͤr ſich ſelbſt beſorgt gemacht und an der
Moͤglichkeit verzweifelnd, daß die unlautere Abſicht ſeiner Unter-
wuͤrfigkeit von Alexander verziehen werden wuͤrde, ſo viel Bewaff-
nete und Schaͤtze als moͤglich zuſammen gebracht habe und oſt-
waͤrts nach den Gangeslaͤndern hin geflohen ſei. Angekommen an
den Ufern des maͤchtigen Aceſines, ſandte Alexander den Fuͤr-
ſten Porus in ſein Land zuruͤck, mit dem Auftrage, Truppen
auszuheben und dieſe nebſt allen Elephanten, die nach der Schlacht
am Hydaspes noch kampffaͤhig waͤren, ihm nachzufuͤhren. Alexan-
der ſelbſt ging mit ſeinem Heere uͤber den Strom, der, hochange-
ſchwollen, in einer Breite von faſt dreiviertel Stunden 58), ein durch
Klippen und Felſenvorſpruͤnge gefaͤhrliches Thalbette durchwogte,
und in ſeiner wilden, ſtrudelreichen Stroͤmung vielen auf Kaͤhnen
Ueberſetzenden verderblich wurde; gluͤcklicher brachten die Zelthaͤute
htnuͤber. Hier nun auf dem linken Stromufer blieb der General
56)
[407] Koͤnus mit ſeiner Phalanx zuruͤck, um fuͤr den Uebergang der
nachruͤckenden Heeresabtheilungen Sorge zu tragen, und aus den
Laͤndern des Porus und Taxiles alles zur Verpflegung der großen
Armee Gehoͤrige zu beſchaffen. Alexander ſelbſt eilte durch den
noͤrdlichen Theil der Gandaritis, ohne Widerſtand zu finden, gen
Oſten weiter; er hoffte, den treuloſen Porus noch einzuholen; er
ließ in den wichtigſten Plaͤtzen Beſatzungen zuruͤck, die die nach-
ruͤckenden Corps des Kraterus und Koͤnus erwarten ſollten. Am
Hyarotis, dem oͤſtlichen Grenzfluß der Gandaritis 59), wurde He-
phaͤſtion mit zwei Phalangen, zwei Macedoniſchen Geſchwadern
und der Haͤlfte der Schuͤtzen ſuͤdwaͤrts detaſchirt, die Herrſchaft
des landesfluͤchtigen Fuͤrſten in ihrer ganzen Ausdehnung zu durch-
ziehen, die etwa innerhalb des Hyarotis und des Aceſines anſaͤſſi-
gen freien Staͤmme zu unterwerfen, auf dem linken Ufer des Ace-
ſines an der großen Straße eine Stadt zu gruͤnden, und das ge-
ſammte Land an den getreuen Porus zu uͤbergeben. Mit dem
Hauptheere ging Alexander ſelbſt uͤber den minder ſchwer zu paſſi-
renden Strom, und betrat nun das Gebiet der ſogenannten freien
Indier 60).


Es iſt eine merkwuͤrdige und in den eigenthuͤmlichen Natur-
verhaͤltniſſen des Panſchad’s tief begruͤndete Erſcheinung, daß ſich hier
in allen Jahrhunderten, wenn auch unter anderen und anderen Namen,
republikaniſche Staaten gebildet und erhalten haben, wie ſie dem
ſonſtigen Despotismus Aſiens gerade entgegen und dem ſtrengglaͤubi-
gen Indier des Gangeslandes ein Graͤuel ſind; die Panſchanadas
nennt er mit Verachtung Aratta’s, die Koͤnigsloſen, denn ihre Fuͤr-
ſten, nicht aus alter und heiliger Kaſte, ſind Uſurpatoren, ohne
anderes Recht als das der Gewalt. Und in der That, faſt ſcheint
es, als ob das Fuͤrſtenthum des Porus ſelbſt dieſen Charakter an
ſich getragen haͤtte 61); aber der Verſuch, das ganze Koͤnigsloſe
[408] Indien in ſeine Gewalt zu bringen, war an den kriegeriſchen und
maͤchtigen Staͤmmen jenſeits des Hyarotis geſcheitert; es bedurfte
der Europaͤiſchen Waffen, ſie zu bewaͤltigen. Nur wenige von ih-
nen unterwarfen ſich, ohne den Kampf zu verſuchrn 62); die mei-
ſten von ihnen erwarteten den Feind mit gewaffneter Hand; unter
dieſen vor Allen die Kathaͤer oder Katharer, die, beruͤhmt als der
kriegeriſchſte Stamm des Landes, nicht nur ſelbſt auf das Trefflichſte
zum Kriege geruͤſtet waren, ſondern auch die freien Nachbarſtaͤmme
zu den Waffen gerufen und mit ſich vereinigt hatten 63).


Auf die Nachricht von ihren Ruͤſtungen eilte Alexander oſt-
waͤrts durch das Gebiet der Adraiſten 64), die ſich freiwillig un-
61)
[409] terwarfen; am dritten Tage nahte er der Kathaͤerhauptſtadt San-
gala; ſie war von bedeutendem Umfang, mit ſtarken Mauern um-
geben, auf der einen Seite durch einen See geſchuͤtzt; auf der an-
deren erhob ſich in einiger Entfernung von den Thoren ein Berg-
ruͤcken, der die Ebene beherrſchte; dieſen hatten die Kathaͤer nebſt
ihren Verbuͤndeten ſo ſtark als moͤglich beſetzt, hatten um den Berg
ihre Streitwagen zu einem dreifachen Verhau in einander geſcho-
ben, und lagerten ſelbſt in dem inneren Bezirk dieſer maͤchtigen Wa-
genburg; ſelbſt unangreifbar, vermochten ſie jeder Bewegung des
Feindes ſchnell und mit bedeutender Macht zu begegnen. Alexan-
der erkannte ſehr bald das Drohende dieſer Stellung, welche den
Berichten von der Kuͤhnheit und kriegeriſchen Gewandtheit dieſes
Volks vollkommen entſprach; je mehr er von ihnen Ueberfall und
kuͤhnes Wagniß erwarten durfte, deſto behutſamer glaubte er ſelbſt
vorgehen, deſto ſchneller Entſcheidendes wagen zu muͤſſen.


Waͤhrend noch die uͤbrigen Heeresabtheilungen heranruͤckten und ſich
in Schlachtlinie ſtellten, waren ſchon die Turaniſchen Bogenſchuͤtzen
vorgegangen und plaͤnkerten laͤngs der feindlichen Linie, um das
Anruͤcken der noch ungeordneten Maſſen vor der Gefahr eines
Ausfalls zu ſichern. Endlich ſtanden die ſaͤmmtlichen Corps der
Vorhut in Schlachtordnung da: auf dem rechten Fluͤgel der Koͤ-
nig ſelbſt mit zwei Geſchwadern der Ritterſchaft, mit den Hypas-
piſten und den Agrianern; den linken Fluͤgel unter Perdikkas Be-
fehl bildeten die Phalangen und das Geſchwader Perdikkas; die
Bogenſchuͤtzen ſtanden auf die Spitze der beiden Fluͤgel vertheilt;
zu ihnen wurden die Reuter, die aus den nachruͤckenden Kolonnen
noch anlangten, an die Flanken detaſchirt, waͤhrend einiges Fußvolk
ebendaher zur Verſtaͤrkung der Phalanx herangezogen wurde. Und
ſchon begann Alexander ſeinen Angriff; er hatte bemerkt, daß die
Wagenreihe nach der linken Seite des Feindes hinuͤber minder
dicht, das Terrain aber weit und frei fuͤr einen Angriff der ſchwe-
ren Reuterei war; er hoffte durch eine ſchnelle und gefahrdrohende
64)
[410] Reuterattake gegen dieſen ſchwachen Punkt den Feind zu einem Aus-
fall zu vermoͤgen, durch den dann der Verhau geoͤffnet waͤre. So
ſprengte er an der Spitze ſeiner zwei Geſchwader gegen den Fluͤ-
gel an; die feindlichen Wagen blieben dichtgeſchloſſen, ein Hagel von
Speeren und Pfeilen empfing die Macedoniſchen Reuter, die na-
tuͤrlich nicht die Waffe waren, eine Wagenburg zu ſtuͤrmen und zu
ſprengen. Alexander warf ſein Pferd herum, jagte zu den Phalangen
und fuͤhrte die feſte Linie der Schwerbewaffneten im Sturmſchritt
heran. Lange und hartnaͤckig kaͤmpften die Indier von ihren Wagen her-
ab, endlich zogen ſie ſich vor dem immer von Neuem andringenden
Feinde hinter die zweite Wagenreihe zuruͤck, die dichter geſchloſſen
und von geringerem Umfang war, ſo daß ſich die Zahl der Ver-
theidiger nicht ſo zu vertheilen brauchte; fuͤr die Macedonier dagegen
war der Angriff doppelt beſchwerlich, indem ringsher Leichen und
Wagentruͤmmer das Feld bedeckten und die Linien nicht geſchloſſen
anzudringen vermochten. Mit deſto heftigerem Ungeſtuͤm drangen
die einzelnen Rotten vor, es begann ein moͤrderiſcher Kampf, und
die Macedoniſche Tapferkeit hatte eine harte Probe gegen die kriegs-
gewandten und mit der hoͤchſten Erbitterung kaͤmpfenden Feinde zu
beſtehen. Als aber auch dieß Verhau durchbrochen war, da ver-
zweifelten die Kathaͤer, den Macedoniern gegenuͤber ſich hinter ih-
rer dritten Wagenreihe halten zu koͤnnen; ſie gaben ihre Stellung
auf dem Berge auf und zogen ſich hinter die Mauern der Stadt
zuruͤck 65).


Alexander ruͤckte noch deſſelben Tages mit ſeinem ganzen Heere
[411] nach, in der Abſicht, die Stadt ſofort einzuſchließen, da er glaub-
te, daß die Kathaͤer, durch den Ausgang dieſes Tages beſtuͤrzt, in
der Stille der Nacht aus ihrer Stadt zu fluͤchten verſuchen wuͤr-
den; doch reichte ſein Heer nicht hin, den weiten Umfang der
Mauern zu umgeben; deshalb lagerten die einzelnen Abtheilungen
des Fußvolks in maͤßigen Zwiſchenraͤumen von einander, welche
dann von der Reuterei beſetzt wurden; eben ſo umſchloſſen Neuterpoſten
das ganze Ufer des Sees, der, von geringer Tiefe und bis an die
Mauern der Stadt reichend, die Feinde bei einem Verſuch zur Flucht ſehr
beguͤnſtigte. Die Vermuthung Alexanders, ein Beweis, wie richtig er
den Charakter des Indiſchen Volkes zu wuͤrdigen wußte, beſtaͤtigte
ſich bald genug. Es war um die zweite Nachtwache, als die Reuter-
poſten jenſeits an der Stadtmauer ein großes Gewimmel von Menſchen
bemerkten; Tauſende draͤngten ſich uͤber den See her, ſie verſuchten, das
Ufer und dann das Weite zu gewinnen, ſie wurden von den Reu-
tern aufgefangen und niedergehauen; lautſchreiend flohen die Uebri-
gen zur Stadt zuruͤck; das Uebrige der Nacht verging ruhig. —


Am anderen Morgen ließ Alexander die Belagerungsarbeiten
beginnen; es wurde ein doppelter Graben von der Naͤhe des Sees
aus rings um die Mauern bis wieder in den See gefuͤhrt; den
See ſelbſt umgab eine doppelte Poſtenlinie; ſchon ſtanden die Schirm-
daͤcher und Sturmbloͤcke aufgerichtet, die am naͤchſten Tage gegen
die Mauer zu arbeiten und Breſche zu legen beginnen ſollten; da
brachten Ueberlaͤufer aus der Stadt die Nachricht, die Belagerten
wollten in der naͤchſten Nacht von Neuem einen Ausfall verſuchen,
ſie haͤtten ſich die freie Stelle zwiſchen dem See und der Wall-
linie zum Hindurchbrechen anserſehen. Sofort ordnete Alexander
Alles an, den Plan der Feinde zu vereiteln; der Lagide Ptolemaͤus
wurde mit drei Chiliarchien der Hypaspiſten, mit ſaͤmmtlichen Agri-
anern und einer Abtheilung der Schuͤtzen zur Nachtwache an die-
ſe Stelle detaſchirt, mit dem Befehl, wenn die Barbaren den Aus-
fall wagen ſollten, ſich ihnen mit aller Macht zu widerſetzen, zu-
gleich aber Laͤrm blaſen zu laſſen, damit ſofort die uͤbrigen Trup-
pen ausruͤcken und in den Kampf eilen koͤnnten. Ptolemaͤus eilte
ſeine Stellung zu nehmen und ſo viel wie moͤglich zu befeſtigen;
er ließ die am vorigen Tage erbeuteten Wagen zuſammenfahren,
um die Luͤcke zwiſchen dem See und der Befeſtigung zu decken;
[412] er ließ die zu Palliſaden gefaͤllten Baumſtaͤmme, die noch nicht in
die Waͤlle eingelaſſen waren, in maͤßigen Abſtaͤnden zu Haufen
uͤbereinanderwerfen, um dem Feinde ſo viel als moͤglich den Aus-
fall zu behindern; unter dieſen Arbeiten verſtrich ein guter Theil
der Nacht. Endlich gegen Morgen oͤffnete ſich das Seethor der
Stadt, in hellen Haufen brachen die Feinde hervor und ruͤckten
im Sturmſchritt auf die wohlverwahrte Linie; zu gleicher Zeit be-
gannen die Laͤrmtrompeten im Lager zu blaſen; waͤhrend die
Indier ſich tief und tiefer in dem Verhau von Baͤumen und den
Wagenreihen verwirrten, war ſchon Ptolemaͤus mit ſeinen Schaaren
mitten unter ihnen, und nach langem und unordentlichem Gefechte
ſahen ſie ſich gezwungen, zur Stadt zuruͤckzufliehen.


Nun war den Indiern jeder Ausweg zur Flucht abgeſchnitten;
die Maſchinen begannen gegen die Mauern der Stadt zu arbeiten,
zugleich wurden ſie an mehreren Stellen unterminirt, und mit ſo
guͤnſtigem Erfolg, daß in kurzer Zeit Luͤcken ſtuͤrzten und der Sturm
auf die Stadt beginnen konnte. So wurde die Stadt erobert;
wenige von den Belagerten retteten ſich; deſto mehr wurden von
den erbitterten Macedoniern in den Straßen der Stadt niederge-
macht; man ſagt an ſiebzehntauſend, eine Zahl, die nicht unwahr-
ſcheinlich iſt, da Alexander, um die Unterwerfung dieſes kriegeri-
ſchen Volksſtammes moͤglich zu machen, den ſtrengen Befehl gege-
ben hatte, jeden Bewaffneten niederzuhauen; die ſiebzigtauſend Kriegs-
gefangene, welche erwaͤhnt werden, ſcheinen die uͤbrige Bevoͤlkerung
der Indiſchen Stadt ausgemacht zu haben. Die Macedonier ſelbſt
zaͤhlten gegen hundert Todte und ungewoͤhnlich viel ſchwer Ver-
wundete, naͤmlich eintauſend zweihundert, unter dieſen mehrere Of-
ficire und namentlich den Somatophylax Lyſimachus 66).


Gleich nach der Erſtuͤrmung der Stadt ſandte Alexander den
Kardianer Euwenes mit dreihundert Reutern nach den beiden mit
den Kathaͤern verbuͤndeten Staͤdten, mit der Anzeige von dem Falle
Sangala’s, und der Aufforderung ſich zu ergeben: ſie wuͤrden, wenn
ſie ſich dem Koͤnige freiwillig unterwuͤrfen, eben ſo wenig zu fuͤrch-
ten haben, wie ſo viele andere Indier, welche die Macedoniſche
Frcundſchaft ſchon als ihr wahres Heil zu erkennen anfingen. Aber
[413] die aus Sangala Gefluͤchteten hatten die graͤßlichſten Berichte von
Alexanders Grauſamkeit und dem Blutdurſt ſeiner Soldaten mit-
gebracht; an die freundlichen Worte des Eroberers glaubte niemand,
man ſuchte ſich zu retten, ehe es zu ſpaͤt ſei; ſo zogen denn die
Einwohner der beiden Staͤdte in eiliger Flucht hinweg, indem ſie
ihr Hab und Gut, ſo viel ſie konnten, mit ſich nahmen. Auf die
Nachricht hiervon brach Alexander ſelbſt ſchleunig aus Sangala auf
und verfolgte die Fliehenden; aber ſie hatten zu weiten Vorſprung,
nur einige hundert, die vor Ermattung zuruͤckgeblieben waren, fielen
in ſeine Haͤnde und buͤßten mit dem Leben die Widerſetzlichkeit
und den paniſchen Schrecken ihrer Mitbuͤrger. Nach einer langen
und ermuͤdenden Verfolgung kehrte der Koͤnig nach Sangala zu-
ruͤck; die Stadt wurde dem Erdboden gleich gemacht, das Ge-
biet derſelben an die benachbarten Staͤmme, die ſich freiwillig un-
terworfen hatten, namentlich an die Adraiſten vertheilt. Porus, der
waͤhrend der Belagerung von Sangala mit fuͤnftauſend Indiern
und ſeinen Elephanten eingetroffen war, erhielt den Befehl, dieje-
nigen Diſtrikte, die ſich freiwillig unterworfen hatten, in Beſitz zu
nehmen und Beſatzungen in ihre Staͤdte zu legen; Alexander ſelbſt
ging in mehr ſuͤdlicher Richtung vor; die uͤbertriebenen Geruͤchte
von ſeiner Grauſamkeit und von der Barbarei ſeiner Soldaten,
welche ſeit dem Untergange von Sangala Alles mit Schrecken er-
fuͤllt und mehr als eine Ortſchaft zu dem Entſchluß, lieber kaͤm-
pfend zu ſterben als ſich zu unterwerfen, gebracht hatten, gaben dem Koͤnige
erwuͤnſchte Gelegenheit, ſeine Nachſicht und Großmuth deſto erfreu-
licher und ſiegreicher wirken zu laſſen 67). Bald bedurfte es kei-
nes weiteren Kampfes; wohin Alexander kam, unterwarf ſich ihm
die Bevoͤlkerung. Dann betrat er das Gebiet des Fuͤrſten Sopei-
thes, deſſen Herrſchaft ſich uͤber die erſten Bergketten des Imaus
und in die Reviere der Steinſalzlager an den Hyphaſisquellen er-
ſtreckte. Das Heer nahte ſich der fuͤrſtlichen Reſidenz, in der, man
wußte es, ſich Sopeithes befand; die Thore waren geſchloſſen, die
Zinnen der Mauern und Thuͤrme ohne Bewaffnete; man zweifelte,
ob die Stadt verlaſſen oder Verrath zu fuͤrchten ſei. Da oͤffneten
ſich die Thore; in dem bunten und flimmernden Staate eines In-
[414] diſchen Rajas, in hellfarbigen Kleidern, in Perlenſchnuͤren und
Edelſteinen und goldenem Schmuck, von ſchallender Muſik begleitet,
mit einem reichen Gefolge zog der Fuͤrſt Sopeithes dem großen
Koͤnige entgegen, und brachte mit vielen und koſtbaren Geſchenken, un-
ter denen eine Meute Tigerhunde 68), ſeine Huldigung dar; ſein Fuͤrſten-
thum ward ihm beſtaͤtigt und, wie es ſcheint, vergroͤßert 69). Dann
zog Alexander weiter in das benachbarte Gebiet des Fuͤrſten Phe-
geus 70); auch dieſer eilte ſeine Huldigungen und ſeine Geſchenke
darzubringen; er blieb im Beſitz ſeines Fuͤrſtenthums; es war das
[415] oͤſtlichſte Land, das Alexander in ſeinem Siegeslaufe betreten ſollte;
der Tag der Ruͤckkehr war gekommen.


Die hiſtoriſche Tradition hat dieſen Punkt in der Geſchichte
Alexanders auf eine bemerkenswerthe Weiſe verdunkelt; ſelbſt von
dem Aeußerlichſten wird nicht Genuͤgendes und Uebereinſtimmen-
des angegeben; manche der Macedonier haben Unglaubliches in die
Heimath berichtet, und Kraterus ſchrieb ſeiner Mutter, bis zum
Ganges ſeien ſie vorgedrungen und haͤtten dieſen ungeheueren Strom
voll Haifiſche und brandend wie das Meer geſehen 71). Andere
nannten wenigſtens den Hyphaſis der Wahrheit gemaͤß als das
Ende der Macedoniſchen Zuͤge; aber, um doch irgendwie zu erk aͤ-
ren, warum der Eroberung ein Ziel geſetzt worden, haben ſie aus
dem aͤußerlichen Anlaß der Ruͤckkehr einen Cauſalzuſammenhang
hergeleitet, uͤber deſſen Werth weder die ſonſtige Glaubwuͤrdigkeit
der Berichterſtatter noch der verdachtloſe Glaube, der ihnen ſeit
zwei Jahrtauſenden geſchenkt worden, taͤuſchen darf.


Alexander, ſo wird erzaͤhlt 72), war an den Hyphaſis vorge-
drungen, mit der Abſicht, auch das Land jenſeits zu unterwerfen,
denn es ſchien ihm kein Ende des Krieges, ſo lange noch irgend
Feindliches da war. Da erfuhr er, jeuſeits des Hyphaſis ſei ein rei-
ches Land, und drinnen ein Volk, das fleißig den Acker baue, die
Waffen mit Muth fuͤhre, ſich einer wohlgeordneten Verfaſſung freue;
denn die Edelſten beherrſchten das Volk ohne Druck und Eifer-
ſucht; die Kriegselephanten ſeien dort maͤchtiger, wilder und in
groͤßerer Zahl als irgendwo ſonſt in Indien. Das Alles erregte
des Koͤnigs Verlangen, weiter zu dringen. Aber die Macedonier
ſahen mit Schmerz, wie ihr Koͤnig Muͤhe auf Muͤhe, Gefahr auf
Gefahr haͤufe; ſie traten hie und da im Lager zuſammen, ſie klag-
ten um ihr trauriges Loos, ſie ſchwuren einander, nicht weiter zu
folgen, wenn es auch Alexander geboͤte. Als das der Koͤnig er-
fuhr, eilte er, bevor die Unordnung und die Muthloſigkeit der
Truppen weiter um ſich griffe, die Generale zur Verſammlung zu
berufen. „Da ſie, ſo ſprach er, ihm nicht weiter von gleicher Ge-
[416] ſinnung beſeelt, folgen wollten, ſo habe er ſie herbeſchieden, um
entweder ſie von der Raͤthlichkeit des weiteren Zuges zu uͤberzeugen,
oder von ihnen uͤberzeugt zuruͤckzukehren; erſcheine ihnen das bisher
Durchkaͤmpfte und ſeine eigene Fuͤhrung tadelnswerth, ſo habe
er nichts Weiteres zu ſagen; er kenne fuͤr den hochherzigen Mann
kein anderes Ziel alles Kaͤmpfens, als die Kaͤmpfe ſelbſt; wolle je-
mand das Ende ſeiner Zuͤge wiſſen, ſo ſei er nicht mehr weit
bis zum Ganges, bis zum Meere im Oſten, dort werde er ſeinen
Macedoniern den Seeweg zum Hyrkaniſchen, zum Perſiſchen Meere,
zum Lybiſchen Strande, zu den Saͤulen des Herakles zeigen; die
Grenzen, die der Gott dieſer Welt gegeben, ſollten die Grenzen
des Macedoniſchen Reichs ſein; noch aber ſei jenſeit des Hyphaſis
bis zum Meer im Oſten manches Volk zu bewaͤltigen, und von
dort bis zum Hyrkaniſchen Meere ſchweiften noch die Horden der
Scythen unabhaͤngig umher; ſeien denn die Macedonier vor Ge-
fahren bange? vergaͤßen ſie ihres Ruhmes und der Hoffnung?
einſt, wenn die Welt uͤberwunden, werde er ſie heimfuͤhren gen
Macedonien, uͤberreich an Habe, an Ruhm, an Erinnerungen.“
Nach dieſer Rede Alexanders entſtand ein langes Schweigen, nie-
mand wagte entgegen zu ſprechen, niemand beizuſtimmen; umſonſt
forderte der Koͤnig wiederholentlich zum Sprechen auf: er werde
auch der entgegengeſetzten Meinung Gehoͤr ſchenken. Lange ſchwieg
man; endlich erhob ſich Koͤnus, des Polemokrates Sohn: „der Koͤ-
nig wolle, daß das Heer nicht ſowohl ſeinem Befehl, als
der eigenen Ueberzeugung folge; ſo ſpreche er denn nicht fuͤr ſich,
denn er ſei zu Allem bereit, ſondern fuͤr das Herr, nicht um der
Menge zu gefallen, ſondern was ihm die Zeitumſtaͤnde zu ſagen
geboͤten; ſein graues Haupt, ſeine Wunden, des Koͤnigs Vertrauen
gaͤben ihm ein Recht offen zu ſein; je mehr Alexander und das
Heer vollbracht, deſto nothwendiger ſei es ein endliches Ziel zu ſe-
tzen; wer von den alten Kriegern noch uͤbrig ſei, wenige im Heere,
andere in den Staͤdten zerſtreut, ſehnten ſich nach der Heimath, nach
Vater und Mutter, nach Weib und Kind zuruͤck; dort wollten ſie
den Abend ihres Lebens, im Schooß der Ihrigen, in der Erinne-
rung ihres thatenreichen Lebens, im Genuß des Ruhmes und der
Habe, die Alexander mit ihnen getheilt, verleben; ſolches Heer ſei
nicht zu neuen Kaͤmpfen geſchickt, Alexander moͤge ſie heimfuͤhren,
er
[417] er werde ſeine Mutter wiederſehen, er werde die Tempel der Hei-
math mit Trophaͤen ſchmuͤcken; er werde, wenn er nach neuen
Thaten verlange, ein neues Heer ruͤſten und gegen Indien oder
Libyen, gegen das Meer im Oſten oder jenſeit der Heraklesſaͤulen
ziehen; und die gnaͤdigen Goͤtter wuͤrden ihm neue Siege gewaͤh-
ren; der Goͤtter groͤßtes Geſchenk aber ſei Maͤßigung im Gluͤck;
nicht den Feind, wohl aber die Goͤtter und ihr Verhaͤngniß muͤſſe
man ſcheuen.“ Unter allgemeiner Bewegung ſchloß Koͤnus ſeine
Rede; Viele vermochten die Thraͤnen nicht zu hemmen, es war of-
fenbar, wie der Gedanke der Heimkehr ihr Herz erfuͤllte. Alexan-
der aber, unwillig uͤber die Aeußerungen des Generals und die Zu-
ſtimmung der Uebrigen, entließ die Verſammlung. Am naͤchſten Tage
berief er ſie von Neuem; „er werde, ſo ſprach er, in Kurzem wei-
ter gehen, er werde keinen der Macedonier noͤthigen zu folgen,
noch ſeien genug der Tapferen uͤbrig, die nach neuen Thaten ver-
langten; die Uebrigen moͤchten heimziehen, es ſei ihnen erlaubt; ſie
moͤchten in der Heimath berichten, daß ſie ihren Koͤnig mitten in
Feindesland verlaſſen haͤtten.“ Nach dieſen Worten verließ der
Koͤnig die Verſammlung und zog ſich in ſein Zelt zuruͤck; waͤh-
rend dreier Tage zeigte er ſich den Macedoniern nicht, er erwar-
tete, daß ſich die Stimmung im Heere aͤndern, daß ſich die Trup-
pen zur weiteren Heerfahrt entſchließen wuͤrden. Und die Macedonier
waren zwar betruͤbt uͤber des Koͤnigs Zorn, aber ihr Sinn aͤnderte
ſich nicht. Deſſen ungeachtet opferte der Koͤnig am vierten Tage
an den Ufern des Stromes wegen des Ueberganges, aber die Zei-
chen der Opfer waren nicht guͤnſtig; da berief er die Hauptleute,
die Veteranen der Getreuen zu Fuß und zu Roß und viele Andere
vom Heere zur Verſammlung, und verkuͤndete die Ruͤckkehr; und
die Macedonier weinten und jubelten vor Freude, ſie draͤngten ſich
um des Koͤnigs Zelt und prieſen ihn laut, daß er ſich, ſtets unbe-
ſiegt, von ſeinen Macedoniern habe beſiegen laſſen.


So die Erzaͤhlung nach Plutarch und Arrian; bei Curtius
und Diodor 73) iſt ſie mit einigen Nebenumſtaͤnden bereichert,
welche nicht allzu glaubwuͤrdig erſcheinen: Alexander habe die
Truppen, um ſie fuͤr den weiteren Feldzug geneigt zu machen, auf
27
[418] Pluͤnderung in die ſehr reichen Ufergegenden des Hyphaſis, alſo
in das befreundete Land des Phegeus ausgeſandt, und waͤhrend der
Abweſenheit der Truppen den Weibern und Kindern der Solda-
ten Kleider und Vorraͤthe aller Art, namentlich den Sold eines
Monats zum Geſchenk gemacht; dann habe er die mit Beute
heimkehrenden Soldaten zur Verſammlung berufen und nicht etwa
im Kriegsrath, ſondern vor dem geſammten Heere die wichtige
Frage uͤber den weiteren Zug verhandelt. Strabo ſagt 74):
Alexander ſei zur Umkehr bewogen worden durch gewiſſe heilige
Zeichen, durch die Stimmung des Heeres, das den weiteren Hee-
reszug wegen der ungeheueren Strapazen, die es bereits erduldet,
verſagte, vor Allem aber, weil die Truppen durch den anhaltenden
Regen ſehr gelitten hatten; und in der That, dieſen letzten Punkt
muß man in ſeiner ganzen Ausfuͤhrung vor Augen haben, um die
Ruͤckkehr am Hyphaſis zu begreifen. Klitarch, den man in den
Worten Diodors ſehr deutlich wieder erkennt, ſtellt das Elend der
Truppen in den craſſeſten Bildern dar: wenige von den Macedo-
niern, ſagt er, waren uͤbrig und dieſe der Verzweiflung nahe, durch
die Laͤnge der Feldzuͤge waren den Pferden die Hufe abgenutzt,
durch die Menge der Schlachten die Waffen der Krieger ſtumpf
und zerbrochen; Helleniſche Kleider hatte Niemand mehr, Lumpen
Barbariſcher und Indiſcher Beute, elend an einander geflickt, deck-
ten dieſe benarbten Leiber der Welteroberer; ſeit ſiebzig Tagen
waren die furchtbarſten Regenguͤſſe unter Stuͤrmen und Gewittern
vom Himmel herabgeſtroͤmt. Allerdings waren gerade jetzt die
Peſchekal, die tropiſchen Regen mit den weiten Ueberſchwemmun-
gen in ihrer hoͤchſten Steigerung; man muß ſich vergegenwaͤrtigen,
was ein abendlaͤndiſches Heer, ſeit drei Monaten im Lager oder
auf dem Marſche, durch dieß furchtbare Wetter, durch die dunſtige
Naͤſſe des ungewohnten Klimas, durch den unvermeidlichen Man-
gel an Bekleidung und Lebensmitteln gelitten haben, wie viel
Menſchen und Pferde der Witterung und den Krankheiten, die
ſie erzeugte, erlegen ſein 75), wie endlich durch das um ſich grei-
[419] fende Siechthum, durch die unablaͤſſige Qual der Witterung, der
Entbehrung, der ſchlechten Wege und unaufhoͤrlichen Maͤrſche,
durch die graͤßliche Steigerung des Elends, der Sterblichkeit und
der Hoffnungsloſigkeit die moraliſche Kraft mit der phyſiſchen zu-
gleich gebrochen ſein mußte, — und man wird es begreiflich fin-
den, daß in dieſem ſonſt ſo kriegsruͤſtigen und enthuſiaſtiſchen
Heere Mismuth, Heimweh, Erſchlaffung, Indolenz einreißen
konnte. Und wenn Alexander jener Stimmung im Heere und
der Weigerung weiterer Heeresfolge nicht mit ruͤckſichtsloſer
Strenge entgegen zu treten wagte, ſondern, ſtatt ſie durch alle
Mittel ſoldatiſcher Disciplin zu brechen und zu ſtrafen, ihr endlich
nachgab, ſo iſt dieß der entſchiedenſte Beweis, daß ihr nicht Meu-
terei und Haß gegen den Feldherrn zum Grunde lag, ſondern daß
ſie die nur zu begreifliche Folge jener endloſen Leiden der letzten
drei Monate war.


Wohl ſcheint es der hoͤchſte Wunſch Alexanders geweſen zu
ſein, ſeine ſiegreichen Waffen bis zum Ganges und bis zum Meere
im Oſten hinaus zu tragen; die Berichte von der coloſſalen Macht
der Fuͤrſten am Ganges, von den unendlichen Schaͤtzen der dorti-
gen Reſidenzen, von allen Wundern des fernen Oſtens, wie er ſie
in Europa und Aſien hatte preiſen hoͤren, nicht minder das Ver-
langen, in dem oͤſtlichen Meere eine Grenze der Siege und neue
Wege zu Entdeckungen und Weltverbindungen zu finden, vor Al-
lem aber jenes dunkle und geheimnißvolle Verhaͤngniß der Groͤße,
jenſeits des Erreichbaren ihr Ziel zu ſuchen, dieß Alles mag in
den Tagen am Hyphaſis Alexanders Geiſt erfuͤllt und ihn zu je-
nen aͤußerſten Verſuchen, uͤber das Ungluͤck und die Stimmung
ſeiner Truppen Herr zu werden, gebracht haben. Er mochte hof-
fen, daß die begeiſternde Kuͤhnheit ſeines neuen Planes, daß die
große Zukunft, die er dem ermattenden Blicke ſeiner Macedonier
zeigte, daß ſein Aufruf und der kuͤhne Enthuſiasmus eines unab-
laͤſſigen Vorwaͤrts ſein Heer alles Leiden vergeſſen laſſen und mit
neuer Kraft durchflammen werde. Er hatte ſich geirrt; Ohnmacht
und Klage war das Echo ſeines Aufrufs. Der Koͤnig verſuchte
75)
27 *
[420] das ernſtere Mittel der Beſchaͤmung und ſeiner Unzufriedenheit;
er entzog ſich den Blicken ſeiner Getreuen, er ließ ſie ſeinen bit-
tern Unwillen fuͤhlen, er hoffte, ſie durch Schaam und Reue aus
ihrem Elend und ihrer Demoraliſation empor zu reißen; und mit
tiefer Trauer ſahen die Veteranen, daß ihr Koͤnig zuͤrne, zu er-
mannen vermochten ſie ſich nicht. Drei Tage herrſchte im Lager
das qualvolle Schweigen; Alexander mußte erkennen, daß alles
Bemuͤhen vergeblich, neue Verſuche gefaͤhrlich ſeien, daß ſeine
Groͤße an den Grenzen der Endlichkeit ſtehe, daß er nicht an den
Ufern des Ganges die Palme der ſchoͤnſten Siege brechen ſollte.
Er ließ an den Ufern des Stromes die Opfer zum Uebergange
feiern, und die gnaͤdigen Goͤtter weigerten ihm die guͤnſtigen Zei-
chen der weiteren Heerfahrt; ſie geboten, heim zu kehren. Der
Ruf zur Heimkehr, der nun durch das Lager ertoͤnte, wirkte wie
ein Zauber auf die Gemuͤther der Macedonier, jetzt war das Lei-
den vergeſſen, jetzt Alles Hoffnung und Jubel, jetzt in Allen neue
Kraft und neuer Muth, und es iſt glaublich, daß von allen Ma-
cedoniern Alexander allein trauernd gen Abend blickte. —


Es iſt bemerkenswerth, das dieſe Umkehr am Hyphaſis, im
Sinne des Heldenlebens und der Hoffnungen Alexanders die er-
ſchuͤtternde Kataſtrophe, zu gleicher Zeit nothwendig im Sinne ſei-
nes geſchichtlichen Berufes, vorbereitet und vorgedeutet im Zuſam-
menhange ſeiner Unternehmungen genannt werden muß. Man
kann es nicht laͤugnen, daß der weitere Feldzug gen Oſten den
Weſten ſo gut wie Preis gegeben haͤtte; ſchon jetzt waren aus
den Perſiſchen und Syriſchen Provinzen Berichte eingegangen, die
deutlich genug zeigten, welche Folgen von einer noch laͤngeren Ab-
weſenheit des Koͤnigs, von der noch weiteren Entfernung der
ſtreitbaren Macht zu erwarten waren; Unordnungen aller Art,
Bedruͤckungen gegen die Unterthanen, Anmaaßungen der Satrapen,
gefaͤhrliche Wuͤnſche und verbrecheriſche Verſuche von Perſiſchen
und Macedoniſchen Großen, die, waͤhrend Alexander an den In-
dus hinabgezogen war, ſich ohne Aufſicht und Verantwortung zu
fuͤhlen begannen, haͤtten durch einen weiteren Feldzug in die Gan-
geslaͤnder ungefaͤhrdet weiter wuchern und vielleicht zu einer voll-
kommenen Aufloͤſung des noch keinesweges feſt gegruͤndeten Rei-
ches fuͤhren koͤnnen. Selbſt aber angenommen, daß der außeror-
[421] dentliche Geiſt Alexanders noch aus dem fernſten Oſten her die
Zuͤgel der Herrſchaft feſt und ſtreng anzuziehen vermocht haͤtte, ſo
waͤren die groͤßten Erfolge in den Gangeslaͤndern fuͤr das Beſte-
hen des Reiches am gefaͤhrlichſten geweſen; die ungeheuere Aus-
dehnung dieſes Stromgebietes haͤtte einen unverhaͤltnißmaͤßigen
Aufwand von abendlaͤudiſchen Beſatzungen gefordert, und endlich
doch eine wahrhafte Unterwerfung und Verſchmelzung mit dem
Reiche unmoͤglich gemacht. Dazu kam, daß eine Wuͤſte von nicht
geringerer Ausdehnung als die Halbinſel Kleinaſien, die Oſtlaͤnder
vom Fuͤnfſtromlande ſcheidet; ohne Baum, ohne Gras, ohne an-
deres Waſſer als das brakige der engen bis dreihundert Fuß tiefen
Brunnen, unertraͤglich durch den wehenden Flugſand, durch den
gluͤhenden Staub, der in der ſchwuͤlen Luft flirrt, noch gefaͤhrli-
cher durch den ploͤtzlichen Wechſel der Tageshitze und der naͤchtli-
chen Kuͤhle, iſt dieſe furchtbare Einoͤde die faſt unuͤberwindliche
Vormauer des Gangeslandes; nur ein Weg fuͤhrt vom Norden
am Saume der Imausketten vom Hyphaſis und Heſudrus zu
den Stroͤmen des Ganges, und mit Recht nennen ihn die Mor-
genlaͤnder ein zu ſchwaches Band, um das große und uͤberreiche
Gangesland an die Krone von Perſien zu heften. Endlich muß
man behaupten, daß Alexanders Politik, wenn man ſie von dem
erſten Eintritt in das Indiſche Land an verfolgt, auf das Entſchie-
denſte dahin weiſet, daß es ſeine Abſicht nicht geweſen iſt, das
Fuͤnfſtromland, geſchweige gar die Laͤnder des Ganges, zu unmittel-
baren Theilen ſeines Reiches zu machen. Das Reich Alexanders
hatte mit der Indiſchen Satrapie im Weſten des Indus ein
Ende; das Land oſtwaͤrts ſollte unter einheimiſchen Fuͤrſten unab-
haͤngig, aber unter Macedoniſchem Einfluß bleiben, wie er in der
eigenthuͤmlichen Stellung der Fuͤrſten Taxiles und Porus zu
einander und zum Koͤnige ſicher genug begruͤndet war; ſelbſt der
ſo hochbeguͤnſtigte Porus erhielt nicht alles Land bis zum oͤſtlichen
Grenzſtrom des Panſchab; wie auf der einen Seite Taxiles, ſo
wurden auf der andern Seite die unabhaͤngigen Fuͤrſtenthuͤ-
mer des Phegeus und Sopeithes ein Gegengewicht, zwei Fuͤrſten,
die zu unbedeutend, um mit eigener Macht etwas wagen zu koͤn-
nen, einzig in der vollſten Ergebenheit gegen Alexander Kraft und
Halt finden konnten. So waren dieſe Fuͤrſten, aͤhnlich dem Rhein-
[422] bunde der neueren Zeit, durch gegenſeitige Furcht und Eiferſucht,
der Abhaͤngigkeit von der uͤberlegenen Macht Alexanders, wenn er
auch nach Weſten zuruͤckkehrte, geſichert; ſollte eine Eroberung des
Gangeslandes moͤglich ſein, ſo haͤtte Alexander das Indusland, wie fruͤ-
her Sogdiana, wenn auch mit denſelben ſtrengen Mitteln und glei-
chem Zeitaufwand, ſich unmittelbar und vollkommen unterwerfen
und zu organiſchen Theilen ſeines ungeheueren Reiches machen muͤſ-
ſen; aber er hatte ſich von Anfang her uͤberzeugt, daß die Bevoͤl-
kerung des Induslandes in allen Verhaͤltniſſen des Lebens, des
Staates und der Religion zu eigenthuͤmlich entwickelt, und in ih-
rer Entwickelung zu fertig war, als daß ſie ſchon jetzt fuͤr das
Helleniſtiſche Leben gewonnen werden konnte. So konnte Alexander
nicht daran denken, jenſeits der nur verbuͤndeten Fuͤrſtenthuͤmer
eine neue Reihe von Eroberungen ſeinem Reiche in der Form un-
mittelbarer Abhaͤngigkeit einzuverleiben; und wenn er bereits nach
der Schlacht am Hydaspes den Bau einer Flotte beginnen ließ,
die ſein Heer den Indus hinab zum Perſiſchen Meere bringen
ſollte, ſo zeigt dies unzweideutig, daß er auf dem Wege des In-
dus, nicht des Ganges, zuruͤck zu kehren die Abſicht hatte, daß alſo
ſein Zug gegen die Gangeslaͤnder nicht viel mehr als eine Inva-
ſion ſein ſollte. Man darf vermuthen, daß ſie, wie Napoleons
großer Feldzug gegen Oſten, von einer Operationsbaſis kaum be-
waͤltigter Fuͤrſtenthuͤmer aus, die nur durch die ſchwachen Bande der
Dankbarkeit, der Furcht und Selbſtſucht an den Eroberer gefeſſelt
waren, wahrſcheinlich einen eben ſo traurigen Ausgang gehabt ha-
ben wuͤrde; uͤberhaupt aber ſcheint es nicht zu viel, wenn man
laͤugnet, daß Alexander klar und entſchieden den Zweck und den
Plan des Gangesfeldzuges ins Auge gefaßt habe; wenigſtens bietet
eine Analogie dafuͤr Napoleons ſtaunenswuͤrdiges Unternehmen,
das offenbar durch denſelben Fehler ſo vollkommen geſcheitert
und ſeines Sturzes Anfang geworden iſt. —


Es mochte in den letzten Tagen des Auguſts 326 ſein, als
ſich das Macedoniſche Heer an den Ufern des Hyphaſisſtromes
zum Ruͤckmarſch ruͤſtete; jede der zwoͤlf Phalangen erhielt den
Befehl, an den Ufern des Stromes einen maͤchtigen, thurmaͤhnli-
chen Altar zu errichten, zum Andenken des abendlaͤndiſchen Heeres
und zum Dank fuͤr die Goͤtter, die es bis hicher ſiegreich hatten
[423] vordringen laſſen. Alexander opferte auf dieſen Altaͤren, waͤhrend
von den Truppen Kampfſpiele aller Art nach Helleniſchem Brauche
gefeiert wurden 76). Dann brach das Heer gen Weſten hin auf;
es war befreundetes Land, durch welches der Weg fuͤhrte 77);
ohne andere Schwierigkeiten, als die des noch immer haͤufigen
Regens, gelangte man zum Hyarotis, und uͤber dieſen durch die
[424] Landſchaft Gandaritis an die Ufer des Aceſines; hier an der Paſ-
ſage des Stroms ſtand bereits die Stadt, mit deren Bau Hephaͤ-
ſtion beauftragt worden war, fertig 78). Alexander ließ hier kurze
Zeit raſten, um theils fuͤr die Hinabfahrt zum Indus einige Ein-
richtungen zu treffen, theils die neue Stadt zu coloniſiren, zu wel-
chem Ende die Indier der Umgegend zur Anſiedelung aufgefordert
und zugleich die kampfunfaͤhigen Soͤldner aus dem Heere hieſelbſt
anſaͤßig gemacht wurden; der Tod des Generals Koͤnus und die
Feierlichkeiten bei ſeiner Beſtattung mochten weitere Verzoͤgerun-
gen veranlaſſen. Waͤhrend dieſer Raſtzeit kam der Bruder des
Fuͤrſten Abiſares von Kaſchmir und andere kleine Fuͤrſten der obe-
ren Gegenden, alle mit vielen, koſtbaren Geſchenken, dem großen
Koͤnige ihre Huldigungen darzubringen; namentlich ſandte Abiſares
dreißig Elephanten und ließ in Antwort auf den Befehl, den
Alexander ihm hatte zukommen laſſen, in Perſon zu erſcheinen,
ſeine vollkommenſte Ergebenheit verſichern und eine Krankheit, die
ihn darnieder geworfen, als Entſchuldigung fuͤr ſein Nichterſcheinen
angeben. Da die von Alexander mit gen Kaſchmir geſandten
Macedonier dieſe Angaben beſtaͤtigten, und das jetzige Benehmen
des Fuͤrſten fuͤr ſeine weitere Ergebenheit zu buͤrgen ſchien, ſo
wurde ihm ſein Fuͤrſtenthum als Satrapie uͤbergeben, und der
Tribut beſtimmt, den er hinfort zu entrichten habe, auch das Fuͤr-
ſtenthum des Arſaces in den Bereich ſeiner Macht gegeben 79).
Nach feierlichen Opfern zur Weihe der neuen Stadt ging Alexan-
der uͤber den Aceſines, gegen Mitte Septembers trafen die ver-
ſchiedenen Heeresabtheilungen in Bucephala und Nicaͤa am Hy-
daspes zuſammen.


Es war ein großer und gluͤcklicher Gedanke Alexanders,
aus dem Gebiet des Indusſtromes, das er jetzt nach Oſten
[425] durchzogen hatte, nicht etwa auf dem Wege, den er gekom-
men, in ſein Reich zuruͤck zu kehren, ſondern eben ſo in den Laͤn-
dern ſtromabwaͤrts die Gewalt der Europaͤiſchen Waffen geltend
zu machen und den Saamen des Helleniſtiſchen Lebens auszu-
ſtreuen. Sein Verhaͤltniß zu dieſer neuentdeckten Indiſchen Welt,
nicht das eines unmittelbaren Herrſchers, ſondern auf den jetzt
zum erſten Male eroͤffneten Verkehr mit jenen Voͤlkern begruͤndet,
auf das allmaͤhlige Wachsthum dieſer neuen Verbindungen und
Anfaͤnge berechnet, haͤtte, wenn etwa nur die Indiſche Satrapie
mit dem Kophenſtrome das vermittelnde Band blieb, weder durch-
greifend wirken, noch ſelbſt fuͤr die Dauer beſtehen koͤnnen. Wenn
auch jene Satrapie die Hauptſtraße des gegenſeitigen Verkehrs
darbot, ſo mußte doch die ganze Linie des Indusſtromes in Haͤn-
den der Macedonier ſein, es mußten die tiefer am Strome woh-
nenden Voͤlker denſelben Einfluß wie die Voͤlker des Fuͤnfſtrom-
landes anerkennen lernen, es mußte um ſo entſchiedener gegen ſie
verfahren werden, je mehr manche derſelben, namentlich die Mal-
lier und Sudraker auf ihre Unabhaͤngigkeit und ihren kriegeriſchen
Ruhm trotzten, und jeden fremden Einfluß verabſcheuten oder ver-
achteten; vor Allem mußte dieſer Einfluß ſelbſt durch Helleniſtiſche
Colonien am Indusſtrome Halt und Nachdruck erhalten. In die-
ſem Plane war es, daß Alexander ſchon, als er von dem Hydas-
pes gen Oſten aufgebrochen war, den Befehl zum Bau der großen
Stromflotte gegeben hatte, mit der er zum Indus und bis zum
Meere hinab zu ſegeln gedachte; jetzt, da es unmoͤglich geworden
war, den Feldzug bis zum Ganges und zum Oſtmeere fort zu ſe-
tzen, mochte ſich Alexander mit doppeltem Eifer zu dieſer Expedition
wenden, die, wenn nicht eben ſo viel Ruhm, wie die Heerfahrt
zum Ganges, ſo doch gewiß große Erfolge erwarten ließ.


Waͤhrend der vier Monate, die Alexander vom Hydaspes ent-
fernt geweſen, hatte ſich die aͤußere Geſtalt dieſer Gegend, in der
ſeine beiden Staͤdte lagen, vollkommen verwandelt; die Regenzeit
war voruͤber, die Waſſer begannen in ihr altes Bette zuruͤck zu
treten, und weite Reisfelder, auf dem Fruchtboden der Ueberſchwem-
mungen im uͤppigſten Gruͤn, zogen ſich auf der rechten Seite des
Stromes hinab; das Ufer druͤben unter den waldigen Hoͤhen war
meilenweit mit Schiffswerften bedeckt, auf denen Hunderte von
[426] großen und kleinen Fahrzeugen theils noch gezimmert wurden, theils
ſchon fertig ſtanden; Floͤßholz aus dem Gebirge, Kaͤhne mit Vor-
raͤthen aller Art, Transporte von Bau- und Kriegsmaterial kamen
auf dem Strome daher, deſſen Ufern das bunte Treiben eines la-
gernden und raſtenden Heeres aller Nationen ſeltſam genug be-
lebte. Alexanders naͤchſte Sorge war, die beiden Feſten, die, ſchnell
und auf tiefem Grunde erbaut, in ihren Erdwaͤllen und Baracken
durch die Gewalt des Waſſers manchen Schaden erlitten hatten,
vollſtaͤndiger und dauerhafter auszubauen, dann wurde die Ausruͤ-
ſtung der Schiffe begonnen. Nach Helleniſcher Sitte ernannte
Alexander, da ſeine Kaſſen erſchoͤpft waren, aus der Zahl der Reich-
ſten und Vornehmſten in ſeiner Umgebung drei und dreißig Trier-
archen, denen dieſe Liturgie oder Ehrenleiſtung einer ſtattlichen und
tuͤchtigen Schiffsausruͤſtung zum Gegenſtand eines fuͤr die Sache
ſelbſt ſehr foͤrderlichen Wetteifers wurde 79b). Zur Bemannung
der Stromflotte wurden aus dem Heere die Phoͤnicier, Aegypter,
Cyprier, Griechen der Inſeln und Aſiatiſchen Kuͤſte ausgewaͤhlt
und als Schiffsleute und Ruderer auf die Fahrzeuge vertheilt; und
in weniger als einem Monat Zeit war Alles zur Abfahrt bereit.
Nah an zweitauſend Fahrzeuge aller Art lagen auf dem Strom
bereit, unter dieſen achtzig Jachten, ganz zum Kaͤmpfen eingerichtet,
zweihundert unbedeckte Schiffe zum Transport von Pferden; alle
dieſe waren neu gebaut, die uͤbrigen Fahrzeuge, zum groͤßeren
Theil aus den Ufergegenden, wie man ſie gerade vorfand, beigetrie-
ben, waren zum Fortſchaffen von Truppen und zum Nachfahren
der Lebensmittel und Kriegsmaterialien beſtimmt, wovon eben jetzt
große Transporte zugleich mit neuen Truppen, ſechstauſend Reu-
tern unter dem Thracier Menon und mehreren tauſend Mann Fuß-
volks, angekommen waren 80).


[427]

In den erſten Tagen des November 81) ſollte die Stromfahrt
beginnen. Alexander berief ſaͤmmtliche Befehlshaber und Haupt-
leute ſeines Heeres, ſo wie die Getreuen der Ritterſchaft und des
Fußvolkes zu einer Verſammlung, zu welcher die Fuͤrſten des Lan-
des und die Inoiſchen Geſandten, die anweſend waren, eingeladen
wurden. Der Koͤnig verkuͤndete, daß Alles zur Abfahrt bereit
und der Tag beſtimmt ſei; er ſprach ſeine Hoffnung dahin aus,
daß der Frieden, den er dem Fuͤnfſtromlande wieder gegeben, fuͤr
die Dauer gegruͤndet und durch ſeine Anordnungen geſichert ſei.
Die bisher fuͤr die Induslaͤnder getroffenen Einrichtungen wurden
feierlichſt beſtaͤtigt, namentlich dem Fuͤrſten Porus ſeine Gebiets-
vergroͤßerungen, die nicht weniger als zweitauſend Staͤdte umſaßte
und ſich bis in die Naͤhe des Hyphaſis erſtreckte, garantirt, und
ſein Verhaͤltniß zu den Nachbarfuͤrſten Abiſares, Sopcithes und
Phegeus genau beſtimmt, der Fuͤrſt Taxiles in dem unab-
haͤngigen Beſitz ſeiner alten und neuen Laͤnder feierlich anerkannt,
die abhaͤngigen Fuͤrſtenthuͤmer im Bereich der Indiſchen Satrapie
mit ihren Tributen und anderweitigen Verpflichtungen an den dor-
tigen Satrapen verwieſen, ihre, ſo wie die anderen Indiſchen
Kontingente in die Heimath entlaſſen. Sodann wurde der Ver-
ſammlung die Ordnung des ferneren Zuges mitgetheilt; der Koͤnig
ſelbſt werde mit allen ſechs Chiliarchien der Hypaspiſten, mit den
zweitauſend Agrianern und Bogenſchuͤtzen, mit dem Geleit der
Macedoniſchen Ritterſchaft, im Ganzen etwa achttauſend Mann,
zu Schiffe gehen 82), Nearch den Befehl uͤber die geſammte
80)
[428] Flotte, Oneſikrit die Fuͤhrung des koͤniglichen Schiffs erhalten;
die uͤbrigen Truppen ſollten in zwei Heere vertheilt zu beiden
Seiten des Stromes hinab ziehen, das eine unter Kraterus Fuͤh-
rung auf dem rechten, dem weſtlichen Ufer, das andere groͤßere,
bei welchem die zweihundert Elephanten, auf dem linken unter He-
phaͤſtions Fuͤhrung; beide wurden angewieſen, moͤglichſt ſchnell vor-
zuruͤcken, drei Tage ſtromabwaͤrts 83) Halt zu machen, und die
Stromflotte zu erwarten; dort ſollte der Satrap Philipp von
der Indiſchen Satrapie zu ihnen ſtoßen. Nach dieſen Mitthei-
lungen entließ der Koͤnig die Verſammlung; nach heimathlicher
Sitte wurden nun mehrere Tage hindurch Kampfſpiele aller Art
und kuͤnſtleriſche Wettkaͤmpfe gehalten, Opferthiere in reichlicher
Menge an die einzelnen Heeresabtheilungen gegeben, und mit gro-
ßen Opfern und Feſtmahlen der Abſchied aus dem Lande des Po-
rus gefeiert 84).


Dann kam der zur Abfahrt beſtimmte Tag; mit dem fruͤh-
ſten Morgen begann das Einſchiffen der Truppen; auf beiden Sei-
ten des Stromes hatten Hephaͤſtion und Kraterus ihre Phalan-
gen, ihre Reuterei, ihre Elephanten in glaͤnzender Schlachtlinie
aufruͤcken laſſen; waͤhrend ſich ein Schiffsgeſchwader nach dem an-
deren unter dem lauten Jauchzen der Truppen ordnete, hielt der
Koͤnig an den Ufern des Stromes feierliche Opfer nach Helleni-
ſchem Brauch; nach der Weiſung der vaterlaͤndiſchen Prieſter
opferte er den Goͤttern der Heimath, dem Poſeidon, der huͤlfrei-
chen Amphitrite, dem Oceanus, den Nereiden, außerdem dem
Strome Hydaspes; dann ſtieg er ſelbſt auf ſein Schiff, trat an
den Bord des Vordertheiles und ſpendete aus goldener Schaale
in den Fluß, den Hydaspes anrufend und den Aceſines und den
Indus; und als er von Neuem fuͤr ſeinen Ahnherrn Herakles und
fuͤr Ammon Zeus und fuͤr die andern Goͤtter, fuͤr die er pflegte,
82)
[429] geſpendet, da gaben alle Trompeten des Heeres zugleich das Zei-
chen zum Aufbruch, und unter Trompetenſchmettern und Alala-
geſchrei ſchlugen die Ruder von allen Schiffen zugleich in die Wel-
len. So fuhr nun das ſeegelbunte Geſchwader, die achtzig Jach-
ten vorauf, in ſchoͤnſter Ordnung den Strom hinab, ein wunder-
bares und unbeſchreibliches Schauſpiel. „Mit nichts vergleichen
laͤßt ſich dieß Rauſchen des Ruderſchlages, der auf allen Schiffen
zugleich ſich wechſelnd hob und ſenkte, dieß gleichmaͤßige Rufen der
Lotſen, wenn das Ruder ruhen, wenn wieder beginnen ſollte, dieß
Hoihogeſchrei der Matroſen, mit der ſie die Arbeit wieder be-
gannen; zwiſchen den hohen Ufern wiederhallte dann hundertfach das
Rufen, und den Rudergeſang wiederholte das Echo; dann wieder
umſchloſſen Waͤlder den Strom, und fern in der Waldeinſamkeit
widerhallte der Fahrenden Ruf; bei Tauſenden ſtanden die In-
dier an den Ufern und ſahen ſtaunend dieß fahrende Heer und die
Streitroſſe auf den Schiffen mit wehenden Wimpeln, und die
wunderbare, ſtets gleiche Ordnung der Geſchwader; ſie jauchzten
dem Rufe der Ruderer entgegen und zogen ſingend den Strom
mit hinab 85).“


Nach einer dreitaͤgigen Fahrt 86) kam Alexander zu der Ufer-
gegend, wo er den Generalen Kraterus und Hephaͤſtion die Flotte
zu erwarten befohlen hatte; ſie lagerten ſchon zu beiden Seiten
des Stromes. Hier raſtete Heer und Flotte zwei Tage, um den
Satrapen Philipp mit der Nachhut der großen Armee herankom-
men zu laſſen. Sobald die geſammte Macedoniſche Kriegsmacht
beieinander war, traf Alexander die Einrichtungen, welche beim
[430] baldigen Einruͤcken in fremdes Gebiet und zunaͤchſt zur Unterwer-
fung des Landes bis zur Aceſinesmuͤndung noͤthig waren; nament-
lich wurde Philipp links ab an den Aceſines detaſchirt, um ſich
des weſtlichen Stromufers zu verſichern; Hephaͤſtion und Krate-
rus zogen rechts und links vom Hydaspes etwas landeinwaͤrts
weiter; jenſeits der Aceſinesmuͤndung ſollte die geſammte Heeres-
macht wieder zuſammen treffen, um den Feldzug gegen die Mal-
lier und Sudraker von dort aus zu beginnen. Denn ſchon war von
den bedeutenden Ruͤſtungen, die dieſe großen und ſtreitbaren Voͤl-
ker machten, Nachricht eingelaufen; ſchon haͤtten ſie, hieß es, ihre
Weiber und Kinder in die feſten Plaͤtze gebracht und bei vielen
Tauſenden zoͤgen ſich Bewaffnete an den Hyarotis zuſammen,
Alexander glaubte um ſo mehr vorwaͤrts eilen und den Feldzug
eroͤffnen zu muͤſſen, ehe der Feind ſeine Ruͤſtungen vollendet haͤtte.
So ging die Flotte nach zweitaͤgiger Raſt weiter den Strom hin-
ab; uͤberali, wo ſie anlegte, unterwarfen ſich die Anwohner frei-
willig oder wurden mit leichter Muͤhe dazu gezwungen 87).


Am fuͤnften Tage hoffte Alexander die Muͤndung des Aceſi-
nes in den Hydaspes zu erreichen; er hatte bereits in Erfahrung
gebracht, daß dieſe Stelle fuͤr die Schifffahrt ſchwierig ſei, daß ſich
die Stroͤme unter ſtarkem Wellenſchlag und vielen Strudeln ver-
miſchten, um dann in ein ſchmales Bette zuſammen gedraͤngt mit
Ungeſtuͤm weiter zu ſtroͤmen 88). Dieſe Nachrichten waren auf
der Flotte verbreitet, und zugleich zur Vorſicht ernſtlich ermahnt
worden. Gegen Ende der fuͤnften Tagefahrt hoͤrte man aus Suͤ-
den her ein gewaltiges Brauſen, aͤhnlich dem der Meeresbrandung
bei hohler See; ſtaunend hielten die Ruderer der erſten Geſchwa-
der inne, [unſchluͤſſig], ob das Meer oder ein Unwetter oder was
ſonſt nahe ſei; dann belehrt und ermahnt zu ruͤſtiger Arbeit, wenn
[431] ſie der Muͤndung nahten, fuhren ſie weiter. Immer maͤchtiger
wurde das Brauſen, die Ufer verengten ſich, ſchon ſah man die
Muͤndung, eine wildwogende, ſchaumige Stromesbrandung, in der
die Fluth des Hydaspes ſenkrecht auf die Waſſerſaͤule des Aceſines
ſtuͤrzt und in ſtrudelnder, toſender Wuth gegen ihn kaͤmpft, um
pfeilgeſchwind mit ihm zwiſchen den engen Ufern hinab zu brauſen.
Noch einmal ermahnten die Steuerleute zur Vorſicht und zur
hoͤchſten Anſtrengung der Arbeit, um durch die Gewalt der Ruder
die Stroͤmung, die die Schiffe in die Strudel geriſſen haͤtte, wo
ſie unrettbar verloren waren, zu uͤberwinden und moͤglichſt ſchnell
aus der Stromenge in freieres Waſſer zu gelangen. Und ſchon riß
der Strom die Schiffe mit ſich fort, mit unſaͤglicher Muͤhe hiel-
ten Ruder und Steuer die Richtung; mehrere wurden uͤberwaͤltigt,
in die Strudel geriſſen, kreiſelnd umgekehrt, die Ruder zerbrochen,
die Flanken beſchaͤdigt, ſie ſelbſt mit genauer Noth vor dem Untergehen ge-
rettet; beſonders die langen Schiffe waren in großer Gefahr, zwei
von ihnen, gegen einander gejagt, zerſchellten und verſanken; leich-
tere Fahrzeuge trieben ans Ufer; am gluͤcklichſten kamen die brei-
ten Laſtſchiffe durch, die, von dem Strudel ergriffen, zu breit um
umzuſchlagen, von der Gewalt der Wellen ſelbſt wieder in die
rechte Richtung gebracht wurden; Alexander ſelbſt ſoll mit ſeinem
Schiffe in den Strudeln und in der augenſcheinlichſter Lebensgefahr
geweſen ſein, ſo daß er ſchon ſein Oberkleid abgeworfen hatte, um
ſich in das Waſſer zu ſtuͤrzen und ſich durch Schwimmen zu ret-
ten 89).


So kam die Flotte nicht ohne bedeutenden Verluſt uͤber die
gefaͤhrliche Stelle hinaus; erſt eine Stunde abwaͤrts wurde das
Waſſer ruhiger und freier; der Strom wendet ſich hier um die
Uferhuͤgel rechts hin; hinter ihnen konnte man bequem und vor
der Stroͤmung geſichert anlegen, zugleich war das weit hinaus rei-
chende Uferland zum Auffangen der hinabtreibenden Scheiter und
Leichname geeignet. Alexander ließ hier die Flotte an den Strand
legen und befahl dem Nearch, die Ausbeſſerung der beſchaͤdigten
Fahrzeuge moͤglichſt ſchnell zu bewerkſtelligen. Er ſelbſt benutzte
die Zeit zu einer Excurſion in das Land hinein, damit die ſtreit-
[432] baren Voͤlker dieſer Landſchaft, die Sibas und Agalaſſen, den
Malliern und Sudrakern, von denen ſie der Aceſines trennte,
nicht etwa bei dem bevorſtehenden Angriff der Macedonier zu
Huͤlfe kaͤmen. Nach einem Marſche von ſechs Meilen, der dazu
benutzt wurde, durch Verwuͤſtungen Schrecken zu verbreiten, ſtand
Alexander vor der nicht unbedeutenden Hauptſtadt der Sibas; ſie
wurde ohne bedeutende Muͤhe erſtuͤrmt. Nach einem anderen Be-
richte ergab ſie ſich freiwillig 90).


Bei ſeiner Ruͤckkehr zum Aceſines fand Alexander bereits die
Flotte in ſegelfertigem Stand, auch war Kraterus im Lager, He-
phaͤſtion und Philippus oberhalb der Strommuͤndung angekommen.
Sofort disponirte der Koͤnig die verſchiedenen Heeresabtheilungen
fuͤr den Zug gegen die Mallier, deren Gebiet etwa ſieben Meilen
ſtromabwaͤrts bei der Hyarotismuͤndung begann und an dieſem
Strome weit gen Norden hinauf reichte. Sie waren, das wußte
Alexander, auf einen Angriff gefaßt und geruͤſtet; ſie mußten er-
warten, daß das Macedoniſche Heer zur Hyarotismuͤndung hinab-
gehn und von da aus in ihr Gebiet eindringen wuͤrde, da es
durch eine waſſerloſe Wuͤſte von mehreren Meilen Breite vom
Aceſines getrennt war, und alſo von der Gegend der Schiffsſta-
tion aus unangreifbar ſchien. Demnach beſchloß Alexander, ſie
auf dieſem Wege, wo ſie es am wenigſten erwarteten, und in dem
oberen Theil ihres Landes, unfern von den Grenzen der Gandari-
tis und der Kathaͤer ploͤtzlich anzugreifen, und ſie von da aus den
Hyaro-
[433] Hyarotisſtrome hinab zu draͤngen; an den Muͤndungen dieſes Fluſſes
ſollten ſie, wenn ſie Zuflucht oder Beiſtand auf dem jenſeitigen Ufer des
Aceſines ſuchten, den Macedoniern wiederum in die Haͤnde fallen.
Deshalb ging zunaͤchſt die Flotte unter Nearch dorthin ab, um
das rechte Ufer des Aceſines der Hyparotismuͤndung gegenuͤber
zu beſetzen und ſo die Verbindung des Malliſchen Landes mit dem
Uferlande druͤben abzuſchneiden; Kraterus ſollte mit ſeinen Trup-
pen, mit den Elephanten und der Phalanx Polyſperchon, die bis-
her bei Hephaͤſtion geweſen waren, und mit den Truppen des
Philipp, die den Hydaspes oberhalb ſeiner Muͤndung uͤberſetzten,
drei Tage ſpaͤter auf der Station Nearchs eintreffen und mit
dieſer bedeutenden Heeresmacht auf dem rechten Stromufer die
Baſis fuͤr die kuͤhnen Operationen jenſeits bilden. Sobald Ne-
arch und Kraterus aufgebrochen waren, theilte Alexander das noch
uͤbrige Heer in drei Corps; waͤhrend er ſelbſt mit dem einen den
Ueberfall im Innern des Mallierlandes bewerkſtelligen und die
Feinde ſtromab treiben wuͤrde, ſollte Hephaͤſtion, der mit dem
zweiten Corps fuͤnf Tage fruͤher ausruͤckte, die Linie des Hyaro-
tis beſetzen, um die Fliehenden aufzufangen, der Lagide Ptolemaͤus
dagegen mit dem dritten Corps drei Tage ſpaͤter ausruͤcken, um
den etwa ruͤckwaͤrts zum Aceſines Fluͤchtenden den Weg zu ſperren.
Die Mallier und Sudraker ihrer Seits, ſo heißt es, hatten zwar
bei der Nachricht von Alexanders Herannahen ihre alten Fehden
beigelegt, ſich zu gegenſeitiger Huͤlfeleiſtung durch Geißeln ver-
pflichtet und ein ſehr bedeutendes Heer (uͤber ſechzigtauſend Mann
Fußvolk, zehntauſend Reuter, ſiebenhundert Streitwagen) zuſam-
mengebracht, waren aber bei der Wahl eines gemeinſamen Anfuͤh-
rers (denn ſie gehoͤrten zu den Aratten, den Indiern ohne Fuͤrſten),
mit einander ſo uneins geworden, daß ſich die Heeresmacht auf-
loͤſete und die Kontingente der einzelnen Diſtrikte ſich in ihre fe-
ſten Staͤdte zerſtreuten; eine Angabe, die zwar nicht durch beſon-
dere Autoritaͤt verbuͤrgt wird, aber durch die Eigenthuͤmlichkeit des
Operationsplanes, den Alexander entworfen, einige Beſtaͤtigung
erhaͤlt 91). Nach anderen Berichten hatten die Mallier und Su-
28
[434] draker die Abſicht ſich zu verbuͤnden, und wuͤrden dann eine be-
deutende Kriegsmacht den Macedoniern entgegen geſtellt haben,
weshalb eben Alexander ſeinen Angriff ſo ſehr beeilte, um der
Vereinigung der beiden Voͤlker zuvor zu kommen 92).


An dem zum Aufbruch bezeichneten Tage (gegen Mitte No-
vember) ruͤckte Alexander aus; mit ihm waren die Hypaspiſten,
die Schuͤtzen und Agrianer, die Phalanx Pithon, die Haͤlfte der
Macedoniſchen Geſchwader und die Turaniſchen Reuter Bogen-
ſchuͤtzen, im Ganzen gegen eilftauſend Mann Fußvolk und fuͤnf-
tauſend Reuter. In kurzer Entfernung vom Aceſines begann die
Wuͤſte; nach einem fuͤnfſtuͤndigen Marſche gelangte man zu einem
Waſſer, dort wurde Halt gemacht, Mittag gehalten, ein wenig
geruht, Waſſer in die Behaͤlter, wie ſie Jeder hatte, geſchoͤpft,
dann weiter marſchirt; den noch uͤbrigen Theil des Tages und die
folgende Nacht durch ging es in moͤglichſter Eile weiter, am an-
deren Morgen ſah man, nach einem Marſche von faſt acht Mei-
len, die Malliſche Stadt Agalaſſa 93) mit ihrer Burg gen Oſten
liegen. Hierher hatten ſich viele Mallier zuruͤck gezogen; ſie la-
gerten unbewacht und unbewaffnet vor den Mauern der Stadt,
die die Menſchenmenge nicht faßte; ſie waren ſo vollkommen uͤber-
zeugt, daß ein Ueberfall durch die Wuͤſte her unmoͤglich ſei, daß
ſie das herannahende Heer fuͤr alles Andere, nur nicht fuͤr Mace-
donier hielten. Und ſchon waren Alexanders Reuter mitten unter
ihnen; an Widerſtand war nicht zu denken; Tauſende wurden
[435] niedergehauen, was fliehen konnte, rettete ſich in die Stadt, die
Alexander ſofort von ſeiner Reuterei einſchließen ließ, bis das Fuß-
volk nachkaͤme, um den Sturm zu beginnen. Sobald dieſes heran
war, entſandte der Koͤnig ſchleunigſt den Perdikkas mit zwei
Geſchwadern und den Agrianern zu einer benachbarten Stadt93b), in
die ſich viele Indier gefluͤchtet hatten, mit der Weiſung, dieſelbe
auf das Sorgfaͤltigſte zu beobachten, ſelbſt jedoch nichts gegen die
Stadt zu unternehmen, bevor das Heer von Agalaſſa nachruͤckte,
damit nicht die Fluͤchtlinge zugleich die Nachricht von der Naͤhe
der Macedonier weiter landein verbreiteten. Indeß begann Alex-
ander den Sturm; die Indier, die ſchon bei dem erſten Ueberfall
hart mitgenommen waren, verzweifelten die Mauern behaupten zu
koͤnnen; von den Thoren und Thuͤrmen zuruͤckfliehend, wurden ſie
von den nachdringenden Macedoniern groͤßtentheils erſchlagen, nur
einige Tauſend fluͤchteten ſich in die Burg und wehrten ſich von
dort herab mit dem Muthe der Verzweiflung; mehr als ein An-
griff der Macedonier wurde zuruͤckgeſchlagen, die immer ſteigende
Erbitterung, das Beiſpiel und der Zuruf Alexanders, die Erſchoͤ-
pfung der Gegner ließ die Macedonier endlich den Sieg errin-
gen, fuͤr deſſen Muͤhe ſie ſich mit einem graͤßlichen Gemetzel unter
den Indiern raͤchten; von den Zweitauſend, welche die Burg ver-
theidigt hatten, entkam keiner 94).


Indeſſen hatte Perdikkas die Stadt, gegen die er geſandt
war, bereits von den Einwohnern verlaſſen gefunden; er beeilte
ſich den Fliehenden nachzuſetzen, er holte ſie in der That noch ein,
und die ſich nicht uͤber den Strom oder in das Sumpfland an
deſſen Ufer gerettet hatten, wurden erſchlagen. Alexander ſeiner-
ſeits hatte nach Erſtuͤrmung der Burg von Agalaſſa den Seini-
gen wenige Stunden Ruhe gegoͤnnt; mit Einbruch der Nacht ließ
er, nachdem eine kleine Beſatzung in die Burg gelegt war, auf-
brechen und dem Hyarotis zu marſchiren, um den Malliern der
Umgegend die Flucht auf das jenſeitige Ufer abzuſchneiden. Ge-
gen Morgen erreichte er die Furth des Fluſſes, die meiſten der
Feinde waren ſchon hinuͤber gefluͤchtet; die noch zuruͤck geblieben,
28 *
[436] wurden niedergehauen; Alexander ſelbſt ſetzte ſogleich durch den
Strom, bald waren die fliehenden Schaaren eingeholt, von Neuem
begann das Gemetzel; wer entkam, rettete ſich in eine nahe liegende
Feſte, die uͤbrigen ergaben ſich dem Sieger. Sobald das Fußvolk
nachgekommen war, entſandte der Koͤnig den Pithon mit ſeiner
Phalanx und zweien Geſchwadern gegen dieſe Feſte, ſie fiel beim
erſten Sturm, und die Mallier in ihr wurden zu Kriegsgefangenen
gemacht, worauf ſich Pithon wieder mit Alexander vereinte.


Alexander war indeſſen gegen eine Brachmanenſtadt, in die
ſich gleichfalls viele Mallier geworfen hatten, vorgeruͤckt und hatte
ſofort die Mauern umzingelt und ſie zu untergraben beginnen laſ-
ſen; zugleich von den Geſchoſſen der Macedonier bedeutend mitge-
nommen, zogen ſich die Indier in die Burg der Stadt zuruͤck;
eine Schaar Macedonier war allzu kuͤhn vorgegangen und mit in
die Burg hineingedrungen; aber ſie vermochte ſich nicht gegen die
Uebermacht zu halten; faſt abgeſchnitten, ſchlug ſie ſich mit bedeu-
tendem Verluſte durch. Das ſteigerte die Erbitterung der Mace-
donier, ſofort ließ Alexander Sturmleitern heran bringen und die
Burgmauern unterminiren; ſobald ein Thurm und der daran ſto-
ßende Theil der Mauer eingeſtuͤrzt war und eine Breſche zum
Stuͤrmen darbot, war Alexander der erſte auf den Truͤmmern, ihm
nach drangen jubelnd die Macedonier und in kurzer Zeit war die
Mauer trotz der tapferſten Gegenwehr von Feinden geſaͤubert;
viele von ihnen wurden im Kampfe erſchlagen, andere warfen ſich
in die Gebaͤude, ſteckten ſie in Brand und ſchleuderten, waͤhrend
die Feuersbrunſt ungehemmt um ſich griff, aus den brennenden
Haͤuſern Speere und Balken auf die Macedonier, bis ſie der
Gluth und dem Dampf erlagen. Wenige fielen lebend den Ma-
cedoniern in die Haͤnde, gegen fuͤnftauſend waren beim Sturm
und beim Brande der Burg umgekommen 95).


Alexander ließ hier ſeine, durch die ungeheueren Anſtrengun-
gen der letzten fuͤnf Tage erſchoͤpften Truppen einen Tag ruhen;
mit friſchen Kraͤften zogen ſie dann aus, die anderen Malliſchen
Staͤdte auf der Suͤdſeite des Hyarotis zu erobern; aber uͤberall
[437] waren die Einwohner vor ihrer Ankunft bereits entflohen, und
Alexander, nicht geſonnen, die einzelnen Haufen aufzuſuchen, be-
gnuͤgte ſich, die Staͤdte zu zerſtoͤren. So mehrere Tage; dann
folgte wieder ein Ruhetag, damit die Truppen zum Angriff auf
die groͤßte Stadt dieſſeits, in die ſich, auf ihre Staͤrke vertrau-
end, viele Mallier geworfen haben ſollten, friſche Kraft ſammeln
konnten. Um die waldigen Ufer ſtromaufwaͤrts, im Ruͤcken der fer-
neren Bewegungen, den zerſprengten Mallier nicht zum Zufluchts-
ort und zum Sammelplatz fuͤr eine gefaͤhrliche Diverſion werden
zu laſſen, wurde die Phalanx Pithon, das Geſchwader Demetrius
und zwei Haufen leichtes Volk an den Strom zuruͤckgeſandt, mit
dem Auftrage, die Indier dort in den Waͤldern und Suͤmpfen
aufzuſuchen, und alle, die ſich nicht freiwillig ergaͤben, niederzu-
hauen. Mit den uͤbrigen Truppen zog Alexander ſelbſt, in der
Erwartung eines hartnaͤckigen Kampfes, auf die oben bezeichnete
Stadt los; aber ſo groß war der allgemeine Schrecken, den die
Macedoniſchen Waffen verbreitet hatten, daß die Indier in der
großen Stadt, an der Moͤglichkeit, ſie zu behaupten, verzweifelnd,
ſie Preis gaben, ſich uͤber den nahen Strom zuruͤck zogen und
deſſen hohe Nordufer beſetzten, in der Hoffnung, von dieſer
allerdings guͤnſtigen Poſition aus den Uebergang der Macedonier
hindern zu koͤnnen. Sobald Alexander davon unterrichtet war,
brach er ſchleunigſt mit der geſammten Reuterei auf, und befahl
dem Fußvolk ohne Verzug nachzuruͤcken. Angekommen an dem
Strom, ließ er, unbekuͤmmert um die jenſeits aufgeſtellte Linie der
Feinde, ſofort den Uebergang beginnen, und die Indier, durch die
Kuͤhnheit dieſes Mandvers in Schrecken geſetzt, zogen ſich, ohne
den ungleichen Kampf zu verſuchen, in geſchloſſener Linie zuruͤck;
aber ſobald ſie bemerkten, daß ihnen nicht mehr als vier bis fuͤnf-
tauſend Mann Reuter gegenuͤber waren, wandte ſich ihre ganze
Linie, wohl funfzigtauſend Mann ſtark, gegen Alexander und deſſen
Reutercolonne, und verſuchte ſie vom Ufer, das ſie bereits be-
ſetzt hatten, hinab zu draͤngen. Mit Muͤhe und nur durch eine
Reihe kuͤnſtlicher Bewegungen, durch welche jedem Handgemenge
ausgewichen wurde, behaupteten ſich die Reuter auf dieſem ſchwie-
rigen Terrain, bis nach und nach einige Schaaren leichtes Volk
und namentlich die Schuͤtzen nachgekommen waren, und man jen-
[438] ſeits auch ſchon das ſchwere Fußvolk dem Ufer nahen ſah. Jetzt
begann Alexander zum Kampf vorzuruͤcken, aber die Indier wag-
ten nicht den Angriff zu erwarten; ſie wandten ſich zur Flucht in
eine benachbarte, ſtark befeſtigte Stadt; die Macedonier verfolgten
ſie lebhaft, toͤdteten viele auf der Flucht und machten nicht eher,
als unter den Mauern der Stadt, Halt 96).


Alexander ließ ſofort die Stadt von der Reuterei umzingeln;
doch wurde es ſpaͤter Abend, ehe das Fußvolk heran kam, zugleich
waren Alle, die Reuterei von dem Flußuͤbergange und der hefti-
gen Verfolgung, das Fußvolk von dem weiten und ſchweren Mar-
ſche, ſo erſchoͤpft, daß fuͤr dieſen Tag nichts weiter unternommen
werden konnte; ſo wurde das Lager rings um die Stadt her auf-
geſchlagen. Aber mit dem erſten Morgen begann Alexander mit
der einen, Perdikkas mit der zweiten Haͤlfte des Heeres von allen
Seiten das Stuͤrmen gegen die Mauern; die Indier vermochten
nicht ſie zu behaupten, ſie zogen ſich von allen Seiten auf die
ſtark befeſtigte Burg zuruͤck. Alexander ließ auf ſeiner Seite ein
Thor der Stadtmauer erbrechen, und drang an der Spitze ſeiner
Leute, ohne Widerſtand zu finden, in die Stadt und durch die
Straßen zur Burg; ſie war mit ſtarken Mauern verſehen, die
Thuͤrme wohlbemannt, die Belagerungsarbeit unter den Geſchoſſen
der Feinde gefaͤhrlich. Dennoch begannen die Macedonier ſofort
zu untergraben, andere brachten ein Paar Sturmleitern heran und
verſuchten ſie anzulegen; aber der ununterbrochene Pfeilregen von
den Thuͤrmen machte ſelbſt die Muthigſten ſtutzen. Da ergriff
Alexander eine Leiter; in der Linken den Schild, in der Rechten
ſein Schwert, ſtieg er empor, ihm nach Peuceſtas und Leonnatus
auf derſelben, ein alter Kriegshauptmann Abreas auf einer zweiten
[439] Leiter. Und ſchon iſt der Koͤnig bis an die Zinne; den Schild
vor ſich aufgeſtuͤtzt, zugleich kaͤmpfend und ſich wehrend, ſtuͤrzt er die
Indier, die auf ihn hinabſchlagen, ruͤcklings von der Mauer hinab,
und braucht ſein kurzes Schwert gegen ihre Fuͤße; endlich iſt die
Stelle vor ihm einen Augenblick frei, er ſchwingt ſich auf die
Zinne, ihm folgt Perdikkas, Leonnatus, Abreas, ſchon dringen die
Hypaspiſten mit lautem Geſchrei auf den Leitern nach, uͤberfuͤllt
brechen dieſe zuſammen, und der Koͤnig auf der Zinne iſt abge-
ſchnitten. In ſeiner glaͤnzenden Ruͤſtung und ſeinem Helmbuſch
erkennen ihn die Indier; zu nahen wagt ihm Niemand, aber
Pfeile, Speere, Steine werden aus den Thuͤrmen herab, aus der
Burg herauf gegen ihn geſchleudert; ſeine Getreuen rufen ihm zu,
zuruͤck zu ſpringen und ſeines Lebens zu ſchonen; er aber mißt
mit einem Blick die Mauerhoͤhe zur Burg hinein, und ſchon iſt
der kuͤhne Sprung gethan, er ſteht allein innerhalb der feindlichen
Mauer; mit dem Ruͤcken an ſie gelehnt erwartet er die Feinde.
Schon wagen ſie zu nahen, ſchon dringt ihr Fuͤhrer auf ihn los,
mit einen Schwertſtoß durchbohrt ihn Alexander, einen Zweiten
zerſchmettert er durch einen Steinwurf, ein Dritter, ein Vierter
ſinkt unter des Koͤnigs Schwert; die Indier weichen zuruͤck,
ſie beginnen von allen Seiten her mit ihren Pfeilen auf ihn zu
zielen; noch ſchuͤtzt ihn ſein Schild, dann ermuͤdet ſein Arm; aber
jetzt treten Peuceſtas, Leonnatus, Abreas an ſeine Seite, und
ſchon ſinkt dieſer von einem Pfeile durchbohrt nieder; jauchzend
ſehen das die Indier, mit doppeltem Eifer ſchießen ſie; ein Pfeil
trifft des Koͤnigs Bruſt, der Panzer iſt durchbohrt, ein Blutſtrahl
ſpruͤht hervor, mit ihm der Athem der Lunge; Alexander merkt
es in der Wuth des Kampfes nicht, er will noch kaͤmpfen; da
beginnt das Blut zu ſtocken, zu erkalten, die Knie ſchwanken, der
Athem roͤchelt, das Auge bricht, er ſinkt nieder auf ſeinen Schild.
Wilder dringen die Indier vor, Peuceſtas deckt den Gefallenen
mit dem heiligen Schilde von Ilion, Leonnatus beſchirmt ihn von
der anderen Seite; und ſchon trifft ſie Pfeil auf Pfeil, ſie halten
ſich kaum noch aufrecht, der Koͤnig verblutet.


Indeß iſt vor den Mauern die wildeſte Bewegung; die Macedo-
nier haben ihren Koͤnig in die Stadt hinab ſpringen ſehen; es iſt
nicht moͤglich, daß er ſich rettet, und ſie vermoͤgen ihm nicht zu
[440] folgen; man will Sturmleitern, Maſchinen, Baͤume anlegen, Alles
verzoͤgert, jeder Augenblick Saͤumniß kann ſein Tod ſein; ſie muͤſ-
ſen ihm nach; die Einen treiben Pfloͤcke in die Mauer und klim-
men empor, Andere ſteigen auf den Schultern der Kameraden zu
den Zinnen hinan; da ſehen ſie den Koͤnig am Boden, Feinde
dicht umher, ſchon ſinkt Peuceſtas, vor Wuth und Jammer ſchrei-
end ſtuͤrzen ſie ſich hinab; ſie ſchaaren ſich ſchnell um den Gefal-
lenen, dicht verſchildet ruͤcken ſie vor und draͤngen die Barbaren
hinweg; andere werfen ſich auf das Thor, reißen es auf, heben
die Thorfluͤgel aus den Angeln, und mit wildem Geſchrei ſtuͤrzen
die Kolonnen hinein in die Burg. Nun geht es mit doppelter
Macht auf den Feind, ſie ſchlagen Alles todt, Weiber, Kinder
werden durchbohrt, das Blut ſoll ihre Rache kuͤhlen. Andere tra-
gen den Koͤnig auf ſeinem Schilde hinaus; noch iſt der Pfeil in
ſeiner Bruſt; man verſucht ihn hinaus zu ziehen, ein Widerhaken
haͤlt ihn zuruͤck; der Schmerz laͤßt den Koͤnig aus ſeiner Ohn-
macht erwachen; ſeufzend bittet er, den Pfeil aus der Wunde zu
loͤſen, die Wunde mit ſeinem Schwert zu erweitern. So ge-
ſchieht es, reichlich rieſelt das Blut hervor, eine neue Ohnmacht
uͤberfaͤllt ihn; Leben und Tod ſcheint uͤber ihn ringen; weinend
ſtehen die Freunde um ſein Bett, die Macedonier vor dem Zelt;
ſo vergeht der Abend und die Nacht 97).


[441]

Indeß waren Geruͤchte von dieſem Kampf, von der Wunde,
vom Tode Alexanders ſehr bald in das Lager an der Hyarotis-
muͤndung gekommen, und hatten dort eine Bewegung hervor ge-
bracht, die nicht leicht zu beſchreiben iſt; von Mund zu Mund
ging die Kunde, und in kurzer Zeit fuͤllte lautes Jammern und
Weinen das Lager; dann wurde es ſtiller, man begann zu fragen,
was nun werden ſollte, Beſorgniß, Muthloſigkeit, das furchtbarere
Schweigen der Verzweiflung nahm Ueberhand; wer ſollte des
Heeres Fuͤhrer werden? wie ſollte das Heer in die Heimath zu-
ruͤck kehren? wie die endloſen Laͤnderſtrecken, die furchtbaren Stroͤ-
me, die oͤden Gebirge, die Wuͤſteneien hindurch Weg und Rath
finden? wie ſich vertheidigen vor allen den ſtreitbaren Voͤlkern,
die ihre Freiheit zu vertheidigen, ihre Unabhaͤngigkeit wieder zu
erkaͤmpfen, ihre Rache an den Macedoniern zu ſtillen, nicht laͤnger
zoͤgern wuͤrden, da Alexander nicht mehr zu fuͤrchten war? Und
als die Nachricht kam, noch lebe der Koͤnig, ſo glaubte man es
kaum, ſo verzweifelte man, daß er dem Tode entrinnen wuͤrde:
und als Briefe von dem Koͤnige ſelbſt kamen, daß er in der Ge-
neſung ſei, daß er in Kurzem in das Lager zuruͤck kehren werde,
ſo meinte das Heer in ſeiner hoffnungsloſen Bekuͤmmerniß, der
Brief ſei von des Koͤnigs Feldherren erdichtet, um die Gemuͤther
97)
[442] zu beruhigen, in Wahrheit aber der Koͤnig todt und ſie ohne
Rath und Rettung.


Indeß war Alexander wirklich vom Tode gerettet und nach
ſieben Tagen ſeine Wunde, wennſchon noch offen, doch ohne wei-
tere Gefahr; die Nachrichten aus dem Lager und die Beſorgniß,
es moͤchte bei den Truppen der Glaube, er ſei todt, Unordnungen
erzeugen, veranlaßten ihn, ſeine voͤllige Herſtellung nicht abzuwar-
ten, ſondern ſchon jetzt zum Heere zuruͤck zu kehren. Er ließ ſich
zum Hyarotis hinab und auf eine Jacht tragen, auf der ein Zelt
fuͤr ſein Krankenlager errichtet war; ohne Ruderſchlag, um die
Erſchuͤtterung zu meiden, nur von der Stroͤmung getragen, nahte
die Jacht erſt am vierten Tage dem Lager. Die Kunde, Alexan-
der komme, war voraus geeilt, Wenige glaubten ſie; ſie mein-
ten, des Koͤnigs Leichnam werde daher gebracht. Und ſchon ſah
man zwiſchen der Uferwaldung die Jacht mit dem Purpurzelte
den Strom herab kommen; mit aͤngſtlicher Spannung ſtanden die
Tauſende laͤngs dem Ufer. Da gebot Alexander, das Zelt aufzu-
ſchlagen, damit ihn Alle ſaͤhen; er breitete die Arme den Seini-
gen entgegen; da erſcholl unendlicher Jubelruf von den getreuen
Kriegern, ſie ſtreckten die Haͤnde gen Himmel empor oder ihrem
Koͤnige entgegen, und Freudenthraͤnen miſchten ſich in den wieder-
holten Jubelruf. Dann legte die Jacht an, und die Hypaspiſten
trugen des Koͤnigs Lager aus Ufer; er aber ließ ſich ein Pferd
bringen, um durch die Reihen der Seinigen dahin zu reiten; als
dieſe ihn wieder hoch zu Roß in ihrer Mitte ſahen, da jauchzten
und jubelten ſie von Neuem, und es wiederhallten die Ufer druͤben
und die Waldungen umher. So nahte er dem Zelte, das fuͤr
ihn bereitet war und ſtieg vom Pferde, um die kurze Strecke bis
hinein zu gehen; es draͤngten ſich die Macedonier von allen Sei-
ten heran, ihn von Nahem zu ſehen, ſeine Hand, ſein Knie, ſein
Kleid zu beruͤhren, ihm ein herzliches Willkommen zuzurufen,
ihm Baͤnder und Blumen zuzuwerfen. Und die Freunde an ſei-
ner Seite, vor Allen Hephaͤſtion, Kraterus und der Lagide Ptole-
maͤus ſprachen herzlich mit ihm und ſchalten ihn, daß er ſich ſo
der Gefahr ausgeſetzt: das ſei des Soldaten, nicht des Feldherrn
Sache. Der Koͤnig aber freute ſich mehr uͤber eines Boͤotiſchen
Kriegsmannes Rede, der ihm aus der Menge den Aeſchyleiſchen
[443] Vers zurief: o Alexander, dem Mann die That, doch folgt der
That ihr Leid! — 98).


Was man auch uͤber die Verwegenheit Alexanders ſagen
mag, jedenfalls hatte die ſchnelle Eroberung der Malliſchen Haupt-
feſte den maͤchtigſten Eindruck auf ſaͤmmtliche Voͤlkerſchaften dieſer
Gegenden gemacht. Die Mallier ſelbſt, obſchon noch ein Theil
ihres Gebietes von den Macedoniern nicht beruͤhrt war, verzwei-
felten, laͤngeren Widerſtand zu leiſten; in einer demuͤthigen Ge-
ſandtſchaft ergaben ſie ſich und ihr Land dem großen Koͤnige. Die
Oxydraker oder Sudraker 99), die mit den Malliern als die tapferſten
Voͤlker Indiens beruͤhmt waren, und uͤber eine bedeutende Streit-
macht zu verfuͤgen hatten, zogen es vor, ſich zu unterwerfen; eine
große Geſandtſchaft, beſtehend aus den Befehlshabern der Staͤdte,
den Herren der Landſchaft und einhundert und funfzig der Vor-
nehmen des Landes, kamen mit reichen Geſchenken zu Alexander, zu
Allem, was er fordern wuͤrde, bevollmaͤchtigt; ſie ſagten, daß ſie
nicht ſchon eher vor dem Koͤnige erſchienen, ſei ihnen zu verzei-
hen, da ſie mehr noch als irgend ein anderes Volk Indiens ihre
Freiheit liebten, die ſie ſeit undenklichen Zeiten, ſeit dem Zuge des
Gottes, den die Griechen Dionyſos nennen, bewahrt haͤtten; dem
[344[444]] Alexander aber, denn er ſolle ja von den Goͤttern ſtammen, und
ſeine Thaten ſeien Beweis dafuͤr, unterwuͤrfen ſie ſich gern, und
ſeien bereit, einen Satrapen, den er ſetzen wuͤrde, aufzunehmen,
Tribut zu zahlen und Geißeln zu ſtellen, ſo viel der Koͤnig ver-
langen wuͤrde. Er verlangte tauſend der Edelſten des Volks,
und ſtellte ihnen anheim, ab ſie ihn als Geißeln oder als Kampf-
genoſſen bis zur Unterwerfung der noch uͤbrigen Landſchaften In-
diens begleiten wollten. Die Sudraker ſtellten die tauſend Ed-
len, außerdem ſandten ſie freiwillig fuͤnfhundert Kriegswagen mit
vollſtaͤndiger Bemannung, worauf Alexander die Tauſend huldreich
entließ, die Kriegswagen aber ſeinem Heere zufuͤgte; ihr Gebiet
nebſt dem der Mallier wurde zu der Satrapie Indien unter Phi-
lipp geſchlagen. —


Nachdem Alexander vollkommen hergeſtellt war, und den
Goͤttern in feierlichen Opfern und Kampfſpielen fuͤr ſeine Gene-
ſung gedankt hatte, brach er aus ſeinem Lager an der Hyarotis-
muͤndung auf; waͤhrend des Aufenthaltes an dieſer Stelle waren
viele neue Schiffe gebaut worden, ſo daß jetzt bedeutend mehr
Truppen als bisher mit dem Koͤnige ſtromab fahren konnten, es
waren mit ihm zehntauſend Mann vom Fußvolk, von den Leicht-
bewaffneten die Schuͤtzen und Agrianer und tauſend ſiebenhundert
Mann Macedoniſche Ritterſchaft. So ſegelte der Koͤnig aus
dem Hyarotis in den Aceſines hinab, durch das befreundete Land
der Sudraker, an der Hyphaſismuͤndung voruͤber bis zur Verei-
nigung des maͤchtigen Punjund mit dem Indus. Nur die Aba-
ſthanas hatte Perdikkas im Voruͤberziehen zur Unterwerfung zwin-
gen muͤſſen; die anderen Voͤlkerſchaften von nah und fern ſchick-
ten Geſandtſchaften mit reichen und koſtbaren Geſchenken, feinen
Webereien, Edelſteinen und Perlen, bunten Schlangenhaͤuten,
Schildkroͤtenſchaalen, gezaͤhmten Loͤwen und Tigern; auch neue
Schiffe in bedeutender Zahl, die Alexander im Lande der Xa-
thras hatte bauen laſſen, kamen den Strom herab 100).
[445] Hier, wo der Indus den großen oͤſtlichen Nebenarm, in den ſich
alle Stroͤme des Panſchab ergießen, aufnimmt, und wo fuͤr den
Verkehr zwiſchen dem Innern des Landes und der Indusmuͤn-
dung ſich der natuͤrliche Mittelpunkt bildet, beſchloß Alexander
eine Helleniſche Stadt zu gruͤnden, die eben ſo wichtig fuͤr die
Behauptung des Landes, wie durch den Indushandel bedeutend
und bluͤhend werden mußte 101); ſie ſollte der ſuͤdlichſte Punkt
in der Indiſchen Satrapie des Philipp ſein, der hier mit einer
anſehnlichen Heeresmacht, beſtehend aus den ſaͤmmtlichen Thraci-
ſchen Truppen und einer verhaͤltnißmaͤßigen Zahl Schwerbewaffne-
ten ans den Phalangen zuruͤckblieb, mit dem Auftrage, namentlich
fuͤr den ſicheren Handel in dieſer Gegend die moͤglichſte Sorge zu
tragen, einen geraͤumigen Hafen im Indus, Schiffswerfte und
Magazine anzulegen, und auf alle Weiſe das Aufbluͤhen dieſes
Alexandriens zu befoͤrdern.


Es mochte im Februar des Jahres 325 ſein, daß das Ma-
cedoniſche Heer von Alexandria zu den Laͤndern des unteren In-
dus aufbrach; der groͤßere Theil deſſelben nebſt den Elephanten
war unter Kraterus auf das oͤſtliche Ufer des Stromes hinuͤber-
geſetzt, wo die Wege beſſer und die anwohnenden Voͤlker noch
nicht alle zur Unterwerfung geneigt waren. Der Koͤnig ſelbſt
fuhr mit den oben genannten Truppen den Strom hinab. Heer
und Flotte kam ohne Hinderniß in das Land der Sogdier, und
100)
[446] machte bei deren Hauptſtadt 102) Halt; ſie wurde unter dem
Namen des Sogdiſchen Alexandrien zu einer Helleniſchen Kolonie
gemacht, bedeutend befeſtigt, mit Hafen und Schiffswerften verſe-
hen und dem Satrapen des unteren Indus, deſſen Gebiet ſich
von der Punjundmuͤndung bis zum Meere erſtrecken ſollte, als
Reſidenz angewieſen, Pithon aber mit einem Heere von zehntau-
ſend Mann zum Satrapen beſtellt 102b).


Die Stelle des Sogdiſchen Alexandrien iſt fuͤr den unteren
Lauf des Indus eine der wichtigſten; hier beginnt ſich der Cha-
rakter des Stromes, der Landſchaft, der Bevoͤlkerung entſchieden
zu aͤndern. Die Wuͤſten, die oberhalb noch an die beiden Ufer
herantreten, weichen zuruͤck, der Indus theilt ſich in mehrere Ar-
me, fruchtreiches, dichtbevoͤlkertes Marſchland dehnt ſich laͤngs den
Ufern aus, bald wird die Naͤhe Oceaniſcher Einfluͤſſe merkbar.
Hierzu kommt ein zweites, nicht minder merkwuͤrdiges Verhaͤltniß;
101)
[447] waͤhrend ſich oſtwaͤrts ein einfoͤrmiges, unabſehbares Flachland
ausdehnt, ſieht man uͤber der Ebene im Weſten einen maͤchtigen
Gebirgswall emporſteigen, der die Landſchaft ſchließend ſuͤdwaͤrts
ſich immer naͤher an den Strom heranzieht; der große Neben-
arm, den bald unter Alexandria der Indus gen Weſten ſendet,
beſpuͤlt den Fuß dieſes Gebirges, und kehrt dann in langſamer
Windung zum Hauptbette zuruͤck; uͤberall iſt das Land wie ein
Garten, Weinberge ſchmuͤcken die Hoͤhen, der Weihrauch des Ara-
biſchen Trockenklimas, die Blumenflur feuchtwarmer Tropengegend,
der Mais der ſumpfigen Ufergegenden gedeiht hier neben einan-
der; Staͤdte und Flecken in zahlloſer Menge ſchmuͤcken das Land,
auf den Flußarmen iſt ſteter Verkehr, und die Bevoͤlkerung ſuͤd-
laͤndiſch, dunkelfarbig, unter fuͤrſtlichem Regiment, unterſcheidet
ſich ſehr von den Voͤlkern der oberen Induslaͤnder; hier hat die
Kaſte der Braminen hohen Rang und entſcheidenden Einfluß auf das
oͤffentliche Leben, und die Handlungsweiſe der Fuͤrſten wird eben
ſo ſehr durch religioͤſe Vorurtheile wie von Argwohn und kleinli-
cher Selbſtſucht beſtimmt; eine Charakteriſtik, die im Laufe der
Jahrhunderte, bei allem Wechſel der Herrſchaft, der Religion, ja
der Natur ſelbſt, ſich gleich geblieben iſt.


Dieſe Eigenthuͤmlichkeiten des Landes und der Bevoͤlkerung
machten ſich im Verhaͤltniß zu Alexander ſofort geltend. Die
Unterwerfung der Mallier hatte allen Widerſtand der naͤchſtwoh-
nenden Voͤlker aufhoͤren laſſen, und im ununterbrochenen Sieges-
zuge war das Heer bis in das Land der Sogdier gekommen.
Hier aber wartete der Koͤnig auf freiwillige Unterwerfung der
weiteren Voͤlkerſchaften vergebens; weder die Fuͤrſten ſelbſt, noch
Geſandtſchaften der Fuͤrſten kamen, dem Herrn des Induslandes
zu huldigen; den maͤchtigen Fremdling zu verachten, mochten ſie
die Einfluͤſterungen der hochmuͤthigen Braminen oder das Ver-
trauen auf ihre eigene Macht verfuͤhrt haben. Nur der Fuͤrſt
Sambus 103) hatte ſich freiwillig unterworfen; abhaͤngig von dem
[448] maͤchtigeren Muſikanus, mochte er dem fremden Herrſcher lieber,
als dem Nachbarfuͤrſten dienſtbar ſein wollen, und Alexander hatte
ihn als Satrapen in ſeinem Berglande beſtaͤtigt 104), oder, was
richtiger ſein duͤrfte, in dem gleichen Verhaͤltniß, wie die tributaͤ-
ren Fuͤrſten der Satrapie Oberindien, ihm ſeine Herrſchaft gelaſſen.


Die unabhaͤngige Stellung, welche Muſikanus und die uͤbri-
gen Fuͤrſten des Landes behaupten zu wollen ſchienen, noͤthigten
den Koͤnig, noch einmal die Gewalt der Waffen zu verſuchen.
Von Alexandrien aus fuhr er moͤglichſt ſchnell ſtromabwaͤrts in
jenen Indusarm hinein, der gegen die Berge hin und zu der Re-
ſidenz des Muſikanus fuͤhrt; er erreichte deſſen Grenzen, bevor
der Fuͤrſt einen Ueberfall ahnen mochte; durch die Naͤhe der Ge-
fahr geſchreckt, ſuchte er ſeinen hochmuͤthigen Trotz durch ſchnelle
und niedrige Unterwuͤrfigkeit vergeſſen zu machen; in Perſon kam
er dem Koͤnige entgegen, er brachte viele und koͤſtliche Geſchenke,
unter dieſen ſeine ſaͤmmtlichen Elephanten, er unterwarf ſich und
ſein Land der Gnade des Koͤnigs, er geſtand ein, großes Unrecht
gethan zu haben, das gewiſſeſte Mittel, Alexanders Großmuth fuͤr
ſich zu gewinnen. Er erhielt vollkommene Verzeihung; ſein Land
blieb ihm unter Macedoniſcher Hoheit; Alexander bewunderte die
treffliche Natur dieſes Landſtriches; die Reſidenz des Fuͤrſten, guͤn-
ſtig zur Behauptung des ganzen Landes gelegen, erhielt eine Burg,
die unter den Augen des Koͤnigs gebaut und mit einer Macedo-
niſchen Beſatzung verſehen wurde 105).


Von
[449]

Von hier brach Alexander mit den Schuͤtzen, den Agrianern
und der Ritterſchaft gegen das Land der Praͤſtier und gegen den
Fuͤrſten Oxykanus, oder, wie ihn Andere nennen, Portikanus
auf 106); nicht geneigt ſich zu unterwerfen, hatte ſich dieſer mit
bedeutender Streitmacht in ſeiner Hauptſtadt eingeſchloſſen. Alex-
ander nahte, ſchon war eine der erſten Staͤdte des Fuͤrſtenthums
ohne Muͤhe erobert worden, aber der Fuͤrſt, nicht durch das Bei-
ſpiel des Muſikanus geblendet, erwartete den Feind hinter den
Mauern ſeiner Reſidenz. Alexander kam, begann die Belagerung,
am dritten Tage war er ſo weit gediehen, daß ſich der Fuͤrſt in
die Burg der Stadt zuruͤck zog und Unterhandlungen anknuͤpfen
wollte; es war zu ſpaͤt, ſchon war die Mauer der Burg durch
eine Breſche geoͤffnet, die Macedonier drangen ein, die Indier im
Kampf der Verzweiflung wurden uͤberwaͤltigt, der Fuͤrſt erſchlagen.
Nach dem Falle der Hauptſtadt und des Fuͤrſten war es leicht,
die uͤbrigen zahlreichen Staͤdte dieſes ſchoͤnen Landes zu unterwer-
fen; Alexander gab ſie der Pluͤnderung Preis; er hoffte, durch
das Schickſal der Praͤſtier die Voͤlker zu ſchrecken, und ſie endlich
die Unterwerfung, die er erzwingen konnte, freiwillig darbringen
zu ſehen 107).



29
[450]

Aber ſchon waren neue Bewegungen an einem Punkte, wo
man ſie nicht vermuthet haͤtte, ausgebrochen. Der Fuͤrſt Sam-
bus hatte mit Schrecken geſehen, daß Muſikanus nicht bloß unge-
ſtraft geblieben, ſondern in hohe Gunſt bei dem Koͤnige gekommen
ſei; er glaubte fuͤrchten zu muͤſſen, daß er jetzt die Strafe fuͤr
ſeinen Abfall leiden werde; die Braminen ſeines Hofes, ohne an-
deres Intereſſe, als das des Haſſes gegen den ſiegenden Fremdling,
ſaͤumten nicht, ſeine Angſt zu naͤhren, und ihn endlich zu dem
verkehrteſten Schritt, den er thun konnte, zu bewegen; er floh
uͤber den Indus in die Wuͤſte, und ließ in ſeinem Lande Verwir-
rung und Aufruhr zuruͤck. Alexander eilte dorthin; die Haupt-
ſtadt Sindomana 108) oͤffnete die Thore, und unterwarf ſich der
Gnade Alexanders um ſo lieber, da ſie nicht Theil an dem Abfall
hatte; die Elephanten und Schaͤtze des Fuͤrſten wurden ausgelie-
fert, die anderen Staͤdte des Landes folgten dem Beiſpiel der Re-
ſidenz; nur eine, in welche ſich die Braminen, die den Abfall
veranlaßt, gefluͤchtet hatten, wagte Widerſtand zu leiſten; wohlbe-
feſtigt, wie ſie war, ſchaffte ſie den Macedoniern Muͤhe; endlich
machte, ſo heißt es, ein Minengang, der bis in die Stadt hin-
eingegraben wurde, und die Macedonier ploͤtzlich auf dem Marktplatze
der Feſte erſcheinen ließ, alle Rettung unmoͤglich; ein furcht-
bares Gemetzel machte dem Aufſtande ein Ende, die Braminen
buͤßten ihre Schuld am Kreuze 109).



[451]

Der blinde Fanatismus der heiligen Kaſte, um ſo wilder, je
hoffnungsloſer er war, hatte, durch das Schickſal der Braminen
des Sambus ungeſchreckt, waͤhrend des Koͤnigs Abweſenheit den
Fuͤrſten Muſikanus und die Bevoͤlkerung ſeines Landes zum wil-
deſten Haß gegen die Fremden, zur offenbaren Empoͤrung, zur Er-
mordung der Macedoniſchen Beſatzungen aufzureizen gewußt; zu
beiden Seiten des Stromes loderte die Flamme des Aufruhrs,
Alles griff zu den Waffen; und waͤre der Wuth die Kraft des
Willens und der Fuͤhrung gleich geweſen, ſo haͤtte Alexander hier
einen ſchweren Stand haben moͤgen. Aber kaum nahte er, ſo
floh der Fuͤrſt Muſikanus uͤber den Indus; Pithon wurde zu
ſeiner Verfolgung nachgeſchickt; Alexander ſelbſt zog gegen die
Staͤdte, die, ohne gegenſeitigen Beiſtand, ohne verſtaͤndige Fuͤh-
rung und ohne Hoffnung ſich zu retten, dem Sieger ſchnell in
die Haͤnde fielen 110); die Strafen des Abfalles waren ſtreng,
unzaͤhlige Indier wurden bei den Erſtuͤrmungen erſchlagen, oder
nach dem Siege hingerichtet, die Ueberlebenden in Sklaverei ver-
kauft, ihre Staͤdte zerſtoͤrt und die wenigen, die ſtehen blieben,
mit Burgen und Macedoniſcher Beſatzung verſehen, die das Land
der Truͤmmer und der Verwuͤſtung bewahren ſollten. Muſikanus
ſelbſt war gefangen worden, er und viele Braminen wurden des
Todes ſchuldig erkannt und an den Landſtraßen des Landes, deſſen
Ungluͤck ſie verſchuldet, aufgeknuͤpft 111).


Der Koͤnig kehrte jetzt nach ſeiner neuen Stadt am
Indus zuruͤck; die energiſche Strenge, mit der er die Empoͤrun-
gen erſtickt und geſtraft hatte, die Hinrichtungen und Verwuͤſtun-
gen im Lande des Muſikanus ſchienen endlich auf die Gemuͤther
der Indier den bezweckten Eindruck zu machen. Vor Allen be-
109)
29 *
[452] eilte ſich der Fuͤrſt Moͤris 112) von Pattala, deſſen Herrſchaft
ſich uͤber das Indusdelta erſtreckte, ſich dem Koͤnige zu unterwer-
fen; er kam gen Alexandria, ergab ſich und ſein Land der Gnade
des Koͤnigs, und erhielt dafuͤr ſeine Landſchaft unter denſelben
Bedingungen, wie ſie dem Fuͤrſten Muſikanus und den anderen
Fuͤrſten, welche im Bereich Macedoniſcher Satrapien ſaßen, vor-
geſchrieben geweſen waren. Nachdem Alexander von ihm naͤhere
Erkundigungen uͤber die Natur des Indusdelta, uͤber die Strom-
muͤndungen und den Ocean, in den ſie ſich ergießen, eingezogen,
ſandte er ihn in ſein Land zuruͤck, mit dem Befehl, Alles zur Auf-
nahme des Heeres und der Flotte vorzubereiten.


Mit der freiwilligen Unterwerfung des Moͤris, des letzten
noch unabhaͤngigen Fuͤrſten im Induslande, waren die kriegeriſchen
Bewegungen des Zuges geendet, wenigſtens war kein großer und
allgemeiner Kampf, ſondern hoͤchſtens vereinzelter Widerſtand und
leicht zu unterdruͤckende Unordnungen in dem weiteren Induslande
zu erwarten. So brauchte es nicht weiter der ganzen Kriegs-
macht; es kam die Zeit der Ruͤckkehr. Alexanders Wunſch, den
Seeweg von Indien nach Perſien zu entdecken, ſein Plan, die
ſuͤdlichen Kuͤſtenlandſchaften zwiſchen beiden Laͤndern, die bisher
noch nicht durch ſeine unmittelbare Gegenwart unterworfen, und
zum Theil von unabhaͤngigen Staͤmmen bewohnt waren, zu durch-
ziehen, machten gleichfalls nicht die Verwendung des ganzen Hee-
res noͤthig, das zu unterhalten in den uͤberreichen Indiſchen Laͤn-
dern leicht war, aber auf dem Kuͤſtenwege durch oft wuͤſte Land-
ſtriche mit mannigfachen Schwierigkeiten verknuͤpft ſein mußte. Ue-
berdieß waren aus den nordoͤſtlichen Gegenden des Reichs Nachrichten
eingelaufen, welche es ſehr wuͤnſchenswerth machten, eine bedeu-
tende Macedoniſche Streitmacht in jenen Laͤndern zu zeigen. Na-
mentlich hatte der Baktriſche Fuͤrſt Oxyartes, der eben jetzt beim
Heere eingetroffen war, die Nachricht von einem Aufſtande der
Helleniſchen Militaͤrcolonie in Baktra mitgebracht; Zwiſtigkeiten
unter den alten Kriegsleuten hatten zu blutigen Auftritten ge-
111)
[453] fuͤhrt; von Furcht vor Strafe weiter getrieben, hatten ſie ſich der
Burg von Baktra bemaͤchtigt, die Barbaren zum Abfall aufgeru-
fen, und dem Athenodorus, ihrem Raͤdelsfuͤhrer, den Koͤniglichen
Namen gegeben, der ſie ſeinerſeits in die Helleniſche Heimath zu-
ruͤck zu fuͤhren verſprach; gegen Athenodorus hatte ein gewiſſer
Bikon, voll Eiferſucht auf deſſen Koͤnigthum, Raͤnke geſchmiedet,
ihn auf einem Gaſtmahle bei Boxus, einem vornehmen Barbaren,
ermordet, und anderen Tages vor dem verſammelten Heere ſich
gerechtfertigt; mit Muͤhe war es den Hauptleuten gelungen, ihn
vor der Wuth des Heeres zu ſchuͤtzen, ſie ſelbſt hatten ſich dann
wieder gegen ihn verſchworen, ihn auf die Folter geſpannt, um
ihn dann gleichfalls zu toͤdten; da waren die Soldaten herein ge-
drungen, hatten ihn von der Folter befreit, und waren unter ſei-
ner Fuͤhrung, dreitauſend an der Zahl aufgebrochen, um den Weg
in die Heimath zu ſuchen. Es ließ ſich erwarten, daß dieſer Haufe
bereits von den Truppen der Satrapie zur Ruhe gebracht wor-
den 112b); doch war es nothwendig, daß fuͤr jeden Fall bedeutende
Truppenmacht in der Naͤhe erſchien. Auch in der Satrapie des
Paropamiſos war nicht Alles in der gehoͤrigen Ordnung, Tyrias-
pes hatte durch Bedruͤckungen und Ungerechtigkeiten aller Art die
Bevoͤlkerung gegen ſich aufgereizt, ſo daß laute Beſchwerde gegen
ihn beim Koͤnige einlief; er wurde ſeines Amtes entſetzt und der
Fuͤrſt Oxyartes ſtatt ſeiner gen Alexandria geſandt 112c). Beun-
ruhigender waren die Nachrichten aus dem Inneren Arianas; der
Perſer Ordanes hatte ſich unabhaͤngig erklaͤrt und die Herrſchaft
[454] der Ariasper am unteren Ctymander uſurpirt 112d). Hier vor
Allem war es wichtig, eine bedeutende Macedoniſche Streitmacht
erſcheinen zu laſſen, um die Gefahr im Keime zu erſticken.


Deshalb wurde von Alexandria aus ohngefaͤhr der dritte Theil
des Heeres auf dem Wege durch das innere Land zuruͤck geſandt.
Es waren die Phalangen Attalus, Antigenes, Meleager, ein Theil
der Bogenſchuͤtzen und die ſaͤmmtlichen Elephanten; dazu diejeni-
gen von den Getreuen und den uͤbrigen Macedoniern, welche
zum Dienſt untauglich in die Heimath entlaſſen wurden; den Be-
fehl uͤber Alle erhielt Kraterus; er ſollte, ſo lautete ſein Auftrag,
durch Arachoſien und Drangiana gen Karamanien marſchiren 113),
ſollte die boͤswilligen Neuerungen in jenen Gegenden unterdruͤcken,
und namentlich die dortigen Satrapen veranlaſſen, Transporte
[455] von Lebensmitteln nach der Gedroſiſchen Kuͤſte, die Alexander
demnaͤchſt zu durchziehen gedachte, hinab zu ſenden 114).


Nach der Abſendung des Kraterus brach auch Alexander aus
dem Gebiet der Sogdier auf; er ſelbſt fuhr mit der Flotte den
Strom hinab, waͤhrend Pithon mit den berittenen Schuͤtzen und
den Agrianern auf das rechte Stromufer hinuͤber ging, um die
im Fuͤrſtenthum des Muſikanus errichteten Burgflecken zu bevoͤl-
kern, die letzten Spuren von Unordnungen in dem hartgeſtraften
Lande zu unterdruͤcken, und ſich dann in Pattala wieder mit dem
Hauptheere zu vereinigen; das uͤbrige Heer fuͤhrte Hephaͤſtion auf
dem linken Indusufer zu derſelben Stadt hinab. Aber ſchon am
dritten Tage der Fahrt erhielt Alexander die Nachricht, daß der
Fuͤrſt von Pattala, ſtatt Alles zum Empfange des Macedoniſchen
Heeres zu bereiten, mit dem groͤßten Theile der Einwohner in die
Wuͤſte geflohen ſei; vielleicht aus Furcht vor dem maͤchtigen Koͤ-
nige, wahrſcheinlicher von den Braminen aufgeregt. Alexander
eilte deſto ſchneller vorwaͤrts, uͤberall waren die Ortſchaften von
den Einwohnern verlaſſen; er erreichte, es war gegen Ende Juli,
Pattala 115). Straßen und Haͤuſer waren leer, alles bewegliche
Gut gefluͤchtet, die große Stadt wie ausgeſtorben. Sofort wur-
den einige leichte Truppen ausgeſandt, die Spur der Gefluͤchteten
zu verfolgen; es gelang ihnen, Einige einzufangen; ſie wurden vor
den Koͤnig gebracht, der ſie mit unerwarteter Milde empfing,
und ſie an ihre Landsleute ausſandte, mit der Aufforderung, in
[456] Frieden zu ihrer Behauſung und ihren Geſchaͤften zuruͤck zu kehren,
und ohne Beſorgniß wegen ihres weiteren Schickſals zu ſein, da
ihnen nach wie vor nach ihrer Sitte und ihren Geſetzen zu leben,
ihren Handel, Gewerbe und Ackerbau in Sicherheit zu treiben
erlaubt ſein wuͤrde. Auf dieſe Verſicherungen des Koͤnigs kehrten
die Meiſten zuruͤck, und Alexander konnte ohne Weiteres an die
Ausfuͤhrung des großen Planes, um deſſen Willen ihm der Beſitz
der Indusmuͤndungen ſo wichtig war, denken.


Alexander ahnte oder wußte, daß daſſelbe Meer, in welches
ſich der Indus ergießt, den Perſiſchen Golf bilde, und zu der
Muͤndung des Euphrat und Tigris demnach ein Seeweg von
den Indusmuͤndungen aus zu finden ſei; ſeine Herrſchaft, die zum
erſten Male die entlegenſten Voͤlker in unmittelbare Verbindung
brachte, und welche nicht bloß auf die Gewalt der Waffen, ſon-
dern mehr noch auf die Intereſſen der Voͤlker ſelbſt begruͤndet
ſein ſollte, mußte vor Allem auf die Foͤrderung der Handelsver-
bindungen zwiſchen den Voͤlkern, auf die Begruͤndung eines gro-
ßen Verbandes aller auch noch ſo entlegenen Theile des Reiches,
und eines umfaſſenden Welt- und Voͤlkerverkehrs, wie er noch
nicht exiſtirt hatte, bedacht ſein. Ueberall hatte Alexander dieſe
Ruͤckſicht vor Augen gehabt; die zur militairiſchen Behauptung
von Iran und Turan gegruͤndeten Staͤdte waren eben ſo viele
Haltpunkte fuͤr die Karavanenzuͤge, die in Indien gegruͤndeten Fe-
ſten ſicherten die [Flußſchiffahrt] des Indus und ſeiner Nebenſtroͤ-
me, das Aegyptiſche Alexandrien, ſeit den fuͤnf oder ſechs Jahren,
die es ſtand, war ſchon ein Centralpunkt fuͤr den Handel der hei-
mathlichen Meere geworden; jetzt mußte dieſes Syſtem des groß-
artigſten Weltverkehrs durch die Beſetzung des Indusdelta, durch
die Gruͤndung eines ſicheren und guͤnſtig belegenen Handelsplatzes,
endlich durch das Eroͤffnen von Handelsſtraßen, wie ſie die Reihe
Helleniſcher Staͤdte ins Innere hinauf ſchon vorzeichnete, und
wie ſie der maritime Zuſammenhang der Indus- und Euphrat-
muͤndungen hoffen ließ, ſeine Vollendung erhalten.


Pattala, an der Stromſcheide des Indusdelta belegen, bot
ſich von ſelbſt zur Vermittelung des Handels nach dem Inneren
und dem Oceane dar; es beherrſchte zugleich in militairiſcher Hin-
[457] ſicht das untere Indusland; darum wurde Hephaͤſtion beauftragt,
die Burg der Stadt auf das ſorgfaͤltigſte zu befeſtigen, und dem-
naͤchſt Schiffswerfte und einen geraͤumigen Hafen bei der Stadt
zu erbauen. Zu gleicher Zeit ſandte Alexander in die wuͤſten,
baumloſen Gegenden, die nicht weit oſtwaͤrts von der Stadt be-
gannen, mehrere Truppenabtheilungen aus, mit dem Auftrage,
Brunnen zu graben, und das Land bewohnbar zu machen, damit
auch von dieſer Seite her die Verbindung mit Pattala erleichtert
und den Karavanen aus den Laͤndern des Ganges und des Dek-
han geoͤffnet waͤre. Ein Ueberfall der in der Wuͤſte hauſenden
Horden ſtoͤrte nur fuͤr einen Augenblick dieß hoͤchſt erfolgreiche
Unternehmen 116). Nach einer laͤngeren Raſtzeit, waͤhrend der
der Bau der Burg ziemlich vollendet, der der Werfte bereits
vorgeruͤckt war, beſchloß Alexander nun, in Perſon die Indus-
muͤndungen, ihre Schiffbarkeit und ihre Gelegenheit fuͤr den Han-
del zu unterſuchen, und zugleich auf den Ocean, den bisher noch
kein Grieche befahren, hinaus zu ſchiffen. Zunaͤchſt beſchloß er,
dem Hauptarm des Stromes, der rechts hinab fuͤhrte, zu folgen;
waͤhrend Leonnat mit tauſend Reutern und neuntauſend Hopliten
und Leichtbewaffneten auf dem inneren Ufer hinabzog, fuhr Alex-
ander mit den ſchnellſten und beſten Schiffen ſeiner Flotte den
Strom hinab, freilich ohne Fuͤhrer, die des Stromes kundig wa-
ren, da die Bewohner von Pattala und die Indier uͤberhaupt,
keine Seeſchifffahrt trieben, und uͤberdieß die Anwohner des Stro-
mes, wenn die Macedonier nahten, entflohen. Alexander vertraute
auf den Muth und die Geſchicklichkeit ſeiner Schiffsleute, er konnte
nicht ahnen, auf welche Probe die unerhoͤrte Gewalt Oceaniſcher
Erſcheinungen ſie ſtellen wuͤrde.


Es war gerade in der Mitte des Sommers, und der Strom
in ſeiner groͤßten Fuͤllung, die niedrigeren Ufergegenden zum Theil
uͤberſchwemmt, die Fahrt um ſo ſchwieriger. Am erſten Tage
fuhr man ohne weiteres Hinderniß; aber am zweiten Tage, man
mochte zehn Meilen unterhalb Pattala ſein, erhob ſich ein heftiger
[458] Wind von Suͤden her und ſtaute die Waſſer des Stromes auf,
daß die Wellen hohl gingen und ſich brandend brachen, und mehr
als ein Schiff unterging, andere bedeutend beſchaͤdigt wurden;
man eilte das Ufer zu gewinnen, um den Schaden ſo ſchnell und
ſo gut wie moͤglich auszubeſſern, zugleich ſchickte Alexander Leicht-
bewaffnete aus, um von den gefluͤchteten Uferanwohnern einige
einfangen zu laſſen, die der Gegend kundig waͤren. Mit dieſen
fuhr man am naͤchſten Morgen weiter; immer breiter ergoß ſich
der maͤchtige Strom zwiſchen den flachen und oͤden Ufern, und
man begann die kuͤhlere Seeluft zu ſpuͤren; der Wellenſchlag im
Strome wurde heftiger und das Rudern beſchwerlicher, ein ſchar-
fer Seewind wehte entgegen; es ſchien, von ihm zuruͤckgedraͤngt,
die wachſende Fluth gefaͤhrlich zu werden, und die Schiffe lenkten
in einen Kanal ein, den die am vorigen Tage aufgefangenen Fi-
ſcher zeigten. Immer ſchneller und maͤchtiger ſchwollen die Waſ-
ſer und mit Muͤhe vermochte man, die Schiffe raſch genug an
Land zu bringen. Kaum aber waren die Schiffe angelegt, ſo be-
gann der Strom eben ſo ſchnell zu fallen; die Fahrzeuge blieben
zum groͤßten Theile auf dem Trockenen oder ſenkten ſich in den
Uferſchlamm; Alexander und ſeine Leute waren voll Staunen und
Rathloſigkeit. So vergingen einige Stunden, endlich wollte man
daran gehen, die Schiffe wieder flott zu machen und wo moͤglich
das Fahrwaſſer zu gewinnen; ſiehe, da begann das gefaͤhrliche
Schauſpiel von Neuem, rauſchend ſchwoll die Fluth, uͤberfluthete
den ſchlammigen Moor und hob die eingeſunkenen Fahrzeuge mit
ſich empor; und immer ſchneller wachſend brandete ſie gegen die
feſteren Ufer, riß die Fahrzeuge, die dorthin ſich gerettet, nieder,
ſo daß viele umſtuͤrzten, viele zerſchellten und verſanken; ohne
Ordnung und Rettung trieben die Schiffe auf der boͤſen Fluth
bald gegen das Land, bald gegen einander, und ihr Zuſammenſto-
ßen war um ſo gefaͤhrlicher, je heftiger die ſchwellende Bewegung
des Gewaͤſſers. Mit ſo vielen Gefahren und Verluſten erkaufte Alex-
ander die erſte Erfahrung von der Oceaniſchen Ebbe und Fluth,
die hier, wohl noch zehn Meilen von der eigentlichen Strommuͤn-
dung, um ſo gewaltiger war, da ſie mit der ungeheueren, gegen
ſie andraͤngenden Waſſerſaͤule des Indus zu kaͤmpfen hatte, deſſen
[459] zwei Meilen breite Muͤnde ihrem Eindringen vollkommenen Spiel-
raum giebt 117).


Sobald Alexander dieſe Gefaͤhrlichkeiten uͤberſtanden und von
ihrer regelmaͤßigen Wiederkehr die Mittel gelernt hatte, ihnen zu
entgehen, ſandte er, waͤhrend die ſchadhaften Schiffe ausgebeſſert
wurden, zwei tuͤchtige Fahrzeuge den Strom hinab zu der Inſel
Skilluta 118), wo, wie die Indiſchen Fiſcher ſagten, der Ocean
nahe und das Ufer zum Anlegen bequem und geſchuͤtzt ſei. Da
ſie die Nachricht zuruͤckbrachten, daß die Inſel bequemes Ufer
habe, von bedeutender Groͤße und mit Trinkwaſſer wohl verſehen
ſei, fuhr Alexander mit der Flotte dorthin, und ließ den groͤßten
Theil derſelben unter den Schutz des Ufers anlegen: ſchon ſah
man von hier die ſchaumbedeckte Brandung der Indusmuͤndung
und daruͤber den hohen Horizont des Oceans, und kaum erkannte
man jenſelts des zwei Meilen breiten Stromes die niedrige, baum-
und huͤgelloſe Kuͤſte. Alexander ſteuerte mit den beſten ſeiner
Schiffe weiter, um die eigentliche Strommuͤndung zu paſſiren, und
zu unterſuchen, ob ſie fahrbar ſei; bald verſchwand die Weſtkuͤſte
ganz aus ſeinem Blicke, und in endloſe Ferne dehnte ſich der
[460] hochwogende Ocean gen Abend hin; nach einer Fahrt von vier
Meilen erreichte man oſtwaͤrts eine zweite Inſel, an deren fla-
cher und oͤder Sandkuͤſte ſchon rings der Ocean brandete; es
wurde Abend und Alexander kehrte mit der Fluth in den Fluß
zuruͤck zu der Inſel, bei der die Flotte gelandet war; ein feierli-
ches Opfer fuͤr Ammon, wie es der Gott durch ein Orakel gebo-
ten, feierte dieß erſte Erblicken des Oceans und des letzten Lan-
des im Suͤden der bewohnten Erde. Am anderen Morgen fuhr
der Koͤnig wieder hinaus, landete auf jener Inſel im Meere
und opferte auch dort nach dem Geheiß des Ammon ihm und
den anderen Goͤttern, dann fuhr er in die offenbare See hinaus,
umher zu ſchauen, ob noch irgendwo feſtes Land zu erblicken; und
als die Kuͤſten ringsher verſchwunden und nichts mehr als Him-
mel und Meer zu ſehen war, da ſchlachtete er Stieropfer dem
Poſeidon, und ſenkte ſie hinab in den Ocean, ſpendete dazu aus
goldener Schaale und warf auch ſie in die Fluth, und miſchte
neue Spenden den Nereiden und den rettenden Dioskuren und
der ſilberfuͤßigen Thetis, der Mutter ſeines Ahnherrn Achilles: er
betete, daß ſie gnaͤdig ſeine Geſchwader aufnehmen und gen Abend
zu den Muͤndungen des Euphrat geleiten moͤchten, und zum Ge-
bet warf er die goldenen Becher in das Meer 119).


Dann kehrte Alexander zur Flotte und mit der Flotte in den
Strom zuruͤck und fuhr gen Pattala hinauf. Dort war der Bau
der Burg vollendet und der des Hafens begonnen, dort auch Pi-
thon mit ſeinem Heere angekommen, der ſeine Auftraͤge vollkom-
men erfuͤllt, das flache Land beruhigt, die neuen Burgflecken or-
ganiſirt und bevoͤlkert hatte. Alexander hatte den rechten Arm
der Indusmuͤndung und die mannigfachen Schwierigkeiten, die er
fuͤr die Schifffahrt hatte, kennen gelernt; denn es vereinten ſich
die Muſſonwinde und das hohe Waſſer des Stromes in dieſer
Jahreszeit, ihn ſchwierig zu machen. Der Koͤnig beſchloß daher,
auch den zweiten, den oͤſtlichen Hauptarm des Fluſſes hinabzufah-
ren, und zu unterſuchen, ob dieſer vielleicht zur Schifffahrt geeig-
neter ſei. Nachdem man eine gute Strecke ſuͤdoſtwaͤrts gefahren,
[461] breitete ſich das Waſſer zu einem ſehr großen See aus, der durch
den Zufluß einiger kleineren und groͤßeren Fluͤſſe von Morgen her
verſtaͤrkt wurde, und einem Buſen des Meeres aͤhnlich war; ſelbſt
Seefiſche fand man hier. An den Ufern dieſes Sees legte die
Flotte an, indem eingeborene Fuͤhrer die bequemſten Stellen zeig-
ten. Hier ließ Alexander den groͤßten Theil der Truppen nebſt
den kleineren Schiffen unter Leonnatus zuruͤck, und fuhr ſelbſt, von
ſeinen Rittern und einigen anderen Truppen begleitet, mit den
Jachten durch den See zur eigentlichen Indusmuͤndung hinab; er
kam an das Meer, ohne die gewaltige Brandung oder die hohe
Fluth zu erblicken, die den weſtlichen breiteren Indusarm ge-
faͤhrlich machte; er ließ an der Strommuͤndung anlegen, und
ging mit den Truppen drei Tagereiſen weit am Meeresſtrande
hin, theils um die Natur der Kuͤſte zu unterſuchen, theils um
Brunnen fuͤr den Gebrauch der Seefahrer graben zu laſſen; dann
kehrte er zu ſeinen Schiffen und mit dieſen durch den See ſtrom-
auf gen Pattala zuruͤck, waͤhrend ein Theil des Heeres laͤngs
dem Ufer hinauf zog, um auch hier in der ſonſt duͤrren Gegend
Brunnen zu graben. Von Pattala aus fuhr er zum zweiten
Male in den See zuruͤck, traf die Vorrichtungen zum Bau eines
Hafens und mehrerer Schiffswerfte, und ließ zu ihrem Schutze
eine kleine Beſatzung zuruͤck 120).


[462]

Auf dieſe Weiſe war Alles dem großen Plane des Koͤnigs
gemaͤß organiſirt, zu deſſen Vollendung nur noch Eins, aber frei-
lich auch das Schwierigſte und Gefahrvollſte uͤbrig war, nemlich
die Entdeckung des Seeweges ſelbſt, der hinfort den Indus und
Euphrat verbinden ſollte. Betrachtet man den Zuſtand der da-
maligen Schifffarth und Erdkunde, ſo wird man der Kuͤhnheit ei-
nes ſolchen Planes Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Der Bau
der Schiffe war unvollkommen und am wenigſten auf die Eigen-
thuͤmlichkeit Oceaniſcher Gewaͤſſer berechnet; das einzige Regulativ
einer Seefahrt waren die Geſtirne und die Seekuͤſte, deren Naͤhe
natuͤrlich oft gefaͤhrlich werden mußte; die Einbildungskraft der
Griechen bevoͤlkerte den Ocean mit Wundern und Ungeheuern al-
ler Art, und die Macedonier, unerſchrocken und tapfer, wo ſie
dem Feinde ins Auge ſahen, waren gegen das falſche Element ohne
Waffe und nicht ohne Furcht; und wer endlich ſollte die Fuͤhrung
uͤbernehmen? Alexander ſelbſt, kuͤhn genug zum kuͤhnſten Wagniß,
und ſelbſt bereit, dem Ocean den Sieg abzutrotzen, durfte ſich um
ſo weniger an die Spitze der Flotte ſtellen, da im Reiche ſchon
waͤhrend ſeiner Indiſchen Feldzuͤge manche Unordnungen vorgefal-
len waren, die dringend ſeine Ruͤckkehr forderten; der Landweg
nach Perſien war ſchwierig und die Macedoniſchen Landtruppen
bedurften, um dieſe oͤden und furchtbaren Gegenden zu durchzie-
120)
[463] hen, ſeiner perſoͤnlichen Fuͤhrung um ſo mehr, da ſie nur ihm
vollkommen vertrauten. Wen alſo zum Fuͤhrer der Flotte waͤh-
len? wer hatte Muth, Geſchick und Hingebung genug? wer
konnte die Vorurtheile und die Furcht der zur Flotte commandir-
ten Truppen beſchwichtigen, und ſtatt des Wahnes, als wuͤrden ſie
ſorglos der augenſcheinlichen Gefahr Preis gegeben, ihnen Ver-
trauen zu ſich ſelbſt, zu ihrem Fuͤhrer und zu dem gluͤcklichen Ende
ihres Unternehmens einfloͤßen. Alexander theilte alle dieſe Be-
denken dem treuen Nearch mit, und fragte ihn um Rath, wem er
die Flotte anvertrauen ſollte. Nearch nannte ihm Einen nach dem
Anderen, Alexander aber verwarf ſie Alle; der Eine ſchien nicht
entſchloſſen, ein Anderer nicht ergeben genug, um fuͤr ihn ſich
Gefahren auszuſetzen, Andere waren mit dem Seeweſen, mit dem
Geiſt der Truppen nicht genug vertraut, oder voll Verlangen nach
der Heimath und nach den Bequemlichkeiten eines ruhigen Pri-
vatlebens. Nearch, ſo erzaͤhlt dieſer ausgezeichnete General ſelbſt
in ſeinen Denkwuͤrdigkeiten, bot endlich ſeine Dienſte an, und
ſprach: „ich, o Koͤnig, will wohl die Fuͤhrung der Flotte uͤber-
nehmen, und mit Gottes Huͤlfe Schiffe und Menſchen wohlbehal-
ten bis zum Perſerlande bringen, wenn anders das Meer ſchiffbar
und das Unternehmen fuͤr menſchliche Kraͤfte uͤberhaupt ausfuͤhr-
bar iſt.“ Dagegen ſprach Alexander, daß er einen ſo treuen und
hochverdienten Mann nicht neuen Gefahren auszuſetzen wuͤnſche;
aber Nearch bat um ſo dringender, und der Koͤnig verhehlte ſich
nicht, daß gerade er vor Allen dazu geeignet ſei; die Truppen,
welche den edlen General liebten und des Koͤnigs große Zuneigung
fuͤr ihn kannten, durften in dieſer Wahl eine Gewaͤhr fuͤr ſich
ſelbſt finden, da ja Alexander nicht einen Freund und einen ſeiner
ausgezeichneteſten Feldherren an die Spitze eines Unternehmens
geſtellt haben wuͤrde, an deſſen Erfolg er ſelbſt verzweifelte 121).
So wurde Nearch, des Androtimus Sohn, zum Fuͤhrer der Flotte
ernannt, die gluͤcklichſte Wahl, die der Koͤnig treffen konnte. Moch-
ten die zur Flotte commandirten Truppen auch anfangs muthlos
und uͤber ihr Schickſal beſorgt geweſen ſein, das Vertrauen zu
[464] ihrem Fuͤhrer, die Trefflichkeit und Pracht der Zuruͤſtungen, die
Zuverſicht, mit der ihr Koͤnig einen gluͤcklichen Erfolg verhieß,
der Ruhm, an der kuͤhnſten und gefahrvollſten Unternehmung,
welche je gewagt worden, Antheil zu haben, endlich das Beiſpiel
des großen Koͤnigs, der die brandende Muͤndung des Indus hin-
durch auf die Hoͤhe des Oceans gefahren war, das Alles ließ ſie
mit Verlangen und Freudigkeit den Tag der Abfahrt erwarten.


Alexander hatte Gelegenheit gehabt, ſich uͤber die Natur der
Muſſonwinde zu unterrichten; ſie wehen regelmaͤßig waͤhrend des
Sommers von Suͤdweſt, waͤhrend des Winters von Nordoſt,
doch werden dieſe Nordoſtmuſſons durch die gerade weſtwaͤrts
ſtreichende Kuͤſte von Gedroſien zu einem beſtaͤndigen Oſtwinde;
dieſer beginnt mit einigem Schwanken im Oktober, wird gegen
Ende des Monats ſtehend und weht dann unausgeſetzt bis in den
Februar. Dieſe merkwuͤrdige Eigenthuͤmlichkeit des Indiſchen
Oceans, hoͤchſt guͤnſtig fuͤr die beabſichtigte Kuͤſtenfahrt der Flotte,
mußte natuͤrlich benutzt und das Abſegeln der Flotte demnach auf
Ende Oktober beſtimmt werden 122). Der Aufbruch des Landheeres
durfte nicht ſo lange verſchoben werden, da eines Theils der Zu-
ſtand
[465] ſtand des Reichs Alexanders baldige Ruͤckkehr forderte, anderer
Seits fuͤr die Flotte, die ſich nicht auf die weite Fahrt verpro-
viantiren konnte, auf der Kuͤſte Vorraͤthe aufgeſtapelt und Brun-
nen gegraben werden mußten. Demnach gab der Koͤnig den Be-
fehl, daß die Flotte bis zum November in den Stationen von
Pattala bleiben ſollte, ließ Vorraͤthe auf vier Monaten zu ihrem
Unterhalt znſammenbringen und ruͤſtete ſich dann ſelbſt zum Auf-
bruch aus Pattala.


30
[[466]]

Achtes Kapitel.
Die Ruͤckkehr
.


Den Weſten des Induslandes begrenzen maͤchtige Gebirge, die
in faſt ununterbrochener Linie von dem Kophenfluſſe bis zum
Ocean hinabreichen; unmittelbar uͤber der Brandung des Mee-
res ragen ihre letzten Felſenmaſſen noch bis in die Wolken empor,
und von wenigen Paͤſſen durchſchnitten, ſind ſie zwiſchen dem
Deltalande des Indus und dem wuͤſten Kuͤſtenſaum Gedroſiens,
zwiſchen dem Lande Sind und der hohen Steppe Arianas eine
vollkommene Scheidewand; gen Morgen iſt feuchte Tropenwaͤrme,
Waſſerfuͤlle, uͤppige Vegetation, eine reiche Thierwelt, dichte Be-
voͤlkerung mit dem weitverzweigten geſelligen Verkehr, mit den
tauſend Erzeugniſſen und Beduͤrfniſſen einer unvordenklichen Ci-
viliſation; jenſeits der Grenzgebirge, die in nackten Felſen uͤber
einander empor ſtarren, ein Labyrinth von Felsſchluͤnden, Klippen-
zuͤgen, Bergſteppen, in ihrer Mitte das Tafelland von Kelat,
nackt, traurig, von trockener Kaͤlte oder kurzer, ſengender Som-
mergluth, in Wahrheit die „Wuͤſte der Armuth“ 1). Gen Norden
und Weſten umſchließen ſie ſteile Klippenzuͤge, an deren Fuß die
furchtbare Wuͤſte Arianas fluthet, ein endloſer Ocean, mit der
roͤthlich ſchillernden Atmoſphaͤre des gluͤhenden Flugſandes, mit
dem wellenhaften Wechſel ſtets treibender Duͤnen, in denen der
Pilger verirrt und das Kameel unterſinkt. So der traurige Weg
[467] ins Innere; noch oͤder und furchtbarer iſt die Einoͤde der Kuͤſte
und der Weg durch ſie hin gen Weſten. Wenn man von Indien
aus durch die Paͤſſe des großen Scheidegebirges geſtiegen, ſo oͤff-
net ſich eine tiefe Landſchaft, links das Meer, gen Weſten und
Norden maͤchtige Gebirge, in der Tiefe ein Fluß, der zum Ocean
eilt, das letzte ſtroͤmende Waſſer auf dieſem Wege; Getraidefelder
am Fuß der Berge, Doͤrfer und Flecken in der Ebene zerſtreut,
die letzten auf einem Wege von Monaten. Gen Norden fuͤhren
aus dieſer „Ebene“ 2) duͤſtere Zickzackpaͤſſe in die Bergwuͤſte von
Kelat; gen Weſten ziehen die Berge der Oriten bis ans Meer
hinab. Man uͤberſteigt ſie und nun beginnen die Schrecken der
furchtbarſten Einoͤde; die Kuͤſte iſt flachſandig, gluͤhend heiß, ohne
Gras und Strauch, von den Sandbetten vertrockneter Stroͤme
durchfurcht, faſt unbewohnbar, die elenden Fiſcherhuͤtten, die ein-
zeln auf Meilen weit an dem Strande zerſtreut ſind, von Fiſch-
graͤten und Seetang erbaut, unter einſamen Palmengruppen, die
wenigen Menſchen noch elender als ihr Land. Eine Tagereiſe
landein ſtreichen nackte Klippenzuͤge, von Gießbaͤchen durchriſſen,
die in der Regenzeit ploͤtzlich anſchwellen, reißend und brauſend
zur Kuͤſte ſtuͤrzen und dort die tiefen Muͤndungsbetten auswuͤhlen,
ſonſt das Jahr hindurch trocken liegen, mit Geniſt, Mimoſen
und Tamarisken uͤberwuchert, voll Woͤlfen, Schakalen und Muͤ-
ckenſchwaͤrmen. Hinter dieſen Klippenzuͤgen dehnt ſich die Wuͤſte
Gedroſten, mehrere Tagereiſen breit, von wenigen wandernden
Staͤmmen durchirrt, dem Fremdling mehr als furchtbar; Einoͤde,
Duͤrre, Waſſermangel ſind hier die kleinſten Leiden; Tages ſtechende
Sonne, gluͤhender Staub, der das Auge entzuͤndet und den Athem
erdruͤckt, Nachts durchfroͤſtelnde Kuͤhle und das Heulen hungriger
Raubthiere, nirgend ein Obdach oder Grasplatz, nirgend Speiſe
und Trank, nirgend ein ſicherer Weg oder ein Ziel des Weges.
30 *
[468] Durch dieſe Wuͤſte, ſo wird erzaͤhlt, kehrte die Koͤnigin Semira-
mis aus Indien heim, und von den Hunderttauſenden ihres Hee-
res retteten ſich mit ihr nicht zwanzig Menſchen gen Babylon;
auch Cyrus ſoll dieſen Ruͤckweg genommen und das gleiche Schick-
ſal erfahren haben; ſelbſt der Fanatismus des Islam hat nicht
gewagt erobernd in dieſe Wuͤſte einzudringen; der Kalif verbot ſei-
nem Feldherrn Abdallah dieß Land, das der ſichtliche Zorn des
Propheten getroffen.


Alexander hat dieſen Weg gewaͤhlt, nicht um Groͤßeres zu
vollbringen als Cyrus und Semiramis, wie das Alterthum, noch
um die Verluſte der Indiſchen Heerfahrt durch groͤßere Verluſte
vergeſſen zu machen, wie der Unverſtand neuerer Geſchichtsſchrei-
ber geglaubt hat. Er mußte dieſen Weg waͤhlen; es durften
nicht zwiſchen den Satrapien des Indus und des Perſiſchen Mee-
res herrenloſe Laͤnderſtrecken oder ununterworfene Voͤlkerſtaͤmme
den Zuſammenhang der Occupation ſtoͤren, ſie durften es um ſo
weniger, da die Klippenzuͤge am Saum der Einoͤde raͤuberiſchen
Horden und rebelliſchen Satrapen ein ſtetes Aſyl geboten haͤtten.
Noch wichtiger war die Ruͤckſicht auf die Flotte, welche laͤngs der
wuͤſten Kuͤſte dahin fahren und den Seeweg zwiſchen Indien und
Perſien oͤffnen ſollte; ſie konnte nicht auf Monate lang verpro-
viantirt und mit Waſſer verſehen werden; um beides einzunehmen
mußte ſie von Zeit zu Zeit an die Kuͤſte gehen, von der ſie ſich
bei der Natur der damaligen Nautik uͤberhaupt nicht entfernen
durfte. Sollte dieſe Expedition irgend gluͤcken und ihr Zweck,
die Fahrt vom Euphrat zum Indus zu oͤffnen, erreicht werden,
ſo war es vor Allem nothwendig, die Kuͤſte zugaͤnglich zu machen,
Waſſerbrunnen zu graben, Vorraͤthe zu beſchaffen, Widerſtand von
Seiten der Einwohner zu hindern, die Bevoͤlkerung namentlich
der reicheren Diſtrikte mit in den Verband des Reiches hinein zu
ziehen. Dieß waren die Gruͤnde, die den Koͤnig Alexander veran-
laßten, durch Gedroſien zuruͤck zu kehren, obſchon ihm die Natur
jener Landesſtrecke nicht unbekannt ſein konnte; er durfte den gro-
ßen Plan nicht um der Gefahren Willen, die ihm nothwendig
folgten, Preis geben, er durfte die Opfer nicht ſcheuen, die ihm
das Unternehmen koſten ſollte, er durfte die Stimme der Menſch-
lichkeit und Beſorgniß nicht achten, wo es galt, weſentliche Zwecke
[469] zu erreichen; und erkennt man einmal die Groͤße und Berechti-
gung jenes Gedankens, Aſien fuͤr das Helleniſche Leben zu gewin-
nen, ſo muß man auch die Conſequenzen deſſelben, moͤgen ſie auch
nach menſchlicher Betrachtungsweiſe mit Menſchlichkeit und Moͤg-
lichkeit in Widerſpruch erſcheinen, anerkennen und als geſchichtlich
recht begreifen.


Es mochte gegen Ende Auguſt des Jahres 325. ſein, als
Alexander aus Pattala und dem Indiſchen Lande aufbrach 3);
bald war das Grenzgebirge erreicht und auf dem noͤrdlicheren
Paßwege uͤberſtiegen; etwa mit dem neunten Tage 4) kam man
[470] in die Thallandſchaft des Arabiusſtromes, an dem diſſeits die Ara-
biter, jenſeits bis in die Berge die Oriter wohnten; beide Staͤm-
me hatten ſich noch nicht unterworfen; deshalb theilte Alexander
ſein Heer, ihr Land zu durchziehen und, wo es Noth thaͤte, zu
verwuͤſten. Von ihm ſelbſt, von Leonnat, von Ptolemaͤus gefuͤhrt,
zogen einzelne Kolonnen in das Land hinab, waͤhrend Hephaͤſtion
das uͤbrige Heer nachfuͤhrte. Alexander wandte ſich links dem
Meere zu, um zugleich an der Kuͤſte entlang fuͤr den Bedarf ſei-
ner Flotte Brunnen graben zu laſſen, demnaͤchſt aber die Oriten,
die fuͤr ſtreitbar und zahlreich galten, zu uͤberfallen; denn die Ara-
biten hatten beim Heranruͤcken der Macedonier ihre Doͤrfer ver-
laſſen und ſich in die Wuͤſte gefluͤchtet. Alexander kam an den
Arabiusfluß, der ſeicht und ſchmal, wie er war, leicht uͤberſchritten
wurde; ein naͤchtlicher Marſch durch die Sandgegend, die ſich von
ſeinem rechten Ufer abendwaͤrts erſtreckte, brachte ihn mit Tages-
anbruch an die wohlbebauten Felder und Dorfſchaften der Oriter.
Sofort bekam die Reuterei Befehl, geſchwaderweiſe aufzuruͤcken,
und, um deſto mehr Feld zu bedecken, in gemeſſenen Entfernun-
gen vorzuruͤcken, waͤhrend das Fußvolk in geſchloſſener Linie nach-
folgte. So wurde nun ein Dorf nach dem anderen angegriffen und
eingenommen; wo die Einwohner Widerſtand verſuchten und mit ih-
ren Giftpfeilen gegen die Macedoniſchen Speere zu kaͤmpfen wag-
ten, wurden ſie leicht bewaͤltigt, ihre Doͤrfer verbrannt, ſie
ſelbſt niedergehauen oder zu Gefangenen gemacht und in die Skla-
verei verkauft. Das untere Gebiet der Oriten war ohne bedeu-
tenden Verluſt unterworfen; auch die Pfeilwunde, die das Leben
des Lagiden Ptolemaͤus in Gefahr brachte, wurde ſchnell und
gluͤcklich geheilt 5); an einem Waſſer lagerte und raſtete Alexan-
der und wartete die Ankunft des Hephaͤſtion ab. Mit ihm ver-
einigt zog er weiter zu dem Flecken Rambacia, dem groͤßten im
Lande der Oriter; die Lage deſſelben ſchien guͤnſtig fuͤr den Ver-
kehr und zur Behauptung des Landes; Alexander beſchloß, ihn
4)
[471] zur Hauptſtadt der Oritiſchen Satrapie zu machen und zu coloni-
ſiren; Hephaͤſtion erhielt den Befehl zur Gruͤndung der Oritiſchen
Alexandria 6). Der Koͤnig ſelbſt brach mit der Haͤlfte der Hyp-
aspiſten und Agrianer, mit dem Geleit ſeiner Ritterſchaft und
den berittenen Schuͤtzen gegen die Berge hin auf, welche das Ge-
biet der Oriten und Gedroſier von einander ſcheiden; denn in den
dortigen Paͤſſen, durch welche der Weg nach Gedroſien fuͤhrte,
haͤtten ſich, ſo war dem Koͤnig berichtet, die Oriten und Gedroſier
in ſehr bedeutender Macht aufgeſtellt, um vereinigt den Macedo-
niern den Weg zu ſperren. Sobald aber die Macedonier dem
Eingang der Paͤſſe nahten, flohen die Barbaren vor einem Feinde,
deſſen unwiderſtehliche Kraft ſie eben ſo ſehr, wie ſeinen Zorn
nach dem Siege fuͤrchteten; die Haͤuptlinge der Oriten kamen in
demuͤthiger Unterwuͤrfigkeit zu ihm herab, ſich, ihr Volk und ihr
Alles ſeiner Gnade zn uͤbergeben. Alexander empfing ſie huldvol-
ler, als ſie erwartet, er trug ihnen auf, ihre zerſprengten Dorf-
ſchaften wieder zu ſammeln, und ihnen in ſeinem Namen Ruhe
[472] und Sicherheit zu verſprechen; er legte es ihnen ans Herz, ſeinem
Satrapen Apollophanes, den er uͤber ihr, der Arabiten und der
oͤſtlichen Gedroſier Land ſetzen wuͤrde, zu gehorchen und nament-
lich den Anordnungen, die zur Verſorgung der Macedoniſchen
Flotte getroffen werden wuͤrden, gehoͤrig nachzukommen. Zu glei-
cher Zeit wurde Leonnat der Leibwaͤchter mit einem bedeutenden
Heere, beſtehend aus ſaͤmmtlichen Agrianern, einem Theil der Bo-
genſchuͤtzen, einigen hundert Pferden der Macedonier und Helleni-
ſchen Soͤldner, einer entſprechenden Anzahl ſchwerbewaffneter
und Aſiatiſcher Truppen, in der neuen Satrapie zuruͤck gelaſſen,
mit dem Befehl, die Ankunft der Flotte an dieſen Geſtaden zu
erwarten und Alles zu deren Aufnahme vorzubereiten, die Coloni-
ſation der neuen Stadt zu vollenden, den etwa noch vorkommen-
den Unordnungen und Widerſetzlichkeiten von Seiten des Volks
zu begegnen und Alles anzuwenden, um die bisher unabhaͤngigen
Oriter fuͤr die neuen Verhaͤltniſſe zu gewinnen; Apollophanes da-
gegen wurde angewieſen Alles zu thun, um in das Innere von
Gedroſien Schlachtvieh und Vorraͤthe zuſammenbringen zu laſſen,
damit das Heer nicht Mangel litte 7).


Demnaͤchſt brach Alexander aus dem Lande der Oriten gen
Gedroſien hin auf. Schon wurde der heiße und flache Kuͤſten-
ſaum breiter und oͤder, die Hitze ſtechender, der Weg beſchwerli-
cher; man zog Tage lang durch einſame Sandſtrecken, in denen
von Zeit zu Zeit Palmengruppen einen aͤrmlichen Schatten unter
der faſt ſenkrechten Sonne boten; haͤufiger waren Myrrhenbuͤſche,
ſtark duftend in der Gluth der Sonne und in der Fuͤlle des un-
benutzt ausſchwitzenden Harzes; die Phoͤniciſchen Kaufleute, die
mit zahlreichen Kameelen dem Heere folgten, ſammelten hier viel
von dieſer koͤſtlichen Waare, die im Abendlande unter dem Namen
der Arabiſchen Myrrhe ſo beliebt war 8). In der Naͤhe der
See oder der Fluͤſſe bluͤhte die ſtarkduftende Tamariske, uͤber den
Boden hin wucherte die Schlingwurzel der Narden und vielran-
kige Dorngebuͤſche, in denen ſich die Haſen, die der nahende Hee-
[473] reszug aufgeſcheucht, wie Voͤgel im Dohnenſtrich fingen. In der
Naͤhe ſolcher Plaͤtze wurde uͤbernachtet und aus den Blaͤttern der
Myrrhen und Narden die naͤchtliche Streu bereitet. Aber mit
jedem neuen Marſche wurde die Kuͤſte oͤder und unwegſamer. Die
Baͤche erſtarben im heißen Sande, auch die Vegetation hoͤrte auf;
von Menſchen und Thieren war auf weite Strecken keine Spur;
man begann die Naͤchte zu marſchiren, um waͤhrend des Tages
zu ruhen, man zog tiefer landein, um auf dem naͤchſten Wege
dieſe Einoͤde zuruͤckzulegen, und zugleich fuͤr die Flotte Vorraͤthe
an die Kuͤſte zu ſchaffen; einzelne Trupps wurden dann an die
Kuͤſte hinab geſandt, die Vorraͤthe aufzuſtapeln, Brunnen zu gra-
ben, die Zugaͤnglichkeit des Strandes fuͤr die Schiffe zu unterſu-
chen. Einige dieſer Reuter unter Thoas Fuͤhrung brachten die Nach-
richt, an der Kuͤſte ſeien wenige aͤrmliche Fiſcherhuͤtten, aus Wall-
fiſchribben und Seemuſcheln erbaut; die Bewohner, armſelig und
ſtumpfſinnig, lebten von gedoͤrrten Fiſchen und Fiſchmehl, und traͤn-
ken das brakige Waſſer der Strandgruben; man hatte das Gebiet
der Ichthyophagen erreicht. Tiefer landein, ſo hieß es, finde man
einzelne Dorfſchaften; dorthin mußte das Heer, da der Mangel
an Lebensmitteln ſchon empfindlich zu werden begann. Nach lan-
gen, ermuͤdenden Nachtmaͤrſchen, in denen ſchon nicht mehr die
ſtrengſte Ordnung und Mannszucht zu erhalten war, erreichte man
dieſe Gegend; die Vorraͤthe, die ſie darbot, wurden moͤglichſt ſpar-
ſam an das Heer vertheilt, damit das Uebrige, mit dem koͤnigli-
chen Siegel verwahrt und auf Kameele gepackt, an die Kuͤſte ge-
bracht wuͤrde; aber als Alexander mit den erſten Colonnen zum
weiteren Marſche aufbrach, riſſen die bei den Vorraͤthen beſtellten
Wachen die Siegel auf, und von ihren hungernden Kameraden
ſchreiend umdraͤngt, theilten ſie aus, was ſie bewahren ſollten, un-
bekuͤmmert, wie ſie ihr Leben verwirkten, um es vor dem Hun-
gertode zu retten. Alexander ließ es ungeahndet; Zucht und Ge-
ſetz war zu Ende, es galt das nackte Leben zu retten. Er eilte
neue Vorraͤthe aufzutreiben und ſie unter ſicherer Bedeckung hin-
abzuſenden; er befahl den Einwohnern, aus dem Inneren des
Landes ſo viel Getraide, Dattelfrucht und Schlachtvieh als irgend
moͤglich aufzubringen und an die Kuͤſten zu ſchaffen; zuverlaͤſſige
Maͤnner wurden zuruͤckgelaſſen, dieſe Transporte zu beſorgen.


[474]

Jetzt zog das Heer weiter; es nahte dem furchtbarſten Theil
der Wuͤſte, in graͤßlicher Steigerung wuchs der Hunger, das
Elend, die Zuͤgelloſigkeit. Auf zehn, auf funfzehn Meilen weit
kein Waſſer, der Sand tief, heiß, wellenhaft wie ein ſtuͤrmiſches
Meer zu tiefen Duͤnen aufgeweht, in denen man mit jedem
Schritte tief einſank und ſich mit endloſer Muͤhe durchſchleppte,
um ſogleich dieſelbe Arbeit von Neuem zu beginnen; dazu das
Dunkel der Nacht, die furchtbar wachſende Aufloͤſung aller Ord-
nung, die letzte Kraft durch Hunger und Durſt erſchoͤpft oder zu
ſelbſtiſcher Gier verwildert. Man ſchlachtete die Pferde, Kameele
und Maulthiere und aß ihr Fleiſch; man ſpannte das Zugvieh
von den Wagen der Kranken, und uͤberließ dieſe ihrem graͤßlichen
Schickſal, waͤhrend das Heer in wilder Haſt weiter zog; wer
vor Muͤdigkeit oder Entkraͤftung zuruͤckblieb, der fand den Mor-
gen kaum noch die Spur des großen Heeres wieder, und fand er
ſie, ſo bemuͤhte er ſich umſonſt daſſelbe einzuholen; in ſchrecklichen
Zuckungen verſchmachtete er unter der gluͤhenden Mittagsſonne
oder verirrte in dem Labyrinth der Duͤnen, um vor Hunger und
Durſt langſam dahin zu ſterben. Gluͤcklich das Heer, wenn es
vor Tagesanbruch die Brunnen erreichte, um zu raſten; oft aber
war es noch fern, und ſchon brannte die Sonne durch die roͤth-
liche Gluthluft herab und der Sand gluͤhte unter den wunden
Fuͤßen; dann ſtuͤrzten die Thiere roͤchelnd zuſammen, und den hin-
ſinkenden Menſchen brach das Blut jaͤhlings aus Auge und
Mund, oder ſie kauerten nieder im grinſenden Wahnwitz, waͤh-
rend die Reihen aufgeloͤſt in geſpenſtiſcher Stille an den ſter-
benden Kameraden voruͤberwankten. Kamen ſie endlich zu
den Waſſern, ſo ſtuͤrzten ſie hin und tranken in graͤßlicher
Gier, um die letzte Labung mit einem qualvollen Tode zu buͤßen.
An einer der Raſtſtellen, ein faſt ausgetrocknetes Waſſer floß vor-
uͤber, lagerte das Heer einen Tag und ruhte unter den Zelten;
da fuͤllte ſich ploͤtzlich das Strombette und brauſend ſchwollen die
Waſſer uͤber; Waffen, Thiere, Zelte, Menſchen wurden mit hin-
weggeriſſen, und ehe man ſich noch zu beſinnen und zu helfen ver-
mochte, war ſchon die Verwuͤſtung auf ihrem Gipfel; Alexanders
Zelt und ein Theil ſeiner Waffen wurden ein Raub der Fluth,
deren Gewalt er ſelbſt mit Muͤhe entrann. So haͤuften ſich die
[475] Schrecken; und als nun endlich gar bei dem weiteren Marſche,
da ein heftigerer Wind die Duͤnen der Wuͤſte durcheinander trieb
und allen Weg ſpurlos verwehte, die landeingeborenen Fuͤhrer ver-
irrten und nicht mehr wo noch wohin wußten, da ſank auch dem
Muthigſten der Muth, und der Untergang ſchien Allen gewiß.
Alexander aber ſammelte die kraͤftigſten der Ritter, eine kleine
Schaar, um ſich, mit ihnen das Meer zu ſuchen, er beſchwor ſie,
die letzten Kraͤfte zuſammen zu nehmen und ihm zu folgen. Sie
ritten mittagwaͤrts durch die tiefen Duͤnen, von Durſt gequaͤlt,
in der tiefſten Erſchoͤpfung; die Pferde ſtuͤrzten zuſammen, die
Reuter vermochten nicht ſich weiter zu ſchleppen, nur der Koͤnig
mit fuͤnf Anderen war unermuͤdlich vorgedrungen; ſie ſahen end-
lich die blaue See, ſie ritten hinab, ſie gruben mit ihren Schwerd-
tern im Sande nach ſuͤßem Waſſer und ein Quell ſprudelte her-
vor, ſie zu erquicken; dann eilte Alexander zuruͤck zum Heere und
fuͤhrte es hinab an den kuͤhleren Strand, und zu den ſuͤßen Quel-
len, die dort rieſelten. Und die Fuͤhrer fanden ſich wieder zurecht,
und fuͤhrten das Heer noch ſieben Tage lang an der Kuͤſte, wo
an Waſſer nicht Mangel und auch hie und da Vorraͤthe und
Dorfſchaften waren; mit dem ſiebenten Tage wandte man ſich
landeinwaͤrts und zog durch fruchtprangende und heitere Gegenden
gen Pura, der Reſidenz der Satrapie Gedroſien 9).


[476]

So erreichte das Heer endlich das Ziel ſeines Weges, aber
in welchem Zuſtande! Der Marſch von der Oriten Grenze durch
die Wuͤſte hatte ſechzig Tage gewaͤhrt 10), aber die Leiden und
Verluſte auf dieſem Marſche waren groͤßer als alles Fruͤhere zu-
ſammen genommen. Das Heer, das ſo ſtolz und reich aus In-
dien ausgezogen, war auf ein Viertel zuſammengeſchmolzen, und
dieſer traurige Ueberreſt des welterobernden Heeres war abgezehrt
und entſtellt, in zerlumpten Kleidern, faſt ohne Waffen, die weni-
gen Pferde abgemagert und elend, das Ganze ein Aufzug des
tiefſten Elends, der Aufloͤſung und Niedergeſchlagenheit. So kam
der Koͤnig gen Pura. Hier ließ er raſten, damit ſich die erſchoͤpf-
ten Truppen erholten und die auf dem Wege Verirrten ſich ſam-
melten. Der Satrap uͤber Oritis und Gedroſien, der den Befehl
erhalten, die Wege der Wuͤſte mit Vorraͤthen verſorgen zu laſſen,
und durch deſſen Fahrlaͤſſigkeit dem Heere ſelbſt noch die Erleich-
terung, welche die Wuͤſte geſtattet haͤtte, entzogen worden war,
erhielt von hier aus ſeine Entlaſſung; Thoas wurde zu ſeinem
Nachfolger in der Satrapie beſtimmt 11).


Dann brach Alexander nach Karamanien auf, wo er den
Kraterus mit ſeinem Heere und mehrere Befehlshaber der oberen
9)
[477] Provinzen, die er dorthin beordert, zu treffen hoffte. Es mochte
Anfang December ſein; von der Flotte und ihren Schickſalen
hatte man nicht die geringſte Nachricht; war die dem hochherzigen
Nearch uͤbertragene Expedition ſchon an ſich gefahrvoll, und die
gaͤnzliche Ungewißheit uͤber den Fortgang hoͤchſt beunruhigend, ſo
mochte Alexander durch die juͤngſten Erlebniſſe und ihre unbe-
ſchreibliche Furchtbarkeit, eher Alles zu fuͤrchten, als das Gelingen
eines großen Planes zu hoffen geneigt ſein; jene Kuͤſte, die dem
groͤßten Theil ſeines Heeres den elendeſten Untergang gebracht
hatte, war fuͤr die Flotte die letzte und einzige Zuflucht; und oͤde,
flachſandig, hafenlos wie ſie war, ſchien ſie eher die unberechenba-
ren Wechſelfaͤlle von Wind und Wetter gefaͤhrlicher zu machen,
als vor ihnen retten zu koͤnnen; ein Orkan, und Flotte und Heer
konnte ſpurlos vernichtet ſein, eine unvorſichtige Fahrt, und der
Ocean war weit genug zu endloſem Irren und rettungsloſem
Treiben.


Da kam der Hyparch der Seekuͤſte Karamaniens zum Koͤnige
mit der Nachricht, fuͤnf Tage ſuͤdwaͤrts, an der Muͤn-
dung des Fluſſes Anamis ſei Nearch wohlbehalten mit der Flotte
gelandet, habe auf die Nachricht, daß ſich der Koͤnig im oberen
Lande befaͤnde, ſein Heer ſich hinter Wall und Graben lagern
laſſen, und werde demnaͤchſt perſoͤnlich vor Alexander erſcheinen.
Des Koͤnigs Freude war im erſten Augenblick außerordentlich,
bald genug ſank ſie in Ungeduld, in Zweifel, in groͤßere Bekuͤm-
merniß zuruͤck; umſonſt erwartete man Nearchs Ankunft, es ver-
ſtrich ein Tag nach dem andern; Boten auf Boten wurden aus-
geſandt, aber die Einen kamen zuruͤck mit dem Bericht, ſie haͤtten
nirgend Macedonier der Flotte geſehen, nirgend von ihnen Kunde
erhalten; andere Boten blieben ganz aus; endlich befahl Alexan-
der, den Hyparchen, der treuloſe Maͤhrchen geſchmiedet und mit der
Trauer des Heeres und des Koͤnigs Spott getrieben, feſt zu neh-
men und in Ketten zu legen; er ſelbſt aber war trauriger denn
zuvor, und von Leiden des Koͤrpers und der Seele bleich.


Indeß hatte der Hyparch die volle Wahrheit geſagt: wirklich
war Nearch mit ſeiner Flotte an der Karamaniſchen Kuͤſte; gluͤck-
lich hatte er ein Unternehmen, dem an Gefahren und Wundern
ſchon an ſich nichts aͤhnlich war, und das uͤberdieß durch das Zu-
[478] ſammentreffen zufaͤlliger Umſtaͤnde uͤberaus erſchwert worden war,
vollbracht. Schon am Indusſtrome hatten dieſe Schwierigkeiten
begonnen; denn kaum war Alexander mit dem Landheere uͤber die
Grenzen Indiens hinaus gegangen, ſo hatten auch ſchon die In-
dier, die ſich jetzt frei und ſicher glaubten, bedenkliche Unruhen
begonnen, ſo daß die Flotte nicht mehr im Indus ſicher zu ſein
ſchien 12). Nearch hatte, da es nicht ſeine Beſtimmung war,
das Land zu behaupten, ſondern die Flotte gluͤcklich zum Perſiſchen
Meerbuſen zu fuͤhren, ſich ſchnell und ohne die Zeit der ſtehenden
[479] Oſtwinde abzuwarten, zur Abfahrt bereitet, war am 21. Septem-
ber abgeſegelt, und hatte in wenigen Tagen die Kanaͤle des In-
dusdelta hinter ſich; dann war er durch heftige Suͤdwinde genoͤ-
thigt, unter dem Vorgebirge, das Indien vom Arabiterlande trennt,
in einem Hafen, den er nach Alexander nannte, ans Land zu ge-
hen und daſelbſt vierundzwanzig Tage zu raſten, bis ſich endlich
die regelmaͤßigen Winde geſetzt hatten. Mit dem 23. Oktober
war er weiter geſchifft, war unter mannichfaltigen Gefahren, bald
zwiſchen Klippen hindurchſteuernd, bald gegen die gewaltige Bran-
dung des Oceans ankaͤmpfend an der Arabiusmuͤndung voruͤbergeſe-
gelt, und nach einem furchtbaren Seeſturm am 30. Oktober, der
dreien Fahrzeugen den Untergang brachte, bei Kokala an das Land
gegangen, um zehn Tage zu raſten und die ſchadhaften Schiffe
auszubeſſern; es war das der Ort, an dem kurz zuvor der Stra-
teg Leonnat die Barbaren der Umgegend in einem ſehr blutigen
Treffen uͤberwaͤltigt hatte; der Satrap Apollophanes von Gedro-
ſien war bei dieſer Gelegenheit erſchlagen worden. Hier reichlich
mit Vorraͤthen verſehen und nach wiederholentlichen Zuſammen-
kuͤnſten mit Leonnat, war Nearch weiter gen Weſten gefahren, und
am 10. November lag das Geſchwader vor der Muͤndung des
Fluſſes Tomerus, an deſſen Ufern bewaffnete Oriter haufenweiſe
ſtanden, um die Einfahrt der Flotte zu hindern; ein kuͤhner Ue-
berfall genuͤgte, ſie zu bewaͤltigen, und fuͤr einige Tage einen ruhi-
gen Landungsplatz zu gewinnen. Mit dem 21. November war
die Flotte an die Kuͤſte der Ichthyophagen gekommen, jener arm-
ſeligen und furchtbaren Einoͤde, bei der das Ungluͤck des Landheeres
ſo entſetzlich zu werden begann; auch das Schiffsheer hatte hier
viel zu leiden, der Mangel an ſuͤßem Waſſer und an Vorraͤthen
wurde mit jedem Tage druͤckender. Endlich fand man in einem
Fiſcherdorfe bald hinter dem Vorgebirge Bageia einen Eingebore-
nen Namens Hydraces, der ſich erbot, die Flotte als Lootſe zu
begleiten; er war ihr von großem Nutzen, unter ſeiner Leitung
vermochte man fortan groͤßere Fahrten zu machen, und dazu die
kuͤhleren Naͤchte zu waͤhlen. Unter immer ſteigendem Mangel
fuhr man bei der oͤden Sandkuͤſte Gedroſiens voruͤber, und ſchon
hatte die Unzufriedenheit der Schiffsleute einen gefaͤhrlichen Grad
erreicht; da endlich erblickte man die mit Fruchtfeldern, Palmhai-
[480] nen und Weinbergen bedeckten Geſtade Karamaniens; jetzt war
die Noth voruͤber, jetzt nahte man der langerſehnten Einfahrt in
das Perſiſche Meer, man war in befreundetem Gebiet. An der
ſchoͤnen Kuͤſte Harmozia und an der Muͤndung des Anamisſtro-
mes landete die Flotte, und das Schiffsvolk lagerte an den Strom-
ufern, nach ſo vielen Muͤhen ſich auszuruhen, und ſich der uͤber-
ſtandenen Gefahren zu erinnern, denen zu entkommen Mancher
verzweifelt haben mochte; von dem Landheere wußte man nichts,
ſeit der Kuͤſte der Ichthyophagen hatte man alle Spur von dem-
ſelben verloren 13). Da geſchah es, daß Einige von Nearchs
Leuten, die ein wenig landein gegangen waren, um Lebensmittel zu
ſuchen, in der Ferne einen Menſchen in Helleniſcher Tracht ſahen;
ſie eilten auf ihn zu und erkannten ſich unter Freudenthraͤnen als
Helleniſche Maͤnner; ſie fragten ihn, woher er kaͤme? wer er
waͤre? er antwortete, er waͤre vom Lager Alexanders abgekommen,
der Koͤnig ſei nicht ferne von hier; jauchzend und frohlockend
fuͤhrten ſie ihn zu Nearch, dem er dann angab, daß Alexander
etwa fuͤnf Tage weit ins Land hinauf ſtehe, und ſich zugleich er-
bot, ihn zum Hyparchen der Gegend zu bringen; das geſchah;
Nearch uͤberlegte mit dieſem, wie er zum Koͤnige hinauf kommen
moͤchte. Waͤhrend er ſodann zu den Schiffen zuruͤckkehrte, um
hier Alles zu ordnen und das Lager verſchanzen zu laſſen, war
der Hyparch, in der Hoffnung, durch die erſte Nachricht von der
gluͤcklichen Ankunft der Flotte des Koͤnigs Gunſt zu gewinnen,
auf dem kuͤrzeſten Wege in das innere Land hinauf gereiſt, und
hatte dort jene Botſchaft an den Koͤnig gebracht, die ihm ſelbſt
ſo viel Leid zuzog, da deren Beſtaͤtigung ausblieb. Endlich war
Nearch mit ſeinen Einrichtungen fuͤr die Flotte und das Lager ſo
weit gediehen, daß er mit Archias, dem zweiten Befehlshaber der
Flotte, und mit fuͤnf oder ſechs Begleitern von dem Lager auf-
brach, und ins Innere wanderte. Dieſen begegneten auf dem
Wege
[481] Wege einige von den ausgeſandten Boten Alexanders; aber ſie
erkannten weder den Nearch noch den Archias, ſo ſehr hatte ſich
ihr Aeußeres verwandelt; ihr Haupt- und Barthaar war lang,
ihr Geſicht bleich, ihre Geſtalt abgezehrt, ihre Kleidung zerlumpt
und voll Schiffstheer; und als dieſe ſie fragten, in welcher Rich-
tung wohl Alexanders Lager ſtaͤnde, zeigten ſie ihnen Beſcheid und
zogen voruͤber. Archias aber ahnete das Rechte und ſprach: es
ſcheint, o Nearch, daß die Maͤnner ausgeſandt ſind, uns zu ſuchen;
daß ſie uns nicht erkennen, iſt gar wohl zu begreifen, wir moͤgen
wohl ſehr anders als in Indien ausſehen; laß uns ſagen, wer
wir ſind, und ſie fragen, wohin ſie reiſen. Das that Nearch; ſie
aber antworteten, ſie ſuchten den Nearch und das Heer von der
Flotte. Da ſagte Nearch: ich bin es, den ihr ſuchet, fuͤhrt uns zum
Koͤnige! Da nahmen ſie ſie jubelnd auf ihre Wagen und fuhren
zum Lager; Einige aber eilten voraus und zum Zelte des Koͤnigs
und ſprachen: Nearch und Archias und fuͤnf Andere mit ihnen
kommen ſo eben daher. Da ſie aber von dem uͤbrigen Heere und
von der Flotte nichts wußten, ſo glaubte der Koͤnig, daß jene
wohl unvermuthet gerettet, aber Heer und Flotte untergegangen
ſei, und ſeine Trauer war groͤßer denn vorher. Da trat Nearch
und Archias herein; Alexander erkannte ſie kaum wieder, er reichte
dem Nearch die Hand, fuͤhrte ihn zur Seite und weinte lange
Zeit; endlich ſprach er: „daß ich dich und Archias wieder ſehe,
laͤßt mich den ganzen Verluſt minder ſchmerzlich empfinden; nun
aber ſprich, wie iſt meine Flotte und mein Heer zu Grunde
gegangen?“ Nearch antwortete: o Koͤnig, beides iſt dir erhalten,
deine Flotte und dein Heer; wir aber ſind als die Boten ihrer
Erhaltung zu dir gekommen. Da weinte Alexander noch mehr,
und lauter Jubel war um ihn her; er aber ſchwur bei Zeus und
Ammon, daß ihm dieſer Tag theurer waͤre als der Beſitz von
ganz Aſien 13b).


31
[482]

Und ſchon war auch Kraterus mit ſeinem Heere und den Ele-
phanten nach einem gluͤcklichen Marſche durch Arachoſien und Dran-
giana in Karamanien angelangt; er hatte ſich auf die Nachricht
von Alexanders ungeheueren Verluſten moͤglichſt beeilt, ſein friſches
und kraͤftiges Heer dem Koͤnige zuzufuͤhren. Mit ihm zugleich trafen
die Befehlshaber, die ſeit fuͤnf Jahren in Medien geſtanden hatten,
ein; es waren Kleander mit den Veteranen der Soͤldner, Herakon
mit den Soͤldnerreutern, die fruͤher Menidas gefuͤhrt hatte, Si-
talces mit dem Thraciſchen Fußvolk, Agathon mit den Odryſiſchen
Reutern, im ganzen fuͤnftauſend Mann zu Fuß und tauſend Reu-
ter 14). Auch der Satrap Staſanor von Aria und Drangiana
und Pharasmanes, der Sohn des Perſiſchen Satrapen Phrata-
phernes waren mit Kameelen, Pferden und Heerden Zugvieh nach
Karamanien gekommen, zunaͤchſt in der Abſicht, dem Heere,
das ſie noch nicht angelangt glaubten, bei dem Zuge durch die
Wuͤſte die nothwendigen Beduͤrfniſſe zu beſchaffen; doch auch jetzt
13b)
[483] auch waren ſie mit dem, was ſie brachten, ſehr willkommen, und
die Kameele, Pferde und Rinder wurden im Heere auf die uͤb-
liche Weiſe vertheilt. Dieß Alles, dazu die gluͤckliche Natur des
Karamaniſchen Landes, die Pflege und Ruhe, die hier den Sol-
daten zu Theil wurde, endlich die unmittelbare Anweſenheit des
Koͤnigs, deſſen Thaͤtigkeit nie ernſter und durchgreifender geweſen
war, machten in kurzer Zeit die Spuren des furchtbaren Elends
verſchwinden und gaben dem Macedoniſchen Heere Haltung und
Selbſtvertrauen zuruͤck. Dann wurden Feſtlichkeiten mannigfacher
Art veranſtaltet, um den Goͤttern fuͤr die gluͤckliche Beendigung
des Indiſchen Feldzuges, fuͤr die Heimkehr des Heeres und die
wunderbare Erhaltung der Flotte zu danken; Zeus dem Erretter,
Apollo dem Fluchabwehrer, dem Erderſchuͤtterer Poſeidon und
den Goͤttern des Meeres wurde geopfert, es wurden Feſtzuͤge ge-
halten, Feſtchoͤre geſungen, Kampfſpiele aller Art gefeiert; in dem
Gepraͤnge des Feſtaufzuges ging Nearch bekraͤnzt an des bekraͤnz-
ten Koͤnigs Seite, und das jubelnde Heer warf Blumen und
bunte Baͤnder auf ſie. In allgemeiner Heerverſammlung wieder-
holte der Admiral den Bericht ſeiner Fahrt; er und andere der
Fuͤhrer, ſo wie viele vom Heere, wurden vom Koͤnige durch Ge-
ſchenke, durch Befoͤrderungen und Auszeichnungen aller Art ge-
ehrt, namentlich wurde der edle Peuceſtas, bisher Alexanders
Schildtraͤger und bei dem Sturm auf die Mallierſtadt der Erret-
ter des Koͤnigs, in die Schaar der Leibwaͤchter aufgenommen 15).
31 *
[484] Zu gleicher Zeit eroͤffnete der Koͤnig die Ordnung fuͤr den weite-
ren Zug: die Flotte ſollte ihre Fahrt laͤngs der Kuͤſte des Perſi-
ſchen Meerbuſens fortſetzen, in die Muͤndung des Paſitigris ein-
lenken und ſtromauf in den Fluß von Suſa fahren; mit dem
groͤßeren Theil des Landheeres, mit den Elephanten und der Ba-
gage ſollte Hephaͤſtion, um die ſchwierigen Wege, den Schnee und
die Winterkaͤlte in den Berggegenden zu vermeiden, an die flache
Kuͤſte, die Vorraͤthe genug und in jetziger Jahreszeit milde Luft
und bequeme Wege hatte, hinab ziehen 16), um ſich in der Ebene
von Suſa mit der Flotte und dem uͤbrigen Heere wieder zu ver-
einigen. Alexander ſelbſt wollte mit der Macedoniſchen Ritter-
15)
[485] ſchaft und dem leichten Fußvolk, namentlich den Hypaspiſten und
einem Theile der Bogenſchuͤtzen, auf dem naͤchſten Wege durch die
Berge uͤber Paſargadaͤ und Perſepolis gen Suſa ziehen 17).


So kehrte Alexander in den Bereich der Laͤnder zuruͤck, die
ihm ſeit Jahren unterworfen und Theile des Macedoniſch-Perſi-
ſchen Reiches waren; und man muß geſtehen, es war hohe Zeit,
daß er zuruͤckkehrte. Arge Unordnungen und gefaͤhrliche Neuerun-
gen waren an mehr als einem Punkte entſtanden; nur zu bald
hatte der Geiſt der Zuͤgelloſigkeit und Anmaßung, der in den Sa-
trapen des fruͤheren Perſerreichs geherrſcht hatte, auch bei den
Macedoniſchen Statthaltern und Anfuͤhrern Eingang gefunden;
waͤhrend des Koͤnigs Abweſenheit ohne Aufſicht und im Beſitz
einer faſt unumſchraͤnkten Gewalt, hatten viele Satrapen, ſowohl
Macedonier als Perſer, die Voͤlker auf das Furchtbarſte gedruͤckt,
hatten ihrer Habgier, ihrer Wolluſt Alles erlaubt, hatten ſelbſt die
Tempel der Goͤtter und die Graͤber der Todten nicht geſchont, ja
auf den Fall, daß Alexander nie aus den Laͤndern Indiens zuruͤck-
kehrte, hatten ſie ſich bereits mit Soͤldnerhaufen umgeben und alle
Anſtalten getroffen, um ſich noͤthigen Falls mit gewaffneter Hand
im Beſitz ihrer Provinzen zu behaupten. Die tollkuͤhnſten Plaͤne,
die ausſchweifendſten Wuͤnſche, die uͤberſpannteſten Hoffnungen wa-
ren an der Tagesordnung; die ungemeſſene Aufregung des Zeital-
ters, in dem alles Gewohnte, Herkoͤmmliche und Wahrſcheinliche
uͤber einander geſtuͤrzt war, hatte keine Saͤttigung mehr als im
zuͤgelloſeſten Wagen und im Ungeheueren des Genuſſes oder Ver-
luſtes. Das wilde Wuͤrfelſpiel des Krieges, in dem Aſien gewon-
nen war, wie leicht konnte es umſchlagen, wie leicht mit einem
Wurfe des Koͤnigs uͤbergroßes Gluͤck wie gewonnen ſo zerronnen
ſein. Auch das geſtuͤrzte Perſerthum begann ſich mit neuer Hoff-
nung zu erheben, und es war bereits mehr als ein Verſuch von
Seiten Morgenlaͤndiſcher Großen gemacht worden, die kaum ge-
knuͤpften Bande mit dem neuen Koͤnigthum zu zerreißen und un-
abhaͤngige Fuͤrſtenthuͤmer zu gruͤnden, oder im Namen des altper-
[486] ſiſchen Koͤnigthums, des wiedererſtandenen, die Voͤlker zum Abfall
zu reizen. Und als nun gar nach der jahrelangen Abweſenheit des
Koͤnigs, nach dem immer wilderen Umſichgreifen der Unordnung
und der Uſurpation, die Geruͤchte von dem Untergange des Hee-
res in der Gedroſiſchen Wuͤſte ſich bis ins Unendliche vergroͤßert
verbreiteten, da mochte die Bewegung an allen Orten und in allen
Gemuͤthern einen Grad erreichen, der einen vollkommenen Sturz
alles Beſtehenden befuͤrchten ließ.


Das waren die Verhaͤltniſſe, unter denen Alexander mit den
Ueberreſten ſeines Heeres in die Weſtprovinzen zuruͤckkehrte; es
ſtand Alles auf dem Spiele; ein Zeichen von Beſorgniß oder
Schwaͤche, und das Reich ſtuͤrzte uͤber ſeinen Gruͤnder in Truͤm-
mern; nur die kuͤhnſte Entſchloſſenheit, die ernſteſte Kraft des
Willens und der That konnte den Koͤnig und ſein Reich retten;
Gnade und Langmuth waͤre Geſtaͤndniß der Ohnmacht geweſen,
und haͤtte die Voͤlker, die auch jetzt noch in treuer Ergebenheit
dem Koͤnige anhingen, um ihre letzte Hoffnung gebracht; es be-
durfte der ſtrengſten und ſchonungsloſeſten Gerechtigkeit, um den
unter dem Druck der Satrapen und Strategen ſchmachtenden
Voͤlkern Genugthuung zu geben und das Vertrauen zu der Macht
des großen Koͤnigs zu bewahren; es bedurfte eines ſchnellen und
niederſchmetternden Gerichtes, um der Majeſtaͤt des Koͤnigthums
ihren vollen Glanz wieder zu geben und die Schrecken ihres Zor-
nes in alle Ferne zu verbreiten. Und in Wahrheit, Alexander
mochte, ſeitdem er dem Lande ſeiner Hoffnung den Ruͤcken ge-
wandt, ſeitdem ſich am Hyphaſis und in der Wuͤſte die Sonne
ſeines Gluͤcks tief und tiefer geneigt, ſeitdem er den furchtbaren
Wechſel menſchlicher Dinge in dem Hinſterben ſeiner Tauſende er-
fahren, in jener Stimmung der Bitterkeit und Menſchenverach-
tung ſein, deren der zuͤrnende Despot bedurfte; voruͤber war die
Zeit des Strebens und Erkaͤmpfens, der Enthuſiasmus der Ju-
gend und der Hoffnungen war erkaltet, und zu oft getaͤuſcht be-
gann ſein Vertrauen dem Argwohn zu weichen; eine Welt hatte
er umgeſtaltet, er begann zu fuͤhlen, daß er ſich mit ihr verwan-
delt habe; es galt jetzt die Zuͤgel der umumſchraͤnkten Gewalt feſt
zu ergreifen und zu halten, es galt jetzt ſchnelles Gericht, neuen
Gehorſam, ſtrenges Regiment.


[487]

Schon in Karamanien hatte Alexander zu ſtrafen gefunden;
der Satrap Aspaſtes, der ſich im Jahre 330 unterworfen und
ſeine Stelle behalten hatte, war vielfach verklagt worden und ver-
brecheriſcher Verſuche verdaͤchtig: zwar kam er jetzt, da der Koͤnig
wider alles Vermuthen aus Indien und aus der Gedroſiſchen
Wuͤſte zuruͤckkehrte, demſelben in unterwuͤrfiger Ergebenheit entgegen,
und wurde mit den Ruͤckſichten aufgenommen, die ſein hoher Rang
forderte; aber als die naͤheren Unterſuchungen den ſchweren Ver-
dacht, der auf ihm laſtete, beſtaͤtigt hatten, ward er den Haͤnden
des Henkers uͤbergeben; Sibyrtius erhielt ſtatt ſeiner die Pro-
vinz 18). Da indeß die Satrapie der Oriten und Arabiten durch
den Tod des Thoas, den Alexander zu Apollophanes Nachfolger
deſignirt hatte, erledigt war, ſo wurde Sibyrtius dorthin geſandt,
und ſtatt ſeiner Tlepolemus des Pythophanes Sohn, den ſeine
bisherige Stellung in der Parthiſchen Satrapie bewaͤhrt hatte,
nach Karamanien berufen 19). — Die Unordnungen, die im Innern
Arianas durch den Perſer Ordanes angeſtiftet und durch den, wie
es ſcheint, gleichzeitigen Tod des Satrapen Menon von Arachoſien
freien Spielraum gewonnen hatten, waren von Kraterus auf ſei-
nem Durchzuge ohne Muͤhe unterdruͤckt worden, er brachte den
Empoͤrer in Ketten vor den Koͤnig, der ihn der gerechten Strafe
uͤbergab; die erledigte Satrapie Arachoſien wurde mit der von
Ora und Gedroſien unter Sibyrtius vereinigt 20). — Auch aus
Indien kam boͤſe Zeitung; Taxiles berichtete, Abiſares von Kaſch-
mir ſei geſtorben und der Satrap Philippus im dieſſeitigen In-
dien von den Soͤldnern, die unter ihm dienten, erſchlagen worden,
doch habe die Macedoniſche Leibwache des Satrapen den Auf-
ruhr ſofort erdruͤckt und die Aufruͤhrer hingerichtet; Alexander
uͤbertrug die einſtweilige Verwaltung der Satrapie dem Fuͤrſten
von Taxila und dem Anfuͤhrer der in Indien ſtehenden Thra-
cier, und gebot ihnen, den Sohn des Abiſares als Nachfolger im
[488] Reiche Kaſchmir anzuerkennen 21). — Von Medien her waren
die Generale Herakon, Kleander, Sitalces und Agathon mit dem
groͤßten Theile ihrer Truppen gen Karamanien zu kommen beor-
dert; und gekommen, mit ihnen zugleich viele ehrbare Einwohner der
Provinz, die ſie verklagten: ſie haͤtten die Tempel gepluͤndert, die
Graͤber aufgewuͤhlt, ſie haͤtten ſich jede Art von Bedruͤckung und
Frevel gegen die Unterthanen erlaubt, edle Jungfrauen geſchaͤndet,
den Frieden der Ehen zerſtoͤrt, auf alle Weiſe den Macedoniſchen
Namen verhaßt gemacht, vor Allen ſei Kleander, der Anfuͤhrer
der Helleniſchen Veteranen, der Gegenſtand allgemeiner Verwuͤn-
ſchungen. Dieſe Ausſagen wurden durch die Zeugniſſe und Be-
ſchwerden vieler Soldaten beſtaͤtigt. Nur Herakon wußte ſich zu
rechtfertigen und wurde wieder auf freien Fuß geſetzt; Kleander,
Sitalces und Agathon dagegen wurden vollſtaͤndig uͤberfuͤhrt und
nebſt einer Menge mitſchuldiger Soldaten, wie es heißt ſechshun-
dert, auf der Stelle niedergehauen. Dieſes ſchnelle und ſtrenge Ge-
richt machte uͤberall den tiefſten Eindruck; man gedachte der viel-
fachen Ruͤckſichten, welche der Koͤnig haben mußte, dieſe Maͤnner,
die heimlichen Vollſtrecker des Todesurtheils an Parmenion, und
dieſe bedeutende Zahl alter Soldaten, deren er jetzt ſo ſehr bedurfte,
zu ſchonen; die Voͤlker erkannten, daß der Koͤnig in Wahrheit ihr
Beſchuͤtzer, daß es nicht ſein Wille ſei, ſie wie Unterworfene behan-
delt zu ſehen; die Satrapen und Befehlshaber dagegen konnten
erkennen, was auch ſie zu erwarten hatten, wenn ſie nicht mit rei-
nem Gewiſſen vor den Stufen des Thrones zu erſcheinen ver-
mochten; manche von ihnen ſuchten, ſo wird erzaͤhlt, im Bewußt-
ſein ihrer Schuld, neue Schaͤtze zuſammen zu raffen, ihre Soͤld-
nerſchaaren zu verſtaͤrken, kurz ſich ſo zu ruͤſten, um noͤthigenfalls
trotzen zu koͤnnen; da erging ein koͤnigliches Schreiben an die Sa-
trapen, welches gebot, ſofort die Soͤldner, ſo viel nicht im Na-
men des Koͤnigs geworben ſeien, zu entlaſſen, und demnaͤchſt in
Perſon nach Suſa zu kommen, um Rechenſchaft abzulegen und
ſich uͤber jede Beſchwerde zu rechtfertigen 22).


[489]

Indeß war das Heer aus Karamanien gen Perſien gezogen;
der Satrap Phraſaortes, den Alexander hier beſtellt hatte, war
zur Zeit des Indiſchen Feldzuges geſtorben; Orxines, aus dem
Geſchlecht der Achaͤmeniden, von großem Anſehen unter den Per-
ſern und unermeßlichen Reichthuͤmern 22b), hatte, im Vertrauen
auf ſeine Geburt und ſeinen Einfluß, die erledigte Satrapie uͤber-
nommen, und, wie nach Indien berichtet worden war, auf wuͤr-
dige Weiſe verwaltet; er kam jetzt dem Koͤnige mit ſehr reichen
Geſchenken von ſchoͤnen Pferden, koſtbaren Wagen, Edelſteinen,
Prachtgeraͤthen, goldenen und ſilbernen Vaſen, viertauſend Talenten
gemuͤnzten Silbers entgegen, und es ſchien ihm ſein fruͤheres ei-
genmaͤchtiges Verfahren vergeſſen zu ſein. Indeß zeigte ſich bald
genug, daß er den Pflichten der Satrapie, die er ungeheißen auf
ſich genommen, keinesweges nachgekommen ſei. Schon das er-
zuͤrnte den Koͤnig, daß er das Grab des großen Cyrus im Haine
von Paſargadaͤ erbrochen fand; bei ſeiner fruͤheren Anweſenheit
in Paſargadaͤ hatte er die Kuppe des Steinhauſes, in der der
Sarg ſtand, oͤffnen und das Grab von Neuem ſchmuͤcken laſſen
und den am Grabe wachenden Magiern die Fortſetzung ihres
frommen Dienſtes geboten; er wollte das Andenken des großen
Koͤnigs auf jede Weiſe geehrt wiſſen; jetzt aber fand er das Grab
zerſtoͤrt, die goldene Bahre zerbrochen, den Sarg umgeſtuͤrzt, den
Leichnam, der Edelſteine und koſtbare Geſchmeide getragen hatte,
verſtuͤmmelt, die Prachtgewaͤnder, die goldenen Schaalen und an-
dere Koſtbarkeiten waren verſchwunden. Alexander gab dem Ari-
ſtobul Befehl, die Truͤmmern des Leichnams wieder in den Sarg
zu legen, und mit dem Purpur zu bedecken, die Bahre wieder
aufzurichten, Alles ſo, wie es vor dem Einbruch geweſen, herzuſtel-
len, die Steinthuͤr der Kuppe wieder einzuſetzen und mit dem
koͤniglichen Siegel zu verſchließen. Er ſelbſt unterſuchte dann, wer
[490] den Frevel begangen; die Magier, welche die Grabeswache ge-
habt, wurden ergriffen und auf die Folter geſpannt, um die Thaͤ-
ter zu nennen, doch wußten ſie nichts; ſie mußten entlaſſen wer-
den; auch die weiteren Nachforſchungen ergaben keine ſichere
Spur; es war Niemand da, den Frevel zu buͤßen, und auf dem
Satrapen laſtete die Schuld der Fahrlaͤſſigkeit, daß dieſes in ſei-
nem Lande an dem Grabe ſeines großen Ahnherrn hatte geſchehen
koͤnnen 23). Bald aber ſollten ſchwerere Vergehen des Satrapen
zu Tage kommen; Alexander war von Paſargadaͤ gen Perſepolis
gezogen, der Reſidenz des Orxines; die lauteſten Klagen wurden
hier von Seiten der Einwohner uͤber ihn gefuͤhrt: er habe ſich
die ſchnoͤdeſten Gewaltthaͤtigkeiten erlaubt, um ſeiner Habgier zu
froͤhnen, er habe viele Perſer ohne Anlaß und ohne Urtheil hin-
gerichtet, er habe die Heiligthuͤmer gepluͤndert, er habe die dorti-
gen Koͤnigsgraͤber erbrochen und den koͤniglichen Leichen ihren
Schmuck geraubt. Alexander fand bei naͤherer Unterſuchung die
Klagen begruͤndet, und der Satrap ward den Haͤnden der Hen-
kersknechte uͤbergeben und aufgeknuͤpft 24). Der Leibwaͤchter Peu-
ceſtes, des Makartatus Sohn, durch ſeine treue Anhaͤnglichkeit
und durch die Erinnerungen des Mallierlandes dem Koͤnige werth,
[491] erhielt die ſchoͤne Satrapie; er ſchien vor Allen geſchickt zu ſein,
dieſes Hauptland des Perſerthums zu verwalten, da er ſich ganz
in die Aſiatiſchen Lebensweiſe hinein gefunden hatte, Mediſche
Kleidung trug, der Perſerſprache maͤchtig war, und ſich gern und
bequem im Perſiſchen Ceremoniel bewegte, Dinge, welche die Per-
ſer mit Entzuͤcken an ihrem neuen Gebieter ſahen 25).


Um dieſelbe Zeit traf der Satrap Atropates von Medien bei
dem Koͤnige ein; er brachte den Medier Baryaxes, der es gewagt
hatte, die Tiara anzunehmen und ſich Koͤnig der Meder und
Perſer zu nennen; er mochte darauf gerechnet haben, daß die Be-
voͤlkerung der Satrapie, durch die Frevel der Macedoniſchen Be-
ſatzungen empoͤrt, zum Abfall bereit ſein wuͤrden; jetzt wurde er
mit den Theilnehmern ſeiner Verſchwoͤrung den Henkersknechten
uͤbergeben 26). — Und weiter zog der Koͤnig durch die Perſiſchen
Paͤſſe gen Suſa hinab, und die Scenen von Karamanien und
Perſien erneuten ſich; denn die Voͤlker ſcheuten ſich nicht mehr,
laute Klagen uͤber ihre Bedruͤcker zu erheben, ſie wußten, daß
Alexander ſich ihrer annehme. So trat hier der Satrap Oxa-
thres von Paraͤtacene, des Abulites Sohn, vor Alexander, mit
ihm ſeine Anklaͤger; der ſtolze Barbar vermochte ſich nicht zu
rechtfertigen und Alexander durchbohrte ihn mit eigener Hand.
Des Gerichteten Vater, der Satrap Abulites von Suſa, eilte
dem zuͤrnenden Koͤnige entgegen; er hatte ſich vieles vorzuwerfen,
ſelbſt fuͤr die Verpflegung des Heeres hatte er nicht geſorgt, mit
reichen Geſchenken hoffte er ſich zu retten, er brachte dem Koͤnige
dreitauſend Talente Gold dar; Alexander befahl, das Metall den
Pferden vorzuwerfen, und fragte den Satrapen, ob das die Thiere
ſaͤttige; er ließ ihn ins Gefaͤngniß werfen und ſpaͤter, als ſeine
weiteren Ungerechtigkeiten erforſcht waren, hinrichten. Auch der
kaum in dem Prozeß der Mediſchen Erpreſſungen freigeſprochene
Herakon, der fruͤher in Suſa geſtanden hatte, wurde der Theil-
[492] nahme an jenen Erpreſſungen des Satrapen uͤberfuͤhrt und der
gleichen Strafe uͤbergeben 27).


So folgten Schlag auf Schlag die ſtrengſten Strafen, und
mit Recht mochte denen, die ſich nicht ſchuldrein wußten, vor ih-
rer eigenen Zukunft bange ſein. Unter dieſen war Harpalus, des
Machatas Sohn, Bruder des kuͤrzlich verſtorbenen Satrapen Phi-
lipp vom dieſſeitigen Indien. Durch fruͤhe Verbindungen und we-
ſentliche Dienſtleiſtungen dem Koͤnige werth, hatte er von Anfang
her die groͤßten Beweiſe von deſſen Gunſt erhalten, und war
beim Beginn des Perſiſchen Krieges, da ſeine koͤrperliche Beſchaf-
fenheit ihn zum Kriegsdienſte untauglich machte, zum Schatzmei-
ſter ernannt worden; aber ſchon damals hatte er ſich arger Unge-
ſetzlichkeiten ſchuldig gemacht, war kurz vor der Schlacht von Iſ-
ſus in Gemeinſchaft mit einem gewiſſen Tauriskon, der den Plan
angegeben hatte, mit den koͤniglichen Kaſſen davon gegangen, um
ſich zu dem Epirotenkoͤnig Alexander, welcher damals in Italien
kaͤmpfte, zu begeben; doch da ſich inzwiſchen deſſen Unterneh-
mung einem traurigen Ende zuneigte, hatte Harpalus ſeinen Ent-
ſchluß geaͤndert, und ſich in Megara niedergelaſſen, um dort ſeinem
Vergnuͤgen zu leben. Dennoch glaubte Alexander, der Zeiten ein-
gedenk, wo Harpalus mit Nearch, Ptolemaͤus und wenigen ande-
ren ſeine Sache gegen Koͤnig Philipp vertreten und darum
Schande und Verbannung gelitten hatte, dem ausſchweifenden
Manne verzeihen zu muͤſſen; mit dem Verſprechen, alles Geſche-
hene vergeſſen und fuͤr ungeſchehen anſehen zu wollen, hatte er
ihn bei ſeiner Ruͤckkehr aus Aegypten im Fruͤhjahr 331 zuruͤck be-
rufen und ihm wiederum das Schatzamt uͤbergeben; die ungeheue-
ren Schaͤtze von Paſargadaͤ und Perſepolis wurden in Ekbatana
niedergelegt und unter ſeine Aufſicht geſtellt, ingleichen waren,
ſo ſcheint es, die Schatzaͤmter der unteren Satrapien unter ſeinem
Bereich und ſein Einfluß herrſchte uͤber den ganzen Weſten
Aſiens 28). Indeß zog Alexander immer weiter gen Oſten, und
Harpalus, unbekuͤmmert um die Verantwortlichkeit ſeiner Stellung
[493] und von Natur zu Genuß und Verſchwendung geneigt, begann
mit den koͤniglichen Schaͤtzen auf das Zuͤgelloſeſte zu praſſen und
den ganzen Einfluß ſeiner Stellung auf Tiſch und Bett zu ver-
wenden; keine Art der Schwelgerei blieb ungekoſtet, und die ſchoͤ-
nen Aſiatinnen durften es nicht wagen, ſich dem maͤchtigen Wol-
luͤſtling zu entziehen, der ihren Genuß mit geheimen Verbrechen
zu erkaufen und ſie dann der oͤffentlichen Schande feil zu geben
liebte. Der ganzen Welt war das Leben dieſes Menſchen zum
Skandal, und der Spott der Helleniſchen Komiker wetteiferte mit
dem Unwillen ernſterer Maͤnner, ſeinen Namen der allgemeinen
Verachtung zu uͤberliefern; von dem beruͤhmten Geſchichtsſchreiber
Theopomp kam in jener Zeit ein offenes Sendſchreiben an
Alexander heraus, in welchem er den Koͤnig aufforderte, dieſem
Unweſen ein Ende zu machen: „von der wuͤſten Liederlichkeit Aſia-
tiſcher Weiber noch nicht geſaͤttigt, habe Harpalus die Pythionice,
die beruͤchtigſte Coquette Athens, die erſt bei der Saͤngerin Bak-
chis gedient habe, mit dieſer dann in das Frauenhaus der Kupp-
lerin Sinope gezogen ſei, gen Aſien kommen laſſen und ſich ih-
ren Launen auf die unwuͤrdigſte Weiſe gefuͤgt; als ſie geſtorben,
habe er mit unverſchaͤmter Verſchwendung dieſer Perſon zwei
Grabmonumente erbaut, und man ſtaune mit Recht, daß, waͤhrend
den Tapferen von Iſſus, die fuͤr den Ruhm Alexanders und die
Freiheit Griechenlands gefallen ſeien, weder von jenem noch von
irgend einem der Statthalter ein Denkmal der Erinnerung geweiht
ſei, zu Athen und zu Babylon bereits die praͤchtigſten Monumente
fuͤr eine Hure fertig da ſtaͤnden; denn dieſer Pythionice, die in
Athen lange genug jedermann fuͤr Geld zugaͤnglich geweſen, habe
Harpalus, der ſich Alexanders Freund und Beamten nenne, die
Frechheit gehabt Tempel und Altaͤre zu errichten und als Heilig-
thum der Venus Pythionice zu weihen, ohne Scheu vor der
Strafe der Goͤtter, und der Majeſtaͤt des Koͤnigs zum Hohn.
Nicht genug das; kaum ſei dieſe geſtorben, ſo habe Harpalus ſich
auch ſchon eine zweite Maitreſſe aus Athen verſchrieben, die be-
ruͤchtigte Glycera; ihr habe er den Pallaſt von Tarſus zur Reſidenz
eingerichtet, habe ihr auf Roſſus eine Statue geweiht, jenem hei-
ligen Platze, der fuͤr eine Bildſaͤule Alexanders beſtimmt ſei, habe
[494] ein Mandat erlaſſen, daß Niemand ihm einen goldenen Ehren-
kranz weihen duͤrfe, ohne zugleich der Maitreſſe, daß man vor ihr
anbeten, ſie mit dem Namen Koͤnigin begruͤßen ſolle, kurz alle
Ehre, die nur der Koͤnigin Mutter oder der Gemahlin Alexan-
ders gebuͤhren wuͤrde, vergeude der Großmeiſter vom Schatzamt
an die Attiſche Dirne 29).“ Dieſe und aͤhnliche Berichte waren
an den Koͤnig gekommen; er hatte ſie anfangs fuͤr unglaublich
oder uͤbertrieben gehalten, uͤberzeugt, daß Harpalus nicht auf ſo
wahnſinnige Weiſe die ſchon einmal verſcherzte Gnade ſeines Ge-
bieters aufs Spiel ſetzen werde 30); bald genug beſtaͤtigte Har-
palus ſelbſt alle jene Beſchuldigungen durch ſeine Flucht. Er hatte
ſich darauf verlaſſen, daß Alexander nie zuruͤckkehren werde; jetzt
ſah er das ſtrenge Gericht des Koͤnigs gegen die, welche ſich durch
denſelben Irrthum hatten verfuͤhren laſſen; er verzweifelte daran,
Verzeihung bei ſeinem Herrn zu erlangen. Deshalb raffte er alles
an Schaͤtzen, was er konnte, es war die ungeheuere Summe von
fuͤnftauſend Talenten, zuſammen, warb ſich ſech[s]tauſend Soͤldner,
zog von dieſen begleitet, mit ſeiner Glycera und dem Toͤchterchen,
das ihm Pythionice geboren hatte 31), durch Kleinaſien an das Ae-
gaͤiſche Meer hinab, und ſchiffte ſich auf dreißig Schiffen ein, um
nach Attika uͤberzuſetzen; Ehrenbuͤrger von Athen, mit den ange-
ſehenſten Maͤnnern der Stadt befreundet und durch reiche Getrei-
deſpenden bei dem Volke ſehr beliebt, zweifelte er nicht mit ſei-
[495] nen Schaͤtzen dort willkommen und vor einer Auslieferung an
Alexander ſicher zu ſein 32). —


Waͤhrend ſich ſo der letzte Schuldige unter den Großen des
Reichs der Verantwortlichkeit zu entziehen ſuchte, war Alexander
mit ſeinem Heere, es war in der Mitte des Februar 324, in Suſa
eingeruͤckt. Bald nach ihm traf auch Hephaͤſtion ein mit den
uͤbrigen Truppen, den Elephanten und der Bagage, und Nearch
fuͤhrte die Flotte, die ohne weitere Faͤhrlichkeit die Kuͤſte des Per-
ſiſchen Meeres umſchifft hatte, den Strom hinauf. Die Satra-
pen und Befehlshaber kamen den koͤniglichen Befehlen gemaͤß
mit reichem Gefolge und vielen Geſchenken, es kamen die Fuͤrſten
und Großen des Morgenlandes, vom Koͤnige geladen, mit ihren
Frauen und Toͤchtern zur Reſidenz, von allen Seiten ſtroͤmten
Fremde aus Aſien und Europa herbei, um den großen Feſtlichkei-
ten, die in Suſa vorbereitet waren, beizuwohnen.


Und allerdings galt es ein wunderbares, im Laufe der Jahr-
hunderte einziges Feſt zu begehen. Alexander glaubte jetzt das
verwirklichen zu koͤnnen, was ſeit zehn Jahren der Zweck ſeiner
Kaͤmpfe und ſeiner Einrichtungen geweſen war; er glaubte die
große Kluft, die ſonſt Aſien und Europa geſchieden, ausgefuͤllt,
den Siegerſtolz in dem Adel Macedoniens gebrochen, in den Voͤl-
kern Aſiens Vertrauen und Hingebung geweckt zu haben; es war
die Zeit gekommen, die volle Verſoͤhnung und Einigung des Abend-
und Morgenlandes, wie ſie ſtets als Zweck und Norm der neuen
Verhaͤltniſſe hingeſtellt worden, auf die ausgedehnteſte und ein-
dringlichſte Weiſe auszuſprechen und zu bethaͤtigen. Dieß war der
Sinn der großen Hochzeit von Suſa, die an demſelben Tage der
Koͤnig, ſeine Generale, unzaͤhlige vom Heere mit den Toͤchtern
Aſiens feierten.


Die Beſchreibung dieſes an Pracht und Feierlichkeit Alles
uͤbertreffenden Feſtes geben die Augenzeugen etwa in folgender
Weiſe 33): Das Beilager wurde nach Perſiſcher Sitte gehalten,
[496] das große koͤnigliche Zelt war zu dieſem Feſte eingerichtet; die
Kuppe deſſelben, mit bunten und reich geſtickten Stoffen uͤberbrei-
tet, ruhte auf funfzig vergoldeten oder verſilberten, mit koſtbaren
Geſteinen ausgelegten Saͤulen von dreißig Fuß Hoͤhe; rings um-
her hingen als Zeltvorhaͤnge koſtbare, golddurchwirkte, mit vielfachen
Schildereien durchwebte Teppiche von ſchwer vergoldeten Staͤben
herab; der Umfang des ganzen Zeltes betrug vier Stadien; das
Innere deſſelben war mit Gold, Scharlach, Himmelblau und
Purpur ausgeſchmuͤckt; in Mitten des Sales war die Tafel ge-
deckt, auf der einen Seite ſtanden die hundert Divans der
Braͤutigame, auf ſilbernen Fuͤßen ruhend, mit hochzeitlichen Tep-
pichen uͤberbreitet, nur der des Koͤnigs in der Mitte von Gold;
auf der anderen Seite der Tafel und im Saale umher die Plaͤtze
der uͤbrigen Gaͤſte die geladen waren, der Morgenlaͤndiſchen Fuͤr-
ſten, der Geſandtſchaften, der vielen Fremden am Hofe; im Hinter-
grunde des Gezeltes die zweiundneunzig Brautkammern, gleich
koſtbar und heimlich fuͤr die Brautnacht. Zu gleicher Zeit waren
durch das ganze Lager hin fuͤr alle Truppen, fuͤr die Schiffsleute,
fuͤr den Troß des Heeres und das Gefolge der Gaͤſte, fuͤr alle
Fremden im Lager reiche Tafeln gedeckt. Dann gaben die Heer-
trompeten vom koͤniglichen Zelte her das Zeichen zum Beginn des
Feſtes; die Gaͤſte des Koͤnigs, es waren neuntauſend, ſetzten ſich
zum Mahle. Und wieder verkuͤndete das Schmettern der Trompe-
ten durch das Lager, daß der Koͤnig jetzt den Goͤttern ſpende; mit
ihm ſpendeten ſeine Gaͤſte, jeder aus goldener Schaale, dem Hoch-
zeitsgeſchenk des Koͤnigs. Als nun die Miſchkruͤge mit Wein ge-
bracht waren, und die Becher kreiſeten, trat der Zug der verſchlei-
erten Braͤute herein, und die Fuͤrſtentoͤchter gingen jede zu ihrem
Braͤutigam, es ging Statira, des Großkoͤnigs Tochter, zu Alexan-
der, es ging ihre juͤngere Schweſter Drypetis zu Hephaͤſtion, dem
Liebling des Koͤnigs, es ging Oxathres Tochter Amaſtrine, des
Groß-
33)
[497] Großkoͤnigs Nichte zu Kraterus, und des Mediſchen Fuͤrſten Atro-
pates Tochter zu Perdikkas, des greiſen Artabazus Tochter Arta-
kama zum Lagiden Ptolemaͤus dem Leibwaͤchter, und ihre Schwe-
ſter Artonis zu Eumenes, dem Geheimſchreiber des Koͤnigs, die
Tochter des Rhodiers Mentor zu Nearch, die Tochter des Spi-
tamenes von Sogdiana zu Seleukus, dem Fuͤhrer der jungen
Edelſchaaren, und ſo die anderen, jede zu ihrem Braͤutigam 34);
die Braͤutigame reichten ihnen die Rechte entgegen und zogen
ſie zu ſich auf den Teppich; dann gab der Koͤnig ſeiner Braut
den braͤutlichen Kuß, und ſeinem Beiſpiele folgten die Getreuen;
die Braͤute liebkoſend und beim Weine froh ſaßen ſie bis ſpaͤt in
der Nacht, bis ein Paar nach dem andern in die braͤutliche Kam-
mer verſchwand 35).


Fuͤnf Tage nach einander folgten Feſte auf Feſte; von den
32
[498] Geſandtſchaften, von den Staͤdten und Provinzen des Reichs, von
Bundesfreunden aus Aſien und Europa wurden dem Koͤnige un-
zaͤhlige Hochzeitsgeſchenke uͤberreicht, allein an goldenen Kraͤnzen
funfzehntauſend Talente; und er wieder theilte mit gleicher Frei-
gebigkeit aus; viele von den Braͤuten waren elternlos; Alexander
ſorgte fuͤr ſie wie ein Vater, allen gab er koͤnigliche Mitgift, allen,
die ſich mit ihm vermaͤhlt, uͤberreiche Geſchenke, allen Macedo-
niern, die ſich jetzt oder fruͤher Aſiatiſche Maͤdchen gefreit, und
mehr denn funfzehntauſend ſchrieben ihre Namen auf, gab er
Ausſteuer. Neue Gaſtmaͤhler und froͤhliche Gelage, Schauſpiele,
Feſtaufzuͤge, Ergoͤtzlichkeiten aller Art fuͤllten die naͤchſten Tage;
das Lager war voll Luſtbarkeit und froͤhlichen Getuͤmmels, hier
Rhapſoden und Harfenſpieler aus Großgriechenland und Jonien,
da Gaukler und Seiltaͤnzer aus Indien, dort Magier und Kunſt-
reuter aus den Perſiſchen Laͤndern, dann wieder Taͤnzerinnen, Floͤ-
tenblaͤſer, Schauſpielerbanden aus Attika. Denn auch dramatiſche
Spiele, es war ja die Zeit der großen Dionyſien, wurden aufge-
fuͤhrt, unter dieſen ein Satyrſpiel, Agen, angeblich von dem By-
zantiner Python verfaßt, voll heiteren Spottes uͤber die Flucht
des Harpalus, des lahmen Großmeiſters vom Schatzamte 36). Dann
[499] ward durch Heroldsruf verkuͤndet, daß der Koͤnig die Schulden
ſeines Heeres auf ſich nehme und bezahlen werde, daß deshalb
jeder die Summe, die er ſchuldig ſei, aufſchreiben und demnaͤchſt
in Empfang nehmen ſolle. Indeſſen ſchrieben ſich anfangs nur
Wenige auf, die Meiſten, namentlich die Hauptleute und hoͤheren
Offiziere, mochten fuͤrchten, daß Alexander nur in Erfahrung brin-
gen wollte, wer nicht mit ſeiner Loͤhnung auskaͤme und zu
verſchwenderiſch lebe. Als dieß der Koͤnig hoͤrte, ſchalt er
ſehr uͤber dieſes Mistrauen ſeiner Krieger: ein Koͤnig muͤſſe nicht
anders als wahr und offen gegen ſeine getreuen Unterthanen ſein,
und dieſe wieder muͤßten nicht glauben, daß der Koͤnig anders als
36)
32 *
[500] offen mit ihnen handele. Dann ließ er Tiſche an verſchiedenen
Punkten des Lagers aufſtellen und Goldſtuͤcke aufſchuͤtten, mit
dem Befehl, daß Jedem, der eine Rechnung vorzeige, der Betrag
derſelben, ohne weiter nach ſeinem Namen zu fragen, ausgezahlt
werden ſollte. Nun kamen ſie alle ohne ferneres Mistrauen und
freuten ſich nicht ſowohl, daß ſie ihrer Schulden los wuͤrden, als
daß dieſelben nicht weiter bekannt wuͤrden; denn dieſe tapferen
Maͤnner hatten mit mehr als denkbarer Sorgloſigkeit gewirthſchaf-
tet; trotz aller Beute und aller koͤniglichen Geſchenke war doch
das ganze Heer ſo tief in Schulden, daß zu ihrer Deckung nicht
weniger als zwanzigtauſend Talente gehoͤrten 37). Namentlich hat-
ten die Offiziere ungeheuer verſchwendet, und da der Koͤnig ſich
oft misbilligend uͤber ihren wahnſinnigen Aufwand geaͤußert hatte,
mochten ſie ſehr froh ſein, ohne ſein weiteres Wiſſen an den
Geldtiſch treten und ihren erſchuͤtterten Finanzen ſchnell aufhelfen
zu koͤnnen. Auch Antigenes, der Fuͤhrer der Hypaspiſten in
der Schlacht am Hydaspes, der im Jahre 340 vor Perinth ein Auge
verloren hatte und wegen ſeiner Bravour und ſeiner Habſucht
gleich bekannt war, trat damals an den Goldtiſch und ließ ſich
eine namhafte Summe auszahlen; dann wurde entdeckt, daß er
ohne alle Schulden, und die vorgezeigten Rechnungen falſch ſeien.
Alexander war uͤber dieſe ſchmutzige Geldiger ſehr erzuͤrnt, ver-
wies den Antigenes vom Hofe und nahm ihm ſein Kommando.
Der tapfere General wurde durch dieſe Beſchimpfung außer ſich
gebracht, und man konnte nicht zweifeln, daß er ſich in ſeiner
Trauer und Schwermuth ein Leides anthun werde. Das nun
jammerte den Koͤnig, er eilte dem tapferen und treuen Veteranen
zu verzeihen, rief ihn an den Hof zuruͤck, gab ihm ſein Kommando
wieder, und ließ ihm die Summe, die er in Anſpruch genom-
men 38). Zu gleicher Zeit mit jener großen Schuldentilgung ver-
[501] theilte Alexander an die durch Tapferkeit, durchkaͤmpfte Gefahr
oder treuen Dienſt um ſeine Perſon Ausgezeichneten wahrhaft
koͤnigliche Geſchenke; er kraͤnzte mit goldenen Kraͤnzen den Leib-
waͤchter Peuceſtas, den Satrapen in Perſis, der ihn in der Mallier-
ſtadt mit dem Schilde gedeckt, den Leibwaͤchter Leonnat, den Befehls-
haber im Oriterlande, der bei eben jenem gefaͤhrlichen Sturm an
ſeiner Seite gekaͤmpft, am Fluſſe Tomerus die Barbaren beſiegt
und mit gluͤcklichem Eifer die Angelegenheiten in Ora geordnet
hatte, ferner den Leibwaͤchter und Admiral Nearch, der das kuͤhne
Unternehmen einer Seefahrt vom Indus zum Euphrat ſo ruhm-
voll durchgefuͤhrt, den Oneſikrit, den Fuͤhrer des koͤniglichen Schif-
fes auf dem Indus und vom Indus gen Suſa, ingleichen den
treuen Hephaͤſtion und die uͤbrigen Leibwaͤchter, namentlich
den Pellaͤer Lyſimachus, den Ariſtonus, des Piſaͤus Sohn, den
Hipparchen Perdikkas, den Lagiden Ptolemaͤus und Pithon von
Eeordaͤa 39).


Allen dieſen großen und praͤchtigen Feſten, mit denen das
große Beilager von Suſa verherrlicht wurde, ſollte ſich noch un-
erwartet eine Feierlichkeit von ſeltener und ergreifender Art zuge-
ſellen. Aus Indien her war einer jener Buͤßer auf dem Felde
von Taxila, auf Alexanders Einladung, deſſen Macht und deſſen
Liebe zur Weisheit er bewunderte, trotz ſeines Meiſters Unwillen
und ſeiner Mitbuͤßer Spott dem Macedoniſchen Heere gefolgt;
ſein hoher Ernſt, ſeine Weisheit und Froͤmmigkeit hatte ihm die
Hochachtung des Koͤnigs und allgemeine Verehrung im Heere er-
worben, und viele edle Macedonier, namentlich der Lagide Ptole-
maͤus und Lyſimachus der Leibwaͤchter, ſuchten ſeinen belehrenden
Umgang; ſie nannten ihn Kalanus, denn mit dieſem Worte
pflegte er zu begruͤßen; ſein einheimiſcher Name ſoll Sphines ge-
weſen ſein; er war ein Greis von mehr denn ſiebzig Jahren; er
hatte nie gekrankt, es war im Perſiſchen Lande, wo er zum erſten
Male in ſeinem Leben ſich krank fuͤhlte. Da ſprach er zum Koͤ-
nige, er wolle nicht ein Leben des Siechthums fuͤhren, es ſei
38)
[502] ſchoͤner, dahin zu gehen, bevor ſein koͤrperliches Leiden ihn zwinge,
ſeine bisherige Lebensregel zu verlaſſen. Und der Koͤnig entgeg-
nete ihm, er ſaͤhe nicht ſo krank, er wuͤrde ſich um nichts hin-
opfern; aber der Indiſche Buͤßer antwortete, bei ihm daheim gelte
nichts unwuͤrdiger, als wenn die Ruhe des Geiſtes durch Krank-
heit geſtoͤrt werde, es forderen die Gebraͤuche ſeines Glaubens,
daß er den Scheiterhaufen beſteige 40), er wolle ſterben nach
der Sitte ſeines Landes. Da befahl Alexander dem Lagiden, ſei-
nem Leibwaͤchter, den Scheiterhaufen zu erbauen und den Flam-
mentod des Indiſchen Heiligen mit aller Pracht zu feiern; er
ſelbſt mochte nicht zugegen ſein, den Tod des theueren Greiſes
mit anzuſehen. Als nun der Tag gekommen war, ſo zog das
Heer fruͤhe Morgens im feſtlichen Zuge hinaus, vorauf die Reu-
terei und das Fußvolk in vollem Waffenglanze, und die Kriegs-
elephanten in ihrem Aufzuge, dann Schaaren Weihrauchtragen-
der, dann Andere, die goldene und ſilberne Schaalen trugen und
koͤnigliche Gewaͤnder, um ſie mit dem Weihrauch in die Flammen
zu werfen; dann Kalanus ſelbſt; ihm war, da er ſchon nicht
mehr zu gehen vermochte, ein Nyſaͤiſches Roß gebracht worden,
er konnte es nicht mehr beſteigen; in einer Saͤnfte ward er hin-
aus getragen. Und der Scheiterhaufen war aus koͤſtlichem Holze
errichtet, aus Myrrhen und Cypreſſen, aus Weihrauch und Ce-
dern; als der Zug an den Fuß deſſelben angelangt war, ſtieg
Kalanus aus ſeiner Saͤnfte, nahm mit einem Haͤndedruck von
jedem der Macedonier, die um ihn waren, Abſchied, und bat ſie,
ſie moͤchten zu ſeinem Gedaͤchtniß den heutigen Tag in freudiger
Feier mit ihrem Koͤnige zubringen, bald werde er ihn in Babylon
wiederſehen; dann ſchenkte er das Nyſaͤiſche Roß dem edlen Lyſi-
machus, und die Schaalen und Gewaͤnder den Umſtehendrn. Dann
ward ringsum feierliche Stille, und der fromme Greis be-
gann ſich zu weihen; er beſprengte ſich wie ein Opferthier, er
ſchnitt eine Locke von ſeinem greiſen Haupte und weihete ſie der
Gottheit, er kraͤnzte ſich nach heimathlicher Weiſe und ſtieg, indem
er Indiſche Hymnen ſang, den Scheiterhaufen hinan; dann ſah
[503] er noch einmal auf das Heer hinab, wandte ſein Angeſicht zur
Sonne, und ſank auf die Kniee, um anzubeten. Dies war
das Zeichen; es ward Feuer in den Scheiterhaufen geworfen, es
ſchmetterten die Heertrompeten, es rief das Heer den Schlachtruf
dazu, und die Elephanten erhoben ihre dumpftoͤnenden Stimmen,
als ob ſie den ſterbenden Buͤßer ihrer Heimath ehren wollten.
Der aber lag anbetend auf dem Scheiterhaufen und regte ſich
nicht, bis die Flammen uͤber ihn zuſammenſchlugen und ihn den
Blicken entzogen; und viele Indier, die mit hinaus gezogen wa-
ren, ſollen ſich mit in die Flammen, die den frommen Greis ver-
zehrten, geſtuͤrzt haben 41). Dann wurden zur Ehre des Todten
kuͤnſtleriſche und gymnaſtiſche Wettkaͤmpfe begonnen und ein feſtli-
ches Gelag bei dem Koͤnige gefeiert, dem ſich ein Wetttrinken
nach Indiſchem Brauch, wie es Kalanus ſterbend gewuͤnſcht hatte,
anſchloß. Fuͤr den Sieger ward ein goldener Kranz von einem
Talent und kleinere Preiſe fuͤr die naͤchſtbeſten Trinker beſtimmt;
es ſiegte Promachus, er ſtarb aber ſchon am vierten Tage darnach
mit mehreren Anderen an den Folgen des zu heftigen Trin-
kens 42).


[504]

Waͤhrend auf dieſe Weiſe Feſtlichkeiten der mannigfachſten
Art in dem Lager von Suſa einander folgten und die Truppen
beſchaͤftigten, hatte Alexander eine Veraͤnderung des Heerweſens
vorbereitet, die jetzt ins Leben treten und noch entſcheidender als
die eben gefeierten Vermaͤhlungen eine vollkommene Anerkenntniß
der morgenlaͤndiſchen Voͤlker und deren Gleichſtellung mit den
Macedoniern bezeichnen ſollte. Allerdings waren ſchon ſeit meh-
reren Jahren Aſiatiſche Truppen mit zum Heere gezogen worden,
aber einer Seits hatten ſie in den Waffen und in der Weiſe ihres
Landes gekaͤmpft, anderer Seits waren ſie ſtets nur als unterge-
ordnete Huͤlfscorps angeſehen und von dem Stolz der Macedoni-
ſchen Krieger trotz ihrer trefflichen Mitwirkung in den Indiſchen
Feldzuͤgen als Beſiegte und Barbaren verachtet worden; je weiter
ſich in allen uͤbrigen Verhaͤltniſſen die Annaͤherung der verſchiede-
nen Nationalitaͤten entwickelte, deſto nothwendiger wurde es, auch
in dem Heerweſen die Unterſchiede von Siegern und Beſiegten
zu vertilgen. Das wirkſamſte Mittel war natuͤrlich, Aſiaten in
die Reihen der Macedoniſchen Truppen mit gleichen Waffen und
gleicher militairiſcher Ehre aufzunehmen, und der Koͤnig hatte
ſchon vor Jahren die dazu noͤthigen Vorbereitungen getroffen,
namentlich in allen Satrapien des Reichs junge Leute ausheben
und in Macedoniſcher Weiſe bewaffnen und einuͤben laſſen. Auch
fuͤr die Helleniſirung der Voͤlker konnte durch nichts ſchneller und
ſicherer gewirkt werden, als wenn die Jugend an Helleniſche Be-
waffnung und Heerdienſte gewoͤhnt, in das Reichsheer aufgenom-
men und in den militairiſchen Geiſt, der zunaͤchſt noch die Stelle
einer durchherrſchenden Nationalitaͤt in dem ungeheueren Reiche
vertreten mußte, unmittelbar hineingezogen wurden. Viele Ruͤck-
ſichten vereinigten ſich, ihre Einberufung gerade jetzt nothwendig
zu machen. Vor Allem war die Zahl ſaͤmmtlicher im aktiven
42)
[505] Heere befindlichen Macedonier durch die Indiſchen Feldzuͤge und
den Zug durch Gedroſien bis auf fuͤnfundzwanzigtauſend zuſam-
men geſchmolzen; von dieſen war faſt die Haͤlfte fuͤr unfaͤhig zum
weiteren Heerdienſte anzuſehen, und in Kurzem zu entlaſſen oder
anzuſiedeln; aus Macedonien aber konnten kaum bedeutende Re-
krutenſendungen erwartet werden, der Mangel an jungen Leuten
begann dort ſchon fuͤhlbar zu werden. Anderer Seits fuͤhlte Alex-
ander ſehr wohl, daß die Macedoniſchen Veteranen, nach den
furchtbaren Bedraͤngniſſen Indiens und Gedroſiens zu neuen
Wagniſſen ſtumpf ſein und nach Ruhe und endlichem Genuß des
Erkaͤmpften verlangen mußten, daß es zu den großen Entwuͤrfen,
die ſeinen unermuͤdlichen Geiſt beſchaͤftigten, des Enthuſiasmus,
des Wetteifers, der phyſiſchen und moraliſchen Kraft junger Trup-
pen beduͤrfe, daß ferner der Stolz der Macedoniſchen Kerntruppen
leicht eine Feſſel fuͤr ihn ſelbſt werden konnte, zumal da ſie ſich
nach der alten kameradſchaftlichen Vertraulichkeit zu ihrem Koͤnige
eine Freiheit in Urtheilen und Aeußerungen erlaubten, wie ſie zu
den ganz veraͤnderten Verhaͤltniſſen nicht mehr paſſend erſchien;
ja er mußte fuͤrchten, daß ſie endlich bei irgend welcher Gelegen-
heit die Scenen vom Hyphaſis zu erneuen verſuchen koͤnnten, da
ihr Hochmuth nur zu geneigt war, die damalige Nachgiebigkeit
des Koͤnigs nicht dem allgemeinen Ungluͤck, ſonden ihrem eigenen
Einfluß zuzuſchreiben. Ueberhaupt war ſeit jener Zeit eine gegen-
ſeitige Entfremdung zwiſchen dem Koͤnige und den Macedoniern
im Heere immer fuͤhlbarer geworden, und die nachfolgenden Er-
eigniſſe hatten nur dazu beigetragen, dieſelbe noch augenfaͤlliger zu
machen; ſelbſt die Art, wie das Heer des Koͤnigs Anerbieten einer
allgemeinen Schuldentilgung angenommen hatte, zeigte deutlich,
wie tief das Mistrauen bereits gedrungen war. Alexander mochte
gehofft haben, durch jene wahrhaft koͤnigliche Gnade, durch die
ausgedehnteſte Freigiebigkeit, mit der er Geſchenke und Ehren an
die Macedonier vertheilte, durch die Hochzeitfeier, die er mit Tau-
ſenden ſeiner Veteranen zugleich feierte, der Stimmung im Heere
Herr zu werden; es war ihm nicht gelungen, er mußte einer ge-
faͤhrlichen Kriſis entgegenſehen, die durch jeden weiteren Schritt
zur Helleniſtiſchen Geſtaltung des Reiches nur ſchneller herbeige-
fuͤhrt wurde; er mußte doppelt eilen, ſich mit einer militairiſchen
[506] Macht zu umgeben, an deren Spitze er im Nothfall ſeinen alten
Phalangen entgegen zu treten vermochte.


Die Satrapen und Befehlshaber der verſchiedenen, beſonders
weſtlichen Landſchaften und Waffenplaͤtze, welche nach Suſa ka-
men, hatten nach den Befehlen des Koͤnigs jene junge Mann-
ſchaften aus ihren Diſtrikten mitgebracht 43); es waren im Gan-
zen dreißigtauſend Mann, in der vollſten Jugendfriſche, alle in
demſelben Alter, in voller Macedoniſcher Bewaffnung, und in
allen Uebungen des Macedoniſchen Heerweſens vollkommen ge-
wandt; ſie fuͤhrten ihre erſten Manoͤver vor dem Koͤnige mit
ausgezeichneter Gewandtheit und Sicherheit aus, und Alexander
gab ihnen ſeine volle Zufriedenheit zu erkennen. Zugleich mit ih-
rer Aufnahme in das Heer 44) wurden aus den Turaniſchen und
Arianiſchen, den Parthiſchen und Iraniſchen Reuterſchaaren, die
durch Geburt, Schoͤnheit oder andere Vorzuͤge Ausgezeichneten aus-
gewaͤhlt und unter die Ritterſchaft der Getreuen vertheilt, zu der
uͤberdieß eine fuͤnfte Hipparchie hinzugefuͤgt wurde, welche wenig-
[507] ſtens zum großen Theil aus Aſiaten beſtand. Endlich nahm Alex-
ander mehrere Aſiatiſche Fuͤrſten in ſein unmittelbares Geleit auf,
und gab ihnen ſtatt des Perſiſchen Wurfſpießes den Macedoni-
ſchen Speer; es waren namentlich Artabelus und Hydarnes, des
verſtorbenen Satrapen Mazaͤus Soͤhne, Kophen des Artabazus
Sohn, Siſines und Phradasmanes, des Satrapen Phrataphernes
von Parthien Soͤhne, Hiſtanes, des Oxyartes von Baktra Sohn,
die Bruͤder Artobares und Mithrodaͤus und endlich der Baktri-
ſche Fuͤrſt Hyſtaspes, der die Fuͤhrung der Schaar erhielt 45). —
Alles das erzuͤrnte die Macedoniſchen Truppen auf das Heftigſte;
Alexander, ſo hieß es, werde jetzt ganz zum Barbaren, er verachte
Macedonien um des Morgenlandes willen; ſchon damals, als er
ſich in Mediſchen Kleidern zu zeigen begonnen, haͤtten wuͤrdige Maͤn-
ner alles Ungluͤck geahndet, das aus jenem Anfang entſpringen
wuͤrde; jetzt erfuͤlle ſich das alles, jetzt ſeien dem Koͤnige diejeni-
gen die Liebſten, welche die Sprache und Sitte der Heimath ver-
lernten, und Peuceſtas werde darum mit Ehren und Geſchenken
vom Koͤnige uͤberhaͤuft, weil er den Erinnerungen der Heimath
am frechſten Hohn ſpraͤche; was helfe es, daß Alexander mit den
Macedoniern gemeinſchaftlich Hochzeit halte, es ſeien ja Aſiatiſche
Weiber und dieſe gar nach Perſiſcher Sitte angetraut; und gar
jetzt die Neulinge in Macedoniſchen Waffen, dieſe Barbaren in
gleicher Ehre mit den Veteranen Philipps, es ſei offenbar, daß
Alexander der Macedonier muͤde ſei, daß er alle Anſtalten treffe,
ihrer nicht mehr zu beduͤrfen, daß er die naͤchſte Gelegenheit be-
nutzen werde, ſie ganz bei Seite zu ſchaffen. So die alten Trup-
pen; es bedurfte nur eines Anſtoßes, um dieſe Stimmung zum
Ausbruch zu bringen, und bald genug ſollte ſich derſelbe finden.


Alexander hatte beſchloſſen mit ſeiner Heeresmacht den Ti-
gris aufwaͤrts zu der Stadt Opis, wo ſich die große Straße nach
[508] Medien und dem Abendlande ſcheidet, zu ziehen; dieſe Lage der
Stadt ließ ohngefaͤhr ſchon den Zweck des Marſches errathen; zu
gleicher Zeit lag es ihm am Herzen, ſich uͤber die Natur der Eu-
phrat- und Tigrismuͤndungen, uͤber die Schiffbarkeit dieſer Stroͤme
und uͤber den Zuſtand der Waſſerbauten, namentlich im Tigris,
von denen das Wohl und Wehe der tiefliegenden Ufergegenden
abhaͤngt, genau zu unterrichten. Deshalb uͤbergab er die Fuͤhrung
des Heeres an Hephaͤſtion mit dem Befehl, er ſolle auf der ge-
woͤhnlichen Straße an den Tigris hinziehen. Er ſelbſt beſtieg
mit ſeinen Hypaspiſten, mit dem Agema und einer nicht bedeu-
tenden Schaar der Ritterſchaft die Schiffe Nearchs, welche be-
reits den Eulaͤus herauf und bis unter die Mauern von Suſa
gekommen waren. Er fuhr mit dieſen, es mochte im April ſein,
den Strom von Suſa hinab. Als ſich die Flotte der Muͤndung
nahete, wurden die meiſten Schiffe, da ſie durch die Fahrt von
Indien her ſehr mitgenommen waren, hier zuruͤck gelaſſen, die
ſchnellſten Segler waͤhlte der Koͤnig aus, um mit dieſen in den
Perſiſchen Meerbuſen hinab zu ſegeln, waͤhrend die anderen
Schiffe durch den Kanal, welcher den Eulaͤus und Tigris nicht
weit oberhalb ihrer Muͤndung verbindet, in den großen
Strom gehen ſollten 46). Er ſelbſt ſchiffte nun den Eulaͤus hin-
ab in den Perſiſchen Meerbuſen, fuhr dann an der Kuͤſte und
den Muͤndungen der verſchiedenen Kanaͤle entlang bis zur Tigris-
muͤndung, und nachdem er ſich uͤber Alles genau unterrichtet und
namentlich die noͤthigen Anweiſungen zur Gruͤndung einer Stadt
Alexandria, zwiſchen dem Tigris und Eulaͤus hart am Strande
[509] gegeben hatte 46b), ſteuerte er in den Tigris hinein und den Fluß
ſtromauf; bald traf er die uͤbrigen Schiffe und nach einiger Fahrt
das Landheer unter Hephaͤſtion, das an den Ufern des Stromes
lagerte. Bei der weiteren Fahrt ſtieß die Flotte mehr als einmal
auf maͤchtige Flußdaͤmme, welche von den Perſern errichtet wor-
den waren, angeblich um jeden feindlichen Einfall vom Meere
her unmoͤglich zu machen; Alexander ließ, nicht bloß weil er An-
griffe von der See her nicht weiter fuͤrchtete, ſondern beſonders,
um den Strom fuͤr Handel und Schifffahrt zu oͤffnen, dieſe
Daͤmme, wo er ſie fand, einreißen; zu gleicher Zeit traf er die
noͤthigen Einrichtungen, um die Kanaͤle, die theils verſtopft wa-
ren, theils ihre Deiche durchbrochen hatten, theils ganz verſandet
waren, wieder zu reinigen und mit den noͤthigen Schleuſen und
Deichen zu verſehen 47).


Es mochte im Monat Juli ſein, als Heer und Flotte in
Opis anlangten 48); man lagerte in der Umgegend der reichen
[510] Stadt; die Misſtimmung der Macedoniſchen Truppen hatte ſich
ſeit dem Aufbruche aus Suſa keinesweges vermindert, die laͤſtigen
Maͤrſche, die ihnen uͤberfluͤſſig, die Arbeiten an den Flußdaͤmmen,
die ihnen des Soldaten unwuͤrdig erſchienen, waren Stoff zu
neuem Mißvergnuͤgen, und die uͤbertriebenſten und verkehrteſten
Geruͤchte von dem, was der Koͤnig mit ihnen beabſichtigte, fanden
Glauben und ſteigerten ihr beſorgliches Mistrauen bis zur hoͤchſten
Spannung. Da wurden ſie zur Verſammlung berufen; auf der
Ebene vor Opis verſammelte ſich das Heer; der Koͤnig beſtieg
die Tribuͤne: „er koͤnne den Macedoniern Erfreuliches verkuͤnden;
viele unter ihnen, durch vieljaͤhrige Dienſte, durch Wunden und
Strapazen erſchoͤpft, duͤrften mit Recht Anſpruch darauf machen,
die Waffen, die ſie ſo ruhmvoll gefuͤhrt, mit einer bequemen Ruhe
zu vertauſchen; er wolle ſie nicht, wie fruͤhere Invaliden, in die
neuen Staͤdte anſiedeln, er wiſſe, daß ſie gern die Heimath wie-
derſaͤhen, er wolle die fuͤr den weiteren Dienſt Untauglichen eh-
renvoll heimſenden; wer von dieſen Veteranen bei ihm bleiben
wolle, dem werde er dieſe Hingebung ſo zu vergelten wiſſen, daß
ſie beneidenswerther als die Heimgekehrten erſcheinen, und in der
Jugend der Heimath das Verlangen nach gleichen Gefahren und
gleichem Ruhm verdoppeln ſollten; da jetzt Aſien unterworfen und
beruhigt ſei, ſo koͤnnten moͤglichſt Viele au der Entlaſſung Theil
nehmen, es ſeien zum Heerdienſt nur dreizehntauſend Macedonier
vom Fußvolk und zweitauſend Reuter erforderlich, ſo daß die Zahl
der zur Heimkehr beſtimmten ſich auf zehntauſend Mann belaufe.“
Hier unterbrach den Koͤnig ein wildes und verworrenes Geſchrei:
„er wolle der Veteranen los ſein, er wolle nur ein Barbarenheer;
48)
[511] darum die dreißigtauſend Epigonen, und die Barbaren in den
Hipparchien; es ſei Beſchimpfung, es ſei Entehrung fuͤr ſie; nach-
dem er ſie abgenutzt, danke er ſie jetzt mit Verachtung ab, werfe
er ſie alt und entkraͤftet ihrem Vaterlande und ihren Aeltern zu,
von denen er ſie ſehr anders erhalten.“ Immer wilder ward der
Tumult; „er ſolle ſie Alle entlaſſen; mit ſeinem Gott Vater moͤge
er fuͤrder ins Feld ziehen, mit ſeinen Puppen, den Aſiatiſchen Buͤb-
chen, moͤge er die Welt erobern!“ So tobte die Verſammlung
der bewaffneten Veteranen in offenbarem Aufruhr durcheinander,
es war die hoͤchſte Gefahr. Im heftigſten Zorn ſtuͤrzte Alexander
von der Buͤhne herab und unbewaffnet, wie er war, unter die
laͤrmende Menge, ihm nach ſeine Generale; mit maͤchtiger Fauſt
packte er die naͤchſten Raͤdelsfuͤhrer und ſchleuderte ſie ſeinen Leib-
waͤchtern zu, er zeigte dort- und dahin, die anderen Schuldigen zu
ergreifen. Dreizehn wurden ergriffen; „zum Tode“ ſchrie Alex-
ander. Ploͤtzlich war die tiefſte Stille, es zitterten die Veteranen.
Und der Koͤnig ſtand wieder auf der Tribuͤne, um ihn her ſeine
Leibwaͤchter, ſeine Generale und die Schaaren der treuen Hypas-
piſten; er ſah hinab auf die Menge und ſprach zu ihnen: „Nicht
um euren Abzug zu hemmen, werde ich noch einmal zu euch ſpre-
chen; ihr koͤnnt gehen, wohin ihr wollt, meinethalben! nur euch
zeigen will ich, was ihr durch mich geworden. Mein Vater Phi-
lipp hat Großes an euch gethan; da ihr ſonſt arm und ohne feſte
Wohnſitze mit euren aͤrmlichen Heerden in den Gebirgen umher
irrtet, ſtets den Ueberfaͤllen der Thracier, Illyrier, Triballer aus-
geſetzt, hat mein Vater euch angeſiedelt, euch ſtatt des Felles das
Kriegskleid gegeben, euch uͤber die Barbaren in der Nachbarſchaft
zu Herrn gemacht, eurem Fleiße die Bergwerke des Pangaͤus, eu-
rem Handel das Meer geoͤffnet, euch Theſſalien, Theben, Athen,
den Peloponnes unterworfen, die unumſchraͤnkte Hegemonie aller
Hellenen zu einem Perſerkriege erlangt; das hat Philipp voll-
bracht, Großes an ſich, im Verhaͤltniß zu dem ſpaͤter Vollbrachten
Geringes. Von meinem Vater her fand ich weniges Gold und
Silber an Geraͤthen im Schatze, nicht mehr denn ſechzig Talente,
an Schuld fuͤnfhundert Talente, ich ſelbſt mußte achthundert Ta-
lente Schuld hinzufuͤgen, um den Feldzug zu beginnen; da oͤffnete
ich euch, obſchon die Perſer das Meer beherrſchten, den Helles-
[512] pont, ich beſiegte die Satrapen des Großkoͤnigs am Granikus;
ich unterwarf die reichen Satrapien Klein-Aſiens und ließ euch
die Fruͤchte des Sieges genießen, euch kamen die Reichthuͤmer
Aegyptens und Cyrenes zu Gute, euer ward Syrien und Baby-
lon, euer Baktra, euer die Schaͤtze Perſiens und die Kleinodien
Indiens und das Weltmeer, aus eurer Mitte ſind die Satrapen,
die Befehlshaber, die Generale. Was habe ich ſelbſt von alle
den Kaͤmpfen, außer den Purpur und das Diadem? nichts habe
ich fuͤr mich erworben, und es iſt Niemand, der meine Schaͤtze
zeigen koͤnnte, wenn er nicht euer Habe und was fuͤr euch be-
wahrt wird, zeigt; und warum auch ſollte ich mir Schaͤtze haͤufen,
da ich eſſe, wie ihr eſſet, und ſchlafe, wie ihr ſchlaft; ja mancher
von euch lebt koͤſtlicher denn ich, und manche Nacht muß ich
durchwachen, damit ihr ruhig ſchlafen koͤnnt. Oder bin ich, wenn
ihr Muͤhe und Gefahr duldetet, ohne Kummer und Sorge gewe-
ſen? wer kann ſagen, daß er mehr um mich, als ich um ihn ge-
duldet? Wohl, wer von euch Wunden hat, der zeige ſie und ich
will die meinen zeigen; kein Glied an meinem Koͤrper iſt ohne
Wunde und keine Art von Geſchoß und Waffe, deren Narbe ich
nicht an mir trage; von Schwert und Dolch, von Bogen und
Katapultenpfeil, von Steinwurf und Keulenſchlag bin ich verwun-
det worden, da ich fuͤr euch und euren Ruhm und eure Bereiche-
rung kaͤmpfte, und euch ſiegend uͤber Laͤnder und Meere, uͤber Ge-
birge, Stroͤme und Wuͤſteneien fuͤhrte. Die gleiche Ehe mit
euch habe ich geſchloſſen, und eure Kinder werden meinen Kindern
verwandt ſein; und wer von euch verſchuldet war, unbekuͤmmert,
wie es bei ſo reichem Solde, bei ſo reicher Beute moͤglich gewe-
ſen, habe ich ſeine Schuld getilgt; die Meiſten von euch haben
goldene Kraͤnze empfangen fuͤr ihre Tapferkeit, und meiner Ach-
tung fuͤr ſie zum ewigen Gedaͤchtniß. Und wer gefallen iſt im
Kampfe, deſſen Tod war ruͤhmlich und deſſen Begraͤbniß ehrenvoll;
von vielen derſelben ſtehen eherne Statuen daheim und ihre Ael-
tern ſind hochgeehrt, frei von Abgaben und oͤffentlichen Laſten.
Endlich iſt Keiner von euch unter meiner Fuͤhrung fliehend gefal-
len. Und jetzt hatte ich die Kampfesmuͤden unter euch, zur Be-
wunderung und zum Stolz unſerer Heimath, zu entlaſſen im Sinn;
ihr
[513] ihr aber wollt alle hinweg ziehen; ſo zieht alle hin! und wenn ihr
in die Heimath kommt, ſo ſagt, daß ihr euren Koͤnig Alexander,
der die Perſer, die Meder, die Baktrier und Saker beſiegt, der
die Uxier und Arachoſier und Drangianer bewaͤltigt, der die Par-
thier, Chorasmier und Hyrkanier laͤngs des Kaspiſchen Meeres
gewonnen, der den Kaukaſus jenſeits der Kaspiſchen Paͤſſe uͤber-
ſtiegen, der den Oxus und Tanais uͤberſchritten und den Indus,
wie nur Dionyſos vor ihm, und den Hydaspes, den Aceſines, den
Hyraotis und, haͤttet ihr ihn nicht gehindert, auch den Hyphaſis,
der vom Indus herab in den Ocean fuhr, der durch die Wuͤſte
Gedroſiens zog, die Niemand vor ihm mit einem Heere durchzo-
gen, deſſen Flotte vom Indus gen Perſien durch den Ocean kam,
daß ihr ihn, euren Koͤnig Alexander, verlaſſen, und ihn zu ſchuͤtzen
den beſiegten Barbaren uͤbergeben habt; das zu verkuͤnden wird
euch gewiß ruͤhmlich vor den Menſchen und fromm vor den Goͤt-
tern ſein; ziehet hin!“ 49) Nach dieſen Worten ſtieg er heftigen
Schrittes von der Tribuͤne herab und eilte nach der Stadt zuruͤck.
Die Macedonier aber ſtanden noch und ſchwiegen, Niemand wagte
dem Koͤnige zu folgen, außer ſeinen Leibwaͤchtern und ſeinen Getreuen.
Allmaͤhlig begann ſich das Staunen und das Schweigen in der
Verſammlung zu loͤſen; man hatte erhalten, was man gefordert;
das Heer war entlaſſen, nicht mehr ein Heer; man fragte: was
nun? was weiter? man war ohne Rath und Willen, die Einen
riefen zu bleiben, wieder Andere ſchrieen zum Aufbruch; ſo wuchs
der Tumult und das wuͤſte Geſchrei, Keiner befahl, Keiner ge-
horchte, keine Schaar hielt ſich beiſammen, in Kurzem war das
Heer, das die Welt erobert, ein verwilderter Haufen ohne Willen
und ohne Ehre.


Alexander hatte ſich indeſſen in das Koͤnigsſchloß von Opis
zuruͤckgezogen; in der heftigſten Aufregung, wie er war, vergaß er
die Sorge fuͤr ſeinen Koͤrper, er wollte Niemand ſehen, Niemand
33
[514] ſprechen, die Getreuen wachten vor ſeinem Schloß, ſie vollſtreckten
ſeine Befehle, die Raͤdelsfuͤhrer des Aufruhrs im Tigris zu er-
traͤnken 50). So den erſten, ſo den zweiten Tag. Indeß hatte
in dem Lager der Macedonier die Verwirrung einen gefaͤhrlichen
Grad erreicht; ſchnell und furchtbar zeigten ſich die Folgen der
Meuterei und des Ungluͤcks, das ſinnlos Geforderte im Uebermaaß
erreicht zu haben; ihrem Schickſale und ihrer Schande uͤberlaſſen,
ohnmaͤchtig und haltungslos, da ihnen nicht widerſtanden worden,
ohne Entſchluß zu wollen, ohne Kraft zu handeln, ohne Recht
und Hoffnung, was konnten ſie beginnen, wenn ſie nicht Hunger
oder Verzweiflung zur offenbaren Gewalt trieb 51). — Alexan-
der mußte ſich vor einem Aeußerſten ſchuͤtzen; zugleich wollte er
einen letzten und freilich gewagteſten Verſuch machen, die Mace-
donier zur Reue zu bringen und vollkommen zu demuͤthigen; zu
dem Ende beſchloß er, ſich ganz den Aſiatiſchen Truppen anzuver-
trauen, ſie nach dem Gebrauch des Macedoniſchen Heeres zu ord-
nen, ſie mit allen Ehren, die einſt die Macedonier gehabt hatten,
auszuzeichnen; er durfte hoffen, daß dieſe Maaßregel auf die Ma-
cedonier den tiefſten Eindruck hervorbringen muͤßte, und daß, wenn
ſie ſo das letzte Band zwiſchen ſich und dem Koͤnige zerriſſen ſaͤ-
hen, ſie entweder reuig um Vergebung flehen, oder bis zur Wuth
empoͤrt zu den Waffen greifen wuͤrden; er war gewiß, daß er
dann an der Spitze ſeiner kampfbegierigen Epigonen uͤber den
fuͤhrerloſen Haufen den Sieg davon tragen wuͤrde; die Ergeben-
[515] heit der Aſiaten war ſo unbegrenzt, daß er ſich ihnen ganz anver-
trauen konnte. Deshalb berief er am dritten Tage die Perſer
in das Koͤnigsſchloß, eroͤffnete ihnen ſeinen Willen, waͤhlte aus
ihnen die Hauptleute und Anfuͤhrer im neuen Heere, nannte viele
von ihnen mit dem Ehrennamen koͤniglicher Verwandten und gab
ihnen nach morgenlaͤndiſcher Weiſe das Vorrecht des Kuſſes;
dann wurden die barbariſchen Truppen nach Macedoniſcher Weiſe
in Phalangen und Geſchwader getheilt, es wurde ein Geleit der
Perſer, Perſiſche Getreuen vom Fußvolk, eine Perſiſche Schaar
Hypaspiſten Silberſchildner, Perſiſche Ritterſchaft der Getreuen,
ein koͤnigliches Geleit Perſiſcher Ritterſchaft ausgeruͤſtet; es wur-
den die Poſten am Schloſſe von Perſern beſetzt und ihnen der
Dienſt beim Koͤnige uͤbergeben, es wurde den Macedoniern der
Befehl geſandt, das Lager zu raͤumen und zu gehen, wohin ſie
wollten, oder ſich, wenn ſie es vorzoͤgen, einen Fuͤhrer zu waͤhlen
und gegen Alexander, ihren Koͤnig, ins Feld zu ruͤcken, um dann
von ihm beſiegt zu erkennen, daß ſie ohne ihn nichts waͤren 52).
Sobald dieſer Aufruf des Koͤnigs, die Nachricht von der Einrich-
tung des neuen Heeres und von den Perſiſchen Wachen beim Koͤ-
nige im Lager der Macedonier bekannt wurde, da hielten ſich die
alten Truppen nicht laͤnger; ſie uͤberließen ſich dem wildeſten
Schmerze und der bitterſten Reue, ſie verfluchten, was ſie gethan,
ſie zogen in hellen Haufen vor des Koͤnigs Schloß, warfen ihre
Waffen vor den Schloßpforten zuſammen, zum Zeichen ihrer De-
muͤthigung und ihres Flehens; ſie jammerten und ſchrieen, daß
ſie ſich auf Gnade und Ungnade ergaͤben, daß Alexander uͤber ſie
verhaͤngen moͤge, was ihm gut ſcheine, daß er ſie ſtrafen moͤge,
wie es Undankbare, Aufruͤhrer und Meuterer verdienten; ſie for-
derten eingelaſſen zu werden, um ſich dem Koͤnige als Flehende
zu nahen, um ihm die Urheber des Aufruhrs auszuliefern, ſie
wuͤrden Tag und Nacht nicht von hinnen weichen, bis ſich der
Koͤnig erbarmte. So blieben ſie zwei Tage und zwei Naͤchte vor
dem Schloſſe, und wurden nicht muͤde, um Gnade zu flehen und
Alexander, ihren Koͤnig, ihren Herrn zu rufen. Endlich oͤffneten
33 *
[516] ſich die Pforten des Schloſſes, und der Koͤnig trat heraus; und
da er ſeine Veteranen ſo demuͤthig da liegen ſah, und ihren Freu-
deruf und ihr erneuetes Jammern hoͤrte, da vermochte er nicht
laͤnger ſeinen Thraͤnen zu wehren; dann trat er naͤher, um zu ih-
nen zu ſprechen, ſie aber draͤngten ſich um ihn und hoͤrten nicht
auf mit Flehen, gleich als fuͤrchteten ſie das erſte Wort ihres viel-
leicht noch nicht erweichten Koͤnigs. Und ein alter, braver Haupt-
mann aus der Ritterſchaft, mit Namen Kallines, ſprach alſo: „o
Koͤnig, was uns Macedonier vor Allem ſchmerzt, iſt, daß du Per-
ſer zu deinen Verwandten gemacht haſt, daß Perſer ſich nun Alex-
anders Verwandte nennen und dich kuͤſſen duͤrfen, und von uns
Macedoniern iſt nie einer dieſer Ehre theilhaftig worden!“ Da
rief der Koͤnig: „euch Alle mache ich zu meinen Verwandten
und nenne euch alſo von Stund an!“ er ging auf Kallines zu,
ihn zu kuͤſſen; und es kuͤßte ihn von den Macedoniern, wer es
wollte; ſie nahmen ihre Waffen auf und jubelten laut und ſangen
Freudenlieder und zogen jauchzend in []ihr Lager zuruͤck. Alexan-
der aber gebot, zur Feier der Verſoͤhnung ein großes Opfer zu
bereiten, und opferte den Goͤttern, denen er pflegte. Dann wurde
ein großes Mahl gehalten, an dem faſt das geſammte Heer Theil
nahm, in der Mitte der Koͤnig, ihm zunaͤchſt die Macedonier,
nach dieſen die Perſer, und weiter Viele von den uͤbrigen Voͤlker-
ſchaften Aſiens; und der Koͤnig trank aus denſelben Miſchkruͤgen
mit ſeinen Truppen und ſpendete mit ihnen die gleichen Spenden,
und es verſahen dazu die Helleniſchen Seher und die Perſiſchen
Magier die heiligen Gebraͤuche. Der Koͤnig ſelbſt aber betete zu
den Goͤttern, ſie moͤchten ihm und ſeinem Heer alles Gute verleihen,
vor Allem aber Eintracht und Gemeinſchaft des Reiches den Ma-
cedoniern und Perſern. Es ſoll die Zahl derer, die an dieſem Mahle
Theil nahmen, neuntauſend geweſen ſein, und dieſe Alle ſpendeten
zu gleicher Zeit den Unſterblichen und ſangen zugleich den Lobge-
ſang dazu 53).


So der Ausgang dieſer gefaͤhrlichen und in jeder Hinſicht
entſcheidenden Kriſis; es war der letzte Kampf zwiſchen dem Al-
[517] ten und Neuen; die letzte und gewichtigſte Repraͤſentation des
alt Macedoniſchen war moraliſch bewaͤltigt; und gerade die Maaß-
regeln, denen ſie erlegen war, gaben dieſem Siege Alexanders eine
doppelte Wichtigkeit. Der Vorzug, den der Koͤnig der Macedo-
niſchen Kriegsmacht bisher hatte zugeſtehen muͤſſen, war aufgeho-
ben, Aſiatiſche Truppen traten in die Namen und Ehren des alt
Macedoniſchen Heeres ein, es gab fortan zwiſchen Siegern und
Beſiegten keinen anderen Unterſchied, als den des perſoͤnlichen Wer-
thes und der Treue fuͤr den Koͤnig. Man muß geſtehen, daß der
Aufruhr von Opis die ſchwerſte Probe geweſen iſt, welche das
Syſtem Alexanders zu beſtehen gehabt hat; und daß es gelang
ihn zu bewaͤltigen, war ein Beweis, daß das Helleniſtiſche Koͤnig-
thum, welches ſo ſchnell und kuͤhn emporgebaut war, daß dieſes große
Werk der neuen Zeit in ſich feſt und vollendet daſtand, ſo daß
das Geruͤſt und die ſtuͤtzenden Traͤger ſeiner Gruͤndung hinwegge-
brochen werden konnten. Aber waͤre es nicht moͤglich geweſen,
daß die Veteranen in Opis uͤber die Neuerungen des Koͤnigs den
Sieg davon getragen haͤtten? Ohnfehlbar, wenn ſie ſelbſt noch in
Wahrheit Macedonier geweſen waͤren; ſie waren es nicht mehr,
ſie hatten ſelbſt das Neue, das ſie bekaͤmpften, in ſich aufgenom-
men, ſie hatten ſich in das Aſiatiſche Leben hineingelebt, ohne die-
ſem neuen Elemente das Recht, zu dem es berufen war, zugeſte-
hen zu wollen; und dieſer Hochmuth, nur als Sieger deſſen, das
auch ſie im innerſten Weſen beſiegt und durchdrungen hatte, gel-
ten zu wollen, war die Schuld, um deren Willen ſie erlagen. Indem
ſo das Macedoniſche Heer, das Werkzeug, mit dem das Werk der
neuen Zeit geſchaffen war, von der maͤchtigen Hand des Meiſters
zerbrochen ward, war das Werk ſelbſt als vollendet geweiht, und
jeder Gefahr gewachſen; was auch die Zerwuͤrfniſſe und Verwir-
rungen der naͤchſtfolgenden Zeit an den aͤußeren Formen dieſes
Reiches geruͤttelt und zerſtoͤrt haben, das Helleniſtiſche Leben, die
große Einigung des Griechenthums unter Macedoniſchem, Aſiens
unter Perſiſchem Namen, war fuͤr Jahrhunderte gegruͤndet.


So hatte ſich das Neue durch alle Stadien innerer und aͤu-
ßerer Gefaͤhrdungen hindurch gekaͤmpft; als Gedanke einer neuen
Zeit anerkannt, als Princip des neuen Koͤnigthums ausgeſprochen,
als Regiment des Reiches an der Spitze, als Heeresmacht orga-
[518] niſirt, als Umgeſtaltung und Durchgeiſtigung des Voͤlkerlebens in
voller Arbeit, hatte es nichts als ſich moͤglichſt durchgreifend und
den weſentlichen Intereſſen der Voͤlker gemaͤß zu bethaͤtigen.
Dies war die Arbeit fuͤr die kurze Spanne Leben, welche das
Schickſal dem Koͤnige noch goͤnnen wollte; es war das letzte Sta-
dium ſeines großen Berufes; was er fortan noch that, hatte dieß
Eine zum Zweck oder zum Erfolge.


Selbſt die Zuruͤckſendung der Veteranen mußte, es war vor-
auszuſehen, in dieſem Sinne wirken; noch nie waren in ſolcher
Zahl Truppen aus Aſien in die Heimath zuruͤckgekehrt, und mehr
als alle fruͤheren, hatten dieſe zehntauſend Veteranen Aſiatiſches
Leben in ſich aufgenommen; ihre Zahl, ihr Beiſpiel, ihr Ruhm,
ihre Erinnerungen, kurz Alles, was ſie an verwandelten Anſichten
und Beduͤrfniſſen, an neuen Anſpruͤchen und Erfahrungen mitbrachten,
mußte unter den Ihrigen in der Heimaih von nicht geringerem
Einfluß ſein, als ihn das Abendlaͤndiſche auf das Leben der oͤſtli-
chen Voͤlker bereits ausuͤbte. Auf das Feierlichſte wurden die Ve-
teranen aus dem Lager von Opis entlaſſen; Alexander verkuͤndete
ihnen, daß ſie Jeder den Sold bis zur Heimath und uͤberdieß
ein Geſchenk von einem Talente erhalten ſollten; die Kinder, die
morgenlaͤndiſche Frauen ihnen geboren, moͤchten ſie, ſo forderte er,
bei ihm laſſen, um ſich nicht den haͤuslichen Frieden zu ſtoͤren; er
werde dafuͤr ſorgen, daß die Soldatenkinder Macedoniſch und zu
Soldaten erzogen wuͤrden, und wenn ſie Maͤnner geworden, dann
hoffe er ſie nach Macedonien zuruͤck zu fuͤhren und ihren Vaͤtern
wieder zu geben; fuͤr die Kinder der in den Feldzuͤgen Gefallenen
verſprach er auf gleiche Weiſe zu ſorgen, der Sold ihrer Vaͤter
werde ihnen bleiben, bis ſie ſelbſt ſich gleichen Sold und gleichen
Ruhm im Dienſte des Koͤnigs erwerben wuͤrden; fuͤr die Vete-
ranen ſolle in der Heimath alle Ehre bereitet ſein, und es ſei an den
Reichsverweſer in Macedonien der Befehl geſandt, daß die Vete-
ranen bei jeder oͤffentlichen Feierlichkeit, bei Wettkaͤmpfen und
Schauſpielen den Ehrenplatz haben und mit Kraͤnzen geſchmuͤckt
erſcheinen ſollten; zum Zeichen ſeiner innigſten Theilnahme und
Sorge fuͤr ſie, habe er ihnen den getreueſten ſeiner Generale, den.
er wie ſein eigen Haupt liebe, den Hipparchen Kraterus zum Huͤ-
ter und Fuͤhrer gegeben; dann dankte er ihnen fuͤr die Hingebung
[519] und die Tapferkeit, mit der ſie ihm zehn Jahre lang zu Gefahr
und Sieg gefolgt ſeien, empfahl ſie den geleitenden Goͤttern und
nahm unter Thraͤnen von den alten Kriegern, die ſich weinend
um ihn draͤngten, Abſchied. Dann zogen die Veteranen von Opis
aus; außer Kraterus waren die Phalangenfuͤhrer Polyſperchon,
Gorgias und Klitus, von der Ritterſchaft Polydamas und Aman-
das, endlich Antigenes, der Fuͤhrer der Hypaspiſten, mit ihnen;
Polyſperchon war bei der großen Kraͤnklichkeit des Kraterus mit
dem zweiten Kommando beauftragt 54).


Uebrigens bezogen ſich des Kraterus Inſtruktionen keineswe-
ges auf die Zuruͤckfuͤhrung der Veteranen allein; vielmehr war
der Hauptzweck ſeiner Sendung, die Leitung der Europaͤiſchen An-
gelegenheiten an Antipaters Stelle 55) zu uͤbernehmen, wogegen
Antipater neue Truppen nach Aſien zu fuͤhren beauftragt wurde.
Es kam Vieles zuſammen, dieſe Veraͤnderung nothwendig zu ma-
chen. Vor Allem hatte die Uneinigkeit zwiſchen dem Reichs-
verweſer und der Koͤnigin Mutter einen hohen Grad erreicht;
man darf ohne Anſtand behaupten, daß die uͤberwiegende, vielleicht
die alleinige Schuld auf Seiten der herrſchſuͤchtigen Frau war.
Alexander hatte ſie ſtets hochgeehrt und uͤberreich beſchenkt, aber
eben ſo entſchieden ihre Einmiſchung in die oͤffentlichen Angelegen-
heiten verbeten; dennoch wurde ſie nicht muͤde zu intriguiren, ih-
rem Sohne Vorwuͤrfe und Klagen aller Art zu ſchreiben, eifer-
ſuͤchtig auf deſſen Neigung zum Hephaͤſtion auch dieſen mit bitte-
ren Briefen heimzuſuchen, vor Allem aber gegen Antipater unab-
laͤſſig die heftigſten Beſchuldigungen nach Aſien zu berichten 56).
Antipater ſeiner Seits beſchwerte ſich eben ſo bitter uͤber die Koͤ-
nigin Mutter und deren Einmiſchung in die oͤffentlichen Angele-
genheiten, aber umſonſt; Alexander pflegte zu ſagen: „Antipater
weiß nicht, daß eine Thraͤne meiner Mutter tauſend ſolcher Briefe
ausloͤſcht“ 57). Endlich mochten die immer wiederholten Klagen
[520] und Warnungen der Mutter einigen Einfluß auf Alexanders Ge-
ſinnung gegen den Reichsverweſer ausuͤben, beſonders ſeit er in
der Verraͤtherei des Philotas und Parmenion erkannt hatte, daß
ſelbſt den treueſten nicht zu trauen; es war gar wohl denkbar,
daß Antipater in der großen Gewalt, die ihm uͤbertragen worden,
die Grenzen treuer Ergebenheit uͤberſchritten, und daß er, nach au-
ßen hin ſo beſcheiden, in ſeinem Innern in der That, wie Alex-
ander ſagte, nichts als Purpur haͤtte 58); es kam dazu, daß bei
dem Prozeß des Philotas der Lynkeſtier, Alexander, ſein Eidam, hin-
gerichtet worden, und Alexander mochte ſeit jener Zeit ſich ihm
in demſelben Maaße entfremdet fuͤhlen, als ihm Antipaters Ent-
fremdung denkbar ſchien 59). Alles das diente nicht dazu, das
Verhaͤltniß zwiſchen der Koͤnigin Mutter und dem Reichsverweſer,
und damit den Frieden in Macedonien zu erhalten. Es iſt nicht
mehr zu erkennen, bis zu welchem Punkte ſich der Hader ſteigerte,
und wie weit es richtig iſt, daß ſich waͤhrend des Indiſchen Feld-
zuges die Koͤnigin Mutter in Verbindung mit ihrer Tochter Kleo-
patra, der koͤniglichen Wittwe von Epirus, gegen Antipater auf-
lehnte und fuͤr ſich Epirus, fuͤr Kleopatra Macedonien in Anſpruch
nahm 60); jedenfalls aber waren es dieſe Zerwuͤrfniſſe, die den
Koͤnig beſtimmten, den durchaus gewandten und kraͤftigen Reichs-
verweſer abzuberufen; Arrian ſagt ausdruͤcklich: „nicht zur Schande
war dem Antipater befohlen nach Aſien zu kommen, ſondern Alex-
ander wollte nur vorbeugen, daß Beiden, ſeiner Mutter und dem
Reichsverweſer, nicht etwas Unſeliges und ſelbſt fuͤr ihn Unheilba-
57)
[521] res aus dieſem Zwiſt entſtuͤnde.“ 61) Deshalb ſollte Antipater
ſein Amt auch keinesweges ſofort niederlegen und gen Aſien kom-
men 62), ſondern die Verwaltung der Europaͤiſchen Laͤnder bis zur
Ankunft des Kraterus, die ſich bei den langſamen Maͤrſchen der
Veteranen uͤber Jahr und Tag hinziehen konnte, ungeſtoͤrt behal-
ten. Die ſonderbare Wendung, die gerade jetzt die Helleniſchen
Angelegenheiten nahmen, ſchien uͤberdieß ſeine Anweſenheit in
Macedonien doppelt nothwendig zu machen.


In Hellas nemlich hatte ſeit der Niederlage der Spartaner
im Jahre 330 tiefer Friede geherrſcht; und eben ſo reich an au-
ßerordentlichen Thaten jenſeits des Hellespontes, wie einfoͤrmig
und kleinlich in heimathlichen Dingen, hatten dieſe fuͤnf Jahre
des Friedens den Geſichtskreis und die Verhaͤltniſſe des Helleni-
ſchen Lebens auf entſchiedene Weiſe umgeſtaltet. Seitdem Mace-
donien uͤbergroß, und weiterer Widerſtand gegen dieſe Macht, die
letzte Beziehung, die dem oͤffentlichen Leben Athens und der uͤbri-
gen Staaten Haltung gegeben, unmoͤglich geworden war, ging auch der
letzte Reſt des republikaniſchen Lebens unter, und die Unterſchiede
von politiſcher Partheiung, wie ſie namentlich Athen ſeit dreißig
Jahren in dem „fuͤr oder wider Macedonien“ feſt gehalten, be-
gannen ſich zu verwiſchen und in Cotterien der Habgier, in Intri-
guenen und Stadtklatſchereien, in Perſoͤnlichkeiten und Gemeinhei-
ten zu zerfallen. Wenn es im Intereſſe des Macedoniſchen Koͤnig-
thums war, die ſelbſtſtaͤndige Kraft der Helleniſchen Freiſtaaten
aufzureiben, ſo hatte Alexander, als er ihnen Freiheit und Selbſt-
[522] ſtaͤndigkeit ließ, das ſicherſte Mittel, ihnen beides allmaͤhlig zu
entwenden, gefunden. So herrſchte denn auf dem Markt von
Athen Demades, deſſen Einfluß nicht minder auf ſein Verhaͤltniß
zu Macedonien, als auf ſeine Friedenspolitik, wie ſie den Wuͤn-
ſchen der Wohlhabenden entſprach und den genußluͤſternen Poͤbel
mit Feſtſchmauſereien und Geldſpenden zu koͤdern moͤglich machte,
begruͤndet war. Und allerdings war unter ſeiner Fuͤhrung das
materielle Wohl des Landes nicht wenig gefoͤrdert worden; „nicht
der Krieger,“ ſo ſprach er einſt in der Ekkleſia, „wird meinen Tod
beklagen, denn ihm nuͤtzt der Krieg, und der Friede ernaͤhrt ihn
nicht; wohl aber der Landmann, der Handwerker, der Kaufmann
und jeder, der ein ruhiges Leben liebt; fuͤr ſie habe ich Attika
nicht mit Wall und Graben, wohl aber mit Frieden und Freund-
ſchaft gegen die Maͤchtigen geſchuͤtzt.“ Aus dem Rechtshandel
wegen ſeiner zwoͤlfjaͤhrigen Staatsfuͤhrung, durch den ihn ſeine
Gegner zur Zeit, als Alexander im fernſten Oſten ſtand, zu ſtuͤr-
zen ſuchten, ging er vollkommen ſiegreich hervor 63). Demoſthe-
nes vermochte nichts mehr, und ſelbſt fruͤhere Freunde, namentlich
Lykurg, wandten ſich von ihm; und Phocion, der alte und ſtrenge
Patriot, der in gleichem Maaße ſeines Vaterlandes Verfall be-
griff und beklagte, waͤre vermoͤge ſeiner richtigen Einſicht in die
Zeitverhaͤltniſſe und ſeiner vollkommenen Rechtlichkeit der Fuͤhrung
des Staates faͤhig und wuͤrdig geweſen, wenn er nicht eben zu
ſtreng in ſeinen Grundſaͤtzen, zu ernſt in ſeinen Anſichten, zu red-
lich in ſeinem Bemuͤhen geweſen waͤre. Die Zeit der Demokratie
war voruͤber, uͤberall zeigte ſich die Nothwendigkeit, daß der ver-
aͤnderte politiſche und geſellſchaftliche Zuſtand auch eine gruͤndliche
Umgeſtaltung in den Verfaſſungen der Staaten forderte; und wenn
Alexanders Plan, die Griechen allmaͤhlig von der Demokratie zur
Monarchie hinuͤber zu fuͤhren, durch ſeinen zu fruͤhen Tod, oder will
man lieber, durch die innere Nothwendigkeit des Helleniſcher We-
ſens unvollendet geblieben iſt, ſo liegt eben darin der Grund je-
nes troſtloſen Hinwelkens, mit dem das naͤchſte Jahrhundert der
Helleniſchen Geſchichte den Ruhm beſſerer Zeiten beſudeln ſollte.


[523]

Im Sinne jenes Planes war es, daß Alexander von den
Hellenen goͤttliche Ehre forderte, wie ſie ihm von den Voͤlkern
des Morgenlandes von Anbeginn gezollt worden war. Was man
auch in Beziehung auf die perſoͤnliche Geſinnung des Koͤnigs und
deren Verwandelung aus dieſem Gebot folgern mag, jeden Falls
war es weder ſo uͤberraſchend und frevelhaft, wie es uns er-
ſcheint, noch iſt die tiefe politiſche Bedeutſamkeit dieſer Maaßregel
zu verkennen. Man vergegenwaͤrtige ſich die Eigenthuͤmlichkeit des
Helleniſchen Heidenthums, das die Goͤtter wie Menſchen anzuſe-
hen und großen Maͤnnern heroiſche Ehre zu erzeigen gewohnt
war, und das in dieſer Zeit der Aufklaͤrung und Frivolitaͤt die
Religion ſelbſt als Ceremonie, die Ehren der Goͤtter als Gewohn-
heit und Luſtbarkeit, die Goͤtter als menſchliche Inſtitutionen oder
Allegorien irdiſcher Macht und Weisheit betrachtete, man nehme
dazu, daß bereits ſeit mehreren Jahren die Geſandtſchaften des Ko-
rinthiſchen Bundes an den Koͤnig die Form heiliger Proceſſionen
angenommen, daß auch die Athener das heilige Schiff, das dem
Gotte von Delos geſandt zu werden pflegte, an Alexander ge-
ſchickt hatten, daß nach allgemeinen Geruͤchten die Orakel des
Ammoniums, wie man auch ſpotten mochte, am Ende doch den
Koͤnig als Zeus Sohn bezeichnet hatten, daß endlich Alexander,
aus dem Geſchlechte des Herakles und Achilleus, eine Welt erobert
und umgeſtaltet und in Wahrheit Groͤßeres als Herakles und
Dionyſos vollbracht hatte, kurz man denke ſich dieſe ganze wun-
derliche Miſchung von Aberglauben und Irreligioſitaͤt, von Gleich-
guͤltigkeit gegen die Goͤtter und Hingebung an das Irdiſche, und
man wird es begreiflich finden, daß fuͤr das damalige Griechen-
thum der Gedanke an goͤttliche Ehren und an das Vergoͤttern ei-
nes Menſchen nicht allzufern lag; wie natuͤrlich vielmehr derglei-
chen im Sinne der damaligen Zeit war, beweiſen die naͤchſten
Jahrzehnte bis zum Ueberdruß, nur daß der große Alexander der
erſte war, der fuͤr ſich das in Anſpruch nahm, was nach ihm die
erbaͤrmlichſten Fuͤrſten und die verworfenſten Menſchen von allen
Griechen, vor Allem aber von den Athenern fuͤr ein Billiges zu
Kauf erhalten konnten. Nicht als ob Alexander einer Seits an
ſeine eigene Gottheit geglaubt oder anderer Seits dieſelbe fuͤr
nichts als fuͤr eine aͤußerliche Maaßregel gehalten haͤtte; er ſelbſt
[524] aͤußerte ſich daruͤber; „Zeus ſei freilich aller Menſchen Vater,
aber nur die Beſten mache er zu ſeinen Soͤhnen“ 63b). Die
Voͤlker des Morgenlandes ſind gewoͤhnt, ihren Koͤnig als ein
Weſen hoͤherer Art zu verehren, und allerdings iſt dieſer Glaube,
wie er ſich auch nach den Sitten und den Vorurtheilen der
Jahrhunderte umgeſtalten mag, die wahre Stuͤtze jeder Monar-
chie, ja jeder Form von Herrenthum; ſelbſt die Doriſchen Ariſto-
kratien des Alterthums gaben den Herakliden dieſes Vorrecht ge-
gen das arme Volk, und das demokratiſche Athen gruͤndete auf
ein durchaus analoges Vorurtheil gegen die Sklaven die Moͤg-
lichkeit einer Freiheit, gegen welche die Monarchie Alexanders in
jeder Hinſicht als Fortſchritt zu bezeichnen iſt. Alexander
wollte Griechenland allmaͤhlig von den Formen einer uͤberlebten
Demokratie entwoͤhnen und in die der neuen Monarchie mit hinein-
ziehen; es war der erſte und weſentlichſte Schritt, die Griechen
zu demſelben Glauben an ſeine Majeſtaͤt, den Aſien hegte, und in
dem er mit allem Rechte die weſentlichſte Garantie ſeines Koͤnig-
thums erkannte, zu veranlaſſen.


Zu der Zeit, als in Aſien die letzten Schritte zur Verſchmel-
zung des Abend- und Morgenlaͤndiſchen gemacht wurden, und das
Koͤnigthum entſchieden die Geſtalt eines Helleniſtiſchen angenom-
men hatte, ergingen nach Griechenland hin die Aufforderungen, durch
oͤffentliche Beſchluͤſſe dem Koͤnige die Ehren der Goͤtter zu ge-
waͤhren 64). In Athen brachte Demades den Vorſchlag vor das
Volk, Pytheas trat auf, gegen ihn zu ſprechen: es ſei gegen die
Soloniſchen Geſetze, andere als die vaͤterlichen Goͤtter zu ehren;
und als gegen ihn eingewandt ward, wie er, noch ſo jung, wagen
[525] koͤnne in ſo wichtigen Dingen zu ſprechen, antwortete er: Alexan-
der ſei noch juͤnger 65). Auch Lykurgus erhob ſich gegen den
Geſetzvorſchlag: wie ſei es moͤglich, ſprach er, den als Gott zu
verehren, der voll Ungerechtigkeit ſei und ſelbſt die Geſetze der
Sitte und Schicklichkeit nicht achte 66). Demoſthenes aber, der
ſich in fruͤheren Jahren heftig genug uͤber die Vergoͤtterung, die
dem Koͤnige in Aſien gezollt wurde, geaͤußert hatte, rieth jetzt dem
Volke, dem maͤchtigen Koͤnige die Ehren der Olympiſchen Goͤtter
nicht zu weigern, und das Athenaͤiſche Volk dekretirte nach dem
Borſchlage des Demades 67). Auch in Sparta wurde ohne Wei-
teres Folge geleiſtet; das lakoniſche Dekret lautete: will Alexan-
der Gott ſein, ſo ſei er Gott 68). Die uͤbrigen Hellenen folgten
dem Beiſpiel der Hauptſtaaten, und die naͤchſten Helleniſchen Ge-
ſandten an Alexander kamen gekraͤnzt und in der Weiſe, wie Theo-
ren zu den Tempeln der Goͤtter ziehen 69).


Eine zweite, nicht minder wichtige Anordnung Alexanders
bezog ſich auf die Verbannten der Helleniſchen Freiſtaaten; die
Verbannungen waren zum groͤßten Theil Folge politiſcher Veraͤn-
derungen, und hatten wegen der Siege, die die Macedonier ſeit
den letzten funfzehn Jahren wiederholentlich davon getragen, na-
tuͤrlich die Gegner Macedoniens vorzuͤglich betroffen. Die Ver-
bannten hatten fruͤher in den Heeren des Perſiſchen Großkoͤnigs
Dienſte und fortgeſetzten Kampf gegen Macedonien gefunden; nach
Perſiens Fall irrten ſie huͤlflos und heimathlos in der Welt um-
her; manche mochten Dienſte im Macedoniſchen Heere nehmen,
andere wurden, waͤhrend Alexander in Indien ſtand, von den
Satrapen auf eigene Hand angeworben, noch Andere gingen nach
Griechenland zuruͤck, um in der Nachbarſchaft ihrer Heimathſtaͤdte
auf eine Veraͤnderung der Dinge zu warten, oder zogen zu dem
[526] Werbeplatz auf Taͤnarum, um von dort aus in irgend Jemandes
Sold zu treten. Die bedeutende Zahl dienſtloſer Leute mußte ſich
dort, ſeitdem Alexander allen Satrapen die Entlaſſung ihrer Soͤld-
ner geboten, außerordentlich vermehrt haben 70); und in demſel-
ben Maaße, als ſie zahlreich, ungluͤcklich und hoffnungslos waren,
mußten ſie fuͤr die Ruhe Griechenlands und den fuͤr Macedonien
wuͤnſchenswerthen Zuſtand der Dinge gefaͤhrlich werden. Dieſe
Gefahr abzuwenden gab es kein beſſeres Mittel, als den Verbann-
ten die Heimkehr zu bereiten; dadurch wurde auch denen, die
durch Macedoniſchen Einfluß verbannt waren, ihr Haß zur Dank-
barkeit umgewandelt und die Macedoniſche Parthei in den einzelnen
Staaten auf die erfolgreichſte Weiſe verſtaͤrkt; die Staaten ſelbſt
waren fortan fuͤr die innere Ruhe Griechenlands verantwortlich,
und der innere Zwieſpalt, der ſich wieder und wieder zeigen
mochte, gab der Macedoniſchen Macht das Recht ſouveraͤner
Entſcheidung. Freilich war die Maaßregel gegen die ausdruͤcklichen
Stipulationen des Korinthiſchen Bundes und der gefaͤhrlichſte
Angriff auf die dort garantirte Souveraͤnitaͤt der einzelnen Staa-
ten; ja es war voraus zu ſehen, daß die Ausfuͤhrung dieſer Maaß-
regel in Beſitz, Ehre und oͤffentlicher Meinung Anlaß zu endloſen
Verwirrungen geben mußte. Aber Alexander durfte hoͤhere Ruͤck-
ſichten geltend machen; vor Allem betraf dieſe Wohlthat die Geg-
ner Macedoniens; es war die Zeit gekommen, daß die Unterſchiede
nationaler Feindſchaft in Aſien und politiſcher Partheiungen in
Europa in der Einheit der gemeinſchaftlichen Monarchie unterge-
hen ſollten; das Begnadigungsrecht in dieſer großartigen Ausdeh-
[527] nung zu uͤben, war der erſte Akt der Souveraͤnitaͤt, an die Alex-
ander die Griechen zu gewoͤhnen hoffte.


Zur Verkuͤndigung dieſer Maaßregel hatte er den Stagiriten
Nikanor nach Griechenland geſandt; bei der Feier der Olympi-
ſchen Spiele des Jahres 324 ſollte das koͤnigliche Schreiben pu-
blicirt werden. Die Kunde davon hatte ſich im Voraus verbreitet;
von allen Seiten ſtroͤmten die Verbannten gen Olympia, um das
Wort der Erloͤſung zu vernehmen. In den einzelnen Staaten dage-
gen brachte ſie mannigfache Aufregung hervor, und waͤhrend ſich
Viele freuten, mit Angehoͤrigen und Befreundeten wieder vereint
zu leben und durch eine große und allgemeine Amneſtie die Ruhe
und den Wohlſtand beſſerer Zeiten zuruͤckkehren zu ſehen, mochten
Andere in dieſem Befehl einen Eingriff in die Rechte ihres Staates
und den Beginn großer innerer Verwirrungen verabſcheuen. In
Athen erbot ſich Demoſthenes zur Archetheorie gen Olympia, um
dort an Ort und Stelle mit dem Bevollmaͤchtigten Alexanders zu
unterhandeln, und ihm die Folgen jener Maaßregel und die Hei-
ligkeit der Korinthiſchen Bundesvertraͤge vorzuſtellen; dort blieben
ſeine Bemuͤhungen erfolglos. Waͤhrend der Feier der hundert
und vierzehnten Olympiade 71), im Anfang des Auguſtes, in Ge-
genwart der Hellenen aus allen Landſchaften, unter denen ſich der
Verbannten an zwanzigtauſend befanden, ließ Nikanor der Stagi-
rite durch den Herold, der im Wettkampf der Herolde gekraͤnzt
war, das Dekret des Koͤnigs vorleſen; es lautete: „Der Koͤnig
Alexander den Verbannten der Griechiſchen Staͤdte ſeinen Gruß.
An eurer Verbannung ſind nicht wir Schuld geweſen; aber die
Ruͤckkehr zur Heimath wollen wir Allen, mit Ausſchluß derer, auf
denen Fluch haftet, bewirken. Demnach haben wir an Antipater
erlaſſen, daß er die Staͤdte, welche die Aufnahme weigern, dazu
[528] zwinge.“ Mit unendlichem Jubel und Beifallklatſchen wurde der
Heroldsruf aufgenommen, und nach allen Seiten hin zogen die
Verbannten mit ihren Landsleuten der lang entbehrten Heimath
zu 72). Nur Athen und die Aetolier weigerten ſich ernſtlich,
dem Befehl des Koͤnigs Folge zu leiſten; denn die Aetolier hat-
ten die Oeniaden vertrieben, und fuͤrchteten deren Rache um ſo
mehr, da ſich Alexander ſelbſt fuͤr ſie und ihr Recht entſchieden
hatte. Die Athener aber ſahen ſich im Beſitz der letzten Inſel, die
ihnen aus der Zeit ihrer fruͤheren Herrſchaft geblieben war, gefaͤhrdet;
ſie hatten im Jahre 361 die Bewohner von Samos vertrieben,
und das Land unter Attiſche Kleruchen vertheilt 73); dieſe haͤtten
jetzt, nach dem Befehl des Koͤnigs, den fruͤheren Bewohnern wei-
chen muͤſſen; dazu kam, daß durch denſelben Befehl die Demo-
kratie in ihrer Freiheit und Souveraͤnitaͤt vollkommen in Frage
geſtellt war, und daß Athen, wenn es gehorſamte, ſich unmittelbar
dem Macedoniſchen Koͤnigthum unterwuͤrfig bekannt haͤtte; und
noch wagten ſelbſt die Macedoniſtiſchen Demagogen nicht, dieſen
Grad der Hingebung und dieſe Erniedrigung zu rathen. Es
kam
[529] kam ein unerwarteter Umſtand hinzu, der, gehoͤrig benutzt, die
Macht der Athener bedeutend zu heben und ihrer Weigerung Nach-
druck zu geben verſprach.


Harpalus nemlich, der fluͤchtige Großſchatzmeiſter Alexanders,
hatte ſich, wie oben erzaͤhlt worden, auf der Kuͤſte Kleinaſiens
mit dreißig Schiffen, ſechstauſend Soͤldnern und den ungeheueren
Schaͤtzen, die ihm anvertraut geweſen waren, gen Attika hin ein-
geſchifft, und war gluͤcklich auf der Rhede von Munychia angelangt.
Der Strateg Philokles, der die Hafenwache commandirte, war
leicht gewonnen, es waren bald mit den vornehmſten Fuͤhrern des
Volks Verbindungen angeknuͤpft, und Ariſtogiton, Moͤrokles, De-
mon, Kalliſthenes, Ariſtonikon, Cephiſophon widerſtanden dem Golde
nicht 73b); ſelbſt Demades glaubte ein Geſchenk von ſechstauſend
Stateren mit ſeinen anderweitigen Verhaͤltniſſen zu Macedonien ver-
einbaren zu koͤnnen, und Charikles, des ehenwerthen Phocion
Schwiegerſohn, war bereits durch die dreißig Talente, die er dem
Harpalus fuͤr das Grabmal der Pythionice am heiligen Wege
hatte in Rechnung bringen duͤrfen, verpflichtet. Im Vertrauen
auf dieſe Freunde glaubte der Großſchatzmeiſter, Athen zu ſeinen
Aufenthaltsorte waͤhlen zu koͤnnen; er trug bei dem Volke darauf
an, ſich mit ſeinen Schaͤtzen und Schiffen in ihren Schutz bege-
ben zu duͤrfen; die einverſtandenen Redner thaten alles Moͤgliche,
ſein Geſuch zu unterſtuͤtzen: die Athener ſeien ihm wegen fruͤhe-
rer Getraideſpende allen Dank ſchuldig, es ſei ja ihre ſchoͤne Ge-
wohnheit, Schutzflehenden barmherzig zu ſein, ſie haͤtten ihm be-
reits fruͤher das Buͤrgerrecht der Stadt gegeben. Demoſthenes
aber erklaͤrte ſich offen dagegen: man muͤſſe den Harpalus nicht
aufnehmen, um nicht die Stadt in einen unnoͤthigen und unge-
rechten Krieg zu ſtuͤrzen; auch Phocion, den Harpalus umſonſt
zu gewinnen verſucht hatte, widerſprach der Aufnahme, und das
Volk wies des Harpalus Geſuch zuruͤck 74). Indeß gab dieſer
34
[530] die Hoffnung noch keinesweges auf; vielleicht mochte die Stim-
mung, welche der kurz darauf erlaſſene Befehl Alexanders in
Athen hervorgebracht hatte, ihm guͤnſtig genug zu einem zweiten
Verſuche ſcheinen; er ſegelte nach Taͤnarum, ſetzte dort ſeine Trup-
pen ans Land, deponirte den groͤßten Theil ſeiner Schaͤtze, und
kehrte mit etwa ſiebenhundert Talenten nach Athen zuruͤck 75).
Aber ſchon war von Macedonien her eine Aufforderung des An-
tipater, den Großſchatzmeiſter der Strafe zu uͤberliefern, eingelau-
fen 76), und das beſorgte Volk ſchien geneigt zu willfahren. Har-
palus ſah ſich ſofort von denen, die er bezahlte, verlaſſen; nur
Phocion ſuchte wenigſtens ſeine Auslieferung an Antipater zu
hindern; Demoſthenes ſtimmte ihm bei 77), und ſchlug dem Volke
vor, die Schaͤtze einſtweilen auf der Burg niederzulegen, bis Alex-
ander Bevollmaͤchtigte ſchickte, dieſelben in Empfang zu nehmen.
Das Volk gab dem Antrage ſeine Zuſtimmung und beauftragte
ihn ſelbſt mit der Deponirung der Gelder und Koſtbarkeiten. Als
kurze Zeit darnach in der Volksverſammlung die Frage, was wei-
ter mit Harpalus ſelbſt zu beſtimmen, an der Tagesordnung war,
erſchien der beruͤhmte Redner, den Hals mit Tuͤchern und Bin-
den umhuͤllt, vor dem Volke, und erklaͤrte, er koͤnne vor Halsweh
nicht ſprechen. Das Volk aber laͤrmte und lachte: er habe nicht
Halsweh, ſondern Goldweh, einen Goldbecher mit zwanzig Talen-
ten, der ihm beſonders gefallen, habe Harpalus in der Nacht zu
ihm geſchickt. Da ſich der Redner rechtfertigen wollte, ließ ihn
das Volk nicht zu Worte kommen, und ein Witzling ſprach: bei
[531] Gelagen, ihr Athenaͤer, laͤßt man den reden, der den Becher
hat 78). Darauf wurde vom Volke beſchloſſen, den Großſchatz-
meiſter in Verhaft zu nehmen, bis ſeinetwegen Jemand von Alex-
ander geſchickt wuͤrde. So geſchah es; indeß fand oder erhielt
Harpalus bald genug Gelegenheit, aus dem Gefaͤngniß zu entwi-
ſchen; er eilte gen Taͤnarum, raffte dort ſeine Schaͤtze zuſammen
und ſchiffte ſich nach Kreta hin ein; da aber wurde er von
Thimbron aus Lacedaͤmon ermordet, der mit den Schaͤtzen gen
Cyrene floh, waͤhrend die uͤbrigen Genoſſen ſich zerſtreuten; des
Ermordeten vertrauter Sklave, der die Rechnungen gefuͤhrt hatte,
wurde auf Rhodus eingefangen und an Philoxenus, den koͤnigli-
chen Schatzmeiſter fuͤr dieſſeits des Taurus, ausgeliefert 79).


Der Koͤnig Alexander ſcheint erwartet zu haben, daß Harpa-
lus mit ſeinen Schaͤtzen und Soͤldnern von den Athenern bereit
34 *
[532] willig wuͤrde aufgenommen werden; wenigſtens hatte er in die
Seeprovinzen den Befehl geſandt, die Flotte bereit zu halten, um
noͤthigenfalls Attika unverzuͤglich uͤberfallen zu koͤnnen; und in dem
Lager Alexanders war damals viel die Rede von einem Kriege
gegen Athen, auf den ſich die Macedonier in Folge der alten
Feindſchaft gar ſehr freuten 80). In der That hatten die Athe-
ner, wenn ſie ſich ernſtlich der Zuruͤckfuͤhrung der Verbannten
zu widerſetzen und ihre Souveraͤnitaͤt gegen Alexander aufrecht
zu erhalten beabſichtigten, bei der Ankunft des Harpalus die treff-
lichſte Gelegenheit, ſich fuͤr jeden Fall mit Geld und Soͤld-
nern zu verſehen; ſie haͤtten in der ruͤckſichtsloſen Aufnahme des
Harpalus einen Beweis ihrer Unabhaͤngigkeit geben und in ſeinen
Schaͤtzen, in ſeinen ſechstauſend Soͤldnern Mittel, ſie zu verthei-
digen, haben koͤnnen. Sie zogen es vor, halbe Maaßregeln zu er-
greifen, die, weit entfernt einen ſicheren und ehrenvollen Ausweg zu
bieten, dem Macedoniſchen Einfluß in Athen einen neuen Sieg
bereiten ſollten. Demoſthenes begriff ſo wenig die entſcheidende
Bedeutung dieſer politiſchen Alternative, daß er, wenigſtens vor
jener Nacht mit dem Becher, gegen das Intereſſe der gefaͤhrdeten
Selbſtſtaͤndigkeit Athens ſprach. Statt des bedeutenden Nutzens,
den die Geſchichte des Harpalus fuͤr den Staat haben konnte,
wurde ſie zum Skandal, und die Rivalitaͤt der Demagogen kam
hinzu, ſie auf das Ausgedehnteſte zum Macedoniſchen Vortheil zu
verwenden.


Es war allgemein bekannt, daß des Harpalus Gold bei mehr
als Einem der Volksfuͤhrer Eingang gefunden; das Volk war in
Beſorgniß vor Antipater, vor Alexander; man begann die Annah-
me jener Geſchenke als oͤffentlichen Verrath zu betrachten, man
fuͤrchtete, daß der Koͤnig in Kurzem die Gelder und ſtrenge Re-
chenſchaft fordern wuͤrde. Harpalus hatte ſiebenhundert und funfzig
Talente mit in das Land gebracht, und nicht viel uͤber dreihundert
fanden ſich auf der Burg; zugleich erfuhr man, daß des Harpalus
vertrauter Sklave in Philoxenus Gewalt ſei, und bald liefen von
[533] dieſem die Liſten aller verwendeten Summen und der betheilig-
ten Namen ein; Demoſthenes war unter dieſen nicht 81). Ent-
weder im Gefuͤhl ſeiner Unſchuld, oder um deſto ſicherer zu ſein,
beeilte er ſich, dem Volke ein Dekret in Vorſchlag zu bringen,
des Inhaltes: daß auf das Strengſte unterſucht werden ſollte,
wer Geld vom Harpalus empfangen, daß dem Areopag Voll-
macht zu allen Nachforſchungen gegeben werden, daß die ſchuldig
Befundenen mit dem Tode beſtraft werden ſollten. So begann
jene merkwuͤrdige Reihe Harpaliſcher Prozeſſe, in denen die be-
ruͤhmteſten Namen des damaligen Athen verwickelt waren. Sechs
Monate waͤhrten die Nachforſchungen und Hausſuchungen des
Areopag, auch Demoſthenes Name wurde in den uͤberreichen Ka-
talog der Schuldigen eingetragen; mochten die Beweiſe ſeiner
Schuld nicht unwiderleglich und das Verfahren gegen ihn uͤber-
haupt zu ſummariſch ſein 82), jedenfalls hatte er keine Rechen-
ſchaft uͤber die unter ſeiner Obhut deponirten Gelder abgelegt.
Dann wurde ein Heliaſtengericht von tauſendfuͤnfhundert Ge-
ſchworenen niedergeſetzt; als Klaͤger traten Pytheas, Hyperides,
Mneſaͤchmus, Himeraͤus und Stratokles auf 83); nach dem Ge-
[534] ſetz des Demoſthenes wurden Mehrere verurtheilt und hingerich-
tet. Jetzt kam an ihn ſelbſt die Reihe; umſonſt verſuchte er durch
die Delation, daß Kallimedon mit den Verbannten in Megara
Zuſammenkuͤnfte gehalten, und daß es auf die Aufloͤſung der De-
mokratie abgeſehen ſei, ſich zu retten; umſonſt kam er von ſeinen
Kindern begleitet vor Gericht, um ſich zu vertheidigen 84); er
wurde verdammt, das Fuͤnffache deſſen, was er erhalten hatte 85),
zu zahlen, und da er die ungeheuere Summe nicht aufzubringen
vermochte, ins Gefaͤngniß geworfen, aus dem er Gelegenheit
fand am ſechſten Tage zu entweichen 86). Das gleiche Schickſal
traf nach ihm den Ariſtogiton, den Philokles 87) und die uͤbrigen
Schuldigen.


Dieſer Ausgang der Harpaliſchen Prozeſſe war fuͤr Athen
in jeder Beziehung verhaͤngnißvoll; die Geſchworenen der Heliaͤa,
83)
[535] der unmittelbare Ausdruck der oͤffentlichen Meinung, hatten aller-
dings das Wort der Anklaͤger gar wohl beachtet, daß ſie uͤber die
Angeklagten, ein Anderer aber uͤber ſie urtheilen werde, und daß
es des Aufſehens wegen wuͤnſchenswerth ſei, beruͤhmte Maͤnner
zu ſtrafen; ſie hatten ohne alle Ruͤckſicht und nicht ohne uͤber-
eilte Strenge verdammt, und ſo dem Koͤnige mit dem Rechte je-
ner Forderung gleichſam das Recht des Forderns zugeſtanden.
Der große Gegner der Macedoniſchen Monarchie mußte die Hei-
math meiden, mit ihm ſank die Stuͤtze der alt demokratiſchen
Parthei und ihrer Traditionen; in Philokles verlor der Staat
einen Feldherrn, der wenigſtens oft genug zu dieſem wichtigen
Amte vom Volke erwaͤhlt worden war. Dagegen blieb Demades
trotz ſeiner Verurtheilung 88), und ſein Einfluß herrſchte um ſo
[536] ſicherer, je unbedeutender, beſorglicher oder gewiſſenloſer die Maͤn-
ner waren, die nach jenen Prozeſſen an der Leitung des Volks
Theil nahmen; die Politik Athens wurde noch mehr als fruͤher
ſchwankend und bald unterwuͤrfig. Man hatte den Verbannten
die Heimkehr geweigert, man fuͤrchtete fort und fort, daß ſie von
Megara aus und geſtuͤtzt auf des Koͤnigs Amneſtie die Attiſche
Grenze uͤberſchreiten wuͤrden; dennoch geſchah zum Schutz der
Stadt nichts, als daß eine Theorengeſandtſchaft an den Koͤnig de-
kretirt wurde, die ihn um die Erlaubniß, die Verbannten nicht
aufzunehmen, bitten ſollte, eine Maaßregel, die wenigſtens im In-
tereſſe der Attiſchen Freiheit vollkommen ungeſchickt war, da der
Staat einer Seits ſeine Willensmeinung, bei der Beſtimmung
des Korinthiſchen Bundes zu bleiben, bereits kund gegeben hatte,
anderer Seits des Koͤnigs abſchlaͤgige Antwort nur zu gewiß vor-
auszuſehen war 89).



[537]

So offenbarte ſich in der Haltungsloſigkeit und Beſorglichkeit
der Atheniſchen Demokratie auf das Unzweideutigſte ihre Unfaͤhig-
keit, der unendlich uͤberlegenen Macht Alexanders gegenuͤber, auch
nur den aͤußeren Schein einer Selbſtſtaͤndigkeit zu behaupten, die
nicht mehr im Sinne der Zeit war; mit Athen war die Demo-
kratie, wie ſie bisher im Leben der Helleniſchen Voͤlker vorge-
herrſcht hette, moraliſch vernichtet; und wenn jetzt Athen ſich dem
hoͤheren monarchiſchen Einfluß, wie ihn das neue Helleniſtiſche
Koͤnigthum geltend machte, zu fuͤgen beginnen mußte, ſo war der
letzte Anhalt, den die alt demokratiſche Parthei in Griechenland
bisher noch gehabt hatte, zerſtoͤrt, und die letzte politiſche Schwie-
rigkeit, die den Tendenzen der neuen Zeit noch im Wege ſtand, hin-
weggeraͤumt; fortan mußte ſich Griechenland in aͤhnlicher Weiſe,
wie die Laͤnder Aſiens, zum Koͤnigthum Alexanders verhalten.
Dieſes Verhaͤltniß war kein anderes, als das einer relativ freien,
in ihren Geſetzen, Rechten und Gewohnheiten anerkannten Volks-
thuͤmlichkeit, die fortan ihre Einheit in jenem Koͤnigthume fand,
und die fruͤhere ſouveraͤne Freiheit einzelner Staaten, wie ſie ſich
bis zur unſeligſten Zerſplitterung geltend gemacht hatte, unter der
allgemeinen Souveraͤnitaͤt eines Koͤnigthums zu ſtaͤdtiſchen Frei-
heiten umbildete.


Es liegt außer dem Bereich dieſer Darſtellung, zu bezeichnen,
wie weit ſich dieſe Umgeſtaltung des Helleniſchen Lebens, der
89)
[538] Alexander durch ſeinen zu fruͤhen Tod entriſſen werden ſollte,
durchgebildet hat; jedenfalls muß ſie ein großer und der letzte
Fortſchritt in der Geſchichte der Helleniſchen Freiheit, die mit
ihm dem Principe nach unterging, genannt werden. Sie gab
ein weſentliches Element zu einer neuen und hoͤheren Geſtaltung
des Staatslebens, zu einer Monarchie, die von dem morgenlaͤndi-
ſchen Despotismus die Majeſtaͤt das Thrones, von der einſt de-
mokratiſchen Freiheit die Berechtigung und die perſoͤnliche Selbſt-
ſtaͤndigkeit der Beherrſchten uͤberkam. Mit Alexander errang das
Staatsleben dieſe hoͤhere Geſtaltung, die, in den Helleniſchen Sa-
gen vorgedeutet, im Macedoniſchen Koͤnigthum auf unentwickelte
Weiſe uͤberliefert, erſt jetzt mit dem Sturze der Aſiatiſchen Des-
potie und der demokratiſchen Freiheit zum hiſtoriſchen Bewußtſein
ward. Das Reich Alexanders iſt der erſte Verſuch eines monar-
chiſchen Organismus, wie ihn bisher weder das Morgenland, noch
die Theorien Helleniſcher Philoſophen geahnet hatten. Und wenn
dieſer erſte Verſuch noch beſchraͤnkt und mangelhaft geweſen, wenn
das Neue ſelbſt noch despotiſch in der Perſon Alexanders aufge-
treten iſt, ſo darf man weder vergeſſen, daß in der Vollendung
dieſes Syſtems ſelbſt die Geſchichte unſerer Gegenwart noch
immer ihre hoͤchſte Arbeit findet, noch auch verkennen, was
es heißt, daß den verknechteten Voͤlkern Aſiens ihre Nationalitaͤt,
dem zerriſſenen Leben Griechenlands Friede und Einheit zuruͤckge-
geben worden, daß die Voͤlker, ſonſt rechtlos der Willkuͤhr des
Despoten gegenuͤber, fortan Recht und Anerkennung, und die
Staaten, ſonſt herrenlos ihrer eigenen Willkuͤhr Preis gegeben,
einen Herren erhielten. Von Alexander her datiren die Anfaͤnge
einer Entwickelung, die allein das große Problem eines wahrhaft
ſtaatlichen Lebens zu loͤſen vermag; und ſelbſt in den Helleniſtiſchen
Reichen hat ſich trotz der furchtbaren Entartung, der ſie bald ver-
fallen ſind, eine verfaſſungsmaͤßige Iſegorie der ſogenannten Ma-
cedonier, Selbſtſtaͤndigkeit und Berechtigung der barbariſchen Un-
terthanen, gleiches Recht und Geſetz fuͤr Alle, mindeſtens der Form
nach, erhalten.


Wie großartig und einflußreich die organiſirende Thaͤtigkeit
Alexanders fuͤr ſein Reich und fuͤr die Foͤrderung ſeiner Voͤlker
geweſen iſt, das laͤßt ſich mehr vorausſetzen als nachweiſen; nur
[539] einzelne große Zuͤge ſind uͤberliefert, von denen man weitere
Schluͤſſe zu machen befugt iſt. Die unendliche Bewegung, die
durch ſeine Heereszuͤge uͤber das ganze Aſien gekommen war, die
unberechenbaren Folgen, welche die unmittelbare Beruͤhrung der
bis dahin geſchiedenen Voͤlker haben mußte, der ungeheuere Um-
ſchwung, den alle menſchliche Verhaͤltniſſe, den Kunſt und Wiſſen-
ſchaft, Handel und Gewerbe erfuhren, das Alles konnte erſt in
den naͤchſtfolgenden Zeiten vollſtaͤndig erkannt werden, und die
Geſchichte derſelben verſaͤumt es nicht, die ſtaunenswuͤrdigſten Be-
weiſe dafuͤr zu liefern; hier gilt es beſonders die Punkte aufzu-
weiſen, von denen jene großen Wirkungen ausgegangen ſind.


An die Spitze verdient die Umwaͤlzung, die durch Alexander
die Verbreitung des edlen Metalls erfahren hat, geſtellt zu wer-
den 90). Man darf mehrere hundert Millionen baares Geld
rechnen, welche bisher in den Schatzhaͤuſern des Großkoͤnigs auf-
gehaͤuft gelegen hatten, und jetzt im Verlauf weniger Jahre dem
Verkehr der Voͤlker zuruͤck gegeben wurden. Schon hierdurch allein
mußte das Koͤnigthum, von welchem immer neue Reichthuͤmer,
wie das Blut vom Herzen her, ausſtroͤmten, und durch den neu-
erwachenden Handel und Verkehr in immer raſcherer Circulation
durch die lange erſtorbenen Glieder des Reiches verbreitet wur-
den, einen poſitiven und durchgreifenden Einfluß auf das Leben
der Voͤlker gewinnen, deſſen Kraft das Perſiſche Koͤnigthum vampyr-
artig ausgeſogen hatte. Es darf nicht dagegen eingewendet wer-
den, daß Griechenland und namentlich Athen, trotz der ungeheue-
ren Reichthuͤmer Einzelner, ſeit dieſer Zeit zu verarmen begann;
das geſchichtliche Leben, das ſonſt, auf jener Scholle Land zuſammen-
gedraͤngt, geiſtige und irdiſche Guͤter in reichſter Fuͤlle entwickelt
hatte, ward jetzt uͤber eine Welt vertheilt; uͤberdieß mußte mit
der groͤßeren Maſſe des circulirenden Geldes der Werth deſſelben
fallen; endlich war wenigſtens ſeit den letzten funfzig Jahren das
meiſte edle Metall durch Perſiſche Huͤlfsgelder, durch Macedoni-
ſche Beſtechungen, durch die unzaͤhligen, aus Aſien heimkehrenden
[540] Soͤldner nach Griechenland gebracht; das Alles hoͤrte jetzt auf
oder verringerte ſich auf unverhaͤltnißmaͤßige Weiſe.


Nicht minder beachtenswerth iſt die Art, wie Alexander die
ungeheueren Schaͤtze, die er vorfand, verwendete. Durch den Sold
der Truppen, die ſich theils als Beſatzungen in den einzelnen Sa-
trapien befanden, theils im activen Dienſte von Land zu Land zo-
gen, mußte in die meiſten Landſchaften, die ſonſt nur gezahlt
hatten, von Neuem Geld und Wohlhabenheit kommen, da ſich
nach einem maͤßigen Ueberſchlage der Sold allein jaͤhrlich auf ſie-
ben Millionen unſeres Geldes berechnen laͤßt. Die ungeheuere
Verſchwendung des fruͤheren Perſiſchen Hoflagers war beſon-
ders dadurch druͤckend geweſen, daß ſie zum groͤßten Theil mit
Naturallieferungen beſtritten wurde; dieſe hob Alexander gaͤnz-
lich auf, ohne darum eine kaͤrgliche Hofhaltung einzufuͤhren; und
in demſelben Maaße, wie fruͤher des Großkoͤnigs Anweſenheit eine
Stadt oder Landſchaft ausſog, gewann ſie jetzt durch den Aufent-
halt des koͤniglichen Hoflagers. Die Pracht, mit der ſich der Koͤ-
nig namentlich in der letzten Zeit umgab, mußte nicht minder zur
Foͤrderung des Verkehrs und Wohlſtandes dienen; und wenn er-
zaͤhlt wird, daß er, um ſein ganzes Hofgeſinde in Purpur zu kleiden,
den Befehl nach Jonien ſandte, allen Vorrath an Purpurſtoffen
daſelbſt aufzukaufen, ſo iſt dies ein Fall von hunderten, wie des
Hofes großartige Pracht dem Lande zum Beſten gereichte. Dem
Beiſpiele des Koͤnigs folgten mehr oder minder ſeine Großen,
und was man auch von ihrer oft unſinnigen Verſchwendung ſa-
gen mag, jedenfalls mußte dieſelbe dem Handel und Gewerbe
hoͤchſt foͤrderlich ſein. Durch reiche Schenkungen, die mehr als
Ein Mal ein Talent fuͤr den Mann betrugen, ſorgte der Koͤnig
dafuͤr, daß auch die Truppen und namentlich die entlaſſenen Ve-
teranen bequem leben konnten; und wenn ſie dennoch mehr ver-
brauchten als ſie hatten, ſo bezahlte der Koͤnig mit beiſpielloſer
Freigebigkeit ihre Schulden. Mit wie koͤniglichem Sinn Alexan-
der ſeine Geldmittel zur Foͤrderung von Kunſt und Wiſſenſchaft
verwandte, iſt allgemein bekannt; und wenn es heißt, daß Ariſto-
teles Behufs ſeiner naturhiſtoriſchen Studien die Summe von
achthundert Talenten zu ſeiner Dispoſition erhielt, ſo wuͤrde man
[541] an der Wahrheit dieſer Angabe zu zweifeln geneigt ſein, wuͤrde
ſie nicht durch den Umfang ſeiner Leiſtungen beſtaͤtigt 91).


Nach einer alten Ueberlieferung fand man bei dem Tode
Alexanders funfzigtauſend Talente in dem oͤffentlichen Schatze 92);
bedenkt man, was dem Koͤnige bei ſeiner Ruͤckkehr aus Indien
die neue Organiſation und Bewaffnung ſeines Heeres koſten
mußte, bedenkt man die Schuldentilgung und die Geſchenke an
die heimkehrenden Veteranen, die großen Bauten, die namentlich
damals unternommen wurden, ſo die Wiederherſtellung des Kanal-
ſyſtems von Chaldaͤa, die Aufraͤumung der Abzugsgraͤden vom Co-
paisſee 93), die zehntauſend Talente, die auf den Scheiterhaufen
des Hephaͤſtion verwendet, die zehntauſend Talente, die nach Grie-
chenland zum Wiederaufbau der verfallenen Tempel geſandt wur-
den 94), bedenkt man ferner die großen Feſtlichkeiten, die ſich mehr-
fach wiederholten, und zu deren Verherrlichung Griechiſche Kuͤnſt-
ler bei Tauſenden angenommen wurden, endlich die hoͤchſt ausge-
dehnten Ruͤſtungen zur See und zu Lande, die das letzte Lebens-
jahr des Koͤnigs ausfuͤllten, ſo muß man geſtehen, daß das Alles
zu beſtreiten die Perſiſchen Schaͤtze, wie groß man ſie ſich auch
denken mag, nicht hinreichten, ja daß es bei einer jaͤhrlichen
Staatseinnahme von ſiebzigtauſend Talenten 95) immer noch einer
umſichtigen und wohlgeordneten Verwaltung bedurfte, um bei ſol-
chen Ausgaben noch einen ſo bedeutenden Schatz zu eruͤbrigen.


Leider ſind uͤber dieſen Punkt wenige Nachrichten auf uns
gekommen, und die wenigen beſchraͤnken ſich auf Angaben einzel-
ner druͤckender Maaßregeln, wie ſie ſich in großen Monarchien
und in bewegten Zeiten ſtets vorfinden werden; namentlich ge-
hoͤren dahin die Berichte uͤber die Finanzoperationen des Sa-
trapen Kleomenes in Aegypten, des Philoxenus in Carien und des
Antimenes in Babylon 96). Philoxenus forderte von den Reich-
ſten ſeiner Statthalterſchaft die Liturgien zu einem Bachusfeſte,
[542] und geſtattete denſelben, ſich durch baares Geld frei zu kaufen; er
wiederholte bei minder Beguͤterten daſſelbe, bis er ſo viel Geld,
als er brauchte, zuſammen hatte. Kleomenes vermehrte die Ein-
kuͤnfte ſeiner Satrapie durch hoͤheren Zoll der Getraideausfuhr,
wenn im Auslande Mangel war, durch Aufkauf alles vorraͤthigen
Getraides, das er dann mit einem Mehrpreiſe feil bot 97), durch eine
Abgabe auf heilige Krokodille, ſo wie auf die unverhaͤltnißmaͤßige
Zahl von Opfern, Prieſtern und Tempeln in ſeinem Lande. Anti-
menes endlich erneuete den aus der Gewohnheit gekommenen Ein-
fuhrzoll von zehn Prozent auf Alles, was nach Babylon einkam;
zugleich ſtiftete er eine Sklavenaſſecuranz, die gegen zehn Drachmen
jaͤhrlichen Beitrag fuͤr den Kopf, jedem Herrn, dem ein Sklave
entlief, die Zuruͤcklieferung deſſelben oder die Erſtattung ſeines
Werthes verſicherte. Alle dieſe Maaßregeln unterſcheiden ſich von
aͤhnlichen in den heutigen Monarchien nur dadurch, daß ſie nicht
allgemein und nicht Ausfluß einer hoͤchſten geſetzgebenden Gewalt wa-
ren; ſie zeigen die Verſuche monarchiſcher Organiſation in ihrer
erſten Kindheit; ſie haben vor den Maaßregeln der Perſiſchen
Verwaltung das voraus, daß ſie ſtets noch einen Schein der Ge-
ſetzlichkeit bewahren, waͤhrend die fruͤheren Satrapen nach Will-
kuͤhr brandſchatzten und pluͤnderten; daß dieſes auch von Beamten
Alexanders und namentlich waͤhrend ſeines Zuges nach Indien ge-
ſchehen, iſt nicht zu leugnen, aber eben ſo gewiß iſt, daß Verbre-
chen dieſer Art mit der ſtrengſten Gerechtigkeit beſtraft wurden.


Wie die Adminiſtration gegliedert und geordnet war, iſt nicht
genau zu erkennen; jedenfalls war ſie nach dem Herkommen in
den einzelnen Landſchaften vielfach modificirt, und nach der allge-
meinen Norm des neuen Koͤnigthums darf man annehmen, daß
eine gleichmaͤßige Einheit zunaͤchſt nur in den hoͤchſten Sphaͤren
feſtgehalten war, welche weiter und weiter in das Leben der Voͤlker ein-
zubilden der Zeit uͤberlaſſen blieb. Die unzweideutige Anhaͤnglich-
keit und Ergebenheit der Aſiaten fuͤr Alexander waͤre ſchon Be-
weis genug, daß in demſelben Maaße, als ſie ſich unter ſeinem
Scepter gluͤcklicher fuͤhlten, wie unter dem Joche der Perſiſchen
[543] Großkoͤnige, fuͤr ihre materiellen Intereſſen jetzt mehr als fruͤ-
her geſorgt war; und es giebt ausdruͤckliche Zeugniſſe, daß in den
naͤchſten Jahrzehnten die Voͤlker Alexanders Regierung als die
Zeit ihres Gluͤckes und einer milden Herrſchaft prieſen 98). Be-
denkt man, daß funfzig Jahre ſpaͤter das Aegyptiſche Reich allein
faſt halb ſo viel Einkuͤnfte rechnete, als die ganze Monarchie Alex-
anders 99), und daß Kleomenes, unter Alexanders Satrapen der
am meiſten verſchriene, waͤhrend ſeiner achtjaͤhrigen Verwaltung
nicht mehr als achttauſend Talente zuſammengeſcharrt hatte, welche
waͤhrend der vielgeruͤhmten Regierung des erſten Lagiden, in vier-
zig durch viele koſtſpielige Kriege ausgezeichneten Jahren, faſt genau
um das Hundertfache vermehrt waren 100), ſo wird man behaupten
duͤrfen, daß Alexanders Verwaltungsſyſtem, wenigſtens im Ver-
haͤltniß zu dem Perſiſchen und zu dem der Helleniſtiſchen Fuͤrſten,
um der Roͤmer nicht zu erwaͤhnen, milde und fuͤr die Voͤlker
foͤrderlich geweſen ſei.


Bereits oben iſt angefuͤhrt worden, wie unter Alexanders
Regierung Alles zuſammen wirkte, die Betriebſamkeit und den
Verkehr der Voͤlker neu zu beleben und zum Theil erſt zu er-
wecken; vielleicht nie wieder iſt von dem perſoͤnlichen Einfluß ei-
nes
Mannes eine ſo ungeheuere und ſo ploͤtzliche Umgeſtaltung
aller hierauf bezuͤglichen Verhaͤltniſſe ausgegangen; ſie war nicht
das gluͤckliche Ergebniß zuſammentreffender Zufaͤlligkeiten, ſondern
von dem Koͤnige bezweckt und mit bewußter Conſequenz durchge-
fuͤhrt. Denn wenn ein Mal die Voͤlker Aſiens aufgeruͤttelt wa-
ren, wenn der Weſten die Genuͤſſe des Oſtens, der Oſten die
Kuͤnſte des Weſtens kennen und beduͤrfen gelernt hatte, wenn die
Abendlaͤnder, die in Indien oder Baktrien geblieben, die Aſiaten,
die aus allen Satrapien am Hofe verſammelt waren, des Heimi-
ſchen in der Fremde nur um ſo mehr begehrten, wenn das Durchein-
[544] ander der verſchiedenſten Lebensweiſen und Beduͤrfniſſe, wie es
ſich zur hoͤchſten Pracht geſteigert am Koͤnigshofe fand, in den
Satrapien, in den Haͤuſern der Vornehmen, in allen Kreiſen des
Lebens mehr oder minder zur herrſchenden Mode werden mußte,
ſo ergab ſich unmittelbar das Beduͤrfniß eines großen und durch-
greifenden Handelsverkehres, und es kam vor Allem darauf an,
demſelben die ſicherſten und bequemſten Straßen zu oͤffnen, und
ihm in einer Reihe bedeutender Centralpunkte Ordnung und Staͤ-
tigkeit zu geben. Dieſe Ruͤckſicht hat Alexander von Anfang an
bei ſeinen Gruͤndungen und Coloniſirungen im Auge gehabt, und
die meiſten ſeiner Staͤdte ſind bis auf den heutigen Tag die be-
deutendſten Emporien Aſiens; nur daß heute die Karavanenzuͤge
raͤuberiſchen Ueberfaͤllen und willkuͤhrlichen Bedruͤckungen der Ge-
walthaber ausgeſetzt ſind, waͤhrend in Alexanders Reiche die Stra-
ßen geſichert, die Raͤuberſtaͤmme der Gebirge und der Wuͤſten ge-
ſchreckt oder zur Anſiedelung genoͤthigt, die koͤniglichen Beamten
zur Foͤrderung und Sicherung des Verkehrs verpflichtet und be-
reit waren. Auch die Kauffahrtei auf dem Mittelmeere wuchs
außerordentlich, und ſchon jetzt begann das Aegyptiſche Alexandrien
Mittelpunkt des mittellaͤndiſchen Verkehrs zu werden, der durch
des Koͤnigs Bemuͤhungen bald vor den Seeraͤubereien Italiſcher
Barbaren geſchuͤtzt wurde. Beſonders wichtig aber war die uner-
muͤdliche Sorgfalt, mit der Alexander neue maritime Verbin-
dungen zu eroͤffnen ſuchte; ſchon war es ihm gelungen, einen
Seeweg vom Indus zum Euphrat und Tigris zu finden; die
Gruͤndung Helleniſtiſcher Hafenſtaͤdte an den Muͤndungen dieſer
Stroͤme fixirte den Verkehr auf dieſer Seite; was Alexander
that, denſelben in Aufnahme zu bringen, und dem Inneren des
Aramaͤiſchen Tieflandes mit den Strommuͤndungen in aͤhnlicher
Weiſe, wie den Indusmuͤndungen mit den oberen Induslandſchaf-
ten, unmittelbare Handelsverbindung zu gewaͤhren, wie er die
Auffindung eines weiteren Seeweges vom Perſiſchen Meerbuſen
aus um die Halbinſel Arabien bis in das rothe Meer und die
Naͤhe von Alexandrien projektirte, wie er Heer- und Handelsſtra-
ßen vom Aegyptiſchen Alexandrien aus, abendwaͤrts an der Suͤd-
kuͤſte des Mittelmeeres entlang zu fuͤhren beabſichtigte, wie er end-
lich
[545] lich in der Hoffnung, eine Verbindung des Kaspiſchen Meeres
mit dem noͤrdlichen und weiter dem Indiſchen Ocean aufzufinden,
in den Hyrkaniſchen Waͤldern Schiffe zu bauen anordnete, davon
wird demnaͤchſt in der Geſchichte ſeines letzten Lebensjahres, wel-
ches ganz dieſen Ruͤſtungen und der ausgedehnteſten Organiſation
gewidmet iſt, die Rede ſein. Wenn auch uͤber die Zerruͤttung der
naͤchſtfolgenden Zeit Manches von dieſen Plaͤnen unausgefuͤhrt ge-
blieben, manches bereits ins Werk Geſetzte wiederum aufgegeben
worden iſt, ſo bleibt doch ſo viel gewiß, daß die neue Geſtalt,
welche Handel und Gewerbe durch Alexander gewonnen, zur Hel-
leniſirung des Aſiatiſchen Weſtens außerordentlich viel beigetragen
hat.


Ein anderer Hauptpunkt, fuͤr die Umgeſtaltung der Weltver-
haͤltniſſe und fuͤr die Entwickelungsgeſchichte der Menſchheit viel-
leicht der wichtigſte, iſt die von Alexander bezweckte und begruͤn-
dete Voͤlkermiſchung. Von den Mitteln, deren ſich der Koͤnig be-
diente, um dieſes groͤßeſte Werk ſeines großen Lebens zu vollbrin-
gen, von den Schwierigkeiten und Gefahren, denen er deshalb zu
begegnen hatte, von den erſten Geſtaltungen, in denen dieß Prin-
cip einer neuen Weltepoche auftrat, iſt im Verlaufe dieſer Ge-
ſchichte mehrfach die Rede geweſen. In einer Zeit von zehn Jah-
ren war eine Welt entdeckt und erobert worden, waren Millionen
fuͤr den Thron eines Fremdlings gewonnen und mit dem Geiſte
eines fremden Welttheils neu belebt worden, waren die Schran-
ken gefallen, die Morgen- und Abendland ſchieden, und die Wege
geoͤffnet, die fortan die Laͤnder des Aufganges und Niederganges
mit einander vereinen ſollten. Ein alter Schriftſteller ſagt: wie in
einem Becher der Liebe waren die Elemente alles Voͤlkerlebens in
einander gemiſcht, und die Voͤlker tranken gemeinſam aus dieſem
Becher, und vergaßen der alten Feindſchaft und der eigenen Ohn-
macht. Olympias Traum war erfuͤllt, die Flamme ihres Schoo-
ßes, von der ſie in der Brautnacht getraͤumt, hatte die Laͤnder
der Welt entzuͤndet, und in eine Feuersbrunſt alle Vergangen-
heit, alle Schranke niedergebrannt, daß der Feuerſchein bis in
die Wuͤſteneien des Nordens und in die ſtillen Waͤlder des Gan-
ges wiederleuchtete.


Die Elemente, die Alexander mit einander vereinte, ſind in
35
[546] ihren letzten Formen die brennende Lebendigkeit des Griechen-
thums, den es an Stoff, die erſtorbenen Maſſen des Aſiatiſchen
Voͤlkerthums, dem es an Leben gebrach; Beide bedurften einander;
nun endlich ſaͤttigte ſich Hellas an der Ueberfuͤlle Aſiens und Alex-
ander vollendete das große Werk, das Dionyſos den Hellenen be-
gonnen; nun endlich trank Aſien in vollen Zuͤgen von dem Helle-
niſchen Geiſte und das ſchlummernde Leben der Voͤlker erwachte
gelaͤuterter.


Dies iſt der Ort nicht, darzuſtellen, zu welchen Folgen ſich
jene Vermiſchung der Voͤlker entwickelt hat; ſie ſind die Geſchichte
der naͤchſten Jahrhunderte; aber ſchon laſſen ſich die neuen Keime
deutlich erkennen, die ſich in Kunſt, Wiſſenſchaft und Religion,
in allem menſchlichen Erkennen und Wollen von dieſer Zeit an im-
mer reicher entfaltet haben. Die Helleniſche Kunſt bereichert ſich
mit Aſiatiſcher Pracht, ſie beginnt die ſtille Groͤße harmoniſcher
Verhaͤltniſſe zu der ſtolzen Herrlichkeit gewaltiger Maſſen zu ſtei-
gern, und den feierlichen Ernſt ihrer Plaſtik mit allem ſchwelgeri-
ſchen Schmuck des Morgenlandes zu umkleiden; die duͤſtere Pracht
der Aegyptiſchen Tempel, die phantaſtiſchen Felſenbauten von Per-
ſopolis, die Rieſentruͤmmer von Babylon, die Indiſchen Pracht-
bauten mit ihren Schlangenidolen und den lagernden Elephanten un-
ter den Saͤulen, das Alles wird dem Helleniſchen Kuͤnſtler, mit
den Traditionen ſeiner heimathlichen Kunſt vermiſcht, ein reicher
Schatz neuer Anſchauungen und Entwuͤrfe; ſo entſtand jener Rie-
ſenplan des Dinokrates, den Berg Athos zu einer Statue Alex-
anders auszumeißeln, deren eine Hand eine Stadt von zehntauſend
Einwohnern tragen, die Andere einen Bergſtrom in maͤchtigen
Katarakten in das Meer hinabgießen ſollte; ſo jener Plan Alex-
anders, dem Gedaͤchtniß ſeines Vaters Philipp eine Pyramide,
der hoͤchſten Aegyptiſchen gleich, zu errichten. Auch die poetiſche
Kunſt verſuchte es, an dieſem neuen Leben Antheil zu gewinnen;
aber erſtorben wie ſie ſchon war, hat ſie es nicht mehr vermocht,
die Farbenpracht Perſiſcher Maͤhrchen oder die uͤberirdiſche Feier-
lichkeit monotheiſtiſcher Pſalmen und Prophetien in ſich anfzuneh-
men; ſie kehrte ſchnell zur blinden Nachahmung ihrer claſſiſchen
Zeit zuruͤck und uͤberließ es dem Morgenlande, die Erinnerung an
den gemeinſanen Helden Iskander in tauſend Sagen und Geſaͤn-
[547] gen von Geſchlecht zu Geſchlecht zu vererben. Unter den redenden
Kuͤnſten der Hellenen konnte nur die juͤngſte, die noch friſch und
lebendig unter den Zeitgenoſſen bluͤhte, des Neuen theilhaftig wer-
den, und die ſogenannte Aſianiſche Beredſamkeit, bluͤhend und
uͤberreich an Schmuck, iſt ein charakteriſtiſches Erzeugniß dieſer
Zeit.


Deſto groͤßer war die Umgeſtaltung, welche ſich in den Wiſ-
ſenſchaften kund zu thun begann. Durch Ariſtoteles war jener groß-
artige Empirismus ins Leben gerufen, deſſen die Wiſſenſchaft be-
durfte, um des ungeheueren Vorrathes von neuem Stoff, den
Alexanders Zuͤge jedem Zweige des menſchlichen Erkennens ero-
berten, Herr zu werden. Der Koͤnig, ſelbſt Schuͤler des Ariſto-
teles, und mit Allem, was die Studien Helleniſcher Aerzte, Phi-
loſophen und Rhetoren bisher geleiſtet hatten, ſehr vertraut, be-
wahrte, dem Helden unſerer Zeit darin gleich, ſtets das lebendigſte
Intereſſe fuͤr dieſelben; ihn begleiteten auf ſeinen Zuͤgen Maͤnner
von allen Faͤchern der Wiſſenſchaft; ſie beobachteten, ſie forſchten,
ſie vermaaßen die neuen Laͤnder und die Hauptſtraßen in denſel-
ben, ſie entwarfen Karten des Reichs fuͤr das Archiv des Koͤnigs.
Ebenſo begann fuͤr die geſchichtlichen Studien eine neue Epoche;
man konnte jetzt an Ort und Stelle forſchen, konnte die Sagen
der Voͤlker mit ihren Denkmalen, ihre Schickſale mit ihren
Sitten vergleichen, und trotz der unzaͤhligen Irrthuͤmer und Maͤhr-
chen, welche durch die ſogenannten Schriftſteller Alexanders ver-
breitet wurden, iſt doch erſt mit dieſer Zeit eine wahrhafte Ge-
ſchichtsforſchung ins Leben getreten. In mancher Beziehung konnte
der Grieche unmittelbar von dem Morgenlaͤnder lernen, und die
große Tradition aſtronomiſcher Beobachtungen in Babylon, die
bedeutende Arzeneikunde, die im Indiſchen Lande geweſen zu ſein
ſcheint, die eigenthuͤmlichen Kenntniſſe der Anatomie und Mecha-
nik unter den Prieſtern Aegyptens mochten dem Griechen viel-
fach Neues darbieten. Die eigenthuͤmliche Entwickelung des Grie-
chiſchen Geiſtes hatte bisher die Philoſophie als den Inbegriff
alles Wiſſens dargeſtellt; jetzt emancipirten ſich die einzelnen Rich-
tungen des Erkennens, die exacten Wiſſenſchaften begannen ſich,
auf ſelbſtſtaͤndige Emperie geſtuͤtzt, zu entfalten, waͤhrend die Phi-
loſophie, uneins uͤber das Verhaͤltniß des Denkens zur Wirklichkeit,
35 *
[548] bald die Erſcheinungen fuͤr die Gedanken, bald die Erkenntniß fuͤr
die Erſcheinungen unzulaͤnglich nannte.


Es liegt in der Natur der Sache, daß die Umgeſtaltung des
Voͤlkerlebens in ſittlicher, ſocialer und religioͤſer Beziehung langſa-
mer und bis auf einzelne Eruptionen unmerklich vor ſich gehen
mußte; und wenn ſich gegen das Neue, welches unter Alexanders
Regiment natuͤrlicher Weiſe zu ploͤtzlich, zu unvorbereitet, faſt ge-
waltſam ins Leben gerufen war, mit ſeinem Tode eine Reaction
hervorthat, welche in den dreißig Jahren der Diadochenkaͤmpfe
bald dieſer, bald jener Parthei beitrat, ſo war das Reſultat kein
anderes, als daß das Neue endlich zur Gewohnheit ward, und,
nach den volksthuͤmlichen Verſchiedenheiten modificirt, ſolche For-
men annahm, in die ſich das Leben der Voͤlker fortan ruhig und
friedlich hineinbilden konnte. Auf ein allmaͤhliges Verſchwinden
nationaler Vorurtheile, auf eine gegenſeitige Annaͤherung in Be-
duͤrfniſſen, Sitten und Anſichten, auf ein poſitives und unmittel-
bares Verhalten der ſonſt entzweiten Volksthuͤmlichkeiten gruͤndete
ſich ein vollkommen neues geſelliges Leben; und wie etwa in neuer
Zeit der Gebrauch der franzoͤſiſchen Sprache und der Frack die
Einheit der civiliſirten Welt bekundet, ſo hat ſich in jener Helle-
niſtiſchen Zeit und, ich zweifele nicht, unter aͤhnlichen Formen eine
Weltbildung durchgearbeitet, die am Nil und Jaxartes dieſelben
conventionellen Formen als die der guten Geſellſchaft, der gebilde-
ten Welt geltend machte. Attiſche Sprache und Sitte war die
Richtſchnur der Hoͤfe von Alexandria und Babylon, von Bak-
tra und Pergamum geweſen, und als der Hellenismus ſeine poli-
tiſche Selbſtſtaͤndigkeit dem Roͤmiſchen Staate gegenuͤber verlor,
begann er in Rom die Herrſchaft der Mode und Bildung zu ge-
winnen. So darf man den Hellenismus mit Recht die erſte
Welteinheit nennen; waͤhrend das Achaͤmenidenreich nichts als ein
aͤußerliches Agregat von Laͤndermaſſen war, deren Bevoͤlkerungen
nur die gleiche Knechtſchaft mit einander gemein hatten, blieb in
den Laͤndern des Hellenismus, ſelbſt als ſie zu verſchiedenen Rei-
chen zerfielen, die hoͤhere Einheit der Mode, des guten Tons, der
Bildung, oder wie man ſonſt dieſes ſtets wechſelnde Niveau der
menſchlichen Geſellſchaften nennen will.


Auf die ſittlichen Zuſtaͤnde der Voͤlker haben politiſche Ver-
[549] aͤnderungen ſtets um ſo groͤßeren Einfluß, je naͤher und unmittel-
barer das Verhaͤltniß eines Volkes zum Staat iſt. Derſelbe Man-
gel an geſchichtlicher Durchbildung, welcher den Voͤlkern Aſiens
bisher eine hoͤhere ſtaatliche Exiſtenz unmoͤglich gemacht hatte, ließ
ſie zunaͤchſt und zum guten Theil von der neuen Bewegung der
Gedanken unberuͤhrt; und wenn ſich Alexander vielfach ihrem
Herkommen und ihren Vorurtheilen gefuͤgt hatte, ſo zeigt das,
auf welchem Wege allein es moͤglich war, ſie allmaͤhlich uͤber ſich
ſelbſt hinauszufuͤhren. Natuͤrlich war der Erfolg dieſer Bemuͤ-
hungen je nach dem Charakter der verſchiedenen Voͤlker ſehr ver-
ſchieden; und waͤhrend unter den Hyrkaniern und Gedroſiern
kaum noch die erſten Anfaͤnge Wurzel faſſen mochten, hatte der
Aegyptier ſchon ſeinen Abſcheu gegen die kaſtenloſen Fremdlinge,
der Phoͤnicier ſeinen engherzigen Kaufmannsſtolz zu verlernen be-
gonnen. Dennoch konnte erſt die Geſchichte der Folgezeit zeigen,
wie ſich uͤberall eine neue und analoge Weiſe zu ſein, zu denken
und zu handeln durcharbeitete; dies um ſo mehr, da den meiſten
alt Aſiatiſchen Voͤlkern die ſubſtantielle Grundlage ihrer Moral,
ihrer perſoͤnlichen und rechtlichen Verhaͤltniſſe, welche der Grieche
jener Zeit nur als Gewohnheit, Tradition oder buͤrgerliches Geſetz
kannte, in der Religion enthalten war und erſt mit dieſer er-
ſchuͤttert und umgewandelt werden konnte. Die Voͤlker Aſiens
aufzuklaͤren, ihnen die Feſſeln der Superſtition, der unfreien Froͤm-
migkeit, zu zerreißen, ihnen das Wollen und Koͤnnen ſelbſtiſcher Ver-
ſtaͤndigkeit zu erwecken und zu allen guten und boͤſen Conſequenzen
zu ſteigern, kurz ſie fuͤr das geſchichtliche Leben zu emancipiren,
das war die Arbeit, welche der Hellenismus in Aſien zu voll-
bringen verſucht und zum Theil, wenn auch erſt ſpaͤt, vollbracht
hat. — Deſto ſchneller und entſchiedener iſt die Umgeſtaltung der
ſittlichen Zuſtaͤnde in dem Macedoniſchen und Griechiſchen Volks-
thum hervorgetreten. Beiden gemeinſam iſt ſeit Alexanders Zeit
der Hang zum Ueberſpannten, das Hingeben an die Gegenwart
des kraſſeſte Egoismus; und doch, wie verſchieden ſind ſie in jeder
Beziehung. Der Macedonier, vor drei Jahrzehnten noch von
baͤuriſcher Einfalt, an der Scholle haftend und in dem gleichguͤl-
tigen Einerlei ſeiner armen Heimath gluͤcklich, denkt jetzt nichts
als Ruhm, Macht und Kampf; er fuͤhlt ſich Herr einer neuen
[550] neuen Welt, die er ſtolzer iſt zu verachten als erobert zu haben;
aus den unablaͤſſigen Kriegszuͤgen Alexanders hat er jenes trotzige
Selbſtgefuͤhl, jenen kalten militaͤriſchen Stolz, jene Geringſchaͤ-
tzung der Gefahr und des eigenen Lebens heimgebracht, wie ihn
die Zeit der Diadochen oft genug in der Karikatur zeigt; und
wenn eine große geſchichtliche Vergangenheit das Leben und die
Phyſionomie der Voͤlker durchgeiſtigt und bedeutſam macht, ſo iſt
dem Antlitz des Macedoniers in den Narben des zwoͤlfjaͤhrigen
morgenlaͤndiſchen Krieges, in den Stirnfurchen vieler Strapazen
und durchkaͤmpften Gefahren, in den Spuren der Entbehrungen
und Ausſchweifungen aller Art das Gepraͤge einer kurzen aber
großen geſchichtlichen Arbeit aufgedruͤckt. Anders der Grieche;
ſeine Zeit iſt voruͤber; weder von dem Drange zu neuen Thaten
noch von dem Bewußtſein politiſcher Macht gehoben, ſonnt er
ſich in dem Glanze großer Erinnerungen; ruhmgierig und genuß-
ſuͤchtig, wie er iſt, liebt er minder Ruhm als Prahlerei, minder
Genuß als deſſen grellſten Wechſel; leichtſinnig bis zur Fieberhaf-
tigkeit, aller Innerlichkeit leer, ohne Haltung und Wollen, ohne
Tugend und Religion, geht das Griechenthum in jene geiſtreiche,
pikante, zerfreſſende Verworfenheit uͤber, welche ſtets das letzte
Stadium in dem Leben der Voͤlker bezeichnet; alles Poſitive,
ſelbß das Gefuͤhl der eigenen Erniedrigung iſt vertilgt, das Werk
der Aufklaͤrung hat ſich vollbracht.


Man darf behaupten, daß durch dieſe Aufklaͤrung, ſo widrig
und nivellirend ſie im Einzelnen erſcheint, die Kraft des Heiden-
thums gebrochen und eine geiſtigere Entwickelung der Religion
moͤglich geworden iſt. Nichts iſt in dieſer Beziehung foͤrderlicher
geweſen, als jene ſonderbare Erſcheinung der Goͤttermiſchung, der
Theokraſie, an der in den naͤchſtfolgenden Jahrhunderten alle Voͤl-
ker des Hellenismus Antheil nahmen Wenn man die Gottheiten
und mehr noch die Mythen des Heidenthums als Auspraͤgung
geſchichtlicher, nationeller Verſchiedenheit betrachten darf, ſo traf
Alexander in ſeinem unablaͤſſigen Streben nach Voͤlkervereinigung
das entſchieden richtigſte Mittel, wenn er, in deſſen Perſon und
Regiment zunaͤchſt jene Einheit praͤformirt ſein mußte, jeden Na-
tionalcultus ohne Unterſchied ehrte und mit gleicher Froͤmmigkeit
den Goͤttern von Aegypten und Indien, von Babylon und Hellas
[551] opferte; ſein Beiſpiel wirkte in weiten und weiteren Kreiſen, man
begann Goͤtter der Fremde heimiſch zu machen und fand heimath-
liche Goͤtter in der Fremde wieder, man begann die Sagenkreiſe
und Theogonien der verſchiedenen Voͤlker mit einander zu verglei-
chen und in Einklang zu bringen, man begann ſich zu uͤberzeugen,
daß alle Voͤlker mehr oder minder dieſelben Gottheiten verehrten,
und daß die Unterſchiede ihrer Namen, Attribute und Dienſte
nur zufaͤllig und aͤußerlich ſeien. So offenbarte es ſich, daß die
Zeit nationeller, das heißt heidniſcher Religionen voruͤber, daß die
Menſchheit einer einigen und allgemeinen Religion beduͤrftig ſei;
die Theokraſie war ſelbſt nichts als ein Verſuch, durch Vermi-
ſchung aller jener nationaler Religionsſyſteme eine Einheit hervor-
zubringen, welche in ihr doch nimmer erreicht werden konnte. Es
war die Arbeit der Helleniſtiſchen Jahrhunderte, die Elemente ei-
ner hoͤheren und wahrhafteren Einigung zu entwickeln, das Ge-
fuͤhl der Endlichkeit und Ohnmacht, das Beduͤrfniß der Buße und
des Troſtes, die Kraft der tiefſten Demuth und der Erhebung zur
Freiheit in Gott zu erwecken; es ſind die Jahrhunderte der Gott-
loſigkeit, der tiefſten Zerknirſchung, des immer lauteren Rufes nach
dem Erloͤſenden. In Alexander hatte ſich der Anthropomorphismus
des Griechiſchen Heidenthums erfuͤllt, der Menſch war Gott, Goͤt-
ter nicht mehr; ſein, des Gottes, war das Reich dieſer Welt, in
ihm der Menſch erhoͤht zu der letzten Hoͤhe der Endlichkeit, durch
ihn die Menſchheit erniedrigt vor dem anzubeten, der der
Sterblichgeborenen einer war.


[[552]]

Neuntes Kapitel.
Schluß.


Bald nach dem Aufbruch der Veteranen aus Opis verließ auch
Alexander mit den uͤbrigen Truppen dieſe Stadt, um zur Medi-
ſchen Reſidenz Ekbatana hinauf zu ziehen. Manches kam zuſam-
men, einen laͤngeren Beſuch in Medien nothwendig zu machen;
Medien vor Allen hatte waͤhrend des Koͤnigs Aufenthalt in In-
dien von der Zuͤgelloſigkeit und dem Uebermuthe Macedoniſcher
Beamten und Befehlshaber viel gelitten, und wennſchon dieſe
mit der ganzen Strenge des Geſetzes beſtraft waren, ſo mochte
der Koͤnig doch außer dieſer Genugthuung der Landſchaft um ſo
mehr neue Beweiſe ſeiner Gnade ſchuldig zu ſein glauben, als ſie
ſich trotz alles Druckes und trotz der vielfachen Anreizungen zum
Aufſtande treu bewaͤhrt hatte; denn Baryaxes hatte vergebens
die Fahne des Aufruhrs erhoben, er war durch den Satrapen
Atropates dem Gerichte des Koͤnigs uͤberliefert worden. Aber
auch durch ſeine misgluͤckten Bemuͤhungen mochten mancherlei Un-
ordnungen hervorgebracht worden ſein, die des Koͤnigs Anweſen-
heit noͤthig machten. Dazu kam, daß der koͤnigliche Schatz von
Ekbatana durch Harpalus gepluͤndert war, und Alexander in Per-
ſon an Ort und Stelle die ungeheueren Defecte, die ſich auf
mehrere Millionen beliefen, zu unterſuchen fuͤr noͤthig hielt. End-
lich war die Straße durch die Mediſchen Berge noch keinesweges
ſo ſicher, wie es fuͤr den lebhaften Verkehr zwiſchen den Syri-
ſchen Satrapien und dem oberen Lande erforderlich war; unter
der Reihe der Bergvoͤlker von Armenien bis zur Karamaniſchen
[553] Kuͤſte waren immer noch die Koſſaͤer, die raͤuberiſchen Bewohner
des Zagrosgebirges, nicht gedemuͤthigt, und jeder Karavanenzug, der
nicht mit bedeutender Bedeckung den Weg der Mediſchen Paͤſſe
einſchlug, ihren Ueberfaͤllen ausgeſetzt. Das etwa waren die Gruͤn-
de, welche den Koͤnig bewogen, ſeine Ruͤckkehr nach Babylon,
wohin die Reſidenz des Reiches verlegt war, ſo wie den Beginn
der neuen Unternehmungen gen Suͤden und Weſten, die ihn jetzt
unablaͤſſig beſchaͤftigten, bis zum naͤchſten Fruͤhjahr zu verſchieben.


So ging Alexander, es mochte gegen Ende Auguſt 324 ſein,
von Opis aus auf der gewoͤhnlichen Mediſchen Straße gen Ekba-
tana; die Truppen folgten in mehreren Abtheilungen durch die
noͤrdlichen Diſtrikte der Landſchaft Sittacene. Alexander war uͤber
die Flecken Karraͤ und von da in vier Tagen gen Sambata ge-
kommen; er blieb hier ſieben Tage, bis die verſchiedenen Colon-
nen zuſammengetroffen waren. Mit drei Tagemaͤrſchen erreichte
man die Stadt Kelonaͤ 1), wenige Meilen von den Zagrospaͤſſen,
von Griechen bewohnt, die, zur Zeit der Perſerkriege hierher ge-
bracht, in Sprache und Sitten noch immer das Helleniſche, wenn
auch nicht rein, bewahrten. Von hier aus zog Alexander zu der
Paßgegend von Bagiſtame 2); er verließ den Weg, um die be-
[554] ruͤhmten Anlagen, die ſich in der Ebene vor den Bergen befanden
und die man den Garten der Semiramis nannte, in Augenſchein
zu nehmen. Bei ſeinem weiteren Zuge beſuchte er jenſeits des
Paſſes das reiche Nyſaͤiſche Thal 3), in welchem die ungeheueren Roß-
heerden der Perſerkoͤnige weideten; er fand der Pferde noch funfzig-
bis ſechzigtauſend. Das Heer verweilte hier einen Monat. Der
Satrap Atropates von Medien kam dem Koͤnige hier entgegen,
ihn an den Grenzen ſeiner Satrapie zu begruͤßen; er brachte, ſo
wird erzaͤhlt, hundert Weiber zu Roß, mit Streitaͤxten und klei-
nen Schilden bewaffnet, in das Lager, indem er ausſagte, dies ſeien
Amazonen; eine Erzaͤhlung, die zu den ſonderbarſten Ausſchmuͤckun-
gen Anlaß gegeben hat 4).


Ein aͤrgerlicher Vorfall ſollte dieſe Zeit der Ruhe in den
Nyſaͤiſchen Feldern unterbrechen. In der Umgebung Alexanders
befanden ſich Eumenes von Kardia und Hephaͤſtion. Der Grie-
che von Kardia, welcher die erſte Stelle in dem Kabinet des
Koͤnigs hatte und von demſelben wegen ſeiner großen Gewandt-
[555] heit und Ergebenheit vielfach und namentlich noch bei der Hoch-
zeitfeier von Suſa durch die Vermaͤhlung mit Artabazus Tochter
geehrt war, hatte gleichwohl die aͤcht Griechiſche Liebe zum Gelde
in einem Maaße, wie es nur bei ſeinen ſonſtigen ausgezeichneten
Eigenſchaften zu verzeihen war; und Alexander war klug genug,
den habſuͤchtigen Kardianer, ſo oft er deſſen Vortheil mit ſeinem
Pflichteifer oder ſeiner Hingebung in Colliſion ſah, auf das Frei-
giebigſte zu bedenken. Nur einmal, es war noch in Indien und
der Koͤnig hatte die Ausruͤſtung der Trieren fuͤr die Stromflotte,
da ſeine Kaſſen erſchoͤpft waren, als Ehrenſache den Generalen
uͤberlaſſen, aͤrgerte ſich Alexander zu ſehr an dem ſchmutzigen Geize
des Eumenes, als daß er ſich haͤtte verſagen ſollen, ihm eine tuͤch-
tige Lehre zu geben. Eumenes ſollte dreihundert Talente verwen-
den, er gab nur hundert und verſicherte den Koͤnig, daß er kaum
dieſe mit aller Muͤhe habe zuſammenbringen koͤnnen; und doch
kannte Alexander ſeinen Reichthum; er machte ihm keine Vor-
wuͤrfe, nahm aber das Dargebotene nicht an; er befahl, in der
Stille der Nacht das Zelt des Eumenes anzuzuͤnden, um ihn dann,
wenn er in voller Angſt vor dem Feuer, dem uͤbrigens ſogleich
wieder Einhalt gethan werden ſollte, ſeine Schaͤtze heraus ſchlep-
pen ließe, dem allgemeinen Spotte Preis zu geben. Leider griff
das Feuer ſo ſchnell um ſich, daß es das ganze Zelt mit Allem,
was in demſelben war, namentlich vielen Buͤchern, verzehrte; das
geſchmolzene Gold und Silber, das man in der Aſche fand, be-
trug allein uͤber zweitauſend Talente. Alexander erſetzte ihm ſei-
nen Verluſt reichlich, und Eumenes war es zufrieden, mit einem
kleinen Schrecken groͤßere Reichthuͤmer gewonnen zu haben 5). Bei
den Macedoniern, namentlich den Generalen, war Eumenes we-
gen ſeines kraͤmerhaften Sinnes, wegen ſeiner Schlauheit und we-
gen des hohen Anſehens, das er, der Grieche, am Hofe genoß,
wenig beliebt; und daß ihn vor Allen Hephaͤſtion, der durch ſein
nahes Verhaͤltniß zu Alexander ſehr oft mit ihm in Beruͤhrung
kam, nicht mochte, war nach dem Charakter des edlen Pellaͤers
natuͤrlich. Alles, was von dieſem berichtet wird, zeigt ſeinen mil-
[556] den, innigen und liebenswuͤrdigen Sinn, ſeine unbegrenzte und wahr-
haft ruͤhrende Anhaͤnglichkeit fuͤr den Koͤnig; Alexander liebte in
ihm den Geſpielen ſeiner Kindheit, und aller Glanz des Thrones
und des Ruhmes, und jener Wechſel in Alexanders aͤußerem und
inneren Leben, um deſſen Willen Mancher, dem er viel vertraut,
an ihm irre geworden war, hatten ihr ſchoͤnes Verhaͤltniß nicht zu
ſtoͤren vermocht; ihre Freundſchaft hatte jene ſchwaͤrmeriſche In-
nigkeit des Juͤnglingsalters, dem ſie Beide faſt noch angehoͤrten;
die Erzaͤhlung, wie Alexander einen Brief von ſeiner Mutter voll
Vorwuͤrfe und Klagen, die er auch dem Freunde gern verſchwieg,
durchlas, und Hephaͤſtion ſich uͤber des Freundes Schultern lehnt
und mitlieſt, und der Koͤnig ihm dann den Siegelring auf den
Mund druͤckt, zum Zeichen des Geheimniſſes, das iſt das Bild,
wie man ſich Beide denken mag 6).


Hephaͤſtion und Eumenes hatten ſchon mehrfach mit einander
Streit gehabt, und ihre gegenſeitige Abneigung bedurfte keines
großen Anlaſſes, um in neuen Zwiſt auszubrechen. Ein Geſchenk,
das eben jetzt Hephaͤſtion vom Koͤnige erhielt, genuͤgte, des Kar-
dianers Neid auf das Heftigſte zu erregen und einen Wortwech-
ſel hervorzurufen, in dem bald Beide alle Ruͤckſichten und ſich
ſelbſt vergaßen. Alexander that dem aͤrgerlichen Gezaͤnk Einhalt;
dem Eumenes gab er ein gleiches Geſchenk, an Hephaͤſtion wandte
er ſich mit dem Scheltwort, ob er ſich und ſeine Wuͤrde nicht
beſſer kenne; er forderte von Beiden das Verſprechen, fortan jede
Uneinigkeit zu meiden und ſich mit einander auszuſoͤhnen. Hephaͤ-
ſtion weigerte es, er war der tief Gekraͤnkte, und Alexander hatte
Muͤhe, ihn zu beruhigen; ihm zur Liebe reichte Hephaͤſtion endlich
die Hand zur Verſoͤhnung 7). —


Nach dieſen Vorgaͤngen und einem dreißigtaͤgigen Aufent-
halte in dem Nyſaͤiſchen Thale brach das Heer gen Ekbatana auf
und erreichte mit einem Marſche von ſieben Tagen, etwa mit dem
Ausgange des Oktobers dieſe große und reiche Stadt 8). Es iſt
[557] zu bedauern, daß die alten Ueberlieferungen nichts von den An-
ordnungen, Gruͤndungen und Organiſationen 9), die zu Ekbatana
ohnfehlbar des Koͤnigs ganze Thaͤtigkeit in Anſpruch nahmen, be-
richten; reicher ſind ſie an Schilderungen der Feſtlichkeiten, welche
in der Mediſchen Reſidenz gefeiert wurden, und die Dionyſien
von Ekbatana ſind im Alterthume allberuͤhmt. Alexander hatte
ſeine Reſidenz in dem koͤniglichen Schloſſe genommen; das
Schloß, ein Denkmal aus der Zeit der Mediſchen Groͤße, lag un-
ter der Burg der Stadt, in einer Ausdehnung von ſieben Sta-
dien; die Pracht dieſes Gebaͤudes grenzte an das Maͤhrchenhafte:
alles Holzwerk war von Cedern und Cypreſſen, das Gebaͤlk, die
Decken, die Saͤulen in den Vorhallen und den inneren Raͤumen
waren mit goldenen oder ſilbernen Blechen verkleidet, die Daͤcher
mit Silberplatten gedeckt. In aͤhnlicher Weiſe war der Tempel
des Anytis in der Naͤhe des Pallaſtes geſchmuͤckt, ſeine Saͤulen
mit goldenen Kapitaͤlen gekroͤnt, das Dach mit goldenen und ſil-
bernen Ziegeln gedeckt 9b). Freilich war ſchon manches von die-
ſem koſtbaren Schmuck durch die Raubgier jener Macedoniſchen
Befehlshaber, die ſo furchtbar in Medien gehauſt hatten, entwen-
det worden, aber noch immer war das Ganze ein Bild der ſtau-
nenswuͤrdigſten Herrlichkeit. Die Umgebung ſtimmte mit der
Pracht der koͤniglichen Reſidenz; im Ruͤcken des Pallaſtes erhob
ſich der aufgeſchuͤttete Huͤgel, deſſen Hoͤhe die aͤußerſt feſte Burg
mit ihren Zinnen, Thuͤrmen und Schatzgewoͤlben kroͤnte; vor ihr
die ungeheuere Stadt in einem Umfange von faſt drei Meilen,
im Norden die Gipfel des hohen Orontes, durch deſſen Schluchten
ſich die großen Waſſerleitungen der Semiramis hinabzogen 10).


So die wahrhaft koͤnigliche Stadt, in der Alexander die
Dionyſien des Herbſtes 324 feierte; ſie begannen mit den großen
8)
[558] Opfern, mit denen Alexander den Goͤttern ſeinen Dank fuͤr das
Gluͤck, das ſie ihm gnaͤdig gewaͤhrt, darzubringen gewohnt war.
Dann folgten Feſtlichkeiten aller Art, Kampfſpiele zu Fuß, zu
Wagen und zu Roß, Feſtaufzuͤge, dramatiſche Spiele und kuͤnſtle-
riſche Wettkaͤmpfe, zu denen dreitauſend Griechiſche Kuͤnſtler aller
Art verſammelt waren; Gaſtmaͤhler und Gelage fuͤllten die Zwi-
ſchenzeit. Unter dieſen zeichnete ſich das des Satrapen Atropates
von Medien durch ſchwelgeriſche Pracht aus; das geſammte Heer
hatte er zu Gaſt geladen, und die Fremden, welche von nah und
fern her zur Schau der Feſte gen Ekbatana zuſammengeſtroͤmt
waren, umſtanden die weite Reihe der Tafeln, an denen die Ma-
cedonier jubelten und unter Trompetenſchall durch Heroldsruf ihre
Trinkſpruͤche, ihre guten Wuͤnſche fuͤr den Koͤnig und die Ge-
ſchenke, die ſie weihten, verkuͤnden ließen; mit dem lauteſten Ju-
bel wurde der Spruch des Gorgus, des koͤniglichen Waffenmei-
ſters 11) aufgenommen; der Herold rief: „dem Koͤnig Alexander,
dem Sohn des Zeus Ammon, weiht Gorgus einen Kranz von
dreitauſend Goldſtuͤcken, und, wenn er Athen belagert, zehntauſend
Ruͤſtungen nebſt eben ſo vielen Katapulten und allen Geſchoſſen,
ſo viele er zum Kriege braucht“ 12).


So die laͤrmenden und uͤberreichen Feſtlichkeiten dieſer Tage;
nur Alexamder war nicht zur Freude geſtimmt; Hephaͤſtion war
krank; umſonſt bot ſein Arzt Glaucias alle Kunſt auf, er ver-
mochte dem zehrenden Fieber nicht Einhalt zu thun. Alexander
konnte ſich nicht den Feſtlichkeiten entziehen, er mußte den kran-
ken Freund verlaſſen, um ſich dem Heere und dem Volk zu zei-
gen. Er befand ſich gerade, es war am ſiebenten Tage und die
Knaben hatten ihren Wettkampf, unter der froͤhlichen Menge, die
auf dem Stadium auf und ab wogte; da ward ihm die Nach-
richt gebracht, daß es mit Hephaͤſtion ſchlecht ſtehe; 13) er eilte
[559] zum Schloß, in das Zimmer des Kranken, Hephaͤſtion war eben
verſchieden. Die Hand der Goͤtter konnte nichts Schwereres uͤber
Alexander verhaͤngen; drei Tage ſaß er bei der theuren Leiche,
lange klagend, dann vor Gram verſtummend, ohne Speiſe und
Trank, am Kummer ſich weidend und der Erinnerung an den
ſchoͤnen Freund, der ihm in der Bluͤthe des Lebens entriſſen war.
Es ſchwiegen die Feſte, Heer und Volk klagte um den edelſten der
Macedonier, und die Magier loͤſchten das heilige Feuer in den
Tempeln, als ob ein Koͤnig geſtorben ſei 14).



[560]

Als nun die Tage der erſten Trauer voruͤber waren, und es
die Getreuen mit ihren Bitten erreicht hatten, daß ſich der Koͤnig
von ſeines Freundes Leiche trennte, da ordnete er den Trauerzug,
der die Leiche gen Babylon fuͤhren ſollte; er ſelbſt weihte eine
Trauerlocke auf den Sarg des Freundes und die Feldherrn, Eu-
menes vor Allen, ſchmuͤckten den Wagen mit ihren Waffen, mit
Koſtbarkeiten und frommen Geraͤthen, die ſie dem Gedaͤchtniß ihres
theuren Kammeraden weihten; Perdikkas aber geleitete mit der
Ritterſchaft des Hephaͤſtion, die fortan ſeinen Namen und als
Feldzeichen ſein Bild fuͤhren ſollte, den Trauerzug gen Babylon;
dort ſollte der Scheiterhaufen erbaut, dort im Fruͤhlinge die
Kampfſpiele der Todtenfeier gehalten werden; und mit Perdikkas
ging Dinokrates gen Babylon, den Prachtbau des Scheiterhaufens
zu leiten; die dreitauſend Griechiſchen Kuͤnſtler folgten gen Ba-
bylon, die Leichenſpiele zu feiern, die ſie bald genug bei einer theu-
reren Leiche wiederholen ſollten 15).



[561]

Bald kehrte der Koͤnig zu den Geſchaͤften des Reiches zu-
ruͤck; in ernſter Trauer trug er den Gram um den todten Freund,
mit dem ihm die Freude des Lebens geſtorben war; die Zukunft
hatte fuͤr ihn keinen Reiz, keine Hoffnung mehr; es ſchweifte ſein
Geiſt ruhlos von Plan zu Plan, es war ihm Troſt, ſich in end-
loſen Entwuͤrfen zu verlieren, und aller Gedanke wich doch wieder
und wieder dem einen des Grames, der ihm der liebſte war.
Sein Muth war gebrochen, er vertraute nicht mehr auf die Gunſt
der Goͤtter, er glaubte nicht mehr an ſich ſelbſt und ſeine Hoff-
nungen, und die Ahndung des eigenen Todes gewann in ſeiner
Seele Raum.


Es war gegen Ende des Jahres 324 und in den Bergen lag
bereits tiefer Schnee, als Alexander mit ſeinem Heere aus Ekba-
tana aufbrach, um durch die Berge der Coſſaͤer gen Babylon zu
ziehen; er waͤhlte dieſe ſchwierige Jahreszeit, weil es in derſelben
am leichteſten war, die raͤuberiſchen Staͤmme der Koſſaͤer im Ge-
birge zu Paaren zu treiben, da ſie ſich jetzt nicht aus ihren Thaͤ-
lern auf die ſchneebedeckten Berghoͤhen fluͤchten konnten. Des-
halb ging er mit dem leichteren Theil ſeiner Truppen, indem die
uͤbrigen auf der großen Straße vorauszogen, ſuͤdwaͤrts vom
Wege ab, um die tapferen Bergſtaͤmme vereinzelt in ihren aͤrmli-
chen Zeltdoͤrfern zu uͤberfallen. So wurden, die eine Haͤlfte der
Truppen unter des Koͤnigs, die andere unter des Lagiden Pto-
lemaͤus Befehl, die Berge mit vielfacher Muͤhe durchſtreift, die
Horden, die ſich ſtets auf das Kuͤhnſte zur Wehr ſetzten, einzeln
uͤberwaͤltigt, ihre Raubthuͤrme gebrochen, viele Tauſende erſchlagen
und zu Gefangenen gemacht, die anderen zur Unterwerfung ge-
zwungen, und ihnen vor Allem feſte Anſiedelung und das Bebauen
des Feldes zur Pflicht gemacht. Nach Verlauf von vierzig
Tagen war das letzte unabhaͤngige Bergvolk in dem Gebirgslande
der Paſſagen, wie fruͤher die Uxier, Kaduſier, Mardier und Amar-
der dem Reiche einverleibt und wenigſtens der erſte Anfang zur
Civiliſation deſſelben gemacht 16).


36
[562]

Alexander zog nun in kleinen Tagesmaͤrſchen, um die einzel-
nen Truppenabtheilungen aus den Bergthaͤlern an ſich zu ziehen,
gen Babylon hinab. In Babylon wollte er ſeine geſammten Streit-
kraͤfte zu neuen Unternehmungen vereinigen, Babylon ſollte der
Mittelpunkt des Reiches und die koͤnigliche Reſidenz werden; die
Stadt war durch ihre Groͤße, ihren alten Ruhm und vor Allem
durch ihre Lage beſonders dazu geeignet; ſie lag in der Mitte
zwiſchen den Voͤlkern des Abend- und Morgenlandes, ſie war
dem Weſten naͤher, auf den ſich nach der Bewaͤltigung des Oſtens
Alexanders unternehmender Blick wenden mußte. Gen Weſten
lag jenes Italien, wo vor Kurzem ſeiner Schweſter Gemahl, der
Epirotenkoͤnig, Ehre und Leben eingebuͤßt hatte, lag das Land jener
Geten, denen Zopyrion, der Befehlshaber der Donaulaͤnder, mit
einem Macedoniſchen Heere erlegen war, lag das ſilberreiche
Iberien, das Land der Phoͤniciſchen Colonien, deren Mutterſtaͤdte
jetzt zum neuen Reiche gehoͤrten, lag endlich jenes Karthago, das ſeit
den erſten Perſerkriegen und dem damaligen Bunde mit Perſien
nicht aufgehoͤrt hatte, gegen die Hellenen in Libyen und Sicilien
zu kaͤmpfen. Die großen Veraͤnderungen in der Oſtwelt hatten
Alexanders Ruhm bis zu den entfernteſten Voͤlkern verbreitet, die
theils mit Hoffnung, theils mit Beſorgniß auf dieſe Rieſenmacht
blicken mochten; ſie mußten die Nothwendigkeit erkennen, ſich mit
dieſer Macht, in deren Hand jetzt das Schickſal der Welt lag, in
Verbindung zu ſetzen, und durch politiſche Verhandlungen dem
Gange der Zukunft vorzuarbeiten. So geſchah es, daß viele
Geſandtſchaften ferner Voͤlker dem Koͤnige gen Babylon entgegen
kamen, [theils] um Huldigungen und Geſchenke zu uͤberbringen,
theils um uͤber Streitigkeiten mit Nachbarvoͤlkern des Koͤnigs
ſchiedsrichterliche Entſcheidung einzuholen; und erſt jetzt, ſagt Ar-
rian, ſchien es dem Koͤnige und ſeiner Umgebung, daß er Herr
uͤber Land und Meer ſei. 17) Alexander ließ ſich das Verzeich-
16)
[563] niß der Geſandtſchaften geben, um die Reihenfolge ihrer Au-
dienzen zu beſtimmen; den Vortritt hatten die mit heiligen Din-
gen Beauftragten, namentlich die Geſandten von Elis, Ammonium,
Delphi, Korinth, Epidaurus und ſofort nach Maaßgabe der Hei-
ligkeit ihrer Tempel; dann folgten die, welche Geſchenke uͤberbrach-
ten, dann die, welche uͤber Streitigkeiten mit Nachbarvoͤlkern ver-
handeln wollten, dann die mit inneren und Privatſachen Beauf-
tragten, zuletzt die Helleniſchen Abgeordneten, welche Vorſtellungen
gegen die Zuruͤckfuͤhrung der Verbannten machen ſollten 18).


Die Geſchichtſchreiber Alexanders haben es nicht der Muͤhe
werth geachtet, alle dieſe Geſandtſchaften zu nennen; ſie fuͤhren nur
diejenigen an, welche in irgend einer Beziehung merkwuͤrdig waren,
und nur aus den anderweitig geſchichtlichen Verhaͤltniſſen der ge-
nannten Voͤlker laͤßt ſich uͤber die naͤheren Abſichten ihrer Sen-
dung einiger Aufſchluß finden. So kamen aus Italien Ge-
ſandte der Bruttier, Lukaner und Roͤmer; denn des Koͤnigs Schwa-
ger, Alexander von Epirus, war auf die Bitten der Tarentiner gen
Italien gezogen, um zunaͤchſt die Bruttier und Lukaner zu be-
kaͤmpfen, hatte ſie und die Samniter, die ihnen zu Huͤlfe geeilt
waren, in einer großen Schlacht bewaͤltigt, und die Roͤmer, die
den juͤngſt geſchloſſenen Frieden mit den Samnitern nicht fuͤr
dauernd hielten, eilten mit dem Epirotenkoͤnig ein Buͤndniß zu
ſchließen; die Macht der Lukaner war bald vollkommen vernichtet,
und Tarent, das ſie nicht mehr zu fuͤrchten hatte, ging zu den
Gegnern des Epirotenkoͤnigs uͤber, der bald zuruͤckgedraͤngt, einge-
ſchloſſen, bewaͤltigt, durch die Hand Lukaniſcher Verbannte, die ſich
ſo vielleicht Verzeihung in ihrer Heimath zu erwirken hofften, den
Tod fand. Das war im Jahre 330 geſchehen; Tarent war im
ſuͤdlichen Italien, Samnium im inneren die Hauptmacht; ſie reiz-
36 *
[564] ten Palaͤopolis zum Kriege gegen Rom; unter den Lukanern, die
durch ein Buͤndniß mit Rom gegen die maͤchtigen Nachbarn Schutz
ſuchten, wurde eine Volksbewegung angeſtiftet, in deren Folge ſie
ſich den Samnitern ergaben, die ſie vollkommen unterdruͤckten.
Die Bruttier, wie es ſcheint, vermochten ſich, ſeit dem Kriege mit
dem Epirotenkoͤnige geſchwaͤcht, nicht beſſer gegen die verbuͤndete
Griechiſch-Samnitiſche Macht zu halten, und der ſogenannte zweite
Samniterkrieg, der jetzt begann, konnte auch wohl die Roͤmer ver-
anlaſſen, 19) ſich um die Gunſt des großen Macedoniſchen Koͤnigs
zu bewerben; ſie konnten an ihr Buͤndniß mit Alexander von Epi-
rus erinnern, ſie mochten dem Koͤnige, der fruͤher Seeraͤuber aus
ihrem Gebiet, die in den oͤſtlichen Gewaͤſſern des Mittelmeeres
aufgebracht waren, mit der Forderung, die Kapereien gegen ſeine
Unterthanen zu hindern, zuruͤckgeſandt hatte, die Antwort des Senates
und Volkes zu bringen haben und zugleich bitten, er moͤge den Ange-
legenheiten im Weſten ſeine Aufmerkſamkeit zuwenden; es mochten die
Bruttier um Schutz gegen die Staͤdte bitten, es mochte von den
Lukanern dieſelbe Parthei, auf deren Sturz die unſelige Verbin-
dung mit Tarent und den Samnitern erfolgt war, von Alexander
die Erfuͤllung der einzigen Hoffnung, die ihnen noch uͤbrig war,
erflehen. So die Italiſchen Geſandtſchaften; von nicht minderem
Intereſſe mußten die Verhandlungen ſein, welche mit den Ge-
ſandten der Karthager, Libyer und Iberier 20) gepflogen wurden.
[565] Die politiſchen Verhaͤltniſſe Griechenlands zu Karthago waren ſeit
der Salaminiſchen Zeit denen zu Perſien nicht unaͤhnlich; ſchon
zu Perikles Zeit wurde oftmals in der Volksverſammlung das
Project eines Krieges gegen Karthago beſprochen, nach ſeinem
Tode wiederholten es die Demagogen dringender und haͤufiger 21),
und der Plan, den Alcibiades bei ſeinem Siciliſchen Feldzuge hatte;
war kein anderer, als von dort nach Afrika hinuͤberzugehen und
den reichen Handelsſtaat zu bekaͤmpfen; waͤhrend der naͤchſtfol-
genden ſechzig Jahre, waͤhrend die Griechen in Hellas der Kriege
gegen die Barbaren mehr und mehr vergaßen, waͤhrten die Kaͤmpfe
der Sicilier gegen Karthago mit wechſelndem Gluͤck, bis Ti-
moleons Sieg die Punier auf ihre alten Grenzen beſchraͤnkte.
Durch Alexanders Beſitznahme von Phoͤnicien mußte ſowohl Kar-
thago, wie die uͤbrigen Puniſchen Kolonien in Nordafrika und Ibe-
rien, welche mit dem Mutterlande noch immer in ſehr naher
Verbindung ſtanden, mit ganz beſonderer Ruͤckſicht ihr Verhaͤltniß
zu dem neuen Herrſcher beachten, von dem ſie wohl mehr als Ri-
valitaͤt im Handel zu fuͤrchten hatten; beſonders konnte der Staat
von Karthago ſich nicht verhehlen, daß nach ſeinen fruͤheren
Verhaͤltniſſen mit Hellas und nach dem Charakter Alexanders
ein Krieg nur zu wahrſcheinlich war, in dem dann der Sieg der
Macedonier wohl nicht zweifelhaft geweſen waͤre. Um ſo natuͤr-
licher war es, die Freundſchaft des maͤchtigen Koͤnigs zu ſuchen,
wie denn auch ausdruͤcklich angefuͤhrt wird, daß die Libyſchen Ge-
ſandten mit Kraͤnzen und Gluͤckwuͤnſchen wegen der Eroberung
Aſiens gekommen ſeien. — Unter den uͤbrigen Geſandtſchaften
waren namentlich die der Europaͤiſchen Scythen, der Celten, der
[566] Aethioper, letztere dem Koͤnige vielleicht um ſo wichtiger, je mehr
ihn jetzt der Plan, Arabien zu umſchiffen und die Seeſtraße, die
bereits den Indus und Euphrat verband, bis an das rothe Meer
und zur Aegyptiſchen Oſtkuͤſte fortzuſetzen, beſchaͤftigte.


Denn ſchon war der Befehl nach Phoͤnicien geſandt, Ma-
troſen auszuheben, Schiffe zu erbauen und uͤber Land in den
Euphrat zu ſchaffen; Nearch war beauftragt, die Flotte den
Euphrat hinauf nach Babylon zu fuͤhren; bald nach der Ankunft
des Koͤnigs in Babylon ſollte der Zug gegen die Araber eroͤffnet
werden. Zu gleicher Zeit ward Heraklides, des Argaͤus Sohn,
mit einer Schaar Schiffszimmerleute nach dem Strande des Kas-
piſchen Meeres abgeſandt, mit dem Auftrage, in den Waldungen
der Hyrkaniſchen Gebirge Schiffsbauholz zu faͤllen und Kriegs-
ſchiffe ſowohl mit als ohne Deck nach Helleniſcher Art zu zim-
mern. Auch dieſe Expedition hatte den Zweck, zunaͤchſt zu unter-
ſuchen, ob das Kaspiſche Meer keine noͤrdliche Durchfahrt dar-
boͤte, und ob es mit dem Maͤotiſchen See oder dem offenbaren
Meer im Norden, und durch daſſelbe mit den Indiſchen Gewaͤſ-
ſern in Verbindung ſtehe 22). Alexander mochte hoffen, mit die-
ſer Expedition jenen Scythenfeldzug, den er vor fuͤnf Jahren mit
dem Chorasmierkoͤnig beſprochen hatte, in Ausfuͤhrung zu bringen.
Eben ſo waren fuͤr die Landmacht neue und ſehr bedeutende Ver-
ſtaͤrkungen angeworben, welche im Laufe des Fruͤhlings in Baby-
lon eintreffen ſollten. Es war offenbar, daß Alexander Großes vor-
hatte; es ſchien, als ob zu gleicher Zeit Feldzuͤge gegen Norden,
Suͤden und Weſten unternommen werden ſollten; vielleicht, daß
er ſie einzelnen Feldherrn zu uͤbertragen bezweckte, waͤhrend er ſich
das Ganze von Babylon, der Reſidenz ſeines Reiches, aus zu
leiten vorbehielt.


So mochten die Truppen und ihre Fuͤhrer voll ungeduldiger
Spannung und in der frohen Hoffnung auf neue Feldzuͤge gen
[567] Babylon hinabziehen; ſie wußten nicht, wie tief ihr Koͤnig ſeit
des Freundes Tod gebeugt, und wie er umſonſt mit kuͤhnen und
kuͤhneren Plaͤnen den Gram ſeines Herzens zu uͤbertaͤuben bemuͤht
war; ſie wußten nicht, wie ihm die Freude des Lebens zer-
ſtoͤrt, wie ſeine Seele truͤber Ahnungen voll war; mit Hephaͤſtion
war ſeine Jugend zu Grabe getragen, und kaum an der Schwelle
der maͤnnlichen Jahre begann er ſchnell zu altern; der Gedanke
des Todes beſchaͤftigte ihn oft und lange 23).


Der Tigris war uͤberſchritten, ſchon ſah man die Zinnen der
Rieſenſtadt Babylon; da kamen dem Heereszuge die Vornehmſten
der Chaldaͤer, der ſternkundigen Prieſter von Babylon, entgegen;
ſie nahten ſich dem Koͤnige, ſie fuͤhrten ihn zur Seite und
ſprachen, er moͤge den Weg nach Babylon nicht weiter ver-
folgen; die Stimme des Gottes Belus habe ihnen offenbart,
daß ihm der Einzug in Babylon jetzt nicht zum Heile ſei 24).
Und Alexander antwortete mit dem Verſe des Dichters, der
beſte Seher ſei der, welcher gluͤcklich weiſſaget. Sie aber fuh-
ren fort: „Nicht gen Weſten ſchauend, o Koͤnig, noch auf dieſer
Seite des Stromes komme gen Babylon, ſondern umgehe die
Stadt, bis du gen Morgen ſiehſt!“ So ſprachen die Prieſter,
die in den Sternen die Schickſale des Koͤnigs geleſen hatten;
und ihre Worte trafen des großen Koͤnigs Herz mit der Gewalt,
die ihnen ſeine truͤbe Stimmung gab; er wagte es nicht wider
die Zeichen der Goͤtter zu handeln, er wollte die Thore der boͤ-
[568] ſen Vorbedeutung meiden, er wollte uͤber den Strom gehen, und
gen Morgen ſchauend, in ſeine Reſidenz einziehen. Darum ließ
er das Heer am erſten Tage am Oſtufer des Euphrat lagern,
am folgenden Tage zog er auf dieſer Seite des Stromes hinab,
um dann hinuͤber zu gehen und von Weſten her in die Stadt
einzuziehen; aber die ſumpfigen Ufer des Stromes hemmten ihn;
nur innerhalb der Stadt waren Bruͤcken; es haͤtte weiter Um-
wege bedurft, um zu den weſtlichen Quartieren von Babylon zu
gelangen. Damals, heißt es, kam der Sophiſt Anaxarchus zum
Koͤnige und bekaͤmpfte mit philoſophiſchen Gruͤnden des Koͤnigs
Aberglauben; 25) glaublicher iſt, daß Alexander, bald Herr des
erſten Eindruckes, die Sache fuͤr weiteren Zeitverluſt und groͤßere
Umwege zu unbedeutend anzuſehen ſuchte, daß er die Folgen,
welche die zu große Beſorglichkeit von ſeiner Seite im Heer und
Volk haͤtte hervorbringen muͤſſen, mehr ſcheute als die etwanige
Gefahr, daß er endlich nicht zweifelhaft ſein konnte, wie guten
Grund die Chaldaͤer hatten, ſeine Anweſenheit in Babylon nicht
eben zu wuͤnſchen. Er hatte im Jahre 330 bereits den Befehl
gegeben, den Wuͤrfelthurm des Belus, der ſeit Xerxes Zeit als
Ruine da ſtand, wieder herzuſtellen; aber waͤhrend ſeiner Abwe-
ſenheit war der Bau gaͤnzlich vernachlaͤſſigt worden, und die Chal-
daͤer hatten eher zu hemmen als zu foͤrdern geſucht, denn ſie
mußten beſorgen, daß der Genuß der reichen Tempelguͤter und
des heiligen Ackers, den ſie jetzt ausſchließlich hatten, ihnen, ſo-
bald der Bau beendet war, entzogen werden wuͤrde. So war
es begreiflich, wenn die Sterne dem Koͤnige den Eintritt in Ba-
bylon unterſagten oder moͤglichſt erſchwerten; wider den Rath der
Chaldaͤer ruͤckte Alexander an der Spitze ſeines Heeres von Mor-
gen her in die oͤſtlichen Quartiere der Stadt ein; er ward von
[569] den Babyloniern mit unendlichem Jubel empfangen; mit Feſt-
lichkeiten und Gelagen feierten ſie ſeine Ruͤckkehr.


Es befand ſich zu dieſer Zeit der Amphipolite Pithagoras,
aus prieſterlichem Geſchlecht und der Opferſchau kundig, in Ba-
bylon; ſein Bruder Apollodorus, der ſeit dem Jahre 331 Strateg
der Landſchaft war, hatte bei Alexanders Ruͤckkehr aus Indien demſel-
ben mit den Truppen der Satrapie entgegen ziehen muͤſſen, und
da ihn das ſtrenge Strafgericht, welches der Koͤnig uͤber die ſchul-
digen Satrapen ergehen ließ, auch fuͤr ſeine Zukunft beſorge
machte, ſo ſandte er an ſeinen Bruder gen Babylon, er moͤge
uͤber ſein Schickſal die Opfer beſchauen. Pithagoras hatte ihn
dann fragen laſſen, wen er am meiſten fuͤrchte, uͤber den wolle
er ſchauen; und auf des Bruders Antwort, beſonders der Koͤnig
und Hephaͤſtion beunruhigten ihn, hatte Pithagoras Opfer ange-
ſtellt, und nach der Opferſchau dem Bruder nach Ekbatana ge-
ſchrieben, den Hephaͤſtion moͤge er nicht fuͤrchten, der werde bald
nicht mehr im Wege ſein; und dieſen Brief hatte Apollodor am
Tage vor Hephaͤſtions Tode empfangen. Ferner opferte Pi-
thagoras uͤber Alexander; er fand dieſelbe Schau und ſchrieb
ſeinem Bruder dieſelbe Antwort. Apollodorus, ſo heißt es, ging
ſelbſt zum Koͤnige, um zu zeigen, daß ſeine Hingebung groͤßer ſei
als die Sorge fuͤr ſein eigenes Wohl, er ſagte ihm von der Op-
ferſchau uͤber Hephaͤſtion und ihrer Erfuͤllung; auch uͤber ihn habe
Pithagoras nichts Gluͤckliches geſchaut, er moͤge ſein theures Le-
ben huͤthen und die Gefahren, vor denen die Goͤtter warnten, ver-
meiden. In Babylon nun ließ der Koͤnig, um Naͤheres uͤber
jenes Opfer zu erfahren, den Prieſter Pithagoras zu ſich kom-
men, und fragte ihn, welche Schau er gehabt habe, daß er ſolches
ſeinem Bruder geſchrieben? Und da jener antwortete- „o Koͤnig,
es war die Leber ohne Kopf,“ rief Alexander: „wehe ein ſchwe-
res Zeichen!“ Dann dankte er dem Seher, daß er ihm offen und
ſonder Trug die Wahrheit geſagt, und entließ ihn mit allen Zei-
chen ſeines koͤniglichen Wohlwollens. Auf ihn ſelbſt aber machte
dieß Zuſammentreffen der Helleniſchen Opferſchau mit den Warnun-
gen der Aſtrologen den tiefſten Eindruck; es war ihm unheimlich in
den Mauern dieſer Stadt, die er vielleicht beſſer gemieden haͤtte;
ihn beunruhigte der laͤngere Aufenthalt in ſeiner Reſidenz, vor
[570] der ihn die Goͤtter vergebens gewarnt hatten; und dennoch noͤthig-
ten ihn manche Geſchaͤfte, hier noch zu weilen 26).


Es waren neue Geſandtſchaften aus den Helleniſchen Laͤndern
eingetroffen, auch mehrere Macedonier, ſo wie Miſſionen der Thra-
cier, Illyrier und anderer abhaͤngiger Voͤlker waren gen Babylon
gekommen, um uͤber den Reichsverweſer Antipater bei dem Koͤnige
Klage zu fuͤhren; 27) Antipater ſelbſt hatte ſeinen Sohn Kaſſan-
der geſandt, der ihn vor Alexander rechtfertigen ſollte; vielleicht
wuͤnſchte er zugleich, dem Koͤnige, bei dem ſich bereits ſein Sohn
Jollas als Mundſchenk befand, in ſeinem aͤlteſten Sohn ein neues
Unterpfand ſeiner Treue zu geben, und durch deſſen Bemuͤhung
das geſtoͤrte Verhaͤltniß zu Alexander, bevor er ſelbſt ſeinem Befehle
gemaͤß bei Hofe eintraf, wieder herzuſtellen. Er hatte nicht gluͤck-
lich gewaͤhlt; Kaſſander, der ſich in Macedonien des erſten Man-
nes Sohn gefuͤhlt haben mochte, verſtand es nicht, ſein hochfah-
rendes [und] heftiges Weſen ſo zu zuͤgeln, wie es die Naͤhe des
Herrſchers forderte; ſchon bei der erſten Audienz, da er Aſiaten an
den Stufen des Thrones das Knie beugen und den Boden mit
der Stirn beruͤhren ſah, und daruͤber in ein lautes Hohnlachen
ausbrach, erregte er den gerechten Unwillen Alexanders, der ihn
mit eigener Hand und auf eindringliche Weiſe uͤber ſein unge-
buͤhrliches Benehmen zurecht ſtellte. Als dann die verſchiedenen
Beſchwerden uͤber Antipater vorgebracht wurden, und Kaſſander
den Vater zu vertheidigen anhub, indem er die Klagenden Ver-
laͤumder nannte, ſo fiel ihm der Koͤnig ins Wort: „was ſprichſt
du, ſo weite Wege ſollten die Maͤnner, ohne Unrecht erlitten zu ha-
ben, und nur um zu verlaͤumden, hergekommen ſein?“ Und als Kaſ-
ſander ihm antwortete, das eben ſei ein Zeichen der Verlaͤumdung
daß ſie ſo weit hierher, wo jede Nachforſchung unmoͤglich ſei,
gekommen waͤren, ſo lachte Alexander und ſprach: „das ſind die
Sophiſtereien des Ariſtoteles, mit denen ſich gleich gut das Fuͤr
und Wider beweiſen laͤßt; aber wehe euch, wenn ihr den Leu-
ten Unrecht gethan habt.“ Das Naͤhere uͤber jene Beſchwerden
[571] ſo wie der Ausgang der Unterſuchungen wird nicht berichtet. Auch
von den Verhandlungen der Griechiſchen Legationen iſt nichts wei-
ter bekannt; jedoch iſt es wahrſcheinlich, daß, da bei den kurz vor-
her empfangenen Geſandſchaften die oͤrtlichen und Privatange-
legenheiten meiſt nach den Wuͤnſchen der Betheiligten abgemacht,
die Vorſtellungen gegen die Zuruͤckfuͤhrung der Verbannten dagegen
ein fuͤr allemal abgewieſen waren, jetzt beſonders nur Gluͤckwuͤnſche
wegen der Indiſchen Siege und der Heimkehr, ſo wie goldene
Kraͤnze [und] Dankſagungen fuͤr die Aufhebung der Exile und an-
dere Wohlthaten des Koͤnigs dargebracht wurden. Der Koͤnig
nahm ſie mit vieler Huld entgegen, und entließ die Legationen
mit Ehren und Geſchenken fuͤr ihre Staaten, unter denen ſich
namentlich mehrere Goͤtterſtatuen, welche von Xerxes aus Grie-
chenland fortgeſchleppt waren, befanden 28).


Auch die oͤrtlichen Angelegenheiten der großen Reſidenz moch-
ten des Koͤnigs Anweſenheit verlaͤngern; wenigſtens wird uͤberliefert,
daß Alexander, nachdem er die von ihm angeordneten Bauten
in Augenſchein genommen und geſehen hatte, wie namentlich die
Wiederherſtellung des Belustempels faſt ganz liegen geblieben war,
ſofort mit dem groͤßten Eifer das Werk zu foͤrdern befahl, und,
da fuͤr den Augenblick die Truppen ohne wichtigere Beſchaͤftigung
waren, dieſelben zum Baudienſt commandirte. So arbeiteten
zwanzig tauſend Menſchen zwei Monate hindurch, um nur erſt
die Truͤmmer ganz abzutragen und die Bauſtelle zu reinigen;
die ſpaͤtern Ereigniſſe hinderten den Beginn des eigentlichen
Baues 29).


Endlich waren die Geſchaͤfte ſo weit geordnet, daß Alexander
die Stadt Babylon verlaſſen konnte; die Stromflotte, von Nearch
[572] gefuͤhrt, war aus dem Tigris durch den Perſiſchen Meerbuſen den
Euphrat hinaufgekommen und lag unter den Mauern der Reſidenz;
auch aus Phoͤnicien waren die Schiffe angelangt; zwei Fuͤnfru-
derer, drei Vierruderer, zwoͤlf Trieren und gegen dreißig Jachten
waren von den Werften Phoͤniciens zerſaͤgt uͤber Land nach Tha-
pſakus gebracht, dort wieder zuſammengefugt und den Strom
hinabgekommen; endlich hatte der Koͤnig in Babylon ſelbſt Schiffe
zu bauen anbefohlen, und zu dem Ende, indem die Landſchaft weit
und breit keine andere Baͤume als Palmen hat, die Cypreſſen, die
ſich in den koͤniglichen Gaͤrten von Babylon in großer Menge
befanden, umhauen laſſen. So wurde die Flotte bald auf bedeu-
tenden Beſtand gebracht; und da der Strom keine geeignete Ha-
fenſtelle hatte, ſo wurde unfern der Reſidenz ein großes Baſſin
ausgegraben, das Raum und Werften genug fuͤr tauſend Schiffe
darbot. Indeß kamen aus Phoͤncien und den uͤbrigen Strand-
gegenden Matroſen, Zimmerleute, Kaufherren, Kraͤmer in Schaa-
ren herbei, um in Folge des koͤniglichen Aufrufs mit den Schiffen
die neue Handelsſtraße zu benutzen, oder ſich fuͤr den naͤchſten
Feldzug auf die Flotte zu verdingen. Waͤhrend dieſer Ruͤſtungen
wurde Mikkalos von Klazomene mit 500 Talenten gen Phoͤnicien
und Syrien geſandt, um dort moͤglichſt viele Strandbewohner und
Schiffer anzuwerben oder auch zu miethen, und nach dem unteren
Euphrat hinabzufuͤhren; denn es war der Plan des Koͤnigs, die
Kuͤſten des Perſiſchen Meerbuſens und die Inſeln in demſelben
mit Kolonien zu bedecken, um eines Theils durch dieſe den Ver-
kehr in den ſuͤdlichen Gewaͤſſern aufzubringen, andern Theils in
ihnen eine Sicherung der Arabiſchen Kuͤſte zu haben.


Ueberhaupt war die Foͤrderung und Sicherung des Verkehrs
der hauptſaͤchlichſte Grund zu dem Arabiſchen Feldzuge, welchem
die Ruͤſtungen zunaͤchſt galten; denn einer Seits wußte Alexander
von den vielen und eigenthuͤmlichen Produkten dieſes Landes, die
er um ſo leichter in den großen Verkehr zu bringen hoffte, je aus-
gedehnter [und] hafenreicher das Kuͤſtenland der Halbinſel iſt; an-
derer Seits war die weite Wuͤſte von den Grenzen Aegyptens
bis nahe bei Thapſakus und Babylon von Beduinenſtaͤmmen durch-
ſchweift, welche die Grenzen der anſtoßenden Satrapien ſo wie
die Landſtraßen oft genug beunruhigten; wenn ſie zur Unterwer-
[573] fung gezwungen wurden, ſo war außer der Sicherung der Gren-
zen und Straßen namentlich eine bei Weitem kuͤrzere Verbindung
zwiſchen Babylon und Aegypten gewonnen; es mußte dann vor
Allem die Petraͤiſche Landſchaft, ſo wie die Nordſpitzen des rothen
Meeres in Beſitz genommen und coloniſirt werden, es mußten ſich
an dieſer Stelle die Landwege durch das Araberland mit dem
Seewege um die Arabiſche Kuͤſte, deſſen Entdeckung die naͤchſte
Abſicht war, vereinigen.


Zu dem Ende waren bereits drei Schiffe den Strom hinab
ins Meer geſandt worden. Zunaͤchſt kehrte Archias mit ſeiner Jacht
zuruͤck; er hatte ſuͤdwaͤrts von der Euphratmuͤndung eine Inſel30)
gefunden, er berichtete ſie ſei klein, dicht bewaldet, von einem fried-
lichen Voͤlkchen bewohnt, das die Goͤttin Artemis verehrte und in
ihrem Dienſt die Hirſche und wilden Ziegen der Inſel ungeſtoͤrt
weiden laſſe; ſie liege in der Naͤhe des Meerbuſens der Stadt
Gerra, von der aus die Hauptſtraße durch das Innere Arabiens
zum Rothen und Mittellaͤndiſchen Meere fuͤhre, und deren Ein-
wohner als betriebſame und reiche Handelsleute genannt wuͤrden.
Alexander gab, ſeltſam genug, dieſer Inſel den Namen jenes Ika-
rus, der den kuͤhnen Flug bis in die Sonnennaͤhe gewagt und in
den Wellen mit allzufruͤhem Tode gebuͤßt hat. Von der Inſel
Ikarus aus, berichtete Archias weiter, ſei er ſuͤdoſtwaͤrts zu einer
zweiten Inſel gekommen, welche die Bewohner Tylos31) nann-
ten; ſie ſei groß, weder ſteinig noch waldig, zum Feldbau geſchickt
und ein gluͤckliches Eiland; er haͤtte hinzufuͤgen koͤnnen, daß ſie
in Mitten der unerſchoͤpflichen Perlenriffe liege, von denen ſich
ſchon manche Sage unter den Macedoniern verbreitet hatte.
Bald darauf kam die zweite Jacht, die Androſthenes gefuͤhrt hatte,
[574] zuruͤck; er war dicht an der Kuͤſte hinabgeſteuert und hatte ein
gutes Stuͤck des Arabiſchen Strandes beobachtet. Am weiteſten
von den ausgeſandten Jachten war die gekommen, welche der
Steuermann Hieron aus Soli fuͤhrte; er hatte Weiſung erhalten,
die ganze Halbinſel Arabien zu umſchiffen und eine Einfahrt in den
Meerbuſen, der ſich nordwaͤrts bis wenige Meilen von Heroonpo-
lis in Aegypten hinaufzieht, zu ſuchen; er hatte, obſchon er einen
bedeutenden Theil der Arabiſchen Geſtade hinabgekommen war,
nicht weiter zu gehen gewagt; er brachte die Nachricht, die Groͤße
der Halbinſel ſei außerordentlich und moͤchte der von Indien
wohl gleich kommen; er ſei ſuͤdwaͤrts bis zu einem Vorgebirge
gekommen, das ſich weit oſtwaͤrts in die offenbare See hinaus-
erſtrecke; die nackten und oͤden Sandufer moͤchten eine weitere
Fahrt ſehr erſchweren32).


Waͤhrend nun die Bauten in und um Babylon und die Ar-
beiten auf den Schiffswerften, das Ausgraben des Hafenbaſſins,
das Abtragen des Belusthurmes, das ungeheure Gebaͤude des
Scheiterhaufens fuͤr Hephaͤſtion raſch gefoͤrdert wurden, ging Alex-
ander mit einigen Schiffen den Euphrat hinab, um die großen
Deicharbeiten an dem Pallakopas zu beſichtigen33). Dieſer Kanal
iſt etwa ſechszehn Meilen Stromfahrt unterhalb Babylon aus
dem Euphrat gen Weſten gegraben, und endet in einen See, der,
von den Waſſern des Stromes geſpeiſt, ſich laͤngs der Graͤnze
des Arabiſchen Landes ſuͤdwaͤrts in einer Reihe von Moraͤſten bis
[575] zum Perſiſchen Meerbuſen fortſetzt; der Kanal iſt fuͤr die Land-
ſchaft von unberechenbarer Wichtigkeit; denn wenn im Fruͤhlinge
die Waſſer des Stromes zu ſchwellen beginnen, und, waͤhrend
unter der Sommerſonne der Schnee in den Armeniſchen Bergen
ſchmilzt, immer maͤchtiger und hoͤher hinabfluthen, ſo wuͤrde die
ganze Landſchaft der Ueberſchwemmung ausgeſetzt ſein, wenn nicht
dem Strom durch die Kanaͤle und beſonders durch den Pallako-
pas ein Abfluß gegeben wuͤrde, der dann zugleich das Stromland
ſchuͤtzt und den vom Strom entfernteren Gegenden die Seg-
nungen der reichſten Waͤſſerung bringt. Wenn aber der Euphrat
mit dem Herbſte wieder abnimmt, ſo iſt es nothwendig den Ka-
nal moͤglichſt ſchnell zu ſchließen, weil ſonſt der Strom dieſem
kuͤrzeren Wege, ſich zu ergießen, folgen und ſein Bette verlaſſen
wuͤrde; die Arbeit wird dadurch außerordentlich erſchwert, daß
die Stelle des Ufers, wo der Kanal beginnt, loſen Grund hat,
ſo daß die Aufſchuͤttungen ſelbſt außerordentliche Muͤhe machen
und dann doch nicht genuͤgenden Widerſtand gegen die ziemlich
ſtarke Stroͤmung des Euphrat leiſten; auch ſind die Deiche des Ka-
nals bei hohem Waſſer ſtets der Gefahr, ganz zertruͤmmert zu
werden, ausgeſetzt, und es koſtet ungeheure Arbeit, ſie zu rechter
Zeit zur Schließung des Kanals wieder herzuſtellen. So arbeiteten
jetzt auf Befehl des Satrapen von Babylon zehntauſend Men-
ſchen ſchon ſeit drei Monaten an dieſen Deichen; Alexander fuhr
nun hinab, die Arbeit zu beſichtigen, er wuͤnſchte irgend eine Ab-
huͤlfe dieſes Uebelſtandes zu finden. Er fuhr weiter ſtromab, um
das Ufer zu unterſuchen, er fand eine Stunde unterhalb der Kanal-
muͤndung einen felſigen Uferrand, der allen Erwartungen entſprach;
hier befahl er einen Kanal durchzuſprengen und ihn nordweſtlich
in das alte Bett des Pallakopas hineinfuͤhren, deſſen Muͤndung
dann fuͤr immer verdammt und verſchuͤttet werden ſollte; ſo,
hoffte er, wuͤrde es eben ſo leicht ſein, den Abfluß des Euphrat im
Herbſte zu ſperren, wie ihn wieder mit dem Fruͤhjahr zu eroͤffnen.
Um ſich weiter von der Natur dieſer Gegenden weſtwaͤrts zu uͤber-
zeugen, fuhr Alexander zum Pallacopas zuruͤck und durch dieſen
in den See an der Arabiſchen Grenze hinein; die Schoͤnheit der
Ufer, und noch mehr die Wichtigkeit dieſer Gegend beſtimmten ihn
[576] hier eine Stadt anzulegen,34) welche zugleich den Weg nach Ara-
bien hinein oͤffnete und Babylonien vor Ueberfaͤllen der Beduinen
zu ſchuͤtzen vermochte, da der See und die Moraͤſte ſuͤdwaͤrts bis
zum Meerbuſen das Stromland decken. Der Bau der Stadt
und der Befeſtigungen wurde ſogleich begonnen und Griechiſche
Soͤldner, theils Vetranen, theils Freiwillige, daſelbſt angeſiedelt.


Indeß war in Babylon der Bau des Scheiterhaufens fuͤr
Hephaͤſtion beendet und die Zeit gekommen, die großen Leichen-
ſpiele zu ſeinem Gedaͤchtniß zu feiern; dieß und das Eintreffen
der neuen Truppen machten des Koͤnigs Ruͤckkehr in ſeine Re-
ſidenz nothwendig; und der Koͤnig, ſo wird erzaͤhlt, war um ſo
weniger zuruͤckzukehren bedenklich, da ſich die boͤſen Weiſſagungen
der Chaldaͤer bereits bei ſeiner neulichen, freilich nur kurzen An-
weſenheit in Babylon als nichtig erwieſen zu haben ſchienen. So
wurde die Ruͤckfahrt beſchloſſen; auf derſelben ſollten die Graͤ-
ber der fruͤheren Babyloniſchen Koͤnige, die in den Suͤmpfen erbaut
waren, beſucht werden. Alexander ſelbſt ſtand am Steuer ſeines
Schiffes und fuͤhrte es in dieſem durch Untiefen und Roͤhricht
ſchwierigen Gewaͤſſer; ein ploͤtzlicher Windſtoß riß ihm die koͤnig-
liche Kauſia, die er nach Macedoniſcher Sitte trug, vom Haupt,
[und] waͤhrend ſich das Diadem von derſelben loͤſete und hinweg
flatternd in dem Roͤhricht bei einem alten Koͤnigsgrabe hangen
blieb, ſank ſie ſelbſt unter und ward nicht wieder gefunden; das
Diadem aber zu hohlen, ſchwamm ein Phoͤniciſcher Matroſe, der
ſich mit auf dem Schiffe befand, hinuͤber, und band es, um deſto
[bequemer] ſchwimmen zu koͤnnen, um ſeine Schlaͤfe, — ein ſchwe-
res Zeichen! das Diadem um eines fremden Menſchen Haupt!
Und die Wahrſager, die der Koͤnig jetzt ſtets in ſeiner Naͤhe hatte,
beſchworen ihn, das Zeichen zu zerſtoͤren und den Ungluͤcklichen zu
enthaupten; Alexander aber ließ den Matroſen zuͤchtigen, weil er
[577] des Koͤnigs Diadem gering genug geachtet, es um ſeine Stirn zu
binden, er gab ihm ein Talent zum Geſchenk, weil er ſchnell und
kuͤhn das Zeichen des Koͤnigthums zuruͤckgebracht.35)


Bei ſeiner Ruͤckkehr nach Babylon fand Alexander die neuen
Truppen verſammelt, die er erwartet hatte; Peuceſtas, der Sa-
trap von Perſien, hatte 20,000 Perſer und außer dieſen eine be-
deutende Menge von Koſſaͤern und Tapuriern, beides Voͤlker, die
mit den Perſern an Kriegsruhm und Tapferkeit wetteiferten, her-
angebracht; eben ſo war von Karien her Philoxenus, von Lydien
her Menander mit bedeutenden Truppenmaſſen gekommen, und
Menidas fuͤhrte den Reuterhaufen, den er in Sold genommen,
heran. Der Koͤnig empfing namentlich die Perſer mit vieler
Freude, er belobte den Satrapen wegen der ſchoͤnen Haltung ſei-
ner Leute, und die Perſer wegen der Bereitwilligkeit, mit der
ſie ſeinem und des Satrapen Aufruf gefolgt ſeien; dann bezeich-
nete er die neue und eigenthuͤmliche Art, wie die neuen Truppen
in die alten Phalangen einrangirt und dieſe ſelbſt neu geſtaltet
werden ſollten. Statt daß nemlich bisher die Phalanx aus
ſechszehn Gliedern Macedoniſcher Schwerbewaffneter beſtanden
hatte, ſollten jetzt nur die erſten drei Glieder von dieſen gebildet
werden, dann zwoͤlf Glieder Perſer, theils Bogenſchuͤtzen, theils
etwas ſchwerer bewaffnete mit Jagdſpeeren folgen, und wieder
im letzten Gliede Macedonier in ſchwerer Bewaffnung ſtehen.
Dieſe neue Anordnung veraͤnderte die Macedoniſche Art des Kam-
pfes vollkommen.36)


37
[578]

Die Phalanx, unuͤberwindlich den Aſiatiſchen Voͤlkern gegen-
uͤber, war auf eine Weiſe umgeſtaltet, wie ſie damals nur unter
den Voͤlkern Italiens ausgebildet beſtand und ſich im Kampfe
gegen den Epirotenkoͤnig bewaͤhrt haben mochte. Dieß ſchon
mußte auffallen; dazu kamen die mannichfachen Geruͤchte unter
den Truppen, daß in die Provinzen des Mittelmeeres Befehle
zur Ruͤſtung unzaͤhliger Schiffe geſandt ſeien, und daß der Koͤnig
einen großen Eroberungskrieg gen Italien, Sicilien, Iberien
und Afrika zu machen beabſichtige. So ſchien es in der That, als
ob, waͤhrend die Flotte gegen die Kuͤſtenlaͤnder Arabiens in See
gehen ſollte, das Landheer durch Arabien oder auf welchem Wege
ſonſt gen Weſten marſchiren und die Barbaren des Abendlandes,
die Feinde des Griechenthums in Afrika und Italien zu unter-
werfen ausziehen wuͤrde.37)


Das Einrangiren der neuen, namentlich Perſiſchen Truppen
leitete Alexander ſelbſt, von der ganzen Aſiatiſchen Pracht ſeines
Hofes umgeben; es geſchah im koͤniglichen Garten, der Koͤnig
ſaß auf dem goldnen Thron, geſchmuͤckt mit dem Diadem und
dem koͤniglichen Purpur; zu beiden Seiten die Getreuen auf niedri-
geren Seſſeln mit ſilbernen Fuͤßen; hinter dieſen in gemeſſener
Entfernung die Eunuchen, nach morgenlaͤndiſchem Brauch mit ge-
kreuzten Armen, in Mediſcher Tracht; Schaar auf Schaar zogen
dann die neuen Truppen voruͤber, wurden gemuſtert und an die
Phalangen vertheilt. So mehrere Tage; an einem derſelben war
der Koͤnig, von den Anſtrengungen ermuͤdet, vom Throne aufge-
ſtanden, und, nachdem er Diadem und Purpur auf demſelben zu-
ruͤckgelaſſen, zu einem Baſſin im Garten gegangen, um ein Bad
zu nehmen; nach der Hofſitte folgten die Getreuen, waͤhrend die
Eunuchen ſtumm und unbeweglich an ihren Plaͤtzen blieben. In
kurzer Friſt kam nun ein Menſch daher, ſchritt ruhig durch die
Reihen der Eunuchen, die ihn nach Perſiſcher Sitte nicht hindern
durften, ſtieg die Stufen des Thrones hinauf, ſchmuͤckte ſich mit
36)
[579] dem Purpur und Diadem, ſetzte ſich an des Koͤnigs Stelle und
blickte ſtier vor ſich hin; die Eunuchen aber zerriſſen ihre Klei-
der, ſie ſchlugen ſich Bruſt und Stirn und wehklagten uͤber
das furchtbare Zeichen. Gerade jetzt kam der Koͤnig zuruͤck, er
ſah mit Entſetzen den Menſchen im Koͤnigsſchmuck auf dem
Thron; er befahl den Ungluͤcklichen zu fragen, wer er ſei, was
er wolle? Der blieb regungslos ſitzen, ſah ſtier vor ſich hin;
endlich ſprach er: „Ich heiße Dionyſius und bin von Meſſene;
ich bin verklagt und in Ketten vom Strand hierher ge-
bracht; jetzt hat der Gott Serapis mich erloͤſ’t und mir ge-
boten, Purpur und Diadem zu nehmen und ſtill hier zu ſitzen.“
Er ward auf die Folter gebracht, er ſollte bekennen, ob er ver-
brecheriſche Abſichten hege, ob er Genoſſenhabe; er aber blieb da-
bei, es ſei ihm von dem Gott geheißen. Man erkannte, des Men-
ſchen Verſtand war geſtoͤrt; die Wahrſager forderten ſeinen Tod38).


Es mochte im Mai des Jahres 323 ſein, die Stadt Ba-
bylon war voll kriegeriſchen Lebens, die Taufende der neuen
Truppen, voll Begier nach dem Feldzuge, in dem ſie ihre erſte
Waffenprobe machen ſollten, uͤbten ſich, in der neuen Ordnung
zu fechten; die Flotte die bereits unter Tau und Segel war, lief faſt
taͤglich, unter ungeheurem Zulauf von Zuſchauern aus der Reſidenz,
von ihrer Station aus, um ſich im Steuern und Rudern zu uͤben;
der Koͤnig ſelbſt war meiſt zugegen und vertheilte an die Sieger
im Steuern Lob und goldene Kraͤnze.39) Man wußte, daß dem-
naͤchſt der Feldzug eroͤffnet werden wuͤrde; man glaubte, daß ſich
an die Leichenfeier fuͤr Hephaͤſtion die uͤblichen Opfer und Gaſt-
maͤhler anſchließen wuͤrden, bei denen der Koͤnig den Beginn
der neuen Kriegsoperationen zu verkuͤnden pflegte.


Unzaͤhlige Fremde waren zu der Feier herbeigeſtroͤmt, unter
dieſen namentlich viele Geſandtſchaften aus Griechenland, die
in Folge der Beſchluͤſſe, dem Koͤnige goͤttliche Ehre zu erweiſen,
[580] den Charakter von heiligen Theoren angenommen hatten, als
ſolche vor dem Koͤnige erſchienen und anbetend nach Helleniſchem
Brauch die goldenen Kraͤnze weihten, mit denen die Staaten der
Heimath den Gott Koͤnig zu ehren wetteiferten. Dann kehrten
auch des Koͤnigs Theoren aus dem Ammonium zuruͤck, die an-
gefragt hatten, wie der Gott gebiete, daß Hephaͤſtion geehrt
werde; ſie brachten die Antwort, man ſolle ihm wie einem der
Heroen opfern.40) Nach Empfang dieſer Botſchaft befahl der
Koͤnig, die Todtenfeier und die erſten Opfer fuͤr den Heros He-
phaͤſtion zu begehen40a).


Es war ein Theil der Mauern Babylons abgetragen, dort
erhob ſich in fuͤnf Abſaͤtzen, bis zu einer Hoͤhe von zweihundert Fuß
emporgethuͤrmt, das Prachtgebaͤude des Scheiterhaufens, zu dem
der Koͤnig zehntauſend Talente beſtimmt, die Freunde, die Großen,
die Geſandten, die Babylonier zweitauſend Talente hinzugefuͤgt hat-
ten; das Ganze leuchtete von Gold und Purpur, von Gemaͤl-
den und Bildhauerwerken, auf der Hoͤhe des Gebaͤudes ſtanden
Sirenenbilder, aus denen herab die Trauerchoͤre fuͤr den Todten
erklangen. Unter Todtenopfern, Trauerzuͤgen und Klagegeſaͤngen
ward der Scheiterhaufen den Flammen uͤbergeben; Alexander
war zugegen, vor ſeinen Augen ſank das wundervolle Werk in
Flammen lodernd zuſammen, und ließ nichts zuruͤck als Zerſtoͤ-
rung und Oede und Trauer um den Verlornen. — Dann folg-
ten die Opfer zu Ehren des Heros Hephaͤſtion; Alexander ſelbſt
weihte dem erhoͤhten Freunde die erſten Spenden, zehntauſend
Opferſtiere wurden zu ſeinem Gedaͤchtniß geopfert und an
das geſammte Heer, das der Koͤnig zum Feſtmahl geladen,
vertheilt.


[581]

Andere Feſtlichkeiten fuͤllten die naͤchſten Tage; der Koͤnig
opferte, denn ſchon war der Tag zur Abfahrt der Flotte und
zum Beginn des Arabiſchen Feldzuges beſtimmt, den Goͤttern,
denen er pflegte, in uͤblicher Weiſe; er opferte dem guten Gluͤcke,
er opferte nach der Weiſung ſeiner Wahrſager auch denen Goͤt-
tern, die dem Uebel wehren. Und waͤhrend das geſammte Heer
bei dem Opfermahl und dem Weine, den der Koͤnig ſpendete,
froͤhlich war, hatte er die Freunde bei ſich zum Abſchiedsmahle
verſammelt, das er ſeinem Admiral Nearchus gab. Dieß war
am 30. Mai gegen Abend; als die meiſten Gaͤſte ſchon hinweg
40a)
[582] waren, kam der Theſſaler Medius, der Freunde einer, und bat
den Koͤnig, noch einer kleinen Geſellſchaft bei ihm beiwohnen
zu wollen, es werde ein heiteres Gelag ſein. Alexander hatte
den biederen Medius ſehr gern, er ging mit ihm; die Froͤhlich-
keit der vertrauten Maͤnner heiterte auch ihn auf; er trank ihnen
der Reihe nach zu; gegen Morgen trennte man ſich, man ver-
ſprach ſich am naͤchſten Abend wieder zu finden.41)


Alexander ging heim, badete, und ſchlief bis ſpaͤt am Tage;
zur Abendtafel ging er wieder zu Medius, und man trank wie-
der froͤhlich bis tief in die Nacht. Unwohl kehrte der Koͤnig
zuruͤck; er badete, aß ein Wenig und legte ſich fiebernd zur
Ruhe. Am Morgen des 1. Juni erwachte er ſehr unwohl;
durch die vielen Gemuͤthsbewegungen der letzten Zeit und uͤber-
dieß durch die Gelage, die in den letzten Tagen ſchnell auf
einander gefolgt waren, fuͤr eine Krankheit nur zu empfaͤnglich,
ward er von dem Fieber außerordentlich angegriffen; er mußte
ſich auf ſeinem Lager zum Altare tragen laſſen, um dort das
Morgenopfer, wie er jeden Tag pflegte, zu halten; dann lag er
im Maͤnnerſaale auf dem Ruhebett, ließ die Generale vor ſich
kommen und gab ihnen die noͤthigen Befehle fuͤr den Aufbruch;
das Landheer ſollte am 4. Juni aufbrechen, die Flotte dagegen,
mit der er ſelbſt fahren werde, den Tag darauf. Dann ließ er
ſich gegen Abend auf ſeinem Lager zum Euphrat hinabtragen,
beſtieg ein Schiff und fuhr uͤber den Strom zu den Gaͤrten
jenſeits; dort nahm er ein Bad und brachte unter Fieberſchauern
die Nacht zu. Am anderen Morgen nach dem Bade und dem
Morgenopfer ging er in ſein Kabinet und lag dort den Tag
uͤber auf dem Ruhebett; Medius war bei ihm und ſuchte ihn
mit Geſpraͤchen aufzuheitern; der Koͤnig beſchied die Anfuͤhrer
fuͤr den naͤchſten Morgen vor ſich; nachdem er wenig zur Nacht
[583] gegeſſen, legte er ſich zur Ruhe; das Fieber nahm zu, des Koͤ-
nigs Zuſtand verſchlimmerte ſich; die ganze Nacht durch war
er ohne Schlaf. Am Morgen des 3. Juni nach dem Bade
und dem Opfer wurde Nearch und die uͤbrigen Offiziere der
Flotte vorgelaſſen; der Koͤnig eroͤffnete ihnen, daß ſeiner Krank-
heit wegen die Abfahrt um einen Tag verſchoben werden
muͤſſe, daß er jedoch bis dahin ſo weit wieder hergeſtellt zu ſein
hoffe, um den 6. Juni zu Schiffe gehen zu koͤnnen. Er blieb
im Badezimmer; Nearch mußte ſich an ſein Lager ſetzen und
von ſeiner Fahrt auf dem Ocean erzaͤhlen; Alexander hoͤrte mit
Aufmerkſamkeit und großem Vergnuͤgen zu, er freute ſich, bald
aͤhnliche Gefahren ſelbſt zu durchleben. Indeß verſchlimmerte ſich
ſein Zuſtand, die Heftigkeit des Fiebers mehrte ſich mit jeder
Nacht; denoch berief er am Morgen des 4. Juni nach dem
Bade und Opfer die Officiere der Flotte, und befahl, auf den
6. Alles zu ſeinem Empfang auch der Flotte und zur Abfahrt
bereit zu halten. Nach dem Bade am Abend ſtellte ſich das
Fieber heftiger als bisher ein, und des Koͤnigs Kraͤfte ſchwan-
den ſichtlich; es folgte eine ſchlafloſe, quaalvolle Nacht. Am
Morgen ließ ſich Alexander im heftigſten Fieber hinaus vor
das große Baſſin tragen und hielt mit Muͤhe das Opfer; dann
ließ er die Officiere vor, gab noch einige Befehle uͤber die
Fahrt der Flotte, beſprach ſich mit den Generalen uͤber die Be-
ſetzung einiger Officierſtellen, und uͤbertrug ihnen die Auswahl
der zu Befoͤrdernden mit der Ermahnung, ſtreng zu pruͤfen.
Es kam der 6. Juni, der Koͤnig lag ſchlecht darnieder, er ließ
ſich dennoch zum Altare tragen und opferte und betete, er be-
fahl, daß die Abfahrt der Flotte verſchoben wuͤrde. Es folgte
eine traurige Nacht; kaum vermochte der Koͤnig am andern Mor-
gen noch zu opfern; er befahl, daß ſich die Generale in den
Vorzimmern der Schloſſes verſammeln, daß die Hauptleute
und Officiere im Schloßhofe beiſammen bleiben ſollten. Er
ſelbſt ließ ſich aus den Gaͤrten zuruͤck in das Schloß tragen.
Mit jedem Augenblick ward er ſchwaͤcher; als die Anfuͤhrer ein-
traten, erkannte er ſie zwar noch, vermochte aber nicht mehr
zu ſprechen. Dieſe Nacht, den folgenden Tag, die folgende Nacht
waͤhrte das Fieber, der Koͤnig lag ſprachlos.


[584]

Der Eindruck, den des Koͤnigs Krankheit im Heere und
in der Stadt hervorbrachte, iſt nicht zu beſchreiben; die Ma-
cedonier draͤngten ſich um das Schloß, ſie verlangten ihren
Koͤnig zu ſehen, ſie fuͤrchteten, er ſei ſchon todt und man ver-
hehle es; ſie ließen mit Weheklagen, mit Drohungen und Bit-
ten nicht ab, bis man ihnen die Thuͤr oͤffnete; ſie gingen
dann alle nach einander bei ihres Koͤnigs Lager vorbei, und
Alexander hob das Haupt ein Wenig, reichte jedem die Rechte
und winkte mit dem Auge ſeinen Veteranen den Abſchiedsgruß.
Denſelben Tag, es war der 10. Juni, gingen Pithon, Penceſtas,
Seleukus und Andere in den Tempel des Serapis und fragten
den Gott, ob es dem Koͤnige beſſer ſei, wenn er ſich in den
Tempel des Gottes bringen laſſe und zu dem Gotte betete;
ihnen ward die Antwort: „Bringet ihn nicht, wenn er dort
bleibt, wird ihm bald beſſer werden.“ Und Tages darauf, am
11. Juni gegen Abend, ſtarb Alexander.42)


[][][]
Notes
1).
Demosth. Olynth. II. p. 23. Philipp III. p. 69.
2).
Herod.
V. 22. VIII. 139. Thucyd. II.
99. Die Sage von Karanus (Diod.
I. 18. 20. VII. 8. etc.
) iſt jüngeren Urſprungs.
3).
Die nähere Einſicht in die höchſt eigenthümlichen und einfluß-
reichen Naturverhältniſſe des kleinen Macedoniſchen Landes iſt erſt ſeit
Couſinery’s Werk (voyage dans la Macedoine) möglich geworden.
4).
Paus. IX. 40.
5).
In den Olympiſchen Spielen; cf. Herod. V. 22.
6).
Thucyd.
II. 100. Gellius. XV. 20. Aelian. XIV. 17. II.
21.
7).
Plato
Gorgias, p. 83. ed. Heind.
8).
Dieſe Wahrſcheinlichkeit gründet ſich namentlich darauf, daß
der Lynkeſtier Alexander, eines Aeropus Sohn, ſpäterhin in der Hoff-
nung auf den Macedoniſchen Thron Verbindungen mit dem Perſer-
könige angeknüpft hat.
9).
Marsyas ap. Athen. XIV. p. 629 d.; Diod. XV. 71. 72. nennt
ihn Bruder des Alexander, gegen das ausdrückliche Zeugniß des
Dexip. ap. Syncell. p. 500. ed. Bonn.; cf. Aristot. Polit. V. 8. 12.
10).
Arrian. 1. 20.
11).
Arrian. VII. 16.
12).
v. interp.
ad Curt. VII.
9. 17.
13).
Demosthen. de fal. log. p. 575.
14).
Denn Derdas heißt Fürſt von Oreſtis, Thye. I. 57; Perdik-
kas aber war nach Curt. X. 7. 8. aus fürſtlichem Geſchlecht, nach
Arrian. Ind. 18. aus Oreſtis.
15).
Xenoph. hist. V. 2. 39.
16).
Athen. XIII. 557. e.
17).
Theopomp. lib. XXIII. ap. Athen.
X. p.
436.
18).
Demosth. in Arist. p. 600.
19).
Plut. apophth.
19a).
Corp. Inscr. 105.
20).
Curt. X. 7. 8.
20a).
Plut. apophth.
cf. Athen. X. 435 c.
20b).
Anonym. apd. Boissonnade anecdota
vol. II. p.
468.
21).
Plut. Alex. 2.
21a).
Plut. l. c.
22).
Ueber die Zeit ſeiner Geburt genügt
es auf Idler’s Abhandlung über das Todesjahr Alexanders (in den
Abhandl. der Berl. Academie 1820 u. 1821) zu verweiſen. Es fällt
Alexanders Geburt auf den Boedromion Ol. 106. 1. d. i. 356 v. Ch.
zwiſchen den 15. Sept. und 14. Oct. (Meton. Cyclus).
23).
Plut. Alex. und de fort. Alex. II.
24).
Die Aechtheit die-
ſes von Gellius aufbewahrten Briefes iſt zweifelhaft.
25).
In
der That iſt die Keuſchheit eine ſeiner ſchönſten Tugenden und durch
viele Beiſpiele bewährt. Als Jüngling war er ſo entfernt von Wol-
luſt, daß ſeine Aeltern, voll Beſorgniß, ihn durch eine ſchöne Hetäre
26).
Unter den vielen dahin gehörigen Er-
zählungen zeichnen wir die von dem wunderbaren Einfluß aus, den
die Muſik über ihn ausübte; als Antigenides einſt ein Kriegslied zur
Flöte ſang, ſprang Alexander auf, und griff nach den Waffen.
Plut. de fort. Alex. II.
25).
zu verführen ſuchten, die ſich in ſein Schlafgemach ſchleichen mußte;
Alexander wandte ſich voll Schaam von ihr, und beklagte ſich bitter
über das Geſchehene.
27).
Plut. apophth.
28).
Plut. Alex. 9. Justin. IX. 7. cf.
Freinsheim suppl. ad Curt. I. 9. 8. Athen. XIII. p.
557.
29).
Plut. l. c. Justin. l. c. Curt. VI. 9. 17. c. interp.
30).
Justin. IX. 6. et 7.
31).
Plut. l. c.
32).
Plut. Alex. 10. Arrian. III. 6. 8.
33).
Diod. XVI. 91.;
nach Juſtin war auch Amyntas bei dieſem Heere; offenbar des Arrha-
bäus Sohn, der ſpäter die Recognoscirungen vor der Granikusſchlacht
leitete.
34).
Arrian II. 14. I. 25.
34a).
Nach Diod. XVI. 94. und
Val. Maxim. VIII. 14. Plutarch erzählt die Anekdote in Beziehung
auf Alexander; cf. Arist. Polit. p. 1311. b. 1. ed. Beck.
35).
Diod. Justin. Paus. VIII. 7.
36).
Außer einzelnen mehr oder minder deutlichen Andeutungen,
ſ. beſonders Justin. XI. 1. Plut. de fort. Alex. I.
37).
Arrian I. 25.
38).
Auch Amyntas, Perdikkas Sohn,
ſcheint unter den Hingerichteten geweſen zu ſein; ſ. Polyaen. VIII.
60. Arrhabäus Sohn Neoptolemus floh nach Aſien und nahm Dienſte
im Perſiſchen Heere; Amyntas, ſein Bruder, hatte, da er beim Heere
in Aſien ſtand, wohl keinen Antheil an der Verſch[w]örung, er zeichnete
ſich in den ſpäteren Feldzügen aus.
39).
Diod. XVII. 5.
40).
Polyaen. IV. 3. 23.
41).
Diodor
nennt Herakles; und auch Ulpian in einem höchſt verwirrten Scholion zur
erſten Olynthiſchen Rede, bezeichnet die Aleuaden als Herakliden; Hellani-
kus nennt ſie Pyrrhiden, und Herodot leitet die Theſſalier aus dem
Thesproterlande her; cf. Buttmann von den Aleuaden (Abhandlun-
gen der Berliner Academie 1822).
42).
Theopomp. apd. Harpocrt. voce τετϱαϱχία.
43).
Demosth.
Olynth. I. p.
15. mit Ulpian.
44).
Flavius Philostr. in heroicis.
44b).
Aeschin. adv. Ctes. p. 436. Alexander ſcheint wie ſein Vater die
Parthei der Aleuaden begünſtigt zu haben; cf. Buttmann l. c. p. 207.
Die letzten Aleuaden, die in der Geſchichte vorkommen, ſind nicht, wie
Buttmann meint, Medius zu Alexanders und Thorax zu Antigonus
Zeit, ſondern noch viel ſpäter werden Echekrates und deſſen Sohn
Antigonus (Liv. XL. 54.) genannt.
45).
Diod. Justin.
46).
Demades p. 489.
47).
Aeschin.
adv. Ctes. p.
436.
48).
Demades l. c.
49).
Aeschin. p. 436.
50).
Diod. XVII. 4. Hierher gehört die
Ehre, welche die Megarenſer ihm erwieſen, indem ſie ihm das Bürger-
recht in ihrer Stadt dekretirten; Alexander nahm es lächelnd an, da
nur Herakles der gleichen Ehre gewürdigt worden war. Plut. de
monarch.
51).
Diod. οἱ συνεδϱεύειν εἰωϑότες. Arrian. I. 1.
52).
Pseudo Demosth. de foed. Alex.
53).
Diod.
54).
Plut. Paus. II. 2. 4. etc. Auf dieſe Zeit bezieht ſich wahr-
ſcheinlich die artig erfundene Geſchichte, die ſich bei Alexanders Be-
ſuch in Delphi zugetragen haben ſoll: da die Pythia nicht weiſſagen
wollte, weil es nicht der Tag war, ſo ergriff ſie Alexander am Arm,
um ſie wider ihren Willen zum Dreifuß zu führen; ſie rief: „o
Sohn, du biſt unwiderſtehlich!“ und freudig nahm Alexander ihren
Ausruf als Orakel an.
55).
Diod. XVII. 5. Curtius VII. 1. 3.
56).
Plut. Alex. 10. Diod. XVII. 2. Justin. IX. 7., nach St. Croix
Emendation; Paus. VIII. 7. erzählt die Todesart abweichend.
57).
Diod. XVI. 4. Hellad. apd. Phot. p. 530 a. 37. Cic. de
Off. II.
11.
58).
Arrian. I. 5. cf. Mannert tom. VII. p. 305.
59).
Arrian. I. 5.
Strab. VII. p. 180.ed. Tauch.
60).
Justin. IX. 3.
61).
Thucyd. IV.
101. Strab. l. c.
62).
Diod. XV. 36.
63).
Strab. VII. p. 133.
64).
Erſt in dem Heere, das nach Aſien ging, kommen Päonier vor.
65).
Diod. XVI. 71.
66).
Justin. IX. 3.
66b).
Daß dieſer Paß, ſpäter porta Trajani, nicht etwa der von
Grabova oder Bocazzi von Alexander zu wählen war, wenn er gegen
die Triballer wollte, verſteht ſich von ſelbſt; cf. v. Valentini der
Türkenkrieg, ed. 2. 1829, p. 290 sq.
67).
Es iſt zu bedauern,
daß wir nichts Näheres über dieſe Verbindung des Königs mit By-
zanz wiſſen, die offenbar eine Folge der Schlacht von Chäronea
geweſen iſt.
68).
Dinarch p. 152.
69).
Der Weg, welchen,
nach St. Croix, der König genommen haben ſoll, geht allem
tactiſchen und kritiſchen Sinn ſchnurſtracks entgegen. Nach P. Lucas
Bericht und der Karte bei Couſinery beginnt nicht weit öſtlich von
Philippi eine Ebene, die ſich am Neſſus einige Meilen hinzieht; dieſe
aufwärts rückte das Heer, den rechten Flügel durch den Strom, den
linken erſt durch Philippi, dann durch die Berge gedeckt. Der
Neſſus wurde offenbar auf dem Wege von Philppi nach Beröa
an der Arda überſchritten, an deren Quellen einer der wenigen Paß-
wege durch die waldige Rhodope führen ſoll, den auch Couſinery’s
Karte noch andeutet.
70).
Arrian I. 25. 4.
70b).
Ammian. Marcell. XXI. 20.
71).
Die ſchlechte Lesart bei Arrian τῶν δὲ ἐμπόϱων πολλοὶ hat
Mitford zu einer eben ſo gelehrten als gedankenloſen Auseinander-
ſetzung über antike Schleichhändler benutzt. Eine genauere Prüfung
des Zuſammenhanges und der Lokalität macht die Emendation τῶν
ἐκ τῶν ὄϱων πολλοί unwiderleglich; es ſind wohl die Beſſier ge-
meint, die Vorſteher des Dionyſosheiligthumes in den Bergen. Dio
Cass. LI. 25. LIV. 34. Herod. VII.
110.
72).
Herod. VII. 75.
Thuc. II. 98. Arrian. I.
1.
73).
Arrian I. 1. Polyaen. IV. 3. 11.
74).
Sueton Aug. 94.
ef. Aristot. p. 842. a. 14. ed. Beck.
75).
Wir haben den ſonſt un-
bekannten Lyginus Arvians für den Oiskus oder Isker, den öſtlichen
Grenzfluß der Triballer, genommen, an deſſen Mündung ſich die ſpä-
tere Hauptſtadt der Triballer, Oeskus, befand, und zu dem hin die
von Alexander eingeſchlagene Straße führte. Arrians Ausdruck, der
Fluß ſei drei Märſche von der Donau, ſcheint freilich zu bezeichnen,
daß er ſich nicht in dieſe ergießt; das könnte nur von einem der
kleinen Küſtenflüſſe gelten, was ganz unſtatthaft, zumal wenn nach
dieſen Gegenden der Lynkeſtier Alexander detachirt ward.
76).
Dieſe
Inſel wird bei Strabo und Arrian Peuce genannt, und von den In-
terpreten für die große Peuce, nicht weit von der Mündung des
77).
Wahrſcheinlich die Treres des Thucydides, die durch den Oiskus von
den Triballern geſchieden werden.
78).
Arrian I. 3.
76).
Stromes, gehalten; ſ. Kruse de Istri ostiis. Wratisl. 1820, p.
79 seqq.
Aber wie hätten ſich die Triballer über funfzig Meilen von
ihren äußerſten Grenzen flüchten ſollen, und zwar nach der Richtung
hin, wo der Feind am nächſten war? Wie hätte Arrian vermeiden
können, von den vielen Donauarmen zu ſprechen, die, wenn bei die-
ſem Peuce gekämpft wäre, von der größten militairiſchen Wichtigkeit
ſein mußten? Selbſt die Zeit hätte zu dieſen Märſchen nicht hinge-
reicht; gegen Ende Juli ſtand Alexander vor Pellion, das wohl hun-
dertundfunfzig Meilen entfernt iſt, und mit dem Frühling war er
aus Amphipolis aufgebrochen, von wo Peuce in geradem Abſtande
wohl hundert Meilen entfernt iſt. Vielleicht nannten die Geſchicht-
ſchreiber Alexanders mit dem Namen der bekannteſten Donauinſel die
in Frage ſtehende, die viel weiter ſtromauf liegen mußte.
79).
Arrian I. 4.
80).
Dies beweiſet die Anführung bei Dio-
dor XVII. 17.
81).
Arrian I. 4, Ptolemaeus apd. Strab. VII. p. 82. ed. Tauch.;
ein Gewährsmann, der in der That mehr gilt, als St. Croix’s kriti-
ſche Bedenken.
82).
Die Lage von Pellion, die Mannert, durch Nicht-
beachtung der bei Livius XXXI. 40 aufbewahrten Notizen, um einige
Tagereiſen zu weit nordöſtlich geſetzt hatte, iſt durch Barbié du Bocage
im Ganzen richtig beſtimmt; etwas nordwärts von der Biegung des
Eordaikus und etwas ſüdwärts von dem heutigen Fiorina; vg. Pou-
queville’s Reiſe II. p. 378.
83).
Das Terrain der Gegend ergiebt ſich ziemlich beſtimmt aus Ar-
rians Erzählung. Die Breite des Weges iſt entweder 12 oder, wohl richti-
ger, 24 Fuß, je nachdem dem Schilde, d. h. dem Mann, die Breite, die er in
Paradeſtellung oder in geſchloſſener Reihe einnimmt, gegeben iſt.
84).
Arian. I. 6.
85).
Plut. de fort. Alex. I.
86).
Arrian I. 5. 6.
87).
Das Illyriſche Königthum blieb in
der Familie des Bardylis und Klitus noch lange erblich; Illyrier
kommen in Alexanders Heeren vor. Diod. XVII. 8.
88).
Aeschin. adv. Ctes. p. 484.
89).
cf. Aeschin.; bid. Dinarch.
adv. Demosth. p
. 149. ſpricht gar von 300 Talenten.
90).
Demades
p
. 496.
91).
Justin. XI. 2.
92).
Dinarch. p. 152.
93).
Nach Aeſchines Darſtellung in einer et-
wa fünf Jahre ſpäter gehaltenen Rede erſcheint Demoſthenes Benehmen
in dieſer Zeit ganz anders; die Arkadier, behauptet er, hätten das An-
geld zum Kriegsdienſte aus den Perſiſchen Subſidien verlangt, aber
da Demoſthenes in ſeinem Geize nichts habe zahlen, ſondern alles für
ſich behalten wollen, ſeien ſie heimgegangen; auch die Macedoniſche
Beſatzung habe man mit einigen Talenten zum Abzuge bewegen kön-
nen, aber Demoſthenes habe nichts herausrücken wollen. Weit ent-
fernt Demoſthenes Integrität behaupten zu wollen, gegen welche die
Papiere, die Alexander ſpäter in der Burg zu Sardes fand, nur zu
deutlich zeugen, haben wir dennoch nicht Vorwürfen glauben mögen,
deren Unhaltbarkeit der Zuſammenhang der Verhältniſſe beweiſet.
Oder verſtand Demoſthenes ſeinen Vortheil ſo ſchlecht, daß er, um ei-
nige Talente für ſich behalten zu können, das Glück einer Un-
ternehmung aufs Spiel ſetzte, deren Mislingen ihm nicht bloß ſeine
Popularität, ſondern ſein Vermögen und ſein Leben koſten konnte?
Und wenn wirklich die Beſatzung der Kadmea zu beſtechen möglich
war, konnten die Thebaner nicht mehr fünf Talente aufbringen? Daß
Dinarch in ſeiner Rede gegen Demoſthenes ungefähr daſſelbe mit
Aeſchines berichtet, hebt den apokryphiſchen Charakter dieſer Angaben
nicht auf; cf. Decret. I. apud Plut.
94).
Wir dürfen nicht unbemerkt laſſen, daß nach dem Aeſchines,
welchen Mitford geleſen, in Theſſalien ein Aufſtand der Perrhäber,
welche unterthänige Schutzgenoſſen der eigentlichen Theſſalier geweſen
ſeien, gleichzeitig mit dem Thebaniſchen erfolgt ſei, und der Theſſali-
ſchen Bundesverſammlung Veranlaſſung gegeben habe, den Thebanern
und Athenern den Krieg zu erklären. Dafür citirt der gelehrte Eng-
länder Aeschin. de cor. p. 548 ed. Reisk. Wir finden in der gan-
zen Rede nichts dem Aehnliches; denn was p. 436 und p. 439 ed.
Beck
. erwähnt wird, gehört nach dem unmittelbaren Zuſammenhang
jener Stellen in ganz andere Zeiten. Vielmehr muß man annehmen,
daß die Theſſaliſche Ritterſchaft von Pelline aus mit zu Felde gezo-
gen iſt; die dreitauſend Ritter im Heere vor Theben beſtehen unleug-
bar aus funfzehnhundert Macedoniern und eben ſo viel Theſſaliern;
94).
denn daß dieſe ſich nicht bloß, wie die Theilnehmer des Korinthiſchen
Bundes, zur Heeresfolge nach Aſien verpflichtet hatten, beweiſet
Aeschin. p. 436.
95).
Diod. Plut. Arrian.
95a).
Wir haben uns ſtreng an Arrian oder vielmehr an dem
Berichte des Lagiden Ptolemäus gehalten, der ſelbſt Zeuge dieſes
Sturmes gegen Theben, und ein ausgezeichneter General war. Die
Schilderung Diodors, aus den rhetoriſchen Büchern Klitarchs ent-
lehnt, iſt ohne allen militäriſchen Werth, und was mit Arrian über-
einzukommen ſcheint, beweiſet nur noch mehr ihre Unbrauchbarkeit.
Alexanders Plan war wohl, durch Einnahme der Außenwerke die
Thebaner zur Kapitulation zu zwingen; daß gleich beim erſten An-
griff die Stadt fiel, war ein Werk der Umſtände. Klitarch macht
daraus einen förmlichen Operationsplan mit drei Treffen, von denen
eins die Werke ſtürmen, ein zweites die Thebaner beſchäftigen, ein
drittes die Nachhut bilden ſollte; man erkennt darin den Angriff des
Perdikkas, das Nachrücken des leichten Fußvolkes, den Sturm der
Phalanx wieder. Polyän’s Darſtellung, daß der König einen Schein-
angriff gemacht und die Thebaner ins freie Feld gelockt habe, wäh-
96).
So Arrian. Diodor ſpricht von σύνεδϱοι τῶν Ἑλλήνων.
97).
Wir nehmen dieſe Zahlen von dreißigtauſend Verkauften und
95a).
rend ein Theil des Heeres unter Antipaters Führung über eine un-
bewachte Stelle der Mauer geſtiegen ſei und ſo die Stadt beſetzt habe, iſt
gleichfalls ohne bedeutenden Werth; Antipater möchte als Reichsver-
weſer in Macedonien wohl kaum der Belagerung beigewohnt haben,
und unzweifelhaft iſt für den blutigen Tag das Anrücken der Phalanx
und ihr Eindringen in das Elektriſche Thor entſcheidend geweſen; cf.
Agatharchid. apd. Phot. p. 441 ed. Beck
. Dort ſah man noch in ſpä-
ter Zeit das Polyandrion der gefallenen Thebaner; Paus. IX. 10.
98).
Plut. Alex. 12.
und de virt. mulier.
97).
ſechstauſend Todten ohne großes Bedenken an, da nicht bloß Theba-
ner, ſondern auch Freigelaſſene und Metöken kämpften und verkauft
wurden. Uebrigens ſagt Agatharchides, auf den ſich St. Croix angeb-
lich ſtützt, auch nicht ein Wort davon, daß dieſe Zahlen übertrieben
ſeien; ſeine Kritik bezieht ſich auf die übertriebenen Bilder gewiſſer
Rhetoren, die über Thebens Fall klagten.
99).
Die Notizen zu dieſer Darſtellung bei Plutarch, im Leben des De-
moſthenes und Phocion, bei Diodor und Arrian; an der zweiten Geſandt-
ſchaft ſoll Phocion bedeutenden Antheil gehabt haben; Plutarch ſchreibt
ihm die ganze Verhandlung mit Alexander und ihren glücklichen
Ausgang zu.
100).
Dinarch. adv. Demosth. p. 156 ſtellt Charide-
mus Flucht als freiwilligen patriotiſchen Entſchluß dar; wir folgen
Arrian; cf. Demosth. ct. Arist. p. 600 und ep. 3. p. 643.
101).
Diod. XVII. 17.
102).
Frontin II. 11. 3.
1).
Die Vorzüge der Helleniſchen Waffen im Kampfe gegen die
Barbaren ſind ſehr glücklich in Jul. Africanus cp. 1. (Math. Vett.
p. 277. sq.)
auseinandergeſetzt.
2).
πεζέτειϱοι cf. St. Croix p. 433.
3).
Diod. XVII. 57.
4).
ἵππος τῶν ἑταίϱων, τό ἑταιϱικόν, ἵππος ἑταιϱική, οἱ ἀμφ̕
αὐτὸν ἱππεῖς.
5).
Arrian II. 9. τὴν Λευγαίαν καλουμένην hält
St. Croix für eine Anſpielung auf den Lagiden Ptolemäus; ich leſe
Αἰγαίαν nach der alten Hauptſtadt des Reiches.
6).
Curt. V.
4. 21. verglichen mit Arrian. III. 18. 8.
6a).
Noch in ſpäterer Zeit beſtand dies Corps im Macedoniſchen
Heere, und zwar ziemlich in derſelben Stärke; Polyb. IV. 37. 67.
Perſeus Heer, das dem Alexanders nahe kam, enthielt dreitauſend
Cetrati und zwei Agemen von dreitauſend Mann; Liv. XLII. 51.
7).
Chiliarchien der Hypaspiſten werden mehrfach genannt; Arrian.
V. 23. IV. 30. I. 22.
Nach Curt. V. 2. 3. ſollte man meinen, daß
erſt ſeit der Veränderung im Heere, die zu Babylon vorgenommen
wurde, die Hypaspiſten nach Chiliarchien vertheilt ſeien, und daß frü-
her je fünfhundert Mann eine Abtheilung bildeten; Curtius irrt und
verwirrt, wie oft. Allerdings war fünfhundert bei den Hypaspiſten,
wie bei den Phalangen Fundamentalzahl (cf. Jul. African. cp. 72.
p. 312
); denn dreitauſend Mann bilden ſtets eine Taxis (Diviſion)
von ſechs Abtheilungen zu fünfhundert Mann, die ſechszehn Mann
tief und einunddreißig Mann Front ſtehen, die zweiunddreißigſte Reihe
enthält die vier Hauptleute über je hundertundvierundzwanzig Mann;
im Flankenmarſch bildet jede dieſer Abtheilungen eine Fronte von
ſechszehn Mann, mit der Tiefe der doppelten Phalanx (zweiunddreißig
Mann). Zu erwähnen bleiben noch die verſchiedenen Arten der
σωματοφύλακες, die ſonderbarer Weiſe alle in gleicher Art βα-
σιλικοὶ heißen. Nämlich die βασιλικοὶ πκῖδες, die Edelknaben des
Königs, ſind, wie man an Pauſanias Beiſpiel und aus vielen Stellen
des Diodor und Curtius ſteht, die königliche σωματοφυλακία, das
seminarium ducum praefectorumque, die Edelgarde des Königs. Die
ſogenannten ſieben σωματοφύλακες, wie Leonnatus, Ptolemäus, Ba-
8).
Cf. Curt. V. 2. 3 etc.
9).
Arrian V. 13. 8.
10).
So viele nennt Arrian I. 6. Diodor im Katalog nur tauſend.
Daß die Schützen Macedonier hießen und auch wohl größten Theils
waren, ſieht man aus Arrian III. 12.; doch folgten dem Könige auch
Kretenſiſche Bogenſchützen als Söldner; Arrian. II. 9. 5.
11).
Eine
Randgloſſe zum Diodor nennt ſiebentauſend.
7).
lacer, möchte man genauer ἀϱχισωματοφύλακες mit der ſpäteren
Zeit nennen; es ſcheint nicht, daß ſie Befehlshaber der Hypaspiſten
oder dem Aehnliches, ſondern gleichſam Generaladjudanten des Kö-
nigs waren.
12).
Viele Schriftſteller rühmen die Waffe der Dimachai (ähnlich den
früheren Dragonern), die von Alexander erfunden ſein ſoll; das We-
ſentliche der Sache ſcheint darauf hinauszulaufen, daß Alexander zu
raſcherer Verfolgung bisweilen Schwerbewaffnete aufſitzen ließ; ſ. Arrian.
III. 4. cf. Freinsh. ad Curt. V. 13. 8.
13).
Polyaen. V. 44. cf. Diodor XVII. 7.
14).
Namentlich die Städte Ilion, Cebren und Skepſis an den
Aeſopusquellen; Demosth. in Aristoer. p. 602.
15).
Polyaen.
l. c.
15b).
v. Freinsheim supplem. Curl. I. 3. 28. Aristol.
Oecon. II. p. 1351. b.
16).
Diod. XVII. 7.
17).
So Arrian, und die Art der erſten Schlacht beſtätigt ſeine
Angabe vollkommen. Diodor nennt zehntauſend Reuter und hundert-
tauſend Mann Fußvolk, Juſtin gar ſechshunderttauſend Mann.
18).
Arrian II. 4. Diod. XVII. 19.
19).
Ueber dieſe Feſte weichen Arrians Angaben von denen ande-
rer Autoren ab; die Sache iſt von keinem Belang.
20).
Das
Detail dieſes Weges ſ. Couſinery p. 136 sqq., der ſich indeß über
den Bau der Macedoniſchen Flotte auf dem Kerkinisſee in unhaltba-
ren Hypotheſen ergeht.
21).
Mit Alexander fuhren ſechszig
Trieren; Diod.
22).
Die Citate zu dieſen Sachen ſtehen bei Freinsheim suppl.
Curt. II. 4.; cf. Boeckh corp. inscr.
1564. Uebrigens bezieht ſich
Strabo’s ἀναβάντα μετὰ τὴν νίκην natürlich auf den Zug nach
dem oberen Aſien, nicht auf einen zweiten Beſuch in Troja, wie
Weſſeling ſonderbarer Weiſe meint.
23).
Es wird nicht auffallen,
daß derſelbe Parmenion noch kurz zuvor in Grynion commandirte.
Das darum, da nur Diodor jene frühere Expedition erwähnt hat.
24).
Paus. VI. 18. Suidas v. Alexander, ſo heißt es, ſchwur,
das Entgegengeſetzte von dem zu thun, was die Geſandten von
Lampſakus bitten würden, worauf denn der Sophiſt ihn beſchwor,
die abtrünnige Stadt zu ſtrafen.
25).
Die Erzählung bei Plutarch, daß Alexander, weil der Mo-
nat Daeſius von den Macedoniſchen Königen nicht zu Schlachten ge-
braucht zu werden pflegte, denſelben den zweiten Artemiſius genannt
habe, beweiſt wenigſtens ſo viel, daß die Schlacht gegen Ende Mai
oder Anfang Juni (Thargelion) vorfiel; cf. Plut. Camill. 19.
26).
Wir weichen in der Entwickelung des Manövers bedeutend
von Guichard ab, der namentlich über die Richtung des Angriffes
ſehr irrt.
27).
Sämmtliche Berichte ſtimmen in den Hauptſachen überein,
kleinere Abweichungen von Arrians Schilderung ſind nicht von Be-
deutung. Plutarchs Angabe, daß die Söldner vergebens um Capitu-
27).
lation gebeten, iſt wohl eine Philhelleniſche Unrichtigkeit. Von man-
chen Schriftſtellern wird an dieſer Schlacht dem Fußvolke ein bedeu-
tender Antheil eingeräumt, und Guichard geht ſo weit, zu behaup-
ten, daß erſt mit dem Erſcheinen der Phalanx die Perſiſchen Reuter
gewichen ſeien; in offenbarem Widerſpruche mit Arrians Erzählung
und der Prophezeihung bei Diodor. XVII. 17., die nicht weniger als
eine hiſtoriſche Angabe gilt.
28).
Plut., Arrian., Diodor.
28a).
Das bezeichnet Strabo XIII.
p. 89. ed. Tauch.
29).
Memnon apd. Phot. p. 228. a. 17., der den Führer Kalantos
nennt, wofür Vaillant wunderlicher Weiſe Karanos vorſchlug.
30).
Polyaen. IV. 3. 15.
31).
Plut. apophth. v. Ἀντίοχος.
32).
Arrian. I. 2. III. 11.
33).
Die Anecdote, daß Alexander den Epheſiern den Bau ihres
Tempels zu vollenden verſprach, wenn er ſeinen Namen in den Fries
des Gebäudes ſetzen könne, gehört einer ſpäteren Zeit an, wie der Ana-
chronismus in der Antwort der Epheſier zeigt: es gebühre ſich nicht,
daß der Gott der Göttin einen Tempel weihe; man würde die Ge-
ſchichte für eine Erfindung der Deklamationsſchulen halten, wenn ſie
nicht ſchon Artemidorus der Epheſier berichtete (bei Strabo XIV.
p.
175).
34).
Plin. XXX. V. 10. Aelian. V. H. II. 2. XII. 34.,
letzterer jedoch mit vielfacher Verwirrung; die Geſchichte mit der nack-
ten Pankaſte ſcheint nach Plut. 21. ein artiges und zum Lobe Alexan-
ders erfundenes Mährchen.
35).
S. die Angaben bei Mannert, der in ſeinem Critiſiren of-
fenbar zu weit geht, wie ſich aus ſeinen eigenen Citaten ergiebt.
35a).
Die Lage Milets ergiebt ſich mit ziemlicher Sicherheit aus Ar-
rian ſelbſt; cf. Mannert.
36).
Diodor weicht namentlich darin von Arrian ab, daß er Mem-
non als Befehlshaber von Milet bezeichnet; weder in der Stadt, noch
auf der Flotte war Memnon, Arrian hätte es nicht unerwähnt gelaſ-
ſen; auch würde die Einnahme der Stadt dem Könige ſchwerer ge-
worden ſein, wenn ſie Memnon vertheidigt hätte.
37).
Diodor ſagt, daß einige Schriftſteller in der Auflöſung der
Flotte ein ſtrategiſches Mittel des Königs bewunderten, die Macedo-
nier zur Tapferkeit durch die Unmöglichkeit zur Rückkehr zu zwingen.
Es würde dies weder dem ſtrategiſchen Talent des Königs, noch dem
Muth ſeines Heeres zur Ehre gereichen.
38).
Theopomp. ap.
Phot. cod. 176. Isocrates panegyr. c. 43.
39).
Arrian. cf. Strabo XIII. p. 128. und Wesseling ad Diodor.
XVI. p. 569. Clinton fast. Hell. appendix cp.
14.
40).
Ich nehme keinen Anſtand, die beiden ſonſt unbekannten
Namen Thera und Kallipolis (vielleicht Leukopolis) an die Küſte
zwiſchen Knidos und Halikarnaſſus zu ſetzen, wo auch Plinius eine
Reihe ſonſt unbekannter Namen hat.
41).
Wenn Plin. V. 29. angiebt, daß Alexander der Stadt Hali-
karnaß ſechs Städte, unter dieſen Pedaſum, geſchenkt habe, ſo bezieht
ſich das auf eine ſpätere Zeit, und hat offenbar den Sinn, daß er,
was auch ſonſt berichtet wird, nach Halikarnaß die Bürger der ſechs
Ortſchaften wieder zuſammenziehen ließ; denn Pedaſum iſt nach Strabo
eine der von Mauſolus nach Halikarnaß verlegten Gemeinden.
42).
Wahrſcheinlich der Sohn Philipps.
43).
Diod. XVII. 27.
44).
Herod. I. 176.
44a).
Strabo ſagt: Dieſe Landſchaft er-
ſtreckt ſich von den Engpäſſen oberhalb Telmiſſus und dem darüber
bis zum Taurus liegenden Lande, bei Iſinda vorüber bis Sagalaſſus
und Apamea. Auf Leakes Karte ſteht demnach der Name Sinda oder
Iſinda zu weit nordoſtwärts.
45).
Eustathius ad Dionys. perieg. 835.
46).
Man vergleiche
die Fragmente bei Stobäus, und namentlich die artigen Räthſel,
ἡ Θεοδέκτου τέχνη nennt ſie Antiphanes bei Athen. IV. 134. C.
47).
Athen. XIII. 566. E.; Plut.
48).
cf. Toup emend. in Suid. I.
223. Ein Beweis ſeines Ruhmes ſind die, natürlich erdichteten, An-
gaben bei Aristeas ep. ad fratr. und Josephus.
49).
ſ. Beaufort
in Nouvelles annales des voyages t. V. p. 37.
50).
Plut. Alex. c. 17.
51).
Arrian. Diod. XVII. 32. 80. Curt. VII. 1.
52).
Arrian.
53).
Appian. de bell. civil. II. 119. Joseph. ant. II. extrem.
54).
Plut. Alex. 17. Strab.
55).
Arrian. III. 6.
56).
Die
Lage dieſer Feſtung ergiebt ſich nach Arrian zwiſchen Side und As-
pendus; Mannerts Ergänzung bei Strabo XIV. 983. (281 ed. T.)
iſt höchſt zweifelhaft.
57).
Nach Polyb. V. 73. möchte man die Siditen für die beein-
trächtigten Nachbarn halten.
58).
Leake glaubt in der Poſition von Aglaſon die Lage dieſer
Stadt wiederzufinden; Asia minor p. 150.
58a).
Diodor erwähnt einer Unternehmung gegen die Marmarer,
die vielleicht hierher gehört.
58b).
Wir beziehen uns auf Alketas
Aufenthalt in Termeſſus bis zum Jahr 319.
59).
Curt. III. 1.
60).
Die Geſandtſchaft der Athener, die um
die Entlaſſung der Athener, welche ſich unter der Zahl der zweitau-
ſend am Granikus gefangenen Söldner befanden und nach Macedo-
nien abgeführt waren, bitten ſollte, wurde dahin beſchieden: wenn
der nächſte Feldzug glücklich geendet ſei, wieder einmal anzufragen.
Curtius läßt dieſe Geſandtſchaft in Kelänä, Arrian, ſcheinbar wenig-
ſtens, in Gordium eintreffen.
1).
Demosth. de Rhod. lib. p. 176. Arrian. III. 2.
2).
Diod. XVII. 30. Curt. III. 2.
3).
Arrian. II. 1.
4).
Demosth. de foed. Alex. p. 195. Plut. X Orat. Dem.
5).
Arrian. II. 1—2. Curt. III. 4. 1.
6).
In Karien waren dreitauſend Söldner und zweihundert
Pferde, vor Kelänä funfzehnhundert Mann, andere Beſatzungen in
Side, in Lydien und Kleinphrygien wenigſtens im Belauf von drei-
tauſend Mann zurückgeblieben; dieſe achttauſend Mann möchten doch
wohl kaum von den Söldnern ergänzt ſein, die hin und wieder aus
Perſiſchem in Macedoniſchen Dienſt übertraten, und es iſt keine ſichere
Spur dafür vorhanden, daß ſich etwa Contingente Aſiatiſcher Grie-
chen mit dem Macedoniſchen Heere vereinigt hätten. Kalliſthenes
Angaben bei Polyb. XII. 19 bedürfen kaum einer Widerlegung: fünf-
tauſend Mann Fußvolk und achthundert Reuter ſeien neu hinzuge-
kommen; dieſe zu den vierzigtauſend und viertauſendfünfhundert des
Granikus hinzugerechnet, gäbe für die Schlacht am Iſſus fünfundvier-
zigtauſend und fünftauſenddreihundert Mann. Wo blieben dann die
Beſatzungen? auch Polybius rechnet auf dieſe zu wenig, nämlich nur
dreitauſend Mann.
7).
Eine andere Darſtellung hat Ariſtobul von dieſer Begebenheit
gegeben: Der König habe den Spannnagel, der durch den Deichſel
geſteckt den Knoten zuſammenhielt, herausgezogen. Selbſt angenom-
men, daß die Sache ſo richtig ſei, ſo wird zuverläſſig das ganze Heer
das Zerhauen mit dem Schwerte lieber geglaubt und nacherzählt ha-
ben, als die in der That unbedeutende Operation mit dem Spannna-
gel; wie beim Ei des Kolumbus, iſt nicht das Reſultat, ſondern die
Neuheit der Löſung ein Zeugniß des Genies.
8).
Nach Curtius III.
1. 2. 3.
ſoll Alexander ſelbſt in Paphlagonien eingerückt ſein; das
ausdrückliche Zeugniß des Arrian beweiſet das Gegentheil. Sonſt
würde auch nicht Dionyſius, der Tyrann von Heraklea, ein getreuer
Anhänger des Perſerthums, ſeine Herrſchaft aufrecht erhalten haben,
ſondern es wäre ſchon jetzt dort die Demokratie eingerichtet worden,
welche einige Zeit ſpäter die Exulirten von Heraklea durch Alexan-
ders Einfluß wieder herzuſtellen wünſchten. Memnon apd. Phot. p.
223. b. 40.
9).
Sowohl die Natur der Sache, als das ausdrückliche Zeugniß
Arrians beſtätigen die Unterwerfung Kappadociens. Wenn Hierony-
mus bei Appian. bell. Mith. 8. behauptet, Alexander habe Kappado-
cien nicht berührt, ſondern ſei längs der Küſte von Pamphylien und
Cilicien gegen Darius gezogen, ſo irrt er offenbar. Da aber Aria-
rathes ſpäterhin wirklich noch als Fürſt von Kappadocien erſcheint, ſo
ergiebt ſich, daß der Theil des Landes, der am Pontus liegt, in ſeiner
Gewalt blieb. Man kann mit Gewißheit behaupten, daß Alexander
die wichtige Poſition von Mazaca (Cäſarea), am Fuß des Ardiſch
Berges und in der Ebene des Fluſſes Melas, welche den Weg gen
Armenien beherrſcht, nicht unbeachtet ließ. Von hier zog er zwiſchen dem
Ardiſch und der Bergfeſte Nora, die unter den Diadochen ſo wichtig
werden ſollte, auf Tyana, cf. Kinneir p. 105. 110. Es iſt bemer-
kenswerth, daß ſich Alexander lange in Kleinaſien aufhielt, und erſt
im September nach Cilicien hineinzog; gewiß wurde die Zeit benutzt,
um in dieſen wichtigen Ländern die neue Herrſchaft möglichſt durch-
greifend zu organiſiren.
10).
Der Weg, den Alexander nahm, iſt
genau nach Kinneir a. a. O. wieder zu erkennen. Dieſer fand zwei
Meilen ſüdwärts von dem Aquadukt, der die Lage von Tyana zu
bezeichnen ſcheint, beim nördlichſten Eingange in die Defileen des Ge-
birges die Spuren eines Römiſchen Lagers, ungefähr eben da, wo Cy-
10).
rus gelagert hatte. Von hier ſteigt der Weg bergauf, bald gelangt
man an den Sihoun (Sarus), an dem der Weg nach Cilicien hin-
führt; ungefähr ſieben Meilen ſeitwärts von Tyana theilt ſich der
Weg, ſüdöſtlich gen Adana, ſüdlich gen Tarſus; auf dem letzteren zog
Alexander und Cyrus; drittehalb Meilen von der bezeichneten Stelle
ſüdwärts beginnt der eigentliche Engpaß, wird immer enger und
gefährlicher, bis er zwei Meilen weiter durch ein Caſtell auf dem ho-
hen Felſen zur Seite geſperrt wird; cf. Kinneir p. 118 und 120.,
der die Schwierigkeiten dieſes Terrains genau beſchreibt. Etwa vier
Meilen ſüdwärts erreicht man in der Richtung S. S. O. die Ebene
von Tarſus, der Weg wendet ſich ein wenig ſüdweſtwärts, bis er an
das Ufer des Cydnus gelangt iſt. In vielen neueren Karten erhält
der Sihoun (Sarus) einen ſehr weit oſtwärts entfernten Urſprung;
er iſt kleiner als der Gihoun (Pyramus), und entſpringt in der
Richtung von Tyana; cf. Ebn Edrisi p. 196. (ed. Paris. 1619).
11).
Arrian und Andere; Seneca de ira II. 23. ſagt, daß Olym-
pias den Brief der Warnung geſchrieben. Ariſtobul in ſeiner nüch-
ternen Weiſe ſpricht von dem Bade im Cydnus nicht, ſondern ſagt, der
König ſei an zu großer Anſtrengung erkrankt.
12).
Man hat ge-
glaubt, Alexander ſei darum ſo lange in Cilicien hin und her gezo-
gen, damit Darius in die Ciliciſchen Päſſe hereingelockt würde; das
iſt unrichtig, da Alexander bei der erſten ſicheren Nachricht von ſeiner
Rähe ihm ſofort entgegenrückte; es wäre keine beſondere Taktik, ſo
lange nichts zu thun, bis der Feind vielleicht einen Fehler macht.
13).
Cf. O. Müller im Rheiniſchen Muſeum 1829.
14).
Sie
war von Argivern gegründet, ſ. interpp. ad Curt. III. 7. 2. Ihre Be-
ziehung auf Solon (Diog. Laert.) dankt ſie der ſehr oberflächlichen
Namensähnlichkeit.
14a).
Arrian. II. 12. 4.
14b).
Arrian. II. 5. Strab. XIV.
p. 233.
14 c).
Rennel hat in der Gegend von Derbeſak, oſtwärts
unter den Päſſen von Beylan, dies Sochi (Onchas bei Curt. IV. 1. 3.)
zu finden geglaubt, und offenbar wäre auf dieſem ſo oft zu Schlach-
ten gebrauchten Felde (Strabo XVI. p. 357.), ohne Darius Marſch durch
die Amaniſchen Pforten, auch der Kampf mit den Macedoniern ent-
ſchieden worden; die zwei Tagereiſen Entfernung von den Amaniſchen
14 c).
Pforten bringen Sochi oder Onchä etwa dahin, wo Niebuhr Anzas
(Ezas auf neueren Karten) bezeichnet; es liegt acht Meilen von dem
Paß, fünf von Aleppo, am Eingang des ſogenannten Blutackers.
14 d).
Curtius Angabe, Darius habe durch ein Gehege die Zäh-
lung ſeines Heeres, wie einſt Xerxes, vorgenommen, iſt ein etwas
müßiger rhetoriſcher Schmuck.
15).
Daß dieſe Angaben bei Curtius hiſtoriſchen Grund haben,
ſieht man aus dem Anfang der Rede Alexanders bei Arrian.
16).
Nach Arrians authentiſchen Auszügen.
17).
Der Kar-
dianer Eumenes erzählt in ſeinem Briefe oder Bericht an Antipater
Folgendes: Am Morgen vor der Schlacht kam Hephäſtion in des
Königs Zelt, und entweder vergaß er ſich, oder er war, wie ich ſelbſt,
aufgeregt, oder ein Gott gab es ihm in den Mund, kurz, er ſagte:
„Behüt’ Dich Gott, o König! es iſt Zeit!“ Als über dieſen ſehr
unpaſſenden Gruß Alle ſehr beunruhigt und Hephäſtion voll Schaam
18).
Kalliſthe-
nes bei Polyb. XII rechnet die Breite der Ebene auf vierzehn Sta-
dien. Angenommen auch, daß die Zahlen des Perſiſchen Heeres über-
trieben ſind, nicht einmal die Macedoniſche Fronte hatte auf dieſem
Raume Platz, wie Polybius zur Genüge nachweiſet; übrigens reichte
die beiderſeitige Schlachtordnung bis auf die Vorberge hinauf. Die
Lokalität ergiebt ſich aus Rennels Unterſuchungen und Kinneirs An-
gaben (Journey p. 136 sqq.); auch die Zeitungen des Jahres 1832 ent-
halten in den Berichten des Paſcha von Aegypten, vom 1., 2. und
3. Auguſt, manche Notiz. Die oft genannten Päſſe, über die Alexander
zurückging, ſind die der jetzt zerſtörten Burg Merkes, längs dem
Strande; die Straße von Beylan war die, auf welcher er gegen
Onchä vorrücken wollte; für den Pinarus muß man das trockene Fluß-
bett, das ſich nicht weit ſüdwärts von Iſſus (Pias) in die Berge
hineinzieht, halten.
17).
und Bekümmerniß war, ſprach Alexander: „ich nehme, o Hephäſtion,
den Gruß als freudiges Zeichen an; er verheißt mir, daß uns ein
Gott behüten und wir wohlbehalten aus der Schlacht zurückkehren
werden.“ Lucian. pro lapsu in salutando §. 8.
19).
Arrian giebt dreißigtauſend Reuter und zwanzigtauſend
Mann Fußvolk an; dieſe Zahlen ſind unfehlbar übertrieben; und wie
hoch auch ſonſt die Glaubwürdigkeit des Ptolemäus und Ariſtobul
ſein mag, in dieſem einen Punkt der Zahlen feindlicher Truppen ha-
ben ſie bisweilen ihren Muth und ihren Ruhm mit eingezählt.
20).
Die Stellung des perſiſchen Heeres iſt dunkel genug, indeß
ergiebt ſich die obige Darſtellung aus Arrian und den Irrthümern
des Kalliſthenes. Iſt der Lauf des Pinarus ſüdweſtlich, wie man ſchon
nach der durchherrſchenden Richtung der Tauriſchen, Amaniſchen, Cy-
priſchen Berge ſchließen muß, ſo bleibt, indem die Linie des Fußvol-
kes ſich ziemlich winkelrecht an die Küſte anlehnt, auf dem rechten
Flügel ein bedeutender Raum zwiſchen den Griechiſchen Söldnern und
dem Fluſſe, in welchem ſich die Reuterei zum Angriff auf Alexanders
linken Flügel aufſtellte. Daher bei Curtius III. 9. 1. Nabarzanes equi-
tatu dextrum cornu tuebatur … in eodem Thymondes Graecis prae-
positus;
daher auch die Angabe, daß die anderen Schaaren hinter den
Griechen und der Barbarenphalanx (Arrian.), nicht aber hinter den
Reutern ſtanden. Ueber die Ausdehnung der Perſiſchen Linie läßt
ſich nichts Sicheres ſagen. Jedenfalls aber reichten die dreißigtauſend
Griechiſchen Söldner dreitauſend Schritte weit von der Küſte auf-
wärts.
21).
Die Macedoniſchen Hopliten waren zweiunddreißig
Mann tief, alſo in der Doppelphalanx aufgeſtellt, ſo lange noch die
Marſchcolonne beibehalten wurde; ſobald aber die Schlachtlinie for-
mirt wurde, rückten die Reihen der zweiten Linie in die der erſten
ein, ſo daß die Phalanx ſechszehn Mann tief, und der Mann auf
drei Fuß Breite ſtand.
22).
Diodor ſagt gedankenlos genug, daß Alexander den Darius
fünf Meilen weit verfolgt habe, und doch zu Mitternacht im Lager zurück
geweſen ſei. Uebrigens ſind wir in der Darſtellung der Schlacht den
Angaben Arrians gefolgt und ſomit von den Anſichten neuerer Schrift-
ſteller abgewichen. Man darf ſich durch die Richtung der Flucht in
die Berge nicht zu dem Glauben verleiten laſſen, daß Darius Schlacht-
ordnung in ſüdöſtlicher Richtung geſtanden habe; der Lauf des Pina-
22).
rus und ſomit die Linie der Perſer iſt entſchieden ſüdweſtlich. Die
Entfernung der Amaniſchen Thore vom Schlachtfelde kann man auf
zwei Meilen angeben. Für die Lokalität iſt zu vergleichen Kinneir
p. 153 sqq.
23).
Dieſe Erzählung, die ſehr oft in den alten Autoren erwähnt
wird, wäre beſonders darum zweifelhaft, weil Alexander in einem,
wahrſcheinlich etwas ſpäter geſchriebenen Briefe (Plut. c. 23.) verſichert,
nie die Gemahlin des Darius geſehen zu haben; eine Angabe des
Plut. de Curios. und Athen. XIII. p. 603. wiederholt es; doch iſt die
Aechtheit dieſes Briefes nicht zu verbürgen.
24).
Cic. ad Fam. XV. 4. Freinsheim. ad Curt. III. 12. 17. Skan-
deroun beherrſcht die Syriſchen Päſſe vom Meere her; cf. Eckhel D.
N. P. I. V. III.
250.
25).
Curt. IV. 1.
26).
Curt. I. c.
Diod. XVII.
48.
27).
Curt., Diod., Arrian.
28).
Wir halten dieſen Brief, ſo wie
die Antwort Alexanders (bei Arrian) für authentiſch; ſonſt würde
nicht der König Ochus, wie ihn das Antwortſchreiben nennt, in dem
Briefe des Darius mit dem königlichen Namen Artaxerxes genannt
ſein. Die Auszüge bei Curtius und die wenigen Worte bei Plut. c.
29. beſtätigen dieſe Annahme.
29).
Curtius ſagt dreißigtauſend Menſchen; eine Zahl, die nicht
unwahrſcheinlich iſt, wenn man damit das Fragment aus Parmenions
Bericht an Alexander (Athen. XIII p. 607.) vergleicht, welches aus der
ungeheueren Maſſe nur einen kleinen Theil enthält; es heißt: „Dirnen
des Königs zu Muſik und Geſang fand ich dreihundertneunundzwanzig,
Kranzflechter ſechsundvierzig, Köche zum Zubereiten zweihundertſieben-
undſiebzig, Köche beim Feuer neunundzwanzig, Milchmänner dreizehn,
Getränke zu bereiten ſiebzehn, den Wein zu wärmen ſiebzig, Salben
zu miſchen vierzig.“ — Uebrigens iſt nicht Artabazus Sohn Cophe-
nes, der die Karavane von Onchä nach Damaskus eskortirte, für den
Verräther zu halten. — Parmenions Kriegsliſt bei Transportirung
der Laſtthiere, ſ. Polyaen. IV. 5.
30).
So ausdrücklich Arrian. II. 20. Curtius und einige andere
Schriftſteller nennen um dieſe Zeit einen König Straton von Sidon;
aber mit Unrecht. Der Vorgänger des Königs Tennes, der ſich ge-
gen Ochus empörte, heißt bei Hieronymus Straton (ſ. Perizon. ad
Ael. V. H. XII. 2.
) und denſelben bezeichnet Theopomp. ap. Athen.
XII. p. 532. cf. Boeckh corp. inscr. 87.
31).
Dies ſcheint der einfache Inhalt der durch Ausſchmückungen
aller Art ſehr entſtellten Geſchichte zu ſein, die Diodor nach Tyrus,
Plutarch (de fort. Alex. II.) nach Paphos verlegt; gegen beide ſ. die
Noten zu Curt. IV. 1.
32).
Arrian. II. 17. Die Rede ſcheint nicht fingirt zu ſein. —
33).
Curtius und Diodor haben wohl nicht Unrecht, wenn ſie von
Alexander Alttyrus, das noch exiſtirte (Scylax p. 42. ed. Hudson),
für den Zweck des Dammbaues zerſtört werden laſſen; die Bevölke-
rung hatte ſich nach der Inſelſtadt geflüchtet, und gehörte mit zu den
ξένοις bei Arrian. II. 24. 9. Was ſonſt von den beiden oben genann-
ten Schriftſtellern bei der Belagerung der Inſelſtadt erzählt wird, iſt
nur ſo weit glaubwürdig, als es durch Arrian beſtätigt wird. Die
Entfernung der Inſel vom Feſtlande giebt Scylax auf vier Stadien,
Plinius auf ſiebenhundert Paſſus an.
34).
Es wird erzählt, Alexander habe zuerſt einen Schanzkorb
mit Erde gefüllt und herangetragen, worauf dann die Macedonier
mit lautem Jauchzen die mühſelige Arbeit begonnen hätten; Polyaen.
IV. 3. 3.
35).
Arrian ſagt an dieſer Stelle nicht genug, Curtius wie im-
mer zu viel; überdies verwirrt letzterer die Zeitfolge, um einen Ef-
fekt zu erhaſchen.
36).
Curtius ſagt hundertundachtzig, Plutarch zweihundert; aber
Arrian giebt außer den im Text bezeichneten Zahlen noch zu verſte-
hen, daß vor der Ankuft der Phöniciſchen und anderen Geſchwader
dem Könige ſchon eine Anzahl Trieren zu Gebote ſtand.
37).
Die hier bezeichneten Stämme ſind die ſpäteren Ituräer
(d. i. Durſen oder Druſen im Mittelalter), gegen die Pompejus in
ähnlichem Sinne gekämpft hat. Curtius ſeinerſeits glaubt, Alexander
habe gegen die Araber gekämpft, weil ſie einige Macedonier beim
Fällen von Cedern im Libanon erſchlagen hätten. Die Bravourge-
ſchichte des Chares (bei Plutarch) mag ſich im Munde der alten Mace-
doniſchen Krieger beſſer gemacht haben als in den Berichten des Hi-
ſtorikers.
38).
Diodor und Curtius verſichern das Gegentheil; gerade die Ge-
nauigkeit ihrer Angaben offenbaret deren Unrichtigkeit.
39).
Das
Datum ergiebt die Angabe Arrians, daß Tyrus im Monat Hekatom-
bion (22ſten Juli bis 20ſten Auguſt 332 incl.) erobert ſei, in Verbin-
dung mit Plutarchs wunderlicher Geſchichte von Ariſtanders Ausſpruch,
nach welchem die Stadt, obgleich man ſchon den letzten Tag des Mo-
nats hatte, doch noch in demſelben Monat erobert werden ſollte;
die Ausſchmückung mag autoſchediaſtiſch ſein, das zum Grunde lie-
gende Datum iſt es wohl nicht.
40).
Polyb. XVI. 39. ἐξηνδϱαποδισμένον μετὰ βίας. Nach Diodor
wären ſiebentauſend Mann (ſechstauſend bei Curtius) im Kampfe ge-
fallen, zweitauſend kriegsfähige Männer ans Kreuz geſchlagen, drei-
zehntauſend Greiſe, Weiber und Kinder (der größere Theil ſei gen
Karthago geflüchtet geweſen) verkauft worden; Curtius dagegen ſagt,
daß die Sidonier funfzehntauſend Tyrier auf ihre Schiffe retteten;
Arrian giebt die Zahl der Todten auf achttauſend, die der Gefange-
nen auf dreißigtauſend an. Es verſteht ſich, daß die Stadt mehr als
vierzigtauſend Einwohner, wie man aus Arrian ſchließen möchte, ge-
habt hat. Die achtzig Trieren erforderten allein ſchon ſechszehntau-
ſend Mann. Enggebauet und voll hoher Häuſer, wie ſie war, konnte die
Inſelſtadt bei dem Umfange von zweiundzwanzig Stadien (Plin.) nach
dem Verhältniß des heutigen Paris achtzigtauſend Einwohner zählen.
Von dieſen waren wohl Tauſende vor Anfang der Belagerung geflüch-
tet, ſie fanden ſich allmählig wieder zuſammen. — Der obigen Erzäh-
lung liegt Arrians Bericht von der Belagerung zum Grunde (wört-
lich wiederholt von dem Anonymus de urbium defensione in den Vett.
Mathem. p. 317
). Diodor hat mit abentheuerlichem Geſchmack die
Maſchinen der Macedonier und Tyrier beſchrieben, und wenn wirklich
jene Stangen mit Widerhaken, jene Fangnetze und Harpunen, jene
Marmorräder und Säcke mit Seegras und Werg in dieſer merkwür-
digen Belagerung vorgekommen ſind, was ich weder bezweifeln noch
vertreten mag, ſo gehört dies zu ſehr dem Techniſchen des alten Be-
lagerungsweſens an, um hier ausführlich erklärt werden zu können.
Uebrigens wimmelt jener Bericht von Unrichtigkeiten; die Darſtel-
lung des Sturmes unter Admet giebt den deutlichſten Beleg dafür.
Noch weniger brauchbar iſt die Darſtellung des Curtius, der, ohne
allen Sinn für den weſentlichen Zuſammenhang militäriſcher Sachen,
durch blendende Bilder und rührende Antitheſen das Intereſſe, wel-
41).
Zwar ſpricht ſich keiner der alten Schrift-
ſteller deutlich über dieſen Punkt aus; ja Arrians Angabe, daß dem
Azemilkus verziehen ſei (ἄδεια), und Diodors verwirrter Bericht
über Abdolonymus könnten leicht das Entgegengeſetzte zu beweiſen
ſcheinen. Indeß ſpricht außer dem Zuſammenhange der Begebenheiten
die ſpätere Geſchichte für die obige Darſtellung; denn in den Strei-
tigkeiten der Diadochen werden Könige auf Cypern und in Sidon,
Byblus, Aradus erwähnt, dagegen Macedoniſche Phrurarchen in Ty-
rus; und in Tyrus verwahrte Perdikkas ſeine Kaſſen. Diod.
XVIII. 37.
40).
ches der factiſche Verlauf von ſelbſt erweckt, vergeblich hervorzubrin-
gen ſtrebt. Die vielen Träumereien und Wunder, die Curtius,
Diodor und Plutarch um die Wette erzählen, mögen immerhin im
Macedoniſchen Lager erzählt worden ſein; doch ſollte man mit ſol-
chen Geſchichten nicht die Geſchichte aufklären wollen. — Polyaen.
IV. 3. 4.
iſt unbrauchbar. Justin. XI. 10. meint, die Stadt ſei durch
Verrath gefallen.
42).
Arrian. II. 24.
43).
Es iſt ſchwierig, bei dem gänzlichen Schweigen glaub-
würdiger Schriftſteller, Gewiſſes über Alexanders Benehmen gegen
Samaria und Juda aufzuzeichnen, da ſich die Lügen der Samarita-
ner und Juden wechſelſeitig aufheben; cf. St. Croix p. 547 sqq., der frei-
lich dem Abderiten Hekatäus, dem Erfinder des vielbeſprochenen Oſy-
mandyaspallaſtes in Theben, zu viel Glauben ſchenkt.
44).
Curt.
IV. 5. 10. c. intpp.
45).
Arrian. II. 26. Curt. IV. 6. 12. Plut. 25.
46).
Dieſe Angaben Arrians ſind auf eine ſonderbare Weiſe mis-
verſtanden worden; man hat gemeint, ſein χῶμα χωννύναι ἐν
κύκλῳ πάντοϧεν τῆς πόλεως bezeichne eine völlige Circumvallation
der Stadt; ein ungeheueres Werk; wäre der Umfang der Stadtmauer
nur viertauſend Schritte geweſen und hätten zwanzigtauſend Men-
ſchen täglich gearbeitet, ſo würden ſie, nach einer ſehr einfachen Be-
rechnung, über drei Jahre gebraucht haben, um einen Wall bis zu
dieſer Höhe aufzuſchütten; überdieß wäre dann zum Unterminiren der
Mauer kein Platz übrig geblieben. Arrian iſt nur darin undeutlich,
ob dieſer zweite Damm an der Stelle des erſten gebauet iſt oder
nicht; letzteres ſcheint wahrſcheinlicher. Die zwölfhundert Fuß Breite
(zwei Stadien) ſind natürlich von der Stirn des Dammes zu verſte-
hen, da ſich die Länge deſſelben (diametrale Richtung) nach dem
Winkel, den man bei Arbeiten dieſer Art braucht, beſtimmen mußte.
47).
Curtius iſt in der Darſtellung dieſer Belagerung im Ganzen
mit Arrian in Uebereinſtimmung; doch hat er Manches aus dem He-
geſias hinzugethan, was ohne hiſtoriſchen Werth iſt, ſo namentlich
den Mordverſuch des Arabiſchen Ueberläufers, und die Rache an dem
von Philotas und Leonnatus gefangenen Eunuchen Batis (cf. Dionys.
Hal. de structur. or. c.
18.); Curtius nennt jene zwei Namen nicht,
weil nach ihm Philotas in Tyrus zurückgeblieben war. St. Croix
giebt nach Josephus ant. XI. 8., dem er viel zu viel glaubt, die Zeit
der Belagerung von Gaza auf zwei Monate an, für die Errichtung
ſo großer Dämme gewiß eine zu kurze Zeit; hätte die Belagerung
nicht länger gewährt, ſo wäre Alexander mit dem Anfang November,
wo das Nilwaſſer noch nicht wieder in ſeinem Bette zu ſein pflegt,
in Aegypten eingerückt. Daß er erſt nach dem 14ten November
(1 Thoth 417 aer. Nab.) nach Memphis gekommen iſt, beweiſet der
Umſtand, daß im Kanon der Könige ſein erſtes Jahr 417 iſt; wäre
er vor dem 14ten November dorthin gekommen, ſo müßte ihm
ſchon das Jahr 416 zugeſchrieben ſein; cf. Ideler Chronol. l. p. 120.
48).
Die Charakteriſtik des Aegyptiſchen Volkes, wie ſie Curtius
giebt, gens vana et novandis quam gerendis rebus aptior, iſt ein
Anachronismus, und paßt ſelbſt in ſpäterer Zeit beſonders nur auf
die Bevölkerung von Alexandrien.
49).
Die romanhaften Schilderungen von Alexanders Leben
und Thaten (ſo Pseudo-Callisthenes bei St. Croix p. 164, Jul.
Valerius p.
47.) machen aus dieſem Opfer eine förmliche Pharaonen-
weihe, wie ſie unter Alexanders Nachfolgern in Aegypten ſeit dem
fünften Ptolemäus, unter dem Namen der Anakleterien, wieder einge-
führt wurde; ſ. das Nähere in meiner Abhandlung de Lagidarum regno
p.
57. Doch war es Alexanders Abſicht nicht, ſich in jedem Theile
des Perſerreiches die Krone früherer Könige übergeben zu laſſen, da
er vielmehr ein Reich in Aſien und Europa zu gründen hoffte.
50).
Plut. 27.
51).
Ma-areh (oder Are-phot), der Name des Sees, enthält eben
ſo wie Ph-areh das Aegyptiſche Wort für Wache; über den Namen
Rakotis iſt kein Zweifel, wohl aber über den Namen No, wie nach
Hieronymus und Cyrillus dieſer Ort von den Hebräern ſoll genannt
worden ſein.
52).
Cf. intpp. ad Curt. IV. 8.
53).
Es iſt nicht der Mühe werth,
die vielen zum Theil abgeſchmackten Sagen über die Gründung Ale-
xandrias hier zu wiederholen. Das politiſche Verhältniß der neuen
Stadt, obſchon von keinem der Geſchichtſchreiber Alexanders genauer
bezeichnet, ergiebt ſich ziemlich deutlich; ſie war durchaus Griechiſche
Kolonieſtadt, und nur die Griechiſchen Einwohner galten als Alexan-
driner (Polyb. XXXIV. 14.). Die früheren Bewohner von Rakotis
dagegen und die Kaufleute aus Kanobus, die in die Stadt aufgenom-
men wurden (Aristot. Oecon. III. 33.), ſo wie die ſonſtigen Aegypter
und Libyer in der Stadt, mögen in dem Verhältniß von Metöken
in ihr gewohnt haben; cf. Plin. ep. X. 5. Ueber die Privilegien der
Juden, die ſich hier anſiedelten, ſ. Niebuhr über den Armeniſchen
Euſebius p. 61. (Abhandl. d. Berl. Akadem. 1821).
1).
Wir haben uns erlaubt, dieſe Erzählung mit den meiſten
Schriftſtellern, denen auch Plutarch cp. 30. gefolgt iſt, zu wiederho-
len, da ſie Arrian IV. 20., der manches Abweichende hat, nicht nach
Ptolemäus und Ariſtobul zu erzählen ſcheint. Namentlich läßt ſie
Arrian noch bei Lebzeiten der Königin, von deren Schwangerſchaft er
nichts erwähnt, und zwar bald nach der Schlacht von Iſſus vorfal-
len, wobei auffallen müßte, daß der treue Eunuch von ſeiner Herrin,
deren Hüter er war, entflohen, und ohne Vorwurf von Darius an-
genommen wäre. Curtius in ſeiner manierirten Weiſe läßt, damit
Alexander bei der Leiche der Königin ſchön thun kann, Statira un-
mittelbar vor der Schlacht von Arbela, alſo zwei Jahre nach ihrer
Gefangennehmung, ſterben, was dem gelehrten St. Croix Anlaß zu
einer eben ſo ſeichten wie equivoquen Kritik gegeben hat. Will man
für jene Flucht des Eunuchen eine Zeitangabe, ſo möchte ſie wenig-
ſtens vor der Einnahme von Tyrus zu ſetzen ſein.
2).
Curt. IV. 12. 8.
3).
Arrian. III. 8.
4).
Curt. IV. 9. 4.
5).
Demosth. de foed. p. 191.
6).
Arrian. III. 2. Curt.
IV.
5 und 8.
7).
Plut. Alex. 3.
8).
Itiner. Alex. 18.
9).
Curt. IV. 7. 9.
Diod. XVII.
49.
10).
Nach Ptolemäus zwei Schlangen. Uebrigens leidet dies
Wunder nicht weiter an Unnatürlichkeit, da es in der Oaſe wirklich
auch Raben giebt.
11).
Plut. Diod. XVII. 51. Callisthenes
apd. Strab. XVII.
459.
12).
Ariſtobul ſagt, Alexander ſei auf
dem früheren Wege zurückgekehrt; Ptolemäus, der ſpätere König
Aegyptens, dagegen, er habe den geraden Weg nach Memphis einge-
ſchlagen. Trotz der unklaren Kritik Barbiés iſt letztere Angabe wohl
richtiger, da der Umweg über Parätonium und Alexandria jetzt, nach
dem Vertrage mit Cyrene, keinen Zweck mehr gehabt hätte.
13).
Plut. Curt. Diod.
14).
Arrian ſagt zwar ausdrücklich
vierhundert, eine gar zu unbedeutende Zahl; wenn ſeine ſpätere An-
gabe für die Schlacht von Arbela Sinn haben ſoll, ſo müſſen wenig-
ſtens viertauſend Mann gekommen ſein. Eine Emendation wäre frei-
lich gewagt.
15).
Arrian. III. 5.; cf. Justin. XIII. 4. Dieſe Einrichtungen
Aegyptens, ſo ſehr ſie von denen der Lagidenzeit verſchieden ſind,
müſſen doch aus denſelben erklärt werden, weshalb wir auf die dahin
gehörigen Paragraphen unſerer Abhandlung de Lagidarum regno ver-
weiſen. Kleomenes iſt ἐπὶ τῶν πϱοςόδων aller Nomen; ſeiner Stel-
lung und noch mehr ſeiner Gewandtheit dankte er bald den größten
Einfluß in der Aegyptiſchen Satrapie, wie er ſich ſechs Jahre ſpäter
nur zu deutlich offenbarte.
16).
Plut. Alex. 29; cf. Grysar de Gr. trag. Demosth. aet. p.
29.
17).
Arrian. III. 6.
18).
Curt. IV. 5. 10; 8. 10.
18a).
Arrian. l. c.
18b).
Thapſakus (in der Bibel 1. Kö-
nige 4. 24. Thiphsach, i. e. transiit), das in den Reichardſchen Kar-
ten viel zu weit nördlich, bei Rennel zu weit ſtromab (denn er hält
den Chalus des Xenophon für den Koik oder Kowaih bei Aleppo, ſtatt
für den Ifrin) bezeichnet iſt, war nach Xenophon etwa fünfundſechs-
zig Paraſangen, alſo etwa funfzig Meilen von Myriandrus entfernt,
vom Chaboras oder, wie er ihn nennt, Araxes dagegen funfzig Pa-
raſangen, alſo ſechsunddreißig Meilen; wodurch ſich die Lage der Stadt
ungefähr auf die Gegend des heutigen Rakka beſtimmt; den Weg von
Aleppo nach Rakka ſ. Ebn Edrisi p. 196. Alexander ließ da, wo heute
Rakka iſt, eine Stadt Nicephorium gründen (Isidor. p. 3. Plin. VI.
26.), die ſich bald durch ihren Handel ſehr hob, denn bei Thapſakus
war der Strom zum Durchwaten ſeicht, cf. J. Williams two essays
on the geogr. of anc. Asia. London
1829. Man darf ſich durch
das Mährchen bei Plin. XXXIV. 15. nicht irre leiten laſſen.
19).
Daß Arrian. III. 7. 2. zu emendiren ſei, ergiebt ſich auch daraus,
daß die Griechiſchen Söldner nicht als Reuter dienten; man muß ſtatt
ἱππέας μὲν ἔχων τϱισχιλίους καὶ τούτων ἑλλη. μισϑοφ. δισχιλίους
offenbar mit Gronow καὶ ἐπὶ τούτων ſchreiben.
20).
Cf. Ebn Edrisi p. 201.
21).
Barbié du Bocage hat
22).
Herod. VII. 37.
23).
Arriau. III. 7. Curt. IV. 9.
5. c. intpp.
21).
Moſul als den Ort bezeichnet, wo Alexander den Tigris paſſirte; er
hat überſehen, daß Alexander von dort noch vier Tagemärſche bis in
die Nähe der Feinde brauchte (Arrian.), und Gaugamela liegt doch
wenige Stunden öſtlich von Moſul. Jene vier Tagemärſche führen
ungefähr auf Bedzabde, eine im Alterthum mehrfach genannte Poſi-
tion am Tigris, deren Wichtigkeit der heutige Ort Dſcheſireh, ſechs-
zehn Meilen oberhalb Moſul, bezeichnet; cf. Rennel p. 125 und
156.
24).
Curtius und Diobor fügen noch eine Menge Einzelnheiten
hinzu, namentlich daß die fliehenden Reuter wie Koſacken die Dör-
fer verbrannt hätten (cf. Polyaen. IV. 3. 18.); nur Schade, daß ſie
mit der Lage des Euphrat und Tigris nicht recht im Reinen ſind.
Trotz St. Croix’s Eifer iſt Arrian ſelbſt in der Chronologie der ein-
zige zuverläſſige Führer.
25).
Dieſe Zahlenangaben, obſchon von
Arrian überliefert, ſind eben ſo wenig für genau zu halten, wie die
der anderen Schriftſteller; da Darius Heer dem Heere Alexanders
gegenüber unverhältnißmäßig groß war, ſo genügt es, ſich eine
ungeheuere Menſchenmenge vorzuſtellen. Die Angaben Arrians
über Alexanders Heer (vierzigtauſend Mann Fußvolk, ſiebentauſend
Reuter) ſind von Guichard und St. Croix ohne allen Grund verdäch-
tigt worden. Dagegen rechnet Arrian offenbar fehlerhaft die Entfer-
nung von Arbela bis zum Bumodus (dem kleinen Fluß Chaſer, der
ſich auf der rechten Seite in den großen Zab ergießt, auf ſechshun-
dert Stadien (zwölf Meilen), da nach Niebuhr und Anderen von
Erbile (Kinneir Persia p. 152) bis zum Zab vier und eine halbe
Meile, vom Zab bis zum Chaſer kaum anderthalb Meilen iſt.
26).
Curt. IV. 14. 12.
27).
Arrian. III. 11. An dieſer Stelle ſcheint
Arrian die Arier ausgelaſſen zu haben, die er in dem erſten Katalog c. 8.
mit aufführt; die dort genannten Bergindier ſtanden wohl neben den
Arachoſiern, unter deren Satrapen ſie gehörten.
28).
Plut. 32. Arrian.
29).
Es war einer der letzten Tage
des Monats Boedromion, und dieſen Monat bezeichnete Ariſtanders
Prophezeiung.
30).
Diod. XVII. 52.
31).
Natürlich iſt die ganze Darſtellung dieſer Schlacht aus Ar-
rian entnommen, deſſen Bericht ſich durch ſich ſelbſt und durch die
handgreiflichen Mißgriffe der anderen Autoren, bis Polyän herab, als
der allein glaubwürdige zeigt. Man hat ſeine Angabe über die
Größe des feindlichen Heeres in Zweifel gezogen; indeß bleibt es ſich ziem-
lich gleich, ob die ungeheuere Uebermacht der Feinde einige Hunderttan-
ſend mehr oder weniger betrug. — Die Schlacht war für Alexander ver-
loren, ohne jenen glänzenden Angriff auf den linken feindlichen Flü-
gel; er ſiegte durch den großen ſtrategiſchen Grundſatz, im entſchei-
denden Momente am entſcheidenden Punkte die höchſte Kraft concen-
trirt zu haben. Das feindliche Heer erlag der eigenen Maſſe; hätte
es gegen Alexanders ſchräge Schlachtlinie die Fronte ſchnell genug zu
verändern, hätten ſich die Maſſen der zweiten Linie gehörig zu ent-
wickeln vermocht, hätte endlich das Zurückſtrömen der geworfenen
Maſſen nicht furchtbarer als die kleine Zahl der Siegenden auf die
nahe ſtehenden Haufen gedrängt, der Ausgang des Tages wäre ein
31).
anderer geweſen; ja Alexanders Sieg über den linken Flügel hätte
vielleicht nicht der Niederlage Parmenions das Gleichgewicht zu hal-
ten vermocht, wenn ſich die durchbrechenden Reuterſchwärme auf die
zweite Linie geworfen hätten; die Theſſalier hätten gegen Mazäus
erliegen müſſen. Alexander hat dieſer ungeordneten Kampfweiſe der Bar-
baren, auf die er rechnen durfte, eben ſo viel zu danken, als ſeinem
in der That großen Entſchluß, um die Gefahr Parmenions unbeküm-
mert ſeinen Angriff zu machen und die Hauptmacht des Feindes zu
zerſchmettern. — Guichards Darſtellung dieſer Schlacht, ſo geiſt-
reich ſie iſt, leidet an mehreren Fehlern; namentlich meint er, die
vorgeſchobenen Corps ſeien nicht in, ſondern vor der Linie aufgeſtellt
geweſen, eine Meinung, die eben ſo ſehr dem Charakter der Griechi-
ſchen (nicht der Römiſchen) Taktik, wie der beſonderen Phyſiognomie
dieſer Schlacht, der gegenſeitigen zwiefachen Ueberflügelung, wider-
ſpeechen würde. — Die Chronologie anlangend bemerken wir, daß
St. Croix in ſeinem Eifer gegen den ſorgfältigen Arrian ungerecht
iſt. Ideler hat in ſeiner durch Gründlichkeit und Eleganz gleich
ausgezeichneten Weiſe alles hierauf Bezügliche erklärt und berich-
tigt. — Endlich erwähnen wir, daß die Anſicht, als ſeien in dieſer
Schlacht in Alexanders Heere bereits Aſiatiſche Truppen aus den er-
oberten Ländern geweſen, gänzlich falſch iſt.
32).
Curt. V, 3. 17. Diod. XVII. 56. Arrian. III. 18.
33).
Alexander kam am vierten Tage nach dem Aufbruch aus Arbela gen
Mennis (Ekbatana, Plut.), wo Bitumenquellen waren (Curt. V. 1. 16.).
„Kerkuk iſt nur zwanzig Stunden und Dus Churmatu etwa fünfund-
dreißig Stunden von Arbela; vielleicht alſo iſt letzteres das ehemalige
33).
Mennis; denn Hêt, wo gleichfalls Bitumenquellen ſind, liegt wohl zu
weit, als daß es Alexander in vier Tagen hätte erreichen können“.
Niebuhr II. p. 349; Strabo XVI. p. 345 bezeichnet den Weg ſo: erſt
Arbela, dann die Berge des Sieges, wie ſie Alexander nannte (Ka-
radjag bis zur Mündung des großen Zab), dann der Uebergang über
den Kapros (kleinen Zab), dann die Naphtaquellen (ich glaube die
von Kerkuk, ſ. Ker Porter II. p. 440), dann Sardacä, Darius Hyſtas-
pis Schloß, dann der Cypariſſus (Torna), dann der Kapros (?)
nahe bei Seleucia (offenbar die Diala, Silla bei Isid. Char.).
34).
Curt. V. 1. 43. Diod. XVII. 64; cf. Boeckh Corp.
Inscr.
105.
35.
Nach Diod. XVII. 65. erzählten einige Schriftſteller, Abulites
habe von Darius den Befehl erhalten, ſich und die Schätze von Suſa
den Macedoniern hinzugeben, um Alexander aufzuhalten, damit er
ſelbſt Zeit zur Flucht und zu neuen Rüſtungen gewönne; eine ſonder-
bare Kriegsliſt; cf. Curt. V. 2. 8.
36).
Nach Klitarch bei Cur-
tius und Diodor läßt Alexander ſeine Truppen in der Ebene von
Sitacene auf dem Wege nach Suſa raſten, um ihnen Zeit zu geben,
ſich von der Ausſchweifung und Trunkenheit, der in Babylon das
Heer faſt erlegen, zu erholen. Es war nur nicht viel Zeit übrig,
wenn die große Armee einen Weg von ſechszig Meilen in zwanzig
Tagen machen wollte.
37).
Strabo XV. p. 317. 329.
38).
Ar-
rian. III. 16. 12. Curt. V.
2. 11; andere Zahlen bei Plut. 36.
Strab. p.
322.
39).
Diod. XVII. 65. Curt. V. 1. 40.
40).
Arrian. III. 16.
19. Curt. V.
2. 3. Letzterer ſagt: neun beſonders tapfere Männer
wurden zu Chiliarchen gemacht, denn es traten fortan Chiliarchien
ſtatt der früheren Abtheilungen von fünfhundert Mann ein. Die
Sache iſt etwas unklar; ſie kann ſich nur auf die Phalangen bezie-
hen, und ich vermuthe, daß deren demnächſt neun beſtanden, wie drei
Jahre ſpäter ihrer zwölf waren. Man muß einen Begriff von Cur-
tius Gedankenloſigkeit haben, um das mit ſeinen Worten vereinbar
zu finden.
41).
So viele ſind ihrer noch in der Schlacht am Hy-
daspes; ſ. oben Seite 98 Note 7.
42).
Curt. V. 2. 16. nennt den Xenophilus, der es wenigſtens in
ſpäterer Zeit war; Diod. XIX. 17.
43).
Diod. XVII. 67.
44).
Die Lage von Suſa anlangend, hat noch neuerdings v. Hammer
in einem Aufſatze, den ich leider nicht benutzen konnte, zu beweiſen
geſucht, daß Shuſter die alte Perſerſtadt und der Karounfluß der
Choaspes, daß dagegen die Ruinen von Shus am Kerahfluß das alte
Elymais ſeien. Doch ſcheinen die Bemerkungen von Kinneir und
Monteith (cf. Ker Porter II. 412 sqq.) hinreichend, zu beweiſen, daß
wirklich Shus das liebliche Suſa, Shuſter dagegen die „lieblichere“
Reſidenz des Shapor geweſen. Die Flüſſe, die auf dem Wege von Suſa
nach Perſien paſſirt wurden, ſind folgende: der Choaspes bei Suſa
(der Kerah und tiefer ſtromab Fluß von Hawiza); zwei Meilen ent-
fernt der Eulaeus (der Ulai im Lande Elam bei Prophet Daniel,
über den die Steinbrücke des Shapour bei Dez Foul führt, Cheref-
feddin III. c. 22. p.
171, jetzt der Fluß von Abſal genannt; cf. Ousely I.
358. 421. 423.); dann acht Meilen weiter der Fluß von Shuſter; Tchehar
Donke bei Chereffeddin l. c., heute der Karoun, von den Alten nicht
genannt, zumal da der Weg wohl unterhalb ſeiner Einmündung
über den Eulaeus führte; hiernächſt folgen zwei Flüſſe, die, den Al-
ten unbekannt und auf neueren Karten nicht verzeichnet, von Timur
auf dem Wege von Shuſter nach Ram Hormuz überſetzt wurden;
zwei Tagemärſche hinter Shuſter erreichte er den Dudanke, wieder
zwei Tage ſpäter den Chourukan Kende, am fünften Tage endlich
den Fluß von Ram Hormuz, den Kopratas der Alten, ſechszehn Mei-
len von Shuſter. Dieſer, ſo wie der Fluß von Fey ſind Nebenflüſſe des
Paſitigris (Abargoun bei Chereff. III. c. 24. p. 185. Dſcherahi heute);
und etwa eilf Meilen von Ram Hormuz liegt Babehan an der Grenze
45).
Dieſe Paß-
gegend von der Ebene von Zohrah bis Babehan, der ſteten Grenze
gegen Farſiſtan, ſcheint den Namen der Suſiſchen Päſſe geführt zu haben,
wie Curt. V. 3. 17. und Diod. XVII. 68. irrig die Perſiſchen nennen;
Strabo (XV. p. 20.) unterſcheidet ausdrücklich die Päſſe im Lande der
Uxier und die Perſiſchen Päſſe.
46).
Daß die Perſiſchen Päſſe die der
weißen Burg (Kelah-i-Sefid, ἡ κλίμαξ) und nicht (cf. Ousely II. 456.
III. 567. Ker Porter I. 445. II.
35.) die von Ourtchiny oberhalb Iſtakar
(ἡ μεγάλη κλίμαξ) ſind, iſt ziemlich gewiß. Denn letztere Päſſe be-
herrſchen den Sommerweg nach Isfahan, und Alexander hätte Per-
ſepolis erreichen können, ohne ſie anzugreifen. Von Babehan bis zu den
Perſiſchen Päſſen ſind etwa funfzehn Meilen, und Curtius ſetzt die fragli-
chen Päſſe drei ſtarke Märſche von der Perſiſchen Grenze entfernt. Freilich
macht derſelbe Schriftſteller wieder die Schwierigkeit, daß Alexander von
den Päſſen aus in einem Nachtmarſch den Araxes erreicht habe. —
Den bequemeren Weg glaube ich den nennen zu können, welchen Ti-
mur genommen, und der ihn in ſechs Tagen von Babehan bis zu
den Päſſen brachte; der nähere Weg iſt der von Kinneir beſchriebene.
44).
Perſiens, zwiſchen dem Paſitigris und dem nördlichſten Nebenfluß des Aro-
ſis (Oroatis bei Strab., Abchirin bei Chereff. III. 24. p. 185, heute Tab
genannt). Curtius entfernt irrig den Paſitigris nur vier Tagemärſche
von Suſa, Diodor (XIX. 17.) gar nur einen.
46).
Diodor (XIX. 21.) bezeichnet dieſen großen Weg von Suſa gen Perſe-
polis ſehr anſchaulich: er ſei bis zu der Klimax (den Perſiſchen Päſ-
ſen) Hohlweg und mühſam, dann frei in einer luftigen Bergebene,
vom Paſitigris bis Perſepolis habe das Heer vierundzwanzig Tage
gebraucht (es ſind gegen funfzig Meilen).
47).
Arrian. III. 17. Curt. V. 3. 16. ſagt, daß ſie unter den
Suſiſchen Satrapen geſtellt worden. Nach Arrian. Ind. 40 ſuchte der
König dieſe Hirtenvölker zum Ackerbau zu gewöhnen und bauete ih-
nen Städte in den Bergen.
48).
Diod. XIX. 19.
49).
Unmöglich kann der Araxes gemeint ſein, der ja kaum eine
Stunde weit von Perſepolis vorüberfließt; eher dürfte der Aroſisfluß
bei Sul überbrückt worden ſein.
50).
Cf. Arrian. III. 18. Diod. XVII. 68. Curt. V. 9. Polyaen.
IV.
3. 21.
51).
Diod. Curt. Plut. Die Summen der Schätze
werden ſehr verſchieden angegeben; Curt. V. 6. 9. und Diod. XVII.
71. ſagt hundertzwanzigtauſend Talente; Strabo XV. p. 322. in Suſa
und Perſien ſeien vierzigtauſend, nach Anderen funfzigtauſend Talente
erbeutet. Die Verſchiedenheit von Perſepolis und Paſargadä iſt bei
den vollkommen klaren Zeugniſſen des Alterthums unzweifelhaft; Cy-
rus Grab erkennt man auf das deutlichſte in dem Grabe der Sulei-
mansmutter bei Murghaub, im NO von Tſchil Minar. Die be-
rühmte Streitfrage kann nach den trefflichen Arbeiten der Engli-
ſchen Reiſenden, die dieſe Gegenden beſucht haben, für abgethan
gelten.
52).
Klitarch, der Segur Alexanders, der mit außerordentlichem
53).
Schon im Alterthume haben Parmenions verſtändige Reden
mehr Beifall gefunden, als die raſche That Alexanders, die ſie hin-
dern ſollten; man hat hinzugefügt, daß ſolches Wüthen gegen den
todten Stein, gegen Kunſtdenkmale, gegen Erobertes zugleich kindiſch,
barbariſch und beklagenswerth ſei; und in der That ſcheinen diejeni-
gen mit Recht ſo zu ſprechen, welche in dem Charakter eines Helden
nichts als ihre eigenen Tugenden, Beſtrebungen und Maximen in er-
höheter Potenz zu finden hoffen. Indeß haben große Männer das
Recht, nach ihrem Maaße gemeſſen zu werden, und in dem, was man
ihre Fehler nennt, liegt ein tieferer Sinn als in der ganzen Moral,
gegen die ſie zu verſtoßen den Muth haben. Träger der Gedanken
ihrer Zeit und ihres Volkes, handeln ſie mit jener dunklen Leiden-
ſchaft, die, eben ſo weit als ihr Beruf über den Horizont der Alltäg-
lichkeit hinaus, ſie in die einſame Region der geſchichtlichen Größe
trägt, die nur der Blick der Bewunderung zu erreichen vermag.
Mag darum der Brand von Perſepolis denen ein Aergerniß ſein, die
in einem Tugendhelden das Ideal menſchlicher Herrlichkeit ſehen; in
dem Heldenleben Alexanders iſt dennoch dieſer Tag von Perſepolis
die Sonnenhöhe und das Feſt der lauterſten Freude.
52).
Talente, aber auf Koſten der Geſchichte Geſchichten gemacht hat, iſt
für dieſe Winterraſt in Perſepolis überſchwenglich reich an geiſt-
reichen Zügen. Seine Plünderung von Perſepolis, jene Griechen, die
vergreiſ’t, verſtümmelt, gebrandmarkt, voll Schaam und Verzweif-
lung dem Könige entgegen treten, endlich jene Atheniſche Tänzerin
Thais, die in der Begeiſterung des Tanzes einen Feuerbrand vom
Altare reißt und in den Pallaſt wirft, deren Beiſpiel trunken und
in wilder Siegesluſt Alexander und ſeine Getreuen folgen, das alles
ſind Mährchen (cf. Plut. cp. 38. οἱ δ̕ἀπὸ γνώμης ταῦτα γενέσϧαι
φασίν), die, aus derſelben Quelle geſchöpft, von einer Reihe ſpät-
geborener Schriftſteller ſo oft und mit ſolcher Zuverſicht wiederholt
werden, daß ſie mit der Zeit zu hiſtoriſcher Gewißheit geworden ſind.
Wer weiß, wie einſt der Brand des Kremls und die gebrandmarkten
Reſte des Polniſchen Adels in den Bergwerken Sibiriens ſpäteren
Geſchlechtern erſcheinen werden? — Cf. Ker Porter I. p. 647. —
54).
Plut. 37. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß Alexander
hier eine ſolenne Königsweihe gefeiert hat, und daß in dem Zu-
ſammenhange dieſer Feierlichkeit der Brand des Pallaſtes ſelbſt die
oben angedeutete Beziehung hatte. Curt. V. 2. 14. ſcheint die
Thronbeſteigung nach Suſa zu verlegen.
55).
Strabo XV. p. 321.
56).
Von dieſem Zuge berichtet nur Curtius mit Ausführlichkeit, be-
gnügt ſich aber mit einigen pittoresken Uebertreibungen, ſo daß man
weder die Richtung noch den Gang der Unternehmung erkennt; er
ſetzt ſie vor dem Brande in Perſepolis und sub ipsum Vergiliarum
tempus;
der Frühuntergang der Plejaden iſt im November, der Spät-
untergang Anfang April, der Frühaufgang im Mai, der Spätaufgang
im September; die einzige Zeit, die paſſen könnte, wäre der Spätun-
tergang im April; aber auch dies ſcheint ſchon zu ſpät und würde den
Anfang der Frühlingszeit bezeichnen, ſtatt daß Curtius dieſe Bezeich-
nung der Plejaden erdichtet zu haben ſcheint, um mit beliebter Phraſe die
Winterlichkeit, die er ſchildern will, anſchaulich zu machen. Von der-
ſelben Unternehmung ſagt Diod. XVII. p. 73: nach dem Brande habe
Alexander die übrigen Städte Perſiens angegriffen, und die einen
mit Güte, die anderen mit Gewalt genommen. Arrian. Ind. 40.
ſagt, daß alle dieſe räuberiſchen Bergvölker, die Uxier, Mardier, Koſſäer,
in Winterzeit, wo ſie ſich in ihren Bergen am ſicherſten geglaubt, beſiegt
ſeien. Es ſcheint, daß die Sitze dieſer Mardier in den ſüdlichen Bergen von
Perſis waren, da die weſtlichen von den Uxiern, die nördlichen von
den Koſſäern beſetzt waren; es kommt dazu, daß Hamdulla (bei Ou-
57).
Curt. IX. 10. 21.
58).
Plut.
37.
59).
Es ſcheint wohl ziemlich ſicher, daß das heutige Hama-
dan die Lage des alten Ekbatana bezeichnet; cf. Ker Porter II. p. 90
sqq. Ousely III.
an mehreren Stellen.
56).
sely III. p. 566) erzählt, Firuzabad ſei eine alte Stadt und von Ale-
xander zerſtört worden; ſie habe einſt Khur geheißen (Cyropolis regio
ibi maritima, Plin. VI.
26). Daß in dieſen Gegenden und nicht blos
in den Kaspiſchen Gebirgen Mardier wohnten, bemerkt Strabo XI.
p. 451, XV. p.
317.
60).
Der Weg, den Alexander nahm, führte wohl durch den Paß
von Ourtchiny (Ousely III. p. 567. Megala sc. climax Plin. V. 26.)
gen Isfahan oder Aspadana (cf. Ousely III. p. 5), welches die Re-
ſidenz der Satrapie Parätacene geweſen zu ſein ſcheint; der weitere
Weg nach Ekbatana oder Hamadan kann nicht viel von der heutigen
Straße verſchieden geweſen ſein.
61).
Dieſer Schätze von Ekbatana erwähnen auch die Orientali-
ſchen Autoren; ſ. Ext. et Not. II. p. 501. Die Zahl der Truppen,
die Darius begleiteten, giebt Curtius auf dreißigtauſend Mann leich-
tes Volk, viertauſend Griechen, dreitauſendfünfhunoert meiſt Baktri-
ſche Reuter an.
62).
Nach Curt. V. 13. 1. hätte Alexander gar
nicht Ekbatana berührt, ſondern den geraden Weg nach den Päſſen
über Tabä (Sawa) genommen; nicht minder unzuverläſſig iſt ſeine
Nachricht (V. 7. 12.), daß Alexander bei ſeinem Eintritt in Medien
neue Truppen, in der Zahl von fünftauſend Mann Fußvolk und tau-
ſend Reutern unter Führung des Atheners Plato erhalten habe.
63).
So Curt. V. 8—12. Nur er erzählt dieſe Vorgänge im
64).
Curt. V. 13. 7.
65).
Arrian. III.
21. 9. fügt hinzu: „und weil alles das in Beſſus Satrapie geſchehen
63).
Perſiſchen Lager; ſeine Angaben ſind, wenn auch ausgeſchmückt, doch
in ſich wahrſcheinlich.
66).
Das geſchah im
Juli 330 (Hekatombäon; Arrian. III. 22. 3.). Gegen die Autorität
Arrians, des eben ſo ſorgfältigen wie beſonnenen Schriftſtellers, hat
man die Eilmärſche Alexanders für unmöglich ausgeben wollen. Eine
65).
ſei“; vielmehr war es in Phrataphernes Satrapie Parthien geſche-
hen; vielleicht iſt anzunehmen, daß Beſſus, wie auch wohl frühere
Fürſten von Baktrien (Ctesias apd Phot. 31 a. 15.) den ganzen Oſten
des Reiches unter ſeiner Oberhoheit hatte.
66).
genauere Betrachtung fordert, ſich zuerſt über das Lokale genau zu
unterrichten. Von Hamadan zu den Ruinen von Ragä oder Rey
ſind nach Arrowſmiths Karte zuFraser’s Journey into Khorasan
215 Engliſche Meilen (60 Farſ. Ebn Kaukal p. 167), die Alexander
in eilf Tagen zurücklegte; Plutarch (cp. 43.) macht daraus 3300
Stadien oder 66 Meilen. Von Ragä aus führen zwei Wege gen
Oſten, der eine über Gilard und Serbendan gen Firuzkuh, wo ſich
die Straße nordwärts durch das Waldgebirge Hyrkaniens gen
Sari wendet, der andere am ſüdlichen Saume der Berge entlang
über Kebud Gumbed bei einer weitläuftigen Ruinenmaſſe vorüber
(gegen ſieben Meilen von Rey) in die Paßgegend hinein, die bei Aiwan-
i-Keif beginnt und entweder nordwärts bei Sahrun vorüber nach
Firuzkuh in die frühere Straße (Ousely), oder unter dem Namen
Gurdun-i-Sirdara oſtwärts gen Khuar (Choarene bei Isidor, Choara,
amoenissimus sinus
nach Plin. VI. 15.) und von hier durch ebenes
Land gen Damaghan (cf. Chereffeddin VI. c. 19. p. 154 und V. 2.
p.
205.) führt. Daß nur dieſe Straße die von Alexander verfolgte
ſein kann, iſt durch Fraſer (p. 291) auf das entſchiedenſte aus der
Natur der Gegend erwieſen; nur auf dieſem Wege konnte Alexander
in die öde Gegend kommen, die ihn Leute zum Fouragiren auszu-
ſchicken nöthigte. Alte Zeugniſſe beſtätigen, daß die Päſſe zwiſchen
Aiwan-i-Keif und Khuar oder Mahallehbagh dieſelben Kaspiſchen
Thore ſind, von denen aus ſo viele Meſſungen im Alterthume be-
ſtimmt wurden; denn Apollodor ſagt (bei Strabo XI. p. 435.) von
Ragä bis zu den Päſſen ſeien 500 Stadien (zehn Meilen, wie auch
Ouſely und Fraſer angeben; 57 M. P. von Rey bis Kahda geogr.
Nub. p.
209), von den Päſſen bis Hekatompylos 1960 Stadien
(nicht 1260, wie eine Seite ſpäter in den Ausgaben Strabos ſteht;
noch 130 M. P., wie Plin. VI. 15. angiebt; beide Angaben würden
wenig über Semnoun, Apamea Iſidors, hinausführen), d. h. 39 Mei-
len; und bei Fraſer ſind von Aiwan-i-Keif bis Damaghan 164—168
Engliſche Meilen, eine Differenz, die mir zu unbedeutend erſcheint, um ih-
rentwegen zu zweifeln, daß dieſe wichtige Stadt, in der ſich die Wege von
allen Richtungen vereinen, das alte Hekatompylos iſt (cf. Polyb. X. p. 28);
überdies könnte man leicht daran denken, gen Oſten ſei vom Oſtein-
66).
gang des Paſſes, der zwei Faraſangen Länge hat, zu rechnen. Der
Ort Thara (var. lect. Dara, Tanea) iſt der einzige, der in Bezie-
hung auf Alexanders Geſchichte auf dieſem Wege von Ragä bis
Hekatompylos genannt wird (Justin. XII. 15.), obſchon es gewiß iſt,
daß von Alexander ſelbſt hier mehrere Städte angelegt und benannt
ſind (Strabo XI. p. 436.), namentlich dürfte von ihm Charax am
Weſteingange der Päſſe (Isidor) herſtammen; für Thara ſelbſt läßt
ſich kein ähnlicher Name auf jener Straße finden, es müßte denn Kara,
wie Jonas Hanway (Travels I. p. 357) Khuar nennt, ſein; doch
ſcheint die Entfernung von Thara zu groß und eher auf Abdol-
abad zu führen. — Was nun die Märſche Alexanders anbetrifft,
ſo ſcheinen ſie auf folgende Weiſe erklärbar: Nach fünftägiger Raſt
in Ragä ging Alexander am ſechsten Tage bis zum Eingang der
Päſſe, am ſiebenten bis innerhalb der Paßgegend, ſo weit ſie bewohnt
war (das ſtimmt genau mit Fraſer p. 294); er mochte jetzt eilf Meilen
oſtwärts von Ragä ſein. Am Abend dieſes Tages traf Mazäus
Sohn bei Alexander ein, mit dem Bericht, er habe den Großkönig
in Thara verlaſſen; Darius Flucht war durch den Plan, noch einmal
ein Treffen zu verſuchen, durch die Meuterei in ſeinem Heere und die
daraus entſtandene Verwirrung aufgehalten; man darf annehmen,
daß Thara nicht viel über zwölf Meilen von den Päſſen entfernt lag,
und daß Mazäus Sohn am Morgen des vorigen (ſechsten) Tages die-
ſen Ort verließ. Alexander brach denſelben (ſiebenten) Abend auf,
marſchirte die Nacht durch bis am folgenden (achten) Mittag, dann
nach einiger Raſt auch dieſe Nacht durch bis zum Morgen des neun-
ten Tages; ſo erreichte er Thara am vierten Morgen nach Darius
Aufbruch aus Thara. War der Perſerkönig jeden Tag drei Meilen
gezogen, ſo war er um die Zeit von Alexanders Ankunft in Thara,
drei Märſche von Thara oder neun Meilen entfernt. In der Nacht
vem neunten auf den zehnten Tag zog er drei Meilen weiter, wäh-
rend Alexander mit übermenſchlicher Anſtrengung die Nacht hindurch
bis zum folgenden Mittag, alſo in vierzehn Stunden neun Meilen vor-
wärts eilte, und ſo die letzte Station des Feindes erreichte, der jetzt nur
noch einen Marſch oder drei Meilen voraus war. Alexanders Mär-
ſche verdienen den Ruhm des Ungeheuern, den ſie im Alterthume
66).
hatten. Mit den fünfhundert Auserwählten und mit der letzten
Kraftanſtrengung zog der König von dieſer Station während der
Nacht (vom zehnten zum eilften), in der die Perſer zu dem Vor-
ſprunge von drei Meilen noch einen etwas größeren Nachtmarſch (Arrian.)
hinzufügten, weiter, worauf er am Morgen, nach einem Gewalt-
marſch von acht Meilen (Arrian: vierhundert Stadien), den Feind er-
blickte. Der Ort könnte ungefähr in der Gegend von Amravan, ge-
gen ſieben Meilen vor Damaghan oder Hekatompylos und neun Mei-
len hinter Semnoun zu ſuchen ſein. — Plutarch ſagt, nur ſechszig
Mann hätten mit dem Könige ausgehalten; jedenfalls iſt die gänz-
liche Erſchöpfung der einzig denkbare Grund dafür, daß Alexander
den letzten Reſt der Perſer nicht weiter verfolgte. Unglaublich iſt es
nicht, daß vor Alexanders ſechszig Mann die ganze Schaar der Kö-
nigsmörder zerſtiebte; ohne die entfernteſte Ahnung von Alexanders
ſchneller Verfolgung mußten ſie eben ſo überraſcht, wie von der Nähe
größerer Streitmacht überzeugt ſein; und ſeit dem Abzuge der Grie-
chiſchen Söldner konnte Alexander ſchon einen Handſtreich wagen.
Von großen Märſchen im Alterthume, ſo wie von der großen Marſch-
fertigkeit der Macedonier ſ. St. Croix p. 322. — Die Darſtellung
von Curtius iſt, wenn auch anſchaulich und ergreifend, doch nicht
ohne rhetoriſche Ausſchmückung; die Erzählung von dem Trunk
Waſſer, den der Macedonier Polyſtratus dem ſterbenden Darius ge-
reicht haben ſoll, wage ich bei Arrians Stillſchweigen nicht zu vertre-
ten, obſchon ſie zu den beliebteſten Gemeinplätzen der antiken Schön-
rednerei gehört.
67).
So Plutarch 42. Arrian (VI. 26.) verlegt die Erzählung
nach Gedroſien, Curtius (VII. 5. 10.) in den Paropamiſus, Polyän
(IV. 3. 25.) giebt ſie ohne beſtimmte Lokaliſirung.
68).
Curt.
69).
Arrian. III. 22. 2. Dagegen ſagt Curtius (VI. 4. 24.),
daß Amminapes vor dem Könige Ochus flüchtig an Philipps Hof ge-
kommen ſei; wie bei Artabazus kann beides wahr ſein.
70).
Curt.
VI.
4. 23.
71).
Dieſe Wege zu beſtimmen, hat unzählige Schwie-
rigkeiten. Sicher iſt, daß das Land der Tapurier, heute Taberiſtan, am
Südabhang der Elburuskette und etwa von Firuzkuh bis Damaghan
liegt. Da ſich die Griechen von Thara aus in die Berge der Tapurier
zurückgezogen hatten, da ferner Kraterus mit ſeinem Corps ſie auf-
ſuchen und wo möglich die Tapurier unterwerfen ſollte, ſo ergiebt ſich
ſoviel, daß ſein Weg im Weſten von Hekatompylos über das Ge-
birge führen mußte. Er vereinigte ſich mit Alexander nicht lange
71).
nachdem dieſer an dem Bergſtrome Stibötes oder Ziobetis, der
ſich in den Rhidago ergießt, gelagert hatte. Dieſe Vereinigung
zweier Flüſſe und die bedeutende Breite des vereinten Stromes (drei-
zehn Stadien; Curt.) läßt nur zwiſchen dem Fluß, der bei Muſchid-
i-Sir mündet und dem Gorganfluſſe in der Südoſtecke des Kaspi-
ſchen Meeres die Wahl; letzterer würde vollkommen außer dem Wege
des Kraterus liegen, ſo iſt klar, daß der Fluß, der ſich bei Balfruſch
vorüber ergießt, der Rhidago iſt, und daß der Stibötes, in deſſen
Thal Alexander hinabzog, derſelbe wilde Bergſtrom iſt, den G. For-
ſter auf ſeiner Reiſe (er nennt ihn the Mazanderanriver) mehrfach
überſetzte. Alexander ging von Hekatompylos (Damaghan) aus; mit
drei Tagemärſchen durch Parthiſches Gebiet kam er an die Grenze
Hyrkaniens; drei Meilen weiter trat er in den Paßweg ein (Curt.
VI.
4. 1 — 4.). Dies dürfte genau der Weg ſein, den Forſter nahm
(ſ. G. Forster Journey from Bengal to England, Vol. II, p. 191);
der Engpaß von Chaloo iſt dreizehn Meilen von Damaghan entfernt,
und drei Meilen vor demſelben fand Forſter eine Reihe Ruinen auf
einer Höhe. Jenſeits des Paſſes beginnt nun die waldige Wildniß,
die Curtius ſo anziehend beſchreibt, und die Forſter in drei Tagereiſen
(funfzehn Faraſangen) bis an ihr Nordweſtende durchzog, von wo noch
drei Faraſangen bis Sari. Sari nun bedeutet nach Ouſelys Angabe
Granatapfel, eine Frucht, die auch nach den alten Angaben in jener
Gegend häufig iſt (Curt. Diod.), und die mehr als einer Stadt am
Elburus den Namen gegeben hat (ſo Sari-Camich; Chereff. IV. 19.
p.
154); mehr als dieſe Namensähnlichkeit beweiſet die Richtung der
Wege, daß Sari und Zadra-Carta (Zadra-Stadt) gleich ſind; denn
nur hier können ſich die drei Straßen, die Alexanders Truppen nah-
men, vereinen. Von dieſem Zadracarta (Arrian. III. 23. 11.) iſt voll-
kommen verſchieden ein zweites Zadracarta (Arrian. III. 25. 1.) oder
auch Zeudracarta, die Reſidenz Hyrkaniens, mag dieſer Name bei Arrian
richtig oder falſch ſein; denn erſt von dem Lager bei Zadracarta
rückte Alexander zur Reſidenz. Wo letztere lag, iſt nicht zu ſagen;
doch hat Strabo (XI. p. 426) neben dem Namen Carta (d. i. Zadra-
carta) als Reſidenz Tape angeführt. Dieſer Ort liegt dicht am
Meere, vierzehnhundert Stadien von den Kaspiſchen Päſſen (natür-
lich den Südpäſſen) entfernt, eine Bezeichnung, die genau auf Kara-
71).
Tapeh (Schwarz Tapeh), fünf Meilen nordöſtlich von Sari, paßt. —
Curtius bezeichnet Alexanders Ankunft und Lagerung in Chaloo, be-
ſchreibt dann die waldige Wildniß und fährt fort: „ſchon ſtand er
hier vier Tage im Lager, als Nabarzanes ſeine Unterwerfung an-
zeigte; dann rückte Alexander geſchloſſenen Zuges vor (ein fortlaufen-
des Thal zieht ſich zum Meere hinab), zwanzig Stadien weit auf
ſchmalen Felſenwegen, hier erreichte er das Ende der Wildniß (tan-
dem ad ulteriora perventum est
); dreißig Stadien weiter kam
Phrataphernes zum König; dann erreichte man Arvas, und hier tra-
fen Erigyius und Kraterus ein.“ Zadracarta erwähnt Curtius
nicht. Den Marſch von Chaloo durch die Bergwälder, den Curtius
zu bezeichnen vergißt, ergänzt Arrian (III. 23 c.): ὑπεϱβαλὼν τὰ
πϱῶτα ὄϱη iſt bei Chaloo, ἤει χαλεπὴν ὁδὸν καὶ δύσποϱον iſt der
Weg durch die Bergwaldung; διελϑὼν τὰ στενὰ ἐν τῷ πεδίῳ
κατεστϱατοπέδευσεν πϱὸς ποταμῷ οὐ μεγάλῳ ſind die zwanzig
Stadien Engpaß, die Curtius bezeichnet, und vielleicht derſelbe „Höl-
lenpaß“, durch den Timur den Rebellen Iskender von Firuzkuh ver-
folgte (Chereffeddin IV. 2. p. 160 sqq.); erſt jenſeits des Paſſes läßt,
nach Arrian, Alexander ſeine Truppen vier Tage im Lager, um die
einzelnen Poſten, die zurückgeblieben ſind, an ſich zu ziehen (Curtius
ſcheint ſeine vier Tage Lagerung zu früh anzuſetzen), und es dürfte
dies ungefähr einen Marſch oberhalb Sari geweſen ſein. Woher
Curtius den Namen Arvas für Sari hat, weiß ich nicht. — Der
Weg des Kraterus dürfte über Firuzkuh oder Goor-i-Sefid in die
durch Ouſely ſo genau beſchriebene Paßſtraße nach Sari geführt ha-
ben, da die militäriſche Wichtigkeit jener beiden Punkte ihre Beſetzung
wohl nöthig machte. — Erigyius Marſch anlangend iſt es kein
Zweifel, daß er den bequemeren Weg über Sawer und Aſterabad
nahm (der Weg von Langaru bei Chereffeddin II. 48. p. 375, oder
Lengheroud; VI. 20. p. 159), derſelbe, den Iſidorus Characenus bezeich-
net, wenn er ſagt: von den Kaspiſchen Thoren durch Choarene neun-
zehn Schönen (etwa bis Semnoun), durch Comiſene achtundfunfzig
(ſchreibe achtundzwanzig) Schönen (etwa bis Damaghan, doch kennt
er hier keine Stadt Hekatompylos mehr), dann durch Hyrkanien
ſechszig (?) Schönen, mit eilf Stationen.
72).
Curtius ſagt: cum propinquis Darii; VI. 5. 1., aber 2. 9.
erzählt er, daß beim Ueberfall bereits mehrere edle Perſer und Per-
ſerinnen in Alexanders Hände gefallen ſeien; er nennt dort na-
mentlich des Königs Ochus Tochter (Paryſatis? Arrian. VII. 4. 6.)
und des Königs Darius Bruder Oxathres; cf. Plut.
73).
Arrian.
III.
28. 4.
74).
Andronikus war mit Alexanders Amme, Lanice, der Schwe-
ſter des Klitus, vermählt (Arrian. IV. 9. 4.); der Admiral Proteas
(ſ. oben S. 150) war ſein Sohn.
75).
Dieſe Päſſe, deren heutigen Namen ich nicht weiß, liegen
zwiſchen Ardebil und den Küſtenorten Aſtara und Lenkoran. Die
Kaduſier, „wie der Grieche die Gelä nennt“ (Plin. VI. 11. und 16.),
bewohnen das Gebirge von Gilan, oſtwärts bis zum Amardusfluſſe
(dem Kizil-Ozein oder Sefid-rud). Mannert hat ſich über den Weg
Parmenions vollkommen geirrt (Perſien p. 132 sqq.).
76).
Dieſer
Paßweg liegt auf dem Wege von Kaswin nach Raeſcht; cf. Morier
Voy. II.
26.
77).
Eben ſo Timur in dieſen Gegenden; Chereffed-
din VI. 21. p.
161.
78).
Arrian. III. 24. 3. Curt. VI. 5. 11.
Die Barbaren, wird erzählt, bekamen bei einem Ueberfalle unter an-
78).
deren des Königs Schlachtroß Bucephalus in ihre Gewalt, der Kö-
nig drohete mit der Ausrottung ihres ganzen Stammes, wenn ſie
das Pferd nicht zurückgäben; ſie lieferten es ſchleunigſt aus. Curt.
Plut. etc.
79).
Plut. praec. reip. ger.; cf. Boekh Staatshaushaltung I. 182.
II. 246.
80).
Aeschin. ct. Ctesiph. p. 439.
81).
Plut. X Orat. De-
mosth
.
82).
Demosth. de foed. p. 192.
83).
Justin. XIII. 1. und 2. und Curt. X. 1. 44, der dieſe Be-
gebenheiten zu ſpät ſetzt.
84).
Man darf ohne Bedenken den von
Curtius (IX. 3. 21.) erwähnten Menon mit dem oben genannten für
denſelben halten. Der Theſſalier Menon, der mit der antimacedoni-
ſchen Linie des Epirotiſchen Königshauſes verſchwägert war, kann
nicht gemeint ſein, da ausdrücklich Thracien als der Ort des Aufſtan-
des genannt wird. Unkundige haben dieſen Feldhauptmann mit dem
Rhodier Memnon vielfach verwechſelt.
85).
Polyaen. IV. 1. 4.
86).
Diod. XVII. 63.
87).
Von den
Achäern blieb nur Pallene treu (Aeschin. adv. Ctesiph. p. 438.), obſchon
es damals noch nicht unter der Herrſchaft Chärons geſtanden zu haben
ſcheint, da deſſen im Katalog bei Demosth. de coron. p. 291. keine
Erwähnung geſchieht. Meſſenien ſtand unter der Tyrannei der beiden
Söhne des Philiades, Demosth. de foed. p. 192; cf. Dinarch. p. 156.
88).
Die angegebenen Zahlen finden ſich bei Diodor, ſcheinen aber
zu gering, da nach Dinarchs nicht unwahrſcheinlicher Angabe allein
zehntauſend Söldner im Heere waren.
89).
Frontin. II. 11. 4.
90).
Ueber die Zahl der Todten haben Diodor und Curtius abweichende
Angaben; Spartaniſcher Seits ſollen mehr als fünftauſend Mann
gefallen ſein; die Tapferkeit, die ſie in dieſer lange ſchwankenden
Schlacht bewährten, macht es wahrſcheinlich, daß Diodors Angabe, die
Macedonier hätten mehr als dreitauſend Todte gezählt, richtiger iſt
als die des Curtius mit ihrer ungewiſſen Lesart. Ueber den Ort
der Schlacht iſt keine ſichere Angabe vorhanden; indeß ſcheint ſie in
90).
der Nähe von Megalopolis geliefert zu ſein; wenigſtens darf man ſich
nicht durch Pausan. VIII. 10. 4. und ſonſt, zu der Vermuthung ver-
leiten laſſen, daß die Schlacht vor Mantinea geliefert ſein möchte;
denn Pauſanias verwechſelt nicht Agis III. und Agis IV., ſonden
erzählt nur etwas Verkehrtes von Agis IV. Noch ſchwieriger iſt die
Zeitbeſtimmung dieſer für Griechenland ſo verhängnißvollen Schlacht.
Wenn ſie nach Plutarch und Dionys. ep. ad Ammaeum cp. 12. (p. 746)
gleichzeitig mit der Schlacht von Arbela, nach Curtius ſogar vor der-
ſelben geliefert wäre, ſo würde Alexander nicht aus Suſa Geld an
Antipater zum Spartanerkriege (Arr. III. 16.) geſendet haben. Aeſchines
ſagt in ſeiner Rede gegen Cteſiphon, daß eben Agis beſiegt ſei, daß
demnächſt Spartaniſche Geſandten an Alexander gehen würden, daß
die Pythien in wenigen Tagen beginnen würden, ein Feſt, das in
jedem dritten Olympiadenjahr, und zwar im September (nicht in
Frühling, wie Boeckh gemeint hat) gefeiert wurde, v. Clinton fast
Hell. Excurs.
1. Die Rede wurde Ol. 112. 3. unter dem Archen
Ariſtophon gegen Herbſt des Jahres 330 gehalten; und da die Schlacht
unter demſelben Archon vorfiel, ſo gehört ſie in die erſten Monate
dieſes Olympiadenjahrs, in den Sommer 330. Agis Vater, Archi-
damus, war am Tage der Schlacht von Chäronea (2. Aug. 338) ge-
fallen, von da an datirt Agis Herrſchaft; wenn nun Diodor ſagt, daß
er 9 Jahre regiert habe, ſo kann dieß nur heißen, er ſey im 9ten
Jahre ſeiner Regierung, die mit dem Auguſt 330 begann, alſo zwiſchen
dieſem und dem Anfang der Pythien gefallen.
91).
Plut. apophth.
92).
Curt. VI. 1. Diod. XVII. 73.
1).
Plut. Alex. c. 47.
2).
Curt. VI. 8. 17.
3).
Die Erzählung des
Curtius von dem Mismuth, dem Heimweh, der durch Alexanders Rede
wiedererweckten Kampfluſt des Heeres iſt natürlich übergangen worden,
da man aus Plut. l. c. ſieht, was an der ganzen Geſchichte Wahres
und Wichtiges iſt. Noch widerwärtiger ſind die ewigen Wiederholun-
gen des Curtius über Alexanders moraliſche Verſchlechterung, die er
4).
Ueber die Lage der Stadt ſo wie über die Richtung des gan-
zen Zuges ſind die ſeit St. Croix verbreiteten Anſichten ſehr unrichtig,
und allerdings iſt es ſchwierig, hier ein ſicheres Reſultat zu finden.
3).
von dieſer Zeit her datirt und die der Prüderie der Römiſchen Kaiſer-
zeit eben ſo ſehr zuſagte, wie ſie noch heut zu Tage das beliebteſte
Schulthema zu Deklamationen gegen den größten Helden Griechenlands
abgiebt. Für den Anekdotenliebhaber iſt noch anzuzeigen, daß das
berühmte Beilager Alexanders mit der Amazonenkönigin Thaleſtris,
der Kaidaſa der Morgenländer, von einigen in dieſe Zeit geſetzt wird.
Die ſchöne Liebesgeſchichte von Zariadres und Odatis anlangend (Cha-
res X.
bei Athen. XIII. p. 575) verweiſe ich auf die Sage von Guſtasp
und Kattyun bei Malcolm Geſchichte Perſiens, überſetzt von Spazier I.
p.
44.; die Geſchichte und der Name Zari-adres gehört der Gegend von
Sara, Zadra-carta (ſ. o. p. 265) oder Ζάϱις (Ctesias apd. Phot. 43. a. 30.)
an.
4a).
Curt. VI. 6. 13.
4).
Im Allgemeinen iſt klar, daß Alexander, da er nach Baktrien eilte,
den nächſten Weg, und, da er zugleich occupiren wollte, nicht ſchon
gemachte Wege nahm; gewiß alſo iſt er nicht über Damaghan rückwärts
gegangen, um dann auf der Straße von Koraſſan über Niſchapur zum
Ochus, Margus und Oxus zu gelangen. Die Straße, welche Iſidor
bezeichnet, führt über die Stadt Niſae, ohnweit des Ochus, mit ural-
ten Heiligthümern; „Stadt Neſſa“ oder Scheher Neſſa nennen ſie die
Morgenländer, ſagen, daß ſie am Saume der Wüſte Kivac, nicht weit
von Abiverd und Seraks (ſ. Bakui in den Not. et Extr. des Msc. du
Roi. II. p.
499) und unter 38° 45′ und 93° 20′ (bei uns 75° 50′)
liege (ſ. Chereffeddin II. c. 48. p. 371. c. not.). Daß nicht Niſchapur
das Niſäa der Alten ſein kann, iſt daraus klar, weil dieſe Stadt, die
Alexander zerſtört haben ſoll, früher den Namen Aber Scheher führte
und erſt unter den Saſſaniden wieder erbaut den neuen Namen Niſchapur,
d. i. „Rohrſchapur“ erhielt (ſ. Herbelot bibl. or. III. p. 71. Malcolm
1. 79.). — Nehmen wir nun an, daß Alexander dem Wege über Neſſa
oder Niſäa, das nach Strabo XI. 427. in der Regel noch zu Hyrkanien
gerechnet wurde, folgte, ſo muß er ſich von hier aus ſüdöſtlich gewen-
det haben, um durch Parthiſches Gebiet (Arrian) und durch die Sa-
riphiſchen Berge nach Suſia zu kommen. Dieſer Name ſcheint unfehl-
bar auf Thus, die uralte Stadt des Dſchemſchid, die in neuerer Zeit
Meſched genannt worden iſt, hinzuführen (ſ. Herbelot III. p, 499.).
Thus liegt nach Ulug Beg 37° O′ und 92° 30′ (bei uns 75°), eben ſo
hat Naſſer Etuſ. (beide in Hudson geogr. min. III. p. 109 und 141);
dagegen hat Fraſer (app. p. 136) 59° 35′ bis 44′ (Greenw.), das iſt
etwa 77° 25′ unſerer Karte, und dieſe Meſſung ſcheint richtiger zu ſein. —
Alexanders Weg nach Baktrien hin war nun derſelbe, den Timur
unzählige Male gemacht hat, über Seraks, den Murgab gen Ankei
(ſ. Fraser app. p. 44. Meyendorf voy. p. 143 sqq.). Auf dieſem
Wege gründete der König die Stadt Alexandria Margiana, ſpäter
Antiochia (Plin. VI. 16.), die man nach der Richtung des Marſches,
nach der Beſchreibung bei Strabo XI. p. 438. Plin., Isidor, und nach der
morgenländiſchen Tradition (ſ. Herbelot II. p. 609) für dieſelben mit
Merv al Rud (ἔνυδϱος bei Iſidor.) halten muß.
4b).
Nach Curtius VI. 6. 36. kamen fünfhundert Griechiſche, drei-
tauſend Illyriſche, einhundertdreißig Theſſaliſche, dreihundert Lydiſche
Reuter, zweitauſendſechshundert Mann Lydiſches Fußvolk; die Angabe
iſt der Uebertreibung verdächtig. Arrian ſagt: „Alexander zog auf
Baktria los, indem er bereits ſeine ganze Macht bei ſich hatte; auf
dem Wege ſtieß Philipp aus Ekbatana zu ihm.“ Offenbar waren die
Truppen in verſchiedenen Marſchcolonnen nach Suſia gekommen, und
ſie mögen die Hauptſtraßen durch die Berge von Koraſſan durchzogen
haben.
4c).
Die Lokalitäten dieſer Gegend ſind nicht genau zu beſtimmen.
In keinem Falle iſt Artacoana (über die Schreibung des Namens ſ. van
der Chys Comment. p.
77) das heutige Herat; die Schilderung in
Curtius, die hier, wie gewöhnlich, richtige Lokalfarbe trägt, bezeichnet
deutlich, daß es in einem gen Norden, nicht wie Herat in einem gen
Weſten ſtreichenden Thale lag; und daß das Hauptland der Arier in
einem nordwärts gewandten Flußthale lag, erhellt aus Strabos Aeuße-
rung, das Land ſei zweitauſend Stadien lang und in der Ebene drei-
hundert Stadien breit. Nach Ptol. VI. 17. liegt Articaudna um 40′
weſtlicher und 10′ nördlicher als Alexandria Arion oder Herat; indeß
iſt der Breitenabſtand ohnfehlbar zu gering, da Alexander auf dem
Wege gen Baktra nur zwölf Meilen von dieſer Burg entfernt ſtand;
daher paßt weder Ghourian noch Fuſcheng.
5).
Arrian. III. 25.
6).
Strabo. Plin. Herbelot II. pag. 240.
St. Croix p.
822. u. A. Ammian Marcell. XXIII. 6. ſagt, daß man von
Alexandrien aus in das Caspiſche Meer ſchiffe; die Entfernung von
eintauſendfünfhundert Stadien, die er angiebt, iſt zu gering, doch das
Faktum wohl nicht zu bezweifeln, da einerſeits Strabo angiebt, Hyrkanien
werde von dem Ochus bis zu ſeiner Mündung hin durchfloſſen und
Niſäa liege an dem Fluß, andrerſeits Ptolemäus die beiden Mündun-
gen Ochus und Oxus genau bezeichnet (ſ. u.). Arrian. IV. 6. ſcheint
den Margus und Arius zu verwechſeln.
7).
Arrian nennt dieſen Namen nicht, doch iſt er für die Zaran-
gerhauptſtadt mit Recht angenommen worden. Die Lage iſt die des
heutigen Furrah, deſſen Entfernung von Herat bei Pottinger ein-
hundertzwanzig Meilen und genau entſprechend bei Plinius 119 M. R.
oder 952 Stadien (nicht 1500 oder 1600, wie Strabo hat) die
Identität des alten Prophthaſia erweiſet.
8).
Ueber die Euer-
geten ſind die Stellen von den Erklärern zu Curt. VII. 3. geſam-
melt; ihr früherer Name war Ari-aspen (Roß-Arier), ihre Wohnſitze
waren vom Fluſſe Etymander (Hindmend) durchſtrömt (Arrian. IV. 6.);
dieſer fließt in einem nicht breiten Klippenthale, durch die Wüſte hinab,
und erſt, wo er dem Ariusſee naht, treten die ſteilen Klippen zurück
und öffnen ein fruchtbares und ſchönes Gelände, in dem ſich noch heute
Ruinen von mehreren ſehr großen Städten, von Kanalbauten und Waſ-
ſerleitungen befinden; hier dürften die Sitze der Ariaspen zu finden ſein.
Es iſt merkwürdig, daß der Fluß von Drangiana nach Ptolemäus Angabe
ſich in den Indiſchen Ocean ergießt, merkwürdig darum, weil ſich noch
jetzt von der Gegend von Dergasp (Roßthor) aus, wo der Ueberhand
nehmende Flugſand den großen Hindmend heute gen Weſten zu ſtrö-
men zwingt, die Spuren eines mächtigen Flußbettes durch die Wüſte
hinab bis an das Indiſche Meer verfolgen laſſen. Jene Gegend hat
mit der alten Kultur ihre ehemalige Phyſiognomie bis zur Unkenntlichkeit
verloren; wenn Arrian ſagt, daß der Etymander nicht kleiner ſei als
der Peneus in Theſſalien, ſo kann das nicht genau auf den Hindmend
paſſen, der ſelbſt in ſeiner heutigen Größe der Elbe nichts nachgiebt.
Es iſt möglich, daß der Etymander der Furrahrud oder Kaſchrud war,
und ſich erſt bei dem Verſanden jener einſt ſchönen Gegenden mit dem
großen Fluſſe von Arachoſien (Arachotus; die Zendaveſta unterſcheidet
die Landſchaft Heetomeante und Arrochaodſchi 1. 2. 350.) vereinigte.
9).
Nach Curtius erhielten ſie den Geheimſchreiber des Darius,
nach Diodor mit den Gedroſiern gemeinſchaftlich den Tiridates zum
Satrapen, nach Arrian blieben ſie frei; zu entſcheiden iſt unmöglich;
indeß erſcheinen ſpäterhin gewöhnlich die Satrapien Arachoſien und
Gedroſien einerſeits, Aria und Drangiana andrerſeits vereinigt;
und nach Curt. IX. 10. 20. zu ſchließen erhielt der Satrap von Ara-
choſien die im Text genannten Gedroſier mit unter ſeinen Befehl. Die
Dranger (Drangianer) und Zaranger ſind zuverläſſig daſſelbe Volk; die
Angaben Strabos über die Sitze aller dieſer Volksſtämme ſind ſo ge-
nau, daß man über die Lage derſelben nicht zweifeln kann.
9a).
Alexander ſcheint hier eine Stadt ſeines Namens gegründet zu ha-
ben, wenigſtens giebt Iſidor in dieſer Gegend (zu ſeiner Zeit Sacaſene,
bei Ptol. Tatacene), eine Alexanderſtadt an; ich weiß ſie nicht genauer
zu lokaliſiren, da ich Scanderi bei Waihend, wohin ſie D’Anville ver-
legt hat, auf neueren Karten vergebens ſuche.
10).
Curt. VII. 3. 5.
11).
Es ſind die Päſſe von Kelat und Urghundab (ſ. Sultan Baber
Mem. p.
171. 224. und ſonſt, Chereff. II. c. 47. p. 366).
12).
Das
im Text bezeichnete Kandahar wird nach den Traditionen des Morgen-
landes (Ferishta, Abul Gasi etc. ef. Elphinstone Cabul von Rühs II.
p.
152) für eine Stadt Alexanders gehalten, und Wilſon’s Gegenbeweiſe
(Asiat. Researches XV. p. 106) ſcheinen die Sache noch nicht zu er-
ſchüttern. Mit Unrecht ſuchte man Alexandria sub ipso Caucaso an
dieſer Stelle; Stephan von Byzanz, wennſchon etwas verwirrt, läßt
keinen Zweifel, daß ein Arachoſiſches Alexandrien da war; die Entfernun-
gen, die die Alten angeben (250 M. R. von Ortoſpana, d. i. Kabul, nach
Plinius; 2000 Stadien nach Strabo) paſſen auf die bezeichnete Lage.
13).
Vgl. Ritter Alexander des Großen Feldzug am Indiſchen Kaukaſus
p. 150. Wie ſchneereich die Winter in jenen Gegenden, beweiſt die
anziehende Schilderung bei Baber p. 209. cf. Strabo XV. p. 312.
Alexander ging über den Paropamiſus um den Untergang der Pleja-
den (Strabo XV. p. 312.), alſo gegen Ende November; ſein Weg
war wohl nicht der über Kelat, ſondern über Urghundab und Gori.
14).
Plut. Alex. 45.
15).
Plut. Alex. 39.
16).
Nach Plutarch wurde Dimnus, da er ſich der Gefangennahme
auf das Wüthendſte widerſetzte, von dem dazu Commandirten erſtochen;
entweder unglaublich, oder ein doppeltes Zeugniß von der Größe der
Gefahr, daß der Abgeſchickte ſelbſt im Intereſſe des Philotas den Mann,
deſſen Zeugniß Alles offenbaren konnte, umzubringen eilte.
17).
Nach Curtius Angabe waren ſechstauſend Macedonier zur
Stelle, um ſie her drängten ſich Troßbuben, Knechte ꝛc. 3 man darf
wohl aus dieſer Angabe nicht folgern, daß etwa nur die Adelcorps
(die Ritterſchaft und die Hypaspiſten) berufen und zum Gerichte über
Adlige, wie die Verſchworenen waren, berechtigt geweſen ſeien.
18).
Diod.
19).
Die Darſtellung dieſer Verſchwörung iſt zum
größten Theil nach Curtius VI. 7. sqq., deſſen Meiſterſtück dieſer Theil
ſeines Werkes iſt; nach Anleitung des Diodor, Plutarch und Arrian,
die mit ihm im Weſentlichen übereinſtimmen, und aus den im Zuſam-
menhange der Geſchichte ſich ergebenden Perſonalien laſſen ſich ſeine
Fehler berichtigen. Die in anderen Schriftſtellern zerſtreuten Anden-
tungen (Strabo, Justin, Themistius etc.) geben keine neuen Data; doch
beſtätigt Strabo’s große Autorität die Anwendung der Tortur gegen
Philotas, die Curtius mit ſo vielem Geſchick dargeſtellt hat, daß man
ſie leicht für eine Erfindung halten könnte. Uebrigens muß man be-
dauern, daß St. Croix in ſeinem Eifer gegen Alexander ſich zu einer
ſo unredlichen Benutzung der Quellen hat verleiten laſſen, daß die
offenbar mit Beobachtung aller Formen vorgenommene Unterſuchung
19).
wie ein Werk des verruchteſten Despotismus, ja die Verſchwörung
ſelbſt wie eine polizeiliche Fiction im Geſchmack der neuſten Zeit er-
ſcheint, die Alexander zur Unterdrückung einer ihm läſtigen Oppoſition
zu erſinnen ſich erniedrigt hätte.
20).
Plut. Alex. 49.
21).
Nur die oben bezeichnete Veränderung in der Einrichtung des
Heeres iſt nach den authentiſchen Berichten des Ptolemäus und Ari-
ſtobul (bei Arrian. III. 27.) für gewiß anzunehmen; außerdem wird
erzählt, Alexander habe ſeine Leute aufgefordert, an die Ihrigen, da
gerade Boten nach der Heimath gingen, zu ſchreiben, habe dann die
Briefe erbrochen und auf dieſe Weiſe die Unzufriedenen in ſeiner Armee
kennen gelernt, dieſe in ein eigenes abgeſondertes Corps vereint;
ſo berichten Curt. VII. 2. 36. Diodor. XVII. 80., in denen die gemein-
ſchaftliche Quelle nicht zu verkennen iſt; auch Justin VII. 5. und
Polyaen IV. 3. 19. erzählen dieß. Das Schweigen Arrians iſt gewiß
nicht ohne Gewicht; und wennſchon glaublich iſt, daß dieſe Erzählung
Klitarchs nicht ohne allen geſchichtlichen Grund iſt, ſo hatte ſie gewiß
nicht die Ausdehnung, die ihr gegeben worden iſt.
22).
Arrian. III. 28.
23).
Arrian. III. 29. 10. IV. 7. 2.
24).
Die genaueren Angaben
des Curtius (VII. 3. 2.) beſtätigen ſich durch ihre innere Wahrſchein-
lichkeit. Das Contingent der Bundesſtaaten beläuft ſich auf ſechshun-
dert Reuter (Diod. XVII. 17.) und in der Schlacht von Arbela iſt es
zwiſchen Erigyius und Koiranus (wahrſcheinlich Karanus) getheilt
(Arrian. III. 12. 7.); Andronikus führte die Griechiſchen Söldner, die
früher bei Darius waren, etwa funfzehnhundert an der Zahl; und es
iſt nicht unglaublich, daß Artabazus, den Alexander ſo hoch ehrte und
welcher ſo oft in ſeinem Leben mit Griechiſchen Soldtruppen zu thun
25).
Curt. VII. 3. 4.
26).
Strabo XVI. p. 312.
Curtius ſchildert den Uebergang über dies Plateau von Ghizni mit ſehr
ſtarken Uebertreibungen, dennoch findet man viele ſeiner geographiſchen
Notizen durch die Angaben Babers, Elphinſtons und Anderer beſtätigt.
27).
Die claſſiſche Stelle für dieſe Paßgegend findet ſich in den Me-
moiren des Sultan Baber p. 139; die öſtlichen Paßgegenden durchzog
Timur, und Chereffeddin ſchreibt zu Anfang und zu Ende des vierten
24).
gehabt hatte, den Oberbefehl über dieſen Theil des ſchwerbewaffneten
Fußvolkes erhalten hatte; offenbar wurde er als Perſer beſonders zu dieſer
Expedition auserſehen.
28).
Nach Diod. XVII. 83. wären jene ſiebentauſend
Aſiatiſche Koloniſten geweſen, außerdem aber dreitauſend Mann, die
nicht im Heere einrangirt waren (?) und von den Söldnern ſo viele
da wollten, zurückgeblieben; es ſcheint dieſer Angabe eine Verwechſelung
mit dem, was Alexander bei ſeiner Rückkehr aus Baktrien that, zum
Grunde zu liegen.
27).
Buches viel Bemerkenswerthes über ſie. Alexanders Straße zu ver-
folgen, müſſen wir zunächſt die Lage von Alexandria aufſuchen. Sie
lag, wie der Name sub ipso Caucaso (Plin. 5. 16.) bezeugt, unmit-
telbar am Eingange in das Gebirge, aber noch in der Ebene, funfzig
M. R. von Ortoſpana oder Carura (Cabul) entfernt. Dies führt mit
ziemlicher Gewißheit auf die Gegend, wo ſich der Ghurbend und Pund-
ſchir, die letzten Höhen durchbrechend, vereinigen. Von hier ging
Alexanders Straße über Bamian, Fort Zohak, den Paß von Gumbezek
(im Choutour Gerdan), die Ebene von Saeghan, den Hauptpaß Dun-
dan Shikan, in das Thal von Kehmerd; hier ſcheidet ſich die Straße,
der eine Weg führt weſtlich in das Thal des Fluſſes Dehaſch, (Abyſiah
bei Chereff. I. 8. 55.) durch den Paß von Ghez gerade nach Balk hinab,
der andre, dem Alexander folgte, führt an dem Fluß von Khullum
hinab; unterhalb der Stadt Khullum durchbricht der Fluß, mit dem
Waſſer mehrerer kleiner Bergſtröme, die ihm von beiden Seiten zufließen,
verſtärkt, die letzte Gebirgskette gegen die Ebene des Oxus hin; dies
iſt wahrſcheinlich die Poſition von Adrapſa oder Drapſaka, die Alexan-
der beſetzte. Von hier mit vier Meilen erreicht man den Ausgang des
Paſſes bei Muzar; er war, wie es ſcheint, durch ein Caſtell geſperrt, das
Alexanders Geſchichtsſchreiber Aornos nennen; anderthalb Meilen wei-
ter kommt man durch die anſehnliche Stadt Schach Meydan und er-
reicht dann mit zwei Meilen die Ebene von Balk, ſ. Baber 199. sqq.
Fraser Appendix p. 122. Meyendorf voyage p. 140. Moorcroft’s
Brief
in Asiat. Jour. 1826. Vol. XXI. p. 609. Ayen Akbery II. p. 160. —
Bemerkenswerth iſt Diod. VII. 83.: der König habe noch mehrere
Städte, alle eine Tagereiſe von Alexandrien belegen, angelegt oder
coloniſirt.
29).
Strabo XV. p. 312. Curt. V. 4. 25. Aelian. V. II. XII. 37.
Arrian. III.
28. Wenn Aelian. l. c. angiebt, daß auf dieſem Zuge „in
Baktriana“ der Schnee ſo tief gelegen, daß man die Dörfer nur an
dem aufſteigenden Rauch erkannt habe, und die Eingänge aufzugraben
genöthigt geweſen ſei, ſo bezieht ſich das nach Curt. VII. 3. 16. auf den
Zug durch das Plateau von Ghizni. Die neuſten Berichte von die-
ſem Bergwege über Bamian ſind die von Burnes (Asiat. Jour. 1833.
Feb. p.
163), er ſagt: „wir zogen vier Tage (es war im May) unter
Steilklippen und Felswänden hin, welche die Sonne vor unſerem Ge-
ſichte verbargen und ſich über uns zu einer perpendikulären Höhe von
zweitauſend bis dreitauſend Fuß erhoben; mir iſt die Naſe hier erfro-
ren und vor den Schneefeldern das Auge faſt erblindet; wir konnten
nur des Morgens weiter, wo der Schnee überfroren war; dieſe Ge-
30).
Ob dieſe Stadt den
Namen Alexandria erhalten habe und Αλεξανδϱεῖα κατὰ Βακτϱὸ
des Stephanus bezeichne, oder ob letztere mehr öſtlich zu ſuchen ſei, wo
die Orientaliſchen Geographen Iskandereh nennen (Ebn Haukal 224.
Abulfeda bei Reiske
352.), wage ich nicht zu entſcheiden.
31).
Ar-
rian. Curt. VII.
5. 27.
29).
birge ſind faſt ohne Bewohner und unſer Lager war „des Berg-
ſtroms Bett“ während des Tages.“
32).
Nach Curtius Beſchreibung muß man dieſe Gegend fuͤr
Wuͤſte halten und dieß wird durch Arrians Angabe, daß auf dieſem
Wege viele Thiere erlagen, beſtaͤtigt; deſſen ungeachtet iſt es ſicher,
daß der Fluß von Baktra (Dehas) damals ſo gut, wie zu Schach
Nadirs Zeit, ſich in den Oxus ergoß und keinesweges in der Steppe
verſandete. Cf. Plin. VI. 17.
33).
Arrian. III. 29. Itin. Alex. c. 77. Dieſer Uebergang uͤber
den Oxus wurde wahrſcheinlich bei Kilif (Ford of Kilif bei Babet
p. 36; 8 lieues
von Balk, Chereffeddin II. 2. p. 205.) oder noch
weiter ſtromabwaͤrts, gewiß aber nicht bei Termez (2 Tagereiſen
von Balk ſ. Ebn Haukal p. 228.) bewerkſtelligt, da Alexander nicht
durch die Paͤſſe des Karatagh, ſondern auf der Suͤdſtraße am Saum
der Wuͤſte gen Nautaka gehen mußte. Warum Beſſus dieſen Weg
der Flucht genommen, iſt leicht zu erkennen. Nautaka muß, wie
man aus dem Zuſammenhange aller Bewegungen ſieht, in dem Kanton
des Kokſcha (Karſhi) zu ſuchen ſein, wo das reizende Keſch und Nach-
ſchab oder Karſhi, Timurs Winterreſidenz, von alter Beruͤhmtheit
ſind; der Name, die Richtung der Wege und Alexanders ſpaͤtere Can-
tonirungen laſſen vermuthen, daß Nautaka und Nachſchab denſel-
ben Ort bezeichnen.
34).
Curt. VII. 5. 28. St. Croix p. 331. Es iſt auffallend, daß
Arrian von dieſer Geſchichte ſchweigt; der vorſichtige Strabo fuͤhrt
ſie indeß an, und Calliſthenes ſchrieb von dieſer Branchidenortſchaft
in ſeinen Denkwuͤrdigkeiten, ſo daß an der Sache Wahres ſein muß.
Nach [Alexanders] Charakter darf man vermuthen, daß Clitarch und
nach ihm Curtius, Aelian, Plutarch ꝛc. fuͤr den frappanten Schein
eines alten und hart geſtraften Tempelraubes den wahren Zuſam-
menhang aufgaben.
35).
Nach Arrian. IV. 30. Curtius folgt der Erzaͤhlung des
Ariſtobulus.
36).
Daß Marakanda das heutige Samarkand iſt, gruͤndet ſich
einerſeits auf die Namensaͤhnlichkeit, denn daß der heutige Name
von dem Eroberer Samar abgeleitet „Samar’s Stadt“ bezeichne,
ſcheint ein morgenlaͤndiſches Autoſchediasma; den Uebergang des
alten Namens (vielleicht Meru-kand) in den heutigen zu erklaͤren,
liegt außer dem Bereich meiner Kenntniſſe. Ein zweiter Grund
fuͤr jene Annahme iſt, daß Abulfeda (in den geogr. min. ed.
Hudson III. p.
45.) des Alfaras und Albiruni Laͤngen- und Breiten-
beſtimmung fuͤr Samarkand mit der des Ptolemaͤus zuſammen-
ſtellt. Endlich kommen die Zuͤge Alexanders dazu, welche nur
in der Annahme dieſer Identitaͤt ſtrategiſchen Zuſammenhang ha-
ben. Die Morgenlaͤnder halten Samarkand fuͤr eine Gruͤndung
Alexanders (ſ. Baber p. 48.)
37).
Cf. Arrian. IV. 3. 14.
38).
Arrian. III. 30. Curt. VII. 6. Curtius erzaͤhlt dieſe Be-
gebenheit als ob ſie vor Marakanda vorgefallen ſei; doch iſt Arrians
Zeugniß entſcheidend. Daß die in Frage ſtehende Localitaͤt keine
andere als die von uns bezeichnete des Alpengaues von Osruſchnah
in den Montes Oxii des Ptolemaͤus ſei, ergiebt ſich aus der feſtſte-
henden Direction der dortigen Wege. Drei Straßen fuͤhren vom
Sogdthal zum Jaxartes; die weſtlichſte uͤber Karabolak, am Oſtab-
hange des Nuratagh, durch den Paß von Zuzangheran, uͤber Tam-
bic, Askoulat, am Saum der Wuͤſte entlang, zum unteren Jaxartes
(Chereffeddin VI. 27. p. 208.); die oͤſtlichſte Straße uͤber Rebat zu
den Quellen des Fluſſes Akſu und an deſſen Ufer hinab zum Jaxat-
tes (Chereffeddin I. 21. p. 151.); der mittelſte Weg iſt der be-
kannteſte, er fuͤhrt von Samarkand gerade nordwaͤrts mit 12 Mei-
len gen Dizak, dann mit dem Thale eines kleinen Fluſſes in den
„weißen Paß“ Ak-kutel (bei Chereffeddin Biti Codak), von hier in
die Landſchaft Osruſchnah, zunaͤchſt an den Fluß von Dſcham (10
Meilen von Dizak) uͤber Sebat und Uratippa, durch die Berge der
Maſikha (Memaceni bei Curt. VII. 6. 19.) uͤber Akſu nach Kojend,
der wichtigſten Poſition an der Linie des Jaxartes (16 Meilen von
Dſcham) Cf. Fraser Append. und viele Andere, unter ihnen Ebn
Haukal,
bei Abulfeda in den geogr. min. III. p. 65, der jedoch
zwiſchen Dſcham und Uratippa ſtatt Sebat das weſtlichere Zamin
angiebt. Dieſer mittleren Straße folgte Alexander, und noch zur Zeit
des Achmed Alcateb (bei Abulfeda l. c. p. 69.) fanden ſich in der
Landſchaft Osruſchnah an 400 Burgen. Der Name Uratippa wird
zwar von alten Autoren nicht genannt, doch das Xenippa bei Cur-
tius zeigt wenigſtens, daß dieſe Analogie von Namen, die noch heute
in jenen Gegenden ſehr verbreitet iſt, von alter Zeit her datirt.
39).
Strabo XI. p. 440. ſagt Κύϱου κτίσμα ἐπὶ τῷ Ιαξάϱτῃ κεί-
μενον
, nicht genau, da nach Arrians [ausdruͤcklicher] Angabe dieſe
Stadt nicht am Jaxartes lag, ſondern ein Fluß, deſſen Waſſer jetzt
in der Sommerzeit ausgetrocknet war, ging durch die Stadt. Man
erkennt daraus, daß ſie ſchon am Fuß der Berge, am Saum der
Wuͤſte lag. Dieß kann nicht auf den Fluß von Akſu, von Uratippa,
von Aktippa paſſen, da dieſe mit vollem Waſſer den nahen Haupt-
ſtrom erreichen; aber im Suͤden der Berge von Uratippa fließt
von den weißen Bergen herab der Fluß von Dſcham, bei Sebat
voruͤber gen Zamin am Eingang der Wuͤſte; dort trocknet er aus.
Ebn Haukal ſagt, die Stadt Zamin liegt unter den Bergen von Os-
ruſchnah, vor ihr die Wuͤſte. Dieß, glaube ich, iſt Cyropolis oder
Cyreschata, das die Erklaͤrer zum Steph. Byz. wohl mit Un-
recht auf Koreskarta zuruͤckfuͤhren. Wegen ſeiner Namensaͤhnlich-
keit den feſten Flecken Kurak, 6 Meilen vor Kojend (Fraser App.)
hieher zu ziehen, wuͤrde die Entfernung und der Charakter der Land-
ſchaft verbieten. Cyropolis war der von Alexandria (Kojend) ent-
40).
Arr. IV. 1. 4.
41).
Nur Kojend hat die militaͤriſch wich-
tige Lage, die dem Plane Alexanders entſprechen konnte; ſie iſt zu
aller Zeit der Schluͤſſel zur Ferghana und Maveralnahar, der ſtete
Punkt der Invaſionen heruͤber und hinuͤber, eine Hauptſtation der
großen Straße zwiſchen Samarkand und Kaſchgar geweſen; die Zuͤge
Dſchingischans, Timurs, Babers, die Angaben der morgenlaͤndiſchen
Geographen haben fuͤr das Geſagte unzaͤhlige Beweiſe; Sultan Ba-
ber ſagt, die Stadt ſei ſehr alt, ihre Burg liege auf einem Felſen-
vorſprung, einen Buͤchſenſchuß weit vom Strom, auf der Stadtſeite
noͤrdlich die Myog-Berge bis an den Strom, der ſich an ihrem Fuß
voruͤber nordwaͤrts wende und durch den Sand weiter wuͤhle. Plin.
VI.
16. nennt dieß Alexandria eschata, in ultimis Sogdianorum
finibus,
und gerade die Biegung des Jaxartes bezeichnet Plolemaͤus
als Grenze Sogdianas.
39).
fernteſte Platz in der Feſtungsreihe; da dieſe gegen die Wuͤſte der
Karakilpaks, Ghaz oder Ghazna genannt, (Ebn Haukal und Ketab
Yemini
in Not. et Extr. IV. 345. c. n.) gerichtet war, ſo moͤchte der
Name der Feſte Gaza vielleicht mit dem der Wuͤſte eher als mit
dem der uͤbrigen Gazas im Perſerreich zuſammenfallen; ſie lag am
naͤchſten bei Alexandria, etwa wo Abulfeda die Feſte Bencath nennt.
42).
Ueber dieß raͤthſelhafte und vielbeſprochene Volk, deſſen Namen
ſchon Homer und die Griechiſche Tragoͤdie kennt, wage ich keine
Meinung zu aͤußern; Klaproth hat ſich neuerdings ſo entſchieden
gegen die von C. Ritter uͤber ſie geaͤußerten Vermuthungen ausgeſpro-
chen, daß ich geſpannt bin, wie der große Geograph ſich in der neuen
Ausgabe ſeines Werkes uͤber dieſen Gegenſtand erklaͤren wird.
43).
Man hat umſonſt dieſe Bezeichnung zu verdaͤchtigen geſucht;
wenn daſſelbe Scythiſche Geſchlecht, das die (Sarmatiſchen) Gegen-
den im Norden des Pontus bewohnte, ſich uͤber das Kaspiſche und
Aralmeer hinaus bis an den Sihonfluß ausdehnte, ſo nannte man
es mit Recht Europaͤiſch, und daß dem ſo war, ſieht man aus dem
Namen Tanais, cf. Klaproth Nouv. Journ. Asiat. t. 1. p. 50.
Die Flußnamen uͤberhaupt, welche die Macedonier hier hoͤrten, ge-
ben Gelegenheit, die verſchiedenen Scythenarten dieſer Gegenden zu
unterſcheiden; waͤhrend die Scythen am unteren Lauf des Fluſſes,
den ſie Tanais nannten, Europaͤiſche Scythen, Sarmaten, ſind, er-
kennt man andere anwohnende Barbaren an dem Flußnamen Ikſartes
oder Jaxartes fuͤr Mongoliſche Voͤlkerſchaften, und es iſt unbezwei-
felt, daß dieß die Scythen ſind, welche nordwaͤrts am oberen Lauf
des Stromes bald als Alexanders Feinde auftreten. Der dritte
Name des Fluſſes, Silys, den Plinius aufbewahrt, fuͤhrt wohl
auf Tartariſchen Urſprung zuruͤck, wie denn zuverlaͤſſig die Scythen
im Suͤden des Stromes, die Saker, Daer, Maſſageten ꝛc. zu dieſem
Stamme gehoͤren, (τῶν Τούϱκων, τῶν Σάκων καλουμένων τὸ παλαί.
Menander p. 151. cf. Klaproth Mem. rel. à l’Asie II. p. 384.).
44).
Schon Herodot 1. 203. und Aristot. Meteor. II. 354. a. 21.
wiſſen, daß das Kaspiſche Meer ein geſchloſſenes iſt; und jene An-
ſicht, daß es mit dem Ocean in Verbindung ſtehe, ſcheint mit der Ent-
deckung der Einfahrten in das Perſiſche und Arabiſche Meer (Ar-
44b).
In jenen Laͤndern ein zu aller Zeit gebraͤuchliches Inſtitut,
Korultai genannt.
44).
rian. VII. 16.) aufgekommen und ſeit Patrokles Berichten ge-
glaubt worden zu ſein. Uebrigens iſt es moͤglich, daß die Matedo-
nier den Jaxartes-Tanais fuͤr identiſch mit dem Tanais-Don hiel-
ten; nur hat dieſen Unterſchied, auf deſſen Entdeckung ſich 50 Jahre
ſpaͤter der Mileſier Demodamas ſo viel zu Gute that (Solin. c. 49.
c. intpp.
), Alexander wohl ſchon erkannt, indem er ſonſt nicht an
eine Durchfahrt vom Kaspiſchen zum Indiſchen Meere haͤtte den-
ken koͤnnen. Ariſtoteles meint (Meteor. 1. p. 350. a. 20.), ein Arm
des Araxes (ſo’ nennt er den Jaxartes) gehe zum Maͤotiſchen See.
45).
Arrian. IV. 2.
46).
Arrian. IV. 3. Curtius VII. 6. ſtimmt weder mit Ptole-
maͤus noch mit Ariſtobulus uͤberein; die Ermordung von 50 Mace-
doniſchen Reutern, wie er ſie erzaͤhlt, ſcheint etwas romanhaft; denn
jedenfalls wuͤrden ſich Alexanders Truppen in jener gefaͤhrlichen
Zeit vorſichtiger benommen haben. So viel indeß iſt ihm zu glau-
ben, daß die Cyrusſtadt ſo wie die anderen Grenzfeſten zerſtoͤrt wur-
den, denn Alexander veraͤnderte mit der Anlage von Alexandrien
das fruͤhere Vertheidigungsſyſtem dieſer Gegend, das von Cyrus
und Semiramis herſtammen ſollte (Justin. XII. 5. und Curt.)
47).
Curt. Justin. Arrian.
48).
Plut. de fort. Alex. II.
49).
Curtius erzaͤhlt ſehr ab-
weichend; ſeine Erzaͤhlung wird ſchon dadurch verdaͤchtig, daß er
meint, der Seythenkoͤnig habe die Wichtigkeit der neuen Stadt ge-
ahndet (suis impositum esse cervicibus), und darum zu hindern
geſucht. Die beruͤhmte Rede der Scythiſchen Geſandten paßt wenig
in den hiſtoriſchen Zuſammenhang. Wie weit Alexander den Sey-
then nachgeſetzt ſei, wird verſchieden (80, 100, 150 Stad.) angegeben.
50).
Arrian IV. 5.
51).
Curt. VII. 9. 19.
52).
Curt.
VII.
6. 24. Dieſe Angabe iſt durch nichts im Arrian widerlegt,
ſondern durch einige Andeutungen beſtaͤtigt: er ſagt IV. 2. „die meiſten
Sogdianer“ nahmen Antheil, er berichtet, daß Pharnuches „zum Un-
terhandeln“ abgeſchickt ſei. Es ſcheint damals wie jetzt in dem
Chanat Bochara geweſen zu ſein, daß naͤmlich der groͤßere Theil
der Bevoͤlkerung, friedlich geſinnt und dem Ackerbau und Handel er-
geben, Unterthan eines herrſchenden Stammes war. Die Tadjiks
von Bochara, fleißig, gebildet, unkriegeriſch, erzaͤhlen noch heute:
daß ſie ſeit Iskanders Zeiten dieß Land bewohnen, daß nie einer
aus
52).
aus ihrer Mitte Fuͤrſt im Lande geweſen ſei, daß ſie nur zu gehor-
chen verſtaͤnden (Meiendorf p. 194.). Und Hammer (Nouv. Journ.
Asiat. 1828 p.
68) erkennt in dieſen Tadjiks die Δαδίκαι Herodots.
Chineſiſche Berichte aus dem zweiten Jahrhundert vor Chriſtus
nennen ſchon dieſe Tiao-tchi: „die Alten wußten aus Tradition, daß
bei ihnen der Jo-choui und Si-vang-mou (Mutter des Koͤnigs des
Occidents) war, aber niemand hatte ſie geſehen“ Nouv. Journ. Asiat.
1829. p.
425. Dieß darum, weil Elphinſtone geneigt iſt, den Ur-
ſprung der Tadjiks auf die angeſiedelten Araber zuruͤckzufuͤhren.
53).
Die Erzaͤhlung iſt nach Ptolemaͤus, deſſen Bericht ſich durch
Ariſtobuls Notizen ergaͤnzt. Curtius Angaben differiren in weſent-
lichen Punkten; nach ihm waͤre dem Spitamenes und Catanes die
Daͤmpfung des Sogdianiſchen Aufſtandes uͤbertragen worden. Aus
dem Gehoͤlz am Strome, in welchem nach Ariſtobulus Spitamenes
54).
Die Entfernung
von tauſend fuͤnf hundert Stadien ſtimmt mit der Angabe bei Abul-
feda, daß Kojend ſieben Tagereiſen von Samarkand entfernt ſei,
(Geog. min. ed. Hud. t. III. p. 32) und noch genauer mit der Rei-
ſeroute, die oben aus Fraſer mitgetheilt iſt. Die Angabe bei Ba-
ber, daß Samarkand von Kojend eben ſo weit entfernt ſei wie An-
53).
einen Hinterhalt gelegt hatte (?) macht Curtius ein silvestre iter
und saltus, er nennt dieſe Seythen Dahae, doch ließe ſich aus der
Variante Dacae auch Sacae machen, nur daß hier mit einem Namen
nicht viel gewonnen wird. Schwieriger und wichtiger iſt es, die
Lokalitaͤten aufzuſuchen. Daß der Strom Polytimetus kein anderer
iſt, als der Soghdfluß, iſt ausgemacht; aber wo iſt die „Reſidenz“
Baktra (ſo nennt ſie Curtius VII. 9. 20.) zu ſuchen, zu der Spita-
menes von der Reſidenz Markanda flieht? Bedenkt man die Wich-
tigkeit und die Schoͤnheit des unteren Soghdthales, welches durch
die Oxuspaſſage bei Amol und den Weg von Merv mit Iran die
naͤchſte Verbindung hat, und vergleicht man damit den Umſtand,
daß aus Alexanders Zeit keine weitere Ortſchaft unterhalb Samar-
kand die paradiſiſchen Tumans von Bochara bezeichnet, ſo wird
man geneigt, dieſe „βασίλεια“ dort ohngefaͤhr zu ſuchen; des Cl. Pto-
lemaͤus Tribactra liegt ziemlich genau in derſelben Gegend, wenige
Meilen nordoͤſtlich von dem Oxiana See, der kein anderer iſt, als
der Karakul; und Abulfeda nennt unter den Orientirungen von Bo-
chara die des Cl. Ptolemaͤus; von Bochara aus wird Spitamenes uͤber
den einige Meilen entfernten Suͤdarm des Soghdfluſſes (Zer-afchan)
gen Weſten geflohen ſein, denn hier beginnt bald jene Steppe, in
der ſich der Nordarm (Wafkend) verliert.
55).
Dieſe
Verheerung des Sogdianiſchen Landes gehoͤrt mit zu den merkwuͤr-
digſten Ereigniſſen in der Geſchichte Alexanders; wie ausgedehnt
ſie geweſen, beweiſt der Auftrag, den ſpaͤter Hephaͤſtion erhaͤlt, die
Staͤdte von Neuem zu bevoͤlkern. Zwoͤlf Myriaden Menſchen ſollen
nach epit. Diod. umgebracht ſein. Was man auch uͤber ſie in
moraliſcher Hinſicht urtheilen mag, jedenfalls iſt ſie ein großes De-
kument fuͤr die Klarheit und Strenge, mit der Alexander ſeine
Plaͤne mit ſeinen Mitteln in Einklang brachte; und erkennt man
einmal das Große ſeines Strebens, deſſen Erfolg die Geſchichte von
Jahrhunderten und die Erinnerung des heutigen Orients bewaͤhren
ſo ſind Dinge dieſer Art, vor denen das Gefuͤhl der Menſchlichkeit
ſchaudert, nothwendige Conſequenzen.
54).
dejan, naͤmlich fuͤnfundzwanzig Faraſangs, iſt unrichtig, und iſt auch
in der Perſiſchen Ueberſetzung der Memoiren ausgelaſſen.
56).
Diod. XVII. ep. ὼς Βακτϱιανοὺς ἐκόλασεν, eine vielleicht
nicht einmal zuverlaͤſſige Notiz.
57).
Ueber Zariaspa ſind die
alten Nachrichten ſchwer in Einklang zu bringen; das Leichteſte
waͤre, wenn man ohne Weiteres Strabos Angabe folgen duͤrfte, daß
Baktra und Zariaspa dieſelbe Stadt ſei; doch laſſen ſich dagegen
weſentliche Einwaͤnde erheben: 1) Arrian, der beide Namen nennt,
bezeichnet damit unlaͤugbar zwei verſchiedene Staͤdte, indem er kein
einziges Mal Βάκτϱα ὴ καὶ Ζαϱίασπα ſagt, vielmehr den Zuſam-
menhang der Begebenheiten (cf. IV. 16.) ſo berichtet, daß unmoͤg-
lich beide Namen denſelben Ort bezeichnen koͤnnen; auch Polyb. X.
49. nennt in der Expedition des großen Antiochus die Stadt Zari-
aspa ohne Zuſatz. 2) Ptolemaͤus nennt beide Staͤdte unter ver-
ſchiedenen Gradbeſtimmungen; dazu kommt, daß er einen Fluß Za-
riaspes, an dem gewiß die gleichnamige Stadt lag, entſchieden
trennt von dem Dargidus, an dem Baktra liegt. Wenn ſo die Ver-
ſchiedenheit beider Staͤdte unzweifelhaft iſt, ſo fragt ſich, wo Zari-
aspa lag. Ritter behauptet, daß dieſe Stadt dieſelbe ſei mit dem
unteren Merv, und in der That hat dieſe Annahme ſo viel Anſpre-
chendes, daß man ſie gern fuͤr erwieſen halten moͤchte; es iſt kein
Zweifel, daß ſich in jener Zeit der Murghab bei Amol (44° 20′
109° 10′ Ptol.) in den Oxus ergoß, und noch heut iſt Merv die
ſuͤdweſtlichſte Grenzfeſte der Ouzbecken von Bochara. Dennoch ſcheint
dieſe Annahme keinen ſicheren Grund zu haben. Wenn man ſich
nach Ptolemaͤus Angaben die Karte von Hyrkanien, Margiana,
57).
Arien und Baktrien zeichnet, ſo ſieht man bald die Uebereinſtim-
mung zwiſchen ſeinen und den neueren Flußzeichnungen; ſein wich-
tigſter Fehler iſt, die wahre Muͤndung des Oxus in das Kaspiſche
Meer fuͤr die des Polytimetus, und die Ochusmuͤndung fuͤr die des
Oxus gehalten zu haben; faſt alles Andere ſtimmt genau; ſein Dra-
gomanes (Arius bei Polyb. X. 49. Orchomanes bei Ammian. Mare.)
iſt der Heriroud, zwiſchen dem und dem Margus (Murghab) die
Stadt Mervrud, die erſt Alexandria und ſpaͤter Antiochia Margiana
hieß, lag; ſein Dargidus (Darja-Fluß) iſt der bei Balk voruͤber-
fließende Dahas, endlich ſein Hauptſtrom Oxus der Fluß von Khul-
lum, der oͤſtlichſte Strom, der aus jenem waſſerreichen Bergrevier ſeit
Alexander bekannt ſein mochte. Noch bleibt der Fluß Zariaspes, von
deſſen Muͤndung etwas ſuͤdwaͤrts Ptolemaͤus die gleichnamige Stadt
anſetzt, (gewoͤhnlich ϱιγ̕ und μδ̕ L’δ̕; in Editt. μγ̕; daraus ϱιβ̕ L’δ̕
und μγ̕). Von einem Fluſſe zwiſchen Dahas und Murghab wiſſen
zwar unſere Karten nichts, indeß erfuhr Meyendorf in jenen Gegenden,
daß bei der Stadt Ankoi, uͤber die der Karawanenzug aus Maveral-
nahar nach Herat geht, ein Fluß vorbeifließt, den ich geneigt bin
fuͤr den Zariaspes des Ptolemaͤus zu halten. Ankoi liegt funfzig
Meilen Weges vom Murghab, und ein und zwanzig von Meimoneh,
dreizehn Meilen von der Oxuspaſſage (bei Kirki), von der man noch
zwei und zwanzig Meilen bis Bochara hat, zwoͤlf Meilen von Balk
(Fraser Append. p. 121.). Wie eine Verwechſelung zwiſchen Bak-
tra und Zariaspa entſtehen konnte, iſt ſchwer zu erklaͤren; vielleicht
fuͤhrte letztere, wie ſo viele Staͤdte jener Gegend (Tribaktra bei
Ptolemaͤus, Balk ab Fayin, Chan Balk, Balk ab Bala ꝛc. auch den
Namen Baktra (Βάκτϱα ἡ καὶ Ζαϱίατπα), und wurde ſo leicht mit
dem beruͤhmteren Baktra verwechſelt.
58).
Nach Plut. Alex. 43. ſollte er zwiſchen zwei niedergebeugten
Baumſpitzen gebunden, und von ihrem Zuruͤckſchnellen zerriſſen
werden.
59).
Arrian. IV 7. Curt. VII. 5. und 10. Justin.
XII. 5. Diod. Plut.
u. a. m.
60).
Die Lage von Chorasmien iſt unzweifelhaft; die Oſtkuͤſte
des Kaspiſchen Meeres, mit jenem vielfach wechſelnden Waſſerſyſtem
der Muͤndungen des Oxus und des Jaxartes, wie ſie die alten Kuͤ-
ſtenfahrer des Meeres bezeichnen, ſind ſein Gebiet. — Arrian. IV. 15.
Curt. VIII.
1. 8.; die Aeußerungen des Pharasmanes, wie ſie uns
berichtet werden, mit Alexanders Antwort, er wolle jetzt nicht in
die Pontiſchen Landſchaften eindringen, koͤnnten die Annahme, Ale-
xander habe den Tanais Europas mit dem Jaxartes verwechſelt,
zu beſtaͤtigen ſcheinen; man begreift ſonſt nicht, wie er zu einem
Pontiſchen Feldzuge die Huͤlfe der Chorasmier am Aralſee in An-
ſpruch nehmen und Pharasmanes ſich Nachbar der Kolchier nennen
konnte. Indeß glauben wir nicht zweifeln zu koͤnnen, daß nicht bei
Alexander, wohl aber bei den uͤbertreibenden Macedoniern dieſe
Verwechſelung anzunehmen iſt. Die Getreuen, die mit der Geſandt-
ſchaft der Europaͤiſchen Scythen gegangen waren, mußten gewiß
Nachrichten vom Aral und Kaspiſchen See eingezogen haben, und
wenn dem Pharasmanes der Name der Amazonen in den Mund ge-
legt wird, ſo iſt das Beweis genug, daß ſeine Angaben vielfach ver-
60).
groͤßert im Heere [Alexanders] verbreitet und geglaubt wurden. Was
das Wahre davon ſein mag, iſt nicht mehr zu erkennen; vielleicht,
daß Pharasmanes eine maritime Verbindung mit der gegenuͤberlie-
genden Landſchaft des Kur und Araxes meinte, deren Alter alte
Angaben und neue Forſchungen hinreichend erweiſen.
61).
Arrian. IV. 15.
62).
Arrian. IV. 15. Curt. VII. 10. 13, wo ſtatt „Alexander
ex Lycia“
offenbar Asander ex Lydia zu leſen iſt, wogegen Ar-
rians Melamnidas aus Curtius in Menidas verwandelt werden
muß.
63).
Kraterus ſcheint den Militairbefehl uͤber Baktrien erhalten
zu haben, wenigſtens iſt er im Lauf des Sommers, als Spitame-
nes mit den Maſſageten Zariaspa uͤberrumpelt, nahe genug, um
ſchleunig Huͤlfe zu leiſten. Arrian IV. 17. 1. Curt. VIII. 1. 6.
64).
Strabo XI. p. 440. ſagt, Alexander habe 8, Justin XII. 5.
er habe 12 Staͤdte in Sogdiana und Baktriana erbaut. Die 6
dicht bei einander liegenden Staͤdte, die nach Curt. VII. 10. 16. an
der Stelle von Marginia gegruͤndet worden, ſcheinen mit der Alexan-
dria Oxiana dieſelbe zu ſein, die nach Ptolemaͤus Angabe ohn-
gefaͤhr die gleiche Lage mit Keſch am Fluſſe Kokſcha oder Oxus
hat; ſie liegt ſo, wie Alexander ſtets ſeine Staͤdte zu gruͤnden pflegte,
ſie beherrſcht den Paß Sultan Artudſche, der durch die Sogdii
Montes
(Ptol.), das Zarkab-Gebirge bei Ebn Haukal, nach Samar-
kand fuͤhrt.
65).
Dieſe merkwuͤrdige Paßgegend iſt aus den Kriegen Timurs
und Babers mit ziemlicher Genauigkeit zu erkennen. Der Weg
fuͤhrt von Keſch uͤber den Fluß Tum, dann in den Paß von Der-
beldgin durch die Berge von Cuzar, danu uͤber die Ebene von Dehno
und den Fluß Tſchekedalik zu den Paͤſſen von Tſchekidſchek; von die-
ſen ſteigt man zur Ebene von Derrei Zenghi und zum Fluß Barik
hinab, jenſeit deſſen ſich die eiſerne Pforte, Derbent Kaluga am Karatagh
aufthut.
66).
Man hat gemeint, dieß Bergſchloß ſei das beruͤhmte Hiſſar
Schaduman an dem Fluſſe von Wekſch; indeß wird in der Geſchichte
der Belagerung weder eines Fluſſes erwaͤhnt, noch konnte dieſe Ge-
gend noch zur Sogdiana gehoͤren, da die entſchiedenſte Naturgrenze
das Oberland des Oxus von den Gegenden des Polytimetus oder Soghd
trennt. In dem Paß von Tſchekidſchek moͤchte ſich das fragliche
Bergſchloß befunden haben; nur ſo wuͤrde es noch zur Sogdiana
gehoͤren koͤnnen. — Auffallen koͤnnte es, daß wir dieſe Unterneh-
mung mit Curtius und gegen Arrians Autoritaͤt in das Fruͤhjahr
328 und nicht 327 geſetzt haben; indeß iſt es ſehr deutlich, daß Ar-
rian die Eroberungen der Bergfeſten aus beiden Jahren zuſammen-
nimmt; er ſagt, mit dem Fruͤhling ſei Alexander gegen den Sog-
dianiſchen Felſen gezogen, und bald darauf: bei der Belagerung von
Chorienes Felſen habe das Heer viel durch den Winter gelitten.
Dazu kommt die ganz verſchiedene Lokalitaͤt.
67).
Nach der ausdruͤcklichen Angabe Arrians, der Polyaen. IV.
3. 29. nicht entgegen iſt, waren es Macedonier; und daß dieſe, gym-
naſtiſch geuͤbt und ſelbſt in Berggegenden zu Hauſe, dergleichen ver-
ſtanden, beweiſet der Uebergang uͤber den Oſſa im Jahre 336. Man
braucht deshalb wohl nicht an Felſenkletterer aus dem benachbar-
ten Badackſchan, die 1600 Jahre ſpaͤter geruͤhmt werden (Cheref-
feddin II. c. 37. p.
343.) zu denken.
68).
Nach Strabo XI. p. 440., der an dieſer Stelle unbegreiflich
verwirrt iſt, waͤre Roxane auf dem Felſen des Syſimithres gefan-
gen worden; doch iſt nicht abzuſehen, warum der Baktriſche Fuͤrſt
die Seinen an die entfernteſte Weſtgraͤnze Sogdianas an den Nu-
ratagh ſollte gefluͤchtet haben.
69).
St. Croix meint, dieß ſeien die großen Dionyſien geweſen,
deren Feier vom 8. bis 18. Elaphebolion, alſo im Jahre 328 vom
20. bis 30. Maͤrz faͤllt; außer der Moͤglichkeit, daß die Macedonier gleiche
Dionyſien mit den Athenern feierten, laͤßt ſich nichts zur Begruͤn-
dung dieſer Vermuthung anfuͤhren, vielmehr ſcheint das Durchziehen
der Sogdiana und die Einnahme des Felſens einige Zeit gekoſtet
zu haben, ſo daß man fuͤr die Ruͤckkehr nach Marakanda lieber den
Juni anſetzen moͤchte.
70).
Arrian. Curt. Diod. Plut.
71).
Arrian VII. 16. 17. Curt. VIII. 1. 4
72).
Curt. VIII. 2. 14. Dieſer Name, der oft fuͤr eine Grie-
chiſche Fiktion gehalten worden, gehoͤrt wenigſtens der Hauptſache
nach der alten Landesſprache an, wie noch das heutige Karati[ppa,]
Uratippa, das in anderer Formation Urakend lautet, beweiſen kann.
Man darf dieſe Gegend weſtlich von der Straße nach Kojend, im
Norden der Ruine von Schiraz ſuchen.
73).
Dieß iſt unverkenn[bar]
der ſchneereiche und ſehr hohe Rouratagh, 70 Werſte nordwaͤ[rts]
von Bochara, in dem ein gleichnamiges Staͤdtchen mit heiligen [Plaͤ-]
tzen von Allebab bei Abulfeda (Geogr. min. ed. Hudson. III. [p.]
31.) genannt wird. Die Gegend der Syſimithresburg moͤchte [viel-]
leicht an den Paͤſſen von Zuzangberan zu ſuchen ſein.
74).
Curtius, der uͤber dieſen Zug allein Auskunft giebt, hat,
wie eine Vergleichung lehrt, die Belagerungsgeſchichte des Chori-
enesfelſens auf dieſe Nauraburg uͤbertragen; daher der ſonderbare
Widerſpruch bei ihm, daß Syſimithres capitulirt und ſeine Trup-
pen dennoch verfolgt werden. Hierher gehoͤrt die Erzaͤhlung bei Plut.
Alex.
58, Alexander habe den Oxyartes gefragt, ob Syſimithres
ſehr tapfer ſei, und auf deſſen Antwort, daß er der feigſte Menſch
von der Welt waͤre, geantwortet: ſo werden wir den Fels leicht er-
obern, da der leicht zu uͤberwinden ſein wird, der ihn vertheidigen
ſollte. Zugleich beweiſet dieſe Anekdote, daß ſich nicht in der Burg
des Syſimithres, wie Strabo meint, Roxane befand.
75).
Curt. VIII. 3. 14.
76).
Arrian. IV. 17. 10.
77).
Es
iſt zu bemerken, daß vier Jahre ſpaͤter eine Tochter des Spita[me-]
nes an Seleukus vermaͤhlt wurde.
77a).
Daß dieß Paraͤtacene die Landſchaft Wakſch, daß des Cur-
tius Bubacene etwa Badakſchan, daß die Sacae die Aspaſiaken
des Polybius an der Steinbruͤcke Pul Senghin ſind, daß der Cho-
rienesfelſen nicht unwahrſcheinlich mit der beruͤhmten Feſtung
Schaduman Hiſſar zuſammengeſtellt werden koͤnne, habe ich in der
Abhandlung „Alexanders Zuͤge in Turan“, im Rheiniſchen Muſeum
1833. Heft 1. zu erweiſen geſucht.
78).
Wie weit ins Innere des Landes hinauf Alexanders Trup-
pen kamen, iſt natuͤrlich nicht zu ermitteln. Doch berichten Marco
Polo, Baber und Andere, daß ſich die Fuͤrſten von Badakſchan und
Derwaz ihrer Abſtammung von Sekander Filkûs (Alexander Phi-
lipps Sohn) ruͤhmten. Daſſelbe hoͤrte der wunderliche Wanderer
Wolff in Klein-Kaſchgar von den dortigen Fuͤrſten ruͤhmen (Asiat.
Journ. 1833. May App. p.
15.). Raturgrenzen ſind von Balk aus
nach dieſer Seite hin auf das Deutlichſte ausgepraͤgt.
79).
Nach Curtius Erzaͤhlung iſt zu ſchließen, daß dieſe Ver-
maͤhlung zu dieſer Zeit vor der Ruͤckkehr nach Baktra gefeiert iſt.
Cohortanus heißt bei Curtius der Vater (VIII. 4. 25.), woraus der
neueſte Herausgeber, ungehoͤrig wie er nicht pflegt, Oxyartes gemacht hat;
Weſſelings ſchoͤne Emendation zum Plutarch (Diod. tom. 8. p. 451.)
beſtaͤtigt des Curtius vollkommen irriges Cohortanus satrapes, und
zeigt, daß dieſer Fehler auf alter Ungenauigkeit beruht; nach Strabo
waͤre die Hochzeit in eben der Burg, wohin Roxane fruͤher gefluͤchtet
war, gefeiert worden, alſo nach unſerer Darſtellung in der des Ario-
mazes. Alle dieſe Verwirrungen aufzuklaͤren, iſt nicht mehr moͤglich.
80).
Alexander zuͤrnte einſt auf Hephaͤſtion, der ſich mit Kraterus
entzweit hatte; er ſagte: was iſt deine Macht, was iſt deine That,
wenn dir jemand Alexandern entreißt. Plut. de fort. Alex. II.
81).
Cf. St. Croix. p. 24. sqq.
82).
Achnliches in Pln-
tarch’s Tiſchreden IX. 1.
82a).
Iſt dieß noch in Perſien geſche-
hen, ſo kann man bemerken, daß unter allen Perſiſchen Fluͤſſen nur
der von Sahend in Aderbidſchan Fiſche hat; ſ. Malcolm Geſchichte
Perſiens I. p. 391.
82b).
Clemens Strom. 1. p. 337.
83).
Ar-
rian. IV. 9. Plut.
84).
Plut.; cf. Philostrat. vit. Apoll. VII. 1. 2.
85).
So erzaͤhlt Chares von Mitylene, (Plut. Alex. 55.) der
eine der groͤßten Hofchargen bei Alexander bekleidete, und von den
man nicht ſagen kann, daß er partheiiſch fuͤr Alexander ſchrieb; ſ.
Athen. X. 436 St. Croix p. 39. Nach anderen Berichten (Curtius,
Arrian) verhielt ſich die Sache folgendermaaßen: Alexander ſei mit
den Sophiſten und den vornehmſten Medern und Perſern uͤberein-
gekommen, die Sache waͤhrend eines Trinkgelages zur Sprache zu
bringen, Anaxarchus habe da das Wort ergriffen und geaͤußert,
Alexander verdiene mehr als Bacchus und Herakles goͤttliche Ehre
bei den Macedoniern; nach ſeinem Tode werde ſie ihm niemand wei-
gern, deſto mehr muͤſſe man ihn bei Lebzeiten anbeten. Dann haͤtten
einige angebetet, und da die Macedonier, obſchon unzufrieden, ge-
ſchwiegen, ſei Kalliſthenes aufgeſtanden und habe in einer ſehr frei-
muͤthigen Rede dem Vorſchlage des Anaxarchus widerſprochen, na-
mentlich Alexanders goͤttliche Verehrung als etwas Verkehrtes dar-
geſtellt, angefuͤhrt, daß erſt Cyrus unter den Perſern dieſe gottloſe
Sitte eingefuͤhrt habe, daß er dafuͤr von den Seythen beſiegt worden
ſo wie Xerxes von den Griechen, Artaxerxes von den Zehntauſend und
der letzte Darius von Alexander, dem nicht Angebeteten. Dieß habe
den Koͤnig bitter gekraͤnkt, die Macedonier aber alle erfreut, wei-
halb
85).
halb Alexander weiter von der Sache zu ſprechen verboten habe;
nun ſei eine unangenehme Pauſe in der Unterhaltung eingetreten,
worauf ſich die aͤlteſten Perſer ſofort erhoben und angebetet haͤtten.
Leonnatus, der Vertrauten einer, (nach andern Polyſperchon) habe
dabei uͤber die Bewegungen eines der niederfallenden Perſer laut
aufgelacht und ſich dadurch Alexanders Ungnade zugezogen. So
Arrian; nach Curtius war Alexander waͤhrend jener Reden abgetre-
ten, hatte die einzelnen Aeußerungen hinter einem Vorhange be-
lauſcht, und den Polyſperchon, als er uͤber den anberenden Perſer
lachte, im vollen Zorn beim Arme gefaßt und an die Erde geſchleu-
dert mit den Worten: ſo thue daſſelbe, woruͤber du andere verlach-
teſt! Dieſe ganze Erzaͤhlung, die Arrian nicht aus ſeinen zuverlaͤſſi-
gen Quellen geſchoͤpft zu haben ſcheint, (er begleitet ſie mit einem
„man ſagt“) duͤrfte aus Klitarch oder aͤhnlichen Autoren ſein; da-
fuͤr ſpricht die von Kalliſthenes gehaltene Rede und beſonders der
unpragmatiſche Charakter, in dem das Ganze dargeſtellt iſt; Leon-
nats hohe Wuͤrde eines Leibwaͤchters wuͤrde nicht mit den Geſin-
nungen paſſen, die er bei dieſer Gelegenheit aͤußerte; dazu kommt,
daß genau dieſelbe Sache von Caſſander und deſſen Audienz im Jahre
323 erzaͤhlt wird, Plut. Alex. c. 74.; auch iſt es nicht glaublich,
daß der Koͤnig eine Sache, die ſo unangenehm enden konnte, von
dem augenblicklichen Eindrucke der Reden abhangen ließ; erſt
wenn man des Erfolges ſicher war, durfte der Verſuch gemacht
werden die Anbetung einzufuͤhren. Die Wortbruͤchigkeit des Kalliſt-
henes giebt der Geſchichte ihre haͤßliche Pointe und einen neuen
Beweis fuͤr die freche Eitelkeit und Anmaaßlichkeit dieſes Menſchen.
Justin. XI. 3 erzaͤhlt, daß Lyſimachus, ein eifriger Anhaͤnger des
Kalliſthenes, dem Philoſophen auch in dieſer Zeit dienſtwillig gewe-
ſen und deshalb von dem erzuͤrnten Koͤnige einem wilden Loͤwen vor-
geworfen ſei, den er ſo gluͤcklich bekaͤmpfte, daß Alexander ihm ver-
zieh. Die Kritik dieſer Erzaͤhlung giebt Curt. VII. 1. 15. — Uebrigens
iſt jenes Ceremoniel beim Trinkgelage aͤcht Turaniſch und wieder-
holt ſich in der Muhamedaniſchen Zeit; wenn ich nicht irre, thut
auch Malcolm in ſeiner Perſiſchen Geſchichte deſſen Erwaͤhnung.
86).
Eines Effektes Willen laͤßt Curtius den Sopolis nicht ab-
gereiſet ſein, wie doch Arrian ausdruͤcklich berichtet.
87).
Dieſe
auf verſchiedene Namen erzaͤhlte Geſchichte paßt hierher eben ſo gut
wie auf Philipps Moͤrder Pauſanias. Wenn nach Plutarch Kalliſthe-
nes dieſe Aeuſſerung gegen Philotas that, ſo iſt natuͤrlich nicht
Parmenions Sohn, ſondern der Thracier gemeint. Cf. Diog Laert.
IV. 2. 6. c. intpp.
88).
Dieſer (Plut. 57.), nicht der Lydiſche Satrap, der Magne-
ſier Menander, ſcheint bezeichnet zu ſein.
89).
Die Angaben uͤber Kalliſthenes Schuld und Tod weichen
vielfach von einander ab. Nach Alexanders Brief an Atralus, den
Oheim des Soſtratus (Plut. 55.), hatten die Verſchworenen jede
anderweite Theilnahme an ihrem Verbrechen abgeleugnet; daß aber
Kalliſthenes die Geſinnung der jungen Leute gekannt und mit klu-
ger Vorſicht auf den Koͤnigsmord geleitet habe, iſt nach ſeinem
Charakter und durch die Angaben des Ptolemaͤus und Ariſtobul
(Arrian. IV. 14. 1.) ausgemacht. Vor Allem iſt dieſe Geſchichte mit
großer Partheilichkeit gegen den Koͤnig entſtellt worden; die Philo-
ſophen, Gelehrten und Gebildeten des Alterthums verſchreien Ale-
xanders Gerechtigkeit als eine Barbarei gegen das ſacroſancte
Haupt eines wiſſenſchaftlichen Mannes, der leider mehr Eitelkeit
als Verſtand hatte, wie ſein Oheim und Lehrer Ariſtoteles ſelbſt
ſagte, cf. St. Croix p. 365.; derſelbe hatte ihn beim Abſchiede er-
mahnt, ut cum rege aut rarissime aut quam jucundissime lo-
queretur
. Dieß und Aehnliches weiſet Stahr in ſeinen trefflichen
Aristoteliis (1. p. 124.) nach, und es iſt nur zu bedauern, daß er
das allgemeine Vorurtheil fuͤr Kalliſthenes theilt. — Die ganze
Verſchwoͤrungsgeſchichte iſt im Obigen nach den uͤbereinſtimmenden
Berichten des Ariſtobul und Chares erzaͤhlt worden; Ptolemaͤus
weicht nur uͤber Kalliſthenes Tod ab; er ſagt, der Sophiſt ſei ge-
foltert und dann aufgeknuͤpft worden. Arrian 1. c. Nach Suidas
wurde mit ihm zugleich ſein Freund, der Dichter Neophron aus Si-
cyon, hingerichtet, den Elmsley, wunderlich genug, zu einem aͤlteren
Zeitgenoſſen des Euripides gemacht hat.
1).
Fuͤr dieſe Angaben darf ich nur auf die treffliche Abhand-
lung Ritters: „Ueber Alexanders Zug am Kaukaſus“ in den Abhand.
der Berliner Akademie 1829 verweiſen. Der Choaspes, der Name
des Kahmehfluſſes, iſt vollkommen Iraniſch.
2).
Diod. XVII. 86.
3).
Curt. VII. 4. 6.
4).
Ich fuͤhre
dieß an, um der Anſicht A. W. v. Schlegels, als habe ſich Alexan-
der durch die luͤgenhaften Berichte des Kteſias fuͤhren laſſen, zu-
ruͤckzuweiſen.
5).
Curt. VIII. 5. 1. giebt ihre Zahl auf dreißigtauſend an; et
ſcheint die dreißigtauſend Barbaren, die im Jahre 324 zum Kriegs-
dienſt herangebildet waren, (Arrian. VII. 6. 3.) und deren Aushe-
bung allerdings um dieſe Zeit angeordnet wurde, im Sinne gehabt
zu haben.
6).
Arrian. Ind. 19. Curt. VIII. 5. 4. Plut. 66. Die
Organiſation des Heeres im Einzelnen iſt nicht mehr zu erkennen;
genannt werden folgende 11 (cf. Arrian. V. 29. 2.) Phalangen: Got-
gias, Klitus, Meleager, Koͤnus, Attalus, Balacer, Philipp, Phili-
tas, Polyſperchon, Pithon, Alcetas; dieß wuͤrde drei und dreißig
tauſend Mann ſchweres Fußvolk ergeben; dazu kommen die Hyp-
7).
Arrian IV. 22. ſagt in zehn
Tagen, wohl durch den Paß von Kamerd, den naͤchſten zwiſchen Balk
und Kabul. (cf. Strabo XV. p. 267.)
8).
Staſanor, weder der Sta-
girite, der ſpaͤter bei den Olympiſchen Spielen die Zuruͤckberufung
der Verbannten verkuͤndete (Harpocrat. v., Dinarch. p. 169.) noch
aus Parmenions Familie, ſondern ohne Zweifel der Vater des Ba-
lacer, der in dieſer Zeit Statthalter in Cilicien war.
9).
Der Ko-
phes oder Kophenes iſt wohl nicht der Fluß, der bei Kabul voruͤber
fließt, ſondern der waſſerreiche Pundſchir, der an der Gebirgslinie,
die ſich uͤber Jellallabad zum Rieſengipfel Koond aufthuͤrmt, ſuͤd-
waͤrts hinabſtroͤmt, den Fluß von Kabul aufnimmt und dann durch
das felſige Thal von Jellalli (Paß von Lamghanat. Baber p. 140)
mit vielen Stromſchnellen und Strudeln in das offene Land, das
ſich allmaͤhlig zum Indus ſenkt, hinabfließt.
10).
Dieſe Annahme
Ritters iſt wohl ziemlich ſicher; wenigſtens iſt ſie durchaus paſſend
6).
aspiſten im Belauf von ſechstauſend Mann. Dieſe ſcheinen ſaͤmmt-
lich nur Macedonier zu ſein; neben ihnen vielleicht eine nicht viel
geringere Zahl fremder Truppen.
11).
Arrian.
IV.
22.
10).
und erklaͤrt den ſonderbaren Umſtand, daß in der Regel Ortoſpana
oder Carura (Cabura), nicht aber Nicaͤa genannt wird.
12).
Von den vier Wegen, die zum Indus von Kabul aus hin-
abfuͤhren (ſ. Baber p. 140.), fuͤhrt nur der von Lamghanat laͤngs
dem Kabul zur Muͤndung dieſes Stromes, mag man nun den Paß
von Kheiber auf dem Suͤdufer (Elphinstone Kabul uͤberſ. von
Rühs II. 54.), oder den viel ſchwierigeren von Karrava auf dem
Nordufer des Kabulſtromes waͤhlen (Elphinstone II. 51.). Strabo
ſagt XV. p. 268.: Alexander hatte in Erfahrung gebracht, daß die
Gegenden im Norden und in den Bergen fruchtbar und wohl bevoͤlkert
ſeien, die ſuͤdlichen dagegen entweder ganz waſſerlos, oder, wo
Stroͤme floͤſſen, von gluͤhender Hitze und mehr fuͤr Thiere als fuͤr
Menſchen paſſend; deshalb, und weil er die Fluͤſſe ihren Quellen
naͤher leichter paſſiren zu koͤnnen meinte, ging er die noͤrdlichſten
Wege.
13).
Dieß ſchreibe ich auf Ritters Autoritaͤt (Alexanders
Zug p. 167); eine beſtimmte Angabe uͤber dieſen Paßweg habe ich
nicht finden koͤnnen.
14).
Arrian. VI. 23.
15).
Elphinstone II. 46.; nach einer
muͤndlichen Bemerkung deſſelben (zu Baber Mem. p. 248) iſt auf
ſeiner Karte der Fluß von Banjore unrichtig niedergelegt; die
16).
Arrian. IV. 24. Es iſt keine
Frage, daß der Euaspla bei Arrian IV. 24. der Choas oder Choas-
pes iſt, ein Name, der durch Aristot. Meteor. I. 350. a. 23. voll-
kommen geſichert iſt. Gorydale iſt die Aspaſier Hauptſtadt, wie ſich
aus Strabo XV. p. 268. ergiebt, wo man nur das καὶ in και κατὰ
Πληγήϱιον zu ſtreichen hat, um alles genau zu finden. Abweichend
von Ritter nehme ich die Lage von Arigaͤum an der Penjcora, und
nicht am Banjore an; der Guraͤus Fluß iſt die heutige Penjcora,
15).
Maͤrſche Babers klaͤren einiges auf: er zog denſelben Weg wie Kra-
terus; er nennt dieß Thal von Berawal Thal des Fluſſes Chan-
dûl. — Der Paß Ambahir (Baber p. 251.) fuͤhrt von Andaka
den Malemantus hinab.
16).
und zwar nimmt ſie von Oſten her den Soaſtus (Ritter p. 157.), von
Weſten, von Andaka her den Malcmantus (Banjore) auf. So bil-
det ſich die ſchoͤne Thalgegend der Guraͤer.
17).
Arrian. IV. 25. Es iſt eine merkwuͤrdige Beſtaͤtigung die-
ſer Notiz, daß noch heute in jenen Gegenden mit Stieren geackert
wird.
18).
Curt. VIII. 10. 14.
18a).
Arrian. Ind. 2. Curt. Strabo XV. p. 252. Ich habe
nach den bekannten Arbeiten von Colonel Tod, Bohlen, Ritter ꝛc.
nicht ausfuͤhrlicher uͤber dieſe Maͤhrchen ſein moͤgen, als es fuͤr den
pragmatiſchen Zuſammenhang der Begebenheiten nothwendig iſt;
gewiß war es bei Alexander nicht die bloße Eitelkeit, mit den Ero-
berungszuͤgen des Dionyſos zu wetteifern, wenn er jenen frommen
Glauben gern in ſeinem Heere verbreitet ſah. Bei dem vielfachen
Wechſel der Bewohner jenes ganzen Gebietes iſt es unmoͤglich, eth-
nologiſche Beſtimmungen mit Sicherheit aufzufuͤhren. Vielleicht
laͤßt ſich das Volk der Nyſaͤer, die Arrian (Ind. 2.) als Nicht-Indier
bezeichnet, auf das altheimiſche Volk der Kaffern zuruͤckfuͤhren; we-
nigſtens ſtimmt Alles, was die Brittiſche Geſandſchaft in Kabul
uͤber ſie in Erfahrung brachte (Elphinstone II. 321.) mit den
Schilderungen bei Curt. und Arrian. V. 1. uͤberein; noch heute
fuͤhren dieſe Staͤmme ein heiteres und in der That Dionyſiſches
Leben; ihre Pfeifen und Tambourins, ihre Gaſtmaͤhler und Fackelzuͤge
dazu das Europaͤiſche Klima und die Europaͤiſche Natur der Land-
ſchaft, das Alles mochte in der That den Eindruck auf die Umge-
bung Alexanders machen, die jenes Dionyſiſche Maͤhrchen erklaͤrlich
und charakteriſtiſch erſcheinen laͤßt. Die Erinnerung jener Voͤlker
an Alexander, von deſſen Macedoniern ſie abzuſtammen vorgeben
iſt, wenn nicht richtig, doch merkwuͤrdig.
19).
Die Lage von Maſſaga genauer zu beſtimmen iſt nicht mehr
moͤglich; der Strom, der nach Curt. VIII. 10. 23. an den Mauern
der Stadt voruͤberſtroͤmt, duͤrfte vielleicht der Burrindu ſein, deſſen
Thal von den Aſſakanern bewohnt war, und den Arrian. (Ind.) Pta-
renus zu nennen ſcheint. Curtius laͤßt mit einer Liebesgeſchichte
zwiſchen Alexander und der Koͤnigin Mutter, deren Sohn, der Fuͤrſt
des Landes, ſchon vor [A]lexanders Ankunft geſtorben waͤre, dieſen
Angriff enden; er ſtellt [d]ie Glaͤubigkeit ſeiner Leſer auf eine harte
Probe, wenn er bericht[et], daß die ehrwuͤrdige Frau durch ihre Reize
den Sieger beſiegt, und ihm einen Sohn geboren habe. Die An-
gaben des Diodor, des Juſtin, des Oroſius ſind von keinem hoͤheren
Werth. Die Behauptung, daß die Indier von dem Wandelthurm
Alexanders in den hoͤchſten Schrecken verſetzt worden, iſt doppelt
abgeſchmackt, da dieſe Schriftſteller ſelbſt nicht muͤde werden, bei
Weitem ſtaunenswuͤrdigere Dinge als in Indien heimiſch anzufuͤh-
ren. Endlich was die Namen Daͤdala und Acadera anbetrifft, die
Curtius zwiſchen Nyſa und Maſſaga nennt, ſo laͤßt ſich eben nichts
weiter uͤber ihre Lage ſagen, als daß Curtius irrig zwiſchen dieſen
Staͤdten und Maſſaga noch den Choaspes paſſiren laͤßt.
20).
Arrian. IV. 26. 27.
21).
Die Lage dieſer beiden Staͤdte
iſt ihrer Richtung nach zu erkennen; Ora lag mehr dem Gebiete
des Abiſares zugewandt, Bazira nicht fern von Aornos und von
der Kophenmuͤndung. Abiſares kam nicht ſelbſt zur Huͤlfe, ſondern
bewog die Bergindier in der Naͤhe von Ora, in den Quellbergen
des Ptarenus, zur Unterſtuͤtzung; denn ſo viel wir wiſſen, ſind die
Berge zwiſchen Kaſchmir und dem Thale des Burrindu nicht eben ſehr
wegſam.
22).
Daß Abiſares Fuͤrſt von Kaſchmir geweſen, ergiebt
ſich aus ſeinen Legationen an Alexander; ſeine Allianz mit Porus
gegen Alexander einerſeits, und mit den Voͤlkern weſtwaͤrts vom
Indus andererſeits iſt nur von Kaſchmir aus moͤglich; endlich
kommt dazu, daß nach Wilſon die alten Annalen von Kaſchmir den
ſuͤdlichen Theil dieſes Landes Abhisâram nennen. Lassen Penta
pot. p. 18. cf.
Ritter Erdkunde ed. 2. tom. 3. f. 1085.
23).
Arrian.
24).
Ohne Grund wird dieſe Stadt und die
Landſchaft Peucelaotis an den Kophen und die Muͤndung des
Suaſtus verlegt; Ptolemaͤus Zahlen haben irre gefuͤhrt; er kennt
zwiſchen dem Indus und Suaſtus weiter keinen Fluß, daher ſeine
nicht genaue Bezeichnung; die des Plinius, von Ortospana bis Pen-
celaotis, 227 M, iſt richtiger. Der heutige Name, Pukkely,
bezeichnet die Gegend oſtwaͤrts des Indus, oberhalb des Durfluſſes;
die große Stadt Peucela lag auf dem rechten Indusufer und zwar
unfern des Zeugma oberhalb von Embolima (Strab. XV. p. 269. Ar-
rian. Ind.
). Das Gebiet von Peucela reichte wohl damals wie
heute nordwaͤrts bis zu den Schneegebirgen, die der Indus, nach-
dem er den Abbaſin (vielleicht Saparnus bei Arr. Ind. c. 4.) auf-
genommen, durchreißt. Es iſt wahrſcheinlich, daß die Aſtakaner
bei Arrian. Ind. die Unterthanen des Fuͤrſten Aſtes, alſo die Pen-
celaoten ſind.
25).
Arrian. IV. 28. Wilken erkennt in ihnen die heutigen
Afghanen wieder.
26).
Ueber die Lage dieſer beiden Ortſchaften
wird nichts Genaueres uͤberliefert; indeß ſcheint der Name Oroba-
tis, den die von den Macedoniern beſetzte Feſte erhielt, verbun-
den mit dem Umſtande, daß ſie auf der Suͤdſeite des Kophen gele-
gen haben muß, auf die Paßgegend zu fuͤhren, welche der Weg
dicht vor dem Indus uͤberſteigt, ſ. Elphinstone I. p. 117. Fuͤr
die Feſte des Sangaͤus finde ich keine beſtimmte Localitaͤt, es
27).
Es ſind nament-
lich die Fuͤrſten Akuphis in Nyſa, Sangaͤus im Suͤden des Ko-
phen; Kophaͤus und Aſſagetes, der Hyparch der Aſſakaner, die
Arrian. IV. 28. V. 20. nennt; desgleichen alle die, welche ſich zu
Nicaͤa eingefunden hatten; auch Taxiles ſcheint einiges Gebiet im
Weſten des Indus erhalten zu haben. Alle dieſe Fuͤrſten waren
zur Heeresfolge verpflichtet. — Arrian nennt als Satrapen der
Satrapie Indien denſelben Nikanor, der ſchon Strateg am
Paropamiſus war; vielleicht durch einen Irrthum; wenigſtens ſpaͤ-
terhin wird nur Philipp als ſolcher genannt. Gleichfalls unge-
nau ſcheint es zu ſein, wenn er V. 20. 10. den Siſikyptos Satra-
pen der Aſſakaner nennt.
26).
muͤßte denn die Bergfeſte Timrood oder vielmehr Jamrood (Baber
p.
127.), 7 Cos S. O. von Peſchawer am Oſteingange der Paͤſſe von
Kheiber ſein; ſ. Forster II. p. 53.
28).
Hier, erzaͤhlen die Maccdonier, haͤtten die Siege des He-
rakles ein Ende gehabt. — Die Geſchichtſchreiber Alexanders ſtim-
men darin uͤberein, daß Alexander nichts weiter beabſichtigt habe,
als die Thaten des Herakles zu uͤberbieten; er hatte laͤngſt Groͤße-
res gethan. Aornos (Renas bei Bohlen 1. 143.) muß das Oſtende jener
Berglinie ſein, die ſich laͤngs dem linken Ufer des Kophen vom Sua-
ſtus bis Indus hinzicht, und nordwaͤrts ſich in die Ebene Tſchumle
hinabſenkt, ſ. Elphinstone II. p. 9.
29).
Diod. XVII. 85. Curt.
VIII. II.
3.
29b).
Arr. IV. 30. Strabo ſcheint dieſe ganze Belagerung zu be-
zweifeln (XV. p 252); die abweichenden Angaben bei Diodor und
Curtius widerlegen ſich ſelbſt; vielleicht gehoͤrt zu dieſer Unternch-
mung die Angabe des Chares bei Athen. III. p. 127. c. wie Alexander
bei Belagerung der Stadt Petra in Indien Schnee aufzubewahren
angeordnet habe.
30).
Curtius nennt dieſen Fuͤrſten Eryx, Dio-
dor Aphrices; daß dieſer derſelbe mit Arrians „Bruder des Aſſakanus“
iſt, ergiebt ſich aus der Erzaͤhlung ſelbſt.
31).
Die Lage von
Dyrta muͤßte wohl zientlich nordwaͤrts in den Bergen zwiſchen
dem Ptarenus und Indus zu ſuchen ſein, etwa in der Gegend von
Mullai unſerer Karten.
32).
Diod. XVII. 88. Curt. VIII. 12. 3.
33).
Nach einer an-
dern Leſeart 16 Tage, wenn uͤberhaupt Curtius verkehrter Aus-
druck ſo verſtanden werden darf. Die Entfernung von der Gegend
von Mullai bis zur Muͤndung betraͤgt nach Macartncy’s ſchoͤner
Charte gegen 30 geograph. Meilen zu Waſſer. Die Indusbruͤcke,
die man mit Arrian fuͤr eine Schiffbruͤcke halten darf, lag nach
Strabo XV. p. 269. in der Naͤhe der Stadt Peucelaitis; offenbar
oberhalb der Kophenmuͤndung.
33b).
Strabo XV. p. 294. Arrian VII. 3.
34).
Die Lage
von Taxila iſt auf dem Wege vom Indus zum Hydasves, doch ge-
wiß nicht, wie Rennel (Memoir of a map of Hindostan p. 29.)
vermuthete, bei Attock ſelbſt zu ſuchen. Plinius ſagt: von Peucelaotis
zum (ſollte heißen uͤber den) Indus und zur Stadt Taxila 60 M.,
von da zum Hydaspes 120 M. Davon ⅙ fuͤr die Kruͤmmungen
des Weges abgerechnet, giebt 150 M. oder 30 Meilen, und die
34).
geraden Abſtaͤnde vom Hpdaspesuͤbergange uͤber Ravil Pindee zum
rechten Ufer des Indus ſind nach Elphinſtones Karte 28 Meilen.
cf. Asiatic Journal tom. V. 1818. p. 216. — Dr. Gerard (Asiatic
Journal 1832. Decbr. p.
365) meint, daß das Monument von
Manikiyala die Lage von Taxila bezeichne, er fand bei den Bau-
ern der Umgegend viele Griechiſche Muͤnzen, cf. Tod Radjastan
II. p.
231.; jedoch iſt dieſe Lage zu weit vom Indus entfernt, und
ſelbſt Ravil Pindee duͤrfte noch zu weit oſtwaͤrts liegen. Den Na-
men der Stadt und des Fuͤrſtenthums anlangend, hat Vincent
(the voyage of Nearchus ed. I. p. 86.) vermuthet, daß der Name
Taxili, ſo hoͤrte Tieffenthaler das weſtlichſte von den 12 Stadttho-
ren von Lahore nennen, das alte Taxila angeht; Wilford ſagt,
(Asiatic Researches IX. p. 31.) Taxila ſei Tâchsa-Syala, von
dem Volksſtamme der Syalas ſo genannt, deren Ueberreſte man
noch jetzt im Panſchab faͤnde. Tod (Radjastan II. p. 228.) hat
noch weitere Notizen uͤber dieſe Taͤkſhac’s oder Nagas, d. i.
Schlangenvolk; doch irrt er, wenn er Tâk und Bazar bei Sultan
Baber fuͤr identiſch mit Taxila haͤlt. Laſſen pent. p. 35. weiſet
nach, daß der heimiſche Name dieſes Landes, Uraſa, bei Ptolemaͤus
als Varſa erſcheint. — Den Fuͤrſten dieſer Landſchaft nennt Cur-
tius Omphis, Diodor aber Mophis. (Ophis oder Schlange vermu-
thet Tod l. c. als Griechiſche Ueberſetzung von Tâk). Sie fuͤgen
uͤber ihn einige unbedentende Details hinzu: bei dem Tode ſeines
Vaters, dem er zur Vereinigung mit Alexander gerathen, habe er
nicht eher den fuͤrſtlichen Titel Taxila angenommen, als bis es
Alexander geſtattete.
35).
So ſcheinen ſich die verſchiedenen Angaben uͤber Philipps
Satrapie zu vereinbaren. Arrian IV. 2. 5. nennt ihn, ſich in Alex-
anders Stellung an dem Hydaspes denkend, den Satrapen des jen-
ſeit des Indus, des gegen Baktrien hin liegenden Landes, und IV.
14. 6. wird die Landſchaft der Mallier ſeiner Provinz zugefuͤgt; der
Ausdruck in Arrian. Ind. 18. iſt zu allgemein, um auf die Aus-
dehnung
36).
Nur Polyän IV. 3. 26. ſagt, daß Alexander Ele-
phanten in ſeinem Heere gehabt habe; ein Beweis, wie wenig auf
ſeine Compilation zu geben iſt. Curtius erzaͤhlt, daß auf dieſem
Marſche der Indiſche Fuͤrſt Gamaxus und der Exſatrap Barſaen-
tes von Ariana, der zu ihm geſiohen war, dem Koͤnige gebunden
zugefuͤhrt, die dreißig Elephanten des Fuͤrſten ausgeliefert und von
dem Koͤnige dem Fuͤrſten Taxiles eingehaͤndigt worden ſeien; und
Arrian (III. 25. 14.) berichtet, daß Barſaentes gen Indien geflo-
35).
dehnung der Satrapie Ober Indien ſchließen zu laſſen. Uebrigens
war dieſer Philipp der Sohn des Machatas, aus dem Fuͤrſtenge-
ſchlecht von Elymiotis und des Amigonus Vater, Großvater des
Poliorceten Demetrius, um dieſe Zeit bereits hoch in den Siebzi-
gern.
37).
Polyän IV. 3. 21.
Dieß iſt vielleicht der von Elphinstone I. 129. bezeichnete Engpaß
und derſelbe Hohlweg von Hambatu, den Baber paſſirte, in deſſen
Memoiren (p. 255) man uͤberhaupt den Weg, den Alexander nahm,
wiederkennt.
38).
Curt. VIII. 13. 8. Der Fluß hatte noch nicht
ſeine volle Breite, die er erſt im Auguſt erreicht; ſchon im Juli
fand ihn Macariney faſt dreitauſend Schritt breit. S. Elphin-
stone I. p.
551.
36).
hen, von den Indiern ausgeliefert und wegen ſeiner Theilnahme
am Morde des Darius hingerichtet ſei.
39).
Diod. XVII. 87.
40).
Die Lokalitaͤt bei Elphinstone I. 132. Auf der waldigen
Inſel Jamad befand ſich zu [Timurs] Zeit das feſte Schloß des Che-
ab-eddin cf. Chereffeddin IV. 10. p. 49., den kleinen Fluß im
Norden der Berge und im Suͤden der Stadt Behreh, beſchreibt Ba-
ber Mem. p.
257. Nach Plut. de Fluv. 1. ſcheinen dieſe Bergt
von den Macedoniern Elephantenberge genannt worden zu ſein; ich
mache auf die Erzaͤhlung Plutarchs von dem Schlangenneſt und den
Opfern aufmerkſam, welche, mit dem alten Ophitendienſt von Kaſch-
mir uͤbereinſtimmend, ethnographiſch wichtig ſein duͤrften.
40a.
Von den fuͤnfundzwanzig Wegen, die nach Tieffenthaler
aus Hindoſtan nach Kaſchmir fuͤhren, ſind die meiſten kaum fuͤr
Fußgaͤnger zugaͤnglich; die Straßen uͤber Puckhely und Bember ſind
die gangbarſten, aber jene war dem Abiſares geſperrt, dieſe haͤtte
zu weit um, und zum Theil durch das feindliche Bergrevier der
Glauſen gefuͤhrt; da ſeine Herrſchaft Abiſharam das Land der ſuͤd-
lichen Vorthaͤler Kaſchmirs und wahrſcheinlich bis zu den Quell-
bergen des Sewnfluſſes umſchloß, ſo konnte er keinen naͤheren und
beſſeren Weg waͤhlen, als den, welcher am rechten Ufer des Hydaspes
von Muzufferabad herab (Elphinstone II. p. 552.) uͤber Perhâleh
(Baber Mem. p. 261.) fuͤhrt.
41).
Hier iſt eine Luͤcke im Text
42).
Der Text Arrians ſagt, dieſe drei Phalangenanfuͤhrer ſeien mit
der Reuterei und dem Fußvolk der Soͤldner dort aufgeſtellt; der Zu-
ſammenhang lehrt, daß vor allen ihre drei Phalangen mit ausge-
ruͤckt waren.
41).
Arrians; ſie beginnt mit den Worten: das uͤbrige Heer aber ....
gewiß fehlt hier mehr, als die Herausgeber vermuthen; denn die
Zahl der ſaͤmmtlichen Truppen, die Alexander zur Schlacht diſpo-
nirt, betraͤgt nicht funfzigtauſend Mann, eine Zahl, die, ſo groß
man auch die in der Satrapie Indien und in Taxila zuruͤckgelaſſe-
nen Corps annehmen mag, doch kaum zwei Drittel des am Hydas-
pes ſtehenden Heeres betragen kann. Vielleicht, daß die Phalangen,
die unter den disponirten Truppen nicht aufgefuͤhrt ſind, ſo wie
einige andere Corps unterhalb des Lagers an verſchiedenen Stellen
des Ufers vertheilt, auch ihrerſeits den Feind engagiren, und ſobald
der Kampf begonnen, uͤberſetzen ſollten; auch uͤber dieſe ſcheint Kra-
terus das Kommando erhalten zu haben. Arrian. V. 12. 1.
43).
Dieß ergiebt ſich aus der ſpaͤtern Angabe, daß die Schlacht-
linie des ſchweren Fußvolks ſechstauſend Mann betragen habe, (Ar
rian. V.
14. 1.), ſo viel betrugen die Hypaspiſten allein; waͤren
beide Phalangen mit uͤbergeſetzt, ſo muͤßten zwoͤlftauſend Mann ge-
nannt werden.
44).
So Arrian. V. 13. etwas abweichend Frontin. I. 4. 9.
45).
Dieſe Darſtellung iſt nach Ptolemaͤus, deſſen Angabe auch
Arrian, der beſonnene und umſichtige Taktiker, als die richtige an-
nimmt cf. Plut. Alex. 68. Ariſtobul erzaͤhlte, daß der Prinz die
Maccdonier noch waͤhrend des Durchwatens der letzten Fuhrt getrof-
fen, aber nicht gewagt habe, ſie ſofort anzugreifen; andere ſagen,
daß ſich dabei ein lebhafter Kampf entſponnen habe; dieſe Angaben
ſind nachweislich unrichtig, indem die Entfernung des Lagers we-
nigſtens vier Stunden Zeit erforderte, ehe der Prinz herankommen
konnte. Wenn Alexander etwa fruͤh um vier Uhr uͤberzuſetzen be-
gann, ſo moͤchte das Reutergefecht gegen zehn oder elf Uhr vorge-
fallen ſein. — Die Groͤße des unter dem Prinzen detaſchirten Corps
wird von Ariſtobul auf tauſend Pferde und ſechszig Wagen ange-
geben; von eben ſo viel, ſagt Plutarch, habe Alexander in ſeinen
46).
Ar-
rians ausdruͤckliche Angabe uͤber dieſe Diſtanzen muß natuͤrlich den
Vorzug gegen Curtius, Diodor und Polyaͤn erhalten, die von funf-
zig Fuß Entfernung ſprechen. Die Bemannung der Streitwagen
ſchildert Curtius, ich weiß nicht ob der Wahrheit ganz gemaͤß.
45).
Briefen geſprochen; die im Text nach Ptolemaͤus angegebenen Zahlen
beſtaͤtigt Arrian mit einem verſtaͤndigen Raiſonnement.
47).
Nach dem ausdruͤcklichen Zeugniß Plutarchs, aus Alexan-
ders eigenen Briefen, ſo wie nach Arrian, ſtand Koͤnus auf dem
linken Macedoniſchen Fluͤgel; es waͤre tollkuͤhn geweſen, dieſen ohne
Deckung gegen die Wagen und Reiter des feindlichen Fluͤgels zu
laſſen.
48).
Die verwirrte Darſtellung des Curtius ſcheint es folgern
zu laſſen, daß Perdikkas dieſen Angriff auf die Wagen, deſſen Ar-
rian als minder bedeutend nicht erwaͤhnt, gefuͤhrt habe.
49).
Wir haben die Anzahl der Todten Macedoniſcher Seits noch
nicht angegeben, denn die Zahlen Arrians ſind wohl zu gering; er
ſagt, es ſeien ohngefaͤhr achtzig Mann vom Fußvolk, zwanzig von
den Macedoniſchen, zehn von den Daiſchen und etwa zweihundert
von den uͤbrigen Turaniſchen Reutern gefallen; Diodor hat die
49).
Angabe, daß mehr denn ſiebenhundert vom Fußvolk gefallen ſeien,
was nicht unwahrſcheinlich iſt, denn das Fußvolk hatte den furcht-
baren Kampf gegen die Elephanten zu beſtehen gehabt. Die Schil-
derung der Schlacht bei Diodor, Curtius und Polyaͤn verraͤth
durch die Vergleichung der Indiſchen Linie mit Stadtmauern
und Mauerthuͤrmen den gemeinſchaftlichen Urſprung, aus dem man
niemals bedeutende Aufſchluͤſſe uͤber das Militairiſche erwarten
darf. Deſto trefflicher iſt die Darſtellung Arrians; nur muß man
ſich nicht daran ſtoßen, daß er, wie alle kriegsverſtaͤndigen Schrift-
ſteller des Alterthums, nur die entſcheidenden Truppenbewegungen
bezeichnet, und daß er ſelbſt darin vielleicht noch zu ſparſam iſt; er
ſagt nichts von den zwei Phalangen, die an dem Orte des Ueber-
gangs zur Deckung des rechten Stromufers und des Weges aus
Kaſchmir zuruͤckblieben; und doch iſt es nur daraus begreiflich, war-
um Alexander nicht zwoͤlf tauſend Mann Schwerbewaffnete in den
Kampf fuͤhrte. Deſto gluͤcklicher bezeichnet er den Gang der
Schlacht ſelbſt. [Alexander] wußte, daß er ſich auf ſeine Hypaspi-
ſten verlaſſen konnte; die an das Unglaubliche grenzende moraliſche
Kraft in dieſem trefflichen Corps machte es moͤglich, daß Alexander
hier, wie in der Schlacht von Gaugamela, Alles wagen konnte, um Alles
zu gewinnen; es gehoͤrte die außerordentliche Disciplin Macedoni-
ſcher Truppen dazu, um ſich ploͤtzlich aus der groͤßten Verwirrung
des Handgemenges zur geſchloſſenen Phalanx zu ſammeln, und ich
wage zu behaupten, daß allein dieß mit der hoͤchſten Praͤciſion aus-
gefuͤhrte und durch die Reuterei ſecundirte Manoͤver, dem die
Indier nichts Aehnliches entgegen zu ſetzen vermochten, den Sieg
am Hydaspes entſchieden hat. — Endlich iſt noch die Chronologie
dieſer Schlacht zu erwaͤhnen. Das ausdruͤckliche Zeugniß Arrians
ſetzt ſie in den Monat Manychion (vom 19. April bis 18. Mai) des
Atheniſchen Archonten Hegemon, deſſen Amtsjahr vom 28. Juni
des Jabres 327 bis zum 17. Juli 326 reicht, ſo daß alſo die
Schlacht Ende April oder Anfang Mai 326 geliefert iſt. Dagegen
hat Raderus, Schmieder, Clinton ꝛc. geltend gemacht, daß derſelbe
Arrian, v. 9. 6. ſagt: Alexander habe um die Zeit des Jahres
ᾗ μετὰ τϱοπὰς μάλιςτα ἐν ϑέϱει τϱέπεται ὀ ἥλιος, am Hydas-
pes
49).
pes geſtanden; ſie haben daraus gefolgert, daß die Schlacht nach
der Sommerſonnenwende geliefert, und im Arrian ſtatt des Mu-
nychion der Metageitnion des Archonten Hegemon zu leſen ſei, der
in den Auguſt 327 fallen wuͤrde, eine Zeit, in der Alexander noch in
der Gegend des Choaspes ſtand. Sie haben uͤberſehen, daß einmal
das „ungefaͤhr“ in Arrians Ausdruck um ſo weniger bindend iſt,
da jene Anfuͤhrung der Sommerſonnenwende nur die Abſicht hat,
darauf aufmerkſam zu machen, wie gerade jetzt die Zeit des tropi-
ſchen Regens und der großen Ueberſchwemmungen war, und daß
auderer Seits Nearch bei Strabo ausdruͤcklich bezeugt, man habe
in der Zeit der Sommerwende ſchon am Aceſines gelagert; Strabo
XV. p.
259. Durch den bezeichneten Irrthum iſt Clintons Chro-
nologie von 327 bis 323 voll Irrthuͤmer, und man darf ſich wun-
dern, daß der Deutſche Gelehrte, der ihn ins Lateiniſche uͤberſetzt
hat, keinen Anſtoß darin fand, daß Alexander nach Clinton mit
dem Ende des Fruͤhlings (Mai) uͤber den Paropamiſus ging, und
trotz der großen Kaͤmpfe in der Indiſchen Satrapie ſchon um die
Sommerſonnenwende (Juni) ſechszig Meilen oſtwaͤrts am Hydas-
pes lagerte.
50).
Ueber den weitverbreiteten Namen der Gandari ſ. Wilſon
in den Nachtraͤgen zu history of Caschmir, Asiat. Resear. XV.
p.
105.
50b).
Nach Strabo XV. p. 270. und Curtius IX. 1. 6. lagen
dieſe Staͤdte zu beiden Seiten des Stromes; aus Curtius ſieht
man, daß die Stadt Bucephala oberhalb Nicaͤa lag; nach Diodor
XVII.
89. koͤnnte es ſcheinen, daß Bucephala auf der rechten
Seite des Stromes lag; Arrian Periplus p. 25. ed. Hud. und
Schol. Arist. Nub. init. nennen die Stadt Bucephalos Alexan-
dria. — Nach Plutarch mußte Porus den Namen eines Satrapen
annehmen; bei dem gaͤnzlichen Schweigen Arrians und bei der klar
vorliegenden Art des Abhaͤngigkeitsverhaͤltniſſes darf man mit Recht
an der Richtigkeit dieſer Angabe zweifeln.
51).
Arrian. V.
20. Diodor. Curtius
.
52).
Strabo XV. p. 271.
53).
Arrian l. c.
54).
Arrian. V. 20. 6. Die Landſchaft der Glauſen iſt nach
Lassen Pentap. p. 26. orientirt; durch ſie fuͤhrt der Paß von
Bember.
55).
Strabo XV. p. 270. Diod. XVII. 89. Von dem treffli-
chen Schiffsbauholz dieſer Gegend ſ. Burnes und Gerards Bericht
in Asiatic Journal 1832. Dec. p. 364.; es ſind beſonders Ce-
dern, wie es auch Diodor XVII. 89. angiebt.
56).
Alexander
nannte dieſen Strom, deſſen einheimiſcher Name graͤciſirt Sandro-
phagos
, faſt wie der „Maͤnnerfreſſende“ oder gar der „Alexander-
57).
Diodor XVII. 91.
ſagt, dieſer Porus ſei aus ſeinem Reiche nach Gandaritis gefluͤch-
tet, im offenbaren Widerſpruch mit Strabo XV. p. 271., dem wir na-
tuͤrlich folgen; wenn nicht etwa die Lesart Γαγγαϱιδῶν bei Diodor
aufzunehmen iſt.
58).
Macartney fand den Strom bei Wuzirabad
gegen Ende Juli an viertauſend Schritt breit. Elphinstone II.
p.
554.
56).
freſſende“ lautete, um das boͤſe Omen zu vermeiden, den „Schadenhei-
lenden“ Aceſines A. W. v. Schlegel Ind. Biblioth. II. 297. Die Localitaͤt,
wo er ihn paſſirte, kann nach der Schilderung, die Ptolemaͤus von ſei-
nen felſigen Ufern und den vielen Klippen in ihm macht, nicht auf
der großen Straße von Attok nach Lahore, die Alexander uͤberhaupt
nicht hielt, alſo nicht bei Wuzirabad geſucht werden; die Breite
des uͤbervollen Stromes laͤßt vermuthen, daß das Heer nicht
hoch in den Berggegenden, ſondern etwa bei dem Austritt deſſelben
aus den Gebuͤrgen, alſo auf dem Wege zwiſchen Bember und Jum-
boo hinuͤberging. Strabo ſagt ſehr anſchaulich (XV. p. 272.) vom
Indus zum Hydaspes ſei Alexander ſuͤdwaͤrts, von da oſtwaͤrts und
zwar mehr in bergigen als in flachen Gegenden gegangen. Die
Zeit, wo Alexander an dieſem Strom lagerte, war nach Strabo die
Sommerſonnenwende, alſo Ende Juni.
59).
Daß ich der Schreibart Strabos lieber als der Arrians
(der Hydraotes) folge, geſchieht auf A. W. v. Schlegels Autoritaͤt cf.
Indiſche Biblioth. II., 305. Doch ſchreibt Laſſen ziemlich durch-
gaͤngig Hydraotes.
60).
Arrian V. 21. Diod. XVII. 91.
61).
Helladius Chrest. apd Phot. 530. a. 35. ſagt, Porus Vater
ſei ein Barbier geweſen; Divdor und Curtius ſagen daſſelbe von dem
62).
Ich glaube, zu dieſen
gehoͤren die Kekaͤer (Kekaya, Lassen p. 12.) die nach Arrian. Ind. 4.
an den Quellen des Saranges, eines oͤſtlichen Nebenfluſſes des Hy-
arotis, ſaßen. Bemerkenswerth iſt, daß in der kleinen Fluß- und
Voͤlkertafel Arrians, aus der dieſe Angabe entnommen iſt, ein gro-
ßer Fluß Tutapus genannt wird, von dem ſonſt nirgend Erwaͤhnung
geſchieht; er ergießt ſich in den Aceſines, kann alſo wohl kein an-
derer als der Tuve Fluß bei Jumboo ſein, den Alexander wahr-
ſcheinlich bei ſeinem Marſch paſſirte.
63).
Ueber den Namen
und die Wohnſitze der Kathaͤer hat Lassen p. 23. sq. ausfuͤhrlich
geſprochen; doch habe ich mich nicht uͤberzeugen koͤnnen, daß die
Arattenſtadt Sakala des Indiſchen Epos mit der Kathaͤerſtadt San-
gala wenigſtens der gleiche Name waͤre (Lassen p. 20.); die Er-
klaͤrungsverſuche des trefflichen Gelehrten ſcheinen etwas gewagt zu
ſein. Nach Strabos Darſtellung waͤre ſelbſt das Duab, in dem die
Kathaͤer wohnten, nicht ſicher; Arrians Angaben laſſen daruͤber
keinen Zweifel; er ſetzt die Stadt der Kathaͤer drei Tagemaͤrſche
jenſeit des Hyraotis, und da Alexander hier uͤberall ſich mehr in
den Bergen als in den Ebenen hielt, ſo trifft ſein Marſch wohl im
Ganzen mit der großen Straße von Jumboo uͤber Burpur, Raja-
pur gen Belaspur zuſammen. Ueberbleibſel dieſer Nation glaubt
Tod (Rajastan II. p. 264.) in den Cat’hi zwiſchen Ihalore und
Aravulli zu finden, cf. Rajastan I. p. 113.
64).
Adraiſten oder Adre-
ſten bei Diod. Juſtin. und Oroſius; Pimprama ihre Hauptſtadt nach
Arrian; Laſſen vermuthet, daß ihr Name mit dem Indiſchen Araſh-
tra, im Prakrit Aratta zu vergleichen ſei; vielleicht iſt es genauer,
61).
Praſierkoͤnig Xandrames; nach Plutarch. de Fluv. 1. ſtammt Po-
rus von Gegaſius, aber wer iſt der?
64).
ſtatt der Attakaner, die Arrian an den Reudrusquellen zwiſchen dem
Aceſines und Hyarotis notirt, Arratakanen zu leſen, wohin dann
die Arattenſtadt Saccala des Mahabharata gehoͤren wird, ſ. Wil-
son
in Asiat. Researches XV. p. 107.
65).
Curtius erzaͤhlt dieſen Angriff auf abweichende Weiſe; er
ſagt: Die Barbaren ruͤckten zum Kampf mit Wagen, die unter ein-
ander verbunden waren, aus; die Einen fuͤhrten Bogen, die Anderen
Spicße, noch Andere Beile; ſie ſprangen, um ſich einander zu un-
terſtuͤtzen, mit kuͤhner Gewandtheit von Wagen zu Wagen. Anfangs
entſetzte die Macedonier dieſer neue Kampf, der ſie aus der Ferne
gefaͤhrdete; dann draͤngten ſie ſich zwiſchen die Wagen und erſchlu-
gen die Kaͤmpfenden; und der Koͤnig befahl, die Stricke, mit denen
die Wagen an einander gebunden waren, zu zerhauen, um die ein-
zelnen deſto leichter zu umzingeln. So flohen die Feinde mit Ver-
luſt von achttauſend Todten in die Stadt zuruͤck. Curt. IX. I. 17.
66).
Arrian. V. 23, 24. und Polyän. IV. 3. 30.
67).
Curt. IX. 1, 22. Polyän. l. c. —
68).
cf. Wesseling ad Diod. XVII. p. 655.
69).
Leider er-
waͤhnt Arrian dieſes Fuͤrſten Sopeithes an rechter Stelle nicht;
Diod. XVII. 92. und Curt. IX. 1. 24. ſind dem Obigen zum Grunde
gelegt; nach ihnen liegt das Gebiet dieſes Fuͤrſten jenſeits des Hy-
arotis. Strabo XV. p. 271. ſagt: „Kathaia, eines gewiſſen Nomar-
chen Sopcithes Land, ſetzen Einige in dieſe Meſopotamia (des Hy-
daspes und Aceſines), Andere aber jenſeit des Aceſines und des Hya-
rotis, benachbart dem Fuͤrſtenthum des jungen Porus; ſie nennen
das Gebiet unter dieſem Lande Gandaris“; und etwas ſpaͤter: „in
Sopeithes Land ſoll ein Berg von Steinſalzlagern ſein, der ganz
Indien mit Salz zu verſehen im Stande waͤre, und ſchoͤne Gold- und
Silberminen nicht weit entfernt in anderen Bergen, wie Gorgos
der Metalleut erzaͤhlt“. Dieß find die Steinſalzlager von Mundi,
zwiſchen dem Beyas und Satadru in den erſten Bergketten des Hi-
malaya (Ritter p. 1075.). Das Gold findet ſich bekanntlich in
ungeheuerer Menge in der Quellgegend des Indus und Satadru,
theils in Minen, theils als Goldkoͤrner, die von den bauenden
Springhaſen mit geflecktem Fell (cf. Megasthenes und Nearch, bei
Arrian Ind. 15.) welche die Griechen Ameiſen nannten (cf. Ritter
p. 660.)
aufgeſcharrt werden. Nach alle dem muß ſich das Fuͤr-
ſtenthum des Sopeithes etwa bis zu den Mandibergen im Oſten, und
dem Gebirge des Retung-Paſſes, wo die Quellwaſſer des Hypaſis
und Aceſines, die Graͤnzen der Laͤnder Abiſares und Sopeithes ſich
nahe ſind, im Norden erſtreckt haben.
70).
Phegeus bei Diodor.
Phegelas bei Curtius, wahrſcheinlich genannt nach dem Fluſſe des
Fuͤrſtenthums, dem Hyphaſis oder Bejas, welcher Name dem Strom
auch nach ſeiner Vereinigung mit dem Satadru bleibt (Elphinstone
1. p. 501.)
Von der Lage dieſes Fuͤrſtenthums ſ. u. Note 76.
71).
Strabo XV. p. 275. cf. Arrian Peripl. p. 27. ed. Hudson.
Justin. VII. 8. Paul Oros. III. 19. etc
.
72).
Arrian. V. 25. sqq.
wie es ſcheint (c. 28.) nach Ptolemaͤus.
73).
Curt. IX. 2. Diod. XVII. 94.
74).
Strabo XV. p. 268.
75).
Timur paſſirte dieſe Gegen-
den etwa einen Monat ſpaͤter (im Safar); der Peſchekal brachte na-
75).
mentlich unter die Pferde eine große Sterblichkeit. Chereffeddin
IV. 13. p. 59
.
76).
Wir ſind nicht im Stande, den Ort dieſer zwoͤlf Altaͤre
genau auf unſeren Karten anzugeben. Nach Curtius Angabe, daß
jenſeits des Stromes die Wuͤſte ſich zwoͤlf Tagereiſen weit erſtrecke,
koͤnnte man glauben, daß der Ort unterhalb der Vereinigung des
Hyphaſis und Heſudrus liege, da das Duab, welches Kaiſer Akbar
Beyt-Jalindher nannte (Ayeen Akbery II. p. 108.) außerordentlich
cultivirt iſt, und uͤberdieß der Name des vereinigten Stromes Bhis
oder Beas (Elphinstone II. p. 559.) offenbar Hyphaſis iſt, unter
welchem Namen der Indus die fuͤnf vereinigten Stroͤme aufnimmt;
Strabo XV. p. 273. Doch iſt Plinius Excerpt aus den Stathmen
dagegen; er ſagt (VI. 17.): exsuperato amne (Hyphasi) arisque
in adversa ripa dicatis ..... ad Hesudrum 168 M. (cf. Asia-
tic. Journal tom. V. 1818. p. 215 sq.
); waͤre jene Zahl nicht au-
genſcheinlich corrumpirt, ſo wuͤrde man aus ihr Genaueres folgern
koͤnnen. — Von den Ornamenten dieſer Altaͤre und dem angebli-
chen Beſtreben Alexanders, durch rieſenmaͤßige Geraͤthſchaften, die
hier zuruͤckblieben, fuͤr die Macedonier den Schein eines Rieſenge-
ſchlechtes zu gewinnen, ſind die Stellen ad Curt. IX. 3. 19.
geſammelt. Es ſoll auf den Altaͤren folgende Inſchrift geſtanden
haben: „Meinem Vater Ammon und meinem Bruder Herakles und
der vorſorgenden Athene und dem Olympiſchen Zeus und den Sa-
mothraciſchen Kabiren und dem Indiſchen Helios und meinem Bru-
der Apollo.“ Dieſen Unſinn wiederholt Philostrat. vit. Apoll. II.
15. und fuͤgt hinzu: eine eherne Saͤule zwiſchen den Altaͤren habe
die Inſchrift getragen: „Hier machte Alexander Halt.“ Nach Sui-
das v.
Βϱαχμάνος ſtand auf derſelben: „Ich, der Koͤnig Alexander,
bin bis hieher vorgedrungen.“ — Nach der obigen Angabe des Pli-
nius ergiebt ſich, daß des Phegeus Fuͤrſtenthum wahrſcheinlich in
das Duab Beyt-Jalindher hineinreichte; ſicher grenzte es gen Nor-
den mit dem Lande des Sopeithes zuſammen.
77).
Arrian, der
vom Sopeithes und Phegeus nichts erwaͤhnt, ſagt, daß Porus alles
Land bis zum Hyphaſis erhalten habe, was nicht richtig ſein kann.
78).
Dieſe Stadt Alexandria am Aceſines, auf der großen
Straße, die Plinius zu bezeichnen ſcheint, duͤrfte etwa dem heuti-
gen Wuzirabad entſprechen; welches Alexandrien im Katalog des
Stephanus hieher gehoͤrt, behalte ich mir vor, in einer Abhandlung
uͤber dieſen Katalog zu eroͤrtern.
79).
Ich bin nicht im Stande,
den Namen dieſes Fuͤrſten zu erklaͤren, noch die Lage ſeines Fuͤr-
ſtenthums zu entdecken.
79b).
Dieſe Erklaͤrung der Trierarchien, deren Arrian Ind. 18.
erwaͤhnt, beſtaͤtigt Plut. Eumenes 2 und Plin. XIX. 1 Der vor-
ſchriftsmaͤßige Aufwand fuͤr Jeden der Dreiunddreißig kann nicht,
wie man nach Plutarch glauben ſollte, dreihundert Talente betra-
gen haben, wenn ſchon die Koſten hier, wo der Trierarch auch den
Bau der Schiffe uͤbernehmen mochte, bedeutender waren als in
Athen.
80).
Arrian VI. 2. Ind. 19.; Diod. XVII. p. 95. ſagt:
81).
Stra-
bo XV. p.
259. „Nicht viele Tage vor dem Untergang der Ple-
jaden“ d. i. vor dem 13. November nach Callippus, dem Zeitgenoſ-
ſen Alexanders, ſ. Idler uͤber das Todesjahr Alexanders p. 275.
82).
Aus dieſer Angabe der Geſammtzahl (Arrian Ind.) erſieht
man, daß Arrian. VI. 2. ungenau ſagt: die ganze Macedoniſche
Ritterſchaft ſei mit auf die Schiffe genommen; Beſtaͤtigung iſt,
daß erſt ſpaͤter tauſend ſiebenhundert Macedoniſche Ritter auf
die Schiffe kommen. Arrian. VI. 14. 7. Die Zahl der Schiffe
80).
mehr als dreißig tauſend Mann Soͤldner und Helleniſche Bundes-
truppen, Curt. IX. 4. 21. dagegen ſiebentauſend Mann von Har-
palus geſandt und fuͤnf und zwanzigtauſend Ruͤſtungen.
83).
Arrian. VI. 2.
nennt die βασίλεια Σωπείϑου, einen Namen, deſſen er an der gehoͤ-
rigen Stelle, bei dem Zuge durch das Hyphaſisland nicht erwaͤhnt.
Sollte er nicht dieſen Fuͤrſten mit Spittakus verwechſelt haben?
84).
Arrian VI. 2.
82).
betreffend iſt Arrian. Ind. 19. ſtatt achthundert von Schmieder mit
Recht eintauſend achthundert geſchrieben.
85).
Arrian VI. 3. 5. Plin. XIX. 1., der beſonders die Pracht
der bunten Seegel ſchildert.
86).
Nach Plinius. VI. 17.
machte Alexander taͤglich ſechshundert Stadien, nach Curtius vier-
zig, beides iſt unrichtig; nach achttaͤgiger Fahrt kommt die Flotte
zur Aceſines-Muͤndung, die von dem Ort der Ausfahrt fuͤnf bis
ſechs Tagereiſen zu Lande (ſ. Vincent p. 110.), zu Waſſer (nach Ma-
cartney’s Karte) etwa acht und zwanzig Meilen, die Kruͤmmungen
des Stromes mitgerechnet wohl vierzig Meilen entfernt iſt; gewiß
ſchrieb Curtius ſtatt quadraginta nicht quadringenta, was Freins-
heim vorſchlaͤgt.
87).
Arrian VI. 3. 4,
88).
Neuere Berichte beſtaͤtigen dieſe
Angaben; ſ. Vincent p. 112. Chereffeddin IV. 10. 52. ſagt von
dieſer Stelle: les vagues, qui se forment en ce lieu, le font
paraitre une mer agitée. Diodor XVII.
96. und Curtius 99.,
ſo verwirrt ſie auch uͤber dieſen Feldzug berichten, haben doch man-
che Notizen, die den Arrian veranſchaulichen und ergaͤnzen; doch
muß man in ihrem Gebrauch ſehr vorſichtig ſein.
89).
Curt. IX. 4. 10. Diod. XVII. 96.
90).
Dieſe Sibas (Σίβαι Arrian Ind. 5. Strabo XV. p. 253 und
273. Steph. Byz. 5. v., weniger gut Σίβοι bei Diod., Sobii bei
Curtius) ſind offenbar Siva-Diener, wie Bohlen „das alte
Indien“ p. 208. nachweiſet. Arrian ſpricht in der Anabaſis von die-
ſem Volke nicht insbeſondere, da er natuͤrlich die Abſtammung deſ-
ſelben von Herakles nur fuͤr ein Maͤhrchen halten und am wenig-
ſten, wie Diodor thut, dieſe Verwandtſchaft mit dem Herakliden
Alexander zu einer politiſchen Bedeutung erheben kann. Doch deu-
tet er dieſe Excurſion an der gehoͤrigen Stelle (VI. 5. 9.) an; man
erſieht daraus zugleich, daß ſie auf dem rechten Ufer des Aceſines
in dem Duab wohnten.
91).
Curt. Diod.
92).
Arrian. VI. 11. 7.
93).
Arrian hat dieſen Namen nicht,
und bei Curtius, der hier faſt woͤrtlich mit Diodor ſtimmt, ver-
birgt ihn die falſche Lesart alia gens (IX. 4. 5.); ſo verwirrt
Beide erzaͤhlen, ſo laͤßt ſich in ihnen doch die Uebereinſtimmung
mit Arrian noch heraus finden; das superato amne bei Curtius
iſt vom Aceſines zu verſtehen, uͤber den Alexander gehen mußte,
um von dem Lager, in das er nach der Expedition gegen die Si-
bas zuruͤck gekehrt war, auf das Oſtufer des Stromes ins Malli-
ſche Gebiet zu gelangen. Ueber die Mallier cf. Tod Rajastan II.
p.
292, 443. Agalaſſa, acht Meilen von der Station unter der
Hydaspesmuͤndung entfernt, trifft genau mit der Lage von Pinde
Schaich Mooſa, ein und eine halbe Meile vom Hyarotis, zuſammen
93b).
Dieß koͤnnte etwa Moree unfern des Stromes ſein.
94).
Arrian. VI. 6.
95).
Arrian. VI. 7.
96).
Arrian. Die Lage dieſer Stadt iſt nicht mehr nachzuwei-
ſen; moͤglich jedoch iſt, daß ſie etwa da, wo auf Macartney’s Karte
Sumpur verzeichnet iſt, lag, und daß der Stromuͤbergang Alex-
anders von der Stadt Ima gen Sumpur fuͤhrte; wenigſtens fuͤh-
ren darauf die auf Macartney’s Karte verzeichneten Wege, und es
ſtimmt ziemlich damit, daß Alexanders Jacht (ſ. u.) mit der Stroͤ-
mung in vier Tagen bis zum Lager an der Muͤndung des Hyaro-
tis hinabfuhr.
97).
Arrian hat VI. II. die von der obigen Darſtellung (nach
Ptolemaͤus) abweichenden Angaben kritiſch unterſucht, ſo daß uͤber
deren Irrthuͤmlichkeit kein Zweifel ſein kann. Beſonders tadelt er
die Angabe, daß der Vorfall im Lande der Oxydraker geſchehen ſei,
wie Curtius IX. 4. 26., Lucian Dial. mort. XIV. 14, Appian.
civ. Il.
102, Paus. I. 6., Andere bei Freinsheim ad Curtium IX.
1. c.
berichten. Eine zweite Abweichung findet bei den Namen de-
rer Statt, die mit dem Koͤnige in der Burg waren; Plutarch 63.
nennt Peuceſtas und Limnaͤus, Curtius IX. s. 15. Peuccſtas, Ti-
maͤus, Leonnatus, Ariſtonus; Timagenes und Klitarch (nach Cur-
tius) und nach ihnen Paus. l. c., Steph. Byz. v. Οξύδρακαι fuͤg-
ten den Lagiden Ptolemaͤus binzu, der wenigſtens zehn Meilen ent-
fernt ſtand. Peuceſtas galt allgemein im Alterthum fuͤr Alexan-
ders Retter (Alexandri Magni servator Plin. XXXIV. 8.). Viele
97).
nannten außer Alexanders Bruſtwunde auch noch einen Keulen-
ſchlag gegen den Hals. Der Pfeil ſelbſt wurde entweder durch
Perdikkas oder durch den Asklepiaden Kritobulus von Kos (Krito-
demus bei Arrian), den beruͤhmten Arzt des Koͤnigs Philipp, der
dieſem den Pfeil von Methone aus dem Auge geloͤſt hatte, heraus-
gezogen, Plinius VII. 37. Das Herausloͤſen des Pfeils erzaͤhlt
Plutarch de fort. Alex. II. fin. etwas anders: den Pfeil aus dem
Bruſtbeine heraus zu ziehen, vermochte man nicht; das Rohr ab-
zuſaͤgen wollte man nicht wagen, aus Furcht, der Knochen moͤchte
ſplittern; da Alexander die Beſtuͤrzung der Umgebung ſah, ſing
er ſelbſt an, das Rohr an der Oberflaͤche des Harniſches mit dem
Dolche wegzuſchneiden, aber die Hand erſtarrte und ſank herab, er
befahl daher, unerſchrocken anzugreifen; er ſchalt die Umſtehenden
wegen ihres Weinens und Mitleidens, er ſchalt ſie Verraͤther, da
ſie ihm ihre Huͤlfe verſagten u. ſ. w.
98).
Arrian. VI. 13. Aeschyl. apd. Stob. ecl. Phys. I. 4.
p.
118.
99).
Wir haben keinen Anſtand genommen, mit Laſſen
p. 27. die Oxydraker, oder, wie ſie von anderen Autoren genannt
werden, Sudraker, Hydraker, in dem Namen der vierten Indiſchen
Kaſte der Sudris (Adjekt. und Diminut. Sûdraka) wieder zu erkennen,
welche im uͤbrigen Indien die Maſſe des Volkes bilden, und, ohne
uͤbrigens verachtet oder im Druck zu leben, von den hoͤheren Ka-
ſten, beſonders in religioͤſer Hinſicht, nachgeſetzt werden, indem ih-
nen das Leſen und Anhoͤren der Vedas verboten iſt. Wie man
ſich auch das Entſtehen der Kaſten oder Farben in Indien vorſtel-
len mag, jedenfalls ſind dieſe an dem Indus wohnenden Voͤlker
nicht kaſtenhaft conſtituirt, ſondern ein Nebeneinander von Staͤm-
men, wie ſie im uͤbrigen Indien ſich nach und nach ſubordinirten;
und jener Siegeszug des Gottes, den die Sudraker Dionyſos nann-
ten, moͤchte mit Beſtimmtheit auf eine Erinnerung der Indiſchen
Geſchichte zuruͤck zu fuͤhren ſein. cf Bohlen das alte Indien p
140 sq.
100).
Arrian VI. 15. Die Lage dieſer Voͤlker nachzuweiſen iſt
um ſo ſchwieriger, da Diodor und Curtius Alles verwirren, und
in den Indiſchen Berichten Arrians andere Verwirrungen durch
die oft falſchen Augaben uͤber die verſchiedenen Strommuͤndungen
101).
Daß dieſe Stadt das von Steph. Byz. bezeichnete
ſechſte Alexandrien iſt, ſcheint ziemlich gewiß. Wie gluͤcklich ſie fuͤr
100).
entſtehen gewiß ſcheint nur das Eine, daß der Oxydraker oder
Sudraker ſehr ausgedehntes Gebiet nicht weit ſuͤdwaͤrts von der
Hyarotismuͤndung, an der Malliſchen Grenze begann, und uͤber
die Grenze des heutigen Multan hinaus bis zur Vereinigung des
Aceſines und Hyphaſis hinabreichte; die Xathras (Sodras bei Di-
odor XVII.
102., Sabracas Curtius IX. 84.), offenbar der Name
der Kſchatras, die aus Vermiſchung der Kſchatrijas (Kriegerkaſte)
und der Sudras entſtehen, muͤſſen eine waldreiche Ufergegend be-
wohnt haben; es duͤrfte wohl eher die des unteren Hyphaſis, heute
Gharrafluß, als die des Indus geweſen ſein. Die Abaſthanas
(Sambaſtae bei Diodor) und ihre Wohnſitze ſind durch nichts be-
zeichnet.
102).
Vincent p. 119 sq.[und]Pottinger p. 382. finden, gewiß
mit Recht, die Lage dieſer Stadt in dem heutigen Bhukor wieder;
den Namen Alexandrien fuͤhrte ſie nach dem ausdruͤcklichen Zeug-
niß des Curtius IX. 8. 8. und nach Steph. Byz., der ſie nach
dem Namen des umwohnenden Volkes bezeichnet. Die zehntauſend
Mann, die hier zuruͤck blieben, giebt Diodor an. Pithon oder Peithon,
nicht Python ſcheint der Name des Satrapen, der ſowohl von Pithon,
Krateas Sohn aus Eordaͤa, als auch von Python von Catana
oder Byzanz (Athenäus), dem angeblichen Dichter des Satyrſpiels
Agen, zu unterſcheiden iſt.
102b).
„Pithon und Oxyartes“ ſagt
Arrian. Naͤheres daruͤber unten Note 112 c. — Die Sogdi haͤlt
Tod I. p. 92. fuͤr Soda’s, die zu den Pramara’s gehoͤren.
101).
den Handel gelegen war, hat Vincent p. 136. ausfuͤhrlicher ge-
zeigt. Es darf nicht auffallen, daß ihrer in ſpaͤterer Zeit nicht
mehr erwaͤhnt wird. Die Berichte aus der Zeit des Baktrianiſchen,
des Indoſcythiſchen Reiches ſind zu aͤrmlich, als daß man dasjenige,
was ſie nicht nennen, fuͤr nicht mehr vorhanden halten muͤßte.
Daß Alexander die Wuͤſtenſtrecke gen Oſten nicht unberuͤckſichtigt
ließ, ſcheinen die Traditionen jener Gegend zu beſtaͤtigen. Unter
den Johyas hat ſich das Andenken an Secander Rumi erhalten,
und die Ruinen von Rung-mahl bei Danduſir ſollen die Haupt-
ſtadt eines Fuͤrſten geweſen und von Alexander zerſtoͤrt worden
ſein. Asiatic Journal. 1832. Mai p. 60. Tod II. p. 214.
103).
So Arrian VI. 16. 4. Dagegen nennt Curtius IX. 8.
17., Diodor XVII. 102. und Strabo XV. p. 274. ihn Sabos,
Plutarch aber 64. Sabbas, Justin XII. 10. Ambigerus, Orosius I.
19. gar Ambiras.
104).
Die Lage ſeines Fuͤrſtenthums der Bergindier hat Vin-
cent p. 130 sqq.
in der Gegend von Sebee, faſt vierzig Meilen
nordweſtlich von Bhukor oder Alexandrien angeſetzt; dafuͤr iſt
nichts als die truͤgeriſche Namensaͤhnlichkeit, dagegen die Entfer-
nung, die nicht Indiſche Bevoͤlkerung von Seweeſtan, das offen-
bare Zeugniß Strabos, welcher ſagt, das Land grenze an Pattalene.
Demnach hat Pottinger wohl Recht, wenn er die Berge, in denen
das Gebiet des Sambus lag, fuͤr die Jungarberge im Suͤden des
Indusarmes von Larkhanu, und die Hauptſtadt fuͤr Sehwan am
Indus haͤlt (Pottinger p. 539. Ueberſ.). Colonel Tod (II. p. 220.)
fuͤhrt den Namen des Fuͤrſten nach ſeiner Art auf die Dynaſtie
Sind-Sama zuruͤck.
105).
Arrian VI. 15. Der Name des Fuͤr-
ſten
106).
Oxykanus hat Ar-
rian, Portikanus Strabo, Diodor und Curtius; das Fuͤrſtenthum
muß den Suͤdweſten von Tſchanduki umfaßt und bis zu den Jungar-
Bergen ſuͤdwaͤrts gereicht haben.
107).
Arrian. VI. 16., Curtius
105).
ſten Muſikanus iſt zugleich der des Landes; Pottinger p. 382.
(Deutſche Ueberſ. p. 538.) glaubt, er ſei aus den beiden Landes-
namen Mou und Sehwan entſtanden; die Formation waͤre ſon-
derbar. Wenn der Name Mou wirklich die Landſchaft bezeichnet,
wie Abulfida (bei Anville Eclaircissemens p. 39.) behauptete, ſo
moͤchte die Endung Kanus in dem Namen der Hauptſtadt Lar-
Khanu wieder zu finden und der Name Aſſakanus zu vergleichen
ſein. Weniger paſſend ſcheint es, mit Ritter (Aſien II. p. 1095.) die-
ſen und aͤhnliche Namen auf die Endung Khan zuruͤck zu fuͤhren.
Die Erklaͤrung Tod’s (II. p. 394.) Mookh-Sehwan, d. h. the
chief of Sehwan,
ſtimmt mit der Geographie nicht uͤberein. Aus
Alexanders Operationen ſieht man, daß des Fuͤrſten Reich einen
Theil der Strominſel Tſchanduki umfaßte und ſich auch uͤber das
Oſtufer des Hauptſtromes ausdehnte.
108).
So heißt ſie bei Arrian, bei Strabo Sindo-
nalia oder Sindolia. Die Lage iſt unbekannt. Tod (I. p. 218.)
haͤlt die Indoſcythiſche Stadt Minagara fuͤr Saminagara, d. i.
Sambus Reſidenz (Nagara).
109).
Die Angaben ſind aus Ar-
rian, nur die Art der Eroberung nach Curtius IX. 8. 13. darge-
ſtellt; was er ein wenig ſpaͤter von derſelben Braminenſtadt er-
zaͤhlt, gehoͤrt einer demnaͤchſt folgenden Unternehmung an. Nach
Plutarch waren es die Braminen des Sabbas, die dem Koͤnige
Alexander in jenen beruͤhmten Sophismen antworteten, die, wie
der gebildete Arrian nicht mit Unrecht bemerkt, ohne bedeutenden
philoſophiſchen Werth, dennoch den Ruhm tiefer Weisheit im Al-
terthume gehabt haben; jedenfalls ſind ſie vollkommen charakteri-
ſtiſch, und man erkennt in ihnen die ganze Spitzfindigkeit der Di-
ſtinctionen und aͤußerlichen Verſtaͤndigkeit, in welche die Indiſche
107).
IX. 8. 12.
110).
Hierher gehoͤrt die Brachmanenſtadt Harma-
talia (Diodor XVI. 103., Curtius IX. 8. 18.), bei deren Erobe-
rung der Lagide Ptolemaͤus verwundet wurde. Die wunderliche
Erzaͤhlung von ſeinem Traume auf dem Ruhebette des Koͤnigs
ſcheint von Klitarch’s Erfindung zu ſein; wenigſtens erzaͤhlt Arrian
davon nichts, der doch deſſelben Lagiden Denkwuͤrdigkeiten vor ſich
hatte. — Abweichendes hat Strabo XV. p. 309.
111).
Arrian VI.
109).
Weisheit, wenn ſie ſich des Mythiſchen und Myſtiſchen entaͤußert,
verfallen iſt.
112).
Den Namen giebt Curtius IX. 8. 28., und nur der,
ſo daß man ſich fuͤr die Richtigkeit deſſelben wohl nicht eben ver-
buͤrgen kann.
111).
17.
112b).
Curtius IX. 7, 1., Diodor XVII. 99. der die Empoͤ-
rung bis Sogdiana ausdehnt. Beide ſagen, daß dieſe Griechen
auf dem Ruͤckwege nach Alexanders Tode von Pithon uͤberwaͤltigt
und niedergemacht ſeien, eine offenbare Verwirrung; das Wahr-
ſcheinlichere iſt im Text angedeutet.
112c).
Arrian VI. 15., Cur-
tius IX.
8. 9. Arrian ſagt, daß Pithon und Oxyartes die Satra-
pie des unteren Indus erhalten haͤtten; das ſcheint um ſo weniger
richtig, da beide nicht an einander grenzten, ſondern durch die
Satrapie des oberen Indien und Arachoſien getrennt waren; das
funfzehnte Kapitel, wo dieſe Angabe ſteht, iſt auch ſonſt noch in-
terpolirt.
112d).
Arrian VI. 27. 6.; Curtius IX. 10. 20. hat Orcinen
(Ocinen) et Tariaspen (Zariaspen) nobiles Persas;
da Arrian
nur den einen Ordanes kennt, den Kraterus auf ſeinem Wege
durch Arachoſien, Drangiana, das Ariaspenland und Choarene (ſo
folgen die Eroberungen) gefangen nahm, ſo ſcheint es nicht zu
dreiſt, bei Curtius den Fehler voraus zu ſetzen, daß er aus dem
Namen des uſurpirten Volkes den eines zweiten Empoͤrers Arias-
pes machte.
113).
Strabo ſagt XV. p. 307., Kraterus ſei „vom
Hydaspes anfangend, durch Arachoſien und Drangiana gezogen“.
Kann das bezeichnen, daß er von dem Sogdiſchen Alexandrien aus,
den Indus, den Aceſines aufwaͤrts bis zum Hydaspes ging, um
dann ſeinen Ruͤckmarſch anzutreten? Das waͤre nicht bloß ein
zweckloſer und erſchoͤpfender Umweg geweſen, ſondern der Weg haͤtte
dann weiter durch Taxiles Reich, durch die Indiſche Satrapie und
die Paropamiſaden gen Arachoſien fuͤhren muͤſſen. Strabo ſelbſt
giebt p. 313. das Richtige an die Hand, indem er als die ſuͤdoͤſt-
lichſte Landſchaft des Parthiſchen Reichs, die an Indien ſtoͤßt,
Choarene bezeichnet, und angiebt, daß durch ſie Kraterus gezogen
ſei. Natuͤrlicher iſt, daß Kraterus den Weg durch die Arachoti
ſchen Gebirge, vielleicht den von Alexandria oder Bukhor uͤber
Shikapur nach Kandahar nahm. Dieſe wichtige Paſſage durfte uͤberdieß
nicht unbeſetzt bleiben. Warum Kraterus nicht uͤber Kelat in Be-
loodſchiſtan gezogen ſein kann, ſetzt Pottinger p. 386. (Deutſche
Ueberſ.) auseinander.
114).
Diodor ſagt XVII. 105., daß Alexander aus der Wuͤſte
Gedroſiens, als er in groͤßter Noth war, dieſen Befehl gab und
daß derſelbe noch zur rechten Zeit erfuͤllt worden; aus dieſer wi-
derſinnigen Angabe laͤßt ſich das richtige Sachverhaͤltniß, das
ſich uͤbrigens auch von ſelbſt verſteht und durch Arrian Ind.
wiederholentlich beſtaͤtigt wird, zur Genuͤge ſchließen.
115).
Die
Lage von Pattala, „da, wo ſich der Indusſtrom in zwei Arme zum
Delta ſcheidet“ (Arrian), kann entweder auf die Stromſcheide von
Tatta oder auf die von Hyderabad gehen; das erſte hat Vincent
behauptet; doch widerſpricht ihm die Darſtellung Arrians durchaus.
Die Zeit der Ankunft in Pattala bezeichnet Strabo mit dem Auf-
gange (Fruͤhaufgang) des Hundsſterns, Strabo XV. p. 259.
116).
Arrian VI. 18. 3.
117).
Von Arrians verſtaͤndiger Erzaͤhlung (VI. 18.) weicht
Curtius Deklamation nicht im Weſentlichen ab. Die Stationen Alex-
anders duͤrften nicht leicht zu bezeichnen ſein, gewiß aber iſt er
nicht den ſchmalen Weſtarm von Kurachee hinab geſegelt, wie Rit-
ter gemeint hat. Vielleicht duͤrfte dieß der Kanal ſein, in den ſich
die Flotte beim erſten Eindringen der Fluth rettete; die bei dieſer
Gelegenheit von Curtius IX. 8. 30. und 9. 8. erwaͤhnten zwei Inſeln
duͤrften die ſein, welche Pottingers Karte in der Gegend von Tatta,
dicht oberhalb des Armes von Kurachee angiebt.
118).
Killuta,
Skilluſtis, Pſiltukis bei den verſchiedenen Autoren. Das Indus-
delta iſt zu großen Aenderungen unterworfen, als daß man hier
jede Localitaͤt wieder finden koͤnnte; das weiter ins Meer ragende
Oſtufer der Muͤnde laͤßt vermuthen, daß eine von den drei hier
aufeinander folgenden, durch breite Flußarme gebildeten Inſeln,
und zwar die zweite gemeint iſt. Leider iſt der Anfang von Ne-
arch’s Fahrt durch die Veraͤnderung der ihm angewieſenen Sta-
tion zu unklar, um etwas daraus entnehmen zu koͤnnen.
119).
Arrian. VI. 19.
120).
Die neueſten Berichte und Karten uͤber die Indusmuͤn-
dung wiſſen von keinem foͤrmlichen See, den ein Indusarm bildet;
der ſogenannte Lonee-Fluß, der Oſtarm, ſcheint ſeinen unteren Lauf
geaͤndert zu haben; da Alexander drei Tagemaͤrſche weit von der
Oſtmuͤndung gen Weſten vorruͤcken konnte, ſo war auf dieſer Stre-
cke von gewiß 10 bis 15 Meilen keine von den ſechs uͤbrigen Muͤn-
dungen des Indus, waͤhrend heute von der Muͤndung des Lonee
bis zur naͤchſten kaum 1½ Meile, bis zur großen Hauptmuͤndung
nicht uͤber zehn Meilen Entfernung, und dazwiſchen eine Reihe von
Strominſeln iſt. In dem ſogenannten Periplus des Arrian heißt
es p. 24. ed. Hudson von der Meeresbucht von Barace (Kutſch),
daß ſich in ihren inneren Ufern vielfache Spuren von Alexanders
Heer zeigten, und nach den Angaben von Macmurdo (Bombay
transact. II. p.
236) und von Tod II. p. 290 sqq. liegt im Oſten
120).
des Armes von Lonee Moorland, in das ſich mehrere Fluͤſſe von
Oſten her ergießen, und das in der Jahreszeit der Suͤdweſt-Muſ-
ſons ein vollkommener See wird, Aranya oder kuͤrzer Rin genannt.
Von ihm aus fuͤhrt ein breiter Ausfluß in den Meerbuſen von
Kutſch. Dieß duͤrfte die von Alexander beſuchte Gegend ſein; und
wenn Nearch bei Strabo die Baſis des Indusdelta auf 1800 Sta-
dien (45 Meilen) angiebt, ſo trifft dieß mit uͤberraſchender Ge-
nauigkeit mit unſeren Karten uͤberein, wenn man von der großen
Indusmuͤndung bis zu der Muͤndung des Sumpfes mißt. In Ar-
rians Periplus wird der Meerbuſen von Barace als gefaͤhrlich und
in ſeiner Einfurth voll Sandbaͤnke bezeichnet, und hinzu gefuͤgt,
daß ihn das Land ſuͤdwaͤrts, gen Oſten, dann gen Weſten umſchließe;
vielleicht iſt ſein Irinus der See, den Alexander beſchiffte, und der
der graͤciſirte Aranya (Tod Rajastan II. p. 295.) zu ſein ſcheint.
121).
Arrian Ind. 20.
122).
Die Zeitbeſtimmung ergiebt ſich aus folgenden Angaben:
Um die Zeit des Siriusaufganges (Ende Juli) war Alexander von
Nicaͤa aus in Pattala angekommen (Strabo XV. p. 259.); Plut-
arch zaͤhlt fuͤr die Fahrt bis hierher nur ſieben Monate, Strabo
dagegen zehn, wohl bis zum Ocean, da von Nicaͤa bis Pattala
in der That neun Monate (von Anfang November 326. bis Ende
Juli 325.) gebraucht wurden. Nearch ſegelte [den] 22. September
ab (ſiehe unten) und traf nach etwa achtzig Tagen, gegen
den 16. December in Karamanien wieder mit Alexander zu-
ſammen. Alexander war zwei Monate von der Grenze der Ori-
ten bis Pura marſchirt, vom Indus bis zu den Oriten ſind gegen
vierzig Meilen, bei den mancherlei Hinderniſſen, die ſich vorfanden,
ein Weg von mindeſtens zwanzig Tagen; von Pura bis zu dem
Orte des Zuſammentreffens iſt nicht ganz ſo weit; man darf vom
Indus bis zur Zuſammenkunft in Karamanien etwas mehr als drei
Monate rechnen, ſo daß Alexander alſo gegen Ende Auguſt aus
Pattala aufbrach.
1).
Dustibe-dulut nach Pottinger, deſſen Angaben obiger Schil-
derung zum Grunde liegen.
2).
Der Name der Provinz Luſſa hat in der Judgaliſchen
Sprache dieſe Bedeutung. Die Paͤſſe oder Lukh’s ſind gen Nor-
den die Bergſtraße (Kohen-wan ſ. Pottingers Tagebuch, 1. Februar)
gen Oſten nach Indien der von Hydrabad und Kurache, gen We-
ſten der von Hinglatz, der zum Strande hinab fuͤhrt, und der von
Bela auf der Straße gen Kedje; ſ. Pottinger p. 431. Ueberſetzung.
3).
Es waͤre intereſſant, die Truppenzahl zu kennen, die Alex-
ander bei ſich hatte; nach Arrian VI. 21. 4. koͤnnte es ſcheinen,
daß es alle Geſchwader der Ritterſchaft, alle Chiliarchien der Hyp-
aspiſten, alle Phalangen, alle berittenen Schuͤtzen und die Mehr-
zahl der Bogenſchuͤtzen geweſen ſeien: doch war dem nicht ſo; drei
Phalangen und einen großen Theil der Schuͤtzen, ferner die Kampf-
unfaͤhigen aller Waffen hatte Kraterus bei ſich, deſſen Heer ſich
ohnfehlbar auf mehr als dreißigtauſend Mann belief. Schwieriger
iſt es zu ſagen, wie viel Truppen zum Bedarf der Flotte verwendet
waren; Schloſſer rechnet, durch den Katalog der Trierarchen ver-
fuͤhrt, im Ganzen dreiunddreißig Schiffe und Vincent zweitauſend
Fahrzeuge; ich glaube, daß man nicht mehr als hundert Schiffe
und fuͤnftauſend Menſchen rechnen darf. Alexander brachte im
Jahre 327. ein Heer von etwa hundertundzwanzigtauſend Men-
ſchen nach Indien, und im folgenden Jahre kamen neue Truppen
im Betrag von ſechsunddreißigtauſend Mann nach; Krankheiten,
Gefechte, Anſiedelungen und Beſatzungen (im unteren Indien al-
lein blieben zehntauſend Mann), duͤrften das Geſammtheer bis zum
Sommer 325. wohl auf achtzigtauſend Mann zuruͤck gebracht ha-
ben, von denen demnach Alexander etwa vierzigtauſend Mann mit
ſich gehabt haben duͤrfte.
4).
Dieſes iſt nach Curtns IX. 10. 5,
der im Uebrigen, wie Diodor, fuͤr die Geographie dieſer Gegend
vollkommen unbrauchbar iſt. Von Pattala bis zum Paß von Hy-
drabad ſind etwa ſechszehn Meilen, von da bis zum Arabiusſluß
(heute Poorally) gegen zwoͤlf Meilen. Der Name der Oriten ſcheint
in dem heutigen Flecken Huruana und Hoormora (fuͤnfundzwanzig
Meilen weſtlich von der Arabiusmuͤndung) erkennbar. Die heutigen
5).
Strabo XV. p. 309., Cic. de Div. II. 66. und andere, Diodor
XVII.
103. und Curtius IX. 8. 20. verlegen die Sache in das In-
dusdelta.
4).
Bewohner der Gegend nennen ſich Urboo (cf. Vincent p. 195.).
6).
Die Lage von Rambacia glaubt Vincent und mit ihm van
der Chys in einem heutigen Orte Ram-yur wieder zu finden, der
auf Pottingers Karte nicht verzeichnet iſt. Diodor ſagt, da Alex-
ander eine Stadt zu gruͤnden wuͤnſchte, und einen ſicheren (ἄκλυςον)
Hafen und dabei eine wohl belegene Landſchaft fand, ſo gruͤndete
er daſelbſt ein Alexandria. Curtius fuͤgt hinzu, daß es mit Ara-
choſiern (vielleicht aus dem Heere) bevoͤlkert wurde. Nearchs Ta-
gebuch erwaͤhnt dieſer neuen Stadt nicht; der Weiberhafen, den er
ἄκλυςος nennt, liegt oſtwaͤrts vom Arabiusfluſſe. Daß die vierte
Alexandria bei Steph. Byz. πόλις Νεαϱτῶν und Diodors Νεωϱειτῶν
nichts anderes als Ὠϱ [...]ιτῶν bezeichnet und die von Arrian erwaͤhnte
Colonie in Rambacia iſt, haben die Erklaͤrer zu Diodor, Curtius
und Steph. Byz. erwieſen. Arrian ſagt, daß Leonnat ἐν Ὠϱοις
zuruͤckgelaſſen hat, was allerdings eine Stadt τὰ Ὦϱα bezeichnen
koͤnnte, die mit dem Haur der Morgenlaͤndiſchen Autoren uͤberein-
ſtimmt; doch ſcheint es eher das Land zu bezeichnen. — Wie weit es
gen Norden gereicht, wird nicht angedeutet, doch ſcheint der Zug der
Berge zimlich beſtimmt die Grenze gen Weſten und Norden an-
zugeben.
7).
Arrian VI. 22.
8).
Ueber dieſes Gewaͤchs ſ. Asiat. Re-
searches Vol. IV. p.
97 und 433.
9).
Man hat die Darſtellung des Zuges durch die Wuͤſte fuͤr
uͤbertrieben halten wollen. Neuere Berichte, namentlich Pottingers,
beweiſen ihre Wahrhaftigkeit, die auch ſchon der Name Nearchs
verbuͤrgen wuͤrde, aus deſſen Denkwuͤrdigkeiten Arrian und Strabo
ziemlich uͤbereinſtimmend excerpirt haben. Man vergleiche Pottin-
gers Tagebuch vom April, mit Strabo XV. p. 307 und Arrian VI.
23. Den Weg im Einzelnen zu verfolgen iſt natuͤrlich unmoͤglich,
doch ſcheint er nie uͤber die Klippenzuͤge, die bis auf 10 bis 15
Meilen von der Kuͤſte entfernt ſind, nordwaͤrts gegangen zu ſein.
Den ſchnell anſchwellenden Strom hat man fuͤr den Duſtee, der
mit dem Hindmend in Verbindung zu ſein ſcheint, halten wollen,
doch ohne gehoͤrigen Grund. Auch uͤber die Lage von Pura laͤßt
ſich nichts mit Beſtimmtheit ſagen, da der Name in Gedroſien
haͤufig zu ſein ſcheint; doch moͤchte die Gegend des heutigen Puhra
10).
Dieſe ſechzig Tage
ſcheinen im Widerſpruch mit der Angabe von den ungeheueren Ta-
gemaͤrſchen von vierhundert, ja ſechshundert Stadien, die Alexan-
der gemacht haben ſoll. Die gerade Diſtanz von der Oriter Graͤnze
bis Bunpur ſind faſt hundert Meilen, dazu die Verirrungen, das
Hinabgehen zur Kuͤſte und die Ruͤckkehr ins Innere, moͤchten den
Weg um die Haͤlfte vergroͤßert haben; das gaͤbe durchſchnittlich
auf den Tag zwei und eine halbe Meile, was ſchon hinreichend in
ſolchem Terrain.
11).
Arrian. VI. 22. 1. Apollophanes war
waͤhrend der Zeit im Kampfe gegen die Oriten gefallen. (ſ. u.)
9).
und Bunpur, faſt 30 Meilen landein, fuͤr die der alten Landesre-
ſidenz zu halten ſein, da ſie in dem fruchtbaren Theil Gedroſiens
und auf dem Wege von der Kuͤſte zum oberen Karamanien belegen
war; cf. Vincent p. 303. Der Weg Alexanders duͤrfte dann ziemlich
der des Capitain Grant, der von Bunpur und Geh bis zur Kuͤſte
hinab ging, ſein. Alexander durfte ſie hier verlaſſen, ohne fuͤr ſeine
Flotte im Weiteren ſorgen zu brauchen, da demnaͤchſt die wirth-
barere Kuͤſte von Karamanien beginnt.
12).
So berichtet Strabo XV. p. 307. nach Nearch; Arrian
in ſeinen Auszuͤgen uͤbergeht dieß und ſagt, die Flotte ſei abgeſe-
gelt, nachdem ſich die Sommer-Eteſien gelegt haͤtten; was aller-
dings richtig iſt, doch waren noch nicht die Winter-Eteſien einge-
treten, die doch Nearch abgewartet haͤtte, wenn es ihm moͤglich
geweſen waͤre. Die Zeit ſeiner Abfahrt ſetzt Strabo l. c. in den
Herbſt gegen den Spaͤtaufgang der Plejaden, der ohngefaͤhr auf den
28. September faͤllt; cf. Ideler uͤber Ovids Faſten (Abhandl. der
Berl. Akademie 1822. p. 153.) Genauer iſt die Angabe in Arrian;
der Tag der Abfahrt ſei der 20. Boëdromion, d. h. nach dem
damals herrſchenden Metoniſchen Kalender der 21. September.
Weiter heißt es: „waͤhrend zu Athen Cephiſodorus Archon war“,
wahrſcheinlich Suffectus fuͤr Antikles, den allgemein bekannten Ar-
chon dieſes Jahres. Endlich fuͤgt Arrian hinzu: ὡς δὲ Μακεδ όνες τε καὶ
Ασιανοὶ ἦγον, τύ ένδέκατον βασιλεύοντος Ἀλεξάνδ ϱου. Hier iſt nicht ſowohl
eine Luͤcke hinter ἦγον, als vielmehr der Fehler, daß der 21. Sep-
tember 325. im zwoͤlften Regierungsjahre Alexanders liegt; denn
wahrſcheinlich rechnete man in Macedonien wie ſpaͤter in Aegypten
volle Jahre, ſo daß, wenn Philipp etwa im Hyperberetaͤus (Boe-
dromion) 336. ermordet wurde, dieſes zu Ende gehende Macedoni-
ſche Jahr das erſte Alexanders, das mit dem Dius (Pyanepſion)
anfangende in deſſen zweites, ſomit der 20. Boëdromion 325. in deſſen
zwoͤlftem Jahre war. Erklaͤrt koͤnnte die obige Lesart nur ſo wer-
den, daß man annimmt, in Macedonien ſei von dem Tage der
Thronbeſteigung an gerechnet worden, Alexander aber etwa mit
dem 1. Pyanepſion 336. zur Herrſchaft gekommen, ſo daß vom 21.
bis 30. Boëdromion 325. die letzten neun Tage ſeines elften Re-
gierungsjahres geweſen waͤren; doch iſt dieß nicht wahrſcheinlich.
13).
Ich wage nicht nach Vincents trefflichen Unterſuchungen
uͤber das Einzelne dieſer Fahrt Naͤheres hinzu zu fuͤgen; ein Ver-
ſuch der Art wuͤrde uͤberdieß mehr Ausfuͤhrlichkeit, als hier erlaubt
iſt, fordern.
13b).
So erzaͤhlt Nearch (in Arrians Ind.); die Zeit dieſes Zu-
ſammentreffens laͤßt ſich durch Nearchs Reiſe beſtimmen, denn die-
ſer war am 21. September abgeſegelt, und war nach Vincents
Nachrechnung am achtzigſten Tage d. h. dem 9. December am
Anamisfluſſe gelandet; es mochte zwiſchen dem 15. und 20. Decem-
14).
Arrian. VI. 27., cf. Curtius X. 1.
13b).
ber ſein, daß er den Koͤnig wieder ſah. Schwieriger, ja unmoͤglich
iſt es, den Ort zu beſtimmen, wo Alexander lagerte. Diodor er-
zaͤhlt (XVII. 106.), Alexander habe mit ſeinem Heere in der Kuͤ-
ſtenſtadt Salmus geſtanden, und man ſei gerade im Theater ver-
ſammelt geweſen, als Nearch mit ſeiner Flotte gelandet, und ſofort
ins Theater gekommen ſei, um von ſeiner Fahrt zu berichten. In
dem Glauben, daß in dieſem allerdings ganz verkehrten Bericht
wenigſtens der Name Salmus richtig ſein duͤrfte, hat Vincent p.
306. die Vermuthung aufgeſtellt, daß dieſer Name (Sal-moun) dem
Ort Maaun der Morgenlaͤnder entſpreche. Die Hypotheſe ſcheint
zu gewagt. Der einzige Umſtand, der ungefaͤhr die Lage dieſes
Ortes bezeichnen kann, iſt, daß von ihm fuͤnf Tagereiſen, alſo etwa
funfzehn bis zwanzig Meilen bis zum Schiffslager am Anamis-
oder Ibrahim-Fluß waren. Demnach iſt es unmoͤglich, an Kerman,
Jumalee oder einen der Orte, die Pottinger auf ſeiner Reiſe be-
ruͤhrt hat, zu denken. Waͤre nicht die Orographie Karamaniens ſo
uͤberaus unklar, ſo wuͤrde man mindeſtens die Stadt Alexandria,
die hier der Koͤnig bauen ließ, mit einiger Sicherheit bezeichnen
koͤnnen; vielleicht, daß eben dort das Lager des Wiederſehens war.
Sollte vielleicht Giroft der Lokalitaͤt ohngefaͤhr entſprechen?
15).
Die oben bezeichneten Feſtlichkeiten (Arrian VII. 28. Ind.
37.) haben Veranlaſſung zu einer widerlichen Uebertreibung gege-
ben: der Koͤnig ſei ſieben Tage lang in dem wildeſten Bachanal
durch Karamanien gezogen, er ſelbſt auf einem ungeheueren, mit
acht Roſſen beſpannten Wagen, Tag und Nacht mit ſeinen Freun-
den an einer goldenen Tafel ſchmauſend, waͤhrend auf unzaͤhligen
anderen, mit purpurnen Teppichen und bunten Kraͤnzen geſchmuͤckten
Wagen die uͤbrigen Genoſſen nachfolgten, ſelbſt ſchmauſend und
zechend; an den Wegen haͤtten Weinfaͤſſer und gedeckte Tafeln ge-
ſtanden, und der Zug des uͤbrigen Heeres habe ſich taumelnd von
Faß zu Faß fortgewaͤlzt; laͤrmende Muſik, unzuͤchtige Lieder, feile
Dirnen, Phallusbilder, kurz alle erdenkliche Liederlichkeit und Ver-
16).
Hephaͤſtions Weg kann nicht unmittelbar zur Seekuͤſte gefuͤhrt
haben, da ſonſt Nearch bei ſeiner Ruͤckkehr zum Anamis nicht von
den Bergvoͤlkern uͤberfallen ſein wuͤrde (Arrian. Ind. 36.); doch
ſcheint Vincent ihn zu lange im Innern der Provinz verweilen zu
laſſen; wahrſcheinlich ging er bis Lar den Weg, den Don Garcias
de Silva Figueroa (Ambassade, traduit par Wicqfort p. 65 sq.)
beſchreibt, und von Lar aus zum Geſtade hinab.
15).
worfenheit haͤtte ſich hier vereinigt. So Plutarch, Curtius, außerdem
eine unzaͤhlige Menge von Hindeutungen in den Griechiſchen und
Roͤmiſchen Autoren. Es genuͤgt, dagegen Arrians Worte anzufuͤh-
ren. „Einige erzaͤhlen auch, was mir nicht wahrſcheinlich erſcheint,
daß Alexander auf einem Doppelwagen, mit ſeinen Getreuen zu
Tiſche ſitzend und ſchwelgend, durch Karamanien gezogen und ihm
das Heer gekraͤnzt und jubelnd gefolgt ſei; denn man habe wieder
Lebensmittel in Ueberfluß gehabt, und Alles, was zur uͤppigſten Luſt
gehoͤrt, ſei von den Karamaniern an die Wege gebracht worden; und
das alles habe der Koͤnig zur Nachahmung des Bachanals gethan,
in dem Dionyſus, nachdem er Indien unterworfen, zuruͤck gekehrt ſei.
Doch erzaͤhlt dieſes weder Ptolemaͤus noch Ariſtobul, noch irgend
ein anderer glaubwuͤrdiger Schriftſteller.“ Daß die Feſte in Kara-
manien mit hoͤchſter Pracht gefeiert wurden, verſteht ſich von ſelbſt;
aber ſo wenig wie wir in neuer Zeit, wenn aͤhnliche Feſte an Hoͤfen
der Koͤnige und Kaiſer gegeben werden, daraus boͤswillige Folgerungen
uͤber die Perſoͤnlichkeit der erhabenen Fuͤrſten machen, eben ſo und
noch weniger darf dem Herrn des Morgenlandes aus ſeiner Pracht-
liebe und großartigem Aufwand ein Vorwurf gemacht werden.
17).
Alexanders Weg ſcheint der von Edriſt bezeichnete, von
Giroft nach Faſa zu ſein.
18).
Curtius IX. 10. 21., Arrian. VI. 27.
19).
Arrian. 1.
c.
Daher war die Satrapie eine kurze Zeit ohne Verwaltung,
Arrian. Ind.
20).
Arrian. VI. 27., V. 6. 2., Curtius IX.
10. 20.
21).
Arrian. l. c. Curtius X. 1. 21.
22).
Arrian VI. 27. 6.,
Curtius X.
1.
22b).
In der Schlacht von Gaugamela nennt ihn Curtius un-
ter den Fuͤhrern; er ſagt: die Perſer, Mardier (in den Bergen
von Perſis ſ. o. p. 249. Not. 56.) und Sogdianer, (v. 1. Sog-
diani, vielleicht Suſiani) unter Ariobarzanes und Orobatis, die
den einzelnen Staͤmmen, und Orxines, der dem Ganzen vorſtand.
Arrian erwaͤhnt ſeiner bei Gelegenheit dieſer Schlacht nicht.
23).
Arrian. VI. 29., Strabo XV. p. 321.; beide nach Ariſto-
bul, der an dem Zuſtande des Grabes erkannte, daß der Einbruch
durch Raͤuber geſchehen (προνομευτῶν ἔργον ἦν) und der Satrap
ohne Schuld ſei. Nach Plut. Alex. 69. war Polymachus aus Pella,
ein ſehr vornehmer Maccdonier, der Thaͤter geweſen, und wurde
deshalb am Leben geſtraft. Vielleicht iſt προνομευτῶν genauer zu
nehmen in der Bedeutung „Fouragirende“; Polymachus konnte
dann mit einem Trupp Soldaten dieſen Frevel veruͤbt haben.
24).
So Arrian. VI. 30. Nach Curtius X. 1. 21. waͤre der Tod
des Orxines durch den Eunuchen Bagoas, der damals Alexanders
Guͤnſtling geweſen ſein ſoll, intrigirt worden, der Satrap ſoll nicht
nur unſchuldig, ſondern auch von ausnehmender Ergebenheit gegen
den Koͤnig geweſen ſein. Von Alexanders Zuneigung zu dieſem
Eunuchen hat Dicaͤarch in ſeinem Buch „uͤber das Opfer in Ilion“
(Athen. XVII. p. 603. b.) eine etwas ſtarke Geſchichte, die Plutarch
(Alex. 67.) wiederholt.
25).
Arrian. VI. 30. und ſonſt.
26).
Arrian. VI. 27., Cur-
tius X.
1. 39. ſcheint denſelben mit dem Namen Phradates zu
meinen; doch bemerke ich, daß der fruͤhere Satrap der Tapurier
Autophradates bei ihm auch Phradates heißt.
27).
Arrian. VII. 4., VI. 27. 12.
28).
Arrian. III. 6., Plut.
Alex.
10 und 35.
29).
Athen XIII. p. 586 und 595.; dieſes Sendſchreiben heißt
bald ἠ πρὸς Αλέξανδρον ἐπιςολή bald πρὸς Αλ. συμβουλαὶ, der
in demſelben verklagte Theokrit (Athen VI. p. 230 f.) iſt der Rhe-
tor aus Chios, deſſen Strabo XIV. p. 183. als politiſchen Gegner
des Theopomp erwaͤhnt, und der den Vers vom „purpurnen Tode“
ſo bitter auf Alexander anwendete. Plut. de puer. educ. c. 16. und
Suid. v. Θεόκριτος; cf. Ilgen. scol. Graecorum p. 162. Auch Ari-
ſtoteles blieb von ſeinem Spotte nicht verſchont, ſ. das Epigramm
in Eusebius praep. evang. XV. p. 793 a.
30).
Darauf bezieht
ſich die Angabe Plutarchs, daß Ephialtes und Kiſſos, welche die
erſte Nachricht von Harpalus Flucht brachten, als falſche Angeber
feſtgenommen wurden; Plut. Alex. 41.
31).
Plut. Phocion 22.
32).
Athen l. c. Curtius X. 2.; daß die Flucht des Harpalus
in dieſe Zeit gehoͤrt, verſteht ſich von ſelbſt und wird durch Dio-
dors Zeugniß (XVII. c. 108.) beſtaͤtigt.
33).
Man darf die An-
33).
gabe des Chares bei Athen. XII. p. 538. (aus ihm Aelian. VII. 7.)
mit der gleichfolgenden Beſchreibung des Audienzgezeltes nach Phyl-
arch (Athen. p. 539.) combiniren, da beide daſſelbe Gebaͤude im
Sinne haben.
34).
Ariſtobul ſagt (bei Arrian. VII. 4.) daß Alexander außer
der Tochter des Darius auch des Koͤnigs Ochus Tochter Paryſatis
geheirathet habe; dieß ſcheint nicht wahrſcheinlich; eben ſo iſt Bar-
ſine, des Artabazus Tochter und Mentors Wittwe, nie ſeine Ge-
mahlin geweſen, obſchon er in Damaskus und ſpaͤter mit ihr Um-
gang hatte; ſie lebte mit ihrem jetzt fuͤnfjaͤhrigen Knaben (Dio-
dor. XX.
20.) in Pergamum; nur Roxane war ebenbuͤrtige und
rechtmaͤßige Gemahlin Alexanders und wenigſtens im folgenden
Jahre bei ihm; der Name der Dariustochter war nach Arrian
Barſine, aber in den Handſchriften, die Photius excerpirt hat (p.
68. b.
7.) Arſinoe, waͤhrend alle anderen Autoren (Diodor XVII.
107., Plutarch Alex. 70., Curtius IV. 5. 1., Justin. XII. 10.,
Memnon apd. Phot. p. 224. a.
30.) ſie Statira nennen, wie nach
Plutarch Alex. 30. und Phylarch. ap. Athen. XIII. p. 609.b.
auch ihre Mutter hieß; vielleicht vertauſchte die Prinzeſſin eben
ſo wie einige andere Aſiatinnen bei ihrer Vermaͤhlung ihren Per-
ſiſchen Namen Statira mit einem Helleniſtiſchen. Die Amaſtrine
Arrians heißt bei Diodor XIX. 109. Ameſtris, bei Strabo XII.
p.
20. und auf Muͤnzen (ſ. Sphanhem. de usu et praest. p. 495.)
Amaſtris; die Toͤchter des Artabazus ſind außer der oben genann-
ten Barſine (Pharſine bei Syncell. p. 504.) Artakama oder Apa-
ma (Apamea) und Artonis oder Barſine, beide mit Helleniſtiſchen
Namen.
35).
Arrian. VII. 4.
36).
Dieſes Satyrſpiel Agen wurde, ſagt Athen. XVI. p. 575. e.
„zur Feier der Dionyſien am Hydaspes aufgefuͤhrt, nachdem Har-
palus bereits ans Meer geflohen und abgefallen war.“ Dies haͤtte
nur im Jahre 326 entweder im April oder Maͤrz, oder nach der
Ruͤckkehr zum Hyphaſts im Oktober ſein koͤnnen; aber gerade da-
mals ſchickte noch Harpalus neue Truppen dem Koͤnige nach;
Athenaͤus hat den Hydaspes ſtatt des Choaspes bei Suſa geſchrie-
ben; hierher gehoͤrt das Satyrſpiel. Als Verfaſſer wurde Python
von Byzanz oder von Katana, oder auch der Koͤnig genannt; der
Byzantiner Python iſt wohl zuverlaͤſſig der Redner, der ſchon mit
Philipp in naher Verbindung ſtand und in wichtigen Sendungen
von ihm gebraucht wurde; ſ. Weſtermann’s Geſchichte der Griechi-
ſchen Beredſamkeit p. 125.; witzig genug, um ein Satyrſpiel zu
dichten, ſcheint er nach der Geſchichte bei Athen. XII. p. 550. ge-
weſen zu ſein. Die zwei Fragmente aus dem Agen lauten folgen-
der Maaßen:
36).
… Es ſteht bereis da, wo der Kalmus waͤchſt,
Das Kuppel-Denkmal, an dem großen Wege links,
Der Dirne ſchoͤnes Heiligthum, nach deſſen Bau
Sich Pallides ſelbſt des Baues wegen zur Flucht verflucht.
Und als nun von den Barbaren einige Magier
Ihn dort darnieder liegen ſah’n erbaͤrmiglich,
Da verſprachen ſie dem Betruͤbten, Pythionicens Geiſt
Empor zu zaubern.
und weiterhin fraͤgt Einer:
… Hoͤren moͤcht ich wohl von dir,
Da ich von dort fern weile, wie es in Attika
Zugeht zur Zeit, und wie es ſich dort jetzt leben laͤßt.
Der Andere:
So lange ſie laͤrmten: „ein Sklaven-Leben fuͤhren wir,“
Genug zu tafeln hatten ſie da; jetzt kauen ſie
An magren Erbſen und Bollen, die Kuchen ſind zu End.
Der Erſte:
Doch hoͤr’ ich, viele tauſend Wispel Weizenmehl
Und mehr denn Agen habe ihnen Harpalus
Geſandt, und ſei zum Buͤger Athens dafuͤr gemacht?
Der Andere:
Das war der Glycera Weizen, mehr fuͤr Athen vielleicht
Ein Sterbeſchmaus als Werbeſchmaus fuͤr Glycera.
Die Bezeichnung Pallides fuͤr Harpalus, iſt eine eben ſo kraſſe
Zweideutigkeit wie das Kuppel-Denkmal (ἀέτωμα λοϱδόν) im zwei-
ten Verſe; die Erklaͤrung des Einzelnen ergiebt ſich aus dem Text.
37).
So nach Arrian. VII. 5.; Plutarch Alex. 70. ſagt neun-
hundert und ſiebzig Talente; Curtius X. 2. 10. und Diodor XVII.
109. ſprechen eigentlich von dieſer Schuldentilgung zu Suſa gar
nicht, ſondern meinen die Geſchenke an die zehntauſend aus Opis
heimkehrenden Veteranen, verwechſeln dieſe aber allerdings mit
dem, was in Suſa geſchah.
38).
Plutarch l. c.; nach Plutarch
39).
Arrian. l. c. cf. VI. 28.
38).
de fort. Alex. 2. war es Tarras, offenbar derſelbe Atarras, der
p. 294. erwaͤhnt iſt.
40).
Strabo XV. p. 299.
41).
Dieſe Beſchreibung nach Arrian. VII. 3., Aelian V. 6.,
II.
41. und Plutarch c. 69. Andere Notizen bei Philo p. 879.
(ed. Frankf. 1691.) Lucian de morte Pereg. c. 25 et c. 39.
Cicero Tusc. II. 22., de Divin. I.
23. und andere Autoren ent-
halten Unweſentliches oder Irriges.
42).
So Chares von Mi-
tylene bei Athen. X. p. 437., Plutarch Alex. c. 69. und Aelian. II.
41. Ueber den Ort der ganzen Feierlichkeit weichen die Angaben
von einander ab; Strabo XV. p. 300. ſcheint Paſargadaͤ zu mei-
nen; dieſes iſt unmoͤglich, da Nearch mit Ptolemaͤus bei dem
Scheiterhaufen den Befehl hatte (Arrian. VII. 3.). Aelian. V. 6
ſagt, der Scheiterhaufen ſei in der ſchoͤnſten Vorſtadt von Babylon
errichtet worden; dieſes iſt eben ſo unrichtig, da Alexander erſt ein
Jahr ſpaͤter nach Babylon kam, Kalanus aber im Perſiſchen Lande,
wie Arrian ſagt, oder beſtimmter in Paſargadaͤ nach Strabo er-
krankte und kurze Zeit darauf (Plutarch) den Scheiterhaufen waͤhlte.
Nur in Suſa waren die Elephanten, die mit Hephaͤſtion zogen,
und Nearch nebſt dem Schiffsheere zuſammen, und nur da kann die
42).
Todtenfeier gehalten ſein, und das ſcheint auch die Meinung Ar-
rians zu ſein. Dieſer beſchreibt erſt des Kalanus Tod, dann die
Ruͤckkehr des Atropates gen Medien und darauf die Hochzeit, ohne
die Chronologie ſtreng beruͤckſichtigen zu wollen; wahrſcheinlich
blieb doch Atropates bei dem Vermaͤhlungsfeſte ſeiner Tochter und
der uͤbrigen Fuͤrſtinnen noch in Suſa.
43).
Arrian. VII. 6., cf. Plutarch 71., Diodor XVII. 108.,
die indeß irrig die ſpaͤteren Vorfaͤlle von Suſa unmittelbar an
dieſem Punkte anknuͤpfen. Es iſt bereits von Anderen darauf auf-
merkſam gemacht worden, daß Arrian (VII. 6. 8.) dieſen Truppen
irriger Weiſe den Namen der Epigonen giebt, der vielmehr den
Kindern Macedoniſcher Soldaten und Aſiatiſcher Frauen, fuͤr de-
ren militairiſche Erziehung der Koͤnig die Sorge uͤbernahm, zu-
kommt. In aͤhnlicher Weiſe hießen hundert Jahre ſpaͤter im Heere
der Lagiden (Polyb. V. 65.) nicht die „nach Macedoniſcher Art
bewaffneten Krieger,“ wohl aber die Nachkommen der von Phila-
delphus ins Land gerufenen Galater (Schol. ad Callim. in Del.
165.) Epigonen, cf. de Lagidarum regno p. 24.; bisweilen nennt
Arrian dieſe neuen Truppen Perſer, ſie waren aber gewiß (cf. Ju-
stin. XII.
12.) aus verſchiedenen Satrapien und aus jenen
βασιλικοὶ παῖδες genommen, deren Alexander ſchon in Aegypten
ſechstauſend hatte ausheben und einexerziren laſſen, ſ. Suidas v.
44).
In welcher Weiſe ſie aufgenommen wurden, ob als eigene
Phalangen oder Ergaͤnzung der beſtehenden, iſt nicht zu erkennen.
Ueber das Zugleich iſt zwar keine ausdruͤckliche Nachricht vorhan-
den, indeß ſcheint es ſich von ſelbſt zu verſtehen.
45).
Ueber die Schreibung der Namen ſind die Erklaͤrungen
zu Arrian. VII 6. zu vergleichen. Aus der Angabe, daß dieſe
Perſer den Speer und nicht die Lanze erhielten, ſieht man, daß
ſie nicht in das Geleit der Hypaspiſten, ſondern der Ritterſchaft
aufgenommen wurden. — Hyſtaspes iſt gewiß der von Curtius VI.
2. 7. genannte Verwandte des Darius.
46).
Wir haben oben p. 240. den Eulaͤus als den Fluß von
Dez-Foul bezeichnet, der nach ſeiner Vereinigung mit dem Karvun
bei Bandikir den Namen des Fluſſes von Ahwas erhaͤlt; faſt von
der Breite des Tigris, faͤllt er unmittelbar in die See, ſ. Ebn
Haukal p. 75. ed. Ousely, Mignan travels in Chaldaea 1829. p.

297. Von dieſem Eulaͤus fuͤhrt der Kanal Kalla-el-Hafar, nach
Mignan, vierzehn engliſche Meilen lang, zum Tigris; Thevenot
und P. della Valle paſſirten ihn. Dieſer Kanal, mit dem das
Delta der Euphrat- und Tigrismuͤndungen beginnt, iſt derſelbe, auf
dem Alexander die meiſten Schiffe zum Tigris ſteuern ließ.
46b).
cf. Plinius VI. 26., cf. Mannert p. 421.; die Stadt
wurde auf einer Erdaufſchuͤttung zehn Stadien vom Meere ent-
fernt erbaut und theils mit Macedoniern, theils mit der Einwoh-
nerſchaft der fruͤher koͤniglichen Stadt Durine bevoͤlkert.
47).
Arrian. VII. 7. Ueber dieſe hoͤchſt wichtigen Waſſerbauten im
Tigris ſ. Strabo XVI. p. 338. Die Flußdaͤmme heißen bei den
Alten Katarakten, und in Beziehung auf ſie iſt der Feldzug des
Kaiſer Julian in dieſen Gegenden hoͤchſt belehrend; auch er mußte
avellere cataractas, wie Ammian Marcell. XXIV. c. 6. ſagt,
um den Koͤnigs-Kanal (Naarmalcha bei Ammian und in
neuerer Zeit) befahren zu koͤnnen. Einen Flußdamm dieſer Art
glaube ich in den Ruinen zu erkennen, die Mignan p. 30.
als die einer Bruͤcke beſchrieben und aufgezeichnet hat; es ſtehen
noch drei Pfeiler in Mitten des Stromes, mit einander durch
Mauern verbunden, ohne daß irgend eine Oeffnung zum Durch-
ſtroͤmen des Waſſers zu finden iſt; das Material iſt daſſelbe, wie
in den Ruinen von Babylon; auch Kinneir travels in Asia mi-
nor etc. p.
501. erwaͤhnt dieſes Gebaͤudes; ein Aehnliches be-
ſchreibt Niebuhr II. 243.
48).
Die Lage von Opis nehme ich
mit Rennel bei Al Howaſch an. Die Zeit der Ankunft laͤßt ſich
nicht genauer beſtimmen. Von Baſra bis Bagdad iſt zu Waſſer
48).
nach Tavernier gegen ſechzig Tage, nach Hackluit ſiebenundvierzig,
(ſ. Vinccnt p. 462.) von Suſa ſtromab bis zum Meere duͤrften
an dreißig Meilen, etwa vicr Tage ſein; dazu kam fuͤr Alexander
die Fahrt von der Eulaͤus-Muͤndung zu der des Tigris, ferner der
Aufenthalt beim Einreißen der Flußdaͤmme, dann die weitere
Fahrt von Bagdad bis El Howaſch, endlich die in dieſer Jahreszeit
gewoͤhnliche Waſſerfuͤlle und die groͤßere Schwierigkeit, ſtroman zu
fahren, ſo daß drei Monate fuͤr die Fahrt von Suſa bis Opis
nicht zu viel ſein duͤrften.
49).
Ich habe lieber die Rede bei Arrian. VII. 9 und 10., als
die bei Curtius X. 2. 15. angefuͤhrt, nicht als ob ich ſie fuͤr aͤchter
hielte, ſondern weil ſie von Arrian vielleicht nach aͤchten Motiven
geſchickt und im Sinne der Zeitumſtaͤnde und im Charakter Alex-
anders ausgearbeitet iſt.
50).
Curtius X. 4. 2.
51).
Dieſes ohne ſpeciellere Ueber-
lieferungen; was das Heer in den drei traurigen Tagen gethan,
wird von Niemand angegeben; nur Diodor XVII. 109. ſagt: in-
dem ſich der Hader ſehr vermehrte. Uebrigens hatten offenbar
alle Macedoniſchen Truppen bis auf einen Theil der Hypaspiſten
(Arrian VII. 8. 6.) und ſelbſt die Mehrzahl der Offiziere, mit Aus-
ſchluß der naͤchſten Umgebung des Koͤnigs, (Arrian VII. 11. 4.) an
der Meuterei Antheil. Der Aufſtand ſcheint in den Denkwuͤrdig-
keiten der Generale, die nach Alexanders Tode ein Intereſſe hat-
ten, dieſen Schandfleck in der Geſchichte des Macedoniſchen Hec-
res moͤglichſt zu verdecken, nicht ohne vielfache Milderung und
Beſchoͤnigung berichtet geweſen zu ſein.
52).
Dieſes etwa meinet Polyaen. IV. 3. 7.
53).
Arrian. VII. 11., Plutarch. Alex. 71., Justin. XII. 12.
54).
Arrian. VII. 12., Justin. XII. 12.
55).
Μακεδ ονίας
τε καὶ Θϱᾴκης καὶ Θετταλῶν ἐξηγεῖϑαι καὶ τῶν ῾Ελλήνων τῆς ἐλευϑεσίας.
56).
Plutarch Alex. an mehreren Stellen. Arrian. l. c. Justin.
l. c., Diodor XVII.
113. 118.
57).
Plutarch Alex. 39.
58).
Plutarch. Apophth. v. Ἀλεξ.
59).
Von
Antipaters Verbindungen mit den Aetoliern ſ. o. p. 298.
60).
Dieſes berichtet Plutarch. Alex. c. 68., Niemand ſonſt; die
Sache ſcheint problematiſch; oder, wie kaͤme es, daß Kleopatra, die
im Jahre 331 die Angelegenheiten in Epirus leitete (Lycurg. p.
203.) ſpaͤterhin Macedonien waͤhlte? Auffallend dagegen iſt, daß
nach Diodor. XVII. 108. Antipater und Olympias die Auslieferung
des Harpalus von den Athenern forderten. Ich geſtehe, uͤber dieſe
Verhaͤltniſſe zwiſchen Beiden noch nicht klar zu ſehen.
57).
Alexander forderte ihn auf, ſich mit einer eigenen Leibwache zu
umgeben, um vor den Nachſtellungen ſeiner Feinde ſicher zu ſein.
Plutarch. 39.
61).
Arrian. VII. 12.
62).
Justin. XII. 14. ſagt: „Anti-
pater habe vor Kurzem gegen die Fuͤhrer beſiegter Nationen (in
praefectos devictarum nationum
) grauſame Strafen verhaͤngt und
deshalb gemeint, der Koͤnig berufe ihn zur Strafe nach Aſien.“
Die Verwirrung in dieſer Angabe hindert nicht, etwas Wahres
hinter ihr zu vermuthen; es liegt nahe, daß dieſelben Voͤlker, ge-
gen welche Zopyrion gekaͤmpft, eben jetzt von Antipater beſiegt
worden. Gewiß iſt, daß im Fruͤhjahr 323 des Antipater Sohn
zu Alexander kam, um mehrfache Beſchwerden gegen ſeinen Vater
zu entkraͤften, die von den Betheiligten in Perſon an den Koͤnig
gebracht waren.
63).
Im Jahre 326; wer ihn verklagte, iſt nicht klar; daß er
Sieger blieb, ſieht man aus ſeiner Stellung im Harpaliſchen Prozeß.
63b).
Plutarch. apophth.
64).
Demades wurde ſpaͤterhin
wegen dieſes Vorſchlages zu zehn (Athen. VI. 251. a.) oder richti-
ger hundert Talenten, (Aelian. V. v. 12.) verurtheilt; dagegen ſiegte
er mit der Rede uͤber ſeine zwoͤlfjaͤhrige Staatsverwaltung (326)
und in dem erhaltenen Bruchſtuͤck iſt wenigſtens keine Spur da-
von, daß er die τιμὰς τῶν ἐν οὐϱανῷ dem Alexander ſchon dekretirt. Da
im Jahre 323 zum erſten Male Theoren ſaͤmmtlicher Griechen an
Alexander gehen, ſo iſt das Geſetz des Demades wohl nicht fruͤher,
als 324 zu ſetzen.
65).
Plutarch. princ. pol. p. 804.
66).
Plutarch. X Orat.
Lykurg ſagte: was iſt das fuͤr ein Gott, aus deſſen Naͤhe man
ſich nicht entfernen darf, ohne ſich zu reinigen?
67).
Dinarch.
p.
172. Demades ſoll bei der Gelegenheit geſagt haben: ſehet zu,
daß, waͤhrend ihr den Himmel huͤtet, die Erde euch nicht entriſſen
wird. Val. Max. VII. 2. 10.
68).
Aelian. V. H. 11. 19.
69).
Arrian. VII. 23. 3.
70).
Sollte ſich hierauf die wunderliche Angabe des Pauſanias
(II. 15. und VIII. 52.) beziehen, Leoſthenes habe die Griechen, die
im Solde des Darius und der Satrapen ſtanden und die Alexan-
der in Aſien habe anſiedeln wollen, bei funfzigtauſend Mann, ein-
geſchifft und von Aſien nach Europa gebracht? Leoſthenes war
von ihnen zum Anfuͤhrer erwaͤhlt (Diodor XVII. 101.) und hatte
ſpaͤterhin bei Eroͤffnung des Lamiſchen Krieges doch nur achttau-
ſend Soͤldner aufzubieten; jene Verminderung der Zahl duͤrfte ſich
auf die Heimkehr vieler Verbannten zuruͤck fuͤhren laſſen.
71).
Bekanntlich iſt uͤber die Zahl der Olympiade ſehr weit-
laͤuftiger Streit gefuͤhrt worden, indem ſie fuͤr das Todesjahr
Alexanders von großer Wichtigkeit iſt; was Ideler mit eben ſo viel
Scharfſinn als Gelehrſamkeit gegen die bekannte Oberflaͤchlichkeit
Champollions geltend gemacht hat, liegt unſerer Darſtellung
zum Grunde; die einfache Aufeinanderfolge der Begebenheiten
giebt unmittelbar dieſelben Reſultate.
72).
Diodor. XVII. 109., XVIII. 8.; Curtius X. 2.; Justin.
XIII. 5.; Dinarch. p.
169 und 175.; die in dem Heimkehrge-
ſetz Ausgenommen bezeichnet Diodor ein Mal πλὴν τῶν ἐναγῶν,
ein ander Mal πλὴν τῶν ἱεϱοσύλων καὶ φονέων. Curtius ſagt:
exsules praeter eos, qui civili sanguine aspersi erant, Juſti-
nus praeter caedis damnatos. — Man hat in der Rede de foed.
Alex.,
die ſich unter denen des Demoſthenes befindet, Beziehungen
auf dieſen Befehl Alexanders zu finden und darnach ihre Zeit be-
ſtimmen zu koͤnnen geglaubt (Beckers Demoſthenes als Redner und
Staatsmann p. 265.); mit großem Unrecht, ſie kann nur der Zeit
zwiſchen 333 und 330 angehoͤren, und iſt offenbar gehalten,
um Athen zur Theilnahme an den Krieg, der mit des Koͤnigs Agis
Tode enden ſollte, zu bewegen.
73).
Ich muß hier den p. 15.
von mir gebrauchten Ausdruck, Philipp habe nach der Schlacht
von Chaͤronea den Athenern fuͤr Samos das Gebiet von Oropus
gegeben, zuruͤck nehmen. Die Athener behielten gerade dieſe Inſel,
offenbar weil ſie mit Attiſchen Buͤrgern bevoͤlkert war, ſ. Plutarch
Alex. 28.
73b).
Athen. VIII. p. 591., Dionys. Hal. Din. c. 11.
74).
Plutarch Phoc. 21. Die Zeit duͤrfte ſich daraus beſtimmen, daß
Philokles als Strateg verklagt wird, alſo nach dem Anfange des
Attiſchen Jahres (Juli 324) den Hafen oͤffnete.
75).
Phot. p. 494. a. 30., Plutarch. Phoc. l. c., Plutarch.
Demosth.
25.
76).
Diodor XVII. 108. ſagt: von Antipater
und Olympias; bei Photius, Plutarch, (X. Oratt. Dem.) und ſonſt iſt
nur von Antipater die Rede; Pausanias II. 33. ſagt, Philoxenus
habe ſeine Auslieferung gefordert, eine Unwahrſcheinlichkeit, welche
die Angaben jener Stelle verdaͤchtigt.
77).
Hierher gehoͤrt ſeine
Rede Πεϱὶ τοῦ μὴ ἐκδοῦναι τόν Ἅϱπαλον. Dionys. Dem. 57.,
wenn anders ſie wirklich gehalten worden iſt, und nicht etwa das
Schickſal der Midiana gehabt hat. Die gleichnamige Rede, die
Dionys als dem Dinarch angehoͤrig bezeichnet, koͤnnte von die-
ſem wie alle Harpaliſchen fuͤr einen andern geſchrieben ſein.
78).
So Plutarch Dem. 25.; A. Gellius IX. 9. erzaͤhlt irrig
die Geſchichte in Beziehung auf eine fruͤhere Beſtechung des De-
moſthenes; daß der Komiker Timokles (Athen. VIII. p. 391) ſtatt
zwanzig Talente funfzig nennt, thut nichts zur Sache; der be-
ruͤhmte Witzling Korydus ſagte in Beziehung auf den Goldbecher:
„Demoſthenes, der ſonſt immer von den Helden des Bechers ſpricht,
hat jetzt den vollſten gewonnen.“ Athen. VI. p. 246. a.
79).
Diodor XVII. 109, Arrian. apd. Phot. 70. a. 12.; von Pau-
ſanias wird ein Pauſanias als Moͤrder genannt, eine zweite Ver-
daͤchtigung ſeiner kritiſch ſein ſollenden Stelle, die oben angefuͤhrt
iſt. Im Uebrigen iſt die ganze Harpalusgeſchichte von den ver-
ſchiedenen Autoren ſehr verſchieden dargeſtellt worden; aus den oft
widerſprechenden Angaben ſchien ſich ungefaͤhr das Obige mit
Sicherheit zu ergeben. Neuere Schriftſteller haben den großen
Redner von aller Schuld frei ſprechen und als einen Heiligen in
Sachen des Geldes darſtellen zu muͤſſen geglaubt, gleich als ob es
nicht moͤglich waͤre, daß ſich das groͤßeſte Genie der Beredſamkeit
mit der Helleniſchen Liebe zum Golde vertruͤge. So groß ſeine poli-
tiſche Thaͤtigkeit dem Philipp gegenuͤber, eben ſo unlauter ſind die
Mittel, deren er ſich gegen Alexander zu bedienen nicht verſchmaͤht
hat, und je mehr ſein oͤffentlicher Einfluß verliert, deſto klarer tre-
ten die Schwaͤchen ſeines Privatcharakters und des Alters in ihm
hervor.
80).
Curtius X. 2. 2., Justin. XIII. 5. ſ. den Heroldsruf des
Gorgus bei Athen. XII. p. 537
81).
Pauſanias in der oben erwaͤhnten Stelle glaubt hierin
den ſicherſten Beweis fuͤr Demoſthenes Unſchuld zu finden; Moͤg-
lichkeiten, wie Beides vereinbar, z. B. daß der Sklav nur bei Har-
palus erſtem Verſuch um ihn geweſen und nachher in Taͤnarum bei
den Schaͤtzen geblieben ſei, will ich nicht weiter aufzaͤhlen. Auf
dieſen Sklaven bezieht ſich Dinarch, wenn er (p. 165.) „von den
Sklaven, die jetzt zu Alexander hinaufgebracht ſind“, ſpricht.
82).
So wird in dem zweiten der angeblich Demoſtheniſchen Briefe
behauptet (p. 636.); gegen ſeine Aechtheit ſpricht ein kleiner Irr-
thum, den Demoſthenes ſelbſt nicht haͤtte niederſchreiben koͤnnen;
er ſagt: „ſein Ungluͤck ſei geweſen, daß er als der erſte aufgetre-
ten ſei; und was habe er denn ungeſagt gelaſſen, was doch, von
den Spaͤteren vorgebracht, zu ihrer Rettung hingereicht“. Daß vor
ihm ſchon mehrere gerichtet, bezeugt Dinarch p. 170. und nach
ihm wurde Demades (Dinarch. p. 182.) und Ariſtogiton (Dinarch.
p.
184.) verurtheilt.
83).
Plutarch X Orat. Dem.; ſtatt die-
ſes Stratokles, auf den ſich Dinarch in ſeinen Reden mehrere Male
84).
Athen.
XIII. p.
592. Die Rede des Demoſthenes πεϱὶ χϱυσίου gehoͤrt hier-
her; wenn die von Dionys. Hal. Dem. 57. fuͤr unaͤcht erklaͤrte
ἀπολογία τῶν δώϱων dieſelbe iſt, ſo kann man damit die Sage bei
Photius l. c. in Verbindung bringen, daß Demoſthenes den Spruch
nicht abwartete, ſondern die Stadt verließ. Dionys. ep. ad Amm.
l. 12. (p.
749.) ſagt, daß Letztere unter dem Archonten Antikles
(325/4) gehalten ſei; ſchon Ideler (von dem Todesjahre Alexanders
des Großen p. 281.) hat darauf aufmerkſam gemacht, daß durch
einen Irrthum Antikles ſtatt Hegeſias genannt ſei. Der Prozeß
ſcheint Anfang 323 beendet worden zu ſein.
85).
So Plutarch
X Orat. Dem.;
in der Vit. Dem. ſagt er an funfzig Talente, dreißig
giebt Photius an; das Geſchenk berechnet Dinarch auf zwanzig Ta-
lente; die Strafe des Fuͤnffachen wuͤrde hundert Talente geben; doch
waͤre nach Dinarch p. 163. das Zehnfache zu erwarten.
86).
Plutarch. Dem.
87).
Demosth. ep. 3. p. 643.
83).
bezieht, ſteht bei Phot. l. c. Prokles. Der Komiker Timokles ver-
hoͤhnt auch den Hyperides als Beſtochenen, ſeine Rede fuͤr den
Harpalus wird von Pollux X. 159. als vielleicht unaͤcht bezeich-
net. Daß Dinarch nicht unter den Klaͤgern war, ſondern die Har-
paliſchen Reden fuͤr Andere ſchrieb, iſt einer Seits ſehr wahrſchein-
lich, da ein ſo beruͤhmter Name unter denen der Klaͤger, deren
fuͤnf uͤberliefert ſind, gewiß nicht uͤbergangen waͤre, und wird an-
derer Seits durch Phot. 496. b. 22. beſtaͤtigt.
88).
Demades war allerdings im Harpalifchen Prozeß verur-
theilt, Dinarch. p. 182.; derſelbe ſagt p. 175., Demades habe offen
erklaͤrt, daß er Geld genommen und kuͤnftig nehmen werde, aber
zugleich nicht gewagt, ſich perfoͤnlich vor Gericht zu ſtellen, (αὐτοῖς
δεῖξαι τὸ πϱόσωπον) noch der Anzeige des Areopags gegenuͤber ſich
weiter zu vertheidigen. Er hatte der Unterſuchung gemaͤß ſechs-
tauſend Stateren (hundert Talente) empfangen; mochte er ſo reich
ſein, daß er einſt gegen das Geſetz hundert fremde Taͤnzerinnen
auf die Buͤhne fuͤhren und fuͤr jede das geſetzliche Strafgeld von
tauſend Drachmen gleich mitbringen konnte, ſo mußte ihn doch
die fuͤr Beſtechungen geſetzliche Strafe des Fuͤnf- oder gar Zehn-
fachen vollkommen zu Grunde richten; er haͤtte, wenn er nicht zah-
len konnte, ins Gefaͤngniß gehen muͤſſen. Statt deſſen findet man
ihn ſechs Monate ſpaͤter bei der Nachricht vom Tode Alexanders
auf der Rednerbuͤhne, Plutarch Phoc. 22.; vielleicht daß ihm, aus
Ruͤckſicht auf Alexander und auf deſſen Verwendung, vom Volke,
etwa wie dem Laches dem Sohn des Melanopus (Demosth. ep. III.
p.
642) die Strafe erlaſſen worden; erſt nach Alexanders Tode
bricht ſein Anſchen zuſammen, wegen drei oder gar ſieben Para-
nomien (Diodor. XVIII. 18., Plutarch. Phoc. 26.) wurde er ver-
urtheilt, und, da er nicht zahlen konnte, ἄτιμος. Unter dieſen Pa-
ranomien wird wohl die zur Vergoͤtterung Alexanders eine Haupt-
ſtelle eingenommen haben; zehn Talente dafuͤr, wie Athenaͤus angiebt,
waͤren ihm zu zahlen leicht geworden; die hundert Talente bei Ae-
89).
Lykurg war
bereits vor den Harpaliſchen Prozeſſen geſtorben (Plutarch. X
Orat. Hyperid. cf.
Boͤckh’s Staatshaushalt II. p. 244.). Ueber die
politiſche Lage Athens in dieſer und der naͤchſtfolgenden Zeit hat
Grauert in ſeinen Analekten das Ueberlieferte mit gluͤcklicher Sorg-
falt zuſammen geſtellt; indeß iſt der gelehrte Forſcher durch ſeine
politiſche Anſicht, zu der ich mich nicht bekennen kann, bisweilen
zu kleinen Ungenauigkeiten veranlaßt, die ich bezeichnen muß, um
nicht eben ſo ungerecht gegen Athen zu ſcheinen, wie er es gegen
Alexander iſt. Namentlich meint er, daß Athen ſchon jetzt in
heimliche Unterhandlungen mit den Soͤldnerſchaaren auf Taͤnarum
getreten und mit den Waffen in der Hand ſich dem Macedoniſchen
Einfluß zu widerſetzen Willens geweſen ſei; er laͤßt vermuthen,
daß Hyperides dieſe Verhandlungen leitete. Allerdings iſt bei
Photius p. 459. b. 34. ſtatt συνεβούλευσε καὶ τὸ ἐπὶ Ταίναϱον
ξενικὸν διαλῦσαι aus Plutarch. X. Orat. Hyp. zu ſchreiben μὴ
διαλῦσαι, aber eben daher ſieht man, daß dieſes in fruͤherer Zeit
und aus Freundſchaft zu Chares, nicht zu Leoſthenes geſchehen ſei;
jene Unterhandlungen und heimliche Ruͤſtungen begannen μήπου
καλῶς ἐγνωσμένης τῆς Ἀλεξάνδϱου τελευτῆς, Diodor XVIII. 9.;
erſt bei der ſicheren Nachricht vom Tode des Koͤnigs erfolgten die
88).
lian kommen der Wahrſcheinlichkeit naͤher.
89).
Geld- und Waffenſendungen von Athen aus (l. c.), die derſelbe
Diodor XVII. 111. ſchon einmal erwaͤhnt hat. Daſſelbe wuͤrde
ſich auch von ſelbſt verſtehen, wenn man die Folgen des Harpali-
ſchen Prozeſſes bedenkt; Demades leitete den Staat, Hyperides, zu
aller Zeit ſchwankend und ohne politiſchen Muth, war ſeit Jahr
und Tag dem Demoſthenes und ſeiner Parthei entfremdet, Phocion
war ſelbſt nach Alexanders Tode gegen den Krieg; wer alſo haͤtte
jene Verhandlungen beantragen und leiten ſollen, wer unter den
Augen des Demades und bei der beſorglichen Stimmung der Athe-
ner, wie ſie der große Prozeß offenbarte, ſolchen Vorſchlag beim
Volke oder im Rathe zu machen gewagt, zumal da die wohlhabende
Klaſſe in Athen (die κτηματικοὶ bei Diodor l. c.) auch ſpaͤterhin
dem Kriege entſchieden abgeneigt war?
90).
cf. Athen. VI. p. 231. e.
91).
Stahr Aristot. II. p. 116. cf. Plutarch. de fort. Alex. I.
92).
Justin. XIII. l. c. intpp.
93).
O. Muͤller Orchomenos
p. 57.
94).
Plutarch de fort. Alex. II.
95).
Juſtin. l. c.
96).
Aristot. Oecon. II. p. 1352. sq.
97).
Demosth. in Dionys. p. 491.
98).
Plutarch. apophth.; derſelbe ſagt in dem erſten Aufſatze
uͤber das Gluͤck Alexanders: er durchzog Aſien nicht Banditen-
maͤßig, noch war er Willens, es als einen Raub oder als die Beute
eines unverhofften Gluͤckes zu zerreißen oder zu zerfleiſchen.
99).
Hieronymus in Daniel. IX. 8.
100).
Appian praof. 10.
1).
So Isidor. Charac. p. 5. Da ich dieſen Weg Alexanders
zum Gegenſtande einer beſonderen Abhandlung machen werde, ſo
uͤbergehe ich an dieſer Stelle genauere Unterſuchungen; ich bemerke
nur, daß Diodor (XVII. 110.) der etwas Genaueres von dieſem
Wege giebt (bei Arrian iſt hier die Luͤcke vor VII. 13.) den Zug
von Suſa bis Opis gaͤnzlich auslaͤßt und ſo erzaͤhlt, als ob Alex-
ander von Suſa aus den Mediſchen Weg eingeſchlagen; daher die
mancherlei Fehler in Weſſelings und Mannerts Kritik.
2).
Noch
heute heißt der an Sculpturen reiche Weſteingang der Paͤſſe
Tauk-i-boſtan, Bogen des Gartens, [und]Diodor II. 13. erzaͤhlt, daß
Semiramis bei dem Berge Bagiſtanos einen Garten von zwoͤlf
Stadien im Umkreis anlegen und den Berg mit Bildhauerarbeit
ſchmuͤcken ließ. Die Inſchriften, die man noch auf denſelben fin-
det, und die Sylveſter de Sacy ſo ſchoͤn erklaͤrt hat, bezeichnen die
Koͤnigsgeſtalten in dieſen Sculpturen als die der Koͤnige Shapur
und Beheram.
3).
Es iſt die Ebene von Beiſittun, vor dem Ausgange jenes
Felſenweges, der durch die Liebe des ungluͤcklichen Fahrat zur ſchoͤ-
nen Schirin im Morgenlande ſo beruͤhmt iſt.
4).
Weder Pto-
lemaͤus noch Ariſtobul erzaͤhlte davon, Arrian. VII. 13. Die Ue-
bertreibungen ſtammen von Klitarch her, Strabo IX. p. 420., cf.
Plut. Alex.
41. Den ſchoͤnen Mythos von den Amazonen ſuchte
die aufgeklaͤrte Zeit hiſtoriſch beſtaͤtigt zu finden, und es iſt denk-
bar, daß der Mediſche Satrap nach vielfacher Nachfrage etwas den
Amazonen Aehnliches, was er in ſeiner Satrapie fand, dem Koͤnig
vorfuͤhrte. Denn die Frauen in den ſogenannten wandernden Staͤm-
men der Berge ſind freier, kuͤhner und kraͤftiger, als ſonſt die
Aſiatinnen, ſie nehmen an allen Wagniſſen und Gefahren der Hor-
den thaͤtigen Antheil; und Malcolm (II. p. 446. der Ueberſetzung)
erzaͤhlt als Augenzeuge ein intereſſantes Beiſpiel von der Kuͤhnheit
und Gewandheit, mit der ein Kurdiſches Maͤdchen ein Roß tum-
melte. Plutarch nennt die Autoritaͤten fuͤr und wider die Amazo-
nengeſchichte; Oneſikrit, der zu den aͤrgſten Luͤgnern gehoͤrt, las
einſt dem Koͤnige Lyſimachus die betreffende Stelle aus dem vier-
ten Buche ſeiner Denkwuͤrdigkeiten vor, worauf Lyſimachus ſagte:
„wo muß ich denn damals geweſen ſein!“
5).
Plutarch. Eum. 2.
6).
Plutarch. Alex. 39.
7).
Das etwa laͤßt ſich aus Plut-
arch. Eum.
2. und den erſten zwei Zeilen nach der Luͤcke Arrians
(VII. 13.) entnehmen.
8).
Die Zeitbeſtimmungen ergeben ſich
9).
Ich zweifle nicht, daß hie-
her des Polybius Notiz zu ziehen iſt (X. 4. 3.), Medien ſei viel-
fach mit Griechiſchen Staͤdten verſehen, nach der Anordnung des
Koͤnigs Alexander.
9b).
Polyb. X. 17.
10).
Polyb. l. c.
Diodor II.
15.; in Beziehung auf neuere Angaben verweiſe ich
auf die oben angekuͤndigte Abhandlung.
8).
aus Diodor XVII. 110., der auf den Marſch von Opis bis Ekba-
tana einige funfzig Tage zaͤhlt.
11).
Dieſes iſt wahrſcheinlich der Metalleut Gorgus, deſſen
Strabo in der oben (p. 414.) citirten Stelle erwaͤhnt.
12).
Ephippus apd. Athen. XII. p. 538., wo der Satrap Satrabates
heißt. Plutarch Alex. 72.
13).
Arrian VII. 14. Widerwaͤrtig iſt
die mediciniſche Mikrologie des Plutarch, fuͤr die ich mich uͤbrigens
14).
Diod. XVII. 110. 114. Arrian ſagt in ſeiner verſtaͤndigen
und wuͤrdigen Weiſe (VII. 14). „Vielerlei wird uͤber die Trauer
Alexanders berichtet, aber Alle ſtimmen uͤberein, daß ſie ſehr groß
geweſen; was er aber gethan, erzaͤhlt jeder anders, je nachdem er
Vorliebe fuͤr Hepbaͤſtion oder Neid gegen ihn und den Koͤnig ſelbſt
hegt. Die nun Uebermaͤßiges berichten, von denen haben, wie
es mir ſcheint, die einen den Koͤnig zu erheben gemeint, wenn ſie
ihn in Worten und Handlungen uͤbermaͤßig trauerud zeigen bei
dem Leichnam dieſes ihm vor allen theuren Mannes, die andern
aber ihn zu verkleinern, als ob er ſich weder ſeiner noch der Ma-
jeſtaͤt des Koͤnigthums wuͤrdig in der Trauer gezeigt habe; die
Einen ſagen, er habe ſich den ganzen Tag hindurch uͤber der Leiche
gewaͤlzt und gejammert, und die Freunde haͤtten ihn mit Ge-
walt hinweg reiſſen muͤſſen, — Andere, er habe den Arzt an das
Kreuz heften laſſen, weil er ſchlechte Arzneien gegeben, (ſ. Plutaech)
er habe es nicht ſehen wollen, daß Hephaͤſtion von dem Ueber-
maaß des Weines geſtorben ſei; daß Alexander eine Trauerlocke
auf den Sarg geweiht, ſcheint mir uͤberhaupt und beſonders als
Nachahmung deſſen, was Achill an Patroklus Grabe that, wahr-
ſcheinlich; daß er aber ſelbſt den Trauerwagen gefahren, iſt un-
wahrſcheinlich. Andere erzaͤhlen, er habe das Heiligthum des Askle-
pios in Ekbatana zerſtoͤren laſſen; das waͤre barbariſch und nicht
nach Alexander, ſondern nach Xerxes geweſen. Wahrſcheinlicher iſt
13).
nach der Kritik Arrians (VII. 14. 6) nicht verbuͤrge; er ſagt (Alex.
72.)
da Hephaͤſtion als junger Mann und Soldat mit der Diaͤt
nicht ſo genau war, und, waͤhrend ſich ſein Arzt entfernt hatte,
beim Fruͤhſtuͤck einen gebratenen Hahn aß und einen großen Becher
Wein trank, ſo verſchlechterte er ſich ſo bedeutend, daß er bald darauf
ſtarb.
15).
Arrian. Diodor.
14).
mir die Erzaͤhlung, daß, als auf dem Wege gen Babylon viele
Geſandtſchaften aus Hellas zu Alexander kamen, und unter dieſen
auch die von Epidaurus, wo das beruͤhmte Heiligthum des Asklepios,
ſo habe er ihnen gewaͤhrt, was ſie wuͤnſchten, außerdem ein Weihge-
ſchenk fuͤr ihren Gott gegeben und geſagt: hat auch der Gott nicht
freundlich an mir gethan, daß er mir den Freund nicht errettet, den
ich wie’mein eigen Haupt liebte, ſo will ich ihn doch ehren! Ferner
ſchreiben die Meiſten, daß er den Hephaͤſtion als Heroen zu verehren
befahl; Andere fuͤgen hinzu, er habe an das Ammonium geſandt,
nm auzufragen, ob es geſtatte, dem Hephaͤſtion als einen Gott zu
opfern; und das ſei nicht erlaubt worden.“ So wert Arrian:
unleidlich iſt das Geſchwaͤtz des Plutarch; er ſagt, nach welchen
Autoritaͤten, kann man aus Arrians Kritik abnehmen; „Vor
Trauer verlor [Alexander] faſt ſeinen Verſtand, er ließ allen Pfer-
den und Maulthieren zum Zeichen der Trauer Schweif und Maͤhne
ſcheeren, und in den Staͤdten des Landes die Zinnen von den Mauern
brechen; — und um ſich zu zerſtreuen ging er gegen die Koſſaͤer
gleichſam zu einer Menſchenjagd, ließ die ganze Voͤlkerſchaft nieder-
machen und nannte das ein Todtenfeſt fuͤr Hephaͤſtion.“ Eben ſo
unſinnig iſt die Geſchichte von dem Samier Agathokles, die Lucian
in dem Buche „Vom Mißtrauen gegen Verlaͤumdungen“ erzaͤhlt.
16).
Arrian VII. 15. Diodor. XVII. 112. XIX. 20; Plntarch.
Strabo XVI. P. 345; Polyaen IV. 3.31.
Ihre Wohnſitze ſind im Nor-
17).
Arrian.
VII.
15. 6. Daß unter den Geſandten, wie Diodor verſichert, Hel-
lenen waren, ſagt Arrian an dieſer Stelle nicht, es laͤßt ſich aber
aus VII. 14. 12. ſchließen.
16).
den von Suſiana, und beſonders an den Quellen des Eulaͤus, wo
auch der Weg gen Suſa durch ihre Berge fuͤhrt.
18).
Diod. XVII. 113., der freilich von den zwei ſpaͤteren Ge-
ſandtſchaften aus Hellas nichts weiter erwaͤhnt. Die Erwaͤhnung
der Hetruriſchen Geſandten in der Art mit den Roͤmiſchen zu
combiniren, wie es Niebuhr (Roͤm. Geſch. III. p. 194) thut, hat
viel fuͤr ſich; uͤbrigens koͤnnten Tyrrhneiſche Geſandten uͤber die
benachbarten Celten geklagt, uͤber Seeraͤuberei verhandelt haben.
19).
Ueber die Geſandtſchaft der Roͤmer iſt Niebuhrs Kritik
erſchoͤpfend; das Zeugniß Klitarchs (Plin. III. 9.), das dem treff-
lichen und fuͤr Roms Ehre eifernden Arrian entgangen iſt, verbun-
den mit der Angabe Strabos (V. p. 376) uͤber die Seeraͤuber von
Antium, laͤßt keinen Zweifel uͤbrig. Ueberhaupt hat man ſich den
politiſchen Verkehr der damaligen civiliſirten Welt viel lebhafter
zu denken, als es gewoͤhnlich geſchieht.
20).
Zwar fuͤgt hier
Arrian ſein „man ſagt“ hinzu, indeß iſt die Sache in ſich ſo wahr-
ſcheinlich und durch ein ſpaͤter zu erwaͤhnendes Faktum wenigſtens
theilweiſe ſo ſicher geſtellt, daß man nur annehmen kann, Ptole-
maͤus und Ariſtobul ſeien es muͤde geweſen, den Katalog der Ge-
ſandtſchaften genauer zu geben. Diodor ſagt: aus Afrika kamen die
Geſandten der Karthager, der Libyphoͤnicier und der Kuͤſtenvoͤlker
bis zu den Saͤulen des Herakles.
21).
Mit Recht hat Naeke die Lesart Καϱχήδονα. in Aristoph.
Equit.
174 vertheidigt und auf dieſes Karthagiſche Projekt ge-
deutet; es iſt der Lieblingsgedanke der ultrademokratiſchen Parthei
in Athen, der Culminationspunkt der Attiſchen Macht. Mit Fleiß
habe ich im Text die ſehr nahe liegende Ruͤckſicht auf Handels-
verbindungen nicht anregen moͤgen, indem es noch nicht erwieſen
iſt, daß ſchon damals der unmittelbare Verkehr zwiſchen den Phoͤ-
niciſchen Colonien und dem eigentlichen Hellas bedeutend geweſen.
22).
Dieſer Heraklides war, wie es ſcheint, des Koͤnigs Arche-
laus Enkel. In ſeinem Auftrage jene weitere Beſtimmung eines
Scythenzuges zu ſuchen, veranlaßt mich außer der Wahrſcheinlich-
keit, welche die Sache an ſich hat, das von Arrian (VII. 1. 3,)
erwaͤhntes Geruͤcht.
23).
Von Angaben dieſer Art iſt das ſchoͤne Ende der Plutar-
chiſchen Biographie voll, und Arrian (VII. 16, 13) ſagt: „ich meine,
Alexander haͤtte wohl lieber vor Hephaͤftion ſterben, als ihn uͤber-
leben moͤgen, nicht minder wie Achill lieber vor Patroklus geſtor-
ben, als Raͤcher ſeines Todes geworden waͤre.“ Sollte die ſchoͤne
Herme von Tivoli (Visconti Jcon. pl. 36), welche durch den Ernſt
und die Ermattung in der Phyſionomie ſo entſchieden von der
ſonſtigen Tradition des Alexanderkopfes abweicht, vielleicht nach
einem Bilde aus dem letzten Lebensjahre des Koͤnigs ſein?
24).
Nach Plutarch und Diodor ließen die Chaldaͤer, die ſich fuͤrch-
teten mit Alexander zu ſprechen (?), den Admiral Nearch ihre
Warnungen uͤberbringen, der allerdings ſchon mit der Flotte ein-
getroffen war.
25).
Dieſe Angabe hat Diod. XVII. 112. Plutarch ſagt, der
Koͤnig habe auf die Warnung der Chaldaͤer gar nicht geachtet;
als er ſich aber der Mauer genahet, habe er eine Menge von Ra-
ben mit einander im heftigen Kampfe geſehen, von denen mehrere
todt neben ihn niederfielen. Juſtin ſagt, das ſei in Borſippa ge-
weſen; doch lag dieſe heilige Stadt auf dem Weſtufer des Euphrat.
26).
Pluf. Alex. 73. Arrian. VII. 18.
27).
Dieß iſt aus der
Erwaͤhnung bei Diod. XVII. 113. klar.
28).
Plut. 74. Arrian VII. 19. nennt beſonders eine Artemis
Euklaria (dieſe Emendation Ellendt’s ſcheint die beſte) und die
Heroenbilder des Harmodius und Ariſtogiton, deren Helmſendung
ich nach Arrian III. 16. 13. bereits oben p. 232 erwaͤhnt habe.
29).
Arrian VII. 17. 4. Strabo XVI. p. 336. Nach Mignan bezeich-
net nicht der Nimrodsthurm, ſondern Mujellibah die Stelle des
Belustempels.
30).
Unzweifelhaft irrt Arrian mit ſeiner Angabe uͤber die
Entfernung dieſer Inſel von der Euphratmuͤndung in der Art, wie
es Mannert bezeichnet: wenigſtens iſt Srabo XV. p. 381, dem ich
in der Karte gefolgt bin, vollkommen klar.
31).
Nach Strabo XV.
p.
382. lag Tylos oder Tyros eine Tagereiſe von dem Vorgebirge
Maceta, zehn von Teredon (Diridotis) in den Euphratmuͤndungen;
freilich findet ſich dort keine Inſel, die man groß nennen koͤnnte.
32).
Schon Mannert hat dieß Vorgebirge in dem Korondanum
des Ptolemaͤus, dem heutigen Kuriat, wieder erkannt, und es ſcheint
ein Irrthum des Oneſikrit, wenn er gemeint hat, das ſei dieſelbe
Landſpitze (Maceta), die man bei der Fahrt von Indien her im
Weſten geſehen habe (Arrian Ind. 23).
33).
Dieſer Kanal, deſſen
Namen Strabo, obſchon er den Bau an demſelben erwaͤhnt, nicht
nennt, ſcheint von Edriſi p. 304 bezeichnet zu werden, wenn er
ſagt: „Von dem Caſtell Ebn-Hobaira ergießt ſich der Euphrat
uͤber die Landſchaft Kufa, indem ſich ſeine Ueberfuͤlle in einen See
ſammelt.“ Dieſer See Rumyah, der zu Anfang des ſiebzehnten
Jahrhunderts noch nicht trocken lag, iſt auf Rennels Karte von
Babylonien genauer verzeichnet.
34).
Dieſe Stadt, die den Namen Alexandrien erhielt, lag
wohl ungefaͤhr an der Stelle des heutigen Mesjid Ali (Hira). Ich
bemerke, daß Mignan auf dem Wege von Bagdad nach den Ruinen
von Babylon an einem Kanale Truͤmmer fand, die gleichfalls
den Namen Iskanderich trugen; die alten Schriftſteller kennen dort
keine Stadt Alexanders.
35).
So berichtete Ariſtobul. (Arrian VII. 22); andere Schrift-
ſteller ſagen, der Matroſe ſei wirklich hingerichtet worden; noch
andere berichten, Seleukus habe das Diadem geholt und um ſeine
Schlaͤfe gewunden, ein großes Zeichen der Macht, die er einſt ge-
winnen ſollte.
36).
Arrian VII. 23. 4. sqq. Sonderbarer Weiſe
iſt dieſe Neuerung des großen Koͤnigs ſtets uͤbergegangen worden,
und dennoch darf man behaupten, daß ſie in der Geſchichte der
Taktik eine der merkwuͤrdigſten Erſcheinungen iſt; ſie verbindet
alle Vorzuͤge der Legion mit denen der fruͤheren Phalanx; Feſtig-
keit, Maſſenwirkung, Beweglichkeit, und vor Allen fuͤr die leichten
37).
Das darf wohl aus
Diod. XVIII. 4. entnommen werden.
36).
Truppen Sicherung und ſchnellſte Verwendbarkeit, das ſind die
Vorzuͤge der neuen Aufſtellung, die freilich nie Gelegenheit finden
ſollte, ſich im Gefecht zu bewaͤhren.
38).
Arrian VII. 24 nach Ariſtobul, Diodor. XVII. 116. Plutarch.
74 mit einzelnen Abweichungen; dieſe Geſchichte begab ſich wenige
Tage vor den Opfern, die das Ende des Mai ausfuͤllten.
39).
Arrian VII. 23. 7.
40).
Die Schilderung des Scheiterhaufens, wie ſie ſich bei Dio-
dor findet, iſt zu wenig techniſch, um danach eine Zeichnung
des Gebaͤudes mit einiger Sicherheit entwerfen zu koͤnnen; die
beruͤhmten [Entwuͤrfe] von Quatremère de Quincy ſind alles, nur
nicht im Geiſt der Helleniſchen Architektar.
40a).
So nach
Arrian VII. 23. 8; dagegen ſagt Diod. XVII. 115, daß das Ammo-
nium goͤttliche Ehre zu weihen und ihn als πάϱεδϱος (emendirt aus
Lucian. de cal. non cred. 17) anzuflehen geboten habe; fuͤr das
40a).
erſte ſpricht auch die Angabe, daß Kleomenes von Aegyten dem
Verſtorbenen ein Heroon in Alexandrien und ein anderes auf der
Inſel Pharos errichtete; die Nachricht hiervon und von andern
Ehrenbezeigungen, die der Satrap fuͤr Hephaͤſtion erfunden, ſandte
er an den Koͤnig, deſſen Zorn er wegen mehrerer Bedruͤckungen
fuͤrchtete, und erhielt ein hoͤchſt ehrenvolles Dankſchreiben von Sei-
ten Alexanders, in dem es unter andern hieß: „wenn ich hoͤre, daß
du die Heiligthuͤmer Aegyptens gut beſorgſt und namentlich fuͤr
das Heroon des Hephaͤſtion ſorgſt, ſo will ich das fruͤhere Unrecht
vergeſſen und wegen deſſen, was du noch kuͤnftig verfehlſt, ſollſt du
von mir nichts Leides erfahren.“ Selbſt Arrian faͤllt uͤber dieſe
Antwort des Koͤnigs ein hartes Urtheil, und in der That, wenn
Alexander durch nichts als das Wohlgefallen an jenen Ehren des He-
phaͤſtion beſtimmt worden waͤre, muͤßte man erſtaunen, in ihm ei-
nen Fuͤrſten des gewoͤhnlichen Schlages zu ſehen. Ich bin uͤber-
zeugt, daß tiefere Gruͤnde obwalteten: jedenfalls war Kleomenes ein
ausgezeichneter Finanzier und ein hoͤchſt brauchbarer Verwaltungs-
Beamter; ſeine Satrapie war fuͤr die zunaͤchſt bevorſtehenden
Feldzuͤge von der hoͤchſten Wichtigkeit, und er, im Aegyptiſchen
Lande geboren, kannte das Land wie kein anderer; ja vielleicht
machten es die Verhaͤltniſſe unmoͤglich, ihn zur Nechenſchaft zu
ziehen, vielleicht haͤtte ein Zeichen koͤniglicher Ungnade genuͤgt, ihn
zur Flucht zu veranlaſſen und die großen Schaͤtze, die er geſam-
melt, waͤren der Satrapie und dem Koͤnigthume entriſſen geweſen.
Dieſe Dinge liegen auf der Oberflaͤche; wie viele geheimere und
eigenthuͤmlichere Verhaͤltniſſe koͤnnen noch obgewaltet haben, das
Schreiben des Koͤuigs nothwendig zu machen.
41).
Plutarch. Alex. 75. Athen. X. p. 432. Arrian VII. 24. Ich er-
waͤhne hier die unſinnige Muthmaßung, daß Alexander bei Me-
dius Gift, das Ariſtoteles angegeben und Kaſſander gebracht, er-
halten habe; ich werde in der Geſchichte der Diadochen Gelegen-
helt haben, die Entſtehung dieſer Sage naͤher zu eroͤrtern.
42).
So nach den authentiſchen Tagebuͤchern, die von Eumenes
und Diodotus verfaßt waren; wenn Ariſtobul den 13. Juni bezeich-
nete, ſo ſcheint er entweder geirrt oder minder genau geſchrieben
zu haben. Die vielgeruͤhmten Reden, die der Koͤnig auf ſeinem
qualvollen Sterbebett gehalten haben ſoll, ſind nicht von hiſtori-
ſcher Wahrſcheinlichkeit; oder wuͤrde er bei der Frage, wer ihn beer-
ben ſollte, im Angeſicht des Todes mit etwas froſtiger Emphaſe
„der Wuͤrdigſte“ geſagt, und nicht lieber, wenn er noch an das
Irdiſche denken und daruͤber ſprechen konnte, eine klare und ver-
ſtaͤndige Antwort, von der das Wohl einer Welt abhing, gegeben
haben? Andere noch unſinnigere Dinge, die aus dem Sterbenden
einen Theaterhelden machen, uͤbergehe ich. Nach einer Sage war
Roxane in den letzten Tagen um Alexander. —

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TextGrid Repository (2025). Collection 1. Geschichte Alexanders des Großen. Geschichte Alexanders des Großen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjww.0