Critiſcher, Poetiſcher,
und anderer geiſtvollen
Schriften,
Zur Verbeſſerung
des Urtheiles und des Witzes
in den Wercken
der Wohlredenheit und der Poeſie.
Bey Conrad Orell und Comp.1742.
Fortſetzung
Der
Echo
Des
Deutſchen Witzes.
[[4]][5]
V.
Eroͤrterung
der Frage:
Wie ferne die Koͤniginn von Saba,
und der Koͤnig Herodes mit der Chriſt-
lichen Religion einen Zuſammen-
hang haben?
ES iſt nichts in der Welt ſo wunderlich,
das man nicht von einem boͤſen Scri-
benten, der durch eine Satyre in Wuth
gebracht iſt, vermuthen muͤſſe. Leute dieſer
Art wiſſen in ſolcher Angſt nicht, was ſie thun.
Sie ſehen, daß jedermann ihre Thorheit er-
kennt, und daß niemand iſt, der ſich ihrer an-
nimmt. Wenn ſie dann nicht wiſſen, wo ſie
ſich hinwenden ſollen, ſo faſſen ſie aus Ver-
zweifelung die Hoͤrner des Altars. ‒ ‒ ‒ ‒
Man darf ſich nicht wundern, warum die noth-
leidenden Scribenten ihre Verfolger, mit de-
nen ſie nicht auskommen koͤnnen, allemahl ei-
ner Gottloſigkeit beſchuldigen. Dieſes iſt un-
ſtreitig das gemaͤchlichſte, ſicherſte und kraͤftig-
ſte Mittel, ſeinen Feind zu unterdruͤcken, und
man koͤmmt weiter damit, als wenn man ſich
in einen ordentlichen Kampf einlaſſen wollte.
A 3Es
[6]Echo
Es gleicht, wie ein gewiſſer Scribent ſagt,
einer Mine, durch welche der Feind, ehe er
ſichs verſiehet, in die Luft geſprenget wird,
und es iſt ſelten ohne Wuͤrckung.
Liſcov Bl. 209.
DJe chriſtliche Religion iſt eine Lehre der
Wahrheit zur Gottſeligkeit. Der Lehrbe-
griff derſelben iſt ein Zuſammenhang der erha-
benſten theoretiſchen und practiſchen Wahrhei-
ten, welche die Vernunft, nachdem ſie einmahl
geoffenbaret worden ſind, nicht genugſam be-
wundern kan. Dieſe heilſamen Lehrſaͤtze gruͤn-
den ſich auf gewiſſe hiſtoriſche Begebenheiten,
ohne welche ſie weder gruͤndlich erkennt; noch
derſelben Wahrheit und Goͤttlichkeit ſattſam er-
wieſen werden kan. Daher leget die H. Schrift,
in welcher die goͤttliche Offenbarung enthalten
iſt, auch eine hiſtoriſche Erzehlung zum Grund
voraus, die mit denen geoffenbareten Wahr-
heiten in einem genauen Zuſammenhange ſtehet.
Daraus laͤßt ſich aber keineswegs ſchlieſſen, daß
alle abſonderlichen Geſchichten, die in den Heil.
Schriften erzehlet werden, eine gleich nahe und
nothwendige Verbindung mit dem Weſentlichen
in der Religion haben; zumahlen da einige der-
ſelben nur als Nebenumſtaͤnde zu betrachten ſind,
welche alleine in der Abſicht angefuͤhret werden,
um der gantzen Erzehlung einen mehrern Grad
der Wahrſcheinlichkeit mitzutheilen, und dieſelbe
in
[7]des deutſchen Witzes.
in ein helleres Licht zu ſetzen. Von dieſer Art
iſt z. B. alles, was hier und da beylaͤuftig von
der Bosheit, Liſt und Gewalt der geſchwornen
Feinde und Verfolger der Wahrheit angebracht
wird. Alle dieſe abſonderlichen Begebenheiten
haben eine bloß zufaͤllige Verbindung mit der
Religion. Die Wahrheit wuͤrde immer Wahr-
heit geblieben ſeyn, wenn ſie ſchon von niemand
waͤre angefochten oder verfolget worden. Da
nun aber die Predigt von Jeſu, die den Juden
ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit
geweſen, ungeachtet alles Widerſpruchs und al-
ler Gewalt, in der Welt uͤberall ſieghaft durch-
gedrungen, ſo ward dadurch offenbar, daß die-
ſer Sieg uͤber den Unglauben und den After-
glauben ein Werck der goͤttlichen Kraft geweſen
ſey. Mithin da die Abſicht dieſer Feinde und
Verfolger keineswegs geweſen iſt, den in den
goͤttlichen Abſichten gegruͤndeten Triumph der
Wahrheit zu befoͤrdern, oder durch ihren Wi-
derſtand deſto herrlicher zu machen; ſondern
vielmehr denſelben durch Liſt und Gewalt zu hin-
tertreiben, und zu verdunckeln; ſo wird hoffent-
lich kein Verſtaͤndiger verlangen, daß man, we-
gen dieſes fuͤr die Wahrheit ſo vortheilhaften
Erfolges, von den boshaften Abſichten dieſer
Feinde und den angewendeten an ſich ſelbſt hoͤchſt-
ſtrafbaren Mitteln gelinder, als es die Natur
der Sache erlaubet, oder noch gar mit einer
andaͤchtigen Ehrerbietung dencken und reden ſoll.
Die Religion iſt die koͤſtlichſte Gutthat, die Gott
dem menſchlichen Geſchlechte gegoͤnnet hat, weil
A 4ſie
[8]Echo
ſie alleine ihm den Weg zu einer wahren Gluͤck-
ſeligkeit anweiſet. Nun iſt es freylich nicht nur
eine unbeſonnene Thorheit, ſondern eine rechte
Unſinnigkeit, mit ſolchen Dingen Schertz zu
treiben, die unſre ſorgfaͤltigſte Ueberdenckung
und Bemuͤhung erfodern, und von denen unſre
Gluͤckſeligkeit lediglich abhaͤngt. Und wenn ich
der Religion uͤberhaupt ein ſolch ehrwuͤrdiges
Anſehen zuſchreibe, ſo begreiffe ich darunter al-
les, was mit derſelben einen nothwendigen Zu-
ſammenhang hat, alles, was dienet, ſie be-
liebt und anſehnlich zu machen, oder die Aus-
uͤbung derſelben zu befoͤrdern. Bey dieſem al-
lem aber wird es mir kein Vernuͤnftiger verden-
ken, wenn ich behaupte, daß nicht alle Stuͤcke
der Hiſtorie, die in der Heil. Bibel erzehlt wer-
den, eine gleichnothwendige Verbindung mit
der Religion haben, und hiemit auch in Anſe-
hung ihrer Moralitaͤt nicht eine gleiche Ach-
tung und Ehrerbietung verdienen. Die Heil.
Scribenten erzehlen eine wahrhafte Geſchichte,
mit allen Umſtaͤnden, wie ſie ſich verlauffen hat;
eine Geſchichte, welche uns in deutlichen Bey-
ſpielen die grimmigſte Wuth der unglaubigen
Welt, und den haͤftigſten Widerſtand, den die
Wahrheit jemahls erlitten hat, vor Augen le-
get. Sie beſchreiben darum auch dieſe Feinde
und Verfolger nach ihrem wahren Character;
ſie entdecken uns ihre boshaften Anſchlaͤge und
Raͤncke, ihre verkehrten Grundſaͤtze und Schluͤſſe,
ihre verdammlichen Luͤgen und Laͤſterungen u. ſ. f.
Wahrhaftig nicht in dem Abſehen, uns eine
Ehr-
[9]des deutſchen Witzes.
Ehrfurcht, ſondern einen Abſcheu fuͤr dieſelben
einzujagen. Wer demnach behaupten wollte,
daß alles, was in der Heil. Bibel erzehlet wird,
eine gleich nothwendige Verbindung mit der
Religion habe, und eben darum, weil es in
der Bibel ſtehet, fuͤr was heiliges und geweihe-
tes muͤſſe geachtet werden; der wuͤrde ſich auf
dieſen Grund gemuͤſſiget ſehen, die boshafteſten
Luͤgen, die greulichſten Laͤſterungen, die ſchand-
barſten Unternehmungen, die grauſamſten Tha-
ten der Feinde der Wahrheit niemahls anderſt,
als mit der andaͤchtigſten Ehrerbietung zu erwaͤh-
nen, und den Teufel ſelbſt zu canoniſieren. Pon-
tius Pilatus ſtehet auch in der Chriſten Credo,
aber als ein ungerechter Richter, und als ein
abgeſagter Feind der Wahrheit; und man wuͤr-
de ſich laͤcherlich machen, wenn man denjenigen
fuͤr einen Religions-Spoͤtter ausſchreyen wollte,
der dieſen ungerechten Richter neben der Canzel
ohne eine andaͤchtige Mine etwann bey Anlaſſe
eines ſeiner Amtsnachfahren mit ins Spiel zie-
hen wuͤrde. Koͤnnte man nicht in ſolchem Falle
mit eben ſo gutem Recht die ſcheinheilige Antung
thun, die der Leipzigiſche Kunſtrichter in dem
Herbſtmonat ſeiner Beluſtigungen in der 13ten
Anmerckung Bl. 267. mit einem rechten Amts-
eifer gethan hat, und ſagen:
„Dieſe Gelehr-
„ſamkeit iſt aus Matth. XXVII. ‒ und aus den
„XII. Artickeln des Chriſtl. Glaubens. Jch
„will mich mit demjenigen nicht aufhalten, was
„nicht allein von den ſo genannten theologiſchen
„Sauertoͤpfen, ſondern auch von manchem
A 5„ver-
[10]Echo
„vernuͤnftigen Weltmanne ſchon ſo oft geſagt
„worden iſt, daß ein kluger Spoͤtter, der mit
„ſeinen luſtigen Einfaͤllen wuͤrcklich hochgeſchaͤzt
„zu werden ſuche, ſich allezeit, wenn er auch
„die gantze Welt antaſte, doch von dem, was
„mit der Religion einen Zuſammenhang hat,
„in einer gewiſſen Weite entfernt halten muͤſſe:
„Sonſt muͤſſe er ſich gefallen laſſen, daß ihn
„hitzige Eiferer einen Religionsſpoͤtter nennten:
„Leute von kaͤlterer Natur aber ſagten, daß,
„wenn er gleich die Religion vielleicht nicht eben
„laͤcherlich zu machen ſuche, er ſich doch wenig-
„ſtens auch nicht viel aus der Religion mache.
„Jch ſetze nur dieſes hinzu: Die Schrift iſt uns
„einmahl zu dem allerernſthafteſten Zwecke, und
„nicht zum Luſtigthun und Laͤcherlichmachen, ge-
„geben worden.„ ꝛc. ꝛc.
Dieſe Strafpredigt iſt in der That hoͤchſtbe-
gruͤndt, und in unſren Tagen, da ein unver-
ſchaͤmter Spottgeiſt in die Welt ausgegangen,
wohl zu gebrauchen: Aber ſie bleibt dabey in
ihrer beſondern Anwendung auf dem angefuͤhr-
ten Blatte hoͤchſtungerecht, und eine Art der
Verleumdung, ſo lange nicht erwieſen iſt, oder
erwieſen werden kan, daß Pontius Pila-
tus, Herodes, und die Koͤniginn von Saba,
darum weil ſie in der Heil. Bibel angefuͤhrt wer-
den, mit der Religion einen nothwendigen Zu-
ſammenhang haben. Was das Exempel Hero-
des insbeſondere angehet, ſo hat der Heil. Ge-
ſchichtſchreiber Matthaͤus die erſchreckliche Ge-
ſchichte von dem betlehemitiſchen Kindermorde
aus
[11]des deutſchen Witzes.
aus gantz beſondern und eben denen Abſichten
erwaͤhnet, aus welchen man glaͤubt, daß der
juͤdiſche Geſchichtſchreiber Joſephus dieſelbe mit
Stillſchweigen uͤbergangen habe. Aber damit
hat er die grauſame und unmenſchliche That die-
ſes Tyrannen weder entſchuldigen, noch zu einem
Stuͤcke der Religion einweihen wollen. Ob nun
gleich Herodes dieſes blutige Vorhaben nicht
ſelbſt in eigener Perſon ausgefuͤhrt, ſondern die
Bewerckſtelligung deſſen ſeinen Schergen und
Buͤtteln anbefohlen, ſo wird dennoch von ihm
geſagt, er habe alle Kinder zu Betlehem getoͤ-
det. Welche Ausdruͤckung den allgemeinen
Grundſatz zum Grund hat; daß einem dasjeni-
ge, was er durch andere, als ſeine Untergebe-
ne und Jnſtrumente hat ausfuͤhren laſſen, mit
Recht als eigen koͤnne zugeſchrieben werden. Da
ich nun dieſen allgemeinen Grundſatz gegen Hrn.
D. Triller angewendet, ſo habe ich zur Erlaͤute-
rung, als ein aͤhnliches Beyſpiel von der Impu-
tatione facti alieni, eben dieſes Exempel des
Herodes angefuͤhrt, und mein Abſehen in der
Vergleichung nicht ſo faſt auf die moraliſche Be-
ſchaffenhett dieſer beyden Handlungen, als viel-
mehr auf die Aehnlichkeit der Zurechnung gerich-
tet. Was hat aber dieſes fuͤr einen Zuſammen-
hang mit der Religion, wenn ich ſage: Hero-
des hat etwas durch andere bewerckſtelligen laſ-
ſen; und es wird ihm mit Recht, als ob er es
ſelbſt gethan haͤtte, zugerechnet: Hr. D. Tril-
ler hat gleichfalls etwas durch andere thun laſſen;
ſo kan es ihm mit demſelben Recht als ſeine ei-
gene
[12]Echo
gene That zugeſchrieben werden. Was hier-
naͤchſt das Exempel der Koͤniginn von Saba an-
langet, ſo habe ich ſelbiges zum Beweisthum
angefuͤhrt, daß es ſolche Lobredner gebe, die,
wie Horatz ſagt, Laudes alicuius culpa ingenii
deterunt, die mit aller ihrer Wohlredenheit
das erhabene Lob eines Salomons bey weitem
nicht erreichen. Jch hatte dabey noch eine be-
ſondere Urſache, dieſes Beyſpiel der Lobredner
Salomons in Abſicht auf Hrn. D. Triller vor
andern zu erwehlen, weil er naͤmlich ſich auf ſei-
ne botaniſche Wiſſenſchaft, die er auch den leb-
loſen Geſchoͤpfen in ſeinen Fabeln leihet, nicht
viel weniger als ein anderer Salomon einbildet.
Jch hatte daher nicht ohne Urſache beſorget, es
moͤgte mir in Anſehung Hrn. D. Trillers wie
den Lobrednern Salomons bey der Koͤniginn
von Saba ergehen, naͤmlich daß der Augen-
ſchein meine Lobeserhebungen beſchaͤmen moͤgte.
Nun muß ich aber bekennen, daß ich bisdahin
nicht gewußt habe, daß dieſe Lobredner Salo-
mons Heilige von dem erſten Range geweſen
ſind, und daß ſich kein anderer Menſch ohne ei-
ne offenbare Religionsſpoͤtterey mit denſelben
vergleichen darf. Was zulezt das bey den Ju-
den ſo gewohnte Vorurtheil, daß aus Galilaͤa
und insbeſondere aus Nazareth nichts vortreff-
liches herkommen koͤnne, antrift, ſo iſt dieſes,
ob es gleich in der Bibel ſtehet, und von dem
Leipzigiſchen Tartuͤffe mit zu der Chriſtl. Reli-
gion gerechnet wird, eine unvernuͤnftige und
recht laͤcherliche Meinung geweſen, welche auch
von
[13]des deutſchen Witzes.
von den Heiden ſelbſt verworffen worden, wie
aus dem bekannten
zu erſehen iſt. Zeiget nun dieſes nicht die Schwaͤ-
che des ſcheinheiligen Aberglaubens, da man aus
einem bloͤden Unverſtande dergleichen laͤcherliche
Meinungen der heiligſten und vernuͤnftigſten Re-
ligion ſelbſt in die Rechnung ſchreibet? Heißt
dieſes nicht, profana ſacris mixta perinde ha-
bere, welches zu allen Zeiten der Character ent-
weder dummer, oder leichtſinniger, oder bos-
hafter Menſchen geweſen iſt?
VI.
[14]Echo
VI.
Von der
Critiſchen Hoͤflichkeit
Einiger hochdeutſcher Kunſtrichter.
DAs wichtigſte, was der unſichtbare Ver-
faſſer der Anmerckungen in dem Auguſtm.
der Monatlichen Beluſtigungen zur
Vertheidigung ſeiner beleidigten poetiſchen Hel-
den zu wiederholten mahlen angebracht, und
womit er die bittern Wahrheiten, die ihnen von
den Zuͤrchiſchen Kunſtrichtern in ihren Schriften
zu kauen gegeben worden, verhaßt zu machen
ſuchet, beſtehet in einer kahlen Beſchuldigung
einer ſchweitzeriſchen Unhoͤflichkeit, baͤuriſchen
Grobheit und Unbeſcheidenheit, die er ſo oft
und mit ſolcher argliſtiger Kunſt und Dreuſtig-
keit vorbringet, daß er zulezt ſelbſt vergißt, daß
dieſes ſein Vorgeben nichts weniger als eine
baare Wahrheit ſey. Denn die unverſchaͤmte-
ſten Beſchuldigungen dieſer Leute empfangen ihr
groͤſtes Gewicht und ihr meiſtes Anſehen von der
Wiederholung und der angenommenen Zuver-
ſicht, womit dieſelben ausgeſprochen werden.
Jch halte in Anſehung billiger Leſer, die nicht
geneigt
[15]des deutſchen Witzes.
geneigt ſind, auf anderer Leute Worte und gute
Treue und Glauben, ohne genugſamen Beweis
und eigene Pruͤffung etwas arges von ihrem
Naͤchſten zu dencken, vor gantz unnoͤthig, den
Ungrund dieſer Beſchuldigung weitlaͤuftig zu
entdecken; die Schriften der Zuͤrichiſchen Kunſt-
richter ſind in jedermanns Haͤnden, und werden
begierig geleſen: Wer nur die Faͤhigkeit und den
Willen hat, ſelbſt zu unterſuchen, wie ferne ſie
Lob und Tadel nach Verdienen ausgetheilet ha-
ben, und ob ſie in dem Tadel allzu ſcharff und
unbeſcheiden geweſen ſeyn, der bedarf keines
fremden Berichts, um einen billigen Entſcheid
davon zu geben. Was aber ſolche Leſer ange-
het, die entweder zu unvermoͤgend oder zu un-
geduldig ſind, mit ihren eigenen Augen zu ſehen,
und die deswegen ihr Urtheil andern gleichſam
verpachtet haben, die verdienen nicht, daß man
ſich Muͤhe gebe, ſie zu noͤthigen, daß ſie ſich vor
muthwilligem Betruge in Acht nehmen. Nur
kan ich hier nicht unberuͤhrt laſſen, daß dieſe
critiſche Schriften der Schweitzer das Gepraͤge
einer unparteyiſchen Gerechtigkeit mit ſich zu
fuͤhren ſcheinen, angeſehen dieſelben eben ſo viel
Eifer blicken laſſen, die Vollkommenheiten ei-
nes Poeten zu erheben, als ſeine Fehler zu ruͤ-
gen; und die ſo oft eingefuͤhrten Exempel der
zween beruͤhmten deutſchen Poeten Hr. Koͤnigs
und Hr. Brockes zeigen genugſam, daß es ih-
nen eben ſo viele Luſt und Vergnuͤgen gebe, das,
was ſie in eben derſelben Schrift fuͤr gut erken-
nen, zu loben, als das Fehlerhafte darinnen
zu
[16]Echo
zu tadeln: von welcher Billigkeit man eben nicht
gar haͤufige Exempel bey den deutſchen Kunſt-
richtern antreffen wird. Allein da die critiſche
Gerechtigkeit der Schweitzer bisdahin unange-
fochten geblieben, und die ungebetenen Ver-
fechter des deutſchen Witzes ſich nicht getraut
haben, einen einzigen Lehrſatz oder eine critiſche
Beurtheilung derſelben abſonderlich anzugreif-
fen; ſo will ich hier zum Schutz ihrer angefoch-
tenen Beſcheidenheit in der Art des Vortrages
den unſichtbaren Verfaſſer der Leipzigiſchen An-
merckungen offentlich herausgefodert haben, daß
er aus allen denen critiſchen Wercken, welche
die Zuͤrichiſche Kunſtrichter im Jahre 1740. ans
Licht geſtellt haben, und die zuſammen gegen die
zweyhundert Bogen ausmachen, die unhoͤflichen,
unbeſcheidenen, und anzuͤglichen Redensarten
und Ausdruͤckungen zuſammenleſe, auf die er
ſeine Beſchuldigung gruͤnden will. Dadurch
wird dann offenbar werden, daß dieſe Beſchul-
digung ohne Grund, und nur eine boßhafte Ver-
leumdung ſey. Dafern er aber dieſe Anklage
der Grobheit und Unbeſcheidenheit nur auf das
Abſonderliche ziehen, und von der groͤſtentheils
ironiſchen Art des Vortrags, deren ich mich in
meinen Anmerckungen zu dem Trilleriſchen Er-
gaͤntzungsſtuͤcke bedienet habe, wollte verſtan-
den haben; ſo hat ers mit mir, als ſeinem Er-
gaͤntzungsſtuͤckler, abſonderlich auszumachen:
Und da wuͤrde ich wahrhaftig an dem guten Men-
ſchen alle Muͤhe und Arbeit verlieren, wenn ich
ihn von der Natur und der Freyheit der ironi-
ſchen
[17]des deutſchen Witzes.
ſchen Schreibart unterrichten, oder ihn ſonſt
uͤberzeugen wollte, daß der Hamburgiſche Zei-
tungsſchreiber und Hr. Prof. Gottſched keine
groͤſſere Ehrerbietung und Hoͤflichkeit verdienet
haͤtten. Jch will ihn darum lieber ſeinem ver-
kehrten Sinne uͤberlaſſen, und mich zu dem un-
parteyiſchen Leſer wenden, denſelben mit aller
Hoͤflichkeit, deren ein Schweitzer faͤhig iſt, zu
bitten, daß er doch ſo billig ſeyn, und zuvor in
dem XXIV. St. der Crit. Beytr. den IV. Art.
in Abſicht auf des Verfaſſers deſſelben (Hrn.
Prof. Gottſcheds) Hoͤflichkeit und Gerechtig-
keit mit Bedacht durchleſe, eh er meine daruͤber
gemachten Anmerckungen einer liebloſen und un-
beſcheidenen Grobheit verdaͤchtig haͤlt. Jch bin
ſicher, daß er in Vergleichung der beyderſeitigen
Schreibart meinen Anmerckungen die relatife
Gelindigkeit und Hoͤflichkeit in dem Ausdrucke
nicht abſprechen, und daß er mehr Urſache fin-
den wird, in meiner Verantwortung den Man-
gel, als den Ueberfluß, an Ernſthaftigkeit und
Lebhaftigkeit zu tadeln. Jch darf auch mit Keck-
heit ſagen, daß die critiſche Sprache der Hoch-
deutſchen Kunſtrichrer in der Unbeſcheidenheit auf
einen ſolchen Grad der Vollkommenheit hinan-
geſtiegen, daß ich ſie fuͤr einen Schweitzer fuͤr
allerdings unnachahmlich halte. Jch verlange
nicht, daß man mir auf mein bloſſes Wort Glau-
ben zuſtelle; ich will es mit Anfuͤhrung ſo vieler
Exempel beweiſen, daß auch der hartnaͤckigſte
Zweifler wird geſtehen muͤſſen, daß dieſelbigen,
naͤmlich diejenigen, mit denen ich zu thun habe,
[Crit. Sam̃l. VI. St.] Bdenn
[18]Echo
denn die unſchuldigen geht dieß alles nichts an,
an critiſcher Grobheit und Unbeſcheidenheit alle
andern, auch die groͤbſten Nationen der Welt,
noch weit hinter ſich zuruͤcke laſſen.
Jn dem Urtheile von Hrn. Doctor Heumanns
uͤberſezten Rede Ciceronis vor den T. A. Milo
kommen in dem VI. St. der Beytraͤge Bl. 530.
u. f. folgende hochdeutſche critiſche Hoͤflichkeiten
vor:
„Einer Hauptſtelle darf ich nicht vergeſſen,
„welche Hr. Heumann ſo uͤbel gehandelt hat,
„daß es mich faſt erbarmet.„ 2.) „Er hat un-
„terſchiedene Saͤtze, welche gantz unertraͤglich
„ſind. Kein Deutſcher hat jemahls vor ihm ſo
„geſchrieben, der den Vorſatz gehabt hat, ge-
„leſen und verſtanden zu werden. Er hat alſo
„in dieſer gewiß ſchweren Schreibart das Eis
„gebrochen.„ 3.) „Noch ein Satz iſt uͤbrig,
„darinn ſich Hr. Heumann ſelbſt uͤbertroffen
„hat: Er wuͤrde viel von ſeiner Schoͤnheit ver-
„liehren, oder doch wenigſtens gantz und gar
„nicht zu verſtehen ſeyn, wenn das lateiniſche
„nicht dabey ſtuͤhnde.„ 4.) „Hier hat den Hrn.
„Doctor ohne Zweifel ein menſchlicher Fehler
„uͤbereilet, daß er ſeines Verſprechens voͤllig
„vergeſſen hat. Denn wenn er ſich deſſen haͤtte
„entſinnen koͤnnen, waͤre es ihm wohl unmoͤglich
„geweſen, einen ſolchen ſeltſamen und uͤbelge-
„ſtalteten Satz vor ſein Werck zu erkennen?„
5.) „Wir hoffen bald eine andere Rede mit dem
„Geiſte uͤberſetzet von ihm zu leſen, den er in
„dieſer Probe mit Fleiſſe ſcheinet aufs kuͤnftige
„geſparet zu haben.„
Jn
[19]des deutſchen Witzes.
Jn dem XIII. St. dieſer Beytraͤge, wo eben
dieſes Hrn. Doctor HeumannsVI. Reden Ci-
ceronis beurtheilt werden, habe ich folgende aus-
nehmende critiſche Formeln der hoch deutſchen
Hoͤflichkeit angetroffen, die man ſich zur Nachah-
mung bemerken kan.
1.) „Der Hr. D. hat ſchon
„vor zwey Jahren einen feinen Verſuch gethan,
„wie weit Cicero im Deutſchen unkeñtlich zu ma-
„chen ſey.„ 2.) „Der Hr. D. geberdet ſich nicht
„anders, als ob er noch einen von ſeinen Schuͤ-
„lern vor ſich haͤtte, dem er einen derben Ver-
„weis geben muͤßte. Er iſt boͤſe, er ſchilt, er
„ſtrafet, er warnet, er ermahnet, er ſchwa-
„zet von Muthwillen, er leget mir neue Auf-
„gaben vor, er redet mich oͤfters an: Glaube
„er ja nicht, mein lieber Hr. Magiſter.„ 3.)
„Es iſt mir nie in den Sinn gekommen, an
„dem Hrn. D. Heumannen Ehre einzulegen.„
4.) „Bey meiner Beurtheilung habe ich mich
„freylich nicht darum bekuͤmmert, wie alt ſeine
„Beſtallung ſey.„ 5.) „Jn der gantzen Vor-
„rede herrſchet der Pilatismus literarius, der
„den Verfaſſer gantz durchſaͤuret hat; Was
„dieſer geſchrieben hat, das hat er geſchrieben,
„und das iſt unwiderruflich.„ 6.) „Das muß
„ich glauben, weil er es ſelbſt ſagt! Jch goͤnne
„ihm und ſeinem Hrn. Bertram ihre Ohren
„gern.„ 7.) „Die arme Ueberſetzung iſt an
„ſich elend genug, man muß ſie wohl bekla-
„gen; aber haſſen kan man ſie nicht.„ 8.)
„Mein wohin verleitet doch den Hrn. D. der
„blinde Pilatismus, und die ungemeine Be-
B 2„gierde
[20]Echo
„gierde der Unfehlbarkeit nicht? Nun muß
„ich erſt lachen, da mir der Hr. D. ſolche ſau-
„bere Quellen zeiget! Aus dem heiligen Le-
„xico ſoll ich lernen, ‒ ‒ ꝛc.
Jn dem IV. St. der Beytraͤge finde ich einen
gantzen Artickel, in welchem dieſe hochdeutſche
Hoͤflichkeit gegen den Hrn. Wocken, Conrector
auf dem koͤnigl. Gymnaſio zu Neu-Stettin ver-
ſchwendet wird. Jch will nur ein Paar Stellen
zur Probe anfuͤhren:
1.) „Er hat dieſes ge-
„ringe Werck, (welches Beywort ich ihm aus
„Furcht einer ſtrengen Antung nicht ſtreitig ma-
„chen darf,) vor junge Gemuͤther geſchrieben,
„die kein judicium haben.„ 2.) „Man wird
„in den Exempeln uͤberhaupt dasjenige kaum
„antreffen, was ein nothduͤrftiger Versma-
„cher brauchet, die Sylben uͤber Hals und
„Kopf in Reimen zu bringen.„ 3.) „Da iſt
„alles kalt, ſchlaͤfrig, matt, kriechend und
„niedertraͤchtig.„
Jn dem XXIV. St. koͤmmt ein neues Muſter
von dieſer critiſchen Hoͤflichkeit zum Vorſchein,
in der Beurtheilung uͤber Hrn. Prof. D ‒ ‒
Abhandlung vom oratoriſchen Froſt.
1.) „Wir
„erſehen daraus, daß gegenwaͤrtiger Froſt den-
„noch auch einigen Nutzen mit ſich gebracht
„habe, da er die Feder des Herrn Prof. zu ei-
„ner Ausfuͤhrung gelencket hat, die ſonſt allem
„Anſehen nach der gelehrten Welt unentdeckt
„geblieben ſeyn wuͤrde. Und gewiß dieſe Schrift
„duͤrfte ihrem Leſer bey weitem nicht ſo gut ge-
„fallen haben, wenn ſie in den Hundstagen
„ge-
[21]des deutſchen Witzes.
„geſchrieben waͤre, als itzo, da ſie im Winter
„bey einem ſo ſtrengen Froſte zum Vorſchein
„gekommen iſt. Wir ſchmeicheln uns daher
„mit der Hoffnung, es werde der gelehrte Hr.
„Verfaſſer, da er ſich ſo gut in die Zeit zu ſchi-
„ken weis, in den kuͤnftigen Hundstagen uns
„etwas von dem oratoriſchen Feuer zu leſen ge-
„ben: Wozu wir ihm dann die gewohnliche
„Muſſe abermahls nicht mißgoͤnnen wollen.„
2.) „Der erſte Anblick des Titels machte ſchon,
„daß ich mir einbildete, ich ſaͤhe ein Meiſterſtuͤck
„aus der werthen Pegnitzer-Geſellſchaft, oder
„aus der Schule Philipp Zeſens. Die Jahr-
„zahl aber uͤberfuͤhrte mich, daß ich was neues
„ſaͤhe. ꝛc.„ 3.) „Jch will nach dieſem Mu-
„ſter auf eine unwiderſprechliche Art recht ma-
„thematiſch darthun, daß ein Reifenrock keine
„Schlafmuͤtze ſey.„
Der Verfaſſer des IVten Art. in dem XXI.
St. der Crit. Beytraͤge beſitzet dieſe hoͤfliche
Sprache der deutſchen Critick in einem hohen
Grade. Proben davon koͤnnen ſeyn, da er von
dem ungenannten Verfaſſer der reimfreyen Ue-
berſetzung der Aeneis folgendergeſtalt urtheilet:
1.) „Jch wuͤrde um deswillen ſeine Fehler nicht
„gut heiſſen, wenn er gleich ſeine Ahnen ſo
„weit herholen wollte, als derjenige, von deſ-
„ſen Stammvater Juvenal auf die lezte ſpricht:
„Hoffentlich wird es kein Schulmann ſeyn, der
„ſolche Fehler wider die griechiſche Proſodie
B 3„bege-
[22]Echo
„begehen kan. Denn wer hat ihm die Erlaub-
„niß gegeben, das η kurtz zu machen, da es
„doch ſchon ſo viele Jahrhundert hindurch lang
„geweſen iſt, und auch in Ewigkeit alſo blei-
„ben wird.„ 2.) „Es will ihm gar nicht in
„den Kopf, daß er ſchlechtere Verſe machen
„ſoll, als ein anderer. ‒ ‒ ‒ Er glaͤubt,
„daß er der groͤſte Poet, und daß ſeine Ueber-
„ſetzung die beſte ſey. Deswegen ſchreyet er
„uͤber lauter Ungerechtigkeit.„ 3.) „Nun-
„mehro bringt er etwas vor, woruͤber er ſich
„billig zu ſchaͤmen Urſach haͤtte.„ 4.) „Wann
„ich mich nicht ſchaͤmte, leere und abgeſchmackte
„Poſſen vorzubringen, ſo koͤnnte ich ſagen: Er
„habe die Pallas zu einer wilden Sau gemacht,
„denn ſie wuͤhlet das Meer auf, und von den
„wilden Schweinen ſagt man auch, ſie wuͤh-
„len.„
Von Hrn. Damms Ueberſetzung der Briefe
des Fuͤrſten Cicerons werden folgende hoͤfliche
Beurtheilungs-Formeln geſchickt angebracht.
1.) „Hrn. Damms zwoͤlfjaͤhriger Fleiß wird
„alle gordiſche Knotten aufloͤſen.„ 2.) „Er
„wird finden, daß dieſe vier Zeilen Worte ohne
„Saft und Kraft ſind, und ohne Vermoͤgen
„ſich einen Begriff davon zu machen.„ 3.)
„Wenn wir alles unterſuchen wollten, es wuͤr-
„den wenig Briefe hingehen, wo der Hr. Con-
„rector uns nicht anzeigen wuͤrde, wie ſchwer
„es ſey, ſich vor Fehlern zu huͤten.„ 4.)
„Wenn etwann der deutſche Priſcianus gar
„ſchlecht bewillkommet worden, ſo ſtehet den-
„noch
[23]des deutſchen Witzes.
„noch zu deſſen Troſte eine weitlaͤuftige Ent-
„ſchuldigung auf der Seite.„ 4.) „Die An-
„merckungen ſcheinen mehrentheils aus den
„Woͤrterbuͤchern genommen zu ſeyn. ‒ ‒ ‒
„Es wird auch aus dem ſo beliebten Schatze
„des Fabers viel hergeholet worden ſeyn.„
Und in dem XXIII. St. der Beytraͤge wird
Hr. Conrector dann mit folgenden critiſchen
Complimenten beehret.
1.) „Gleichwohl wenn
„der Hr. Conr. recht haben will, ſo habe er
„recht.„ 2.) „Dieſes ſagen wir aber nicht,
„um den Hrn. D ‒ zu verbeſſern, ſondern nur
„um ein wenig ſeinen Zorn zu ſtillen, oder zu
„haͤuffen.„ 3.) „Wenn uns der Hr. Conr.
„den Unterſchied unter einem ſubtilen und plum-
„pen Videri aus ſeinen Randgloſſen, die er
„vielleicht zu Langens Grammatick geſchrieben,
„haͤtte mittheilen wollen, ſo wuͤrde er uns ihm
„ſehr verbindlich gemacht haben. ꝛc.„ 4.)
„Wir wollen uns hier in keine Gefahr ſetzen,
„ſondern auch ins kuͤnftige dieſe und ſeine uͤbri-
„gen Anmerckungen verehren, und dem Hrn.
„Conr. zu keinem hertzbrechenden Seufzer uͤber
„uns, und die critiſchen Beytraͤge uͤberhaupt,
„Gelegenheit geben.„ 5.) „Die deutſche
„Sprache iſt noch uͤbrig, der er ſich bedienet:
„Und es iſt an dem, er hat hierinne ſeines glei-
„chen nicht. Es wird auch wohl keiner von
„denen, die die Befoͤrderung der deutſchen
„Sprache zu ihrem Zwecke haben, ſich nur
„wuͤnſchen koͤnnen, ſolche Ausdruͤckungen nach-
„zuahmen. Wir erſtaunen dahero nicht un-
B 4„billig
[24]Echo
„billig, daß wir in der Beurtheilung ſeiner
„Ciceroniſchen Briefe, auf die unerhoͤrten Ge-
„dancken gerathen ſind, nur einige Stellen zu
„tadeln, und uns nur von dieſen zu uͤberreden,
„als wenn ſie nicht gut deutſch waͤren.„
NB.
Jn dem VI. St. der Beytraͤge wird Hr. Damm
unter die beſten Ueberſetzer, und Hrn. Prof.
Gottſched an die Seite geſezt, beyde aber Hrn.
D. Heumann als Muſter angeprieſen. Bl. 530.
„Hr. Prof. Gottſched hat ja die Reden vor den
„Archias und Ligarius, und Hr. Damm in
„Berlin die vor den Roſcius ſo nachdruͤcklich,
„maͤnnlich und zierlich uͤberſetzet, daß man nicht
„leicht etwas daran auszuſetzen finden wird.„
Daß dieſe critiſche Hoͤflichkeit mit den Jah-
ren zu ihrer Vollkommenheit angewachſen ſey,
kan der Herausgeber des von Neukirchen uͤber-
ſezten Telemachs aus eigener Erfahrung bezeu-
gen. Jn dem XXIV. St. auf der 106ten u. f.
Seite kommen folgende Ausdruͤckungen eines
zaͤrtlichen Affectes vor.
1.) „Es iſt leider! dem
„Hrn. Neukirch, wie vielen andern groſſen Leu-
„ten ergangen, deren Schriften das Ungluͤck
„gehabt, in die Haͤnde eines ſolchen halbwei-
„ſen und kuͤtzelhaͤrigen Herausgebers zu fallen,
„der durch ſein unuͤberlegtes und tadelſuͤchtiges
„Geſchmiere, auch die beſten Gemuͤther gegen
„die Schriften des Verfaſſers zu vergaͤllen, faͤ-
„hig iſt.„ 2.) „Unſer Held heißt Hr. Johann
„Criſtoph Hirſch, und mag es dem Schickſale
„verdancken, daß es einen groſſen Neukirch
„gegeben, ‒ ‒ ‒ ſonſt wuͤrde dieſer Hr. Jo-
„hann
[25]des deutſchen Witzes.
„hann Chriſtoph Hirſch die beſte Gelegenheit
„verlohren haben, uns ſeinen hochwerthen Nah-
„men zum erſtenmahl gedruckt vor Augen zu le-
„gen.„ 3.) „Hr. Johann Chriſtoph Hirſch,
„(der geneigte Leſer wird es nicht uͤbel nehmen,
„daß wir ſeinen Nahmen etliche mahl von An-
„fang bis zu Ende herſetzen; es iſt um mehre-
„rer Deutlichkeit willen ſehr noͤthig, daß man
„einen Menſchen, deſſen geſammte Wercke nur
„noch erſt in fuͤnf und einer halben Seite in groß
„Quart beſtehen, fleiſſig nenne, damit die ge-
„lehrte Welt wiſſe, mit was fuͤr einem neu-
„hervorgeſchoſſenen Kunſtrichter ſie zu thun ha-
„be,) dieſer Hr. Johann Chriſtoph Hirſch
„nimmt es ſehr uͤbel, daß die Welt, nachdem
„ſie eilf Jahre vergebens auf die Fortſetzung
„des Neukirchiſchen Wercks gehoffet, ſich un-
„terſtanden hat zu glauben, ſie wuͤrde gar nicht
„kommmen. Jſt das nicht ein erſchreckliches
„Ungluͤck!„ 4.) „Wir ſchlafen deswegen oh-
„ne Sorgen, wenn es gleich den Hrn. Hirſch
„und alle ſeine ehrlichen Mitbruͤder verdreußt.„
5.) „Wir haben dieſe Nachricht bekommen von
„eines Hofraths Sohne, der kurtz darauf eine
„Wuͤrde erhalten, an welche Hr. Hirſch viel-
„leicht ſein lebenlang nicht wird dencken duͤr-
„fen.„ 6.) „Dieſes nun thut er, wie es ei-
„nem Menſchen, der zum erſtenmahl in die ge-
„lehrte Welt guckt, anſtaͤndig iſt, auf eine
„gantz unerhoͤrte Art.„ 7.) „Dem Hrn. Hirſch
„mag wohl bey ſeinem bisherigen loͤblich gefuͤhr-
„ten Copiſtenamte, auſſer dem deutſchlateini-
B 5„ſchen
[26]Echo
„ſchen Canzleyſtyl keine andere Sprache vorge-
„kommen ſeyn.„ 8.) „Er hat in keinem Stuͤ-
„ke der Gelehrſamkeit (das Abſchreiben und
„Federſchneiden nehme ich aus) etwas geler-
„net.„ 9.) „Wofern ihm noch einmahl ein
„Buch in ſeine Haͤnde fallen ſollte, welches wir
„jedoch aus chriſtlicher Liebe keinem einzigen
„wuͤnſchen wollen.„
Jch koͤnnte aus dem zweyten und vierten Ar-
tickel des XVI. Stuͤcks der Beytraͤge u. a. noch
eine Menge dergleichen Muſter von der critiſchen
Hoͤflichkeit der Hochdeutſchen anfuͤhren: Jch
will aber nur aus dem lezten Artickel deſſelben noch
ein Paar Stellen zu mehrerer Bekraͤftigung bey-
bringen. Dieſe Hoͤflichkeiten betreffen den Goͤ-
tingiſchen Sammler.
1.) „Er gehoͤrt mit un-
„ter die Anzahl der Gernſchreiber.„ 2.) „Der
„gute, liebe Mann! hat ſich um nichts weni-
„ger bekuͤmmert, als was zu einem moraliſchen
„Blatte gehoͤret.„ 3.) „Er hat vielleicht ein-
„mahl etwas von einem franzoͤſiſchen Glaneur
„geſehen oder geleſen, und ſo gleich die Ent-
„ſchluͤſſung gefaſſet, ſeinen Deutſchen einen
„Sammler zu ſchreiben.„ 4.) „Jch wollte
„wetten, daß man aus unſrem Sammler al-
„lein ein halbes Woͤrterbuch, aller derjenigen
„Woͤrter und Redensarten, die man im Deut-
„ſchen nicht verſteht, und nicht brauchen ſoll,
„zuſammenbringen koͤnnte.„ 5.) „Jch glau-
„be, daß der Sammler dieſe Frage den Men-
„ſchenfreſſern, oder ſeinen Troglodyten, mit
„denen er, wie es ſcheint, beſſer bekannt iſt,
„als
[27]des deutſchen Witzes.
„als mit uns, thun muͤßte: Dieſe wuͤrden es
„ihm ohnfehlbar zu ſagen wiſſen, ob die Goͤt-
„tinger nahrhafter ſind, als andere Leute, und
„welcher Nation ſie in dieſem Stuͤcke am aͤhn-
„lichſten kommen?„ 6.) „Es geht mit ſeiner
„Schrift alles gantz natuͤrlich zu! ſo ſehr mir
„bey ſeinen 24. Jahren bange war, es moͤgte
„etwas Hexerey mit unterlauffen. Allein was
„thut eine gute Erbſchaft von nuͤtzlichen Anmer-
„kungen nicht? Nunmehro weis ich, wie es
„den Leſern gehen wird. Unſer 24. jaͤhriger
„Moraliſte wird es machen, wie jener junge
„Arzt, der von ſeinem Vater ein Faß voll al-
„ter bewaͤhrter Recepte ererbte. So bald ein
„Krancker zu ihm ſchickte, fiel er vor dieſem Faſſe
„nieder, betete andaͤchtig, und griff darauf
„hinein. Das erſte Recept, welches ihm in
„die Hand kam, das gab er hin; vors uͤbrige
„ließ er den Himmel und die gute Natur des
„Patienten ſorgen. So wird es mit unſrem
„jungen Sittenrichter auch ergehen. Darum
„verdient er wohl, daß ſeine Leſer einen andaͤch-
„tigen Seufzer fuͤr ihn thun; damit ſeine Hand
„ſtets zur nuͤtzlichſten Anmerckung gelenckt wer-
„de.„ 7.) „Es waͤre ewig ſchad, wenn die
„menſchliche Geſellſchaft ein ſo theures Mitglied
„vor ſeinem 90. Jahre verlieren ſollte!„ 8.)
„Wer haͤtte das gedacht, daß der ſtoltze Samm-
„ler, welcher ſich Anfangs keinen geringern, als
„die Schweitzer-Maler, zum Vorbilde an-
„nimmt, nunmehro denen Gelehrten nachah-
„men will, welche, wenn ſie Buͤcher ſchreiben,
„ſo
[28]Echo
„ſo blindlings lincks und rechts um ſich greiffen.
„Ey! der Sprung iſt zu arg! und faſt ſo tief,
„als moͤglich iſt.„
Das merckwuͤrdigſte Beyſpiel von einer aus-
nehmenden critiſchen Deemuth und Geduld fin-
det ſich in dem XVI. St. der Beytraͤge auf der
610ten Seite, wo der ungenannte Verfaſſer
eines critiſchen Schreibens die unverſchaͤmte Un-
hoͤflichkeit und Grobheit begangen, und ſich ſelbſt
bey dem Schluſſe des Briefs einen aufrichtigen
Goͤnner der Verfaſſer der Critiſchen Beytraͤge
hat nennen duͤrffen. Sein grobes Compliment
nach der Schweitzeriſchen Hoͤflichkeit lautet:
„Uebrigens koͤnnen ſie ſich mich als einen auf-
„richtigen † Goͤnner ihrer Bemuͤhungen vorſtel-
„len. Jch werde es mit Vergnuͤgen leſen,
„wenn ſie mich in ihren Beytraͤgen verſichern
„wollen, daß ihnen dieſe Zuſchrift angenehm
„geweſen. Und ich moͤchte nur wuͤnſchen, alle
„Unannehmlichkeiten in derſelben vermieden zu
„haben. Fahren ſie fort, dem menſchlichen
„Geſchlechte Nutzen zu ſchaffen, und leben ſie
„wohl und vergnuͤgt.„
Ein anderer waͤre uͤber
ſo viele grobe Unhoͤflichkeiten in einen rechten Ei-
fer gerathen; aber unſre ſanftmuͤthigen Hoch-
deutſchen laſſen es bey folgender deemuͤthigen
Antung bewenden:
„† Das klingt ein wenig
„groß! Es fehlt nur noch, daß uns der Hr.
„Verfaſſer auch ſeinen Schutz und ſeine Gnade
„verſprochen haͤtte. Gleichwohl ſcheinet aus
„allen dieſen bisher gemachten [Anmerckungen]
„nicht, daß ihr Urheber viel vornehmer ſey,
„als
[29]des deutſchen Witzes.
„als ſo viele Mitglieder unſrer Geſellſchaft ſind,
„die theils ihrer Geburt, theils ihren Bedie-
„nungen nach nicht weniger Hochachtung
„verdienen. Denn Perſonen von noch hoͤherm
„Stande pflegen ſich mit grammatiſchen Klei-
„nigkeiten ſo bekannt nicht zu machen, als un-
„ſer Hr. Kunſtrichter ſich gemacht hat; es waͤre
„denn, daß er etwa mit einem fremden Kalbe
„gepfluͤget haͤtte, welches wir aber um verſchie-
„dener Urſachen halber dießmahl nicht vermu-
„then koͤnnen.„
Andere wohlgeſittete hoch-
deutſche Kunſtrichter fuͤhren eine gantz andere
Sprache, wenn ſie von der deutſchen Geſellſchaft
und ihrer Hochachtung gegen dieſelbe reden
wollen. Jch will zum Beweiſe ein Paar Stel-
len aus des Hrn. Amtmann Gottfr. Behrnds
Antrittrede in der deutſchen Geſellſchaft anfuͤh-
ren:
1.) „Bin ich ſchon nicht vermoͤgend, in
„ihren glaͤntzenden Haarſchmuck Juwelen und
„Loorberzweige einzuflechten; ſo werde ich doch
„nicht unterlaſſen, ihren Fuͤſſen mit Ehrerbie-
„tung niedrigen, doch immer gruͤnen Epheu
„unterzuſtreuen.„ 2.) „Welches aber hiemit
„nebſt der gantzen Abhandlung hochgeneigt zu
„beurtheilen meinen hochgeehrteſten Herren
„anheim gebe, und ſchließlich zu dero reifliche-
„ren Erwegung und Verbeſſerung, nebſt mir
„ſelber, mich dienſtergebenſt uͤberlaſſe.„
Das
klingt in deutſchen Ohren politer, als der auf-
richtige Goͤnner, wenn man ſich, nebſt ſich ſel-
ber, (denn ich und ich ſelber ſind zweyerley,)
zur Verbeſſerung dienſtergebenſt uͤberlaͤßt.
Dieſe
[30]Echo
Dieſe critiſche Hoͤflichkeit beſizt unter allen
deutſchen Kunſtrichtern Hr. Prof. Gottſched in
dem hoͤchſten Grade der Vollkommenheit; Er
hat erſt neulich in ſeinen Anmerckungen uͤber des
beruͤhmten Baylens Abhandlung von Cometen
ſeine Staͤrcke darinne in den vortrefflichſten Pro-
ben an den Tag geleget; allermaſſen er daſelbſt
Anlaß genommen, auch von gantzen Nationen
und geſalbeten Haͤuptern zu urtheilen: Nehmet
folgende Stellen zur Probe. 1.) Jn der fuͤnf-
ten Anmerckung zum erſten Th.
„Es iſt ſehr gut,
„daß Boileau und Racine das Amt der koͤnig-
„lichen Geſchichtſchreiber ſo ſchlecht verwaltet
„haben, daß ſie uns nichts davon zu leſen ge-
„geben: Sonſt wuͤrden ſie uns gantz gewiß (*)
„eine Reihe ungeheurer Fabeln aufgezeichnet
„haben. Wenn man wenigſtens aus des Boi-
„leau Gedichten ſchlieſſen ſoll, wie er in der
„ungebundenen Rede geſchrieben haben wuͤr-
„de, ſo kan man nichts anders als Wunder-
„wercke und Abentheuer vermuthen.„
2.) Jn
der fuͤnfzehnten Anmerck. zum erſten Th.
„Es
„iſt recht laͤcherlich, wenn man die franzoͤſche
„Nation, die in der Selbſtliebe gantz erſoffen
„iſt, von ihren Vorzuͤgen reden hoͤret; ob ſie
„ſich gleich genoͤthiget ſieht, ſich ſo gleich durch
„die That ſelbſt zu widerlegen: wie hier Hr.
„Baile, den alle Geſchichten uͤberfuͤhren, daß
„ſeine Landsleute beynahe noch aberglaͤubiſcher
„als andere Voͤlcker geweſen ſind.„
3) Jn
der 72ſten Anmerck. zum 2ten Th.
„Gewiß,
„wenn
[31]des deutſchen Witzes.
„wenn jemahls der franzoͤſiſche Geiſt auf Nar-
„renpoſſen verfallen iſt, ſo iſt es heut zu Tage.
„Unter hundert Buͤchern, die zu Paris gedruckt
„werden, iſt kaum ein kluges; denn die Ro-
„manenſeuche hat alles uͤberſchwemmet, ſo daß
„man faſt dencken ſollte, die gantze Nation
„ſey von einer rechten Kranckheit angeſteckt,
„die man die Fabelſucht nennen koͤnnte.„
4.)
Jn der 83ſten Anmerck. zum 2ten Th.
„Lud-
„wig der XIV. iſt uͤber dieſe Schwachheit weg!
„Es iſt ihm gleichviel, ob er mit Betrug oder
„durch Tapferkeit ſiegt; ob er ſeine Feinde
„ſchlaͤgt, oder die Generale beſticht; die Ve-
„ſtungen erobert, oder von verraͤtheriſchen Com-
„mendanten erkauffet. Vortrefflicher Ruhm!„
5.) Jn der 105ten Anm.
„Und vielleicht ſind
„die Zeiten ſchon gekommen, da es uns an
„einem ſo muthigen und lebhaften Geiſte unter
„den deutſchen Printzen nicht mehr fehlet, dem
„es nur noch an einer gelinden Lenckung
„und Beſtimmung fehlet, ſich fuͤr die Rechte
„Deutſchlands wider Franckreich zu erklaͤren.„
6.) „Welcher Franzoſe iſt doch wohl vermoͤgend,
„die ſclaviſche Neigung, ſeinem Koͤnige zu
„ſchmeicheln, bey ſich zu baͤndigen: Da man
„ſo gar auch mit Eckel und Abſcheu ſehen muß,
„daß ſie ihren itzigen Koͤnig bis an den Himmel
„erheben; der doch, nach aller Vernuͤnftigen
„Geſtaͤndniſſe, ſehr wenig von dem guten
„Ludewigs desXIV.an ſich hat.„
Zeigen
nicht dieſe Exempel unwiderſprechlich, daß die
hochdeutſche Hoͤflichkeit von der niedertraͤchtigen
Schmei-
[32]Echo
Schmeicheley himmelweit entfernet ſey? Und
daß dieſe Scribenten dieſer Schwachheit ſelten
unterworffen ſeyn, wenn es ſie nicht ſelber an-
gehet. Jch darf es nun auf das Urtheil meiner
Leſer lediglich ankommen laſſen, zu entſcheiden,
ob dieſe Deutſchen im Ernſt glauben, daß Un-
partheylichkeit, Beſcheidenheit, Billigkeit,
Hoflichkeit und Maͤſſigung die nothwendigen
Eigenſchaften eines wahren Kunſtrichters ſeyn:
Ob ſie die Wahrheit reden, wenn ſie ſagen:
1.) Daß es nicht ihre Art ſey, um einiger Per-
ſonen willen, die ihre Gewogenheit nicht haben,
mit einer Dorfſchultzen-Mine gantze Nationen
als dumm und ungeſchliffen auszuſchreyen. 2.)
Daß jede Nation ihre groben Exemplare habe ꝛc.
Es wird auch niemanden ſchwer fallen, in de-
nen obigen Proben die Sprache der Geſellſchaft
vom groben Jahrhunderte zu erkennen, welche
Geſellſchaft nach dem ſichern Bericht eines wuͤr-
digen Mitglieds derſelben, ſich ungefehr vor ze-
hen Jahren in Leipzig zuſammengethan, und
erſt vor kurtzem uͤbernommen hat, in zehen Jah-
ren die Zeiten wieder herzuſtellen, wo man bey
allen Streitigkeiten einander mit einem Haufen
von Schimpfwoͤrtern und Grobheiten liebkoſe-
te, und wo das ridiculum ruſticum das beſte Ge-
wuͤrtze war, dergleichen Schriften angenehm zu
machen. Wer dieſe critiſche Sprache beſagter
Geſellſchaft vom groben Jahrhunderte, und die
ſpitzfuͤndigen Idiotiſmos derſelben gerne lernen
moͤgte, dem werden meine oben gegebene Aus-
zuͤge gute Dienſte thun koͤnnen. Jch beſcheide
mich
[33]des deutſchen Witzes.
mich auch gar gerne, daß die Reſpective Hoch-
geehrten Hrn. C ** in L** keinem andern, als
einem offenbaren und erklaͤrten Mitgliede dieſer
Geſellſchaft ein ſo unverſchaͤmtes und ſchimpfli-
ches Urtheil von Sr. K. Maj. in Franckreich
wuͤrden zu gut gehalten haben. Ohne dieſe Ge-
lindigkeit wuͤrde das Wachsthum einer ſo nuͤtz-
lichen Geſellſchaft nur gehindert worden ſeyn.
[Crit. Sam̃l. VI. St.] CVon
[34]Echo
VII.
Von der
Critiſchen Gerechtigkeit
Einiger
Hochdeutſchen Kunſtrichter.
JCh habe oben ſchon angemercket, daß die
Leipzigiſchen Kunſtrichter in den Schrif-
ten der Schweizeriſchen Kunſtlehrer,
(ungeachtet es ihnen an dem guten Willen
nicht gemangelt hat), bisdahin nichts haben
finden koͤnnen, was derſelben ausgefaͤllte Urthei-
le von den deutſchen Poeten nur im geringſten
einiger Ungerechtigkeit haͤtte verdaͤchtig machen
koͤnnen. Da ich nun behaupte, daß ein billi-
ges und gerechtes Urtheil niemahls zugleich grob
und unhoͤflich ſeyn koͤnne; ſo koͤnnte ich dieſes
zu meinem Vortheil anwenden, und das eigene
Geſtaͤndniß der Leipzigiſchen Kunſtrichter gebrau-
chen, meine critiſchen Landsleute gegen dieſe An-
klage der Grobheit und Unhoͤflichkeit zu ſchuͤtzen.
Allein, ob ich gleich dieſe Art der Verth eidigung
nicht noͤthig habe, ſo wird es dennoch nicht auſ-
ſer dem Wege ſeyn, wenn ich die Begruͤndniß
derſelben ein wenig beleuchte. Jch mercke vor
allen Dingen an, daß das fuͤr einen Scribenten
vor-
[35]des deutſchen Witzes.
vortheilhafte Urtheil oder Lob, wenn es nicht
auf den innern Werth einer Schrift gegruͤndet,
weñ es hiemit ungerecht iſt, eben darum auch grob
und unhoͤflich ſeyn koͤnne. Niemand wird ſagen,
daß derjenige hoͤflich ſey, der einen Tireſias we-
gen ſeiner Scharfſichtigkeit, einen Euclio wegen
ſeiner Freygebigkeit, eine Cleopatra wegen ih-
rer Keuſchheit offentlich oder ins Angeſicht lobet,
weilen dergleichen Lob eine offenbare Luͤgen, und
eben ſo viel als eine Vorruͤckung der ſchaͤndlich-
ſten Laſter iſt. Doch iſt die Eitelkeit der Men-
ſchen ſo groß, daß ſie dergleichen critiſche Unge-
rechtigkeiten, die allezeit mit einer Unhoͤflichkeit
gepaaret gehen, gemeiniglich ohne Verdruß an-
hoͤren, und man weiß wenig Exempel, daß ſich
einer uͤber dieſe Art Unbill, die er ſich vortheil-
haft zu ſeyn glaͤubt, beſchweret habe. Hinge-
gen ſind die Menſchen gantz anders geſinnet,
wenn die critiſchen Urtheile ihre Unvollkommen-
heiten entdecken; da ſind ſie ſo empfindlich, daß
ſie alſo bald uͤber Ungerechtigkeit und Unbill, oder
wenn ſie gar nichts anders zur Entſchuldigung
offenbarer Fehler vorzubringen wiſſen, wenig-
ſtens uͤber Unhoͤflichkeit und Grobheit klagen:
Sie fodern eine Hoͤflichkeit, die andere gegen
ihre Fehler und Unvollkommenheiten mit ſehen-
den Augen blind, oder wenigſtens ſtumm mache:
Und ſie rechnen es einem ſchon fuͤr eine Unhoͤflich-
keit und Grobheit an, daß er ſich vermeſſen hat,
ihre Gebrechen, die ſie ſelbſt ohne Noth entdeckt
haben, zu offenbaren und zu anten. Nach die-
ſer Leute Meinung iſt die Critick in ſo fern ſie in
C 2Ent-
[36]Echo
Entdeckung der Unvollkom̃enheiten eines Schrift-
ſtellers geſchaͤftig und ſcharfſichtig iſt, ſchon fuͤr
ſich ſelbs ſtrafbar, und ſie koͤnnen nicht glauben,
daß ein wohlgezogenes, ſittſames und beſchei-
denes Gemuͤthe ſich jemahls die Freyheit andere
zu tadeln anmaſſen koͤnne, es geſchehe denn mit
boͤſen Abſichten. Die Grundſaͤtze, womit ſie
dieſe ſtoltzen Gedancken zu beſchoͤnen ſuchen, ſind
folgende: Man ſey nicht berechtiget, jemand zu
tadeln, oder ihm ſeine Unvollkommenheiten vorzu-
ruͤcken, bis man ſelbs ohne Fehler ſey; die chriſt-
liche Liebe decke die Fehler des Naͤchſten zu, u. ſ. f.
Und dadurch meinen ſie die Critick als eine Un-
gerechtigkeit, die gerade gegen die Pflichten der
Liebe anlaͤuft, anzuſchwaͤrtzen, und verhaßt zu
machen. Andere hingegen erkennen zwar, daß
die Critick bey Entdeckung anderer Leute Fehler
und Unvollkommenheiten gantz heilſame Abſich-
ten haben koͤnne, und daß ſie zur Warnung und
Verbeſſerung ſolcher, die ſich erſt durch offent-
liche Schriften beliebt und nuͤtzlich zu machen ſu-
chen, einen guten Einfluß haben koͤnne: deſſen
ungeachtet ſetzen ſie dieſelbe in der Ausuͤbung ih-
res Strafamts in ſo enge Schrancken, daß ſie
dennoch bey dieſem zugeſtandenen Recht der Cri-
tick ungeſtraft und ſicher fortſchwaͤrmen koͤnnen.
Sie entziehen ſich, und alle, die den Athem
noch in der Naſe haben, ihrem Gerichtsbann,
und geben ihr allein die todten und vermoderten
Scribenten Preis. (*) Sie bereden ſich, daß
man
[37]des deutſchen Witzes.
man die Todten, die keine Empfindung haben,
nicht mehr beleidigen koͤnne, und weil ſie ſich
nicht mehr verantworten oder vertheidigen koͤn-
nen, ſo koͤnne man ihrer ohne Gefahr leicht mei-
ſter werden. Wann ſie auch etwann unter Le-
benden noch einige wenige vor das Gericht der
Critick zu ziehen erlauben, ſo ſind es gemeinig-
lich ſo arme Suͤnder, an denen man ſich wegen
ihres geringen Anſehens durch Unhoͤflichkeit nicht
verſuͤndigen kan, die durch ihr Exempel niemand
C 3ver-
(*)
[38]Echo
verfuͤhren koͤnnen, und die es, wenn ſie getadelt
werden, noch vor eine Ehre halten muͤſſen, weil
ſie dadurch aus dem Staube der Vergeſſenheit
hervorgezogen werden: Aber, daß man Leuten,
die in einigem Anſehen und Ruff bey der iztleben-
den Welt, wiewohl oͤfters ohne ihr Verdienen,
ſtehen, ihre Unvollkommenheiten vorhalte, das
iſt ſchon eine ſtrafbare grobe Vermeſſenheit und
Unhoͤflichkeit; es moͤgte auch der Tadel an ſich
ſelbſt
(*)
[39]des deutſchen Witzes.
ſelbſt ſo begruͤndet und gerecht ſeyn, als er im-
mer wollte. Endlich ſchreiben ſie der Critick in
Anſehung des Ausdrucks und Vortrags, in die
ſie ihre Ausſpruͤche einkleiden ſoll, ſo harte Ge-
ſetze vor, daß ſie bey aller ihrer Gerechtigkeit
nothwendig unhoͤflich und unbeſcheiden werden
muß. Sie koͤnnen es nicht vertragen, daß man
eine Abhandlung, die durchgehends voller Feh-
ler iſt, ungluͤcklich nenne; oder uͤber das, was
laͤcherlich iſt, das Maul verkruͤmme. Sie wol-
len, daß man ſie zuerſt um Verzeihung bitte,
und die Erlaubniß von ihnen erhalte, ſie zu er-
innern, daß ſie nicht ohne Fehler ſind; daß man
die Fehler, die man tadelt, als Theile der Voll-
kommenheit des Gantzen anpreiſe; daß man,
auch wo es umgekehrt iſt, Horatzens
Offendar maculis.’
vorausſetze. Allein ich habe in Vergleichung
mit dieſen Leuten gantz paradoxe Gedancken von
der Freyheit der Critick: Jch habe mich beredet,
daß die Critick niemahls unhoͤflich oder unbe-
ſcheiden ſeyn koͤnne, ſo lange ſie gerecht iſt; und
ich ſehe die critiſche Unhoͤflichkeit als eine Art der
Ungerechtigkeit an; denn wenn die getadelten
Fehler durch die Art des Vortrags vergroͤſſert
werden, ſo iſt dieſes eine Art der Verlaͤumdung;
und hiemit dieſe Unhoͤflichkeit eine offenbare Un-
gerechtigkeit. Die Hoͤflichkeit beſtehet in einer
Maͤſſigung der Affecten und des Willens nach
den Regeln oder Gewohnheiten des aͤuſſerlichen
Wohlſtands; und die Natur der Hoͤflichkeit er-
C 4fodert,
[40]Echo
fodert, daß man nicht auf Recht und Verdienſt,
ſondern auf das Vergnuͤgen deſſen, den man
nuͤtzlich gewinnen will, ſehe. Die Critick hingegen
muß ihre Abſicht von dem aͤuſſerlichen Range,
Anſehen und Credit, und andern dergleichen
Vorzuͤgen gaͤntzlich abkehren, ſie muß nur auf
das innerliche Vermoͤgen des Geiſtes, Verſtan-
des und Witzes ſehen, und ihre Beurtheilun-
gen auf die Wahrheit gruͤnden. Geiſt, Ver-
ſtand und Witz aber ſind nicht an einen gewiſſen
Rang oder an gewiſſe Aemter in der Welt ge-
bunden; ſie werden nicht angeerbt, ſie koͤnnen
nicht mit Geld erkauft, noch wie Titel und Eh-
renſtellen verliehen oder verpachtet werden. Es
iſt keiner gezwungen, ſeinen Geiſt und Verſtand
durch offentliche Schriften auf die Probe zu ſe-
zen, und es kan einer ein ehrlicher und nuͤtzlicher
Patriot, ein kluger Staatsmann, ein erfahr-
ner Arzt, und doch daneben ein ſchlechter Reim-
held, ein matter Dichter, ein elender Scribent
ſeyn, gleichwie es hingegen nicht unmoͤglich iſt,
daß einer bey einem ſchlechten aͤuſſerlichen Cre-
dit und Anſehen ein geiſtreicher Poet, Redner,
oder Schriftſteller ſeyn kan. Aber wenn einer
ſich durch offentliche Schriften freywillig zum
Lehrer des menſchlichen Geſchlechts aufwirfft,
und den Nahmen eines geiſtreichen Schriftver-
faſſers affectiert, ſo muß er von der gerechten
Critick erwarten, daß ſie ihm den verdienten
Rang unter den Scribenten anweiſe; und wo-
fern er ſich nicht gegen die Ausſpruͤche derſelben
gruͤndlich vertheidigen, und ſie der Ungerechtig-
keit
[41]des deutſchen Witzes.
keit uͤberfuͤhren kan, ſo mag er uͤber Unbill, Un-
hoͤflichkeit und Grobheit ſchreyen, ſo lange er
will; dieſes wird ihm bey unparteyiſchen Leſern
von gutem Geſchmack, er mag auch ſo vornehm
ſeyn als er will, wenig helffen. Jch mache aus
dieſem allem den Schluß, daß die in dem ge-
meinen Leben uͤbliche Hoͤflichkeit, die ſich nur
nach dem aͤuſſerlichen Rang in der Welt richtet,
und jedermann angenehm und gefaͤllig zu ſeyn
ſuchet, bey der gerechten Critick keinen Platz
habe; ſondern daß dasjenige, was man in der
Critick Hoͤflichkeit heißt, von der Gerechtigkeit,
die ohne Anſehen der Perſon Lob und Tadel nach
Verdienen austheilet, nicht unterſchieden ſey.
Jch ſehe darum auch die in dem vorigen Abſchnitt
eingefuͤhrten Exempel der critiſchen Unhoͤflichkeit
einiger deutſcher Kunſtrichter an, als ſo viele Pro-
ben der critiſchen Ungerechtigkeit in dem Aus-
druck und Vortrage, angeſehen ſelbige nicht nur
an ſich ſelbs betrachtet unbeſcheiden und ſchimpf-
lich ſind, ſondern auch zu nichts dienen, als klei-
ne Fehler groͤſſer zu machen, als ſie wuͤrcklich ſind.
Jch will demnach in gegenwaͤrtigem Abſchnitte
mit einigen Exempeln darthun, daß eben dieſe
hochdeutſche Kunſtrichter in ihren Beurtheilungen
nicht nur in Abſicht auf den Vortrag, ſondern
auch in Abſicht auf die Natur der Sache ſelbſt
neben der Wahrheit vorbeygehen, und ſich der
critiſchen Ungerechtigkeit ſchuldig machen. Jch
habe in dem vorhergehenden Abſchnitte beylaͤuf-
tig drey Exempel von dieſer Art beruͤhret: Das
erſte iſt das Beyſpiel Hrn. Damms, den man
C 5in
[42]Echo
in dem VI. St. der Beytraͤge Bl. 530. neben
Hrn. Gottſched wegen ſeiner groſſen Geſchicklich-
keit im Ueberſetzen ſelbſt dem gelehrten Hrn. D.
Heumann zum Muſter vorgeſtellet hat. Wenn
nun das Urtheil, welches in eben dieſen Bey-
traͤgen an zweien Orten von ſeiner Ueberſetzung
der Briefe Cicerons auf eine unbeſcheidene
Weiſe ausgefaͤllet wird, Grund haben ſoll; ſo
folget gantz natuͤrlich, daß das ihm vorhin mit-
getheilte Lob wegen ſeiner ſo groſſen Geſchicklich-
keit im Ueberſetzen eine ſchmeichelhafte Ungerech-
tigkeit geweſen ſey. Denn wer wird ſich wohl
als glaublich vorſtellen koͤnnen, daß Hr. Damm,
nachdem er Cicerons Rede fuͤr den Roſcius ſo
nachdruͤcklich, maͤnnlich und zierlich uͤberſezt
hat, hernach bey der Ueberſetzung der Briefe
dieſes Roͤmers ſo ungluͤcklich ſollte geweſen ſeyn,
und eine ſo harte und ſchimpfliche Beſtraffung
verdienet haben? Das zweite Exempel, das
ich oben beruͤhret habe, iſt das Beyſpiel des
Herausgebers der Neukirchiſchen Ueberſetzung
des Telemachs Hrn. J. Chr. Hirſch. Was hat
dieſer gute Mann verſchuldet? Nichts anders,
als daß er in der kurtzen Vorrede zu dieſem Neu-
kirchiſchen Wercke, welche nicht mehr als fuͤnf
und eine halbe Seite betraͤgt, das uͤbereilte
Vorgeben, als ob Neukirch die Ueberſetzung
des Telemachs nicht vollendet, und man alſo
auſſer dem erſten Theile nichts weiters von ſeiner
Arbeit zu erwarten habe, welches durch die
Crit. Beytraͤge ausgeſtreuet worden, um etwas
empfindlich geantet hat. Aber man leſe die
plum-
[43]des deutſchen Witzes.
plumpe und gantz ungeſchliffene Jnvectif, die der
gute Mann deswegen in dem XXIV. St. der
Beytraͤge auf der 601ſten u. f. Seite empfan-
gen hat, woraus ich oben nur was weniges zur
Probe angefuͤhrt habe, und ſage mir dann, ob
das heiſſe: Poenas peccatis irroget æquas. Zuge-
ſchweigen, daß die Verfaſſer dieſer Beytraͤge
in dem XXV. St. Bl. 172. offentlich bekennt,
daß ſie in der Perſon geirret, und Hrn. Hirſch
gantz unſchuldiger Weiſe-angegriffen haben.
Das dritte Exempel giebt uns der ungenannte
Verfaſſer der reimfreyen Ueberſetzung der Aeneis,
wovon in dem XVII. St. der Beytraͤge im IV.
Art. eine Probe angefuͤhrt, und dieſelbe durch
eine ungeſchickte Vergleichung mit einer ſchlech-
ten gereimten Ueberſetzung eines jungen Schuͤ-
lers heruntergemacht worden. Die Ungerech-
tigkeit dieſes Urtheils in Lob und Tadel iſt in dem
zweiten Theile der Critiſchen Dichtkunſt Hrn.
Prof. Breitingers in dem IVten Abſchn. von der
Kunſt der Ueberſetzung von Bl. 157. an aus-
fuͤhrlich dargethan worden, wohin ich auch mei-
ne Leſer verweiſe. Noch das vierte Beyſpiel
ſoll uns endlich die Ueberſetzung Hrn. Prof Bod-
mers von Joh. Miltons verlohrnem Paradieſe
an die Hand geben. Von derſelben ſtehet in
dem IIten St. der Beytraͤge Bl. 291.
„So
„viel iſt indeſſen wahr, daß wenn nach dem Ge-
„ſtaͤndniß der Engellaͤnder, ihre Sprache ſelbſt
„unter dem Milton eingeſuncken; ſo hat in der
„That Hr. Prof. Bodmer eine ſolche Staͤrcke
„unſrer Sprache gewieſen, daß man ſagen
„koͤnnte,
[44]Echo
„koͤnnte, daß Milton durch dieſe Verdollmet-
„ſchung noch mehr Kraft und Nachdruck gewon-
„nen habe, als er in ſeiner Mutterſprache be-
„ſizt. Jndeſſen hat es ihm aus Beſcheidenheit
„beliebt, ſich uͤber den Mangel genugſamer
„Kundſchaft in unſrer Sprache zu beſchweren,
„der doch in Abſehen auf die Staͤrcke ſeiner uͤber-
„all praͤchtigen und erhabenen Ausdruͤckungen
„gewiß nirgends zu ſpuͤren iſt. Sollte aber ja
„im Abſehen auf die Zierlichkeit der Wortfuͤ-
„gung hier und dar etwas unterlauffen, ſo in
„rein gewoͤhnten deutſchen Ohren rauh und
„widrig klinget, ſo wird dieſes dem Vaterlan-
„de des Hrn. Ueberſetzers mehr, als ſeiner Un-
„faͤhigkeit zuzuſchreiben ſeyn. Und doch muß
„man geſtehen, daß uns noch kein Schweitze-
„riſcher Scribent vorgekommen, dem man ſein
„Vaterland weniger als Hrn. Bodmern hat
„anmercken koͤnnen.„
Und in dem XIX. St.
der Beytraͤge in der Beantwortung auf die Ein-
wuͤrffe wegen der Unvollkommenheit der deutſchen
Sprache Bl. 448 heißt es:
„Gewiß alle Ken-
„ner Miltons ſind erſtaunet, als ſie die Dol-
„metſchung Hrn. Prof. Bodmers geleſen ha-
„ben: Denn wer haͤtte ſichs eingebildet, daß
„dieſes mit Gedancken ſo beſchwerte Gedichte,
„deſſen Ausdruck ſo koͤrnicht, ſinnreich und tief
„iſt, ſich ſo nach druͤcklich und vollſtaͤndig deutſch
„wuͤrde geben laſſen. Und doch hat es der Hr.
„Bodmer gethan. Jn Wahrheit, wer nun-
„mehr unſre Sprache noch matt, ſeicht, und
„plauderhaft nennen will, der verdienet, daß
„man
[45]des deutſchen Witzes.
„man ihn damit auslachet.„
Hergegen in dem
XXIV. St. dieſer Beytraͤge iſt aus der Feder eben
deſſelben Kunſtrichters, des Hrn. Prof. Gott-
ſcheds, folgendes Urtheil gefloſſen, Bl. 653.
„Es hat ſich in der Schweitz eir Ueberſetzer ge-
„funden, der uns denſelben (Milton) ſo gut
„er gekonnt, deutſch geliefert hat, wie wir
„gleichfalls in dieſen Beytraͤgen vor etlichen
„Jahren gemeldet haben.„ Und Bl. 664.
„Man hat an der ſeltſamen und widerlichen
„Art des deutſchen Ausdrucks, der ſonſt in
„allen unſren Buͤchetn unerhoͤrt iſt, gar bald
„einen Eckel bekommen.„
Sehet da einen
Philoſoph, der in ſeinen critiſchen Ausſpruͤchen
ſich nicht ſo ſclaviſch an den Grundſatz: Impoſ-
ſibile eſt idem ſimul eſſe \& non eſſe, bindet; ſon-
dern ſich die Freyheit vorbehaͤlt, ſeine Hoͤflich-
keiten, ſo bald er vermuthet, daß ſich einer der-
ſelben unwuͤrdig gemacht, zuruͤckzunehmen und
zu modificieren. Will aber jemand wiſſen, wie
geſchickt dieſe philoſophiſchen Koͤpfe einen offen-
baren Widerſpruch mit ſich ſelbſt vergleichen koͤn-
nen, der ſehe in der 47ſten Anmerckung des
Weinmonats der Beluſtigungen Bl. 379. und
ſchaue, wie er ſich des Lachens erwehren koͤnne.
VIII.
[46]Echo
VIII.
Wie die
Unvollkommenheit
des
Gottſchediſchen Verſuches
einer
Critiſchen Dichtkunſt
am ſicherſten koͤnne entſchuldiget und
gegen alle Vorwuͤrffe ſicher geſtellt
werden.
JCh finde die Art, mit welcher der Verfaſ-
ſer der Anmerckungen in dem Weinmonat
der Leipzigiſchen Beluſtigungen in der 36.
und 37ſten [Anmerckung] dieſes geleiſtet hat, ſo
fremd, neu, und unerhoͤrt, daß ich mich nicht
entbrechen kan, die Kunſt, die in dieſer Art der
Vertheidigung ſtecket, in ein helleres Licht zu
ſetzen.
Hr. Prof Gottſched hat ſein Werck von der
Dichtkunſt einen Verſuch genennet: Da nun
dieſe Benennung ſelbſt ein Geſtaͤndniß einer Un-
vollkommenheit mit ſich fuͤhret; ſo iſt der Ver-
faſſer der Anmerckungen ſorgfaͤltig genug, uns
zu berichten, daß dieſe willkuͤrliche Benennung
der
[47]des deutſchen Witzes.
der Vollkommenheit des Wercks nicht nachthei-
lig ſeyn koͤnne, weil der Nahme die Sache nicht
aͤndere, und Hr. Prof. Gottſched ſein Buch
nur aus Beſcheidenheit einen Verſuch genennt
habe: Nicht als ob er es ſelbſt fuͤr einen bloſſen
Verſuch angeſehen, oder als ob ihm die Voll-
kommenheit deſſelben waͤre verborgen geweſen;
ſondern aus einem niedertraͤchtigen Hochmuth,
nach welchem einer ſein Heu Stroh nennen kan,
ſolches aber niemahls thut, als wenn er zum
voraus ſicher iſt, daß andere ſeine Abſicht durch
die Erniedrigung den Werth der erniedrigten
Sache zu erhoͤhen, unfehlbar mercken und erra-
then muͤſſen. Daß alſo die Benennung eines
Verſuches auf dem Titel des Gottſchediſchen
Buches per antiphraſin muß verſtanden werden,
wie Lucus, quaſi minime lucus. Doch muß man
ſich wohl in Acht nehmen, daß man dieſe ironi-
ſche Figur der Beſcheidenheit nicht auf den gan-
zen Titel erſtrecke, als ob er ſein Buch auch eine
Critiſche Dichtkunſtper antiphraſin genennt ha-
be, in dem Verſtande, als wenn er ſie ſelbſt
fuͤr nichts weniger, als fuͤr eine Critiſche Dicht-
kunſt gehalten habe; wie er ſie in der That einen
Verſuch genennet, darum, weil ſie in ſeinem
Sinne nichts weniger als ein bloſſer Verſuch
war. Daß alſo diejenigen, welche die Gott-
ſchediſche Dichtkunſt fuͤr einen bloſſen Verſuch
ausgeben, eben ſo unhoͤflich handeln wuͤrden,
als wenn einer das Compliment eines gehorſa-
men Dieners im Ernſt aufnehmen, und es mit
der Antwort: Ja, ihr ſeyd mein gehorſamer
Diener! erwidern wuͤrde.
Wollte
[48]Echo
Wollte man zweitens die Zuͤrichiſche Dicht-
kunſt anfuͤhren, und in Vergleichung mit der-
ſelben den Gottſchediſchen Verſuch einer Unvoll-
kommenheit belangen; ſo weiß der Verfaſſer der
Anmerckungen, durch einen liſtig erweckten Ver-
dacht, die Zuͤrchiſche Dichtkunſt ſo geſchickt nie-
derzudruͤcken, daß ſein Leipzigiſcher Verſuch be-
hend wieder empor koͤmmt. Das einige Spruͤch-
lein: Inventis facile eſt aliquid addere, hat die
Kraft dem Leipzigiſchen Verſuche den Preiß der
Erfindung gantz zuzueignen, und den Verdacht
zu erwecken, daß die Zuͤrichiſche Kunſtrichter ſich
dieſe Leipzigiſche Erfindung wohl zu Nutze gema-
chet, und ihre mehrere Vollkommenheit derſel-
ben lediglich zu verdancken haben. Er braucht
dabey die noͤthige Behutſamkeit, daß er ſich
nicht ins Abſonderliche hineinlaͤßt, und die ihm
vorgelegte Parallel mit Stillſchweigen gaͤntzlich
vorbeygehet; denn ſolches haͤtte zu nichts an-
ders gedienet, als dem Leſer unnoͤthige Scru-
pel zu erwecken, ob und wieſern es moͤglich ſey,
daß von zwey Wercken, die in ihren Grundſaͤ-
zen, in ihrer Materie, und in ihrer Form gantz
unterſchieden, ja einander beynahe zuwider ſind,
eins durch das andere habe koͤnnen veranlaſſet
werden? Da hingegen bey der bloſſen Ver-
gleichung des aͤhnlichen Titels niemand leicht in
den Sinn kommen wird, zu zweifeln, daß nicht
eines von dem andern ſey abgeſehen worden:
Und da man insgemein nur gleiche Sachen mit
gleichen Nahmen zu belegen pfleget, ſo wird ja
niemand vermuthen, daß vielleicht das eine von
dieſen
[49]des deutſchen Witzes.
dieſen Wercken den Nahmen einer Crit. Dicht-
kunſt nur zur Zierde trage, ohne daß es ihn
eben wuͤrcklich verdiene: Wie jener ungeſchickte
Mahler die Figur, die er an ein Haus gemah-
let, ein Pferd genennet hat, ob ſie gleich einem
Geißbocke viel aͤhnlicher war; und es dießfalls
wohl heiſſen mag:
Inſtitui, currente rota cur urceus exit?’
Der dritte Grund, womit der Leipzigiſche Ver-
faſſer der Anmerckungen den Vorwurff der Un-
vollkommenheit in Anſehung der Gottſchediſchen
Dichtkunſt geſchickt ablehnet und entſchuldiget,
iſt von den geheimen und beſondern Abſichten her-
genommen, die ein Verfaſſer bey Schreibung
eines Buchs mag gehabt haben. Wer haͤtte es
vermuthen koͤnnen, daß Hr. Prof. Gottſched
die Vollkommenheit, die ſich in der Art und
Proportion der in ſeiner Dichtkunſt abgehandel-
ten Materien, befinden ſoll, nicht nach dem
Privatgebrauche einzelner Leſer, ſondern allein
und vornehmlich nach dem academiſchen Gebrau-
che wolle beurtheilt wiſſen, in ſo fern nemlich
dieſes Buch hauptſaͤchlich zur oͤffentlichen Vor-
leſung beſtimmt war? Jch ſage, wer haͤtte die-
ſes wohl vermuthen koͤnnen, wenn es der Ver-
faſſer der Anmerckungen nicht ſo deutlich berich-
ten wuͤrde? Da nun dieſe beſondere Abſicht er-
fodert, daß ein ſolches Buch eben nicht vollſtaͤn-
dig ſeyn muß, damit der muͤndlichen Erklaͤrung
auch noch was uͤbrig bleibe; ſo kan man ja auf
dieſe Weiſe alle Unvollkommenheiten eines ſol-
[Crit. Sam̃l. VI. St.] Dchen
[50]Echo
chen gedruͤckten Buches, die vermuthlich in dem
muͤndlichen Vortrage koͤnnen verbeſſert und erſezt
werden, leicht entſchuldigen. Dieſer Fund iſt
eben ſo liſtig, als wenn die Papiſten die vorge-
gebene Unvollkommenheit der Heil. Schrift durch
die muͤndlichen Traditionen ergaͤntzen wollen.
Es hat auch einer von meinen Freunden die Muͤ-
he genommen, die ins Kurtze gefaßten Regeln
der Gottſchediſchen Dichtkunſt aus dem erſten
Theile mit Fleiß herauszuziehen, um die zierli-
che Ordnung und Proportion dieſes Lehrgebaͤu-
des in das rechte Licht zu ſetzen; wenn er ſich ent-
ſchlieſſen koͤnnte, uns dieſen Auszug durch den
Druck mitzutheilen, ſo haͤtte man Gottſchedii ar-
tem poeticam in nuce.
Aber der Vertheidiger der Gottſchediſchen
Dichtkunſt, der dieſes Buch gegen alle Vor-
wuͤrffe recht ſicher ſtellen wollte, hat es nicht al-
lein bey bloſſen Moͤglichkeiten und Vermuthun-
gen bewenden laſſen; ſondern wuͤrcklich behaup-
tet, daß Hr. Prof. Gottſched alle Maͤngel und
Unvollkommenheiten, die in ſeinem gedruͤckten
Buche koͤnnten bemercket werden, in der Pri-
vaterklaͤrung ſeinen Schuͤlern durch den muͤndli-
chen Vortrag wuͤrcklich erſetzt habe. Und dieſen
hiſtoriſchen Beweißthnm weiß er gar geſchickt
mit Einfuͤhrung ſolcher Zeugen, die es ſelbs ſol-
len mit angehoͤrt haben, und mit einer Betheu-
rung zu befeſtigen. Er ſagt:
„Jch will dem
„Hrn. Schweitzer mit gantz eigentlichen Wor-
„ten bey meiner Ehre verſichern, (wo anders
„ein Deutſcher ſo ſchwoͤren kan,) daß es noch
„Leute in Leipzig giebt, die den Hrn. Prof.
„Gott-
[51]des deutſchen Witzes.
„Gottſched von den meiſten Materien, die in
„deſſen Dichtkunſt fehlen ſollen, ſchon vor ſechs
„und acht Jahren wollen haben reden hoͤren.„
Und etwas ferner:
„Und in der That ſagen
„die Leute, deren ich gedacht habe, daß es
„eben bey der Ausuͤbung geweſen ſey, wo er
„mit ihnen davon geſprochen haͤtte.„
Es feh-
let auch dieſem Beweiſe im geringſten nichts,
als einestheils, daß er die Anzahl dieſer Zeugen
von einer ſo geheimen Wahrheit nicht mit Nah-
men entdeckt, deren ohne Zweifel mehr als drey-
mahl drey geweſen ſind; und anderntheils, daß
er das Factum, welches er mit einer Betheu-
rung bekraͤftiget, um etwas zweideutig ausdruͤckt;
maſſen das haben wollen reden hoͤren nicht noth-
wendig ſagt, daß ſie ihn wuͤrcklich von dieſen
Materien reden gehoͤrt haben: Denn wenn ſei-
ne Betheurung nur dahin gehen ſollte, zu be-
kraͤftigen, daß es wuͤrcklich ſchon vor 6. und 8.
Jahren in Leipzig Leute gegeben, die dieſe Un-
vollkommenheiten und Maͤngel in der Gottſche-
diſchen Dichtkunſt angemercket, und daher Hrn.
Prof. Gottſched ſelbſt muͤndlich daruͤber anzuhoͤ-
ren Luſt bezeuget haben, ſo waͤre dieſes fuͤr Hrn.
Gottſched eben nicht ſo gar ruͤhmlich, zumahl
da er auch in der zweiten und verbeſſerten Auf-
lage ſeines Buchs dieſe Maͤngel und Unvollkom-
menheiten gelaſſen hat, wie er ſie in der erſten
Herausgabe gefunden hat. Sonſt iſt freylich
dieſe Art des Beweiſes an ſich ſelbſt unwider-
ſprechlich. Ein Buch, das vornehmlich zur oͤf-
fentlichen Vorleſung beſtimmet iſt, kan ohne die
muͤndliche Erklaͤrung nicht als ein Gantzes ange-
D 2ſehen,
[52]Echo
ſehen, oder beurtheilet werden. Wer will aber
ohne Verwegenheit von der Vollkommenheit
oder Unvollkommenheit eines Buchs uͤberhaupt,
davon er nur ein unvollkommenes Stuͤck geſehen
hat, urtheilen koͤnnen? Wenn demnach ein
unverleumdeter Mann hinter der Wand ſtehet,
der, ob er gleich von niemanden geſehen werden
kan, bey ſeinen Ehren gantz deutlich verſichert,
daß durch die muͤndliche Erklaͤrung alle Maͤngel
eines gedruͤckten Buchs ſeyn verbeſſert und er-
gaͤnzt worden; wer will ſolches widerſprechen
duͤrffen, wenn er nicht die Richtern und Buͤr-
gern ſo dienliche Regel hoͤren will: Quilibet præ-
ſumitur bonus \&c. Auf deutſch, daß man Leute,
die man nicht kennt, bis auf Gegenbeweiß fuͤr
ehrliche Leute halten muß, von denen man nicht
ſo ſchlechterdings dencken ſoll, daß ſie ihre eigene
unbekannte Ehre darauf ſetzen wuͤrden, wenn
es nicht um die Rettung der Wahrheit zu thun
waͤre. Es iſt darum die Betheurung in criti-
ſchen Streitigkeiten von einem ungemeinen Ge-
wichte und ein Ende alles Widerſprechens; denn
dadurch kan man die geheimſten Nachrichten,
die niemand ſonſt glauben wuͤrde, befeſtigen,
und den Gegner ſo enge einthun, daß er entwe-
der ſtillſchweigen und uns einen herrlichen Sieg
uͤberlaſſen, oder uns auf eine unverſchaͤmte und
jedermann verhaßte Weiſe an unſrem ehrlichen
Nahmen als Ehrloſe und Meineidige angreiffen
muß, wozu ſich aber niemand ſo leicht verſtehen
wird.
Vermoͤge dieſer Nachricht aber werden dieje-
nigen, welche Luſt haben, die Grundwahrhei-
ten
[53]des deutſchen Witzes.
ten, ſo zu dem Weſen der Dichtkunſt uͤberhaupt
gehoͤren, und in Hrn. Prof. Gottſcheds gedruͤck-
tem Buche entweder gar nicht, oder nur gantz
fluͤchtig und obenhin angefuͤhrt werden, gruͤnd-
lich zu verſtehen, ſehr wohl thun, wenn ſie ſich
an dieſen Unvollkommenheiten nicht ſtoſſen; ſon-
dern dafern ſie nicht Gelegenheit haben, bey Hrn.
Prof. Gottſcheden in die Schule zu gehen, mit
Ernſt trachten, ein geſchriebenes Collegium, wel-
ches der Hr. Prof. vor 6. und 8. Jahren uͤber
ſeinen Verſuch gehalten hat, und worinn alle
dieſe Unvollkommenheiten verbeſſert und ergaͤnzt
ſind, zur Hand zu bringen: Da werden ſie die
Grundlehren von der Nachahmung der Natur,
von dem poetiſchen Schoͤnen, von dem Wunder-
baren und Wahrſcheinlichen, von der Wahl der
Umſtaͤnde und ihrer Verbindung nach einer ge-
wiſſen Hauptabſicht, von den Charactern, und
den Hertzensgedancken ꝛc. ꝛc. die Hr. Gottſched
nur zum Detail rechnen ſoll, (wovon ein Kuͤnſt-
ler ſeinen Lehrlingen die Anmerckungen erſt bey
der Ausuͤbung beybringen muß, um ſie im An-
fange nicht zu uͤberhaͤufen,) ausfuͤhrlich abge-
handelt finden: Und zwar ſo, daß ſie faſt auf
die Vermuthung fallen duͤrften, der Zuͤrichi-
ſche Kunſtrichter habe bey Verfertigung ſeiner
Dichtkunſt ein ſolches 6. oder 8. jaͤhriges ge-
ſchriebenes Collegium ſich wohl zu Nutze gemacht,
angeſehen in derſelben groͤſtentheils nur diejeni-
gen Hauptmaterien ausfuͤhrlich abgehandelt ſind,
die Hr. Gottſched zum Detail gerechnet, und zur
muͤndlichen Erklaͤrung mit Fleiſſe verſpart und
aufbehalten hat.
D 3IX.
[54]Echo
IX.
Ob es wahr ſey, daß die Deut-
ſchen an Miltons verlohrnem Pa-
radieſe keinen Geſchmack finden.
ES iſt in moraliſchen Sachen eben ſo noͤ-
thig, als in phyſicaliſchen, daß man ſich
zuerſt recht vergewiſſere, daß etwas ſey,
eh und bevor man unterſucht, warum und wie
es ſey. Ohne dieſe Behutſamkeit wird man nicht
ſelten die Urſache von etwas ſuchen, welches ſel-
ber nicht iſt. Jch fuͤrchte, daß eben dieſes den-
jenigen begegne, welche entdecken wollen, wa-
rum die Deutſchen kein Belieben an Miltons
verlohrnem Paradieſe haben. Die gute Mei-
nung, die ich von dem erhabenen Geiſt, und
dem feinen Geſchmack der wahrhaften Deutſchen
habe, macht mir den Satz ſelbſt, deſſen Urſa-
che ſie ſuchen, allzu verdaͤchtig. Jch ſehe auch,
daß man ſeinen Witz und Verſtand gewaltig
recken und foltern muß, wenn man dieſe beyden
Stuͤcke, den Abſcheu fuͤr Miltons Gedichte und
den ſcharfſinnigen Geſchmack zuſammenreimen
will. Es iſt in der That unerweislich, daß die
Deutſchen von Miltons Paradieſe Verdruß em-
pfangen. Eine kleine Aufmerckſamkeit auf zwo
oder drey Betrachtungen wird uns deſſen uͤber-
fuͤhren.
Erſt-
[55]des deutſchen Witzes.
Erſtlich machen diejenigen Deutſchen, welche
dieſes Gedichte in Miltons Sprache leſen koͤn-
nen, keine Zahl, daß man ſie fuͤr die deutſche
Nation nehmen koͤnnte. Derjenigen, welchen
Milton aus dem Franzoͤſiſchen bekannt gewor-
den, moͤgen wohl mehrere ſeyn, aber von die-
ſen kan man eigentlich nicht ſagen, daß ſie ihn
geleſen haben: Der Hr. Ueberſetzer von St. Maur
hat ſich allzu viele Freyheit damit herausgenom-
men. Doch wenn man dieſes nichts achten will,
ſo iſt dennoch auch die Anzahl dieſer Leſer gantz
klein. Das Franzoͤſiſche iſt den Deutſchen uͤber-
haupt noch gantz ungewoͤhnlich, wovon ich nur
dieſes vor einen Beweis anziehen will, daß man
genoͤthiget worden, Baylens Lexicon ins Deut-
ſche zu uͤberſetzen, und daß es in dieſer Uberſe-
zung ſo viele Liebhaber findet: denn es iſt gewiß,
daß niemand es im Deutſchen leſen wird, der
es im Franzoͤſiſchen leſen kan. Die Ueberſetzung
des Hrn. Rolli iſt gantz getreu und genau, aber
in Deutſchland noch nirgend geſehen worden.
Mit der Hollaͤndiſchen wohlgerathenen und ziem-
lich nachdruͤcklichen Ueberſetzung des Hrn. von
Zante will ſich niemand gerne beladen, weil
man den Leuten eine Furcht beygebracht hat, daß
ſie die reine hochdeutſche Sprache mit dieſer ver-
dorbenen Mundart derſelben beflecken moͤgten.
Jn der hochdeutſchen Ueberſetzung des von Berg
ſieht Milton gantz verfinſtert aus, er hat darin-
nen von ſeinem urſpruͤnglichen Glantze nicht ſo
vieles behalten, als die Engel bey dem Poeten
nach ihrem tiefen Falle von den Zinnen des Him-
D 4mels;
[56]Echo
mels; Milton hat in dieſer Ueberſetzung auch
einen eben ſo haͤßlichen Fall gethan. Aus dieſer
Urſache konnten wir von derſelben nichts weiters
erwarten, als daß ſie bey poetiſchen Koͤpfen ei-
nige dunckle Empfindung der Vortrefflichkeit
der Materie des Miltoniſchen Werckes, und
einige Neugier dem Originale nachzufragen,
haͤtte erwecken ſollen. Hr. Bodmers erſte Ueber-
ſetzung iſt groͤſtentheils in der Schweitz geblie-
ben, wo ſie von den Graubuͤndern, den Appen-
zellern, und andern geiſtreichen Eidsgenoſſen
mit Empfindlichkeit geleſen worden. Eine ge-
ringe Anzahl davon hat man nach Sachſen ge-
ſandt, welche aber daſige Leſer nicht haben leſen
koͤnnen, wenn ſie ihre Ohren nicht wollten zer-
fleiſchen laſſen, und die Wahrheit zu bekennen,
nicht verſtanden haben, weil ein gantz anders
Deutſch darinnen gebraucht wird, als ſie auf
ihren Marcktplaͤtzen, in ihren Krambuden, und
Spielzimmern, ja in den Hochzeit- und Begraͤb-
nißgedichten ihrer Poeten gelernet haben. Jch
habe dieſes von Hrn. Prof. Gottſcheden, der
es mit dieſen Worten geſagt hat:
„Es iſt etwas
„ſo fremdes, ſagt er, rauhes und hartes in
„Bodmers Ueberſetzung, daß ein haͤßlicher
„Uebelklang daher entſteht, und hundert und
„hundert Leſer ſind uͤber dieſen ſo gar nicht weg,
„daß ſie ein gantz Buch hindurch ihren Ohren
„Gewalt anthun koͤnnten, und daß ſie aus Be-
„gierde nach den Sachen eine neue Art Deutſch
„zu reden lernen ſollten.„
Jn der That iſt das
Deutſche in dieſer Ueberſetzung, nicht nur allein
durch
[57]des deutſchen Witzes.
durch den Gebrauch der ſchweitzeriſchen Mund-
art, ſondern uͤberdieſes und weit mehr durch die
ungewoͤhnlichen rauhen und hoͤlliſchen Gedan-
ken Satans und ſeiner Engel ſo fremd und ſelt-
ſam geworden, daß man es wohl eine neue Art
Deutſches nennen mag: Denn gleichwie man
bisdahin mit dieſen Perſonen, ihren Empfin-
dungen und Meinungen in Deutſchland noch
nicht bekannt geweſen, alſo hat man auch ihre
Ausſpruͤche in unſrer Sprache noch nicht gehabt.
Wenn denn die Sachſen, oder was vor Deut-
ſche es ſeyn, das Miltoniſche Gedicht entwe-
der nicht in ſeiner urſpruͤnglichen Natur empfan-
gen, oder nicht geleſen, wenigſtens nicht ver-
ſtanden haben, ſo iſt es noch zu fruͤhe zu ſagen,
ſie haben kein Belieben daran. Man muß ihnen
nicht zumuthen, daß ſie von etwas in Empfin-
dung gebracht werden, womit ſie keine Bekannt-
ſchaft haben, und was von ihnen ſo weit abge-
legen iſt, daß es ihre Sinnlichkeiten nicht errei-
chen mag. Was Miltons Gedicht bey den Sach-
ſen noch endlich wuͤrcken koͤnnte, wuͤrde man erſt
aus einer Ueberſetzung deſſelben ſehen, die von
der geſchickten Freundin des Hr. Prof. Gott-
ſcheds verfertiget wuͤrde, worinne wenigſtens
die ſchweitzeriſche und die ſataniſche Mundart den
Sachen nicht zum Nachtheil gereicheten. Die
Stellen, ſo ſie in dem Zuſchauer aus demſelben
uͤberſetzet hat, laſſen uns daran nicht zweifeln,
weil ſie des Poeten und ſeiner feltſamen Perſo-
nen eigene Gedancken und Ausdruͤcke gantz ge-
ſchickt in das gewoͤhnliche Saͤchſiſche zu verwan-
D 5deln,
[58]Echo
deln, und hier und da noch zu erweitern gewußt
hat. Sie hat dieſes leztere auf eine merckwuͤr-
dige Art in der Erzehlung von der Erſchaffung
der Thiere gethan, wo ſie ſagt:
Anſtatt daß der Poet nur geſagt hatte:
„Viehſtieg aus dem Boden hervor, die Gras-
„kloͤſſer kalbeten.„’
Sie brachten nemlich in
Miltons Wercke nur Kaͤlber von Rehen, Hin-
dinnen, Kuͤhen, hervor; nicht Graskloͤſſer.
Dieſes neue Wunder uͤber das erſtere hat ihm
die Frau Ueberſetzerinn aus ihrer Sprache gelie-
hen. Hr. Profeſſor Gottſched ſelbſt wird ver-
muthlich durch dergleichen Ueberſetzungen noch
gewonnen, und auf andere Gedancken von
Miltons Werthe gebracht werden.
Wir wollen aber die Freyheit nehmen, dieſes
Mannes Ausſage von der Deutſchen Unempfind-
lichkeit im Abſehen auf Miltons Gedichte in Zwei-
fel zu ziehen, und uns einbilden, es ſeyn meh-
rere Deutſchen, als er uns bereden will, welche
Miltons Vorſtellungen in Hrn. Bodmers Ueber-
ſetzung haben leſen und verſtehen koͤnnen: Wo-
her verſichert man uns dann, daß ſolche in ihrer
alten Gleichguͤltigkeit gegen daſſelbe geblieben
ſeyn? Eben dieſer Hr. Profeſſor Gottſched hat
es ſchier allein geſagt. Ein Paar andere, die
es nach ihm geſagt haben, ſind mit ihm ſo nahe
verwandt, als wie der Widerhall mit der Stim-
me des Ruffenden. Jn den unbetruͤglichen und
authentiſchen Urkunden der gelehrten Zeitungs-
ſchreiber und Journaliſten wird es nicht geſagt.
Und
[59]des deutſchen Witzes.
Und beſagter Hr. Profeſſor verwickelt ſich in ſei-
nem Berichte von dieſer Sache ſo offenbar, daß
er ſich ſelbſt alles Glaubens unwuͤrdig machet.
Denn eben dieſelbe Feder, die geſchrieben hat,
das Vortreffliche, das man im Milton gefunden,
komme ihm nicht als ſein Eigenthum zu; es ſey
ihm nur von Addiſon geliehen worden; die
Deutſchen haben durch den Gebrauch der Phi-
loſophie die Vernunft ſehr gelaͤutert, und zu-
gleich den Geſchmack verbeſſert, und eben die-
ſem philoſophiſchen Lichte haben ſie es zu verdan-
ken, daß ſie im Milton den Lohenſteiniſchen und
Ziegleriſchen Schwulſt wahrnehmen; hat auch
geſchrieben, das beruͤhmte Gedicht Miltons
habe die Ehre verdienet, einer Jlias und Aeneis
an die Seite geſetzet zu werden; dieſes Gedicht
ſey Milton ſo gelungen, daß alle nach ihm kom-
mende Engliſche Poeten daſſelbe bewundert,
und ſeine geiſtreiche Schreibart zwar nachzu-
ahmen geſucht, doch ſelbſt geſtanden haben,
daß ſie ſelbige nicht erreichen koͤnnten.(*) Eben
derſelbe Kunſtrichter, der den deutſchen Aus-
druck der Bodmeriſchen Ueberſetzung als uner-
hoͤrt und widerlich verworffen hat; hat denſel-
ben ſo hoch erhoben, daß er geſagt, Milton ha-
be in dieſer Ueberſetzung noch mehr Kraft und
Nachdruck bekommen, als er in ſeiner eigenen
Sprache beſitze.(†) Unter dieſen widerwaͤrtigen
Aus-
[60]Echo
Ausſpruͤchen hat der Leſer die freye Wahl; er
kan mit eben ſo vielem Recht dem erſtern beyfal-
len, daß Milton vortrefflich ſey, als dem an-
dern, daß er nichts tauge; und dieſes kan er
thun, ohne daß der Hr. Profeſſor Urſache habe,
zu klagen, er traue ihm nicht.
Wenn nichtsdeſtoweniger jemand Hrn. Gott-
ſcheden den erfoderlichen Glauben zu einem ſolchen
hiſtoriſchen Bericht von dem Urtheile der Deut-
ſchen einraͤumen wollte, ſo wuͤrde ſolcher doch nur
allein die Sachſen angehen, mit welchen Hr. Gott-
ſched vertrauten Umgang hat, und es von ihnen
ſelbſt insgeheim hat wiſſen moͤgen. Von dieſen
lieſſe ſich aber auf andere Provinzen Deutſch-
lands nichts ſchlieſſen, dieſe koͤnnten einen an-
dern Geſchmack haben, der eben nicht Gottſche-
diſchſaͤchſiſch waͤre. Jch habe mich mit allem
Fleiſſe erkundiget, ob in Oeſterreich, in Tyrol,
im Schwabenland, in Beyern, die Leute, ſo
daſelbſt leben, von Miltons verlohrnen Para-
dieſe Vergnuͤgen oder Eckel empfangen, ob der
Ausdruck ihnen widerlich, die Gedancken ſelbſt
ſchrecklich und wild, ſchienen: Allein die wenig-
ſten haben gewußt, daß jemahls ein ſolches Ge-
dichte geweſen, die meiſten wußten noch nicht,
daß Milton ſelbſt geweſen waͤre. Und dennoch
wird man obige Nationen zu den Deutſchen zeh-
len muͤſſen, nachdem ſie zu unſren Zeiten um die
Herrſchaft im deutſchen Reiche ſtreiten.
Was mir aber die Ausſage Hrn. Gottſcheds
am meiſten verdaͤchtig macht, iſt der Schimpf,
der damit verknuͤpfet iſt, und daher auf die
Saͤch-
[61]des deutſchen Witzes.
Saͤchſiſche Nation, ja, wenn man ſeine Deut-
ſchen in dem weitlaͤuftigen Verſtande nehmen
wollte, auf die gantze deutſche Nation fallen muß;
daß ſie naͤmlich eines ſo plumpen und niedrigen
Geiſtes ſey, der ſich zu Miltons erhabenen, groß-
muͤthigen und auſſerordentlichen Gedancken und
Empfindungen nicht erheben koͤnne. Hr. Gott-
ſched hat zwar ſein Vorgeben von dem Unwillen
der Deutſchen gegen das verlohrne Paradies da-
mit bekraͤftigen wollen, daß er etliche Einwuͤrf-
fe gegen daſſelbe vorgebracht, welche dieſen Eckel
rechtfertigen ſollen: Allein eben dieſe Einwuͤrffe
ſind in ihrer Natur und ihrem Vortrage ſo be-
ſchaffen, daß wir ohne Abbruch unſrer Hochach-
tung fuͤr die beſcheidenen, ſcharfſinnigen, und
wohldenckenden Deutſchen, insbeſondere die
Sachſen, nicht glaͤuben koͤnnen, daß ſie auf
dieſe Art urtheilen, dencken, und ſich ausdruͤ-
ken. Dieſelben ſind in der dreiſſigſten Anmer-
kung uͤber das Trilleriſche Ergaͤntzungsſtuͤck Bl.
355. u. f. auf einen Haufen getragen; und der
Hr. Mag. Theodor Leberecht Pirſchel hat ſie da-
ſelbſt in ihrem ſchoͤnſten Lichte vorgeſtellet. Das
iſt der Ehrennahme des Verfaſſers dieſer von
uns ſo vielmahl gelobten Schrift, welcher ſich
bisdahin vor uns unſichtbar gemachet hatte.
Die Geduld ſich laͤnger in dem Winckel (worin-
nen er ſich verſtecket hatte, damit er das Ver-
gnuͤgen haͤtte, ſich ſuchen zu laſſen,) verborgen
zu halten, iſt ihm endlich ausgegangen, er hat
ſo laut gekraͤhet, daß ihn ſeine eigene Stimme
entdecket hat. Der Beſitzer dieſes beruͤhmten
Nah-
[62]Echo
Nahmens traͤgt nun beſagte Einwuͤrffe gegen das
Paradies ausdruͤcklich als Einwuͤrffe der deut-
ſchen Nation vor, mit der er ſich gantz vertrau-
lich anſtellet, maſſen er ohne Cerimonial von ihr
und ſich ſo redet:
„Die deutſchen Starrkoͤpfe,
„ſagt er z. Ex. werden ſich nicht bereden laſſen,
„daß das verlohrne Paradies ein vollkomme-
„nes Heldengedichte ſey. ‒ ‒ Es iſt dieſes nicht
„ſo gemeint, als ob wir am Milton ſchlechter-
„dings keine Schoͤnheit finden. ‒ ‒ Wir geſte-
„hen ihm viel hohe Gedancken zu. ‒ ‒ Dieſes
„blendet aber uns Deutſche nicht.„
Auf ſeine
Einwuͤrffe ſelbſt zu kommen, ſo zweifelt er erſt-
lich im Nahmen der Deutſchen, ob nicht Mil-
ton einen Fehler begangen, daß er theils ſo
fuͤrchterliche, theils ſo ernſthafte Weſen und
Handlungen zu den Gegenſtaͤnden der Fabel
gemachet. Er wiſſe zwar wohl, daß Hr. Bod-
mer dieſen Einwurf zu heben geſucht; er zwei-
fele aber wieder, ob ſeine Gruͤnde alle Schwie-
rigkeiten gehoben haben. Sollten die wahren
Deutſchen wohl ſo unbillig ſeyn, und ein Werck
um eines Fehlers willen verwerffen, von wel-
chem ſie noch im Zweifel ſtehen, ob es einer ſey?
Und wenn ſie nicht allein den Einwurf, ſondern
auch die [Beantwortung] deſſelben erwogen haben,
koͤnnen ſie noch zweifeln, ob er gehoben ſey?
Sollten ſie nicht ohne dieſes wiſſen, daß kein
Weſen und keine Handlung vor die Poeſie zu
ernſthaft ſey, daß die ernſthafteſte (*) von ihr
auf
[63]des deutſchen Witzes.
auf eine geſchickte Art ihrem Ernſt gemaͤß vor-
geſtellet werden koͤnne? Wer kan den Deutſchen
ohne Unbilligkeit zulegen, daß ſie die Poeſie an
ihr ſelbſt vor etwas ſo luſtiges halten, daß ernſt-
hafte Sachen, wenn ſie darinnen ihrer Wuͤrde
nach eingekleidet werden, mit einer laͤcherlichen
Luſtigkeit angeſtecket werden? Daß ſie glauben,
etwas goͤttliches, das mit dem Schmack der
Poeſie angethan wird, werde dadurch zur Fa-
bel gemachet? Was izo die fuͤrchterlichen We-
ſen anlanget, die Milton zu den Gegenſtaͤnden
ſeiner poetiſchen Handlungen gemachet hat, wa-
rum ſollten die witzigen und vernunftreichen
Sachſen, oder andere Deutſchen ſie aus dem
Gedichte verbannen? Vielleicht wegen ihres er-
ſchrecklichen Ausſehens, und ihrer teufliſchen Un-
ternehmungen? Allein ſie ſind zu tapfer, als
daß ihnen vor einem Blicke des Teufels und ſei-
ner Engel grauen ſollte; ſie duͤrffen dieſen Fein-
den des menſchlichen Geſchlechts mit einer ſol-
chen Mine unter Augen ſtehen, mit welcher ſie
ſchon vor Alters die Gallier aus dem Felde ge-
jaget, wie Caͤſar bezeuget, ſæpenumero Gallos
cum Germanis congreſſos ne vultum quidem eorum
atque aciem oculorum ferre potuiſſe. Wem es
unter ihnen an Muth mangelt, und wen die
boshaften Unternehmungen Satans beſorgt ma-
chen, der weis ſich nach der Vorſchrift der Re-
ligion im Glauben und Leben, mit Lehre und
Wan,
(*)
[64]Echo
Wandel dergeſtalt vorzuſehen, und zu bewaff-
nen, daß das gantze Reich der Hoͤllen, und
der Tod, dieſer Koͤnig des Schreckens ſelbſt,
ihm nichts abgewinnen kan. †
Der
[65]des deutſchen Witzes.
Der Vormund der Deutſchen ſagt uns in
dem Verfolge mit einem abſolutern Tone, als
einer der izo weis, was er ſagt, und nicht mehr
zweifelt: Eine deutſche Einbildung koͤnne
ſich, wenn nicht bald ein anderer Zuſammen-
hang der Dinge entſtehe, nimmermehr Geiſter
von ſo feinem Zeuge, daß ein Weltkreis unter
ihnen erſchuͤttert, wenn ſie den Fuß regen, als
wahrſcheinlich vorſtellen. Fragen wir die ge-
lehrteſten und die unwiſſendſten Deutſchen, ob
ihnen dieſes in der That ſo unwahrſcheinlich vor-
komme, ſo werden die leztern geradezu beken-
nen, daß es ihnen noch niemahls in den Sinn
gekommen, die Frage bey ſich ſelbſt zu machen,
ob dieſes wahrſcheinlich ſey oder nicht. Die Un-
wiſſenden pflegen nicht zu unterſuchen, ſie ſparen
ſich dieſe Muͤhe, und glauben etwas lieber. Was
die Gelehrten anlanget, ſo wiſſen ſie, daß eine
gantz geringe Staͤrcke dazu vonnoͤthen iſt, einen
Planeten, oder gantzen Weltkreis zu bewegen,
ſo fern einer nur von dem Wirbel deſſelben, oder
deſſen anziehenden Kraft frey iſt. Archimedes
hat nichts weiters gefodert, als ein Plaͤtzgen,
worauf er den Fuß ſetzen koͤnnte, ſo wollte er
die Erden aufheben.
Nun ſind die Engliſchen Geiſter nicht mit uns in
den unſrigen oder ſonſt einen Weltkreis einge-
ſchloſſen. Wir koͤnnen daneben mit vielen Exem-
peln beweiſen, daß Gelehrte und Ungelehrte in
ihrer Einbildung dergleichen Vorſtellungen ohne
Muͤhe haben vertragen koͤnnen. Als der Schutz-
[Crit. Sam̃l. VI. St.] Egeiſt
[66]Echo
geiſt Aſiens in Hr. Pietſchens Verſuche von Carl
dem VI. vor Achmets Thron getreten, fuͤhlet
Achmet
Hr. Gottſched ſelber hat in der Ode auf Frie-
derich Auguſt geſchrieben, daß unter Apollons
Prieſterinn
‒ ‒ ‒ ‒ die Kluͤfte keichen,
Gantz Delphos bebt, der Tempel kracht.
Von ihm mag ſich denn Hr. Pitſchel ſagen laſ-
ſen, wie es die deutſchen Einbildungen machen
muͤſſen, wenn ſie dieſes bey dem gegenwaͤrtigen
Zuſammenhange der Dinge vor wahrſcheinlich
anſehen ſollen; und von was vor Zeuge der Geiſt
oder Abgott geweſen, der dieſes Erdbeben ver-
urſachet hat. Allein Hr. Pitſchel kennt die Wei-
te und Groͤſſe der deutſchen Einbildungsfaͤhig-
keit noch nicht. Dieſe hat ſich in Hrn. Pietſchens
unverbeſſerlichen Armee nicht daran geſtoſſen,
daß er den Grund der Erden nicht von einem
Geiſte, ſondern nur von Menſchen hat erſchuͤt-
tern laſſen:
Und hat nicht Hr. Buchka mit einer deutſchen
Einbildung auf denſelben Ton geſagt:
Man geht, der gleiche Tritt erſchuͤttert Land und Luft.
*
Es faͤllt das ſtarcke Knie, ſo daß der Boden ſchuͤttert.
*
‒ ‒ ‒ ‒ Der Erden Feſte zittert
Wenn die vereinte Fauſt die Waffen ſincken laͤſt.
Meint
[67]des deutſchen Witzes.
Meint der metaphyſicaliſche Hr. Magiſter, die-
ſes ſey darum wahrſcheinlicher, weil die Fuͤſſe
dieſer Musketierer von grobirdiſchem Zeuge ſind,
ſo daß ſie auf die maſſive Erde mit einem Nach-
druck anſchlagen koͤnnen, welches Geiſtern we-
gen ihrer feinen und luftigen Gliedmaſſen nicht
moͤglich iſt? Er bildet ſich vermuthlich den Zeug
der Geiſter als etwas ſo zartes ein, daß er einer
durchbrochenen Arbeit gleich ſey, an welcher der
Meiſter ſo lange gefeilet, bis er ſie endlich gar
verſchwaͤchet hat; oder ſie koͤmmt ihm vor, wie
ein allzu duͤnne geſchliffenes Meſſer, welches alle
Schaͤrffe verlohren hat, und gantz biegſam gewor-
den iſt.
Er kan allein in denFées illuſtres und andern
ſolchen Siebenſachen, wie er ſich zierlich aus-
druͤckt, dem eckeln deutſchen Geſchmack erlau-
ben, ſo etwas, als ein Geiſt iſt, der einen Erd-
kreis erſchuͤttert, noch mitunterlauffen zu laſ-
ſen. Denn, ſagt er, in ſolchen tiefſinnigen
Wercken erwartet ein Menſch, der ein wenig
Verſtand hat, ohnedem keine Wahrſcheinlich-
keit. Wenn die verſtaͤndigen Leute, die er
kennet, in dergleichen Erzehlungen von Feyen
keine Wahrſcheinlichkeit erwarten, ſo thaͤte Hr.
Pitſchel ſehr kluͤglich, wenn er ſelber, ſtatt daß
er vornaͤhme Luſtſpiele oder Trauerſpiele zu ſchrei-
ben, ſolche Siebenſachen verfertigete. Er koͤnn-
te dann zum voraus verſichert ſeyn, daß er es
ihnen recht machen wuͤrde. Allein es giebt noch
eine andere Art von Verſtaͤndigen in ſeinem Va-
terlande, und in andern Laͤndern, die ſelbſt in
E 2den
[68]Echo
den Maͤhrgen einen gewiſſen Grund des Wahr-
ſcheinlichen haben wollen, der ſich auf einen all-
gemeinen Wahn, einen Glauben oder Aberglau-
ben, einen Betrug der Sinnen, oder der Ein-
bildung, oder etwas dergleichen beziehen muß;
worauf der Dichter ſeine Fabel auffuͤhren, und
in dem Zuſammenhange nichts muß einflieſſen
laſſen, welches wider ſich ſelbſt anſtoſſe. Dieſe
wuͤrden ihm rathen, mit ſeinem eckeln Geſchma-
ke und unwahrſcheinlichen Siebenſachen nach An-
ticyra zu reiſen, eh er Maͤhrgen ſchriebe.
Der Hr. Mag. weiß im Verfolge ſo geſchickt
zu unterſcheiden, daß er zwiſchen Erzehlungen
von Feyen, und epiſchen Gedichten einen Un-
terſchied feſtſetzet. Er iſt gegen dieſe leztern eben
ſo hart und ſteif, als er gegen die erſtern weich-
muͤthig geweſen. Am verlohrnen Paradieſe,
in einem dafuͤr ausgegebenen vollſtaͤndigen Hel-
dengedichte kan er ſolche Siebenſachen nicht
vertragen. Und er findet noͤthig, uns den Grund
ſeiner Meinung zu ſagen, damit man ſehe, daß
er nicht aus Dummheit/ ſondern aus Ueberle-
gung handle, denn es ahnet ihm, daß jemand
das erſtere von ihm glauben moͤgte; mith in muß
er uns ſelbſt bekennen, er wiſſe nicht, ob die
menſchliche oder deutſche Natur ihn ſeinen Satz
gelehrt habe. Dieſer wird von ihm alſo gegeben:
Alles ſey nicht unter allen Umſtaͤnden gleich
wahrſcheinlich. Ein geiſtiger Athos wuͤrde in
den Hexenmaͤhrchen geduldet werden koͤnnen/
weil man gar keine wuͤrckliche und abſolute
Wahrſcheinlichkeit darinnen ſuche/ aber doch
hypothe-
[69]des deutſchen Witzes.
hypothetiſch annehme, daß es der Zauberey
moͤglich ſey/ ein ſolch Rieſengeſpenſt zu machen.
Es mußte eine ſolche gemeine und von niemand
in Zweifel gezogene Wahrheit ſeyn, zu bewei-
ſen, daß er nicht aus Dummheit handelte. Die-
ſe mußte aber in eine ziemliche Dunckelheit ein-
gehuͤllet werden, damit ſie neu und vortrefflich
ſchiene.
Es iſt unleugbar, daß nicht alle Vorſtellun-
gen, ſie moͤgen ſeyn wie ſie wollen, und mit
was vor Umſtaͤnden ſie gleich begleitet ſeyn, fuͤr
alle Leute gleich viel Wahrſcheinlichkeit haben.
Es iſt genug, daß eine Erdichtung auf ein ange-
nommenes Syſtema einer Religion, einer Sec-
te, eines Aberglaubens, Wahnes, Betruges
der Sinnen, oder der Phantaſie gebauet werde.
Wenn hernach nur alle Umſtaͤnde in derſelben
unter ſich zuſammenhangen, ſo bekoͤmmt ſie eben
ſo viel Wahrſcheinlichkeit, als das Syſtema,
worauf ſie ſich bezieht, ſelber in ſich hat, oder ein
Leſer ſelbigem in ſeinen Gedancken einraͤumt. Der
Hr. Pitſchel wuͤrde nun einen geiſtigen Athos,
ſo nennet er Miltons Satan wegen ſeiner auſ-
ſerordentlichen Groͤſſe, den er ſonſt auch mit dem
Titel einer Teufelsmaſchine beehret, in den He-
renmaͤhrchen dulden weil er darinnen zwar kei-
ne abſolute Wahrſcheinlichkeit findet, jedoch
ſich nach der Hypotheſis bequemet, daß ein ſolch
Rieſengeſpenſt durch Zauberey gemacht werden
koͤnne. Er thut den Schwartzkuͤnſtlern, Ne-
gromanten und Teufelsbeſchweerern die Ehre
an, daß er mit dem Poͤbel vorausſetzet, ſie koͤn-
E 3nen
[70]Echo
nen Rieſengeſpenſter machen; aber dem Sa-
tan, von welchem dieſe doch alle ihre Kuͤnſte,
nach eben dieſes Poͤbels Glauben, gelernet ha-
ben, ihrem Meiſter und Lehrer, goͤnnet er die
Ehre nicht zu glauben, daß er eben ſo viel fuͤr
ſich ſelbſt, als fuͤr andere, thun, und ſelbſt ei-
ne ſolche Rieſengeſtalt an ſich nehmen koͤnne.
Dieſes duͤnckt ihn nicht wuͤrcklich und abſolute
wahrſcheinlich, wie es in einem dafuͤr ausgege-
benen Heldengedichte ſeyn ſollte. Die Vorſiel-
lungen in einem ſolchen, meint er, ſollten nicht,
nur allein nach einem aberglaubigen Syſtema
des Poͤbels, wahrſcheinlich ſeyn, ſondern einen
Wahrheitsgrund in der gegenwaͤrtigen Reihe
der Dinge, in der wahren Religion, und mit
derſelben zuſammenſtimmenden ſtrengen Meta-
phyſick haben. Sein Verſtand laͤßt ihm nun
in der gegenwaͤrtigen Reihe der Dinge keine ſol-
che Teufelscoͤrper begreifen: Jn unſrer Welt,
meint er, ſey nichts dergleichen in der Natur der
Dinge: Die Poeſie muͤſſe eine Nachahmung
ſeyn; wie Milton etwas habe nachahmen koͤn-
nen, das nicht vorhanden war, wovon kein
Urbild da war; und wie man ſagen koͤnne, daß
er unſre Natur nachgeahmet habe?
Man ſieht wohl, wo es dem ſchulgerechten
Hrn. Magiſter mangelt. Er hat kein Licht von
den unermeßlichen Kraͤften, die in der Schoͤ-
pfung und der Natur liegen; er hat nicht be-
griffen, daß ſolche mit dem, was darinnen zur
Wuͤrcklichkeit gebracht iſt, nicht endigen, oder
erſchoͤpft ſind. Sein materialiſcher Coͤrper hat
ihn
[71]des deutſchen Witzes.
ihn mit allzu ſchweren Banden an den Erdboden
angeheftet, und vergoͤnnt ihm nicht uͤber die At-
moſphaͤr ſeines Geburtsortes wegzuſteigen, an-
dere Gegenden auſſer demſelben, mit andern
Einwohnern bevoͤlckert, und mit andern Geſchaͤf-
ten und Unternehmungen bemuͤhet, zu beſuchen;
ſolche Dinge, welche darum, daß ſie ſich ſei-
nem Geſichte, und ſeiner Erkenntniß entzogen
haben, nichtsdeſtoweniger zu der gegenwaͤrtigen
Reihe der Dinge gehoͤren, und ſo gut, als die
Erde, die Menſchen und die Handlungen und
Zufaͤlle der Menſchen, ein Stuͤcke derſelbigen
ſind. Mit einem Worte, er hat allzu viel ge-
meinſchaft mit den Coͤrpern, u. hat daruͤber ſchier
vergeſſen, die Bekanntſchaft mit den Geiſtern,
denen ſein vornehmerer Theil verwandt iſt, zu
unterhalten. Wuͤßte er ſich von den Feſſeln, die
ihn in dieſer coͤrperlichen und ſichtbaren Welt
angebunden haben, zu befreyen, und ohne daß
es ihn das Leben koſtete, in die Welt der Gei-
ſter zu fliegen, ſo wuͤrde er bald ſehen, daß auf
der Leiter der lebendigen und der vernuͤnftigen
Dinge unzaͤhlig mehr Arten von Weſen ſtehen,
als ihm noch bisdahin in ſeine Einbildung gekom-
men ſind. Und wenn er Muthes genug haͤtte,
ſich mit reiſenden Fuͤſſen in den finſtern/ bo-
denloſen/ unendlichen Abgrund zu wagen/ oder
ſeinen Flug mit unermuͤdeten Fluͤgeln uͤber die
ungemeſſene Kluft zu nehmen, damit er ſich
eine deutlichere Erkenntniß von der Wohnung,
dem Staat und den Sitten der gefallenen En-
gel erwuͤrbe, ſo koͤnnte er uns zuverlaͤſſiger ſa-
E 4gen,
[72]Echo
gen, ob dasjenige, was Milton uns davon er-
zehlet, der dieſe Reiſe in Begleitung der himm-
liſchen Muſe gethan, in der gegenwaͤrtigen Rei-
he der Dinge wuͤrcklich vorhanden ſey; ob es
wenigſtens auf wuͤrcklich eingefuͤhrte Geſetze ge-
gruͤndet, und von dem gewoͤhnlichen Laufe der
Natur als etwas moͤgliches nachgeahmet ſey,
oder ob es damit in einem voͤlligen Widerſpruche
ſtehe. Jch bin verſichert, wenn er nur ein Paar
Minuten durch die Pforte der Hoͤlle hindurch ge-
gucket, oder einmahl in dem Saal des Pandaͤ-
monium geſtanden waͤre, daß er bald wahrge-
nohmen haͤtte, daß ſolche Teufelsmaſchinen we-
der fuͤr die Hoͤlle zu groß, noch dieſe fuͤr dieſelben zu
enge ſey. Jzo mag er ſich wohl eine Vorſtellung
von Satan gemachet haben, wie ſein Lands-
mann, der fromme Schmied von Juͤtterbock,
als von einem Maͤnnchen, das ſich in einen Ko-
lenſack ſtecken laͤßt, und in ſeinem gantzen Be-
tragen, Gedancken, und Anſchlaͤgen gantz purſch-
maͤſſig ausſiehet. Dieſer iſt ohne Zweifel einer
von den Teufeln, von denen Hr. Pitſchel ſagt,
daß ſie fuͤr die Deutſchen und ihre Kinder ge-
machet ſind. Es ſcheinet in der That, daß ihm
die ungeheure Groͤſſe Satans am meiſten anſtoͤſ-
ſig geweſen. Einen kleinen artigen Teufel, der
mehr nach dem menſchlichen Maaſſe proportio-
niert geweſen waͤre, haͤtte er noch koͤnnen ver-
tragen; wie etwann derjenige geweſen, den der
Schweitzeriſche Zuſchauer in einem ſeiner Blaͤt-
ter in der Bedienung eines Complimentierteu-
fels aufgefuͤhrt hat; das war ein wohlgepuzter,
ſtarck-
[73]des deutſchen Witzes.
ſtarckbebiſamter, mit gekrausten und pudrier-
ten Haaren vom Kopf an bis zum Wadel ſeines
Schwantzes ausgezierter junger Teufel, der uͤber-
dies auf ſeinem Angeſicht etliche Schoͤnflecken
nach der neueſten Mode aufgekleibt hatte. Jn-
deſſen wollte ich gerne wiſſen, was es Hrn. Pit-
ſchel mehr zu ſchaffen machete, ſich einen Teufel
von der Groͤſſe eines Rieſen, als hingegen ei-
nen von Zwergesgeſtalt einzubilden. Und haͤlt er
alles, was groͤſſer iſt, als die menſchliche Sta-
tur, vor Ungeheuer? Nimmt er denn das Maaß
aller uͤbrigen Geſchoͤpfe bey ſeinem eigenen?
Demnach wuͤrde er, wenn er in Liliput geboh-
ren waͤre, unſre groſſen, anſehnliche deutſchen
Leiber in ſeiner Einbildung vor Ungeheuer und Rie-
ſengeſpenſter halten. Er ſollte ſich doch beſinnen,
und dem Satan zum wenigſten eine ſo anſehnli-
che Geſtalt einraͤumen, als diejenige iſt, mit wel-
cher Homer die Zwietracht verſehen hat: Er ſagt
von ihr im vierten B. der Jlias v. 443. ſie habe
den Kopf in dem Himmel droben, und gehe
auf dem Erdboden; welches Hr. Koͤnig noch
ſo ſehr vergroͤſſert hat:
Sie ſteigt vom Abgrund an mit einem einzgen Schritte
Bis an des Himmels Thor. ‒ ‒ ‒ ‒
Sollte Satan nicht zum wenigſten ſo groß und
anſehnlich ſeyn, als die Zweitracht, ein Ens ra-
tionis, und zum hoͤchſten ſeine Tochter? Vir-
gil hat das Geruͤchte, welches doch nichts meh-
rers als ein Geſchoͤpfe des Poeten iſt, nicht ei-
nen Schuhe kleiner gemacht, als dieſe Zwei-
E 5tracht,
[74]Echo
tracht, wenn er im vierten B. der Eneis v. 177.
mit Homers Ausdruͤcke ſagt:
Alle dieſe Betrachtungen haben die Deutſchen
ſchon vor mir gemacht, und darum haben auch
die Pitſchelſchen Einwuͤrffe und Lehrſaͤtze gegen
Miltons Vorſtellungen bey ihnen nicht aufſtei-
gen koͤnnen. Sie haben ſich weiter aus ihrer
Atmoſphaͤr herausgewaget, und einen genauern
Umgang mit den Einwohnern der Geiſterwelt ge-
pflogen, als der Hr. Magiſter. Nichtsdeſto-
weniger muß ich den beſagten Einwendungen ei-
ne ſolche Kraft zugeſtehen, welche genugſam ſey,
bey dem Hrn. Pitſchel und ſeinem Lehrmeiſter
einen Abſcheu fuͤr Miltons Gedichte zu verurſa-
chen, und denſelben auch zu rechtfertigen. Ei-
nen ſeichten Witz und ſchwachen Verſtand zu
hintergehen, ſind die elendeſten Gruͤnde zulaͤng-
lich.
Nicht die wahren Deutſchen zweifeln demnach
daran, daß nicht Gott ſelbſt, gute und boͤſe
Engel, die ernſthafteſten und die fuͤrchterlichſten
Weſen, in einem epiſchen Gedichte ihrer Wuͤrde
gemaͤß aufgefuͤhrt werden koͤnnen; daß nicht je-
ne einen Weltkreis in Erſchuͤtterung ſetzen koͤn-
nen; daß nicht ein Poet auf die Grundgeſetze
der Natur etwas erfinden duͤrfe, welches noch
nicht im Wercke vorhanden war; daß er nicht
den Geiſtern einen Coͤrper, er mag groß oder
klein ſeyn, anziehen duͤrffe: Nicht die Sach-
ſen ſchreiben der Engellaͤndiſchen Nation, die
ſie
[75]des deutſchen Witzes.
ſie allen Voͤlckern in der Welt vorziehen/ und
Hrn. Addiſon/ fuͤr den ſie ſo viel Hochachtung
als je fuͤr einen Schriftſteller in der Welt ha-
ben/ eine ausſchweifende Einbildungskraft zu/
in welcher ſie ſich ein Bild durch oͤfters An-
ſchauen als ein Ungeheuer vorſtellen; nicht der
eckle deutſche Geſchmack erwartet in denF[e]es
illuſtreskeine Wahrſcheinlichkeit; nicht die Deut-
ſchen ſchelten die alten griechiſchen und lateini-
ſchen Poeten vor mythologiſche Hocuspocusma-
cher; ſondern Pitſchel. Nur dieſer hat aus
Liſt ſeinen ſchlimmen Geſchmack der ſcharfſinni-
gen deutſchen Nation zugeſchrieben, damit er
dadurch ſeinem eigenen verderbten ein Anſehen
erwuͤrbe. Oder es war ein unverſtaͤndiger Hoch-
muth, nach welchem er ſich ſchmeichelte, daß er
den Deutſchen mit ſeinem Geſchmack vorgehen
wollte, daß dieſe ihren eigenen abdancken und
ſich zu dem ſeinigen bekennen wuͤrden. Allein er
muß zu einem Betruge von dieſer Art mehr Ge-
ſchicklichkeit haben, wenn ihn nicht die Ohren,
die Hoͤrner, oder der Schwantz verrathen ſol-
len. Waͤre ſein Vorhaben geweſen, ſeine Lands-
leute mit allem Fleiſſe zu beſchimpfen, ſo haͤtte
ers nicht beſſer anſtellen koͤnnen, als daß er ih-
nen ſolche Urtheile, Gedancken, Saͤtze und Aus-
druͤcke in den Mund leget.
X.
[76]Echo
X.
Ein halbes Hundert Vorſchlaͤge
zu wichtigen und gantz lehrreichen
Critiſchen Unterſuchungen.
AUs der Abhandlung ſo vieler ſeltſamen und
lehrreicher critiſchen Materien, auf wel-
che mich die Leipzigiſchen Anmerckungen
zu dem Trilleriſchen Ergaͤntzungsſtuͤcke gefuͤhrt
haben, kan jedermann abnehmen, wie frucht-
bar an ſonderbaren Lehrſaͤtzen und critiſchen Ent-
deckungen die Schule ſey, aus welcher ſie gefloſ-
ſen ſind. Dasjenige, was in den Schriften ih-
rer Scribenten ausdruͤcklich gelehret, und mit
duͤrren Worten vorgetragen wird, iſt mit dem
nicht zu vergleichen, was ſie zu erfinden veran-
laſſen, und worauf ſie den nachſinnenden Leſer
leiten. Man muß ihnen das Lob zugeſtehen,
daß ihre angenommenen und behaupteten Saͤtze
weiter fuͤhren, als ihr Vorhaben ihrer abſon-
derlichen Abſicht gemaͤß von ihnen erfoderte. Sie
ſagen mehr, als ſie dencken; und machen da-
durch ihre Schreibart, die ſonſt gantz leichtbe-
laden ſcheint, voll innerlichen Nachdruckes. Jn
den oftgedachten Anmerckungen des Hrn. Pit-
ſchels allein iſt noch der Stof zu einer ziemlichen
Menge Themata und gelehrten Aufgaben ver-
borgen, welche den bereits abgehandelten an
Neu-
[77]des deutſchen Witzes.
Neuigkeit und Nuͤtzlichkeit nichts nachgeben, und
ſchon groͤſtentheils die Grundregeln, nach wel-
chen ſie ſicher unterſucht und beurtheilt werden
koͤnnen, mit ſich fuͤhren. Es giebt mir keine
Muͤhe, ein halbes Hundert dergleichen zuſammen-
zuleſen, von welchen ich verſichern darf, daß
eine ausfuͤhrliche und gruͤndliche Abhandlung der-
ſelben in der Critick ein neues Licht anzuͤnden,
und ſo wohl den geſchickten Mann, der ſich da-
mit bemuͤhete, als den Herr Magiſter, der die
Gedancken darauf gefuͤhrt, und den Leitfaden
zur Ausfuͤhrung an die Hand giebt, mit Ehre
und Lob uͤberſchuͤtten wuͤrde. Jch haͤtte mich ſel-
ber entſchloſſen, mich an dieſe Materie zu machen,
und meine Liebe zur ſtrengen Arbeit ferner zu ex-
ercieren, wenn mir nicht die drohungsvolle Regel
de Tri, ein Bogen giebt neune, was geben
fuͤnf Bogen[?] welche der vorſichtige Hr. Pit-
ſchel ſich ſchon in den erſten zwantzig Zeilen ſei-
ner Anmerckungen zur Maͤſſigung ſeines Ueber-
fluſſes an geſchickten Antworten vorgeſtellet hatte,
den Muth auf einmahl daniedergeſchlagen und
die Luſt benommen haͤtte.
I. Ob die Leipzigiſchen Kunſtrichter von dem
allgemeinen Ausſpruch, daß jede Nation ihre
groben Exemplare habe, eine Ausnahme ma-
chen?
Sehet in den Beluſtig. Bl. 173.
II. Ob man aus Hrn. Prof. Gottſcheds Re-
de- und Dichtkunſt lernen koͤnne, was Jronie
heiſſe;
[78]Echo
heiſſe; und was es auf ſich habe, dieſelbe vom
Anfange bis ans Ende nicht zu verlaſſen, oder
aus dem Fußſtege nicht herauszukommen/ und
ins dicke zu treten?
Sehet Bl. 174. 175.
III. Ob es nicht eben ſo wohl vor, als nach
Herausgebung der Gottſchediſchen Dichtkunſt
moͤglich geweſen/ ein Gedicht zu verfertigen/ das
den Beyfall aller Kenner haͤtte erhalten koͤnnen?
Und wenn dieſes zugeſtanden wird, ob daraus
folge, daß man Hrn. Gottſcheds Dichtkunſt
wohl haͤtte entbehren koͤnnen[?]
Jn der fuͤnfzehnten Anmerckung Bl. 273. wird geſagt,
es wuͤrde moͤglich geweſen ſeyn, ein Gedicht zu verfer-
tigen, das den Beyfall aller Kenner erhalten wuͤrde,
ohne Hrn. Breitingers Dichtkunſt geſehen zu haben.
Damit wollte man beweiſen, was unmittelbar vor dieſen
Worten geſezt worden: Es laſſe ſich in einem gewiſſen
Verſtande gar wohl ſagen, ohne des Herren Breitingers
Ehre und Wiſſenſchaft zu beleidigen, daß man allen-
falls ſeine Dichtkunſt haͤtte entbehren koͤnnen.
IV. Ob dieſes nicht eine wuͤrckliche Klughoit
und hoͤchſtens zu loben ſey, daß man durch Ta-
del niemand beleidige, der ſich noch vertheidi-
gen kan, und ſich keine Feinde mache, ſo man
es erſparen kan[?]
Jn der ſechszehnten Anm. wird geſagt: Ein jeder
muͤſſe billig an dem Hrn. Prof. Gottſched als eine wuͤrckli-
che Klugheit loben, daß er ſich nicht auf eine ſtrenge Beurthei-
lung der Jztlebenden einlaͤßt. Was ſollte er ſich Feinde
machen, heißt es eben daſelbſt, da er es erſparen konnte?
V. Ob
[79]des deutſchen Witzes.
V. Ob und ſeit wie viel Jahren Hr. Prof.
Gottſched im Gewiſſen verbunden ſey, die Jzt-
lebenden durch eine gerechte Beurtheilung nicht
zu erzoͤrnen?
Jn derſelben ſechszehnten Anm. ſtehet: Jch halte
ihn gar in ſo ferne gewiſſermaſſen un Gewiſſen verbunden,
ſo zu handeln, wie er gehandelt hat.
VI. Ob es nicht fuͤr die allgemeine Sicherheit
der elenden Scribenten ſehr vortraͤglich ſeyn wuͤr-
de, daß dieſe Gottſchediſche Gewiſſensregel, die
Jztlebenden mit Criticken und Tadel zu verſcho-
nen, von allen Kunſtrichtern als ein Funda-
mentalgeſetze auf und angenommen wuͤrde?
VII. Ob die Pflicht, die Hrn. Gottſched im
Gewiſſen zur Beobachtung dieſer Regel verbun-
den, daß man die Jztlebenden mit Criticken gaͤntz-
lich verſchone, den Eigennutzen oder das billige
Mißtrauen in ſeine eigene Schriften zum Grund
habe?
VIII. Ob die von Hrn. Prof. Gottſched bis-
her ſtreng beurtheilten Schriftverfaſſer alle fuͤr
Todte zu halten ſeyn?
Denn in der 16ten Anm. wird 274. S. 8. Z. vorausge-
ſezt, Hr. Gottſched laſſe ſich auf eine ſtrenge Beurthei-
lung der Jztlebenden nicht ein.
IX. Ob die Gefahr den Geſchmack junger
Leute zu verderben, von Seite der Jztleben-
den geringer ſey, als von Seite der ſel. Ver-
ſtorbenen? und warum?
Hr.
[80]Echo
Hr. Pitſchel will in der ſechszehnten Anmerckung: Das
Stillſchweigen Hrn. Prof. Gottſcheds, da er die iztle-
benden elenden Poeten ungetadelt laͤßt, habe keinen ſchaͤd-
lichen Einfluß in die Erzichung junger Dichtet, in den
Geſchmack der Nation, und in die geſunde Vernunft
uͤberhaupt. Und er fordert einen Beweis, warum es
unmoͤglich ſey, einen Schuͤler der Dichtkunſt durch das
Exempel verſtorbener Dichter kraͤftig vor Fehlern zu war-
nen, ohne die lebendigen ins Geſicht zu radeln.
X. Ob das Oppoſita juxta ſe poſita magis elu-
ceſcunt, wenn es auf Hrn. Prof. Gottſcheds
Verſuch einer Dichtkunſt in Vergleichung mit
der Zuͤrichiſchen Dichtkunſt angewendt wird,
der erſtern zum Lobe oder Tadel gereiche?
Hr. Mag. Pitſchel beruͤhrt dieſe Frage in der neunzehn-
ten Anm. Bl. 276., jedoch ohne daß er ſie entſcheide.
XI. Ob dieſes allein beym Mangel aller an-
dern, ein untruͤgliches Kennzeichen von der in-
nerlichen Guͤte der Gottſchediſchen Dichtkunſt
abgebe, daß ſie noch nicht zum Ladenhuͤter
geworden[?]
Sehet die 19te Anm.
XII. Ob Hr. Prof. Gottſched bey ſeiner Dicht-
kunſt ſein Abſehen darum nicht auf die Lapplaͤn-
der und Spitzberger mitgerichtet habe, weil
er ſie zwar fuͤr Menſchen, aber fuͤr keine Deut-
ſchen gehalten?
Jn der 29ſten Anm. ſagt Hr. Pitſchel: Hr. Gottſched
habe ſein Abſehen etwas mehr auf die Deutſchen, als
auf die Lapplaͤnder und Spitzberger gerichter.
XIII. Ob
[81]des deutſchen Witzes.
XIII. Ob der weitlaͤuftige Abſchnitt in der
Zuͤrichiſchen Dichtkunſt, wo von der Aeſopiſchen
Fabel gehandelt wird, die Natur der Fabel eben
ſo wenig beruͤhre; als der Leipzigiſche Verſuch
die Natur des Wunderbaren und Wahrſchein-
lichen in beſondern dazu gewiedmeten Capiteln
beruͤhrt hat?
Sehet die 34ſte Anm. Bl. 365.
XIV. Wenn Hrn. Prof. Gottſcheds Verſuch
einer critiſchen Dichtkunſt etwas mehr iſt als ein
bloſſer Verſuch, was er denn eigentlich ſey?
Der Hr. Mag. ſagt in der 36ſten Anm. Bl. 366. daß
der Hr. Prof. Gottſched ſein Buch aus Beſcheidenheit
einen Verſuch genannt habe, ob es gleich ſeines Erach-
tens noch etwas mehr ſey, als ein bloſſer Verſuch.
XV. Wie es komme, daß die Frage †: Ob
denn eine Fabel nothwendig moraliſche Abſich-
ten haben, d. i. eine Fabel ſeyn muͤſſe: nicht
eher koͤnne eroͤrtert werden, bis man mit der
Unterſuchung von der Natur der Fabel vollkom-
men fertig iſt?
Die Beantwortung dieſer Frage † ſteht in Hr. Gottſcheds
Dichtkunſt erſt nach der voͤlligen Unterſuchung von der Na-
tur der Fabel. Sehet die 38ſte Anm. Bl. 369.
XVI. Ob Hr. Prof. Gottſched eine Suͤnde
begehe/ wenn er nicht ſo leicht glaͤubt/ daß
man guten Wein finde/ wo kein Kraͤntzchen
ausgehaͤngt worden?
Sehet die 33ſte Anm. Bl. 364.
[Crit. Sam̃l. VI. St.] FXVII.
[82]Echo
XVII. Warum Hr. Prof. Gottſched die bey-
den iztlebenden Poeten Deutſchlands Hrn. Koͤ-
nig und Hrn. Brockes ohne dringende Noth
niemahls mit Nahmen nennen mag? Und ob er
dadurch zuwegen gebracht habe, daß ſie nicht
mehr zu der beſten deutſchen poetiſchen Welt
mitgerechnet werden?
Sehet die 39ſte Anm. Bl. 396.
XVIII. Ob denn beruͤhmt und gut in Deutſch-
land durchgehends nicht einerley ſey? Und ob
es Hrn. Prof. Gottſcheds Geſchmack ruͤhmlich
ſey, dieſen Unterſchied auf die beyden beruͤhm-
ten Poeten Deutſchlands Hrn. Brockes und
Koͤnig zu erſtrecken?
Hr. Gottſched hatte Hrn. Koͤnig und Hrn. Triller ein Paar
der beruͤhmteſten Poeten genennt. Nun fuͤrchtete Hr. Pit-
ſchel, man moͤgte dieſes ſo verſtehen, als ob derſelbe ſie
fuͤr die beſten, oder doch fuͤr gute Poeten hielte. Daher
erklaͤrete er ſich, daß beruͤhmt und gut nicht einerley ſey.
Sehet die 39ſte Anm. Bl. 369.
XIX. Ob noch Hoffnung uͤbrig ſey, daß die
Todten ihre Thorheiten und Fehler verbeſſern
koͤnnen.
Sehet Bl. 275. u. 371. die 16te und die 40ſte Anm.
XX. Ob Hrn. Prof. Gottſcheden in den cri-
tiſchen Beytraͤgen nichts als eigen zugehoͤre, als
was in denſelben untadelhaft iſt?
Jn der 41ſten Anm. nicht weit vom Ende Bl. 372.
Wenn in den critiſchen Beytraͤgen geſuͤndigr ſeyn ſoll,
ſo
[83]des deutſchen Witzes.
ſo muß es durchaus der Hr. Profeſſor Gottſched gethan
haben.
XXI. Ob denn Hr. D. Triller ein ſchlechterer
Poet und Kunſtrichter ſey als Hr. Prof. Gott-
ſched? Oder welchem es eine Unehre ſey, wenn
ſie beyde mit einander verglichen werden?
Man hatte Hrn. Gottſched den groͤſten Poeten und Kunſt-
richter nach Hrn. Triller genannt; das ſchien Hrn. Pitſchel
etwas recht erbaͤrmliches: Das Mitleiden, ſagt er, das
ich mit dem Verfaſſer habe, macht daß ich hierzu nicht
viel ſagen kan. Sehet die 43ſte Anm. Bl. 373.
XXII. Wenn die Schuͤler Hrn. Prof. Gott-
ſcheds, die das XXIV. St. der crit. Beytraͤge
noch nicht geleſen haben, ſich verreden wuͤrden,
das ſelbe nimmer zu leſen; Ob denn der Schwei-
zer darum zum Luͤgner wuͤrde, weil er vorgege-
ben, daß ihm alle ſeine Schuͤler Beyfall gege-
ben haben?
Sehet die 44ſte Anm. Bl. 375.
XXIII. Ob es denn wohl glaublich ſey, daß
Hr. Magiſter Pitſchel auch ein Schuͤler vom Hrn
Prof. Gottſched und ein Deutſcher ſey?
Jn der 44ſten Anm. legt Hr. Pitſchel das Bekenntniß.
ab: Jch ſage es ohne mich zu ſchaͤmen, und zu fuͤrch-
ten, daß ich in einigen Wiſſenſchaften auch ein Schuͤler
vom Hrn. Gottſched bin. Jch bin auch ein Deutſcher.
Bl. 375.
XXIV. Ob einige von den Gottſchediſchen
Schuͤlern klug handeln, daß ſie ihren Beyfall
F 2ſo
[84]Echo
ſo lange zuruͤckhalten, bis ſie geſehen, ob etwann
noch jemand etwas dawider ſagen moͤchte?
Jn derſelben 44ſten Anm. heißt es: „Wie wann nicht
„alle Gottſchediſchen Schuͤler gleich ein Endurtheil gefaͤllt
„haͤtten, ſondern zum Theil warten wollten, ob etwa
„noch jemand etwas dawider ſagen moͤchte?„
XXV. Ob Gottſcheds, Trillers u. a. deut-
ſche Gedichte, weil ſie nicht rauh, ſondern wohl-
flieſſend ſind, darum nothwendig ohne Nach-
druck und arm an Gedancken ſeyn muͤſſen?
Denn, ſagt Hr. Pitſchel in der 47ſten Anm. im Rau-
hen ſteckt der Nachdruck. Bl. 379.
XXVI. Ob Hr. Prof. Gottſched und ſeine ge-
heimen Schuͤler das Geheimniß einem Buche
das Prognoſticon von ſeinem kuͤnftigen Schick-
ſal zu ſtellen, beſſer verſtehen als alle Schweitzer,
und warum?
Jm vierten Art. des 24ſten Stuͤckes der critiſchen
Beytraͤge wird geſagt:
„Nach vielen Wahrſcheinlich-
„keiten, die man in Leipzig beſſer, als in der Schweitz
„haben koͤnne, zu urtheilen, ſollte man eher glauben,
„daß die Zuͤrchiſche Dichtkunſt vielmehr hinderlich als be-
„foͤrderlich ſeyn werde, den Milton in Anſehen zu bringen.„
XXVII. Ob es wahr ſey, und woher es kom-
me, daß die Deutſchen keine Neigung haben,
von den Franzoſen etwas zu lernen?
Jn der 25ſten Anm. ſagt Hr. Pitſchel: „Daß aber der
„Hr. Verfaſſer ſagt, wir waͤren geneigt, den Franzoſen
„unſre Verbeſſerung zu dancken, darinnen betriegt er
„ſich gewaltig; und zeigt daß er wenig Kenntniß von
„den Neigungen meiner meiſten Landesleute habe. Bl. 281.
XXVIII.
[85]des deutſchen Witzes.
XXVIII. Ob dieſes ein untruͤgliches Zeichen
der Gelindigkeit und Gefaͤlligkeit an oͤffentlich
beſtellten Buͤcher-Cenſoren ſey, wenn ſie nicht
vertragen koͤnnen, daß man uͤberhaupt diejeni-
gen, die andere ohne Grund tadeln, Luͤgner
nennet?
Jn der Anklage des verderbten Geſchmackes, einer
critiſchen Schrift, die 1727. wider den Hamburgiſchen Pa-
trivten herausgekommen, werden Bl. 38. diejenigen, die
andere ohne genugſamen Grund tadeln, Luͤgner geſchol-
ten. Dieſes haben die Cenſoren in L. wo das Werckgen
hatte gedruckt werden ſollen, nicht vertragen koͤnnen, wie
aus der Note Bl. 38. beſagter Schrift zu ſehen iſt. Und
das iſt die Gelindigkeit und die Gefaͤlligkeit, von welcher
der Text zu Hr. Pitſchels zehnten Anm. redet; Bl. 179.
XXIX. Ob Hr. Pitſchel und andere deutſche
Magiſtri noſtrandi, darum keine Gemuͤthesge-
dancken haben oder leiden koͤnnen, weil ſie alle
die ihrigen ans den Fingern hervorſaugen?
Hr. Pitſchel ſetzt in der 35ſten Anm. Bl. 365. die Ge-
muͤthesgedancken den Gedancken des Leibes entgegen.
XXX. Ob dieſes ein Beweisthum von der
Scharffſinnigkeit der Deutſchen ſey, daß ſie in
Miltons Gedichte viel rauhe Ausdruͤcke; eine
Menge von Schwulſt; eine Einbildungskraft/
der der Zuͤgel gaͤntzlich gelaſſen iſt/ und die dar-
aus entſpringenden haͤufigen Unwahrſcheinlich-
keiten, nebſt andern Fehlern bemercken, wo
die Engellaͤnder, die Hollaͤnder, die Jtaliaͤner,
die Franzoſen, die Schweitzer keine ſehen koͤn-
nen? Und ob ſie dadurch klar zeigen, daß ih-
F 3nen
[86]Echo
nen das Geſicht nur nicht voͤllig ſo ſehr verdor-
ben ſey/ als dem Milton?
Sehet Bl. 356. die dreiſſigſte Anm.
XXXI. Ob und auf was Weiſe Milton von
dem Lohenſteiniſchen Geſchmacke ſey angeſteckt
worden?
Ibid.
XXXII. Ob dieſes, daß Addiſon ein Engel-
laͤnder geweſen, einen zulaͤnglichen Grund der
Wahrſcheinlichkeit abgebe, damit zu behaupten,
daß derſelbe in der Vertheidigung Miltons geir-
ret, und rechte Ungeheuer gelobt habe?
Eben daſelbſt Bl. 360. 361.
XXXIII. Warum der Teufel in Miltons Ge-
dichte den Deutſchen nicht glaͤublich vorkomme?
Und worinn er von denen Teufeln, die fuͤr ſie
und ihre Kinder gemachet ſind, unterſchieden
ſey?
Daſelbſt Bl. 359.
XXXIV. Ob der als dumm oder unglaͤubig
anzuſehen ſey, der nicht zugeſtehen will, daß
die Engellaͤnder eine ungeheure und ausſchweif-
fende Einbildungskraft haben?
Bl. 360. daſelbſt.
XXXV. Ob eine Handvoll Schweitzer alle
Klugheit allein eingenommen habe/ und alle
andere Leute/ ſo fern ſie nicht auf ein Haar
wie ſie dencken/ unvernuͤnftig ſeyn?
Bl. 276. in der achtzehnten Anm.
XXXVI.
[87]des deutſchen Witzes.
XXXVI. Ob die folgende Schlußrede in ihrer
Materie und Form richtig und unwiderſprechlich
ſey: Niemand als ein Deutſcher kan die Gott-
ſchediſche Dichtkunſt verſtehen; Die Schwei-
zer ſind keine Deutſche; derohalben koͤnnen ſie
dieſelbe weder verſtehen/ noch davon urtheilen?
Bl. 355. der 29ſten Anm.
XXXVII. Ob die franzoͤſiſchen und ſchweitzeri-
ſchen Miſſionarien in Deutſchland keine Proſe-
liten gemachet? Und die beyden Schweitzer,
Werenfels, Muralt, ‒ ‒ dem verderbten Ge-
ſchmack der Deutſchen nichts angewonnen?
„Daß die Schweitzer unſre vornehmſten Lehrmeiſter
„ſeyn ſollten, das weis ich eben noch nicht. Und es iſt
„gantz wahr, daß wir der klugen Nachbarn noch mehr
„haben, die ſich einbilden, daß ſie Miſſionarien zu uns ge-
„ſchickt, welche uns aus der Barbarey geriſſen haͤtten.„
Sehet die 35ſte Anm. Bl. 281.
XXXVIII. Warum die Critick keinen Deut-
ſchen menſchlicher Fehler beſchuldigen darf, wenn
ſie nicht ſo buͤndigen Beweis fuͤhren kan/ der
allenfalls auch in der Gerichtsſtube gelten koͤnn-
te?
Bl. 364. Zeile 1. 2. der ein und dreiſſigſten Anm.
XXXIX. Jn wieferne man unvermeidliche
Fehler verbeſſern koͤnne?
Hr. Pitſchel ſagt in der 9ten Anm. daß man von dieſer
Redensart eine ſehr gute Erklaͤrung geben koͤnne Bl. 178.
XL. Ob unfoͤrmliche Ausdruͤckungen und
F 4un-
[88]Echo
unbequeme Redensarten fuͤr richtig gedacht koͤn-
nen ausgegeben werden?
Sehet eben daſelbſt.
XLI. Ob derjenige, welcher der Trilleriſchen
Fabel vom Affen/ der zum Buchdrucker ge-
worden iſt/ die Kranckheit nicht gleich anſie-
het/ werth ſey/ daß er habe leſen lernen?
Bl. 271. in der 14ten Anm.
XLII. Ob das Stoßgebethlein: Es behuͤte
mich der Himmel in Gnaden/ daß ich vor
meinem Ende nicht noch ein Criticus werde!
wenn es vom Hrn. Magiſter Pitſchel Morgens
und Abends fleiſſig und mit Jnbrunſt gebethet
wird, gar keine Erhoͤrung zu hoffen habe?
Bl. 272. in der 14ten Anm.
XLIII. Ob denn die juͤdiſchen Spruͤchwoͤrter
die in der Heil. Bibel ſtehen, durchgehends ſo
heilig ſeyn, daß ſie nothwendig entweihet wer-
den, wenn ſie von den Leyen neben der Cantzel
gebraucht werden?
Sehet Bl. 352. die 28ſte Anm.
XLIV. Ob daraus folge, daß man des Ari-
ſtoteles Werckgen von der Poeſie allenfalls wohl
haͤtte entbehren koͤnnen; weil Homer ſeine bey-
den ſo hochgeſchaͤzten epiſchen Gedichte verferti-
get, ohne dieſes Ariſtoteliſche Werckgen jemahls
geſehen zu haben?
Sehet die 15te Anm.
XLV.
[89]des deutſchen Witzes.
XLV. Ob es eine Beſchimpfung ſey, wenn
man von jemand ſagt, daß er zwar Verſtand,
aber keinen Menſchenverſtand habe?
Jn der 29ſten Anm. heißt es: „Man koͤnnte ſagen,
„daß der Ergaͤntzungsſtuͤckler zwar Verſtand habe, aber
„keinen Menſchenverſtand.„ Bl. 354.
XLVI. Ob das de guſtibus non eſt diſputandum
ein unwiderſprechliches Axioma ſey?
Bl. 361. in der 30ſten Anm.
XLVII. Ob Hallers und Hagedorns Gedichte
darum rauh koͤnnen genennet werden, weil ſie
nachdruͤcklich ſind? Und ob der Nachdruck im
Rauhen ſtecke[?]
Daß der Nachdruck im Rauhen ſtecke, ſagt Hr. Pit-
ſchel in der 47ſten Anm. und daß Hr. Haller und Hr. Ha-
gedorn nachdruͤcklich ſchreiben, bekennen auch Hr. Gottſched
und Hr. Triller ſelbſt. Jm VIII. Art. des XXII. St. der
critiſchen Beytraͤge heißt es, Hr. Hagedorn bringe ſeine
Gedancken oft ſo ins Kurtze, daß man eine Stelle mehr
als einmahl leſen muͤſſe, um ſelbiger eigentlichen Sinn
zu errathen.
Und Hr. Triller bezeuget in der Ode an Hrn. Haller:
XLVIII. Ob man mit Grund urtheilen koͤnne,
daß einer ein guter oder ſchlechter Dichter ſey,
F 5wofern
[90]Echo des deutſchen Witzes.
wofern man nicht drey groſſe Octav-Baͤnde Ge-
dichte von ihm geleſen hat?
Ob der Hr. Hofrath Koͤnig ein guter oder ſchlechter
Dichter ſey, iſt eine Frage, auf welche ſich der Hr.
Mag. Pitſchel in der neun und dreiſſigſten Anm. nicht ein-
mahl einlaſſen darf. Warum? Er ſagt es ſelbſt: Weil
er zu wenig von ſeinen Gedichten geleſen hat. Und doch
ſind nicht wenige Gedichte deſſelben in jedermanns Haͤnden.
XLIX. Daß neun und vierzig critiſche Anmer-
kungen eine gemeine Lehre in der Abſicht des
Verfaſſers haben koͤnnen, die keine Seele er-
rathen wuͤrde, wenn der Verfaſſer ſelbs nicht
die Gutheit haͤtte, ſolche zu entdecken?
Er ſagt in der 49ſten und letzten Anm. „Jch gebe ihm
„zum Abſchied die Lehre, daß, eh er ſich weiter ins Rich-
„ten einlaſſen will, Unbedachtſamkeit, Unachtſamkeit,
„und Unhoͤflichkeit nothwendig abgedanckt werden muͤſ-
„ſen. Denn bloß um dieſer Lehre willen habe ich alle
„meine Anmerckungen gemacht.„
L. Wenn man gleich zugeſtehen wuͤrde, daß
der Leipzigiſche Notenfabricant in den monat-
lichen Beluſtigungen in allen neun und vierzig
Anmerckungen recht haͤtte, wenn folglich fuͤr
erwieſen angenommen wuͤrde, daß der Schwei-
zeriſche Herausgeber des Ergaͤntzungsſtuͤcks in
ſeinen Anmerckungenn unbeſcheiden, unhoͤflich,
oder gar -nv-rſch-mt geweſen: Ob dadurch
Hrn. Prof. Gottſcheds critiſche und poetiſche
Ehre genugſam geſchuͤzt, oder etwas gegen die
critiſchen Schriften der Zuͤrichiſchen Kunſtrich-
ter, die ſie im Jahr 1740. ans Licht geſtellt
haben, mit Recht koͤnne geſchloſſen werden?
Herren
[[91]]
Herren
Johann Chriſtoph Gottſcheds
der Weltweish. u. Dichtk. oͤffentl. Lehrer zu Leipzig
Seltſame
Vorrede
Zu ſeinem eigenen
Drey mahl wiederholten Verſuche
Einer
Critiſch. Dichtkunſt
fuͤr die Deutſchen.
Um weiterer Ausbreitung willen abſonderlich
aufgeleget und mit gruͤndlichen Anmerckungen
uͤber die Kunſtmittel des Vorredners verſehen
von
Wolfgang Erlenbach, Conrect.
bey Conrad Orell und Comp. 1742.
drey Monathe nach der erſten Ausgabe.
[[92]][93]
Neue Vorrede
zur dritten Auflage
der
Gottſchediſchen Dichtkunſt
von 1742.
MEin Vergnuͤgen, das ich bey der an-
dern Ausgabe dieſes Buches, vor
vier bis fuͤnf Jahren bezeuget habe,
hat ſich billig bey dieſer dritten verdoppeln muͤſ-
ſen. Die wiederholten zahlreichen Abdruͤcke
deſſelben, haben ſich in der halben Zeit verkauf-
fen laſſen, A darinn die erſte Auflage von 1729.
abgegangen war; und mir alſo einen doppel-
ſtar-
[94]Neue Vorrede
ſtarcken Beweis, von der guten Aufnahme die-
ſer poetiſchen Anweiſung an die Hand gegeben.
Wollte ich mich nun den angenehmen Empfin-
dungen eines Schriftſtellers uͤberlaſſen B, womit
ihn
A
[95]Zur III. Gottſch. Dichtk.
ihn die Eigenliebe bey ſolchen Vorfaͤllen erfuͤl-
len kan C; ſo haͤtte ich hier die ſchoͤnſte Gelegen-
heit dazu. D Wenn andre, deren Buͤcher La-
denhuͤter bleiben, auf den verderbten Geſchmack E
unſrer
B
[96]Neue Vorrede
unſrer Landes-Leute ſchmaͤhlen F: ſo doͤrfte ich
nur auf den oͤffentlichen Beyfall der Kaͤufer und
Leſer meiner Dichtkunſt trotzen G; und daraus
entweder den gereinigten Geſchmack der deut-
ſchen Nation, oder doch den Beweis herleiten,
daß
E
[97]zur III. Gottſch. Dichtk.
daß mein Buch nicht ohne Nutzen geweſen H
ſeyn muͤſſe. So gerecht aber hierinnen meine
GFol-
G
[Crit. Sam̃l. VI. St.]‒ ‒ Ne-
[98]Neue Vorrede
Folgerungen vielleicht ſeyn I wuͤrden, ſo will ich
ſie
H
[99]zur III. Gottſch. Dichtk.
ſie doch nicht ſelber machen K, ſondern es lieber
der unparteyiſchen Nachwelt uͤberlaſſen, ein
freyes Urtheil davon zu faͤllen; welches weder ein
Freund, der mir eine Vorrede dazu machte L,
noch ein Feind, dem das Gluͤck meines Buchs
ein Dorn in den Augen M waͤre, mit ſolchem
Nachdrucke abfaſſen koͤnnte.
G 2Jch
[100]Neue Vorrede
Jch uͤbergehe alſo dieſe ſchmeichelhafte Be-
trachtung billig mit ſtillſchweigen; und rechne
es mir mit groͤſſerm Rechte fuͤr eine Ehre an,
daß ich in dem Vorſatze, eine Critiſche Dicht-
kunſt zu ſchreiben, ſeit einiger Zeit einen Nach-
folger bekommen N habe. Ein gelehrter Mann
und
M
[101]zur III. Gottſch. Dichtk.
und Kunſtrichter in Zuͤrich hat ſich die Muͤhe ge-
nommen, diejenige Bahn O, die ich nunmehr
vor dreyzehn Jahren, als ein junger Schrift-
G 3ſtel-
N
[102]Neue Vorrede
ſteller P zuerſt gebrochen, auch zu betreten, und
ein doppelt ſtaͤrckeres und folglich theureres
Buch *, als dieſes meinige iſt, von der Dicht-
kunſt ans Licht zu ſtellen. Und was das ange-
nehmſte bey der gantzen Sache iſt, ſo hat dieſer
tiefſinnige Mann, ſeiner gelehrten Waare kei-
nen beſſern und reitzernden Titel geben zu koͤn-
nen geglaubet, als wenn er ihn meinem Buche
abborgete Q, und das ſeinige gleichfalls eine
Critiſche Dichtkunſt betitelte.
Jch
[103]zur III. Gottſch. Dichtk.
Jch weis wohl, daß es eigenſinnige Koͤpfe
giebt, die ſich einbilden, ein Schrifftſteller, der
ſich einmahl gewiſſer Woͤrter bemaͤchtiget hat,
ſeiner Schrifft einen Nahmen zu geben, der ha-
be ſich dadurch, nach dem Rechte der Natur,
das Recht des Eigenthums darauf erworben,
und ſey nunmehro befugt, alle andere von dem
Gebrauche derſelben auszuſchlieſſen. Noch an-
dre glauben mit dem ſcharfſinnigen Baͤyle, und
nach dem Beyſpiele gewiſſer Schrifftſteller vori-
ger Zeiten: es ſey eine Beſchimpfung fuͤr den
Urheber eines Buches, wenn ſich bald darauf
ein andrer uͤber dieſelbige Materie hermacht,
und in einerley Abſichten die Feder anſetzet.
Denn ſagen ſie, glaubte dieſer neue Schrifft-
ſteller, daß ſein Vorgaͤnger ſeine Pflicht recht
G 4erfuͤl-
Q
[104]Neue Vorrede
erfuͤllet, und ſein Vorhaben zulaͤnglich ausge-
fuͤhret haͤtte: ſo wuͤrde er ſich gewiß nicht zum
andernmale daran gemachet haben. Eine
Jlias nach dem Homer zu ſchreiben, das heißt
alſo nach der Meinung dieſer Richter, eben ſo
viel, als dieſen Dichter mit ſeiner Arbeit ver-
werffen, und ihm auf eine verdeckte Art in die
Augen ſagen, daß ſein Werck nichts tauge,
und noch einmahl ausgearbeitet werden muͤſſe.
Allein ſo wahrſcheinlich auch immermehr dieſe
Schluͤſſe zu ſeyn ſcheinen moͤgen: ſo kan ich mich
doch denenſelben nicht ergeben. R Jch ſehe es
gar zu deutlich ein, daß man mir durch ſolche
Einſtreuungen die Freude verſaltzen will, die ich
uͤber einen critiſchen Nachfolger von ſolcher
Wichtigkeit billig empfunden habe. Ohne
Ruhm zu melden, bin ich der erſte geweſen S, der
unſerer Nation eine Critiſche Dichtkunſt zu lie-
fern das Hertz, oder die Verwegenheit gehabt.
Haͤtte ich nun darinn, nach dem Urtheile der
Kenner, eine unnoͤthige Muͤhe uͤbernommen;
und waͤren andre aufgeſtanden, welche die Poe-
ſie von dem Joche der Beurtheilungskunſt zu
befreyen
[105]zur III. Gottſch. Dichtk.
befreyen unternommen haͤtten: ſo waͤre dieſes
unſtreitig eine Kraͤnckung fuͤr mich geweſen, zu-
mahl, wenn dieſe gar einen groͤſſern Beyfall
bekommen, und das Andencken aller Critick
gleichſam verhaßt und ehrlos gemachet haͤtten.
Allein dieſes harte Schickſal hat mich, zu allem
Gluͤcke, nicht betroffen. Die gelehrteſten Maͤn-
ner in Zuͤrich beſtaͤrcken durch ihren Beyfall mein
Urtheil, daß es noͤthig ſey, eine Dichtkunſt cri-
tiſch einzurichten: ja, was das meiſte iſt, ſie
folgen meinem Exempel ſelber nach T, und fuͤhren
etwas von demjenigen, nach ihrer Art, weitlaͤuf-
tiger aus, was ich mit ſo gutem Grunde und
Beyfalle angefangen hatte. V
Bey dieſer Vorſtellung nun ruͤhren mich die
vorigen Einwuͤrffe gar nicht. Der Gebrauch
G 5der
[106]Neue Vorrede
der Woͤrter iſt ja von der Art derjenigen Dinge
die in dem Reiche der Naͤtur, nach Art der Luft,
des Sonnenlichtes und des Waſſers groſſer
Fluͤſſe, bey allem Gebrauche derſelben, uner-
ſchoͤpflich ſind, und alſo allen gemein bleiben
muͤſſen. Warum ſollte alſo nicht ein Schrifft-
ſteller das Recht haben, ſein Kind zu tauffen
wie er will, wenn gleich ein andrer dem Seini-
gen eben den Nahmen gegeben hat? Warum
ſollte dasjenige in Zuͤrich niemanden frey ſtehen,
was mir in Leipzig freygeſtanden hat? Oder,
warum ſollte ich boͤſe werden, daß ein andrer
meine Erfindung auf die kraͤftigſte Art, die nur
erdacht werden kan, gebilliget hat? X
Der andre Einwurff ſcheint noch gefaͤhrli-
cher zu ſeyn, iſt es aber in der That nicht; wenn
man nur die Sache in genauere Betrachtung
zieht. Es koͤmmt bey den Buͤchern nicht nur
auf ihren Titel, ſondern auch auf den Jnhalt
an. So gleichlautend oft jener auf zweyen
Wercken iſt, ſo ungleich kan doch dieſer letztere
ſeyn; und ich darf mich, ohne ſtoltz zu thun,
nur auf die zuͤrcher, und leipziger critiſche Dicht-
kunſt beruffen. Der Jnhalt unſrer Buͤcher iſt
in
[107]zur III. Gottſch. Dichtk.
in den allermeiſten Stuͤcken und Capiteln ſo weit
von einander unterſchieden Y, daß man ſie ſchwer-
lich fuͤr einerley Buch halten wird, wenn man
ſie nur ein wenig betrachten will. Z. E. Da ich
in meiner Dichtkunſt, nach der allgemeinen Ab-
handlung des Zubehoͤrs zur Poeſie, von allen
uͤblichen Arten der Gedichte gehandelt Z, uud
einer
[108]Neue Vorrede
einer jeden ihre eigenen Regeln vorgeſchrieben a
habe; dadurch Anfaͤnger in den Stand geſetzt
werden, ſie auf untadeliche Art zu verfertigen;
Liebhaber hingegen, dieſelben richtig zu beur-
theilen: ſo haͤlt die zuͤrcheriſche Dichtkunſt nichts
von dem allen in ſich. b Man wird daraus we-
der
Z
[109]zur III. Gottſch. Dichtk.
der eine Ode, noch eine Cantate; weder ein
Schaͤfergedichte, noch eine Elegie; weder ein
poetiſches Schreiben, noch eine Satire; weder
ein Sinngedicht, noch ein Lobgedicht; weder ei-
ne Epopee, noch ein Trauerſpiel; weder eine
Comoͤdie noch eine Oper machen lernen. Alles
dieſes ſtehet in der zuͤrcher Dichtkunſt nicht c: es
ſey nun, weil etwa in allen dieſen Stuͤcken die
Critick
b
[110]Neue Vorrede
Critick nichts zu ſagen hat; oder weil man ein
Poet ſeyn kan, ohne eins von allen dieſen Stuͤ-
ken zu verfertigen. Wer alſo dieſelbe in der Ab-
ſicht kauffen wollte, dieſe Arten der Gedichte
daraus abfaſſen zu lernen, der wuͤrde ſich ſehr
betruͤgen, und ſein Geld hernach zu ſpaͤt be-
reuen.
Jch weis gewiß, daß viele hier voller Ver-
wunderung fragen werden: was denn nun end-
lich in einer Dichtkunſt von zween ſtarcken Oc-
tavbaͤnden d ſtehen koͤnne, wenn es an den we-
ſentlichſten Theilen eines ſolchen Buches fehlet e?
Allein dieſe Frage wird mir gewiß niemand ma-
chen, als der ſich nicht beſinnet, daß der Urhe-
ber derſelben einer von den bekannten Zuͤrcher
Malern ſey, welche vor zwantzig Jahren, in ih-
ren ſogenannten Diſcurſen, die Sitten ihrer
Stadt abgeſchildert haben. Hat nun Herr von
Fontenelle richtig geurtheilet, daß jedermann
die Welt mit ſolchen Augen anſehe, die ſich zu
ſeinen Abſichten ſchicken; der Held z. E. fuͤr ei-
nen ſchoͤnen Platz, Menſchen zu erwuͤrgen; der
Gaͤrtner fuͤr einen bequemen Raum, Gaͤrten zu
pflan-
[111]zur III. Gottſch. Dichtk.
pflantzen; der Verliebte, fuͤr eine gute Gegend
zu buhleriſchen Abentheuern u. ſ. w. was war
wohl von unſerm Maler anders zu vermuthen,
als daß er die gantze Dichtkunſt in eine Kunſt zu
malen, verwandeln f, und von lauter poetiſchen
Malereyen, und denen dazu noͤthigen Farben
handeln wuͤrde? Faͤllt nun dabey jemanden die
nuͤtzliche Regel ein, die obgedachten Zuͤrcher
Malern, von einem Kunſtverſtaͤndigen aus Ham-
burg, in einem ſchoͤnen Sinngedichte gegeben
worden g, das im III. B. der Poeſie der Nieder-
ſach-
[112]Neue Vorrede
ſachſen, auf der 250ſten S. ſteht; und verlangt
er von mir zu wiſſen, ob ſie in dieſem Buche
beſſer beobachtet worden, als in jenen ſittlichen
Malereyen? ſo muß ich ihm aus Hoͤflichkeit h
die Antwort ſo lange ſchuldig bleiben, bis wir
in Leipzig die Zuͤrcheriſche Bergſprache beſſer
werden gelernet haben.
Wie alſo, damit ich wieder auf meinen Zweck
komme, die Jlias Homers, durch die neuere
Jlias desjenigen Dichters nicht um ihren Werth
gebracht worden, der ſich vorgenommen hatte,
den gantzen trojaniſchen Krieg zu beſingen, und
tauſend ſchoͤne Sachen nachzuholen, die ſein
Vorgaͤnger uͤbergangen hatte; indem vielmehr
dieſe vermeinte groͤſſere Jlias, vom Ariſtoteles,
in Anſehung der Homeriſchen, die kleine Jlias
genennet worden: alſo koͤnnte es leicht kommen
(doch ohne mich auf einige Weiſe mit dem Ho-
mer zu vergleichen, als mit deſſen Wercke mein
Buch
g
[113]zur III. Gottſch. Dichtk.
Buch gar keine Aehnlichkeit hat) daß auch die
zuͤrcheriſche Dichtkunſt, ſo ſtarck ſie ihrer Groͤſſe
und Abſicht nach iſt, dennoch bey dem Mangel
ſo vieler noͤthigen Hauptſtuͤcke, von allen uͤbli-
chen Arten der Gedichte, gegen die meinige zu
rechnen, bey der Nachwelt, nur eine kleine
Dichtkunſt genennet wuͤrde. i
Jch habe mich bisher mit Fleiß nur immer
auf Zuͤrich, und nicht auf die gantze Schweitz
bezogen; gantz anders, als bisher von vielen
unſrer mißvergnuͤgten Schriftſteller geſchehen;
die insgemein die Schuld von ein paar Kunſt-
richtern, der gantzen loͤblichen Eidgenoſſenſchaft k
auf den Hals gewaͤlzet haben. Und geſetzt, ich
Hwaͤre
[114]Neue Vorrede
waͤre ſelbſt bisher, auch wohl in dieſer neuen
Auflage meiner Dichtkunſt, in dieſes Verſehen
gefallen: ſo will ich doch hiermit ſelbiges allen
andern Einwohnern dieſes anſehnlichen Landes
abgebethen haben l; ſeit dem ich von etlichen
wackern und gelehrten Maͤnnern m, aus benach-
barten
k
[115]zur III. Gottſch. Dichtk.
barten Cantons n, belehret und verſichert wor-
den: daß die gantze Schweitz den zuͤrcheriſchen
Kunſtrichtern in ihren Lehrſaͤtzen und Urtheilen
eben nicht beypflichte, vielweniger dieſelben da-
zu bevollmaͤchtiget habe, allem deutſchen Witze
Hohn zu ſprechen. o Jch will doch, weil man
mir in Zuͤrich das Exempel dazu gegeben hat,
einmal auch als ein Mathanaſius thun p, und
H 2Stel-
m
[116]Neue Vorrede
Stellen aus ein paar Briefen anfuͤhren, die ich
deswegen, nur vor kurtzem, und in waͤhren-
dem Drucke dieſes Buches erhalten habe.
Der erſte vom 1. des Wintermonats q hat
folgendes:
„Wir
[117]zur III. Gottſch. Dichtk.
„Wir haben hier mit Freuden und Vergnuͤ-
„gen geſehen, daß B ‒ ‒ und Br ‒ ‒ hin
„und her in Deutſchland nach Verdienen her-
„genommen werden. Der Hochmuth und die
„Einbildung dieſer Leuten iſt unertraͤglich. Es
„iſt ſich aber nicht zu verwundern: die Herren
„von Zuͤrich haben groſſe Einbildung, weilen
„ſie in dem erſten Canton der Schweitz geboh-
„ren ſind. Es iſt unglaublich, wie groß die Ein-
„bildung der Herren von Zuͤrich wegen dieſem
„Vorſitz iſt, der doch nichts zu bedeuten hat. Jch
„verſichere ſie aber, daß Zuͤrich von allen ver-
„nuͤnftigen Schweitzern als das helvetiſche Si-
„berien, in welchem groſſe Woͤrter- und Sprach-
„Maͤnner entſtanden, da aber Witz und Ver-
„ſtand wenig Platz finden, angeſehen wird.
„Die Sitten, die Sprache, die Lebensart,
„die Kleidung der Zuͤricher iſt von uns ſo un-
„terſchieden, daß man glauben ſollte, ſie waͤ-
„ren mehr denn hundert Meilen von uns entfer-
„net. Das iſt gewiß, daß ſie arbeitſame Leu-
„te, aber in geiſt, und vernuͤnftigen Sitten,
„werden ſie noch lange Zeit grobe Schweitzer
„bleiben.„
Das andere Schreiben iſt vom 3ten deſſelben
Monats, und darinn druͤcket man ſich ſo aus.
H 3„Wir
[118]Neue Vorrede
„Wir nehmen an dem Kriege, den unſre
„Landsleute von Zuͤrich wider die gantze deut-
„ſche Nation vorgenommen haben, kein Theil.
„Fertiget man ſie ferner ab, wie es in einem
„periodiſchen Wercke erſt vor kurtzem geſchehen
„iſt, ſo wird ihnen die Luſt vergehen. Wir
„wuͤnſchen unſren Landsleuten mehrere Liebe
„zum Frieden und zum natuͤrlichen; ſo werden
„ſie von Deutſchland ablaſſen, und mit Mil-
„tons Liebhabern anbinden.„
Nach ſolchen feyerlichen und einſtimmigen
Erklaͤrungen zweener beruͤhmten ſchweitzeriſchen
Gelehrten, habe ich meinem Gewiſſen nach,
nicht anders gekonnt r, als daß ich an ſtatt der
allge-
[119]zur III. Gottſch. Dichtk.
allgemeinen Benennung die beſondere erwaͤhlet;
werde es auch kuͤnftig allemal ſo halten, wenn
man mich noͤthigen ſollte, wider meine Neigung,
meine Feder zu critiſchen Streitſchriften zu er-
greiffen.
Kuͤrtzlich noch etwas von den Vorzuͤgen dieſer
neuen Ausgabe zu erinnern, muß ich dem ge-
neigten Leſer folgendes melden. Zufoͤrderſt ha-
be ich in dieſem Buche vom Anfange bis zum
Ende, die Schreibart nochmals mit der groͤß-
ten Sorgfalt und Aufmerckſamkeit ausgebeſ-
ſert s; als worinn man immer, nach Verflieſ-
H 4ſung
r
[120]Neue Vorrede
ſung einiger Zeit, kleine Unachtſamkeiten ent-
decket t, die man gleich anfangs nicht wahrge-
nom-
s
[121]zur III. Gottſch. Dichtk.
nommen. Zweytens habe ich auch in den Re-
geln und Vorſchriften, zu mehrerer Erlaͤuterung
H 5und
t
[122]Neue Vorrede
und Beſtaͤrckung derſelben, noch manches bey-
gefuͤgt u, das in den vorigen Ausgaben nicht ge-
ſtanden; auch hin und wieder manchen Scri-
benten angefuͤhrt, worinn dasjenige mit meh-
rerm nachgeleſen werden kann, was ich nur kurtz
hatte anfuͤhren koͤnnen. Drittens habe ich auch
an verſchiedenen Orten, denen Einwuͤrffen be-
gegnen muͤſſen, die man in oͤffentlichen critiſchen
Schriften, zumal aus Zuͤrich her v, dagegen
gemacht:
t
[123]zur III. Gottſch. Dichtk.
gemacht: doch habe ich mich ſowohl der Namen
mei-
v
Eben
[124]Neue Vorrede
meiner Gegner, als aller Anzuͤglichkeiten billig
ent-
v
[125]zur III. Gottſch. Dichtk.
enthalten x; als welche nichts zur Sache thun,
und
v
[126]Neue Vorrede
und vielmehr einen Uebelſtand machen wuͤrden.
Habe
v
[127]zur III. Gottſch. Dichtk.
Habe ich aber, was den miltoniſchen Geſchmack
betrifft, den man uns, nach Verbannung des
mariniſchen, mit Gewalt aufdringen y will,
mich
x
[128]Neue Vorrede
mich bisweilen, von der Sache ſelbſt harter
Redens-
y
[129]zur III. Gottſch. Dichtk.
Redensarten bedienet: ſo bedencke man, daß
Jder
y
[130]Neue Vorrede
der Eifer wider ein beſorgliches Uebel, welches
den
y
[131]zur III. Gottſch. Dichtk.
den bisherigen Glantz z unſrer Mutterſprache und
J 2freyen
y
[132]Neue Vorrede
freyen Kuͤnſte bald wieder verdunckeln koͤnnte,
uns
y
[133]zur III. Gottſch. Dichtk.
uns leicht zuweilen einnehmen, und ſolche Aus-
J 3druͤcke
y
[134]Neue Vorrede
druͤcke in den Mund legen kann, die man ſonſt
ungern gebrauchen wuͤrde.
End-
y
[135]zur III. Gottſch. Dichtk.
Endlich ſo iſt das Wichtigſte, und wodurch
dieſe Ausgabe unfehlbar einen groſſen Vorzug
vor allen vorigen erhalten wird, dieſes: daß ich
nicht nur im erſten Theile dieſes Buches, mehr
Exempel aus guten und ſchlechten Dichtern an-
gefuͤhret; ſondern auch im andern Theile, bey
allen Capiteln, wo vorhin Exempel von meiner
eigenen Arbeit ſtunden, lauter Meiſterſtuͤcke von
J 4unſ-
z
[136]Neue Vorrede
unſren beſten Dichtern eingeſchaltet habe. Jch
habe aber dieſelben mit gutem Bedachte nicht
eben aus den neueſten, die ohnedem in aller Haͤn-
den ſind, und die auch ohne mein Zuthun gele-
ſen werden; ſondern aus den aͤltern, als Opi-
tzen, Flemmingen, Dachen, Racheln, Neu-
kirchen u. d. m. die nicht ein jeder hat, oder lie-
ſet, hergenommen. Jch will aber dadurch, daß
ich ſie zu Muſtern anfuͤhre, nicht eben alle kleine
Feh-
z
[137]zur III. Gottſch. Dichtk.
Fehler der Wortfuͤgung, des Sylbenmaaſſes
und der Reime billigen; die man noch hin und
her, als Ueberbleibſel des vorigen Jahrhun-
derts anmercken wird. Nein, ich will nur den
geſunden und maͤnnlichen Geſchmack dieſer Hel-
den in unſrer Sprache und Dichtkunſt anprei-
ſen, und bekannter machen; um wo moͤglich,
der neuen Sucht, gekuͤnſtelt, verſteckt und un-
ergruͤndlich zu ſchreiben, die ſich hin und her re-
get, zu ſteuren. Erlange ich dieſes, ſo wird
mich auch in dieſem Stuͤcke mein gefaßter Ent-
ſchluß niemals gereuen.
Gottſched.
J 5Ecloga.
[[138]][139]Ecloga.
So
[140]Ecloga.
Horcht,
[141]Ecloga.
(Und war doch nicht ſo ſuͤß,) zulange mich betrogen.
Und
[142]Ecloga.
ENDE.
Appendix A Druckfehler.
- Jm dritten Stuͤcke iſt in dem Complot der herrſch. Poet.
S. 178. Z. 25. aus Uebereilung der Nahme Telpiſch
ausgelaſſen worden. Es ſollte ſtehen: Wenn er in ih-
rem Gebiete betreten wuͤrde, Kintzen, Nohren, Ma-
hanen, und Telpiſchen uͤbergeben werden, daß ſie
ihn mit ihren poetiſchen Schellen zu Tode klingelten. - Jm 5ten St. Bl. 17. fuͤr Attilius, leſet Attila.
- Jn Miltons verl. Par. S. 95. Z. 6. leſet ſtatt Boltzen,
Schloͤſſer.
mental-Geſetze der critiſchen Gefaͤlligkeit auf und angenom-
men,
dann mit ſeinem Tode verſchuldet. Zwar binden ſie ſich
an dieſe Regel nicht ſo aberglaͤubiſch, daß ſie ſich dann
und wann nicht die Freyheit herausnehmen ſollten, einem
und dem andern noch lebenden Schriftverfaſſer, der das
Ungluͤck gehabt ihnen zu mißfallen, ihre critiſche Ungnade
haͤrtiglich empfinden zu laſſen: Wie denn in dieſer Abſicht,
(dem zufolge, was ich in dem vorhergehenden Abſchnitte
ausfuͤhrlich gezeiget habe,) die Leipzigiſchen Critiſchen Bey-
traͤge mit gutem Recht als ein Kampfplatz anzuſehen ſind,
auf dem dieſe critiſchen Klopffechter manchen ehrlichen Rit-
ter, der ihnen zu gefallen nicht hat ſterben wollen, un-
barmhertziger Weiſe herumgetrillt haben. Sie haben ſich
auch bey der Beobachtung des obenerwaͤhnten Fundamen-
tal-Geſetzes bisdahin ſo wohl befunden, daß noch erſt
neulich Hr. Prof. Gottſched ſelbſt in dem XXVII. St. der
Crit. Beytr. Bl 436. fuͤr dienlich erachtet hat, dieſe kluge und
heilſame Verordnung mit folgender ſinnreichen Schutzſchrift
zu verfechten: „Wir wollen, weil der Herausgeber des
„Ergaͤntzungsſtuͤcks zur Trilleriſchen Vorrede doch einmahl
„dieſe Beytraͤge fuͤr einen Kampfplatz ausgegeben hat,
„auf dem man muthige Ritter erlege, nur noch eine ein-
„zige Anmerckung machen, die ihn ſelbſt angeht. Es iſt
„dieſe, daß man aus Zeſens Exempel ſehen kan, es habe
„auch
„es mit ſeinem Tode verſchulden muͤſſen, wenn man von
„ihnen oͤffentlich habe getadelt ſeyn wollen. Wir unter-
„ſuchen hier nicht, ob der gedachte Herausgeber recht oder
„unrecht hat, wenn er dieſes an den itzigen Kunſtrich-
„tern mißbilliget. Jndeſſen hat er den Troſt, daß einige
„Schriftſteller, die zu leben wiſſen, ſich nach ſeinen Grund-
„ſaͤtzen und Neigungen zu bequemen ſcheinen, und ihn
„noch bey ſeinen Lebzeiten tadeln.„ Weil dieſe Schutz-
ſchrift aus der Feder eines beruͤhmten Lehrers der Welt-
weisheit hergfloſſen, ſo will ich dieſelbe um mehrerer Deut-
lichkeit willen in ihre Schlußſaͤtze aufloͤſen, und die Pruͤf-
fung ſeinen Schuͤlern nach ſeiner Vernunftlehre anzuſtellen
uͤberlaſſen. Der erſte iſt: Wer erlaubt, daß man die izt-
lebenden Scribenten, die es verdienen, tadeln duͤrffe,
der kan es nicht zugleich billigen, daß man die ſchon ver-
ſtorbenen elenden Scribenten tadele. Der zweite iſt:
Juncker Filipp von Zeſen hat ſchon zu ſeiner Zeit die todten
Scribenten unter die helikoniſche Hechel genommen, wa-
rum ſollte es denn Hrn. Prof. Gottſched Suͤnde ſeyn, wenn
er dieſem ruͤhmlichen Exempel folget. Sonſten muß ich
noch berichten, daß die Kunſtrichter, die zu leben wiſſen,
und mich tadeln, ob ich gleich noch nicht geſtorben bin,
der Hr. Prof. Gottſched ſelbſt und ſein Spießgeſell Magi-
ſter Theod. Lebrecht Pitſchel ſind. Dieſen zu misfallen
mache mir eine Ehre.
und 89.
Bl. 291.
ſchel
Weſen nicht nach ihrem wahren Character haͤtte reden und
handeln laſſen.
St. der Beytraͤge (IV. Art.) wider die Anlage des Miltoni-
ſchen Gedichtes eingeworffen hat: „Satan ſey Miltons
„Held, der ſich ungeachtet alles Widerſtands an dem
„Hoͤchſten raͤche. Dieſe Vorſtellung waͤre erſchrecklich.
„Aber Milton ſey ohne Zweifel zufrieden geweſen, daß
„er dieſe Saͤtze in der Schrift und Religion gegruͤndet be-
„funden, wiewohl er beſſer gethan haͤtte, wenn er den
„Fall Satans, darinn unſtreitig Gott ſelbſt die Oberhand
„behalten, zum Jnhalte ſeines Gedichtes erwehlet haͤtte.„
Eine ſo ungereimte Antwort, als der Einwurf iſt! Derglei-
chen verkehrte Critick koͤnnte uns zu glauben bewegen, Hr.
Gottſched habe Satans Reden in Miltons Gedichte mehr
Glauben zugeſtellt, als des Poeten, oder Michaels. Nur
in Satans Reden herrſchen die Gedancken, daß er dem
Hoͤchſten Anbether entzogen, daß er ihm Abbruch gethan,
ſeine Herrſchaft vermindert, ſeine Rathſchlaͤge hintertrieben,
ein Reich neben dem ſeinen aufgerichtet, das menſchliche
Geſchlecht mit ſich in die Hoͤlle gezogen habe. Jn den Re-
den der himmliſchen Perſonen und des Poeten wird uns
der Meſſias im Himmel und auf Erden, als der vollkom-
mene Held und Sieger vorgeſtellt; der das aufruͤhriſche
Heer in die Hoͤlle geſtuͤrtzet, dem Satan, daſelbſt zu regie-
ren, ſein Reich angewieſen, aus Satans Uebelthaten lau-
ter gutes hergeleitet, den Menſchen mit Gott verſohnet,
allen Zorn von ihm abgeweltzet, und ihn mit einer troſtvollen
Ruhe in der Bruſt aus dem Paradieſe geſchickt. Und
dieſe Vorſtellung iſt unſrer Religion gemaͤß; damit ſtreitet
diejenige, die Hr. Gottſched aus Satans Reden gelernet,
daß Satan ſich am Hoͤchſten geraͤchet habe, offenbar; und
er hat allzu leichtſinnig geſagt, daß dieſer Satz in der Schrift
gegruͤndet ſey. Milton muß ſich deſto weniger aͤrgern, daß
man ſo wenig Aufmerckſamkeit und Verſtand an ſeine Vor-
ſtellungen gewandt, nachdem man vor die Vorſtellungen
der Schrift und Religion eben ſo wenig bezeiget.
Zeit verkauffen laſſen, darinn ꝛc.) Die erſte Auflage
dieſes Gottſchediſchen Buches iſt ſchon im Jahre 1729. zum
Vorſchein gekommen; die zweyte aber im Jahre 1737. und
die dritte zu Anfang dieſes lauffenden 1742ſten Jahr wie-
derholet worden. Alſo verhaͤlt ſich die Progreſſion, nach
welcher der gute Abgang der Gottſchediſchen Dichtkunſt,
und zugleich das Vergnuͤgen des Hrn. Verfaſſers zugenom-
men hat, juſt wie 8. zu 4. Und auf dieſen Grund laͤßt
ſichs mit eben ſo vieler Wahrſcheinlichkeit, als man den
Umlauff und die Wiederkunft der Cometen vorherbeſtim-
men will, vermuthen, daß die vierte Auflage von dieſer
Dichtkunſt noch vor den Hundstagen des 1744ſten Jahrs,
in dem naͤchſt darauf folgenden Jahre aber die fuͤnſte, und
An.
gen eines Schriftſtellers uͤberlaſſen) Es giebt eine ge-
wiſſe Rhetoriſche Figur, die uns lehret, wie wir ohne Ver-
letzung der Beſcheidenheit groß thun, und uns ſelbſt auf
eine ſo verdeckte Art loben koͤnnen, daß ob es gleich jeder-
mann mercket, uns doch niemand das bekannte Eigen-
ruhm ſtinckt mit Recht verwerffen kan. Hr. Prof. Gott-
ſched hat uns durch ſein Beyſpiel gelehret, daß dieſe Figur
in den Vorreden der Buͤcher mit gutem Vortheil angewen-
det werden koͤnne. Sie beſtehet darinnen, daß man bey
Gele-
Licht hervortreten werden, es waͤre denn Sache, daß man
bey den kuͤnftigen Auflagen die Zahl der Abdruͤcke verdop-
peln, oder daß ſich ſonſt der Geſchmack der deutſchen Schu-
le fuͤr dieſes Buch ungluͤcklicher Weiſe verlieren ſollte.
Wenn aber bey denen kuͤnftigen ſo geſchwind auf einander
folgenden Auflagen, ſich jedesmahl das ſuͤſſe Vergnuͤgen
des Hrn. Prof. Gottſcheds verdoppeln ſollte, ſo ſtehet
zu beſorgen, die Groͤſſe deſſelben duͤrfte ſein Gemuͤthe
endlich wie eine Laſt erdruͤcken: Hic puer, ut ſit vita-
lis metuo! Sonſten wird es ſchwer zu errathen oder vor-
herzuſagen ſeyn, wie oft die Auflage dieſes Buches etwa
noch moͤchte wiederholet werden: denn zukuͤnftige Dinge
ſind (nach dem Ausſpruche des deutſchen Sirachs Crit.
Beytr. St. XXIV. Bl. 666.) ungewiß. Und Hr. Prof.
Philippi mag ſich wohl ehedem eben ſo ſehr mit der ſuͤſſen
Hoffnung geſchmeichelt haben, ſeine Sechs Reden durch
oͤfters wiederholte Auflagen vermehrt zu ſehen, eh und be-
vor ſie das ſchwere Ungluͤck gehabt, dem Hrn. Liſcov be-
kannt zu werden.
Quando hæc rara avis eſt! ſi quid tamen aptius exit,
Laudari metuam. Neque enim mihi cornea fibra eſt.
PERS. Sat. I.’
‒ ‒ A fronte capillata eſt, poſt eſt occaſio calva.
Es iſt in der That eine ſchwere Verſuchung eine ſo ſchoͤne
Gelegenheit, die man nicht alle Tage wieder haben kan,
ſein eigenes Lob auszupoſaunen, mit Stillſchweigen zu
uͤbergehen.
auf den verderbten Geſchmack ꝛc.) Es giebt gewiſſe
Kunſtrichter, die hier den Text mit einer kleinen Veraͤn-
derung alſo leſen wollen: Wenn andrer ihre Buͤcher La-
denhuͤter bleiben, weil ſie auf den verderbten Geſchmack
[u]nſrer Landesleute ſchmaͤhlen. Sie wollen dieſe Ver-
beſſe-
marien und Jngredienzen zu ſeiner Lobſchrift fein ordent-
lich und ſpecificierlich an den Fingern herzehle, und endlich
damit ſchlieſſe: Doch ich will mir lieber ſelbſt Gewalt und
Unrecht thun, als unbeſcheiden heiſſen. Die Formeln,
deren ſich dieſe Figur gerne bedient, ſind folgende: Jch
muß es bekennen, ich habe einen vortrefflich guten Ge-
ſchmack, ich bin ein recht nuͤtzlicher Mann, aber ich will
es nicht ſelbſt geſagt haben, die unparteyiſche Nachwelt
wird mir ſchon Recht wiederfahren laſſen, und den Leu-
ten zeigen, was man an mir vermiſſe ꝛc.
Herr Prof. Gottſched zugeſtehet, daß der Geſchmack ſei-
ner Landesleute verdorben, dabey aber verabſcheuet, daß
gewiſſe Scribenten auf denſelben ſchmaͤhlen; ſo giebt er
ja deutlich zu verſtehen, daß er ſeines Orts eben kein Be-
dencken trage, den verderbten Geſchmack zu loben.
Leſer trotzen.) Doch der Gottſched, der den Verſuch
der crit. Dichtkunſt gemachet hat, iſt diesfalls gantz an-
dern Sinns, als der Verfaſſer von dieſer Vorrede iſt.
Jener
Lesart der Gegenſatz weit beſſer in die Augen leuchte,
nach welchem Hr. Gottſched den gluͤcklichen Abgang ſeiner
Buͤcher vornemlich der uͤbernommenen Vertheidigung des
herrſchenden Geſchmacks und ſeiner Gefaͤlligkeit gegen
ſeine Verehrer zu dancken hat. Denn da die kleinen Gei-
ſter allezeit die ſtaͤrckere Partey ausmachen, ſo wird der-
jenige, der den Beyfall des groͤſſern Haufens ſuchet, ſei-
ne Rechnung gewiß hinter dem Wirthe machen, wenn er
ſich vermißt, den verderbten Geſchmack deſſelben anzu-
greiffen. Und dieſe andern, die ſich die Verachtung der
kleinen Geiſter Deutſchlands zugezogen, ſind vermuth-
lich der Hr. von Mauvillon, und die zween Zuͤrichiſche
Kunſtrichter; dieſe letztern haben ſchon vor vielen Jahren
eine Anklage des verderbten Geſchmacks der deutſchen
Nation aus Licht geſtellt, und dieſelben durch ihre criti-
ſchen Schrifften von Zeit zu Zeit immerfort beunruhiget.
Denn ein Buch, es mag im uͤbrigen ſo ſchlecht ſeyn, als
es immer will, wenn es nur einen guten Abgang hat, iſt
niemahls ohne Nutzen, naͤmlich fuͤr den Buchdrucker, und
folglich auch fuͤr den Verfaſſer.
„che ſchoͤn; ſondern die Schoͤnheit erwirbt ſich bey Ver-
„ſtaͤndigen den Beyfall.„ Und Bl. 95. ſagt er: „Der
„allgemeine Beyfall einer Nation kan nicht eher von der
„Geſchicklichkeit eines Meiſters in freyen Kuͤnſten, ein
„guͤltiges Urtheil faͤllen, NB. als biß man vorher den gu-
„ten Geſchmack derſelben erwieſen hat.„ Er beruft ſich
daſelbſt mit Recht auf den Ausſpruch des Seneca:Non
tam bene cum rebus mortalium agitur, ut meliora pluri-
bus placeant: Argumentum peſſimi turba eſt. Da nun
von denen, welche die Gottſchediſche Dichtkunſt gekauf-
und geleſen haben, juſt nicht alle, keinen ausgenommen,
derſelben Beyfall gegeben; und der Geſchmack derjeni-
gen, die ihr Beyfall gegeben haben, nicht allerdings
unverdaͤchtig iſt; ſo iſt der Abgang und der Beyfall eben
kein gewiſſer Beweis von der Guͤte dieſes Buchs, ſo daß
Herr Gottſched eben groſſe Urſache haͤtte maͤchtig auf den-
ſelben zu trotzen. Die Entrevüen und Geſpraͤche im Rei-
che der Todten hatten wohl ehedem einen ſtaͤrckern Abgang
und Beyfall bey der deutſchen Nation erhalten, als Hr.
Gottſched immer fuͤr ſeine Dichtkunſt verhoffen kann; und
gleichwohl wird er nimmer zugeben, daß man den Vorzug
dieſes Buchs vor dem ſeinigen darnach beſtimmen ſollte.
Allein da ſeine Haupt-Abſicht bey ſeinem Buͤcherſchreiben
dieſe iſt, daß er gekauft, geleſen und gelobet werde; und
er ſich damit begnuͤgen will, wenn er dieſe Abſichten er-
reichen kann; wer will ihm zumuthen, daß er ſich edlere
Abſichten vorſetzen, oder daß er noch ein Mißtrauen auf
die Guͤte ſeiner Schrifften werffen ſollte? Er iſt nicht ſo
alber, daß ers ſich noch fuͤr eine Ehre rechnen ſollte; wenn
ſeine Buͤcher Ladenhuͤter bleiben; wie der eigenſinnige
Horatz davon großſpricht: B. I. Sat. X.
Dieſe Folgerungen ſind: 1.) Wer meine Buͤcher kauft,
lieſet, und gutheiſſet, der hat den gereinigten Geſchmack:
Die deutſche Nation hat meine Dichtkunſt begierig gekauft,
geleſen, und gutgeheiſſen: Ergo hat ſie den gereinigten
Geſchmack. 2.) Wenn ein Buch gekauft wird, ſo kann
es nicht ohne Nutzen ſeyn: Mein Buch iſt gekauft worden:
Ergo iſt es nicht ohne Nutzen geweſen. Daß nun dieſe
Folgerungen gerecht ſeyn, wird wohl niemand zweifeln,
der ſich erinnern wird, daß ſie von einem deutſchen Lehrer
der neuen Weltweisheit herkommen; ob er gleich aus bloſ-
ſer Beſcheidenheit ein zweifelhaftes vielleicht beyſetzet.
Denn da Hr. Prof. Gottſched nicht zweifeln kan, daß ſein
Geſchmack der gute und reine ſey, ſo koͤnnte er ja keinen
ſiche-
Contentus paucis Lectoribus. An tua, demens
Vilibus in Ludis dictari carmina malis?
Non ego. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒’
Er iſt auch nicht ſo eckel wie Perſius, der von ſich ſelbſt
bezeuget:
Euge tuum \& Belle: Nam Belle hoc excute totum,
Quid non intus habet? ‒ ‒ ‒ ‒’
Vielmehr gehet ſeine einzige Sorge dahin:
Vel duo, vel nemo. Turpe \& miſerabile!’
ſonſt fuͤr ein unwiederſprechliches Axioma angenommen:
Quod factum eſt, infectum fieri nequit. Allein durch die
Kraft der oben erklaͤrten Figur der Beſcheidenheit kan
man wircklich geſchehene Dinge gar leicht zernichten. Gleich-
wie das letzte Teſtament alle vorhergehenden aufhebet, als
waͤren ſie niemahls geſchrieben worden, und allein rechts-
guͤltig bleibet, ſo gelten auch in dieſer Figur allein die letz-
ten Erklaͤrungen, Kraft deren man das, was geſagt iſt,
nicht will geſagt haben. Was hiemit Hr. Gottſched in die-
ſer neuen Vorrede bisdahin geſagt hat, das ſoll nicht ge-
ſagt ſeyn: Doch kan es der unparteyiſchen Nachwelt zum
Unterricht dienen, wie ſie etwann ihr freyes Urtheil uͤber
ſeine Buͤcher abfaſſen koͤnnte.
Vordem hat Hr. Magiſter Schwabe Hrn. Gottſched des-
falls gute Dienſte geleiſtet: Aber nachdem Hr. Gottſched
die ſchamhaften Bewegungen eines angehenden Schrifft-
ſtellers großmuͤthig uͤberwunden, und ſeinen Credit ſo feſte
geſetzet hat, daß er in ſeinen Vorreden ſich und ſeine Buͤ-
cher mit der groͤſten Zuverſicht ſelbſt loben und anpreiſen
darf; ſo hat er keines fremden Fuͤrſprechers mehr vonnoͤthen.
Augen) Er erkennet hiermit ſelbſt, daß er den guten
Abgang
te haben, als ſeine eigenen Schrifften, die vollkommen
nach ſeinem Geſchmack verfaſſet ſind.
ſchreiben, einen Nachfolger bekommen) Hr. Gottſcheds
Vorſatz war demnach, eine critiſche Dichtkunſt zu ſchreiben.
Allein wenn man die Ausfuͤhrung mit dieſem Vorſatze ver-
gleichet, ſo muß man voll Verwunderung fragen:
Inſtitui: Currente rota cur urceus exit?’
Denn anſtatt einer critiſchen Dichtkunſt iſt ein magerer
Verſuch einer ſogenannten crit. Dichtkunſt vor die Deut-
ſchen herausgekommen. Er hat alſo einen Nachfolger, in
Abſicht auf ſeinen Vorſatz, bekommen; keineswegs aber
in der Ausfuͤhrung. Denn wenn Hr. Gottſched ſeine
Pflicht recht erfuͤllet, und ſein Vorhaben zulaͤnglich aus-
gefuͤh-
ſeiner Landesleute; ſondern dem blinden Gluͤcke zu dan-
ken habe, und dieſes Gluͤck wird ihm niemand mißgoͤnnen
als etwa ein neidiſcher und gewinnſuͤchtiger Buchfuͤhrer.
Die Vorrede des zweiten Theils des Baͤylichen Woͤrter-
buchs ruͤhmet von einem andern Gluͤck der Gottſchediſchen
Schrifften: „Jch bin bisdahin mit meinen eigenen
„geringen Schrifften, vielleicht ohne Verdienſt, ſo gluͤck-
„lich geweſen, faſt keinem, oder doch ſehr wenigem
„Widerſpruche unterworffen zu ſeyn.„ Das iſt: Jch
will von allem Widerſpruche, dem meine Schrifften bis-
dahin nicht ohne Verdienſt unterworffen geweſen, durch-
aus nichts wiſſen; ſondern mich mit Verhoͤhlung deſſelben
raͤchen.
Jahren, als ein junger Schrifftſteller, gebrochen) Dieſe
verbluͤmte Redensart iſt undeutlich: Sie beziehet ſich mehr
auf den Vorſatz, als die Ausfuͤhrung des Gottſchediſchen
Verſuches. Wer dieſelbe deutlich verſtehen will, der
muß die Vorrede zu der erſten Auflage von 1730. inne ha-
ben, (die Hr. Prof. Gottſched in der letzten Herausgabe
mit Fleiſſe weggelaſſen, damit er deſto dreiſter ohne zu
erroͤthen großſprechen koͤnnte.) Jn dieſer Vorrede trac-
tiert er die Poeſie noch als eine brodtloſe Kunſt und als
ein bloſſes Nebenwerck; und er bekennet daſelbſt gar zu
offenhertzig, daß Hr. D. Pietſch ihm die erſten Begriffe
von einer rechten Dichtkunſt beygebracht; und daß die
Zuͤrichiſche Mahler ihn auf den critiſchen Geſchmack ge-
fuͤhret haben. Von ſeinem Wercke ſelbſt ſagt er: „Jtzo
„liefere ich meinem Vaterlande den Verſuch; den ich ge-
„wiß nicht aus meinem Gehirne angeſponnen; ſondern
„aus allen oberwehnten Scribenten, und uͤberdas, aus
„den vortheilhaften muͤndlichen Unterredungen Hrn. Co-
„ſten, des Hr. Geh. Secretar Koͤnigs, und Hr. Prof.
„Krauſens, geſammelt und in einige Ordnung gebracht.„
Will man genauer wiſſen, was obige Prahlerey, daß er
die Bahn gebrochen, eigentlich ſagen wolle, ſo erklaͤrt
er ſich eben daſelbſt hieruͤber gantz deutlich: „Jch hatte
„mir nur vorgeſetzt dasjenige, was in ſo unzehlich vielen
„Buͤchern zerſtreut iſt, in einem einzigen Wercke zuſam-
„men zu faſſen.„ Ein ſeltener Ruhm, daß er in dieſer
brodtloſen Kunſt die Bahn gebrochen!
nicht zum andernmahle daran gemachet haben, und er
alſo ſich der Ehre in dieſem Vorſatze einen Nachfolger zu
haben, beraubet ſehen muͤſſen.
gefehr dreyzehn Jahre aͤlter, und um ſoviel anſehnlicher.
Hr. Prof. Gottſched mißt die Nutzbarkeit der Buͤcher nach
ihrer Groͤſſe und ihrem aͤuſſerlichen Preiſe, wie die Buch-
haͤndler: Denn da ſein Buch um die Helfte kleiner, und
um etwas wohlfeiler iſt, ſo iſt es auch fuͤr die deutſchen
Schulen brauchbarer. Dieſer locus commendationis iſt
ab oppoſito.
jenige hat, meines Erachtens, das beſte Recht zu dem
Titel eines Buches, der das am gruͤndlichſten ausgefuͤh-
ret hat, was der Titel eines ſolchen verſpricht, nach dem
bekannten Axioma: Cui competit definitio, illi quoque
competit definitum. Hr. Gottſcheds Titel verſpricht ei-
nen Verſuch einer critiſchen Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen.
Auf den Titel Dichtkunſt hat weder Gottſched, noch je-
mand anders ein Eigenthums-Recht. Ariſtoteles hat
ſchon eine Dichtkunſt verfertiget. Da nun aber die Gott-
ſchediſche Dichtkunſt nichts weniger als Critiſch iſt, ſo ver-
diente ſie auch dieſen Titel nicht. Hr. Gottſched bezeuget
ſelbſt in der Vorrede: „Jch hatte mir die Regel gemacht,
„gar keinen lebenden Dichter zu tadeln oder zu critiſieren:
„Daraus
„loben muͤſte.„ Nun iſt ferner bekannt, daß er in denen
beyden erſten Ausgaben durchgehends ſeine eigenen poeti-
ſchen Exempel zu Muſtern gegeben hat, die er dieſer ange-
nommenen Regel nach weder loben noch tadeln duͤrfte, weil
er unter die noch lebenden Dichter mitgehoͤret, und nicht
die erſte Ausnahme von einer ſo feſt geſetzten Regel werden
wollte. Dieſes Buch verdiente darum den Titel einer Cri-
tiſchen Schrift mit keinem Recht: Und alſo haͤtte der Zuͤ-
richiſche Verfaſſer ihm nichts geraubt, darauf er eine recht-
maͤſſige Anſprache machen koͤnnte, wenn es gleich Grund
haͤtte, daß er ſeinen Titel dem Gottſchediſchen Buche abge-
borget. Allein auch dieſes Vorgeben iſt ziemlich zweydeu-
tig, allermaſſen der Zuͤrichiſche Kunſtrichter ſein Buch nicht
einen Verſuch fuͤr die Deutſchen; ſondern ſchlechtweg eine
Critiſche Dichtkunſt genennet hat. Siehe das Stuͤcke der
Schutzvorrede fuͤr die Trilleriſchen Fabeln Bl. 66. 67.
pulus me ſibilat; At ego mihi plaudo ipſe domi.
Verſteht ſichs, der ſeinem Buche, wider alles Verdienen,
den Titel einer Critiſchen Dichtkunſt zuzulegen das Hertz
oder die Verwegenheit gehabt; obgleich in dem gantzen
Buche nichts critiſches zu finden iſt: Daß alſo das Joch
der Beurtheilungskraft, welches Hr. Gottſched der Poe-
ſie aufgeleget hat, nur in einer bloſſen Prahlerey beſtehet.
Gottſched traͤgt ſich mit dieſer ſchmeichelhaften Einbildung
ſo ſehr, daß er auch diejenigen Schriften fuͤr Nachahmun-
gen von den ſeinigen haͤlt, welche etliche Jahre vor den ſei-
nigen exiſtiert haben. Siehe die Nachrichten von dem
Urſprunge der Critick bey den Deutſchen Bl. 172. u. 173.
Die verdiente Abfertigung findet er in der Aeſopiſchen Fa-
bel vom Wolfe und dem Schafe:
Reſpondit Agnus. Equidem natus non eram!’
fangen hatte.) Zum rechten Verſtand dieſer Ausdruͤckung
dienet zu wiſſen, daß Hr. Prof. Gottſched dieſe zwey Dinge
mit gutem Grunde und mit Beyfalle fuͤr gleichguͤltig haͤlt:
angeſehen er ſich beredet, daß eine Schrift deſto gruͤndli-
cher ſeyn muͤſſe, je allgemeiner der Beyfall iſt, den ſelbige
erhaͤlt.
Art gebilliget hat.) Dieſes beziehet ſich nur auf die Er-
findung des Titelblats zu der Gottſchediſchen Dichtkunſt:
Denn in dem gantzen uͤbrigen Wercke iſt, die Exempel aus-
genommen, nichts von ſeiner Erfindung, wie die Vorrede
zu der erſten Auflage ſolches rund und offenhertzig bekennt.
Siehe die Nachrichten von dem Urſprunge der Critick
bey den Deutſchen Bl. 164. 165.
unterſchieden, daß) Es iſt in der That ſo, daß die Zuͤrchi-
ſche und die Leipzigiſche Dichtkunſt auſſer der Aehnlichkeit des
Titels ſonſt wenig oder gar nichts mit einander gemein ha-
ben, wie in dem Ergaͤntzungsſtuͤcke zu den Trilleriſchen
Fabeln Bl. 66. 67. u. f. bis 72. ausfuͤhrlich dargethan
worden: Welches aber Hr. Gottſched hier gar kluͤglich mit
Stillſchweigen uͤbergehet. Jch habe darum auch den
Schluß daraus gemachet, daß alſo nothwendig eins von die-
ſen Buͤchern den Titel einer Critiſchen Dichtkunſt nicht ver-
dienete.
Arten der Gedichte gehandelt) Die Art zu ſchlieſſen,
deren ſich Hr. Gottſched hier bedienet, koͤmmt mir juſt ſo
vor, als ob er beweiſen wollte, eine Perruͤque waͤre keine
Schlafmuͤtze; oder eine Hausbibel waͤre darum nicht gantz,
weil die ſo genannten Apocryphiſchen Buͤcher nicht dabey
gebunden waͤren. Der Zuͤrchiſche Kunſtrichter hat ſich in
die beſondere Abhandlung von denen verſchiedenen uͤblichen
Arten der Gedichte mit Fleiſſe nicht einlaſſen wollen, weil
man daruͤber anderwaͤrts zulaͤnglichen Unterricht finden
kan: Sondern ſein Vorhaben war allein, dasjenige, was
eigentlich zu dem Weſen der Poeſie uͤberhaupt gehoͤret, in
ſo ferne ſie eine Nachahmung der Natur iſt, aus gewiſſen
Grundſaͤtzen ſo vollſtaͤndig auszufuͤhren, als noch von kei-
nem andern geſchehen; und die Gewißheit und den Nu-
zen
Jch will zu einem Muſter davon nur was weniges aus
dem Hauptſtuͤcke oder Capitel von poetiſchen Sendſchreiben
anfuͤhren. Jch habe daſelbſt nicht ohne Ergoͤtzen folgen-
des geleſen: „Von einem ſolchen Briefe iſt erſtlich dieſes
„zu bemercken, daß er im Anfange denjenigen anreden
„muß, an den er gerichtet iſt: Es ſey nun, daß es
„gleich in der erſten Zeile geſchieht, oder doch bald hernach
„koͤmmt. So faͤngt Neukirch z. E. einmal an:
Mein Koͤnig, zuͤrne nicht, daß mich dein Glantz bewegt.
„Dieſes iſt, ſo zu reden, das eigentliche Merckmaal eines
„Briefes von dieſer Art: denn was iſt ein Brief uͤberhaupt
„anders, als eine geſchriebene Anrede an einen Abweſen-
„den?„ ꝛc. Dieſe einzige Entdeckung, daß man den-
jenigen anreden muß, an den man ſchreibt, giebt der
Gottſchediſchen Dichtkunſt einen groſſen Vorzug vor der
Zuͤrchiſchen. Es iſt nur Schade, daß dieſem Kunſtlehrer
nicht auch beygefallen iſt, die wichtige Frage zu entſchei-
den, ob ein poetiſches gereimtes oder reimfreyes Send-
ſchreiben nicht auch in Proſa koͤnne abgefaßt werden?
allen in ſich) Ja in dem erſten allgemeinen Haupttheile
des
Gedichte der beruͤhmteſten Alten und Neuern jedermann
zu bewaͤhren. Allein Hr. Gottſched iſt nicht gewohnt die
Vollkommenheit eines Wercks nach gewiſſen und beſtimm-
ten Abſichten abzumeſſen.
Wenn ich nach Gottſcheds Logick beweiſen ſollte, daß ſeine
Critiſche Dichtkunſt des Ariſtoteles Poetick an Vollſtaͤndig-
keit und Nutzbarkeit weit uͤbertreffe; ſo wuͤrde ich ſagen,
daß man beym Ariſtoteles nichts von den Regeln finde,
wie eine Cantate, ein Schaͤfergedichte, eine Elegie, ein
poetiſches Sendſchreiben, ein Sinngedichte, ein Madri-
gal, ein Rondeau, eine Oper eingerichtet ſeyn muͤſſen:
Folglich, daß man daraus keins von dieſen Gedichten ma-
chen lerne; aber wohl aus Hrn. Gottſcheds Verſuch einer
Critiſchen Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen. „Wer alſo
„Ariſtoteles Poetick in der Abſicht kauffen wollte, dieſe
„Arten der Gedichte daraus abfaſſen zu lernen, der
„wuͤrde ſich ſehr betruͤgen, und ſein Geld hernach zu
„ſpaͤt bereuen.„
gen fuͤr einen Poeten eroͤrtert, die man in der Zuͤrchiſchen
Dichtkunſt vergeblich ſuchen wird: als z. E. ob der Menſch
geſungen haben wuͤrde, wenn er gleich keine Voͤgel in der
Welt gefunden haͤtte? Cap. I. §. 3. Ob die alte Schwe-
diſche Sprache eine Tochter der Scythiſchen und alten Cel-
tiſchen geweſen ſey, wie die Deutſche? §. 7. Ob man
den Urſprung der Poeſie dem erſten Rauſche zu dancken
habe? §. 18. Ob man mit beſſerm Recht ſage, die
Kinder ſeyn wie Affen; oder die Affen ſeyn wie Kinder?
Cap. II. §. 9. ꝛc. ꝛc.
baͤnden) Es nimmt mich ſchier wunder, daß er dieſes
ungeheure Buch nicht auch gewogen hat. Siehe das
Complot der deutſchen Poeten am Ende.
Buches fehlet) Da der beſondere Theil der Gottſchedi-
ſchen Dichtkunſt das weſentliche des Buchs ausmachet;
ſo iſt hiemit der erſte allgemeine Theil nur als eine Zugabe
zu betrachten.
len verwandeln) Dieſes mag Horatz verantworten, der
mit ſeinem, Ut pictura Poeſis erit, ſchon manchen ehr-
lichen Mann verfuͤhrt hat: Und insbeſondre auch den
ſcharffſinnigen Duͤbos, der ſich gleichfalls ſo weit vergan-
gen hat, daß er zween Octavbaͤnde mit Betrachtungen
uͤber die Vergleichung der Dicht- und der Mahler-Kunſt
angefuͤllet.
dichte gegeben worden) Jch will dieſelbe anfuͤhren; da-
mit jedermann ein neues Muſter von Hrn. Gottſcheds reinem
Geſchmack in der Critick und Morale vor Augen habe.
Dieſer ſaubere Dichter haͤtte einen vornehmen Preis in den
Luſtſpielen verdienet, welche die Goͤttin der Dummheit
in
Echo des deutſchen Witzes, in einem beſondern Abſchnit-
te die critiſche Hoͤflichkeit der Leipziger mit Anfuͤhrung einer
Menge Exempel auſſer alle Nachrede geſetzet, und gewieſen,
daß unſere Bergbauren ihren natuͤrlichen Talent zum Hoͤf-
lichſeyn in der Gottſchediſchen Schule trefflich verbeſſern
und zu ſeiner Vollkommenheit bringen koͤnnten. Denn
daß ein ſchweitzeriſcher Scribent einen Geſchmack an ſo
ſaftigen und garſtigen Poſſen gefunden, wie Hr. Gottſched,
das iſt bisdahin noch unerhoͤrt.
den beſten Danck erhaͤlt, der ſich am hertzhafteſten in ei-
ner ſtinckenden Pfuͤtze untertaucht.
net wuͤrde) Ja, wenn die Nachwelt aus lauter Gott-
ſcheden beſtehen ſollte, welche die aͤuſſerliche Forme eines
Gedichts fuͤr das Weſen der Poeſie halten wuͤrden, ſo
muͤßte ſich die kleine Zuͤrchiſche Dichtkunſt vor der groſſen
Gottſchediſchen buͤcken und neigen.
tern, der gantzen loͤblichen Eidgenoſſenſchaft) Man
hat ſich doch die groͤſte Muͤhe von der Welt gegeben, Hrn-
Prof. Gottſched den Wahn auszureden, als ob die gantze
Schweitzeriſche Nation ſich von ein paar Kunſtrichtern habe
verfuͤhren laſſen: Allein es ſcheint, daß er dieſem Vorge-
ben keinen Glauben zugeſtellet, bis daß ihn erſt kuͤrtzlich,
nachdem dieſe neue Auflage ſeines Verſuches ſchon faſt
wieder abgedruͤckt war, ein paar wackere und gelehrte
Maͤnner, aus benachbarten Cantons, eines gleichen be-
lehret und verſichert haben. Sehet in dem zweiten St.
[Crit. Sam̃l. VI. St.]der
Schreiben der wackern und gelehrten Maͤnner aus benach-
barten Cantons, wodurch dieſe Buſſe des Leipzigiſchen Cri-
ticus gewircket worden, geleſen hat, der wird erkennen
muͤſſen, quod non plus ſit in effectu, quam in cauſſa.
Wenn
lchnung des Verdachts, daß die ſchweitzeriſche Nation
ſich habe uͤberreden laſſen, an M. V. P. einen Geſchmack
zu finden: Jn dieſer Schrift ſteht Bl. 76. „Jch kann
„zwar nicht leugnen, daß nicht ein halb duzt ungerathe-
„ne Landeskinder in Zuͤrich und Bern zur Secte Addiſons
„uͤbergegangen; allein mit dem groſſen Hauſſen hat es
„keine Gefahr; insbeſondere kann mir Hr. G ‒ ‒ glau-
„ben, daß die Einwohner der Alpen, je tieffer ſie in
„den Spaͤlten der Berge wohnen, deſtoweniger von den
„Zuͤrchiſchen Kunſtrichtern eingenommen ſind; man koͤnn-
„te alſo noch richtig zu 50000. Eidsgenoſſen zehlen,
„ohne Weiber und Kinder, welche desfalls noch gantz
„unſchuldig ſind.„ Zu dieſen kommen itzo noch etliche
wackere und gelehrte Maͤnner aus benachbarten Cantons,
und insbeſondere die zween ‒ ‒ ‒ eriſche Correſpondenten
Hrn. Gottſcheds, die er aus druͤcklich als Zeugen anfuͤhret.
Und Bl. 77. ſtehet: „Der Eifer fuͤr die Ehre meiner Landes-
„leute hat mich nicht ruhen laſſen, bis ich Hrn. G ‒ ‒
„davon Nachricht gegeben, und ihn gebethen haͤtte, daß
„er guͤtiger von uns dencken, und das Verbrechen, deſ-
„ſen ſich etliche wenige unter uns ſchuldig machen, nicht
„der gantzen Nation in die Rechnung ſetzen moͤgte.„
Schafhauſen, und Zug.
Ausdruͤckung iſt mit der oben angemerckten, auf den ver-
derbten Geſchmack der Deutſchen ſchmaͤhlen, gantz gleich-
guͤltig: daher bin ich auf die Muthmaſſung gefallen, es
muͤſſe hier anſtatt Witz, Unwitz geleſen werden: Aller-
maſſen ich verſichern kan, daß dieſe Zuͤrchiſchen Kunſtrich-
ter eben ſo wenig von der gantzen Schweitz bevollmaͤchtiget
worden, dem deutſchen Unwitze Hohn zu ſprechen.
Mathanaſius, Mataiologus leſen; denen ich aber nicht
beypflichten kan; ungeachtet jedermann weiß, daß Matha-
naſius es ſich bey ſeinen Anzuͤgen nicht vollkommen ſo einen
Ernſt ſeyn laſſen, als der Leipzigiſche Mathanaſius bey den
ſeinigen.
in der Poeſie und der Critick mit gutem Hertzen verehren,
und den Zuͤrcheriſchen Kunſtrichtern in ihren Lehrſaͤtzen und
Urtheilen eben nicht beypflichten, ſich eben dadurch des Ti-
tels wackerer und gelehrter Maͤnner wuͤrdig machen, ſo
ſind derſelben ſo viel in der Schweitz, daß man ſchwerlich
wird errathen koͤnnen, welche und wie viel eigentlich hier
gemeint ſeyn.
neue Mathanaſius iſt ſehr ſorgfaͤltig die hiſtoriſchen Umſtaͤn-
de zu bemercken, um die vorgegebene Authentie ſeiner Aus-
zuͤge dadurch glaubwuͤrdig zu machen, weil die Auszuͤge
ſelbſt ſo viel deutliche Merckmahle einer geiſtigen und ver-
nuͤnftigen Sittſamkeit und Beſcheidenheit, ſo wohl als ei-
ner friedfertigen Neigung und Liebe zum Natuͤrlichen
an ſich haben, daß man leicht auf die Vermuthung gerat-
hen koͤnnte, die Herrn Verfaſſer dieſer Briefe waͤren mehr
denn hundert Meilen von dem helvetiſchen Sibcrien
entfernet, und in einem Lande auferzogen worden, wo
Witz und Verſtand eben ſo allgemein ſind, als ſie leider
in der Schweitz nicht ſeyn ſollen: Die Bergſprache ver-
raͤth ſie doch, daß ſie Schweitzer ſeyn, und zwar ſolche,
die eben keine groſſe Woͤrter- und Sprachmaͤnner ſind,
und die ſich keine groſſe Muͤhe geben werden ihren Mit-
buͤrgern die reine Hochdeutſche Sprache gelaͤufiger und
beliebter zu machen. Es hat deswegen auch Hr. Gott-
ſched alle die Unrichtigkeiten oder vielmehr Idiotiſmos dieſer
Bergſprache unveraͤndert, wie er ſelbige gefunden, ab-
druͤcken laſſen, damit er dieſen Briefen das Anſehen wah-
rer Schweitzeriſcher Urkunden durch eine Veraͤnderung oder
Ueberſetzung in die reine hochdeutſche Sprache nicht vermin-
derte. Aus welchem Canton dieſes wohlgezogene paar
Correſpondenten eigentlich ſey, das laͤßt ſich ſo gewiß
nicht beſtimmen; das einzige laͤßt ſich mit Grund ſchlieſ-
ſen, daß ſie Glieder von einem benachbarten Canton ſeyn,
der eben nicht voͤllig hundert Meilen von Zuͤrich entfernt,
und in welchem einige wenige ohnmaͤchtige Seelen ſich als
uͤber
guͤnſtige Gluͤck ſie unter dreyzehn Bruͤdern nicht den aͤlte-
ſten oder erſtgebohrnen werden laſſen; da doch dieſe Erſt-
gebuhrt eben kein ander Vorrecht hat, als das Eins un-
ter den Zahlen.
konnt, als daß ꝛc. Denn nachdem Hr. Gottſched durch
dieſe zwey Schreiben auf das nachdruͤcklichſte uͤberzeuget
worden, daß dieſe zween beruͤhmte Schweitzeriſche Ge-
lehrte eine gaͤntzliche Abneigung gegen Zuͤrich, ſeine Sit-
ten, Sprache, Lebensart und Kleidung, ſeine groſſe
Woͤrter- und Sprachmaͤnner; wie auch gegen Milton
und Miltons Liebhaber bezeigen; ſich zu einer voͤlligen
Neutralitaͤt erklaͤren; mithin aber die Gottſchediſche Par-
tey mit hertzlichen Wuͤnſchen unterſtuͤtzen, und mit Freu-
den und Vergnuͤgen zuſehen, wie ihre Landsleute in
wiederholten Scharmuͤtzeln von den critiſchen Panduren
und Tolpatſchen der Gottſchediſchen Faction hergenom-
men und empfangen werden: So hat er ja mit Recht den
Schluß gemachet: Wer nicht wieder uns iſt, der iſt fuͤr
uns: Und daß folglich nicht eben die gantze Schweitz
den Zuͤrchiſchen Kunſtrichtern gewogen ſey: Zumahlen
da dieſe zween beruͤhmten ſchweitzeriſchen Gelehrten ein an-
ſehn-
falt und Aufmerckſamkeit ausgebeſſert) Jch will zur
Probe einige Beyſpiele anfuͤhren, damit man die genaue
Sorgfalt unſers Kunſtrichters erkenne. Jn der erſten
Herausgabe war der Titel: Verſuch einer critiſchen
Dichtkunſt vor die Deutſchen: Jn der zweyten ward das
vor die Deutſchen in fuͤr die Deutſchen veraͤndert: Jtzo
aber in dieſer neuen Auflage hat er ſich die critiſche Lection,
die man ihm in dem Ergaͤntzungsſtuͤcke zu Trillers Fa-
beln Bl. 66. u. 67. gegeben, ſo zu Nutze gemachet, daß
er dieſen Anhang des Titels fuͤr die Deutſchen gaͤntzlich
ausgeloͤſchet, und alſo ſein Buch durch dieſe leichte Veraͤn-
derung zum allgemeinen Gebrauche aller Nationen ohne Un-
terſchied tuͤchtig gemacht hat. Jn der erſten Ausgabe hat
er ſein Buch in Capitel abgetheilt: Jn der zweiten als ein
neuer Puritaner die Capitel in Hauptſtuͤcke verwandelt:
Jn
er ſich im Gewiſſen verpflichtet befunden, anſtatt der
allgemeinen Benennung der Schweitz die beſondere von
Zuͤrich zu erwaͤhlen.
anfangs nicht wahrgenommen.) Daß dieſes auch in
Abſicht
pitel den Hauptſtuͤcken wieder vorgezogen. Die Capitel
hat er in der zweiten Auflage in §§. unterſcheiden; Jn der
dritten zwar dieſe §§. beybehalten, aber per Anagramma
durchaus an ſtatt §. 1. §. 2. ꝛc. aus einem zureichenden
Grunde 1. §: 2. §: ꝛc. hingeſetzet: Auch die Abſchnitte in
§§. hier und da anders abgetheilt, wie z. Ex. in dem I.
Cap. in dem 20. §. II. 1. 2. 19. 20. III. 26. IV. 5. 6. ꝛc.
zu ſehen iſt. Beyſpiele von den wichtigſten Ausbeſſerun-
gen in der Schreibart koͤnnen folgende ſeyn: Cap. I. 1.
Und geht ihn alſo weit naͤher an: Nunmehr lieſt er:
Und alſo geht ſie ihn weit naͤher an. C. II. 1. Diejeni-
gen haben ſichs gemeiniglich angemaſſet. Nunmehr
lieſt er: Gemeiniglich haben ſichs diejenigen angemaſ-
ſet. C. I. 10. Das heißt auſſer der gebundenen Schreib-
art. Jzo lieſt er: Das heißt in ungebundener Schreib-
art. ꝛc. Wo in den vorigen Ausgaben Muſicus geſtan-
den, das hat er in der neuen in Tonkuͤnſtler verwandelt; und
dadurch eine neue Probe abgeleget, daß er ein wuͤrdiger
Zeſianer ſey. Cap IV.Dasjenige ſo der Urſprung und
die Seele der Dichtk. iſt. Anitzo ſchreibt er: Dasjenige,
was der Urſprung und die Seele der Dichtk. iſt. Da-
ſelbſt §. 8. Ein Stuͤcke aus einer andern Welt.
Jzo ſchreibt er: Ein Stuͤcke von einer andern Welt. Da-
ſelbſt §. 11. Nur als was fremdes: Anizo: Nur als
etwas fremdes. §. 16. Eines Sohns Oedipi und Jo-
caſtaͤ: Anizo: Eines Sohns des Oedipus und der Jo-
caſta. Cap. 5. §. 4. Das erſte Wunderbare, ſo die Goͤt-
ter verurſachen: Anizo ſchreibt er: Das erſte Wunder-
bare, was die Goͤtter verurſachen.
be, will ich gleichfalls mit ein paar Exempeln weiſen. Cap.
IV. §. 3. Man macht zum Ex. ein verliebres trauriges
luſtiges Gedichte im Nahmen eines andern. Kuͤnſtliche
Verniſchung von ungleichen Eigenſchaften in einem Ge-
dichte! Jn demſelben §. Man muß den Unterſcheid des
Gekuͤnſtelten von dem Ungezwungenen angemercket ha-
ben. §. 29. Der eingebildete Univerſal Monarch. Jn
dem V. Cap. 7. §. 175. Bl. ziehet er in einem kleinen neu-
en Zuſatze Taſſoni geraubtes Siegel an als ein ſchertzhaf-
tes Epiſches Gedicht; wo er aus Unwiſſenheit einen Waſ-
ſer-Eimer in ein Siegel metamorphoſiert, und ſich da-
durch verraͤth, daß er dieſes Wercklein weder geſehen noch
geleſen habe. Jn der Ueberſetzung von Horatzens Dicht-
kunſt ſteht V. 473. Bl. 50.
Welches nicht allein ein Muſter von ſeiner Ungeſchicklich-
keit im Ueberſetzen; ſondern auch wider die Richtigkeit der
Sprache anſtoͤſſig iſt: Und ich erinnere mich dabey jenes
dummen Schulmeiſters, der, als er ſeine Lehrlinge uͤber
die Frage aus dem Catechismus, Wer hat dich erſchaf-
fen[?] in Anſehung ihres Begriffs erforſchen wollte, die Fra-
ge alſo umgekehrt hat: Erſchaffen wer hat dich[?] Eben
daſelbſt V. 426. Bl. 46.
Jn der neuen Auflage iſt zwar der Wetzſtein der Floͤten
in einen Antrieb der Floͤten verwandelt worden: doch iſt
der Ausdruck noch abentheurlich genug. Jn dem III. Cap.
1. §. ſteht: Man hat endlich gar die Regel gemacht:
Ein
gaben nicht geſtanden) Dieſe Zuſaͤtze ſind meiſtens hiſto-
riſch und von ſchlechter Erheblichkeit: Sie beſtehen entwe-
der aus bloſſen Verſetzungen, wie Cap. I. §. 8. III. 24.
oder aus hiſtoriſchen Erzehlungen von poetiſchen Abentheu-
ren, wie III. 25. oder aus eingeſchalteten Citationen aus
lateiniſchen Scribenten, wie II. 5. und aus den Schriften
der deutſchen Geſellſchaft, wie IV. 5. Dahin gehoͤret, daß
auch die in den Anmerckungen angefuͤhrte Stellen aus
franzoͤſiſchen, engliſchen ꝛc. Scribenten ins Deutſche uͤber-
ſezt werden. Zu dieſen Veraͤnderungen muß auch die Aus-
mertzung verſchiedener Stellen aus Boileau, wie II. 10.
16. 17. ꝛc. gerechnet werden.
dagegen gemacht) Freylich hat er allen dieſen Einwuͤrf-
fen,
Regel nun nach meiner Art zu erklaͤren und zu erweiſen,
das iſt meine Abſicht in dieſem Capitel. Dieſe Regel
koͤmmt mir eben ſo ſpaßhaft vor, als wenn ich ſagte: Man
hat endlich gar eine Regel gemacht: Ein Tantzmeiſter muß
Beine und Gelencke haben. Weiß denn der deutſche Sprach-
richter und Philoſophus, der ſo viel Kuͤnſte in Regeln will
gebracht haben, noch nicht, was eine Regel iſt, und wie
ſie von einer Forderung unterſchieden iſt?
gemacht worden, begegnen ſollen; aber er hat es lieber
bey der bloſſen Erkenntniß dieſer Schuldigkeit bewenden
laſſen. Man durchgehe nachfolgendes Verzeichniß von
Beſchuldigungen, ſo von den Zuͤrchiſchen Kunſtlehrern in
verſchiedenen Wercken mit Nahmen gegen ihn gemachet wor-
den; und erkundige ſich hernach durch ſein eigenes Nach-
ſchlagen, ob und wo er auch nur den kleinſten Verſuch ge-
than, eine von denſelben, geſetzt es waͤre auch nur mit
einigen ſcheinbaren Worten, von ſich abzulehnen. Man
wird finden, daß er deßfalls zum Anſtoß ſeiner geringſten
Schuͤler, welche zu ihrer Belehrung ſich darnach mit der
dazu noͤthigen Lernensbegierde umgeſehen hatten, als ſtumm
und mundtodt geblieben.
Critiſche Abhandlung von Gleichniſſen.
Bl. 170. 171. wird Hrn. Gottſched vorgehalten, daß er
eine Stelle aus Canitzen Gedichten, wo er Virgils Charac-
ter der Dido erhebet, auf eine unverſtaͤndige Weiſe verbeſ-
ſern wollen, aber wuͤrcklich verderbet, und den Character,
den er doch anpreiſet, gantz verſtellt habe. Siehe Gottſch.
Dichtk. IV. Cap. §. 5.
Eben daſelbſt Bl. 179. wird das Lob, welches Hr.
Gottſched Amthors Ueberſetzung von der Rede der erzuͤrn-
ten Dido beym Virgil, beygeleget, in eine critiſche Unter-
ſuchung genommen, und als ein Beweis von deſſen uͤblem
Geſchmack angegeben. S. Gottſch. Dk. X. Cap. §. 4.
Eben daſelbſt Bl. 198. wird Hr. Gottſcheds Eroͤrterung,
wie ferne die Gleichniſſen ſich in die Schreibart der Tragoͤ-
dien ſchicken? weitlaͤuftig gepruͤffet, und als undeutlich,
ungewiß und verworren dargegeben: zugleich auch gezei-
get, daß Gottſched die Regel: Ahmet der Natur nach:
die er ſo oft in dem Munde fuͤhret, bis itzo nicht verſtan-
den habe. S. Gottſch. Dk. II. Th. X. Cap. §. 25.
Eben daſelbſt Bl. 266. wird Gottſcheds Critick uͤber des
Hrn. von Lohenſtein Leichrede auf den Hrn. von Hofmanns-
waldau mit guten Gruͤnden verworffen.
Eben daſelbſt Bl. 494. u. ff. wird Neukirchs von Hr. Gott-
ſched ſo gelobtes Gedichte auf die geſchuͤtzten Nachtigallen
in einer ausfuͤhrlichen Unterſuchung vieler Ungeſchicklichkei-
ten beſchuldiget. S. Gottſch. Dk. Cap. XI. §. 29.
Critiſche Dichtkunſt.
I. Th. Bl. 304. wird Hr. Gottſcheds Urtheil von Achilles
Schild beym Homer, welches er nur einem Franzoſen ab-
geborget, als unbeſcheiden abgefertiget. S. Gottſch. Dk.
VI. Cap. §. 5.
Eben daſelbſt II. Th. Bl. 331. wird gezeiget, daß Hr.
Gottſched wider alle Vernunft das gemeine Recht neue Me-
taphoren in die deutſche Sprache einzufuͤhren einſchrancken
wolle. Jm III. St. der critiſchpoetiſchen Sam̃l. Bl. 17-28.
und Bl. 107. ſind ihm uͤber eben dieſe Materie deutliche
Vorſtellungen gethan worden. S. Gottſch. Dk. IX. Cap.
§. ult.
Critiſche Betrachrungen uͤber poet. Gemaͤhlde.
Bl. 348. wird Hr. Gottſcheds Urtheil von ein paar Stellen
in Canitz und Beſſers Trauergedichten widerlegt. Siehe
Gottſch. Dk. V. Cap. §. 25. und XI. Cap. §. 26.
Daſelbſt Bl. 505. wird Hr. Gottſcheds Ueberſetzung von
der Rede der Scythiſchen Abgeſandten beym Curtius ge-
tadelt.
Daſelbſt Bl. 339. wird deſſen Schutzſchrift fuͤr die Lehre
von der Baukunſt der Figuren widerlegt. S. Gottſch.
Dk. X. Cap. §. 2.
Amthors Schreibart in der Ueberſetzung eines Stuͤckes
der Aeneis iſt eben daſelbſt Bl. 89. 104. und 245. und in
der critiſchen Dichtk. II. Th. Bl. 160. 175. 181. der Platt-
heit,
halten) Dieſes gehoͤrt zu der unergruͤndlichen Schreib-
art, und muß verſtanden werden, wie das Mater timidi
flere non ſolet: Es hat naͤmlich Gottſched alle die von Zuͤ-
rich her in vielen critiſchen Schriften wider ſeine Dichtkunſt
gemachten Einwuͤrffe, nicht beruͤhrt, ſondern fuͤr unge-
ſchrieben gehalten, und deswegen alles dieſes gantz un-
veraͤndert aus der zweiten Auflage in die neue hinuͤberge-
bracht: darum auch keinen Anlaß gehabt, die Nahmen
ſeiner Gegner anzufuͤhren. Jm Gegentheil hat er die
Nahmen dieſer Gegner aller Orte, wo ſie etwa vorhin
gelobt waren, aus einer recht ſorgfaͤltigen Unparteylichkeit,
ausgeloͤſchet. Als z. E. I. Th. IV. Cap. 1. §. ſtuhnd in
der Edition von 1737. Man kan hierbey mit Nutzen
nachleſen, was Herr Bodmer in ſeinen vernuͤnftigen
Gedancken und Urtheilen von der Beredſamkeit fuͤr feine
Regeln und Anmerckungen davon gegeben hat.IV. C.
3. §. beym Ende: Man darf nur die Diſcurſe der Maler
nachleſen, wo unterſchiedene ſolche Cenſuren vorkom-
men, die hieher gehoͤren. Alſo VI. 22. Jm II. Th.
IX. Cap.
heit, Mattigkeit, und Ungeſchicklichkeit uͤberwieſen worden;
Jn der Gottſch. Dichtk. hatte man ſie Cap. XI. §. 14. vor die
rechte Schreibart angeprieſen, die ſich zu einem Heldenge-
dichte ſchickt; und uns verſichert, daß Amthor die edle
Einfalt Virgils voͤllig erreicht habe.
Jn der Sammlung crit. und poet. Schriften.
I. St. Bl. 67. u. ff. und II. St. Bl. 152. ſind ſeine ver-
wirrten Begriffe von dem Sinnreichen und dem Scharf-
ſinnigen von neuen aufgeklaͤret worden, wie ſchon 1728.
in der Anklage des verderbten Geſchmacks geſchehen war;
ohne daß er es ſich zu Nutzen gemacht habe.
Eben daſelbſt II. St. Bl. 173. 174. wird ſeine verwirrte
und eitele Erklaͤrung des Geſchmackes, ſo er im III. Cap.
ſeiner Dichtk. §. 9. gegeben, jedermann vor Augen geleget.
Critiſche Abhandlung von dem Wunderbaren
in der Poeſie.
Bl. 97. u. f. wird Hr. Gottſcheds Urtheil uͤber Miltons
Bau des Pandaͤmoninm, welches er Voltairen nachgeſpro-
chen hat, weitlaͤuftig widerlegt. Aber in der neuen Auf-
lage der Dichtkunſt VI. Cap. 22. §. 23. §. iſt es ungeaͤn-
dert geblieben, wie es in der vorhergehnden Auflage ge-
ſtanden hat, auſſer daß er den ihm ſo ſehr verhaßten Nah-
men Hrn. Prof. Bodmers ausgeſtrichen, und anſtatt,
welches uns von Hrn. Pr. Bodmern noch neulich im
Deutſchen geliefert worden, hingeſchrieben hat: Wel-
ches uns vor etlichen Jahren in der Schweitz im Deut-
ſchen geliefert worden. Nicht anders hat ers mit den
uͤbrigen Beſchuldigungen gemacht, welche er groͤſtentheils
aus Voltairen abgeſchrieben, als, die Einwuͤrffe von der
abſcheulichen Blutſchande Satans und der Suͤnde, von
dem Sataniſchen Geſchoſſe, von den Anzuͤgen aus der
Mytho-
Mythologie, von der Abwechſelung des Tages und der
Nacht im Himmel vor Erſchaffung der Welt, von
den Weltgegenden, Berg und Thal, ja einem Boden vol-
ler Metalle, daraus die Teufel allerley kuͤnſtliche Dinge
machen. Alle dieſe Sachen ſind in Hrn. Bodmers Ab-
handlung von dem Wunderbaren auf gewiſſe Grundſaͤtze
gebracht, und die Einwuͤrffe, welche Hr. Voltaire und
Hr. Magny mit einem weit beſſern Scheine, als Hr. Gott-
ſched ſie ihnen nachgeſagt, dagegen gemacht haben, gruͤnd-
lich und zuſammenhangend aufgeloͤſet worden. Auf das
alles hat Hr. Gottſched nichts anders gethan, als ſeine
Anklage oͤfters wiederholet, als ob ſie von einer jeden Wie-
derholung ein neues Gewichte bekaͤme.
Gewalt aufdringen) Hr. Prof. Gottſched will durch dieſe
Klage ſeinen Eifer, den er wider das beſorgliche Uebel
des Miltoniſchen Geſchmacks in denen wichtigen Zuſaͤtzen
des neuen Verſuches einer crit. Dichtkunſt mit einer ihm
ſonſt nicht gewohnten Ernſthaftigkeit ausgeſtoſſen hat, um
etwas entſchuldigen: Es ſcheint, daß er die foͤrmliche
Ablehnung des Verdachts daß die Schweitzeriſche Na-
tion ſich habe uͤberreden laſſen, an Miltons verlohrnem
Paradieſe einen Geſchmack zu finden, nur fuͤr einen bloſ-
ſen Schertz aufgenommen habe; ſonſt wuͤrde er wohl er-
kennt haben, daß die Gefahr diesfalls von Seite der
ſchweizeriſchen Nation keineswegs ſo groß ſey, als er in
ſeinem fantaſierenden Kopfe zu traͤumen Luſt hat. Und
ich wollte mich viel eher unterſtehen, einen Raben zu blei-
chen, oder einen Mohren weiß zu waſchen, als den ſteif-
fen Sinn dieſes eigenmaͤchtigen Richters in andere Falten
zu biegen, oder ihm etwas aufzudringen, daran er ſich
verredet hat, keinen Geſchmack zu finden. Jch will dieſe
wichtigen Zuſaͤtze, die ihm ſein Eifer wieder den einreiſ-
ſenden miltoniſchen Geſchmack in die Feder gefloͤſſet hat,
und wodurch er ſein Mißfallen an Miltons Gedichte mit
einem richterlichen Anſehen, und mit ſolchen Ausdruͤckun-
gen, die er ſonſt ungerne braucht, entdecket, hier bey-
fuͤgen, damit jedermann die nachdruͤckliche und immer
ſieghafte Schreibart dieſes philoſophiſchen Kunſtrichters be-
wundern koͤnne.
Hrn.
in der neuen Auflage nirgends mehr zu leſen vorkoͤmmt,
als in dem Regiſter, welches unveraͤndert geblieben.
Hrn. Gottſcheds Verſuch einer crit. Dichtkunſt.
II. Cap. 17. §. wird nach dem Satz: Von den Jtalie-
nern und Spaniern hat uns Bouhours in hundert Exem-
peln die Fruͤchte gar zu hitziger Geiſter gewieſen, die
keine Pruͤffung der Vernunft aushalten: folgender Zu-
ſatz gemacht: „Unter den Engellaͤndern aber, die uͤber-
„haupt ſehr ſtarck zu den Ausſchweiffungen der Phan-
„taſie geneigt ſind, hat Milton, alles was man dadurch
„ſchwaͤrmendes machen kan, in ſeinem verlohrnen Pa-
„radieſe gewieſen.„
IV. Cap. 16. §. in der neuen Auflage 15. §. nach dem
Urtheil von der kleinen Jlias, ſteht folgendes eingeſchal-
tet: „Dahin gehoͤrt auch Milton, der in dem verlohr-
„nen Paradieſe nicht nur den Fall Adams, und ſeine Ur-
„ſache, naͤmlich die Verfuͤhrung Satans; ſondern auch
„die Schoͤpfung der Welt, ja was vor derſelben vorge-
„gangen, naͤmlich den Fall Lucifers, erzaͤhlet.„
VIII. Cap. 19. §. nach den Worten: Da doch der
Gebrauch verbluͤmter Reden die Sachen weit lebhafter
vorſtellen, und empfindlicher machen ſollte: bemercket
folgenden Zuſatz: „Nicht nur im vorigen Jahrhunderte
„hat die mariniſche Schule den dunckeln Wuſt in die
„Dichtkunſt gebracht; ſondern auch izo will uns die
„miltoniſche Secte von neuem uͤberreden: Nichts ſey
„ſchoͤn, als was man kaum verſtehen, oder doch mit
„vielem Nachſinnen und Kopforechenkaum errathen kann.
IX. Cap 7. §. Nach den Worten: Oder ſie meinen
doch, um eines guten Gedanckens halber, ſtehe es ih-
nen frey, die Sprache zu verſtuͤmmeln: wird folgendes
beygeruͤcket: „Einige aber meinen gar, es beſtehe die
„Schoͤnheit der poetiſchen Schreibart in ſolchen Verkeh-
„rungen der Woͤrter; indem man ſich dadurch von der
„proſaiſchen Rede ſehr entfernen koͤnnte. Siehe die Vor-
„rede zu dem ſchweitzeriſchen Milton.„
IX. Cap.
IX. Cap. 28. §. Gegen dem Ende, zaͤhlet er unter die
Barbariſmos in der deutſchen Mundart, durch einen neu-
en Zuſatz, die Mittelwoͤrter, die auch von einigen ge-
ſchwornen Participianern, ſehr unverſchaͤmt gebraucht
werden.
X. Cap. 2. §. Nach dem Einwurff von der Unnuͤtzlich-
keit des Unterrichts von Figuren, wird folgendes einge-
ſchaltet: „Zu dieſer Zahl iſt noch neulich ein ſchweizeri-
„ſcher Kunſtrichter getreten, der anſtatt der Figuren,
„ein unverſtaͤndliches Miſchmaſch, und eine ſclaviſche
„Nachahmung des, in ſeiner eignen Sprache barbari-
„ſchen Miltons einzufuͤhren wuͤnſchte.
XI. Cap. 16. §. Zu Ende wird gantz neu beygeſetzet:
„Eben hierinn iſt auch Milton tadelhaft, deſſen Erzaͤh-
„lungen durchgehends gar zu verbluͤmt, ſtoltz und praͤch-
„tig ſind. Er verſchwendet tauſend Bilder, Gleichniſſe
„und Beſchreibungen. Er bringt, gleich dem lohenſtei-
„niſchen Arminius, alle ſeine Gelehrſamkeit und Bele-
„ſenheit an, und verfaͤllt auf langwierige Ausſchweif-
„fungen, die den Sinn des Leſers zerſtreuen. Taſſo
„und Voltaire, koͤnnen die Kunſt zu erzaͤhlen unzaͤhlige-
„mal beſſer, als dieſer Englaͤnder.„
Nach ſo vielen wiederholten Ausſpruͤchen eines ſo kuͤh-
nen und maͤchtigen Kunſtrichters, der ſein Anſehen allen
Gruͤnden dreiſte entgegen ſetzen darff; wird wohl niemand
mehr zweifeln, daß Hr. Gottſched nicht von Hertzen glau-
be, daß ſeine Ausſage die baare Wahrheit ſey: Alſo wird
nun Milton kuͤnftighin in Deutſchland von allen rechtſchaf-
fenen Gottſchedianern als ein dunckler und unergruͤndlicher
Scribent, als ein poetiſcher Schwermer und Quacker,
als ein in ſeiner eigenen Sprache barbariſcher Dichter,
verruffen werden, weil der Schweitzer, ſo ihn uͤberſetzt
und neben Addiſon angeprieſen, das Ungluͤck gehabt, ſich
[Crit. Sam̃l. VI. St.]der
der Gewogenheit des Hrn. Profeſſ. G. unwuͤrdig zu ma-
chen. Denn zuvor bis gegen das Jahr 1737. hat eben
der Gottſchediſche Geſchmack, der ſich keineswegs unter
das Joch der Critick biegen laͤßt, ſondern die Sachen
allemahl finden kann, wie es ihn geluͤſtet, Miltons Ge-
dichte, und deſſen Ueberſetzung mit vollem Munde gelobet.
Nachdem aber der Schweitzeriſche Vertheidiger Miltons
dieſe Gewogenheit des Vormunds der deutſchen Nation
verwuͤrcket hat; und alſo der Grund des vorigen fuͤr ihn
ſo vortheilhaften Urtheils hingefallen iſt, ſo war Hr. Gott-
ſched nach der willkuͤhrlichen Freyheit ſeines Geſchmacks
wiederum berechtiget, ſein erſteres Urtheil zu wiederruffen,
und eine gleiche Sache gantz anders zu finden, als
vorhin: Denn ſolche Herren ſind keine Sclaven ihrer Wor-
te, und wenn dieſe gleich hundertmahl offentlich gedruckt
waͤren. Jch will zum Beweißthum deſſen ein paar neue
Proben anfuͤhren. Die groͤſte und wichtigſte Veraͤnderung,
die in dieſer neuen Auflage des Gottſchediſchen Verſuches
gemachet worden, findet ſich in dem I. Cap. 25. §. nach
der alten Ausgabe auf der 85ſten nach der neuern aber auf
der 86ſten Seite: Jch will beyde neben einander vor Au-
gen legen, damit man ſehe, wie wenig es ihm zu ſchaf-
fen gebe, dasjenige was er einmahl ohne Grund gelobet
hat, ſo bald es ihm gefaͤllt, zu wiederruffen, und mit
eben demſelben Rechte zu ſchelten.
Ausgabe von A. 1737.
Bl. 85.
Hingegen was die groſ-
ſen Gedichte der Alten, nem-
lich Heldengedichte, Tragoͤ-
dien und Comoͤdien anlangt,
ſo haben wir noch nicht viel
(nichts rechtes: Ausg. von
1730.)
Ausgabe von A. 1742.
Bl. 86.
Was die groſſen Gedichte
der Alten betrifft, ſo haben
wir gewiß in allen Arten et-
was aufzuweiſen, das, wo
nicht gantz vollkommen, doch
nicht ſo gar zu verwerffen iſt,
wenn
Beyſpiele davon koͤnnen folgende ſeyn. Jch nehme ſie aus
ſolchen Gedichten Hrn. Prof. Gottſcheds, die er ſeiner
Dicht-
1730.) in unſrer Sprache
aufzuweiſen, ſo nach den
gehoͤrigen Regeln ausgear-
beitet, und aus keiner frem-
den Sprache uͤberſetzt waͤre.
Die Jtaliaͤner uͤbertreffen uns
durch ihren Taſſo, wie die
Engellaͤnder durch ihren
Milton, denen wir noch
nichts entgegen ſetzen koͤn-
nen, was Stich hielte.
Denn Poſtels Wittekind
taugt nichts, und alle uͤbri-
ge Heldengedichte ſo wir ha-
ben, ſind nur elende Ueber-
ſetzungen. Pietſchens Sieg
Carls des VI. in Ungarn,
wo er jemahls voͤllig heraus-
koͤmmt, nachdem ſein Ver-
faſſer verſtorben, wird eher
einer lucaniſchen Pharſal,
als einer Eneis des Virgil
aͤhnlich ſehen; weil derſelbe
ſich nicht nach den Regeln
eines Heldengedichts hat rich-
ten wollen. Augnſt im La-
ger, davon man nur den
erſten Geſang hat, hat kei-
ne ſo ernſthafte Handlung
zum Jnhalte, daß daraus
ein Heldengedichte werden
kan, geſetzt, daß es dem
Poeten gefiele es zum Ende
zu bringen. Denn ein bloſ-
ſes
wenn man es mit den Ge-
dichten der Auslaͤnder ver-
gleicht. Von Heldengedich-
ten haben wir nicht nur un-
ter den Alten, den Theuer-
danck und Froͤſchmaͤuſeler;
ſondern auch einen Habſpur-
giſchen Ottobert, die geraub-
te Proſerpina und den ſaͤchſi-
ſchen Wittekind. Sind die-
ſe noch nicht ſo gut als Ho-
mer, Virgil und Voltaire;
ſo ſind ſie doch nicht ſchlech-
ter, als das, was Mari-
no, Arioſt, Chapelain, St.
Amand und Milton in die-
ſem Stuͤcke geliefert haben.
Man muß ſich nur uͤber die
ſclaviſche Hochachtung alles
deſſen, was auslaͤndiſch iſt,
erheben, die uns Deutſchen
bisher mehr geſchadet, als
genutzet hat. Pietſchens
Sieg Carls des VI. den wir
neulich gantz zu ſehen bekom-
men haben, zeigt uns zwar,
daß der Verfaſſer Faͤhigkeit
genug gehabt, ein Helden-
gedichte zu machen; wenn
ihm die Regeln deſſelben be-
kannt geweſen waͤren: Aber
ſelbſt verdienet es noch nicht,
in dieſe Claſſe zu kommen.
Neukirchs Telemach aber,
iſt
ſes Spielwerck, wenn es
auch noch ſo praͤchtig und
Koͤniglich iſt, kan zu keinen
groſſen Leidenſchaften Anlaß
geben, und folglich in kei-
nem Heldengedichte beſungen
werden: So wenig als
Friſchlinus in Beſchreibung
der Wuͤrtenbergiſchen und
Hohenzolleriſchen Hochzeiten,
ein paar Heldengedichte ver-
fertiget hat. Die Franzoſen
haben izo an ihrem Voltaire
einen Poeten, der ihre Ehre
gegen die vorerwaͤhnten bey-
den Nationen durch ſeine
Henriade ſo gut behauptet,
als ſelbige durch den Chape-
lain war geſchmaͤlert wor-
den. Jn Tragoͤdien und
Comoͤdien aber ſind ſie die
groͤſten Meiſter, und koͤn-
nen durch ihre Corneille, Ra-
cine, Moliere und verſchie-
dene neuere, nicht nur uns
Deutſchen, ſondern ſo gar
den alten Griechen und Roͤ-
mern trotzen.
iſt nur eine Ueberſetzung, und
kan uns alſo zu keiner Ehre
gereichen. Jn Trauerſpielen
haben wir den Auslaͤndern
nicht nur den Gryphius,
Hallmañ und Lohenſtein, ſon-
dern ſehr viele andre neuere
Dichter entgegen zu ſetzen, die
ſich ſeit zwoͤlf Jahren, da dieſe
Dichtkunſt zum erſtenmal er-
ſchienen, (ich ſchreibe dieß
1741.) hervorgethan haben,
und ſchon im Begriffe ſtehen,
ans Licht zu treten. Thun es
dieſe ſchon einem Corneille
und Racine noch nicht in al-
lem gleich, ſo haben ſie auch
viele Fehler dieſer beyden
Franzoſen nicht an ſich;
und koͤnnen es doch, theils
mit den neuern Franzoſen,
theils ſo wohl mit den Wel-
ſchen als Englaͤndern auf-
nehmen, deren Schaubuͤhne
in ſehr groſſer Verwirrung iſt.
Jn der Comoͤdie haben wir
nicht nur Dedekinds, Gryphii,
Riemers, und Weiſens, ſon-
dern eine groſſe Menge an-
drer Stuͤcke in Haͤnden, die
ſeit 200. Jahren bey uns ge-
druckt worden. Und ſind die-
ſe gleichfalls mit des Moliere
und Des Touches Luſtſpielen
nicht
nicht zu vergleichen, ſo doͤr-
fen wir doch weder den Wel-
ſchen noch Englaͤndern das
allergeringſte nachgeben; es
waͤre denn in der Liebe unſers
Vaterlands; darinnen es uns
jene unſtreitig zuvorthun.
Doch zeigen ſich auch hier
ſchon einige muntre Koͤpfe,
die durch gluͤckliche Proben
uns Hofnung machen, daß
wir auch den Franzoſen nicht
lange mehr werden den Vor-
zug laſſen doͤrfen. Man
ſehe das Verzeichniß unſrer
Schauſpiele vor meiner deut-
ſchen Schaubuͤhne.
Eben dieſe Fertigkeit von einem Seil auf das andre zu
ſpringen, ohne ſich den Hals zu brechen, hat dieſer ge-
ſchickte Kuͤnſtler auch in folgender Stelle erwieſen:
II.Th.IX.Hauptſt. §. 17.
Man hat, wie bekannt, den
Vers auf ihn gemacht:
Illa Capellani dudum exſpe-
ctata Puella,
Poſt tot in lucem tempora
prodit Anus.
Man kan bey uns Deutſchen
von dem Habſpurgiſchen Ot-
tobert, und von Poſtels Wit-
tekind eben das ſagen. Dieſe
Fabeln an ſich, oder die Ge-
dichte ſelbſt ſind beſſer gera-
then,
II.Th.IX.Cap. 17. §.
Man hat, wie bekannt iſt,
den Vers auf ihn gemacht:
Illa Capellani dudum exſpe-
ctata Puella,
Poſt tot in lucem tempora
venit Anus.
Mit beſſerm Rechte iſt Fene-
lon mit ſeinem Telemach hie-
her zu rechnen, den Neukirch
bey uns in Verſe uͤberſetzet
hat. Man kan von uns Deut-
ſchen von dem Habſpurgiſchen
Otto-
then, als ihre rauhe und gar-
ſtige Verſe: Daher ſich ſehr
wenige uͤberwinden koͤnnen,
ſolche verdrießliche Wercke zu
leſen. ‒ ‒ ‒ ‒ Milton
hat hingegen in Engelland
‒ ‒ ‒ die Hochachtung ſei-
ner gantzen Nation erlanget.
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Noch neulich
hat uns Hr. Prof. Bodmer
eine neue deutſche Ueberſe-
zung in ungebundener Rede
davon geliefert; die von groſ-
ſer Staͤrcke iſt, und ihrem
Grundtexte eine voͤllige Ge-
nuͤge thut. Siehe crit. Bey-
traͤge.
Ottobert und von Poſtels
Wittelind eben das ſagen.
Dieſe Fabeln an ſich oder
die Gedichte ſelbſt ſind beſſer
gerathen, als ihre rauhe und
garſtige Verſe: daher ſich
ſehr wenige uͤberwinden koͤn-
nen, ſolche verdrießliche Wer-
ke zu leſen. ‒ ‒ ‒ Mil-
ton hat hingegen in Engeland
die Hochachtung ſeiner gan-
zen Nation erlanget. ‒ ‒ ‒ ‒
Noch neulich hat man uns in
der Schweitz eine neue deut-
ſche Ueberſetzung in unge-
bundner Rede davon gelie-
fert, die aber von groſſer
Haͤrte iſt, und ihrem Grund-
texte keine voͤllige Gnuͤge thut,
auſſer daß ſie das ungeheure,
rauhe und widrige des Ori-
ginals in ſeiner voͤlligen Groͤſſe
ausdruͤckt. Man ſehe hier-
von den Auszug im I. B.
der crit. Beytraͤge und das
erſte Stuͤck des Dichterkrie-
ges im I. Bande der Beluſti-
gungen des Verſtandes und
Witzes nach.
Der ſpitzfuͤndige Poet bedrohet die Sonne, woferne ſie
den Geburtstag des Fuͤrſten nicht fein bald zu beleuchten
aufſteige, ſo werde ſie dann viel zu ſpaͤthe kommen:
Warum? Der Fuͤrſt Guͤnther werde ſelbſt Tag machen;
Frageſt du, wie dieſes moͤglich ſey? ſo berichtet dich der
Poet, daß der Fuͤrſt dem Phoͤbus gleiche, und daß der
Himmel aus Ungedult die Stralen von dieſem Phoͤbus
borgen werde: Und an dieſem geheimnißreichen Unter-
richt muſt du dich begnuͤgen laſſen. Jn eben dieſer Ode:
Jn einer andern auf der 389ſten Seite:
Einen beſondern Glantz giebt unſrer Mutterſprache die
bis-
388. S.
(Jch wollte wohl wetten doͤrfen, daß niemand die folgen-
de Zeile errathen wuͤrde:)
Das iſt, als wenn ich ſagte: Jch bin; erlaubet mirs
zu ſagen, euer gehorſamer Diener. Eben daſelbſt:
Jſt dieſes ein Lob oder Tadel? Auf der 513. S. in einer
Elegie an ſeine erleſne Braut die Jgfr. L. A. V. Kulmus:
Der Seufzer in dieſer lezten Zeile iſt in dem Munde eines
Braͤutigams, der in 8 Tagen zum erſtenmal Beylager
halten ſoll, recht geheimnißreich.
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjwm.0