ſeiner
Reiſen
durch
Frankreich, die Niederlande, Holland,
Deutſchland und Italien;
in Beziehung auf
Menſchenkenntnis, Induſtrie, Litteratur
und
Naturkunde inſonderheit.
bei Friedrich Gotthold Jacobaͤer und Sohn,
1784.
[][[I]]
Heinrich Sanders
Leben.
Heinrich Sander’s
Leben*).
a
[[II]][[III]]
Wenn man das Verdienſt eines Mannes
richtig beſtimmen, und den Verluſt,
den die Welt durch ſeinen Tod erlitten hat, ge-
nau berechnen will, ſo muß man nicht blos auf
das ſehen was er geleiſtet hat, ſondern man muß
auch das in Anſchlag bringen, was er bei laͤn-
germ Leben haͤtte leiſten koͤnnen, und aller Wahr-
ſcheinlichkeit nach geleiſtet haben wuͤrde. In
dieſer Hinſicht iſt Sander’s fruͤhzeitiger Tod
a 2nicht
[IV] nicht nur ein unerſetzlicher Verluſt fuͤr ſeine
Braut, fuͤr ſeine Eltern, fuͤr ſeine Freunde, fuͤr
Karlsruhe und die Baadenſchen Lande, ſon-
dern er iſt zugleich ein Nationalverluſt fuͤr ganz
Deutſchland. Seine Schriften werden in
Wien und in Hamburg, in Muͤnchen und
in Koͤnigsberg, und uͤberall wo man ſich um
neue deutſche Buͤcher bekuͤmmert, mit Nutzen
und Beifall geleſen. Alle Theile der Wiſſen-
ſchaften erwarteten von ſeinem aufgeklaͤrten und
thaͤtigen Geiſte, wenn gleich nicht allemahl neue
Entdeckungen, doch mannigfaltige Bereicherun-
gen und zweckmaͤſſige Anwendungen zum gemei-
nen Beſten, und ſchon ſeine erſten Verſuche weiſ-
ſagten ihm das ſeltne Gluͤck, einer von Deutſch-
land’s Lieblingsſchriftſtellern zu werden. Sein
unerwarteter Tod machte daher auch uͤberall,
wo ſein Name genennet wird, die lebhafteſte
Senſation. Nicht nur in Karlsruhe und
Koͤndringen floß die Thraͤne der Freundſchaft
und Liebe um ihn, ſondern auch Deutſchland’s
klagender Genius umwand ſeine Urne mit Kraͤn-
zen.
Er ward am 25. November 1754. zu Koͤn-
dringen in der Baadenſchen Marggrafſchaft
Hochberg gebohren. Sein Vater iſt Herr
Niko-
[V]Nikolaus Chriſtian Sander, Kirchenrath
und Specialſuperintendent in Koͤndringen,
ein wuͤrdiger und aufgeklaͤrter Gottesgelehrter,
der ſich unter andern durch eine 1773. veranſtal-
tete Sammlung verbeſſerter und neuer Kirchen-
geſaͤnge, um ſein Vaterland verdient machte;
ſeine Mutter, Frau Auguſte Bernhardi-
ne, eine gebohrne Boskin. Beide ſind noch
am Leben. In dem elterlichen Hauſe genoß er
eine Erziehung, die ſeinen Talenten und ſeinem
vortreflichen Herzen vollkommen angemeſſen war,
und der Erfolg davon entſprach nicht nur der
Erwartung, die ſein aufbluͤhendes Genie erreg-
te, ſondern uͤbertraf ſie auch. Er betrat ſchon
die Laufbahn der Schriftſteller in einem Alter,
da man ſonſt erſt anfaͤngt Kenntniſſe zu ſammeln,
und in den Jahren, wo der empfindſame Juͤng-
ling in lydiſchweichen Toͤnen Wein und Liebe
ſingt, war er ſchon ein ernſter Lehrer der Natur,
der Weisheit und der Religion. Der Grund
davon iſt ohnfehlbar in der erſten Bildung zu ſu-
chen, die er in ſeiner Kindheit empfing, und die-
ſer Umſtand gereicht ſeinen Eltern und Erziehern
zum unſterblichen Ruhme. In ſeiner fruͤhen
Jugend hielt er ſich mit ſeinen Bruͤdern, wovon
der eine noch iezt als Prorector in Pforzheim
a 3lebt,
[VI] lebt, der andere aber in ſeinem achtzehenden Jah-
re als Doctorand ſtarb, und an deſſen Seite
iezt unſer Sander ſchlummert, ein Jahr auf
der damaligen Realſchule zu Loͤrrach in der
Herrſchaft Roͤteln auf. Von da kam er nach
Koͤndringen zuruͤck, und blieb bis in ſein vier-
zehntes Jahr in dem Hauſe ſeiner Eltern. Vom
ſechzehnten bis zum achtzehnten genoß er den
Unterricht der oͤffentlichen Lehrer auf dem Gym-
naſium zu Karlsruhe, blieb dann noch ein
Jahr bei ſeinem Herrn Vater, bezog darauf die hohe
Schule zu Tuͤbingen, und ging endlich von da auf
die Akademie nach Goͤttingen, wo er ſich der
Gottesgelahrheit mit dem groͤſten Eifer widmete.
Der Aufenthalt bei ſeinem Herrn Vater war
keine leere Pauſe. Er wandte dieſe Zwiſchen-
zeit vielmehr dazu an, das Gehoͤrte und Erlernte
zu uͤberdenken, zu berichtigen und zu ordnen.
„Unſere Gedanken,“ ſagt Young, „werden
nur erſt dann unſer, wenn ſie uͤber unſere Lippen
gehen.“ Sie werden von andern beſtritten,
von uns vertheidigt, und dann entweder als
problematiſch ad referendum angenommen, oder
ganz weggeworfen, oder ſie ſchließen ſich als er-
kannte und beſtaͤtigte Wahrheit an unſer Syſtem
an. Es kann ſeyn, daß ich irre, aber ich habe
San-
[VII]Sander’s Aufenthalt bei ſeinem Vater, der ein
aufgeklaͤrter und praktiſcher Theolog iſt, immer
als die Quelle ſeiner fruͤhen und gluͤcklichen Au-
torſchaft angeſehen. Der Weg in das innere
Heiligthum der Wiſſenſchaften wird an der Hand
eines eben ſo erleuchteten als zuverlaͤßigen Freun-
des ungemein abgekuͤrzt. In Goͤttingen
fand ſein nach allen Arten von Kenntniſſen, beſon-
ders der Naturkunde, hungriger Geiſt die reichſte
und befriedigendſte Nahrung. Michaelis,
Miller und Beckmann waren nicht nur ſeine
Lehrer, ſie wurden auch ſeine Freunde. Ein
neuer und groſſer Vortheil fuͤr den edeln und wiß-
begierigen Juͤngling. Er hatte einen entſchiede-
nen Geſchmack fuͤrs Reiſen. Schon von Goͤt-
tingen aus that er in den Ferien gelehrte Rei-
ſen nach Niederſachſen bis an die Oſtſee.
Madame Grotian, ſeine Verwandte, eine
ſehr verehrungwuͤrdige Frau in Hamburg,
wurde verſchiedenemal von ihm beſucht, und er
unterhielt einen ſehr lehrreichen und freundſchaft-
lichen Briefwechſel mit ihr bis an ſein Ende. Er
eignete ihr auch die auf einer Reiſe durch Schwa-
ben und Bayern gemachten Bemerkungen,
die den Anfang des zweiten Theils ſeiner Reiſen
ausmachen, in den zaͤrtlichſten und freundſchaft-
a 4lichſten
[VIII] lichſten Ausdruͤcken zu. Sobald er von Goͤt-
tingen zuruͤckkam, unterwarf er ſich den ge-
woͤhnlichen Pruͤfungen, legte die herrlichſten Pro-
ben ſeines Fleißes und ſeiner Talente ab, und
ward ſo gleich als Profeſſor am Gymnaſium il-
luſtre zu Karlsruhe angeſtellt. Ganz ſeinem
Lieblingswunſch war dieſe Verſorgung nicht ge-
maͤs. Er wuͤnſchte lieber irgendwo auf dem ſtil-
len Lande eine kleine geſchloßne Gemeinde zu un-
terrichten, wo er, wie er in ſeinem Erbauungsbuche
behauptet, viel beſſer, viel offenherziger wir-
ken, auch mehr ſich ſelber leben koͤnnte. Allein,
waͤre dieſer Wunſch erfuͤllt worden, ſo haͤtte er
dann ſeine Gemeinde nicht ſo oft, wie ſeine Zu-
hoͤrer in Karlsruhe, verlaßen, nicht ſo viele
gelehrte Reiſen anſtellen, nicht ſo viele Men-
ſchen und Laͤnder kennen, nicht ſo viele Erfah-
rung einſammeln und benutzen, nicht ſo tiefe und
ſichere Blicke in das menſchliche Herz thun, und
ſich ſo gemeinnuͤtzig nicht machen koͤnnen, als es
zu ſeiner Ehre geſchehen iſt. Waͤre es ihm
auch nicht ergangen, wie manchen Dorfpfar-
rern, die mit groſſen Gaben und Kenntniſſen
ausgeruͤſtet, und mit tauſend litterariſchen Pro-
jecten erfuͤllt aufs Land ziehen, aber bald von
Haus- und Nahrungsſorgen belagert werden,
bald
[IX] bald Mangel an Buͤchern und gelehrten Freun-
den leiden, bald Neid und Unterdruͤckung finden,
wo ſie Beyfall und Aufmunterung erwarteten,
und nachdem ſie anfaͤnglich viel thun wolten,
endlich damit aufhoͤren, daß ſie nichts thun, was
der Erwartung, die ſie erregten, nur einigermaſ-
ſen entſpraͤche, haͤtte er, ſag’ ich, als Landpre-
diger dieſes Schickſal auch nicht gehabt, ſo
wuͤrde er doch auf dem Lande auch bei den beſten
Vorſaͤtzen, das nicht haben leiſten koͤnnen, was
er als Profeſſor in Karlsruhe wirklich geleiſtet
hat, und in der Folge geleiſtet haben wuͤrde.
Ich fuͤrchte nicht, daß irgend ein geſchickter, fleiſ-
ſiger und thaͤtiger Landprediger dieſe Aeußerung
als eine Herabwuͤrdigung des Predigerſtandes
anſehen werde. Ich weis es recht gut, wie viel
alle Zweige der Wiſſenſchaften den Landpredi-
gern zu danken haben. Ich rede nicht von den
Ausnahmen, ich rede von der Regel. Die haͤu-
figen Klagen geſchickter Landgeiſtlichen uͤber die
Menge laͤſtiger Haus- und Wirthſchaftsſorgen,
uͤber den Mangel der Buͤcher, der Journale, der
Aufmunterung, Unterſtuͤtzung und des gelehrten
Umgangs rechtfertigen meine Meinung, daß
Sander als Profeſſor in Karlsruhe ſich ge-
meinnuͤtziger machen konnte, als es auf dem Lande
a 5wuͤrde
[X] wuͤrde haben geſchehen koͤnnen. Folglich ſchei-
nen die in ſeinen Schriften haͤufig vorkommen-
den Klagen uͤber das Unangenehme ſeiner Situa-
tion, und uͤber die undankbare Muͤhe des Schul-
ſtandes ein wenig uͤbertrieben zu ſeyn. Die Vor-
ſicht wußte beſſer, was ihm und andern gut war.
Nicht nur die oͤftern Unterredungen mit gelehr-
ten Maͤnnern, ſondern auch die Kolliſionen mit
ihnen, gleichen den phyſikaliſchen Friktionen, die
den elektriſchen Funken hervorlocken, und das
Feuer des Genies in Bewegung ſetzen, welches
bei einer ruhigen Lebensart zwiſchen Wald und
Straͤuchen am ſchilfbekraͤnzten Bach oft nur
glimmt und dann verloͤſcht. Ueberdies ward
ja das Unangenehme des Schulſtandes durch die
vielen Reiſen, wozu er die Erlaubnis ſeines
weiſen und gnaͤdigen Fuͤrſten erhielt, gar ſehr
verſuͤßt. Im Anfange des Mays 1777. trat
er ſeine Reiſe nach Frankreich an, wurde
aber in Straßburg von einer ſchmerzhaften
Krankheit befallen, wo er, wie er in der Vorrede
zum Buch Hiob zum allgemeinen Gebrauch
ſagt, die Kraft der Religion an ſeinem Herzen
ſehr lebhaft erfuhr, und unter ſtillen Betrachtun-
gen uͤber Welt und Menſchenleben die froͤmmſten
Entſchließungen ſich tief in die Seele druͤckte.
Als
[XI] Als er wieder voͤllig geneſen war, ſetzte er ſeine
Reiſe uͤber Luͤneville, Nancy, St. Dizier
und Chalons nach Paris fort. Wer dieſe
Reiſebeſchreibung ließt, wird uͤber ſeine Kennt-
niſſe erſtaunen, ſeinen Beobachtungsgeiſt bewun-
dern, und ſeine Freimuͤthigkeit hochſchaͤtzen.
Menſchenkunde, Litteratur, Oekonomie, Kuͤnſte
und Handwerker, Sitten und Gebraͤuche, Geiſt
und Karakter der Voͤlker, Statiſtick, und alles
was dem Menſchen, dem Gelehrten und dem
Naturforſcher merkwuͤrdig iſt, zog ſeine Auf-
merkſamkeit auf ſich. Er machte, wie man aus
ſeiner Beſchreibung ſieht, mit vielen Gelehrten
und andern merkwuͤrdigen Perſonen Bekannt-
ſchaft. Er beſuchte Kabinette, Bibliotheken,
Gemaͤldeſammlungen, beſah die Merkwuͤrdigkeiten
der Sorbonne, die Spiegelfabri[k], das Opern-
haus, die Komoͤdie, die oͤffentlichen Plaͤtze, die
vorzuͤglichſten Gebaͤude und Kirchen, und gab
auch einmahl in einer theologiſchen und naturhi-
ſtoriſchen Vorleſung einen Zuhoͤrer ab. Von
Frankreich aus ging er in die Niederlande
und nach Holland. Im Herbſt des Jahres
1780. unternahm er abermals eine Reiſe durch
Ober- und Niederſachſen, und Heſſen, und
bemerkte nicht nur alles ſehenswuͤrdige genau,
ſondern
[XII] ſondern zeichnete auch ſeine Beobachtungen mit
unermuͤdetem Fleiße auf. Im Jahr 1781. that er
drei verſchiedene Reiſen, die erſte in die Schweiz,
die zweite nach Speier, und die dritte nach
St. Blaſien. Auf allen ſammelte er wieder
viel neue Kenntniſſe ein, der Welt und ſeinen
Zoͤglingen damit zu nutzen.
Im December dieſes Jahres verlobte er ſich
mit der aͤlteſten Demoiſelle Tochter des Herrn
Geheimen Hofraths und Geheimen Referendars
Gerſtlacher, und im April 1782. unternahm
er, leider! ſeine letzte Reiſe nach Tyrol, Oe-
ſterreich, Ungarn und Venedig. In
Wien fand er eine Aufnahme, die ſeine Er-
wartung weit uͤberſtieg. Sein Erbauungsbuch
traf er in vielen Haͤuſern an. Seine Verehrer
und Freunde ließen nicht ab; er mußte den 5.
May in der daͤniſchen Geſandſchaftskapelle predi-
gen, und dieſe durch den Druck bekanntgemach-
te Predigt wurde in der Wiener Predigerkritik
ſehr geprieſen. Auch ließen ihn ſeine Freunde
durch den Kuͤnſtler Loͤſchenkohl, dem ſelbſt
Pius VI. ſaß, in Kupfer ſtechen.
In Italien wurde er von der nordiſchen
Influenza befallen, und reißte als er ſchon den
verderblichen Einfluß dieſer Krankheit auf ſeinen
Koͤrper
[XIII] Koͤrper fuͤhlte, in 12. Tagen von Venedig nach
Karlsruhe zuruͤck, wo ſich bald nach ſeiner
Zuruͤckkunft ein heftiges Blutſpeien mit allen
Kennzeichen einer voͤlligen Auszehrung einſtellte,
und ihn ums Leben brachte. Einige Wochen
vor ſeinem Ende wurde er von ſeinem kummer-
vollen Vater nach Koͤndringen abgehohlt, in
deſſen Armen er am 5. Oktober 1782. im acht und
zwanzigſten Lebensjahre entſchlief.
Wenn man die vielen Schriften, die er ge-
ſchrieben, die Reiſen, die er gethan, und den
ausgebreiteten Briefwechſel, den er unterhalten
hat, in Erwaͤgung zieht, ſo kann man die raſt-
loſe Thaͤtigkeit dieſes jungen Mannes nicht genug
bewundern, und er iſt ein redender Beweis, wie
viel ſich in kurzer Zeit thun laͤßt, wenn man
Ordnung in ſeinem Studiren beobachtet, und
mit ſeiner Zeit haushaͤlteriſch umgeht. Er ward,
wie er einem ſeiner Freunde ſagte, von Jugend
an zur Verfertigung ſchriftlicher Aufſaͤtze ange-
halten, und hatte ſich angewoͤhnt, aus den Buͤ-
chern, die er las, ſich das merkwuͤrdigſte und
beſte auszuzeichnen; dadurch erlangte er nicht nur
eine Fertigkeit, ſeine Gedanken leicht und natuͤr-
lich auszudruͤcken, ſondern auch ſeinen Styl in-
tereſſant und ſachreich zu machen. Er ließ ſchon
als
[XIV] als Juͤngling eine Menge Abhandlungen und klei-
ne Gedichte drucken, die als Voruͤbungen in
verſchiedene Monathsſchriften eingeruͤcket wurden.
Die meiſten dieſer Aufſaͤtze ſind etwas fluͤchtig
geſchrieben. Als ſein ſchriftſtelleriſcher Karak-
ter mehr Feſtigkeit erhielt, und ſeine Schreibart
maͤnnlicher ward, bekam er Antheil an der all-
gemeinen deutſchen Bibliothek. Unter ſei-
nem Namen hat er folgende Schriften herausge-
geben:
- 1) Schreiben an den Verfaſſer des Ka-
techismus der Chriſtlichen Religion fuͤr das
Landvolk. Baſel 1776. eine nur 2. Bogen
ſtarke Schrift, die aber viel Aufſehen machte. - 2) Von der Guͤte und Weißheit Gottes
in der Natur. Karlsruhe, bey Schmieder
1778. Dieſe Schrift iſt nicht nur aufs neue
aufgelegt, ſondern auch zu Utrecht 1780. ins
Hollaͤndiſche uͤberſetzet worden. Sie enthaͤlt
zwar keine neue Entdeckungen und tiefſinnige
Unterſuchungen, aber ſie iſt ſtellenweiſe mit hin-
reißender Beredſamkeit geſchrieben, und fand un-
gemeinen Beifall. - 3) Das Buch Hiob zum allgemeinen
Gebrauch. Leipzig, bey Weygand 1780. Die
Erklaͤrung der Bibel hat durch dieſe Schrift kei-
nen
[XV] nen bedeutenden Beytrag erhalten, deswegen
wird auch der Werth derſelben in der Doͤder-
leinſchen, ſo wie in der allgemeinen deutſchen
Bibliothek nicht hoch angegeben, indes kann es
den Leſern, fuͤr die er dieſes Buch verfertigte, we-
gen den darin enthaltenen praktiſchen Stellen im-
mer ſehr nuͤtzlich ſeyn. - 4) Ueber die Vorſehung. Leipzig, 1ſter
Band 1780. 2ter Band 1781. bey Jacobaͤer und
Sohn. Eine Fortſetzung des Buchs: Nichts
von ohngefaͤhr. Wird auch einzeln verkauft.
Ein ſehr lesbares, und fuͤr tauſend Leſer nuͤtzli-
ches Buch! Fuͤr den Gelehrten und Denker
aber iſt es doch nicht ganz befriedigend. Er ver-
liert ſich in mancherlei Digreſſionen, kommt vom
Wege ab, und macht von ſeinen Kollektaneen
einen gar zu haͤufigen Gebrauch. Beide Baͤnde
haͤtten gar fuͤglich in Einen zuſammengeſchmolzen
werden koͤnnen, und manche Beweiſe haͤtten
noch eine groͤßere Schaͤrfe vertragen. Es koͤmmt
mir mit dieſem Buche vor, wie mit manchen
Predigten, — bei aller deklamatoriſchen Weit-
laͤuftigkeit ſind ſie dennoch zu kurz, was die
Hauptſache betrift. Indes wird man immer
durch herrliche Stellen, große Gedanken, uner-
wartete Anſpielungen und intereſſante Anekdoten
mit
[XVI] mit dem Verfaſſer wieder ausgeſoͤhnt. Man
ſchuͤttelt manchmal den Kopf, und lieſt doch mit
Vergnuͤgen weiter. - 5) Ueber Natur und Religion fuͤr die
Liebhaber und Anbeter Gottes. Leipzig, bey
Weygand 1781. 2. Baͤnde. So wie uͤberall,
alſo auch hier, wendet der Verfaſſer ſeine ausge-
breitete Kenntniß der Natur zur Erweckung und
Nahrung religioͤſer Empfindungen an. - 6) Ueber das Große und Schoͤne in der
Natur. Leipzig, bey Weygand 1780. 1782.
4. Baͤnde. Auch wenn Sander ſich zu wie-
derhohlen ſcheint, betrachtet er doch immer die
Gegenſtaͤnde der Natur von einer neuen und in-
tereſſanten Seite. - 7) Erbauungsbuch zur Befoͤrderung
wahrer Gottſeligkeit. Leipzig 1781. bey Ja-
cobaͤer und Sohn. Haͤtte Sander auch nur
blos dieſes Buch geſchrieben, ſo verdiente er
ſchon den waͤrmſten Dank aller ſeiner Leſer. Es
iſt in vielen Familien ein Lieblingsbuch, und hat
gewis ſchon viel Gutes geſtiftet. An der Spitze
ſtehen Unterredungen mit Gott, die den ſchoͤn-
ſten und vorzuͤglichſten Theil deſſelben ausma-
chen. Wie ſchoͤn ſind folgende Gedanken:„Wenn neben mir der Eigennutz, wie ein Wolf
„an
[XVII] „an fremdem Gute nagt, ſo laß mir ein gutes
„Gewiſſen mehr werth ſeyn, als Gold und Sil-
„ber. — Du ſamleſt jede Aſche, und laͤſſeſt
„nichts umkommen in deiner ſchoͤnen Natur.
„Erhalte auch in mir jeden guten Keim, laß ihn
„aufwachſen und in der Ewigkeit Fruͤchte tra-
„gen. — Ehe die grauen Haare am Scheitel
„wehen, entwoͤhne mich vom Spielplatz der
„Welt. — Sey fuͤr die Blume geprieſen, die der
„Biene und mir Honig traͤgt. — Nimm um
„deines Sohnes willen die Gefallenen auf, die
„ſich mit der Tugend ausſoͤhnen, und uͤber ihre
„Verirrungen weinen. — Laß mir die Freude,
„am Ende eines jeden verlebten Tages, wenn
„ich das Zimmer ſchließe, zu denken, daß ich
„dir und deinem Heil naͤher bin, daß wenigſtens
„die Buͤrden dieſes Tages getragen ſind, daß
„wenigſtens dieſe Leiden nicht wieder kom-
„men.“ —„Dank ſey dir, mein Vater, fuͤr unvermu-
„thete Wohlthaten, fuͤr die Liebe von andern
„Menſchen, fuͤr heilſame Zuͤchtigungen, fuͤr noͤ-
„thige Demuͤthigungen, fuͤr vaͤterliche Pruͤfun-
„gen, fuͤr lehrreiche Truͤbſale, fuͤr jedes uͤber-
„ſtandne Leiden, fuͤr die ganze Summe deiner
„Gutthaten, und deiner an mich gewendeten
b„Bemuͤ-
[XVIII] „Bemuͤhungen. — Gewoͤhne mich, von Men-
„ſchen wenig, von dir alles zu erwarten. Be-
„wahre mich vor dem ſchwarzen Undank, um ei-
„ner Truͤbſal willen, alle Gutthaten von dir zu
„vergeſſen. Erinnere mich daran, daß ich ge-
„gen dich nie mit Recht murren kann.“ Dieß
mag eine Probe von ſeiner Denkungsart und
von ſeinem Stil ſeyn. Haͤtte Sander immer
ſo geſchrieben, ſo wuͤrde man ihn nie den Vor-
wurf der Affectation, des Schwulſtes und der
Weitſchweifigkeit gemacht haben. Fehler, die
er mit der Zeit gewiß ganz abgelegt haben wuͤrde! - 7) Oekonomiſche Naturgeſchichte fuͤr den
deutſchen Landmann und die Jugend in den
mittlern Schulen. Leipzig, bey Jacobaͤer und
Sohn 1781. 1782. 3. Theile. Der Abdruck
des letzten Theils iſt nach ſeinem Tode herausge-
kommen, und ein vierter Theil, wird von einem
Fortſetzer, der dergleichen Arbeiten gewachſen iſt,
erwartet. Dieſe uͤberaus nuͤtzliche, und in ei-
nem populaͤren Ton abgefaßte Schrift macht
dem ſeligen Mann ungemein viel Ehre, und fin-
det verdienten Beyfall. Es iſt ſehr zu bedau-
ern, daß ihn der Tod an der Vollendung dieſer
Arbeit gehindert hat. Sein Fortſetzer uͤbernimmt
immer ein ſchweres Werk, wenn er ſich in San-
ders
[XIX]der’s Denkungsart verſetzen, und in ſeinem To-
ne fortſprechen will. - 9) Ueber die Kunſtſprache der Natur-
forſcher. 8. Baſel, bey Serini. 1783. - 10) Predigten fuͤr alle Staͤnde. 2. Baͤnde.
8. Leipzig, bey Jacobaͤer und Sohn 1783. Dieſe
Predigten ſind nach ſeinem Tode herausgekom-
men, und der Verleger buͤrgt fuͤr ihre Aechtheit.
Sie ſind ein Beweiß, daß nicht nur der Kathe-
der, ſondern auch die Kanzel durch Sander’s
Tod viel verlohren haben. Keine von dieſen Pre-
digten iſt ganz ſchlecht; die meiſten ſind ſehr gut,
und einige vorzuͤglich ſchoͤn. - 11) Beſchreibung ſeiner Reiſen durch
Frankreich, die Niederlande, Holland,
Deutſchland und Italien, in Beziehung auf
Menſchenkenntniß, Induſtrie, Litteratur
und Naturkunde inſonderheit, 2. Theile, 8.
bey Jacobaͤer und Sohn 1783. Dieſe ebenfalls
nach ſeinem Tode herausgekommene Beſchreibung
ſeiner Reiſen iſt mit einer vortreflichen Tittelvig-
nette von der Erfindung des Herrn Geyſer’s in
Leipzig geziert. Das en Medaillon angebrachte
Bildniß des Seel. iſt ſehr gut getroffen, und am
Fuße des Monuments ließt man die Worte,
die nicht ſchicklicher gewaͤhlt werden konnten:
b 2Ον
[XX] Ον οι ϑεοι φιλουσιν, αποϑνησκει νεος. Der Vater
des Seligen, der Herr Conſiſtorialrath San-
der, hat dieß nachgelaſſene Werk dem Durchl.
Prinz Friedrich von Baaden in einem Brie-
fe, der ganz mit der ruͤhrenden Wuͤrde eines
frommen dem Grabe ſich naͤhernden Greiſes ge-
ſchrieben iſt, zugeeignet. Der ſeelige Mann
hatte dieß Buch ganz zum Druck fertig gemacht,
und nur der Tod verhinderte ihn an der Ueber-
ſendung des Manuſcripts an den Verleger. Der
weitumfaſſende Geiſt des Verfaſſers lies zwar
nichts unbemerkt, was einen aufmerkſamen und
forſchenden Reiſenden intereſſiren kann, er rich-
tete aber doch ſein Augenmerk vorzuͤglich auf die
Naturgeſchichte, und jeder reiſende Naturforſcher
kann daher dieß Werk als ein vollſtaͤndiges und
lehrreiches Handbuch gebrauchen. Der ſeelige
Sander hat ſich durch daſſelbe ein immerwaͤh-
rendes Denkmahl ſeines mit den mannichfaltig-
ſten Kenntniſſen bereicherten Geiſtes, ſeiner un-
beſtechlichen Wahrheitsliebe und ſeines zaͤrtlichen
und freundſchaftlichen Herzens geſtiftet. Er haͤtte
die Laufbahn ſeines kurzen, aber durch gemein-
nuͤtzige Thaͤtigkeit ruhmvollen Lebens nicht ſchoͤ-
ner kroͤnen koͤnnen. Kleine Unrichtigkeiten,
Luͤcken, mangelhafte Nachrichten und Nachlaͤſ-
ſigkeiten
[XXI] ſigkeiten in der Schreibart wird man freilich wohl
hie und da bemerken, aber welche Reiſebeſchrei-
bung iſt ie ganz davon frey geweſen? Oder kan
es bey der Einſchraͤnkung des menſchlichen Gei-
ſtes ſeyn? ubi plura — nitent, non ego pau-
cis offendar maculis. —
Alle dieſe Schriften, die Gedichte, die er
bald einzeln drucken, bald in verſchiedene Mo-
nathsſchriften einruͤcken laſſen, ungerechnet, ſchrieb
Sander vor dem acht und zwanzigſten Jahre!
Was wuͤrde er nicht noch geleiſtet haben, wenn
ihm die Vorſehung ein laͤngeres Leben verliehen
haͤtte! Hier iſt noch eine Schilderung ſeines Cha-
rakters, wozu ich die Zuͤge aus einer oͤffentli-
chen Schrift entlehne, die ich um deſto eher be-
nutzen darf, da ſie meine eigene Arbeit iſt.
Sander war von mittlerer Groͤße, braͤun-
lich von Geſichtsfarbe, und mehr mager als flei-
ſchigt. Sein Anzug war ſimpel, und ſo lange
er nicht ſprach, ſchien er ganz zu der Claſſe von
gewoͤhnlichen Menſchen zu gehoͤren, nur ſein groſ-
ſes feuriges Auge kuͤndigte die raſtloſe Thaͤtigkeit
ſeines Geiſtes an. So bald er aber den Mund
oͤfnete, ſprach er mit Feuer und Energie, und
alle Zuͤge ſeines Geſichts wurden beſeelt. Er
beſaß jene Leichtigkeit im Umgange, die man nur
b 3durch
[XXII] durch die Bekanntſchaft mit der Welt erlangt;
ſeine Geſpraͤche wußte er durch eingeſtreute Anek-
doten, kleine Erzaͤhlungen und treffende Anmer-
kungen anziehend zu machen. Man ward nie
muͤde ihn zu hoͤren, und ſeine Unterredungen
nahmen faſt immer eine ernſthafte Wendung.
Er war hoͤflich ohne Ceremonie, heiter ohne
Ausgelaſſenheit, anſtaͤndig ohne Zwang, und
freymuͤthig ohne Unbeſcheidenheit. Rang, Ti-
tel und Reichthuͤmer machten keinen Eindruck
auf ſein Herz, und man ward es bald gewahr,
daß er im Umgange mit den Großen nie ſeine
menſchliche und chriſtliche Wuͤrde verleugnete.
Je mehr man ihn ſah und ſprechen hoͤrte, je mehr
mußte man ihn hochachten und liebgewinnen.
Er erkundigte ſich nach allem, bemerkte alles mit
dem feinſten Beobachtungsgeiſte, und mußte von
allem, was er ſah und bemerkte, einen ſchnellen
Gebrauch zu machen. Haͤufige Beyſpiele davon
findet man in ſeinen Schriften. Er deklamirte
vortreflich, und muß als Redner große Wirkung
hervorgebracht haben. In Wien hoͤrte man
ihn mit Entzuͤcken, und ſeine neuerlich herausge-
kommenen Predigten enthalten herrliche Stellen.
Von Mosheim war er ein großer Verehrer,
und war fuͤr die magern und von allem redneri-
ſchen
[XXIII] ſchen Schmuck entbloͤßten Kanzelvortraͤge, die
mehr Diſſertationen als Volksreden ſind, nicht
eingenommen. Vielleicht war aber doch ſein
Stil zu blumenreich und zu uͤberladen, und er
ſchien nicht ſorgfaͤltig genug zu ſeyn, das Trivia-
le vom Intereſſanten zu ſcheiden. Von dem
Nutzen der Kennikotſchen Arbeit machte er
ſich keine großen Begriffe, und gerieth mit einem
Gelehrten, der ſich groͤßere Vorſtellungen davon
machte, in einen lebhaften Wortwechſel. Er
war bey dieſer Gelegenheit ganz Leben. Feuer-
blick des Auges, Ton der Stimme, Fluß der
Rede — alles kuͤndigte das Feuer ſeines Ge-
nies an. Er arbeitete, wie er mir ſagte, mit
großer Leichtigkeit, und hatte ſich von fruͤher
Jugend an gewoͤhnt, ſich Auszuͤge aus Buͤchern
zu machen, die er las. Er beſaß eine gluͤhende
Imagination, ein treues viel umfaſſendes Ge-
daͤchtniß, eine gluͤckliche Erinnerungskraft, und
eine Gabe, wie ſie der ſelige Klotz hatte, das
Nachmittags zu lehren, was er Vormittags ge-
lernt hatte. Er war immer voller Plane.
Was er ſah, hoͤrte und las wurde gleich zum
kuͤnftigen Gebrauch beſtimmt. Wie haͤtte er
auch ſonſt ſo viel ſchreiben koͤnnen?
b 4Mit
[XXIV]
Mit ſeiner Lage war er nicht ganz zufrie-
den. Ueberhaupt blickt ein gewiſſer Mißmuth,
den man leicht fuͤr Egoismus halten koͤnnte,
faſt aus allen ſeinen Schriften hervor. Er
ſpricht, wie Montagne, oft von ſich, und ver-
liehrt ſich wie Roußeau, ſo wenig aͤhnliches
er ſonſt mit ihm hat, in bittere Klagen, uͤber
den Undank, die Kaltſinnigkeit und Bosheit der
Menſchen. Zum Beweiß mag folgende Stelle
aus ſeinem Erbauungsbuche dienen: „Wenn
„man mich verfolgt, herabſetzt und laͤſtert, wenn
„mich die, die mich unterſtuͤtzen ſolten, ſelbſt
„hindern, das kleine Brod in Ruhe zu eſſen, und
„in deinem Reiche Gutes zu ſtiften, ſo erinnere
„mich daran, daß dein groͤßter Apoſtel dir auch
„unter vielen Anfechtungen, und oft mit Thraͤ-
„nen dienen mußte.“ ---
Er beſaß uͤbrigens ein großes wohlwollen-
des Herz. Er war nichts weniger, als ſtolz,
neidiſch und verleumderiſch. Niemand war be-
reitwilliger als er, großen Maͤnnern Gerechtigkeit
wiederfahren zu laßen. Er ſprach mit Entzuͤ-
cken von einem Weiſſe, Morus, Zolliko-
fer, Nikolai, Teller, Semler, Spal-
ding, und andern großen Maͤnnern, die er auf
ſeinen
[XXV] ſeinen Reiſen hatte kennen lernen, ob er gleich
ihre Ideen nicht durchgaͤngig adoptirte. Beim
Geheimderath Goͤthe in Weimar, ſagt’ er,
habe ich einen herrlichen Abend gehabt, den ich
in meinem Leben nie vergeſſen werde. Wenn
*** fuhr er fort, von ſich erhalten koͤnnte, ſo
ungekuͤnſtelt, natuͤrlich, und doch ſtark und
kraftvoll zu ſchreiben, als er im geſellſchaftlichen
Umgange ſpricht, ſo waͤren wir alle Stuͤmper
gegen ihn. Seine Urtheile uͤber Menſchen und
Buͤcher hatten immer das Gepraͤge der freymuͤ-
thigen Wahrheitsliebe, ohne ins Beleidigende
zu fallen. Schroͤckh war einer von denenje-
nigen Gelehrten der neuern Zeit, die er vorzuͤg-
lich hochſchaͤtzte. Alle Wunderwerke der Na-
tur und Kunſt machten auf ſeine gefuͤhlvolle See-
le den tiefſten Eindruck. Die Bergveſtung
Koͤnigſtein, und das freyherrlich Ucker-
manniſche Schloß Weſenſtein zogen ſeine
Bewunderung vorzuͤglich auf ſich. Ich hatte
das Vergnuͤgen, ihn an beide Orte zu begleiten,
und war ein Zeuge von der Senſation, welche
die durch die Kunſt verſchoͤnerte Natur in ihm er-
regte. Mit Vergnuͤgen verweilte er ſich auf
der Hoͤhe von Meuſegaſt, wo er die ganze pa-
radieſiſche Gegend von Koͤnigſtein, Pirna,
b 5Stol-
[XXVI]Stolpen, Pillniz, Sedliz und Dreßden
uͤberſehen konnte. Die Kette von Weinbergen,
die ſich von Pirna bis Meißen laͤngſt der
Elbe hinzieht, und mit unzaͤhlichen Gebaͤuden
und Luſthaͤuſern gleichſam uͤberſaͤet iſt, war fuͤr
ſein Kennerauge die angenehmſte Weide. Der
Standort, von dem wir die vor uns liegende,
durch die Elbe verſchoͤnerte Landſchaft uͤberſa-
hen, war ehemals eine buſchigte Anhoͤhe voller
Steine und Dornen; allein der erfinderiſche
Geiſt ſeines Beſitzers, des ſeel. Herrn Geheim-
deraths Freyherrn von Uckermann hatte die-
ſen wilden, faſt undurchdringlichen Platz in ei-
nen geſchmackvollen Engliſchen Garten umge-
ſchaffen, ihn mit einem Pavillon, Fontainen,
Waſſerbehaͤltern, amerikaniſchen Gewaͤchſen,
Birken- und Buchenhecken, und wilden Pro-
menaden geziert. Anſtatt der Hecken und Mau-
ern iſt er mit Buchen- und Eichengeſtruͤppe, wo-
mit ſonſt der ganze Huͤgel bekleidet war, einge-
faſſet, und dadurch mit den angrenzenden frucht-
baren Saatfeldern verbunden, wodurch die gan-
ze Anhoͤhe die Geſtalt eines großen unuͤberſehli-
chen Gartens bekoͤmmt, welcher alle Fremde,
beſonders reiſende Englaͤnder, zur entzuͤckendſten
Bewunderung dahin reißt. Man fuͤhrte San-
dern
[XXVII]dern durch Schlangengaͤnge an einen Ort, wo
ihn das aus dem Grunde hervorſteigende herrli-
che Schloß, nebſt den dazu gehoͤrigen Gaͤrten
und Haͤuſern auf einmal ins Auge fiel. Nie
werde ich den Eindruck vergeſſen, den dieſe ro-
mantiſche Gegend auf ihn machte. Er ſtand ei-
nige Minuten mit in einander geſchlagenen Ar-
men in uͤberhangender Stellung, und ſchien zu
unterſuchen, obs Feerey oder Natur waͤre, was
ſein Aug’ erblickte. „Nein,“ ſagte er endlich,
„das muß ich geſtehen, ein ſolches Schloß haͤtt’
„ich hier nicht vermuthet. Die kuͤhnſte Einbil-
„dungskraft wagt ſich das kaum zu denken, was
„Kunſt und Natur hier realiſiret haben.“ Die
hohen Berge, die das Schloß von allen Seiten
umgeben, und ſich gleichſam in einander winden,
ſind, einige Plaͤtze ausgenommen, mit lebendi-
gem Holz bewachſen. Sie bilden in der Ge-
gend, wo das Schloß liegt, einen großen Keſ-
ſel, vereinigen ſich nach und nach, und laſſen
endlich nur ſo viel Land uͤbrig, als noͤthig zu
ſeyn ſcheint, um der durchs Thal rauſchenden
Muͤglitz den Aus- und Eingang zu verſtatten.
In der Mitte des Thals erhebt ſich ein maͤßiger
Huͤgel, welcher mit dem herrlichſten Schloß, der
Bewunderung aller Fremden, uͤberbaut iſt, aus
deſſen
[XXVIII] deſſen Mitte ſich der Thurm der Schloßkapelle
erhebt. Zu den Sehenswuͤrdigkeiten dieſes mit
der Muͤglitz umfloſſenen Schloſſes, kommt
noch der Garten, das Badehaus, die in Fels
gehauenen Keller, die reichen Zimmer, die Ka-
pelle, und die reizenden Promenaden und Aus-
ſichten. Wie ungemein Sander von allen
dieſen Schoͤnheiten, noch mehr aber von der guͤ-
tigen und gaſtfreien Aufnahme des Beſitzers und
ſeiner hochachtungswuͤrdigen Gemahlin geruͤhrt
ward, davon legt die Beſchreibung ſeines Auf-
enthalts in dieſer Gegend im 2ten Theile dieſer
ſeiner Reiſebeſchreibung den uͤberzeugendſten
Beweis ab. Die Bergveſtung Koͤnigſtein erreg-
te ſeine Bewunderung ebenfalls in einem ſehr ho-
hen Grade, und die Politeſſe des daſigen Com-
mendanten, des Herrn Grafen zu Solms Ex-
zellenz ward von ihm ſehr geprieſen. Ueber-
haupt war er aͤußerſt empfindlich gegen alle Aeuſ-
ſerungen eines edlen und wohlwollenden Her-
zens. So ſehr er aber die Großen ſchaͤtzte, wenn
ſie ſich durch aufgeklaͤrte Kenntniſſe und ein leut-
ſeliges Betragen auszeichneten, ſo ſehr ſah er ſie
uͤber die Achſel an, wenn ſie die Duͤrftigkeit ih-
res Geiſtes durch eine vornehm ſproͤde Miene zu
decken, und den Mangel einer ſchoͤnen und tu-
gend-
[XXIX] gendhaften Seele durch zufaͤllige Vorzuͤge der Ge-
burt oder des Vermoͤgens zu erſetzen ſuchten.
Seine Anmerkungen, die er uͤber dieſen Gegen-
ſtand machte, waren ſo freymuͤthig als bitter.
Schade, daß er den Brief des Koͤnigs von Preuſ-
ſen nicht geleſen hat, der neulich in den oͤffentli-
chen Blaͤttern ſtand, worinne der gekroͤnte Phi-
loſoph blos das perſoͤnliche Verdienſt auf Ko-
ſten aller zufaͤlligen Vorzuͤge erhebt, die er
ohne Umſchweife fuͤr Narrenspoſſen erklaͤrt, ſo
bald ſie nicht durch Weisheit und Tugend gel-
tend gemacht werden. Dieſer Brief wuͤrde ihm
unendlich viel Freude gemacht haben, da er ein
ſo erklaͤrter Feind der Unwiſſenheit und des win-
dichten Stolzes war. Von der Religion Jeſu
war ſein Herz ganz eingenommen; auch in ſeiner
froͤhlichſten Laune entwiſchte ihm nichts, was
mit ſeinem Eifer fuͤr Weisheit und Tugend, wo-
von alle ſeine Schriften voll ſind, in Widerſpruch
geſtanden haͤtte. Das Lob, welches ihm ein oͤf-
fentliches Blatt ertheilt, iſt gewiß nicht uͤbertrie-
ben, und jeder, der ihn von Perſon kannte, oder
ihn aus ſeinen Schriften kennt, wird es unter-
ſchreiben: „Alle ſeine Schriften athmen tiefe
„innige Verehrung der Chriſtlichen Religion mit
„Waͤrme und Feuer vorgetragen, und ſind bey
„einen
[XXX] „einem guten Styl hinreiſſend, belehrend und
„uͤberzeugend.“
Er hoͤrte in Sachſen eine elende Predigt,
voll ſchematiſchen Unſinns und homiletiſchen
Geſchwaͤtzes, und noch obendrein mit der ein-
ſchlaͤferndſten Monotonie hergeleyert, aber an-
ſtatt daruͤber zu ſpoͤtteln, und ſeinen Witz zu zei-
gen, klagt’ er mirs mit einer Art von Wehmuth,
die mich ganz fuͤr ihn einnahm. „Wie ſehr,“
ſagt’ er,“ iſt die arme Gemeinde zu beklagen, die
„ſich mit ſo ungeſunder und ungenießbarer Koſt
„abſpeiſen laſſen muß!“
Auch auf ſeinem Sterbebette verleugnete er
ſeinen ofnen und rechtſchaffenen Charakter nicht.
Als ihn ſein bekuͤmmerter Vater fragte: ob er
zum Sterben willig ſey? antwortete er: Ich
lerne alle Tage an dieſer Lection. Wenig
Tage vor ſeinem Tode dictirte er ſeiner Jungfer
Schweſter folgenden Brief an ſeine Braut:
„Wir haben das viele empfangen, das Sie
„uns geſchicket haben. Wie ſchwach und matt
„ich
[XXXI] „ich jetzt bin, ſehen Sie daraus, daß meine
„Schweſter ſchreiben muß, was ich vom Bette
„muͤhſam rede. Der Huſten plagt mich manche
„Nacht und verjagt allen Schlaf. Auch am
„Tage iſt er eine erſchreckliche Plage fuͤr mich.
„Ich komme faſt den ganzen Tag nicht aus dem
„Bette. Sehen Sie, ſo bringe ich meine Zeit
„zu. Sagen Sie das Ihren Eltern und Groß-
„eltern, und denken Sie meiner vor Gott.“
Einige Zeit vorher ſchrieb er ihr eigenhaͤndig:
„Es iſt keine große Hofnung zur Geneſung da,
„und ich ſchreibe Ihnen dieß ohne Angſt und
„Schrecken. Gott wirds beſorgen und gut ma-
„chen.“
Der 1ſte October machte allen ſeinen Pla-
nen, die er zum Beſten ſeiner Mitmenſchen, und
zur Verherrlichung Gottes noch auszufuͤhren ge-
dachte, ſo wie ſeinen Leiden, ein Ende. Sein
Wunſch iſt nun erfuͤllt, den er in ſeinem Erbau-
ungsbuche mit ſo viel Feuer ausdruͤcket:
„Muͤde Glieder, wenn werdet ihr in die Er-
„de geſamlet werden! Unruhiger und geplagter
„Geiſt, wenn wirſt du zur Ruhe kommen! Du
„Leben voll Unbeſtaͤndigkeit und Kummer! wenn
„wirſt
[XXXI#[XXXII]] „wirſt du einmal mit der Ewigkeit abwechſeln!
„Treue Zeugen des Erloͤſers, wenn werden wir,
„ſo wie ihr, zu den Auserwaͤhlten kommen, und
„mit Jeſus Chriſtus Freud’ und Wonne haben!
„Ja, komm, Vollendeter, Geprießner, Er-
„wuͤrgter! komm und fuͤhre mich dorthin, wo
„tauſend Millionen ſchoͤner Seelen im glaͤnzen-
„den Chor, im Jubelgeſang des Himmels ſich
„bruͤderlich lieben, und ſich die Wolluſt mittheilen,
„fuͤr die die Erde keine Wohnung, und die Spra-
„che der Sterblichen keinen Namen hat!
[[1]]
Heinrich Sander’s
Bemerkungen
auf einer Reiſe
durch
Schwaben und Bayern.
An
Madame Grotian in Hamburg.
Wie der Gedanke des Manns eilt, der mancherley Lande
Hat durchwandelt, und des in ſeiner Bruſt ſich entſinnet:
Hier bin ich geweſen, und dort; er denket an vieles.
Zweiter Theil. A
[[2]][[3]]
Bemerkungen
auf einer Reiſe
durch
Schwaben und Bayern.
Indem ich noch das Vergnuͤgen habe, Sie mit mei-
nen Reiſenachrichten von Frankreich und Hol-
land zu unterhalten, hab’ ich wieder eine kleine Reiſe
nach Ulm, Augſpurg und Muͤnchen gemacht, und er-
lauben Sie mir, daß ich alles, was ich geſehen, gefun-
den, und beobachtet, ſo mit Ihnen theile, als wenn ich
jetzt das Gluͤck haͤtte, bei Ihnen zu ſeyn, und mit Ih-
nen zu ſprechen. Freilich iſt das nur eine Reiſe in
Deutſchland geweſen; aber glauben Sie mir, in un-
ſerm Vaterlande iſt noch manches, das noch gar nicht
bekannt iſt, und das doch die Aufmerkſamkeit eines Rei-
ſenden verdient. Vielleicht kan ich Ihnen fuͤr die Na-
turkunde, fuͤr die Oekonomie, fuͤr Kuͤnſte und Handwer-
ke, und fuͤr die Geſchichte der Menſchheit einiges, das
nicht ganz unintereſſant iſt, erzaͤhlen.
Mein Fuhrwerk war ein Pferd. Im Trabe ha-
be ich die ganze Reiſe gemacht, und ich muß Ihnen ſa-
gen, daß ich in meinen Jahren dieſe Art zu reiſen ſelbſt
A 2der
[4] der Extrapoſt vorziehe: denn Sydenham hat dem Ge-
lehrten mit Recht das Reiten ſehr empfohlen. Nichts
erſchuͤttert ſo ſehr den ganzen Koͤrper, bringt die ſtocken-
den Fluͤſſigkeiten in den feinſten Gefaͤſſen wieder in Be-
wegung, ſtaͤrkt die Muskeln des Unterleibs, befoͤrdert die
Verdauung, erweckt den Appetit, hilft zur unmerklichen
Ausduͤnſtung, ruft den angenehmen Schlaf herbei, er-
heitert den Geiſt, und beſchleunigt die Wirkungen der
Phantaſie und des Verſtandes, als ein maͤſſiges, aber
anhaltendes Reiten. Was iſt es fuͤr ein unnennbares
Vergnuͤgen, wenn das Auge in der weiten Natur herum-
ſchweifen, und in einer Sekunde den ganzen Geſichts-
kreis, der vor mir liegt, durchſchauen kan! Wie gros iſt
die Freude, am fruͤhen Morgen dem Erwachen des Ta-
ges auf der Hoͤhe des wiehernden Pferdes zuzuſehen, und
ſo wie’s immer lichter und heller wird, die grauen Nebel,
die an den Bergen haͤngen, das friſche Gruͤn der Wie-
ſen, den Dampf der Aecker, das ſanfte Flieſſen der Ge-
waͤſſer, das Zwitſchern der Voͤgel im Walde zu hoͤren,
zu ſehen, und in wenigen Augenblicken dieſe Kruͤmmung
zuruͤckzulegen, um jenen Berg herumzukommen, und jetzt
wieder andre Ausſichten vor ſich zu haben, und ſo in ei-
nem Tage ein halbes Land zu durchſtreifen! Auch lieb’
ich dieſe Bewegung deswegen, weil dem freien uneinge-
ſchloſſenen Auge nichts, kein ſchoͤner Anblick der Natur,
keine Heerde, keine Gruppe ſpielender Kinder, keine
Bauerhuͤtte, kein kuͤhles Thal, kein ſchattichtes Waͤld-
chen entgehen kan, und wie das Auge des Matroſen ſcharf
in die Ferne ſieht, weil es immer auf der unermeßlichen
Flaͤche des Meeres hinauslaufen kan, ſo glaube ich auch
an mir bemerkt zu haben, daß meine Augen viel friſcher,
heller und geſuͤnder ſind, wenn ich mich wieder von der
Studir-
[5] Studirſtube losgeriſſen, und das goͤttliche Vergnuͤgen,
der Natur auf dem Lande naͤher zu ſeyn, genoſſen habe!
Das Pferd des Europaͤers iſt auch, meiner Meinung
nach, dem Elefanten, dem Elenn, dem Rennthiere, dem
Kameel, dem Ochſen ꝛc. weit vorzuziehen. Es verei-
nigt Geſchwindigkeit und Lebhaſtigkeit mit der Kraft, lan-
ge auszudauern. Der immer gleiche Schritt des Ka-
meels wuͤrde mir wenigſtens unertraͤglich langweilig und
einfoͤrmig vorkommen, und das allzuraſche Laufen des
Elenn und des Rennthiers wuͤrde mir die Wonne rauben,
die ſchoͤnen Gegenden der Natur zu genieſſen, und muͤßte
nothwendig Wallungen im Gebluͤt erregen, die dem Koͤr-
per ſchaͤdlich werden koͤnnten. Zum Erſtaunen iſt es
auch, was fuͤr groſſe Strecken man mit einem guten und
wohlgepflegten Pferde in Einem Tage zuruͤcklegen kan.
Ohne Zweifel lebte unſer ſeel. Martini noch, haͤtt’ er
das Reiten fruͤher angefangen, und oͤftrer wiederholt.
Zu naturhiſtoriſchen Reiſen iſt ohnehin das Pferd die al-
lerſchicklichſte Voiture. Es klettert auf jeden Berg, trabt
auf jedem kleinen Wege fort, geht in Thaͤlern und Ber-
gen zwiſchen den rauhſten Steinen ſeinen Weg fort, frißt
ſich ſchnell wieder zu Kraͤften, und ſchlaͤft nur wenige
Stunden. Auch iſt das Spaͤtjahr die bequemſte Zeit
zu ſolchen Expeditionen. Man kan alsdann noch eher
auf beſtaͤndige Witterung hoffen, als im Fruͤhjahre. Die
Hitze des Sommers iſt groͤſtentheils vorbei, die Inſekten
verſchwinden allmaͤhlich, und der Tag hat noch ſeine ge-
hoͤrige Laͤnge. Im Fruͤhjahre iſt immer zu viel Waſſer
in der Natur, das ſtoͤrt manches Vergnuͤgen, auch iſt
der Koͤrper des Studirenden durch die kuͤnſtliche Waͤrme
im Winter ſo weich, ſo zart und empfindlich geworden,
A 3daß
[6] daß er die Abwechſelungen der Witterung nicht ſo leicht,
wie am Ende des Sommers ausſtehen kan.
Zwar bereitete ſich jetzt freilich die Natur zum Gra-
be, und legte ihren Schmuck ab. Sie gab von den Baͤu-
men ihre letzte Geſchenke her, die Traube ſchwoll auf, und
rief dem Winzer, die Winterfrucht ſproßte ſchon wieder
aus den braunen Feldern hervor, und erwartete den
Schnee, der ſie decken ſollte. In vielen Gegenden ſang
kein Vogel mehr. Hie und da kuͤndigte ſich ein Rabe
durch ſein Geſchrei an. Mit der ſanften Farbe der Wie-
ſen wechſelte das Gruͤn der Tannen ab, und zwiſchen
den Tangeln der Fichten hingen die gelben, rothen, fle-
ckichten, und ſchon halb verdorrten Blaͤtter der Laubbaͤu-
me, wovon oft viele durch eine losgeriſſene Frucht nieder-
geſchlagen und vom Stiel geriſſen wurden. Doch mach-
te die unſaͤgliche Menge des Obſts, beſonders der Zwet-
ſchen und der Aepfel, einen angenehmen Eindruck auf
mich. Auch noch an alten und verdorrten Staͤmmen,
die faſt ganz Holz zu ſeyn ſchienen, ſah man den Segen
der Natur. Ueber Nacht drang die Zeitloſe, (Col-
chicum autumnale L.) aus dem Schooße der Erde
hervor, und verſchoͤnerte mit ihrem rothen und ſilbernen
Stoff meine Lieblinge, die Wieſen.
Von Pforzheim nach Vayhingen geht der Weg
groͤſtentheils an der Enz hin. Man hat immer auf der
einen Seite Wieſen, auf der andern Berge, die mit vie-
ler Muͤhe Terraſſenweiſe gebaut, mit ſteinernen Mauern
vorne an der Straſſe eingeſaßt, und ganz mit Rebſtoͤcken
bedeckt ſind. So muͤſſen etwa die Berge in Palaͤſtina
ausgeſehen haben, die jetzt unter der Tuͤrkiſchen Regie-
rung
[7] rung nicht gebaut, und durch Wind und Regen ihres
fruchtbaren Bodens beraubt worden ſind. Zwiſchen den
Weinſtoͤcken pflanzt man noch Gurken und Kuͤrbiſſe,
deren goldgelbe Fruͤchte uͤber die Terraſſen und Mauern
herabhaͤngen. Sie waren in dieſem Jahre ſehr klein,
vermuthlich wegen der heiſſen und trockenen Witterung,
aber die aͤuſſerſten Spitzen dieſer Rankenpflanzen hatten
ſchon wieder die zweite Bluͤte. Auch ſind die friſchen
Quellen, die aus dieſen Weinbergen hie und da herabrie-
ſeln, ungemein lieblich. Sie ſickern unter der Straſſe
durch nach den Wieſen und waͤſſern ſie. Daß man in
Schwaben den Straſſenbau verſteht, wird wohl je-
der Reiſender zugeben muͤſſen. Nur iſt es mir auch hier,
wie uͤberall unbegreiflich geweſen, daß es unmoͤglich ſeyn
ſoll, auch in Doͤrfern ſelber, wo man oft verſinken koͤnn-
te, einen beſſern Weg zu erhalten. Es kan nicht an-
ders ſeyn, als daß die Geſundheit des Landbauern, die
doch der Polizei werth ſeyn ſollte, darunter leiden muß.
Sonſt fand ich in dieſer Gegend, daß die Weibsperſonen
gemeiniglich Mannshuͤte tragen. Hanf wird hier nicht
viel gebaut. Man bleicht ihn auf den Hecken und Zaͤu-
nen, wo er unter dem Einfluß der Luft ſchneeweis wird.
Von Stuttgard nach Eßlingen geht der Weg
uͤber einen ungeheuern Berg, der mit den groͤbſten Stei-
nen gepflaſtert iſt. Zu beiden Seiten ſind Weinberge,
die ſich in ein herrliches Wieſenthal verlieren. In Eß-
lingen ſelbſt haben die Hrn. von Palm ein reiches Na-
turalienkabinet, wo ich ſehr viele Mineralien, Verſteine-
rungen und Inſekten aus dieſer Gegend ſah.
In Blochingen einige Stunden weiter hin, fand
ich in einem Gaſthofe einen Tyroler Burſchen, der
A 4mit
[8] mit Stein-Skorpionoͤl, Theriak, Roßfalben u. dergl.
im Lande herumzieht. Unmoͤglich kan ich Ihnen ſagen,
was das fuͤr eine Figur war. Mehr Pavian, als Menſch!
die allerunverſtaͤndlichſte und unangenehmſte Sprache,
die ungeſchliffenſte Seele, ein dicker zottichter Koͤrper,
halb nackend, mit wilden borſtenartigen Haaren beſetzt,
faſt eckelhaft in allen Manieren, blos fuͤr Saufen und
Schlafen eingenommen, rauh und wuͤſt, wie die Gebir-
ge, hinter welchen ſein Land liegt. Die Leute trieben
auch ihren Spaß mit ihm, und misbrauchten ihn gewal-
tig. —
Bei den vielen Bergen dieſes Landes iſt ein Ueber-
fluß von Waſſer da. Nach wenigen Stunden kommt
man immer wieder an ein andres Fluͤßchen, und in jedem
Orte ſind viele Roͤhrbrunnen, die in der Landwirthſchaft
gute Dienſte thun, und der Fremde hoͤrt ſie in der Nacht
beſtaͤndig laufen und rauſchen. Zuweilen laufen aber
auch die kleinſten Waſſer ſchrecklich an. Man findet da-
her viele und gute Bruͤcken. Bei Blochingen iſt eine
ſchoͤne bedeckte Bruͤcke, die ſehr lang iſt, wie ein Haus
ausſieht, und zu beiden Seiten auf dem feſten Lande auf-
ſteht.
Der Nationalkarakter der Schwaben iſt gewis
gut. Sie ſind ehrlich, treu, zuverlaͤſſig, willig, mit
den feinen Kniffen und Raͤnken andrer Deutſchen wenig
bekannt, uͤberall gutmuͤthig, und dienen gern Jeder-
mann. Ich wuͤßte nichts, das ihnen fehlte, als etwas
mehr Thaͤtigkeit und Elaſtizitaͤt. Auf der Straſſe thei-
len ſie jedem Fremden Obſt, Nuͤſſe, Trauben mit. Die
Mutter ſchickt den Jungen mit einem Hut voll noch ſchoͤn-
rer Aepfel zuruͤck, wenn er nur einen Kreuzer vom Rei-
ſenden
[9] ſenden bekommen hat. Man kan ſie am Morgen fruͤh
in den Haͤuſern ſingen hoͤren, und um Mittag hoͤren Sie
im ſtillen Dorfe faſt in jedem Hauſe das Gebet der Kin-
der zum Eſſen. Ich geſtehe Ihnen, liebſte Freun-
din! daß mir das ungemein wohl gefiel. In Frank-
reich hab’ ich das aufm Lande nie gefunden.
Hinter Blochingen kommt man in das Filsthal,
eine wirklich ſehr tiefliegende Gegend, die von der Fils
durchſtroͤmt wird. Goͤppingen ſcheint ein ſehr nahrhaf-
ter Ort zu ſeyn. Seine Felder lagen jetzt meiſt in der
Brache, und ſo ganz mit Steinen bedeckt, hab’ ich
noch nirgends die Aecker gefunden, wie hier. Die
Bauern aber ſagten mir, daß ſie demohngeachtet viele
Fruͤchte truͤgen, ſie muͤßten den Duͤnger zwiſchen die Stei-
ne hineinbringen. Am fruͤhen Morgen ſah ich da, daß
die Schwalben ſich ſchon (den 25. Sept.) zum Weg-
ziehen verſammelten. Weiter hinein wird das Land rau-
her, Gebuͤrge, wie die Alpen, ſchlieſſen es von beiden
Seiten ein, das iſt dem Reiſenden ſehr unangenehm,
aber die Majeſtaͤt dieſer waldichten Berge iſt doch wirklich
mehr, als eingebildet. Dazu kommt das hundertfaͤltige
Geklimper der Viehheerden, die auf dieſen Abhaͤngen in
der Weide gehen. Faſt jedes Stuͤck Vieh hat eine Glo-
cke am Halſe, weil ſie ſich oft verirren, und durch das
Klingeln der Glocke wieder gefunden werden. Oft iſt
man ganz von dieſen hohen Bergen eingeſchloſſen, und
hat ein Thal und Waſſer und Wald und Felder vor
ſich, die ungemein ſchoͤn von der Natur zuſammengeſtellt
ſind. Wie oft dacht’ ich, wenn die Sonne ſo lieblich ih-
re Stralen uͤber die Gipfel der Berge in den ſchlaͤngeln-
den Bach warf:
A 5Schoͤn
[10]
Geißlingen iſt das Staͤdtchen, dem wir jetzt am
naͤchſten ſind, und da hielt ich mich gerne einige Stun-
den auf. Geißlinger Arbeit haben Sie gewis ſchon oft
geſehen. Sie geht mit dem Nuͤrnberger Tand in der
halben Welt herum. Der Ort iſt ein Beweis von der
Richtigkeit der Anmerkung: daß in rauhen und unfrucht-
baren Gegenden die Induſtrie der Menſchen erweckt und
geſchaͤrft wird. Ganz in einem Keſſel, auf allen Seiten
von den greulichſten Bergen umgeben, liegt das Staͤdt-
chen, das uͤbrigens nicht ſchlecht gebaut, und heitrer iſt,
als Ulm. Man graͤbt uͤberall Bauſteine aus der Erde.
Auch die Plaͤtze, die etwa noch fuͤr Ackerfeld angeſehen
werden koͤnnten, ſind ganz mit Steinen angefuͤllt, welche
die Farbe des Pariſer Bauſteins haben, aber viel feſter
und haͤrter ſind. Die Leute wiſſen ihre Kuͤnſteleien dem
Fremden mit vieler Beredſamkeit anzuſchwatzen. Ich
war kaum abgeſtiegen, ſo war ich ſchon von Weibern und
Kindern umringt, die alle einen Korb voll Sachen hat-
ten, und jede Frau ruͤhmte ihre Waare mehr, als die
andre. Man kan fuͤr einen halben Gulden vielerlei kau-
fen, und man muß es thun, will man Ruhe haben.
Das war mir aber nicht hinreichend. Ich lies mich zu
einem Beindrechsler fuͤhren, und ſah ſelbſt der Arbeit zu.
Sie erhalten die Knochen von Strasburg, Schafhau-
ſen, Muͤnchen. Die Knochen der Ochſen, die man
oft durch unſer Vaterland Heerdenweiſe aus der Schweiz
nach Strasburg treibt, werden in Geißlingen verar-
beitet. Man kauft ſie nicht dem Gewichte nach, ſondern
Tauſendweiſe. Sie bekommen ſie ungebleicht, und um
das thieriſche Fett herauszubringen, werden die Gebeine
in
[11] in der Lauge einen ganzen Tag gekocht. Man ſieht hier
keine andre Knochen vom Ochſen, als die Vorder- und
die Hinterfuͤſſe. Die Schenkelknochen, ſagten die Leute,
ſind zu hart, und werden nicht rund. Hundert Knochen
Poſtfrei von Strasburg nach Geißlingen in eignen
Guͤterfuhren gebracht, koſten 3. Gulden und 20. Kr.
Die Vorderknochen ſind etwas breiter, die hintern ſind
ſchon von Natur mehr rund. Knochen von gar zu jun-
gen Kaͤlbern koͤnnen ſie nicht brauchen, ſie ſind zu weich
und brechen unter der Arbeit. Aber vom Schmahlvieh
werden die Knochen gebraucht, doch gelten ſie nicht ſo
viel, als die von den Ochſen. Der Mann, deſſen Werk-
ſtaͤtte ich beſuchte, war ein gelernter Holzdreher, und er
verſicherte mich, daß er ohne Muͤhe, wiewohl doch einige
Inſtrumente anders ausſehen, das Beindrechslen in Am-
ſterdam gelernt habe. Der Knochen wird eben ſo, wie
das Holz, in einen Drehſtuhl eingeſpannt, und laͤuft,
indeſſen, daß der Kerl daran arbeitet, beſtaͤndig herum.
Zum Schraubendrehen haben ſie eigne Werkzeuge. Sie
machen Nadelbuͤchschen, Spulen, Geldbuͤchschen, Spie-
le, kleine Schraͤnke, Knoͤpfe, Aufſaͤtze, Leuchter, Ohren-
loͤffel, Kinderſpielſachen, Becher, Kugeln ꝛc. Wohl-
feil iſt die Arbeit ſehr, man begreift kaum, wie die Leute
davon leben koͤnnen, und doch ſind faſt 30. Meiſter in
dem Staͤdtchen.
Die Geißlinger ſchicken viel Waaren nach Stras-
burg, von dort gehen ſie nach Bordeaux, Aix, Au-
xerre ꝛc. Ich fragte auch nach der Anwendung, die ſie
von den abfallenden Spaͤnen machen, die ſehr fein, wie
Staub werden. Ehemals holten ſie die Bauern vom
Lande, und duͤngten die Felder damit, zahlten aber faſt
nichts
[12] nichts dafuͤr. Seitdem aber das Gypſen der Felder auch
in dieſen Gegenden angefangen hat, haben die Arbeiter
auch dieſen kleinen Gewinn verloren, und werfen jetzt die
Spaͤne weg. Auch Roſenholz und Horn wird hier ver-
arbeitet. Elfenbein auch, aber nicht viel, es iſt fuͤr dieſe
Arbeit zu theuer; in Nuͤrnberg ſelber koſtet das Pfund
gutes Elfenbein 3. Gulden. Die Leute wuͤnſchten, daß
ſie’s von Duͤnkirchen bekommen koͤnnten, aber es ſcheint,
als wenn ſie von der Obrigkeit in Ulm nicht genug unter-
ſtuͤtzt wuͤrden. Einige auſſerordentlich ſchoͤn geſchnitzte
Stuͤcke habe ich in ihren Magazinen geſehen, die den
Schwaben Ehre machen. Ihre Frauen machen die ſo-
genannte Spittelarbeit. Das ſind Schachteln mit
kleinen Schnizeln von allerhand gefaͤrbtem Papier beſetzt,
wovon man immer eine in die andre ſetzen kan, und die
bei Weinachtsgeſchenken den Kindern groſſe Freude ma-
chen. Aber daran iſt noch weniger als an der Knochen-
arbeit zu verdienen.
In Ulm ſahe ich bei Hrn. Rektor und Prof. Miller
eine ſchoͤne Naturalienſammlung, die der liebenswuͤrdige
Mann vor kurzem erſt angefangen hat, und bei ſeinem
Unterrichte zum Beſten der jungen Leute anwendet. Ich
fand da ſonderlich Kieſel aus der Iller, Donau,
Blaw; in einem getrockneten Schwamme die Haͤlfte
von einer weiſſen Kammmuſchel, auf welcher oben Tu-
buli vermiculares ſitzen; Eichenholz, dergleichen an
der Iller waͤchſt; die Rinde vom Gewuͤrznelkenbaum,
(Caryophillus aromatica L.) die ungemein wohl
riecht, und die ich ſelber nebſt vielen andern, durch die
Guͤtigkeit des Hrn. Rektors beſitze. Apfelholz in ſei-
ner reichen Holzſammlung, das halbgruͤn iſt; Marmor
aus
[13] aus Tyrol, Bayern, Salzburg; Marmor mit
Schwefelkies; ein Stuͤck Marmor, auf welchen ein weiſ-
ſer Circellus mit einem ſchwarzen Mittelpunkt; und
alle dieſe Stuͤcke ſind im Zuchthauſe, wie Spiegel polirt
worden; Marmor von Altorf mit groſſen Ammoniten;
drei Korallenzinken, die oben ſo zuſammen gewachſen
ſind, daß ſie uͤberall geſchloſſen ſind; eine ſehr groſſe
Granate, (die auch in Augſpurg ſehr wohlfeil geſchlif-
fen worden;) ein Stuͤck Bernſtein, roth und hell, wie
der ſchoͤnſte Honig; Stuͤcke von einem verſteinerten
Ochſenkopf, die im Ulmiſchen gefunden worden, und
welche die Metzger noch erkannt haben; Steinkohlen
von Lebſtein, auch im Gebiete der Stadt Ulm; Ga-
gat aus dem Wuͤrtembergiſchen, und bei dieſer Gele-
genheit will ich Ihnen ſagen, daß wir im Lande eben ſo
ſchoͤnen Gagat haben, naͤmlich bei Ober-Eggenen in
der Landgrafſchaft Sauſenberg.
Das Ulmer Muͤnſter kan Sie, wenn Sie ein-
mal dahin kommen, einen halben Tag beſchaͤftigen. Ein
altes, maſſives, weitlaͤuftiges, ehrwuͤrdiges Gebaͤude, an
dem man die Geduld, die Arbeitſamkeit, den feſten Sinn,
und den ſoliden Geſchmack der Vorfahren bewundern muß.
In der Sakriſtei haͤngt eine herrliche Geburt Chriſti von
Rottenhammer. Das Gebaͤude ſelber iſt im 11. Jahr-
hundert aufgefuͤhrt worden. Bis auf den Platz, wo die
Waͤchter wohnen, geht man 401. Stufen hinauf. Kai-
ſer MaximilianusI. war auch hier oben, und ſchenkte
hernach ſein Gemaͤlde hierher. Es haͤngt ohne alle Ein-
faſſung und Bedeckung an der Wand, und doch haben
ſich die Farben ungemein wohl erhalten. Der Kaiſer
war, nach dieſem Bilde zu urtheilen, ein ſchoͤner lieber
Mann.
[14] Mann. Man hat oben auf dem Kranze eine unver-
gleichliche Ausſicht nach den Tyroler Gebuͤrgen, nach
Dillingen, Donauwerth. Man ſieht die eiſernen
Stangen, an welchen im Fall einer Feuersnoth groſſe La-
ternen nach der Stadt, wo der Brand entſtanden iſt,
ausgehangen werden. Im Anfange dieſes Jahrhun-
derts hatten die Franzoſen oben auf dem Kranze des
Thurms ein Wachfeuer angemacht. Da ging einer von
den Waͤchtern, Namens Rumey, herab zu ſeiner Obrig-
keit, und fragte an, ob er nicht einen Franzoſen nach dem
andern beim Kopfe nehmen, und herabſtuͤrzen duͤrfe?
Sehen Sie die Vaterlandsliebe, den Muth, und die ed-
le Dreiſtigkeit dieſes ehrlichen Schwaben. Es verdroß
ihn, daß ſo ein altes anſehnliches Gebaͤude, die Zierde
ſeiner Stadt, an der man 111. Jahre gebaut hatte, durch
den Muthwillen der Franzoſen in Brand gerathen ſollte.
Wegen der Feuersgefahr ſind oben 36. Waſſerkeſſel, die
aber durch die Laͤnge der Zeit ganz ausduͤnſten. Im
Glockenhauſe haͤngen Glocken von 75. und andre von 85.
Zentnern. Die eiſernen Schwengel verwittern und
ſchillern ab, aber nicht die bronzenen Glocken ſelber. An
den ſteinernen Pfoſten ſieht man Spuren von der fuͤrch-
terlichen Gewalt, womit der Blitz in der Neujahrsnacht
1779. hier in der Nachbarſchaft eines eiſernen Gitters
herablief, ſo wie man ſie auch unten in der Kirche am
Fuſſe der Orgel ſehen kan. Und doch gibt es noch im-
mer Leute, die, wenn ſie den ſichtbaren Nutzen der Ablei-
ter ruͤhmen hoͤren, den albernen Einfall wiederkaͤuen:
Man ſoll der Vorſehung Gottes nicht vorgreifen. Gra-
de als wenn wir armen Sterblichen durch unſere Gewit-
terſtangen die tauſendfachen Kraͤfte der Natur ſo baͤndi-
gen koͤnnten, daß uns Gott mit aller ſeiner Macht, nicht
mehr
[15] mehr toͤdten koͤnnte. Der ſteinerne Fuß des Glockenhau-
ſes iſt ganz mit Moos bewachſen. So hoch fliegt alſo
der Saamen dieſer feinen Pflanzen mitten in der Stadt
herum. Unbegreiflich iſt’s, wie die Leute ehemals die
greulichen Maſſen da herauf gebracht haben. Und durch
die ungeheuren Brocken von Steinen gehen eiſerne Haf-
ten und Baͤnder hier und da ganz durch. Aber jeder
Buͤrger und Einwohner der Stadt half damals, als der
Bau unternommen wurde. In der Kirche ſelber ſieht
man alte Gruften, Kapellen, alte und verdorbene Ge-
maͤlde von Duͤrer, Familienwappen ꝛc. An den alten
ſchoͤnen Bildſchnitzereien von Eichenholz im Chore iſt noch
nicht eine wurmſtichige Stelle, da hingegen alles, was
in neuen Zeiten daran [ausgebeſſert] worden iſt, aus viel
ſchlechtern unausgetrocknetem Holze gemacht wird. Wenn
man Sonntags in dieſer Kirche der Kommunion zuſieht,
ſo kan man ſich wohl auch bei der feierlichſten Handlung
nicht enthalten, zuweilen eine laͤchelnde Mine zu machen.
Dazu zwingen den Fremden die Ulmer Kleidertrachten,
die ſo mannichfaltig, ſo eckicht, ſo ſteif, ſo gothiſch, ſo
abgeſchmackt, ſo gefaͤltelt, ſo friſirt, ſo ſonderbar ausge-
ſchnitten, ſo buntſchaͤckicht, ſo unbeſchreiblich widerlich
und grotesk ſind, daß man ſie in manchen andern Staͤd-
ten auf der Redoute brauchen koͤnnte. Abzeichnen und
illuminiren ſollte man ſie um der Sonderbarkeit willen,
wie die Ruſſiſche Kaiſerin ihre Nation abmalen lies. Die
alten Matronen, die ſich der Welt nicht gleich ſtellen
wollen, vermuthlich weil ſie nicht mehr koͤnnen, halten
noch feſt an dieſen hergebrachten und veralterten Kleider-
moden. Und bei der Kommunion ſonderlich ſieht man
alle moͤgliche Editionen. Wer’s nicht weis, der wuͤrde
wahrhaſtig uͤber manche Figuren erſchrecken. Der groͤ-
ſte
[16] ſte Theil des aufwachſenden Frauenzimmers verlaͤſt indes
gern die Sitten des vorigen Jahrhunderts, und kleidet
ſich natuͤrlicher, freier und ſimpler. Die Buͤrgermaͤdchen
gehen recht artig und niedlich gekleidet, ohne ſich mit
Putz, Poſchen, Strauſſen- und Reiherfedern unnatuͤrlich
zu verunſtalten. Sonſt hab’ ich noch in Ulmiſchen Kir-
chen eine Unanſtaͤndigkeit bemerkt, die ich zu Steuer der
Wahrheit nicht verſchweigen kan. Man erlaubt auch
jungen, ſtarken, und geſunden Leuten, die groſſen Huͤte
waͤhrend dem Gottesdienſte aufzuſetzen. Auch hat faſt
jede Perſon ihren eignen Sitz, der aufgeſchlagen und nie-
dergelaſſen werden kann. Da entſteht nun beim Anfan-
ge der Predigt ein ſolcher Laͤrmen in der groſſen weiten
Kirche, daß man bei ganz andern Anlaͤſſen zu ſeyn glaubt.
Der Apoſtel wuͤrde eine Vorſchrift der Wohlanſtaͤndigkeit
und der Sittſamkeit wiederholt haben, wenn er das ge-
hoͤrt haͤtte. Auch iſt es vielleicht keine gute Einrichtung,
daß man am fruͤhen Morgen ſchon zu ſingen anfaͤngt,
und erſt nach etlichen Stunden predigt. Waͤhrend dem
Singen, das doch ein Gebet zu Gott iſt, hoͤrt das Lau-
fen nicht auf. Viele, die aus der Gottſeligkeit ein Ge-
werbe machen, ſingen ſich faſt heiſer, und denken nichts
dabei. Andre kommen gar nicht zum Singen, und ver-
lieren, um nicht uͤberladen zu werden, dieſe Art der Er-
bauung ganz. Auch faͤllt es dem Fremden ſehr auf,
wenn Leute, die ſonſt einen Namen haben, die Liturgien
und Gebete ſo unverſtaͤndlich, eilfertig und unangenehm
herableſen, daß man nichts denken, nichts fuͤhlen kan,
auch nicht zuhoͤren mag. Ein Beweis, meine Liebſte!
daß wir wahrhaftig auch in proteſtantiſchen Kirchen am
oͤffentlichen Unterrichte noch manches zu verbeſſern haben.
Darf ich es ſagen, man hoͤrt zu wenig die pia deſideria,
die
[17] die Klagen und Beſchwerden des edlern Theils der Zuhoͤ-
rer. Die Konſiſtorien ſind gar oft zu gelinde, und uͤber-
ſehen manchem Prediger unverzeihliche Fehler, Nachlaͤſ-
ſigkeit, und die allerſchaͤdlichſten Gewohnheiten. Oft
nimmt gar ein Konfrater die Maͤngel des andern in
Schutz, und bedeckt alles mit dem Mantel der bruͤderli-
chen Liebe. Doch jetzt ſind wir auf der Reiſe. Alſo
St! St! — —
Ulm iſt uͤbrigens ein Ort, wo man ſich mit guten
Freunden viel unſchuldige Freude machen kan. Die
Stadt hat wenig reizendes, aber die Leute ſind umgaͤng-
lich, geſellſchaftlich. Ihre Lage hat den Vortheil, daß
beſtaͤndig Fremde da einkehren. Die Kreisverſamm-
lung belebt den Ort alle Jahre einmal. Ein eignes
Haus dazu iſt nicht da, der Rath weicht alsdann dem
Kreiſe, und verſammelt ſich anderswo. Das Stein-
heile iſt ein Luſtwaͤldchen an der Donau, wo taͤglich
muntre Geſellſchaften zuſammen kommen. Durch die
Brunnenſtube wird die Stadt mit Waſſer verſehen,
denn es ſind nicht genug Quellen da. Die barbariſchen
Geſetze, die man ehemals gegen die Juden gab, haben
noch hier zur Schande der Chriſtenheit ihre Kraft. Man
ſieht in der Stadt keine Juden, ſie muͤſſen jede Stunde
bezahlen, die ſie in Ulm zubringen wollen: nur etliche
wenige Familien haben darin mehr Freiheit. Grade
als wenn wir Herren der Erde waͤren, und unſern Mit-
menſchen verwehren koͤnnten, irgendwo Luft zu ſchoͤpfen! —
Der Wall um die Stadt heißt der Bau, weil er
groͤſtentheils gemauert iſt, und auch beſtaͤndig verſchloſſen
wird. Man hat aber faſt in jedem mittelmaͤſſigen
Hauſe einen Schluͤſſel dazu, und es iſt wegen der Ab-
Zweiter Theil. Bwechſelung
[18] wechſelung und der ſchoͤnen Ausſichten ein ſehr angeneh-
mer Spaziergang. Als ich einmahl an dem Thore bei
der Donaubruͤcke war, kamen 5. engliſche Matroſen da-
her gelaufen, die ihrer Auſſage nach verungluͤckt waren,
und von Livorno zu Fuß nach England gehen wollten.
Hier waren die armen Leute, unter welchen drei Irrlaͤn-
der waren, wie vom Himmel herabgefallen. Sie ver-
ſtanden nicht deutſch, und in Ulm ſind wenig Menſchen,
die Engliſch ſprechen. Ich machte den Dolmetſcher zwi-
ſchen ihnen und dem wachhabenden Offizier, und half ih-
nen ſo gut ich konnte, daß ſie nach der Stadt gehen, und
Brot und Bier kaufen konnten. Sie koͤnnen nicht
glauben, wie ſich die Leute freuten, da ſie doch jemand
fanden, der ſie verſtehen und ihnen das Noͤthigſte wieder
ſagen konnte. Die Denkungsart und Lebensart der Ul-
mer Reichsbuͤrger wird durch die Bemuͤhungen ihrer jun-
gen Theologen und andrer Leute, welche die Auswelt ge-
ſehen haben, immer mehr verbeſſert.
Von Ulm nach Augſpurg geht der Weg zuerſt
uͤber die ſchoͤnſten Fruchtfelder hin. Um Guͤnzburg
herum wird viel Hopfen gebaut, ich ſah uͤberall die Ho-
pfenſtangen haufenweis beiſammen ſtehen, und Bier iſt
in dieſen Gegenden das allgemeine Getraͤnke. In eini-
gen Oertern knitſchten die Weiber Hanf. Die Ma-
ſchine zu dieſem Zerknacken der Hanfſtengel iſt bei uns ſo
niedrig, daß die Weibsperſon ſtehen, und den Hanfbuͤ-
ſchel immer weiter vorziehen muß. Hier fand ich die
Knitſche oder Breche hoͤher, die Frau ſitzt auf einem
Klotze dazu, vorne an die Maſchine hin, hebt den obern
Theil auf und ſchlaͤgt immer auf den Hanf mit der rechten
Hand hin, indem ſie ihn mit der linken immer weiter
vorzieht.
[19] vorzieht. Weiter hin findet man Waldungen, in wel-
chen es wegen der herumſtreichenden Bettler eben nicht
gar ſicher iſt. Kinder und Weiber muͤſſen den Fremden
mit Betteln erſt aufhalten, indeſſen zeigen ſich oͤfters
baumſtarke Kerle, die im Walde liegen, und im Muͤſ-
ſiggange Bosheiten ausuͤben.
Burgau iſt ein artiges wohlgebautes Staͤdtchen,
die Leute ſind hoͤflich, und ſcheinen in vielem Wohlſtande
zu leben. Man ruͤſtete ſich eben auf den Jahrmarkt,
und da wurde keines Schweines geſchont, und ganze
Haufen von Gaͤnſen abgeſchlachtet. Unter dem Haber
baut man hier viele Wicken, und die Pferde freſſen das
Gemengſel ſehr gern.
Sommerhauſen, die letzte Station vor Augſpurg,
gehoͤrt zum Bisthum Dillingen, oder in das Trieri-
ſche, und wenn man das nicht wuͤſte, ſo wuͤrde man’s an
der Menge Bettler ſehen, die der Polizei des Landes
wahrhaftig zum Vorwurfe gereichen. Ich theilte in der
Stunde, die ich im Gaſthofe zubrachte, manchem mit,
und doch holte mir einer vor meinen Augen mit der groͤ-
ſten Unverſchaͤmtheit das Brot, das ich mir hatte geben
laſſen, vom Tiſche weg. O ihr Fuͤrſten! wenn werdet
ihr doch einmahl die groſſe Weisheit lernen, auf jeden
Menſchen, auf jeden Buͤrger, der euch gebohren wird,
einen Werth zu ſetzen, und eure politiſchoͤkonomiſche Sorg-
falt wenigſtens ſo weit erſtrecken, daß jeder Gelegenheit
zur Arbeit bekommt, und keine Kraͤfte fuͤr den Staat ver-
lohren geben! Eine eigne Art von Kopfputz ſah ich hier
an einigen Frauenzimmern. Die Haare werden auf dem
Kopfe zuſammengeflochten, faſt ſo wie in Strasburg.
damit ſie zuſammen halten, ſteckt das Frauenzimmer eine
B 2ſilberne
[20] ſilberne Haarnadel durch, die aber breiter iſt, als ein Loͤf-
felſtiel, und vorne, wo ſie aus den Haaren herausſteht,
iſt ein ſilbernes rundes Plaͤttchen daran, das mit Grana-
ten, und mit Edelgeſteinen beſetzt, und daher theuer iſt.
Zur deutſchen Sprachkunſt muß ich Ihnen doch auch
einen kleinen Beitrag liefern. Die Ausſprache iſt nicht
immer ſchoͤn, und richtig. Olfe ſagt man ſtatt Eilfe;
klone ſagt man ſtatt kleine; Hiri heiſt ein Huhn, (bei
Frankfurt ſagt man: ein Hinkel, ſtatt eine Henne!)
Aber viele gute ſonſt nicht mehr uͤbliche Woͤrter haben die
Schwaben noch erhalten, z. B. ein handſamer Menſch
heiſt ein ſchoͤner artiger Menſch, den man brauchen kan.
Iſt dieſes nicht das engliſche handſome? — Ein be-
haltſames Gedaͤchtnis. Sagt da der Schwabe nicht
mit Einem Worte, was ſonſt umſchrieben werden muß?
Aber ein ganz beſondrer Provincialismus iſt es, wenn
Schaffen in dieſen Gegenden ſo viel heiſt als Fragen,
verlangen,demander:was ſchaffen Sie? das heiſt:
Was befehlen, was wollen Sie? Es iſt aber un-
moͤglich, daß das gemeine Volk Richtigkeit und Reinig-
keit der Sprache lerne, da ſelbſt in Befehlen, oͤffentlichen
Nachrichten, Anſchlaͤgen und Verordnungen, die von der
Kanzlei ausgehen, die groͤbſten Fehler gegen die Regeln
der Konſtruktion und der Ortographie vorkommen, wo-
von ich Ihnen viele Beiſpiele geben koͤnnte.
Auſſer Hamburg iſt wohl keine alte Stadt, die ſo
ſchoͤn waͤre, als Augſpurg. Sie hat die ganze Magni-
ficenz des vorigen Jahrhunderts, und uͤbertrift von dieſer
Seite Ulm unendlich. Die Straſſen ſind hell, einige
ſehr breit, grade und lang, die Haͤuſer alle hoch, aber
nach einem mannichfaltigen, doch regelmaͤſſigen Geſchmack
gebaut;
[21] gebaut; das Pflaſter in der Stadt iſt gut, man laͤuft
eben weg, und es wird mit Sorgfalt unterhalten; vor
den Haͤuſern ſtehen oft Strebepfeiler von Bayriſchen
Marmor. An einigen Gegenden ſieht die Stadt grade
ſo, wie Strasburg, aus. Inwendig in den Haͤuſern
ahmt man die hollaͤndiſche Reinlichkeit und Pracht nach:
aber die Sprache der gemeinen Leute iſt ſehr unverſtaͤnd-
lich, und man ſtoͤßt auf gewaltige Spiesbuͤrger. Eini-
ge Adeliche haben neue Haͤuſer gebaut, die ſo gros und
ſchoͤn ſind, daß man den finſtern Platz bedauren muß,
auf dem ſie ſtehen. Schon in der Ferne praͤſentirt ſich
Augſpurg ſehr ſchoͤn. Die Stadt liegt in einer Ebne,
hat Kirchthuͤrme, und doch nicht zuviel, iſt mit Feſtungs-
werken und Spaziergaͤngen umgeben, hat etwas anzie-
hendes, ſo daß man nicht lange darinnen iſt, ohne den
Gedanken zu haben, daß Augſpurg zu einer deutſchen
Kaiſerſtadt recht beſtimmt zu ſeyn ſcheint. Schade, daß
ſo wenige Gaͤrten und Landguͤter dazu gehoͤren. Die
Stadt hat gar kein Gebiet. Sie lebt von Schwaben
und Bayern, und muß dieſen beiden Nachbarn alles
theuer abkaufen. Die Gleichheit beider Religionen hin-
dert ohne Zweifel, daß mancher guter Wunſch nicht aus-
gefuͤhrt werden kan. Die katholiſchen Geiſtlichen thun
und behalten alles, weil die Lutheriſchen auf ſie Acht ge-
ben, und um der Pfaffen und um des Poͤbels willen
bleiben die proteſtantiſchen Lehrer auch bei manchem,
das freilich beſſer ſeyn koͤnnte. Die Intoleranz der Ka-
tholicken iſt noch ſo gros, daß ein proteſtantiſcher Predi-
ger in ſeinem geiſtlichen Kleide ſich nicht getraute, mit
mir in die Exjeſuiterkirche zu gehen, um einige Gemaͤlde
zu beſehen, er muſte befuͤrchten, vom Poͤbel inſultirt zu
werden. Man macht dem edlern Theile der Buͤrgerſchaft
B 3den
[22] den Vorwurf, daß ſie ungeſellig waͤren, und es iſt wahr,
ſie halten nicht einmahl unter ſich ſelber Geſellſchaften.
Der niedre Theil der Buͤrgerſchaft aber kommt unfehlbar
alle Abende im Bierhauſe zuſammen, wo beim Toback
manche Stunde verplaudert wird. Man hat zum An-
zuͤnden der Pfeifen in dieſen, ſo wie in vielen andern Ge-
genden, duͤnne lange, vermuthlich mit einem Ziehmeſſer
abgezogene lange Spaͤne von Tannenholz, die leicht
Feuer fangen. Alle Pfeifen aus Thon muß man aus
Holland, oder von Koͤlln kommen laſſen, daher raucht
man meiſt aus hoͤlzernen oder hornenen Pfeifen. Un-
glaublich iſt die Menge des Biers, aber man hat es
auch ſehr gut. Am oͤffentlichen Unterrichte fehlt es in
Augſpurg nicht. In den 6. Kirchen, die den Prote-
ſtanten gehoͤren, wird an jedem Sonntage 15. mahl und
in der Woche 28. mahl gepredigt! Wenn wird man doch
einmahl den wichtigen Schaden einſehen, den das taͤgli-
che und uͤberfluͤſſige Predigen auf die Prediger, auf die
Zuhoͤrer, und auf den Vortrag ſelber nothwendig haben
muß? Artig iſt es, daß das Allmoſen beim Eingang und
Ausgang der Kirche in den Klingelbeutel geſammelt, und
die Unruhe, die dadurch entſteht, waͤhrend der Predigt
vermieden wird. Freilich kan auf dieſe Art der, welcher ſonſt
nichts geben wuͤrde, aber doch aus Schande gibt, weil er
in einer Reihe andrer ſitzt, die auf ihn ſchauen, durch-
kommen, ohne daß ſein Geiz durch eine andre Leidenſchaft
uͤberwunden wird. Allein ganz uͤberfluͤſſig, duͤnkt mir,
iſt der Meßner, oder Kuͤſter auf der Kanzel hinter dem
Prediger. Dieſer Mann geht auch ſchwarzgekleidet ſorg-
faͤltig mit, macht die Thuͤre auf, ſetzt ſich oben hin, und
ſervirt den Prediger ordentlich, nimmt die Buͤcher weg,
gibt andre her, macht ſich ein unnoͤthiges Geſchaͤft, oder
ſoll
[23] ſoll wohl gar im Fall, daß der Herr Senior ohnmaͤchtig
wuͤrde, Ihro Hochwuͤrden herabbringen! In der Bar-
fuͤſſer und in der katholiſchen Kreuzkirche ſind ſchoͤne Ma-
lereien von Goetz*) und in der Exjeſuiterkirche Al-
tarblaͤtter von Schoͤnfeld, auch ſonſt viel ſchoͤnes von
Lucas Cranach; ſo wie man uͤberhaupt in allen Kir-
chen ſehr reiche, ſchwere und praͤchtig gearbeitete Vaſa
ſacra ſehen kan, die von reichen Leuten geſchenkt worden.
Ein merkwuͤrdiges mechaniſches Kunſtſtuͤck in Aug-
ſpurg iſt der ſogenannte Einlaß. K. Maximilian
hielt ſich wegen der Gemſenjagd oft in dieſen Gegenden
auf. Die Reichsſtadt blieb aber bei ihrem alten Ge-
brauch, und ſchloß die Thore fruͤhzeitig. Der Kaiſer,
dem dies unangenehm war, ſann auf einen Ausweg, und
brachte 1514. aus Tyrol einen ſehr geſchickten Hufſchmidt
mit, der auf Koſten der Stadt auf einer Seite des Walls
dem Kaiſer zu Gefallen folgende Einrichtung machen mu-
B 4ſte.
[24] ſte. Auf dem Walle iſt ein bedecktes Haus, wie ein
Schoppen mit einer Thuͤre, die durch eiſerne Zuͤge, die
zu beiden Seiten laͤngſt des Dachs hinlaufen, ſobald eine
auſſen angebrachte Glocke dem Waͤchter auf dem Ein-
laſſe das Zeichen gibt, daß er eine gewiſſe in ſeinem Zim-
mer angebrachte Stange loslaſſen ſoll, ſich von ſelbſt oͤf-
net. Dann trat der Kaiſer durch dies Haus, und hin-
ter ihm ſchlos ſich die Thuͤre. So wie er vom Walle
naͤher zum Hauſe kam, oͤfnete ſich ein eiſernes Gitter,
und zugleich ſank eine groſſe Ziehbruͤcke langſam herab,
und brachte den Kaiſer uͤber den Graben in das erſte
Theil des Hauſes. So wie er da war, ſtieg die Ziehbruͤ-
cke wieder in die Hoͤhe, dadurch wurde es in dem erſten
Viereck des Hauſes dunkel. Aber ſo wie es finſter ward,
oͤfnete ſich im Hauſe, ohne daß man die Triebwerke ſah,
die erſte Thuͤre, der Kaiſer ging durch, hinter ihm ſchlos
ſie ſich, die zweite hingegen oͤfnete ſich, und indem ſich
dieſe zuſchlos, oͤfnete ſich die dritte, und durch dieſe kam
Maximilian in die Stadt. Lange verweilen darf man
ſich nicht zwiſchen zwei Thuͤren, ſonſt iſt man in einem
dunkeln Gemach gefangen, und das ganze Spiel muß
wieder von vorne angefangen werden, um den Eingeſchloſ-
ſenen zu befreien. Um das zu verhuͤten, brachte der
Hufſchmidt an jeder Thuͤre noch einige Haken an, ſo daß
die Thuͤre fuͤr einen, fuͤr 2. fuͤr 3. Menſchen geoͤfnet, und
eine Zeit lang ſo erhalten werden kan. Dies iſt beſon-
ders im letzten Zimmer, wo man die Leute eben ſo, wie
unter dem Thore ausfragen konnte. Auch ſind oben Gal-
lerien angebracht, damit die, welche das Werk trieben,
ſehen konnten, wie viel Perſonen eingelaſſen werden woll-
ten. Auch iſt da ein kupfernes Koͤrbchen, das in der Ab-
ſicht, daß die Fremden die Bezahlung hineinlegen konn-
ten,
[25] ten, herabgelaſſen wurde. Auſſen ſieht das Gebaͤude
wie ein Thurm, wie ein Gefaͤngnis aus. Inwendig
ſind die Maſchinen ſelber tief im Boden verſteckt; in der
Wohnung des Aufſehers ſieht man faſt nichts, als ein
Rad, das ohne Muͤhe von einer Weibsperſon in Bewe-
gung geſetzt werden kan, und das Obertheil von einem
eiſernen Baume, auf dem im ganzen Werke das Meiſte
ankommen ſoll, und der daher nicht gezeigt wird. Der
Mann hat mit groſſer Genauigkeit die Staͤrke und die
Wirkung aller Triebfedern uͤberdacht und berechnet. Denn
wenn das Werk jetzt von Zeit zu Zeit ausgebeſſert wird,
ſo machen oft die geſchickteſten Schloſſer einen Fehler, der
ſo verſteckt, ſo klein ſeyn kan, daß man ihn oft kaum ent-
deckt, und doch ſtockt gleich die ganze Maſchine. Man
hat ſeither dieſen Einlaß immer gebraucht. Vor kur-
zem aber hat man eine andre Einrichtung mit den ſoge-
nannten Bazenthoren getroffen, und das Werk wird
jetzt nur, als ein wuͤrdiger Beweis von der Geſchicklichkeit
eines Tyroler Grobſchmidts erhalten.
Bei Hrn. Brander*) kan man einen vortreflichen
Vorrath von mathematiſchen, optiſchen, aſtronomiſchen
und mikroſkopiſchen Inſtrumenten ſehen. Ich bewun-
derte beſonders die Skala oder das Mikrometer an ſei-
nen Vergroͤſſerungsglaͤſern, die er mit Diamanten in
boͤhmiſches Glas unendlich fein ſchneidet.
Im biſchoͤflichen Pallaſte ſieht man noch die
zwei Fenſter des Zimmers, in welchem 1530. die aug-
ſpurgiſche Konfeſſion verleſen wurde. In das Zimmer
B 5ſelber
[26] ſelber konnten ſo viele Leute nicht gehen, aber der Vorle-
ſer ſtand am Fenſter, und der untere Platz, auf dem
wohl zweitauſend ſtehen konnten, war ganz mit Menſchen
bedeckt. Man hat jetzt, wie man mir ſagt, im Zimmer
ſelber einige Aenderung vorgenommen.
Hr. Kupferſtecher Kilian hat in ſeinem Hauſe viele
Naturalien, Kupferſtiche, elfenbeinerne Waaren, und
andre Seltenheiten der Kunſt aufgeſtellt. Ich hatte
nicht Zeit genug, alles zu beſchauen, aber ich ſah auch
in einer Stunde viel ſchoͤnes, und ſeine Guͤte beſchenkte
mich mit einem ſchoͤnen Oculus Cati, und mit der
Frucht vom Pinus Cembra L. oder Zirbelnuß, die das
Wappen der Stadt iſt. Ich ſah bei ihm Goldſchlick
aus Benzenzimmern in Tyrol; einen Ammoniten,
deſſen Gelenke auseinander fallen; einen verſteinerten
Elephanten Backenzahn; eben die Zirbelnuͤſſe, die
man jetzt aus Tyrol bekommen muß, denn um die Stadt
herum ſind nur noch wenige Baͤume; Goldſtuffen aus
Siebenbuͤrgen; Echiniten in bayeriſchen Eiſengru-
ben; einen Chalcedonier, darin eine ſehr natuͤrliche
braune Silhouette von einem Moͤnchskopfe war, ohne
Zweifel einer aus der neuen Fabrike in England,*) wo
alle Steine nachgemacht werden. Der Beſitzer hatte
ihn auch von einem Englaͤnder gekauft. In Ulm er-
zaͤhlte man mir auch von einem Saphir oder Smaragd,
worin ein Papillon eingeſchloſſen ſeyn ſoll. Ferner hat
Hr. Kilian unter vielen andern Kunſtſtuͤcken ein Glas,
eine Bouteille mit einem Halſe und einem breiten niedri-
gen
[27] gen Bauche. Dieſer Bauch laͤßt ſich, wenn man weis,
wie man hineinblaſen ſoll, weil man es ſonſt zerſprengen
koͤnnte, mit einem kleinen Knall aufblaſen. Ich ſah
auch ein von Hrn. Kilian fuͤr ſeinen eignen Gebrauch tu-
ſchirtes Exemplar von ſeiner Ausgabe der Herkulaniſchen
Alterthuͤmer.
Ich habe Ihnen oben vom Einlaß in Augſpurg
erzaͤhlt. Nun ſollen Sie auch mit mir auf den Ablaß
gehen. Da koͤnnen Sie keine Vergebung der Suͤnden
bekommen, aber kaltes Waſſer, ſo viel als Sie wollen.
Das meiſte Waſſer, was in der Stadt verbraucht wird,
iſt das Waſſer vom bayeriſchen Fluß Lech. Man hat
dazu eine halbe Stunde von der Stadt in einen Arm
vom Lech an der bayeriſchen Grenze ein Waſſerwerk ge-
baut, ihn dadurch aufgefangen, in 3. Arme getheilt, und
ihn ſo nach der Stadt geleitet. Die Holzfloͤſſe gehen
uͤber dieſe Einrichtung nach der Stadt hin. In der
Stadt ſelbſt wird das Waſſer in einem Brunnenhauſe ge-
ſammelt, und von da aus in viele einzelne Baͤche in der
Stadt vertheilt. Schon mehr als einmahl hat die Stadt
das Recht, den bayriſchen Strom auf dieſe Art abzu-
daͤmmen, dem Churfuͤrſten theuer bezahlen muͤſſen.
Die Hrn. Haid hab’ ich auch beſucht, und ihrer
Arbeit zugeſehen. Sie arbeiten mit dem Schabeiſen
und haben zum Abdruck der geſtochenen Kupferplatten
eine ſchoͤne Einrichtung. Man legt die Platte, indem
man ſie ſchwaͤrzt, auf Kohlen. Die Farbe iſt le Noir
d’Allemagne von Frankfurt. Dann wird ſie auf
das ſorgfaͤltigſte abgeputzt, ſo daß nirgends, als in den
gegrabnen Zuͤgen ein Troͤpfchen Farbe liegen bleibt. Nun
wird ſie unter eine Walze geſchoben, das genetzte Papier
daruͤber
[28] daruͤber gelegt, uͤber dieſes noch ein anderes, nun treibt
man mit einer Kurbel die Walze herum, ſie laͤuft uͤber
die Kupferplatte hin, und dadurch wird ſie abgedruckt.
Die Gewalt iſt ſo ſtet, und doch ſo ſtark, daß die Kupfer-
platte ſich von jedem Abdrucke zuſammenbiegt. Man
verſicherte mir, daß man von einigen Kupferplatten wohl
200. Abdruͤcke machen kan. Doch kommt es hierin ſehr
auf den Stich, auf die Tiefen und Hoͤhen an ꝛc.
Ich beſah auch das Magazin eines Silberarbeiters,
und lies mir von ihm beſonders zeigen, wie die Wellen-
ſtriche z. B. auf Stockknoͤpfen gemacht werden. Der
Mann zeigte mir die Maſchine dazu, und wie die Stri-
che wuͤrklich entſtehen. Allein das laͤßt ſich beſſer ſehen,
als beſchreiben. Die viele ſchoͤne Fayence, und das Por-
zellaͤn, das immer mehr Mode wird, hat dem Abgange
der Silberarbeiten in Augſpurg groſſen Schaden ge-
bracht.
Als ich dieſe Kuͤnſtler verlies. beſah ich das Rath-
haus, und kam mit Vergnuͤgen wieder herab. Schon
die Aufſchrift uͤber dem groſſen Eingange gefaͤllt dem Frem-
den: Publico conſilio, publicae ſaluti. Das
heiſt, — wenn Sie nicht Latein verſtehen, — den oͤf-
fentlichen Berathſchlagungen, dem gemeinen Be-
ſten gewidmet. Aber das ſchoͤnſte iſt die Kuͤrze und
Buͤndigkeit der roͤmiſchen Sprache. Das vorzuͤglichſte
in dieſem Hauſe iſt der goldne Saal, der 110. Schuh
lang, 58. Schuh breit, und 56. hoch iſt, und keine Saͤu-
le, kein Gewoͤlbe, und doch 60. Fenſter im 3ten Stock-
werke hat. Das ganze Gebaͤude iſt ſechsſtoͤckicht. In
dieſem Saale ſind manche Kongreſſe, Roͤmiſche Koͤnigs-
wahlen, Reichstagskonvente gehalten worden. Ueber der
Hauptthuͤre
[29] Hauptthuͤre und ſonſt an vielen Orten ſind Gemaͤlde von
Matthaͤus Kager, Sinnbilder von der Stadt, von
den Fluͤſſen bei Augſpurg, von den Wiſſenſchaften und
Kuͤnſten, von der Gerechtigkeit, vom Fleiſſe ꝛc. An ei-
nem ſieht man den Kopf des Baumeiſters. Das Rath-
haus ſteht jetzt 169. Jahr. Im goldenen Saale iſt der
Fußboden von Salzburger Marmor. Darneben ſind
4. Fuͤrſtenzimmer, die ſich alle in den goldnen Saal
oͤfnen. In jedem ſind viele Holzſchnitzereien. Das
Holz iſt gelb, und lauter kleine nur viertelzolldicke Stuͤcke
von einem pohlniſchen Maſer. In jedem Zimmer
ſteht ein ſchoͤner Ofen, von einem gewiſſen Landsberg.
Man ſollte, wenn man die vielen Figuren und Verzie-
rungen davon ſieht, alles verwetten, daß ſie gegoſſenes
Eiſen waͤren, aber an abgeſchlagenen Stuͤcken ſieht man,
daß ſie nur von Erde, und Toͤpferarbeit ſind. Einer
hat 500, der andre 800. Gulden gekoſtet, und jeder iſt
nach einem andern Riſſe verfertigt. Auch in jedem Zim-
mer iſt ein andres Deſſein. Man ſieht hier viele bibli-
ſche Malereien von Joh. Freiberger*). Im dritten
iſt die Belehnung Moritzens von Sachſen mit der
Churwuͤrde, abgemahlt, die von K. KarlV. in Aug-
ſpurg geſchah, und dieſe Stuͤcke ſind von Rothmay-
er**). Im vierten ſind die Demokratie, die Monar-
chie,
[30] chie, und die Ariſtokratie von Johann Koͤnig*) 1624.
gar ſchoͤn gemahlt. Darneben ſieht man die Gefaͤngniſ-
ſe, die ſo wie das ganze Rathhaus, mit Kupfer gedeckt
ſind. So lange Seſſion iſt, wird der Platz vor dem
Rathhauſe mit Ketten abgeſchloſſen, damit das Fahren
der Wagen die weiſen Maͤnner nicht ſtoͤren ſoll. Im
Rathszimmer ſelbſt iſt kein Ofen. Die Waͤrme kommt
von unten herauf, durch eine kupferne Platte im Fußbo-
den in der Mitte des Zimmers. Die Archonten gehen
alle ſchwarz, ſitzen nicht auf Wollſaͤcken, wie die Parla-
mentsherren in London, ſondern auf gruͤnen Kuͤſſen.
An den Waͤnden haͤngen einige bibliſche Stuͤcke von Ka-
ger, z. B. Iſabel, wie ſie von Hunden gefreſſen wird,
ſchoͤner aber iſt Simſon, dem Delila im Schlaf die
Haare abſchneidet, von Lucas Cranach 1529. auf Holz
gemahlt. Ueber den Plaͤtzen der Rathsherren hat Ka-
ger die Geſetzgeber, Numa, Solon, Moſes, Chri-
ſtus, Likurgus und Minos abgemahlt. Muß es
nicht groſſe Aufmunterung fuͤr den jungen Kuͤnſtler ſeyn,
wenn er ſieht, daß die Denkmale des Fleiſſes von geſchick-
ten Maͤnnern da aufgehangen, und bewahrt werden, wo
man zuſammen kommt, um das Beſte des Vaterlands
zu
**)
[31] zu beſorgen? In manchen Staaten denkt man gar nicht
auf ſolche Dinge, die wahrhaftig Patriotismus und Nach-
eiferung in jungen Koͤpfen erwecken koͤnnten.
Vielleicht warten Sie ſchon lange auf die Kattun-
und Zizfabrik des Herrn von Schuͤle in Augſpurg,
und ich bin ſo gluͤcklich geweſen, dieſe ſchoͤnen und vor-
treflichen Arbeiten zu ſehen. Ein koͤnigliches Haus, auf-
ſerhalb der Stadt an der Straſſe nach Muͤnchen gele-
gen, worinnen wohl 1000. Menſchen ihr Brot finden.
In allen Einrichtungen herrſcht Ordnung, Regelmaͤſſig-
keit und viel Geſchmack. Der Beſitzer iſt nicht nur ein
reicher, ſondern auch ein ſehr belebter, feiner und gefaͤlli-
ger Mann. Das Drucken der gewoͤhnlichen Kattune
geſchiehet durch Weiber. Sie tunken die Form in die
Farben, ſetzen ſie auf die Leinwand, die vor ihnen auf
dem Tiſche liegt, und ſchlagen mit einem hoͤlzernen Ham-
mer darauf. So oft die Frau Farbe genommen hat,
traͤgt ein Junge darneben neue Farbe auf, und wiſcht
ſie ſorgfaͤltig auseinander. Bei einigen Stuͤcken muß
mit dem Pinſel den Farben nachgeholfen werden. In
einigen Zimmern ſitzen beſtaͤndig Formſchneider, auch
andre, welche die alten und abgenutzten Formen wieder
ausſtechen und verbeſſern. Die ſchoͤnſten Deſſeins wer-
den auf Kupferplatten geſtochen und ſo abgedruckt. Ich
ſah zu, wie eine Kupferplatte von einer betraͤchtlichen
Groͤſſe abgedruckt ward, und bewunderte die Akkurateſſe,
die dazu noͤthig iſt. Das Glaͤtten der gedruckten Zeuge
geſchieht mit groſſen Kieſeln, die zum Theil theuer bezahlt
werden, und in hoͤlzernen Stangen eingeſetzt ſind, die
von Mannsperſonen in Bewegung geſetzt werden. Die
Kieſelſteine werden ſo glatt, und ſo heis, daß man ſie
kaum anruͤhren kan.
Bei
[32]
Bei Herrn Diakonus Steiner ſah ich eine ſchoͤne
Naturalienſammlung, beſonders Eier und ausgeſtopf-
te Voͤgel, unſre neuſten Schriften in der Naturgeſchichte,
und an ihm ſelbſt fand ich einen vortreflichen liebenswuͤr-
digen Mann, der warm und innig in der Freundſchaft
iſt. Er zeigte mir verſteinerte Knochen, mit Kalkſpat
und Quarz; Remitzneſter aus Italien, die der liebe
Mann mit mir theilte; drei Steinbrocken, die per
luſum naturae wie kleine Brote geformt, und an
einander geſetzt ſind; von Perlhuͤnern dreierlei Eier,
wovon eins in der Mitte weis, und an beiden Enden ge-
faͤrbt iſt; ein Kaſuarei, das in der ovalen Figur vom
Strauſſenei ſehr verſchieden, und Chagrinartig iſt; Trap-
peneier; ein Kranichei; das Ei vom Rohrdommel,
das olivengruͤn mit Flecken iſt; das Gukuksei; ein Ei,
das von der Zeichnung, die Hr. D.Bloch in IV. B. der
Berlin. Beſchaͤft. gegeben hat, und von dem Exem-
plar, das mir als ein Gukuksei aus dem Walde gebracht
wurde, ſehr verſchieden iſt. Wir ſprachen zuſammen
daruͤber, und der Hr. Diak. verſicherte mich, daß jenes
Ei zuverlaͤſſig das Ei der Waſſerſchnepfe ſei. Er hat-
te es auch in ſeiner Sammlung, und auch in den Zeich-
nungen des ſeel. Zorns, die Herr Steiner beſitzt, und
der bekanntermaſſen ſehr viel in der Voͤgelgeſchichte gear-
beitet hat, war Hr. Bloch’s und mein Ei als das Ei
der Waſſerſchnepfe angegeben. Das wahre Gukuksei
iſt viel kleiner. — Monſtroͤſe Eier, wie Flaſchen mit
allerhand Anſaͤtzen, ein Ei mit einer Schale in einem an-
dern Ei mit der Schale; unausgeblaſene Amphibien-
eier, die ſich, ohne ſtinkend zu werden, erhalten haben;
Hr. Pr. Webers Luft-Elektrophor, der bei einem
eingeheizten Zimmer Funken gibt. Das Hofmanni-
ſche
[33]ſche Mikroſkop, wobei wir die ſchwaͤchſte und ſtaͤrkſte
Vergroͤſſerung an einem Muͤckenfluͤgel probirten. Die
Eier blaͤſt Herr Steiner in der Mitte aus, fuͤllt ſie mit
Sand und beigemiſchter Kleie aus, und verklebt oben die
Oefnung. Zuverlaͤſſig wuͤrden die Freunde der Natur
aus der Sammlung dieſes vortreflichen Mannes viel
Schoͤnes erfahren, wenn er meine Bitte Statt finden laſ-
ſen, ſeine liebenswuͤrdige Beſcheidenheit uͤberwinden, und
uns ſeine Beobachtungen mittheilen wollte. In ſeiner
Bibliothek ſtehen die beſten Exegeten, Aſcetiker, Mora-
liſten und Prediger neben den neuſten und lehrreichſten
Schriften der Naturkuͤndiger. Wie ehrwuͤrdig wuͤrde
die Klaſſe der Prediger uͤberall werden, wenn ſich unſre
jungen Kandidaten ſo einen edlen und auf eine wahrhaf-
tig weiſe und brauchbare Art geſchaͤftigen Mann zum
Muſter nehmen, und nebſt dem Studium der Religion
auch die Offenbarungen Gottes in ſeiner Natur nicht ver-
ſaͤumen, oder irgend einen andern Zweig der Gelehrſam-
keit ſich zur Beſchaͤftigung, und zur Empfehlung waͤhlen
wollten, wie z. B. Hr. Diak. Hoͤrner an der Kreuzkir-
che, der die gelehrte Geſchichte von Schwaben bearbei-
tet, und den ich auch hier aus Dankbarkeit und Hochach-
tung nennen muß! Aber leider! ſind wir mit einer Men-
ge Kandidaten und Prediger verſehen, die ihren Dienſt
wie ein Handwerk anſehen, die dazu noͤthige Geſchicklich-
keit ſich nicht einmal mit dem Eifer, womit mancher
Kuͤnſtler und Profeſſioniſt lernt und wandert, erwerben,
und wenn ſie dann einmal eine Pfarre und eine Frau ha-
ben, die Guͤter der Kirche, die gewis manchem im Ueber-
flus gegeben ſind, in Unthaͤtigkeit verzehren, und weil ſie
an der wahren Gelehrſamkeit keinen Geſchmack finden,
zuletzt Bauern und Zehendknechte werden. Verzeihen
Zweiter Theil. CSie
[34] Sie mir dieſen Eifer! Menſchenliebe und dankbare Wert-
ſchaͤtzung meines Freundes, der mit dieſen ſogenannten
geiſtlichen Lehrern ſichtbar kontraſtirt, haben mich dazu
hingeriſſen.
In der Geſellſchaft dieſes lieben Mannes, und mei-
nes Freundes des Hrn. Chriſtoph, an der Hoſpitalkirche,
der ſeitdem wir uns kennen, auch ganz von der Groͤſſe
und Gemeinnuͤtzigkeit unſers Studiums eingenommen iſt,
beſuchte ich noch den alten Greis, Hrn. Senior Deg-
maier, der dem Tode nahe iſt, des Lebens Muͤhe und
Unruhe erfahren, und gluͤcklich uͤberſtanden hat. Der
ehrwuͤrdige Mann bedauerte nichts ſo ſehr, als daß er
ſein Gedaͤchtnis verlohren, und ſchon lange auſſer Stan-
de iſt, oͤffentlich zu arbeiten. So gewis iſt es, daß al-
lein Wirkſamkeit und Thaͤtigkeit die Mutter des Ver-
gnuͤgens iſt. „Sammeln Sie,“ ſagte er zu mir, und
druͤckte mir mit aller noch uͤbrigen Lebhaftigkeit die Hand,
„viel in Ihr Herz, und ſtiſten Sie viel Gutes fuͤr das
„Reich Gottes in der Welt. Ich weis es jetzt, daß
„uns am Ende das, und ſonſt nichts Freude machen
„kan.“ Sie koͤnnen leicht denken, mit welchen Empfin-
dungen ich dieſen langſam ſterbenden Mann, der das
Lob der Edlen und Guten mit ſich ins Grab nimmt, ver-
laſſen habe.
An Herrn von Cobres fand ich noch einen Kauf-
mann, der ſich durch eine weitlaͤuftige Bekanntſchaft mit
der Natur, und durch einen unermuͤdeten Eifer fuͤr dieſe
Wiſſenſchaft, und einen edlen Aufwand vor tauſenden ſei-
nes Standes auszeichnet. In ſeiner Bibliothek ſind
die aͤlteſten und die neuſten Schriften der Naturforſcher
bei-
[35] beiſammen *). Ich ſah da Sepp’s Inſektenwerk, und
die Flora Londinenſis, und einen ganzen Tag wuͤrde
ich im Naturalienkabinet haben zubringen muͤſſen, wenn
ich alles haͤtte beſehen wollen. Aber zur Probe nur Ei-
niges: Fiſche auf Schiefern von Verona; einen Scher-
ben aus dem italiaͤniſchen Meer mit Korallen und Tere-
bratulen bewachſen, den ein junger Baumeiſter, ein
Mann, der zur Malerei der Naturſtuͤcke viel Anlage hat,
und den ich gerne an einen reichen Mann, oder irgend ei-
nen Verleger von Naturhiſtoriſchen Werken empfehlen
moͤchte, herrlich abgezeichnet hat; unter vielen ſchoͤnen
Konchylien die Prinzenflagge; Korallen auf Meer-
eicheln; Konchylien, die mit der Saͤge aufgeſchnitten,
oder aufgeſchliffen ſind, unter welchen beſonders die Per-
ſpektivſchnecken, und die Oliven mir gar wohl gefie-
len, eine Wendeltreppe aus Frankreich mit ſechs
Windungen: Pholaden von Rimini und Trieſte; die
unaͤchte Kaiſerskrone; LiſtersRhombus ventrico-
ſus aus Malabar; eine Muſchel mit einem blauen
Cardo, die D’Argenville in ſeinen Supplementen be-
ſchrieben hat; eine Terrebratula mit ihrem Bewohner;
ſehr groſſe Schinken, ſieben und zwanzig verſchiedene
Arten aus dem Sand von Rimini; ein Pektinit aus
England, darin iſt ein Belemnit, und in dieſem noch
einer, aber das dickere Theil des zweiten ſteckt im engern
des erſten; ein Pentakrinit aus Altorf; die fuͤnf Stuͤ-
C 2cke
[36] cke der Pholaden ſo neben einander geklebt, daß man
ſie ſehen kan; ein ganzer Ammonit aus Altorf mit al-
len Cellen, und mit Schwefelkies uͤberzogen; das Ge-
biß der Meerigel, oder Laterna Ariſtotelis, und es
ſieht wirklich wie eine Laterne aus. Der Beſitzer hat
von dieſem ſchoͤnen Werke der Natur, das ich, ſeitdem
ich Baſtern geleſen hatte, immer zu ſehen wuͤnſchte,
groſſe und kleine Exemplare. Er hatte auch einige ins
Waſſer gelegt, da gingen die fuͤnf Stuͤcke von einander.
Auch laͤſt ſich der vordere Zahn auf- und abſchieben. Gar
eine kuͤnſtliche Maſchine und ein herrliches Zeugnis von
der Guͤtigkeit des Schoͤpfers gegen jeden Wurm in ſeiner
Schale. Der Anblick machte mir Freude, aber der
grosmuͤthige Beſitzer theilte ſeinen Vorrath mit mir, und
ich habe daran ein ſchaͤtzbares Andenken an ſeine Guͤte.
Und nun, meine Theureſte, verlaſſen wir Schwa-
ben, und reiſen am Lech nach Bayern. Man ſieht in
der Ferne bei heiterm Himmel die Tyroler Gebuͤrge.
Auf den Wieſen machten die Leute das dritte Gras. Ge-
gen Friedberg zu reiſt man uͤber die ſchoͤnſten Felder.
In Adelshauſen fand ich, daß Metzgersfrauen ihre
Unſchlittlichter ſelber verfertigten, und dabei etwas zu
erſparen glaubten. Auch hat in dieſen Gegenden jeder
Bauer eine eigene Fruchtputzmaſchine, wodurch ein
Mann mit leichter Muͤhe in der Scheune den Duͤnkel zur
Ausſaat, und die Gerſte zum Bierbrauen von allem Un-
rath ſaͤubern kan.
Muͤnchen ſelbſt liegt in einer Ebne, die, wenn ſie
immer gebaut worden waͤre, ſehr fruchtbar ſeyn muͤſte,
ſie hat aber keine beſonders ſchoͤne Avenue. Im Bau
der Haͤuſer iſt nicht viel Geſchmack, einige neue Gebaͤude
ausge-
[37] ausgenommen. Die Hauptſtraſſe iſt ſo eng, daß man
den Wagen kaum ausweichen kan. Der Marktplatz iſt
gros, regelmaͤſſig, und ringsum mit Gewerbslauben be-
deckt, durch die man bequem gehen kan, ſie ſind aber dun-
kel und niedrig. Einige Straſſen ſind heller, breiter,
und Nachts iſt die ganze Stadt mit Laternen, die an den
Haͤuſern haͤngen, erleuchtet. Auſſerordentlich volkreich
iſt die Stadt. Man zeigte mir ein ſchmales Haus,
worin 13. Familien wohnten. Der Aufſeher uͤber das
Bierbrauen verſicherte mich, daß alle Jahr 40000. Ei-
mer Bier in Muͤnchen gebraut wuͤrden, der Eimer haͤlt
64. Maas, das Maas koſtet 6. Kreuzer. Unter jener
Zahl iſt aber das Bier nicht begriffen, das vom Lande
eingefuͤhrt wird, auch das nicht, was der Hof ſelber braut,
auch das nicht, was Herrſchaften, Kavaliere ꝛc. brauen
laſſen, und dieſe drei Rubriken ſollen beinahe ein eben ſo
groſſes Quantum ausmachen. Man rechnet wenig, wenn
man auf einen Mann im Jahr 12. Eimer rechnet, denn
das Maas iſt klein. Viele trinken taͤglich 6, 7, andre
10-12. Maas, und Bierſaͤufer koͤnnen 18-20. Maas in
einem Tage trinken. Ein Kutſcher trinkt 3. Maas,
wenn man nur eine Viertelſtunde ausbleibt, und ihm er-
laubt, ein Glas Bier zu trinken. Offenbar hat es auf
den dicken ſchweren Koͤrper der Bayern viel Einfluß.
Viele ſind wahre Kloͤtze, rund, wie die Bierfaͤſſer ſelbſt,
und lange nicht ſo ruͤſtig, wie die Schwaben. Der
Wein, den man in den Gaſthoͤfen findet, iſt theils Oe-
ſterreicher, theils Wuͤrzburger, theils Neckarwein ꝛc.
Das Merkwuͤrdigſte in der ganzen Stadt iſt
Die Reſidenz, oder das Schlos. Auſſen ſieht es
ſchlecht wie ein Gefaͤngnis aus, aber innen iſt die Magni-
C 3ficenz
[38] ficenz unbeſchreiblich. Die ſogenannten ſchoͤnen Zim-
mer haben 100000. Louisd’or gekoſtet. Schlieſſen Sie
daraus auf die Pracht der Meublirung. Es iſt ein
Bette da, von Kaiſer KarlVII, das er als Churfuͤrſt
machen lies. Es hat 400700 Gulden gekoſtet, es ſind
24. Zentner Gold daran, und 36. Perſonen haben 7. Jah-
re ununterbrochen daran gearbeitet. Gueridons ſtehen
hier, wovon einer 2000. Gulden gekoſtet hat. Von
italiaͤniſchem Marmor, von chineſiſchem Porzellan, von
japaniſchen Vaſen ꝛc. ſieht man hier die ſchoͤnſten Stuͤ-
cke. Im Migniaturkabinet ſind 130. Stuͤcke, jedes
iſt 200. Louisd’or werth, das macht eine Summe von
234,000. Gulden *). Von vielen Migniaturen, die
hier haͤngen, ſind die Originale in Schleisheim. Man
zeigt auch einen elfenbeinernen Leuchter, den Maximi-
lianI. ſelbſt gedreht hat.
Auf der Gemaͤldegallerie ſind vorzuͤglich: die Skiz-
ze von Rubens Abnehmung vom Kreuz, davon ich
das Original in Antwerpen bewundert habe **); viele
Stuͤcke von Vandyck, Paul Veroneſe, Zucchi,
ein Chriſtuskopf von da Vinci, Rubens dritte
Frau, von ihm ſelbſt. Vieles von B. Murillo,
einem Spanier, eine Caͤcilia von Dominichino, eine
Venus und Kupido von Annib. Carracci, eine Grab-
legung Chriſti von Pouſſin, wo alle Affekten, ſonder-
lich der Schmerz des Johannes, ſchoͤn ausgedruckt
ſind; manches von Duͤrer, Holbein ꝛc. Im Eß-
zimmer
[39]zimmer ſind Buͤſten aus Marmor und Alabaſter, die
Welttheile vorſtellend; jede hat 3000. Gulden gekoſtet.
In der Kapelle iſt der Fußboden aus Marmor, Ja-
ſpis, und Porphyr; ein Altar von ſchwarzem Ebenholz
mit ſilbernen Basreliefs, die Geſchichten aus dem Alten
Teſtamente vorſtellen: ein Kaͤſtchen mit Karneolen und
Tuͤrkiſſen ganz beſetzt, die Fenſterthuͤren ſind von Fels-
kryſtallen mit eingeſchnittenen Figuren, und uͤberall ſieht
man eine Menge geſchmolzenes Gold, woran die Arbeit
unendlich, aber mit vielem Geſchmack gemacht iſt: un-
zaͤhliche Edelſteine; groſſe orientaliſche Perlen; Bluts-
tropfen Chriſti auf einem Stein; ein Finger von Pe-
trus; die Hand von Johannes dem Taͤufer; antike
Steine; viel durchbrochene Arbeit; die Kreuzigung Chri-
ſti in einer Kapſel von Holz geſchnitten: Ein Kaͤſtchen
woran 22. Pfund Gold ſind, die Basreliefs daran ſtel-
len das Paradies vor und ſind von geſchmolzenem Golde,
alle Saͤulen daran ſind gegoſſenes Gold; ein Nepo-
mukknochen, auf einem Stativ von Brillanten; noch
ſo ein Traͤger, der auf eine Million geſchaͤtzt wird. Am
Antikenkaͤſtchen ſitzen viele groſſe und kleine Antiken,
Saͤulen von Kryſtall auf Poſtementen von Laſurſtein,
darinnen etliche unſchuldige Kinder, die Herodes umge-
bracht, liegen ſollen. Eine Monſtranz, daran 23.
Pfund arabiſches Gold ſind, von herrlicher Arbeit, und
unbegreiflich ſchoͤnem Schmelzwerk. Inwendig ſoll ein
Stuͤck von der Dornenkrone ſeyn, die unſer Erloͤſer tra-
gen muſte, auch von dem Schwamm, aus dem er die
letzte Erquickung trank; Dinge, auf die freilich kein Ver-
nuͤnftiger achtet: aber die Architektur, den richtigen Ge-
ſchmack, die ſchoͤne Erfindung, die leichte Kompoſition,
C 4die
[40] die feine Manier, womit die ehemaligen Goldſchmiede
arbeiteten, kan man nicht genug bewundern. Dieſe
Monſtranz ſteht hinter dem Altarblatt, welches man auf
und niederwinden kan, ſo daß ſie davon bedeckt wird.
Eine Orgel von Silber und Gold mit Antiken, wovon
jede auf 1000. Thaler geſchaͤtzt wird. Moſaiken ſo
ſchoͤn, als Sie ſie denken koͤnnen. Ein Chriſtus am
Kreuz aus Wachs, oben uͤber ihm ein Smaragd, in
welchem die groſſen Buchſtaben J. N. R. J. Platz haben,
der Berg unter dem Kreuz iſt eine Grotte aus Edelſtei-
nen und einer gediegenen Goldſtufe. Viele andre Hei-
lige ganz aus Lapis Lazuli, eine Mutter Gottes und ihr
Kind, ganz aus koſtbaren Steinen. Knochen von
den Apoſteln hinter Saͤulen von gegoſſenem Gold mit
allen moͤglichen Farben. Viele Aufſaͤtze auf den Al-
tar, die uͤberall mit Antiken, Diamanten und Malereien
beſetzt ſind. Orientaliſche Granaten, wie Daumen.
Das Abendmahlen basrelief geſchmolzen, mit Stuͤck-
chen vom Tiſche und vom Tiſchtuch Chriſti. Elfen-
beinerne Sachen mit Korallen und Topaſen, unter wel-
chen letztern einige wie kleine Zitronen ſind. Kelche
von geſchmolzenen Gold mit Platten von Gold. Kiſten
mit allen griechiſchen Schriften. — — Vieles iſt aus
dem jetzt groͤſtentheils verſiegelten Schatz, manches aus
der Heidelberger Bibliothek hieher gebracht worden.
Im Marmorſaal ſind oben vier Schimmel ge-
mahlt, die einen uͤberall anſchauen, man mag ſtehen, wie
man will. — Man hat da einige perſpektiviſche Anla-
gen gemacht. Auch ſieht man hier die Buͤſten des ver-
ſtorbenen Churfuͤrſten und ſeiner Gemahlin. Man hat
auch da die Ausſicht in den Hofgarten, — der aber
eine
[41] eine Kleinigkeit iſt, — und auf einen Arm von der
Iſer.
Schoͤner iſt der Kaiſerſaal, wo Kaiſer JoſephI.
bei ſeiner Kroͤnung in Augſpurg etlichemahl ſpeiſete,
oder der Akademieſaal, weil da Muſik gemacht wird.
Darin ſteht eine Virtus aus Porphyr. Bei einem
Ball, welcher der Koͤnigin von Frankreich, als Dau-
phine, zu Ehren gegeben wurde, brannten hier 2500.
Lichter, man oͤfnete die Thuͤren, wodurch man auf eine
marmorne Treppe ſehen kan, die 50. Stuffen hat, wovon
jede aus Einem Stuͤck und 17. Schuh lang iſt. Auch
ſteht auf dieſer Treppe eine Bildſaͤule von Kaiſer Lud-
wig dem Bayern. Wenn das alles erleuchtet iſt, ſoll
es gar praͤchtig ausſehen. Aber leider! iſt vor 27. Jah-
ren ein groſſer Theil dieſes reichen Schloſſes abgebrannt.
Unten ſieht man auch eine Grotte im hollaͤndiſchen
Geſchmack, aus vielen tauſend Muſcheln zuſammen ge-
ſetzt. Man ſagt, ſie habe 80000. Speziesthaler geko-
ſtet, 31. Waſſer ſpringen in die Schale, und man ſieht
nicht, wo ſo viel Waſſer herkommt.
Die Stammgallerie iſt ein herrlicher mit Familien-
gemaͤlden uͤberfuͤllter Saal. Kaiſer KarlVII. iſt der
Stifter davon. Die majeſtaͤtiſche Kleidung der Alten
praͤgt Chrfurcht ein. Karl der Groſſe von Desma-
rets, KarlXII.Guſtav Adolph ꝛc. ſind auch da.
Beſonders iſt Kaiſer Ludwig der Bayer gros abge-
mahlt.
Das Antiquarium iſt ein groſſer Saal voll aufge-
ſtellter antiker Koͤpfe. Die Iſis und noch etliche andre
Gottheiten ſind da. In der Mitte ſteht eine Tafel en
C 5Mo-
[42]Moſaique von Laſurſtein, Jaſpis und Porphyr gemacht,
auf 60000. Thaler angeſchlagen, 5. Ellen lang, 6. Span-
nen breit. Schwerlich wird man in Rom etwas Schoͤ-
neres von der Art ſehen, als dieſe Tafel. Alle Staͤdte
und Schloͤſſer des Landes ſind hier abgemahlt. Man
ſieht viele alte Geſchirre, alte Kaiſer, mein und Ihr
Freund Marc Aurel Antonin iſt aus Bronze hier,
aber von einer Antike abgegoſſen; Vitellius hat ein
Schlemmer-Geſicht; Pompejus eine niedrige Stirne,
tiefliegende Augen; Julius Caͤſar und ſein Vater;
ein ſchlafender Kupido aus Alabaſter; zwei herrliche
Koͤpfe, Mann und Frau von Rom; viele ſchoͤne wohl-
proportionirte Haͤnde *) ꝛc. Wer die Kunſt ſtudiren
will, der muͤſte ſich hier einſchlieſſen, und vier Wochen
zubringen.
In der Stadt ſelber iſt in der Auguſtiner Kirche
zum Altarblatte eine ſchoͤne Kreutzigung Chriſti von
Tintoret. Aber denken Sie die Unwiſſenheit der Moͤn-
che! In ihrer eignen Kirche ſchnitten ſie das Meiſterſtuͤck
durch, und ſchaͤndeten es, um mit einer Leiter aus dem
Chor hervor ſteigen zu koͤnnen, und die Lichter zu putzen!
In
[43]
Die Kirche unſrer lieben Frauen iſt von auſſen
alt, aber inwendig ſchoͤn. Die Kanzel war eben neu
aufgeſetzt worden, und der Eingang dazu zeugt von vie-
lem Geſchmack. Im Chor iſt das Grabmahl vom Kai-
ſer Ludwig dem Bayer von Bronze. Unten liegt aber
nur das Herz des Kaiſers. Die alte Kleidung iſt ſowohl
am Kaiſer, als an den vier Soldaten, die das Monu-
ment bewachen, ſehr majeſtaͤtiſch. Das Stuͤck iſt von
eben dem Meiſter, der die Augſpurger Brunnen gegoſ-
ſen hat.
Das Haus, worin ſich die Akademie der Wiſ-
ſenſchaften verſammelt, iſt ſchoͤn, und ward zuerſt fuͤr
eine Maitreſſe erbaut. Das Naturalienkabinet iſt
reich, aber es koͤnnte in eine beſſere Ordnung gebracht
ſeyn. Manche Stuͤcke liegen dem Staube und dem Ver-
derben ausgeſetzt. Schlangen, Monſtra, Foetus, Rau-
pen ſind in Weingeiſt aufbehalten. Ein terrifizirter Ele-
phantenzahn. Aus Konchylien hat der ſpieleriſche Geiſt
des ehemaligen Beſitzers Blumenbuͤſchel zuſammenge-
ſetzt. An einigen Eiern ſind ebenfalls ſolche Kuͤnſteleien
angebracht. Schwaͤmme von Hrn. D. Schaͤfer in
Regenſpurg in Wachs abgedruckt. Viele, aber weder
mit Gyps, noch mit Baumwolle ausgefuͤllte, Fiſche.
Ein Aſter. Cap. Med. leider! in eine enge Schachtel
zuſammen gepreßt. Bayeriſche Marmor; viele Holz-
arten; manches aus Tyrol, Italien ꝛc. Ein Berg-
kryſtall 250. Pfund ſchwer aus Unterwalden ꝛc. Ei-
nige Hoͤrner auch vom Steinbock. Die ſchoͤnſte Zinn.
G[r]aupe, die ich je geſehen habe. Phyſikaliſche und
mathematiſche Inſtrumente, auch Modelle zu Kuͤn-
ſten und Handwerkern. Auch ein Muͤnzkabinet. Die
Paͤbſt-
[44] Paͤbſtlichen waren nur Abdruͤcke in Zinn, und ſchon vom
Pabſt BenediktXIV. ſind keine mehr da. — An Mit-
teln fehlt es in Muͤnchen nicht, aber die Anwendung,
der Nutzen, der dadurch geſtiftet wird, iſt zur Zeit noch
klein. Es iſt bei Hof eine Bibliothek, aber ſie wird nicht
zum allgemeinen Gebrauch eroͤfnet.
Den andern Tag fuhr ich nach Nymphenburg.
Der Weg dahin iſt eine halbe Meile durch eine Allee von
Fruchtba[ͤ]umen mit ſchiffbaren Kanaͤlen von der Ammer
zu beiden Seiten. Das Schlos iſt, wie alle in Bayern,
gros, weitlaͤuftig, und hat eine herrliche Treppe, die noch
der letztverſtorbene Churfuͤrſt gebaut hat. Inwendig
ſieht man Familiengemaͤlde von Horemanns; herrliche
Statuen von Elfenbein und Holz, die ein Bauer verfer-
tigt hat; Proben von Nymphenburger Porcellan, das
aus Paſſauer Erde gemacht wird; ſehr reiche Betten;
ein Gemaͤlde von Kaiſer JoſephI. der leider! fruͤh ſter-
ben muſte; ſehr kuͤhne Figuren von Wink; hundertjaͤh-
rige Platfonds, deren Kolorit ſich ſehr wohl erhalten hat.
In einem chineſiſchen Zimmer eine vortrefliche Ausſicht
in den Luſtgarten; im Speiſeſaal Moſaiken von einem
Zimmermann, der Maler und Stukkaturer zugleich
war, und dies iſt ein Zimmer, woran man 3. Jahre ge-
arbeitet hat, weil aber die Farben mit Zuckerwaſſer ange-
macht waren, ſo konnte man vor den vielen Fliegen und
Schnacken da gar nicht mehr ſpeiſen, bis man ſie mit
Leimruthen fing. Ein herrliches Frauenzimmer von
Vandyck; ein Kabinetchen von lauter gruͤn lakirten
Kupferſtichen; in einer andern Gallerie Gemaͤlde von al-
len Staͤdten und Schloͤſſern des Landes; ein Tiſch, der
in Florenz aus Agat, Laſurſtein, Karneols, und Jaſpis
zuſam-
[45] zuſammengeſetzt, und mit 60000. Gulden bezahlet wurde;
in eben dem Zimmer, wo dieſer Tiſch ſteht, haͤngen von
Teniers ſehr ſchoͤne Stuͤcke, z. B. gar koſtbar iſt die
Unterredung Chriſti mit dem Phariſaͤer wegen des
Schwerſten im Geſetz. Der Ketzermacher blaͤttert mit
einer redenden Begierde, und mit ſichtbarer Geſchaͤftig-
keit in der Thora, um eine Antwort auf Chriſti In-
ſtanz zu finden. Man ſieht ihm den Eifer, den hei-
ligen Ernſt, den orthodoxen Unwillen uͤber die Neuerun-
gen an. Ein Stuͤck, woran Teniers und Rubens ge-
arbeitet haben. Auch das Geſicht von Teniers Frau.
Kaminſteine, die in Paris gar praͤchtig gearbeitet ſind.
In einem Gange haͤngen zehn Gemaͤlde von Maitreſ-
ſen. Darneben eine Landſchaft von Lucas von Uden,
die unvergleichlich gemahlt iſt.
Der Garten allein erfordert etliche Stunden. Durch
eine von Marmor aufgeſetzte Kaskade iſt er geſchloſſen.
Im Schwezinger Garten iſt mehr Geſchmack,
mehr Abwechslung und Mannichfaltigkeit. Die ewigen
geradegeſchnittenen Alleen, die ſo unnatuͤrlich, ſo ſteif
und kalt da ſtehen! Am Waſſer ſtehen viele Bildſaͤulen,
und Figuren, alle von Blei und mit Dukatengold vergol-
det. Unter den Statuen, die in den Spaziergaͤngen ſte-
hen, ſind einige alt und aus Rom, andere ſind von Holz,
ſie ſollen aber alle aus Marmor aufgeſtellt werden. Im
Garten ſelber ſind wieder vier kleine Schloͤſſer: 1) Eine
Eremitage, und darin eine Grotte, ein ſimpler Altar, und
eine kleine Bibliothek; ein alter Invalid hat die Aufſicht
daruͤber. Das Beſte hier iſt eine herrliche Magdale-
na von M. A. Buonarotti. 2) Pagodenburg,
wo inwendig alle Waͤnde mit blau und weiſſen porzella-
nenen
[46] nenen Flieſſen ausgeſetzt ſind. Das Schloͤschen hat
zwei Stockwerke, ein Eßzimmer, Kabinetter, und eine
Ausſicht auf 45. Fontainen. 3) Badenburg, wo al-
les von Marmor iſt, und im Eßzimmer ſieht man antike
Kaiſerkoͤpfe. Die Badwanne iſt mit Blei ausgelegt,
ſie fuͤllt ſich uͤber Nacht ſelber mit warmen, mit kalten,
mit Seifenwaſſer, mit Milch, und hat auch wieder ihren
Abfluß. Sie iſt ſo gros, daß die Prinzen hier ſchwim-
men lernen konnten. 4) Amalienburg, das noch Kai-
ſer KarlVII. gebaut hat. Ein Speiſeſaal, Jagdſtuͤ-
cke von Horemanns, und gar vortreflich abgemahlte
Kaninchen. — Hierbei eine kleine Anekdote: Als Ama-
lienburg einsmahls erleuchtet war, wollte ein altes Weib
den Glanz des Feſts auch in der Naͤhe ſehen. Die
Wache ſties ſie zuruͤck, das Weib aber ſagte ganz natuͤr-
lich, und laut: „Ich habe geglaubt, fuͤr unſer Geld duͤrf-
ten wir auch was ſehen!“
Hr. Prof. Rittershauſen aus dem Theatiner Klo-
ſter, der mir in dieſen Tagen ſehr viele Freundſchaft er-
wies, begleitete mich nach Tiſche auch nach Schleis-
heim, das ebenfalls gros, weit, noch nicht ausgebaut,
und in einer ungeſunden Gegend angefangen iſt. Der
Garten dabei iſt viel kleiner als der Nymphenburger,
und hat auch noch ein kleines Schloͤschen, das Luſtheim
heiſt. Aber im Schloſſe ſelber ſind anderthalb tauſend
Gemaͤlde *), unter welchen keins ſchlecht iſt. In einem
Saal
[47] Saal die vorigen Churfuͤrſten zu Pferde. Thierſtuͤcke,
z. B. ein Wolf mit einer Ziege; ein Schaaf, wo man
den Pelz, die Wolle greifen koͤnne. Sandrart’s zwoͤlf
Monatsſtuͤcke. Ebendeſſelben Jaͤger mit Haſen auf dem
Ruͤcken. Als dies Stuͤck ankam, ſprang ein Hund an
dem Haſen hinauf. — So natuͤrlich iſt alles. Ein
Herkules von Spagnoletto. Ein Moſaikenkabi-
net. Gemaͤlde von einem noch lebenden Doͤrner. Die
Drehbank des verſtorbenen Churfuͤrſten. Ein Stuͤck
von Quintin Meſſis, der in Antwerpen erſt ein
Schmidt war. Chriſti Ausfuͤhrung von Alb. Duͤ-
rer, unvergleichlich kolorirt, und das Original zu Sade-
ler’s Kupferſtich, den ich in Paris im Cab. d’Eſtam-
pes du Roi ſah. Von Teniers ein Markt in einer
niederlaͤndiſchen Stadt. Es ſind gewis uͤber tauſend
Figuren darauf, Koͤpfe, Vieh, Buden, Thiere, Wa-
gen, Karren, Chaiſen ꝛc. und alles ſo leuchtend, ſo deut-
lich, ſo ſichtlich, ſo kennbar! Von Tintoret eine Ma-
ria, wie ſie unter dem Kreuze weint, da iſt das Wuͤhlen
und Toben des Schmerzes im Mutterherzen unnachahm-
lich ausgedruͤckt. Von Alb. Duͤrer zwei Apoſtel mit
einem Buche in der Hand, und einem Faltenwurf im
groſſen Styl, und doch in der Naͤhe ſo glatt gemahlt,
als wenn die Stuͤcke geſchliffen waͤren! Unter vielen Fa-
miliengemaͤlden haͤngen zwei Bataillenſtuͤcke, die mit
unendlicher Muͤhſamkeit gemacht ſind. Auch ein Cur-
tiusſe devovens von 1540. Baͤren von Domi-
nicus Nollet. Tod und Gericht von Frank, wo
alle Kuͤnſte und Wiſſenſchaften geſtuͤrzt da liegen. Ein
Bergſtuͤck von Schoͤnefeld. Bildniſſe franzoͤſiſcher
Koͤnige von Rigaud. Vieles von Holbein, Otto
Veen
[48]Veen ꝛc. Eine ſterbende Maria von Sandrart,
die klagenden Weiber jammern und liegen um das Bett
herum, Petrus kniet unten, und betet. Die Genauig-
keit des Malers hat ſogar den Staub, der an der nack-
ten Fußſohle des Morgenlaͤnders klebt, ausgedruͤckt. Loͤ-
wen von Abr. Janſen mit ihrer ganzen natuͤrlichen
Grosheit. Ein alter Mann von Rembrandt.
Ein juͤngſtes Gericht von Poelemburg. Apoſtel
von Rubens. — Dies ſind nur einige von den Stuͤ-
cken im Untertheil des Schloſſes, die mir beſonders ge-
fielen.
Auſſerordentlich reich aber iſt das Flamlaͤndiſche
Kabinet, wo nur von den groͤſten Meiſtern Prachtſtuͤ-
cke aufgeſtellt ſind. Eine Feuersbrunſt von Bril.
Ein Blumenſtuͤck mit ungemein gluͤcklich gewaͤhlten Far-
ben, von Breughel. Von Rubens zwei Koͤpfe, die
dem Manne ewig Ehre machen. Von Teniers ein
ſaufender Bauer. Von Van Huyſum zwei Blumen-
ſtuͤcke, davon jedes 2000. Gulden koſtet. Von Franz
Mieris eine Frau im Sammtkleide, das gar natuͤrlich
dahin gezaubert iſt. Von eben dieſem ein beſoffener
Bauer, dem man, je laͤnger man ihn betrachtet, die
Beſoffenheit immer mehr anſieht. Er lehnt ſich an, die
Zunge iſt ihm ſchwer, die Augen rollen ihm im Kopfe
herum, die Minen reden Sinnloſigkeit, und das ganze
Geſicht druͤckt das Seelenvergnuͤgen, die guͤldenen Traͤu-
me, die gaͤnzliche Vergeſſenheit des Beſoffenen aus.
Man muß lachen, wenn man das Stuͤck anſieht. Von
Gerhard Douw viele Stuͤcke, die mit der groͤſten Wahr-
heit gemacht ſind, z. B. ein Korb zum Wegnehmen oder
Anfaſſen!
[49] Anfaſſen! Von Rubens noch einmahl Petrus und
Paulus. Eine Lukretia von Giordano. Der
Bethlehemitiſche Knabenmord, Rubens ſchoͤnſtes
Stuͤck auſſer der Abnehmung vom Kreuz ꝛc. Man
muß uͤber die Phantaſie des groſſen Mannes, aber noch
mehr uͤber die Leichtigkeit, womit er alles hinwarf, er-
ſtaunen. Wie die Weiber mit den Soldaten umgehen!
Wie ſie ſie hernehmen, ihnen in die Haare, ins Geſicht
fallen, ſie in den Arm beiſſen, ſie anpacken, wie gereitzte
Tyger! Es faͤllt in die Augen, daß in der Seele des lie-
benswuͤrdigen Kuͤnſtlers Gedanken und Bilder ſich
draͤngten, wie Wellen auf Wellen ſtuͤrzen. Dieſem feu-
rigen Stuͤcke gegenuͤber haͤngt ein herrliches Frauenbild
von Vandyck, das eben ſo ruhig, feſt und beſtimmt
iſt, als jenes hinreiſſend und uͤberwallend.
Nach dieſem folgt noch die Gallerie, und erlauben
Sie mir, nur noch einige Stuͤcke auszuzeichnen. Die
Geſchichte der Ehebrecherin von Lukas Cranach. Da
bringt ein Phariſaͤer, ein abſcheulicher Boͤſewicht, mit
einem greulichen abgefeimten Geſicht, ſo recht wie ein
Erzbonze, ſchon einen Hut voll Steine, und will eben
auf das arme Weib werfen, und Chriſtus ſteht ſo ruhig,
ſo mitleidig, ſo menſchlich darneben, und winkt nur. Ei-
ne Dido mit dem Aſkanius und Aeneas von Laireſ-
ſe. Zwei herrliche Dominichinos, naͤmlich Herku-
les, wie er ſpinnt, und ein raſender Herkules. Von
Vandyck ſeine eigene Frau, ein KarlV. und Correg-
gio’s heilige Familie, die ſich gleich vor allen andern aus-
zeichnet.
Zweiter Theil. DUnter
[50]
Unter ſo vielen ſchoͤnen und reizenden Gegenſtaͤnden
hatte ich auch das Vergnuͤgen, den Hrn. Sekretaͤr Zau-
pſer kennen zu lernen, der die Ode auf die Inquiſition
geſchrieben hat. Er hat daruͤber manche Verfolgungen
und Schmaͤhungen ausgeſtanden. Die Pfaffen ſchrien
alle dagegen, und paukten auf ihrer Kanzel, wiewohl er
unter dem Schutze der Obrigkeit ſicher war. Die ge-
woͤhnlichen Waffen des Aberglaubens, und der ſcheinhei-
ligen Dummheit, wenn ſie gezuͤchtigt und in ihrer Bloͤſ-
ſe dargeſtellt werden! *)
Die Ruͤckreiſe ging uͤber Schwabhauſen, Aichach
und Holzheim nach Donauwerth. Eine der ange-
nehmſten Straſſen, die ich je gewandelt habe, voll Ab-
wechslung und Mannichfaltigkeit. Man ſieht das fol-
gende Dorf ſchon wieder, wenn man kaum das vorige
verlaſſen hat. Winterweitzen und Winterkorn waren
ſchon wieder hoch uͤber der Erde. Die Hopfenſtangen
wurden im Felde auf Haufen zuſammengeſtellt. In
manchen Haͤuſern fand ich recht geſunde Grundſaͤtze der
Erziehung, die ich in Bayern nicht vermuthet haͤtte.
Die Kinder werden ſehr zum Reſpekt gegen die Eltern ge-
woͤhnt.
[51] woͤhnt. Ich fand Stallknechte ſo religioͤs, daß ſie, als
die Glocke um 12. Uhr gelaͤutet wurde, vor der Haberki-
ſte niederknieten, und ihr Gebet verrichteten. Das
Staͤdtchen Aichach hat 200. Buͤrger, braut alle Jahre
800. Eimer Bier, und gibt davon als Ohmgeld an den
Churfuͤrſten, vermoͤge einer Konvention, 600. Gulden.
Auf dieſem Wege ſah ich auch einer Bayeriſchen
Kirmes oder Kirchweihe zu, und ich wuͤnſchte, Sie
haͤtten die Bayeriſchen Taͤnze geſehen. Mit der groͤſten
Ehrerbietung fragte ich erſt um Erlaubniß, ehe ich mich
auf den Tanzboden wagte, aber die Bauerkerl waren
hoͤflich, und boten mir ihre Taͤnzerinnen an, wenn ich
Luſt gehabt haͤtte. Allein ich glaube, das Blut waͤre
mir aus allen Adern hervorgedrungen, wenn ich nur eine
Viertelſtunde ſo haͤtte raſen ſollte, wie dieſe. Wer am laut-
ſten ſtampfen, und am Ende das Maͤdchen recht herzhaft
aufheben, und es wieder auf den Boden ſtoſſen konnte,
daß das Haus zitterte, der war Meiſter in der Kunſt,
und bekam das ſchoͤnſte Band auf den Hut. Doch be-
merkte ich nicht die geringſte Verletzung des Wohlſtandes
oder der Ehrbarkeit.
Bei Donauwerth kommt man auf beiden Seiten
der Stadt etlichemahl uͤber die Donau, und von dort
ging der Weg nach Dillingen uͤber die ſchoͤnſten Frucht-
felder hin. Anderthalb Stunden vorher iſt das Staͤdt-
chen Hoͤchſtadt, wo 1703. unſre Nachbarn, die Franzo-
ſen, nach Verdienſt geklopft wurden. Sie koͤnnen leicht
denken, daß ich mit wahrem deutſchen Patriotismus uͤber
die Graͤber der Franzoſen hinritt. —
D 2In
[52]
In Dillingen ſelbſt merkte ich nichts von der Uni-
verſitaͤt. Die Studenten waren meiſt in den Ferien.
Ich ſah aber einer Exekution zu, die mir von der Polizei
der Stadt einen ſchlechten Begriff machte. Ein Dieb,
der Eicheln im Walde vor der Zeit geſtohlen hatte, ward
auf dem Markte mit den Fuͤſſen in den Block geſpannt,
die Haͤnde aber waren ſo ſchlecht und nachlaͤſſig einge-
zwaͤngt worden, daß er ſie losmachen, und mit Steinen
auf die umſtehenden Buben werfen konnte. Man er-
laubte ihm dies, ſo wie die boͤſen und zornmuͤthigen Reden,
die der Kerl ausſties. Das Gerichtshaus war der Sce-
ne gegenuͤber, und doch ſtand keine oͤffentliche Perſon da-
bei, die den Dieb in der Furcht erhalten haͤtte. Natuͤr-
lich machte die Strafe unter dieſen Umſtaͤnden gar keinen
Eindruck auf die Zuſchauer, und dieſer Akt der ſtrafen-
den Gerechtigkeit verwandelte ſich in eine Opera buffa
oder in ein Poſſenſpiel fuͤr den Poͤbel. Was nuͤtzen denn
Strafen, wenn der Richter nicht einmal ſo viel Klugheit
hat, ihnen ein feierliches Anſehen zu geben, und wenn
dem Miſſethaͤter noch geſtattet wird, in dem Augenblicke,
da er Strafe leiden ſoll, ſeinem Muthwillen auf die al-
lergroͤbſte Art freien Lauf zu laſſen?
Auf dieſer Straſſe traf ich eine eigne Spielart von
Schweinen an, die faſt am ganzen Leibe roth, fuchs-
roth, und ſehr klein waren. Die Leute ſollten die Gat-
tung durch Eber aus andern Gegenden verbeſſern. Man
ſagt auch, daß in Bayern faſt alle Schweine die Finnen
haͤtten. Ueberhaupt ſollte ſich die Polizei mehr um die-
ſes Thier bekuͤmmern, weil es in der Haushaltung des
Bauern unentbehrlich, und doch mehr als irgend ein oͤko-
nomiſches Thier zu Krankheiten geneigt iſt.
Der
[53]
Der Weg nach Giengen und von dort nach Hei-
denheim iſt bergicht und auch waldicht, und beſchwerlich.
Aber dann folgt das herrliche Thal um Koͤnigsbrunn,
das von der Kocher, von der Brenz, und von dem
Fluͤßchen Aal durchwaͤſſert wird.
Ich eilte nach der Reichsſtadt Aalen, wo ich an
Hrn. Stadtſchreiber Schubart einen alten guten Freund
hatte, in deſſen Geſellſchaft ich nicht nur ausruhen, und
das ſuͤſſe Vergnuͤgen der Freundſchaft genieſſen, ſondern
auch die ſchoͤnen Koͤnigsbrunner Eiſenwerke beſehen
wollte. Ich muß dieſer Reichsſtadt Aalen viel Gutes
nachſagen. Sie iſt klein, aber wohl eingerichte[t]. Sie
hat keine Schulden und in den Kaſſen iſt Geld. Die
Lebensart iſt frei, munter, und im geringſten nicht Reichs-
ſtaͤdtiſch. Der Ort liegt ſo, daß beſtaͤndig eine ſtarke
Paſſage nach Stuttgard, Nuͤrnberg ꝛc. iſt. Alle
Donnerſtage Vormittags iſt Rathsſeſſion, und die Ge-
ſchaͤfte gehen ihren ordentlichen Gang. Die Polizei iſt
gut, und auf alles aufmerkſam. Zum Beweis dient die
wahre Bemerkung, daß ich in dieſer Stadt in zwei Ta-
gen nicht ein einzigesmal angebettelt worden bin, wiewohl
ich grade auch hier zur Kirchweihe kam, wo den Leuten
am Ende der muͤhſamen Feldgeſchaͤfte Muſik, Tanzen,
Freiſchieſſen, Schmauſereien ꝛc. geſtattet werden. Der
Burgermeiſter iſt ein ſehr vernuͤnftiger Mann, und be-
handelt z. B. die Waldungen, die der Stadt gehoͤren,
mit der groͤſten Sparſamkeit. Er hat dem Anſuchen der
Buͤrger, die Hut- und Weidgerechtigkeit im Walde zu
geſtatten, bisher, aller Beiſpiele der Nachbarn ungeach-
tet, immer widerſtanden, und laͤßt den jungen Anflug
D 3des
[54] des Holzes ſorgfaͤltig einſchlieſſen, damit bei der ſtarken
Konſumtion der Holzkohlen auf den Wuͤrtembergiſchen
Eiſenwerken doch fuͤr ſeine Nachkommenſchaft geſorget
wird. Wenn Kirchengeſchaͤfte vorkommen, wird eine
auſſerordentliche Rathsverſammlung gehalten, und die
Geiſtlichen darzu gezogen, ſo daß die Sache auf den Fuß
der proteſtantiſchen Konſiſtorien behandelt wird. Ehe
die Rathsſeſſion anfaͤngt, muß der Syndikus allemal
einen eigenen Morgenſegen vorleſen. Dann nimmt
man erſt die Geſchaͤfte vor. Ich finde dieſe alte Einrich-
tung ſehr gut. Unſre Vorfahren wuften, daß Religion
und Gottesfurcht der ſtaͤrkſte Antrieb zur Rechtſchaffen-
heit und Gewiſſenhaftigkeit iſt. Daher flochten ſie die
Religion uͤberall mit ein. In unſern Zeiten iſt man ſo
ſtolz worden, daß man ſich der Verehrung Gottes an oͤf-
ſentlichen Orten ſchaͤmet; aber die betruͤbten Wirkungen
dieſer eingebildeten Aufklaͤrung vervielfaͤltigen ſich leider!
auch alle Tage. Man denkt hier auch ernſtlich auf die
Verbeſſerung der Schuleinrichtungen, und man ſprach
eben ſo eifrig von der Einfuͤhrung eines neuen Geſang-
buchs, wozu ich den lieben Leuten auch das Geſangbuch
meines Vaters ſchicken muſte. Der Wall um die Stadt
iſt dem Fremden ein angenehmer Spaziergang mit einer
ſchoͤnen Ausſicht auf die umliegenden Gegenden. In
der Stadt wird viel wollenes Tuch oder Fries gemacht,
auch wird viel Baumwolle von den Handelsleuten aus
Wien ꝛc. die mit Wagen hierher kommen, geſponnen,
gekauft, und als geſponnenes Garn verkauft.
Auf dem Grunde und Boden der Stadt ſind die er-
giebigen Eiſengruben, in welchen das Haus Wuͤrtem-
berg
[55]berg von alten Zeiten her das Recht hat, Stuferz zu gra-
ben. Doch gehoͤrt die Jurisdiktion auf dem Platze noch
jetzt der Reichsſtadt Aalen, und man weis ſie zu be-
haupten. Die ganze Gegend, und jeder Feldweg hier-
um iſt roth von Eiſen. Man hat ſchon ganze Berge
ausgehoͤhlt. Ausgemacht iſt es, daß Wuͤrtemberg
dem Buͤrger, unter deſſen Aecker oder Wieſe gegraben
wird, etwas bezahlen muß, weil der Boden leicht abſtuͤrzt.
Alle Jahre werden wenigſtens 130,000 Zentner Stuferz
da ausgegraben, und Wuͤrtemberg zahlt der Stadt
nichts, als vom Zentner 2 Kreuzer Weggeld.
Um dieſe Gruben zu beſehen, ging ich nach dem
Brundel, einem kleinen Huͤgel vor der Stadt, oder nach
dem ſogenannten Burgſtall, weil K. FriedrichI.der
Rothbart hier ſeine Burg gehabt haben ſoll. Er ſteht
auch auf dem Brunnen der Stadt ausgehauen. Man
hat auf der Stadtſchreiberei noch einen alten Seſſel, der
eine Reliquie von dieſem Kaiſer ſeyn ſoll. Als man ein-
mal auf dem Berge grub, fand man nicht nur roͤmiſche
Silbermuͤnzen, ſondern auch allerlei Kuͤchengeraͤthſchaf-
ten und ein groſſes Kaiſerliches Inſiegel, das durch ei-
nen Zufall verlohren gegangen ſeyn muß. Ich ging in
einen Stollen, der mehr als 1000. Schritte lang war.
Die Schachte ſind 13.-15. Lachter tief. Die Leute ar-
beiten 9. Stunden, und erhalten fuͤr die Stunde nicht
mehr, als 2. Kreuzer. Ihre Werkzeuge ſind, wie ge-
woͤhnlich, Schlaͤgel, Faͤuſtel, Keile. Selten wird in
der Nacht gearbeitet. Der Stollen wird mit Tannen-
holz ausgezimmert, der Gang iſt etwa 5.-9. Schuh
maͤchtig, und unter dieſem liegen Steine die roth ſind,
D 4die
[56] die aber nicht als Erz genuͤtzt werden koͤnnen. Man kan
nicht uͤberall im Stollen aufrecht ſtehen! Die Arbeiter
haben Lampen von Rebsoͤl, und an dieſen Lampen, die
ſie Tiegel nennen, wiſſen ſie in der Tiefe die Zeit. Ei-
ne brennt gemeiniglich einen halben Tag. Jede Woche
braucht der Mann ein Pfund Oel, auch wohl mehr.
Von ungeſunden Duͤnſten ſagten mir die Arbeiter nichts,
doch koͤnnen nicht alle das Arbeiten in den Gruben aus-
halten. Aus dieſen Gruben wird das Stuferz nach Koͤ-
nigsbrunn, oder zu den Brenzthaler Werken, die hier,
in Heidesheim, und in Belberg ſind, auf der Achſe
gefuͤhrt, und dort verſchmolzen. Die Brenz iſt dort
nicht ſehr gros, und treibt doch gleichwohl 2. Oefen,
und 6. Hammer. In einem Ofen koͤnnen wohl 200.
Zentner auf einmahl geſchmolzen werden. Der Stein,
womit ſie’s in Fluß bringen, iſt ein gemeiner Kalkſtein,
der dort gegraben wird. Mit Holzkohlen, welche die
einfaͤltigen Leute Steinkohlen nennen, wird gefeuert.
Daher kaufen viele Leute den umliegenden Herrſchaften
das Holz ab, und verkohlen es im Walde. Man gieſt
hier Maſſeln, Platten, Kugeln, Oefen, viel kleines
Kuͤchengeſchirr ꝛc. der Zentner vom gegoſſenen Eiſen, z.
B. an Oefen, koſtet 20. Gulden. Die Herzogliche Kam-
mer verpachtet das ganze Werk an einen Faktor. Der
Abſatz iſt gros, und die Waaren ſind unſtreitig ſchoͤn.
Auſſerhalb Deutſchland gehen ſehr viele Oefen nach
Holland ꝛc. Sie wiſſen ihnen allerlei Façons zu ge-
ben, und ſchoͤne Farben aufzutragen, ſetzen ſie wieder ins
Feuer, und laſſen dieſe verglaſen. Auch hier macht
man aus den Farbenmiſchungen ein Geheimnis, die Ma-
terialien dazu ſind die gewoͤhnlichen aus dem Mineral-
reich.
[57] reich. Man ſagt, daß ſie’s von Italiaͤnern gelernt ha-
ben. Der Zentner Stuferz hat 75, 80, ja ſchon 90.
Pfund Eiſen gegeben, und doch ſind die Proben, die ich
fuͤr meine Sammlung mitgenommen, und mir im Stol-
len ſelber losſchlagen lies, nicht beſonders ſchwer. Die
aus dem Ofen herausgeſchafte Schlacken werden auf die
Puchwerke gebracht, und gewaſchen, weil darin noch viel
Eiſen ſteckt, aber von den letzten Schlacken wiſſen ſie kei-
nen Gebrauch zu machen. Die Brenz und die Pfefer
treiben, wie geſagt, die Waſſerwerke, welche die Haͤm-
mer treiben. Unter den Hammer kommt oft ein Bro-
cken von 125. Pfund. Seit wenigen Jahren hat ein
Mann von Kopf, Hr. Faktor Blezinger einen Waſſer-
bau ganz von Eiſen angegeben, und gluͤcklich zu Stande
gebracht. Nur die unterſten Traͤger ſind von Holz, aber
auf Steinen aufgeſetzt. Das uͤbrige alles, Raͤder, Gaͤn-
ge, Schaufeln, ein Werk von mehr als 80. Schuh lang,
iſt alles von gegoſſenem Eiſen. Wenn es nicht zuſam-
men roſtet, und dadurch in kurzer Zeit unbrauchbar
wird, ſo iſt es einzig in ſeiner Art, und macht Deutſch-
land und den Schwaben Ehre. Eben dieſer Mann
hat auch eine Statue vom jetztregierenden Herzog von
Wuͤrtemberg gegoſſen. Sie iſt aus purem Eiſen,
vergoldet, ſtellt Sr. Durchlaucht zu Fuß vor, und ſteht,
wie man mir ſagt, — denn geſehen hab’ ich ſie nicht,
— zu Hohenheim.
Von Aalen, und aus den Umarmungen meines
Freundes, reißte ich fort nach Schwaͤbiſch Gemuͤnd,
wieder eine Reichsſtadt, ziemlich gros, mit vielen ſchoͤ-
nen Haͤuſern, breiten Straſſen, und von den bekannten
D 5Sil-
[58] Silberarbeitern bewohnt. Ehe man hinkommt, reißt
man hie und da an Waldungen vorbei. Auſſen vor
der Stadt werden viele neue Haͤuſer gebaut, wodurch
ſie ſehr verſchoͤnert wird. Da faͤngt auch das herrliche
Ramsthal an, das von einem Fluͤßchen den Namen
hat. Unbeſchreiblich ſchoͤn ſind dieſe Gegenden. Zur
rechten Hand ſteigen immer die ſchoͤnſten Weinberge in
die Hoͤhe, und linker Hand ſind Wieſen, Felder, und
das Waſſer darzwiſchen, das alles belebt und erfriſcht.
An eben dem Tage, da ich dies herrliche Land durch-
ſtreifte, war die Weinleſe angegangen, und auch der
Fremde kan bei der Hoͤflichkeit und allgemeinen Mun-
terkeit der Einwohner an dieſen Freuden Theil nehmen.
Ich fand da unter andern auch eine rothe Claͤfner
Traube, die einige weiſſe und doch zeitige ſuͤſſe Beeren
zwiſchen ihren uͤbrigen rothen hatte. Vermuthlich iſt
bei dem ungleichen Bluͤhen, woruͤber man dieſes Jahr
geklaget hat, Blumenſtaub von einer gemeinen weiſſen
Claͤfner Traube heruͤbergeflogen. Der Weg fuͤhr-
te mich durch Lorch, wo eine reiche Abtei iſt, wovon
der jedesmalige Kanzler in Tuͤbingen, Abt iſt. Auſ-
ſer ſeiner Weinbeſoldung hat dieſer Praͤlat noch, ver-
moͤge alter Stiftungen, 24. Eimer Wuͤrtembergiſchen
Wein unter dem Namen Schlaftrunk, womit er, wie
man ſagt, ehemals den Geſandten oder andern vorneh-
men Perſonen, die da uͤber Nacht blieben, die Zunge
loͤſen, und Geheimniſſe ablocken ſollte. Ich dachte an
das, was Pope ſagt:
‘„Abteien im Schatten der Weinſtoͤcke, wo
„die Aebte des Nachts roth, wie ihre Weine,
„ſchimmern!“’ ()
Schorn-
[59]
Schorndorf war ehemals feſt, und iſt jetzt ein
Landſtaͤdtchen. Eben ſo Waiblingen, und mancher
andrer Ort an der Straſſe. Canſtadt liegt von wei-
tem ſehr ſchoͤn, in einem Thal am Neckar, der hier
ſehr breit wird, durch einen Damm, den man in den
Strom gebaut hat. Aber man betruͤgt ſich in der Er-
wartung. Die Stadt iſt finſter, eng, am ſchoͤnſten
iſt es vor der Stadt, auſſen am Neckar, wo das Rau-
ſchen des Stroms in der ſtillen Nacht ſehr angenehm
iſt. Im Poſthauſe iſt ein Brunnen mit einigen Roͤh-
ren in der Wirthsſtube, und dabei ein Fiſchkaſten fuͤr
Aale, Hechte ꝛc. Finden Sie das nicht ſehr bequem?
Auch hier belebte der Herbſt alles. Man hoͤrte im-
mer das freudige Schieſſen, Raketen ſtiegen in die
Hoͤhe, und kleine Feuerwerke wurden am Waſſer ange-
zuͤndet.
Als ich nach Hauſe kam, bluͤhete (im Oktober)
in unſerm botaniſchen Garten Curcuma longa L.
eine Pflanze, die Linne’e ſchwerlich in der Bluͤte
geſehen hat. Die Bluͤte kam unten aus dem Sten-
gel, die Blumenblaͤtter waren weis, ſehr zaͤrtlich,
eine Bluͤthe ſteckte in der andern, und ſie verwelk-
ten bald.
Da haben Sie nun, meine Beſte! die kleinen
Bemerkungen, die ich geſammelt habe. Wollte Gott,
daß Sie einmal in dieſer ſchoͤnen Jahrszeit zu mir kom-
men, und ſo mit mir durch Berg und Thal, durch
Feld und Wald, durch Staͤdte und Doͤrfer reiſen koͤnn-
ten! Wie vergnuͤgt wuͤrden wir ſeyn! Wie vieles wuͤr-
de
[60] de ich in Ihrem Umgange lernen! Wie viel wuͤrden
Sie in Kunſt- und Naturalienſammlungen bemer-
ken, das mir entgangen iſt! Ach, daß wir ſo viele
gute Wuͤnſche erſticken muͤſſen! Leben Sie indeſſen recht
wohl, und verzeihen Sie meine Weitlaͤuftigkeit.
Tagebuch
[[61]]
Tagebuch
der Reiſe
durch
Franken, Ober- und Nieder-Sachſen
und
Heſſen.
Im Jahre 1780.
Tagebuch
der Reiſe durch
Franken, Ober- und Nieder-Sachſen
und
Heſſen.
Im Jahre 1780.
[[62]][[63]]
Reiſe von Carlsruhe nach Nuͤrnberg.
Den 24ſten Jul.
Heute langte ich von Carlsruhe in Stuttgardt an.
Ich war im J. 1773. ſchon einmal ein Paar Tage
hier und lernte die Stadt ziemlich kennen. Daher war
mirs jetzt, und da ich beim weiter hinausgeſteckten Ziel
meiner Reiſe mich hier nicht lange verweilen konnte, nur
darum zu thun, das zu beſehen, was damals noch nicht
exiſtirte, und dies war die
Herzogl. Militairakademie*). Was die Welt
von dieſem Inſtitute ſchon weis, oder aus andern Schrif-
ten **) erfahren kan, mag ich hier nicht wiederhoh-
len,
[64] len, nur ſagen, was ich bemerkte. Der Intendant und
Obriſte, Hr. von Seger, iſt ein Mann von groſſen Ga-
ben, wird aber auch in Allem vom Herzoge nachdruͤcklich
unterſtuͤtzt. Alles iſt hier auf militairiſchen Fuß und
nach der ſtrengſten Taktik eingerichtet. Das Aufſtehen
der Eleven, ihre Unterweiſung, ihr Speiſen, — ſo gar
ihr Gebet bei Tiſch, — ihr Schlafengehen; kurz alles.
Sie ſind in Diviſionen abgetheilt. Jede davon hat ih-
ren Offizier oder Aufſeher. Sie marſchiren Kolonnen-
weiſe, mit ihren Aufſehern an der Spitze, zu und von Ti-
ſche. Mit einem Tempo falten alle die Haͤnde zum Ge-
bet, ruͤcken den Stuhl, ſetzen ſich nieder u. ſ. w. So
ſonderbar dies Manchem im erſten Augenblicke ſcheinen
moͤchte; ſo hats doch ſeinen gar groſſen Nutzen. Die
jungen Leute werden in fruͤhen Jahren an Ordnung in ih-
ren Geſchaͤften, und an eine gute Eintheilung ihrer Zeit
gewoͤhnt; Eigenſchaften, die ſie hernach gewis ihr gan-
zes Leben hindurch nicht ablegen. Man gewoͤhnt ſie fer-
ner zur Hoͤflichkeit und Lebensart. Sie duͤrfen keinen
Namen nennen, ohne ein Ehrenwort vorzuſetzen. Man
macht daher unter Eleven von vornehmerer und geringe-
rer Geburt keinen Unterſchied. Es waren jetzt ein paar
junge Grafen von Iſenburg hier: ſie wurden gemeinen
Kindern gleich gehalten. Man ſucht einen edlen Stolz
bei ihnen zu erwecken, um ſie dadurch zum Fleis und gu-
ten Betragen anzuſpornen. Sechs bis 7. ganz eminen-
te Juͤnglinge ſah ich an einem eigenen Tiſche ſpeiſen. *)
Beim Unfleiß und andern Vergehungen werden ihnen
papierne
[65] papierne Schandzeichen angeheftet. Fuͤr ihre Geſund-
heit traͤgt man die groͤßte Sorgfalt. Sie werden zu al-
len Leibesuͤbungen angefuͤhrt; ſie haben einen Platz zum
oͤffentlichen Baden in Badekleidern; auf onanitiſche Ver-
ſuͤndigungen wird ſcharfe Obſicht genommen. Schon
um 8. Uhr muͤſſen ſie ſich niederlegen, aber um 5. Uhr
wieder aufſtehen. Heute Abend ſah ich ſie ſaure Milch
und Suppe ſpeiſen, und bloßes Waſſer trinken. Jetzt
waren ohngefaͤhr 300. Eleven von allen Nationen hier,
und darunter ſogar der Sohn eines Protopopen: desglei-
chen 2. Enkel des ſeel. Kanzlers von Mosheim und
Soͤhne des Churhannoͤveriſchen Geſandten dieſes Na-
mens *) am hiefigen Hofe. Man zeigte mir verſchie-
dene Arbeiten der jungen Leute, Kupferſtiche, Malereien,
einen Anfang zu einer Flora Würteb. Aber klein
ſind die Beſoldungen der Lehrer von 300. bis 700. Gul-
den Reichsgeld. — **)
Den 25ſten Jul.
Da Naturgeſchichte immer einer der Hauptzwecke
aller meiner Reiſen iſt, ſo beſah ich heute auch das
Naturalien-
Zweiter Theil. E
[66]
Naturalienkabinet des Hrn. Prof. Roͤslers.
Ich fand darin beſonders: — Ammonshoͤrner von
Aalen und Kirchen, die durchſchnitten ganz marmorirt
waren. — Dergl. von Aalen, die ſo viel Eiſen haben,
daß ſie mit andern Stuferzen ſch[m]elzen. Sie ſind ſehr
ſchwer, und oft faſt ganz ſchwarz. — Kobold. Er
hat nicht einmal immer einerlei ſpecifiſche Schwere, die
doch ſonſt jedes Metall hat. — Japaniſche Muͤnzen.
In die eine Haͤlfte der Muſchelfchaale klebt der Japane-
ſer ein mit Farben und Gold gemahltes duͤnnes Haͤutchen
oder Papierſtuͤck.
An Kunſtſachen zeigte mir der Beſitzer 1) Tie-
demann’s Tubus. Man konnte dadurch in der Stadt
die Traubenbeeren an den Stoͤcken in den Weinbergen
ſehr hell und deutlich erkennen. Der Verfertiger iſt hier
Kirchenmeßner. 2) Brander’s Goniometer, der
130. Gulden koſtet und wobei man keine Horizontallinie
braucht. 3) De la Lande’s Rhomboidalnetz, zu Meſ-
ſung der Sternwinkel, von Brander in Augſpurg in
Glas geſchnitten. Der Beſitzer meint, der Kuͤnſtler
ſchneide ſie mit Kupferſtiften.
Hierauf wohnte ich der
Komiſchen Oper, der luſtige Schulze im Dor-
fe bei. Das Stuͤck ward von Eleven und Stadtmaͤd-
chen aufgefuͤhrt. Man faͤngt um 4. Uhr ſchon an,
und nach 6. Uhr iſt alles aus. Das hitzige Ballet-
tanzen hinten nach kan den jungen Leuten nicht geſund
ſeyn. —
Den
[67]
Den 26ſten Jul.
Heute Vormittags beſah ich die Gegend zwiſchen
Stuttgard und Kanſtatt. Sie ſcheint ein ausgetrock-
netes Sumpfmoor zu ſeyn, doch aber noch kein wahrer
Torf, mehr Kalk und Sand, als Petrolium; man be-
merkt aber eine Menge Wurzeln ꝛc. die zum Theil noch
gruͤn ſind, und da, wo ſie in den Steinbruͤchen der Luft
ausgeſetzt ſind, wieder reviresziren.
Kanſtatt muß einen herrlichen Salzſchatz in ſeinen
Gebuͤrgen haben, es iſt eine Menge mineraliſcher Waſſer
da. Einige warme Quellen im Muͤhlenbach machen,
daß das Waſſer auch im Winter nicht zufriert. Das ei-
gentliche Badwaſſer iſt gut gegen gichteriſche Zufaͤlle
und kontrakte Glieder. Getrunken ſchmeckt es wie Sel-
terwaſſer. Der Krug koſtet ½. Kreuzer. Es wird ver-
fuͤhrt, ſetzt uͤberall Ocker, und Kalkſinter in den Roͤhren
ab, hat aber einen ſtarken vitriolartigen Nachgeſchmack.
D. Ofterdinger war jetzt hier, der ſonſt in Vayhingen
war, und Zuͤckerten fortgeſetzt hat. Er kannte die
Schlammbaͤder noch nicht (ſ. S. 410. des 1ſten B.).
Man baut hier herum viel Einkorn. Das Wild
ſoll ihm wegen der Stacheln nicht ſo viel Schaden thun,
als andern minder ſtachlichten Cerealibus.
Aufm Ruͤckwege machte ich Bekanntſchaft mit Hrn.
Pfarrer Schuͤtz von Rohracker einem guten Oekono-
men, der viel Obſt, ſonderlich Aprikoſen zieht.
Nachmittags, war ich erſt in Kornweſtheim
beim Hrn. Pfarrer Hahn, ſeine Rechenmaſchine*)
E 2und
[68] und ſein Sonnenſyſtem zu beſehen. Er hat eine artige
kleine Frau, die ohne Praͤtenſion den Fremden alles zeigt,
und die Kunſtnamen wohl inne hat. Ins Innere des
Kaͤſtchens laͤſt er nicht ſehen; es iſt voller Raͤder. Oben
ſieht man nichts als emaillirte Zifferblaͤtter. Man dreht
eine Kurbel herum, wie an der Kaffeemuͤhle. Die
Frau machte Proben von allen 5. Rechnungsarten, wie
ich ſie ihr aufgab. Schoͤner noch iſt das Sonnenſy-
ſtem mit groſſen Uhrwerken, die alle 8. Tage aufgezogen
werden muͤſſen, und ſchwer zu transportiren ſind. Es
iſt eine Erd- und Himmelskugel. Im Hauſe hat er
immer etliche Arbeiter von Augſpurg ſitzen. Der Hr.
Pfarrer kalkulirt, und die Leute machen’s. Schade, daß
ſich der Mann jetzt mit apokalyptiſchen Rechnungen ab-
gibt, auch das N. Teſtament ſchlecht uͤberſetzt hat. Es
iſt eine eigne Uhrentafel am Sonnenſyſtem, wo die Schei-
be in 6000. Jahren, und die ganze verfloſſene und noch
kuͤnftige Geſchichte der Welt nach Bengel’s und Andrer
Traͤumen, ſonderlich der Chiliasmus, und die erſte und
zweite Auferſtehung, in ihre Faͤcher und Epoken abge-
theilt ſind. Auch Jahruhren, die ſehr ſimpel ſind,
und des Jahrs nur einmal aufgezogen werden muͤſſen, ſah
ich bei ihm. Von ihm fuhr ich nach
Ludwigsburg. Der Ort hat groſſe und ſchoͤne,
aber unvollendete und ſchon wieder ihrem Ende nahe An-
lagen.
Das Haus der Graͤfin von Hohenheim, welches
ſie hier beſitzt, ſoll voller Koſtbarkeiten ſeyn. Es wird
aber weder den Fremden noch den Inlaͤndern, ohne be-
ſondere Erlaubnis gewieſen.
Im
[69]
Im Schloſſe hier ſind die Deckenſtuͤcke alle ſchlecht
gemahlt, auch ſieht man keine einzige ſchoͤne Stukkatur-
arbeit. Die ſogenannten neuen Zimmer aber ſind mit
vielem Geſchmack angelegt. In der Bildergallerie
haͤngen auſſer einigen meiſterhaften Gemaͤlden von Ha-
milton, die Eidechſen, Schnecken, Schmetterlinge dar-
ſtellen, viele gemeine Stuͤcke. Im Migniaturgemaͤl-
deſaal befindet ſich in der Wand ein Cabinet de For-
nication, wo alle moͤgliche wolluͤſtige Stellungen und
Unflaͤtereien aufs feinſte gemalt ſind. Einige Tiſche be-
merkte ich, die aus einem herrlichen rothen regulaͤrgezeich-
neten Landmarmor gemachtwaren. Auch ſind im Schloſſe
die proteſtantiſche und die katholiſche Hofkapelle, in je-
ner ſieht das Untertheil der Kanzel einer Krautſtaude nach.
Im Waiſen- Zucht- und Tollhauſe, das ſeit
1736. hier angelegt iſt, ſpinnt alles Wolle, die aber in
der Hitze entſetzlich ſtinkt. Es war jetzt eines Superin-
tendenten Tochter hier im Zuchthauſe, die von einem
Manne geſchieden worden, den andern mit Gift vergeben
wollte, Ehebruch trieb, und doch ſchwatzen konnte, wie
ein Engel.
Das hieſige militaͤriſche Waiſenhaus gehoͤrt zu
des Herzogs beſten Anſtalten. Hundert arme Kinder,
davon 50. Knaben und 50. Maͤdchen ſind, werden darin
umſonſt gekleidet, ernaͤhrt und unterrichtet. Ein Haupt-
mann und ſeine Frau haben die Aufſicht uͤber ſie. Viel
Reinlichkeit herrſcht darin, aber alles iſt auch militaͤriſch,
ſelbſt bei den Maͤdchen. Sie ſpinnen Flachs, Hanf und
Baumwolle, 120. ſchnellerliche Faden machen ſie aus fei-
ner Wolle aus Cayenne. Doch war das Tiſchzeug ſehr
zerlumpt und voller Loͤcher. Die Knaben brauchen nicht
E 3alle
[70] alle Soldaten zu werden. Sie aſſen Suppe und Brod
zu Nacht.
Den 27ſten Jul.
Setzte ich meine Reiſe nach Schorndorf, einem
huͤbſchen und wohlhabenden Staͤdtchen an der Reins,
Gemuͤnd und Aalen*) fort.
In Gemuͤnd ſtrickt Mann und Frau, Jung und
Alt. Es iſt zu bewundern, wie die Leute ihre Waaren
ſo wohlfeil geben koͤnnen.
Den 28ſten Jul.
Heute kam ich erſt durch Ellwangen, dann durch
Adelmannsfelden, einem Staͤdtchen nicht weit von
Ellwangen. Es hat wohl fuͤnferlei Herrſchaften, naͤhrt
ſich vom Ackerbau, der Viehzucht, dem Verkohlen des
Holzes zu den vielen Schmelzhuͤtten in der Gegend, macht
auch Schaufeln, Joche, Meßle, Seſter ꝛc. aus ihren
vielen Buchen ꝛc. und die hohlen die Schwaben den Ein-
wohnern vor der Thuͤre weg.
Duͤnkelſpuͤl, eine Reichsſtadt. Sie hat viele
Seen, die zuweilen ausgefiſcht, und die Fiſche nach Ulm
und Augſpurg verfuͤhrt werden; doch verwachſen jetzt
viele mit Schilf ꝛc. Man wird hier von Bettlern beina-
he aufgefreſſen.
Feuchiwangen. So wie man nach Franken
koͤmmt, findet man viele Tannen und viel Sorbus aucu-
paria
[71]paria L. Dieſer herrliche Baum trug jetzt ſeine ſchoͤ-
nen Fruͤchte. Die Erndte fing erſt an, aber manches
war auch uͤberreif.
Anſpach praͤſentirt ſich von weitem ſehr gut. Die
Stadt iſt gros, hat aber enge, krumme Gaſſen; Alleen
gibts indes doch hin und wieder in der Stadt. Das
Schloß iſt im alten Geſchmack. Das Gymnaſium iſt
ein herrliches Gebaͤude. Ich fand die Leute hier ſehr
hoͤflich ꝛc. Und ſo kam ich
Den 29ſten Jul.
uͤber Kloſter Hailsbronn nach
Nuͤrnberg, und trat im rothen Hahne auf dem
Kornmarkte ab. Der Sandboden um die Stadt wird
durch Blut, Knochen, Haare, Urin ꝛc. durch alles was
die Bauern aus der Stadt hohlen, ſehr gut geduͤngt und
fruchtbar gemacht. Man pflanzt auch viel Tobak. Die
Stadt iſt bergicht und hat meiſt krumme und winklichte
Straſſen. Die meiſten Haͤuſer ſind mit allerhand Far-
ben angeſtrichen. Im Ganzen ſieht dieſe bunte Male-
rei doch gut genug aus, ohne dies waͤre die Stadt noch
viel finſtrer. Ueberhaupt herrſcht hier viel Reichsſtaͤdti-
ſcher Ton. Schneider, Schuſter und mehrere Hand-
werker tragen noch ſchwarze, blaue, violette Maͤntel beim
Ausgehen. Man iſt im Umgange noch ſehr feierlich, und
macht viel ſteife Komplimente. Sonſt aber ſind die
Einwohner warlich herzgute Leute.
E 4Mein
[72]
Mein erſter Beſuch heute war bei
Hrn. Panzer, Schaffer *) an der Kirche zu St.
Sebald. Er iſt ein gelehrter Mann, wie er durch ver-
ſchiedene Ueberſetzungen, auch eigne Schriften bewieſen
hat, beſitzt auch eine herrliche Sammlung von aͤltern
ſeltenen, zur Litteraͤrgeſchichte gehoͤrigen Buͤchern, und
von alten Bibelausgaben ꝛc. Ich ſah unter andern bei
ihm Luther’s 7. Pußpſalmen, 4. Wittenb. 1517.
Mit dieſen fing Luther ſeine Ueberſetzungan. Sie ward
aber bald nachgedruckt, woruͤber er in der Vorrede
ſchon ſehr klagt. Im Jahr 1522. kam das ganze N.
Teſt von ihm heraus; da ſind bei der Apokalyſe Holz-
ſchnitte von Lukas Kranach. Drauf machte er ſich
ans A. Teſt. 1532. kamen die Propheten, und 1534.
die ganze Bibel zum Erſtenmahle heraus. Darauf folg-
ten beſtaͤndig neue Editionen und Verbeſſerungen. Im
Jahre 1541. nahm er eine groſſe Reviſion vor. Vom
J. 1545. iſt die letztere Ausgabe, die er beſorgte. Ferner
ſah ich hier Embſer’s, Ecken’s, Ullenberg’s ꝛc. Bibeln,
— die alle Luther’s Bibel gebraucht haben; auch die
Bibel, welche der Churfuͤrſt durch eine Kommiſſion wieder
nach Luther’s letzter Arbeit revidiren lies; einen Nach-
druck von ihr mit einem falſchen und mit einem aͤchten
Titelblatte ꝛc. Viele alte Urkunden zur Geſchichte der
Formſchneider- und Buchdruckerkunſt, und dergleichen
mehr. Von ihm ging ich auf die
Stadt-
[73]
Stadtbibliothek. Sie iſt alt, und aus Kloſter-
bibliotheken zuſammen getragen. *) Neue Schriften
findet man faſt gar nicht darin. Man wies mir —
Besleri Hort. Eichſtaedt. Fol. [2]. Vol. — Falv-
ler’s **) Wagen; der Verfertiger hatte im 3ten Jahre
ſeines Alters das Ungluͤck durch einen Fall gelaͤhmt zu
werden, und machte ſich doch den Wagen ſelbſt, ſchob
ſich auch ſelber darin fort. — Groſſe Schildkroͤten, —
verſteinerte Holzbrocken, — Gemaͤlde der ehemaligen
hieſigen Meiſterſaͤnger, worunter auch Hans Sachs
iſt, — das ſchoͤne Evangeliſtarium, — Perſiſche Ge-
dichte.
Die Sebalduskirche. Schoͤn iſt darin ſonderlich
Alb. Duͤrer’s Abnehmung Chriſti vom Kreuz. ***) An
St. Sebald’s Grabe iſt viele Arbeit, alles iſt daran
gegoſſen, ohne daß nachher ein Feilſtrich daran gethan
oder die Arbeit verſchnitten worden waͤre. ****)
E 5Bemer-
[74]
Bemerkungen.
An den verſchiedenen Kirchen hier ſtehen 62. Geiſt-
liche, davon aber nur 2. wahre Parochi ſind und Mini-
ſterialia verrichten *). Die andern alle ſind zwar
auch Prediger und Diakonen, predigen aber blos. Auch
ſind nur 2. Pfarrkirchen, St. Sebald und Lorenz;
die andern heiſſen alle Nebenkirchen. Im Rathe ſitzt
ein Ephorus oder Kirchenpfleger. Unter den Dia-
konen iſt nur ein Senior. Alle Jahre einmal wird ein
Kirchenkonvent gehalten.
So oft hier Pathen vorbeifahren, wird ihnen von
jedem Thurme, wo ſie vorbeifahren, geblaſen, gegen Be-
zahlung.
Den 30ſten Jul.
Heute wartete ich die Predigt des Hrn. Pfarrers
Spoͤrl in der L. Frauenkirche ab. Sie heiſt auch die
Kaiſerskapelle, daher noch alle Sonntage hier 2mal
Muſik iſt. Das Verleſen und Aufbieten geſchieht, ehe
der eigentliche Gottesdienſt angeht. Die Predigt war
uͤber das Evangellum Dom. X. p. Tr. von der Pflicht
der Chriſten im Gotteshauſe. Der Meßner und ein
Chorſchuͤler fuͤhren den Prediger in ihrer Mitte auf und
von der Kanzel. Die Alten predigen ſitzend und tragen
Chorhemde und Barret. Nach der Predigt folgt die
Abſdlution und Litanei. Bei der Fuͤrbitte fuͤr den Kai-
ſer
****)
[75] ſer und den Rath werden keine Formalitaͤten gebraucht.
Es geſchehen hier viele Fuͤrbitten und alle mit Reichsſtaͤd-
tiſchen Weitlaͤuftigkeiten. Nachher ſingt ein Diakon die
Kollekte, halb lateiniſch und macht das Kreuz dazu; dies
warten aber die wenigſten Zuhoͤrer ab. Das Geſang-
buch iſt 1750. zum letztenmal revidirt worden. Der
Meßner geht hier gekleidet, wie die Geiſtlichen in mei-
nem Vaterlande. Ich bemerkte viel aͤuſſerliche Andacht.
Mittags aß ich bei Hrn. Spoͤrl dem aͤltern, an den
ich empfohlen war. — Im Anfange ſind die lieben
Nuͤrnberger etwas foͤrmlich. — Er kan weder Bier noch
Wein trinken, wenn’s nicht wenigſtens durch ein Licht er-
waͤrmt iſt. Nach der Predigt ſpricht er eine Viertel-
ſtunde gar nichts, predigt aber gleichwohl nicht lebhaft;
auch muß er des Morgens einen kritiſchen Schweis ab-
warten. Nach Tiſche beſuchte ich den
Hrn. von Mure. Er iſt hier Oberwagamtmann,
iſt ledig und haßt das Heirathen eben ſo, wie Hrn. Ni-
kolai in Berlin. Er beſchuldigt denſelben, er ſei ihm
feind worden, weil er’s mit Klotzen gehalten. Er ſam-
melt viel alte Buͤcher, ſchimpft auf alle deutſche Litteratur,
ſchaͤtzt blos die alte und die auslaͤndiſche, und pralt mit
groſſer Korreſpondenz. Vormahls hat er eine Wochen-
ſchrift, der Zufriedene, geſchrieben. Die angekuͤndig-
te Reviſion der Allg. deutſchen Bibl. hat er im 8ten
Theil ſeines Journals wieder aufgegeben. Als ich mich
wegen der Reichskleinodien bei ihm erkundigte, ſagte er
mir, die Reichsſtadt laſſe ſie Niemanden ſehen, als
Reichsfuͤrſten; nicht einmal apanagirten Prinzen: doch
habe man beim Herzog Ferdinand von Braunſchweig
eine Ausnahme gemacht. Einem Privatmanne zeige man
ſie
[76] ſie nicht fuͤr 100. Dukaten. Es muͤſten allemal 3. Ma-
giſtratsperſonen dabei zugegen ſeyn. Er ſchenkte mir ſei-
ne Schnurre: Laudatio funebralis Unkepunzii,
gab mir Nachricht von Sheid’s in Harderwick vorha-
bender neuer Edition des Gianhari Lexic. arabic.
das mehr werth ſeyn ſoll als Golius. Ich fand eine
artige Buͤcherleiter bei ihm, die ſich wie ein Tiſch zuſam-
men legen laͤßt. Er hatte ſie nach einer engliſchen Zeich-
nung machen laſſen.
Im Gaſthofe, wo ich logirte, machte ich heute noch
angenehme Bekanntſchaft mit Hrn. Prof. Briegleb von
Koburg, mit Hrn. Prof. Schwarz*) und mit Hrn.
Siebenkees, Prof. der Rechte. Letztere beide ſind in
Altorf.
Den 31ſten Jul.
Reiſe nach Altorf.
Der Weg bis dahin betraͤgt 6. Stunden, iſt ſehr
ſandig und geht durch Tannen- und Lerchenwald, uͤber
2. Doͤrfer. Man zieht hier Haidſchnucken und pflanzt
Pataten. (Lathyr. tuberoſus L.)
Ich nahm mein Quartier im ſchwarzen Baͤr.
Die Stadt iſt klein, alt, ſchlecht, und ſtill. Die Ein-
wohner ziehen nicht viel Nutzen von der Univerſitaͤt. Es
ſind kaum 100. Studenten hier und dieſe ſind meiſtens
Nuͤrn-
[77]Nuͤrnberger, die jeden Strumpf dort flicken, jedes
Hemd dort waſchen laſſen, und den groͤſten Theil ihrer
Zeit da zubringen. Die 3. Profeſſores Theolog.
ſind zugleich Prediger, muͤſſen Fruͤhkirche halten und mit
zu jeder Leiche gehen. Das Rektorat iſt jaͤhrig. Das
Kollegengebaͤude iſt ſchoͤn. Die Univerſitaͤt gibt viele
Stipendien und Freitiſche; daher trift man hier eine
Menge alter Kandidaten an. Nach einem Beſuche bei
Hrn. D. Doͤderlein*) beſah ich
Trew’s Bibliothek und Naturalienkabinet.
Der Beſitzer war zuletzt D. Med. in Nuͤrnberg und An-
ſpachſcher Geheimerrath. Er hatte viel Praxis und
Patriotismus fuͤr Altorf, vermachte daher alles **) da-
hin, weil einer ſeiner Vorfahren da Profeſſor geweſen
war. Bis zu ſeinem Tode ſammelte er alle Schriften,
die in die Arzneiwiſſenſchaft, Naturgeſchichte, Chirurgie,
Phyſik, Mathematik einſchlagen, und alle Journale und
akademiſche Schriften. Nach ſeinem Tode ward alles
aus Nuͤrnberg auf das Kollegengebaͤude hierher gebracht,
aber in der groͤſten Unordnung, und ſo iſts noch. ***)
Auf
[78] Auf den uͤbrigen Fond von Legaten ſind Beſoldungen und
Stipendien angewieſen, ſo daß ſeither die Bibliothek faſt
um nichts vermehrt worden iſt. Ich ſah das Portrait
vom Stifter, deſſen Abſicht aber nicht erreicht wird.
Vieles aus Engelland; alle Kupferbuͤcher von Pflan-
zen und Thieren, aber, wie gedacht, alles in der groͤſten
Unordnung, und doch waͤre Platz genug da. Das Chi-
neſiſche Werk uͤber die Naturgeſchichte (man ſehe davon
v. Murr im Naturforſcher) wolte man mir im Ernſt
zeigen und konnte es doch nicht finden. Auſſer der Cen-
turia I. Plant. ſelect. Ehret. Trew. Fol. 1773.
die Haid in Kupfer geſtochen, Ehret gemahlt und Trew
herausgegeben hat, hat man noch wohl 200. Tafeln von
Ehret, die er einzeln in London gemahlt hat. Denn
es waren hier 15. Plat[t]en, Plantae et Papiliones Eh-
retianae rariores zuſammen gebunden; die erſte bildet
eine Martynia und Cytiſus ab vom Jahr 1748. die
letzte ein laſminum 1759. — Auch iſt auſſerdem noch
eine groſſe Menge anderer gemahlter Pflanzen da.
Das Naturalienkabinet beſindet ſich ebenfalls in
der groͤſten Unordnung. Bei keinem einzigen Stuͤcke iſt
Name und Ort angegeben, die Sachen liegen in Schub-
laden, halb dem Staube ausgeſetzt und werden unver-
antwortlich verwahrloſet. Ein D. und Prof. Vogel
ſoll die Aufſicht haben, aber die beſten Sachen verderben,
die Konchylien fahren an einander herum und ſind durch-
loͤchert. In der Mineralogie iſt gar wenig da, aber
wohl
***)
[79] wohl groſſe Herbaria, welche aber die Motten freſſen.
Was mir bemerkenswuͤrdig war, beſtand in folgenden:
- a) Alle Fiſche aus der Pegnitz, an den Waͤnden, aber
beſtaubt. - b)Ochſenhoͤrner von einem in Nuͤrnberg geſchlach-
teten Ochſen. Sie waren wohl 3. Schuh lang, und
weisgrau mit ſchwarzen Enden. - c) Ein Buccinum mit der groͤſten Gruppe von Vermi-
culiten. - d) Eine Scapula vom Trichechus. Sah wie ein
Bret aus. Iſt wohl eher vom Wallſiſch. - e) Groſſe und kleine Saͤgen vom Saͤgeſiſch.
- f) Eine favago conchar. wie ſie Ellis abgebildet hat.
- g) Backenzaͤhne vom Rhinoceros, auch ein ganzes
Knochenſtuͤck. - h) Ein Vogelkaſten, aus dem ein peſtilenzialiſcher Ge-
ſtank herauskam. Einige Voͤgel waren ganz aufge-
freſſen, einige im Lande gefangene Mewenarten wa-
ren darin. - i) Ein Specht nach Schaͤfer’s Manier zugerichtet.
Alle Federn waren in Baumrinde geſteckt. - k) Viele ſchoͤne Sachen in Weingeiſt, als Pholas ana-
tifera; Tarantula; Scorpio afer; Bradypus. - l) Ein Uterus, in dem das Kind noch im Durchgange
iſt. Die Mutter ſtarb im Gebaͤhren. Der Ge-
heimerath Trew lies das Stuͤck im Kaͤſtchen voll
Weingeiſt aus Boͤhmen heraus tragen. - m) Schoͤne Skelette von Delphin’s und Roſmarus
Koͤpfen ꝛc.
Hierauf
[80]
Hierauf ging ich in den
Botaniſchen Garten. Hr. D. Vogel und die
geſchickten Gaͤrtner Schack, Vater und Sohn, haben
die Aufſicht und Beſtellung deſſelben. Er iſt klein, aber
ganz gepfropft voll, und enthaͤlt ohngefaͤhr 4000. Pflan-
zen. Ich traf an:
- a) Cincho biloba Rudbeckia: Yucca glorioſa,
in der Bluͤthe. - b) Olea europ. der hier ſchon gebluͤht und kleine Oliven
angeſetzt hat. - c) Lonicera caprifolium, bluͤhte wirklich zum zwei-
tenmale. - d) Euph. divaricata, die Linne’ noch nicht hat.
- e) Saxifraga ſtolonifera, ſ. irregularis, weil 3.
Petala lang, und 2. kurz ſind. - f) Valeriana fibirica, Betula nana etc.
- g) Calendula pluvialis, ſtand bei der druͤckenden Hitze
auch ſchoͤn ausgebreitet da. - h) Eine ſchweizeriſche hohe Achillea.
- i) Eine herrliche roth und weiſſe Malve.
- k) Sedum Libanoticum, Iatropha urens etc.
- l) Canna indica, an der die Bluͤthe heraus kam, Hæ-
manthus pumiceus etc.
Die hieſigen Gelehrten, welche ich beſuchte und ken-
nen lernte, waren
Hr. Prof. Nagel, ſchon in Jahren, aber noch mun-
ter, und hat ein gutes Geſicht. Ein Gelehrter voller
Wiſſenſchaft, ohne Praͤtenſion und ein groſſer Orienta-
liſt. Er zeigte mir die Amſterdamer groſſe Ebraͤiſche
Bibel mit den Scholien der beſten Rabbinen. Er iſt
eigent-
[81] eigentlicher Bibliothekar der Trewſchen Bibliothek, dem
auch der Erblaſſer alles uͤbergeben hat. Der Erblaſſer
habe manches ſeiber noch vor dem Tode rangiren wol-
len, und habe ihm angerathen, nur alles ſo viel als moͤg-
lich vor der Luft zu bewahren.
Hr. D. Dietelmaier, erſter Profeſſor und Predi-
ger, bereits 68. Jahr alt, aber noch bei guten Kraͤften.
Er hat ſchon 35. Jahr hier gelehrt, auch Semlern zum
Doktor kreirt. Er glaubt, daß die Propheten des Alten
Teſtaments manches geredet und geſchrieben haben, was
ſie ſelbſt nicht verſtanden. Er jammert daruͤber, daß
man Chriſtum ſonderlich im Alten Teſtamente, uͤberall
ausſtreiche, auch da, wo Interpretatio authentica
da ſei, und nur es Akkomodiren nenne. Der Kirche,
glaubt er, ſtehe eine groſſe Verſchlimmerung bevor. Die
Berliner Bibliothek ſei nur fuͤr Maͤnner, habe aber viel
Schoͤnes, nur ſetze man zu ſehr das Alte herab. — Im
Hiob Kap. 19. erzwinge er Chriſtum nicht. Leß ſollte
nur kein Buch des neuen Teſtaments mehr uͤberſetzen,
Benner ſei ſo recht der Mann gegen ihn. — Seine
Frau iſt eine Gelehrte. Sie hat ihr eigenes Muſeum,
lieſt alles, ſchreibt lateiniſch, ſchreibt auch ihrem Manne
faſt alle Briefe. Er beſitzt eine Thalerſammlung von
Koͤnigen, Kaiſern, Fuͤrſten, Paͤbſten ꝛc. Ich ſah darin
z. B. den Glockenthaler, und den auf die Religions-
veraͤnderung der Braunſchweigiſchen Prinzeſſ in Eliſa-
beth, Kaiſer KarlsVI. Gemalin, geſchlagenen Thaler,
mit der Umſchrift: Coetum, non numina mutat.
Bambergae 1707. Auſſerdem hat er auch noch eine
vollſtaͤndige Sammlung aller Kirchenvaͤter bis zur Re-
formation, viele ſchoͤne Stephaniſche, Wecheliſche
Ausgaben ꝛc.
Zweiter Theil. FHr.
[82]
Hr. D. Vogel. Ich traf bei ihm noch mehr Ehret-
ſche Pflanzen an; ferner Forſter’s Genera Planta-
rum; Bergii materia medica; Giſeke Index Lin-
neanus in Pluckenet.; der aber nicht vollſtaͤndig ſeyn
ſoll ꝛc.
Ruͤckreiſe nach Nuͤrnberg.
Den 1ſten Aug.
Heute war ich abermahl beim Hrn. Schaffer Pan-
zer, und ſah ſeine Sammlung von Muͤnzabdruͤcken in
Zinn durch. Jede Muͤnze liegt in einem ſchwarzuͤberzo-
genen Stuͤcke Pappe, ſo daß man die Stuͤcke mit den
Muͤnzen nachſchieben kan, wenn man mehrere bekommt,
beſſer, als wenn Einſchnitte im Holze ſelber ſind. Er
und ſeine Frau haben ſie ehemals auf dem Lande ſelber
in Modell von Gyps gegoſſen. — Auch einen Otho in
Kupfer, der nicht nachgemacht, ſondern aͤcht iſt, hat er
in einem bleiernen Abdruck. Das Original ward 4000.
Gulden geſchaͤtzt; ein hieſiger Kaufmann beſaß es, und
ward endlich durch ſeine Umſtaͤnde gezwungen, es fuͤr
1000. Gulden dem Kaiſerlichen Hofe zu verkaufen. Ich
fand auch bei ihm Abdruͤcke von alten und neuen Ka-
meen in rother Maſſe. — z. B. die Roͤmiſche Hiſto-
rie von Daßier, — die man von Goͤzinger hier in
Nuͤrnberg fuͤr 13. Gulden haben kan. Auch Pichler’s
Koͤpfe von allerhand Antiken in Rom kan man fuͤr 6.
Gulden in einem Buche, und fuͤr 5. Gulden in einem
Kaͤſtchen haben. Desgleichen die Reformatoren vor
und nach 1517. ꝛc. von eben dieſem Meiſter im Buche
fuͤr 7. Gulden. Sie ſind ſo ſchoͤn, wie Lippert’s Dakty-
liothek. Hr. Panzer ſchenkte mir ſeinen Schwiegerva-
ter
[83] ter, Hrn. D. Janke in Altorf, in einem Schwefelab-
druck.
Durch den Hrn. Schaffer Panzer lernte ich auch
ſeinen Sohn kennen. Er iſt ein Schuͤler von Jacquin
in Wien. Er beſitzt in ſeinem Herbario viele Pflan-
zen von den Oeſterreichiſchen und Schweizeriſchen Alpen.
Wir ſahen Saxifraga und Salvia mit einander durch.
Er ſchreibt mit am Frankfurter mediziniſchen Wochen-
blatte. Er meinte, Giſecke habe ſeine Indices nur
aus Linnei Specif. Plant. geſammelt.
Zum Beſchluß meines hieſigen Aufenthalts erwarb
ich mir noch die Bekanntſchaft zweier wackerer Maͤnner,
des Hrn. Dr. Wittwer’s von hier, und des Hrn. Pfar-
rer Strodel’s von Woͤhrd. Erſter kam eben vom
Lande, und ſpeiſte in der Auberge mit, als ich zum letz-
tenmale da as. Ein Mann von vielen Kenntniſſen. Die
Sigaudſche Operation haͤlt er nicht fuͤr nuͤtzlich, man
gewinne dadurch nicht viel, und muͤſſe doch oft den Kai-
ſerſchnitt machen. Der andre, ein ſtiller, guter, ſanf-
ter Mann, ſchon in mittlern Jahren, und ungemein beleſen.
Er ſammelt viel ſeltene alte Buͤcher, hat alle Schriften
Melanchthon’s ꝛc.
In den hieſigen gelehrten Zeitungen ſind die theo-
logiſchen Artikel meiſtens von Hr. Prof. Schwarz ꝛc.
und andern Gelehrten in Altorf. Hr. v. Murr —
der eingebildete Vielwiſſer, — und Hofrath Zapf in
Oettingen, — der mir als unertraͤglich beſchrieben
wird, — bekommen zuweilen darin offenbare und ver-
ſteckte Lehren.
Und ſo verlies ich denn Nachmittags das gute Nuͤrn-
berg, — wo ich mich gern noch laͤnger verweilt, und
F 2mehrere
[84] mehrere dortige Merkwuͤrdigkeiten beſehen haͤtte, haͤtt’ ich
nicht mit meiner Zeit ſo genau haushalten muͤſſen, —
und begab mich auf die
Reiſe nach Erlangen.
Zwiſchen dieſem Orte und Nuͤrnberg gehen immer
Landkutſchen oder Univerſitaͤtskutſchen hin und her. Der
Weg dahin iſt meiſt Sand, zuletzt koͤmmt noch ein Tan-
nenwaͤldchen bis nahe an die Stadt hin.
Den 2ten Aug.
Erlangen. Ich logirte im Wallfiſche, nahe bei
der franzoͤſiſchen Kirche. Die Stadt iſt meiſtens neu
und groͤſtentheils regelmaͤſſig gebaut, hat aber doch mit
unter viel hoͤlzerne Haͤuſer und ein uͤbles Pflaſter, iſt
auch uͤberall offen. Sie hat viel Aehnlichkeit mit Carls-
ruhe. Hier und da trift man einige artige Plaͤtze an.
Das Schlos, wo die Frau Marggraͤſin, Wittwe des
1763. mit Tode abgegangenen Marggrafen Friedrich von
Bayreuth reſidirt, ſcheint nichts mehr, als ein groſſes
Haus eines Partikuliers zu ſeyn. Sprache und Klei-
dung kamen mir hier beſonders vor.
Die Univerſitaͤt mochte jetzt etwan aus 300. Stu-
denten beſtehen. Sie betragen ſich ſtill, machen aber
gewis ſoviel Staat, als in Goͤttingen. Viele ſah ich
mit ofnen Hemdkragen gehen *).
Mein
[85]
Mein vorzuͤglichſtes Geſchaͤft heute war
Hrn. Hofrath Schreber meinen Beſuch zu ma-
chen. Wir gingen gleich in ſein Naturalienkabinet.
Ich fand darin viel herrliche Sachen; worunter mir be-
ſonders bemerkenswuͤrdig waren:
- 1) Ein Colymbus, der nur eben in dieſer Gegend geſchoſ-
ſen worden und noch ganz friſch war. - 2) Hoͤrner, an denen noch das Baſt iſt.
- 3) Sehr breite Hoͤrner vom Dammhirſch.
- 4) Hoͤrner von der Antilope Scythica.
- 5) Ein ſehr hohes Nashorn.
- 6) Ungariſche Schaafbockhoͤrner, mit gegliederten
Aufſaͤtzen oder Schuͤſſen, eine Varietaͤt. - 7) Gruͤner Marmor aus Schweden, mit Serpentin-
ſtein. - 8) Sibiriſcher Marmor, wie Quarz.
- 9) Blankenburgiſcher Marmor mit nach allen Richtun-
gen durchſchnittenen Korallen. - 10) Oolitenmarmor von Halle.
- 11) Berliner Kalkſteine, wie Marmor.
- 12) Bayreuth. Marmor.
F 313) Ein
[86]
- 13) Ein rother Marmor, worin ein Orthoceratit mit
ungleichen Kammern befindlich. - 14) Boͤhmiſcher Korallenmarmor.
- 15) Ein Stuͤck Pentakrinit von Altorf.
- 16) Viele Salzburgiſche, braune, gruͤne Marmor.
- 17) Semeſanto, ein italiaͤniſcher Marmor.
- 18) Alabaſter aus dem hieſigen Lande.
- 19) Durchſichtige Serpentinſteine, mit herrlichen
gruͤnen Flecken, aus Italien und aus dem Bayreu-
thiſchen. - 20) Groͤnlaͤndiſche Schneideſteine, oder Lapis ol-
laris, auch welche von Goͤpfengruͤn hier im Lande. - 21) Viele Carlsbader Stalaktiten.
- 22) Eine Menge Terrae ſigillatae von Halle. Sind
da bei einem Kommiſſionrath Stuck zu haben. - 23) Viele Kalkſchiefer, hier aus dem Lande.
- 24) Ein Fiſchſchiefer aus Groͤnland.
- 25) Tropfſteinartiger Chalcedon.
- 26) Chalcedon mit Zeolith.
- 27) Afrikaniſche Karniole, Achate und Quarze, voͤllig
wie unſre Europaͤiſchen. - 28) Kaſchelons, die ſich im Waſſer wie Weltaugen
verhalten. - 29) Rochlitzer Stein, oder ein ſchoͤner brauner Achat
aus Sachſen, der jetzt ſelten iſt. Koͤnig AuguſtIII.
ließ ihn zum Bauen auffuchen. - 30) Wurſtſteine. In Nuͤrnberg werden ſie mit Haut
eingefaßt, daß ſie voͤllig wie eine Wurſt ausſehen. - 31) Gruͤne Achate. Schreber erklaͤrt die Zeichnun-
gen mit Huͤlfe des Mikroſkops ohne Bedenken fuͤr
Spec. Byſſus et Confervae.
32) Band-
[87]
- 32) Bandjaſpis von Gnanntſtein. Das iſt ein Ort,
In einem neuen Buche trennte man das Wort. — - 33) Neuſeelaͤndiſche Nierenſteine.
- 34) Chryſopras aus Schleſien.
- 35) Labradorſteine. Man hat rothe, gelbe, blaue ꝛc.
- 36) Pechſteine von Dresden und Meiſſen, die Schre-
ber zu den Opalen rechnet. - 37) Inſekten aus Quarz, oder auch aus Kompoſition
auf Quarz, die der Schleifer Wanderer in Bay-
reuth macht. - 38) Ceyloniſche Quarze.
- 39) Ganze Suiten von Saͤchſ. Graniten;*) Einer
in Thon verwandelt, von Steinbacher Zeiten. - 40) Gneis, d. i. Saxa lamelloſa, worin keiner, oder
nur koͤrnichter Feldſpat iſt. - 41) Ein weicher gruͤner Porphyr mit Pyrites.
- 42) Breccia von einer roͤmiſchen Antike, d. i. ein na-
tuͤrliches Moſaik. - 43) Gruͤne Turmaline oder Smaragde aus Braſilien,
die Aſche ziehen. - 44) Ganz ſchwarze Turmaline, die Hr. Schreber
von Danz gekauft hat. - 45) Rothe Turmaline, die nicht ziehen.
- 46) Papierartiger Quarz aus Ungarn, der mit Meſ-
ſing gerieben, Feuer gibt, und auch Glas ſchneidet. - 47) Quarz mit Waſſertropfen, oder Luftblaſen aus
Chemnitz. — Auch aus den Lumagis iſts Schre-
bern verduͤnſtet.
F 448) Ro-
[88]
- 48) Roſen- oder Anemonenfoͤrmiger Spat aus Un-
garn. - 49) Amethyſt mit Spat aus Ungarn.
- 50) Ganz Kugelfoͤrmiger Spat aus Ungarn, ſo daß
man damit ſchieſſen koͤnnte. - 51) Spießglas mit Spat.
- 52) Rothes Blei von Katharinenburg in Sibirien.
- 53) Gediegen Gold aus Salzburg auf einem grauen
Stein. - 54) Ein groſſes Stuͤck Hornerz von Johanngeorgen-
ſtadt. - 55) Fuͤrſtenbergiſches gediegenes Silber. Nach ei-
nigen Verſuchen mit Acido nitr. ſei es nur ein Sil-
bererz. - 56) Federerz aus Ungarn, wie Schnee.
- 57) Braunes Blaͤttererz aus der Dorothea zu
Klausthal. — Es ſieht aus wie Bergkork, und iſt
ſilberhaltig. - 58) Viele Edelſteine in Wachs auf einer Tafel, wie
die Juweliere die Steine aufſetzen. - 59) Derber Bleiglanz.
- 60) Stuͤcke von des Pallas gediegenem Eiſen, poroͤs,
aber gewis aͤcht. S. Berl. Beſchaͤft. Naturf. Fr. - 61) Stalaktitiſches Eiſen, woran die untern Spitzen
umgebogen ſind. - 62) Schwefelkieſe, die ihren Schwefel verloren, und
zu Eiſenſtein geworden ſind, von allerlei Formen. - 63) Eiſen von der Inſel Elba, das die Magnetnadel
zieht. - 64) Phosphorirende Blende von Scharfenberg.
- 65) Grobes Aſphaltum. Er nennt es Maltha.
66) Ko-
[89]
- 66) Koboldfarben von verſchiedenen Blaufarbewerken,
in Glaͤſern. - 67) Tuſche aus Erdkohlen, in Sachſen gemacht.
- 68) Glaskies oder Leberfaͤrbiger Pyrites.
- 69) Kupferkies vom Kaukaſus, den Hr. Schreber
von Guͤldenſtaͤdt erhalten. - 70) Sanderz d. i. Kupfererz mit Sand und Holzkoh-
len verbunden. - 71) Poreuſer Kalkſtein aus China, den er durch Ka-
pit. Eckebrecht bekommen. - 72) Oeſterreichiſcher Waſſerſtein, d. i. Spat mit
ſtralichten Theilen. - 73) Eiſenbluͤthe d. i. zackigter Sinter aus Oeſterreich
und Wuͤrtemberg. - 74) Amethyſtfaͤrbige Spate aus Derbyſhire in En-
gelland. - 75) Steatites aus China, bricht auch in Bengalen.
- 76) Weiſſe Talkerde von Gera.
- 77) Saͤchſ. Porzellanerde.
- 78) Gruͤne Thonerde aus Rußland.
An Kunſtſachen fand ich noch bei Hrn. Schre-
ber viele Modelle von Maſchinen zum Bergbau, die
ſich noch von ſeinem ſeligen Vater aus Leipzig herſchrei-
ben, als Goͤpel, Pochwerke ꝛc. und dann noch ein Elek-
trophor, der nicht gerieben, ſondern mit Fuchsſchwanz
gepeitſcht wird.
Von ihm ging ich zum
Hrn. Kommerzienrath Beichold, einen Schwager
des Hrn. Schaffer Panzer’s. Er beſitzt auch Inſekten,
Verſteinerungen und Karlsbader Naturprodukte. Die-
F 5ſe
[90] ſe kan man hier leicht haben, weil man nahe an Boͤh-
men iſt.
Hierauf beſah ich
Die Univerſitaͤtsbibliothek. Hr. Hofrath Har-
les, und Hr. D. Pfeiffer ſind als Bibliothekare uͤber
ſie geſetzt. Sie beſteht aus mehrern einzeln aufgeſtellten
Bibliotheken, welche theils vorige Landesherren, theils
Privatperſonen hierher vermacht *) haben. Es herrſcht
viel Unordnung darin. Das Beſte iſt aus Kloͤſtern ꝛc.
Man zeigte mir: a) Ein Evangeliſtarium, 7-800.
Jahr alt, die erſten anderthalb Kapitel des Evangel.
Matthaͤi fehlen. Es iſt auf Pergament, leſerlich ge-
ſchrieben. Je aͤlter dergleichen Handſchriften ſind, deſto
ſchoͤner ſind ſie. b) Den Lukan, Horaz, Juvenal
in Handſchrift.
Nachdem ich hierauf bei Hrn. Hofrath Breyer,
Prof. der Logik und Metaphyſik, und bei Hrn. Prof. Huf-
nagel, Beſuche abgelegt hatte, ſo ging ich zum
Buchhaͤndler Hrn. Walther, ſein Naturalienka-
binet zu beſehen. Er iſt ſelbſt Kenner, und hat ſich
auch durch den Verlag von Schreber’s Saͤugthieren
und Eſper’s Schmetterlingen, um die Naturgeſchichte
verdient gemacht. Ich ſah bei ihm, — ſehr viel ſchoͤne
Inſekten. — Groſſe Kugeln von Labradorſtein. —
Klingende Quarze, die er auf der letztern Leipziger
Meſſe gekauft hatte. — Zeolith. Hr. Walther
glaubt
[91] glaubt aus etlichen Stuͤcken, daß er endlich in Kaſchelon
und Chalcedonier uͤbergehe. Die letztern riechen gerie-
ben, wie der Hekla, wo ſie her ſind. — Neuſeelaͤndi-
ſche Konchylien. — Eine Schnecke mit dem Zahn, f.
Berl. Beſch. Naturf. Fr. — Eine Klipkleber mit
der andern Haͤlfte. — Ganz gelbe Chalcedonier. —
Den 3ten Aug.
Heute wohnte ich einer Vorleſung des
Hrn. D. Seiler’s in der Dogmatik bei. Er han-
delte vom Glauben im alten und neuen Teſtamente. Er
ſagte, es ſei Vertrauen, daß Gott ſeine Verheiſſungen
erfuͤllen werde, und fuͤhrte dabei Beiſpiele an Abraham,
Jakob ꝛc. an. Ueber die Theile des Glaubens. Fi-
ducia uͤberſetzte er Zuneigung, nicht Zuverſicht. Auch
Kindern ſchrieb er Glauben zu. — Nach der Stunde
beſuchte ich ihn, und da betraf unſre Unterredung ſeine
vorhabende Bibelausgabe, wozu ihm die Regierung
1600. Gulden vorſchieſt, er muß aber ſelbſt noch 600.
Gulden dazu thun: ferner das alte Teſtament, die jun-
gen Leute unſers Zeitalters ꝛc.
Als ich ihn verlaſſen hatte, beſuchte ich
Hrn. Geh. Hofrath Delius,Med. D. ein guter
Chemiker. Er ſammelt fuͤr ſich viel ſchoͤne Naturalien
und fuͤr die mediziniſche Fakultaͤt eine Materia medica.
Ich ſah bei ihm
- 1) Spatfoͤrmiges Eiſen aus dem hieſigen Lande.
- 2) Gelbes Blei aus Sibirien, ſo er von ſeinem ver-
ſtorb. Vetter Delius erhalten.
3) Ei-
[92]
- 3) Eiſenſchaum, aus dem Bayreuthiſchen.
- 4) Equiſetum auf Abdruͤcken, hatte noch die gruͤne
Farbe. - 5) Krebsabdruͤcke, noch ganz und die Dublette.
- 6) Bayreuthiſche Perlen aus Myis, in der Schweß-
nitz, bei Rehau, und in der Rednitz; Sie ſind artig,
hell, gros, von allerlei Figur. Die Fr. Marggraͤfin
ſammelt alle, die vorkommen. Hr. Delius beſitzt das
aufgetrocknete Thier, worin die Perlen immer an einer
gewiſſen Stelle ſitzen; daher er ſie doch fuͤr einen orga-
niſchen Theil des Thiers haͤlt. - 7) Calculus felleus, braun, wie ein Taubenei, den er
einen Kranken durch den After abgetrieben, und jetzt
zeichnen laͤſt. - 8) Opale in der Matrix. — Iſt offenbar Thon.
- 9) Kayſtein, d. i. ſchoͤner Caillou de Ceylon.
- 10) Knopfſtein; iſt nicht Gagat, ſondern ein Stein,
der hier im Lande vorkoͤmmt, auch Knoͤpfe, Tobacks-
koͤpfe, Doſen gibt, und ohne allen Zuſatz im Feuer
ſchmelzt. - 11) Berlinerblau, das er aus alten Peruquen und alten
Stiefeln gemacht hat.
Mittags ſpeiſte ich bei meinem Freunde Schreber
mit Harles. Ich bemerkte, daß man hier die Beeren
vom Vitis Idea einmacht und zum Braten ſpeiſt; ſie
ſind angenehm, und blutreinigend. Nach Tiſche beſah
ich
Das Naturalienkabinet der Univerſitaͤt. Es
ſteht im Bibliothekgebaͤude, und iſt von Bayreuth hier-
her gekommen. Klein’s in Danzig Sammlung macht
die Grundlage davon aus. Hr. Hofr. Schreber ran-
girt
[93] girt es jetzt. Es enthaͤlt viele ſchoͤne Konchylien, Meer-
koͤrper, Verſteinerungen, Hoͤrner von Thieren, beſonders
ſehr viele Amphibien und Fiſche in Weingeiſt. Merk-
wuͤrdig war mir:
- 1) Ein Kopf vom Seeloͤwen. Aus der Mukedorſer
Hoͤle hat man hier viele Stuͤcke von dieſer Art. Hr.
Delius beſitzt auch welche. - 2) Zaͤhne von dem fleiſchfreſſenden Elephanten am
Ohio, der verloren gegangen ſeyn ſoll. - 3) Eine Froſchmaſchine vom verſtorb. Lieberkuͤhn
aus Berlin, den Kreislauf des Bluts zu zeigen. - 4) Ein groſſes Stuͤck Kopal, das viele Pſund wiegt.
Von Bernſtein kommen ſolche nie vor. - 5) Eine Schale, aus Madrepora Aſtroites gedreht.
- 6) Teſt. Midas, ganz, und auch einzelne Schilder.
- 7) Ampelis Cotinha; hat ein praͤchtiges Himmel-
blau. - 8) Ein Rhinoceroskopf, Sceleton foſſile, aus der
Ukraine. - 9) Cardium retuſum, das Hr. Chemnitz fuͤr ſo ſel-
ten ausgibt. - 10) Eine aufgeſchnittene Vol. Mit. gar ſchoͤn; nichts
als die Spindel der aͤuſſern Schale iſt ganz weg. - 11) Ein Studiolo oder Italiaͤniſche Marmorſammlung.
- 12) Gothlaͤndiſche Korallen, Marmor. S. Linn.
Diſſert. de Cor. Gothl. - 13) Marmorartige Stalaktiten, die man oft fuͤr Ala-
baſter nimmt. - 14) Ein Lituit, wo noch der Sipho darinnen iſt.
- 15) Ein Pentakrinit, von Boll im Wuͤrtembergi-
ſchen, auf Schiefer; Wurzel, Stiel und Kopf. Das
Stuͤck
[94] Stuͤck iſt 7. Spannen lang, und 4. breit, iſt aber ge-
ſprungen, weil es in Bayreuth aufgehangen war,
jetzt aber liegt es horizontal. - 16) Gediegenes Silber auf Eiſen aus Schweden.
- 17) Elfenbeinſtuͤcke. Zu Trinkgefaͤſſen verarbeitet.
- 18) Eben ſolche als Szepter von Indianiſchen Koͤni-
gen. - 19) Ein Tophus, der ſich auf den Schaufeln eines
Muͤhlrads angeſetzt hat.
Reiſe nach Weimar.
Den 4ten Aug.
Von Erlangen ging mein Weg auf Bamberg.
Die Gegend zwiſchen dieſen Staͤdten iſt meiſtens Sand,
doch baut man Hirſe und Hopfen. Mit unter kommt
man durch Fohrenwaͤlder. Oberhalb Forchheim, einem
feſten Bambergiſchen Landſtaͤdtchen, kam ich uͤber den
Mayn, und drauf nach
Bamberg, das ſich von weiten beſſer als innen praͤ-
ſentirt. Die Reſidenz des Fuͤrſtbiſchofs liegt auf einem
Berge, der Petersberg genannt, das Thal iſt uͤberall
von Waͤldern umgeben. Ich hielt mich hier nicht auf,
ſondern fuhr noch bis
Lichtenfels, einem Bambergiſchen Staͤdtchen am
Mayn gelegen, wo ich Abends blieb. — Ich bemerk-
te, daß die Leute hier viele groſſe tygerartig gefleckte
Hunde hielten, auch waren ſie ſehr hoͤflich, und mehr
als mans ſonſt in katholiſchen Laͤndern findet. Hier
und da trift man herrliche Triften, Felder und Wieſen
an.
Den
[95]
Den 5ten Aug.
Heute paſſirte ich erſt noch einen Forſt, der noch ins
Bambergiſche gehoͤrt, und dann betrat ich Oberſach-
ſen, das ſich gleich durch eine ſchoͤne Ausſicht ankuͤndigt.
In der Ferne erblickt man den beruͤhmten Thuͤringer
Wald. Eine halbe Stunde vor Judenbach faͤngt die
Straſſe an, den ſteilen und ſteinichten Weg hinan zu
gehen. Die Fuhrleute binden daher im Herabfahren
Klapperſtecken an die hintern Achſen, die zwiſchen die
Felgen des Rads eingreifen, und vorhindern, daß der
Wagen nicht ſtuͤrzt. Sie warnen dadurch zugleich einen
andern Wagen, der ihnen etwa entgegen kommen koͤnnte,
weil’s oft faſt unmoͤglich iſt, auszuweichen, Man be-
gegnet immer Guͤterwagen, die uͤber Koburg,
Schlaitz, Gera ꝛc. Frankenwein nach Leipzig fuͤhren.
Dagegen gehen auf der Straſſe, die ich nahm, beſtaͤndig.
Wagen mit halliſchem Salz durchs ganze Land herab.
Die Fuhrleute tragen alle weiſſe leinene Kittel. Man
baut hierherum Korn, Hafer, Gerſte, Grundbirnen,
auch etwas Flachs und Hanf. Die Erndte fing jetzt
erſt an.
Judenbach, worauf ich nun zukam, iſt ein ziem-
lich groſſer Flecken, und gehoͤrt Sachſen-Meinungen.
Gleich vor dem Orte ſieht man neben der Landſtraſſe viele
Kohlenbrenner, die eine Menge Holz verhauen, ihre
Meiler dampfen unaufhoͤrlich. Sie ſind eine ehrliche,
grade, ſimple Art von Menſchen. Das Gebuͤrge iſt
ganz mit Tannen, Fohren, Lerchenbaͤumen, Wachhol-
dern u. dergl. bewachſen, und beſteht ganz aus Schie-
fer, der an der Luft verwittert. Man deckt auch durch-
gaͤngig hier im Lande damit. Einige Schiefer ſind
ſchwarz,
[96] ſchwarz, andre verwitterte braune Jaſpisbrocken. Zwi-
ſchen den Bergen faͤllt eine Menge Waſſer herab, und
man muß oft lang durch Waſſer fahren, auch ſtehen uͤber-
all Muͤhlen. Daher ſucht man auch immer auf der
Straſſe dem Waſſer eine Leitung von Holzſtaͤmmen zu
machen, ſonſt reiſt es alle Straſſen ein. Im Winter
ſoll die Gegend oft ein einziges Eisfeld ſeyn. Eine un-
geheure Laſt von Schnee faͤllt auf dieſen Wald herab.
Von Judenbach kam ich nach
Reichmannsdorf. 3. Stunden von Saalfeld,
und uͤbernachtete da. Ich ſah, daß man hier die Och-
ſen, wegen den rauhen ſteinichten Gegenden, mit Eiſen
beſchlaͤgt. Auf jede Klaue wird ein eignes Eiſen aufge-
legt, an den Hinter- und Vorderfuͤſſen. Im Winter
aber macht der Schmidt das Eiſen aus Einem Stuͤck.
An der Grenze der verſchiedenen Saͤchſiſchen Her-
zogthuͤmer ſtehen an den Schlagbaͤumen alte Invaliden
und wollen die Reiſenden ausfragen: ein Saalfelder
hatte das Bajonet geſchwind ſtatt des Seitengewehrs
angeſteckt.
Die Leute feuern hier Sommer und Winter ein,
kochen alles im Ofen, rauchen Toback dabei, trinken elen-
den uͤber Wachholder, Pomeranzen und dergl. abgezoge-
nen Brantewein ꝛc.
Den 6ten Aug.
Heute traf ich in
Saalfeld ein. Bis hierher iſt die Gegend rauh
und kalt, hier hoͤrt aber der Thuͤringer Wald auf.
Das Staͤdtchen ſelbſt iſt klein, und ziemlich mittelmaͤßig.
Es
[97] Es liegt an der Saale, die ich nun noch oft ſehen wer-
de. Ich lenkte nach dem Fuͤrſtenthum Schwarzburg
hin, um Rudolſtadt zu erreichen. In der That ſind
auch die daſſelbe einſchlieſſende Gebuͤrge in der Naͤhe und
in der Ferne ganz ſchwarz. Ich paſſirte das Staͤdtchen
Schwarzach, und einige Doͤrfer, die zwiſchen lauter
Bergen in der Tiefe des Thals die ſchoͤnſten Felder ha-
ben, und langte drauf in
Rudolſtadt an, einem ziemlich groſſen und wohl-
habenden artigen Staͤdtchen, ebenfalls an der Saale ge-
legen. Das Schlos oder die Burg liegt angenehm
auf einem hohen Berge. Die Einwohner ſind alle Evan-
geliſch-Lutheriſch, und nur wenige Katholicken unter ih-
nen. Die Weibsperſonen ſitzen hier mit blauen Manns-
maͤnteln, die mit breiten goldnen Borten eingefaßt ſind,
in der Kirche.
Ich erfuhr, daß grade heute der Erbprinz zur Kom-
munion ging. Folglich konnt’ ich zu meinem groſſen
Bedauern, ſein Naturalienkabinet *) nicht zu ſehen krie-
gen.
Zweiter Theil. G
[98] gen. Ich ging alſo in die Stadtkirche, und hoͤrte ei-
nen Collabor. Gymn.Liebmann uͤbers Evang. Luc.
XV. Dom. XI. p. Tr. predigen. Er handelte: Von
der Gefahr des Selbſtbetrugs.I) Von dieſem
ſelbſt. II) Von der Gefahr. Die Anwendung machte
er auf die in voriger Woche in 2. Tagen faſt ganz abge-
brannte Stadt Ilm im Rudolſtaͤdtiſchen, wo bei 300.
Brandſtellen waren. Die Warnung vor Irreligion,
Profanitaͤt und Verdammungsurtheil dabei war ſehr ſchoͤn
und gefiel mir. Er ruͤhmte die bereits, auch von Ka-
tholicken, auch von Nachbarn eingeſandten Beiſteuern,
ermahnte zur Kollekte, und ſagte dabei, die Armen im
Volk ſollten wenigſtens fuͤr die Ungluͤcklichen beten. Im
Kirchengebete waren die Salz- und Bergwerke des Lan-
des mit eingeſchloſſen, aber bei der Fuͤrbitte fuͤr den Fuͤr-
ſten zu viel Titulatur; ſein Name und alle ſeine Her-
ſchaften und Grafſchaften wurden hergeleſen, darauf folg-
te noch eine Dankſagung, da ein Sohn vom Erbprinzen
ein Jahr aͤlter geworden. Ich ging in die Sakriſtei,
gab dem Prediger meinen Beitrag, und fuhr fort nach
Weimar. Der Weg dahin geht groͤſtentheils durch die
Grafſchaft Gleichen, Hazfeldiſchen Antheils, und laͤuft
uͤber die angenehmſten Fruchtfelder hin, wo man aber
kaum angefangen hatte, zu ſchneiden. Ich kam durch
Lengefeld, Neckerrode, Blankenhayn, wo’s wegen
der Feuersgefahr bei 5. Thaler Strafe verbothen war,
mit der brennenden Tobakspfeife uͤber die Straſſe zu ge-
hen. Das Weimariſche Land ſelbſt ſcheint bei weitem
nicht ſo gut zu ſeyn, als dieſe Grafſchaft. —
Das deutſche Reichs-Conventions-Geld geht
noch in ganz Judenbach; auch in Reichmannsdorf
nimmt
[99] nimmt mans noch, doch verliert man dran. In Saal-
feld kurſirt es ſchon nicht mehr, dort ſoll auch die ſchlech-
teſte Muͤnze ſeyn. Ich wechſelte ſie gar nicht ein. Die
Rudolſtaͤdtiſche geht im Weimariſchen. Die ſilber-
nen Sechspfennigſtuͤcke, oder halbe Groſchen ſind wirk-
lich ſehr artig, und bequem zum Zaͤhlen. 24. Groſchen
machen einen Thaler.
Weimar liegt im Thale, ſo daß mans kaum ſieht,
bis man nahe dran iſt. Die Stadt iſt klein, unanſehn-
lich, und irregulaͤr. Die Ilm flieſt dran vorbei. Vom
Schloſſe ſtehen ſeit dem letztern Brande nur noch trauri-
gen Ruinen. Es war gros, aber alt; man iſt jetzt wil-
lens, es mit mehrerm Geſchmack wieder aufzubauen.
Der Hof wohnt jetzt in einem Hauſe, das die Landſtaͤn-
de zu ihren Verſammlungen erbaut haben, und von dem-
ſelben hat man die traurige Ausſicht auf das abgebrannte
Schlos. Eine halbe Stunde vor der Stadt liegt Bel-
vedere, ein Luſtſchlos, das ſehr ſchoͤn ſeyn, und beſon-
ders eine herrliche Orangerie, worin ſich Staͤmme von
erſtaunender Groͤſſe und Alter befinden, haben ſoll. Die
Herzogin Frau Mutter iſt auf dem Lande, und auch des
Herzogs Bruder, der Prinz Konſtantin, nicht immer
in der Stadt.
Ich nahm mein Logis im Adler, nicht weit vom
Markte.
Den 7ten Aug.
Mein erſtes Geſchaͤft war heute dem
Hrn. Diak. Schroͤter meinen Beſuch zu machen, und
ſein Naturalienkabinet zu beſehen. Es enthaͤlt ohn-
G 2gefaͤhr
[100] gefaͤhr 3000. Erze, 4000. Konchylien, und unſaͤglich
viele Verſteinerungen. Er fing klein an zu ſammeln,
weil er kein Vermoͤgen hat; ſammelt aber nun 13. Jahr,
und nun haͤlt ers auf 3000. Thaler; es muß ihm auch
jetzt durch das, was er daruͤber ſchreibt, Zinſen tragen,
denn ſeine Beſoldung iſt nur 600. Thaler. Ich fand
darin beſonders bemerkenswuͤrdig:
- 1) Herrliches gruͤnes Koburger Holz. Es ſoll verſtei-
nert ſeyn, mir iſts ein wahrer Stein. - 2) Madrepor. fungites, verſteinert, mit Mytilis,
von Halle. - 3) Eiſenhaltige Hoͤlzer von Schmalkalden, die ge-
ſchmolzen werden. - 4) Alcyonium in Kalk. Hr. Schroͤter beruft ſich
dabei immer auf die auſſerordentliche Schwere. - 5) Ein Schlackenartiger Koͤrper von Altorf, der
doch nicht Schlacke iſt, und mit dem Ac. nitri
brauſt. - 6) Alcyon. aus Champagne, — wie mehrere andre
dortige Sachen, — in materia ſilicea, z. B.
Ammonshoͤrner. - 7) Gar ſchoͤn verſteinerte Maͤntel aus Paſſau.
- 8) Eine verſteinerte Fluͤgelſchnecke aus Verona.
- 9) Kybitzeier von der Inſel Faxoe bei Faroe.
- 10) Eine Volute in ſchwarzen Jaſpis aus Maltha.
- 11) Ein Turbinit in Chalcedonyx verwandelt, vom
Regenſtein im Halberſtaͤdtiſchen. - 12) Ein Buccinum in Kiesnieren.
- 13) Millionen zuſammengewaſchene Schnecken und
Muſcheln. - 14) Runde Orthoceratiten, auch geſchlaͤngelte.
15) Ein
[101]
- 15) Ein ganzer dergleichen in einer Kiesniere von Altorf.
- 16) Belemmten. Sind, wie Orthoceratiten, Lituiten,
und Entrochiten, noch unbekannte Konchylien. Man
hat Stuͤcke, wo der Alveolus unten noch leer iſt;
da ſaß das Thier. Das uͤbrige von der Hoͤlung iſt
geſchloſſen. Koͤmmt unzaͤhligemal vor, und iſt Be-
lemnit. Man hat auch Stuͤcke, wo man den Ner-
vengang des Thiers noch ſieht. S. Einleitung ins
Steinreich, 4. B. Tab. III. - 17) Echinit, worin Kryſtalle ſitzen, von Faxoe.
- 18) Schraubenſteine. Sind Entrochiten, die in
Eiſen verwittert ſind. Entrochiten ſind Stuͤcke
von Zoophiten, die man nicht genug kennt. - 19) Kroͤtenſteine,foſſilia von Maltha. Schroͤter
haͤlt ſie fuͤr Backzaͤhne von Fiſchen; ſie ſehen aus wie
Augenſteine oder Achatſtuͤcke. - 20) Gelenkſteine; ſollen das ſeyn, was dem Enerinus
zunaͤchſt unter der Krone ſitzt. - 21) Aſteria ophiura, verſteinert auf Sand, von Ko-
burg. - 22) Gegrabne Konchylien; eine ſtarke Sammlung,
worunter einige neue Gattungen ſind. - 23) Herrliche Meerkoͤrper aus Norwegen; als Ko-
rallinen, Myxine glutinoſa, Doris, Clio, Aſci-
dia, Auſtern, Echinus im Weingeiſt, Phalangi-
um marinum, Nereis, Cap. Meduſae, Aſter.
pectinata etc. - 24) Queckſilberſtuffen, wo ſich der Zinnober abreibt,
aus Ungarn. - 25) Herkuleskeule, ſ. davon den Naturforſcher.
- 26) Dentalium.
- 27) Eine gruͤne neue Patelle. — Eine Glaspatelle.
G 328) Ein
[102]
- 28) Ein Midasohr, woran noch das Seemoos ſitzt.
- 29) Bulla ampluſtrae, aperta, das Theeloͤffelchen,
Terebellum, und auch aufgeſchnitten. - 30) Nautili, ausm Sand bei Rimini, aufgeſchliffen,
hat unterm Mikroſkop 38.-40. Kammern. - 31) Voluta oliva, oder Waldeſel; abgeſchliffen iſt ſie
die rare Voluta, ſ. Martini’s Kabinet, S. 565. - 32) Kapuziner, iſt Conus Miles abgeſchliffen.
- 33) Admiraͤle. — Murices, auch aufgeſchnitten.
- 34) Bootshacken,Mur. Lambis, Mur. hauſtel-
lum iſt gar ſchoͤn. - 35) Helix ampullacea, die Koth oder Schlamm-
Schnecke, weil ſie in Reisfeldern, wenn er abgemaͤht
worden, vorkoͤmmt. — Auch mit dem Deckel. - 36) Aufgeſchliffene Spindeln; Stockwerk auf Stok-
werk. - 37) Mohrenbinde, die auch dahin gehoͤrt; gar ſchoͤn.
- 38) Murex diſpectus, heiſt mit Recht ſo, aber in-
wendig wie Gold. - 39) Zebra; hat Linne’ nicht. Soll ſehr ſelten ſeyn,
und ſich beim Vorgeb. d. g. H. auf den hoͤchſten
Bergen finden. - 40) Pabſtskrone, aus ſuͤſſem Waſſer; aufgeſchnitten.
- 41) Schrauben. — Wendeltreppen.
- 42) Oelkruͤge, weil ſie aufgeſchnitten inwendig einen
Goldglanz haben, und wie geſtandenes Oel ausſehen. - 43) Bienenkoͤrbchen, ein Trochus aus China.
- 44) Perlhuͤhnchen, das ich auch beſitze, eine Fluß-
konchylie, die Linne’ nicht hat. - 45) Ein Mytilus, der wie Opal ſpielt.
- 46) Eine Oſtrea, die Linne’ nicht hat; rauh.
47) Groſſe
[103]
- 47) Groſſe Kompasdubletten, rothgeſtreift, aus
Japan. - 48) Afterarchen, wo ein Stuͤck wirklich groͤſſer iſt, als
das andre, aus Weſtindien. - 49) Pohlniſcher Hammer, und
- 50) Sattel; es kan kaum eine Meſſerſchneide dazwi-
ſchen. - 51) Mactra Spengleri, ein ſchwer zu klaſſifizirendes
Stuͤck. - 52) Die blaue Hure, iſt die abgeſchliffene Mactra ſtul-
torum. - 53) Herrliche Solenes, unter andern, radiatus, die
den Tellinis ſehr gleichen. - 54) Anomia Terebratula, aus Oſtindien. Das
Original zu ſo viel tauſend Verſteinerungen. Linne’
redet in der Mantiſſa von einer Norwegica; dieſe
iſt auch hier, auch noch mit dem ausgetrockneten Thie-
re; alle mit den Oefnungen oben, wodurch das Thier-
den Ruͤſſel ſteckt. - 55) Chiton, glatt und geſtreift. Eine Schnecke von 8.
zuſammengegoſſenen Ribben, nicht Oskabioͤrn. S.
Spengler in Beſchaͤftigungen ꝛc. - 56) Lepas, gar ſchoͤn, ſonderlich Tulpen.Teſtu-
dinaria auf Walſiſchhaut. Galeata auf einem
Horngewaͤchs, aus Island. - 57) Linkgewundene Schnecken.
- 58) Aſterias, aufgeſchnitten zur Anatomie, — ſechs-
ſtrahlicht; — einige, an denen man die Repro-
duktionskraft ſieht.
G 459) Ue-
[104]
- 59) Ueberhaupt herrliche Suiten aus allen Geſchlech-
tern *)
Von Hrn. Diak. Schroͤter ging ich und machte den
Hrn. Generalſuperintendenten und Oberkonſiſtorialrath
Herder meinen Beſuch. Ich fand ihn recht geſund und
munter. Ein Mann von unbeſcholtenem Karakter. Er
hat eine wuͤrdige Frau und 4. ſchoͤne Knaben und lebt
gluͤcklich. Wir ſprachen uͤber Verſchiedenes. Vom
Zenda-Veſta, und der aͤlteſten Urkunde mag er jetzt gar
nichts mehr hoͤren. Uebers Gekreiſch der Ketzermacher
lacht er. Er ſagte mir, er ſei auf die Kabbala durch
Lightfoot gebracht worden, ſei aber nun uͤberzeugt, daß
kein Menſchenverſtand darin iſt. Seinen Styl habe er
vom Rektor Haman in Preuſſen, — denn Hr. Her-
der iſt aus Mohrungen in Preuſſen gebuͤrtig; — der
die Apologie des Buchſtabens H geſchrieben hat. Er
beſitzt viel ſchoͤne Buͤcher, die zu den Alterthuͤmern und
zur griechiſchen, engliſchen und ſpaniſchen Litteratur gehoͤ-
ren. Leztere liebt er jetzt vorzuͤglich. Gegenwaͤrtig
ſchreibt er Briefe, uͤber die rechte Art, Theologie zu ſtu-
diren. Er braucht nur aller 4. Wochen einmal zu pre-
digen. Nachdem ich ihn verlaſſen, hatte ich die Gnade
Sr. Durchl. dem regierenden Herzoge aufzuwar-
ten. Ein noch junger, aber viel verſprechender, men-
ſchen-
[105] ſchenfreundlicher Fuͤrſt, der ohne Affektation iſt, auch
Pracht nicht liebt. Dem Herzoge von Gotha zu Gefal-
len, der keine Haare hat, und doch keine Peruͤke tragen
wollte, lies er ſich ſeine auch abſchneiden, traͤgt alſo den
Kopf faſt ganz glatt. Er unterhielt ſich ſehr leutſelig mit
mir von Karlsruhe, vom Zwecke und Nutzen des Rei-
ſens, von der Naturgeſchichte, die er ſelbſt liebt, von
Gymnaſien, Univerſitaͤten, dem hieſigen Kabinetten u.
dergl. Die Einſichten, die er hierbei an Tag legte, er-
regten meine Verwunderung und Verehrung. Nachdem
ich gnaͤdig entlaſſen worden, beſuchte ich den
Hrn. Oberkonſiſtorialrath Schneider, mit dem ich
ehemals von Goͤttingen aus, wegen einer gewiſſen An-
gelegenheit korreſpondirt hatte, und nach ihm
Das Herzogl. Naturalienkabinet. Ehemals
wars eigentlich eine Kunſtkammer; der vorige Herzog
aber kaufte das Heidenreichſche Kabinet dazu, und der
jetztregierende lies das Aeuſſere einrichten, und ſetzte Hrn.
Diak. Schroͤter zum Aufſeher daruͤber, gibt auch alle
Jahr 100. Thaler zu Anſchaffung neuer Sachen her, weil
er ſelbſt Liebhaber der Naturgeſchichte iſt. Ich fand un-
ter andern Merkwuͤrdigkeiten:
- 1) Angeblich verfteinerte Muskatnuͤſſe ꝛc.
- 2) Scholle, Karpe, Hecht, kenntlich auf Schiefer
abgedruckt. - 3) Hipperit, in Eiſenſtein.
- 4) Ein Aalfoͤrmiger Fiſch auf Schiefer von Ilme-
nau; der ganze aufgeſchlagene Koͤrper iſt in Spat
verwandelt. - 5) Kaſtanien. Schroͤter haͤlt ſie fuͤr Fiſchzaͤhne.
G 56) Eine
[106]
- 6) Eine Tafel voll Heliciten, angeſchliffen; vermuthlich
aus der Schweiz. - 7) Eine Terrebratula in Karniol verwandelt.
- 8) Ein Echinus in Jaſpis verwandelt.
- 9) Kaͤfermuſchel; oder Concha triloba rugoſa
des Links: in Wachs pouſſirt, wie er ſie verſchickte,
wenn ſie jemand ſehen wollte. Soll ein Krebs ſeyn. - 10) Schoͤne Stuͤcke von Encrinis.
- 11) Kragenſtein, oder Gyps von Wieliczka in Poh-
len. Schober hat ihn entdeckt; enthaͤlt aber nichts
ſalzichtes. - 12) Ein groſſer Dendrit von Solenhofen im Pap-
penheimiſchen. Man koͤnne ſie noch groͤſſer haben,
die Leute aber ſpalten die Stuͤcke wegen des Trans-
ports. - 13) Suiten von herrlichen Spaten vom Harz.
- 14) Ein Schweizer Bergkryſtall, 250. Pfund ſchwer.
Ein Schweizer fuͤhrte das Stuͤck von dorther,
bis auf Weimar, und da zahlte ihm der vorige Her-
zog 75. Thaler dafuͤr. - 15) Truͤbe, auch gefleckte Kryſtalle; das ſollen die un-
tern im Keller oder im Gewoͤlbe ſeyn. - 16) Patella chinenſis, mit der Kammer inwendig.
- 17) Weſtindiſcher Orangen-Admiral.
- 18) Teufelsklaue und Kamiſolknopf, roth, Troch.
Pharaonis, ſelten. - 19) Kleine Kompasdubletten.
- 20) Chama Hippopus, voͤllig wie ein Pferdefuß.
- 21) Ein unbekanntes Cardium.
- 22) Spannenlange Solenes.
23) Le-
[107]
- 23) Lepas Diadema, den Walch im Naturforſcher
Lepas Polythal. nannte, bis ihn Martini in den
Berl. Mannichfaltigkeiten belehrte. - 24) Aſter. reticulata, — ein herrliches Stuͤck. Man
ſchneidet auch die Aſter. durch, um die innere Orga-
niſation in jedem Strahl zu ſehen. - 25) Rauchtopas vom Gotthardsberge; ein Spiel
der Natur. Ueber einander geſchobene Taͤfelchen,
und die Kryſtalle an beiden Seiten ausgeworfen. - 26) 270. Stuͤck Kieſel aus aller Welt, angeſchliffen.
Sind von Rumbricht in Blankenburg fuͤr 20. Tha-
ler zu haben. - 27) Eine Mumie, ein Kind.
- 28) Majolica. Blau und gelbe Teller von 1550. aus
Raphael’s Zeit *). - 29) Herrl. Baͤume aus dem Meere.
- 30) Ein Cap. Med. auf Marmor von Altorf. Ko-
ſtete 50. Thaler. - 31) Iſis nobilis mit ſtarken Zacken. Jeder Aſt gilt
einen Dukaten. - 32) Ganze Kaſten voll Elfenbeinernes Schnitzwerk.
33) Ein
[108]
- 33) Ein Pelikan, der hier im Lande bei Schwanen-
ſee gefangen worden. - 34) Ein Skelet von einem Elephanten, aber unter ein-
ander geworfen. - 35) Ein ausgeſtopfter Manati, der ſich aber an eine
Ecke hinter ſich lehnt. - 36) Eine Robbe und ein dazu gemachter Groͤnlaͤnder
im Kajack aus Fiſchhaut. - 37) Eine Wallſiſchrippe, wiegt 294. Pfund.
- 38) Groſſe und kleine Harpunen, Krokodille, Saͤ-
gefiſche ꝛc.
Aber No. 34.-38. ꝛc. lagen in einer Nebenkammer
ganz mit Staub bedeckt. Das war Schade! Als wenn
folche Stuͤcke nicht wichtiger waͤren, als Verſteinerungen!
Gegen Abend machte ich einen Spaziergang mit mei-
nem lieben Herder und ſeiner guten Gattin an der Ilm
hinab, durch eine anmuthige Gegend. Wir ſprachen
vom Landpredigerſtande. Er fuͤhrte daruͤber viele Kla-
gen und ſagte, Jena mache, daß alle Bauerjungen
ſtudirten, die Eltern ſchickten ihnen Butter, Fleiſch ꝛc.
hinein — — Bei einer Praͤſentation habe ihm einer,
der ſonſt famam hatte, uͤber Evang. D. X. p. Tr. von
der Geiſſel Chriſti, und von der Pflicht der Obrigkeit,
den Tempel zu reinigen ꝛc. vorgepredigt, auch habe man
ſeither noch immer nach dem Bayer examinirt. — —
Auf den Abend mußt’ ich bei ihm ſpeiſen, und drauf
nahm ich ungern Abſchied von dem wuͤrdigen Manne.
Den
[109]
Den 8ten Aug.
Mein erſter Beſuch fuͤr heute war beim Hrn. Gehei-
menrath Goͤthe, und drauf beim Hrn. Hofrath Wie-
land, liebenswuͤrdig in ſeinen Werken, in ſeiner Fa-
milie, in ſeiner Geſellſchaft, und ein gluͤcklicher Vater
von 3. Soͤhnen und 4. Toͤchtern.
Mittags ſpeißte ich beim Hrn. Diakon. Schroͤter.
Der gute Mann beſchenkte mich mit verſchiedenen ſchoͤ-
nen Naturalien, verſprach mir auch noch ein Cap. Med.
zu ſchicken, dagegen ich ihm Verſchiedenes verſchaffen ſoll.
Nach Tiſche hatte ich das Gluͤck, Ihro Durchl.
der Frau Herzogin vorgeſtellt zu werden. Eine Prin-
zeſſin, von einem uͤberaus gnaͤdigen, liebreichen, guten,
reinen Karakter. Sie ſprach von Wieland und Vol-
taire, und ihre Urtheile waren ungemein richtig und tref-
fend. Sie erzaͤhlte, erſter habe ihr und der Herrſchaft
in Gotha den Oberon in Handſchrift vorgeleſen ꝛc.
Hierauf beſuchte ich den Hrn. Rath Bertuch in ſei-
ner angenehmen Gartenwohnung, *) und dann aß ich
auf den Abend bei meinem Freunde Wieland in ſeinem
Garten. Als ich dieſen um ſein Portrait bat, ſagte er,
alle Kupferſtiche von ihm taugten nichts, Geyſer in
Leipzig aber werde ihn ſtechen. Sein beſtes Portrait
habe ſich die verſtorbne Herzogin von Wuͤrtemberg ma-
chen
[110] chen laſſen. Mit dem Karakter der Nation und ihrer
Verfaſſung war er gar nicht zufrieden, und wuͤnſchte ſie
ganz umgeſtuͤrzt zu ſehen. Weil ich Morgen Weimar
verlaſſen wollte, ſo nahm ich Abſchied von dem herrlichen
Kopf und ſeiner wuͤrdigen Familie.
Den 9ten Aug.
Reiſe nach Jena.
Ich kam durch herrliche Fruchtfelder, uͤber ein Dorf
Frankendorf und Ketſchau, wo ein Salzwerk iſt,
hierher.
Jena iſt ein finſtrer, enger, alter, winklichter
Ort, hat aber doch einen ſchoͤnen Markt, aber keinen gu-
ten Gaſthof. Ich logirte in der Sonne auf dem Mark-
te. Es war grade das jaͤhrliche Vogelſchieſſen der Buͤr-
ger und Studenten. Letztre halten viel Hunde, wie ich
bemerkte. Ich machte gleich dem beruͤhmten Zergliede-
rer, dem Hrn. Hofr. und Prof. Loder, einen Beſuch,
und ſpeiſte auf ſeine freundſchaftliche Einladung Mittags
bei ihm in Geſellſchaft des Hrn. Geheimterath Goͤthe.
Nach Tiſche beſah ich
Walch’s, oder das nunmehrige Herzogl. Na-
turalienkabinet. Es ſteht in 4. Zimmern auf dem
Schloſſe. Des Herzogs von Weimar Durchl. hat es
(die Bibliotheck mit dazu gerechnet) der Wittwe des ſeel.
Walchs 1779. abgekauft, und gibt ihr jaͤhrlich, ſo lan-
ge ſie lebt, 300. Thaler. Das kleine Kabinet, was der
ſeel. Walch zu den Vorleſungen brauchte, kauſte Hall-
bauer. Hr. Hofr. Loder hat die Aufſicht daruͤber.
Hr.
[111] Hr. Mag. Lenz aber ſoll es rangiren. Man ſchmeichelt
ſich, der Herzog werde das Weimariſche Kabinet dazu
ſchenken *). Jetzt ſah noch alles, wie ein Chaos aus.
Der ſeel. Walch ſchrieb ſelten das Locale dazu. Mir
waren darin beſonders merkwuͤrdig:
- 1) Verſteinerte Nautili, ſehr ſchoͤn. Es waren noch
Stuͤcke von der Schale vorhanden. - 2) Ein Enkrinit um Jena herum gefunden.
- 3) Sehr groſſe Belemniten aus Anſpach.
- 4) Etliche Kaͤfermuſcheln.
- 5) Marmor mit Patellen.
- 6) Sehr groſſe Stuͤcke von Fraueneis.
- 7) Krokodilleier in Weingeiſt, weis mit braunen Flecken,
wie Apricoſen.
8) Ein
[112]
- 8) Ein Daſyp. decemcinctus.
- 9) Ein ganz vortreflicher Cyclopterus.
- 10) Viele Fiſche in umgekehrten Kaͤſtchen von Pappdeckel.
- 11) Aſter. mit vier Strahlen.
- 12) Capiſche Pflanzen.
- 13) Ampelis garrulus hat die rothen Endſpitzen an
den Federn und iſt in dieſem Lande nicht ſelten. - 14) Ein Hamſter, die groſſe Plage dieſes Landes.
- 15) Ein Auerhahn, recht gut ausgeſtopft.
- 16) Vultur barbatus aus der Schweiz. Der untre
Kiefer iſt erſchrecklich ſcharf und ſpitzig. Hat unten
greulich viel Federn. - 17) Ein himmelblaues Kolibri.
- 18) Ein ſchwarzer dergl. mit gelbbraunen Kopf.
- 19) Raupen durch eine Nadel mit Baumwolle angefuͤllt,
gefirnißt und aufgeſteckt von dem geſchickten Hr. M.
Lenz. - 20) Wiedehopfe, ein Paͤrchen.
- 21) Ein ſehr groſſes weiſſes Korallenſtuͤck.
- 22) Korallenmoos, mit einer Pholade darin.
- 23) Dermeſt. Imperialis. Herrlich ſind die Reihen
unter dem Mikroskop. Koſtet 5. Louisd’or. - 24) Eine ſchoͤne Bernſteinſammlung.
- 25) Ein Neſt von einer Schwanzmeiſe in einer Gabel
von Aeſten.
Von da ſtattete ich dem
Hrn. D. und Prof. Theol. Griesbach einen Be-
ſuch ab. Er war eben zum Erſtenmahle Prorektor.
Ein wuͤrdiger Gottesgelehrter. — Er hat eine Schwe-
ſter des Hrn. Prof. Schuͤtz zur Ehe, aber keine Kinder.
Aber ſie iſt eine vortrefliche angenehme Frau, beſitzt Witz,
Bele-
[113] Beleſenheit, iſt Dichterin, Malerin, Tonkuͤnſtlerin und
alles dies groͤſtentheils ohne Anweiſung. Iſt der Mann
im Beſitz eines ſolchen Weibes nicht gluͤcklich! Ich aß
auf den Abend bei ihnen, mit Hrn. Prof. Schuͤtz, Hrn.
Kammerrath Wiedeburg, und Hrn. Maler ꝛc. einem
jungen Studirenden. Wir waren alle herzlich vergnuͤgt.
Den 10. Aug.
Mein erſter Beſuch war heute beim
Hrn. Kirchenrath Danov,*) einem groſſen, dicken
und ſtarken Manne. Wir ſprachen von Doͤderlein’s
Schriſten, von Noͤſſelt’s theologiſcher Buͤcherkenntnis ꝛc.
Er forderte mich auf, meine Naturbetrachtungen ja fort-
zuſetzen ꝛc. Von ihm ging ich zum
Hrn. Prof. Weber, der von Roſtock hierher ge-
kommen iſt; der gute Mann aber leidet ſeit 4. Jah-
ren an den Haͤmorrhoiden **). Er iſt Verfaſſer des
Buchs von der Aehnlichkeit mit Gott, und einiger Pre-
digten. Er lieſt hier ſonderlich praktiſche Sachen, und
uͤbt die Studenten fleiſſig im Predigen.
Darauf machte ich ferner Beſuche beim juͤngern
Hrn. Schroͤter, dem Sohne des Hrn. Diakons Schroͤ-
ter in Weimar, der hier Sprachen und Schulwiſſenſchaf-
ten fleiſſig ſtudirt ***); beim Hrn. Hofrath Waich,
Hrn. Prof. Ulrich ꝛc. und dann ging ich aufs
Ana-
Zweiter Theil. H
[114]
Anatomiſche Kabinet beim Hrn. Hofr. Loder.
Er erzaͤhlte mir, daß er aus Wagler’s Sammlung fuͤr
beinahe 200. Louisd’or gekauft habe und nun fuͤgt er noch
feine eigenen Praeparata hinzu. ꝛc. *) Der Herzog
will ihm auch einen eignen Zeichner halten, und die Stuͤ-
cke ſollen wie Hunter’s praͤchtiges Werk de utero hum.
grav. in Kupfer geſtochen werden. Mir war darin vor-
zuͤglich bemerkenswuͤrdig:
- 1) Ein Mohren-Foetus ſchwarz, aber unzeitig abge-
gangen. - 2) Foetuſſe von 4. Monaten ꝛc.
- 3) Molae, wo man die Amnios, aber nichts mehr vom
foetu ſieht. - 4) Eine Mola veſicularis.
- 5) Zwei uteri bicornes, auch molae bicornes aus
ihnen. - 6) Ein uterus obliquus, und doch noch virgineus.
- 7) Hymenes. — Corpora lutea.
- 8) Praeparata von Uteris durch Maceration.
- 9) Stuͤcke, wo die flocculi Placentae noch ganz, an-
dre, wo ſie ſchon nur halb den uterum umziehen, an-
dre, wo ſie ſich ſchon ganz oben hingezogen haben. - 10) Carunculae myrtiformes.
- 11) Ein Vterus Simiae, ſehr aͤhnlich.
- 12) Eine Spina bifida.
- 13) Hydrops funic. umbilicalis in ovo, abortus
cauſa.
14) Ein
[115]
- 14) Ein Ovum human. noch in einer eigenen Ciſtilla.
- 15) Vaſa anaſtomotica aus der Plac. in utero.
- 16) Muſculus orbicularis Ruyſchii d. i. die innere
Flaͤche des Uterus. - 17) Anſehnliche Stuͤcke, wo die Placenta uterina noch
dran haͤngt. - 18) Placenta trimellorum. Die 3. Funic. umbili-
cales neben einander. - 19) Arteria thyroidea inferior ex arcu aortae, ſ.
Neubaur. Das iſt die mehrmals beobachtete Varie-
taͤt am Herzen, daß aus dem Bogen auſſer den 3. Ge-
faͤſſen noch ein 4tes kleines kommt. - 20) Clitoris an foetub. foemin. ſehr lang, ſieht aus
wie ein Penis. - 21) Deſcenſus Teſticuli, und Gubernaculum
Hunteri. - 22) Wagler’s injicirter Vierus, wo die Placenta auf
dem Orif. uteri anhaͤngt. - 23) Verſchiedene Beſchaffenheit des Muttermundes.
- 24) Ein voͤlliges Kind, wovon der groͤſte Theil des Kopfs
noch nicht oſſificirt war. - 25) Ausgeſpruͤtzte Stuͤcke von Inteſt. wo man alle Ana-
ſtomoſes ſehen kan.
Ich beſuchte von da den beruͤhmten
Hrn. Prof. Eichhorn. Wir ſprachen uͤber die Ur-
geſchichte. Dagegen hat Rau in Erlangen ein Pro-
gramma geſchrieben, darin er Gen. 1. nicht fuͤr eine
Ficktion, ſondern fuͤr ein hiſtoriſches Lied haͤlt. Drauf
ging ich mit
H 2Hrn.
[116]
Hrn. Kammerrath Wiedeburg ſpazieren, um die
Gegenden von Jena ein wenig zu beſehen; nahm dann
Abſchied von Hrn. Dr. Griesbach und ſeiner liebens-
wuͤrdigen Gattin, und ſoupirte noch zum Beſchluß mei-
nes hieſigen, fuͤr mich allerdings nur zu kurzen, Aufent-
halts bei Hrn. Prof. Eichhorn mit den Herren Loder
und Weber.Inter bonos bene!
Den 11ten Aug.
Reiſe nach Halle.
Von Jena bis nach Halle ſind 8. Meilen, die Land-
ſtraſſen ſind ſchmal und laufen an der Saale hin. Man
ſieht erſt viel Schieferberge, hernach aber liebliche Frucht-
felder. Ueber Mittag war ich in
Naumburg, einer alten ſaͤchſiſchen Stifts-
ſtadt, die zwiſchen Bergen, die theils mit Holz, theils
mit Weinbergen bedeckt ſind, eine ungemein romantiſche
und reizende Lage hat. Darauf kam ich nach
Lauchſtaͤdt, einem ſeines mineraliſchen Bades we-
gen ſehr bekannten und im Sommer ſtark beſuchten Staͤdt-
chen, und dann endlich nach
Halle, der Stadt, wo ein Baumgarten, ein
Wolf, ein Segner lehrten, und wo Miller, wo mein
Vater, Onkel, Bruder, Schwager, und ſo viele meiner
Lehrer und Freunde ihre Jugend zubrachten, guten Sa-
men einſammelten und dann wieder ausſtreuten. — Ich
nahm mein Quartier im blauen Hecht neben der Markt-
kirche.
Den
[117]
Den 12ten Aug.
Mein erſter Beſuch war heute beim
Hrn. D. Semler. Dieſer verehrungswerthe Ge-
lehrte nimmt gleich durch ſeine geiſtvolle Mine ein. Ich
fand ihn noch munter und friſch. Er nahm mich ſehr
freundſchaftlich auf. Wir unterhielten uns uͤber Ver-
ſchiedenes. Ueber ſeine Umſtaͤnde ſagte er: „Ich be-
„rechne mich vor Gott und vor einer unendlichen Ewigkeit.
„Man muß auch etwas leiden in der Welt. Es wird
„keinem geboten von der Providenz, der nicht viel Anla-
„ge hat. Der Weg der Vorſehung wird ſich oͤffnen.
„In froͤlicher Unterwerfung gegen Gott fang’ ich jeden
„Tag an ꝛc.“ Als ich dieſen treflichen Mann verlaſſen
hatte, ging ich,
Das Naturalienkabinet des Hrn. Kriegsraths
von Leyſer in der Steinſtraſſe zu beſehen. Der Be-
ſitzer iſt Kammerdirektor und hat erſtaunend viel Ge-
ſchaͤfte, ſonderlich wegen des Departements der Berg-
werksſachen im Lande, und doch nur 700. Thaler Beſol-
dung. Er iſt vorſitzender Rath in der Naturforſchenden
Geſellſchaft, die ſich hier formirt hat, ſammelt Minera-
lien, Konchylien und Inſekten ꝛc. Ich fand unter an-
dern hier:
- 1) Quarz in Zinnober eingeſchloſſen, ſieht, wenn er
angeſchliffen iſt, wie ein roth und weiſſer Edelſtein
aus. - 2) Morio, oder ſchwarzer Kryſtall.
- 3) Chryſopras, auf der einen Seite ſieht man noch
holzartige Fibern. - 4) Oktaedriſcher Rubin.
H 35) Blaues
[118]
- 5) BlauesSal gemmae mit Eiſenoker.
- 6) Succinum foſſile, das hier oft in braunen Kohlen
vorkoͤmmt. - 7) Steinkohlen, in denen zwiſchen den Lamellen, feiner
Schwefelkies ſitzt, daher ſie ſich oft entzuͤnden, von
Gerbitz bei Wettin. - 8) Pyrites cellularis, und die Bleikugeln liegen noch
darin. - 9) Bleiglanz in Galmei.
- 10) Zink aus Kupferſchiefern.
- 11) Saalfelder Sandkobolde.
- 12) Saͤchſ. Zinnzwitter, d. i. kleine Kryſtalle. Grau-
pen heiſſen ſie, wenn ſie gros ſind. - 13) Polyedriſcher Bleiglanz.
- 14) Sand von Rimini, ein Sack voll. Im kleinſten
ſieht man Welten. - 15) Eiſen-Kryſtall von Fahlun.
- 16) Sibiriſche Kupfererze, eine ganze Suite.
- 17) Oktaedriſch kryſtalliſirtes Silber, von Kongs-
berg. - 18) Eine Goldſtuffe von der Eule in Boͤhmen, ſo ſel-
ten, daß ſie Hr. von Born ſelber gern gehabt haͤtte. - 19) Waſchgold aus der Saale.
- 20) Alabaſter aus Thuͤringen.
- 21) Serpentinſtein, gar viele angeſchliffene Taͤfelchen
mit Kalkſpat; einer mit Amiantfaͤden, die man
heraus nehmen kan. - 22) Trigla volitans, verſteinert, auf Kupferſchiefer
von Mannsfeld. - 23) Eiſenſand von Gexholm in Schweden, den der
Magnet zieht. - 24) Herrliche Phytholiten, Schilf ꝛc. von Wettin.
Zu
[119]
Zu Mittage war ich beim Buchhaͤndler Hrn. Ge-
bauer zu Gaſte. Er iſt ebenfalls Liebhaber der Natur-
geſchichte, ſammelt, beſitzt auch bereits viel ſchoͤne Sa-
chen, und koſtbare Buͤcher in dieſem Fache.
Nach Tiſche beſuchte ich folgende Gelehrte:
Hrn. Dr. Noͤſſelt. Ein Gelehrter, den das viele
Studiren alt und mager gemacht hat, ſonſt aber ein ge-
lehrter, biedrer Mann.
Hrn. Prof. J. A. Eberhard, der ein aufgeklaͤrter
Kopf und ſcharfſinniger Philoſoph iſt. Er wuͤnſcht die
Fortſetzung der Abhandlungen von der Aehnlichkeit der
Natur bei aller Unaͤhnlichkeit ꝛc. Vom ſeel. Martini
erzaͤhlte er mir, daß er zuweilen eine kleine Debauche ge-
macht habe, ſei auch oft in 6. Wochen nicht aus ſeinem
Kaſten gegangen.
Hr. Dr. Bahrdt ſieht braͤunlich und wild aus. Er
lieſt hier uͤber die Beredſamkeit, hat auch Etwas daruͤ-
ber drucken laſſen, klagte ſehr uͤber akademiſchen Neid.
— — Er lebt von Vorleſungen, Schreiben und Sub-
ſkriptionen von Berlin. Jetzt iſt er mit Baſedow
gegen Semlern alliirt, und iſt der Saame von allen
Uneinigkeiten. Ob er ſich hier mainteniren werde, ſteht
zu erwarten. Noch immer naͤhrt er ſeine Lieblingsidee
von einer allgemeinen Religion.
Hrn. Prof. Knappe fand ich nicht zu Hauſe.
Hr. Prof. Theol. Niemeier war mit mir uͤber den
Hiob einig, und meinte auch, Wesley der Engellaͤnder
habe abgeſchmacktes Zeug daruͤber geſagt ꝛc.
H 4Hierauf
[120]
Hierauf machte ich mit Hrn. Dr. Semler einen
Spaziergang, und aß dann Abends bei ihm in ſeinem
Garten.
Den 13ten Aug.
Heute war ich in der
Stadtkirche, oder wie ſie heiſt, die Moritzkirche,
und hoͤrte Hrn. Senf predigen. Die Diſpoſitionen wer-
den hier ſehr weitlaͤuftig gedruckt. Das Exord war 1.
Cor. VI. Preiſet Gott mit dem Leib ꝛc. Thema. Die
Pflicht der Chriſten, Gott auch durch Geberden zu ver-
herrlichen. I) Urſache. II) Wie? — Statt des
Kirchengebets ward die Abſolution verleſen. Drauf folg-
ten viele umſtaͤndliche Dankſagungen. Die Prediger
tragen hier nichts als Mantel und Ueberſchlag. Das
Geſangbuch iſt ſchlecht.
Mittags war ich beim Hrn. Kriegsrath von Ley-
ſer zu Tiſche. Ich bemerkte bei dieſer Gelegenheit, daß
man hier den fuͤſſen Kirſchenwein ſehr liebt, auch macht
man im Herbſt den ſogenannten Loͤffelkrautwein, d. i. die
Cochlearia officin. wird klein gehackt, und mit Moſt
infundirt. Das Getraͤnke wird ſehr piquant, und haͤlt
ſich, wenns wohl zugepfropft wird, ſehr lange. Nach
Tiſche bekam ich
Hr. Prof. Goldhagen’s Naturalienkabinet zu ſe-
hen. Es enthaͤlt Mineralien, Konchylien, Voͤgel, war
aber in keiner ſonderlichen Ordnung. Der Beſitzer kor-
reſpondirt mit D. Koͤnig in Oſtindien, und bekam
eben jetzt Thierhaͤute aus Koppenhagen geſchickt. Ein
Ei voll Eiweis blos ohne Dotter ſei allerdings ſonderbar.
Das
[121] Das ſchoͤnſte Stuͤck, was ich hier fand, war ein aufge-
trockneter Lemur volans L. den Linne’ aber nicht geſe-
hen, und der ſchwer zu ordnen iſt. In der obern Kinn-
lade hat er gar keine Inciſores, die in der untern ſind
pectinati, ſie haben die feinſten Einſchnitte; canini
oder laniarii ſind auch keine da. An den Fluͤgelhaͤuten,
die wollicht ſind, aber wie getrocknetes Pergament ra-
ſcheln, ſind vorne ſcharfe umgebogene Klauen ꝛc. Un-
ter die Primates gehoͤrt er nun gewis nicht. Von hier
ging ich und beſah die
Inſektenſammlung der beiden Bruͤder Schaller,
auf dem Domplatze. Es iſt ſehr nett und vollſtaͤndig,
und enthaͤlt in- und auslaͤndiſche Inſekten in Kaſten,
die uͤber und in einander geſetzt werden koͤnnen. Der
Bupreſtis Chryſ. Fabr. aus Indien war haͤufig da,
und gar praͤchtig. Die Beſitzer haben ſchon zweimahl
ihre Sammlung nach Wien und Wernigerode verkauft,
ſammeln aber immer wieder. Sie verſtehen die Kunſt,
Fluͤgel, Koͤrper ꝛc. fein zuſammen zu ſetzen. Sie ſind
ihrem eigentlichen Gewerbe nach Strumpfſtricker.
Auf den Abend war ich beim Hrn. Dr. Noͤſſelt im
Gartenſaal mit Hrn. Prof. Niemeier und ſeinem Bru-
der, einem Glauchiſchen Prediger zu Tiſche. Die Un-
terredung fiel auch auf die Todesſtrafen, und da geſtand
Hr. Dr. Noͤſſelt doch, daß der Geſchaͤftstraͤger, oder
der Akten geleſen hat, manches beſſer einſieht, als der
akademiſche Gelehrte ꝛc. Bei Gelegenheit erfuhr ich
auch, daß er in Paris geweſen war, daher er mich nach
Manchem von dorther fragte.
H 5Den
[122]
Den 14ten Aug.
Mein erſtes war heute das hieſige beruͤhmte
Waiſenhaus zu beſuchen, und ſo machte ich auch
dem Hrn. Prof. Freylinghauſen meinen Beſuch.
Schon alt aber noch munter. Ein ſanfter, gutmuͤthi-
ger, rechtſchaffener Gottesgelehrter.
Hr. Inſpektor Fiſcher fuͤhrte mich herum, und ſo
gingen wir zuerſt durch die Klaſſen. Jede iſt Gros
und Klein, nur Septima nicht. Selecta exiſtirt gar
nicht. Sie liegen nahe an einander. Ich bemerkte
darin viel Ordnung und Stille, aber auch Verſchieden-
heit der Lehrer. In Grosſekunda hoͤrte ich eine Diſpu-
tation uͤber die Ewigkeit der Hoͤllenſtrafen!! —
Die Apotheke iſt vortreflich eingerichtet, reichlich
verſehen, und gehoͤrt mit zu den beſten in Deutſchland.
Man ſagte mir, daß jaͤhrlich wohl ein Zentner Rhabar-
ber und 100. Pfund China verbraucht werde. Erſtere
ziehen ſie uͤber Luͤbeck aus Moskau, die Kaͤferthal-
ſche halte ſich in der Art nur 3. Jahre.
Das Konviktorium und die Kuͤche. Zum Ko-
fend und Bier braucht man zinnerne Becher. In der
Kuͤche ſind groſſe kupferne Keſſel, in denen eben Schoͤp-
ſenfleiſch gekocht ward. Das Brod war herrlich. Das
Waiſenhaus hat ſeine eigene groſſe Landwirthſchaft, und
doch muß noch viel Milch, Butter ꝛc. gekauft werden.
Es werden aber auch wohl an die tauſend Menſchen hier
ernaͤhrt *).
Das
[123]
Das Naturalienkabinet iſt ſchlecht rangirt, und
wird nicht recht genutzt. Man hat keinen eigenen Leh-
rer fuͤr die Naturgeſchichte hier. Mir waren ſehens-
wuͤrdig:
- 1) Eine groſſe Chama Gigas, 22. Pfund ſchwer.
- 2) Eine ganz weiſſe Eule.
- 3) Unter den vielen Spirituoſis waren Eidechſen und
Daſypuſſe ganz weis geworden. - 4) Groſſe Gallenſteine von Kindern.
- 5) Topasfaͤrbige Druſen.
- 6) Sehr dicke Staͤmme von Meergewaͤchſen.
- 7) Modelle von der Stadt Jeruſalem und dem Tem-
pel Salomons vom ehemaligen M. Semmler. - 8) Syſt. Copernic. ſehr gros, aber zerbrochen.
- 9) Eine Peruͤcke aus geſponnenem Glasfaͤden.
- 10) Ißlaͤndiſche Schuhe aus Fiſchhaut.
- 11) Malabariſche Goͤtzen.
- 12) Poͤnitenzpantoffeln daher. Sie ſind mit lauter
Stacheln beſetzt. - 13) Oekonomiſche Modelle.
- 14) Der Kaſack eines Groͤnlaͤnders.
- 15) Die ganze Malabariſche Bibel auf Palmblaͤttern.
Sie haͤngt buͤſchelweis in Faͤden.
Ganz oben uͤber dem Naturalienkabinet ſieht man
auf dem mit Kupfer gedeckten Altan, die umliegenden
Gegenden, und hier wird zuweilen geſungen.
Das
[124]
Das Kanſteinſche Bibelwerk ſteht in einem ei-
genen Gebaͤude zwiſchen dem Waiſenhauſe und dem
Paedag. Reg. Das Bild des frommen Stifters, eines
Barons von Kanſtein, haͤngt darin. Die Bibel in gros
8. hat 80. Bogen, und jeder macht wohl einen Zentner
Schrift aus. Dieſe iſt bis jetzt 185mal abgedruckt; ko-
ſtet nur 7. Groſchen, ehemals gar nur 6. Groſchen.
Die kleine hat 60. Bogen, und iſt bis jetzt 184mal ge-
druckt. Man verwahrt in dem Saale eine Sammlung
aller Ausgaben. Jedesmal druckt man 5000. Exempla-
re. Das Papier dazu kommt meiſt aus dem Voigt-
lande.
Der Platz, wo die Schuͤler ihre Recreationen ha-
ben, iſt gegen den Regen bedeckt, und jede Klaſſe hat
ihren eignen Ort.
Das Paedag. Reg. liegt ganz hinten, hat ein ſchoͤ-
neres Aeuſſeres, aber jetzt kaum 20. Schuͤler. Wir tra-
fen gerade in eine hiſtoriſche und geographiſche Stunde.
Man findet hier einen Anfang zu einer Mineralien-
ſammlung — viele mathematiſche Inſtrumente —
Plane zu Feſtungen, von den Eleven gezeichnet, weil die
meiſten Offiziers werden, auch Holzſtuͤcke, zum Zuſam-
menſetzen der Feſtungen auf den Boden.
Mittags aß ich bei Hrn. Gebauer, und erhielt einen
Bupr. Chryſ. von ihm zum Geſchenke. Nachmittags
beſuchte ich Hrn. Prof. Meckel, der ſeines ſeel. Vaters
herrliche anatomiſche Praͤparate beſitzt. Weil er aber eben
mit Heirathen und Ausziehen beſchaͤftigt war; ſo bekam
ich auſſer den Knochen nichts bei ihm zu ſehen. Ein
ſprechendes Bild von Huntern in London hatte er, den
er uͤberhaupt ſehr lobte.
Hierauf
[125]
Hierauf beſah ich die Salzkothen. Hr. Prof. Noͤſ-
ſelt’s Vater, ein hieſiger Kaufmann, beſitzt eine der be-
ſten, und dieſe beſah ich. Die Sohlen ſind hier gewoͤhn-
lich 11.-14. loͤthig: Gradierhaͤuſer braucht man nicht.
Die Sohle in der Kothe, wo ich war, iſt 16. loͤthig.
In 6. Stunden ſetzen ſich 2. Kegel Salz an, wovon je-
der 75. Pfund wiegt, oder 1. Dresdener Scheffel oder
28. Halliſche Metzen ausmacht. Man feuert mit Holz-
kohlen und auch mit Steinkohlen. Ich verſuchte die
Sohle, es iſt wahre Solutio ſalis, ganz ſaturirt. Auf
dem Darrboden kan man vor Hitze kaum athmen. Der
Brunnen, aus dem das Waſſer geſchoͤpft wird, liegt mit-
ten in der Stadt, heiſt Gutjahr, iſt 80. Ellen tief, ſoll
ſchon vor Chriſti Geburt gebraucht worden ſeyn, und hat
unten noch den erſten Bau, daran alles von Holz iſt.
Das Salz iſt herrlich, weis und klar. Alle Waſſer hier
ſind merkurialiſch, daher zahlt man Etwas fuͤr die Ein-
richtung mit reinem Waſſer.
Auf den Abend aß ich bei Hrn. Prof. Weſtphal in
Semlers Geſellſchaft.
Den 15ten Aug.
Reiſe nach Leipzig.
Ich machte dieſe kleine Tour auf dem Poſtwagen.
Die Straſſe geht uͤber
Groskugel, welches noch eine preuſſiſche Poſtſta-
tion und der halbe Weg iſt. In Haͤnichen ward ich
von meinem Verleger, dem jungen Hrn. Jakobaͤer in
Leipzig, auf eine ſehr angenehme Art uͤberraſcht. Er
war mir bis hierher entgegen gefahren, ich muſte mich zu
ihm
[126] ihm in ſeine Chaiſe ſetzen, und ſo hielt ich in ſeiner lieben
Geſellſchaft meinen Einzug in Leipzig. Mein Lands-
mann, Hr. Sicherer aus Heilbronn, der hier ſtudirt,
war auch mit von der Parthie.
Den 16ten Aug.
Leipzig. Ich muſte bei meinem Freunde Jako-
baͤer auf der Reichsſtraſſe logiren. Er wollte es nun
nicht anders. Mein erſter Beſuch heute war zuerſt bei
Hrn. Jakobaͤer, dem Vater, ſchon in Jahren, aber
noch thaͤtig, ganz fuͤr ſeine Kunſt eingenommen, und ein
aͤchter Biedermann. Ich beſah ſeine Druckerei, die ſehr
wohl eingerichtet iſt. Sie haben immer 7. Preſſen ge-
hen und koͤnnen jede Woche an 50,000. Bogen drucken.
Das Haus, welches er bewohnt, heiſt das groſſe Fuͤr-
ſtenkollegium oder das ſchwarze Bret. Neben ihm
wohnte ehemals Gellert. Man wies wir ſeine Woh-
nung. Hier war es alſo, dacht’ ich, wo dieſer Weiſe in
einem ſtillen Winkel ſo unendlich Gutes fuͤr die Welt
wirkte, wo er in das Herz ſo vieler Juͤnglinge von nahe
und fern Religion und Tugend pflanzte, ihren Geſchmack
bildete, und Fruͤchte ſchafte, deren Nutzen ſich auf Tau-
ſende verbreitete.
Drauf beſah ich verſchiedene Hoͤr- und Disputati-
onsſaͤle der Univerſitaͤt, die Wahlzimmer, das Konvik-
torium, das neue Juriſtenfakultaͤtsgebaͤude ꝛc. Die
Univerſitaͤt hat viele weitlaͤuftige, zum Theil ſchoͤne Ge-
baͤude. Dann ging ich, um
Hrn. Dr. Platner leſen zu hoͤren. Er hat ſehr viel
Beifall. Ich kam in eine Stunde, wo er uͤber die Diaͤ-
tetik
[127] tetik las. Er ſagte: „Das Fleiſcheſſen mache geſund
„und ſtark; das ſehe man an den Hottentotten, die
„das geſuͤndeſte, ſchoͤnſte und ſtaͤrkſte Volk auf der Erde
„waͤren. Man koͤnne von ihnen weiter den Schluß
„machen; denn dieſe Voͤlkerſchaft nehme ein Land ein,
„groͤſſer als Frankreich, Deutſchland und noch halb
„Deutſchland. Auch Spirituoſa prieß er ſehr an, ſag-
„te, ſie waͤren beim Fleiſcheſſen noͤthig. Der Kaffee
„habe ein Principium die Nerven zu beruhigen, daher
„ermuntre er, und vertreibe oft den Schlaf. Er wun-
„dre ſich, warum man nicht mehr medizinſchen Gebrauch
„in gewiſſen Fiebern davon mache. Milchkaffee nuͤtze
„nichts, des Morgens fruͤh ſei er den meiſten Koͤrpern
„gut, aber zum Ermuntern nicht noͤthig. Weil die
„Aerzte die Urſachen mancher Krankheiten nicht wuͤſten,
„ſo ſchoͤben ſie ſolche auf Kaffee und Thee ꝛc.“ Er
nahm es als ein Theorema an, daß durch langen Ge-
brauch manches unſchaͤdlich werde. — —
Nach der Stunde ging ich auf die Univerſitaͤtsbi-
bliothek. Sie ſteht auf dem Paulinum. Dies war
vormals ein Kloſter, auch ſiehts noch recht alt und moͤn-
chiſch, aber ehrwuͤrdig aus, hat viele zum Theil dunkle
Kreuzgaͤnge, Spitzboͤgen, hohe Fenſter ꝛc. Zu ihrer
Vermehrung iſt kein Fond da, als von jeder Inſkription
eines Studenten, Promotion, Auktion ꝛc. etliche Groſchen
und freiwillige Geſchenke der Buchhaͤndler und Gelehrten.
Jetzt war Hr. Prof. Schwabe Bibliothekar. *) Die
zu
[128] zu jeder Wiſſenſchaft gehoͤrende Buͤcher ſtehen in einer
Art von Vermachung, die wie eine verſchloſſene Kam-
mer iſt. Die Naturgeſchichte ſteht hier noch mit der
Arzneikunde verbunden. Ich ſah Marſigli Hiſt. de
Danube 6. fol. an. Neuere wichtige Werke aus der
Naturgeſchichte fand ich nicht. Als eine der groͤſten
und ſchaͤtzbarſten Seltenheiten der Bibliothek zeigte man
mir ein Manuſkript von Homer’s Ilias, das Erneſti
auch verglichen hat. Es mag etwa aus dem 13. und
14. Jahrhundert ſeyn. Lippert’s Daktyliothek hatte
man auch. Der Churfuͤrſt hat ſie hieher geſchenkt. *)
Ueber den Schraͤnken haͤngen viele Bildniſſe vormahliger
beruͤhmter Lehrer auf hieſiger Univerſitaͤt.
Die Rathsbibliothek hat ein weit ſchoͤnres Aeuſſe-
res als erſtere, aber in der N. G. wenig neue Werke.
Doch fand ich eine herrliche Mumie in einem glaͤſernen
Sarge, zwei groſſe Globi von Coronelli ꝛc. Im Zu-
ruͤckgehen fuͤhrte mich mein Weg durch den ſo beruͤhm-
ten
Auerbach’s
[129]
Auerbach’s Hof, wo in den hieſigen beruͤhmten
Meſſen, Pracht, Reichthum und Geſchmack aus allen
Gewoͤlbern einem entgegen ſchimmern ſoll. Sonſt iſt er
ein altes, winklichtes, unregelmaͤſſiges Gebaͤude.
Den Nachmittag fuͤhrte mich mein Freund Jako-
baͤer, der mir meinen hieſigen Aufenthalt auf alle Art
angenehm zu machen wuſte, nach Raſchwitz, ohngefaͤhr
¾. Stunde von der Stadt, wo ein Garten mit ungemein
reizenden Spaziergaͤngen ins Gehoͤlz und uͤber Wieſen
iſt. Wir tranken da Kaffee. Ein heftiger Platzregen
aber ſtoͤhrte unſer Vergnuͤgen ein wenig, und erinnerte
uns, daß keine Freude in der Welt vollkommen ſei.
Abends ſah ich im Gros-Boſiſchen Garten ein ar-
tiges Feuerwerk abbrennen, wozu der Namenstag der
Churfuͤrſtin Veranlaſſung gab. Es war eine Illumina-
tion dabei, mit Muſik hinter den Laubwaͤnden. Die Zu-
ſchauer ſaſſen unter Zeltern.
Den 17ten Aug.
Der heutige Tag war beſtimmt, mehrere der hieſigen
Gelehrten kennen zu lernen, alſo wartete ich zuvoͤrderſt
eine Vorleſung des
Hrn. Prof. Morus ab. Ich traf eben in eine
exegetiſche Stunde, wo er uͤber 1. Petr. II. 7. 8. 9.
las. Er ſagte, der Apoſtel akkomodire den Ti-
tel des juͤdiſchen Volks auf die Chriſten. Ιερατευμα
βασιλειον ſei nur Collegium ſacerdotum illius,
qui eſt rex: αρετας ſei nach den LXX. ſoviel wie
gloria, laus, excelſa illius attributa. Wider die
Seele ſtreiten, heiſſe, wider die geſunde Vernunft, und
Zweiter Theil. Jdie
[130] die beſſern Religionserkentniſſe ſtreiten. ϒμερα επισκο-
πης meinte er, ſei das kuͤnftige Gericht. — Er gibt
blos den ſenſum litteralem an, aber nicht ein Wort
von der Sache ſelbſt, oder vom Gebrauch der Stelle.
Sein Vortrag iſt ganz und ſehr rein lateiniſch. Hierauf
beſuchte ich nach der Reihe
Hrn. D. Erneſti. Da fand ich aber mehr die
Truͤmmer des Mannes, als ihn ſelbſt. Faſt unbeweg-
lich ſaß er aufin Seſſel, doch hatt’ er noch den Gebrauch
aller Sinne *). Er lebt jetzt blos von Arzeneien. Um
ſo ſonderbarer iſt es, da er in ſeinem ganzen Leben mit
Gemaͤchlichkeit gearbeitet, und ſich nie ſehr angeſtrenget
haben ſoll. Er ſoll ein Mann von heftigen Leiden-
ſchaften geweſen ſeyn. Von ſeiner Undienſtfertigkeit
weis man hier viel zu erzaͤhlen.
Hr. Prof. Reiz, ein groſſer Philolog und ungemein
beſcheidener, guter Mann.
Hr. Paſtor Zollikofer. Schon bemerkte ich Furchen
im Geſicht des vortreflichen Mannes. Er iſt in ſeiner
Unterredung ſehr unterhaltend und lehrreich. Von ihm
ging ich zu meinem Freunde
Hrn. Prof. Leske. Wir gingen ſeine Naturalien-
Sammlung durch, und mir war darin beſonders merk-
wuͤrdig:
- 1) Ein unbekanntes Midasohr.
- 2) Eine Bulla mit einer Plica.
3) Ein
[131]
- 3) Ein meergruͤner Turbo aus Otaheite, ſ. den Na-
turforſcher. - 4) Eine ſchoͤne Pennatula L. in Weingeiſt. Auch
die in der Zool. Dan. Prodr. beſchriebene. - 5) Eine Lacerta mit weiſſen Streifen.
- 6) Taeniae ex cerebro ovium. S. ſeine Ab-
handlung von Drehen der Schaafe, in 8. - 7) Taeniae ex fele. — Goͤtze meint, alle Katzen
haͤtten Bandwuͤrmer, ſie waͤren ihnen natuͤrlich; Les-
ke habe aber bei ihm eine Katze aufgeſchnitten, die
keine hatte. - 8) Eine aſiatiſche Lac. vivipara, die nicht als Larva
zur Welt kommt. - 9) Baliſt. Monoceros L.
- 10) Ein amerikaniſcher Luchs, den er in den Samm-
lungen zur Phyſik und Naturgeſchichte S. 325.
u. f. des 1ten Bandes beſchrieben hat. - 11) Klingende Quarze aus Schleſien.
- 12) Tafelartiger Quarz aus Sachſen.
- 13) Saͤchſiſcher Achat mit Sternen.
- 14) Die reinſte Terra alum. aus dem Garten beim
Paedag. Reg. in Halle. - 15) Rohe und geſchliffene Labradorſteine; die Gelben
ſind die ſeltenſten. - 16) Oktaedriſcher Wolframm, den er zu den Thonar-
ten mit Eiſen rechnet. - 17) Chryſopras, noch ganz weich aus Thon.
- 18) Groſſe ſaͤchſiſche und ruſſiſche Granaten.
Nachmittags machte ich einen Spaziergang nach
Gohlis, einem ſehr angenehmen Landſitze, der dem
Hrn. Hofrath Boͤhme gehoͤrt, der aber eben geſtorben war.
J 2Inwendig
[132] Inwendig iſt er praͤchtig meublirt. In dem einen Saa-
le iſt ein Plafond, erſt kuͤrzlich von Oeſer gemahlt, der
hier Profeſſor bei der Churfuͤrſtl. Akademie der bildenden
Kuͤnſte iſt. In vielen Zimmern haͤngen vortrefliche
Kupferſtiche, beſonders Bildniſſe, unter Glas. Auch
ſteht in einem eignen Zimmer eine herrliche Sammlung
von Dichtern, die das Gluͤck des Landlebens beſungen
haben, in praͤchtigen Baͤnden. Man geht durchs Ro-
ſenthal dahin. Das iſt ein ungemein reizendes Luſt-
waͤldchen, gleich vor dem einen Thore der Stadt. Die
Pleiſſe ſchleicht ſehr angenehm hindurch. Tiefer im
Gehoͤlze ſind Alleen durchgehauen, in deren einer ſich Goh-
lis uͤber der Pleiſſe druͤben, herrlich praͤſentirt.
Den 18ten Aug.
Heute beſuchte ich zuerſt des Direktor Heinicken’s
Inſtitut zur Bildung der Stummen. Er iſt eigentlich
ein Schulmeiſter aus Hamburg, der vom Paſtor Goͤ-
tze beſchuldigt ward, er wolle durch ſeinen Unterricht die
Wunder Jeſu zu Schanden machen. ꝛc. Der Chur-
fuͤrſt bot ihm ſein Land, — weil er doch ein Sachſe iſt,
— und 300. Thaler Gehalt an. Wie Hr. Heinicke
unterrichtet, laͤſt er nicht ſehen. Die Zoͤglinge lernen
durch Artikulation die Sprache, daher, ſagt er, koͤnnen
ſie ſie auch nicht vergeſſen, dahingegen, wer das Gehoͤr
einbuͤßt, auch die Sprache verliert. Das ſonderbarſte
aber iſt, daß ſie auch hoͤren. Man muß nur langſam,
laut und deutlich reden. Ein gewiſſer junger von Moh-
renſchild war ſehr weit, las mir alle Reſidenzen von
Europa laut von der Tafel ab, las den Glauben vor,
ſchrieb was ich haben wolte, gab auf alles Acht, behielt
alles
[133] alles gleich ꝛc. Er hat fuͤr eine an den Churfuͤrſten gehal-
tene Anrede von demſelben eine goldne Uhr zum Geſchenk
erhalten. Andre fingen erſt an. Da bemerkte ich dann
ſchreckliche Verzerrungen der Lippen und unbegreifliche
Toͤne, ſonderlich klang es bei einem jungen Frauenzim-
mer in der That erbarmenswuͤrdig. Ich probirte die 5.
Vokalen mit ihr. A war ihr der leichteſte, E der lieb-
ſte, J der ſchwerſte, O der deutlichſte, aber bei U floſ-
ſen ſchon Konſonanten zuſammen. Das R iſt immer
das ſchwerſte. Die Kinder lernen alle ſchreiben, malen
ꝛc. Einer der jetzt weggegangen iſt, malte den Direktor
und iſt ein groſſer Maler geworden. Schlecht aber iſt’s,
daß oft ein unſinniges Gelaͤchter entſteht, und daß der Di-
rektor den Ungluͤcklichen Sottiſen ꝛc. diktirt.
Weiter beſah ich heute noch das Jablonowskyſche
Palais und Garten. Es heiſt auch ſonſt der Chur-
prinz. Ein ſchoͤnes Gebaͤude, das den Vorſtaͤdten ge-
wis zur Zierde gereicht. Der Garten iſt im alten Ge-
ſchmack mit graden Alleen ꝛc. ſteht aber jedem offen.
Gellert’s Monument in des Buchhaͤndler Wend-
ler’s Garten, aus Saͤchſiſchen weiſſem Marmor von
Oeſer verfertigt. Idee und Ausfuͤhrung ſind vortref-
lich.
Sein Grab, auf dem Gottesacker bei der Johan-
niskirche, mit einem ganz ſimpeln viereckigten Steine
bedeckt, der blos anzeigt, wer darunter liegt, nebſt dem
Geburts- und Sterbejahre und Alter. Er ſtarb 1769.
und das Jahr darauf ſein Bruder, der hier Oberpoſtkom-
miſſar war. Beide ruhen nebeneinander. — Friede
ſei mit ihren Schatten, und das Andenken des frommen
Dichters ſei unſterblich, ſei im Segen! —
J 3Sein
[134]
Sein Denkmahl in der Johanniskirche an der
Wand, neben der Mittelthuͤre. Die verſchleierte Reli-
gion uͤberreicht der Tugend Gellert’s Bruſtbild aus ver-
goldeter Bronze. Dieſe hat ſchon einen Kranz fuͤr ihn
in Haͤnden. Buͤcher und Attribute des Dichters liegen
unten. Die Inſchrift beſagt, daß es ihm von einer
Geſellſchaft guter Freunde und Zeitgenoſſen errichtet wor-
den, unter denen viele Pohlen ſind.
Die Statue des jetzt regierenden Churfuͤrſten vor
dem Petersthore, auf einem ſchoͤnen viereckigten gruͤnen
Raſenplatze mit neuangelegten Linden-Alleen, die ins
Viereck herumgezogen ſind. Sie iſt ihm vom Fuͤrſten
Jablonowsky und dem hieſigen Rath errichtet worden,
und erſt neulich mit groſſer Feierlichkeit und Illumination
aufgedeckt und eingeweiht worden. Eine Art von Tem-
pel auf 4. Saͤulen ſtand jetzt noch uͤber der Statue. Der
Churfuͤrſt ſteht in roͤmiſcher Kleidung mit bloſſem Haupte
da, und haͤlt in der einen Hand einige Lorberkraͤnze.
Aber das Fußgeſtelle iſt doch fuͤr die Statue zu hoch und
ſchwerfaͤllig, und ſchadet ihrer Wirkung.
Den 19ten Aug.
Erſt war ich heute beim Mechanikus Hofmann,
einem geſchickten Optikus, und beſtellte mir bei ihm ein Mi-
croſcop. compoſ. das 51. Millionenmahl vergroͤſſern
ſoll, mit dem ganzen dazu gehoͤrigen Apparat und Be-
ſchreibung ꝛc. Ich ward mit ihm auf 60. Thaler ei-
nig. Wir betrachteten Schuppen vom Paͤrſch und vom
Schlammbeitzker. Drauf wollte ich das
Link-
[135]
Linkſche Naturalienkabinet beſehen; der Beſitzer
war aber auf dem Lande. Nicht beſſer ging mir’s mit
dem
Richterſchen Kabinet auf der Haynſtraſſe. Es
war wegen des Todes des Eigenthuͤmers noch verſiegelt.
Weil mir’s hier nicht gelang, ſo ging ich in einige
Hieſige Gaͤrten. Sie ſind noch meiſt altmodiſch,
haben geſchnittene Hecken, Pyramiden, Thiere, Kana-
pees von Buxbaum, Taxus und ewige Alleen; fangen
zum Theil auch an einzugehen. Drauf machte ich einen
Beſuch beim
Hrn. Kreisſteuereinnehmer Weiſſe. Ich fand ihn
ſo liebenswuͤrdig und angenehm in ſeiner Unterhaltung,
als ers in ſeinen Schriften iſt. Menſchenliebe ſpricht
aus ſeiner freundlichlaͤchelnden Mine. Unleugbar iſts
doch, daß er ſich durch ſeine Schriften uͤber die Verbeſſe-
rung der Erziehung um die Welt und Nachwelt ſehr ver-
dient gemacht hat; dafuͤr iſt er aber auch ein gluͤcklicher
Gatte und Vater. Daß er ein groſſer Freund der Phi-
lantropine ſei, iſt leicht zu erachten. Von Baſedow
ſagte er, daß er doch das Verdienſt habe, Aufmerkſam-
keit auf das Erziehungsweſen erregt zu haben ꝛc.
Den 20ſten Aug.
Heute war ich in der Reformirten Kirche, und
hoͤrte Hrn. Zollikofer predigen. Die Kirche iſt eigent-
lich nur ein Saal im Amthauſe, ganz ohne das Gepraͤn-
ge andrer hieſigen Kirchen, und ohne Interimiſterei.
Ich fand einen ſehr ſimplen reinen Gottesdienſt. Die
Gebete und Geſaͤnge ſind von Hrn. Zollikofer. Der
Meßner lieſt aber lange Kapitel aus der Bibel ab, dann
J 4folgt
[136] folgt der Geſang und ein kurzes Gebet. Er predigte
uͤber 1. Tim. IV. 17. Uebe dich ꝛc. und handelte von
den Folgen der Lehre, daß unſer Leben nur Vorbereitung
ſei ꝛc. Seine Stimme ſchien mir ſchwach zu ſeyn, auch
hatte er eben nicht viel Deklamation. Sie war etwas
weinerlich, aber doch nicht unangenehm. Die meiſten
ſeiner Zuhoͤrer ſind Lutheraner. Einige nennen die Be-
ſuchung dieſes Gottesdienſtes Galanterie, und verbieten
den Ihrigen hinein zu gehen, ſehen es fuͤr Syncretis-
mus an, und halten ſich lieber an ihre Prieſter. Mich
duͤnkt doch, dieſer ſonſt ſo vortrefliche Prediger verſieht
es offenbar darin, daß er den Text nicht beruͤhrt, und
ſonſt im Verlauf des Vortrags keinen einzigen Spruch
aus der Bibel anfuͤhrt, auch nicht von der evangeliſchen
Verpflichtung des Chriſten, nicht von der Liebe Gottes
und Jeſu Chriſti die Beweggruͤnde zu ſeiner Tugend her-
nimmt. Es gefaͤllt und verfliegt. —
Mittags war ich beim aͤltern Hrn. Jakobaͤer zu
Gaſte. Nachmittags wollt’ ich den Loͤhriſchen Garten
beſehen, und auf dem Wege dahin ging ich einen Augen-
blick aufs
Richterſche Kaffeehaus. Warlich eins, wie’s
weder in Paris, noch viel weniger in Amſterdam gibt.
Das Haus uͤbertrift manches Schlos. Man trift eine
ganze Enfilade von ſchoͤnen Zimmern darin an, wo in
einigen geſpeiſt, in andern Toback geraucht wird. Von
da ging ich in den
Loͤhrſchen Garten ſpazieren. Da der Apelſche und
Grosboſiſche in Verfall kommen; ſo dient dieſer Leipzig
zu neuer Zierde. Vorne ſteht ein ungemein geſchmack-
volles
[137] volles Gebaͤude, das noch nicht ganz ausgebaut iſt. Der
Garten iſt ganz im engliſchen Geſchmack angelegt, aber zu
klein dazu. Man trift Waſſerpartien, Inſeln, Schlan-
gengaͤnge, fremde Holzarten, Luſthaͤuschen ꝛc. darin an.
Auch iſt der Beſitzer ſo gefaͤllig, und erlaubt jedermann,
d[a]rin frei zu ſpazieren. Drauf beſuchte ich den
Friedrich Richter’ſchen Garten. Ob er gleich
auch im alten Geſchmack iſt, viele lauge grade Alleen u.
ſ. w. hat; ſo findet man doch viel angenehme Partien
darin. Schon der Eingang uͤber eine ſchoͤne Bruͤcke iſt
empfehlend; dann koͤmmt man rechter Hand in einen
Bogengang, in deſſen gruͤnen Schatten man bei druͤcken-
der Hitze ſich herrlich erquickt. Aber uͤber alles geht ein
niedliches japaniſches Haͤuschen, 2. Stock hoch, das hin-
ten in einem einſamen Winkel des Gartens gar reizend
liegt. Von da genieſt man eine bezaubernde Ausſicht
uͤber Waſſer und ein rauſchendes Wehr, auf gruͤnende
Wieſen und lebhafte Doͤrfer.
In der Geſellſchaft, die ich bei meinem Freund Hr.
Jakobaͤer heute Abend fand, war auch ein hieſiger bra-
ver Kaufmann, Hr. Jungkherr, der 1755. in Liſſabon
das Erdbeben mit erlebt hatte. Seine Erzaͤhlung inter-
eſſirte mich ungemein, zumal da ſie durch ihre Simplizi-
taͤt ſo ganz das Gepraͤge der Warheit hatte. Er war
auch verſchuͤttet worden, als er ſchon die Hausthuͤre er-
reicht gehabt, war aber in einem Raum, den die zer-
brochenen Balken und Mauern formirt, ſo ſonderbar ein-
geſchloſſen worden, daß er zwar aus dieſem Gefaͤngniſſe
nicht herausgekonnt, aber doch nicht beſchaͤdigt worden.
In der ſchrecklichen Angſt, immer noch zerſchmettert
zu werden, habe er uͤber 2. Stunden aushalten muͤſſen,
J 5bis
[138] bis er endlich noch durch Huͤlfe eines treuen Bedienten,
eines Spaniers, ſich herausgearbeitet. Nun habe
er immer noch unter tauſend Gefahren von den noch be-
ſtaͤndig nachſtuͤrzenden Mauern auf den Straſſen alle Au-
genblicke erſchlagen zu werden, das freie Feld erreicht.
Aber ſo entſetzlich auch der Anblick der Ruinen und der
immer noch nachſtuͤrzenden Mauern geweſen; ſo ſei er doch
noch nichts in Vergleich des nach einigen Stunden an vie-
len Stellen ausgebrochenen Feuers. Dies habe 4.
Tage angehalten und alles verzehrt, was das Erdbe-
ben noch ſtehen laſſen. Eine Meile lang und breit ſei
die Stadt nur Eine Flamme geweſen. Alle Elemente
haͤtten mit einander gekaͤmpft. Die See habe wie Ber-
ge hoch geſtanden. Aber das allererbarmungswuͤrdigſte,
wo auch dem Unempfindlichſten das Herz habe bluten
muͤſſen, ſei der Anblick ſo vieler tauſend Todten, das
Aechzen der Verwundeten, der Verſchuͤtteten, der Ster-
benden, das Angſtgeſchrei der Weiber, der Kinder gewe-
ſen. Vor dem einen Thore fand er eine Menge vorneh-
mer Frauenzimmer in ihren ſchwarzen Kleidern, wie ſie
in der Kirche waren, *) die auf den Knien lagen, ſich die
Haare ausrauſten, die Bruſt zerſchlugen, die Haͤnde
rangen, und Gott um Barmherzigkeit anflehten. Die
Anzahl der theils durch den Einſturz der Haͤuſer, theils
durchs Feuer ums Leben gekommenen, ſchaͤtzte er auf
50,000. Menſchen. Doch genug von dem traurigen
Gemaͤlde. —
Den
[139]
Den 21ſten Aug.
Heute machte mir der liebe Hr. Weiſſe einen Ge-
genbeſuch. Unſere Unterredung fiel wieder auf Erzie-
hung. Bei der Erziehung ſeiner Kinder, ſagte er, ha-
be er ſich’s zur Vorſchrift gemacht, ſie immer nuͤtzlich zu
beſchaͤftigen, daher laͤßt er ihnen auch Unterricht in der
Naturgeſchichte geben. Meine Guͤte und Weisheit Got-
tes habe er mit ihnen auf dem Lande geleſen. Von Hr.
von Born aus Wien bekomme er manchmahl Natura-
lien fuͤr ſie geſchickt.
Heute kriegte ich dann auch des
Hrn. Kommerzienrath Linke’s Kabinet zu ſehen.
Sein Grosvater fing ſchon an zu ſammeln, der Vater
fuhr fort, ſchrieb auch de ſtell. mar. der Enkel ſammelt
noch weiter. Schade, daß es an Platz gebricht. Das
Kabinet enthaͤlt Naturalien aus allen Reichen, beſonders
iſt es aber an Konchylien und Sachen in Weingeiſt, und
darunter vorzuͤglich Schlangen, reich. *) Unter den
Naturalien ſtehen auch Kunſtſachen. Der Beſitzer war
ſehr artig, und zeigte mir alles mit vieler Gefaͤlligkeit,
war auch ausdruͤcklich deswegen vom Lande in die Stadt
gekommen. Eine Sammlung von naturhiſtoriſchen Buͤ-
chern befindet ſich auch hier. Ich merkte mir folgendes
beſonders:
1) Beutel-
[140]
- 1) Beutelratze, Maͤnnchen und Weibchen im Weingeiſt.
- 2) Embryones von Loͤwen, Baͤren.
- 3) Chineſiſcher Goldmaulwurf in Weingeiſt.
- 4) Mus dorſigera mit langen Schwanz.
- 5) Embryo von Hottentotten, ſchon ein wuͤſter Menſch.
- 6) Raja Torpedo.
- 7) Colibrineſt, mit 2. Jungen, ganz aus Baumwolle,
wie eine Schuͤſſel, ſehr niedlich. - 8) Ein gruͤnes Colibri mit kohlſchwarzem Schwanz.
- 9) Ei von der Eider, lang, ſehr ſpitzig an einem Ende,
ſchmutzig. - 10) Embryo von einem Wallros, da ſieht man an den
pedibus lobatis durch die zarte Haut noch die pha-
langes und alle Artikulationen. - 11) Chamaͤleon, iſt nach dem Tode ganz fleiſchfarbig.
- 12) Sepia und noch eine ſchoͤnere, mit dem Os ſepiae.
- 13) Doppelter Spinnenkopf.
- 14) Radix Bryoniae, eine Schnecke, die Liſter voͤllig
ſo abgebildet hat, mit abgeſtumpfter Spitze. - 15) Drei Admiraͤle.
- 16) Zimmtrinde in der Holzſammlung, auf ander Holz
aufgeleimt. - 17) Lignum ſtercoris, das abſcheulich ſtinkt. Der
Beſitzer kennt es ſelbſt weiter nicht. - 18) Kunkelſche Glasfluͤſſe, ein violetter und ein gruͤner.
Nachmittags fuhr ich mit meinem Freund Jako-
baͤer nach Konnewitz, wo ein ſehr gut eingerichteter
oͤffentlicher Luſtort mit einem artigen Garten iſt, der von
den beſten Geſellſchaften aus Leipzig haͤufig beſucht wird,
weil er ohngefaͤhr nur eine halbe Stunde von der Stadt
liegt, und man da ſehr gute Bewirthung findet.
Auf
[141]
Auf den Abend ſah ich noch ein Feuerwerk in Apel’s
Garten abbrennen, das recht huͤbſch war. Und damit
beſchloß ich meinen Aufenthalt in Leipzig, einer Stadt,
die ohne Streit unter die angenehmſten und ſchoͤnſten
Staͤdte gehoͤrt, die ich beſucht habe. Sie hat meiſt gra-
de, breite, helle, wohlgepflaſterte, und des Nachts mit
Laternen erleuchtete Straſſen, praͤchtige Haͤuſer, und die
angenehme Bequemlichkeit, daß man ſie in ohngefaͤhr
einer kleinen Stunde Zeit unter angenehmen Alleen ganz
umgehen, und alle Viertelſtunden wieder ein Thor errei-
chen kan. Die Einwohner ſind in ihrem Umgange un-
gemein hoͤflich und verbindlich, ohne ſteife Komplimente.
Beſonders verbindet das ſchoͤne Geſchlecht mit allen die-
ſen Vorzuͤgen noch viel Liebe zur Lektuͤre, und die Kunſt,
ſich ohne uͤbertriebene Pracht mit dem feinſten Geſchmack
zu kleiden. Die Univerſitaͤt war alleweile ziemlich bluͤ-
hend. Man rechnete mir die Anzahl der gegenwaͤrtig
hier Studirenden auf 1400: die meiſten waren nicht reich
aber anſtaͤndig gekleidet, auch in den Vorleſungen mei-
ſtens ruhig.
Reiſe nach Dresden.
Den 22ten Aug.
Heute fruͤh um 5. Uhr muſt’ ich dann meinen wuͤrdi-
gen Freund und lieben Wirth verlaſſen. Dieſer Abſchied
ging mir wirklich ſehr nahe. Thut’s einem gefuͤhlvollen
Herzen nicht weh, den Umgang guter Menſchen, wenn
man kaum ihren Werth kennen gelernt hat, ſchon wieder
entbehren zu muͤſſen! Wie froh verfloſſen mir nicht die
Tage meines hieſigen Aufenthalts. Wie viele Beweiſe
aufrichtiger Freundſchaft erhielt ich nicht von ihnen! Der
beſte
[142] beſte Segen des Himmels ruhe auf den Redlichen, ſeiner
wuͤrdigen Gattin, und der lieben kleinen hofnungsvollen
Tochter!
Die erſte Poſtſtation auf der Route von Leipzig
nach Dresden iſt
Wurzen. Kurz zuvor eh’ man dieſes Staͤdtchen
erreicht, wird man auf der Faͤhre uͤber die Mulde geſetzt.
Mein Freund Jakobaͤer gab mir bis auf den halben
Weg das Geleite, wir druͤckten einander noch zuletzt mit
deutſchem Biederſinn die Haͤnde, eine Thraͤne zitterte im
Auge, und dann ſahen wir uns nicht mehr.
Von Wurzen koͤmmt man auf
Wermsdorf. Darneben liegt das herrliche Hu-
bertsburger Jagdſchloß. Unbeſchreiblich ſchoͤn iſt hier
herum die Gegend, mein Auge weidete ſich an den herli-
chen Fruchtfeldern, Waͤldern und Wieſen, und ſo gelang-
te ich dann nach
Stauchitz. Hier fangen ſchon die ſanft aufſteigen-
den Gebuͤrge an. Die ſilberhelle Elbe hat man immer
ſeitwaͤrts zur Begleiterin. Die Leute ſchnitten hier her-
um erſt die Winterfrucht. Zuletzt vor Meiſſen kamen
ſchon ſchreckliche Felſen.
Meiſſen iſt, ſo viel ich beim Pferdewechſeln bemer-
ken konnte, ein ziemlich ſchlechter Ort, hat aber eine herr-
liche Lage an der Elbe, auch erblickt man Weinberge und
Luſthaͤuſer in Menge zu beiden Seiten, auch ſtand der
Wein gar ſchoͤn. Das alte Schloß, worin die beruͤhmte
Porzellaͤnfabrike iſt, liegt ſehr maleriſch auf einem Berge.
Naͤher gegen Dresden hin traf ich Sand und Moraſt
an, auch ſchlechte Doͤrfer und zuweilen Haͤuſer mit Stroh
gedeckt. Endlich gelangte ich Abends um 8. Uhr nach
Dresden.
[143]
Dresden. Schon von weitem ſieht man Nachts
auf der breiten ſtillen Elbe die Lampen auf der ſchoͤnen
Bruͤcke ſchimmern. Ein angenehmer Anblick! Ueber-
haupt wird die ganze Stadt des Nachts ſo wie Leipzig
durch Laternen auf Pfaͤlen erleuchtet.
Den 23ſten Aug.
Dresden hat zu viele Schoͤnheiten und Sehens-
wuͤrdigkeiten, als daß ich bei der kurzen Zeit meines Auf-
enthalts alles haͤtte in Augenſchein nehmen koͤnnen. Dar-
um begnuͤgte ich mich nur das Vorzuͤglichſte zu beſehen,
nnd dies war fuͤr heute
Das Churfuͤrſtl. Schloß. Ich habe es nur von
auſſen betrachtet, und da fand ich’s nicht ſchoͤn. Es iſt
alt und irregulaͤr. Hinein bin ich nicht gekommen, es
ſoll aber ſehr praͤchtige Zimmer enthalten.
Die katholiſche Hofkapelle, ein gar edles Gebaͤu-
de, *) allerwegen mit den vortreflichſten Statuen von
Evangeliſten, Apoſteln, Heiligen geziert **). Auch
der Thurm daran iſt herlich ***). Am Hochaltar iſt
das beruͤhmte Meiſterſtuͤck von Mengs. Es ſtellt die
Himmelfahrt Chriſti vor, und ſoll 30,000. Thaler geko-
ſtet
[144] ſtet haben. Es iſt zum Entzuͤcken ſchoͤn! *) Dem
Hauptaltare zur Seiten ſind die Porkirchen fuͤr den Hof,
roth mit Gold ausgeſchlagen. An einem Nebenaltare
gefiel mir beſonders der Tod des heil. Franciskus
Xaver in Japan**). Ein herrliches Stuͤck. Die
Kanzel iſt eine Gruppe von alabaſternen Figuren***).
Die Saͤulen alle aus ſaͤchſiſchem Marmor****). Nicht
weit davon iſt die herliche
Elbbruͤcke. Sie iſt weit ſchoͤner, als Pontneuf
in Paris, hat jetzt 19. Pfeiler, in der Mitte ſteht ein
vortrefliches ſtark vergoldetes Kruzifix, und gegenuͤber
das Saͤchſiſche und Pohlniſche Wappen. Zu beiden
Seiten der Bruͤcke ſind erhoͤhete und mit groſſen Quader-
ſteinen belegte Wege zur Bequemlichkeit der Fußgaͤnger,
und dabei die Einrichtung, daß die von Dresden nach
Neuſtadt gehen, auf einer Seite alle hinter einander,
und die, welche aus letzterm Orte nach erſtern wollen,
auf der andern Seite und zwar alle hinter einander gehen
muͤſſen.
[145] muͤſſen. Wer dies nicht beobachtet, wird von den an
jedem Ende der Bruͤcke ſtehenden Schildwachen zurecht
gewieſen. Man hat von hier eine ganz unbeſchreiblich
angenehme Ausſicht die Elbe hinunter nach Torgau zu,
und auch den Strom hinauf nach Pirna hin. Von er-
ſterm Orte ſieht man beſtaͤndig Schiffe mit Holz, Getrei-
de, Salz ꝛc. herauf kommen, und von letzterm Schiffe
mit Steinen ꝛc. den Fluß hinuntergehen.
Die Statue Koͤnig Auguſts des II. zu Pferde
im Gallop, in Roͤmiſcher Kleidung, ſtark vergoldet.
Sie ſoll ihm ſehr aͤhnlich ſeyn. Ein Kupferſchmidt hat
ſie verfertigt *), nur iſt der Schweif des Pferdes zu breit,
und ſieht aus wie ein Bret.
Meißner Porzellan-Niederlage in Altdres-
den**). Hr. Poetzſch, an den ich vom Hrn. Hofrath
Schreber aus Erlangen einen Empfehlungsbrief hatte,
iſt Aufſeher daruͤber, kommt aber jetzt als Mitaufſeher
an das Churfuͤrſtl. Naturalienkabinet. Drei Zimmer
ſtehen gedraͤngt voll, und das Auge irrt ungewiß auf
Millionen Schoͤnheiten herum. — Da ſieht man Va-
ſen, Teller, Service, Aufſaͤtze, Koͤpfe, Antiken, Blu-
men, Gruppen, Bauern, Thiere ꝛc. Oft ſchwarze
Malerei, und das feinſte Gold dazwiſchen. Landſchaf-
ten
Zweiter Theil. K
[146] ten, Thiere und Schaͤferſtuͤcke von der feinſten Mignia-
tur, auf Tellern, Schuͤſſeln, Taſſen ꝛc. Kurz uͤberall
herrſcht der edelſte Geſchmack. Andre Stuͤcke ſind blen-
dend weis. Kruzifixe fuͤr 6, 8, 10,-30. und mehr
Thaler, je nachdem das Poſtement iſt. An einem Kaf-
feeloͤffelchen macht oft eine Kleinigkeit in der Malerei oder
in der Verzierung einen Umſtand von 1. Thaler. Mei-
ne zwei koſten 2. Gulden. Man packt das Porzellaͤn in
feuchtes Moos ein. Im obern Stock dieſes Gebaͤudes
ſteht noch ein ganzes Service, das die Fabrik dem Chur-
fuͤrſten zum Geſchenk gemacht hat. Man ſchaͤtzt dieſen
Tiſch voll auf 10,000. Thaler. Man hat jedem Teller
andre Farben, andre Deſſeins gegeben. Es ſind ganze
Jagden auf manchem. Alle Wiſſenſchaften und Kuͤnſte
ſind in weiſſen Figuren, und die Poſtemente von Saͤch-
ſiſchen Steinſorten. Man wird betaͤubt von den unend-
lichen Schoͤnheiten. —
Der Bruͤhliſche Garten neben dem Zeughauſe in
der Altſtadt. Er kommt in Verfall, aber der ſchoͤne
Gang an der Elbe hin, und die praͤchtige Ausſicht daran
macht doch, daß man noch gern hineingeht. Zu beiden
Seiten erblickt man Berge, mit Oertern gleichſam beſaͤet.
Der groſſe Garten vor dem Pirnaiſchen Thore.
Da ſteht in etlichen Pavillons die herliche Antikenſamm-
lung, wo immer eine Menge junger Kuͤnſtler zeichnen.
Hier ſah ich auch den Direkteur der Akademie, den Prof.
Caſanova*).
Die
[147]
Die Bildergallerie uͤber dem Churfuͤrſtl. Stalle
und der Reitbahn. Sie enthaͤlt an 2000. Stuͤcke, und
keins darunter iſt Kopie. Eine Menge Stuͤcke ſind
aus Mangel des Platzes nicht aufgehaͤngt. Hier ge-
raͤth man ganz in Entzuͤcken! Da man den Katalog
davon gedruckt hat; ſo will ich nur anzeigen, welche Stuͤ-
cke ich mir beim fluͤchtigen Durchlaufen, und als ein in
den Geheimniſſen der Kunſt Nichteingeweihter, beſonders
gemerkt habe,
- 1) Groſſe Stuͤcke von Teniers.
- 2) Herliche Wouwermanns.
- 3) Atalanta und Meleager, von Rubens.
- 4) Oliver Cromwell von Vandyck.
- 5) KarlI. und ſeine Gemalin, von Gonzalo Coc-
ques. - 6) Ein alter Manns- und Frauenkopf, von Sey-
bold. Beſonders ſind der Bart und das Fleiſch
zum Angreifen. - 7) Ein Kopf des Kupido, der ſeinen Pfeil ſchaͤrft,
von Mengs. Schoͤner iſts nicht moͤglich, den Amor
zu mahlen. - 8) Ruben’s 2. Soͤhne, von ihm.
- 9) Sehr groſſe und wohl erhaltene Holbeins.
- 10) Von van der Werft, das Urtheil des Paris.
Ganz die nackte Natur! - 11) Ruben’s juͤngſtes Gericht. An einigen Figuren
haͤngen Schlangen und Furien. Schauderhaft! —
K 2Um
[148]
Um aber doch uͤber den vielen Schaͤtzen der Kunſt
die liebe Natur nicht zu vergeſſen, machte ich Hrn.
Poͤtzſch einen Beſuch, und beſah ſein Mineralienkabi-
net. Er will es verkaufen, und verlangt 1500. Thaler
dafuͤr *). Er hat 30. Jahr daran geſammelt, und es
ſyſtematiſch geordnet. Es enthaͤlt wirklich viele ſeltene
und lehrreiche Stuͤcke. Mir war vorzuͤglich merkwuͤrdig:
- 1) Unreifer Quarz an Porzellanthon.
- 2) Litomarga von Rochlitz; ein gar feiner Thon.
- 3) Rother Thon, woraus Boͤttcher ſein erſtes Porzel-
lan machte. - 4) Blaue Eiſenerde von Eckartsberge in Thuͤrin-
gen. Iſt in der Grube weis, wird aber zu Tage an
der Luft blau. - 5) 30. Arten von Sand.
- 6) Teutenfoͤrmiger Tophus aus Schweden, ſ. Cron-
ſtaͤdt. - 7) Gruͤner Glimmer von Johanngeorgenſtadt.
- 8) Asbeſt, bandirt, in Serpentinſtein.
- 9) Saͤchſ. Schiefertafel, voll Schoͤrl, gar gros.
- 10) Suiten von Serpentinſtein. Die verſchiedenen
Sorten entſtehen am Ende des Ganges. Die Ar-
beiter ſchleifen die Sachen mit einem ſchlechten Inſtru-
ment von Glimmerſand, und poliren ſie mit Trippel. - 11) Feldſpat von Noſſen. Dieſer koͤmmt zum Por-
zellan; die klaren Kieſel geben nur die Glaſur. - 12) Chacedonierdruſe, mammelloneé, aus Kalk-
gebuͤrgen.
12) Chal-
[149]
- 13) Granaten in Serpentinſtein.
- 14) Dergl. in Feldſpat von Raguſa.
- 15) Schoͤn gruͤner Jaſpis, der ehemals auch in Frei-
berg brach. - 16) Verſchobene Achatconfigurat. in Einem Stuͤcke.
- 17) Karniol und Korallen-Moos darin, aus Lit-
thauen. - 18) Einer mit Aſteriis, ganz klein, aus dem Orient.
- 19) Opal in Granit von Eibenſtock. Streitet ge-
gen Delius Theorie. - 20) Granate, groͤſſer als die groͤſte Pfirſche.
- 21) Polirbares Zinnobererz.
- 22) Abdruͤcke von Equiſet. paluſtre oft hintereinander
iu Einem Stein. - 23) Von verſteinerten Holze hatte er einige Plaͤttchen ſo
duͤnn abſchleiſen laſſen, daß er mit dem Mikroskop
noch den Bau und die Saftgefaͤſſe hatte erkennen koͤnnen. - 24) Eine Wacke mit einem eingeſchloſſenen Nagel, aus
einem Saxo, wohl 100. Centner ſchwer, in einer Lach-
ter Teufe bei Meiſſen gefunden, wo auch verſteinertes
Holz vorkoͤmmt. - 25) Sonderbare Meerkoͤrper aus dem Plauenſchen
Grunde, der viele Kataſtrophen erlitten haben muß. - 26) Stolpener Baſalt. Die Saͤulen gehen dort 20-
30. Ellen zu Tage aus. Die ganze Stadt und
Schloß ſteht darauf. Alle Brunnen in der Stadt
ſind in Baſalt gehauen. Er iſt auf Granit aufgeſetzt.
Hier ſind die Strebepfeiler an den Haͤuſern alle dar-
aus. Man wuͤnſcht fuͤr die Kabinetter duͤnne Saͤul-
chen, aber 8-9. Zoll dick iſt die duͤnnſte, und dieſe iſt
ſchon Seltenheit, die groͤſten haben eine halbe Elle
im Durchmeſſer.
K 327) Bi-
[150]
- 27) Bituminoͤſes Holz mit Spat und Steinkohlen, aus
Altorf. - 28) Bernſtein aus Meiſſen uͤber Thonlagern.
- 29) Korallen mit Schwefelkies.
- 30) Federigte Arſenikerze.
- 31) Rothes Antimonienerz, aus Freiberg.
- 32) Suiten aller Kobolde, Erdkobolde ꝛc.
- 33) Dendritiſcher Wißmuth auf Horn, auch auf Spat.
- 34) Wißmuth auch federig, wie Antimonium.
- 35) Kobold auf Horn.
- 36) Opal in Eiſenſtein aus Eibenſtock.
- 37) Gelber Glaskopf.
- 38) Dendritiſches Eiſen.
- 39) Natuͤrliches Holz und Eiſen daran.
- 40) Zinnſtuffen, die jetzt hier auch nicht mehr haͤufig
vorkommen. - 41) Blei in Asbeſt aus Rußland.
- 42) Ein ganzer Gang gediegen Kupfer von Cams-
dorf in Thuͤringen. - 43) Kupferkies mit Aßbeſt.
- 44) Kupferkies, dendritiſch geſtrickt und ſo angeflo-
gen. - 45) Malachit, ſo gros wie eine Hand, und mit Ko-
bold unten. - 46) Kupferpecherz aus dem Zipſerland; ſieht aus
wie Eiſenſchlacke, ſchwarz. - 47) Groſſer Fiſch auf Kupferſchiefer, ſ. in Wolfart’s
Niederheſſ. Nat. Hiſt. Bild. einen Karpfen ꝛc. - 48) Hornſtein durchgeſtrickt mit gediegenem Silber,
von Johanngeorgenſtadt. - 49) Nieren von Hornſilber, weich wie Speck.
- 50) Blaͤtterichtes Glaserz.
51) Tyger-
[151]
- 51) Tygererz, d. i. weis und graugeflecktes Silbererz,
von Freiberg, bricht nicht mehr. - 52) Fahlerze aus Sicilien.
- 53) Goldhaltiger Aßbeſt, vom goldenen Eſel in
Schleſien.
Der brave Mann machte mir viel angenehme Ge-
ſchenke, die mir denn ſein Andenken lebenslang erhalten
ſollen.
Den 24ſten Aug.
Mein Erſtes war heute ein Beſuch bei Ihro Exc.
dem Hrn. Konf. Min. u. Geh. Rath von Wurmb, dem
ich empfohlen war. Er empfing mich mit ungemeiner
Politeſſe und unterhielt ſich mit mir uͤber mancherlei poli-
tiſche und litterariſche Gegenſtaͤnde aufs gefaͤlligſte. Nach-
dem ich mich beurlaubt hatte, beſah ich
Das Japaniſche Palais, in der Neuſtadt mit
einem angenehmen Garten, in welchem in 22. Souter-
rains alle das Japaniſche, Chineſiſche und Meiß-
ner Porzellain ſteht, womit Koͤnig AuguſtII. dieſen
Pallaſt meubliren wollte, daruͤber aber ſtarb. Ein
Schatz der Millionen gekoſtet, und ſeines Gleichen in
der Welt nicht hat. Das Auge ermuͤdet uͤber der Men-
ge, und keine Beſchreibung erreicht die Schoͤnheit. Man
zeigte mir unter andern: Boͤttcher’s *) erſtes Porzellaͤn
aus rothen Thon. Sein erſtes weiſſes, hernach ſein
K 4blaues,
[152] blaues, 2. Tiſche voll; wird jetzt den Antiken gleich ge-
ſchaͤtzt. Aus Meißner Porzellaͤn Thiere, als Fuͤchſe,
Gaͤnſe, Pfauen die ein Rad ſchlagen ꝛc. Vier Ge-
woͤlber voll indianiſches Porzellaͤn. Vaſen, halben Man-
nes hoch. Orangerietoͤpfe oder Kuͤbel in ſchrecklicher
Groͤſſe und Menge. Buͤſten von den Hofnarren
Schmiedel und Joſeph. Viele tauſend Indianiſche
Taſſen. 22. Vaſen vom Koͤnig von Preuſſen gegen
ein ander wichtiges Praͤſent uͤbernommen. Viele tau-
ſend kleine Indianiſche Flaͤſchchen liegen in den Vaſen
und waren zur Garnirung beſtimmt. Becher, darein
man Baͤume ſetzen koͤnnte. Ein Gewoͤlbe voll alt In-
dianiſches gemahltes Porzellaͤn von unermeßlichem
Werth. Indianiſches Schlangenporzellaͤn; es
ſieht von auſſen und innen wie geſprungen aus, und iſt
weis mit feinen rothen Streifen. Schwarzes, violettes,
gelbes, ſeladongruͤnes Porzellaͤn. AuguſtIII. zu Pferde
mit vielen Figuren, blendend weis aus Meißner Porzel-
laͤn: ſollte nur Modell *) ſeyn, koſtet 12000. Thaler,
und nimmt einen ganzen Tiſch ein. Saͤchſiſche Male-
reien, die jetzt gar nicht mehr gemacht werden. Viele
tauſend Saͤchſiſche Taſſen, wovon jede ein eigenes Mo-
dell hat. Saͤchſ. und Pohln. Wappen auf Meißner
und auf aſiatiſchen Porzellaͤn; Koͤnig AuguſtII. lies
ſie
[153] ſie hinſchicken. Porzellaͤn mit Perlenmutterglanz. Chi-
neſiſches und Japaniſches Porzellaͤn in Meiſſen nach-
gemacht. Eine Menge Teller und andres Geſchirre von
Raphael gemahlt, blau und gelb; ſonderlich zwei Va-
ſen von ihm, wo jede 300. Dukaten gekoſtet hat. Ja-
paniſches Geſchirr, wo allemahl 5. kleine wieder in ein-
ander ſtecken. Toͤpfe mit erhabenen Blumen. Eine
ſchreckliche Menge Gold an allen Stuͤcken, an manchen
die Arbeit von einem Jahr. Fuͤnf Vaſen fuͤr 5000. Tha-
ler. Praͤchtige Punſchnaͤpfe. Chineſiſche Goͤtzentem-
pel und Goͤtzenprieſter. Gewoͤlbe voll Thiere aus Meiſ-
ſen; eine Faſanhenne mit Jungen, ein Kaſuar, Raub-
voͤgel mit einem Karpen, koͤſtliche Schwane, Elephan-
ten, ein Schwediſcher Hund, den Koͤnig AuguſtII.
hatte ꝛc. Chriſti Kreuzigung aus Meißner, ganz
weis mit vielen Figuren; war ein Praͤſent fuͤr die letzte
Koͤnigin. Maria, mit einen Arm auf den Bo-
den geſtuͤtzt, kehrt das Geſicht weg, eine andre von den
heiligen Weibern faßt ſie am Arm, Magdalena ſinkt
hin und ſchreit; zur Seite haͤlt ein Engel Chriſti Schweis-
tuch, worin ſein Antlitz nur ſchwach ſchattirt iſt. Das
Stuͤck nimmt einen Tiſch ein, und hat 16000. Thaler
gekoſtet ꝛc. Die Bildſaͤulen des heil. Xavers, Hu-
berts, ein Mutter Gottes Bild ꝛc. Auf dem Boden
ſteht noch uͤberall alles herum. — Oben ſoll die Chur-
fuͤrſtl. Bibliothek hin zu ſtehen kommen.
Das Churfuͤrſtl. Naturalienkabinet. Es ſteht
im Zwinger in der Altſtadt, oder dem eigentlichen
Dresden, und wird in 9. Gemaͤchern aufbewahrt. Hr.
Dr. Titius, den ich in Holland kennen lernte, hat die
Aufſicht daruͤber. Am ſchoͤnſten iſt der Mineralienſaal.
K 5Rings
[154] Rings herum ſtehen Glasſchraͤnke mit Schubladen, oben
auf liegen groſſe Stuͤcke Mineralien zur Zierrath, und
an der Wand iſt uͤber jedem Schranke eine Saͤchſiſche
Bergſtadt gemahlt, z. B. uͤberm Arſenikſchranke die
Gifthuͤtte bei Geier, lange krumgebogene Sublimati-
onsfaͤnge u. dergl. Schoͤn und ſelten fand ich im gan-
zem Kabinette folgendes:
- 1) Spaniſcher Marmor, brauſt ungern: ein gruͤner,
wie Verde antico. - 2) Kalkſpat, mit rother Koboldsbluͤte auf buntem
Fluß. - 3) Kryſtall mit vielem Schoͤrl.
- 4) Rochlitzer Agathe, ſollen unter dem Mikroskop gar
ſchoͤn ſeyn. - 5) Aventurino biancho, feſter Quarz mit Glimmer;
nicht gemacht. - 6) Rubin balais mit Schoͤrl, roh.
- 7) Goldſtuffen mit Alaunfoͤrmigen Kryſtalliſationen aus
Siebenbuͤrgen. - 8) Ein roher Saͤchſ. Magnet, zieht 120. und wiegt
nur 12. das Verhaͤltnis iſt wie 1. zu 10. - 9) Ein Engliſcher, wiegt nur 3. Loth, und zieht 25.
Pfund, alſo iſt ſeine Kraft wie 1. gegen 72½. - 10) Hornſilber, laͤßt ſich mit dem Meſſer und Nagel
ſchneiden. Kleine Stuͤcke ſind durchſichtig wie Horn.
Ein herlicher Vorrath davon, auch aus Potoſi wel-
ches. Aus Sachſen ein Stuͤck 33. Mark ſchwer,
davon der Centner 150.-180. Mark gibt. Eins
das 15. Mark ſchwer iſt. - 11) Caͤmentkupfer von Altenberg in Sachſen, wie
das Ungariſche.
12) Laſur
[155]
- 12) Laſur in ſchoͤrlartigen Quarz aus Ungarn.
- 13) Verhaͤrtete Bleierde von Rautenkranz in Sach-
ſen; der Centner gibt 40.-50. Pfund. - 14) Eiſenbohnen und Eiſenwuͤrfel vom Loͤwenberg
am Vorg. d. g. Hofn. - 15) Schindelnageleiſenſtein aus Boͤhmen, broͤckelt
nicht. - 16) Molybdaena aus Engelland mit braunen Thon;
auch aus Island mit Kupfergruͤn. - 17) Dendritiſcher und ſtalaktitiſcher Braunſtein.
- 18) Kobolde, wohl 300. Stuͤcke aus dem Lande, pur-
purrothe; ganze Bloͤcke. - 19) Rothes Antimon. von Rheinsdorf in Freiberg.
- 20) Oktaedriſcher kryſtalliſirter Schwefel, 3. Meilen
von Kadix gefunden. - 21) Zwei ſehr groſſe Tiſchplatten aus Lava vom Veſuv.
- 22) Ein verſteinerter Eichenblock, 75. Centner ſchwer,
2½. Elle im Durchmeſſer, polirbar, bei Chemnitz, im
Moraſt gefunden. Von welcher Zeit mag dieſer
ſeyn? - 23) Ein Stuͤck, das Hr. D. Titius fuͤr verſteinerte
Dattelpalme haͤlt. - 24) Gordii, Taeniae, auf Abdruͤcken.
- 25) Pohlniſche Verſteinerungen, aber nichts beſonders.
- 26) Ein Encrinuskopf ganz auseinander, und Kalk
zwiſchen den Theilen. - 27) Pentacrinus mit vielen Ramifikationen.
- 28) Dreihundert Holzarten, ohne Rinde; alle wie klei-
ne Schubladen gemacht, laufen auf duͤnnen Holze
mit Tuch uͤberzogen; hinten ſteht an jedem der Na-
me, und vorn iſt ein Knoͤpfchen zum Herausziehen.
29) Drei
[156]
- 29) Drei Statuͤen von Cypreſſen, die auch ohne ge-
rieben zu werden, ſtark riechen. Die Staͤmme muͤſ-
ſen huͤbſche Baͤume geweſen ſeyn. - 30) Tiſch aus Tamarinden aus Amerika.
- 31) Ein Kindskopf. — Ruyſch injizirte daran die va-
ſa ſubcutanea mit Wachs. - 32) Zwei Kinder, die nur Ein Hirn hatten, ohne al-
les ſeptum, und wovon doch das Eine Abends und
das andre erſt am Morgen ſtarb. - 33) 150. Spirituoſa. Die Namen ſind aus Glas ge-
ſchrieben. Sie koͤnnen nicht ausduͤnſten, Tropfen
haͤngen an den untern Seiten des Glaſes an. - 34) Krokodil im Ei.
- 35) Mus jaculus aus Sibirien.
- 36) Kinnbacken vom Wallfiſch.
- 37) Ein Biber, weis, mit ſchuppichten Schwanz.
- 38) Monoceros. Kam zur Zeit Aug. des II. bei
Hamburg in die Elbe, man ſchlug ihm einen Anker
durch den Schwanz und zog es ruͤckwaͤrts bis nach
Dresden hinauf. Es hat nur Einen Zahn, und iſt
noch ein junges. ꝛc. - 39) Foetus vom Hippopotamus.
- 40) Cataphractes maximus, hat ſchreckliche Floſſen.
- 41) Schoͤne Wendeltreppe, die 800. Thaler gekoſtet
hat. - 42) Perlen aus der Elſter.
- 43) Unter den Meergewaͤchſen ein Stuͤck ſchwarze Ko-
rallen, mit der Rinde, in der Mitte gebrochen. Soll
natuͤrlich ſeyn. - 44) Ein Bernſteinſchrank mit Schubladen und Inla-
gen und herrlicher Arbeit. Iſt ein Geſchenk vom
verſtorbenen Koͤnig von Preuſſen.
45) Viel
[157]
- 45) Viel ausgeſtopfte Thiere, Pohlniſche Baͤre, weiſſe
Baͤre, Skelet vom Elenn, von vielen andern, in
einem beſondern Saale. - 46) Das Gerippe von einem Hengſt aus Merſeburg,
den AuguſtIII. oft ritt, deſſen Schweif 13½. Elle,
und die Maͤhne 12. Ellen lang war. Man konnte
aber keine ſolche Zucht von ihm bekommen. Die
Stallknechte mußten allemahl mitgehen. Es haͤngen
jetzt geflochtene Zoͤpfe daran. *).
Den 25ſten Aug.
Heute beſah ich Vor- und Nachmittags die herr-
liche
Churfuͤrſtl. Bibliothek. Sie ſteht im Zwinger,
in 3. Saͤlen eng zuſamengepreßt. Man ſchaͤtzt ſie auf
150,000. Stuͤck. Urſpruͤnglich beſteht ſie aus 3. Biblio-
theken, nemlich aus der laͤngſt vorhandenen anſehnlichen
Churfuͤrſtlichen, und der nachher noch hinzu gekommenen
Buͤnauiſchen und Graͤflich Bruͤhliſchen, welche beide
der Churfuͤrſt dazu gekauft hat. Ich hatte die beſte
Gelegenheit, ſie zu beſehen, da ich an den Hrn. Biblio-
thekar Dasdorf von Hrn. Kreisſteuereinnehmer Weiſ-
ſe aus Leipzig ein Empfehlungsſchreiben hatte, und die-
ſer wuͤrdige Gelehrte mir mit ungemeiner Gefaͤlligkeit alle
Seltenheiten zeigte. Meine Aufmerkſamkeit zogen beſon-
ders folgende Werke auf ſich:
1) Lo-
[158]
- 1) Lobelii Stirpes, illum:
- 2) Malpighi Anatome Plantarum. Fol. mit herli-
chen Kupfern. Der Verfaſſer war Arzt in Bologna. - 3) Grew Anatome Plantarum. London. Iſt
faſt zu gleicher Zeit mit vorhergehenden im vorigen
Jahrhundert herauskommen. - 4) Aus den Zeiten der erſten rohen Verſuche der Buch-
druckerkunſt. Ars memorandi notabilis per fi-
guras Evangeliſtarum. Ferner Biblia Paupe-
rum 1440. — und Ars moriendi. — Alle
drei in 4. mit Holzformen abgedruckt, allemahl 2.
Blaͤtter zuſammen geklebt. Aeuſſerſt ſelten. - 5) Ein Pſalterium von 1457. von Fuſt und Schoͤffer,
auf Pergament in Folio gedruckt. Iſt das erſte ge-
druckte Buch, wo ſich der Drucker genannt hat. - 6) Guil. Durandi Rationale divinorum officior.
Libri VIII. Dieſes Buch haben Fuſt und Schoͤf-
fer zuerſt mit kleinen beweglichen gegoſſenen Typen
1459. gedruckt. - 7) Pauli Briefe. Eine Handſchrift vom Ende des
8ten Jahrh. noch ohne Spir. und ohne Accente, mit
der Verſio vetus itala interlinearis. - 8) Brand’s Narrenſchiff 1494. in 4. mit Holzſchnit-
ten. Das Buch iſt in Verſen und eine Satyre auf
die Thorheiten der damaligen Zeiten. Es iſt bald in
alle Sprachen uͤberſetzt worden. Z. B. 3. Jahr nach-
her, 1497. (als in Frankreich jedes gedruckte Buch
uͤberhaupt noch ſelten war,) ſchon ins franzoͤſiſche un-
ter dem Titel: a nef des folz du monde, in 4.
auf Pergament, ſchoͤn illuminirt. Das hieſige Exem-
plar iſt aus Colberts Bibliothek.
9) Das
[159]
- 9) Das Original von Maximilian’s I. Jugendleben in
Holzſchnitten von Hanns Burgmayr. Sie ge-
hoͤren zu dem Buche der weiſſen Koͤnige von Treiz-
ſauerwein, das Hr. von Heinicke in Graͤz gefun-
den und bekannt gemacht hat, und das in Wien 1775.
in 4. gedruckt iſt, wobei die Holzſchnitte nachgeſtochen
ſind. Die Originale ſind viel ſchoͤner. - 10) Theuerdank. Davon ſind hier 7. verſchiedene
Ausgaben, die von 1517. mit Illuminationen und
ohne; auch die von 1519. die auch ſelten iſt. - 11) Franciſci de Marchi della Architettura mi-
litare. Fol. Breſcia. 1519. hoͤchſt ſelten. Der
beruͤhmte Vauban kaufte alle Exemplare auf, und
verbrannte ſie, wollte allein in der Befeſtigungskunſt
originel und gros ſeyn, und hat doch alles aus dieſem
Buche genommen. Prinz Heinrich und Herzog
Ferdinand haben es durchſtudirt. S. von dieſem
Buche Winkelmann’s Briefe von Daßdorf her-
ausgegeben, 1. Th. S. 43. *) - 12) Viele herliche alte Ausgaben von alten Autoren,
beſonders Aldiniſche Editionen. - 13) Biblia latina von Joh. Fuſt und Peter Schoͤf-
fer. Maynz. 1462. Fol. herlich auf Pergament
gedruckt. Die Anfangsbuchſtaben ſchoͤn gemahlt.
14) At-
[160]
- 14) Atlas Royal fuͤr Koͤnig AuguſtII. in Holland
in 19. Folianten geſammelt. Enthaͤlt viele Homan-
niſche Karten, aber auch viele eigengeſtochene, und
beſonders viele Handzeichnungen; alle praͤchtig illumi-
nirt. Jede hat eine andere Marginaldekoration.
Zeichnungen von allen Orten in Sachſen ſind auch
darin. Ein Band iſt darunter voll der koͤſtlichſten
Malereien, ehemaliger und damaliglebender engliſcher
hoher Perſonen, Anna faͤngt an, auch KarlI. iſt
darin, deſſen Geſicht viel Aehnlichkeit mit dem ge-
woͤhnlichen Chriſtuskoͤpfen haben ſoll. Cromwell ꝛc.
Dieſes Werk ſoll viel tauſend Thaler koſten *), iſt aber
unique und wahrhaftig koͤniglich. - 15) Eine ganz ſonderbare Mexikaniſche Handſchrift,
hoͤchſt ſelten. Wahrſcheinlich ein Kalender. Die
Spanier als ſie nach Mexico kamen, verbrannten
dieſe Buͤcher aus heiligem Eifer, in der Meinung,
es waͤren Zauberbuͤcher. - 16) Ein herlicher Koran auf Seidenpapier mit des
Kaiſers Namen. Ein Saͤchſiſcher Lieutenant eror-
berte ihn beim 2ten Entſatz von Wien, im Jahre
1683. - 17) Migniaturgemaͤlde von den Gelehrten des 16ten
und 17ten Jahrh. aus der Bibliothek des Grafen
Bruͤhl, der ſie mit ſchwerem Gelde einem engliſchen
Lord abkaufte. Manche ſind nach Lukas Kranach-
ſchen Gemaͤlden gemacht, naͤmlich alle, die auf gruͤnen
Grunde
[161] Grunde ſind, denn ſo mahlte Kranach meiſt. Koͤſt-
lich ſind die Bildniſſe Luther’s, Melanchthon’s,
Huſſen’s, Erasmus, Grotius, Lipſius ꝛc. - 18) Ein Ebraͤiſcher Codex mit dem vollſtaͤndigen Tar-
gum. Sehr ſchoͤn *).
Mittags hatte ich die Ehre bei des Miniſters von
Wurmb Exc. zu ſpeiſen. Es fehlte mir hierbei nicht
an Gelegenheit, die tiefen Einſichten und den Patriotis-
mus dieſes groſſen Staatsmannes zu bewundern.
Den 26ſten Aug.
Heute, als an dem letzten Tage vor meiner Streife-
rei in die Gegenden von Pirna und Koͤnigsſtein, war
ich fruͤh noch im groſſen Garten, und dann beſah ich bei
dem Hofjuwelier, Hr. Neuber, den koſtbaren, aus lauter
ſaͤchſiſchen Steinen auf einer vergoldeten Silberplatte mit
vielem Geſchmack in Moſaik zuſammen geſetzten Tiſch,
den der Churfuͤrſt dem franzoͤſiſchen Miniſter von Bre-
teuil wegen des Teſchener Friedensſchluſſes zum Ge-
ſchenk beſtimmt hat; daher ſind aus Meißner Porzellan
Medaillons darin, die ſich auf dieſen Frieden beziehen **).
Und alsdann begab ich mich auf die
Reiſe
Zweiter Theil. L
[162]
Reiſe nach Pirna.
Der Weg bis dahin betraͤgt 2. Meilen. Die Ge-
genden ſind herlich. Immer hat man die Bergfeſtun-
gen vor den Augen. Man erndtete eben den Hafer, die
Hirſe ſtand noch, viele Leute ſtapelten die Garben auf
dem Felde auf. Ich paſſirte die Mieglitz, die aus dem
Erzgebuͤrge koͤmmt, oft greulich anlaͤuft, und wenn ſie
ſo gros iſt, daß Eiſen und Zinnerze darin gewaſchen wer-
den koͤnnen, beſtaͤndig blutroth ausſieht, daher ſich keine
Karpen, wozu ſie ſich ſonſt herlich ſchickte, darin erhalten.
Pirna. Ein kleines nahrhaftes Staͤdtchen an der
Elbe. Die weiſſen Sandſteine zum Bauen, welche hier-
herum gebrochen werden, gehen auf der Elbe nach Dres-
den, Meiſſen, Torgau, Leipzig, ins Preuſſiſche
ꝛc. ja ſogar bis nach Holland. Es wohnen auch hier
viele En gros Haͤndler, die nach Boͤhmen handeln,
wozu die Schiffahrt auf dem Strome viel beitraͤgt, die
uͤherhaupt hier viele Leute ernaͤhrt. Vom Koͤnigſtein
herab bringt man Ziegelerde auf Schiffen. Viele hun-
dert wilde und zahme Katzen-Marder-Otternfelle wer-
den hier betruͤglich wie Zobel gefaͤrbt, und gehen nach
Hamburg, Luͤbeck ꝛc. Ohnweit dieſem Staͤdtchen
darneben liegt auf einem Berge die alte Bergfeſtung
Sonnenſtein, die man ſeit dem ſiebenjaͤhrigen
Kriege verfallen laͤſt. Kaſematten ſind noch da, uͤber die-
ſen aber liegt viele Ellen hohe Dammerde, in welcher
Baͤume wachſen. Man hat von hier eine herliche Aus-
ſicht.
**)
[163] ſicht. Man ſieht den Strom, die Berge ringsum
Dresden, die Meißner terraſſirten Weinberge, von wei-
tem Sedlitz, — wo der Koͤnig von Preuſſen bei dem
bekannten Pirnaiſchen Lager ſein Hauptquartier hatte,
— die Kotter Spitze, und hinter ſich Boͤhmen.
Die Sonne ging eben unter und roͤthete den Strom und
das Thal, als ich hier ankam, wo mich Hr. D. Urſi-
nus aus Pirna, an den ich von Hrn. Jakobaͤer em-
pfohlen war, erwartete. Einen heiſſen Sommerabend
kan man hier vortreflich zubringen.
Den 27ſten Aug.
Heute fuhren wir uͤber lauter Sandfelder an der
boͤhmiſchen Grenze hin nach
Gersdorf, einem Landgute, das einem alten Ge-
heimen Kriegsrath Hr. von Leyſer aus der beruͤhmten
Familie dieſes Namens gehoͤrt, der hier ſeinen Tod er-
wartet. Er war vormals erſter Oberkonſiſtorialrath,
und iſt Wittwer, hat aber ſeine 3 Toͤchter bei ſich, davon
die eine an einen Obriſtlieutenant Hr. von Ponickau
verheirathet, die andre Wittwe, und die juͤngſte noch
ledig iſt. In
Borna, einem ihm gehoͤrenden Dorfe, war eben
heute Erndtepredigt, die der Diak. Wagner von Lieb-
ſtadt hielt. Man ſingt 3. Lieder, das Evangelium wird
erſt vor dem Altare abgeſungen, dann noch einmal auf
der Kanzel verleſen. Der Text war: „Ich will die Er-
„de nicht mehr verfluchen um des Menſchen willen;“ dies
erklaͤrte der Prediger per Eminentiam um des Gott-
menſchen willen ꝛc.
L 2In
[164]
In dieſer Kirche ſind Altar, Kanzel und Taufſtein
von graulichem Marmor, der hier in der Gegend bricht,
und von Pirnaiſchen Sandſtein. Darin iſt auch ein
Grabmahl, das Hr. von Leyſer ſeiner verſtorbenen Frau
und ſich vivus adhuc ſetzen laͤßt, und womit er ſich nun
im 88ſten Jahre ſeines Lebens ganz beſchaͤftigt. So gros
iſt die Liebe des Menſchen zum Leben, und der Wunſch
nicht vergeſſen zu ſeyn! Prof. Hiller in Wittenberg
hatte die Inſchrift und etliche Diſtincha dazu gemacht.
Wir waren hier Mittags zu Gaſte, und hatten ſogar
Ananaſſe ꝛc. Nach Tiſche ſpazierten wir mit den Da-
men im Garten, und dann fuhren wir nach
Ottendorf, wo ich Hrn. M. Kuͤttner, der hier
Prediger *) iſt, meinen Beſuch machte. Ich fand an
ihm einen helldenkenden Theologen und angenehmen Ge-
ſellſchafter, der mir viele Freundſchaft und Hoͤflichkeit er-
zeigte. Ich erwarb mir dabei noch die Bekanntſchaft meh-
rerer wuͤrdiger Perſonen, als des Hrn. Hauptmanns von
Carlowitz, der Fraͤulein von Carlowitz, die mir mit
einem Fraͤulein von Stangen ihren Garten zeigte, wo
jetzt erſt die Aprikoſen reif waren.
Nachts waren wir in Pirna beim Hrn. Superint.
Eſſenius im Garten, und hier jagte eine hereingefloge-
ne Fledermaus die Damen in nicht geringe Angſt.
Den 28ſten Aug.
Wir machten heute eine ſehr angenehme Luſtreiſe
nach
Weſenſtein,
[165]
Weſenſtein, 2 Stunden von Pirna. Ich ritt
auf Hr. M. Kuͤttner’s Pferde hin. Dieſer wichtige
Ritterſitz liegt in einer ganz unbeſchreiblich reizenden Ge-
gend, und gehoͤrt dem Heſſiſchen Geheimenrath Hrn.
Baron von Uckermann, der es fuͤr 120,000. Thaler er-
kauft hat *). Er war erſt Kaufmann, ward aber im
ſiebenjaͤhrigen Kriege Generallieferant bei der Aliirten
Armee, erwarb ſich dabei groſſe Summen, ſetzte ſich darauf
zur Ruhe und kaufte ſich in Sachſen an, wie er denn
noch ein herliches Guth Bendeleben in Thuͤringen be-
ſitzt. Vorher hat er ſich lange Zeit mit ſeiner Gemah-
lin **) in Engelland aufgehalten. Der Koͤnig von
Preuſſen bot ihm etlichemahl alle Vortheile an, wenn er
ſich in ſeinen Staaten niederlaſſen wollte, er dachte aber
anders. —
Er iſt uͤbrigens ſchon ſehr bei Jahren, ein wahrer
edler Menſchenfreund, ohne Stolz, nimmt daher auch
die Excellenz nicht an, beſitzt ein groſſes kommerzirendes
Genie, und liebt eine vernuͤnftige Lektuͤre.
Dabei lebt er auf einen, ſeinem groſſen Vermoͤgen
angemeſſenen und anſtaͤndigen Fuß. Er iſt im engli-
ſchen Geſchmack herrlich meublirt, fuͤhrt eine delikate Ta-
fel, und hat einen herrlichen Weinkeller. Oft kauft er fuͤr
2000. Thaler Bacharacher, Nierenſteiner und dergl.
L 3auch
[166] auch den beſten Kapwein, — weil einer ſeiner guten
Freunde Bewindhebber von der oſtindiſchen Kompagnie
iſt, — ſogar Lacrymae Chriſti hat der Mann. So
viel Ananaſſe werden hier gezogen, daß die Fr. Geheime-
raͤthin uns welche auf den Koͤnigſtein mit gab.
Er hat weiter keine Kinder als einen einzigen Sohn,
der in Leipzig ſehr fleiſſig den Wiſſenſchaften obgelegen,
auch da mit vielem Beifall diſputirt hat und jetzt nach
Goͤttingen geht.
Das Schloß iſt ſeit vielen Jahrhunderten, da’s
der Buͤnauiſchen Familie gehoͤrte, ganz in einen Stein-
felſen gehauen, und dieſer ſchreckliche Fels geht bis in den
Thurm hinauf. Es hat 8-9. Etagen, viele Hoͤfe uͤber-
einander, uͤberall ſind die Mauern der Fels ſelbſt. Er
ſieht uͤberall durchs Mauerwerk hervor. Oft hat man
ihn durch die Kunſt nur ausgegleicht. Es iſt ein trock-
ner Felſen, nur unten ſickert hie und da Waſſer hervor,
und das wird ins Fiſchhaus und in die Kuͤche geleitet.
90. Stuffen geht man aus dem Hauſe ins Badhaus
hinab, und etliche 80. Stuffen bis in die Wohnzimmer.
Zu den Kellern geht man 3. Treppen hinauf, und doch
ſind ſie im Sommer kuͤhl, und im Winter warm. An
den Luftloͤchern ſieht man, daß die Mauern wohl 2¼. Fuß
dick ſind. Sie ſtellen wahre Stollen oder Gaͤnge vor.
Alles iſt mit Pulver geſprengt und gewoͤlbt, und doch
ſind Fuͤrſtliche Zimmer Reihenweiſe darin. Unten iſt
das Gerichtshaus und die Kanzlei. Ringsum her zie-
hen ſich ſchreckliche mit Wald bewachſene Gebuͤrge, von
denen das Holz auf der Mieglitz hergefloͤſſet wird.
Durch dieſen Wald geht ein Engliſcher Garten mit einem
Schlangenwege. Oben iſt ein Pavillon angelegt, wo
man
[167] man nach Sedlitz, Pirna, Lilienſtein, Koͤnigſtein,
Dohna ꝛc. vortrefliche Ausſicht hat. Erſt wohnten
Moͤnche da. Die nachherigen Beſitzer bauten alle daran.
Man ſieht in der Hoͤhe das weite Thal in ſeiner gan-
zen Breite und Laͤnge nicht. Die Mieglitz rauſcht herrlich
durch, und aus meinem Schlafzimmer ſah ich, wie ſie an
3. verſchiedenen Orten Kruͤmmungen macht. Schlott-
witz, wenige Stunden davon, hat die herrlichſten Jaſp-
achat und Amethyſtbaͤnke, die Charpentier in ſeiner
Mineralogiſchen Geographie von Sachſen beſchrieben
hat. Mit ſolchen Stuͤcken ſind die Fontainen im Gar-
ten beſetzt. Wenn dann dieſe ſpringen, und die Sonne
grade darauf ſcheint, ſo macht das den herrlichſten An-
blick. Um dieſe Stuͤcke zu ſchleifen wuͤnſcht der Hr.
Baron Riß und Leute von Oberſtein*) zu haben. Ei-
ne daraus geſchliffene herrliche Doſe verwahrt er als ein
Prachtſtuͤck.
Ein Brauhaus iſt in den Felſen gehauen, das hat
4. Boͤden uͤber einander, es koͤnnen 30,000. Dresdener
Scheffel da liegen, es ſind Kommunikationsloͤcher von ei-
nem Boden zum andern da. Man macht Darrmalz
und doch kommt kein Feuer darzu, alle Darren ſind ge-
flochten, und die Waͤrme koͤmmt durch lauter Zuͤge hin.
Schreckliche groſſe Braukeller ſind ebenfalls in den Felſen
gehauen.
In der 9ten Etage trift man 3-4. Gewoͤlber hinter
einander an, wo man in jedem mit Pferd und Wagen
umkehren koͤnnte. Hinter dieſen liegt das Archiv und
L 4hinter
[168] hinter dieſen ſind Gewoͤlber fuͤr das Silbergeſchirr und
das Porzellan des Beſitzers.
Aus den obern Etagen gehen ſenkrechte Gewoͤlber
in das Haus hinab, in welche man ganze Kiſten und
Kuffer voll Koſtbarkeiten mit Silber und dergl. ange-
fuͤllt hinablaſſen kan. Kein Feind findet’s, wenn’s nicht
verrathen wird. Viele Domeſtiken kommen nie im gan-
zen Hauſe herum.
Schrecklich hoch oben liegt ebenfalls im Felſen ge-
hauen, die Schloskirche, worin ebenfalls Chor, Altar
und Kanzel aus Fels ſind. Man kan hinten herum ge-
hen und den bloſen Felſen ſehen. Die Kirche hat ſo
groſſe Vermaͤchtniſſe, daß eine eigene Hofkapelle ordent-
lich gehalten wird. Man empfing uns auf der Orgel
mit Paucken und Trompeten, die in der Felſenhoͤhe vor-
treflich ſchallten.
Heute fruͤh verlieſſen wir dieſen wuͤrdigen Mann,
reiſten nach Pirna zuruͤck, und von dort gleich den Stein-
weg hinauf nach dem
Koͤnigſtein, hart an der Voͤhmiſchen Grenze. Er
iſt eigentlich eine groſſe Sandklippe 1400. Fuß uͤber die
Oberflaͤche der unten vorbeiflieſſenden Elbe erhaben.
Rings herum iſt er mit Wald umgeben, der von oben
herab nur wie niedriges Gebuͤſche erſcheint. Die Breite
iſt 50°. 57′. und die Laͤnge 36° 44′. 3. Meilen oſtwaͤrts
von Dresden. Nicht weitab, aber uͤber der Elbe,
liegt der Lilienſtein. Der iſt noch 14. Ellen hoͤher und
faſt unzugaͤnglich. Als der jetzige Churfuͤrſt einmal oben
ſpeißte, lies der Hr. Graf Markolini einige Stangen
aufrichten. Zur Seite liegt an der Elbe das Dorf, wo
der
[169] der Prophet vom vorigen Kriege wohnt. Er iſt ein Fi-
ſcher, kein Schwaͤrmer, und jetzt ſchon ein alter Mann.
Er ſagt, er hoͤre eine Stimme und fuͤhle einen Drang,
es zu ſagen ꝛc. Ferner liegen in der Naͤhe der Pfaffen-
ſtein, der Jungfernſprung, der mit Holz bewachſene
Berg Querl, der einzige, wo ſich eine dem Koͤnig-
ſtein gefaͤhrliche Armee poſtiren koͤnnte, daher ſind auch
auf der Feſtung oben die ſchwerſten und groͤſten Kanonen
und fuͤrchterlichſten Moͤrſern auf den Berg gerichtet.
Innerhalb iſt eine natuͤrliche Hoͤle, die Diebshoͤle ge-
nannt, darin ſich 2. Kompagnien Soldaten verſtecken
koͤnnten; nicht weit davon liegt das Staͤdtchen Koͤnig-
ſtein, das Rabener das Doͤrfchen Querlequitſch
nannte. Im Jahr 1639. brannten es die Schweden
ab, weil aus der Feſtung auf ſie war gefeuert worden.
In der Ferne ſieht man den boͤhmiſchen Schneeberg
und bis nach Toͤplitz hin.
Ehemals gehoͤrte Berg und Schloß zu Boͤhmen.
Im Jahr 1403. kam es an Sachſen, 1425. ruinirten
es die Huſſiten, 1516. ſtiftete Herzog Georg ein Coele-
ſtiner Kloſter hier. Durch die Reformation 1529. aber
zerſtreuten ſich die Moͤnche: 1553. fing Churfuͤrſt Auguſt
eine reelle Befeſtigung an, baute ein Bergſchloß, legte
mehr Beſatzung hinein, und fing den Brunnen zu graben
an, der erſt nach 40. Jahren fertig wurde. Im Jahr
1586. ward der Fels mit Mauerwerk ausgefuͤllt, und ein
neuer Eingang durch den Felſen gehauen.
Der Zugang iſt aͤuſſerſt ſteil; die alten Invaliden
tragen daher das Frauenzimmer in Tragſeſſeln hinauf.
Am Thore wird nach dem Paſſe gefragt, und eines Jeden
Name gleich auf die Hauptwache hinauf gemeldet, und
L 5hernach
[170] hernach werden die Fremden durch einen Offizier herum-
gefuͤhrt, und ſo wieder ans Thor gebracht. Es ſind 3.
Thore und Fallbruͤcken daran, ſo glatt, daß man Kano-
nenkugeln herunter rollen kan. Der Kommendant kan
aus ſeinem Zimmer den Eingang uͤberſehen. Man ſieht,
wo im Felſen der erſte, der andere und der jetzige Eingang
gehauen ſind, um es nur etwas flacher und ebener zu ma-
chen. Jetzt lagen 500. Mann Beſatzung oben, der obe-
re Umfang des Felſens macht eine ſtarke halbe Stunde
aus, und darauf liegen die Feſtungswerke, Wohnungen,
Magazine, Pulverthuͤrme, Kaſematten, Zeughaus, Kir-
che ꝛc.
Ein aͤuſſerſt angenehmes Waͤldchen iſt auch oben,
darin ſtehen die Pulvermagazine. Der Blitz hat
ſchon oft da eingeſchlagen, doch aber nur in Baͤume.
Eine Brauerei iſt nicht oben. Eine Ciſterne aber liegt
im Walde, in welche alles Regenwaſſer geleitet wird.
Es gibt darin Karauſchen und Karpen, ſie werden
aber nicht fett, auch ſollen ſehr wenige Voͤgel hier niſten.
Im J. 1778. brachte man wegen des Kriegs viel Pulver
und Munition aus Dresden hierher, und verſtaͤrkte die
Beſatzung. 1779. zog aber die Verſtaͤrkung wieder ab,
und das uͤberfluͤſſige Pulver brachte man auch wieder
weg.
Kanonen auf Lavetten ſtehen ringsherum auf dem
Wall. Einige ſchieſſen 24. Pfund. Sie ſind ſchoͤn
gearbeitet, alt, und mit Churfuͤrſtl. Namen, Wappen
und Verſen geziert. Dazwiſchen ſtehen immer ſchreckli-
che Moͤrſer auf hoͤlzernen Kuffen. Man kan damit bis
in die Gegend von Pirna reichen. Ueberall ſtehen
Krahne, damit wird Holz, Steine, Lebensmittel ꝛc.
hinaufgezogen.
Was
[171]
Was mir hier beſonders ſehenswuͤrdig war, iſt fol-
gendes:
Der Heldenſaal. Johann Georg der I. hat ihn
1631. angelegt. Er liegt an der Wohnung des Kom-
mendanten. Es haͤngen Gemaͤlde von Churfuͤrſten,
Damen, Fuͤrſten, Kommendanten, Generalen darin.
Auch eine Vorſtellung des Saͤchſiſchen Prinzenraubs ꝛc.
Koͤnig AuguſtII. lies an dieſen Saal noch Aufziehema-
ſchinen anbringen, worzu nur 8. Mann gehoͤren, und
durch welche der Fußboden des Saals aufgehoben werden
kan *), ſo daß der Feind noch todt geworfen werden kan,
wenn er auch ſchon eingedrungen waͤre.
Die Staatsgefaͤngniſſe liegen zu aͤuſſerſt an der
Spitze, man laͤſt ſie aber keinen Fremden ſehen. Ein
eigener Hauptmann hat die Aufſicht daruͤber. Man
bekoͤmmt aber die
Crellenburg zu ſehen, wohin 1591. der Kanzler
Crell von Dresden geſetzt ward, weil er des Crypto-
Calvinismi verdaͤchtig war, bis er endlich 1601. in
Dresden enthauptet ward. 1720. ward auch hier ein
Baron von Klettenberg, ein falſcher Goldmacher wegen
einer in Frankfurt am Mayn begangenen Mordthat
enthauptet. Auf der Koͤnigsnaſe, welches eine Spitze
vom Wall iſt, liegt deswegen noch ein Stein.
Die Neue Kirche fuͤr die Beſatzung, ward 1676.
in Gegenwart des Churfuͤrſten Johann GeorgII. vom
Oberhofprediger Geyer eingeweiht. Der Churfuͤrſt
ſchenkte
[172] ſchenkte auf den Altar einige Drechſeleien von ſeiner eige-
nen Hand. Auch ſtehen daran 2. roͤmiſche Saͤulen, die
der Pabſt dazu ſchenkte. Sonſt war die Beſatzung in
dem dabei liegenden Staͤdtchen eingepfarrt, aber 1671.
kam der erſte Guarniſonprediger dahin. Die Todten
werden gleich von der Feſtung herunter gebracht.
Die Friedrichsburg, ein Haus auf dem Wall zum
Spielen, Kaffeetrinken und dergl. beſtimme. Hier ſchlief
1678. ein Page Heinrich von Grunau, der mit dem
Churfuͤrſten Johann Georg dem II. hier war, ſich be-
trunken hatte, und zur Schießſcharte herauskroch, auf
dem aͤuſſerſten Abſatze der Mauer ein. Der Churfuͤrſt
lies ihn, ohne ihn aufzuwecken, mit Stricken feſtbinden,
und ſo am Rande des ſchauervollen Abgrundes aufwa-
chen *). Nachher ſtuͤrzte der naͤmliche Mann, als er
dem Churfuͤrſten in Dresden uͤber die Elbbruͤcke, die
damals noch kein Gelaͤnder hatte, vorritt, in den Strom
herab, ward aber auch da errettet, und wurde 108. Jahr
alt.
Die Kaſematten gehen um die ganze Feſtung her-
um. Seit 1767. baut man an den neuen. Sie ſollen
ſo feſt ſeyn, daß die Bomben, wenn ſie auch etlichemahl
an dem naͤmlichen Orte aufſchluͤgen, und die oberſten La-
gen durchloͤcherten, auf dem Schutt, der unter dieſen liegt,
alle Elaſtizitaͤt verloͤhren, und die untre doch nicht durch-
ſchluͤgen. In den obern kan man aufrecht gehen. Selbſt
die Abtritte ſind Bombenfeſt. Fuͤr den Winter ſind
Zugoͤfen und franzoͤſiſche Kamine gebaut. Dieſe Ka-
ſematten
[173] ſematten gefielen dem Prinz Heinrich von Preuſſen,
als er im letztern Kriege hier war, ganz auſſerordent-
lich. 1698. war auch Czar Peter der Groſſe hier
oben.
Das Groſſe Faß, welches man hier hat, iſt ſchon
das 3te. Es iſt 1725. gebaut, und mit eiſernen Reifen
gebunden. Aus graden Baͤumen kan man ſo groſſe
Dauben nicht ſchneiden, daher ſucht man lauter krumme
Baͤume dazu aus. Es iſt ſo gros, daß man einen Co-
tillon darauf tanzen koͤnnte. Es iſt voll Meißner
Wein, den man den Fremden mit einem Stechheber her-
aushebt. Es haͤlt 3709. Dresdener Eimer.
Das Zeughaus iſt nicht ſonderlich gros, doch aber
ſtehen 2. Ctagen ganz voll. Man ſieht auch darin viele
alte Waffen und Kriegswerkzeuge, Kuͤraſſe ꝛc, Hau-
bitzen, die als Kanonen und als Moͤrſer gebraucht wer-
den koͤnnen, Schuwalows, eine Art kleiner Kanonen,
Orgelgeſchuͤtze, wo man 7, 10, 15. Stuͤcke auf ein-
mahl losſchoß, Doppelhacken, um uͤber die Mauern
zu ſchieſſen ꝛc.
Der Brunnen iſt ein wahres Meiſterſtuͤck. Er iſt
durch den ganzen Felſen, 900. Ellen tief, gehauen. Aus
dem Felſen ſickert unten das Waſſer, und in der Tiefe iſt
eine Quelle, daher es der Beſatzung nie an Waſſer ge-
brechen kan. Die Invaliden treten ein groſſes hoͤlzer-
nes Rad, das zieht den einen Eimer herauf und laͤſt den
andern hinab, der ſich in dem Augenblicke fuͤllt, da der
andre ausleert. Hinabgeſchuͤttetes Waſſer faͤllt erſt in
40. Sekunden hinab. Zuletzt erſcheinen 6. Lichter nur
noch wie ein Stern der kleinſten Groͤſſe am truͤben Him-
mel.
[174] mel. Es iſt ein ſehr reines, friſches und ſchmackhaftes
Waſſer.
Im Jahr 1706. ward wegen des Schwediſchen
Einfalls das Archiv und die Koſtbarkeiten aus Dresden
hierher gebracht, und die Beſatzung ward verſtaͤrkt. We-
gen des Preuſſiſchen Kriegs wurden 1756. 1324. Mann
hinaufgelegt, man ſchoß auch mit Kugeln und Bomben
aus der Feſtung auf die Feinde, bis hernach fuͤr die Fe-
ſtung eine Neutralitaͤtskonvention errichtet ward. 1763.
den 19. Maͤrz zog die Verſtaͤrkungs-Guarniſon wieder
ab.
Gouverneur dieſer wichtigen und ſehenswerthen
Bergfeſtung war jetzt der Hr. General von der Infante-
rie, Graf von Solms. Man nimmt immer Maͤnner,
die ſchon in Jahren ſind, dazu. Sie folgen gemeinig-
lich ſchnell auf einander. Der jetzige bat es ſich ſelbſt
aus. Ich war ihm von des Miniſters von Wurmb
Exc. empfohlen, und hatte die Ehre in ſehr vornehmer
Geſellſchaft bei ihm zu ſpeiſen, worunter unter andern
auch der Koͤnigl. Preußl. Geſandte an hieſigem Hofe,
Hr. von Alvensleben war.
Den 30ſten Aug.
Ruͤckreiſe nach Pirna.
Der heutige Tag war dazu beſtimmt, das Luſtſchloß
Pillnitz, wo ſich der Churfuͤrſtl. Hof im Sommer
aufhaͤlt, zu beſehen. Wir fuhren auf der ſchoͤnen Elbe
hin, und gingen dann durch einen Tannen- und Foͤhren-
wald vollends zu Fuß hinein. Hr. D. Urſinus, der ſo
gefaͤllig war, dieſe Luſtpartie anzuſtellen, hat hier einen
Schwager,
[175] Schwager, der Amtsverwalter iſt. Das eigentliche
Schlos iſt alt, es ſind aber noch 2. herrliche Pavillons
da und dieſe bewohnt der Hof. Im Garten hat der
Churfuͤrſt eine Partie im Engliſchen Geſchmack mit groſ-
ſen Koſten anlegen laſſen, und man will von den benach-
barten hohen Gebuͤrgen das Waſſer herableiten, und eine
Art von Kaſſelſchen Winterkaſten machen. Es fehlt
aber grade in der heiſſeſten Jahrszeit an Waſſer. Das
Schoͤnſte fuͤr mich war, daß hinten am Garten die Elbe
fließt, wo ſchoͤne Jatchen und Gondeln liegen. Im
Garten findet man allerlei Spiele. Auch iſt darin ein
eigner kleiner Garten, mit deſſen Wartung ſich der Chur-
fuͤrſt ſelbſt vergnuͤgt. Er ſtand eben, gegen ſeinen Be-
fehl, offen.
Im Venustempel, einem ſchoͤnen und groſſen
Saal, in dem man viele Bildniſſe vormaliger beruͤhmter
Damen antrift, ſahen wir den Hof zu Mittage ſpeiſen.
Es ward dazu Mufik im Nebenzimmer gemacht.
Die Zimmer des Churfuͤrſten bekoͤmmt Niemand zu
ſehen. In den Zimmern der Churfuͤrſtin lagen die
Rhein Beitr. und Hiſt. univ. profane \& ſacrée,
ein Rahmen, worin ſie arbeitete. ꝛc. Ein Klavier, ei-
ne Voliere von Kanarienvoͤgeln war auch darin, und
darneben ein Huͤnerhaus, das ſie erſt jetzt mit vielen
Koſten bauen laͤſt.
Man kan hier Schnallen von Pinſchbeck zu Kauf be-
kommen, die ein Mann in Peterswalde in Boͤhmen,
ganz im Engliſchen Geſchmack macht. Die Kaiſerin
hats ihm dort lernen laſſen. Die Meinigen koſten
mich 1. Thaler 18. Groſchen. Er macht ſie nach allen
moͤglichen Deſſein, die man ihm ſchicken muß.
Abends
[176]
Abends kehrten wir wieder nach Pirna zuruͤck, und
waren im Garten beim Apotheker
Hrn. Hofmann, dem der Teſchener Friede ein
ſchoͤnes Luſthaus gebaut hat, mit der Inſchrift: Hanc
pax nobis dedit unbram. 1779.
Den 31ſten Aug.
Reiſe nach Stolpen.
Ein Kranker in Biſchofswerde ſchickte dem Hrn.
D. Urſinus einen Wagen und lies ihn holen. Dieſe
Gelegenheit benutzte ich, und begleitete ihn, um bei der
Gelegenheit die Stolpener Baſaltſaͤulen zu beſehen.
Den ganzen Weg bis hin trift man Sand an, dann
kommt ein Granitberg, und auf dieſen die Baſalte. Un-
zaͤhlig viele gibt es deren hier. — Das Pflaſter, alle
Sitze vor den Haͤuſern, alle Stadtmauern, das Schloß,
die Mauer um den Berg und Thiergarten — alles iſt
aus Baſalten, ja Schloß und Staͤdtchen ſtehen darauf.
Das Schlos iſt ſeit dem ſiebenjaͤhrigen Kriege demo-
lirt. Man will es auch verfallen laſſen. In den ſchoͤ-
nen Brunnen haben die Preuſſen eiſerne Kanonen, Stei-
ne ꝛc. geworfen, und man hat ihn noch nicht raͤumen
koͤnnen. Dabei ſieht man, daß einige Baſaltſaͤulen
noch 25. Fuß hoch am Tage herausſtehen, und 287. Fuß
tief iſt der Brunnen, der in ſie hineingehauen iſt. Ein
Steiger ſagte, er haͤtte gar keinen Abſatz gefunden, ſo-
nach waͤren die Saͤulen 312. Fuß hoch. Sie ſind meiſt
5eckigt; 3, und 6eckigte ſind ſeltener, als 7eckigte. Ganz
kleine 4eckigte brechen zuweilen zwiſchen den 5eckigten.
Schoͤrl-
[177]Schoͤrlkryſtalle, die von Einigen Granaten genannt
werden, kommen zuweilen darinnen vor.
Im Schloſſe ſieht man in der Kirche alte wohlerhal-
tene Malereien, desgleichen die Zimmer der beruͤhmten
Graͤfin Coſel, die zuletzt naͤrriſch, und eine Juͤdin wurde.
Man genießt von hier aus eine ſchoͤne Ausſicht nach Boͤh-
men. Oben hat das Schloß doppelte Mauern ꝛc.
Den 1ſten Sept.
Ruͤckreiſe nach Dresden.
Den heutigen Tag brachte ich damit zu, von allen
meinen Goͤnnern und Freunden Abſchied zu nehmen.
Vorzuͤglich beurlaubte ich mich von dem liebenswuͤrdigen
Staatsmanne, deſſen viele Beweiſe ſeines gnaͤdigen Wohl-
wollens gegen mich, meinem Herzen ewig unvergeßlich ſind.
Darneben beſah ich noch
Die Kunſtkammer. Da ſieht man eine Menge
der kuͤnſtlichſten Uhren unter mancherlei Geſtalten, z. B.
als Spinnen, als galoppirende Pferde ꝛc. viele kuͤnſtliche
Sachen, in Elfenbein, Holz und Stein gearbeitet; el-
fenbeinerne Kugeln, die in einander ſtecken, und tauſend
Dinge mehr.
Die Ruͤſtkammer. Neun Saͤle ſtehen voller Koſt-
barkeiten und Pracht. Eine ungeheure Menge Gold,
Silber und Edelſteine ſind hier verſchwendet. Man ſieht
ausgeſtopfte Pferde, wie ſie AuguſtIII. geritten, mit
reichgeſtickten Schabracken, ſilbernen vergoldeten Steig-
buͤgeln, tuͤrkiſche Pferdegeſchirre, Sattelzeug ꝛc. Redou-
tenkleider von allen nur erdenklichen Erfindungen ꝛc. Das
Hochzeitkleid Churfuͤrſt Auguſts. Panzer; viele alte ſel-
Zweiter Theil. Mtene
[178] tene Gewehre von allen Nationen, ſchreckliche Henker-
ſchwerdter, wobei ich mir an Hals grif, Sachen zum
Karouſſel, zu Turnieren ꝛc. Unmoͤglich konnt’ ich alles
merken, und dazu in der kurzen Zeit, die ich aufs Be-
ſehen wenden konnte.
Den 2ten und 3ten Sept.
Reiſe nach Berlin.
Der Weg von Dresden bis Berlin betraͤgt 20.
Meilen, iſt aber ein ewiges Sandmeer mit Tannen-
und Fichtenwaͤldern untermengt. Ach, da ſchlich der
Wagen ſo traurig im Flugſande fort, oft fuhr ich 6.
Stunden Weges ohne ein Dorf, eine Huͤtte, oder nur
einen Menſchen zu ſehen. Die Oerter, durch die ich auf
dieſer Route kam, ſind Groſſenhayn, Elſterwerde,
Dobriluck, Sonnewalde, Luckau, Baruth, Mit-
tenwalde; alles kleine Staͤdtchen. Bis Baruth iſt
alles Saͤchſiſch, aber 1. Meile hinter dieſem Orte iſt es
Brandenburgiſch.
Den 4ten Sept.
Heute kam ich in
Berlin an, und fand mein Logis in der Fr. Praͤſid.
von Dankelmann Hauſe auf der Bruͤderſtraſſe. Hr.
Nikolai hatte es fuͤr mich beſtellt. Ich lies es mein
Erſtes ſeyn, verſchiedene Beſuche zu machen, und meine
Empfehlungsſchreiben abzugeben, ich ging daher gleich zu
Hrn. Nikolai, der mich ſehr freundſchaftlich em-
pfing. Von ihm ging ich zum Hrn. Regimentsſeld-
ſcheer Kleemann, der aber nicht zu Hauſe war, zum
Hrn.
[179] Hrn. Stadtchirurgus Streccius, zu Hrn. geh. Gene-
ralpoſtſekretair Otto, zu Hrn. Oberkonſiſtorialrath Tel-
ler, wo ich Hrn. Prof. Ramler, und Hrn. Oberkonſi-
ſtorialrath von Irwing kennen lernte. Drauf ging ich
unter den Linden in der Neuſtadt ſpazieren, wo ich Hrn.
Generalchirurgus Schmucker antraf, und beſah dabei
den Wilhelmsplatz und die darauf ſtehenden Bildſaͤulen
der preuſſiſchen Helden Schwerin und Winterfeld*).
Auf den Abend war ich in dem gelehrten Klub,
wo ich Hrn. Generalchirurgus Theden, Hrn. Oberberg-
rath Gerhard, Hrn. Prof. Bernoulli ꝛc. kennen lernte.
Im Heimgehen begegnete uns Mad. Karſchin,
und machte gleich folgenden Vers aus dem Stegreife:
Den 5ten Sept.
Heute beſuchte ich nach der Reihe
Hrn. Oberkonſiſtorialrath Dietrich. Schon in
Jahren, ein guter und rechtſchaffener Mann.
Hrn. Moſes Mendelsſohn. Wir ſprachen von
ſeiner Pſalmenuͤberſetzung. Er ſagte, es fehle noch mei-
M 2ſtens
[180] ſtens der Zuſammenhang. Die alphabetiſchen Pſalmen
ſieht er nur fuͤr penſées detachées an, die man nach-
her geſammelt habe. — Je weiter man hinauf ſteige in
der Voͤlkerwelt und in der Geſchichte der Religion, je we-
niger abgoͤttiſche Voͤlker finde man. Dies iſt gegen Mei-
ners. Die Hieroglyphe habe zur Vielgoͤtterei Anlaß ge-
geben, man habe das Zeichen mit der Sache verwechſelt,
habe Hieroglyphen von Thieren genommen, weil das
Thier einen beſtimmten, der Menſch hingegen einen un-
beſtimmten Karakter habe, daher man auch nachher noch
ſo ein Thier neben den Menſchen geſtellt habe. —
Hrn. Oberkonſiſtorialrath Spalding. Ich fand ei-
nen ſchon alten, aber noch friſchen und lebhaften Mann
an ihm. Er klagte auch, daß er gegen ſo viele mittel-
maͤſſige Koͤpfe kaͤmpfen muͤſſe. Man ſehe immer im
Volksunterrichte die Religion als etwas fremdes, vom
Herzen abgeſchnittenes an ꝛc.
Hrn. Luͤdke, Prediger an der Nikolaikirche, ein
wackrer, thaͤtiger Mann.
Mittags war ich bei Hrn. Oberkonſiſtorialrath Tel-
ler zu Gaſte. Er iſt Cenſor von Allem was in Berlin
gedruckt wird. Er ſagte, er habe ſich vom Groskanzler
die Inſtruktion ausgebethen, was mit den allgemeinen
Grundſaͤtzen der Religion beſtehen kan, zu dulden. Ani-
moſitaͤten aber ſtreiche er gradezu aus. Nach dieſen Be-
ſuchen war ich in einer Verſammlung der
Naturforſchenden Geſellſchaft in Hrn. Apothe-
ker Rebelt’s Garten. Hr. Bode war Direktor. Hr.
Prof. Gleditſch zeigte einige Semina der Dioec. vor,
und ſagte, ſie gaͤben blos foem. andre blos maſe. ſie
zu erkennen ſie unmoͤglich. — Man ſoll an keinen Baum
klopfen,
[181] klopfen, es ſtehe hier Feſtungsbau drauf, weil ſich me-
dulla bis in den Liber erſtrecke, wie eine gelat. ani-
malis; er koͤnne aus Eicheln, Steineichen, ſchwarze Ei-
chen ꝛc. unterſcheiden. In der Zahl der Stamin. ſei
viel Ungleichheit oder Unbeſtaͤndigkeit: Figur und Pro-
portion ſei ihm lieber ꝛc. Ich lernte auch bei dieſer Ge-
legenheit Hrn. Oberkonſiſtorialrath Silberſchlag kennen.
Den 6ten Sept.
Mein erſter Beſuch war heute bei
Hrn. Rode, dem Maler. Seine Gattin wies mir
folgende Gemaͤlde von ſeinem Pinſel. Chriſtus, wie
er das Brod bricht, gar herlich; — Julius Caͤſar,
wie er ermordet vom Stuhle ſinkt; — viele Stuͤcke aus
der Preuſſiſchen Geſchichte, als FriedrichsI.Kroͤnung,
der vorige Koͤnig und der alte Fuͤrſt von Deſſau neben
ihm. In allen muß man die Erfindung, die neuen,
edlen Gedanken dieſes ſchoͤpferiſchen Geiſtes bewundern *).
Hierauf beſah ich die
Waſſerkunſt fuͤr das Schlos. Sie liegt bei den
Werderſchen Muͤhlen, und ein Druckwerk, das durch
ein Einziges Waſſerrad in Bewegung geſetzt wird, treibt
beſtaͤndig 7000. Tonnen Waſſer einen Weg von 250.
Schuh horizontal unter der Straſſe bis aufs Schlos,
100. Fuß hinauf, — denn ſo hoch iſt das Schloß bis
zum kupfernen Dach. — Hier laͤuft das Waſſer noch 10.
Fuß ſchraͤg unter dem Dache fort, vertheilet ſich durch
M 3bleierne
[182] bleierne Roͤhren allerwegen im Schloſſe, ſo daß man
uͤberall Waſſer haben kan. Unter dem Dache ſtehen 24.
groſſe und kleine Keſſel, die beſtaͤndig voll ſeyn muͤſſen.
Der Koͤnig gibt alle Jahr 700. Thaler zur Erhaltung
dieſer Waſſerleitung. Oben auf dem Dache hat man ei-
ne angenehme Ueberſicht der Stadt, und die Ausſicht
nach Spandau, Charlottenburg ꝛc. Als der Gros-
fuͤrſt vor etlichen Jahren ſeinen Einzug hielt, ſtanden und
faſſen viele tauſend Menſchen hier oben, ſogar Frauen-
zimmer.
Im Herabgehen ſah ich die Treppe ohne Stuffen,
auf der man mit einem Wagen im Schloſſe hinauf und
herabfahren kan, neben der Stufentreppe. Sie iſt mit
lauter Backſteinen gepflaſtert.
Hierauf wartete ich eine griechiſche Vorleſung des
Hrn. Gedicke, Direktors des Gymnaſiums vom
Friedrichswerder ab. Er las uͤber des Ariſtophanes
Wolken. Der Miniſter, Freiherr von Zedlitz, — ge-
gen welchen groſſen Mann ſich mancher kleine Senator
gewaltig blaͤht, — war auch zugegen. Schoͤn iſt doch
der Ausdruck des Griechen:
Schimpfe den Vater nicht einen alten Narren,
Du biſt eine junge Vogelbrut von ihm erzogen.
Nachher beſah ich das
Naturalienkabinet beim Hrn. Oberbergrath Ger-
hard, unter den Linden neben der Stadt Rom. Es
beſteht aus 4000. Stuͤcken; der Beſitzer will es à la
Tontine verkaufen. Durch den Miniſter, Hrn. von
Heinitz bekoͤmmt er alles. Er lieſt und ſchreibt jetzt
Mineralogie, gibt Kupfertafeln von der Theorie der Ge-
buͤrge
[183] buͤrge heraus, will auch eine metallurgiſche und minera-
logiſche Technologie liefern. Die Mineralien, welche er
beſitzt, hat er alle im Feuer probirt, ſich dabei der Porzel-
lantiegel und Porzellanoͤfen bedient, und dabei manche
Entdeckung gemacht. Das Verhalten des Minerals im
Feuer ſteht uͤberall dabei. — Ich ſah bei ihm; — ſehr
groſſe Granaten aus Schweden; — Rubine in der
Mutter, ein wahrer talkartiger Stein. — Blaue Tur-
maline. — Sehr viel von dem Quarzo inciſo. —
Kryſtalliſirten Feldſpat. — Kryſtalliſirten Schoͤrl,
Bergleder, Haarſilber und Kalkſpat an einander, von
Allemand in Dauphine’. — Viel ſchoͤnes gediegenes
Silber, Rothguͤlden, eben daher. — Weiſſes Blei, gar
ſchoͤn. — Ich erfuhr bei dieſer Gelegenheit, daß die
klingenden Quarze, in denen man die Lamellen deutlich
ſehen kan, von Krumersdorf in Schleſien herkommen.
Auf den Abend ſah ich eine Ilkumination im
Krauſenſchen Garten. Man zahlte 4. Groſchen fuͤr
die Entree, fuͤr die Muſik ward beſonders kollektirt. Es
waren viele artige Erfindungen dabei, ein fliegender Ad-
ler mit Lichtern, eine Menge Lampen mit buntgefaͤrbtem
Waſſer. Ueberall erblickte man das FR. und Fr. W.
Im Garten waren unuͤberfehbare buntgemiſchte Geſell-
ſchaften, aber ohne Getuͤmmel. Drauf ſoupirte ich in
Geſellſchaft Hrn. Nikolai’s und Hrn. O. K. R. Tel-
ler’s.
Den 7ten Sept.
Ich fuhr heute mit Beſuchen fort, und ging zu
Hrn. D. Kruͤnitz. Er arbeitete eben den Art.
Hals zu ſeiner oͤkon. Eneykl. aus. Ein fleiſſiger Ge-
M 4lehrter.
[184] lehrter. Die ganze Woche arbeitet er, und nur Sonn-
tags geht er aufs Land oder in Geſellſchaft.
Hrn. Prof. Ramler, ſchon in Jahren, ſchreibt jetzt
keine Oden mehr, nur manchmal eine Naͤnie. Von
Wieland denkt er wie ich, nennt aber ihn und Leſ-
ſing unſre beſten Beaux-Eſprits. Er ſagte, die Meſ-
ſiade habe er nicht ganz leſen koͤnnen. Er ſpottet uͤber
Kl. Oden und Gel. Rep. und meint, Kl. ſei nie vor-
waͤrts, ſondern immer ruͤckwaͤrts gegangen, an vielen
Orten ſchreibe er Nonſenſe.
Hrn. Medailleur Abraham Abramſon, der Sohn
eines Juden *), aber im cultu externo nicht Jude,
noch jung und ledig. Die Ideen und die Inſchriften
zu ſeinen Medaillen auf beruͤhmte Leute gibt ihm Ram-
ler an. Wieland’s Stempel hat gelitten, ſonſt haͤtt
ich die Medaille genommen. Jedes Stuͤck koſtet 3.
Thaler, und die ganze Suite 30.-40. Thaler. Von
Mendelsſohn, ſagte er, waͤren wohl 500. abgegangen,
von andern Gelehrten etwa 50. Der wackere Kuͤnſtler
iſt willens, eine Reiſe zu machen.
Hrn. Prof. Engel am Joachimsthaler Gymna-
ſium, ein Mann von etwa 40. Jahren. Seine ver-
ſtopfte Leber macht ihn krank und hypochondriſch. Den
Miniſter, Baron Zedlitz, lobt er ſehr, er thue ſehr viel,
habe viel Bereitwilligkeit. Auf Herdern war er nicht
zu ſprechen. Ich erfuhr auch von ihm, daß der Mini-
ſter Zedlitz dem Hrn. Adelung in Leipzig aufgetragen
habe, eine deutſche Grammatik fuͤr die preuſſiſchen Schu-
len
[185] len zu ſchreiben, *), weil Heynatz dazu nicht Philoſoph
genug ſei ꝛc.
Mittags aß ich wieder bei meinem Freunde Nikolai,
und beſah hernach des
Hrn. Apotheker Rebelt’s Naturalienkabinet.
Es iſt in der Mineralogie vollſtaͤndig, enthaͤlt auch ſchoͤ-
ne Konchylien, Kunſtſachen, Abdruͤcke ꝛc. Mir war
beſonders merkwuͤrdig
- 1) Moosachat in einem Ringe, und unter dieſem in
einem Kaͤſtchen ein Schiff mit 3. Seegeln, aus El-
fenbein geſchnitzt. - 2) Zwei Tabatieren aus Bayreuther Kieſel aus dem
Ganzen, und weis wie unreifer Quarz. - 3) Lanze, Kolbe, und viele alte Gewehre. Ein De-
gen, worauf die ganze Churſaͤchſ. Genealogie ſteht. - 4) Eine indianiſche Angelruthe aus Bambusrohr wie
ein Stock. Wird immer in einander geſchoben. - 5) Ganz ſchwarzer Marmor aus Romagna.
- 6) Ein Puddingſtone bei Berlin, von Hrn. Sieg-
fried entdeckt. - 7) Ein Schwanz von einem jungen Wallfiſch.
- 8) Ein altes deutſches Opfermeſſer aus Silex; kom-
men in Urnen vor. - 9) Bernſteinſachen, davon die Fabriken nicht hier, ſon-
dern in Koͤnigsberg und Stolpe in Pommern
ſind. - 10) Eiſenſtuffen von der Inſel Elba 2. Schubkaſten voll
von einem guten Freund in Italien erhalten. Vie-
le ſind ganz blau.
M 511) Chry-
[186]
- 11) Chryſopras aus Schleſien, — vielleicht gibts gar
keinen im Orient.
Auf den Abend aß ich bei dem guten Manne mit
Hrn. Rendant Siegfried und ſeinem Schwiegerſoh-
ne, Hrn. D. Piel. Seine Frau mochte ſich gern mit
mir von der Mlle. Biheron in Paris (S. 1. Th. S.
89. u. f.) unterhalten.
Den 8ten Sept.
Beim Hrn. O. K. R. Silberſchlag war ich heute
zuerſt. Der Koͤnig wollte ihn vom geiſtlichen Stande
wegnehmen, und zum Major, hernach zum Obriſten ma-
chen. Er hat die Aufſicht uͤber alle Bruͤcken, Waſſer-
baue u. dergl. Ich ſah bei ihm Proben von dem, was
die Schuͤler in der Realſchule zeichnen, ſchreiben ꝛc. Es
iſt aber hierbei viel Oſtentation; weil hier viele Schulen
ſind, ſo buhlt man bei den Eltern um die Kinder.
Hierauf machte ich Ihro Exc. dem Miniſter, Frei-
herrn von Zedlitz meine Aufwartung. Ein groſſer und
verehrungswuͤrdiger Staatsmann. Alsdann beſuchte
ich den
Hrn. Geh. Kriegsrath von Steck, der mit vieler
Achtung und Lobe von unſerm Miniſterio ſprach.
MadameMartini. Eine empfindſame Frau, die
noch den Tod ihres Mannes beweinte. Sie erzaͤhlte
mir, wie edel und gros Hr. von Rochow, Hr. Graf
von Borke, Hr. Sekr. Otto, Hr. O. K. R. von Ir-
wing ꝛc. an ihr gehandelt haͤtten. Von den Mannich-
faltigkeiten hat ſie alle Jahr 100. Thaler.
Mittags
[187]
Mittags ſpeiſte ich beim Hrn. O. K. R. Teller,
wo auch Hr. Hofr. Troſchel war.
Nachmittags wiederfuhr mir die hohe Gnade, Ih-
ro Koͤnigl. Hoheit der Prinzeſſin von Preuſſen
vorgeſtellt zu werden. Eine ungemein gnaͤdige Fuͤrſtin,
die Muſik und Malerei ſehr liebt. Sie hielt ſich jetzt
hier auf, weil ihr Gemal gegenwaͤrtig in Petersburg
iſt.
Zum Beſchluß von heute beſah ich noch des
Hrn. Rendant Siegfried’s Kabinet, und muſte
auch zum Abendeſſen bei dem lieben Manne bleiben. Er
iſt ein Schwager von Hr. D. Semler in Halle. Ich
fand hier:
- 1) Einen Puddingſtone, wo alle Kieſel eine Einfaſſung
auf beiden Seiten haben. - 2) Charpentier’s aus Freiberg, Suiten von Saͤchßl.
Mineralien, darunter aber viele kleine und ſchlechte
Stuͤcke waren. - 3) Eine ſchoͤne Bibliothek.
Den 9ten Sept.
Heute machte ich wieder Beſuche, und zwar zuerſt
beim
Hrn. Geh. Rath Formey. Ich fand einen alten,
ſchon baufaͤlligen Mann. Er denkt ſelbſt veraͤchtlich
von der franzoͤſiſchen Litteratur. Er lud mich ein, auf
den Donnerſtag die Aufnahme des Mr. Prevôt in der
Akad. d. W. mit abzuwarten.
Beim Hrn. O. K. R. Sack. Ein ehrwuͤrdiger
Greis von 79. Jahren. Litt heftig am Podagra. „Ich
„warte
[188] „warte meine Vollendung ab,“ ſagte er zu mir. „Un-
„ſer Leben waͤhret 70. Jahr“ ꝛc. ꝛc. Ueber die Sitt-
lichkeit der Stadt machte er die Bemerkung, in jedem
Hauſe ſei ein Franzos, dieſer beurtheilte den Menſchen
nicht nach der Moralitaͤt, ſondern ſage nur: Il eſt amu-
ſant, c’eſt un homme d’eſprit. Er wuͤnſchte mir
die groͤſte Freude des Menſchen, viel Gutes in der Welt
geſtiftet zu haben. ꝛc.
Bei Madame Therbuſch ſah ich einige ſchoͤne Ge-
maͤlde. Sie iſt ſchon in Jahren, aber eine vortrefliche
Kuͤnſtlerin.
Beim Hrn. Hofrath Gleditſch. Ein groſſer Bo-
taniker. Er korreſpondirt ſelber mit dem Koͤnige wegen
Verſuchen uͤber Verbeſſerung des Tobacks. Man ſolle
ihm die Schaͤrfe zu nehmen ſuchen, und unter den Land-
kraͤutern eins ausfuͤndig machen, das man mit dem To-
back verbinden koͤnne. Er ſei aber doch nach allen Ver-
ſuchen eine ganz eigne Mixtio, eine planta ſui gene-
ris ꝛc. Dieſer Gelehrte hat ſo viele Feinde und verdient
Ehrenſaͤulen. Auswaͤrts wird er angebetet und hier we-
nig geſchaͤtzt. — Licet ſapere ſine invidia, ſagt Dr.
Kruͤnitz immer.
Beim Hrn. Prof. Bernoulli auf der Koͤnigl. Stern-
warte. Er hoͤrt ſchwer, hat daher immer ein Hoͤrrohr
bei ſich. Er, und Hr. Schulze ſind die Aſtronomen
der Koͤnigl. Akad. d. W. Hr. Bode iſt nur Offiziant
dabei.
Mittags war ich bei des Miniſter, Freiherr von Zed-
litz Exc. zur Tafel. Seine Gemalin hatte meine Schrif-
ten geleſen, und verglich meine Phyſiognomie mit einem
gewiſſen Chevalier Goſſin. Ueber Tafel ward der
Freuden-
[189] Freudengeſang der Judenſchaft auf die Kaiferin von
Rußland vorgeleſen. Der Miniſter lies den Kupfer-
ſtecher Meil Zeichnungen von Gegenſtaͤnden aus alten
Autoren machen. Dieſe werden nun in der Porzellanfa-
brick auf ein Dejeune’ gebrannt. Es ward eben die erſte
Probetaſſe geſchickt. Darauf war Demoſthenes, wie
er ſich am Meer im Lautreden uͤbt, und Milon von Cro-
ton, der ſich gewoͤhnt, alle Tage mehr zu tragen *).
Nachmittag beſuchte ich Hrn. D. Bloch. Er iſt
praktiſcher Arzt, und dabei ein ſehr fleiſſiger und einſichts-
voller Naturforſcher. Er fing mit Verſteinerungen an
zu ſammeln, und beſitzt jetzt eine herliche Sammlung,
ſonderlich aus dem Thierreiche. Ich fand darin vorzuͤg-
lich merkwuͤrdig:
- 1) Den Kopf vom Bandwurm aus Katzen und mehr
Thieren, mit den Haken. - 2) Eine Warze von einem Wallfiſch, gros und hervor-
ſtehend. - 3) Embryones von Haſen und Kuͤhen, 3. Tage alt.
- 4) Tubularia concatenata, das Original zum Ketten-
ſtein. - 5) Viele Eier, in einer Schublade voller Faͤcher, auf
Baumwolle, unter Glas, mit aufgeſchriebenen Namen.
6) Hals-
[190]
- 6) Halsorgane von vielen Voͤgeln. Bei dem Weib-
chen ſind ſie immer grade. Eine ganz eigene Samm-
lung. - 7) Kopal und Bernſtein, wohl ſortirt: von jenem ein
Stuͤck mit einer Floſſe. - 8) Gummi elaſticum, gefaͤrbt, daß es wie Kopal aus-
ſieht, dem Chineſiſchen nachgemacht. - 9) Ein Echinorynchus, und
- 10) Taeniae hydatigenae, beide aus dem Schwein.
- 11) Taeniae mit Franzen, aus der Trappe.
- 12) Berghahn, — Strandlaͤufer — Ardea mi-
nuta. - 13) Der Magen eines Kukuks, ganz haaricht.
- 14) Plumier’s Reiſejournal nach Amerika, mit vie-
len illuminirten Zeichnungen, die jetzt im Caresby
ſtehen. Gar eine herliche Anatomie vom Krokodil
ſoll darin vorkommen. — Dieſes Werk kam aus
Paris durch Erbſchaft hieher. - 15) Bernſtein mit Waſſertropfen.
- 16) Ein erſtaunlich groſſes Weltauge.
- 17) Schwaͤmme in Haaramethyſt aus Schleſien.
- 18) Holz in reinem Quarz. Vieles in Achat, der-
gleichen auch Hr. Siegfried beſitzt. Holz noch auf
der einen Seite, und Stein auf der andern. - 19) Verſteinerungen in Pierre d’Egypte.
- 20) Vier Hahnenkaͤmme aneinander.
- 21) Vortrefliche ganz metalliſirte Belemniten.
- 22) Lituit. — Die groſſen, (ſ. den Naturforſcher)
ſah ich bei Hrn. Siegfried. - 23) Ein Ammonshorn verſteinert mit Bleierz.
- 24) Orthoceratiten — wo die Kammern von einan-
der gehen, und andre, wo die Kammern mit Onyx
ausgefuͤllt ſind.
25) Pan-
[191]
- 25) Pantoffelſteine, die Huͤbſch in Koͤlln zuerſt be-
kannt machte. Sie ſehen faſt ſo aus. Seitdem
man Stuͤcke mit einem Deckel gefunden hat, weis
man, daß es eine Auſterart iſt. - 26) Ein ganzes Konvolut von Enkriniten aus Braun-
ſchweig. Einer mit 11. Strahlen, da ſie ſonſt alle
nur 10. am Kopfe haben; auch einer in ſilice. - 27) Ein Kreuzſtein aus Spanien ſo geſtaltet. [figure]
Iſt ein Stuͤck von einem Gypsſpat. - 28) Eine Engliſche Zinngraupe, 19. Loth ſchwer.
Man nennt ſie Viſir, weil die Kryſtalliſationen ſchief
auslaufen, daß man ſie an Backen legen kan.
Den 10ten Sept.
Weil heute Sonntag war, ſo ging ich in
Die Nikolaikirche, den Gottesdienſt abzuwarten.
Die Kirche iſt alt, gothiſch, mit dicken Pfeilen verfin-
ſtert. Hr. O. K. R. Spalding predigte. Evange-
lium und Epiſtel werden vor dem Altare verleſen, dann
das Lied: Allein Gott in der Hoͤh ſei Ehr ꝛc. darauf das
zur Predigt ſich ſchickende Lied, und zuletzt der Glaube
geſungen. Der Text war das Evangel. Dom. XIV.
p. Trin. und das Thema: Vom fruͤhen Sterben der
Menſchen. 1) Unſer Urtheil und unſer Verhalten da-
bei. 1) Warnung vor dem Selbſtmord ꝛc. Die
Stimme des Redners iſt ſchwach, die Deklamation we-
nig und einfoͤrmig, die Sachen gut, und die Worte ſehr
gewaͤhlt. Das Chorhemde und viele katholiſche Ge-
braͤuche trift man noch in dieſer Kirche an; weil der jetzi-
ge Koͤnig bei ſeiner Regierung jeder Kirche frei ſtellte, es
mit den aͤuſſern Gebraͤuchen zu halten, wie ſie wollte.
Nach dem Gottesdienſte ſah ich
Die
[192]
Die groſſe Wachparade vor dem Schloſſe, aufzie-
hen. Sonntags koͤmmt die ganze Wache da zuſammen.
Wenigſtens 2500. Mann ziehen alle Tage auf. Nur
allein 150. Mann ziehen ins Schloß. Die Artilleriſten
beſetzen die Poſten unten am Park, an der Spree, bei
den Pulvermagazinen ꝛc. Der kommandirende Obriſt
ritt an der Fronte, und zwiſchen den Gliedern fuͤrchterlich
durch, und die Leute ſtanden wie Mauern. Ein ſchreckliches
Getoͤſe machts, wenn 80. Trommelſchlaͤger und 40. Queer-
pfeifer auf einmal anfangen. Die Janitſcharenmuſik der
Artilleriſten klingt am beſten. Jetzt hatte die Infante-
rie eben die neuen, gleichaus dicken und ſchweren Ladeſtoͤ-
cke bekommen, die gar nicht brauchen umgekehrt zu wer-
den, und doch die Patrone gewiſſer, ſichrer und feſter
hinabgeſtoſſen, ſo daß 2. Tempos erſpart werden. Statt
1, 2, 3. zu kommandiren, kommandirt man jetzt nur 1.
Die Offiziere tragen alle Spontons. Um den inlaͤndi-
ſchen Fabriken einen beſtaͤndigen Abſatz zu geben, hat der
Koͤnig ſo viele koſtbare Uniformen eingefuͤhrt, dem Offi-
zier wird das Geld dafuͤr monathlich an der Loͤhnung ab-
gezogen. Das Regiment der Gens d’Armes iſt un-
ſtreitig das ſchoͤnſte und praͤchtigſte Korps in der ganzen
Armee. Die Gemeinen gehen faſt wie unſre Garde, die
Offiziere auch roth. Die letztern muͤſſen lauter reiche Leu-
te ſeyn. Der General kam von der Ferne der Stadt auf
den Paradeplatz unter den Linden geritten. Da zeigte
man mir 2. Majors von Kleiſt, Verwandte des Dich-
ters und Zwillingsbruͤder, die ſchwer zu unterſcheiden ſind.
Die katholiſche Kirche zu St. Hedwig. Sie iſt
voͤllig wie die Rotunda in Rom gebaut, mit korinthi-
ſchen gereifelten Saͤulen. Der Koͤnig hat ſelbſt den
Riß
[193] Riß dazu angegeben. Der hohe Altar iſt edel und ſim-
pel, und hat eine einzige Gruppe *), welche ein Noli
me tangere vorſtellt. Darneben ſteht
Die neue Bibliothek, ein verdorbenes Gebaͤude.
Es ſteht daran: Nutrimentum ſpiritus, weil der Koͤ-
nig ſagte, man ſolte Nourriture d’Eſprit, oder ſo
was daran ſetzen. In dem Stockwerke unter dem
Dache iſt nicht einmal eine Treppe. Jetzt ſteht die Bi-
bliothek noch nicht darin, ſondern noch auf dem Schloſſe.
Nachmittags ging ich in den
Park oder Thiergarten ſpazieren. Man geht
unter den Linden zum Brandenburger Thore hinaus.
Es iſt ein Gehoͤlz voll theils gerader, theils ſchlangenfoͤr-
miger Alleen, die aus einer angenehmen Miſchung von
Laub- und Nadelholz beſtehen. Hinten ſtoͤßt er an die
Spree. Es gibt darin viele Haͤuſer, wo man Kaffee,
Wein, Erfriſchungen, Eſſen, u. dergl. bekommen kan.
Es wird auch Muſik darin gemacht. An einer Ecke
ſtanden ehemals die Zelter, jetzt ſinds nur Zirkel und vie-
le Sitze im Kreiſe herum, wo die ganze hohe und niedre
beau monde von Berlin ſich Sonntags zuſammen
draͤngt. Spectatum veniunt — Viele tauſend
Menſchen von allen Staͤnden wandeln darin herum,
plaudern, ſind froͤlich, und doch hoͤrt man keinen Pari-
ſer Laͤrmen. Immer gehen Schiffe auf der Spree nach
Charlottenburg vorbei. Ueber der Spree druͤben
ſieht man die Pulvermagazine liegen, die jetzt ſehr leicht
gebaut
Zweiter Theil. N
[194] gebaut werden, und dabei die Koͤrn- und Trockenhaͤuſer.
Der Koͤnig gibt alle Jahr 800. Thaler zur Unterhaltung
des Thiergartens her. Niemand als der Oberfoͤrſter darf
die Haſen und Rehe darin ſchieſſen. Aber unangenehm
iſt der ewig herumfliegende feine Staub von der feinſten
Sanderde, der Manchem Augen und Lunge verderbt, und
wenns regnet, erſchrecklichen Koth macht.
Auf den Abend ſpeißte ich mit Hrn. Rendant Sieg-
fried und Hrn. Kammergerichtsrath Meier, ſeiner Frau
und Schweſter.
Den 11ten Sept.
Heute ſah ich einen Rekrutentransport in die
Stadt bringen. Es mochten wohl 100. Mann und druͤ-
ber ſeyn, ein buntes Gemiſch. Viele Reichslaͤnder wa-
ren darunter, viele ſahen traurig aus, undhingen den Kopf.
Neben ihnen defilirte eben ein Regiment znm Thore hin-
aus. Da konnten ſie ſehen, was ſie waren; und was
ſie werden ſollten! — —
Weil man wegen der Ankunft des Koͤnigs im Schloſ-
ſe heute nichts zu ſehen bekommen konnte; ſo ging ich
mit der geſtrigen Geſellſchaft noch einmahl in andre Ge-
genden des Thiergartens ſpazieren, und beſahen den
Neptun, des Hofjaͤgers Wohnung, Inſeln, Statuͤen,
eines Offiziers Eremitage, Schlangenwege, und tran-
ken hoch oben unter einer Linde Kaffee.
Mittags kam der Koͤnig in einem ganz ſimpeln
Wagen! —
Nachmittags beſuchte ich den Kupferſtecher
Hrn. Meil, und beſah ſeine vortrefliche Werke, und
ſeine artige Sammlung von Buͤſten, Malereien, Anti-
ken ꝛc. Nach ihm ferner
Die
[195]
Die Realſchule. Auf der Modellkammer zeigte
man mir einen Roͤmiſchen Triumphzug, einen Dreſch-
wagen, Silberſchlag’s Maſchine, verſandete Stroͤme
zu reinigen u. dgl. Aber grade die oͤkonomiſchen und nuͤtz-
lichen Werkzeuge, Pflug und dergleichen ſehlten. Was
hier das Naturalienkabinet heiſt, iſt ein nicht nennens-
werther Rumpelkaſten, den ein Kandidat Sander aus
Magdeburg in Ordnung bringen ſoll. In dem der
Realſchule gehoͤrenden botaniſchen Garten vorm Tho-
re, war jetzt alles durch die Duͤrre erſchrecklich verkroͤpelt;
der Boden iſt aber auch der klaͤrſte und trockenſte Sand.
Kleine Aſters, kleine Palmen, kleine Zinniae ſtanden
da. Auch im Sande werfen hier Maulwuͤrfe, die
ſich von den benachbarten Orten, um dem Waſſer zu ent-
gehen, daher ziehen.
Die Koͤnigl. Porzellanfabrik. Man hat mit vie-
len ſchleſiſchen Thonarten Verſuche gemacht. Auch
hier laͤſt man einem nichts ſehen, als das Waarenlager.
Blendend weis iſt das Porzellaͤn, aber auch ſchwerer als
das Meißner, und das von Seve. Der Direktor be-
hauptete zwar, daß die Arbeiter immer noch zu viel Maſ-
ſe zu jedem Stuͤcke naͤhmen, er habe bei genauen Verſu-
chen einerlei ſpecifike Schwere mit dem Meißner bekom-
men. Alles hat hier ſeine Taxe, und wird fuͤr des Koͤ-
nigs Rechnung gemacht. Der Abſatz iſt gros. Be-
ſtaͤndig kommen Beſtellungen aus Rußland ꝛc. ſonder-
lich geht es ſehr ſtark nach Pohlen. Man macht hier
jedem alles ſo, wie es beſtellet wird. An der Malerei
und Vergoldung mangelt nichts. Der Platz des Waa-
renlagers iſt viel zu eng. Der Koͤnig war aber heut ſelbſt
da, und befahl, daß noch ein Fluͤgel gebaut werden ſollte.
N 2Am
[196]
Am Abend war ich in einer aſtronomiſchen Stun-
de des Hrn. Bode. — Mit einem Dollondſchen
Sehrohr ſah ich den Mond ganz zackicht, die Spitzen
der Berge darin, die noch nicht erhellten dunklern Gegen-
den, ſein ſchnelles Fortruͤcken ꝛc.; Zwei Fixſterne vom
Steinbock, die mit bloſſen Augen bei einander zu ſte-
hen ſchienen, und doch weit weg waren; wie Flimmer-
ſpitzen am ſchwarzen Himmel, den Schwanz des groſ-
ſen Baͤren; den unterſten Stern Alcor, und den ober-
ſten, wo noch ein kleiner Stern uͤber ihm ſteht, den man
mit bloſſen Augen nicht ſieht ꝛc. Zur Milchſtraſſe war
der Mond zu hell ꝛc. Es ward an einem ſehr bequemen
Sonnenſyſtem demonſtrirt, und beſonders der Raum ge-
zeigt, wo der groſſe Lambert ſo viele Kometen vermu-
thete.
Den 12ten Sept.
Heute hatte ich das Gluͤck, die
Revuͤe des Koͤnigs uͤber die bei der Stadt zu-
ſammengezogenen Regimenter anzuſehen. Die Thaͤtig-
keit des Monarchen iſt bewundernswuͤrdig. Er ſchlief
auf dem Geſundbrunnen, eine Stunde vor der Stadt,
am fruͤhen Morgen geſchah ſchon wieder der Vortrag vom
Koͤnig, und um 7. Uhr kam er daher geritten, gros, gnaͤ-
dig, heiter, in ſeinem Alter thaͤtig am Geiſt, und leben-
dig am ganzen Koͤrper. Hell und glaͤnzend iſt ſein
Auge, ſtark und doch gewoͤhnlich, nicht ſchrecklich ſeine
Stimme. Majeſtaͤtiſch ſieht er aus, wenn er mit dem
Degen in der Hand auf dem ſtolzen Pferde unter ſeinem
Heere mit einem Winke alles beſeelt. Ziethen, Ra-
min, Prittwitz, Prinz Friedrich von Braun-
ſchweig
[197]ſchweig ꝛc. neben ihm, aber immer Er voran, Er die
Seele von Allem! Mit Einem Blicke uͤberſah er und
zaͤhlte im Ueberſehen ſeine Krieger, ritt an der Fronte
auf und nieder, und war mit ſeinem Heere zufrieden.
Gottlob! ſagten viele Buͤrger und Offiziere laut; er ſieht
ſo geſund aus! Der gute, liebe, alte Koͤnig! Er ſprach
mit vielen gemeinen Soldaten, lies, nachdem die Re-
gimenter abmarſchirt waren, erſt aus den Feldſtuͤcken,
dann aus den ſchweren Kanonen und aus Haubitzen feu-
ern; auch Bomben werfen ꝛc. Mit den Kanonen ward
nach Scheiben geſchoſſen, keine traf, aber die Linie hiel-
ten alle, einige flogen noch weiter. Es ſoll blos ſeyn,
den Feind zu etourdiren. Von da fuhr der Koͤnig
wieder nach Potsdam zuruͤck und arbeitete in ſeinem
ſtillen Sansſouci fuͤr das Gluͤck ſeines Volks. Ein
jeder ſeiner Unterthanen darf an ihn ſchreiben. Wer
ihm heute ſchreibt, hat morgen ſchon Antwort. Ich ha-
be hier Gelegenheit gehabt, dergleichen eigenhaͤndige Ant-
worten von ihm zu ſehen. Sie ſind immer ganz kurz
und nervoͤs. Jemanden, der ihm einen Raphael an-
bot, den er aber nicht haben mochte, ſchrieb er unter an-
dern: „Gold kan ich nicht machen, und neue Impoſten
„einfuͤhren, iſt meine Sache nicht.“ —
Hierauf beſuchte ich
Hrn. D. Kruͤnitz Er zeigte mir ſein Stamm-
buch, worein der Kronprinz ſchon vor 20. Jahren die
Stelle des Virgils, die ſo vortreflich auf ihn paßt, ge-
ſchrieben hat:
‘animo repetentem exempla meorum
Me pater Aeneas, et avunculus excitat Hector.’ ()
N 3und
[198]
und Mosheim ſchrieb ihm 1748. hinein: Magna au-
ctoritas, magna exiſtimatio, magna fama —
magna mala, o beata obſcuritas! — Ich muſte
mich auch einſchreiben. Von ihm ging ich in die
Geſ[e]llſchaft der naturforſchenden Freunde, die
ſich heut bei Hrn. Dr. Bloch verſammelte. Er verlas
die Haͤlfte ſeines Aufſatzes von Band- und andern Inteſti-
nalwuͤrmern, und legte Zeichnungen vor. Die aus ei-
nem Echinoryncho ſuis nur eben herausgedruͤckten
Eier ſah man unter dem Mikroſkop. — Seine Mei-
nung, daß dieſe Thiere eine eigene Familie ausmachen,
und beſtimmt waͤren, nur allein in thieriſchen Koͤrpern
zu leben, unterſtuͤtzt er mit 12. Gruͤnden, z. B. weil ihre
Eier in Trillionen gehen, — weil ſie durch die uͤbrigen ſtar-
ken Verdauungskraͤfte des Magens nicht deſtruirt wuͤrden,
— weil jedes Thier ſeine eigene Gattungen habe, —
weil ſie ſich nicht verpflanzen lieſſen ꝛc. Nur zweierlei
Arten von Bandwuͤrmern gebe es: Breit- und ſchmal-
gliedrichte.
Nach geendigter Verſammlung behielt er mich zum
Abendeſſen, und da hatten wir ſo viel mit einander zu
ſchwatzen, daß ich erſt um Mitternacht dieſen gelehrten
und guten Iſraeliten verlies. Geſtern bereits hatte
ich ein ſehr angenehmes Geſchenk von Bernſtein von ihm
zum Andenken bekommen. Verſchiedene Juden haben
die Erlaubnis gepachtet, uͤberall im feſten Lande Bern-
ſtein zu graben. Man findet faſt, ſo oft als man Brun-
nen graͤbt, groſſe Stuͤcke. Er geht ſonderlich ſtark nach
der Tuͤrkei, Pohlen, Perſien ꝛc. zum Raͤuchwerk.
Stuͤcke mit Inſekten muß man nur bei den Arbeitern be-
ſtellen. Eine Tonne von kleinen Bernſtein an den Kauf-
mann
[199] mann verkauft, kan 30.-36. Thaler gelten. Beſonders
wenn die See ſtuͤrmt, wird viel ausgeworfen. Es iſt ein
Stuͤck da, wo Balanus anſitzt.
Den 13ten Sept.
Zum Hrn. O. K. R. Teller ging ich heute zuerſt.
Unſre Unterredung betraf das neue Berliner Geſang-
buch, das er und Hr. Spalding beſorgen. Es kom-
men ungefehr 20. Lieder, die ganz neu, und zum Theil
von Hrn. Teller ſind, hinein. Es wird mit dreierlei
Schrift gedruckt. Der Buchhaͤndler, Hr. Mylius, iſt
Verleger davon. Wegen des Deutſchen iſt viel Unge-
wißheit, weil in jeder Provinz dieſer Monarchie anders
geredet wird. Adelung muß hieruͤber entſcheiden. Tel-
ler’s Grundſatz dabei iſt: Man muͤſſe durch das Geſang-
buch die Sprache des gemeinen Mannes bereichern und
erheben. Matt iſt an einigen Orten die Verbeſſerung
von: O Gott, du frommer Gott. Die Verbeſſerung des
Liedes: Wie ſchoͤn leuchtet uns der Morgenſtern ꝛc. iſt
von Hrn. Teller. Ich gab noch einige an, die er gleich
zur zweiten Auflage ſchrieb, als: Die muͤden Seelen
Ruhe ſchaft, ſtatt: Die Ruhe muͤden Seelen ſchaft.
Die Staatszimmer im Schloſſe bekam ich heute
auch zu ſehen. Alle ſind ſehr reich meublirt, aber alt,
und in ſchlechtem Geſchmack. Manches iſt altmodiſch,
die Tapeten ſind verſchoſſen, das Gold, Silber und die
Stickerei iſt angelaufen, die Fußboͤden ſind auch ganz ge-
mein. Eine Menge ſilberne Leuchter und Tiſche von
ſchrecklicher Schwere und Werth ſieht man allerwegen.
Ich ward in den ſogenannten Ritterſaal gefuͤhrt, wo
die alten Churfuͤrſten ſtehen, dann in die Kapelle, wo
N 4ehemals
[200] ehemals Gottesdienſt gehalten wurde, in des Koͤnigs
Wohnzimmer, in ſein ſo ſehr ſimples Schlafzimmer,
wo ſein Bett eben ſo war. Buͤcher, Karten, ꝛc. lagen
darin. Schirme liebt der Koͤnig ſehr, an jedem Tiſche
iſt einer. Man hat von da die Ausſicht grade auf die
Statuͤe des groſſen Churfuͤrſten auf der Bruͤcke. Ein
Damenbret von Bernſtein, ein Klavier ꝛc. ſtanden auch
da, auch hing das Bildnis der Taͤnzerin Barberini*)
in des Koͤnigs Zimmer. Die ſogenannten Schwedi-
ſchen Zimmer, wo die Koͤnigin von Schweden zuletzt
logirte, ſind allein nach dem neuen Geſchmack.
Hrn. Holzverwalter Ebels Holzſammlung beſah
ich nachher auch. Sie iſt die groͤſte und ſchoͤnſte, die
ich jemahls geſehen habe, und enthaͤlt uͤber 700. Arten.
Viele Stuͤcke liegen in niedrigen Schublaͤden neben ein-
ander, ſind meiſt von einer Groͤſſe. Viele Stuͤcke ſind
fournirt und viele von einem geſchickten Tiſcher zuſammen
geſetzt und polirt, wie Achat. Viele Hoͤlzer von Straͤu-
chern ſind auch hier. Das Stinkholz**) ſoll, einer al-
ten Reiſebeſchreibung zufolge, von den Molukkiſchen
Inſeln ſeyn, wo erzaͤhlt wird, daß einer dem andern zum
Spas einen Span davon unter das Bett geſteckt habe.
Das Baͤnderholz fehlte hier noch. Gar ſchoͤn iſt das
ſpaniſche Rohr, der Laͤnge und Queere nach durchſchnit-
ten, desgleichen Knorren oder Warzen an den Aeſten.
Die Birken geben ein herrliches braunes Holz, davon
iſt hier ein Tobakskaͤſtchen.
Abends
[201]
Abends aß ich in Geſellſchaft des Pagenhofmeiſters
Hrn. Fuchs und Hrn. Rendant Siegfrieds. Jener
iſt ein geſchworner Feind vom guten D. Bloch.
Den 14ten Sept.
Heute kriegte ich das
Zeughaus zu ſehen, eins der praͤchtigſten Gebaͤude
dieſer Stadt. Ich war vom Generalchirurgus, Hrn.
Theden, an den Zeugkapit. Hrn. Lehmann empfohlen,
und auf dieſe Weiſe kam ich hinein. Unten im Viereck
des Hauſes ſtehen ſchrecklich viel Kanonen auf Lavetten,
und Haubitzen, von jenen welche, die 24. Pfund ſchieſ-
ſen, und vor welche 18-20. Pferde geſpannt werden.
Haubitzen, die 12. Pfund Pulver ſchieſſen und ſchwere
Kugeln. Darneben iſt eine Stuͤckgieſſerei und Bohre-
rei, worin die Arbeit Tag und Nacht fortgeht. Der
Bohrer wird von einer Maſchine, die 4. Pferde treiben,
hineingetrieben. Man ſieht auch die im letztern Kriege
von den Oeſterreichern erbeuteten Kanonen, die aber
eingeſchmolzen werden; nur 2. waren noch uͤbrig. Sie
ſind auch viel plumper, und haben keine Proportion.
Oben liegt eine Laſt von Gewehren, dreimahl ſo viel, als
die ganze Preuſſiſche Armee ſtark iſt, fuͤr Infanterie und
Kavallerie. Huſarenſaͤbel liegen auf Haufen beiſammen.
Fuͤr jedes Regiment allemahl ein Haufen beſonders. La-
deſtoͤcke in greulichen Kaſten. Trommeln auf einander
geſetzt bis an die Decke. Saͤttel und Zaͤume greulich
viele. Piſtolen immer Paarweiſe an einander. Kuͤ-
raſſe auf einander geſetzt. Karabiner fuͤr die Huſaren.
Musketierpallaſche auf dem Boden aufgehaͤuft. Bajo-
netſcheiden in Kaſten. Es kommt einem ein Schauer
N 5an,
[202] an, wenn man die Menge Werkzeuge des Todes und
der Verwuͤſtung ſieht. — Aber alles iſt wohl gereinigt,
blank, nett und in beſter Ordnung. Auf jedem Stuͤcke
ſteht das Zeichen: Potsdammer Gewehrfabrik. Oben-
auf haben noch viele Regimenter ihre Montirungskam-
mern, die ſonſt in der Stadt vertheilt ſind, auch ſind hier
viele Sachen fuͤr die Offiziere. Alte verſchoſſene Fah-
nen ſtehen ebenfalls in den Ecken herum. Auch 3. neue
oͤſterreichiſche im vorigen Kriege eroberte ſtanden hier.
An einer hing noch ein Flor, weil das Regiment um ſei-
nen Chef trauerte. Eine Buͤſte vom alten General von
der Artillerie, von Dieskau, ſteht auch hier oben. Das
ganze Zeughaus umgibt eine Gallerie, auf welcher man
die Stadt uͤberſehen kan.
Mittag, war ich beim Hrn. Kammergerichtsrath
Meier, mit Hrn. K. G. R. von Poͤnicke und Hrn.
Muſikdirektor Andre’ zu Gaſte. Die beiden erſte[r]n
hatten auch in der bekannten Sache des Muͤllers Arnold
zu thun, ſie gaben aber Arnold nicht Recht, und zwar
deswegen: 1) hatte Arnold die Muͤhle ſo gekauft; 2)
der Obermuͤller hatte noch Waſſer, folglich der Unter-
muͤller auch. 3) Man brachte Dokumente von 1546.
herbei, daß der Edelmann das Recht gehabt habe, abzu-
graben. — Das Kammergericht machte dem Koͤnige
wegen der Unſchuld der 3. Kammergerichtsraͤthe lebhafte
Vorſtellungen, er nahm es nicht ungnaͤdig auf, gab aber
auch keine Antwort. An dem Tage, da der Groskanz-
ler von Fuͤrſtenberg kaſſirt wurde, ſtanden uͤber 200.
Karoſſen vor ſeinem Hauſe, alles beſuchte ihn, ſogar die
Prinzen vom Koͤnigl. Hauſe. Sie boten ihm ihre Boͤrſe
an, der Koͤnig laͤrmte daruͤber, verbot es aber nicht.
So
[203] So ſonderbar iſt die Miſchung des Despotismus und
der Freiheit in dieſem Staate! Der geweſene Kanzler
lebt noch mit Figur von ſeinem anſehnlichen Vermoͤgen,
kommt noch zur Koͤnigin nach Hofe ꝛc. Er war zu
klein fuͤr den Koͤnig, gruͤbelte in Kleinigkeiten, war
nicht fuͤr das Weite und Groſſe, das der Koͤnig liebt,
hatte aber viele Jahre mit unveraͤnderlicher Rechtſchaffen-
heit erſtaunend gearbeitet. Das Publikum wuͤnſchte ver-
gebens, daß ihm der Koͤnig doch die Beſoldung laſſen
moͤchte. —
Nachmittags war ich in einer Verſammlung der
Koͤnigl. Akademie der Wiſſenſchaften. Sie
hat ein ſchoͤnes Gebaͤude unter den Linden zu ihren Ver-
ſammlungen, zu Aufbehaltung der Bibliothek, mathe-
matiſcher Inſtrumente, Kabinette ꝛc. inne. Der Geh.
Rath Formey iſt ihr beſtaͤndiger Sekretaͤr. Der Mini-
ſter, Freiherr von Zedlitz, war auch als Mitglied zuge-
gen. Hr. Hofr. Gleditſch las erſt eine kurze Beurthei-
lung eines Forſtbuchs ab, das Jemand aus dem Lande
eingeſchickt hatte, worin ein koſtbares Inſtrument, den
Holzinhalt der Baͤume zu beſtimmen, vorgeſchlagen war.
Prevot, der heute auf Befehl des Koͤnigs an Sulzers
Platz kam, las ſein Antrittskompliment franzoͤſiſch vor,
worin er Sulzers Verluſt bedauerte. Darauf dankte
ihm Formey, und ſprach etwas von dem Karakter der wah-
ren Philoſophen, Enſeignez nous à douter, à igno-
rer, ſagte er, et après avoir ſaiſi ce point, nous
ſerons des philoſophes. Darauf las Prevot noch
eine Abhandlung uͤber die Probabilitaͤt in den Wiſſen-
ſchaften vor, womit die Sitzung beſchloſſen ward. Hin-
ter dem Verſammlungszimmer ſteht die Biblothek der
Akademie,
[204] Akademie, die aber nicht viel bedeutet, die Schriften der
alten Aerzte ſind aber ſehr gut da, desgleichen die Schrif-
ten der Akademien und gelehrten Geſellſchaften in Euro-
pa, auch viele Journale ꝛc. Das Naturalienkabinet iſt
klein, und Hr. Gleditſch, der die Aufſicht daruͤber hat,
rangirt es nicht. Im Saale haͤngt Leibnitzens Bild-
nis uͤber der Thuͤre, und ihm gegenuͤber das vom zweiten
Praͤſidenten, dem Hrn. von Maupertuis.
Den 15ten Sept.
Ich beſuchte heute zuerſt
Hrn. Achard. Dieſer wuͤrdige und unermuͤdete
junge Naturforſcher iſt blos Mitglied der Akademie, und
wohnt weit drauſſen in der Spandauer Vorſtadt, weil
ihn ſeiner vielen Maſchinen und ſeines Experimentirens
wegen nicht leicht jemand in der Stadt einnaͤhme, es
ihm auch zu koſtbar in der Stadt zu wohnen ſeyn wuͤrde.
Ich ſah bei ihm: 1) Die Maſchine, womit die kuͤnſtli-
chen Kryſtalle gemacht werden. Es geſchieht durch Ab-
troͤpfeln, und waͤhrt der Verſuch 3.-4. Monate. Sie
werden auch lamelloͤs. 2) Die Maſchine, wodurch ver-
mittelſt dephlogiſtiſi[r]ter Luft eine viel ſtaͤrkere Hitze er-
regt werden kan, als mit dem beſten Brennſpiegel; das
Eiſen troͤpfelt, Platina ſchmelzt, und alles zuſammenge-
loͤtete ſchmelzt zuſammen ꝛc. Von ihm ging ich auf die
Koͤnigl. Bibliothek auf dem Schloſſe. Man
ſteigt auf engen und finſtern Treppen zu ihr hinauf. Auf
jedem Buche ſteht oben FR. Den Fond zieht der Koͤnig
ein, und gibt jaͤhrlich was er will, oft kauft er ganze
Bibliotheken darzu. Der Hofr. Stoſch und der Abt
Pernetti ſind Bibliothekare. Sie enthaͤlt viele alte
ſeltene
[205] ſeltene Bibeln, Kirchenvaͤter, Acta Conciliorum etc.
viel Werke von den Kuͤnſten, aus Italien ꝛc. Eine
Maſchine, aufgeſchlagene Folianten herum zu drehen,
daß ſie doch immer aufgeſchlagen liegen bleiben, einen
groſſen Globus von Weigeln aus Jena, eine Luftpum-
pe von Otto Guericke ꝛc. ſieht man auch hier. Der
Koͤnig meinte neulich, man koͤnnte, um des Platzes wil-
len, alle theologiſche und juriſtiſche Buͤcher verbrennen,
— zwar nein, fuhr er fort, es muͤſten auch Denkmaͤler
des menſchlichen Unſinns vorhanden ſeyn.
Mittags as ich bei Hrn. Nikolai, und beſuchte
nach Tiſche
Hrn. Ober Konſiſt. Rath Buͤſching. Ein ſehr thaͤ-
tiger Gelehrter, obgleich ſchon an die 60. Jahr alt. Er
ſagte, es lebe ſich recht gut in den Buͤchern, er arbeite
alle Tage 14. Stunden, ſchlafe nach Tiſche ein wenig,
und zaͤhle alle Minuten. So lange er in Berlin ſei,
waͤre er noch zu keinem angemeldeten Beſuche geweſen ꝛc.
Nach ihm beſah ich
Das Kabinet der Geſellſchaft der Naturf. Hr.
Siegfried thut jetzt viel daran, noch iſts nicht ganz ran-
girt. Fuͤr das Thierreich iſt eigentlich Niemand da.
Viele Naturalien ſendet Hr. Chemnitz ohne Namen.
Hacquet ſchickte die Queckſilberſtuffen alle aus Idria.
Eine Spongia fluviatilis aus der Spree fand ich hier.
Auf den Abend war ich bei Hrn. Rendant Sieg-
fried zu Tiſche.
Den
[206]
Den 16ten Sept.
Reiſe nach Potsdam.
Der Weg von Berlin dahin iſt 4. Meilen, und Eine
ſchreckliche Sandwuͤſte. In der Mitte des Wegs liegt
Zehlendorf, ein kleiner Ruhepunkt. Taͤglich geht
2mahl eine Journaliere ab, mit der man hinkommen kan.
Am Thore iſt viel ſorgfaͤltiges Examiniren von der Wa-
che, drauf vom Wirth, und noch einmahl in der Auberge
von einem Offizier oder Adjutanten des Koͤnigs.
Ehe man nach Potsdam koͤmmt, paſſirt man uͤber
die Glinickſche Bruͤcke
Die Havel. Dieſer Fluß fließt bei Potsdam
vorbei und gibt der Gegend ein heiteres Anſehen. Auch
liegen um die Stadt herum einige Berge, auf denen
Wein waͤchſt, der aber ſelten reif wird und nur zum Eſ-
ſig zu brauchen iſt. Det Koͤnig hat auch jetzt den fran-
zoͤſiſchen Eſſig verbothen, er wird aber ſelbſt in guten
Jahren, je aͤlter, je ſchlechter, wiewohl man das nicht
Wort haben will.
Die Stadt hat viele ſchoͤne Straſſen und groſſe Plaͤ-
tze, auch viele praͤchtige Haͤuſer, aber aus den ſchoͤnſten
Pallaͤſten nach italiaͤniſcher Bauart und mit Statuͤen be-
ſetzt, haͤngen der Soldaten Stiefeletten und gewaſchene
Hoſen zu den Fenſtern heraus. Der Koͤnig baut immer
fort, aber jetzt dauerhafter als ehemals, denn die alten
Haͤuſer bekommen alle Riſſe und wollen einfallen. Man
baut auch jetzt keine von 4. Geſchoſſen mehr. Fuͤr die
innre Einrichtung des Hauſes muß der Eigenthuͤmer ſor-
gen.
Was
[207]
Was ich waͤhrend meines kurzen Verweilens hier
beſehen habe, iſt:
Das neue Palais. Der grottirte Saal iſt
uͤberladen. Der Koͤnig liebt das Bunte. Im Kon-
zertzimmer ſtand ein herliches Notenpult von Schildkroͤte
und Perlmutter. Seit dem Teſchener Frieden blaͤßt
der Koͤnig nicht mehr Floͤte. Des Koͤnigs Wohnzim-
mer, Schlaf- und Schreibkabinet ſind praͤchtig. Aller-
wegen iſt eine erſtaunende Menge karrariſcher Marmor
verbraucht. Ein herrlicher Opernſaal iſt auch darin.
Viel vortrefliche Antiken aus der Poligna[c]ſchen Samm-
lung finden ſich ebenfalls da.
Der Garten von Sansſouci. Als Garten be-
trachtet, nichts Beſonders. Viel lange, grade und
langweilig geſchnittene Alleen mit einigen Abwechſelun-
gen, aber voller koſibarer Statuͤen ꝛc. Waſſer kan der
Koͤnig mit Millionen nicht hineinbringen. Schade,
daß die Natur ſo wenig fuͤr dieſe Gegend gethan hat! —
Wachen trift man gar nicht darin an, ſondern nichts als
Gaͤrtner und Invaliden. Kleine Dammhirſche laufen
hier und da darin herum. Wenn Hunde kommen, ſo
iſt der Koͤnig nicht weit! Hier lebt er immer, um allein
zu ſeyn, damit nicht jeder ſehen ſoll, was er macht. Fuͤr
Generale und gute Freunde iſt ein eigen Haus erbaut.
Das Schloß ſelbſt iſt nur von einem Stockwerke. Oben
laͤuft eine Gallerie herum. Groſſe Terraſſen liegen da-
bei, auf welchen eigene Gaͤrten angelegt ſind, und von
denen man auf den Ruinenberg und rings umher eine
unermeßliche weite Ausſicht hat.
Die Bildergallerie in Sansſonci. — Vorne
ſtehen viele ſchoͤne moderne Statuͤen und Vaſen, auch ei-
nige
[208] nige antike. Herliche Gemaͤlde ſieht man hier, aber
auch darunter viele unzuͤchtige von italiaͤniſchen Malern,
mehr als in einer andern Sammlung. Schoͤn ſind be-
ſonders die auf den Tiſchen liegenden Figuren. Darne-
ben iſt noch ein Kabinet, wo mehr Auswahl in den Stuͤ-
cken iſt. Der Koͤnig hat manches fehlerhafte Stuͤck ge-
kauft, weils ihm gefiel, und manches ſchoͤne nicht, weils
ihm nicht gefiel.
Nachher machte ich noch einen Beſuch beim
Hrn. K. R. Bamberger, reformirten Hofprediger,
und ſeiner gelehrten Frau, die eine Tochter des Hrn.
Sacks iſt. Ich war vom Hrn. Kammergerichtsrath
Meier an ihn empfohlen.
Den 17ten Sept.
Ich fuhr heute mit Beſehen fort, und ließ mich im
Koͤnigl. Schloß in Potsdam herumfuͤhren. Es
iſt noch reicher meublirt als das neue, ſteht aber auf feuch-
tem Boden. In vielen Zimmern ſind die Tapeten ſchon
verſchoſſen und zerriſſen. Des Koͤnigs Hunde zerreiſſen
mit den Knochen in ſeinem Zimmer alle Seſſel, und er
laͤßt nichts neu machen. Herliche aus Chryſopras zu-
ſammengeſetzte Tiſche ſieht man hier, auch koͤſtliche Kron-
leuchter von Felskryſtall, an denen unten gedrehte Kugeln
haͤngen, die groͤſſer als ein Kindeskopf, und rein wie
Waſſer ſind. Ueber 30,000. Thaler hat mancher Leuch-
ter gekoſtet. Des vorigen Koͤnigs Zimmer ſind alt.
Man zeigt das Zimmer, wo er Tobackskollegium hielt,
Stuͤhle, die er ſelbſt gedreht, und Malereien, die er ſelbſt
gemalt hat. Man ſieht auch noch die groſſe Glas-
ſcheibe,
[209] ſcheibe, die er nach dem Luſtgarten zu einſetzen lies, als
er vor Alter nicht mehr auf die Parade herabgehen konn-
te. Dies iſt in dem Zimmer, wo man noch das Bette
ſieht, auf welchem er geſtorben iſt. Darneben iſt eine
Treppe fuͤr den Rollwagen, in dem er ſich fahren lies.
Praͤchtig ſind des jetzigen Koͤnigs Winterzimmer. Er
kan die Parade durch Spiegel in ſeinem Zimmer, die in
jeder Ecke angebracht ſind, ſehen, ohne ans Fenſter zu
treten. In allen Sachen liebt er die blaue Farbe, ſo
wie Prinz Heinrich die gelbe. Unbeſchreiblich koſtbar
ſind die Zimmer fuͤr die fremden Herrſchaften. In des
Koͤnigs Zimmer haͤngen auch Kupferſtiche von ſeinen
Landſtaͤdten. Sonderbar iſts, daß in allen dieſen Schloͤſ-
ſern keine ordinaͤre Wohnzimmer fuͤr die Koͤnigin, Kron-
prinz, Kronprinzeſſin ꝛc. ſind, auch keine Schloskapelle.
Alles iſt ganz nach dem jetzigen Syſtem vom Koͤnige ge-
baut worden.
Weils heute eben Sonntag war, ſo bekam ich die
Kirchenparade zu ſehen. Von 9.-10. Uhr verſam-
melt ſie ſich theils im Luſtgarten, theils jenſeits der Gar-
niſonkirche auf einem groſſen Platz. Die Garde hat ſtark
mit Silber beſetzte Montirung. Ein herliches Korps
von Offiziers iſt hier. Auf den Schlag 10. Uhr formirt
ſich das praͤchtigſte Schauſpiel. Vorher rauſcht das
Geſchwaͤtz der Menge, wie Meerwaſſer oder wie auf einer
Boͤrſe. Man ſollte nicht glauben, daß man viele 1000.
Menſchen ſo orbiliſiren koͤnnte, daß ſie ſolche Zieh- und
Dratpuppen wuͤrden ꝛc. In die Kirche geht in Frie-
denszeiten nur wer will, im Felde ſieht aber der Koͤnig
ſehr darauf. Man erzaͤhlte mir hier, der Koͤnig ſei ein-
mahl bei der Huldigung in Berlin, einmahl in Dres-
den, nach der Einnahme dieſer Stadt, und einmahl in
Zweiter Theil. OBreßlau,
[210]Breßlau, nach Eroberung dieſes Orts, in der Kirche
geweſen, ſonſt nie. Der Prinz von Preuſſen kommu-
nizirt des Jahrs einmahl. Der Koͤnig raͤumt den Ein-
fluß der Religion aufs Volk ein, und ſetzt ſie doch oft vor
Offiziers und Pagen herab. Blutſchande, Sodomite-
rei ꝛc. nennt er Peccadilles, und Hurerei menſchliche
Schwachheit. Man ſolle den Bauer nicht noch mehr
von Geld enerviren, lieber ein Paar Monat Feſtungs-
bau. Nach jedem Kriege will man bemerkt haben, daß
er etwas haͤrter geworden.
Es liegen ohngefaͤhr 8000. Mann Garniſon hier.
Die Soldaten vom erſten Bataillon der Leibgarde zu Fuß
muͤſſen immer in Parade ſeyn, duͤrfen nicht arbeiten, und
haben woͤchentlich einen Gulden. Die Soldaten ſind
alle im 2ten Stock einquartirt. Mancher Buͤrger hat 8.
bis 10. Mann, mancher 6, alle aber 4. Mann. Der
Buͤrger muß ihnen auch kochen, und das Eſſen auf die
Wache ſchicken. Die Klafter Holz koſtet hier uͤber 2.
Thaler, der Koͤnig verkauft aber jedem Buͤrger 6. Klaf-
tern fuͤr 1. Thaler 6. Groſchen, aber das Fuhrlohn bezahlt
der Buͤrger. Die Soldaten duͤrfen es nicht einmahl
ſpalten. Es ſind noch einige Soldaten vom vorigen Koͤ-
nige hier, z. B. der Fluͤgelmann vom erſten Bataillon.
Er mißt 18. Zoll uͤber 5. Schuh, iſt eine ſchreckliche Ma-
ſchine, geht aber ſchon gebuͤckt. Auch von der Kolliner
Bataille ſind noch welche hier. Dieſe bekommen zu ih-
rem Traktament 1. Gulden Zulage *). Jene vom 1ſten
Bataillon
[211] Bataillon muͤſſen Tag vor Tag exerziren. Das Regi-
ment Prinz von Preuſſen, wozu der Koͤnig gar nichts
gibt, liegt auch hier.
Drauf war ich in der Garniſonkirche und hoͤrte den
Hrn. K. R. Bamberger uͤber Matth. VII. „Es werden
nicht alle ꝛc.“ predigen. Man ſingt hier aus der kleinen
Sammlung: Lieder und Gebete fuͤr Soldaten, die
hier ohne den geringſten Widerſpruch eingefuͤhrt wurden,
dahingegen Spalding und Teller in Berlin davon an
einem Sonntage predigten, und dadurch ein ſolches Feuer
anfachten, daß Spaldings Name an den Galgen ge-
ſchlagen gefunden ward.
Mittags ſpeiſte ich beim Hrn. K. R. Bamberger,
und Nachmittags gingen wir in den
Garten bei Sanſouci. Wir beſahen noch das
Japaniſche Haus; die reizende Venus mit dem Amor
von Papenhoven, die Kleiſt*) beſang, eine Medize-
iſche Venus mit dem griechiſchen Geſicht, eine Kopie
von dem beruͤhmten Cavaceppi in Rom, den Tem-
O 2pel
[212]pel der Freundſchaft, wo die nun verſtorbene Marg-
graͤfin von Bayreuth, des Koͤnigs Schweſter, mit Buch
und Hund ſitzend vorgeſtellt iſt, und wo an den 8. Saͤu-
len Medaillons alter durch Freundſchaft beruͤhmt gewor-
dener Helden haͤngen, den Antikentempel, der aber ver-
ſchloſſen iſt, die Kolonnaden, den ſchoͤnen Merkur mit
dem ſchlauen Geſicht, von Pigalle, die Orange- und
Treibhaͤuſer ꝛc.
Abends macht’ ich der Madame Bierſtaͤtt, geb.
Mamſell Holzhauſen, einen Beſuch. Sie iſt Gouver-
nante und Erzieherin der juͤngſten Tochter der Prinz. v.
Preuſſen K. H. Sie trug mir auf, ihr die Silhouet-
te der Frau von Guͤnderrode in Carlsruhe zu ver-
ſchaffen.
Alsdann war ich in der Synode von Potsdam,
wo heute beim lutheriſchen Hofprediger alle Geiſtliche mit
ihren Frauen zuſammen kamen.
Den 18ten Sept.
Ruͤckreiſe nach Berlin.
Der heutige und morgende Tag gingen mit Abſchied-
nehmen, Packen, Poſtbeſtellen ꝛc. hin.
Ich beurlaubte mich daher heute zuvoͤrderſt bei der
Prinz. v. Preuſſen K. H.
Dann war ich ſchon wieder bei meinem guten Ni-
kolai Mittags zu Tiſche, machte Nachmittags bei den
lieben Dr. Bloch, und Rendant Siegfried Abſchieds-
beſuche, ging drauf in den gelehrten Club, wo ich Hrn.
Prof. Ramler, Hr. Bergr. Gerhard, Hr. Hofr. Oes-
feld, und Hrn. K. G. R. von Poͤnicke traf, und von
ihnen
[213] ihnen Abſchied nahm, und dann ging ich mit Hrn. Meil,
dem ſanften Freunde der ſanften Kunſt, nach Hauſe.
Den 19ten Sept.
Machte ich zuerſt Ihro. Exc. dem Miniſter von
Herzberg meine Aufwartung. Schon aͤltlich. Ein
groſſer und einſichtsvoller Liebhaber der Landwirthſchaft.
Er erzaͤhlte mir unter andern, daß er die Luzerne auf
ſeinem Guthe Brietz nicht weit von der Stadt, auch in
dieſem duͤrren Jahre viermahl habe abmaͤhen koͤnnen.
Hierauf beſorgte ich noch Verſchiedenes zu meiner
Reiſe nach Hamburg, und war Mittags bei Hrn. Prof.
Bernoulli, der mich auf die Koͤnigl. Sternwarte fuͤhr-
te, und mir da viele herliche aſtronomiſche Werkzeuge
wies. Unter dieſen befand ſich auch der bewegliche Qua-
drant, den Maupertuis 1736. mit in Lappland hat-
te ꝛc.
Nachmittags nahm ich von dem wuͤrdigen und groſ-
ſen Miniſter von Zedlitz, von Madam Martini, Hrn.
O. K. R. Teller, und mehrern werthen Freunden Ab-
ſchied, und war auf den Abend noch einmahl in der
Naturhiſtoriſchen Geſellſchaft, die ſich diesmahl
bei Hrn. Bode verſammelt hatte, und worin Gleditſch
eine Abhandlung von der Saſapadilla vorlas, worin er
ſagte, ſie ſei ein auslaͤndiſches Veratrum. Drauf em-
pfahl ich mich auch dieſer Geſellſchaft.
O 3Den
[214]
Den 20ſten Sept.
Reiſe nach Hamburg.
Heute fruͤh trat ich dann meine Reiſe an. Ich
kam auf Betzow, Fehrbellin am Ryhn durch lauter
Sand, und war
Den 21ſten Sept.
Morgens in Kyritz, Mittags in Perleberg, und
Abends in Lenzen. Wenn man uͤber dieſen Ort hinaus
iſt; ſo koͤmmt man in das traurige Mecklenburgiſche
Sand- und Heideland, wo kein Bluͤmchen bluͤht, kein
Strom flieſt und kein Vogel ſingt.
Den 22ſten Sept.
Heute Morgen war ich in Boitzenburg an der
Elbe. Mittags betrat ich das Luͤneburgiſche, wo
ſchon ſchoͤnrer Boden iſt, kam drauf nach Luͤneburg
ſelbſt, und endlich nach
Eſcheburg, 3. Meilen vor Hamburg, wo ich zu
meiner unausſprechlichen Freude, Hrn. Grotjahn fand,
der mich hier einholte.
Den 22ſten Sept.
Hamburg. Meine heutigen Geſchaͤfte waren Be-
ſuche bei Hrn. D. Schulze, deſſen herliche Inſekten-
ſammlung ich gleich anfing zu beſehen, Hrn. D. Groop,
Hrn. Paſt. Crone, wo ich alte Bibeln, Kirchenvaͤter
ꝛc. ſah, die er beſitzt; bei Hrn. Licent. Grotjahn, Hrn.
D. Bolten, und Hrn. D. Schnecker von Hildesheim.
Den
[215]
Den 24ſten Sept.
Heute war ich wieder bei Hrn. D. Schulze, und
fuhr mit Beſehung ſeiner Inſekten fort.
Mittags ſpeiſte ich in ſehr angenehmer Geſellſchaft
bei Hrn. Grotjahn aufm Garten, und dann machten
wir eine Spazierfahrt an der Elbe nach Dockenhu-
den, auf Stuhlwagen, wo wir auch Knaben nach dem
Ziel ſpringen lieſſen. Auf den Abend waren wir wieder
aufm Garten, und unſere Herzen waren froͤlich.
Den 25ſten Sept.
Fruͤh machte ich Hrn. D. Reimarus, dem Sohne
des ſeel. Sam. Reimarus, einen Beſuch, war alsdann
wieder bei Hrn. D. Schulze, und ging die Verſteine-
rungen durch. Hierauf nahm ich die
Neue Michaeliskirche in Augenſchein. Die alte
ward durch einen Blitzſtrahl in die Aſche gelegt. Dieſe
neue koſtet 100,000. Mark, und iſt noch nicht fertig.
Sie ſteht ganz auf einem herlichen Gewoͤlbe fuͤr die Lei-
chen, und iſt mit ſchwediſchem Kupfer gedeckt, das der
Koͤnig lizentfrei ausfuͤhren lies. Das Altarblatt ſtellt
die Auferſtehung vor, und iſt von Tiſchbein. Die
Hauptfigur taugt nichts, das Morgenroth und das Schre-
cken der Huͤter aber ſind gar vortreflich ausgedruͤckt. Der
Thurm hat 566. Stufen; 436. ſtiegen wir hinauf, und
hier hatten wir auf der Kuppel eine herliche Ausſicht.
Man ſieht durch ein engliſches Teleskop Luͤneburg, das
Silber der Elbe, die Schiffe, wie ſie ankommen und ab-
gehen, das Baumhaus umringt von Schiffen! O, die
groſſe Stadt! Die Kuppel wird von 10. kupfernen Saͤu-
len getragen! In der Mitte iſt ein hohler kupferner Cy-
O 4linder.
[216] linder. Durch den wird das Holz hinaufgewunden, und
um ihn herum ſchlingt ſich, wie um eine Spindel, eine
Schneckentreppe, ſo daß man keine Leitern braucht. Der
Baumeiſter will ſich hier oben eine Sternwarte anlegen.
Gegen den Zugwind ſind in der Kirche die Thuͤren dem
Altar gegenuͤber vielfach, und ſo an einander geſetzt, daß
ſie ſelbſt zufahren.
Nachmittags beſuchte ich in Wandsbeck den Hrn.
Claudius. Ganz ſimpel iſt er in omni ſuo cultu.
Er ſpielte mir Benda’s Klavierſtuͤcke mit vielem Affekt
und groſſer Leichtigkeit vor. Er hat 3. ſchoͤne Maͤdchen,
die er ganz nach der Natur erzieht; ſie lagen auf der
Erde. Er lebt groͤſtentheils von der Freimaͤuerei.
Wir gingen mit einander in des Grafen von Schim-
melmanns Garten ſpazieren, wo ich eine Ardea pa-
vonia ſah. Dieſer Vogel traͤgt auf dem Kopfe einen
ſchwarzen Buſch, der ſich aufrichtet wie eine Buͤrſte, der
weiſſe Kranz oben ſieht ſchoͤn aus. Ich nahm hierauf
meinen Ruͤckweg durch die Alſter, und kam mit mancher
Faͤhrlichkeit nach Hrn. Grotjahns Garten, wo Muſik
und Geſang uns erwartete.
Den 26ſten Sept.
Heute beſah ich
Das Fortifikationshaus. Das iſt ein Theil des
Walls am Altonaer Thore, wo ein groſſer Garten mit
3, 4fachen, bald hellern bald dunklern Alleen, iſt. Es
iſt viel Waſſer dabei. Einen ſchoͤnen Anblick hat man
hier uͤber die mit Schiffen bedeckte Elbe bis nach Har-
burg hinuͤber. Auch ſind Zelter hier aufgeſchlagen,
Spiel- und Trinkhaͤuſer ſind auch da.
Hr.
[217]
Hr. Buch’s Garten. Er zeigte mir ſeine Zeich-
nungen, die heftweiſe herauskommen. Ich fand darin
die Parkinſonia, die Dionaea Muſcipula. Dieſe
iſt klein, waͤchſt wie eine Cryptog. im Moos, treibt
nur etwan 4. Blaͤtter, die andern verdorren gleich wieder;
an jedem Blatte iſt ein Anſatz, und dieſer nur iſt zu bei-
den Seiten mit Stacheln beſetzt, die freilich ſehr elaſtiſch
ſind. Wenn die Pflanze bluͤht, ſteigt ein Stengel aus
der Mitte in die Hoͤhe. Sie koſtet dem Beſitzer 15.
Thaler.
Hrn. D. Bolten’s Naturalienkabinet, worin
die Konchylienſammlung uͤber allen Ausdruck, reich und
ſchoͤn iſt *). Beim Anblick ſo vieler Konchylien
muß es einem beifallen, daß es ein erſtaunendes Mei-
ſterſtuͤck des Schoͤpfers iſt, die ſimple Idee einer Schne-
cke ſo tauſendfaͤltig bei der Ausfuͤhrung zu veraͤndern.
Wie gros iſt Gott! — Unter den Amphibien iſt auch
das Krokodil mit dem ſchmalen langen Rachen, das in
den Philoſ. Transact. beſchrieben iſt. Viele Sachen
von Otaheite ꝛc.
Auf den Abend as ich auch bei dem wuͤrdigen Manne
mit mehrern lieben Freunden.
O 5Den
[218]
Den 27ſten Sept.
Heute ergoß ſich denn endlich die ſchreckliche Duͤrre
in einen Landregen. Und Hamburg hat nicht einmahl
Fiakers noch eine Pennypoſt!! — Ich beſuchte aber
doch
Hrn. Klopſtock. Der Mann waͤre ſimpel, wenn
man ihn nicht vergoͤttert haͤtte. —
Hrn. Giſecke, Prof. der Naturgeſchichte am hieſigen
Gymnaſium. Ein angenehmer, lieber Mann. Er
ſchenkte mir die Addenda und Emendanda zu ſeinem
Indic. Plucken. et Dillen. Er beſitzt ein Bouquet
von D. Biebers Manier in Schachteln geſetzt. Hy-
oſciam. Datura, Phyſal. Alkekengi etc. an einan-
der. Zum Bewundern weis ſind dieſe Pflanzen, und
man weis nicht, wie er ſie bleicht. Auch ſah ich noch
bei ihm eine Sertularia im Glas, an der man noch die
Polypen ſieht.
Hrn. Kirchhof. Ein Kaufmann, der in der Phy-
ſik viele Einſichten hat, ſchoͤne Inſtrumente von Nairne
aus London beſitzt, und viel ſcharfſinnige Verſuche da-
mit anſtellt. Er war ſo gefaͤllig und zeigte mir ein engli-
ſches Mikroskop, wodurch ein Haar einen halben Zoll
dick erſcheint. Ein Muͤckenauge, ſah ſo aus:
Am Muͤckenfluͤgel ſchienen die Vaſa keine Kommunika-
tion zu haben. Eine Elektriſir-Maſchine. Er
machte einen Verſuch, daß der Blitz nicht abſpringt, wenn
er am Metall fortlaufen kan. Ein kleiner Eiſendrat
wird ganz gluͤhend, wenn der Blitz uͤbergeht. Die Zu-
ruͤſtung an einer Waage, um damit zu beweiſen, daß
die
[219] die Erde die Gewitterwolke anzieht *). Er ſagt, es
ſei falſch, daß irgend ein Blitz aus der Erde komme, die
Erde ſei allemahl negativ. Als er im luftleeren Raume
den bekannten Verſuch machte, daß ein Dukaten und ei-
ne Feder zu gleicher Zeit den Boden erreichen, fragte ihn
ein hieſiger Herr des Raths, als wieder Luft unter die
Glocke gelaſſen wurde, ob nun der Dukaten noch
floͤge?
Hr. D. Groop’s Kabinet von Konchylien, Meer-
koͤrpern, Buͤchern, Malereien, Kupferſtichen ꝛc. Mir
war darin merkwuͤrdig:
- 1) Auch linksgewundene Lazarusklappen.
- 2) Gever’s Konchylienwerk, ſchlecht gezeichnet, ſchlecht
geſtochen und ſchlecht illuminirt. - 3) Voet’s Kaͤferwerk.
- 4) Das herliche Portrait vom Cadet à la Perle, von
Maſſon geſtochen. Die Haare ſcheinen nur auf dem
Papiere zu liegen; ſchoͤner macht ſie gewiß keiner.
Hrn. Paſtor Ryter an der Nikolaikirche beſuchte
ich heute auch. Ein frommer, guter, ehrlicher Mann,
ohne Prunk. Er hat vormals in Jena und Leipzig
ſtudirt, lieſt fleiſſig Baumgarten’s und Mosheim’s
Schriften.
Heute
[220]
Heute ſah ich auch die hieſige Buͤrgerwache aufzie-
hen, die alle Abend den Wall beſetzt. Sie ſieht freilich
komiſch aus. Die Offiziere tragen rothe mit Gold be-
ſetzte Roͤcke, und ziehen vor Bekannten im Marſchiren
den Hut ab. —
Den 29ſten Sept.
Heute beſuchte ich nach der Reihe
Hrn. Klopſtock, dem ich aus meinem Hiob das
28ſte Kap. bis zum Ende vorlas. Das Wort Maga-
zin tadelte er, es ſei in der erhabenen Poeſie unedel, Be-
haͤltnis beſſer; Degen im 29. Kap. klinge lange nicht
ſo gut, als Schwerd. Wir ſprachen verſchiedenes uͤber
ſeine neue Ortographie. Er gibt dreierlei Editionen vom
Meſſias heraus. Fuͤr einen Ton ſagte er, muͤſſe man
nicht zwei Zeichen waͤhlen. z. B. V. und F. aber eins
ſei ſo gut, wie das andre. Eine groſſe Beugſamkeit der
Sprachorganen beſitzt er, auszuſprechen, was er will.
Hrn. Prof. Buͤſch, einen alten werthen Freund.
Hrn. Buckius. Er beſitzt ein ſchoͤnes Voͤgelka-
binet, hatte auch lebendige Pſittac. Arauna. Dieſe
Voͤgel ſtehen auf Einem Fuß, halten mit 2. Zehen der
andern das Brod, wie mit einer Zange feſt, und ſchneiden
es mit dem Schnabel entzwei, und klettern wie Katzen.
Die Naſenloͤcher ſind nicht im Schnabel, ſondern an der
Wurzel. — Viele ausgeſtopfte Tanagra, Ember.
Ampelis etc. in Wachs nachgemachte Fruͤchte, und
dergleichen ſah ich hier auch.
Hrn. Bode, den Vater des Berliner Aſtronomen.
Gros iſt doch die Freude der Eltern uͤber wohlgerathene
Kinder.
[221] Kinder. Der gute Alte klagte, daß er auch im Schul-
ſtande vor der Zeit alt geworden ſei.
Abends war ich bei Hrn. Busmann, mit verſchie-
denen guten Freunden zu Gaſte. Er hat Pfauen, die
den Regen lieben und ſich hinein ſetzen. Einer rief:
Bravo, Herr Doktor!
Den 29ſten Sept.
machte ich erſt
Hrn. Paſt. Sturm an der Petrikirche einen Be-
ſuch, wo ich auch Hrn. Paſt. Rambach kennen lernte,
der eben zu ihm kam, und nahm drauf vom
Hrn. Paſt. Crone Abſchied. Der gute Mann
leidet an der Phtiſi nervoſa!
Mittags war ich im Garten der Frau Oberalte
Grotjahn mit Hrn. Dr. Gerling an der Jakobikirche,
und vielen andern Bekannten.
Den 30ſten Sept.
Reiſe nach Braunſchweig.
Heute verließ ich denn nach einem ſehr traurigen Ab-
ſchiede von ſo vielen Lieben und beſonders dem theuern
Grotjahnſchen Hauſe, das gute Hamburg, und war
um 12. Uhr auf dem Baumhauſe, wohin mich Hr.
Grotjahn und Hr. D. Schulze begleiteten, fuhr drauf
mit halben Winde in 3. Stunden uͤber die Elbe nach
Harburg und kam die Nacht durch bei einem erſchreck-
lichen Sturme nach Zarendorf, und war
Den
[222]
Den 1ſten Oct.
Mittags in Witzendorf. Die Gegend hier herum
iſt nichts als Sand, Heideland, doch traf ich viel Enten,
wilde Gaͤnſe, Krammetsvoͤgel, Rehe, Haſen ꝛc. an.
Hier und da ſtehen nur einzelne Hoͤfe, die aber ſtark be-
wohnt ſind. Die Bewohner gingen, weils Sonntag
war, Karavanenweiſe zur Kirche. Ihre Sprache iſt
ſchlecht. Beier ſtatt Bier ſagen ſie. Abends traf ich
in Celle ein, reiſete von da
Den 2ten Oct.
weiter, bald uͤber Fruchtfelder, bald uͤber Heideland, war
Mittags in Elze, und Abends traf ich in
Braunſchweig ein. Man ſieht auf dieſer Straſſe
in Dorfwirthshaͤuſern, leider! Zettel angeſchlagen, wo
man in Hamburg alle Gold- und Silberarbeiten auch
fuͤr den Landmann haben koͤnne. Eine Viertelſtunde vor
der Stadt liegt ein Dorf Watenmuͤttel, mit einem
Gaſthofe, das Spinnrad genannt; weil hier im 15ten
oder 16ten Jahrh. das erſte Spinnrad erfunden worden.
Noch jetzt iſt hier der Handel mit Garn aus dieſen Landen
einer der wichtigſten Handelszweige; es geht ſogar nach
England.
Den 3ten Oct.
Braunſchweig. Ich beſuchte heute gleich
Hrn. Prof. Eſchenburg. Ein angenehmer, lie-
benswuͤrdiger, verbindlicher, junger Gelehrter.
Hrn. Prof. Zimmermann, ſchon mehr bei Jah-
ren, aber ſehr thaͤtig. Er ſtudirte erſt Mathematik in
Leyden,
[223]Leyden und dann in Petersburg bei Euler, und wollte
ehemals in Linne’e’s Geſellſchaft mit dem Sextanten in
der Hand nach dem Kap gehen; der Stadthalter wollte
ihm aber nicht genug geben. Wir ſprachen vom 2ten
Theile ſeiner zoolog. Geogr. Er erzaͤhlte mir, Wag-
ler haͤtte ſeine Wuͤrmernachrichten meiſt Goͤtzen in
Quedlinburg gegeben, die andern Sachen aber habe er.
Hrn. Hofr. Leſſing, der eben von Wolfenbuͤttel
hier war. Ein witziger, muntrer, ſcharfſinniger Kopf.
Aus dem Ruhm und dem vielen Geſchrei mache er ſich
nichts, wie er ſagte, und zweifle, ob er wieder etwas her-
ausgeben wuͤrde.
Hrn. Hofr. Ebert, ein feiner, feuriger, lebhafter,
edler Mann.
Hrn. Landſchaftsſekretaͤr Leiſewitz. Er hat eine
recht gute Stelle, und wenig dabei zu thun, iſt aberkraͤnk-
lich und hypochondriſch, und will nicht viel mehr ſchrei-
ben.
Hrn. Domprediger Fedderſen, bei mittlern Jah-
ren. Ein wuͤrdiger Theolog.
Die Hrn. Gebruͤder Gravenhorſt. Sie ſollten
Anfangs Kaufleute werden, ſtudirten aber erſt Mechanik,
und Hydraulik fuͤr ſich ohne allen Unterricht, und erfan-
den eine Maſchine, die das Waſſer ohne alle Bewegung
hoch hebt, und darauf Chemie. Sie ſollten oft ins
Preuſſiſche gehen, blieben aber hier. Sie ſuchten nie
um Befehle oder Freiheiten von der Regierung fuͤr ihre
Waaren an. Alles, was ſie brauchen, werden ſie fuͤr
Geld habhaſt. Sie zahlen jedem Hauſe etwas fuͤr den
Urin zum Salmiak. Vielen Armen geben ſie ihr Sal
mirab. Glaub. umſonſt. Jetzt haben ſie viele Gebaͤude
auf einem Hofe gekauft, wo ſie keinen Fuͤrſten hineinlaſ-
ſen.
[224] ſen. Sie nehmen ihre Leute alle in Eid und Pflicht, be-
zahlen ſie gut, laſſen aber keinem das Ganze ſehen, laſ-
ſen ſie nicht einmahl mit einander ſprechen. Alles ver-
richten ſie ſelber, z. B. die Oefen mauert der Juͤngſte ſel-
ber, und veraͤndert oft des Nachts alles. Sie haben
an die 3000. Korreſpondenten, und halten doch keinen
Buchhalter. Es ſind ehrliche, fleiſſige, ſtille, unermuͤ-
dete Leute, ohne Charlatanerie. Der aͤlteſte iſt hernio-
ſus und haemorrhoidarius, und lies mich an ſein
Bette kommen. Auch in dieſen Umſtaͤnden haͤlt er ſich
den Leib beſtaͤndig durch Sal mirab. Glaub. offen. Bei-
de haben viel ſuadam, beſonders der juͤngere.
Hrn. Arnold Schmidt, Hr. Prof. Eſchenburg’s
Schwiegervater. Ein ehrlicher, guter Alter, und mun-
ter noch, wie Anakreon, lieſt noch ſtreng im Gymna-
ſium oder im Kollegium, wie ſie’s hier nennen.
Hrn. Abt Jeruſalem. Der belebteſte, feinſte Theo-
log, den ich je kennen lernte, und gar kein Freund von
Komplimenten. Er ſieht weg, wenn man ihn einen
groſſen Mann nennt, iſt billig gegen jedes andern Ver-
dienſte. Er ſagte mir mehr als eimahl, er leſe mei-
ne Schriften gern. Er iſt bereits 70. Jahr alt, und
geht doch noch zu Fuß in der Stadt. Aber mit innigſter
Ruͤhrung erblickte ich Falten — Spuren des Kum-
mers — im Geſichte des verehrungswuͤrdigen Mannes.
Er ſieht mager und blaß aus. Er iſt Wittwer und hat
3. Toͤchter, die auch nicht mehr jung ſind, aber keinen
Sohn, als einen Stiefſohn, der Legationsrath in Wei-
mar iſt. Er iſt Abt von Riddagshauſen, einem Klo-
ſter, eine Viertelſtunde von hier, wohin er alle Dienſta-
ge geht, und bei den jungen Stud. Theolog. Viſitation
haͤlt.
[225] haͤlt. Er iſt auch Probſt von etlichen Stiftern in der
Stadt, die aber ihre Dominas haben, und wovon er
nur die Einkuͤnfte zieht. Er predigt ſchon ſeit 12. Jah-
ren nicht mehr, geht auch nicht in die Seſſionen des Kon-
ſiſtoriums, davon er Vicepraͤſident iſt, und das in Wol-
fenbuͤttel iſt. Dann war ich wieder
Beim Hrn. Prof. Zimmermann, und ſah bei ihm:
- 1) Wagler’s Zeichnungen und Handſchriften von
Polypen, Sertularien, Eiern ꝛc. Sie nahmen die
ſchwarzen, auf dem Waſſer ſchwimmenden Polypeneier,
hoben ſie in wollenen Tuͤchern bis zum Fruͤhjahr auf, und
lieſſen ſie dann ausſchluͤpfen. - 2) Adam’s Mikroskop aus London. Wir be-
trachteten die Schuppen auf den Muͤckenfluͤgeln unter
N. 1. bei Nacht. Es befinden ſich auch blau-ſchwarz-
violettgefaͤrbte Glaͤſer beim Apparat ꝛc. - 3) Blankenburgiſcher Marmor, etliche 30. Sor-
ten. Sie koſten 2. Thaler 12. Groſchen. Ich bekam
einen rothen Achat aus der Bude von ihm.
Die Jerboa capenſis wird im 3ten Th. ſeiner Zoo-
log. Geogr. vorkommen. Dieſes Thier hat mit dem
Kaͤnguruh die groͤſte Aehnlichkeit. Es ſoll Saphan
oder das Kaninchen in den Pſalmen und Miſchle ſeyn.
Er trug mir auf, ihm Nachrichten zu geben, wo Vulka-
ne in unſerm Lande geweſen waͤren. Wir ſprachen noch
uͤber verſchiedene Materien, ſahen vielerlei Briefe, Buͤ-
cher ꝛc. durch, trafen uns oft im Urtheil, und trennten
uns Nachts ſehr ungern.
Zweiter Theil. PDen
[226]
Den 4ten Oct.
Heute beſah ich
Die Malereien der Hrrn. Waitſch, Vater und
Sohn. Der Vater war vormahls Unteroffizier, hat
nie einen Lehrmeiſter gehabt, ſondern von ſich ſelbſt ge-
lernt, und nur blos die Duͤſſeldorfer Gallerie geſehen.
Der Vater zeichn[e]t beſonders gern Landſchaften, Thier-
ſtuͤcke, Waſſerfaͤlle. Ich ſah Jeruſalem’s Bildnis gar
ſchoͤn; es war nach Lauſanne beſtimmt; — des Prin-
zen Heinrichs von Preuſſen, der ein ganz ander Ge-
ſicht, als der Koͤnig hat; — des Herzogs von Braun-
ſchweig; — Zeichnungen vom Regenſtein, — auf
dem Brocken — von der Baumannshoͤhle, — vom
Roßtrapp ꝛc.
Das Herzogl. Kunſt- und Naturalienkabinet.
Alles iſt darin vortreflich erhalten, nett und wohl geord-
net, und von unermeßlichem Werth. Mir war beſon-
ders merkwuͤrdig:
- 1) Eine erſtaunende Menge von kuͤnſtlichen Arbeiten aus
Elfenbein. - 2) Dergleichen aus Bernſtein; ganze Schraͤnke voll.
- 3) Sehr ſchoͤne chineſiſche Kunſtwerke aus Speckſtein.
- 4) Ganze Vaſen von Reisſtein.
- 5) Vieles aus Wachs und Holz von Alb. Duͤrer.
- 6) Vaſen, 11. Zoll im Durchmeſſer, aus Kryſtall. —
Die Berliner Kugeln an den Kronleuchtern haben
nur 7. Zoll. - 7) Gar viel Emaille auf Kupfer, Koͤpfe, groſſe Plat-
ten. - 8) Eine unſaͤgliche Menge Edelſteine an allen Sachen.
9) Jas-
[227]
- 9) Jaspis, Achate, Porphyr, Heliotr. ganz unver-
gleichliche Stuͤcke ausm Orient. - 10) Ein Saal voll der herlichſten Majolica.
- 11) Unter den Antiken ein Vitellius, dem’s, dem Ge-
ſicht nach, noch gut ſchmeckt. - 12) Das beruͤhmte mantuaniſche Gefaͤs aus einem ein-
zigen Onyx. Es wird auf eine halbe Million Thaler
geſchaͤtzt. Schon als Stein ohne Arbeit iſt es un-
ſchaͤtzbar. Es gehoͤrt der ganzen Braunſchweig-
ſchen Familie. Der Aufſeher iſt darauf beſonders be-
eidigt. Ehemals ward es in Wolfenbuͤttel nur
mit 2. Mann Wache gezeigt *). - 13) Eine Elfenbeinerne Doſe, die der jetzige Koͤnig
von Engelland ſelbſt gedreht, und der regierenden
Herzogin, ſeiner Frau Schweſter, geſchenkt hat. Die
Maſchine, womit er dreht, iſt auch dabei. - 14) Eine koſtbare Voͤgelſammlung. Viele Animalia
in Weingeiſt, Quadrup. - 15) Ein Schrank voll Kameen und Onyxe von unſaͤgli-
chem Werth.
P 216) Eine
[228]
- 16) Eine kleine naturhiſtoriſche Bibliothek dabei.
- 17) Eine herliche Kupferſtichſammlung aus allen Schu-
len.
Die Porzellanniederlage, in die mich die Herren
Eſchenburg und Ebert fuͤhrten. Man findet die Er-
de dazu im Lande, man will aber nicht einmal ſagen,
ob man den Kobold auch habe oder nicht. Es iſt artig
weis, aber auch ſchwer. An der Malerei, beſonders
der Thiere und Blumen, fehlt nichts. Nach Rußland
gehts nicht anders, als mit ſchrecklichen Impoſten. Ich
ſah ſchoͤne Vaſen, Floͤten, Stuͤckweiſe in Kaͤſtchen ein-
gepackt, artige Flacons, groſſe Buͤſten, als: vom Kai-
ſer, aber auch eine Suite von kleinen Buͤſten, z. B.
Virgil, das Stuͤck zu 1. Thaler und einigen Groſchen.
In ordinaͤren Servicen hat man hier viel Geſchmack.
Des Hrn. Leibmedicus Bruͤckmann’s Kabinet
von Edelſteinen und Verſteinerungen; *) worin mir be-
ſonders merkwuͤrdig war:
- 1) Eine Tabatiere aus einem einzigen Steyermaͤrkſchen
Granat. - 2) Bernſtein mit Waſſertropfen.
- 3) Viele geſchnittene Steine, z. B. wie die Alten den
Tod bildeten, als Juͤngling. Leſſing fand den Stein
in Italien, nachdem er ſeine Schriſt ſchon geſchrie-
ben hatte, verlor ihn nachher, und Bruͤckmann
kaufte ihn. - 4) Der Gott Piſter geſchnitten.
5) Rohe
[229]
- 5) Rohe Smaragde. Sonſt wenige Steine in der Mut-
ter. - 6) Ganze Suiten von allen Nuͤancen, mit ihrem Ver-
halten im Feuer. - 7) Ein Exemplar von ſeines Vaters Buchede Asbeſto,
auf Asbeſtpapier gedruckt, in Quart. Man hat nicht
viele davon. Es iſt recht huͤbſch, und das Papier
ſteif.
Gar viele Steine in dieſer Sammlung ſind gefaßt,
und haben Folie untergelegt.
Drauf beſuchte ich noch
Hrn. Prof. Eſchenburg, und war dann Abends bei
Hrn Prof. Ebert zu Gaſte.
Den 5ten Oct.
Heute fuhr ich mit dem Kaufmann, Hrn. Krauſe,
Hrn. Grotjahns Korreſpondenten, an den ich von ihm
empfohlen war, und dem Maler Hrn. Waitſch dem
Vater, nach
Salzdahlen. Ein altes verfallendes Luſtſchloß mit
einem Garten, in dem aber die Bildergallerie ſehens-
wuͤrdig iſt. Mir gefiel beſonders:
- 1) Abraham, wie er ſeinen Sohn Iſaak wieder um-
armt, von Lievens. - 2) Ein Winterſtuͤck von van der Neer.
- 3) Ein vortreflicher Ruysdal, und ſonſt noch einige
herliche Waſſerfaͤlle. - 4) Ein perſpektiviſches Stuͤck, Petrus, wie er vom
Engel aus dem Gefaͤngniſſe gefuͤhrt wird, von Steen-
wyck.
P 33) Ce-
[230]
- 5) Cephalus und Procris, von Guido.
- 6) Steen’s Eheverloͤbnis. Die Geſichter des Va-
ters, des Braͤutigams, der Braut, der Mutter, des
Wirths, des Notars, ſind ungemein karakteriſtiſch. - 7) Judith und Holofernes, von Rubens.
- 8) Ein Familienſtuͤck mit einem ſchoͤnen Kinde, das recht
hervorſtechend gemalt iſt, von Raveſteyn. - 9) Das Bildnis der Eva von Trotta, der Maitreſſe
von Herz. Heinr.II. die zur Zeit der Reformation
zum Schein begraben wurde. *)
Auch das Aeuſſere iſt ſchoͤn, die Saͤle ſind breit und hel-
le. Als wir uns hier umgeſehen hatten, ging meine
Fahrt weiter nach
Wolfenbuͤttel, eine Stunde davon. Zwiſchen
beiden Orten iſt die ſchoͤnſte Gegend, wo man den Harz,
den Brocken ꝛc. herlich uͤberſchauen kan. Die Stadt
iſt noch mehr befeſtigt als Braunſchweig, und kan in
einer halben Stunde unter Waſſer geſetzt werden, uͤbri-
gens aber ſchlecht gebaut.
In der Bibliothek, die im Amphitheater 3. fach,
und in der Hoͤhe noch einmahl herumſteht, ſind keine
neue Buͤcher, aber 2. vortrefliche Handſchriften und
Bibelkabinette. Beſonders merkwuͤrdig waren mir:
1) Lu-
[231]
- 1) Luthers Bibel in 2. Fol. auf Pergament. 1558.
angefangen, bis 1560. gedruckt, mit Vignetten. - 2) Zwei Handſchriften von der Vulgata, ſehr klein.
- 3) Die 34ſte Ausgabe der Kanſteinſchen Bibel, wo
Exod. 20. V. 14. S. 80. ſteht: „Du ſollſt ehebre-
chen.“ Sie iſt konfiszirt. Das hieſige Exemplar
ward fuͤr 50. Thaler erkauft. - 4) Ein Katalog der Bibliothek, vom Herzog Auguſt,
als dem Stifter, ſelbſt geſchrieben, aus dem 17ten
Jahrh. - 5) Noch ein Buch von ihm, uͤbers Schachſpiel, in gros
4. 1616. - 6) Ferner ein Chifre von ihm. Er nannte ſich Gu-
ſtavus Seldenus. - 7) Alte franzoͤſiſche Vulgata.
- 8) Ein altes Miſſale von 1519. mit herlichen Male-
reien. - 9) Eine Islaͤndiſche Mythologie auf Fiſchhaut ge-
druckt. - 10) Agrimenſores veteres, eine Handſchrift, die
im 6ten Jahrh. geſchrieben ſeyn ſoll. Ein Fronti-
nus etc. - 11) Ein handſchriftlicher Kommentar uͤber den Per-
ſius. Iſt noch aus des Ungariſchen Koͤnigs Mat-
thias Corvinus Bibliothek, 1584. - 12) Eine hollaͤndiſche Bibel, worin alle Kupfer ausm
Saurin ſind, aber das ganze Exemplar iſt auf Sei-
denpapier gedruckt.
P 413) Eine
[232]
- 13) Eine Lateiniſche Bibel, gedruckt 1462. in 3. Fo-
lianten. - 14) Eine von 1466. in 3. Fol. hat 600. Thaler geko-
ſtet. - 15) Luther’s Bibel in 4. Hermantown in Ameri-
ka, 1743. gedruckt. - 16) Eine Tamuliſche Bibel, 1723. in Tranquebar
gedruckt. - 17) Eine Islaͤndiſche Bibel, in klein Folio.
- 18) Ulphilas, Verſ. goth.
- 19) Photius und Euclides; altgriechiſche Handſchrif-
ten. - 20) Euclides arabicus. Romae ex Typogr. Medi-
cea 1594. in Kleinfolio. - 21) Eine Handſchrift vom neuen Teſtamente, in 2.
kleinen Folianten. Das Exemplar, ſo Luther 1521.
bis 1522. dem Kaiſer KarlV. von ſeiner Ueberſe-
tzung uͤbergab. Es iſt blos das neue Teſt. Das
alte iſt noch in Schweden. Das neue kaufte Herz.
Albrecht 1648. dem Schwediſchen Kanzler ab, der
es bekommen hatte, als Koͤmgsmark Prag ein-
nahm. Der Herzog kaufte es fuͤr 200. Thaler. Die
Malerei iſt von Glockenthon.
Abends war ich von meiner kleinen Streiferei zu-
ruͤck, und bei Hrn. Krauſe in Geſellſchaft.
Den
[233]
Den 6ten Oct.
Reiſe nach Goͤttingen.
Ich fuhr mit Extrapoſt uͤber Barum, Lutter,
Seeſen, Nordheim, nach
Goͤttingen, wo ich Abends antraf und bei Hrn. D.
Miller logirte.
Den 7ten Oct.
Heute lies ichs gleich mein Hauptgeſchaͤft ſeyn, mei-
ne ehemaligen Lehrer und Freunde zu beſuchen, ging da-
her zu den Hrrn. Prof. Beckmann, Walch, Puͤtter,
Gatterer, Ritter Michaelis, Leß, Koppe ꝛc.
Den 8ten Oct.
Mittags war ich beim Hrn. Ritter Michaelis in
Geſellſchaft eines von Konſtantinopel zuruͤckgekomme-
nen Schweden Namens Norberg, Nachmittags bei
Hrn. Hofr. Heyne, Hrn. Prof. Beckmann, und Abends
bei Hr. D. Miller.
Den 9ten Oct.
beſuchte ich wieder Hrn. Hofr. Puͤtter, drauf Hrn. Prof.
Murray, Hrn. Hofr. Richter, und dann ging ich auf
die
Univerſitaͤts-Bibliothek, wo ich des Koͤnigs
Buͤſte fand. Sie wird noch immer erſtaunend vermehrt.
13. bis 1400. Thaler zahlt man hier alle Jahre an Buch-
binderlohn, und doch kommen alle italiaͤniſche, franzoͤſi-
P 5ſche
[234] ſche und engliſche Schriften, ſchon gebunden her. 1800.
Thaler koſten alle Jahre die Journale, die akademiſchen
Schriften mit eingerechnet.
Bei Tiſche ſprach ich mit Hr. D. Miller, uͤber
Siegwart, Burgheim ꝛc. Von der Freimaͤurerei
denkt er wie ich. Manche ſchmauſſen gern bei andern,
und geben der Sache einen heiligen Namen. Nur die
Meiſter vom Stuhl werden dabei reich.
Nachmittags beſuchte ich Hrn. Hofr. Schloͤzer, und
war Abends bei Hrn. Prof. Walch.
Den 10ten Oct.
fuhr ich mit Beſuchen fort, und ging zu Hrn. Prof.
Klaproth, Hrn. Hofr. Boͤhmer, Hrn. Mag. Duͤrr,
und dann aufs
Univerſitaͤtskabinet. Prof. Blumenbach hat
es noch nicht rangirt. Es ſind keine Meerkoͤrper darin,
keine Konchylien, keine Inſekten, keine Halbmetalle, kei-
ne Erdarten, uͤberhaupt unendlich viele Luͤcken, und was
da iſt, befindet ſich in groſſer Unordnung. Ich ſah
die Ruſſiſchen Marmor, und Baron Aſch’s Geſchen-
ke an, deſſen Bild auch hier iſt *). Heute beehrte mich
auch
Hr.
[235]
Hr. Prof. Murray mit ſeinem Beſuch. Er traͤgt
das Groskreuz vom Waſa-Orden an einem meergruͤnen
Bande auf der Bruſt.
Den 11ten Oct.
Heute beſuchte ich Hrn. Prof. Gmelin und aß Mit-
tags bei Hrn. Hofr. Puͤtter mit Hrn. Prof. Spittler.
Nachmittags beſuchte ich die Hrrn. Pfeffel, Walch,
Michaelis, und war Abends bei Hrn. Prof. Beckmann
mit den Hrrn. Baldinger, Schloͤzer, Loder von Je-
na, Spittler und Buͤttner.
Den 12ten Oct.
Reiſe nach Caſſel.
Zum Beſchluß meines hieſigen Aufenthalts beſuchte
ich noch Hrn. Walch und Miller, und denn fuhr ich
uͤber Muͤnden an der Weſer mit Extrapoſt nach Kaſſel.
Den 13ten Oct.
Kaſſel. Mein erſter Gang hier war, den
Hrn. Inſpektor Glaß am Kadettenkorps zu beſu-
chen, und dann beſah ich
Die Menagerie. Alle fleiſchfreſſende Thiere ſind
geſtorben und ſtehen im Naturalienkabinet ausgeſtopft.
Dies verrichtet ein gewiſſer Schilpach, der auch eine
artige Holzſammlung hat, wo inwendig Bluͤthe, Frucht,
Zweig, Blatt und Skelet iſt. Der Elephant, der hier
doch
[236] doch 7. Jahr lebte, ſtarb, als er 13. Jahr alt war, ſchnell,
vermuthlich aus Geilheit, oder weil er ſich nicht baden
konnte. Man hat ein Skelet davon, und die Haut mit
kleinen Holzſtuͤcken ausgeſtopft. Sie wog 1200. Pfund
und nach der Gare 702. Pfund.
Die Bibliothek. Sie ſteht jetzt nebſt Antiken,
Kunſtſachen und dergl. in einem neuen Gebaͤude, aber
Luͤchet und andre Franzoſen ſtellen ſie in der groͤſten Un-
ordnung auf. Man hat hier eine Rubrik: Literae,
Diaria, Hiſt. Europaeana und Hiſt. exeuropaea-
na.Cicero’s Briefe ſtehen bei der Kirchengeſchichte
und ein Kommentar uͤber Hugo Grotius de lure b.
et p. ſteht bei der Oekonomie. Mittags war ich bei
dem guten Hrn. Inſp. Glaß zum Gaſte und er Abends
bei mir.
Den 14ten Oct.
Beſuchte mich
Hr. Rath Tiſchbein, ein alter braver Mann und
verdienſtvoller Kuͤnſtler. Er ſagte mir, daß ſeinen
Herrmann der Fuͤrſt von Waldeck gekauft habe.
Alsdann machte ich dem
Hrn. Prof. Forſter einen Beſuch. Er ſchimpft
mit Prof. Simmering auf alles, was deutſch iſt, auf
Berlin, Goͤttingen, auf Univerſitaͤten, Journale,
Lexika, Muſea ꝛc. Drauf ging ich auf den
Paradeplatz, wo ich mit einem Hauptmann von
Muͤnchhauſen, einem wuͤrdigen Offizier, der in Ante-
ka bei Howe’s Armee diente, bekannt wurde, und dann
verlies
[237] verlies ich Kaſſel und reiſte nach Wabern ab, wobei
ich einen ſchwediſchen Architekten Karlsberg, der in
Italien und England geweſen war, zum Reiſegefaͤhr-
ten hatte.
Den 15ten Oct.
Reiſe nach Frankfurt am Mayn.
Die Nacht waren wir in Jesberg, fruͤh in Holz-
dorf, und kamen dann auf Marpurg und Gieſſen.
Den 16ten Oct.
fruͤh fuhr ich durch Nauheim, und langte dann bald
nachher in Friedberg an, wo ich Hrn. Tabor beſuchte,
der ein Gartenhaus hat, das mit ſchoͤnen Kupferſtichen
geziert iſt. The Death of General Wolfe war
darunter einer der neueſten und ſchoͤnſten. Hr. Tabor
nahm mich mit nach Ockſtadt, einem Landguthe, das
dem Hrn. v. Frankenſtein gehoͤrt, bei dem wir Mit-
tags ſpeißten. Seine Gemalin iſt eine Dame von einem
ungemein ſanften und liebenswuͤrdigen Karakter. Abends
waren wir wieder in Friedberg zuruͤck, und beim Hrn.
Geh. Rath Tabor.
Den 17ten Oct.
Heute reiſete ich in Geſellſchaft des Hrn. v. Fran-
kenſtein und Hrn. Tabors nach Frankfurt, wo wir
den Hrn. Hofr. Tabor beſuchten und Mittags bei ihm
ſpeißten. Nachmittags fuhren wir uͤbern Mayn nach
Sachſenhauſen. Auf der Sachſenhaͤuſer Bruͤcke
ſtand
[238] ſtand eine Ehrenwache, bis an das deutſche Haus, weil
der Koadjutor, der Erzherzog Maximilian, dieſen Abend
erwartet wurde.
Den 18ten Oct.
Der heutige Tag ging mit verſchiedenen Beſuchen
bei Madam Stark, Hr. und Madame Bernus, Hr.
Hofr. Tabor, Hr. Kloſe, Hr. D. Moſche ꝛc. hin,
und auf den Abend war ich im Ehrenmannſchen Gar-
ten vor dem Sachſenhaͤuſer Thore, wohin mich Mada-
me Bernus eingeladen hatte, und wo Ball, Soupe’,
und Feuerwerk war.
Vormahls ward die Stadt ſehr fruͤh geſchloſſen, aber
man hat mit dem Einlaß am Thore bis 12. Uhr im Som-
mer, und bis 10. Uhr im Winter nachgegeben. Auf
jeder Seite der Stadt bleibt ein Thor offen. Die Per-
ſon zahlt 4. Kreutzer Einlaß, und dieſes Geld wird zum
Beſten eines Armenhauſes verwendet.
Den 19ten Oct.
Reiſe nach Hanau.
Ich fuhr auf dem Marktſchiff dahin. Im Som-
mer geht es alle Tage hin und her, im Winter aber nur
einen Tag um den andern. Das Schiff ziehen 3. Pfer-
de, die oft im Mayn bis an den Bauch gehen, an den
meiſten Orten aber kan der Schiffer mit dem Loͤffel den
Boden erreichen. Herlich ſind die hieſigen Gegenden.
Wir kamen an Offenbach, an Bergen, wo die bekann-
te Schlacht vorfiel, und an andern Schloͤſſern vorbei.
Hanau.
[239]
Hanau. Hier wartete meiner ſchon der gute Hr.
Kandidat Goͤtz, empfing mich gleich beim Ausſteigen
aus dem Schiffe, und ſtellte mich der Durchlauchtigen
Prinzeſſ in Friedrike vor. Der uͤbrige Theil dieſes Tags
verging mir in ſeiner und des theuren Stockhauſens
Geſellſchaft nur gar zu geſchwind.
Den 20ſten Oct.
Fruͤh war ich wieder bei Hrn. Stockhauſen, und
dann beſah ich
Das Naturalienkabinet der Durchl. Prinzeſſin.
Es iſt noch im Werden. Eine Klapper von Crotal.
horr. von 24. Ringen war darin. — Weiſſe hier er-
naͤhrte Maͤuſe hatten dieſe Nacht Junge geheckt. Hier-
auf machte ich dem
Hrn. Regierungsrath Wagner, der hier Bibliothe-
kar und Muͤnzkabinets-Inſpektor iſt, einen Beſuch, und
bekam dann
Das Muͤnzkabinet ſelbſt zu ſehen. Es iſt ſehr
reich und wohl rangirt. Geburts-Begraͤbnis-Kroͤ-
nungs-Vermaͤhlungs-Kriegs-Friedens-Stiftungs-
vermiſchte Muͤnzen ſind darin. Jedes Fach iſt wieder
nach den Staaten und Laͤndern, und dieſe wieder nach der
Chronologie rangirt. Die fehlenden laͤſt man von den
Stempeln in London, Verſailles ꝛc. nachpraͤgen, und
bezahlt das Silber und Praͤgelohn. Die Muͤnzen liegen
auf gruͤnem Tuch unter Glas, ohne Einſchnitte. Im-
mer ſind die Daͤniſchen die ſchoͤnſten, und dann die von
den Hammerani aus Rom. Die Brandenburgiſchen
ſehen alle ſchlecht aus. Der Nummus unicus, 2. Pfund
etliche
[240] etliche Loth ſchwer, auf die Paſſage des Belts mit der
ſchwediſchen Armee ꝛc. ſah ich auch hier. Bei den Muͤn-
zen vom Preuſſiſch Schleſiſchen Kriege iſt auch die,
welche der Koͤnig wieder aufkaufen lies, und die daher
ſehr ſelten iſt. Sie fuͤhrt die Umſchrift: Henricus
Boruſſ. princeps ſine clade victor. Ferner alle
Muͤnzen auf Goͤttingen. — Schandmuͤnzen auf den
Utrechter Frieden und mehrere.
Nach Tiſche fuhren Hr. Goͤtze und ich nach der
Faſanerie, wo wir die vielen Goldfaſanen, und die
Weibchen mit Maͤnnchenfedern beſahen (S. davon das
Hanauiſche Magaz. 1779.) In der
Menagerie waren:
- a) Ein Paar Kronenvoͤgel von der Inſel Banda.
Sie haben eine herliche criſta, die auch blau iſt.
Wie ſchlaͤft der Vogel mit der Krone? - b) Eine Gemſe aus Tyrol, mit ſchwarzen Streifen
auf dem Ruͤcken, in einem Tannewaͤldchen. Sie hat-
te einen Ziegenbock zur Geſellſchaft und frißt Heu. - c)Bengalenſche Hirſche, ein ganzer Rudel. Sind
fahl mit weiſſen runden Flecken und zeugen Junge
hier. - d) Eine Mus marmota? genannt Ouramente.
Graugruͤnlicht, ſtatt der gewoͤhnlichen Farbe.
Drauf beſuchten wir das
Willhelmsbad*), das jetzt von Engliſchen durch
die Truppen in Amerika erworbenen Guineen erbaut wird.
Der
[241] Der Prinz macht ſelbſt den Wirth. Die Frankfurter
tragen viel Geld hierher. Man druckt auch die Liſte der
Badegaͤſte. Ich beſah die Quelle zum Trinken und zum
Baden, ſie hat das Gute, daß ſie wenigſtens nicht ſcha-
det. Saͤle, Alleen, Teiche, Seen mit Schiffen drauf ꝛc.
ſind angelegt, auch iſt eine neue Burg im alten Ge-
ſchmack erbaut worden.
Philippsruhe. Ein Luſtſchloß, das noch die Gra-
fen von Hanau erbaut haben, am Mayn anmuthig
gelegen. Der Weg von Wilhelmsbad dahin iſt eine
Obſtallee.
Als wir wieder von unſrer Spazierfahrt zuruͤck wa-
ren, beſuchte ich Hrn. Prof. Bergſtraͤſſer, der auch
kein Freund der Philantropine iſt, war dann in der
Komoͤdie, wo ich Weiſſens Edelmuth in Nie-
drigkeit, und Jeannette vorſtellen ſah, aß hierauf
bei Hr. Stockhauſen mit Hrn. Goͤtz, und nahm trau-
rig von den Redlichen Abſchied.
Den 21ſten Oct.
Ruͤckreiſe nach Frankfurt.
Ich fuhr dahin wieder auf dem Mayn. In Of-
fenbach beſuchte ich den Hrn. Geh. Rath Brauer, der
mir nach Frankfurt Geſellſchaft leiſtete.
Den
Zweiter Theil. Q
[242]
Den 22ſten Oct.
Frankfurt. Ich war Mittags und Abends bei
Hrn. D. Moſche.
Den 23ſten und 24ſten Oct.
Reiſe nach Carlsruhe.
Heute fruͤh begab ich mich denn auf die letzte Tour
nach meinem lieben Carlsruhe. Ich kam uͤber Darm-
ſtadt, Heppenheim, Weinheim, Heidelberg, —
wo ich Hrn. Schoͤnemann, Hrn. Prof. Wund, und
Hrn. K. R. Mieg ſprach, —
Den 25ſten Oct.
uͤber Wisloch und Bruchſal, gluͤcklich in Carlsru-
he an.
Reiſe
[[243]]
Reiſe
nach
Coſtanz am Bodenſee
und nach
Schafhauſen zum Rheinfall.
Im April des Jahres 1781.
An
Hrn. Prof. Beckmann in Goͤttingen.
Q 2
[[244]][[245]]
Reiſe
nach
Coſtanz am Bodenſee
und nach
Schafhauſen zum Rheinfall.
Schon lange, mein verehrungswuͤrdiger Freund, ging
ich mit dem Gedanken um, eine Reiſe nach der
Schweiz zu thun, und Sie werden ſich vielleicht wun-
dern, wie ich’s ſo lange anſtehen laſſen konnte, und in-
deſſen in Deutſchland, Frankreich, Holland ꝛc.
herumwandern, da ich doch dieſem fuͤr die Naturforſcher
ſo merkwuͤrdigen Lande naͤher bin, als jenen Laͤndern.
Aber zu meiner Entſchuldigung muß ich Ihnen ſagen,
daß ich nicht blos deswegen noch nicht nach der Schweiz
gereiſt bin, weil man gewoͤhnlich am ſpaͤteſten zu dem
koͤmmt, was man immer haben kan; ſondern vorzuͤglich
deswegen, weil die Merkwuͤrdigkeiten der Schweiz ſo
ſehr getrennt, und zum Theil wenigſtens ſo weit von ein-
ander entfernt ſind, daß man entweder ein ganzes halbes
Jahr darinn herumreiſen, oder mehrmals, und an ver-
ſchiedenen Orten hineingehen muß. Der letztere Plan
gefaͤllt mir faſt noch beſſer, als der erſtere, und ich will
ihn ſuchen auszufuͤhren, wenn ich Leben und Geſundheit
behalte. Sie meinen vielleicht, ich ſollte noch hinzuſe-
Q 3tzen:
[246] tzen: Wenn mich mein Vaterland auch dafuͤr belohnt,
daß ich auf das Studium der Natur ſo manches hundert
Gulden wende, ſo manche Bequemlichkeit entbehre, die
ſich andre neben mir verſchaffen, und mich zu dem be-
ſchwerlichen Amte des oͤffentlichen Unterrichts immer tuͤch-
tiger mache. — Aber, ich habe mich ſchon gewoͤhnt,
dieſe Gedanken zu unterdruͤcken. Die Wiſſenſchaften
ſterben meiſtens, wenn ſie ſich nicht ſelber helfen koͤnnen,
und von der Pflege andrer leben muͤſſen. Ich bin, wie
eine Pflanze in einem Boden, der eben nicht ſehr wuchert.
Wenn unſre Muſen wie das Thier waͤren, von dem die
Fabel ſagt, es lebe von der Luft, ſo kaͤme Deutſchland
allen andern Nationen in Ruhm der Gelehrſamkeit vor,
aber zum Ungluͤck wollen die ſchoͤnen Kinder auch Saft
haben. Ich habe ſeit einigen Jahren Erfahrungen in
der Menſchenwelt gemacht, die eben ſo unerwartet ſind,
als die neuen Entdeckungen in der Thiergeſchichte. Taͤg-
lich ſehe ich es mehr, daß in der Welt gar viel Wind,
Luͤgen, Unwahrheit und falſcher Schein iſt. Oft iſt
man mit dem beſten Herzen, und mit dem feurigſten Ent-
ſchluß, ſeinen Mitbruͤdern nuͤtzlich zu werden, nicht mehr
weit von dem traurigen Wunſch, daß man nicht mehr
gelernt haͤtte, als ſo viele, die mit dem ganz gewoͤhnlich-
ſten Schlendrian in der Welt fortkommen, und ſteigen,
als wenn ſie das Original der Menſchheit waͤren. Doch
iſt der Anblick der Natur, und ihrer Prachtſtuͤcke mit
Kopf und Gefuͤhl dagegen ein herrliches Mittel, und es
iſt eine Guͤte vom Schoͤpfer, daß er in das Innre der
Wiſſenſchaften einen gewiſſen Reiz legte, der die junge
Seele immer ſtaͤrker an ſich zieht, wenn man gleich vor
Augen ſieht, daß man im Tempel der Wiſſenſchaften nie
ein aͤuſſerliches Gluͤck machen werde. Shakeſpear ſagt:
„Wiſſen-
[247] „Wiſſenſchaft iſt der Fittig, mit welchem wir zum Him-
mel emporfliegen.“ Doch, was plaudre ich nun davon?
Ich wollte Ihnen ja meine kleine Reiſe erzaͤhlen.
Da ich nicht mehr als vierzehn Tage wegbleiben
durfte, ſo ſchraͤnkte ich mich diesmahl auf den Boden-
ſee, auf Coſtanz, auf Schafhauſen und den Rhein-
fall ein. Da ich zu Pferde war, ſo konnte ich den naͤch-
ſten Weg durch das Wuͤrtembergiſche, und durch einen
Theil des Schwarzwaldes nehmen. Es war in der
angenehmſten Jahrszeit: der April des Jahrs 1781. war
nicht Aprilmonat. Es war ein wahrer, ſchoͤner, frucht-
barer Maimonat. Alles in der Natur geſchah wenig-
ſtens in unſern Gegenden um drei Wochen fruͤher. Das
Wetter war beſtaͤndig, war heiter, nicht kalt, oft ſchon
ſehr heis, beſonders in den Thaͤlern der Schweiz, und
ſelbſt die Naͤchte ſchadeten nie den fruͤh herausgekomme-
nen Bluͤten. Ich bin manchen Morgen im Nachtigal-
lengeſang geritten, und habe manchen wilden Vogel im
Walde pfeifen gehoͤrt, der ſonſt mein Ohr noch nie ergoͤtzt
hat. Ganze Reihen von bluͤhenden Baͤumen dufteten
am fruͤhen Morgen um mich herum, und ſchienen, ein
einziger Blumenſtraus zu ſeyn. So wie die Hitze des
Tages zunahm, ward auch das geſchaͤftige Summen der
Bienen um dieſe mit den ſchoͤnſten Bluͤten ganz bedeck-
ten Aeſte immer ſtaͤrker, und begleitete mich, je naͤher ich
dem heiſſen Italien, dem gebuͤrgvollen Tyrol, und der
kraͤuterreichen Schweiz kam. Nicht ein einziges Waſ-
ſer, weder die groͤſſern noch die kleinern Fluͤſſe liefen jetzt
an. Denn wir hatten im vergangenen Winter uͤberall
wenig Schnee gehabt. Sonſt muß man in andern Jah-
ren, wenn man um dieſe Zeit in unſern Gegenden reiſen
Q 4will,
[248] will, befuͤrchten, daß Fluͤſſe ausgetreten, Wege ausge-
freſſen, Bruͤcken weggeriſſen, Felſen herbeygefuͤhrt, und
am Fuß der Berge alles verwuͤſtet ſeyn moͤchte. Aber
es war, als wenn die Natur ihrem Freunde ſelber den
Weg gebahnt haͤtte. Mein Engel ging vor mir her, die
bluͤhende Schoͤpfung enthuͤllte ringsum ihre mannichfalti-
gen Schoͤnheiten, die guͤtige Natur hielt ihren Schild uͤber
mich, die Goͤttin der Jugend goß die Schale der Geſund-
heit wieder voll, und die guten Wuͤnſche meiner Freunde
folgten mir, als ein unſchaͤtzbarer Segen, hinten nach.
Von hier nach Pforzheim iſt der Weg ſo bekannt,
daß ich Ihnen nichts davon zu ſagen wuͤßte. Aber ſe-
hen ſollten Sie ihn einmal, Sie wuͤrden beſonders die
ſchoͤne Straſſe von Carlsruhe nach Durlach bewun-
dern: Eine ſchnurgrade Allee, von zwo Reihen italiaͤni-
ſcher Pappeln, die, wenn ſie im Sommer ganz mit Laub
bedeckt ſind, voͤllig wie eine gruͤne Wand, wie dunkel-
gruͤne Tapeten ausſehen. Von Pforzheim geht der
Weg gleich uͤber einen ſteilen waldichten Berg, auf dem
fuͤrchterliche Steinmaſſen im Wege liegen. Man muß
mit dem ſchmalſten Wege vorlieb nehmen, bis man nach
Huchenfeld kommt, einem noch Baadiſchen Orte. Hin-
ter dieſen muß man wieder den ſogenannten Beutelberg
herab. Dieſer Weg iſt noch ſchrecklicher als der vorige.
Der Berg iſt gewis etliche tauſend Schuhe hoch, und
faſt immer jaͤher als ein Dach. Mein Pferd ging zwar
ſicher, es kletterte wie eine Katze, Bergauf und Bergab,
aber zuletzt verlohr ich doch allen Muth, weil ich immer
die abſcheulichſten Tiefen vor mir ſah. Ich ſtieg ab
und lies es durch einen Bauer fuͤhren. Der ganze Berg
iſt mit Tannen und anderm Nadelholz beſetzt, davon die
groſſen
[249] groſſen und langgeſtreckten Wurzeln eben ſo weit uͤber
dem Boden hinlaufen, und an der Luft eben ſo wahres
Holz, als der Stamm iſt, werden, wie es Brydone
von den Baͤumen auf dem Aetna erzaͤhlt. Ich zweifle
gar nicht, daß man nicht hier hundertſchuhige Tannen
finden ſollte. Der Pfad des Reiſenden iſt ſo abſchuͤſſig,
daß man froh iſt, wenn man ſich an einen der Laͤnge
nach am Berge hinabgeſtuͤrzten Baum halten kan. Im
Winter ſollen hier grauenvolle Glacieren von Schnee und
Eis entſtehen. Wer etwa nicht glauben wollte, daß die
Bergbewohner fuͤr ihre geſunde Luft, gutes Waſſer und
andre Vortheile, auch wieder ihre Plage haben, der darf
nur hierher kommen. Es iſt unbegreiflich, wie man hier
fahren kan, und doch geſchieht es alle Tage. Unten aber
am Fuß des Berges faͤngt das ſchoͤnſte Thal an, und
lauft noch etliche Stunden fort bis nach Calw. Dies
herliche Wieſenthal iſt nicht ſehr breit, aber es wird von
der Nagold, die bei Pforzheim in die Enz faͤllt, durch-
ſtroͤmt. Zu beiden Seiten iſt es mit ziemlichen Bergen
eingefaßt, die alle mit Holz mehr oder weniger ange-
pflanzt ſind, und ſchon hier ſieht man, daß das ganze
Herzogthum Wuͤrtenberg nichts iſt, als ein groſſer
Haufen von ineinandergeſchobenen, zuſammen geworfe-
nen, aufgethuͤrmten Bergen mit darzwiſchen liegenden
fruchtbaren Thaͤlern. Beim Liebezeller Bad iſt die
Gegend, wie bei allen Baͤdern, wieder etwas rauher, als
vorher, und die Badhaͤuſer ſelber machen auch keine ſon-
derliche Figur. Man findet greuliche Steinbrocken im
Wege, die alle durch die Waldwaſſer aus den Bergen
herbeigefuͤhrt worden ſind, und neben ihnen liegen ganze
Haufen von Steinen, von den ſchoͤnſten Felſen, und haͤr-
teſten Waͤcken, (Saxa) die man an andern Orten, wo
Q 5man
[250] man zum Bauen und Pflaſtern nichts als Sandſteine
hat, gerne theuer bezahlen wuͤrde. Auch die Nagold
ſelber laͤuft zuweilen gewaltig an, wie man an den hohen
Bruͤcken ſieht, die uͤberall, weil ſie viele Kruͤmmungen
macht, uͤber ſie gebaut ſind, und dem Reiſenden faſt laͤ-
cherlich vorkommen, wenn er zu einer Zeit daruͤber reiſet,
wo nur ein kleines Waſſer unten vorbeifließt. Auſſer-
dem, daß die Nagold zum Waͤſſern ſehr gut iſt, gehen
auch beſtaͤndig Holzfloͤße auf ihr nach Pforzheim. Man
hoͤrt beſtaͤndig die Axt des Holzmachers in den Tannen-
waͤldern ſchallen, und die ſchoͤnſten Baͤume ſtuͤrzen mit
ihren breiten Aeſten um.
Calw an ſich iſt eine kleine, aber freilich eine alte
Stadt. Die meiſten Haͤuſer ſind von Holz, ſchlecht,
und eng in einander hineingehaͤngt. Die Stadt iſt auf
der einen Seite an einen Berg gebaut, in der Mitte laͤuft
die Nagold durch, und, wenn man auf der Bruͤcke
ſteht, ſo hat man ſchoͤne Ausſichten. Alle Straſſen ſind
gepflaſtert, aber freilich ſind die wenigſten gerade und
eben. Der Handel, einige Fabriken, und ſonderlich das
Floͤßen des Holzes hat viele Leute reich gemacht. Die
Calwer Kompagnien ſind bekannt. Doch nun nimmt
der Luxus auch hier uͤberhand. Noch vor 30. Jahren
wuſte man in Calw kaum, was eine Kutſche iſt. Selbſt
die reichſten Frauenzimmer waren gewohnt, ſcharf uͤber
die Berge weg zu reiten, aber nun lernen ſie das nicht
mehr.
Gleich vor Calw auſſen klettert das Pferd wieder et-
liche tauſend Fuß Steinweg hinauf, und auf dem Wege
nach Herreberg hin kommen immer hoͤhere, und zum
Theil auch unfruchtbare Berge. Man reiſet auch durch
Wal-
[251] Waldungen, die bereits ſehr licht geworden ſind. In
dieſen hoͤrte ich heute (den 15. April) ſchon ganz deutlich
viele Guckucke rufen, und faſt auf der ganzen Reiſe be-
gleitete mich die Stimme dieſes ſonſt fuͤr ſelten gehaltenen
Vogels. In den Doͤrfern ſind die Wege aͤuſſerſt ſchlecht,
aber weil die meiſten Wuͤrtembergiſchen Doͤrfer an Ge-
buͤrgen liegen, von welchen das Waſſer beſtaͤndig hinun-
ter ſickert, ſo laͤßt ſich das ſchwerlich aͤndern.
Auch Herreberg iſt eine alte, kleine, gebuͤrgige
Stadt. Auf den Berg, wo die Stadkirche ſteht, ſteigt
man uͤber groſſe Treppen. Die Hauptſtraſſe iſt eng, das
alte Schlos auf der Spitze des Berges ſelber verfaͤllt.
Es muß aber eine herliche Ausſicht oben ſeyn, weil es ſo
hoch liegt, daß man es ſchon von weitem ſieht.
Von da geht die ſogenannte Landſtraſſe, im Gegen-
ſatz der ſchon fertig gewordenen Chauſſee nach Tuͤbin-
gen. Sie iſt unnoͤthig breit, oft ſchmal, oft unkennt-
lich, oft tief und loͤchericht. Faſt dies ganze Feld bis
an die Stadt hin ſteckt voll Eiſen, wie man an dem hoch-
rothen eiſenſchuͤſſigen Thon ſieht, der beſonders kurz vor
Tuͤbingen ſehr reich zu ſeyn ſcheint.
Erlauben Sie mir, daß ich von Stadt und Univer-
ſitaͤt Tuͤbingen nichts ſage. Die Leute haben bekann-
termaſſen eine erſtaunliche Vorliebe zu ihrem Vaterlande,
und zu allen ihren Sachen, weil die Wenigſten reiſen,
und die lokalen Vorurtheile ablegen. Daher kommt ih-
nen oft wahre, treue Schilderung gar ſeltſam vor, oder
ſie ſehens wohl gar fuͤr Laͤſterung an. Doch wiſſen die
Verſtaͤndigſten wohl, an welchen Wunden man die Kur
anfangen ſollte.
Eine vortrefliche Straſſe laͤuft fuͤnf Stunden lang
von Tuͤbingen nach Hechingen faſt immer grade, uͤber
Feld,
[252] Feld, Wieſen, Weideplatz und Waldungen. Aber je
naͤher man jenem Staͤdtchen kommt, je rauher wird die
Luft, je rauher wird der Wind. Man kan auch He-
chingen als den Anfang des Schwarzwaldes anſehen.
Die Sprache iſt ſchlecht, aber die Leute ſind hoͤflich, wohl
geſitteter, als man vermuthen ſollte: ohne Zweifel, weil
ein kleiner Hof, und etwas Handel hier iſt. Gegen-
waͤrtig lagen etwa 40. Mann Soldaten in Hechingen.
Das Land iſt zur Jagd ſehr bequem, und der Fuͤrſt liebt
ſie. Es gibt hier auch wilde Faſanen. Die Reſidenz
iſt ſo bergicht, und ſo ſchlecht gepflaſtert, daß der Reiter
immer fuͤr ſeines Pferdes Fuͤſſe beſorgt ſeyn muß. We-
nigſtens koͤnnen ſie die Hufeiſen darin verreiſſen, oder bre-
chen. Aber die Buͤrger ſind es gewohnt, und klettern ſi-
cher Tag und Nacht, wie Katzen auf den ſteilen Wegen
herum. Sobald der geringſte Regen faͤllt, ſo hat man
in Hechingen kein gutes Waſſer meht, es wird gleich
truͤbe. Ich ſah einen unvollendeten Kirchenbau, den
der Fuͤrſt, die Stadt, und einige Pfleger zu gros ange-
fangen haben, daher iſt der Bau jetzt ins Stecken gera-
then. Der Bauſtein iſt ein weislichter Sandſtein aus
lauter feinen Quarzkoͤrnern. Im Schloſſe ſind etwa
vierzig Bedienten: ſo ſagte man mir, wer aber in dieſer
Zahl mit begriffen iſt, oder nicht, weis ich nicht. Der
Fuͤrſt haͤlt einen Kanzler, zwei Hofraͤthe, einen Gehei-
menrath, der Finanzminiſter iſt, und einige Sekretaͤre.
Man hatte eben am Oſtermontage, wiewohl es Feiertag
war, Jahrmarkt. Dazu kamen viele Menſchen und
Vieh weit her, viele Kraͤmer von Reutlingen, Ro-
thenburg ꝛc. Ueberhaupt iſt hier eine ſtarke Paſſage
nach Schaffhauſen und Zurzach ꝛc. Auſſer dem
Schloſſe und dem Amthauſe wird man das Staͤdtchen
freilich
[253] freilich nicht fuͤr eine Reſidenz halten. Im Schloſſe
ſind die Gemaͤlde der lebenden Familie von einer Malerin
in Berlin. Das Billardzimmer theilt die zwei Fluͤ-
gel des Schloſſes. In der Schloskirche iſt nichts Merk-
wuͤrdiges. Im Eingange des Schloſſes iſt ein wildes
Schwein und ein Hirſch von ungewoͤhnlicher Groͤſſe ab-
gemahlt, dergleichen hier zuweilen vorkommen. Die
Unterthanen prozeſſirten aber noch vor wenigen Jahren,
(vielleicht noch) mit der Herrſchaft, wegen der Jagd,
die ſie nun ganz an ſich gezogen hat, und wurden daruͤber
von Wuͤrtembergiſchen Exekutionstruppen gezuͤchtiget.
In der Stadtkirche iſt vor dem Altare das Begraͤbnis
der Fuͤrſtl. Familie. Ein ſchwerer Aufſatz von Metall,
der oben mit Inſchriften und Wappen geziert iſt, muß
alsdann herabgenommen werden. Nicht weit von der
Stadt ſteht ein Nonnenkloſter Gnadenthal, und in der
Stadt ſelber ſind Franziskaner und Kapuziner. Man
ſieht wenige Rebberge, ohne Zweifel iſt die Gegend ſchon
zu rauh dazu. Schoͤne, blumichte Wieſen, vortrefliche
Viehheerden, ſtarke Melkkuͤhe, viel Milch, Butter, Kaͤ-
ſe, Fiſche ꝛc. gibts hier. Der Handel der Hechinger
mit Wacholderbeeren iſt bekannt. Zu einem Jagdhau-
ſe, der Lindig genannt, fuͤhrt eine ſtundenlange Allee
durch den Wald. Auch liegt nicht weit vom Stamm-
ſchloſſe ein andres Sommerhaus.
Aber das Wichtigſte fuͤr den Reiſenden iſt freilich die
alte Bergfeſtung Hohenzollern, das Stammhaus des
groſſen Koͤnigs, den Europa bewundert. Es liegt auf
einem ungemein hohen, und ziemlich ſteilen Berge. Man
geht durch eine angenehme, natuͤrliche Wildnis hinauf,
die dem Ermuͤdeten Ruheplaͤtze genug zur Erholung an-
bietet.
[254] bietet. Ehedeſſen war es nur eine Kirche auf dem ſoge-
nannten Michelsberg. Die Kirche ſteht auch noch, iſt
wenigſtens 800. Jahr alt, und wurde 1618. wieder er-
neuert. Nachgehends wurde dieſes muͤhſam, aber aͤuſ-
ſerſt ſtarke und maſſive Werk dazu gebaut, und Schade
waͤre es, wenn dem Einſtuͤrzen dieſes ſchaͤtzbaren Denk-
mals des Alterthums nicht Einhalt gethan wuͤrde. Die
Feſtung hat vorne 9. Thore, die mit eiſernen Banden
und Beſchlaͤgen faſt ganz uͤberzogen ſind. Gleich im
Hofe ſieht man einen kupfernen Keſſel, der im Boden
eingemacht, und mit einem hoͤlzernen Haͤuschen umge-
ben iſt. Er iſt 30. Schuh tief, das Kupfer iſt nur,
wo man ſehen kan, Fingersdick; oben iſt der Durchmeſ-
ſer 10. Schuhe; am Rande ſteht: Maria Sidonia,
Margaraͤfin von Baaden. Sie ſoll ihn in ihrem
Wittwenſtande haben machen laſſen. Seine Beſtim-
mung war zum vorraͤthigen Waſſer in Kriegszeiten.
Denn nicht weit davon iſt ein Brunnen, der zwar nicht
ſo tief iſt, aber doch klares und gutes Waſſer hat. Von
dieſem Brunnen gingen drei Kanaͤle unter dem Boden
hin nach dem Keſſel, wovon die Spuren noch ſehr ſicht-
bar ſind, und dieſe Leitungen fuͤllten den kupfernen Sack
in zween Tagen, wenn das Waſſer in die Kanaͤle gerich-
tet wurde. Durch Huͤlfe dieſes Waſſerbehaͤltniſſes konn-
te man immer vor der groͤſten Gefahr, wenigſtens fuͤr ei-
nige Zeit, geſichert ſeyn, und man gab auch davon her,
was zum Waſchen und Viehtraͤnken noͤthig war. Das
ganze Gebaͤude ſelber iſt mit einer Mauer umgeben, wo
der Vertheidigungsgang, die Schiesſcharten, und die
Schilderhaͤuſer noch merklich ſind. Erſt oben ſieht man
den groſſen Umfang dieſer Anlage. Unten, und von
Ferne geſehen, ſcheint es nur ein kleines Landhaus zu ſeyn.
Auf
[255] Auf jener Ringmauer liegen drei kleine Stuͤcke, die zwei
Pfund Eiſen ſchieſſen, und immer geladen ſind, damit
ſie den Ausbruch eines Brandes der umliegenden Gegend
gleich verkuͤndigen koͤnnen. Es ſteht die Jahrzahl 1579.
darauf. Im Zeughauſe ſieht man ganze und halbe
Panzer, Kappen, Hemden und Hoſen aus kleinen Ket-
ten von Drath geflochten, Schwerdter, Standarten,
Hellebarden, ꝛc. An den Panzern haͤngen noch die
ſammtne Baͤnder, wodurch der eherne Ueberzug an den
Gliedern befeſtigt, und gelenkſam gemacht wurde. Alle
dieſe Panzer ſind ſehr dick, und man ſieht an einem Stuͤ-
cke, wie wenig eine Kugel dadurch konnte. Man ſieht
noch deutlich, daß an den Kuͤraſſen der Vornehmern die
Schnallen und Knoͤpfe vergoldet waren. An den Sei-
ten liegen noch ganze Haufen von Granaten, groſſen und
kleinen Kugeln. In der hintern Ecke ſtehen zwei Lavet-
ten zu den groͤſten Stuͤcken, die aber verſchwunden ſind.
Pulverduͤrren, Armbruͤſte, Pfeile, Doppelhacken ꝛc. ſind
auch noch da. Zwei Marſchallsſtaͤbe mit dem graͤflichen
Wappen und der Jahrszahl 1598. ſind noch jetzt ſehr
ſchoͤn. Unter dieſen Sachen liegen auch die Stuͤcke zu
einer Geldmuͤnze, und es ſind Stempel zu Dukaten und
zu Thalern da. Ferner kan man hier ein Schlos ſehen,
das ſechs maſſive Vorſchlaͤge hat, die alle Ein Schluͤſſel
auf einmal ſchließt. Oben haͤngt ein ausgebaͤlgtes Kalb,
das vor mehr als zehn Jahren mit zwei Koͤpfen geboh-
ren wurde. Von da kommt man zu Muͤhlen, die Ein
Mann mit Einem Fuß treten kan. Als vor ohngefaͤhr
15. Jahren das Waſſer in dieſer Gegend ſelten war, mahl-
te man wirklich hier oben auf der Feſtung. Unter dieſen
ſind auch zwei Roßmuͤhlen, die durch ein gemeinſchaftli-
Werk in Bewegung geſetzt werden. Neben daran iſt
ein
[256] ein Gewoͤlbe, worin man Wein, Brantewein, Speck
ꝛc. aufbewahrte. Man muß ſich dahin leuchten laſſen,
und findet alsdann oben in der Mauer nur eine ganz klei-
ne Oefnung, wo man eine ganz ungewoͤhnliche Dicke der
Mauer, auf der Seite nach Hechingen, etwa zwanzig
Schuhe, zwar vermuthen, aber nicht ganz ſehen kan.
Auf der andern Seite iſt das Gemaͤuer etwa 11. Schuh
dick. Auch kan man noch den wirklich niedlichen Back-
ofen des Kommisbeckers, und neben daran ſeine beſondre
Handmuͤhle zum Weitzen ſehen. Durchs ganze Schlos
laufen unten Kaſematten, die freilich nicht ſo ſchoͤn ſind,
als die neugebaueten, die ich auf der Feſtung Koͤnigſtein
geſehen habe, aber ſie ſind doch eine eben ſo ſichre Zuflucht
gegen alle Bomben. Auf dieſer Seite begegnet man
auch den Gefaͤngniſſen, den Pritſchen, den eiſernen Thuͤ-
ren beim Ausfall ꝛc. Auf der andern Seite iſt unter der
Kirche die kuͤhle Gruft der Erbauer. Die Kirche ſelbſt
hat, auſſer ihrem Alter, nichts erhebliches. Sehr deut-
lich kan man noch den Platz der geweſenen Kanzlei erken-
nen; darneben ſtehen unter andern Bildern und ungewiſ-
ſen Inſchriften, an der Decke eines kleinen Zimmers,
das vermuthlich das Archiv war, auch die ſimplen Por-
traite des Stammvaters der jetztlebenden Familie, und
ſeines Bruders. Dabei ſtehen folgende Worte: „Bru-
„no, Koͤnigs Wittekind des Groſſen leiblicher Bru-
„der, Herzog zu Sappen und Engern, der jetztlebenden
„Grafen von Hohenzollern Stammvater.“ An der Sei-
te ſteht die Jahrzahl 957. Man findet auch durch das
ganze Schlos Bruchſtuͤcke von genealogiſchen Anmer-
kungen, die aber oft durch den Pinſel des Maurers unle-
ſerlich gemacht worden ſind. Oben iſt die Kuͤche, das
rothe, oder das Kammerjungfernzimmer, Stuben fuͤr
die
[257] die Offizianten, und Wohnzimmer fuͤr die Herrſchaft.
Darneben Schlafſtuben, Kabinetter, Gewehrzimmer,
und in der Ecke ein Saal von neun Kreuzſtoͤcken mit ei-
nem Balkon vor dem Fenſter. Allein, alle dieſe Zimmer
ſind leer, oͤde und wuͤſte. Man ſagte mir, der Fuͤrſt
haͤtte ehemals jaͤhrlich fuͤr die Unterhaltung des Schloſ-
ſes 6000. Gulden, und einige Wagen voll Tyroler Wein
gehabt, jetzt aber habe er jaͤhrlich nur 1000. Wiener Gul-
den. Die Ausſicht auf dieſem Berge iſt zum Entzuͤcken.
Man ſieht uͤber viele Berge weg in entfernte Laͤnder, aber
nach dem Elſaß iſt die Ausſicht durch einen waldichten
Berg verdeckt. Bei hellem Wetter ſoll man, ſonderlich
am Morgen, mit einem maͤſſigen Fernrohre zweihundert
Oerter uͤberſchauen koͤnnen. Es iſt ſo hoch, daß man das
Wehen der Luft immer recht ſtark empfindet. Wind und
Donnerwetter ſollen, wie die Waͤchter erzaͤhlen, entſetzlich
in dem leeren Gebaͤude raſen. Im Winter iſt die Kaͤlte
ebenfalls auſſerordentlich ſtrenge. Der Berg hat einige
Seiten, die wegen der jaͤhen Geſtalt, und ihrer ſchwin-
delnden Hoͤhe von niemanden koͤnnen beſtiegen werden.
Man ſieht noch die Straſſe, deren man ſich ehemals mit
Kutſchen und Pferden bediente. Es iſt gemeiniglich nie-
mand oben als einige alte abgelebte Soldaten. In die-
ſem Jahrhunderte machten die Franzoſen einmal einen
reichen Fiſchzug auf Zollern. Ganze Faͤſſer von Mehl,
Wein, Ammunition ꝛc. wurden weggefuͤhrt, und auch
aus dem Zeughauſe ward manches fortgeſchleppt. Aber
ein Korps Oeſterreichiſcher Huſaren uͤberfiel ſie ploͤtzlich,
und jagte ſie auch ſo in Angſt, daß ſie das Fleiſch auf
dem Tiſche ſtehn lieſſen und den Ruͤckweg ſuchten. — Ich
verlies dieſe ſchoͤne, und nun ſo veroͤdete Hoͤhe mit dem
betruͤbten Gedanken an die menſchliche Hinfaͤlligkeit, und
Zweiter Theil. RVer-
[258] Veraͤnderlichkeit aller Dinge. Wo ſind die beruͤhmten
Stammvaͤter dieſes Hauſes? Wo ſind die kuͤhnen Er-
bauer dieſes Schloſſes? Wo ſind die ruͤſtigen Streiter,
die mit Helm und Panzer, mit Lanzen und Reiſigen
auszogen und ſich furchtbar machten? Wer kennt jetzt
noch alle die groſſen und mit Trompetenſchall ausgerufe-
nen Ritter, die im Turnier ſiegten und den Kampfpreis
erfochten? Die Ewigkeit hat ſie alle verſchlungen; die
Gemaͤlde verbleichen, die Steine verwittern, und die Na-
men verſchwinden. Wie iſt die Geſtalt aller Dinge ſeit
etlichen Jahrhunderten ſo veraͤndert worden! Deutſch-
land kennt ſeine ehemaligen Soͤhne nicht mehr, und
wenn ſie wiederkaͤmen, die ehrwuͤrdigen Helden, die zu
Tauſenden entſchlafen ſind, wuͤrden ſie dann ihr Erbland,
die Zwergennation, die unmuͤndigen Streiter, die un-
baͤrtigen Ritter, und ſo viele ausgeartete Nachkommen
noch erkennen koͤnnen? Zwar der koͤnigliche Urenkel derer,
die dieſe Felſen auffuͤhrten, iſt der Stolz Europens!
Er wuͤrde ſelbſt ſeinen grauen Vaͤtern gefallen, und er-
haͤlt noch, indes ihr Geiſt bereits unter den Sternen wan-
delt, deutſche Kraft unter den Deutſchen!
Von Hechingen nach Bahlingen iſt der Weg eben,
und weil er meiſt zwiſchen Wieſen hingeht, ſehr ange-
nehm. Koſtbare Morgen, wo ich zu Pferd, ſobald die
Sonne aufgegangen war, den erſten Duft des Tages ge-
noß, und den weiſen und guten Urheber der Natur in je-
dem Thautropfen, der am Graſe zitterte, erblickte! In
der Mitte des Wegs faͤngt ein ſchoͤnes, maͤchtiges, ſchwarz-
ſchiefriges Floͤzgebuͤrge an, das weit in das Land hinein-
geht. Bahlingen ſcheint beinahe eine einzige lange
Gaſſe zu ſeyn, ganz von Holz, unvernuͤnftig und recht
unuͤberlegt
[259] unuͤberlegt gebaut. Wenn einer eine Stadt in der Ab-
ſicht anlegen wollte, daß das geringſte Feuer ſie einmahl
ganz, wie Gera, auffreſſen ſollte, ſo koͤnnte er die Haͤu-
ſer nicht enger in einander haͤngen und verſchieben. Von
dem Geſtank, der mir entgegen kam, und mich verfolgte,
bis ich wieder in der freien offenen Natur war, will ich
gar nichts ſagen.
Von Bahlingen uͤber Schoͤmberg (ein Oeſterrei-
chiſcher Ort) nach Altingen. An dieſem Theile des
Landes haben wohl ſieben Herren Antheil, daher iſt die
Chauſſee zuweilen gemacht, zuweilen nicht. Welch ein
Weg, und welch ein ewiger Wechſel von Hoͤhen und Tie-
fen das ſei, das weiß und glaubt niemand, als der, der’s
ſelber erfahren hat. Alle Unbequemlichkeiten des rauhen
Landes, des Schwarzwaldes und der ſteinigten Ge-
buͤrge. Doch was immer fuͤr den Reiſenden das Beſte
iſt, noch uͤberall gute, ehrliche, huͤlfreiche, willige Men-
ſchen. Wo auch die Straſſe nur etliche hundert Schrit-
te durch das Wuͤrtembergiſche geht, da iſt ſie gemacht,
aber weil hier kein Sand zum Ueberfuͤhren und Ueberſchuͤt-
ten der Straſſen iſt, ſo muß man auf den bloſen, klein-
gehackten, ſpitzigen, vieleckigten, harten, und doch immer
ausweichenden, lettigen Kalkſteinen gehen, reiten und
fahren. Und doch geht hier ein ordinairer Poſtwagen
von Stuttgard uͤber Engen nach Schafhauſen, und
die Extrapoſt geht ſehr ſtark aus der Schweiz uͤber Al-
tingen.
Altingen ſelber liegt auf einer breiten, ebenen, frucht-
baren Hoͤhe, doch iſt die Gegend rauh. Man kennt hier
z. B. den Weizen nicht. Nur Spelz, Korn, Haber,
Kartoffeln, Wicken werden gebaut. Wein, Krapp und
R 2Tobak
[260] Tobak waͤchſt hier auch nicht mehr. Sonderbar iſt es,
daß nach der Verſicherung mehrerer Leute die Gerſte hier
ausraͤth. Die Altinger holen Gerſte in Rotenburg,
brauen Bier daraus, und fuͤhren es nach der Schweiz,
wo es theurer iſt, als Wein, und nehmen dafuͤr rothen
und weiſſen Schafhauſer Wein, den ich auch hier zum
erſtenmal fand. Auch iſt es ein Mangel fuͤr Altingen,
daß in der ganzen Gegend kein groſſes Waſſer iſt. Faſt
alle Haͤuſer ſind noch mit Schindeln von Tannenholz ge-
deckt. Dieſe Daͤcher ſind nur einfach, und halten doch
60-80. Jahre, wenn man nur jede Luͤcke gleich im An-
fange wieder zumacht. Sie ruͤhmen dieſe Daͤcher, weil
ſie den Schnee gar gut abhalten; aber freilich bei ent-
ſtandenem Feuer ſind ſie ſehr gefaͤhrlich, weil ſie ausein-
ander ſpringen. Ziegel koͤnnen ſie auch nicht leicht in der
Naͤhe haben, und ihre Waldungen ſind auf der Seite
nach Doneſchingen zu ſehr betraͤchtlich. Die Weiber
gingen hier alle, in einer Art von Uniform gekleidet, in
die Kirche, ſchwarz, weiſſe Hinterklappen, rothe Struͤm-
pfe und kurze Roͤcke. Das iſt eine von ihnen ſelbſt ein-
gefuͤhrte Kleiderordnung. Die kurzen Roͤcke, ſagen ſie,
waͤren zum Bergſteigen und Arbeiten bequemer und faſt
unentbehrlich.
Von dort geht der viel beſſere und angenehmere Weg
nach Duttlingen, meiſt uͤber katholiſche Doͤrfer, wo
der Kapellen, Kreuze, Wallfahrten und Bettler kein En-
de iſt. Immer eine angreifende Empfindung fuͤr mich,
im herrlichſten, fruchtbarſten Lande ſo viele Bettler! So
viel Aberglauben und Blindheit! So viel —
Man iſt hier nicht weit vom Urſprung der Donau;
bei Duttlingen fließt ſie vorbei, und ihr Anfang iſt
6. Stun-
[261] 6. Stunden davon. Vor der Stadt iſt eine Bruͤcke
daruͤber gebaut, unter welcher ſie ſchon ſehr breit und rau-
ſchend vorbeifließt, weil man in der Mitte einen Abfall
hineingebaut hat, wie in den Neckar vor Canſtatt.
Solche Plaͤtze liebe ich ungemein; am Abend war ich
beim Untergang der Sonne hier, und konnte gar nicht
wegkommen. Durch wilde Waſſer aus den Bergen wird
die Donau oͤfters ſo gros, daß ſie uͤbertritt, das ganze
Thal einnimmt und in die Stadt kommt.
In Duttlingen iſt alles noch mehr Schwarzwaͤl-
diſch, als bisher. Faſt alle Perſonen von beiderlei Ge-
ſchlecht ſind ſtarke, dicke, in der Groͤſſe mittelmaͤſſige,
aber runde, ſtammhafte Menſchen, mit geſundem Blut
und derben Fleiſch. Man heizte noch in jedem Zimmer
ein, und die Leute koͤnnen, wie alle Bauern, ſtarke Hitze
ertragen. Noch war hier kein Lattich, noch war kein Ret-
tich zu bekommen. Im Felde und Garten waren noch
ſehr wenige Bluͤten. Am Morgen war ein ſtarker Reif
und ziemlicher Froſt eingefallen. Die kleinen eßbaren
Hopfen, die in unſrer Gegend ſchon lange vorbey wa-
ren, und anfingen mit den Spargeln abzuwechſeln, fin-
gen hier erſt an. Die Viehzucht iſt betraͤchtlich in dieſem
Staͤdtchen. Ihr beſtes Brod iſt Spelzbrod. Der
Karakter der Leute iſt Offenherzigkeit, Ehrlichkeit, Mun-
terkeit, Luſtigkeit ohne Ausgelaſſenheit und Wildheit, ſelbſt
an Feiertaͤgen!
Man ſagte mir hier den naͤchſten Weg nach Coſtanz,
und ich ritt zwiſchen zwei Poſtſtraſſen, zwiſchen Engen,
Stockach und Zell am Unterſee, auf einer Straſſe,
die nur Fuhrleute machen, und die ich mir meiſtens mu-
ſte zeigen laſſen, uͤber einige Glashuͤtten, uͤber ein ade-
R 3liches
[262] liches Landgut Rocherwieſe, nach Eicheldingen in der
Graſſchaft Nellenburg. Schmal und ſteinigt iſt dieſer
Weg, und geht meiſt zwiſchen Tannen- und Birkenwaͤl-
dern hin. Die Stimme der Guckucke ertoͤnte von allen
Seiten. Das Auge erfriſchte ſich am fruͤhen Morgen
an dem herlichen Gruͤn der Thaͤler, an der waldichten
Stirne der Berge, die von weitem ihr Haupt erhoben,
und an den Stauden, die an der Seite des Wegs nun
anfingen zu bluͤhen. Doch iſt hier auch ſo kaltes Land,
daß die Schlehen, die bei uns ſchon im Maͤrz verbluͤht
hatten, nun erſt ihre Knoſpen entwickelten. Achtzig-
neunzig- auch hundertjaͤhrige Leute ſind in dieſen Gegenden
gar nicht ſelten. Ein 68jaͤhriger Mann lief vor mir her,
um mir den Weg zu zeigen, und lief uͤber eine Stunde
immer ſo ſchnell, daß das Pferd ſeinen gewohnten Reit-
trap fortgehen konnte.
In Eicheldingen trank ich zuerſt den Seewein,
d. h. weiſſer Wein, der am Bodenſee waͤchſt, und fand
da eine recht artige Nation. Katholiſch ſind ſie, aber
nicht dumm und nicht plump, vielmehr recht hoͤflich und
geſittet. Weil dieſer Ort nur noch wenige Stunden von
Coſtanz iſt, ſo wird man hier ſchon recht gut bedient,
und kan allerlei haben. Auch iſt die Sprache, die Mund-
art des Landes viel verſtaͤndlicher und angenehmer, als
im Herzogthume Wuͤrtemberg.
Noch lief der Weg uͤber einige Doͤrfer, Orſingen,
Wallwich, Stahringen, Mardelfingen ꝛc. fort, bis
ich den Bodenſee erblickte. Hier iſt meiſtens gemachte
Chauſſee, und ſchon ſchweizeriſche Proſpekte. Man
hoͤrt ſchon uͤberall in den Bergen und Waldungen die Floͤ-
ten und Schallmeien der Hirten. Man hoͤrt ſchon uͤberall
die
[263] die ſchallenden Glocken am Halſe der Kuͤhe. Die Hir-
tenbuben fallen die Reiſenden auf allerlei Art an und bet-
teln. Sie machen allerlei Kunſtſtuͤcke, ſpannen eine
Schnur uͤber die Straſſe ꝛc. Bei Stahringen verlies
ich die Straſſe, und lies mich, zufolge meines ſchriftlichen
Wegweiſers, an Guͤntingen vorbei auf einen naͤhern
Weg durch einen Wald fuͤhren. Dieſe Abweichung von
der Straſſe verſchafte mir den allerangenehmſten Anblick.
Ich ritt durch ein angenehmes Luſtwaͤldchen, und ſchickte
meinen Fuͤhrer wieder zuruͤck. Einmal konnte ich ſchon,
ehe ich aus dieſem Walde herauskam, zwiſchen zwei Berg-
ſpitzen durchſchauen, und erblickte in der Entfernung ei-
nen Theil vom Bodenſee. Aber noch viel uͤberraſchen-
der iſt das Ende des Waldes ſelber. Ploͤtzlich hoͤren die
Baͤume auf, der Weg zieht ſich krumm herum, ſie ſind
auf einer Hoͤhe, ſehen hinab ins Thal, und in dieſem
Thal liegt der See, der Bodenſee, den ich ſchon einige
Tage ſuchte! Die Sonne ſchien eben mit ihrer ſanften
Pracht in das kleine deutſche Meer; die majeſtaͤtiſchen
Berge, die Staͤdte, Doͤrfer, Thuͤrme, Kloͤſter, Aeb-
teien, Fiſcherhuͤtten, Gaͤrten, Inſeln ꝛc. die in und an
dem See ſind, ſpiegelten ſich darin; ich ſah das Ziel
meiner Wuͤnſche ſchon halb vor mir, und ſtand ſo ploͤtz-
lich dabei, lange ehe ich es vermuthete. Das alles
machte ſo einen ſtarken Eindruck auf mich, daß ich laut
uͤber die Natur jauchzte, und im freudigen Jubel hinab
zum See, zu dem ſtillen, ruhigen, vertraͤglichen See
mehr flog als ritt! Da brachte mich der Weg nach Mar-
delfingen, ein Dorf, das ſchon ganz am See gebaut
iſt, und wo man ſogar das Ende des Sees, Zoll am
Unterſee, ganz deutlich erkennen kan. Nun laͤuft die
Straſſe bald naͤher, bald weiter weg vom See nach Co-
R 4ſtanz
[264]ſtanz fort. Bei Allenſpach verliert man den See aus
dem Geſicht, der Weg zieht ſich mit groſſen Kruͤmmun-
gen uͤber einen waldichten Berg hin. Auf dieſem liegt
ein Luſtſchlos, Garten und Weinberg, Haͤgenheim, das
dem Fuͤrſtbiſchoff von Coſtanz gehoͤrt, und das wegen
ſeiner hohen Lage und wegen ſeiner herlichen Ausſicht uͤber
den ganzen See, und ſelbſt in die jenſeitige ſchweizeriſche
Seite, eins der ſchoͤnſten und anmuthigſten Landhaͤuſer
ſeyn muß, die ich je geſehen habe. Sonſt ſtoſſen oft
Fruchtfelder, oft aber Rebberge bis an das Ufer des Bo-
denſees hin. Er wirft zuweilen hohe Wellen, aber er
bleibt doch in ſeinem Bette. Sein freundliches Waſſer
verheert nichts, es nuͤtzt nur.
Wurmedingen iſt der letzte Ort vor Coſtanz.
Dieſe Stadt ſelber hat nun die allervortreflichſte Lage.
Ganz am See gebaut, grade da, wo der Rhein aus
dem Bodenſee herausgeht, alſo zum Handel auſſeror-
dentlich bequem. In der Mitte zwiſchen Deutſchland,
Italien, Schweiz, Tyrol. Das Auge kan nichts
ſchoͤne[r]s ſehen, als den ſtillen See, wie ihn, in einer
zwoͤlf Stunden langen Entfernung, die Vorgebuͤrge der
Schweizeralven einſchlieſſen, und nun zu beiden Seiten
deutſche, oder ſchwaͤbiſche und ſchweizeriſche Landſchaften.
Von der ſchwaͤbiſchen Seite kommt man gleich uͤber die
Rheinbruͤcke in die Stadt. Dieſe heiſt ſo, weil ſie
uͤber den Ausfluß des Rheins gebaut iſt. Bei Rhei-
neck geht er in den See, hier unter der Coſtanzer Bruͤ-
cke geht er heraus, flieſt fort nach Schaffhauſen, macht
bei Lauffen den Rheinfall, und geht ſo immer weiter
nach Deutſchland herab.
Die Stadt Coſtanz ſelbſt iſt gros, hat viele ſchoͤne
Straſſen, meiſtens ſteinerne und hohe Haͤuſer, die nicht
alle
[265] alle ſchlecht gebaut ſind, — aber ſie iſt entvoͤlkert. Es
werden kaum 7000. Menſchen darin ſeyn, und die Stadt
koͤnnte 30000. faſſen. Es liegen nicht viel Oeſterreichi-
ſche Soldaten da, die Stadt haͤlt auch eine Buͤrgerwa-
che. Der an ſich ſehr kleine Hof des Biſchoffs iſt ge-
woͤhnlich in Mersburg. Die geiſtliche Curia gibt in der
Stadt einen Ton an, der freilich nicht jedem gefaͤllt; in
der ganzen Stadt ſind gar keine Fabriken; der Religi-
onshaß hindert gar manches, Freiheit und Aufmunterung
fehlt, viele gute Anlagen verfallen, viele Vortheile blei-
ben ungenutzt; im Volke ſcheint es, iſt etwas Kraft und
Trieb; man koͤnnte Geiſt in ſie wirken; ſie klagen dem
Fremden, daß ſie nicht ſind, was ſie werden koͤnnten
und geweſen ſind; ſie ſehen das Beiſpiel, und das Gluͤck
ihrer geſchaͤftigen Nachbarn in der Schweiz, und wuͤn-
ſchen, daß es ihnen auch ſo gut wuͤrde.
Angenehm iſt es, daß man innerhalb der Stadt,
und doch hinter der Stadt, ungeſehen, theils unten, theils
in der Hoͤhe, auf einem bedeckten hoͤlzernen Gang um die
ganze Stadt herumſpatzieren kan. Aber auch dieſen ſtil-
len Gang, der fuͤr viele Menſchen ſo angenehm iſt, laͤßt
man verfallen.
Der Damm, oder die Faͤhre, die Rheede des Bo-
denſees, wo die Schiffe anlanden und auslaufen, ge-
hoͤrt gewis zu den reizendſten Plaͤtzen, die ein Reiſender
ſehen kan. Man muß das Baumhaus in Hamburg,
das groſſe Schifferhaus in Rotterdam, und den Ha-
fen von Amſterdam freilich vergeſſen, wenn man da
ſteht; aber eben das, daß alles hier kleiner, ſtiller, ruhi-
ger iſt, das war mir hier das Anziehendſte dabei. Es
gehen immer nur ſehr wenige, und nur kleine Nachen da
R 5aus,
[266] aus, aber die Ausſicht uͤber den See nach der Schweiz
und nach Schwaben iſt vortreflich.
Das Rathhaus iſt ſo ſchlecht gebaut, als moͤglich;
iſt klein, und auſſen blau angeſtrichen.
Das ehemalige Jeſuiterkollegium iſt noch eins der
beſten Gebaͤude, und zu wuͤnſchen waͤre, daß es kuͤnftig
das Gebaͤude einer zahlreichen und wohleingerichteten
Univerſitaͤt werden moͤge, von der nicht nur die Stadt,
ſondern auch die ganze Katholiſche Kirche wahren Nutzen
ziehen koͤnnte.
Das Kaufhaus oder das ehemalige Konzilium-
haus, nicht weit vom Damm, und von dem Thore,
wo Pabſt Johannes gefangen ſas, und entwiſchte.
Unten wird nun Korn, Mehl ꝛc. verkauft. Weiter oben
ſieht man die Wohnungen der Kardinaͤle; im folgenden
Stock die Wohnung des Kaiſers Sigismund; neben
ihm wohnte der Pabſt. Man ſieht auch noch den Saal,
wo die Sitzungen gehalten worden ſind, der freilich gros,
breit, und lang genug iſt, daß das Ketzergericht da ver-
ſammelt werden konnte. Aus den Wohnzimmern iſt
das Innere ſchon laͤngſt herausgeriſſen; es war aber auch
alles nur von ſchlechtem Holz gemacht. Man ſieht oben
in einer Kammer, wo die Stadt allerlei Sachen auf be-
wahren laͤßt, auch noch zwei alte Stuͤhle, worauf der
Kaiſer und der neue Pabſt immer neben einander geſeſſen
haben. An der Eingangsthuͤre ſieht man noch den Schie-
ber, oder die Oefnung, wodurch den Kardinaͤlen das Eſ-
ſen gereicht wurde, als ſie hier Konklave hielten, und den
Pabſt MartinV. waͤhlten. Den Coſtanzer Buͤrgern
iſt dies das Wichtigſte vom ganzen Konzilium, daß in
ihrer
[267] ihrer Stadt ein Pabſt erwaͤhlet worden ſei. Davon re-
den ſie immer im Siegeston, und ich fragte immer weh-
muͤthig und traurig: Wo hat Huß geſeſſen? Wo ward
er verurtheilt? Wo verbrannt?
Die Stephanuskirche, die Paulskirche, die
Franziskanerkirche, ſind alle bunt; beſonders war,
wegen der Oſtertage, der Hochaltar der Franziskaner mit
allen moͤglichen Farben geziert. Hie und da haͤngt ein
gutes Gemaͤlde, aber es iſt alsdann gewaltig verſteckt,
und verliert viel von ſeinem Werth, unter dem Wuſt
von ſchlechten Sachen. Ueberhaupt ſcheint es, als thaͤ-
te man in dieſer Stadt fuͤr die Kunſt gar nichts. Da
muß man Coſtanz nicht mit Nuͤrnberg und Augſpurg
vergleichen. Der Fanatismus iſt deſto groͤſſer. Gan-
ze Schaaren von Maͤnnern und Weibern lagen in der
Kirche auf ihren Knien, und kuͤßten ſehr ehrerbietig den
ſteinernen Fußboden neben dem Altar.
Die Domkirche, oder das Muͤnſter von Coſtanz
iſt wirklich ſchoͤn, und meiſt nach neuem Geſchmack ge-
baut. Die Kirche iſt weis, ſehr hell, nicht zu gros, und
doch majeſtaͤtiſch. Nicht weit vom mittlern oder Haupt-
eingang ſieht man noch im Fußboden der Kirche, eine
groſſe ſteinerne Platte, die faſt 12. Schuh ins Gevierte
hat, und doch ein einziger Stein iſt. Es iſt zu bewun-
dern, wie man dieſe groſſe Platte hereingebracht hat.
Und das iſt der Stein, auf dem man dem armen Huß
die Weihung genommen hat, wie der Katholick ſagt.
Denn in dieſer Kirche geſchah die voͤllige Degradirung,
nachdem er ſchon zum Tode beſtimmt war. Unter der
Kanzel ſteht ſtatt des Fußgeſtells eine elende hoͤlzerne
Mannsfigur, die ſo monſtroͤs und unfoͤrmlich gemacht
iſt,
[268] iſt, als moͤglich, und unten in den Kopf von einem Thier,
das ich fuͤr einen Ziegenbock erkennen muſte, (aber es iſt
mit Fleiß ſo ſchlecht als moͤglich gemacht) auslaͤuft.
Der gemeine niedrigə Poͤbel ſieht das Unbild fuͤr Huſ-
ſens Figur an, ſchlaͤgt ihm eiſerne Schuhnaͤgel in den
Kopf, in die Augen, in die Bruſt, und ſpeit voll heili-
gen Eifers die Aftergeburt des raſenden Unſinns an.
Das thut der Poͤbel, aber wer ſtellte denn dieſen ſchlech-
ten Fuß unter die ſchoͤne Kanzel? Ohne Abſicht geſchah
das doch ſchwerlich bei der letztern Verſchoͤnerung der Kir-
che? Oder, wenn das Fußgeſtelle auch alt iſt, warum
wirft man nicht das ſcheusliche Denkmal der ehemaligen
Blindheit weg, und laͤßt den freiern Geiſt der Chriſtus-
religion, der Liebe athmet, und auf ſeinem Fittich Liebe
mitbringt, ſeine Fluͤgel ausbreiten, und alles umſpannen?
Im Chor dieſer Kirche, das alle moͤgliche Schoͤnheiten
hat, ſtehen auſſer der Orgel, die in der Kirche iſt, noch
zwei kleine Orgeln gegen einander uͤber an den Seiten.
Ich ſah auch da die koſtbaren Altaͤre von Silber, die
faſt ganz vergoldet ſind, und jetzt in den Feiertagen ohne
Ueberzug gezeigt wurden. Ferner einige Kruzifixe und
Leuchter, die einen Zentner, und gar viele, die einen hal-
ben Zentner ſchwer, und ganz von Silber waren. Das
ſind Stiftungen von den vorigen Biſchoͤfen. Das gan-
ze Chor iſt neugemacht, und kuͤndigt ſich mit vieler Ma-
jeſtaͤt an.
Das Dominikanerkloſter ſteht auf einer anmu-
thigen Inſel, die der Rhein macht, hat einen huͤbſchen
Garten, und nicht weit davon ſteht ein Haus mit einem
Krahne, um die ankommenden Schiffe ans Land zu zie-
hen. Dominikaner moͤchte ich eben nicht werden, aber
da
[269] da wohnen, da an manchem Morgen Sonne, Morgen-
roͤthe, Bodenſee, Schiffe, Schwaben, Schweiz,
Rhein, Berge, Schnee, Wolken, Heerden ſehen, —
das moͤchte ich, das ſaͤhe ich als eine groſſe Gluͤckſeligkeit
im Leben an!
Das Zeughaus der Stadt hat manches Stuͤck ver-
loren; doch iſt noch manches, das ich nicht erwartet haͤt-
te, darinnen. Mir waren, auſſer vielen Armaturen und
Panzern, folgende Stuͤcke merkwuͤrdig:
- 1) Der Baldachin, unter welchem Kaiſer Sigis-
mund beim Konzilium geſeſſen. Es iſt ein rothſeidner
gebluͤmter Damaſt mit Schnuͤren und Quaſten und Trod-
deln, die ebenfalls von rother Seide und Knopfmacher-
arbeit ſind. Man bewahrt das hier in einer Schachtel
zuſammengelegt, und bringt es nur alle zwei Jahre ein-
mahl an die Luft und in die Sonne. Ein merkwuͤrdiges
Stuͤck fuͤr die Geſchichte der Handwerker und Kuͤnſte.
Denn man muß daran nicht nur das feſte Gewebe, die
ſolide, ſtarke Arbeit, und den guten Geſchmack in der
Zeichnung und im Blumenwerke bewundern; ſondern
das iſt in meinen Augen noch merkwuͤrdiger, daß ſich die
Farbe ſo vollkommen und ſo vortrefflich erhalten hat.
Noch jetzt iſt das Zeug ſo ſchoͤn karmoiſinroth, als wenn
es eben aus der Fabrik oder aus dem Laden kaͤme. Oh-
ne Zweifel iſt es italiaͤniſche Arbeit, mit deutſcher oder
pohlniſcher Kochenille gefaͤrbt. Und die Schnuͤre und
Quaſten ſind ſo ſchoͤn, und ſo fein gedreht, ſo guſtoͤs, als
wenn ſie in unſern Zeiten gemacht worden waͤren. Es
ſind auch noch die Stangen da, womit der Baldachin
aufgeſchlagen und unterſtuͤtzt wurde. - 2) Ein Hagelgeſchuͤtz, wo 24. Geſchoſſe auf ein-
mahl losgeſchoſſen werden koͤnnen, um z. B. Platz zu
machen auf einer Bruͤcke. Man ſieht 36. Oefnungen in
3. Reihen, aber die unterſten 12. ſind nur blind. - 3) Steigbuͤgel, die ein Coſtanzer Buͤrger von ei-
nem Tuͤrkiſchen Baſſa erobert, und hernach hieher ge-
ſchenkt hat. Es ſind nicht nur eiſerne Staͤbe und Rin-
ge, wie an unſern Steigbuͤgeln, ſondern es ſind ganze
Stuͤcke, ſo ſchoͤn damaszirt, wie Degenklingen. - 4) Kleine Handmuͤhlen, im Nothfall.
- 5) Schilde, wenigſtens 20. Pfund ſchwer, inwen-
dig mit Leder ausgepolſtert; man ſieht den Probeſchuß
darauf. - 6) Allerlei Arten von Patrontaſchen, welche die
Alten an die Degen hingen; eine iſt ein hoͤlzernes Buͤchs-
chen zu vier Patronen. - 7) Vierſchneidige Panzerſtecher.
- 8) Armaturen, uͤblich in der Schwediſchen Bela-
gerung; da hatte man fuͤr jede Patrone eine eigne hoͤl-
zerne ovale Buͤchſe; dieſe hingen alle an Schnuͤren, ſo
daß es ein gewaltiges Geklimper geweſen ſeyn muß. Und
wenigſtens vier Klafter Lunten band man um den Leib.
Auf dem Kaufhauſe liegen noch viele hundert Zentner
Lunten, die alle durch die Erfindung und den Gebrauch
der Flintenſteine uͤberfluͤſſig wurden. - 9) Allerlei Pulverhoͤrner.
- 10) Drei von den Schweden bei der Belagerung
vergeblich abgeſchoſſene Bomben, dergleichen auch zwei
im Dom haͤngen.
Aber
[271]
Aber Sie verlangen ohne Zweifel ſchon lange, daß
ich Ihnen das erzaͤhle, was ich fuͤr die Naturgeſchichte,
fuͤr die Oekonomie, fuͤr Kuͤnſte und Handwerker, fuͤr die
Litteratur, fuͤr die Menſchenkenntnis wichtiges in Co-
ſtanz gefunden habe. Und das will ich Ihnen nun auch
ſagen.
Fuͤr die Naturgeſchichte iſt in der Stadt nichts,
als Herrn Stadtamtmann Freners Sammlung. Der
jetzige Beſitzer will ſie verkaufen. Sein Vater, der
mehr Dilettant als Kenner war, ſammelte Naturalien,
Gemaͤlde, Muͤnzen, Porzellain ꝛc. alles, was er bekom-
men konnte; manches Stuͤck iſt unendlich vielmahl da;
vollſtaͤndig iſt kein Fach, aber ſchoͤne Stuͤcke kommen in
jeder Sammlung vor. z. B.
- 1) Ein ganz rothes Stuͤck von einer groſſen Steck-
muſchel.(Pinna L.) - 2) Ein ſehr wohl erhaltener Echinus mammil-
laris L. - 3) Eine Spielart von Bulla ampulla, braun und
weisgeript. - 4) Ein Koͤrper unter dem Namen Meermelone,
den ich fuͤr eine Haarkugel halte. - 5) Eine Elendsklaue, blaulichtſchwarz.
- 6) Ein ſogenannter Durchſchlechtenſtein, den
ihm Geßner in Zuͤrich geſchickt hat. Durchſchlech-
ten iſt ein Provinzialname fuͤr Kinderblattern. Der
Stein iſt ſo gefleckt, wie das Geſicht der Kinder in jener
Krankheit. - 7) Weiſſe Korallen. — Eins der ſchoͤnſten Stuͤ-
cke, die ich je von dieſer Art der Meerkoͤrper geſehen ha-
be. Es iſt zwei Spannen lang, und hat viele in einan-
der
[272] der verſchlungene Zinken. Der Beſitzer ſchaͤtzt es auf
3. franz. Louisdors. - 8) Ein Bezoar vaccinum aus Appenzell: ſoll
auf den dortigen Alpen entſtanden ſeyn; in der Mitte liegt
der wahre Bezoar; es iſt eine durchgeſchnittene Kugel in
einer hoͤlzernen Kapſul. - 9) Ein herrlicher Dendritenmarmor, von der Ge-
gend unter Baaden in der Schweiz. An groſſen und
ungeſchliffenen Stuͤcken ſieht man, daß die feinſten Zeich-
nungen durch den ganzen Stein durchgehen. Ich er-
hielt von der Guͤte des Hrn. Stadtamtmanns ein ſchoͤnes
Stuͤck zum Geſchenk, auf welchem die feinſte Zeichnung
nicht anders ausſieht, als wenn die Natur ſelbſt die
Schweizeriſchen Gebuͤrge haͤtte malen wollen. Unten
niedriges Gebuͤſche, uͤber welches hohe Tannen in die Hoͤ-
he ſteigen. - 10) Ein ſilberner Thaler, den die Stadt noch ſchlug,
als ſie noch frei war. Conſtantia 1623. ſteht darauf. - 11) Die drei Schweizeriſchen Bundesſtifter auf
einer ſilbernen und vergoldeten Muͤnze, mit der Jahr-
zahl des erſten Anfangs 1296. Auf der andern Seite
ſind ſchon die Wappen der XIII Kantons. - 12) Ein ſilberner Nikolaus von Fluͤe: ſein Bild
und die Jahrzahl des Todes 1488, nebſt allerlei Viſio-
nen. Wir kennen dieſen Mann aus einem, wo ich nicht
irre, nicht gar alten Stuͤck des T. Merkur’s. - 13) Eine goldene Muͤnze, welche die Stadt Zuͤrich
auf Ulrich Zwinglis Tod ſchlug. Er ſtarb den be-
kannten traurigen Tod im 45. Jahr ſeines Lebens. Die
Muͤnze zeigt ſein Bildnis.
Verzeihen Sie, daß ich die Muͤnzen zu den Natu-
ralien rechne. Zwar es ſind Abbildungen, es ſind Denk-
male
[273] mahle von Menſchen, und iſt nicht immer der Menſch
das Vorzuͤglichſte in der Schoͤpfung?
Fuͤr die Oekonomie iſt in Coſtanz das Paradeis
oder der Bruͤel ſehenswerth. So heiſt die Gegend zu-
naͤchſt vor dem Thore, wodurch man auf der Schweizer
Seite nach Gottleben und Schafhauſen reiſet. Auf
der einen Seite hat man ſchon den See und den Rhein,
auf der andern die Schweiz, in der Mitte lauft die
Landſtraſſe. Das Feld iſt nun meiſtens Gartenland;
einige kleine Wieſenplaͤtze liegen darzwiſchen. Hie und
da ſtehen die Wohnungen der Gaͤrtner und ihrer Fami-
lien. Zuweilen auch eine kleine Schenke fuͤr die Coſtan-
zer, wenn ſie ſpatzieren gehen. Dann, wenn hier alles
gruͤn iſt, ſieht es ſehr ſchoͤn und angenehm aus. Ei-
nige Gartenplaͤtze gehen bis in den See hinein. Man
ſieht immer Schiffe abgehen, und ankommen. Es iſt da-
her der allgemeine Konverſationsplatz, und im Sommer
die gewoͤhnliche Promenade. Die ganze Stadt, ein
groſſer Theil der Schweiz, Turgau und Argau erhal-
ten aus dieſem Paradies alle moͤgliche Arten von Garten-
gewaͤchſen. Alle Freitage geht ein groſſes wohlbeladenes
Schiff vom Paradieſe nach Schafhauſen, und alle
Wochen geht ein andres, eben ſo groſſes, und ebenfalls
mit allen Gattungen von Gartenkraͤutern beladenes Schiff
nach Roſchach bei St. Gallen. Nur nach Roſchach
verkauft man jaͤhrlich von Martini-Tage bis Konradi-
Tag (vom 11 — 26. Nov.) blos Kappiskraut, woraus
Sauerkraut gemacht wird, fuͤr mehr als 5000 Gulden
allein aus dieſer Gegend. Und unter dieſer Summe iſt
noch das Kappiskraut nicht begriffen, was die Gaͤrt-
ner ſelber, was die Stadt, was Schwaben, Turgan ꝛc.
Zweiter Theil. Sbraucht.
[274] braucht. Aber es waͤchſt hier ſo im Ueberflus, und
wird ſo ſchoͤn, daß um ſeibige Zeit alle Wochen etliche
Schiffe abgehen. Die Gegend an ſich iſt nicht gros.
Der Spatzierplatz nimmt einen groſſen Theil davon weg,
und doch naͤhren ſich wirklich funfzig Familien, deren
Namen mir ein Gaͤrtner vorſagte, von dieſer Gaͤrtnerei.
Ein paar kleine Gartenfelder im Paradieſe ſind Ausſtat-
tung fuͤr Kinder, die ſich heirathen wollen, und ſie hei-
rathen hier mit 15. und 22. Jahren. Unter ſich machen
die Paradieſer eine eigne Nation aus; ſie heirathen
nicht in die Stadt, und Stadtkinder verheirathen ſich
hoͤchſtſelten in das Paradies. Jene funfzig Familien
machen, nach der Verſicherung des Hrn. Stadtamtmanns
Freners, uͤber 400 Menſchen aus, die alle hier woh-
nen und recht gut leben. Arbeitſam ſind die Leute im
hoͤchſten Grad. Im Sommer gehn ſie fruͤhe, ſchon um
2. Uhr aufs Feld, bauen alles mit der Hacke, mit der
Hand, nehmen ihr Eſſen und ihre Kinder mit, und
kommen vor Nachts nicht zuruͤck. Gegenwaͤrtig gilt das
Jauchert dieſes Feldes zwiſchen 1000 und 1500 Gulden.
Wenn Kappiskraut darauf gebaut wird, ſo ſetzen ſie
4800 Stuͤck auf ein Jauchert. (Das koͤnnen wir auch
an einigen Orten in der Marggrafſchaft Hachberg.)
Aber freilich nutzen ſie alsdann das Feld im Jahre nur
einmahl. Sonſt koͤnnen ſie das Feld gewoͤhnlich drei-
mahl anblumen, oder beſaͤen. Den Duͤnger dazu kau-
fen ſie zum Theil in der Stadt; doch werden ſehr viele
Jauchert vom Paradies umſonſt geduͤngt, mit einem
weiſſen Waſſermoos, das ſie aus dem Bodenſee mit
langen Stangen, an welchen vorn eiſerne Rechen ſind,
hervorziehen. Mit Erlaubnis des Oberamtmanns Rei-
chenau, in deſſen Gebiet der beſte Ort dazu iſt, fiſchen
ſie
[275] ſie dies Moos im Spaͤtjahr, drei Wochen, und jetzt im
Fruͤhjahr erlaubt man ihnen eine Woche; ſie laſſen es
erſt eine Zeitlang faulen, und fuͤhren es dann Karren-
weiſe hieher. Dadurch wird zugleich der See und der
Rhein gereinigt, und das Bette immer offen erhalten.
Zum Spargel ſoll der Boden des Paradieſes lange nicht
ſo gut ſeyn, wie die Gegend bei Ulm; aber dort waͤchſt
auch, ſo viel ich weis, das Kappiskraut nicht ſo ſchoͤn,
wie in Coſtanz. Der Nutzen dieſer Felder, und die
Menge der Leute, die ſich hier im Sommer um des Ver-
gnuͤgens willen ſammelt, iſt ſo gros, daß ein Buͤrger
dem andern 60 Gulden Zins zahlte, nur um in einem
kleinen Haͤuschen dieſen Sommer hindurch Wein ſchen-
ken zu duͤrfen.
Auf dem gruͤnen Raſenplatze, der in der Mitte iſt,
linker Hand der Straſſe, wenn man aus der Stadt
kommt, da ſoll, nach der Tradition, Huſſens Schei-
terhaufen geſtanden haben. Urkunden hat man nicht
davon, aber in ſolchen Sachen glaub’ ich der Tradition.
Iſt es nicht begreiflich. daß ſo ein grauſames, und die
Menſchheit empoͤrendes Schauſpiel auch bei aller Verfin-
ſterung der Zeiten doch immer auf viele gute Menſchen
gewirkt haben muß, und daß noch lange nachher die Vaͤ-
ter nie da vorbeigegangen ſind, ohne ihren Kindern von
dem merkwuͤrdigen Tode der zwei beruͤhmten Maͤnner aus
Boͤhmen zu erzaͤhlen? Die Reformation kam darzu,
und gab dem Urtheil uͤber Huß und Hieronymus eine
veraͤnderte Richtung. Die Proteſtanten in der Schweiz
koͤnnen fuͤr die Erhaltung dieſer betruͤbten Merkwuͤrdigkei-
ten ihrer Kirche nicht ganz unbeſorgt geweſen ſeyn. So
kam die Nachricht bis auf unſre Zeiten. Eine lange Reihe
S 2von
[276] von Jahren loͤſcht das Feuer des blinden Religionseifers
aus. Die Natur behauptet ihre Rechte wieder, die
Menſchheit fuͤhlt einen Schauer, ſo oft man ſo etwas
hoͤrt, zuletzt zeigt der Katholick den Platz ſelber, und
ſchweigt mit tauber Empfindung des Unrechts, das ſeine
Vorfahren einem frommen Manne anthaten. Ich weis
nicht, wie mir ward, als ich auf dem Platze ſtand, wo
der Trotz der Menſchen ſich neben dem Throne Gottes ei-
nen Stuhl bauen. und mit Feuerflammen dem Gewiſſen
Geſetze geben wollte. Man gibt es dieſer gewaltſamen
Hinrichtung Schuld, daß auf dieſem Platze noch jetzt
kein Gras wachſe. Aber ſo viel man ſehen kan, iſt dar-
an das ewige Laufen und Spazierengehen der Leute Schuld:
wiewohl mir die Coſtanzer ſelber ſagten, es kaͤme ihnen
ſonderbar vor, daß die bereits vor 14. Jahren in der Ab-
ſicht, Schatten zu haben, dahin gepflanzte Baͤume noch
keine ſtarke Staͤmme geworden waͤren. Damals, als
Huß verbrannt wurde, ſah freilich dieſe Gegend noch
nicht aus, wie jetzt.
Um der Kuͤnſte und Handwerker willen muß
ich Sie bitten, mit mir auf die herrliche Rheinbruͤcke
zu gehen. Sie ſteht auf lauter Pfaͤlen; ſie brannte
vor etwa hundert Jahren ab, da gaben die biſchoͤflichen
Unterthanen das Holz dazu her, und bedungen ſich dafuͤr
die Freiheit vom Bruͤckenzoll. Die Ordnung, die auf
der Bruͤcke beobachtet werden muß, ſchrieb jemand mit
einer Feder ſehr ſchoͤn in ein Kaͤſtchen, das auf der Bruͤcke
haͤngt. Man ſollte es fuͤr geſtochen oder gedruckt halten.
Der Zoll muß jaͤhrlich etwas Anſehnliches ausmachen.
Ein Reiter zahlt einen Groſchen. Das Wichtigſte auf
der Bruͤcke iſt die groſſe Muͤhle, die auf ihr ruht, und
auf
[277] auf ſie gebaut iſt. Sie hat 10. Gaͤnge zum Mahlen
der Fruͤchte, und noch 5-6. Gaͤnge zu andern Werken.
Jeder Gang hat ſein eigenes Rad; das Rad lauft zwi-
ſchen zwei Gaſſen, in jeder Gaſſe ſtehn 32. Pfaͤle, und
auf dieſen Pfaͤlen allen zuſammen genommen ruht das
ganze Werk. Auf den Pfaͤlen liegen Schwellen, und
vermittelſt dieſer Schwellen kan man die Waſſerraͤder an
dicken Seilen auf- und niederwinden. Der Spielraum
betraͤgt 9. Schuh. Im Sommer, wenn der Rhein
ſteigt, geht man mit den Raͤdern in die Hoͤhe; im Win-
ter, wenn das Waſſer klein iſt, laͤßt man ſie herab.
Sie werden oft herabgelaſſen bis auf die Eisſchemel, der-
gleichen oft im Winter welche geſchwommen kommen,
die 40-50. Schuh lang und breit ſind. Von dieſer
Einrichtung hat man ſonderlich den Vortheil, daß man
zu aller Zeit, beim hoͤchſten wie beim niedrigſten Waſſer-
ſtande mahlen kan. Es iſt eine Zwangsmuͤhle fuͤr die
Buͤrger in Coſtanz. Man mahlt um den ſogenannten
Molzer, und nur in Streitſachen wird nach dem Ge-
wichte gefragt. Auſſer dem Mahlen der Fruͤchte wird
auch Gerſte geroͤllt. Alles geſchieht auf Rechnung der
Stadt; es iſt ein eignes Muͤhlenamt deswegen niederge-
ſetzt; die Aufſicht daruͤber, was den Bau und ſeine Er-
haltung betrift, hat ein Meiſter vom Handwerk; alle
Mittwoche kommen die zwei Muͤhlherren, und meſſen
dem Beſtaͤnder den Molzer; der Muͤller muß alle Jahre
Rechnung ablegen; ſie kan in einer Woche 50-80 Vier-
tel nach dem groſſen Maas, (wo beinahe 10 Seſter auf
das Viertel gehen) abwerfen, im Winter aber oft nur
18-20. Viertel. Man ſieht auf der Bruͤcke einen Ort,
wo das Waſſer immer kaum drittehalb Mannstiefe hat,
aber auch einen, wo es 32-40. Schuhe tief iſt. In
S 3manchen
[278] manchen Jahren hat dieſe Muͤhle nach Abzug aller Un-
koſten, Bedientenlohn, und Reparaturen 2000 Gulden
abgeworfen. In dieſem Jahre, ſagt man mir, habe
man ſchon, nur ſeit dem Neujahr, 600 Gulden uͤber
den Gewinn hineinbauen muͤſſen. Man kauft dazu Ei-
chen, Tannen, Buchen aus der Schweiz und aus
Schwaben. Die andern Werke, die freilich nicht alle
beſtaͤndig arbeiten, aber, ſobald es noͤthig iſt, mit leich-
ter Muͤhe koͤnnen in Bewegung geſetzt werden, und wo-
von ich die meiſten beſchaͤftigt ſah, ſind: Schleifmuͤhle,
Bleicherwalke, Weisgerberwalke, Rothgerberei, Ge-
wuͤrzſtampfe, Waſchmaſchinen ꝛc. Man ſchleift hier
Eiſenwaaren, Aexte, Meſſer, Beile, Scheermeſſer,
Degenklingen, Federmeſſer ꝛc. kurz, alles von der Art
wird aus der Schweiz hieher geſchickt. Man hat viele
Scheiben, damit man nach Belieben gleich eine andre
einſetzen kan. Auch die Sandſteine, die man dabei
braucht, kommen aus der Schweiz. In der Bleicher-
walke wird das Tuch blos gewaſchen, es iſt keine eigent-
liche Walke, es kommt weder Seife noch Urin dazu.
Sechzehn Staͤmpfe ſchlagen in die Loͤcher. Man kan in
ein Loch vier Stuͤck grobes Tuch, oder Leinwand legen,
wovon jedes hundert Ellen hat. Acht bis zehn Stunden
bleibt das groͤbere Zeug darin liegen. Am Rade dieſer
Maſchine ſind hoͤlzerne Kuͤbel angebracht. dieſe ſchoͤpfen
Waſſer, dies Waſſer fließt in eine meſſingene Roͤhre mit
Hahnen, und aus dieſen Hahnen fließt immer, ſo viel
als noͤthig iſt, Waſſer in die Loͤcher zu. Aber freilich
ſteht im Winter dieſes Werk ſtill. In der Weisger-
berwalke waͤſcht man Hoſen, Handſchuhleder ꝛc. In
der Lohgerberei liefern die Gerber ſelber die Rinden von
Eichen und Tannen, und laſſen ſie hier ſtampfen. Sie
werden
[279] werden ziemlich ſein geſtoſſen, es ſtaͤubt gewaltig dabei.
Fuͤrs Viertel geſtampfte Rinde zahlen ſie der Muͤhle nicht
mehr als 6. Pfennige. Auſſer dieſen ſind noch andere
Maſchinen zum Waſchen und Reinigen da. In der
Gewuͤrzſtampfe ſtoͤßt man den Tyroler Kaufleuten,
oder andern Kraͤmern in der Stadt und in der Gegend,
den Pfeffer, Ingwer, oder was ſie fuͤr ein Gewuͤrz ſchi-
cken; es koͤnnen ſechs Stempel in drei Loͤcher fallen, in
wenigen Stunden ſind fuͤr ſehr wenig Geld etliche dreiſſig
Pfund geſtampft. Die Muͤhle hat ſechs Stockwerke,
ohne den auſſerordentlich hohen und geraͤumigen Dachſtuhl
dazu zu rechnen, und erſt ſeit 8. Jahren hat man unter
dieſem Dachſtuhl eine Saͤgemuͤhle erbaut, und laͤßt
das Holz auch durch das Waſſer von der Bruͤcke hinauf-
ziehen. Dabei ſind noch uͤberall auſſerordentlich viele
Werkſtuben fuͤr die Muͤhlaͤrzte im Sommer, und eigene
im Winter. In der Wohnſtube des Muͤllers ſteht am
Fenſter angeſchrieben und gemalt, daß 1684. im Februar
der Rhein und der Bodenſee zugefroren geweſen ſei, ſo
daß man die Voͤgel mit den Haͤnden greifen, und auf
dem Eis von Ueberlingen und Mersburg heruͤber lau-
fen konnte. War dieſe Muͤhle nicht der Muͤhe werth,
daß ich faſt einen ganzen Vormittag damit zubrachte, ſie
zu beſehen.
Die beſten und liebenswuͤrdigſten Menſchen. die ich
in Coſtanz kennen gelernt habe, das ſind: Ihro Excel-
lenz die Frau Geheimeraͤthin von Ramſchwag, und Hr.
Baron von Reinach, Kanonikus von Coſtanz und
Wuͤrzburg. Ich hatte an dieſe vornehme Perſonen
Addreſſe von unſrer verehrungswuͤrdigſten Praͤſidentin,
Ihro Excellenz der Frau von Hahn, nnd ich muͤßte
S 4im
[280] im hoͤchſten Grade undankbar ſeyn, wenn ich die gros-
muͤthige Liebe, und die edle Denkungsart dieſer beiden
vortreflichen Perſonen verſchweigen wollte. Herr von
Reinach iſt ohne Zweifel einer der geſcheiteſten Maͤnner
in der Stadt, frei von allen Vorurtheilen, in welchen
ſonſt die meiſten in Coſtanz aufgezogen werden, aber
die Klugheit befiehlt oft Stillſchweigen.
Bibliotheken ſind gar keine hier. Ein einziger
Buchhaͤndler iſt in der Stadt, und der darf faſt nichts
verkaufen, als die gewoͤhnlichſten Gebetbuͤcher, Quin-
que vulnerum etc. Die geiſtliche Curia wird alle-
mahl die Aufſicht uͤber die Buͤcher behalten, wenn auch
des Kaiſers Maj. die Druck- und Leſefreiheit erweitern
wird. Man hat hier Muͤhe, wenn man nur die naͤchſte
gelehrte Zeitung aus Deutſchland, z. B. die Frank-
furter bekommen will. Ich erfuhr von einem im Jure
und Hiſt. Eccleſ. ſehr geſchickten Manne, Prof. Buͤ-
zenberger, der, aller ſeiner Verdienſte ungeachtet, durch
die Allgewalt der Vorurtheile ſchon oft verlaͤumdet, ge-
hindert, und ſelbſt im Kabinet der verſtorbenen Kaiſerin
als ein irreligieuſer und profaner Menſch, ſogar als ein
Aufruͤhrer abgemalt wurde. Ach, daß es doch bald
uͤberall helle werden, und die Wahrheit uͤberall ſiegen
moͤchte!
Und nun erlauben Sie mir noch einige vermiſchte
Anmerkungen uͤber dieſe Stadt, ſo wie ſie mir beifallen.
Es iſt ein einziges Haus, die Herren Leiner hier,
die flaͤchſene Leinwand vertreiben, und auch in Genna
eine Niederlage haben. Sie kaufen den Flachs, laſſen
ihn in der Schweiz ſpinnen, weben, und am Boden-
ſee bleichen.
Eine
[281]
Eine erſtaunende und uͤberfluͤſſige Menge von Hun-
den gibts in der Stadt. Wo man an einem Hauſe an-
klopft, wird man angebellt. Beſonders lauſen die Geiſt-
lichen damit. Mancher fuͤhrt gar zwei groſſe Hunde mit
ſich, und weis im Wirthshauſe gar viel von ihren Kuͤn-
ſten zu erzaͤhlen.
Zwiſchen Coſtanz und Zurzach gehen immer Tyro-
ler und italieniſche Kaufleute hin und her.
Von der natuͤrlichen Beſchaffenheit des Bodenſees
ſelber kan ich Ihnen nicht viel ſagen. Ich erfuhr wenig,
weil hier niemand auf ſolche Dinge achtet. Es ſind Fo-
rellen, Karpfen, Krebſe darin; bei Gottleben faͤngt
man auch Aale, aber es iſt auch hier, wie uͤberall: man
faͤngt den Fiſch zur Laichzeit.
Fuͤr die wahre Kunſt der Alten ſelbſt hat man
hier oft nicht Achtung genug. Im Muͤnſter, oder im
Chor der Domkirche fand ich, daß man die ſchoͤnen
Holzſchnitzereien mit weisgelber Oelfarbe uͤberfirnißt hatte.
In der Stadt zirkulirt das deutſche Reichs- oder
Konventionsgeld, und vom Schweizeriſchen Gelde
ſieht man meiſtens St. Galler Geld, weil die Stadt
viel mit St. Gallen handelt.
Ihr Salz bekommt die Stadt aus Hall in Tyrol
uͤber Bregenz am Bodenſee.
Der meiſte Handel der Stadt iſt mit ihren Garten-
kraͤutern und mit ihrem Wein; beides geht nach Argau,
Turgau, Schwaben ꝛc.
Wenn auch der Fuͤrſtbiſchoff hier iſt, wie er ge-
genwaͤrtig war. ſo kommt doch von den Adelichen in der
Stadt niemand zur Cour, als der, dem ſie angeſagt
S 5wird.
[282] wird. Auch ſpeiſen nicht alle bei Hofe, ſondern nur die,
welche beſonders gebeten werden. Er hat einen Mar-
ſchall und zwei Kavaliers, die gewoͤhnlich am Hofe ſind.
Einige Stellen ſind wirklich unbeſetzt. Seine Reſidenz
in Mersburg, wo er auch ſeinen Kanzler hat, ſoll ſehr
ſchoͤn ſeyn. Er ſelber traͤgt das Groskreuz von Mal-
tha.
In den landuͤblichen Kalendern ſtehen die der Geiſt-
lichkeit in dieſen Laͤndern angewieſene und vorgeſchriebene
Betſtunden fuͤr das ganze Jahr, fuͤr Tag und Nacht in
einer Tabelle verzeichnet. Was muß das fuͤr Begriffe
unter den gemeinen Mann pflanzen, oder vielmehr un-
terhalten? Heißt das nicht, das opus operatum pre-
digen?
In dieſen Oſtertagen ward uͤberall ſtark getanzt,
und die Leute, beſonders die Maͤdchen, ſagten, ſie haͤt-
ten auch in der Faſtenzeit dies Vergnuͤgen ſo lange ent-
behren muͤſſen. —
Zu meinem Erſtaunen verkaufte man noch das ſchoͤn-
ſte Obſt hier, das vortreflich erhalten war. Bergamot-
ten und Borsdorfer ſahen ſo ſchoͤn aus, als wenn ſie erſt
vor einem Monate vom Baume genommen worden waͤ-
ren. Ich konnte nicht erfahren, wie das Obſt hier ſo
ſchoͤn erhalten wird, als daß es aus der Schweiz hieher
gebracht, und gar wohlfeil verkauft wird.
Vor dem Kreuzlinger Thore der Stadt Coſtanz
faͤngt gleich das Schweizeriſche Gebiet an. Das befoͤr-
dert ſehr das Ausreiſſen der Oeſterreichiſchen Soldaten,
wenn ſie von ihren Offizieren ſtreng gehalten werden, wie
ſich der Fall ereignete, als ich eben nicht weit vom Thore
war, und durch den Laͤrm aufmerkſam gemacht wurde.
Der
[283] Der Deſerteur lief vom Poſten in das Schweizeriſche Ge-
biet. Man ſchoß nach ihm, traf ihn aber nicht, und
er war frei. Zwei Offiziere gingen zu ihm, ſie konnten
ihn aber nicht wieder zuruͤckbringen.
An einem Hauſe, nahe bei dieſem Thore, ſieht man
auch noch einen in Stein ausgehauenen Kopf von Jo-
hann Huß, weil man den verfolgten Mann in dieſem
Hauſe wieder ergriff, als er aus ſeinem Gefaͤngnis ent-
ſprungen war. Hier ſoll er zum letztenmale, als Prie-
ſter der katholiſchen Kirche, die Hoſtie konſekrirt haben.
Da ergriff ihn die Tygerklaue der Verfolgung wieder, und
ſchleppte das ſchuldloſe Lamm nach der Feſtung Gottle-
ben, wo er, wie die Geſchichte ſagt, grauſam behandelt
wurde.
Der Kaiſer haͤlt hier einen Stadthauptmann, den
aber die Stadt bezahlen muß.
Das Gaſſenbetteln iſt unendlich arg, wegen der
ſchlaͤfrigen Polizei, wegen der vielen Kloͤſter, und wegen
der Lage der Stadt an der Grenze von zwei Laͤndern.
Wird in Schwaben, wie oft geſchieht, geſtreift, ſo
laͤuft das ſchlechte Geſindel nach der Schweiz und bleibt
im Durchgehen hier liegen.
Auch gemeinern Leuten muß ich’s zum Lobe nachſa-
gen: Sie geben ſich alle Muͤhe, den Fremden zu unter-
halten. Den Vernuͤnftigen thut der Verfall der Stadt
wehe.
Es iſt wohl noch eine Folge der ehemaligen Reichs-
ſtaͤdtiſchen Verfaſſung, daß die Leute hier mit groſſen
Titeln ſehr freigebig ſind.
Niemand ſagt hier Coſtnitz, durchgaͤngig redet man
von Coſtanz. Es heiſſen auch viele Leute Conſtantin.
Man
[284]
Man behauptet, daß nach der Waſſerwaage die
Rheinbruͤcke bei Coſtanz eben die Hoͤhe habe, welche
die Wuͤrtembergiſche Feſtung Hohentwiel hat. So
viel ſah ich, daß von Aicheldingen an, wo man das
Bergſchlos Twiel gegenuͤber zum erſtenmal ſieht, das
Land immer hoͤher und bergan geht.
Auch noch am letzten Abend machte ich mir das Ver-
gnuͤgen, das Sinken der Sonne, und den kommenden
Abend auf der Bruͤcke uͤber dem ſtillen See anzuſehen und
zu bewundern. Keine Sprache erreicht die praͤchtige
Feier der Natur, und keine menſchliche Kunſt kan ein
aͤhnliches Schauſpiel darſtellen. Noch waren die aͤuſſer-
ſten Schweizergebirge oben mit Schnee bedeckt. In
der Mitte waren ſie blau, und unten ſchon gruͤn. Je
weiter der Sommer kommt, deſto gruͤner werden ſie.
Zuletzt bleibt auf ihnen nicht ſo viel Schnee liegen, als
man auf einmal ſehen konnte. Ehe die Bruͤcke geſchloſ-
ſen ward, ging ich noch einmal hin, und nahm mit ſtil-
len Empfindungen Abſchied von dem ſchoͤnen See, den
eben ein purpurrother Kranz der untergehenden Sonne
umgab. Es war nicht anders, als wenn man einen
feuerrothen Guͤrtel, ein flammendes Band um den See
gezogen haͤtte.
Von Coſtanz nach Schafhauſen geht der Weg
meiſtens am Rhein hinab, wo zuweilen ganz vortrefliche
Landſchaften vorkommen. In den Doͤrfern ſieht man
uͤberall Faͤhren, Schiffe, Tonnen ꝛc. Die Schweizer
ſchaͤtzen die Entfernung nur auf 8-9. Stunden, aber es
ſind 12. von den gewoͤhnlichen. Erſt reiſet man durch
das Paradies, an der Feſtung Gottleben vorbei, wo
Huß gefangen ſas; hernach durch ein groſſes Dorf Gott-
leben,
[285]leben, durch Ermatingen, das Staͤdtchen Steckborn,
den Flecken Steinen, und das Staͤdtchen Dieſſen-
hofen.
Auf dieſem Wege ſah ich eine ſchoͤne, mir ganz neue
Spielart von Tauben, ganz weis mit ſchwarzem
Schwanze.
Das Feld iſt meiſtens ſchwerer Boden. Sie ſpan-
nen ſechs Stuͤcke Rindvieh vor jeden Pflug. Sie ziehen
aber nicht am Joch, ſondern an Stricken, die uͤber die
Bruſt und den Ruͤcken hingehn, alſo auch nicht an den
Hoͤrnern.
In Steinen iſt eine hoͤlzerne Bruͤcke uͤber den
Rhein, und auf dem Berge jenſeit des Stroms ſtehen
etliche Haͤuſer fuͤr die Hohewacht. Da ſitzt naͤmlich
immer ein Waͤchter oben, der durch einen rothen Laden
nach allen Straſſen ſehen kan. Er ſchießt mit Doppel-
haken und Stuͤcken, wenn er 6. Reiter beiſammen, oder
eine Chaiſe mit 4. Pferden von Ferne kommen ſieht. Ich
vermuthete, das geſchaͤhe deswegen, damit man einan-
der in den ſchmalen Wegen begegnete. Wenn Sie aber
die Leute in dem Staͤdtchen fragen, ſo ſagen ſie Ihnen
in ihrer groben Sprache: Nein, es ſei nur ein alter
Brauch, den man nicht wollte abkommen laſſen.
Denn wahr fand ich es gleich beim Eintritt in die ei-
gentliche Schweiz, was man mir vorher geſagt hatte.
Der vornehme und der reiche Schweizer iſt ſtolz und
grob, und das gemeine Volk iſt aͤuſſerſt vernachlaͤſſigt,
ſteckt in tiefer Unwiſſenheit, hat gemeiniglich gar keine
Sitten, ſchimpft gleich, ſetzt ſeine Ehre und Freiheit im-
mer oben an, begegnet dem Fremden kalt, iſt gar nicht
die
[286] die Nation, wie man ſie etwa auf den hoͤchſten Alpen,
und in den innerſten Thaͤlern finden moͤchte.
Man hatte noch vor vielen Fenſtern die aͤuſſern, oder
doppelten Fenſter vom Winter her, weil von der ploͤtz-
lichen Hitze und ploͤtzlichen Kaͤlte oft Winde entſtehen,
die alles durchfahren.
Viele Papil. Rhamni frangulae L. flogen in die-
ſen heiſſen Thaͤlern vor mir her.
In manchem groſſen Orte iſt nur ein Roͤhrbrun-
nen. Man kan oft kein anderes Trinkwaſſer haben,
als das, was ausm Rhein geſchoͤpft wird. Sollten
Sie das zwiſchen den Bergen und Thaͤlern der Schweiz
vermuthen? Das Rheinwaſſer kuͤhlt den Durſt nicht,
iſt hier noch ſehr hart, rauh, voll Unreinigkeiten, und
ſchwimmt voll feiner duͤnner Moosfaͤden, die gleich beim
erſten Anblicke alle Luſt benehmen.
Deſto koͤſtlicher dagegen iſt die Milch mit der Sah-
ne, die man aber doch auch nicht zu allen Stunden des
Tags, und in allen Haͤuſern haben kan. Wenn man
ſaure Milch haben will, ſo muß man dicke Milch ſa-
gen, um verſtanden zu werden.
Von der Hitze der Berge ſehen die Eewachſene meiſt
ſehr haͤßlich aus, und faſt alle Kinder ſind ſo unnatuͤr-
lich roth im Geſicht, als wenn ſie mit Mennig uͤberſtri-
chen waͤren.
Im Staͤdtchen Dieſſenhofen, 2. ſtarke Stunden
von Schafhauſen, geht eine hoͤlzerne bedeckte Bruͤcke
uͤber den Rhein, und uͤber dieſe laͤuft der Weg fort auf
der andern Seite. Man muß den Schweizern nach-
ſagen,
[287] ſagen, daß ſie das Bruͤckenbauen verſtehen. Die Noth
zwingt ſie, ſich auf dieſe Kunſt zu legen.
Schafhauſen an ſich iſt eine alte ſchlechtgebaute,
meiſt enge und bergigte Stadt. Der Ton, der unter
den Buͤrgern herrſcht, iſt erbaͤrmlich. Der dumme Stolz
ſitzt den meiſten Schweizerbuͤrgern auf der Stirne. Nach
aͤuſſrer Kultur und Politur, nach feinen Sitten und gu-
ter Lebensart, nach einem gewiſſen Maas von allgemein
verbreiteter Aufklaͤrung und Wiſſenſchaft muͤſſen Sie in
Schafhauſen nicht fragen. Der Fremde iſt der Erſte,
dem ſie es zum Vorwurf machen, daß er ein Fremder
ſei, und erſt jetzt, wie ſie ſagen, in ihr Land geſchmeckt
habe. Mir geſchah nichts Unangenehmes, aber ich ſah
wohl die Denkungsart der Leute und hoͤrte manches erzaͤh-
len, woraus ich mir gleich den Geiſt des Volks abſtra-
hiren konnte. Indeſſen iſt Schafhauſen eine reiche
Stadt. Die Buͤrger haben Geld, und das iſt es eben,
worauf ſie trotzen. Alles handelt hier; es ſind Kattun-
fabriken, ſeidene Struͤmpf- und Schnupftuͤcherfabriken
da; noch mehr aber leben ſie davon, daß wegen den Faͤl-
len, die der Rhein hier macht, alles was auf dem Stro-
me von Bregenz, Coſtanz ꝛc. herabkommt, vor der
Stadt ausgeladen, und auf der Achſe bis unter Lauffen
gefuͤhrt werden muß. Damit beſchaͤftigt ſich dann ein
groſſer Theil der Schafhaͤuſer Buͤrger. Ferner duͤrfen
auch alle andere Guͤter, die irgend woher nach der
Schweizer Grenze kommen, und in das Innre des
Landes gehen ſollen, von keinen andern Fuhrleuten, als
von Schafhaͤuſern gefuͤhrt werden. Hier muͤſſen ſelbſt
Boͤhmiſche Fuhrleute abladen, und umkehren. Sie
duͤrfen nicht weiter, und wenn ſie keine Fracht zur Ruͤck-
kehr
[288] kehr bekommen, muͤſſen ſie leer zuruͤckgehen. Und wenn
auch die Waaren unterhalb Lauffen wieder auf dem
Rhein fortgehen, ſo darf ſie doch niemand unter den
Rheinfall fuͤhren, als ein Schafhaͤuſer Fuhrmann.
Daher nennt man dieſe Stadt den Schluͤſſel zum ganzen
Schweizeriſchen Handel.
Der Rhein treibt nahe an der Stadt, da wo man
nach Lauffen geht, in der Seyleriſchen Zitzfabrike, die
Mange, wo die Zitze und Kattune geglaͤttet werden.
Es ſind dazu 4. Stangen. Unten werden groſſe Brocken
Achate eingeſetzt. die ſie aus Italien erhalten. Man
ſagte mir, ſie koͤnnten keine Mangeglaͤſer brauchen, weil
ſie leicht ſpringen. Dieſe 4. Stangen koͤnnen taͤglich 100.
Stuͤcke mangen, wovon jedes 30. Ellen hat. Man ſieht
hier die vielen ſchoͤnen bunten, und immer abwechſelnden
Zitze entſtehen, die hernach auf der Zurzacher, Baſe-
ler, Frankfurter Meſſe in alle Welt gehen. Sie faͤrb-
ten mit dem Krapp, den wir hier in Carlsruhe bauen,
und den Schweizern verkaufen. Den Glanz giebt man
dem Stuͤcke mit weiſſem Wachs, das aus Italien
kommt. — Es bedarf keiner Erinnerung, daß ich Fa-
brikanten angetroffen habe, die in der Auswelt und auf
Reiſen gelernt haben, den Schweizerſtolz mit guter Le-
bensart zu vertauſchen.
So wie ſie ihr Wachs kaufen, ſo kommt auch alle
Seide, die hier zu Tuͤchern und Struͤmpfen verarbeitet
wird, aus Italien, und zwar bekommen ſie dieſelbe ſehr
wohlfeil. Einer ſagt es dem andern nach, daß die
Maulbeerbaͤume in der Schweiz nicht fortkaͤmen. Sagt
man ihnen nun, daß dies auf Verſuche ankaͤme, daß
Triewald dieſe Baͤume in Schweden einheimiſch ge-
macht
[289] macht habe, daß ſich jede Pflanze nach und nach natura-
liſire, und an Klima, Boden, Luft und Witterung,
gleich den auswaͤrtigen Thieren, gleich den Menſchen ſel-
ber gewoͤhne, — ſo haben die Schweizer dafuͤr keinen
Sinn. Es ſind groͤſtentheils ſchwerfaͤllige Leute, die
nichts wiſſen wollen. Weil ſie einmal von Jugend auf
gehoͤrt haben, daß man dies und jenes fuͤr Geld hier oder
dort haben koͤnne, ſo ſcharren ſie nun nur Geld zuſam-
men, und ſehen gar nicht uͤber ihre Gebuͤrge weg. Weit
ſteht das Volk unter der geſchaͤftigen, regſamen Nation
der Deutſchen, und was noch gut an ihnen war, wird
durch die Miſchung mit Franzoͤſiſchem Tand nun vollends
verdorben.
Bei einem Rathsherrn Deggeler ſah ich eine kleine
Sammlung von raren Erzſtuffen: doch waren es mehr
Auslaͤndiſche, Saͤchſiſche ꝛc. dergleichen ich oft geſehen
hatte, als Einheimiſche, die ich hier ſuchte. Ich habe
aus ſeiner guͤtigen Hand ein Stuͤck Schwefelerz aus
dem Lande Wallis erhalten, und bewahre das, als ein
Andenken an Schafhauſen in meiner Sammlung. Die
beiden Herren Ammann beſitzen ein reiches und ſchoͤnes
Kabinet, das ich ohne Zweifel durch die Addreſſe eines
alten Freundes von ihnen wuͤrde geſehen haben, wenn
nicht in der Stunde, da ich meine Empfehlung hinſchick-
te, die langwierige Krankheit eines der Beſitzer ſo eine
ſchlimme Wendung genommen haͤtte, daß das ganze
Haus ſeinen Tod erwarten muſte, der nun, da ich dies
ſchreibe, ohne Zweifel ſchon lange erfolgt iſt.
Auf der andern Seite der Stadt ſieht man ein Mu-
ſter von einer ſchoͤnen Bruͤcke uͤber den Rhein. Sie iſt
von Holz, ein Sprengwerk, hat nur 2. Schwibbogen,
Zweiter Theil. Tder
[290] der Name des Baumeiſters iſt mir entfallen, man kan
in das Innre der Bruͤcke hineingehen, und ſich den Me-
chanismus zeigen laſſen, und um ihrer billigen Schonung
willen iſt es ſcharf verboten, mit mehr als 40. Zentnern
von Waaren uͤberzufahren.
Doch nun eilen Sie mit mir zum Rheinfall hinaus.
Das iſt und bleibt denn doch das Wichtigſte in dieſer gan-
zen Gegend. Gleich vor der Stadt Schafhauſen hat
der Strom einen kleinen Fall, der von verborgenen und
zum Theil ſichtbaren Klippen entſteht, wobei der Schaum
und das ſtuͤrzende Waſſer, wiewohl es gar keine betraͤcht-
liche Hoͤhe iſt, ſchon ſehr viele ſchoͤne Farben wirft im
Sonnenſchein. Um der Muͤhlen- und Fabrikenraͤder
willen, die er dort treibt, hat man noch eigene kleine
Mauern in den Strom hineingebaut. Lauffen ſelber
iſt ein kleiner Flecken, eine kleine Stunde nach deutſchem
Maas von Schafhauſen weg; da fließt der Rhein mit
vielen Kruͤmmungen hin, der Reiſende geht uͤber frucht-
bare und unfruchtbare Berge dahin, und nur eine kleine
Viertelſtunde auſſerhalb Lauffen ſtuͤrzt ſich der Rhein
uͤber hohe Klippen herab, und macht den bekannten groſ-
ſen Fall. Man hoͤrt ſchon auf der Haͤlfte des Wegs das
Getoͤſe, wie von vielen ſtark laufenden Muͤhlen. In
der Nacht kan man ihn, je nachdem der Wind weht, zu-
weilen nicht weit vom Schafhaͤuſer Thor, alſo eine
Stunde weit, hoͤren. Die obere Flaͤche, von welcher
der Strom herabfaͤllt, iſt gewis 200. Schritte breit, und
die untre, da wo der ruhige Fluß wieder anfaͤngt, unge-
faͤhr 500. Zu beiden Seiten ſtehen Berge, zwiſchen
dieſen arbeitet ſich der Strom durch. Auf dieſen Ber-
gen, die nicht ſehr hoch ſind, ſteht linker Hand noch ein
Drathzug,
[291] Drathzug, den der Rhein im Fall treiben muß. Auf
der rechten Seite ſteht ein Schlos, das in das Zuͤricher
Gebiet gehoͤrt und bewohnt wird. Man ſollte denken,
von dieſem Schloſſe oben herabgeſehen; muͤſte der Fall
noch ſchoͤner ſeyn, aber man irrt. Man kan ihn oben
nicht ganz ſehen, und ſich endlich in die Mitte, der gan-
zen Majeſtaͤt der Natur grade gegenuͤber ſtellen. Ei-
gentlich ſind vier Faͤlle nebeneinander, der fuͤnfte kleinere
iſt um des Drathzugs willen gemacht. Daß unter dem
Waſſer viele ſchreckliche Klippen, viele zackichte Spitzen
ſeyn muͤſſen, iſt augenſcheinlich. Man ſieht aber nur
noch eine groſſe Felſenſpitze, die zwiſchen dem zweiten und
dritten Fall hoch in die Hoͤhe ſteht, auſſen mit Moos be-
wachſen iſt, durch die Laͤnge der Zeit von dem unaufhoͤr-
lichen Anſchlagen des Waſſe[r]s ſchon ein groſſes Loch in
der Mitte bekommen hat, wodurch man gar deutlich ſe-
hen kan, und die wahrſcheinlich einſt gar nicht mehr vor-
handen ſeyn wird. Der Strom wird mit ſeiner ganzen
Gewalt ſo lange an ſie anſtoſſen, bis er ſie endlich ausge-
freſſen und umgeworfen hat, ſo wie vermuthlich ſchon vie-
le Felsklippen hier durch die Wuth der Wellen zerſtoͤrt
worden ſind. Indem nun das Waſſer auf die Hoͤhe
koͤmmt und herabfaͤllt, wird der ganze Strom in Schaum
verwandelt. Ich wuͤſte nicht, wie ich Ihnen kuͤrzer die
ganze Sache beſchreiben ſollte. Der ganze Rheinſtrom
wird Schaum, ſobald er dies Felſenbette erreicht hat.
Man ſieht nichts als ein Meer von der allerreinſten Milch.
Man glaubt in einen unaufhoͤrlich ſiedenden Keſſel von
Milch zu ſchauen. Dabei iſt das zartaufſtaͤubende Waſ-
ſer, das wie der allerfeinſte, duͤnnſte Rauch in die Hoͤhe
geworfen wird, und gen Himmel fliegt, ein unbeſchreib-
lich ſchoͤner Anblick. Je laͤnger man hinſieht, deſto
T 2maͤch-
[292] maͤchtiger, deſto tobender, ſo glaubt man, werde das
Sprudeln und Brauſen des hier gleichſam noch jungen
Stroms, und das iſt doch nur Betrug der Augen. Nur
bei ſehr groſſem Waſſer merkt man eine betraͤchtliche Ver-
ſtaͤrkung des Getoͤſes. An jedem hervorſtehenden Zacken
faͤhrt das Waſſer ſchrecklich in die Hoͤhe, bricht ſich, und
faͤhrt in ſich ſelber zuſammen. Es iſt nicht anders, als
wenn das ſtuͤrzende Waſſer an hundert tauſend Orten auf-
kochte, und mit groſſen Wallungen emporſieden wollte.
Scheint die Sonne in den kochenden Berg, in das Meer
von Schaum, ſo iſt nicht Einer, ſo iſt ein tauſendfaͤltiger
Regenbogen um den ganzen Fall, jeder Tropfen ſtellt ei-
nen Spiegel vor, die Bogen durchkreuzen ſich, ſie laufen
und ſchneiden in einander, flieſſen zuſammen und glaͤnzen
ſtaͤrker, theilen ſich, und werden ſchoͤner — da entſteht
eine Farbenpracht, die keine menſchliche Sprache beſchrei-
ben kan. Allen guten und empfindenden Menſchen wuͤn-
ſche ich ſo einen ſchoͤnen, und unter dem reinſten Vergnuͤ-
gen zugebrachten Nachmittag. Es ſchwebte eben ein
groſſer Schweizeriſcher Geier uͤber den Fall, und ſtieg,
als wenn er dem Werke der Natur eben ſo erſtaunt, wie
ich, zuſaͤhe, immer hoͤher und hoͤher. Man kan ſich
auch ſchon laben, wenn man mit dem Geſicht unten am
Becken, oder am Fuß des Falls eine Zeitlang verweilt,
wo das Waſſer wieder zu ſeinem waagerechten Stande
gekommen iſt. Denn da ſchwimmt der liebliche Schaum
noch in unzaͤhligen Streifen, in langen milchweiſſen Straſ-
ſen gar angenehm fort, bildet tauſend ſchoͤne Farben,
miſcht ſich langſam, verliert ſich in die kleinſte Troͤpfchen,
und geht unmerklich wieder in gruͤnlichtes Waſſer uͤber.
Um dem majeſtaͤtiſchen Falle ſo nahe zu ſeyn, als moͤg-
lich, trat ich in einen Fiſcherkahn, und fuhr uͤber den
Strom
[293] Strom hinuͤber. Als das Boot lange genug hinabgeru-
dert war, um hernach in die Diagonale zu kommen, zog
das Waſſer wenige Ruthen von der Tiefe des Falls den
Kahn auſſerordentlich ſchnell und heftig hinuͤber. Da
ſtieg ich, und ein gefaͤlliger Fremder, den ich in Schaf-
hauſen kennen lernte, aus, und wir gingen an dem
Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man uͤber
Terraſſen herab, da iſt ein kleines hoͤlzernes Haͤuschen an
der Felſenwand gebaut, in dieſes tritt man hinein, und
iſt alsdann dem Sturze des Stroms ſo nahe, als man
ohne Gefahr kommen kan. Und hier verſteht einer des
andern Worte nicht mehr — So rauſchts, ſo laͤrmts,
ſo ſchlaͤgts und donnerts hier! Man meint, mit einem
ewigen, unaufhoͤrlichen, tauſendmal wiederhallenden
Donnerwetter umgeben zu ſeyn. Man glaubt, in eine
groſſe und breite Straſſe von Milch hinab zu ſehen, die
ſich aus unerſchoͤpflichen Abgruͤnden immer mehr und
mehr ergießt. Da kan man die Millionen einzelner Pa-
rabeln von Waſſer, die auf- und unter einander entſtehen,
und im Augenblick, weggedraͤngt von andern Millionen
aufſpringender Waſſerſaͤulen, in einander flieſſen, ſelbſt
Schaum ſind und Schaum bleiben, bis ſie die Felſenbahn
hinabgeraſt ſind, unterſcheiden. Aber unmoͤglich iſt’s
auch hier, den feinen Waſſerſtaub genauer zu bemerken.
Man ſieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er ſteigt
gleich duͤnnen Wolken in die Hoͤhe, und Wolken auf
Wolken; der Wind faßt ihn, traͤgt ihn davon, und em-
pfaͤngt gleich wieder neuaufgeſtaͤubtes Waſſer, aber der
feinſte Puder iſt grober Sand gegen dieſe aͤuſſerſt ſubtili-
ſirte Waſſerkuͤgelchen. Dies alles zuſammengenommen
begeiſterte mich und meinen Gefaͤhrten. Wir wagten
etwas, das ich nicht zur Nachahmung hieher ſchreibe,
T 3etwas,
[294] etwas, das wir allerdings im jugendlichen Feuer nicht ge-
nug bedachten, das wir nachher beinahe bereueten, das
ich wenigſtens jetzt, da ich mit kuͤhlerm Blute daran den-
ke, ſchwerlich wieder thun wuͤrde. Ich hatte Luſt, an
der Felſenwand noch hoͤher hinauf zu klettern, und von
oben herab in den ſtuͤrzenden Strom zu ſchauen. Das
Haͤuschen iſt durch hoͤlzerne Stangen, die an den Klippen
zur Seite hinauflaufen, an der Wand des Berges befe-
ſtigt. Der Bediente muſte unſre beide Huͤte unten hal-
ten, weil ſie ſonſt der oben heftig wehende Wind davon
gefuͤhrt haͤtte. Ob er uns nicht auch nehmen wuͤrde,
daran dachten wir nicht. Auch fiel’s weder mir noch
meinem Freunde ein, wie wir wieder herabkommen wuͤr-
den. Voll Muth und raſcher Entſchloſſenheit kletterten
wir an den ſchmalen hoͤlzernen Stangen, hart neben dem
Sturz, noch etwa 100. Schuhe hoͤher hinauf, und ſahen
nun von oben immer deutlicher in den beſonders maͤchti-
gen erſten Wirbel, und erblickten da, was wir unten nicht
ſehen, nur vermuthen konnten, viele Felſenzacken, an
welchen das Waſſer ſchrecklich anprellt, und ſich uͤber das
Gewinde von Klippen hinuͤber arbeiten muß. Ich kan
Ihnen aber wieder nichts beſſres ſagen, als: Stellen
Sie ſich einen wellenwerfenden Ocean von ſiedender und
ſchaͤumender Milch vor. Die Luft wehte hier oben ſo
ſtark, und unſre Grundflaͤche, die wir uns ſehr breit vor-
geſtellt hatten, war ſo ſchmal, daß wir einander beim
Ueberbuͤcken und Hinabſehen abwechſeln, und einer den
andern halten muſte. Aber als ich hinab ſah in die
groſſe Szene der Natur, da nahm ſie mir alle Sprache.
Ich konnte nicht mehr jauchzen, nicht mehr Jubel und
hohen Jubel rufen, alle Sinnen vergingen, und alle Ge-
danken ſchwanden. Ganz deutlich weis ich mich noch
der
[295] der Minuten zu erinnern, wo ich wirklich nichts mehr ſah
und hoͤrte, alles Selbſtgefuͤhl verlor, und nur ſchwebend
uͤber dem prachtvollen Abgrunde hing. Ich bilde mir
ein, als ich wieder aufſah, ich hatte die Natur in ihrer
Geburtsſtunde angetroffen. So mag etwa Erde und
Meer gebrauſt, getobt, gewuͤthet haben, als die gebaͤh-
rende Natur den Rhein und den Savannah aus ih-
rem allmaͤchtigen Becken ausgoß, und ihnen dieſe Riegel,
dieſe Daͤmme, dieſe Felſenwaͤnde entgegenpflanzte!
Die Fiſche kommen ſelten ſo weit, was aber daher
koͤmmt, wird unaufhaltſam fortgeriſſen. Darneben iſt
ein Forellenfang angelegt. Auch von Sand, Schlamm,
Kies ꝛc. ſieht man nichts in der Menge von Schaum.
Die Ruͤckreiſe nahm ich uͤber die Rheiniſchen Wald-
ſtaͤtte, uͤber Lauchingen, Thuͤngen, Waldshut,
Lauffenburg, Seckingen und Rheinfelden. Eine
herrliche Straſſe; oft lange hart am Rhein hin, oft
weit davon, aber alsdann zieht ſie ſich durch die ſchoͤnſten
Felder, und uͤber kleine zu beiden Seiten mit Oertern be-
ſetzte Berge. Man ſtuͤrzte eben die Brachfelder, und
hatte oft 6. Pferde, oft 6. Ochſen, hintereinander geſpannt
am Pfluge. In die Huͤgel ſaͤen ſie Klee. Das Joch
der Ochſen iſt nur ein leichter uͤber den Nacken gebogener
Bengel zur Befeſtigung der Stricke. Der bluͤhende
Rebs verſchoͤnerte ganze Fluren. Ueberall fand ich auf
dieſer Straſſe Baadenſchen Wein, koͤſtlichen Luzerner
Kaͤſe und herrliche Milch. Die Wutach uͤberſchwemmt
oft bei Thuͤngen und Waldshut groſſe Gegenden mit
Steinen. Wegen der erſchrecklichen Hitze kam ein Don-
nerwetter, (ſchon den 20ſten April) das in den Gebuͤrgen
majeſtaͤtiſch toͤnte. Die Straſſenbettelei iſt unmaͤſſig.
T 4Die
[296] Die Hirtenbuben ſtehen auf dem Kopfe, um Geld zu
verdienen. Bei Lauffenburg iſt das Bette des Rheins
nicht weit von der Bruͤcke durch ſchreckliche Felſen von bei-
den Seiten eingezwaͤngt, und auch in der Mitte verengt,
davon entſteht ein ganz artiger Fall. Auſſerhalb der
Stadt fuͤhrt ein angenehmer Wald nach Seckingen,
das jenſeit des Rheins ſehr angenehm liegt. In Rhein-
felden ſtunden faſt vor jedem Hauſe ſchon die ſchoͤnſten
bluͤhenden gelben Veilchen. Von dort an wird das
ſchoͤnſte Land ein einziger Weinberg. Man reiſt an dem
jenſeit des Stroms liegenden Roͤmiſchen Augſt vorbei.
Eine Stunde vor Baſel kam ich im Flecken Krenzach
wieder in mein Vaterland, ſah meine Aeltern und An-
verwandte, und war nach wenigen Tagen wieder hier.
Leben Sie wohl.
Luſtreiſe
[[297]]
Luſtreiſe
von Carlsruhe nach Speier am Rhein,
im Jahr 1781.
An
Hrn. Prof. Bernoulli in Berlin.
T 5
[[298]][[299]]
Luſtreiſe
nach
Speier am Rhein.
Als ich vor einigen Jahren aus Holland zuruͤckkam,
war ich zwar auch in Speier. Aber ich hielt
mich nur wenige Stunden auf, und ſchon lange war es
in meinem Plan, einmal eine eigene Reiſe dahin zu thun.
Sie iſt nun geſchehen, und ich muß ſagen, mit groſſem
Vergnuͤgen. Laſſen Sie mich Ihnen, mein Freund,
erzaͤhlen, was ich da geſehen, gehoͤrt und erfahren habe.
Der naͤchſte Weg von Carlsruhe nach Speier iſt,
uͤber Graben, wo Poſtpferde gewechſelt werden, nach
Rheinhauſen, wo man ſich uͤber den Rhein ſetzen laͤßt;
alsdann hat man nur noch eine kleine Stunde bis zur
Stadt. Rheinhauſen iſt ein kleines unbedeutendes
Doͤrfchen, das in das Gebiet des Biſchofs von Speier,
der bekanntermaſſen in Bruchſal wohnt, gehoͤrt. Der
Rhein waͤchſt hier oͤfters in zwei Tagen ſo ſtark an, daß
die Schiffer die kleinen hoͤlzernen Bruͤcken, wo man an-
landet, ſchnell abbrechen, und an einen andern Ort ſetzen
muͤſſen. Dadurch wird der Fremde gar oft aufgehalten.
Bei der Ueberfahrt ſelber bezahlt man alles nach einer
von der Herrſchaft beſtimmten Taxe. Die Schiffer ſind
nur die Knechte der Obrigkeit. Sie muͤſſen das Geld,
das beſtimmt iſt, abliefern, und bekommen ihren Lohn.
Man
[300] Man hat hier groſſe Frachtſchiffe oder Nachen, wie
man ſie nennt. Man hat ſchon drei Kutſchen in ein
Schiff geſtellt, und drei Kerl arbeiteten ſie hinuͤber.
Die Schiffer fahren nicht in der Nacht. Licht, ſagen
ſie, koͤnne man dabei nicht brauchen. Im hoͤchſten
Nothfall, wenn ein Reiſender gar nicht warten will, wer-
den ſie von eigenen dazu beſtellten Waͤchtern aus dem
Schlaf geweckt. Oft wird die Nacht uͤber dem Strome
ſehr ſchwarz, dem Anſehen nach ſchwaͤrzer, als auf dem
Lande. Gar oft wird der Strom truͤbe. Ueberhaupt iſt
der Rhein in dieſen Gegenden bei weitem nicht mehr ſo
angenehm, ſo hell und klar, als in der Schweiz. Die
vielen kleinen Waſſer, die er aufnimmt, und die unzaͤh-
ligen Giesbaͤche, die hineinfallen, haben ihm ganz ſeine
eigene Farbe benommen. Die wildeſten Pferde ſtehen
ſtill, wenn ſie im Schiffe ſind. Einige wollen faſt im-
mer beim Ueberfahren ſaufen, und fallen dabei in den
Strom.
Der Weg von der Ueberfahrt nach der Stadt geht
jetzt noch durch kleine Suͤmpfe, und Wildniſſe. Man
arbeitet aber wirklich daran, eine Chauſſee zu machen.
Praͤchtig zeigt ſich die lang ausgedehnte Stadt von wei-
tem, und herrlich ſind die Gegenden am Rhein, beſon-
da, wo man nach Schwezingen und Mannheim reiſt.
Es ſteht dort am Rhein ein Krahn zum Ausladen der
Schiffe, den ein Bauverſtaͤndiger aus der Reichsſtadt
angegeben und gebaut hat. Die Maſchine iſt ſehr ſim-
pel, und hebt doch achtzig bis neunzig Zentner. Man
tritt ihn alsdann mit zwei Raͤdern; wenn er nicht ange-
ſchloſſen iſt, kan man ihn mit einer Hand drehen. Man
hat das Modell davon ſchon nach Maynz kommen laſſen.
Wenn
[301]
Wenn man ſich aus der Geſchichte der ſchrecklichen
Verwuͤſtungen erinnert, welche die Franzoſen in der Pfalz
und auch in Speier angerichtet haben, ſo muß man es
bewundern, daß die Stadt ſo ſchnell wieder aufgebauet
worden. Es iſt aber ein Beweis vom Wohlſtande der
Einwohner, von der Koſtbarkeit des Landes am Rhein.
Die Stadt hat ſchoͤne breite Straſſen, alle ſind gepfla-
ſtert, und man ſieht nur noch einige wenige Brandſtaͤt-
ten. Freilich ſind die neuen Haͤuſer nicht in dem Ge-
ſchmack, und mit der Pracht aufgefuͤhrt worden, wie in
Dresden; aber ſie ſind doch fuͤr Buͤrger, die ſich mehr
von der Landwirthſchaft, als von Fabriken und Handwer-
kern naͤhren, ganz gut. Man findet auch einige neu-
modige und ſchoͤne Gebaͤude. Mancher Platz wuͤrde
auch bereits uͤberbaut ſeyn, wenn nicht die beiden Reli-
gionspartheien in der Stadt, die Lutheriſche und die
Katholiſche, zuweilen wegen Ankauf der Plaͤtze und Er-
bauung der Haͤuſer in Streit geriethen. Indeſſen iſt die
Lutheriſche Kirche und Religion immer die herrſchende in
der Stadt. Es ſind hier kaum 30. katholiſche Buͤrger.
Die Gebaͤude, in welchen ſich ehemals das Kammerge-
richt verſammelte, ſehen freilich betruͤbt aus, und ſtehen
in ihren Ruinen zur Schande des Volks da, das ſo
ſchrecklich mit Feuer und Schwerd wuͤten konnte. Von
der alten Bartholomaͤuskirche ſtehen nur auch noch die
Ringmauern da, und darneben ein feſter, uralter Thurm,
dergleichen freilich jetzt keiner mehr gebaut wird. Der
Thurm hat oben ein ſteinernes gewoͤlbtes Dach.
Die Stadt liegt in einer ſo ſehr geſegneten Gegend,
daß ihr beinahe kein natuͤrliches Beduͤrfnis mangelt. Ich
habe da mit Vergnuͤgen, auch am fruͤhen Morgen, wie
ich
[302] ich gewohnt bin, kaltes Waſſer getrunken, und fand es,
wiewohl der Rhein ſo nahe iſt, ſehr ſchmackhaft. An
einigen Orten iſt das Rheinwaſſer nicht hundert Schrit-
te von der Stadt. Von Neuſtadt an der Hardt
kommt die Speierbach herab, und theilt ſich in drei
Arme. Ein Theil dieſes Waſſers laͤuft durch die tadt,
und faͤllt in den Rhein. Der andre Arm koͤmmt vor
dem Thore der Stadt zu jenem, und fließt mit im Rhein.
Alle drei Arme treiben viele Muͤhlen, laufen durch lauter
gute Felder, thun wenig Schaden, und ſind mit Kar-
pfen, Hechten, und mit einem Ueberfluß von Krebſen
verſehen. Zum Waͤſſern der Wieſen koͤnnen ſie nicht ge-
braucht werden, weil ſie zu tief laufen.
Im Rhein ſelber faͤngt man hier Karpfen, Hechte,
Salmen, Naſen, aber Krebſe ſind nicht darin. Auch
nicht in den ſogenannten Altwaſſern, dergleichen er
viele macht. Die ſtaͤrkſte Schifffahrt auf dem Rhein
geht nach Strasburg und Frankfurt. Die Schiffer
von Speier fahren nicht ſelber nach Strasburg, wohl
aber nach Frankfurt am Mayn, bis nach Maynz.
Uebrigens iſt Speier eine Stapelſtadt. Die Stras-
burger, Mannheimer und Maynzer Schiffe heiſſen
Rangſchiffe, und dieſe ſollten eigentlich alle hier ausla-
den, und drei Tage feil haben, wenn ſie naͤmlich Faſten-
ſpeiſen und Fettwaaren fuͤhren. Weil man es aber hier
nicht noͤthig hat, ſo bleiben die Guͤter im Schiffe, und
werden nicht ausgeladen. Aber die Schiffer muͤſſen dem-
ohngeachtet alles, was befohlen iſt, an die Stadt bezah-
len. Doch iſt dieſes Einkommen nicht mehr ſo betraͤcht-
lich, wie ehemals. Da man jetzt uͤberall gute Chauſſeen
hat, ſo werden auch gar viele Guͤter auf der Achſe ver-
fuͤhrt,
[303] fuͤhrt, vornehmlich im Winter die Stockfiſche ꝛc. Mit
dem Rheinwaſſer kan man auch hier nicht waͤſſern.
Sein Waſſer ſchadet vielmehr den Wieſen, wenn es aus-
lauft. Im Jahr 1758. war die ſtaͤrkſte Ueberſchwem-
mung, deren ſich alte Leute erinnern koͤnnen, und vor
wenigen Jahren war der Strom eben ſo gros, wie da-
mals. Alle Felder und Wieſen rings um die Stadt her-
um waren ein einziger See. Man hat Daͤmme von
aufgeworfener Erde zu beiden Seiten, mit Weidenbaͤu-
men eingefaßt. So lange ſie nicht durchbrechen, koſtet
ihre jaͤhrliche Unterhaltung nicht viel.
Auf den Weideplaͤtzen ſind auch einige Seen; man
nennt einen unter ihnen die Goldgrube, weil ſehr viele
Fiſche darin ſind. Zuweilen ſetzt man hinein, doch ſind
auch ſchon Fiſche durch andre Anſtalten der Natur hin-
eingekommen, die man nicht anpflanzen wollte. Im
hohen Rheinwaſſer kommen einige Arten Fiſche in den
See, und andre gehen mit dem hohen Waſſerſtande da-
von. Die Seen haben unterirdiſche Quellen. Man
weis aber hier nichts davon, daß man ſie zuweilen ab-
laſſen, austrocknen, und eine Zeitlang in Aecker ver-
wandeln ſoll.
Man kan beinahe mit Recht behaupten, daß in
Speier keine allgemeine Hungersnoth entſtehen kan.
Das Erdreich und das Waſſer ernaͤhrt die Menſchen;
man hat allerlei Feld und Boden; man hat Winter- und
Sommerfruͤchte. Die Witterung mag noch ſo unguͤn-
ſtig ſeyn, ſo geraͤth doch einiges. Mislingen die Ge-
waͤchſe auf den Feldern, ſo waͤchſt noch eine erſtaunliche
Menge von Nahrungsmitteln in den ſchoͤnen Gaͤrten, die
theils innerhalb, theils auſſer der Stadt ſind. Und,
weil
[304] weil das Domkapitel ſo viele Gefaͤlle hat, ſo kommt in
der Stadt alle Jahre ein aͤuſſerſt betraͤchtlicher Vorrath
von Frucht oder Getreide zuſammen, worein ſich Einwoh-
ner und Auswaͤrtige theilen.
Herr Stadthauptmann Grether gab mir die Zahl
der Buͤrger gegen 500, und die Zahl der Beiſaſſen oder
Hinterſaſſen uͤber 200. an.
Spelz iſt die vorzuͤglichſte Winterfrucht, die von
dieſen Leuten gebaut wird. Sie brauchen den Spelz zu
Brodmehl und zu Weismehl. Er wird auch in die nahe
liegenden Gebuͤrge verkauft, d. h. in das Elſaß, nach
Landau ꝛc. Allemal verkauft man ihn, ſo lange er
noch in Huͤlſen iſt, man verkauft niemals Kerne.
Weizen wird gar nicht gebaut. Etwas Korn
pflanzt man hier, theils im Winter, theils im Sommer,
aber doch nicht genug. Die Buͤrger muͤſſen es ſelber von
den Geiſtlichen kaufen. Es iſt naͤmlich in dieſer Reichs-
ſtadt die groſſe Niederlage von allen Zehenden und Guͤl-
den, die das Domkapitel in der ganzen Gegend zu be-
ziehen hat. Dadurch kommt eine gewaltige Menge von
Getreide hieher. Mehr als 20,000. Malter werden ge-
wis alle Jahre in die Stadt gefuͤhrt. Ein einziger Dom-
herr hat oft 1000. Malter. Man kan aber die Total-
ſumme nicht gewis beſtimmen, weil bei der katholiſchen
Geiſtlichkeit alles geheim gehalten wird. Jeder katholi-
ſche Geiſtliche hat einen Vorrath von Fruͤchten; auf dem
Wochenmarkte wird das Wenigſte davon verkauft. Es
ſind aber viele und groſſe Speicher hier, und aus dieſen
kaufen die Baͤcker und Muͤller ihr Getreide. Die Stadt
Speier haͤlt deswegen immer vier Kornmeſſer, und auſ-
ſer dieſen haben noch die Geiſtlichen ihre eigene Korn-
meſſer
[305] meſſer am Domſpeicher. Doch iſt die Menge des Ge-
treides, das die Geiſtlichkeit in der Stadt verkauft, noch
unbedeutend gegen das, was auſſerhalb der Stadt ver-
kauft wird. Sehen Sie nun in dieſen Umſtaͤnden einen
ſehr natuͤrlichen Grund, warum die Buͤrger in Speier
ſo wenig Weizen und Roggen bauen, und ihre Felder zu
andern Fruͤchten und Gewaͤchſen verwenden koͤnnen.
Auch Gerſte wird hier gebaut. Die Wintergerſte
malzt nicht ſo gut als die andre, daher braucht man ſie,
um Brod daraus zu backen. Die Sommergerſte hin-
gegen wird zum Bierbrauen verwendet.
Wenn der Acker ſchon zwei Jahre nacheinander ge-
tragen hat, ſo wird im dritten noch Haber hineingeſaͤet,
und erſt alsdann wird der Acker wieder geduͤngt.
Linſen und Erbſen pflanzt man hier faſt gar nicht.
Einige wenige Buͤrger bauen Erbſen, aber dieſe und
die Linſen kommen von Hochſtaͤdt bei Landau, und
aus andern Doͤrfern in jener Gegend.
Nachdem der Spelz, das Korn und die Gerſte von
den Aeckern abgeerndtet worden ſind, ſaͤet man noch Ruͤ-
ben in das Stoppelfeld. Es ſind lauter weiſſe Ruͤben.
Man braucht ſie im Winter um das Vieh damit zu fuͤt-
tern, und viele davon werden fuͤr Menſchen gekocht. In
den Loͤchern im Boden kan man ſie bis Faſtnachten und
oft noch laͤnger erhalten. Sie gerathen immer ſo wohl,
daß mancher Buͤrger zwanzig und mehrere Loͤcher voll
Ruͤben hat.
Gemeiner Tabak wird ſehr ſtark gepflanzt. Wenn
die Felder eben friſch geduͤngt worden ſind, ſo waͤren ſie
zu fett, um Spelz zu tragen; deswegen ſetzt man zuerſt
Zweiter Theil. UTabak
[306] Tabak hinein. Der Zentner Tabaksblaͤtter gilt 6, 7.
auch 8. Gulden. Fremde Handelsleute kaufen ihn in
der Stadt auf, doch bleibt zuweilen viel Tabak liegen.
Er geht gewoͤhnlich auf dem Rhein nach Coͤlln, doch
wird auch ein Theil davon durch die Franzoſen aufgekauft.
In der Stadt ſelber ſind zwei Tabaksfabriken, wovon
beſonders die Menzeriſche ſtarken Abſatz hat. Sie ma-
chen hier Rauch- und Schnupftabak.
Noch eine ſehr betraͤchtliche Pflanzung um Speier
herum iſt der Krapp. Hier iſt es, wo dieſer Bau an-
gefangen hat. Von Speier aus iſt die Pflanzung in
der Pfalz in alle Rheiniſche Gegenden, und auch in
die Marggrafſchaft Baaden verbreitet worden. Herr
Pfannenſchmid, der jetzt ein wuͤrdiges Mitglied des
Senats iſt, iſt der Urheber, und hat ſich dadurch ein
groſſes Vermoͤgen erworben. Ich hatte das Vergnuͤgen,
dieſen verdienten Mann auf dem Rathhauſe zu ſprechen,
weil er aber eben in der Seſſion beſchaͤftigt war, konnte
ich ſeinen Umgang nicht lange genieſſen. Er hat uns
hieher, nach Carlsruhe und Durlach ſehr viele Pflan-
zen geliefert, und dieſe haben eine unzaͤhlbare Nachkom-
menſchaft erhalten. Die allererſten Pflanzen hatte er
ſelber aus dem Elſaß bekommen. Es iſt aber keinem Zwei-
fel unterworfen, daß ſchon die Vorfahren dieſe Pflanze
gekannt haben. Sie war ſchon vor dem ungluͤcklichen
Brande hier. Nach der Einaͤſcherung verlor ſich die
Kenntnis davon. Man hatte mit der Wiederaufbauung
der Stadt zu thun, und lies die Kultur des Krapps
fahren. Daher war es den Enkeln eine ganz fremde
Pflanze, und eine neue Entdeckung. Herr Senator
Pfannenſchmid fand ſie wild wachſen, an einem Gra-
ben
[307] ben vor der Stadt, und als er ſie ausſtechen lies, fand
man greulich groſſe Wurzeln; einige waren ſo lang, als
ein Mannsarm. Vor dem Brande hatte die Gaͤrtner-
zunft das Monopolium mit dem Krapp, aber jetzt nicht
mehr. Wer Krapp pflanzen will, kan ihn bauen.
Das Feld iſt hier vorzuͤglich gut dazu, daher geht er nach
der Schweiz, nach Saͤchſen, und wird auch auf dem
Rhein verſuͤhrt. Man hat hier drei Krappmuͤhlen
erbaut. Drei Gulden gilt der Zentner von rohen Wur-
zeln, aber 30. und 32. Gulden, wenn er gemahlen wor-
den iſt. Er bleibt zwei Jahre im Boden, muß aber
auch hier im Anfange wohl geduͤngt werden. Man un-
terſcheidet hier die Roͤthe, und den eigentlichen Krapp.
Ich habe ſie nicht nebeneinander geſehen, vermuthlich
ſind es blos Spielarten, die aus der Kultur entſtanden
ſind. Wenigſtens iſt die gemeine Roͤthe ſchlechter, man
muß zu einerlei Zweck mehr Roͤthe haben als Krapp.
Die Leute bepflanzen auch groſſe Felder mit Welſch-
korn oder tuͤrkiſchem Weizen. Man braucht es zur
Maſtung der Schweine und des Gefluͤgels. Viele Doͤr-
fer, bei welchen es nicht fortkommt, holen es in Speier.
Als vor einigen Jahren Theurung in dieſen Gegenden
war, ward ſehr viel davon nach dem Wuͤrtenbergiſchen
gefuͤhrt. Die Stadt hatte ihre Magazine ſchon ange-
fuͤllt, und war auſſer Gefahr. Die Leute machten da-
mals Gries aus dem Welſchkorn, und kochten es mit
Milch zu einem Brei.
Auf den Aeckern bauen ſie Klee, den rothen, den
weiſſen und andre Gattungen. Man fuͤttert ihn friſch
dem Vieh, und maͤht ihn meiſtens zweimal; man doͤrrt
ihn aber auch, und macht Heu daraus.
U 2Vom
[308]
Vom Kohlkraut haben die Gaͤrtner ganze Stuͤcke.
Die andern Einwohner pflanzen das Kraut im Welſch-
korn, im Krapp und im Tabak. Man glaubt, daß
das Kraut im Tabak das beſte ſei. Seitdem man
einige duͤrre und trockne Jahre nach einander erlebt hat,
verdorren die rothen Grundbirnen oder Kartoffeln.
Daher zieht man jezt, wie auch in meinem Vaterlande
geſchieht, meiſtens weiſſe Kartoffeln. Ich vermuthe
freilich, daß zuletzt auch dieſe, wenn ſie nicht von Zeit
zu Zeit aus Saamen gezogen werden, abnehmen, und
ſchlechter werden muͤſſen.
Rebs pflanzt man uͤber Winter, und wenn er dann
aus den Feldern koͤmmt, ſo wird Tabak in das Feld ge-
ſetzt. Den Saamen davon preßt und ſchlaͤgt man zu
Oel, wozu vier Oelmuͤhlen vorhanden ſind, die von der
Speierbach getrieben werden.
Auch beſchaͤftigt man ſich ſehr mit Erziehung des
Mohns oder des Maagſaamens. Daraus wird ſehr
viel Oel bereitet, das, wenn es kalt geſchlagen worden
iſt, ſogar zu den Speiſen gebraucht werden kan.
Der Weinbau iſt bei Speier ſo gros nicht, als
Sie vielleicht vermuthen, weil keine Berge in der Gegend
ſind. In den Gaͤrten innerhalb der Stadt werden etwa
hundert Fuder Wein alle Jahre gewonnen, und mehr
als 200. Fuder Wein auſſerhalb der Stadt. Davon
wird das meiſte in der Stadt verzapft und getrunken,
zum Verkauf bleibt nicht viel uͤbrig. Weiſſer Wein iſt
gewoͤhnlicher, als rother. Der Speirer Wein iſt hi-
tzig, und haͤlt ſich nicht lange, wenn nicht Wein aus
den Gebuͤrgen gekauft und darunter geſchuͤttet wird. Den
Wein-
[309]Wein- oder Rebenſticher ſpuͤrt man hier nicht ſo ſtark,
wie in der Pfalz. Der weiſſe Wein hat ſehr viel erdig-
tes und fettiges im Geſchmack. Mancher wird erſt durch
den Gebuͤrgwein trinkbar. Beim Abſchied gaben mir
meine Freunde noch ſehr guten rothen und weiſſen Spei-
rer Wein zu koſten, der viel Lieblichkeit und Feuer hat-
te, nicht im Kopfſtieg, und doch nicht beſonders alt war.
Um Obſt zu bekommen, hat man ganze Baum-
ſtuͤcke angelegt. Erſtaunlich viel waͤchſt in den Gaͤrten
innerhalb der Stadt, und noch weit mehr auſſerhalb.
Es ſind die angenehmſten Spaziergaͤnge, wenn man vor
den Thoren zwiſchen dieſen Baumgaͤrten hingeht, und in
der Ferne immer den ſilbernen Fluß des Stroms im Auge
hat. Ich war im Auguſt dieſes ſehr ſchoͤnen und auſſer-
ordentlich obſtreichen Jahres da, und ich kan Ihnen die
Fuͤlle nicht beſchreiben, womit alle, alle Baͤume uͤber-
laden waren. Gar viele waren unter der Laſt zur Erde
gebeugt, und andre prangten, unterſtuͤtzt auf allen Sei-
ten mit dem Reichthum der Natur. Ich ſah uͤberall ſehr
viele gute Obſtarten, Renettes ꝛc. aus franzoͤſiſchen
Gaͤrten. Die Borsdorferaͤpfel ſind hier ſehr gewoͤhn-
lich, und faſt alle Arten von Birnen werden hier erzogen.
Wittwen erhalten ſich und ihre kleine Familien mit dem,
was ſie in den Obſt- und Weingaͤrten gewinnen. Man
hat in Speier ſchon oft 130 ſchoͤne Pflaumen fuͤr einen
Kreuzer verkauft, und zuletzt braucht man ſie doch nur
zur Maͤſtung der Schweine. Ich habe einen Mira-
bellenbaum geſehen, wo eine Frucht an der andern hing.
Nachdem alle im Hauſe zum Ekel davon gegeſſen, und
man allen Bekannten geſchenkt hatte, verkaufte man end-
lich 100. Mirabellen um 4. Kreuzer, und man erhielt
U 3noch
[310] noch von dem einzigen Baume 2. Gulden und 45. Kreu-
zer. In dieſem Jahre hatte der naͤmliche Baum wieder
ſo viele, daß man anfing, ſie zu doͤrren, und wieder auf-
gekocht waren ſie als ein Beieſſen bei Braten ſehr ſchmack-
haft. Auch hat man daran eine koͤſtliche Erquickung fuͤr
die Kranken. Weil jedermann ſo viel Obſt hat, ſo
macht man auch Cyder oder Aepfelmoſt davon; das
Maas koſtet insgemein 4. Kreuzer; im Sommer gibt
man dieſen Trank den Weingaͤrtnern, Tageloͤhnern, und
andern Handwerksleuten. Mancher Cyder iſt freilich
ſchlechter als Waſſer, weil ihn viele Leute nicht zu berei-
ten und nicht zu erhalten wiſſen. Wenn man nicht un-
ter einen Fuhrling Cyder ein Maas Branntwein mengt,
ſo haͤlt er ſich nicht. Ehemals hatte man Apfelmoſt in
der Stadt, der zwei, auch drei Jahre alt, und alsdann
vorzuͤglich gut war. Die Sommerbirnen kan man
nicht dazu brauchen, weil ſie ſchnell teig werden, deſto
beſſer ſind dieſe zum Doͤrren und Eſſen im Winter. Aus
Cyder kan man keinen Eſſig machen, und wenn das
Obſt von der Kelter, wo es ausgepreßt wurde, abgenom-
men wird, ſo freſſen es die Schweine nicht einmahl. Es
iſt zu weiter nichts mehr gut, als daß man es auf den
Miſthaufen wirft.
Die Wieſen, die der Stadt gehoͤren, liegen nach
einem Dorfe am Rhein zu, gegen Otterſtadt. Die
meiſten aber ſind uͤber den Strom, wo 5—6000. Mor-
gen aneinander ſind, lauter koſtbare Wieſen, die gewaͤſ-
ſert und zweimal gemaͤht werden koͤnnen. Aber freilich
thut der Rhein auch zuweilen groſſen Schaden.
Der Speirer Weidgang iſt ein langer Bezirk,
deſſen Umfang etwa zwei Stunden betraͤgt. Man un-
terſchei-
[311] terſcheidet die Rheinhaͤuſer Weide, die Altſpeirer
Weide vor dem Wormſer Thor, und die Haſenpfuler
Weide. Das letzte iſt der Namen einer Vorſtadt, die
viel tiefer liegt, als die Stadt ſelber. An der Rhein-
haͤuſer Weide haben alle Buͤrger Antheil, aber die bei-
den andern ſind den Einwohnern jener Vorſtaͤdte eigen.
Man hat auch in Speier ſchon von der Abſchaffung die-
ſer Almenden geredet, aber noch wollen die Buͤrger nichts
davon hoͤren. Sie wiſſen, daß in Reichsſtaͤdten das
Gute immer etwas langſamer waͤchſt, und ſpaͤter zu
Stande kommt, als in andern Verfaſſungen, wiewohl
es nicht allgemein wahr iſt. Man zaudert an andern
Orten auch, und bedenkt ſich uͤber jede Kleinigkeit oft un-
ertraͤglich lange.
Zu den Waldungen der Stadt gehoͤrt der ſogenann-
te Streitwald, worinnen Fichten, Foͤhren, Eichen,
Eſpen, Birken und andere Baͤume vorkommen. Nicht
eine einzige Tanne, das Klima iſt zu warm dazu. Ei-
chen gedeihen nicht ſonderlich, weil der Boden Sand iſt.
Man ſieht dem Walde auch noch die gewaltige Hand der
groſſen Mordbrenner an. Die Stadt laͤßt alle Jahre in
dieſem Walde Holz fuͤr das Rathhaus ſchlagen, und ſo
viel, als zu Beſoldungen noͤthig iſt, hauen. Die Buͤr-
ger muͤſſen alle ihr Holz kaufen. Von der Murz kom-
men groſſe Floͤße an, auch aus Neuburg und aus den
Pfaͤlziſchen Waldungen. Am Rheinufer iſt immer
eine ſtarke Niederlage von Holz, man kan ſicher in jedem
Jahre viel tauſend Klaftern rechnen. Daher es auch
nach dem eigenen Urtheil der Buͤrger nicht theuer iſt.
Sechs Guldeu koſtet die Klafter Buͤchenholz. Ferner
verkauft die Stadt, und auch die Hoſpitaͤler verkaufen
U 4jaͤhrlich
[312] jaͤhrlich beinahe 60,000 Stuͤck Wellen, oder Hecken-
holz; meiſt iſt es Birken- oder Weidenholz. Der ſoge-
nannte Voͤrd, eine ſchoͤne Rheininſul, hat auch huͤbſche
Waldungen und Geſtraͤuche.
Sie muͤſſen es, indem ich Ihnen das alles erzaͤhlte,
ſelbſt bemerkt haben, daß die Leute in dieſen Gegenden
eben ſo fleißig ſind, als ihr Land reich und koſtbar iſt.
Man hat hier keine Brache; die Nutzung der Felder geht
ununterbrochen fort, der Bauer arbeitet immer, und die
Erde traͤgt immer. Saat und Erndte folgt beſtaͤndig
auf einander. Ich habe Ihnen die vornehmſten Pflan-
zen genannt, nun muß ich Ihnen auch einiges vom Zu-
ſtande der Viehzucht ſagen.
Etwa hundert Buͤrger halten Pferde, kaufen oder
erziehen ſie zum Ackerbau, einige halten ſie auch um
des Fuhrwerks willen, aber Stuttereien ſind nicht da.
Weit groͤſſer iſt die Anzahl des Rindviehes in
Speier, wiewohl man mehr mit Pferden als mit Ochſen
pfluͤgt. Aber es iſt in der Stadt eine groſſe Menge Kuͤ-
he. Auf den oben genannten drei Weidgaͤngen ſind auch
drei groſſe Heerden Kuͤhe um des Hausbrauchs willen.
Butter und Kaͤſe macht ſich jede Familie ſelber, aber
Milch wird unter den Leuten in der Stadt wechſelsweiſe
verkauft.
Es iſt noch eine Heerde Schaafe vorhanden, weil
aber uͤber ihren Weidgang viel Verdruß entſtanden iſt,
ſo iſt ſie nicht mehr ſo gros, als ehemals.
Auch erziehen die Buͤrger keine Ziegen, auſſer,
wenn einer um ſeiner Geſundheit willen Ziegenmilch
trinken muß.
Hingegen
[313]
Hingegen werden ſehr viel Schweine hieher ge-
bracht, und auch viele gezogen. Im Walde iſt keine
Maſt fuͤr ſie, aber mit Welſchkorn werden auch dieſe
gemaͤſtet.
Ein ſehr erfahrner Hauswirth verſicherte mir, daß
er an ſeiner Katze einen ziemlich zuverlaͤſſigen Wetterpro-
pheten habe. Wenn es bald regnen will, ſo laͤuft ſie
im Garten, und frißt Gras. Vielleicht bedarf dieſe
Anmerkung bei manchen Leſern eine Entſchuldigung, aber
gewis nicht bei allen.
Schade iſt es, daß die Bienenzucht faſt ganz ab-
koͤmmt. In unſerm Theil von Deutſchland gruͤnt dieſer
Zweig der Landwirthſchaft faſt nirgends. Es ſcheint,
der Bauer hat zu viel mit andern Dingen zu thun. Das
Land ernaͤhret ihn leichter durch ſeine uͤbrigen Reichthuͤmer.
Auch in Speier hat man in dieſem Jahre die Be-
merkung gemacht, daß alle Erſcheinungen im Thier- und
Pflanzenreiche fruͤher waren, als ſonſt. Acht Tage vor
Jakobitag verkaufte Hr. Rektor Hutten ſchon ganze
Koͤrbe voll von ſeinen blauen Trauben am Hausgelaͤnder.
Auch ſollen in dieſem Jahre die Stoͤrche viel fruͤher weg-
gezogen ſeyn, als ſonſt. Sollte man nicht daraus den
Schluß machen duͤrfen, daß wir nach dieſem heiſſen Som-
mer fruͤhe Kaͤlte bekommen werden?
Fuͤr die Mineralogie iſt in Speier nichts wichtiges,
als das Kabinet des Hrn. von la Roche. Dieſer lie-
benswuͤrdige Mann, der vorher Geh. Staatsrath am
Trieriſchen Hofe war, lebt nun hier fuͤr ſich in den Ar-
men ſeiner vortreflichen Gemahlin, der bekannten ſchoͤnen
Schriftſtellerin, die der Stolz und die Zierde von Deutſch-
U 5land
[314]land iſt. Er lebt im Schooſſe ſeiner Familie, die zwar
zum Theil ſchon in der Welt zerſtreut iſt, und im Hauſe
eines eben ſo ſchaͤtzungswerthen und einſichtsvollen Man-
nes, des Hrn. Baron und Domherrn von Hohenfeldt.
Sie koͤnnen nicht glauben, mit welcher edeln, zaͤrtlichen
und ſuͤſſen Freundſchaft dieſe drei gleich ehrwuͤrdige Per-
ſonen mit einander in philoſophiſcher Ruhe leben. In
langer Zeit habe ich nicht drei Menſchen von ſo herrlichem
Karakter beiſammen gefunden. Die feinen Empfindun-
gen der Frau von la Roche ſind aus ihren Schriften
bekannt. Aber ſo gros auch das Bild war, das ich mir
von dieſer Dame phantaſirte, als ich nur die Sternheim
geleſen hatte, ſo uͤbertraf ſie doch weit meine Erwartung.
Meine Mutter und dieſe vortrefliche Dame waren in ih-
rer erſten Jugend Geſpielinnen geweſen, aber ſeit vielen
Jahren waren ſie durch die Schickſale ihrer Eltern, und
durch ihre eigene Verbindungen ganz von einander getrennt
worden. Dieſer kleine Umſtand war ein groſſes Gluͤck
fuͤr mich. Er diente mir zur Empfehlung bei einer Da-
me, die mehr wahre und brauchbare Einſichten, und doch
weniger Schein davon hat, als alle gelehrte Frauenzim-
mer, die ich geſehen habe, und als ein ganzes Tauſend
von meinem Geſchlecht. Wie eine Minute gehen viele
Stunden in ihrem Umgange hin. So ganz ohne Praͤ-
tenſion, ohne die geringſte Begierde zu ſchimmern, zu
glaͤnzen, und was noch mehr iſt, ohne mit der unglaub-
lichen Seuche unſers Zeitalters, mit der Empfindſam-
keit, wie die meiſten Frauenzimmer, behaftet zu ſeyn!
Ihr heller maͤnnlicher Verſtand, ihr lebhafter Witz, ihre
Gabe der Unterhaltung, ihr Gefuͤhl fuͤr Freundſchaft und
Liebe, ihr thaͤtiger Geiſt, ihr groſſes und viel faſſendes
Herz, das in jeder Mine ausgedruckt iſt, ihre einnehmen-
de
[315] de Sprache, ihr richtiges und freimuͤthiges Urtheil, die-
ſe und noch viele andere Vorzuͤge erheben ſie in meinen
Augen uͤber unzaͤhlige Perſonen von ihrem Geſchlecht, die
entweder nicht werden wollen, was ſie ſeyn koͤnnten, oder
kleine Vorzuͤge durch groſſe Thorheiten wieder verdunkeln.
O, daß doch alle Toͤchter und junge Frauen in Deutſch-
land bei Madame von la Roche in die Schule gehen,
und auf ihr erhabenes Muſter ſehen moͤchten! Ihr Ge-
mahl und ſein wuͤrdiger Freund ſtudiren beſonders den
mineralogiſchen Theil der Naturgeſchichte, und haben
eine ſehenswerthe und zahlreiche Sammlung von Eiſen-
ſtufen aus den Churtrierſchen Landen zuſammengebracht.
Ich will Ihnen nur einige von den vornehmſten Stuͤcken
nennen, wie wohl ich ſelber nicht glaube, daß ich alle Ka-
binetsſtuͤcke bemerkt habe.
- 1) Ein ganz ſchwarzer Achat. Wir haben im Vater-
lande ſchoͤne Sammlungen von Achaten. Die Spiel-
arten laufen ins Unendliche. Aber ſchwarze Stuͤ-
cke gehoͤren immer zu den groſſen Seltenheiten. - 2) Eine Eiſenſtufe mit Nadeln, die ſich bewegen.
- 3) Gar feine Eiſenſtufen mit allerlei Pyramiden und
Spitzen. - 4) Vulkaniſche Produkte aus dem Trierſchen, womit
man bauen kan. - 5) Ein Stuͤck von einem terrificirten Elephantenzahn.
Man fand den Zahn bei Koblenz, in einer Tiefe von
18. Fuß unter dem Sande. - 6) Lignum foſſile aus dem Naſſauweilburgiſchen
Land, 14. Lachter tief unter der Erde. Die Bauern
brauchen es als Brennholz. Es ſind auch Stuͤcke
da mit Schwefelkies. - 7) Auch Lignum foſſile von Horrhauſen, fuͤnf
Stunden von Koblenz. — Darunter kommen Wur-
zelſtuͤcke vor, die ſich ſchleifen laſſen. - 8) Federblei zwiſchen zwo Gangadern.
- 9) Eine Grode mit Eiſenſand — denn ſo kommen
ſie im Trierſchen vor. - 10) Langhecker Federbleiſtufen.
- 11) Noch eine aus verſoffenen Gruben, wo 14. auch 16.
Loth Silber im Zentner waren; es waren aber auch
die reichſten Silbergruben im Lande.
Man hat mir in dieſem Hauſe erlaubt, wieder zu
kommen, und Sie koͤnnen leicht denken, wie ſtolz ich auf
dieſe Erlaubnis war. Man hat das Beſte in Speier
geſehen, wenn man im la Rocheſchen Hauſe geweſen
iſt. Doch hoͤren Sie, was ich Ihnen noch von der Lit-
teratur in Speier ſagen kan.
Das Geſchlecht der Nachdrucker iſt wenigſtens hier
auch nicht unbekannt. Hr. Endteres hat ſeine Werk-
ſtaͤtte hier aufgeſchlagen. Die Prediger und Lehrer am
Gymnaſium, das nicht gros iſt, haben eine kleine Leſe-
geſellſchaft unter ſich errichtet. Der Senat hat zwei
Konſulenten, die fuͤr die Rathsherren ſtudiren muͤſſen,
und in ſchweren Faͤllen, oder in Rechtsſachen um Rath
gefraget werden. Man hat den Geiſtlichen aufgetragen,
ein neues Geſangbuch zu verfertigen, aber, wenn ich nicht
irre, ſo habe ich von gar ſonderbaren Bedingungen, die
dabei gemacht wurden, gehoͤrt, z. B. alle alte Reime
ſollten in jedem Liede beibehalten werden. Ein Prediger,
Hr. Spatz, hat vor einigen Jahren eine kleine Schrift
von der Reformationsgeſchichte der Stadt Speier be-
kannt gemacht, daruͤber ſoll viel Verdruß und Uneinig-
keit
[317] keit zwiſchen den Buͤrgern entſtanden ſeyn. Die katho-
liſche Geiſtlichkeit will mit den Lutheriſchen Buͤrgern,
Handwerkern ꝛc. nichts mehr zu thun haben, wenn die
Lutheriſche Geiſtlichkeit fortfaͤhrt, gegen ſie zu ſchreiben.
Einige, wie ich glaube, rare Buͤcher ſah ich hier:
- I) In der Rathsbibliothek. Sie ſteht auf dem
neuen Rathhauſe in einem ſchoͤnen Saal, wird von Zeit
zu Zeit vermehrt, iſt ſchon anſehnlich, und wuͤrde freilich
an Alterthuͤmern reicher ſeyn, als ſie iſt, wenn nicht bei
dem ungluͤcklichen Brande der Stadt manches im Rauch
aufgegangen waͤre. Man zeigte mir:- 1) Die Merianiſche Topographien.
- 2) Ortelii Theatrum orbis. Antwerp. 1603.
- 3) Das nuͤev Teſtament. — In der Kaiſerlichen
ſtat Speier volendet, durch Jacobum Beringer
Leviten. In Jar deß heiligen Reichtags. 1526.
— Das iſt eine deutſche Ueberſetzung des N. T.
die ein katholiſcher Dom-Vikarius, (denn das bedeu-
tet der Name Levita,) verfertigt hat. Herr Kuhl-
mann, von dem ich Ihnen bald mehr ſagen will,
hat ſie einmahl in Strasburg auf dem Troͤdelmarkt
gefunden. Ich ſchlug darinnen auf- a)Roͤm.III, 28. und wiewohl die Ueberſetzung
von einem Katholicken herruͤhrt, ſo ſtand doch das
Woͤrtlein Allein ganz deutlich im Text. - b) 1. Joh.v. 7. In Gegenwart, und unter
den Augen des Bibliothekars verglich ich dieſe Stel-
le mit Luthers Bibel, ſo wie ſie jetzt iſt, und
fand, daß die zweifelhaften Worte auch hier nicht
im Text aufgenommen waren. Es ſtand auch am
Rande kein Zeichen, keine Erinnerung an den Leſer.
Die
[318] Die ganze Stelle heißt Fol. CCVI. in ihrer
Schreibart alſo: „Dieſer iſts, der da kumpt mit
„Waſſer und Blut, Jeſus Chriſtus, nicht mit
„Waſſer allein, ſunder mit Waſſer und Blut.
„Und der Geiſt iſts, der da zuͤget, das Geiſts
„Warheit iſt, denn drey ſind, die da zuͤgen, der
„Geiſt und das Waſſer, und das Blut, un die
„drey ſind eins. So wir der Menſchen Zuͤgnis
„annehmen.“
- a)Roͤm.III, 28. und wiewohl die Ueberſetzung
- 4) Eine lateiniſche Ueberſetzung aller Pſalmen Da-
vids im Ovidiſchen Carmine elegiaco. Excu-
ſum Schmalkaldiae. 8. Vom Landgraf Moritz
von Heſſen. — Glauben Sie wohl, daß unſre Prin-
zen ſich auch noch mit lateiniſchen Verſen, und mit
Ueberſetzung ganzer bibliſcher Buͤcher beſchaͤftigen
werden? - 5) Antonini, Erzbiſchof in Florenz,Summa, etliche
kleine Folianten, 1487. und 1488. in Speier gedruckt,
von Petr. Trach, Conſularem. Die Lettern
ſind ſehr ſcharf, und die Schrift iſt noch jetzt ſehr
ſchwarz.
- II) Bei Hrn. Advokat Grether ſahe ich:
- 1) Europae totius Theatrum, per Matthiam
Quadum, Coloniae. 1596. klein Fol. mit ſchoͤnen
geſtochenen Charten. - 2) Paſquillorum Tomi duo. Eleutheropoli.
1544. kl. 8. Die aͤchten Buͤcherkenner ſchreiben im-
mer bei dieſem Titul, daß das Buch ſehr rar ſei, ver-
muthlich weil es konfiszirt wurde. - 3) Ein Manuſkript vom verſtorbenen Konrektor M.
Georg Lizel, der die ganze Aeneis des Virgils
in
[319] in griechiſche Hexameter uͤberſetzte. Es ſind 9991.
Verſe, alle ſauber und leſerlich in Quart geſchrieben.
Er war in Ulm gebohren, und ein ſehr thaͤtiger Juͤng-
ling und Mann. In Strasburg ſtudirte er 11. Jah-
re, und als er 1729 den 28. Maͤrz mit dieſem Werke
fertig war, wollte er von Strasburg nach Sachſen
gehen. Er kam aber hieher und wurde erſt Konre-
ktor, nachher Rektor. Ungefaͤhr vor 10. Jahren
ſtarb er: ſeine Wittwe zog wieder nach Ulm. Man
hat auch eine Ebraͤiſche Grammatik, und noch viele
andre Manuſkripte von ihm. Den griechiſchen Vir-
gil kaufte der jetzige Beſitzer in der oͤffentlichen Ver-
ſteigerung nach des Verfaſſers Tode. Lizel ſelber
hat den erſten Bogen davon, vermuthlich als ein Pro-
beſtuͤck, drucken laſſen. Ich habe dieſen Bogen er-
halten, und ſchreibe Ihnen hier den Titel ab: Ho-
merus Mantuanus, ſive P. Virgilii Maronis
Aeneis XII. Libris comprehenſa, et eodem
carminis genere Graece reddita. Liber I.
Cui accedit Virgilius ex Homero illuſtratus
Liber II. Opera et ſtudio Georgii Lizelii.
Spirae ex officina Göthelii, 8. 1745. Das
Werk ſollte Manibus Homeri et Virgilii ſacrum
ſeyn. Nach einer kleinen Praͤfation folgen die erſten
96 Verſe, lateiniſch und griechiſch neben einander.
Vermuthlich hofte der Verleger keinen Abſatz und lies
es liegen. Der ruͤhmliche Fleis dieſes Mannes ver-
dient es, daß ich ihn hier, in unſern Zeiten, wo die
Nation wenigſtens Mine macht, als wollte ſie die
Griechen ernſtlicher leſen, als bisher, oͤffentlich nenne.
Unſre Juͤnglinge, die jetzt mehr durch die Klaſſen ren-
nen, als darin ſitzen, damit ſie ja als unbaͤrtige Kin-
der
[320] der auf Univerſitaͤten, und nach anderthalb und zwei
Jahren zuruͤckkommen, moͤgen an dem Beiſpiel dieſes
wahren Schulmannes ſehen, wie weit man es durch
anhaltenden Fleis, und fortgeſetztes Studiren brin-
gen kan. Alle Stellen, die ich im griechiſchen Vir-
gil auſſchlug, gefielen mir wohl, und Lizel hat, ſo
viel ich beurtheilen kan, den Sinn des Dichters voll-
kommen erreicht. - 4) Von eben dieſem Manne bekam ich auch einen Bo-
gen: Hiſtoriſche Nachricht von dem Rheinwein
uͤberhaupt, und beſonders von dem Speirer und
Rulandswein. Speier, 1758. 8. Bei dieſer
Schrift unterſchreibt ſich der Verfaſſer als Mitglied
der gelehrten Geſellſchaft in Duisburg. Der Natur-
forſcher lernt freilich nicht viel aus dieſer Nachricht.
Nur muß ich anfuͤhren, daß auch in der Gegend bei
Speier Mandelbaͤume ſehr haͤufig ſind. Daher
iſt es gar laͤcherlich, was neulich ein Rezenſent in der
Allgem deutſchen Bibliothek, Th. XLVI. St. 1.
S. 255. bei Gelegenheit einer Stelle in meinen Schrif-
ten, von der Mandelkraͤhe geſagt hat, dieſer Vogel
koͤnne nicht von den Mandeln ſeinen Namen haben,
weil wir ja in unſern Gegenden keine Mandelbaͤume
haͤtten. Grade als wenn das, was nicht in Sachſen
waͤchſt, ſonſt nirgends in Deutſchland wachſen duͤrfte!
Es waͤre traurig fuͤr uns, wenn wir hier in dieſen Ge-
genden nicht ganze Koͤrbe voll Mandeln auf jedem
Markte verkaufen koͤnnten. — Von zwei Arten
Weintrauben, die in Speier haͤufig ſind, von den
ſogenannten Gaͤnsfuͤſſen und Rulandstrauben
gibt Lizel einige Nachricht. Damit Sie aber den
Geſchmack, der wenigſtens damals in dieſer Reichs-
ſtadt
[321] ſtadt herrſchte, an einer Probe kennen lernen, ſo will
ich Ihnen Lizel’s Zuſchrift an den Buͤrgermeiſter
Deines unten beſchreiben *); auf Reifen hat man’s
gern
Zweiter Theil. X
[322] gern, wenn man zuweilen Anlaß zum Lachen findet.
Von eben dieſem Manne habe ich Beſchreibung ei-
nes ſteinernen Sargs, worin eine Roͤmerin lag,
und der in Speier gefunden wurde, und auch Hiſto-
riſche Beſchreibung der Kaiſerlichen Graͤber im
Dom, wie ſie vom Jahr 1030. bis 1689. beſchaffen
geweſen. Dieſe beiden Schriften habe ich, ſeitdem
ich von Speier zuruͤckgekommen bin, noch nicht ge-
leſen. Ich kan Ihnen alſo auch davon nichts ſagen.
Auf die letztere bin ich aber ſehr begierig. - 5) Leben des beruͤhmten Chriſtoph Lehmanns,
nebſt vielen unbekannten und geheimen Nach-
richten. Von Erhard Chriſt. Bauer, erſt.
Raths-Conſul, Frankf. 1756. 8. Dabei iſt ein
Kupfer, welches das Portal am alten Dom, und die
ehemalige Inſkription des kaiſerlichen Privilegiums fuͤr
die Domkirche zu Speier vorſtellt. Dieſe Platte
iſt jetzt um ſo merkwuͤrdiger, weil man am neuen
Domgebaͤude gar nichts mehr davon ſehen kan.
Das innre Chor der Domkirche iſt dreifach, und im
mittelſten liegen unten die kaiſerlichen Leichen. Als
man den Bau ſo einrichtete, war lange ein kaiſerli-
cher Agent deswegen in Speier. Man zeigt den
Fremden weiter nichts, als den Eingang in das Ge-
woͤlbe, wo die Aſche unſrer Kaiſer ruht.
- 1) Europae totius Theatrum, per Matthiam
- III. In der Privatſammlung des Hrn. Kuhl-
manns, der am Kaufhauſe eine Bedienung hat, befin-
det ſich ſehr viel Schoͤnes. z. B.
1) Eine
[323]- 1) Eine Tabula Peutingeriana, davon das Original
in Wien iſt; ſie iſt 1. Schuh breit und 22. Schuh
lang; Ortelius in Antwerpen hat ſie geſtochen 1598,
auf Welſers Veranlaſſung. Das Original kam
mit der Bibliothek des Prinzen Eugens von Sa-
voyen nach Wien. Ueber ihre Entſtehung iſt viel
geſtritten worden. Dieſer Abdruck war in der Lizel-
ſchen Bibliothek. - 2) Noch viele Handſchriften von Mag. Georg. Lizel.
- 3) Roͤmiſche Urnen und bei Speier gefundene Roͤmi-
ſche Muͤnzen. - 4) Handſchriften von Samuel Glonerus. Dieſer
Mann war erſt Lehrer der vierten Klaſſe, als das
Gymnaſium, das jetzt in Carlsruhe iſt, noch in
Durlach war. Von dort kam er nach Stras-
burg, und ſtarb daſelbſt. Er war ein guter Freund
von Lizel, daher kaufte dieſer nach Gloner’s Tode
ſeine Papiere. In einem unter dieſen Manuſkripten
ſind alle Pſalmen in lateiniſche Verſe gebracht. Es
iſt vom Jahr 1617. In Strasburg arbeitete er
das alles, als er einmahl lange das Fieber hatte, und
dieſe Handſchrift iſt daſſelbige Exemplar, das Glo-
ner dem Markgrafen Georg Friederich uͤbergab,
oder wenigſtens vorlegte. Lizel, der eine Beſchrei-
bung von allen bekannt gewordenen lateiniſchen Dich-
tern in Deutſchland hinterlaſſen, die Hr. Kuhl-
mann auch beſitzt, ſagt von ihm, er habe auch das
Buch Hiob, und andre Stuͤcke der heiligen Schrift
eben ſo behandelt. - 5) In Schwaben iſt es ein ſehr bekanntes Spruͤch-
wort: „Nach Adam Riſens Rechenbuch;“ doch
kennen viele Rechenmeiſter das Buch gar nicht, und
tauſend Menſchen brauchen die Redensart, und haben
das Buch nie geſehen. Hr. Kuhlmann hat es, und
ich ſchrieb mir den Titul ab: Rechnung auf der
Linien und Federn, auf allerlei Handthierung,
durch Adam Riſen. Mit ſeinem Holzſchnitt
1553. Aufs new durchleſen und zurecht
bracht. kl. 8. Er war ein Deutſcher, lebte in An-
naberg, und ſeine darin gegebene Exempel ſind ſo
kuͤnſtlich und ſinnreich, daß man damals den fuͤr den
vollkommenſten Rechner hielt, der alles aufloͤſen konn-
te, was in Adam Riſens Buch ſtand. Er ſtarb
im Jahr 1559.
- 1) Eine Tabula Peutingeriana, davon das Original
Auſſer der Buͤrgerwache, womit die Thore beſetzt
werden, haͤlt die Stadt 22. Soldaten. Einige davon
ſtehen auf dem Rathhauſe. Als Kontingent zum Zwei-
bruͤckſchen Kreisregiment waͤre ſie nur 16. Mann zu ſtel-
len ſchuldig. Auſſer dieſen liegen aber hier Kaiſerliche,
Preuſſiſche, Franzoͤſiſche, Daͤniſche, Heſſiſche, Pfaͤlzi-
ſche und Zerbſter Werber. Daher die Franzoͤſiſchen
Ausreiſſer gern nach Speier laufen. Es entſtehen
aber gar oft Haͤndel und Uneinigkeiten unter ſo vielerlei
Werbern. Jeder pralt mit dem Monarchen, dem er
dient, und jeder will der vornehmſte ſeyn.
Zuletzt noch etliche Worte von Kuͤnſten und Hand-
werkern, damit Sie ſehen, daß ich auch darnach gefragt
habe. Man druckt hier muſikaliſche Noten mit Zinn
ab,
[325] ab, und es faͤllt nicht ſchlecht aus. Jetzt laͤßt das
Domkapitel fuͤr den Thurm auf dem neuen Dom eine
Glocke gieſſen, die zwiſchen 120-130. Zentner ſchwer
ſeyn ſoll. Einige alte Glocken ſollen mit eingeſchmolzen
werden. Der Kern der Glocke iſt aus gebrannten Stei-
nen gemauert. Daraus entſteht die innre Hoͤlung, oder
die Weite, der Umfang der Glocke ſelber. Daruͤber
kommt ein ſogenannter Mantel, oder Ueberzug von
Thon, der aber vollkommen austrocknen muß, ehe man
die Glocke gieſſen kan. Die Krone, welche die Glocke be-
kommen ſoll, iſt von gelbem Wachs, ebenfalls mit ei-
nem Mantel von Thon. In dieſen Thon wirft und
knetet man kleingeſtoßne Kohlen, daher ſieht er ſchwarz
aus. Im Wachs ſind die Namen und die Jahrzahlen,
welche die Glocke bekommen ſoll, eingeſchnitten. Nun
muß nothwendig beim Uebergieſſen der gluͤhenden Ma-
terie das Wachs herausſchmelzen, und dadurch wird der
Aufſatz ſo wie er ſeyn ſoll, naͤmlich hohl. Aber ein
Hauptumſtand bei der ganzen Sache iſt es, die Dicke
der Glocke zu beſtimmen. Zu dieſem Guß hat man
ein eigenes Haus und darin einen groſſen Ofen in Speier
gebaut. Die Vorbereitungen darzu waͤhren ſchon ſeit
Oſtern, und man rechnet, daß man bereits 3000. Gul-
den aufgewendet habe. Der Ofen wird mit Holzkohlen
gefeuert. Der Artilleriehauptmann, Hr. Roth von
Maynz, hat die Aufſicht und die Beſorgung uͤber-
nommen.
Sehen Sie, Lieber, das iſt das, was ich in Speier
geſehen und gehoͤrt habe. Vielleicht haͤtte ich noch mehr
erfahren, wenn mich nicht ſehr wichtige Briefe, die ich
X 3eben
[326] eben erhielt, als ich fortreiſen wollte, genoͤthigt haͤtten,
ſo bald als moͤglich, wieder zuruͤck zu kehren. Der
Rhein trug den Reiſenden auf ſeinem blauen Ruͤcken zu-
ruͤck, und ich kam von einer ſehr vergnuͤgten Reiſe wie-
der nach Hauſe. Leben Sie wohl.
Reiſe
[[327]]
Reiſe
nach St. Blaſien.
Um Michaelis 1781.
An
Hrn. Prof. Bernoulli in Berlin.
X 4
[[328]][[329]]
Reiſe
nach St. Blaſien
Ich hatte wieder fuͤr einige Wochen Freiheit. Man
erwartete den Herbſt, und ſprach mit der groͤſten
Hofnung davon. Es war noch ſo Manches in und um
mein Vaterland, das ich nicht geſehen hatte, und doch
gerne ſehen wollte. Von einigen Kloͤſtern in der Gegend
hatte ich ohnehin ſchon oft lockende Beſchreibungen gehoͤrt.
Meine Freunde erwarteten mich zu den Freuden der Wein-
leſe, die zu den angenehmſten auf dem Lande gehoͤren.
Der wieder lang genug geſeſſene Koͤrper erforderte Er-
ſchuͤtterung und ſtarke Bewegung. Die Seele, die ſeit
Oſtern immer wieder uͤber ihren gewohnten Gegenſtaͤnden
gebruͤtet hatte, flog mit Ungeduld aus den engen Waͤn-
den des Zimmers, und verlangte wieder neue Gegenſtaͤn-
de, neue Bilder, neue Menſchen, neue Ausſichten, und
neue Unterhaltungen. Dabei fuͤhlte ich es wieder ſo ſtark,
daß man im Zirkel des menſchlichen Lebens, ſo wie er
insgemein ausſieht, wahrlich nicht ſich ſelber lebt, ſondern
mehr fuͤr andre geplagt iſt, von andern abhaͤngt, von
andern uͤberall eingeſchraͤnkt wird, und eben deswegen
auch manches unſchuldige Vergnuͤgen, das die Natur
darbietet, und das von der ſchmachtenden Seele begierig
ergriffen wird, nur halb genießt. Sehen Sie da, mein
Lieber, die vielen Urſachen, warum ich mir in der Mitte
des Septembers ein Pferd ſatteln lies, und alles zu einer
X 5kleinen
[330] kleinen Spazierreiſe vorbereitete. St. Blaſien ſollte
wenigſtens erreicht werden. Wenn alsdann Witterung
und Jahrszeit es noch erlauben wuͤrden, ſo wollte ich noch
kleine Streifereien in die Schweiz machen. So lags —
ſchoͤn und leicht auszufuͤhren, eine lange Reihe von Ver-
gnuͤgungen, die ſchon in Gedanken alle um mich herum-
gauckelten — in meiner Seele, und es ging auch mei-
ſtens meinen Wuͤnſchen nach. Nur hielt ich mich unter-
weges uͤberall ſo lange auf, und blieb auch ſo lange in
dem herrlichen Stift St. Blaſien, daß ich den weitern
Plan, wieder zu den Schweizern zu gehen, aufgeben
mußte. Nun hoͤren Sie den Weg, den ich genommen
habe, damit ich mir in meine Reiſecharte manches ein-
flechten koͤnnte, das ich ſonſt nicht angetroffen haͤtte, und
ruͤſten Sie Sich auf allerlei, Oekonomiſche, Naturhi-
ſtoriſche, Litterariſche, Theologiſche und Politiſche Nach-
richten. Auch von Reliquien und heiligen Bildern, von
Moͤnchen und Nonnen werde ich Ihnen erzaͤhlen.
Da ich Landaufwaͤrts und zwar nach den hoͤchſten
Bergen, zwiſchen welchen das beruͤhmte Reichsfuͤrſtl.
Kloſter verſteckt iſt, reiſen muſte, ſo nahm ich von Carls-
ruhe die gerade Straſſe uͤber Raſtadt, Buͤhl und Ap-
penweiher nach der Reichsſtadt Offenburg. Die bei-
nahe unuͤberſehliche Flaͤche von Sand, die wir hier noch
in ziemlich groſſen Entfernungen hinter der Stadt auf
der Seite nach dem Rhein hin haben, begleiteten mich
bis zu einem Dorfe Sindsheim, das zwiſchen Buͤhl
und Appenweiher in der Mitte, alſo ſchon in der Or-
tenau, oder in einem Theil der vorderoͤſterreichiſchen
Lande liegt. Dort faͤngt, wie wir hier ſagen, der Ober-
laͤnder gute Boden an, oder die koſtbaren Felder, die
alles
[331] alles tragen, was man von ihnen verlangt, die oft im
Jahre dreimal tragen, die nach den ſchon oft gemachten
Berechnungen weit reicher ſind, und mehr tragen, als al-
le andre fuͤr fruchtbar gehaltene Striche in Deutſchland,
als ſelbſt die ſogenannte goldene Aue, und die immer
beſſer werden, je naͤher ſie der Herrſchaft Mahlberg,
Hachberg und Badenweiler kommen. Seit einigen
Jahren iſt die Kultur des Sandbodens auch auſſeror-
dentlich geſtiegen. Man hilft uͤberall dem Boden nach,
durch Duͤngung, Waͤſſerung, oͤſteres Bearbeiten und
Bepflanzen. Ich ritt beinahe von Carlsruhe bis
Sindsheim durch lauter tuͤrkiſchen Weizen, oder
Welſchkorn (Zea Linn.), und dieſe Pflanze, die den
Sandboden liebt, gerieth heuer vortreflich. So weit das
Auge oft hinauslaufen konnte, ſah ich nichts, als Welſch-
kornfelder, und freute mich der groſſen Erndte, die jetzt
eben zur Sichel reif war.
Es war gerade Sonntag, und die Bauern ſammel-
ten ſich gegen Abend in den Wirthshaͤuſern. Dabei muß
ich Ihnen ſagen, daß ich einige Reflexionen daruͤber ge-
macht habe, wie es oft moͤglich iſt, daß der Wirth, mit-
ten im groͤßten und lange anhaltenden Getuͤmmel von be-
ſoffenen und ſchreienden Bauern, doch zu ſeiner Bezah-
lung koͤmmt, wie ſeine Haushaltung bei dem taͤglichen,
meiſtens bis in die Nacht fortgeſetzten Laͤrmen doch noch
beſtehen kan, wie er bei der bekannten Untreue und Fahr-
laͤſſigkeit der Bedienten doch noch Vermoͤgen ſammeln,
und an der Wirthſchaft, die oft ſo bunt und kraus aus-
ſieht, noch gewinnen kan. Freilich gehen auf dem Lan-
de viele Haushaltungen auf dieſe Art zu Grunde, beſon-
ders wenn entweder der Mann, oder die Frau ſelber dem
Spiel
[332] Spiel oder dem Trunk ergeben iſt. Aber ich kenne doch
auch einige oͤffentliche Haͤuſer an der Straſſe, deren Be-
ſitzer reiche Maͤnner geworden ſind, und wo oft die Stu-
ben ſo ſtark mit Menſchen angefuͤllt wurden, daß der
Mann 5 — 6 Keller oder Bedienten halten mußte. Zu-
verlaͤſſig geht manches Glas Wein verlohren, die Leute
wiſſen es aber einzubringen, und rechnen andre Artickel
deſto hoͤher. Doch bleiben allemal auf dem Lande dieje-
nigen Wirthshaͤuſer die eintraͤglichſten, und auch die un-
ſchaͤdlichſten fuͤr den Staat, wo die Guͤterfuhrleute ein-
mahl gewoͤhnt ſind, uͤber Nacht zu bleiben, und wegen
ſchwerer Ladung, oder bei uͤbelm Wetter, oder, weil ſie
nun uͤber einen hohen Berg fahren muͤſſen, vom Wirth
Vorſpann zu nehmen. Dergleichen Einrichtungen naͤhren
ihren Mann am beſten. Der Wirth hat einen beſtaͤndigen
und ſichern Abſatz; denn unſre Straſſe zwiſchen Baſel,
Zurzach, Muͤllhauſen und Frankfurt, Hanau,
Maynz ꝛc. iſt beſtaͤndig mit Guͤterwagen beſetzt. Wo
dieſe einkehren, da wird auch insgemein weniger geſpielt,
und weniger geſoffen, als da, wo Bauern zuſammen-
kommen, um zu ſaufen, oder einander im betruͤgeriſchen
Spiel das Geld abzunehmen, das die Hausfrau ſo noͤ-
thig haͤtte. Ein Reiſender, der ein Reitpferd oder Kut-
ſche und Pferde bei ſich hat, muß auch, wenn dieſe gut
beſorgt werden ſollen, immer nur in dieſen groſſen Gaſt-
hoͤfen, wo Heu, Haber, Stallung und Hausknechte,
die mit Pferden umzugehen wiſſen, beſtaͤndig vorhanden
ſind, liegen bleiben, oder auch nur fuͤr einige Stunden
einkehren.
Sonſt habe ich an dieſem Tage, als bloſſer Zuſchauer
auf den oͤffentlichen Plaͤtzen wieder bemerkt, daß es gut
waͤre,
[333] waͤre, wenn man den Bauern alle Geldſpiele und Kar-
tenſpiele ſchlechterdings verboͤte. Die Trunkenheit iſt
ſchon ſchlimme Seuche genug fuͤr ſie. Dagegen hilft
aber, wie ich aus vielfaͤltiger Erfahrung weis, morali-
ſcher Unterricht und koͤrperliche Strafen faſt gar nichts,
weder in einem ganzen Dorfe, noch bei einzelnen Perſo-
nen. Man koͤnnte auch das, wiewohl ich weit entfernt
bin, des Laſters Sachwalter zu ſeyn, noch eher entſchul-
digen. Der Bauer baut das ganze Jahr in ſeinen Re-
ben, daher freut er ſich immer auf den Herbſt, und
ſchweift hernach aus in der Freude. Er arbeitet immer
harte Arbeit, und vergießt manchen Schweistropfen.
Fuͤr das alles ſoll ihn nun Wein ſchadlos halten, und
wenn dann zuweilen, wie jetzt geſchah, ſo viel eingeſam-
melt wuͤrde, daß man nicht Faͤſſer genug haͤtte, warum
ſoll ihn der Bauer nicht auch bis zur Froͤlichkeit trinken
duͤrfen? Er iſt und bleibt doch allemal der geplagteſte
Stand im ganzen Staat, und er hat allemal das erſte
Recht an das, was er mit ſeiner Haͤnde Arbeit gewon-
nen hat. Aber zur Entſchuldigung des Spielens unter
den Bauern laͤßt ſich nichts ſagen, und die damit ver-
knuͤpften ſchaͤdlichen Folgen liegen am Tage. Der ge-
meine Mann weis nicht Maas und Ziel zu halten. Im
Uebermaas der Luſtigkeit zieht er gleich die ganze Schweins-
blaſe voll Geld aus der Taſche, und ſchuͤttet es auf den
Tiſch. Er macht gleich Bruͤderſchaft mit jedem, ver-
gißt Frau, Kinder, Haushaltung, Abgaben, richtige
Beſorgung ſeines Viehes, Geſetze und Obrigkeiten. Auch
ihnen wird das Spiel gleich zur herrſchenden Leidenſchaft.
Auch unter ihnen gibt es feine Betruͤger und einſchmei-
chelnde Beutelſchneider. Auch unter ihnen entſtehen
daraus Feindſchaften, garſtige Reden, ein grenzenloſes
Schwoͤ-
[334] Schwoͤren, ein unſinniges Fluchen, zuletzt Haͤndel,
Schlaͤgereien, — nun koͤmmt die Strafe der Obrigkeit
hintennach, dagegen ſtraͤubt ſich der trotzige Sinn des
Bauern, und ſein falſcher Ehrgeitz, groſſe Herren nach-
zuahmen; man verabredet nach und nach heimliche Spiel-
geſellſchaften in Privathaͤuſern, und wie lange waͤhrt es
dann noch, bis der Ruin der Familie ſichtbar wird?
Mir duͤnkt, die Polizei ſollte das alles durchaus nicht
geſtatten in oͤffentlichen Haͤuſern auf dem Lande, die Ge-
legenheit, in Strafen zu verfallen, abſchneiden, und den
Wirth deſto ernſtlicher ſtrafen, wenn er Karten oder
Wuͤrſel hergibt, oder ſeine Gaͤſte dazu ermuntert, damit
ſie ihm immer mehr Wein abtrinken ſollen.
Ich habe auch mit Erſtaunen geſehen, daß beſonders
die Katholicken an Sonntaͤgen, nachdem die Faſttaͤge
vorbei ſind, der ſchrecklichen Hitze ungeachtet, ſehr viel
und oft verſchiedenes Fleiſch eſſen koͤnnen, weit mehr,
als unſre Lutheriſche Bauern, denen das Fleiſcheſſen an
keinem Tage in der Woche verboten iſt. Dazu koͤmmt
der erſtaunliche Abſatz, den die kleinen Kraͤmer uͤberall
auf dem Lande haben, wodurch freilich der Luxus immer
mehr unter den gemeinen Leuten gepflanzt wird.
Man wird ſich nicht wundern, daß ſo oft Feuers-
bruͤnſte auf dem Lande entſtehen, wenn man die erſtaun-
liche Unachtſamkeit ſieht, womit Stallknechte, Fuhrleute
und Bedienten mitten zwiſchen Heu und Stroh in Stal-
lungen und Scheuren oft offne Lichter herumtragen, und
Tabak rauchen. Die Polizei ſollte ſich billig darum be-
kuͤmmern, daß in jedem oͤffentlichen Stall, wo oft um
Mitternacht die Arbeit wieder anfaͤngt, in den Waͤnden
Loͤcher ausgehauen wuͤrden, worein die Pferdeknechte,
Dreſcher
[335] Dreſcher und andre Arbeiter die Lichter ſtellen, und nicht
herausnehmen duͤrften, wie in unſerm Lande befohlen iſt.
Ach, wie ſicher ſchlaͤft oft ein Reiſender in einem oͤffent-
lichen Hauſe, und wuͤrde wahrhaftig nicht eine Minute
ruhen koͤnnen, wenn er wuͤßte, welche Gefahren ihn um-
ringen! Wenn man auch da nicht viel, ſehr viel auf den
Schutz der Vorſehung rechnen wollte, was huͤlfe dann
menſchliche Vorſicht und Bedachtſamkeit?
Mit dem neuen Wein, wenn er einmal im Faſſe iſt,
muß man ſo ſehr eilen, daß ſelbſt am Sonntage die
Weinfuhren nicht ſtille liegen duͤrfen. Angenehm iſt es,
wenn man da immer Wagen begegnet, wo luſtige Bau-
ern, gleich dem Bachus, auf den Tonnen liegen, und
einen Zug nach dem andern thun, aus dem vollen Faß.
Sie ſaufen aus Strohhalmen, die ſie wie Heber in das
Spundloch ſtecken, wenn man ihnen ſonſt keine Geraͤth-
ſchaft dazu erlaubt. Beim Aufladen der gefuͤllten Wein-
faͤſſer iſt viel Vorſichtigkeit noͤthig. Oft bricht das La-
degeſchirr, und ein ganzes Faß geht zu Grunde. Da
entſteht hernach ein Prozeß zwiſchen dem Verkaͤufer, dem
Kaͤufer und dem Kiefer (Boͤttcher), der den Wein gela-
den hat, und die Werkzeuge dazu entweder aus dem Kel-
ler des Verkaͤufers genommen, oder ſelber hergegeben
hat. Weil die Bauern oft ſelber ſchreckliche Laſten aus
der Stelle heben und tragen koͤnnen, ſo trauen ſie auch
ihren Stangen und Bretern mehr Staͤrke zu, als ſie
insgemein haben.
Als ich durch Achtkarren reiſete, das ein groſſer
und ſehr anſehnlicher Ort in der Landvogtei Ortenau iſt,
verſah der katholiſche Geiſtliche eben einen Sterbenden
mit den Sakramenten. Weil es der Sonntags Abend
war,
[336] war, ſtanden eben alle Leute auf den Straſſen muͤſſig,
und als man das Venerabile vorbeitrug, kniete das Volk
Schaarenweiſe auf den Straſſen nieder, und fing ein
lautes Gebet an. Der Fremde kan ungeſtoͤrt ſeine Straſſe
ziehen, aber ich weis nicht, was es immer fuͤr einen Ein-
druck auf mich macht, wenn ich die Zeichen des oͤffent-
lichen Aberglaubens, und der Ceremonienreligion unter
einer groſſen Menge Volks finde, das eben ſo, wie mei-
ne Glaubensbruͤder, beſſer unterrichtet, und zu einer ver-
nuͤnftigern Religion gewoͤhnt werden koͤnnte. Ich ſchlief
in Offenburg; nach dem heiſſen Tage folgte in der
Nacht ein ſchreckliches Donnerwetter und ſtarke Platzre-
gen. Da laͤutete man alle Glocken ſo fuͤrchterlich zuſam-
men, daß ſie haͤtten zerſpringen moͤgen. Solche Wir-
kungen des Aberglaubens ſind wahrlich unangenehm fuͤr
einen Reiſenden. Stellen Sie Sich vor, in einer Stadt
zu ſchlafen, die gefliſſentlich alles thut, um den Blitz her-
beizuziehen? Die Muͤdigkeit der Reiſe uͤberwaͤltigte mich
endlich, und ich ſchlief ruhig unter allen dieſen wunder-
baren Anſtalten, das wohlthaͤtige Gewitter zu vertreiben.
Den andern Tag verlies ich grade die Heerſtraſſe,
und nahm meinen Weg linker Hand hinter Offenburg
nach dem Kitzinger Thal. Die Natur war ganz ab-
gekuͤhlt, und ungemein erfriſcht. Die Voͤgel ſangen am
fruͤhen Morgen mit herzhafter Stimme zu dem hellern
und gereinigten Himmel hinauf. Die letzten Gewaͤchſe
im Felde erhoben noch einmahl ihr vorher welkes und ge-
ſenktes Haupt, und warteten auf ihre Einſammlung.
Das Laub an den vielen Obſtbaͤumen, womit die Straſ-
ſen hier ſehr ſtark beſetzt ſind, hatte ſeine natuͤrliche Leb-
haftigkeit wieder bekommen. Auf den Feldern ſtand in
jeder
[337] jeder Furche helles Waſſer, und ſank allmaͤhlig, ſo wie
die Sonne kam, hinab, oder ſtieg in Duͤnſten auf.
Kurz, die herrlichen weiten Felder um mich herum wa-
ren alle gleichſam erfreut uͤber die ſturmvolle Nacht, und
die Landleute gingen in die Weinberge und machten An-
ſtalt zum Herbſt. Der Weg nach dem Reichskloſter
Gengenbach fuͤhrte mich uͤber Ortenbach und Stauf-
fenberg, und iſt etwa 3. Stunden lang. So heiſſen
die zwei Orte, wo der vortrefliche Wein waͤchſt, den
jeder, der durch dies Land reiſt, als Arznei trinken muß.
Man kan aus beiden Orten rothen und weiſſen Wein ha-
ben, und ich wuͤßte nicht zu ſagen, welcher vor andern
den Vorzug haben muͤßte. Sie gehoͤren nicht nur zu
den vorzuͤglichſten Gewaͤchſen dieſes Landes, ſondern man
kan ſie, wie ich glaube, mit Recht zu den beſten und
edelſten Produkten von Deutſchland rechnen. Ja,
Freund! wenn alle Dichter, die an Muſenalmanachen
arbeiten und vom Wein ſingen, ſolchen Wein alle Tage
haͤtten, da moͤchten wir wohl bald feurige Lieder und noch
ſchrecklichere Genie-Spruͤnge ſehen. Alle Berge, die ſich
auf der linken Seite nach dem Thal hinaufziehen, oder
vielmehr mit noch hoͤhern Gebuͤrgen zuſammenhaͤngen,
und nach dem ebnen Lande hinlauſen, ſind ganz mit
Weinreben bis an die oberſte Spitze beſetzt. Angenehm
ſind insbeſondre die Rebhaͤuſer, die hie und da um der
Geſellſchaft willen, zum Vergnuͤgen, gegen Regenwet-
ter, und zur Aufbewahrung der Geraͤthſchaften angelegt
ſind, und oft in ihrer einſamen Hoͤhe recht ſchoͤn ausſehen.
Die Bibelerklaͤrer haben alſo nicht noͤthig, zur Erlaͤute-
rung einiger Stellen in der heil. Schrift, nach dem Mor-
genlande zu reiſen. Sie koͤnnen bei uns noch jetzt alle
Tage ſehen, was in Palaͤſtina Mode war. Wenn man
Zweiter Theil. Yan
[338] an dem alten Schloß Ortenberg, das jetzt in ſeinen
Truͤmmern vom Berge herabſieht, vorbeigereiſt iſt, ſo
koͤmmt man nach Ortenberg ſelber, das ein groſſes
vorderoͤſterreichiſches Dorf iſt. Sie koͤnnen Sich die
allgemeine Freude uͤber den Herbſt, und die geſchaͤftige
Vorbereitung, das hundertfaͤltige Klopfen, Saͤubern
und Reinigen an den Faͤſſern nicht vorſtellen. Hinter
dieſem Ort ritt ich zwiſchen Wieſen durch, und kam bald
darauf wieder an die Kinzing, von der das liebliche
Thal den Namen hat. Sie koͤmmt von Wittichen,
hat einen ſehr ungleichen Lauf, fuͤhrt in ihrem Bette ſehr
groben Kies und derbe Wacken, geht an Offenburg
vorbei, fließt nach der Seite von Strasburg hin, und
faͤllt bei einem Dorfe in den Rhein. Zuweilen ſchwillt
ſie gewaltig an. Ich bin ſelber ſchon durch Offenburg
gereiſt zu einer Zeit, wo die Kinzing ſo ſehr angelaufen
und ausgetreten war, daß man kaum uͤber die Straſſe
nach Baſel kommen konnte.
Die Reichsſtadt Gengenbach ſelber iſt klein, liegt
am Berge, hat einige Vorſtaͤdte, aber kein einziges ſchoͤ-
nes oder regelmaͤſſiges Gebaͤude. Sie naͤhrt ſich vom
Wein- und Getreidebau, doch werden auch viele Arbei-
ten von Holz hier verfertigt. Denn da am folgenden
Tage Jahrmarkt in Offenburg war, ſo ſah ich, daß
ganze Wagen von Spinnraͤdern, Faßreifen, Schau-
feln ꝛc. aus Gengenbach ausgefuͤhrt wurden.
Das Kloſter Gengenbach aber iſt ein ſchoͤnes Ge-
baͤude von drei Stockwerken. Ringsum ſtehen viele
Keller und Wohnungen fuͤr alle Handwerker. Die Klau-
ſur oder das Konvent iſt, wie gewoͤhnlich, hinten,
und im mittlern Stock iſt die Abtei oder der Hof des
Reichs
[339] Reichspraͤlaten. Der jetzige Abt iſt ein alter, ehrwuͤrdi-
ger, und gelehrter Mann. Sein Karakter iſt Leutſelig-
keit und muntre Freundlichkeit. Ich muß ihm nach-
ruͤhmen, daß ich viel Gnade in ſeinem Kloſter genoſſen
habe. Er ſtudirt noch immer ſehr fleiſſig, lebt ſehr
maͤſſig und ordentlich, macht fuͤr ſich wenig Aufwand,
und haͤlt ſeine Religioſen ſtreng in der Ordnung. Die
Geiſtlichen, die bekanntermaſſen zum Benediktiner-
Orden gehoͤren, ſind zugleich alle Pfarrer in der Stadt
und in den dazu gehoͤrigen Thaͤlern. Denn in der Stadt
ſelber ſind ſonſt keine Geiſtliche, und einige Oerter, die
noch in geiſtlichen Angelegenheiten vom Kloſter bedient
werden, ſind zwei Stunden entfernt. Fuͤr die Stadt
wohnt immer Ein Geiſtlicher auſſerhalb den Kloſtermau-
ern, aber doch noch im Gebiet des Kloſters, und dieſer
heißt deswegen der Reichspfarrer. Die uͤbrigen Geſchaͤf-
te auf dem Lande werden dem P. Prior angezeigt, und
dieſer ſteckt jedem Religioſen Abends auf eine Tafel zu
ſeinem Namen die Arbeit auf, die er verrichten ſoll.
Hier und in der Stadt Zelle am Harmerſpach
(nicht Hammerſpach, wie die meiſten Geographen
ſchreiben) hat der Reichspraͤlat das Recht, den Schul-
zen zu erwaͤhlen.
Die Offizianten des Reichspraͤlaten ſind: Ein Kanz-
leidirektor, ein Sekretaͤr und ein Oberſchaffner.
Man ſagte mir noch viel vom verſtorbenen Abt
Seeger, der ein groſſer Mann geweſen ſeyn ſoll, und
deswegen noch immer ſehr bedauert wird. Neben ſeiner
Gelehrſamkeit war er ſelber auch ein geſchickter Maler,
ſein Bild habe ich im Speiſeſaal des Konvents geſehen.
Y 2Die
[340]
Die Patres verſtehen faſt alle Muſik, und ſpielen
beim Hochamt ſelber die Orgel und die Violin. Da ei-
ner unter ihnen, P. Aloyſius, der Sohn unſers hieſi-
gen Kapellmeiſters Schmittbauers iſt, der von Jugend
auf von ſeinem geſchickten Vater Muſik gelernt hat, ſo
iſt dadurch noch mehr Eifer und Liebe zur Tonkunſt unter
die Geiſtlichen gekommen.
Innerhalb den Ringmauern des Konvents iſt ein
kleiner Garten voll Blumen, in welchem ſich diejenigen,
welche die Gaͤrtnerei lieben, ein Stuͤck Land ausſuchen,
und es ſelber bepflanzen und bauen koͤnnen.
Man zeigte mir hier ſchoͤne Monſtranzen, die der
Hofjubelirer hier in Carlsruhe gemacht hat. Wiewohl
an der groͤßten und ſchoͤnſten nur falſche Steine ſind, ſo
koſtet ſie doch 4000. Gulden. Da ſah ich deutlich die
ſilberne Lunula, auf welcher die geweihte Hoſtie, oder
das Sanctiſſimum, wie ſie es heiſſen, zur Anbetung
ausgeſetzt wird. Vorne iſt das Kaͤſtchen mit Glas ein-
gefaßt, und von hinten wird es geoͤfnet.
Auch ſah ich hier ſilberne Abtsſtaͤbe, doch geht in-
wendig ein hoͤlzerner dadurch.
Ferner Infuln von allen Farben, wie ſie nur infu-
lirte Aebte tragen duͤrfen. Dieſe und den Abtſtab braucht
der Reichspraͤlat, wenn er an hohen Feſten ſelber pon-
tifizirt, d. h. das Hochamt verrichtet. So oft das
geſchieht, muͤſſen ihm nicht nur ſeine Kanzleibedienten,
ſondern auch der Reichs-Schulz der Stadt, weil er ihn
waͤhlt, kredenziren, wie man ſagt, oder aſſiſtiren
Zwei Zentner weiſſes Wachs braucht das Kloſter
alle Jahre. Sie laſſen es von Augsburg, vermuth-
lich
[341] lich aus Italien kommen. Die ſogenannte Oſterkerze
wiegt allein acht Pfund.
Man fuͤhrte mich auch in die Kapitelſtube, wo
nebſt andern Verrichtungen auch Aſpeticker geleſen wer-
den, und wirklich las man den Auguſtin vor.
Auf die Bibliothek fuͤhrte mich ein junger Mann,
P. Bernard, der noch nicht lange auf dieſem Poſten
iſt, aber viel Eifer, Fleis und Thaͤtigkeit zu haben
ſcheint. Das Wichtigſte, was ich geſehen habe, iſt:
1) Ein Martyrologium und Necrologium, das im
vierzehnten Jahrhundert angefangen wurde. 2) Von
Ioa. Bollandi Acta Sanctorum, 4to, ſchon mehr
als 40. Baͤnde. 3) Ein altes Miſſale aus dem neun-
ten, vielleicht gar aus dem achten Jahrhundert. Es iſt
auf Pergament ſehr ſchoͤn geſchrieben und wohl erhalten.
Ein Zeichen ſeines beſonders hohen Alters iſt die Vorſtel-
lung Chriſti am Kreuz. Hier iſt er noch gemalt mit ei-
ner Schuͤrze um die Mitte des Leibes bis auf die Knie,
und unten ſind die Fuͤſſe nicht uͤbereinandergeſchlagen,
ſondern ſie ſtehen nebeneinander auf einem Bret, (Sub-
pedio). Nun weis man aus der Kirchengeſchichte, daß
dies die aͤlteſte Art, die Kreuzigung des Erloͤſers abzu-
malen geweſen iſt. 4) Ein Pſalterium aus dem zehn-
ten Jahrhundert. 5) Noch ein ſchoͤnes Miſſale auch
aus dem zehnten Jahrhundert. Dieſe Zahlen und An-
gaben gruͤnden ſich meiſtens auf die Ausſage des jetzigen
Fuͤrſten von St. Blaſien, der vor einigen Jahren in
Gengenbach mit ſeinem geuͤbten Auge, und mit ſeinen
groſſen Kenntniſſen dieſe Handſchriften beurtheilte. Aber
hier gilt gewis die Regel: Artifici in ſua arte cre-
dendum. 6) Eine geſchriebene deutſche Ueberſetzung
Y 3vom
[342] vom Jus Canonicum, die ein Dominikanermoͤnch aus
dem ſechszehnten Jahrhundert hinterlaſſen hat. 7) Eine
lateiniſche Bibel, in Paris gedruckt, von Ulrich und
Michael Martin. Dieſe zwei Bruͤder in Deutſchland
lies ein Karthaͤuſer nach Paris kommen, dort ward die
Bibel im Jahr 1476. gedruckt. 8) Ein Jus Canoni-
cum vom Jahr 1474. gedruckt in Reutlingen bei Zeu-
ner. 9) Eine alte Bibel, gedruckt ohne Namen,
Ort und Jahrzahl. Nur einige Bruchſtuͤcke aus der
Bibel ſind es, und ſcheinen von den erſten Proben zu
ſeyn, die man in Strasburg verfertigte. 10) Eine
ebraͤiſche Grammatik von Reuchlin, die jetzt ſelten
geworden iſt.
Zu dieſen litterariſchen Merkwuͤrdigkeiten ſetzen Sie
noch eine natuͤrliche Seltenheit, die ich auf der Bibliothek
fand. Es ſteht hier ein hoͤlzerner Stab, den man von
Rom bekommen hat. Das ſoll das natuͤrliche und wah-
re Laͤngenmaas des heil. Benediktus geweſen ſeyn. Ich
maas es mit der Hand, und fand es eilf ſtarke Spannen
lang. Noch merkwuͤrdiger aber iſt es, daß dieſer Mann
eine Zwillingsſchweſter hatte, deren Laͤngemaas ebenfalls
hier aufbewahrt wird, und nur um eine halbe Spanne
kuͤrzer iſt. Wenn die Sache wahr iſt, ſo iſt die Erſchei-
nung von zwei ſo groſſen Kindern in einer Gebaͤhrmutter
allemal auſſerordentlich, wenn auch der Bruder nachher
keinen Orden geſtiftet haͤtte.
Im Garten der Abtei, der ungemein niedlich und
angenehm iſt, fand ich Mirabellenbaͤume, die in die-
ſem Jahre auch ſo viele Fruͤchte getragen hatten, daß
man endlich, nachdem man ſchon lange genug Mirabel-
len gegeſſen hatte, noch zwoͤlf volle Koͤrbe davon doͤrrte.
Wenn
[343] Wenn an den Feigenbaͤumen die letzte Frucht im vori-
gen Jahre nicht mehr reif wird, ſo bleibt ſie den ganzen
Winter durch am Baum, erfrieret auch in dieſer Ge-
gend nicht, und iſt in dieſem Jahr ſchon im Mai zeitig
geweſen. Dieſe eingerechnet, erndtet man hier dreimal
im Jahr Fruͤchte von den Feigenbaͤumen. Man ſoll-
te der Lage nach vermuthen. daß das Thal kalt und rauh
ſeyn wuͤrde, aber im geringſten nicht. Der Garten des
Praͤlaten iſt eine Miſchung von allerlei Pflanzen, davon
man viele aus dem hieſigen Schloßgarten bekommen hat,
und ſie kommen faſt ohne alle Wartung fort. Ich ſah
hier Birnen, deren auſſerordentliche Groͤſſe mich in Er-
ſtaunen ſetzte. Am Ende des Gartens iſt recht mit vie-
lem Geſchmack ein ſchoͤner Waſſerfall angebracht, deſſen
Waſſer, nachdem es durch den Garten gefloſſen iſt, im
Kloſterhofe noch die Muͤhle treiben muß. Ich fand hier
Bohnenſchoͤfen, oder Schoten, die laͤnger ſind, als
der Arm eines Mannes. Die Bohnen ſelber ſind nicht
gut, aber wenn man die langen Schoten allein nimmt,
ſie klein ſchneidet, und dann auf die gewoͤhnliche Art zu-
bereitet, dann ſind ſie ſehr ſchmackhaft. Fuͤr meine
Sammlung von Saamen nahm ich auch dieſe Spielart
von Bohnen mit, und werde ſie im kuͤnftigen Sommer
ſelber ausſaͤen. Noch muß ich vom Garten anmerken,
daß man hier gefuͤllte, und wie man mir verſichern woll-
te, recht ſehr dicke und ganz gefuͤllte Pferſiſchbluͤten
hat, die doch Fruͤchte tragen, und daß man oft die
Orangenbaͤume vor Allerheiligentag nicht in das Ge-
waͤchshaus fluͤchtet.
Von der Geſchichte dieſes Kloſters wußte man mir
nichts zu erzaͤhlen, als daß hier ehemals eine Wildnis
Y 4geweſen,
[344] geweſen, die durch die Moͤnche angebaut worden ſei;
daß das Gotteshaus ſchon im neunten Jahrhundert exi-
ſtirt habe, daß es ehemals ein adeliches Stift geweſen ſei. —
Doch das alles erwarten wir am zuverlaͤſſigſten von der
gelehrten Feder des Fuͤrſten von St. Blaſien, wenn es
Ihm gefallen wird, uns die verſprochene Geſchichte der
Benediktiner-Kloͤſter auf dem Schwarzwald zu
liefern.
In der Wohnung des P. Kuͤchenmeiſters und
Groskellers ſieht man drei Sammlungen von einheimi-
ſchen Schmetterlingen, unter welchen freilich die mei-
ſten dieſelbigen ſind, die auch in meinem Vaterlande ge-
fangen werden, doch ſind auch einige beſondere Arten dar-
unter. Die uͤbrigen Inſekten haben insgemein nicht das
Gluͤck, daß ſie geſucht und geſammelt werden, weil ſie
nicht ſo ſchoͤn ſind, wiewohl wir uns bei ihrer groſſen
Schaͤdlichkeit mehr um ihre Kenntnis, als um eine glaͤn-
zende Sammlung von Papillionen bekuͤmmern ſollten.
Man rechnet die Buͤrger in der Stadt gegen 200.
Koͤpfe, darunter diejenigen, die in den drei Vorſtaͤdten
leben, und etwan auch noch hundert Mann ausmachen
koͤnnen, nicht begriffen ſind. Vierzehn Oerter gehoͤren
zum Kloſter und zu der Stadt, und alle dieſe Oerter
werden von den Geiſtlichen verſehen.
Alle Handwerksleute und Tageloͤhner, welche die
Aecker und Wieſen des Kloſters beſorgen muͤſſen, holen
allemahl am Donnerſtag im Kloſter gegen Rechnung
ihre Brodfrucht, weil ſie fuͤr ſich nicht genug bauen koͤn-
nen. Am Ende des Jahres rechnet man mit ihnen ab.
Das
[345]
Das Kloſter hat nur den groſſen Zehenden, von
dem, was in Menge gebaut wird, naͤmlich von Wein,
Weizen, Korn und Haber. Fuͤr ſich ſelber baut das
Kloſter Weizen und Korn; von Gerſte nur ſo viel, als
man fuͤr das Gefluͤgel noͤthig hat. Die Leute in der
Stadt bauen auch Hanf, Welſchkorn, Erdaͤpfel, Boh-
nen, Erbſen; aber Krapp und Taback hat man hier
nicht. Ein groſſer und betraͤchlicher Markgraͤflich Baa-
diſcher Ort, Ichenheim in der Herrſchaft Mahlberg,
woſelbſt das Kloſter Gengenbach den Fruchtzehenden
hat, iſt, nach dem eigenen Geſtaͤndnis der Religioſen,
ihre Kornkammer, wiewohl ſie doch nicht Getreide ge-
nug haben ſollen. Den meiſten Weizen bekoͤmmt das
Kloſter dorther, auch Erbſen, Bohnen und Linſen kom-
men von Ichenheim. Der Reichspraͤlat hat dorten
einen Expoſitus, der es einziehen, die Koſten am Quan-
tum abziehen, auch ſeine Unterhaltung am Zehenden ab-
rechnen, und das Uebrige zum Kloſter liefern muß.
Ehemals hatte das Kloſter eine eigene Scheuer dort, und
ſie praͤtendiren noch jetzt, wiewohl nicht ohne Wider-
ſpruch, Decimator univerſalis zu ſeyn. Auch der
meiſte Haber, den man hier hat, iſt Zehendhaber von
Ichenheim.
Eben ſo geraͤth hier kein Kohl. Im Kloſter braucht
man alle Jahre ſechszehn hohe hoͤlzerne Gefaͤſſe, die man
Standen nennt, voll Sauerkraut, und dieſe bekommen
ſie auch von Ichenheim.
Zur jaͤhrlichen Konſumtion gehoͤren auch zehn Stan-
den eingemachte Ruͤben.
Der Wein, der hier einen Hauptartickel ausmacht,
waͤchſt meiſtens in Gebuͤrgreben; man hat wenige Feld-
Y 5reben.
[346] reben. Elber, Reußlinger, Muſkateller und Claͤf-
ner Arten ſind die gewoͤhnlichſten. Man hat auch viel
rothen Wein hier. Im Jahr 1753. und 1766. wuch-
ſen gewis vortrefliche und gute Weine. Doch hat man
hier ſo viel, daß jetzt die Ohm von beiden Weinen fuͤr
14-15. Gulden verkauft wurde. Weine, die nur ſieben
oder acht Jahre alt ſind, gelten, wiewohl ſie alle gut ſind,
6. 7. Gulden; der geringſte gilt wenigſtens 3 Gulden.
Es ſind vier Keller im Kloſter und alle Faͤſſer ſind in Ei-
ſen gebunden. Es iſt ein ſo groſſes Faß da, daß man
vierzehnhundert Ohm hinein legen kan. Faſt lauter
Ortenberger und Gengenbacher Wein liegt hier; das
Kloſter hat faſt in der ganzen Gegend den Zehenden, weil
es aber nur ſehr wenige Unterthanen hat, ſo muß es ſich
ſeinen Wein ſelber holen. So kommen alle Jahre acht
bis neuntauſend Ohme Wein hieher, ſie haben aber auch
noch in Offenburg viel liegen. Der Verkauf des
Weins geht beſtaͤndig fort. Nach Schwaben verkau-
fen ſie den meiſten Wein. Der jaͤhrliche Verbrauch des
Weins ſteigt auf drei-bis viertauſend Ohme. Immer
halten ſie ſo viel im Vorrath fuͤr ſieben, auch fuͤr acht
Jahre. Innerhalb den Gebaͤuden der Abtei treibt auch
das Kloſter beſtaͤndig Wirthſchaft mit ſeinem Wein, und
einmal im Jahre haben ſie auch das Recht, in der Stadt
zu wirthen, aber nur 3. Wochen. Der Kloſterwirth
verkauft das Maas um 8. Kreuzer; 24. Maas rechnet
man hier auf eine Ohm Wein. Es iſt ein kleiner Muth-
wille, daß der dunkle, enge Keller, in welchem noch die
beſten und aͤlteſten Weine meiſt in kleinen Faͤſſern liegen,
das heilige Grab genannt wird. Man kan hier unbe-
ſchreiblich guten Wein vom Jahr 1718. 1728. 1753.
trinken, und ſo ein Glas alter, ſtarker Wein muß frei-
lich
[347] lich mehr werth ſeyn, als alle Arzneien, verdient mit Recht
der Balſam des Alters zu heiſſen. Das Geſinde im
Kloſter trinkt keinen ſchlechtern Wein, als achtjaͤhrigen,
nach der bereits gemeldeten Einrichtung im Keller. Auch
im Konvent haben die Patres keine beſtimmte Portion;
jeder kan trinken ſo viel, als er will. Sehr gut iſt es fuͤr
das kaufende Publikum, daß man nichts mit dem Weine
vornimmt, was einer kuͤnſtlichen Verbeſſerung oder Ver-
ſchoͤnerung gleich ſehen koͤnnte. In dieſen Kellern hat
man keine andern Kuͤnſte, als Reinigkeit, Ablaſſen, Auf-
fuͤllen ꝛc. Der P. Groskeller, der uͤber das alles die
Aufſicht traͤgt, hat darzu vier Kiefer unter ſich.
Waldungen ſind hier uͤberall, und ſind ſehr be-
traͤchtlich. Das Kloſter hat das Direktorium daruͤber,
und hat deswegen auch immer einen Jaͤger oder Foͤrſter.
Fuͤr das abgaͤngige Holz, das den Buͤrgern gelaſſen wird,
muß jeder alle Jahre Einen Groſchen an das Kloſter be-
zahlen. Da, wo die Koboldfabrike angelegt iſt, hat
das Kloſter noch eigene Waldungen. Man braucht alle
Jahr im Kloſter 900. Klafter Holz. Daher laſſen ſie
auch durch das ganze Jahr von ihren Tageloͤhnern Holz
machen, und bezahlen ſie nach einer gewiſſen Taxe. Gar
viel Holz kan erſt im Winter auf Schlitten im Schnee
herabgebracht werden. Gemeiniglich bezahlt der Buͤr-
ger 1. Gulden und 30. Kreuzer, auch 2. und drittehalb
Gulden fuͤr eine Klafter. In den Waldungen ſtehen
Eichen, Buͤchen und Tannen.
Von der Koboldfabrike, die das Kloſter hat, ha-
be ich ſchon an einem andern Orte Nachricht gegeben. *)
Da
[348] Da ich jetzt ſelber in Gengenbach war, ſprach ich mehr-
mals davon mit dem Herrn Reichspraͤlaten, und mit den
vernuͤnftigſten Patribus, aber geſehen habe ich ſie nicht,
weil ſie weiter, als man mir zuvor geſagt hatte, vom
Kloſter entfernt iſt, und ich das Anerbieten des Praͤlaten,
mich dahin bringen zu laſſen, nicht annehmen konnte.
Die Kompagnie, wovon das Kloſter nur Ein Mitglied
iſt, beſteht etwa dreiſſig Jahre. Erſt der letztverſtorbe-
ne Abt Seeger hat ſie errichtet. Nur 3. Schillinge
zahlen die Intereſſenten dem Kloſter fuͤr die Klafter Holz.
Ehe man die Koboldfabrike anfing, zahlten die Stras-
burger nur einen halben Groſchen fuͤr die Klafter, und
wollten doch nicht mehr holen, weil ſie wegen der muͤhſa-
men und koſtbaren Fracht nicht beſtehen konten. Zwei-
mahl hunderttauſend Gulden ſoll die Kompagnie ſchon
Schaden gelitten haben. Im erſten Anfang kam gar
kein Nutzen heraus, und nun ſchadet der hollaͤndiſche
Krieg, ſie haben faſt gar keinen Abſatz. Alle Kobold-
erze kommen nun, wie mir der Reichspraͤlat ſelber ſagte,
aus dem Piemonteſiſchen, und machen den groͤſten Theil
des Weges von dort bis hieher mit ungeheuren Koſten,
getragen auf dem Ruͤcken der Eſel und Mauleſel. Auf
dem Platz koſtet der Zentner von dieſen Erzen 80. Louis-
ďor. Ich beſitze durch die Guͤtigkeit des Hrn. Reichs-
praͤlaten Probſtuͤcke davon in meiner Sammlung.
Das Gengenbacher Kloſter hat Wieſen in allen
Thaͤlern. Man braucht jaͤhrlich etliche hundert Wagen
Heu, und 60. Zentner werden auf den Wagen gerechnet.
In
*)
[349] In den Stallungen des Kloſters ſtehen 18. Pferde; 18.
Ochſen, wovon im Winter auch einige gemaͤſtet werden;
ferner 18. Stuͤcke Melkvieh, ohne das Vieh zu rechnen,
das auf den Meierhoͤfen iſt. Achtzig Schweine braucht
man alle Jahre, 80. Schaafe und 200. Kaͤlber, faſt in
jeder Woche zwei bis drei. Dieſe alle muß der Kloſter-
metzger anſchaffen. Eigene Schaafe haͤlt das Kloſter
nicht. Man kan in Schwaben ſo viel Wolle kaufen,
als der Hausgebrauch erfordert. Zwoͤlf bis funfzehn
Paar Tauben, und nicht mehr, werden im Kloſter ge-
halten. Ich hoͤrte es aber ungern, daß auch in dieſen
bluͤhenden Thaͤlern die Bienenzucht ſo ſehr vernachlaͤſ-
ſigt wird. Einige Patres haben angefangen, ſich da-
mit in Konventsgarten zu beſchaͤftigen. Koͤnnten ſich
dieſe Herren beſſer und wuͤrdiger unterhalten, als wenn
ſie ein groſſes Bienenhaus bauten, Beobachtungen mach-
ten, Verſuche anſtellten, fremde Vorſchlaͤge pruͤfen, und
ſie der Welt mittheilen wollten?
Einige Aecker, die dem Kloſter zugehoͤren, muͤſſen
freilich auch ſchlecht ſeyn. Denn viele Leute pachten dem
Stifte die Aecker ab um die Haͤlfte des Ertrags.
Was die innere Ordnung und Einrichtung des Klo-
ſters betrift, ſo hat darin Gengenbach freilich viel Ue-
bereinſtimmendes mit allen andern Kloͤſtern; indeſſen
will ich Ihnen einiges davon erzaͤhlen, weil dergleichen
Dinge nicht jedermann bekannt ſind. Zur gewoͤhnlichen
Bedienung des Reichspraͤlaten iſt nur Ein Kammer-
diener angeſtellt, ſonſt aber muͤſſen ihm alle Offizianten
zu Gebote ſtehen. Dem Biſchoff in Strasburg, und
dem Erzbiſchoff in Maynz zahlen ſie nichts, als die Ta-
xen fuͤr die Ordines. Der Praͤlat hat mehrere Kreuze,
oder
[350] oder Pectoralia; er hat ein beſendres koſtbares mit
Steinen beſetzt, er darf ſich auch neue, wenn er will, an-
ſchaffen. Alle drei Jahre muß der Praͤlat den Aelteſten
des Kloſters Rechnung ablegen. Zu dieſem Concilium
Seniorum gehoͤren P. Prior, P. Sub-Prior, P. Gros-
keller, und P. Senior vom Konvent. Doch fordert
man die Rechnung nicht vom Praͤlaten, wenn man ſonſt
uͤberzeugt ſeyn kan, daß er ein guter Haushaͤlter iſt; aber
der P. Groskeller, P. Prior, Kuchenmeiſter und der
Reichspfarrer muͤſſen alle Jahre dem Praͤlaten ihre Rech-
nung ablegen. Findet er darin Fehler, ſo werden dieſe
mit Buͤſſungen, oder auch mit Abſetzungen geſtraft. Den
Weinverkauf hat der Abt ſelber unter ſich. Dem P.
Kuͤchenmeiſter muß der P. Groskeller das Geld ſchaffen.
Die Kanzlei braucht alle Jahre drei bis vier Ries Pa-
pier. Der Kanzleidirektor hat 600. Gulden Geld, und
uͤberdies Wein, Fruͤchte, Holz, Brod, Mehl, Milch
ꝛc. Mit allen einzelnen Vortheilen hat er allemahl eine
Beſoldung von 1200. Gulden. Nicht allein der Abt,
ſondern das Domkapitul nimmt ihn an. Aber die Un-
terbedienten werden allein vom Praͤlaten angenommen.
Der Sekretaͤr hat 60. Gulden, freie Koſt und Wohnung.
Alles was mit Meſſeleſen verdient wird, oder was ſonſt
an das Kloſter geſchenkt wird, zieht der P. Prior ein,
und ſchaft davon Wachs, Federn und Papier an. Eine
Meſſe koſtet 20. Kreuzer. Ein Pater, der vom Praͤla-
ten auf Reiſen geſchickt wird, muß fuͤr das ihm mitgege-
bene Geld Rechnung thun. Der Prior gibt auch zwi-
ſchen der Zeit Eſſen und Trinken, wenn es verlangt wird.
Jeder Religioſe kan gegen einen Zeddel vom Prior beim
Kaufmann auf Kloſterrechnung ſo viel Taback holen, als
er verlangt. Am Dienſtag und Donnerſtag gehen alle
Patres
[351] Patres mit einander ſpatzleren, und nachher bekommen
ſie einen Veſpertrunk. Doch muͤſſen die Fratres darum
anhalten. Die Unſchlittlichter ſchaft ein Kaufmann an,
mit welchem der Groskeller in Abſicht auf den Schoͤpſen-
talg einen Akkord getroffen hat. Beim Eſſen im Kon-
vent wird die Bibel, das Jus Canonicum- und wirklich
die franzoͤſiſche Geſchichte vorgeleſen. An Sonn- und
Feiertaͤgen duͤrfen die Patres, die keine Geſchaͤfte auf
dem Lande haben, nicht ſpatzieren gehen; ſtatt deſſen wird
ihnen aber alsdann geſtattet, mit einander zu ſprechen.
Alle Kleidung der Religioſen ſchaft P. Groskeller an.
Jeder bekoͤmmt alle Jahre einen Habit, doch iſt auch
hierin keine Zeit beſtimmt, weil einer mehr zu thun hat,
als der andre. Im Winter haben ſie allerdings dickere
und waͤrmere Kleider. Zwei Hemden bekoͤmmt jeder
alle Jahre. Ein Novitius muß, wenn er anders Ver-
moͤgen hat, gleich beim Eintritt fuͤr die Kleidung 75.
Gulden bezahlen, weil ſonſt das Kloſter, wenn er wieder
zuruͤckgeht, verlieren wuͤrde. Stirbt ein Pater, ſo laͤßt
der Prior alles in ein Veſtiarium ſetzen, die guten Stuͤ-
cke werden unter die Fratres und Novizen ausgetheilt, die
ſchlechtern bekommen die Armen an der Pforte. So wie
einer ein neues Kleidungsſtuͤck bekoͤmmt, ſo muß er auch
das alte fuͤr die Armen hergeben. Iſt es nicht wahr,
daß dieſe Leute im Kloſter, aller Nahrungsſorgen uͤber-
hoben, blos fuͤr ihre Seele leben duͤrfen, wenn ſie nur
ernſtlich wollen? Man laͤutet ihnen mit der Glocke zum
Eſſen und Trinken, man ſorgt fuͤr ihre Bequemlichkeit,
fuͤr ihre Kleidung, und hier in Gengenbach haben ſie
auch mehr, als an andern Orten Gelegenheit, geſchaͤftig
zu ſeyn, und wirklich das ehrwuͤrdige Amt der Religion,
wozu ſie ſich bekennen, unter ihren Bruͤdern zu fuͤhren.
Ich
[352]
Ich ſtieg auch auf den Thurm der Kirche, um die
ſchoͤne Ausſicht zu genieſſen, die man dort oben hat.
Man uͤberſieht das Kitzinger und das Nordracker Thal,
ſo heißt naͤmlich die Gegend bei Zelle. Die Einwohner
jenes Thals haben auch ihre alte Privilegien von Kaiſern,
und es ſoll daher, wie mir ein Fuͤrſtenbergiſcher Be-
dienter aus Doneſchingen erzaͤhlte, ganz eine eigene
und zum Theil ſonderbare Verfaſſung dort ſeyn. Auf
dieſem Thurme haͤngen vier Glocken. Die mittelſte iſt
ſehr dicke, und hat doch einen ſehr reinen ſilbernen Ton,
wenn man nur mit der Hand daran ſchlaͤgt.
Im Staͤdtchen Gengenbach fuͤhrten die Schuͤler
eben als ich da war, eine Komoͤdie auf: Fritzel von
Mannheim, oder die ungleiche Vaterliebe. Den
Vater machte ein groſſer dicker Barbier, der unter einer
weiſen Leitung ein guter Schauſpieler werden koͤnnte.
Auch konnte man mit einigen von den Schuͤlern zufrieden
ſeyn.
Von Gengenbach reiſete ich fort nach dem ſoge-
nannten Prechtthal. So heißt ein Thal, das beinahe
zwei Stunden lang, an der Grenze der Vorderoͤſter-
reichiſchen und Fuͤrſtenbergiſchen Lande, das ehemals
mit mehrern andern Thaͤlern in dieſer Gegend ein ganzes
ausmachte, und ein Reichsfreies Thal war, auch noch
jetzt ſeine eigene Rechte und Gebraͤuche hat, nun aber
halb dem Markgraͤflich Baadiſchen, halb dem Fuͤrſtl.
Fuͤrſtenbergiſchen Hauſe gehoͤrt, und von dieſen Con-
dominis ſo regiert wird, daß der Vorrang, das Recht
der erſten Unterſchrift, der Vorſitz beim Jahrsgericht ꝛc.
zwiſchen den Baadiſchen und Fuͤrſtenbergiſchen Beam-
ten von Jahr zu Jahr abwechſelt. Die Religion iſt
uͤberall
[353] uͤberall in dieſen Thaͤlern gemiſcht. Die Leute wohnen
einzeln, jeder hat ſeinen Hof, und um dieſen Hof herum
liegen ſeine Aecker, Wieſen, Weideplaͤtze, Waldungen,
Saͤgemuͤhlen ꝛc. Bei der Kirche, die den katholiſchen
und lutheriſchen Gliedern gemeinſchaftlich iſt, wohnen die
beiden Pfarrer, die Schulmeiſter, ein Wirth, und noch
einige ſehr wenige Bauern. Die andern Familien lie-
gen alle zerſtreut hier und da im Walde herum. Das
Thal iſt etwa eine halbe Stunde breit, zu beiden Seiten
iſt es mit ſteilen, aber fruchtbaren Bergen eingefaßt.
Auf der einen Seite zieht ſich das Thal immer hoͤher und
ſchmaͤler nach Triperg auf dem Schwarzwald zu. Auf
der andern Seite faͤllt das Thal immer mehr in das ebne
Land herab, oͤffnet ſich immer mehr, und laͤuft fort nach
Elzach, Waldkirch, Freiburg ꝛc.
Der Weg dahin, der einzige, den man von Gen-
genbach nehmen kan, iſt uͤber ein Dorf Biberach, durch
ein andres, Steinach, und von dort nach dem Fuͤr-
ſtenbergiſchen Staͤdtchen Haßlach, wo ein Oberamt iſt.
Ich ritt zwiſchen lauter fruchtbaren und wohl ausſehen-
den Feldern hin, und ergoͤtzte mich nicht wenig daran,
wenn ich ſo oft durch die Thaͤler, die jetzt geſchloſſen zu
ſeyn ſchienen, und ſich ploͤtzlich wieder in das Unendliche
oͤfneten, auf die angenehmſte Art getaͤuſcht wurde. In
der Nachbarſchaft des Dorfs Biberach ſieht man auf
einem abſcheulich hohen Berge die Ueberbleibſel des alten
Schloſſes jener ehrwuͤrdigen Grafen von Geroldseck, de-
ren letzter Zweig an einen Baadiſchen Marggrafen ver-
heirathet wurde. Ich erinnerte mich in dem Augenbli-
cke an die neue und alte Geſchichte dieſes Hauſes. Wie
manches iſt doch in der Welt erlaubt, und wird noch mit
Zweiter Theil. Zgroſſen
[354] groſſen Namen verſchoͤnert, das doch gegen alle Geſetze
der Billigkeit und Gerechtigkeit ſtreitet! Die Lehrer des
Staatsrechts und der Geſchichtskunde werden mich hier
verſtehen.
Im Staͤdtchen Haßlach fand ich im Wirthshauſe
zwanzig wallfarthende Perſonen, die auf dem Ruͤckwe-
ge begriffen waren, und hier zuſammen ein Fruͤhſtuͤck
nahmen. Es waren Maͤnner, Weiber, erwachſene
Toͤchter und ledige Soͤhne; lauter Vorderoͤſterreichi-
ſche Unterthanen, aus dem Dorfe Saſpach, nicht weit
vom Rhein, da wo Turenne erſchoſſen wurde. Sie
geſtanden mir, daß ſie von Marien-Einſiedel kaͤmen,
und eine Reiſe von 55. Stunden gemacht haͤtten. Sie
waren ſchon acht Tage auf der Straſſe, und brauchten
noch einige Tage, bis ſie nach Hauſe kamen. Da ich
ſehr wenig rathen wollte, aber doch von fuͤnf bis ſechs
Gulden ſprach, die jedes unter ihnen auf dieſer Wallfahrt
ſchon ausgegeben haben wuͤrde, ſo geſtanden ſie das ſehr
gerne zu, und laͤugneten nicht, daß es auch noch groͤſſere
Koſten machen koͤnnte. Als ich ſie um die Urſache die-
ſer Reiſe fragte, und ihnen die Thorheit dieſer Einbildung,
als waͤre das Gebet zu Gott in Marien-Einſiedel kraͤf-
tiger als in Saſpach, vorſtellte, gab mir eine Frau ſehr
vernuͤnftig zur Antwort: Es kaͤme in ſolchen Sachen nur
auf den Glauben, und auf das eigene Gewiſſen eines je-
den Menſchen an. Wenn ich mich auch einmahl dazu in
meinem Gewiſſen verpflichtet faͤnde, ſo wuͤrde ich auch
dorthin gehen. Indem ich dieſer Frau wegen ihrem ir-
renden, aber doch zaͤrtlichen Gewiſſen Recht geben muſte,
ſo wurde ich auch mit innerm Unwillen uͤber die gewiſſen-
loſe Lehrer erfuͤllt, die das gutmuͤthige, lenkſame Volk der
gemeinen
[355] gemeinen Chriſten immer in ſolchen falſchen und ſchaͤdli-
chen Einbildungen ſtaͤrken, und ihnen ihr Geld bald da,
bald dort, bald auf dieſe, bald auf eine andre ſchaͤndliche
Art auspreſſen. Es iſt nicht moͤglich, daß nicht die
Weiſen unter ihnen die betruͤbten Folgen ſolcher blinden
Ceremonien einſehen ſollten. Wenn aber ſie und ihre
Untergebene gleichwohl nicht aufhoͤren, das Spiel im-
mer fortzuſetzen, und ganze Schwaͤrme von Leuten aus
ihren Haͤufern wegzujagen, um in einer entfernten Ka-
pelle zu beten, und unterdeſſen, daß das Hausweſen ver-
ſaͤumt, die Kinderzucht vernachlaͤſſigt, und das ſauer
erworbene Geld auf die allerunnuͤtzeſte und unbeſonnenſte
Weiſe auſſer Landes verſchwendet wird, auf dem Wege,
in Scheuren und Stallungen, und uͤberall, wo man um
des Regenwetters willen liegen bleiben muß, im heiligen
Muͤſſiggang und der innigen Vertraulichkeit, die aus
langen gemeinſchaftlich gemachten Reiſen entſteht, alle
moͤgliche Ausſchweiſungen und Wolluͤſte zu treiben; wenn
die Lehrer der Kirche das und manches andre, das hierbei
in Betrachtung kommen muß, nicht bald einſehen wol-
len, ſo muͤſſen wir freilich fuͤr das Beſte der Menſchheit
wuͤnſchen, daß Gott den Monarchen, den er dazu be-
ſtimmt zu haben ſcheint, fromme Weisheit uͤberall lehren
zu laſſen, und das Ungeheuer der Intoleranz zu verjagen,
mit Klugheit und Macht ausruͤſte, und ihn auf ſeinem
Kaiſerthron ſchuͤtze und befeſtige, bis der Irrthum ge-
ſtuͤrzt und die Prieſterherrſchaft zu Boden geworfen ſeyn
wird. Aus dem Taumelkelch, der in Marien Ein-
ſiedel geſchenkt wird, trinken gar viele. Vielleicht iſt
es in dieſer ganzen Gegend die ſtaͤrkſte Wallfahrt.
Z 2Nur
[356]
Nur eine Viertelſtunde von Haßlach entfernt, liegt
das Dorf Muͤhlbach, das ſeinen Namen von einem
kleinen Waſſer hat. Dieſer Ort iſt wenigſtens eine klei-
ne halbe Stunde lang, beſteht auch groͤßtentheils aus
einzelnen Hoͤfen und zerſtreuten Haͤuſern, die an ſteilen
Felſen haͤngen. Vor den Haͤuſern laͤuft nur ein ſchmaler
ſteinichter Weg, der fuͤr den Reiter beſchwerlich genug
zu machen iſt. Wenn er aber zuruͤckgelegt iſt, dann rei-
ſet man uͤber eine Stunde durch die angenehmſten Ab-
wechſelungen von Bergen und Thaͤlern, die ich Ihnen
nicht beſchreiben kan. Es war eben Vormittag um 10.
Uhr, als ich mit meinem Wegweiſer durch die fuͤrchter-
lich ſchoͤnen Wege wanderte, und die Sonne trat eben
hinter dunkeln Wolken hervor, und erleuchtete die Ge-
gend, als wenn ſie mir mit dieſer Pracht der Natur ein
Vergnuͤgen machen, und mich locken wollte, mehrmals
hieher zu kommen. Ich war bald auf einer ſchauderhaf-
ten Hoͤhe, bald wieder in einem ſtillen, ruhigen Thale.
Gute freundliche Bergbewohner fand ich uͤberall, und
friedliche Huͤtten ſtanden hie und da herum. Das Vieh
kletterte an den ſteilſten Hoͤhen; das Laub der Waͤlder
hatte ſchon allerlei Farben, und vergnuͤgte das Auge.
Waſſer, ſo klar und hell, daß Mann und Roß mit Her-
zensluſt davon tranken, floſſen vor meinen Fuͤſſen hin.
Die ganze Gegend kam mir ſo romantiſch vor, daß ich
mir es feſt vornahm, einmal in meinem Leben, wenn
einer meiner Zuhoͤrer Prediger im Prechtthal ſeyn wuͤr-
de, hieher zu reiſen, im ſchoͤnſten Sommermonat hier
einen Brunnen zu trinken, und an manchem Morgen
in dieſen praͤchtigen Gegenden ſpazieren zu reiten. Zuletzt
war ich auf der Hoͤhe bei einem Kreuz. von dem man
mir geſagt hatte, und ſah von da hinab in das Precht-
thal,
[357]thal, wo ſtille Huͤtten ſo ſchoͤn und ruhig da ſtanden.
Voll Bewunderung dieſer Naturſzene ſtieg ich vom Pfer-
de, ſah lange im Glanz der Mittagsſonne nach allen Ge-
genden des Thals hin, lies das Pferd fuͤhren, und ging
den Berg zu Fuſſe hinab, mit dem innigen Wunſch,
daß, wenn ich auch mein Leben in Staͤdten beſchlieſſen
ſollte, es mir doch ſo gut kommen moͤchte, von Zeit zu
Zeit auf das Land zu kommen, und die ſchoͤne Natur zu
genieſſen.
Im Prechtthal hielt ich mich einige Zeit auf, be-
ſuchte einen von den groͤßten Hofbauern, und nahm ihn
uͤber ſeine Landwirthſchaft zum Protokoll. Der Mann
wußte gar nicht, was er dabei denken ſollte; er meinte,
die vornehmen Leute und Herren bekuͤmmerten ſich nicht
um das. Ich will Ihnen aber doch einiges aus dieſen
Papieren erzaͤhlen. Im Winter iſt im Prechtthal nicht
laͤnger, als von halb acht Uhr des Morgens bis vier Uhr
Nachmittags Tag. An einigen Orten ſtoſſen die Berge
von beiden Seiten faſt zuſammen, ſo daß beinahe kein
Thal dazwiſchen iſt. Die Winterſeite iſt merklich kaͤlter,
als die Sommerſeite. Jene wird oft im Winter kaum
zwo Stunden von der Sonne beſchienen. Die Leute bauen
wegen der heftigen Winde lauter hoͤlzerne niedrige Haͤu-
ſer mit ſtrohernen und ſehr weit herabhaͤngenden Daͤchern.
Wenn hier ein Bauer nicht 30 — 33. Stuͤck Vieh halten
kan, ſo heißt er kein groſſer Bauer. Wer 18, 22,
24. Stuͤcke hat, der iſt ein mittlerer Bauer; die klei-
nen haben nur 12, 15, 18, und nach dieſem Viehſtand
wird ihnen auch die Schatzung, oder die Abgabe an die
Herrſchaft beſtimmt. Sie laſſen die Hoͤfe nicht theilen,
ſondern der Erſtgebohrne bekoͤmmt ihn, der heißt der
Z 3Hof-
[358]Hofbauer, und die andern Geſchwiſter ſind meiſtens ſei-
ne Sklaven *). Die Ehen ſind fruchtbar, und die Leute
werden alt. Koͤſtliches Trinkwaſſer iſt hier uͤberall, im
Sommer ſind manche Brunnen eiskalt, und im Winter
ſind ſie ſo warm, daß ſie nicht gefrieren. Die Leute
trinken alle Bergwaſſer, und man ſieht doch keine Kroͤ-
pfe. Die Witterung iſt ſehr abwechſelnd. Schrecklich
iſt die Hitze im Sommer; oft faͤllt ſchon um Michaelis
Schnee. Die Bauern ſind es gewohnt, immer Ofen-
waͤrme zu haben; ſie kochen alles im Ofen, und koͤnnen
die ſchrecklichſte Hitze aushalten. Haſen ſind hier in groſ-
ſer Menge vorhanden, und werden nach Strasburg
verkauft. Die Maͤnner machen hoͤlzerne Uhren, und
die Weiber und die kleinſten Kinder lernen alle von Ju-
gend auf Strohhuͤte flechten, aus weiſſem und feinem
Roggenſtroh. Jeder Bauer braucht alle Jahre einen
Strohhut, aber viele tauſend werden nach der Schweiz
verkauft. Indem ſie unterweges ſind, betteln, und den
Roſenkranz beten, flechten ſie immer Stroh. Auf den
ſteilſten Bergen wird Frucht gebaut, aber in trockenen
Jahren bekommen ſie oft blos die Saat. Sie brennen
Kohlen, verkaufen Bauholz, Dielen, Planken, Latten ꝛc.;
daher ſind an der Elz gar viele Saͤgemuͤhlen erbaut. In
gar vielen Haushaltungen wird aus rothen und ſchwarzen
Kirſchen Kirſchwaſſer gebrannt. Die Leute trinken dieſes
ſtatt
[359] ſtatt des Weins Glaͤſer- und Schoppenweiſe. Aus zu-
ſammengeſtampften, und in Gaͤhrung gebrachten Birnen
machen ſie einen Brandtewein. Im Oberthal machen
ſie aus Ahorn hoͤlzerne Schuh und Pantoffeln, und ver-
kaufen was ſie nicht brauchen. Ihre Wieſen tragen mei-
ſtens ein Gras, das beſſer iſt, als an andern Orten der
Klee. Es gibt Stellen, die viermahl im Jahre abge-
huͤtet werden koͤnnen. Nach dem zweiten Heumachen
haben ſie uͤberall noch die Herbſtweide. Sie brennen
kein Oel, ſondern haben ſtatt deſſen in allen Haͤuſern
Lichtſpaͤne, die ſie ſelber im Winter auf einem Stuhle,
wozu drei Menſchen gehoͤren, ſchneiden, und auch in
Handel bringen. Erſtaunlich viel Milch, Butter und
Kaͤſe wird gegeſſen. Die Schweine ringeln ſie im Win-
ter einfach, oder doppelt, weil ſie ſie bis im April herum-
laufen laſſen. Alle nuͤtzliche und noͤthige Handwerker
ſind im Thal, aber freilich muß man oft weit laufen, bis
man den Handwerksmann erreicht. Der Schulz im Thal
hat einige Gewait, und heißt der Thalvoigt. Die
Leute ſind langſam, ſchwerfaͤllig, haben einen verſteckten
Stolz, ſind gerade ſolche Reichsthaͤler, wie die Reichs-
ſtaͤdter, bilden ſich gewaltig viel darauf ein, daß ſie hier
wohnen, und nicht anderswo, und muͤſſen mit vieler
Klugheit behandelt werden. Die Weibsleute tragen alle
ſehr kurze Roͤcke, die nur wenig uͤber das Knie herabge-
hen, und kaum die Waden erreichen. Die Regierung
hat ſchon mehr als einmal ſtrenge befohlen, daß ſie die
neuen Roͤcke bis auf den Knoten am Fuß machen ſollten.
Aber ſie beh[au]pten, daß ſie mit den kurzen Roͤcken auf
den Bergen beſſer arbeiten und fortkommen koͤnnen, und
laſſen es ſich nicht wehren. Mir ward auf dem Hofe
des Bauern mit Honig, Butter, Kaͤſe und Kirſchen-
Z 4waſſer
[360] waſſer aufgewartet. — Doch vielleicht habe ich Ihnen
ſchon zu lange von dieſen Prechtthaͤler Bauern erzaͤhlt.
Ihre beſondre Landwirthſchaft gehoͤrt freilich mehr in die
Topographie meines Vaterlandes, als in die Geſchich-
te dieſer Reiſe. Alſo muß ich Sie wieder in eine Stadt
fuͤhren.
Aus dem Thal wegzukommen, ritt ich immer an der
Elz, die hier entſpringt, fort, und bewunderte ihren
krummen und wandelbaren Lauf. Ich kan Ihnen nicht
ſagen, wie oft man uͤber eine Elzbruͤcke muß in kurzer
Zeit. Es vergeht beinahe kein Jahr, ſo entſtehn von
dieſem Waſſer fuͤrchterliche Ueberſchwemmungen. In den
an ſich engen und ſchmalen Wegen liegen Felsbrocken,
und grobe, wuͤſte Steine, die das Waſſer herbeigefuͤhrt
hat, in groſſer Menge. Man zeigte mir den Ort, wo
die Elz noch vor kurzer Zeit eine katholiſche Kapelle zer-
ſtoͤrt hat. In einer Nacht waͤchſt ſie oͤfters zu einer un-
begreiflichen Hoͤhe, und thut auf dem ebnen Lande, wenn
ſie uͤber die Wieſen laͤuft, oder die Weideplaͤtze uͤber-
ſchwemmt, auf welchen man meiſtens um die Zeit des
Anlaufens Hanf zum Trocknen und Bleichen aufgeſtellt
hat, der alsdann vom Waſſer entweder fortgefuͤhrt, oder
doch unter einander geworfen und verdorben wird, groſ-
ſen Schaden. Nicht weit von meinem Geburtsorte,
Koendringen in der Marggrafſchaft Hachberg, ver-
einigt ſich die Elz mit der Treyſam, und faͤllt hernach
mit ihr in Rhein.
Angenehm iſt es, zwiſchen den einzelnen Hoͤfen, die
bald mehr, bald weniger von einander entfernt ſind,
durchzureiten. Die Leute eſſen alle gewaltig viel Brod.
Auf einmahl verbackt man oft in einer mittelmaͤſſigen Fa-
milie
[361] milie acht, neun bis zehn Seſter Mehl, und in acht
Tagen iſt das alles aufgegeſſen. Brod, Grundbirnen und
Milch iſt die taͤgliche Nahrung dieſer Leute. Sonderbar
iſt es, daß in dieſen Huͤtten das Brodbacken mehr die
Sache des Mannes, als der Frau iſt. Hier iſt es
durchgaͤngige Gewohnheit, daß der Mann den Ofen ein-
heitzen, kneten, Teig machen, Laibe formiren, und ein-
ſchieben muß. Und auch dieſes Geſchaͤft, ſo wie jedes
andre auf dem Felde und im Hauſe, verrichten ſie in ih-
ren groben hoͤlzernen Schuhen.
Es iſt kein Haus, wo nicht eine hoͤlzerne Uhr von
denjenigen, die auf dem Walde ſelbſt gemacht werden,
vorhanden waͤre. Es iſt natuͤrlich, daß die Leute auf
dieſe Art von Beſchaͤftigung gefallen ſind, da ſie alle ein-
ſam wohnen, und die Kirchenuhr nicht hoͤren koͤnnen.
In der Woche haͤlt der Lutheriſche Pfarrer Betſtunde,
wenn der Schulmeiſter meldet, daß einige Wenige in
dieſer Erwartung beiſammen waͤren. Denn, wer hoͤrte
es, wenn er allemahl an den ſonſt uͤblichen Tagen wollte
laͤuten laſſen?
Am Ende des eigentlichen Prechtthals iſt das
Staͤdtchen Elzach, das ſehr nahrhaft iſt. Nur wenige
Schritte vorher koͤmmt man zu dem Ladhof, oder zu
dem Hauptwirthshaus im Prechtthal, wo die wechſel-
ſeitigen Beamten abſteigen, und die Geſchaͤfte vorgenom-
men werden. Das Koͤſtlichſte, was man im Precht-
thal eſſen kan, das ſind die kleinen ſchwarzen Forellen,
die man in den Bergwaſſern ſo haͤufig findet. Unter der
Haut haben dieſe Fiſche ein aͤuſſerſt zartes, weiches und
ſchmackhaftes Fleiſch, das in einer Butterbruͤhe dem
Z 5muͤden
[362] muͤden Wanderer, der von Gebuͤrgen koͤmmt, treflich
behagt.
Mit dem Staͤdtchen Elzach ſind Sie wieder in die
vorderoͤſterreichiſchen Lande gekommen, und nun fuͤhrte
mich die Straſſe durch Ober und Niederwinden, nach
dem Doͤrfchen Colnau, und endlich nach Waldkirch.
Dieſer Weg, der einige ſtarke Stunden ausmacht, hat
ungemein viele Schoͤnheiten und Abwechſelungen. Einige
Thaͤler ſind unbeſchreiblich ſchoͤn, und hie und da eine
Ausſicht zwiſchen den Bergen nach den entferntern Ge-
genden des Schwarzwaldes, nach dem ſogenannten
Simonswald ꝛc. hin, die mir am fruͤhen Morgen im-
mer angenehmer wurde, je mehr die Sonne auf das Thal
wirkte und die Nebel zertheilte.
Waldkirch iſt eine kleine Stadt an der Elz, die
ihren Namen mit Recht fuͤhrt, denn hinter der Stadt
iſt lauter dicker, ſchwarzer Wald, der nach dem Gloder-
thal, und weiter hinauf auf die Gebuͤrge des Schwarz-
waldes hinlaͤuft. Das Wichtigſte in der ganzen Stadt,
und auch die Urſache meiner Reiſe hierher iſt das Bohren
und Schleifen der Granaten und die Kryſtallarbeiten,
die hier, ſo wie in Freiburg, gemacht werden. Es
iſt der Muͤhe werth, daß ich Ihnen davon etwas erzaͤhle,
um ſo mehr, da ſchoͤne, groſſe, helle und feingeſchliffene
Granaten noch immer zum Schmuck unfrer Schoͤnen
gehoͤren.
Es ſind gegenwaͤrtig in Waldkirch 28. Muͤhlen,
oder Granatenſchleifen angelegt. Die Arbeiter machen
eine eigene Zunft aus, hundert und vierzig Meiſter wa-
ren jetzt in der Stadt. Die rohen Granaten kommen
alle aus Boͤhmen, wo ſie an verſchiedenen Orten, bei
Collin,
[363]Collin, und beſonders auf den Graͤflich Hatzfeldiſchen
Guͤtern gefunden werden. Die Leute, die ſie zuweilen
ſelber bringen, wiſſen weiter nichts von ihrer Gewinnung
zu erzaͤhlen, als daß ſie im Geſtein ſteckten. Man gra-
be, ſagen ſie, dieſe Steine aus, laſſe ſie klein ſtoſſen
und zerklopfen, alsdann leite man Waſſer uͤber das Ge-
mengſel, dadurch wuͤrden die Granaten herausgewaſchen,
und dieſe laſſe man durch Kinder aufſuchen, und ſam-
meln. Eben ſo brauche man kleine Kinder dazu, wenn
durch ſtarken Regen oder groſſes Waſſer die Granaten im
Berge ſelber herausgeſchwemmt werden. Bei Ueber-
ſendung der rohen Granaten zahlen die Boͤhmiſchen Her-
ren Porto und Zoll. Wie das Bohren und Schleifen
der boͤhmiſchen Granaten nach Waldkirch gekommen
iſt, iſt unbekannt. So viel weis man, daß man hier
eher Achate und Kryſtalle geſchliffen hat, als Granaten,
und auf die Anlegung jener Schleiſmuͤhlen verfielen ver-
muthlich geſcheidte Koͤpfe, welche die Armuth des Volks,
und die Duͤrftigkeit des Bodens hier einſahen. Unſre
Achatſchleife im Sponheimiſchen iſt ebenfalls in einer
rauhen Gegend angelegt. Doch werden jetzt hier keine
Achate mehr geſchliffen, nur Granaten und Kryſtalle.
Wenn rohe Granaten ankommen, ſo werden ſie Pfund-
und Lothweiſe gewogen, damit man ihren Werth beſtim-
men kan. Gehen dreihundert Granaten auf ein Loth, ſo
gilt das Pfund nur zwei Reichs-Gulden. Es gilt aber
drei und einen halben Gulden, wenn nur 250 Gra-
naten auf ein Loth gehen. Braucht man gar nur zwei-
hundert Granaten auf ein Loth, ſo gilt das Pfund 6. bis
8. Gulden. Wenn ſie aber ſo leicht ſind, daß man vier-
hundert Granaten zu einem Loth haben muß, ſo iſt das
Pfund nicht mehr als dreiſſig Kreuzer, auf das hoͤchſte,
wenn
[364] wenn ſie ſehr ſchoͤn ſind, ſechzig Kreuzer, oder einen
Gulden werth. Wenn tauſend geſchliffene und gebohrte
Granaten ein Pfund wiegen, ſo haͤlt man dieſe fuͤr die
beſten. Nachdem die Probe mit Waͤgen und Zaͤhlen der
rohen Granaten gemacht worden iſt, ſo werden ſie tau-
ſendweiſe an die Meiſter verkauft. Sie kommen in Saͤ-
cken und Kiſten Zentnerweiſe an. Es gibt tauſend Stuͤ-
cke, die nicht mehr als vier Loth wiegen, und gibt Tau-
ſende aller Art, deren Gewicht zwiſchen vier und zwei
und dreiſſig Loth faͤllt. Ich ſah gerade Granaten ſchlei-
fen, wovon Tauſend nur achtzehn Loth ſchwer waren.
Ehe ſie aber geſchliffen werden koͤnnen, muͤſſen ſie gebohrt
werden. Bei dieſer Arbeit, die in Haͤuſern, in jeder
Wohnſtube, neben allen andern haͤuslichen Geſchaͤften
geſchehen kan, werden ſie erſt mit einem groſſen und ſicht-
baren Diamanten angebohrt. Das iſt insgemein die
Sache des Vaters, des Mannes, oder doch eines ſtar-
ken Knaben, weil dazu einige Gewalt gehoͤrt. Hierbei
wird die Granate umgekehrt und auf beiden Seiten ange-
bohrt. Jede muß einzeln vorgenommen und in die klei-
ne Maſchine, die auf dem Tiſche liegt, damit ſie unter
dem Druck nicht ausweiche, eingezwaͤngt werden. Das
voͤllige Durchbohren der angebohrten Granaten geſchieht
meiſtens von jungen Maͤdchen, die einen Stift, in wel-
chen zwei kaum ſichtbare Diamantſtuͤcke eingeſetzt ſind,
in der Hand haben, ihn in die feſtgemachte Granate, da
wo ſie angebohrt ſind, einſetzen, und nun dieſen Stift,
vermittelſt eines kleinen Bogens und anderer geringer
Maſchinen, ſo lange herumtreiben, bis die Granate von
oben herab ganz durchgebohrt iſt. Tauſend, auch 1200
Granaten von mittlerer Groͤſſe und Art werden in Einem
Tag angebohrt. Durchgebohrt koͤnnen nur 4. oder 600.
werden,
[365] werden, je nachdem ſie gros oder klein ſind. Weil man
durchaus Diamanten zum An- und Durchbohren der
Granaten haben muß, ſo iſt dies eine viel koſtbarere Ar-
beit, als das Schleifen. Der Karat von den dazu uͤbli-
chen Diamanten gilt zwei Reichsgulden. Ein guter Dia-
mant kan in der Hand eines vernuͤnftigen Arbeiters ein
Jahr dauren, manche ſpringen aber entzwei, wenn man
ſie kaum ein Vierteljahr gebraucht hat.
Die gebohrten Granaten werden geſchliffen, damit
ſie die Seiten, Flaͤchen, Facetten, kurz die Abtheilun-
gen, die Spiegel und den Glanz bekommen, den ſie ha-
ben ſollen. Dazu ſind vor den Thoren der Stadt, weil
man dabei dem Waſſer nahe ſeyn muß, viele kleine nie-
drige Haͤuſer erbaut, und in jedem iſt eine Schleifmuͤhle.
Ein Waſſerrad mit Schaufeln, das von der Elz getrie-
ben wird, treibt eine Daumwelle; an dieſen Baum ſind
4. groſſe rothe Sandſteine befeſtigt, mit der Daumwelle
muͤſſen auch dieſe herumlaufen; vor den Sandſteinen liegt
der Arbeiter, nicht ganz auf dem Boden, wie beim
Achatſchleifen im Sponheimiſchen, ſondern mit der
Bruſt liegt er erheben auf einer Art von hohlen, ausge-
ſchnittenen Stuhl. Indem der Sandſtein herumgetrie-
ben wird, laͤuft aus einem Kanal auch immer etwas
Waſſer auf den Stein. Nun nimmt der Arbeiter einen
hoͤlzernen Stiel in die Hand, der etwas laͤnger iſt als
eine Spanne, hinten dicker zum Anfaſſen, und vorne
zugeſpitzt. Dieſer hoͤlzerne Stiel, der blos deswegen
noͤthig iſt, weil die Granate zu klein iſt, als daß man
ſie mit der Hand faſſen und ſchleifen koͤnnte, (der Achat-
ſchleifer muß den Achakieſel ſelber in die Hand nehmen,)
iſt hohl; der Arbeiter ſteckt durch dieſen hoͤlzernen Kanal
einen
[366] einen Stift von Eiſendrath, etwas dicker gemeiniglich,
als eine ſtarke Strickenadel; auf die auſſen hervorſtehende
Spitze des Eiſens ſteckt er Eine Granate, denn mehrere
zugleich kan er nicht ſchleifen; damit ſie nicht wieder her-
abfalle, druͤckt er die in ihrer gebohrten Hoͤhlung aufge-
ſteckte Granate in einem Stuͤck gelben Leders, das er
neben ſich liegen hat, feſt, legt ſich nun auf ſeinen Stuhl
und ſchleift. Die Sandſteine werden auf der Achſe hie-
her gebracht von Heimbach und Tennenbach in der
Marggrafſchaft Hachberg. Einer kan 24. auch 26.
Gulden koſten, und wenn die Schleiſmuͤhle nicht oft ſtil-
le ſteht, waͤhrt er doch kaum ein Jahr. Man kan nie
mehr als 4. Sandſteine neben einander ſtellen, und mit
einander herum laufen laſſen, well ſonſt ein Arbeiter dem
andern im Lichte ſtuͤnde, und helle muß es bei dieſer Ar-
beit ſeyn. Als ich mich daruͤber wunderte, warum man
nicht lieber einige groſſe Gebaͤude, lang und ſchmal, mit
vielen Raͤdern und Steinen in einer Reihe aufgeſuͤhrt
haͤtte, als ſo viele kleine einzelne Muͤhlen, erzaͤhlte man
mir einen Verſuch, den man nur mit fuͤrf Steinen neben
einander angeſtellt hatte, und der nicht gelingen konnte,
weil der Arbeiter in der Mitte bei dieſer Einrichtung nichts
mehr ſah. Die Sandſteine ſpringen auch zuweilen in
der Mitte ploͤtzlich entzwei. Man zeigte mir ſolche Stuͤ-
cke von einem Stein, der von ſich ſelber unvermuthet zer-
brach. Ueberhaupt iſt das Schleifen ein gefaͤhrliches
Handwerk fuͤr den Arbeiter. Wenn er 30. bis 40. Jahre
alt iſt, iſt er insgemein blind, kan in das Elend gehn
und betteln. Beim Schleifen kommt alles darauf an,
daß der Arbeiter die Granaten gehoͤrig in Rauten abthei-
le. Er muß es im Kopfe machen, und mit den Augen
abtheilen. Den Anfaͤngern zeigt man es an ſchon ge-
ſprun-
[367] ſprungenen, an halben oder Viertels-Granaten. Man
laͤßt ſie auch nur an den ſchlechteſten die Probe machen.
Die kleinſte Zahl der Seiten oder Facetten iſt ſechs. Man
ſchleift 12, 16, aufs hoͤchſte 32. Seiten daran. Ein
geſchickter Arbeiter ſchleift in einem Tage 1000. Granaten,
auch 1100, je nachdem mehr oder weniger Facetten dar-
an ſeyn ſollen. Dafuͤr iſt ſein Tagelohn nur 18. Kreu-
zer. Bei dieſem Schleifen ſpringen viele Granaten ent-
zwei, oft vom Hundert 28. bis 30. Stuͤcke. Wenn ſie
geſchliffen ſind, werden ſie gleich von Weibsleuten, die
auch in der Schleife ſitzen, mit Trippel auf einer runden
Scheibe polirt, und alsdann ſieht man erſt das Feuer,
womit ſie ſpielen, und den herrlichen Glanz, den ſie von
ſich werfen. Die Meiſter der Schleifer faſſen ſie auf,
Taufendweiſe an Faͤden von tuͤrkiſchem Garn. Wer im
Ort ein Taufend kauft, dem werden ſie noch auf Seiden-
faͤden aufgezogen. Auch fuͤr 5. Gulden kan man ein ar-
tig geſchliffenes Tauſend haben, aber auch Tauſend fuͤr
6, 8. und mehrere Louisd’or. Von Waldkirch und
Freiburg gehen ſie in die ganze Welt. Man beſtellt
insgemein, wann, wie viel, wie gros, und wie geſchlif-
fen man ſie haben will. Nach Italien, Frankreich,
und nach der Tuͤrkei gehen gar viele. Auch haben die
Fabriken guten Abſatz auf der Frankfurter und Zur-
zacher Meſſe. Ein Mann hat ſelten eine Schleife al-
lein, oft haben ganze Familien an Einer Theil. Daß
der Abſatz ſeit ungefaͤhr zehn Jahren ſehr abgenommen
hat, daruͤber klagen die Meiſter nicht ſowohl die Mode,
als vielmehr die waͤlſchen Faktore in Freiburg an, und
ſagen ihnen nach, daß ſie oͤfters Beſtellungen abweiſen,
oder zuruͤckhalten, um die Granaten immer in einem nie-
drigen Preiſe zu erhalten. Ehemals mußten alle Arbei-
ter
[368] ter ſchwoͤren, daß ſie ſich nirgends anderswo feſtſetzen oder
niederlaſſen wollten, als hier oder in Freiburg. Aber
mit Huͤlfe eines aus Freiburg davon gelaufenen Schlei-
fers ſoll ein Graf in Boͤhmen eine Schleife haben bauen
laſſen. Ob die Sache ihren guten Erfolg hatte, weis
ich nicht. Nur das muß ich Ihnen noch ſagen. Die
Leute in dieſen Muͤhlen waren nun alle in der groͤßten Un-
ruhe, weil das Geruͤchte ging, daß Ihro Majeſtaͤt,
der Kaiſer, die Ausfuhre der rohen Granaten aus
Boͤhmen verboten haͤtten. Sollte ſich das beſtaͤtigen,
ſo iſt zu wuͤnſchen, daß eben dieſer geliebte und angebe-
tete Monarch, wenn er den Boͤhmen ihre einheimiſchen
Schaͤtze der Natur laſſen will, auch ſeinen Unterthanen
am Fuß des Schwarzwaldes andre Nahrungsquellen
eroͤfne, damit nicht etliche hundert Familien ploͤtzlich an
den Bettelſtab gerathen. Und ſollte ſich dieſe ſchoͤne Ar-
beit in dieſen Gegenden wieder ganz verlieren, und der
Granatenhandel einen andern Weg nehmen, ſo iſt es
mir um ſo angenehmer, daß ich alles noch zu rechter Zeit
geſehen habe.
Der Bergkryſtall, der hier verarbeitet wird, kommt
aus der Schweiz, und wird auf eben die Art, wie die
Granaten geſchliffen. Man macht Kleiderknoͤpfe, Stock-
knoͤpfe, Triangel, Prisma, Pettſchafte, Kelche, Kir-
chenlampen, Kronleuchter ꝛc. daraus, in der Stadt ſind
ganze Magazine davon, und der Handel wird mit den
Granaten zugleich getrieben. Vielleicht ſetzen einige dieſe
Arbeit fort, wenn keine rohe Granaten mehr zu haben
ſind. Oft wuͤnſche ich, immer einer ſolchen Muͤhle
nahe zu ſeyn. Wie manchen ſchoͤnen Kieſel, den ich
am Waſſer und auf der Straſſe finde, wuͤrde ich an-
ſchleifen,
[369] ſchleifen, und mir in kurzer Zeit eine praͤchtige Samm-
lung von inlaͤndiſchen und wohlfeilen Schoͤnheiten ver-
ſchaffen!
Von Waldkirch ritt ich durch einige Hochbergiſche
Doͤrfer, z. E. Denzlingen, Gundelfingen, um wie-
der auf die gerade Straſſe zu kommen, die nach der
Schweiz zulaͤuft. Sie fuͤhrt durch Freiburg wo ich
mich jetzt nicht aufhielt, um ſo weniger, da mein Freund,
der einzige, den ich in der Stadt beſuchen wollte, nicht
zu Hauſe war. Von Freiburg ritt ich noch eine Sta-
tion fort nach Grozingen, und fand unterweges die
Oberlaͤnder Bauern uͤberall ſtark mit ihrem Herbſt be-
ſchaͤftigt. In Wolfenweiler (Oberamts Baaden-
weiler) hat man meiſtens weiſſe Weine, weil ſie lau-
ter Moſtrauben haben, keine rothe, und keine Ebertrau-
ben, indem ſie blos auf die Menge des Weins ſehen.
Die Schwaben und ſogenannte Waͤlder kaufen ihnen
dieſen Wein meiſtens ab, ſie verlangen aber, daß der
Wein gelber ſeyn ſoll; daher thun ſie auch, was an ſo
vielen Orten in der Welt, im Groſſen und im Kleinen
geſchieht, ſie laſſen Zucker uͤber dem Feuer ſchmelzen, und
thun ihn in den Wein. Man rechnet auf Ein Saum
Wein Ein Pfund Zucker. Wenige Tropfen vertheilen
und ziehen ſich im ganzen Fuhrling herum. Die Marg-
graͤflich Baadiſche Unterthanen lernen dieſe Kuͤnſte von
den Einwohnern des Schwabenlandes. Denn die
Schwaben treiben das ungeſcheut, und faͤrben gleich im
Baadiſchen Wirthshauſe den Wein, den ſie gekauft ha-
ben. Sonſt iſt der Wein hier ſo gut, daß man ſchon
zweijaͤhrigen Wein insgemein als einen ſehr guken Wein
Fremden vorſetzen kan. Und heuer galt das Maas vom
zweijaͤhrigen Wein in Wolfenweiler nicht mehr als
Zweiter Theil. A a16. Kreuzer
[370] 16. Kreuzer. Das iſt einer von den Landweinen, die
Sr. Majeſtaͤt der Kaiſer bei Ihrer Durchreiſe durch das
Land, allen fremden Weinen vom Rhein, von der Moſel,
aus Ungarn ꝛc. vorzogen, und ſo lange Sie im Lande
waren, mit groſſem Beifall beehrten.
In Grozingen trieb man am Abend eine Heerde
von 300. Schaafen ein, die lauter Einſchuͤrige waren.
Der Ort iſt Oeſterreichiſch und hat auch einige blaue
Wollen-Manufakturen. Ich fand da, daß die Maͤuſe
auch ſtark an den getrockneten Stockfiſchen freſſen, die
von den Katholicken in Kellern gehalten werden. Im-
mer waren jetzt die blauen Gipfel der Berge auf der lin-
ken Seite mit Wolken bedeckt. Sieht man das, ſo kan
man mit optiſcher Wahrheit ſagen: Die Wolken ruhen
auf den Gebuͤrgen. Regen und Sonnenſchein wechſeln
auch hier oft in Einem Tage gar vielmahl ab, und Frei-
burg iſt ohnehin die bekannte Wetterſcheide im Breis-
gau. Die meiſten Voͤgel waren nun (den 19. Sept.)
ſchon vom platten Lande weg. Noch vor drei Tagen war
das Vieh gewaltig von Inſekten geplagt, weil aber ge-
ſtern in dieſen Gegenden ein ſtarkes Donnerwetter ausge-
brochen, ſo waren die meiſten Inſekten ebenfalls weg,
und die Luft war abgekuͤhlt; am fruͤhen Morgen, als ich
die Reiſe fortſetzen wollte, war die Kaͤlte ſchon merklich.
Weil auch das Laub in den Waͤldern ſchon ſehr gelb und
roth war, ſo weiſſageten die Bauern alle fruͤhe Kaͤlte.
Aber ſie betrogen ſich doch. Denn, bis jetzt in der Mitte
des Novembers, da ich dies ſchreibe, haben wir keinen
Winter, ſondern die gewoͤhnliche Nebel, dicke Luſt und
die regneriſche Jahrszeit gehabt, wodurch der November
bei uns insgemein eben ſo unangenehm als ungeſund wird.
Einmahl
[371] Einmahl fand man am Morgen duͤnnes Eis in den klein-
ſten Graͤben, das aber zerſchmolz, ſo bald die Sonne
hervortrat.
Den andern Tag war ich in Muͤllheim, und ruhte
unter guten Freunden aus. Es iſt das ein ſehr groſſer
und anſehnlicher Flecken, der in manchem Lande gar eine
huͤbſche Stadt heiſſen wuͤrde. Alle herrſchaftliche Be-
diente fuͤr das Oberamt Badenweiler wohnen hier, und
man genießt die herrlichen Schaͤtze der Natur in der Ru-
he auf dem Lande, und in der gluͤcklichen Entfernung von
der Eitelkeit der Stadt, und dem Laͤrm vieler muͤſſiger
Menſchen, hier vielleicht beſſer, als an vielen andern Or-
ten. Der Oberamtmann ſagte mir, daß er Hofnung
habe, in dieſem Jahre die zweite reife Traube zu bekom-
men. Wenigſtens war ſie ſchon ganz ausgewachſen, und
faͤrbte ſich bereits. Ich ſprach davon bei Tiſch mit dem
P. Groskeller aus dem Kloſter St. Peter, der eben
auch wegen Geſchaͤften in der Kanzlei hier war, und er
verſicherte mir, daß er auch auf den Aeckern ſeines Klo-
ſters, das doch ziemlich hoch und kalt liegt, den Fall er-
lebt haͤtte, daß in Einem Sommer zweimahl Flachs ge-
wachſen ſei. Der zweite Flachs ward nicht ausgeſaͤet.
Er wuchs nur vom ausgefallenen Saamen auf, und
ward wieder voͤllig zeitig.
Bei guten Freunden verrauſcht ein Tag ſehr ſchnell.
Zwei von ihnen begleiteten mich am folgenden Morgen
bis auf die Probſtei Buͤrglen, die ſchon dem Fuͤrſten von
St. Blaſien gehoͤrt, und die Gefaͤlle und Zehenden, die
das Kloſter in der Gegend hat, einziehen muß. Sie
liegt auf einem hohen, faſt unzugaͤnglichen Berge, der
hinter Feldberg und Obereggenen in die Hoͤhe ſteigt.
A a 2Schreck-
[372] Schrecklich ermuͤdend, gefaͤhrlich und muͤhſam fuͤr Men-
ſchen und Thiere ſind oͤfters die Wege in dieſen bergigten
Gegenden. Das Colchicum autumnale L. oder
die Zeitloſe bluͤhte ſchon in der Mitte des hohen Berges;
der Arzt in Muͤllheim verſicherte mir aber, daß ſie ſchon
vor drei Wochen gebluͤht habe. Schlieſſen Sie daraus
auf die Hoͤhe dieſer Berge. Im platten Lande bei uns
bluͤht die Zeitloſe oͤfters erſt im Dezember, auch wohl
erſt um Weinachten. Als wir weiter hinkamen, fanden
wir an den Felſen das herrliche Bluͤmchen, Euphraſia
officinalis L. War es gleich fuͤr uns kein beſondrer
Augentroſt, ſo war es uns doch eine angenehme Augen-
weide, und ich habe lange ein kleines Straͤuschen davon
auf dem Hute getragen. Wir hatten endlich die Hoͤhe
erſtiegen und kamen gegen Mittag auf einen gebahnten
Weg, der uns in die Probſtei fuͤhrte. Zum Ungluͤck
fuͤr uns war der P. Probſt nicht zu Hauſe, und ich verlor
alſo das Vergnuͤgen, einen geſchickten und fleiſſigſtudi-
renden Mann, der ſein Otium auf die edelſte Art an-
wendet, kennen zu lernen. Im Katalogus der ſaͤmtli-
chen Glieder des Stifts St. Blaſien, den ich nachher
aus der gnaͤdigen Hand des Fuͤrſten erhalten habe, heißt
dieſer wuͤrdige Mann: P. Fintanus Linder, Zellenſis
Acron. Er hat bei Wohlern in Ulm eine hebraͤi-
ſche Grammatik drucken laſſen, und arbeitet gegenwaͤr-
tig, wie man mir ſagt, an einem noch ſchwerern Werke.
Seiner Abweſenheit ungeachtet wurden wir von dem
Hausmeiſter mit aller Hoͤflichkeit empfangen und ſo be-
wirthet, daß wir den Schweis, den wir waͤhrend dem
Bergſteigen vergoſſen hatten, nicht bereuten. Wir gin-
gen erſt auf der Probſtei herum, und nahmen alles in
Augenſchein. Ein kleiner niedlicher Garten iſt um das
Haus
[373] Haus herum angelegt. Doch bemerkte ich, daß auch auf
dieſer Hoͤhe, wo die Kaͤlte ſehr ſcharf iſt, und noch in die-
ſer Jahrszeit kleine Gartenſchnecken im Garten das
Kraut ſo ganz kahl fraſſen, daß es wie Beſenreiſig da
ſtand. Der Probſt hat, weil er einſam wohnt, einen
Karpfenteich, und tiefer, unter dieſem Teiche, noch einen
Aalteich angelegt. Weil man aber das Waſſer aus ei-
nem Teiche in den andern laſſen kan, ſo geſchah es, daß
doch einmahl durch den Ablaß junge Karpfen in den Aal-
teich kamen, und von den Aalen gefreſſen wurden. Das
kan den Landwirthen zur Warnung dienen. Noch tiefer
unten iſt ein Kabinettchen angelegt, wo man ſich mit dem
Maiſenkloben ein Vergnuͤgen machen, und mit dem Fern-
rohre die groſſe und weite Ausſicht genieſſen kan. Unter
dieſem Kabinettchen, wo es auch Freude ſeyn muß, im
Sommermorgen zu leſen, oder die Natur zu ſtudiren, iſt
noch ein tiefes und geraͤumiges Waſſerbehaͤltnis, das zu-
gleich als Badkaſten dienen kan. Auſſer dem Schreiber
oder Hausmeiſter und ſechs Bedienten wohnt niemand
hier, als der P. Probſt. Auf der Terraſſe vor dem
Hauſe, und aus einigen Zimmern ſieht man eine Gegend
von 16. Stunden im Umfang. Mit dem Fernrohre kan
man hundert Oerter unterſcheiden. Man ſieht einen
Theil vom Baadiſchen Lande, Baſel, Huͤnningen,
den Rheinſtrom, Dann, an den Elſaͤſſiſchen Gren-
zen, und auf der Schweizeriſchen Seite ſieht man die
Eisberge, die beſonders ſchoͤn ſind, wenn vorher ein Re-
gen gefallen iſt. Im obern Stock des Gebaͤudes iſt eine
ſimple Uhr, die doch an ſieben Orten ſieben Scheiben re-
giert, naͤmlich in den vier Ekzimmern, auf der Treppe,
im Saal ꝛc. Ferner laͤutet die Uhr, ohne angezogen zu
ſeyn, gieich einem Wecker, um 8, um 7, und um 12. Uhr.
A a 3Ein
[374] Ein Franzoſe, Maſſon, ſing die Uhr an, endigte ſie
aber nicht. Ein geſchickter Baadiſcher Schloſſer in
Candern vollendete ſie. Der letzte Kuͤnſtler ſitzt aber
gegenwaͤrtig im Pforzheimer Zuchthauſe, weil er ſeine
Kunſt misbrauchte, und falſches Geld muͤnzte, das aber
bald entdeckt wurde. Im Kreuzgange, und uͤber allen
Thuͤren im obern Stock ſind artige Gemaͤlde von Biſchoͤf-
fen, Aebten, Probſteien, Prioraten und Pfarreien, die
zu St. Blaſien gehoͤren. Auch ſieht man hier noch
ein Gemaͤlde von dem ehemaligen und verbrannten Stift
Blaſien. In den Zimmern ſieht man herrliches Schreiner-
werk, das ein Schreiner in Grozingen gemacht hat, be-
ſonders ſchoͤn iſt ein Buͤffet aus Maſern, oder Holzwur-
zeln mit Tannenleiſten eingefaßt. Die alabaſternen Ti-
ſche ſind aus dem Blaſier Gebiet. Schoͤn iſt auch die
kleine Kirche fuͤr den Probſt, und fuͤr die Leute auf den
Meierhoͤfen, und fuͤr die Feldarbeiter. Ich ſah hier Ka-
cheloͤfen, die gerade wie Buͤſſets ausſehen; die Kacheln
ſind braun, die Leiſten ſind gelb, ſo werden ſie in meinem
Vaterlande, in Candern, gemacht. Noch ſchoͤner
aber, als das alles, iſt der Saal, der mit vielen koſtba-
ren Gemalden ganz behaͤngt iſt. Beſonders merkwuͤrdig
iſt uͤber dem Eingang ein herrlicher todter Koͤrper. Un-
ter andern ſieht man hier auch den letztverſtorbenen Fuͤr-
ſten von St. Blaſien, der gar ein ſchoͤner Mann gewe-
ſen ſeyn muß. Das Blumengaͤrtchen hat einen magern
Boden, doch hatte es ſchoͤne Aſters, und ziemlich groſſe
Kuͤrbiſſe. In der Kuͤche iſt ein verſchloſſener, und fuͤr
den, der es nicht weiß, ganz unkenntlicher Eingang in
den Keller. Hundert und achtzig Saum kan der Probſt
in einen Keller legen. Seine meiſten Weine kommen
von Rentweiler am Rhein. Die meiſte Frucht iſt
Gefaͤlle
[375] Gefaͤlle im Baadiſchen Land. Die Arbeiter auf dem
Felde werden mit blechernen Sprachrohren kommandirt.
Das Waſſer fuͤr die Probſtei muß vom Berge Blauen,
der eine halbe Stunde davon entfernt iſt, hergeleitet wer-
den. Jetzt geſchieht die Leitung in eichenen Kanaͤlen,
die man hie und da im Boden laufen ſieht. Das Waſ-
ſer hat Fall genug, und iſt ſehr friſch und geſund. Weil
die Probſtei einſam ſteht, ſo iſt eine eigene Schreinerei,
eine Schmiede, und ſonſt noch einiges Handwerksgeſchir-
re da.
Nach Tiſche trennte ich mich, gleich auſſerhalb dem
Thore der Probſtei Buͤrglen, von meinen lieben Freun-
den aus Muͤllheim, und ritt uͤber Sizenkirch, um im
Flecken Candern andre gute Freunde aufzuſuchen. Er
liegt an einem Waſſer, das die Cander heißt, ob aber
das Waſſer dem Orte, oder der Ort dem Waſſer den Na-
men gegeben, iſt ungewiß. Da ſah ich insbeſondre bei
Hrn. Oberforſtmeiſter von Adelsheim den ſchoͤnen Gar-
ten, den er an einem Orte, wo vorher nichts als Wild-
nis war, angelegt hat. Ferner ſeine Voliere von allerlei
Land-Waſſer- und Bergvoͤgeln, die aus dieſer Gegend
zuſammengebracht, und wobei er ſchon manche ſchoͤne
Bemerkung gemacht hat, die jetzt nicht hieher gehoͤren.
Man muß die Geſchicklichkeit, den Fleiß, und die patri-
otiſchen Bemuͤhungen des Mannes bewundern, der in
dieſer wirklich rauhen Gegend alle Arten von Penſylvani-
ſchen Weizen, Tulpenbaͤume, Nux Juglans Ameri-
cana, mehrere Platanoides-Arten, Rhus Sumack
Americ., die bluͤhende Aeſche, Robinia Pſeudaca-
cia, Cytiſus alpinus Bignonia Catalpa etc. gluͤck-
lich angebaut und fortgepflanzt hat. Man koͤnnte dieſen
Garten beinahe als einen Auszug aus dem Carlsruher
A a 4Schloß-
[376] Schloßgarten anſehen. Ehe der Abend kam, fuhren
wir beide hinten am Garten aus, um noch einen kleinen
Spazierweg zu machen nach einer Cremitage, die der Hr.
Oberforſtmeiſter an der Straſſe, zwiſchen Candern und
Sizenkirch angelegt hat, und ich muß geſtehen, ich habe
eine ſchoͤne, ſehr paſſende, und angenehme Anlage geſe-
hen. Auf einem wohl zwanzig Schuh hohen Felſen, der
aus lauter ſpitzigen und dreieckigten Steinen von Natur
ſelber faſt Pyramidenfoͤrmig aufgefuͤhrt iſt, auf einem
Felſen, den der Oberweginſpektor oben weggeſprengt
hatte, ſteht nun oben auf der Spitze eine ſehr wohl gera-
thene, aus Holz geſchnittene und mit einem Firniß uͤber-
zogene Gemſe. Auf dem Kopfe traͤgt ſie ein natuͤrliches
Paar Gemſenhoͤrner, die nicht wenig dazu beitragen, daß
man in der Ferne glaubt, eine natuͤrliche Gemſe zu ſehen.
An einem Eichenbaum, der darneben ſteht, haͤngt eine
Sonnenuhr. In einem ſchmalen hoͤlzernen Kaſten
darneben iſt ein Barometer angebracht. Weil ihn der
Muthwille der Unwiſſenden oft verdorben hat, lies ihn
der Beſitzer mit Drath einflechten. Ein natuͤrlicher
Vortheil dabei iſt noch das Echo, das gegenuͤber im Wal-
de gar vortreflich ſchallt, wenn der Jaͤger bei dem Felſen
ſteht, und auf dem Horn blaͤſt. Der Felſen, der Gem-
ſengrund, der Eichbaum mit der Sonnenuhr, und der
Barometerkaſten ſind mit Platanus, mit Eſchen,
Malven, Balſaminen ꝛc. bewachſen. An andern
Orten iſt alles mit einem groſſen, ſtarken Waldgras, das
lange Stengel hat, uͤberzogen. In der Mitte ſtehen ei-
nige Tiſche und Baͤnke, damit man mit guten Freunden
froͤlich ſeyn kan. Ueberhaupt iſt die ganze Anlage im
Geſchmack der neueſten Engliſchen Gaͤrten, und es waͤre
gewiß ewig Schade geweſen, wenn der Felſen zerſtoͤrt
worden
[377] worden waͤre. Wir machten uns noch vor dem Nacht-
eſſen ein Vergnuͤgen mit den Kindern des Hrn. Oberforſt-
meiſters, die ihre gute Erziehung der vortreflichen Mut-
ter zu danken haben. Wir hoͤrten mit Freuden ein Ge-
dicht uͤber Jaͤgerei und Forſtweſen, das Hr. von Adels-
heim ſelber verfertigt, und mit manchen wahrlich neuen
und ſchoͤnen Bemerkungen uͤber die Natur, uͤber Waͤlder
und Thiere bereichert hat. Zuletzt ſahen wir noch den
Koͤniglich Preuſſiſchen Orden pour la Généroſité, den
der Vater des Hrn. Oberforſtmeiſters bereits getragen,
und den der Koͤnig dem Sohne zuruͤckſchickte, als er ihn
nach dem Tode des Vaters Seiner Majeſtaͤt wieder zu
Fuͤſſen legte. Das eigenhaͤndige Schreiben des Koͤnigs,
womit dieſe Gnade begleitet war, iſt ſo wie alle Hand-
ſchreiben des Monarchen, ein vielſagendes Werk Seines
Geiſtes, und ganz in Seinem Karakter geſchrieben.
Den andern Morgen ſaſſen wir ſehr fruͤh wieder zu
Pferde, und ritten in den Wald hinaus, um einige ſehr hohe,
andre ſehr wilde, oder auch angenehme und romantiſche
Oerter zu beſehen. Da wir zuruͤckkamen, ſtieg ich auf
meine R[oſin]ante, und ſetzte meine Reiſe uͤber lauter
Baadiſche Doͤrfer, Schlechtenhauſen, Wisleth ꝛc.
nach dem Staͤdtchen Schopfen im Wieſenthal fort.
Meine Freunde begleiteten mich dahin, wo ich etwas mir
Neues und Lehrreiches ſehen wollte, naͤmlich zu dem
Dratzug, der hier in einer kleinen Entfernung von der
Stadt angelegt iſt. Grether heißt der jetzige Beſitzer.
Ob er auch derſelbige iſt, der das Werk angefangen hat,
weis ich nicht. Das Eiſen, das hier in Drat gezogen
wird, iſt lauter Stangeneiſen, und koͤmmt Zentnerweiſe
von Hauſen, wo ein Eiſenhammer und eine Baadiſche
A a 5Faktorei
[378] Faktorei iſt. Weil aber das Eiſen an ſich zu ſtreng waͤ-
re, ſo werden dieſe Stangen in groſſen Ringen oder Buͤ-
ſcheln in eigenen Oefen noch einmahl gegluͤhet; das ge-
ſchieht auf eigenen Roſten von Eiſen, wozu die Stangen
gegoſſen werden muͤſſen. Sie ſind ſechs Schuh lang,
wiegen etliche Zentner, und verzehren ſich doch nach eini-
nigen Jahren. Indem das Eiſen noch gluͤhet, wird
es in kleinere ſchicklichere Ringe gezogen, und alsdann
bringt man es erſt unter die Zange. Hier ſind eilf Zan-
gen, und von dieſen entſtehen die verſchiedenen Nummern
des Drats. Das Eiſen koͤmmt aber unter manche Zan-
ge drei bis viermahl. Man hat ſich hier an deutſche
Nummern gewoͤhnt, von 30. bis 22. Nach dieſen koͤmmt
Nro. 1. Grob. Nro. 1. Mittel. Nro. 1. Rein. Eben
dieſe drei Gattungen Drat hat man auch von Nro. 2. und
von Nro. 3. Von Nro. 4. und 5. hat man nur Grob
und Rein, (keine Mittelart) und ſo laufen die Zahlen
und Verſchiedenheiten fort von Nro. 6. bis Nro. 13.
Von Nro. 30. bis 22. heißt aller Drat Kupferſchmidts-
Drat. Was noch feiner iſt als Nro. 13. heißt Perlen-
drat. Immer noch feinerer Drat heißt Einloch, Ein-
blei bis Vierblei. Man macht hier auch den ſogenann-
ten Fuͤnfblei, das iſt ein Drat, feiner noch als ein
Haar. Hingegen iſt Nro. 30. Fingersdicker Drat. Den
feinſten brauchen unter andern auch die, ſo die Karten fuͤr
die Wollfabriken machen. Der meiſte Abſatz, den man
hier hat, iſt nach der Schweiz. Der Drat von Ein-
blei bis Fuͤnfblei koſtet viel Arbeit und gibt doch wenig
aus. Es muß ein geſchickter Arbeiter ſeyn, wenn er zehn
Pfund Fuͤnfblei in vierzehn Tagen macht. Das Eiſen
wird freilich durch das Ziehen der Zange ſehr warm, doch
kan man es, ohne Blattern auf der Haut zu beſorgen,
angreifen.
[379] angreifen. Die Zieheiſen werden mit ſtaͤhlernen Stiften
ausgeſchlagen. Auch koͤmmt bei den Zieheiſen immer
viel darauf an, daß die Loͤcher immer rund erhalten wer-
den. Es ſind drei Schaufelraͤder da, die vom Waſſer
getrieben werden, und die hernach die Zangen in Bewe-
gung ſetzen. Nach dem Ziehen wird der Drat abge-
ſchlagen, das heißt, er wird auf einem Haſpel ſchnell
herum getrieben, damit die Ungleichheiten abgeſchl[i]ſſen
werden. Die Fabrike verarbeitet alle Jahre ſechs bis
ſiebentehalbhundert Zentner Eiſen. Aber vom ewigen
Gehaͤmmer, das dabei unvermeidlich iſt, wird man im
Hauſe faſt taub, und das Gebaͤude ſelber leidet an ſeiner
Feſtigkeit, wegen der unaufhoͤrlichen Erſchuͤtterung.
Sonſt zeigte man mir hier oben manche Traube,
die mehr als ein Pfund wog, und manche Grundbirne
oder Kartoffel, die ein halbes Pfund ſchwer war.
Am folgenden Morgen ſetzte ich meine Reiſe immer
uͤber hoͤhere Berge fort, und naͤherte mich der Graͤnze
meines Vaterlandes. Fuͤnf Viertelſtunden nach Scho-
pſen (nach dem Maas der gemeinen Leute) liegt in rau-
hen, waldichten Gegenden das Dorf Haſel, uͤber deſſen
Landwirthſchaft und natuͤrliche Beſchaffenheit ich an ei-
nem andern Orte mehr ſagen werde. Der Weg dahin
geht uͤber den Eichener See, den ich ſchon beſchrieben
habe *). Ich fand den See jetzt ganz ausgetrocknet.
Die Bauern hatten Heu und Oehmd auf dem Platze ge-
ſammelt, und es wuchs noch immer wieder Gras darauf.
Doch ſahe man wohl, daß das Land hier tiefer, flacher,
als
[380] als ſonſt iſt; hie und da ſtehen auch Waſſerpflanzen, und
Sand und Steine verrathen dem aufmerkſamen Beob-
achter, daß hier vor kurzem Waſſer geſtanden haben
muͤſſe. Die Gegend, in welcher Haſel liegt, iſt kalt
und unfreundlich. Im Winter wird man hier ſo einge-
ſchneiet, daß es unmoͤglich wird, von einem Dorfe zum
andern zu kommen. Das Fruͤhjahr ſpuͤrt man hier vier-
zehn Tage ſpaͤter, als auf dem Lande. Aber die Hitze,
die alsdann zwiſchen Bergen und Thaͤlern einfaͤllt, iſt
auch ſo gros, und gleich ſo eindringend, daß man doch
Heu ſammeln, und erndten kan in einerlei Zeit mit den
Bewohnern des platten Landes. Im Sommer 1780.
war die Hitze in dieſen Waldungen und Gebuͤrgen ſo er-
ſtaunlich geweſen, daß ſich das Wild im Walde nicht nur
in das dickſte Gebuͤſch verſteckte, ſondern daß es oft aus
Mattigkeit gar nicht aufſtand, wenn auch die Bauern
bei den Treibjagden, mit dem Stock darauf ſchlugen.
Auch hier erfuhr ich, daß das Lob, das man ſonſt den
Berg- und Waldbewohnern gern gegoͤnnt hat, ſehr ein-
geſchraͤnkt werden muß. Es ſind auch unter den Waͤl-
dern, wie uͤberall, ſehr boͤſe Leute, die oft am Schaden
anderer groſſe Freude haben. Traͤgheit und Eigenſinn
ſcheint beſonders ihr Fehler zu ſeyn. Sie thun nichts,
als was ſie muͤſſen, und wollen immer zu allem getrie-
ben ſeyn.
Es war grade Sonntag. Der Geiſtliche im Orte,
bei dem ich auch mein Quartier genommen hatte, war
nicht nur mein naher Blutsverwandter, er war auch mein
ſehr guter Freund, und verdiente freilich aus vieler Ruͤck-
ſicht eine beſſere, ſeinen nicht gemeinen Talenten gemaͤſ-
ſere, und fuͤr die Erziehung ſeiner Kinder ſchicklichere
Stelle.
[381] Stelle, als dieſen Ort zwiſchen Felſen und Tannen, wo
er freilich ſeine irrdiſchen Beduͤrfniſſe, aber keine Geſell-
ſchaft, keinen Umgang, keine Buͤcher, keine Ermunte-
rung hat. Ach, es iſt ein groſſes Raͤthſel in der Lehre
von der Vorſehung, warum ſo viele Menſchen, wenn
man alle Umſtaͤnde zuſammen nimmt und abwaͤgt, gar
nicht am rechten Platze ſind, und warum ſo viel Gutes,
das wirklich geſchehen koͤnnte, unterbleibt, und fuͤr das
Ganze, wenigſtens fuͤr das Ganze, wie’s gegenwaͤrtig
iſt, verloren geht! — Ich ging in die Kirche und hoͤrte
meines Freundes Predigt. Popularitaͤt und Simplizi-
taͤt iſt hier die groͤßte Kunſt, und das wahre Verdienſt
um dieſe Leute. Wie erbaͤrmlich wuͤrde man die armen
Chriſten betruͤgen, wenn man hier, nach Art der jungen
Kandidaten, ohne vorher gedacht und empfunden zu ha-
ben, ſchoͤne Worte zuſammenſetzen, und wie ein gelehrter
Papagei lallen wollte, was man ſelber nicht verſteht?
Jakobi in ſeiner Abhandlung uͤber die Erziehung der
Geiſtlichen (ſ. das Journal fuͤr Prediger) hat wohl
Recht, daß man doch einmal einen Unterſchied machen ſollte,
zwiſchen denen, die zu hoͤhern Stellen in der Kirche be-
ſtimmt ſind, und zwiſchen denen, die kaum ſo viele Tuͤch-
tigkeit erlangen werden, daß ſie an den gemeinſten Chri-
ſten mit Nutzen arbeiten koͤnnen, und daß man doch
nicht immer von Allen Alles, von Allen Einerlei verlan-
gen ſolle. Daher koͤmmt es, daß ſo Viele in der Ju-
gend die Zeit mit Dingen verderben, die ſie im ganzen
Leben nie brauchen werden, und daß ſo manche gerade
das, was ihnen allein noͤthig und nuͤtzlich iſt, nicht ler-
nen, und daher, wenn ſie nach der Ordnung der Jahre,
ohne Wahl und Unterſchied, ohne Ruͤckſicht auf die Um-
ſtaͤnde des Orts, auf die beſondern Beduͤrfniſſe der Ge-
meinde,
[382] meinde, und auf die individuelle Tuͤchtigkeit oder Un-
tuͤchtigkeit der Perſonen, in Aemter geſetzt werden, oft
ſo wenig Gutes, und ſo groſſen Schaden ſtiften. Denn
Unterlaſſungen duͤrfen wir doch wohl auch in Anſchlag
bringen. Aber wo iſt in vielen deutſchen Laͤndern das
Konſiſtorium, das an Ausfuͤhrung ſolcher nuͤtzlicher Vor-
ſchlaͤge denkt? Die Weiſen ſagen es, und jammern uͤber
den gewohnten Gang der Sachen, aber deswegen aͤndern
die Vorſteher nichts. Es iſt mit den Verbeſſerungen in
Kirchen und Schulen, wie mit der Erziehung uͤberhaupt.
Man redet ewig davon, und im Ganzen ruͤcken wir kei-
nen Schritt weiter, und wer einmal durch den Wider-
ſpruch ermuͤdet worden iſt, thut freilich am Ende am
beſten, wenn er umkehrt, und auch mit dem Strome
ſchwimmt, in dem die meiſten ſchon geſchwommen ha-
ben, und wahrſcheinlich noch lange ſchwimmen werden.
O utinam Dii meliora darent!
Dieſe Reiſe fuͤhrte mich ſonſt immer auf Berge.
Aber heute ſtieg ich auch in eine ziemliche Tiefe hinab,
und beſah eine Tropfſteinhoͤle, die nur wenige Schrit-
te von den letzten Haͤuſern des Dorfes Haſel entfernt iſt.
Die Leute nennen dieſe Hoͤle, die mit der Baumanns-
hoͤle viele Aehnlichkeit hat, das Erdmaͤnnleinsloch,
weil der Aberglaube immer noch Bergmaͤnnchen und
Menſchen im Meer und unter dem Boden annimmt. Ich
mußte meine Kleider ablegen und Bauerkleider anziehen,
nahm zwei Bauern, die ſchon mehrmals darin gewe-
ſen waren, mit mir, und mit dem Lichte in der Hand
gingen wir erſt gerade hinein, ſodann auch in eine groſſe
und weite Seitenhoͤle, und als wir wieder aus dieſer her-
vorkamen, verfolgten wir den geraden Weg mitten durch
die
[383] die Hoͤle, aller Beſchwerlichkeiten, und der unzaͤhligen
Steine des Anſtoſſes ungeachtet, ſo lange fort, als es
nur moͤglich war. Zuletzt kamen wir an einen ſtarken
und reiſſenden Bach, der wenigſtens in einer Tiefe von
zwanzig Klaftern im Boden laͤuft. Ueber dieſem Bache
iſt die Hoͤle viel hoͤher, als ein gewoͤhnlich ſteinernes
Haus. Ich bemerkte, was nach der Ausſage meiner
Begleiter noch niemand bemerkt hatte, daß naͤmlich das
Waſſer vorne kalt, und hinten merklich warm iſt. Ich
fand das, da ich ſo lange hineinging, als ich feſten Bo-
den vermuthen konnte, das Waſſer auf der Zunge ver-
ſuchte, und mir die Augen damit auswuſch. Unzaͤhlig
ſind die ſchrecklichen Maſſen von Kalkſteinen, die hier
haͤngen, ſchweben, allerlei Figuren bilden, herabſtuͤrzen,
unten entſtehen, von oben herabwachſen und den untern
begegnen. — Unzaͤhlbar ſind alle dieſe Brocken, wie-
wohl man ſchon ſchreckliche Laſten davon abgeſchlagen und
herausgeſchaft hat. Doch die naͤhere Beſchreibung die-
ſer fuͤrchterlich ſchoͤnen unterirrdiſchen Merkwuͤrdigkeit ge-
hoͤrt nicht hieher, ich werde ſie an einem andern Orte den
Naturforſchern mittheilen.
Von Haſel mußte auf Befehl des lieben Oberforſt-
meiſters, Hrn. von Adelsheim, der Jaͤger, oder wie
die Leute hier ſagen, der Schuͤtze mit mir reiten, und
mich die naͤchſte Straffe nach St. Blaſien fuͤhren. Ich
kam dabei an die dieſſeitigen Grenzen meines Vaterlan-
des, und ſah einige Waldungen und Waldorte, die ge-
ſehen zu werden verdienen. Wir ritten (der Jaͤger mit
ſeiner Kugelbuͤchſe und Jaͤgertaſche bewafnet voran) uͤber
manchen ſteilen Felſen, uͤber langgeſtreckte Baumwur-
zeln, und verwachſenes Geſtraͤuch, uͤber leere Heide-
plaͤtze,
[384] plaͤtze, und uͤber ſchreckliche Steinbrocken hinweg, und
kletterten immer hoͤher. Schade, daß mir die dicken
Nebel, durch die wir einander kaum ſelber ſehen konnten,
das Vergnuͤgen raubten, ſo manche ſchoͤne und weite Aus-
ſicht, ganze Reihen von Felſen, die wie Pyramiden da
ſtehen, und ſo manche herrliche Waſſerfaͤlle deutlich zu
ſehen und zu bewundern. Denn weil ich um Mittag
nur noch wenige Stunden von St. Blaſien entfernt
ſeyn, und heute das Stift gewiß erreichen wollte, ſo wa-
ren wir mit dem Anbruch des Tags ausgeritten, und
ſcheuten die Kaͤlte nicht, die am 20ſten September auf
dieſen hohen Gebuͤrgen ſchon ſehr ſtark war. Wenn ich
nun auf die Ebene, auf das tiefe Thal, in welchem
Carlsruhe liegt, zuruͤck ſah, wie hinabgeſunken kamen
mir jene Gefilde vor! Wie viele tauſend, tauſend Schuhe
war ich nun hoͤher, als die Spitze des Schloßthurms,
auf welcher man dort eine weite Ausſicht haben kan! Das
erſte Stuͤck des Weges, als wir den guten Pfarrer in
Haſel verlaſſen hatten, fuͤhrte uns durch einen Wald,
der auf einer Seite dem Hauſe Oeſterreich, und nun
der Schoͤnauiſchen Familie, und auf der andern mei-
nem Fuͤrſten gehoͤrt. Wir kamen an einige enge und
ſchmale Paͤſſe, deren ſich auch die Bosheit ſchon oft be-
dient hat, um einem armen Wanderer aufzulauern, und
ihn todt zu ſchlagen. Der Unmenſch, der auf das Leben
des Unſchuldigen Jagd machen will, damit er ihn deſto
leichter berauben kan, verſteckt ſich hinter den Felſen,
die oft ſenkrecht in die Hoͤhe ſtehen, und ſpringt ploͤtzlich
zu, wenn der andre, wie ein ruhiges ſchuldloſes Geſchoͤpf,
durch die todte Stille der Waͤlder ſeinen einſamen Pfad
fortwandelt. Ausweichen iſt hier unmoͤglich. Unter
dem Felſen iſt oͤſters Waſſer, das vielleicht ſeinen eigenen
Boden
[385] Boden ſchon lange ausgewaſchen hat. Rechter Hand
ſteigt ein Berg in die Hoͤhe, den auch ein Haſe nicht
leicht beſteigen wuͤrde. Linker Hand faͤllt der Berg ploͤtz-
lich hinab, und bietet dem Auge eine grauenvolle Aus-
ſicht in eine ſchwarze, ſchauderhafte Tiefe an. Das ſind
auch die gefaͤhrlichen Stellen, wo ſchon mancher ehrlicher
Bauer beim Holzfahren oft von ſeinem eigenen, oft von
einem andern Wagen todtgequetſcht, und wie ein weicher
Kuchen an die Felſen hingedruͤckt worden iſt. Wie ge-
ſchwind iſt auf ſolchen aͤuſſerſt beſchwerlichen Wegen
beim Schleifen langer und ſchwerer Baͤume ein Ungluͤck
geſchehen, wenn ploͤtzlich der Wagen in Schuß koͤmmt,
oder wenn der Baum ſich hinten unvermuthet wendet,
oder wenn ein Stuͤck Vieh nur einen Fehltritt thut, oder
ſcheu wird, oder von den ſtechenden Inſekten zur Unge-
duld gereizt, am Geſchirre ſo lange reißt und zerrt, bis
etwas gebrochen iſt, oder alles zu Grunde geht, ehe der
Bauer helfen kan! Als ſich die Nebel, die das Land
ganz bedeckten, daß man kaum den Weg ſah, in die
Hoͤhe gezogen hatten, ſah ich oͤfters koſtbares, kryſtall-
helles Waſſer aus den Felſen ſprudeln, und an den ſenk-
rechten Klippen herabfallen. In der Ferne ſtieg der
Dampf von manchem Kohlenhauſen auf, und erinnerte
uns daran, daß doch auch noch Menſchen in dieſer Ge-
gend waͤren. Die Bauern verkohlen hier viel Holz. Es
iſt ihnen aber nicht erlaubt, die Kohlen irgend anderswo
hin zu fuͤhren, als allein nach dem Bergwerk in Hauſen,
wo ſie ihnen immer abgenommen und billig bezahlt wer-
den. Man goͤnnt ihnen ihr Verdienſt, aber man ſorgt
auch mit landesvaͤterlicher Weisheit fuͤr die Nachkommen,
und ſchont das Kapital, das in den Waldungen ſteckt,
und wenn es einmahl angegriffen oder gar verzehrt iſt,
Zweiter Theil. B berſt
[386] erſt in Jahrhunderten wieder geſammelt werden kan;
denn was Hr. von Wangenheim bei Gelegenheit der
amerikaniſchen Waͤlder ſagt, daß die meiſten Eingebohr-
nen die Gewohnheit haͤtten, blos fuͤr das gegenwaͤrtige zu
ſorgen, das gilt wahrhaftig auch von den deutſchen Bauern.
Die letzten Baadiſchen Doͤrfer, die wir auf dieſem We-
ge fanden, ſind Gerſpach, und der kleine Ort Fezen-
bach. In dieſen Waldorten haben die Leute lauter Daͤ-
cher von Stroh, oder von angenagelten Schindeln. Sie
muͤſſen ſolche haben, weil der Wind, der auf dieſen Hoͤ-
hen gar ſtark weht, alle Ziegel herabwerfen wuͤrde, und
weil es gewis iſt, daß ſie unter dieſen Daͤchern viel mehr
Waͤrme haben, als unter andern. Freilich iſt die Feu-
ersgefahr dabei groͤſſer, und wir ſpuͤren dieſe Daͤcher alle
Jahre in den Rechnungen der Brandaſſekurationskaſſe.
Allein, was iſt zu thun? Man muß ſich nach den Um-
ſtaͤnden richten, man kan die Natur nicht uͤberall zwin-
gen; die allgemeinen Regeln, die viele Oekonomen und
Kameraliſten geben, leiden gar manche Ausnahme,
wenn ſie ſollen angew[e]nde[t] werden. Glauben Sie in-
deſſen nicht, daß hier lauter arme Leute wohnen. Die
Waldbauern ſind in Schwaben faſt immer die reichſten.
Sie handeln mit Vieh und Holz, und ſammeln unver-
merkt Geld. Im Hauſe dieſer Bauern merkt man es
nicht, daß der Beſitzer reich iſt. Man hat ſchon oft den
Fall gehabt, daß ein Mann, oder eine reiche Wittwe
ploͤtzlich geſtorben iſt, und die Frau, oder die erwachſe-
nen und verheiratheten Kinder haben nicht einmahl den
Ort gewußt, wo der Vater ſein Geld aufgehoben hat.
Zuweilen verſtecken ſie es in einen Balken, der an der
Decke durch die Wohnſtube laͤuft. Im Sommer
ſtecken ſie oft ganze Saͤcke voll Geld in das Kamin, in
den
[387] den Stubenofen ꝛc. Oft dient ihnen ein alter Strumpf
zum Geldbeutel, und, wenn er voll iſt, ſtecken ſie ihn
oft an einen Ort hin, der zwar ſicher iſt, wo man es
aber bewundern muß, wie ſie auf den Einfall gekommen
ſind. Es iſt ſchon oft geſchehen, daß Sterbende, die
ploͤtzlich eine Apoplexie bekommen und die Sprache ver-
loren, ihren Kindern immer an einen gewiſſen Ort in
der Stube mit der Hand hingewieſen haben, um ihnen zu
ſagen, wo ſie ihr Vermoͤgen ſuchen ſollen. Geht zuwei-
len ein Haus im Feuer auf, ſo zieht man nachher gar
oft aus dem Aſchenhaufen ganze Klumpen von zuſam-
mengeſchmolzenen Gelde hervor. Im Gerſpacher Wal-
de iſt eine ganz beſondre Art der Eintheilung, die ein al-
tes Herkommen iſt, und von den Bauern mit vielem Ei-
ſer behauptet wird. Ich kan ſie Ihnen aber ohne Weit-
laͤuftigkeit nicht beſchreiben, und finde vielleicht anderswo
Gelegenheit dazu. Praͤchtige Tanuen ſah ich in dieſen
Waldungen, und mein Freund, von Adelsheim,
hatte dem Schuͤtzen Befehl gegeben, mich auch aus dem
Wege in das Innerſte des Waldes zu fuͤhren, damit ich
die Koͤnigl. Baͤume, dergleichen man nicht uͤberall in
Deutſchland ſehen wird, und die uns alle Seemaͤchte,
beſonders bei dem jetzigen Kriege, gern abkaufen wuͤr-
den, vollkommen beſchen koͤnnte. Gar viele ſind hun-
dert, hundert und zehn, manche ſind hundert und zwan-
zig, einige ſind auch hundert und dreiſſig, bis hundert
und vierzig Schuhe hoch. Die Tannen der letzten Art
haben oͤfters vier bis fuͤnf Schuhe im Umfang des Stocks.
Aus dem Stamm haut man vier bis fuͤnf Kloͤtze, ohne
den Gipfel oder die Dolde zu rechnen. Der dickſte, oder
der unterſte Klotz gibt 24, auch 28. Dielen oder Plan-
ken, wovon jede fuͤnf Viertelszoll dick iſt. Der zweite
B b 2Klotz
[388] Klotz gibt 20. Dielen, der dritte 18, und der vierte 16.
Die Breite der Dielen oder Breter aus dem Klotz uͤber
dem Stock iſt vier bis fuͤnf Schuhe. Der Gipfel, oder
die Dolde, muß noch Kohlen geben, und das kleinere
Holz, oder die Aeſte, dienen zum Einheitzen und zum
Feuer auf den Heerd. Es ſind deswegen uͤberall Saͤ-
gemuͤhlen vorhanden, und die Dielen gehen faſt alle
nach Baſel, aber das Holz ſelber, in natura, darf
der Bauer bei ſchwerer Strafe nicht nach Baſel fuͤhren,
wiewohl ſie es ihm theuer bezahlten. Eichen ſind hier
nicht, aber Buͤchen von 80, 90. Schuh in der Hoͤhe,
und wenn ſie alt ſind, etwa 3. Schuh im Umfang uͤber
dem Stock. Man braucht die Buͤchen meiſt zu Koh-
len, nur die Tanneu werden verſaͤgt. Starke und
geſunde Leute koͤnnen Sie hier auch noch finden. In
Gerſpach lebt wirklich noch eine Bauersfrau, die mit
drei Kindern auf einmahl in die Wochen kam, und als
ſie alle drei gluͤcklich bekommen hatte, ſtand ſie gleich
vom Bette auf, nahm das Scheermeſſer, holte Waſſer
und Seife, ſtand hin und nahm dem Manne den Bart
ab, damit er auch ſauber ſeyn, und nun gleich hingehen
ſollte, um dem Pfarrer den groſſen Segen Gottes anzu-
zeigen, und die Taufe zu beſtellen. — Leſen Sie das
einigen von unſern weichlichen und verzaͤrtelten Frauen-
zimmern vor. Es wird ſie vielleicht ein Schauder an-
kommen, wenn ſie hoͤren, daß eine Frau ihren Mann
ſelber barbiert, und zwar in der Stunde nach der Nie-
derkunft mit drei Kindern, die ſie wie junge Kuͤchlein in
Ein Bette warf. Aber wer iſt geſuͤnder und lebt leichter?
Die Frau, die mit heroiſchem Sinn das alles aushalten
kan? Oder die, welche gleich ſchreit, wenn nur ein kal-
tes Luͤftchen weht, und faſt in Ohnmacht faͤllt, wenn ſie
mitten
[389] mitten in einem groſſen Wagen durch ein kleines Waſſer
fahren ſoll?
Als wir unſer Vaterland hinter uns zuruͤck lieſſen,
kamen wir nach Schwarzenbach, das ſchon in das
St. Blaſiſche Gebiet gehoͤrt. Da ſitzt ein Maier, der
zwanzig Kinder hat, und noch einmahl heirathen will!
Dafuͤr, daß er die Weldplaͤtze, die dem Stifte gehoͤren,
mit ſeinem Vieh betreiben darf, gibt er unter andern
alle Tage ein Maas Butter, oder ſtatt deſſen alle Tage
einen Gulden. Je weiter wir in die Berge hineinkamen,
je mehr fanden wir ſchon die Zeichen des Winters, Schnee
und Eis in den Thaͤlern. Ich mußte es oft bedauern,
daß ich auf dieſe Bergreiſe nichts, als Sommerkleider
mitgenommen hatte, weil ich nicht vermuthete, daß
St. Blaſien ſo hoch liegen, und daß der Winter ſo
fruͤh anfangen wuͤrde. Doch fanden wir immer noch
das Vieh auf den Bergen in der Weide gehen, und der
Schnee, der etwa gefallen war, ſchmolz wieder weg, ſo-
bald Regen dazu kam, oder die Sonne zwiſchen den
Wolken freundlich auf die Wanderer herabblickte. Man
verſicherte mir auch, daß oͤfters die Witterung auf dieſen
Bergen ſehr warm ſei, zu einer Zeit, wo im Thale ſchon
ſtrenge Kaͤlte angefangen habe.
Die muͤden Pferde und die hungrigen Reiſenden ka-
men endlich gegen Mittag, nachdem ſie lange im Waldo
herumgeſchweift, und ſich uͤber Hecken und Stauden ei-
nen Weg gemacht hatten, auf dem Todtmoos an.
Das iſt ein Superiorat, oder eine vom Stift St.
Blaſien abhaͤngende Probſtei, wie Buͤrglen, Gro-
zingen, und viele andere. Weil hier eine groſſe Wall-
fahrt iſt, ſo ſtehen neben der Kirche und neben der Woh-
B b 3nung
[390] nung der Geiſtlichen einige Wirthshaͤuſer fuͤr die Wall-
fahrenden, die aber blos von Holz ſind, mit vielen Zim-
mern, und mit hoͤlzernen Daͤchern gedeckt. Daher ſieht
das Doͤrfchen, vom Berge herabgeſehen, ganz ſchwarz
aus. Wer hier wohnt, iſt entweder ein Wirth, oder
er lebt vom Holzhandel und von der Viehzucht. Alles
Getreide kaufen die Leute auf dem Markte in Stauffen,
das auch dem Fuͤrſten von St. Blaſien gehoͤrt. We-
gen der Wallfahrt ſind auch immer viele Kraͤmer hier,
die mit Lebkuchen, und andern ſolchen Waaren, die in
Einſiedeln und Zurzach verfertiget werden, handeln.
Auch einige wenige Handwerker ſind hier, und leben von
der Wallfahrt. Ein Superior verwaltet hier die
Guͤter in der Nachbarſchaft, die dem Fuͤrſten gehoͤren,
und bekoͤmmt ſeinen Unterhalt unmittelbar aus dem Stift.
Im Jahr 1781. fiel hier noch in der Faſtnacht eine greu-
liche Menge Schnee, doch ging er wieder allmaͤhlich
durch die Wirkung der Sonne weg, ohne daß ein groſ-
ſes Waſſer entſtanden waͤre. Es iſt der ſogenannte
Todrenbach dabei, der gewoͤhnlich gros genug iſt, eine
Muͤhle zu treiben. Im Sommer vertrocknet er oͤfters
ganz wegen der ſchrecklichen Hitze in dieſen Thaͤlern, und
im Winter ſchwellt er oft ſchrecklich an. Man erzaͤhlt,
daß die Namen Todtmoos und Todtenbach von den
giftigen Moraͤſten und mooſigten Suͤmpfen entſtanden
waͤren, die ehemals hier ſo haͤufig waren, daß alle Voͤ-
gel, die daruͤber flogen, todt herabfielen. Die Glie-
der des Beuediktinerordens bauten zuerſt auch dieſe
Gegend in Deutſchland an, und um das Volk dahin
zu gewoͤhnen, gaben ſie eine Erſcheinung der heiligen
Jungfrau Maria vor. Das iſt kurz der Inhalt einer
mit vielen Fabeln und wunderbaren Erdichtungen ge-
ſchmuͤckten
[391] ſchmuͤckten Legende, die an den Waͤnden der Kirche in
Todtmoos abgemalt iſt. Dieſe Kirche hat einige
Schoͤnheiten, ſie iſt zwar nur von Holz, entweder ver-
goldet oder marmorirt. Auch hier ſieht man, wie uͤber-
oll in katholiſchen Laͤndern, die Agathenzettel an allen
Thuͤren und Eingaͤngen angeklebt. Ich muß geſtehen,
daß ich vorher die Bedeutung der drei Buchſtaben, C.
M. B., die gewoͤhnlich unten beigeſchrieben ſind, nicht
gewußt habe. Ein Pater aus dem Superiorat erklaͤrte
mir es ſo: Es waͤren die Anfangsbuchſtaben von den
Namen der heiligen drei Koͤnige, Caſpar, Melchior,
Balzer oder Balthaſar. Denn dieſe Zettel werden
[a]m Agathen- und am Dreikoͤnigstage in der Kirche
geweiht. Ein anderer Pater hatte in dieſer Probſtei ei-
nen ſchoͤnen Sperber an einer Leine vor dem Fenſter.
Er war in dieſen Gegenden gefangen worden, und trug
ein herrliches ſchwarzes Band auf dem Ruͤcken.
Nach Tiſche ſetzte ich die Reiſe fort, und war nach
wenigen Stunden in St. Blaſien.
Auf dem Todtmoos hatte ich ſchon den P. Ober-
pfleger angetroffen, der eben von ſeinen halbjaͤhrigen
Schulvſitationen zuruͤckkam und nach dem Kloſter ritt,
um dem Fuͤrſten ſeinen Bericht zu erſtatten. Er war
bereits in alter, aber ein ehrwuͤrdiger, einſichtsvoller
und liebeicher Mann. Wir ſprachen zuſammen uͤber
die Einrchtung der Oeſterreichiſchen und Baadiſchen
Schulen und manches, das ich ihm erzaͤhlte, gefiel
ihm ſehr wohl. Er ſetzte ſich nachher in ſeine Chaiſe,
und lies ſch die ſchrecklichen Berge hinaufziehen. Ich
hatte das Vergnuͤgen, an und vor ſeinem Wagen zu
reiten, u[nd] ſo erreichten wir endlich die letzte Hoͤhe, die
B b 4man
[392] man beſteigen muß, wenn man St. Blaſien ſehen will.
Zuweilen ging der Weg uͤber ein Stuͤck ebenen Feldes,
aber es waͤhrte nicht lange, ſo mußte man entweder wie-
der auf Felſen klettern, oder ſich an gefaͤhrlichen Abhaͤn-
gen vor den jaͤhen Sturz bewahren. Zuletzt faͤllt der
Weg durch einen angenehmen Wald wieder tief herab,
und in dieſer Tiefe, die indeſſen immer, in Vergleichung
mit dem platten Lande, ſehr hoch iſt, ſieht man endlich,
wie ſich die praͤchtige Kuppel der neuen Kirche in St.
Blaſien in der Ferne zeigt. Ich muß geſtehen, daß
mir dieſer Anblick uͤberaus angenehm war. Nicht ſowoh
deswegen, weil ich hier das Ziel meiner Reiſe ſah, ſon-
dern weil man gleich beim erſten Anblick etwas Groſſes
und Schoͤnes vermuthet. Man wird durch ein ſo ſehr
praͤchtiges Werk der Kunſt in dieſer rauhen Gegend an-
genehm uͤberraſcht, und die fuͤrchterliche Majeſtaͤt der
Berge, und der ſchwarzen Waͤlder, die das Stift um-
geben, tragen nicht wenig dazu bei. Zu beiden Seiten
rauſchen immer ſtarke Waſſer den Berg hinab, und eilen
den Thoren des Stifts mit herrlichem Sturze zu. Als
wir der Einfahrt nahe waren, ſtand eben ein vollkom-
mener Regenbogen uͤber dem Kloſter, und ich ken Sie
verſichern, daß ich noch nie einen ſo ſchoͤnen, breiten,
hellgefaͤrbten und einnehmenden Regenbogen geſe[h]en ha-
be, als dieſer war zwiſchen den Bergen und [T]haͤlern.
Hoch ſtand er in den Wolken des Himmels, und ver-
kuͤndigte Gnade und Segen vom Schoͤpfer. Sine bei-
den Schenkel ſchienen auf der Erde zu ruhen. und lange
verweilte die Sonne ihm gegenuͤber, als wem ſie ſich
ſelber gern in ihrem Gegenbilde geſehen haͤtte.
Man
[393]
Man wies mir in der Abtei, oder bei Hofe ein Zim-
mer an. Weil St. Blaſien ein wahres Schloß iſt,
worinnen man die groͤſten Gaͤnge, die weiteſten Hallen,
und eine unendliche Menge von Zimmern antrift, ſo hat
man, um jederman das Aufſuchen der Geiſtlichen und
der Fremden zu erleichtern, uͤber jede Thuͤre ein Thier ge-
mahlt. Im mittlern Stock bei Hofe ſind die vierfuͤſſi-
gen Thiere, im obern ſind die Voͤgel, von Meiſterhaͤnden
abgemahlt. Da koͤnnen Sie nun beim Loͤwen, bei der
Katze, beim Elephanten, beim Papagei ꝛc. wohnen; ich
ward, ich weis nicht, warum? gerade beim Tyger ein-
quartiert. Da hat man Stube, Kammer, die noͤthi-
gen Meubles, gute Betten, und alle moͤgliche Bedienung
und Aufwartung. St. Blaſien iſt eine groſſe Anſtalt,
aber uͤberall ſieht man Ordnung, Regelmaͤſſigkeit, gute
Einrichtung, und einen gewiſſen feſten Plan, der nie ver-
laſſen wird. Der geſchaͤftige Geiſt des Fuͤrſten regiert
uͤberall, und pflanzt ſich vom geſalbten Haupt auf alle
willige Glieder fort. Es geſchieht in dieſem Hauſe taͤg-
lich ſehr viel, und die Ruhe und Stille, die darinnen
wohnen ſoll, wird dadurch nicht geſtoͤrt. Ich habe man-
ches, das ich ſonſt in andern viel kleinern Kloͤſtern ungern
geſehen habe, hier gar nicht bemerkt, und bin uͤberhaupt
beinahe fuͤnf Tage mit groſſem Vergnuͤgen und mit vie-
lem Nutzen hier geweſen. Man iſt im Kloſter und doch
nicht abgeſchnitten von der Welt. Man iſt von Geiſtli-
chen umringt, aber ihre Kenntnis geht auch uͤber den en-
gen Kreis der Zelle hinaus. Man leidet in keinem Stuͤ-
cke Mangel, aber die ganze Denkungsart dieſer religioͤſen
Geſellſchaft iſt doch hoͤher geſtimmt, als blos auf Eſſen
und Trinken. Irdiſches Wohlleben und geiſtlicher Muͤſ-
ſiggang iſt in St. Blaſien gar nicht der herrſchende Ton.
B b 5Die
[394] Die Religion hat hier ihre inbruͤnſtige Verehrer, aber
die Wiſſenſchaften haben auch ihre Pfleger und Freunde.
Der Fleis des Benediktinerordens hat hier auf dem
Schwarzwalde innerhalb den Mauern dieſes Stifts
ſeinen Sitz aufgeſchlagen, und wetteifert mit den Genoſ-
ſen des Ordens jenſeits des Rheins und jenſeits der Al-
pen. Das groſſe und vortrefliche Muſter, das alle im-
mer am Vorſteher dieſer Geſellſchaft erblicken, wirkt Nach-
eiferung bei allen, beſchaͤmt den Traͤgen, ermuntert den
Schlaͤfrigen, und ſpornt den edlen Fleis noch mehr an.
Hier waͤre Faulheit Schande. Die heiligen Uebungen,
welche die Regul vorſchreibt, werden ohne Ausnahme, zu
allen Zeiten, bei Tage und in der Nacht, befolgt. Aber
auch die uͤbrige Zeit wird ausgefuͤllt, und je weniger die
Unfreundlichkeit des Klima, die Strenge der Witterung,
und die unangenehme Lage des Stifts andre Ergoͤtzungen
oder Zerſtreuungen erlauben, deſto mehr ſchraͤnkt ſich der
Fleis der Religioſen in St. Blaſien, nach dem Exem-
pel ihres wuͤrdigen und weiſen Vorgaͤngers, auf Buͤcher,
Urkunden, Sammlungen, Handſchriften, Denkmaͤler
der alten Geſchichte, Naturalien, Muͤnzen und Land-
karten ein. Der erleuchtete Fuͤrſt pruͤft ihre Faͤhigkeiten,
und theilt die Geſchaͤfte ab. Jeder hat ſein Tagewerk
und ſeine Beſtimmung. Einige werden wenigſtens da-
mit beſchaͤftiget, daß ſie die gelehrten Werke ihres Vor-
geſetzten abſchreiben, den Druck beſorgen, und die Bogen
durchſehen. Man ſchickt deswegen von vielen Oertern
dem Fuͤrſten immer junge Leute zu, damit ſie unter ſeinen
Augen gebildet werden, an allen ſeinen loͤblichen und nuͤtz-
lichen Einrichtungen, die gewis das Wohl der Kirche,
der Staaten, und der Menſchheit zum Zweck haben,
Theil nehmen, und an Ihm ſelber die wahre Wuͤrde des
Gottes-
[395] Gottesgelehrten lernen ſollen. Auch die weltlichen Be-
dienten des Fuͤrſten ahmen ſeinen leutſeligen, gefaͤlligen,
freigebigen und menſchenfreundlichen Karakter nach, und
man hoͤrt auch nicht, daß die Unterthanen murren oder
klagen. Kurz, ſo wie ich vor einigen Jahren mich in
der Abbaye St. Germain in Paris ſehr wohl befun-
den habe, ſo lebte ich auch hier in St. Blaſien. Dies
vorausgeſetzt, will ich Ihnen nun allerlei vermiſchte Nach-
richten, wie ſie mir beifallen, mittheilen.
Ich hatte mich kaum angezogen, ſo durfte ich vor
den Fuͤrſten kommen, und fand das alles wahr, was ich
von ihm gehoͤrt habe. Ungemein viel Gelehrſamkeit
mit einem edlen Herzen, und mit einer liebenswuͤrdigen
Simplizitaͤt im Karakter verbunden. Man iſt gleich bei
ihm empfohlen und mit ihm bekannt. Man erkennt
gleich in ihm den Mann, der viel gereiſet, mit vielen
Menſchen umgegangen iſt. Und welch ein Vergnuͤgen,
wenn zwei Perſonen beiſammen ſind, von denen man ſa-
gen kan: Multos hominum mores vidit et urbes!
Nach den Angaben im Catalogus von St. Blaſien
iſt Fuͤrſt Martin Gerbert gebohren zu Horb im Wuͤr-
tembergiſchen 1720. that Profeß 1737. ward Prieſter
1744, ward zum Abt erwaͤhlt im Oktober 1764. und an
ſeinem Namenstag in eben dem Jahr eingeweiht. Er
iſt der ſechs und vierzigſte Praͤlat oder Abt im Blaſier
Kloſter. Wir ſprachen gleich den erſten Abend von ſei-
ner Lieblingswiſſenſchaft, von alter deutſcher Geographie
und vaterlaͤndiſcher Geſchichte. Bei den Alten hieß die
Gegend um St. BlaſienAlpegovia. Die Karten
vom Schwarzwald, die wir von der Sorgfalt des Fuͤr-
ſten zu erwarten haben, werden die Sache ſehr aufklaͤren.
Die
[396] Die Alpen im Wuͤrtembergiſchen ſei nur eine lateini-
ſche Ueberſetzung vom Schwarzwald. Das Stift
liegt an der Alb; dieſes Wort ſollte aber Alp geſchrieben
werden, und eben ſo das Fluͤßchen Alb, das von Her-
renalb, Frauenalb kommt und nach Carlsruhe laͤuft.
Ach ſei ein altes Celtiſches Wort, und heiſſe Fluß, da-
her haͤtten viele Oerter, die am Waſſer liegen, ihren Na-
men bekommen: z. B. Schwarzach, Haßlach, Zur-
zach ꝛc. Vergleichen Sie damit, was der Fuͤrſt davon
im Iter Allemannicum \&c. Edit. 2. p. 301. 302.
geſagt habe. Von der Alb, die hier vorbei laͤuft, hieß
man ehemahls die Patres hier Fratres ad Albam. Sie
entſpringt zwei Stunden von hier auf dem Feldberg,
und faͤllt nicht weit von Waldshut, bei dem dem Klo-
ſter zugehoͤrigen Eiſenwerk Altbruͤgg, in den Rhein.
In der Abtei ſelber iſt auf jeder Treppe eine Uhr in
einem eigenen Haus, und der Reiſende oder Fremde merkt
gleich, daß hinter jeder Uhr auch eine Kommodite’ ange-
bracht iſt. Auf dieſe Art iſt dieſes weſentliche Stuͤck in
einem Hauſe uͤberall leicht zu finden, und iſt doch bedeckt,
und auf eine ſehr ſchickliche Art gleichſam maskirt. Es
ſind in dieſem nach allen Regeln der Baukunſt aufgeſuͤhr-
ten Gebaͤude mehrere ſolche ſehr ſchickliche und zugleich
ſchoͤne Einrichtungen. Das Chor der Kirche ſcheidet die
Abtei und das Konvent von einander. Der Fuͤrſt wohnt
gern hoch, ſeine Zimmer kuͤndigen mehr den Gelehrten,
und immer beſchaͤftigten, als den vornehmen Mann an.
Sie ſind dabei gros und geraͤumig, damit er, ſobald er
wegen Fremden, oder Perſonen aus dem Kloſter, die ihn
ſprechen wollen, die Arbeit abbrechen muß, gleich mit ih-
nen auf- und abgehen, und ſich Bewegung machen kan.
Nur
[397] Nur um den Advent und um die Faſtnacht wohnt er ei-
ne kurze Zeit um ſeiner Rekollektion willen im Kloſter.
Es war, wie ich ſchon erinnert habe, eben die Zeit,
da die Viſitatores zuruͤckkamen. Der Fuͤrſt laͤßt naͤm-
lich allemahl im Fruͤhjahr, und wieder im Spaͤtjahr,
durch ſeinen P. Archivarius und P. Hofkaplan die
Schulen viſitiren. Mancher hat neun Stunden zu rei-
ſen. Gleich am folgenden Morgen nach der Ruͤckkunft
in das Kloſter muß dem Fuͤrſten Nachricht erſtattet wer-
den; das geſchieht theils muͤndlich, theils ſchriftlich.
Im Stift St. Blaſien heißt Dekanus und Sub-
dekanus, was ſonſt an andern Orten Prior und Sub-
prior heißt.
Im Refektorio lieſet man wirklich in lateiniſcher
Sprache den Fleury und in der deutſchen Sprache Rol-
lin vor. Die Patres trinken alle aus ſilbernen und ver-
goldeten Bechern.
Eine Menge Fratres converſi, oder Laici ſind
hier, die zwar Profeß gethan haben, auch ſchwarze Klei-
dung tragen, aber keine Prieſter ſind und es auch nicht
werden. Sie tragen deswegen zum Unterſchied von den
Prieſtern kleine Stutzbaͤrte; beſorgen das Hausweſen,
haben nicht ſtudirt, verſtehen und treiben im Kloſter ihr
Handwerk, ſind Buchdrucker, Setzer, Buchbinder, Apo-
thecker, Schreiner ꝛc.
Am 24ſten Sept. kam ich dahin, und man muſte
ſchon in allen Zimmern einheizen. Es regnete auch bei-
nahe die ganze Zeit, die ich hier zubrachte. Am fruͤhen
Morgen lag Schnee auf den Bergen. Das Regenwet-
ter war immer kalt, unfreundlich, bald mit ſtarken Win-
den,
[398] den, bald mit kleinen hartgefrornen Waſſertropfen ver-
miſcht. Gar oft fiel, indem es regnete, beſonders am
fruͤhen Morgen, auch ein feiner Schnee darzwiſchen, der
freilich nicht liegen blieb. Ploͤtzlich entſtand oft ein brau-
ſender Schlagregen, und ein tobender Wind, daß man
fuͤr alle Fenſterſcheiben bange ſeyn ſollte. Der Fremde
bemerkt die ſchnellen Abwechſelungen der Witterung mehr,
als die Leute in St. Blaſien, die ſchon lange an die rau-
he Gegend gewoͤhnt ſind, und wovon der groͤſte Theil die
meiſte Zeit des Lebens im ſtillen Zimmer zubringt. Wenn
Regen, Schnee und Sturmwind hier einmahl anfangen,
wie jetzt geſchah, ſo ganz entſetzlich zu wuͤthen, daß der,
der es nicht geſehen hat, ſich gar keine Vorſtellung davon
machen kan, ſo weis man aus Erfahrung, daß dieſe dem
Fremden, der immer nach der Straſſe hinausſehen will,
ſo unangenehme Witterung auch nicht eher aufhoͤrt, bis
das Waſſer nicht mehr truͤbe, ſondern hell und klar von
den Vergen, die das Kloſter uͤberall umſchlieſſen, herab-
fließt, und ſtatt des Nordwindes wieder der Oſtwind an-
faͤngt zu wehen. Daher koͤmmt es, daß Reiſende hier
oͤfters gleichſam Gefangene, und durch Regen und Schnee
im Kloſter eingeſchloſſen werden. Man hat ſchon den
Fall gehabt, daß, wenn die Fremden endlich voll Unge-
duld wurden, und nicht mehr laͤnger warten wollten, daß
man Wagen und Chaiſe aus einander ſchlagen, alles auf
Schlitten laden, und ſie ſo fortfuͤhren lies, bis ſie wieder
im Thal und in gelindern Gegenden waren. Mir waͤre
es beinahe eben ſo gegangen. Immer ſah ich an den
Berg hinauf, der gerade vor meinen Fenſtern in die Hoͤ-
he ſtieg; aber am fruͤhen Morgen war er mit duͤnnem
Schnee wie uͤberpudert, und nach Tiſche mochte ich ihn
nicht anſehen, weil er noch immer Waſſer in ſich ſchluck-
te,
[399] te, und alſo noch kein helles Waſſer herabkommen wollte.
Zwar, wenn ich auch durch die Ungewitter der Natur ge-
zwungen worden waͤre, von der Gnade des Fuͤrſten noch
laͤnger Gebrauch zu machen, waͤre es dann nicht ein lehr-
reicher Aufenthalt fuͤr mich geweſen?
Indeſſen behauptet man doch, daß ſieberhafte Leute
hier wieder geſund werden. Traͤgt etwa die reine Luft
und das geſunde, ſtarke, eindringende Waſſer etwas da-
zu bei?
Fuͤr viele Menſchen waͤre wohl in St. Blaſien
nichts beſchwerlicher, als der Mangel an koͤrperlicher Be-
wegung durch langſames Spaziergehen. Man muß auf
dies Vergnuͤgen Verzicht thun, ſobald man in dieſer Tie-
fe iſt. Wenn auch die Witterung guͤnſtig iſt, ſo muß
man auf allen Seiten Berge beſteigen. Die ebnen We-
ge in der Tiefe bedeuten nichts, und hoͤren nach wenigen
Schritten auf. Indeſſen kan man in den langen Gaͤn-
gen des Gebaͤudes ſelber ſich die Fuͤſſe muͤde laufen.
Im Garten, der aber klein iſt, weil die rauhe Na-
tur hier nicht viel zarte Gartengewaͤchſe pflegen und erzie-
hen kan, iſt an einer Grotte eine artige Waſſerkunſt, ein
verſtecktes Springwerk angebracht. Man kan es, ohne
daß es der Fremde bemerkt, anlaſſen, leiten und lenken,
wie man will. Darneben iſt auch ein kleines Sommer-
haus, das an der Alp eine angenehme Lage hat, und hin-
ter ſich und vor ſich ſo viel Ausſicht, als man in St.
Blaſien erwarten darf.
Gemeiniglich traͤgt der Fuͤrſt nur ein bloſſes goldenes
Kreuz von mittelmaͤſſiger Groͤſſe auf der Bruſt. Er
wies mir aber, als ich darum bat, zwei andre Pektora-
lien,
[400]lien, die er durch die Gnade der verſtorbenen Kaiſerin er-
halten hat. Beide ſind ſehr gros, ſehr reich; eins iſt
ganz mit Smaragden, das andre ganz mit Diamanten
beſetzt. An beiden haͤngen auch reiche und geſtickte Baͤn-
der. Ihro Majeſtaͤt lieſſen ihm, als Sie das letzte
ſchenkten, ſogar die Wahl unter mehrern. Da er, wenn
er will, in einem eignen Zimmer neben ſeinen Wohn-
und Viſitenzimmern Meſſe leſen kan, ſo bewahrt er auch
dort ein koſtbares Meßgewand, an welchem die verſtor-
bene Kaiſerin ebenfalls Selbſt gearbeitet haben. Man
weis, daß Ihro Hoͤchſtſeel. Majeſtaͤt eben ſo geſchickt, als
fleiſſig in allen weiblichen Kuͤnſten geweſen ſind, und der
Fuͤrſt von St. Blaſien iſt nicht der einzige, auch viele
Evangeliſche Geſandten und Agenten haben mir verſichert,
daß die Kaiſerin auch waͤhrend der Unterredung mit ihnen
immer ein Naͤhzeug, oder ſonſt eine weibliche Arbeit un-
ter den Haͤnden gehabt habe. Iſt es nicht Pflicht, auch
noch nach dem Tode, recht oft ſolche ſchoͤne und edle Ka-
raktere zu ruͤhmen, damit ſo viele andre minder wichtige
Perſonen des weiblichen Geſchlechts daran lernen moͤgen,
was ihre Pflicht iſt, und wodurch ſie ſich wahren Ruhm
erwerben koͤnnen. Seit einiger Zeit fangen viele Da-
men, die vielleicht ſonſt die ganze Woche nicht viel arbei-
ten, die ſonderbare Gewohnheit an, am Sonntage in
Geſellſchaften Filet zu ſtricken, oder mit andern ſpieleri-
ſchen Arbeiten ans Fenſter zu treten, und ſich dadurch
vom gemeinen Volk, das in die Kirche geht, zu unter-
ſcheiden. Muß der Weiſe nicht oͤfters laͤcheln, oder ſpot-
ten, wenn er ſolche ſeltſame Grillen unter jenem wunder-
baren Geſchlecht herumſchleichen ſieht?
Die verſtorbene Kaiſerin belohnte auf dieſe Art die
ſeltenen Verdienſte des gelehrten und menſchenfreundlichen
Fuͤrſten
[401] Fuͤrſten von St. Blaſien, und es waͤre freilich zu wuͤn-
ſchen, daß auch in der proteſtantiſchen Kirche viele Fuͤr-
ſten waͤren, welche die Talente und den gemeinnuͤtzigen Fleis
der faͤhigen Koͤpfe im Lande durch aͤhnliche Belohnungen
erweckten und unterſtuͤtzten. Der Fuͤrſt iſt Erzkaplan
vom Kaiſerlichen Hauſe in den Vorderoͤſterreichiſchen
Landen. Er muß deswegen, ſo oft jemand von dieſer
hoͤchſten Familie in das Land koͤmmt, ſich da, wo der
Hof iſt, einfinden, Meſſe leſen, bei der Tafel das Tiſch-
gebet verrichten, und ſo hatte der jetzige Fuͤrſt auch das
traurige Geſchaͤft, der letztverſtorbenen Monarchin in
Freiburg die Exſequien zu halten, und die Stimme der
Religion, und ſo vieler klagender Voͤlker am Grabe dieſer
wohlthaͤtigen Frau zu ſeyn.
Was die Regierung des kleinen geiſtlichen Staats
betrift, ſo haͤlt der Fuͤrſt einige wenige weltliche Beam-
te, die in eigenen Gebaͤuden neben dem Kloſter wohnen,
und die Taſel bei Hofe haben. Mit dieſen haͤlt er alle
Woche Konferenz, laͤßt ſich Briefe und Rechnungen
vorlegen, und arbeitet ſelber viel mit ihnen. Unmittel-
bar ſteht der P. Groskeller unter ihm. Alle Rechnun-
gen von Probſteien, Amtleuten, Superioren und Schaff-
nern ſieht der P. Oberrechner durch, und erhaͤlt dafuͤr von
jedem Rechner, ſobald die Rechnung abgehoͤrt worden iſt,
und er ihm ſein Abſolutorium, das der Fuͤrſt ſelber un-
terſchreibt, zugeſchickt hat, elnen Dukaten nach der Taxe.
Dieſe Dukaten verwendet der P. Oberrechner fuͤr das
Naturalienkabinet, wovon ich Ihnen bald mehr ſagen will.
Als Graf von Bondorf haͤlt der Fuͤrſt 3. gemeine
Soldaten, die einander am Portal alle 2. Stunden ab-
loͤſen. Zu ſeiner Bedienung iſt ein Kammerdiener, ein
Zweiter Theil. C cjunger
[402] junger Huſar, ein Leibkutſcher und ein Vorreuter ang-
ſtellt.
Sie werden leicht vermuthen, daß wir auch oft von
dem ungluͤcklichen Brande, der vor ſechszehen Jahren faſt
das ganze Kloſtergebaͤude auffras, geſprochen haben.
Am heilen Tage, Mittags um Eilf Uhr, ſchlug die Flam-
me an mehrern Orten zu den Fenſtern und zum Dache
hinaus, und es war keine Rettung moͤglich. Nur ein
Theil des Auſſengebaͤudes blieb ſtehen, und ſteht auch noch.
Man hat uͤber die Entſtehung dieſes Brandes viel ge-
ſprochen, geſchrieben und gelogen, das ich hier nicht wie-
derholen und nicht beurtheilen mag. Einigen war es
nicht unwahrſcheinlich, daß es noch Folge von einem Blitz
ſeyn moͤchte, der acht Wochen vorher das Kloſter getrof-
fen hatte. Da dieſes geſchehen war, packte man das
Geld, die Urkunden und Pretioſa ein, und wollte es nicht
wieder auspacken, bis man etwa nach dem gewoͤhnlichen
Lauf der Natur keine Donnerwetter in jenem Jahr mehr
zu beſorgen haben wuͤrde. Dieſer Vorſicht hatte man
es zu danken, daß, als das Ungluͤck entſtand, manches,
das ſonſt im Rauch aufgegangen waͤre, leicht zu retten
war. Indeſſen verbrannte immer manches Wichtige
und Unerſetzliche, auch ward beim Brande ſelber, wie es
immer geſchieht, nicht wenig geſtohlen. Da endlich der
Aſchenhauſen da lag, war es ein trauriger Anblick. Man
ſah einander mit Wehmuth und Niedergeſchlagenheit an,
und dachte im Anfange nur auf Auſenthalt und Unter-
kommen, bis man ſich wieder ſammeln koͤnnte. Die
ſaͤmmtlichen Patres wurden hie und da verſtellt. Der
Fuͤrſt, der doch auf dem Platze bleiben muſte, wohnte
beim Kanzler, und nahm ſich vor, weil ihn doch einmahl
das groſſe Ungluͤck getroffen hatte, nun auch keine Aus-
gaben
[403] gaben zu ſcheuen, und ein muſtermaͤſſiges Gebaͤude auf-
zufuͤhren, um ſo mehr, da ihm nach ſeiner Ruͤckkunft aus
Italien, wo ſich ſein Geiſt an den hohen Schoͤnheiten
der Kunſt geweidet hatte, die deutſchen Gebaͤude im Kon-
traſt mit den Pallaͤſten in Welſchland gar nicht mehr
gefallen konnten. Es haͤlt ſchwer, wenn man in St.
Blaſien etwas Gewiſſes von Einkuͤnften und Ausgaben
erfahren will; aber das iſt doch wohl zuverlaͤſſig, daß der
Bau des Kloſters und der Kirche, mit Inbegrif der Or-
gel, beinahe eine Million Gulden gekoſtet hat.
Sie wuͤrden das gern glauben, wenn Sie den Tem-
pel geſehen haͤtten. Die Kirche verdient dieſen Namen
mit allem Recht. Sie iſt ganz nach dem Muſter der
Notunda in Rom, und laͤßt die katholiſche Kirche in
Berlin weit hinter ſich. Als ich jene ſah, bewunderte
ich ſie. Aber nun, da ich in St. Blaſien beinahe ei-
nen ganzen Tag in dieſer Kirche zugebracht habe, zweifle
ich, ob mir jene noch gefallen wuͤrde. Am Martins-
tage im November 1781. wird die erſte Meſſe darin gele-
ſen worden ſeyn. Die voͤllige Einweihung aber mit
Pracht und Pomp iſt bis auf das Jahr 1783. verſchoben
worden, weil die erſte und aͤlteſte Charta Regia, die
das Kloſter als eine Abtei hat, im Jahr 983. vom Kai-
ſer OttoII. gegeben worden iſt. Die Kirche iſt alſo
Zirkelrund; ihre Laͤnge betraͤgt 112. Schuh, mit den Mau-
ern iſt der Durchmeſſer 134. Schuh; das Chor iſt auch
112. Schuh lang; in der Kirche ſtehen 20. Saͤulen von
Quaderſteinen, wovon jede nach dem gemachten Ueber-
ſchlag wohl 100,000. Zentner traͤgt, oder doch tragen kan;
bis an die Malerei der Kuppel iſt eine Hoͤhe von 108.
Schuh; auſſer dieſem einzigen Gemaͤlde iſt alles ganz
C c 2weis,
[404] weis, nichts ſieht man als Stukkaturarbeit; der reinſte,
ſimpelſte Geſchmack herrſcht uͤberall, vereinigt mit Maje-
ſtaͤt und Wuͤrde, recht ſo, wie eine Chriſtliche Kirche ſeyn
ſoll. Ich muß geſtehen, es wuͤrde mir ein wahres Feſt
ſeyn, wenn ich in ſo einem praͤchtigen Tempel, wo doch
uͤberall edle Einfalt und Wuͤrde hervorleuchtet, in die
ſolemni et auguſta, eine feierliche Rede halten duͤrfte.
Wir ahmen ſonſt gern den Griechen und Roͤmern
nach, aber in ſolchen oͤffentlichen Anſtalten, die doch ſo
maͤchtig auf den Geiſt des Volks, und deſſen, der zum
Volke reden ſoll, wirken, treten wir leider! nicht in ihre
Fustapfen. Dixnar, ein Gaſcogner, und Pigage in
Mannheim haben den Riß dazu gemacht. Das Gemaͤl-
de oben in der Kuppel ſtellt eine Glorie vor, und lauter
Heilige, die Benediktus beſonders verehrte. Auſſer
dieſem iſt nur noch ein Gemaͤlde, uͤber dem Eingange ins
Chor. Da ſieht man den ſterbenden Benedikt, unge-
mein ſchoͤn perſpektiviſch gemalt. Beide Stuͤcke ſind
von Wenzinger in Freiburg. Vor dem Thore ſteht
ein majeſtaͤtiſches eiſernes Gitterwerk, das der letztver-
ſtorbene hieſige Hofſchloſſer Hugeneſt verfertigt hat. Es
ſind viele Zentner Eiſen und unglaublich viele Verzierun-
gen daran. Der Kuͤnſtler war ein Blaſier von Geburt,
kam auf ſeinen Reiſen hieher nach Carlsruhe; der Hof
wollte ihn behalten, und das Stift machte damahls keine
Schwierigkeiten. Als das eiſerne Thor oder Gitter ganz
fertig war, ſtellte er es hier in ſeinem Hofe auf, und die
ganze Stadt bewunderte ſeine Arbeit. Man ruͤckte eine
kleine Beſchreibung davon in die Zeitung, dadurch wur-
den viele Kuͤnſtler und Schloſſer aus entfernten Staͤdten
hierher gelockt, es zu beſehen. In St. Blaſien faͤllt
es aber an ſeinem Platze noch viel mehr in die Augen.
Und
[405] Und damit es gegen die weiſſe Kirche recht abſtechen moͤch-
te, ſo hat der Fuͤrſt auch nicht eine Roſe daran vergolden
laſſen. Es behaͤlt ſeine natuͤrliche Farbe, und bleibt ganz
ſchwarz. Gleich beim Eintritt in das Chor findet man
zu beiden Seiten Niſchen; uͤber dieſen ſtehen marmorne
Urnen; in dieſe kommen die Gebeine des h. Blaſius,
und des erſten Abts. Hochaltar und Kanzel ſind von
ſchwarzem Marmor. Der Hochaltar bekoͤmmt eine
Tumbam, weil man in der alten Kirche nicht Meſſe
leſen durfte, als uͤber den Gebeinen eines Maͤrtyrers.
Zugleich wird er doppelt gemacht, ſo daß er den Geiſtli-
chen, wenn ſie im Chor verſammelt ſind, und auch der
Gemeine dient. Oben uͤber dem Chor iſt eine Gallerie,
und auf jeder Seite wieder ſechs freiſtehende Saͤulen.
Ganz hinten ſteht eine Orgel, die 50. Regiſter und noch
ein Poſitiv hat. Sie iſt noch vom alten Silbermann,
und hat 17000. Gulden gekoſtet. Aber ihr Ton iſt koſt-
bar, und Herzeinnehmend. Vor dem Portal ſtehen Do-
riſche, in der Kirche Korinthiſche, und im Chor Joni-
ſche Saͤulen. Unbeſchreiblich ſollen die Fundamente der
Kirche ſeyn. Man hat in lauter Felſen gehauen und ge-
graben. Am Anfang des Chors ſind oben auf der Gal-
lerie ſehr ſchoͤne Oratoria, aus welchen man in das Chor
und in die Kirche ſehen kan. Der ganze Chor iſt mit
einheimiſchem Marmor und Alabaſter uͤberkleidet. Be-
ſonders laͤuft unten ein handbreiter Kranz an der Wand
herum, der von einer braunen Alabaſterart gemacht iſt,
die von weitem gerade ſo ausſieht, als wenn es verſteiner-
tes Holz waͤre. Die Chorgeſtuͤhle ſah ich noch in der
Werkſtaͤtte des Schreiners und Bildhauers, wo ſie unter
der Aufſicht eines Laienbruders gemacht werden. Sie
ſind alle von Eichenholz, und ſehr ſchoͤn gearbeitet. Zu
C c 3jedem
[406] jedem Sitz iſt ein eignes Speichelkaͤſtchen. Weil das
Beten und Singen im Chor oft drei Stunden waͤhrt, ſo
hat man dieſe Stuͤhle ſo bequem machen laſſen, daß ſie
auch ſtehend doch halber ſitzen koͤnnen. P. Oberrech-
ner und ich brachten faſt einen ganzen Vormittag damit
zu, daß wir die Kirche beſahen, wiewohl wir nicht ein-
mahl auf dem Geſimſe, auf welchem die Kuppel ruht,
herumgingen, aus Furcht, es moͤchte uns ein Schwindel
ankommen. Und doch fuͤhrte mich der Fuͤrſt Selber nach
der Tafel noch einmahl hinein, und zeigte mir noch man-
che Schoͤnheit, die ich uͤberſehen hatte; z. B. Auf der
oberſten Stufe des Eingangs in den Chor iſt linker Hand
am Gitter ein weiſſes Ammonshorn in dem ſchwarzen
Marmor, das ziemlich gros iſt, aber doch nur anderthalb
Windungen hat. Der Fuͤrſt hat es mit Fleis erhalten,
und hier anbringen laſſen, weil er viel beſſre Einſichten in
die wahre Schoͤnheiten der Natur und der Religion hat,
als ein ganzes Heer von ſeinen Glaubensgenoſſen. Man
hat rothe und ſchwarze Kupferſtiche vom Kloſter und von
dem Portal dieſer Kirche. Ich habe beide aus der gnaͤ-
digen Hand des Fuͤrſten zum Geſchenk erhalten, und be-
wahre ſie als eine angenehme Erinnerung an angenehm
verlebte Tage.
Wir gingen aus der Kirche nach dem Hauſe, das,
um eine Glocke zu gieſſen, aufgebauet worden iſt. Zur
neuen Kirche gehoͤrte freilich auch ein anſehnliches und
feierliches Gelaͤute. Der Fuͤrſt gab einige alte Glocken
und Glockengut genug her, und lies zwei Glocken gieſſen,
deren Ton harmoniſch ſeyn ſollte. Nach der genaueſten
Berechnung verhalten ſie ſich gegen einander, wie Eins
zu Vier. Jetzt ward diejenige gegoſſen, die hundert
und
[407] und zehn Zentner wiegen ſollte. Ich habe aber bei der
Einrichtung nichts verſchieden gefunden von der Anſtalt,
die ich in Speier geſehen habe *). Es war gut, daß
man hier die Materie nicht geſpart hatte. Denn der
Ofen bekam ſchnell eine Ritze, das geſchmolzene Gut fing
an auszulaufen, der Meiſter bei der ganzen Sache wollte
es ſich vorher vom Fuͤrſten ausbitten, daß Er mit ſeiner
geweihten Hand anſtechen moͤchte; es ward ihm aber ab-
geſchlagen, und die Umſtaͤnde des Ofens noͤthigten ihn,
in der Eile die Materie auslaufen zu laſſen, und den
Guß zu wagen. Es gelang ihm aber recht gut, ſo viel
man nachher an der neuen Glocke ſehen konnte, ehe ſie
ganz gereinigt war. — Man konnte den koſtbaren Bau
der Kirche, und ſo manches andre in St. Blaſien um
ſo viel leichter ausfuͤhren, da die Vorſehung auf den un-
gluͤcklichen Brand jene theuren Jahre folgen lies, wo
beſonders die Brodfrucht, und das Getreide, wovon St.
Blaſien einen Ueberfluß hat, in ſehr hohem Preiſe ſtand.
Mit eben ſo groſſem Vergnuͤgen beſah ich im ober-
ſten Stock bei Hofe, da wo uͤber der Thuͤre ein Papagei
gemalt iſt, das Naturalienkabinet. Es ſteht unter
der Aufſicht des P. Franz, Oberrechner, deſſen Guͤtig-
keit, Hoͤflichkeit und Dienſtfertigkeit gegen mich ich uͤber-
haupt nicht genug ruͤhmen kan. Schade, daß dieſer
fleiſſige und geſcheute Mann nicht mehr Zeit auf das Stu-
dium der Natur wenden, und ſich nicht die beſten und
unentbehrlichſten Buͤcher anſchaffen kan. Wir wuͤrden
gewis aus dieſer noch unbekannten, und nicht unterſuch-
ten Gegend des Schwarzwaldes manchen wichtigen
Beitrag zur Summe unſrer naturhiſtoriſchen Kenntniſſe
C c 4erhal-
[408] erhalten. Aber ſeit vielen Jahren iſt er mit der Dire-
ktion des Bauweſens, mit dem Abnehmen der Rechnungen,
mit der Abkuͤrzung der P. Hergottiſchen Werte beſchaͤf-
tigt, und Er iſt es, dem der Fuͤrſt den ehrenvollen, aber
freilich muͤhſamen Auftrag gegeben hat, die Geſchichte
des Vaterlandes zum Unterricht in den Schulen
zu liefern. Iſt es moͤglich, ſo werden wir bis Oſtern
dieſes nuͤtzliche Buͤchlein erhalten. Man wird dabei drei
Charten liefern, wovon ich die Erſte ſchon gezeichnet ge-
ſehen habe, naͤmlich: den Urſprung und den Lauf des
Rheins und der Donau, wie ſie in den aͤlteſten Zeiten
waren, mit den Namen und Grenzlinien der aͤlteſten
Voͤlker. Auf der zweiten Charte wird man eben das
ſehen, wie es zur Zeit der Allemannen und der Caro-
linger war. Und endlich wird die dritte Charte alles
das ſo zeigen, wie es jetzt unter unſern Augen liegt.
Mit dieſem Werke iſt P. Franz nun Tag und Nacht
beſchaͤftigt, und freut ſich nur daruͤber, daß der Kirchen-
bau, wobei ihm faſt jeder Nagel durch die Hand ging,
indeſſen zum Ende eilt. Die vielſeitige Brauchbarkeit
des Mannes zieht ihm eine Menge von Geſchaͤften zu,
die eben nicht allemahl angenehm ſind. Es geht ihm,
wie vielen andern: Er wuͤnſcht, daß er ſeine Stelle bei
Hofe, wo ſo viele Bauern und Bedienten beſtaͤndig nach
ihm fragen, wieder mit der ſtillen Zelle im Kloſter ver-
tauſchen koͤnnte, damit er in einer lehrreichen Einſamkeit
ſtudiren, und ungeſtoͤrt in ſeinen Empfindungen und Ge-
danken auch ſich ſelber leben koͤnnte. Eben dieſer Mann
hat auch an der Hoftafel des Fuͤrſten den Auftrag, das
Wichtigſte aus den politiſchen Zeitungen vorzuleſen, und
er thut das mit einer ſehr hellen Stimme, nimmt, ſo
ſo oft er wieder lieſet, allemal ſeine Muͤtze ab, und ver-
gißt
[409] gißt ſich beinahe oft ſelber daruͤber. Auch er hat in ſei-
nem Kabinet noch gar viele betruͤbte Erinnerungen an
die Verwuͤſtung, die das Feuer angerichtet hat. In-
deſſen ſind doch ſchon wieder ſehr viele ſchoͤne und ſeltene
Stuͤcke darin, und die Anordnung der vorhandenen Sa-
chen zeugt von dem gelaͤuterten Geſchmack des Beſitzers.
Wir beide waren gleich in den erſten Stunden gute
Freunde geworden, aber beim frohen Anblick der ſchoͤnen
und unerſchoͤpflichen Natur wurden wir es noch mehr.
Wir erzaͤhlten uns wechſelsweiſe von tauſend Sachen,
welche die Natur in ihrem weiten Reiche hat, und brachten
einige Stunden mit innigem Vergnuͤgen zu. Darf ich
Ihnen einige von den nicht gemeinen Stuͤcken, die ich
beſonders bemerkt habe, herſetzen?
- 1) Ein ausgeſtopfter Zebra. Sollten Sie wohl
den ſchoͤnen afrikaniſchen Eſel hier auf dem Schwarz-
walde erwarten? Hr. Bernoulli in Baſel hat das Fell
gekauft, und mit andern Sachen hieher geſchickt. Ich
vermuthe, daß dies Exemplar ein Maͤnnchen iſt; denn
er hat ein ſtarkes Kammhaar, dergleichen ich ſonſt noch
nie an ſo vielen Zebras, die ich geſehen, bemerkt habe. - 2) Ein Groͤnlaͤnders-Kleid aus Seehunds-
fellen. - 3) Viele Schlangen vom hieſigen Schwarzwal-
de, in Weingeiſt recht gut aufgehoben. Eine iſt fuͤnf
Schuh lang, und ſie lebte noch eine halbe Stunde, nach-
dem ſie ſchon im Weingeiſt gelegen war. Man hat dieſe
auf einem Berge gefunden, auf welchem kupferhaltige
Quellen ſind. - 4) Eine ſehr dicke Schlange, die uͤber den Schup-
pen noch die ſchoͤnſten Reihen von Blaͤttern hat. - 5) Eine andre, die eben ſo noch mit beſondern Fi-
guren gezeichnet iſt. Dieſe Figuren ſehen hier aus,
wie Apfelkerne. Vielleicht iſt dieſe und die vorhergehende
Maͤnnchen und Weibchen zuſammen. Ich habe es un-
endlich bedauert, daß ich meinen Linne’e nicht bei mir
hatte, und hier kein Syſtema Nat. haben konnte. Die
Geſchichte der Schlangen wuͤrde gewis gewinnen, wenn
man dieſe raren Schlangen ſorgfaͤltig unterſuchen, ver-
gleichen und genau beſchreiben wollte. - 6) Zwei zuſammengewachſene Katzen aus Frei-
burg. - 7) Ein ſchoͤner Foetus von einem Hirſch, den P.
Franz mit warmen Wein geputzt hat. Da ward dieſer,
und viele andre Foetuſſe ſo weis, als wenn er von Wachs
waͤre. - 8) Ein menſchlicher Foetus, der ſchon zwei Tage
vergraben war und eben ſo behandelt wurde. - 9) Ein abſcheulich groſſer und dicker Salamander,
ohne Zweifel aus dieſer Gegend. - 10) Allerlei, und zum Theil auch ſehr groſſe Gat-
tungen von Eidechſen, die alſo nicht nur in heiſſen Laͤn-
dern eine beſondere Groͤſſe erreichen. - 11) Zaͤhne von einem todt im Wald gefundenen
Haaſen. Es ſind zwei; ſie ſehen aus, als waͤren ſie
vom wilden Schwein, oder vom Sus Babyruſſa; ſie
ſind aus der untern Kinnlade herausgewachſen, ſind ei-
nige Zolle gros, ſind weis, und wurden endlich ſo gros
und ſo monſtroͤs, daß der Haaſe verhungern mußte, als
er wegen tiefen Schnees kein hohes Gras mehr finden
konnte. - 12) Auf einer Tafel: Nachricht und Abbildung von
einem Menſchenkind, das nur 1⅝ Zoll lang war, zu
Schwaz in Tyrol 1774. den 18ten April gebohren;
ward getauft und lebte ſechs Stunden. Es war ein
Knaͤbchen; das Kind iſt nackend und eingewickelt abge-
zeichnet; die Glieder ſind alle da, und ausgebildet, aber
alles en Migniature. — Die Namen der Eltern, und
die Zeugniſſe der Obrigkeit ſtehen dabei. - 13) Ein Peruaniſcher Balſam noch in der runden
Fruchtkapſel, und oben verſchmiert, ſo wie er zu uns
koͤmmt. ehe er von den Apothekern und Materialiſten
geoͤfnet und verfaͤlſcht wird. P. Franz hat ihn von ei-
nem Groskreuz in Maltha erhalten. - 14) Ein ſchoͤner violetter Meerigel, auch aus
Maltha. - 15) Ein gelbes Ei von einer Haushenne.
- 16) Ein Haushennen-Ei, das nicht groͤſſer iſt,
als das Ei eines Kanarienvogels, und doch nicht das
Erſte und das Letzte. Die Henne legt ſonſt ſchon lange,
und legte nachher wieder gewoͤhnlich groſſe Eier. Man
hat das Ei von einer ſichern Hand in Freiburg erhalten. - 17) Seekrebſe — ſchoͤne Sammlung von Kon-
chylien — Seepflanzen und Lana penna, die P.
Franz mit mir theilte. Zwei ſehr ſchoͤne Nautili papy-
raceii — Ein ganz kleiner Admiral. - 18) Eine Schnecke, deren Spindel man ſieht, weil
beim Putzen auch noch das temperirte Scheidewaſſer die
Schaale durchgefreſſen hat. - 19) Ein herrlicher Einſiedler-Krebs aus dem
mittellaͤndiſchen Meere. - 20) Eine auſſerordentlich groſſe Sturmhaube.
- 21) Ein Specht mit rothen Extremitaͤten an den
Fluͤgeln. Man ſieht dieſe Art hier nicht immer. - 22) Ein an der Aar geſchoſſener Kybitz. — Ein
groſſer Reiher aus der Nachbarſchaft. - 23) Erdarten — Zuͤricher Porzellanerde, Tyrol.
metalliſche Erdfarben ꝛc. - 24) Chineſiſcher Saͤnd — kleine unregelmaͤſſige
hellweiſſe Steine. - 25) Goldſand aus der Aar, wobei man hier be-
hauptet, daß eigentlich durch die Aar das Gold in den
Rhein komme. - 26) Zwanzig Arten von Alabaſter aus den Stifts-
landen, die Leute nennen ſie Marmor, aber keine Pro-
be brauſet mit Saͤuren; eine Art iſt ganz weis. Hier
kam auch die braune holzfaͤrbige wieder vor, wovon der
untere Kranz im Chor gemacht worden iſt, und ich habe
dieſe und mehrere ſchoͤne Probeſtuͤcke auf Befehl des Fuͤr-
ſten und durch die Guͤtigkeit meines Freundes zum Ge-
ſchenk in meine Sammlung erhalten. - 27) Davon ſind ſieben Arten von Marmor, die
auch in den Stiftslanden brechen, ſehr verſchieden. Man
ſieht hier einen Marmor, der ganz ſchwarz iſt, und ei-
ner mit Marcaſſit. - 28) Blaͤtterſpat mit Schwefelkies, von Witti-
chen. — Auch einheimiſche Jaſpachate. - 29) Aus Tyrol Aßbeſte, Amianthe, gar ſchoͤne
Turmalinen — auch ſchwediſche — Gar vortrefliche
Schaͤrte von Hrn. von Born. - 30) Ein Kryſtallſtuͤck aus der Schweiz, zum
ewigen Denkmal der Gewinnſucht und des ſchaͤndlichen
Betrugs! Es ſollte eine Druſe, eine ganze Sammlung
von einzelnen Zacken ſeyn, daher ward es theuer verkauft.
Es waren aber nichts, als allerlei kleine verſtuͤmmelte
Stuͤcke, die der Schurke in verſchiedenen Richtungslinien
eingekuͤttet, und den Kuͤtt mit Thon uͤberſchmiert hatte.
Nun ſtand das gekaufte Stuͤck kaum im warmen Zim-
mer, ſo ſchmolz unten der Kuͤtt, und die Stuͤcke fielen,
eins nach dem andern, ab. - 31) Ein Buccinum von Maltha, das oben ſchoͤn
und ganz mit Wuͤrmern inkruſtirt, und inwendig noch
gewoͤhnliche Muſchel iſt. - 32) Verſteinerte Venus-Muſchel vom Randen-
berg, d. h. der Anfang des Bergs Abnoba, wie ihn
die Roͤmer nannten. Von dieſem Namen erzaͤhlt der
Fuͤrſt in ſeinem Iter per Allemann. an mehrern Orten.
Denn daß die Roͤmer wirklich ehemals ſo weit gekommen
ſind, das beweiſet eine Inſchrift D. D. Abnobae auf
einem groſſen Stein, den eine Waſſerfluth noch vor nicht
gar langer Zeit abgewaſchen und ausgeſpuͤlt hat. - 33) Abdruͤcke von Krebſen und von Grillen.
- 34) Zahlreiche Sammlung von Gold- und Sil-
berſtufen, blaͤttrichtes Gold aus Tyrol, Proben vom
ganzen Prozeß, mit dem dortigen Goldſand. — Ein
kleines Stuͤckchen, wo gediegenes Gold, Fahlerz
und Bleiganz aneinander ſitzen. - 35) Gruͤnes Bleierz — das iſt bei uns, die wir
den ſchoͤnen Gruben nahe ſind, nicht mehr groſſe Selten-
heit. Aber hier ſitzt es auf Quarz, und ſo habe ich es
noch nie gefunden. - 36) Unter vielen Lothringiſchen Eiſenſtufen iſt
eine minera martis ſpecularis da, ganz roth, voll
Arſenik. - 37) Blaues gediegenes Kochſalz, aus Tyrol,
hat Kupfer. - 38) Modell aus Glas von einer Salzpfanne.
- 39) Hierher gehoͤrt auch noch ein ſteinerner Streit-
hammer aus der Zeit der alten Deutſchen. In der
Mitte iſt ein Loch, worein der Stiel geſteckt wurde. Das
Stuͤck war ſchon vor dem Brande im Kabinet, kam aber
unverſehrt wieder aus dem Schutt hervor. Es ſieht ge-
rade ſo aus, oder das Exemplar iſt vielleicht gar daſſel-
bige Stuͤck, das Montfaucon in ſeinen erlaͤuterten Al-
terthuͤmern, franz. T. V. p. 200. abgebildet hat, und
iſt ein Lapis apyrus.
Sonſt habe ich in dieſer Sammlung noch eine merk-
wuͤrdige Gattung von Schlangen geſehen, uͤber die es
ſchwer iſt, zu urtheilen. Ich will aber hier nichts da-
von ſagen, weil ich an einem andern Orte mit den Na-
turforſchern daruͤber reden werde.
Einen andern ſehr angenehmen Morgen brachte ich
auf der Bibliothek mit P. Aemylianus zu. Sie ſteht
im Konvent, und hat ein ſehr ſchoͤnes, angenehmrothes
Ausſehen. Pigage gab einen ſehr hellen Saal mit
ſechszehn Kabinettern an, und in der Hoͤhe laͤuft eine
Gallerie. In den Kabinettern kan man eine Menge
Buͤcher aufſtellen, und durch die angebrachte Gallerie
ſind die groſſen Leitern erſpart worden. Manche Buͤcher
ſind freilich verbrannt. Doch hat die Herzhaftigkeit des
damaligen Bibliothekars noch manches, beſonders aus
dem
[415] dem Bibelfach, das zum Gluͤck fuͤr St. Blaſien nahe
bei der Thuͤre war, gerettet. Wir ſahen:
- I)Alte gedruckte Buͤcher.
- 1) Eine lateiniſche Bibel, in drei Folianten, das
A. Teſt., auf Pergament, vom Jahr 1450, von Gut-
tenberg. ohne Namen, Ort und Zahl; die naͤmliche
Bibel iſt auch in Paris, Berlin, Braunſchweig,
es ſollen kaum 5. Exemplare davon in der Welt ſeyn,
(ſ. Beſchreibung in M. de Bure Bibliograp̀hie in-
ſtructive. Vol. de Théologie, à Paris 1763. p. 32.
33.) Auch am Ende des letzten Theils iſt gar keine
Subſkription. Es ſcheinen ſchon litterae fuſae zu
ſeyn, weil Buchſtaben und Zeilen gar gleich ſind. - 2) Eine ganze deutſche Bibel, wahrſcheinlich vom
Jahr 1462. Clement kennt ſie nicht; ſie iſt nicht ſchwer
zu leſen; die 2. Buͤcher Samuelis heiſſen hier wie in
der Vulgata, L. I. II. der Koͤnige, daher vier I. L.
Regum da ſind; die Acta Apoſtolorum, oder das
Buch derXII.Boten, ſtehen erſt hinter dem Briefe
an die Ebraͤer; die Epiſtel an die Laodicenſer iſt auch
in dieſer Bibel; ſie ſteht nach dem Briefe an die Gala-
ter, iſt kurz, ſcheint meiſtens aus dem Briefe an die
Philipper zuſammengeſtoppelt zu ſeyn; zuletzt ſteht dar-
inne, man ſoll dieſen Brief auch nach Koloſſis ſchicken.
Gar zu deutlich ſieht man, daß dies das Flickwerk einer
ſpaͤtern Hand iſt. Auch in dieſer Bibel ſteht Roͤm.III,
29. das Wort allein nicht.
- 1) Eine lateiniſche Bibel, in drei Folianten, das
- II)Handſchriften. Es ſind hier keine andern
als Lateiniſche; unter dieſen ſah ich:
1) Alte
[416]- 1) Alte Grammatiker aus Sec. VII. VIII. Die
Skriptur iſt noch die alte Angel Saͤchſiſche. - 2) Ein altes Meßbuch, woraus man die Noten
ſieht, die damals in der Kirche waren, ehe Guido Are-
tinus die jetzigen Muſikzeichen erfand. Es ſcheint dies
ein Choralbuch aus Sec. X. zu ſeyn. - 3) Ein Codex fumigatus ebraicus, iſt fuͤr D.
Kennicott verglichen worden; am Ende des fuͤnften
Buchs von Moſe ſteht in der Maſora die Jahrzahl 1277. - 4) Ein Miſſale aus Sec. IX. gerade ſo, wie das,
das ich in Gengenbach geſehen habe. Auch in Solo-
thurn ſoll eine von der Art und dem Alter ſeyn. Chriſtus
der Herr am Kreuz, iſt auch abgemalt, mit einer Schuͤr-
ze, und mit vier Naͤgeln, doch ohne ein Subpedancum.
Auf dem Einband iſt eine Himmelfahrt Chriſti in El-
fenbein. - 5) Canones Conciliorum, ſollen aus dem Sec.
VIII. ſeyn. - 6) Noch eine andre Sammlung, in welcher erſt die
Titel der Canonum, hernach erſt die Canones ſelber
ſind. Sie faͤngt bei dem Concilio Nicaeno an, und
iſt unabgeſetzt aneinander fortgeſchrieben. - 7) Hieronymus in Eccleſiaſten, aus Sec. VII.
oder VIII, hat noch den Merovingiſchen Karakter; doch
konnten wir einiges leſen. - 8) Capitula Legis Allemannorum, worin viele
ſtehen, die Baluzius nicht hat; man ſchickte die, ſo
ihm fehlten, nach Paris, daher ſtehn ſie nun in der
neuen Ausgabe. Dies Buch iſt offenbar unter Karl
dem Dicken geſchrieben. Der Schriftſteller ſagt es ſel-
ber,
[417] ber, da er am Ende ein Stuͤck aus der franzoͤſiſchen Ge-
ſchichte erzaͤhlt, und von Arnulph redet, „qui adhuc
„vivit, et utinam vivat, ne extinguatur lucerna
„Ludovici magni Domini“. Auch erzaͤhlt er Chlo-
dovichs Bekehrungsgeſchichte bei Zulpich, und zum
Beweis ſeines wahren Chriſtenthums fuͤhrt er folgende
Rede des Koͤnigs an: „Waͤre ich in Jeruſalem gewe-
„ſen, ich wollte den Tod Jeſu an den Juden mit mei-
„nen Soldaten geraͤcht haben“. Im Ganzen iſt dies
Buch fuͤr die damaligen Zeiten noch ſehr gut geſchrieben.
Wenn der Verfaſſer von ſchlechten Kaiſern reden ſoll, ſagt
er: Humanae verecundiae conſulentes jam ta-
ceamus. - 9) Ambroſius de fide, ad Imperatorem Gra-
tianum. — Fuͤrſt von St. Blaſien meint, es ſei
liber coaevus cum Ambroſio wenigſtens aus Sec. V.
Geſchrieben noch mit roͤmiſcher Schrift. - 10) Ein Calendarium Martyrum et Sancto-
rum, aus dem Oeſterreichiſch-Habſpurgiſchen Hauſe.
Lauter ſchoͤne Malereien auf Pergament, mit kurzen
ſchriftlichen Beiſaͤtzen. Geht fort bis auf Maximilians
Zeiten.
- 1) Alte Grammatiker aus Sec. VII. VIII. Die
Zuletzt ſah ich auch die Ein und zwanzig Oktavbaͤn-
de, die der Fuͤrſt ſchon geſchrieben hat. Alle Theile der
katholiſchen Theologie hat er bearbeitet. Leider kan man
Manches gar nicht mehr haben, weil beim Brande die
Exemplarien im Rauch aufgingen, z. B. ein ſchoͤnes
Buch de Radiis Divinitatis in Operibus Provi-
dentiae, Naturae et Religionis. In Spanien
werden dieſe Schriften in den Kloͤſtern uͤber Tiſch vorge-
leſen. Auf einem Oktavblatt Libri in S. Blaſio im-
preſſi ſtehen nur die Titel derjenigen Werke, die nicht
Zweiter Theil. D dver-
[418] verbrannt, und die noch jezt zu haben ſind. Wohl dem
Manne, der in ſeiner Jugend fleiſſig iſt! Gluͤcklich iſt
er, wenn er alsdann in einem Staat, oder in einer Kir-
che lebt, die das Verdienſt unterſcheidet, hebt und be-
lohnt, und Leute um ſich hat, die ſo viel Rechtſchaffen-
heit und Eſprit du Corps haben, daß ſie edeln Juͤng-
lingen forthelfen, damit die Kirche immer groſſe Maͤn-
ner aufweiſen koͤnne! Freilich ein ſcharfer Sporn fuͤr die
faͤhigen Koͤpfe in der Roͤmiſchen Kirche, wenn ſie die
glaͤnzende Laufbahn ſehen, die man ihnen mit Vergnuͤ-
gen eroͤfnet, ſobald ſie nur Luſt bezeigen, ſich vor andern
hervor zu thun. Unſere frommen Kirchenverbeſſerer ver-
gaſſen, auf ſolche aͤuſſerliche Dinge, die zum Wachs-
thum der Kirche doch auch unentbehrlich ſind, hinlaͤng-
liche Ruͤckſicht zu nehmen, und verſprachen ſich zu viel
Gutes von den weltlichen Fuͤrſten. Aber unſre Muſen
in Deutſchland ſind Fuͤrſtenlos, wie Winkelmann
ſagt. Wollt ihr mehr lernen als ein Dorfpfarrer? Gut,
dafuͤr ſollt ihr Schulmeiſter werden, und eure beſte Bluͤ-
the des Lebens in der Schulſtube, unter einem wilden
Hauſen ungezogener Burſche verkuͤmmern duͤrfen. —
Das iſt Sitte in einem groſſen Theil von Deutſchland!
Das iſt der erbaͤrmliche Weg, auf welchem die Prote-
ſtantiſche Kirche ihre beſten Koͤpfe meiſtens kriechen, und
ſchmachten laͤßt. Iſts nicht ſo, — lieber Freund?
Schlagen Sie die Geſchichte der Gelehrten auf. Aber,
wenn es dann Wahrheit iſt, warum ſoll man, warum
ſoll ich es nicht ſagen?
Eben der liebe P. Aemylianus, der mir ſeine Buͤ-
cher zeigte, fuͤhrte mich auch in das Muͤnzkabinet, das
neben der Bibliothek ſteht, und die Bewunderung aller
Kenner
[419] Kenner erhalten wird, wenn einmahl alle ſeine Schaͤtze
werden in Ordnung gebracht ſeyn. In allem ſind etwa
24000. Stuͤcke da. Ich ſah
- 1) einige Paͤbſtliche Muͤnzen, weil ich mich erin-
nerte, daß ich in der Koͤniglichen Muͤnzenſammlung
in Paris dieſe nicht geſehen hatte. Alle Paͤbſtliche
Muͤnzen von Petrus, Paulus, Clemens ꝛc. ſind
falſch. Vor MartinV. hat man keine aͤchte Paͤbſt-
liche Muͤnze.- a) Von AlexanderVIII. iſt der erſte Nummus
argenteus deauratus vom Jahr 1689. - b)ClemensXI. hat keinen Bart mehr,
- c) ſo wie HadrianI. iſt, der keinen Bart trug.
- a) Von AlexanderVIII. iſt der erſte Nummus
- 2) Kaiſerliche, als
- a)Hadrian iſt der aͤlteſte, der einen Helm traͤgt.
- b) Von AlbertII. iſt ein ſehr groſſer Medaillon da,
aus Erz und vergoldet, vom Jahr 1493. - c) Eine Muͤnze aus Erz von OttoIV., ſehr rar.
- d) Ein KarlV. bronzirt, vergoldet, gros.
- Ich wollte dieſe lieber ſehen, als die Muͤnzen von
den alten Roͤmiſchen Kaiſern, wiewohl man dieſe hier
vorzuͤglich ſammelt, weil man ſeltener Gelegenheit hat,
jene zu ſehen, als dieſe. - 3) Eine Bronze von Fleury, 1711. Minerva Pa-
cifera. - 4) Ein Mazarin, Er ſelber und Sonne und Waſ-
ſer mit der Umſchriſt: Hinc crdo, hinc copia re-
rum. - 5) Ein alter ſilberner Virgilius Roſarius, Cardi-
nal de Spoleto. - 6) Schweizeriſche Muͤnzen nach allen Kantons.
- 7) Spaniſche Muͤnzen, ſilberne, ſind noch vier-
eckigt, und an jeder Ecke noch eingeſchnitten. - 8) Eine zinnerne Muͤnze, Jud Suͤß aus Oppen-
heim im Staatskleid, auf der Kehrſeite ebenderſelbe in
einem Kaͤſig mit der Umſchrift:- „Aus dieſem Vogelhaus
- „Schaut Jud Suͤß, der Schelm heraus.“
- 9) Eine Juͤdiſche Muͤnze von Blei.
- 10) Juͤdiſche Silberlinge, worauf die bluͤhende
Ruthe Aarons, der h. Sexkel, und Jeruſalem ſteht. - 11) Eine ſilberne Juͤdiſche Muͤnze, wo auf einer
Seite das Bruſtbild von Jeſus iſt, und auf der Kehr-
ſeite eine abbreyirte ebraͤiſche Inſchrift, wahrſcheinlich
eine Satyre. Dieſe Muͤnze iſt hier gros und klein. - 12) Eine ſilberne Muͤnze mit einem Hirſch, der ein
groſſes Geweih hat, mit der Umſchrift:Ich trage die Hoͤrner, daß jedermann ſchauet,Ein andrer traͤgt ſie, der es nicht trauet.
Und auf dem Revers ſteht:Vom Hahnrey red nicht ſcoptice,Denn dieſes iſt veriſſime,Daß mancher Stuͤmper per CornuaErlangt hat hohe Officia.Anno Mundi! ! - 13) Erlauben Sie mir noch eine Muͤnze, die auch
nicht gemein iſt, kurz zu beſchreiben. Silber und ver-
goldet, ſehr gros, wie Sie aus dem Folgenden ſehen wer-
den; auf einer Seite hat ſie viel Gravuͤre, und die In-
ſchrift: Propter ſcelus Populi mei percuſſi eum.
Eſai. LIII. Auf der Kehrſeite ſteht das ganze Symbo-
lum Athanaſii: Haec eſt fides Catholica, ut
unum Deum in Trinitate, et Trinitatum in uni-
tate veneremur. Alia eſt perſona Patris, alia
Filii, alia Spiritus ſancti, una eſt divinitas, ae-
qualis gloria, coaeterna majeſtas. O veneran-
da Unitas, o veneranda Trinitas! Per Te ſumus
creati, vera Aeternitas! Per Te ſumus redemti,
ſumma Tu Charitas! Te adoramus, omnipo-
tens, Tibi canimus, Tibi Laus et Gloria. Am
Rand: Hunc groſſum Lipſiae excudebat Anno
MDCXLIIII. Menſe Januar. Regnante Mauritio,
Duce Saxoniae.
Der Profeſſor Theologiaͤ im Kloſter hatte den Auf-
trag, mir den Kirchenſchatz zu zeigen, und in St.
Blaſien iſt es der Muͤhe werth hineinzugehen.
- 1) Zuerſt ſah ich da ein Evangeliſtarium aus Sec.
IX., inwendig iſt es ein Codex Mſcptus, auſſen iſt
Jeſus Chriſtus und Maria daran, von Silber und
vergoldet, mit groſſen Steinen. - 2) Ein Reliquienkaͤſtchen, das ein Geſchenk
von der letztverſtorbenen Kaiſerin; im Deckel iſt ein Ge-
bein vom Fridolinus, der am Ende Sec. V. und in-
D d 3wendig
[422] wendig ein Arm vom Pirminius, der Sec. VII. ge-
lebt hat. - 3) Viele andere Knochen und Reliquien, uͤber die
ich keine Anmerkung machen will. Ich denke, die Zeit
wird bald da ſeyn, wo die ſelber, die ſeither das h. Ge-
bein gekuͤßt haben, es bei Seite legen, und nicht ver-
miſſen werden. Das Maͤdchen vergißt die Puppe, wo-
mit es im Kinderalter geſpielt hat, ſobald der Verſtand
reif wird, von ſich ſelber, und holt ſie nicht wieder. - 4) Ein hundertjaͤhriges Antipendium, Kupfer und
vergoldet, mit vielen ſilbernen Figuren. - 5) Schwere und reiche Meßgewande. Maͤntel,
Patenen, Kelche, Kelchtuͤcher, ſilberne und vergoldete Kel-
che zum Wein, und zum Waſſer bei der Meſſe. - 6) Eine ſilberne Tafel von einem gewiſſen Herzog
Carl von Lothringen, der 1678. uͤber das Todtmoos
und uͤber den ganzen Schwarzwald ſeine Armee in das
Elſaß fuͤhrte, und zum Andenken dieſes hieher ſtiftete.
Das Stuͤck iſt theils gegoſſen, theils geſchlagen. - 7) Eine Statue vom h. Blaſius, Kupfer und ver-
goldet. Man hat ſie erſt in neuern Zeiten in Augſpurg
machen laſſeu. - 8) Mehrere Lampen fuͤr die Kirche, von purem
Silber, auch Augſpurger Arbeit. - 9) Silberne und vergoldete Kelche mit vielen Emaille-
Gemaͤlden. Ich als ein Laie durfte ſie nur mit dem Tuch
in der Hand anruͤhren. - 10) Ganz goldene Kelche. — In jedem ein klei-
nes Loͤffelchen, um etliche Tropfen Waſſer in den h. Wein
zu thun. - 11) Ein ganz goldner Kelch, den Kaiſer KarlVI.
hieher ſchenkte. - 12) Eine goldne Monſtranz, neun Pfund ſchwer,
mit aͤchten Steinen, hat einen Werth von 60,000 Gulden. - 13) Ein Reliquarium vom h. Leopold, das
Maria Thereſia hieher ſchenkte. - 14) Ein ſilberner Kelch von InnocentiusXI. mit
Reliquien vom Benedikt. - 15) Ein groſſes Krucifix mit einer Menge aͤchter
Steine, worin in der Mitte noch Stuͤcke vom Kreuz
Chriſti und noch Loͤcher von ſeinen Naͤgeln ſeyn ſollen.
Man hat daſſelbige mit einer alten Faſſung. Ueber die
Beſchaffenheit des Holzes werden Sie mich wohl nicht
hoͤren wollen. Ich ſchone das irrende Gewiſſen, und
ehre die fromme Einfalt, die ſich an Holzſpaͤnen erbauen
kan.
Erlauben Sie, daß ich hier abbreche. Ich habe
Ihnen freilich noch einiges von St. Blaſien, und noch
D d 4manches
[424] manches von der Ruͤckreiſe zu erzaͤhlen *). Aber ich bin
ſchon weitlaͤuftiger geweſen als ich ſeyn wollte. Sobald
ich wieder von andern Geſchaͤften einige Stunden eruͤbri-
gen kan, will ich das Reiſebuch wieder vorſuchen. Leben
Sie indeſſen wohl.
Tagebuch
[[425]]
Tagebuch
der Reiſe
durch
Tyrol, Oeſterreich, Ungarn
und das
Venetianiſche.
Im Jahre 1782.
Ον οι ϑεοι φιλουσιν, αποϑνησκει νεος.
D d 5
[[426]][[427]]
Tagebuch
der Reiſe
durch
Tyrol, Oeſterreich, Ungarn und das Vene-
tianiſche.
Reiſe von Carlsruhe nach Inſpruck.
Den 31ſten Maͤrz.
Heute trat ich nun abermahls eine Reiſe an, und kam
uͤber Stuttgard nach Tuͤbingen. Unterweges
ſah ich in Enzweihingen welſche Huͤhner mit ganz blau-
em Kopf und lichtbraunen Federn am ganzen Koͤrper.
Auch haben die Kuͤhe hier den ſchoͤnen ſeidenen Schwanz,
den ſie in Thibet haben. — Ich hielt mich in keiner
von dieſen Staͤdten, weil ich ſonſt ſchon mehr als einmahl
da geweſen war, auf, ſondern ſetzte meinen Weg
Den 1ſten April.
uͤber Reutlingen, Pfullingen, Hoſtelfingen, Hau-
ingen bis nach dem Kloſter Zwyfalten fort. Dieſe
Gegend nennt man die Oberwuͤrtembergiſche Alp.
Es iſt ein rauhes Land, wo man nur Korn, Haber, Ger-
ſte ꝛc. baut, wo aber viel Holz und Buſchwerk waͤchſt.
Die
[428]
Die Stadt Reutlingen verſieht ſich ganz mit Holz
von dieſer Alp, dort iſt keins, und iſt doch wohlfeil.
Man haut aber auch junge Waldungen um. Bis 7.
Klaftern Holz bekoͤmmt ein Buͤrger aus den Gemeinde-
Waldungen. Wer einen Zug hat, kauft Holz, und
verfuͤhrts im Winter, das iſt alsdann die meiſte Be-
ſchaͤftigung. Die Leute fahrens bis nach Tuͤbingen,
und bringen dafuͤr Wein zuruͤck.
Die Schaafzucht iſt hier herum ſehr betraͤchtlich,
daher auch ſo groſſer Handel mit Schaafkaͤſen getrieben
wird, daß ſie oft den Leuten ſelbſt ausgehen.
Hanf wird auch viel gebaut. Dagegen iſt Man-
gel an Waſſer zwiſchen den Bergen. Die Bauern
traͤnken daher ihr Vieh mit Regenwaſſer, oder mit Lache.
Oft ſchmelzen ſie Schnee. Oft iſt in einem Dorfe nur
Ein Brunnen, der im Sommer nicht verſiegt. In der
Erndte muß man oft zwei Leute mehr halten, um das
Waſſer fuͤr das Vieh weit her zu hohlen. Es ſind Pfar-
ren hier, wo die Gemeinde der Frau Pfarrerin allemahl
im Kindbette ein Faß Waſſer ſchenken muß.
Man ſaͤet im April, wenns die Witterung erlaubt,
und erndtet doch oft erſt 10-14. Tage nach Jakobi. Es
hat ſchon in den zeitigen Haber, den ſie abmaͤhen, ge-
ſchneiet, dieſer war zur Saat unbrauchbar, und zum
Fuͤttern war er nicht viel.
Von Hauingen geht der Weg wieder herab in die
Gauen, ſo nennt der Bauer das Thal.
Den 2ten April.
Kloſter Zwyfalten. Da war ich heute. Und
wenn man alle Tage im Jahre einen Wagen voll Korn
auf
[429] auf dieſes Kloſter rechnete, ſo waͤren’s doch nicht alle ſei-
ne Einkuͤnfte an Fruͤchten.
Der Name des Kloſters ſoll ſo viel bedeuten, als ad
duplices aquas, weil nicht weit von hier 2. kleine Ge-
waͤſſer entſpringen.
Es hat eine neugebaute aber mit Zierrathen uͤberla-
dene Kirche.
In der Bibliothek, die mir Hr. Pater Tiberius
zeigte, fand ich merkwuͤrdig:
- a) Viele ſchoͤne Handſchriften aus dem 14, 15. Jahr-
hunderte. - b) Eine ganze Bibel, die ſich Herzog Wilhelm
von Sachſen 1576. ſelbſt geſchrieben, auf herrliches duͤn-
nes Pergament in klein Oktav. - c) Viele geſchriebene Kommentarien uͤber bibliſche
Buͤcher. - d) Eine Doctrina canonica, metro compre-
henſa, ſehr zierlich geſchrieben. - e) Ein geſchriebener lateiniſcher Flav. Joſephus,
auf Pergament, vom Frater Egidius. - f) Eine alte Handſchrift de regimine principum,
1434. - g) Abſchriften von einzelnen Schriften des Kanzler
Gerſon’s. - h) Hutteri N. Teſt. in 12. Sprachen. 2. Fol.
Norimb. 1599. - i) Alte Choralbuͤcher im allerſchrecklichſten Foliofor-
mat, gros und breit.
Den
[430]
Den 2ten April.
Heute kam ich uͤber Huttenweiler nach Biberach.
Man nennt dieſe Gegend die Zwyfalter Alp. Die
Wege ſind ſchrecklich, und doch trift man artige ſchoͤne
Doͤrfer auf den Bergen und in den Thaͤlern an.
Die Witterung war noch ſo rauh und hart, daß
die Leute alle unter den Huͤten noch Pelzkappen trugen.
Sie ſind gewaltig neugierig, trinken viel Bier und Korn-
brandtewein, See- und Marggrafenwein, haben aber
oft kein Brod, keine Butter und keinen Kaͤſe im Hauſe.
Sie reden eine garſtige Sprache, z. B. Clauſter ſtatt
Kloſter, drui ſtatt drei, may ſtatt mehr, baͤrig ſtatt
kaum ꝛc.
Wegen Abſchaffung der Apoſteltage und des Oſter-
dienſtags iſt jetzt viel Gaͤhrung unter ihnen.
Marder gibts hier oben viele, ich ſah eine Henne,
der ein Marder den Hals verdreht hatte und ſie war doch
wieder erhalten worden.
Gegen Biberach hin erblickt man uͤberall viele Seen
und viele Suͤmpfe. ꝛc.
Die alten Invaliden in Biberach machen doch
Fronte vor den Fremden.
Den 3ten April.
Mein Weg brachte mich heute uͤber verſchiedene Fle-
cken und das ſchoͤne Kloſter Ochſenhauſen und Klein-
berga nach Memmingen.
Im Wirthshauſe nahm die Magd einen Haufen
kleiner Kinder nach dem Mittagseſſen in die Kuͤche und
lehrte ſie lateiniſche Gebete erbaͤrmlich herplaͤrren.
Hr.
[431]
Hr. Fabrikant Schelhorn hat hier eine Fabrik von
Zitzen, ꝛc. und davon ſtarken Abſatz nach Italien. Er
ſchickt ſie bis nach Verona ꝛc. Zu den Formen kan
man kein andres als Birnbaum-Holz brauchen, duͤnne
Stuͤcke werden auf Eichen aufgeſetzt. Die Abſchaffung
der Katholiſchen Feiertage ſchadet den Proteſtanten; Hr.
Schelhorn konnte ſeine Fabrikwaaren ſeither immer
wohlfeiler liefern, und hatte deswegen den Vorzug.
In Hrn. Paſt. Schelhorns Bibliothek fand ich
viele ſeltene Stuͤcke. Viel davon hat er vom ſeinem Va-
ter geerbt, der die Amoen. litt. etc. ſchrieb. — Die
aͤlteſte deutſche gedruckte Bibel, viele Handſchriften, Di-
plomata aus Lud. Bav. Zeiten, viele Paͤbſtl. Bullen
ꝛc. waren mir vorzuͤglich bemerkenswuͤrdig.
Der Ton der Stadt iſt viel beſſer, als in Ulm.
Man ſieht auch meiſt gut gebaute Haͤuſer.
Abends aß ich im weiſſen Ochſen bei Hrn. Rei-
neck, an dem ich einen ſehr muſikaliſchen und poetiſchen
Wirth hatte.
In Buxheim ſoll ein Karthaͤuſer ſeyn, voll Ge-
lehrſamkeit, Lebensart und Weltkenntnis.
Den 4ten April.
Heute gings durchs Ottobeuriſche und Kemptiſche
Gebiet bis nach Kaufbeuren, lauter rauhe Winterge-
genden. Es ſchneite in das Haberſaͤen. Die Leute lei-
den oft viel Wetterſchaden, und jammerten jetzt ſelber
uͤber die lange rauhe Witterung, weil ſie kein gruͤnes
Futter fuͤr das Vieh bekamen. Es fras duͤrres Korn-
ſtroh, und 60. kleine Wellen koſteten 5-6. Gulden. Un-
terwegs
[432] terwegs ſah ich viele ganz hoͤlzerne Haͤuſer. Im Win-
ter fuͤhren die Mannsperſonen Mergel auf die Felder, oder
ſpinnen auch.
Kaufbeuren. Ich logirte hier beim Fabrikant,
Hrn. Wagenſeil vorm Thore.
Bemerkungen.
Auch Proteſtanten faſten hier meiſtens am Freitag
und Sonnabend. Man trinkt hier faſt durchgaͤngig
Bier, doch rauchen auch einige viel Tobak zum Wein,
welches Seewein*) iſt.
Der Buͤrger und Bauer fuͤhlt die Oberherrſchaft des
Herrenſtandes zu wenig, daher herrſcht unter ihnen Starr-
ſinn, Eigenſinn, Widerſpruch, Unſittlichkeit, Eigenduͤn-
kel ꝛc. Der Herrenſtand kan ſein Anſehen nicht genug
geltend machen, theilet es daher willig mit dem Volk,
fuͤrchtet ſich und kriecht vor ihm, daher werden die beſten
Geſetze nicht geachtet, und das Gute waͤchſt langſam.
Den 5ten April.
Ich hielt heute hier Raſttag, und hatte mannich-
faltige Unterredungen mit Hrn. Wagenſeil uͤber littera-
riſche Gegenſtaͤnde, und dann machte ich Beſuche beim Hrn.
Syndikus Dr. Hartlieb, einem ſehr geſcheuten Kopfe,
beim Hrn. Buͤrgermeiſter Steck, Hrn. Kanzleidirektor
Hoͤrmann, einem ſchon bejahrten Manne, aber dem
lebendigen Lexikon von Kaufbeuren ꝛc. bei Hrn. Cau-
berth, dem Tochtermann von Hrn. Wagenſeil, beim
Hrn.
[433] Hrn. Adjunktus Am Ende, einem ſoliden, fleiſſigen, in
der Reformationsgeſchichte wohl beleſenen Gelehrten; Hrn.
Pfarrer Serpilius aus Ungarn, der gute Mann
war krank, hat ein ehrliches Geſicht; er ſagte mir, daß
er noch willens ſei, eine Ungariſche Kirchengeſchichte
herauszugeben. Zwei Kandidaten Steck und Serpilius,
faule, dicke Baͤuche, ſprach ich auch noch.
Auch bekam ich heute von verſchiedenen Katholicken
und Proteſtanten, die meine Schriften haben, viel ehr-
lich gutgemeinte Dankſagungen. Einer meinte, ich
muͤſte wenigſtens 80. Jahr alt ſeyn.
Abends wohnte ich einem Konzerte bei.
Bemerkungen.
In der Stadt herrſcht viel Wohlleben. Zu allen
Zeiten am Tage praͤſentirt man Kaffe, Chokolade, Wein,
Liqueurs: 3-4mahl nimmts mancher in einem Tage.
Bei Namens- und Geburtstagen muß gratulirt werden.
Die alten Frauen hier ſagen noch Mein Herr vom
Manne, bei meinem ſeel. Herrn, und gehen ganz be-
ſcheiden, die Toͤchter aber uͤbertreiben den Staat ꝛc.
Die Stadt iſt altfraͤnkiſch gebaut, hat aber ſchoͤne
Gegenden, viel Holzfloͤſſen auf dem Wertach, hat auch
viel Nahrung von den Wallfahrten zum Grabe der heil.
Creſcentia, deren Wunder ſelbſt Fuͤrſt Martin von
St. Blaſien glaubt!
Gutes Scheidlinger Badwaſſer hat man hier, auch
zum Trinken. Es ſind wohl 70. Quellen, die warm im
Winter, und kalt im Sommer ſind. Es ward nach
dem Liſſaboner Erdbeben ſtaͤrker befunden, als vorher;
Zweiter Theil. E ever-
[434] vermuthlich laufen ſeitdem gute neue Quellen zur Haupt-
quelle.
Den 6ten April.
Meine Reiſe ging heute ſchon wieder weiter uͤber
Stetten, Fuͤſſen ꝛc. nach Tyrol. Die Nacht blieb ich
in Reutheim.
Angenehm iſts, Sonne und uͤberall Schnee zu ſe-
hen. Am Morgen roͤthet die Sonne die Spitzen der
Berge, dann kommen alle moͤgliche Schattirungen, blau,
ſchwarz ꝛc. zum Vorſchein.
So kalt iſts hier oft, daß die Leute beſtaͤndig runde
Kieſelſteine auf den Ofen haben, die man in die Hand
nimmt, wenn man aus der Kaͤlte koͤmmt, oder ins Bette
zu ſich legt. Manns- und Weibsperſonen trugen auch
jetzt alle noch Pelzkappen unter den Huͤten. Nachmit-
tags war hinter Fuͤſſen ein Berg noch ſo voll Glatteis,
daß die Pferde fielen, weil ſie nicht rauh beſchlagen wa-
ren. Die Bauern ſtemmen ſich oft mit ſchrecklicher
Staͤrke an das Wagenrad, und haltens auf, daß es nicht
hinter ſich kan. Auch Weibsleute fahren hier allein mit
mit einem beladenen Wagen.
Man ißt hier viel Fiſche und Sauerkraut —
und das war ſelten, daher bekam ich jetzt nichts als Mehl-
ſpeiſen zu eſſen.
Es gibt viel Viehzucht hier herum. Aus groſſen
Staͤllen tragen Knecht und Magd auf einer indeſſen von
der dritten Perſon geladenen Trage den Miſt auf den Hau-
fen heraus, das geht viel ſchneller, als wenn man ihn
mit der Gabel zieht.
Der
[435]
Der Eingang in Tyrol geſchieht durch Einlaͤſſe,
oder Zaͤune von ſtarken Planken, wobei man ſcharf exa-
minirt und der Koffer verſiegelt wird. Auch den Sitz
in der Kutſche unterſuchte der Kerl, und ſtach mit einem
Eiſendrath auf beiden Seiten in einen Haberſack. Man
paſſirt verſchiedene Bergfeſtungen und Paͤſſe, die jetzt
verfallen und nur von einigen alten Invaliden beſetzt ſind.
In Reutheim iſt ein Mautamt; da ward der Kof-
fer aufgeſiegelt, und wieder uͤberall viſitirt, man bekommt
dann ein Pollet, und iſt hernach frei.
Den 7ten April.
Bald nach dem Nachtlager paſſirte ich die Ehren-
berger Klauſe, eine in einer ſchrecklichen Hoͤhe erbaute
maſſive Bergfeſtung. Man koͤmmt durch etliche gewal-
tig dicke Thore. Der Kaiſer laͤßt ſie verfallen, und will
ſie verkaufen, wenn er Kaͤufer faͤnde. Es liegen nur
Invaliden und einige Kommandirte darin.
Noch immer iſt Tyrol auf beiden Seiten eine Ket-
te von Bergen, und Berg an Berg mit ſchmalen We-
gen und Thaͤlern darzwiſchen, wo nichts als Holz und
Holzhandel iſt, aber jemehr ich hineinkam, jemehr er-
weiterte ſich das Land, und man ſah auch Aecker und
Wieſen. Auch praͤchtige Waldungen von den ſchoͤnſten
Tannen, deren mannichfaltiges Farbenſpiel unbeſchreib-
lich iſt, erblickte ich. Man ſieht auch viele, aber kleine
Doͤrfer, doch weiter hinein ſollen auch welche von 200.
Haͤuſern ſeyn ꝛc. Die Haͤuſer ſind alle ganz von Holz
gebaut, ſogar mit hoͤlzernen, faſt platten Daͤchern.
Unter den Einwohnern gibts viele groſſe Leute.
Welche von 6. Schuh hoch und breit wie eine Stuben-
E e 2thuͤre,
[436] thuͤre, ſind gar keine Seltenheit. Ich ſprach mit Ei-
nem, der ſich fuͤr einen Rieſen ſehen laſſen konnte, aber
ſchoͤne Proportion hatte, und ſolche Waden und Fuͤſſe,
daß er ſich, wie er verſicherte, ſeine Struͤmpfe immer be-
ſtellen muͤßte. — Die Fuhrleute, die jetzt ſo viel Bran-
dewein trinken, gehoͤren nicht hieher. — Dabei ſind ſie
hoͤflich und viel geſitteter als Schwabenbauern. Sie
ziehen vor jedem Fremden den Hut ab. Ich ſah Kin-
der, die nach dem Tiſchgebet dem Vater die Hand kuͤß-
ten. Sie tragen gruͤne Huͤte, die im Lande gemacht
werden von gruͤnem Filz und mit gruͤnſeidenen Baͤndern
uͤber und uͤber beſetzt, alle ohne Krempe. Dabei tragen
ſie Guͤrtel, wo das Leder mit Silber beſchlagen iſt. Sonn-
tags laufen ſie weit her nach einer Meſſe, und ſaufen zwi-
ſchen der Meſſe und dem Hochamt ꝛc. *) In jedem
Thal von Tyrol iſt andre Kleidung, Sprache, Sitte ꝛc.
In den Wirthshaͤuſern iſt Kaiſerl. Taxordnung
von Eßwaaren, Heu ꝛc. angeſchlagen. Heute trank ich
auch
[437] auch zum erſtenmahle rothen und weiſſen Etſchwein von
ſonderbarem Nachgeſchmack. Der Tyroler Wein
waͤchſt meiſtens auf der Seite nach Italien, man hat
weiſſen und rothen, der rothe haͤlt ſich auch hier nicht,
verliert bald ſeine Suͤſſigkeit, alle aber ſind hitzig.
Den 8ten April.
Inſpruck. Hier war ich heute. Die Stadt liegt
ſchoͤn am Inn hin, und erinnerte mich im Kleinen an
Hamburg. Ueber den Strom gehen hoͤlzerne Bruͤcken.
Er iſt ſehr wuͤtend, und verſandet ganze Gegenden. Er
entſpringt in Graubuͤndten, und faͤllt bei Paſſau in
die Donau. Die Thereſienſtadt oder Vorſtadt iſt
eine ſchoͤne gerade Straſſe, und ſchoͤner als die Stadt.
Ich logirte im Loͤwen bei Ugonia. Die Stadt hat
keine einzige Quelle, man leitet aber Waſſer durch Roͤh-
ren von Muͤhlen, von Ambras und von allen Gegen-
den hin.
Das goldene Daͤchlein an dem alten Univerſitaͤts-
gebaͤude, — jetzt eine Kaſerne, — das der Erzherzog
FriedrichIV. von Oeſterreich verfertigen lies, zum
Beweis, daß man ihn unrecht den mit der leeren Taſche
hies, verdient geſehen zu werden. Die Ziegel ſind alle
wohl eines Fingers dick vergoldet. Das Daͤchlein iſt
nicht gros, doch thut’s in der Sonne eine ſchoͤne Wirkung.
Schade, daß es nicht in der Reſidenz iſt.
Am Inn hinab liegt der Flecken Muͤhlen*), wo
die Frau von Sternbach, eine Schweſter der Frau
E e 3Praͤſi-
[438] Praͤſidentin von Hahn in Carlsruhe, wohnt. Ihr
Gemahl hat Penſion, und war vorher Landvoigt in
Stockach. Ich war ihr empfohlen und wartete ihr auf.
Sie iſt eine dicke, ſtarke, engbruͤſtige Dame, hat 4.
Toͤchter und 1. Sohn. Ihr Kaplan zeigte mir die An-
lage des Gartens, und darin folgendes: — ein ſchoͤ-
nes Gartenhaus auf einem See, das zugleich Fiſchhaus
iſt, mit einem Fiſchkaſten im Fußboden und einer Einrich-
tung, Fiſche einzutreiben und zu fangen. Ich bemerk-
te hier rothe Fiſche aus Ungarn, man nannte ſie
Nervling, die aber mehr zum Sehen als zum Eſſen
ſind, auch hier keine Junge zeugen. Mitten in einem
Berceau von Tannen war auch eine ſchoͤne Waſſerkunſt,
und uͤberall reizende und mannichfaltige Ausſichten.
Da ſah ich auch den Weg zwiſchen 2. Bergen durch,
der nach Italien fuͤhrt. — Ach ich haͤtt’ ihn lieber nicht
geſehen!
Auf den Bergen, die hier liegen, und zunaͤchſt um
Inſpruck herum, trift man Gemſen an, aber ſelten
im Sommer, ſie ſuchen Schatten auf hoͤhern Bergen,
weil dieſe ihnen zu heis werden. 70 — 75. Pfund ſchwer
iſt ſchon eine ſchwere und groſſe Gemſe.
Im Sommer wird es hier oft ſo heis, daß das Harz
von den Tannen ſchmelzt, man kan das Kleid verderben,
wenn man darunter ſitzt ꝛc. aber auch ſchrecklich kalt iſts
im Winter. Auf dieſen Bergen ſchmelzt der Schnee im
Sommer ganz weg.
Gewaltig
[439]
Gewaltig viel Schneehuͤhner, Haſelhuͤhner, Reh-
boͤcke, Haaſen ꝛc. gibts hier, aber auch viel Wilderer,
die den ganzen Sommer durch auf den Bergen liegen, die
Gemſen wegſchieſſen, und im Winter als Hafenbinder
herum laufen.
Ich fuhr in der gnaͤdigen Frau Wagen mit dem Ka-
plan herein, und ſah noch — den Berg Martinswand
mit dem Kruzifix oben, wo MaximilianI. ſich einmahl
ſo ſehr verſtieg, — das Aeuſſere der Burg oder die Re-
ſidenz, wobei ich zugleich die Erzherzogin und Aebtiſſin
vom Stifte, Eliſabeth, halb ſchwarz halb weis geklei-
det, mit 6. Schimmeln ausfahren ſah. Zwei Kammer-
damen ſaſſen bei ihr, aber beide ruͤcklings. Die Kanz-
lei, die ein Theil der Burg iſt, — den Redouten-
ſaal und das Komoͤdienhaus, — das Collegium No-
bilium, ehemals das Jeſuiterkollegium, wo Herr Vize-
direktor und erſter Hofmeiſter, Hr. Bobb, ein ſehr ge-
faͤlliger Mann war.
Darauf machte ich bei Hrn. Baron und Gubernial-
rath Ignatz von Sternbach einen Beſuch, der auf
einen Brief von Muͤhlen mir Erlaubnis nach Hall zu
geben verſprach.
Den 9ten April.
Das hieſige Adeliche Damenſtift ſtiftete erſt die
verſtorbene Kaiſerin, Maria Thereſia, und lies zum
Andenken des Todes ihres Gemahls aus dem Orte, wo
er ſtarb, eine Kapelle machen, welches nun die Stifts-
kapelle iſt, wo alle Tage 2. Franziskaner Meſſe leſen
muͤſſen. Ich beſah heute das
E e 4Natura-
[440]
Naturalienkabinet der Univerſitaͤt. Es iſt noch
klein *), und enthaͤlt lauter Sachen aus Tyrol, ſonder-
lich viele Kupferſtufen; ſchoͤne Dendriten, die den
Florentinern voͤllig gleich kommen; eine Pinna mar-
garitifera aus der Syll, die aus dem Berg Bronner
koͤmmt; Granaten, auch aus dem hieſigen Lande, ſie
ſind ſehr gros, halten aber das Schleifen nicht aus, ſon-
dern ſpringen; wohl 200. Sorten Marmor, ebenfalls
aus dem Lande; vielerlei Verſteinerungen und Inkru-
ſtationen, auch Roͤmiſche Alterthuͤmer, vielerlei Farben
von Sal Gemmae. — Die Staͤdte Inſpruck, Schwag,
und Hall aus Stuͤcken von Sal Gemmae geſchnitten.
Die Bibliothek der Univerſitaͤt. Sie iſt erſt
von der verſtorb. Kaiſ. Mar. Th. geſtiftet worden, aber
doch ſchon an die 30,000 Baͤnde ſtark. Merkwuͤrdig
war mir beſonders
- a) Der erſte Theuerdank, in Knuͤttelverſen, auf Per-
gament geſchrieben, mit ſchoͤnen Malereien, von des
Kaiſers Maxim. des 1 ten Kaplan, Melchior Pfin-
zing, der ſich unter der Dedikation unterſchreibt. - b) Senecae Tragoediac, eine Handſchrift aus dem 14.
Jahrhundert. - c)Virgil, auch eine Handſchrift aus eben der Zeit, aber
herrlich geſchrieben, und mit Plaſchgold, wie man’s
gar nicht mehr ſo haltbar machen kan, und mit un-
endlich feinen Zeichnungen und Zierrathen ausge-
ſchmuͤckt.
d) Eine
[441]
- d) Eine Kupferſtichſammlung von Albr. Duͤrer an.
- e) Ein ſchoͤnes Meßbuch aus der Zeit des Erzherzogs
Leopolds. Der Bibliothekar, Prof. Schwaͤrzle,
brauchte das, um einige Verfaͤlſchungen in neuen
Meßbuͤchern daraus zu beweiſen. - f) Ein altes Hiſtorienbuch, worin die Geſchichte ab-
gemalt iſt, wie Babb von Abenſperg 1445. mit 32.
Soͤhnen auf den Reichstag zum Kaiſer kam. Die
Familie exiſtirt noch unter dem Namen Trane und
Abenſperg. - g) Les Annales de la Societé de leſus par M.
Philibert. In Wien darf noch kein Student dies
Buch leſen, aber hier iſts allgemein erlaubt. - h) Charten, Globen und Bildnis von Peter Anich,
der 1766. ſtarb. Er war ein Tyroler Bauer, der
ohne Unterricht und Anleitung einen Atlas Tyrolen-
ſis verfertigte, und alles mit der Feder zeichnete, als
er noch kaum leſen und ſchreiben konnte. Zuletzt ge-
noß er einigen Unterricht, war aber prodigium na-
turae et gentis ſuae, erhielt von der Kaiſerin ein
Ehrenzeichen und eine Penſion, lag aber ſchon auf
dem Sterbebette, und genoß es nicht lange. Er hat
einen Nachfolger ſeines Namens.
Den Diſputations- und Promotionsſaal der
Univerſitaͤt. Er iſt ſchoͤn, und mit den Bildniſſen
Marien Thereſiens, des Kaiſers und andrer Befoͤr-
derer der Univerſitaͤt geziert.
Die Modellkammer, oder das Armarium der
Univerſitaͤt. Ich fand darin Modelle von den Fernern
oder den Eisbergen, wie ſich da Seen erzeugen — von
den alten und neuen Salzpfannen in Hall — von ei-
E e 5ner
[442] ner Dreſchmaſchine, die, wenn ſie vorne leer iſt, die
Maſchine ſelber zuruͤcktreibt — von einem Seidenha-
ſpel, wo 300. Menſchenhaͤnde erſpart werden — von
einer Maſchine Feilen zu hauen — Spiegel, die Pul-
ver in einer Weite von 58. Schuh anzuͤnden — auch
Elliptiſche Spiegel, alle in Inſpruck gemacht. —
Durch einen Tubus ſah ich das Geſtraͤuche mitten im
Schnee der hoͤchſten Gebuͤrge, ganz unvergleichlich. Ich
machte hierauf bei dem kranken Rektor einen Beſuch,
bei dem ich viele elektriſche, mathematiſche, aerometri-
ſche Werkzeuge fand.
Die Franziskanerkirche. Sie iſt die Beicht- oder
Pfarrkirche fuͤr den Hof, und verſieht auch die Stifts-
kirche. Ein Kaiſerlicher Stuhl mit dem doppelten Adler
iſt darin. Der Pater Guardian, ein alter, aber hoͤf-
licher Mann, wies mir oben
- 1) Ferdinandi Magnan. Grabmahl mit den ſchoͤnſten
Figuren in Basrelief, aus Tyroler Marmor. - 2) Eben ſo das von ſeiner Gemahlin, einer Welſerin
aus Augſpurg. - 3) Darneben eine Orgel, die gar keine zinnerne Pfeifen
hat, und doch einen huͤbſchen Ton gibt, alles aus Ce-
dernholz. Sie ward vom Pabſt jenem Prinzen ge-
ſchenkt. - 4) Ein Altar von ſchwarzen Ebenholz, mit vielen
Haupt- und Nebenfiguren aus Silber, daher heißt
die Kapelle die Silberkapelle. - 5) In der Kirche ſelbſt iſt das Monument von Ma-
ximilianI. ſehenswerth. Er liegt in Wien begra-
ben, hat aber hier ein Grabmahl, an welchem ein
hier
[443] hier begrabener Kuͤnſtler Alexander Collin*) von
Mecheln auf allen 4. Seiten in Marmor die ſchoͤnſten
Gruppen [ausgehauen] hat. Es iſt eine unendliche Ar-
beit darin, ganze Schlachten, Waͤlder, Berge ꝛc.
Zelte, Kanonen, Wagen, Schanzkoͤrbe, geſtuͤrzte
Pferde ꝛc. Des Kaiſers Geſicht iſt ſich immer gleich.
An den Hufeiſen ſind die Naͤgel ſogar nicht vergeſſen,
oben auf ſteht der Kaiſer ſelbſt in Bronze und Tu-
genden um ihn herum, und um das Mauſoleum her-
um ſtehen im mittlern Gange der Kirche zu beiden
Seiten 12. Maͤnner in damaliger Kriegskleidung, aus
Bronze gegoſſen und geſchlagen, die machen einen er-
ſtaunlichen Eindruck, wenn man ſie ſieht.
Im Hofgarten, der freilich nicht viel bedeutet,
ſtehen allerlei Figuren in Bronze, Waſſergoͤtter ꝛc. ins-
beſondere aber verdient die Bildſaͤule des Erzherzogs Fer-
dinand Bewunderung. Er iſt zu Pferd im Gallop,
und das Pferd ſteht nur auf den Hinterfuͤſſen.
Bei der Univerſitaͤt hat ein Prof. juris 1000. Gul-
den, ein Prof. med. 900, Theolog. 500, weil ſie
nicht verheirathet ſind, und einige noch Pfruͤnden dabei
haben, ein Prof. Philoſ. Theol. 500, die weltl.
Philoſ. 900 — alles von der verſtorbenen Kaiſerin.
Mittags ſpeiſte ich auf dem Landguthe Muͤhlen bei
der Fr. von Sternbach. Da traf ich noch im Ge-
waͤchshauſe einen Orangebaum an, der immer Frucht
in
[444] in Frucht traͤgt, auch thun es Abkoͤmmlinge von ihm,
die man dem Fuͤrſten von Kempten ſchickte. Das
Glashaus hat keinen Ofen, keine Platten, keine Roͤh-
ren, wird aber dadurch warm, daß oben und unten ein
Haͤuschen ſteht, worin ein Heerd mit Kohlen iſt, deren
Dampf laͤßt man durch einen Stein, den man oͤfnen kan,
in die Hoͤhe, oben iſt eine Oefnung vom Glashauſe, da-
durch zieht auch der Dampf hinein, und ſo braucht man
in Tyrol Winterszeit kaum fuͤr 2—3. Gulden Holz, der
Gaͤrtner aber hielt nichts darauf und meinte, die Waͤrme
komme ſonach nur oben hin, nicht auch unten.
Nachmittags bekam ich Beſuche von
Hrn. Rath und Prof. de Luca*), einem Freunde
und Korreſpondenten von Hrn. Prof. Bernoulli in
Berlin. Wir plauderten uͤber verſchiedenes. Er erzaͤhlte
mir, als er hierher gekommen, habe man Joͤchers
Gelehrten-Lexicon noch nicht dem Namen nach gekannt.
Von Hrn. von Laicharting, der die Nachricht und
Beſchreibung der Tyroler Inſekten bei Fueßlin in
Zuͤrich in 8vo herausgegeben **). Er hofte hier Prof.
der Nat. G. zu werden, aber ſeine Lehrſtelle iſt noch nicht
errichtet.
[445] errichtet. Er muß auf der Kanzlei Akten ſchreiben ꝛc.
Der wuͤrdige und fleiſſige Mann klagte uͤber den Mangel
eines vernuͤnftigen Umgangs, und allgemeine Unachtſam-
keit auf ſein Lieblings-Studium. — In der Mitte der
Tyroler Berge finde man wohl Inſekten, aber nicht in
der Hoͤhe, dort iſts wahrſcheinlich auch fuͤr Kaͤfer zu kalt.
Wir ſprachen viel uͤber Linne’e, Fabrizius, Goͤtze ꝛc.
Von Hrn. Vizedir. Bobb, der auch von Muͤhlen
mit herein gefahren war.
Ueber die Augenkrankheit des Kaiſers ſprechen die
Pfaffen und Moͤnche immer mit einem gewiſſen haͤmiſchen
Laͤcheln: ſie ſagen laut, das ſei die Strafe Gottes an
dem Monarchen wegen dem, was er an den Kloͤſtern
thue. — Andre troͤſten ſich ganz philoſophiſch damit,
daß der katholiſche Glaube exiſtirt habe, und exiſtiren
werde, ohne Kloͤſter. — Es ging aber in dieſen Tagen
das Examen aller Kloſtergeiſtlichen, beim Biſchof an,
nach dem Befehle des Kaiſers.
Den 10ten April.
Beim Hrn. Gubernialrath, Baron v. Stern-
bach, ſah ich heute Abdruͤcke von Kupfern in Paſta und
mit einem ſolchen Firnis uͤberzogen, daß man’s fuͤr ein
Gemaͤlde unter weiſſem Glas halten ſollte. Der Firnis
wird hernach abgeſchliffen und polirt.
In der Stiftskirche war ich heute auch. In der-
ſelben iſt da, wo Kaiſer FranzI. vom Schlage geruͤhrt
wurde, ein goldenes breites Kreuz in einer Niſche; vor
dieſem ſtehen 3. Figuren aus Alabaſter, die Maria mit
dem todten Chriſtus, und 2. Weiber. Neben dem
goldenen
[446] goldenen Kreuz ſind Engel, Wolken, Heilige ꝛc. ſo taͤu-
ſchend gemalt, daß man’s fuͤr Stukkaturarbeit, oder fuͤr
Basreliefs haͤlt, wenn man hinten in der Kapelle ſteht.
Das iſt die Wahrheit der Sache, nicht ein weiſſes Kreuz
auf dem Boden, wie man hat erzaͤhlen wollen. Dar-
auf ging ich
zu Hrn. von Laicharting, der am Wege nach
Muͤhlen wohnt. — Die Berge dieſer Gegend linker
Hand tragen ganz andre Pflanzen als die rechter Hand,
z. B. linker Hand von Inſpruck nach Muͤhlen waͤchſt
Rhododendron hirſutum, rechter Hand hingegen
Rhododendr. ferrugineum. Links ſind die Berge
lauter Kalk von Rautenau bis weit hinein, rechts lau-
ter Schiefer ꝛc. Er zeigte mir ſeine Inſekten. Dieſe
ſteckt er alle blos auf in Rahmen feſtgeſpanntes Papier,
verkehrt, weil er nicht glaubt, daß auf dieſe Art ein
andres Inſekt daran freſſen koͤnne, und ſchiebt dann dieſe
Bretchen in ein Repoſitorium hinein. Darunter fand
ich insbeſondre eine Cetonia Fabricii aus China, de-
ren Elytra die ganze Pracht des Smaragden haben. Ich
erhielt von ihm verſchiedene angenehme Geſchenke, als
einen Curculio imper. Drury — Tyroler Turma-
line, Granaten ꝛc. Ich beſah hierauf noch eine
Voͤgelſammlung bei einem Manne, der Jaͤgerei
liebt. Ich fand darin die Mandelkraͤhe, die in Oe-
ſterreich ſo haͤufig iſt, — Mergus Aethiops Sco-
poli, der einen kohlſchwarzen Hals hat und eine blaß-
roͤthliche Bruſt ꝛc. Dann ging ich auch ins
Leſekabinet. — Auf dem Landſchaftshauſe kan
jeder jaͤhrlich gegen 1. Dukaten Journale, Zeitungen,
Magazine, Reiſebeſchr. ꝛc. von 10. bis 12. Uhr Vormit-
tags,
[447] tags, und von 3. bis halb 8. Uhr Nachm. taͤglich —
Sonn- und Feiertags ausgenommen — leſen. Der
Katalog wird gedruckt, es iſt ein Aufſeher da, der Buͤ-
cher gibt, und wieder aufhebt; nach Haus nehmen darf
aber niemand etwas. Dieſe Einrichtung gefaͤllt mir in
einer Stadt beſſer als Leſegeſellſchaften.
Im Schloſſe Ambras ſieht man nichts mehr, als
ausgeſchuppte Harniſche, das Beſte ſoll laͤngſt nach Wien
gekommen ſeyn, von auſſen ſieht’s auch einem guten
Bauernhauſe gleich.
Reiſe nach Hall.
Unterwegs begegneten mir ganze Truppe von Pfer-
den, die 2. Saͤcke voll Salz ins hoͤchſte Gebuͤrge auf
ſteilen Wegen trugen. Die Leute ſind das ſeit alten Zei-
ten ſo gewohnt. Der ganze Hals des Pferdes iſt mit
Schellen behaͤngt ꝛc.
Die Stadt ſelbſt liegt hinten am Berge, praͤſen-
tirt ſich aber eben deswegen in der Ferne ſehr gut. Die
Vorſtadt iſt neuer und ſchoͤner. Die Leute ſind traͤg,
ſchwerfaͤllig, bigott, dumm, es iſt keine rechte Art in
ihnen ꝛc. Ich machte gleich beim
Hrn. Salzamstrath Le Noble, an den ich Brie-
fe vom Hrn. Gubernialrath von Sternbach aus In-
ſpruck wegen des Salzwerks hatte, einen Beſuch. Die
Kanzleigeſchaͤfte ſind auch hier ſehr uͤberhaͤuft, des Nach-
mittags ſind mehr Stunden als Vormittags. Man ver-
mindert die Dienerſchaft und vermehrt die Geſchaͤfte. Ich
fand ihn im Amte, er war aber doch ſo gefaͤllig und zeig-
te mir
die
[448]
die Salzpfannen. Fuͤnfe werden mit Holz, 2.
ſeit kurzer Zeit, — aber nur kleine, — mit Steinkoh-
len gefeuert. Was ich mir bei dieſen Salzwerken ange-
merkt habe, iſt folgendes:
- 1) Die aͤlteſten Urkunden, die man hier von dem Werke
hat, ſind von 300. Jahren her, aber die Direktion
war bald hier, bald in Schwatz ꝛc. - 2) Die Sohle, die man hier Suhr nennt, wird durch
Roͤhren vom Berge herab geleitet, und fließt von
ſelbſt in die Pfannen. An jeder Pfanne ſind 2. Haͤhne. - 3) Jetzt hat man keine ſo groſſen Pfannen mehr, wie
vormals. Die ſonſt 62. Schuh langen und 62. Schuh
breiten hat man um der Muͤhe und Gefahr willen ab-
geſchaft; man ſieht noch den Platz von einer alten. - 4) Vierzehn Tage waͤhrt es jetzt, ſo iſt die groͤßte
Pfanne ganz leer. Man ſiedet Tag und Nacht fort.
Alle 3. Stunden wird auf beiden Seiten das ganze
kryſtalliſirte Salz herausgenommen, aber es fließt
immer wieder friſche Sohle hinzu. - 5) Das Sieden des vorhandenen Steinſalzes geſchieht
blos deswegen, um das Salz von ſeinen Unreinigkei-
ten, Thon, Kalk, Mergel, Kupfer und Eiſen zu
befreien. - 6) Das aus der Siedpfanne genommene Salz trocknet
ſchon ein wenig darneben ab auf einem plano incli-
nato, von welchem das Waſſer wieder hinabflieſſen
kan in die Pfanne. - 7) Durch einen ſehr kleinen Handgrif wird das halbtro-
ckene Salz in hoͤlzerne Wandkaͤſten gebracht, aus
welchen es durch ein Loch auf horizontale breite Flaͤchen
herabfaͤllt. Auf dieſen wird es grob verbreitet, und
dieſe
[449] dieſe werden von unten erwaͤrmt, man kehrt es um,
und in kurzer Zeit iſt es trocken. - 8) Am hellen freien Tage ſieht man wirklich keinen rothen
Schein mehr davon. - 9) Der Dampf iſt gewaltig, und man behaͤlt ihn gern
in der Niedrigkeit beiſammen, weil ſonſt der Verluſt
groͤſſer iſt. - 10) Das ſchoͤnſte iſt, daß man Mittel gefunden hat, die
uͤberfluͤſſige Waͤrme bei der Pfanne aufs ſorgfaͤltigſte
zu menagiren. Die Feuerwaͤrme wird durch ſchlan-
genfoͤrmige Gaͤnge dahin verbreitet, wo die kalte Sohle
iſt, (ſo daß dieſe ſchon zum Sieden vorbereitet wird,)
dahin wo das Salz anfaͤngt zu trocknen, und dahin wo’s
voͤllig trocken wird. Es iſt alles nahe beiſammen,
nichts Gekuͤnſteltes, man ſieht keine Weitlaͤuftigkeit.
Die duͤmmſten Tyroler beſorgen alles. - 11) Die Niederlage, wo die Faͤſſer der Spedition uͤber-
geben werden, iſt ein ungeheurer groſſer Platz, gleich
dem groͤßten Exerzierplatz. Da wird beſtaͤndig an
Faͤſſern gearbeitet. - 12) Alle Faͤſſer, alles Holz und Steinkohlen gibt
Tyrol ſelber her. - 13) Tyrol, ein Theil von Italien oder das welſche
Tyrol, ein Theil von Oberoͤſterreich, und ein
Theil von Deutſchland, auch ein Theil vom vene-
tianiſchen Gebiete, wird von Hall mit Salz ver-
ſehen. - 14) Der Steinkohlendampf verurſachte erſt in den
Tyroler Naſen und Koͤpfen eine Revolution. Es kam
eine Kommiſſion, die Proben machen lies, ob man
auch mit Steinkohlen Salz ſieden koͤnnte ꝛc. Und
ſie ſtinken nicht ſehr, weil man erſt am Kopf der Gru-
Zweiter Theil. F fbe
[450] be iſt. Der Direktor Menz vermiſchte endlich den
Dampf der Sohle mit dem Steinkohlengeruch, indem
er die Kamine oben zuſammenfuͤhren lies, das gefiel
den Leuten. - 15) Zwei Gulden hat ein Arbeiter woͤchentlich, hat
aber nach 12. Stunden 24. fuͤr ſich frei. - 16) Von der haͤuſigen Aſche hat das Amt bisher noch
keinen beſondern Gebrauch gemacht. Die Leute neh-
men ſie. - 17) Den Sedimentſtein, woran noch viel Salz
ſitzt, kaufen die Italiaͤner wohlfeil, und fuͤhren ihn
fort. - 18) Wenn die Sohle vom Berge koͤmmt, iſt ſie wirklich
ſo ſtark als moͤglich geſaͤttigt. - 19) In jedem Faſſe ſind 515. Pfund Salz. 45000.
Zentner Salz rechnet man des Jahrs auf Eine Pfan-
ne, 7. Pfannen ſind es, alſo iſt die ganze jaͤhrliche
Erzeugung des Salzes 250,000. Zentner Salz. - 20) Zum Gluͤck iſt oben auf der Hoͤhe des Berges
ſuͤſſes Waſſer, das zum Lecken gebraucht werden kan.
Das wird auch in hoͤlzernen Roͤhren nach der Stadt
herabgeleitet, ſonſt haͤtten ſie kein gutes Waſſer. - 21) Eine Pfanne, ſo wie man ſie jetzt hat, iſt 25½ Schuh
lang und eben ſo breit. Sie beſteht aus 357. eiſernen
zuſammengeſetzten Platten, jede Platte iſt 1½ Schuh
lang und eben ſo breit. Dieſe Pfannenplatten ſind
auf allen 4. Seiten abgebogen, und in jeder Abbeu-
gung befinden ſich 4. Loͤcher, wodurch man Schrau-
ben anbringt, durch deren Huͤlfe die Platten zuſam-
mengeſetzt werden. - 22) Neben jeder Pfanne ſind noch 2. kleine angebracht,
jede 32. Schuh lang und 9. Schuh breit. Dieſe ſind
es,
[451] es, wodurch die Sohle, ehe ſie in die Hauptpfanne
eingelaſſen wird, erwaͤrmt wird. - 23) Die Hauptpfanne ruht auf 49. Saͤulen, die von
Eiſengußſchlacken in Ziegelform gegoſſen werden. Und
dazu verwendet man hier zu Lande alle Eiſenſchlacken. - 24) Das Feuer unter der Pfanne iſt voͤllig im Mittel-
punkte angebracht, und vertheilt ſich nach den 4. Ecken
der Pfannen, indem durch die ſchlangenfoͤrmigen
Waͤrmpfannen der Zug uͤberall hingebracht wird. - 25) Eine Herausmachung des Salzes nach 3. Stun-
den gibt dem Mittel nach 18. Zentner und 25. Pfund,
der Sud in 14. Tagen iſt 2100. Zentner. - 26) Des Tags werden verbrannt 1½ Klafter Holz, in 14.
Tagen 21., im Jahr 420. Klaftern bei Einer Pfan-
ne. Eine Klafter iſt lang 7. Wiener Schuh, hoch
10. Schuh; die Holzlaͤnge iſt 5. Schuh 3. Zoll ꝛc. - 27) Die Laͤnge der Herableitung der Sohle vom Ber-
ge bis zur Pfanne betraͤgt perpendikulaͤr wenigſtens
600. Klafter. Schraͤg am Berge hinauf hat man
2. ſtarke Stunden zu reiten.
Mein Quartier hier hatte ich beim Hrn. Buͤrgermei-
ſter Mayr, an den ich von ſeinem Tochtermann Hrn.
Haber in Kaufbeuren addreſſirt war.
Den 11ten April.
Ich fruͤhſtuͤckte erſt noch bei dem guten Hrn. Le No-
ble, und dann trat ich mit Hrn. v. Laicharting die
Bergreiſe in die Tyroler Alpen
zum Halleinthaliſchen Salzſtock an, ich zu Pferde,
er zu Fuß, oder vielmehr am Schwanze meines Pferdes.
F f 2Der
[452]
Der Salzſtock oder Salzberg liegt eine ſtarke Stun-
de gegen Mitternacht von Hall weg. Es leben wohl
1000. Maͤnner, und viele mit Familien davon. Schwer-
lich geht zu irgend einem Bergwerke in der Welt ſo eine
praͤchtige Chauſſee, als man hier eine gemacht hat.
Oben kamen wir freilich wohl eine Stunde in Tiefen und
Berge von Schnee und Eis, wo weder Mann noch Roß
feſten Fuß hatte, und wo Bergleute zum Fuͤhren unent-
behrlich ſind. Erica carnea L. wuchs uͤberall und ver-
ſchoͤnerte die Felſen. Zu beiden Seiten ſieht man immer
die Sohl-Leitung, und die Leitungen des ſuͤſſen Waſ-
ſers. Jene iſt der Sicherheit wegen auf dem ganzen
langen Wege mit Steinen bedeckt. Noch rauſchen zu
beiden Seiten uͤberall wilde Waſſer herab. Da kan man
recht ſehen, wie die groſſe Maſchine der Erde ſpielt und
wirkt. Ueberall quillt alles. Viele hunderttauſend
Quellen ſind da, die einen ſchrecklichen Sturz haben, in
die Hoͤhe ſpringen, wo ſie gehindert werden, hernach
wieder in ein natuͤrliches Baſſin von Steinen herabſtuͤr-
zen, daß das Pferd vom Geraͤuſch ſcheu wird, und die
Wanderer ſich gar nicht mehr verſtehen. Man ſieht auch
die abſcheulichen Wege, auf welchen die armen Alpen-
bauern ihr Heu und Holz, erſt im Winter, wenn alles
voll Schnee liegt, herabrutſchen koͤnnen. Oft iſt man
ganz zwiſchen den ſchrecklichſten Bergen in Kluͤften ein-
geſchloſſen, und hoͤrt und ſieht nichts mehr von der uͤbri-
gen Welt. Wie Obeliſken ſtehen auf pyramidenfoͤrmi-
gen Felſen ganz abgeriſſen hoͤhere Stuͤcke empor, und
trotzen allen Stuͤrmen der Luft.
Dem Direktor Menz macht das ſchoͤne ſteinerne
Haus, das er oben am Eingangs-Schurf dem Berg-
meiſter
[453] meiſter gebaut hat, gewis viel Ehre. Wer erwartet ei-
nen Pallaſt mit Saͤaͤlen, Altanen, Kabinetten ꝛc. auf
der Hoͤhe der Alpen?
Der Berg ſelbſt, in deſſen Innern der Salzſtock
liegt, beſteht meiſtens aus Kalk, doch iſt auch Gyps
und thonartiges Geſtein damit vermiſcht. Die Thon-
lage iſt theils mit Laub-theils mit Nadelholz bewachſen.
Nach einer 1673. vorgenommenen Meſſung betraͤgt,
wenn man alle Salzwerke vom unterſten bis zum ober-
ſten dazu nimmt, die ganze Hoͤhe vom Pfannhaus zu
Hall 920½. und die Ebenſolle 7537½. Bergſtaͤblein.
Ein Bergſtaͤblein gibt beinahe 39⅔ Wiener Zoll.
Es ſind wirklich 7. Salzberge oder Salzwerke auf-
geſchlagen, und zwar
- 1) Erz Carlberg, aufgeſchlagen _ _ 1648.
- 2) Kaiſer Ferdinand, _ _ 1563.
- 3) Kaiſer Maximilian, _ _ 1492.
- 4) Steinberg, _ _ 1400.
- 5) Mitterberg, _ _ ——
- 6) Oberberg, _ _ 1190.
- 7) Waſſerberg, _ _ ——
Am tiefſten liegt der Salzſtock im Berge Nro. 1.
auf einem Kalkſtein, der ſich gegen Abend verflaͤcht.
Man findet ihn an ſehr wenigen Orten, wie ſonſt, mit
Letten bedeckt.
Auch werden hier ſelten ganze Strecken von dem ſo-
genannten Lauterſalz angetroffen, ſondern das Meiſte
beſteht aus dem ſogenannten Haſelgebuͤrge, d. i. Thon
mit Salz vermiſcht.
Es ſind 2248. hoͤlzerne Roͤhren, jede 13. Wiener
Schuh lang, dadurch die Sohle nach Hall geleitet wird:
F f 3aber
[454] aber nicht eher, als bis die Sohle vom Salzamt gut
und wagrecht geſprochen iſt. Man hat eine meſſingene
Senkwage in Geſtalt einer Kugel, auf der Oberflaͤche
ſind 32. Grad angemerkt; beim Eintauchen muß Grad
16. angezeigt werden, wenn die Sohle Sudwuͤrdig iſt.
Um aber auch der auſſerſten Erſparung des Holzes beim
Sieden verſichert zu ſeyn, macht man noch neben dieſer
Probe die ſogenannte Feuerprobe. Man laͤßt naͤmlich
von der Sohle nach dem verjuͤngten Maasſtabe 100.
Pfund nehmen, es in einer kupfernen Pfanne langſam
abduͤnſten, und das zuruͤckgebliebene Salz trocknen.
Haͤlt es nun die Probe aus; ſo iſt es Sudwuͤrdig, d. h.
es loͤſt ſich darin kein Salz mehr auf.
Erſt wird der Salzſtock in der Hoͤhe, da wo ſich
eine Halde am beſten anbringen laͤßt, angeſtochen, dann
wird ein Schacht (hier ſagt man: eine Schachtricht)
in gerade aufſteigender Linie ſo weit hineingetrieben, bis
man den Salzſtock erreicht: alsdann kehrt man ſich
rechts und links, und auf dieſem Kehren werden nun die
Werkſaͤtze abgeteuft, und damit ſo lange fortgefahren,
bis der Salzſtock der Laͤnge und Breite nach voͤllig durch-
loͤchert iſt. (S. v. Born in den Prager Abhandl.
3. B. S. 172.) Dieſe Werkſaͤtze, oder wie ſie Born
nennt, Woͤhre, ſind unterirdiſche in den Salzſtock aus-
gehauene ſehr groſſe Weitungen. In dieſe laͤßt man das
Waſſer, dieſes loͤſt das in dem Gebuͤrge enthaltene Salz
auf, und ſaͤttigt ſich damit. Falſch iſts, daß es regel-
maͤſſige Stuben, Kammern, Parallelepipeda ꝛc. waͤ-
ren. Auf den Charten beim Salzamt ſieht man, daß
es irregulaͤre Loͤcher ſind.
Um
[455]
Um aber den ganzen Salzſtock, beſonders auch
ſeine Tiefe, zu benutzen; ſo werden allemahl nach 27,
30, 32. Seigermaas wieder neue Salzberge mit Haupt-
Schachtrichten, und Kehren durchgearbeitet, darin
die Werke, wie in den erſten angelegt, und ſo bemaͤch-
tigt man ſich des ganzen Salzſtocks.
Ich ging mit einem alten Bergoffizier in das Werk.
Bald nach dem Mundloche hoͤrte das Unterzimmern
des Bergs mit Holz auf, und es folgte feſter, harter
Stein. Wir gingen an Seitenſchachten, Senkwerken,
Kommunikationen mit den obern Werken vorbei; die letz-
tern waren 200. Stufen hoch. Wir begegneten Leuten
mit der Trutſche oder Schubkarren, die noch mit Salz
durchdrungenes Geſtein in die Sohle fuͤhrten. Sie ha-
ben, das Licht unter dem Schubkarren und ſchieben von
hinten fort. Wir trafen auch Leute an, die das Zim-
merwerk oben und an den Seiten erweitern. Das muß
beſtaͤndig geſchehen. In manchem Werke alle 2, in
andern alle 5—6. Jahre, ſonſt wuͤrde der immer nach-
wachſende Berg alles zerſprengen, und den Weg ver-
ſchuͤtten. Auch ſah ich, wie die Sohle von einem Werke
in das andre, vom hoͤchſten bis zum niedrigſten gelaſſen
werden kan. Ferner den Kommunikationsbehaͤlter
fuͤr die Sohle, der 22. Bergſtaͤbe tief iſt, aber freilich
vielen Bodenſatz hat. Dieſer iſt deswegen noͤthig, damit
man indeſſen gleich wieder ſuͤſſes Waſſer in die obern
Werke laſſen kan. Ich beſah auch ein Werk, an dem
gegraben ward, eins, das halb voll Waſſer war, und
eins, das eben verluttirt wurde, d. h. zugemacht, daß
die Sohle nicht weglaufen kan, als durch eine in einer
Thuͤre angebrachte Roͤhre. Man nimmt Letten, laͤßt
F f 4ihn
[456] ihn von der Sohle ſich vollſaugen, macht alsdann Cu-
bos, die man Kugeln nennt, daraus, aus dieſen duͤn-
nen Platten und mit dieſen wird die Oefnung durch greu-
liches Schlagen verſchloſſen. Darauf kommt ſehr viel
an. Die Arbeiter brennen hier nur rohe Stuͤcke von
Unſchlitt, mit grobem Tocht, keine Lichter.
Die Bergluft und die Reiſe ſelber machten uns muͤ-
de und hungrig, aber wir fanden nichts als hartes Brod,
Tyroler Fleiſchknaͤutel in einer Suppenbruͤhe, und
nicht einen Tropfen Bier. Jeder nimmt nur fuͤr ſich
mit hinauf. Wir tranken alſo kaltes, friſches Waſſer,
das im Sommer noch friſcher ſeyn ſoll.
Den 12ten April.
Reiſe nach Salzburg.
Dieſe ging uͤber Rottenburg, Mittags war ich in
Wuͤrgel, und Abends in St. Johanns.
Bemerkungen.
Das Land iſt voll Doͤrfer, Flecken, alter Schloͤſſer,
Eiſenhaͤmmer, Schmelzoͤfen ꝛc. Aber faſt immer iſt
die Straſſe zu beiden Seiten mit Zaͤunen und hoͤlzernen
Gattern eingefaßt, die gewaltig viel Holz freſſen.
Die Daͤcher in den Doͤrfern ſind hoͤlzern, beſtehen
aus groſſen Schindelſtuͤcken, welche die Leute aber nicht
einmahl zuſammennageln, weil es zu viel koſten wuͤrde,
ſondern ſie ſtatt deſſen gegen den Wind mit vielen groſſen
Steinen beſchweren.
Das ganze Haus faſſen ſie mit Beugen von gehaue-
nen Holz ein, wodurch kaum etwas Licht und Luft hinein-
gelaſſen wird.
Aus
[457]
Aus Schwaz gehen am Morgen ganze Schwaͤrme
von Menſchen in die dortigen Bergwerke. Faſt die gan-
ze Stadt naͤhrt ſich davon.
Der Aberglaube iſt in dieſem Lande ſo gros, daß
ſie auf die Briefe ſchreiben; † C † M † B *).
Die Einrichtungen des Kaiſers ſind fuͤr Manchen ſehr
druͤckend. z. B. Hr. von Laicharting war beim Straſ-
ſenbau angeſtellt, und hatte 400. Gulden, alle dieſe Leute
fielen in die Reduktion, weil die Straſſen kuͤnftig vom
Militaͤr beſorgt werden ſollen. Auch hatte er 4. Schwe-
ſtern in Kloͤſtern, und dieſe kommen nun mit ihm zum
Vater zuruͤck; von 200. Gulden, ſagt man, kan keine
leben. Die Erbitterung gegen den Monarchen iſt ganz
unglaublich. Man erzaͤhlt die unvernuͤnftigſten Dinge
von ihm. „Und wenn hundert Kaiſer Joſephs kaͤmen,“
ſagen die Bigotten, „ſo thun wir das doch nicht.“ Die
Vernuͤnftigern befuͤrchten im Ernſt eine Spaltung in
der katholiſchen Kirche ſelbſt. Daher bleibt es auch,
wenigſtens im Lande Tyrol, oft beim Publiziren der
Befehle, und die Befolgung geſchieht nicht, z. B. ver-
botene Feiertage werden gefeiert, abgeſchafte ſinnloſe
Ceremonien und Prozeſſionen wurden noch ganz neuerlich
gehalten. Man glaubt, Se. Maj. werden nicht eher
durchdringen, bis Sie fremde Geiſtliche, fremde Kreis-
hauptleute und Beamte ſchicken, und in der ganzen
Monarchie umwechſeln werden.
Wie abſcheulich luͤgt man einem Monarchen, wenn
man bei ſeinem Leben oder Tode von ihm ſagt: Er habe
ſeine Unterthanen gluͤcklich gemacht! Und man kan doch
F f 5ganze
[458] ganze Tage in ſeinem Lande reiſen, ohne eine Spur von
Kultur oder nur von mittelmaͤſſig geſchliffenem Menſchen-
verſtande zu finden. Stiermaͤſſig ſind die meiſten Men-
ſchen in dieſen Gegenden. Sagt man nur zu einem
ſtatt: „Gelobet ſei Jeſus Chriſt,“ Guten Tag, oder
Guten Morgen ꝛc. ſo iſt der Menſch ſchon ganz perplex,
und ſieht einen gleich mit dem Ketzerrichteriſchen Geſicht
an. Die Weibsperſonen erſchrecken, ſehen weg, machen
ein Kreuz, und die Maͤnner antworten anfangs gar nicht
mehr.
Den 13ten April.
Heute fragte man mich, ob ich die Suppe vor
dem Braten oder nach dem Fleiſch eſſen wolte?
Das Geſinde weis bei Tiſch von Dr. Fauſt gar
viel zum Gelaͤchter zu erzaͤhlen. — Das hoͤren ſie von
ihren Pfaffen auf der Kanzel. Die, welche ich in
Wirthshaͤuſern geſehen habe, ſind auch die allerunwuͤr-
digſten, unwiſſendſten, und ſchlechteſten Geſchoͤpfe.
Ein Wirth in Tyrol, zeigte mir ein Kraut, ſonſt
Petersſchluͤſſel genannt, das aber zu ſehr vertrocknet
war, als daß ichs botaniſch kennen konnte, etwa ein Sym-
phytum etc. Sechs Blaͤtter auf jeder Seite, ſollten
die 12. Apoſtel, ein fol. apice pinnatum oben ſolte
Jeſ. Chr., und der Stengel der Fruktifikation ſollte den
Petro vom Erloͤſer geſchenkten Schluͤſſel bedeuten. Ge-
gen alle Hexereien, Teufeleien, und beſonders wenn ein
Menſch nicht ſterben koͤnnte, ſolte es vortreflich ſeyn, es
wachſe nur auf den hoͤchſten Gebuͤrgen ꝛc. Dergleichen
Dinge machen ihnen offenbar die Pfaffen weis; die
Pfaffen, deren Leben Muͤſſigang und Wohlleben iſt,
ſtatt,
[459] ſtatt, daß ihr Geſchaͤft Volksunterricht ſeyn ſollte! Der
Wirth wolte mir von dieſen Gewaͤchſen eins auf die Rei-
ſe ſchenken, und erſchrak nicht wenig uͤber meinen Leicht-
ſinn, als ich’s nicht annahm. Hr. Le Noble in Hall
erzaͤhlte mir viele aͤhnliche Dinge. Wer nicht die aber-
glaͤubiſche Dummheit in ihrem Sitze geſehen hat, glaubts
nicht.
In der Mitte des heutigen Vormittags kam ich wie-
der durch eine Klauſe aus dem Lande Tyrol heraus, aber
vorher war die Gegend wieder ſo rauh, und ſo Schnee-
voll als der Eingang.
Im Salzburgſchen flieſt die Unke, oft in roman-
tiſchen Gegenden, zwiſchen ſchrecklich aufgethuͤrmten Fel-
ſen, und mit maͤchtigem Getoͤſe uͤber ſchreckliche Stein-
brocken. Darin ſind koͤſtliche Aeſchen (Salmo Thy-
mallus L.), die ich am Faſttage zu eſſen bekam.
Nach ſchrecklichen Gebuͤrgen kommt man endlich
auch wieder auf ebenes Land, aber die Stadt
Salzburg ſieht man von weitem gar nicht. Sie
iſt zwiſchen Bergen und Feſtungswerken ganz verſteckt.
Das Thor iſt in ſchreckliche Berge hineingehauen, und
geht wie ein Stollen, ſchraͤg durch den Felſen hinab.
In der Stadt ſind viele ſchoͤne Haͤuſer, von 5.-6. Ge-
ſchoſſen. Die Unke, die jetzt Salza heiſt, und gros
iſt, ſtroͤmt mitten durch die Stadt, und daruͤber geht
eine hoͤlzerne Bruͤcke. Die groͤſten Zimmer im Wirths-
hauſe wurden in 2. Stockwerken uͤbereinander am Sonna-
bend Abend mit Spielern aus allen Staͤnden angefuͤllt.
Den
[460]
Den 14ten April.
Reiſe nach Linz.
Das Land wird immer beſſer, doch ſieht die Land-
ſtraſſe oft noch mehr einem Feldwege gleich, geht auch
haͤufig uͤber Berge ꝛc.
Das Fruͤhjahr kam jetzt Stuffenweiſe heran.
Viehbremen lieſſen ſich ſehen, Voͤgel fingen an am
fruͤhen Morgen zu ſingen, die Haſelſtauden hatten ge-
trieben, doch wolte der Wald noch nicht gruͤn werden.
Durchgaͤngig hat man hier zu Lande der Kaͤlte we-
gen Vorfenſter, und viele laſſen ſie auch im Sommer
wegen der Schlagregen ſtehen, damit es nicht ins Zim-
mer regne. Zwiſchen dieſen doppelten Fenſtern erzieht
man gelbe und rothe Levkoien ꝛc. aber oft erfrieren ſie
doch auch. Auch in den Landſtaͤdtchen und Flecken ſieht
man, wie in Salzburg, viele italiaͤniſche flachdachich-
te Haͤuſer.
Der Aberglaube iſt ſo gros, daß ſie I. N. R. I.
an jedes Butterſtosfaß ſchreiben.
Sonntags fruͤh und Mittags kan man alle Wirths-
haͤuſer voll Bauern antreffen, die ſaufen und ſpielen,
mit Weibsleuten dazwiſchen. Sie laufen mit der To-
bakspfeife im Maule an die Kirchenthuͤre. Der Sonn-
tag hat wegen den vielen Feiertagen wenig feierliches fuͤr
ſie.
In Neumarkt lief Nachmittags alles in die Kir-
che, weil der geiſtliche Herr den Kreuzweg abbet-
ten thaͤte, ſagten ſie mir, aber 3.-4. Leute, die ich dar-
um befragte, wußten mir das Ding nicht zu erklaͤren.
Armes Volk! —
Den
[461]
Den 15ten April.
In Frankenmark errieth ein Poſtmeiſter, der 1744.
mit der Armee uͤber den Rhein ging, daß ich zwiſchen
Raſtadt und Durlach zu Hauſe waͤre. Er ruͤmhte
noch die ſchoͤnen Gegenden bei Offenburg und die Gut-
muͤthigkeit der Schwaben ꝛc.
Man findet noch weiter hin, als hier, uͤberall Tiſche
von Salzburger Marmor, der roth mit Kalkſpatadern
hie und da fein durchlaufen iſt.
Das Land ob der Ens iſt ſchoͤnes Land, und das
gute Wetter beguͤnſtigte den Ackerbau.
In Lambo trank ich zuerſt Ofener Wein. Er iſt
roth, etwas ſuͤslicht, ſteigt aber in Kopf. — In Eſſen
und Trinken merkt man in dem Lande einen ſichtbaren
Unterſchied gegen Tyrol. Die Leute leben im Wohl-
ſtand, und doch wird man auf den Straſſen von den
Bettlern faſt gefreſſen, und unter ſo vielen ſah ich einen
einzigen Taubſtummen — die andern waren alle geſund
und ſtark.
Die Straſſe wird beſtaͤndig mit weiſſem Kalk- und
Sandſteinen, die man zu beiden Seiten aus der Erde
graͤbt, im Stande erhalten, daher entſteht der weiſſe fei-
ne Kalkſtaub ꝛc.
Die Ens flieſt immer truͤb; auf der Jage wird ge-
floͤßt ꝛc. Zuweilen trift man gewaltig lange hoͤlzerne Bruͤ-
cken an, weil die Waſſer oft ſchrecklich anlaufen.
Linz. Da traf ich heute ein. Die Stadt iſt klein,
aber artig, hat einen ſchoͤnen Marktplatz, liegt aber in
einem Winkel. Man muß wieder hinten hervor, wenn
man auf die Wiener Straſſe will. Es war eben Meſ-
ſe
[462] ſe hier, die allemahl 14. Tage waͤhrt, an Oſtern und an
Bartholomaͤi.
Auf dem Markte fand ich doch auch einige Buͤ-
cherſtaͤnde, die freilich viel Wieneriſches, aber auch
neue Goͤttinger, Leipziger ꝛc. Sachen verkauften.
Hier ſteht an einer Dreifaltigkeitsſaͤule: O ſancta
Trinitas, ora pro nobis. — Bei wem denn? *)
Ich lies hier mein erſtes ſeyn, dem Hrn. Abt
Schiffermuͤller, Direktor des hieſigen Collegii Nor-
dici zu beſuchen. Er iſt ein Exjeſuit, und war vor-
her Prof. am Thereſiano in Wien. Er iſt mit der
ſaͤmtlichen Aufſicht auf das ganze Inſtitut ſehr beſchwert.
Es fuͤhrt den gedachten Namen, weil’s fuͤr die katholi-
ſchen Soͤhne guter Familien in Mecklenburg, Daͤn-
nemark, Schweden, Norwegen ꝛc. geſtiftet iſt. Es
hat in Schwerin eine Pepiniere und dort gewiſſe Per-
ſonen, nach deren Bericht Schiffermuͤller die Eleven
allein waͤhlen darf. Lehrer hat das Stift nicht, ſon-
dern die Eleven gehen in die ordinaͤren Stadtſchulen.
Eine Viertelſtunde vor der Stadt hat das Nordi-
ſche Stift ein anmuthiges Landguͤtchen, das Berg-
ſchloͤſſel genannt, da legte Hr. Schiffermuͤller einen
amerikaniſchen Baumgarten an, ſetzte alle Baͤume ſelbſt,
pflanzte Alleen, zog eine Mauer herum — deliciae
et
[463]et Tuſculum boni viri. Das Stift haͤlt ihm Wa-
gen und Pferde.
Abends aß ich im Stifte in Geſellſchaft der Haͤlf-
te der jungen Zoͤglinge. Es waren Grafen, Barone ꝛc.
meiſt aus Norden, und meiſt Majoratsherren, oder
einzige Soͤhne — die Hofnung vieler Familien! Sie
gehen blau gekleidet mit ſchwarz ſammtnen Aufſchlaͤgen;
Doch waren viele im Surtout da. *)
Ich erkundigte mich beim Hrn. Abt Schiffermuͤller
nach ſeinem Werke uͤber die Wiener Schmetterlinge.
Er ſagte mir, er und Hr. Rath Denis haͤttens umſonſt
geſchrieben, und vom Buchhaͤndler 12. Exemplare da-
fuͤr erhalten. Von Hr. Schiffermuͤllers Hand illumi-
nirte Exemplare kan man nicht mehr haben, Hr. Rath
Denis hat ihm die Fortſetzung ganz uͤberlaſſen, und
kreibt immer daran, aber der brave Mann hat keine Zeit,
und wirds nicht fortſetzen. Sein Verdienſt dabei iſt die
Bezeichnung der Raupenfamilien zu den darzu gehoͤrigen
Schmetterlingen. Wo dieſe Karakteriſirung nicht iſt,
da iſt das Kapitel von Denis. Seine Sammlung konn-
te ich, weil es Nacht war, nicht ſehen. —
In
[464]
In Anſehung der jetzigen oͤffentlichen Landesangele-
genheiten meinte er, des Kaiſers Einrichtungen koͤnnten
in dieſem Lande leicht noch Revolten verurſachen, und
vielleicht wuͤrden dann ſelbſt die Soldaten nicht Dien-
ſte thun wollen. — Die Nonnenkloͤſter bedauerte er
ſehr, weil wir ja ſelbſt geſtuͤnden, daß uns ſolche Inſti-
tute fehlten, und weil’s gewis nicht wahr ſei, daß ſie
alle in Zank und Streit leben.
Den 16ten April.
Reiſe nach Wien.
Das Land unter der Ens iſt noch ſchoͤner und herr-
licher, als das ob der Ens.
Zwiſchen der erſten und zweiten Station von Linz
nach Wien ſieht man mit einmahl auf einem Berge das
Gewaͤſſer der Donau, wie es ſich majeſtaͤtiſch durch die
ſchoͤnſten Felder hinzieht, und man verliert ſie hernach
lange wieder aus dem Geſicht.
In Moͤlk ſteht hoch oben auf einem Berge ein
praͤchtiges Benediktinerkloſter, vielleicht noch groͤſſer,
als St. Blaſien. Man ſollte es von weitem fuͤr eine
Kaiſerl. Burg halten *).
Wenn hier und da die Poſtmeiſter und ihre Leute recht
ſehr grob ſind, ſo ſind auch wieder einige artig und gefaͤl-
lig, z. B. der in Ens ſagte mir die Route ſehr hoͤflich.
Die Frau des Poſtmeiſters in Kaͤmmelb. gab mir, als
ich
[465] ich nichts zu eſſen haben konnte, und auch kein Bier zu
haben war, ſchoͤnes Obſt umſonſt, und der in Moͤlk
theilte eben ſo wohlfeil ſein ſchmackhaftes Hausbackenbrod
mit mir. Groͤber aber war keiner, als der in Bur-
gersdorf.
Den 17ten April.
Reiſen iſt ein wahres Bild des menſchlichen Lebens.
Man ſtoͤßt tauſendmahl an, geraͤth in unzaͤhliche Schwie-
rigkeiten, findet oft uͤberall Hinderniſſe, leidet oft da,
wo’s am meiſten ſchmerzt, Schaden, verliert beſtaͤndig
einen Theil ſeiner Guͤter, wird oft mismuͤthig und ſehnt
ſich nach Ruhe, lernt ſich in die kleinſten Umſtaͤnde ſchi-
ckea, gewoͤhnt ſich mit allen Menſchen umzugehen, wird
immer unruhig wegen der Zukunft — nnd unvermerkt
kommt wieder beſſre Zeit, man findet gute Menſchen,
man reiſt einen ebenen Weg, man erfreut ſich der Dinge,
die den Weg umgeben, man vergißt im Arm der Ruhe
und der Freundſchaft das ausgeſtandene Ungemach, man
gewinnt andre Menſchen lieb, und lebt mit ihnen, als
wenn man ſie ſchon Jahre lang kennte, man vergißt der
ſchnellen Flucht der Zeit, und meint, es waͤre gut, wenn
das ganze Leben ſo dahinfloͤſſe. — Ach Philoſophie und
Menſchenweisheit! wie biſt du ſo klein und duͤrftig, wenn
man dich am noͤthigſten hat!
Eben mit dieſer Betrachtung beſchaͤftigt, kam ich
nach 4. zuruͤckgelegten Stationen endlich gluͤcklich in Wien
an, das ſich ſehr ſchoͤn *) praͤſentirt. Wahrhaftig ein
deutſches
Zweiter Theil. G g
[466]deutſches Paris in Abſicht auf Volksmenge, Karoſſen
und Getuͤmmel in den Straſſen.
Durch die Thore der Stadt kan man zu allen Zei-
ten ungehindert durchkommen. Der ankommende Rei-
ſende wird nicht nach Namen, Karakter, Logis ꝛc. ge-
fragt. Ich fuhr durch die Vorſtadt Mariaͤhuͤlf, die
breite Gaſſen und neue Haͤuſer hat. In der Stadt ſind
die Haͤuſer gewaltig hoch, und die meiſten Straſſen eng.
Mein Logis bekam ich bei Hrn. von Stockmaier,
Herzogl. Wuͤrtemberg. Geſandten am hieſigen Hoſe *),
in der Wohlzey**) im 4ten Stock eines der hoͤch-
ſten Haͤuſer in der Stadt, das ſo hoch iſt, wie das Ob-
ſervatorium. Ich hatte von hier die Ueberſicht der gan-
zen Stadt, die viel groͤſſer iſt, als Berlin.
Um doch etwas heute zu beſehen, ging ich noch in
die
groſſe Stephanskirche, die wegen der vielen Ue-
berladungen mit Zierrathen doch finſter war, wiewohl
jede Seitenkapelle und jedes Bild ***) ſchon mit vielen
Lichtern erhellt waren. Es war nur Abends Gottesdienſt,
und doch eine abſcheuliche Menge Menſchen in der Kir-
che, und als ſie alle heraus waren, bemerkte man auf der
Straſſe kaum eine Verſtaͤrkung. — So voll Menſchen
iſt
[467] iſt hier alles! Der Thurm der Kirche iſt wohl ſo hoch als
der Strasburger Muͤnſterthurm. *)
Bemerkungen.
Spiel, Komoͤdie und Lotterie ſind auch hier die
taͤglichen Beſchaͤftigungen und Unterredungen ſo vieler
Menſchen.
Wenn beim Souverain etwa in Schoͤnbrunn, oder
bei einem Ambaſſadeur wegen irgend einem Anlaß ein
groſſes Feſt iſt, Tanz und Ball von 1500, auch 2000.
Perſonen; ſo wird zweimahl ſoupirt, um 10. Uhr, und
um 1. oder 2. Uhr, man theilt Billets aus, gemeiniglich
gibts aber Unordnungen beim zweiten ꝛc. Davon ſpricht
man denn hernach lange in den vornehmſten Geſellſchaften.
Man bemerkt bald, daß in Wien ſtark gegeſſen
und getrunken wird. Dafuͤr ſollen aber auch faſt alle
aͤchte Wiener die Haͤmorrhoiden haben. Der Fremde
ſieht manchem mit Bewundrung zu, wie viel er hinter-
einander zu ſich nehmen kan. — Zu Mittage trinkt
man weiſſen Oeſterreicher, rothen Ofener und Tokay-
erwein, Nachts meiſt nur weiſſen. Das Mittagseſſen
iſt um 2. halb 3. Uhr, und Nachteſſen um 10, 11. Uhr.
Hier ſoll es Mode ſeyn, aus allem eine Suͤlz zu
machen. Beim erſten Mittagseſſen hatten wir eine
blaue Veilchen-Suͤlz, die ſehr hellblau ausſah und wohl
ſchmeckte.
G g 2Die
[468]
Die Bedienten in vornehmen Haͤuſern haben mei-
ſtens Koſtgeld und gehen vorher zum Eſſen.
Den 18ten April.
Heute machte ich verſchiedene Beſuche in der Stadt
und zwar bei Hrn. Vogel, der auf des Baron Fries
Comtoir Handelsbedienter iſt und an den ich Addreſſe
hatte; bei Hrn. Hofr. von Born, den ich aber nicht zu
Hauſe fand; beim Hrn. Archivar. Schmidt, der im Ar-
chive war; beim Hrn. v. Retzer, an den ich von Mada-
me La Roche aus Speier ein Empfehlungsſchreiben
hatte; beim Hrn. Geh. Reichsrefer. v. Leykamm, an
den ich einen Brief von Hrn. Oberlin aus Strasburg
hatte; beim Hrn. von Laſſolaye; beim Hrn. von Son-
nenfels, der mich aber nicht annehmen konnte und beim
Kandidat Hr. Reismann, an den Hr. Hofr. Schreber
in Erlangen meinetwegen ſchrieb, er war aber nicht zu
erfragen.
So viel ich bei dieſer Gelegenheit bemerken konnte,
ſind die Haͤuſer durchgaͤngig von Stein, auch die Zwi-
ſchenwaͤnde und die Treppen, daher hier die Feuersgefahr
nicht ſehr gros iſt. Viele fragen: In welchem Stock?
und koͤnnen ſich ſicher auf die guten Anſtalten verlaſſen.
Sehr theuer ſind hier die Hausmiethen. Ein einziger
unterer Stock koſtet jaͤhrlich 1000. Gulden, davon ſah ich
einen Kontrakt und nur auf 1. Jahr. Waͤre die Stadt
ſelbſt ſo ſchoͤn und weitlaͤuftig gebaut, wie die Vorſtaͤdte,
ſo wuͤrde man die vielen Pallaͤſte beſſer erkennen. Vie-
le Haͤuſer gehen hinten hin bis an die andre Gaſſe, daher
entſtehen die Durchgangshaͤuſer, die eine groſſe Bequem-
lichkeit ſind. Das Trattneriſche Haus, eins der ſchoͤn-
ſten Gebaͤude hier, traͤgt allein ſeinem Herrn jaͤhrlich ſo-
viel
[469] viel ein, als das ganze Fuͤrſtenthum Hechingen, e[t]li-
che 30,000. Gulden.
Das Benediziren des Pabſtes hoͤrte heute Mittag
um 11. Uhr auf; Da geſchah es zum letztenmahle, um
12. Uhr jagte die Wache das Volk vom Platze und oben
von den Baſteien weg. Man ſagt, der Kaiſer habe
das Laufen des Landvolks nach der Stadt endlich nicht
mehr leiden wollen. Ich ſprach Leute aus Oedenburg
in Ungarn, die mit zehnjaͤhrigen Kindern hieher
reiſten, beim Pabſt Audienz ſuchten, ihm die Kinder vor-
ſtellten, und ihn baten, ſie einzuſegnen. — Grade, wie
man unſerm Erloͤſer Kinder zufuͤhrte!
Um Mittag ſah ich den Kaiſer in einem ſimplen
Wagen mit 2. Engellaͤndern beſpannt, ausfahren, ohne
Vorreiter, hinten ſtand ein einziger Bedienter auf.
Es war wieder ſo kalte rauhe Luft in der Stadt, daß
das Gehen ſehr muͤhſam war. Ueberhaupt geſtehen die
Einwohner, daß immer eine ſehr kalte Luſt, und ſtrenge
Winde in Wien herrſchend waͤren; es hatten auch gar
viele Leute das Fieber.
Nach Tiſche machte ich einen Spaziergang nach der
Leopoldsvorſtadt, die einen unglaublichen Umfang hat.
Schoͤn ſind beſonders die umliegenden Gegenden und die
breiten Wege zwiſchen der Stadt und den Vorſtaͤdten.
Bemerkungen.
Die Kleidung des Wiener Frauenzimmers iſt wirk-
lich niedlich und der Kopfputz bei weitem nicht ſo unmaͤſ-
ſig und naͤrriſch, wie in andern Staͤdten. Kommt das
etwa daher, daß keine Kaiſerin, keine Monarchin in der
Stadt iſt, die den hohen Ton angibt?
G g 3Man
[470]
Man ſieht hier immer alle moͤgliche Nationen, Un-
gariſche Bauern mit Pelzroͤcken, Griechen, Juden aus
entfernten Laͤndern, Wallachen, Tuͤrken ꝛc.
Sehr leichte, duͤnne Betten, mehr Decken als Fe-
derbetten ſind hier Mode. Ueber Wanzen und Floͤhe
klagt man hier gewaltig, aber von Ratten ſpricht man
als von einer hier ganz unerhoͤrten Plage.
In jeder Straſſe geht immer ein Polizeiwaͤchter
auf und ab. Man kennt ſie an den gelben Kamiſoͤlern.
Dieſe ſind das Schrecken der Fuhrleute, Fiakers ꝛc. wenn
dieſe grob ſind.
Aber viel ſchoͤner ſind hier die Fiakres und Lohnkut-
ſchen, als in Paris.
Neben den Reihen von Kaffeehaͤuſern ſind auch zwi-
ſchen der Stadt und den Vorſtaͤdten groſſe Bordels mit
frechen Dirnen angefuͤllt. Die groſſen Herrſchaften,
Kavaliers ꝛc. geben freilich auch oft ein ſchlechtes Bei-
ſpiel: von vielen erzaͤhlt man garſtige Geſchichten, auch
iſt oft der Ton in Geſellſchaften vom Stande ziemlich frei,
zuweilen gar ſchmutzig.
Vortreflich erhaltenes Obſt, und eine unglaubliche
Menge ſuͤſſer Pomeranze nverkaufte man noch jetzt uͤber-
all und wohlfeil.
Das Kraͤuter- und Gartenwerk, das in der Stadt
verkauft wird, iſt ganz unuͤberſehlich, und doch verliert
es ſich in der Menge der Leute ſo, daß das Gemuͤſe bei
Tiſch immer die kleinſte Schuͤſſel ausmacht.
Man trinkt hier bei Tiſch nach der Suppe einen
Wermuthwein, auch hat man einen braunen Cham-
pagner, bei dem man aber das Moußiren erſt durch ein-
geſtreuten Zucker ins Kelchglas erregt.
Den
[471]
Den 19ten April.
Die Karl Borromaͤuskirche vor dem Stubenthor,
jenſeits dem Waſſer, in einer Vorſtadt, welche ich heute
auch beſah, gehoͤrt zu den ſchoͤnen Kirchen Wiens: es
ſcheint, die Rotunda in Rom ſollte das Modell dazu
ſeyn. Das Aeuſſere kuͤndigt mit ſeinen vielen Seiten-
gebaͤuden und Saͤulen eine viel groͤſſere Kirche an, als ſie
wirklich inwendig iſt. Marmorſaͤulen, ein praͤchtiges,
ovales Gewoͤlbe oben, mit ſchoͤner Malerei, und auf der
Hauptkuppel noch ein kleines Gewoͤlbe, ſchoͤne Tiſcherar-
beit und dergl. findet man wohl darin, aber doch nicht
den reinen ſimplen Geſchmack, wie in der Kirche zu St.
Blaſien (S. S. 403.).
Drauf ging ich zu Hauſe die Bibliothek des Hrn.
von Stockmaters durch. Es iſt ein guter Anfang in
allen publiziſtiſchen Werken darin. Hier in Wien aber
hat der Hr. Beſitzer aufgehoͤrt zu kaufen, weil er doch
auch keine Zeit mehr hat zu leſen. Denn ſonderlich vor
und an Poſitagen hat ſo ein Mann, der mehrern Hoͤ-
fen dient, ganz unſaͤglich viel zu expediren, muß vieles
ſelber 2-3mal abſchreiben, weil ers niemanden anvertrau-
en darf, muß oft Staffetten, Kuriere abſchicken, ſieht
ſeine Familie und ſeine Freunde nicht, als beim Eſſen,
und ißt oft Nachts um 1, 2. Uhr zu Nacht. *)
G g 4Der
[472]
Der Prater, wo ich heute auch war, iſt bei Wien
das, was der Thiergarten bei Berlin iſt; ein mit ge-
raden Haupt- und Queralleen durchſchnittener weiter
Platz im Walde zu Spaziergaͤngen und Ergoͤtzungen ꝛc.
eingerichtet, zwiſchen 2. Armen der Donau, die unter
ihm ſich wieder vereinigen, eine Stunde lang und wohl
eine Stunde breit. Man trift darin eine Menge Bou-
tiquen und Wirthshaͤuſer, und alle moͤgliche Gelegenheiten
zu allen Arten von Spielen an, und alle Jahre werden neue
Luſt- und Wirthshaͤuſerchen gebaut. Hier und da ſind
in dickem Gebuͤſche dunkle und einſame Gaͤnge, und
dann kommen wieder breite Wege zum ewigen Fahren
und Reiten, und wo man die groſſe Welt beiſammen ſe-
hen kan. Hier geht an ſchoͤnen Abenden ganz Wien hin,
und alle Tiſche und Baͤnke werden beſetzt. Oft machen
die Soldaten an einem eigenen Platz Janitſcharenmuſik
dazu. Ehemals war der Prater weit von der Stadt,
nun aber laͤßt der Kaiſer wirklich eine neue Straſſe anlegen,
und eine neue Bruͤcke uͤber einen Arm der Donau bauen,
wodurch der Weg nicht nur ſehr abgekuͤrzt, ſondern auch
ſehr verſchoͤnert wird. Er hat viele da geſtandene Haͤu-
ſer bezahlt, und wegreiſſen laſſen: er laͤßt Hoͤhen abtra-
gen, Tiefen erhoͤhen, Thaͤler und Suͤmpfe ausfuͤllen,
faßt groſſe Stuͤcke mit Staketen ein, und legt inwendig
junge Holzſchlaͤge an. Er hat eine Verbindung zwiſchen
dem Augarten und dem Prater machen laſſen, ſo daß
er in einer ſchnurgraden Allee aus ſeinem Luſthauſe im
Augarten weit hinabſehen kan, und in der Mitte des
Eingangsplatzes laufen 5-6. Alleen zuſammen, ſo daß
man zugleich in alle ſehen kan.
Eine der ſchoͤnſten Vergnuͤgungen im Prater ſind
die Feuerwerke, die von Zeit zu Zeit gegeben werden.
Darzu
[473] Darzu bleiben die groſſen hoͤlzernen Geruͤſte ein fuͤr alle-
mahl ſtehen. Vor ihnen ſtehen 4—5. Queerreihen
Pfaͤhle, auf welchen wieder Fronten erbaut werden, die
eine nach der andern abbrennen und zuſammenſtuͤrzen. Ich
beſah die Maſchinen des Melina, und des ihn uͤber-
treffenden Stuvers. Vorne ſind Gallerien fuͤr die Da-
men gebaut.
Wenn der Pabſt den Segen gibt — denn er ſe-
gnete heute doch wieder — ſo hoͤrt man wenig oder nichts
von der Formel, man ſieht nur die Zeichen mit der Hand,
das Kreuzmachen nach allen Gegenden, und das Erheben der
Haͤnde. Das aberglaͤubiſche Volk kniet dabei nieder. —
„Vergelts Gott, vergelts Gott“, ſagte eine Frau, und
weinte vor Freuden. Man ſiehts ihm aber an, daß er
die Geſtikulation recht ſtudirt hat, und an ſolchen pomp-
haften Auſtritten, da er lange erwartet, und endlich wie
ein Gott empfangen ward *), Freude hat. Moore**)
hat ihn nach der Natur gezeichnet. Man merkts gleich,
daß er ein Freund vom Ceremoniel iſt. Aber was denkt
der Weiſe, der aufgeklaͤrte Freund und Verehrer der Re-
ligion von dieſer heiligen Maskerade! So ein elender
Menſch, den andre Menſchen in der Welt zu Etwas ge-
macht haben, ſtellt ſich dahin, und thut nicht anders,
als wenn er Leben und Gluͤckſeligkeit ganzen Voͤlkern aus-
ſpenden koͤnnte! Indem man das aberglaͤubiſche Volk
mit Mitleiden anſieht, geht man mit unendlichem Un-
G g 5willen
[474] willen von den faulen *) Pfaffen weg, welche die Menſch-
heit ſo lange in den Banden der Dummheit erhalten
haben **).
Der Pabſt ſetzte auch heute dem Biſchof von Paſ-
ſau und dem Primas von Ungarn, dem Kardinal
Bathiani die rothen Huͤte auf. Beide waren ſchon
vorher Kardinaͤle, hatten aber den rothen Hut bisher
noch nicht in Rom abgeholt. Der Pabſt dispenſirte
ſie nun davon, und ſetzte ihnen heute zwiſchen 12. und 1.
Uhr den Hut im Spiegelſaal auf. Es war aber ſtren-
ge Ordre gegeben, daß Niemand, als wer Apartement-
faͤhig iſt, hinein durfte, weil ſonſt der Zulauf des Volks
unermeßlich geweſen waͤre. Hr. v. Stockmaier, der
als Geſandter hinein durfte, erzaͤhlte mir, der Kaiſer ſei
incognito unter dem Haufen zugegen geweſen, der Pabſt
habe
[475] habe eine lateiniſche Rede nicht uͤbel deklamirt, er habe
aber wenig verſtanden, weil der Pabſt das Lateiniſche
mit dem Welſchen Accent ausgeſprochen haͤtte.
Bemerkungen.
Wer hier nach Wiſſenſchaften, Bibliotheken, Ka-
binettern ꝛc. fragt, von dem ziehen ſich die meiſten Leute
gleich zuruͤck. Der Monarch wird viele Muͤhe haben,
einen beſſern Ton unter dieſe Leute zu bringen. Eſſen,
Trinken, Spielen und Spazierengehen — das iſt hier
der Ton und die Lebensart der meiſten. Man ſagte es mir
gleich voraus, daß ich’s mich nicht verdrieſſen laſſen muͤſſe,
gar oft zu einem Inſpektor, Bibliothekar, Direktor ꝛc.
zu laufen, ehe ich meinen Zweck erreichen wuͤrde. Der
Zerſtreuungen ſind zu viel, und die Nation ſchaͤtzt das
Solide noch nicht.
Viel geleſen wird hier auch nicht. Man hoͤrt in
groſſen und illuſtern Geſellſchaften nicht ein Wort von
Litteratur. Einige thun, als waͤren ſie mit den Neuſten
von uns bekannt, aber es fehlt noch viel. Ihr erſter
Unterricht taugt nichts. Sie kommen kaum in der
Sprache fort, und machen viele Fehler. Selbſt die
beſten Wiener Gelehrten, Geiſtliche und Exjeſuiten ſind
nicht einmahl unter ihren eigenen Geiſtlichen bekannt. Ich
fragte einmahl beim Durchgang durch das Profeßhaus,
als der Lohnbediente einige Haͤuſer nicht zu finden wußte,
bei einem ganzen Haufen Geiſtlicher, die da ſtanden,
wo die Herren Maſtalier, Denis, Rautenſtrauch ꝛc.
wohnten, aber ſie hoͤrten die Namen zum erſtenmahle.
„Die kenn’ i halter nit“, ſagte einer, der doch dicker war,
als ein rechter Bayriſcher Bauer und Bierſaͤufer. —
Wer
[476] Wer ſind ſie? fragte der andre, Donus, Donas
machte der dritte aus dem Namen des Dichters, nun
hatte ich genug, und lies die Unwuͤrdigen ohne Kompli-
mente ſtehen. — Trauriges Schickſal der hellſten und
faͤhigſten Koͤpfe, daß ihre Lichtſtralen immer mehr in der
Ferne wirken, als in der Naͤhe! Bei ſolchen und aͤhnli-
chen Auftritten dankt man’s freilich der Vorſehung, daß
ſie einmahl einen Fuͤrſten auf den Thron ſetzte, der nicht
vergeblich leben und die Majeſtaͤt ſeiner Wuͤrde genieſſen
will.
Mir wiederfuhr indeſſen doch hier die Ehre, daß ein
Hildburghaͤuſiſcher Geh. Rath Hr. von Fiſcher mit ſei-
ner Gemahlin, und ein Kaiſerl. alter chriſtlicher General
von Friſe, der ebenfalls mit ſeiner Gemahlin meine Schrif-
ten, beſonders die von der Vorſehung ꝛc. lieſt, mich
zu ſich bitten lieſſen.
Obgleich Buͤrger und Handwerksleute hier ſehr
leicht viel Geld verdienen, und ſich alles ſchrecklich bezah-
len laſſen, ſo verzehren ſie auch wieder alles eben ſo
ſchnell; denn Jedermann iſt hier, wie ich ſchon geſagt,
in der Ueppigkeit erſoffen, und einer lernt das Schwelgen
vom andern, z. B. Leute von der gemeinſten Gattung
gehen in den Prater ſpazieren, fahren im Karouſſel
einen ganzen Nachmittag, und freſſen und ſaufen bis auf
den Abend.
Daher iſts kein Wunder, daß auch die Domeſti-
ken verdorben ſind. Wer im Hauſe ißt, z. B. Haus-
knecht, Koͤchin, Stubenmagd ꝛc. verlangt nicht nur alle
Mahlzeiten Suppe, Rindfleiſch, Gemuͤſe und Beilage,
ſondern man muß ihnen noch auſſerdem das ſogenannte
Faſtengeld geben, d. h. ſtatt des Bratens gibt man
dem
[477] dem einen alle Wochen an baarem Gelde 20. Kreuzer,
als z. B. dem Hausknecht, andern gibt man 40. Kreu-
zer, der Koͤchin, die doch ohnehin eſſen kan, was ſie will,
1. Gulden baares Geld. Und bei der geringſten Er-
ſchwerung dieſes vollen Lohns verlaſſen ſie die Dienſte und
ſind ſicher, morgen andre zu finden in dieſer Welt von
Menſchen. Die Menge der maͤnnlichen und weiblichen
Domeſtiken hier, mag ſich in die 20000. belaufen.
Ehemahls gehoͤrte der zweite Stock in jedem Hauſe
dem Kaiſer. Weil’s aber vielen unangenehm war, ins
Logis zu nehmen, wen der Hof ſchickte, ſo iſt dies gegen
eine Taxe aufgehoben.
Eine Brandaſſekurationskaſſe iſt noch nicht in
der Stadt errichtet. Vielleicht aus der S. 468. gedachten
Urſache.
Man ißt hier kein andres Fleiſch, als von Waid-
ochſen, es wird gar keiner geſchlachtet, der im Stalle
gefuͤttert worden waͤre. Meiſtens ſind es Ungariſche
und Pohlniſche Ochſen, und meiſtens von weiſſer Far-
be. Um der Reinigkeit und der Sicherheit willen darf
bei hoher Strafe, weil durch die wilden Thiere ſonſt gros
Ungluͤck entſtand, keiner von dieſen Ochſen in die Stadt
gebracht werden, ſondern in der Leopoldsſtadt und an
der Langſtraſſe iſt ein eigner Platz dazu, und alle Don-
nerſtage werden die Ochſen dort verkauft, und unter die
Metzger vertheilt. In der Stadt ſind nichts als Fleiſch-
baͤnke.
Auf dem Fiſchmarkte verkauft man auch Schild-
kroͤten aus Ungarn.
Man verkauft hier beim Obſt auch 6. Feigen ſchei-
benfoͤrmig geſchnitten, an Einem Stiel um Einen Kreuzer.
Den
[478]
Den 20ſten April.
Heute war fuͤr mich ein merkwuͤrdiger Tag, weil ich
unter ſo Vielen zum Handkuß beim Pabſt gelangte.
Dies geſchah um 10. Uhr Vormittags im Schloſſe, nach-
dem er ſtille Meſſe geleſen hatte. Er hatte eine weiſſe
Muͤtze auf, und das patriarchaliſche rothe mit Gold ge-
ſtickte Kleid, das Pectorale und ein ſchleppendes weiſ-
ſes Unterkleid an. Hinter ihm ſtand ein Stuhl, er ſtand
aber auf, weil er wegen der vielen Damen ſich nur die
Hand, und nicht den Fuß kuͤſſen laſſen wollte. Doch
lagen viele auf dem Boden, und kuͤßten den Fuß. Sein
Geſicht iſt rund, voll, eben nicht ſehr friſch gefaͤrbt, aber
lieblich, freundlich, und zum Einſegnen wie gemacht *).
Im Munde und in den Lippen hat er etwas Sanftes,
Einnehmendes, das durch das Alter und die grauen
Haare noch erhoͤht wird. Er hatte einen weisſeidenen
Handſchuh an, und wechſelte bald mit der hohlen, bald
mit der obern Hand ab. Die Kaiſerlichen Kammerfou-
riere fuͤhrten die Leute vor, hielten Ordnung, trieben die,
welche ſchon gekuͤßt hatten, hinaus, und hatten warlich
ein ermuͤdendes Geſchaͤft. Man brachte auch eine Men-
ge kleiner Kinder herbei, die im groͤßten Staat dieſes
Gluͤck genieſſen ſollten. Hr. von Heyfeld, der beim
Kontrolleuramte angeſtellt iſt, und Aufſicht auf Kuͤchen
u. dergl. hat, fuͤhrte mich auf Empfehlung des Hrn.
von Stockmaiers zu einem ſehr gluͤcklichen Zeitpunkte
hinein,
[479] hinein, wo ich alles beiſammen und recht ſehen konnte.
Die andaͤchtigen Frauen blieben oft lange auf den Knien
liegen, und baten gar ſehnlich um Segen. Zuweilen
ſprach der Pabſt einige Worte, aber die Leute wechſelten
einander ſchnell ab, jeder Katholick kniete ganz vor ihn
hin, und kuͤßte dann erſt die Hand *). Ich trat zuletzt
beinahe mit einem ganzen Zirkel von Italiaͤniſchen Bi-
ſchoͤffen und andern vom Gefolge Sr. Heiligkeit hinzu **),
kuͤßte die Hand ohne nieder zu knien, nachdem ich mich
nur ſehr tief verbeugt hatte. Benedictio Dei maneat
ſuper Vos — ſagte er zuletzt zu uns allen, in nomi-
ne Dei Patris \&c. Und nun ging er durchs Schloß
die Treppen hinauf in ſeine Zimmer. Ueberall fiel alles
vor
[480] vor ihm auf die Knie nieder, und immer bot er ſein Zei-
chen des Kreuzes zu beiden Seiten an. Ich war indeſ-
ſen durch Hrn. von Heyfeld den italiaͤniſchen Praͤlaten
bekannt worden, die wunderten ſich uͤber den Proteſtan-
ten, wurden hoͤflich, und fuͤhrten mich hinauf in des
Pabſts Zimmer. Als er kaum ſich ein wenig erholt hat-
te, oͤfnete man die Fenſter am Balkon wieder, und leg-
te ihm auf die eiſerne Gallerie da, wo er ſich feſthaͤlt,
ein rothes ſcharlachenes Tuch hin. Unten ſtanden wohl
6000. Menſchen. Der Pabſt ging dann hinaus, und
benedizirte. Hinter ihm ſtanden die italiaͤniſchen Biſchoͤf-
fe, Hayfeld und ich: die Katholicken knieten alle. Als
er ſeine Geſtikulation gemacht hatte, kam er zuruͤck, gab
uns noch einen beſondern Segen, und ging dann in ſein
Zimmer. Das Volk unten kniete auf und uͤber einan-
der, und was konnte ich fuͤr Freude haben, als ich ſo
weit umher eine ganze Schaar blinder Bruͤder, eine
Menge kniendes Volk ſah, das den ſterblichen Menſchen
mit lautem Geſchrei fuͤr die lateiniſchen Worte dankte,
die es nicht gehoͤrt hatte! — Der Aberglaube geht ſo
weit, daß man dem Pabſt, indem er geht, nach dem
Zipfel ſeines Kleids greift, und den Saum ſeiner Schlep-
pe mit Andacht kuͤßt. Ach, er iſt nicht Dein Statthal-
ter, groſſer und liebenswuͤrdiger Erloͤſer! Du ſtiegeſt nie
in die Hoͤhe und lieſſeſt Dich ſehen, um bewundert zu
werden! Du wandelteſt ſelber unter dem Volke, gingſt in
ihre Huͤtten, halfſt wirklichen Beduͤrfniſſen ab, und ver-
langteſt nicht Ehre und Anbetung von Menſchen, die
noch nicht Erkenntnis von Gott und ſeinen Anſtalten
hatten!
Hierauf machte ich dem Herrn General von Friſe
meine Aufwartung. Er iſt ein Proteſtant und von
Colberg
[481]Colberg in Pommern gebuͤrtig, aber ſchon etliche 40.
Jahr hier *). Er iſt kraͤnklich und hat ſich ganz zur
Ruhe geſetzt, genießt aber noch ſeine Gage von 2000.
Gulden, und 500. G. von einem Orden. Er beſitzt eine
erſtaunende Beleſenheit in allen Faͤchern, und hat eine
Bibliothek von 6000. Baͤnden. Er erkundigte ſich nach
Schlettwein, nach Goͤttinger Gelehrten ꝛc. Seine
eben ſo beleſene, muntere und rechtſchaffene Gemahlin
klagte auch ſehr uͤber die diesjaͤhrigen Katarrhe. Wir drei
huſteten erſtaunlich zuſammen, und alles Theetrinken half
bei der rauhen Witterung nichts.
Bemerkungen.
Was hier von Berlin oder Preuſſen kommt, das
hat ſchon das Vorurtheil der ganzen Nation gegen ſich,
daher ward z. B. die Saͤngerin Mara nicht ſehr bewun-
dert. — Und die Regierung ahmt doch ſo manches von
Berlin nach!
Durchgaͤngig klagt man uͤber die ſtrenge Oekonomie
des Monarchen. Er wendet auf Vergnuͤgungen faſt gar
nichts, und vermindert uͤberall die Zahl uͤberfluͤſſiger
Diener **). Man will aber bemerkt haben, daß ſeit
den Reduktionen nur in Einem Monat betraͤchtliche Ver-
minderungen in der Mauth nur in Einer Rubrik erfolgt
ſeyn. — Auch beſchweren ſich viele uͤber die groſſe Ar-
mee,
Zweiter Theil. H h
[482]mee, die mit der Volksmenge der Staaten in keinem
Verhaͤltnis ſtehen, und uͤber 300,000. Mann ſtark
ſeyn ſoll. In Ungarn macht Er ſich ſo ſouverain als
moͤglich. Ohne neue Auflagen koͤnnte keiner, der nur
halb Depenſen liebte, das alles beſtreiten. Wirklich be-
ſchaͤftigt den Kaiſer nichts ſo ſehr, als Soldaten, und
Oekonomie zur Tilgung der Schulden von den vorigen
Kriegen.
Es ſind Fuͤrſten hier, die 150-200. Pferde halten,
eigene Stuttereien auf ihren Guͤtern haben. Wer nur halb
von Stande iſt, haͤlt Wagen und Pferde. Fiakres ſind etwa
500. hier; ferner ſind gewiß immer mehr als 1000. Pfer-
de hier von Roßhaͤndlern zum Verkauf vorraͤthig.
Der Erſte Staatsminiſter Fuͤrſt von Kaunitz ſoll
kaum 24000. Gulden Beſoldung haben mit Inbegrif der
Tafelgelder; weil er viel traktiren muß.
Als der Pabſt den Kaiſer auf ſeinem Zimmer be-
ſuchte, noͤthigte der Monarch die italiaͤniſchen Haus-
praͤlaten, die ſich ſonſt in Gegenwart des Pabſts nie-
mals ſetzen duͤrfen *), zu ſitzen. Ein anderesmahl eben
ſo den Leibarzt des Pabſts. Der Pabſt meinte, er
ſollte ihn auch wegen ſeiner Augen konſultiren, der Kai-
ſer aber gab ganz kurz zur Antwort: „Er habe ſeine
„Leute“.
Die verſtorbene Kaiſerin ſagte zum erſten Staats-
miniſter: Er. Der jetzige Kaiſer redet alle ſeine Raͤthe,
und alle Nichtunterthanen mit Sie an. Ein Geſand-
ſchafts-
[483] ſchaftsſekretaͤr, mit dem der Kaiſer ſchon oft ſo geſpro-
chen hatte, und der nach dem Tode Mar Ther. als
Kurier an mehrere Hoͤfe geſchickt wurde, fand es freilich
ſehr unſchicklich, daß ein gewiſſer deutſcher Fuͤrſt, der
ihm noch darzu fuͤr alle Arbeiten in ſeinen Aſſairen noch
niemals etwas gegeben hatte, Er zu ihm ſagte.
Wenn in Wien ehemals die Evangeliſchen Ge-
ſandten und Reſidenten fuͤr ihre Fuͤrſten Lehn empfangen
und ſchwoͤren mußten, ſo verlangte man, ſie ſollten
die katholiſche Eidesformel: bei Gott und allen Heiligen
ſchwoͤren. Daher ſtellten ſie meiſt einen Katholicken an
ihre Stelle fuͤr dieſen Aktus. Der billigdenkende Kaiſer
hat das aufgehoben, der Proteſtant ſchwoͤrt: bei Gott
dem Allmaͤchtigen, und bei ſeinem heiligen Evangelium!
Die Hofkammerkapelle hier iſt klein, und hat gar
nichts beſonders, iſt auch blos zum Hausgottesdienſt.
Unter der verſtorbenen Kaiſerin wimmelte die Burg
immer von Pfaffen aller Art, und in allen Farben, jetzt
ſind ſie wegen der Anweſenheit des Pabſts wieder darin,
aber ſonſt, wenn der Kaiſer allein da iſt, kan man wohl
hundertmal durchgehen, man ſieht keinen.
An jedem Hauſe in der Stadt ſteht zwar meiſtens
uͤber dem Eingang die Zahl des Hauſes angezeichnet,
aber nicht der Name der Gaſſe.
Weil in manchem Hauſe ſo viele Weine aufgehoben
werden, ſo geht auch oft der Keller unter dem Hauſe bei-
nahe eben ſo tief hinab, als das Haus hoch iſt. Es ſind
verſchiedene Stockwerke in den Kellern uͤber einander.
Man behauptet, daß die Oeſterreichiſchen Weine,
wenn ſie recht alt geworden ſind, ſo gut waͤren, als ein
Rheinwein.
H h 2Heute
[484]
Heute aß ich von einem Hauſen. Dieſe kommen
mit den Huchen, einem hier ſehr beliebten Fiſch, aus
dem Kaſpiſchen Meere in die Donau. Ihr Fleiſch
verbeſſert ſich immer mehr, je weiter ſie im Strome ſtei-
gen. Einen Gulden gilt hier das Pfund Forelle, und
eben ſo viel das Pfund Aal.
Nun fing man erſt an, junge Rettiche zu verkau-
fen; Erdbeeren ſah man auch hie und da, die aber in
Gewaͤchshaͤuſern gezogen waren.
Den 21ſten April.
Weil heute Sonntag war, ſo wohnte ich dem Got-
tesdienſte in der Schwediſchen Geſandſchaftskapelle
bei. Sie beſteht aus 3. groſſen Zimmern, die ſich
in einander oͤfnen, hat keine Orgel, ſtatt der Kanzel
einen ſchlechten Stuhl und einen Altar, der mehr
ein Kranz oder ein runder Tiſch um eine Saͤule herum
iſt. Das Nuͤrnberger Geſangbuch iſt hier eingefuͤhrt.
Der Prediger traͤgt Mantel und Kragen. Die Kom-
munion war vorm Gottesdienſt. Sechs bis ſieben Per-
ſonen knieten zugleich um den Altar herum, und nachher
ſprach er uͤber alle zuſammen ein Votum. Der Gottes-
dienſt fing nicht mit der Abſolution an, ſondern mit ei-
nem Gebet um Vergebung der Suͤnden, dann ſang man:
Allein Gott in der Hoͤh ꝛc. Nun ſprach der Prediger,
der immer ſchon auf der Kanzel war, das Evangelium,
darauf folgte der Hauptgeſang, nach dieſem betete er laut
das V. U., las den Text ab, und fing an zu predigen.
Der jetzige Prediger iſt Hr. Suck, ſchon ein Mann bei
Jahren, aber von gutmuͤthiger Miene. Der Text war
die Unterredung J. Chr. mit dem Miſſethaͤter am Kreuz,
der
[485] der aber gar nicht exegeſirt wurde. Exord.Pauli
Frage an den K. Agrippas: Warum wird das fuͤr
unmoͤglich unter euch gerichtet ꝛc. Trans. Unter den
Chriſten laͤugneten auch viele die Unſterblichkeit der See-
le, alſo Thema: Von der Unſterblichkeit der Seele.
I) Beweiſe aus der Bibel. Das N. Teſt. iſt ganz
voll davon, Chriſtus wollte keine blos irrdiſche Gluͤck-
ſeligkeit lehren. In der Zwiſchenzeit von Chriſtus bis
auf Malachia, ſieht man die Spuren dieſes Glaubens
im B. d. Weish. Kap. 11. beſonders, und im Buch der
Makk. Aus den Propheten ward der Schluß vom
Daniel, und die Stelle im Eſaia: „Die richtig ge-
„wandelt haben, ruhen“ ꝛc. angefuͤhrt, das koͤnne nicht
blos vom Leibe verſtanden werden, ſonſt gelte es auch von
den Gottloſen ꝛc. Von Davids Pſalmen ward wegen
der Menge keiner angefuͤhrt!! Aus Sauls Zuflucht zur
Betruͤgerin in Endor ward auch auf die Exiſtenz dieſes
Glaubens geſchloſſen. Aus Moſis Schriften ward die
Stelle: „Gott blies ihm einen lebendigen Odem in ſeine
„Naſe“, erbaͤrmlich gedreht, daß ſie etwas beweiſen
ſollte. Henochs Geſchichte und die Redensart von
Abrahams Tode: „Er ward zu ſeinem Volke ver-
„ſammelt“, da er doch nicht bei ſeinen Vorfahren be-
graben ward, wurden allein angefuͤhrt, (Gen. 49, 10.
nicht einmahl). Daß es Moſes bei ſeinen Geboten
nicht ausdruͤcklich als Motiv brauchte, ward ſeicht und
verworren beantwortet. II) Beweiſe aus der Vernunft.
Da ward nur kurz die Perfektibilitaͤt des Menſchen in
Erinnerung gebracht. III) Beweiſe aus dem Conſen-
ſu Gentilium. — Sonſt haͤtte Gott den Iſraeliten
nicht ſo ſtrenge verboten, die Todten zu fragen. Tar-
tarus der Roͤmer, Minos, Rhadamanthus, Furiae —
H h 3die,
[486] die, ſo zweifelten, hieltens doch fuͤr einen ſuͤſſen Irrthum,
den ſie behalten wollten. — Die Wilden in Amertka
glaubens ſelber. Die ganze Anwendung war in ſechs
Worten, daß alſo die Chriſten, die es nicht glauben,
entweder bloͤdſinniger oder laſterhafter als die Heiden waͤ-
ren! — So eine Predigt, wie Baer auch eine in Pa-
ris (ſ. S. 65. des 1ten Th.) hielt, ſagt man, iſt in ſo
groſſen Staͤdten, wo Libertinage und Freigeiſterei
herrſcht, noͤthig. — Aber die, welche ein ſolch Syſtem
haben, gehen nicht hinein; es faſſen lauter Handwerks-
burſche, Profeſſioniſten, Soldaten, Bediente, Buͤr-
ger und Buͤrgersfrauen, und etwa junge unverſtaͤndige
Fraͤulein von einigen Geſandten und Agenten da. Fuͤr
die Kommunikanten ſagte er nun vollends kein Wort.
Leicht iſt ſo eine Predigt, viel leichter, als alle dogmatiſche
und moraliſche, denn das alles iſt vorgearbeitet in ſo vie-
len Syſtemen, Kompendien, Wahrheiten der chriſtli-
chen Religion, von Lardner, Abbadie, Leß ꝛc. Nach
der Predigt ward gar kein allgemein umfaſſendes Gebet
geſprochen, der Prediger ging mit dem V. U. und dem
Segen weg. Man ſang noch ein Lied, wiewohl viele
ſchon hinausliefen. — Betruͤbter Anblick von einer
Menge Proteſtanten, die ſich eng zuſammenziehen muß,
um Gottes Wort zu hoͤren, in einer Stadt, die ſo viele
Pallaͤſte, ſo viele leere Plaͤtze hat!
Hierauf bekam ich einen Beſuch von Hrn. Vo-
gel auf dem Baron Friesſchen Comtoir. Der
gute Mann beſchwerte ſich, daß er keinen Tag frei
habe, als den Sonntag. Er ſei ſchon 24. Jahr
hier, und doch noch wie fremd, weil er nicht immer
eſſen, trinken, ſpielen wolle, und andre Unterhal-
tung
[487] tung gaͤbe es hier nicht. — Mancher Schneider und
Schuſter lebe hier beſſer, als der groͤßte Kaufmann in
Leipzig und Frankfurt. Die Wiener Meſſe ſei nur
fuͤr die hieſigen, man bekomme in den Gewoͤlbern alles
wohlfeiler.
Darauf machte ich eine Viſite bei Hrn. Suck. So
alt und mit Steinſchmerzen er auch behaftet iſt, iſt er
doch noch munter. Er iſt aus dem Meklenburgiſchen
und noch ein Schuͤler vom groſſen Wolf und Fabrizius
in Hamburg. Er kan der Steinſchmerzen wegen nicht
mehr fahren, ſondern muß ſich meiſt tragen laſſen. Oft
hat er ſie ſchrecklich unter der Predigt. Er ſprach von
ſeinen im Haag, Friedberg und Hamburg zerſtreu-
ten Kindern. Die aͤlteſte und die juͤngſte Tochter ſind
dieſem alten Vater allein noch uͤbrig geblieben.
Hr. Kandidat Reismann beſuchte mich heute auch.
Er iſt von Plauen gebuͤrtig, kam erſt als Hofmeiſter
nach Erlangen, und dann hierher. Er iſt mit vielen
Sachen in der Stadt gut bekannt. Hr. General von
Friſe ſchickte ihn zu mir. Jetzt privatiſirt er, und gibt
hie und da Lehrſtunden.
Heute erzaͤhlte man mir vom Pabſte folgende Anek-
doten, die von ſichrer Hand ſind:
Als ihn der Kaiſer von Neuſtadt nach Wien an
Baaden vorbeifuͤhrte, und zu ihm ſagte: „Sehen Sie,
„da ſind unſre Baͤder“, verſetzte er: „Ja, die herrlichen
„Waſſer von Spaa“! So klein iſt ſeine Kenntnis der
Welt, ſo armſelig ſein Urtheil von der Groͤſſe des Roͤmi-
ſchen Reichs. Man ſagte ihm vom Archivarius Schmidt.
Dem Namen nach hielt er ihn fuͤr einen Ketzer. Man
ſagte ihm, Hr. Schmidt waͤre ſchon beim Biſchoff
H h 4von
[488] von Wuͤrzburg und Bamberg geiſtlicher Rath gewe-
ſen, und ſchon die verſtorb. Kaiſerin Mar. Ther. habe
ihn hierher gebracht; ſo wußte der Pabſt von keinem Bi-
ſchoff von Bamberg und Wuͤrzburg in ſeiner Kirche.
Er wiederholte den Namen etlichemal, und endlich ſagte
er nach langem Beſinnen: „das muͤßte ein Biſchoff in
partibus infidelium ſeyn“!! —
Die Schwaͤche des Pabſts zeigte ſich auch gar deut-
lich dadurch, daß er immer eine Menge Kreuze und Ro-
ſenkraͤnze weihte, die man ihm brachte. Ich ſah ſelber
einen ganzen Sack voll Kreuze hineintragen. Mehr als
150,000. ſoll er hier geweiht haben. Sie kamen von
ganzen Landſchaften zuſammen, und waren alle fuͤr jeden
Beſitzer gezeichnet. Man warf oft 6000, 20,000. zu-
ſammen in eine Kiſte, und ſtellte ſie vor ihn hin. Er er-
klaͤrte, daß wer ſo ein Kreuz hat, Ablaß habe in der
Stunde des Todes, ſo lange das Kreuz nicht auf den
Boden faͤllt. Sobald aber das geſchieht, ſo iſt Segen,
Kraft und Ablaß fort. Man bezahlte die Bedienten,
die es hinein trugen. Als der Pabſt in der Porzellan-
fabrik war, ſegnete er die Taſſen und alles Geſchirr ein,
daher ein witziger Kopf ein Sinngedicht an die Maͤdchen
in Wien machte; nun ſei es erſt recht gut, Kaffee zu
trinken. Unter den Geſchenken des Pabſts waren
auch Reliquien, koſtbar eingefaßte Stuͤcke vom Schleier
der heil. Jungfrau, vom Kleide Pabſts PiusI. —
Das letztere bekam ſchon erwaͤhnter Hr. von Hayfeld,
bei dem ichs ſelbſt geſehen habe.
In der hieſigen Michaeliskirche wurde um dieſe
Zeit ein neuer Hochaltar gebaut. Die Geiſtlichkeit ver-
anſtaltete, daß er geſchwind geweiht wurde. Denn, wenn
ihn
[489] ihn der Pabſt geweiht haͤtte, ſo waͤre das Volk aus al-
len Kirchen dahin zum Beten gelaufen, als wenn es da
kraͤftiger waͤre, zu beten.
Am Paſquino in Rom fand man 2 Gemaͤlde an-
geheftet. Ein Mann mit einer erſchrecklich langen Naſe,
und der andre fragt dieſen: „Freund, was iſt das fuͤr
„eine Naſe“? „O,“ antwortet jener, „ſie iſt noch lange
„nicht ſo gros, als die, welche ſich unſer heil. Vater in
„Wien holen wird“. Der Pabſt ſoll vor ſeiner Ab-
reiſe den Kaiſer gebeten haben, das Fuͤrſtendiplom fuͤr
ſeinen Neffen Oneſti ihm lieber nachzuſchicken, als mit
zu geben, weil ſonſt der Paſquino in Rom ſagen wuͤr-
de, er habe die Rechte der Kirche dagegen verkauft *).
Die Geiſtlichen ſagen und ſchreiben: Es bete ja
niemand mehr in der boͤſen Welt, wenn Moͤnche und
Nonnen nicht beten. Der Kaiſer ſollte ſich an den Exem-
H h 5peln
[490] peln der Iſraelitiſchen Koͤnige ſpiegeln, die ſich an den
Schaͤtzen der Kirche vergriffen.
Im vorigen Sommer ſtand im Augarten angeſchla-
gen: Ioſeph premier, aimable et charmant;
Ioſeph ſecond, ſcorpion et tyran. An des Kaiſers
eigenes Schlafkabinet ſchlug man folgendes Pasquill
an: Wittwenmark und Waiſen-Gut, Iſt fuͤr Kaiſers
Augen gut. — So boͤs iſt das Volk hier!
Ein andres gab man ihm im Kontrolleurgang,
als ein Memorial, wovon der Schluß war: „Ein rechter
„Kahlmaͤuſer, iſt unſer Kaiſer.“
Als die Hofdamen und andre Hofoffizianten, die
ſonſt bei Hofe gewohnt hatten, im vorigen Jahre aus-
ziehen mußten, und ein gewiſſes Geld dafuͤr nehmen,
ward folgendes Pasquill in der Burg angeſchlagen:
Allhier ſind im erſten und zweiten Stock Zimmer zu ver-
laſſen (Wieneriſch anſtatt vermiethen). Wer ſolche
beſtehen (miethen) will, hat ſich beim Hausherrn im er-
ſten Stock zu melden.
Bei eben der Gelegenheit kam ein haͤßliches Bild
heraus: Die Hofdamen gehen jede mit ihrem Buͤndel
fort. Der Oberhofmeiſter kehrt mit dem Beſen hinten-
nach, und der Kaiſer ſteht mit einer Hetzpeitſche in der
Ecke.
Als das Toleranzedikt in Kroatien publizirt
wurde, zogen alle auf dem Rathhauſe den Saͤbel, und
ſchrien: Moriamur omnes pro religione noſtra!
Nach und nach dringt der Kaiſer doch durch, aber ſo
ſchnell nicht.
In Oedenburg bekamen 2. Proteſtanten Dienſte,
die Eide erforderten. Sie ſchworen den Proteſtanteneid,
und
[491] und erhielten alſo den Dienſt. Der Biſchoff aus dem
Eiſenburger Komitat, dems gar nichts anging, ſchrieb
nach Oedenburg:Licet ſit voluntas Sacrae Cae-
ſareae Majeſtatis, tamen hoc contrarium eſſe
videtur ſanctiſſimae religioni noſtrae. — Er
ward zur Verantwortung nach Presburg fuͤr den Locum-
tenentialrath gefordert, und wird vermuthlich kaſſirt wer-
den, oder iſts ſchon.
Graf Joſeph Deleggi ward vorm halben Jahre
zum Vizegeſpann in Ungarn ernannt, weil er aber Pro-
teſtant war, ſo lehnten ſich 5. Komitatoren oder Statt-
halter von Geſpannſchaften gegen ihn auf, der Kaiſer
aber beſtand darauf, und er iſts noch.
Bemerkungen.
Es iſt wahr, der Fremde kan in Wien in den er-
ſten Tagen immer eſſen. Man iſt beſtaͤndig hungrig,
die ſcharfe Luft zehrt ab, und ermuͤdet. Das ſpaͤte Mit-
tageſſen gewohnt mancher Jahrelang nicht, das eben ſo
ſpaͤte Nachteſſen iſt faſt nichts. An den Faſtenſpeiſen
verderbt man ſich, weil ſie ſo fett ſind, den Magen, ich
wenigſtens muſte mich oft nachher uͤbergeben.
Iſt das Getuͤmmel auf den Straſſen an Werkelta-
gen gros, ſo iſt es an Feier- oder Sonntagen, beſonders in
der Nachbarſchaft der Kirchen, ganz unbeſchreiblich. Im
Anfang geht man warlich immer mit Furcht und Zittern
aus, bis man das Schleichen an den Haͤuſern gewohnt
iſt. Darin iſt Wien vollkommen wie Paris, doch iſt
das Volk hier viel ehrlicher, traktabler, hoͤflicher. —
Auch ſogar die Wache darf nichts thun, als erinnern. Im
Schloſſe
[492] Schloſſe kan man ſagen, daß man ein Fremder ſei, und
man kommt wieder einige Schritte weiter.
Es geht auch eine Klapperpoſt durch die Stadt,
die in 3. Stunden herumkoͤmmt.
Den 22ſten April.
Heute machte ich verſchiedene Beſuche, als
bei Hrn. Vogel, und fruͤhſtuͤckte bei ihm auf Wie-
ner Porzellan, — wobei er mir ſagte, daß man vor ei-
niger Zeit vorgegeben habe, eine weiſſe Erde, wie die
Saͤchſiſche, gefunden zu haben. — Da er ſchon lange
hier iſt; ſo kennt er die Wiener ſehr genau und erzaͤhlte
mir ſo allerhand von ihnen, als unter andern: Es waͤ-
ren eine Menge lediger Leute hier, die des Luxus wegen
das Heirathen ſcheuen. — Es ſei unglaublich, mit wel-
chen dummen und unwiſſenden Leuten der Kaiſer zu thun
habe, die beſten und arbeitenden Leute waͤren Konvertiten.
Die meiſten Adelichen lernten auch hier nichts, als eſſen,
trinken, huren, ſpielen, reiten, jagen ꝛc. Doch gebe es
auch noch Leute und Kaiſerliche Beamte, die mit 600,
800, 1000. Gulden eine artige Haushaltung fuͤhren. —
Aber im Ganzen ſei es nirgends noͤthiger als hier, daß
die Obrigkeit das Volk Oekonomie lehre. —
bei Hrn. von Jakobi, dem Koͤnigl. Preuß. Reſi-
denten an hieſigem Hofe. Er ſagte mir, daß der Hr.
Reichshofrath von Heß ein Kabinet habe, es aber ſelber,
und deswegen niemals anders zeige, als wenn eine ſtarke
Geſellſchaft beiſammen iſt, (wo insgemein keiner etwas
recht ſieht); doch verſprach er, zu ſorgen, daß ichs zu ſe-
hen bekaͤme.
beim
[493]
beim Herzogl. Braunſchw. Geſandten, dem Hrn.
Baron von Vockel, an den ich ebenfalls empfohlen war.
Dieſer war der erſte, mit dem ich in Wien mehr als ei-
ne Stunde ſchnell wegplaudern konnte, weil er auch ein
litterariſches naturhiſtoriſches Geſpraͤch anfing. Er hat
ein Kabinet von ſeinem Schwiegervater, Hrn. Moll,
geerbt, das aus Petrefaktis, Steinen und Stuffen be-
ſteht. Meiſtens ſind es Auſtriaca, das Wort im vol-
len Verſtande genommen. Der vorige Beſitzer reiſte
ſelber alle Jahre 3-4. Monate deswegen, und lies ſich
die Sachen an Ort und Stelle brechen. Er reiſte vom
Ende der Karpathiſchen Gebuͤrge bis an die Tyroler,
und an die Saͤchſiſche Grenze, ſo daß es ihn freilich ſehr
viel koſtete. Hr. Baron von Vockel wuͤnſcht es zu ver-
kauſen, weil ein groſſer Theil des nicht ſehr betraͤchtlichen
Vermoͤgens ſeiner Frau in ſolchen Sachen beſteht. Er
hat einige Kenntniſſe in dieſer Wiſſenſchaft erſt hier von
Mr. de Balljou erlangt, der auch die erſte Grundlage
zum Kaiſerlichen Kabinet geſammelt hat. Der Mann
errichtete ſich ſein eignes Syſtem, ſeine eigene Leiter der
Natur, fing an mit den Erdarten, ging uͤber ins Pflan-
zenreich mit den Erdpechen, und darnach rangirte auch
Baron Vockel ſeine Sammlung, die ich dann zu ſehen
bekommen ſollte. — Uebrigens leidet dieſer gute Mann
ſchon ſeit vielen Jahren gewaltig an der Arthritis va-
ga, die ihm oft ſogar die Zunge zum Sprechen laͤhmt.
Seine Augen zittern und ſind ſo ſchwach, daß er am hel-
len Tage einen gruͤnen Schirm vor den Augen traͤgt.
Als er eine Zeitlang geſtanden hatte, konnte er kaum zum
Kanape’ kommen, und als er eine Weile geſeſſen hatte,
konnte er, ohne von mir gehalten zu werden, weder gehen
noch ſtehen.
Darauf
[494]
Darauf fuhr ich auf das Landgut des Hrn. v Stock-
maier in Nußdorf. Der Weg dahin iſt nur eine hal-
be Stunde vom Thor, und man bekommt weder am
Morgen noch am Abend die Sonne ins Geſicht. An dem
Dorfe haben 9. Herrſchaften Antheil und jede hat ihren ei-
genen Richter da. Hrn. von Stockmaier gehoͤren von
ſeiner Frau her nur 18. Haͤuſer. Aus dem Edelmaͤnni-
ſchen ehemals verfallenen Hofe hat er ein ſehr bequemes
Landhaus gemacht.
Man ſieht vorne den Garten, das Dorf, die Do-
nau, den Wald, und uͤber die Donau die Bruͤcke nach
Boͤhmen vor ſich. Aus manchem Zimmer uͤberſchaut
man einen Theil der Stadt, und hat immer die Muͤn-
ſter- oder Stephanskirche im Geſicht. Neben dem
Schlafzimmer iſt durch ein Oratorium fuͤr die katholiſche
Frau v. Stockmaier, eine Verbindung mit der Kirche
im Orte gemacht worden, die ſurprenant iſt. Ueber-
haupt ſteht das Haus am Berge, und in die alte gothi-
ſche Form, die es hatte, iſt ſo viel Geſchmack hineinge-
bracht worden, als moͤglich. Wo vorher Heuboͤden wa-
ren, da ſind jetzt Arbeitszimmer. Ringsum liegen viele
Guͤter, und noch kuͤrzlich wurde fuͤr 2000. Gulden viel
gekauft. In der Kelter iſt die Einrichtung ſo gemacht,
daß die Weinleſe aus dem Berge in die Trotte fließt.
Neben dem Keller iſt ein Obſtkeller, wo das ſchoͤnſte
Obſt auf Repoſitorien, nicht auf Hurden liegt. Der fern-
dige hieſige Wein war ſchon ſehr hell, feurig, und doch
war die Gaͤhrung noch nicht ganz vorbei.
Man
[495]
Man erzaͤhlte heute, daß geſtern beim letzten Se-
gen des Pabſts*) um 3. Uhr eine alte Frau, die vom
Knien nicht gleich wieder aufſtehen konnte, niedergedruͤckt
und todt getreten worden ſei, und es fand ſich wahr.
Hr. von Hayfeldt ſchaͤtzte die letzte Fete, die der
franzoͤſiſche Botſchafter wegen der Geburt des Dauphins
gab, auf 14000. Gulden. Mehr als 1000. Bouteillen
Champagnerwein wurden dabei getrunken oder geſtoh-
len. Er lies zwar alles kommen, muſte aber Mauth,
Zoll ꝛc. bezahlen, denn die Geſandten haben dieſe Frei-
heit verlohren, weil die Leute des vorigen franzoͤſiſchen
Botſchafters ſie misbrauchten, mehr, als ſie brauchten,
kommen lieſſen, und damit handelten.
Bemerkungen.
In vielen hieſigen Gaſſen laſſen ſich viele Zimmer
gar nicht durchluͤften, wenn man auch am fruͤhen
Morgen die obern Fenſter oͤfnet, weil die Gaſſen zu eng
ſind.
Ein Zimmer einer einzelnen Perſon, wo ihr Bett
und alles beiſammen iſt, kan ohne Aufwartung jaͤhrlich
100, und an einem guten Theile der Stadt 120, 130.
Kaiſergulden koſten.
Jeder-
[496]
Jedermann traͤgt jetzt hier mit Seide oder reich ge-
ſtickte Kleider. Treſſen iſt die Sache der Bedienten,
oder gehoͤrt nur auf ein Negligee’kleid.
Soͤhne und Toͤchter werden hier von den Eltern
nicht mit in Geſellſchaft genommen, daher ſind ſie auch zu
Hauſe gegen jeden Fremden bloͤde, ſchuͤchtern, und ſchwei-
gen immer ſtill.
Toͤdtend iſt der Diskurs von der Kleidung’ der
Damen bei dem und dem Spektakel, Ball, Feſtin ꝛc.
weil er auch bei Tiſch oft kein Ende nimmt. Und viele
Damen geſtehen am Ende, nachdem ſie alle ihre Neuig-
keiten ausgekramt haben, daß ſie ſie von ihrem Peruͤcken-
macher haͤtten. Der Ton der Wiener Welt erfordert,
daß Geſandte und die vornehmſten Maͤnner an dieſen Un-
terredungen Theil nehmen, und Galanterien, mit unter
auch wohl Zoten, dabei anbringen.
Nun bluͤhten doch die Maikirſchen, und der Wein-
ſtock ſing an zu treiben. In der Ferne ward der Wald
gruͤn, und ſchon vor einigen Tagen hatte man die Gu-
ckucke rufen gehoͤrt.
Das Obſt erhalten die Obſthoͤfler in eigenen Kellern
ſehr kuͤnſtlich, wickeln jede Birne, und jeden guten Apfel
eigen in Papier ein, weil ſie ihnen um dieſe Zeit das
Stuͤck mit 2. Kreuzer bezahlt werden.
Das Recht, einen Obſtſtand oder Obſtboutique
in der Stadt zu haben, koſtete ehemals 3-4000. Gulden,
jetzt ohngefaͤhr 100. Dukaten, der Kaiſer erlaubt es Je-
dem.
In den Gaͤrten um Wien herum ſpruͤtzen die Leute
die Felder ſehr artig mit einer Roͤhre, in welcher ihnen
vom Berge Waſſer zufließt.
In
[497]
In den Vorſtaͤdten beſonders iſt die Kraͤmerei ganz
unendlich. Da iſt Laden an Laden gebaut, und wenn
man lange nicht in eine Gegend gekommen iſt, ſo kan
man in eine ganz neue Straſſe von Haͤuſern kommen, die
indeſſen gebaut worden ſind.
Der Toback, den man hier rauchen muß, iſt tuͤr-
kiſche Blaͤtter, und der ſogenannte Knaſter, und bedeutet
nicht viel; doch iſt er beſſer als der in Paris.
Man deckt hier auf dem Lande das Dach nicht mit
Ziegeln oder Schindeln, ſondern nimmt dicke hoͤlzerne
rautenfoͤrmige Stuͤcke darzu, die mit einem rothen Firnis
uͤberzogen, lange an der Luft dauern.
Den 23ſten April.
Heute bekam ich das Kaiſerliche Naturalienkabi-
net zu ſehen. Ich fuhr mit Hrn. Hofrath von Born
hin. Der Kaiſer will nichts haben, als Mineralien
und Konchylien. Die von Hrn. von Born angefan-
gene Beſchreibung hat ein Ende, weil der Kaiſer den Ma-
ler, der die Originale zeichnete, und 800. Gulden jaͤhr-
lich bekam, (denn fuͤr das Illuminiren ſorgte der Kupfer-
ſtecher) abſchafte. Hr. Heydinger, der Adjunkt am
Kabinet iſt, will nun ein kleines Verzeichniß auf Sub-
ſkription herausgeben.
In 2. mittelmaͤſſigen Saͤlen ſteht alles beiſam-
men, und zwar in nußbaͤumenen Schraͤnken an der Wand,
die oben Glasthuͤren und unten Schubladen hinter Thuͤ-
ren haben. Darin ſteht und liegt jedes Stuͤck auf einem
weis angeſtrichenen hoͤlzernen Fuß, noch ohne Nummer
und Namen, denn der Katalog ſoll erſt gemacht werden,
und es iſt noch gar nicht lange, daß das Kabinet in die-
Zweiter Theil. J iſer
[498] ſer Ordnung iſt. Was mir hier beſonders bemerkens-
wuͤrdig war, iſt Folgendes:
- 1) Die Gold- und Silberſtuffen. Dieſe ſind
freilich ſehr ſchoͤn da, — aber meiſtens aus dem Lande,
wie faſt alles im Kabinet, ſelten auswaͤrtige, Saͤchſi-
ſche oder Nordiſche Stuͤcke. - 2) Blaues Kupfer unvergleichlich, aus dem Ban-
nat, d. h. Temeswarer Bannat. - 3) Blauer Malachit, eben ſo ſtralicht, und laͤßt
ſich eben ſo poliren, wie der gruͤne, auch aus dem Ban-
nat. - 4) Kupfererz in Buͤſcheln; man ſolte es fuͤr die
feinſten Flaumenfedern halten. - 5) Sibiriſche Malachiten mit Dendriten.
- 6) Sibiriſcher Saͤulenfoͤrmig kryſtalliſirter Ma-
lachit. - 7) Weiſſer Zinnſpat aus Boͤhmen.
- 8) Ein Stuͤck von Pallas gediegenen Eiſen, aber
Hr. Heydinger wollte es auch noch nicht recht glauben;
es waren Stellen da, wo’s voͤllig wie geſchmolzen, wie
eine Schlacke ausſieht. - 9) Eiſenglaskoͤpfe, vom Huͤttenberge aus Kaͤrn-
then, mit allerlei feinen Zeichnungen, die man auf ab-
geputzten Stuͤcken fuͤr natuͤrlich halten ſollte, wenn man
ſie nicht auch auf ungeputzten Stuͤcken ſaͤhe. - 10) Ein Eiſenerz, das zerfaͤllt und zerſpringt wie
in lauter Baſaltſaͤulen, aus Boͤhmen. - 11) Ein Zinnober aus Siebenbuͤrgen, mehr als
Spannelang, und eben ſo breit. Steht wie eine rothe
Platte da, wiegt aber wenigſtens 250. Pfund.
12) Das
[499]
- 12) Das ſogenannte Korallenerz, d. h. Queckſil-
bererz, das Erbſenfoͤrmig in anderes Geſtein eingeſprengt
iſt. - 13) Eine ſchoͤne Sammlung von Zinkſtuffen und
kryſtalliſirten Blenden. — Auch ein ganz weiſſer Zink. - 14) Koboldbluͤthen.a) Ein Stuͤck, wo vom
Kobold der Quarz, und b) Eins, wo der Spat roth
gefaͤrbt worden iſt. Beide aus Sachſen. - 15) Herrl. Nadelfoͤrmiges Antimonium, von
Kremnitz. - 16) Antimon. plumoſum, ein gar wohl konſervir-
tes Stuͤck. Die weiſſen oben aufliegenden Koͤrperchen
ſind kleine Quarzkryſtalle, die mit doppelten Endſpitzen
gleichſam in der Luft haͤngen. - 17) Eine herrliche Edelſtein-Sammlung. —
Das Wenigſte liegt in den Glasſchraͤnken, das Meiſte
unten in 2. Schubladen, wo eine Menge ſilberner vergolde-
ter Schuͤſſeln ihre Einſchnitte im Boden haben, und dar-
uͤber ein Glas, das herabgenommen und beſchloſſen wer-
den kan. Viele Steine ſind auch ſchon in Ringe ge-
faßt vorhanden geweſen, aber au jour ohne Folie. Man
kan den Stein von oben und unten ſehen. a) In der
Mutter hat man nach Hr. Heydingers Verſicherung
keinen, als einen Smaragd in Kalkſpat, und einen in
Quarz. Beide ſind ſehr gros, aus Braſilien.b) Ein
Quarz, voͤllig wie eine Zitrone; an beiden Enden hat
er platte Warzen. Aus Boͤhmen.c) Viele Kry-
ſtalle mit allerlei eingeſchloſſenen Koͤrpern. d)Ro-
he Diamanten von verſchiedenen Kryſtalliſationen.
e) Eine natuͤrliche Dublette, Chryſolith auf der einen
Seite, und Saphyr auf der andern Seite. f) Ein ku-
biſchkryſtalliſirter Topas.g) Ein Stein, der Hya-
J i 2einth,
[500]einth, Rubin und Amethyſt iſt, aus Braſilien.
h)Gefaͤrbte Diamanten, natuͤrlich, von allen Farben.
i)Katzenaugen aller Art ꝛc. - 18) Der groͤſte Opal in der Welt. Er fuͤllt die
ganze Hand, und iſt unbeſchreiblich ſchoͤn. Die Hol-
laͤnder haben ſchon 30000. Gulden dafuͤr geben wollen. - 19) Zwei ſehr groſſe und hochrothe Karneole.
- 20) Eine Doſe von allen Saͤchſiſchen Steinen.
Im Deckel ſind kleine Sektores in Gold gefaßt. Unter
dem Boden der goldenen Doſe ſchiebt ſich das geſchriebene
Verzeichnis der Steine aus und ein. - 21) Auch eine Tabatiere aus Steyermaͤrkiſchen
Granaten, die in Stein ſtecken. - 22) Sehr viele Kryſtalliſationen von Feldſpat,
die Delisle Rome’ nicht kennt. - 23) Ungariſcher Serpentinſtein.
- 24) Blaue Madreporen; uͤberhaupt eine ſchoͤne
Sammlung von Lithophyten und Zoophyten. Pallas
hat viele von den zarten Zoophyten hierher geſchickt, —
Hr. Heydinger ſprach von einer neuen Edition des Elen-
chus Zoophyt., die er beſorgen will. — Sehr ſchoͤne
vielaͤſtige Korallen. — Ein Stuͤck mit vielen Zinken,
unten weis, in der Mitte ganz roth. - 25) Ein Monodonszahn, wohl 9. Schuh lang.
- 26) Ein Haygebiß.
- 27) Zwei groſſe Elephantenzaͤhne.
- 28) Gruͤner Kalkſpat, aus Tyrol.
- 29) Sehr groſſe angeſchliffene Brocken von verſtei-
nertem Holz, und noch vermoderte Adern auf der einen
Seite. - 30) Ein ſchoͤner Klumpen von verſteinertenVer-
tebris, Cochleis und Belemnitis.
Der
[501]
Der Kaiſer kauft noch immer zu *). Erſt neulich
ſind Cachelons, Chalcedonier und Laven vom Hecla
fuͤr 1500. Gulden, von Hrn. Spengler in Kopenha-
gen gekauft worden, die noch unterwegs ſeyn ſollen.
Hr. Hofrath von Born thut nicht viel mehr. Er
iſt alt, und ſeit 8. Jahren krank, geht elend, ſchief, nimmt
immer Arzeneien ein, muß auch jetzt wegen Aufhebung
der Hofquartiere ausziehen, und hatte doch kurz vor der
Kaiſerin Tode erſt eins bekommen, hofte darin lebenslang
in Ruhe zu ſitzen, ſteckte mehr als 1000. Gulden hinein,
und dafuͤr gibt ihm niemand nichts. Als Hofrath muß
er alle Tage viel erpediren, zuweilen in die Seſſion gehen,
hat immer den Tiſch voll Akten liegen.
Neben dem Kabinet iſt noch ein Zimmer, wo die
Gemaͤlde haͤngen, die FranzI. in Florenz aus Flo-
rentiniſcher Arbeit machen lies. Sie haben ſchrecklich viel
gekoſtet. Es iſt eine Art Moſaiſcher Arbeit aus Stei-
nen zuſammengeſetzt; auch Tiſche von der Art hat man
hier. Die Zeichnungen ſind Szenen aus Europa
und Aſien. — Auch iſt ein Bouquet da, koſtbar aus
Edelſteinen zuſammengeſetzt, Inſekten ganz aus gleich-
farbigen Steinen geſchnitten ꝛc. Alles von unendlichem
Werth.
Man ſchenkte mir hier auf Hrn. von Borns Be-
fehl ein Stuͤck von dem rohen Kaͤrntner opaliſirenden
Marmor, den er zu den Petrefakten rangirt, weil die
J i 3glaͤn-
[502] glaͤnzenden Stellen zuverlaͤſſig nichts anders ſind als
Schaalenſtuͤcke von Nautilis.
Hierauf machte ich Beſuche bei Hrn. Eckhof, dem
Koͤnigl. Daͤniſchen Geſandtſchaftsprediger. Er beklag-
te ſich, daß das Allmoſen fuͤr die vielen proteſtantiſchen
Armen und Kranken, die er zu beſorgen habe, nicht zu-
lange. Der Geſandte gaͤbe nichts dazu, auch beſtehe
das Perſonale der Geſandſchaft uͤberhaupt nur aus 20.
Perſonen. Indeſſen habe er doch jetzt einen Platz in ei-
nem Hoſpitale fuͤr Einen Kranken ausgewirkt; die Barm-
herzigen Bruͤder muͤſſen auch welche nehmen. — Aber
was bei der Schwediſchen Geſandtſchaftskirche nicht iſt,
das hat Chemnitz hier zu Stande gebracht, naͤmlich eine
Schule. Der Schulmeiſter hat doch ſchon 150. Gulden.
Der Koͤnig bezahlt auch einen Organiſten. Neulich
konnte Hr. Eckhof doch einmahl hier eine Anzahl Kin-
der konfirmiren.
beim Sachſenkoburg. Hrn. Geh. Rath von Fi-
ſcher, der mich kennen lernen wollte. — Seine Ge-
mahlin konnt’ ich nicht ſprechen, weil ſie nothwendig hat-
te ausfahren muͤſſen. Ein noch nicht ſehr alter, aber an
Fuͤſſen ganz perpendikulaͤr hinab gleich dicker Mann.
Waden und Hinterfuß in einer geraden Linie ohne Ein-
beugung.
Den 24ſten April.
Mein erſtes war heute, den Hollaͤndiſchen Geſand-
ſchaftsprediger, Hrn. Hilchenbach zu beſuchen. Er wohnt
ſehr angenehm auf der Baſtei, der Karoli Borom.
Kirche gegenuͤber. Er iſt aus Frankfurt gebuͤrtig.
Mit der deutſchen Litteratur iſt er ſehr bekannt. Er be-
ſchwerte
[503] ſchwerte ſich, daß ihn die Deſſauer auch mit ihren Sa-
chen, und Lavater mit ſeinem Kirchenboten ꝛc. plager.
Seine reformirte Gemeinde iſt klein. Die Schweizer
halten ſich auch zu ihm. Er predigt deutſch. Der Ge-
ſandte wohnt auch in der Vorſtadt, in einer auf hollaͤn-
diſche Art ganz laͤndlich eingerichteten Wohnung. Hier-
auf beſah ich die
Kaiſerliche Bibliothek, auf dem Joſephsplatze
in der Burg. Hr. von Kollar, und Hofr. von Mar-
tiniz ſind die Vorſteher; der letztere zeigte ſie mir. Lam-
becius Fleis iſt noch nicht vergeſſen.
Dieſe ganze unermeßliche Bibliothek ſteht in Einem,
aber einem der ſchoͤnſten Saͤle beiſammen. In der
Mitte wird eine herrliche Kuppel von praͤchtigen Saͤulen
getragen, die von Daniel Gran vortreflich gemahlt
iſt *). Oben laufen Gallerien herum, wozu anſehnliche
Treppen hinter den Buͤchern hinaufgehen. Noch eine
Menge Kabinetter liegen an den Seiten, wo alles ange-
fuͤllt iſt, und doch ſtehen an den meiſten Orten die Buͤ-
cher doppelt.
Man hat einen Katalog daruͤber nach dem Alpha-
bet der Autoren, wobei der Schrank und das Bret ſteht,
und eben dieſe Zahlen ſtehen im Buche, auch wieder mit
Lateiniſchen und Arabiſchen Zahlen.
In der Bibliothek ſelber lieſt niemand, aber darne-
ben iſt ein Lektuͤrekabinet, wo man das Buch aufſchla-
gen, fordern, leſen und excerpiren kan, doch muß man
Papier und Feder ſelber mitbringen.
J i 4Neben
[504]
Neben dem Hauptſaale iſt auf jedweder Seite noch ein
Saal fuͤr die Handſchriften und erſte gedruckte Buͤcher.
Von den erſtgedruckten Buͤchern aus dem 15ten Jahrh.
bis 1500. incl. ſind 4000. Stuͤcke hier. Dieſe ſind alle
nach ihren Jahren numerirt. Aus manchem Jahre ſind
gar viele da. Ich fand darunter:
- 1) Fauſti Pſalterium, das erſte von ihm gedruckte
Buch. - 2) Lorenz Coſterſche Arbeit noch mit unbeweglichen
Schriften nur auf einer Seite. - 3) Die erſte deutſche gedruckte, und
- 4) Die erſte ebraͤiſche gedruckte Bibel. Die letztere iſt
gar ſchoͤn und leicht zu leſen, vom J. 1488. - 5) Unter den vielen Griechiſchen Handſchriften iſt ein
Dioskorides mit gemahlten Pflanzen, der aͤlteſte
aus dem 6ten Jahrh. Wir konnten Mandragora
und andere noch gar wohl erkennen. - 6) Einige Blaͤtter aus dem Koran mit alter Kufiſcher
Schrift, aus dem 9ten Jahrh. Man hat ſchon bei
jedem beigeſchrieben, aus welcher Sure die Stuͤcke ge-
nommen ſind. - 7) 2. Stuͤcke vom Papyrus, wo Sachen vom Con-
cilio Eccleſ. darauf geſchrieben ſind. Mabillon
hat ſie ſchon beſchrieben. Es ſieht ſchwaͤrzlichtbraun,
am Ende zaſericht, oder wie ein ausgefaſertes Zeug
aus. - 8) Ein Codex purpuraceus, auf duͤnnem Pergament,
mit der wahren aber blaſſen Purpurfarbe auf beiden
Seiten uͤberſtrichen. Sieht angenehm roth aus. - 9) Mexikaniſche Schriften, lauter Symbola, Haͤu-
ſer und andre Figuren. Das Volumen iſt ein Stuͤck,
das ſich in Notenformat zuſammenlegen laͤßt.
Auſſer
[505]
Auſſer dieſen Seltenheiten zeigte man mir noch
- 1) das Original von der Tabula Peutingeriana,
wornach ſie abgeſtochen worden. - 2) Fauſts Bildnis.
- 3) Viele ſehr groſſe Etruriſche Gefaͤſſe, die ihres hohen
Alters ungeachtet, ihre ſchwarzen Streifen, und an-
dre Farben behalten haben. - 4) Eine eherne, jetzt ſchoͤn eingefaßte, und in ihrem
gruͤnen Roſt wohl verwahrte Tafel, 1527. von Abruz-
zo hieher geſchickt, woſelbſt man ſie fand. Darauf
iſt ein Roͤmiſches Senatus Conſultum de Baccha-
nalibus et Libertate coercenda eingegraben.
Der Rechnung nach ward 142. Jahr vor Chriſti Ge-
burt haec Lex in Tabulis aeneis ſuſpenſa. - 5) Ein Syſtema Copernicanum, das aufgezogen 8.
Tage geht, Planeten und ſogar Trabanten in ihrem
Lauf zeigt, von einem Kuͤnſtler aus dem Reich. - 6) Auch an die 700. Baͤnde Kupferſtiche, von allen
Meiſtern nach den verſchiedenen Schulen, mit den
Portraits. - 7) Eben ſo werden die Landcharten geſammelt, und
moͤchten jetzt wohl ſchon an 60. Baͤnde ausmachen.
Die Bibliothek ſteht alle Tage von 9 — 12. Uhr
offen.
Heute ſah ich auch den Kaiſer nach dem Augarten
fahren. Ein einziger Bedienter war hinten drauf, und
dieſer durfte ſitzen. — Der Edelmann laͤßt oft 4 — 5.
Bediente ſo lange zu ſeiner Ehre ſtehen, daß ihnen die
Fuͤſſe brechen moͤchten. Vor manchem Fuͤrſtl. Palais
ſieht man 10 — 12. Bediente warten, jeden in einer an-
dern Livree. Manche koſtet 500. Kaiſergulden.
J i 5Falſch
[506]
Falſch verbreitete man hier das Geruͤcht, der Kai-
ſer ſei bei der Begleitung und dem endlichen Abſchied
vom Pabſte vor ihm auf die Knie gefallen, habe geweint,
und ſich ſeinen Segen ausgebeten. In der Kirche ver-
richteten ſie die Andacht mit einander, aber ſonſt erfolgte
nichts von der Art. Sie umarmten ſich zuletzt wie
beim Empfang.
Bemerkungen.
Viel ſchoͤne Geſichter ſieht man hier nicht. Ent-
weder ſind ſie geſchminkt, oder bleich, oder gelblicht,
kurz, ſie haben die ungeſunde Farbe der Unordnung und
des ſchwelgeriſchen Lebens.
Auch gibt’s hier keine Jungfern, ſondern lauter
Fraͤulein, und auſſer den Bedienten iſt niemand buͤr-
gerlich, ſondern alles adelich, gnaͤdig. — Man er-
zaͤhlt, daß Kaiſer FranzI. einmal im Scherz einen
Bedienten, der ihm in Weg lief, auch Herr von nann-
te. Der Mann hatte Gegenwart des Geiſtes, nahm
den Kaiſer beim Wort, bedankte ſich zugleich allerunter-
thaͤnigſt fuͤr die Nobilitirung, und ſeine Familie iſt noch
jetzt im Adelſtande.
Man kan hier ganze Boutiquen von eingefaßten
Ringen ſehen, mit allen moͤglichen aͤchten und falſchen
Steinen, mit Koͤpfen, mit Blumen, mit nachgemach-
ten Inſekten, mit dem Bildnis des Kaiſers, des Pabſts.
Man bringt eine Menge lebendiger Karpfen aus
Boͤhmen hieher, ſetzt ſie bei Nußdorf eine Zeitlang
wieder ins Donauwaſſer, und verkauft ſie hernach fuͤr
Donaukarpfen. Wenn auch einer einen Teich anlegen,
und erſt mit Setzkarpfen beſetzen will, kan er 130 — 140.
Stuͤcke auf einmal verſchreiben, und bekommt ſie richtig.
Den
[507]
Den 25ſten April.
Heute fruͤh um 10. Uhr fuhr ich mit Hrn. von Stock-
maier zum Hrn. Reichsreferendar, Baron von Ley-
kamm, auf die Reichskanzlei. So heißt dieſe, im Ge-
genſatz der Staatskanzlei, oder jener von Oeſterreich,
Boͤhmen ꝛc, Die Kaiſerl. Raͤthe muͤſſen zwar fruͤh
auf die Kanzlei; aber ſie nehmen oben Viſiten an. Hr.
Baron von Laykamm’s Geſchaͤfte ſelber gehen erſt um
11. Uhr an. Ich fand an ihm einen muntern, geſpraͤ-
chigen Mann, der viel von alten Buͤchern, Handſchrif-
ten, Urkunden, Schaͤtzen der Kloͤſter Neuburg, Te-
gernſee ꝛc. erzaͤhlte. In Scherzii Gloſſario meinte
er, haͤtten die Schwaben noch manches Wort liefern
koͤnnen. Von Schmid’s Geſchichte der Deutſchen,
4ter B. denkt er, wie ich und andre, — Quantum
mutatus ab illo. — Zuletzt erzaͤhlte er mir die Ge-
ſchichte des Reichsarchivs, daß es eigentlich keine Pa-
piere vor dem 16ten Jahrh. enthalte. Ehe der Kaiſerl.
Hof Sedes fixa, und ehe der Reichshofrath geſtiftet
ward, wars nicht moͤglich Akten zu ſammeln. Der
Kaiſer ſchenkte weg und gab daruͤber ein Inſtrument,
aber ihm gab niemand nichts. Man habe ſogar ehemals
die Schenkungsbriefe im Vorrath gehabt, und nur fuͤr
etliche Hauptworte Platz gelaſſen, da ſchrieb man nach-
her hinein, das waren zweierlei Handſchriften, daraus
entſtand zuletzt oft Streit. Und bei Gelegenheit ſolcher
Prozeſſe uͤber Kaiſerliche Schenkungsbriefə forderte man,
daß die Partheien die Originalien produciren mußten,
und ſo machte man ſich nach und nach die Kopialbuͤcher,
die jetzt ſchon eine betraͤchtliche Menge ausmachen. Von
ihm fuhr ich ins
Examen
[508]
Examen in der Kaiſerl. Normalſchule. — Sie
hat ſchoͤne groſſe Saͤle, und man ſieht, daß es Lehrern
und Vorſtehern ein Ernſt ſeyn ſoll. Die Schule war
ſehr zahlreich. Die Kinder ſitzen einander gegenuͤber, in
immer hoͤhern Baͤnken. Am Ende fragt man ſie, ob
ſie ſich wollen um des Studirens willen fuͤr die lateini-
ſche Klaſſen examiniren laſſen, oder nicht? Der Ober-
aufſeher hatte das Regiſter in der Hand, und rief im-
mer zu jeder Frage den Antwortenden, auſſer der Ord-
nung ſelber auf. Die Schuͤler geben ſo lange und weitlaͤuf-
tige Antworten, daß es beinahe dem blos Auswendig-
gelernten gleich kommt. Die Lehrer ſind alle Geiſtliche,
Exjeſuiten ꝛc. Die Kompendien fuͤr die Normalſchule
ſind bekannt. Ich hoͤrte uͤber Religion und bibliſche
Geſchichte examiniren *). Ganz Katholiſches kam da-
bei nicht vor, im Gegentheil wurden die Beweiſe fuͤr das
Daſeyn Gottes bei Roͤm. I, 21. beſſer entwickelt, und
ſcheinen im Lehrbuche beſſer angegeben zu ſeyn, als bei
uns. Auch einige Damen waren da, doch nicht mehr
als 3-4. von Stande. Ich machte hier Bekanntſchaft
mit dem Vorſteher der Schule fuͤr die Arabiſche, Per-
ſiſche, Griechiſche und andre Sprachen, wo die jungen
Leute in dieſen Sprachen nicht um der Bibel willen, ſondern
wegen des Gebrauchs, den der Kaiſer in Geſchaͤften mit
jenen Voͤlkern von ihnen macht, unterrichtet werden.
Dieſer Vorſteher wohnt in dem naͤmlichen Hauſe, dem
ehemaligen Jeſuiterkollegium, war aber auch hier nur
als Zuhoͤrer.
Bemer-
[509]
Bemerkungen.
Geſtern und heute ſah ich Prozeſſionen durch die
Stadt ziehen mit Sang und Klang. Heute war fruͤh
um 7. Uhr das Kreuzfahren, oder ſo etwas; da ging
der Kardinal Migazzi in ſeiner ganzen rothen Kardinals-
kleidung ſelbſt mit. Der Kaiſer hat zwar auch viel da-
von abgeſchaft, z. B. die Bruͤderſchaften duͤrfen nicht
mehr prozeſſioniren; ferner werden nicht mehr ſo viele ge-
halten als vorher, drittens duͤrfen ſie dabei die Gaſſen
nicht mehr ſperren, wie ehemals. Sie muͤſſen ſich jetzt
gefallen laſſen, daß man durch ſie durchgeht und faͤhrt.
Die verſtorbene Kaiſerin, die man fuͤr eine bigotte
Dame ausſchrie, gab der katholiſchen Frau von Stock-
maier, als ſie ihren Lutheriſchen Gemahl heirathete,
dieſe Regel: „Plage ſie ihren Mann mit ihrer Religion
„nicht, fuͤhre ſie ſich lieber ſo auf, daß ihm ihre Reli-
„gion ſchaͤtzbar werde“ (1 Cor. VII.).
Faſt alle, auch die Geſcheuteſten, wenn man mit
ihnen von Religionsveraͤnderung ſpricht, ſehen den
Unterſchied zwiſchen Lutheriſch und Katholiſch fuͤr gar
klein an, ſagen, man koͤnne Gott und den Menſchen
uͤberall lieben, auf welche Weiſe aber einer glaube, daß
er Gott mehr Ehre anthue, Roſenkranz, Wallfahrten ꝛc.
das ſei ſehr gleichguͤltig. — Man ſei nicht ſchuldig nach
beſſerer Erkenntnis zu ſtreben, am ſicherſten bleibe man
in der Religion, worin man erzogen ſei ꝛc. Folgen von
dem abſcheulichen Vorurtheil, als waͤre Religion nur eine
ſpekulative Sache fuͤr den Verſtand, und nicht taͤgliches
Geſchaͤft des Lebens und des Herzens. Die vornehmen
Proteſtanten hier behandeln auch ihre Religion ſehr kaltſin-
nig und nachlaͤſſig. Eſſen, Trinken und Schauſpiele ſind
ihnen
[510] ihnen lieber als Gottes Wort. Man hat in manchen
Haͤuſern keine, oder aufs hoͤchſte eine, groſſe, dicke und
ſchwere Hausbibel, die niemand braucht. Vom Gebet
bei und nach Tiſche weis man auch nichts. Die Kinder-
erziehung iſt erbaͤrmlich; alberne Stubenmaͤdchen, die
den Kindern dummes Zeug vorſagen, behalten ſie unter
den Haͤnden in den beſten Jahren ꝛc.
Die Freßgewohnheit der Wiener geht unglaublich
weit. Sie bedaurens laut, auch Damen *), wenn ſie
nicht mehr eſſen koͤnnen, beklagen eine Koͤchin, die gut kocht,
weil ſie nicht noch 25. Jahr zu leben und zu kochen hat,
machen ſich wieder Appetit mit Burgunder, empfehlen
einander die Lebern oder andre fette Biſſen, freuen ſich
mit groſſem Geſchrei uͤber den Braten, wenn er herein-
kommt, geſtehen es den andern Tag ohne Umſtaͤnde,
daß ſie geſtern und ſchon vorgeſtern zu viel gegeſſen haben,
machen faſt an jedem Tiſche wieder einen Schmaus aus,
laſſen an jede Suppe, an jede Bruͤhe ſo vielerlei Sachen
thun, und eſſen uͤberhaupt ſo mancherlei durcheinander **),
daß es unmoͤglich geſund ſeyn kan. „Bei ihm ißt man
„ſehr gut“, das iſt ein groſſer Lobſpruch fuͤr ein Haus
in Wien. „Seine Diners ſind nicht beſonders, und
„der Kaffee iſt gar nichts nutz“, das iſt das Endurtheil,
das uͤber einen Mann geſprochen werden kan. Denn
redet
[511] redet gewis niemand mehr in der Geſellſchaft ein Wort
von dem Manne. Tantum ſumus, quantum edi-
mus et conſumimus, heißt es hier!
Blumauers Traveſtirung des 2ten Buchs der
Aeneis, des Virgils, im Michaelis- und Scar-
ronſchen Geſchmack wollte man hier fuͤr eine Satyre auf
den Pabſt halten. Ich fand aber keinen aͤhnlichen Zug
darin, und auch bei weitem nicht die leichte Laune des
verſtorbenen Michaelis, und ſeinen zaͤrtlichen Geſchmack
gar nicht. Der Dichter ſagt vom Aeneas, als er die
Frau verloren: „Seine Seufzer knallen“, und laͤßt ihn
endlich mit Verachtung von der verlornen Creuſa ſpre-
chen, ihn, der ſie immer ſo zaͤrtlich regrettirte!
Den 26ſten April.
Heute machte ich zuerſt bei Sr. Gnaden, dem ver-
ehrungswuͤrdigen Fuͤrſt von St. Blaſien, der eben auch
hier war, meine Aufwartung. Dieſer vortrefliche Praͤ-
lat bezeugte eine groſſe Freude, mich hier wieder zu ſehen,
und in ſeiner, des Hrn. von Mechel aus Baſel und
Hrn. Baron von Gemmingen Geſellſchaft beſah ich
drauf die Kaiſerl. Bildergallerie in Belvedere*). Hr.
von Mechel hat ſie in Ordnung gebracht, Namen,
Nummer und Namen des Malers dazu zeichnen laſſen. —
Eine Arbeit von 2. Jahren. Die erſte Ordnung ward
durch den Tod des Prinzen Karls in Bruͤſſel und andre
Erledigungen der Gemaͤlde in Maͤhren und Ungarn ver-
nichtet.
[512] nichtet. Man nahm uͤberall die beſten heraus. Jetzt
ſind im untern Stock 7. Zimmer mit Italiaͤniſchen
Gemaͤlden und 7. Zimmer mit Niederlaͤndiſchen ange-
fuͤllt. Im obern Stock haͤngt die deutſche Schule,
und zwar von Entſtehung der Oelmalerei an, von Jo-
hann von Eyck, der Chronologie nach, bis auf lebende
Maler. Beſondre Stuͤcke anzuzeigen, iſt hier unnoͤ-
thig, da Hr. von Mechel wirklich den Katalog davon
drucken laͤßt *). Aus der Franzoͤſiſchen Schule iſt
gar keins da.
Viele wollen behaupten, Hr. von Mechel habe
von manchem Stuͤcke einen unrechten Meiſter angegeben,
wie er denn uͤberhaupt ſehr gelobt, und von andern tief
herabgeſetzt wird. Freilich hat er mehr als ein groſſes
Zimmer voll Gemaͤlde von Rubens. Sollten nicht
manche nur Stuͤcke aus ſeiner Schule ſeyn?
Ein
[513]
Ein Abraham, der ſeinen geretteten Iſaak um-
armt; ein Vater, der ſeinen verlornen Sohn wieder
aufnimmt; einige Naturſtuͤcke fallen mir noch jetzt als
beſonders ſchoͤn bei. Auch ein durch ein Fenſter ſchau-
ender Kopf betrog den Fuͤrſten von St. Blaſien ſo, daß
er an die Fenſterrahmen greifen wollte.
Das Thereſianum. — In dieſes ſchoͤne Gebaͤude
fuhren wir, als der Fuͤrſt weggegangen war, um den Hrn.
Rath Denis zu ſprechen. Er ſprach gleich viel von
Klopſtocks ſonderbarer Ode uͤber Pabſt und Kaiſer,
und wie er ſie doch zweimahl an verſchiedene Leute geſchickt
haͤtte, um ſie dem Kaiſer zu zeigen, wenn man anders
glaubte, daß ſich keine Seele in Wien daruͤber aͤr-
gerte; und doch nennt er den Pabſt den Obermoͤnch,
die Engelsburg die Teufelsburg ꝛc. Denis zeigte uns
ſein neues Werk uͤber die aͤlteſten gedruckten Buͤcher,
in der Garellſchen Bibliothek *). Ueber den 6. Kreu-
zer Brochuͤren blieb das Werk laut des Datums in der
Vorrede lange im Laden liegen. Man irrt ſich, wenn
man es als eine Fortſetzung der Buͤcherkunde von De-
nis anſieht, es iſt ein eigenes Werk. Dafuͤr bekam er
auch nichts vom Wiener Buchhaͤndler. Aus dem 15ten
Jahrhundert ſelber iſt nichts mehr da.
Hinten
Zweiter Theil. K k
[514]
Hinten wo die Saͤaͤle aufhoͤren, iſt ein Lektuͤre-
kabinet, darin haͤngt eine Handzeichnung, vom jetzi-
gen Kaiſer verfertigt als er jung war, zur Erweckung des
Fleiſſes der jungen hier ſtudirenden Kavaliere. Es iſt
ein Stuͤck von einer Feſtung, mit Wall, Graben, Ba-
ſtionen ꝛc. Die Materien ſtehen in der Bibliothek eben
nicht in der ſchoͤnſten Ordnung beiſammen; nur nach
dem zu urtheilen, was der Bibliothekar ſelbſt ſagte.
Vom Celtes ꝛc. ward einiges vorgezeigt, man war aber
wirklich am Abputzen.
Nachmittags beſah ich des Fuͤrſten Kaunitz Gar-
ten und Landhaus in Mariahuͤlf. Man ſieht da eine
herrliche Sammlung von Gemaͤlden in allen Zimmern.
Desgleichen niedliche thoͤnerne Oefen von allerlei Facons,
die in dieſer Vorſtadt gemacht werden.
Auch Wandmalerei von Waſſer- und Oelfarben,
Thuͤrſtuͤcke ꝛc. Auf dergleichen Malereien verſtehen ſich
die Wiener vortreflich. Herrliche Schreibpulte ſtan-
den auch hier und da mit neuem Mechaniſmus. Im
Kompagnieſaal genießt man eine praͤchtige Ausſicht auf
einen groſſen Halbzirkel der Stadt.
Der groſſe Miniſter ſoll viel Beſonderheiten haben.
Er haͤlt Mittagstafel um 6, und invitirt Leute dazu, trinkt
doch den Tag durch nur 2. Taſſen Chokolade, und will
die ganze Zeit fuͤr ſich haben. Sein Pallaſt in der Stadt
ſteht Tag und Nacht allen offen, die ihm einmahl auf-
gefuͤhrt ſind. Da kan man zu allen Stunden hingehen,
und alle Arten von Spiel haben. Seine Gemahlin und
die Graͤſin Clary empfangen beſtaͤndig die Geſellſchaft.
Oft kommt der Miniſter nach dem Eſſen zum Billard,
er ſieht dabei zu, und unterſchreibt die Depeſchen, die
ihm
[515] ihm die Sekretaͤrs Stoßweiſe bringen. Er ſchaͤtzt ſehr
Leute, von denen er glaubt, daß ſie Verdienſte haben;
mit vielen hundert andern Edelleuten, deren Namen ihm
genannt worden ſind, und die ſich des Zutritts in ſeinem
Hauſe auf obige Art ruͤhmen, hat er noch nie ein Wort
geſprochen. Den regierenden Kaiſer hat er, ſeitdem er
allein regiert, nur ein einzigesmahl beſucht: der Kai-
ſer koͤmmt aber zu ihm. Zur hoͤchſtſel. Kaiſerin fuhr er
oft. Er iſt faſt immer nur im Ueberrock, und wechſelt
dieſen gar oft in. Einem Tage, waͤrmere, duͤnnere, dicke-
re, je nachdem er eine Senſation hat. Das thut er
auch waͤhrend dem Eſſen, er thuts in Gegenwart des
Kaiſers ſogar. Er iſt 70. Jahr alt, und reitet noch
taͤglich zwiſchen 3-4. Uhr auf ſeiner Reitſchule. Heute
ritt er nur Ein Pferd, daruͤber wunderten ſich die Be-
dienten, dann faͤhrt er nach der Stadt, und da begegne-
te er uns in einem vierſpaͤnnigen Wagen. In Maͤhren
hat er eine Herrſchaft, die auch abgemalt in ſeinem Land-
hauſe haͤngt. Dort haͤngt er auch ſelbſt in der praͤchti-
gen rothen Ordenskleidung vom goldenen Vlies abgemalt.
Zwiſchen den Vorſtaͤdten und der Stadt wuͤtete heu-
te fruͤh ein ſolcher Sturmwind, daß man im Wagen
hinter den Glaͤſern vor dem Staube nicht ſicher war. Er
wirft hier oft ganze Wagen um.
Bemerkungen.
Hier werden beſonders gute Feuerſpruͤtzen gemacht,
der Fuͤrſt von St. Blaſien bekuͤmmerte ſich auch darum.
Heute aſſen wir den erſten Spargel, aber turio-
nes exciſos, und kalt und trocken ohne Bruͤhe.
K k 2Den
[516]
Den 27ſten April.
Heute war mein Erſtes, das Kaiſerliche Begraͤb-
nis in der Kapuzinerkirche zu beſuchen. Die Kirche
und die Gruft haben gar nichts beſonders. Man geht
in der Kirche linker Hand eine Treppe hinab, und findet
nicht ſehr tief — das Tages Licht macht noch ziemlich
helle — einen Gang, zu deſſen beiden Seiten die Kai-
ſerlichen und Erzherzogl. Leichen meiſtens in kupfernen
Saͤrgen, deren Deckel mit allerlei Figuren gezeichnet
ſind, hinter eiſernen Gittern liegen. In der Mitte ſteht
das noch zu Lebzeiten erbauete Grabmahl der Kaiſerin
Mar. Ther. Ein Altar zum Meßleſen iſt auch da,
und hinter dieſem erblickt man in der Mitte eine groſſe
weibliche Figur, zu beiden Seiten weinende Statuen
mit kleinen Genien darzwiſchen. — So viel konnte ich
ſehen, weil eben Meſſe vor dem Altar von einem Kapu-
ziner geleſen wurde, um derentwillen auch einige ſehr An-
daͤchtige hinabgeſtiegen waren, und auf den kalten Stei-
nen vor dem eiſernen Gitter knieten. — In der That,
das Herz wird ſehr empfindlich angegriffen, wenn man
den erbaͤrmlichen, lateiniſchen, unverſtaͤndlichen, troſt-
loſen und Geberdevollen Gottesdienſt, der doch das
vornehmſte Stuͤck der Roͤmiſchen Gottſeligkeit ausmacht,
zuweilen in der Naͤhe ſieht. Warum muß denn der
Kirchenbediente dem Pfaffen das Kleid kuͤſſen, wenn er
das Sakrament zurichtet? Warum hat man doch aus
der ſimpeln, ſchoͤnen, ruͤhrenden, liebevollen Handlung
Jeſu Chriſti ſo ein wunderbares Spiel gemacht, worzu
hunderterlei Stellungen und Verbeugungen des Koͤrpers
gehoͤren, die man lange lernen und mit vieler Muͤhe ſich
angewoͤhnen muß. Traurig und wie von Gott verlaſſen
ſteht das arme Volk der Chriſten da herum, ſieht dem
Wunder-
[517] Wundermann zu, meint es bekomme Kraft und Segen
und betet ſich faſt heiſer nach den hoͤlzernen Kugeln ſeines
Roſenkranzes!
Von da ging ich ins Lektuͤrekabinet des Hrn. von
Trattners. Wer ſich darin abonnirt, zahlt monatlich 2.
Gulden, ein Fremder gibt fuͤr einmahl 7. Kreuzer. Man
findet eine Laſt Zeitungen, und eine ganz artige Biblio-
thek aus allen Faͤchern. Von 8. Uhr fruͤh bis 8. Uhr
Abends ſteht das Kabinet offen.
Drauf machte ich eine Spazierfahrt nach Nußdorf.
Im Wirthshauſe ſchmeckte es den Bauern, die Holz
gefuͤhrt hatten, ganz ungemein. Viele kommen oft ſo
zuſammen, daß ſie nicht alle mit einander auf den Vor-
rathsplaͤtzen abladen koͤnnen, und daher lange vor der
Stadt halten muͤſſen.
Bemerkungen.
Des Pabſts Gegenwart hat die Proteſtanten in
der Verachtung des Roͤmiſchen Gottesdienſts beſtaͤrkt.
Die Katholicken ſchlieſſen aus den aͤuſſerlichen Ehrenbe-
zeigungen, die ihm der Kaiſer anthat, daß wieder Ruhe
in ihrer Kirche ſeyn werde, und ſind in Ceremonien wie-
der eifriger, als vorher. Die Feinde und Spoͤtter der
wahren Religion haben ihren Koͤcher mit neuen, ſpitzigen
Pfeilen gefuͤllt. — Warum kam er denn?
Man ſieht erbaͤrmliche Malereien von Verdamm-
ten in der Hoͤlle. — Schreiende Menſchengeſichter
zwiſchen rothen Flammen, mit der Unterſchrift: „Er-
„barmt euch uͤber mich“! Schlieſſe man daraus auf den
ganz unbrauchbaren Unterricht der faulen Pfaffen, auf
ihre Beweggruͤnde zur Tugend, auf ihre Empfehlungen
K k 3der
[518] der chriſtlichen Gottſeligkeit. Sehr begreiflich, daß die,
welche ſich des unvernuͤnftigen Gottesdienſtes ſchaͤmen,
und in Geſellſchaften als Eſprits forts glaͤnzen wollen,
weil ſie gar nichts beſſers kennen und wiſſen, in gaͤnz-
liche Irreligion und Profanitaͤt verfallen. Eine Den-
kungsart, die jetzt durch die misverſtandene wechſelſeitige
Toleranz von beiden Partheien, leider! ſehr befoͤrdert
wird, und in gaͤnzliche Religionsgleichguͤltigkeit uͤbergeht.
Geſcheute Leute ſind gleich mit der Antwort fertig: „Ich
„glaube im Herzen die chriſtliche Religion, wie ſie in
„der Bibel ſteht“. Aber auch die weſentlichen und
Hauptgrundſaͤtze der chriſtlichen Religion rechnen ſie zur
Schultheologie und zu beſondern Meinungen der kirchli-
chen Partheien. So weit waͤre es nicht gekommen, wenn
das klare Wort Gottes ſelber mehr in den Haͤnden der
Chriſten geblieben waͤre. Man redet nicht genug Got-
tes Wort, und menſchliche Weisheit veredelt die Gemuͤ-
ther nicht, ſie zwingt nicht einmahl die Gewiſſen, ſie
haͤlt nicht einmahl grobe Ausbruͤche der menſchlichen Lei-
denſchaften zuruͤck, wie man in unſern Tagen klar an
Genf ſehen kan.
Wer hier nur 5 — 6000. Gulden zu verzehren hat,
macht noch wenig Figur. Acht bis zehntauſend koſtet
hier manche vornehme Haushaltung ohne die Kleidung
der Herrſchaft und Kinder. Eilf bis zwoͤlf Gulden hat
ein Kutſcher monatlich, 14 — 15. Gulden ein Bedienter,
70. Gulden jaͤhrlich die Koͤchin, 25-40. Gulden das
erſte und das zweite Stubenmaͤdchen. — 24. Groſchen
koſtet wirklich die Metze Haber auf dem Markte, im
Sommer gibt man dem Kutſchpferde, weil es ſtaͤrker ge-
braucht wird als im Winter, mehr als Eine Metze Ha-
ber ꝛc.
[519] ber ꝛc. Aus Ungarn und Oeſterreich koͤmmt der meiſte.
Die Klafter Holz koſtet 8. Gulden. Hr. von Stock-
maier’s Kuͤche frißt alle Woche 1. Klafter Holz; im
Winter hat man oft 14 — 15. Oefen bis nach Mitternacht
zu feuern, daher die Holzzufuhren gar nicht auf hoͤren ꝛc.
Kaffee und Zucker koͤmmt in manchem Hauſe uͤber 500.
Gulden jaͤhrlich zu ſtehen. Faſt jedem Sohne wird von
fruͤher Jugend an ein eigener Hofmeiſter gehalten.
Vier, fuͤnf Bedienten ſtehen auf mancher Kutſche hin-
ten auf. Auſſer dem Hausknecht und den Kutſchern iſt
in manchen Haͤuſern unten noch ein alter Mann, der
Hausmeiſter genannt, der nur auf- und zumacht, den
Fremden und Bedienten die Treppe zeigt ꝛc.
Die Groſſen in Wien ſind ſo ſtolz, daß ſie auf die
untere Klaſſe der Menſchen kaum herabſehen. Eine Edel-
dame behauptete ganz ernſtlich gegen mich, man ſollte
keinen gemeinen Menſchen leſen und ſchreiben lernen, er
wuͤrde gleich inſolent. Vielleicht weil viele Adeliche im
Lernen nicht ſo weit gekommen ſind! — Ich hielt ihr end-
lich unſer ganzes Land entgegen. Eine andre adeliche
Frau gab einer Bedienten Frau, die mit ſchwangern Lei-
be um Allmoſen bat, und die Zahl ihrer Kinder vorſchuͤtz-
te, laut zur Antwort: „Warum laßt ihr euch ſo viele
„Kinder machen“? Und wenige Tage vorher hatte ſie
mir geklagt, daß ſie viele Kinder ſchnell hinter einander
bekommen, und wahrſcheinlich noch nicht fertig ſei! Ich
hoͤrte ſelber Adeliche vom adelichen Vieh in Wien
ſprechen, und der Ausdruck ſcheint bei vielen nicht uͤber-
trieben zu ſeyn.
Bei des Kaiſers liebenswuͤrdiger Menſchenfreund-
lichkeit, beſonders wenn er bei einigen Damen ganz als
K k 4Privat-
[520] Privatmann in Geſellſchaft iſt, wuͤnſcht mancher, daß
fuͤr die Brutalen unter den deutſchen Fuͤrſten eine eigene
Fuͤrſtenhoͤlle ſeyn moͤchte! —
Der gemeine Soldat wird hier ſehr wohl gehalten,
und ſieht auch meiſtens ſehr gut aus. Nach Abzug aller
ſeiner nothwendigen Beduͤrfniſſe bleiben ihm des Tags
noch 2. Kreuzer uͤbrig. Auf der Wache hat er einen
grauen Kittel, den er anziehen darf, ſobald nur kalte
Luft weht, und der weit uͤber die dadurch beſchuͤtzten Knie
herabgeht. Ueberhaupt iſt die Kleidung nicht ſo eng
und klein zugeſchnitten, als die Preuſſiſche.
Man ruͤhmt in ganz Deutſchland beſonders die
Wiener Schuhe fuͤr Maͤnner und Weiber, auch Pan-
toffeln, Stiefeln ꝛc. weil hier viel ungariſches und orienta-
liſches Leder verarbeitet wird. Viele Damen aus Stutt-
gard und andern Staͤdten im Reich, haben immer ei-
nen Schuh hier bei einer Freundin, der zum Muſter
dient. Jetzt tragen die Damen lauter weiſſe oder graue;
roſenfarbne iſt jetzt die Mode der Bedientinnen.
Am Faſttage hatten wir eine Suppe von lauter
Fiſchrogen, wahrſcheinlich Karpfenrogen mit nur weni-
gem Brode darin.
Den 28ſten April.
Heute wartete ich in der Daͤniſchen Geſandſchafts-
kapelle den Gottesdienſt ab. Es iſt nur ein Saal in
der Wohnung des Geſandten, des Hrn. von Vierecks. —
Man ſingt auch aus einem Nuͤrnberger Geſangbuche, —
vermuthlich weil viele Proteſtanten, Kaufleute, Fabri-
kanten, Profeſſioniſten ꝛc. Nuͤrnberger ſind; — doch
iſt hinten an dieſem Buche eine Centurie von eigenen Lie-
dern
[521] dern mit dem Titel: „Fuͤr die hieſige Daͤniſche Geſand-
„ſchaftskirche“, angebunden. Faſt jedem geben die
Meßner ein Liederbuch, das man hernach auf dem Stuh-
le liegen laͤßt; daher ſind alle numerirt und ſignirt. Die
Orgel iſt ein kleines Poſitivchen, die Kanzel aber doch
mehr Kanzel als in der Schwediſchen Geſandſchaftska-
pelle. Man ſingt auch genug in dieſer Kirche; erſt ein
allgemeines Loblied, hernach folgt ein Gebet, darauf ein
ganzes andres Lied, und ununterbrochen nach dieſem:
Herr Jeſu Chriſt dich zu uns wend ꝛc. Darauf ward
das Evangelium verleſen, das Vater Unſer laut gebetet,
aber ziemlich ſchnappelnd, und darauf von Hrn. Eckhof
uͤber die Epiſtel Jak. I, 17. gepredigt. Der Text ward
gar nicht erklaͤrt, auch manches falſch angenommen.
z. B. Schnell zu hoͤren, langſam zu reden. Kurz, es
ward eine allgemeine moraliſche Rede: Ueber die Pflicht
der Chriſten gegen ihren Wohlthaͤter — gehalten.
Daß Gott an der Suͤnde nicht Schuld habe, ward weit-
laͤuftig behauptet, doch von der Reparat. damni per
J. Ch. wenig, und nur mit allgemeinen Worten erin-
nert. Der Redner hatte viel Anſtand, war aber doch
ſteif, faſt ohne alle Geſtus, und im Vortrage langſam,
langweilig, wortſchweifig. Er preßte oft einen Gedan-
ken und zerrte ihn ſo lange herum, bis faſt kein Saft
mehr darin war. Auch ging er nicht genug ad ſpecia-
lia, als gezeigt werden ſollte, daß auch Ehre, irrdi-
ſches Gluͤck und Anſehn von Gott komme. Im zwei-
ten Theile wurden die Pflichten gegen dieſen Wohlthaͤ-
ter kaum genannt; wegen der verſtrichenen Zeit war die-
ſer gar kurz, und ward ohne alle Ordnung mit Verſen
angefangen und beſchloſſen. Nachher ſang man wieder
ein ganzes Lied. Unſchicklich iſt es, daß viele, ſonder-
K k 5lich
[522] lich vornehme Damen und Herren erſt kommen, wenn
das zweite Lied bald zu Ende iſt. Weil alles auf Stuͤh-
len ſitzt, die man hin nnd her traͤgt; ſo gibt das auch viel
Unordnung.
Ehemals hielten ſich mehrere Proteſtanten zur Daͤ-
niſchen als zur Schwediſchen Kapelle. Chemnitzens
Nachfolger, Burkhardi, ein ſchlechter Mann, um
deſſen Abrufung die Kaiſerin in Kopenhagen ſelbſt Vor-
ſtellungen that, verdarb es aber. Es ſcheint auch, daß
wohl nach Suck’s Tode kein Schwediſcher Geſand-
ſchaftsprediger mehr angeſtellt werden duͤrfte. Man kan
hier immer an die 6000. Proteſtanten rechnen. Sie ha-
ben aber gar keine Aelteſten, keinen Ausſchuß, keine Re-
praſentanten, jeder geht, wohin er will, und thut was
er will. Nun wuͤnſchen die Geſcheutern unter ihnen,
eine eigene Kirche zu bauen, moͤchten gerne 2. Prediger,
eine Knaben- und eine Maͤdchenſchule haben, wollten
entweder bauen, oder ein leer gewordenes Kloſter darzu
kaufen, und wuͤrden in Engelland und in allen prote-
ſtantiſchen Laͤndern kollektiren *). Sie machen jetzt ſchon
einen Ueberſchlag von 50,000. Gulden, und rechuen auf
hieſige Stadt aufs hoͤchſte 10,000. Gulden. Sie wuͤr-
den die Legata zu proteſtantiſchen Kirchen, die jetzt halb
bei der Daͤniſchen, halb bei der Schwediſchen Ka-
pelle liegen, dazu reklamiren, hoffen auch, daß vielleicht
die beiden Kronen, um ihre Kapellen zu erſparen, leicht
etwas
[523] etwas jaͤhrlich oder zum Kapital hergeben wuͤrden. Sie
wollten dann den Oberpfarrer recht gut ſetzen ꝛc. Nur
haͤlt es ſchwer, ſo viele Koͤpfe unter Einen Hut zu brin-
gen, um einmal die Sache anzufangen. Die 6. pro-
teſtantiſchen Reichshofraͤthe und andre Vornehme
helfen gar nicht dazu, und ſind die erſten, welche die Zwei-
fel rege machen: Wer weis, wie lange der Kaiſer lebt?
Wie der Nachfolger denkt? Ob man uns laͤßt, was
man uns jetzt gibt? ꝛc. Um des Kinderunterrichts wil-
len wuͤnſchens viele, denn man bekoͤmmt ſchlechte Leute zu
Hauslehrern, und ſie ſind theuer.
Mittags ſpeiſte ich beim Kaufmann Hr. Wucherer,
in Hr. Hartmanns und Hr. Meuſels von Nuͤrn-
berg Geſellſchaft, und beſah dann Nachmittags das
Kaiſerl. Zeughaus. — Man unterſcheidet es vom
buͤrgerlichen Stadtzeughauſe. Fremden Geſellſchaften
wird es auch am Sonntage gegen ein Billet gezeigt. Auſ-
ſer der unendlichen Menge Gewehre ſieht man im Hofe
viele Kanonen, Bomben, Moͤrſer ꝛc. und an den lan-
gen Waͤnden herum haͤngt die ſchreckliche Kette, womit
in der Tuͤrkenbelagerung 1683. die Donau geſperrt war.
Ihrer ſchrecklichen Laͤnge ungeachtet beſteht ſie nur aus
2. Stuͤcken, wiegt aber viele Zentner. — Oben ſind
viele Tuͤrkiſche Roßſchweife von Baſſa’s, auch mit dem
Mond aus Hoͤrnern. Man zeigt hier ferner den Kollar,
den Guſtaph Adolph in der Schlacht bei Luͤtzen ange-
habt haben ſoll, aus Elennshaut, — Kanonen mit ge-
zogenen Laͤufen, die erſtaunend weit ſchieſſen. — Eini-
ge Zeichnungen vom Kaiſer KarlVI. ſelber. — Sehr
leichte doppelte Flinten. — Panzer, von FriedrichI.
Barbaroſſa. — Panzer, wo das ganze Pferd bedeckt
war.
[524] war. — Aber die ganze Anordnung hier iſt in Nuͤrn-
berger Geſchmack, buntſcheckig, ſpieleriſch. An der
ganzen Decke aller der langen und weiten Saͤle ſind ſpa-
niſche und jetzige Degen, Bajonets, Saͤbel, Hellebar-
ten, Spieſſe ꝛc. *) ſo rangirt, daß daraus Sonnen, Mon-
de, Sterne, Kronen, Ringe, Regenbogen, doppelte
Adler, Wappen, Muͤnzen, Schilder ꝛc. entſtehen, die
ein gar poſſirliches Anſehn haben. Es ſchimmert und
flimmert nicht anders als in einer Galanteriebude. Ne-
ben den Gewehren hat man auch Figuren aus Gewehren
zuſammengeſetzt, die Europa, Aſia, Afrika ꝛc. vor-
ſtellen ſollen. Man kan ſich des Lachens nicht enthalten,
und die Demonſtratores zeigens mit der Mine der groͤ-
ſten Wichtigkeit, und ſind froh, daß ſie einmahl ſo ſchoͤ-
ne Werke zu Stande gebracht haben.
Bemerkungen.
Ich mag nicht — heißt in dieſem Lande: Ich
kan nicht. Ein Offizier in Steiermark wußte das
nicht, und haͤtte einen Rekruten, der ſich beim Exerziren
immer ſo entſchuldigte, beinahe todt pruͤgeln laſſen.
Den Wermuthwein, den man hier trinkt, macht
man gleich im Herbſte mit Moſt. Man wirft Wermuth
und noch viele andre Kraͤuter zerſchnitten in das Faß, und
laͤßt ſie immer darin liegen. Die Leute in Oedenburg
verkaufen das Paket ſolcher Kraͤuter, machen aber ein
Geheimniß daraus. Man hat auch einen Tockaier
Wermuth, d. h. vom Tockaierwein. Die Bouteille
koſtet 2. Kaiſergulden.
Den
[525]
Den 29ſten April.
Heute war mein Erſtes, daß ich beim Hrn. Kano-
nikus Stuͤz einen Beſuch ablegte. Er hat verſchiedenes
zur Naturgeſchichte von Oeſterreich in den Prager Ab-
handl. Th. I-V. geſchrieben, ein kleines — aber nicht
vollſtaͤndiges — Kabinet, meiſt aus Landprodukten ge-
ſammelt, ſich ſyſtematiſche Kenntniſſe, und auch in poe-
tiſchen Stuͤcken einigen Ruhm erworben. Ich fand in
ſeinem Kabinet merkwuͤrdig:
- 1) Sehr viele Quarze, Spate, und ſchoͤne Eiſenſtuffen.
- 2) Chalcedonier, wieder in Porzellanerde verwittert,
vom Huͤttenberg in Kaͤrnthen. - 3) Cylindriſche Quarze, artige Saͤulen herabhaͤngend.
- 4) Quarze mit eingeſchnittenen Ecken, ſtatt, daß ſie
ſonſt bei allen herausſtehen. — An einigen ſah man’s
und fuͤhlte es deutlich mit dem Finger, doch erkann-
ten meine Augen auch nicht wenige Stuͤcke an der Dru-
ſe, deren Spitzen die gehoͤrige Schaͤrfe und Richtung
hatten. Wiederum wie Nr. 3. eben daher, wo Nr. 2. - 5) Antimon. plumoſum auf Eiſenſtein, auch aus
Kaͤrnthen. - 6) Ein Eiſenſtein in der Mitte mit dem ſchoͤnſten Sar-
donyx. - 7) Bleiſpiegel. — Man kan ſich wirklich darin ſehen,
und iſt von Natur ſo. Kein Bleiglanz, ſondern auf
ſchieferigen Steinen ausgezogen. Von Villach in
Kaͤrnthen. - 8) Das ſogenannte Ferrum retractor., das 200. Loth
Silber haͤlt, von Windiſchleiten in Ungarn. - 9) Ein Achat aus Jamaika, deſſen Beſitzer Reihen-
weiſe erzaͤhlt worden. Mit dunkeln Farben, und un-
kennlicher
[526] kenntlicher Zeichnung; da ſind die Europaͤiſchen
ſchoͤner. - 10) Ein geſchliffener Rubin, der wie eine Aſteria aus-
ſieht. — Es thun es keine, als die ſo achteckigt ſind.
Ich erhielt zum Andenken vom Hrn. Kanonikus,
als er um 9. Uhr in den Chor mußte, von ihm Opale
und Weltaugen in der Mutter ꝛc. zum Geſchenke.
Von da ging ich wieder auf die Kaiſerliche Biblio-
thek, und dann beſuchte ich den
Hrn. Direktor Wolf an der Realſchule. Man
unterſcheidet dieſe von der Normalſchule, und nimmt kei-
ne junge Leute, als die ſchon 15-16. ꝛc. Jahr alt ſind,
auf, daher von der Religion gar nichts gelehrt wird, ſon-
dern blos die zum Kaufmann, Kuͤnſtler und Profeſſioni-
ſten noͤthigen Huͤlfskenntniſſe. Es ſind 2. Klaſſen; an
jeder ſind mehrere Lehrer, und 50-60. junge Leute in jeder:
der Curſus waͤhrt 2. Jahr, die meiſten kommen hernach
zur Handlung nach Trieſte ꝛc. In der untern Klaſſe
hat der Direktor keine eigene Lehrſtunde, an der obern
aber alle Tage Eine. Aus der untern wurde heute,
auch hier, ſehr uͤber Verſaͤumniſſe von einem Lehrer ge-
klagt, es waͤren kaum 6. da geweſen, als er kam.
Hr. Wolf freute ſich ſehr, als ich ihm ſagte, daß ich ſei-
nen Sohn in Halle geſprochen, und wuͤnſchte, daß er
alle Klaſſen auf dem Waiſenhauſe durchlaufen moͤchte,
denn das ſei die beſte Schule in ganz Europa; er erkun-
digte ſich nach meinen Eltern und Bruͤdern, und meinte,
er waͤre ſchon lange todt, wenn er laͤnger in dem ungeſun-
den Loͤrrach geblieben waͤre. Er habe ſeinen Sohn
jung verlangt, gewis nicht um ihn Katholiſch zu machen,
„denn,
[527] „denn,“ ſagte er, „bis ich ihm die Gruͤnde, die mich
„darzu bewogen, haͤtte beibringen koͤnnen, haͤtte er erſt
„muͤſſen Mann ſeyn, Theologie und Philoſophie ſtudi-
„ren“ — „Und hernach falſche Schluͤſſe daraus zie-
„hen,“ antwortete ich, und brach die Unterredung ab.
Er haͤtte, ſagte er, auch immer Hofnung gehabt, mich
zu ſehen, denn Jemand, der mich in Berlin geſprochen,
haͤtte ihm von mir geſagt. Caeterum ſecum con-
tentus ſeneſcere videtur.
Heute wars wieder ſo kalt und unfreundlich, daß
man bald anfing, wieder einzuheizen. Auf den Ber-
gen lag Schnee.
Heute begegnete mir auch Hr. Dr. Ingenhouß
auf der Straſſe. Er war in einem ſchwarzen Kleide,
und trug einen ſilbernen Degen und einen Stock, den er
horizontal hielt, gegen deſſen Laͤnge Goliaths Spies klein
war. Ein ſingulaͤrer Hollaͤnder! Als er ins Stock-
maierſche Haus zog, wollte er gleich einen Gewitterab-
leiter im Hauſe anbringen. Hr. v. Muͤhlen, der Han-
noͤveriſche Agent, urtheite von ſeinem Buche uͤber die
Pflanzen, „er mache einen ſo furchtſam, daß man zuletzt
„nicht wiſſe, wo man den Fuß in der Natur hinſetzen
„ſolle.“
Den Abend brachte ich groͤſtentheils beim guten und
kranken Hrn. Prediger Suck und ſeinen 2. Toͤchtern zu.
Bemerkungen.
Man verkauſt hier den Pabſt erbaͤrmlich in Kupfer
geſtochen fuͤr 1. Kreuzer. Alte Troͤdelweiber rufen ihn
in der Stadt aus, und die Marktbauern kaufen ihn, wie
warme Semmeln.
Wenn
[528]
Wenn ich mit dem Wiener Getuͤmmel den Laͤrm
auf den Pariſer Straſſen vergleiche, ſo bemerke ich zum
Ruhm der hieſigen Einwohner, daß das ſchreckliche Schwoͤ-
ren und Fluchen nicht Mode iſt. Man hoͤrt es auch
von Kutſchern und Stallknechten hier nicht. Wenn
man lange zum Fenſter hinausſieht, hoͤrt man auch im
Gedraͤnge ſelten eine unanſtaͤndige Rede. Ueberhaupt
geht jeder ſtill ſeinen deutſchen Gang weg, und man tril-
lert nicht beſtaͤndig, wie die Franzoſen. Wo nicht ge-
fahren wird, da iſt auch da, wo viele Kramladen ſtehen,
faſt gar kein Getuͤmmel. Das iſt der Unterſchied des
Karakters in der Nation.
Die Groſſen und Reichen, die gar kein Amt und
keine Geſchaͤfte haben, wollen faſt vor Langerweile
ſterben, wenn ſie nicht des Wetters wegen um 12. Uhr
herumlaufen koͤnnen, und koͤnnen den Abend kaum erwar-
ten, wo das ewige Spiel die Zeit toͤdtet. Als es hies,
daß die Hazardſpiele wieder erlaubt werden ſollten,
freuten ſich ſchon viele Leute darauf, und vertheidigten ſie
damit, „das Geld bleibe ja im Staat, es gehe nur aus
„einer Hand in die andre ꝛc.“
Wirthe, die fuͤr das Recht, ein Kaffeehaus zu
halten, viel an die Obrigkeit und viel an den Eigenthuͤ-
mer des Hauſes bezahlen muͤſſen, werden doch reich, wenn
ſie unten 2-3. Billards, und oben Lombertiſche halten.
Die Billards ſtehn meiſt Tag und Nacht nicht leer. Am
Tage koſtet die Parthie 4, Nachts 7. Kreuzer, daher
man ein Billard des Tags leicht auf 15. Gulden rechnen
kan. — Es ſind Haͤuſer in der Stadt von der Art, wo
den ganzen Tag durch kein Menſch hingeht, aber Nachts
um 10. Uhr faͤngt das Spiel an. Erſtaunend iſts, was
mancher,
[529] mancher, der die Karten zum Lombre hergibt, taͤglich
einnimmt.
Den 30ſten April.
Den Vormittag brachte ich in der
Leoniſchen Dratzugfabrik in einer Vorſtadt von
Wien zu. Sie hat einige Privilegien, und wird mit
Recht fuͤr ſo ſchoͤn gehalten, daß ſie der Kaiſer ſelbſt dem
Grosfuͤrſten und der Grosfuͤrſtin von Rußland zeigte.
Ehemals gehoͤrte ſie einem Kaufmann Sonnenleitner,
der jetzt ein alter Mann iſt. Unter ihm gerieth ſie aber
in Verfall, und ſtand lange unter Adminiſtration. Viel-
leicht wuͤrden die Adminiſtratoren ſie zuletzt ſelbſt an ſich
geriſſen haben, haͤtte ſich der Eigenthuͤmer nicht an Hrn.
Wucherer gewendet, der eben damahls etwas Eigenes
anfangen wollte. Bis in Junius ſteht ſie nun Ein Jahr
unter deſſen Aufſicht, beſchaͤftigt ungefaͤhr 250. Menſchen,
und ſcheint bei dieſer Veraͤnderung gewonnen zu haben.
Das Kupfer zum Drat kommt aus Steiermark, Un-
gariſches koͤnnen ſie nicht brauchen. Jaͤhrlich braucht
man 350-400. Zentner davon. Es wird mit Holz-
kohlen in Paſſauer dreieckigten Tiegeln geſchmolzen,
wozu der Thon bereits aus einer gewaltigen Tiefe der
Erde heraufgebracht wird. Ich ſah Maſſeln gieſſen.
Ein halber Zentner Kupfer gibt 2. Maſſeln, und je-
de gibt unter dem Hammer 3. Stangen, oder Stuͤcke.
Dieſe Stuͤcke ſind zapfenfoͤrmig, hinten dicker als vor-
ne, etwa 2½. Spannen lang, und etwa 1½. Zoll im Durch-
meſſer. Die meiſten von dieſen Stuͤcken werden zu
Silberdrat beſtimmt. Dieſes Silber, womit ſie uͤber-
zogen werden, iſt feines Markſilber, und kommt von
Zweiter Theil. L lNuͤrn-
[530]Nuͤrnberg in duͤnngeſchlagenen Plaͤttchen. Man
braucht alle Monat 40. Mark. Die Stuͤcke werden
dreimahl uͤberlegt, einmahl kalt, und zweimahl nach-
dem ſie im Feuer geweſen ſind. Damit die erſten Sil-
berplaͤttchen auf den kalten Stuͤcken haften, wird das
Stuͤck Kupfer mit einer ſcharfen Feile auf der ganzen
Oberflaͤche aufgeraucht. Die davon abfallenden Ku-
pferſpaͤne ſammeln ſich unten in einem Becken, und
werden nachher wieder eingeſchmolzen, wo aller Schmutz
verbrennt. Wenn das Silber aufgetragen wird, ſo
wird das Stuͤck von 2. Maͤnnern, die gegen einander
ſtehen, mit flachen oder plattgedruckten Eiſen geglaͤttet.
Das geſchieht auch mit dem Stuͤck, ſo oft es aus dem
Feuer koͤmmt. Alsdann wird es unter die Zangen ge-
bracht. Man hat mehr als 50. Nummern, die erſten
14. oder 15mahl geht es durch Zangen, und ſo weit iſt
auch alles faſt blos Maͤnnerarbeit. Nachher geht der
Drat durch die Ziehloͤcher, wobei ſchon Weiber und Kin-
der arbeiten koͤnnen. Unter dieſen ſind freilich einige
Oefnungen feiner, als ein Seidennadeloͤhr. Man macht
hier vorzuͤglich viel platten Drat. Denn davon iſt
ein ſtarker Abſatz nach der Tuͤrkei zu ihren Bunden ꝛc.
Der Drat wird platt gedruͤckt, indem er zwiſchen 2. auf
einander geſetzten Scheiben von blanken Stahl, die her-
um getrieben werden, langſam durchgezogen wird. Die-
ſe Scheiben kommen aus Frankreich, und ſind vorzuͤg-
lich ſchoͤn. Man macht auch gelben Drat in Menge,
aber es iſt kein Meſſing, das Kupfer wird immer nur
rein geſchmolzen. Arſenik und Spiauter wird dazu ge-
nommen, und ſoll nur oben darauf liegen. Geſehen ha-
be ich dieſe Operation nicht, ſie nennens eine bloſſe Caͤ-
mentation. Der Arſenik und der Spiauter ſollen
Oſt-
[531]Oſtindiſch ſeyn. Weil ſie davon nicht ſehr viel
brauchen, ſo wird es nur von den hieſigen Kaufleu-
ten genommen. Wenn alles zum Verkauf fertig iſt,
ſo wird alles auf hoͤlzerne Spulen von aller Art und Groͤſ-
ſe aufgerollt. Dieſe werden von 6. eigenen Drechsler-
meiſtern der Fabrik beſtaͤndig in Menge geliefert. Die
Weibsperſonen, die es aufrollen, haben jede eine eigene
Waage bei ſich, denn alles wird nach dem Gewichte ver-
kauft. Die mit feinem Drat uͤberſponnene Spulen
werden von einer eigenen Weibsperſon mit einem blauen
in ſchmale Riemen geſchnittenen Papier uͤberwunden, und
mit einem rothen Zwirn zugebunden. Sehr ſchoͤn, be-
quem und nuͤtzlich iſt der Stuhl, wo allerlei Zwirn mit
feinem Silberdrat, auch Silberdrat von der feinſten
Sorte mit Seide von allen Farben, und Silberdrat mit
Goldfaͤden uͤberſponnen wird. Oben ſind die Zwirne
und die Silberdrate, in der Mitte die Spulen, die es
uͤberſpinnen, und unten rollt ſich das uͤberſponnene Zeug
auf. Sechszehn Spulen ſetzt eine Weibsperſon durch
eine leichte Kurbel auf einmahl in Bewegung.
Eben ſo ſehenswerth iſt die Maſchine, wo das ſoge-
nannte Bouillon oder Krausſilber gemacht wird.
Der einlaufende Silberdrat wird durch eine im Stift ein-
geſetzte und herum laufende Nadel von Stahl wieder in
ſolche Circinnos verſchnitten. Zugleich ſtoͤßt ſich ſelber
alles das, was ſchon verarbeitet iſt, heraus, und haͤngt
in langen krauſen Faͤden herab. Je nachdem man enge
oder weite Kraͤuſelung haben will, darf man nur allerlei
Nadeln einſetzen. Man hat auf der Fabrik ein ganzes
Sortiment oder Muſterbuch von ſolchem Krausſilber, und
man macht auf eben dieſe Art auch gelben Bouillon ꝛc.
L l 2Die
[532] Die Landleute kaufen dieſes vorzuͤglich. Die Kupfer-
ſtuͤcke werden alſo 3mahl mit Silber uͤberlegt, und da
die Blaͤttchen allemahl 3fach genommen werden; ſo iſt
es alſo eine neunfache Verſilberung. Am kalten Stuͤck
wuͤrden die Plaͤttchen nicht haften ohne jene Rauhigkei-
ten, am warmen bleiben ſie gern kleben. Man hat auch
aͤcht vergoldeten Drath, der nach der Mark bezahlt
werden muß. Auch macht man hier die duͤnnen ſilber-
nen Palletten oder kleine Plaͤttchen, die an Hochzeit-
und Todtenſtraͤuschen geklebt werden. Gar eine uner-
wartet ſonderbare Arbeit. Dazu wird der ſilberne, nicht
gar duͤnne Drat erſt kraus geſponnen, dann mit einer
Scheere aufgeſchnitten; nun ſind es halbe Zirkel, von
ſolchen wirft ein Kind etliche mit einander einem Arbei-
ter zu, der vor einer eiſernen Schlagmaſchine ſitzt, der
hebt dieſe auf, laͤßt ſie fallen, und ſo werden dieſe hal-
ben Zirkel in ganze runde Plaͤttchen geſchlagen, die in
der Mitte ein Loch haben.
Ich ſah auch die falſchen Treſſen machen. Der Zet-
teb iſt ein ſchlechter gelber Zwirn, und zwiſchen dieſen
wird der Eintrag mit Caͤmentgoldfaͤden gemacht. Der
Stuhl, das Schiffchen, die Schemmel, die Nadeln ꝛc.
ſind wie bei einem ordinaͤren Poſamentirſtuhl. Man
nimmt auch ſtatt des Zwirns Seide, und ſtatt des gel-
ben Draths aͤchte Goldfaͤden, wenn man aͤchte Bor-
ten machen will.
Nur allein in der Gegend von Nuͤrnberg ſoll noch
eine aͤhnliche Fabrike ſeyn.
Den Nachmittag war ich in Hrn. von Jacquin’s
botaniſchen Garten. Alles ſtand noch im Gewaͤchs-
hauſe. Im Garten bluͤhte nur Leontodon, Fritilla-
ria,
[533]ria, Imper. L. Der Garten iſt gros, breit *)
und zieht ſich bei den Bosquets ſchoͤn in die Hoͤhe; iſt
aber weit von der Stadt, und doch werden die botani-
ſchen Vorleſungen hier gehalten. Sie fangen aber erſt
den 1ten Junii an. Hr. von Jacquin hat ſeine Flora
und ſeinen Hortus liegen laſſen, denn weder die verſtor-
bene Kaiſerin, noch der jetzige Kaiſer wendeten etwas
darauf; die Verleger zahlen auch nichts. Bei ſeinem
erſten Werke von den Amerikaniſchen Pflanzen hat er
die Haͤlfte der Kupfer auf eigene Koſten ſtechen laſſen
muͤſſen. Das iſt nun die Sprache, die Born, Jac-
quin, Hell, Well, Denis und Schiffermuͤller fuͤh-
ren. — Sein erſtes Werk uͤbergab er der Kaiſerin, dem
Kaiſer, und dem ganzen Hofe, lies es praͤchtig binden,
bekam aber nicht das Geringſte dafuͤr. Er hatte noch
darzu die Exemplare auf hollaͤndiſch Papier drucken laſ-
ſen. — —
Doch ſah ich ein neues Werk bei ihm: Selectarum
Americanarum ſtirpium hiſtoria, fol. Tab. 264.
Es ſind die naͤmlichen Pflanzen, wie bei vorigen und
Erſten, nur mit dem Unterſchiede, daß 80. Pflanzen
mehr in dieſem Werke ſind, und daß die Pflanzen, die
in jedem Werke nur halb, abgekuͤrzt und verſtuͤmmelt
vorgeſtellt ſind, in dieſem ganz mit Stengel, Blaͤttern,
Aeſten, Bluͤten, Frucht ꝛc. abgebildet ſind. In Ku-
pfer ſind die Tafeln bei dieſem Werke nicht geſtochen, ſon-
dern es ſind nur 12. Exemplare gedruckt worden, und da-
zu malte ſein Maler die Tafeln, um nur etwas zu ver-
dienen. In 2. Jahren malt der Maler nur 3. vollſtaͤn-
L l 3dige
[534] dige Exemplare. Eins koſtet 300. Gulden. Ich blaͤt-
terte in dem noch einzig uͤbrigen Exemplare, das Hr.
von Jacquin hatte. Eine Tillandſia auf andern
Baͤumen iſt gar ſchoͤn ausgemalt.
Er hat ſich uͤbrigens auf ſeinen vorjaͤhrigen Reiſen
in Amerika ſehr wohl erhalten, iſt munter, geſpraͤchig,
ſobald man mit ihm von ſeiner Wiſſenſchaft ſpricht, und
weit affabler als Hr. von Born. Er bat mich noch
einmal zu kommen, weil ſein Sohn ein kleines Natura-
lienkabinet haͤtte, das ich ſehen ſollte. Man ſpricht
hier, als wenn er nach Rußland gehen wollte, ſo gros
iſt ſein Misvergnuͤgen uͤber die hieſigen Umſtaͤnde. Guter
Mann, du biſt nicht der Einzige in Deutſchland! —
Den 1ſten Mai.
Dieſer Monat fing mit einer empfindlichen Kaͤlte
an. Am fruͤhen Morgen war auf dem Lande Eis, das
Wagen trug, das fruͤhe Obſt und die Weinberge hatten
ſehr gelitten *). In der Stadt war die Luft unausſtehlich
rauh, alles huſtete, viele bekamen das Fieber wieder,
man fing von neuem an einzuheitzen, und ging mit Pel-
zen und Muͤffen wieder herum.
Ich brachte einen Theil des Vormittags beim Daͤni-
ſchen Hrn. Geſ. Prediger Eckhof zu, wo wir uͤber die
Verfaſſung der Geſandſchaftskapelle ꝛc. ꝛc. ſprachen, wo-
bei
[535] bei er mir folgendes ſagte. Der vornehmſten Reichshof-
rathsfamilie, und der Kaufmannsfamilie koſtet ihr Platz
in der Kirche jaͤhrlich nicht mehr, als einige Dukaten
am Neujahr an den Prediger. Die Daͤniſche und
Schwediſche Hoͤfe wuͤrden freilich gern etwas zu einem
Bethauſe beitragen: aber jene Bequemlichkeit mache,
daß die Evangeliſchen ſo mit ihren Anſtalten zaudern.
Es waͤren einige reiche Wittwen da, die etwas verma-
chen koͤnnten, aber ſie haͤtten Familie ꝛc. — Auch ſeine
Beichtkinder koͤnnten es bei dem allgemeinen Ton der
Stadt nicht recht begreifen, daß er nicht taͤglich in die
Komoͤdie gehe, immer ſchmauſe und ſpiele ꝛc. — Er
meint, zum Bethauſe und zu den noͤthigen Fonds wuͤr-
den wohl 15000. Thaler erfordert werden, aber man koͤnn-
te dabei ſehr viel auf Hamburg rechnen. Die beiden
proteſtantiſchen Prediger hier ſind in kranken Tagen
und arbeitſamen Zeiten ohne alle Huͤlfe. Jetzt war der
einzige Kandidat Hr. Reismann aus Franken hier,
den man aber nicht gern hoͤrte. Hr. Suck ſchont ihn,
damit er ihn in ſeinem Kurmonat Auguſt ſubſtituiren kan,
wo er mit einem Kavalier auf ein Landgut nahe bei Schoͤn-
brunn geht. Hr. Chemnitz hat das elende Nuͤrn-
berger Geſangbuch in der Daͤniſchen Kirche eingefuͤhrt.
Er haͤtte zu ſeiner Zeit ſchon einige beſſere Sammlungen
haben koͤnnen.
Den Abend brachte ich bei Hrn. General von Fries
zu. Seine Fr. Gemahlin war ſeither an der Kolik ſchreck-
lich krank geweſen, doch war ſie nun wieder munter. Sein
hollaͤndiſches Quispedoor auf dem Tiſche, wenn es gleich
von Silber zu ſeyn ſcheint, war eben nicht appetitlich.
Wir ſprachen von Presburg und von den dortigen Ver-
L l 4faſſungen.
[536] faſſungen. Dort hat ein alter evangeliſcher Prediger,
der den Lutherſchen Pabſt macht, 2. junge Ungarn, die
von Goͤttingen kamen, und auf der Kanzel lieber ge-
hoͤrt wurden, als er, weggebiſſen. Des Herzogs von
Sachſen-Teſchen Gemahlin, als ſie noch Statthalterin
in Ungarn war, wollte ſie hoͤren, und ſchickte nach ihnen,
er lies ſie aber nicht mehr Nachmittags predigen. Nun ſind
ſie in kleinern Landſtaͤdten angeſtellt. Etiam in Eccle-
ſia preſſa tantaene animis coeleſtibus irae?
Bemerkungen.
Man bezahlt hier groſſe Summen mit Kaiſerlichen
Bankozetteln. Man bekommt ſo viel, als man baar
Geld der Bank ſchickt, von 5 — 6000. Gulden. Jede
Kaiſerl. Kaſſe im Lande iſt ſchuldig, dieſe Zettel anzu-
nehmen, und darauf auszuzahlen, daher man damit
ſicherer, als mit baarem Gelde reiſen kan.
Wer Lehnguͤter auf dem Lande hat, muß ſein De-
putat an die Landesregierung, z. B. zwiſchen dem 13 —
15. Junius gewis bezahlen, man wartet nur wenige Ta-
ge, ſonſt fordert man gleich 10. pro Cent Strafe, den
Unterthan hingegen darf man nicht preſſen, auſſer wenn
man ihm das Haus ganz abſchaͤtzen laſſen will.
Man kan hier noch Leichen ſehen, die 3000. Gul-
den koſten. Es ſoll nicht ſeyn, aber die Adelichen hal-
ten auf ſolche groſſe Thorheiten.
Zur Schande der Stadt bemerke ich. daß hier noch
von Zeit zu Zeit eine Thierhetze gehalten wird. Vor
der Stadt iſt ein groſſer Platz, und ſo oft eine ſeyn ſoll,
wird es ausgetrommelt, einer reitet voran, und die Fuß-
gaͤnger theilen Zettel aus. Das Volk iſt erſtaunlich
ſinnlich,
[537] ſinnlich, und will nur immer etwas zum Vergnuͤgen ha-
ben.
Es iſt hier, wie in kleinen Staͤdten, ein ewiges
Ein- und Ausziehen der Miethleute. Die Geſetze ha-
ben genau beſtimmt, wie viel von dem Gelaß 8. Tage
nach dem 22. Georgi oder April an den kuͤnftigen Be-
ſitzer geraͤumt werden ſoll, doch entſteht daruͤber immer
viel Streit.
Das ſchlechte Volk der Bedienten ſucht hier, wie
aller Orten, den Fremden zu betruͤgen, und zu bevor-
theilen, wo es kan. Und wenn ſie befuͤrchten, der
Fremde wiſſe die Taxe oder den ordinaͤren Preis, ſo for-
dern ſie doch einen Kreuzer von jedem Stuͤck mehr, oder
verlangen unter beſondern Rubriken und Titeln noch
mehr, als man ihnen akkordirt hat. Putzwaͤſcherinnen
thun das ſogar Frauen, denen ſie lange dienen, oft hal-
ten ſie’s in der Stille mit dem Stubenmaͤdchen, die doch
zuerſt uͤber das Weib, wenn ſie Geld fuͤr jene holt, bei
der Herrſchaft klagt, und ſich ſtellt, als ſorge ſie auf das
Redlichſte fuͤr das Intereſſe ihrer Frau.
Eine ſonderbare Gewohnheit hat man hier, Ein
Pferd oder einen Ochſen nur an Eine Seite des Wa-
gens, der Kaleſche, oder was es nun fuͤr ein Fuhrwerk
iſt, zu ſpannen, und ſo in- und auſſerhalb der Stadt
zu fahren. Kabriolets oder Landwieden fuͤr Ein Pferd
ſieht man nicht. Auf dieſe Art fahren viele Leute vom
Lande nach der Stadt, und viele Waaren werden ſo her-
eingebracht.
Den 2ten Mai.
Die Luft war heute wieder ſo ſcharf, daß ſie ei-
nem von vielen Gegenden her wie ſcharfe Meſſer in den
L l 5Mund
[538] Mund fuhr und alles zerſchneiden wollte. Man befand
ſich recht wohl, wenn man in die Sonne treten und ſich
waͤrmen konnte. Aber da, wo ſie immer hin ſcheinen
kan, iſt gleich ein ſolcher feiner duͤrrer Staub, daß man
wieder davon in den Augen und im Halſe leidet. Es
ſoll auch hier mitten im Sommer, wenn es nur einige
Tage regnet, gleich ſehr kalt, und nachher wieder ſehr
heis ſeyn.
Ich brachte den Vormittag wieder auf der Kaiſer-
lichen Bibliothek zu, wo ich Taube’s Beſchreibung
von Sklavonien und Syrmien las. Was wuͤrde
JoſephII. ſeyn, wenn er alle ſeine Laͤnder nuͤtzen koͤnnte,
wie’s moͤglich waͤre! Man erſtaunt uͤber die Reichthuͤmer
der Provinzen. Die Natur ſcheint da faſt eine Ver-
ſchwendung gemacht zu haben. Aber die Bauern ſind
faul, es fehlt an Kultur und Thaͤtigkeit, der Adel hat
alles, und der Bauer muß Sklave ſeyn. Die Landguͤ-
ter ſind zu gros, die wahre Oekonomie kennt man noch
nicht; mit dem beſtaͤndigen Weiden verlieren die Bauern
allen Duͤnger; wenn Stroͤme austreten, verſteht kein
Menſch die Moraͤſte auszutrocknen, und niemand denkt
daran, die Moraͤſte und Ueberſchwemmungen zu huͤten,
oft fehlt es auch wirklich an Abſatz der uͤberfluͤſſigen Lan-
desprodukte. Das Land iſt nicht bevoͤlkert nach Maas-
gabe ſeiner Groͤſſe und Guͤte, und im Bauer iſt ſo we-
nig Thaͤtigkeit, daß er, wie Taube ſagt, lieber im
Winter ſeinen Zaun ums Haus verbrennt, als daß er
in den Wald faͤhrt und Holz macht. Taube iſt ſchon
lange todt, ſcheint einen vernuͤnftigen Patriotismus ge-
habt zu haben, gab ſich ſehr viel Muͤhe, fand aber auch
keinen Dank und Ehre bei Hofe. —
Um
[539]
Um Mittag fuͤhrte mich Hr. Direktor Wolf in den
Angarten. Einem Carlsruher kan er ſo wenig, als
der Prater, beſonders merkwuͤrdig ſeyn. Es iſt nicht
einmahl ſo viel Abwechſelung und Natur darin, als in
unſern Gaͤrten. Der ewigen lang und grade geſchnit-
tenen Alleen wird das Auge bald muͤde. Er hat nichts
als Ausdehnung, Weite und Groͤſſe vor unſerm Schloß-
garten voraus. Der Kaiſer hat viele neue Plaͤtze dazu
gekauft, und legt dieſe [ſ]ehr ſchoͤn an. Bekannt iſt die
Abkuͤrzung des Wegs dazu, durch eine neue Straſſe in
der Leopoldsſtadt, und durch 2. Bruͤcken, eine oben,
eine unten uͤber einen Arm der Donau. Vor Joſephs
Regierung war er nur fuͤr Herrſchaften offen, der men-
ſchenfreundliche Kaiſer aber, der uͤberall Luft macht, wo
vorher alles verſchloſſen war, gab ihn gleich jedermann
frei. Nur fahren darf man nicht darin. Es ſind herr-
ſchaftliche Koͤche und Traiteurs da, bei denen wir auch
recht gut zu Mittag aſſen.
Wir ſahen, als wir herausgingen, die Haͤuſer, in
welchen beſtaͤndig fuͤr die vielen Donaubruͤcken gearbei-
tet wird, weil ſie immer durch den Eisgang beſchaͤdigt
werden. Hr. Wolf ſah einmal zu, wie der Stoß der
Eisſchemel eine ganze Bruͤcke mit fortnahm.
An einem Arm der Donau beſahen wir auch die
Faberſche Farbeholzſchneidefabrik. Man ſchnei-
det, ſtampft und mahlt das Holz, zuletzt wird es das
feinſte Mundmehl. Man ſchneidet alle Arten von
Aſiatiſchen und Amerikaniſchen Holz, theils fuͤr ſich,
theils den Kaufleuten, die es ſchicken. Man ſchneidet
auch ein Ungariſches Gelbholz. Weil man gerade
mit dem Mahlen von rothem Sandelholz beſchaͤftigt
war,
[540] war, ſo war die ganze Muͤhle inwendig roth, und wir
wurden roth beſtaͤubt. Unten iſt auch eine kleine Stampf-
muͤhle fuͤr die Gifte, Arſenik und Opperment ange-
bracht, die wegen des giftigen Staubs immer verſchloſ-
ſen gehalten wird. Die meiſten Hoͤlzer werden erſt ge-
ſchnitten, dann geſtampft, dann gemahlen. Man be-
koͤmmt ſie meiſtens aus Holland. Wie oft das Ge-
ſtampfte zum Mahlen wieder aufgeſchuͤttet wird, das
hat keine gewiſſe Zahl. An der Muͤhle ſind ordentliche
Kaſten und Beutel fuͤr das Holzmehl wie in den Brod-
muͤhlen. Im Vorrath hat man eine Menge eiferner
Meſſer, die man zum Schneiden einſetzen kan. Be-
kanntermaſſen iſt das Blauholz oder Kampeſcheholz
das haͤrteſte. Wir hoben einen Klotz auf, er war wie
Stahl und Blei. Die ganze Muͤhle ſteht auf 2. Schif-
fen, damit ſie durch die Hoͤhe und Tiefe des Waſſers
nicht gehindert wird, zu mahlen. Im Winter kommt
oft die ganze Anſtalt aufs Land. Das Waſſerrad hat
groſſe lange Schaufeln, uͤber welche eiſerne Baͤnder hin-
laufen, die hoͤlzernen Schaufeln dauern aber doch nicht
laͤnger als ein Jahr.
Hr. Wolf und ich fuhren in dem Schiffe uͤber die
Donau, um nach der Stadt zu kommen, und kamen
an dem Platze an, wo das viele Brennholz aus Ober-
Oeſterreich beſtaͤndig auf Schiffen ankommt. Man
fuͤhrt es in Schubkarren vom Schiffe ans Land, und la-
det es auf einem unermeßlichen Platze ab, der nie leer
wird.
Bemerkungen.
In der That geht nichts uͤber die Impertinenz ade-
licher Jungen in dieſer Stadt. Sie koͤnnen nicht ru-
hig
[541] hig im Wagen fahren, wollen die Pferde ſelber leiten,
hauen ſie immer oben uͤber den Bug heruͤber, daß ſie in
den volkreichſten Straſſen aufſpringen und traverſiren
muͤſſen, dabei ſchreit dann der adeliche Fuhrknecht im
Wagen trotz jedem andern Bauerfuhrmann, und ſo zeigt
er ſich, ſeinen Wagen und ſeine Pferde in einer Straſſe
nach der andern.
Den 3ten Mai.
Mit dem fruͤhen Morgen und einigen warmen Son-
nenblicken machte ich mir die Freude wieder, zu Hrn.
von Jacquin in den
Botaniſchen Garten hinauszufahren, und brach-
te da den ganzen Vormittag zu, bis er mich in ſeinem
Wagen zuruͤckfuͤhren lies.
Er iſt ein gar guter Mann. Man ſieht in ihm
gleich den Mann, der fruͤh, viel und ernſtlich ſtudirt
hat, und ſein Wiſſen gern jedem mittheilt, deſſen Wiß-
begierde nicht Charlatanerie iſt. Man ſpricht den Ge-
lehrten, der viel gereißt iſt, und daher uͤber Gnaden,
Unterthaͤnig, und anderes Wieneriſches Schwaͤtzwerk
weit weg iſt; den Mann, der gern mit jedem vom Hand-
werk Freundſchaft macht, aber auch tief den Undank und
die Ungerechtigkeit des Hofes fuͤhlt. — Man hat ihm
die Penſion genommen, die ihm vermoͤge eines Kon-
trakts mit Kaiſer FranzI. gehoͤrte, als er auf deſſen
Befehl die Reiſe nach Amerika that: man hat ihm und
allen Profeſſoren auf der Univerſita[ͤ]t ihre Hofquartiere
genommen, Born bekam doch noch Quartiergeld, aber
Jacquin und die andern alle nichts. Man ſpricht auch
ſchon von Verminderungen der Beſoldungen, und will,
die
[542] die Profeſſoren ſollen nebſt wenigen hundert Gulden von
den Studenten leben, als wenn Wien ſchon waͤre wie
Goͤttingen, Halle ꝛc. Fuͤr den botaniſchen Garten
muß ihm auch bange ſeyn, weil der Kaiſer ringsum alles
zu Belvedere zieht, wiewohl der Garten zunaͤchſt nicht
dem Kaiſer, ſondern der mediziniſchen Fakultaͤt gehoͤrt.
Er habe nach Rußland kommen ſollen, wie er mir er-
zaͤhlte, ehe er hier engagirt ward, Lehmann kam her-
nach an ſeine Stelle, und man muͤſſe freilich mit Frau
und Kindern auf die Zukunft denken. Zu hoffen ſei
nichts fuͤr die Wiſſenſchaften, aber alles zu fuͤrchten.
Doch heißt es, der Kaiſer wolle auch eine Akademie der
Wiſſenſchaften errichten. — Vielleicht aus Born,
Jacquin, Hell und Denis.
Ich ſah bei ihm ein von ihm ſelbſt angegebnes Ge-
waͤchshaus, worin er von aller Waͤrme profitirt. Die
Waͤrme wird vom Ofen, der in einer Ecke angebracht
iſt, durch unterirdiſche Kanaͤle uͤberall herumgeleitet, und
muß immer in die Hoͤhe ſteigen, bis zuletzt der Rauch
eiskalt herausgeht. Darin erzieht er beſonders ſeine
amerikaniſchen und exotiſchen Pflanzen, und hat manche
zur Bluͤte gebracht, die ſonſt nirgends in Europa ge-
bluͤht haben. Viele ſind noch aus den Saamen, die
er ſelbſt mitbrachte. Ich fand bei ihm
- a) Burſeria gummifera L. — In Amerika
tropft dieſer Baum oft ſo ſtark von Gummi, daß der
ganze Mannsdicke Stamm damit bezogen wird.
Wir durften nur die Rinde an einer Knoſpe ſtark rei-
ben, ſo roch es ſchon gewaltig an den Fingern. - b) Nyſſolia fruticoſa L. eine Art amerikaniſcher Lia-
nen, treibt oben und unten Stricke aus, die, wenn
man
[543] man ſie nicht wegſchneidet, auf allen 4. Seiten des
Gewaͤchshauſes herumlaufen, zaͤhe wie Stricke ſind,
auch mit den Fingern wirklich nicht zerriſſen werden
koͤnnen. In Amerika uͤberſpinnts ganze Baͤume,
haͤngt Waldungen zuſammen, und druͤckt endlich gan-
ze Baͤume nieder. Hr. Jacquin ſchickte es an Lin-
nee’, der hatte groſſe Freude daruͤber, und lies es im
Gewaͤchshauſe wuchern, wie es wollte. Sein gan-
zer Stamm iſt mit dieſen halbfingersdicken Stricken
vielfach umwunden; die Vegetation iſt unendlich. - c) Adanſonia, oder der dickſte Baum in Afrika-
Er iſt noch jung, will aber nicht bluͤhen. - d) Viele von den Kanariſchen Inſeln.
- e) Viele von Otaheite, deren Saamen ihm von Preſ.
Banks in London mitgetheilt wurden. Banks
hat ihm auch ſchon einige Hefte von ſeinen neuſuͤd-
laͤndiſchen Pflanzen geſchickt; praͤchtigere Arbeit kan
man nicht ſehen. Ehre dem engliſchen Kupferſtecher!
An mancher Pflanze hat der Kuͤnſtler mehr als eine
Woche gearbeitet. Ich moͤchte ſie lieber ſchwarz als
illuminirt haben. Auch The moving plant aus
Bengalen fand ich hier, aber noch klein und in der
erſten Jugend. - f) Auch Pflanzen vom Pik auf Teneriffa ſind hier.
Ein ziemlicher Botaniker ſtieg bis auf den Gipfel des
Piks, holte Pflanzen und Saamen, und ſchickte ſie
an Jacquin. Einige hat er ſchon ganz gut be-
ſtimmt, von andern muß es die Bluͤthe entſcheiden;
aber alle Picopflanzen ſind mehr oder weniger wol-
licht, tomentoſae pubeſcentes — um der Kaͤl-
te willen. Eine Pflanze nannte er ein Miagrum L.
Jac-
[445[544]]Jacquin ward zweifelhaft, als es ein Baͤumchen
werden wollte, aber jetzt kommen doch junge Schoͤß-
linge heraus mit ganz kleinen Myagrumsbluͤthen.
Eine Picopflanze bluͤhte wirklich gar ſchoͤn. Schade,
daß ſie gerade Dioecia ſeyn mußte, und jener Rei-
ſende nur die maͤnnlichen Bluͤtenſtengel erwiſchte.
Hr. D.Ingenhouß, Hr. Jacquins Schwager,
hat ein Zimmer hier zu ſeinen Verſuchen. Er hatte al-
lerlei Waſſerpflanzen, die feinſten Conferven, Byſ-
ſus etc. in Glaskugeln hier ſtehen, damit ſich ihm die
verſchiedene Arten von Luftgattungen erzeugen ſollten,
die er zu ſeinen Verſuchen zur Widerlegung der Engellaͤn-
der, die ihn angegriffen haben, noͤthig hat. Fuͤr mich
war hier beſonders der Anblick einer ganz weiſſen Waſ
ſerpflanze in der holen Glaskugel merkwuͤrdig. Hr.
Jacquin erklaͤrte es mir. — Auch die ſo ſehr ans
Waſſer gewoͤhnten Pflanzen verwelken gleich, ſobald ſie
in deſtillirtes Waſſer geſetzt werden.
Die Afrikaniſchen Pflanzen, beſonders die vom
Kap machten Jacquin, weil ſie nirgends bluͤhen wol-
ten, viel Muͤhe *). Er machte ihnen alſo in unſerm
Winter durch Lohe, Kuhmiſt, Glasfenſtern und Breter
ihren Sommer, und in unſern Sommer nimmt er das
alles weg, damit ſie ihren Winter haben, und in der
Erde ſchlafen koͤnnen. Sie regten ſich in unſerm Herbſt,
weil das ihr Fruͤhling iſt, und unſer Fruͤhjahr ihre Herbſt-
monde. Das leitete ihn auf den Gedanken, und wir
ſahen noch einige bluͤhen. Bizarr ſind die afrikaniſchen
Gewaͤchſe
[545] Gewaͤchſe immer, haben ſchrecklich lange, ſpitzige und
doch zuſammengerollte Blaͤtter, krumme Stengel, eini-
ge haͤngende, andre aufrechtſtehende Petala an ein und
derſelbigen Blume, oder ſonſt ſo etwas.
Schade, daß das eigentliche exotiſche Gewaͤchs-
haus nicht hoͤher iſt. Die Rieſen im Pflanzenreich
wollen immer in die Hoͤhe, da werden die Baͤume alle
Jahr gekappt. Sie ſtehen da alle in Lohe, jedes einzel-
ne Gefaͤs hat wieder ſein warmes Treibe- und Miſtbeet,
und doch iſt die Hitze nicht ſo jaͤhe und Luftbenehmend,
wie in andern Gewaͤchshaͤuſern. Wir konnten lange
ſprechen, ohne es zu ſpuͤren.
Bei Jacquin’s aͤlteſten Sohne, — er hat deren
zwei und Toͤchter — der fruͤh das Studium angefan-
gen hat, ſah ich, — in einer freilich unordentlichen und
zerſtreuten Naturalienſammlung — groſſe Stuͤcke von
Kaͤrnthner Muſchelmarmor, wo man, zerſchlagen,
ganze Schnecken und Muſcheln darin findet, ſo daß der
ſpielende Glanz ohne allen Zweifel von Konchylien her-
ruͤhrt. Man muß das rohe Stuͤck nur auf gut Gluͤck
zerſchlagen.
Bei den Piſangs, die Jacquin aus Amerika
recht gut kennt, verſicherte er mich, daß er nie ein In-
ſekt darauf gefunden habe, auch in Amerika nicht.
Wenn rundum alles von Inſekten zerfreſſen iſt, ſtehen
dieſe doch gruͤn. Er lies mir durch den Gaͤrtner 2. Fruͤch-
te abnehmen, eine aß ich roh, und eine, nachdem ſie tro-
cken, ſo wie ſie iſt, auf dem Roſt gebraten worden war,
bis die aͤuſſere zaͤhe Haut, die man in beiden Faͤllen ab-
zieht, ſchwarz iſt. Roh ſchmeckte ſie mir beſſer, iſt
zum Durſtſtillen vortreflich, wie pulpa molliſſima.
Zweiter Theil. M mGebra-
[546]Gebraten, wie ſie die Amerikaner auf den Tiſch brin-
gen, ſchmeckte ſie, wie gekochte ſuͤſſe Birnen.
Nach dieſem amerikaniſchen Fruͤhſtuͤck hoͤrte ich der
Muſik zu, die ſeine Kinder mit Singen und Inſtru-
menten machten. Der Lehrer war ein Italiaͤner, und
man laͤßt hier die Kinder eher Welſch als Engliſch ler-
nen. Jacquin vergnuͤgt ſich auch ſelbſt mit der Mu-
ſik, auch hat er noch ſo ein gutes Geſicht, daß er eine
Pflanze auf 30. Schritt erkennt, aber bei jeder Gelegen-
heit erwacht der Seufzer des ehrlichen Mannes, den
Nahrungsſorgen auspreſſen. Ungluͤckliches Land, wo
man ſich vor dem Monarchen fuͤrchtet, und ſobald man
ſeinen Namen hoͤrt, traurig wird! Warum muß doch
alles in der Welt zwo Seiten haben? — Warum ma-
chen wir ſogar nichts Vollkommenes im Menſchenleben?
Iſt’s nicht der weiſeſte Wunſch: Nicht ohne Nutzen,
aber ſchnell zu leben?
Er hat auch ein groſſes Zimmer zum Seminarium
beſtimmt. Da ſtehen viele tauſend Pflanzen-Saamen
in Glaͤſern mit Namen, in Repoſitorien, wie in einer
Apothecke, uͤber einander. Einheimiſche Pflanzen-Saa-
men werden aber hier nicht aufgehoben. Bemerkt er an
einem Saamen einen beſondern Geruch, wie z. E. einen
ſtarken Erdbeerengeruch am geriebenen Saamen einer
Nigellenart, ſo macht er im Winter Verſuche in der Che-
mie damit. Denn im Sommer denkt er an nichts als
Botanik, und im Winter weis er von nichts, als von Che-
mie. Ach, und der edle Fleiß ſoll darben!
Ich fragte ihn auch, ob er nicht amerikaniſche
Farbhoͤlzer bei uns ziehen koͤnnte? Er meinte, es ſei
unmoͤglich, weil die zu uns kommenden Hoͤlzer wenig-
ſtens
[547] ſtens 100. Jahre alt waͤren, das junge Holz habe die Far-
be nicht, es wachſe auch langſam, in der Jugend flechte
man das Kampeſcheholz als Spaliere in einander; er
habe auf Jamaika die jungen Baͤume geſehen, womit
man zu Sloane’s Zeiten angefangen habe, das Holz
zu gewinnen, und ſie waͤren noch duͤnne Reiſer geweſen.
Als ich beim Abſchied mit ihm uͤber die immer ſtei-
gende Unermeßlichkeit dieſes Studiums ſprach, verſi-
cherte er mich, daß er oft im Fruͤhjahr, wenn er wieder
zu ſeinen lieben Pflanzen zuruͤck kehre, manches Gewaͤchs
als fremd und unbekannt anſehe. An den Otaheitiſchen
Gewaͤchſen ſei die Mannichfaltigkeit der Natur gar un-
beſchreiblich, wenn man auch nur noch wenige Proben
vor ſich habe.
Den 4ten Mai.
Dieſen Tag brachte ich meiſtens auf dem Zimmer
zu, und ſtudirte die Predigt, die ich hier den Proteſtan-
ten zu Gefallen morgen in der Daͤniſchen Geſandſchafts-
kirche halten ſollte.
Nachmittage machte ich mir Motion und fuhr zu
Hrn. von Birkenſtock, an welchen ich Empfehlungs-
Brieſe von Madam La Roche aus Speier hatte, traf
ihn aber nicht an.
Meine Lektuͤre zu Hauſe waren indeſſen Labats eu-
ropaͤiſche Reiſen, und heute ward ich mit dem 6ten Theil
fertig. Der Mann ſchreibt munter, lebhaft, kan gut
beſchreiben, faͤllt auch zuweilen in ſatyriſchen Ton. Um
ſo ſeltſamer iſt es, daß ſo ein geſchenter und weitgereiſter
Mann noch an alle Heiligthuͤmer und Reliquien, die man
M m 2in
[548] in Spanien und Italien zeigt, glauben konnte. Der
deutſchen Nation war er nicht hold, er ſchimpfte bei jeder
Gelegenheit auf ſie. Die naturhiſtoriſchen Anmerkungen
ſind nicht gemein, aber ſie ſind gewaltig verſteckt in einer
Wuſt von andern Sachen, man muß ſie aus den langen
Beſchreibungen von Prozeſſionen und andern katholiſchen
Feierlichkeiten herausklauben.
Bemerkungen.
Es iſt erſtaunlich, welche ſcharfe Winde hier zwi-
ſchen dem Thor und den Vorſtaͤdten wehen. Man holt
ſich gleich einen Schnupfen, und einen Rheumatiſmus.
Es gibt hier in der Naͤhe von Wien ganze Doͤrfer,
die allein vom Weinbau leben, und man behauptet,
daß ſie nicht uͤbel ſtuͤnden. Sie keltern ihren Wein nicht
einmahl, ſondern verkaufen die Trauben alle in Wien.
Ein kleiner Korb voll gilt 2. Gulden.
Heute aſſen wir nach vielen Faſtenſpeiſen auch die er-
ſten Erdbeeren, aber ſie waren doch im Gewaͤchshauſe
gezogen, und hatten ihren natuͤrlichen Geſchmack nicht.
Das Sauerkraut, das man hier alle Tage ſpeiſt,
iſt erſtaunlich lang, weil die Kohlhaͤupter ſehr gros wer-
den. Auch iſt es in ſehr ſchoͤne lange Faͤden geſchnitten.
Man kocht an Faſttagen allerlei darin, das oft ſchwer zu
errathen iſt, heute ſchien mir Fiſchrogen darin zu ſeyn.
Aber ſo koͤſtlich und kuͤnſtlich man auch in Wien kocht —
ſo machts der Schwabe doch noch natuͤrlicher, geſuͤnder,
und ſchmackhafter.
Den
[549]
Den 5ten Mai.
Meine heutige Predigt*) in der Daͤniſchen Ge-
ſandſchaftskapelle lief ganz gut ab. Die Menge der Leu-
te erregte aber ſo eine erſchreckliche Hitze, daß ich wider
alle meine Erwartung ſchon in dieſer Jahrszeit ſchwitzte.
Der Koͤnigl. Daͤniſche Hr. Geſandte war das zweite-
mahl waͤhrend ſeines Hierſeyns in der Kirche, und lies
mich gleich auf Morgen zur Tafel bitten, es ward aber
verſchoben. Der Reichshofrath, Hr. Graf von der
Lippe, ſuchte mich auch auf, und praͤſentirte mich an
ſeine Fr. Gemahlin, als den Verfaſſer des Erbauungs-
buchs. Dem Hrn. von Stockmaier, der in der
Nacht dem Herzoge von Wuͤrtemberg entgegen gefah-
ren war, mußte ich das Manuſkript, waͤhrend meiner
Reiſe nach Ungarn, zuruͤcklaſſen. Viele geſtanden, ſie
waͤren mit dem Entſchluß hingegangen, nur den Eingang
zu hoͤren, ſie blieben aber da, und hielten aus. Es
waren auch Katholicken und Reformirte zugegen.
Nach geendigtem Gottesdienſte fuhr ich nach
Schoͤnbrunn, wohin mich Hr. Vogel mit noch
einer Geſellſchaft nach 12. Uhr fuͤhrte, um dort zu ſpeiſen.
Im zweiten Wagen waren verſchiedene junge Kaufleute,
die aus Petersburg kamen, und weit gereiſt waren.
Das Schloß in Schoͤnbrunn iſt im italiaͤniſchen
Geſchmack, mit groſſen Fluͤgeln am Corps de Logis,
worin unendliche Hallen, oder bedeckte Gaͤnge ſind. Weil
im obern Stock eben dieſe ſind, ſo hat man, um mehr
M m 3Licht
[550] Licht in die untern zu bringen, weil zu beiden Seiten
Gaſtzimmer, Saͤle, Kuͤchen, Traiteurswohnungen ꝛc.
ſind, in der Decke von Zeit zu Zeit einige Roſte ange-
bracht, wodurch aber die Hellung nicht ſehr vermehrt wird.
Die Avenuͤe dazu iſt ſchoͤn, aber Karl der 6te
hatte den Geſchmack, es nicht auf die kleine angenehme
Hoͤhe, ſondern mitten in ein Loch ins Thal zu bauen.
Man koͤmmt alſo von kleinen Bergen herab, und im
Garten laufen einige Alleen den Berg hinauf. In einer
von dieſen ſieht man auch das Luſtſchloß Gloriette.
In den Zimmern ſelber iſt nichts beſonders zu ſe-
hen. Die Muͤnchener ſind meines Erachtens ſchoͤner.
Im Garten ſieht man kuͤnſtlich uͤber einander geleg-
te Ruinen mit Waſſerfaͤllen, — einen Obeliſk, den
der Kaiſer und ſeine verſtorbene Mutter, nach der In-
ſchrift, errichten laſſen: man hat Hieroglyphen einge-
hauen; beſonders hoch iſt er nicht: oben ſchmuͤckt ihn ei-
ne goldene Kugel. — Eine Menagerie, die aber nicht
mehr viel bedeutet. Das Vornehmſte iſt noch ein Ele-
phant, der ſehr jung aus Holland hieher gekommen,
ſchnell gros gewachſen, aber ganz braun iſt. Wir konn-
ten ihn, wegen der Menge der Leute, nur durch das Git-
ter in ſeinem Hofe herum ſpatzieren ſehen, und ſeinen
Waͤrter, den ich wegen der Fuͤtterung ſprechen wollte,
fand ich nicht. Einer unter dem gemeinen Volke, der
dem andern das Freſſen des Thiers erklaͤren wollte, ſagte
zu ihm: „Schauts, er hat halter ſein Maul unterm
„Hahls!!“ Die andern Thiere ſind arabiſche Schaafe,
kleine Ziegen, Dammhirſche aus Amerika, einige Waſ-
ſervoͤgel ꝛc. Die herrliche Voliere, die Franz der 1te
unter-
[551] unterhielt, iſt ganz eingegangen; man hoͤrte und ſah
nichts, als das haͤßliche Geſchrei eines Kakadu. —
In dieſem Garten ſind auch die vielen Ananashaͤuſer,
die FranzI. mit groſſen Koſten erbaute, aber ſie ſind
verſteckt und zerſtreut.
Auf dieſem Schloſſe, ſo wie auch im Prater und
im Augarten ſpeiſt man vortreflich. Die fremden
Weine, ohne welche die Wiener nicht leben, wenigſtens
das viele Eſſen nicht verdauen koͤnnten, z. E. Tockaier,
Burgunder, Champagner ꝛc. nimmt man aus der Stadt
mit. Hingegen in den meiſten auch in vorzuͤglichen
Aubergen in der Stadt, ſoll eine greuliche Saͤuerei herr-
ſchen, und man oft lange warten muͤſſen. Die hier be-
ſtellten Traiteurs fuͤhren ihre Sachen Wagenweiſe aus
der Stadt.
Aber von Muſikanten und Bettelweibern wird
man hier und im Augarten faſt gefreſſen.
An Sonn- und Feiertagen fahren gemeine Leute auf
den ſogenannten Beiſelwagen, wo Sitz an Sitz ge-
macht wird, Schaarenweiſe nach Schoͤnbrunn, beſon-
ders um des Elephanten willen. Fuͤr 1. Groſchen koͤmmt
man von der Linie bis hieher.
Auch fuͤr viele andre Leute iſt es der gewoͤhnliche Aus-
flug. Denn es ſind gar viele Menſchen hier, die wie
Handwerksburſche keine andre Zeit haben, als den Sonn-
tag, z. B. Kontoirbedienten, beſonders die, ſo die Poſt
beſorgen muͤſſen.
Heute Abends las ich das 1ſte Stuͤck der woͤchent-
lichen Wahrheiten fuͤr und uͤber die Prediger in
Wien, und fands gut geſchrieben. Beſonders wiſchte
er den Mann uͤber die Sticheleien auf die Kaiſerl. Ver-
M m 4ordnun-
[552] ordnungen. Sie ſprechen von Zeiten, wo man dem Al-
tare lieber nimmt als gibt ꝛc.
Den 6ten Mai.
In dieſer Nacht erhob ſich ein fuͤrchterlicher Sturm-
wind, der nicht nur in der Stadt, ſondern auch auf
dem Lande ſchrecklich raſte. Man wohnt in Wien in
ſtarken ſteinernen Haͤuſern, aber doch war manchem ban-
ge. In der Hoͤhe des vierten Stocks, wo ich ſchlief,
tobte er noch gewaltig, und eben ſo unten auf den Straſ-
ſen. Viele ſtanden aus den Betten auf, und konnten
nicht ſchlafen. In dieſem Stuͤcke iſt Wien gerade das
Gegentheil von Paris. Dort ſpuͤrt man das ganze
Jahr durch faſt keinen Wind, und hier in Wien hoͤrt
er beinahe nicht auf.
Gluͤck war’s, daß der Wind nicht kalt wehte, ſonſt
wuͤrde er noch mehr Schaden gethan haben. Es war
warm dabei, vermiſcht mit fruchtbarem Regenwetter.
Auch ſah ich doch den andern Morgen, daß nicht alle
Bluͤten von den Baͤumen abgeſchuͤttelt waren. Die
Reiſe nach Presburg
war feſtgeſetzt. Ein wenig legte ſich der Wind am Mor-
gen. Man rechnet 10. Meilen dahin. Fuͤr einen Sieb-
zehner kan man auf der Donau hinabfahren, aber die
Schiffer landen oft an, und jetzt war kein Wetter dazu.
Man kan aber auch alle Tage mit der Deligence fuͤr 2.
Gulden hinkommen, und dieſen Weg erwaͤhlte ich.
Windſturm und Regen mit Schnee untermiſcht,
dauerten bis gegen Mittag fort. Der Wind wehete die
ſchoͤnſten Wellen in der Winterfrucht, die zu beiden
Seiten die vortreflichen breiten und weiten Felder deckte.
Das
[553]
Das Oeſterreichiſche laͤuft fort, bis eine Stunde
vor Presburg. Da macht eine Bruͤcke und ein kleiner
Graben die Grenzſcheidung zwiſchen Deutſchland und
Ungarn.
Die Chauſſeen ſind ſchoͤn, ſehr breit, und werden
immer mit Kieſeln uͤberſchuͤttet. Ganze Haufen gelbe
Kieſel liegen deshalb hier und da an der Straſſe.
In meiner Reiſegeſellſchaft war auch ein Franzis-
kaner, P. Karl, aus dem Kloſter in Presburg, der,
weil er bald examinirt werden ſollte, vor 8. Wochen von
Presburg nach Wien geſchickt worden war, um noch
etwas zu lernen, und jetzt zuruͤckging. Wir mußten
fuͤr ihn bezahlen und ihn frei halten. In Wien bezahl-
te er mit einem elenden Roſenkranze.
Nach den gewoͤhnlichen Geſpraͤchen von Pabſt, Kai-
ſer, Geiſtern und Geſpenſtern ꝛc. kam das Geſpraͤch auf
Gellert, Yorik, den Siegwart ꝛc. Buͤcher, die ſeit-
her vielen tauſend Menſchen in Wien unbekannt waren,
nun aber durch Schmieder’s Buchladen in der Meſſe
mehr unter die Leute kommen. Da war’s dann ein Ver-
gnuͤgen, halb im Schlafe, die Urtheile der Frauenzimmer,
der Pfaffen, eines jungen Menſchen ꝛc. anzuhoͤren. Der
Kondukteur zog ſogar eins aus der Taſche, und las.
Der Franziskaner ſprach davon, wie ein Menſch, deſſen
Welt die Zelle iſt. Die Gellertſchen Schriften, ſag-
te er, muͤßte er doch einmahl leſen, die Poeſie aber,
meinte er, kaͤme jetzt ganz ab. Man kan ſich die
tiefe Dummheit dieſer Leute gar nicht vorſtellen, wenn
man’s nicht gehoͤrt hat. Die meiſten ſind aus lauter
Glauben blind.
M m 5Den
[554]
Den Mittag machten wir in
Regelsburg, und nachher kamen wir auf die letz-
te Station
Teutſch-Altenburg, wo der Poſthalter nach einer
ſeltſamen Einrichtung den Wagen nicht hinab — ſon-
dern nur heraufzufuͤhren ſchuldig iſt. Die Presburger
Pferde bleiben da ſtehen, und erwarten die Diligence
von Wien. Weil nun der graͤßliche Wind den Pres-
burger Wagen nicht uͤber die Donau gelaſſen hatte, ſo
bekamen wir hier keine Pferde, und im Poſthauſe war
nicht einmahl eine Paſſagierſtube. Ehe wir nun auf
der Straſſe liegen, im Wagen erfrieren, hier uͤber Nacht
bleiben und Morgen noch bis Mittag die Zeit verſaͤumen
wollten, legten wir noch 3. Gulden zuſammen, und be-
zahlten die Pferde. — Dies zum Lobe der Kaiſerl.
Koͤnigl. Poſteinrichtungen! — —
Wir paſſirten hernach ein kleines Staͤdtchen, das
Hainburg heißt. Auf der Mauth machte der Kon-
dukteur alles aus; es ward nichts viſitirt. Erſt ſpaͤt bege-
gnete uns der Presburger Wagen, der endlich, da ſich der
Wind auch auf dem Waſſer gelegt hatte, ſpaͤt genug her-
uͤber fuhr. Ein ungluͤcklicher Tag fuͤr uns! Der Kon-
dukteur wußte ſich ſeit 7. Jahren erſt zweimahl des Falls
zu erinnern, da ihm auch wegen dem Winde kein Wa-
gen entgegen gekommen war.
Presburg liegt an einem Berge, jenſeits der Do-
nau, hat zwei Vorſtaͤdte, die ſchoͤner ſind als die alte
Stadt. Man paſſirt den Strom mittelſt einer fliegen-
den Bruͤcke. Sie ward entſetzlich mit Wagen und Men-
ſchen beladen, geht aber ſehr geſchwind hinuͤber. Die
Paſſa-
[555] Paſſagiers auf der Diligence zahlen nichts, dagegen aber
verfolgen die Bettler ſie auch auf der Bruͤcke. Weil die
Donau oͤſters austritt, ſo iſt ſchon eine gute Strecke vor der
Stadt die Straſſe zu beiden Seiten mit Pfaͤhlen eingefaßt,
unten iſt Wieſengrund, Baumzucht, kleine Huͤtten,
artige Spaziergaͤnge ꝛc. Die Poſt iſt in der aͤuſſern
Vorſtadt, nachdem man durch die Stadt gekommen iſt,
und darneben hatte ich mein Logis in der Krone, wo
grade die Tiſchler ihren jaͤhrlichen Tanz ſchon ſeit 3. Ta-
gen hatten. Man tanzte bis Morgens um 6. Uhr.
Den 7ten Mai.
Mein erſter Gang war heute in Hr. Loͤwens Buch-
laden. Er iſt hier Buchdrucker und Buchhaͤndler, reiſt
alle Jahre nach Leipzig, hat ſelber artige Kenntniſſe,
breitet am meiſten gute Buͤcher in dieſen Landen aus,
ſteht unter keiner Cenſur, iſt alſo weniger gebunden, als
die in Wien und Oeſterreich. Er hat Windiſchs
Geographie und Hiſtorie gedruckt, auch jetzt ein Un-
gariſches Magazin angefangen, worin vaterlaͤndiſche
Naturgeſchichte, Hiſtorie, Alterthuͤmer ꝛc. vom Hrn.
von Windiſch geſammelt werden. Gegenwaͤrtig wa-
ren ſchon 6. Stuͤcke davon heraus. Zuweilen ſollen Ku-
pferſtiche darzu kommen. z. B. die Trappe, aber ſie
iſt doch in einer unkenntlichen Stellung abgebildet. Nach
ihm beſuchte ich
Hrn. Hummel, einen Kaufmann, an den ich von
Hrn. Wucherer aus Wien ein Empfehlungsſchreiben
hatte. Auch ein chriſtlicher, gutmuͤthiger, ehrlicher
Nuͤrnberger. Er handelt mit kurzen Waaren. Der
liebe Mann lies meine Sachen aus der Auberge holen,
ich
[556] ich mußte bei ihm Quartier nehmen, und in Hr. Loͤwens
Geſellſchaft gleich Mittags bei ihm eſſen.
Hr. Loͤwe und ich wollten die 2. Evangeliſchen Geiſt-
lichen, Rippini und Dovai beſuchen; aber jener war
nicht in der Stadt, und dieſer war im Examen des Gym-
naſiums, oder der 6. Klaſſen. Wir gingen alſo auch
in das
Lateiniſche Examen der proteſtantiſchen Schule.
Das Gebaͤude iſt alt, eng, ſchlecht. Hr. Subkonrektor
Wendler examinirte grade aus dem Cornelius, uͤber
den Datames, lies die grammatiſchen Regeln anwen-
den, und diktirte hernach eine Imitation. Nachher
ward aus der Geographie die europaͤiſche Tuͤrkei vor-
genommen. Das Examen wird auch hier, wie in der
Wiener Normalſchule, vorher genau verabredet oder
anbefohlen. Die Vorſteher und anweſenden Vaͤter hat-
ten Bogen in der Hand, worin fuͤr jede Stunde die Ma-
terie des Examens aufgeſchrieben iſt. Alle Wiſſenſchaf-
ten, alles Repetiren, alles Fragen, Antworten, Exa-
miren ꝛc. geſchieht Lateiniſch. Das kan nach der Aus-
ſage des Hr. Rektors Rethſko, der in Goͤttingen
Mosheims Toͤchter unterrichtete, nicht anders ſeyn,
weil in der Schule ein Miſchmaſch von allen Nationen
iſt, Illyrier, Slawaken, Raͤtzen, Ungarn, Kroa-
ten, Deutſche, Griechen ꝛc.
Hierauf beſah ich die neue Evangeliſche Kirche.
Die Proteſtanten freuen ſich ihrer noch immer. Sie
konnten ſie vor etlichen Jahren endlich bauen. Im Lan-
de, wo vorher Druck und Gewiſſenszwang war, erregt
ein Gluͤck von der Art in allen Gemuͤthern eine unaus-
loͤſchliche Freude. Man ruͤhmt das gleich, und fuͤhrt
den
[557] den Fremden hin, ſie zu ſehen. Sie koſtet 40000.
Gulden. Das Geld mußte vorher ganz beiſammen ſeyn,
ehe man den Bau anfing, nach den Kaiſerlichen Befeh-
len, damit die Unterthanen nicht zu ſehr gedruͤckt wur-
den. Sie iſt aber gros, wohleingerichtet, helle und faßt
eine Menge Menſchen. Das Altarblatt iſt von Oeſer
aus Leipzig, der aus Presburg gebuͤrtig iſt, und es
fuͤr die Kirche zum Geſchenk mahlte. Es ſtellt die
Juͤnger von Emaus vor. Die Geiſtlichen haben keine
andre als eine geſchriebene Agende. Im Lande iſt
ihnen vermuthlich noch keine erlaubt worden zu drucken,
und Auswaͤrtige darf man nicht einbringen. Im Pulte
oder Stuhl hat jede Perſon in der Kirche einen verſchloſ-
ſenen Kaſten, worin ihr Geſangbuch beſtaͤndig bleibt.
Dieſe Schloͤſſer mußten ſie bei Erbauung der Kirche be-
ſonders bezahlen, und jeder Sitz koſtete damals 1. Du-
katen. An dieſem Kaſten iſt auch der Name mit ange-
ſchlagen.
Auch iſt noch eine Ungariſche Kirche hier, die
auch den Proteſtanten gehoͤrt, klein und niedlich iſt, und
worinnen abwechſelnd zwiſchen den Sonntagen Ungariſch
und Boͤhmiſch gepredigt wird. Dazu iſt ein eigener
Prediger da, und in Presburg kommen dieſe Natio-
nen immer zuſammen.
Eins der ſchoͤnſten Gebaͤude iſt der Palaſt des Kar-
dinals und Primas RegniBathiani. Ferner die
ehemaligen Jeſuiter-Kollegien, die Koͤnigl. Kammer,
das Rathhaus ꝛc. Im Jeſuiter-Kollegium iſt jetzt
ein Kaffeehaus, und andre Leute wohnen darin.
Auch wohnt hier der Prinz von Koburg, wie
man hier ſagt: er iſt in Kaiſerlichen Dienſten, hat aber
ſeinen
[558] ſeinen Stuhl in der proteſtantiſchen Kirche. Er wohnt
zur Miethe, und hat ein ſchoͤnes Haus inne, das ein
Kaufmann gebaut hat.
Die Theiſſe war weiter hinunter ausgetreten, und
hatte groſſen Schaden gethan.
Nach Tiſche bekam ich einen Beſuch von Hrn. Sub-
rektor, und machte einen beim Hrn. Rektor. — Sie
ſind auch mit neuen Vorſchlaͤgen und Verbeſſerungen ſehr
gebunden, ſtehen unter Senatoren, die nichts verſtehen ꝛc.
Hr. von Windiſch, der auch Senator iſt, ward
zum Abendeſſen bei Hrn. Loͤwe gebeten. Ein Mann,
den man als αυτοδιδακτος anſehen muß, und der in
ſeiner Jugend eigentlich nicht ſtudirt hat.
Ein Kaiſerlicher Hoſkammerrath hier, Kempele,
hat eine Moſchine erfunden, die von ſich ſelber Schach
ſpielt. Der Kaiſer hat ihm erlaubt, damit auf Reiſen
zu gehen, er hat Addreſſen an die Koͤniginnen von
Frankreich, Neapel ꝛc. und iſt mit ſeiner ganzen Fa-
milie auf dieſe Reiſe gegangen.
Man lebt hier viel beſſer, als in Wien. Das
Getuͤmmel auf den Straſſen iſt bei weitem ſo gros nicht,
man ißt zur rechten Zeit, man ſteht fruͤh auf.
Bemerkungen.
Gewaltig viele Maͤrkte ſind in Ungarn: in Tyr-
nau achtmahl im Jahr, in Presburg ſiebenmahl 3.
Tage, in Peſt, das der Hauptort iſt, viere, in De-
brezin auch viere im Jahr. — Das ernaͤhrt die Faul-
heit, und das Freſſen und Saufen der Ungarn.
Den
[559]
Den 8ten Mai.
Dieſer Tag war zur
Reiſe nach Eſterhas
beſtimmt.
Die fliegende Bruͤcke an der Donau muß in
jeder Stunde zweimahl heruͤber. Der Fußgaͤnger zahlt
gewoͤhnlich nichts, deſto mehr aber Pferde und Wagen.
Wer alſo zu ſpaͤte kommt, darf nicht laͤnger als eine
halbe Stunde warten.
Der Himmelsſtrich in Ungarn iſt wirklich ſo be-
ſonders, ſo kalt und windicht, daß man ſich beſtaͤndig
mit Pelzen verſehen muß. Alle Ungarn haben und
tragen daher beſtaͤndig Pelzkleider, Pelzkappen und noch
ganze Pelze daruͤber. In den Hundstagen reiſt niemand
in dieſem Lande, ohne Pelze mitzunehmen, wegen den
kalten Abenden. Heute war ein ſchoͤner Tag, auf der
Donau ſpiegelte ſich die Sonne im Waſſer, aber kaum
ging der Wagen, ſo wehete von allen Seiten ein ſolcher
ſcharfer Wind, daß ich des Pelzes froh war, den mir
Hr. Hummel geliehen hatte, und den ganzen Tag brach-
te ich ihn nicht vom Leibe. Man kan auf der Stelle von
einem kalten Windſtos einen Rheumatiſmus im ganzen
Koͤrper bekommen.
Der Weg war keine Chauſſee, ſondern lief uͤber
unabſehliche Weideplaͤtze und breite Triften weg.
Das Erdreich iſt ſchwarz von vielem Fett. Dieſe
ganze Gegend ſcheint ein einziges groſſes Torfmoor zu ſeyn.
Man ſieht Maͤnner mit weit hinabhaͤngenden Ma-
troſenhoſen, an welchen unten Baͤnder ſind, mit wel-
chen
[560] chen ſie eine Schuhſohle unter den Fuß binden, gleich
den Moͤnchen, ohne Struͤmpfe, ſo fahren ſie ins Feld.
Auch kleine Maͤdchen tragen Stiefeln mit Pelz
gefuͤttert, bis an die Knie.
Die Weibsperſonen haben bei der Arbeit im
Felde das Geſicht der Laͤnge und der Queere nach ver-
bunden, und anders geht man gar nicht aus.
Schoͤn ſind die zahlreichen Heerden von Vieh aller
Art, die man hie und da ſieht, und die dem Reiſenden
begegnen, indem ſie von einem Weideplatze getrieben wer-
den. Mehr als tauſend Stuͤck ſind oft beiſammen. Man
ſieht Heerden von ganz weißgrauen Ochſen und Kuͤhen,
und das ſind die meiſten, auch wieder ganze Heerden von
ſchwarzem Rindvieh, beide ſind ſehr hochbeinicht, kurz-
ſtaͤmmig oder gedrungen am Leibe, und haben die ſchoͤn-
ſten Mondfoͤrmigen Hoͤrner. Ein Ungariſcher Stier
iſt ein wahres Prachtſtuͤck in der Natur. Noch zahlrei-
cher ſind die Schaafheerden, die, wenn der ganze
Schwarm zu laufen anfing, kein Ende zu haben ſchie-
nen. Auch Pferdeheerden ſah ich; die Ungariſchen
Pferde ſind alle klein, und werden ſchlecht gefuͤttert, ſind
aber dauerhaft.
Die Ungariſchen Doͤrfer ſehen gut aus. Man
bauet die Haͤuſer alle in einer geraden Linie, und die
vordere Seite muß ſchneeweis mit Kalk beworfen ſeyn.
Die Daͤcher ſind alle der Waͤrme wegen mit dicken Buͤ-
ſcheln von Rohr bedeckt, das man aus dem Neuſiedler
See bekoͤmmt *). Ich fuhr auch an vielen groſſen und
kleinen
[551[561]] kleinen Landſeen vorbei, deren Waſſer brauſte, und
ein ſtarkes Rauſchen verurſachte, wenn der Sturmwind
ſo maͤchtig daruͤber fuhr.
Fuͤr 1. Groſchen trank ich in
Golz, wo die Pferde gefuͤttert wurden, einen groſ-
ſen Schoppen herrlichen Wein. Der Wein, den die
gemeinſten Leute trinken, koſtet beinahe gar nichts, und
ſieht gruͤnlicht aus. Der Schlickewitz- oder Zwet-
ſchenbrantewein, von dem Windiſch in ſeiner Geo-
graphie von Ungarn redet, iſt auch hier ſchon bekannt.
Er ſieht ſo gelb aus wie der ſchoͤnſte Tockaierwein.
Je naͤher man Eſterhas koͤmmt, deſto merkwuͤrdi-
ger wird die Gegend. Man koͤmmt zu dem Neuſiedler
See, der eine ſehr anſehnliche Laͤnge und Breite hat.
Der ganze See iſt mit Schilf und Rohr bewachſen. Mir
ſchienen es einige Carex-Arten und Eupatorium
Cannabinum L. zu ſeyn. Da kan man recht ſehen,
wie Eine Pflanze wuchert, und ſich da, wo ſie Platz hat,
ausbreitet. An einigen Orten iſt alles ſo dick verwach-
ſen, daß man es gar fuͤr keinen See halten ſollte. Eine
Menge Voͤgel niſtet in dieſem Gebuͤſche. Die Leute fah-
ren mit kleinen Kaͤhnen hinein und ſcheiden das Rohr ab.
Daher iſt es immer lebhaft in dem See. Man hoͤrt ſie
reden, ſcherzen, lachen, und ſieht ſie doch nicht, denn
das Rohr wird mehr als Manns hoch, aber, ehe man
es vermuthet, fahren einige Jungen mit niedlichen Boo-
ten auf kleinen Wegen, wo man das Rohr nicht auf-
kommen laͤßt, in krummen Stroͤmen aus dem Walde her-
aus, und fuͤhren das abgeſchnittene Rohr nach Hauſe.
Nun hat Fuͤrſt Eſterhaſy, der hier ſeine Guͤter hat,
einen feſten Damm durch den ganzen See der Laͤnge nach
Zweiter Theil. N nfuͤhren
[562] fuͤhren laſſen, der ihm gewiß Ehre macht. Man faͤhrt
auf demſelben einen kurzen und angenehmen Weg grade
nach Eſterhas, und kan den ganzen See zu beiden
Seiten ſehen.
Unten am Anfange des Dammes iſt ein groſſes Dorf,
Bamlach, das ſich ganz vom Rohrhandel zu naͤhren
ſcheint. Auf allen Seiten ſtanden um den Ort herum
die groͤſten Haufen von geſchnittenen und ſchon zugerich-
teten Rohrbuͤſcheln, daß ſie in der Sonne trocknen ſollten.
Es ſah in der Ferne nicht anders aus, als wie Hopfen-
ſtangen, oder als wie ſchoͤner, groſſer Hanf bei uns. Am
andern entgegengeſetzten Ende des Sees ſcheint der Bo-
den ſchon etwas feſter zu ſeyn. Da waͤchſt Gras, und
ich ſah Vieh darin auf der Weide gehen.
Freilich iſt die Gegend bis an die Fuͤrſtl. Gebaͤude
hin, auch noch ſehr ſumpfig und moraſtig. Am Ende
der letzten Bruͤcke fiel ich mit der Kaleſche in einen ſo tie-
fen ſchwarzen Sumpf, daß die Pferde, die ohnehin muͤ-
de waren, ſie kaum wieder herausziehen konnten. Das
letztere Regenwetter hatte freilich das Uebel noch vergroͤſſert.
In einer kleinen Entfernung praͤſentirt ſich das Schloß
Eſterhas*) ſehr ſchoͤn, und der Fuͤrſt hat in ſchoͤnſter
Simmetrie ſo viele andre Gebaͤude darneben auffuͤhren
laſſen, daß der Ort einem kleinen Staͤdtchen aͤhnlich ſieht.
Die
[563]
Die Fremden werden hier ſehr wohl aufgenommen.
Ein Soldat meldete mir gleich, daß ich noch eben recht
zur Komoͤdie kaͤme, aber Schlaf und Ruhe waren mir
lieber.
Den 9ten Mai.
Eſterhas. Die Naͤchte ſind in Ungarn — wie
in allen heiſſen Laͤndern — kalt, und doch ſind die Ungri-
ſchen Betten nur duͤnn, und haben oben weiter nichts,
als eine ſchlechte leichte Decke. Ich deckte meinen Pelz
daruͤber, und befand mich ganz gut dabei.
Mein erſter Gang war in die Gaͤrten des Fuͤrſten,
die mir beinahe lieber ſind, als Prater und Augarten.
Hohe Alleen wechſeln mit kleinem Buſchwerk ab. Die
breiten Straſſen, die auf das Schloß zulaufen, gehen
im Walde Stundenlang fort. Jede Allee ſchließt ein
Gebaͤude, ein Sonnentempel, ein Luſthaus ꝛc. Vor
vielen andern ſchoͤnen Gaͤrten hat dieſer Garten ſchoͤne
Springbrunnen voraus. Im Park darneben ſind Fa-
ſanerien, Plaͤtze fuͤr die Hirſche, fuͤr die wilden Schwei-
ne ꝛc. ſo daß man zur Jagd alles ſehr nahe bei der Hand
hat. In allen Anlagen des Gartens herrſcht der neueſte
Engliſche oder Naturgemaͤſſe Geſchmack. Es ſind We-
ge im Gebuͤſche, wo man gewiß von niemanden geſehen
oder gehoͤret wird.
Weil die Vorfahren des Fuͤrſten au den Nebellionen
in Ungarn nicht Theil nahmen; ſo ward dieſer Familie
vom Kaiſerlichen Hauſe erlaubt, eigene Soldaten zu
halten, die hier und auf einer kleinen Fortereſſe liegen,
die der Fuͤrſt zu Bewahrung des Familienſchatzes auf ei-
nem ſeiner Guͤter hat. Es ſind 120 — 125. Mann, ei-
gene Unterthanen. Sie tragen blau und weis, ſind
N n 2ſchoͤne
[564] ſchoͤne Leute, viele von 6. Schuh, gar viele zu 5. Schuh
10 — 11. Zoll.
Der jetzige Fuͤrſt hat das alles, was man hier ſieht,
erſt gebaut. Er iſt nur Kapitaͤn bei der Ungariſchen
Leibgarde, und hat keine Stelle bei Hofe; daher iſt er
meiſtens hier, und geht nur im Winter auf einige Wo-
chen nach Wien. Er iſt bereits 68. Jahr alt, liebt
Muſik, Komoͤdien, Opern ꝛc.
Im Schloſſe ſowohl *) als im ſogenannten Gewoͤl-
be, wo man aufhebt, was man nicht immer braucht,
fand ich folgendes beſonders merkwuͤrdig und ſehenswerth:
- 1) Drei und funfzig Gaſtzimmer fuͤr ganze Familien. —
In einem andern Gebaͤude ſind noch 24. Gaſtzimmer
fuͤr ledige Kavaliere. - 2) Ein Sommermuſikſaal ganz mit Gemaͤlden behan-
gen, unter welchen beſonders zwei ſehr rar und ſchoͤn
ſeyn ſollen; — ſchoͤne Ausſichten auf den Neuſied-
ler See hinaus hat man hier auch. - 3) Ein Speiſe- und darneben ein Geſellſchaftsſaal
fuͤr Fremde, ſehr hoch, herrlich und doch niedlich moͤ-
blirt. Dabei auch immer ſehr hell. Im letzten
Saale ſtehen zwoͤlf blaue Vaſen aus Seve, die
1050. Dukaten koſteten. - 4) Ein Zimmer, deſſen Waͤnde mit ausgeſuchten Chi-
neſiſchen Papierſtuͤcken tapezirt ſind. - 5) Einige Saͤle voll Buͤcher. — Man unterſcheidet
auch noch die groſſe und die Handbibliothek, die ich
auch zu ſehen bekam. - 6) Ein goldenes Service, das gebraucht wurde, als
die verſtorbene Kaiſerin hier war.
7) Ein
[565]
- 7) Ein Kabinet von Porzellan aus China, Japan,
Dresden, Wien, mit vielen Pagoden und Chine-
ſiſchen Figuren. - 8) Darunter auch eine, die den Attlia in ſeiner kriege-
riſchen Ruͤſtung vorſtellen ſoll. - 9) Ein ganzes Dèjeuné aus Orientaliſchem weiſſen
Achat. - 10) Ein Spinnrad, das den ganzen Tag, indem es
herumgeht, Muſik macht. - 11) Eine Geige aus Schildkroͤtſchalen. Sie gibt ei-
nen vortreflichen Ton. Noch viele andre Sachen
aus Schildſpat. - 12) In Wien gemachte Buͤffete von ſanft gruͤn ge-
beitztem Holz, mit weis und braun eingelegter Arbeit
dazwiſchen. - 13) Uhren, wo in 2. und mehrern Stockwerken uͤber
einander ganze Parthien tanzender Bauern und Her-
ren koͤnnen in Bewegung geſetzt werden. - 14) Kleinere Stockuhren, wo Zifferblatt und die gan-
ze Einfaſſung mit Edelſteinen aller Art koſtbar beſetzt
ſind. - 15) Eine Uhr, wie nur noch eine in Paris und in
Konſtantinopel iſt. Sie geht einen ganzen Monat,
unten iſt eine Weltkugel. Nur ein Aſtronom oder
ein Mathematiker kan ſie recht richten. - 16) Schreibtiſche, mit aller nur moͤglichen Bequem-
lichkeit, die ſich auch ſelber ſchlieſſen. - 17) Eckſchraͤnke, deren Thuͤre ein gemaltes konvexes
Glas iſt, man hat ſie in einer Wiege und vielen Pfun-
den Baumwolle hieher gebracht. - 18) Toiletten fuͤr Damen mit allem moͤglichen, ans
Bette zu ſtellen.
N n 319) Ein
[566]
- 19) Ein reizendes Gemaͤlde von der Erzherzogin Chri-
ſtine, jetzigen Gouvernantin in Bruͤſſel. - 20) In des Fuͤrſten Wohnzimmern Figuren von Ala-
baſter und kleine Vaſen, vom Koͤnig in Neapel dem
vorigen Fuͤrſten geſchenkt. Koͤſtlich iſt insbeſondre
ein auf dem Arme liegendes nacktes Maͤdchen. - 21) Der Toiſonorden lag da geruͤſtet zum Anziehen des
Fuͤrſten, den konnten wir alſo in der Naͤhe ſehen. —
Sechs Ringe lagen auch dabei. - 22) Eine Uhr mit einem Glockenſpiel, wo hintennach
ein Kanarienvogel, der oben ſteht, pfeift. - 23) Im Schlafzimmer ſtehen auch uͤberall vortrefliche
Buͤſten und Figuren herum. - 24) Eine Uhr, die den franzoͤſiſchen Musquetiermarſch
ſpielt. - 25) Im Kabinet ſind die Waͤnde mit Schwarz und
geſchlagenem Golde uͤberzogen, — Stuͤcke, die man
jetzt gar nicht mehr macht. - 26) Ein kohlſchwarzer Gimpel ward der Sonderbar-
keit wegen in einem Kaͤfig gefuͤttert.
Das Opern und Komoͤdienhaus war abgebrannt,
da baute es der Fuͤrſt noch ſchoͤner auf; es iſt niedlich,
nicht klein, wenn alles illuminirt iſt, glaͤnzt und ſchim-
mert alles. An den Waͤnden ſind noch viele Meublen,
Porzellan ꝛc. angebracht.
Ich ſprach da auch den Mann, der fuͤrſtlicher Auf-
ſeher uͤber den Neuſiedler See iſt, und im Dorfe
Baumhagen wohnt, und erfuhr folgendes, dieſen See
betreffendes, von ihm: Im vorigen Jahre trug er dem
Fuͤrſten 6000. Gulden an Hechten, Karpfen, Krebſen,
an Federwildpret, als Schnepfen, Rebhuͤnern ꝛc. ein.
Man
[567] Man hat eigene Haͤndler an der Hand, welche die Fi-
ſche alle Woche bei ihm holen. Ein Theil des Sees iſt
Edelwald und moraſtig. Gefriert aber der See aller
8. oder 9. Jahre, ſo kan man alsdann hinein gehen,
und gewinnt nur allein aus dieſem Theil wieder fuͤr 6000
Gulden Holz. Durch immer mehreres Ableiten des
Waſſers entſtehen immer mehr Aecker, Wieſen ꝛc. fuͤr
die Unterthanen. Man behauptet auch, daß das, was
im Wiener Wirbel auf der Donau verlohren gehe, als
Truͤmmer, Breter ꝛc. nach einiger Zeit, oft nach Jah-
ren, in dieſem See wieder zum Vorſchein komme. Ein
Rohrdach, dazu das Rohr, wie ich ſchon erwaͤhnt habe,
aus dieſem See geholt wird, dauert etliche 30. Jahre.
Hundert Buͤſchel Rohr koͤnnen 1. Gulden, auch 1. Gul-
den 30. Kr. bis 2. G. koſten. Ein Theil des Sees ge-
hoͤrt dem Kaiſer, oder der Stadt Oedenburg.
Von Eſterhas aus machte ich 3. ſtarke Stunden
weiter eine kleine
Reiſe nach Oedenburg.
Das Regenwetter hatte aus dem tief hinunter fetten
und guten Boden hie und da einen einzigen Moraſt ge-
macht. Ich begegnete den Heerden der tuͤrkiſchen
Schweine, die durch Ungarn weiter hinein getrieben
werden. Sie ſehen alle ſchwarzgrau aus, wie lauter
kleine Baͤre.
Die Hauptabſicht meiner Reiſe hierher war, meinen
alten Goͤttinger Univerſitaͤtsfreund, Hrn. Dr. Conra-
di zu beſuchen. Wir erkannten uns auf der Stelle wie-
der. Die Stadt
N n 4Oeden-
[568]
Oedenburg praͤſentirt ſich von weitem ſehr ſchoͤn auf
einem Berge. Sie hat aber freilich innerhalb eben nicht
viel vorzuͤgliches, die Vorſtaͤdte noch weniger; aber die
Gegend iſt herelich.
Den 10ten Mai.
Oedenburg. Hr. Pillich, auch ein Goͤttinger
Bekannter, fand ſich am fruͤhen Morgen bei mir ein,
und wir plauderten das alles, was man zu ſchwatzen hat,
wenn man einander in 7. Jahren nicht geſehen hat.
Beim lieben Dr. Conradi ſah ich
- 1) Donaukieſel, zum Theil ſo weis, wie unſer Rhein-
kieſel, aber auch einige, die geſchliffen ſo ausſehen,
wie Rauchtspaſe. - 2) Ein Turmalin aus Ceylon, wohl ¾ Zoll lang, der-
gleichen man in den groͤßten Sammlungen nicht ſieht.
Zieht vortreflich. - 3) Viele andre Steine aus Ceylon, von einem dorti-
gen guten Freunde, wovon viele Turmaline ſind, und
ich auch einige zum Geſchenk bekam. - 4) Roͤmiſche Urnen und Muͤnzen, die man allent-
halben in Roͤmiſchen Graͤbern, die hier gar keine Sel-
tenheit ſind, findet. Darunter waren: a)Goldene
Muͤnzen von Nero und Domitian.b) Ein ſil-
berner Alexander.c) Ein ſilberner Kaiſer Ves-
paſian.d) Auch ein ſilberner Otho Caeſ. Aug.
die bekanntlich allemahl ſelten ſind.
Um zu ſehen, wie die Ungarn ihre Weinſtoͤcke
bauen, fuhren Hr. D. Conradt, Hr. Pillich und ich
ſpazieren. Der Wein ſteht zum Theil auf Gebuͤrgen, zum
Theil aber auch auf ebenem Lande. Jeder Stock bekoͤmmt
ſeinen
[569] ſeinen Stecken *), der aber nur halb ſo gros iſt, wie die
Rebſtecken bei uns. Sie lagen in Unordnung auf dem
Boden. Mit den Reben war noch gar nichts zu machen,
weil wegen der kaltanhaltenden Witterung man kaum die
Knoſpen aufſchwellen ſah.
Von den Weinbergen fuhren wir in das Wolfſer
Bad, eine kleine Stunde von der Stadt. Das Waſ-
ſer fuͤhrt ſehr viel Schwefelleber mit ſich, die durch
Kalk mit dem Waſſer verbunden iſt. Der Geruch da-
von kam mir gleich beim Eintritt ins Badehaus entgegen.
D. Conradi’s Vater hat vom Nutzen dieſes Bades ein
kleines Buͤchelchen geſchrieben. Die Gebaͤude, Bad-
haus, Wirtshaus, Kapelle ꝛc. ſind neu gebaut, und an-
ſehnlich. Die Quelle liegt auf einem nahen Huͤgel, und
wird durch bleierne Roͤhren in die Keſſel geleitet. Man
fing an zu waͤrmen, es waren ſchon einige Leute da, aber
vor einigen Jahren waren oft um dieſe Zeit ſchon ſo viele
Leute hier beiſammen, daß man nicht Waſſer genug hatte.
Man baut auch hier eine neue Evangeliſche Kirche
wirklich mit groſſem Fleis. Es halten ſich viele Prote-
ſtantiſche Landorte, die ſeither keine Geiſtlichen hatten,
zum Gottesdienſte in dieſer Stadt. Man hat hier auch
nur geſchriebene Agenden. Geſangbuͤcher hat man
endlich duͤrfen drucken, aber noch keine Bibeln. Die
Proteſtantiſchen Geiſtlichen, wenn ſie nun auf dem
Lande nach dem Toleranzedikt einen Sterbenden berichten
ſollen, bekommen noch immer Haͤndel mit den Katholi-
ſchen Pfaffen. In Wolfs fiel neulich ſo ein Auftritt
N n 5vor,
[570] vor, da der Franziskaner den Oedenburgiſchen Geiſtli-
chen waͤhrend dem Konſekrationsaktus anfiel, und aus
der Stube riß. Die Evangeliſchen Geiſtlichen ſind da-
her auch noch ſchuͤchtern, ſeig, furchtſam ꝛc. In Un-
garn iſt der Pabſt aͤuſſerſt verhaßt. Die Proteſtanten
reden laut gegen ihn. Das iſt die alte Empfindlichkeit
wegen den ehemaligen Bedruͤckungen. In der Gottes-
ackerkirche iſt eine eigene Gruft, worin die Evangeli-
ſchen Geiſtlichen begraben werden.
Bemerkungen.
Der Ton in Oedenburg iſt gut, Buͤrger und
Unterbuͤrger ſind ſehr hoͤflich, jedermann gruͤßt ſich. Es
ſtehen viele ſchoͤne ſtarke, hohe, ſteinerne Haͤuſer in der
Stadt. Das Volk iſt nicht dumm.
Vom Kirchthurm gibt der Zinkeniſt alle Viertel-
ſtunden bei Tag ſowohl als bei Nacht ein Zeichen.
Jedermann, auch der Bediente, ſpricht hier Latein,
aber erbaͤrmlich, z. E. Sartor eſt exterius — Quo-
modo dignatur valere Veſtra Dominatio? —
Felicem veſperam! Auch Frauenzimmer ſprechen ſo
Latein, es iſt unter ſo verſchiedenen Nationen die allge-
meine Mutter- oder Landesſprache.
Viele Ungarn, die auch keine Soldaten ſind, tragen
Schnautzbaͤrte mit langen Zipfeln an der Seite. So
war ich mit einem vornehmen Ungarn, der reiſte und
ſeinen Schreiber bei ſich hatte, ſeinen Flaſchenkeller mit
herrlichem Wein ꝛc. in einer Auberge, der hatte einen er-
ſtaunlichen Schnautzbart.
Es iſt wahr, was man zuweilen im Reiche erzaͤhlt
vom greulichen Freſſen und Saufen der Ungarn bei
allerlei
[571] allerlei Gelegenheiten, z. B. bei Leichen, Haͤuſerbauen ꝛc.
Oft baͤckt man 15, 20. Paſteten, oft waͤhrt das Leben
drei und mehrere Tage, oft werfen ſie das Ueberfluͤſſige
zum Fenſter hinaus ꝛc.
In der Vorſtadt ſah ich einen ſehr groſſen Vieh-
und Fruchtmarkt. Die Straſſen werden ganz mit
Koth und Duͤnger bedeckt, und die Ungariſche Oekono-
mie haͤlt das nicht zuſammen. Der Frucht- *) und
Weinhandel macht hier viele Leute ſehr reich!
Koͤſtlicher groſſer und dicker Spargel waͤchſt hier;
faſt Ellengros ſind die Spargeln, und mehr als Fingers-
dick. In meines Freundes und andrer Gaͤrten ſah ich,
warum der Spargel ſo hoch werden und doch ſo weis
bleiben kan. Man ſtuͤrzt uͤber jeden Spargel eine Glo-
cke von rothem Thon, die oben eine Oefnung hat. Gan-
ze Felder ſind mit dieſen rothen Glocken bedeckt. In ih-
nen kan die Pflanze wachſen, weil ſie aber vor der Luft
bewahrt iſt, ſo bleibt ſie immer weich, muͤrbe und weis.
Bei Tiſche aß ich noch heute koͤſtliche Ungariſche
Trauben. Auch die eingetrockneten Beeren waren
noch immer wie Oliven. — Eine ſogenannte Gattung
von Weihrauchtrauben ſchmeckte gar vortreflich aro-
matiſch, hatte kleinere Beeren und eine graue Haut.
Zum Wermuthwein nehmen die Leute auch, D. Con-
radi’s Ausſage nach, die Wurzeln von Angelica, von
Helenium ꝛc. Es koͤmmt auch Zimmt- und Muskaten-
bluͤte
[572] bluͤte dazu. Die Fabel von Goldfaͤden an den Re-
ben entſtand von ausgetretenen und in der Sonne am
Stocke wie Harz ſo zaͤhe gewordenen Saft der Trauben.
Der Ungariſche Wein haͤlt ſich 16, 18. auch 20. Jah-
re, verliert immer mehr von ſeinem Feuer, wird milder,
bleibt aber doch ſo lange immer trinkbar. Das Jahr
1779. war eins der beſten und reichſten Weinjahre.
Die Schleſier holen insbeſondre ihren Wein in Oeden-
burg. Damals wurden 70-80000. Ungariſche Ei-
mer Wein hier verkauft, zu 20. bis 40. Gulden. Alſo
kamen allein fuͤr ſelbigen Wein zwiſchen 2. bis 300,000.
Gulden ins Land.
In dem Weinreichen Lande braut man doch ſehr gu-
tes Bier, und auch reiche Leute trinken es bei Tiſch.
Denn die guten Weine gehen alle aus dem Lande.
In der Kunſt, Kaͤſe zu machen, ſind die Ungarn
hinter den Schweizern noch weit zuruͤck. Ich konnte
von zweierlei Sorten nicht einen Biſſen genieſſen, ſie hat-
ten alle einen unangenehmen Beigeſchmack.
Man hat ganz ſchwarzen Schnupftoback, der
im Lande fabrizirt wird. Doch iſt die Nation weder an
das Schnupfen, noch an das Rauchen ſtark gewohnt.
Schwerze Wolfspelze, die hier nicht ſelten ſind,
ſehen mit einem rothen Ueberzug und weiſſer Einfaſſung
ſehr ſchoͤn aus.
Ein Ungariſcher Bettler, der ſeinen Mantel und
Pelz aus mehr als 100. Stuͤcken zuſammengeflickt hat,
und ſo dahergeht, ſieht ekelhaft und wirklich fuͤrchterlich
aus.
Vierzig Stuͤhle blauwollenes Tuch ſind hier.
Das Tuch geht meiſtens nach Sklavonien.
Den
[573]
Den 11ten Mai.
Dieſer Tag ging mit der
Ruͤckreiſe von Oedenburg nach Wien
hin. Der Weg lief auf der herrlichſten Straſſe, und
durch die angenehmſten Gegenden hin. Auch war’s ein
vortreflicher heitrer Tag, aber um der Winde willen
konnte man doch den Pelz immer auch im Zimmer beim
Mittageſſen anhaben.
Es war grade Faſttag, da trift man freilich immer
nur Eierſpeiſen und Fiſche auf der Straſſe an. Die
Leute backen ſchnell einen Fiſch auf dem Roſt, ſtreuen ge-
riebenen Meerrettig daruͤber und ſtellen ihn ſo auf. Man-
cher ißt/ geſottene, gebratene und gebackene Fiſche auf
einmahl.
In Winpaſſin kommt man auf dieſer Seite wieder
aus Ungarn*).
Die Fuhrleute haben die Gewohnheit, den Pferden
unterwegs von Zeit zu Zeit einen Wiſch grobſtenglich-
tes Heu in einem Vocke vorzuſetzen, ſich aufs hoͤchſte eine
Viertelſtunde aufzuhalten, und dann wieder davon zu ja-
gen. Mir duͤnkt, daß dieſe Gewohnheit den Pferden
mehr ſchade, als nuͤtze.
Ich
[574]
Ich war kaum in Wien angelangt, als mich der
Daͤniſche Hr. Geſandte zur Mittagstafel auf Morgen
einladen lies.
Den 12ten Mai.
An dieſem Sonntagsabend war, weil es ein ſchoͤner
Tag war, halb Wien im Prater. Ganze Reihen
von Karoſſen hielten hintereinander, ſo daß man oft nach
2. Schritten ſchon wieder ſtille halten muſte. Wo man
nur hinſah, ſaß eine Geſellſchaft, und aß und trank.
Manche hatten im aͤchten Geiſt der Wiener um 4. Uhr
ſchon wieder eine ordentliche Mahlzeit, eine voͤllig ſervir-
te Tafel. Es laufen immer Italiaͤner herum, die von
langen Knackwuͤrſten jedem herabſchneiden. Man baͤckt
hier junge Huͤhner und Tauben, wenn ihre Knochen noch
wie Sperlingsknochen ſind, und ihr Fleiſch noch gar kei-
nen Beſtand hat. Am Luſthauſe wechſelten die Leute
zu Tauſenden ab, um der Ausſicht willen. Nun ward
doch der Wald auch gruͤn, und das Gebuͤſche ſchattig.
Die Haͤuſer der Aubergiſten hier ſind meiſtens groſſe hoͤl-
zerne Schoppen, ſie machten aber wohl ein kleines Dorf
aus, wenn ſie alle beiſammen ſtuͤnden.
Heute verſah der Daͤniſche Geſandſchaftspredi-
ger den erſten lutheriſchen Offizier im Soldatenhoſpital
mit dem heil. Abendmahl. Der Intendant des Hoſpi-
tals lies ihm wiſſen, er habe beſondern Befehl darzu
vom Kaiſer, und er ſtehe ihm fuͤr alle Inſulte von den
Katholicken. Es ging auch ganz ruhig ab.
Vor einigen Jahren noch waͤre man, in den Vor-
ſtaͤdten beſonders, todt geſchlagen worden, wenn man
nicht vor demVenerabiligekniet haͤtte. Jetzt ſeit
des
[575] des Kaiſers Regierung *) geht der Proteſtant mit ab-
gezogenem Hute vorbei, und niemand darf ihm etwas
ſagen. Noch vor wenig Jahren ward die Frau eines
Hannoͤveriſchen Geſandten, die einer Prozeſſion in
die Haͤnde fuhr, aus dem Wagen geriſſen, zum Knien
gezwungen, und einer kniete ihr auf die Fuͤſſe, ſo daß ſie
recht auf den Boden kam. Der Hof muſte freilich eine
eklatante Satisfaktion geben, die Frau ward ſehr geehrt,
und bekannt gemacht, daß die abſcheuliche That ohne das
geringſte Vorwiſſen des Hofs geſchehen ſei.
Das 2te Stuͤck der woͤchentlichen Wahrheiten
fuͤr und wider die Prediger machte noch mehr Ge-
ſchrei. Es waren darin die herrlichſten Wahrheiten ge-
gen die Anbetung der Mariaͤ geſagt. Der Kardinal
Migazzi ſoll zweimahl Vorſtellungen daruͤber beim Kai-
ſer gemacht haben, der Monarch gab aber zur Antwort:
„Sie ſollten ſich nur in Acht nehmen, daß ſie die Geiſ-
„ſel der Kritik nicht verdienten.“
Noch immer theilte einer dem andern Klopſtocks
Ode uͤber die Toleranz und den Pabſt heimlich mit.
Denn weil ſie der Kaiſer nicht gedruckt haben will, und
ſie doch wahrſcheinlich gedruckt werden wird, ſo will kei-
ner es wiſſen laſſen, daß er ſie hat. Der Inhalt iſt in
Klopſtocks Geiſt. Man ſagt — andre laͤugneten es
aber — er habe 300. Dukaten dafuͤr vom Kaiſer zum
Geſchenk bekommen.
Bemer-
[576]
Bemerkungen.
Das Klima iſt hier ſo, daß viele Krankheiten, wie
die Aerzte verſichern, leicht in Entzuͤndung uͤbergehen.
Vom Staub, der hier die dickſten Wolken macht,
und ein feiner ausgetrockneter Kalk und Sand iſt, bekom-
men viele Menſchen, viele Fremde ſonderlich, boͤſe Augen.
Bei manchem wird der Reiz ſo heftig, daß Eiter aus den
Augen fließt.
Den 13ten Mai.
Ich brachte einige Morgenſtunden mit der Reviſion
des Manuſkripts meiner in der Daͤniſchen Geſand-
ſchaftskapelle gehaltenen Predigt fuͤr die Druckerei zu.
Hr. Kaufmann Wucherer hatte die Sache uͤbernom-
men, und waͤhrend meiner Abweſenheit mit dem Buch-
drucker von Schoͤnfeld akkordirt. — Man verſicherte
mir, daß ich hier unter Lutheranern und Katholiken mehr
Leſer und gute Freunde haͤtte, als ich kennen lernen koͤnn-
te; es wurden mir auch verſchiedene Stammbuͤcher
ins Haus geſchickt, oder hie und da, wo ich zuweilen hin-
kam, angeboten, daß ich Leuten, deren Namen ich nicht
behalten konnte, hinein ſchreiben mußte. *) Darauf be-
ſah ich das
Naturalienkabinet des Braunſchw. Geſandten,
des Hrn. Baron von Vockels. — Es ſteckt zwiſchen
einer
[577] einer anſehnlichen Bibliothek, in 4. Glasſchraͤnken und
vielen Schubladen ganz verſteckt, iſt den beiden Eheleu-
ten wegen des Platzes ſonderlich ſehr verleidet, ſie betrach-
ten es mit verdrießlichen Augen als ein todtes Kapital,
zumahl da er immer krank iſt und 6-7. Kinder, meiſtens
Toͤchter, hat.
Es iſt wahr, Hr. von Moll trieb als Partikulier
die Liebhaberei zu weit. Von verſteinerten Holz ſind
ganze Kaſten voll da, und jedes Stuͤck iſt ein, gar viele
zweimahl angeſchliffen. Stuͤcke von der Wurzel ſind da,
wobei der Schleifer allein zum Poliren 20-30. Pfund
Schmirgel brauchte. Sind nun aber dieſe Brocken alle
Achat, oder Holz, ſo kommen die ſchoͤnſten Farbenmi-
ſchungen, meiſt dunkle und ſchwarzbraune vor, die man
mit Worten nicht beſchreiben kan. Meiſtens ſind es
auſtriaca, und man erſtaunt, wenn man nur ſieht, wie
vielerlei um Wien herum iſt. Der Katalog dazu er-
klaͤrt die Nummern und die Buchſtaben. In ſyſtema-
tiſcher Ordnung iſt es nicht, es lieſſe ſich aber mit leichter
Muͤhe darein bringen. Noch ein Kaſten iſt mit Ver-
ſteinerungen von Muſcheln, Zaͤhnen, Wirbeln ꝛc. an-
gefuͤllt. In mancher Schublade ſoll freilich gar eine
groſſe Raritaͤt ſeyn, und auch der jetzige Beſitzer verthei-
digt die einfaͤltigen Namen, die man zum Theil dieſen
Koͤrpern gegeben hat. — Da muß man wohl an Lin-
nee′’s herrlichen Ausſpruch denken: Sapiens coarctet
infructuoſam ſcientiam.
Auſſerdem ſind eine Menge Landcharten vorhan-
den, ſonderlich von Deutſchland und von Ungarn.
Der Katalog davon macht 44. Foliobaͤnde aus. Es
ſind aber auch alle Roͤmiſche Steine und Inſchriften, die
Zweiter Theil. O oder
[578] der Mann in der Gegend fand, darin abgezeichnet. Vie-
le Charten ſind nur mit der Feder gezeichnet. Auch die
ſind bemerkt, die noch zur Vollſtaͤndigkeit der Sammlung
fehlen. Der Sammler war in allen Dingen gar ſcien-
tifiſch und ſyſtematiſch. — Und nun ſagt ſeine eigene
Tochter: „Sie fuͤrchte nur, ihr einziger Sohn moͤchte
„einmahl an allen dieſen Sachen Geſchmack finden.“
Die Buͤcher verkauft ein Antiquarius einzeln in der Bu-
de auf dem Markte.
Eine Sammlung Konchylien trift man auch darin-
nen an, worunter ſchoͤne und wohlkonſervirte Stuͤcke ſind.
Ganz beſonders ſchoͤn und reich aber iſt die Samm-
lung von Oeſterreichiſchen Steinen, alle Arten von
Marmor, Alabaſter, Sandſteine, Kieſel, Granite und
Porphyre. Es ſind wohl uͤber 300. Spielarten allein
von Marmor im Oeſterreichiſchen. Jede Sorte iſt
doppelt da, jede Schublade hat 2. Einſaͤtze, alſo 3. La-
gen uͤber einander, die ovale Figur gefiel dem Manne
beſſer als die viereckigte. Darunter kommen praͤchtige
Stuͤcke vor, im Kaiſerlichen Kabinet hat man dieſe Land-
ſammlung nicht ſo vollſtaͤndig, und ſo ſchoͤn zubereitet.
Eine groſſe Vaſe aus Boͤhmiſchen Puddingſtone
iſt alles was man ſchoͤn heiſſen kan.
Hr. Prediger Eckhof und ich aſſen Mittags beim
Hrn. Baron von Vockel. In Geſellſchaften iſt er
noch munter. Der Sohn iſt ein feuriger offener Junge,
das Geſicht der Toͤchter hat aber faſt durchgaͤngig etwas
Schiefes. Wir ſprachen viel vom Pabſt, den jetzigen
Schriften, Einrichtungen der Kirchen, Unrechtmaͤſſigkeit
des Kniens beim Venerabili ꝛc.
Bemer-
[579]
Bemerkungen.
Man nennte mir heute eine ganze Reihe Evangeli-
ſcher Reichshofraͤthe und Reſidenten her, die ſeit we-
nigen Jahren alle katholiſche Frauen genommen, und alle
ihre Kinder katholiſch werden laſſen.
Den 14ten Mai.
Meine erſte Beſchaͤftigung fuͤr heute war, daß ich die
Kaiſerliche Sternwarte beſah. Sie iſt im Uni-
verſitaͤtshauſe, und noch von der verſtorbenen Kaiſ. M.
Ther. unter Hr. P. Hell’s Direktion erbaut worden.
Hr. P. Hell iſt ein gebohrner Ungar, aber ſeine Vaͤ-
ter waren Deutſchboͤhmen. So gros ſeine Wiſſen-
ſchaft iſt, ſo gros iſt auch ſein moraliſcher Karakter,
grade, edel, ſimpel, offen, ſchon ein grauer, aber in ſei-
ner Wiſſenſchaft noch thaͤtiger und muntrer Mann. Auch
er erwartet mit Zittern die Reformen des Kaiſers.
Das Jahr, wo alles in ſtatu quo bleiben ſollte, iſt
bald zu Ende, er hat einen Adjunkt, und einen Bedien-
ten, ſonſt aber geſteht er ſelber, daß die philoſophiſchen
Profeſſoren uͤberhaͤuft ſind. Fuͤr manche Wiſſenſchaft iſt
ein deutſcher und ein lateiniſcher, dabei aber kam es ihm
doch fremd vor, daß der Kaiſer alles auf Goͤttingiſchen
Fuß ſetzen, kleine Beſoldungen geben, und den Studen-
ten das Bezahlen der Kollegien aufbuͤrden will. Ich ſah
bei ihm
- a) Eine Mittagslinie, die er ſelbſt gezogen hat, und
die in einer beweglichen Schnur beſteht. - b) Einen ſehr groſſen Quadranten, von 9. Wiener
Schuh im Radius, in Wien gemacht. Es iſt eine
O o 2Stiege
[580] Stiege daran, und weil er oft gar lange obſervirt, ſo ſind
die Stuffen alle gar ſo eingerichtet, daß man ſie zu
Sitzen aufſchlagen kan. Der Quadrant iſt ſehr wohl
auf Minuten getheilt, auch kan man den Tubus da-
ran ſo richten, daß man vertikal auſſer dem Obſerva-
torium hinaufſehen kan. - c) Einen Stegmannſchen Tubus, durch den ich das
2. Stunden von hier entfernte und nun aufgehobene
Kamaldulenſerkloſter ſehr klar und deutlich ſah. - d) Einen aſtronomiſchen Tubus, ſehr hell. Man
durfte nur an einer Kurbel darneben drehen, ſo ging
die ganze Gegend vor dem Auge voruͤber. - e) Eine Uhr von Graham aus London, an welche
Hr. Hell aber ein neues zuſammengeſetztes Pendel an-
bringen ließ. Sie ſteht ſo, daß er mit dieſer Uhr an
mehrern Orten zugleich beobachten kan. - f) Die Oefnungen. Sie gehen durchs ganze Haus
vom Keller an, ſo daß man auch hier die Sterne,
wie an mehrern Orten, am hellen Tage ſehen kan. - g) Seine Obſervatoria, eins gegen Norden, eins
gegen Suͤden. Er obſervirt die Sterne lieber am
Tage, als in der Nacht, es ſei viel ſichrer. Er ſieht
die Sterne der 3ten und 4ten Groͤſſe am hellen Tage. - h) Einige Maſchinen, groſſe Magnetnadeln ꝛc. die
der Kaiſer aus Prinz Karls in Bruͤſſel Verlaſſen-
ſchaft hieher ſchenkte. Man hat zum Andenken an
jede oben einen Schild mit einer Inſchrift gemacht.
Sonſt wird nichts neues angeſchaft, auch Mar. The-
reſ. gab von 1756. an nichts mehr dazu her. - i) Die Terraſſen oben wurden immer durch das Re-
genwetter verdorben. Die Kaͤlte zog den Kuͤtt zwi-
ſchen den Steinen zuſammen, von der Hitze ſprang er
wieder:
[581] wieder: damit lies Hr. Hell es endlich ſo einrichten,
daß das Regenwaſſer ordentlich zwiſchen den Steinen
auf ein kupfernes Dach hinablaufen kan, und nun ſind
die Terraſſen immer trocken. - k) Auf dieſen Terraſſen lies er 4. Kammern zum Ob-
ſerviren bauen, in welche er geht, wenn ihm in den
untern Obſervatorien durch 2. benachbarte Thuͤrme die
Gelegenheit benommen wird. - l) Eine ſchoͤne Camera obſcura, wo er alle Parthien
der Stadt auf einem groſſen Tiſche vorbeigehen laſſen
kan. Man ſieht ſogar Wagen und Pferde und
Menſchen, aber erſchrecklich weit weg, aus der Vor-
ſtadt. Es war ein Ort in der Stadt, wo er auch
Menſchen ſehen konnte, aber er ward ihm verbaut.
Durch einen in der untern Etage angebrachten Spie-
gel kan er ein Spiel auf dem Boden machen, als
wenn ſein Bedienter aus dem Boden ſtiege, die Uhr,
Schnupftobacksdoſe ꝛc. herausnaͤhme, Komplimente
mache, das thut der Kerl nehmlich unten wirklich.
Darneben ſind auch Einrichtungen zum Sonnenmi-
kroskop.
Bis zu P. Hells Wohnzimmer ſind es 126. Stufen.
Vom Wohnzimmer ſind noch etliche 80. Stufen, uͤber-
haupt etwa 230. ohne den Keller. Da hat der hieſige
Wind eine ſolche Gewalt, daß er Adler und andre ange-
brachte Figuren alle zerbrach. Eine praͤchtige Ausſicht
uͤber die Stadt nach Boͤhmen, Maͤhren, Ungarn, und
auf die Donau, genießt man hier. Nicht weit davon liegt
das alte Obſervatorium der Jeſuiten, wo auch noch
Inſtrumente ſind; denn das neue hat die Kaiſerin erbaut.
Beſſer ſtuͤnde es freilich bei Belvedere, auf einem Huͤgel,
und ſo waͤre aller Rauch und Staub der Stadt hinter dem
Beobachter.
O o 3Von
[582]
Von den metereologiſchen Anſtalten in Carls-
ruhe, Mannheim, Muͤnchen ꝛc. urtheilte er: die
Herren verſtuͤnden die erſten Grundſaͤtze nicht, der ganze
Plan ſei falſch, er habe keine Hand darin, und die hie-
ſige Akademie habe es auch auf ſein gefaͤlltes Parere zu-
ruͤckgeſchickt. Er ſagte: Man muͤßte a) dazu eigene
Leute beſtellen, wenn aus den Beobachtungen etwas Ge-
wiſſes werden ſollte. b) Bei Feſtſetzung der 3. Zeiten
am Tage habe man gleich die Differenz der Meridiane,
z. B. von Wien und Paris vergeſſen. c) Wer die
Abweichung der Magnetnadel recht beobachten wollte,
der muͤßte nicht nur 3mahl, ſondern alle Stunden nach-
ſehen. So habe ers mit 2. andern Perſonen in Ward-
hus gemacht, und haͤtte dieſe Beobachtungen, die noch
ungedruckt bei ihm liegen, 3. Monate fortgeſetzt. Da
habe er auch gelernt, daß das maximum und mini-
mum immer in Zeit von 30. Tagen falle, und daß alſo
der Mond, wenn man von ſo kurzer Zeitbeobachtung
Schluß machen duͤrfe, allerdings einen Einfluß habe.
Wenn man aber nur 3mahl am Tage obſerviren, und
nachher einen Cyclum feſtſetzen wolle, ſo werde man
80 — 100. Jahre vergeblich die Magnetnadel und das
Barometer beobachten. d) Die Gleichheit in den
Beobachtungen koͤnne auch deswegen nicht Statt haben,
weil z. B. nach Ofen und Prag die Inſtrumente ver-
dorben angekommen waͤren, alſo haͤtte man ſie dort erſt
fuͤllen muͤſſen. —
Man ſieht in dieſem Hauſe, das uͤberhaupt ein ſehr
ſchoͤnes Gebaͤude iſt, auch noch den Statuͤenſaal, das
Zimmer, wo nach der Natur gezeichnet wird, die phy-
ſikaliſchen Zuruͤſtungen und dergl.
Nachdem
[583]
Nachdem ich dieſen groſſen Aſtronomen verlaſſen
hatte, ſah ich einer Kaiſerlichen Lehnsreichung zu.
Der Probſt von Berchtoldsgaden ſollte die Lehen em-
pfangen. Ein Domherr von St. Stephan, ein Herr
von Hinkel empfing ſie fuͤr ihn. In der Burgſtraſſe
muß der lange Zug der Kutſchen halten, der Lehnempfaͤn-
ger muß dort ausſteigen, und in einem bekannten Hauſe
warten, bis ihm der Kaiſer ſagen laͤßt, daß er kommen
ſoll. Im Belehnungsſaale ſieht man des Kaiſers Thron,
und zu beiden Seiten Tribunen fuͤr die Zuſchauer. Die
Zuſchauer und die Noble Gardiſten ſammeln ſich, end-
lich kommen auch die Miniſters des Kaiſers, hernach
ſtellt ſich die deutſche Noble Garde in der Staatsuniform
mit bloſſen Hellebarden oder Spieſſen rings im Zimmer
herum. Der Kaiſer kam aus ſeinem Zimmer *), einer
trug ihm das bloſſe Schwerdt vor, nun kam der Dom-
herr, ganz in einen ſchwarzen Mantel gehuͤllt, herein,
bei der 2ten Kniebeugung hob der Kaiſer den Hut, der
Lehnsempfaͤnger kniete an die unterſte Stuffe des Throns,
und hielt ſeine Rede, die der Reichshofrathsvizepraͤſident
beantwortete; darauf ſtieg er hoͤher herauf, kniete auf
der erſten Stufe des Throns, las den langen Eid ab,
und der Reichshofrathsvizepraͤſident las in einer Abſchrift
nach. Der Kaiſer gab den Hut ſo lange weg, als er
ſchwor, lies ihn nachher das bloſſe Schwerdt am Griffe
kuͤſſen, worauf er wieder unten eine Dankſagung hielt,
und hinter ſich hinausging. Der Kaiſer ſtand mit vieler
Majeſtaͤt auf, zog den Hut ab, wendete ſich dabei be-
ſonders gegen den Herzog von Wuͤrtemberg und ſeine
Graͤfin, und ging hinaus.
O o 4Bei
[584]
Bei dieſer feierlichen Handlung ſuchte mich der Ku-
pferſtecher Hr. Loͤſchenkohl auf, und ich mußte mit ihm
nach Hauſe gehen, damit er mich zeichnen konnte. Ein
junger Kuͤnſtler voll Erfindungskraft und Genie, der
ſchon ſehr viel geſtochen, und noch mehr gezeichnet hat,
aber uͤbrigens ein Bonvivant, wie alle Kuͤnſtler, iſt.
Ich ſah bei ihm folgende Zeichnung: Ein Greis ſitzt
im Augarten und weint, mit der Inſchrift: „Ach, bald
„werd’ ich die Bluͤten und das Gruͤne nicht mehr ſehen!
„Guter Gott! verzeih es mir, wenn ich weine, dann
„Joſeph macht die Welt erſt ſchoͤn“. Dieſes Stuͤck
machte, daß der Kaiſer ſelber gut von dem Kuͤnſtler
ſprach. Aus meinem Buche: von der G. und W.
Gottes hat er die Stelle in der Einleitung vom Regen-
wurm, abgebildet. Ein Juͤngling haͤlt einen Wurm
in der Hand, und ſtuͤtzt ſich auf einen Stein, in welchem
meine Stelle eingegraben iſt. Er nahm erſt meine
Silhouette in einer dunkeln Kammer mit Licht, hatte
das Papier auf einen Rahmen aufgenagelt, der ſo aus-
geſchnitten iſt, daß er dem, deſſen Silhouette man haben
will, auf der Schulter aufſitzt. Nachher mußte ich neben
ihm ſitzen, damit er das Geſicht vollends zeichnen konnte.
Der Grosfuͤrſt und die ganze Wuͤrtembergiſche Familie,
als ſie hier war, ſind ihm geſeſſen *).
Abends ſah ich noch eins von den herrlichen Feuer-
werken, die man nur in Wien ſehen kan. Der Ita-
liaͤner Mellina gab es, es ward durch Schuͤſſe von Vier-
telſtunde zu Viertelſtunde angekuͤndigt, hatte 6. verſchie-
dene Fronten, viel buntes Feuer, und verrieth viel Er-
findungs-
[585] findungsgeiſt. Jede Fronte beſtand aus 4, einige aus
6. Stuͤcken, auch waren 2. nur Ein Stuͤck. So wie
eine Fronte abgebrannt iſt, werden die Maſchinen herab-
geworfen, und verloͤſchen vollends auf dem Boden.
Kaum war wieder nur an wenigen Orten angezuͤndet, ſo
machen die Direkteurs ein Geſchrei, und im Augenblicke
ſteht wieder alles im Feuer. Ein Garten mit Terraſſen,
Saͤulen und zuletzt ein groſſes Hauptgebaͤude mit den
Seitengebaͤuden gefiel mir am beſten. Oft rauſchte das
Brennen zuſammen wie Meerwaſſer rauſcht. Oft meint
man, man hoͤre ſieden und kochen. Oft ſieht man durch
Oefnungen hinein, und erblickt Feuermaſchinen, eine
hinter der andern. Oft ſchieſſen die verſchiedenen Stuͤcke
in einer Fronte gegen einander, und entzuͤnden ſich oft
von neuem ganz, wenn ſie ſchon wie abgebrannt ſcheinen.
Zwiſchen den verſchiedenen Fronten fuͤllen romaniſche Lich-
ter, groſſe Raketen, die endlich noch mehrere Dutzende
von Sternen auswerfen, die Zeit aus. Es waren wohl
gegen 4000. Menſchen da. Bis es Nacht iſt, geht und
ſpeiſt man im Prater, und die Janitſcharenmuſik amu-
ſirt das Publikum.
Bemerkungen.
Am Sonntage wird hier um Mittag im Univer-
ſitaͤtshauſe den Handwerksleuten, Lehrpurſchen ꝛc.
Mechanik gelehrt. In der Woche laͤßt man ihnen keine
Zeit dazu; am Sonntage beſteht ihr ganzer Gottesdienſt
in der Fruͤhmeſſe, daher kommen wirklich immer noch
viele ins Kollegium.
O o 5Den
[586]
Den 15ten Mai.
Auf Veranſtaltung des Hrn. Meuſels von Nuͤrn-
berg, der an Tuͤrkiſche Kaufleute Glas, Meſſingwaa-
ren und dergl. verhandelt, und dafuͤr Tobackspfeiſen-
koͤpfe ꝛc. von ihnen nimmt, ging ich heute fruͤh mit ihm
und Hrn. Hartmann zu einem gewiſſen Molla Mam-
muth, der ſchon viele Jahre hier iſt, an der Baſtei
wohnt, und bei dem viele andre Tuͤrken einkehren.
Wir fanden ſie auf ihren Teppichen und Sophas
an der Wand rings herum, einen halben Schuh uͤber
dem Boden ſitzen, die Fuͤſſe ganz zu ſich und unter ſich
gezogen, wie kleine Kinder gern ſitzen. Da ſchlafen ſie
in Pelzen, da beten ſie, und haben auch dabei eine Art
von Roſenkranz in der Hand, da eſſen ſie, und, wenn
es ein Schmaus ſeyn ſoll, ſo haben ſie einen ledernen
Tiſch, den ſie dadurch ausſpannen, daß ihn jeder an ſich
anknuͤpft. Man gab uns auch ſolche Polſter, doch leg-
ten wir 2. auf einander, damit wir als Europaͤer ſitzen
konnten. — Aber es ſieht grade ſo aus, wie das Sod
des Ebraͤers, und der Devan des Sultans beſchrie-
ben wird. Alles iſt ſehr reinlich. Ein tuͤrkiſcher Knabe
brachte uns koͤſtlichen Kaffee ohne Milch mit Zucker, und
Tobak, tuͤrkiſche Blaͤtter, fein geſchnitten, in Koͤpfen
von rothem Bolus, aber ſchoͤn vergoldet, mit Roͤhren,
laͤnger als mein Stock, oben mit einem hornenen Mund-
ſtuͤck, das zum Feſthalten fuͤr die Lippen beinahe zu dick iſt,
doch gewohnte ich es bald. Wir ſahen auch das Schreib-
zeug, das ſie im Orient immer bei ſich haben, inwen-
dig ſind einige Federn aus Rohr, die Dinte iſt in einem
Schwamm, und auſſen haͤngt eine kleine Schreibtafel
daran. — Grade wie’s der Prophet anfuͤhrt. (ſ. Mi-
chaelis
[587]chaelis Ebraͤiſche Antiq.) Molla Mammuth ſchenk-
te mir eine tuͤrkiſche Feder, eine Teute voll tuͤrkiſchen To-
bak, und verſprach mir einen rothen und vergoldeten
Kopf nachzuſchicken *).
Nachdem ich den Tuͤrken verlaſſen hatte, beſah ich
das herrliche
Kaiſerliche Muͤnzkabinet. Es ſteht in der Burg
neben dem Naturalienkabinet. Der Aufſeher uͤber die
aͤltern Muͤnzen war nicht da, es war mir aber lieber,
die neuern zu beſehen. Ich machte dabei folgende Be-
merkungen:
- 1) Aeltere goldene Kaiſerliche und Oeſterreichiſche
Muͤnzen gibts nicht, als von FriedrichIII. - 2) So gibts auch keine aͤltern ſilbernen Thaler, als
von MaximilianI. - 3) Vor der Entdeckung von Amerika waren alle Muͤn-
zen gar klein, aber gleich nachher wurden alle groͤſſer. - 4) Sie liegen hier alle in Schraͤnken mit Schubladen
in viereckigte Faͤcher abgetheilt, nach der Chronologie,
nach Gelſtl. Fuͤrſt, Kaiſer, Fuͤrſten, Staͤdte ꝛc.
Unter jeder liegt auf einer viereckigten Charte eine Ab-
ſchrift von ihren beiden Inſchriften, und die Bemer-
kung ihres Werths, meiſt nach Dukaten.
5) Man
[588]
- 5) Man hat auch einen Katalog von allen vorhandenen
Muͤnzen nach den Inſchriften, wobei Lochner,
Koͤhler, und andre Buͤcher, worinnen die Muͤnze
beſchrieben und abgebildet iſt, angefuͤhrt ſind. - 6) Von Lothringiſchen Herzogl. Muͤnzen iſt die ganze
Suite da. Kaiſer FranzI. lies ſie nachpraͤgen. - 7) Auch ſind von LouisXV. alle in Gold da. — Die
Nation ſchlug eine goldene Muͤnze darauf, daß der
Koͤnig einmahl auf der Jagd war *). - 8) Von LudwigXIV. ſind ſie auch alle da, aber nur
von Silber. - 9) Noch ſeltener ſind die aus Schleſien und
- 10) aus Siebenbuͤrgen. — Was aber aus Ungarn
und Siebenbuͤrgen vor dem Hauſe Oeſterreich in
der Welt iſt, das ſind keine Medaillen, ſondern lau-
ter Muͤnzen. - 11) Eine goldene, die Michael Woda, Fuͤrſt in der
Wallachei, geſchlagen hat. - 12) Von Modena, Savoyen und andern italiaͤni-
ſchen Fuͤrſten. - 13) Goldene Muͤnzen der Reichsſtaͤdte nach dem Alphabet.
- 14) Sehr groſſe goldene Medaillen, von 50 — 100.
Dukaten, als z. B. a) Eine von SigismundIII.
Koͤnig in Pohlen, auf die Einnahme von Smolens-
ko, wiegt 313. Dukaten. b) Eine von ChriſtianV.
von Daͤnnemark, auf die 3. gegen die Schweden
gewonnene Schlachten. Die Schiffe ſind auf der
Kehrſeite herrlich in Basrelief gearbeitet. Wiegt
377. Dukaten.
15) Eine
[589]
- 15) Eine Suite von Dukaten von Florenz, als Stadt
und Land noch eine Republik waren. Es iſt immer
einerlei Stempel, nur durfte der jedesmalige Praͤſi-
dent vom Muͤnzamt ſein Wappen oben an die Seite
darzu ſchlagen. - 16) Kleine ſilberne Muͤnzen, Gulden und Thaler; als
a) von Karl dem Groſſen an bis auf den jetzigen
Kaiſer. b) Von Karl dem Groſſen ſind 10. Stuͤ-
cke da, ein Stempel wie der andere, nur immer eine
beſondere Stadt dabei. - 17) Eine Sammlung von nachgemachten Muͤnzen,
von Kaiſer Auguſt an bis auf KarlVI. gut zum
Unterricht. - 18) Muͤnzen vom groſſen Mogul. — Unter dieſen
ſind 12. Stuͤcke, welche die Bilder des Thierkreiſes
vorſtellen, vom Jahr 1610, 1612 ꝛc. - 19) Tartariſche Muͤnzen. — Man kan nicht erra-
then, was darauf ſteht. - 20) Muͤnzen von den arabiſchen Koͤnigen in Spanien.
- 21) Chineſiſche. Sie ſchlagen keine andere als kupfer-
ne. In der Mitte iſt ein Loch, dadurch reihen ſie ſie
an Schnuͤre auf. - 22) Larini. — So heiſſen Muͤnzen von Silber ge-
ſchlagen in Lar, einer Hauptſtadt in Perſien. Sie
ſehen aus wie eine kleine Zuckerklemme. - 23) Japaniſche, theils noch viereckigt, theils oval.
- 24) Siamiſche — ſehr grotesk.
- 25) Muͤnzen von Pondichery, dort nur kurrent; von
Europaͤern geſchlagen. - 26) Viri illuſtres, eine ſtarke Sammlung. Die ku-
pfernen lies FranzI. nachgieſſen, und hernach aus-
arbeiten.
27) Die
[590]
- 27) Die MuͤnzeNon exoratus exorior iſt hier, gros
wie ein Konventionsthaler: ſie ſteht beſchrieben und
abgebildet in Lochners Sammlung merkwuͤrdiger
Medaillen. Th. V. p. 217. und in Koͤhlers Muͤnz-
beluſtigungen T. XIX. p. 65.
In Hr. von Schoͤnfelds Druckerei *) brachte ich
einen Theil des uͤbrigen Tages zu. Er hat hier und in
Prag 13. Preſſen. Die Verleger geſtehen doch ſelber,
daß manches Schriftchen ganz erbaͤrmlich ſei, aber jeder
hat das Privilegium, ſie bezahlens, und das Wiener
Publikum lieſt und verdaut auch alles.
Bemerkungen.
Hier kan Niemand etwas anfangen, der nicht ein
ſtarkes Kapital in Haͤnden hat. Eine Barbierſtube
in einer Vorſtadt kan 4000 — in der Stadt ſelber
8 — 10000. Gulden koſten. Allein die Freiheit mit Kaͤſe
zu handeln, kommt auf 3000. Gulden zu ſtehen. Aber
freilich iſt Wien auch der Ort, wo ein auf dieſe Art an-
gelegtes Kapital groſſe Zinſen traͤgt.
Gebettelt wird hier ſehr ſtark, beſonders in den
Vorſtaͤdten, im Prater und im Augarten, und weil
man keine kleinere Silbermuͤnze hat, als 1. Groſchen,
und keine kleinere Kupfermuͤnze als 1. Kreuzer, und ſo
viele
[591] viele vornehme Leute hier ſind, die kein Kupfer bei ſich
tragen; ſo iſt das Betteln, wie man aus Erfahrung weis,
ein gutes und eintraͤgliches Handwerk. Mancher bet-
telt bald des Tags 2 — 3. Gulden zuſammen. Auf die
Stube kamen viele zu mir, die im Staat bettelten,
vacirende Kanzeliſten, Sekretaͤrs, ein Baron v. Gries-
heim aus Anſpach, Leute, die ehemals beim Grafen
Hodiz in Roswalde in Schleſien in Dienſten waren.
Einige gaben vor, ſie wollten wieder ins Reich reiſen,
andre wollten mich in Berlin geſehen haben ꝛc.
Unter der verſtorbenen Kaiſerin war zwiſchen der
Stadt und den Vorſtaͤdten eine ſehr beſchwerliche Sperr.
Wer nach den feſtgeſetzten Stunden zu Fuß kam, mußte
1. Kreuzer, und der im Fiakre fuͤr ſich, den Kerl und
jedes Pferd 3. Kreuzer bezahlen. Das hinderte die Ge-
meinſchaft zwiſchen der Stadt und den Vorſtaͤdten, ſon-
derlich mit den Arbeitsleuten. Es ſoll nach Abzug der
Beamten etwa jaͤhrlich 80000. Gulden eingetragen ha-
ben. Der jetzige Kaiſer hobs auf; man mußte immer
lange am Thore warten.
Den 16ten Mai.
Nachdem wir kaum einige Tage Waͤrme gehabt hat-
ten, windete und ſtuͤrmte es heute ſchon wieder; die
Vorbereitung der Natur zum Regenwetter war ſchon wie-
der mit Kaͤlte verbunden.
Hr. Loͤſchenkohl zeichnete mich heute vollends aus,
und bemerkte dabei, daß es ein Fehler ſei, wenn die
Maler allen Koͤpfen einerlei Ohr zeichnen. Es ſei
ein groſſer Unterſchied in der Hoͤhe, Tiefe, Breite und
Weite der Muſchel. Jeder Menſch habe auch hier ſeine
eigene
[592] eigene Bauart. Er ſchenkte mir auch einen wohlgetrof-
fenen Abdruck vom Pabſt.
Hr. Dr. Rebſaamen beſuchte mich drauf. Ein
ſehr aufgeklaͤrter Katholik, und Mitglied von der Geſell-
ſchaft, welche die woͤchentliche Wahrheiten fuͤr die
Prediger ꝛc. ꝛc. ſchreibt. Er hat auf den Pabſt aller-
lei Sinngedichte gemacht, die vielleicht einmahl werden
gedruckt werden.
Ich machte auch heute dem Hrn. Reichshofrath und
Grafen von der Lippe meine Aufwartung. Ein uͤber-
aus gnaͤdiger und gefaͤlliger Herr. Er iſt reformirt, geht
aber immer in die Lutheriſche Kirche, und kollektirt nun
zu einem reformirten Bethauſe. Seine Gemahlin iſt
auf dem Lande erzogen, liebt die groſſen Staͤdte nicht,
hat einen ſanften Karakter, kraͤnkelt aber an der Em-
pfindſamkeit, beklagte noch ſehr den Tod ihrer Tochter,
weinte faſt, als ſie von Rouſſeau ſprach, verehrt ſehr
ſeine Schriften ꝛc.
Heute ward ein groſſer Staatsrath bei Hofe gehalten,
ob die woͤchentlichen Wahrheiten fuͤr die Prediger ꝛc.
fortgehen ſollten oder nicht, weil der hieſige Kardinal
Migazzi gewaltige Vorſtellungen dagegen machte, und
ſeine Geiſtliche dagegen predigen lies. Er lief aber ſo
ab, daß der Kaiſer deklarirte, das Gutachten ſeiner ver-
nuͤnftigſten Theologen gehe dahin, daß durch dies Blatt
mehr Gutes geſtiftet werde, als wenn man noch 6. Pro-
feſſores Theologiae aufſtellte. Alſo gehen ſie fort,
und bei dem reiſſenden Abgang hier erhoͤhte der Verleger
den Preis von 4. auf 10. Kreuzer fuͤrs Stuͤck. Im heu-
tigen 3ten Stuͤck ward meine Predigt rezenſirt, gut,
aber
[593] aber ſo wie’s moͤglich geweſen war, ſie vom bloſſen Zu-
hoͤren zu faſſen.
Die Titelnarrheit kan in keiner Stadt weiter ge-
hen, als hier. Ueber Tiſche beklagte es ein vornehmer
Mann recht ernſtlich, daß er geſtern Einem, der doch
nur Gnaͤdiger Herr ſei, die Excellenz gegeben. — Und
daruͤber entſtand ein langer Diskurs, wie er in aller
Welt dazu gekommen ſei.
Man hat hier einen greulichen Laͤrmen mit den Na-
menstagen. Da muß gratulirt werden. Die Be-
dientin werden herum geſchickt, die Hausſekretaͤre ver-
ſaͤumen nicht, dem Verwandten vom Hauſe an ſolchen
Tagen im Staat aufzuwarten.
Die Laternen, womit Wien erleuchtet wird, thun
auch in der Stadt, bei den engen Straſſen keine ſonder-
liche Wirkung. Und erſt ſeit einiger Zeit ſind es runde
aus Einem Stuͤck; die viereckigten und zuſammengeſetz-
ten that man in die Vorſtaͤdte.
Die Taxen, die hier auf der Reichskanzlei beim
Taxamt fuͤr Standeserhoͤhungen entrichtet werden muͤſſen,
ſind ungeheuer, oft 2000. Gulden auf einmahl. Der
Churfuͤrſt von Maynz kan die ganze Reichskanzlei da-
mit eralten.
Man redet hier von 80. Millionen Gulden Ein-
kuͤnfte, die der Kaiſer haben ſoll.
Ofener Wein, Boͤhmiſches Glas, und andre
Dinge, die im Lande gemacht werden, koſten hier
in der Stadt, wegen der Mauth, Trankſteuer, und an-
dern ſchweren Auflagen mehr, als ſie auſſer Land koſten.
z. E. der Eimer Ofener Wein kan im Ankauf 6. Gul-
den, und mit Mauth und Transport auf der Achſe 13.
Zweiter Theil. P pGulden
[594] Gulden koſten. Ein kleines Boͤhmiſches Kelchglas
zum Tockaierwein koſtet hier 17. Kreuzer.
Man hatte dem h. Nepomuk auf den Bruͤcken jetzt
wieder eine gruͤne Huͤtte von Zweigen gemacht. Vor
dieſer kniet das blinde Volk nieder und betet an! —
Den 17ten Mai.
Auch heute war die Witterung wieder ſo kalt und
unfreundlich, daß die Wiener ſelbſt uͤber Katarrhe
klagten.
Heute beſah ich das Naturalienkabinet der Uni-
verſitaͤt. Es ſteht im Jeſuiterkollegium, im zweiten
Stock da, wo ehemals phyſikaliſche Experimente gemacht
wurden. Hr. Prof. Well, ein guter Freund von Hrn.
Dr. Conradi aus Oedenburg, hat es rangirt, und
die Aufſicht daruͤber. Er iſt eigentlich hier der erſte Prof.
Hiſt. Natur. vorher war er ein Apotheker, er hat es
aber durch ſeinen Fleis weit gebracht. Er lieſt hier oben
an groſſen, ſchoͤnen, offenen Plaͤtzen, hat ein eigenes
Sommer- und ein eigenes Winterauditorium, und hohlt
dabei die Sachen aus den Schraͤnken vor. Die Natura-
lien ſind in blauangeſtrichenen mit vergoldeten Leiſten ge-
zierten Glasſchraͤnken aufbewahrt, die in einer doppelten
Reihe den langen Saal ganz huͤbſch hinablaufen. Hin-
ten und vorn liegen Mineralien. Die Ordnung iſt
meiſt Lehmanniſch. Jedes Metall iſt meiſt von der
lockern Erde da, bis zuletzt einige Praeparata kommen,
als Regulus, Minium etc.
Die Thiere ſind vierfuͤſſige und Voͤgel ausge-
ſtop[f]t auch in Glaskaͤſten an der Wand. Von den er-
ſtern ſind nicht viele da, meiſt Glires und Muſtelae.
Die
[595] Die Voͤgel halten ſich freilich, weil ſie mit Arſenik aus-
geſtopft ſind. Es ſind ſehr viele aus allen Ordnungen
da, denn die Schraͤnke ſind gewaltig hoch, breit, mit
vielen Abſaͤtzen, aber meiſt inlaͤndiſche. Der in Schoͤn-
brunn abgelebte Kaſuar war hier, ferner viele Am-
phibien in Weingeiſt: dieſe waren vorher in der Bilder-
kammer, oft waren 3 — 4. beiſammen in Einem Glaſe.
Well mußte das alles auseinander leſen, rangiren ꝛc.
Auch von Fiſchen und Molluſcis viele in Glaͤſern. —
Ein ziemlich groſſes Aſter. Caput Meduſae, trocken.
Die Inſekten hinter Glasplatten, ſtehen da wo er lieſt,
noch wenig. Konchylien ſind da in 16. Pyramiden,
die zwiſchen und hinter den Kaſten ſtehen, angebracht.
Darunter iſt nichts beſonders.
Aus dem Pflanzenreich nichts, als einige Semi-
na, wieder in Pyramiden. Vieles in der Sammlung
iſt Eigenthum des Hrn. Well. Er hat alle dieſe
Stuͤcke mit einem aufgedruckten W. gezeichnet. Alle
Edelſteine ſind ſein; ſie ſtehen im Winterauditorium.
Verſteinerungen beurtheilte er richtig, und hat
davon fuͤr die Liebhaber eine kleine Pyramide angefuͤllt.
Um Schauſtuͤcke iſts ihm auch nicht zu thun, ſon-
dern mehr um eine inſtruktive Sammlung; doch fand
ich hier folgende Merkwuͤrdigkeiten:
- 1) Kryſtalliſirtes durchſichtiges Rothguͤldenerz von
Ste. Marie aux mines. - 2) Ein Stuͤck Kalkſpat, an dem man gar deutlich ſe-
hen kan, daß die Natur die Spate aus Lamellen zu-
ſammenſetzt, denn man kan, wiewohl er hart iſt,
doch die einzelnen Blaͤttchen unterſcheiden.
P p 23) Kalk-
[596]
- 3) Kalkſpat, auf welchem kleiner glaͤnzender Selenit
uͤbergeſprungen iſt. Solche Stuͤcke brauſen daher
nicht gleich, wenn gleich Acidum darauf gegoſſen
wird. Laͤßt man ſie aber eine Zeit lang darin liegen,
ſo verrathen ſie doch ihre wahre Natur. Der Name
Selenit ſei recht gut, denn man kenne den Gyps
immer an einem gewiſſen ſanften Glanz. - 4) Ein Stuͤck Gyps, das ſich in den Tyrol-Halliſchen
Salzroͤhren angelegt hat; ſehr dick, Kruſte uͤber
Kruſte, man ſollte es fuͤr Kalk halten; aber die Pro-
be bewies den Gyps, und das beſtaͤtigt in meinen Au-
gen die Bergmaͤnniſche Regel: daß man da wo Gyps
liegt, faſt allemahl Salz erwarten kan. - 5) Geſtrikter Gyps, oder Gypſum reticulatum,
gar ſein. - 6) Eine greulich groſſe und breite Platte heller Gyps
aus Ungarn. - 7) Molybdaena aus Ungarn, Maͤhren und Boͤh-
men. — Er hat ſie bei den fetten Steinen liegen. - 8) Roſenkraͤnze aus Sal Gemmae, Kiſten aus Gagat,
eine Mutter Gottes mit dem Kinde im Kleinen ꝛc. - 9) Vulkaniſche Produkte aus Neapel, zwei Pyra-
midenvoll. - 10) Roher Labradorſtein, der doch an einer Stelle
ſchon ganz artig glaͤnzt. - 11) Ein Crotalus horridus, der nur 6. Ringe hat.
Sie ſcheinen alſo mit den Jahren zu wachſen. —
Darneben auch ein Crotalus mutus, der am
Schwanze nur einen ſchwarzen Fleck hat. - 12) In den 8. Schraͤnken voll ausgeſtopfter Thiere iſt
auch ein Geſchoͤpf, das ausſieht wie Siren lacerti-
na L. es hat aber 4. Fuͤſſe, ganz hinten auch wieder 2.
13) Teſtu-
[597]
- 13) Teſtudo Midas L. indem ſie aus dem weiſſen Ei
herausſchluͤpft, auch mit dem Kopfe zuerſt. - 14) Ein ganz ſchwarzer Salamander und kein Waſ-
ſerſalamander, ſondern er wurde oben auf dem Schnee-
berge bei Wien gefangen. Und ſein Schwanz iſt
nicht zuſammengedruͤckt, ſondern cauda teres. - 15) Eine Boa Scytale mit einem Ei von ihr, oval,
wie eine recht groſſe Ringlotte. — Und in dieſem
kleinen Raume brachte die Natur das groſſe Thier in
ſeiner Jugend an!
Im Arrangement der Thiere ſind noch hier und da
kleine Unordnungen, die dem fleiſſigen Manne entwiſcht
ſind, und freilich iſt Mineralogie und Cheinie ſein
Hauptfach.
Man erzaͤhlte mir hin und wieder viel Laͤcherliches von
Hiſgerto, den ich in Paris kennen lernte *), und der
ſeither auch hier war, z. B. er wuͤnſchte, daß Baron
Vockels Steine alle viereckigt waͤren, damit er ſie wie
Flieſſen an den Fenſtern ſeines Kabinets brauchen koͤnn-
te. In ſo vielen Jahren auf Reiſen ſollte er doch das
Spaniſche Weſen abgelegt hben. Er ging nach Un-
garn bis zu den Bergwerken, weil er aber einen ver-
haßten Pfaffen, der ſich hier an ihn addreiſſirte, mit-
nahm, ſo zeigte man ihm dort nichts.
Bemerkungen.
Man ſagt hier laut in allen Geſellſchaften, wo vom
Reiten die Rede iſt, daß der Kaiſer ſehr krumm und
P p 3gebuͤckt
[598] gebuͤckt zu Pferde ſitze, er ſei von jeher ſo geritten, habe
es nicht anders lernen wollen *).
Wenn man das Gloͤckchen, welches das Venerabile
ankuͤndigt, aus der tiefen Straſſe herauf hoͤrt, ſo knien
die Bedienten im 4ten Stock, ohne daß ſie etwas ſehen
koͤnnen, bei ihrer Arbeit eine Minute nieder, machen
das Kreuz und ſchlagen an ihre Bruſt.
Viele Liebhaber tapezieren hier ihre Zimmer nicht
mit Tapeten, ſondern mit lauter groſſen und kleinen Ku-
pferſtichen hinter Glas, mit goldenen Rahmen, von un-
ten an bis oben auf. Dann ſetzen ſich oft Damen und
Kinder dazu, und kopiren die Stuͤcke.
Jetzt hatte man die kleinen Monatrettiche, die
bisher noch ſelten geweſen waren, im groͤßten Ueberfluß.
Auſſerordentlich gros iſt doch die Thorheit, Hunde
zu halten, nicht in dieſer Stadt.
Den 13ten Mai.
Heute erhielt ich einen Befuch von 2. Ungariſchen
Kandidaten, Hrn. Heinrich und Hrn. Hagen. Un-
ſre Unterredung fiel auch auf den jetzigen Zuſtand der
proteſtantiſchen Kirche in dieſem Lande. Die armen
Evangeliſchen haben zwar das Toleranzedikt, aber ehe
die ſogenannte Freiheit vom Kaiſer koͤmmt, duͤrfen ſie
doch an die Errichtung eines Bethauſes nicht denken. —
Der Kaiſer darf in Ungarn nicht ſo befehlen, wie im
Oeſterreichiſchen, er muß immer die Landſtaͤnde hoͤren. —
Auch gehen noch viele Sachen deſto langſamer, weil Er
ſich
[599] ſich noch nicht hat kroͤnen laſſen. — Die Krone iſt in
Presburg, und das iſt die Kroͤnungsſtadt, aber man
ſpricht davon, als wenn er ſich in Ofen wollte kroͤnen
laſſen. Mar. Ther. ward in Presburg gekroͤnt.
Der liebe Hr. Hummel aus Presburg beſuchte
mich auch heute. Er kam hieher auf die Meſſe, um
einzukaufen.
Mittags und einen groſſen Theil des heutigen Tages
war ich bei Hrn. Wucherer.
Bemerkungen.
Die Lungenſucht iſt hier eine gewoͤhnliche Krank-
heit, wegen der hohen Treppen, und der groſſen Entfer-
nung, in welcher einer von dem andern wohnt. Beſon-
ders ſterben Peruquiers und Barbiers meiſtentheils ſehr
jung. Auch junge Aerzte, die gleich viel Praxis bekom-
men, und doch nicht Roß und Wagen halten koͤnnen,
werden ſelten alt. Wenn einer hier zuweilen 4. Kranke
hat, ſo koͤmmt er Abends muͤde und abgemattet nach
Hauſe. Ich hatte 108. Staffeln bis zu meinem Zim-
mer zu ſteigen.
Die Groͤſſe der Sterblichkeit in dieſer Stadt ſieht
man auch aus der woͤchentlichen Todtenliſte, die der
Zeitung beigedruckt wird. Gar oft kommen Studenten
und andre junge Leute darin vor.
Immer hoͤhrte man von Auktionen der den aufgeho-
benen Kloͤſtern zuſtaͤndig geweſenen Gebaͤude, Aecker,
Wieſen, Muͤhlen ꝛc.
Man hat hier die Gewohnheit, jedes neue Buch
und jeden gedruckten Wiſch durch ein eigenes Oktav- oder
P p 4Quart-
[600] Quartblatt mit einer kurzen Rezenſion anzuzeigen, und
alle dieſe Blaͤtter werden jedesmahl der Wiener Zeitung
beigelegt. Jetzt war es allemahl ein dickes Paket, und
meiſtens noch Sachen uͤber den Pabſt. Auch Gemaͤlde,
Kupferſtiche, Auktionen werden auf dieſe Art angezeigt.
Wenn Portraits geſtochen werden, ſo hat man
immer die Rahmen in Menge ſchon abgedruckt. Selten
wird ein neuer gemacht. Dann druckt ein andrer unten
in den leeren Raum von einem ſchmalen Kupferblaͤttlein
den Namen ein, und der dritte nimmt erſt den Ecuſſon,
und ſetzt ihn in die Mitte und druckt es ſo ab.
Heute war der Spargelmarkt ganz unermeßlich.
Man ging zwiſchen 2. Reihen von Haufen lang hin.
Zwei Gulden koſtete, was vor 8. Tagen 12—15. Gul-
den galt. Auch Maͤnner gehen hier auf den Markt.
Den 19ten Mai.
Ein elender Pfingſtſonntag war das heute. —
Regen, Kaͤlte, Wind, Koth, daß man nirgends hin-
gehen mochte. Am Morgen fruͤh ſah ich, daß es an
meinen Fenſtern herab ſchneite und hornigelte.
Gar viele Leute hatten hier ſchon die Krankheit,
die in Europa herumzog. Man bekam Schnupfen,
Huſten, Kopfweh, verlor den Appetit, ward matt in
allen Gliedern, und war den ganzen Tag ſchlaͤfrig. Wer
um der Meſſe willen aus dem Reich kam, Mann oder
Frau, jung oder alt, ward unfehlbar angegriffen. Vie-
le, die ſchon viele Jahre in Wien ſind, und ſchon vor
5. Jahren das Fieber gehabt haben, koͤnnen es nicht
ganz los werden, und brauchen ſeither Arzneien dagegen.
Der
[601]
Der betruͤbten und ungeſunden Witterung ungeach-
tet fuhren ganze Familien nach den Landhaͤuſern, wo
man geſtern die Freſſerei beſtellt hatte.
In Wien iſt es Sitte am Pfingſtſonntage, ſei
es uͤbrigens Wetter, wie es wolle, ſeidene Kleider an-
zuziehen, wie ich auch heute ſah, trotz der Witterung.
Mittags aß ich bei Hrn. Wucherer, weil ich fuͤr
Kirling, Nußdorf, Prater und Augarten bei dem
Wetter herzlich dankte.
Heute ſagte Jemand zu mir: Ich kaͤme alſo, wenn
ich nun dieſe Woche abreiſte, grade recht nach Venedig
zur Feierlichkeit auf den Himmelfahrtstag. — So
wenig wiſſen die Leute nur das Aeuſſerliche ihrer Religion!
So leben ſie in den Tag hinein, und bekuͤmmern ſich
nicht um Wahrheit, Feſttage, Zeitordnung im Leben ꝛc.
Durum genus hominum, quod acres morum
caſtigatores expetit! Non illis ſenſus communis,
non externa ſacrorum reverentia, non ſapien-
tiae honor, non ſcientiae gloria inter illos ha-
betur. Qui plurimum gulae indulget, is opti-
mus, is ſodalis. is amicus. Eſt ſi quem tan-
quam eruditum ſuſpiciunt, quaſi rarum quod-
dam, ab exteris oris allatum, et quod abhor-
reat a communi hominum ſorte, adſpiciunt,
cum illo rara conſuetudo. Quare et eruditi vi-
ri, qui inter illos nati ſunt, ſi non peregrinas
terras adierunt, vix habent, in quo excellant,
deficiente ſtimulo, deficiente exiſtimatione pu-
blica. Baccho et Cereri libant cives, non Apol-
lini et Muſis. Seculum fere adhuc decurret,
donec in literarum ſtudio, ardore et ingenio,
quos ubivis imitantur, Berolinenſes longe adſe-
P p 5cuti
[602]cuti fuerint. Diffunditur etiam ſtolidi aliquid,
et ſerpit ſtupiditas ex Romanenſium Eccleſia,
inter noſtrates, quo ſit, ut inſtituta. vel opti-
ma, fere ſemper inficiantur.
Bemerkungen.
Das Allmoſen in der Daͤniſchen Kirche iſt an ei-
nem gemeinen Sonntage 5—5½. Gulden; als ich pre-
digte, fielen 17. Gulden. Da zehren aber viele Arme
davon, und die Kirchenbediente bekommen auch jede
Woche ihr Gewiſſes davon.
Jeder Brief muß hier bis an die Grenze nahe oder
weit, mit 6. Kreuzer bezahlt werden, und kan nicht wei-
ter frankirt werden. Und jeder Brief im Lande koſtet 4.
Kreuzer, er gehe 2. Stunden, oder bis ins Temes-
warer Bannat.
So eine hoͤlzerne Huͤtte, oder Stand, dergleichen
die Kraͤmer zeilenweiſe auf dem Markte, ſonderlich auf
dem Graben haben, koſtet den ganzen Markt durch nicht
mehr als 60. Kreuzer. Aber Gewoͤlbe ſind kaum noch
zu haben, man muß ſie faſt ein halbes Jahr vorher be-
ſtellen, und alſo auch ſo lange koſtbar bezahlen.
Die Logis ſind hier in manchen Haͤuſern erbaͤrm-
lich. Angebaͤude, Winkel, Erker ꝛc. ſind unzaͤhlich.
Beim Abtritte iſt oft aus Mangel des Platzes eine groſſe
Unflaͤterei. Die wenigſten Kaufleute wohnen da, wo
ſie ihr Gewoͤlbe haben. Es gibt Staatsſtuben, die
kaum helle ſind, kalt, unfreundlich ꝛc. Auf mancher
engen Wendeltreppe begreift man kaum, wie die Leute
ihre Meublen hinauf und herabbringen koͤnnen, weil 2.
Menſchen einander kaum ausweichen koͤnnen. Aber die
Seſſel-
[603]Seſſeltraͤger tragen beim beſtaͤndigen Wechſel der Woh-
nungen alles wohin man will. Auch hier weis man-
cher, an deſſen Thuͤre man klingelt, gar oft nicht, was
ſonſt fuͤr Leute um ihn herum leben und wohnen.
Den 20ſten Mai.
Auch der Pfingſtmontag war nicht viel ſchoͤner.
Gegen Abend ſchien das Wetter kaum etwas beſſer zu
werden, ſo kam wieder ein ſolcher entſetzlicher Sturm mit
Wind und Schlagregen vermiſcht, daß alle Fenſter zit-
terten. Aber die meiſten Wiener merken nicht, daß ei-
ne Witterung von der Art dem Fremden auſſerordentlich
auffallen muß. Denn ſie ſind den Anblick der ſchoͤnen
ruhigen Natur gar nicht gewohnt. Die ſchoͤnſten Mor-
gen werden verſchlafen, und die Abende verſpielt. Son-
ne, Mond und Sterne ſieht man an vielen Orten gewis
nie. Denn auch noch im 5ten Stock ſind vor jedem Fen-
ſter Gitter von Eiſen, und auch an den Dachfenſtern
ſind ſie, weil oft noch oben ganze Familien mit kleinen
Kindern wohnen. Dieſe hindern zwar das Ausfallen,
aber auch die Ausſicht. Man iſt uͤberall wie ein Gefan-
gener. Keine Gebaͤude ſind geraͤumiger, weiter, heller,
als die, ſo ehemahls den Jeſuiten, oder andern Geiſtli-
chen gehoͤrten. Sie meinten, ſie duͤrften getroſt fuͤr die
Ewigkeit bauen, ihres Reichs wuͤrde kein Ende ſeyn *).
Heute
[604]
Heute machte ich Bekanntſchaft mit dem Hausarzt
des Hrn. von Stockmaier, dem Dr. Schreiber, der
ſich ſchon einen tuͤchtigen Bauch an ſeiner Patienten Ta-
fel gegeſſen und gewis in vielen Jahren kein Buch mehr
angeſehen hat; ein Mann, der nach ſeiner langen Routi-
ne fortſchreibt. Aber ganz ein andrer Mann iſt der Leib-
chirurgus des Herzogs von Wuͤrtemberg. Hr. Klein.
Der Herzog gab ihm 5000. Gulden, — denn er ſelbſt
hatte nichts — davon ſtudirte er in Strasburg, Pa-
ris, Havre de Grace und London; Er war 7. Jahr
auf Reiſen, und kam nachher noch mit dem Herzoge an
manchen Ort hin. Preis und Ehre dem Fuͤrſten, der
das Genie pflegt, und die Wiſſenſchaften foͤrdert! Schimpf
und Schande dem geizigen Regenten, dem der ſtumpfe
Kopf wie der mittelmaͤſſige, und der halbgute wie der
vorzuͤgliche iſt, der gleich erſchrickt, wenn er von dem
Vermoͤgen des Landes wieder zum Beſten ſeiner Buͤrger
herausgeben ſoll. Es ſind wenigſtens 600. Doktores
Medic. hier. Ueber alle dieſe iſt Baron von Stoͤrk
Praͤſident. Aber die Fakultaͤt haͤlt keine woͤchentliche
oder monatliche Zuſammenkuͤnfte; daher koͤmmts, daß
hier in Praxi die allerwiderſprechendſten Grundſaͤtze herr-
ſchen.
Bemerkungen.
Die Ausgelaſſenheit der Wiener Damen geht ſo
weit, daß heute eine bei der Tafel vom Stuhle fiel, weil
ſie ſich von den benachbarten Chapeatur ſo ſehr kuͤtzeln lies.
Der Ton der hieſigen Damen im Reden iſt meiſtens
ſchreiend, ſtrudlend und unverſtaͤndlich.
Hier
[605]
Hier iſt es Mode, bei Tiſch eine Schuͤſſel ſuͤſſe
Pomeranzen in Schnirte geſchnitten, aufzuſtellen. Man
ſtreut wahrſcheinlich ſchon in der Kuͤche Zucker daruͤber,
damit er zergangen ſei, wenn man ſie ißt.
Den 21ſten Mai.
Mit Hrn. von Stockmaier fuhr ich heute zuerſt
auf die Reichskanzlei zum
Hrn. Baron von Laſſolaye; einem Manne, der
ganz ſchwarzbraͤunlicht ausſieht, als wenn er wenigſtens
ein Mulatte waͤre.
Von dort zum Hrn. Hofrath und Archivarius
Schmidt, der ein kurzer, dicker, unterſetzter Mann iſt,
aber nichts Wieneriſches, ſondern von Reichslaͤnder Art
in ſeinem Weſen hat. — Er ſagte: er finde hier aller-
dings ſehr viel zu ſeiner Geſchichte, er habe einen ganz
neuen Faden gefunden, daher werde es langſam gehen,
es ſei uͤber die vorraͤthigen Aktenſtuͤcke gar kein Reperto-
rium da. Es koͤnnten wohl noch 4-6. Baͤnde werden.
Im Archiv zu Maynz muͤſſe auch noch viel liegen, man
gebe ſich wirklich Muͤhe, manches von dorther gegen einen
Revers zu entlehnen, aber man werde nichts hergeben. Ab-
ſchreiben laſſen oder Exzerpiren ſei ein unſichrer Weg, al-
ſo moͤge einmahl Einer dort Supplemente zu ſeiner Ge-
ſchichte herausgeben. — Das Archiv liegt in ſtarken
Gewoͤlbern, (die wir nur von auſſen zu ſehen bekamen)
in einem Theil der Burg; oben ſind die Arbeitszimmer,
dem Komoͤdienhauſe ſehr nahe, daher der Kaiſer immer
meint, es ſei zu viel Feuersgefahr dabei.
Von dort fuhr ich zum Hrn. Baron von Leykamm,
um Abſchied zu nehmen.
Heute
[606]
Heute war um 7, 8. Uhr ſo herrliches Wetter, daß
mancher ſchon uͤber Hitze klagte, und ehe es Mittag ward,
war es ſo ſtuͤrmiſch, kalt und unfreundlich, als wenn wir
im November lebten. Geſtern ſchneite es in Schoͤn-
brunn recht ernſtlich.
Bemerkungen.
Von Wittingau in Boͤhmen wurden heute an die
hieſigen Aerzte 6. abſcheulich groſſe Steine geſchickt, die
der dortige verſtorbene Poſthalter in der Blaſe hatte.
Kein Prof. Anat. und kein Doktor an einem Hoſpital
wird leicht ſo groſſe geſehen haben. Sie waren groͤſſer
und dicker als die ſtaͤrkſte Mandel mit ihrem wolligen Ue-
berzug und fuͤllten ein ganzes Schaͤchtelchen aus. Der
Mann muß erſchreckliche Schmerzen ausgeſtanden haben.
Den 22ſten Mai.
Der heutige Tag ging mit Packen, Abſchiednehmen
und Anſchicken zu Abreiſe hin. Indeſſen ſprach ich
doch noch die Herren Denis, Maſtaller und von Me-
chel an der Tafel des Hrn. von Stockmaiers. De-
nis erſchrack uͤber Maepherſon’s neue Ausgabe. We-
gen der vielen Veraͤnderungen haͤlt er nun ſelber den Text
fuͤr unrichtig. Er arbeitet auch an einer neuen Ausgabe
ſeiner Ueberſetzung, aber ſie wird viele Muͤhe koſten.
Maſtalier iſt Profeſſor der Aeſthetik, und ein muntrer
Mann, klagt aber, daß man hier zu Lande auf das Fach
gar nicht Ruͤckſicht nehme. Die Oeſterreichiſchen Stu-
denten bekuͤmmern ſich um dieſe Wiſſenſchaft gar nicht.
Er diſputirte uͤber Tiſch daruͤber, daß das Wort be-
traͤchtlich gar nicht gut ſei, Adelung und andre haͤttens
auch
[607] auch nicht, man muͤſſe immer anſehnlich dafuͤr ſagen.
„Stehen wir auf,“ ſagte endlich Hr. von Mechel,
als der Streit lebhaft ward, „ſonſt verlieren wir noch die
„halbe deutſche Sprache.“
Rautenſtrauch iſt von dieſen beiden Maͤnnern ver-
achtet. Er ſchreibt, ſagen ſie, 14. Kreuzerbrochuͤren.
Die Frau von Stockmaier gab uns zuletzt, weil
heute Quatember war, noch eine Mahlzeit von Faſtenſpeiſen.
Abends ward die Reiſe mit Hrn. Reichsreferenda-
rius von Leykamm Sohn verabredet.
Man zeigte heute ein aktenmaͤſſiges Verzeichnis
aller Kloͤſter in den Oeſterreichiſchen Landen, ſo wie ſie
zur Zeit der Reformation waren; da war die Zahl der
Pfaffen, der Weiter, der Beiſchlaͤferinnen, der Kinder,
der alten und der neuen Einkuͤnfte angegeben.
Den 23ſten Mai.
Reiſe nach Wieneriſchneuſtadt.
Der erſte fuͤr mich intereſſante Ort, auf dem ich zu-
kam, nachdem ich Wien verlaſſen hatte, war Wiene-
riſchneuſtadt, 2. Stationen von Wien. Ehe man
dahin kommt, ſieht man Thereſienfeld, ein ſchoͤnes
Dorf, im Hollaͤndiſchen Geſchmack von lauter einſtoͤcki-
gen Haͤuſern. Oben und unten liegen an jedem Hauſe
eingefaßte Gaͤrten. So iſt es eine lange Reihe von Haͤu-
ſern zu beiden Seiten, doch wohnet niemand als Bau-
ern da.
Neuſtadt ſelber iſt alt, hat Vorſtaͤdte und viel Nah-
rung wegen der ſtarken Paſſage nach Wien. Ich mach-
te gleich einen Beſuch beim Hrn. Hauptmann v. Born,
der
[608] der hier Aufſeher bei der Militaͤrſchule und ein Bruder
des Wiener iſt. Nie ſahen 2. Bruͤder einander ſo aͤhn-
lich, als dieſe beiden. Er hat ſtarke Familie, und
wohnt deswegen nicht in der Akademie ſelbſt.
Den 24ſten Mai.
brachte ich damit zu, daß ich die hieſige Kaiſerl. Militaͤr-
akademie beſah. Es iſt ein altes Kaiſerl. Schloß
an der Seite dazu beſtimmt.
Um 5. Uhr muß der Hauptmann, der die Auf-
ſicht hat, in der Akademie ſeyn.
Wir ſahen zuerſt im Park, wie die aͤlteſten Eleven
zu Pferde manoeuvrirten. Der Rittmeiſter lies ſie ſich
einigemahl ſchwenken. Man haͤlt deswegen 60. Pferde
bei der Akademie, welche einige alte Dragoner warten
muͤſſen. Von der 10ten Klaſſe an lernen ſie reiten. Es
iſt auch ein hoͤlzernes Pferd da, an welchen man ihnen
die vornehmſten Fehler eines Pferdes zeigt. Ferner ler-
nen ſie daran, ein Pferd im Kriege aufzupacken, Heu
zu ſpinnen und es in Netze zu packen.
Im Artillerieſaal ſtehen die Kriegsmaſchinen alle
im Kleinen, auch iſt ein eigner Saal mit Maſchinen zur
buͤrgerlichen Baukunſt angefuͤllt.
Auch ein Badhaus iſt angelegt, worin die jungen
Leute in Schwimmkleidern ſchwimmen lernen. Man
laͤßt nach dem Thermometer warmes und kaltes Waſſer
hinein, bis die Juͤnglinge endlich ins voͤllig kalte Waſ-
ſer kommen. Sie baden daher mitten im Winter, man
waͤrmt die Nebenzimmer zum Anziehen, es ſind alle-
mahl Aufſeher dabei.
Gele-
[609]
Gelegenheit zum Voltigiren und Fechten iſt
nicht weniger vorhanden. Im Tanzſaal haͤngen die
Muſterbilder aller Kaiſerl. Regimenter, damit ſie ſich
dieſe nach und nach imprimiren.
Im Park haͤngt an jedem Baum ſein Name, da-
mit ſie auch das zum Fouragiren lernen, auch die ver-
ſchiedenen Getreidearten werden darin gebaut. Sie werfen
auch Schanzen darin auf; es ſind Diſtanzen da, das Augen-
maas zu ſchaͤrfen, zum Laufen ꝛc. In dieſem Garten
hat der General, der Obriſt, und noch mehrere Herren
wieder ihre eigenen Gaͤrten. Es ſind auch noch eigene
Bad- und Schwimmhaͤuſer darin, man wuͤrde kaum in
einem Tage alle die verſchiedenen Sachen beſehen koͤnnen.
Im Haͤuſe ſelber ſind in der Lehrſtube, in den Schlaf-
kammern ꝛc. alle Waͤnde durchaus gruͤn, und alle Klaſſen
uͤberall hell, bequem, ſchoͤn. Man putzte eben in den
Schlafſaͤaͤlen wieder auf, und darin wird alle 2. Stun-
den mit Eſſig geraͤuchert.
Es ſind ſehr gute Feueranſtalten im Hauſe. Der
General laͤßt oft zur Uebung blinden Feuerlaͤrm machen.
Der erſte, der mit der Feuerſpritze auf ſeinem Poſten er-
ſcheint, bekoͤmmt eine Belohnung, der letzte, wenns
Nachlaͤſſigkeit iſt, 25. Pruͤgel.
Man hat die herrenhuthiſchen Oefen vor kurzem
eingefuͤhrt.
Das Waſſer wird durch Roͤhren im ganzen Hauſe
herumgefuͤhrt; ſie waſchen ſich an gemeinſchaftlichen Plaͤ-
tzen, wo Haͤhne an den Roͤhren ſind.
Alle Kammerbecken und alle Stiefeln werden
durch eine eigene Maſchine zur Erleichterung der Bedien-
ten herabgelaſſen, und wieder hinaufgezogen.
Zweiter Theil. Q qIm
[610]
Im ganzen Hauſe haͤngen runde Glaslampen, wo-
ein man das Oel auf den Boden gießt, der Tocht ſchwimmt
auf einem blechernen Dreifus, dieſe machen ſehr helle.
Auch iſt eine eigene Kirche da; die kleinern gehen
oben, die groͤſſern unten hinein. In dieſer Kirche ſind
ſchoͤne alte gemahlte Fenſter.
Die Leute eſſen des Tags 7. Speiſen, faſt zuviel!
Ihr Fruͤhſtuͤck und Abendbrod iſt ein Viertel von Ei-
nem Laibbrod fuͤr jeden. Wer ſeinen Wein nicht trinkt,
dem wird er am Sonnabend bezahlt. Im Speiſeſaal
haͤngen eine Menge Generale an den Waͤnden abgebil-
det, zur Ermunterung!
In jeder Klaſſe der obern Schulen ſteht ein billard,
damit ſie ſich im Winter vergnuͤgen koͤnnen.
Im Hauſe tragen die Eleven die leinenen Kittel,
welche die ganze Armee hat, ſonſt haben ſie eine aſch-
graue Montur.
Man inokulirt die Juͤngern jetzt im Hauſe ſelber.
In der Stadt iſt eine Apotheke fuͤr die Akademie, aber
im Hauſe ſelber iſt noch eine kleine fuͤr den Nothfall, und
alle chirurgiſche Inſtrumente.
Im Rangirſaal iſt das ganze Kaiſerliche Haus
abgemahlt.
Man hat viele Famulirbuben, die trommeln, pfei-
fen, friſiren muͤſſen, auch dieſe werden unterrichtet, und
werden hernach meiſtens Unteroffiziere.
Kein Unteroffizier darf hier den Kadets im Ge-
ringſten etwas befehlen, oder nur einwenden. Sie wer-
den alle Faͤhndriche, Lieutenants ꝛc. Man ſagt auch
zu allen Sie, zu den Kleinſten wie zu den Groͤſten.
Wer
[611]
Wer heraus will, darf es nur ſagen, er kan es
gleich, es iſt gar kein Zwang, auch der Offizier, wenn
er weg will, kan wieder zu ſeinem Regimente. Es ſind
meiſt Kinder von Landſtaͤnden und Offizieren aus allen
Kaiſerlichen Landen, Ungarn ausgenommen.
Es ſind 400. Eleven darin, und das Perſonale er-
ſtreckt ſich bis auf 200. Mann.
Das Etabliſſement koſtet 140000. Gulden, und die-
ſes Geld koͤmmt vom Kaiſer und von den Landſtaͤnden
zuſammen.
Meine Reiſegeſellſchaft war indeſſen von Wien ge-
kommen, und ich hatte Gelegenheit zur
Bemerkung,
daß der Wiener auch auf dem Lande frißt. Fuͤr 5. Per-
ſonen ward ein Mittageſſen auf 12. beſtellt, und ob ſie
gleich wußten, daß man das und jenes auf dem Lande
nicht gut haben koͤnne, ſo wards doch gefordert, und als
man nimmer eſſen konnte, doch mit Geſchrei verlangt,
es auf den Tiſch zu ſetzen, und das Frauenzimmer ergrif
die Gelegenheit, dem Wirthe grobe Spoͤttereien zu ſagen.
Der 24ſten — 28ſte Mai
gingen mit der
Reiſe nach Trieſte
hin. Man rechnet 122. Stunden dahin. Der Weg
iſt meiſtens bergicht und ſteinicht, und geht durch Stei-
ermark und Krain, iſt aber uͤberall gemachte Chauſſee’,
und faͤllt zuletzt in die neue Straſſe, die der Kaiſer zum
Behuf der Transportwagen von Trieſte anlegen laſſen.
Q q 2Graͤtz
[612]
Graͤtz iſt ein groſſer und volkreicher Ort, treibt ſtar-
ken Handel, und liegt lang ausgedehnt. In der Mit-
te der Stadt liegt ein Berg, und auf demſelben eine
ſtarke Bergfeſtung.
Den ganzen 26ſten Mai fuhren wir von Burg aus,
an der Muhr hin, die ein wuͤſtes, ſchleimichtes Waſſer
iſt.
Steiermark hat faſt lauter Tannenwaͤlder, und
ſieht an gar vielen Orten aus, wie die Schweiz oder
wie Tyrol. Eine Menge Holzfuhren begegnen einem
uͤberall, und von den Gebuͤrgen wehen ſcharfe Winde
herab.
Ein Korps Truppen marſchirte eben wieder aus dem
Lager nach Oberſteier, daher bekamen wir an 2. Orten
kein Nachtlager, weil alles ſchon fuͤr die Offiziers beſtellt
war.
Den 27ſten bemerkte ich um 9. Uhr am heitern
Himmel gegen Mittag zu, ungemein viele lange, ſehr
zarte Streifen, nur in einer Gegend.
Auch hier feiern die katholiſchen Bauern den Sonn-
tag ſchlecht. Sie fuͤhrten Heu, und liefen Abends mit
gekauften Sachen aus den Staͤdten zuruͤck.
In die ſchoͤnſten Blumenreichſten Wieſen pflanzen
ſie Baͤume, Geſtraͤuche, Buſchwerk ꝛc.
Auch hier zu Lande gehen die Weibsperſonen we-
gen der Winde nicht anders aus, als mit ſtark verbun-
denem Kopf.
In Krain ſind die Leute meiſtens Wenden und re-
den auch eine abſcheuliche Sprache. Selten kan das
gemeine Volk deutſch. Der Kaiſer laͤßt nun die Jugend
darin unterrichten.
Viele
[613]
Viele Kuckucke hoͤrt man uͤberall im Lande rufen.
Dieſer Vogel iſt in Deutſchland ſo haͤufig, und
doch iſt ſeine Nat. Geſch. noch dunkel.
Man trift uͤberall auf dem Felde groſſe hoͤlzerne
Geruͤſte an, auf welchen die Bauern Erbſen, Linſen ꝛc.
trocknen ſollen.
In einem ſchlechten Wendiſchen Wirthshauſe muſte
ich den Koch machen und eine Milchſuppe kochen, die
Milch war aber koͤſtlich.
Wir hatten etlichemahl wegen der ſchrecklichen Ber-
ge Vorſpann von Ochſen, ſie zogen aber gar ſicher.
Laybach ſcheint unter den vielen Landſtaͤdten eine
der unanſehnlichſten zu ſeyn.
Das weibliche Geſchlecht iſt hier recht ſehr heßlich
und kleidet ſich noch heßlicher. Die Mannsperſonen tra-
gen alle ſchlechtes braunes Tuch.
Wir ſollten einmahl Thee, den wir uns gekocht hat-
ten, von flachen Tellern trinken, da nahmen wir doch lie-
ber Schoppenglaͤſer dazu. Gluͤckſeliges Land, wo Kaf-
feetaſſen noch unbekannt ſind!
Ein gar praͤchtiger Anblick iſts, wenn man vom
Berge herab das ſtille blaue Meer zum erſtenmahle er-
blickt! An der Grenze Deutſchlands, nicht weit vom
Ufer Italiens! —
Trieſte. Ich logirte im ſogenannten groſſen
Wirthshauſe, in eben dem, worin Abt Winkel-
mann ermordet ward. Meine Fenſter gingen aufs
Meer hin, und ich konnte den herrlichen Anblick, den ich
bald nicht mehr haben werde, nicht genug genieſſen. Auf
dem Ruhebette ſah ich das Meer, und die untergehende
Sonne vor mir.
Q q 3Ich
[614]
Ich machte gleich ein Paar Beſuche, den erſten bei
den Kaufleuten, den Hrrn. Wagnern, zweien Bruͤdern,
an die ich vom Bar. Frieſiſchen Comtoir aus Wien em-
pfohlen war. Die guten Leute waren ſehr dienſtfertig
und beſtellten mir gleich noch ſelbigen Abend einen Platz
auf einem Schiffe. Den andern bei Hrn. Trapp von
Speier, der hier ſchon lange etablirt iſt.
Die Stadt iſt hie und da bergicht, an andern Or-
ten aber eben und tief, und wird jetzt immer groͤſſer,
denn man baut viele neue Haͤuſer, weil der Zuſammen-
fluß der Fremden immer ſtaͤrker wird. Man ſieht auch
hier alle moͤgliche Nationen, ſehr viele haben ihre Got-
tesdienſtliche Haͤuſer hier, Griechen, Unirte und nicht
Unirte, Illyrier, Armenier ꝛc.
Und obwohl nur 9. Evangeliſche Familien hier
anſaͤſſig ſind; ſo hat ihnen der Kaiſer doch erlaubt, eine
Kirche zu bauen, wozu man wirklich allerwegen kollektirt:
aber von Schweden kam eine ganz abſchlaͤgliche Ant-
wort zuruͤck. Hr. Paſtor Fiſcher von Reutlingen hat
das Schreiben fuͤr die Kollekte gemacht. Bei der hieſi-
gen Kirchenverfaſſung hat auſſer dem Vorſteher noch je-
des einzelne Mitglied ſeine Stimme, die Aufſaͤtze werden
herumgeſchickt, man aͤndert darin, und am Ende des
Sonntaͤglichen Gottesdienſtes werden die Angelegenheiten
vorgenommen.
Bemerkungen.
Auch hier nimmt die Schwelgerei gewaltig uͤber-
hand. Die Reichslaͤnder, die ſich hierher gewendet ha-
ben, unterſcheiden ſich noch.
Bewun-
[615]
Bewundernswuͤrdig ſind die groſſen Feſtungswer-
ke, die man in das Meer hinein gebaut hat. Man
faͤhrt dahin ſpatzieren.
Den 28. 29. 30ſten Mai.
Reiſe nach Venedig.
Ich ging noch den 28ſten Abends um 9. Uhr mit
Padron Spolar unter Segel und brachte 1. Tag und
2. Naͤchte auf der Reiſe zu. Sonſt iſt’s eine kurze Ue-
berfahrt, die man bei recht gutem Winde in 8. Stunden
machen kan. Aber wir hatten faſt gar keinen, und oft
noch widrigen Wind.
Die Barken werden ſchrecklich beladen, und haben
nur Schiffskammern und keine Kajuͤte. Weil’s nun in
jenen zum Erſticken warm war, und es mir unbegreiflich
blieb, wie ſo viele Menſchen die dicke, ſtinkende Luft aus-
halten konnten, ſo lies ich mir aufm Verdeck im freiem
Schiffsgange meine Matratze hinlegen, der Sternenhim-
mel war mein Dach, und der groſſe Baͤr oder der Wa-
gen ſtand gerade uͤber mir, und erinnerte mich an die
praͤchtige Stelle im Hiob, und ſo ſchlief ich Tag und
Nacht ungemein ſuͤſſe auf die Ermuͤdungen der bisherigen
Reiſe.
Ebbe und Fluth iſt in dieſem Meere ſehr regelmaͤſſig
und ſehr ſtark. Einmahl hatten wir eine voͤllige Wind-
ſtille,(Calmaria); wer da nicht ſchlafen kan, ſtirbt
faſt vor Langerweile.
Ein Zug Sardellen ging einmahl am Schiffe vor-
bei, man hat ſie auch in Venedig in ungeheurer Menge.
Q q 4Die
[616]
Die Italiaͤner auf dem Schiffe vertreiben ſich da-
mit die Zeit, daß einer nach dem andern anfaͤngt, eine
Rede uͤber einen laͤcherlichen Gegenſtand zu halten, es
fließt ihnen vom Munde, alles ſchweigt gleich, und end-
lich beſchließt ein allgemeines Gelaͤchter die Rede.
Den 30ſten weckte mich der Donner der Kanonen in
Venedig, fruͤh um 4. Uhr aus dem Schlafe. Er
kuͤndigte den Frohnleichnamstag an. Praͤchtiger An-
blick, wenn der Tag kaum grauet, im ſtillen Meere
vor ſich das Italiaͤniſche Ufer, und die Thurmſpitzen ei-
ner der beruͤhmteſten Staͤdte zu ſehen!
Die Segel wurden bald eingenommen, und die Bar-
ke legte ſich vor Anker. Es kam ein Langboot mit ei-
nem Soldaten von der Stadt, das holte den Patron
und die Paſſagiere nach dem Sanitaͤtsamte ab, und
da wurden wir nur der Zahl nach eingeſchrieben und gar
nicht ausgefragt. Der Kapitaͤn muß dem Amte und
dem Soldaten etwas zahlen. Drauf fuhren wir wieder
zur Barke zuruͤck, ich nahm meine Sachen darein, und
fuhr nun wieder nach der Stadt zur Sgra. Maria Hut-
lingerinal Ponte della Panada, einer Trieſterin,
die gleichſam das Wirthshaus der Deutſchen haͤlt, und
deutſch ſpricht.
Dieſe Fahrt nach dem Sanitaͤtsamt geht grade durch
den ſchoͤnſten Theil der Stadt, uͤber das Meer, da
wo’s am breitſten iſt, durch eine Menge Schiffe im Hafen,
und zwiſchen den praͤchtigen rothen Galeeren, welche die
Stadt da liegen hat, nach dem Matkusplatze hin, denn
darneben iſt das Sanitaͤtsamt. Der Patron und die
Paſſagiere wollen eine Meſſe hoͤren, und ſo kam ich gleich
in die Markuskirche, aber fuͤr diesmal nur im Vorbei-
gehen.
[617] gehen. Doch wunderte ich mich, daß ich in dieſer Kir-
che alle Augenblicke angebettelt wurde.
Ich ging heute noch zu Hrn. Wagner, einem Freun-
de von denen in Trieſte. Ich lernte in ihm einen Mann
kennen, der nicht blos Kaufmann iſt, ſondern viel gele-
ſen und ſtudirt hat, ſonderlich die Erziehung ſeiner Kin-
der, (nicht hier, ſondern in Augſpurg, wo er her und
Patricius iſt,) mit vielen Koſten beſorgt, und wirklich
ſeinen Sohn von Erlang nach Lautern ſchickte. Er ließ
ſich ſonſt oft Hofmeiſter vom Hrn. Prof. Freylingshau-
ſen aus Halle ſchicken, aber viele wurden, wie er ſagte,
in kurzer Zeit Welſch!
Man wird der Schiffe und des Meers hier ſo ge-
wohnt, daß einem Waſſer wie Land, und Land wie
Waſſer vorkoͤmmt. Eine Menge kleiner Inſeln im
Meer, die bald groͤſſer bald kleiner ſind, gab wohl An-
laß zur Erbauung dieſer Stadt. Doch macht die Anla-
ge dem Menſchenverſtande allemahl Ehre. Amſterdam
iſt nur an das Meer, Venedig aber mitten ins Meer
gebaut. Von der Hoͤhe des Markusthurms ſoll man
die vielen Inſeln recht gut uͤberſehen koͤnnen.
Bemerkungen.
Die Gondeln muͤſſen alle ſchwarz ſeyn, damit nicht
auch hier der Luxus in Ausſchweifungen wetteifere. Sie
ſehen aber wirklich finſter und traurig aus, und alles iſt
ſchwarz daran, ſchwarze Huͤtten darauf, ſchwarze Bre-
ter, ſchwarze Kuͤſſen, ſchwarze Vorhaͤnge ꝛc. Sie ſind
30. Schuh lang, ſchmal, und ſchieſſen ſchnell uͤber das
Waſſer hin. Auf jeder ſind 2. Gondoliers gemeiniglich
in weiſſen Kitteln. Man akkordirt mit ihnen nach der
Q q 5Entfer-
[618] Entfernung des Orts, ſonſt muß man bezahlen, was
ſie fordern *).
An einigen Orten ſtinkt allerdings das Waſſer in
den Kanaͤlen, auch zuweilen bei der Ebbe abſcheulich,
und ſieht haͤßlich aus. Das iſt aber nur da, wo die
Leute Markt halten, und wo immer viel hineingeworfen
wird. Sonſt bewahrt die beſtaͤndige Bewegung das
Waſſer vor der Faͤulung.
Die Hitze iſt bis Abends um 5. Uhr ſehr gros, dann
weht ein ſo kuͤhler Wind von der See her, daß man ſich
im Sommerkleide erkaͤlten kan. Man hatte hier jetzt
Erdbeeren im Ueberfluß, und auch Kirſchen alle Tage
mehr. Man verkaufte auch ſchon bluͤhende Nelken oder
Grasblumen in Menge, desgleichen Brockelerbſen,
die man auf den Tiſch brachte. Doch verſicherte man
mir, daß die Waͤrme auch erſt ſeit etlichen Tagen ſo gros
ſei, auch hier war das Fruͤhjahr unfreundlich geweſen.
Im Winter ſchneiet es nicht nur hier, ſondern es ge-
friert oft auch ſo, daß man uͤber den Kanal auf das Land
laufen kan. Und die daͤniſchen, ſchwediſchen und
andre Schiffer verſichern, daß ihnen die hieſige Kaͤl-
te viel empfindlicher ſei, vielleicht weil der Koͤrper um
Mittag doch mehr geoͤfnet wird.
Viele Venetianer, aber bei weitem nicht alle,
gehen nicht anders aus, als mit einem weiſſen fliegenden
Mantel
[619] Mantel uͤber das Kleid. Den traͤgt auch der Schneider
und der Schuſter. Viele haben darunter einen Degen.
Zu einem ſchwarzen Kleide ſteht der Mantel ſchoͤn, im
Gehen macht er auch immer etwas Wind gegen die Hitze.
Masken ſieht man um dieſe Zeit gar keine, wiewohl
ganze Laͤden voll davon da ſind. Die Nobili gehen
ſchwarz mit Maͤnteln und greulich belockten Alongeperuͤ-
cken, wenn ſie in der Kirche, oder im Senat ſind. Viele
laſſen ſich ihre eigene Haare in viele hundert Locken legen,
und unten 2. Zipfel daran machen. Ueberhaupt traͤgt
man hier mehr Peruͤcken, als ich in dem heiſſen Lande
vermuthete.
Die Kleidung der vornehmen und mittelmaͤſſigen
Venetianerinnen gefaͤllt mir recht wohl. Ueber jedes
Kleid werfen ſie ein Stuͤck ſchwarzes ſeidenes Zeug, das
ſehr lang iſt, und huͤllen den Kopf und die Haͤnde damit ein.
Viele tragen auch immer einen ſchwarzſeidenen Ueberrock.
Wenn der neu, ſchoͤn ſchwarz und glaͤnzend iſt, ſo ſieht
es gewiß ſchoͤn aus. Sie ſind gleich angezogen, und ſo
gehen ſie Abends noch in die Kirche, ſo ſitzen ſie in der
Gondel ꝛc.
Den 31ſten Mai.
Heute machte ich verſchiedene Beſuche, und zwar
zuerſt wieder
bei Hrn. Wagner, der mir Zechinen oder vene-
tianiſche Dukaten fuͤr hollaͤndiſche gab. Die Vene-
tianer praͤgen das Geld nicht, ſie ſchlagen es nur. Im
Handel und Wandel gehen keine andre Dukaten, als ihre.
Die Kaufleute wechſeln ſie ein, waͤgen nicht Eine ein-
zeln, ſondern Dutzendweiſe mit einander, und ſehen
dann, was am Gewichte fehlt. Sie geben ſie auch nicht
wieder
[620] wieder aus, ſondern ſchicken ſie in die Muͤnze, wo ſie
andres Geld dafuͤr bekommen, und wo die Dukaten alle
eingeſchmolzen werden. Dann
bei Hrn. Reck und Laminith, auch deutſche, ge-
faͤllige, hoͤfliche Leute, die hier ein anſehnliches Comtoir
haben. Ich hatte Addreſſe vom Baron Friesſchen
Hauſe in Wien an ſie.
Im Herrmannſchen. Der Mann, der ſo hies,
iſt zwar todt, aber ſeine Erben fuͤhren bis auf eine ge-
wiſſe Zeit die Handlung noch unter dieſem Namen fort.
Ich war ebenfalls vom Baron Friesſchen Comtoir em-
pfohlen. Der jetzige Principal iſt ein Mann, der ſich
ſehr fuͤr die Veraͤnderungen, die der Kaiſer macht, in-
tereſſirt. Vom Pabſt ſagen die Leute auch hier: C’eſt
un Prince d’italie.
Bei Sgr. David Foſcati, an den ich vom Hrn.
von Mechel einen Empfehlungsbrief hatte. Ich traf
ihn nicht an, die Leute im Hauſe ſprachen alle nichts als
italiaͤniſch, ich nur franzoͤſiſch oder deutſch, das war ein
laͤcherlicher Auftritt. — Endlich fuͤhrte mich doch eine
Tochter die Treppe hinauf zu einem Geiſtlichen aus Muͤn-
chen, nun ſprachen wir deutſch, und er machte den
Interprete. Nachmittage ſchickte Sgr. Foſcati gleich
ſeinen Sohn mit Vermelden, daß er mich morgen ab-
hohlen wollte.
Nach der Hitze ging ich auf den Markusplatz. —
In der That ein herrlicher Anblick! Er iſt erſtaunend
lang und breit, und ringsum mit bedeckten Hallen, Bou-
tiken und Kaffeehaͤuſern eingefaßt. Tuͤrken und alle
Nationen wimmeln hier unter einander. Je kuͤhler und
ſpaͤter es wird, deſto mehr ſammeln ſich die Menſchen.
Alle
[621] Alle moͤgliche Waaren werden feil geboten, und zum Theil
ausgeſchrien. Man ſpuͤrt keinen Staub, alles iſt wohl
gepflaſtert und mit den ſchoͤnſten Steinen belegt, oben
auf der einen Seite ſteht ein hohes Gebaͤude, an wel-
chem die herrlichſten Platten von blauem Schmelzwerk,
aus dem Alterthume noch vortreflich erhalten, befindlich
ſind. In der Mitte des blauen mit goldenen Sternen
beſaͤeten Feldes ſteht der vergoldete Loͤwe, der das Evan-
gelium haͤlt, und weiter unten die Bildſaͤule des h. Mar-
kus ſelbſt. Aufgerichtete Obelisken mit goldenen Knoͤ-
pfen ſieht man hier auch. Die Gebaͤude ſind alle alt,
gothiſch, ſchwarzgrau, aber ihre Hoͤhe, Breite, Groͤſſe
und das Maſſive daran erweckt gleich die Idee des Groſ-
ſen. Auf der einen Seite zieht ſich der Platz nach dem
Meere hin, und man hoͤrt gern zuweilen das Kanoni-
ren der Schiffe, wenn ſie ankommen, oder weggehen.
Keine Stadt in der Welt hat ſo viele Bruͤcken, als
Venedig. Dadurch hat man die vielen kleinen Inſeln
mit einander verbunden. Sie ſind ſehr hoch, und er-
muͤdeten mich immer ſehr. Oft geht der Weg uͤber 3,
4. gerade hintereinander. Die ſchoͤnſte iſt freilich
Il Ponte Rialto. — Rialto heißt eine ganze Ge-
gend der Stadt. Auf dieſer Bruͤcke, die freilich aus
einem Einzigen ganz vortreflichen Bogen uͤber Einen der
breiteſten Kanaͤle beſteht, ſtehen viele Boutiken. Es
gehen auch 3. groſſe Treppen hinauf, darneben iſt ein
gewoͤlbter Platz, der den Kaufleuten zur Boͤrſe dient,
wo ſie gegen 12. Uhr nach deutſcher Uhr ſich einfinden.
Der Bogen iſt ſo gros, daß ich 5. Gondeln auf der einen,
und 6. auf der andern Seite unter ihm liegen ſah, und
es war doch noch Platz genug fuͤr die durchfahrenden
Gondeln.
Bemer-
[622]
Bemerkungen.
Venedig wird des Nachts mit Lampen erleuchtet,
aber es ſind deren viel zu wenig, hin und wieder haͤngt
eine. In den engen Gaͤßchen iſt es ſtockfinſter.
Das Volk hat Nachts alle Freiheit. Man hoͤrt
ſingende Geſellſchaften, die abſcheulich boͤlken, und ſo in
der Stadt herumlaufen. Es ſind Gondoliers, Packer,
Laſttraͤger ꝛc. Ueberall hoͤrt man Muſik, alle moͤgliche
Inſtrumente. Es ſollte morgen in einer Kirche, nicht
weit von mir, Kirchweihe ſeyn, da fingen ſie ſchon Abends
um 9. Uhr an, bauten auf der Straſſe fuͤr die Muſikan-
ten Geruͤſte, ſchlugen Zelter an der Kirche auf, erſchreck-
licher Zulauf vom Poͤbel war da.
Schlechtes Brod hat man hier, ſo gar unſchmack-
haft waͤre es nicht, aber es fehlt am Backen und man
knetet es in einander wie verdrehte Kegel. Man lies
mir endlich welches vom franzoͤſiſchen Becker holen.
Den 1ten Jun.
Das Erſte, was ich heute beſah, war die St.
Markusbibliothek.Sgr. Foſcati kam ſehr fruͤh,
und hohlte mich dahin ab. Man geht zuerſt durch ein
kleines Veſtibulo, das mit antiken Statuͤen und Koͤ-
pfen angefuͤllt iſt. Dann ſteht die Bibliothek in einem
einzigen langen Saal, und im Kabinet darneben werden
die Handſchriften aufgehoben. Der Bibliothekar, P.
Morelli, ſprach etwas franzoͤſiſch, ſchaͤtzte ſeine Buͤcher
auf 20,000. Stuͤck, das duͤnkte mir aber zu viel zu ſeyn.
Fuͤr die Wiſſenſchaften iſt es keine Bibliothek, ſondern
blos fuͤr die Griechiſche Litteratur, und fuͤr Sprachgelehr-
ſamkeit, die an Sylben und Worten haͤngt. Daher
findet
[623] findet man keine andre Akademiſche Schriften hier,
als die Mem. de l’ Acad des Inſcriptions. Zu
ihrer Vermehrung iſt nur ein kleiner Fond da, und der
Bibliothekar, der einen Nobile zum Praͤſidenten hat,
darf nichts kaufen, als Graeca oder Philologica. In
der Nat. Geſch. war weder Linne’e noch Buffon da,
doch kannte P. Morelli die Namen, und bedauerte ſei-
nen Mangel. Von gedruckten Buͤchern fand ich nur
Salviani Hiſtoria aquatilium Animalium, Ro-
mae 1554. cum formis. So ſagte man damals ſtatt
figuris. Es war ein illuminirtes Exemplar, aber durch
die Laͤnge der Zeit ſind die Farben verſchoſſen. Von
Manuſkripten ſind faſt lauter Griechiſche vorhanden,
kaum 1-2. Orientaliſche. Ich ſah 1) eine Hiſtorie des
groſſen Moguls von Niccolo Manuzzi. Neben der
kurzen Geſchichte von jedem groſſen Mogul iſt er und
ſeine Thaten auf Pergament ſchoͤn abgemalt. 2) Ein
Griechiſches Mſkpt. von den LXX, etwa aus dem 9ten
Jahrh. es war ſchwer zu leſen. 3) Ein Mſkpt. von
der Geſchichte des Concil. Trident. von Fra Paolo Sar-
pi. Man kan deutlich ſeinen Kopiſten und die Noten
oder Verbeſſerungen im Text von des Sarpi eigener Hand
unterſcheiden. 4) Das Original von des Guarini
Paſtor fido, ein ganzer Band voll Verſe.
Als ich nach dem Evangelio Marci fragte, ge-
ſtand P. Morelli, daß er dergleichen nicht in ſeiner
Bibliothek habe, es ſei in der Stadtbibliothek, aber
man ſei einig daruͤber, daß es nicht von Markus ſei;
es ſei Lateiniſch, etwa aus dem 4ten Jahrh. In Friaul
habe er in einem Codex von allen 4. Evangeliſten voͤl-
lig das naͤmliche geſunden.
Drauf
[624]
Drauf machte ich beim Senatore Sgr. Angelo
Querini einen Beſuch. Ein Mann, der die Fremden
ſehr liebt, und ein Freund von Malereien, Kupferſti-
chen ꝛc. iſt. Man ſchickte ſich eben in ſeinem Hauſe an,
in villeggiatura zu gehen. Er ſprach Franzoͤſiſch, aber
es koſtete ihm Muͤhe. Als ich ihn verlaſſen hatte, beſah
ich den
Palazzo di S. Marco. Das Gebaͤude iſt,
wie alle in Venedig, alt, gothiſch, aber erſtaunend
hoch und weitlaͤuftig. Man geht die Scala degli Gi-
ganti hinauf, die ſo heißt, weil oben 2. Bildſaͤulen von
Rieſen ſtehen aus karratiſchem Marmor. Man zeigte
mir einen Theil von den Wohnzimmern des Doge und
anderer Rathsherren. Den Saal, wo der Doge die
Nobili empfaͤngt, wenn ſie ihn in den Senat abholen,
ſah ich auch. Sein Stuhl iſt roth und vergoldet, wie
die andern, ſteht aber allemahl etwas hoͤher. Die Sala
dei Banchetti — wo Geſandte, Rathsherren ꝛc. tra-
ktirt werden. Alles iſt gros, lang und weit. Ueberall
ſieht man ſteinerne Fußboͤden von den ſchoͤnſten Steinen.
Hr. Wagner ſchickte mir Abends ſeinen Inſtruktor,
Hr. Algeyer. Ein Mann ſchon von 40. Jahren. Er
iſt von Augſpurg gebuͤrtig, hat Theologie ſtudirt, gibt
hier in vielen Haͤuſern Unterricht, und ſtudirt doch immer
noch fleiſſig fuͤr ſich. Wir ſtiegen zuerſt miteinander auf
den
Markusthurm, um das Vergnuͤgen der herrlichen
Ausſicht zu genieſſen. Man geht ſehr leicht hinauf und
herab, weil keine Stufen und Treppen ſind, ſondern der
Weg zieht ſich unvermerkt wie eine Wendeltreppe im
Thurme herum, und ſo kommt man hinauf. Es iſt
einmahl einer mit einem Bergroͤßchen hinauf geritten,
und
[625] und das iſt ſehr wohl moͤglich. Man erſtaunt uͤber die
Dicke der Mauern, und uͤber das Solide der Alten im
Bauen. Der Thurm ſoll im 9ten Jahrh. erbaut wor-
den ſeyn, und ſteht ganz frei. Oben iſt man zu hoch,
als daß man die Kanaͤle der Stadt ſehen koͤnnte. Man
ſieht nur die Groͤſſe der Stadt und die Menge der Ge-
baͤude mitten im Meere. Die hin und wieder auf den
kleinen Inſeln im Waſſer einzeln zerſtreuete Gebaͤude ma-
chen auch einen ſchoͤnen Proſpekt.
In der Markuskirche waͤre mir der Fußboden das
Liebſte. Er iſt ganz in Moſaik. So iſt er in allen Ka-
pellen, und hat alle moͤgliche Deſſeins. Dieſes Pfla-
ſter iſt uneben, bald erhaben, bald vertieft: daher ſtrei-
tet man, ob das mit Fleis ſo gemacht worden ſei, oder
ob es ſich etwa bei der letzten Ueberſchwemmung des
Meers, da man auf dem Markusplatze mit Gondeln
fuhr, geſenkt habe. Mir duͤnkt, es iſt mit Fleis ſo
gemacht worden. Denn Erhoͤhungen und Vertiefungen
ſind unmerklich, egal, und erſchweren das Gehen nicht.
In der Markuskirche iſt auch die Kapelle des
Doge. Dieſe Kirche iſt nicht immer offen, ſondern
wider die Gewohnheit anderer katholiſchen Kirchen zuwei-
len geſchloſſen.
Dann fuhren wir wohl eine Stunde lang auf dem
Canale grande, der durch die ganze Stadt geht, und
zu beiden Seiten mit Haͤuſern eingefaßt iſt. Er iſt auch
ſehr breit, und wohl mehr, als 2. Mannshoͤhen tief,
da ſonſt die andern meiſtens nur eine Mannstiefe haben.
Hier wohnen die meiſten Nobili, vor ihren Haͤuſern
ſtehn einige Stoͤcke im Meer. Hier ſieht man viele Pal-
laͤſte, aber alle ſind alt, rauchicht, die Italiaͤner putzen
Zweiter Theil. R rnicht
[626] nicht einmahl die Fenſter. Man zeigte mir das Haus,
wo der Herzog von Wuͤrtemberg, wo der Erzherzog
Maximilian, und wo der Kaiſer logirte.
Bemerkungen.
Man kan zwar Stunden lang in der Stadt zu Fuſſe
gehen, (denn hinter den Haͤuſern und Kanaͤlen iſt Ve-
nedig ein wahrer vielwinklichter Irrgarten, und eine
Menge kleiner, aber wohl mit bleiernen Platten belegter
Gaͤßchen, verbindet hinten alles mit einander,) aber keine
Gegend der Stadt (den Markusplatz ausgenommen)
iſt ſo gros und breit, daß man mit einer Kutſche fahren
koͤnnte. Der Gefahr, von Kutſchen auf der Straſſe
uͤberfahren zu werden, iſt man alſo hier uͤberhoben.
Daher hat auch Niemand Wagen und Pferde in der
Stadt *); in Terra firma aber haͤlt ſie wer kan
und will. An vielen Orten aber nimmt das Waſ-
ſer die ganze Breite der Straſſe ein. So wie man aus
dem Hauſe tritt, muß man in die Gondel ſteigen, und
ſo ſieht man oft im Fahren in viele Seitengaſſen hinein,
deren Haͤuſer auch unmittelbar am Meer ſtehen; alsdann
geht aber meiſtens hinteuaus ein Fußweg. Will man
da nur von einer Seite zur andern, ſo braucht man die
Gondel; in andern Straſſen iſt doch an den Seiten der
Haͤuſer zu beiden Seiten ein erhoͤhter Fußweg, auf dem
man etwa bis zu einer Bruͤcke lauſen kan.
Auch
[627]
Auch in Privathaͤuſern haben alle Zimmer ſteinerne
Fußboͤden von einer rothen Breccia. Im Winter le-
gen ſie Matten darauf.
Man rechnet hier 300,000. Einwohner, 5000.
Gondeln und 400. Kaffeehaͤuſer *).
Der Luxus iſt hier ſo gros, daß nach dem Aus-
ſpruch einiger Venetianer ſelber nichts mehr helfen kan,
als Peſt oder Krieg. Die Obrigkeit kan dem Strome
nicht mehr Einhalt thun. Die groͤßten und reichſten
Haͤuſer ſtecken in ſchrecklichen Schulden, und die Armuth
iſt auch hier ſehr gros. Die Straſſenbettelei iſt daher
hier ganz unausſtehlich.
Die Proteſtanten haben hier auch ihren Verſamm-
lungsort, aber in der Stille **). Ein Gewiſſer, der ſich
R r 2Hofrath
[628] Hofrath von Ziegler nennt, iſt der Geiſtliche. Er lebt
aber uͤbrigens wie ein Kaufmann, und treibt Handlung,
damit man ihn nicht kenne. Hr. Algoͤwer findet ſeine
Arbeit ſchlecht — und viele meinen, daß es unnoͤthig
ſei, ſo ein tiefes Geheimnis aus der Sache zu machen.
Sie kommen im ſogenannten deutſchen Hauſe beim
Rialto zuſammen, geſungen wird nicht, ſondern nur
gepredigt und gebetet. Wenn der Prediger krank wird,
lieſt einer von den Kirchenvorſtehern eher etwas aus einer
Poſtille ab, als daß ſie einen von ihren Inſtruktoren oder
Informatoren predigen lieſſen, deren es hier aus Ulm,
Augſpurg ꝛc. gibt.
Den 2ten Jun.
Weil es heute Sonntag war — der hier lange
nicht ſo heilig als ein Marientag gefeiert wird — machte
ich
**)
[629] ich mit Hr. Algoͤwer einen Spaziergang in der Stadt
herum, wobei wir allerlei beſahen. Zuletzt wird man
freilich der engen Gaͤßchen, der Winkel und der Bruͤcken
muͤde. Man ſieht auch viele eingefallene Haͤuſer, welche
die Armuth nicht wieder auf bauen kan.
In den Kirchen haͤngen frcilich hie und da ſchoͤne
Gemaͤlde, aber die meiſten Kirchen ſind zu finſter, als
daß man ſie recht genau ſehen koͤnnte.
In allen Kirchen, in welchen ich war, ſind 2. Kan-
zeln gegen einander uͤber, da werden oft Diſputationen
gehalten. Die Kanzeln ſind weit, breit, haben einen
langen Eingang.
Wir gingen bis an das Kaſtel oder an das Ende
der Stadt, und beſahen die Kirche des Patriarchen.
So heißt hier der erſte Geiſtliche. Die Kirche iſt voͤllig
Kreuzfoͤrmig und modern gebaut, und dabei hell. Im
Chor hat der Patriarch ſeinen Sitz unter einem Baldachin.
Wir hoͤrten auch einem italiaͤniſchen Prediger
zu. Im praͤchtigſten Meßgewand redete er uͤber die h.
Meſſe und den Fronleichnamstag, ſchnell, lebhaft, aber
wie ein vollkommener Komoͤdiant auf dem Theater. Zu-
weilen deklamirte er eine Stelle ſehr ſchoͤn, nachher mach-
te er wieder die alleruͤbertriebenſten Geſtus. Sein Schnupf-
tuch hatte er auch neben ſich liegen. Zuweilen ging er
einige Schritte hin und her. An der linken Hand hatte
das Kleid Quaſten, oder ſo etwas herabhaͤngendes, das
an der rechten Hand nicht war. Damit ſpielte er nun
beſtaͤndig, drehte es zuſammen, ſchlug es mit ein, wenn
er die Haͤnde zuſammenfaltete.
Am Sonntage wird auf dem Markusplatze oͤf-
fentlich gepredigt mitten im Ab- und Zulaufen, und im
R r 3hundert-
[630] hundertfaͤltigen Getuͤmmel des Volks. Es geht einer
dabei herum mit einer Glocke, und laͤutet immer Still-
ſchweigen, aber der Laͤrm wird immer groͤſſer. — So
entweihen ſie Deine Religion, groſſer und weisheitsvol-
ler Lehrer!
Wir ſahen auch die Zuruͤſtungen zu einer Prozeſ-
ſion, die wegen der Fronleichnamswoche heute Abend
um 8. Uhr noch in Gondeln gehalten werden ſollte. Man
behing die Bruͤcken, unter welchen der Zug durchgehen
ſollte, mit den koſtbarſten Tapeten, man brachte ein
Schiff voll junger umgehauener Haſelnußbaͤume, und
pflanzte dieſe in die Kanaͤle an beiden Seiten, man hing
oben zu den Haͤuſern ſeidene Tuͤcher, wie Fahnen her-
aus, in welche das Wappen von Venedig geſtickt war;
man ruͤſtete eine Menge Lampen und Oelkeſſel — und
was am Sonderbarſten iſt; bei allen Prozeſſionen ba-
cken ſie oͤffentlich auf der Straſſe eine Menge kleiner Kuͤch-
lein, deren Geruch oft nicht uͤbel war. Aber die vielen
Oellampen ſtinken.
Um Mittag war Regen und ein kleines Donner-
wetter in der Stadt, worauf es ſo kuͤhl wurde, daß man
uͤber den duͤnnen Kleidern den dickſten Ueberrock leiden
konnte.
Ich bekam heute auch Beſuch von einigen Herren
auf dem Reckiſchen Comtoir. Sie geſtehen alle gern,
daß ihnen Trieſte, Livorno, Ancona ꝛc. Schaden
thue. Die meiſten Deutſchen wuͤnſchen ſich nach etlichen
Jahren wieder zuruͤck, weil hier nichts iſt als Seeluft,
und jedes Vergnuͤgen ſchon Koſten und Muͤhe erfordert.
Die Kleidung iſt auch hier ſehr koſtbar, man muß 2.
Alltags-
[631] Alltagsmaͤntel, 2. Sonntagsmaͤntel, und hernach noch
rothe ſcharlachne Wintermaͤntel haben *).
Hr. Algoͤwer aß noch zu Nacht mit mir, nach dem
ermuͤdenden Laufen.
Bemerkungen.
Ich hatte heute manche Gelegenheit uͤber den Ka-
rakter der Nation allerlei Bemerkungen zu machen.
Die Italiaͤner lieben zu ſehr das Buntſcheckigte, Lebhaf-
te, Gemiſchte, recht ſtark in die Augen fallende, z. B.
in der Kleidung. Sie tragen oft rothe Struͤmpfe,
ſchwarze Hoſen, weiſſe Weſte, gelben Rock, und noch
viel bizarrere Zuſammenſetzungen.
Dabei iſt die Nation aͤuſſerſt faul. Die geſundeſten
und ſtaͤrkſten Maͤnner und Weiber betteln, und gibt man ih-
nen nicht genug, ſo ſchimpfen ſie oft noch. Denn die Frei-
heit, die ſich die Leute herausnehmen, iſt unglaublich.
Ein Nobile wollte einen Bettler in ſein Haus nehmen,
ihm alle Tage nebſt dem Eſſen und Trinken zwei Pfund
geben, nur ſollte er taͤglich fuͤr ihn ſo viel Ave Maria ꝛc.
beten, der Bettler nahms aber nicht an, er rechnete
nach, und fand, daß er beim Betteln beſſer ſtuͤnde.
Der Venetianer ißt um 2. Uhr, dann haͤlt er
ſeine Mittagsruhe bis 5. Uhr, wenns kuͤhle wird. Dann
R r 4trinkt
[632] trinkt er Kaffee. Auch noch Abends um 9. Uhr kom-
men ganze Geſellſchaften zum Kaffee, und bleiben bei-
ſammen ſitzen bis 12. Uhr, eſſen hernach, gehen dann
nach Hauſe und legen ſich nieder. Wenn der folgende
Tag Sonntag oder Feiertag iſt, ſo nimmt der Katho-
lick, wenn er um 3. oder 4. Uhr aus der Converſazione
koͤmmt, unterwegs gleich ſeine Meſſe mit, ſo iſt ſein
Sonntag gefeiert, und nun geht er zu Bette, die Pre-
digt gehoͤrt fuͤr den Poͤbel.
Man ißt hier eine erſtaunliche Menge Gefluͤgel,
Enten, Huͤner, Tauben ꝛc. Gemuͤſe und Rindfleiſch
kommen viel ſeltner auf den Tiſch.
Man trinkt hier kein andres Waſſer als Regenwaſ-
ſer, das in Eiſternen geſammelt wird, und doch nicht
uͤbel ſchmeckt.
Geht man Nachts nach Hauſe, ſo iſt es in man-
chen Gaͤßchen finſtrer, als in Bergwerken oder Stollen,
bis man wieder zu einer Lampe oder auf einen offenen
breiten Platz kommt. In den engen Gaſſen werden
oft des Nachts, beſonders im Winter, Leute von ganz
unbekannten Perſonen angefallen, der ſeidenen Maͤntel,
des Goldes ꝛc. beraubt, oft noch gemishandelt, ſonder-
lich Frauenzimmer. Die Polizei hat keine Waͤchter in
der Stadt vertheilt, es ſteht nirgends Wache, man kan
alſo keine Huͤlfe haben.
Den 3ten Jun.
Heute machte ich in Hr. Algoͤwers Geſellſchaft wie-
der einen Spaziergang, und da gingen wir auch durch
die Judenſtadt. Man unterſcheidet die alte und die
neue.
[633] neue. Sie bauen auch jeden Winkel an, und gehen
mit den Haͤuſern gewaltig in die Hoͤhe. Doch iſt der
Geſtank ſo gros nicht hier, als in andern aͤhnlichen Or-
ten. Sie tragen keine Baͤrte, und unterſcheiden ſich
kaum durch die Sprache.
Bemerkungen.
Ehemals, da die Nobili noch ſelbſt handelten,
nahm man mehr Ruͤckſicht auf den Handel, und auf die
Polizei. Jetzt aber, da die meiſten Familien das erwor-
bene Geld in Landguͤter geſteckt haben, und davon le-
ben, bekuͤmmert man ſich um manches nicht. Es wird
faſt uͤber keinem Polizeigeſetz gehalten, als noch uͤber dem,
daß alle Gondeln ſchwarz ſeyn muͤſſen. Mancher Edel-
mann hat 2, 3. Landguͤter, einen Verwalter, und eine
voͤllig eingerichtete Haushaltung auf jedem, ſo daß er
nur kommen darf, die Bauern aber ſollen auch hier un-
ter dem Joche des Edelmanns erbaͤrmlich ſtehen.
An Lohnlaquaien, Peruͤckenmachern und Barbiern
ſieht man die Dummheit und den gaͤnzlichen Mangel
an Bildung, der unter dem gemeinen Volke herrſcht.
Leſen und Schreiben koͤnnen gar viele Leute in Venedig
nicht, viele in ſeidenen Maͤnteln nicht.
Der Pfaffen- und Nonnenkloͤſter iſt hier eine er-
ſchreckliche Menge. Die Pfarrer an mancher Kirche
haben ſehr groſſe Einkuͤnfte, und predigen doch nicht ſel-
ber, ſondern haben ihre Vicarios.
Als der Pabſt hier war, ſagten die Pfaffen oͤffent-
lich: Sein Segen ſei ſo kraͤftig wie eine zweite Taufe.
Man lies in einer Nacht durch mehr als 2000. Arbeiter
eine Tribune bauen, von welcher er den Segen herabgab.
R r 5Er
[634] Er warf auch 2. Ablaßzettel herab, die fielen auf einen
armen Mann, der ward faſt daruͤber todtgedruͤckt.
Heute verkaufte man ſchon ganze Koͤrbe voll rother
Herzkirſchen, desgleichen gruͤne Erbſen.
Den 4ten Jun.
Nach dem letzten Gewitter am Sonntage war es
kuͤhle geweſen, und die Borea hatte geweht; heute aber
war wieder heitrer Himmel und mehr Hitze, auch fing
der Scirocco wieder an zu blaſen. Ich beſah heute
il Muſeo di Storia naturale del Monſignor
Moroſini. Der Beſitzer iſt ein Bruder vom Biſchoff
in Verona, und artig in ſeinem Betragen, hat aber
einen mittelmaͤſſigen Verſtand. Er verſteht etwas Mi-
neralogie. Sgr. Querini ließ es durch den 69jaͤhrigen
Foſcati, fuͤr mich beſtellen. Monſignor Moroſini
wohnte wieder am Ende der Stadt, und beinahe ver-
lohnte es ſich nicht der Muͤhe, ſo weit darnach zu gehen.
Zuerſt fuͤhrte er mich in ein Zimmer, wo Verſteinerun-
gen, Marmore, und andre Steine alle aus dem vene-
tianiſchen Gebiet unter einander ohne Ordnung liegen.
Aus den erſten machte er gewaltig viel. Es waren un-
ter andern da:
- a) Ein ſchoͤner verſteinerter Elephantenbackenzahn.
- b) Ein verſteinertes Stuͤck Ebur, an dem man die La-
gen uͤber einander unterſcheiden kan, es ſchuͤfert ſich
gleichſam ab. - c) Ein herrlicher Hahnenkamm, den man ganz abneh-
men kan. - d) Auch ein kalcinirtes Stuͤck Zahn.
- e)Dendriten, wie meiner aus Coſtanz.
f)Ortho-
[635]
- f)Orthoceratiten, die in der Mitte von einander
fallen.
Er laͤßt alle Stuͤcke, und ſonderlich die, wo viele
Muſcheln ganz und einzeln beiſammen ſind, als Merk-
wuͤrdigkeiten zeichnen und mahlen. Oben hat er ſeine
Mineralien, worunter ich merkwuͤrdig fand:
- 1) Schoͤne Spatkryſtalliſationen von Longharia.
- 2) Ein mehr als Fauſtgroſſes Stuͤck gediegener Schwe-
fel vom Veſuv. - 3) Rothkryſtalliſirter Schwefel eben daher.
- 4) Achate in vulkaniſchen Produkten wieder gebildet.
- 5) Gruͤne Mooſe, oder Entenſpeiſeplaͤttchen in einem
ſchwarzen Stuͤck vulkaniſche Produkte. - 6) Ein Vizenzer Stein, lang wie ein kleiner Finger,
darinnen ein kleiner Strom von Waſſer iſt. - 7) Bergkryſtalle voll fremder eingeſchloſſener Koͤrper.
Ich erhielt von der Guͤtigkeit dieſes Mannes einen
Achat vom Veſuv, und ein ſchwarzes Stuͤck ſchwarze
vulkaniſche Produkte, aus ihren Bergen. Das that
er, wiewohl er nicht franzoͤſiſch, und ich nicht italiaͤniſch
reden konnte. Foſcati machte den Dollmetſcher.
Das Arſenal, welches ich auch heute zu ſehen be-
kam, iſt wohl eins der wichtigſten Stuͤcke in Venedig.
Man ſieht da, was der Staat geweſen iſt. Es hat an-
derthalb deutſche Stunden im Umfang; wer alles ſehen
wollte, brauchte Einen Tag dazu. Ich ſah
1) Fregatten, gleich im Hofe, wenn man von der
Landſeite hereinkommt, uͤber die Bruͤcke, wo die 2. ſtei-
nernen Loͤwen zu beiden Seiten ſtehn. 2) Ein Saal
vom
[636]mit 16000. Flinten fuͤr die Infanterie *). 3) Kuͤ-
raſſe von allerlei Generals, deren Namen auſſer der
Republik ſonſt nicht bekannt ſind, z. B. Schulenburgs
ſeiner. 4) Tuͤrkiſche Beuten, groſſe Schiffslaternen.
5) Das Thor, wodurch die groſſen Schiffe aus dem
Meer hereingelaſſen werden. Es ſind ſchreckliche Ma-
ſchinen dabei, die alle unter dem Waſſer arbeiten. 6)
Ganze Reihen groſſer und kleiner Kanonen, ſie ſchieſſen
12. und 24. Pfund, liegen aber in freyer Luft. 7)
Schulenburgs Monument, an einer Wand. 8) Die
Roͤhren, wodurch alle Tage 120. Maas Wein an die
Arbeiter ausgetheilt werden. 9) Ganze Reihen von
Ankern, 5000. Pfund wiegt der groͤſte, und 700. Pfund
das Seil dazu. 10) Die Ankerſchmiede blos fuͤr die
Republik; das Eiſen kommt aus Steiermark, Kaͤrn-
then ꝛc. 70. Arbeiter ſind hier beſtaͤndig. 11) Holz-
magazin. — Eichen, Tannen, Fichten, kommen aus
den eignen venetianiſchen Staaten. 12) Der Plaz,
wo Schiffsſeile mit Pech gekocht werden. 13) Et-
ſerne Kanonen, eine greuliche Menge. 14) Magazine
von Salpeter. 15) Ein Magazin, aus welchem an
die Kapitaine Seile, Brcter, Eiſen ꝛc. verkauft werden.
16) Viel Lignum ſanclum aus Amerika wird hier
verarbeitet. 17) Colombini, oder kleine Kanonen fuͤr
die Galeeren. 18) Der Ort, wo die haͤngenden Bet-
ten fuͤr die Galeeren gemacht werden. 19) Das Ma-
gazin der Armatur fuͤr die Kavallerie, 4. groſſe Saͤaͤ-
le vell mit 60,000. Stuͤck Gewehre in allen. 20) Ein
ſchoͤner Saal, wo fremde Prinzen pflegen traktirt zu wer-
den
[637] den. 21) Scanderbegs Ruͤſtung, ſehr leicht, nied-
lich, nicht ſo deutſch ſchwer. 22) Ein ganzer Hof voll
groſſer und kleiner Kugeln, haufenweiſe aufgeſetzt. 23)
Ein Schoppen voll Lavetten. 24) Ein Magazin fuͤr
das Holz von der Inſel Kandia. 25) Schiffe, an
welchen man eben baute. 26) Das Gerippe einer
Galeere. 27) Zuletzt ruͤhte ich auf dem Bucentauro
aus; eine ſchoͤne groſſe Maſchine, unten ſind die Ruder-
baͤnke, 41. auf jeder Seite; 4. Mann gehoͤren zu jedem
Ruder. Oben ſind die Plaͤtze fuͤr 300. Nobili, und
am Ende des Schiffs ein erhabener Platz fuͤr den Doge.
Innen und auſſen iſt alles am Schiffe mit vieler Kunſt
in Holz gearbeitet und vergoldet. Der Admiral ſteht
bei der Feierlichkeit oben auf dem Schiffe und komman-
dirt durch eine Pfeife, wie die Ruderer das Schiff wen-
den ſollen. Die Maſchine geht aber nicht tief, daher
iſts bei ſtuͤrmiſchen Wetter nicht rathſam. Beim Pla-
tze des Doge ſieht man den Ort, wo er den Ring durch
die Inſignien des Schiffs hinunterwirft.
Die Italiaͤner, die das alles zeigen, ſind wortrei-
che Praler, ſchreien wie Zahnbrecher, und geſtikuliren
gleich dabei, als wenn ſie eine Rede halten muͤſſen, uͤber
einen bloſſen Zimmerplatz, und ſind dabei die unverſchaͤm-
teſten Bettler.
Bemerkungen.
Zu meiner groſſen Verwunderung wird man hier,
auch in der Sonne, nicht ſehr von Inſekten, Muͤcken,
Fliegen ꝛc. geplagt. Im Hauſe merkte ich faſt gar kei-
ne, aber in der Stadt, freilich bei Fleiſch- und Obſtlaͤ-
den
[638] den ꝛc. Vielleicht hat das naßkalte Fruͤhjahr die mei-
ſten getoͤdtet.
Junge kleine Squali werden hier viele gefangen
und verkauft. Man nennt ſie hier auch Hund. Auch
Rochen ſieht man uͤberall auf den Fiſcherbaͤnken liegen.
Vom Krampfiſch habe ich aber nichts gehoͤrt. Cancer
ſpinoſus L.? wird auch im adriatiſchen Meer haͤufig
gefangen. Sie brechen ihnen hernach die Schale hinten
am Ende des Ruͤckens auf, um dem Kaͤufer zu zeigen,
daß das Fleiſch noch friſch iſt.
Den 5ten, 6ten, 7ten Jun.
brachte ich leider damit hin, daß ich auf Wind und Wet-
ter warten muſte, bis die Barke ging. Vier Wochen
muß mancher im Winter warten. Oft faͤhrt man nach
Lido, und koͤmmt wegen Mangel des Windes wieder
zuruͤck. Oſt kehrt man auf der Reiſe nach Trieſte un-
terwegs in einem Loche ein, und ſteckt da etliche Tage.
In dieſer verdruͤslichen Wartezeit ruhte ich vom Lau-
fen in Venedig auf dem Bette aus, oder las und ſchrieb.
Den 7ten um 11. Uhr brachte ich dem Trieſter
Padrone di Barca Antonio d’Eſte meinen Kuffer und
Lebensmittel in einer Gondel mit Hrn. Algoͤwer am
St. Markusplatz, und Abends wolte er endlich abfah-
ren. Hinuͤber duͤrfen die Trieſter keine Waaren laden,
als etwa Kleinigkeiten, daher koſtet es dem Paſſagier
mehr. Ich kam fuͤr 8. Lire heruͤber, und muſte 14.
hinuͤber akkordiren.
Den
[639]
Den 8ten Jun.
Ruͤckreiſe nach Trieſte.
Abends fuhr der Padrone endlich ab, und nach 2.
Naͤchten und 1. Tag kam ich
Den 9ten Jun.
endlich wieder in
Trieſte an, logirte
beim Kaufmann Hrn. Georg Heinrich Trapp, und
reißte Abends mit ſeiner aus Speier gebuͤrtigen Frau,
und einem Kaufmannsdiener Erlach in ihrem Wagen
mit Extrapoſt ab.
Den 10ten bis 17ten Jun.
Ruͤckreiſe nach Carlsruhe.
Wir paſſirten Kraͤin, Kaͤrnthen, Tyrol auf ei-
ner andern Seite, das Bißthum Augſpurg, und ſodann
die gewoͤhnliche Straſſe uͤber Augſpurg, Ulm, Kan-
ſtatt nach Enzweihingen, wo meine Reiſegeſellſchaft
uͤber Reutlingen nach Speier, und ich nach Pforz-
heim reißte.
Zwiſchen Laybach und Klagenfurt liegt der ſoge-
nannte Loͤwenberg. Er iſt abſcheulich hoch und ſteil,
aber vortreflich konkerſcarpirt. Oben ſtehen 2. Obelis-
ken, weil Krain und Kaͤrnthen ſich da von einander
ſcheiden.
In Velden ſprach ich den Mſgr. Garampi, der
von des Pabſts Begleitung bis Bologna zuruͤckkam.
Hier
[640]
Hier iſt auch ein mittelmaͤſſig groſſer See, der
Werthſee.
Praͤchtige Gegenden, Waſſerfaͤlle und Wieſen trift
man doch immer in Tyrol an. Auch haben die blauen
und rothen Blumen viel hoͤhere und lebhaſtere Farbe, als
bei uns.
Viele kroͤpfichte Menſchen aber ſieht man hier. —
Sonſt ſterben nicht viele, nicht einmahl Kinder, die
uͤberhaupt hierherum ſchoͤn, geſund und munter ausſehen,
an den Blattern.
Hundert Jahre wird niemand in dieſen Bergen alt,
wegen der ſchweren Arbeit, und der harten Lebensart in
den Bergen.
Man hoͤrt hier oft das Spruͤchwort: „Schaſt er das
„Haͤslein, ſo ſchaft er auch das Graͤslein“.
Abends kam ich bei meinem Bruder in Pforzheim
an, und blieb da uͤber
Den 18ten Jun.
um auszuruhen, von da ich dann nach wenig Tagen vol-
lends nach Carlsruhe abging.
[[641]]
Vermiſchte
Bemerkungen
auf zwei Reiſen
durch
Nieder-Sachſen;
in den Jahren 1774. und 1775.
Als ein Anhang.
Zweiter Theil. S s
[[642]][[643]]
Vermiſchte
Bemerkungen
auf zwei Reiſen
durch
Nieder-Sachſen;
in den Jahren 1774. und 1775.
Reiſe von Goͤttingen nach Hannover;
Auf der einen Seite liegen Berge und Thaͤler, auf
der andern aber viele fruchtbare Ebnen, Wieſen
und dergl. Man ſieht da wenig ſchoͤne und gerade Staͤm-
me, die Waͤlder liegen aber auf der andern Seite, und
ſind betraͤchtlich, Nordheim z. B. hat viel Wald.
Durch das Land laufen viele ſteinichte Striche, und viele
Tiefen von Moraſt. Daher ſind auch die beſten Straſ-
ſen immer holpricht, wie im Wuͤrtembergiſchen. Auf
den Bauerhoͤfen ſieht man wenig Ochſen, ſie haben aber
viele gute, groſſe, ſtarke, und meiſtens ſchwarze Pfer-
de. Kummte ſind hier nicht uͤblich, die Pferde ziehen an
der Bruſt, und uͤber den Hals geht blos ein Riemen.
Tobak wird im Lande viel gebaut, und mit Vortheil.
Man reihet die Blaͤtter, wie im Elſaß, auf Faͤden,
und haͤngt ſie an die Erde, an die Hecken, an die Haͤu-
S s 2ſer,
[644] ſer, auch wohl an die Staͤlle. Fadenweiſe werden ſie
auch verkauft; die unterſten Blaͤtter der Tobakspflanze
taugen aber wenig. Die Bauern tragen haͤufig weiſſe,
blaue ꝛc. leinene Kittel, wie Oberhemden. Ihre Haͤu-
ſer ſind meiſt von Leimen, und haben vom Boden auf
Riegelwaͤnde, ohne alle ſteinerne Einfaſſung. Doch ſieht
man meiſtens Ziegeldaͤcher. Die Ziegel ſind aber alle
ſchmal, und lauter Hohlziegel. Die Leute halten keine
Miſtgruben, ſie haͤufen auch den Duͤnger nicht ſo auf
Haufen wie die Reichslaͤnder, er liegt im ganzen Hofe
zerſtreut. Gaͤnſe ſind hier haͤufiger als Huͤhner. Auch
iſt beinahe auf jedem mittelmaͤſſigen Bauerhoſe ein Hund.
Nuͤtzliche Baͤume ſtehen keine an der Straſſe. Man
faͤhrt aber uͤber viele Felder mit Kartoffeln, Flachs, Korn,
Bohnen ꝛc. Sonſt iſt auch das Obſt ein betraͤchtliches
Stuͤck der Nahrung, aber Wein laͤßt ſich nicht pflan-
zen. Die Leute ſprechen hier ſchon ziemlich plattdeutſch,
und verſtehen den Hochdeutſchen nicht alle, der uͤber ſie
lacht, und auch nicht verſtanden wird. Die gemeinen
Leute ſcheinen ſich hier beſſer zu ſtehen, als in Heſſen.
Man ſieht nicht uͤberall Spuren der Armuth. Sie
tragen die Kinder in einem um den Leib gewickelten Tu-
che. Man ſpannt hier Ochſen, auch wohl in Landern,
haͤngt ihnen ein Kummt uͤber, und paart ſie auch wohl
am Wagen mit einem Pferde.
Die Regierung des Landes iſt milde, gnaͤdig, und
uͤberaus wohlthaͤtig. Das Oberappellationsgericht in
Celle iſt vortreſlich eingerichtet. Man appellirt an daſ-
ſelbe ſogar gegen den Koͤnig, und in zweifelhaften Faͤl-
len ſpricht es allemahl gegen den Koͤnig.
Die Kochart des Landes iſt von der Schwaͤbiſchen
und Rheinlaͤndiſchen ganz verſchieden, und bei weitem
nicht
[645] nicht ſo gut. Butter im Spaͤtjahr einzuſteden iſt gar
nicht uͤblich. Man hat hier lauter eingeſalzene Butter,
und hebt ſie in Tonnen den ganzen Winter durch auf.
Die gemeinſten Leute ſind ſo an die Butter gewoͤhnt, daß
ſie, wenn ſie in Haͤuſern arbeiten, lieber Butter als
Fleiſch fordern.
So arbeitſam, wie die Preuſſen, ſind die Leute hier
nicht. In Staͤdten iſt der Kleiderſtaat, der Kaffee,
und ein gutes Leben Schuld daran, daß ſo viele Buͤrger
immer mietelmaͤſſig bleiben.
Brantewein ſaufen die Leute erſchrecklich. Tobak
rauchen Maͤnner, Weiber und Kinder. Beſatzung liegt
faſt in allen Staͤdtchen. Gezwungen wird niemand zum
Soldatendienſte; wie der Krieg war, ward eine Repar-
tition auf die Aemter angelegt.
Hier zu Lande kan man etwas ſchon, was ſonſt im
Morgenlande nur uͤblich iſt: nemlich, den Leinſaamen,
der ſo leicht aus den Aehren faͤllt, dreſchen die Bauern
auf dem Felde. Am Wege begegnet man einigen Klo-
ſteraͤmtern, die aber keine Jurisdiktion haben.
Noͤrden iſt ein langgebaueter ſchmaler Flecken, von
einem Thor, die Haͤuſer ſtehen faſt alle aneinander ge-
baut, ſind elend, hoͤlzern, und nach einem Bauer-Ge-
ſchmack angeſtrichen. Die Hausthuͤre iſt auch zugleich
bei manchem das Hoſthor. Inwendig haͤngen die Leute
Tobaksblaͤtter hin; doch ſoll dieſer kleine Ort eine artige
Apotheke haben.
Nordheim hat viele gute Haͤuſer, ein wohlgemach-
tes neues Pflaſter, ſtarke Paſſage, wohlfeile Taxen, ei-
nige adeliche Familien, und eine ziemliche Garniſon.
S s 3Salz-
[646]
Salzderhelden, ein groſſer Flecken, wo betraͤchtli-
che Gradirhaͤuſer ſind. Es wird ſo viel Salz da berei-
tet, daß man es noch ausfuͤhren koͤnnte.
Eimbeck iſt ziemlich gros, hat ſtarke Thore, viele
hohe Haͤuſer, Beſatzung und gepflaſterte ſchoͤne Straſ-
ſen.
Hube, iſt ein groſſer Berg, eine Viertelſtunde vor
der Stadt. Es bricht viel Mergel auf demſelben, alles
iſt voll Kalkſteine. Auf der einen Seite hat man ange-
fangen, einen ſchoͤnen Weg mit Alleen und Raſenbaͤn-
ken anzulegen, man iſt aber noch nicht weit damit gekom-
men. In dieſer Gegend zuͤnden die Leute haͤufig die
Dornen und Stoppeln des Nachts auf dem Felde an,
und verbrennen ſie.
Auch Irrwiſche zeigen ſich den Reiſenden haͤufig.
Noch im Oktober ſieht man da Johanniswuͤrmchen.
Es iſt was bekanntes hier zu Lande, daß in der Mitte des
Oktobers noch viel von der Erndte und dem Heu auf
dem Felde ſteht, denn der Nachſommer iſt gemeiniglich
ſchoͤn, und dauert bis in November.
Bruͤcken, ein ſchlechter kleiner Ort, iſt eine Sta-
tion.
Elze, ein hildesheimiſches Staͤdtchen. Die Paſ-
ſagiere pflegen hier beim Apotheker abzuſteigen und
Bindfaden zu trinken. So weit das Gebiete des Stifts
geht, ſo weit ſind auch die Wege ſchlecht.
Diedeswieſe iſt auch eine Station, hat nur weni-
ge Haͤuſer. Nun kommen ſchoͤne Straſſen bis
Hannover. Die Stadt iſt alt, doch ſind die mei-
ſten Gaſſen breit und helle. Es werden immer mehr
neue und praͤchtige Haͤuſer gebaut. Der Markt iſt
ſchoͤn, aber abhaͤngig. Die Thore ſind das Calenber-
ger,
[647]ger, das Clever, das Stein- das Aegidienthor. Die
Kirchen ſind voll hoher Altaͤre, Leuchter, Bilder, Ver-
goldungen, Gitterwerk, recht katholickenmaͤſſig, ſonder-
lich die Marktkirche. Der Landſtaͤndner Hof iſt ein ſchoͤ-
nes Gebaͤude. Das Rathhaus hat einen ſchoͤnen Saal,
wo Redoute gehalten wird. Man rechnet hier 18,000.
Seelen. Die Stadt zeigt ſich von weitem, wie Heidel-
berg am Neckar. Es ſtehen wohl 800. Gartenhaͤuſer
rings herum, Die Alteſtadt hat ihren eigenen Burger-
meiſter, eigene Waldungen, wo nur ihre Buͤrger jagen
duͤrfen, eigene Rechte und eine ganz eigene Verfaſſung
und Lebensart, die etwas ungezwungener iſt, weil der Hof
nicht da iſt, auſſer Prinz Karl von Mecklenburg, deſ-
ſen Regiment darin liegt. Der Koͤnig erhaͤlt indeſſen ei-
ne ganze Hofſtaat da, Reithaus, Marſtall, Pferde,
Lakaien, Bereiter, Stallmeiſter, Pagen, Hofkapelle,
Schloßkirche und Schloßprediger ꝛc. Die Buͤrger wuͤn-
ſchen nichts ſo ſehr als ſeine Gegenwart. Es iſt die Koͤ-
nigl. Regierung da, die in des Monarchen Namen han-
delt, aber in nur halb wichtigen Dingen die Unterſchrift
des Koͤnigs einholen muß. In London ſind eigene
Miniſter, welche die Churhannoͤveriſchen Angelegen-
heiten referiren. Der vorige Koͤnig war etlichemahl im
Lande, war ungemein gnaͤdig, leutſelig, gab freie Ko-
moͤdie im Garten, hielt offne Tafel, ſtand fruͤh auf, ging
in Herrenhauſen im Gartenmeiſterskleide herum, viſi-
tirte alles ſelbſt, ſprach mit der Schildwache auf den
Poſten, ohne ſich zu entdecken, erkundigte ſich nach ihrer
Bezahlung und Behandlung, gab ihnen dann Gulden
und Brandweingeld ꝛc. Er befahl, daß ein gewiſſer
Anjou, der Soufleur in der Komoͤdie geweſen war, hernach
ſo lange er lebte, ohne alle weitere Dienſte 200. Thaler
S s 4genieſſen
[648] genieſſen ſollte, und ſo haben viele Leute Penſionen. Die
Bibliothek hat einen ſeltenen Codex, das meiſte in
der Civilhiſtorie, und Spezialgeſchichte der deutſchen
Haͤuſer, Leibnitzens Papiere, und eins von den 3.
Exemplaren der unter GeorgeII. auf Pergament ge-
druckten Engliſchen Bibel. In der Stadt ſind viele
Kaufleute und folgende betraͤchtliche Fabriken.
Die Zuckerfabrik des Hrn. Winkelmanns. Er
bekoͤmmt den rohen Zucker aus Frankreich und zwar
uͤber Bremen auf der Leine. Es gehen da bedeckte
Schiffe, mit einem Maſt, die ſchwer beladen ſind, und
vom Vieh am Ufer gezogen werden. Der Zucker wird
in groſſen Keſſeln geſotten. Aus dieſen wird er in eine
andre Stube gebracht, wo die Kuͤhlpfannen ſtehen. Aus
dieſen koͤmmt er in die Hutformen, die aus Holz und
wie Faͤſſer mit Reiſen gebunden ſind. Die Spitze der
Form ſteckt in einem irdenen Kruge, in welchen der Sy-
rop waͤhrend des Trocknens wieder hineintropft. Indeß
der Zucker in dieſen Formen ſteht, kommt alles darauf
an, daß und wie er geruͤhrt wird, damit er an den Sei-
ten glatt werde, und keine Gruben bekomme. Er wird
zugleich mit angeruͤhrter Erde zugedeckt. Der Syrop
wird allemahl wieder gekocht, und ſo der Zucker wohl
6mahl geſotten. Man ſetzt die Formen halbtauſend weiſe
auf viele uͤber einander ſtehende Buͤhnen, es gehoͤren 6-8.
Wochen gute Witterung dazu, bis er recht austrocknet.
So wie er hart wird, ſo wird er auch weis. Der Can-
dis wird noch in beſondern Duͤrr- oder Trockenſtuben auf-
behalten, wo es ſo heiß iſt, daß man beinahe beim er-
ſten Eintritt erſtickt. Das Feuer unter den Keſſeln wird
durch Steinkohlen unterhalten. Siedet der kochende
Zucker
[649] Zucker ungefaͤhr zu ſehr in den Keſſeln, ſo wird nur ein
gar kleines Stuͤckchen Talg hinein geworfen und dadurch
alles gedaͤmpſt. Zum Laͤutern wird in den erſten Sud
etwas Ochſenblut, oder ein Eierdotter eingegoſſen. Der
ſchlechteſte Syrop, aus dem alles genommen iſt, gibt
noch einen ſtarken Brantwein oder Rum, der ſtatt Arak
zum Punſchmachen gut iſt.
Die Wachstuchfabrik hat Benece vor der
Stadt. Die Leinwand wird aufgeſpannt, und zuerſt
mit Bimsſteinen glatt abgerieben. Dann bekoͤmmt ſie
einen ſchwarzen Grund, der aus Kuͤhnruß und Firniß
gemacht iſt. Nun muß ſie lange Zeit immer ausgeſpannt,
in der freien Luft trocken werden. Dann hat man For-
men und Modelle und verſchiedene Farben, Auripigment,
Rauſchgelb, Berlinerblau, Umbra und Kreide. Der
Firnis, mit dem zuletzt alles uͤberzogen wird, wird aus
Bernſtein gekocht. Das Verdrießlichſte dabei iſt, daß
man es ſo oft trocknen, und ſo lange, zumal bei unguͤn-
ſtiger Witterung, warten muß. Es werden lauter Stuͤ-
cke gemacht, 6. Viertel breit, und 12-16. Ellen lang;
12. ſolcher Stuͤcke machen 1. Haufen, und nach der Zahl
dieſer Haufen werden auch die Arbeiter bezahlt. Man
hat eine Farbenkammer, ein Arbeitshaus, Formen-
ſchraͤnke, Wieſen dabei zum Trocknen und Aufſpannen,
und oben Vorrathskammern, wo die allerſchoͤnſten Stuͤcke
haͤngen, die das Auge ganz irre machen. Das grobe
Wachstuch, das nur zur Emballage dient, iſt groͤbere
Leinwand, und wird weniger bearbeitet; das Wachstuch,
womit man Huͤte uͤberzieht, braucht mehr Arbeit und iſt
theuer. Man hat auch Wachstuch fuͤr die Fußboͤden,
und kan ihm ſolche braune Farben und Figuren geben,
S s 5daß
[650] daß mancher den Boden fuͤr gewixt anſehen ſollte. Man
macht auch einerlei Muſter mit verſchiedenen Farben ꝛc.
Solche Tapeten ſind hier zu Lande beinahe in allen mittel-
maͤſſigen Haͤuſern. Es wird uͤberhaupt hier ſplendider
gebaut, als im Reich. So viele Naturprodukte hat
man hier nicht, aber es iſt unſtreitig mehr Geld im Lan-
de, als in jenen Gegenden.
Die Salpeterſiederei, — hat Hr. Apotheker An-
dreaͤ angefangen. Er laͤßt fuͤr ein geringes Geld den
Stadtkoth auf den Gaſſen ſammeln. Eben ſo ſammelt
er auch den Urin auf dem Koͤnigl. Schloſſe, und in groſ-
ſen Haͤuſern. Den Koth haͤuft er auf einen Haufen in
freier Luft unter einem Dache, begießt ihn mit dem ſchar-
fen Waſſer, kocht ihn dann ab, das Waſſer zieht den
Salpeter heraus, nun ſchuͤttet er es wieder hinaus, laͤßt
ihn etliche Jahre liegen, kehrts oft um ꝛc.
Montbrillant und Herrenhauſen, 2. Koͤnigl.
Luſthaͤuſer und Schloͤſſer, haben eben nichts Beſonders,
ſind aber doch angenehm. In dem Garten bei dem letz-
tern ſind viele Fontainen, die durch Druckwerke, — denn
das Waſſer hat nirgends einen Fall, es iſt blos das Waſ-
ſer aus der Leine — das Waſſer wohl 180. Fuß hoch
treiben, wenn alle Raͤder durch 5, 6. Mann in Bewe-
gung geſetzt werden. Die Roͤhren ſind von Blei, greu-
lich dick zum Theil, und gehen im ganzen Garten her-
um. Die Franzoſen mußten ſie verſchonen, und durften
nicht, wie in Caſſel, alles verderben, weil in der Kon-
vention von Kloſter Seven ausbedungen war, alle
Koͤnigl. Gebaͤude zu verſchonen. Man ſieht den Ort,
wo der Koͤnig im Garten oͤffentlich Komoͤdie halten lies.
Wer
[651]
Wer hier zu Lande ein ſchoͤnes junges Pferd liefert,
das bei der Kavallerie gebraucht werden kan, der bekommt
50. Thaler Geſchenk vom Koͤnig, und die Koͤnigl. Hengſte
werden noch dazu den Bauern geliehen, damit ſie ihre
Stuten beſpringen laſſen koͤnnen.
Kloſter Loccum. Etliche Meilen von Hanno-
ver. Eine ſehr alte Kirche iſt da. Es war ein Ciſter-
cienſerkloſter, jetzt hat es 4. Conventual. 4. Hoſpi-
tes und einen Abt. Der Abt hat den Titel: Hochwuͤr-
digen Gnaden. Er traͤgt gemeiniglich ein goldenes Fin-
gerslanges Kreuz, das am Knopfloche haͤngt. Als Abt
muß er bei Feierlichkeiten einen ſeidenen Mantel umhaͤngen.
Er hat wohl 5000. Thaler jaͤhrlich, und wohnt in Han-
nover im Loener Hof. Das Kloſter haͤlt ihm Wagen
und Pferde, und Bediente, verſieht ihm auch die Kuͤche
und den Keller. Er muß die Aufſicht uͤber die dortigen
jungen Geiſtlichen haben, die ſich im Predigen und Ka-
techiſiren uͤben, muß auch alle Tage in die Kirche gehen.
Es dependirt ganz von ihm, wen er hinein nehmen will.
Sie gehen heraus, wenn ſie Pfarreien bekommen. Sie
haben herrliches Eſſen, 13. Gerichte und alles ganz frei.
Jeder hat ſeinen eignen Bedienten. Ordinaͤr bekommen
ſie keinen Wein, aber Bier, und wenn ſie das nicht
wollen, taͤglich 2. Groſchen Biergeld dafuͤr. Sie gehen
immer ſchwarz, aber Mantel und Kragen nur dann,
wenn ſie in die Kirche gehen. Jeder kan einen Fremden
mit an Tiſch bringen, und alsdann bekommen ſie gleich
Wein, daher iſt 4. Tage in der Woche immer ein Frem-
der da, und ſollte es auch ein kleiner Junge ſeyn. Die
Kandidaten werden faul bei dem guten Leben. Eine ho-
miletifche praktiſche Bibliothek hat erſt Abt Chappuz
ange-
[652] angefangen. Der vorige war Ebel, der in der Predigt
ſtecken blieb. Das Kloſter hat Zehendeinnehmer, Amt-
leute ꝛc. Es muß auch oft mit Preuſſen ſtreiten.
Man kan nicht ſagen, wie reich es iſt. Fuͤr den erſten
Landſtand muß der Abt bei Vermeidung der Ungnade
erkannt werden.
Reiſe von Hannover bis Hamburg;
Der Weg iſt beinahe uͤberall nichts als Sand und
Waſſer *). Man ſieht nichts als rothes Moos,
Heidekraut, und wenige Baͤume. Aber Suͤmpfe und
Moraͤſte ſind deſto haͤufiger, beſonders zwiſchen Han-
nover und Celle, wo man immer durch Waſſer faͤhrt,
gleich
[653] gleich als ob man auf der offenbaren See ſchwoͤmme.
Ich muthmaſſe, daß das viele Waſſer in dieſen Gegen-
den von der Nachbarſchaft der Elbe und der Oſtſee
entſteht, und mit jenen Waſſern einen unterirrdiſchen
Zuſammenhang habe. Denn es ſind keine Waldungen
da, die durch ihre Ausduͤnſtungen ſo viel Regen verur-
ſachen koͤnnen.
In den Suͤmpfen erzeugt ſich nothwendig Torf.
Das kan der Reiſende ſchon an den Rippenſtoͤſſen merken,
die ihm zu Theil werden. Denn die ganze Heide iſt
mit langen, dicken, ſich weit ausbreitenden Baumwur-
zeln durchflochten, an denen der Wagen allemahl zuruͤck-
ſtoͤßt. Die Oberflaͤche der Suͤmpfe ſieht auch ſchmutzig
aus, hat eine oͤhlichte Haut, und uͤberall ſtehen die Wur-
zeln von den Heidepflanzen.
Ehemals war das alles ein Wald. Die Herzoge
von Celle waren Liebhaber der Parforcejagd. Franz
beſonders, — er ritt ſo oft und ſo ſchnell, daß er, wie
man ihn ſezirte, unter den Lenden ein fingerdickes Fell
hatte. In dieſer Gegend ſind einige Bauerhoͤfe frei von
allen Abgaben. Die vorigen Herzoge ſchenkten ihnen
dieſe Freiheit, wenn ſie ſich auf der Jagd mit einem
Stuͤck Wild verſpaͤtet hatten, nicht mehr nach Hauſe
konnten, und bei einem Bauer uͤber Nacht bleiben
mußten.
Weil von den Ueberſchwe[m]mungen des Waſſers auf
der Heide die benachbarten Wieſen groſſen Schaden lit-
ten; ſo hat die Regierung 2. Meilen von Celle einen
groſſen breiten Graben mit vielen Koſten ziehen laſſen,
wodurch dem Waſſer ein Abzug verſchaft, und viele
Wieſen trocken gemacht wurden.
Celle.
[654]
Celle. Eine mittelmaͤſſig groſſe Stadt, mit Wall
und Graben. Sie hat gutes Pflaſter, breite Strafſen,
franzoͤſiſche Gaͤrten, ein ſchoͤnes Schloß auf einer Anhoͤ-
he, ein Regiment zur Beſatzung ꝛc. Die Aller laͤuft
an der Stadt vorbei, und hat vor dem Thore einen ge-
waltigen Fall. Die Celler Honigkuchen werden von
vielen gekauft.
Harburg. Die letzte hannoͤveriſche Stadt dieſ-
ſeits der Elbe. Sie hat meiſt ſteinerne Haͤuſer von
gebrannten rothen Steinen. Die Hauptſtraſſe iſt ſchoͤn,
gerade, lang, breit, wohl gepflaſtert, und ſtoͤßt ans
Waſſer. Man ißt hier ſchon Seefiſche, z. B. kleine
Sturen gebraten und geſotten, die aber voll Graͤten ſind.
Das Fleiſch dieſer Fiſche iſt ſehr wels und etwas hart.
Die Leute ſetzen zerlaſſene Butter darzu auf, in die man
die Fiſche tunkt, nachdem man ſie vorher mit Pfeffer be-
ſtreut hat. Schweizerkaͤſe findet man hier uͤberall. Die
Butter iſt ungeſalzen und [ſ]ehr gelb. Die Franzweine
ſind hier wohlfeil.
Die Ueberfahrt von hier nach Hamburg uͤber die
Elbe geſchieht in einem Ever. Wahrſcheinlich iſt die-
ſes Wort von hinuͤber oder hohleber entſtanden. Es
iſt ein plattes Boot, das keinen Kiel, aber einen Maſt
mit einem Segel hat. Mit gutem Winde kan man in
einer Stunde uͤberſetzen. Man weis aber, daß man
wohl 2, 3, ja bis 7. Stunden damit zugebracht hat *).
Erſt
[655] Erſt faͤhrt man lange auf andern Waſſern, ſieht Har-
burg, Hamburg, Altona, Wandsbeck ꝛc. bald von
dieſer, bald von jener Seite. Wenn man endlich in der
Elbe*) ſelbſt iſt, ſo merkt man es bald daran, daß das
Schiff alsdann hoͤher geht, und in dem ſchweren Waſſer
ſo tief nicht ſinkt. Die Farbe der Elbe iſt ſchmuziggelb.
In den Nebenwaſſern ſind viele Untiefen und Sandbaͤnke.
Um die Schiffer davor zu warnen, hat man an ſolche Oer-
ter Tonnen mit eiſernen Zacken eingeſchlagen, die man auf
der obern Flaͤche des Waſſers gewahr wird, und davor
fliehet. Hamburg zeigt ſich in ſeiner ganzen Groͤſſe un-
gemein ſchoͤn. Man faͤhrt in den Hafen hinein, wo
groſſe und kleine Schiffe in Menge liegen **). Einige
ſind ſehr ſchoͤn angeſtrichen, faſt alle ſind mit ihren Na-
men gezeichnet, einige haben Portraits von Frauenzim-
mern. Zwiſchen dieſen Schiffen ſteht ein Gebaͤude, die
Schifferboͤrſe, da iſt die Wache von Hamburgiſchen
Stadtſoldaten, und die Reiſenden muͤſſen, weil man auf
dieſem Wege kein Thor paſſirt, hier gleich Namen, Be-
dienung und Aufenthalt angeben ***). Man ſteigt bei
dem
[656] dem Baumhauſe, einem praͤchtigen Gaſthofe, ab. Die
von Magdeburg ꝛc. oben auf der Elbe herabkommen,
ſteigen beim obern Baumhauſe aus *). Die Matroſen
gehen meiſt in ſchwarzen leinenen, oder auch blauen Kit-
teln. Sie ſind ſo grob, daß ſie gleich Hure rufen, wenn
ein Frauenzimmer auf einem Schiffe dadurch faͤhrt.
Hamburg. — Eine Welt im Kleinen — vielleicht
noch groͤſſer als Strasburg. Man kan die Menge der
Buͤrger nicht beſtimmen. Einige rechnen 300,000. See-
len auf die Stadt. Alle Tage kan man bekommen, was
man will. Ordentliche Meſſen wie in Frankfurt,
Braunſchweig oder Leipzig hat man nicht. Um Mar-
tini iſt im Dohm ein Markt von Kleinigkeiten und Ga-
lanteriewaaren. Der groͤßte Theil der Einwohner ſind
Kaufleute, die mit allen moͤglichen Dingen handeln. Der
Kornhandel iſt aber einer von den eintraͤglichſten, weil
dieſe Waare nie aus der Mode koͤmmt. Mit einer Sache
handeln wohl 100, 150, 200 ꝛc. Man kan alle Tage En-
gellaͤnder, Hollaͤnder, Portugieſen, Franzoſen ꝛc.
ſehen. Die Stadt iſt weit groͤſſer und volkreicher als
Luͤbeck. Die Luſt ſcheint geſund zu ſeyn, man findet
keine ſtinkende Gaſſen, einzelne Plaͤtze nur riechen uͤbel,
doch ſind die meiſten Straſſen zu eng und zu finſter. Ein
gutes Pflaſter kan man nicht erwarten, weil beſtaͤndig ſo
ſtark gefahren wird. Doch wird das meiſte zu Waſſer
herein gebracht.
Der Rath beſteht aus 24. Rathsherren und 4. Syn-
dicis, 13. davon ſind unſtudirte Kaufleute, alle muͤſſen
ſchlechterdings lutheriſch ſeyn. Buͤrgermeiſter ſind allemal
4. ihr Titel iſt Magnifizenz, 2. davon fuͤhren allemal
das
[657] das Praͤſidium. Der Bediente von ihnen geht neben
dem Wagen mit einem ſilbernen Degen, und noch andre
Bediente gehen in mit Silber beſetzten Kleidern, oder blauen
bordirten Maͤnteln nebenher, wenn er zu Rathe faͤhrt.
Dies geſchieht alle Tage um halb 9. Uhr. Alle Raths-
herren gehen zu Rath ſchwarz, mit einem weiſſen Ge-
kroͤſe und einem ſamtnen Ueberrock. Jeder muß ſeinen
eigenen Wagen haben. Wird einer erwaͤhlt und er hat
noch keinen, oder er zerbricht, ſo hat die Stadt etliche
ſogenannte Stadtwagen, die leihet ſie ihnen allemahl,
um zu Rath zu fahren, umſonſt. Sie heiſſen nicht
Rathsherren, ſondern Herren des Raths, und ſtehen in
groſſem Anſehen.
Die groͤßte Bequemlichkeit der Stadt ſind 3—5. Ka-
naͤle, die durch dieſelbe gehen. Auf dieſen gehen Schiffe
mit Waaren beladen, in die Mitte der Stadt herein,
und bringen Korn, Holz, Steine, Kalk, Torf, Wein,
und alle Kaufmannsguͤter bis vor die Haͤuſer der Kauf-
leute, und ſo erſpart man die ſchweren Frachtkoſten auf
der Achſe. Die Kaufleute haben meiſt lange, aber ſchmale
Haͤuſer. Der hinterſte Theil des Hauſes macht eigent-
lich das Waarenlager aus, da ſind unten der Keller, und
dann 3, 4, 5. Buͤhnen uͤbereinander, wo man eine unge-
heure Menge Waaren, viele 100. Tonnen aufſpeichern
kan. Unten iſt eine Thuͤre, die gegen den Kanal zu ge-
oͤſnet wird, und auf jeder Buͤhne iſt hinten auch eine Thuͤ-
re. Nun iſt die ſimple, wohlfeile und bequeme Einrich-
tung, Waaren hinauf zu bringen, dieſe; zu oberſt im
Hauſe iſt eine Welle, an jedem Ende der Welle ein groſ-
ſes hoͤlzernes Rad. Um die Welle winden ſich 2. dicke,
ſtarke Seile, und dieſe Seile gehen in Loͤchern durch alle
Buͤhnen im Hauſe durch bis hinunter. Nun kommt die
Zweiter Theil. T tFracht
[658] Fracht im Schiffe auf dem Kanale bis vor das Haus.
Man oͤfnet die Thuͤre auf dem Boden, auf welchem die
Tonnen liegen ſollen. Die beiden Seile werden an den
Tonnen befeſtigt, oben bei der Welle ſteht ein Kerl, der
treibt mit leichter Muͤhe das Rad herum, ſo windet ſich
der Strick um die Welle, und die Tonne wird herauf-
gezogen. Iſt ſie abgenommen, ſo dreht er oben das
Rad auf die entgegen ſtehende Seite, ſo geht der Strick
wieder hinab, und ſo werden in einem Nachmittage ge-
waltig viele Zentner heraufgezogen. Man weis keine
Stadt, die eine ſo bequeme Einrichtung haͤtte, als
Amſterdam, wiewohl dort auch Kanaͤle durch die
Stadt gehen. Die Kanaͤle dienen uͤberdies zur Reini-
gung der Geraͤthſchaften, zum Waſchen, zu vielen Fa-
briken, z. B. die Kattunmacher haben eine Stellage im
Waſſer, waſchen da das Zeug, ehe es gedruckt wird,
den ganzen Tag, und ſchlagen es mit Dreſchflegeln —
ſo ſieht man ganze Reihen an einem Kanal, aber es iſt
eine harte Arbeit. Die Einfaſſung der Kanaͤle zu beiden
Seiten iſt koſtbar. Sie geſchieht mit hoͤlzernen Pfaͤh-
len oder mit ſteinernen Saͤulen. Jeder Buͤrger muß
das vor ſeinem Hauſe thun, und in baulichem Stande
erhalten. Viele machen es mit Steinen, das koſtet
viel, es dauert aber auch laͤnger. Das Korn wird bis
an die Boͤrſe auf Schiffen gebracht und da verauktionirt,
oder abgeladen. Eine Menge Korn koͤmmt aus Deſ-
ſau, und eben ſo viel als Kontrebande aus dem Mag-
deburgiſchen, der ſtrengen Befehle des Koͤnigs von
Preuſſen ohngeachtet.
Die Boͤrſe iſt der Sammelplatz der Kaufleute und
Maͤkler. Es iſt ein groſſes Gebaͤude, ſteht am Waſſer, und
darne-
[659] darneben iſt ein Krahn und eine Stadtwaage. Von 12.
bis 2. Uhr kommen hier alle Kaufleute zuſammen. Man
kan wohl 1200. Perſonen rechnen, Juden, Chriſten,
Quaͤcker ꝛc. alle Nationen ſieht man da. Oben iſt ein
Boͤrſenſaal, und unten ein offener, freier, mit Saͤu-
len eingefaßter bedeckter Platz, der heißt die innere
Boͤrſe. Der Platz auſſen herum heißt die aͤuſſere
Boͤrſe, und wird auch ganz beſetzt. Die Juden duͤr-
fen nicht in die innere Boͤrſe. An den Saͤulen werden
die Zeddel angeſchlagen, wenn ein Schiff oder eine Waa-
re angekommen iſt, die niemand abholen will, oder et-
was verauktionirt werden ſoll, oder ein fremder Kauf-
mann, oder Schiffskapitain gearrivirt iſt. Die mei-
ſten Kaufleute haben einen gewiſſen Platz, wo ſie zuerſt
hingehen, da ſucht ſie jeder auf, der ſie ſprechen will,
die Kornhaͤndler, die Engellaͤnder und Maͤckler ꝛc. ha-
ben auch ihre gewiſſen Plaͤtze. Es iſt ein angenehmes
Getuͤmmel von Leuten, man hoͤrt ein verwirrtes Geſum-
ſe, man ſieht wunderbare Editionen von Kleidermoden,
Peruquen, Huͤten ꝛc. — man ſieht allerlei Karaktere im
Geſicht, der eine iſt verdrießlich, der andere munter,
der hat Bankozeddel, der hat einen Brief, der rechnet
in der Schreibtafel, der invitirt den andern, der hat
eine Waarenprobe, dort begegnen ſich 2. unverſehens,
kuͤſſen ſich ꝛc.
Auf dem Rathhauſe iſt die Bank — davon wiſ-
ſen die Kaufleute hier ſehr vernuͤnftig zu ſprechen. Sie be-
haupten, nur in Republiken ſei eine Bank *) moͤglich.
T t 2Sie
[660] Sie entſtand aus der Unbequemlichkeit, die mit dem
beſtaͤndigen Geldzaͤhlen verbunden iſt. Da traten An-
fangs 10-20. Perſonen zuſammen, jeder deponirte etwa
20000. Gulden. Das hat er nun da gut; ſoll er nun
einem andern von der Kompagnie etwas auszahlen, ſo
geſchieht das blos durch einen Zettel auf dem Bankhau-
ſe. Da ſchreibt man es an, und rechnets gegen einan-
der ab *). Daher muͤſſen einige groſſe Kaufleute die
Bedienten alle Tage auf die Bank ſchicken, andre nur
2mahl in der Woche. Die Bank iſt offen von 7 bis 9.
Uhr des Morgens.
In der Stadt ſind 5. Hauptkirchen, und an jeder
4. Prediger, und an der Neukirche 5, auſſer den Kan-
didaten. Das Miniſterium wird von einem Senior
dirigirt. Das Seniorat wechſelt aber nicht ab. Die
Prediger heiſſen Prieſter, und ſtehen in groſſem Anſehen.
Sie duͤrfen nicht ohne Mantel und Gekroͤſe ausgehen,
muͤſſen wenigſtens allemahl eine lange Kutte anhaben.
An der Wahl hat die Gemeine oder das Kirchſpiel (d. i.
die 16. Kirchherren) vielen Antheil. Bei jeder Va-
kanz muͤſſen einige zur Probe predigen, und unter denen
wird einer gewaͤhlt **). Nebſt dem hat jede Kirche
ihre
[661] ihre Oberalten, Subdiakonen, Verwalter ꝛc. Die
letztgenannten koͤnnen zu den erſtgenannten promovirt
werden, und dann haben ſie erſt Beſoldung. Das All-
moſenſammeln wechſelt unter den Subdiakonen ab.
Wer zur Kirche gehoͤrt und in officio iſt, muß ſchlech-
terdings ſchwarzes Kleid, Mantel und eine runde Peru-
que tragen, wenn er gleich ſonſt eine Haarbeutelperuque
traͤgt. Alle Morgen iſt in irgend einer Kirche eine Pre-
digt. Die andern Kirchen heiſſen Nebenkirchen. Eine
von den ſchoͤnſten ſoll die Katharinenkirche ſeyn, die
ſchoͤnſte die Neuekirche. Auf der Spitze des Thurms
an der Katharinenkirche ſteht eine goldne Krone, die
von 2. Seeraͤubern ſoll hinauf geſchenkt worden ſeyn.
Die Kuppel des Nikolaikirchthurms ſteht auf 10. ver-
goldeten Kugeln. Vortrefliche Glocken und Glocken-
ſpiele ſind auch hier, und groſſe Orgeln, die alle mit den
zinnernen Pfeifen nach der Kirche zu gerichtet ſind, und
den Organiſten hinter ſich haben. Die Kanzeln ſind
breit, mit weiſſen marmornen Saͤulen geziert, meiſt
aus einem ſchwarzen Stein, wahrſcheinlich Jaſpis. Ader
ſie ſind ſehr niedrig, kaum 2. Schuh uͤber den Zuhoͤrern,
ja ſehr viele Zuhoͤrer ſtehen hoͤher. Sonſt ſind die Kir-
chen noch voll papiſtiſchen Unraths, an jeder Seite der
dicken Pfoſten haͤngt eine ſchmuzige Tafel mit breiten
Verzierungen, uͤberall ſind Gemaͤlde, auf den Altaͤren
groſſe Aufſaͤtze, ſchwere Leuchter. Das Chor iſt mit
ſchweren ſtarken Thuͤren eingeſchloſſen, die aus lauter
metallnen Pfoſten in der obern Haͤlfte beſtehen. Die
Kanzel iſt mit eiſernen Gittern eingefaßt, die Beicht-
T t 3ſtuͤhle
**)
[662] ſtuͤhle ſtehen an allen Ecken der Kirche, ſind gros, und
haben Fenſter, 2, 3. Kronenleuchter haͤngen in der
Mitte herab, und dienen bei den Leichen des Nachts.
Alle Kirchen ſind dunkel, die Stuͤhle haben Thuͤren, viele
Abtheilungen und faſt gar keine Plaͤtze. Alle Waͤn-
de ſind weis. Ferner ſind alle Schritte in der Kirche
mit Grabſteinen beſetzt, und laͤngſt der ganzen Kirche
hin liegen Todte. Man geht darin ſo weit, daß viele
Familien ihre eigene Erbbegraͤbniſſe in den Kirchen ha-
ben; daß jeder Grabſtein oben einen dicken eiſernen Ring
hat, an dem man ihn aufhebt, uͤber den man aber auch
fallen kan, und wie ſehr verunſtaltet es den Fußboden
der Kirche? daß man es ſogar an den Kirchthuͤren ge-
druckt anſchlagen laͤßt, wenn einige Graͤber feil ſind, und
daß man ſogar in die Sakriſtei begraͤbt. — Der Dohm
oder Dumm iſt hier gar das nicht, was an andern Or-
ten. Es iſt die elendeſte und ſchlechteſte Kirche, wo
auch Buchlaͤden aufgeſchlagen ſind. Solche Nebenkir-
chen brauchen die Leute als Paſſagen, um den Weg
abzukuͤrzen. Die Michaeliskirche ward vor einigen
Jahren vom Wetter angezuͤndet, brannte bis aufs
Mauerwerk ab, und ward mit ſchweren Koſten wieder
erbaut — noch iſt kein Thurm daran. Die Engli-
ſchen Kaufleute haben hier das Engliſche Haus, wo
ihnen ihr Prediger Engliſch predigt. Sie beobachten
das Reciprocum in London. Man kan auch ein
Schiff *) ſehen, auf dem gepredigt wird. Das Mini-
ſterium
[663] ſterium verſammelt ſich etliche Tage in der Woche in
des Seniors Hauſe, und deliberirt uͤber die Angelegen-
heiten. Die Kandidaten predigen des Morgens fruͤhe.
Die Dorfprediger erſcheinen in einer langen, traurigen,
ſchwarzen Kutte und Kragen. Das Gymnaſiums-
Gebaͤube hat nichts Wichtiges. Die Handlungsaka-
demie hat weitlaͤuftige Gebaͤude, Spaziergaͤnge, Gaͤr-
ten und gute Anſtalten.
Leichen ſind meiſt Nachts. Die Stadt hat Leichen-
wagen darzu, die Himmelwagen heiſſen — gleich als
wenn alle Hamburger in Himmel kaͤmen. — Die Kin-
der werden meiſt im Hauſe getauft, der Taufſtein ſteht in
der Kirche auch in einer unzudringlichen eiſernen Einfaſ-
fung. Die Katechiſationen geſchehen alle in der Woche,
und nur mit Kindern. Oeffentliche Konfirmationen
hat man nicht. Der Geſang geht langſam, man ſingt
auch 2, 3. Lieder allemahl. Die Prediger ſingen und
machen das Kreuz auf der Kanzel.
Im Gottesdienſte iſt uͤberhaupt fuͤr einen Frem-
den hier viel Sonderbares. In den Nebenkirchen iſt
Sonntags weiter nichts, als um 7. Uhr eine Predigt.
In den Hauptkirchen iſt an jedem Sonntage die Fruͤh-
predigt, die Hauptpredigt, die Zwoͤlfepredigt, (fuͤr die
Domeſtiken) und die Nachmittagspredigt. Der Haupt-
paſtor thut auſſer der Sonntagspredigt nichts. Die 3.
andern, die Kapellane heiſſen, muͤſſen taufen, Kom-
munion halten, Beichte ſitzen *). Der Oberkuͤſter muß
T t 4ſtudirt
[664] ſtudirt haben, um im Fall der Noth predigen zu koͤnnen.
In den Predigten werden viele Verſe angefuͤhrt. Der
Prediger laͤßt den Tag vor der Predigt eine weitlaͤuftige
Diſpoſition drucken, die heißt der Text. Hier koſtet
das Kirchgehen Geld. Ein Platz, den man in einer
Hauptkirche kauft, koſtet wohl 1000. Mark, das thun
die Leute nicht gern, um nicht an eine Kirche gebunden
zu ſeyn. Wer alſo keinen gekauften Platz hat, der muß,
wenn er ſitzen will, die Stelle mit 1. oder 2. Schillingen
bezahlen. Alle nicht verkaufte Plaͤtze ſind in jeder Kir-
che an gewiſſe Weiber gegen ſchweres Geld verpachtet.
Dieſe Weiber weiſen nun den Fremden Stuͤhle an, ha-
ben auch eine Menge Seſſel bei der Hand, und laſſen ſich
noch in der Kirche oder beim Weggehen bezahlen. Sie
loͤſen viel, weil in Hauptkirchen am Sonntage 4. Gottes-
dienſte ſind. Man meint hier, es lieſſe ſich dies nicht
abſtellen, theils wegen der vielen Fremden, die beſtaͤn-
dig in der Stadt ſind, theils weil der Unterhalt der Kir-
che und der Armen ſo hoch kommt. Beinahe bei jeder
Predigt hat der Prediger eine Menge Dankſagungen und
Fuͤrbitten zu thun. Man bittet fuͤr alle Schifffahrende,
fuͤr abgehende Studioſos, fuͤr reiſende Kaufleute, fuͤr
ein junges Ehepaar, wenn ſie ſich verſprochen haben,
wenn ſie aufgeboten werden, wenn die Frau im 8ten
Monat ſchwanger iſt, wenn ſie entbunden worden, wenn
ſie wieder ausgeht. Man bittet fuͤr die Predigerwahlen,
wenn welche ſind, fuͤr die Bekehrung der Juden, man
lieſt Lebenslaͤufte ab, und wuͤnſchet den Eltern, Schwe-
ſter, Frau, Schwiegermutter, nahmentlich, Gottes Troͤ-
ſtungen, und das alles in weitlaͤuſtigen Formeln, die
oft ſehr ungeſchickt gewaͤhlt ſind, z. B. „dem allerhoͤch-
„ſten Gott wird hiermit ſchuldiger Dank abgeſtattet“.
Das
[665] Das Geſangbuch iſt, wie alle bisherige, und eine groſſe
Parthei hindert immer die Verbeſſerung. Die Prediger
haben fuͤr jede Dankſagung 1. Thaler, auch wohl einen
Dukaten. Fuͤr die Beſtellenden aber iſt dies eine koſt-
bare Sache. Sie muͤſſen oft 2, 3, 4. Predigern zu-
gleich geben, wegen der Familienkonnexionen.
Zur Zeit des letztern ſiebenjaͤhrigen Kriegs waren
die Haͤuſer hier ſehr theuer. Es zogen viele Leute hie-
her, um ſicher zu ſeyn, fingen einen Handel an, und
kauften Haͤuſer à tout prix. Da ward die Stadt
erweitert. Man fuͤhrte noch einen Kanal durch die
Stadt, und baute Haͤuſer *). Nun ſind die Haͤuſer
wohlfeil, und wer eins verkaufen muß, leidet Schaden.
T t 5Man
[666]
Man hat hier eigne Plaͤtze, wo die Ochſen ge-
ſchlachtet werden, groſſe ſteinerne, vielſtoͤckige Haͤuſer,
wo niemand wohnt, die man blos als Packhaͤuſer braucht,
Rathsapotheken und Rathskeller, die unmittelbar unter
dem Rathe ſtehen. Die meiſten Haͤuſer ſind hoch, ha-
ben viele Stockwerke, gehen ſpitzig zu und ſind ſchmal.
Die neuern ſind alle von gebrannten Steinen, und geben
einen guten Anblick. Der Pferdemarkt iſt ein Platz, wo
alle Jahre zweimahl eine erſchreckliche Menge Ochſen zu-
ſammen kommen, welche die Schlaͤchter, und die Buͤr-
ger kaufen, denn jeder Buͤrger ſchlachtet hier alle Spaͤt-
jahre einen Ochſen, poͤckelt das Fleiſch ein, und verſpeißt
es den Winter durch. Auf dieſem Platze iſt auch die
Nachtwache, denn es gehen alle Nacht ſtarke Patroul-
len, theils weil die engen Straſſen leicht den Spitzbuben
zum Aufenthalt dienen, theils wegen Feuersgefahr; —
ſie haben deswegen auch immer Eimer bei ſich, und ſind
bei entſtehender Gefahr gleich bei der Hand.
Man hat hier groſſe Zuchthaͤuſer, wo die Betruͤ-
ger hinein kommen. Es ſind lange Gebaͤude, worin
2. groſſe Thore immer offen ſtehen; dadurch ſind viele un-
verſehens gefangen worden. Die Eltern oder Vormuͤn-
der ſagen, ſie wolten mit dem jungen Verſchwender ſpa-
zieren fahren, und ehe er ſichs vermuthet, faͤhrt die Kut-
ſche bei dem Thor hinein, und das Thor faͤllt zu. Die
Arbeiten werden nach Maasgabe der Vergehungen aus-
getheilt. Die ſchwerſte iſt, Fernambucksholz raſpeln,
denn das iſt ſo ſchwer und hart wie Stein- oder Tauwerk
ſpinnen, oder grobe Tuͤcher, die ſie Feil nennen, und
beim Scheuren gebrauchen. Hingegen unehrliche Leute,
Diebe, Kindermoͤrderinnen, Landhuren ꝛc. kommen ins
Spinn-
[667]Spinnhaus, das dabei liegt. Waiſenhaͤuſer ſind
auch da *).
Einer der ſchoͤnſten Plaͤtze in der Stadt, iſt der
Inngfernſtieg, an der Alſter. Die Alſter, ein brei-
tes, klares, gruͤnlichtes, ſanftes Waſſer kommt bis in
die Stadt hinein, wird da en quarré von einem Spa-
ziergange, von Haͤuſern und vom Wall eingeſchloſſen,
und geht noch viele Meilen weit uͤber die Stadt hinaus.
An der Seite, wo das Waſſer anſtoͤßt, iſt ein trockner,
zu beiden Seiten mit Baͤumen, und auf der Stadtſeite
noch mit ſchoͤnen Haͤuſern umgebner, wohl ein halbtau-
ſend Schuh langer Spaziergang angelegt. Auf dem
Waſſer ſtehen uͤberall kleine Schuͤten, die man des
Sommers miethet, um ſich da zu vergnuͤgen. Man
faͤhrt auch wohl auf ein Wirthshaus vor der Stadt, und
ſpeiſet dort, oder man nimmt das Eſſen mit in die Schuͤ-
te, und divertirt ſich dabei auf dem Waſſer mit Muſik.
Die Schuͤten heiſſen Archen, oder Stubenſchiffe, wenn
ein kleines Gebaͤude mit Tiſchen und Fenſtern dar-
in iſt.
Der Wall um die Stadt iſt ſehr breit, mit Baͤu-
men auf beiden Seiten bepflanzt, und wohl eine Meile
lang mit groſſen und kleinen Kanonen, mit Wachen, Kon-
ſtablerhaͤuſern und Magazinen beſetzt. Man geht da
uͤber 3-4. Thore weg, das Steinthor iſt eins von den
groͤſten. Man darf oben fahren und reiten. Es iſt die
praͤchtigſte Ausſicht uͤber die Elbe und den Hafen hin.
Bei heiterm Wetter kan man bis nach Harburg ſehen.
Die
[668]
Die Thore der Stadt werden fruͤh geſchloſſen, in
jedem Monat zu einer andern Zeit, in Wintermonaten
ſchon um 7. Uhr, ſpaͤteſtens um halb 10. Uhr, und
dann wird weder Rathsherr noch Burgermeiſter herein
gelaſſen.
Fuͤr die Freiheit iſt ein Theil der Stadt ſehr einge-
nommen. Dieſer ſagt: die Buͤrgerſchaft thue alles,
Burgermeiſter und Rath ſei nur Ceremoniel, andre aber
reden mit mehr Ehrerbietung und glauben ſogar, daß es
dem Fremden wichtig ſei, wenn ſie auf der Gaſſe ihnen
die Haͤuſer zeigen, wo ein Herr des Naths wohnt. Der
Rath kan keinen Prediger und niemand abſetzen, die
Buͤrgerſchaft muß einwilligen.
Die Lebensart der Stadt iſt eccentriſch. Man iſt
von der Gewohnheit, der ſich alte Leute noch erinnern
koͤnnen, um 12. Uhr zu eſſen, um 10. Uhr zu Bett zu ge-
hen, und um 5. Uhr aufzuſtehen, abgekommen. Das
thun jetzt nur noch die Handwerksleute und Geringen.
Die Kaufleute und Vornehmen trinken um 7. Uhr Thee
oder Kaffee, um 9. Uhr koͤmmt Butterbrod und Schnaps,
von 12-2. Uhr iſt man an der Boͤrſe, um 2. oder halb
3. Uhr ißt man, aber nur eine Stunde, um 5, halb 6.
Uhr trinkt man Kaffee und um halb 9. Uhr geht man zum
Abendeſſen und ſitzt da bis 11. Uhr. Das ſpaͤte Mit-
tagseſſen entſteht von der Boͤrſe, und das Nachteſſen kan
nicht fruͤher geſchehen, weil die Comtoirbedienten die Po-
ſten erſt beſorgen muͤſſen, die zum Theil Nachts um 9.
Uhr abgehen. Ganz Vornehme ſchlafen von Nachts
um 12. bis Mittags um 11. Uhr, trinken dann Kaffee
um 11. Uhr, eſſen zu Gaſt um halb 3. und zechen bis
wieder in die Nacht. So oft der Kaffee getrunken iſt,
wird
[669] wird Thee aufgeſetzt, und Abends ebenfalls Thee. Je-
der hat ein Kohlenbecken und einen Theekeſſel in einem
ſchoͤnen hoͤlzernen, und mit Meſſing beſchlagenen Ka-
ſten des Tags 2mahl bei ſich ſtehen, und glaubt’s dem
Arzte nicht, daß der Dampf ſchadet.
Beim Eingang in die Haͤuſer trift man viele Ki-
ſten und Schraͤnke an, die zum Theil Bettkaſten ſind.
In den Staatszimmern iſt der Boden ſehr oft mit ſtei-
nernen Flieſſen bedeckt, ſchwarz und weis abwechſelnd —
die weiſſen, aus einem weiſſen Marmor aus Italien,
kommen uͤber Bremen, und ſind ſehr theuer. Die
groͤſten Haͤuſer ſind aus lauter Backſteinen aufgebaut.
Tapeten ſind nicht allgemein, und meiſtens nur gemahl-
tes Papier. Zu den Tabakspfeifen hat man ein langes
ſchmales Schraͤnkchen in der Wand mit einer Thuͤre, wo
ſie aufgeſtellt werden. Der Tiſch, an dem man ißt,
wird ſchon gedeckt hereingetragen. Marmorne Platten
auf kleinen Tiſchen ſind haͤufig. Viele Leute haben das
feinſte Porzellan. Kanapees ſieht man hier gar nicht.
Mit rothem Sammt ſind die Seſſel meiſt uͤberzogen.
Auch von Stroh geflochtene hat man noch viele. Bei
Tiſche hat man lauter Kelchglaͤſer und gruͤne Bouteillen.
An einigen Haͤuſern iſt hinter der Thur eine Kette ge-
ſpannt, die kein Bettler und Fremder auſſen herabwerfen
kan. Viele haben Familiengemaͤlde oder andre Stuͤcke
von Duͤrer ꝛc. an den Waͤnden haͤngen. Betten mit
gruͤn damaſtnen Vorhaͤngen ſind hier ſehr ſchoͤn. Die
Fußboͤden werden ſehr glatt und reinlich gehalten. Sie
ſchuͤtten etwas Waſſer auf den Boden, und fahren darin
mit einer Buͤrſte an einem langen Stock ſogleich hin und
her. Man hat eigene Muͤhlen, wo der Tufſtein gerie-
ben
[670] ben wird. Ein Pferd, das am Halſe vermittelſt einer
Stange an die Welle befeſtigt wird, treibt den Stein
herum, und wird ſelbſt dadurch getrieben. Man nimmt
gern ein Blindes dazu, oder verbindet dem Sehenden
die Augen.
In den Speiſen kan man hier alle Monate abwech-
ſeln. Beſonders wird viel eingepoͤckeltes Fleiſch verſpei-
ſet. Man hat auſſer den ſonſt bekannten Fiſchen hier
Seefiſche, Doͤrſche, Butten, Schollen, Schellfiſche ꝛc.
Alle dieſe haben ein weiſſes Fleiſch und gehen im Ge-
ſchmack wenig von einander ab. Seekrabben bekommt
man aus Luͤbeck. Man ißt gedoͤrrten Lachs zum Spi-
nat, und thut Roſinen in die Kloͤſe oder Knoͤpflein in der
Fleiſchbruͤhſuppe. Roggenbrod hat man hier haͤufig in
Haͤuſern. Bier brauen ſie auf Berlinerart. Seefiſche
beſtreut man bei Tiſche mit geriebenem Meerrettig, und
thut dann erſt die Butterſauce daran. Man ſtellt Pflau-
men auf, die in Brantewein und Liqueurs aufgehoben
werden. In den Kuͤchen hat man Pumpen und Roͤh-
ren fuͤr das Waſſer, und viele kupferne aber verzinnte
Gefaͤſſe. In einigen Haͤuſern hat man ein Trinkwaſſer,
das von Altona hereingeleitet wird. Zum Einpoͤckeln
brauchen ſie etwas ſpaniſches Salz, ſonſt bekommt die
ganze Stadt all ihr Salz von Luͤneburg, und die Buͤr-
ger kaufen es tonnenweis. Zum Kaffee ſetzen ſie Milch
und Rohm in 2. beſondern Kannen auf, ſie eſſen den
Zwieback nachher, tauchen ihn aber nicht ein. Das
Frauenzimmer raucht nicht Tobak, iſt aber an den Ge-
ruch gewohnt. Beim Spieltiſch werden Kirſchliqueur und
andre ſtarke Getraͤnke herumgegeben. Bei Traktamen-
ten biegt ſich der Tiſch unter der Laſt der Schuͤſſeln, und
einer will den andern uͤbertreffen.
Die
[671]
Die Kleidung der alten Kaufleute iſt ſimpel, gros,
weit, aber ohne Pracht. Die jungen und die Damen lie-
ben deſto mehr das Putzen. Die Vornehmen gehen mit
einem rothen ſcharlachenen Mantel uͤber dem Kleide. Der
Hut iſt gros und hoch. Peruͤcken ſind ſehr gewoͤhnlich.
Degen werden ſelten getragen. Die Frauenzimmer ge-
hen mit einem groſſen Tuche verhuͤllt, bei ſchlechten und
bei angenehmen Wetter, zum Theil in die Kirche. Wer
mehr von der Kleidung wiſſen will, der gehe Sonntags
um 2. Uhr auf den Kirchenſaal in der Michaeliskirche.
Die Sprache der Hamburger ſollte eigentlich Platt-
deutſch ſeyn, und die Sprache, wenn man ſie in der Ge-
walt hat, iſt nervoͤs, angenehm, zum Singen geſchickt,
hat ihre eigenen Redensarten und eigenen Schoͤnheiten.
Man hat Hochzeitgedichte, die zum Scherz in dieſer Spra-
che verfertigt ſind, und wahre Meiſterſtuͤcke heiſſen koͤnnen:
aber viele verſtehen ſie gar nicht, und lernen ſie nicht. Man
redet Hochdeutſch, aber in einem erbaͤrmlichen Dialekt;
man ſagt Maude ſtatt Mode; blift ſtatt bleibt;
Tſcheſus ſtatt Jeſus; bettken ſtatt bischen; Wa-
ter ſtatt Waſſer; Groͤte ſtatt Groͤſſe; Eten ſtatt
Eſſen; Tit ſtatt Zeit. Lat mick mit Free. Win
ſtatt Wein. ꝛc. Franzoͤſiſch und Engliſch lernen alle
junge Leute, und zum Theil von gar elenden Sprach-
meiſtern.
Bei Hrn. Paſtor Goͤtze ſieht man eine Bibelſamm-
lung, die 400. Stuͤcke enthaͤlt, und zwar nicht vollſtaͤndig,
aber ausgeſucht iſt. Er hat eine deutſche Bibel, die vor
Luthern in Augſpurg 1473. bei Sorger gedruckt iſt,
blos nach der Vulgata, ſie iſt von Wort zu Wort aus dem
Lateiniſchen. Geneſis heiſt darin Buch der Schoͤpfung,
Exodus,
[672]Exodus, Buch des Ausgangs, Leviticus, Buch der
Leviten, Numeri, Buch der Zahl, Deuteronomium,
Buch der andern Ee, Ee heiſt im alten Deutſchen Ge-
ſetz, Legislator heiſt in dieſer Bibel immer Eetraͤger,
die Kronick heiſt Buch der Efrung; effern, ein altes
deutſches Wort, heiſt wiederholen: Luther hat das Wort
noch, Prov. XVIII. „Wer eine Sache effert“, d. i. wie-
der aufwaͤrmt, die Neuern haben aus Unwiſſenheit ei-
fert daraus gemacht. Die Ap. Geſch. hat den Titel:
Wuͤrkungen der 12. Boten. Die Bibel iſt in gros Fo-
lio, ziemlich deutlich geſchrieben, aber weil alles verbo-
tenus aus der Vulgata uͤberſetzt iſt, ſo iſt oft im Hiob
und in den Propheten kein Menſchenverſtand. Die al-
ten Bibeln und Pſalmen haben zum Theil viel geſchlage-
nes Gold in den Anfangsbuchſtaben. z. B. das B bei
Beatus im Pſ. 1. hat wohl ſo viel Gold als 1 Dukaten
werth iſt, man muß dergleichen Buͤcher vor den Juden
ſehr in Acht nehmen. Ein andres rares Stuͤck iſt Ru-
delii Vulgata,Koͤln 1527. und SchoͤffersVulga-
ta,Maynz 1542. der ſichs herausnahm, die Vulgata
an etlichen tauſend Stellen zu korrigiren, und Gen. III.
15. ipſum lieſet. — Er war es, der ſich auf dem
Concil. Trident. der Vergoͤtterung der Vulgata ent-
gegen ſetzte. Ferner ſind da ganze Suiten von Luthers
und Erasmus Ueberſetzungen und Anmerkungen, ein-
zeln und ganze Bibeln. — Luther hatte Anfangs in ei-
nem Pſalmen: „Meine Seele vertroͤpfelt vor Truͤbſal“.
Er hatte nie Vaterunſer in ſeiner Bibel, aber im Ka-
techiſmus hatte er es. Man ſieht hier auch Ecks Bi-
beluͤberſetzung, womit er Luthers ſeine verdraͤngen wollte.
In einer Ueberſetzung — oder Auflage vielmehr, — die
nach Luthers Tode von Melanchthon beſorgt wurde,
ſind
[673] ſind viele den Synergiſten zu Gefallen gemachte Veraͤn-
derungen, z. B. 2. Cor. III. 5. „von uns ſelbſt Rath zu
finden“ — Die alten Theologen brauchten die Bibeln
als Stammbuͤcher, ſie ſchrieben einander vorn und hin-
ten eine kurze Betrachtung uͤber einen bibliſchen Spruch
hinein; Hr. Paſtor Goͤtze beſitzt ſolche Betrachtungen
von Melanchthon, Luther, Flacius, Juſtus Jo-
nas ꝛc. Die Alten hielten viel auf Gemaͤlde. Man
hat Bibeln von Lukas Kranach gemahlt, es ſind gro-
be Holzſchnitte, ſie haben aber ein vortrefliches noch jetzo
ſchimmerndes Kolorit. Eine ſtarke Sammlung nieder-
ſaͤchſiſcher plattdeutſcher Bibeln hat er auch, ſ. ſeine Hi-
ſtorie davon. Die wichtigſten Bibeln iſt er kritiſch
durchgegangen, und hat in den freiwilligen Beytraͤgen
davon Nachricht gegeben. Die Roͤmiſche LXX. hat er in
einer Auktion mit 60. Thalern bezahlt. Er hat viele al-
te Stuͤcke von Kaͤſehoͤcken bekommen, oder als alte Fa-
milienſtuͤcke gekauft, auch vieles aus der Baumgarten-
ſchen Bibliothek erſtanden. Bengel war nicht der er-
ſte, der das N. T. ſo in einem weg drucken, und die
Verſe an Rand ſetzen lies, man hat ſchon Teſtamente aus
dem 17ten Jahrh. auf dieſe Art. Man kan bei ihm auch
ein Originalexemplar vom Liber Conformitatum ſe-
hen; — es exiſtirt alſo gewis *) und Luthers Weiſſa-
gung, die Katholicken wuͤrdens unterdruͤcken, und ſein
Daſeyn
Zweiter Theil. U u
[674] Daſeyn laͤugnen, iſt eingetroffen. Die Menſchenver-
goͤtterung iſt darin aufs hoͤchſte getrieben. Franziskus
wird mit Chriſto nicht ins Gleiche, ſondern er wird uͤber
ihn geſetzt. Was Bayle und Basnage von Calvini
Inſtitution. die unter dem Titel Alcuini herausge-
kommen ſind, geſagt haben, iſt zuverlaͤſſig falſch. Goͤ-
tze hat eine Edition, wo Kalvin auf dem Titel und in
der Dedikation, (die ſo eingerichtet iſt, als wenn ſie an
Karl den Groſſen waͤre) Alcuinus heißt. Das Buch
iſt ein duͤnner Foliant, ging unter dieſem Titel in die ka-
tholiſchen Laͤnder, und die Inquiſitoren wurden eine Zeit-
lang betrogen, ſie dachten an Karls des Groſſen Se-
kretaͤr Alcuinum. Herr Goͤtze beſitzt auch Abſchriften
von des Serveti L. III. de Trinitate, und eine von
ſeinen L. II. de Erroribus in Trinitate, das letzte
hat er ſelbſt in Jena von dem dortigen Exemplar abge-
ſchrieben. Man ſieht bei ihm auch eine Uhr, die ein
Bauer gemacht hat, die 4. Chorale und 2. Arien ſpielt,
Viertel und Stunden ſchlaͤgt, und bei jedem Viertel ei-
nen Akkord ſchlaͤgt, mit einer einzigen Walze.
Hr. Dr. Bolten hat auſſer einer vortreflichen Bi-
bliothek, und vielen ſilbernen chirurgiſchen Inſtru-
menten, auch viele ſehenswerthe Naturalien. Ein
junger Crotalus horridus in einer Brantweinflaſche;
die Schlange kam lebendig bis nach Amſterdam, und
fras auf der Reiſe nichts, ſie ſtarb erſt auf dem Wege
nach Hamburg. Ruͤttelt man an der Flaſche, ſo hoͤrt
man noch eine kleine Bewegung in der Klapper. Unter
den Konchylien hat er eine Wendeltreppe, andre unaͤchte
Wendeltreppen, die in Holland am Ufer der Nordſee
haͤufig vorkommen, etliche Perſpektivhoͤrner, die man
umkehren
[675] umkehren muß, wenn man ihre Schoͤnheit bewundern
will, viele groſſe und kleine, ganze und durchſchnittene
Nautili, viele Seenadeln, Strombi, Buccina, Mi-
trae, Tiarae, Cypraeae \&c. Unter den Kegel-
ſchnecken kommen ſeltene Stuͤcke vor. Er hat auch eine
ungemein niedlich gezeichnete, mit Streifen und Puͤnkt-
chen, rothe und gelbe Muſchel aus der Suͤderſee. Auch
einen Cancer Bernhardus, der ganz gelb, und in ſei-
ner Schaale vertrocknet iſt. Viele Muſcheln mit Sta-
cheln, mit Hacken, mit natuͤrlichen Oefnungen, mit chi-
neſiſchen Zeichnungen und Kuͤnſteleien, auch eine linksge-
wundene Schnecke; auch eine Zebramuſchel ꝛc. Die
Einrichtung ſeines Kabinets iſt dieſe: Ein groſſer Kaſten
iſt in 4. Theile der Laͤnge nach, von oben bis unten ge-
theilt. Alle dieſe Theile ſtehen voll Schubladen, die ein
paar Zoll tief ſind, und weit in den Kaſten hineingehen.
Darin liegen die Muſcheln, nicht allemahl nach Linne’i-
ſchen Geſchlechtern, oft blos nach der Symmetrie und
Schoͤnheit. Die Boden der Schubladen ſind mit gel-
ben, blauen, rothen ꝛc. Zottelſammt ausgeſchlagen, und
die Seitenwaͤnde hellblau angeſtrichen. Die Wen-
deltreppe liegt auf Baumwolle und Flockſeide in einem
glaͤſernen Gefaͤs, auf welchem ein Deckel mit einem gel-
ben Rande eingeſchraubt iſt. So kan man ſie ſehen,
ohne ſie zu zerbrechen. Andre ſeltene Stuͤcke liegen un-
ter den andern noch auf einem kleinen Schachteldeckelchen,
worin ein rothes oder weiſſes ſeidnes Fleckchen liegt.
Die meiſten Muſcheln ſind aus Oſt- und Weſtin-
dien.
St. Juͤrgen heiſt eine Vorſtadt von Hamburg.
Man faͤhrt zwiſchen lauter Gartenhaͤuſern hinaus. Die
U u 2Leute
[676] Leute dort bringen Milch und Butter nach der Stadt.
Man zeigt den Fremden die dortige Kirche, weil ſie im
Kleinen das iſt, was die Michaeliskirche in der Stadt.
Bei dem Doͤrfchen ſtehen viele Gartenhaͤuſer und Alleen,
in denen ſich die Hamburger in Sommernaͤchten aufhalten.
Der Peſthof vor der Stadt, nahe bei Altona,
(oder plattdeutſch: allzunahe,) iſt eine Gegend zwiſchen
den Hamburger Gaͤrten, wo das Lazareth ſteht, und
hat eine eigene ſchoͤne neumodiſche Kirche. Die Kanzel
iſt faſt ſo wie die in der Karlsruher Schloskirche. Es
iſt ein eigener Prediger dabei. Um den Unterhalt der Ar-
men zu erleichtern, pflegt man in der Charwoche in die-
ſer Kirche eine praͤchtige, affektvolle, die Leidenſchaften der
auftretenden Perſonen wohl ausdruckende Paſſionsmuſik
aufzufuͤhren, und lockt damit ganz Hamburg hinaus.
Die Poeſie iſt 50. Jahr alt, herzlich ſchlecht, voll her-
renhuthiſchpapiſtiſcher Taͤndeleien, aber die Muſik iſt von
Telemann, einem beruͤhmten Hamburger Kompo-
niſten.
Vor dem Teichthore ſieht man einen ſandſteiner-
nen weiſſen Gedenkſtein, an dem ſteht: „Die Elbe von
„den Regenguͤſſen eines truͤben Sommers angeſchwollen,
„trat uͤber unſre Fluren, drohte der Stadt ungewohn-
„te Gefahren, und ſtieg bis an die bezeichnete Linie,“
und unten iſt in der Hoͤhe meiner Bruſt eine Linie gegra-
ben, und druͤber ſteht: „Der 1te Jul. 1771.“
Ehedem hatte die Stadt immer Zwiſtigkeiten mit
dem Koͤnige von Daͤnnemark, und noch vor kurzem
mußte ſie viel Geld geben. Der Kaiſer aber und das
Reich forderten fuͤr die Stadt einen Revers, daß man
nun
[677] nun weiter keine Forderungen mehr an ſie machen wolle.
Nur eine Viertelſtunde vom Thor liegt Altona, eine ar-
tige Stadt, dieſe ſchon unter Daͤniſcher Hoheit ſteht.
Der Koͤnig von Preuſſen hat dem Handel der Stadt
auch Schaden gethan. Die Kaufleute ſagen, er ſchade
ſich und ſeinen Unterthanen zugleich, denn der Handel
muͤſſe Freiheit haben. Der neueſte Befehl iſt, daß
keine Hamburgiſche und Hollaͤndiſche Heringe mehr
nach dem Koͤnigreiche gefuͤhrt werden ſollen.
Gegen das Betteln auf der Straſſe, das ehemals
hier gewaltig ſtark war, ſind Arbeitshaͤuſer angelegt, und
Voͤgte beſtellt. Aber viele hundert Maͤdchen ſollen im-
mer ohne Dienſt herumlaufen, und ihr vorher Erworbe-
nes verzehren, weil Domeſtiken hier ſehr eigenſinnig ſind,
viel Lohn bekommen, aber ſich ſelbſt Kaffee ꝛc. halten und
aufkuͤndigen koͤnnen, wenn ſie wollen. In vielen Haͤu-
ſern ſind alle halbe Jahre andre Maͤdchen. Die Haus-
frauen beſchweren ſich ſelbſt daruͤber.
Jetzt haͤlt die Republik nur 1500. Soldaten, ehe-
mals 2000, aber das Geld fehlt. Dazu kommen noch
40-50. Dragoner mit ſchoͤnen Pferden. Die Kleidung
iſt roth mit blauen Aufſchlaͤgen, weiſſen Beinkleidern
und blechernen Muͤtzen. Der Generalmajor von Loo
iſt ein vortreflicher Mann, und eine ſchoͤne Perſon. Um
9. Uhr iſt Wachparade. Es ſtehen wohl 300. immer
Schildwache. Die Hauptwache iſt 30. Mann ſtark.
Ein gemeiner Mann bekoͤmmt monatlich 2. Thaler. Der
Offizier 8, 10, 12 ꝛc. Thaler. Das Exerzitium iſt das
Kaiſerliche, geht aber lahm. Im Mai muͤſſen ſie auch
im freien Felde exerziren, abfeuern, Bomben werfen.
Man ſieht viele alte, kleine Leute darunter. Die auf
U u 3die
[678] die Wache gehen, muͤſſen ihren rothen ſchweren Mantel
auf dem Ruͤcken tragen, und mit einem Strick zuſam-
menbinden. Nachts wird der Wall von Buͤrgern be-
ſetzt. Es iſt auch an einem andern Platz der Stadt eine
Buͤrgerwachparade.
An der einen Seite der Stadt gehen die Garten-
haͤuſer wohl eine Meile lang fort. Sie ſind zum Theil
ſehr gros, ganze Pallaͤſte, und werden mit vielen Koſten
unterhalten. In manchen koͤnnen 18, 20-30. Perſo-
nen logiren. Im Sommer halten ſich die Kaufleute
daſelbſt auf, ſonderlich Nachmittags und Nachts. Des
Rathsherrn Voghts Garten iſt fuͤrſtlich. Es ſind
groſſe Seen darin, worin Haͤuſer gebaut ſind, mit
Bruͤcken zu beiden Seiten, viele Treibhaͤuſer, eine gan-
ze Reihe Weinſtoͤcke unter Glasfenſtern, Kabinette, die
inwendig mit einer Menge groſſer und kleiner Muſcheln
Reihenweiſe, in verſchiedenen Figuren ausgekleidet ſind.
In der Mitte des Kabinets haͤngt ein groſſer, aber zu-
ſammengeſetzter Spiegel. Die Muſcheln werden durch
einen eigenen Kuͤtt feſtgemacht. Sie leiden aber etwas von
der Luft. Im Winter wird das Kabinet mit Bretern
verſchloſſen. Viele Statuͤen aus der Mythologie von
Holz ſtehen uͤberall im Garten. Man haͤlt auch Pfauen
und Papageien. Ein kleiner Thiergarten, worinnen
Rehe, islaͤndiſche ganz weiſſe Rehe, unterhalten werden.
Auf der andern Seite ſieht man Waſſerkuͤnſte, die praͤch-
tig ſind. Die Grotten ſind ebenfalls mit Muſcheln aus-
geſetzt. — Von hier faͤngt die Gegend Ham und
Horn an.
Altona. Eine ziemlich groſſe Stadt mit vielen
ſchoͤnen Haͤuſern, die 2te Stadt im Koͤnigreich Daͤn-
nemark.
[679]nemark. Sie hat groſſe Plaͤtze, ſchoͤne Kirchen, ein
Gymnaſium, viele Alleen, eine Menge Einwohner, auf
der einen Seite iſt die Gegend ſehr ſchoͤn. Man ſieht
aus den Gartenhaͤuſern die praͤchtige Elbe, und beſon-
ders machen die abgehenden Schiffe, und lavirenden
Evers einen angenehmen Anblick. Man kan vom Tho-
re faſt in 10. Minuten da ſeyn.
Wandsbeck. Ein Gut auf einer andern Seite
der Stadt nach Luͤbeck zu, das jetzt dem Baron von
Schimmelmann gehoͤrt, und unter ſeinen Haͤnden ſeit
15. Jahren viel verſchoͤnert worden iſt. Einige Gegen-
den ſind in der That romantiſch. Das Schloß iſt neu
gebaut, hat viele Zimmer, aber einen kleinen Sallon,
und ein Portrait vom Koͤnig von Daͤnnemark. Der
Garten iſt fuͤrſtlich, hat viele Veraͤnderungen, praͤchtige
Haͤuſer, viele Statuͤen.
Reiſe von Hamburg nach Luͤbeck.
Der Weg betraͤgt mit der Poſt 7. Meilen. Drei
Meilen ſind meiſtentheils Sand, dann koͤmmt die Sta-
tion Schoͤnberg, wo ein elendes Poſthaus iſt. Das
Gebiet iſt bald hannoͤveriſch bald daͤniſch. Vier Mei-
len nach Luͤbeck zu liegt die Straſſe voll der ſchreck-
lichſten Steine, woruͤber alle Reiſende klagen. Man
ſieht von weitem nur einen kleinen Theil der Stadt, naͤ-
her zu praͤſentiren ſich die Thuͤrme gut.
Luͤbeck. Die Stadt iſt alt, die meiſten Haͤuſer
ſind gothiſch, die Daͤcher mit Abſaͤtzen wie Treppen,
oder mit ausgeſchweiften Bogen ſeltſam verunſtaltet, und
ſehr hoch und eng neben einander. Die Straſſen ſind
U u 4ziemlich
[680] ziemlich gerade, beſſer gepflaſtert als Hamburg, mei-
ſtens breit, aber die Stadt iſt vielmal kleiner als Ham-
burg. So viel Handelſchaft und Leben iſt auch bei
weitem nicht hier, wie dort. Hingegen ſind die Leute fei-
ner, hoͤflicher, die Sprache hat einen ſchoͤnen Accent,
die Leute werden alt, 50, 55. Jahr iſt bei ihnen noch
kein Alter. Eſſen, Trinken, und uͤberhaupt die ganze
Lebensart iſt von der Hamburgiſchen wenig unter-
ſchieden. Die Kirchen ſind ungeheuer gros, aber eben
ſo ſehr mit ekelhaften Zierrathen angefuͤllt, die groſſe
Marienkirche beſonders. Da ſteht das praͤchtige Uhr-
werk, das den Tag, den Monat, die Himmelszeichen,
die Sonnen- und Mondfinſterniſſe zeigt, und wie man
ſagt, 100. Jahre laufen ſoll. Es iſt eine praͤchtige groſ-
ſe Scheibe, hinter einem von Eiſendrat geflochtenen Git-
ter. Die Uhr iſt alt, und vor kurzem von einem ma-
thematiſchen Paſtor Becher reparirt und mit neuen In-
ſchriften vermehrt worden. Unten ſteht eine Adjuration
wider den, der das Werk beſchmuzen oder verderben woll-
te, in plattdeutſcher Sprache. Darneben iſt das Wahr-
zeichen der Stadt, eine Katze, die auf eine Maus lau-
ert, abgemalt. Oben uͤber ſieht man, wenn es Mit-
tags 12. Uhr geſchlagen hat, nach dem letzten Streich
eine kleine Thuͤr aufgehen, daraus kommen, vom Uhr-
werk getrieben, die 12. Apoſtel in alten wunderlichen Klei-
dungen. Sie ſtehen auf einem halben Zirkelbogen, ſind
nicht gros, graulicht, vermuthlich von Holz, bieten den
untenſtehenden Zuſchauern den Ruͤcken, und ruͤcken ganz
langſam, allmaͤhlig von einer Seite zur andern. In
der Mitte der halben Zirkellinie, die ſie beſchreiben, ſteht
in einer Niſche ein Bild von unſerm Erloͤſer, der durch
die Stralen am Haupt kenntlich wird. So wie einer
von
[681] von den Apoſteln, indem ſie fortruͤcken, grade vor den
Heiland zu ſtehen kommt, ſo zuckt er Achſeln und Kopf,
vom Drath und dem Gange des Uhrwerks ſo beſtimmt,
zuſammen, macht eine Verbeugung, die poſſirlich ge-
nug ausſieht, vor ihm, und geht dann weiter. Die
ſchaͤrfer ſehen als ich, ſagen, daß Judas nur ein haͤ-
miſches tuͤckiſches Kompliment mache. Sind ſie alle
vorbei paſſirt, ſo gehen ſie auf die andre Seite, und der
Weg geht nach der Stellung der Zuſchauer von der Rech-
ten nach der Linken, wieder zu einer Thuͤre hinein, die
gerade nach dem Judas zufaͤhrt. Faſt alle Tage kom-
men Fremde daher, der Kuͤſtersjunge ſoll ſich ganz gut
dabei befinden, indem er gegen ein Biergeld eine Be-
ſchreibung anbietet, die man ihm gern laͤßt, wenn man
das Spiel mit angeſehen hat. In allen Kirchen ſind
ſchoͤne Uhren, Kanzeln und praͤchtige Orgeln, beſonders
im Dohm. Aber in der Marienkirche iſt ſogar eine
ganze Reihe eines Todtentanzes abgemalt. Da ſtehen
die abgeſchmackteſten Fratzen, Knochenmaͤnner, Ske-
lete ꝛc. zum Anblick fuͤr Chriſten, die ſich Proteſtanten
nennen, und noch halb Papiſten ſind.
Das Rathhaus macht keine ganz ſchlechte Figur.
Der innere Audienzſaal uͤbertriſt an Pracht und Male-
reien den Hamburger weit. Die Boͤrſe iſt ein einge-
ſchloſſenes Gebaͤude, aber klein. Neue Haͤuſer ſieht
man, aber es iſt doch noch viel altes dran, ſie behalten
die alte Form, die Daͤcher bei. Sie haben meiſt eiſer-
ne Oefen, aber ſie ſetzen ſie inwendig mit hollaͤndiſchen
Klinkern, die ſie auf die Kante ſtellen, aus. Das er-
haͤlt die Waͤrme eben ſo lange, als wenn es ganz Kachel-
ofen waͤre. In allen hieſigen Oefen wird Torf gebrannt,
U u 5und
[682] und man riecht ihn nicht. Die Straſſen lernt der Fremde
bald kennen, ſie gehen zum Theil parallel neben einander.
Der Klingenberg iſt eine kleine, aber nicht unangeneh-
me Hoͤhe. Das Trinkwaſſer bekommt die Stadt aus
einer Waſſerkunſt vor dem Thore, die aus Pump- und
Saugwerken beſteht, von der Wackenitz getrieben wird,
das Waſſer auf einen hohen Thurm hinaufpreßt, oben
in ein groſſes Baſſin zuſammenſchuͤttet, von da es her-
abfaͤllt, und in 240. Haͤuſer der Stadt gegen theure Be-
zahlung geleitet und vertheilt wird. Die Waͤlle ſind an
einigen Gegenden, z. B. bei Bellevue, ſehr hoch und
angenehm. Man ſieht von da an der einen Seite die
Schiffe in der Trave liegen. Die Gartenhaͤuſer ſind
nahe bei der Stadt. Vor einem Thore iſt uͤber die
Trave eine ſteinerne Bruͤcke, lang und breit aus Fel-
ſenſtuͤcken und unten liegenden Pfaͤhlen erbaut worden,
die noch mit Bildſaͤulen ſoll geſchmuͤckt werden. Sie
decken hier haͤufig mit Schiefer, die uͤber Holland aus
der Pfalz kommen. Die Wirthe haben hier einen
ſeltſamen Stolz in den Schilden die vornehmſten Per-
ſonen zu haben, z. B. der Koͤnig von Engelland,
der Koͤnig von Daͤnnemark. Einige Kaufleute
ſammeln Naturalien, z. B. Tesdorf. Eine Frei-
maͤurerloge iſt auch hier. Der Superintendent iſt der
erſte Geiſtliche, hat aber nicht einmahl Inſpectionem.
Das kam Carpzoven ſehr ſonderbar vor, er wollte wie
in Sachſen viſitiren, der Magiſtrat litt es aber nicht.
Nach Cramers Abzug will man nur einen Senior ha-
ben. Den Engliſchen Stapel, den Hamburg hat,
haͤtte Luͤbeck, wenn nicht der Magiſtrat damals, als es
die Engellaͤnder anboten, den Geiſtlichen, die ſchrien,
es wuͤrden viele Religionsveraͤnderungen zu befuͤrchten
ſeyn,
[683] ſeyn, zu viel Gehoͤr gegeben haͤtte. In Hamburg tha-
ten die elenden Prediger eben das, aber man kehrte ſich
nicht an ſie, und das hat einen ſo groſſen Unterſchied zwi-
ſchen Hamburg und Luͤbeck gemacht, der jedem Frem-
den gleich in die Augen faͤllt.
Travemuͤnde, — 2. Meilen von Luͤbeck, mit
einer Schanze oder Feſtung, wo Garniſon und ein
Kommandant iſt. Da iſt die Rhede, wo man die
Schiffe ankommen und abgehen ſieht. Man faͤhrt auf
der Trave nach dem Leuchtthurm, ſteigt 101. Stufen
auf, da haͤngen die Nachtlampen, und man ſieht 6.
Meilen in die See. Am Strande liegen die praͤchtig-
ſten Naturalien. Die Doͤrſche *), Krabben und Ku-
chen werden hier von allen Reiſenden gelobt.
Ende des zweiten und letzten Theils.
[[684]]
Appendix A Verbeſſerungen
im Erſten Theil.
- S. 81. Z. 20. ſtatt Felſobania ließ Fatſopanya.
- S. 474. Z. 6. von unten ſtatt 12. Hefte ließ 74. Aus-
gaben, 80. Kupfertafeln enthaltend. - S. 545. Z. 5. ſtatt Krayers ließ Kruyers.
Appendix B
- Das Portrait des ſel. Hrn. Prof. Sanders, ſo a part
gedruckt iſt, aber doch jedem Exemplare beygelegt
wird, gehoͤrt neben den Titel des Erſten Theils.
[][][][][][]
Superintendent Kuͤttner in Seyda, der vom Verle-
ger den Auftrag dazu erhielt, und dieſe Arbeit um
deſto lieber uͤbernahm, da er Sandern nicht nur von
Perſon kennen lernte, und ſeiner Verdienſte wegen
ſehr hoch ſchaͤtzt, ſondern ſich auch durch briefliche
und andere zuverlaͤßige Nachrichten in den Stand
geſetzet ſah, die Goͤtziſche Lebensbeſchreibung, die
der gegenwaͤrtigen zur Grundlage dient, zu ergaͤnzen.
Herausgeber.
rod in Maͤhren, lernte beim Freskomaler Ekſtein in
Bruͤnn und arbeitete dann bei Bergmuͤller in Aug-
ſpurg, ließ ſich auch daſelbſt nieder und trieb neben
der Ausuͤbung ſeiner Kunſt einen Kunſthandel. Sei-
ne Gemaͤlde ſind Altarblaͤtter und Frescomalereien,
in denen man gute Zeichnung, ſinnreiche Erfindung
und ein angenehmes Kolorit bemerkt. S. N. Bibl.
d. ſch. Wiſſ. 1. B. S. 159.
In der kathol. Kreuzkirche iſt beſonders auch das
Altarblatt merkwuͤrdig; weil es eins von Rotten-
hammers beſten Werken iſt. Es ſtellt die Herrlich-
keit der Heiligen im Himmel vor.
Herausgeber.
am Leben. Herausgeber.
in Engelland. Herausgeber.
des 17ten Jahrh. Soviel ſich aus den ziemlich un-
kenntbargewordenen Ueberreſten ſeiner Gemaͤlde am
Barfuͤſſerthurme und aufm Rathhauſe gedachter Stadt
ſchlieſſen laͤſt, war ſein Pinſel ziemlich hart.
Herausgeber.
geb. in Salzburg, lernte bei C. Loth in Venedig.
Seine
und verfertigte daſelbſt viele gute Gemaͤlde.
Herausgeber.
ders ſind die Haͤlſe ſeiner Figuren zu lang, indes hat-
te er doch gute maleriſche Gedanken. Die Kirchen in
Wien und Breßlau ſind voll von ſeinen Werken. Er
ſtarb in Wien 1727. in hohem Alter.
Herausgeber.
ocavbaͤnden unter dem Titel: Deliciae Cobreſianae:
J. P. von Cobres Buͤcherſammlung zur Naturge-
ſchichte; herausgegeben.
Herausgeber.
Herausgeber.
mit Winkelmann hier war, fand er unter den Anti-
ken beſonders einen Kopf des Pertinax vortreflich,
auch den neuern Arbeitern der Kuͤnſtler aus dem 16ten
Jahrhundert gibt er ſeinen ganzen Beifall. Man
ſehe davon die dem 1. Th. ſeiner Raccolta d’antiche
Statue, et cet. Fol. vorgeſetzte Beſchreibung ſeiner
nurerwaͤhnten Reiſe nach.
Herausgeber.
zu Muͤnchen unter dem Titel herauskommen iſt:
Beſchreibung der Churfuͤrſtlichen Bildergallerie in
Schleisheim. Es enthaͤlt 1050. Stuͤcke, gibt aber
blos deren Sujets und Groͤſſe an. Herausgeber.
Nachrichten von Muͤnchen ꝛc. beſonders in Beziehung
auf Litteratur und Kunſt liefern Bianconi’s zehen
Sendſchreiben an den Hrn. Marcheſe Hercolani, die
Merkwuͤrdigkeiten des Churbayriſchen Hofes, und
die Reſidenzſtadt Muͤnchen betreffend. Aus d. Ital.
Lpz. 1764. 8.
Herausgeber.
taͤt erhoben worden und heißt nun die Herzogl. Karls-
univerſitaͤt.Herausgeber.
Herausgeber.
Ehre, manchmahl mit dem Herzoge an einer beſon-
dern Tafel zu ſpeiſen. Herausgeber.
Herzogl. Wuͤrtemb. Dienſte getreten.
Herausgeber.
rer, Hr. Werthes, Lehrer der italiaͤniſchen Sprache,
Hr. Seger, Prof. der Rechtsgelartheit und ein dritter,
deſſen Namen uns nicht gleich beifaͤllt, ihren Abſchied
gefordert und erhalten. Herausgeber.
Bandes.
liche an den beiden Haupt oder Parochialkirchen St.
Sebald und Lorenz genannt.
Herausgeber.
Merkwuͤrdigkeiten in des H. R. R. freien Stadt
Nuͤrnb. ꝛc. 8. Nuͤrnb. 1778. Herausgeber.
ſelbſt 1689. Er war ein geſchickter Uhrmacher.
Mehr von ihm findet man in Doppelmaiers Nach-
richten von Nuͤrnb. Mathem. und Kuͤnſtl. woſelbſt
auch ſein Wagen in Kupfer geſtochen iſt. Herausg.
ſondern von Joh. Creuzfelder, der ums Jahr 1593.
bei Nic. Jouvenel in Nuͤrnberg lernte, und 1636.
ſtarb. S. Doppelmaier von Nuͤrnb. Kuͤnſtl. S. 222.
Herausgeber.
ums Jahr 1519. gegoſſen. Mehreres davon, nebſt
der
Herausgeber.
ꝛc. S. 285. Herausgeber.
Anfange der Erfindung der Buchdruckerkunſt bis in
die Mitte des 16ten Jahrhunderts.
Herausgeber.
gen vermachte. S. Hrn. Nicolai’s Beſchreibung ſei-
ner Reiſe durch Deutſchland ꝛc. 1. Band S. 171.
Herausgeber.
da der Verfaſſer hier war, abgeholfen worden, denn
Hr. Nicolai fand 1781. dieſe beinahe 24000. Baͤnde
ſtarke Bibliothek in 4. geraͤumigen Zimmern aufge-
ſtellt, und in deren Mitte einen Saal, fuͤr die Natu-
ralien,
ſe. 2ter B. S. 320.
Herausgeber.
dadurch die 1781. ergangene Landesfuͤrſtliche Verord-
nung wegen auſtaͤndigerer und geſitteter Kleidung
der
derſelben unter andern ausdruͤcklich heiſt: „Da es
„dahin gediehen iſt, daß viele unter ihnen (Studioſi)
„mit einem beynahe nach Art der Wilden entbloͤſten
„Koͤrper zu offenbaren Scandal den ganzen Tag
„umherlaufen; ſo haben Wir der Behoͤrde gemeſſen
„angefuͤgt, dergleichen ungeſittete Studenten zu den
„Schranken der Menſchlichkeit zuruͤckzufuͤhren.“
Herausgeber.
Flecken zuweilen wie Labradorſtein.
ner Reiſe durch Deutſchland ꝛc. 1ter B. S. 170. 171.
nach. Herausgeber.
auf dem Schloſſe Ludwigsburg wohl geordnet, und
iſt beſonders in den Konchylien und Mineralien ſehr
vollſtaͤndig, und an ſeltenen Stuͤcken reich; aber auch
in der Zoologie kan es viel Schoͤnes aufweiſen. Da-
bei befinden ſich noch die koſtbarſten Werke aus der
Natnrgeſchichte, als Regenfuß, Liſter, Gualtie-
ri, Clerk, Merianin ꝛc. Der Hr. Erbprinz iſt
ſelbſt gruͤndlicher Kenner. Mehreres von dieſem
Kabinette findet man S. 306. u. f. des 10. B. der
bernoulliſchen Samml. kurzer Reiſebeſchr.
Herausgeber.
turforſcher und deſſen Kabinette findet man in der klei-
nen Reiſe ins Thuͤringiſche im J. 1782. die in den
10ten B. der bernoulliſchen Samml. kurzer Reiſebeſchr.
eingeruͤckt iſt. Seite 320. u. f.
Herausgeber.
kan ſie aus Raphael’s Zeit nicht wohl ſeyn, denn die-
ſer ſtarb 30. Jahr zuvor, nemlich 1520. Ueberhaupt
iſt wohl die wenigſte Majolica, die man hin und wie-
der in Kabinetten antrift, von Raphael ſelbſt, ſon-
dern vielmehr von guten Schuͤlern deſſelben und ſon-
derlich von ſeinem Vetter Guido Durantino zu Urbi-
no, aber nach Raphael’s Zeichnungen gemahlt worden.
Herausgeber.
kurzen Reiſe ins Thuͤringiſche 1782. eine ſehr rei-
zende und maleriſche Beſchreibung, die man S. 323.
u. f. des 10ten B. der bernoulliſchen kleinen Reiſe-
beſchr. findet. Herausgeber.
dem Heidenreichſchen das Walchiſche und Weimari-
ſche geſchlagen, und aus dieſen dreien Eins machen
laſſen, das nun an Vollſtaͤndigkeit, da uͤberdies im-
mer noch dazu geſammelt wird, zu den erſten Naturali-
entabinettern in Deutſchland gehoͤrt. Es iſt nun ſehr
gut geordnet, und mit einem vollſtaͤndigen Katalog
verſehen. Jeder, der ſich beim Ober- oder Unterauf-
ſeher meldet, bekoͤmmt es zu ſehen. Es wird auch
kuͤnftig alle Wochen ein paarmahl geoͤfnet werden.
Mehrere Nachrichten von demſelben und deſſen beiden
Aufſehern, den wuͤrdigen Gelehrten, Loder und Lenz,
kan man nachleſen in Hrn. Nikolai’s Reiſen durch
Deutſch. 1. B. Beil. S. 44. 45. und kleine Reiſe ins
Thuͤringiſche, im 10. B. der bernoulliſchen kleinen
Reiſebeſchr. S. 315. u. f.
Herausgeber.
bekannt. Herausgeber.
Herausgeber.
Betruͤbnis ſeines guten Vaters 1782. geſtorben.
Herausgeber.
gelehrte Reiſe durch Italien, Frankreich ꝛc.
Herausgeber.
181. Studenten, die Unterricht gaben. Siehe Ma-
gazin
S. 333. Herausgeber.
Reiz Direktor der Univerſitaͤts- ſowohl, als Boͤhmi-
ſchen Bibliothek geworden. Herausgeber.
hiſtoriſche Buͤcherſammlung, welche der 1780. ver-
ſtorbne Hr. Hofrath Boͤhme der Univerſitaͤtsbiblio-
thek vermacht hat, iſt ſie neuerlich ſehr anſehnlich ver-
mehrt worden. Dieſer Buͤcherſchatz nimmt in beſag-
ter Bibliothek einen eignen Platz ein, und wird in 12.
Schraͤnken, welche die Ueberſchrift haben, Biblio-
theca Boehmiana, aufbewahrt. Das darin haͤn-
gende Bildnis des wohlſeel. Erblaſſers dient ihr zu-
gleich zur Verſchoͤnerung. Um dieſe Bibliothek herum
ſtehen die ſchaͤtzbaren Handſchriften der Univerſitaͤts-
bibliothek, die ſich auf 2000. Stuͤck belaufen.
Herausgeber.
im 74ſten Jahre ſeines Alters mit Tode ab.
Herausgeber.
Menſchen angefuͤllt.
binets in einem Katalog beſchrieben unter dem Titel:
Index Muſ. Linck. oder kurzes ſyſtem. Verz. d. vor-
nehmſten Stuͤcke d. Link. Natural. Samml. 1ter Theil,
8. Lpz. 1783. Herausgeber.
tano Chiaveri erbauet.
Herausgeber.
Torelli’s Zeichnungen von Mattielli verfertigt.
Herausgeber.
Herausgeber.
der Feder des Hrn. Prof. Caſanova ſteht im 3ten B. der
N. Bibl. der ſchoͤnen Wiſſ. und Kuͤnſte.
Herausgeber.
verfertigt, aber nicht aus Alabaſter, ſondern blos
aus Holz, das aber mit einem Lack ſo taͤuſchend uͤber-
zogen iſt, daß man dadurch verfuͤhrt wird, es fuͤr
Stein zu halten. Herausgeber.
ſchen, bei Maxen gebrochenen Marmor.
Herausgeber.
und in Churſaͤchßl. Dienſten Obriſtlieutenant. Er
hat die Statue nicht gegoſſen, ſondern aus Kupfer
getrieben. Herausgeber.
aber Churfuͤrſtl Pallaſte.
Herausgeber.
menti loro et cet. 4. In Lipſia 1770. vortrefli-
che Urtheile uͤber dieſe Kunſtſchaͤtze enthaͤlt. Man
hat
terungen begleitete Ueberſetzung.
Herausgeber.
um Meißen. 8. Dresden 1779.
ten Erfinders des Saͤchſiſchen Porzellaͤns enthaͤlt
Dasdorfs Beſch. von Dresden. S. 670. u. f.
Herausgeber.
Meißner Porzellaͤn verfertigt werden: der inzwi-
ſchen ausgebrochene ſiebenjaͤhrige Krieg aber verhin-
derte die Ausfuͤhrung. Das hiergedachte Modell iſt
von Kaͤndler, der Hofbildhauer und Modellmeiſter
bei der Porzellaͤnmanufaktur war, und 1775. ſtarb.
Herausgeber.
Dasdorf’s Beſchreib. der Merkw. von Dresden. S.
491.-512. Herausgeber.
1ſter B. S. 127. 574. Im 2ten B. S. 105. eben
dieſes Buchs wird die Frage aufgeworfen, ob Vau-
ban ſeine Manier aus dem Marchi, oder vielleicht
aus dem aͤuſſerſt ſeltenen Buche Ambroiſe de Bachot
le Gouvernail. Paris. 1598. Fol. mit Kupfern,
genommen habe? Herausgeber.
bung von Dresden S. 319. daß Auguſt der 2te da-
fuͤr 20000. Thaler bezahlt habe.
Herausgeber.
thek uͤberhaupt, und von den meiſten der hier ange-
fuͤhrten ſeltenen Buͤchern inſonderheit, theilt Hr. Bi-
bliothekar Dasdorf in ſeiner oftangezogenen Beſchr.
von Dresden von S. 266.-322. mit. Wer war
dies zu thun, auch wohl faͤhiger, als dieſer wuͤrdige
und fleißige Gelehrte? Herausgeber.
miedirekt. Schoͤnau. Eine ausfuͤhrliche Beſchreibung
deſ-
Mag. des Buch- und Kunſthandels fuͤrs J. 1781.
Herausgeber.
intend in Sayda geworden. Herausgeber.
Lady eine Uhr gekauft, deren Gehaͤus ein Einziger
Tuͤrkis iſt, auch die Kette iſt aus lauter Stuͤcken von
Tuͤrkiſſen zuſammen geſetzt. Man ſieht noch weiſſe
Streifen hie und da darin.
Herausgeber.
Herausgeber.
heiſt. Herausgeber.
Seydlitz, von Taßaert verfertigt, daſelbſt aufgeſtellt
worden. Auf die 4te Ecke dieſes Platzes wird die
Statue des General-Feldmarſchalls Keith zu ſtehen
kommen. Herausgeber.
Akademie der Kuͤnſte geworden.
Herausgeber.
und Stempelſchneider bei der Koͤnigl. Muͤnze.
ausgekommen iſt. Herausgeber.
Adelung zu Leipzig von dem Miniſter, Freiherr von
Zedlitz, fuͤr die ihm aufgetragene Ausarbeitung der
zuvorgedachten deutſchen Sprachlehre, zum Geſchenk
erhalten. Man findet es umſtaͤndlich beſchrieben im
27. Bande der N. Bibl. d. ſch. W. S. 345. u. f.
Herausgeber.
chiori in Venedig 1750. verfer[t]igt worden.
Herausgeber.
Herausgeber.
Herausgeber.
dat, und am Sonnabend, als ſeinem Schabbes, frei
war. Er war recht ſtolz auf ſeine Montur, und trug
ſie beſtaͤndig.
Und:
Herausgeber.
nets fuͤhrt Hr. D. Titius aus Dresden in ſeinem
Reiſejournal an, das in den 9. Theil der bernoulli-
ſchen Samml. kl. Reiſebeſchr. eingeruͤckt iſt, Seite
179. u. 180. Er ſagt daſelbſt, daß dieſes Kabinet
6000. Stuͤck Konchylien enthalte.
Herausgeber.
dem Titel: Beſchr. einer Zuruͤſtung, welche die anzie-
hende Kraft der Erde gegen die Gewitterwolke, und
die Nuͤtzlichkeit der Blitzableiter ſinnlich beweißt.
Nebſt 1. Kupf. 8. Berlin. 1781.
Herausgeber.
einem Quartbogen mit 2. Kupfern, welche es vorſtel-
len, und die Tyroff nach einer Zeichnung von Oeding
geſtochen hat. In Hr. D. Tirius zuvorangefuͤhrten
Reiſejournale findet man S. 164.-171. ſehr umſtaͤnd-
liche Nachrichten, ſowohl von dem Herzogl. Kabinet-
te uͤberhaupt, als auch beſonders von dieſem mantua-
niſchen Gefaͤße. Er erzaͤhlt, daß es der regierende
Herzog im Erbe fuͤr 150,000. Thaler augenommen,
und daß ihm von der Ruſſiſchen Kaiſerin bereits
600,000. Thl. dafuͤr gebothen worden.
Herausgeber.
journale ꝛc. S. 171. u. f.
Herausgeber.
Querfurts kurze Beſchreib. des Luſtſchloſſes Salz-
dahlum. 4. 3. Bogen, mit einem Kupfer, ohne An-
gabe des Jahrs. 2) Beſchreib. der Bildergallerie
zu Salzthalum. 8. Braunſchw. 1776. Letztere iſt
ausfuͤhrlicher. Herausgeber.
Taſchenkalender fuͤrs Jahr 1779.
Herausgeber.
zers uͤber das Wilhelmsbad bei Hanau. Zweite
ſehr
einen Kupferſtich von der Gegend und den neuern
Gebaͤuden.
Herausgeber.
an der erfreulichen Hochzeittafel des H. J. B. den
4ten Nov. 1756. geſeſſen. Tags darauf hat uns
deſſen Hr. Vater J. C. betruͤbte Gedanken verurſacht.
Wir hoͤrten und ſahen, wie er ſich nicht wohl befinde.
Die Unpaͤßlichkeit nahme bald ab, bald zu, und wir
mußten ihn endlich nach etlichen Wochen zu Grabe
begleiten. Die beruͤhmte Gold- und Silberfabrik iſt
zwar dadurch nicht abgeſtorben. Die Fr. Wittwe und
der Herr Sohn fuͤhren dieſelbe gluͤcklich fort. Doch
ſahe jene wohl ein, daß Sie einen Beyſtand noͤthig
habe. Ew. Hochweisheit wollten Sich davon nicht
entſchlagen. Beyden iſt Ihr Wunſch gelungen. Wenn
mir erlaubt iſt, von der ausnehmenden Schoͤnheit,
und mehr als maͤnnlichen Klugheit der Frau Hochzei-
terin zu reden, ſo iſt es, was ich mit Wahrheit anzei-
gen muß. Der Herr Burgermeiſter haben ſich einen
Engel und eine kluge Suſanna Catharina auserſe-
hen. Anſtatt eines Hochzeitsgedichts uͤbergebe ich
hiemit etliche Weinblaͤtter. Ich hoffe dadurch mei-
ner alten Schuldigkeit ein Genuͤgen zu thun, und mich
ferner in Dero liebreiches Andenken zu ſetzen. Gott
gebe zu der neuen Ehe alles Wohlſeyn, und laſſe die
Fabrik immer weiter ſich ausdehnen.
zur Oekonomie, Polizei, Technologie und Kameral-
wiſſen-
316.
ner einmahl zum Pfarrer kam, die Geburt ſeines er-
ſten Sohnes anzeigte, ſich aber dabei vom Pfarrer
recht ernſtlich ausbat, er ſollte ihm dieſen Buben
rechtſchaffen, d. h. ſtark, vollſtaͤndig taufen, dann
dieſer muͤßte nach ſeinem Tode den Hof haben!
forſch. Freunde, Th. IV. S. 619—623.
den Papieren des Wohlſel. leider! nicht gefunden.
Herausgeber.
Kaiſer KarlVI. aber fing ein Miniſter Sinzendorf
an, die Mauth und andre Auflagen einzufuͤhren.
Ein Buͤrgermeiſter Gunner wehrte ſich maͤnnlich wi-
der den Hof, er ward nach Wien berufen, der Mi-
niſter begegnete ihm ſehr ſproͤde, und ſagte endlich:
„Man wird euch eben Boͤhmiſche Hoſen anziehen
muͤſſen.“ Geſchwind antwortete der Tyroler: „Nein,
„Ihro Excellenz, in dem Fall ſtuͤnden uns die Schwei-
„zerhoſen beſſer an.“ Aber einer ſeiner eignen Ver-
wandten oder Soͤhne half nachher das Land ſeiner
Freiheiten berauben, er durfte ſich aber nicht oͤffent-
lich ſehen laſſen, er waͤre todtgeſchlagen worden.
die hier ſind, Saͤge-Oel-Schmidtmuͤhlen ꝛc. Ein Bach,
der
Menge Menſchen ꝛc.
Vergnuͤgen und in der Unordnung, wie ers ohne Kunſt
und Wiſſenſchaft hinterlies, iſt es bisher noch ge-
blieben.
Sabinerraub, war ehemals in der Kunſtkammer des
Schloſſes Ambras zu ſehen.
Herausgeber.
ſchiedene andere Aufſaͤtze beruͤhmt gemacht, und arbei-
tet jetzt an einer ſtatiſtiſchen Topographie des Landes
ob der Ens. Im 6ten Bande der Bern. Samml.
kurzer Reiſebeſchr. des Jahrgangs 1782. S. 10. be-
findet ſich auch ein Beitrag zur Topogr. des Landes
ob der Ens von ihm. Herausgeber.
der die Kaͤfer enthaͤlt. Herausgeber.
tigkeit eben reparirt, und der Bart Gottes des Vaters
vergoldet. Eine Bildſaͤule des donnernden Jupiters
iſt ihr naͤchſter Nachbar. S. deſſen Reiſen 2ter B.
S. 497. Herausgeber.
von dem Nordiſchen Stifte — liefert Hr. Niko-
lai im 2ten B. ſeiner vortreflichen Reiſebeſchr. von S.
496.-592. Die Betrachtungen, welche dieſer auf-
merkſame Beobachter und denkende Kopf bei Gelegen-
heit des gedachten Stifts anſtellt, verdienen doch ge-
wis die ganze Beherzigung des vernuͤnftigen Prote-
ſtanten, ohne deswegen menſchenfreundliche und to-
lerante Geſinnungen zu unterdruͤcken.
Herausgeber.
ſter vor Kurzem ebenfals aufgehoben worden.
Herausgeber.
ſeyn, die von allen Seiten einen ſo herrlichen Anblick
darbietet, als Wien.
Hoͤfen hier bedient.
ſen ſolte.
dieſer Kirche, und dies iſt das einzige ſchoͤne Gemaͤl-
de in allen Wiener Kirchen.
ſeiner Reiſen S. 655.-665. von dieſer Kirche und
dem Thurme ſagt. Herausgeber.
gnaͤdig geſinnt. Wenn dieſer Monarch Kuriere an
einen von den Hoͤfen abfertigen laͤßt, deren Angele-
genheiten Hr. von Stockmaier hier beſorgt, ſo laͤßt
Er es ihm immer einige Stunden vorher wiſſen, wenn
er etwan auch was mitzuſenden habe.
gethan, wenn er nicht gekommen waͤre, er werde ge-
wiß den Kaiſer in keinem Punkte detourniren.
Aus dem Engl. Lpz. 1781. Herausgeber.
der ins Stockmaierſche Haus kam, war aͤuſſerſt un-
wiſſend, und bloͤdſinnig, aber eſſen und trinken konn-
te er rechtſchaffen. Des Kaiſers neue Einrichtungen
haben einen paniſchen Schrecken unter alle gebracht.
Nun ſprechen ſie von den Herren Evangeliſchen,
meinen, daß wir uns uͤber ihre Annaͤherung freuen
wuͤrden, und wiſſen ſich nicht zu helfen, wenn man
ſie auf das Kapitel von Kloͤſtern bringt.
(in ſeinen Bemerk. auf einer Reiſe durchs Ruſſ. Reich,
Petersb. 1771. 4.) von den Tunguſen im [ruſſiſchen]
Reich, daß ſie die Pferde weihen laſſen, und gar viel
auf dieſe Pferdsweihe halten. Die koͤſtlichen Baͤder
ſchaͤtzen ſie nicht ſo hoch, als die Zeddel ihrer Scha-
monen.
laſſen iſt, und ruhig da ſteht, ſo macht er die aller-
gemeinſte Miene, das platteſte Geſicht. Sobald er
aber wieder ſeine Rolle ſpielen muß, iſt niemand ge-
ſchickter als Er.
milian, als Geiſtlicher, ihm die Hand kuͤſſen, der
Pabſt aber lies es nicht zu, ſondern umarmte ihn.
Der Fuͤrſt von Kaunitz machte dem Pabſt keinen Be-
ſuch, der Pabſt wohl aber ihm, und als dieſer ihm
die hohle Hand zum Kuͤſſen, wie gewoͤhnlich, darbot,
ergrif der Fuͤrſt die Hand des Pabſts, ohne ſie zu
kuͤſſen, und druͤckte ſie recht freundſchaftlich, und als
ihm der Pabſt auch in ſeinem Garten eine Viſite mach-
te, ſetzte er im 3ten Zimmer ſeinen Hut auf, der Pabſt
ſeinen rothen Hut auch, und ſo gingen ſie beide durch
die italiaͤniſche Geiſtlichkeit, die immer auf die Knie
niederfiel, ſo oft ſie kamen, mitten durch.
worauf er ſich umſah, als wenn er noch einmahl fra-
gen wollte, wer ich ſei, worauf einer von den italiaͤni-
ſchen Praͤlaten ihm laut ſagte: Queſto è un eretico.
Demungeachtet ſegnete er mich recht ernſtlich ein. Als
der Pabſt noch einmahl fragte: wer ich ſei, war ſein
Latein ſehr im italiaͤniſchen Accent.
in bleiben, und darf nicht mehr heraus.
the hier, die weder leſen noch ſchreiben konnten. Wer
korrekt ſchrieb, der hieß ſchon ein Gelehrter.
Knien bedient. Wer ihm nur ein Glas Waſſer bringt,
wirft ſich dreimahl nieder.
als der Pabſt nach ſeiner Ruͤckkunft von Wien nach
Rom in eine Kapelle gegangen, ſein Gebet zu verrich-
ten, habe er auf dem Betaltar ein Papier gefunden,
worin ihm wegen ſeiner Reiſe die bitterſten Vorwuͤrfe
gemacht worden; unter andern habe darin geſtanden:
Quod Gregorius VII. Pontifex maximus, exſtruxit,
Id Pius VI. pontifex minimus, deſtruit.
Der Pabſt habe es durchgeleſen, habe drauf feinen
Bleiſtift genommen, und drunter geſchrieben: Regnum
Chriſti non eſt de hoc mundo, non eripit mortalia qui
regna dat coeleſtia, Caeſari quae ſunt Caeſaris, Deo quae
ſunt Dei, und habe es auf der Stelle, wo ers gefun-
den, liegen laſſen. Herausgeber.
kam nach vielen Stunden heim, und ſagte: Es waͤre
endlich Einer herausgekommen, der haͤtte immer
mit der Hand gewinkt, daß es Nichts ſei, daß ſie
heute umſonſt warteten. — Und das war die Geſti-
kulation des Pabſts!
ſchoͤnes Kabinet, ſie hats aber, als ſie nach Klagen-
furth ging, der Univerſitaͤt in Ofen kaͤuflich uͤber-
laſſen.
604. u. f. Herausgeber.
in der Hand, und examinirten aus dem Buche.
verwoͤhnt. Die groͤßten Stuͤcke Rindfleiſch, Tockaier,
Burgunder, Ofenerwein ꝛc. alles unter einander gibt
man ihnen.
zum Rindfleiſch, und an mehrere andre Speiſen, daß
dadurch mancher gute Biſſen verdorben wird.
Luſtſchloß, das der Prinz Eugen 1724. zu ſeinem Som-
merpalaſte erbaute, nach deſſen Tode es an den Kaiſerl.
Hof fiel. Herausgeber.
Titel erſchienen: Verzeichn. der Gem. der K. K. Bil-
dergallerie in Wien, verfaßt von Chriſtian von Me-
chel, nach der von ihm auf allerhoͤchſten Befehl im
J. 1781. gemachten neuen Einrichtung, in gr. 8.
Wien, mit Vignetten und 4. Kupfertafeln, welche
die Grund- und Aufriſſe und Facaden von Belvedere
vorſtellen, geziert. Zufolge dieſes Verzeichniſſes be-
laͤuft ſich die Anzahl aller Gemaͤlde in dieſer Gallerie
auf 1300. Stuͤcke. Die wenigen Gemaͤlde von fran-
zoͤſiſchen Meiſtern ſind denen ihnen am naͤchſten ver-
wandten Niederlaͤndern beigeſellt worden.
Man hat noch eine fruͤhere Schrift, die verſchie-
dene gute Nachrichten von beſagter Gallerie enthaͤlt,
und betitelt iſt: Kurze Nachr. von der Kaiſ. Bilder-
gallerie zu Wien und ihrem Zuſtande, 8. Frſt. bei
den Eichenb. Erben. 1781. Herausgeber.
ehemaliger Leibmedikus und Kaiſerl. Bibliothekar ſie
geſammelt, zum oͤffentlichen Gebrauch nach ſeinem
Tode vermacht, und die verſtorbene Kaiſerin ſie bei
Errichtung des Thereſianums hieher angewieſen hat.
Zweimahl im Jahr wird ſie, Stuͤck vor Stuͤck, ab-
gewiſcht und gereinigt.
zu bauen und Fonds fuͤr die Geiſtlichen zuſammen zu
bringen, geweſen. Sie ſollen bereits ein anſehnliches
Kapital in verſchiedenen Laͤndern geſammelt haben.
iſt zerſtreut ꝛc.
gezogen werden koͤnnen.
Grunde ein Vortheil fuͤr die Gutsherren. Seither
fragte niemand nach Wein und die Keller lagen voll.
Seither war kein Preis in Wein, jetzt zog er auf ein-
mahl an.
nicht, ſondern gingen eher ab.
ſter des Erloͤſers. Herausgeber.
frachnites L.
deutet im Ungariſchen daher: alſo Eſterhaſy, einen
der aus Eſterhas iſt. Die deutſchen Namen der
Staͤdte klingen im Ungariſchen ganz anders, z. B.
Oedenburg heißt im Ungariſchen Sopron — So-
prony heißt einer aus Oedenburg.
aus dem Oeſterreichiſchen.
ſtarker Markt iſt, bringt man wohl 20. Meilen weit
her.
obwohl von aͤlterm Datum, von Presburg, Oeden-
burg, Eſterhas und Ungarn uͤberhaupt, finden ſich
in v. R. Reiſen durch einen Theil von Ungarn im
J. 1763, die in den 9ten und 10. B. der Bernouilli-
ſchen Samml. k. Reiſeb. Jahrgang 1783. eingeruͤckt
ſind. Herausgeber.
gig, er ſei lutheriſch. Der Monarch lachte, als mans
ihm erzaͤhlte.
hatte, wie mir Hr. von Stockmaier ſagte, mein Buch
von der Guͤte und Weisheit Gottes ꝛc. bei ſich auf
der Reiſe.
Struͤmpfe an.
bakspfeifenkopf 6 — 8. Gulden. Die Duͤrken ver-
kaufen ſie nicht einzeln, ſondern 100 — 1000 weiſe.
Der ehrliche Muſelmann hielt auch nach einigen Ta-
gen ſein Wort. Auch verehrte mir Hr. Meuſel einen
weiſſen, leichten, ganz reinen, zum angenehmen An-
benken.
Herausgeber.
auch ein richtig geſchriebenes Mſpt. in die Haͤnde gibt,
doch die allerfehlerhafteſte Orthographie im Kopfe.
Ich korrigirte den erſten Bogen meiner Predigt, der
von Fehlern wimmelte, und es ſollte doch nur die
letzte Reviſion ſeyn.
Herausgeber.
getroffenes Bruſtbild des Kaiſers.
Einrichtungen, daß das weiter nichts ſei als eine
Abwechslung in der Welt mehr, er meinte, es koͤnne
uͤber Nacht wieder anders kommen. — Das iſt die
Sprache der Leute, die im Laufe der Welt die Vorſe-
hung Gottes gar nicht gelten laſſen, und weiter nichts
als
kennen.
gefaͤhrliche Sache. Kein Nobile legt ſich darzwiſchen,
weil ſein Anſehen da nichts gilt. Sie ſtoſſen einem
das Ruder auf die Bruſt und ſtuͤrzen den Fremden ins
Waſſer; daher man vorher wohl mit ihnen akkordi-
ten muß.
Pferde; auſſer in der Faſtenzeit, da reiten viele zu-
weilen um Narrheiten zu treiben, uͤber die hoͤch ſten
Bruͤcken.
ſche noch auswaͤrtige Zeitungen. Die Venetianer
kommen nur zuſammen, um zu plaudern, ſiə ſind gar
nicht wißbegierig, und bekuͤmmern ſich nicht um das,
was ſonſt in der Welt vorgeht, Sonetti, Romanzi
und Muſik — das iſt ihre ewige Beſchaͤftigung.
vom Staat, ſondern halten ihn nur connivendo.
Daher ſetzten auch die Vorfahren die Stunde darzu
ſehr ſpaͤt an, naͤmlich faſt um Mittag, wenn das
Volk vom Markusplatze zum Eſſen weglaͤuft, wo ein
groß Getuͤmmel auf der Straſſe iſt, ſo daß der Poͤbel
nicht Acht gibt, was da fuͤr Leute auf, und abgehen.
Es darf auch kein fremder Proteſtant noch fremder
Deutſcher darzu kommen, ich durfte auch nicht hin-
ein, ſondern nur was von der Nation iſt, d. h. in
der Stadt anſaͤſſige Deutſche. Der Prinz von Wuͤr-
temberg, als er hier war, wollte hinein, die Zeit war
zu
tel zur Anfrage kommen zu laſſen, indeſſen fragte ein
Vorſteher einen von den Oberſten bei der Regierung,
ob man’s dem Prinzen geſtatten duͤrfe? Allerdings,
ſagte dieſer, es waͤre ein groſſer Fehler es dem Prin-
zen abzuſchlagen. Indeſſen duͤrfen die Proteſtanten
doch ihre Kinder nicht ſelber taufen, ſondern der ka-
tholiſche Pfarrer, in deſſen Parochie ſie wohnen, tauft
ſie. Sie duͤrfen nicht einmahl lauter lutheriſche Ge-
vattern haben, es muß wenigſtens Ein Katholick da-
bei ſeyn. In einer Handelsſtadt erwartete man mehr
allgemeine Religionsfreiheit. Daher fragte einmahl
ein Fremder einen Nobile hier, warum ſie den Evan-
geliſchen keine oͤffentliche Kirche geſtatteten, da ſie ſie
doch den Juden, Armeniern, Tuͤrken, Griechen ꝛc.
erlaubten? „Ja“, ſagte dieſer, „erlaubten wir euch
„eine Kirche, ſo wuͤrden unſre eigne bald leer ſtehen“.
tragen, an denen ſie der Wind oft aufheben koͤnnte.
Viele Nobiliverſetzen hier, ſobald der Sommer
kommt, ihre Winterkleider. Daher entſtehen, wenn
oft noch ſpaͤte Kaͤlte eintritt, viele Krankheiten, die
Leute koͤnnen ſich nicht warm anziehen.
4. Stunden in der Breite das ſchoͤnſte ebne Land.
Waͤre es ein Boden wie am Rhein, ſo waͤre der
Morgen 300. Gulden werth, jetzt kaum 1 Groſchen,
denn man kan nichts mit anfangen, lauter magrer
Sand iſt alles. Man hat allerlei vorgeſchlagen, aber
der wichtigſte Umſtand iſt immer der Mangel an Waſſer.
Fehlte dies nicht, ſo koͤnnte man da Staͤdte und Doͤr-
fer anlegen, und eine Menge Volk ſich ernaͤhren. Jetzt
ſieht man nichts als elende kleine Schaafe; ſchlechte,
armſelige Bauerhuͤtten, worin das Feuer auf der Erde
brennt, ein Schaafſtall auf der Erde darneben. Brei-
hahn und grobes Roggenbrod iſt alles, was die Leute
haben. Fichten und Tannen, die man da angelegt
hat, bleiben immer Straͤucher und werden niemals
Stammholz.
daß Leute ertrunken waͤren, weis man ſchon lange
nicht mehr. Am Umſchmeiſſen iſt oft der Brantewein
im Kopfe der Schiffer Schuld.
Eine Ohrfeige koſtet dem Paſſagier 10. Thaler.
bedecken die eine Seite der Stadt, da wo man auf
dem Waſſer nicht weiter kommen kan, heißt die Ge-
gend der Kehrwieder. Im Fruͤhjahr gehen wohl 60.
Schiffe mit einmahl ab. Die Staatsjachten ſind un-
vergleichlich. Sieht man uͤber den Hafen hin, ſo kan
man durch die vielen Stangen, Maſten, Segel und
Tauwerke nicht durchſehen, es iſt wie ein Wald.
mit ſtarken eiſernen Ketten, auf die man neben einan-
der genagelte Balken legt, verſchloſſen.
zuͤcken.
fen nicht Theil daran haben.
theuer kaufen, werden aber von den Buͤrgern ſala-
rirt, bekommen zum Neujahr Geſchenke, und fuͤr je-
den Bankozettel unter 40. Mark, einen Doppelſchil-
ling. Alles Bankogeld muß Speziesthaler ſeyn.
der enge Ausſchuß. Dreimal wird fuͤr die Wahl ge-
beten. Sie geſchieht Somitags um 11. Uhr nach der
Predigt im Kirchenſaal, und wird durch den Organi-
ſten
kannt gemacht.
mals wider die Tuͤrken gebraucht worden. Man
weis, daß es in Liſſabon und in Cadix eingelaufen.
Jetzt iſt es ſchadhaft und man laͤßt es abgehen. Man
ſteigt an einer Treppe hinauf.
Thaler haben einige. Sie haben viel Anſehen, und
miſchen ſich oͤffentlich in Staatsſachen. Ihre Soͤh-
ne haben meiſt Stipendien, Goͤtzens ſeiner hat 2-3.
dient Aufmerkſamkeit. Er iſt Muſchelkalk, oder
Steinkalk. Die Muſchelſchalen werden an der Nord-
ſee geſammelt, dort von den Leuten gebrannt, und
als Kalk hieher gebracht. Der Steinkalk kommt
aus Luͤneburg und Seeberg, und heiſt der Steinber-
ger Kalk. Er wird in grauen Steinen gegraben,
bringt man die ins Feuer, ſo werden ſie weis, zer-
fallen aber nicht in ein Pulver. Loͤſcht man ſie, ſo
werden ſie auch kein Pulver, ſondern bleiben Stein.
Ja, mit Waſſer uͤbergoſſen, werden ſie vielmehr haͤr-
ter und feſter. Man ſieht dies ſogar an denen Stei-
nen, die auf einem groſſen Haufen liegen, und dem
Regen ausgeſetzt ſind. Die wenigen Tropfen ver-
mehren die Dichtigkeit des Steins. Wie brau-
chen ſie ihn denn? Sie laſſen ihn zwiſchen 2. groſſen
Steinen zerreiben, und vermiſchen ihn dann mit Mu-
ſchelkalk. Der Steinkalk fuͤllt aus, der Muſchelkalk
bindet.
haus oder Siechenhaus, wo taͤglich wohl 900. Per-
ſonen verpflegt werden, koſten der Stadt ſehr viel.
ſerſt ſeltenen Buchs gehoͤriges, enthaͤlt die Halliſche
Bibliothek des ſeel. Dr. Baumgarten, der es ſelbſt
beſaß, und es einſtmahls in einer Anktion fuͤr 29.
Thaler erſtand.
Herausgeber.
den.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Heinrich Sanders Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Heinrich Sanders Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjw9.0