[][][][][][[I]]
Kinder-
und
Haus-Maͤrchen.




Zweiter Band.

Berlin,:
in der Realſchulbuchhandlung.
1815.

[[II]][[III]]

Vorrede.


Mit dieſer weitern Sammlung von Haus-
Maͤrchen iſt es der treibenden, ſtarken Zeit
unerachtet ſchneller und leichter gegangen, als
mit der erſten. Theils hat ſie ſich ſelbſt Freunde
verſchafft, welche ſie unterſtuͤtzten, theils, wer
es fruͤher gern gethan haͤtte, ſah jetzt erſt be-
ſtimmt, was und wie es gemeint waͤre; end-
lich hat uns auch das Gluͤck beguͤnſtigt, das
Zufall ſcheint, aber gewoͤhnlich beharrlichen
und fleißigen Sammlern beiſteht. Iſt man
erſt gewohnt auf dergleichen zu achten, ſo be-
gegnet es doch haͤufiger, als man ſonſt glaubt,
ja das iſt uͤberhaupt mit Sitten, Eigenthuͤm-
lichkeiten, Spruͤchen und Scherzen des Vol-
kes der Fall.


Die ſchoͤnen plattdeutſchen Maͤrchen aus
dem Fuͤrſtenthum Paderborn und Muͤnſter
[IV] verdanken wir beſonderer Guͤte und Freund-
ſchaft; das Zutrauliche der Mundart iſt ihnen
bei der innern Vollſtaͤndigkeit beſonders guͤn-
ſtig. Dort, in altberuͤhmten Gegenden deut-
ſcher Freiheit, haben ſich an manchen Orten
die Sagen als eine faſt regelmaͤßige Vergnuͤ-
gung der Sonntage erhalten: auf den Bergen
erzaͤhlten die Hirten jene, am Harz auch be-
kannte und vielleicht jedem großen Gebirge
eigene, vom Kaiſer Rothbart, der mit ſeinen
Schaͤtzen darin wohne; dann von den Huͤh-
nen, wie ſie ihre Haͤmmer ſtundenweit von
den Gipfeln ſich zugeworfen; manches, was
wir an einem andern Orte mitzutheilen den-
ken. Das Land iſt noch reich an ererbten Ge-
braͤuchen und Liedern.


Einer jener guten Zufaͤlle aber war die
Bekanntſchaft mit einer Baͤuerin aus dem
nah bei Caſſel gelegenen Dorfe Zwehrn, durch
welche wir einen anſehnlichen Theil der hier
mitgetheilten, darum aͤcht heſſiſchen, Maͤr-
chen, ſo wie mancherlei Nachtraͤge zum erſten
Band erhalten haben. Dieſe Frau, noch ruͤſtig
und nicht viel uͤber funfzig Jahr alt, heißt
[V] Viehmaͤnnin, hat ein feſtes und angenehmes
Geſicht, blickt hell und ſcharf aus den Augen,
und iſt wahrſcheinlich in ihrer Jugend ſchoͤn
geweſen. Sie bewahrt dieſe alten Sagen feſt
in dem Gedaͤchtniß, welche Gabe, wie ſie
ſagt, nicht jedem verliehen ſey und mancher
gar nichts behalten koͤnne; dabei erzaͤhlt ſie
bedaͤchtig, ſicher und ungemein lebendig mit
eigenem Wohlgefallen daran, erſt ganz frei,
dann, wenn man will, noch einmal langſam,
ſo daß man ihr mit einiger Uebung nachſchrei-
ben kann. Manches iſt auf dieſe Weiſe woͤrt-
lich beibehalten, und wird in ſeiner Wahrheit
nicht zu verkennen ſeyn. Wer an leichte Ver-
faͤlſchung der Ueberlieferung, Nachlaͤſſigkeit
bei Aufbewahrung, und daher an Unmoͤglich-
keit langer Dauer, als Regel glaubt, der
muͤßte hoͤren, wie genau ſie immer bei derſel-
ben Erzaͤhlung bleibt und auf ihre Richtigkeit
eifrig iſt; niemals aͤndert ſie bei einer Wieder-
holung etwas in der Sache ab, und beſſert
ein Verſehen, ſobald ſie es bemerkt, mitten
in der Rede gleich ſelber. Die Anhaͤnglichkeit
an das Ueberlieferte iſt bei Menſchen, die in
gleicher Lebensart unabaͤnderlich fortfahren,
[VI] ſtaͤrker, als wir, zur Veraͤnderung geneigt,
begreifen. Eben darum hat es auch, ſo viel-
fach erprobt, eine gewiſſe eindringliche Naͤhe
und innere Tuͤchtigkeit, zu der anderes nicht
ſo leicht gelangt, das aͤußerlich viel glaͤnzen-
der erſcheinen kann. Der epiſche Grund der
Volksdichtung gleicht dem durch die ganze
Natur in mannichfachen Abſtufungen verbrei-
teten Gruͤn, das ſaͤttigt und ſaͤnftigt ohne je
zu ermuͤden.


Der innere gehaltige Werth dieſer Maͤr-
chen iſt in der That hoch zu ſchaͤtzen, ſie geben
auf unſere uralte Heldendichtung ein neues
und ſolches Licht, wie man ſich nirgendsher
ſonſt koͤnnte zu Wege bringen. Das von der
Spindel zum Schlaf geſtochene Dornroͤschen
iſt die vom Dorn entſchlafene Brunhilde, naͤm-
lich nicht einmal die nibelungiſche, ſondern
die altnordiſche ſelber. Schneewitchen ſchlum-
mert in rothbluͤhender Lebensfarbe wie Snaͤ-
fridr, die ſchoͤnſte ob allen Weibern, an deren
Sarg Haraldur, der haarſchoͤne, drei Jahre ſitzt,
gleich den treuen Zwergen, bewachend und
huͤtend die todtlebendige Jungfrau; der Apfel-
[VII] knorz in ihrem Munde aber iſt ein Schlafkunz
oder Schlafapfel. Die Sage von der guͤldnen
Feder, die der Vogel fallen laͤßt, und wes-
halb der Koͤnig in alle Welt ausſendet, iſt
keine andere, als die vom Koͤnig Mark im
Triſtan, dem der Vogel das goldne Haar der
Koͤnigstochter bringt, nach welcher er nun
eine Sehnſucht empfindet. Daß Loki am Rie-
ſen-Adler haͤngen bleibt, verſtehen wir beſſer
durch das Maͤrchen von der Goldgans, an
der Jungfrauen und Maͤnner feſthangen, die
ſie beruͤhren; in dem boͤſen Goldſchmied, dem
redenden Vogel und dem Herz-Eſſen, wer
erkennt nicht Sigurds leibhafte Fabel? Von
ihm und ſeiner Jugend theilt vorliegender
Band andere rieſenmaͤßige, zum Theil das,
was die Lieder noch wiſſen, uͤberragende Sa-
gen mit, welche namentlich bei der ſchwieri-
gen Deutung des zu theilenden Horts will-
komene Hilfe leiſten. Nichts iſt bewaͤhrender
und zugleich ſicherer, als was aus zweien
Quellen wieder zuſammenfließt, die fruͤh von
einander getrennt, in eignem Bette gegangen
ſind; in dieſen Volks-Maͤrchen liegt lauter
urdeutſcher Mythus, den man fuͤr verloren
[VIII] gehalten, und wir ſind feſt uͤberzeugt, will
man noch jetzt in allen geſegneten Theilen un-
ſeres Vaterlandes ſuchen, es werden auf die-
ſem Wege ungeachtete Schaͤtze ſich in unge-
glaubte verwandeln und die Wiſſenſchaft von
dem Urſprung unſerer Poeſie gruͤnden helfen.
Gerade ſo iſt es mit den vielen Mundarten
unſerer Sprache, in welchen der groͤßte Theil
der Worte und Eigenthuͤmlichkeiten, die man
laͤngſt fuͤr ausgeſtorben haͤlt, noch unerkannt
fortlebt.


Wir wollten indeß durch unſere Samm-
lung nicht blos der Geſchichte der Poeſie einen
Dienſt erweiſen, es war zugleich Abſicht, daß
die Poeſie ſelbſt, die darin lebendig iſt, wirke:
erfreue, wen ſie erfreuen kann, und darum
auch, daß ein eigentliches Erziehungsbuch
daraus werde. Gegen das letztere iſt einge-
wendet worden, daß doch eins und das an-
dere in Verlegenheit ſetze und fuͤr Kinder un-
paſſend oder anſtoͤßig ſey (wie die Beruͤhrung
mancher Zuſtaͤnde und Verhaͤltniſſe, auch vom
Teufel ließ man ſie nicht gern etwas boͤſes hoͤ-
ren) und Eltern es ihnen geradezu nicht in
[IX] die Haͤnde geben wollten. Fuͤr einzelne Faͤlle
mag die Sorge recht ſeyn und da leicht aus-
gewaͤhlt werden; im Ganzen iſt ſie gewiß un-
noͤthig. Nichts beſſer kann uns vertheidigen,
als die Natur ſelber, welche gerad dieſe Blu-
men und Blaͤtter in dieſer Farbe und Geſtalt
hat wachſen laſſen; wem ſie nicht zutraͤglich
ſind, nach beſonderen Beduͤrfniſſen, wovon
jene nichts weiß, kann leicht daran vorbei-
gehen, aber er kann nicht fordern, daß ſie
darnach anders gefaͤrbt und geſchnitten wer-
den ſollen. Oder auch: Regen und Thau
faͤllt als eine Wohlthat fuͤr alles herab, was
auf der Erde ſteht, wer ſeine Pflanzen nicht
hineinzuſtellen getraut, weil ſie zu empfindlich
dagegen ſind und Schaden nehmen koͤnnten,
ſondern lieber in der Stube begießt, wird doch
nicht verlangen, daß jene darum ausbleiben
ſollen. Gedeihlich aber kann alles werden,
was natuͤrlich iſt, und darnach ſollen wir
trachten. Uebrigens wiſſen wir kein geſundes
und kraͤftiges Buch, welches das Volk erbaut
hat, wenn wir die Bibel obenan ſtellen, wo
ſolche Bedenklichkeiten nicht in ungleich groͤ-
ßerm Maaß eintraͤten; der rechte Gebrauch
[X] aber findet nicht Boͤſes heraus, ſondern nur,
wie ein ſchoͤnes Wort ſagt: ein Zeugniß un-
ſeres Herzens. Kinder deuten ohne Furcht in
die Sterne, waͤhrend andere nach dem Volks-
glauben Engel damit beleidigen.


Abweichungen, ſo wie allerlei hierher ge-
hoͤrige Anmerkungen haben wir wieder im
Anhang mitgetheilt; wem dieſe Dinge gleich-
guͤltig ſind, wird das Ueberſchlagen leichter
werden, als uns gerade das Uebergehen waͤre;
ſie gehoͤren zum Buch inſofern es ein Beitrag
zur Geſchichte der deutſchen Volksdichtung iſt.
Alle Abweichungen namentlich erſcheinen uns
merkwuͤrdiger als denen, welche darin blos
Abaͤnderungen oder Entſtellungen eines wirk-
lich einmal da geweſenen Urbildes ſehen, da
es im Gegentheil vielleicht nur Verſuche ſind,
einem im Geiſt blos vorhandenen, unerſchoͤpf-
lichen, auf mannichfachen Wegen ſich zu naͤ-
hern. Wiederholungen einzelner Saͤtze, Zuͤge,
und Einleitungen ſind wie epiſche Zeilen zu
betrachten, die, ſobald der Ton ſich ruͤhrt, der
ſie anſchlaͤgt, immer wiederkehren und eigent-
lich in einem andern Sinne nicht zu verſtehen.
[XI] Alles aber, was aus muͤndlicher Ueberliefe-
rung hier geſammelt worden, iſt ſowohl nach
ſeiner Entſtehung als Ausbildung (vielleicht
darin den geſtiefelten Kater allein ausgenom-
men) rein deutſch und nirgends her erborgt,
wie ſich, wo man es in einzelnen Faͤllen be-
ſtreiten wollte, leicht auch aͤußerlich beweiſen
ließe. Gruͤnde, die man fuͤr das Erborgen
aus italieniſchen, franzoͤſiſchen oder orientali-
ſchen Buͤchern, die vom Volk, zumal auf dem
Land, ungeleſen bleiben, vorzubringen pflegt,
gleichen denjenigen vollkommen, welche aus
Soldaten, Handwerksburſchen, oder aus
Kanonen, Tabakspfeifen und andern neuen
Dingen in den Maͤrchen, auch ihre neue Er-
dichtung ableiten wollen, da doch gerade dieſe
Sachen, wie Woͤrter der heutigen Sprache,
nach dem Munde der Erzaͤhlenden ſich umge-
ſtalten und man ſicher darauf zaͤhlen kann,
daß ſie im ſechszehnten Jahrhundert ſtatt der
Soldaten und Kanonen, Landsknechte und
Buͤchſen geſetzt haben, und der unſichtbar ma-
chende Hut zur Ritterzeit ein Tarnhelm gewe-
ſen iſt.


[XII]

Die fuͤr dieſen zweiten Band anfaͤnglich
verſprochene Ueberſetzung des Pentamerone
ſteht den einheimiſchen Maͤrchen nothwendig
nach, ſo wie die Zuſammenſtellung derjeni-
gen, welche die Geſta Romanorum enthalten.


Caſſel, am 30. September 1814.


[XIII]

Inhalt.


  • 1. Der Arme und der Reiche Seite 1
  • 2. Das ſingende, ſpringende Loͤweneckerchen 2
  • 3. Die Gaͤnſemagd 16
  • 4. Von einem jungen Rieſen 25
  • 5. Dat Erdmaͤnneken 37
  • 6. Der Koͤnig vom goldenen Berg 44
  • 7. Die Rabe 53
  • 8. Die kluge Bauerntochter 62
  • 9. Der Geiſt im Glas 68
  • 10. De drei Vuͤgelkens 73
  • 11. Das Waſſer des Lebens 79
  • 12. Doctor Allwiſſend 88
  • 15. Der Froſchpring 91
  • 14. Des Teufels rußiger Bruder 94
  • 15. Der Teufel Gruͤnrock 99
  • 16. Der Zaunkoͤnig und der Baͤr Seite 103
  • 17. Vom ſuͤßen Brei 107
  • 18. Die treuen Thiere 108
  • 19. Maͤrchen von der Unke 114
  • 20. Der arme Muͤllerburſch und das Kaͤtzchen 115
  • 21. Die Kraͤhen 120
  • 22. Hans mein Igel 124
  • 23. Das Todtenhemdchen 132
  • 24. Der Jud’ im Dorn 133
  • 25. Der gelernte Jaͤger 138
  • 26. Der Dreſchflegel vom Himmel 146
  • 27. De beiden Kuͤnnigeskinner 147
  • 28. Vom klugen Schneiderlein 160
  • 29. Die klare Sonne bringt’s an den Tag 165
  • 30. Das blaue Licht 167
  • 31. Von einem eigenſinnigen Kinde 172
  • 32. Die drei Feldſcherer 172
  • 33. Der Faule und der Fleißige 177
  • 34. Die drei Handwerksburſchen 179
  • 35. Die himmliſche Hochzeit 183
  • 36. Die lange Naſe 185
  • 37. Die Alte im Wald 193
  • 38. Die drei Bruͤder 197
  • 39. Der Teufel und ſeine Großmutter 199
  • 40. Ferenand getruͤ un Ferenand ungetruͤ 204
  • 41. Der Eiſen-Ofen Seite 211
  • 42. Die faule Spinnerin 220
  • 43. Der Loͤwe und der Froſch 223
  • 44. Der Soldat und der Schreiner 227
  • 45. Die ſchoͤne Katrinelje und Pif, Paf,
    Poltrie 235
  • 46. Der Fuchs und das Pferd 237
  • 47. Die zertanzten Schuhe 239
  • 48. Die ſechs Diener 245
  • 49. Die weiße und ſchwarze Braut 253
  • 50. Der wilde Mann 259
  • 51. De drei ſchwatten Princeſſinnen 263
  • 52. Knoiſt un ſine dre Suͤhne 266
  • 53. Dat Maͤken von Brakel 267
  • 54. Das Hausgeſinde 268
  • 55. Das Laͤmmchen und Fiſchchen 269
  • 56. Simeliberg 272
  • 57. Die Kinder in Hungersnoth 275
  • 58. Das Eſelein 276
  • 59. Der undankbare Sohn 281
  • 60. Die Ruͤbe 282
  • 61. Das junggegluͤhte Maͤnnlein 286
  • 62. Des Herrn und des Teufels Gethier 288
  • 63. Der Hahnenbalken 290
  • 64. Die alte Bettelfrau 291
  • 65. Die drei Faulen Seite 292
  • 66. Die heilige Frau Kummerniß 293
  • 67. Das Maͤrchen vom Schlauraffenland 294
  • 68. Das Dietmarſiſche Luͤgen-Maͤrchen 296
  • 69. Raͤthſel-Maͤrchen 297
  • 70. Der goldene Schluͤſſel ebend.
[[1]]

1.
Der Arme und der Reiche.


Vor alten Zeiten, als der liebe Gott ſelber auf
Erden unter den Menſchen wandelte, trug es ſich
zu, daß er eines Abends muͤd war und ihn die
Nacht uͤberfiel, eh’ er zu einer Herberge kommen
konnte. Da ſtanden aber auf dem Weg vor ihm
zwei Haͤuſer einander gegenuͤber, eins groß und
ſchoͤn, das andere klein und aͤrmlich anzuſehen,
und gehoͤrte das eine einem reichen, das andere
einem armen Manne. Unſer Herr Gott dachte,
dem Reichen werd’ ich nicht beſchwerlich fallen
und klopfte bei ihm an die Thuͤre. Da machte
der Reiche ſein Fenſter auf und fragte, was er
wollte? „Ein Nachtlager.“ Der Reiche guckte
ihn an vom Haupt bis zu den Fuͤßen und weil der
liebe Gott ſchlichte Kleider trug und nicht ausſah
wie einer, der viel Geld in der Taſche hat, ſchuͤt-
telte er mit dem Kopf und ſprach: „ich kann euch
nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll
Samen und ſollte ich jedermann herbergen, der
an meine Thuͤre klopfte, ſo muͤßt ich ſelber bald
Kindermärchen II. A
[2] fortgehen; ſucht euch anderswo ein Auskommen:“
ſchlug damit ſein Fenſter zu und ließ den lieben
Gott ſtehen. Alſo kehrte ihm der liebe Gott den
Ruͤcken, ging hinuͤber zu dem kleinen Haus und
klopfte an. Kaum hatte er angeklopft, klinkte
auch ſchon der Arme ſein Thuͤrchen auf und bat
den Wandersmann einzutreten und bei ihm die
Nacht uͤber zu bleiben: „es iſt ſchon finſter, ſagte
er, und heute koͤnnt’ ihr doch nicht weiter kom-
men.“ Da gefiel es dem lieben Gott und er trat
ein; die Frau des Armen reichte ihm die Hand,
hieß ihn willkommen und ſagte, er moͤchte ſichs be-
quem machen und vorlieb nehmen, ſie haͤtten
nicht viel, aber was es waͤre, gaͤben ſie von Her-
zen gern. Dann ſetzte ſie Kartoffeln ans Feuer
und derweil ſie kochten, melkte ſie ihre Ziege, da-
mit ſie ein Bischen Milch dazu haͤtten. Und als
der Tiſch gedeckt war, ſetzte ſich der liebe Gott zu
ihnen und aß mit und ſchmeckte ihm die ſchlechte
Koſt gut, denn es waren vergnuͤgte Geſichter da-
bei. Wie ſie gegeſſen hatten und Schlafenszeit
war, rief die Frau heimlich ihren Mann und
ſprach: hoͤr’, lieber Mann, wir wollen uns heut’
Nacht eine Streu dahin machen, damit der arme
Wanderer ſich in unſer Bett legen und ausruhen
kann, er iſt den ganzen Tag uͤber gegangen, da
wird einer muͤd.“ Von Herzen gern ſprach der
Mann, ich wills ihm ſagen, ging zu dem lieben
Gott und bat ihn, wenns ihm recht waͤre, moͤcht’
[3] er ſich in ihr Bett legen und ſeine Glieder ordent-
lich ausruhen. Der liebe Gott wollte den beiden
Alten ihr Lager nicht nehmen, aber ſie ließen
nicht ab, bis er es endlich that und ſich in ihr Bett
legte; ſie aber machten ſich eine Streu auf die
Erde. Am andern Morgen vor Tag ſtanden ſie
ſchon auf und kochten ihm ein armes Fruͤhſtuͤck.
Als nun die Sonne durchs Fenſterlein herein-
ſchien und der liebe Gott aufgeſtanden war, aß
er wieder mit ihnen und wollte dann ſeines Weges
ziehen. Doch als er in der Thuͤre ſtand, ſprach
er: „weil ihr ſo mitleidig und fromm ſeyd, ſo
wuͤnſcht euch dreierlei, das will ich euch erfuͤllen.“
Da ſagte der Arme: „was ſoll ich mir ſonſt wuͤn-
ſchen, als die ewige Seligkeit, und daß wir
zwei, ſo lang wir leben, geſund ſind und unſer
nothduͤrftiges, taͤgliches Brot haben; fuͤrs Dritte
weiß ich mir nichts zu wuͤnſchen.“ Der liebe
Gott ſprach: „willſt du dir nicht ein neues Haus
fuͤr das alte [wuͤnſchen?“] Da ſagte der Mann, ja,
wenn das ging, waͤr’s ihm wohl lieb. Alsbald
erfuͤllte der liebe Gott ihre Wuͤnſche und verwan-
delte ihr altes Haus in ein ſchoͤnes neues, und
verließ ſie darauf.


Als es nun voller Tag war, und der Reiche
aufſtand und ſich in’s Fenſter legte, ſah er gegen-
uͤber ein ſchoͤnes neues Haus ſtehen ſtatt der alten
Huͤtte. Da machte er Augen, rief ſeine Frau
und ſprach: „Frau, ſieh einmal, wie iſt das zuge-
A 2
[4] gangen? geſtern Abend ſtand dort eine elende Huͤtte
und nun iſts ein ſchoͤnes neues Haus; lauf doch ein-
mal hinuͤber und hoͤr’ wie das gekommen iſt. [Nun]
ging die Frau hin und fragte, der Arme aber er-
zaͤhlte ihr: „geſtern Abend kam ein Wanderer,
der ſuchte Nachtherberge und heute Morgen beim
Abſchied hat er uns drei Wuͤnſche gewaͤhrt: die
ewige Seligkeit, Geſundheit in dieſem Leben und
das nothduͤrftige taͤgliche Brot und ſtatt unſerer
alten Huͤtte ein ſchoͤnes neues Haus.“ Als die
Frau des Reichen das gehoͤrt hatte, lief ſie wieder
fort und erzaͤhlte es ihrem Manne, der ſprach:
[„ich] moͤchte mich zerreiſſen und zerſchlagen, haͤtt’
ich das gewußt, der Fremde iſt auch bey mir ge-
weſen, ich habe ihn aber abgewieſen.“ „Eil
dich, ſprach die Frau, und ſetz dich auf dein
Pferd, der Mann iſt noch nicht weit, du mußt
ihn einholen, und dir auch drei Wuͤnſche gewaͤh-
ren laſſen.“


Da ſetzte ſich der Reiche auf und holte den
lieben Gott ein, redete fein und lieblich zu ihm
und ſprach, er moͤcht’s nicht uͤbel nehmen, daß
er ihn nicht gleich eingelaſſen, er haͤtte den
Schluͤſſel zur Hausthuͤre geſucht, derweil waͤre
er weggegangen; wenn er zuruͤckkaͤme, muͤßte er
bei ihm einkehren.“ Ja, ſprach der liebe Gott,
wann er einmal zuruͤckkaͤme, wollt’ er das thun.“
Da fragte der Reiche, ob er nicht auch drei Wuͤn-
ſche thun duͤrfte, wie ſein Nachbar? „Ja, ſagte
[5] der liebe Gott, das duͤrfe er wohl, es waͤre aber
nicht gut fuͤr ihn, und ſollte ſich lieber nichts
wuͤnſchen.“ Der Reiche aber meinte, er wollte
ſich ſchon etwas Gutes ausſuchen, wenn es nur
gewiß erfuͤllt wuͤrde. Sprach der liebe Gott:
„reite nur heim und drei Wuͤnſche, die du thuſt,
die ſollen erfuͤllt werden.“


Nun hatte der Reiche, was er wollte, ritt
heimwaͤrts und beſann ſich, was er ſich wuͤnſchen
ſollte; wie er ſo nachdachte und die Zuͤgel fallen
ließ, fing das Pferd an zu ſpringen, ſo daß er
immerfort in ſeinen Gedanken geſtoͤrt wurde und
ſie gar nicht zuſammen bringen konnte. Da
ward er uͤber das Pferd aͤrgerlich und ſprach in
Ungeduld: „ei ſo wollt’ ich, daß du den Hals
zerbraͤchſt!“ und wie er das Wort ausgeſprochen,
plump! fiel er auf die Erde und lag das Pferd
todt und regte ſich nicht mehr und war der erſte
Wunſch erfuͤllt. Weil er aber geizig war, wollt’
er das Sattelzeug nicht im Stich laſſen, ſchnitt’s
ab, hing’s auf den Ruͤcken und mußte nun zu
Fuß nach Haus gehen. Doch troͤſtete er ſich,
daß ihm noch zwei Wuͤnſche uͤbrig waͤren. Wie
er nun dahin ging durch den Sand und als zu
Mittag die Sonne heiß brannte, ward’s ihm ſo
warm und verdrießlich zu Muth, der Sattel
druͤckte ihn dazu auf den Ruͤcken, auch war ihm
noch immer nicht eingefallen, was er ſich wuͤn-
[6] ſchen ſollte. Wenn er meinte, er haͤtte etwas,
da ſchien’s ihm hernach doch viel zu wenig und
gering. Da kam’s ihm ſo in die Gedanken, was
es ſeine Frau jetzt gut habe, die ſitze daheim in
einer kuͤhlen Stube und laſſe ſich’s wohlſchmecken.
Das aͤrgerte ihn ordentlich und ohne daß er’s
wußte, ſprach er ſo hin: „ich wollt’ die ſaͤß da-
heim auf dem Sattel und koͤnnt’ nicht herunter,
ſtatt daß ich ihn da auf dem Ruͤcken ſchleppe.“
Und wie die Worte zu End’ waren, da war der
Sattel von ſeinem Ruͤcken fort, und merkte er,
daß ſein zweiter Wunſch auch in Erfuͤllung gegan-
gen war. Da ward ihm erſt recht heiß und er
fing an zu laufen und wollte ſich daheim ganz ein-
ſam hinſetzen und auf was Großes fuͤr den letzten
Wunſch nachdenken. Wie er aber ankam und
ſeine Stubenthuͤr aufmachte, ſaß da ſeine Frau
mittendrin auf dem Sattel und kann nicht her-
unter, jammert und ſchreit. Da ſprach er: „gib
dich zufrieden, ich will dir alle Reichthuͤmer der
Welt herbei wuͤnſchen, nur bleib da ſitzen.“ Sie
ſagte aber: „was helfen mir alle Reichthuͤmer der
Welt, wenn ich auf dem Sattel ſitze, du haſt
mich darauf gewuͤnſcht, du mußt mir auch wieder
herunter helfen.“ Er mochte wollen oder nicht,
er mußte den dritten Wunſch thun, daß ſie vom
Sattel ledig waͤr’ und herunterſteigen koͤnnt’, und
der ward auch erfuͤllt. Alſo hatte er nichts davon
als Aerger, Muͤh’ und ein verlorenes Pferd; die
[7] Armen aber lebten vergnuͤgt, ſtill und fromm bis
an ihr ſeliges Ende.


2.
Das ſingende, ſpringende Loͤweneckerchen.


Es war einmal ein Mann, der hatte eine
große Reiſe vor und beim Abſchied fragte er ſeine
drei Toͤchter, was er ihnen mitbringen ſollte.
Da wollte die aͤlteſte Perlen, die zweite Diaman-
ten, die dritte aber ſprach: „lieber Vater, ich
wuͤnſche mir ein ſingendes, ſpringendes Loͤwen-
eckerchen (Lerche.)“ Der Vater ſagte: „ja,
wenn ich es kriegen kann, ſollſt du es haben“
kuͤßte alle drei und zog fort. Als nun die Zeit
kam, daß er wieder auf dem Heimweg war, hatte
er Perlen und Diamanten fuͤr die zwei aͤlteſten,
aber das ſingende, ſpringende Loͤweneckerchen fuͤr
die juͤngſte hatte er umſonſt aller Orten geſucht,
und das that ihm leid, denn ſie war ſein liebſtes
Kind. Da fuͤhrte ihn ſein Weg durch einen
Wald und mitten darin war ein praͤchtiges Schloß
und nah’ am Schloß ſtand ein Baum, ganz oben
auf der Spitze des Baums aber ſah er ein Loͤwen-
eckerchen ſingen und ſpringen. „Ei! du kommſt
mir noch recht!“ ſagte er und war froh und rief
ſeinem Diener, er ſollte hinaufſteigen und das
Thierchen fangen. Wie der aber an den Baum
[8] herantrat, ſprang ein Loͤwe darunter auf, ſchuͤt-
telte ſich und bruͤllte, daß das Laub an den Baͤu-
men zitterte: „wer mir mein ſingendes, ſprin-
gendes Loͤweneckerchen ſtehlen will, den freſſ’ ich
auf!“ Da ſagte der Mann: „das hab’ ich nicht
gewußt, daß der Vogel dir gehoͤrt; kann ich mich
nicht von dir loskaufen?“ „Nein!“ ſprach der
Loͤwe, „da iſt nichts, was dich retten kann, als
wenn du mir zu eigen verſprichſt, was dir daheim
zuerſt begegnet, thuſt du aber das, ſo will ich
dir das Leben ſchenken und den Vogel fuͤr deine
Tochter obendrein.“ Der Mann aber wollte
nicht und ſprach: „das koͤnnte meine juͤngſte Toch-
ter ſeyn, die hat mich am liebſten, und lauft mir
immer entgegen, wenn ich nach Haus komme.“
Dem Diener aber war angſt und er ſagte: „es
koͤnnte ja auch eine Katze oder ein Hund ſeyn!“ Da
ließ ſich der Mann uͤberreden, nahm mit trauri-
gem Herzen das ſingende, ſpringende Loͤwenecker-
chen und verſprach dem Loͤwen zu eigen, was ihm
daheim zuerſt begegnen wuͤrde.


Wie er nun zu Haus einritt, war das erſte,
was ihm begegnete, niemand anders, als ſeine
juͤngſte, liebſte Tochter; die kam gelaufen und
kuͤßte und herzte ihn, und als ſie ſah, daß er ein
ſingendes, ſpringendes Loͤweneckerchen mitgebracht
hatte, freute ſie ſich noch mehr. Der Vater aber
konnte ſich nicht freuen, ſondern fing an zu wei-
nen und ſagte: „o weh! mein liebſtes Kind, den
[9] kleinen Vogel hab’ ich theuer gekauft, dafuͤr hab’
ich dich einem wilden Loͤwen verſprechen muͤſſen,
wenn er dich hat, wird er dich zerreiſſen und freſ-
ſen“ und erzaͤhlte ihr da alles, wie es zugegangen
war und bat ſie, nicht hinzugehen, es moͤcht’ auch
kommen was wollte. Sie aber troͤſtete ihn und
ſprach: „liebſter Vater, weil ihr’s verſprochen
habt, muß es auch gehalten werden und will ich
hingehen und den Loͤwen ſchon beſaͤnftigen, daß
ich wieder geſund zu euch heim kommen kann.
Am andern Morgen ließ ſie ſich den Weg zeigen,
nahm Abſchied und ging getroſt in den Wald hin-
ein. Der Loͤwe aber war ein verzauberter Prinz
und bei Tag ein Loͤwe und mit ihm wurden alle
ſeine Leute zu Loͤwen, in der Nacht aber hatten
ſie ihre natuͤrliche Geſtalt wieder. Als ſie nun
ankam, that er gar freundlich und ward Hochzeit
gehalten und in der Nacht war er ein ſchoͤner
Prinz, und da wachten ſie in der Nacht und
ſchliefen am Tag und lebten eine lange Zeit ver-
gnuͤgt miteinander. Einmal kam der Prinz und
ſagte: „morgen iſt ein Feſt in deines Vaters
Haus, weil deine aͤlteſte Schweſter ſich verheira-
thet und wenn du Luſt haſt hinzugehen, ſollen
dich meine Loͤwen hinfuͤhren. Da ſagte ſie ja,
ſie moͤchte gern ihren Vater wiederſehen, und
fuhr hin und wurde von den Loͤwen begleitet; da
war große Freude, als ſie ankam, denn ſie hat-
ten alle geglaubt, ſie waͤre ſchon lange todt, und
[10] von dem Loͤwen zerriſſen worden. Sie erzaͤhlte
aber, wie gut es ihr ging und blieb bei ihnen, ſo
lang die Hochzeit dauerte, dann fuhr ſie wieder
zuruͤck in den Wald. Wie die zweite Tochter hei-
rathete, und ſie wieder zur Hochzeit eingeladen
war, ſprach ſie zum Loͤwen: „diesmal will ich
nicht allein ſeyn, du mußt mitgehen.“ Der Loͤwe
aber wollte nicht und ſagte, das waͤre zu gefaͤhr-
lich fuͤr ihn, denn wenn ein Strahl eines bren-
nenden Lichts ihn anruͤhre, ſo wuͤrd’ er in eine
Taube verwandelt und muͤßte ſieben Jahre lang
mit den Tauben fliegen. Sie ließ ihm aber keine
Ruh’, und ſagte, ſie wollt’ ihn ſchon huͤten und
bewahren vor allem Licht. Alſo zogen ſie zuſam-
men und nahmen auch ihr kleines Kind mit. Sie
aber ließ dort einen Saal mauern, ſo ſtark und
dick, daß kein Strahl durchdrang, darin ſollt’ er
ſitzen, wenn die Hochzeitslichter angeſteckt wuͤr-
den. Die Thuͤr aber war von friſchem Holz ge-
macht, das ſprang und bekam einen kleinen Ritz,
den kein Menſch bemerkte. Nun ward die Hoch-
zeit mit Pracht gefeiert, wie aber der Zug aus
der Kirche zuruͤckkam mit den vielen Fackeln und
Lichtern an dem Saal des Prinzen vorbei, da fiel
ein duͤnner duͤnner Strahl auf ihn und wie dieſer
ihn beruͤhrt hatte, in dem Augenblick war er auch
verwandelt, und als die Prinzeſſin hinein kam
und ihn ſuchte, ſaß blos eine weiße Taube da,
die ſprach zu ihr: ſieben Jahr muß ich nun in die
[11] Welt fortfliegen, alle ſieben Schritte aber will ich
einen rothen Blutstropfen und eine weiße Feder
fallen laſſen, die ſollen dir den Weg zeigen, und
wenn du mir da nachfolgſt, kannſt du mich er-
loͤſen.“


Da flog die Taube zur Thuͤr hinaus und ſie
folgte ihr nach und alle ſieben Schritte fiel ein
rothes Blutstroͤpfchen und ein weißes Federchen
herab und zeigte ihr den Weg. So ging ſie im-
mer zu in die weite Welt hinein und ſchaute nicht
um ſich und ruhte ſich nicht, und waren faſt die
ſieben Jahre herum; da freute ſie ſich und meinte,
ſie waͤren bald erloͤſt und war noch ſo weit davon.
Einmal, als ſie ſo fort ging, fiel kein Federchen
mehr und auch kein rothes Blutstroͤpfchen und als
ſie die Augen aufſchlug, da war die Taube ver-
ſchwunden. Und weil ſie dachte, Menſchen koͤn-
nen dir da nichts helfen, ſo ſtieg ſie zur Sonne
hinauf und ſagte zu ihr: „du ſcheinſt in alle
Ritzen und uͤber alle Spitzen; haſt du keine weiße
Taube fliegen ſehen?“ — „Nein, ſagte die
Sonne, ich habe keine geſehen, aber da ſchenk ich
dir ein Schaͤchtelchen, das mach auf, wenn du
in großer Noth biſt.“ Da dankte ſie der Sonne
und ging weiter bis es Abend war und der Mond
ſchien, da fragte ſie ihn: „du ſcheinſt ja die ganze
Nacht, durch alle Felder und Waͤlder: haſt du
keine weiße Taube fliegen ſehen?“ — „Nein
ſagte der Mond, ich habe keine geſehen, aber da
[12] ſchenk ich dir ein Ei, das zerbrich wenn du in
großer Noth biſt.“ — Da dankte ſie dem Mond
und ging weiter, bis der Nachtwind wehte, da
ſprach ſie zu ihm: „du wehſt ja durch alle Baͤume
und unter alle Blaͤtterchen weg, haſt du keine weiße
Taube fliegen ſehen?“ — „Nein, ſagte der Nacht-
wind, ich habe keine geſehen, aber ich will die
drei andern Winde fragen, die haben ſie vielleicht
geſehen.“ Der Oſtwind und der Weſtwind kamen
und ſagten, ſie haͤtten nichts geſehen, der Suͤdwind
aber ſprach: „die weiße Taube hab’ ich geſehen,
ſie iſt zum rothen Meer geflogen, da iſt ſie wie-
der ein Loͤwe geworden, denn die ſieben Jahre
ſind herum, und der Loͤwe ſteht dort im Kampf
mit einem Lindwurm, der Lindwurm iſt aber eine
verzauberte Prinzeſſin.“ Da ſagte der Nachtwind
zu ihr: „ich will dir Rath geben, geh’ zum ro-
then Meer’ am rechten Ufer da ſtehen große Ru-
then, die zaͤhl’ und die eilfte ſchneid’ dir ab und
ſchlag’ den Lindwurm damit, dann kann ihn der
Loͤwe bezwingen und beide bekommen auch ihren
menſchlichen Leib wieder; dann ſchau dich um und
du ſiehſt den Vogel Greif am rothen Meer ſitzen,
ſchwing’ dich auf ſeinen Ruͤcken mit dem Prinzen,
der Vogel wird euch uͤbers Meer nach Haus tra-
gen; da haſt du auch eine Nuß, wenn du mitten
uͤber dem Meer biſt, laß ſie herab fallen, alsbald
wird ein großer Nußbaum aus dem Waſſer her-
vorwachſen, auf dem ſich der Greif ruht, und
[13] koͤnnte er nicht ruhen, waͤr’ er nicht ſtark genug,
euch hinuͤber zu tragen, und wenn du es vergißt,
wirft er euch ins Meer hinunter.“


Da ging ſie hin und fand alles, wie der
Nachtwind geſagt hatte und ſchnitt die eilfte Ru-
the ab, damit ſchlug ſie den Lindwurm, alsbald
bezwang ihn der Loͤwe und da hatten beide ihren
menſchlichen Leib wieder. Und wie ſich die Prin-
zeſſin, die vorher ein Lindwurm geweſen war, frei
ſah, nahm ſie den Prinzen in den Arm, ſetzte ſich
auf den Vogel Greif und fuͤhrte ihn mit ſich fort.
Alſo ſtand die arme, weitgewanderte und war
wieder verlaſſen, ſie ſprach aber: „ich will noch
ſo weit gehen als der Wind weht und ſo lang als
der Hahn kraͤht, bis ich ihn finde.“ Und ging
fort, lange lange Wege, bis ſie endlich zu dem
Schloß kam, wo beide zuſammen lebten, da hoͤrte
ſie daß bald ein Feſt waͤre, wo ſie Hochzeit mit
einander machen wollten. Sie ſprach aber, Gott
hilft mir doch noch, und nahm das Schaͤchtelchen,
das ihr die Sonne gegeben hatte, da lag ein Kleid
darin, ſo glaͤnzend, wie die Sonne ſelber. Da
nahm ſie es heraus und zog es an und ging hinauf
in das Schloß und alle Leute ſahen ſie an und die
Braut ſelber; und das Kleid gefiel ihr ſo gut,
daß ſie dachte, es koͤnnte ihr Hochzeitkleid ge-
ben und fragte, ob es nicht feil waͤre? „Nicht
fuͤr Geld und Gut, ſagte ſie, aber fuͤr Fleiſch und
[14] Blut.“ Die Braut fragte, was ſie damit meine,
da ſagte ſie: „laßt mich eine Nacht in der Kam-
mer ſchlafen, wo der Prinz ſchlaͤft.“ Die Braut
wollte nicht und wollte doch gern das Kleid haben,
endlich willigte ſie ein, aber der Kammerdiener
mußte dem Prinzen einen Schlaftrunk geben.
Als es nun Nacht war, und der Prinz ſchon
ſchlief, ward ſie in die Kammer gefuͤhrt, da ſetzte
ſie ſich ans Bett und ſagte: „ich bin dir nachge-
folgt ſieben Jahre, bin bei Sonne, Mond und
den Winden geweſen und hab’ nach dir gefragt,
und hab’ dir geholfen gegen den Lindwurm, willſt
du mich denn ganz vergeſſen?“ Der Prinz aber
ſchlief ſo hart, daß es ihm nur vorkam, als rauſche
der Wind draußen in den Tannenbaͤumen. Wie
nun der Morgen anbrach, da ward ſie wieder
hinausgefuͤhrt, und mußte das goldene Kleid hin-
geben; und als auch das nichts geholfen hatte,
ward ſie traurig, ging hinaus auf eine Wieſe,
ſetzte ſich da hin und weinte. Und wie ſie ſo ſaß,
da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond
gegeben hatte und ſie ſchlug es auf: ei! da kam eine
Glucke heraus mit zwoͤlf Kuͤchlein ganz von Gold,
die liefen herum und piepten und krochen der Alten
wieder unter die Fluͤgel, ſo daß nichts ſchoͤneres
auf der Welt zu ſehen war. Da ſtand ſie auf,
trieb ſie auf der Wieſe vor ſich her, ſo lange bis
die Braut aus dem Fenſter ſah, und da gefiel ihr
das kleine Weſen ſo gut, daß ſie gleich herab kam
[15] und fragte, ob ſie nicht feil waͤren? „Nicht fuͤr
Geld und Gut, aber fuͤr Fleiſch und Blut; laßt
mich noch eine Nacht in der Kammer ſchlafen,
wo der Prinz ſchlaͤft.“ Die Braut ſagte ja und
wollte ſie betruͤgen, wie am vorigen Abend, als
aber der Prinz zu Bett ging, fragte er ſeinen
Kammerdiener, was das Murmeln und Rauſchen
in der Nacht geweſen ſey. Da erzaͤhlte der Kam-
merdiener alles, daß er ihm einen Schlaftrunk
haͤtte geben muͤſſen, weil ein armes Maͤdchen
heimlich in der Kammer geſchlafen haͤtte, und
heute Nacht ſolle er ihm wieder einen geben.
Sagte der Prinz: „gieße den Trank neben das
Bett aus,“ und zur Nacht wurde ſie wieder
hereingefuͤhrt, und als ſie anfing wieder zu
erzaͤhlen, wie es ihr traurig ergangen waͤr’, da
erkannt’ er gleich an der Stimme ſeine liebe Ge-
mahlin, ſprang auf und ſprach: ſo bin ich erſt
recht erloͤſt, mir iſt geweſen, wie in einem Traum,
denn die Prinzeſſin hat mich bezaubert, daß ich
dich vergeſſen mußte, aber Gott hat mir noch zu
rechter Stunde geholfen.“ Da gingen ſie beide
in der Nacht heimlich aus dem Schloß, denn ſie
fuͤrchteten ſich vor dem Vater der Prinzeſſin, der
ein Zauberer war, und ſetzten ſich auf den Vogel
Greif, der trug ſie uͤber das rothe Meer, und als
ſie in der Mitte waren, ließ ſie die Nuß fallen.
Alsbald wuchs ein großer Nußbaum, darauf
ruhte ſich der Vogel und dann fuͤhrte er ſie nach
[16] Haus, wo ſie ihr Kind fanden, das war groß und
ſchoͤn geworden, und ſie lebten von nun an ver-
gnuͤgt bis an ihr Ende.


3.
Die Gaͤnſemagd.


Es lebte einmal eine alte Koͤnigin, der war
ihr Gemahl ſchon lange Jahre geſtorben und ſie
hatte eine ſchoͤne Tochter, wie die erwuchs, wurde
ſie weit uͤber Feld auch an einen Koͤnigsſohn ver-
ſprochen. Als nun die Zeit kam, wo ſie vermaͤhlt
werden ſollten, und das Kind in das fremde Reich
abreiſen mußte, packte ihr die Alte gar viel koͤſt-
liches Geraͤth und Geſchmeide ein: Gold und
Silber, Becher und Kleinode, kurz alles, was
ihr zu einem koͤniglichen Brautſchatz gehoͤrte, denn
ſie hatte ihr Kind von Herzen lieb. Auch gab ſie
ihr eine Kammerjungfer bei, welche mitreiten
und die Braut in die Haͤnde des Braͤutigams
uͤberliefern ſollte und jede bekam ein Pferd zur
Reiſe, aber das Pferd der Koͤnigstochter hieß
Falada und konnte ſprechen. Wie nun die
Abſchiedsſtunde da war, begab ſich die alte Mutter
in ihre Schlafkammer, nahm ein Meſſerlein und
ſchnitt damit in ihre Finger, daß ſie bluteten;
darauf hielt ſie ein weißes Laͤppchen unter und
ließ drei Tropfen Blut hineinfallen, gab ſie der
Tochter und ſprach: „liebes Kind verwahr ſie
wohl, ſie werden dir unterweges Noth thun.“


Alſo
[17]

Alſo nahmen beide von einander betruͤbten
Abſchied, das Laͤppchen ſteckte die Koͤnigstochter
in ihren Buſen vor ſich, ſetzte ſich auf’s Pferd
und zog nun fort zu ihrem Braͤutigam. Da ſie
eine Stunde geritten waren, empfand ſie heißen
Durſt und rief ihrer Kammerjungfer: ſteig ab
und ſchoͤpfe mir mit meinem Becher, den du auf-
zuheben haſt, Waſſer aus dem Bach, ich moͤchte
gern einmal trinken. „Ei, wenn ihr Durſt habt,
ſprach die Kammerjungfer, ſo ſteigt ſelber ab, legt
euch an’s Waſſer und trinkt, ich mag eure Magd
nicht ſeyn!“ Da ſtieg die Koͤnigstochter vor
großem Durſt herunter, neigte ſich uͤber das Waͤſ-
ſerlein im Bach und trank und durfte nicht aus
dem goldnen Becher trinken. Da ſprach ſie: „ach
Gott!“ da antworteten die drei Blutstropfen:
„wenn das deine Mutter wuͤßte, das Herz im
Leibe thaͤt ihr zerſpringen.“ Aber die Koͤnigs-
braut war gar demuͤthig, ſagte nichts und ſtieg
wieder zu Pferd. So ritten ſie etliche Meilen
weiter fort und der Tag war warm, daß die
Sonne ſtach und ſie durſtete bald von neuem; da
ſie nun an einen Waſſerfluß kamen, rief ſie noch
einmal ihrer Kammerjungfer: „ſteig ab und gieb
mir aus meinem Goldbecher zu trinken!“ denn
ſie hatte aller boͤſen Worte laͤngſt vergeſſen. Die
Kammerjungfer ſprach aber noch hochmuͤthiger:
wollt’ ihr trinken, ſo trinkt allein, ich mag nicht
eure Magd ſeyn.“ Da ſtieg die Koͤnigstochter
Kindermärchen. II. B
[18] hernieder vor großem Durſt und legte ſich uͤber
das fließende Waſſer, weinte und ſprach: „ach
Gott!“ und die Blutstropfen antworteten wie-
derum: „wenn das deine Mutter wuͤßte, das
Herz im Leibe thaͤt ihr zerſpringen!“ Und wie
ſie ſo trank und ſich recht uͤberlehnte, fiel ihr das
Laͤppchen, worin die drei Tropfen waren, aus
dem Buſen, und floß mit dem Waſſer fort, ohne
daß ſie es in ihrer großen Angſt merkte. Die
Kammerfrau hatte aber zugeſehen und freute
ſich, daß ſie Macht uͤber die Braut bekaͤme, denn
damit, daß dieſe die Blutstropfen verloren hatte,
war ſie ſchwach geworden. Als ſie nun wieder
auf ihr Pferd ſteigen wollte, das da hieß Falada,
ſagte die Kammerfrau: „auf Falada gehoͤr’ ich
und auf meinen Gaul gehoͤrſt du“ und das mußte
ſie ſich gefallen laſſen, außerdem hieß ſie die
Kammerfrau auch noch die koͤniglichen Kleider
ausziehen und ihre ſchlechten anlegen, und endlich
mußte ſie ſich unter freiem Himmel verſchwoͤren,
daß ſie am koͤniglichen Hof keinem Menſchen
nichts davon ſprechen wollte, und wenn ſie dieſen
Eid nicht abgelegt haͤtte, waͤre ſie auf der Stelle
umgebracht worden. Aber Falada ſah das alles
an und nahm’s wohl in Acht.


Die Kammerfrau ſtieg nun auf Falada und
die wahre Braut auf das ſchlechte Roß, und ſo
zogen ſie weiter, bis ſie endlich in dem koͤniglichen
Schloß eintrafen, da war große Freude uͤber ihre
[19] Ankunft, und der Koͤnigsſohn ſprang ihnen ent-
gegen, hob die Kammerfrau vom Pferde und
meinte, ſie waͤre ſeine Gemahlin und ſie wurde
die Treppe hinaufgefuͤhrt, die wahre Koͤnigstoch-
ter aber mußte unten ſtehen bleiben. Da ſchaute
der alte Koͤnig am Fenſter und ſah ſie im Hofe
halten, nun war ſie fein und zart und ſehr ſchoͤn,
ging hin ins koͤnigliche Gemach und fragte die
Braut nach der, die ſie bei ſich haͤtte und da un-
ten im Hofe ſtaͤnde, und wer ſie waͤre? „ei, die
hab’ ich mir unterwegs mitgenommen zur Geſell-
ſchaft, gebt der Magd was zu arbeiten, daß ſie
nicht muͤßig ſteht.“ Aber der alte Koͤnig hatte
keine Arbeit fuͤr ſie und wußte nichts, als daß er
ſagte: „da hab’ ich ſo einen kleinen Jungen, der
huͤtet die Gaͤnſe, dem mag ſie helfen!“ Der
Junge hieß Kuͤrdchen, (Conraͤdchen) dem
mußte die wahre Braut helfen Gaͤnſe huͤten.


Bald aber ſprach die falſche Braut zu dem
jungen Koͤnig: liebſter Gemahl, ich bitte euch,
thut mir einen Gefallen!“ Er antwortete: „das
will ich gerne thun.“ „Nun ſo laßt mir den
Schinder rufen und da dem Pferd, worauf ich
her geritten bin, den Hals abhauen, weil es mich
unterweges geaͤrgert hat;“ eigentlich aber fuͤrch-
tete ſie ſich, daß das Pferd ſprechen moͤchte, wie
ſie mit der Koͤnigstochter umgegangen waͤre. Nun
war das ſo weit gerathen, daß es geſchehen und
der treue Falada ſterben ſollte, da kam es auch
B 2
[20] der rechten Koͤnigstochter zu Ohr und ſie verſprach
dem Schinder heimlich ein Stuͤck Geld, das ſie
ihm bezahlen wollte, wenn er ihr einen kleinen
Dienſt erwieſe. In der Stadt war ein großes,
finſteres Thor, wo ſie Abends und Morgens mit
den Gaͤnſen durch mußte, „unter das finſtere
Thor moͤchte er dem Falada ſeinen Kopf hinna-
geln, daß ſie ihn doch noch als einmal ſehen
koͤnnte.“ Alſo verſprach das der Schindersknecht
zu thun, hieb den Kopf ab und nagelte ihn unter
das finſtere Thor feſt.


Des Morgens fruͤh, als ſie und Kuͤrdchen
unterm Thor hinaus trieben, ſprach ſie im Vor-
beigehen:

o du Falada, da du hangeſt,


da antwortete der Kopf:

o du Jungfer Koͤnigin, da du gangeſt,

wenn das deine Mutter wuͤßte,

ihr Herz thaͤt ihr zerſpringen!


da zog ſie ſtill weiter zur Stadt hinaus und ſie
trieben die Gaͤnſe auf’s Feld. Und wenn ſie auf
der Wieſe angekommen war, ſaß ſie hier und
machte ihre Haare auf, die waren eitel Silber,
und Kuͤrdchen ſah ſie und freute ſich, wie ſie
glaͤnzten, und wollte ihr ein Paar ausraufen.
Da ſprach ſie:
[21]

weh’! weh’! Windchen *),

nimm Kuͤrdchen ſein Huͤtchen,

und laß’n ſich mit jagen,

bis ich mich geflochten und geſchnatzt

und wieder aufgeſatzt.


und da kam ein ſo ſtarker Wind, daß er dem
Kuͤrdchen ſein Huͤtchen wegwehte uͤber alle Land,
daß es ihm nachlief und bis es wiederkam, war
ſie mit dem Kaͤmmen und Aufſetzen fertig und er
konnte keine Haare kriegen. Da war Kuͤrdchen
boͤs und ſprach nicht mit ihr, und ſo huͤteten ſie
die [Gaͤnſe] bis daß es Abend wurde, dann fuhren
ſie nach Haus.


Den andern Morgen, wie ſie unter dem fin-
ſtern Thor hinaustrieben, ſprach die Jungfrau:

o du Falada, da du hangeſt,


es antwortete:

o du Jungfer Koͤnigin, da du gangeſt,

wenn das deine Mutter wuͤßte,

das Herz thaͤt ihr zerſpringen!


und in dem Feld ſetzte ſie ſich wieder auf die
Wieſe und fing an ihr Haar auszukaͤmmen, und
Kuͤrdchen lief und wollte darnach greifen, da
ſprach ſie ſchnell:

weh’! weh’! Windchen,

nimm dem Kuͤrdchen ſein Huͤtchen

[22]
und laß’n ſich mit jagen,

bis ich mich geflochten und geſchnatzt

und wieder aufgeſatzt


da wehte der Wind und wehte ihm das Huͤtchen
vom Kopf weit weg, daß es nachzulaufen hatte,
und als es wieder kam, hatte ſie laͤngſt ihr Haar
zurecht und es konnte keins davon erwiſchen, und
ſie huͤteten die Gaͤnſe bis es Abend wurde.


Abends aber, nachdem ſie heim kamen, ging
Kuͤrdchen vor den alten Koͤnig und ſagte: mit
dem Maͤdchen will ich nicht laͤnger Gaͤnſe huͤten.“
Warum denn? ſprach der alte Koͤnig. „Ei, das
aͤrgert mich den ganzen Tag.“ Da befahl ihm
der alte Koͤnig, zu erzaͤhlen, wie’s ihm denn mit
ihr ginge. Da ſagte Kuͤrdchen: „des Morgens
wenn wir unter dem finſtern Thor mit der Heerde
durchkommen, ſo iſt da ein Gaulskopf an der
Wand, zu dem redet ſie:

Falada, da du hangeſt,


da antwortet der Kopf:

o du Koͤnigsjungfer, da du gangeſt,

wenn das deine Mutter wuͤßte,

das Herz thaͤt ihr zerſpringen!


und ſo erzaͤhlte Kuͤrdchen weiter was auf der
Ganswieſe geſchaͤhe und wie es da dem Hut im
Wind nachlaufen muͤßte.


Der alte Koͤnig befahl ihm aber, den naͤch-
ſten Tag wieder hinaus zu treiben, und er ſelbſt,
[23] wie es Morgens war, ſetzte ſich hinter das fin-
ſtere Thor und hoͤrte da, wie ſie mit dem Haupt
des Falada ſprach; und dann ging er ihr auch
nach in das Feld und barg ſich in einem Buſch
auf der Wieſe. Da ſah er nun bald mit ſeinen
eigenen Augen, wie die Gaͤnſemagd und der Gaͤn-
ſejung die Heerde getrieben brachten und nach ei-
ner Weile ſie ſich ſetzte und ihre Haare losflocht,
die ſtrahlten von Glanz. Gleich ſprach ſie wieder:

weh’! weh’! Windchen,

Faß Kuͤrdchen ſein Huͤtchen

und laß’n ſich mit jagen,

bis daß ich mich geflochten und geſchnatzt

und wieder aufgeſatzt.


da kam ein Windſtoß und fuhr mit Kuͤrdchens
Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die
Magd kaͤmmte und flocht ihre Locken ſtill fort,
welches der alte Koͤnig alles beobachtete. Darauf
ging er unbemerkt zuruͤck und als Abends die
Gaͤnſemagd heim kam, rief er ſie bei Seite und
fragte: warum ſie dem allem ſo thaͤte? „das darf
ich euch und keinem Menſchen nicht ſagen, denn
ſo hab’ ich mich unter freiem Himmel verſchwo-
ren, weil ich ſonſt um mein Leben waͤre gekom-
men.“ Er aber drang in ſie und ließ ihr keinen
Frieden, „willſt du mir’s nicht erzaͤhlen,“ ſagte
der alte Koͤnig endlich, „ſo darfſt du’s doch dem
Kachelofen erzaͤhlen.“ „Ja, das will ich wohl“
antwortete ſie. Damit mußte ſie in den Ofen
[24] kriechen und ſchuͤttete ihr ganzes Herz aus, wie
es ihr bis dahin ergangen und wie ſie von der
boͤſen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber
der Ofen hatte oben ein Loch, da lauerte ihr der
alte Koͤnig zu und vernahm ihr Schickſal von Wort
zu Wort. Da war’s gut und Koͤnigskleider wur-
den ihr alsbald angethan und es ſchien ein Wun-
der, wie ſie ſo ſchoͤn war; der alte Koͤnig rief ſei-
nen Sohn und offenbarte ihm, daß er die falſche
Braut haͤtte, die waͤre ein bloßes Kammermaͤd-
chen, die wahre aber ſtaͤnde hier, als die geweſene
Gaͤnſemagd. Der junge Koͤnig aber war herzens-
froh, als er ihre Schoͤnheit und Tugend erblickte
und ein großes Mahl wurde angeſtellt, zu dem
alle Leute und gute Freunde gebeten wurden,
obenan ſaß der Braͤutigam, die Koͤnigstochter zur
einen Seite und die Kammerjungfer zur andern,
aber die Kammerjungfer war verblendet und er-
kannte jene nicht mehr in dem glaͤnzenden Schmuck.
Als ſie nun gegeſſen und getrunken hatten und
gutes Muths waren, gab der alte Koͤnig der Kam-
merfrau ein Raͤthſel auf: was eine ſolche werth
waͤre, die den Herrn ſo und ſo betrogen haͤtte,
erzaͤhlte damit den ganzen Verlauf und fragte:
„welches Urtheils iſt dieſe wuͤrdig?“ Da ſprach
die falſche Braut: „die iſt nichts beſſers werth,
als ſplinternackt ausgezogen in ein Faß inwendig
mit ſpitzen Naͤgeln beſchlagen geworfen zu werden,
und zwei weiße Pferde davor geſpannt muͤſſen ſie
[25] Gaß auf Gaß ab zu Tode ſchleifen!“ „Das biſt
du, ſprach der alte Koͤnig, und dein eigen Urtheil
haſt du gefunden und darnach ſoll dir widerfah-
ren,“ welches auch vollzogen wurde; der junge
Koͤnig vermaͤhlte ſich aber mit ſeiner rechten Ge-
mahlin und beide regirten ihr Reich in Frieden
und Seligkeit.


4.
Von einem jungen Rieſen.


Ein Bauersmann hatte einen Sohn, der war
ſo groß wie ein Daumen und ward gar nicht groͤ-
ßer, und wuchs in etlichen Jahren nicht haarbreit.
Einmal wollte der Bauer ins Feld gehen und
pfluͤgen, da ſagte der kleine: „Vater, ich will mit
hinaus.“ „Nein, ſprach der Vater, bleib du nur
hier, draußen biſt du zu nichts nutz, du koͤnnteſt
mir auch verloren gehen.“ Da fing der Daͤum-
ling an zu weinen, und wollte der Vater Ruhe
haben, mußt’ er ihn mitnehmen. Alſo ſteckte er
ihn in die Taſche und auf dem Felde that er ihn
heraus und ſetzte ihn in eine friſche Furche. Wie
er da ſo ſaß, kam uͤber den Berg ein großer Rieſe
daher. „Siehſt du dort den großen Butzemann,
ſagte der Vater und wollte den Kleinen ſchrecken,
damit er artig waͤre, der kommt und holt dich.“
Der Rieſe aber hatte lange Beine, und wie er
[26] noch ein Paar Schritte gethan, da war er bei der
Furche, nahm den kleinen Daͤumling heraus und
ging mit ihm fort. Der Vater ſtand dabei,
konnte vor Schreck kein Wort ſprechen und
glaubte, ſein Kind waͤre nun verloren alſo, daß
er’s ſein lebtag nicht wieder ſehen wuͤrde.


Der Rieſe aber nahm es mit ſich und ließ
es an ſeiner Bruſt ſaugen und der Daͤumling
wuchs und ward groß und ſtark nach Rieſen-Art
und als zwei Jahre herum waren, ging der Alte
mit ihm in den Wald und wollt’ ihn verſuchen
und ſprach: „zieh dir da eine Gerte heraus.“
Da war der Knabe ſchon ſo ſtark, daß er einen
jungen Baum mit den Wurzeln aus der Erde riß.
Der Rieſe aber dachte, das muß beſſer kommen
und nahm ihn wieder mit, ſaͤugte ihn noch zwei
Jahre und als er ihn da in den Wald fuͤhrte, ſich
zu verſuchen, riß er ſchon einen viel groͤßeren
Baum heraus. Das war aber dem Rieſen noch
nicht genug und er ſaͤugte ihn noch zwei Jahre,
ging dann mit ihm in den Wald und ſprach:
„nun reiß einmal eine ordentliche Gerte aus.“
Da riß der Junge den dickſten Eichenbaum aus
der Erde, daß es krachte und war ihm nur ein
Spaß. Wie der alte Rieſe das ſah, ſprach er,
nun iſt’s gut, du haſt ausgelernt, und fuͤhrte ihn
zuruͤck zu dem Acker, wo er ihn geholt hatte.
Sein Vater pfluͤgte gerade wieder, da ging der
junge Rieſe auf ihn zu und ſprach: „ſieht er
[27] wohl, Vater, wie’s gekommen iſt, ich bin ſein
Sohn.“ Da erſchrak der Bauer und ſagte:
„nein, du biſt mein Sohn nicht, geh’ weg von
mir.“ „Freilich bin ich ſein Sohn, laß er mich
einmal pfluͤgen, ich kann’s ſo gut, wie er auch.“
— „Nein, du biſt mein Sohn nicht, du kannſt
auch nicht pfluͤgen, geh’ nur weg von mir.“ Weil
er ſich aber vor dem großen Mann fuͤrchtete, ließ
er den Pflug los, ging weg und ſetzte ſich zur
Seite an’s Land. Da nahm der Junge das Ge-
ſchirr und wollte pfluͤgen, aber er druͤckte blos mit
der einen Hand ſo gewaltig darauf, daß der Pflug
tief in die Erde ging. Der Bauer konnte das
nicht mit anſehen und rief ihm zu: wenn du pfluͤ-
gen willſt, mußt du nicht ſo gewaltig druͤcken, das
Land wird nicht ordentlich. Der Junge aber
ſpannte die Pferde aus, und ſpannte ſich ſelber
vor den Pflug und ſagte: „geh’ er nur nach Haus,
Vater, und ſag’ er der Mutter, ſie ſollt’ eine
rechte Schuͤſſel voll zu eſſen kochen; ich will der-
weil den Acker ſchon herumreißen.“ Da ging
der Bauer heim und beſtellte es bei ſeiner Frau
und die kochte eine tuͤchtige Schuͤſſel voll, der
Junge aber pfluͤgte das Land, zwei Morgen Felds
ganz allein, und dann ſpannte er ſich auch ſelber
vor die Egge und eggte alles mit zwei Eggen zu-
gleich. Wie er fertig war, ging er in den Wald
und riß zwei Eichenbaͤume aus, legte ſie auf die
Schultern und hinten und vorn eine Egge drauf,
[28] und hinten und vorn auch ein Pferd, und trug
das alles wie einen Bund Stroh nach Haus.
Wie er in den Hof kam, kannte ihn ſeine Mutter
nicht und fragte: „wer iſt der entſetzliche große
Mann?“ der Bauer ſagte: „das iſt unſer Sohn.“
Sie ſprach: „nein, unſer Sohn iſt das nimmer-
mehr, ſo groß haben wir keinen gehabt, unſer
war ein kleines Ding: geh’ nur weg, wir wollen
dich nicht.“ Der Junge aber ſchwieg ſtill, zog
ſeine Pferde in den Stall, gab ihnen Haber und
Heu und brachte alles in Ordnung; und wie er
fertig war, ging er in die Stube, ſetzte ſich auf
die Bank und ſagte: „Mutter, nun haͤtt’ ich Luſt
zu eſſen, iſt’s bald fertig?“ da ſagte ſie ja, ge-
traute ſich nicht, ihm zu widerſprechen und brachte
zwei große, große Schuͤſſeln voll herein, daran
haͤtten ſie und ihr Mann acht Tage ſatt gehabt.
Er aber aß ſie allein auf und fragte, ob ſie nicht
mehr haͤtten? „Nein, ſagte ſie, das iſt alles, was
wir haben.“ „Das war ja nur zum ſchmecken,
ich muß noch mehr haben.“ Da ging ſie hin
und ſetzte einen großen Schweinekeſſel voll uͤber’s
Feuer und wie es gahr war, trug ſie es herein.
„Nun, da iſt noch ein Bischen, ſagte er, und aß
das alles noch hinein: es war aber doch nicht ge-
nug. Da ſprach er: „Vater, ich ſeh’ wohl, bei
ihm werd’ ich nicht ſatt, will er mir einen Stab
von Eiſen verſchaffen, der ſtark iſt, daß ich ihn
vor meinen Knien nicht zerbrechen kann, ſo will
[29] ich wieder fort gehen.“ Da war der Bauer froh
und ſpannte ſeine zwei Pferde vor den Wagen,
fuhr zum Schmid und holte einen Stab ſo groß
und dick, als ihn die zwei Pferde nur fahren
konnten. Der Junge aber nahm ihn vor die
Knie und ratſch! zerbrach er ihn wie eine Boh-
nenſtange in der Mitte entzwei. Der Vater
ſpannte da vier Pferde vor und holte einen Stab
ſo groß und dick, als ihn die vier Pferde fahren
konnten. Den nahm der Sohn auch, knickte ihn
vor dem Knie entzwei, warf ihn hin und ſprach:
„Vater, der kann mir nicht helfen, er muß beſ-
ſer vorſpannen und einen ſtaͤrkern Stab holen.“
Da ſpannte der Vater acht Pferde vor und holte
einen ſo groß und dick, als ihn die acht Pferde
nur fahren konnten. Wie der Sohn den kriegte,
brach er gleich oben ein Stuͤck davon ab und ſagte:
„Vater, ich ſehe, er kann mir doch keinen Stab
anſchaffen, ich will nur ſo weggehen.“


Da ging er fort und gab ſich fuͤr einen
Schmiedegeſellen aus. Er kam in ein Dorf,
darin wohnte ein Schmied, der war ein Geitz-
mann, goͤnnte keinem Menſchen etwas und wollte
alles haben; zu dem trat er nun in die Schmiede
und fragte ihn, ob er keinen Geſellen brauche.
„Ja, ſagte der Schmied und ſah ihn an und dachte,
das iſt ein tuͤchtiger Kerl, der wird gut vorſchla-
gen und ſein Brot verdienen: „wie viel willſt du
Lohn haben?“ „Gar keinen Lohn will ich haben,
[30] ſagte er, nur alle 14 Tage, wenn die andern Ge-
ſellen ihren bezahlt kriegen, will ich dir zwei
Streiche geben, die mußt du aushalten.“ Das
war der Geitzmann von Herzen zufrieden und
dachte damit viel Geld zu ſparen. Am andern
Morgen ſollte der fremde Geſell’ zuerſt vorſchla-
gen, wie aber der Meiſter den gluͤhenden Stab
bringt und er den erſten Schlag thut, da fliegt
das Eiſen von einander und der Ambos ſinkt in
die Erde, ſo tief, daß ſie ihn gar nicht wieder
herausbringen konnten. Da ward der Geitzmann
boͤs und ſagte: „ei was, dich kann ich nicht brau-
chen, du ſchlaͤgſt gar zu grob, was willſt du fuͤr
den einen Zuſchlag haben?“ Da ſprach er: ich
will dir nur einen ganz kleinen Streich geben,
weiter nichts.“ Und hob ſeinen Fuß auf und gab
ihm einen Tritt, daß er uͤber vier Fuder Heu
hinausflog. Darauf nahm er den dickſten Eiſen-
ſtab aus der Schmiede als einen Stock in die
Hand und ging weiter.


Als er eine Weile gezogen war, kam er zu
einem Amt und fragte den Amtmann, ob er kei-
nen Großknecht noͤthig haͤtte. Ja, ſagte der
Amtmann, er koͤnnte einen brauchen, er ſehe aus
wie ein tuͤchtiger Kerl, der ſchon was vermoͤchte,
wie viel er Jahrslohn haben wollte. Da ſprach
er wieder, er wollt’ gar keinen Lohn, aber alle
Jahre wollt’ er ihm drei Streiche geben, die
muͤßte er aushalten. Das war der Amtmann
[31] zufrieden, denn er war auch ſo ein Geitzhals.
Am andern Morgen, da ſollten die Knechte ins
Holz fahren und die andern waren ſchon auf, er
aber lag noch im Bett. Da rief ihn einer an:
„nun ſteh auf, es iſt Zeit, wir wollen in’s Holz,
du mußt mit.“ „Ach, ſagte er ganz grob und
trotzig, geht ihr nur hin, ich komme doch eher
wieder, als ihr alle miteinander.“ Da gingen
die andern zum Amtmann und erzaͤhlten ihm, der
Großknecht laͤge noch im Bett und wollte nicht
mit in’s Holz fahren. Der Amtmann ſagte, ſie
ſollten ihn noch einmal wecken und ihn heißen die
Pferde vorſpannen. Der Großknecht ſprach aber
wie vorher: „geht ihr nur hin, ich komme doch
eher wieder, als ihr alle miteinander.“ Darauf
blieb er noch zwei Stunden liegen, da ſtieg er
endlich aus den Federn, holte ſich aber erſt zwei
Scheffel voll Erbſen vom Boden, kochte ſie und
aß ſie in guter Ruhe, und wie das alles geſche-
hen war, ging er hin, ſpannte die Pferde vor
und fuhr in’s Holz. Bald vor dem Holz war ein
Hohlweg, wo er durch mußte, da fuhr er den
Wagen erſt vorwaͤrts, dann mußten die Pferde
ſtille halten und er ging hinter den Wagen und
nahm Baͤume und Reiſig und machte da eine
große Hucke (Verhack), ſo daß kein Pferd durch-
kommen konnte. Wie er nun vor’s Holz kam,
fuhren die andern eben mit ihren beladenen Wa-
gen heraus und wollten heim, da ſprach er zu
[32] ihnen: „fahrt nur hin, ich komme doch eher als
ihr nach Haus.“ Er fuhr aber nur ein Bischen
ins Holz und riß gleich zwei von den allergroͤßten
Baͤumen aus der Erde, die lud er auf den Wa-
gen und drehte um. Wie er vor die Hucke kam,
ſtanden die andern noch da und konnten nicht
durch, da ſprach er: „ſeht ihr wohl, waͤrt ihr
bei mir geblieben, waͤrt ihr eben ſo gerade nach
Haus gekommen und haͤttet noch eine Stunde
ſchlafen koͤnnen.“ Er wollte nun zufahren, aber
ſeine vier Pferde, die konnten ſich nicht durchar-
beiten, da ſpannte er ſie aus, legte ſie oben auf
den Wagen, ſpannte ſich ſelber vor, huͤf! zog er
alles durch und das ging ſo leicht, als haͤtt’ er
Federn geladen. Wie er druͤben war, ſprach er zu
den andern: „ſeht ihr wohl, ich bin eher durch-
gekommen als ihr“ und fuhr fort und die andern
mußten ſtehen bleiben. In dem Hof aber nahm
er einen Baum in die Hand und zeigte ihn dem
Amtmann, und ſagte: „iſt das nicht ein ſchoͤnes
Klafterſtuͤck?“ Da ſprach der Amtmann zu ſeiner
Frau: „der Knecht iſt gut, wenn er auch lang
ſchlaͤft, er iſt doch eher wieder da, als die andern.“


Nun diente er dem Amtmann ein Jahr; wie
das herum war und die andern Knechte ihren Lohn
kriegten, ſprach er, nun waͤr’s Zeit, er wollte auch
gern ſeinen Lohn ſich nehmen. Dem Amtmann
ward aber Angſt dabei, daß er die Streiche krie-
gen ſollte und bat ihn gar zu ſehr, er moͤchte ſie
ihm
[33] ihm ſchenken, lieber wollte er ſelbſt Großknecht
werden und er ſollte Amtmann ſeyn. „Nein,
ſprach er, ich will kein Amtmann werden, ich
bin Großknecht und will’s bleiben, ich will aber
austheilen, was bedungen iſt.“ Der Amtmann
wollt’ ihm geben, was er nur verlangte, aber es
half nichts, der Großknecht ſprach zu allem nein.
Da wußte ſich der Amtmann keinen Rath und
bat ihn nur um 14 Tage Friſt, er wollte ſich
auf etwas beſinnen; da ſprach der Großknecht,
die ſollt’ er haben. Der Amtmann berief alle
ſeine Schreiber zuſammen, die ſollten ſich beden-
ken und ihm einen Rath geben, die beſannen ſich
lange, endlich ſagten ſie, man muͤßte den Groß-
knecht um’s Leben bringen; er ſollte große Muͤhl-
ſteine um den Brunnen im Hof anfahren laſſen
und dann ihn heißen hinabſteigen und den Brun-
nen rein machen, und wenn er unten waͤre, woll-
ten ſie ihm die Muͤhlſteine auf den Kopf werfen.
Der Rath gefiel dem Amtmann und da ward
alles eingerichtet und wurden die groͤßten Muͤhl-
ſteine herangefahren. Wie nun der Großknecht
im Brunnen ſtand, rollten ſie die Steine hinab,
und die ſchlugen hinunter, daß das Waſſer in die
Hoͤh’ ſpruͤtzte. Da meinten ſie gewiß, der Kopf
waͤr’ ihm eingeſchlagen, aber er rief: „jagt doch
die Huͤhner vom Brunnen weg, die kratzen da-
oben im Sand und werfen mir die Koͤrner in die
Augen, daß ich nicht ſehen kann.“ Da rief der
Kindermaͤhrchen II. C
[34] Amtmann: bſch! bſch! und that als ſcheuchte er
die Huͤhner weg. Wie nun der Großknecht fer-
tig war, ſtieg er herauf und ſagte: „ſeht einmal,
ich hab’ doch ein ſchoͤn Halsband um,“ da waren
es die Muͤhlenſteine, die trug er um den Hals.
Wie der Amtmann das ſah, ward ihm wieder
Angſt, denn der Großknecht wollt’ ihm nun ſeinen
Lohn geben; da bat er wieder um 14 Tage Be-
denkzeit und ließ die Schreiber zuſammen kom-
men, die gaben endlich den Rath, er ſollt’ ihn in
die verwuͤnſchte Muͤhle ſchicken, und ihn heißen,
dort in der Nacht noch Korn malen, da ſey
noch kein Menſch lebendig Morgens heraus-
gegangen. Der Anſchlag gefiel dem Amtmann;
alſo rief er ihn noch denſelben Abend, und ſagte,
er ſollte acht Malter Korn in die Muͤhle fahren
und in der Nacht noch malen, ſie haͤttens noͤthig.
Da ging der Großknecht auf den Boden und that
zwei Malter in ſeine rechte Taſche, zwei in die
linke, vier nahm er in einem Querſack halb auf
den Ruͤcken, halb auf die Bruſt und ging ſo nach
der verwuͤnſchten Muͤhle. Der Muͤller aber ſagte
ihm, bei Tag koͤnnt’ er recht gut da mahlen, aber
nicht in der Nacht, da ſey die Muͤhle verwuͤnſcht,
und wer da noch hineingegangen, der ſey am
Morgen todt darin gefunden worden. Er ſprach:
„ich will ſchon durchkommen, macht euch nur fort
und legt euch auf’s Ohr.“ Darauf ging er in die
Muͤhle und ſchuͤttete das Korn auf und wie’s bald
[35] elf ſchlagen wollte, ging er in die Muͤllerſtube
und ſetzte ſich auf die Bank. Als er ein bischen
da geſeſſen hatte, that ſich auf einmal die Thuͤr
auf und kam eine große, große Tafel herein, und
auf die Tafel ſtellte ſich Wein und Braten und
viel gutes Eſſen, alles von ſelber, denn es war
niemand da der’s auftrug. Und darnach ruͤckten
ſich die Stuͤhle herbei, aber es kamen keine Leute,
bis auf einmal ſah er Finger, die handthierten mit
den Meſſern und Gabeln und legten Speiſen auf
die Teller, aber ſonſt konnt’ er nichts ſehen. Nun
war er hungrig und ſah die Speiſen, da ſetzte er
ſich auch an die Tafel und aß mit und ließ ſich’s
gut ſchmecken. Wie er aber ſatt war und die
andern ihre Schuͤſſeln auch ganz leer gemacht hat-
ten, da wurden die Lichter auf einmal alle ausge-
putzt, das hoͤrte er deutlich, und wie’s nun ſtock-
finſter war, ſo kriegte er ſo etwas wie eine Ohr-
feige in’s Geſicht; da ſprach er: „wenn noch ein-
mal ſo etwas kommt, ſo theil’ ich auch wieder
aus;“ und wie er zum zweiten Mal eine krieg-
te, da ſchlug er gleichfalls mit hinein. Und ſo
ging das fort die ganze Nacht, er ließ ſich nicht
ſchrecken, und ſchlug nicht faul um ſich herum;
bei Tagesanbruch aber hoͤrte alles auf. Wie der
Muͤller aufgeſtanden war, wollt’ er nach ihm
ſehen und verwunderte ſich, daß er noch lebte.
Da ſprach er: „ich habe Ohrfeigen gekriegt, aber
ich habe auch Ohrfeigen ausgetheilt und mich ſatt
C 2
[36] gegeſſen.“ Der Muͤller freute ſich und ſagte,
nun waͤre die Muͤhle erloͤſt und er wollt’ ihm gern
zur Belohnung viel Geld geben. Er ſprach aber:
„Geld will ich nicht, ich habe doch genug.“ Dann
nahm er ſein Mehl auf den Ruͤcken und ging nach
Haus und ſagte dem Amtmann, er habe die Sache
ausgerichtet und wollte nun ſeinen bedungenen
Lohn haben. Wie der Amtmann das hoͤrte, da
ward ihm erſt recht Angſt und er wußte ſich nicht
zu laſſen und ging in der Stube auf und ab, daß
ihm die Schweißtropfen von der Stirne herunter-
liefen. Da machte er das Fenſter auf nach ein
wenig friſcher Luft, eh er ſich’s aber verſah, hatte
ihm der Großknecht einen Tritt gegeben, daß er
durchs Fenſter in die Luft hinein flog, immer
fort, bis ihn niemand mehr ſehen konnte. Da
ſprach der Großknecht zur Frau des Amtmanns,
nun muͤßte ſie den andern Streich hinnehmen,
die ſagte aber: „ach nein, ich kann’s nicht aus-
halten“ und machte auch ein Fenſter auf, weil ihr
die Schweißtropfen die Stirn’ herunter liefen.
Da gab er ihr gleichfalls einen Tritt, daß ſie
auch hinausflog und noch viel hoͤher als ihr Mann;
und der rief ihr zu: „komm doch zu mir!“ ſie
aber rief: „komm du doch zu mir, ich kann nicht
zu dir;“ und ſie ſchwebten da in der Luft und
konnte keins zum andern, und ob ſie da noch
ſchweben, das weiß ich nicht; der junge Rieſe
aber nahm ſeine Eiſenſtange und ging weiter.


[37]

5.
Dat Erdmaͤnneken.


Et was mal en rik Kuͤnig weſt, de hadde
drei Doͤchter had, de woͤren alle Dage in den
Schlott-Goren ſpazeren gaan, un de Kuͤnig, dat
was ſo en Lievhaber von allerhand wackeren Boͤ-
men weſt; un einen, den hadde he ſo leiv had,
dat he denjenigen, de uͤnne en Appel dervon
pluͤckede, hunnerd Klafter unner de Eere verwuͤn-
ſchede. As et nu Herveſt war, da wurden de
Appel an den einen Baume ſo raut, aſe Blaud.
De drei Doͤchter gungen alle Dage unner den
Baum un ſeken to, ov nig de Wind ’n Appel
herunner ſchlagen haͤdde, awerſt ſe fannen ir
levedage kienen, un de Baum, de ſatt ſo vull,
dat he brecken wull, un de Telgen (Zweige) hun-
gen bis up de Eere. Da geluſtede den jungeſten
Kuͤnigskinne gewaldig, un et ſegde to ſinen Suͤ-
ſtern: „uſe Teite (Vater), de hett us viel to
leiv, aſe dat he us verwuͤnſchen deihe; ik gloͤve,
dat he dat nur wegen de fruͤmden Lude dahen
hat.“ Un indes pluͤcked dat Kind en gans dicken
Appel af un ſprunk fur ſinen Suͤſtern und ſegde:
„a! nu ſchmecket mal, mine lewen Suͤſterkes,
nu hew ik doch min levedage ſo wat ſchones no
nig ſchmecket.“ Da beeten de beiden annern Kuͤ-
nigsdoͤchter auch mal in den Appel, un da ver-
[38] ſuͤnken ſe alle drei deip, ſo deip unner de Eere,
dat kien Haan mer danach krehete.


As et da Middag is, da willt ſe de Kuͤnig
do Diſke roopen, do ſind ſe nirgens to finnen, he
ſoͤket ſe ſo viel im Schlott un in Goren, awerſt
he kun ſe nig finnen. Da werd he ſo bedroͤwet,
un let dat ganſe Land upbeien (aufbieten), un
wer uͤnne ſine Doͤchter wier brechte, de ſull ene
davon tor Fruen hewen. Da gahet ſo viele
junge Lude uwer Feld, un ſoͤket, dat is gans ut
der Wiſe (uͤber alle Maßen); denn jeder hadde
de drei Kinner geren had, wiil ſe woͤren gegen je-
dermann ſo fruͤndlig un ſo ſchoͤn von Angeſichte
weſt. Und et togen auck drei Jaͤger-burſchen ut,
un aſe da wol en acht Dage rieſet hadden, da
kummet ſe up en grot Schlott, da woren ſo huͤb-
ſche Stoben inne weſt, un in einer Zimmer is
en Diſch decket, darup woͤren ſo ſoͤte Spiſen, de
ſied noch ſo warme, dat ſe dampet, awerſt in
den ganzen Schlott is kien Minſk to hoͤren noch
to ſeihen. Da wartet ſe noch en halwen Dag,
un de Spiſen bliewet immer un dampet, bis up
et leſt, da weret ſe ſo hunerig, dat ſe ſik derbie
ſettet un ettet un macket mit en anner ut, ſe
wullen up den Schlotte wuhnen bliewen, un
wuͤllen daruͤmme looſen, dat eine in Huſe blev
un de beiden annern de Dochter ſoͤketen; dat doet
ſe auk, un dat Loos dreppet den oͤleſten. Den
[39] annern Dag, da gaet de twei juͤngeſten ſoͤken, un
de oͤleſte mot to Huſe bliewen. Am Middage
kuͤmmt der ſo en klein klein Maͤnneken un hoͤlt
um ’n Stukesken Braud ane, da nuͤmmt he von
dem Braude, wat he da funnen haͤdde un ſchnitt
en Stuͤcke rund umme den Braud weg, un will
uͤnne dat giewen, indes dat he et uͤnne reiket, lett
et dat kleine Maͤnneken fallen un ſegd, he ſulle
dok ſo gut ſin un giewen uͤn dat Stuͤcke wier.
Da will he dat auck doen un bucket ſik, mit des
nuͤmmt dat Maͤnneken en Stock un paͤckt uͤnne
bie den Haaren un giwt uͤnne duͤchtige Schlaͤge.
Den anneren Dag, da is de tweide to Hus blie-
wen, den geit et nicks better; aſe de tweide da
den Avend nah Hus kuͤmmet, da ſegd de oͤleſte:
„no, wie haͤtt et die dann gaen?“ — „o et geit
mie gans ſchlechte.“ Da klaget ſe ſik enanner
ehre Naud, awerſt den jungeſten hadden ſe nicks
davonne ſagd, den hadden ſe gar nig lien (leiden)
mogt und hadden uͤnne jummer den dummen
Hans heiten, weil he nig recht van de Weld was.
Den driden Dag, da blivt de jungeſte to Hus,
da kuͤmmet dat kleine Maͤnneken wier un hoͤlt um
en Stuͤckſken Braud an, da he uͤnne da giewen
haͤtt, let he et wier fallen un ſegd, he moͤgte
dock ſo gut ſien und reicken uͤnne dat Stuͤckſken
wier. Da ſegd he to den kleinen Maͤnneken:
„wat! kannſt du dat Stuͤcke nig ſulwens wier up
nummen, wenn du die de Moͤhe nig mal um dine
[40] daͤglige Narunge giewen wuſt, ſo biſt du auck
nig werth, dat du et eteſt.“ Do word dat
Maͤnneken ſo boͤs und ſehde, he moͤſt et doen; he
awerſt nig fuhl, nam min lewe Maͤnneken un
droſch et daet doͤr (tuͤchtig durch), da ſchrige dat
Maͤnneken ſo viel un rep: „hoͤr up, hoͤr up, nu
lat mie geweren, dann will ik die auck ſeggen,
wo de Kuͤnigsdoͤchter ſied;“ wie he dat hoͤrde,
haͤll he up to ſlaen un dat Maͤnneken vertelde, he
woͤr en Erdmaͤnneken un ſulke woͤren mehr aſe
duſend, he moͤgte man mit uͤnne gaen, dann
wulle he uͤnne wieſen, wo de Kuͤnigsdoͤchter we-
ren. Da wiſt he uͤnne en deipen Born, da is
awerſt kien Water inne weſt, da ſegd dat Maͤnne-
ken, he wuſte wohl, dat et ſine Geſellen nig ehr-
lich mit uͤnne meinten, wenn he de Kuͤnigskin-
ner erloͤſen wulle, dann moͤſte he et alleine doen.
De beiden annern Broer wullen wohl auck geren
de Kuͤnigsdoͤchter wier hewen, awerſt ſe wullen
der kiene Moͤge un Gefahr umme doen, he moͤſte
ſo en grauten Korv nuͤmmen, un moͤſte ſik mit
finen Hirſchfaͤnger un en Schelle darinne ſetten
un ſik herunner winnen laten, unnen da woͤren
drei Zimmer, in jeden ſette ein Kuͤnigskind un
haͤdde en Drachen mit villen koͤppen to luſen,
den moͤſte he de Koͤppe afſchlagen. Aſe dat Erd-
maͤnneken nun alle ſagd hadde, verſchwand et.
Aſe’t Awend is, da kuͤmmet de beiden anneren
un fraget, wie et uͤn goen haͤdde, da ſegd he:
[41] „o, ſo wit gud“ un haͤdde keinen Minſken ſehen,
aſe des Middags, da wer ſo ein klein Maͤnneken
kummen, de haͤdde uͤn umme en Stuͤckſken Braud
biddit, do he et uͤnne giewen haͤdde, haͤdde dat
Maͤnneken et fallen laten un haͤdde ſegd, he mog-
tet uͤnne doch wier up nuͤmmen, wie he dat nig
hadde doen wullt, da haͤdde he anfangen to pu-
chen, dat haͤdde he awerſt unrecht verſtan un haͤdde
dat Maͤnneken pruͤgelt, un da haͤdde et uͤnne ver-
tellt, wo de Kuͤnigsdoͤchter waͤren. Da aͤrgerten
ſik de beiden, ſo viel, dat ſe gehl un groͤn woͤren.
Den anneren Morgen da gungen ſe to haupe an
den Born un mackten Looſe, we ſik dat erſte in
den Korv ſetten ſulle, do feel dat Loos wier den
oͤlleſten to, he mot ſik darin ſetten un de Klin-
get mitniemen, da ſegd he: „wenn ik klingele,
ſo mutt gi mik nur geſchwinne wier herupwin-
nen.“ Aſe he en bitken herunner is, da klin-
gelte wat, da winnen ſe uͤnne wier heruper, da
ſett ſik de tweide herinne, de maket ewen ſau; nu
kuͤmmet dann auck de Riege an den jungeſten, de
laͤt ſik awerſt gans derinne runner winnen. Aſe
he ut den Korwe ſtigen is, da nuͤmmet he ſinen
Hirſchfaͤnger un geit vor der erſten Doer ſtaen un
luſtert, da hort he den Drachen gans lute ſchnar-
chen; he macket langſam de Doͤre oppen, da ſitt
da de eine Kuͤnigsdochter un haͤd op eren Schot
niegene (neun) Drachenkoͤppe ligen un luſet de.
Da nuͤmmet he ſinen Hirſchfaͤnger un hogget to,
[42] do ſied de niegne Koppe awe. De Kuͤnigsdochter
ſprank up un faͤl uͤnne um den Hals un drucket
un piepete (kuͤßte) uͤnn ſo viel; un nuͤmmet ihr
Bruſtſtuͤcke, dat wor von rauen Golle weſt, un
henget uͤnne dat umme. Da geit he auck nach
der tweiten Kuͤnigsdochter, de haͤd en Drachen
mit ſieven Koͤppe to luſen un erloͤſet de auck, ſo
de jungeſte, de hadde en Drachen mit viere Koͤp-
pen to luſen had, da geit he auck hinne. Do fro-
get ſe ſich alle ſo viel, un drucke’n un piepete’n
ohne uphoͤren. Da klingelte he ſau harde, bis
dat ſe oͤwen hoͤrt. Da ſet he de Kuͤnigsdochter
ein nach der annern in den Korv un let ſe alle
drei heruptrecken, wie nu an uͤnne de Riege kuͤmmt,
da fallet uͤn de Woore (Worte) von den Erdmaͤn-
neken wier bie, dat et ſine Geſellen mit uͤnne nig
gud meinden. Da nuͤmmet he en groten Stein,
de da ligt, un laͤgt uͤn in den Korv, aſe de Korv
da ungefaͤr bis in de Midde herup is, ſchnien de
falſken Broer owen de Strick af, dat de Korv
mit den Stein up den Grund fuͤll un meinten, he
woͤre nu daude un laupet mit de drei Kuͤnigsdoͤch-
ter wege un latet ſik dervan verſpreken, dat ſe
an ehren vater ſeggen willt, dat ſe beiden ſe erloͤ-
ſet haͤdden; da kuͤmmet ſe to Kuͤnig un begert ſe
tor Frugen. Unnerdes geit de jungeſte Jaͤgerbur-
ſche gans bedroͤwet in den drei Kammern herum-
mer un denket, dat he nu wull ſterwen moͤſte, da
ſuͤht he an der Wand ’n Fleutenpipe hangen, da
[43] ſegd he: „woumme hengeſt du da wull, hier kann
ja doch keiner luſtig ſin.“ He bekucket auck de
Drachenkoͤppe un ſegd: „ju kummt mie nu auck
nig helpen;“ he geit ſo mannigmal up un af
ſpatzeren, dat de Erdboden davon glat werd. Up
et leſt, da krieht he annere Gedanken, da nuͤm-
met he de Floͤtenpipen van der Wand un bleſt en
Stuͤckſken, up eenmahl kummet da ſo viele Erd-
maͤnnekes, bie jeden Ton den he daͤht, kummt
eint mehr; da bleſt he ſo lange dat Stuͤckſken, bis
det Zimmer ſtopte-vull is. De vraget alle, wat
ſin Begeren woͤre, da ſegd he, he wull geren
wier up de Ere an Dages Licht, da fatten ſe uͤnne
alle an, an jeden Spir (Faden) Haar, wat he
up ſinen Koppe hadde, un ſau fleigen ſe mit uͤnne
herupper bis up de Ere. Wie he owen is, geit
he glick nach den Kuͤnigs-Schlott, wo grade de
Hochtit mit der einen Kuͤnigs-Dochter ſin ſulle,
he geit up den Zimmer, wo de Kuͤnig mit ſinen
drei Doͤchtern is. Wie uͤnne da de Kinner ſeihet,
da wered ſe gans beſchwaͤhmt (ohnmaͤchtig), da
werd de Kuͤnig ſo boͤſe un laͤt uͤnne glick in een
Gefaͤngniße ſetten, wiel he meint, he haͤdde den
Kinnern en Leid anne daen. Aſe awer de Kuͤ-
nigsdoͤchter wier to ſik kummt, da biddet ſe ſo viel,
he mogte uͤnne doch wier loſe laten. De Kuͤnig
fraget ſe, woruͤmme, da ſegd ſe, dat ſe dat nig
vertellen dorften, awerſt de Vaer de ſegd, ſe ſul-
len et den Owen (Ofen) vertellen. Da geit he
[44] herut un luſtert an de Doͤre, un hoͤrt alles; da
laͤt he de beiden an en Galgen haͤngen un den
einen givt he de jungeſte Dochter; un da trok ik
en paar glaͤſerne Schohe an, und da ſtott ik an
en Stein, da ſegd et; klink! da waͤren ſe caput.


6.
Der Koͤnig vom goldenen Berg.


Ein Kaufmann, der hatte zwei Kinder,
einen Buben und ein Maͤdchen, die waren beide
noch klein und konnten noch nicht laufen. Es
gingen aber zwei reichbeladene Schiffe von ihm
auf dem Meer, und ſein ganzes Vermoͤgen war
darin, und wie er meinte, dadurch viel Geld zu
gewinnen, kam die Nachricht, ſie waͤren verſun-
ken. Da war er nun ſtatt eines reichen Mannes
ein armer Mann und hatte nichts mehr uͤbrig,
als einen Acker vor der Stadt; um ſich nun ſein
Ungluͤck ein bischen aus den Gedanken zu ſchla-
gen, ging er dahinaus. Und wie er da ſo auf
und abging, ſtand auf einmal ein kleines ſchwar-
zes Maͤnnchen neben ihm und fragte, warum er
ſo traurig waͤre und was er ſich ſo ſehr zu Herzen
naͤhme. Da ſprach der Kaufmann: „wenn du
mir helfen koͤnnteſt, wollt’ ich dir es wohl ſagen.“
— Wer weiß, ſagte das ſchwarze Maͤnnchen, ſag’
mir’s nur, vielleicht helf’ ich dir.“ Da erzaͤhlte
[45] der Kaufmann, daß ihm ſein ganzer Reichthum
auf dem Meer zu Grunde gegangen waͤre und
habe er nichts mehr uͤbrig, als dieſen Acker. „O!
da bekuͤmmere dich nicht, ſagte das Maͤnnchen,
wenn du mir verſprichſt, das, was dir zu Haus
am erſten widers Bein ſtoͤßt, in zwoͤlf Jahren
hierher auf den Platz zu bringen, ſollſt du Geld
haben ſo viel du willſt.“ Der Kaufmann dachte,
das iſt ein geringes, was kann das anders ſeyn,
als dein Hund, aber an ſeinen kleinen Jungen
dachte er nicht, und ſagte ja und gab dem ſchwar-
zen Mann Handſchrift und Siegel daruͤber und
ging nach Haus.


Als er nach Haus kam, da hatte ſich ſein kleiner
Junge ſo gefreut, daß er ſich an den Baͤnken hielt, zu
ihm hinwackelte und ihn an den Beinen feſt packte.
Da erſchrack der Vater und wußte nun was er
verſchrieben hatte, weil er aber immer noch kein
Geld ſah, dachte er, es waͤr’ nur ein Spaß von
dem Maͤnnchen geweſen. Ohngefaͤhr einen Mo-
nat nachher ging er auf den Boden und wollte
das alte Zinn zuſammenſuchen und verkaufen, um
noch etwas daraus zu loͤſen, da ſah er einen gro-
ßen Haufen Geld liegen. Wie er das Geld ſah,
war er vergnuͤgt, kaufte wieder ein, ward ein
groͤßerer Kaufmann, als vorher, und ließ Gott
einen guten Mann ſeyn. Unterdeſſen ward der
Junge groß und ein geſcheidter Menſch. Je mehr
aber die zwoͤlf Jahre herbeikamen, je aͤngſter es
[46] dem Kaufmann ward, ſo daß man ihm die Angſt
im Geſicht ſehen konnte. Da fragte ihn der
Sohn einmal, was ihm fehle; der Vater wollt’
es nicht ſagen, aber er hielt ſo lange an, bis er
ihm endlich ſagte, er habe ihn ohne daß er es ge-
wußt, einem ſchwarzen Maͤnnchen verſprochen
fuͤr vieles Geld und habe ſeine Handſchrift mit
Siegel daruͤber gegeben, und nun muͤſſe er ihn,
wenn zwoͤlf Jahre jetzt herum waͤren, ausliefern.
Da ſprach der Sohn: „o Vater, laßt euch nicht
bang ſeyn, das ſoll ſchon gut werden, der Schwarze
hat keine Macht uͤber mich.“


Da ließ ſich der Sohn von dem Geiſtlichen
ſegnen und als die Stunde kam, gingen ſie zu-
ſammen hinaus auf den Acker und der Sohn
machte einen Kreis und ſtellte ſich mit ſeinem Va-
ter hinein. Da kam das ſchwarze Maͤnnchen
und ſprach zu dem Alten: „haſt du, was du mir
verſprochen haſt?“ der ſchwieg aber ſtill und der
Sohn ſprach: „was willſt du hier?“ Da ſagte
das ſchwarze Maͤnnchen: „ich habe mit deinem
Vater zu ſprechen und nicht mit dir.“ — Der
Sohn ſprach: „Du haſt meinen Vater betrogen
und verfuͤhrt, gib die Handſchrift heraus.“ —
„Nein, ſagte das ſchwarze Maͤnnchen, mein Recht
geb ich nicht auf.“ Da redeten ſie noch lange
miteinander, endlich wurden ſie einig, der Sohn,
weil er nicht dem Erbfeind und nicht mehr
ſeinem Vater zugehoͤre, ſolle ſich in ein Schiffchen
[47] ſetzen, das auf einem hinabwaͤrts fließenden Waſ-
ſer ſtehe, und der Vater ſolle es mit ſeinem eige-
nen Fuß fortſtoßen und da ſolle der Sohn dem
Waſſer uͤberlaſſen bleiben. Da nahm er Abſchied
von ſeinem Vater und ſetzte ſich in ein Schiffchen
und der Vater mußte es mit ſeinem eigenen Fuß
fortſtoßen. Und das Schiffchen drehte ſich her-
um, daß der unterſte Theil oben war, die Decke
aber im Waſſer, und der Vater glaubte, er waͤr’
verloren, ging heim und trauerte um ihn.


Das Schiffchen aber floß ganz ruhig fort und
ging nicht unter und der Juͤngling ſaß ſicher dar-
in, und ſo floß es lange, bis es endlich an einem
unbekannten Ufer feſtſitzen blieb. Da ſtieg er
an’s Land, ſah ein ſchoͤnes Schloß vor ſich liegen
und ging drauf los, wie er aber hineintrat, war
es verwuͤnſcht und alles leer, bis er zuletzt in einer
Kammer eine Schlange antraf. Die Schlange
aber war eine verwuͤnſchte Prinzeſſin, die freute
ſich, wie ſie ihn ſah und ſprach zu ihm: „kommſt
du, mein Erloͤſer, auf dich habe ich ſchon zwoͤlf
Jahre gewartet, dies Reich iſt verwuͤnſcht, und
du mußt es erloͤſen. Heute Nacht kommen zwoͤlf
Maͤnner, ſchwarz und mit Ketten behangen, die
werden dich fragen, was du hier machſt, da
ſchweig aber ſtill und gib ihnen keine Antwort,
und laß ſie mit dir machen, was ſie wollen; ſie
werden dich quaͤlen, ſchlagen und ſtechen, laß
alles geſchehen, nur rede nicht, um zwoͤlf Uhr
[48] muͤſſen ſie wieder fort. Und in der zweiten Nacht
werden wieder zwoͤlf andere kommen, in der
dritten vier und zwanzig, die werden dir den
Kopf abhauen; aber um zwoͤlf Uhr iſt ihre Macht
vorbei und wenn du dann [ausgehalten] und kein
Woͤrtchen geſprochen haſt, ſo bin ich erloͤſt und
komme zu dir und ſtehe dir bei und habe das
Waſſer des Lebens, damit beſtreich’ ich dich und
dann biſt du wieder lebendig und geſund wie zu-
vor.“ Da ſprach er: „gern will ich dich erloͤſen,“
und es geſchah nun alles ſo, wie ſie geſagt hatte:
die ſchwarzen Maͤnner konnten ihm kein Wort
abzwingen und in der dritten Nacht ward die
Schlange zu einer ſchoͤnen Prinzeſſin, die kam
mit dem Waſſer des Lebens und machte ihn wie-
der lebendig. Und dann fiel ſie ihm um den
Hals und kuͤßte ihn und ward Jubel und Freude
im ganzen Schloß, und ihre Hochzeit wurde ge-
halten und er war Koͤnig vom goldenen
Berge
.


Alſo lebten ſie vergnuͤgt zuſammen und die
Koͤnigin gebar einen ſchoͤnen Prinzen und acht
Jahre waren ſchon herum, da fiel ihm ſein Vater
ein, daß ſein Herz davon bewegt ward und er
wuͤnſchte ihn einmal heimzuſuchen. Die Koͤnigin
wollte ihn aber nicht fortlaſſen und ſagte: „ich
weiß ſchon, daß das mein Ungluͤck iſt,“ er ließ
ihr aber keine Ruhe, bis ſie einwilligte. Beim
Abſchied gab ſie ihm noch einen Wuͤnſchring und
ſprach:
[49] ſprach: „nimm dieſen Ring und ſteck’ ihn an dei-
nen Finger, wo du dich hinwuͤnſcheſt, wirſt du
alsbald hinverſetzt, nur mußt du mir verſprechen,
daß du ihn nicht gebrauchſt, mich von hier weg zu
deinem Vater zu wuͤnſchen.“ Da verſprach er’s,
ſteckte den Ring an ſeinen Finger und wuͤnſchte
ſich heim vor die Stadt, wo ſein Vater lebte.
Alsbald war er auch davor, aber nicht darin;
wie er nun vor’s Thor kam, wollten ihn die
Schildwachen nicht einlaſſen, weil er ſo ſeltſam
und reich gekleidet war. Da ging er auf einen
Berg, wo ein Schaͤfer huͤtete, mit dieſem tauſchte
er die Kleider und zog den alten Schaͤferrock an
und ging alſo ungeſtoͤrt in die Stadt ein. Als er
zu ſeinem Vater kam, gab er ſich zu erkennen,
der aber ſprach, er glaube nimmermehr, daß er
ſein Sohn ſey, er haͤtte zwar einen gehabt, der
ſey laͤngſt todt, weil er aber ſehe, daß er ein ar-
mer, duͤrftiger Schaͤfer ſey, ſo wolle er ihm einen
Teller voll zu eſſen geben. Da ſprach der Schaͤ-
fer zu ſeinen Eltern: „ich bin wahrhaftig euer
Sohn, wißt ihr kein Mal an meinem Leibe,
woran ihr mich erkennen koͤnnt’?“ — „Ja, ſagte
die Mutter, unſer Sohn hatte eine Himbeer unter
dem rechten Arm.“ Da ſtreifte er das Hemd von
ſeinem Arm und da ſahen ſie die Himbeer und
waren nun uͤberzeugt, daß es ihr Sohn war.
Darauf erzaͤhlte er ihnen, er waͤre Koͤnig vom
goldenen Berge und eine Prinzeſſin ſeine Gemahlin
Kindermaͤhrchen II. D
[50] und ſie haͤtten einen ſchoͤnen Prinzen von ſieben
Jahren. Da ſprach der Vater: „nun und nim-
mermehr iſt das wahr, das iſt ein ſchoͤner Koͤnig,
der in einem zerlumpten Schaͤferrock hergeht.“
Da ward er zornig, drehte ſeinen Ring herum,
ohne an ſein Verſprechen zu denken und wuͤnſchte
beide, ſeine Gemahlin und ſeinen Prinzen, zu
ſich. In dem Augenblick waren ſie auch da, aber
die Koͤnigin, die klagte und weinte und ſagte, er
haͤtte ſein Wort gebrochen und ſie ungluͤcklich ge-
macht; doch weil ſie einmal da war, mußte ſie ſich
wohl zufrieden geben; aber ſie hatte Boͤſes im
Sinn.


Da fuͤhrte er ſie hinaus vor die Stadt auf
den Acker und zeigte ihr das Waſſer und wo das
Schiffchen war abgeſtoßen worden und dann ſprach
er: „ich bin muͤd, ſetz’ dich nieder, ich will ein
wenig auf deinem Schooß ſchlafen.“ Da legte
er ſeinen Kopf auf ihren Schooß und ſie lauſte
ihn ein wenig, bis er einſchlief. Als er einge-
ſchlafen war, zog ſie den Ring von ſeinem Finger
und den Fuß, den ſie unter ihm ſtehen hatte,
zog ſie auch heraus und ließ nur den Toffel unter
ihm liegen; dann nahm ſie ihren Prinzen und
wuͤnſchte ſich wieder in ihr Koͤnigreich. Als er
aufwachte, da lag er da ganz verlaſſen und ſeine
Gemahlin mit dem Prinzen war fort und der
Ring vom Finger auch, nur der Toffel ſtand noch
da zum Wahrzeichen. „Nach Haus zu deinen
[51] Eltern kannſt du nicht wieder gehen, dachte er,
die ſagen, du waͤrſt ein Hexenmeiſter, du willſt
aufpacken und gehen, bis du in dein Koͤnigreich
kommſt. Alſo ging er fort und kam endlich zu
einem Berg, wo drei Rieſen ihres Vaters Erbe
theilen wollten und als ſie ihn vorbeigehen ſahen,
riefen ſie ihn und ſagten, kleine Menſchen haͤtten
klugen Sinn, er ſollt’ ihnen die Erbſchaft ver-
theilen, das war ein Degen, wenn einer den in
in die Hand nahm und ſprach: „Koͤpf’ alle run-
ter, nur meiner nicht,“ ſo lagen alle Koͤpfe auf
der Erde; zweitens ein Mantel, wer den anzog,
war unſichtbar; drittens ein Paar Stiefeln, wenn
man die an den Fuͤßen hatte und ſich wohin
wuͤnſchte, ſo war man gleich da. Er ſprach, ſie
muͤßten ihm die drei Stuͤcke einmal geben, damit
er ſie probiren koͤnne, ob ſie auch alle noch in gu-
tem Stand waͤren. Da gaben ſie ihm den Man-
tel, den that er um, und wuͤnſchte ſich zu einer
Fliege, alsbald war er eine Fliege. „Der Man-
tel iſt gut, ſprach er, nun gebt mir einmal das
Schwert.“ Sie ſagten: „nein, das geben wir
nicht, denn wenn du ſpraͤchſt: „Koͤpf’ alle run-
ter, nur meiner nicht!“ ſo waͤren unſere Koͤpfe
alle herab und du haͤtteſt deinen noch; „doch ga-
ben ſie es ihm, wenn er’s an den Baͤumen pro-
biren wollte, das that er und das Schwert war
auch gut. Nun wollt’ er noch die Stiefel haben,
ſie ſprachen aber: „nein, die koͤnnen wir nicht
D 2
[52] geben, wenn du die anhaͤtteſt und ſpraͤchſt, du
wollteſt oben auf dem Berg ſeyn, ſo ſtuͤnden wir
da unten und haͤtten nichts.“ „Nein, ſprach er,
das will ich nicht thun,“ da gaben ſie ihm die
Stiefel auch noch. Wie er nun alle drei Stuͤcke
hatte, da wuͤnſchte er ſich auf den goldenen Berg,
und alsbald war er dort, und die Rieſen ver-
ſchwunden und war alſo ihr Erbe getheilt. Als
er nah beim Schloß war, hoͤrte er Geigen und
Floͤten und die Leute ſagten ihm, ſeine Gemahlin
halte Hochzeit mit einem andern Prinzen. Da
zog er ſeinen Mantel an, und machte ſich zur
Fliege, ging in’s Schloß hinein und ſtellte ſich hin-
ter ſeine Gemahlin, und niemand ſah ihn. Wenn
ſie ihr nun ein Stuͤck Fleiſch auf den Teller leg-
ten, nahm er’s weg und aß es, und wenn ſie ihr
ein Glas Wein einſchenkten, nahm er’s weg und
tranks; ſie gaben ihr immer und ſie hatte doch
immer nichts auf dem Teller. Da ſchaͤmte ſie
ſich, ſtand auf, ging in ihre Kammer und weinte,
er aber ging hinter ihr her; da ſprach ſie vor ſich:
„iſt denn der Teufel uͤber mir oder mein Erloͤſer
kam nie!“ da gab er ihr ein paar derbe Ohrfei-
gen und ſagte: „kam dein Erloͤſer nie, er iſt
uͤber dir, du Betruͤgerin! habe ich das an dir
verdient?“ Darauf ging er hin und ſagte, die
Hochzeit waͤr’ aus, er waͤre wieder gekommen, da
wurde er verlacht von den Koͤnigen, Fuͤrſten und
Miniſtern, die da waren. Er aber gab kurze
[53] Worte und fragte, ob ſie ſich entfernen wollten
oder nicht? da wollten ſie ihn fangen, aber er zog
ſein Schwert und ſprach: „Koͤpf’ alle runter, nur
meiner nicht!“ Da lag alles gleich im Blut dar-
nieder und er war wieder Koͤnig vom goldenen
Berge.


7.
Die Rabe.


Es war einmal eine Mutter mit einem Toͤch-
terchen, das war noch klein und wurde noch auf
dem Arm getragen. Nun geſchah es, daß das
Kind einmal unruhig war und die Mutter mochte
ſagen, was ſie wollte, es half nicht. Da ward
ſie ungeduldig und weil die Raben ſo um das
Haus herumflogen, machte ſie das Fenſter auf
und ſagte: „ich wollt’ du waͤrſt eine Rabe und
floͤgſt fort, ſo haͤtt’ ich Ruh,“ und kaum hatte ſie
das Wort geſagt, ſo war das Kind eine Rabe und
flog von ihrem Arm zum Fenſter hinaus. Die
Rabe aber flog weg und niemand konnte ihr fol-
gen, ſie flog aber in einen dunkelen Wald und
blieb darin. Auf eine Zeit fuͤhrte einen Mann
ſein Weg in dieſen Wald und er hoͤrte die Rabe
rufen und er ging der Stimme nach; und als er
naͤher kam, ſagte die Rabe zu ihm: „ich bin ver-
wuͤnſcht worden und bin eine Koͤnigstochter von
[54] Geburt, du kannſt mich erloͤſen.“ Da ſprach er:
„wie ſoll ich das anfangen?“ Da ſagte ſie: „geh’
hin in das Haus dort, darin ſitzt eine alte Frau,
die wird dir Eſſen und Trinken reichen und dich
davon genießen heißen, aber du darfſt nichts neh-
men, denn wenn du trinkſt, ſo trinkſt du einen
Schlaftrunk und dann kannſt du mich nicht erloͤ-
ſen. Im Garten hinter dem Haus iſt eine große
Lohhucke, darauf ſollſt du ſtehen und mich erwar-
ten: den Nachmittag um zwei Uhr komm’ ich in
einer Kutſche, die iſt mit vier weißen Hengſten
beſpannt, wenn du aber dann nicht wach biſt,
ſondern ſchlaͤfſt, ſo werd’ ich nicht erloͤſt.“ Der
Mann ſprach, er wollt’ alles thun, die Rabe aber
ſagte: „ach ich weiß es wohl, du kannſt mich
nicht erloͤſen, du nimmſt doch etwas von der
Frau.“ Da verſprach der Mann noch einmal,
er wollte gewiß nichts anruͤhren von dem Eſſen
und Trinken. Wie er aber in das Haus kam, trat
die alte Frau zu ihm und ſagte: „ei, was ſeyd
ihr abgemattet, kommt und erquickt euch, eſſet
und trinkt.“ „Nein, ſagte der Mann, ich will
nicht eſſen und trinken;“ ſie ließ ihm aber keine
Ruhe und ſprach: „wenn ihr dann nicht eſſen
wollt, ſo thut einen Zug aus dem Glas, einmal
iſt keinmal,“ bis er ſich uͤberreden ließ und einen
Trunk nahm. Nachmittags gegen zwei Uhr ging
er hinaus in den Garten auf die Lohhucke und
wollte auf die Rabe warten; wie er da ſtand, auf
[55] einmal ward er ſo muͤd’ und wollte ſich nicht
hinlegen, aber er konnte es gar nicht mehr aus-
halten, und mußte ſich ein Bischen legen; doch
wollte er nicht einſchlafen, aber kaum hatte er
ſich gelegt, da fielen ihm die Augen von ſelber zu
und er ſchlief ein und ſchlief ſo feſt, daß ihn nichts
auf der Welt haͤtte erwecken koͤnnen. Um zwei
Uhr kam die Rabe mit vier weißen Hengſten ge-
fahren und war ſchon in voller Trauer und ſprach:
„ich weiß doch ſchon, daß er ſchlaͤft!“ Und als ſie in
den Garten kam, lag er auch da auf der Lohhucke
und ſchlief; und wie ſie vor ihm war, ſtieg ſie aus
dem Wagen, ſchuͤttelte und rief ihn an, er wollte
nicht erwachen. Sie rief aber ſo lang’ bis ſie ihn
endlich aus dem Schlaf erweckte, da ſagte ſie:
„ich ſehe wohl, daß du mich hier nicht erloͤſen
kannſt, aber Morgen will ich noch einmal wieder-
kommen, dann habe ich vier braune Hengſte vor
dem Wagen, aber du darfſt bei Leibe nichts neh-
men von der Frau, kein Eſſen und kein Trinken.“
Da ſagte er: „nein gewiß nicht.“ Sie ſprach
aber: „ach! ich weiß es wohl, du nimmſt doch
etwas!“ Am andern Tag zur Mittagszeit kam
die alte Frau und ſagte, er aͤße und traͤnke ja
nichts, was das waͤre? Da ſprach er: nein, ich
will nicht eſſen und trinken.“ Sie aber ſtellte
das Eſſen und Trinken vor ihn hin, daß der Ge-
ruch zu ihm aufging und beredete ihn, daß er
wieder etwas trank. Gegen zwei Uhr ging er in
[56] den Garten auf die Lohhucke und wollte auf die
Rabe warten, da ward er wieder ſo muͤde, daß
ſeine Glieder ihn nicht mehr hielten und er konnte
ſich nicht helfen, er mußte ſich legen und ein Bis-
chen ſchlafen. Wie nun die Rabe daher fuhr
mit vier braunen Hengſten, war ſie wieder in vol-
ler Trauer und ſagte: „ich weiß doch ſchon, daß
er ſchlaͤft!“ Und als ſie hin zu ihm kam, lag
er da und ſchlief feſt, da ſtieg ſie aus dem Wagen,
ſchuͤttelte ihn und ſucht ihn zu erwecken; das ging
aber noch ſchwerer als geſtern, bis er endlich er-
wachte. Da ſprach die Rabe: „ich ſehe wohl,
daß du mich nicht erloͤſen kannſt, Morgen Nach-
mittag um zwei Uhr will ich noch einmal kom-
men, aber das iſt das letztemal, meine Hengſte
ſind dann ſchwarz und ich habe auch alles ſchwarz;
du darfſt aber nichts nehmen von der alten Frau,
kein Eſſen und kein Trinken.“ Da ſagte er:
„nein gewiß nicht.“ Sie ſprach aber: „ach, ich
weiß es wohl, du nimmſt doch etwas!“ Am an-
dern Tag kam die alte Frau und ſagte, er aͤße
und traͤnke ja nichts, was das waͤre? Da ſprach
er: „nein ich will nicht eſſen und trinken.“ Sie
aber ſagte, er ſollte nur einmal ſchmecken, wie gut
das alles ſey, Hungers koͤnnte er doch nicht ſter-
ben; da ließ er ſich uͤberreden und trank doch wie-
der etwas. Als es Zeit war, ging er hinaus in
den Garten auf die Lohhucke und wartete auf die
Prinzeſſin, da ward er wieder ſo muͤde, daß er
[57] ſich’ nicht halten konnte und er ſich hin legte und
ſchlief ſo feſt als waͤr’ er von Stein. Um zwei Uhr
kam die Rabe und hatte vier ſchwarze Hengſte
und die Kutſche und alles war ſchwarz; ſie war
aber in voller Trauer und ſprach: „ich weiß doch
ſchon, daß er ſchlaͤft und mich nicht erloͤſen kann.“
Als ſie zu ihm kam, lag er da und ſchlief feſt, ſie
ruͤttelte ihn und rief ihn, aber ſie konnt’ ihn nicht
aufwecken, er ſchlief in einem fort. Da legte ſie
ein Brot neben ihn hin, davon konnte er ſo viel
eſſen, als er wollte, es wurde nicht all’; dann
ein Stuͤck Fleiſch, davon konnt’ er auch ſo viel
eſſen, als er wollte, es wurde nicht all’; zum
dritten eine Flaſche Wein, davon konnt’ er trin-
ken, ſo viel er wollte, es wurde nicht all’. Darnach
nahm ſie ihren goldenen Ring vom Finger und
ſteckt ihm den an und war ihr N[am]e darein ge-
graben, und endlich legte ſie einen Brief hin, darin
ſtand, was ſie ihm gegeben hatte und daß es nie
all’ wuͤrde und es ſtand auch darin: „ich ſehe
wohl, daß du mich hier nicht erloͤſen kannſt, willſt
du mich aber noch erloͤſen, ſo komm nach dem
goldenen Schloß von Stromberg, da kannſt du
es, das weiß ich gewiß.“ Und wie ſie ihm das
alles gegeben hatte, ſetzte ſie ſich in ihren Wagen
und fuhr weg in das goldene Schloß von Strom-
berg.


Als der Mann aufwachte, und ſah, daß er
geſchlafen hatte, ward er von Herzen traurig und
[58] ſprach: „gewiß nun iſt ſie vorbei gefahren und du
haſt ſie nicht erloͤſt.“ Da fielen ihm die Dinge
in die Augen, die neben ihm lagen, und er las
den Brief, darin geſchrieben ſtand, wie es zuge-
gangen war. Alſo machte er ſich auf und ging
fort und wollte nach dem goldenen Schloß von
Stromberg, aber er wußte nicht, wo es lag. Nun
war er ſchon lange in der Welt herumgegangen,
da kam er in einen dunkeln Wald und ging vier-
zehn Tage darin fort, und konnte ſich nicht her-
ausfinden. Da ward es wieder Abend, und er
war ſo muͤde, daß er ſich an einen Buſch legte
und einſchlief; am andern Tag ging er weiter
und wollt’ ſich am Abend wieder an einen Buſch
legen, da hoͤrt’ er ein Heulen und Jammern, daß
er nicht einſchlafen konnte. Und wie die Zeit kam,
wo die Leute die Lichter anſtecken, ſah er eins
ſchimmern und machte ſich auf und ging ihm nach,
da kam er vor ein Haus, das ſchien ſo klein, denn
es ſtand ein großer Rieſe davor. Da dacht’ er
bei ſich: „gehſt du wohl hinein oder nicht, wenn
du’s thuſt, kommſt du vielleicht um’s Leben, du
willſt aber doch einmal hineingehen.“ Wie er nun
drauf zu ging und der Rieſe ihn ſah, ſprach er:
„es iſt gut, daß du kommſt, ich habe doch lange
nichts gegeſſen, jetzt will ich dich gleich zum Abend-
brot verſchlucken.“ „Laß das gut ſeyn, ſprach
der Mann, wenn du eſſen willſt, ſo hab’ ich was
bei mir.“ „Wenn das iſt, ſagte der Rieſe, ſo
[59] biſt du gut.“ Da gingen ſie beide hinein und
ſetzten ſich an den Tiſch und der Mann holte ſein
Brot, Wein und Fleiſch, was nicht all’ wurde,
hervor, und ſie aßen ſich beide recht ſatt. Dar-
nach ſagte der Mann zum Rieſen: „kannſt du
mir nicht ſagen, wo das goldene Schloß von
Stromberg iſt.“ Der Rieſe ſprach: „ich will
einmal auf meiner Landcharte nachſehen, darauf
ſind alle Staͤdte, Doͤrfer und Haͤuſer.“ Da holt’
er ſeine Landkarte, die er in der Stube hatte,
und ſuchte das Schloß, konnte es aber nicht fin-
den; „das thut nichts, ſprach er, ich habe oben
in einem Schranke noch mehr Landkarten, da will
ich einmal ſehen, ob es darauf zu finden iſt. Sie
ſahen zu, konnten’s aber nicht finden. Der Mann
wollte nun weiter gehen, der Rieſe aber ſprach, er
ſollte noch ein Paar Tage warten, er haͤtte einen
Bruder, der waͤr’ aus und holte was zu eſſen,
wenn der kaͤme, der haͤtte auch gute Landkarten,
da wollten ſie noch einmal ſuchen, der faͤnd’s ge-
wiß. Alſo wartete der Mann, bis der Bruder
nach Haus kam, der ſagte, er wuͤßte es nicht ge-
wiß, er glaubte aber das goldene Schloß von
Stromberg ſtaͤnde auf ſeiner Karte. Da aßen
ſich die drei noch einmal recht ſatt und dann ging
der zweite Rieſe hin und ſprach: „nun will ich
einmal zuſehen auf meiner Karte;“ allein das
Schloß war auch nicht darauf. Da ſagt’ er, er
haͤtte noch oben eine Kammer voll Landkarten, da
[60] muͤßt’ es darauf ſtehen. Wie er nun die herun-
ter gebracht hatte, ſuchten ſie von neuem und end-
lich fanden ſie das goldene Schloß von Strom-
berg, aber es war viele tauſend Meilen weit weg.
„Wie werd’ ich nun dahin kommen?“ ſprach der
Mann. „Ei, ſagte der Rieſe, zwei Stunden
hab’ ich Zeit, da will ich dich bis in die Naͤhe tra-
gen, dann muß ich aber wieder nach Haus und
das Kind ſaͤugen, das wir haben.“ Da trug der
Rieſe den Mann bis etwa noch hundert Stunden
vom Schloß und ſagte: „jetzt muß ich zuruͤck, den
uͤbrigen Weg kannſt du wohl allein gehen.“ —
„O ja, ſagte der Mann, das kann ich wohl.“
Wie ſie ſich nun trennen wollten, ſprach der
Mann, „wir wollen uns erſt recht ſatt eſſen;“
und darauf nahm der Rieſe Abſchied und ging
heim. Der Mann aber ging vorwaͤrts Tag und
Nacht, bis er endlich zu dem goldenen Schloß von
Stromberg kam. Da ſtand es aber auf einem
glaͤſernen Berge, und oben darauf ſah er die ver-
wuͤnſchte Prinzeſſin fahren; nun wollte er hinauf
zu ihr, aber er glitſchte immer wieder herunter.
Da war er ganz betruͤbt und ſprach zu ſich ſelbſt:
am beſten iſt, du bauſt dir hier eine Huͤtte, Eſſen
und Trinken haſt du ja.“ Alſo baute er ſich eine
Huͤtte und ſaß darin ein ganzes Jahr und ſah die
Prinzeſſin alle Tage oben fahren; konnte aber
nicht hinauf zu ihr kommen.


[61]

Da hoͤrte er einmal wie drei Rieſen ſich ſchlu-
gen, und rief ihnen zu: „Gott ſey mit euch!“
Sie hielten bei dem Ruf inne, als ſie aber nie-
mand ſahen, fingen ſie wieder an ſich zu ſchlagen
und das zwar ganz gefaͤhrlich. Da ſprach er wie-
der: „Gott ſey mit euch!“ ſie hoͤrten wieder auf,
guckten ſich um, weil ſie aber niemand ſahen,
fuhren ſie auch wieder fort, ſich zu ſchlagen. Da
ſprach er zum drittenmal: „Gott ſey mit euch!“
und dacht’, du mußt doch ſehen, was die drei vor-
haben, ging hin und fragte ſie, warum ſie ſo auf
einander losſchluͤgen. Da ſagte der eine, er haͤtt’
einen Stock gefunden, wenn er damit wider eine
Thuͤr ſchluͤge, ſo ſpraͤnge ſie auf; der andere ſagte,
er haͤtte einen Mantel gefunden, wenn er den
umhinge, ſo waͤr’ er unſichtbar; der dritte aber
ſprach, er haͤtte ein Pferd gefangen, mit dem
koͤnnte man den glaͤſernen Berg hinaufreiten. Da
ſprach der Mann: „fuͤr die drei Sachen will ich
euch etwas geben, Geld habe ich zwar nicht, aber
andere Dinge, die noch mehr werth ſind; doch
muß ich ſie vorher probiren, damit ich ſehe, ob
ihr auch die Wahrheit geſagt habt.“ Da ließen
ſie ihn auf’s Pferd ſitzen, hingen ihm den Man-
tel um und gaben ihm den Stock in die Hand,
und wie er das alles hatte, konnten ſie ihn nicht
mehr ſehen und er pruͤgelte ſie durch und durch,
rief: „nun, ſeyd ihr zufrieden?“ und ritt den
Berg hinauf. Oben aber vor dem Schloß, das
[62] war verſchloſſen, da ſchlug er mit dem Stock vor
die Thuͤr, gleich ſprang ſie auf, und er ging
hinein und die Treppe hinauf oben in den Saal,
da ſaß die Prinzeſſin und hatte einen goldenen
Kelch mit Wein vor ſich ſtehen; konnt’ ihn nicht
ſehen, weil er den Mantel um hatte. Und als
er vor ſie kam, zog er den Ring vom Finger, den
ſie ihm gegeben hatte und ſchmiß ihn in den Kelch,
daß es klang. Da rief ſie: „das iſt mein Ring,
ſo muß auch der Mann da ſeyn, der mich erloͤſt.“
Sie ſuchten im ganzen Schloß, und fanden ihn
nicht, er aber war hinaus gegangen, hatte ſich
auf’s Pferd geſetzt und den Mantel abgeworfen.
Wie ſie nun vor das Thor kamen, ſahen ſie ihn,
und ſchrien vor Freude; und er ſtieg ab und
nahm die Prinzeſſin in den Arm, da kuͤßte ſie
ihn und ſagte: „jetzt haſt du mich erloͤſt.“ Darauf
hielten ſie Hochzeit und lebten vergnuͤgt mit-
einander.


8.
Die kluge Bauerntochter.


Es war einmal ein armer Bauer, der hatte
kein Land, nur ein kleines Haͤuschen und eine
alleinige Tochter, da ſprach die Tochter: wir ſoll-
ten den Herrn Koͤnig um ein Stuͤckchen Rottland
bitten.“ Da der Koͤnig ihre Armuth hoͤrte,
[63] ſchenkte er ihnen auch ein Eckchen Raſen; den
hackte ſie und ihr Vater um, und wollten ein we-
nig Korn und der Art Frucht darauf ſaͤen; und
als ſie ihn beinah herum hatten, da fanden ſie in
der Erde einen Moͤrſel von purem Gold. „Hoͤr’,
ſagte der Vater zu dem Maͤdchen, weil unſer
Herr Koͤnig ſo gnaͤdig iſt geweſen und hat uns die-
ſen Acker geſchenkt, ſo muͤſſen wir ihm den Moͤr-
ſel wiedergeben.“ Die Tochter aber wollt’ es
nicht bewilligen und ſagte: „Vater, wenn wir
den Moͤrſel haben und haben den Stoͤßer nicht,
dann muͤſſen wir auch den Stoͤßer ſchaffen, darum
ſchweigt lieber ſtill.“ Er wollt’ ihr aber nicht
gehorchen, nahm den Moͤrſel und trug ihn zum
Herrn Koͤnig und ſagte, den haͤtt’ er gefunden in
der Heide. Der Koͤnig nahm den Moͤrſer und
fragte, ob er nichts mehr gefunden? nein, ſprach
der Bauer, da ſagte der Koͤnig: er ſollte nun auch
den Stoͤßer herbeiſchaffen. Der Bauer ſprach,
den haͤtten ſie nicht gefunden; aber das half ihm
ſoviel, als haͤtt’ er’s in den Wind geſagt, er ward
in’s Gefaͤngniß geſetzt und ſollte ſo lange da ſitzen,
bis er den Stoͤßer herbeigeſchafft haͤtte. Die Be-
dienten mußten ihm taͤglich Waſſer und Brot
bringen, was man ſo in dem Gefaͤngniß kriegt,
da hoͤrten ſie, wie der Mann als fort ſchrie:
„ach! haͤtt’ ich meiner Tochter gehoͤrt! ach! ach!
haͤtt’ ich meiner Tochter gehoͤrt!“ Da gingen
die Bedienten zum Koͤnig und ſprachen das, wie
[64] der Gefangene als fort ſchrie: „ach! haͤtt’ ich doch
meiner Tochter gehoͤrt!“ und wollte nicht eſſen
und nicht trinken. Da befahl er den Bedienten,
ſie ſollten ihn vor ihn bringen und da fragte der
Herr Koͤnig, warum er alſo fort ſchreie: ach!
haͤtt’ ich meiner Tochter gehoͤrt! „Was hat eure
Tocht er denn geſagt?“ — „Ja, ſie hat geſpro-
chen, ich ſollt’ den Moͤrſel nicht bringen, ſonſt
muͤßt’ ich auch den Stoͤßer ſchaffen.“ „Habt ihr
dann ſo eine kluge Tochter ſo laßt ſie einmal her-
kommen.“ Alſo mußte ſie vor den Koͤnig kom-
men; der fragte ſie, ob ſie dann ſo klug waͤre,
und ſagte, er wollt’ ihr ein Raͤthſel aufgeben,
wann ſie das treffen koͤnnte, dann wollt’ er ſie
heir athen. Da ſprach ſie ja, ſie wollt’s errathen.
Da ſagte der Koͤnig: „komm zu mir nicht geklei-
det, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren,
nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und
wann du das kannſt, will ich dich heirathen.“ Da
ging ſie hin, und zog ſich aus ſplinter nackend, da
war ſie nicht gekleidet, und nahm ein großes
Fiſchgarn und ſetzte ſich hinein und wickelte ſich
hinein, da war ſie nicht nackend, und borgte einen
Eſel fuͤr’s Geld und band dem Eſel das Fiſchgarn
an den Schwanz, daran er ſie fortſchleppen mußte,
und war das nicht geritten und nicht gefahren,
und mußte ſie der Eſel in der Fahrgleiße ſchlep-
pen, ſo daß ſie nur mit der großen Zehe auf die
Erde kam, und war das nicht in dem Weg und
nicht
[65] nicht außer dem Weg. Und wie ſie ſo daher kam,
ſagte der Koͤnig, ſie haͤtte das Raͤthſel getroffen
und ſey alles erfuͤllt. Da ließ er ihren Vater los
aus dem Gefaͤngniß und nahm ſie bei ſich als
ſeine Gemahlin und befahl ihr das ganze koͤnig-
liche Gut an.


Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr
Koͤnig einmal auf die Parade zog, da trug es ſich
zu, daß Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloß
hielten, die hatten Holz verkauft, etliche mit Och-
ſen und etliche mit Pferden. Da war ein Bauer,
der hatte drei Pferde, davon kriegte eins ein jun-
ges Fuͤllchen, das lief weg und legte ſich an ei-
nen Wagen, wo zwei Ochſen davor waren, mit-
tendrein. Als nun die Bauern zuſammen kamen,
fingen ſie an ſich zu zanken, ſchmeißen und laͤr-
men und der Ochſenbauer wollte das Fuͤllchen be-
halten und ſagte, die Ochſen haͤtten’s gehabt, und
der andere ſagte, nein, ſeine Pferde haͤtten’s ge-
habt und es waͤr’ ſein. Der Zank kam vor den
Koͤnig und der that den Ausſpruch: wo das Fuͤl-
len gelegen haͤtte, da ſollt’ es bleiben und alſo be-
kam’s der Ochſenbauer, dem’s doch nicht gehoͤrte.
Da ging der andere weg, weinte und lamentirte
uͤber ſein Fuͤllchen; nun ſo hatte er gehoͤrt, wie
daß die Frau Koͤnigin ſo gnaͤdig ſey, weil ſie auch
von armen Bauersleuten gekommen waͤre, ging
zu ihr und bat ſie, ob ſie ihm nicht helfen koͤnnte,
Kindermaͤhrchen. II. E
[66] daß er ſein Fuͤllchen wieder bekaͤme. Sagte ſie,
„ja,“ wenn ihr mir verſprecht, daß ihr mich nicht
verrathen wollt’, will ich’s euch ſagen: morgen
fruͤh, wenn der Koͤnig auf der Wachtparade iſt,
ſo ſtellt euch hin mitten in die Straße, wo er vor-
beikommen muß, nehmt ein großes Fiſchgarn und
thut als fiſchtet ihr, und fiſcht alſo fort und ſchuͤt-
tet es aus, als wenn ihr’s voll haͤttet, und ſagte
ihm auch, was er antworten ſollte, wenn er vom
Koͤnig gefragt wuͤrde. Alſo ſtand der Bauer am
andern Tag da, und fiſchte auf einem trockenen
Platz; wie der Koͤnig vorbeikam und das ſah,
ſchickte er ſeinen Laufer hin, der ſollte fragen,
was der naͤrriſche Mann vorhabe. Da gab er
zur Antwort: „ich fiſche.“ Fragte der Laufer,
wie er fiſchen koͤnnte, es waͤr’ ja kein Waſſer da.
Sagte der Bauer: „ſo gut als zwei Ochſen koͤn-
nen ein Fuͤllen kriegen, ſo gut kann ich auch auf
dem trockenen Platz fiſchen.“ Da ging der Lau-
fer hin und brachte dem Koͤnig die Antwort, da
ließ er den Bauer vor ſich kommen und ſagte ihm,
das haͤtte er nicht von ſich, von wem er das
haͤtte? und ſollt’s gleich bekennen. Der Bauer
aber wollt’s nicht thun und ſagte immer, Gottbe-
wahr! er haͤtt’ es von ſich. Sie banden ihn aber
auf ein Gebund Stroh und ſchlugen und drang-
ſalten ihn ſo lange, bis er’s bekannte, daß er’s
von der Frau Koͤnigin haͤtte. Als der Koͤnig nach
Haus kam, ſagte er zu ſeiner Frau: „warum biſt
[67] du ſo falſch mit mir, ich will dich nicht mehr zur
Gemahlin, deine Zeit iſt rum, geh wieder hin,
woher du kommen biſt in dein Bauernhaͤuschen.“
Doch erlaubte er ihr eins: ſie ſollte ſich das
Liebſte und Beſte mitnehmen, was ſie wuͤßte und
das ſollte ihr Abſchied ſeyn. Sie ſagte, „ja, lie-
ber Mann, wenn du’s ſo befiehlſt, will ich es
auch thun,“ und fiel uͤber ihn her und kuͤßte ihn
und ſprach, ſie wollte Abſchied von ihm nehmen.
Dann ließ ſie einen ſtarken Schlaftrunk kommen,
Abſchied mit ihm zu trinken, der Koͤnig that einen
großen Zug, ſie aber trank nur ein wenig, da gerieth
er bald in einen tiefen Schlaf. Und als ſie das
ſah, rief ſie einen Bedienten und nahm ein ſchoͤ-
nes weißes Linnentuch und ſchlug ihn da hinein,
und die Bedienten mußten ihn in einen Wagen
vor der Thuͤre tragen und fuhr ſie ihn heim in
ihr Haͤuschen. Da legte ſie ihn auf ihr Bettchen,
und er ſchlief Tag und Nacht in einem fort und
als er aufwachte, ſah er ſich um und ſagte: „ach
Gott! wo bin ich denn?“ rief ſeinen Bedienten,
aber es war keiner da. Endlich kam ſeine Frau
vor’s Bett und ſagte: „lieber Herr Koͤnig, ihr
habt mir befohlen, ich ſollte das Liebſte und Beſte
aus dem Schloß mitnehmen, nun hab’ ich nichts
beſſeres und lieberes als dich, da hab’ ich dich mit-
genommen.“ Der Koͤnig ſagte: „liebe Frau,
du ſollſt mein ſeyn und ich dein,“ und nahm ſie
wieder mit ins koͤnigliche Schloß und ließ ſich auf’s
E 2
[68] neue mit ihr vermaͤhlen und werden ſie ja wohl
noch auf heutigen Tag leben.


9.
Der Geiſt im Glas.


Es ließ ein Mann ſeinen Sohn ſtudiren,
wie der ein paar Schulen durchſtudirt hatte, konnte
der Vater nichts mehr an ihn verwenden; da ließ
er ihn zu ſich kommen und ſprach: „du weißt, un-
ſer Vermoͤgen iſt aufgegangen, ich kann nichts
mehr an dir thun.“ Da ſagte der Sohn: „lie-
ber Vater, macht euch daruͤber keinen Kummer,
wenn es ſo iſt, da bleib’ ich bei euch und will mit
euch gehen und etwas am Malterholz (d. h. am
Zuhauen und Aufrichten) verdienen;“ denn der
Vater war ein Tagloͤhner, und erwarb ſein Brot
damit. Der Vater ſagte: „ja, mein Sohn, das
ſoll dir beſchwerlich ankommen, ich hab’ auch nur
eine Axt und kann dir keine kaufen.“ „Ei, ſagte
der Sohn, geht zum Nachbar, der leiht euch
eine.“ Alſo borgte der Vater eine Axt fuͤr ihn
und ſie gingen miteinander ins Holz und arbei-
teten. Wie ſie bis Mittag gearbeitet hatten,
ſagte der Vater: „nun wollen wir ein Bischen
raſten und unſer Mittagsbrot eſſen, da geht die
Arbeit hernach noch einmal ſo friſch.“ Der Stu-
dent nahm ſein Mittagsbrot in die Hand und
[69] ſagte zum Vater, er wollte damit herumgehen
und Vogelneſter ſuchen. „O du Geck! ſprach der
Vater, was willſt du da herumgehen, bleib bei
mir, ſonſt wirſt du muͤd’ und kannſt hernach nichts
mehr thun.“ Der Sohn ging aber in dem Wald
herum, aß ſein Brot und ſah ſich nach Voͤgels-
neſtern um und kam zu einer großen, gefaͤhrlichen
Eiche, da ſuchte er ein Bischen herum. Auf ein-
mal kam gegen ihn eine Stimme aus der Wurzel,
die rief mit ſo einem recht dumpfen Ton: „laß
mich heraus! laß mich heraus!“ Da horcht’ er
darnach und rief: „wo biſt du?“ es ſprach von
neuem: „laß mich heraus! laß mich heraus! „Ja
ich ſeh’ aber nichts, ſagte der Student, wo biſt
du?“ — „Hier bin ich bei der Eichwurzel.“
Da fing er an zu ſuchen und fand in einer
kleinen Hoͤhle eine Glasflaſche, daraus war die
Stimme gekommen, er hielt ſie gegen das Licht, da
war eine Geſtalt darin wie ein Froſch, die Geſtalt
rief aber weiter: „nimm den Pfropfen herab.“
Das that der Student, und wie er den Pfropfen
abgenommen hatte, kam ein Kerl von entſetzlicher
Groͤße heraus und ſprach: „weißt du wohl, was
du fuͤr einen Lohn verdient, weil du mich her-
ausgelaſſen haſt?“ „Nein,“ ſagte der Student.
„So will ich dir’s ſagen: ich muß dir den Hals
dafuͤr brechen.“ „Nein, ſagte der Student, mir
nicht ſo, das haͤtteſt du fruͤher ſagen ſollen, ſo
haͤtt’ ich dich nicht herausgelaſſen. Da muͤſſen
[70] erſt mehr Leute gefragt werden.“ — „Mehr
Leute hin, mehr Leute her, du mußt deinen ver-
dienten Lohn haben, du kannſt leicht denken, daß
ich nicht aus Gnade da eingeſchloſſen war, ſon-
dern aus Strafe: weißt du wohl, was ich fuͤr
einen Namen habe?“ — „Nein, ſagte der Stu-
dent, das weiß ich nicht.“ Da ſprach der Geiſt:
„ich bin der großmaͤchtige Merkurius, ich muß
dir den Hals zerbrechen.“ „Nein das geht nicht,
ſo wie du meinſt, ſagte der Student, du mußt
einen andern Rath anfangen; ich muß auch ſehen,
ob du wieder in die Flaſche hinein kommſt, ſonſt
glaub’ ich nimmermehr, daß du herauskommen
biſt, wenn ich das aber ſehe, will ich mich in deine
Gefangenſchaft geben.“ Da willigte der Geiſt
ein und begab ſich durch daſſelbe Loch und durch
den Hals der Flaſche wieder hinein; wie er drin
war, ſteckte der Student den abgezogenen Pfro-
pfen wieder auf und der Geiſt war angefuͤhrt.
Da bat der Geiſt, er moͤcht’ ihn doch wieder er-
loͤſen und herauslaſſen. „Nein, ſagte der Stu-
dent, der mir nach dem Leben ſtrebte, den kann
ich nicht wieder herauslaſſen und den will ich in
Ewigkeit nicht wieder herauslaſſen.“ Da ſprach
der Geiſt: „ich will dir auch ſo viel geben, daß
du dein Lebtag genug haſt.“ „Du wuͤrdeſt mich
doch betruͤgen, wie das erſtemal, ſagte der Stu-
dent.“ „Nein, ſagte der Geiſt, ich will dir
nichts thun.“ Da ließ er ſich bewegen und that
[71] den Pfropfen wieder ab und der Geiſt ſtieg her-
aus. „Nun will ich dich belohnen, ſprach er, da
haſt du ein Pflaſter, wenn du mit dem einen
Ende eine Wunde damit beſtreichſt, ſo wird ſie
heilen, und wenn du Stahl oder Eiſen mit dem
andern Ende beſtreichſt, ſoll es all in Silber ver-
wandelt ſeyn.“ Da wollte der Student das
Pflaſter probiren und machte an einem Baum ei-
nen kleinen Ritz und hielt dann das Pflaſter
daran, da war er alsbald geheilt. Da dankte
der Student dem Geiſte und der Geiſt dankte
ihm auch fuͤr ſeine Erloͤſung und ſie nahmen Ab-
ſchied von einander. Der Student ging zuruͤck
zu ſeinem Vater, der wieder an der Arbeit war
und ihn ſchalt, daß er ſo lange ausgeblieben waͤre:
„ich hab’s ja geſagt, daß du nichts thun wuͤrdeſt.“
„Ich will’s ſchon nachholen,“ ſprach der Student.
„Ja, ſagte der Vater zornig, nachholen hat keine
Art.“ — Vater, was ſoll ich zuerſt thun?“ —
„Hau den Baum da um.“ Da that der Stu-
dent ſein Pflaſter heraus und ſtrich ſeine Axt da-
mit, wie er nun ein paar Hiebe gethan hatte,
war ſie ganz ſchief und hatte ſich die Schaͤrfe um-
gelegt, denn ſie war von Silber geworden. „Nun
ſeht ihr, Vater, ſprach der Sohn, was habt ihr
mir fuͤr eine Axt gegeben, die iſt ja ganz ſchief
geworden?“ — „Ach! was haſt du gemacht,
ſagte der Vater und war noch boͤſer, nun muß ich
die Axt bezahlen, ſo bringſt du mich mit deiner
[72] Huͤlfe nur in Schaden.“ Der Sohn ſprach:
„werdet nicht boͤs, Vater, ich will die Axt ſchon
bezahlen.“ „Ja du Dummbart, wovon willſt
du ſie denn bezahlen, du haſt nichts, als was ich
dir gebe, das ſind Studentenkniffe, die ſtecken dir
im Kopf; vom Holzhacken haſt du keinen Ver-
ſtand.“ Da wollte der Sohn den Vater bere-
den, Feierabend zu machen, der Vater ſagte, er
ſolle ſich packen; der Student aber ließ ihm keine
Ruhe und ſagte, er koͤnne nicht allein nach Haus
gehen, bis der Vater mitging. Der Sohn nahm
die Axt mit, der Vater aber war ein alter Mann
und konnte nicht ſehen, daß ſie zu Silber gewor-
den war. Wie ſie nach Haus kamen, ſagte der
Vater: „nun bring’ die Axt hin und ſieh, was
ſie dafuͤr geben wollen.“ Der Student aber
nahm die Axt, ging damit in die Stadt zum Gold-
ſchmidt und fragte, was er dafuͤr geben wollte.
Wie der Goldſchmidt ſie geſehen hatte, ſagte er,
er waͤr’ nicht ſo reich in ſeinem Vermoͤgen, daß er
ſie bezahlen koͤnnte. Da ſprach der Student, er
ſollte ihm geben, was er haͤtte, er wollt ihm das
andere borgen. Da gab ihm der Goldſchmidt 300
Thaler und lieh noch 100 Thaler dazu. Damit
ging der Student heim zu ſeinem Vater und
ſprach: „hier hab’ ich Geld, nun geht hin und fragt
was der Mann haben will fuͤr die Axt.“ „Das
weiß ich ſchon, ſagte der Vater 1 Thlr. 6 Gr.“
— „So gebt ihm 2 Thlr. 12 Gr. das iſt das
[73] Doppelte und iſt genug.“ Dann gab der Student
ſeinem Vater hundert Thaler und ſagte, es ſollte
ihm niemals fehlen und erzaͤhlte ihm die ganze
Geſchichte, wie es gegangen waͤre. Mit den an-
dern 300 Thalern aber ging er hin und ſtudirte
aus; mit ſeinem Pflaſter konnt’ er hernach alle
Wunden heilen und war der beruͤhmteſte Doctor
in der ganzen Welt.


10.
De drei Vuͤgelkens.


Et is wul duſent un meere Jaare hen, da
woͤren hier im Lanne luter kleine Kuͤnige, da hed
auck einer up den Keuterberge wuͤnt (gewohnt), de
gink ſau geren up de Jagd. Aſe nu mal mit
ſinen Jaͤgern vom Schlotte heruttrok, hoͤen (huͤ-
teten) unner den Berge drei Maͤkens ire Koͤge
(Kuͤhe), un wie ſei den Kuͤnig mit den vielen
Kuͤen ſeien, ſo reip de oͤlleſte den anner beden
Maͤkens to, un weis up den Kuͤnig: „helo! helo!
wenn ik den nig kriege, ſo will ik keinen!“ da
antworde de tweide up de annere Side vom Ber-
ge, un weis up den, de dem Kuͤnige rechter
Hand gink: „helo! helo! wenn ik den nig kriege,
ſo will ik keinen!“ Da reip de juͤngeſte un weis
up den, de linker Hand gink: „helo! helo! wenn
ik den nig kriege, ſo will ik keinen.“ Dat woͤ-
[74] ren averſt de beden Miniſters. Dat hoͤrde de
Kuͤnig alles un aſe von der Jagd heime kummen
was, leit he de drei Maͤkens to ſik kummen un
fragete ſe, wat ſe da giſtern am Berge ſagd hed-
den. Dat wullen ſe nig ſeggen, de Kuͤnig frog
averſt de oͤlleſte, ob ſe uͤn wol rom Manne hewen
wulle? da ſegde ſe ja, un ere beiden Suͤſtern
friggeten de beiden Miniſters, denn ſe woͤren alle
drei ſcheun un ſchir (klar, ſchoͤn) von Angeſicht,
beſunners de Kuͤnigin, de hadde hare aſe Flaſſ.


De beiden Suͤſtern averſt kregen keine Kin-
ner, un aſe de Kuͤnig mal verreiſen moſte, let
he ſe tor Kuͤnigin kummen, um ſe up to mun-
nern, denn ſe war grae (gerad) ſwanger. Se
kreg en kleinen Jungen, de hadde ’n ritſch-roen
Stern mit up de Weld. Da ſehden de beiden
Suͤſtern, eine tor annern, ſe wullen den huͤbſken
Jungen in’t Water werpen. Wie ſe’n darin wor-
pen hadden (ik gloͤve, et is de Weſer weſt) da
fluͤgt ’n Vuͤgelken in de Hoͤgte, dat ſank:


tom Daude bereit,

up wietern Beſcheid,

tom Lilien-Strus:

wacker Junge, biſt du’s?

da dat de beiden hoͤrten, kregen ſe de Angſt up’n
Lieve un makten, dat ſe fort keimen. Wie de
Kuͤnig na Hus kam, ſehden ſe to uͤm, de Kuͤni-
gin hedde ’n Hund kregen, da ſegde de Kuͤnig:
„wat Gott deiet, dat is wole dahn!“


[75]

Et wunde averſt ’n Fiſker an den Water,
de fiſkede den kleinen Jungen wier herut, aſe
noch ewen lebennig was, un da ſine Fru kene
Kinner hadde, foerden (fuͤtterten) ſe ’n up. Na’n
Jaar was de Kuͤnig wier verreiſt, da kreg de Kuͤ-
nigin wier ’n Jungen, den namen de beiden falſ-
ken Suͤſtern un warpen’n auck in’t Water, da
fluͤgt dat Vuͤgelken wier in die Hoͤgte un ſank:


tom Daude bereit,

up wietern Beſcheid,

tom Lilien-Strus:

wacker Junge, biſt du’s?

Un wie de Kuͤnig toruͤgge kam, ſehden ſe to uͤm,
de Kuͤnigin hedde wier ’n Hund bekummen, un
he ſegde wier: „wat Gott deit, dat is wole
dahn!“ Averſt de Fiſker trok duͤſen auck ut den
Water, un foerd’n up.


Da verreiſede de Kuͤnig wier, un de Kuͤni-
gin kreg ’n klein Maͤken, dat warpen de falſken
Suͤſtern auck in’t Water, da fluͤgt dat Vuͤgelken
wier in die Hoͤgte un ſank:


tom Daude bereit,

up wietern Beſcheid,

tom Lilien-Strus:

wacker Maͤken, biſt du’s?

Un wie de Kuͤnig na Hus kam, ſehden ſe to uͤm,
de Kuͤnigin hedde ’ne Katte kregt. Da worde de
Kuͤnig beuſe un leit ſine Fru in’t Gefaͤnknis ſmie-
ten, da hed ſe lange Jaare in ſetten.


[76]

De Kinner woͤren unnerdes anewaſſen, da
gink de oͤlleſte mal mit annern Jungens herut to
fiſken, da wuͤllt uͤn de annern Jungens nig twiſ-
ken ſik hewen un ſegget: du Fuͤndling, gaa du
diner Wege,“ da ward he gans bedroͤvet un fraͤggt
den olen Fiſker, ob dat war woͤre? De vertellt
uͤn, dat he mal fiſked hedde un hedde uͤn ut den
Water troken (gezogen). Da ſegd he, he wulle furt
un ſinen Teiten (Vater) ſoͤken. De Fiſker de biddet
’n, he moͤgde doch bliven, averſt he let ſik gar
nig hallen, bis de Fiſker et toleſt to givt. Da
givt he ſik up den Weg un geit meere Dage hin-
ner ’n anner, endlich kuͤmmt he vor ’n graut all-
maͤchtig Water, davor ſteit ’n ole Fru un fiſkede.
„guden Dag, Moer,“ ſegde de junge. — „Gro-
ten Dank!“ — Du ſuͤſt da wol lange fiſken, e du
’n Fiſk faͤngeſt.“ — „Un du wol lange ſoͤken, e
du dinen Teiten findſt: wie wuſt du der denn da
oͤver’t Water kummen?“ ſehde de Fru. — „Ja,
dat mag Gott witten!“ — Da nuͤmt de ole Fru
uͤn up den Ruͤggen und draͤgt ’n der doͤrch, un he
ſoͤcht lange Tiid un kann ſinen Teiten nig finnen.
Aſe nu wol ’n Jaar voroͤwer is, da trekt de tweide
auck ut, un will ſinen Broer ſoͤken. He kuͤmmt
an dat Water un da geit et uͤn ewen ſo, aſe ſinen
Broer. Nu was nur noch de Dochter allein to
Hus, de jammerde ſo vil na eren Broern, dat ſe
upt leſt auck den Fiſker bad, he moͤgte ſe treken
laten, ſe wulle ere Broerkes ſoͤken. Da kam ſe
[77] auck bie den grauten Water, da ſehde ſe tor olen
Fru: „guden Dag, Moer!“ — „groten Dank!“
— „Gott helpe ju bie juen fiſken.“ Aſe de ole
Fru dat hoͤrde, da word ſe ganz fruͤndlich, und
trog ſe oͤver’t Water, un gab er ’n Roe (Ruthe)
un ſehde to er: „un gah man juͤmmer up duͤſen
Wege to, mine Dochter! un wenn du bie einen
groten ſchwarten Hund vorbei kuͤmmſt, ſo muſt
du ſtill, un driſt, un one to lachen, un one uͤn
an to kicken, vorbei gaan. Dann kuͤmmeſt du
an ’n grot open Schlott, up’n Suͤll (Schwelle)
moſt du de Roe fallen laten un ſtracks doͤrch dat
Schlott an den annern Side wier herut gahen;
da is ’n olen Brunnen, darut is ’n groten Boom
waſſen, daran haͤnget ’n Vugel im Buer, den
nuͤmm af, dann nuͤmm noch ’n Glaß Water ut
den Brunnen, un gaa mit duͤſen beiden den ſuͤl-
vigen Weg wier toruͤgge, up den Suͤll nuͤmm de
Roe auck wier mit, un wenn du dann wier bie
den Hund vorbie kummſt, ſo ſchlah uͤn in’t Ge-
ſicht, averſt ſuͤ to, dat du uͤn treppeſt, un dann
kumm nur wier to mie toruͤgge.“ Da fand ſe et
grade ſo, aſe de Fru et ſagd hadde, un up den
Ruͤckwege da fand ſe de beiden Broer, de ſik de
halve Welt dorchſoͤcht hadden. Se ging toſam-
men, bis wo de ſwarte Hund an den Weg lag,
den ſchlog ſe in’t Geſicht, da word et ’n ſchoͤnen
Prinz, de geit mit uͤnen, bis an dat Water. Da
ſtand da noch de ole Fru, de froͤgede ſik ſer, da
[78] ſe alle wier da woͤren und trog ſe alle oͤver’t Wa-
ter, un dann gink ſe auck weg, denn ſe was nu
erloͤſt. De annern averſt gingen alle na den olen
Fiſker un alle woͤren froh, dat ſe ſik wier funnen
hadden, den Vuͤgel averſt huͤngen ſe an der Wand.


De tweide Suhn kunne averſt nig to Huſe
raſten un nam ’n Flitzebogen un gink up de Jagd.
Wie he moͤe was, nam he ſine Floͤtepipen un
mackte ’n Stuͤckſken. De Kuͤnig averſt woͤr auck
up de Jagd un hoͤrde dat, da ging he hin, un
wie he den jungen drap, ſo ſehde he: „we hett
die verloͤvt hier to jagen?“ — „O, neimes
(niemand).“ — Wen hoͤrſt du dann to?“ —
„ik bin den Fiſker ſin Suhn.“ — „De hett ja
keine Kinner!“ — „Wen du’t nig gloͤven wuſt,
ſo kum mit.“ Dat dehe de Kuͤnig und frog den
Fiſker, de vertaͤlle uͤn alles, un dat Vuͤgelken an
der Wand fing an to ſingen:


De Moͤhme (Mutter) ſitt allein,

wol in dat Kerkerlein!

o Kuͤnig, edeles Blod!

Dat ſind dine Kinner god.

de falſken Suͤſtern beide

de dehen de Kinnekes Leide,

wo! in des Waters Grund,

wo ſe de Fiſker fund!

Da erſchracken ſe alle un de Kuͤnig nam den Vu-
gel, den Fiſker un de drei Kinner mit ſik na den
Schlotte, un leit dat Gefaͤnknis upſchluten un
nam ſine Fru wier herut, de was averſt gans
[79] kraͤnkſch un elennig woren. Da gav er de Doch-
ter von den Water ut den Brunnen to drinken, da
wor ſe friſk un geſund. De beiden falſken Suͤ-
ſtern woren averſt verbrennt un de Dochter frig-
gede den Prinzen.


11.
Das Waſſer des Lebens.


Es war einmal ein Koͤnig, der ward krank
und glaubte niemand, daß er mit dem Leben da-
von kaͤme. Er hatte aber drei Soͤhne, die wa-
ren daruͤber betruͤbt, gingen hinunter in den
Schloßgarten und weinten, da begegnete ihnen
ein alter Mann, der fragte ſie nach ihrem Kum-
mer. Da erzaͤhlten ſie, ihr Vater waͤr’ ſo krank,
daß er wohl ſterben wuͤrde; es wollte ihm nichts
helfen. Der Alte ſprach: „ich weiß ein Mittel,
das iſt das Waſſer des Lebens, wenn er davon
trinkt, ſo wird er wieder geſund; es iſt aber
ſchwer zu finden.“ Da ſagte der aͤlteſte: „ich
will es ſchon finden,“ ging zum kranken Koͤnig
und bat ihn, er moͤcht’ ihm erlauben auszuziehen
und das Waſſer des Lebens zu ſuchen, das ihn
allein heilen koͤnne. „Nein, ſprach der Koͤnig,
dabei ſind zu große Gefahren, lieber will ich ſter-
ben.“ Er bat aber ſo lange, bis es der Koͤnig
zugab; der Prinz dachte auch in ſeinem Herzen:
[80] hol’ ich das Waſſer, ſo bin ich meinem Vater der
liebſte und erbe das Reich.“


Alſo machte er ſich auf, und als er eine Zeit
lang fortgeritten war, ſtand da ein Zwerg auf
dem Weg’, der rief ihn an und ſprach: „wohin-
aus ſo geſchwind?“ „Du Knirps, ſagte der
Prinz ganz ſtolz, das brauchſt du nicht zu wiſ-
ſen;“ und ritt weiter. Das kleine Maͤnnchen
aber war zornig geworden und hatte einen boͤſen
Wunſch gethan; wie nun der Prinz fortritt, kam
er in eine Bergſchlucht, und je weiter, je enger
thaten ſich die Berge zuſammen, und endlich
ward der Weg ſo eng, daß er keinen Schritt wei-
ter konnte, und auch das Pferd konnte er nicht
wenden und ſelber nicht abſteigen und mußte da
eingeſperrt ſtehen bleiben. Indeſſen wartete der
kranke Koͤnig auf ihn; aber er kam nicht und
kam nicht. Da ſagte der zweite Prinz: „ſo will
ich ausziehen und das Waſſer ſuchen“ und dachte
bei ſich, das iſt mir eben recht, iſt der todt, ſo
faͤllt das Reich mir zu. Der Koͤnig wollt’ ihn
auch anfangs nicht ziehen laſſen, endlich aber
mußte er’s doch zugeben. Der Prinz zog alſo
gleiches Wegs fort und begegnete demſelben Zwerg,
der hielt ihn wieder an und fragte: „wohinaus
ſo geſchwind? „Du Knirps, ſagte der Prinz,
das brauchſt du nicht zu wiſſen,“ und ritt in ſei-
nem Stolz fort. Aber der Zwerg verwuͤnſchte
ihn, und er gerieth wie der andere in eine Berg-
[81] ſchlucht und konnte nicht vorwaͤrts und ruͤckwaͤrts.
So gehts aber den Hochmuͤthigen.


Wie nun der zweite Prinz ausblieb, ſagte
der juͤngſte, er wollte ausziehen und das Waſſer
holen und der Koͤnig mußt’ ihn endlich auch gehen
laſſen. Wie er nun den Zwerg auf dem Wege
fand, und der fragte: wohinaus ſo geſchwind?“
ſo antwortete er ihm: „ich ſuche das Waſſer des
Lebens, weil mein Vater ſterbenskrank iſt.“ —
„Weißt du denn, wo das zu finden iſt?“ „Nein,“
ſagte der Prinz. „So will ich dir’s ſagen, weil
du mir ordentlich Rede geſtanden haſt; es quillt
aus einem Brunnen, in einem verwuͤnſchten
Schloß, und damit du dazu gelangſt, geb’ ich dir
da eine eiſerne Ruthe und zwei Laiberchen Brot,
mit der Ruthe ſchlag dreimal an das eiſerne Thor
vom Schloß, ſo wird es aufſpringen; inwen-
dig werden dann zwei Loͤwen liegen und den
Rachen aufſperren, wenn du ihnen aber das Brot
hin einwirfſt, wirſt du ſie ſtillen, und dann eil’
dich und hol’ von dem Waſſer des Lebens, eh’ es
zwoͤlf ſchlaͤgt, ſonſt geht das Thor wieder zu und
du biſt eingeſperrt.“ Da dankte ihm der Prinz
und nahm die Ruthe und das Brot, ging hin
und war da alles, wie der Zwerg geſagt hatte.
Als die Loͤwen geſaͤnftigt waren, ging er in das
Schloß hinein und fand einen großen ſchoͤnen
Saal, und darin verwuͤnſchte Prinzen, denen zog
er die Ringe ab; und dann nahm er ein Schwert,
Kindermaͤrchen II. F
[82] und ein Brot, das lag da. Und weiter kam er
in ein Zimmer, darin war eine Prinzeſſin, die
freute ſich, als ſie ihn ſah, kuͤßte ihn und ſagte, er
haͤtte ſie erloͤſt und ſollte ihr ganzes Reich haben;
in einem Jahre ſollt’ er kommen und die Hochzeit
mit ihr feiern. Dann ſagte ſie ihm auch, wo der
Brunnen waͤre mit dem Lebenswaſſer, er muͤßte
ſich aber eilen und daraus ſchoͤpfen, eh’ es zwoͤlf
ſchluͤge. Da ging er weiter und kam endlich in ein
Zimmer, darin ſtand ein ſchoͤnes friſchgedecktes
Bett’ und weil er muͤd’ war, wollt’ er ſich erſt
ein wenig ausruhen. Alſo legte er ſich und ſchlief
ein, wie er aber erwachte, ſchlug es drei Viertel
auf Zwoͤlf. Da ſprang er ganz erſchrocken auf,
lief zu dem Brunnen, und ſchoͤpfte ſich einen
Becher, der daneben ſtand, voll und eilte, daß
er fortkam. Wie er eben zum eiſernen Thor hin-
ausging, da ſchlug’s zwoͤlf, und das Thor fuhr
zu, ſo heftig, daß es ihm noch ein Stuͤck von
der Ferſe wegnahm.


Er aber war froh, daß er das Waſſer des
Lebens hatte und ging heimwaͤrts und wieder an
dem Zwerg vorbei. Als dieſer das Schwert und
das Brot ſah, ſprach er: „damit haſt du großes
Gut gewonnen, mit dem Schwert kannſt du ganze
Heere ſchlagen, das Brot aber wird niemals alle.“
Da dachte der Prinz, ohne deine Bruͤder willſt
du zum Vater nicht nach Haus kommen und
ſprach: „lieber Zwerg, kannſt du mir nicht ſagen,
wo meine zwei Bruͤder ſind, die waren fruͤher,
[83] als ich, nach dem Waſſer des Lebens ausgezogen
und ſind nicht wieder kommen.“ „Zwiſchen zwei
Bergen ſind ſie eingeſchloſſen, ſprach der Zwerg,
dahin hab’ ich ſie verwuͤnſcht, weil ſie ſo uͤbermuͤ-
thig waren.“ Da bat der Prinz ſo lange, bis
ſie der Zwerg wieder los ließ, aber er ſprach noch:
„Huͤte dich vor ihnen, ſie haben ein boͤſes Herz.“


Wie ſie nun kamen, da freute er ſich und
erzaͤhlte ihnen alles, wie es ihm ergangen waͤre,
daß er das Waſſer des Lebens gefunden und einen
Becher voll mitgenommen und eine ſchoͤne Prinzeſſin
erloͤſt habe, die wolle ein Jahr lang auf ihn warten,
dann ſollte Hochzeit gehalten werden und er bekaͤm
ein großes Reich. Darnach ritten ſie zuſammen fort
und geriethen in ein Land, wo Hunger und Krieg
war und der Koͤnig glaubte ſchon, er ſollte verderben
in der Noth; da ging der Prinz zu ihm und gab
ihm das Brot, damit ſpeiſte und ſaͤttigte er ſein
ganzes Reich, und dann gab ihm der Prinz auch
das Schwert und damit ſchlug er die Heere ſeiner
Feinde und konnte nun in Ruhe und Friede leben.
Da nahm der Prinz ſein Brot und ſein Schwert
wieder zuruͤck und die drei Bruͤder ritten weiter;
ſie kamen aber noch in zwei Laͤnder, wo Hunger
und Krieg herrſchte und da gab der Prinz den
Koͤnigen jedesmal ſein Brot und Schwert und
hatte nun drei Reiche gerettet. Und darnach ſetz-
ten ſie ſich auf ein Schiff und fuhren uͤber’s Meer.
Waͤhrend der Fahrt da ſprachen die beiden aͤlte-
F 2
[84] ſten unter ſich: „der juͤngſte hat das Waſſer ge-
funden und wir nicht, dafuͤr wird ihm unſer Va-
ter das Reich geben, das uns gebuͤhrt und er wird
uns unſer Gluͤck wegnehmen.“ Da wurden ſie
rachſuͤchtig und verabredeten mit einander, daß
ſie ihn verderben wollten. Sie warteten aber bis
er einmal feſt eingeſchlafen war, da goſſen ſie das
Waſſer des Lebens aus dem Becher und nahmen
es fuͤr ſich, ihm aber goſſen ſie bitteres Meerwaſ-
ſer hinein.


Als ſie nun daheim ankamen, brachte der
juͤngſte dem kranken Koͤnig ſeinen Becher, damit
er daraus trinken und geſund werden ſollte. Kaum
aber hatte er ein wenig von dem bittern Meer-
waſſer getrunken, da ward er noch kraͤnker als zu-
vor. Und wie er daruͤber jammerte, kamen die
beiden aͤlteſten Soͤhne und klagten den juͤngſten
an und ſagten, er habe ihn vergiften wollen, das
rechte Waſſer des Lebens haͤtten ſie gefunden und
mitgebracht, und reichten es dem Koͤnig. Und
kaum hatte er davon getrunken, ſo fuͤhlte er ſeine
Krankheit verſchwinden und ward ſtark und ge-
ſund, wie in ſeinen jungen Tagen. Darnach
gingen die beiden zu dem juͤngſten, ſpotteten ſein
und ſagten: „nun, haſt du das Waſſer des Lebens
gefunden? du haſt die Muͤhe gehabt und wir den
Lohn, du haͤtteſt die Augen aufthun ſollen, wir
haben dir’s genommen, wie du auf dem Meere
eingeſchlafen warſt. Ueber’s Jahr da holt’ ſich
[85] einer von uns deine ſchoͤne Prinzeſſin; aber huͤt’
dich, daß du davon nichts dem Vater verraͤthſt,
er glaubt dir doch nicht und wenn du ein Wort
ſagſt, ſo ſollſt du auch noch dein Leben verlieren,
ſchweigſt du aber, ſo ſoll dir’s geſchenkt ſeyn.“


Der alte Koͤnig aber war zornig uͤber ſeinen
juͤngſten Sohn, und glaubte, er haͤtte ihm nach
dem Leben getrachtet, alſo ließ er den Hof ver-
ſammeln und das Urtheil uͤber ihn ſprechen, daß
er heimlich ſollte erſchoſſen werden. Als der Prinz
nun einmal auf die Jagd ritt und nichts davon
wußte, mußte des Koͤnigs Jaͤger mitgehen.
Draußen als ſie ganz allein im Wald waren und
der Jaͤger ſo traurig ausſah, ſagte der Prinz zu
ihm: „lieber Jaͤger, was fehlt dir?“ der Jaͤger
ſprach: „ich kann’s nicht ſagen und ſoll es doch.“
Da ſprach der Prinz: „ſag’s nur heraus, was es
iſt, ich will dir’s verzeihen.“ — „Ach, ſagte der
Jaͤger, ich ſoll euch todt ſchießen, der Koͤnig hat
mir’s befohlen.“ Da erſchrack der Prinz und
ſprach: „lieber Jaͤger, laß mich leben, da geb’
ich dir mein koͤnigliches Kleid, gib mir dafuͤr dein
ſchlechtes.“ Der Jaͤger ſagte: „das will ich gern
thun, ich haͤtte doch nicht nach euch ſchießen koͤn-
nen.“ Da nahm der Jaͤger des Prinzen Kleid
und der Prinz das ſchlechte vom Jaͤger und ging
fort in den Wald hinein.


Ueber eine Zeit, da kamen beim alten Koͤnig
drei Wagen mit Geſchenken an Gold und Edel-
[86] ſteinen fuͤr den juͤngſten Prinzen, ſie waren aber
von den drei Koͤnigen geſchickt, denen der Prinz
das Schwert und das Brot geliehen, womit ſie
die Feinde geſchlagen und ihr Land ernaͤhrt hat-
ten. Das fiel dem alten Koͤnig auf’s Herz und
er dachte, ſein Sohn koͤnnte doch unſchuldig ge-
weſen ſeyn und ſprach zu ſeinen Leuten: „ach!
waͤr’ er noch am Leben, wie thut mir’s ſo herzlich
leid, daß ich ihn habe toͤdten laſſen.“ So hab’
ich ja Recht gethan, ſprach der Jaͤger, ich hab’
ihn nicht todt ſchießen koͤnnen,“ und ſagte dem
Koͤnig, wie es zugegangen waͤre. Da war der
Koͤnig froh und ließ bekannt machen in allen Rei-
chen, ſein Sohn ſolle wieder kommen, er nehme
ihn in Gnaden auf.


Die Prinzeſſin aber ließ eine Straße
vor ihrem Schloß machen, die war ganz golden
und glaͤnzend, und ſagte ihren Leuten, wer dar-
auf geradeswegs zu ihr geritten kaͤme, das waͤre
der rechte, und den ſollten ſie einlaſſen, wer aber
daneben kaͤme, der waͤr’ der rechte nicht und den
ſollten ſie auch nicht einlaſſen. Als nun die Zeit
bald herum war, dachte der aͤlteſte, er wollte
ſich eilen, zur Prinzeſſin gehen und ſich fuͤr ihren
Erloͤſer ausgeben, da bekaͤm er ſie zur Gemahlin
und das Reich dabei. Alſo ritt er fort; als er
vor das Schloß kam und die ſchoͤne goldene Straße
ſah, dachte er: „ei, das waͤre jammerſchade,
wenn du darauf ritteſt,“ lenkte ab und ritt rechts
[87] nebenher. Wie er aber vor’s Thor kam, ſagten
die Leute zu ihm, er waͤr’ der rechte nicht, er
ſollte wieder fortgehen. Bald darauf machte ſich
der zweite Prinz auf, wie der zur goldenen Straße
kam und das Pferd den einen Fuß darauf geſetzt
hatte, dachte er: „ei! es waͤre jammerſchade, das
koͤnnte etwas abtreten,“ lenkte ab und ritt links
nebenher. Wie er aber vor’s Thor kam, ſagten
die Leute, er waͤr’ der rechte nicht, er ſollte wie-
der fortgehen. Als nun das Jahr ganz herum
war, wollte der dritte aus dem Wald fort zu
ſeiner Liebſten reiten und bei ihr ſein Leid vergeſ-
ſen. Alſo machte er ſich auf und dachte immer
an ſie und waͤr’ gern ſchon bei ihr geweſen und
ſah die goldene Straße gar nicht. Da ritt ſein
Pferd mitten daruͤber hin und als er vor’s Thor
kam, ward es aufgethan und die Prinzeſſin em-
pfing ihn mit Freuden, und ſagte, er waͤr’ ihr Er-
loͤſer und der Herr des Koͤnigreichs und ward die
Hochzeit gehalten mit großer Gluͤckſeligkeit. Und
als ſie vorbei war, erzaͤhlte ſie ihm, daß ihn ſein
Vater habe zu ſich entboten und ihm verziehen.
Da ritt er hin und ſagte ihm alles, wie ſeine
Bruͤder ihn betrogen, und er doch dazu geſchwie-
gen haͤtte. Der alte Koͤnig wollte ſie ſtrafen, aber
ſie hatten ſich auf’s Meer geſetzt und waren fort-
geſchifft und kamen ihr lebtag nicht wieder.


[88]

12.
Doctor Allwiſſend.


Es war einmal ein armer Bauer Namens
Krebs, der fuhr mit zwei Ochſen ein Fuder Holz
in die Stadt und verkaufte es fuͤr zwei Thaler an
einen Doctor. Wie ihm nun das Geld ausbe-
zahlt wurde, ſaß der Doctor gerade zu Tiſch, da
ſah der Bauer, was er ſchoͤn aß und trank und
das Herz ging ihm darnach auf und er waͤr’ auch
gern ein Doctor geweſen. Alſo blieb er noch ein
Weilchen ſtehen und fragte endlich, ob er nicht
auch koͤnnte ein Doctor werden. „O ja, ſagte
der Doctor, das iſt bald geſchehen, erſtlich kauf’
dir ein Abcbuch, ſo eins, wo vornen ein Goͤckel-
hahn drin iſt; zweitens mach’ deinen Wagen und
deine zwei Ochſen zu Geld und ſchaff’ dir damit
Kleider an und was ſonſt zur Doctorei gehoͤrt;
drittens laß dir ein Schild malen mit den Wor-
ten: ich bin der Doctor Allwiſſend;
und das oben uͤber deine Hausthuͤre nageln.“ Der
Bauer that alles, wie’s ihm geheißen war. Als
er nun ein wenig gedoctert, aber noch nicht viel,
war einem reichen großen Herrn Geld geſtohlen.
Da ward ihm von dem Doctor Allwiſſend geſagt,
der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wiſ-
ſen muͤßte, wo das Geld hinkommen waͤre. Alſo
ließ der Herr ſeinen Wagen anſpannen, fuhr hin-
[89] aus in’s Dorf und fragte bei ihm an, ob er der
Doctor Allwiſſend waͤre? „Ja, der waͤr’ er.“ —
„So ſollte er mitgehen und das geſtohlene Geld
wiederſchaffen,“ „o ja, aber die Grethe ſeine
Frau muͤßte auch mit.“ Der Herr war das zu-
frieden, ließ ſie beide in dem Wagen ſitzen und ſie
fuhren zuſammen fort. Als ſie auf den adlichen Hof
kamen, war der Tiſch gedeckt; da ſollt’ er erſt
miteſſen. Ja, aber ſeine Frau die Grethe auch,
ſagte er, und ſetzte ſich mit ihr hinter den Tiſch. Wie
nun der erſte Bediente mit einer Schuͤſſel ſchoͤnem
Eſſen kam, ſtieß der Bauer ſeine Frau an und
ſagte: „Grethe, das war der erſte.“ Und meinte,
es waͤr’ derjenige, welche das erſte Eſſen braͤchte.
Der Bediente aber meinte, er haͤtte damit ſagen
wollen, das iſt der erſte Dieb und weil er’s nun
wirklich war, ward ihm angſt und er ſagte drau-
ßen zu ſeinen Cameraden: „der Doctor weiß
alles, wir kommen uͤbel an, er hat geſagt, ich
waͤr’ der erſte.“ Der zweite wollte gar nicht her-
ein, er mußte aber doch. Wie der nun mit ſeiner
Schuͤſſel herein kam, ſtieß der Bauer ſeine Frau
an: „Grethe, das iſt der zweite.“ Dem Be-
dienten ward ebenfalls angſt und er machte, daß
er hinauskam. Dem dritten ging’s nicht beſſer,
der Bauer ſagte wieder: „Grethe, das iſt der
dritte.“ Der vierte mußte eine verdeckte Schuͤſſel
hereintragen, und der Herr ſprach zum Doctor,
er ſollte ſeine Kunſt zeigen und rathen was dar-
[90] unter laͤg’, es waren aber Krebſe. Der Bauer
ſah’ die Schuͤſſel an, wußt’ nicht, wie er ſich hel-
fen ſollte und ſprach: „ach ich armer Krebs!“
Wie der Herr das hoͤrte, rief er: „da! er weiß
es, nun weiß er auch wer das Geld hat.


Dem Bedienten aber ward gewaltig angſt
und er blinzelte den Doctor an, er moͤgt’ einmal
herauskommen. Wie er nun hinauskam, geſtan-
den ſie ihm alle vier, ſie haͤtten das Geld geſtohlen,
ſie wollten’s ja gern herausgeben und ihm eine
ſchwere Summe dazu, wenn er ſie nicht verrathen
wollte; es ging ihnen ſonſt an den Hals. Sie
fuͤhrten ihn auch hin, wo das Geld verſteckt lag.
Damit war der Doctor zufrieden, ging wieder
hinein und ſprach: „Herr nun will ich in mei-
nem Buch ſuchen, wo das Geld ſteckt.“ Der
fuͤnfte Bediente aber kroch in den Ofen, und wollt’
hoͤren, ob der Doctor noch mehr wuͤßte. Er ſaß
aber und ſchlug ſein Abcbuch auf, blaͤtterte darin
hin und her und ſuchte den Goͤckelhahn, weil er
ihn nun nicht gleich finden konnte, ſprach er: „du
biſt doch darin und mußt auch heraus.“ Da
meinte der im Ofen, er waͤr’ gemeint, ſprang vol-
ler Schrecken heraus und rief: „der Mann weiß
alles!“ Nun zeigte der Doctor Allwiſſend dem
Herrn, wo das Geld lag, ſagte aber nicht, wer’s
geſtohlen hatte, bekam von beiden Seiten viel Geld
zur Belohnung und ward ein beruͤhmter Mann.


[91]

13.
Der Froſchprinz.


Es war einmal ein Koͤnig, der hatte drei
Toͤchter, in ſeinem Hof aber ſtand ein Brunnen
mit ſchoͤnem klarem Waſſer. An einem heißen
Sommertag ging die aͤlteſte hinunter und ſchoͤpfte
ſich ein Glas voll heraus, wie ſie es aber ſo anſah
und gegen die Sonne hielt, ſah ſie, daß es truͤb’
war. Das kam ihr ganz ungewohnt vor und ſie
wollte es wieder hineinſchuͤtten, indem regte ſich
ein Froſch in dem Waſſer, ſtreckte den Kopf in
die Hoͤhe, und ſprang endlich auf den Brunnen-
rand, da ſagte er zu ihr:


„wann du willſt mein Schaͤtzchen ſeyn,

will ich dir geben hell, hell Waͤſſerlein.“

„Ei, wer will Schatz von einem garſtigen Froſch
ſeyn,“ rief die Prinzeſſin und lief fort. Sie
ſagte ihren Schweſtern was da unten am Brun-
nen fuͤr ein wunderlicher Froſch waͤre, der das
Waſſer truͤb machte. Da ward die zweite neugie-
rig, ging hinunter und ſchoͤpfte ſich auch ein Glas
voll, das war eben wieder ſo truͤb, daß ſie es
nicht trinken wollte. Aber der Froſch war auch
wieder auf dem Rand und ſagte:


„wann du willſt mein Schaͤtzchen ſeyn,

will ich dir geben hell, hell Waͤſſerlein.“

[92]

„Das waͤr’ mir gelegen,“ ſagte die Prinzeſſin und
lief fort. Endlich kam die dritte, und ſchoͤpfte
auch, aber es ging ihr nicht beſſer und der Froſch
ſprach auch zu ihr:


„wann du willſt mein Schaͤtzchen ſeyn,

will ich dir geben hell, hell Waͤſſerlein.“

„Ja doch! ich will dein Schaͤtzchen ſeyn, ſagte die
Prinzeſſin, ſchaff’ mir nur reines Waſſer,“ ſie
dachte aber: was ſchadet dir das, du kannſt ihm
ja leicht aus Gefallen ſo ſprechen, ein dummer
Froſch kann doch nimmermehr mein Schatz ſeyn.
Der Froſch aber war wieder in’s Waſſer geſprun-
gen, und als ſie nun zum zweitenmal ſchoͤpfte, da
war das Waſſer ſo klar, daß die Sonne ordent-
lich vor Freuden darin blinkte. Sie trank ſich
recht ſatt und brachte ihren Schweſtern noch mit
hinauf: was ſeyd ihr ſo einfaͤltig geweſen und
habt euch vor dem Froſch gefuͤrchtet.“


Darnach dachte die Prinzeſſin nicht weiter
daran und legte ſich Abends vergnuͤgt in’s Bett.
Wie ſie ein Weilchen darin lag und noch nicht ein-
geſchlafen war, da hoͤrt ſie auf einmal etwas an
der Thuͤre krabbeln, und darnach ſingen:


„Mach’ mir auf! mach mir auf!

Koͤnigstochter, juͤngſte,

weißt du nicht, wie du geſagt

als ich in dem Bruͤnnchen ſaß,

du wollteſt auch mein Schaͤtzchen ſeyn,

gaͤb’ ich dir hell, hell Waͤſſerlein.“

[93]

„Ei! da iſt ja mein Schatz, der Froſch, ſagte die
Prinzeſſin, nun weil ich’s ihm verſprochen habe,
ſo will ich ihm aufmachen,“ alſo ſtand ſie auf,
oͤffnete ihm ein Bischen die Thuͤre und legte ſich
wieder. Der Froſch huͤpfte ihr nach und huͤpfte
endlich unten in’s Bett zu ihren Fuͤßen und blieb
da liegen, und als die Nacht voruͤber war und
der Morgen graute, da ſprang er wieder herunter
und fort zur Thuͤre hinaus. Am andern Abend,
als die Prinzeſſin wieder im Bett lag, krabbelte
es wieder und ſang an der Thuͤre. Die Prin-
zeſſin machte auf, und der Froſch lag bis es Tag
werden wollte wieder unten zu ihren Fuͤßen. Am
dritten Abend kam er, wie an den vorigen. „Das
iſt aber das letztemal, daß ich dir aufmache, ſagte
die Prinzeſſin, in Zukunft geſchiehts nicht mehr.“
Da ſprang der Froſch unter ihr Kopfkiſſen und
die Prinzeſſin ſchlief ein. Wie ſie am Morgen
aufwachte und meinte, der Froſch ſollte wieder
forthuͤpfen, da ſtand ein ſchoͤner junger Prinz vor
ihr, der ſagte, daß er der bezauberte Froſch gewe-
ſen, und daß ſie ihn erloͤſt haͤtte, weil ſie verſpro-
chen ſein Schatz zu ſeyn. Da gingen ſie beide
zum Koͤnig, der gab ihnen ſeinen Segen und da
ward Hochzeit gehalten. Die zwei andern Schwe-
ſtern aber aͤrgerten ſich, daß ſie den Froſch nicht
zum Schatz genommen hatten.


[94]

14.
Des Teufels rußiger Bruder.


Ein abgedankter Soldat hatte nichts zu leben
und wußte ſich nicht mehr zu helfen. Da ging
er hinaus in den Wald und als er ein Weilchen
gegangen war, begegnete ihm ein kleines Maͤnn-
chen, das war aber der Teufel. Das Maͤnnchen
ſagte zu ihm: „was fehlt dir, du ſiehſt ja ſo
truͤbſelig aus?“ da ſprach der Soldat: ich habe
Hunger und kein Geld.“ Der Teufel ſagte:
willſt du dich bei mir vermiethen und mein Knecht
ſeyn, ſo ſollſt du fuͤr dein Lebtag genug haben;
ſieben Jahre ſollſt du mir dienen, dann biſt du
wieder frei, aber eins ſag ich dir, du darfſt dich
nicht waſchen, nicht kaͤmmen, nicht ſchnippen,
keine Naͤgel und Haare abſchneiden und kein Waſſer
aus den Augen wiſchen.“ Der Soldat ſagte:
wohlan, ſo ſoll’s ſeyn! und ging mit dem Maͤnn-
chen fort, das fuͤhrte ihn nun geradeswegs in die
Hoͤlle hinein. Da ſagte es ihm was er zu thun
habe, er muͤßte das Feuer ſchuͤren unter den Keſ-
ſeln, wo die Hoͤllenbraten drin ſaͤßen, das Haus
rein halten, den Kehrdreck hinter die Thuͤre tra-
gen und uͤberall auf Ordnung ſehen, aber guckt’
er einziges Mal in die Keſſel hinein, ſo ſollt’s
ihm ſchlimm gehen. Der Soldat ſprach: „es
iſt ſchon gut, ich will’s beſorgen.“ Da ging nun
[95] der alte Teufel wieder hinaus auf ſeine Wande-
rung und der Soldat trat ſeinen Dienſt an, legte
Feuer zu, kehrte und trug den Kehrdreck hinter
die Thuͤre; wie der alte Teufel wieder kam, war
er zufrieden und ging zum zweitenmal fort. Der
Soldat ſchaute ſich nun einmal recht um, da ſtan-
den die Keſſel rings herum in der Hoͤlle und war
ein gewaltiges Feuer darunter, und es kochte und
brutzelte darin. Da haͤtt’ er fuͤr ſein Leben gern
hineingeſchaut, es war ihm aber ſo ſtreng verbo-
ten; endlich konnt’ er ſich nicht mehr anhalten,
ging herbei und hob’ vom erſten Keſſel ein klein
Bischen den Deckel auf und guckte hinein. Da
ſah er ſeinen ehemaligen Unteroffizier darin ſitzen:
„aha! Vogel, ſprach er, treff’ ich dich hier! du
haſt mich gehabt, jetzt hab’ ich dich!“ ließ ge-
ſchwind den Deckel fallen, ſchuͤrte das Feuer und
legte noch friſch zu. Darnach ging er zum zwei-
ten Keſſel, hob ihn auch ein wenig auf und guckte,
da ſaß ſein Faͤhndrich darin: „aha! Vogel, treff’
ich dich hier, du haſt mich gehabt, jetzt hab’ ich
dich,“ machte den Deckel wieder zu und trug noch
einen Klotz herbei, der ſollt’ ihm erſt recht heiß
machen. Nun wollt’ er auch ſehen, wer im drit-
ten Keſſel ſaͤße, da war’s gar ſein General: „aha!
Vogel, treff’ ich dich hier! du haſt mich gehabt,
jetzt hab’ ich dich!“ holte den Blasbalg und ließ
das Hoͤllenfeuer recht unter ihm flackern. Alſo
that er ſieben Jahr ſeinen Dienſt in der Hoͤlle,
[96] wuſch ſich nicht, kaͤmmte ſich nicht, ſchnippte ſich
nicht, ſchnitt ſich die Naͤgel und Haare nicht, und
wiſchte ſich kein Waſſer aus den Augen, und die
ſieben Jahr waren ihm ſo kurz, daß er meinte,
es waͤr’ nur ein halb Jahr geweſen. Wie nun
die Zeit vollends herum war, kam der Teufel
und ſagte: „nun, Hans, was haſt du gemacht?“
— „Ich hab’ das Feuer unter den Keſſeln ge-
ſchuͤrt, ich hab’ gekehrt und den Kehrdreck hinter
die Thuͤre getragen.“ — „Aber du haſt auch in
die Keſſel geguckt; dein Gluͤck iſt, daß du noch
Holz zugelegt haſt, ſonſt war dein Leben verlo-
ren: jetzt iſt deine Zeit herum, willſt du wieder
heim?“ „Ja, ſagte der Soldat, ich wollt auch
gern ſehen, was mein Vater daheim macht.“
Sprach der Teufel: „damit du deinen verdienten
Lohn kriegſt, geh und raff’ dir deinen Ranzen
voll Kehrdreck und nimm’s mit nach Haus, du
ſollſt auch gehen ungewaſchen und ungekaͤmmt,
mit langen [Haaren] am Kopf und am Bart, mit
ungeſchnittenen Naͤgeln und mit truͤben Augen,
und wenn du gefragt wirſt, woher du kaͤmſt, ſollſt
du ſagen: aus der Hoͤlle; und wenn du gefragt
wirſt, wer du waͤrſt, ſollſt du ſagen: des Teu-
fels rußiger Bruder und mein Koͤnig auch.“ Der
Soldat ſchwieg ſtill und that, was der Teufel
ſagte, aber er war mit ſeinem Lohn gar nicht zu-
frieden.


Wie er nun wieder auf die Welt kam und
[97] im Wald war, hob er ſeinen Ranzen vom Ruͤcken
und wollt’ ihn ausſchuͤtten; wie er ihn aber oͤff-
nete, ſo war der Kehrdreck pures Gold geworden.
Als er das ſah, war er vergnuͤgt und ging in die
Stadt hinein. Vor dem Wirthshaus ſtand der
Wirth und wie er ihn herankommen ſah, erſchrack
er, weil Hans ſo entſetzlich ausſah, aͤrger als
eine Vogelſcheu, und rief ihn an: „woher kommſt
du?“ — „Aus der Hoͤlle.“ — Wer biſt du?“ —
Des Teufels ſein rußiger Bruder, und mein
Koͤnig auch.“ Der Wirth wollt’ ihn nicht ein-
laſſen, wie er ihm aber das Gold zeigte, ging er
und klinkte ihm Hans ſelber die Thuͤre auf. Da
ließ er ſich nun die beſte Stube geben, koͤſtlich auf-
warten, aß und trank ſich ſatt, wuſch ſich aber
nicht und kaͤmmte ſich nicht, wie ihm der Teufel
geheißen hatte, und legte ſich endlich ſchlafen.
Dem Wirth aber war der Ranzen voll Gold vor
den Augen und ließ ihm keine Ruh’, bis er in
der Nacht hinſchlich und ihn wegſtahl.


Wie nun Hans am andern Morgen auf-
ſtand, den Wirth bezahlen und weiter gehen wollte,
da war ſein Ranzen weg. Er faßte ſich aber
kurz, dachte, du biſt ohne Schuld ungluͤcklich
geweſen, und kehrte wieder um geradezu in die
Hoͤlle; da klagte er es dem alten Teufel und bat
ihn um Huͤlfe. Der Teufel ſagte: „ſetz’ dich, ich
will dich waſchen, kaͤmmen, ſchnippen, die Haare
und Naͤgel ſchneiden und die Augen auswiſchen,“
Kindermaͤhrchen II. G
[98] und als er fertig mit ihm war, gab er ihm den
Ranzen wieder voll Kehrdreck und ſprach: „geh’
hin und ſag’ dem Wirth, er ſollt’ dir dein Gold
wieder herausgeben, ſonſt wollt’ ich kommen und
ihn abholen an deinen Platz.“ Hans ging hin-
auf und ſprach zum Wirth: „du haſt mein Gold
geſtohlen, gibſt du’s nicht wieder, ſo kommſt du
in die Hoͤlle an meinen Platz und ſollſt ausſehen,
wie ich.“ Da gab ihm der Wirth das Gold und
noch mehr dazu und bat ihn nur ſtill davon zu
ſeyn, und Hans war nun ein reicher Mann.


Hans machte ſich auf den Weg heim zu ſei-
nem Vater, kaufte ſich einen ſchlechten Linnen-
kittel auf den Leib, ging herum und machte Muſik,
denn das hatte er bei dem Teufel in der Hoͤlle ge-
lernt. Es war aber ein alter Koͤnig im Land,
vor dem mußt’ er ſpielen und der gerieth daruͤber
in ſolche Freude, daß er dem Hans ſeine aͤlteſte
Tochter zur Ehe verſprach. Als die aber hoͤrte,
daß ſie ſo einen gemeinen Kerl im weißen Kittel
heirathen ſollte, ſprach ſie: eh’ ich das thaͤt’,
wollt’ ich lieber in’s tiefſte Waſſer gehen.“ Da
gab ihm der Koͤnig die juͤngſte Prinzeſſin, die
wollt’s ihrem Vater zu Liebe gern thun, und alſo
bekam des Teufels rußiger Bruder die Koͤnigs-
tochter und als der alte Koͤnig geſtorben war, auch
das ganze Reich.


[99]

15.
Der Teufel Gruͤnrock.


Es waren drei Bruͤder, die ſtießen den juͤng-
ſten immer zuruͤck und als ſie ausgehen und in
die Welt ziehen wollten, ſprachen ſie zu ihm:
wir brauchen dich nicht, du kannſt allein wan-
dern.“ Alſo verließen ſie ihn und er mußte allein
fuͤr ſich ziehen, kam auf eine große Heide und
war ſehr hungrig. Auf der Heide aber ſtand ein
Ring von Baͤumen, darunter ſetzte er ſich und
weinte. Auf einmal hoͤrte er ein Brauſen, und
wie er aufſah, da kam der Teufel daher in einem
gruͤnen Rock und mit einem Pferdefuß und redete
ihn an: „was fehlt dir, warum weinſt du?“
Da klagte er ihm ſeine Noth und ſagte: „meine
Bruͤder haben mich verſtoßen.“ Da ſprach der
Teufel: „ich will dir wohl helfen, zieh’ dieſen
gruͤnen Rock an, der hat Taſchen, die ſind immer
voll Geld, du magſt hineingreifen, wann du
willſt; aber dafuͤr verlang’ ich, daß du dich in ſie-
ben Jahren nicht waͤſcheſt, deine Haare nicht
kaͤmmſt und nicht beteſt. Stirbſt du in dieſen
ſieben Jahren, ſo biſt du mein, bleibſt du aber
leben, ſo biſt du frei und reich dazu auf dein
Lebtag.“ Da trieb ihn die Noth, daß er dem
Teufel zuſagte und dieſer zog den gruͤnen Rock
aus und er zog ihn an, und wie er ſeine Hand in
die Taſche ſteckte, hatte er ſie voll Geld.


G 2
[100]

Nun ging er mit dem gruͤnen Rock in die
Welt, das erſte Jahr war’s gut, was er ſich nur
wuͤnſchte, konnt’ er mit ſeinem Geld bezahlen,
und er ward noch ziemlich fuͤr einen Menſchen an-
geſehen. Im zweiten Jahr ging’s ſchlimmer, da
waren die Haare ihm ſchon ſo lang gewachſen, ſo
daß ihn niemand erkennen konnte und niemand
wollt’ ihn herbergen, weil er ſo abſcheulich aus-
ſah. Und je laͤnger, je aͤrger ward es, er gab
aber den Armen uͤberall viel Geld, damit ſie fuͤr
ihn beten moͤchten, daß er in den ſieben Jahren
nicht ſtuͤrbe und in die Haͤnde des Teufels fiele.
Da kam er einmal im vierten Jahre in ein Wirths-
haus, der Wirth wollt’ ihn auch nicht aufneh-
men, er zog aber einen Haufen Geld heraus und
bezahlte vorher, da erhielt er endlich eine Stube.
Abends hoͤrte er im Nebenzimmer ein laut Jam-
mern, da ging er hin und ſah einen alten Mann
darin ſitzen, der weinte und beklagte ſich und ſagte
zu ihm, er ſolle nur wieder weggehen, er koͤnne
ihm doch nicht helfen. Da fragte er ihn, was
ihm fehle; der Alte ſprach, er haͤtte kein Geld
und waͤr viel im Wirthshaus ſchuldig, nun haͤt-
ten ſie ihn ſo lange feſtgeſetzt, bis er bezahlte. Da
ſagte der im gruͤnen Rock: „wenn’s weiter nichts
iſt, Geld hab’ ich genug, das will ich ſchon be-
zahlen, und machte den Alten frei.


Der Alte aber hatte drei ſchoͤne Toͤchter und
ſprach zu ihm, er ſollte mit ihm gehen und zur
[101] Belohnung eine davon zur Frau haben. Da ging
er mit ihm, wie ſie aber zu Haus ankamen und
die aͤlteſte ihn ſah, ſchrie ſie, daß ſie einen ſo ent-
ſetzlichen Menſchen, der gar keine menſchliche Ge-
ſtalt mehr habe und wie ein Baͤr ausſehe, heira-
then ſolle; die zweite lief auch fort und wollte lie-
ber in die weite Welt gehen; die juͤngſte aber
ſprach: „lieber Vater, weil ihr es verſprochen
habt und er euch auch in der Noth geholfen, ſo
will ich euch gehorſam ſeyn.“ Da nahm der
Gruͤnrock einen Ring von ſeinem Finger und
brach ihn durch und gab ihr die eine Haͤlfte und
behielt die andere fuͤr ſich. In ihre Haͤlfte aber
ſchrieb er ſeinen Namen und in ſeine ſchrieb er
ihren, und ſagte, ſie moͤchte den halben Ring
gut aufheben. Da blieb er noch ein Weilchen
bei ihr und ſprach dann: „nun muß ich Abſchied
nehmen, drei Jahre bleib ich aus und ſo lang ſey
mir treu, dann komm ich wieder und ſoll unſere
Hochzeit ſeyn, bin ich aber in drei Jahren nicht
zuruͤck, ſo biſt du frei, denn da bin ich todt; bet’
aber fuͤr mich, daß mir Gott das Leben ſchenke.“


In den drei Jahren machten ſich nun die
beiden aͤlteſten Schweſtern recht luſtig uͤber die
juͤngſte, und ſagten, ſie muͤßt’ einen Baͤr zum
Manne nehmen, und kriegte nicht einmal einen
ordentlichen Menſchen. Sie aber ſchwieg ſtill
und dachte, du mußt deinem Vater gehorchen, es
mag kommen wie es will. Der Gruͤnrock aber
[102] zog in der Welt herum, griff oft in die Taſche
und kaufte fuͤr ſeine Braut das Schoͤnſte was ihm
nur vor die Augen kam, that nichts Boͤſes, ſon-
dern Gutes, wo er konnte, und gab den Armen,
daß ſie fuͤr ihn beteten. Da erzeigte ihm Gott
die Gnade, daß die drei Jahre verfloſſen und er
geſund und lebendig blieb. Wie nun die Zeit her-
um war, ging er wieder hinaus auf die Heide
und ſetzte ſich unter den Ring von Baͤumen. Da
ſauſte es wieder ganz gewaltig daher und der Teu-
fel kam ganz brummend und giftig und warf ihm
ſeinen alten Rock hin und forderte den gruͤnen.
Da zog ihn der Juͤngling mit Freuden aus und
reichte ihn dem Teufel und war nun frei und reich
auf immer. Dann ging er nach Haus, machte
ſich rein und putzte ſich aus und zog fort zu ſeiner
Braut. Als er an’s Thor kam, begegnete ihm
der Vater; er gruͤßte ihn und gab ſich als den
Braͤutigam an, aber der Vater erkannte ihn nicht
und wollte ihm nicht glauben. Da ging er hin-
auf zur Braut, die wollte ihm auch nicht glau-
ben. Endlich fragte er, ob ſie den halben
Ring noch habe. Da ſagte ſie ja, ging hin
und holte ihn; er aber zog den ſeinen heraus
und hielt ihn daran, da paßten ſie zuſam-
men und war es gewiß, daß es niemand als ihr
Braͤutigam ſeyn konnte. Und wie ſie nun ſah,
daß es ein ſchoͤner Mann war, freute ſie ſich und
hatte ihn lieb und ſie hielten Hochzeit miteinan-
[103] der; die beiden Schweſtern aber, weil ſie ihr
Gluͤck verſaͤumt hatten, waren ſo boͤs, daß am
Hochzeittag die eine ſich erſaͤufte, die andere ſich
erhenkte. Am Abend klopfte und brummte etwas
an der Thuͤre und als der Braͤutigam hinging
und aufmachte, ſo war’s der Teufel im gruͤnen
Rock, der ſprach: „ſiehſt du, da hab’ ich nun
zwei Seelen fuͤr deine eine!“


16.
Der Zaunkoͤnig und der Baͤr.


Zur Sommerszeit gingen einmal der Baͤr
und der Wolf im Wald ſpaziren, da hoͤrte der
Baͤr ſo ſchoͤnen Geſang von einem Vogel und
ſprach: Bruder Wolf, was iſt das fuͤr ein Vogel,
der ſo ſchoͤn ſingt?“ — „Das iſt der Koͤnig der
Voͤgel, ſagte der Wolf, vor dem muͤſſen wir uns
neigen;“ es war aber der Zaunkoͤnig. „Wenn
das iſt, ſagte der Baͤr, moͤcht’ ich auch gern ſei-
nen koͤniglichen Pallaſt ſehen, komm und fuͤhr’
mich hin.“ „Das geht nicht ſo, wie du meinſt,
ſprach der Wolf, du mußt warten, bis die Frau
Koͤnigin kommt.“ Bald darauf kam die Frau
Koͤnigin und hatte Futter im Schnabel und der
Herr Koͤnig auch und wollten ihre Jungen aͤtzen.
Der Baͤr waͤr’ gern nun gleich hintendrein gegan-
[104] gen, aber der Wolf hielt ihn am Ermel und ſagte:
„nein, du mußt warten bis Herr und Frau Koͤ-
nigin wieder fort ſind.“ Alſo nahmen ſie das
Loch in acht, wo das Neſt ſtand, und gingen wie-
der ab. Der Baͤr aber hatte keine Ruhe, wollte
den koͤniglichen Pallaſt ſehen und ging nach einer
kurzen Weile wieder vor. Da waren Koͤnig und
Koͤnigin wieder ausgeflogen, er guckte hinein und
ſah 5 oder 6 Junge, die lagen darin: „iſt das der
koͤnigliche Palaſt? ſagte der Baͤr, das iſt ein elen-
der Palaſt! ihr ſeyd auch keine Koͤnigskinder, ihr
ſeyd unehrliche Kinder!“ Wie das die jungen
Zaunkoͤnige hoͤrten, wurden ſie gewaltig boͤs und
ſchrien: „nein, das ſind wir nicht, unſere Eltern
ſind ehrliche Leute, Baͤr, das ſoll ausgemacht
werden mit dir.“ Dem Baͤr und dem Wolf ward
angſt, ſie kehrten um und ſetzten ſich in ihre Loͤcher.
Die jungen Zaunkoͤnige aber ſchrien und laͤrmten
fort, und als ihre Eltern wieder Futter brachten,
ſagten ſie: „wir eſſen kein Fliegenbeinchen und
ſollten wir verhungern, bis ihr erſt ausmacht, ob
wir ehrliche Kinder ſind oder nicht, denn der Baͤr
iſt da geweſen und hat uns geſcholten.“ Da ſagte
der alte Koͤnig: „ſeyd nur ruhig, das ſoll ausge-
macht werden.“ Flog darauf mit der Frau Koͤ-
nigin dem Baͤren vor ſeine Hoͤhle und rief hinein:
„Brummbaͤr, du haſt meine Kinder geſcholten,
das ſoll dir uͤbel bekommen, das wollen wir in ei-
nem blutigen Krieg ausmachen.“ Alſo war dem
[105] Baͤr der Krieg angekuͤndigt und ward alles vier-
fuͤßige Gethier berufen: Ochs, Eſel, Rind, Hirſch,
Reh und was die Erde ſonſt alles traͤgt. Der
Zaunkoͤnig aber berief alles, was in der Luft fliegt,
nicht allein die Voͤgel groß und klein, auch die
Muͤcken, Horniſſen, Bienen und Fliegen mußten
herbei.


Als nun die Zeit kam, wo der Krieg ange-
hen ſollte, da ſchickte der Zaunkoͤnig Kundſchafter
aus, wer der kommandirende General des Fein-
des waͤr. Die Muͤcke war beſonders liſtig,
ſchwaͤrmte im Wald, wo der Feind ſich verſam-
melte, und ſetzte ſich endlich unter ein Blatt auf
den Baum, wo die Parole ausgegeben wurde.
Da ſtand der Baͤr, rief den Fuchs vor ſich und
ſprach: „Fuchs, du biſt der ſchlauſte unter allem
Gethier, du ſollſt General ſeyn und uns anfuͤh-
ren: was fuͤr Zeichen wollen wir verabreden?“
Da ſprach der Fuchs: „ich hab’ einen ſchoͤnen,
langen, bauſchigten Schwanz, der ſieht aus faſt
wie ein rother Federbuſch, wenn ich den in die
Hoͤhe halte, ſo geht die Sache gut und ihr muͤßt
drauf los marſchiren, laß ich ihn aber herunter-
haͤngen, ſo fangt an und lauft.“ Als die Muͤcke
das gehoͤrt hatte, flog ſie wieder heim und ver-
rieth dem Zaunkoͤnig alles haarklein.


Als der Tag anbrach, wo die Schlacht ſollte
geliefert werden, hu! da kam das vierfuͤßige Ge-
thier dahergerennt mit Gebraus, daß die Erde
[106] zitterte; Zaunkoͤnig mit ſeiner Armee kam auch
durch die Luft daher, die ſchnurrte, ſchrie und
ſchwaͤrmte, daß einem Angſt wurde; und gingen
ſie da von beiden Seiten aneinander. Der Zaun-
koͤnig aber ſchickte die Horniſſe hinab, ſie ſollte ſich
dem Fuchs unter dem Schwanz ſetzen und aus
Leibeskraͤften ſtechen. Wie nun der Fuchs den er-
ſten Stich bekam, zuckte er daß er das eine Bein
aufhob, doch ertrug er’s und ließ den Schwanz
noch in der Hoͤhe; beim zweiten mußt’ er ihn
einen Augenblick herunter laſſen, beim dritten
aber konnte er ſich nicht mehr halten, ſchrie und
nahm den Schwanz zwiſchen die Beine. Wie
das die Thiere ſahen, meinten ſie, alles waͤr’ ver-
loren und fingen an zu laufen, jeder in ſeine
Hoͤhle, und hatten die Voͤgel die Schlacht ge-
wonnen.


Da flog der Herr Koͤnig und die Frau Koͤ-
nigin heim zu ihren Kindern und riefen: „Kin-
der ſeyd froͤhlich, eßt und trinkt nach Herzensluſt,
wir haben den Krieg gewonnen.“ Die jungen
Zaunkoͤnige aber ſagten: „noch eſſen wir nicht,
der Baͤr ſoll erſt vor’s Neſt kommen und Abbitte
thun und ſagen, daß wir ehrliche Kinder ſind.“
Da flog der Zaunkoͤnig vor das Loch des Baͤren,
und rief: „Brummbaͤr, du ſollſt vor das Neſt
zu meinen Kindern gehen und Abbitte thun und
ſagen, daß ſie ehrliche Kinder ſind, ſonſt ſollen
dir die Rippen im Leib’ zertreten werden.“ Da
[107] kroch der Baͤr in der groͤßten Angſt hin und that
Abbitte, und darauf ſetzten ſich die jungen Zaun-
koͤnige zuſammen und aßen und tranken und mach-
ten ſich luſtig bis in die ſpaͤte Nacht hinein.


17.
Vom ſuͤßen Brei.


Es war einmal ein armes, frommes Maͤdchen,
das lebte mit ſeiner Mutter allein und ſie hatten
nichts mehr zu eſſen. Da ging das Kind hinaus
in den Wald und begegnete ihm darin eine alte
Frau, die wußte ſeinen Jammer ſchon und ſchenkte
ihm ein Toͤpfchen, zu dem ſollt’ es ſagen: „Toͤpf-
chen koch!“ ſo kochte es guten, ſuͤßen Hirſchen-
brei, und wenn es ſagte: „Toͤpfchen ſteh,“ ſo
hoͤrte es wieder auf zu kochen. Das Maͤdchen
brachte den Topf ſeiner Mutter heim und nun
waren ſie ihrer Armuth und ihres Hungers ledig
und aßen ſuͤßen Brei, ſo oft ſie wollten. Auf
eine Zeit war das Maͤdchen ausgegangen, da
ſprach die Mutter: „Toͤpfchen koch!“ da kocht
es und ſie ißt ſich ſatt; nun will ſie, daß das
Toͤpfchen wieder aufhoͤren ſoll, aber ſie weiß das
Wort nicht. Alſo kocht es fort und der Brei ſteigt
uͤber den Rand heraus, und kocht immer zu, die
Kuͤche und das ganze Haus voll, und das zweite
Haus und dann die Straße, als wollt’s die ganze
[108] Welt ſatt machen, und iſt die groͤßte Noth und
kein Menſch weiß ſich da zu helfen. Endlich, wie
nur noch ein einziges Haus uͤbrig iſt, da kommt das
Kind heim und ſpricht nur: „Toͤpfchen ſteh!“
da ſteht es und hoͤrt auf zu kochen, und wenn ſie
wieder in die Stadt wollten, haben ſie ſich durch-
eſſen muͤſſen.


18.
Die treuen Thiere.


Es war einmal ein Mann, der hatte gar
nicht viel Geld; mit dem wenigen, das ihm uͤbrig
blieb, zog er in die weite Welt. Da kam er in
ein Dorf, wo die Jungen zuſammen liefen, ſchrien
und laͤrmten. „Was habt ihr vor, ihr Jungen?“
ſagte der Mann. — „Ei, da haben wir eine
Maus, die muß uns tanzen, ſeht einmal, was
das fuͤr ein Spaß iſt! wie die herumtrippelt!“
Den Mann aber dauerte das arme Thierchen und
er ſprach: „laßt die Maus laufen, ihr Jungen,
ich will euch auch Geld geben.“ Da gab er ihnen
Geld und ſie ließen die Maus gehen, die lief,
was ſie konnte, in ein Loch hinein. Der Mann
ging fort und kam in ein anderes Dorf, da hat-
ten die Jungen einen Affen, der mußte tanzen
und Purzelbaͤume machen, und ſie lachten daruͤ-
ber und ließen dem Thier keine Ruh. Da gab
[109] ihnen der Mann auch Geld, damit ſie den Affen
losließen. Darnach kam der Mann in ein drit-
tes Dorf, da hatten die Jungen einen Baͤren und
ließen ihn tanzen, und wenn er dazu brummte,
war’s ihnen eben recht. Da kaufte ihn der Mann
auch los, und der Baͤr war froh, daß er wieder
auf ſeine vier Beine kam und trabte fort.


Der Mann aber hatte nun ſein Bischen uͤbri-
ges Geld ausgegeben und keinen rothen Heller
mehr in der Taſche. Da ſprach er zu ſich ſelber:
„der Koͤnig hat ſoviel in ſeiner Schatzkammer,
was er nicht braucht, Hungers kannſt du nicht
ſterben, du willſt da etwas nehmen, und wenn du
wieder zu Geld kommſt, kannſt du’s ja wieder
hineinlegen.“ Alſo machte er ſich uͤber die Schatz-
kammer, und nahm ſich ein wenig davon, allein
beim Herausſchleichen ward er von den Leuten des
Koͤnigs erwiſcht. Sie ſagten, er waͤre ein Dieb
und fuͤhrten ihn vor Gericht, da ward er verur-
theilt, daß er in einem Kaſten ſollte auf’s Waſſer
geſetzt werden. Der Kaſten-Deckel war voll Loͤ-
cher, damit Luft hinein konnte, auch ward ihm
ein Krug Waſſer und ein Laib Brot mit hinein
gegeben. Wie er nun ſo auf dem Waſſer ſchwamm
und recht in Angſt war, hoͤrt er was krabbeln am
Schloß, nagen und ſchnauben, auf einmal ſpringt
das Schloß ſelber auf und der Deckel in die Hoͤh’,
und ſtehen da Maus, Affe und Baͤr, die hatten’s
gethan; weil er ihnen geholfen, wollten ſie ihm
[110] wieder helfen. Nun wußten ſie aber nicht, was
ſie noch weiter thun ſollten und rathſchlagten mit
einander, indem kam ein weißer Stein auf dem
Waſſer daher geſchwommen, der ſah aus wie ein
rundes Ei. Da ſagte der Baͤr: „der kommt zu
rechter Zeit, das iſt ein Wunderſtein, wem der
eigen iſt, der kann ſich wuͤnſchen, wozu er nur
Luſt hat.“ Da fing der Mann den Stein, und
wie er ihn in der Hand hielt, wuͤnſchte er ſich ein
Schloß mit Garten und Marſtall, und kaum hatte
er den Wunſch geſagt, ſo ſaß er in dem Schloß
mit dem Garten und dem Marſtall, und war alles
ſo ſchoͤn und praͤchtig, daß er ſich nicht genug ver-
wundern konnte.


Nach einer Zeit zogen Kaufleute des Wegs
vorbei. „Seh einmal einer, riefen ſie, was da
fuͤr ein herrliches Schloß ſteht und das letztemal
wie wir vorbeikamen, lag da noch ſchlechter Sand.“
Weil ſie nun neugierig waren, gingen ſie hinein
und erkundigten ſich bei dem Mann, wie er alles
ſo geſchwind haͤtte bauen koͤnnen. Da ſprach er:
„das hab’ ich nicht gethan, ſondern mein Wun-
derſtein.“ — „Was iſt das fuͤr ein Stein?“
fragten ſie. Da ging er hin und holte ihn und
zeigte ihn den Kaufleuten. Die hatten große Luſt
dazu und fragten, ob er nicht zu erhandeln waͤre,
auch boten ſie ihm alle ihre ſchoͤnen Waaren dafuͤr.
Dem Manne ſtachen die Waaren in die Augen,
und weil das Herz unbeſtaͤndig iſt, ließ er ſich be-
[111] thoͤren, und meinte, die ſchoͤnen Waaren ſeyen mehr
werth, als ſein Wunderſtein und gab ihn hin. Kaum
aber hatte er ihn aus den Haͤnden gegeben, da
war auch alles Gluͤck dahin und er ſaß auf einmal
wieder in dem verſchloſſenen Kaſten auf dem Fluß
mit einem Krug Waſſer und einem Laib Brot.
Die treuen Thiere, Maus, Affe und Baͤr, wie
ſie ſein Ungluͤck ſahen, kamen wieder und wollten
ihm helfen, aber ſie konnten nicht einmal das
Schloß aufſprengen, weil’s viel feſter war, als
das erſtemal. Da ſprach der Baͤr: „wir muͤſſen
den Wunderſtein wieder ſchaffen, oder es iſt alles
umſonſt.“ Weil nun die Kaufleute in dem Schloß
noch wohnten, gingen die Thiere miteinander hin,
und wie ſie nah dabei kamen, ſagte der Baͤr:
„Maus geh hin und guck durch’s Schluͤſſelloch
und ſieh, was anzufangen iſt, du biſt klein, dich
merkt kein Menſch.“ Die Maus war willig, kam
aber wieder und ſagte: „es geht nicht, ich hab’
hinein geguckt, der Stein haͤngt unter dem Spiegel
an einen rothem Baͤndchen und huͤben und druͤben
ſitzen ein paar große Katzen mit feurigen Augen,
die ſollen ihn bewachen.“ Da ſagten die andern:
„geh nur wieder hinein und wart’ bis der Herr
im Bett liegt und ſchlaͤft, dann ſchleich dich durch
ein Loch hinein und kriech’ auf’s Bett und zwick’
ihn an der Naſe und beiß ihm ſeine Haare ab.“
Die Maus ging wieder hinein, und that wie die
andern geſagt hatten, und der Herr wachte auf,
[112] rieb ſich die Naſe, war aͤrgerlich und ſprach: „die
Katzen taugen nichts, ſie laſſen mir die Maͤuſe
die Haare vom Kopf abbeißen“ und jagte ſie alle
beide fort. Da hatte die Maus gewonnen
Spiel.


Wie nun der Herr die andere Nacht wieder
eingeſchlafen war, machte die Maus hinein, knu-
perte und nagte an dem rothen Band, woran der
Stein hing, ſo lang, bis es entzwei war und
herunterfiel, dann ſchleifte ſie’s bis zu der Haus-
thuͤr. Das ward aber der armen kleinen Maus
recht ſauer, und ſie ſprach zum Affen, der ſchon
auf der Lauer ſtand: „nimm du nun deine Pfote
und hol’s ganz heraus!“ Das war dem Affen
ein Leichtes, der trug den Stein und ſie gingen
ſo miteinander bis zum Fluß; da ſagte der Affe:
„wie ſollen wir aber nun zu dem Kaſten kommen!“
Der Baͤr ſagte: „das iſt bald geſchehen, ich geh’
in’s Waſſer und ſchwimme, Affe, ſetz’ du dich auf
meinen Ruͤcken, halt’ dich aber mit deinen Haͤn-
den feſt und nimm den Stein in’s Maul, Maͤus-
chen, du kannſt dich in mein rechtes Ohr ſetzen.“
Alſo thaten ſie und ſchwammen den Fluß hinab.
Nach einer Zeit war’s dem Baͤren ſo ſtill, fing an
zu ſchwaͤtzen und ſagte: „hoͤr’ Affe, wir ſind doch
brave Cammeraden, was meinſt du?“ — Der
Aff’ aber antwortete nicht und ſchwieg ſtill. „Ei!
ſagte der Baͤr, willſt du mir keine Antwort geben?
das iſt ein ſchlechter Kerl, der nicht antwortet!“
[113] Wie der Affe das hoͤrt, thut er das Maul auf,
laͤßt den Stein in’s Waſſer fallen und ſagt: „ich
konnt’ ja nicht antworten, ich hatte den Stein im
Mund, jetzt iſt er fort, daran biſt du allein
Schuld.“ „Sey nur ruhig, ſagte der Baͤr, wir
wollen ſchon etwas erdenken.“ Da berathſchlag-
ten ſie ſich und riefen die Laubfroͤſche, Unken und
alles Ungeziefer, das im Waſſer lebt, zuſammen
und ſagten: „es kommt ein gewaltiger Feind,
macht, daß ihr viele Steine zuſammenſchafft, ſo
wollen wir euch eine Mauer bauen und euch ſchuͤt-
zen.“ Da erſchraken die Thiere und brachten
Steine von allen Seiten herbeigeſchleppt, endlich
kam auch ein alter, dicker Quackfroſch recht aus
dem Grund herauf und hatte das rothe Band mit
dem Wunderſtein im Mund. Wie der Baͤr das
ſah, war er vergnuͤgt: „da haben wir, was wir
wollen,“ nahm dem Froſch ſeine Laſt ab, ſagte den
Thieren, es ſey ſchon gut und machte einen kur-
zen Abſchied. Darauf fuhren die drei hinab zu
dem Mann im Kaſten, ſprengten den Deckel mit
Huͤlfe des Steins und kamen noch zu rechter Zeit,
denn er hatte das Brot ſchon aufgezehrt und das
Waſſer getrunken und war ſchon halb verſchmach-
tet. Wie er aber den Stein in die Haͤnde bekam,
da wuͤnſcht er ſich wieder friſch und geſund und in
ſein ſchoͤnes Schloß mit dem Garten und Marſtall
und lebte vergnuͤgt und die drei Thiere blieben
bei ihm und hatten’s gut ihr lebelang.


II.
[114]

19.
Maͤhrchen von der Unke.


I.


Ein Kind ſaß vor der Hausthuͤre auf der
Erde und hatte ſein Schuͤſſelchen mit Milch und
Weckbrocken neben ſich und aß. Da kam eine
Unke gekrochen und ſenkte ihr Koͤpfchen in die
Schuͤſſel und aß mit. Am andern Tag kam ſie
wieder und ſo eine Zeitlang jeden Tag. Das Kind
ließ ſich das gefallen, wie es aber ſah, daß die
Unke immerfort blos die Milch trank und die
Brocken liegen ließ, nahm es ſein Loͤffelchen, ſchlug
ihr ein Bischen auf den Kopf und ſagte: „Ding,
iß auch Brocken!“ Das Kind war ſeit der Zeit
ſchoͤn und groß geworden, ſeine Mutter aber ſtand
gerade hinter ihm, und ſah die Unke, da lief ſie
herbei und ſchlug ſie todt, von dem Augenblick
ward das Kind mager und iſt endlich geſtorben.


II.


Ein Waiſen-Maͤdchen ſaß an der Stadt-
mauer und ſpann, ſah eine Unke herkommen. Da
breitete es ein blauſeiden Tuch, das die Unken
gewaltig lieben und auf das ſie allein gehen, ne-
ben ſich aus. Alſobald die Unke das erblickte,
kehrte ſie um, kam wieder und brachte ein kleines
[115] goldenes Kroͤnchen getragen, legte es darauf und
ging dann wieder fort. Da nahm das Maͤdchen
die Krone auf, ſie glitzerte und war von zartem
Goldgeſpinſt: nicht lange, ſo kam die Unke zum
zweitenmal wieder, wie ſie aber die Krone nicht
mehr ſah, kroch ſie an die Wand und ſchlug vor
Leid ihr Haͤuptlein ſo lang dawider, als ſie nur
noch Kraͤfte hatte, bis ſie endlich todt da lag.
Haͤtte das Maͤdchen die Krone liegen laſſen, die
Unke haͤtte wohl noch mehr von ihren Schaͤtzen
aus der Hoͤhle herbeigetragen.


III.


(Die Unke ruft:) huhu! huhu! (Kind
ſpricht:) kommt herut! (Die Unke kommt her-
vor, da fragt das Kind nach ſeinem Schweſter-
chen:) „haſt du Rothſtruͤmpfchen nicht geſehen?“
(Unke:) „Ne, ik og nit: wie du denn? huhu!
huhu! huhu!“


20.
Der arme Muͤllerburſch und das Kaͤtzchen.


In einer Muͤhle dienten einmal drei Muͤl-
lerburſche, worin nur ein alter Muͤller lebte ohne
Frau und Kind. Wie ſie nun etliche Jahre bei
ihm gedient hatten, ſagte er zu ihnen: „zieht ein-
mal fort, und wer mir das beſte Pferd nach Haus
H 2
[116] bringt, dem will ich die Muͤhle geben.“ Der
dritte von den Burſchen war aber der Kleinknecht,
der ward von den andern fuͤr albern gehalten, dem
goͤnnten ſie die Muͤhle nicht; und er wollte ſie
hernach nicht einmal! Da gingen. alle drei mit-
einander hinaus, und wie ſie vor das Dorf kamen,
ſagten die zwei zu dem albernen Hans: „du kannſt
nur hier bleiben, du kriegſt doch dein lebtag keinen
Gaul.“ Der Hans aber ging doch mit und als
es Nacht war, kamen ſie an eine Hoͤhle, da hin-
ein legten ſie ſich ſchlafen. Die zwei klugen war-
teten nun bis Hans eingeſchlafen war, dann ſtie-
gen ſie auf, machten ſich fort, ließen das Haͤns-
chen liegen und meinten’s recht fein gemacht zu
haben: ja! es wird euch doch nicht gut gehen!
Wie nun die Sonne heraufkam und Hans auf-
wachte, lag er in einer tiefen Hoͤhle, er guckte
ſich uͤberall um: „ach Gott! wo bin ich!“ Da
erhob er ſich und kraffelte die Hoͤhle hinauf, ging
in den Wald und dachte: „wie ſoll ich nun zu
einem Pferd kommen!“ Indem er ſo in Ge-
danken dahin ging, begegnete ihm ein kleines bun-
tes Kaͤtzchen, ſprach: „Hans, wo willſt du hin?“
— „Ach! du kannſt mir doch nicht helfen.“ —
„Was dein Begehren iſt, weiß ich wohl, ſprach
das Kaͤtzchen, du willſt einen huͤbſchen Gaul ha-
ben, komm mit mir und ſey ſieben Jahre lang
mein treuer Knecht, ſo will ich dir einen geben,
ſchoͤner, als du dein Lebtag einen geſehen haſt.“
[117] Da nahm ſie ihn mit in ihr verwuͤnſchtes Schloͤß-
chen, er mußt’ ihr dienen und alle Tage Holz
klein machen, dazu kriegte er eine Axt von Sil-
ber und die Keile und Saͤge von Silber und der
Schlaͤger war von Kupfer. Nun da machte er’s
klein, blieb bei ihm, hatte ſein gutes Eſſen und
Trinken, ſah aber niemand als das bunte Kaͤtz-
chen. Einmal ſagte es zu ihm: „geh hin und
maͤh meine Wieſe und mach das Gras trocken“
und gab ihm von Silber eine Senſe und von
Gold einen Wetzſtein, hieß ihn aber auch alles
wieder richtig abliefern. Da ging der Hans hin
und that was es geheißen hatte und als er fertig
war und die Senſe, den Wetzſtein und das Heu
nach Haus brachte, fragte er, ob es ihm noch
nicht ſeinen Lohn geben wollte. „Nein, ſagte die
Katze, du ſollſt mir erſt noch einerlei thun, da iſt
Bauholz von Silber, Zimmeraxt, Winkeleiſen
und was noͤthig iſt, alles von Silber, daraus bau
mir erſt ein kleines Haͤuschen.“ Da baute der
Hans das Haͤuschen fertig und ſagte, er haͤtte
nun alles gethan und noch kein Pferd; die ſieben
Jahre aber waren ihm herumgegangen, wie ein
halbes. Da fragte die Katze: ob er ihre Pferde
ſehen wollte?“ „Ja,“ ſagte Hans. Da machte
ſie ihm das Haͤuschen auf und weil ſie die Thuͤre
ſo aufmacht, da ſtehen zwoͤlf Pferde: ach! die
waren geweſen ganz ſtolz! die hatten geblaͤnkt und
geſpiegelt, daß ſich ſein Herz im Leib daruͤber
[118] freute. Nun gab ſie ihm zu eſſen und zu trin-
ken und ſprach: „geh nun heim, dein Pferd geb’
ich dir nicht mit, in drei Tagen aber komm’ ich
und bring’ dir’s nach;“ alſo ging Hans heim
und ſie zeigte ihm den Weg zur Muͤhle. Sie
hatte ihm aber nicht einmal ein neu Kleid gege-
ben, ſondern er mußte ſein altes lumpichtes Kit-
telchen behalten, das er mitgebracht hatte, und
das ihm in den ſieben Jahren uͤberall zu kurz ge-
worden war. Wie er nun heim kam, da waren
die beiden andern Muͤllerburſchen auch wieder da,
jeder hatte zwar ein Pferd mitgebracht, aber des
einen ſeins war blind, des andern ſeins lahm.
Sie fragten ihn: „Hans, wo haſt du dein
Pferd?“ — „In drei Tagen wird’s nachkom-
men.“ Da lachten ſie und ſagten: „ja, du
Hans, wo willſt du ein Pferd herkriegen, das
wird was rechtes ſeyn!“ Hans ging in die Stube,
der Muͤller ſagte aber, er ſollte nicht an den Tiſch
kommen, er waͤr’ zu zerriſſen und zerlumpt, man
muͤßte ſich ſchaͤmen, wenn jemand herein kaͤme.
Da gaben ſie ihm ſein Bischen Eſſen hinaus, und
wie ſie Abends ſchlafen gingen, wollten ihm die
zwei andern kein Bett geben, und er mußte end-
lich in’s Gaͤnſeſtaͤllchen kriechen und ſich auf ein
wenig Stroh hineinlegen. Am Morgen, wie er
aufwacht, ſind ſchon die drei Tage herum, und
es kommt eine Kutſche mit ſechs Pferden, ei! die
glaͤnzten, daß es ſchoͤn war und ein Bedienter der
[119] brachte noch ein ſiebentes, das war fuͤr den armen
Muͤllersburſch, aus der Kutſche aber ſtieg eine
praͤchtige Prinzeſſin, und ging in die Muͤhle hin-
ein und die Prinzeſſin war das kleine bunte Kaͤtz-
chen, dem der arme Hans ſieben Jahr gedient
hatte. Sie fragte den Muͤller, wo der dritte
Mahlburſch, der Kleinknecht, waͤre? Da ſagte
der Muͤller: „den koͤnnen wir nicht in die Muͤhle
nehmen, der iſt ſo verriſſen und liegt im Gaͤnſe-
ſtall.“ Da ſagte die Prinzeſſin, ſie ſollten ihn
gleich holen. Alſo holten ſie ihn heraus, und er
mußte ſein Kittelchen zuſammenpacken, um ſich
zu bedecken, da ſchnallte der Bediente praͤchtige
Kleider aus, und mußte ihn waſchen und anzie-
hen und wie er fertig war, konnte kein Koͤnig ſchoͤ-
ner ausſehen. Darnach wollte die Prinzeſſin die
Pferde ſehen, welche die andern Mahlburſchen
mitgebracht hatten, eins war blind, das andere
lahm. Da ließ ſie den Bedienten das ſiebente
Pferd bringen; wie der Muͤller das ſah, ſprach
er, ſo eins waͤr’ ihm noch nicht auf den Hof ge-
kommen; „und das iſt fuͤr den dritten Mahlburſch“
ſagte die Prinzeſſin. „Da muß er die Muͤhle
haben“ ſagte der Muͤller; die Prinzeſſin aber
ſprach, da waͤr’ ſein Pferd, er ſolle die Muͤhle
auch behalten; und nimmt ihren treuen Hans
und ſetzt ihn in die Kutſche und faͤhrt mit ihm
fort. Sie fahren erſt nach dem kleinen Haͤus-
chen, das er mit dem ſilbernen Werkzeug gebaut
[120] hat, da iſt es ein großes Schloß und iſt alles
darin von Silber und Gold, und da hat ſie ihn
geheirathet und war er reich, ſo reich, daß er fuͤr
ſein Lebtag genug hatte. Darum ſoll keiner ſagen,
daß wer albern iſt, deshalb nichts rechts werden
koͤnne.


21.
Die Kraͤhen.


Es hatte ein rechtſchaffener Soldat etwas
Geld verdient und zuſammen geſpart, weil er
fleißig war und es nicht, wie die andern, in den
Wirthshaͤuſern durchbrachte. Nun waren zwei
von ſeinen Kammeraden, die hatten eigentlich ein
falſches Herz und wollten ihn um ſein Geld brin-
gen; ſie ſtellten ſich aber aͤußerlich ganz freund-
ſchaftlich an. Auf eine Zeit ſprachen ſie zu ihm:
„hoͤr’, was ſollen wir hier in der Stadt liegen,
wir ſind ja eingeſchloſſen darin, als waͤren wir
Gefangene, und gar einer wie du, der koͤnnt’ ſich
daheim was ordentliches verdienen und vergnuͤgt
leben.“ Mit ſolchen Reden ſetzten ſie ihm auch
ſo lange zu, bis er endlich einwilligte und mit
ihnen ausreißen wollte; die zwei andern hatten
aber nichts anders im Sinn, als ihm draußen
ſein Geld abzunehmen. Wie ſie nun ein Stuͤck
Wegs fortgegangen waren, ſagten die zwei: „wir
[121] muͤſſen uns da rechts einſchlagen, wenn wir an
die Graͤnze kommen wollen.“ — „Ei! Gott be-
wahre, da gehts ja gerade wieder in die Stadt
zuruͤck, links muͤſſen wir weiter.“ — „Was
willſt du dich mauſig machen,“ riefen die zwei,
drangen auf ihn ein, ſchlugen ihn, bis er nieder-
fiel, und nahmen ihm ſein Geld aus den Taſchen;
das war aber noch nicht genug, ſie ſtachen ihm
auch die Augen aus, ſchleppten ihn zum Galgen
und banden ihn daran feſt. Da ließen ſie ihn,
und gingen mit dem geſtohlenen Geld in die
Stadt zuruͤck.


Der arme Blinde wußte aber nicht, an wel-
chem ſchlechten Ort er war, fuͤhlte um ſich und
merkte, daß er unter einem Balken Holz ſaß.
Da meinte er, es waͤre ein Kreutz, ſprach: „es
iſt doch gut von ihnen, daß ſie mich wenigſtens
unter ein Kreutz gebunden haben, Gott iſt bei
mir,“ und fing an recht zu Gott zu beten. Wie
es ungefaͤhr Nacht werden mochte, hoͤrte er etwas
flattern; das waren aber drei Kraͤhen, die ließen
ſich auf dem Balken nieder. Darnach hoͤrte er,
wie eine ſprach: „Schweſter, was bringt ihr
Gutes? ja, wenn die Menſchen wuͤßten, was
wir wiſſen! die Koͤnigstochter iſt krank und der
alte Koͤnig hat ſie demjenigen verſprochen, der ſie
heilt, das kann aber keiner, denn ſie wird nur
geſund, wenn die Kroͤte in dem Teich dort zu
Aſche verbrannt wird und ſie die Aſche trinkt.“
[122] Da ſprach die zweite: „ja, wenn die Menſchen
wuͤßten, was wir wiſſen! heute Nacht faͤllt ein
Thau vom Himmel, ſo wunderbar und heilſam,
wer blind iſt und beſtreicht ſeine Augen damit, der
erhaͤlt ſein Geſicht wieder.“ Da ſprach auch die
dritte: „ja, wenn die Menſchen wuͤßten, was
wir wiſſen! Die Kroͤte hilft nur einem und der
Thau hilft nur wenigen, aber in der Stadt iſt
große Noth, da ſind alle Brunnen vertrocknet
und niemand weiß, daß der große viereckige
Stein auf dem Markt muß weggenommen und
darunter gegraben werden, dort quillt das ſchoͤnſte
Waſſer.“ Wie die drei Kraͤhen das geſagt hat-
ten, hoͤrte er es wieder flattern und ſie flogen
da fort; er aber machte ſich allmaͤlig von ſeinen
Banden los, und dann buͤckte er ſich und brach ein
paar Graͤſerchen ab und beſtrich ſeine Augen mit
dem Thau, der darauf gefallen war. Alsbald
ward er wieder ſehend und war Mond und Sterne
am Himmel und ſah er, daß er neben dem Gal-
gen ſtand. Darnach ſuchte er Scherben, und
ſammelte von dem koͤſtlichen Thau, ſo viel er zu-
ſammenbringen konnte und wie das geſchehen war,
ging er zum Teich, grub das Waſſer davon ab
und holte die Kroͤte heraus; und dann verbrannte
er ſie zu Aſche und ging damit an des Koͤnigs Hof.
Da ließ er nun die Koͤnigstochter von der Aſche
einnehmen und als ſie geſund war, verlangte er
ſie, wie es verſprochen war, zur Gemahlin. Dem
[123] Koͤnig aber gefiel er nicht, weil er ſo ſchlechte
Kleider an hatte, und er ſprach daher, wer ſeine
Tochter haben wollte, der muͤßte der Stadt erſt
Waſſer verſchaffen und damit hoffte er ihn los zu
werden. Er aber ging hin, hieß die Leute den
viereckigen Stein auf dem Markt wegheben und
darunter nach Waſſer graben. Das thaten ſie
auch und kamen bald zu einer ſchoͤnen Quelle,
da war Waſſer zum Ueberfluß; der Koͤnig aber
konnte ihm nun die Prinzeſſin nicht laͤnger ab-
ſchlagen und er wurde mit ihr vermaͤhlt und leb-
ten ſie in einer vergnuͤgten Ehe.


Auf eine Zeit, als er durch’s Feld ſpatziren
ging, begegneten ihm ſeine beiden ehemaligen Ka-
meraden, die ſo treulos an ihm gehandelt hatten.
Sie kannten ihn nicht, er aber erkannte ſie gleich,
ging auf ſie zu und ſprach: „ſeht, das iſt euer
ehemaliger Kammerad, dem ihr ſo ſchaͤndlich die
Augen ausgeſtochen habt, aber der liebe Gott hat
mir’s zum Gluͤck gedeihen laſſen.“ Da fielen ſie
ihm zu Fuͤßen und baten um Gnade, und weil er
ein gutes Herz hatte, erbarmte er ſich ihrer und
nahm ſie mit ſich, gab ihnen auch Nahrung und
Kleider. Er erzaͤhlte ihnen darnach, wie es ihm
ergangen und wie er zu dieſen Ehren gekommen
waͤre; als die zwei das vernahmen, hatten ſie
keine Ruhe und wollten auch eine Nacht ſich unter
den Galgen ſetzen, ob ſie vielleicht auch etwas
Gutes hoͤrten. Wie ſie nun unter dem Galgen
[124] ſaßen, flatterte auch bald etwas uͤber ihren Haͤup-
tern und kamen die drei Kraͤhen. Die eine ſprach
zur andern: „hoͤrt Schweſtern, es muß uns
jemand behorcht haben, denn die Prinzeſſin iſt
geſund, die Kroͤte iſt fort aus dem Teich, ein
Blinder iſt ſehend geworden und in der Stadt ha-
ben ſie einen friſchen Brunnen gegraben, kommt,
laßt uns ſuchen, vielleicht finden wir ihn.“ Da
flatterten ſie herab und fanden die beiden und eh’
ſie ſich helfen konnten, ſaßen ſie ihnen auf dem
Kopf und hackten ihnen die Augen aus und hack-
ten weiter ſo lange in’s Geſicht, bis ſie ganz todt
waren. Da blieben ſie liegen unter dem Galgen.
Als ſie nun in ein paar Tagen nicht wieder ka-
men, dachte ihr ehemaliger Kammerad, wo moͤgen
die zwei herumirren und ging hinaus, ſie zu
ſuchen. Da fand er aber nichts mehr, als ihre
Gebeine, die trug er vom Galgen weg und legte
ſie in ein Grab.


22.
Hans mein Igel.


Es war ein reicher Bauer, der hatte mit
ſeiner Frau keine Kinder; oͤfters, wenn er mit
den andern Bauern in die Stadt ging, ſpotteten
ſie ihn und fragten, warum er keine Kinder haͤtte.
Da ward er einmal zornig und als er nach Haus
[125] kam, ſprach er: „ich will ein Kind haben und
ſollt’s ein Igel ſeyn.“ Da kriegte ſeine Frau ein
Kind, das war oben ein Igel und unten ein
Junge, und als ſie das Kind ſah, erſchrack ſie
und ſprach: „ſiehſt du, du haſt uns verwuͤnſcht!“
Da ſprach der Mann: „was kann das alles hel-
fen, getauft muß der Junge werden, aber wir
koͤnnen keinen Gevatter dazu nehmen.“ Die
Frau ſprach: „wir koͤnnen ihn auch nicht anders
taufen als Hans mein Igel.“ Als er ge-
tauft war, ſagte der Pfarrer: „der kann wegen
ſeiner Stacheln in kein ordentlich Bett kommen.“
Da ward hinter dem Ofen ein wenig Stroh zu-
recht gemacht und Hans mein Igel darauf gelegt.
Er konnte auch an der Mutter nicht trinken, denn
er haͤtte ſie mit ſeinen Stacheln geſtochen. So
lag er da hinter dem Ofen acht Jahre und ſein
Vater war ihn muͤde, und dachte, wenn er nur
ſtuͤrbe; aber er ſtarb nicht, ſondern blieb da lie-
gen. Nun trug es ſich zu, daß in der Stadt ein
Markt war und der Bauer wollte darauf gehen,
da fragte er ſeine Frau, was er ihr ſollte mit-
bringen. „Ein wenig Fleiſch und ein paar Wecke,
was zum Haushalt gehoͤrt,“ ſprach ſie. Darauf
fragte er die Magd, die wollte ein paar Toffel
und Zwickelſtruͤmpfe, endlich ſagte er auch:
„Hans mein Igel, was willſt du denn haben?“
— „Vaͤterchen, ſprach er, bringt mir doch einen
Dudelſack mit.“ Wie nun der Bauer wieder
[126] nach Haus kam, gab er der Frau, was er ihr
mitgebracht hatte, Fleiſch und Wecke, dann gab
er der Magd die Toffeln und die Zwickelſtruͤmpfe,
endlich ging er hinter den Ofen und gab dem
Hans mein Igel den Dudelſack. Und wie Hans
mein Igel den hatte, ſprach er: „Vaͤterchen, geht
doch vor die Schmiede und laßt mir meinen
Goͤckelhahn beſchlagen, dann will ich fortreiten
und will nimmermehr wiederkommen.“ Da war
der Vater froh, daß er ihn loswerden ſollte, und
ließ ihm den Hahn beſchlagen und als er fertig
war, ſetzte ſich Hans mein Igel darauf, ritt fort,
nahm auch Schweine und Eſel mit, die wollt’ er
draußen im Walde huͤten. Im Wald aber mußte
der Hahn mit ihm auf einen hohen Baum flie-
gen, da ſaß er und huͤtete die Eſel und Schweine,
und ſaß lange Jahre bis die Heerde ganz groß
war, und wußte ſein Vater nichts von ihm.
Wenn er aber auf dem Baum ſaß, blies er ſeinen
Dudelſack und machte Muſik, die war ſehr ſchoͤn.
Einmal kam ein Koͤnig vorbeigefahren, der hatte
ſich verirrt und hoͤrte die Muſik; da verwunderte
er ſich daruͤber und ſchickte ſeinen Bedienten hin, er
ſollte ſich einmal umgucken, wo die Muſik her-
kaͤme. Der guckte ſich um, ſah aber nichts, als
ein kleines Thier auf dem Baum oben ſitzen, das
war wie ein Goͤckelhahn, auf dem ein Igel ſaß
und machte die Muſik. Da ſprach der Koͤnig
zum Bedienten, er ſollte fragen, warum es da
[127] ſaͤße und ob es nicht wuͤßte, wo der Weg in ſein
Koͤnigreich ging. Da ſtieg Hans mein Igel vom
Baum und ſprach, er wollte den Weg zeigen, wenn
der Koͤnig ihm wollte verſchreiben und verſpre-
chen, was ihm zuerſt begegnete am koͤniglichen
Hofe, wenn er nach Haus kaͤme. Da dachte der
Koͤnig, das kannſt du leicht thun, Hans mein
Igel verſteht’s doch nicht und kannſt ſchreiben was
du willſt. Da nahm der Koͤnig Feder und Dinte
und ſchrieb etwas auf und als es geſchehen war,
zeigte Hans mein Igel ihm den Weg und er kam
gluͤcklich nach Haus. Seine Tochter aber, wie
ſie ihn von weitem ſah, war ſo voll Freuden, daß
ſie ihm entgegen ging und ihn kuͤßte. Er gedachte
an Hans mein Igel und erzaͤhlte ihr, wie es ihm
gegangen waͤre, und daß er an ein wunderliches
Thier, das auf einem Hahn geritten und ſchoͤne
Muſik gemacht, haͤtte verſchreiben ſollen, was ihm
daheim zuerſt begegnen wuͤrde; er haͤtte aber
geſchrieben, es ſollt’s nicht haben, denn Hans mein
Igel koͤnnt es doch nicht leſen. Daruͤber war die
Prinzeſſin froh und ſagte, das waͤre gut, denn
ſie waͤre doch nimmermehr hingegangen.


Hans mein Igel aber huͤtete die Eſel und
Schweine, war immer luſtig und ſaß auf dem
Baum und blies auf ſeinem Dudelſack. Nun ge-
ſchah es, daß ein anderer Koͤnig gefahren kam mit
ſeinen Bedienten und Laufern und hatte ſich ver-
irrt und wußte nicht wieder nach Haus zu kom-
[128] men, weil der Wald ſo groß war. Da hoͤrte er
gleichfalls die ſchoͤne Muſik von weitem und ſprach
zu ſeinem Laufer, was das wohl waͤre, er ſollt’
einmal zuſehen, woher es koͤmmt. Da ging der
Laufer hin unter den Baum und ſah den Goͤckel-
hahn ſitzen und Hans mein Igel oben drauf. Der
Laufer fragte ihn, was er da oben vorhaͤtte. „Ich
huͤte meine Eſel und Schweine: was iſt euer Be-
gehren?“ Der Laufer ſagte, ſie haͤtten ſich ver-
irrt und koͤnnten nicht wieder in’s Koͤnigreich, ob
er ihnen den Weg nicht zeigen wollte. Da ſtieg
Hans mein Igel mit dem Hahn vom Baum
herunter und ſagte zu dem alten Koͤnig, er wollt’ ihm
den Weg zeigen, wenn er ihm zu eigen geben wollte,
was ihm zu Haus vor ſeinem koͤniglichen Schloſſe
das erſte begegnen wuͤrde. Der Koͤnig ſagte ja
und unterſchrieb ſich dem Hans mein Igel, er
ſollt’ es haben. Als das geſchehen war, ritt er
auf dem Goͤckelhahn voraus und zeigte ihm den
Weg und gelangte er gluͤcklich wieder in ſein Koͤ-
nigreich. Wie er auf den Hof kam, war große
Freude daruͤber; nun hatte er eine einzige Toch-
ter, die war ſehr ſchoͤn, die kam ihm entgegen,
fiel ihm um den Hals und kuͤßte ihn und freute
ſich, daß ihr alter Vater wieder kam. Sie fragte
ihn auch, wo er ſo lang in der Welt geweſen waͤre,
da erzaͤhlte er ihr, er haͤtte ſich verirrt und waͤr’
beinahe gar nicht wieder gekommen, aber als er
durch einen großen Wald gefahren, haͤtte einer
halb
[129] halb wie ein Igel, halb wie ein Menſch, rittlings
auf einem Hahn in einem hohen Baum geſeſſen
und ſchoͤne Muſik gemacht, der haͤtte ihm fortge-
holfen und den Weg gezeigt, dafuͤr aber er ihm
verſprochen, was ihm am koͤniglichen Hofe zuerſt
begegnete, und das waͤre ſie und das thaͤte ihm
nun ſo leid. Da verſprach ſie ihm aber, ſie
wollte gern mit ihm gehen, wann er kaͤme, ihrem
alten Vater zu Liebe.


Hans mein Igel aber huͤtete ſeine Schweine
und die Schweine bekamen wieder Schweine und
dieſe wieder und wurden ihrer ſo viel, daß der
ganze Wald voll war. Da ließ Hans mein Igel
ſeinem Vater ſagen, ſie ſollten alle Staͤlle im
Dorf ledig machen und raͤumen, er kaͤme mit
einer ſo großen Heerde Schweine, daß jeder ſchlach-
ten ſollte, der nur ſchlachten koͤnnte. Da war
ſein Vater betruͤbt, als er das hoͤrte, denn er
dachte, Hans mein Igel waͤre ſchon lang’ geſtor-
ben. Hans mein Igel aber ſetzte ſich auf ſeinen
Goͤckelhahn, trieb die Schweine vor ſich her in’s
Dorf und ließ ſchlachten: hu! da war ein Ge-
metzel und ein Hacken, daß man’s zwei Stunden
weit hoͤren konnte. Darnach ſagte Hans mein
Igel: „Vaͤterchen, laßt mir meinen Goͤckelhahn
noch einmal vor der Schmiede beſchlagen, dann
reit’ ich fort und komm’ mein Lebtag nicht wie-
der.“ Da ließ der Vater den Goͤckelhahn beſchla-
Kindermährchen II. J
[130] gen und war froh, daß Hans mein Igel nicht
wieder kommen wollte.


Hans mein Igel ritt fort in das erſte Koͤ-
nigreich, da hatte der Koͤnig befohlen, wenn einer
kaͤme auf einem Hahn geritten und haͤtte einen
Dudelſack bei ſich, dann ſollten alle auf ihn ſchie-
ßen, hauen und ſtechen, damit er nicht in’s Schloß
kaͤme. Als nun Hans mein Igel daher geritten
kam, drangen ſie mit den Bajonetten auf ihn
ein, er aber gab dem Hahn die Sporn, flog auf,
uͤber das Thor hin vor des Koͤnigs Fenſter, ſetzte
ſich da und rief ihm zu: „ſollt’ ihm geben, was
er verſprochen haͤtte, ſonſt ſo wollt’ er ihm und
ſeiner Tochter das Leben nehmen.“ Da gab der
Koͤnig der Prinzeſſin gute Worte, ſie moͤchte zu
ihm hinaus gehen, damit ſie ihm und ſich das
Leben rettete. Da zog ſie ſich weiß an und ihr
Vater gab ihr einen Wagen mit ſechs Pferden
und herrliche Bedienten, Geld und Gut; ſie ſetzte
ſich ein und Hans mein Igel mit ſeinem Hahn
und Dudelſack neben ſie, dann nahmen ſie Ab-
ſchied und zogen fort und der Koͤnig dachte, er
kriegte ſie nicht wieder zu ſehen. Es ging aber
anders als er dachte, denn als ſie ein Stuͤck Wegs
von der Stadt waren, da zog ſie Hans mein Igel
aus und ſtach ſie mit ſeiner Igelhaut bis ſie ganz
blutig war, ſagte: „das iſt der Lohn fuͤr eure
Falſchheit, geh’ hin, ich will dich nicht,“ und
[131] jagte ſie damit nach Haus und war ſie beſchimpft
ihr Lebtag.


Hans mein Igel aber ritt weiter auf ſeinem
Goͤckelhahn und mit ſeinem Dudelſack nach dem
zweiten Koͤnigreich, wo er dem Koͤnig auch den
Weg gezeigt hatte. Der aber hatte beſtellt, wenn
einer kaͤm’, wie Hans mein Igel, ſollten ſie das
Gewehr vor ihm praͤſentiren, ihn frei hereinfuͤh-
ren, Victoria rufen und ihn ins koͤnigliche Schloß
bringen. Wie ihn nun die Prinzeſſin ſah, war
ſie erſchrocken, weil er doch gar ſo wunderlich
ausſah, ſie dachte aber, es waͤre nicht anders, ſie
haͤtte es ihrem Vater verſprochen. Da ward Hans
mein Igel von ihr bewillkommt, mußte mit an
die koͤnigliche Tafel gehen und ſie ſetzte ſich zu
ſeiner Seite und ſie aßen und tranken. Wie’s
nun Abend ward, daß ſie wollten ſchlafen gehen,
da fuͤrchtete ſie ſich ſehr vor ſeinen Stacheln, er
aber ſprach, ſie ſollte ſich nicht fuͤrchten, es ge-
ſchaͤh ihr kein Leid, und ſagte zu dem alten Koͤnig,
er ſollte vier Mann beſtellen, die ſollten wachen
vor der Kammerthuͤre und ein großes Feuer an-
machen, und wann er in die Kammer eingehe
und ſich in’s Bett legen wolle, wuͤrde er aus ſei-
ner Igelshaut herauskriechen und ſie vor dem
Bett liegen laſſen; dann ſollten die Maͤnner hur-
tig herbeiſpringen, und ſie in’s Feuer werfen,
auch dabei bleiben, bis ſie vom Feuer verzehrt
waͤre. Wie die Glocke nun elfe ſchlug, da ging
J 2
[132] er in die Kammer und ſtreifte die Igelshaut ab,
und ließ ſie vor dem Bett liegen, da kamen die
Maͤnner und holten ſie geſchwind und warfen ſie
ins Feuer, und als ſie das Feuer verzehrt hatte,
da war er erloͤſt und lag da im Bett ganz als ein
Menſch geſtaltet, aber er war kohlſchwarz wie ge-
brannt. Der Koͤnig ſchickte zu ſeinem Arzt, der
wuſch ihn mit guten Salben und balſamirte ihn,
da ward er weiß und war ein ſchoͤner junger Herr.
Wie das die Prinzeſſin ſah, war ſie froh, und ſie
ſtiegen auf mit Freuden, aßen und tranken und
ward die Vermaͤhlung gehalten, und Hans mein
Igel bekam das Koͤnigreich von dem alten Koͤnig.


Wie etliche Jahre herum waren, fuhr er mit
ſeiner Gemahlin zu ſeinem Vater und ſagte, er
waͤre ſein Sohn, der Vater aber ſprach, er haͤtte
keinen, er haͤtte nur einen gehabt, der waͤr’ aber
wie ein Igel mit Stacheln geboren worden und
in die Welt gegangen. Da gab er ſich zu erken-
nen, und der alte Vater freute ſich und ging mit
ihm in ſein Koͤnigreich.


23.
Das Todtenhemdchen.


Es hatte eine Mutter ein Buͤblein von ſieben
Jahren, das war ſchoͤn und ſie hatte es lieber,
wie alles auf der Welt. Auf einmal ſtarb es,
[133] daruͤber konnte ſich die Mutter nicht troͤſten und
weinte Tag und Nacht. Als aber das Kind noch
gar nicht lang begraben, ſo zeigte es ſich in der
Nacht an den Plaͤtzen, wo es ſonſt geſeſſen und
geſpielt, und weinte die Mutter, ſo weinte es
auch, aber wenn der Morgen kam, war es ver-
ſchwunden. Als nun die Mutter gar nicht auf-
hoͤren wollte zu weinen, kam es in einer Nacht mit
ſeinem weißen Todtenhemdchen, in dem es in den
Sarg gelegt war, und mit dem Kraͤnzchen auf
dem Kopf, ſetzte ſich zu ihren Fuͤßen auf das
Bett und ſprach: „ach Mutter, hoͤr’ doch auf zu
weinen, ſonſt kann ich in meinem Sarge nicht
einſchlafen, denn mein Todtenhemdchen wird gar
nicht trocken von deinen Thraͤnen, die alle darauf
fallen.“ Da erſchrack die Mutter, als ſie das
hoͤrte und weinte nicht mehr und in der andern
Nacht kam das Kindchen wieder mit einem Licht-
chen in der Hand und ſagte: „ſiehſt du, nun iſt
mein Hemdchen bald trocken und ich habe Ruhe
in meinem Grab.“ Da befahl die Mutter dem
lieben Gott ihr Leid und ertrug es ſtill und gedul-
dig, und das Kind kam nicht wieder, ſondern
ſchlief in ſeinem unterirdiſchen Bettchen.


24.
Der Jud’ im Dorn.


Ein Bauer hatte einen gar getreuen und
fleißigen Knecht, der diente ihm ſchon drei Jahre,
[134] ohne daß er ihm ſeinen Lohn bezahlt hatte. Da
fiel es ihm endlich bei, daß er doch nicht ganz
umſonſt arbeiten wollte, ging vor ſeinen Herrn
und ſprach: „ich habe euch unverdroſſen und redlich
gedient die lange Zeit, darum ſo vertraue ich zu
euch, daß ihr mir nun geben wollet, was mir von
Gottes Recht gebuͤhrt.“ Der Bauer aber war
ein Filz und wußte, daß der Knecht ein einfaͤlti-
ges Gemuͤth hatte, nahm drei Pfennige und
gab ſie ihm, fuͤr jedes Jahr einen Pfennig, damit
waͤre er bezahlt. Und der Knecht meinte ein gro-
ßes Gut in Haͤnden zu haben, dachte: „was
willſt du dir’s laͤnger ſauer werden laſſen, du
kannſt dich nun pflegen und in der Welt frei luſtig
machen.“ Steckte ſein großes Geld in den Sack
und wanderte froͤhlich uͤber Berg und Thal.


Wie er auf ein Feld kam ſingend und ſprin-
gend erſchien ihm ein kleines Maͤnnlein, das
fragte ihn ſeiner Luſtigkeit wegen? „ei, was ſollt’
ich trauren, geſund bin ich, und Geldes hab’ ich
grauſam viel, brauche nichts zu ſorgen; was ich
in drei Jahren bei meinem Herrn erdient, das
hab’ ich geſpart und iſt all’ mein.“ Wie viel iſt
denn deines Guts? ſprach das Maͤnnlein. Drei
ganzer Pfennig, ſagte der Knecht. „Schenk’ mir
deine drei Pfennige, ich bin ein armer Mann.“
Der Knecht war aber gutmuͤthig, erbarmte ſich
und gab ſie hin. Sprach der Mann: weil du
reines Herzens biſt, ſollen dir drei Wuͤnſche erlaubt
[135] ſeyn, fuͤr jeden Pfennig einer, ſo haſt du was dein
Sinn begehrt.“ Das war der Knecht wohl zu-
frieden, dachte, Sachen ſind mir lieber als Geld
und ſprach: erſtens wuͤnſche ich mir ein Vogel-
rohr, das alles trifft, was ich ziele, zweitens eine
Fiedel, wenn ich die ſtreiche, muß alles tanzen,
was ſie hoͤrt; drittens: worum ich die Leute bitte,
daß ſie es mir nicht abſchlagen duͤrfen.“ Das
Maͤnnchen ſagte: alles ſey dir gewaͤhrt und ſtellte
ihm Fiedel und Vogelrohr zu; darauf ging es
ſeiner Wege.


Mein Knecht aber, war er vorher froh ge-
weſen, duͤnkte er ſich jetzt noch zehnmal froher,
und ging nicht lange zu, ſo begegnete ihm ein
alter Jude. Da ſtand ein Baum und obendrauf
auf dem hoͤchſten Zweig ſaß eine kleine Lerche und
ſang und ſang. „Gotts Wunder, was ſo ein
Thierlein kann, haͤtt’ ich’s, gaͤb’ viel darum.“
„Wenn es weiter nichts iſt, die ſoll bald herunter,“
ſagte der Knecht, ſetzte ſein Rohr an und ſchoß
die Lerche auf das Haar, daß ſie den Baum her-
abfiel, „geht hin und leſet ſie auf,“ ſie war aber
ganz tief in die Doͤrner unten am Baum hinein-
gefallen. Da kroch der Jud’ in den Buſch und
wie er mitten drin ſtack, zog mein Knecht ſeine
Fiedel und geigte, fing der Jud’ an zu tanzen und
hatte keine Ruh, ſondern ſprang immer ſtaͤrker
und hoͤher; der Dorn aber zerſtach ſeine Kleider,
daß die Fetzen herum hingen und ritzte und wun-
[136] dete ihn, daß er am ganzen Leibe blutete. „Gotts
willen, ſchrie der Jud’, laß der Herr ſein Geigen
ſeyn, was hab’ ich verbrochen?“ Die Leute haſt
du genug geſchunden, dachte der luſtige Knecht, ſo
geſchieht dir kein Unrecht, und ſpielte einen neuen
Huͤpfauf. Da legte ſich der Jud’ auf Bitten und
Verſprechen und wollte ihm Geld geben, wenn
er aufhoͤrte, allein das Geld war dem Knecht erſt
lange nicht genug und trieb ihn immer weiter, bis
der Jud’ ihm hundert harte Gulden verhieß, die
er im Beutel fuͤhrte und eben einem Chriſten ab-
geprellt hatte. Wie mein Knecht das viele Geld
ſah, ſprach er: „unter dieſer Bedingung ja,“
nahm den Beutel und ſtellte ſein Fiedeln ein;
darauf ging er ruhig und vergnuͤgt weiter die
Straße.


Der Jud’ riß ſich halb nackicht und armſelig
aus dem Dornſtrauch, uͤberſchlug, wie er ſich raͤ-
chen moͤchte, und fluchte dem Geſellen alles Boͤſe
nach. Lief endlich zum Richter, klagte daß er von
einem Boͤſewicht unverſchuldeterweiſe ſeines Geldes
beraubt und noch dazu zerſchlagen waͤre, daß es er-
barmte, und der Kerl, der es gethan haͤtte, truͤge ein
Rohr auf dem Buckel und eine Geige hinge an ſei-
nem Hals. Da ſandte der Richter Boten und Haͤ-
ſcher aus, die ſollten den Knecht fahen, wo ſie ihn
koͤnnten ſehen, der wurde bald ertappt und vor
Gericht geſtellt. Da klagte der Jud’, daß er ihm
das Geld geraubt haͤtte, der Knecht ſagte: „nein,
[137] gegeben haſt du mir’s, weil ich dir aufgeſpielt
habe,“ aber der Richter machte das Ding kurz und
verurtheilte meinen Knecht zum Tod am Galgen.
Schon ſtand er auf der Leiterſproſſe, den Strick am
Hals, da ſprach er: Herr Richter, gewaͤhrt mir eine
letzte Bitte! „wofern du nicht dein Leben bitteſt, ſoll
ſie gewaͤhrt ſeyn.“ „Nein, um mein Leben iſt’s
nicht, laßt mich noch eins auf meiner Geige geigen
zu guter Letzt. Da ſchrie der Jud’: „bewahre
Gott! erlaubt’s ihm nicht! erlaubt’s ihm nicht!“
allein das Gericht ſagte: einmal iſt es ihm zuge-
ſtanden und dabei ſoll’s bewenden, auch durften
ſie’s ihm nicht weigern, weil er die Gabe hatte,
daß ihm keiner die Bitte abſchlug. Da ſchrie der
Jud’: „bindet mich feſt, um Gotteswillen!“
mein Knecht aber faßte ſeine Fiedel und that einen
Strich, da wankte alles und bewegte ſich, Rich-
ter, Schreiber und Schergen und den Jud’ konnte
keiner binden, und er that den zweiten Strich,
da ließ ihn der Henker los und tanzte ſelber, und
wie er nun ordentlich in’s Geigen kam, tanzte
alles zuſammen, Gericht und der Jude vornen
und alle Leute auf dem Markt die da wollten zu-
ſchauen. Und anfangs ging’s luſtig, weil aber
das Geigen und Tanzen kein Ende nahm, ſo
ſchrien ſie jaͤmmerlich und baten ihn, abzulaſſen,
aber er that’s nicht eher, bis ihm der Richter das
Leben nicht nur ſchenkte, ſondern auch verſprach
die hundert Gulden zu laſſen. Und erſt noch rief
[138] er dem Juden zu: „Spitzbub’ geſteh’ wo du das
Geld her haſt, ſonſt hoͤr’ ich dir nicht auf zu ſpie-
len.“ „Ich hab’s geſtohlen, ich hab’s geſtohlen
und du hatteſt es ehrlich verdient“ ſchrie der Jude,
daß es alle hoͤrten. Da ließ mein Knecht die
Geige ruhen und der Schuft wurde fuͤr ihn am
Galgen gehaͤngt.


25.
Der gelernte Jaͤger.


Es war einmal ein junger Burſch, der hatte
die Schloſſerhandthierung gelernt und ſprach zu
ſeinem Vater, er muͤßte in die Welt gehen und
ſich verſuchen. Ja, ſagte der Vater, das bin ich
zufrieden und gab ihm etwas Geld auf die Reiſe.
Alſo zog er herum; auf eine Zeit, da wollt’ ihm
das Schloſſerwerk nicht mehr folgen und ſtand
ihm auch nicht mehr an, aber er kriegte Luſt zur
Jaͤgerei. Da begegnete ihm auf der Wander-
ſchaft ein Jaͤger in gruͤnem Kleide, der fragte,
wo er her kaͤm’ und hin wollte? Er waͤr’ ein
Schloſſergeſell, ſagte der Burſch, aber das Hand-
werk gefiele ihm nicht mehr, haͤtte Luſt zur Jaͤge-
rei, ob er ſie ihn lehren wollte. — „O ja, wenn
du mit mir gehen willſt.“ Da ging der junge
Burſch mit und vermiethete ſich etliche Jahre bei
ihm und lernte die Jaͤgerei. Darnach wollt’ er
[139] ſich weiter verſuchen, und der Jaͤger gab ihm
nichts zum Lohn als eine Windbuͤchſe, die hatte
aber die Eigenſchaft, wenn er damit ſchoß, ſo traf
er ohnfehlbar. Da ging er nun fort und kam in
einen ſehr großen Wald, von dem konnt’ er in
einem Tag das Ende nicht finden; wie’s nun
Abend war, ſetzte er ſich auf einen hohen Baum,
damit er aus den wilden Thieren kaͤme. Gegen
Mitternacht zu, daͤuchte ihm, ſchimmerte ein klei-
nes Lichtchen von weitem, da ſah er durch die
Aeſte darauf hin und behielt in acht, wo es war.
Doch nahm er erſt noch ſeinen Hut und warf ihn
nach dem Licht zu herunter, daß er darnach gehen
wollte, wann er herabgeſtiegen waͤr, als nach ei-
nem Zeichen. Nun kletterte er herunter, ging
auf ſeinen Hut los, ſetzte ihn wieder auf und
zog gerades Wegs fort. Je weiter er ging, je
groͤßer ward das Licht, und wie er nahe dabei
kam, ſah er, daß es ein gewaltiges Feuer war
und ſaßen drei Rieſen dabei, aßen und hielten
große Stuͤcken Fleiſch vor dem Mund, die ſie bei
dem Feuer gebraten hatten. Da nahm er ſeine
Windbuͤchſe und ſchoß dem erſten Rieſen das Stuͤck
Fleiſch vor dem Mund weg, wie er eben hinein-
beißen wollte; und dann auch dem zweiten. Die
Rieſen ſprachen zu einander: „ei! das muß ein
ſcharfer Schuͤtze ſeyn, der uns das vor dem Maul
wegſchießen kann, kaͤm’ er zu uns, wir wollten
ihn gern aufnehmen.“ Der Jaͤger aber ſchoß
[140] nun dem dritten auch das Stuͤck vor dem Mund
weg; da riefen ſie: „wer biſt du? komm her zu uns,
ſetz dich und iß mit uns.“ Da trat der Burſch herzu
und ſagte, er waͤr’ ein gelernter Jaͤger und wor-
nach er mit ſeiner Buͤchſe ziele, das treffe er auch
ſicher und gewiß. Da ſprachen ſie, wenn er mit
ihnen gehe, ſolle er’s gut haben und erzaͤhlten
ihm, vor dem Wald ſey ein groß Waſſer, dahin-
ter ſtaͤnd ein Thurm, und in dem Thurm ſaͤß eine
ſchoͤne Prinzeſſin, die wollten ſie gern rauben.
„Ja, ſprach er, die will ich bald geſchafft haben.“
Sagten ſie weiter: „es iſt aber etwas noch dabei,
es liegt ein kleines Huͤndchen dort, das faͤngt gleich
an zu bellen, wann ſich jemand naͤhert, und ſo-
bald das bellt, wacht gleich alles am koͤniglichen
Hofe auf, darum koͤnnen wir nicht hinein kom-
men: unterſtehſt du dich, das Huͤndchen todt zu
ſchießen? „Ja, ſprach er, das iſt mir ein kleiner
Spaß.“ — Darnach ſetzte er ſich auf ein Schiff
und fuhr uͤber das Waſſer und wie er bald beim
Land war, kam das Huͤndchen gelaufen und wollte
bellen, aber er kriegte ſeine Windbuͤchſe und ſchoß
es todt. Wie die Rieſen das ſahen, freuten ſie ſich,
und meinten, ſie haͤtten die Prinzeſſin nun ſchon
gewiß; er ſprach aber zu ihnen, ſie ſollten haußen
bleiben, bis er ihnen riefe. Da ging er in das
Schloß und es war maͤuschenſtill und ſchlief alles;
wie er das erſte Zimmer aufmachte, hing da ein
Saͤbel an der Wand, der war von purem Silber
[141] und ein goldener Stern darauf und des Koͤnigs
ſein Name; daneben aber ſtand ein Tiſch und
auf dem [Tiſch] lag ein verſiegelter Brief, den brach
er auf und ſtand darin, wer den Saͤbel haͤtte,
koͤnnte alles um’s Leben bringen, was ihm vor-
kaͤme. Da nahm er den Saͤbel von der Wand,
ging hin und rief den Rieſen, ſie ſollten heran
kommen, die Thuͤr aber koͤnnt’ er ihnen nicht
ganz aufmachen, da waͤr’ ein Loch, wo ſie durch-
kriechen muͤßten. Alſo kam der erſte und kroch
hinein, und wie der Kopf darin war, nahm der
Jaͤger den Saͤbel und hieb ihn ab, und duns *)
ihn dann vollends herein. Darnach rief er dem
zweiten und hieb ihm auch den Kopf ab und duns
ihn herein; endlich rief er dem dritten und ſagte,
ſie haͤtten die Prinzeſſin ſchon, da kam er gekro-
chen und ging ihm nicht beſſer, als den beiden
andern; und hatte der Jaͤger die Prinzeſſin nun
von ihnen befreit. Darnach machte er das Loch
zu und ging weiter, da kam er in das Zimmer,
wo die Prinzeſſin lag und ſchlief und die war gar
ſchoͤn, ſo daß er ſtill ſtand und ſie betrachtete und
den Athem anhielt. Wie er ſich weiter umſchaute,
da ſtanden unter dem Bett ein Paar Pantoffel,
auf dem rechten ſtand ihres Vaters Name mit
einem Stern und auf dem linken ihr Name mit
einem Stern. Sie hatte auch ein großes Hals-
[142] tuch um, von Seide mit Gold ausgeſtickt, auf
der rechten Seite ihres Vaters Name, auf der
linken ihren Namen, alles mit goldenen Buchſta-
ben. Da nahm der Jaͤger eine Scheere und
ſchnitt den rechten Schlippen ab und ſtopfte ihn
in ſeinen Ranzen und dann nahm er auch den
rechten Pantoffel mit des Koͤnigs Namen, und
ſteckte ihn hinein. Nun lag die Prinzeſſin noch
immer und ſchlief und ſie war ganz in ihr Hemd
eingenaͤht, da ſchnitt er auch ein Stuͤckchen von
dem Hemd ab und ſteckte es zu dem andern; doch
that er das alles ohne ſie anzuruͤhren. Dann
ging er wieder fort und ließ ſie ſchlafen und als
er hinkam, wo die Rieſen lagen, ſchnitt er allen
dreien die Zungen aus den Koͤpfen und ſteckte ſie
auch in den Ranzen; damit wollt’ er heim gehen
und es ſeinem Vater zeigen.


Der Koͤnig in dem Schloß aber, als er auf-
wachte, ſah drei Rieſen da todt liegen; ging in
die Schlafkammer der Prinzeſſin, weckte ſie auf
und fragte, wer das wohl geweſen, der die Rieſen
ums Leben gebracht. Da ſagte ſie: „lieber Va-
ter, ich weiß es nicht, ich habe geſchlafen.“ Wie
ſie nun aufſtand und ihre Pantoffel anziehen
wollte, da war der rechte weg und wie ſie ihr
Halstuch betrachtete, war es durchſchnitten und
fehlte der rechte Schlippen, und wie ſie ihr Hemd
anſah, war ein Stuͤckchen heraus. Der Koͤnig
ließ den ganzen Hof zuſammen kommen, Solda-
[143] ten und alles was da war, und fragte, wer die
Rieſen haͤtte ums Leben gebracht. Nun hatte er
einen Hauptmann, der war einaͤugig und ein haͤß-
licher Menſch, der ſagte, er haͤtte es gethan. Da
ſprach der alte Koͤnig, ſo er das vollbracht, ſollte
er die Prinzeſſin heirathen. Die Prinzeſſin aber
ſagte: „lieber Vater, dafuͤr, daß ich den heira-
then ſoll, will ich lieber in die Welt gehen, ſoweit
als mich meine Beine tragen.“ Da ſprach der
Koͤnig, wenn ſie den nicht heirathen wollte, ſollte
ſie die koͤniglichen Kleider ausziehen und Bauern-
kleider anthun, und fortgehen; und ſie ſollte zu
einem Toͤpfer gehen und ſich einen irden Geſchirr-
Handel anfangen. Da thaͤt ſie ihre koͤniglichen
Kleider aus und ging zu einem Toͤpfer und borgte
ſich einen Kram irden Werk; verſprach ihm auch,
wenn ſie’s am Abend verkauft haͤtte, es zu bezah-
len. Nun ſagte der Koͤnig, ſie ſollte ſich an eine
Ecke damit ſetzten und es verkaufen, dann beſtellte
er etliche Bauernwagen, die ſollten mitten durch-
fahren, daß alles in tauſend Stuͤcke ging. Wie
nun die Prinzeſſin ihren Kram auf die Straße
hingeſtellt hatte, kamen die Wagen und zerbra-
chen ihn zu lauter Scherben; fing ſie an zu wei-
nen und ſprach: „ach Gott! wie will ich nun
den Toͤpfer bezahlen.“ Der Koͤnig aber hatte ſie
damit zwingen wollen, den Hauptmann zu heira-
then, ſtatt deſſen ging ſie wieder zum Toͤpfer und
fragte ihn, ob er ihr noch einmal borgen wollte.
[144] Er antwortete nein, ſie ſollte erſt das Vorige be-
zahlen. Da ging ſie zu ihrem Vater und ſchreite
und ſagte, ſie wollte in die Welt hineingehen. Da
ſprach er, ſie ſollt hingehen in den Wald, da wollt’
er ihr ein Haͤuschen bauen, darin ſollt’ ſie ihr
Lebtag ſitzen und fuͤr jedermann kochen; duͤrfte
aber kein Geld nehmen. Alſo ließ er ihr ein
Haͤuschen im Wald bauen, vor die Thuͤre ein
Schild, darauf ſtand geſchrieben: „heute umſonſt,
morgen fuͤr Geld.“ Da ſaß ſie lange Zeit und
ſprach es ſich in der Welt herum, da ſaͤß eine
Jungfrau, die kochte umſonſt und das ſtaͤnd vor
der Thuͤre an einem Schild. Das hoͤrte auch
der Jaͤger und dachte: ei! das waͤr’ etwas fuͤr
dich, du biſt doch arm und haſt kein Geld; nahm
alſo ſeine Windbuͤchſe und ſeinen Ranzen, worin
noch Alles ſteckte, was er damals im Schloß als
Wahrzeichen hineingethan hatte, und ging in den
Wald. Er fand auch das Haͤuschen mit dem
Schild: „heute umſonſt, morgen fuͤr Geld. Er
hatte aber den Degen umhaͤngen, womit er den
drei Rieſen den Kopf abgehauen hatte, trat ſo in
das Haͤuschen hinein und ließ ſich etwas zu eſſen
geben. Er freute ſich uͤber das ſchoͤne Maͤdchen,
es war aber auch bildſchoͤn. Sie fragte ihn, wo
er her kaͤm und hin wollte, da ſagte er: „ich
reiſe in der Welt herum.“ Da fragte ſie ihn,
wo er den Degen her haͤtte, da ſtuͤnde ja ihres
Vaters Name darauf! Fragte er, ob ſie des Koͤ-
nigs
[145] nigs Tochter waͤre? „ja“ ſagte ſie. „Mit die-
ſem Saͤbel, ſprach er, hab’ ich drei Rieſen den
Kopf abgehauen“ und holte zum Zeichen ihre
Zungen aus dem Ranzen, dann zeigte er ihr auch
den Pantoffel, den Schlippen vom Halstuch und
das Stuͤck vom Hemd. Da war ſie voller Freude
und ſagte, er war’ derjenige, der ſie erloͤſt haͤtte.
Darauf gingen ſie zuſammen zum alten Koͤnig,
und die Prinzeſſin fuͤhrte ihn in ihre Kammer
und ſagte ihm, der Jaͤger ſey der rechte, der ſie
erloͤſt haͤtte von den Rieſen. Und wie der alte
Koͤnig die Wahrzeichen alle ſah, da konnt’ er nicht
mehr zweifeln und ſagte, das waͤr’ ihm lieb, und
er ſollte ſie nun auch zur Gemahlin haben; dar-
uͤber war die Prinzeſſin von Herzen froh. Dar-
auf kleideten ſie ihn, als wenn er ein fremder
Herr waͤre, und der Koͤnig ließ ein Gaſtmahl an-
ſtellen. Als ſie nun zu Tiſch gingen, kam der
Hauptmann auf die linke Seite der Prinzeſſin,
der Jaͤger aber auf die rechte, und der Haupt-
mann meinte, das ſey ein fremder Herr und waͤr’
zum Beſuch gekommen. Wie ſie gegeſſen und
getrunken hatten, ſprach der alte Koͤnig zum
Hauptmann, er wollt’ ihm etwas aufgeben, das
ſollt’ er errathen: wenn einer ſpraͤch, er haͤtte
drei Rieſen um’s Leben gebracht und er gefragt
wuͤrde, wo die Zungen der Rieſen waͤren, und er
muͤßt’ zuſehen, und waͤren keine in ihren Koͤpfen,
wie das zuginge? Da ſagte der Hauptmann:
Kindermährchen II. K
[146] „ſie werden keine gehabt haben.“ „Ei! ſagte
der Koͤnig, jed’ Gethier hat eine Zunge,“ und
fragte weiter, was der werth waͤre, daß ihm wi-
derfuͤhre? Da ſprach der Hauptmann: „der ge-
hoͤrt in Stuͤcken zerriſſen zu werden.“ Da ſagte
der Koͤnig, er haͤtte ſich ſelber ſein Urtheil geſpro-
chen, und ward der Hauptmann gefaͤnglich geſetzt
und dann in vier Stuͤcke zerriſſen, die Prin-
zeſſin aber mit dem Jaͤger vermaͤhlt, der holte
ſeinen Vater und ſeine Mutter und die lebten in
Freude bei ihrem Sohn, und nach des alten Koͤ-
nigs Tod bekam er das Reich.


26.
Der Dreſchflegel vom Himmel.


Es zog einmal ein Bauer mit einem Paar
Ochſen zum Pfluͤgen aus, als er auf’s Land kam,
da fingen den beiden Thieren die Hoͤrner an zu
wachſen, wuchſen fort und als er nach Haus will,
ſind ſie ſo groß, daß er nicht mit zum Thor hinein
kann. Zu gutem Gluͤck kam gerade ein Metzger
daher, dem uͤberließ er ſie, und ſchloſſen ſie den
Handel dergeſtalt, daß er ſollte dem Metzger ein
Maas Ruͤbſamen bringen, der wollt’ ihm dann
fuͤr jedes Korn einen brabanter Thaler aufzaͤhlen:
das heiß ich mir gut verkauft! Der Bauer ging
nun hin und trug das Maas Ruͤbſamen, unter-
[147] wegs verlor er aber aus dem Sack ein Koͤrnchen.
Der Metzger bezahlt’ ihn nun nach dem Handel
richtig aus. Wie der Bauer wieder des Wegs zu-
ruͤck kam, war aus dem Korn ein Baum gewach-
ſen, der reichte bis an den Himmel. „Ei, dachte
der Bauer, weil die Gelegenheit da iſt, mußt du
doch ſehen, was die Engel da droben machen und
ihnen einmal unter die Augen gucken. Alſo ſtieg
er hinauf und ſah, daß die Engel oben Haber
droſchen und ſchaute das mit an; wie er ſo ſchaute,
merkte er, daß der Baum, worauf er ſtand, an-
fing zu wackeln und guckte hinunter da wollt’ ihn
eben einer umhauen. Wenn du da herab ſtuͤrzeſt,
das waͤr’ ein boͤſes Ding, dachte er, und in der
Noth wußt’ er ſich nicht beſſer zu helfen, als daß
er die Spreu vom Haber nahm, die haufenweis
da lag und daraus einen Strick drehte, auch griff
er nach einer Hacke und einem Dreſchflegel, die
da herum im Himmel lagen und ließ ſich an dem
Seil herunter. Er kam aber unten auf der Erde
gerade in ein tiefes, tiefes Loch, und da war es
ein rechtes Gluͤck, daß er die Hacke hatte, denn
die nahm er und hackte ſich eine Treppe und
brachte den Dreſchflegel zum Wahrzeichen mit.


27.
De beiden Kuͤnnigeskinner.


Et was mol en Kuͤnig weſt, de hatte en klei-
nen Jungen kregen, in den ſin Teiken (Zeichen)
K 2
[148] hadde ſtahn, he ſull von einen Hirſch uͤmmebracht
weren, wenn he ſeſtein Johr alt waͤre. Aſe he
nu ſo wit anewaſſen was, do gingen de Jaͤgers
mol mit uͤnne up de Jagd. In den holte, da
kuͤmmt de Kuͤnigsſohn bie de anneren denne, (von
den andern weg) up ein mol ſuͤht he da ein
grooten Hirſch, den wull he ſcheiten, he kunn en
awerſt nig dreppen; up’t leſt is de Hirſch ſo lange
fuͤr uͤnne herut laupen, bis gans ut den holte; da
ſteiht da up einmol ſo ein grot lank Mann ſtad
des Hirſches, de ſegd: „nu dat is gut, dat ik dik
hewe, ſchon 6 paar gleſerne Schlitſchau hinner
die caput jaget, un hewe dik nig kriegen koͤnnt.“
Da nuͤmmet he uͤn mit ſik un ſchlippet em dur ein
grot Water bis fuͤr en grot Kuͤnigsſchlott, da mut
he mit an’n Diſk un eten wat. Aſe ſe toſammen
wat geeten het, ſegd de Kuͤnig: „ik hewe drei
Doͤchter, bie der oͤleſten mußt du en Nacht wa-
ken, von des Obends niegen Uhr bis Morgen
ſeſſe, un ik kumme jedesmol, wenn de Klocke
ſchlaͤtt ſuͤlwens un rope. Un wenne mie dan
immer Antwort givſt, ſo ſalſt du ſe tor Fruen
hewen.“ Aſe do die jungen Lude up de Schlop-
kammer kaͤmen, da ſtahnd der en ſteinern Chri-
ſtoffel, da ſegd de Kuͤnigsdochter to emme: „um
niegen Uhr kummet min Teite (Vater), alle Stun-
ne bis et dreie ſchlaͤtt, wenn he froget, ſo giwet
gi em Antwort ſtatt des Kuͤnigſohns,“ da nickede
de ſteinerne Chriſtoffel mit den Koppe gans ſchwin-
[149] ne und dann juͤmmer langſamer, bis he to leſte
wier ſtille ſtand. Den anneren Morgen, da ſegd
de Kuͤnig to emme: „du heſt dine Sacken gut
macket, awerſt mine Tochter kann ik nig hergie-
wen, du moͤſteſt dann tin Nachte bie de tweiten
wacken, dann will ik mie mal drup bedenken, ob
du mine oͤlleſte Dochter tor Frugge hewen kannſt;
awerſt ik kumme olle Stunne ſuͤlwenſt, un wenn
ik die rope, ſo antworte mie, un wenn ik die rope
un du antworteſt nig, ſo ſoll fleiten din Blaud
fuͤr mie.“ Un da gengen de beiden up de Schlop-
kammer, da ſtahnd da noch en groͤteren ſteineren
Chriſtoffel, dato ſeg de Kuͤnigsdochter: „wenn min
Teite froͤgt, ſo antworte du,“ da nickede de grote
ſteinerne Chriſtoffel wier mit den Koppe. Un de
Kuͤnigsſohn legte ſik up den Doͤrſuͤll (Thuͤrſchwel-
le), legte de Hand unner den Kopp un ſchlaͤpt inne.
Den anneren Morgen ſeh de Kuͤnig to uͤnne: „du
haſt dine Sacken twaren gut macket, awerſt mine
Dochter kann ik nig hergiewen, du moͤſteſt ſuͤs bie
der jungeſten Kuͤnigsdochter en Nacht wacken,
dann will ik mie bedenken, ob du mine tweide
Dochter tor Frugge hewen kannſt; awerſt ik kum-
me alle Stunne ſuͤlwenſt, un wenn ik rope, ſo ant-
worte mie, un wenn ik die rope un du antworteſt
nig, ſo ſoll fleiten dein Blaud fuͤr mie.“ Da
gingen ſe vier tohope (zuſammen) up ehre Schlop-
kammer, da was da noch en viel groͤtern un viel
laͤngern Chriſtoffel, aſe bie de twei erſten; dato
[150] ſegde de Kuͤnigsdochter: „wenn min Teite roͤppet,
ſo antworte du,“ da nickede de grote lange ſtei-
nerne Chriſtoffel wohl ene halwe Stunne mit den
Koppe, bis de Kopp toleſt wier ſtille ſtahnd. Un
de Kuͤnigsſohn legte ſik up de Doͤrſuͤl und ſchlaͤp
inne. Den annern Morgen da ſegd de Kuͤnig:
„du haſt twaren gut wacket, awerſt ik kann die
noch mine Dochter nig giewen, ik hewe ſo en gro-
ten Wald, wenn du mie den von huͤte Morgen
ſeße bis tin Morgen afhoggeſt, ſo will ik mie
drup bedenken. Da dehe he uͤnne en gleſerne Axt,
en glaͤſernen Kiel un en gleſerne Holt-Hacke midde.
Wie he in dat Holt kummen is, da hoggete ſe
einmal to, da was de Axt entwei, da nam he den
Kiel un ſchlett einmal mit de Holt-Hacke daruppe,
da is et ſo kurt un ſo klein aſe Grutt (Sand).
Da was he ſo bedroͤwet un gloͤvte, nu moͤſte he
ſterwen, un he geit ſitten un grient (weinte). Aſſet
nu Middag is, da ſegd de Kuͤnig: „eine von juck
Maͤken mott uͤnne wat to etten bringen.“ — „Nee,
ſegged de beiden oͤlleſten, wie willt uͤn nicks brin-
gen, wo he dat leſte bie wacket het, de kann uͤn
auck wat bringen.“ Da mutt de jungeſten weg
un bringen uͤnne wat to etten. Aſe in den Walle
kummet, da fraͤgt ſe uͤn, wie et uͤnne ginge? O,
ſehe he, et ginge uͤn gans ſchlechte. Do ſehe ſe,
he ſull herkummen und etten erſt en bitken: nee,
ſeh he, dat kuͤnne he nig, he moͤſte jo doch ſter-
wen, etten wull he nig mehr. Do gav ſe uͤnne
[151] ſo viel gute Woore, he moͤchte et doch verſoͤken:
do kuͤmmt he un ett wat. Aſe he wat getten het-
ten her, do ſehe ſe: „ich will die eeſt en bitken
luſen, dann werſt du annerſt to Sinnen. Do ſe
uͤn luſet, do wett he ſo moͤhe un ſchloͤppet in, un
do nummet ſe ehren Doock un binnet en Knupp
do in un ſchlaͤtt uͤn drei mol up de Eere un ſegd:
Arweggers herut!“ Do wuͤren glick ſo viele
Eerdmaͤnneken herfurkummen un hadden froget,
wat de Kuͤnigsdochter befelde. Do ſeh ſe: „in
Tied von drei Stunnen mutt de groote Wall
afhoggen un olle dat Holt in Hoͤpen ſettet ſien.“
Do gingen de Eerdmaͤnnekens herum un boen ehre
ganſe Verwanſchap up, dat ſe ehnen an de Arweit
helpen ſullen. Do fingen ſe glick an un aſe de
drei Stunne uͤmme wuͤren, do is alles to enne
weſt; un do keimen ſe wier to der Kuͤnigsdochter
un ſehen’t ehr. Do nuͤmmet ſe wier ehren witten
Doock un ſegd: „Arweggers nah Hus!“ Do
ſiet ſe olle wier weege weſt. Do de Kuͤnigsſuhn
upwacket, do wett he ſo frau, do ſegd ſe: wenn
et nu ſeſſe ſchloen het, ſo kumme nach Hus!“
Dat het he auk bevolget un do fraͤgt de Kuͤnig:
„heſt du den wall aawe?“ Ja ſegd de Kuͤnigs-
ſuhn. Aſe ſe do an en Diſke ſittet, do ſeh de
Kuͤnig: „ik kann die nau mine Dochter nie tor
Frugge giewen,“ he moͤſte eeſt nau wat umme ſe
dohen. Do fraͤgt he, wat dat den ſien ſulle?
„Ik hewe ſo en grot Dieck, ſeh de Kuͤnig, do
[152] moſt du den annern Morgen hoͤnne, un moſt en
utſchloen, dat he ſo blank is, aſe en Spegel, un
et muͤttet von ollerhand Fiſke dorinne ſien.“ Den
anneren Morgen do gav uͤnne de Kuͤnig ene gle-
ſerne Schute (Schuͤppe) un ſegd: „umme ſeſſ
Uher mot de Dieck ferig ſien.“ Do geit he weg,
aſe he do bie den Dieck kummet, do ſtecket he mit
de Schute in de Muhe (Moor, Sumpf), do brack
ſe af; do ſtecket he mit de Hacken in de Muhe
un et was wier caput. Do wert he gans bedroͤ-
wet. Den Middag brachte de jungeſte Dochter
uͤnne wat to etten, do fraͤgt ſe, wo et uͤnne ginge?
Do ſeh de Kuͤnigsſuhn, et ginge uͤnne gans ſchlechte,
he ſull ſienen Kopp wohl mißen mutten: „dat
Geſchirr is mie wier klein gohen.“ — „O, ſeh ſe,
he ſull kummen un etten eeſt wat,“ dann weſt du
anneren Sinnes. Nee, ſegde he, etten kunn he
nig, he wer gar to bedroͤwet, do givt ſe unne
viel gudde Woore, bis he kummet un ett wat.
Do luſet ſe uͤnn wier, un he ſchloppet in, ſe
nuͤmmet von niggen en Doock, ſchlett en Knupp
do inne, un kloppet mit den Knuppe dreimol up
de Eere un ſegd: „Arweggers herut!“ da kummt
glick ſo viele Erdmaͤnnekes un froget olle, wat ehr
Begeren waͤr? „In Tied von trei Stunne mo-
ſten ſe den Diek gans utſchloen hewen un he moͤſte
ſo blank ſien, dat man ſik inne ſpeigelen kuͤnne,
un von ollerhand Fiſke moſten dorinne ſien.“ Do
gingen de Erdmaͤnnekes huͤnn un boen ehre Ver-
[153] wanſchap up, dat ſe uͤnnen helpen ſullen; un et
is auck in twei Stunnen ferrig weſt. Do kummet
ſe wier un ſehget: „wie haͤt dohen, ſo us befolen
is.“ Do nuͤmmet de Kuͤnigsdochter den Doock un
ſchlett wier dremol up de Eere un ſegd: „Arweg-
gers to Hues!“ do ſiet ſe olle wier weg. Aſe do
de Kuͤnigsſuhn upwecket, do is de Dieck ferrig.
Do geit de Kuͤnigsdochter auck weg un ſegd, wenn
et ſeſſe waͤr, dan ſull he nach Hus kummen; aſe
he do nah Hues kummet, do fraͤgt de Kuͤnig: „hes
du den Dieck ferrig?“ Jo, ſeh de Kuͤnigsſuhn.
„Dat wer ſchoͤne.“ Do ſe do wier to Diſke ſei-
ten, do ſeh de Kuͤnig: „du haſt den Dieck twaren
ferrig, awerſt ik kann die mine Dochter noch nie
giewen, du moſt eerſt nau eins dohen.“ — „Wat
is dat den?“ froͤgte de Kuͤnigsſuhn. „He hedde
ſo en grot Berg, do wuͤren luter Dorenbuſke anne,
de moſten olle afhoggen weren, un bowen up moſte
he en grot Schlott buggen, dat moſte ſo wacker
ſien; aſe’t nu en Menſke denken kunne, un olle
Ingedoͤmſe, de in den Schlott gehorden, de moͤ-
ſten der olle inne ſien.“ Do he nu den annern
Morgen up ſteit, do gav uͤnne de Kuͤnig en gleſe-
ren Exen un en gleſeren Boren mie, et mott
awerſt um ſeſſ Uhr ferrig ſien. Do he an den eer-
ſten Dorenbuſke mit de Exe an hogget, do ging ſe
ſo kurt un ſo klein, dat de Stuͤcker rund um uͤnne
herfloen un de Boren kunn he auck nig brucken.
Do war he gans bedroͤwet un toffte (wartete) up
[154] ſine Leiweſte, op de nie keime un uͤnn ut der
Naud huͤlpe. Aſe’t do Middag is, do kummet
ſe un brinet wat to etten, do geit he ehr in de
Moͤte (entgegen) un vertellt ehr olles, un ett
wat, un lett ſik von ehr luſen, un ſchloppet in.
Do nuͤmmet ſe wier den Knupp un ſchlett domit
up de Eere un ſegd: „Arweggers herut!“ Do
kummet wier ſo viel Eerdmaͤnnekes un froget, wat
ehr Begeren wuͤr? Do ſeh ſe: „in Tied von drei
Stunnen muͤttet ju de ganſen Buſk afhoggen un
bowen uppe den Berge, do mot en Schlott ſto-
hen, dat mot ſo wacker ſien, aſe’t nu ener denken
kann un olle Ingedoͤmſe muttet do inne ſien.“
Do ginge ſe huͤnne un boen ehre Verwanſchap up,
dat ſe helpen ſullen un aſe de Tied umme was, do
was alles ferrig. Do kuͤmmet ſe to der Kuͤnigs-
dochter, un ſegget dat, un de Kuͤnigsdochter nuͤm-
met den Doock und ſchlett dreimol domit up de
Eere und ſegd: „Arweggers to Hues!“ Do ſiet
ſe glick olle wier weg weſt. Do nu de Kuͤnigs-
ſuhn upwecket un olles ſoh, do was he ſo frau, aſe
en Vugel in der Luft. Do et do ſeſſe ſchloen hadde,
do gingen ſe tohaupe nah Hues. Do ſegd de
Kuͤnig: „is dat Schlott auck ferrig?“ Jo, ſeh de
Kuͤnigsſuhn. Aſe do to Diſke ſittet, do ſegd de
Kuͤnig: „mine jungeſte Dochter kann ik nie gie-
wen, befur de twei oͤlleſten frigget het.“ Do wor
de Kunigsſuhn un de Kuͤnigsdochter gans bedroͤ-
wet, un de Kuͤnigsſuhn wuſte ſik gar nig to ber-
[155] gen (helfen). — Do kummet he mol bie Nachte
to der Kuͤnigsdochter un loͤppet dermit furt. Aſe
do en bitken wegſiet, do kicket de Dochter mol
umme un ſicht ehren Vader hinner ſik: „o, ſeh ſe,
wo ſull wie dat macken? min Vader is hinner us,
un will us ummeholen, ik will die grade to’n
Doͤrenbuſk macken un mie tor Roſe un ik will mie
uͤmmer midden in den Buſk waaren (ſchuͤtzen).
Aſe do de Vader an de Stelle kummet, do ſteit do
en Doͤrenbuſk un ene Roſe, do anne do will he de
Roſe afbrecken, do kummet de Doͤren un ſtecket
uͤn in de Finger, dat he wier nah Hues gehen mut.
Do fraͤgt ſine Frugge, worumme he ſe nig hedde
middebrocht? do ſeh he, he wuͤr der bald bie weſt,
awerſt he hedde ſe uppen mol ut den Geſichte ver-
lohren, un do hedde do en Doͤrenbuſk un ene Roſe
ſtohen. Do ſeh de Kuͤnigin: „heddeſt du ment
(nur) de Roſe afbrocken, de Buſk hedde ſullen wohl
kummen.“ Do geit he wier weg un will de Roſe
herholen. Unnerdes waren awerſt de beiden ſchon
wiet oͤwer Feld un de Kuͤnig loͤppet der hinner her.
Do kiket ſik de Dochter wier umme un ſeiht ehren
Vader kummen, do ſeh ſe: „o, wo ſull wie et nu
macken? ik will die grade tor Kerke macken un
mie tom Paſtoer; do will ik up de Kanzel ſtohn
un priedigen.“ Aſe do de Kuͤnig an de Stelle
kummet, do ſteiht do ene Kerke un up de Kanzel
is en Paſtoer un priediget, do hort he de Priedig
to un geit wier nah Hues. Do fraͤgt de Kuͤni-
[156] ginne, worumme he ſe nig midde brocht hedde,
do ſegd he: „nee, ik hewe ſe ſo lange nachlaupen,
und as ik glovte, ik wer der bold bie, do ſteit do
en Kerke un up de Kanzel en Paſtoer, de prie-
digte. „Du heddeſt ſullen ment den Paſtoer
brinen“ ſe de Fru, de Kerke hedde ſullen wohl
kummen; dat ik die auck (wenn ich gleich dich),
ſchicke dat kann nig mehr helpen, ik mut ſulwenſt
huͤnne gehen.“ Aſe ſe do ene Wiele wege is, un
de beiden von Feren ſuͤt, do kicket ſik de Kuͤnigs
dochter umme un ſuͤht ehre Moder kummen un
ſegd: „nu ſie, wie ungluͤcksk! nu kuͤmmet miene
Moder ſulwenſt, ik will die grade tom Dieck
macken un mie tom Fiſk.“ Do de Moder up de
Stelle kummet, do is do en grot Dieck un in de
Midde ſprank en Fiſk herumme un kuckte mit den
Kopp ut den Water un was gans luſtig. Do wull
ſe geren den Fiſk krigen, awerſt ſe kunn uͤn gar
nig fangen. Do wett ſe gans boͤſe un drinket den
ganſen Dieck ut, dat ſe den Fiſk kriegen will,
awerſt do wett ſe ſo uͤwel, dat ſe ſik ſpiggen mott
un ſpigget den ganſen Dieck wier ut. Do ſeh ſe:
„ik ſehe do wohl, dat et olle nig mehr helpen
kann; ſei mogten nu wier to [ehr] kummen.“ Do
gohet ſe dann auck wier huͤnne, un de Kuͤniginne
givt de Dochter drei Wallnuͤtte un ſegd: „do
kannſt du die mit helpen, wenn du in dine hoͤgſte
Naud biſt.“ Un do gingen de jungen Lude wier
tohaupe weg. Do ſe do wohl tein Stunne gohen
[157] hadden, do kummet ſe an dat Schlott, wovon de
Kuͤnigsſuhn was, un dobie was en Dorp. Aſe ſe
do anne keimen, do ſegd de Kuͤnigsſuhn: „blief
hie, mine Leiweſte, ik will eeſt up dat Schlott
gohen un dann will ik mit den Wagen un Be-
deinten kummen un will die afholen.“ Aſe he
do up dat Schlott kummet, do wert ſe olle ſo frau,
dat ſe den Kuͤnigsſuhn wier hett; do vertellt he,
he hedde ene Brut un de wuͤr ietzt in den Dorpe,
ſe wullen mit den Wagen hintrecken un ſe holen.
Do ſpannt ſe auck glick an un viele Bedeinten
ſetten ſik up den Wagen. Aſe do de Kuͤnigsſuhn
inſtiegen wull, do gab uͤn ſine Moder en Kus, do
hadde he alles vergeten, wat ſchehen was un auck
wat he dohen will; do befal de Moder, ſe ſullen
wier utſpannen un do gingen ſe olle wier in’t
Hues. Dat Maͤken awerſt ſitt im Dorpe un
luert un luert un meint, he ſull ſe afholen, et
kummet awerſt keiner. Do vermaiet (vermiethet)
ſik de Kuͤnigsdochter in de Muhle, de hoerde bie
dat Schlott, do moſte ſe olle Nohmiddage bie den
Water ſitten un Stunze ſchuͤren (Gefaͤße reini-
gen). Do kummet de Kuͤniginne mol von den
Schlotte gegohen un gohet an den Water ſpatzeiern
un ſeihet dat wackere Maͤken do ſitten, do ſegd ſe:
„wat is dat fur en wacker Maͤken! wat gefoͤllt
mie dat gut! Do kiket ſe et olle an, awerſt keen
Menſke hadde et kand. Do geit wohl ene lange
Tied vorhie, dat dat Maͤken eerlick un getrugge
[158] die den Muͤller deint. Unnerdes hadde de Kuͤni-
ginne ene Frugge fur ehren Suhn ſocht, de is
gans feren ut der Weld weſt. Aſe da de Brut
ankuͤmmet, do ſoͤllt ſe glik tohaupe giewen weeren.
Et laupet ſo viele Lude toſamen, de dat alle ſeihen
willt, do ſegd dat Maͤken to den Muͤller, he moͤgte
ehr doch auck Verloͤv giewen. Do ſeh de Muͤl-
ler: „goh menten huͤnne.“ Aſe’t do weg will,
do macket et ene van den drei Wallnuͤtten up, do
legt do ſo en wacker Kleid inne, dat trecket et an
un gink domie in de Kerke gigen den Altor ſtohen;
up enmol kummt de Brut un de Brume (Braͤu-
tigam) un ſettet ſik fuͤr den Altor, un aſe de Pa-
ſtor ſe da inſegnen wull, do kiket ſik de Brut van
der halwe (ſeitwaͤrts), un ſuͤht et do ſtohen, do
ſteit ſe wier up un ſegd, ſe wull ſik nie giewen
loten, bis ſe auck ſo en wacker Kleid haͤdde, aſe de
Dame. Da gingen ſe wier nah Hues un laͤten
de Dame froen, ob ſe et dat Kleid wohl verkofte.
Nee, verkaupen dam ſe nig, awerſt verdeinen, dat
moͤgte wohl ſien. Do frogten ſe ehr, wat ſe denn
dohen ſullen? Da ſegd ſe, wenn ſe van Nachte
fur dat Dohr van den Kuͤnigsſuhn ſchlapen doffte,
dann wull ſe et wohl dohen. Do ſeget ſe: „jo,
dat ſull ſe menten dohen.“ Do muttet de Be-
deinten den Kuͤnigsſuhn en Schlopdrunk ingiewen
un do legt ſe ſik up den Suͤll un gunſelt (winſelt)
de heile Nacht: „ſe haͤdde den Wall fur uͤn afhog-
gen loten, ſe haͤdde den Dieck fur uͤn utſchloen,
[159] ſe haͤdde dat Schlott fur uͤn bugget, ſe haͤdde uͤnne
to’n Doͤrenbuſk macket, dann wier tor Kerke un
toleſt tom Dieck un he haͤdde ſe ſo geſchwinne
vergeten.“ De Kuͤnigsſuhn hadde nicks davon
hoͤrt, de Bedeinten awerſt wuren upwacket, un
hadden toluſtert, un hadden nie wuſt, wat et ſull
beduͤen. Den anneren Morgen, aſe ſe upſtohen
wuͤren, do trock de Brut dat Kleid an un foͤrt
mit den Brumen nah der Kerke; uͤnnerdes macket
dat wackere Maͤken de tweide Wallnutt up, un
do is nau en ſchoͤner Kleid inne, dat tuht et wier
an un geit domie in de Kerke gigen den Altor ſto-
hen, do geit et dann ewen, wie dat vuͤrge mol.
Un dat Maͤken liegt wier en Nacht fur den Suͤll,
de nah des Kuͤnigsſuhns Stobe geit un de Be-
deinten ſuͤllt uͤn wier en Schlopdrunk ingiewen;
de Bedeinten kummet awerſt un giewet uͤnne wat
to wacken, domie legt he ſik to Bedde un de Muͤl-
lersmaged fur den Doͤrſuͤll gunſelt wier ſo viel un
ſegd, wat ſe dohen haͤdde. Dat hoͤrt olle de
Kuͤnigsſuhn un wett gans bedroͤwet un et foͤllt
uͤnne olle wier bie, wat vergangen was, do will
he nah ehr gohen, awerſt ſine Moder hadde de
Doͤr toſchlotten. Den annern Morgen awerſt
ging he glies to ſiner Leiweſten un vertellte ehr
olles, wie et mit uͤnne togangen wer, un ſe moͤgte
uͤnne doch nig beuſe ſin, dat he ſe ſo lange verget-
ten haͤdde. Do macket de Kuͤnigsdochter de dridde
Wallnutt up, do is nau en viel wacker Kleid inne,
[160] dat trecket ſe an un foͤrt mit ehren Brumen nah
de Kerke, un do keimen ſo viele Kinner, de gei-
wen uͤnne Blomen, un hellen uͤnne bunte Baͤn-
ner fur de Foͤte, un ſe leiten ſik inſegenen un hel-
len ene luſtige Hochtied; awerſt de falſke Moder
un Brut moſten weg. Un we dat leſt vertellt
het, den is de Mund noch waͤrm.


28.
Vom klugen Schneiderlein.


Es war einmal eine Prinzeſſin gewaltig ſtolz;
kam ein Freier, ſo gab ſie ihm etwas zu rathen
auf, und wenn er’s nicht errathen konnte, ſo ward
er mit Spott fortgeſchickt. Sie ließ auch bekannt
machen, wer’s erriethe, ſollte ſich mit ihr vermaͤh-
len und moͤchte kommen, wer da wollte. Nun
fanden ſich auch drei Schneider zuſammen, davon
meinten die zwei aͤlteſten, ſie haͤtten ſo manchen
feinen Stich gethan, und haͤtten’s getroffen, da
koͤnnt’s ihnen nicht fehlen, ſie muͤßten’s wohl bei
der Prinzeſſin auch treffen; der dritte aber war
ein kleines unnuͤtzes Ding, das nicht einmal ſein
Handwerk verſtand. Da ſprachen die zwei zu ihm:
„bleib nur zu Haus, du wirſt mit deinem Bis-
chen Verſtand auch nicht weit kommen;“ das
Schneiderlein ließ ſich aber nicht irr’ machen und
ſagte, es haͤtte einmal ſeinen Kopf darauf geſetzt
und
[161] und wollte ſich ſchon helfen, und ging dahin, als
waͤr’ die ganze Welt ſein.


Da meldeten ſie ſich alle drei bei der Prinzeſ-
ſin und ſagten, ſie ſollte ihnen ihr Raͤthſel vorle-
gen; es waͤren die rechten Leute angekommen, die
haͤtten einen feinen Verſtand, den koͤnnte man wohl
in eine Nadel faͤdeln. Da ſprach die Prinzeſſin:
„ich habe zweierlei Haar auf dem Kopf, von was
fuͤr Farben iſt das? „Wenn’s weiter nichts iſt,
ſagte der erſte, es wird ſchwarz und weiß ſeyn,
wie Kuͤmmel und Salz.“ Die Prinzeſſin ſprach:
„falſch gerathen, antworte der zweite.“ Da ſagte
der zweite: „iſt’s nicht ſchwarz und weiß, ſo iſt’s
braun und roth, wie meines Vaters Bratenrock.“
Falſch gerathen, ſagte die Prinzeſſin, antworte
der dritte, dem ſeh ich’s an, der weiß es ſicherlich.“
Da trat das Schneiderlein hervor und ſprach:
„die Prinzeſſin hat ein ſilbernes und ein goldenes
Haar auf dem Kopf und das ſind die zweierlei
Farben.“ Wie die Prinzeß das hoͤrte, ward ſie
blaß und waͤre vor Schrecken beinah hingefallen,
denn das Schneiderlein hatte es getroffen, und ſie
hatte geglaubt, das wuͤrde kein Menſch auf der
Welt herausbringen. Als ihr das Herz wieder-
kam, ſprach ſie: „damit haſt du mich noch nicht
gewonnen, du mußt noch eins thun, unten im
Stall liegt ein Baͤr, bei dem ſollſt du die Nacht
zubringen, wenn ich dann morgen aufſtehe und
du biſt noch lebendig, ſo ſollſt du mich heirathen.“
Kindermährchen II. L
[162] Sie dachte aber, damit wollte ſie das Schneider-
lein los werden, denn der Baͤr hatte noch keinen
Menſchen lebendig gelaſſen, der ihm unter die
Tatzen gekommen war. Das Schneiderlein ſprach
vergnuͤgt: „das will ich auch noch vollbringen.“


Als nun der Abend kam, ward mein Schnei-
derlein hinunter zum Baͤren gebracht; der Baͤr
wollt’ auch gleich auf es los und ihm mit ſeiner Tatze
einen guten Willkommen geben. „Sachte, ſachte,
ſprach das Schneiderlein, ich kann dich noch diſpen
(zur Ruh bringen).“ Da holte es, als haͤtt’ es keine
Sorgen, Welſche-Nuͤſſe aus der Taſche, biß ſie
auf und aß die Kerne; wie der Baͤr das ſah,
kriegte er Luſt und wollte auch Nuͤſſe haben. Das
Schneiderlein griff in die Taſche und reichte ihm
eine Hand voll; es waren aber keine Nuͤſſe, ſon-
dern Wackerſteine. Der Baͤr ſteckte ſie ins Maul,
er konnt’ aber nichts aufbeißen, er mogte druͤcken
wie er wollte. „Ei, dachte er, was biſt du fuͤr
ein dummer Klotz, du kannſt nicht einmal die
Nuͤſſe aufbeißen“ und ſprach zum Schneiderlein:
„mein, beiß mir die Nuͤſſe auf.“ „Da ſiehſt du
was du fuͤr ein Kerl biſt, ſprach das Schneider-
lein, haſt ſo ein groß Maul und kannſt die kleine
Nuß nicht aufbeißen.“ Da nahm es die Steine,
war hurtig, ſteckte dafuͤr eine Nuß in den Mund
und knack! war ſie entzwei. „Ich muß das Ding
noch einmal probiren, ſprach der Baͤr, wenn ich’s
ſo anſehe, ich mein’, ich muͤßt’s koͤnnen.“ Da
[163] gab ihm das Schneiderlein wieder die Wacker-
ſteine und der Baͤr arbeitete und biß aus allen
Leibeskraͤften hinein; Gott geb, er haͤtte ſie auf-
gebracht! Wie das vorbei war, holte das Schnei-
derlein eine Violine unter dem Rock hervor und
ſpielte ſich ein Stuͤckchen darauf. Als der Baͤr
das hoͤrte, konnt’ er es nicht laſſen und fing an
zu tanzen, und als er ein Weilchen getanzt hatte,
gefiel ihm das Ding ſo wohl, daß er zum Schnei-
derlein ſprach: „hoͤr, iſt das Geigen ſchwer?“
„Ei gar nicht, ſiehſt du, mit der Linken leg ich
die Finger auf und mit der Rechten ſtreich ich mit
dem Bogen drauf los, da gehts luſtig, hopſaſa
vivallalera!“ „Willſt du mich’s lehren? ſprach
der Baͤr, ſo geigen, das moͤgt’ ich auch verſtehen,
damit ich tanzen koͤnnte, wann ich Luſt haͤtte.“ —
„Von Herzen gern, ſagte das Schneiderlein, wenn
du’s lernen willſt, aber weis einmal deine Tatzen
her, die ſind gewaltig lang, ich muß dir erſt die
Naͤgel ein wenig abſchneiden.“ Da holte es ei-
nen Schraubſtock und der Baͤr legte ſeine Tatzen
drauf, das Schneiderlein aber ſchraubte ſie feſt
und ſprach: „nun warte bis ich wiederkomme mit
der Scheere;“ ließ den Baͤr brummen, ſoviel er
wollte, legte ſich in die Ecke auf ein Bund Stroh
und ſchlief ein.


Die Prinzeſſin, als ſie am Abend den Baͤren
ſo gewaltig brummen hoͤrte, glaubte nicht anders,
als der freute ſich recht und mit dem Schneider
L 2
[164] waͤr’s jetzt vorbei. Am Morgen ſtand ſie
auch recht vergnuͤgt auf, wie ſie aber nach dem
Stall guckt, ſo ſteht das Schneiderlein ganz mun-
ter davor und iſt geſund wie ein Fiſch im Waſſer.
Da konnte ſie nun kein Wort mehr dagegen ſagen,
weil ſie’s oͤffentlich verſprochen hatte und der Koͤ-
nig ließ einen Wagen kommen, darin mußte ſie
mit dem Schneiderlein zur Kirche fahren und
ſollte ſie da vermaͤhlt werden. Wie ſie nun ein-
geſtiegen waren, gingen die beiden andern Schnei-
der, die falſch waren und ihm ſein Gluͤck nicht
goͤnnten, in den Stall und ſchraubten den Baͤren
los, der war nun voller Wuth und rennte hinter
dem Wagen her. Die Prinzeſſin aber hoͤrte ihn
ſchnauben, da ward ihr Angſt und ſie ſagte: „ach!
der Baͤr iſt hinter uns und will dich holen.“ Das
Schneiderlein war bei der Hand, ſtellte ſich auf
den Kopf, ſtreckte die Beine zum Fenſter hinaus
und rief: „ſiehſt du den Schraubſtock; wann du
nicht gehſt, ſo ſollſt du wieder hinein.“ Wie der
Baͤr das ſah, drehte er um und lief fort. Mein
Schneiderlein fuhr da ruhig in die Kirche und die
Prinzeſſin ward ihm an die Hand getraut und
lebte mit ihr vergnuͤgt wie eine Heidlerche. Wers
nicht glaubt, bezahlt einen Thaler.


[165]

29.
Die klare Sonne bringt’s an den Tag.


Ein Schneidergeſell reiſte in der Welt auf
ſein Handwerk herum; nun konnt’ er einmal keine
Arbeit finden und war die Armuth bei ihm ſo
groß, daß er keinen Heller Zehrgeld hatte. In
der Zeit begegnete ihm auf dem Weg ein Jude
und da dachte er, der haͤtte viel Geld bei ſich und
ſtieß Gott aus ſeinem Herzen, ging auf ihn los
und ſprach: „gib mir dein Geld oder ich ſchlag
dich todt!“ Da ſagte der Jude: „ſchenkt mir
doch das Leben, Geld hab’ ich keins und nicht
mehr als acht Heller.“ Der Schneider aber
ſprach: „du haſt doch Geld und das ſoll auch her-
aus!“ brauchte Gewalt und ſchlug ihn ſo lange,
bis er nah am Tod war. Und wie der Jude nun
ſterben wollte, ſprach er das letzte Wort: „die
klare Sonne wird es an den Tag bringen!“ und
ſtarb damit. Der Schneidergeſell griff ihm in
die Taſchen und ſuchte nach Geld, aber er fand
nicht mehr als die acht Heller, wie der Jude ge-
ſagt hatte. Da packte er auf, trug ihn hinter
einen Buſch und zog weiter auf ſeine Profeſſion.
Wie er nun lange Zeit gereiſt war, kam er in eine
Stadt bei einen Meiſter in Arbeit, der hatte eine
ſchoͤne Tochter, in die verliebte er ſich und heira-
thete ſie und lebte in einer guten, vergnuͤgten Ehe.


[166]

Ueberlang, als ſie ſchon zwei Kinder hatten,
ſtarben Schwiegervater und Schwiegermutter und
die Jungen hatten den Haushalt allein. Eines
Morgens, wie der Mann auf dem Tiſch vor dem
Fenſter ſaß, brachte ihm die Frau den Kaffee und
als er ihn in die Unterſchale ausgegoſſen hatte
und eben trinken wollte, da ſchien die Sonne
darauf und blinkte oben an der Wand ſo hin und
her und machte Kringel daran. Da ſah der
Schneider hinauf und ſprach: „ja, die will’s gern
an den Tag bringen und kann’s nicht!“ Die
Frau ſprach: „ei! lieber Mann, was iſt denn
das? was meinſt du damit?“ Er antwortete:
„das darf ich dir nicht ſagen.“ Sie aber ſprach:
„wenn du mich lieb haſt, mußt du mir’s ſagen“
und gab ihm die allerbeſten Worte, es ſollt’s kein
Menſch wieder erfahren, und ließ ihm keine Ruhe.
Da erzaͤhlte er, vor langen Jahren, wie er auf
der Wanderſchaft ganz abgeriſſen und ohne Geld
geweſen, habe er einen Juden erſchlagen und der
Jude habe in der letzten Todesangſt die Worte
geſprochen: „die klare Sonne wird’s an den Tag
bringen.“ Nun haͤtt’s die Sonne eben gern an
den Tag bringen wollen und haͤtt’ an der Wand
geblinket und Kringel gemacht, ſie haͤtt’s aber
nicht gekonnt. Darnach bat er ſie noch beſonders,
ſie duͤrfte es niemand ſagen, ſonſt kaͤm’ er um
ſein Leben, das verſprach ſie auch; als er aber
zur Arbeit ſich geſetzt hatte, ging ſie zu ihrer Ge-
[167] vatterin und erzaͤhlte es der, wenn ſie’s keinem
Menſchen wiederſagen wollte; eh’ aber drei Tage
vergingen, wußt’ es die ganze Stadt und der
Schneider kam vor das Gericht und er ward ge-
richtet. Da brachte es doch die klare Sonne an
den Tag.


30.
Das blaue Licht.


Es war einmal ein Koͤnig, der hatte einen
Soldaten zum Diener, wie der ganz alt wurde
und unbrauchbar, ſchickte er ihn fort und gab ihm
nichts. Da wußte er nicht, womit er ſein Leben
friſten ſollte, ging traurig fort den langen Tag
und kam Abends in einen Wald. Wie er ein
Weilchen gegangen war, ſah er ein Licht, dem
naͤherte er ſich und kam zu einem kleinen Haus,
darin wohnte eine alte Hexe. Er bat um ein
Nachtlager und ein wenig Eſſen und Trinken, ſie
ſchlug’s ihm aber ab, endlich ſagte ſie: „ich will
dich doch aus Barmherzigkeit aufnehmen, du
mußt mir aber morgen meinen ganzen Garten
umgraben.“ Der Soldat verſprach’s und ward
alſo beherbergt. Am andern Tag hackte er der
Hexe den Garten um und hatte damit Arbeit bis
zum Abend, nun wollte ſie ihn wegſchicken, er
ſprach aber: „ich bin ſo muͤd’, laß mich noch die
[168] Nacht hier bleiben.“ Sie wollte nicht, endlich
gab ſie’s zu, doch ſollt’ er ihr andern Tags ein
Fuder Holz klein ſpalten. Der Soldat hackte
den zweiten Tag das Holz und hatte ſich Abends
ſo abgearbeitet, daß er wieder nicht fort konnte,
alſo bat er um die dritte Nacht; dafuͤr ſollte er
aber den folgenden Tag das blaue Licht aus dem
Brunnen holen. Da fuͤhrte ihn die Hexe an
einen Brunnen und band ihn an ein lang Seil,
daran ließ ſie ihn hinab; und als er unten war,
fand er das blaue Licht und machte das Zeichen,
daß ſie ihn wieder hinaufziehen ſollte. Sie zog
ihn auch in die Hoͤhe, wie er aber am Rand war,
ſo nah, daß man ſich die Haͤnde reichen konnte,
wollte ſie das Licht haben, um ihn dann wieder
hinunter fallen zu laſſen. Aber er merkte ihre
boͤſen Gedanken und ſagte: „nein, ehe geb ich
das blaue Licht nicht, als bis ich mit meinen Fuͤ-
ßen auf dem Erdboden ſtehe.“ Da erboßte die
Hexe und ſtieß ihn mit ſammt dem Licht hinunter
in den Brunnen und ging fort. Der Soldat
unten in dem dunkeln, feuchten Moraſt war
traurig, denn ihm ſtand ſein Ende bevor, da fiel
ihm ſeine Pfeife in die Hand, die war noch halb
voll, und er dachte: die willſt du zum letzten Ver-
gnuͤgen doch noch ausrauchen. Alſo ſteckte er ſie
an dem blauen Licht an und fing an zu rauchen;
als der Dampf ein wenig herumzog, ſo kam ein
klein ſchwarz Maͤnnlein daher und fragte: „Herr,
[169] was befiehlſt du mir? ich muß dir in allem die-
nen.“ — „Hilf mir vor allen Dingen aus dem
Brunnen. Da faßte ihn das ſchwarze Maͤnn-
chen bei der Hand und fuͤhrte ihn herauf und das
blaue Licht nahmen ſie mit. Als ſie oben waren,
ſagte der Soldat: „nun ſchlag mir die alte Hexe
todt.“ Als das Maͤnnchen das gethan, offen-
barte es ihm die Schaͤtze und das Gold der Hexe,
das lud der Soldat auf und nahm es mit ſich.
Dann ſprach das Maͤnnchen: „wenn du mich
brauchſt, ſo zuͤnde nur deine Pfeife an dem blauen
Licht an.“ Darauf ging der Soldat in die Stadt
und in den beſten Gaſthof, da ließ er ſich ſchoͤne
Kleider machen und ein Zimmer praͤchtig einrich-
ten. Wie das fertig war, rief er ſein Maͤnnchen
und ſprach: „der Koͤnig hat mich fortgeſchickt und
mich hungern laſſen, weil ich ſeine Dienſte nicht
mehr thun konnte, nun bring’ mir die Koͤnigs-
tochter heut Abend hierher, die ſoll mir aufwar-
ten und thun, was ich ihr heiße.“ Das Maͤnn-
chen ſprach: „das iſt ein gefaͤhrlich Ding.“ Doch
ging es hin und holte die Koͤnigstochter ſchlafend
aus ihrem Bett und brachte ſie dem Soldaten,
dem mußte ſie nun gehorchen und thun, was er
wollte; am Morgen vor Hahnenſchrei trug ſie das
ſchwarze Maͤnnchen wieder zuruͤck. Als ſie auf-
geſtanden war, erzaͤhlte ſie ihrem Vater: „ich
habe dieſe Nacht einen wunderlichen Traum ge-
habt, als waͤr’ ich weggeholt worden und die
[170] Magd von einem Soldaten und mußte ihm auf-
warten.“ Da ſprach der Koͤnig: „ſteck dir die
Taſche voll Erbſen und mach ein Loch hinein, der
Traum koͤnnte wahr ſeyn, dann fallen ſie heraus
und laſſen die Spur auf der Straße.“ Alſo
that ſie auch, aber das Maͤnnchen hatte gehoͤrt,
was der Koͤnig ihr angerathen; wie nun der
Abend kam und der Soldat ſagte, er ſollte ihm
wieder die Koͤnigstochter holen, da ſtreute er die
ganze Stadt vorher voll Erbſen und konnten die
wenigen, die aus ihrer Taſche fielen, keine Spur
machen und am andern Morgen hatten die Leute
den ganzen Tag Erbſen zu leſen. Die Koͤnigs-
tochter erzaͤhlte ihrem Vater wieder, was ihr be-
gegnet war, da ſprach er: „behalt einen Schuh
an, und verſtecke ihn heimlich, wo du biſt.“ Das
ſchwarze Maͤnnchen hoͤrte das mit an, und wie
der Soldat wiederum die Koͤnigstochter wollte
hergebracht haben, ſagte es zu ihm: „jetzt kann
ich dir nicht mehr helfen, du wirſt ungluͤcklich,
wenn’s heraus kommt.“ Der Soldat aber be-
ſtand auf ſeinem Willen; „ſo mach dich nur gleich
fruͤhmorgens aus dem Thor hinaus, ſagte das
Maͤnnchen, wenn ich ſie fort getragen habe.“


Die Koͤnigstochter behielt nun einen Schuh an
und verſteckte ihn bei dem Soldaten ins Bett; am
andern Morgen, wie ſie wieder bei ihrem Vater
war, ließ der uͤberall in der Stadt darnach ſuchen
und da ward er dann bei dem Soldaten gefunden.
[171] Er hatte ſich zwar aus dem Staube gemacht, wurde
aber bald eingeholt und in ein feſtes Gefaͤngniß
geworfen. Da ſaß er nun in Ketten und Ban-
den und uͤber der eiligen Flucht war ſein Beſtes
ſtehn geblieben, das blaue Licht und das Gold
und ihm nichts uͤbrig als ein Dukaten. Wie er
nun ſo traurig an dem Fenſter ſeines Gefaͤngniſſes
ſtand, ſah er einen Cammeraden vorbeigehen, den
rief er an und ſprach; „wenn du mir das kleine
Buͤndelchen holſt, das ich im Gaſthauſe habe lie-
gen laſſen, geb’ ich dir einen Dukaten;“ da ging
der hin und brachte ihm fuͤr den Dukaten das
blaue Licht und das Gold. Der Gefangene ſteckte
alsbald ſeine Pfeife an und ließ das ſchwarze
Maͤnnchen kommen, das ſprach zu ihm: „ſey ohne
Furcht, geh’ getroſt zum Gericht und laß alles
geſchehen, nur nimm das blaue Licht mit.“ Dar-
auf ward er verhoͤrt und ihm das Urtheil geſpro-
chen, daß er ſollte an den Galgen gehaͤngt wer-
den. Wie er hinaus gefuͤhrt wurde bat er den
Koͤnig um eine Gnade. „Was fuͤr eine? ſprach
der. „Daß ich noch eine Pfeife auf dem Weg
rauchen darf.“ „Du kannſt drei rauchen, wenn
du willſt,“ ſagte der Koͤnig. Da zog er ſeine
Pfeife heraus und zuͤndete ſie an dem blauen
Flaͤmmchen an, alsbald trat das ſchwarze Maͤnn-
chen vor ihn; „ſchlag mir da alles todt, ſprach der
Soldat, und den Koͤnig in drei Stuͤcke.“ Alſo
fing das Maͤnnchen an und ſchlug die Leute rings
[172] herum todt, da legte ſich der Koͤnig auf Gnade-
bitten und um nur ſein Leben zu erhalten, gab er
dem Soldaten das Reich und ſeine Tochter zur
Frau.


31.
Von einem eigenſinnigen Kinde.


Es war einmal ein Kind eigen ſinnig und that
nicht was ſeine Mutter haben wollte. Da hatte
der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm und es
ward krank, und kein Arzt konnt’ ihm helfen und
bald lag es auf dem Todtenbettchen. Als es ins
Grab verſenkt war, und Erde daruͤber gedeckt,
kam auf einmal ſein Aermchen wieder hervor und
reichte in die Hoͤhe, und wenn ſie es hineinlegten
und friſche Erde daruͤber legten, ſo half das nicht,
es kam immer wieder heraus. Da mußte die
Mutter ſelber zum Grab gehen und mit der Ruthe
auf das Aermchen ſchlagen, und wie ſie das gethan
hatte, zog es ſich hinein und hatte nun erſt Ruh
unter der Erde.


32.
Die drei Feldſcherer.


Drei Feldſcherer reiſten in der Welt, meinten
ihre Kunſt ausgelernt zu haben und kamen in ein
[173] Wirthshaus, wo ſie uͤbernachten wollten. Der
Wirth fragte, wo ſie her waͤren und hinaus woll-
ten? „Sie zoͤgen auf ihre Kunſt in der Welt
herum.“ — „Ei, ſprach der Wirth, zeigt mir
doch einmal, was ihr koͤnnt.“ Sprach der erſte,
er wollte ſeine Hand abſchneiden und morgen fruͤh
wieder anheilen; der zweite ſprach: er wollte ſein
Herz ausreißen und morgen fruͤh wieder anheilen;
der dritte ſprach, er wollte ſeine Augen ausſtechen
und morgen fruͤh wieder einheilen. Sie hatten
aber eine Salbe, was ſie damit beſtrichen, das
heilte zuſammen, und das Flaͤſchchen, wo ſie drin
war, trugen ſie beſtaͤndig bei ſich. Da ſchnitten
ſie Hand, Herz und Auge vom Leibe, wie ſie ge-
ſagt hatten, legten’s zuſammen auf einen Teller
und gaben’s dem Wirth, der Wirth gab’s einem
Maͤdchen, das ſollt’s in den Schrank ſtellen und
wohl aufheben. Das Maͤdchen aber hatte einen
heimlichen Schatz, der war ein Soldat; wie nun
der Wirth, die drei Feldſcherer und alle Leute im
Haus ſchliefen, kam der und wollte was zu eſſen
haben. Da ſchloß das Maͤdchen den Schrank auf
und holte ihm etwas, und uͤber der großen Liebe
vergaß es die Schrankthuͤre zuzumachen, ſetzte
ſich zum Liebſten an Tiſch, und ſie ſprachen mit
einander. Wie es ſo vergnuͤgt ſaß und an kein
Ungluͤck dachte, kam die [K]atze hereingeſchlichen,
fand den Schrank offen, und nahm die Hand,
das Herz und die Augen der drei Feldſcherer und
[174] und lief mit hinaus. Als nun der Soldat gegeſ-
ſen hatte und das Maͤdchen das Geraͤth aufheben
und den Schrank zuſchließen wollte, da ſah ſie
wohl, daß der Teller, den ihr der Wirth aufzu-
heben gegeben hatte, ledig war. Da ſagte es er-
ſchrocken zu ſeinem Schatz: „ach! was will ich
armes Maͤdchen anfangen! Die Hand iſt fort,
das Herz und die Augen ſind auch fort, wie wird
mir’s morgen fruͤh ergehen!“ Da ſprach er: „ſey
ſtill, ich will dir davon helfen, gib mir nur ein
ſcharfes Meſſer; es haͤngt ein Dieb am Galgen,
dem will ich die Hand abſchneiden, welche Hand
war’s denn?“ — „Die rechte.“ Da gab ihm
das Maͤdchen ein ſcharf Meſſer und er ging hin,
ſchnitt dem armen Suͤnder die rechte Hand ab,
und brachte ſie. Darauf packte er die Katze und
ſtach ihr die Augen aus; nun fehlte nur noch das
Herz. „Habt ihr nicht geſchlachtet und Schwei-
nefleiſch im Keller?“ „Ja,“ ſagte das Maͤdchen.
„Nun das iſt gut,“ ſagte der Soldat, ging hinun-
ter und holte ein Schweineherz und gab’s dem
Maͤdchen. Das that alles wieder auf den Teller
und ſtellte es in den Schrank, und als ihr Liebſter
darauf Abſchied genommen hatte, legte es ſich
ruhig ins Bett.


Morgens, als die Feldſcherer aufſtanden, ſag-
ten ſie dem Maͤdchen, es ſollte ihnen den Teller
holen, darauf Hand, Herz und Augen laͤgen. Da
brachte es ihn aus dem Schrank, und der erſte
[175] hielt ſich die Diebshand an, beſtrich ſie mit ſeiner
Salbe, alsbald war ſie ihm angewachſen. Der
zweite nahm die Katzenaugen und heilte ſie ein;
der dritte machte das Schweineherz feſt. Der
Wirth aber ſtand dabei, bewunderte ihre Kunſt
und ſagte, dergleichen haͤtte er noch nicht ge-
ſehen, er wollt’ ſie bei Jedermann ruͤhmen und
empfehlen. Darauf bezahlten ſie ihre Zeche und
reiſten weiter.


Wie ſie ſo dahin gingen, ſo blieb der mit dem
Schweineherzen gar nicht bei ihnen, ſondern wo
eine Ecke war, lief er hin, ſchnuͤffelte darin herum,
wie Schweine thun. Die andern wollten ihn
an dem Rockſchlippen zuruͤckhalten, aber das half
nichts, er riß ſich los und lief hin, wo der dickſte
Dreck lag. Der zweite ſtellte ſich auch wunderlich
an, rieb die Augen und ſagte zu dem andern:
„Cammerad, was iſt das? das ſind meine Augen
nicht, ich ſehe ja nichts, leit’ mich doch, daß ich
nicht falle.“ Da gingen ſie mit Muͤhe fort bis
zum Abend und ſie zu einer andern Herberge ka-
men. Sie traten zuſammen in die Wirthsſtube,
da ſaß in einer Ecke ein reicher Herr vorm Tiſch
und zaͤhlte Geld. Der mit der Diebshand ging
um ihn herum, zuckt’ ein paarmal, endlich wie
der Herr ſich umwendete, griff er in den Haufen
hinein und nahm eine Hand voll Geld heraus.
Der eine ſah’s und ſprach: „Cammerad, was
machſt du, ſtehlen darfſt du nicht, ſchaͤm’ dich.“
[176] „Ei, ſagte er, was kann ich dafuͤr, es zuckt mir
in der Hand, ich muß zugreifen, ich mag wollen
oder nicht.“ Sie legten ſich darnach ſchlafen,
wie ſie da liegen, iſt’s ſo finſter, daß man keine
Hand vor den Augen ſehen kann. Auf einmal
erwachte der mit den Katzenaugen, weckte die an-
dern und ſprach: „Bruͤder, ſchaut einmal auf,
ſeht ihr die weißen Maͤuschen, die da herumlau-
fen? „Die zwei richteten ſich auf, konnten aber
nichts ſehen. Da ſprach er: „es iſt mit uns
nicht richtig, wir haben das Unſrige nicht wieder
gekriegt, wir muͤſſen zuruͤck zu dem Wirth, der
hat uns betrogen.“ Alſo machten ſie ſich am an-
dern Morgen dahin auf und ſagten dem Wirth,
ſie haͤtten ihr richtig Werk nicht wieder kriegt, der
eine haͤtte eine Diebshand, der zweite Katzenau-
gen und der dritte ein Schweineherz. Der Wirth
ſprach, da muͤßte das Maͤdchen Schuld daran ſeyn
und wollte es rufen, aber wie das die drei hatte
kommen ſehen, war es zum Hinterpfoͤrtchen fort-
gelaufen und kam nicht wieder. Da ſprachen die
drei, er ſollte ihnen viel Geld geben, ſonſt ließen
ſie ihm den rothen Hahn uͤber’s Haus fliegen;
da gab er, was er hatte und nur aufbringen
konnte, und die drei zogen damit fort; es war
fuͤr ihr Lebtag genug, ſie haͤtten aber doch lieber
ihr richtig Werk gehabt.



[177]

33.
Der Faule und der Fleißige.


Es waren einmal zwei Handwerkspurſche, die
wanderten zuſammen und gelobten bei einander
zu halten. Als ſie aber in eine große Stadt ka-
men, ward der eine ein Bruder Liederlich, ver-
gaß ſein Wort, verließ den andern und zog allein
fort, hin und her; wo’s am tollſten zuging war’s
ihm am liebſten. Der andere hielt ſeine Zeit
aus, arbeitete fleißig und wanderte hernach wei-
ter. Da kam er in der Nacht am Galgen vorbei,
ohne daß er’s wußte, aber auf der Erde ſah er
unten einen liegen und ſchlafen, der war duͤrftig
und blos, und weil es ſternenhell war, erkannte
er ſeinen ehemaligen Geſellen. Da legte er ſich
neben ihn, deckte ſeinen Mantel uͤber ihn und
ſchlief ein. Es dauerte aber nicht lang, ſo wurde
er von zwei Stimmen aufgeweckt, die ſprachen
mit einander, das waren zwei Raben, die ſaßen
oben auf dem Galgen. Der eine ſprach: „Gott
ernaͤhrt!“ der andere: „thu darnach!“ und ei-
ner fiel nach den Worten matt herab zur Erde,
der andere blieb bei ihm ſitzen und wartete bis
es Tag war, da holte er etwas Gewuͤrm und Waſ-
ſer, erfriſchte ihn damit und erweckte ihn vom
Tod. Wie die beiden Handwerksburſchen das
ſahen, verwunderten ſie ſich und fragten den
Kindermährchen. II. M
[178] einen Raben, warum der andere ſo elend und krank
waͤre, da ſprach der kranke: „weil ich nichts thun
wollte und glaubte, die Nahrung kaͤm doch vom
Himmel.“ Die beiden nahmen die Raben mit
ſich in den naͤchſten Ort, der eine war munter und
ſuchte ſich ſein Futter, alle Morgen badete er ſich
und putzte ſich mit dem Schnabel, der andere
aber hockte in den Ecken herum, war verdrießlich
und ſah immerfort ſtruppig aus. Nach einer Zeit
hatte die Tochter des Hausherrn, die ein ſchoͤnes
Maͤdchen war, den fleißigen Raben gar lieb,
nahm ihn von dem Boden auf, ſtreichelte ihn mit
der Hand, endlich druͤckte ſie ihn einmal an’s Ge-
ſicht und kuͤßte ihn vor Vergnuͤgen. Der Vogel
fiel zur Erde, waͤlzte ſich und flatterte und ward
zu einem ſchoͤnen jungen Mann. Da erzaͤhlte er,
der andere Rabe waͤr’ ſein Bruder und ſie haͤtten
beide ihren Vater beleidigt, der haͤtte ſie dafuͤr
verwuͤnſcht und geſagt: „fliegt als Raben umher,
ſo lang, bis ein ſchoͤnes Maͤdchen euch freiwillig
kuͤßt.“ Alſo war der eine erloͤſt, aber den andern
traͤgen wollte niemand kuͤſſen und er ſtarb als
Rabe. — Bruder Liederlich nahm ſich das zur
Lehre, ward fleißig und ordentlich und hielt ſich
bei ſeinem Geſellen.


[179]

34.
Die drei Handwerkspurſchen.


Es waren drei Handwerkspurſche, die hatten
es verabredet, immer mit einander zu wandern
und in Einer Stadt zu arbeiten. Auf eine Zeit
aber war gar kein Verdienſt mehr, ſo daß ſie ganz
abgeriſſen wurden und nichts zu leben hatten, da
ſprach der eine: „was ſollen wir anfangen? zu-
ſammenbleiben koͤnnen wir nicht laͤnger, das ſoll
die letzte Stadt ſeyn, wo wir jetzt hineinkommen,
finden wir keine Arbeit, ſo wollen wir beim Her-
bergsvater ausmachen, daß wir ihm ſchreiben,
wo wir uns aufhalten und einer vom andern
Nachricht haben kann, und dann wollen wir uns
trennen; das ſchien auch den andern das Beſte.
Wie ſie noch im Gerede waren, ſo kam ein reich
gekleideter Mann ihnen entgegen, der fragte, wer
ſie waͤren? „Wir ſind Handwerksleute, ſuchen
Arbeit und haben uns bisher zuſammen gehalten,
weil wir aber keine mehr finden, wollen wir uns
trennen.“ „Ei, das hat keine Noth, ſprach der
Mann, wenn ihr thun wollt, was ich euch ſage,
ſoll’s euch an Geld und Arbeit nicht fehlen; ja ihr
ſollt große Herren werden und in Kutſchen fah-
ren.“ Der eine ſprach: „wenn’s unſerer Seele
und Seligkeit nicht ſchadet, ſo wollen wir’s wohl
thun;“ „nein ſagte der Mann, ich habe kein
M 2
[180] Theil an euch.“ Der andere aber hatte nach ſei-
nen Fuͤßen geſehen und als er da einen Pferdefuß
und einen Menſchenfuß erblickte, wollte er ſich
nicht mit ihm einlaſſen. Der Teufel aber ſprach:
„gebt euch zufrieden, es iſt nicht auf euch abge-
ſehen, ſondern auf eines anderen Seele, der ſchon
halb mein iſt und deſſen Maaß nur voll laufen
ſoll.“ Weil ſie nun ſicher waren, willigten ſie
ein und der Teufel ſagte ihnen was er verlangte,
der erſte ſollte auf jede Frage antworten: „wir
alle drei
;“ der zweite: „um’s Geld“ der
dritte: „und das war Recht!“ das ſollten
ſie immer hinter einander ſagen, weiter aber duͤrf-
ten ſie kein Wort ſprechen und uͤbertraͤten ſie das
Gebot, ſo waͤre gleich alles Geld verſchwunden;
ſo lange ſie es aber befolgten, ſollten ihre Taſchen
immer voll ſeyn. Zum Anfang gab er ihnen auch
gleich ſo viel, als ſie tragen konnten und hieß ſie
in die Stadt in das und das Wirthshaus gehen.
Sie gingen hinein, der Wirth kam ihnen entge-
gen und fragte: „wollen Sie etwas zu eſſen?
Der erſte antwortete: „wir alle drei.“ „Ja, ſagte
der Wirth, das mein’ ich auch.“ Der zweite:
„um’s Geld.“ „Das verſteht ſich,“ ſagte der
Wirth. Der dritte: „und das war Recht.“ „Ja
wohl, war’s Recht,“ ſagte der Wirth. Es ward
ihnen nun gut Eſſen und Trinken gebracht und
wohl aufgewartet, nach dem Eſſen mußte die Be-
zahlung geſchehen, da hielt der Wirth dem einen
[181] die Rechnung hin, der ſprach: „wir alle drei;“
der zweite: „um’s Geld;“ der dritte: „und das
war Recht.“ „Freilich iſt’s Recht, ſagte der
Wirth, alle drei bezahlen und ohne Geld kann
ich nichts geben;“ ſie bezahlten aber noch mehr
als er gefordert hatte. Die Gaͤſte ſahen das mit
an und ſprachen: „das muͤſſen tolle Leute ſeyn,“
„ja das ſind ſie auch, ſagte der Wirth, ſie ſind
nicht recht klug.“ So blieben ſie eine Zeitlang
in dem Wirthshaus und ſprachen kein ander Wort
als: „wir alle drei, um’s Geld, und das war
recht.“ Sie ſahen aber und wußten alles, was
darin vorging. Es trug ſich aber zu, daß ein
großer Kaufmann kam mit vielem Geld, der ſprach:
„Herr Wirth, heben ſie mir mein Geld auf, da
ſind die drei naͤrriſchen Handwerkspurſche, die
moͤchten mir’s ſtehlen.“ Das that der Wirth;
wie er den Mantelſack in ſeine Stube trug, fuͤhlte
er, daß er ſchwer von Gold war, darauf gab er
den drei Handwerkern unten ein Lager, der Kauf-
mann aber kam oben hin in eine beſondere Stube.
Als Mitternacht war, und der Wirth dachte, ſie
ſchliefen alle, kam er mit ſeiner Frau und ſie hat-
ten eine Holzaxt und ſchlugen den reichen Kauf-
mann todt; nach vollbrachtem Mord legten ſie
ſich wieder ſchlafen. Wie’s nun Tag war, gab’s
großen Laͤrm, der Kaufmann lag todt im Bett
und ſchwomm in ſeinem Blut; da liefen alle
Gaͤſte zuſammen, der Wirth aber ſprach: „das
[182] haben die drei tollen Handwerker gethan.“ Die
Gaͤſte beſtaͤtigten es und ſagten: „niemand an-
ders kann’s geweſen ſeyn.“ Der Wirth aber ließ
ſie rufen und ſagte zu ihnen: „habt ihr den
Kaufmann getoͤdtet?“ „Wir alle drei,“ ſagte
der erſte, „um’s Geld,“ der zweite, „und das
war recht!“ der dritte. „Da hoͤrt ihr’s nun,
ſprach der Wirth, ſie geſtehen’s ſelber.“ Sie
wurden alſo in’s Gefaͤngniß gebracht und ſollten
gerichtet werden. Wie ſie nun ſahen, daß es ſo
ernſthaft ging, ward ihnen doch Angſt, aber
Nachts kam der Teufel und ſprach: „haltet nur
noch einen Tag aus und verſcherzt euer Gluͤck
nicht, es ſoll euch kein Haar gekruͤmmt werden.“
Am andern Morgen wurden ſie vor Gericht ge-
fuͤhrt; da ſprach der Richter: „ſeyd ihr die Moͤr-
der?“ — „wir alle drei.“ — „Warum habt
ihr den Kaufmann erſchlagen?“ — „um’s Geld.“
— „Ihr Boͤſewichter, ſagte der Richter, habt
ihr euch nicht der Suͤnde geſcheut?“ — „und
das war Recht.“ — „Sie haben bekannt und
ſind noch dazu halsſtarrig, ſprach der Richter,
fuͤhrt ſie gleich zum Tod.“ Alſo wurden ſie hin-
aus gebracht und der Wirth mußte mit in den
Kreis treten; wie ſie nun von den Henkersknech-
ten gefaßt und eben auf’s Geruͤſt gefuͤhrt wurden,
wo der Scharfrichter mit bloßem Schwerte ſtand,
kam auf einmal eine Kutſche mit vier blutrothen
Fuͤchſen beſpannt, und fuhr, daß das Feuer aus
[183] den Steinen ſprang, aus dem Fenſter aber winkte
einer mit einem weißen Tuche. Da ſprach der
Scharfrichter, es kommt Gnade, und ward auch
aus dem Wagen: Gnade! Gnade! gerufen. Da
trat der Teufel heraus, als ein ſehr vornehmer
Herr, praͤchtig gekleidet und ſprach: „ihr drei
ſeyd unſchuldig; ihr duͤrft nun ſprechen, ſagt, was
ihr geſehen und gehoͤrt habt.“ Da ſprach der
aͤlteſte: „wir haben den Kaufmann nicht getoͤdtet,
der Moͤrder ſteht da im Kreis und deutete auf
den Wirth; zum Wahrzeichen geht hin in ſeinen
Keller, da haͤngen noch viele andere, die er um’s
Leben gebracht.“ Da ſchickte der Richter die
Henkersknechte hin, die fanden es, wie’s geſagt
war, und als ſie dem Richter das berichtet hatten,
ließ er den Wirth hinauf fuͤhren und ihm das
Haupt abſchlagen. Da ſprach der Teufel zu den
Dreien: „nun hab’ ich die Seele, die ich haben
wollte, ihr ſeyd aber frei und habt Geld fuͤr euer
Lebtag.“


35.
Die himmliſche Hochzeit.


Es war einmal ein armer Bauerjung’ in der
Kirche und hoͤrte, wie der Pfarrer ſprach: „wer
da will in’s Himmelreich kommen, muß immer
geradaus gehen. Da machte er ſich auf und ging
[184] ganz gerad’ fort, uͤber Berg und Thal; endlich
kam er in eine große Stadt und mitten in die
Kirche, wo eben Gottesdienſt gehalten wurde.
Wie er all die Herrlichkeit ſah, meinte er, nun
waͤr’ er im Himmel angelangt, ſetzte ſich hin und
war froh. Als der Gottesdienſt vorbei war, kam
der Kuͤſter und hieß ihn hinausgehen. „Nein,
ſprach er, ich gehe nicht heraus, ich bin froh, daß
ich endlich im Himmel bin.“ Da ging der Kuͤſter
zum Pfarrer und ſagte ihm, es waͤr’ ein Junge
in der Kirche, der wolle nicht wieder heraus, weil
er glaube, er waͤre da im Himmelreich. Der
Pfarrer ſprach: „wenn’s ſo iſt, wollen wir ihn
behalten,“ ging hin und fragte ihn, ob er auch
Luſt haͤtte zu arbeiten? Ja, antwortete der
Kleine, Arbeiten ſey er gewohnt, aber heraus
ginge er nicht. Alſo blieb er in der Kirche und als
er ſah, wie die Leut’ zu dem Muttergottesbild
mit dem Jeſuskind, das aus Holz geſchnitten war,
kamen, knieten und beteten, meinte er, das waͤr’
der liebe Gott und ſprach: „hoͤr’ einmal, lieber
Gott, was biſt du mager! wie dich die Leut’ hun-
gern laſſen! ich will dir auch jeden Tag mein
halbes Eſſen bringen.“ Nun bracht er dem Bild
jeden Tag die Haͤlfte von ſeinem Eſſen und das
Bild faͤngt auch an zu eſſen. Wie ein paar Wo-
chen herum ſind, merkten die Leute, daß das Bild
zunahm, dick und ſtark ward, wunderten ſich ſehr;
der Pfarrer konnte es auch nicht begreifen, blieb
[185] in der Kirche und ging dem Kleinen nach, da ſah
er, wie er ſein Brot mit der Mutter Gottes
theilte. Auf eine Zeit ward er krank und konnte
acht Tage nicht aus dem Bett, wie er aber zuerſt
wieder aufſtand, nahm er gleich Eſſen und der
Pfarrer ging ihm nach und ſah, wie er’s hinbrachte
und hoͤrte ihn ſprechen: „lieber Gott, nimm’s
nicht uͤbel, daß ich ſo lange nichts gebracht, ich
war aber krank und konnte nicht aufſtehen.“ Da
antwortete das Bild und ſprach: „das thut
nichts, ich habe deinen guten Willen geſehen, das
iſt genug und naͤchſten Sonntag ſollſt du zu mir
auf die Hochzeit kommen.“ Der Junge freute
ſich ſehr und der Pfarrer bat ihn, zu gehen und
das Bild zu fragen, ob er auch duͤrfe mitkommen.
„Nein, ſagte das Bild, du allein.“ Der Pfar-
rer aber wollte ihn erſt vorbereiten und ihm das
Abendmahl geben, das war der Kleine zufrieden
und naͤchſten Sonntag, wie’s Abendmahl an ihn
kommt, faͤllt er um und iſt todt und war zur ewi-
gen Hochzeit.


36.
Die lange Naſe.


Es waren drei alte abgedankte Soldaten, die
waren ſo alt, daß ſie auch keine Libermilch mehr
beißen konnten, da ſchickte ſie der Koͤnig fort, gab
[186] ihnen keine Penſion, hatten ſie nichts zu leben
und mußten betteln gehn. Da reiſten ſie durch
einen großen Wald und konnten das Ende davon
nicht finden; als es Abend war, legten ſich zwei
ſchlafen und der dritte mußte bei ihnen Wache
halten, damit ſie von den wilden Thieren nicht
zerriſſen wuͤrden. Wie die zwei nun eingeſchlafen
waren, und der eine dabei ſtand und Wache hielt,
kam ein kleines Maͤnnchen in rothem Kleide und
rief: wer da? „Gut Freund,“ ſagte der Soldat.
„Was fuͤr Gutfreund?“ — „Drei alte abge-
dankte Soldaten, die nichts zu leben haben.“ Da
ſprach das Maͤnnchen, er ſollte zu ihm kommen,
es wollt’ ihm was ſchenken, wenn er das in Acht
naͤhme, ſollte er ſein Lebtag genug haben. Da
ging er heran und es ſchenkte ihm einen alten
Mantel, wenn er den umhaͤngte, was er dann
wuͤnſchte, das ward alles wahr, er ſollt’ es aber
ſeinen Kammeraden nicht ſagen, bis es Tag wuͤrde.
Wie es nun Tag war und ſie aufwachten, da er-
zaͤhlte er ihnen was geſchehen war und ſie reiſten
weiter bis zum zweiten Abend, und als ſie ſich
ſchlafen legten, mußte der zweite wachen und Po-
ſten bei ihnen ſtehen. Da kam das rothe Maͤnn-
chen und rief wer da? „Gutfreund.“ — „Was
fuͤr Gutfreund?“ — „Drei alte abgedankte Sol-
daten.“ Da ſchenkte ihm das Maͤnnchen ein altes
Beutelchen, das wurde nie leer von Geld, ſoviel
auch herausgenommen wurde; er ſoll’s aber auch
[187] erſt bei Tag ſeinen Kammeraden ſagen. Da gin-
gen ſie noch den dritten Tag durch den Wald und
Nachts mußte der dritte Soldat Wache ſtehen.
Das rothe Maͤnnchen kam auch zu dem und rief
wer da? „Gutfreund!“ — „Was fuͤr Gut-
freund?“ — „Drei alte abgedankte Soldaten.“
Da ſchenkte ihm das rothe Maͤnnchen ein Horn,
wenn man darauf blies, kamen alle Voͤlker zu-
ſammen. Am Morgen, wie nun jeder ein Ge-
ſchenk hatte, that der erſte den Mantel um und
wuͤnſchte, daß ſie aus dem Wald waͤren, da wa-
ren ſie gleich draußen. Sie gingen in ein Wirths-
haus und ließen ſich da Eſſen und Trinken geben,
das Beſte, das der Wirth nur auftreiben konnte;
als ſie fertig waren, bezahlte der mit dem Beu-
telchen alles und zog dem Wirth auch keinen Hel-
ler ab.


Nun waren ſie das Reiſen muͤde, da ſprach
der mit dem Beutel zu dem mit dem Mantel:
„ich wollte, daß du uns ein Schloß dahin wuͤnſch-
teſt, Geld haben wir doch genug, wir koͤnnten wie
Fuͤrſten leben.“ Da wuͤnſchte er ein Schloß und
gleich ſtand es da und war alles Zugehoͤr dabei.
Als ſie eine Zeitlang da gelebt hatten, wuͤnſchte
er einen Wagen mit drei Schimmeln, ſie wollten
in ein ander Koͤnigreich fahren und ſich fuͤr drei
Koͤnigsſoͤhne ausgeben. Da fuhren ſie ab mit
einer großen Begleitung von Lakaien, daß es
recht fuͤrſtlich ausſah. Sie fuhren zu einem Koͤ-
[188] nig, der nur eine einzige Prinzeſſin hatte und als
ſie ankamen, ließen ſie ſich melden und wurden
gleich zur Tafel gebeten und ſollten die Nacht da
ſchlafen. Da ging’s nun luſtig her und als ſie
gegeſſen und getrunken hatten, fingen ſie an Kar-
ten zu ſpielen, was die Prinzeſſin ſo gerne that.
Sie ſpielte mit dem, der den Beutel hatte, und
ſo viel ſie ihm abgewann, ſo ſah ſie doch, daß
ſein Beutel nicht leer ward und merkte, daß es
ein Wuͤnſchding ſeyn muͤßte. Da ſagte ſie zu
ihm, er ſey ſo warm vom Spiel, er ſolle einmal
trinken und ſchenkte ihm ein, aber ſie that einen
Schlaftrunk in den Wein. Und wie er den kaum
getrunken hatte, ſo ſchlief er ein, da nahm ſie ſei-
nen Beutel, ging in ihre Kammer und naͤht einen
andern, der ebenſo ausſah, that auch ein wenig
Geld hinein und legt ihn an die Stelle des alten.
Am andern Morgen reiſten die drei weiter, und
als der eine das wenige Geld ausgegeben hatte,
was noch im Beutel war und nun wieder hinein-
griff, war er leer und blieb leer. Da rief er
aus: „mein Beutel iſt mir von der falſchen Prin-
zeſſin vertauſcht worden, nun ſind wir arme Leu-
te!“ Der mit dem Mantel aber ſprach: „laß
dir keine graue Haare wachſen, ich will ihn bald
wieder geſchafft haben.“ Da hing er den Man-
tel um und wuͤnſchte ſich in die Kammer der Prin-
zeſſin; gleich iſt er da, und ſie ſitzt d[a] und zaͤhlt
an dem Geld, das ſie in einem fort aus dem
[189] Beutel holt. Wie ſie ihn ſieht, ſchreit ſie, es
waͤr’ ein Raͤuber da, und ſchreit ſo gewaltig, daß
der ganze Hof gelaufen kommt und will ihn fan-
gen. Da ſpringt er in der Haſt zum Fenſter
hinaus und laͤßt den Mantel haͤngen und iſt auch
der verloren. Wie die drei wieder zuſammen-
kamen, hatten ſie nichts mehr als das Horn, da
ſprach der, dem es gehoͤrte: „ich will ſchon helfen,
wir wollen den Krieg anfangen,“ und blies ſoviel
Huſaren und Cavallerie zuſammen, daß ſie nicht
alle zu zaͤhlen waren. Dann ſchickte er zum Koͤ-
nig und ließ ihm ſagen, wenn er den Beutel und
Mantel nicht herausgaͤbe, ſollt’ von ſeinem Schloß
kein Stein auf dem andern bleiben. Da redete
der Koͤnig ſeiner Tochter zu, ſie ſollt’ es heraus-
geben, eh’ ſie ſich ſo groß Ungluͤck auf den Hals
luͤden, ſie hoͤrte aber nicht darauf und ſprach, ſie
wollt’ erſt noch etwas verſuchen. Da zog ſie ſich
an wie ein armes Maͤdchen, nahm einen Henkel-
korb an den Arm und ging hinaus in’s Lager,
allerlei Getraͤnk zu verkaufen und ihre Kammer-
jungfer mußte mitgehen. Wie ſie nun mitten im
Lager iſt, faͤngt ſie an zu ſingen ſo ſchoͤn, daß die
ganze Armee zuſammenlauft aus den Zelten, und
der das Horn hat, lauft auch heraus und hoͤrt zu;
und wie ſie den ſieht, gibt ſie ihrer Kammer-
jungfer ein Zeichen, die ſchleicht ſich in ſein Zelt,
nimmt das Horn und lauft mit in’s Schloß.
Dann ging ſie auch wieder heim und hatte nun
[190] nun alles und die drei Kammeraden mußten wie-
der betteln gehen.


Alſo zogen ſie fort, da ſprach der eine, der
den Beutel gehabt hatte: „wißt ihr was, wir koͤn-
nen nicht immer beiſammen ſeyn, geht ihr dort
hinaus, ich will hier hinaus gehen.“ Alſo ging
er allein und kam in einen Wald, und weil er
muͤd’ war, legte er ſich unter einen Baum, ein
wenig zu ſchlafen. Wie er aufwachte und uͤber
ſich ſah, da war es ein ſchoͤner Apfelbaum, unter
dem er geſchlafen und hingen praͤchtige Aepfel
daran. Vor Hunger nahm er einen, aß ihn und
dann noch einen. Da faͤngt ihm ſeine Naſe an
zu wachſen und waͤchſt und wird ſo lang, daß er
nicht mehr aufſtehen kann; und waͤchſt durch den
Wald und ſechzig Meilen noch hinaus. Seine
Kammeraden aber gingen auch in der Welt herum
und ſuchten ihn, weil es doch beſſer in Geſellſchaft
war, ſie konnten ihn aber nicht finden. Auf ein-
mal ſtieß einer an etwas und trat auf was wei-
ches, ei! was ſoll das ſeyn, dachte er, da regte
es ſich und war es eine Naſe. Da ſprachen ſie,
wir wollen der Naſe nachgehen und kamen endlich
in den Wald zu ihrem Kammeraden, der lag da,
konnt’ ſich nicht ruͤhren noch regen. Da nahmen
ſie eine Stange und wickelten die Naſe darum
und wollten ſie in die Hoͤhe heben, und ihn fort-
tragen, aber es war zu ſchwer. Da ſuchten ſie
im Wald einen Eſel, darauf legten ſie ihn und die
[191] lange Naſe auf zwei Stangen und fuͤhrten ihn
alſo fort, und wie ſie ein Eckchen weit gezogen
waren, war er ſo ſchwer, daß ſie ruhen mußten.
Als ſie ſo ruhten, ſahen ſie einen Baum neben
ſich ſtehen, daran hingen ſchoͤne Birnen; und hin-
ter dem Baum kam das kleine rothe Maͤnnchen
hervor und ſagte zu dem Langnaſigen, er ſollte
eine von den Birnen eſſen, ſo fiel ihm die Naſe
ab. Da aß er eine Birne und alsbald fiel die
lange Naſe ab und er behielt nicht mehr, als er
zuvor hatte. Darauf ſagte das Maͤnnchen: „brich
dir von den Aepfeln und Birnen ab und mach’
Pulver aus jedwedem, wem du von dem Apfel-
pulver gibſt, dem waͤchſt die Naſe, und wenn du
dann von dem Birnpulver gibſt, ſo faͤllt ſie wie-
der ab; und dann reiſe als Arzt und gib der Prin-
zeſſin von den Aepfeln und dann auch von dem
Pulver, da waͤchſt ihr die Naſe noch zwanzigmal
laͤnger als dir; aber halt dich feſt.“ Da nahm
er von den Aepfeln, ging an den Koͤnigshof und
gab ſich fuͤr einen Gaͤrtnersburſch aus und ſagte,
er haͤtte eine Art Aepfel, wie in der Landſchaft
keine wuͤchſen. Wie die Prinzeſſin aber hoͤrte
davon, bat ſie ihren Vater, er ſollt’ ihr einige
von dieſen Aepfeln kaufen; der Koͤnig ſprach:
„kauf dir, ſoviel du willſt.“ Da kaufte ſie und
aß einen, der ſchmeckte ihr ſo gut, daß ſie meinte,
ſie haͤtte ihr Lebtag keinen ſo guten gegeſſen, und
aß dann noch einen; wie das geſchehen war,
[192] machte der Arzt ſich fort. Da fing ihr die Naſe
an zu wachſen und wuchs ſo ſtark, daß ſie vom
Seſſel nicht aufſtehen konnte, ſondern umfiel.
Da wuchs die Naſe ſechszig Ellen um den Tiſch
herum, ſechszig um ihren Schrank und dann durch’s
Fenſter hundert Ellen um’s Schloß, und noch
zwanzig Meilen zur Stadt hinaus. Da lag ſie,
konnte ſich nicht regen und bewegen und wußte
ihr kein Doctor zu helfen. Der alte Koͤnig ließ
ausſchreiben, wenn ſich irgend ein Fremder faͤnde,
der ſeiner Tochter womit helfen koͤnnte, ſollt’ er
viel Geld haben. Da hatte nun der alte Soldat
drauf gewartet, meldete ſich als ein Doctor: „ſo
es Gottes Wille waͤre, wollt’ er ihr ſchon helfen.“
Darauf gab er ihr Pulver von den Aepfeln, da
fing die Naſe an von neuem zu wachſen und ward
noch groͤßer; am Abend gab er ihr Pulver von
den Birnen, da ward ſie ein wenig kleiner, doch
nicht viel. Am andern Tag gab er ihr wieder
Aepfelpulver, um ſie recht zu aͤngſtigen und zu
ſtrafen, da wuchs ſie wieder, viel mehr als ſie
geſtern abgenommen hatte. Endlich ſagte er:
„gnaͤdigſte Prinzeſſin, Sie muͤſſen einmal etwas
entwendet haben, wenn Sie das nicht herausge-
ben, hilft kein Rath.“ Da ſagte ſie: „ich weiß
von nichts.“ Sprach er: „es iſt ſo, ſonſt muͤßt
mein Pulver helfen und wenn Sie es nicht her-
ausgeben, muͤſſen Sie ſterben an der langen Naſe.“
Da ſagte der alte Koͤnig: „gib den Beutel, den
Man-
[193] Mantel und das Horn heraus, das haſt du doch
entwendet, ſonſt kann deine Naſe nimmermehr
kleiner werden.“ Da mußte die Kammerjungfer
alle drei Stuͤcke holen und hinlegen und er gab
ihr Pulver von den Birnen, da fiel die Naſe ab
und mußten 250 Maͤnner kommen und ſie in
Stuͤcken hauen. Und er ging mit dem Beutel-
chen, dem Mantel und dem Horn fort zu ſeinen
Kammeraden, und ſie wuͤnſchten ſich wieder in
ihr Schloß; da werden ſie wohl noch ſitzen und
Haus halten.


37.
Die Alte im Wald.


Es fuhr einmal ein armes Dienſtmaͤdchen mit
ſeiner Herrſchaft durch einen großen Wald, und
als ſie mitten darin waren, kamen Raͤuber hervor
und ermordeten, wen ſie fanden; da kam alles
mit einander um, nur das Maͤdchen nicht, das
war aus dem Wagen geſprungen und hatte ſich
hinter einen Baum verborgen. Wie die Raͤuber
mit ihrer Beute fort waren, kam es hervor, fing
an bitterlich zu weinen und ſagte: „was ſoll ich
armes Maͤdchen nun anfangen, ich weiß mich
nicht zu finden in dem Wald, kein Haus iſt da,
ſo muß ich gewiß verhungern!“ Es ging herum,
ſuchte einen Weg, konnte aber keinen finden, bis
Kindermährchen II. N
[194] zum Abend, da ſetzte es ſich unter einen Baum,
befahl ſich Gott und wollt’ da ſitzen bleiben und
nicht weggehen, moͤchte geſchehen, was immer
wollte. Als es aber ein Bischen da geſeſſen, kam
ein weiß Taͤubchen heruntergeflogen, mit einem
kleinen goldnen Schluͤſſelchen im Schnabel, das
legte es ihm in die Hand und ſprach: „ſiehſt du
dort den großen Baum, daran iſt ein kleines
Schloß, das ſchließ mit dem Schluͤſſelchen auf,
ſo wirſt du Speiſe genug finden und keinen Hun-
ger mehr leiden.“ Da ging es zu dem Baum
und ſchloß ihn auf und fand Milch in einem klei-
nen Schuͤſſelchen und Weißbrot zum Einbrocken
dabei, daß es ſich ſatt eſſen konnte. Als es ſatt
war, ſprach es: „jetzt iſt Zeit, wo die Huͤhner
daheim auffliegen, ich bin ſo muͤd’, koͤnnt’ ich
mich auch in mein Bett legen!“ Da kam das
Taͤubchen wiedergeflogen und hatt’ ein anderes gol-
denes Schluͤſſelchen im Schnabel und ſagt: „ſchließ
dort den Baum auf, da wirſt du ein Bett finden.
Da ſchloß es auf und fand ein ſchoͤnes weiches
Bettchen, da betete es zum lieben Gott, er ſollt’
es behuͤten in der Nacht, legte ſich und ſchlief ein.
Am Morgen kam das Taͤubchen zum drittenmal
und brachte wieder ein Schluͤſſelchen und ſprach:
„ſchließ dort den Baum auf, da wirſt du Kleider
finden;“ und wie es aufſchloß fand es Kleider
mit Gold und Juwelen beſetzt, ſo herrlich, wie
ſie keine Koͤnigstochter hat. Alſo lebte es da eine
[195] Zeitlang, und kam das Taͤubchen alle Tage und
ſorgte fuͤr alles, was es bedurfte, und war das
ein ſtilles, gutes Leben.


Einmal aber kam das Taͤubchen und ſprach:
„willſt du mir etwas zu Lieb’ thun?“ — „Von
Herzen gern,“ ſagte das Maͤdchen. Da ſprach
das Taͤubchen: „ich will dich zu einem kleinen
Haͤuschen fuͤhren, da geh’ hinein, mittendrin am
Heerd da wird eine alte Frau ſitzen und guten
Tag ſagen. Aber gib ihr bei Leibe keine Antwort,
ſie mag auch anfangen was ſie will, ſondern geh
zu ihrer rechten Hand weiter, da iſt eine Thuͤre,
die mach auf, ſo wirſt du in eine Stube kommen,
wo eine große Menge von Ringen allerlei
Art auf dem Tiſch liegt, darunter ſind praͤchtige
mit glitzerigen Steinen, die laß aber alle liegen
und ſuch nur einen ſchlichten heraus, der auch
darunter ſeyn muß und bring ihn zu mir her ſo
geſchwind du kannſt.“ „Da ging das Maͤdchen
hin in das Haͤuschen und fand die Alte, die machte
große Augen, wie ſie es ſah, und ſprach: „guten
Tag mein Kind.“ Es gab ihr keine Antwort
und ging auf die Thuͤre zu; „ei! wo hinaus?“
rief ſie und faßt es beim Rock und wollt es feſt-
halten; „das iſt mein Haus, da darf niemand
herein, wenn ich’s nicht haben will.“ Aber es
ſchwieg immer ſtill, machte ſich von ihr los und
ging in die Stube hinein. Da war nun eine
uͤbergroße Menge von Ringen, die glitzten und
N 2
[196] glimmerten ihm vor den Augen, es warf ſie herum
und ſuchte nach dem ſchlichten, konnt’ ihn aber
nicht finden. Wie es ſo ſuchte, ſah es die Alte,
wie ſie daher ſchlich und einen Vogelkaͤfig in der
Hand hatte und damit fort wollte; da ging es
auf ſie zu und nahm ihr den Kaͤfig aus der Hand
und wie es ihn aufhob und hinein ſah, ſaß ein
Vogel darin, der hatte den ſchlichten Ring im
Schnabel. Da war es froh und lief damit zum
Haus hinaus und dachte, das weiße Taͤubchen
wuͤrde kommen und den Ring holen, aber es kam
nicht. Da lehnte es ſich an einen Baum und
wollte auf es warten, und wie es ſo ſtand, da
daͤuchte ihm, der Baum wuͤrde weich und biegſam
und ſenkte ſeine Zweige herab. Und auf einmal
ſchlangen ſich die Zweige um es herum und waren
zwei Arme und wie es ſich umſah, war der Baum
ein ſchoͤner Prinz, der es umfaßte und herzlich
kuͤßte und ſagte: „du haſt mich erloͤſt, die Alte
iſt eine Hexe, die hatte mich in einen Baum ver-
wandelt, und alle Tag ein paar Stunden in eine
weiße Taube, und ſo lang ſie den Ring hatte,
konnte ich meine menſchliche Geſtalt nicht wieder
erhalten.“ Da waren auch ſeine Bedienten und
Pferde von dem Zauber frei und keine Baͤume
mehr und ſtanden neben ihm, da fuhren ſie fort
in ſein Reich, heiratheten ſich und lebten gluͤcklich.


[197]

38.
Die drei Bruͤder.


Es war ein Mann, der hatte drei Soͤhne
und weiter nichts im Vermoͤgen, als ſein Haus,
worin er wohnte. Nun haͤtte jeder gern nach
ſeinem Tod das Haus gehabt, dem Vater war
aber einer ſo lieb, als der andere, da wußt er
gar nicht, wie er’s anfangen ſollte, daß er keinem
zu nahe thaͤt; verkaufen wollt’ er das Haus auch
nicht, weil’s von ſeinen Voreltern war, ſonſt
haͤtte er das Geld unter ſie getheilt. Da fiel ihm
endlich ein Rath ein und er ſprach zu ſeinen Soͤh-
nen: „geht in die Welt und verſucht euch und
lerne jeder ein Handwerk, wenn ihr dann wieder-
kommt, wer das beſte Meiſterſtuͤck macht, der ſoll
das Haus haben.“


Das waren die Soͤhne zufrieden und der
aͤltſte wollte ein Hufſchmied, der zweite ein Bar-
bier, der dritte aber ein Fechtmeiſter werden.
Darauf beſtimmten ſie eine Zeit, wo ſie wieder
nach Haus zuſammenkommen wollten und zogen
fort. Es traf ſich auch, daß jeder einen tuͤchti-
gen Meiſter fand, wo er was rechtſchaffenes
lernte; der Schmied mußte des Koͤnigs Pferde
beſchlagen und dachte: „nun kann dir’s nicht feh-
len, du kriegſt das Haus;“ der Barbier raſirte
lauter vornehme Herrn und meinte auch, das
[198] Haus waͤr’ ſein; der Fechtmeiſter kriegte manchen
Hieb, biß aber die Zaͤhne zuſammen und ließ
ſich’s nicht verdrießen, denn er dachte bei ſich:
„fuͤrchteſt du dich vor einem Hieb, ſo kriegſt du
das Haus nimmermehr.“ Als nun die geſetzte
Zeit herum war, kamen ſie zuſammen nach Haus,
ſie wußten aber nicht, wie ſie die beſte Gelegen-
heit finden ſollten, ihre Kunſt zu zeigen, ſaßen
beiſammen und rathſchlagten. Wie ſie ſo ſaßen,
kam auf einmal ein Haas uͤber’s Feld daher gelau-
fen. „Ei, ſagte der Barbier, der kommt wie
gerufen,“ nahm Becken und Seife, ſchaumte,
bis der Haas in die Naͤhe kam, dann ſeifte er ihn
in vollem Laufe ein und raſirte ihm auch im vol-
len Laufe ein Stutzbaͤrtchen und dabei ſchnitt er
ihn nicht und that ihm an keinem Haare weh.
„Das gefaͤllt mir, ſagte der Vater, wenn ſich die
andern nicht gewaltig angreifen, ſo iſt das Haus
dein.“ Es waͤhrte nicht lang, ſo kam ein Herr
in einem Wagen daher gerennt in vollem Jagen.
„Nun ſollt ihr ſehen, Vater, was ich kann,“
ſprach der Hufſchmied, ſprang dem Wagen nach,
riß dem Pferd, das in einem fort jagte, die vier
Hufeiſen ab und ſchlug ihm auch im Jagen vier
neue wieder an. „Du biſt ein ganzer Kerl, ſprach
der Vater, du machſt deine Sachen ſo gut, wie
dein Bruder, ich weiß nicht, wem ich das Haus
geben ſoll.“ Da ſprach der dritte: „Vater, laßt
mich auch einmal gewaͤhren,“ und weil es anfing
[199] zu regnen, zog er ſeinen Degen und ſchwenkte
ihn in Kreuzhieben uͤber ſeinem Kopf, daß kein
Tropfen auf ihn fiel; und als der Regen ſtaͤrker
ward und endlich ſo ſtark, als ob man mit Mul-
den vom Himmel goͤß, ſchwang er den Degen im-
mer ſchneller, und blieb ſo trocken, als ſaͤß er un-
ter Dach und Fach. Wie der Vater das ſah, er-
ſtaunte er und ſprach: „du haſt das beſte Mei-
ſterſtuͤck gemacht, das Haus iſt dein.“


Die beiden andern Bruͤder waren damit zu-
frieden, wie ſie vorher gelobt hatten, und weil ſie
ſich einander ſo lieb hatten, blieben ſie alle drei
zuſammen im Haus, trieben ihre Profeſſion und
da ſie ſo gut ausgelernt hatten und ſo geſchickt
waren, verdienten ſie viel Geld. So lebten ſie
vergnuͤgt bis in ihr Alter zuſammen und als der
eine krank ward und ſtarb, graͤmten ſich die zwei
andern ſo ſehr daruͤber, daß ſie auch krank wur-
den und bald ſtarben. Da wurden ſie, weil ſie
ſo geſchickt geweſen und ſich ſo lieb gehabt, alle
drei in ein Grab gelegt.


59.
Der Teufel und ſeine Großmutter.


Es war ein großer Krieg und der Koͤnig gab
ſeinen Soldaten wenig Sold, ſo daß ſie nicht da-
von leben konnten; da thaten ſich drei zuſammen
[200] und wollten ausreißen. Einer ſprach zum andern:
„wenn wir aber gekriegt werden, haͤngt man uns
an den Galgenbaum; wie wollen wir das ma-
chen?“ Sprach der andere: „da ſteht ein gro-
ßes Kornfeld, wenn wir hinein kriechen, findet
uns kein Menſch, das Heer kommt nicht hinein.“
Das thaten ſie und ſaßen zwei Tage und zwei
Naͤchte im Korn, hatten aber ſo großen Hunger,
daß ſie beinah geſtorben waͤren, denn ſie durften
nicht heraus. Da ſprachen ſie: „was hilft uns
unſer Ausreißen, wir muͤſſen elendig im Korn
ſterben.“ Indem kam ein feuriger Drache uͤber
das Kornfeld durch die Luft geflogen, der ſah ſie
liegen und fragte: „was thut ihr drei da im
Korn?“ Sie antworteten: „wir ſind drei aus-
geriſſene Soldaten, wir konnten von unſerm Sold
nicht laͤnger im Heer leben, nun muͤſſen wir hier
Hungers ſterben, weil das Heer rund herum liegt,
und wir nicht entrinnen koͤnnen.“ „Wollt ihr
mir ſieben Jahre dienen, ſagte der Drache, ſo will
ich euch mitten durch’s Heer fuͤhren, daß euch
niemand kriegen ſoll?“ „Wir haben keine Wahl,
ſprachen ſie, und ſind’s zufrieden.“ Da nahm
ſie der Drache in ſeine Klauen und unter ſeine
Fittiche und brachte ſie durch die Luft uͤber das
Heer weg in Sicherheit. Darnach ließ er ſie
wieder zur Erde, er war aber der Teufel und gab
ihnen ein kleines Peitſchgen, womit ſie ſich Geld
peitſchen konnten, ſoviel ſie wollten. „Damit,
[201] ſprach er, koͤnnt ihr große Herren werden und in
Wagen fahren; nach Verlauf der ſieben Jahre
aber ſeyd ihr mein eigen“ und hielt ihnen ein
Buch vor, in das mußten ſie alle drei unterſchrei-
ben. „Doch will ich euch, ſagte er, dann erſt
noch ein Raͤthſel geben, koͤnnt ihr das rathen,
ſollt ihr frei und aus meiner Gewalt ſeyn. Da
ging der Drache von ihnen ab und ſie reiſten fort
mit ihren Peitſchgen, hatten Geld die Fuͤlle, ließen
ſich Herrenkleider machen und zogen in der Welt
herum. Wo ſie waren, lebten ſie in Freuden und
Herrlichkeit, fuhren mit Pferden und Wagen,
aßen und tranken und die ſieben Jahre ſtrichen in
kurzer Zeit um. Als es nun bald an’s Ende kam,
wurde ihnen angſt und bang, zwei waren ganz
betruͤbt, der dritte aber nahm’s leichter und
ſprach: „Bruͤder fuͤrchtet nichts, vielleicht koͤnnen
wir das Raͤthſel rathen.“ Wie ſie ſo zuſammen-
ſaßen, kam eine alte Frau daher, die fragte,
warum ſie ſo traurig waͤren? „Ach, was liegt
euch daran, ihr koͤnnt uns doch nicht helfen.“
„Wer weiß das, erzaͤhlt mir’s nur.“ Da erzaͤhl-
ten ſie’s ihr, daß ſie faſt ſieben Jahr dem Teufel
gedient, der haͤtte ihnen Geld wie Heu geſchafft,
ſie haͤtten ſich ihm aber verſchrieben und waͤren
ſein Eigenthum, wenn ſie nach den ſieben Jahren
nicht ein Raͤthſel aufloͤſen koͤnnten. Die Alte
ſprach: „ſoll euch geholfen werden, ſo muß einer
von euch zum Wald hinein gehen und da wird er
[202] an eine zerfallene Klippe kommen, die ausſieht
wie ein Haͤuschen.“ Die zwei traurigen dachten,
das wird uns doch nicht retten und blieben vor
dem Wald, der dritte luſtige machte ſich auf und
fand alles ſo, wie die Frau geſagt hatte; in dem
Haͤuschen aber ſaß eine ſteinalte Frau, die war
des Teufels Großmutter und fragte ihn, woher
er kaͤme und was er wollte? Da erzaͤhlte er ihr
alles und weil er ein gar ſchoͤner Menſch war,
hatte ſie Erbarmen und hob einen großen Stein
auf. „Darunter ſitz ganz ſtill, wann der Drache
kommt, will ich ihn um die Raͤthſel fragen.“ Um
zwoͤlf Uhr Nachts kam der Drache geflogen und
wollte ſein Eſſen, da deckte ihm ſeine Großmutter
den Tiſch und trug Trank und Speiſe auf, daß
er vergnuͤgt war, und ſie aßen und tranken zuſam-
men. Da fragte ſie ihn im Geſpraͤch, wie’s den
Tag ergangen waͤre, wie viel Seelen er kriegt
haͤtte? „Ich hab’ noch drei Soldaten, die ſind
mein,“ ſprach er. „Ja, drei Soldaten, ſagte ſie,
haben etwas an ſich, die koͤnnen dir noch entkom-
men.“ Sprach der Teufel hoͤhniſch: „die ſind
mir gewiß, denen gebe ich ein Raͤthſel auf, das
ſie nimmermehr rathen koͤnnen.“ „Was iſt das
fuͤr ein Raͤthſel?“ fragte ſie. „Das will ich dir
ſagen: in der großen Nordſee liegt eine todte
Meerkatze, das ſoll ihr Braten ſeyn; und von
einem Wallfiſch die Rippe, das ſoll ihr ſilberner
Loͤffel ſeyn; und ein alter Pferdefuß, das ſoll ihr
[203] Weinglas ſeyn.“ Da ging der Teufel fort zu
ſchlafen und die alte Großmutter hob den Stein
auf und ließ den Soldaten heraus: „Haſt du
auch alles wohl in Acht genommen?“ „Ja,“
ſprach er, und mußte auf einem andern Weg
durch’s Fenſter ſchnell zu ſeinen Geſellen gehen,
damit ihn der Teufel nicht merkte. — Wie er
nun zu den andern kam, erzaͤhlte er ihnen, was
er gehoͤrt hatte und nun koͤnnten ſie rathen, was
ſonſt keine Seele gerathen haͤtte; da waren ſie
alle froͤhlich und guter Dinge und peitſchten ſich
Geld genug. Als nun die ſieben Jahre voͤllig
herum waren, kam der Teufel mit dem Buche,
zeigte die Unterſchriften und ſprach: „ich will euch
nun in die Hoͤlle mitnehmen, da ſollt ihr eine
Mahlzeit haben, koͤnnt ihr mir rathen, was ihr
fuͤr einen Braten werdet zu eſſen kriegen, ſo ſollt
ihr frei und los ſeyn und das Peitſchgen dazu
behalten.“ Da fing der erſte Soldat an: „in
der großen Nordſee liegt eine todte Meerkatze,
das wird wohl der Braten ſeyn.“ Der Teufel
aͤrgerte ſich, machte hm! hm! hm! und fragte
den zweiten: „was ſoll euer Loͤffel ſeyn?“ Da
antwortete er: „von einem Wallfiſch die Rippe,
das ſoll unſer ſilberner Loͤffel ſeyn.“ Der Teufel
ſchnitt ein Geſicht, knurrte wieder dreimal hm!
hm! hm! und ſprach zum dritten: „was ſoll
euer Weinglas ſeyn.“ „Ein alter Pferdefuß,
das ſoll unſer Weinglas ſeyn.“ Da flog der Teu-
[204] fel fort, ließ ſie im Stich und hatte keine Gewalt
mehr uͤber ſie, aber die drei behielten das Peitſch-
gen, ſchlugen Geld hervor, ſoviel ſie wollten, und
lebten vergnuͤgt bis an ihs Ende.


40.
Ferenand getruͤ un Ferenand ungetruͤ.


Et was mal en Mann un ’ne Fru weſt, de
hadden ſo lange ſe rick woͤren kene Kinner, as ſe
awerſt arm woren, da kregen ſe en kleinen Jun-
gen. Se kunnen awerſt kenen Paen dato kregen,
da ſegde de Mann, he wulle mal na den annern
Ohre (Orte) gahn un [toſehn], ob he da enen krege.
Wie he ſo gink, begegnete uͤnn en armen Mann,
de frog en, wo he huͤnne wulle? he ſegde, he
wulle huͤnn un toſehn, dat he ’n Paen kriegte, he
ſie arm un da wulle uͤnn ken Minſke to Gevaher
ſtahn. „O, ſegde de arme Mann, gi ſied arm
un ik ſie arm, ik will guhe (euer) Gevaher we-
ren; ik ſie awerſt ſo arm, ik kann dem Kinne nix
giwen, gahet hen und ſegget de Baͤhmoer (Weh-
mutter), ſe ſulle man mit den Kinne na der Ker-
ken kummen.“ Aſe ſe nu tohaupe na der Kerken
kummet, da is de Bett er ſchaun darinne, de givt
dem Kinne den Namen: Ferenand getruͤ.


Wie he ut der Kerken gahet, da ſegd de
Bettler: „nu gahet man na Hus, ik kann guh
[205] (euch) nix giwen, un gi ſuͤllt mie ok nix giwen.“
De Baͤhmoer awerſt gav he ’n Schluͤttel un ſegd
er, ſe moͤgt en, wenn ſe na Hus kaͤme, dem Vaer
giwen, de ſull’n verwahren, bis dat Kind vertein
Johr old woͤre, dann ſull et up de Heide gahn,
da woͤre ’n Schlott, dato paßte de Schluͤttel, wat
darin woͤre, dat ſulle em hoͤren. Wie dat Kind
nu ſewen Johr alt woren un duͤet (tuͤchtig) waſ-
ſen wor, gink et mal ſpilen mit annern Jungens,
da hadde de eine noch mehr vom Paen kriegt, aſe
de annere, he awerſt kunne nix ſeggen, und da
grinde he un gink na Hus un ſegde tom Vaer:
„hewe ik denn gar nix vom Paen kriegt?“ —
„O ja, ſegde de Vaer, du heſt en Schluͤttel kriegt,
wenn up de Heide ’n Schlott ſteit, ſo gah man
hen und ſchlut et up.“ Da gink he hen, awerſt
et was kein Schlott to hoͤren un to ſehen. Wier
na ſewen Jahren, aſe he vertein Jahr old iſt,
geit he nochmals hen, da ſteit en Schlott darup.
Wie he et upſchloten het, da is der nix enne, aſe’n
Perd, ’n Schuͤmmel. Da werd de Junge ſo
vuller Fruͤden, dat he dat Perd hadde, dat he ſik
darup ſett un to ſinen Vaer jegd (jagt). „Nu
hew ik auck ’n Schuͤmmel, nu will ik auck reiſen,“
ſegd he.


Da treckt he weg un wie he unnerweges is,
ligd da ’ne Schriffedder up ’n Wegge, he will ſe
eiſt (erſt) upnuͤmmen, da denkt he awerſt wier bie
ſich: „o du ſuͤſt ſe auck liggen laten, du finndſt ja
[206] wul, wo du hen kuͤmmſt ’ne Schriffedder, wenn
du eine bruckeſt.“ Wie he ſo weggeit, da roppt
et hinner uͤm: „Ferenand getruͤ, nimm ſe mit!“
He ſuͤt ſik uͤmme, ſuͤt awerſt keinen, da geit he
wier torugge un nuͤmmt ſe up. Wie he wier ’ne
Wile rien (geritten) is, kuͤmmt he bie’n Water
vorbie, ſo ligd da en Fiſk am Oewer (Ufer) un
ſnappet un happet na Luft, ſo ſegd he: „toͤv, min
lewe Fiſk, ik will die helpen, dat du in’t Water
kuͤmmſt,“ un gript’n bie’n Schwans un werpt
’n in’t Water. Da ſteckt de Fiſk den Kopp ut
den Water un ſegd: nu du mie ut den Koth hol-
pen heſt, will ik die ’ne Floͤtepiepen giwen, wenn
du in de Naud biſt, ſo floͤte derup, dann will ik
die helpen; wenn du mal wat in’t Water haſt
fallen laten, ſo floͤte man, ſo will ik et die herut
reicken.“ Nu ritt he weg, da kuͤmmt ſo’n Minſk
to uͤm, de fraͤgt ’n, wo he hen wull. „O na den
neggſten Ort.“ — „Wu he dann heite?“ —
„Ferenand getruͤ.“ — „Suͤ, da hewe wie ja faſt
den ſuͤlwigen Namen, ik heite Ferenand un-
getruͤ
.“ Da trecket ſe beide na den neggſten
Ort in dat Wertshus.


Nu was et ſchlimm, dat de Ferenand unge-
truͤ allet wuſte, wat ’n annerer dacht hadde un
doen wulle; dat wuſt he doͤre ſo allerhand ſlimme
Kunſte. Et was awerſt im Wertshuſe ſo’n wacker
Maͤken, dat hadde ’n ſchier (klares) Angeſicht un
drog ſik ſo huͤbſch; dat verleiv ſik in den Ferenand
[207] getruͤ, denn et was ’n huͤbſchen Minſchen weſt un
frog’n, wo he hen to wulle? „O, he wulle ſo
heruͤmmer reiſen.“ Da ſegd ſe, ſo ſull he doch
nur da bliewen, et woͤre hier to Lanne ’n Kuͤnig,
de neime wul geren ’n Bedeenten oder ’n Vorruͤ-
ter; dabie ſulle he in Dienſten gahn. He ant-
worde, he kuͤnne nig gud ſo to einen hingahen un
been ſik an. Da ſegde det Maͤken: „o dat will
ik dann ſchun dauen.“ Un ſo gink ſe auck ſtracks
hen, na den Kuͤnig, un ſehde uͤnn, ſe wuͤſte uͤnn
’n huͤbſchen Bedeenten. Dat was de wol tofreen
un leit ’n to ſik kummen un wull’n to’m Bedeen-
ten macken. He wull awerſt leewer Vorruͤter ſin,
denn wo ſin Perd waͤre, da moͤſt he auck ſin: da
mackt ’n de Kuͤnig to’m Vorruͤter. Wie duͤt de
Ferenand ungetruͤ gewahr wore, da ſegd he to
den Maͤken: „toͤv! helpeſt du den an, un mie
nig?“ „O, ſegd dat Maͤken, ik will’n auck an-
helpen.“ Se dachte: „den moſt du die to’m
Fruͤnne wahren, denn he is nig to truen.“ Se
geit alſe vor’m Kuͤnig ſtahn un beed ’n als Be-
deinten an; dat is de Kuͤnig tofreen.


Wenn he nu alſo det Morgens den Heren
antrock, da jammerte de juͤmmer: „o wenn ik
doch eiſt mine Leiweſte bie mie haͤdde.“ De Fe-
renand ungetruͤ war awerſt dem Ferenand getruͤ
juͤmmer upſettſig, wie aſſo de Kuͤnig mal wier ſo
jammerte, da ſegd he: „Sie haben ja den Vor-
reiter, den ſchicken Sie hin, der muß ſie herbei-
[208] ſchaffen und wenn er es nicht thut, ſoll ihm der
Kopf vor die Fuͤße gelegt werden.“ Do leit de
Kuͤnig den Ferenand getruͤ to ſik kummen und
ſehde uͤm, he haͤdde da un da ’ne Leiweſte, de ſull
he uͤnn herſchappen, wenn he dat nig deie, ſull he
ſterwen.


De Ferenand getruͤ gink im Stall to ſinen
Schuͤmmel un grinde un jammerde. „O wat ſin
ik ’n ungluͤckſch Minſchenkind.“ Do roͤppet jei-
mes hinner uͤm: „Ferenand getreu, was weinſt
du?“ He ſuͤt ſik um, ſuͤt awerſt neimes un jam-
merd juͤmmer fort: „o min lewe Schuͤmmelken,
nu mot ik die verlaten, nu mot ik ſterwen.“ Da
merkt he eiſt, dat dat ſin Schuͤmmelken deit dat
Fragen. „Doͤſt du dat, min Schuͤmmelken, kaſt
du kuren (reden)?“ un ſegd wier: „ik ſull da un
da hen un ſall de Brut halen, weſt du nig, wie
ik dat wol anfange?“ Da antwoerd dat Schuͤm-
melken: „gah du na den Kuͤnig un ſegg, wenn
he die giwen wulle, wat du hewen moͤſteſt, ſo
wulleſt du ſe uͤnn ſchappen: wenn he die ’n Schipp
vull Fleiſk un ’n Schipp vull Brod giwen wulle,
ſo ſull et gelingen; da woͤren de grauten Rieſen
up den Water, wenn du denen ken Fleiſk midde
braͤchteſt, ſo terreitn ſe die; un da woͤren de
grauten Vuͤggel, de pickeden die de Ogen ut den
Koppe, wenn du ken Brod vor ſe haͤddeſt.“ Da
lett de Kuͤnig alle Slaͤchter im Lanne ſlachten un
alle Becker backen, dat de Schippe vull werdt.
Wie
[209] Wie ſe vull ſied, ſegd dat Schuͤmmelken to’m
Ferenand getruͤ: „nu gah man up mie ſitten un
treck mit mie in’t Schipp, wenn dann de Rieſen
kuͤmmet, ſo ſegg:


„ſtill, ſtill, meine lieben Rieſechen,

ich hab’ euch wohl bedacht,

ich hab’ euch was mitgebracht!“

Un wenn de Vuͤggel kuͤmmet, ſo ſeggſt du wier:


„ſtill, ſtill, meine lieben Voͤgelchen,

ich hab’ euch wohl bedacht,

ich hab’ euch was mitgebracht!“

dann doet ſie die nix, un wenn du dann bie dat
Schlott kuͤmmſt, dann helpet die de Rieſen, dann
gah up dat Schlott un nuͤmm ’n Paar Rieſen
mit, da ligd de Prinzeſſin un ſchloͤppet; du darfſt
ſe awerſt nig upwecken, ſonnern de Rieſen moͤtt
ſe mit den Bedde upnuͤmmen un in dat Schipp
dregen.“ (Und da geſchah nun alles, wie das
Schimmelchen geſagt hatte, und die Rieſen tru-
gen die Prinzeſſin zum Koͤnig.) Un aſe ſe to’m
Kuͤnig kuͤmmet, ſegd ſe, ſe kuͤnne nig liwen, ſe
moͤſte ere Schrifften hewen, de woͤren up eren
Schlotte liggen bliwen. Da werd de Ferenand
getruͤ up Anſtifften det Ferenand ungetruͤ roopen,
un de Kuͤnig beduͤtt uͤnn, he ſulle de Schrifften
von den Schlotte halen, ſuͤſt ſull he ſterwen. Da
geit he wier in Stall un grind un ſegd: „o min
lewe Schuͤmmelken, nu ſull ik noch ’n mal weg,
wie ſuͤll wie dat macken.“ Da ſegd de Schuͤmmel,
Kindermährchen II. O
[210] ſe ſullen dat Schipp man wier vull laen (laden).
(Da geht es wieder wie das Vorigemal, und die
Rieſen und Voͤgel werden von dem Fleiſch geſaͤt-
tigt und beſaͤnftigt.) Aſe ſe bie dat Schlott kuͤm-
met, ſegd de Schuͤmmel to uͤnn, he ſulle man
herin gahn, in den Schlapzimmer der Prinzeſſin,
up den Diſke, da laͤgen de Schrifften. Da geit
Ferenand getruͤ huͤn un langet ſe. Aſe ſe up’n
Water ſind, da let he ſine Schriffedder in’t Water
fallen, da ſegd de Schuͤmmel: „nu kann ik die
awerſt nig helpen.“ Da faͤllt ’n dat bie mit de
Floͤtepipen, he faͤnkt an to floͤten, da kuͤmmt de
Fiſk un het de Fedder im Mule un langet ſe ’m
hen. Nu bringet he de Schrifften na den Schlot-
te, wo de Hochtid hallen werd.


De Kuͤnigin mogte awerſt den Kuͤnig nig
lien, weil he keine Neſe hadde, ſonnern ſe mogte
den Ferenand getruͤ geren lien. Wie nu mal alle
Herens vom Hove toſammen ſied, da ſegd de Kuͤ-
nigin, ſe kuͤnne auck Kunſtuͤcke macken, ſe kuͤnne
einen den Kopp afhoggen un wier upſetten, et ſull
nur mant einer verſoͤcken. Da wull awerſt kener
de eiſte ſien, da mott Ferenand getruͤ daran, wier
up Anſtifften von Ferenand ungetruͤ, den hogget
ſe den Kopp af un ſett’n uͤnn auck wier up, et is
auck glick wier tan heilt, dat et ut ſach aſe haͤdde
he’n roen Faen (Faden) uͤm’n Hals. Da ſegd
de Kuͤnig to ehr: „mein Kind, wo haſt du denn
das gelernt?“ — „Ja, ſegd ſe, ſoll ich es an dir
[211] auch einmal verſuchen?“ — „O ja,“ ſegd he.
Da hogget ſe en awerſt den Kopp af un ſett’n en
nig wier upp, ſe doet as ob ſe’n nig darup kriegen
kuͤnne un as ob he nig feſt ſitten wulle. Da ward
de Kuͤnig begrawen, ſe awerſt frigget den Fere-
nand getruͤ.


He ridde awerſt juͤmmer ſinen Schuͤmmel
un aſe he mal darup ſat, da ſegd de to em, he
ſulle mal up ’ne annere Heide, de he em wiſt,
trecken, un da 3 mal mit em herummerjagen.
Wie he dat dahen hadde, da geit de Schuͤmmel
up de Hinnerbeine ſtahn un verwannelt ſik in ’n
Kuͤnigsſuhn.


41.
Der Eiſen-Ofen.


Zur Zeit, wo das Wuͤnſchen noch geholfen
hat, ward ein Prinz von einer alten Hexe ver-
wuͤnſcht, daß er im Walde in einem großen Eiſen-
Ofen ſitzen ſollte. Da brachte er nun viele Jahre
zu und konnte ihn niemand erloͤſen. Einmal
kam eine Prinzeſſin in den Wald, die hatte ſich
irr gegangen und konnte ihres Vaters Koͤnigreich
nicht wieder finden; neun Tage war ſie ſo herum
gegangen und ſtand zuletzt vor dem eiſernen Ka-
ſten. Da fragte er ſie: „wo kommſt du her und
wo willſt du hin?“ Sie antwortete: „ich habe
O 2
[212] meines Vaters Koͤnigreich verloren und kann
nicht wieder nach Haus kommen.“ Da ſprach’s
aus dem Eiſen-Ofen: „ich will dir wieder nach
Haus verhelfen in einer kurzen Zeit, wann du dich
willſt unterſchreiben, zu thun, was ich verlange. Ich
bin ein groͤßerer Koͤnigsſohn, als du eine Koͤnigs-
tochter und will dich heirathen.“ Da erſchrak
ſie und dachte: „lieber Gott, was ſoll ich mit
dem Eiſen-Ofen anfangen!“ weil ſie aber gern
wieder zu ihrem Vater heim wollte, unterſchrieb
ſie ſich doch, zu thun, was er verlangte. Er
ſprach aber: „du ſollſt wiederkommen, ein Meſ-
ſer mitbringen und ein Loch in das Eiſen ſchrap-
pen; dann gab er ihr jemand zum Gefaͤhrten, der
ging nebenher und ſprach nicht, er brachte ſie aber
in zwei Stunden nach Haus. Nun war große
Freude am Schloß, als die Prinzeſſin wieder kam
und der alte Koͤnig fiel ihr um den Hals und kuͤßte
ſie. Sie war aber ſehr betruͤbt und ſprach: „lie-
ber Vater, wie mir’s gegangen hat! ich waͤr’
nicht wieder nach Haus gekommen aus dem gro-
ßen wilden Walde, wann ich nicht waͤr’ bei einem
eiſernen Ofen gekommen, dem habe ich mich muͤſ-
ſen dafuͤr unterſchreiben, daß ich wollte wieder zu
ihm zuruͤckkehren, ihn erloͤſen und heirathen.“ Da
erſchrack der alte Koͤnig ſo ſehr, daß er beinahe in
eine Ohnmacht gefallen waͤre, denn er hatte nur
die einige Tochter. Berathſchlagten ſich alſo, ſie
wollten die Muͤllerstochter, die ſchoͤn waͤr’, an
[213] ihre Stelle nehmen, fuͤhrten die hinaus, gaben
ihr ein Meſſer und hießen ſie an dem Eiſen-Ofen
ſchaben. Sie ſchrappte auch 24 Stund, konnte
aber nicht das geringſte herabbringen; wie nun
der Tag anbrach, rief’s in dem Eiſen-Ofen: „mich
daͤucht, ’s iſt Tag [d]raußen!“ Da antwortete
ſie: „das daͤucht mich auch, ich meint, ich hoͤrt
meines Vaters Muͤhle rappeln.“ — „So biſt
du ja eine Muͤllerstochter, dann geh gleich hinaus
und laß die Prinzeſſin herkommen.“ Da ging
ſie hin und ſagte dem alten Koͤnig, der draußen
wollte ſie nicht, er wollte ſeine Tochter. Da er-
ſchrak der alte Koͤnig und die Prinzeſſin weinte;
ſie hatten aber noch eine ſchoͤne Schweinhirts-
tochter, die war noch ſchoͤner, als die Muͤllers-
tochter, der wollten ſie ein Stuͤck Geld geben,
damit ſie fuͤr die Prinzeſſin zum eiſernen Ofen
ging. Alſo ward ſie hinausgebracht und mußte
auch 24 Stund ſchrappen, ſie bracht aber nichts
davon. Wie nun der Tag anbrach, rief’s im
Ofen: „mich daͤucht, es iſt Tag draußen!“ Da
antwortete ſie: „das daͤucht mich auch, ich meint,
ich hoͤrt meines Vaters Hoͤrnchen tuͤten!“ —
„So biſt du ja eine Schweinshirten-Tochter,
dann geh gleich hinaus und laß die Prinzeſſin
kommen. Und ſag’ ihr, es ſollt’ ihr wiederfah-
ren, was ich ihr verſprochen haͤtte, und wann ſie
nicht kaͤme, ſollte alles zerfallen und einſtuͤrzen
und kein Stein auf dem andern bleiben.“ Als
[214] die Prinzeſſin das hoͤrte, fing ſie an zu weinen,
es war aber nun nicht anders, ſie mußte ihr
Verſprechen halten. Da nahm ſie Abſchied von
ihrem Vater, ſteckte ein Meſſer ein und ging zu
dem Eiſen-Ofen hinaus. Wie ſie nun angekom-
men war, hub ſie an zu ſchrappen und das Eiſen
gab ihr nach und wie zwei Stunden vorbei waren,
hatte ſie ſchon ein kleines Loch geſchabt. Da guckte
ſie hinein und ſah einen ſo ſchoͤnen Koͤnigsſohn,
ach! der glimmerte, daß er ihr recht in der
Seele gefiel. Nun da ſchrappte ſie noch weiter
fort und machte das Loch ſo groß, daß er heraus
konnte. Da ſprach er: „du biſt mein und ich
bin dein, du biſt meine Braut und haſt mich er-
loͤſt.“ Sie bat ſich aus, daß ſie noch einmal
duͤrfte zu ihrem Vater gehen und der Koͤnigsſohn
erlaubte es ihr, ſie ſollte aber nicht mehr mit
ihrem Vater ſprechen, als drei Worte und dann
ſollte ſie wiederkommen. Alſo ging ſie heim, ſie
ſprach aber mehr als drei Worte, da verſchwand
alsbald der Eiſen-Ofen und war weit weg uͤber
glaͤſerne Berge und ſchneidende Schwerter; doch
war der Prinz erloͤſt und nicht mehr darin einge-
ſchloſſen. Darnach nahm ſie Abſchied von ihrem
Vater und etwas Geld mit, aber nicht viel, ging
wieder in den großen Wald und ſuchte den Eiſen-
Ofen, allein der war nicht wieder zu finden. Neun
Tage ſuchte ſie, da ward ihr Hunger ſo groß, daß
ſie ſich nicht zu helfen wußte, denn ſie hatte nichts
[215] mehr zu leben. Und wie es Abend wurde, ſetzte
ſie ſich auf einen kleinen Baum und gedachte dar-
auf die Nacht hinzubringen, weil ſie ſich vor den
wilden Thieren fuͤrchtete. Als nun Mitternacht
heran kam, ſah ſie von ferne ein kleines Lichtchen,
dacht ſie, „ach! da waͤr’ ich wohl erloͤſt,“ ſtieg vom
Baum und ging dem Lichtchen nach, auf dem
Weg aber betete ſie. Da kam ſie zu einem klei-
nen alten Haͤuschen, da war viel Gras um ge-
wachſen und ſtand ein kleines Haͤufchen Holz
davor. Dachte ſie: „ach! wo kommſt du hier
hin;“ guckte durch’s Fenſter hinein, ſo ſah ſie
nichts darin, als dicke und kleine Itſchen (Kroͤten),
aber einen Tiſch, ſchoͤn gedeckt mit Wein und
Braten, und Teller und Becher waren von Sil-
ber. Da nahm ſie ſich das Herz und klopfte an;
alsbald rief die Dicke:


„Jungfer gruͤn und klein,

Hutzelbein!

Hutzelbeins Huͤndchen

Hutzel hin und her!

Laß geſchwind ſehen, wer draußen waͤr.“

Da kam eine kleine Itſche herbei gegangen und
machte ihr auf; wie ſie eintrat, hießen alle ſie
willkommen und ſie mußte ſich ſetzen. „Wo
kommt ihr her? wo wollt ihr hin?“ Da er-
zaͤhlte ſie alles, wie es ihr gegangen waͤre, und
weil ſie das Gebot uͤbertreten, nicht mehr als drei
Worte zu ſprechen, waͤre der Ofen weg ſammt
[216] dem Prinzen; nun wollte ſie ſo lange ſuchen und
uͤber Berg und Thal wandern, bis ſie ihn faͤnde,
da ſprach die alte Dicke:


„Jungfer gruͤn und klein,

Hutzelbein!

Hutzelbeins Huͤndchen!

Hutzel hin und her!

bring mir die große Schachtel her!

Da ging die kleine hin und brachte die Schachtel
herbeigetragen, hernach gaben ſie ihr Eſſen und
Trinken und brachten ſie zu einem ſchoͤnen gemach-
ten Bett, das war wie Seide und Sammet, da
legt ſie ſich hinein und ſchlief in Gottes Namen.
Als der Tag kam, ſtieg ſie auf und gab ihr die
alte Itſche drei Nadeln aus der großen Schachtel,
die ſollte ſie mitnehmen; ſie wuͤrden ihr noͤthig
thun, denn ſie muͤßte uͤber einen hohen glaͤſernen
Berg und uͤber drei ſchneidende Schwerter und
uͤber ein großes Waſſer, wann ſie das durchſetzte,
wuͤrde ſie ihren Prinzen wiederkriegen. Nun
gab ſie hiermit drei Theile (Stuͤcke), die ſollte ſie
recht in Acht nehmen, naͤmlich drei große Na-
deln, ein Pflugrad und drei Nuͤſſe. Hiermit
reiſte ſie ab und wie ſie vor den glaͤſernen Berg
kam, der ſo glatt war, ſteckte ſie die drei Nadeln
als hinter die Fuͤße und dann wieder vorwaͤrts
und gelangte ſo hinuͤber, und als ſie hinuͤber war,
ſteckte ſie ſie an einen Ort, den ſie wohl in Acht
nahm. Darnach kam ſie vor die drei ſchneiden-
[217] den Schwerter, da ſtellte ſie ſich auf ihr Pflugrad
und rollte hinuͤber. Endlich kam ſie vor ein gro-
ßes Waſſer und wie ſie uͤbergefahren war, in ein
großes ſchoͤnes Schloß. Sie ging hinein und
hielt um einen Dienſt an, ſie waͤr’ eine arme
Magd und wollte ſich gern vermiethen; ſie
wußte aber, daß ihr Prinz drinne war, den ſie
erloͤſt hatte aus dem eiſernen Ofen im großen
Wald. Alſo ward ſie angenommen zum Kuͤchen-
maͤdchen fuͤr geringen Lohn. Nun hatte der
Prinz ſchon wieder eine andere an der Seite, die
wollte er heirathen, denn er dachte, ſie waͤre laͤngſt
geſtorben. Abends nun, wie ſie aufgewaſchen
hatte und fertig war, fuͤhlte ſie in ihre Taſche und
fand die drei Nuͤſſe, welche ihr die alte Itſche
gegeben hatte. Biß eine auf und wollte den Kern
eſſen, ſiehe da war ein ſtolzes koͤnigliches Kleid
drin. Wie’s nun die Braut hoͤrte, kam ſie und
hielt um das Kleid an und wollte es kaufen: „es
waͤr’ kein Kleid fuͤr eine Dienſtmagd.“ Da ſprach
ſie, ja ſie wollt’s nicht verkaufen, doch wann ſie
ihr einerlei (ein Ding) wollte erlauben, ſo ſollte
ſie’s haben, naͤmlich eine Nacht in der Kammer
ihres Braͤutigams zu ſchlafen. Die Braut erlaubt’
es ihr, weil das Kleid ſo ſchoͤn war und ſie noch
keins ſo hatte. Wie’s nun Abend war, ſagte ſie
zu ihrem Braͤutigam: „das naͤrriſche Maͤdchen
will in deiner Kammer ſchlafen.“ „Wann du’s
zufrieden [biſt], ſprach er, bin ich’s auch.“ Sie
[218] gab aber dem Mann ein Glas Wein, in das ſie
einen Schlaftrunk gethan hatte. Alſo gingen
beide in die Kammer ſchlafen, und er ſchlief ſo
feſt, daß ſie ihn nicht erwecken konnte. Sie
weinte aber die ganze Nacht und rief: „ich hab’
dich erloͤſt aus einem wilden Wald und aus einem
eiſernen Ofen, du haſt mich erloͤſt und ich hab’
dich erloͤſt durch ein verwuͤnſchtes Schloß, uͤber
einen glaͤſernen Berg, uͤber drei ſchneidende
Schwerter und uͤber ein großes Waſſer, ehe ich
dich gefunden habe und willſt mich doch nicht
hoͤren.“ Die Bedienten ſaßen vor der Stuben-
thuͤre und hoͤrten wie ſie ſo die ganze Nacht weinte
und ſagten’s am Morgen ihrem Herrn. Und wie
ſie am anderen Abend aufgewaſchen hatte, biß ſie
die zweite Nuß auf, da war noch ein weit ſchoͤne-
res Kleid drin, wie das die Braut ſah, wollte ſie
es auch kaufen. Aber Geld wollte das Maͤdchen
nicht und bat ſich aus, daß es noch einmal in der
Kammer des Braͤutigams ſchlafen duͤrfte. Sie
gab ihm aber wieder einen Schlaftrunk und er
ſchlief ſo feſt, daß er nichts hoͤren konnte. Das
Kuͤchenmaͤdchen weinte aber die ganze Nacht und
rief: „ich hab’ dich erloͤſt aus einem wilden
Walde und aus einem eiſernen Ofen, du haſt mich
erloͤſt und ich habe dich erloͤſt, durch ein verwuͤnſch-
tes Schloß, uͤber einen glaͤſernen Berg, uͤber drei
ſchneidende Schwerter und uͤber ein großes Waſſer
ehe ich dich gefunden habe und willſt mich doch
[219] nicht hoͤren.“ Die Bedienten ſaßen vor der
Stubenthuͤre und hoͤrten, wie ſie ſo die ganze
Nacht weinte und ſagten’s am Morgen ihrem
Herrn. Und wie ſie am dritten Abend aufge-
waſchen hatte, biß ſie die dritte Nuß auf, da war
ein noch ſchoͤneres Kleid darin, das ſtarrte von
purem Gold. Wie die Braut das ſah, wollte ſie
es haben, das Maͤdchen aber gab es nur hin,
wenn ſie zum drittenmal duͤrfte in der Kammer
des Braͤutigams ſchlafen. Der Prinz aber huͤtete
ſich und ließ den Schlaftrunk vorbeilaufen; wie
ſie nun anfing zu weinen und zu rufen: „liebſter
Schatz, ich habe dich erloͤſt aus dem grauſamen,
wilden Walde und aus einem eiſernen Ofen, du
haſt mich erloͤſt und ich habe dich erloͤſt;“ ſo
ſprang der Prinz auf und ſprach: „du biſt mein
und ich bin dein.“ Darauf ſetzte er ſich noch in
der Nacht mit ihr in einen Wagen und der fal-
ſchen Braut nahmen ſie die Kleider weg, daß ſie
nicht aufſtehen konnte. Als ſie zu dem großen
Waſſer kamen, da ſchifften ſie hinuͤber, und vor
die drei ſchneidende Schwerter, da ſetzten ſie ſich
aufs Pflugrad, und vor den glaͤſernen Berg, da
ſteckten ſie die drei Nadeln hinein; und ſo gelang-
ten ſie endlich zu dem alten kleinen Haͤuschen, aber
wie ſie hineintraten, war’s ein großes Schloß,
die Itſchen waren alle erloͤſt und lauter Prinzen
und Prinzeſſinnen und waren in voller Freude.
Da ward Vermaͤhlung gehalten und ſie blieben
[220] in dem Schloß, das war viel groͤßer, als ihres
Vaters Schloß. Weil aber der Alte jammerte,
daß er allein bleiben ſollte, ſo fuhren ſie weg und
holten ihn zu ſich und hatten zwei Koͤnigreiche
und lebten in gutem Eheſtand.


42.
Die faule Spinnerin.


Auf einem Dorfe lebte ein Mann und eine
Frau, und die Frau war ſo faul, daß ſie immer
nichts arbeiten wollte und was ihr der Mann zu
ſpinnen gab, das ſpann ſie nicht fertig und was
ſie auch ſpann, haſpelte ſie nicht, ſondern ließ alles
auf dem Klauel gewickelt liegen. Schalt ſie nun
der Mann, ſo war ſie mit ihrem Maul doch vor-
nen und ſprach: „ei, wie ſollt’ ich haſpeln, da
ich keinen Haſpel habe, geh du erſt in den Wald
und ſchaff’ mir einen.“ „Wenn’s daran liegt,
ſagte der Mann, ſo will ich in den Wald gehen
und Haſpelholz holen. Da fuͤrchtete ſich die Frau,
wenn er das Holz haͤtte, daß er daraus einen
Haſpel machte und ſie da abhaſpeln und dann
friſch ſpinnen muͤßte. Sie beſann ſich ein Bis-
chen, da kam ihr ein guter Einfall und ſie lief
dem Manne heimlich nach in den Wald. Wie er
nun auf einen Baum geſtiegen war, das Holz
auszuleſen und zu hauen, ſchlich ſie darunter in
[221] das Gebuͤſch, wo er ſie nicht ſehen konnte und rief
hinauf:


„wer Haſpelholz haut, der ſtirbt,

wer da haſpelt, der verdirbt!“

Der Mann horchte auf, legte die Axt eine Weile
nieder und dachte nach, was das wohl zu bedeu-
ten habe. „Ei was, ſprach er endlich, was wird’s
geweſen ſeyn, es hat dir in den Ohren geklungen,
mach dir keine unnoͤthige Furcht;“ alſo ergriff er
die Axt von neuem und wollte zuhauen, da rief’s
wieder unten:


„wer Haſpelholz haut, der ſtirbt,

wer da haſpelt, der verdirbt!“

Er hielt ein, kriegte Angſt und Bang und ſann
dem Ding nach; wie aber ein Weilchen vorbei
war, kam ihm das Herz wieder und er langte
zum drittenmal nach der Axt und wollte zuhauen.
Aber zum drittenmal rief’s und ſprach’s laut:


„wer Haſpelholz haut, der ſtirbt,

wer da haſpelt, der verdirbt!“

Da hatte er’s genug und alle Luſt war ihm ver-
gangen, ſo daß er eilends den Baum herunter-
ſtieg und ſich auf den Heimweg machte. Die
Frau lief, was ſie konnte, auf Nebenwegen, damit
ſie eher nach Haus kaͤme; wie er nun in die Stube
trat, that ſie unſchuldig, als waͤre nichts vorge-
fallen und ſagte: „nun bringſt du ein gutes Has-
[222] pelholz?“ „Nein, ſprach er, ich ſehe wohl, es
geht mit dem Haſpeln nicht,“ erzaͤhlte ihr, was
ihm im Walde begegnet war, und ließ ſie von nun
an damit in Ruhe.


Bald hernach fing der Mann doch wieder an
ſich uͤber die Unordnung im Hauſe zu aͤrgern und
es lief bei ihm uͤber: „Frau, ſagte er, es iſt doch
eine Schande, daß das geſponnene Garn da auf
dem Klauel liegen bleibt.“ „Weißt du was,
ſprach ſie, weil wir doch zu keinem Haſpel kom-
men, ſo ſtell dich auf den Boden und ich ſteh un-
ten, da will ich dir den Klauel hinaufwerfen und
du wirfſt ihn herunter, ſo gibt’s doch einen Strang.“
„Ja, das geht, ſagte der Mann; alſo thaten ſie
das und wie ſie fertig waren, ſprach er: „das
Garn iſt nun geſtraͤngt, nun muß es auch gekocht
werden.“ Der Frau ward wieder Angſt; ſie
ſprach zwar: „ja, wir wollen’s gleich morgenfruͤh
kochen,“ dachte aber bei ſich auf einen neuen
Streich. Fruͤhmorgens ſtand ſie auf, machte
Feuer an, und ſtellte den Keſſel bei, allein ſtatt
des Garns legte ſie einen Klumpen Werg hinein
und ließ es ſo zukochen. Darauf ging ſie zum
Manne, der noch im Bette lag, und ſprach zu
ihm: „ich muß einmal ausgehen, ſteh derweil
auf und ſieh nach dem Garn, das im Keſſel uͤber’m
Feuer ſteht, aber du mußt’s bei Zeit thun, gib
wohl Acht, denn wo der Hahn kraͤht und du
ſaͤheſt nicht nach, wird das Garn zu Werg.“
[223] Der Mann war bei der Hand und wollte
nichts verſaͤumen, alſo ſtand er eilend auf,
ſo ſchnell er konnte und ging in die Kuͤche;
wie er aber zum Keſſel kam und hinein ſah,
da erblickte er mit Schrecken nichts als einen
Klumpen Werg. Da ſchwieg er maͤuschenſtill,
dachte, er haͤtt’s verſehen und waͤr’ Schuld daran
und ließ in Zukunft die Frau mit Garn und
Spinnen immer zufrieden.


43.
Der Loͤwe und der Froſch.


Es war ein Koͤnig und eine Koͤnigin, die
hatten einen Sohn und eine Tochter, die hatten
ſich herzlich lieb. Der Prinz ging oft auf die
Jagd und blieb manchmal lange Zeit draußen im
Wald, einmal aber kam er gar nicht wieder.
Daruͤber weinte ſich ſeine Schweſter faſt blind,
endlich, wie ſie’s nicht laͤnger aushalten konnte,
ging ſie fort in den Wald und wollte ihren Bru-
der ſuchen. Als ſie nun lange Wege gegangen
war, konnte ſie vor Muͤdigkeit nicht weiter und
wie ſie ſich umſah, da ſtand ein Loͤwe neben ihr,
der that ganz freundlich und ſah ſo gut aus. Da
ſetzte ſie ſich auf ſeinen Ruͤcken und der Loͤwe trug
ſie fort und ſtreichelte ſie immer mit ſeinem
Schwanze und kuͤhlte ihr die Backen. Als er
[224] nun ein gut Stuͤck fortgelaufen war, kamen ſie
vor eine Hoͤhle, da trug ſie der Loͤwe hinein und
ſie fuͤrchtete ſich nicht und wollte auch nicht herab-
ſpringen, weil der Loͤwe ſo freundlich war. Alſo
ging’s durch die Hoͤhle, die immer dunkler war
und endlich ganz ſtockfinſter, und als das ein Weil-
chen gedauert hatte, kamen ſie wieder an das
Tagslicht in einen wunderſchoͤnen Garten. Da
war alles ſo friſch und glaͤnzte in der Sonne, und
mittendrin ſtand ein praͤchtiger Pallaſt. Wie
ſie an’s Thor kamen, hielt der Loͤwe und die Prin-
zeſſin ſtieg von ſeinem Ruͤcken herunter. Da fing
der Loͤwe an zu ſprechen und ſagte: „in dem
ſchoͤnen Haus ſollſt du wohnen und mir dienen,
und wenn du alles erfuͤllſt was ich fordere, ſo
wirſt du deinen Bruder wiederſehen.“


Da diente die Prinzeſſin dem Loͤwen und ge-
horchte ihm in allen Stuͤcken. Einmal ging ſie
in dem Garten ſpatziren, darin war es ſo ſchoͤn
und doch war ſie traurig, weil ſie ſo allein und
von aller Welt verlaſſen war. Wie ſie ſo auf
und ab ging, ward ſie einen Teich gewahr und
auf der Mitte des Teichs war eine kleine Inſel
mit einem Zelt. Da ſah ſie, daß unter dem Zelt
ein grasgruͤner Laubfroſch ſaß und hatte ein Ro-
ſenblatt auf dem Kopf ſtatt einer Haube. Der
Froſch guckte ſie an und ſprach: „warum biſt du
ſo traurig?“ „Ach, ſagte ſie, warum ſollte ich
nicht traurig ſeyn?“ und klagte ihm da recht ihre
Roth.
[225] Noth. Da ſprach der Froſch ganz freundlich:
„wenn du was brauchſt, ſo komm nur zu mir.
ſo will ich dir mit Rath und That zur Hand
gehen.“ „Wie ſoll ich dir das aber vergelten?“
„Du brauchſt mir nichts zu vergelten, ſprach der
Quackfroſch, bring mir nur alle Tage ein friſches
Roſenblatt zur Haube.“ Da ging nun die Prin-
zeſſin wieder zuruͤck und war ein Bischen getroͤ-
ſtet und ſo oft der Loͤwe etwas verlangte, lief ſie
zum Teich, da ſprang der Froſch heruͤber und hin-
uͤber und hatte ihr bald herbeigeſchafft, was ſie
brauchte. Auf eine Zeit ſagte der Loͤwe: „heut
Abend aͤß ich gern eine Muͤckenpaſtete, ſie muß
aber gut zubereitet ſeyn.“ Da dachte die Prin-
ceſſin, wie ſoll ich die herbei ſchaffen, das iſt mir
ganz unmoͤglich, lief hinaus und klagte es ihrem
Froſch. Der Froſch aber ſprach: „mach dir keine
Sorgen, eine Muͤckenpaſtete will ich ſchon herbei-
ſchaffen.“ Darauf ſetzte er ſich hin, ſperrte rechts
und links das Maul auf, ſchnappte zu und fing
Muͤcken, ſo viel er brauchte. Darauf huͤpfte er
hin und her, trug Holzſpaͤne zuſammen und blies
ein Feuer an. Wie’s brannte, knetete er die Pa-
ſtete und ſetzte ſie uͤber Kohlen, und es waͤhrte
keine zwei Stunden, ſo war ſie fertig und ſo gut
als einer nur wuͤnſchen konnte. Da ſprach er zu
dem Maͤdchen: „die Paſtete kriegſt du aber nicht
eher, als bis du mir verſprichſt, dem Loͤwen, ſo-
bald er eingeſchlafen iſt, den Kopf abzuſchlagen
Kindermärchen II. P
[226] mit einem Schwert, das hinter ſeinem Lager ver-
borgen iſt. „Nein, ſagte ſie, das thue ich nicht,
der Loͤwe iſt doch immer gut gegen mich geweſen.“
Da ſprach der Froſch: „wenn du das nicht thuſt,
wirſt du nimmermehr deinen Bruder wiederſehen,
und dem Loͤwen ſelber thuſt du auch kein Leid da-
mit an.“ Da faßte ſie Muth, nahm die Paſtete
und brachte ſie dem Loͤwen. „Die ſieht ja recht
gut aus,“ ſagte der Loͤwe, ſchnupperte daran und
fing gleich an einzubeißen, aß ſie auch ganz auf.
Wie er nun fertig war, fuͤhlte er eine Muͤdigkeit
und wollte ein wenig ſchlafen; alſo ſprach er zur
Prinzeſſin: „komm und ſetz dich neben mich und
krau mir ein Bischen hinter den Ohren, bis ich
eingeſchlafen bin.“ Da ſetzt ſie ſich neben ihn,
kraut ihn mit der Linken und ſucht mit der Rech-
ten nach dem Schwert, welches hinter ſeinem
Bette liegt. Wie er nun eingeſchlafen iſt, ſo zieht
ſie es hervor, druͤckt die Augen zu und haut mit
einem Streich dem Loͤwen den Kopf ab. Wie ſie
aber wieder hinblickt, da war der Loͤwe verſchwun-
den und ihr lieber Bruder ſtand neben ihr, der
kuͤßte ſie herzlich und ſprach: „du haſt mich er-
loͤſt, denn ich war der Loͤwe und war verwuͤnſcht
es ſo lang zu bleiben, bis eine Maͤdchenhand aus
Liebe zu mir dem Loͤwen den Kopf abhauen wuͤrde.“
Darauf gingen ſie miteinander in den Garten und
wollten dem Froſch danken, wie ſie aber ankamen,
ſahen ſie, wie er nach allen Seiten herumhuͤpfte
[227] und kleine Spaͤne ſuchte und ein Feuer anmachte.
Als es nun recht hell brannte, huͤpfte er ſelber
hinein und da brennt’s noch ein Bischen und dann
geht das Feuer aus, und ſteht ein ſchoͤnes Maͤd-
chen da, das war auch verwuͤnſcht worden und die
Liebſte des Prinzen. Da ziehen ſie miteinander
heim zu dem alten Koͤnig und der Frau Koͤnigin
und wird eine große Hochzeit gehalten und wer
dabei geweſen, der iſt nicht hungrig nach Haus
gegangen.


44.
Der Soldat und der Schreiner.


Es wohnten in einer Stadt zwei Tiſchler,
deren Haͤuſer ſtießen aneinander und jeder hatte
einen Sohn; die Kinder waren immer beiſam-
men, ſpielten miteinander und hießen darum das
Meſſerchen und Gaͤbelchen, die auch im-
mer nebeneinander auf den Tiſch gelegt werden.
Als ſie nun beide groß waren, wollten ſie auch
von einander nicht weichen, der eine war aber
muthig und der andere furchtſam, da ward der
eine Soldat, der andere lernte das Handwerk.
Wie die Zeit kam, daß dieſer wandern mußte,
wollt’ ihn der Soldat nicht verlaſſen und gingen
ſie zuſammen aus. Sie kamen nun in eine Stadt,
wo der Tiſchler bei einem Meiſter in die Arbeit
P 2
[228] ging, der Soldat wollte da auch bleiben und ver-
dingte ſich bei demſelben Meiſter als Hausknecht.
Das waͤr’ gut geweſen, aber der Soldat hatte
keine Luſt am Arbeiten, lag auf der Baͤrenhaut
und es dauerte nicht lang, ſo wurde er vom Mei-
ſter weggeſchickt; der fleißige wollt’ ihn aus Treue
nun nicht allein laſſen, ſagte dem Meiſter auf und
zog mit ihm weiter. So ging’s aber immer fort;
hatten ſie Arbeit, ſo dauerte es nicht lang, weil
der Soldat faul war und fortgeſchickt wurde, der
andere aber ohne ihn nicht bleiben wollte. Einmal
kamen ſie in eine große Stadt, weil aber der Sol-
dat keine Hand regen wollte, ward er am Abend
ſchon verabſchiedet und ſie mußten dieſelbe Nacht
wieder hinaus. Da fuͤhrte ſie der Weg vor einen
unbekannten großen Wald; der Furchtſame ſprach:
„ich geh’ nicht hinein, darin ſpringen Hexen und
Geſpenſter herum.“ Der Soldat aber antwor-
tete: „ei was! davor fuͤrcht’ ich mich noch nicht!“
ging voran, und der Furchtſame, weil er doch nicht
von ihm laſſen wollte, ging mit. In kurzer Zeit
hatten ſie den Weg verloren und irrten in der
Dunkelheit durch die Baͤume, endlich ſahen ſie
ein Licht. Das ſuchten ſie auf und kamen zu
einem ſchoͤnen Schloß, das hell erleuchtet war,
und haußen lag ein ſchwarzer Hund und auf
einem Teich neben ſaß ein rother Schwan; als
ſie aber hineintraten, ſahen ſie nirgends einen
Menſchen, bis ſie in die Kuͤche kamen, da ſaß noch
[229] eine graue Katze bei einem Topf am Feuer und
kochte. Sie gingen weiter und fanden viele praͤch-
tige Zimmer, die waren alle leer, in einem aber
ſtand ein Tiſch mit Eſſen und Trinken reichlich beſetzt.
Weil ſie nun großen Hunger hatten, machten ſie
ſich daran und ließen ſich’s gut ſchmecken. Dar-
nach ſprach der Soldat: „wenn du gegeſſen haſt
und ſatt worden biſt, ſollſt du ſchlafen gehen!“
machte eine Kammer auf, darin ſtanden zwei
ſchoͤne Betten. Sie legten ſich, aber als ſie eben
einſchlafen wollten, fiel dem Furchtſamen ein, daß
ſie noch nicht gebetet haͤtten, da ſtand er auf und
ſah in der Wand einen Schrank, den ſchloß er
auf und war da ein Crucifix mit zwei Gebetbuͤ-
chern dabei. Gleich weckte er den Soldaten, daß
er aufſtehen mußte und ſie knieten beide nieder
und thaten ihr Gebet; darnach ſchliefen ſie ruhig
ein. Am andern Morgen kriegte der Soldat
einen heftigen Stoß, daß er in die Hoͤhe fuhr:
„du, was ſchlaͤgſt du mich“ rief er dem andern
zu, der aber hatte auch einen Stoß gekriegt und
ſprach: „was ſtoͤßt du mich, ich ſtoß dich nicht!“
Da ſagte der Soldat: „es wird wohl ein Zeichen
ſeyn, daß wir hervor ſollen.“ Wie ſie nun heraus-
kamen, ſtand ſchon ein Fruͤhſtuͤck auf dem Tiſch,
der Furchtſame ſprach aber: „eh’ wir es anruͤh-
ren, wollen wir erſt nach einem Menſchen ſuchen.“
„Ja, ſagte der Soldat, ich mein’ auch immer, die
[230] Katze haͤtt’s gekocht und eingebrockt, da vergeht
mir alle Luſt.“


Sie gingen alſo wieder von unten bis oben
durch’s Schloß, fanden aber keine Seele, endlich
ſagte der Soldat: „wir wollen auch in den Keller
ſteigen.“ Wie ſie die Treppe herunter waren,
ſahen ſie vor dem erſten Keller eine alte Frau
ſitzen; ſie redeten ſie an und ſprachen: „guten
Tag! hat ſie uns das gute Eſſen gekocht?“ —
„Ja, Kinder, hat’s euch geſchmeckt?“ Da gin-
gen ſie weiter und kamen zum zweiten Keller,
davor ſaß ein Juͤngling von 14 Jahren, den
gruͤßten ſie auch, er gab ihnen aber keine Antwort.
Endlich kamen ſie in den dritten Keller, davor ſaß
ein Maͤdchen von zwoͤlf Jahren, das antwortete
ihnen auch nicht auf ihren Gruß. Sie gingen
noch weiter durch alle Keller, fanden aber weiter
niemand. Wie ſie nun wieder zuruͤckkamen, war
das Maͤdchen von ſeinem Sitz aufgeſtanden, da
ſagten ſie zu ihm: „willſt du mit uns hinaufge-
hen?“ Es ſprach aber: „iſt der rothe Schwan
noch oben auf dem Teich?“ — „Ja, wir haben
ihn beim Eingang geſehen.“ — „Das iſt traurig,
ſo kann ich nicht mitgehen.“ Der Juͤngling war
auch aufgeſtanden und als ſie zu ihm kamen,
fragten ſie ihn: „willſt du mit uns hinauf gehen?“
Er aber ſprach: „iſt der ſchwarze Hund noch
auf dem Hof?“ — „Ja, wir haben ihn beim
Eingang geſehen.“ — „Das iſt traurig, ſo kann
[231] ich nicht mit euch gehen.“ Als ſie zu der alten
Frau kamen, hatte ſie ſich auch aufgerichtet:
„Muͤtterchen, ſprachen ſie, wollt ihr mit uns
hinaufgehen?“ — „Iſt die graue Katze noch
oben in der Kuͤche?“ — „Ja, ſie ſitzt auf dem
Heerd bei einem Topf und kocht.“ — „Das iſt
traurig, eh ihr nicht den rothen Schwan, den
ſchwarzen Hund und die graue Katze toͤdtet, koͤn-
nen wir nicht aus dem Keller heraus.“


Als die zwei Geſellen wieder oben in die
Kuͤche kamen, wollten ſie die Katze ſtreicheln, ſie
machte aber feurige Augen und ſah ganz wild aus.
Nun war noch eine kleine Kammer uͤbrig, in der
ſie nicht geweſen waren, wie ſie die aufmachten,
war ſie ganz leer, nur an der Wand ein Bogen
und Pfeil, ein Schwert und eine Eiſen-Zange.
Ueber Bogen und Pfeil ſtanden die Worte: „das
toͤdtet den rothen Schwan,“ uͤber dem Schwert:
„das haut dem ſchwarzen Hund den Kopf herun-
ter,“ und uͤber der Zange: „das kneift der grauen
Katze den Kopf ab.“ „Ach, ſagte der Furchtſame,
wir wollen fort von hier,“ der Soldat aber:
„nein, wir wollen die Thiere aufſuchen.“ Sie
nahmen die Waffen von der Wand und gingen in
die Kuͤche, da ſtanden die drei Thiere, der Schwan,
der Hund und die Katze beiſammen, als haͤtten ſie
was Boͤſes vor. Wie der Furchtſame das ſah, lief
er wieder fort; der Soldat ſprach ihm ein Herz
ein, er hingegen wollte erſt etwas eſſen; wie er
[232] gegeſſen hatte, ſagte er: „in einem Zimmer hab-
ich Harniſche geſehen, da will ich einen zuvor an-
legen.“ Als er in dem Zimmer war, wollt’ er
ſich forthelfen und ſprach: „es iſt beſſer, wir
ſteigen zum Fenſter hinaus, was kuͤmmern uns
die Thiere!“ Wie er aber zum Fenſter trat, war
ein ſtark Eiſen-Gitter davor. Nun konnt’ er’s
nicht laͤnger verreden, ging zu den Harniſchen und
wollte einen anziehen, aber ſie waren alle zu
ſchwer. Da ſagte der Soldat: „ei was, laß uns
ſo gehen, wie wir ſind.“ „Ja, ſprach der an-
dere, wenn unſer noch drei waͤren.“ Wie er die
Worte ſprach, da flatterte eine weiße Taube
außen an’s Fenſter und ſtieß daran, der Soldat
machte ihr auf und wie ſie herein war, ſtand ein
ſchoͤner Juͤngling vor ihnen, der ſprach: „ich will
bei euch ſeyn und euch helfen“ und nahm Bogen
und Pfeil. Der Furchtſame ſprach zu ihm, er
haͤtt’s am beſten, mit dem Bogen und Pfeil, nach
dem Schuß waͤr’s gut und er koͤnnte hingehen,
wohin er Luſt haͤtte, ſie aber muͤßten mit ihren
Waffen den Zauber-Thieren naͤher auf den Leib.
Da gab der Juͤngling ihm den Bogen und Pfeil
und nahm das Schwert.


Da gingen alle drei zur Kuͤche, wo die Thiere
noch beiſammen ſtanden, und der Juͤngling hieb
dem ſchwarzen Hund den Kopf ab, und der Sol-
dat packte die graue Katze mit der Zange und der
Furchtſame ſtand hinten und ſchoß den rothen
[233] Schwan todt. Und wie die drei Thiere nieder-
fielen, in dem Augenblick kam die Alte und ihre
zwei Kinder mit großem Geſchrei aus dem Keller
gelaufen: „ihr habt meine liebſten Freunde ge-
toͤdtet, ihr ſeyd Verraͤther,“ drangen auf ſie und
wollten ſie ermorden. Aber die drei uͤberwaͤltig-
ten ſie und toͤdteten ſie mit ihren Waffen und wie
ſie todt waren, fing auf einmal ein wunderliches
Gemurmel rings herum an und kam aus allen
Ecken. Der Furchtſame ſprach: „wir wollen die
drei Leichen begraben, es waren doch Chriſten, das
haben wir am Crucifix geſehen.“ Sie trugen ſie
alſo hinaus auf den Hof, machten drei Graͤber
und legten ſie hinein. Waͤhrend der Arbeit nahm
aber das Gemurmel im Schloß immer zu, ward
immer lauter und wie ſie fertig waren, hoͤrten ſie
ordentlich Stimmen darin und einer rief: „wo
ſind ſie? wo ſind ſie?“ Und weil der ſchoͤne
Juͤngling nicht mehr da war, ward ihnen Angſt
und ſie liefen fort. Als ſie ein wenig weg waren,
ſagte der Soldat: „ei, das iſt Unrecht, daß wir
ſo fortgelaufen ſind, wir wollen umkehren und
ſehen, was dort iſt. „Nein, ſagte der andere,
ich will mit dem Zauberweſen nichts zu thun ha-
ben und mein ehrliches Auskommen in der Stadt
ſuchen.“ Aber der Soldat ließ ihm keine Ruhe,
bis er mit ihm zuruͤckging. Wie ſie vor’s Schloß
kamen, war alles voll Leben, Pferde ſprangen
durch den Hof und Bediente liefen hin und her.
[234] Da gaben ſie ſich fuͤr zwei arme Handwerker aus
und baten um ein wenig Eſſen. Einer aus dem
Haufen ſprach: „ja, kommt nur herein, heut
wird allen Gutes gethan.“ Sie wurden in ein
ſchoͤnes Zimmer gefuͤhrt und ward ihnen Speiſe
und Wein gegeben. Darnach wurden ſie gefragt,
ob ſie nicht zwei junge Leute von der Burg haͤtten
kommen ſehen. „Nein,“ ſagten ſie. Als aber
einer ſah, daß ſie Blut an den Haͤnden hatten,
fragte er, woher das Blut kaͤme? Da ſprach der
Soldat: „ich habe mich in den Finger geſchnit-
ten.“ Der Diener aber ſagte es dem Herrn,
der kam ſelber und wollt’ es ſehen, es war aber
der ſchoͤne Juͤngling, der ihnen beigeſtanden hatte
und wie er ſie mit Augen ſah, rief er: „das ſind
ſie, die das Schloß errettet haben!“ Da em-
pfing er ſie mit Freuden und erzaͤhlte, wie es zu-
gegangen waͤre: „Im Schloß war eine Haus-
haͤlterin mit ihren zwei Kindern, die war eine
heimliche Hexe und als ſie einmal von der Herr-
ſchaft geſcholten wurde, gerieth ſie in Bosheit und
verwandelte alles, was Leben hatte im Schloß, zu
Steinen, nur uͤber drei andere boͤſe Hofbediente,
die auch Zauberei verſtanden, hatte ſie keine rechte
Gewalt und konnte ſie nur in Thiere verwandeln,
die nun oben im Schloß ihr Weſen trieben, dabei
fuͤrchtete ſie ſich vor ihnen und fluͤchtete mit ihren
Kindern in den Keller. Auch uͤber mich hatte ſie
nur ſoviel Gewalt gehabt, daß ſie mich in eine
[235] weiße Taube außerhalb des Schloſſes verwandeln
konnte. Wie ihr zwei in’s Schloß kamt, da
ſolltet ihr die Thiere toͤdten, damit ſie frei wuͤrde
und zum Lohn wollte ſie euch wieder umbringen,
aber Gott hat es beſſer gemacht, das Schloß iſt
erloͤſt und die Steine ſind wieder lebendig gewor-
den in dem Augenblick, wo die gottloſe Hexe mit
ihren Kindern getoͤdtet wurde und das Gemurmel,
das ihr gehoͤrt, das waren die erſten Worte, wel-
che die frei gewordenen ſprachen.“ Darauf fuͤhrte
er die zwei Geſellen zu dem Hausherrn, der hatte
zwei ſchoͤne Toͤchter, die wurden ihnen gegeben,
und ſie lebten vergnuͤgt ihr Lebelang, als große
Ritter.


45.
Die ſchoͤne Katrinelje und Pif, Paf, Poltrie.


„Guten Tag, Vater Hollenthe!“ —
„Großen Dank, Pif, Paf, Poltrie!“ —
„Koͤnnt ich wohl eure Tochter kriegen?“ —
„O ja, wenns die Mutter Malcho (Melk-Kuh),
der Bruder Hohenſtolz, die Schweſter Kaͤſetraut
und die ſchoͤne Katrinelje will, ſo kanns geſche-
hen.“


„Wo iſt dann die Mutter Malcho?,

„Sie iſt im Stall und melkt die Kuh.“

„Guten Tag, Mutter Malcho!“ —
„Großen Dank, Pif, Paf, Poltrie!“ —
[236] „Koͤnnt ich wohl eure Tochter kriegen?“ —
„O ja, wenns der Vater Hollenthe, der Bruder
Hohenſtolz, die Schweſter Kaͤſetraut und die
ſchoͤne Katrinelje will, ſo kanns geſchehen.“


„Wo iſt dann der Bruder Hohenſtolz?“

„Er iſt in der Kammer und hackt das Holz.“

„Guten Tag, Bruder Hohenſtolz!“ —
„Großen Dank, Pif, Paf, Poltrie!“ —
„Koͤnnt’ ich wohl eure Schweſter kriegen?“ —
„O ja, wenns der Vater Hollenthe, die Mutter
Malcho, die Schweſter Kaͤſetraut und die ſchoͤne
Katrinelje will, ſo kanns geſchehen.“


„Wo iſt dann die Schweſter Kaͤſetraut?“

„Sie iſt im Garten und ſchneidet das Kraut.“

„Guten Tag, Schweſter Kaͤſetraut!“ —
„Großen Dank, Pif, Paf, Poltrie!“ —
„Koͤnnt’ ich wohl eure Schweſter kriegen?“ —
„O ja, wenn der Vater Hollenthe, die Mutter
Malcho, der Bruder Hohenſtolz und die ſchoͤne
Katrinelje will, ſo kanns geſchehen.“


„Wo iſt dann die ſchoͤne Katrinelje?“

„Sie iſt in der Kammer und zaͤhlt ihre Pfen-

nige.“

„Guten Tag, ſchoͤne Katrinelje!“ —
„Großen Dank, Pif, Paf, Poltrie!“ —
„Willſt du wohl mein Schatz ſeyn?“ — „O ja
wenns der Vater Hollenthe, die Mutter Malcho,
[237] der Bruder Hohenſtolz, die Schweſter Kaͤſetraut
es will, ſo kanns geſchehen.“


„Schoͤn Katrinelje, wie viel haſt du an
Brautſchatz?“ — „Vierzehn Pfennige baares
Geld, drittehalb Groſchen Schuld, ein halb
Pfund Hutzeln, eine Hand voll Prutzeln, eine
Hand voll Wurzeln,


un ſo der watt:

is dat nig en guden Brudſchatt?“

Pif, Paf, Poltrie, was kannſt du
fuͤr ein Handwerk? biſt du ein Schneider?“ —
„Noch viel beſſer!“ — „Ein Schuſter?“ —
„Noch viel beſſer!“ — „Ein Ackersmann?“ —
„Noch viel beſſer!“ — „Ein Schreiner?“ —
„Noch viel beſſer!“ — „Ein Schmidt?“ —
„Noch viel beſſer!“ — „Ein Muͤller?“ —
„Noch viel beſſer!“ — „Vielleicht ein Beſen-
binder?“ — „Ja! iſt das nicht ein ſchoͤnes
Handwerk?“


46.
Der Fuchs und das Pferd.


Es hatte ein Bauer ein treues Pferd, das
war alt geworden, und konnte keine Dienſte mehr
thun, da wollt ihm ſein Herr nichts mehr zu
freſſen geben und ſprach: „brauchen kann ich dich
[238] freilich nicht mehr, indeß zeigſt du dich noch ſo
ſtark, daß du mir einen Loͤwen hierher bringſt,
ſo will ich dich behalten, jetzt aber mach dich fort
aus meinem Stall;“ und jagte es damit weit
ins Feld. Das Pferd war traurig und ging nach
dem Wald zu, dort ein wenig Schutz vor dem
Wetter zu ſuchen; da begegnete ihm der Fuchs
und ſprach: „was haͤngſt du ſo den Kopf und
gehſt ſo einſam herum?“ — „Ach, ſagte das
Pferd, Geitz und Treue wohnen nicht in einem
Haus, mein Herr hat vergeſſen, was ich ihm
alles in ſo vielen Jahren gethan habe, und weil
ich nicht recht mehr ackern kann, will er mir kein
Futter mehr geben und hat mich fortgejagt; er
hat zwar geſagt, wenn ich ſo ſtark waͤre, daß ich
ihm einen Loͤwen braͤchte, wollt er mich behalten,
aber er weiß wohl, daß ich das nicht kann.“
Der Fuchs ſprach: „da will ich dir helfen, leg
dich nur hin, ſtreck dich aus und reg dich nicht,
als waͤrſt du todt.“ Das Pferd that, was der
Fuchs verlangte, der Fuchs aber ging zum Loͤwen,
der ſeine Hoͤhle nicht weit davon hatte und ſprach:
„da draußen liegt ein todtes Pferd, komm doch
mit hinaus, da kannſt du eine fette Mahlzeit
halten.“ Der Loͤwe ging mit; wie ſie bei dem
Pferd ſtanden, ſprach der Fuchs: „hier haſt du’s
doch nicht nach deiner Gemaͤchlichkeit, weißt du
was? ich wills mit dem Schweif an dich binden,
da kannſt du’s in deine Hoͤhle ziehen und in aller
[239] Ruhe verzehren.“ Dem Loͤwen gefiel der Rath
und er ſtellte ſich hin, damit ihm der Fuchs das
Pferd anknuͤpfen koͤnne, hielt auch fein ſtill.
Der Fuchs aber band mit des Pferdes Schweif
dem Loͤwen die Beine zuſammen, und drehte und
ſchnuͤrte alles ſo wohl und ſtark, daß es mit kei-
ner Kraft zu zerreißen war. Als er nun ſein
Werk vollendet hatte, klopfte er dem Pferd auf
die Schultern und ſprach: „zieh, Schimmel,
zieh!“ Da ſprang das Pferd mit einmal auf,
und zog den Loͤwen mit ſich fort; der Loͤwe fing
an zu bruͤllen, daß die Voͤgel in dem ganzen
Wald vor Schrecken aufflogen, aber das Pferd
ließ ihn bruͤllen, zog und ſchleppte ihn uͤber das
Feld vor ſeines Herrn Thuͤr. Wie der Herr
das ſah, beſann er ſich eines beſſern und ſprach
zu dem Pferd: „Du ſollſt bei mir bleiben und
es gut haben,“ und gab ihm ſatt zu freſſen bis
es ſtarb.


47.
Die zertanzten Schuhe.


Es war einmal ein Koͤnig, der hatte zwoͤlf
Toͤchter, eine immer ſchoͤner als die andere, die
hatten ihre zwoͤlf Betten zuſammen in einem
Saal, und wann ſie waren ſchlafen gegangen,
wurde die Thuͤre verſchloſſen und verriegelt, und
[240] doch waren jeden Morgen ihre Schuhe zertanzt
und wußte niemand, wo ſie geweſen und wie es
zugegangen war. Da ließ der Koͤnig ausrufen,
wers koͤnnte ausfindig machen, wo ſie in der
Nacht tanzten, der ſollte ſich eine davon zur Frau
waͤhlen und nach ſeinem Tod Koͤnig ſeyn; wer
ſich aber meldete und es nach drei Tagen und
Naͤchten nicht herausbraͤchte, der haͤtte ſein Leben
verwirkt. Es kam bald ein Koͤnigsſohn, der ward
wohl aufgenommen, und Abends in das Zimmer
gefuͤhrt, das vor dem Schlafſaal der zwoͤlf Toͤch-
ter war, da ſtand ſein Bett und da ſollte er Acht
haben, wo ſie hingingen und tanzten; und damit
ſie nichts heimlich treiben konnten oder zu einem
andern Ort hinaus gingen, war auch die Saal-
thuͤre offen gelaſſen. Der Koͤnigsſohn aber ſchlief
ein und als er am Morgen aufwachte, waren alle
zwoͤlfe zum Tanz geweſen, denn ihre Schuhe
ſtanden da und hatten Loͤcher in den Sohlen.
Den zweiten und dritten Abend gings eben ſo und
da ward ihm ſein Haupt abgeſchlagen; und ſo
kamen noch viele und meldeten ſich zu dem Wage-
ſtuͤck, ſie mußten aber alle ihr Leben laſſen. Nun
trug ſichs zu, daß ein armer Soldat, der eine
Wunde hatte und nicht mehr dienen konnte, nach
der Stadt zuging, wo der Koͤnig wohnte. Da
begegnete ihm eine alte Frau, die fragte ihn, wo
er hin wollte. „Ich weiß ſelber nicht recht, ſprach
er, aber ich haͤtte wohl Luſt Koͤnig zu werden
und
[241] und auszumachen, wo die Koͤnigstoͤchter ihre
Schuhe vertanzten.“ „Ei, ſagte die Alte, das
iſt ſo ſchwer nicht, du mußt nur den Wein nicht
trinken, den dir die eine Abends bringt, und
mußt thun, als waͤrſt du feſt eingeſchlafen.“
Darauf gab ſie ihm ein Maͤntelchen und ſprach:
„wenn du das umhaͤngſt, ſo biſt du unſichtbar
und kannſt den Zwoͤlfen dann nachſchleichen.“
Wie der Soldat ſo guten Rath bekommen hatte,
wards Ernſt bei ihm, ſo daß er ſich ein Herz faß-
te, vor den Koͤnig ging, und ſich als Freier mel-
dete. Er ward ſo gut aufgenommen wie die an-
dern auch, und wurden ihm koͤnigliche Kleider an-
gethan. Abends zur Schlafenszeit wurde er in
das Vorzimmer gefuͤhrt, und als er zu Bette ge-
hen wollte, kam die aͤlteſte und brachte ihm einen
Becher Wein, aber er ſchuͤttete ihn heimlich aus,
legte ſich nieder, und als er ein Weilchen gelegen
hatte, fing er an zu ſchnarchen, wie im tiefſten
Schlaf. Das hoͤrten die zwoͤlf Koͤnigstoͤchter,
lachten, und die aͤlteſte ſprach: „der haͤtte auch
ſein Leben ſparen koͤnnen!“ Darnach ſtanden ſie
auf, oͤffneten Schraͤnke, Kiſten und Kaſten, und
holten praͤchtige Kleider heraus, putzten ſich vor
den Spiegeln, ſprangen herum und freuten ſich
auf den Tanz. Nur die juͤngſte ſagte: „ich weiß
nicht, ihr freut euch, aber mir iſt ſo wunderlich zu
Muthe, gewiß widerfaͤhrt uns ein Ungluͤck.“ —
„Du Schneegans, ſagte die aͤlteſte, du fuͤrchteſt
Kindermärchen II. Q
[242] dich immer, haſt du vergeſſen, wie viel Koͤnigs-
ſoͤhne ſchon umſonſt da geweſen ſind; dem Solda-
ten haͤtt’ ich nicht einmal brauchen einen Schlaf-
trunk zu geben, er waͤr’ doch nicht aufgewacht.“
Wie ſie alle fertig waren, kamen ſie erſt zu dem
Soldaten, aber der ruͤhrte und regte ſich nicht,
und wie ſie nun glaubten, ganz ſicher zu ſeyn, ſo
ging die aͤlteſte an ihr Bett und klopfte daran;
alsbald ſank es in die Erde und oͤffnete ſich eine
Fallthuͤr. Da ſah der Soldat, wie ſie hinunter
ſtiegen, eine nach der andern, die aͤlteſte voran,
alſo daß keine Zeit fuͤr ihn zu verlieren war, er
ſich aufrichtete, ſein Maͤntelchen umhing, und
hinter der juͤngſten mit hinab ſtieg. Mitten auf
der Treppe trat er ihr ein wenig aufs Kleid; da
erſchrack ſie und rief: „es iſt nicht richtig, es haͤlt
mich was am Kleid.“ „Stell dich nicht ſo ein-
faͤltig, ſagte die aͤlteſte, du biſt an einem Haken
haͤngen geblieben.“ Da gingen ſie vollends hin-
ab, und wie ſie unten waren, ſtanden ſie in einem
wunderpraͤchtigen Baumgang, da waren alle Blaͤt-
ter von Silber, und ſchimmerten und glaͤnzten.
Der Soldat dachte, du willſt dir ein Wahrzeichen
mitnehmen, und brach einen Zweig davon ab,
da kam ein gewaltiger Knall aus dem Baume.
Die juͤngſte rief wieder: „es iſt nicht richtig, habt
ihr den Knall gehoͤrt, das iſt noch nie hier geſche-
hen.“ Die aͤlteſte aber ſprach: „das ſind Freu-
denſchuͤſſe, weil wir unſere Prinzen bald erloͤſt
[243] haben!“ Sie kamen darauf in einen Baumgang,
wo alle Blaͤtter von Gold, und endlich in einen
dritten, wo ſie klarer Demant waren; von beiden
brach er einen Zweig ab, wobei es jedesmal knall-
te, daß die juͤngſte vor Schrecken zuſammen fuhr,
aber die aͤlteſte blieb dabei, es waͤren Freuden-
ſchuͤſſe. Da gingen ſie weiter bis zu einem gro-
ßen Waſſer, darauf ſtanden zwoͤlf Schifflein, und
in jedem Schifflein ſaß ein ſchoͤner Prinz, die
hatten auf die zwoͤlfe gewartet, und jeder nahm
eine zu ſich, der Soldat aber ſetzte ſich mit der
juͤngſten ein, da ſprach der Prinz: „ich bin doch
ſo ſtark als ſonſt, aber heute iſt das Schiff viel
ſchwerer, und ich muß rudern, was ich kann.“ —
„Wovon ſollt’ das kommen, ſprach die juͤngſte,
als vom warmen Wetter, es iſt mir auch ſo heiß
zu Muth.“ Jenſeits des Waſſers aber ſtand ein
ſchoͤnes hellleuchtendes Schloß, woraus eine luſti-
ge Muſik erſchallte von Pauken und Trompeten;
da hinuͤber ruderten ſie, gingen ein, und jeder
Prinz tanzte mit ſeiner Prinzeſſin; der Soldat
aber tanzte unſichtbar mit, und wenn eine einen
Becher mit Wein hielt, ſo trank er ihn aus, daß
er leer war, wenn ſie ihn an den Mund brachte;
und der juͤngſten ward auch Angſt daruͤber, aber
die aͤlteſte brachte ſie immer zum Schweigen.
Sie tanzten da bis drei Uhr am andern Morgen,
wo alle Schuhe durchgetanzt waren, und ſie auf-
hoͤren mußten. Die Prinzen fuhren ſie uͤber das
Q 2
[244] Waſſer wieder hinuͤber, und der Soldat ſetzte ſich
diesmal vornen hin zur aͤlteſten; am Ufer nah-
men ſie von ihren Prinzen Abſchied und verſpra-
chen in der folgenden Nacht wieder zu kommen.
Als ſie an der Treppe waren, lief der Soldat
voraus, legte ſich ins Bett, und als die Zwoͤlf
langſam und muͤd’ herauf getrippelt kamen,
ſchnarchte er ſchon wieder laut, ſo daß ſie ſpra-
chen: „nun vor dem ſind wir ſicher.“ Da tha-
ten ſie ihre ſchoͤnen Kleider aus, hoben ſie auf,
ſtellten die zertanzten Schuhe unter das Bett und
legten ſich nieder. Am andern Morgen wollte
der Soldat nichts ſagen, ſondern das wunderliche
Weſen noch mehr anſehen, und ging die zweite
und die dritte Nacht wieder mit, und da war al-
les, wie das erſtemal, und ſie tanzten jedesmal
bis die Schuhe entzwei waren; nur das drittemal
nahm er noch einen Becher mit zum Wahrzeichen.
Zu der Stunde nun, wo er antworten ſollte,
nahm er die drei Zweige und den Becher, und
ging vor den Koͤnig, und die Zwoͤlfe ſtanden hin-
ter der Thuͤre und horchten, was er ſagen wuͤrde.
Wie der Koͤnig nun fragte: „wo haben meine
zwoͤlf Toͤchter ihre Schuhe in der Nacht ver-
tanzt?“ antwortete er: „mit zwoͤlf Prinzen in
einem unterirdiſchen Schloß,“ und erzaͤhlte alles
und holte die Wahrzeichen hervor. Da rief der
Koͤnig ſeine Toͤchter und fragte ſie, ob der Sol-
dat die Wahrheit geſagt haͤtte, und da ſie ſahen,
[245] daß ſie verrathen waren und Laͤugnen nichts half,
erzaͤhlten ſie alles. Darauf fragte ihn der Koͤnig,
welche er zur Frau haben wollte? Er antwortete:
„ich bin nicht mehr jung, ſo gebt mir die aͤlteſte.“
Da ward noch an ſelbigem Tage die Hochzeit ge-
halten, und ihm das Reich nach des Koͤnig Tode
verſprochen, aber die Prinzen wurden auf ſo viel
Tage wieder verwuͤnſcht, als ſie Naͤchte mit den
zwoͤlfen getanzt hatten.


48.
Die ſechs Diener.


Eine alte Koͤnigin, die war eine Zauberin,
und hatte die allerſchoͤnſte Tochter unter der Son-
ne, wenn aber ein Freier kam, ſo gab ſie ihm ei-
nen Bund (etwas zu loͤſen) auf, und konnt’ er den
nicht herausbringen, ſo war keine Gnade, er
mußt’ niederknien und das Haupt ward ihm abge-
ſchlagen. Nun geſchah es, daß ein Koͤnigsſohn
um ſie werben wollte, aber ſein Vater ließ es
nicht zu und ſprach: „nein, gehſt du hin, ſo
kommſt du nicht wieder zuruͤck.“ Da legte ſich
der Prinz nieder und ward ſterbenskrank ſieben
Jahre lang; weil nun der Vater ſah, daß er doch
verloren waͤre, ſprach er: „zieh hin, vielleicht biſt
du gluͤcklich.“ Alsbald war er geſund, ſtand auf
von ſeinem Lager und machte ſich auf den Weg.
[246] Nun mußte er auch durch ein Holz, darin ſah er
einen Mann auf der Erde liegen, der war gewal-
tig dick und ordentlich ein kleiner Berg; der
Mann rief ihn aber an und fragte, ob er ihn
wollte zum Diener haben? Der Prinz ſprach:
„was ſoll ich mit einem ſo dicken Mann anfan-
gen; wie biſt du nur ſo dick geworden?“ — „O
das iſt noch gar nichts, wenn ich mich recht aus-
einander thue, bin ich noch dreitauſendmal ſo
dick!“ — „Da komm mit mir,“ ſagte der Prinz.
Die zwei gingen weiter und fanden einen andern,
der lag auf der Erde und hatte das Ohr auf den
Raſen gelegt. „Was machſt du da?“ ſprach der
Prinz. „Ei! ich horche, denn ich kann das Gras
wachſen hoͤren, und alles, was ſich in der Welt
zutraͤgt, und darum werd’ ich der Horcher ge-
nannt.“ „Sag’ mir, was geſchieht eben an der
alten Koͤnigin Hof?“ — „Es wird einem Freier
der Kopf abgeſchlagen, ich hoͤr’ das Schwert ſau-
ſen.“ — „Komm mit mir,“ ſprach der Prinz
und ſie zogen zu dreien weiter. Da fanden ſie
einen, der lag da und war ganz lang, ſo daß
ſie eine gute Strecke gehen mußten, bis ſie von
ſeinen Fuͤßen bis zum Kopf kamen. „Warum
biſt du ſo lang?“ fragte der Prinz. „O, ſagte
er, wenn ich mich ausſtrecke, ſo bin ich noch drei-
tauſendmal ſo lang, und groͤßer, als der hoͤchſte
Berg auf Erden.“ „Komm mit mir,“ ſprach
der Prinz. Da gingen die vier weiter, und fan-
[247] den einen, der ſaß da mit verbundenen Augen.
Der Prinz fragte: „warum haſt du ein Tuch vor
den Augen?“ „Ei, ſprach er, was ich mit mei-
nen Augen anſehe, das ſpringt von einander, dar-
um darf ich ſie nicht offen laſſen.“ — „Komm
mit mir,“ ſagte der Prinz. Da gingen die fuͤnf
weiter und fanden einen, der lag mitten im hei-
ßen Sonnenſchein, und fror und zitterte am gan-
zen Leibe, ſo daß ihm kein Glied ſtill ſtand. Der
Prinz fragte: „wie frierſt du ſo im Sonnen-
ſchein?“ „Ach, ſprach der Mann, je heißer es
iſt, deſto mehr frier’ ich, und je kaͤlter es iſt, de-
ſto heißer wird mir, und mitten im Eis kann ichs
vor Hitze, und mitten im Feuer vor Kaͤlte nicht
aushalten.“ „Komm mit mir,“ ſprach der
Prinz, da gingen die ſechs weiter und fanden ei-
nen Mann, der ſtand da und ſchaute um ſich uͤber
alle Berge hinaus. „Wornach ſiehſt du?“ frag-
te der Prinz. Da ſprach er: „ich habe ſo helle
Augen, daß ich damit weit uͤber Berge und Waͤl-
der und durch die ganze Welt hinausſehen kann.“
„Komm mit mir, ſagte der Prinz, ſo einer fehlte
mir noch.“


Nun zogen die ſieben in die Stadt ein, wo
die ſchoͤne und gefaͤhrliche Jungfrau lebte; der
Prinz aber ging vor die alte Koͤnigin und ſprach,
er wollt’ um ihre Tochter werben. Ja, ſagte ſie,
dreimal will ich dir einen Bund aufgeben, loͤſeſt
du den jedesmal, ſo iſt die Prinzeſſin dein; der
[248] erſte Bund aber iſt, daß du mir einen Ring wie-
der bringſt, den ich ins rothe Meer habe fallen
laſſen.“ Der Prinz ſagte: „den Bund will ich
loͤſen,“ und rief ſeinen Diener mit den hellen Au-
gen, und der ſchaute ins Meer bis auf den
Grund, und ſah den Ring da neben einem Stei-
ne liegen. Darnach kam der Dicke, der ſetzte
ſeinen Mund ans Meer und ließ die Wellen hin-
ein laufen, und trank es aus, daß es trocken ward
wie eine Wieſe; da buͤckte ſich der Lange nur ein
wenig und holte den Ring mit der Hand heraus.
Der Prinz brachte ihn der Alten, die ſprach mit
Verwunderung: „Ja, das iſt der rechte Ring;
einen Bund haſt du geloͤſt, aber nun kommt der
zweite. Siehſt du dort auf der Wieſe vor mei-
nem Schloß, da weiden dreihundert fette Ochſen,
die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und
Hoͤrnern verzehren, und darfſt nicht mehr als ei-
nen einzigen Gaſt dazu einladen, und unten im
Keller, da liegen dreihundert Faͤſſer Wein, die
mußt du dabei austrinken, und bleibt ein Spuͤr-
chen und ein Troͤpfchen uͤbrig, ſo iſt mir dein Le-
ben verfallen.“ Der Prinz ſprach: „Das will
ich vollbringen,“ und ſetzte den Dicken als ſeinen
Gaſt zu ſich, der aß die dreihundert Ochſen auf-
und blieb kein Haar uͤbrig, und trank den Wein
dazu gleich aus den Faͤſſern ſelber, ohne daß er
ein Glas noͤthig hatte. Als die alte Zauberin
das ſah, erſtaunte ſie und ſprach zum Prinzen:
[249] „ſo weit hat’s Keiner gebracht; aber es iſt noch
der dritte Bund uͤbrig, und dachte, ich will dich
ſchon beruͤcken: „Heut Abend bring’ ich die Jung-
frau dir auf die Kammer und in deinen Arm, da
ſollt ihr beiſammen ſitzen, aber huͤt’ dich vor’m
Einſchlafen; ich komme Schlag zwoͤlf Uhr, und
iſt ſie dann nicht mehr in deinen Armen, ſo haſt
du verloren.“ Der Prinz dachte, das iſt ſo
ſchwer nicht, ich will wohl meine Augen nicht zu-
thun; doch Vorſicht iſt immer gut, und als die
ſchoͤne Jungfrau Abends zu ihm gefuͤhrt ward,
hieß er alle ſeine Diener hereinkommen, und der
Lange mußte ſich um ſie herumſchlingen, und der
Dicke ſich vor die Thuͤre ſtellen, daß keine leben-
dige Seele herein konnte. Da ſaßen ſie und die
ſchoͤne Jungfrau ſprach kein Wort, aber der Mond
ſchien durch’s Fenſter auf ihr Angeſicht, daß er
ihre wunderbare Schoͤnheit ſehen konnte. Sie
wachten auch alle mit einander bis elf Uhr, da
ließ die Zauberin einen Schlummer auf ihre Au-
gen fallen, den ſie nicht abwehren konnten. Sie
ſchliefen alle hart bis ein Viertel vor zwoͤlf, und
als ſie erwachten, war die Prinzeſſin fort und von
der Alten entruͤckt. Der Prinz und die Diener
jammerten, aber der Horcher ſprach: „ſeyd ein-
mal ſtill!“ horchte und ſagte: „ſie ſitzt in einem
Felſen dreihundert Stunden von hier und klagt
uͤber ihr Schickſal. Da ſprach der Lange: „ich
will helfen“ und huckte den mit den verbundenen
[250] Augen auf, und wie man die Hand umwendet,
ſtanden ſie vor dem verwuͤnſchten Felſen. Da
nahm der Lange dem andern die Binde ab; kaum
hatte der den Felſen angeſchaut, zerſprang er gleich
in tauſend Stuͤcke, und der Lange holte die Prin-
zeſſin aus der Tiefe, und ſchwang ſich mit ihr in
drei Minuten zuruͤck. Schlag zwoͤlf kam die
Alte und glaubte, den Prinzen ganz gewiß allein
und in Schlaf verſenkt zu finden, aber da war er
munter und ihre Tochter ſaß in ſeinem Arm.
Nun mußte ſie zwar ſtill ſchweigen, aber es war
ihr leid, und die Prinzeſſin kraͤnkte es auch, daß
ſie einer ſollte gewonnen haben, und ließ am an-
dern Morgen dreihundert Malter Holz zuſam-
menſetzen, und ſprach zum Prinzen, er haͤtte
zwar den Bund geloͤſt, ehe ſie ihn aber heirathe,
verlange ſie, daß Jemand ſich mitten in das Holz
ſetze, wenn es angezuͤndet waͤre, und das Feuer
aushalte. Dabei dachte ſie, wenn die Diener
ihm auch alles thaͤten, wuͤrde ſich doch keiner fuͤr
ihn verbrennen, und aus Liebe zu ihr wuͤrde er
ſelber ſich hinein ſetzen, und dann waͤr’ ſie frei.
Wie aber die Diener das hoͤrten, ſprachen ſie:
„wir haben alle etwas gethan, nur der Froſtige
noch nicht“ und nahmen ihn und trugen ihn
ins Holz hinein und ſteckten’s darauf an. Da
hub das Feuer an und brannte drei Tage, bis al-
les Holz verzehrt war, und als es verloſch, ſtand
der Froſtige mitten in der Aſche und zitterte wie
[251] ein Eſpenlaub, und ſprach: „ſo hab’ ich mein Leb-
tage nicht gefroren, und wenn’s laͤnger gedauert
haͤtte, waͤr’ ich erſtarrt.“


Nun mußte ſich die ſchoͤne Jungfrau mit
dem Prinzen vermaͤhlen, als ſie aber nach der
Kirche fuhren, ſprach die Alte: „ich kann’s nim-
mermehr zugeben,“ und ſchickte ihr Kriegsvolk
nach, das ſollte alles niedermachen, und ihr die
Tochter zuruͤckbringen. Der Horcher aber hatte
die Ohren geſpitzt und alles angehoͤrt, was die
Alte geſprochen, und ſagte es dem Dicken, der
ſpeite einmal oder zweimal aus hinter den Wa-
gen, und da entſtand ein groß Waſſer, in dieſem
blieben die Kriegsvoͤlker ſtecken. Als ſie nicht zu-
ruͤck kamen, ſchickte die Alte ganz geharniſchte
Reuter, aber der Horcher hoͤrte ſie kommen und
band dem einen die Augen auf, der guckte die
Feinde ein bischen ſcharf an, und ſie ſprangen aus-
einander wie Glas. Da fuhren ſie ungeſtoͤrt wei-
ter, und als ſie in der Kirche verheirathet und
eingeſegnet waren, nahmen die ſechs Diener ihren
Abſchied und wollten weiter ihr Gluͤck in der Welt
verſuchen.


Eine halbe Stunde vor dem Schloß war ein
Dorf, vor dem huͤtete ein Schweinehirt ſeine
Heerde; wie ſie dahin kamen, ſprach der Prinz
zu ſeiner Frau: „weißt du auch recht, wer ich
bin? ich bin kein Prinz, ſondern ein Schweine-
hirt, und der dort mit der Heerde, das iſt mein
[252] Vater, und nun muͤſſen wir zwei auch daran und
ihm helfen huͤten.“ Dann ſtieg er mit ihr in ein
Wirthshaus ab, und ſagte heimlich zu den
Wirthsleuten, heut’ Nacht ſollten ſie der Prin-
zeſſin die Kleider wegnehmen. Wie ſie nun am
Morgen aufwachte, hatte ſie nichts anzuthun und
die Wirthin gab ihr einen alten Rock und ein
paar alte wollene Struͤmpfe, und that noch, als
waͤrs ein großes Geſchenk. Da glaubte die Prin-
zeſſin, er ſey wirklich ein Schweinehirt, und huͤ-
tete mit ihm die Heerde, und ſprach: „ich habe
es verdient mit meinem Stolz.“ Das dauerte
acht Tage, da konnte ſie es nicht mehr aushalten,
denn die Fuͤße waren ihr ganz wund geworden.
Da kamen ein paar Leute und fragten, ob ſie
recht wuͤßte, wer ihr Mann waͤre? Da ſagte ſie:
„ja, ein Schweinehirt, er iſt eben ausgegangen,
mit ein wenig Band zu handeln.“ Sie baten
ſie aber mitzugehen, und fuͤhrten ſie ins Schloß
hinauf, und wie ſie in den Saal kam, ſtand da
der Prinz in koͤniglichen Kleidern. Sie erkannte
ihn aber nicht, bis er ihr um den Hals fiel und
ſie kuͤßte, und ſprach: „ich habe ſo viel fuͤr dich
gelitten, da haſt du auch fuͤr mich leiden ſollen.“
Nun ward erſt recht die Hochzeit gefeiert, und
der’s erzaͤhlt hat, wollte, er waͤr’ auch dabei ge-
weſen.


[253]

49.
Die weiße und ſchwarze Braut.


Eine Frau ging mit ihrer Tochter und Stief-
tochter uͤber Feld, Futter zu ſchneiden. Da kam
der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen ge-
gangen und fragte: „wo fuͤhrt der Weg ins
Dorf?“ „Ei, ſprach die Mutter, ſucht ihn ſel-
ber,“ und die Tochter ſetzte noch hinzu: „habt
ihr Sorge, daß ihr ihn nicht findet, ſo bringt
euch einen Wegweiſer mit.“ Die Stieftochter
aber ſprach: „armer Mann, ich will dich fuͤhren,
komm mit mir.“ Da erzuͤrnte der liebe Gott
uͤber die Mutter und Tochter, wendete ihnen den
Ruͤcken zu, und verwuͤnſchte ſie, daß ſie ſollten
ſchwarz werden wie die Nacht, und haͤßlich wie
die Suͤnde. Der armen Stieftochter aber ward
Gott gnaͤdig und ging mit ihr, und als ſie nah
am Dorf waren, ſprach er einen Segen uͤber ſie
und ſagte: „waͤhl dir drei Sachen aus, die will
ich dir gewaͤhren.“ Da ſprach das Maͤdchen:
„ich moͤgte gern ſchoͤn werden, wie die Sonne,“
alsbald wurde ſie weiß und ſchoͤn, wie der Tag.
„Dann moͤgte ich einen Geldbeutel haben, der nie
leer wuͤrde;“ den gab ihr der liebe Gott auch,
ſprach aber: „vergiß das Beſte nicht, meine Toch-
ter!“ Sagte ſie: „ich wuͤnſche mir zum dritten
das ewige Himmelreich nach meinem Tode.“ Das
[254] wurde ihr auch zugeſagt, und alſo ſchied der liebe
Gott von ihr.


Wie nun die Stiefmutter mit ihrer Tochter
nach Hauſe kam und ſah, daß ſie beide kohlſchwarz
und haͤßlich waren, die Stieftochter aber weiß
und ſchoͤn, ward ſie ihr im Herzen noch boͤſer und
hatte nur im Sinn, wie ſie ihr ein Leid anthun
koͤnnte. Die Stieftochter aber hatte einen Bru-
der, Namens Reginer, den liebte ſie ſehr und er-
zaͤhlte ihm alles, was geſchehen war. Der Bru-
der mahlte ſich nun ſeine Schweſter ab und hing
das Bild in ſeiner Stube auf, in des Koͤnigs
Schloß, bei dem er Kutſcher war, und alle Tage
ging er davor ſtehen und dankte Gott fuͤr das
Gluͤck ſeiner lieben Schweſter. Nun war aber
gerade dem Koͤnig, bei dem er diente, ſeine Ge-
mahlin verſtorben, welche ſo ſchoͤn geweſen war,
daß man keine finden konnte, die ihr gliche, und
der Koͤnig war daruͤber in tiefer Trauer. Die
Hofdiener ſahen es indeſſen dem Kutſcher ab, wie
er taͤglich vor dem ſchoͤnen Bilde ſtand, misgoͤnn-
tens ihm und meldeten es dem Koͤnig. Da ließ
dieſer das Bild vor ſich bringen, und ſah, daß es
in allem ſeiner verſtorbenen Frau glich, nur noch
ſchoͤner war, ſo daß er ſich ſterblich hinein verlieb-
te, und den Kutſcher fragte, wen das Bild vor-
ſtellte? Als der Kutſcher geſagt hatte, daß es ſei-
ne Schweſter waͤre, entſchloß ſich der Koͤnig, kei-
ne andere, als dieſe, zur Gemahlin zu nehmen,
[255] gab ihm Wagen und Pferde und praͤchtige Gold-
kleider, und ſchickte ihn fort, ſeine erwaͤhlte Braut
abzuholen. Wie der Kutſcher mit der Botſchaft
ankam, freute ſich ſeine Schweſter, allein die
ſchwarze aͤrgerte ſich uͤber alle Maßen vor großer
Eiferſucht, und ſprach zu ihrer Mutter: „was
helfen nun all’ eure Kuͤnſte, da ihr mir kein ſol-
ches Gluͤck verſchaffen koͤnnt.“ Da ſagte die
Alte: „ſey ſtill, ich will dirs ſchon zuwenden,“
und durch ihre Hexenkuͤnſte truͤbte ſie dem Kut-
ſcher die Augen, daß er halb blind war, und der
weißen verſtopfte ſie die Ohren, daß ſie ſchwer
hoͤrte. Darauf ſtiegen ſie in den Wagen, erſt die
Braut in den herrlichen koͤniglichen Kleidern,
dann die Stiefmutter mit ihrer Tochter, und der
Kutſcher ſaß auf dem Bock, um zu fahren. Wie
ſie eine Weile gereiſt waren unterwegs rief der
Kutſcher:


„Deck dich zu, mein Schweſterlein,

daß Regen dich nicht naͤßt,

daß Wind dich nicht beſtaͤubt,

daß du fein ſchoͤn zum Koͤnig kommſt!“

Die Braut fragte: „was ſagt mein lieber Bru-
der?“ „Ach, ſprach die Alte, er hat geſagt, du
ſollteſt dein guͤlden Kleid ausziehen und es deiner
Schweſter geben.“ Da zog ſie’s aus und that’s
der Schwarzen an, die gab ihr dafuͤr einen ſchlech-
ten grauen Kittel. So fuhren ſie weiter, uͤber
ein Weilchen rief der Bruder wieder:


[256]
„Deck dich zu, mein Schweſterlein,

daß Regen dich nicht naͤßt,

daß Wind dich nicht beſtaͤubt

und du fein ſchoͤn zum Koͤnig kommſt!“

Die Braut fragte: „was ſagt mein lieber Bru-
der?“ „Ach, ſprach die Alte, er hat geſagt, du
ſollteſt deine guͤldne Haube abthun und deiner
Schweſter geben.“ Da that ſie die Haube ab
und der Schwarzen auf, und ſaß im bloßen Haar.
So fuhren ſie weiter; wiederum uͤber ein Weil-
chen rief der Bruder:


„Deck dich zu, mein Schweſterlein,

daß Regen dich nicht naͤßt,

daß Wind dich nicht beſtaͤubt

und du fein ſchoͤn zum Koͤnig kommſt!“

Die Braut fragte: „was ſagt mein lieber Bru-
der?“ „Ach, ſprach die Alte, er hat geſagt, du
moͤgteſt einmal aus dem Wagen ſehen.“ Sie
fuhren aber gerade uͤber ein tiefes Waſſer, wie
nun die Braut aufſtand und aus dem Fenſter ſah,
da ſtießen ſie die beiden andern hinaus, daß ſie
gerad’ ins Waſſer fiel, ſie verſank auch, aber in
demſelben Augenblick ſtieg eine ſchneeweiße Ente
hervor und ſchwamm den Fluß hinab. Der Bru-
der hatte gar nichts davon gemerkt und fuhr den
Wagen weiter, bis ſie an den Hof kamen, da
brachte er dem Koͤnig die Schwarze als ſeine
Schweſter, und meinte auch, ſie waͤr’s, weil es
ihm
[257] ihm truͤb vor den Augen war und er doch die
Goldkleider ſchimmern ſah. Der Koͤnig, wie er
die grundloſe Haͤßlichkeit an ſeiner vermeinten
Braut erblickte, ward ſehr boͤs und befahl den
Kutſcher in eine Grube zu werfen, die voll
Ottern und Schlangen-Gezuͤcht war. Die alte
Hexe aber wußte den Koͤnig doch ſo zu beſtricken
und ihm die Augen zu verblenden, daß er ſie und
ihre Tochter behielt und zu ſich nahm, bis daß ſie
ihm ganz leidlich vorkam und er ſich wirklich mit
ihr verheirathete.


Einmal Abends ſaß die ſchwarze Braut dem
Koͤnig auf dem Schoos, da kam eine weiße Ente
zum Goſſenſtein in die Kuͤche geſchwommen und
ſagte zum Kuͤchenjungen:


„Juͤngelchen mach Feuer an,

Daß ich meine Federn waͤrmen kann!“

Das that der Kuͤchenjunge und machte ihr ein
Feuer auf dem Heerd, da kam die Ente, ſchuͤt-
telte ſich und ſetzte ſich daneben und ſtrich ſich die
Federn mit dem Schnabel zurecht. Waͤhrend ſie
ſo ſaß und ſich wohlthat, fragte ſie:


„Was macht mein Bruder Reginer?“

Der Kuͤchenjunge antwortete:


„Liegt tief bei Ottern und Schlangen.“

Fragte ſie:


„Was macht die ſchwarze Hex im Haus?“

Kindermärchen II. R
[258]

Der Kuͤchenjunge antwortete:


„Die ſitzt warm ins Koͤnigs Arm.“

Sagte die Ente:


„Daß Gott erbarm!“

und ſchwamm den Goſſenſtein hinaus.


Den folgenden Abend kam ſie wieder und
that dieſelben Fragen und den dritten Abend noch
einmal. Da konnte es der Kuͤchenjunge nicht
laͤnger uͤbers Herz bringen und ſagte dem Koͤnig
alles. Der Koͤnig aber ging den andern Abend
hin und wie die Ente den Kopf durch den Goſſen-
ſtein herein ſtreckte, nahm er ſein Schwert und
hieb ihr den Hals durch, da wurde ſie auf einmal
zum ſchoͤnſten Maͤdchen, und glich genau dem
Bild, das der Bruder von ihr gemacht hatte.
Der Koͤnig aber war voll Freuden und weil ſie
ganz naß daſtand, ließ er ihr koͤſtliche Kleider
bringen, als ſie die angethan hatte, erzaͤhlte ſie
ihm, wie ſie in den Fluß war hinab geworfen wor-
den, und die erſte Bitte, die ſie that, war, daß ihr
Bruder aus der Schlangenhoͤhle herausgeholt
wuͤrde, welches auch gleich geſchah. Aber der
Koͤnig ging in die Kammer, wo die alte Hexe
ſaß, und fragte: „was verdient die, welche das
und das thut?“ indem er den ganzen Hergang
erzaͤhlte. Da war ſie verblendet, merkte nichts
und ſprach: „die verdient, daß man ſie nackt aus-
zieht und in ein Faß mit Naͤgeln legt und vor das
[259] Faß ein Pferd ſpannt und das Pferd in alle Welt
ſchickt.“ Alles das geſchah nun an ihr und ihrer
ſchwarzen Tochter, der Koͤnig heirathete die
ſchoͤne Braut und belohnte den treuen Bruder,
indem er ihn zu einem reichen und angeſehenen
Mann machte.


50.
De wilde Mann.


Et was emoel en wilden Mann’, de was
verwuͤnſket un genk bie de Bueren in den Goren
(Garten) un in’t Korn un moek alles do Schande.
Do klagden ſe an eeren Gutsheeren, ſe koͤnnen
eere Pacht nig mehr betalen un do leit de Guts-
heer alle Jaͤgers bie ene kummen, we dat Dier
fangen koͤnne, de ſoll ne graute Belohnung heb-
ben. Do kuͤmmt do en ollen Jaͤger an, de ſegd,
he wuͤll dat Dier wull fangen; do woͤtt ſe em ne
Pulle met Fuſel (Branntwein) un ne Pulle met
Wien un ne Pulle met Beer gierwen (geben),
de ſettet he an dat Water, wo ſick dat Dier alle
Dage waͤſkt. Un do geit he achter en Baum
ſtohn, do kuͤmmt dat Dier un drinket ut de Pul-
len, do leckt et alle de Mund un kickt heruͤm, ov
dat auck well ſuͤht. Do werd et drunken, un do
geit et liegen un ſchloͤpd; do geit de Jaͤger to un
bind et an Haͤnden un Foͤten, do weckt he et wier
up un ſegd: „du wilde Mann, goh met, ſoͤk ſaſt
R 2
[260] du alle Dage drinken.“ Do nimmt he et mit
noh dat adlicke Schloß, do ſettet ſe et do in den
Thornt un de Heer geit to andre Nobers, de ſoͤllt
ſeihn (ſehen), wat he foͤr’n Dier fangen hed.
Do ſpierlt ene von de jungen Heerens met’n Ball
un let de in den Thornt fallen un dat Kind ſegd:
„wilde Mann, ſchmiet mie den Ball wier to;“
do ſegd de wilde Mann: „den Ball moſt du ſoͤlvſt
wier hahlen.“ „Je, ſegd dat Kind, ick heve
kinen Schluͤrtel.“ — „Dann mack du, dat du
bie dien Moder eere Taſken kuͤmmſt un ſtehl eer
den Schluͤrtel.“ — Do ſchluͤt dat Kind den
Thornt orpen un de wilde Mann loͤpd derut; do
faͤnk dat Kind an to ſchreien: „o wilde Mann,
bliev doch hier, ick kriege ſuͤs Schlaͤge.“ Do
niermt de wilde Mann dat Kind up de Nacken
un lopd darmet de Wildniß herin: de wilde
Mann was weg, dat Kind was verloren! De
wilde Mann de tuͤt dat Kind en ſchlechten Kiel
(Kittel) an un ſchickt et noh den Goͤrner an den
Kaiſers Hof, do mot et frogen: ov de kinen Goͤr-
ners-Jungen van dohn (noͤthig) hed? Do ſegd
de, he woͤre ſo ſchmeerig antrocken, de annern
wullen nig bie em ſchlopen. Do ſeg he, he wull
in’t Strauh liegen, un geit alltied des Morgens
froͤh in den Goren, do kuͤmmt em de wilde Mann
entgiergen, do ſeg he: „nu waſke die, nu kaͤmme
die!“ nu de wilde Mann maͤckt de Goren ſo ſchoͤn,
dat de Goͤrner et ſoͤlvſt nig ſo gut kann. Un de
[261] Prinzeſſin ſuͤt alle Morgen den ſchoͤnen Jungen,
do ſeg ſe to den Goͤrner, de kleine Lehrjunge ſoͤll
eer en Buſk Blomen brengen. Un ſe froͤg dat
Kind, van wat foͤr Standt dat et woͤre; do ſeg
et, ja, dat wuͤs et nig, do giv ſe em en broden
Hohn vull Ducoeten. Es he in kuͤmmt, giv he
dat Geld ſinen Heeren un ſeg: „wat ſall ick do
met dohn, dat bruckt ji men.“ Un he moſte eer
noh enen Buſk Blomen brengen, do giv ſe em ne
Aant (Ente) vull Ducoeten, de giv he wier an
ſinen Heeren. Un do noh en moel, do giv ſe em
ne Gans vull Ducoeten, de giv de Junge wier
an ſinen Heeren. Do ment de Prinzeſſin, he
hev Geld un he hev nix, un do hierothet ſe em in’t
geheem, un do weeret eere Oeldern ſo beiſe un
ſetten ſe in dat Brauhuſe, do mot ſe ſick met ſpin-
nen ernaͤhren, un he geit in de Kuͤcke un helpt
den Kock de Broden dreien un ſteld manxden (zu-
weilen) en Stuͤck Fleeſk un brengd et an ſine
Frau.


Do kuͤmmt ſo’n gewoltigen Krieg in Engel-
land, wo de Kaiſer hin mott un alle de grauten
Heerens, do ſeg de junge Mann, he wull do auck
hen, ov ſe nig noh en Perd in Stall hedden, un
ſe ſaden, ſe hedden noh ent, dat goͤnk up drei
Beenen, dat woͤr em gut genog. He ſettet ſick
up dat Perd, dat Perd dat geit alle: huſepus!
huſepus! Do kuͤmmt em de wilde Mann in de
moͤte (entgegen), do doͤt ſick ſo’n grauten Berg
[262] up, do ſind wull duſend Regimenter Soldaten
un Offzeers in, do daͤt he ſchoͤne Kleeder an un
krigd ſo’n ſchoͤn Perd. Do tuͤt he met alle ſin
Volk in den Krieg noh Engelland, de Kaiſer en-
faͤnk en ſo froͤndlick un begerd en, he moͤg em doh
bieſtoen. He gewinnt de Schlacht un verſchleit
alles. Do daͤt ſick de Kaiſer ſo bedanken voͤr em
un fraͤgd, wat he foͤr’n Heer woͤre, he ſegd:
„dat froget mie men nig, dat kann ick ju nig
ſeggen.“ He ritt met ſin Volk wier ut Engel-
land, do kuͤmmt em de wilde Mann wier entgier-
gen un doͤt alle dat Volk wier in den Berg, un
he geit wier up ſien dreibeenige Perd ſitten. Do
ſeget de Luide: „do kuͤmmt uſſe Hunkepus wier
an met dat dreibeenige Perd,“ un ſe froget: „wo
heſt du achter de Hierge (Hecke) laͤgen un heſt
ſchlopen?“ „Je, ſegd he, wenn ick der nig woͤr
weſt, dann haͤdde et in Engelland nig gut gohn!“
Se ſegget: „Junge, ſchwieg ſtille, ſuͤs giv die
de Heer wat upd’ Jack. — Un ſo genk et noh
tweenmoel un ton derdenmoel gewient he alles;
do kreeg he en Stick in den Arm, do niermt de
Kaiſer ſinen Dock (Tuch) un verbind em de
Wunden. Do neidigt (noͤthigt) ſe em, he moͤg
do bliewen, „ni, ick bliewe nig bie ju, un wat
ick ſin, geit ju nig an.“ Do kuͤmmet em de
wilde Mann wier entgiergen un deih alle dat
Volk wier in den Berg un he genk wier up ſin
Perd ſitten un genk wier noh Hues. Do lachten
[263] de Luide und ſegden: „do kuͤmmt uſſe Hunkepus
wier an, wo heſt du doh laͤgen un ſchlopen?“
He ſeg: „ick heve foͤrwohr nig ſlopen, nu is ganz
Engelland gewunnen un et is en wohren Frerden
(Frieden).“


Do ſegde de Kaiſer von den ſchoͤnen Ritter,
de em hev bieſtohen; do ſeg de junge Mann to en
Kaiſer: „woͤre ick nig bie ju weſt, et woͤre nig
guet gahen.“ Do will de Kaiſer em wat upn
Buckel gierwen, „ji, ſeg he, wenn ji dat nig
gleiwen willt, will ick ju minen Arm wieſen un
aſſe he den Arm wieſt un aſſe de Kaiſer de Wunde
ſuͤt, do wert he gans verwuͤndert un ſegd: „vil-
licht buͤſt du Gott ſoͤlvſt ader en Engel, den mie
Gott toſchickt hev un bat em uͤm Verzeihnuͤß,
dat he ſo grov met em handelt haͤdde, un ſchenket
em ſin ganſe Kaiſers Gut. Un de wilde Mann
was erloͤſet un ſtund aſe en grauten Kuͤnig foͤr em
un vertelde em de ganſe Sacke un de Berg was
en gans Kuͤnigs-Schloß un he trock met ſine Frau
derup un lerweten vergnoͤgt bis an eeren Daud.


51.
De drei ſchwatten Princeſſinnen.


Oſtindien was von den Fiend belagert, he
wull de Stadt nig verloeten, he wull erſten 600
Dahler hebben. Do leiten ſe dat ut trummen:
well de ſchaffen koͤnne, de ſoll Boͤrgemeſter weren.
[264] Do was der en armen Fiſker, de fiſkede up de
See mit ſinen Sohn, do kam de Fiend un nam
den Sohn gefangen und gav em dofoͤr 600 Dah-
ler. Do genk de Vader hen un gav dat de Hee-
rens in de Stadt un de Fiend trock av un de
Fiſker wurde Boͤrgemeſter. Do word utropen,
wer nig Heer Boͤrgemeſter ſegde, de ſoll an de
Galge richtet weren.


De Sohn de kam de Fiend wier ut de Haͤnde
un kam in en grauten Wold up en haujen Berg,
de Berg de deih ſick up, da kam he in en graut
verwuͤnſket Schloß, woin Stohle, Diſke un
Baͤnke alle ſchwatt behangen woͤren. Do queimen
drei Princeſſinnen, de gans ſchwatt antrocken woͤ-
ren, de men en luͤck (wenig) witt in’t Geſicht haͤd-
den, de ſegden to em, he ſoll men nig bange ſien,
ſe wullen em nix dohn, he koͤnn eer erloͤſen. Do
ſeg he, je dat wull he gern dohn, wann he men
wuͤſte, wo he dat macken ſoͤll? Do ſegget ſe: he
ſoͤll en gans Johr nig met en kuͤhren (ſprechen)
nu ſoͤll ſe auck nig anſeihen; wat he gern hebben
wull, dat ſoͤll he men ſeggen, wann ſe Antwort
gierwen droͤfden (geben duͤrften), wullen ſe et
dohn. As he ne Tied lang der weſt was, ſede
he, he wull aſſe gern noh ſin Vader gohn, da
ſegget ſe, dat ſoͤll he men dohn, duͤſſen Buel
(Beutel) met Geld ſoͤll he mer niermen, duͤſſe
Kleder ſoͤll he antrecken un in 8 Dage moͤſt he
der wier ſien.


[265]

Do werd he upnurmen (aufgehoben) un is
glick in Oſtindien, do kann he ſin Vader in de
Fiſkhuͤtte nig mer finden un froͤg de Luide, wo
doh de arme Fiſker blierwen woͤre, do ſegget ſe,
dat moͤſt he nig ſeggen, dann queim he an de
Galge. Do kuͤmmt he bie ſin Vader, do ſeg he:
„Fiſker, wo ſin ji do to kummen?“ Do ſeg de:
dat moͤtt ji nig ſeggen, wann dat de Heerens van
de Stadt gewahr weeret, kuͤmme ji an de Galge,“
He willt ober gar nig loten, he werd noh de
Galge bracht; es he do is, ſeg he: „o mine
Heerens, gierwet mie doh Verloͤv, dat ick noh
de olle Fiſkhuͤtte gohn mag.“ Do tuͤt he ſinen
ollen Kiel an, do kuͤmmt he wier noh de Heerens
un ſeg: „ſeih ji et nu wull, ſin ick nig en armen
Fiſker ſinen Sohn? in duͤt Tueg heve ick minen
Vader un Moder dat Braud gewunnen.“ Do
erkennet ſe en un badden uͤm Vergiebnuͤß un
niermt en met noh ſin Hues, do verteld he alle wuͤ
et em gohn hev, dat he woͤre in en Wold kum-
men up en haujen Berg, do haͤdde ſick de Berg
updohn, do woͤre he in en verwuͤnſket Schloß
kummen, wo alles ſchwatt weſt woͤre un drei
Princeſſinnen woͤren der an kummen, de woͤren
ſchwatt weſt, men en luͤck witt in’t Geſicht. De
haͤdden em ſegd, he ſoͤll nig bange ſien, he koͤnn
eer erloͤſen. Do ſeg ſine Moder: dat moͤg wull
nig gut ſien, he ſoll ne gewiehte Waſſkeefze met
[266] niermen un draͤppen (tropfen) eer gleinig (gluͤ-
hend) Waſſ in’t Geſicht.


He geit wier hen un do gruelte (graute)
em ſo, un he druͤppde eer Waſſ in’t Geſicht, aſſe
ſe ſleipen, un ſe woͤren all halv witt: do ſpruͤn-
gen alle de drei Princeſſinnen up un ſegden: „de
verfluchte Hund, uſſe Bloet ſoll oͤrfer die Rache
ſchreien, nu is kin Menſk up de Welt geboren,
un werd geboren, de us erloͤſen kann, wie hevet
noh drei Broͤders, de ſind in ſiewen Ketten anſchloe-
ten, de ſoͤllt die terrieten. Do givd et en Gekrieſk
in’t ganſe Schloß un he ſprank noh ut dat Fenſter
un terbrack dat Been un dat Schloß ſunk wier in
den Grunde, de Berg was wier to, un nuͤmmes
wuſt, wo et weſt was.


52.
Knoiſt un ſine dre Suͤhne.


Twiſken Werrel un Soiſt, do wuhnde ’n
Mann un de hede Knoiſt, de hadde dre Suͤhne,
de eene was blind, de annre was lahm un de
dridde was ſplenternaket. Do gingen ſe mohl
oͤwer Feld, do ſehen ſe eenen Haſen. De blinne
de ſchoͤt en, de lahme de fienk en, de nackede de
ſtack en in de Taſken. Do kaͤimen ſe fuͤr cen
groot allmaͤchtig Waater, do wuren dre Schippe
uppe, dat eene dat rann, dat annre dat ſank,
[267] dat dridde, do was keen Buoden inne. Wo keen
Buoden inne was, do gingen ſe olle dre inne:
do kaͤimen ſe an eenen allmaͤchtig grooten Walle
(Wald), do was een groot allmaͤchtig Boom
inne, in den Boom was eene allmaͤchtig groote
Capelle, in de Capelle was een hageboͤcken Koͤſter
un een bußboomen Paſtoer, de deelden dat Wig-
gewaater mit Knuppeln uit.


Sielig is de Mann,

de den Wiggewaater entlaupen kann.

53.
Dat Maͤken von Brakel.


Et gink mal ’n Maͤken von Brakel na de
ſuͤnt Annen Capellen unner de Hinnenborg un
weil et gierne ’n Mann heven wulle un ock meinde,
et waͤre ſuͤs neimes in de Capellen, ſau ſank et:


„O hilge ſuͤnte Anne!

help mie doch bald tom Manne,

du kennſt ’n ja wull,

he wuhnt var’m Suttmer Dore,

hed gele Hore:

du kennſt ’n ja wull!“

De Koͤſter ſtand awerſt huͤnner den Altare un
hoͤre dat, da rep he mit ’ner gans ſchroͤgerigen
Stimme: „du kriggſt’n nig! du kriggſt’n nig!“
Dat Maͤken awerſt meinde, dat Marienkinneken
dat bie de Mudder Anne ſteiht, hedde uͤm dat to
[268] ropen, da wor et beuſe un reip: „Pepperlepep,
dumme Blae, halt de Schnuten, un lat de
Moͤhme kuͤhren (die Mutter reden).


54.
Das Hausgeſinde.


„Wo wuſt du henne?“ — „Nah Wal-
pe
!“ — „Ick nah Walpe, du nah Walpe;
ſam, ſam, goh wie dann!“


„Haͤſt du auck ’n Mann? wie hedd din
Mann?“ — „Cham!“ — „Min Mann
Cham, din Mann Cham; ick nah Walpe, du
nah Walpe; ſam, ſam, goh wie dann!“


Haͤſt du auck ’n Kind? wie hedd din Kind?“
— „Grind!“ — „Min Kind Grind, din
Kind Grind; min Mann Cham, din Mann
Cham; ick nah Walpe, du nah Walpe; ſam,
ſam, goh wie dann!“


„Haͤſt du auck ’n Weige? wie hedd dine
Weige?“ — „Hippodeige!“ — „Mine
Weige Hippodeige, dine Weige Hippodeige; min
Kind Grind, din Kind Grind; min Mann Cham,
din Mann Cham; ick nah Walpe, du nah Walpe;
ſam, ſam, goh wie dann!“


„Haͤſt du auck ’n Knecht? wie hedd din
Knecht?“ — „Mach mirs recht!“ —
„Min Knecht Mach mirs recht, din Knecht
[269] Mach mirs recht; mine Weige Hippodeige, dine
Weige Hippodeige; min Kind Grind, din Kind
Grind; min Mann Cham, din Mann Cham;
ick nah Walpe, du nah Walpe; ſam ſam, goh
wie dann!“


55.
Das Laͤmmchen und Fiſchchen.


Es war einmal ein Bruͤderchen und Schwe-
ſterchen, die hatten ſich herzlich lieb, ihre rechte
Mutter war aber todt und ſie hatten eine Stief-
mutter, die war ihnen nicht gut, und that ihnen
heimlich alles Leid an. Es trug ſich zu, daß die
zwei mit andern Kindern auf einer Wieſe vor
dem Haus ſpielten, und an der Wieſe war ein
Teich, der ging bis an die eine Seite vom Haus.
Die Kinder liefen da herum, kriegten ſich und
ſpielten Abzaͤhlens:


„Enecke, Benecke, lat mie liewen,

will die ock min Vuͤgelken giewen.

Vuͤgelken ſall mie Strau ſoͤken,

Strau will ick den Koͤſeken giewen,

Koͤſeken ſall mie Melk giewen,

Melk will ick den Baͤcker giewen,

Baͤcker ſall mie ’n Kocken backen,

Kocken will ick den Kaͤtken giewen,

Kaͤtken ſall mie Muͤſe fangen,

Muͤſe will ick in’n Rauck hangen

un will ſe anſchnien.“

[270]

Dabei ſtanden ſie in einem Kreis und auf welchen
nun das Wort: „anſchnien“ fiel, der mußte
fortlaufen, und die andern liefen ihm nach und
fingen ihn. Wie ſie ſo froͤhlich dahinſprangen,
ſah’s die Stiefmutter vom Fenſter mit an und
aͤrgerte ſich. Weil ſie aber Hexenkuͤnſte verſtand,
ſo verwuͤnſchte ſie beide, das Bruͤderchen in einen
Fiſch und das Schweſterchen in ein Lamm. Da
ſchwamm das Fiſchchen im Teich hin und her und
war traurig und das Laͤmmchen ging auf der
Wieſe hin und her und war traurig und fraß
nicht und ruͤhrte kein Haͤlmchen an. So ging
eine lange Zeit hin, da kamen fremde Gaͤſte auf
das Schloß. Die falſche Stiefmutter dachte,
jetzt iſt die Gelegenheit gut, rief den Koch und
ſprach zu ihm: „geh und hol das Lamm von der
Wieſe und ſchlachts, wir haben ſonſt nichts fuͤr
die Gaͤſte.“ Da ging der Koch hin und holte das
Laͤmmchen und fuͤhrte es in die Kuͤche, band ihm
die Fuͤßchen, das litt es alles geduldig, und wollts
abſtechen. Wie er nun ſein Meſſer herausgezo-
gen hatte und auf der Schwelle wetzte, ſah es,
wie ein Fiſchlein in dem Waſſer vor dem Goſſen-
ſtein hin- und herſchwamm und zu ihm hinauf-
blickte. Das war aber das Bruͤderchen, denn als
das Fiſchchen geſehen hatte, wie der Koch das
Laͤmmchen fortfuͤhrte, war es mitgeſchwommen
im Teich bis zum Haus. Da rief das Laͤmmchen
hinab:


[271]
„Ach Bruͤderchen im tiefen See!

wie thut mir doch mein Herz ſo weh!

der Koch der wetzt das Meſſer,

will mir mein Herz durchſtechen!“

Das Fiſchchen antwortete:


„Ach Schweſterchen in der Hoͤh:

wie thut mir doch mein Herz ſo weh

in dieſer tiefen See!“

Wie der Koch hoͤrte, daß das Laͤmmchen ſprechen
konnte und ſo traurige Worte zu dem Fiſchchen
hinabrief, erſchrack er und dachte, es muͤßte kein
natuͤrliches Laͤmmchen ſeyn, ſondern von der boͤſen
Frau im Haus verwuͤnſcht. Da ſprach er: „ſey
ruhig, ich will dich nicht ſchlachten,“ nahm ein
anderes Thier und bereitete das fuͤr die Gaͤſte und
brachte das Laͤmmchen zu einer guten Baͤuerin,
der erzaͤhlte er alles, was er geſehen und gehoͤrt
hatte. Die Baͤuerin war aber gerade die Amme
von dem Schweſterchen geweſen, vermuthete
gleich, wer’s ſeyn wuͤrde, und ging mit ihm zu
einer weiſen Frau. Da ſprach die weiſe Frau
einen Segen uͤber das Laͤmmchen und Fiſchchen,
wovon ſie ihre menſchliche Geſtalt wieder bekamen
und darnach fuͤhrte ſie ſie beide in einen großen
Wald in ein klein Haͤuschen, wo ſie zufrieden und
gluͤcklich lebten.


[272]

56.
Simeliberg.


Es waren zwei Bruͤder, einer war reich, der
andere arm. Der reiche aber gab dem Armen
nichts und er mußte ſich vom Kornhandel kuͤm-
merlich ernaͤhren, da ging es ihm oft ſo ſchlecht,
daß er fuͤr ſeine Frau und Kinder kein Brot
hatte. Einmal fuhr er mit ſeinem Karren durch
den Wald, da ſah er zur Seite einen großen kah-
len Berg und weil er den noch nie geſehen hatte,
verwunderte er ſich, hielt ſtill und betrachtete ihn.
Wie er ſo ſtand, kamen zwoͤlf wilde große Maͤn-
ner, weil er nun glaubte, das waͤren Raͤuber,
ſchob er ſeinen Karren ins Gebuͤſch und ſtieg auf
einen Baum, und wartete, was da geſchehen
wuͤrde. Die zwoͤlf Maͤnner gingen aber vor den
Berg und riefen: „Berg Semſi! Berg
Semſi! thu dich auf.“ Alsbald that ſich der
kahle Berg in der Mitte von einander und die
zwoͤlfe gingen hinein und wie ſie drin waren,
ſchloß er ſich zu. Ueber eine kleine Weile aber,
thaͤt er ſich wieder auf und die Maͤnner kamen
mit ſchweren Saͤcken auf dem Ruͤcken heraus und
wie ſie alle wieder am Tageslicht waren, ſprachen
ſie: „Berg Semſi! Berg Semſi! thu dich
zu!“ Da fuhr der Berg zuſammen und war
kein Eingang mehr an ihm zu ſehen, und die
Zwoͤlfe gingen fort. Als ſie ihm nun ganz aus
den
[273] den Augen waren, ſtieg der Arme vom Baum
herunter, und war neugierig, was wohl im
Berge heimliches verborgen waͤre. Alſo ging er
davor und ſprach: „Berg Semſi! Berg Sem-
ſi
! thu’ dich auf!“ und der Berg that ſich auch
vor ihm auf. Da trat er hinein und der ganze
Berg war eine Hoͤhle voll Silber und Gold und
hinten lagen große Haufen Perlen und leuchtende
Edelſteine wie Korn aufgeſchuͤttet. Der Arme
wußte gar nicht, was er anfangen ſollte, und ob
er ſich etwas von den Schaͤtzen nehmen duͤrfte;
endlich fuͤllte er ſich die Taſchen mit Gold, die
Perlen und Edelſteine aber ließ er liegen. Als er
wieder herauskam, ſprach er gleichfalls: „Berg
Semſi! Berg Semſi! thu’ dich zu!“ da
ſchloß ſich der Berg, und er fuhr nun mit ſeinem
Karren nach Haus. Nun brauchte er nicht mehr
zu ſorgen, und konnte mit ſeinem Golde, fuͤr Frau
und Kind, Brot und auch Wein dazu kaufen,
lebte froͤhlich und redlich, gab den Armen und
that Jedermann Gutes; als aber das Gold all’
war, ging er zu ſeinem Bruder, lieh einen Schef-
fel, und holte ſich von neuem; doch ruͤhrte er von
den großen Schaͤtzen nichts an. Wie er ſich zum
dritten Mal etwas holen wollte, borgte er bei
ſeinem Bruder wieder den Scheffel. Der Reiche
war aber ſchon lange neidiſch uͤber ſein Vermoͤgen
und den ſchoͤnen Haushalt, den er ſich eingerich-
tet hatte, und konnte nicht begreifen, woher der
Kindermärchen II. S
[274] Reichthum kaͤme und was ſein Bruder mit dem
Scheffel anfing. Da dachte er eine Liſt aus, und
beſtrich den Boden mit Pech, und wie er das Maaß
wieder bekam, ſo war ein Goldſtuͤck darin haͤngen
geblieben. Alsbald ging er zu ſeinem Bruder und
fragte ihn: „was haſt du mit dem Scheffel ge-
meſſen?“ „Korn und Gerſte,“ ſagte der andere.
Da zeigte er ihm das Goldſtuͤck und drohte ihm,
wenn er nicht die Wahrheit ſagte, ſo wollt’ er ihn
beim Gericht verklagen. Er erzaͤhlte ihm nun
alles, wie es zugegangen war, der Reiche aber
ließ gleich einen Wagen anſpannen, fuhr hinaus,
und dachte ganz andere Schaͤtze mitzubringen.
Wie er vor den Berg kam, rief er: „Berg
Semſi! Berg Semſi! thu’ dich auf!“ der
Berg that ſich auf und er ging hinein. Da lagen
die Reichthuͤmer alle vor ihm, und er wußte lange
nicht, wozu er am erſten greifen ſollte, endlich
lud er Edelſteine auf, ſo viel er tragen konnte und
wollte ſie hinausbringen. Er kehrte alſo um, weil
aber Herz und Sinn ganz voll von den Schaͤtzen
waren, hatte er daruͤber den Namen des Bergs
vergeſſen, und rief: „Berg Semeli! Berg
Semeli! thu’ dich auf!“ Aber das war der
rechte Name nicht und der Berg regte ſich nicht
und blieb verſchloſſen. Da ward ihm Angſt, aber
je laͤnger er nachſann, deſto mehr verwirrten ſich
ſeine Gedanken und halfen ihm alle Schaͤtze nichts
mehr. Am Abend that ſich der Berg auf und
[275] die zwoͤlf Raͤuber kamen herein, und als ſie ihn
ſahen, waren ſie froh und riefen: „Vogel, haben
wir dich endlich, meinſt du wir haͤtten’s nicht ge-
merkt, daß du zwei Mal hereingekommen biſt,
aber wir konnten dich nicht fangen, zum dritten
Mal ſollſt du nicht wieder heraus.“ Da rief er:
ich war’s nicht; mein Bruder war’s!“ aber er
mogte bitten um ſein Leben, und ſagen was er
wollte, ſie ſchlugen ihm das Haupt ab.


57.
Die Kinder in Hungersnoth.


Es war einmal eine Frau mit ihren zwei
Toͤchtern in ſolche Armuth gerathen, daß ſie auch
nicht ein Bischen Brot mehr in den Mund zu
ſtecken hatten. Wie nun der Hunger bei ihnen
ſo groß ward, daß die Mutter ganz außer ſich
und in Verzweiflung gerieth, ſprach ſie zu der
aͤlteſten: „ich muß dich toͤdten, damit ich etwas
zu eſſen habe.“ Die Tochter ſagte: „ach, liebe
Mutter, ſchont meiner, ich will ausgehen und
ſehen, daß ich etwas zu eſſen kriege ohne Bet-
telei.“ Da ging ſie aus, kam wieder, und hatte
ein Stuͤckchen Brot eingebracht, das aßen ſie
miteinander, es war aber zu wenig, um den Hun-
ger zu ſtillen. Darum hub die Mutter zur andern
Tochter an: „ſo mußt du daran.“ Sie antwortete
aber: „ach, liebe Mutter, ſchont meiner, ich
S 2
[276] will gehen und unbemerkt etwas zu eſſen anders-
wo ausbringen.“ Da ging ſie hin, kam wieder
und hatte zwei Stuͤckchen Brot eingebracht; das
aßen ſie mit einander, es war aber zu wenig, um
den Hunger zu ſtillen. Darum ſprach die Mut-
ter nach etlichen Stunden abermals zu ihnen:
ihr muͤſſet doch ſterben, denn wir muͤſſen ſonſt
verſchmachten.“ Darauf antworteten ſie: „liebe
Mutter, wir wollen uns niederlegen und ſchla-
fen, und nicht eher wieder aufſtehen, als bis der
juͤngſte Tag kommt.“ Da legten ſie ſich hin und
ſchliefen einen tiefen Schlaf, aus dem ſie nie-
mand erwecken konnte, die Mutter aber iſt weg-
gekommen und weiß kein Menſch, wo ſie geblie-
ben iſt.


58.
Das Eſelein.


Es lebte einmal ein Koͤnig und eine Koͤnigin,
die waren reich, und hatten alles, was ſie ſich
wuͤnſchten, nur keine Kinder. Daruͤber klagte ſie
Tag und Nacht und ſprach: „ich bin wie ein Acker,
auf dem nichts waͤchſt.“ Endlich erfuͤllte Gott ihre
Wuͤnſche, als das Kind aber zur Welt kam, ſah’s
nicht aus wie ein Menſchenkind, ſondern war ein
junges Eſelein. Wie die Mutter das erblickte,
fing ihr Jammer und Geſchrei erſt recht an, ſie
haͤtte lieber gar kein Kind gehabt, als einen Eſel,
[277] und ſagte, man ſollt’s in’s Waſſer werfen, da-
mit’s die Fiſche fraͤßen. Der Koͤnig aber ſprach:
„nein, hat Gott ihn gegeben, ſoll er auch mein
Sohn und Erbe ſeyn, nach meinem Tod auf dem
koͤniglichen Thron ſitzen und die koͤnigliche Krone
tragen.“ Alſo ward das Eſelein aufgezogen,
nahm zu und die Ohren wuchſen ihm auch fein
hoch und gerad’ hinauf. Es war aber ſonſt froͤh-
licher Art, ſprang herum, ſpielte und hatte be-
ſonders ſeine Luſt an der Muſik, ſo daß es zu ei-
nem beruͤhmten Spielmann ging und ſprach:
„lehr’ mich deine Kunſt, daß ich ſo gut die Laute
ſchlagen kann, wie du.“ „Ach, liebes Herrlein,
antwortete der Spielmann, das ſollt’ euch ſchwer
fallen, eure Finger ſind nicht allerdings dazu ge-
macht, und gar zu groß; ich ſorg’, die Saiten
haltens nicht aus.“ Es half aber keine Ausrede,
das Eſelein wollt’ und mußt’ die Laute ſchlagen,
war beharrlich und fleißig, und lernte es am Ende
ſo gut, als ſein Meiſter ſelber. Einmal ging es
nachdenkſam ſpatziren und kam an einen Brunnen,
da ſchaute es hinein und ſah im ſpiegelhellen Waſ-
ſer ſeine Eſeleins-Geſtalt, daruͤber ward es ſo
betruͤbt, daß es in die Welt hineinging und nur
einen treuen Geſellen mitnahm. Sie zogen auf
und ab, zuletzt kamen ſie in ein Reich, wo ein
alter Koͤnig herrſchte, der nur eine einzige aber
wunderſchoͤne Tochter hatte. Das Eſelein ſagte:
„hier wollen wir weilen,“ klopfte an’s Thor und
[278] rief: „es iſt ein Gaſt haußen, macht auf, damit
er eingehen kann.“ Als aber nicht aufgethan
ward, ſetzte es ſich hin, nahm ſeine Laute und
ſchlug ſie mit ſeinen Fuͤßen auf’s lieblichſte. Da
ſperrte der Thuͤrhuͤter gewaltig die Augen auf,
lief zum Koͤnig und ſprach: „da draußen ſitzt ein
Eſelein vor dem Thor, das ſchlaͤgt die Laute all-
zulieblich.“ Ei, ſo laß mir den Muſikant herein-
kommen,“ ſprach der Koͤnig. Wie aber ein Eſe-
lein hereintrat, fing alles an uͤber den Lauten-
ſchlaͤger zu lachen. Nun ſollte das Eſelein unten
zu den Knechten geſetzt und geſpeiſt werden, es
ward aber unwillig und ſprach: „ich bin kein ge-
meines Stalleſelein, ich bin ein gar vornehmes.“
Da ſagten ſie: „wenn du das biſt, ſo ſetz’ dich zu
dem Kriegsvolk.“ „Nein, ſprach es, ich will
beim Koͤnig ſitzen.“ Der Koͤnig lachte und ſagte
in gutem Muth: „Ja, ſo ſoll’s ſeyn, wie du
verlangſt, Eſelein, komm her zu mir.“ Dar-
nach fragte er: „Eſelein, wie gefaͤllt dir meine
Tochter?“ das Eſelein drehte den Kopf nach ihr,
ſchaute ſie an, nickte und ſprach: „aus der Maßen
wohl, ſo ſchoͤn’ hab’ ich noch keine geſehen.“ „Nun
ſo ſollſt du auch neben ihr ſitzen,“ ſagte der Koͤ-
nig. „Das iſt mir eben recht,“ ſprach das Eſe-
lein, und ſetzte ſich an ihre Seite und aß und
wußte ſich gar fein und ſaͤuberlich zu betragen.
Als das edle Thierlein eine gute Zeit an des Koͤ-
nigs Hof geblieben war, dachte es, was hilft das
[279] alles, du mußt’ wieder heim, ließ den Kopf trau-
rig haͤngen, trat vor den Koͤnig und verlangte ſei-
nen Abſchied. Der Koͤnig hatte es aber gar lieb
und ſprach: „Eſelein, was iſt dir, du ſchau’ſt ja
ſauer, wie ein Eſſigkrug, ich will dir geben, was
du verlangſt: „willſt du Gold?“ — „Nein,“
ſagte das Eſelein und ſchuͤttelte mit dem Kopf.
„Willſt du Koſtbarkeiten und Schmuck?“ —
„Nein.“ — „Willſt du mein halbes Reich?“ —
„Ach nein!“ Da ſprach der Koͤnig: „wenn ich
nur wuͤßte, was dich vergnuͤgt machen koͤnnte:
willſt du meine ſchoͤne Tochter zur Frau?“ „Ach
ja,“ ſagte das Eſelein, war auf einmal ganz
luſtig und guter Dinge, denn das war’s gerade,
was es ſich gewuͤnſcht hatte. Alſo ward eine große
und praͤchtige Hochzeit gehalten. Abends, wie
Braut und Braͤutigam in ihr Schlafkaͤmmerlein
gefuͤhrt wurden, wollte der Koͤnig wiſſen,
ob ſich das Eſelein auch fein artig und ma-
nierlich betruͤge, und hieß einen Diener ſich
dort verſtecken. Wie ſie nun beide drinnen
waren, ſchob der Braͤutigam den Riegel vor
die Thuͤre, blickte ſich um und wie er glaubte,
daß ſie ganz allein waͤren, da warf er auf einmal
ſeine Eſelhaut ab und ſtand da als ein ſchoͤner,
koͤniglicher Juͤngling, der ſprach: „ſiehſt du, wer
ich bin und daß ich deiner werth geweſen.“ Da
ward die Braut froh, kuͤßte ihn und hatte ihn
von Herzen lieb. Als es aber Morgen ward,
[280] ſprang er auf, zog ſeine Thierhaut wieder uͤber
und haͤtte kein Menſch gedacht, was fuͤr einer da-
hinter ſteckte. Bald kam auch der alte Koͤnig ge-
gangen: „ei,“ rief er, iſt das Eſelein ſchon mun-
ter! du biſt wohl recht traurig, ſagte er zu ſeiner
Tochter, daß du keinen ordentlichen Menſchen
zum Mann bekommen haſt?“ Ach nein, lieber
Vater, ich habe ihn ſo lieb, als wenn er der al-
lerſchoͤnſte waͤr’ und will ihn mein Lebtag behal-
ten.“ Der Koͤnig wunderte ſich, aber der Die-
ner, der ſich verſteckt hatte, kam und offenbarte
ihm alles. Der Koͤnig ſprach: „Das iſt nimmer-
mehr wahr!“ — „So wacht ſelber die folgende
Nacht, ihr werdet’s mit eigenen Augen ſehen;
und wißt ihr was, Herr Koͤnig, nehmt ihm die
Haut weg, und werft ſie in’s Feuer, ſo muß er
ſich wohl in ſeiner rechten Geſtalt zeigen.“ „Dein
Rath iſt gut,“ ſprach der Koͤnig, und Abends,
als ſie ſchliefen, ſchlich er ſich hinein, und wie er
zum Bett’ kam, ſah er im Mondſchein einen ſtol-
zen Juͤngling da ruhen, und die Haut lag abge-
ſtreift auf der Erde. Da nahm er ſie weg, und
ließ draußen ein gewaltiges Feuer anmachen und
die Haut hineinwerfen und blieb ſelber dabei, bis
ſie ganz zu Aſche verbrennt war. Weil er aber
ſehen wollte, was der Beraubte anfangen wuͤrde,
blieb er die Nacht wach, und lauſchte. Als der
Juͤngling ausgeſchlafen hatte, beim erſten Mor-
genſchein, ſtand er auf und wollte die Eſelshaut
[281] umziehen, aber ſie war nicht zu finden. Da er-
ſchrack er und ſprach voll Trauer und Angſt:
„Nun muß ich ſehen, daß ich entfliehe.“ Wie
er hinaustrat, ſtand aber der Koͤnig da und ſprach:
„Ei! mein Sohn, wohin ſo eilig, was haſt du im
Sinn? Bleib hier; du biſt ein ſo ſchoͤner Mann,
du ſollſt nicht wieder von mir; ich geb’ dir jetzt
mein Reich halb, und nach meinem Tod bekommſt
du es ganz.“ „So wuͤnſch’ ich dem guten An-
fang auch ein gutes Ende,“ ſprach der Juͤngling,
„ich bleibe bei euch.“ Da gab ihm der Alte das
halbe Reich, und als er nach einem Jahr ſtarb,
hatte er das ganze, und nach dem Tode ſeines Va-
ters noch eins dazu, und lebte reich und vergnuͤgt.


59.
Der undankbare Sohn.


Es ſaß einmal ein Mann mit ſeiner Frau
vor der Hausthuͤr, und hatten ein gebraten Huhn
vor ſich ſtehen, und wollten das zuſammen ver-
zehren, da ſah der Mann, wie ſein alter Vater
daher kam, geſchwind nahm er das Huhn und
verſteckt [...] es, weil er ihm nichts davon goͤnnte.
Der Alte kam, that einen Trunk und ging fort.
Nun wollte der Sohn das gebratene Huhn wieder
auf den Tiſch tragen, aber als er darnach griff,
war es eine große Kroͤte geworden, die ſprang
ihm in’s Angeſicht, und ſaß da und ging nicht
[282] wieder weg, und wenn ſie jemand wegthun wollte,
ſah ſie ihn giftig an, als wollt’ ſie ihm in’s An-
geſicht ſpringen, ſo daß keiner ſie anzuruͤhren ge-
traute. Und die Kroͤte mußte der undankbare
Sohn alle Tage fuͤttern, ſonſt fraß ſie ihm aus
ſeinem Angeſicht, und alſo ging er in der Welt
hin und her.


60.
Die Ruͤbe.


Es waren einmal zwei Bruͤder, die lebten
beide im Soldatenſtand, und war der eine reich,
der andere arm. Da wollte der arme ſich aus
ſeiner Noth helfen, zog den Soldatenrock aus,
und ward ein Bauer. Alſo grub und hackte er
ſein Stuͤckchen Acker und ſaͤte Ruͤbſamen. Der
Same ging auf und es wuchs da eine Ruͤbe, die
ward groß und ſtark, und zuſehends dicker, und
wollte gar nicht aufhoͤren zu wachſen, ſo daß ſie
eine Fuͤrſtin aller Ruͤben heißen konnte, denn
nimmer war ſo eine geſehen, und wird auch nim-
mer wieder geſehen werden. Zuletzt war ſie ſo
groß, daß ſie allein einen ganzen Wage [...] anfuͤllte,
und zwei Ochſen daran ziehen mußten, und der
Bauer wußte nicht was er damit anfangen ſollte,
und ob’s ſein Gluͤck oder ſein Ungluͤck waͤre. End-
lich dachte er, verkaufſt du ſie, was wirſt du gro-
ßes dafuͤr bekommen, und willſt du ſie ſelber
[283] eſſen, ſo thun die kleinen Ruͤben denſelben Dienſt,
du willſt ſie dem Koͤnig bringen und verehren.
Alſo lud er ſie auf den Wagen, ſpannte zwei Och-
ſen vor, brachte ſie an den Hof und ſchenkte ſie
dem Koͤnig. „Ei! ſagte der Koͤnig, was iſt das
fuͤr ein ſeltſam Ding? mir iſt viel wunderliches
vor die Augen gekommen, aber ſo ein Ungethuͤm
noch nicht: aus was fuͤr Samen mag die gewach-
ſen ſeyn? oder dir geraͤth’s allein, und du biſt ein
Gluͤckskind.“ „Ach nein, ſagte der Bauer, ein
Gluͤckskind bin ich nicht, ich bin ein armer Sol-
dat, der ſich nicht mehr naͤhren konnte, darum
den Soldatenrock an den Nagel hing und das
Land baute; ich habe noch einen Bruder, der iſt
reich und Euch, Herr Koͤnig, auch wohlbekannt,
ich aber, weil ich nichts habe, bin von aller Welt
vergeſſen.“ Da empfand der Koͤnig Mitleid mit
ihm und ſprach: „Deine Armuth iſt vorbei, du
ſollſt ſo von mir beſchenkt werden, daß du wohl
deinem reichen Bruder gleich kommſt.“ Alſo
ſchenkte er ihm eine Menge Gold, Acker, Wie-
ſen und Heerden, und machte ihn ſteinreich, ſo
daß des andern Bruders Reichthum gar nicht
konnte damit verglichen werden. Als dieſer hoͤrte,
was ſein Bruder mit einer einzigen Ruͤbe erwor-
ben hatte, beneidete er ihn und ſann hin und her,
wie er ſich auch ein ſolches Gluͤck zuwenden koͤnnte.
Er wollt’s aber noch viel geſcheidter anfangen,
nahm Gold und Pferde und brachte ſie dem Koͤ-
[284] nig, und meinte nicht anders, der wuͤrde ihm ein
viel groͤßeres Gegengeſchenk machen, denn haͤtte
ſein Bruder ſoviel fuͤr eine Ruͤbe bekommen, was
wuͤrde es ihm fuͤr ſo ſchoͤne Dinge nicht alles tra-
gen. Der Koͤnig nahm das Geſchenk und ſagte,
er wuͤßte ihm nichts wieder zu geben, das rarer
und beſſer waͤre, als die große Ruͤbe. Alſo mußte
der reiche ſeines Bruders Ruͤbe auf einen Wagen
legen und nach Haus fahren laſſen. Daheim
wußte er nicht, an wem er ſeinen Zorn und Aer-
ger auslaſſen ſollte, bis ihm boͤſe Gedanken ka-
men und er beſchloß ſeinen Bruder zu toͤdten. Er
gewann Moͤrder, die mußten ſich in einen Hin-
terhalt ſtellen, und darauf ging er zu ſeinem Bru-
der und ſprach: „Lieber Bruder, ich weiß einen
heimlichen Schatz, den wollen wir miteinander
heben und theilen.“ Der andere ließ ſich’s auch
gefallen und ging ohne Arg mit; als ſie aber
hinauskamen, ſtuͤrzten die Moͤrder uͤber ihn her,
banden ihn und wollten ihn an einen Baum haͤn-
gen. Indem ſie eben daruͤber waren, erſcholl aus
der Ferne lauter Geſang und Hufſchlag, daß ih-
nen der Schrecken in den Leib fuhr und ſie uͤber
Hals und Kopf ihren Gefangenen in den Sack
ſteckten, am Aſt hinaufwanden und haͤngen ließen,
er aber arbeitete darin, bis er ein Loch im Sack
hatte, wodurch er den Kopf ſtecken konnte. Dar-
auf ergriffen ſie die Flucht. Wer aber des Wegs
daher kam, war nichts als ein fahrender Schuͤ-
[285] ler, ein junger Geſelle, der froͤhlich ſein Lied ſin-
gend durch den Wald die Straße ritt. Wie der
oben nun merkte, daß einer unter ihm vorbei
ging, rief er: „ſey mir gegruͤßt, zu guter Stun-
de!“ Der Schuͤler guckte ſich uͤberall um, wußte
nicht, wo die Stimme herſchallte, endlich ſprach
er: „Wer ruft mir?“ Da antwortete es aus
dem Wipfel: „Erhebe deine Augen, ich ſitze hier
oben im Sack der Weisheit; in kurzer Zeit habe
ich große Dinge gelernt, dagegen ſind alle Schu-
len ein Wind, um ein Weniges, ſo werde ich aus-
gelernt haben, herabſteigen und weiſer ſeyn als
alle Menſchen. Ich verſtehe die Geſtirn- und
Himmelszeichen, das Wehen aller Winde und
den Sand im Meer, Heilung der Krankheit, die
Kraͤfte der Kraͤuter, Voͤgel und Steine. Waͤr’ſt
du einmal darin, du wuͤrdeſt fuͤhlen, was fuͤr
Herrlichkeit aus ihm fließt.“ Der Schuͤler, wie
er das alles hoͤrte, erſtaunte er und ſprach: „Ge-
ſegnet ſey die Stunde, wo ich dich gefunden,
koͤnnt’ ich nicht auch ein wenig in den Sack kom-
men?“ Oben der antwortete, als thaͤt’ er’s
nicht gern: „eine kleine Weile will ich dich wohl
hineinlaſſen fuͤr Lohn und gute Worte, aber du
mußt doch noch eine Stunde warten, es iſt ein
Stuͤck uͤbrig, das ich erſt lernen muß.“ Als der
Schuͤler ein wenig gewartet hatte, war ihm die
Zeit zu lang und er bat, daß er doch moͤgte hin-
eingelaſſen werden, ſein Durſt nach Weisheit waͤre
[286] gar zu groß.“ Da ſtellte ſich der oben, als gaͤb’
er endlich nach und ſprach: „Damit ich aus dem
Haus der Weisheit heraus kann, mußt du den
Sack am Strick herunterlaſſen, ſo ſollſt du ein-
gehen.“ Alſo ließ der Schuͤler ihn herunter,
band den Sack auf und befreite ihn, dann rief er
ſelber: „Nun zieh’ mich recht geſchwind hinauf,“
und wollt’ geradſtehend in den Sack einſchreiten.
„Halt!“ ſagte der andere, „ſo geht’s nicht an,“
packte ihn beim Kopf, ſteckte ihn ruͤcklings in den
Sack, ſchnuͤrte zu, und zog den Juͤnger der Weis-
heit am Strick baumwaͤrts und ſchwengelte ihn in
der Luft: „Wie ſteht’s, mein lieber Geſell? ſiehe,
ſchon fuͤhlſt du daß dir die Weisheit kommt, und
machſt gute Erfahrung, ſitze alſo fein ruhig, bis
du kluͤger wirſt.“ Damit ſtieg er auf des Schuͤ-
lers Pferd und ritt fort.


61.
Das junggegluͤhte Maͤnnlein.


Zur Zeit da unſer Herr noch auf Erden ging,
kehrte er eines Abends, ſammt Peter, bei einem
Schmied ein, und bekam willig Herberg. Nun
geſchah’s, daß ein armer Bettelmann, von Alter
und Gebrechen hart gedruͤckt, in dieſes Haus kam
und vom Schmied Almoſen forderte. Deß er-
[barmte] ſich Petrus und ſprach: „Herr und
Meiſter, ſo dir’s gefaͤllt, heil’ ihm doch ſeine
[287] Plage, daß er ſich ſelbſt ſein Brot moͤge gewin-
nen.“ [Sanftmuͤthig] ſprach der Herr: „Schmied,
leih’ mir deine Eſſe und leg’ mir Kohlen an, ſo
will ich den alten, kranken Mann zu dieſer Zeit
verjuͤngen.“ Der Schmied war ganz bereit und
St. Petrus zog die Baͤlge, und als das Kohl-
feuer auffunkte, groß und hoch, nahm unſer
Herr das alte Maͤnnlein, ſchub’s in die Eſſe, mit-
ten in’s rothe Feuer, daß es drin gluͤhte, wie ein
Roſenſtock, und Gott lobte mit lauter Stimme.
Nachdem trat der Herr zum Loͤſchtrog, zog das
gluͤhend Maͤnnlein hinein, daß das Waſſer uͤber
ihm zuſammenſchlug, und nachdem er’s fein ſitt-
lich abgekuͤhlet, gab er ihm ſeinen Segen; ſiehe,
zuhand ſprang das Maͤnnlein heraus, zart, ge-
rad, geſund und wie von zwanzig Jahren. Der
Schmied, der eben und genau zugeſehen, lud ſie
alle zum Nachtmahl, er hatte aber eine alte, halb-
blinde bucklichte Schwieger, die machte ſich zum
Juͤngling hin und fragte ihn fleißig: ob ihn das
Feuer hart gebrennet? „Nie ſey ihm beſſer gewe-
ſen, antwortete jener, er habe da in der Glut ge-
ſeſſen, wie in einem kuͤhlen Thau.“


Dies klang die ganze Nacht in den Ohren
der alten Frau und als der Herr fruͤhmorgens die
Straße weiter gezogen war, und dem Schmied
wohl gedankt hatte, dachte der, er koͤnnte ſeine alte
Schwieger auch jung machen, da er fein ordent-
lich alles zugeſehn, und es in ſeine Kunſt ſchlage.
[288] Rief ſie daher an, ob ſie auch wie ein Maͤgdlein
von achtzehn Jahren in Spruͤngen daher wolle
gehen? Sie ſprach: „von ganzem Herzen,“ weil
es dem Juͤngling auch ſo ſanft angekommen.
Machte alſo der Schmied große Glut und ſtieß
die Alte hinein, die ſich hin und wieder bog, und
grauſames Mordgeſchrei anſtimmte; „ſitz’ ſtill,
was ſchreiſt und huͤpfſt du, ich will erſt weidlich
zublaſen!“ zog damit die Baͤlge von neuem bis
ihr alle Haderlumpen brannten, da ſchrie das alte
Weib ohne Ruh. Der Schmied dachte: Kunſt
geht nicht recht zu! nahm ſie raus und warf ſie
in den Leſchtrog, da ſchrie ſie ganz uͤberlaut, daß
es droben im Haus die Schmiedin und ihre Schnur
hoͤrten, die liefen beide die Stiegen herab, und
ſahen die Alte heulend und maulend ganz zuſam-
men geſchnurrt im Trog liegen, das Angeſicht ge-
runzelt, gefaltet und umgeſchaffen. Darob ſich
die zwei, die beide mit Kindern gingen, ſo ent-
ſetzten, daß ſie noch dieſelbe Nacht zwei Junge
gebaren, die waren ganz nicht wie Menſchen ge-
ſchaffen, ſondern wie Affen, liefen zum Wald hin-
ein und von ihnen ſtammt das Geſchlecht der
Affen her.


62.
Des Herrn und des Teufels Gethier.


Gott der Herr hatte alle Thiere erſchaffen
und ſich die Woͤlfe zu ſeinen Hunden auserwaͤhlet;
[289] blos den Geis hatte er vergeſſen, da richtete ſich
der Teufel an, wollte auch ſchaffen, und machte
die Geiſe, mit feinen, langen Schwaͤnzen. Wenn
ſie nun zur Weide gingen, blieben ſie gewoͤhnlich
mit ihren Schwaͤnzen in den Dornhecken haͤngen,
da mußte der Teufel hineingehen und ſie mit vie-
ler Muͤhe losknuͤpfen; verdroß ihn zuletzt, war
her und biß jeder Geis den Schwanz ab, wie
noch heut’ des Tags an den Stuͤmpfen zu ſehen iſt.


Nun ließ er ſie zwar allein weiden, aber es
geſchah, daß Gott der Herr zuſah, wie ſie bald
einen fruchtbaren Baum benagten, bald die edlen
Reben ſchaͤdigten, bald andere zarte Pflanzen
verderbten. Deß jammerte ihn, ſo daß er aus
Guͤte und Gnaden ſeine Woͤlfe dran hetzte, die
denn die Geiſe, ſo da gingen, bald zerriſſen.
Wie der Teufel das vernahm, trat er bald vor
den Herrn und ſprach: „dein Geſchoͤpf hat mir
das meine zerriſſen.“ Der Herr antwortete:
„was hatteſt du es zu Schaden erſchaffen?“ der
Teufel ſagte: „ich mußte das; gleichwie ſelbſt
mein Sinn auf Schaden geht, konnte, was ich
erſchaffen, keine andre Natur haben, und mußt
mir’s theuer zahlen.“ — „Ich zahl’ dir’s, ſo-
bald das Eichenlaub abfaͤllt, dann komm, dein
Geld iſt ſchon gezaͤhlt.“ Als das Eichenlaub ab-
gefallen war kam der Teufel und forderte ſeine
Schuld. Der Herr aber ſprach: „In der Kirche
zu Conſtantinopel ſteht eine hohe Eiche, die hat
Kindermährchen. II. T
[290] noch alles ihr Laub!“ Mit Toben und Fluchen
entwich der Teufel und wollte die Eiche ſuchen,
irrte ſechs Monate in der Wuͤſtenei, eh’ er ſie
befand, und als er wieder kam, waren derweil
wieder alle andere Eichen voll gruͤner Blaͤtter.
Da mußte er ſeine Schuld fahren laſſen ſtach
im Zorn allen uͤbrigen Geiſen die Augen aus und
ſetzte ihnen ſeine eigene ein.


Darum haben alle Geiſe Teufelsaugen und
abgebißne Schwaͤnz und er nimmt gern ihre Ge-
ſtalt an.


63.
Der Hahnenbalken.


Es war einmal ein Zauberer, der ſtand mit-
ten in einer großen Menge Volks und vollbrachte
ſeine Wunderdinge, da ließ er auch einen Hahn
einher ſchreiten, der hob einen ſchweren Balken
und trug ihn, als waͤr’ er federleicht. Nun war
aber ein Maͤdchen, das hatte eben ein vierblaͤttri-
ges Kleeblatt gefunden, und war dadurch klug
geworden, ſo daß kein Blendwerk vor ihm beſte-
hen konnte, und es ſah, daß der Balken nichts
war, als ein Strohhalm. Da rief es: „Ei, ihr
Leute ſeht ihr nicht, das iſt ein bloßer Strohhalm
und kein Balken, was der Hahn da traͤgt“ Als-
bald verſchwand der Zauber, und die Leute ſahen
was es war, und jagten den Hexenmeiſter mit
[291] Schimpf und Schande fort, er aber ſprach voll
Zorn innerlich: „Ich will mich ſchon raͤchen.“ —
Nach einiger Zeit hielt das Maͤdchen Hochzeit,
war geputzt, und ging in einem großen Zug uͤber
das Feld nach dem Ort, wo die Kirche ſtand. Auf
einmal kamen ſie an einen ſtark angeſchwollenen
Bach, und war keine Bruͤcke und kein Steg dar-
uͤber zu gehen. Da war die Braut flink, hob
ihre Kleider auf und wollte durchwaten. Wie ſie
nun eben im Waſſer ſo ſteht, ruft ein Mann und
das war der Zauberer neben ihr ganz ſpoͤttiſch:
„Ei, wo haſt du deine Augen, daß du das fuͤr
ein Waſſer haͤltſt.“ Da gingen ihr die Augen
auf und ſie ſah, daß ſie mit ihren aufgehobenen
Kleidern mitten in einem blaubluͤhenden Flachs-
feld ſtand. Da ſahen es die Leute auch alleſammt
und jagten ſie mit Schimpf und Gelaͤchter fort.


64.
Die alte Bettelfrau.


Es war einmal eine alte Frau, du haſt wohl
ehe eine alte Frau ſeh’n betteln geh’n? Dieſe alte
Frau bettelte auch, und wenn ſie etwas bekam,
dann ſagte ſie: Gott lohn’ euch! Die Bettelfrau
kam an eine Thuͤr, da ſtand ein freundlicher
Schelm von Jungen am Feuer und waͤrmte ſich.
Der Junge ſagte freundlich zu der armen alten
Frau, wie ſie ſo an der Thuͤr ſtund und zitterte,
[292] „Kommt Altmutter und erwaͤrmt euch.“ Sie
kam herzu, Sie ging aber zu nahe ans Feuer
ſteh’n, ihre alten Lumpen fingen an zu brennen
und ſie ward’s nicht gewahr. Der Junge ſtand
und ſah’ das, er haͤtt’s doch loͤſchen ſollen?
Nicht wahr, er haͤtte loͤſchen ſollen? Und
wenn er kein Waſſer gehabt haͤtte, dann haͤtte er
alles Waſſer in ſeinem Leibe zu den Augen heraus-
weinen ſollen, das haͤtte ſo zwei huͤbſche Baͤchlein
gegeben zu loͤſchen.


65.
Die drei Faulen.


Ein Koͤnig hatte drei Soͤhne, die waren ihm
alle gleich lieb, und er wußte nicht, welchen er
zum Koͤnig nach ſeinem Tode beſtimmen ſollte.
Als die Zeit kam daß er ſterben wollte, rief er ſie
vor ſich und ſprach: „Liebe Kinder, ich habe et-
was bei mir bedacht, das will ich euch ſagen:
„welcher von euch der Faulſte iſt, der ſoll nach
mir Koͤnig werden.“ Da ſprach der aͤlteſte:
„Vater, ſo gehoͤrt das Reich mir, denn ich bin ſo
faul, wenn ich liege und will ſchlafen, und es faͤllt
mir ein Tropfen in die Augen, ſo mag ich ſie
nicht zuthun, damit ich einſchlafe.“ Der zweite
ſprach: „Vater, das Reich gehoͤrt mir, denn ich
bin ſo faul, wenn ich beim Feuer ſitze mich zu
waͤrmen, ſo ließ ich mir eher die Ferſen verbren-
nen, eh’ ich die Beine zuruͤckzoͤge.“ Der dritte
[293] ſprach: „Vater, das Reich iſt mein, denn ich
bin ſo faul, ſollt’ ich aufgehenkt werden und haͤtte
den Strick ſchon um den Hals, und einer gaͤb’
mir ein ſcharf Meſſer in die Hand, damit ich den
Strick zerſchneiden duͤrfte, ſo ließ ich mich eher
henken, eh’ ich meine Hand aufhuͤbe zum Strick.“
Wie der Vater das hoͤrte: ſprach er: „Du ſollſt
der Koͤnig ſeyn.“


66.
Die heilige Frau Kummerniß.


Er war einmal eine fromme Jungfrau, die
gelobte Gott, nicht zu heirathen, und war wun-
derſchoͤn, ſo daß es ihr Vater nicht zugeben und
ſie gern zur Ehe zwingen wollte. In dieſer Noth
flehte ſie Gott an, daß er ihr einen Bart wach-
ſen laſſen ſollte, welches alſogleich geſchah; aber
der Koͤnig ergrimmte und ließ ſie an’s Kreutz
ſchlagen, da ward ſie eine Heilige.


Nun geſchah’ es, daß ein gar armer Spiel-
mann in die Kirche kam, wo ihr Bildniß ſtand,
kniete davor nieder, da freute es die Heilige, daß
dieſer zuerſt ihre Unſchuld anerkannte, und das
Bild, das mit guͤldnen Pantoffeln angethan war,
ließ einen davon los- und herunterfallen, damit
er dem Pilgrim zu gut kaͤme. Der neigte ſich
dankbar und nahm die Gabe.


Bald aber wurde der Goldſchuh in der Kir-
[294] chen vermißt, und geſchah allenthalben Frage, bis
er zuletzt bei dem armen Geigerlein gefunden, auch
es als ein boͤſer Dieb verdammt und ausgefuͤhrt
wurde, um zu hangen. Unterwegs aber ging
der Zug an dem Gotteshaus vorbei, wo die Bild-
ſaͤule ſtand, begehrte der Spielmann hineingehen
zu duͤrfen, daß er zu guter Letzt Abſchied naͤhme
mit ſeinem Geiglein und ſeiner Gutthaͤterin die
Noth ſeines Herzens klagen koͤnnte. Dies wurde
ihm nun erlaubt. Kaum aber hat er den erſten
Strich gethan, ſiehe, ſo ließ das Bild auch den
andern guͤldnen Pantoffel herabfallen, und zeigte
damit, daß er des Diebſtahls unſchuldig waͤre.
Alſo wurde der Geiger der Eiſen und Bande ledig-
zog vergnuͤgt ſeiner Straßen, die heil. Jungfrau
aber hieß Kummerniß.


67.
Das Maͤrchen vom Schlauraffenland.


In der Schlauraffenzeit da ging ich und ſah
an einem kleinen Seidenfaden hing Rom und der
Lateran, und ein fußloſer Mann, der uͤberlief
ein ſchnelles Pferd, und ein bitterſcharfes Schwert
eine Bruͤcke durchhauen; da ſah ich einen jungen
Eſel mit einer ſilbernen Naſe der jug hinter zwei
ſchnellen Haſen her, und eine Linde, die war
breit, auf der wuchſen heiße Fladen, da ſah ich
eine alte duͤrre Geis, trug wohl hundert Fuder
[295] Schmalzes an ihrem Leibe und ſechzig Fuder Salzes.
Iſt das nicht gelogen genug? Da ſah ich zackern
einen Pflug, ohne Roß und Rinder, und ein jaͤhri-
ges Kind warf vier Muͤhlenſteine von Regensburg
bis nach Trier und von Trier hinein in Strasburg;
und ein Habicht ſchwamm uͤber den Rhein, das
that er mit vollem Recht, da hoͤrt’ ich Fiſche mit-
einander Laͤrm anfangen, daß es in den Himmel
hinauf ſcholl, und ein ſuͤßer Honig floß wie Waſſer
von einem tiefen Thal auf einen hohen Berg,
das waren ſeltſame Geſchichten. Da waren zwei
Kraͤhen, maͤhten eine Wieſe, und ich ſah zwei
Muͤcken an einer Bruͤcke bauen, und zwei Tau-
ben zerrupften einen Wolf, zwei Kinder die wur-
fen zwei Zicklein, aber zwei Froͤſche droſchen mit-
einander Getreid aus. Da ſah ich zwei Maͤuſe
einen Biſchof weihen, zwei Katzen, die einem
Baͤren die Zunge auskratzten. Da kam eine
Schnecke gerennt und erſchlug zwei wilde Loͤwen,
da ſtand ein Bartſcheerer, ſchor einer Frauen ih-
ren Bart ab, und zwei ſaͤugende Kinder hießen ihre
Mutter ſtillſchweigen. Da ſah’ ich zwei Wind-
hunde, brachten eine Muͤhle aus dem Waſſer ge-
tragen und eine alte Schindmaͤhre ſtand dabei,
die ſprach: es waͤre Recht. Und im Hof ſtanden
vier Roſſe, die droſchen Korn aus allen Kraͤften,
und zwei Ziegen, die den Ofen heitzten und eine
rothe Kuh ſchoß das Brot in den Ofen. Da kraͤhte
[296] ein Huhn: Kickeriki! Das Maͤrchen iſt ausver-
zaͤhlt, kickeriki!


68.
Das Dietmarſiſche Luͤgen-Maͤrchen.


Ich will euch etwas erzaͤhlen: ich ſah zwei
gebratene Huͤhner fliegen, flogen ſchnell und hat-
ten die Baͤuche gen Himmel gekehrt, die Ruͤcken
nach der Hoͤlle, und ein Amboß und ein Muͤhl-
ſtein die ſchwammen uͤber den Rhein, fein lang-
ſam und leiſe, und ein Froſch ſaß und fraß eine
Pflugſchaar zu Pfingſten auf dem Eis; da wa-
ren drei Kerls, wollten einen Haſen fangen, gin-
gen auf Kruͤcken und Stelzen, der eine war taub,
der zweite blind, der dritte ſtumm und der vierte
konnte keinen Fuß ruͤhren. Wollt’ ihr wiſſen,
wie das geſchah? Der Blinde der ſah zuerſt den
Haſen uͤber Feld traben, der Stumme der rief
dem Lahmen zu, und der Lahme faßte ihn beim
Kragen. Etliche die wollten zu Land ſegeln und
ſpannten die Segel im Wind, und ſchifften uͤber
große Aecker hin, da ſegelten ſie uͤber einen hohen
Berg, da mußten ſie elendig verſaufen. Ein
Krebs jagte einen Haſen in die Flucht, und hoch
auf dem Dach lag eine Kuh, die war hinauf ge-
ſtiegen; in dem Land ſind die Fliegen ſo groß,
als hier zu Land die Ziegen.


[297]

69.
Raͤthſel-Maͤrchen.


Drei Frauen waren verwandelt in Blumen,
die auf dem Felde ſtanden, doch deren eine durft’
des Nachts in ihrem Hauſe ſeyn. Da ſprach ſie
auf eine Zeit zu ihrem Mann, als ſich der Tag
nahete und ſie wiederum zu ihren Geſpielen auf
das Feld gehen und eine Blume werden mußt:
„ſo du heute Vormittag kommſt und mich ab-
brichſt, werd’ ich erloͤſt und fuͤrder bei dir bleiben;“
als dann auch geſchahe. Nun iſt die Frage, wie
ſie ihr Mann erkannt habe, ſo die Blumen ganz
gleich und ohne Unterſchied waren? Antwort:
dieweil ſie die Nacht in ihrem Haus und nicht auf
dem Feld war, fiel der Thau nicht auf ſie, als
auf die andern zwei, darbei ſie der Mann erkannte.


70.
Der goldene Schluͤſſel.


Zur Winterszeit, als einmal ein tiefer
Schnee lag, mußte ein armer Junge hinausge-
hen und Holz auf einem Schlitten holen. Wie
er es nun zuſammen geſucht und aufgeladen hatte,
wollte er, weil er ſo erfroren war, noch nicht
nach Haus gehen, ſondern ſich erſt Feuer anma-
chen und ein Bischen waͤrmen. Da ſcharrte er
den Schnee weg, und wie er ſo den Erdboden auf-
[298] raͤumte, fand er einen goldnen Schluͤſſel. Nun
glaubte er, wo der Schluͤſſel waͤre, muͤßte auch das
Schloß dazu ſeyn, grub weiter und fand ein eiſer-
nes Kaͤſtchen; ei, dachte er, wenn der Schluͤſſel nur
paßt, denn es waren gewiß wunderbare und koͤſt-
liche Sachen darin. Er ſuchte, aber es war
kein Schluͤſſelloch da, endlich fand er doch noch ein
ganz kleines, und probirte, und der Schluͤſſel paßte
gerad, da drehte er ihn einmal herum, und nun
muͤſſen wir warten, bis er vollends aufgeſchloſſen
hat, dann werden wir ſehen, was darin liegt.


Anhang.
[[I]]

Anhang.


Kindermärchen. II. A
[[II]][[III]]

1.
Der Arme und Reiche.


(Aus der Schwalmgegend.) Uralte Sage von
Philemon und Baucis (Ovid. met. VIII. 617. ſ. Voß
Anmerkung zu ſeiner Idylle XVIII. der noch andere
anfuͤhrt), lebendig und chriſtlich fortdauernd; vgl.
die Anmerkung zu I. 81. Eine merkwuͤrdige hierher
gehoͤrige Stelle bei Reinmar von Zweter II. 145.
„unde het ich drier wunſche gewalt.“ Die
misrathenen Wuͤnſche des Reichen werden auch ohne
dieſen Zuſammenhang erzaͤhlt, (von der Beaumont
nach ihrer Art veraͤndert). Stricker hat auch dies
Maͤrchen behandelt, wovon Docen das Manuſcript
beſitzt; ganz gemeiner Art iſt das altfranz. Fabliau
von den quatre ſouhaits de S. Martin (Meon IV. 386.).
Bei Hebel im Schatzkaͤſtlein (S. 117 ſo gut ſonſt die
Darſtellung, iſt in der Sage ſelbſt ſchon vieles aus-
gefallen. Ueber die drei Wuͤnſche vgl. der Jud im
Dorn Nr. 24. und die weiße und ſchwarze Braut
Nr. 49.


Im Ganzen iſt auch hier der in den Maͤrchen ſo
oft wiederkommende Satz, daß der Boͤſe, Geitzige
und Haͤßliche das dem Guten, Schuldloſen und Reinen
zu Theil gewordene Gluͤck plump und zu ſeinem Ver-
derben erbittet. — Die Goͤtter und Heiligen reiſen
in der Welt und pruͤfen das Menſchengeſchlecht.
Odyſſea XVII. 485 und Altd. Waͤlder 2. S. 25.
Note 60. Dem eddiſchen Lied von Rigr liegt die
naͤmliche Idee zu Grund; der Gegenſatz und dieſelbe
Folge unſeres Maͤrchens einer Chineſiſchen Sage von
Foh, der zu einer armen, frommen und zu einer
geizigen boͤſen Frau pilgert. Jene begabt er fruͤh-
morgens beim Abſchied damit, daß ihr erſtes Begin-
nen an dem Tage nicht aufhoͤren ſolle, bis die Son-
ne ſinke. Sie dachte nicht dran und ging an ihr
A 2
[IV] Leinwand, das rollte ſich auf bis zu Abend und er-
fuͤllte die ganze Stube mit Reichthum. Die andere
boͤſe Frau verſcherzt dieſelbe Gabe damit, daß ſie im
Voruͤbergehn ihrem grunzenden Schwein in Gedan-
ken an ihr Gluͤck Waſſer vorgibt, nun muß ſie den
ganzen Tag in einem Waſſer tragen, daß ihr Haus
uͤberſchwemmt wird und die ganze Gegend. (ſ. unten
Nr. 17. das Maͤrchen vom Brei). In Naubert
Volksmaͤrchen I. 201 — 209. wird eine aͤhnliche Ge-
ſchichte auch ſchoͤn ausgefuͤhrt und dem ſegenreichen
Leinwandmeſſen ein unſeliger Spinnenwebwachsthum
entgegenſtellt.


2.
Das ſingende, ſpringende Loͤweneckerchen.


(Aus Heſſen.) Fuͤr ſich beſtehend und eigenthuͤm-
lich ſchoͤn und doch mannigfach mit andern verwandt.
Wegen des Eingangs mit dem Sommer- und Win-
tergarten (I. 68.) vgl. die dortigen Anmerkungen.
Nach einer anderen Erzaͤhlung bittet ſich die juͤngſte
aus, was dem Vater zuerſt begegnet, das ſind drei
Lilien; wie er ſie abbricht, ſpringt ein Drache hervor,
dem er das Maͤdchen dafuͤr verſprechen muß. Noch
naͤher kommt unten Nr. 41. der Eiſenofen (ſ. die An-
merkung dazu) und Prinz Schwan I. 59., nur ſind
die Geſtirne hier bedeutender und reden in alten
Formen und Spruͤchen. Ihre Thaͤtigkeit und Mitge-
fuͤhl erſcheint auch in der Erzaͤhlung von der Eva in
der Weltchronik (Caſſ. Hdſchr. Fol 21 a). Sie bit-
tet Sonne und Sterne, wenn ſie zum Orient kom-
men, dem Adam ihre Noth zu ſagen und ſie voll-
bringen es auch. Mit dem Maͤrchen von Amor (dem
Loͤwen-Reuter) und Pſyche ſtimmt dieſes auch dar-
in, daß Licht das Ungluͤck bringt und die uͤberall
entfeſſelnde Nacht den Zauber jedesmal loͤſt. In
der Braunſchweig. Sammlung hat das Maͤrchen
„vom ſingenden, klingenden Baͤumchen,“ das gleich-
falls ein Loͤwe bewacht, einigen Zuſammenhang.
Loͤweneckerchen iſt das Weſtph. Lauberken, nie-
derſ. Leverken, altholl. Leeuwercke, Leewe-
rick, Lewerk, Lerk, Lerche
.


[V]

Die Federn und die Blutstropfen, die
fallen, erinnern an den Volksglauben von den Fe-
der-Nelken
, deren eine Gattung im Herzen einen
dunkeln Purpurflecken hat: das, ſagt man, ſey ein
Tropfen Blut, welchen der Heiland vom Kreuz
habe hineinfallen laſſen. Ferner: die Federn ſollten
den Weg weiſen, der Blutstropfen wohl die Gedan-
ken an den Verzauberten ſtets erhalten, der gleich-
ſam abweſend war, und ſo fuͤhrt es zu der Sage von
den Blutstropfen, uͤber welche Parcifal nachſinnt
und die ihm ſeine Frau ins Gedaͤchtniß rufen. S.
altd. Waͤlder I.


3.
Das Gaͤnsmaͤdchen.


(Aus Zwehrn.) Dies ſchoͤne Maͤrchen ſtellt die
Hoheit der ſelbſt in Knechts-Geſtalt aufrecht ſtehen-
den koͤniglichen Geburt mit deſto tiefern Zuͤgen vor,
je einfacher ſie ſind. Was ihr die Mutter zum Schutz
mitgab (aus den Blutstropfen ſprechen auch ſonſt noch
Stimmen ſ. der liebſte Roland I. 56. Vgl. auch Cl.
Brentano’s Gruͤndung Prags. S. 106. und Anmerk.
45.) hat ſie unſchuldig verloren und der gezwungene Eid
druͤckt ſie nieder, aber noch weiß ſie wind-bannende Zau-
berſpruͤche und mit ſtolz-demuͤthigen Gedanken wird ſie
jeden Morgen unter dem finſtern Thor durch das Ge-
ſpraͤch mit dem auch im Tod treu bleibenden Pferde
erfuͤllt! Redende, kluge Roſſe kommen ſonſt noch vor
(vgl. Ferenand getruͤ nr. 40.) in dem abgehauenen
Kopf (wie in Mimir’s) wohnt die Sprache fort. Es
iſt merkwuͤrdig, daß die alten Norden von geopfer-
ten Pferden die Haͤupter aufzuſtecken pflegten, wo-
mit man den Feinden ſchaden zu koͤnnen glaubte
(Saxo Gramm. L. V. p. 75. Vgl. Suhms Fabel-
zeit. I. 317.); wie man Menſchenkoͤpfe auf Zinnen
ſteckte. Ein Todtenkopf der ſingt, in der Eyrbiggia
Sage 219. Ausgebreitet iſt der Zug von den golde-
nen und ſilbernen Haaren der Schoͤnheit und ein Zei-
chen koͤniglicher Abkunft (vgl. Nr. 28.), ſo auch das
Kaͤmmen derſelben, wie ſich die Sonne gleichſam
beim Scheinen ſtraͤhlt. Die ungluͤcklichen Koͤnigstoͤch-
ter kaͤmmen und ſpinnen eben ſo haͤufig, als ſie Vieh
huͤten.


[VI]

Bei einer eigentlichen Eroͤrterung des kerlingi-
ſchen Mythus von Berta, Pipins verlobter Gemah-
lin, die durch ihre Dienerin verdraͤngt wird, und in
der Muͤhle ſpinnt und webt wuͤrde ſich ausfuͤhren
laſſen, daß unſer, dem Hauptinhalt nach ſichtbar
damit zuſammenkommendes Maͤrchen, doch noch al-
terthuͤmlicher, ſchoͤner und einfacher iſt. — In den
Reimen iſt etwas abgebrochenes, in gangeſt ſtatt
geheſt, ganz das nord. ganga wie hangeſt ſtatt
haͤbeſt); ſich ſchnatzen von Haaren beißt flechten,
(zur nord. Form ſnua, wenden, winden, ſchnuͤren)
Schnatz, das geflochtene Haar; die Braut geht im
Schnatz zur Kirche (ſ in Eſtor’s teutſcher Rechtsge-
labrth. von Hofmann III. das oberheß Woͤrterbuch).
Sich aufſetzen und Aufſatz wird gleichfalls
vom Schmuͤcken und Ordnen des Haars ge-
ſagt. Raͤthſel gebrauchte die Erzaͤhlerin weiblich,
wie das fruͤhere Raͤterſch bekanntlich auch vorkommt.
Kuͤrdchen kann aus Conraͤdchen zuſammengezogen
ſeyn, aber auch an Hirt, Chorter, Horder erinnern.
Beſonders merkwuͤrdig iſt der Name Falada (die
mittlere Sylbe kurz), weil Rolands Pferd Valen-
tich, Falerich, Velentin heißet und daraus faſt ein
aͤußerlicher Zuſammenhang mit dem kerlingiſchen
Mythus ſcheint.


Ein Hauptgegenſtuͤck liefert endlich das eigenthuͤm-
liche, bald ſchwaͤchere, bald ſchoͤnere Maͤrchen le doje
pizzelle
Pentamerone IV. 7. wo namentlich das
Kaͤmmen mehr eingeleitet iſt; der rechten Braut fal-
len Perlen und Geſtein, der falſchen Ungeziefer aus
den Haaren (vgl. auch Straparola III. 3.). Kuͤrd-
chen fehlt oder vielmehr iſt es ein Bruder der Braut,
aber die Gaͤnſe (papare) ſingen einen Reim, Abends
unter des Koͤnigs Fenſter und offenbaren die verbor-
gene (vgl. Nr. 49.). Auch im Erdmaͤnneken Nr. 5.
wird die Erzaͤhlung an den Ofen gerichtet.


4.
Der junge Rieſe.


(Aus der Leinegegend.) Dies und die zunaͤchſt
folgenden Maͤrchen ſtehen zuſammen, weil ſich in ih-
nen merkwuͤrdige Hinweiſungen auf die alte Helden-
[VII] ſage erhalten haben. — Der junge Rieſe hier iſt mit
Siegfried verwandt, deſſen gewaltige Rieſen-
Natur in ſeiner Jugend und uͤberhaupt in ſeinem Le-
ben die Gedichte aͤhnlich beſchreiben. Er faͤngt die
Loͤwen, bindet ſie an den Schwaͤnzen zuſammen und
haͤngt ſie uͤber die Mauer (Roſengr. 3. Siegfr. Lied.
33.) Deutlicher iſt ſein Arbeiten beim Schmied,
dem er hier eben ſo ungefuͤg zuſchlaͤgt (Lied 5.)
und der wie Reigen goldgierig iſt und aus Geiz
alles allein beſitzen will; ferner, die Hinterliſt des
gleichfalls habſuͤchtigen Amtmanns, der ihn los
ſeyn will
, welche jener des Reigen entſpricht, ſo
wie die gefaͤhrliche verwuͤnſchte Muͤhle dem Dra-
chen-Neſt
, wohin er, der den Schrecken nicht
kennt
(was die nord. Sage recht hervorhebt, denn
Brunhild hatte gelobt keinem andern ſich zu vermaͤh-
len als einem ganz unerſchrockenen ſ. Sigurdrifa’s Lied)
furchtlos geht und ſiegreich zuruͤckkommt. Der Rieſe
erſcheint ganz in den Sitten, welche die alten Ge-
dichte beſchreiben: eine Eiſenſtange iſt ſein Waffen
und er verſucht die Kraft am Ausreißen der Baͤume
(vgl. Anmerk. zu den altdaͤn. Liedern S. 493). Das
unſchaͤdliche Herabwerfen der Muͤhlſteine erinnert
lebhaft an Thors Abentheuer mit Skrimnir (Daͤmiſ.
38.), wie dieſe wieder an die Boͤhmiſche vom Rieſen
Scharmack. Die Erziehung bei Rieſen iſt gleichfalls
ein alter bedeutender Umſtand; bei dieſen oder bei
kunſtreichen Zwergen wurden die Helden in die
Lehre gethan, wie Sigurd bei Reigin und Widga
(Wittich) in der Wilk. S., ebenſo daß der Rieſe den
jungen ſelber ſaͤugt, was auch in Nr. 6. vorkommt.
Siegfried und der Eulenſpiegel beruͤhren
und naͤhern ſich einander, welches unſer Maͤrchen voll-
kommen zur Gewißheit erhebt, und man darf den
jungen Helden darin ſo gut einen edleren Rieſen-
Eulenſpiegel als einen ſpaßhafteren gehoͤrnten Sieg-
fried nennen (aͤhnliche Helden ſind Simſon und Mo-
rolf und vor allen Gargantua nach den echten Volks-
ſagen von ihm. Mémoires de l’acad. celtique V. 392)
Beide Eulenſpiegel und Siegfried wandern in die
Welt aus, nehmen Dienſte und mishandeln in
ihrem Uebermuth die blos menſchlichen Handwerker;
namentlich iſt wichtig, daß Eulenſpiegel dem
[VIII] Schmied ſein Geraͤth verdirbt und als Kuͤchenknecht
bei den Braten geſtellt wird, den er abißt, wie
Sigurd das Drachenherz, das er dem Reigen braten
ſoll; er geht auf den Harz, faͤngt Woͤlfe, um die
Leute damit zu ſchrecken, wie Siegfried den Baͤren
(Niebel. 3800 ff.). Schon in der Sprache iſt der Die-
ner ein Schalk und der Hofdiener faͤllt mit dem
Hofnarren zuſammen. Soini, der finniſche Rieſen-
eulenſpiegel hieß gerade auch Kalkki (Diener).
Drei Naͤchte alt, trat er ſein Windelband auf und
man ſah, daß ihm nicht zu trauen war, alſo wurde
er ausgeboten. Ein Schmied nahm ihn in ſeinen
Dienſt, dem ſollte er ſein Kind huͤten, aber er griff
dem Kind die Augen aus, toͤdtete es nachher und ver-
brannte die Wiege. Drauf ſetzte ihn der Schmied
uͤber einen Zaun, den er flechten ſollte, da holte er
Fichten im Wald und flocht ſie mit Schlangen zu-
ſammen; nun mußte er Vieh weiden, die Hausfrau
aus Rache backte ihm einen Stein ins Brot, ſo daß
er ſich ſein Meſſer ſtumpfte; erzuͤrnt rief er Baͤren
und Woͤlfe, daß ſie die Heerde fraͤßen, aus den Kuͤh-
beinen und Ochſenhoͤrnern aber machte er ſich Blas-
hoͤrner und trieb die Woͤlfe und Baͤren ſtatt der an-
dern Heerde heim.


Der nordiſche Grettir, als er Gaͤnſe und Roſſe
huͤten ſoll, ſpielt aͤhnliche Streiche (bernſku-braugd,
Kinderſtreiche). Das Heldenmaͤßige bricht in der Ju-
gendroheit und Nichtachtung des gewoͤhnlichen Men-
ſchentreibens hervor, wie auch Florens im Octavian
dem Clemens die Ochſen verſchleudert.


Eine andere Erzaͤhlung aus Heſſen iſt viel unvoll-
ſtaͤndiger, hat aber ihr eigenes. Kuͤrdchen Bin-
geling
hat an ſeiner Mutter Bruſt ſieben Jahre
getrunken, davon er ſo gewaltig groß geworden und
ſo viel hat eſſen koͤnnen, daß er nicht zu erſaͤttigen
iſt; alle Menſchen aber hat er gequaͤlt und genarrt.
Nun verſammelt ſich die ganze Gemeinde, will ihn
fangen und toͤdten, er aber merkts, ſetzt ſich unter
das Thor und ſperrt den Weg, (gerade wie Gargan-
tua den Berg Gargant nicht weit von Nantes ſchafft),
ſo daß ohne Hacken und Schippen, kein Menſch durch-
kam und er ruhig weiter geht. Nun iſt er in einem
andern Dorf, aber noch derſelbe Schlingel und da
[IX] macht ſich wieder die ganze Gemeinde auf, ihn zu
greifen, er aber, weil kein Thor da iſt, das er ver-
rammeln kann, ſpringt in einen Brunnen. Nun
ſtellt ſich die Gemeinde herum und rathſchlagt, ſie
beſchließen endlich ihm einen Muͤhlſtein auf den
Kopf zu werfen. Mit großer Muͤhe wird einer her-
beigeholt und hinabgerollt, wie ſie meinen, er waͤr
todt, kommt auf einmal der Kopf aus dem Brunnen,
den hat er durch das Loch des Steins geſteckt, ſo daß
dieſer ihm auf den Schultern haͤngt, wobei er ruft:
„ach! was hab ich einen ſchoͤnen Duͤten-Kragen!“
Wie ſie das ſehen, rathſchlagen ſie von neuem, und
ſchicken dann hin und laſſen ihre große Klocke
aus dem Kirchthurm holen, und werfen ſie auf ihn
hinab, die ſollt ihn gewiß treffen (gerade wie beim
Rieſen Scharmack). Wie ſie nun meinen, er liege
unten erſchlagen und gehen aus einander, kommt er
auf einmal aus dem Brunnen geſprungen, hat die
Klocke auf dem Haupt, ruft ganz freudig: „ach!
was eine ſchoͤne Bingelmuͤtze!“ und lauft davon.


5.
Dat Erdmaͤnneken.


(Aus dem Paderboͤrn.) Eine andere Recenſion
aus der Gegend von Coͤln am Rhein weicht in eini-
gem ab. Ein maͤchtiger Koͤnig hat drei ſchoͤne Toͤch-
ter; einmal, bei einem herrlichen Feſt, gehen ſie in
den Garten ſpaziren und kommen Abends nicht wie-
der; und als ſie am andern Tag auch noch ausblei-
ben, laͤßt ſie der Koͤnig durchs ganze Reich ſuchen,
aber niemand kann ſie finden: da macht er bekannt, wer
ſie wiederbraͤchte, ſollte eine zur Gemahlin haben,
und Reichthuͤmer dazu fuͤr ſein Lebelang. Viele zie-
hen aus aber umſonſt, zuletzt machen ſich drei Rit-
ter auf den Weg und wollen nicht ruhen, als bis es
ihnen gegluͤckt. Sie gerathen in einen großen Wald,
wo ſie den ganzen Tag hungrig und durſtig fortrei-
ten, endlich ſehen ſie in der Nacht ein Lichtlein,
das ſie zu einem praͤchtigen Schloß leitet, worin
aber kein Menſch zu ſehen iſt. Weil ſie ſo hungrig
ſind, ſuchen ſie nach Speiſe, einer findet ein Stuͤck
[X] Fleiſch, es iſt aber noch roh. Da ſpricht der juͤng-
ſte: „geht ihr beyde und ſchafft einen Trank, ich will
derweil das Fleiſch braten.“ Alſo ſteckt er den Bra-
ten an einen Spieß, und wie er brutzelt, ſteht auf
einmal ein Erdmaͤnnchen neben ihm mit einem lan-
gen weißen Bart bis an die Knie, und zittert an
Haͤnden und Fuͤßen. „Laß mich beim Feuer meine
Glieder waͤrmen, ſo will ich dafuͤr den Braten wen-
den und mit Butter begießen.“ Der Ritter erlaubt
ihm das, nun dreht es flink den Braten, aber ſo oft
der Ritter wegſieht, ſteckt es ſeine Finger in die
Bratpfanne und leckt die warme Bruͤhe auf. Der
Ritter ertappt es ein paarmal und ſagt, es ſollts
bleiben laſſen, aber das kleine Ding kann nicht und
iſt immer wieder mit dem Finger in der Pfanne.
Da wird der Ritter zornig, faßt das Erdmaͤnnchen
beim Bart und zauſt es, daß es ein Zetergeſchrei er-
hebt und fortlauft. Die zwei andern kommen indeß
mit Wein, den ſie im Keller gefunden und nun eſ-
ſen und trinken ſie zuſammen. Am andern Morgen
ſuchen ſie weiter und finden ein tiefes Loch, darin, ſa-
gen ſie, muͤſſen die Koͤnigstoͤchter verborgen ſeyn, und
loſen, wer ſich ſoll hinunterlaſſen, die beiden andern
wollen dann den Strick halten. Das Loos trift den,
welcher mit dem Erdmaͤnnchen zu thun g[e]habt. Es
dauert lang, bis er auf Grund kommt, und unten iſts
ſtockfinſter, da geht eine Thuͤre auf und das Erd-
maͤnnchen, das er am Bart gezogen, kommt und
ſpricht: „ich ſollt dir vergelten, was du mir Boͤſes
gethan, aber du erbarmſt mich, ich bin der Koͤnig
der Erdmaͤnnlein, ich will dich aus der Hoͤhle brin-
gen, denn wenn du noch einen Augenblick laͤnger
bleibſt, ſo iſts um dich geſchehen.“ Der Ritter ant-
wortet: „ſollt ich gleich Todes ſterben, ſo geh ich
nicht weg, bis ich weiß, ob die Koͤnigstoͤchter hier
verſteckt ſind.“ Da ſpricht es: „ſie ſind in dieſem
unterirdiſchen Stein von dre: Drachen bewacht. In
der erſten Hoͤhle ſitzt die aͤlteſte und ein dreikoͤpfiger
Drache neben ihr, jeden Mittag legt er ſeine Koͤpfe
in ihren Schoos, da muß ſie ihn lauſen, bis er ein-
geſchlafen iſt. Vor der Thuͤre haͤngt ein Korb, dar-
in liegt eine Floͤte, eine Ruthe und ein Schwert und
die drei Kronen der Koͤnigstoͤchter liegen auch darin,
[XI] den Korb mußt du dir erſt wegtragen und in Si-
cherheit bringen, dann faſſe das Schwert, geh hin-
ein und hau dem Drachen die Koͤpfe ab, aber alle
drei auf einmal, verfehlſt du einen, ſo wachſen als-
bald die andern wieder und es kann dich nichts mehr
retten.“ Dann gibt er ihm auch eine Glocke, wenn
er daran ziehe, wolle er ihm zu Huͤlfe eilen. Nach
der aͤlteſten erloͤſt er auch die zweite, die ein ſieben-
koͤpfiger, und die dritte, die ein neunkoͤpfiger Drache
bewacht. Dann fuͤhrt er ſie zu dem Eimer, worin er
herabgelaſſen war und ruft ſeinen Geſellen zu, ſie ſoll-
ten wieder hinaufwinden. Alſo ziehen ſie die drei
Koͤnigstoͤchter nach einander in die Hoͤhe; wie ſie
oben ſind, werfen die zwei Treuloſen das Seil hin-
unter und wollen den unten verderben. Er zieht
aber das Gloͤckchen, da kommt das Erdmaͤnnchen und
heißt ihn auf der Floͤte pfeifen und wie er das thut,
kommen aus allen Ecken viel tauſend Erdmaͤnnchen
herbeigelaufen. Da heißt ſie ihr Koͤnig eine Treppe
fuͤr den Ritter machen und ſagt ihm, oben ſollt er
nur mit der Ruthe aus dem Korbe auf die Erde ſchla-
gen. Alſo legen ſich die kleinen Maͤnner zuſammen
und bilden eine Treppe, woruͤber der Ritter hinauf-
geht, oben ſchlaͤgt er mit der Ruthe, da ſind ſie als-
bald wieder verſchwunden. —


Es iſt hier ein Zuſammenhang mit der Erloͤſung
der Chrimhild vom Drachenſtein; wie dort, ver-
ſchwindet ſie nach der Coͤln. Rec. bei einem Feſt, ohne
Zweifel als Raub des Drachen, die beiden an-
dern Schweſtern ſind Ausdehnungen der einen mythi-
ſchen Geſtalt; eben ſo iſt unter den Dreien, die ſie
zu befreien ausziehen, der juͤngſte der eigentliche und
einzige. Das Erdmaͤnnchen iſt Euglin und Al-
berich
, den ſich der Held gleichfalls durch Ge-
walt
erſt geneigt macht (nach der Coͤln. Rec.
zieht er ihn am Bart, wie in den Nibel. 2003.)
und dann auch entdeckt es erſt den Aufenthalt der
Drachenbewachten Koͤnigstochter (Lied von
Siegfr. 57. 58.), der unter der Erde iſt (Lied
99.). Es folgt die Erloͤſung, wie dort, indem die
Drachen, welche auf dem Schooſe der Jungfrau
ruhen (Lied 21.) getoͤdtet werden. Die Huͤlfe des
Koͤnigs der Erdmaͤnner entſpricht der des Euglin
[XII] (Lied 151. und vorher beim Kampf 89.) die dieſer
dem Siegfried nach dem Streit mit dem Rieſen lei-
ſtet; auch indem er ihm Eſſen bringt (Lied 119.)
Sie ſind ihm uͤberhaupt wie dort unterthaͤnig.


6.
Der goldene Berg.


Iſt von einem Soldaten erzaͤhlt worden; der
Kaufmann ſollte in Amſterdam wohnen, was ſich
auf Siegfrieds Vater beziehen koͤnnte, den Koͤnig in
Niederlanden. Das vorangehende, die Verſchrei-
bung des Kindes an den Teufel in Unwiſſenheit und
Uebereilung iſt eine haͤufige Einleitung der Maͤrchen,
(S. Anmerkg. zu I. 55.) hier chriſtlich geſtellt. Die
Uebereinſtimmung mit Siegfried faͤngt erſt da an,
wo der Juͤngling wie er (Wilk. S. Cap. 140. 141.
welche dieſen Umſtand allein hat) auf dem Waſ-
ſer fortgetrieben
wird. Die Koͤnigstochter,
die er befreit, iſt nach der deutſchen Sage Chrim-
hild
auf dem Drachenſtein, ſonſt aber, beſonders
nach der nordiſchen Sage, Brunhild, denn fuͤr
Gudrun (d. i. Grimhild) thut er dort, wie im Ni-
bel. Lied, nichts. Der Drache, der ſie gefangen
haͤlt, kommt darin vor, daß ſie ſelbſt in eine Schlan-
ge verwandelt worden. (das Ueberwinden der Ge-
ſpenſter durch Schweigen iſt ein alter, bedeutender
Zug ſ. altdaͤn. Lieder S. 508.) — Der Goldberg,
den der Held gewinnt, iſt der Berg mit dem Gold-
ſchatze, Hort
, welchen, nach dem Lied, Siegfried
auch im Drachenſtein erwirbt; ſogar die Wuͤnſchel-
ruthe
des Horts (Nib. 4509.) kommt hier als
Wunſchring vor. — In ſeiner Verkleidung
als Schaͤfer, wodurch er unerkannt eingehen
kann, noch beſtimmter hernach in ſeiner Unſicht-
barkeit
durch den Mantel und indem er ſich in eine
Fliege verwandelt hat (wie Loki, auch der indiſche
Hanuman dringt ſo zur Sita, Polier. I. 350.) er-
ſcheinen die unſichtbar machenden Kraͤfte der Nebel-
oder Tarnkappe (Nibel. 1367. u. a.) und die
Vertauſchung der Geſtalt in der nord. Sa-
ge. — Am merkwuͤrdigſten iſt die faſt ganz mit der
[XIII] alten dunkeln uͤbereinſtimmende, und ſie aufklaͤren-
de, umſtaͤndlichere (vgl. Nibel. 358 — 406.) Erzaͤh-
lung von der Theilung des Schatzes, dort
ſind, wie hier, Nibelungs-Recken uneinig und
rufen ihn als Schiedsmann herbei, der Wun-
der-Degen
iſt das herrliche Schwert Balmung.
Er bekommt es gleichfalls voraus und geht nun
ohne zu theilen mit dem erworbenen fort. Je-
ne Wunderkraft des Schwerts iſt bedeutend, denn
wie alle Koͤpfe vor ihm fallen, ſo erſtarren alle Le-
bendige vor dem Aegirs-Helm (Hildegrein), der
(wie altd. Waͤlder I. 264. gezeigt iſt,) nach der nord.
Sage ebenfalls zu dem Hort gehoͤrte


In ſeinem Verhaͤltniß zur Koͤnigin ſcheint auch
das mit Brunhild durch, ſie weiß, wie in der
nord. Sage, daß er ungluͤcklich wird, wenn er
von ihr geht, und ihre Verbindung mit ihm hat
etwas geheimes. Er entdeckt es unbeſonnen,
wie Siegfried der Chrimhild den fruͤher gewonnenen
Guͤrtel Brunhildens gegeben hat (Nibel. 3415.) und
daraus entſteht Ungluͤck, ſo wie ihre zweite
Vermaͤhlung
(mit Gunther) vorkommt. Er iſt
ihr „Erloͤſer,“ den ſie hernach doch verderben
will; wie er hier die Geiſter beſiegt, iſt er in der
nord. Sage durch die Flammen geritten, in der Wilk.
Sage (Cap. 148.) ſprengt er blos gewaltſam die
Thore; er war vom Schickſal dazu beſtimmt und
erwartet.


7.
Die Rabe.


(Aus der Leinegegend). Auch hier kommt die
Befreiung der Brunhild vor. Zuerſt wie in dem vo-
rigen (doch aus einer ganz andern Quelle gefloſſenen)
Maͤrchen der Zank der Rieſen uͤber ihre Schaͤtze,
nur nicht ſo deutlich. Das goldne Schloß auf dem
Glasberg iſt der Flammenſaal der nordiſchen
Sage, geradezu uͤbereinſtimmend mit dem altdaͤni-
ſchen Lied der Elſkovsviſer (altdaͤn. Lieder und Maͤr-
chen S. 31. Anmerkg. S. 496. 97.) wo Bryniel auf
dem Glasberge ſitzt; welchen nur ein beſon-
deres Pferd
(Grani) beſteigen kann. Die Ver-
[XIV] wandtſchaft und Vertauſchung der Flamme und des
ſchimmernden Glaſes liegt ſehr nah. — Der Schlaf-
trunk, vor dem ſie ihn warnt und der ihn uͤberwaͤl-
tigt, iſt der Vergeſſenstrank der nordiſchen
Grimhild.


Eine Annaͤherung zu den drei Raben I. 25. iſt
ſichtbar und doch dieſes Maͤrchen neu. In einem
der Braunſchweiger Sammlung, das ſonſt ganz an-
ders iſt, kommt S. 226. ff. vor, wie die Verwuͤnſchte
dreimal vorbei faͤhrt und der Ritter, der zu ihrer
Erloͤſung wachen ſoll, weil er aus einer Quelle ge-
trunken, an einer Blume gerochen oder einen Apfel
genoſſen, eingeſchlafen iſt: ſie legt ihm jedesmal ein
Geſchenk zur Seite, ihr Bild, eine Buͤrſte, die Geld
ſchafft und ein Schwert mit der Inſchrift: „folge
mir.“ Auch iſt die Farbe ihrer Pferde jedesmal, wie
hier, verſchieden. Uebrigens beweiſt dieſe Recenſion
den naͤheren Zuſammenhang mit dem vorangehenden
Maͤrchen vom goldenen Berg, denn der Ritter hat
auch vorher die verzauberte aus ihrer Schlangenge-
ſtalt durch Schweigen bei furchtbaren Geſpenſtern
erloͤſt. — Ueber das Kundgeben durch das Werfen
des Rings in den Weinbecher vgl. Hildebrands Lied.
S. 79.


8.
Die kluge Bauerntochter.


(Aus Zwehrn.) Hier hat ſich deutliche Spur der
alten Sage von Aslaug, Tochter Brynhilds und
Sigurds erhalten. Wiewohl eine koͤniglich ge-
borne
, die durch Ungluͤck in die Haͤnde von Bauern
gerathen iſt, nicht ausdruͤcklich genannt, zeigt ſich
doch klar daſſelbe Verhaͤltniß. Sie iſt uͤber ihren
Stand und ihre Eltern weiſe und der Koͤnig wird wie
Ragnar auf Kraka (ſo heißt Aslaug als Baͤuerin)
durch ihre Klugheit aufmerkſam gemacht. Um
ſie zu pruͤfen, legt er ihr gleichfalls ein Raͤthſel
vor, das ſie durch ihren Scharfſinn gluͤcklich und
raſch loͤſt. Der Inhalt des Raͤthſels ſelber ſtimmt
nah zuſammen und es ſind nur verſchiedene Aeuße-
rungen deſſelben Gedankens. Der nord. Koͤnig ver-
langt von Kraka (Ragnar Lodbroks S. Cap. 4.), ſie
[XV] ſolle kommen: „gekleidet und ungekleidet, gegeſſen
und ungegeſſen, nicht einſam und doch ohne jemands
Begleitung.“ Sie wickelt ſich, wie hier, nackt
in ein Fiſchgarn, daruͤber her ihr ſchoͤnes Haar,
beißt ein wenig in einen Lauch (Zwiebel) ſo daß man
den Geruch davon empfindet und laͤßt ihren Hund
mitlaufen. Zu vergleichen iſt auch ein aͤhnliches Raͤth-
ſel in andern Erzaͤhlungen *), ſo daß es uͤberhaupt
als ein altes Volksraͤthſel erſcheint.


Auch in der fortwaͤhrenden Klugheit und wie
ſie ſich des Koͤnigs Liebe wieder zuwendet,
der die Baͤuerin zuruͤckſchicken will, gleicht ſie der
Aslaug. Ragnar war in Schweden beim Koͤnig Ei-
ſtein, deſſen ſchoͤne Tochter Ingeborg ihm gefiel, auch
[XVI] ſeine Leute rathen ihm eines Bauerntochter nicht laͤn-
ger bei ſich zu haben. Als er aber nach Haus ge-
kommen iſt, und beide zu Bett gegangen, weiß durch
ihre Voͤgel (Raben: Geiſt) Aslaug ſchon ſein Vorha-
ben, entdeckt ihm ihre koͤnigliche Abkunft und ge-
winnt dadurch wieder ſeine Neigung. Cap. 8.


9.
Geiſt im Glas.


(Aus dem Paderboͤrn.) Beim Fiſcher (I. 19.)
ward ſchon die Uebereinſtimmung mit der Erzaͤhlung
der 1001. Nacht (ed. Paris 1806 in 12. I 107.) be-
merkt, hier iſt ſie von einer andern Seite noch deut-
licher und der lebendige Zuſammenhang beider Sa-
gen unleugbar. Dieſes Maͤrchen iſt alſo ein merkwuͤr-
diges Gegenſtuͤck zu dem Simeliberg (ſ. unten [Nr].
56) und der Harzſage von der Dummburg (Otmar
235.), die ſich in der 1001 Nacht B. VI. 342. findet
und zu dem von den drei Vuͤgelkens.


Das Einſchließen des Teufels (denn ein boͤſer
Geiſt iſt es, ſo wie in der orient. Erzaͤhlung) in eine
Flaſche kommt mehr vor z. B. in der Sage vom
griech. Zauberer Savilon (Zabulon, d. i. Diabolo),
wo der Virgilius ihn befreit (ſ. Reinfr. von Braun-
ſchw. Hanoͤv. Mſ. f. 168—171.) im Galgenmaͤnnlein.
Die Liſt, wodurch er bezwungen wird, iſt dieſelbe,
wodurch der unerſchrockene Schmidt (I, 81.) ſich be-
freit.


10.
De drei Vuͤgelkens.


Drei Stunden von Corvei weſtlich liegt der Keu-
terberg, Koͤterberg, Teuteberg
(uͤberein-
ſtimmend mit dem nicht weit davon anhebenden
Teutoberger Wald) d. h. Goͤtter-, Voͤlker-, Va-
ter-Berg, auf deſſen Gipfel ſich die Corveiſchen, Ha-
noͤv. und Lippiſchen Graͤnzen beruͤhren. Er iſt von
betraͤchtlicher Hoͤhe und mag leicht mehr als 40 Stun-
den im Umkreis beherrſchen, tiefer iſt er mit Waͤldern
bewachſen, die Kuppel ſelbſt iſt kahl, hier und da mit
[XVII] großen Steinen beſaͤet und gewaͤhrt duͤrftige Weide
fuͤr Schaafe. An ihn haben ſich natuͤrlich viele Sa-
gen geknuͤpft und durch ihn erhalten. Rings um den
Berg liegen ſechs Doͤrfer, aus einem derſelben iſt das
Maͤrchen ganz in der Mundart mit allen ungleichen
zwielichtigen Formen (denn nur die Schriftſprache
hat eine einzige beſtimmte, die lebende ſo haͤufig meh-
rere zugleich) z. B. ſehde und ſegde, graut und grot,
bede und beide, derde und dride. Teite fuͤr Vater,
das alte Tatta, wird nur in dieſen ſechs Doͤrfern
geſagt, ſonſt immer Vaer. — Der Eingang haͤngt
noch mit folgender Sitte zuſammen: wenn die Kin-
der, auf den verſchiedenen Seiten des Bergs das Vieh
huͤtend, ſich etwas ſagen wollen, [ruft] eins: „hela!“
oder: „helo! helo! hoͤre mal!“ Dann antwortet
das andere von druͤben: „helo! helo! wat wuſt
du?“ — „helo! helo! kumm mal to mie herover!“
— „helo! helo! ick kumme glick!“


Dieſes Maͤrchen ſtimmt ſagenmaͤßig mit dem der
1001 Nacht von den zwei Schweſtern, die auf ihre
juͤngſte eiferſuͤchtig ſind (VII. 277. ff.) uͤberein; die
arabiſche Erzaͤhlung iſt nur mehr ausgedehnt, die
deutſche einfacher und auch wohl ſchoͤner; beide haben
ihre Eigenthuͤmlichkeiten und beweiſen ihre Selbſt-
ſtaͤndigkeit damit. Aus jenem allgemein zugaͤngli-
chen Buch waͤre Auszug und Zuſammenſtellung bis
ins einzelne uͤberfluͤſſig. Der Derwiſch, welchem der
Prinz erſt Bart- und Augenhaar abſchneidet, eh er
redet (eins mit dem Geſpenſt in deutſchen Sagen,
welches ſtillſchweigend raſirt ſeyn will), iſt hier die
huͤlfreiche alte Frau; ſie geht fort und iſt erloͤſt,
gleichwie jener ſtirbt, nachdem er ſeine Beſtimmung
erfuͤllt hat.


Aber nicht blos als arabiſches auch als altitaliaͤni-
ſches erſcheint dieſes merkwuͤrdige Maͤrchen bei Stra-
parola (IV 3.); eine aͤußere Ableitung von dorther
wendet entſcheidend der Umſtand ab, daß Straparola
laͤngſt vor dem Ueberſetzer der 1001 Nacht lebte.
Manches iſt bei ihm ſogar beſſer: den Kindern fal-
len, wenn ſie gekaͤmmt werden, Perlen und Edel-
ſteine aus den Haaren, wodurch ihre Pfleg-Eltern
reich werden, dort im arabiſchen heißt es nur ein-
mal (S. 280.): „die Thraͤnen des Kinds ſollten
Kindermärchen II. B
[XVIII] Perlen ſeyn,“ aber der Mythiſche Zug ſelbſt iſt ſchon
untergegangen und hat nur dieſe Spur hinterlaſſen.
Die Wunderdinge, welche im ital. verlangt werden,
das tanzende Waſſer, der ſingende Apfel und der
gruͤne Vogel kommen mit der 1001 Nacht uͤberein;
aber abweichend und begruͤndeter iſt, wenn die Schul-
digen, von welchen die Kinder ins Waſſer geworfen
waren, bewirken, daß die Schweſter ihre Bruͤder zu
dem gefaͤhrlichen Unternehmen reizt, weil ſie hoffen,
dieſe ſollten dabei umkommen: in der 1001 Nacht
bleibt es unerklaͤrt, warum die Andaͤchtige die Neu-
gierde der Schweſter rege macht. Dagegen kommt
das Verbot ſich nicht umzuſehen ohne Noth bei Stra-
parola vor, da die Strafe des Verſteinens nicht
darauf ſteht.


Wichtiger als dieſe Abweichungen der arab. und
ital. Sage unter ſich, iſt es, anzufuͤhren, wie un-
ſere Deutſche in einigem mit dieſer, in anderm mit
jener uͤbereinkommt; der ſicherſte Beweis ihrer Un-
abhaͤngigkeit (wiewohl ſchon jeder, der die Gegend
kennte, wo es aufgenommen iſt, uͤberzeugt ſeyn wuͤr-
de, daß jene fremde Erzaͤhlungen niemals dorthin ge-
langt ſind). — Mit Straparola ſtimmt es, daß die
Kinder einen rothen (goldenen) Stern auf der Stir-
ne (altes Zeichen hoher Abkunft: Flamme auf dem
Haupt *); mit zur Welt bringen, wovon die arab.
Erzaͤhlung nichts weiß. Mit dieſer dagegen, daß kei-
ne boͤſe Stiefmutter, wie bei Straparola mitwirkt,
ſondern blos die Schweſtern; daß die Kinder in drei
Jahren nach einander nicht auf einmal zur Welt
kommen und ſich die beiden erſten Male der Koͤnig
beſaͤnftigt. Eigenthuͤmlich dem deutſchen und ſchoͤn
iſts, daß aus dem Waſſer jedesmal, wie das Kind
hineingeworfen iſt, ein Voͤgelchen aufſteigt, welches
andeutet, daß der Geiſt das Leben ſich erhalten hat,
(denn die Seele iſt ein Vogel, eine Taube), wie im
Maͤrchen vom Machandelboom (I. 47.); darauf be-
[XIX] ziehen ſich auch die Worte im Vers *) „zum Lilien-
ſtraus“ ſie wollen ſagen, das Kind war zum Tode
bereit (d. i. todt) bis auf weitern Beſcheid (Gottes)
aber iſt es gerettet; die Lilie lebt noch, denn die Li-
lie iſt auch der unſterbliche Geiſt (ſ. das Maͤrchen
von den drei Bruͤdern I. 9. S. 28. wo ſtatt der Lilie
die ihr gleichſtehende weiße Studentenblume: Nar-
ciſſe, verwandelter Juͤngling, vorkommt; und das
Volkslied im Wunderhorn, wo aus dem Grab, dar-
in Vater, Mutter und Kind liegen, drei Lilien auf-
ſprieſſen). Das Goldwaſſer [und] tanzende Waſſer iſt
hier richtiger Waſſer des Lebens, dieſes wird
oͤfter in den Mythen geſucht (auch in rabbiniſchen
findet es ſich) und daß es in der 1001 Nacht nicht an-
ders ſeyn ſoll, iſt daraus klar, daß die Princeſſin
durch Waſſer, das ſie gleichfalls oben bei dem Vogel
gewinnt, die ſchwarzen Steine zu Prinzen wie-
der belebt, wie hier den ſchwarzen Hund; viel
natuͤrlicher iſt es auch, daß es angewendet wird, um
die unſchuldige Mutter, die im Kerker ſaß, wieder
geſund zu machen. — Zum Ganzen vgl. das folgen-
de Maͤrchen.


11.
Das Waſſer des Lebens.


Nach einer heſſiſchen und paderboͤrn. Recenſion.
Nach der heſſiſchen kommt die erloͤſte Prinzeſſin gar
nicht vor und ſie ſchließt damit, daß der Koͤnig, um
den Schuldigen aus ſeinen drey Soͤhnen zu erfor-
ſchen, drei Decken machen laͤßt, eine goldene, eine
ſilberne und eine gewoͤhnliche: wer uͤber die goldene
reiten werde, ſey der unſchuldige und das iſt dann
der juͤngſte. In der paderboͤrn. abweichend, und
uͤberhaupt viel [unvollkommener], gibt den drei Prin-
zen, die zuſammen reiſen, ſtatt des Zwergs ein
Fiſcher Auskunft. Sie koͤnnen in das verzauberte
Schloß nicht eher gelangen, bis jeder drei Federn
von einem Falken hat, der alle drei Tage dreimal
B 2
[XX] geflogen kommt und jedesmal eine fallen laͤßt. Im
Schloß muͤſſen ſie mit einem ſiebenkoͤpfigen Drachen
kaͤmpfen, wer ihn nicht in drei Tagen beſiegt, der
wird in Stein verwandelt, wer ihn aber toͤd-
tet, bekommt das Waſſer des Lebens. Sie gelangen
mit den Falkenfedern ins Schloß; der Kampf wird
angeordnet; die Prinzeſſin und der Hof, alles ganz
ſchwarz gekleidet, ſehen zu. Die beiden aͤlteſten
koͤnnen dem Drachen nichts anhaben und werden zu
Stein; nun kommt der juͤngſte daran, der in einem
Schlag die ſieben Koͤpfe abhaut: die Prinzeſſin gibt
ihm alſo das Lebenswaſſer und, auf ſeine Bitte, den
Bruͤdern das Leben wieder.


Die Verwandtſchaft mit dem vorhergehenden Maͤr-
chen und dem arabiſchen und ital faͤllt ſogleich in die
Augen, eben ſo naͤhert ſich das vom Vogel Phoͤnix
(I. 57.) in allen Hauptzuͤgen. Am reinſten iſt die
Sage hier in dem Umſtand, daß Lebenswaſſer
geſucht wird, um einen alten kranken Koͤnig zu hei-
len. (Im trojan. Krieg, den Conrad von Wuͤrzb. be-
arbeitete, hat Medea um den alten Vater des Jafon
zu verjuͤngen, Waſſer aus dem Paradies (V. 10651)
Licht von Gold roth (10658) darin kocht ſie den Zau-
bertrank). Das Verſteinen iſt in der paderboͤrn.
wie in der arab. Erzaͤhlung Strafe deſſen, der nicht
ſiegt
. Im plattdeutſchen kommt es eigentlich nicht
vor, doch der ſchwarze Hund (denn es ſind
ſchwarze Steine in der 100. Nacht) nach welchem
man ſich ebenfalls nicht umſehen darf, deutet of-
fenbar darauf; er wird auch hernach in einen ſchoͤnen
Prinzen, wie jene Steine verwandelt. Zu-
gleich gibt dieſes Verſteinen, wozu in der 1001 Nacht
kommt, daß die Bruͤder ihrer Schweſter ein Zeichen
zuruͤck laſſen, namentlich der aͤlteſte ein Meſſer,
das bei ſeinem Leben glaͤnzend, bei ſeinem Tod
ſich blutig zeigen wird, eine unleugbare Grundaͤhn-
lichkeit und Verbindung mit dem Maͤrchen Nr. 74. im
erſten Theil.


12.
Doktor Allwiſſend.


(Aus Zwehrn.) Es iſt. auch im plattdeutſchen ein
[XXI] ſehr gutes aͤhnliches Maͤrchen unter dem Volk, das
uns aber nicht vollſtaͤndig konnte erzaͤhlt werden.


13.
Der Froſchprinz.


(Heſſiſch.) Iſt der eiſerne Heinrich (I. 1.) in ei-
genthuͤmlicher Verſchiedenheit und an ſich der Auf-
nahme werth, wenn es nicht ohnehin ein merkwuͤr-
diges Maͤrchen waͤre. Die Grundidee iſt wiederum
die tiefe von Amor und Pſyche, welche in ſo haͤufi-
gen und immer verſchiedenen Aeußerungen vorkommt.
Vgl. die Anmerkg. zum Maͤrchen vom Loͤweneckerchen
(Nr. 2.) und vom Sommer- und Wintergar-
ten (I. 68.)


14.
Des Teufels rußiger Bruder.


(Aus Zwehrn.) Die alte Sage von dem Baͤ-
renhaͤuter
, welche ſchon im Simpliciſſimus (III.
896.) erzaͤhlt wird (vgl. Armins Troͤſt Einſamkeit
und ſeine Erzaͤhlung: Iſabelle von Egypten). Dort
gibt ihm der Wirth eine ſeiner Toͤchter, wegen der
kuͤnſtlichen Bilder, die der Geiſt fuͤr ihn gemahlt hatte.
Merkwuͤrdig die gar nicht chriſtliche Anſicht der
Hoͤlle, worin der Soldat Muſik lernt, wie dieſe
in den Venusberg lockt, er ſelbſt dient dem Teufel
nur eine Zeit, iſt dann frei und gluͤcklich. Vermuth-
lich Zuſammenhang mit dem Maͤrchen hat eine ſonſt
weit verbreitete Volksſage, die ſich am [vollſtaͤndig-
ſten]
, wiewohl uͤberarbeitet und erneuert erhalten hat
im daͤn. Volksbuch Broder Ruus (ſ. Nyerups
Verzeichniß der Volksb. Nr. 43. und danſke Digte-
konſts Hiſtorie I. 115 — 122.), aber auch in Deutſch-
land gangbar geweſen ſeyn muß, wie er noch in
Brunonis Seidelii paroemiae ethicae (Francot.
1589.) als frater Rauſchius angefuͤhrt ſteht.
Ueber den engl. friar Ruſh vergl. Scotts Noten
zu ſ. Gedicht Marmion. p. LXVI. Dieſe Namen
fuͤhren freilich mehr auf Rauſch, Laͤrm, koͤnnten aber
auch mit dem hier zuſammenhaͤngen. Dieſer Rauſch
[XXII] iſt auch aus der Hoͤlle gekommen und wird ſelbſt als
ein Teufel dargeſtellt, er geht in ein Kloſter, ver-
dingt ſich da zum Koch, wie jener in der Hoͤlle, und
ſtiftet mancherlei Boͤſes. Damit fließt die Sage in
die von den alten Helden, die ins Kloſter gehen und
Dienſt thun, bei welchen aber der Drang nach
Kriegsthaten immer durchblickt; der Baͤrenhaͤuter
wird gerade auch als ein aus dem Krieg kommender
entlaſſener Landsknecht dargeſtellt. — Fiſchart im
Gargant. Spielverzeichniß Nr. 48. fuͤhrt an: „der
ruſig Schultheiß aus Morenland.“ — Vgl. das fol-
gende Maͤrchen.


15.
Der Gruͤnrock.


(Aus dem Paderboͤrn.) Selbſtſtaͤndige Abwei-
chung des vorigen Maͤrchens. Der Teufel erſcheint
hier wie in der Sage, welche Hebel (Alleman. Ge-
dichte 50.) erzaͤhlt, als ein Gruͤnrock (Weltkind)
und der ſich ihm ergibt, braucht auch nur in die Ta-
ſche zu grei[f]en, ſo hat er einen Thaler.


16.
Zaunkoͤnig und Baͤr.


(Aus Zwehrn.) Ein ſchoͤnes Thiermaͤrchen, das
in den Cyklus von Reinecke Fuchs gehoͤrt, wo der
Zuſammenhang naͤher angegeben werden ſoll. Hier
nur ſo viel, daß Zaunkoͤnig, Sperling und Meiſe
eine Idee ausdruͤcken: die kleine Liſt ſiegt aber uͤber
die große und darum muß ſelbſt das ganze vom Fuchs
angefuͤhrte Thiergeſchlecht dem kleinen Gefluͤgel wei-
chen, wie im Maͤrchen vom Gevatter Sperling (I.
58.) der Fuchs dem Vogel. Der Zaunkoͤnig iſt der
herrſchende, weil die Sage das kleinſte wie das
groͤßte als Koͤnig anerkennt. Dieß iſt wieder der
Gegenſatz der liſtigen Zwerge zu den plumpen Rie-
ſen, wie man ſchon zwerghaften, kleinen Leuten den
Unnamen Zaunſchliffer zu geben pflegt.


[XXIII]

17.
Vom ſuͤßen Brei.


(Heſſiſch.) Einmal die uralte Fabel vom Kruͤg-
lein, das nie verſiegt, und das nur [die] reine Un-
ſchuld in ihrer Gewalt hat; (vergl. zumal die indi-
ſche Erzaͤhlung von dem Kochtopf, in den man blos
ein Reißkorn zu thun braucht und der daraus unauf-
hoͤrlich Speiſe kocht. Polier II. 45.) dann die Sage
vom Zauberlehrling in Goͤthes Lied; wiewohl ſie eine
Darſtellung ohne Gleichen dort erhalten, ſo tritt doch
die eigentliche tiefe Mythe nicht ſo klar hervor und
der Nachdruck ruht auf der [Herrſchaft] des Mei-
ſters. — Brei wie Brot als urſpruͤngliche, einfache
Speiſe, bedeutet uͤberhaupt alle Nahrung; ſonſt war
es in Thuͤringen gebraͤuchlich zur Faſtnacht Hirſen-
brei zu eſſen, weil man glaubte, daß dann durchs
ganze Jahr kein Mangel entſtehen werde vgl. Praͤ-
tor. Gluͤckstopf S. 260. So ſtiftet auch die weiſe
Frau zur Belohnung der Arbeiter ein Feſt des ſuͤßen
Breies.


18.
Die treuen Thiere.


(Aus der Schwalmgegend.) Eine ſchoͤne Verbin-
dung mit dem Thiermaͤrchen, wie ſie in No. 74. des
erſten Bandes vorkommt. Die Schonung der her-
nach dankbar helfenden Thiere iſt auch in I. 16.
vgl. die dortige Anmerkung und Nr. 63. wie im ge-
ſtiefelten Kater. Im Pentameron V. 3. ein ſehr ei-
genthuͤmliches Maͤrchen, das jedoch mit dieſem weiter
keine Gemeinſchaft hat, von dem ſcarafone, ſorece
und grillo. Merkwuͤrdig iſt hier die Thaͤtigkeit der
Maus und wie ſie den ſchlafenden Feind beißt; dies
erinnert an Loki, der als Fliege die ſchlafende Freya
ſticht, damit ſie das Halsband ablege. Die Thiere
der Fabel ſind nichts als verwandelte Helden und
Menſchen. — Der weiße eirunde Stein iſt vermuth-
lich ein ſogenannter Weiſe, isl. Jarknaſteine (vgl.
die Anmerkung zur Str. 8. des dritten Gudrunen-
Lieds.)


[XXIV]

19.
Maͤrchen von der Unke.


I. (Aus Heſſen und an mehreren Orten gehoͤrt.)
Offenbaren Zuſammenhang damit hat eine Erzaͤh-
lung der Geſta Romanorum Cap. 68. Ein Ritter
wird arm und iſt daruͤber traurig. Da faͤngt eine
Natter, die lang im Winkel ſeiner Kammer gelebt,
zu ſprechen an und ſagt: „gib mir alle Tage Milch
und ſetze ſie mir ſelber her, ſo will ich dich reich ma-
chen.“ Der Ritter bringt ihr nun alle Tage die
Milch und in kurzer Zeit wird er wieder reich. Des
Ritters dumme Frau raͤth aber zum Tod der
Natter, um der Schaͤtze willen, die wohl in ihrem
Lager ſich faͤnden. Der Ritter nimmt alſo eine Schuͤſ-
ſel Milch in die eine Hand, einen Hammer in die an-
dere und bringts der Natter, die ſchluͤpft aus ihrer
Hoͤhle ſich daran zu erlaben. Wie ſie nun trinkt,
hebt er den Hammer, trifft ſie aber nicht, ſondern
ſchlaͤgt gewaltig in die Schuͤſſel; worauf ſie alsbald
forteilt. Von dem Tag an nimmt er an Leib
und an Gut ab
, wie er vorher daran zugenom-
men hat. Er bittet ſie wieder um Gnade, aber ſie
ſpricht: „meinſt du, daß ich des Schlags vergeſſen,
den die Schuͤſſel an meines Hauptes ſtatt empfan-
gen, zwiſchen uns iſt kein Frieden.“ Da bleibt der
Ritter in Armuth ſein Lebelang.


II. (aus Heſſen.) Die Sage von den Kronen
(Feuerteppichen) welche die Schlangen (Salamander)
weben, iſt bekannt.


III. (aus Berlin.)


20.
Der Muͤller mit dem Kaͤtzchen.


(Aus Zwehrn.) In eigener Zierlichkeit das Maͤr-
chen von dem gluͤcklich gewordenen Dummling, ſ.
Anmerkung zu I. 64. Die andern Muͤllersburſchen
bringen mit Fleiß und aus großer Verachtung des
Dummlings lahme und ſcheele Pferde, wie die zwei
aͤlteſten Koͤnigsſoͤhne grobe Leinwand und haͤßliche
Weiber.


[XXV]

21.
Die Kraͤhen.


(Aus dem Meckelnburg.) In Pauli’s Schimpf
und Ernſt Cap. 464 einfach: ein Diener wird von
ſeinem Herrn an einen Baum gebunden, boͤſe Gei-
ſter
, die ſich Nachts da verſammeln, ſprechen, daß
ein Kraut, welches unter dem Baum waͤchſt, das
Geſicht wieder gebe; nachdem er ſich geheilt, macht er
damit auch eines reichen Mannes Tochter wieder ſe-
hend und erhaͤlt ſie mit großen Guͤtern zur Ehe.
Sein voriger Herr will ſich auch ſolchen Reichthum
verſchaffen, geht zum Baum, wo ihm Nachts die
Geiſter die Augen ausſtechen. In der Braunſchw.
Sammlung mit dem unſrigen uͤbereinſtimmender,
aber ſchlecht verneuert. S. 168 — 180. Kraͤhen, die
auf dem Baume ſitzend, von Augen [aushacken], ſpre-
chen auch in Helwigs juͤdiſchen Legenden Nr. 23. hier,
indem ſie dem Blinden ſagen, was er thun ſoll, glei-
chen ſie den Voͤgeln, die dem Sigurd guten Rath ge-
ben (ſ. Fafnismal und Anmerkg. zu Str. 32.) der
friſchgefallene Thau, der das Geſicht wieder gibt,
iſt das Reine, das alles heilt, der Speichel,
womit der Herr dem Blinden das Geſicht wieder
gab und das unſchuldige Kinder- oder Jungfrauen-
Blut, wodurch die Miſelſuͤchtigen geneſen.


22.
Hans mein Igel.


(Aus Zwehrn.) Iſt Koͤnig Porc bei Straparola
(II. 1.) doch hier beſſer, fantaſtiſcher und urſpruͤng-
licher, nur ſollte Hans noch einem Koͤnig den Weg
gezeigt haben und betrogen ſeyn, damit er erſt, wie
bey Straparola, das drittemal erloͤſt wuͤrde. Igel,
Stachelſchwein und Schwein ſind mythiſch eins, wie
Porc und Porcaril; unten in einer andern einfachen,
aber auch guten Darſtellung iſt es ein Eſel (Nr. 58.).
Dieſe beiden Maͤrchen machen mit Nr. 1. und 68.
im erſten Band und Nr. 2 13 und 41 in dieſem eine
Reihe naher Verwandtſchaft aus, an welche ſich wie-
[XXVI] der andere in entfernterer ſchließen, vgl. die dortigen
Anmerkungen. Ueber die zum Grund liegende Idee
ſ. eine Anmerkung zu den altdaͤn. Liedern. S. 528.
529.


Leute, welche Gott zu ungeſtuͤm um Kinderſegen
anflehen, werden oft in den Maͤrchen mit ſolchen Mis-
geburten beſtraft, die ſich hernach, wenn die Eltern
gedemuͤthigt ſind, noch in Menſchen verwandeln. —
Die Ruͤckkehr des Kinds ins vaͤterliche Haus iſt wie
die des jungen Rieſen in Nr. 4.


23.
Das Todtenhemdchen.


(Aus Baiern.) Der Glaube, daß Thraͤnen dem
Todten nachgeweint, auf die Leiche im Grab nieder-
fallen und ihre Ruhe ſtoͤhren, erſcheint auch im zwei-
ten Helgelied (Str. 44.) ſo wie im daͤniſchen Volkslied
vom Ritter Aage und der Jungfrau Elſe.


24.
Der Jud im Dorn.


Dramatiſch lebendig, wie der Schmidt und Teu-
fel. Eine muͤndliche Erz[aͤ]hlung aus Heſſen leitet an-
ders ein. Der Vater entlaͤßt ſeine drei Soͤhne, die
auf drei Wegen in die Welt ziehen. Dem einen be-
gegnet der gute Geiſt und ſchenkt ihm die drei Wuͤn-
ſche; er wuͤnſcht einen Hut, der aus der Irre auf
den rechten Weg fuͤhrt; einen Wuͤnſchring; die Gei-
ge, die alles zum Tanzen zwingt. Darauf die Be-
gebenheit mit dem Juden und dem Richter. Endlich
wuͤnſcht er ſich an den Scheideweg mit ſeinen Bruͤ-
dern zuſammen und macht ſie alle reich. Dieſe groͤ-
ßere Verwickelung ſcheint aber den Eindruck mehr zu
ſchwaͤchen und eine andere ganz einfache muͤndliche
Erzaͤhlung aus dem Paderboͤrn. und die alten gedruck-
ten Bearbeitungen wiſſen nichts davon. Albrecht
Dieterich
„Hiſtoria von einem Bauernknecht und
Muͤnchen, welcher in der Dornhecken hat muͤſſen tan-
zen“ s. l. 1618. 8. (auf der Goͤtting. Bibl.) ein
[XXVII] Luſtſpiel, das aber vermuthlich im 16 Jahrh. verfaßt
iſt. Etwa gleichzeitig damit: J. Ayrer’s Faß-
nachtſpiel von Fritz Doͤlla mit der gewuͤnſchten Gei-
gen im opus theatricum Bl. 97 — 101. Auch bei
Dieterich heißt der Bauernknecht Dulla ein my-
thiſcher Name, der an Till oder Dill Eulenſpiegel
den luſtigen Schalksknecht erinnert (ſ. oben Num. 4.)
und das ſchwed. und altnordiſche Wort: Tule,
Thulr
, (homo facetus, nugator,
Spielmann.) der
Narr und Saͤnger des Volks iſt, und ſonſt ſtimmen
beide ſehr zuſammen, ſo daß ſie aus einer Quelle
ſchoͤpfen konnten, ſchwerlich aber ſich gegenſeitig be-
nutzt haben. Die Wuͤnſche ſind wie hier; ſtatt des
Juden, haben beide einen kloſterentlaufenen Moͤnch;
bei Dieterich haͤlt er die geruͤhmte Kunſt des Knechts
fuͤr Prahlerei und ſpricht: „in jener Hecke ſitzt ein
Rab, trifſt du den mit deiner Armbruſt, ſo zieh ich
mich nackend aus und hol ihn hervor.“ Beim Ayrer
ſchießt er einen Vogel vom Baum; vom Kleideraus-
ziehen iſt keine Rede. — Nach Diet. Albrecht die daͤ-
niſchen Reime: om Munken og Bondedrengen (Nye-
rup in der Iris og Hebe 1796. 310 — 312.) —
Vielleicht bezieht ſich auf unſer Maͤrchen eine ſonſt
unverſtaͤndliche Anſpielung im Parcifal 8539. vom
Faſan (Vogel) im Dornach.


Die Sage vom Tanzen in den Dornen iſt
ſehr verbreitet und greift in ein ganz anderes Maͤr-
chen des erſten Bandes S. 258. ein. Fuͤr die muͤnd-
liche Ueberlieferung wird eine von Otmar in Bek-
kers Erhol. 1797. aufgezeichnete Erzaͤhlung wichtig,
wo ſie aber ſehr entſtellt und in falſchen Ton verſetzt
iſt. Ein auf Tod und Leben gefangener Zauberer hat
einen nie fehlenden Pfeil und ſchießt damit einen Fal-
ken aus hoher Luft, der in Sumpf und Dornen faͤllt.
Die Haͤſcher ſollen ihn ſuchen, da hebt er den Schwa-
bentanz zu pfeifen an, das ganze Gericht tanzt und
ſo wird er von ſeiner Hinrichtung hernach befreit.


Die letzte Bitte und die Rettung aus dem
Tod durch Blaſen und Spielen kommt haͤufig vor,
(vgl. oben Nr. 30 das blaue Licht) von Arion bis auf
Gunnar, der durch Harfenſchlag die Schlangen ab-
haͤlt. Die Kraft Tanz zu erregen lag auch in Obe-
rons Pfeife, beſonders merkwuͤrdig iſt das Beiſpiel
[XXVIII] in der Herrauds ok Boſa Saga S. 49 — 51. wo gar
Tiſche, Stuͤhle. Meſſer und Becher mit tanzen muͤſ-
ſen. Vielleicht ſtammt ſelbſt das Wort Geige von
dem dort auch vorkommenden Gygiarſlag (Zau-
berſchlag von Gygur, Zauberin, Rieſin. Man hat
vom Fandango eine aͤhnliche Erzaͤhlung, Pabſt und
Cardinaͤle, die ihn verdammen wollen, muͤſſen ihn
anheben und freiſprechen.


25.
Der gelernte Jaͤger.


(Aus Zwehrn) Die Schuͤtzenkuͤnſte erinnern ſehr
an An Bogſweigr — das Aufſchneiden und Tren-
nen der Kleider der [ſchlafenden] Koͤnigstoͤchter, an
das Zerſchneiden des Panzers (ſlita bryniu) der
Brynhild. — Das Zungen ausſchneiden kommt oft
vor, der Hauptmann iſt der Truchſeß im Triſtan.
Das Maͤrchen geht am Ende in den Koͤnig Droſſel-
bart uͤber I. 52.


26.
Der himmliſche Dreſchflegel.


(Aus dem Paderboͤrn.) Muͤnchhauſen hat den
Schluß dee Maͤrchens gekannt und in ſeinen Reiſen
S. 53 benutzt. Die meiſten dieſer volksmaͤßigen Luͤ-
gen
ſind nicht von dieſem erfunden, ſondern uraltes
Gut und brauchen nur in einem andern Ton erzaͤhlt
zu werden, um in weitverbreitete Mythen einzugrei-
fen; z. B. das Winden eines Seiles aus Spreu ganz
uͤbereinkommend mit dem: vinda or ſandi ſima
(Harbardsl[.]
17,) und dem latein.: ex arena funem
nectere,
aͤhnlich der aus Waſſer und Wein gedrehten
Peitſche. Wunderhorn II. 411 aus dem Dietmarſen-
lied. Vergl. die rabbin. Mythen bei Helwig Nr. 2.
und 3.


27.
De beiden Kuͤnigeskinner.


(Aus dem Paderboͤrn.) Sehr eigenthuͤmlich, gut
und vollſtaͤndig aufgefaßt. Verwandt mit dem Loͤ-
[XXIX] weneckerchen (Nr. 2.) wegen des Ueberbietens der fal-
ſchen Braut, ſo wie mit dem Prinz Schwan (II. 59.)
wegen der Verfolgung mit dem Fundevogel (I. 50.)
dem Liebſten Roland (I. 56.) und dem Okerlo (I. 70.)
auch wegen des Vergeſſens mit beiden letztern. Ueber
die Aufgaben vgl. altd. Waͤlder I. Heft 4. Merkwuͤr-
dig iſt der Ausdruck: „Arweggers herut,“ denn
in den eddiſchen Zwergnamen (Dverga-heiti)
kommt auch Aurvagur vor; wenn gleich eine Va-
riante und die Voͤluſpa: aurvangur lautet. Der
fruͤhwachende iſt arvakur ein Stier- und Pferde-
Namen (Sigurdrifa’s Lied Str. 17.)


28.
Das kluge Schneiderlein.


(Aus der Schwalmgegend.) Ganz im Charakter
vom tapfern Schneider (I. 20.) das Rathen des Gold-
und Silberhaars kommt auch ſonſt vor.


29.
Die klare Sonne bringts an den Tag.


(Aus Zwehrn.) Ein tiefes, herrliches Motiv iſt
hier buͤrgerlich ausgedruͤckt. Niemand ſah der Mord-
that zu, keines Menſchen Aug, aber doch die Sonne
(Gott), das himmliſche Auge. Man hat noch andere
Sagen von der Sonne, wie ſie ſich verhuͤllt [und] nicht
zuſchauen will, wenn eine Mordthat geſchehen ſoll,
vgl. Odyſſee XX. 356. Daß die Worte eines Ster-
benden Gewalt haben, wird ſchon in Fafnismal als
alter Glauben bemerkt. — Das Spruͤchwort: „es
wird nichts ſo fein geſponnen, es kommt endlich an
die Sonnen,“ iſt auch hier zu bemerken.


30.
Das blaue Licht.


(Aus dem Mecklenburg.) Die Pfeife, woraus
der Soldat raucht, iſt wohl aus einer Floͤten-Pfeife
[XXX] entſtanden, welcher die Erdmaͤnner ſonſt zu gehor-
chen pflegen, wie in Nr. 6. das blaue Licht iſt ein
Irrwiſch, daͤn. Vaͤttelys (Geiſterlicht) und Lygte-
mand, der Herr des Zwergleins. Schaͤrtlin’s Ausru-
fung war: „blau Feuer!“ welche Worte ſich auch
mehrmals bei Hans Sachs finden.


31.
Das eigenſinnige Kind.


(Heſſiſch.) Einfach kindliche Lehre, wie im Maͤr-
chen vom alten Großvater I. 78. und vom geſtohlenen
Heller I. 7. Das Herauswachſen der Hand aus dem
Grabe iſt ein weitverbreiteter Aberglaube und gilt
nicht blos von Dieben, ſondern von Frevlern an ge-
bannten Baͤumen, (Schillers Tell Act. 3. Sc. 3.)
[von] Vatermoͤrdern (Wunderhorn I. 226.) In
Schimpf und Ernſt iſt noch eine andere Erzaͤhlung
von einem Arm, der aus dem Grab hervorreckt (daͤn.
Ausg. p. 218.) Es iſt auch nur eine bloſe Veraͤnde-
rung der naͤmlichen Idee, wenn aus dem Huͤgel und
Mund Begrabener, Blumen oder beſchriebene Zet-
tel, ihre Schuld oder Unſchuld anzuzeigen, wachſen.


Es iſt auch die Sage und der Glauben, daß dem,
welcher ſeine Eltern ſchlaͤgt, die Hand aus der Erde
waͤchſt; ſo iſt der Fuchsthurm auf dem Hausberg bei
Jena der kleine Finger eines verſunkenen Rieſen, der
Hand an ſeine Mutter gelegt hatte.


32.
Die drei Feldſcherer.


(Aus Zwehrn.) Die Geſta Romanor. (deutſche
Ausg. 1489. Cap. 37. lat. Cap. 76.) enthalten ein
aͤhnliches Maͤrchen. Zwei geſchickte Aerzte wollen,
um allen Zank zu ſchlichten, ihre Kunſt an einander
erproben; der ſich geringer zeigt, ſoll des andern
Juͤnger werden. Der eine zieht durch Huͤlfe einer
edlen Salbe ohne Schmerz und Verletzung dem an-
dern die Augen aus, legt ſie auf den Tiſch und ſetzt
ſie eben ſo leicht wieder ein. Der andere will nun
[XXXI] daſſelbe Kunſtſtuͤck auch vollbringen, zieht jenem mit
ſeinen Salben nun die Augen heraus und legt ſie auf
den Tiſch, als er ſich aber bereitet, ſie wieder einzu-
ſetzen, kommt ein Rabe durch das offene Fenſter und
holt ſchnell ein Auge weg und frißts. Der arbeiten-
de iſt in Noth, denn kann er das Aug nicht wieder
einſetzen, wird er dem andern unterthaͤnig; da ſchaut
er ſich um und erblickt eine Ziege, dieſer nimmt er
eilends das eine Auge und ſetzt es ſeinem Geſellen fuͤr
das fehlende ein. Als er ihn fragt, wie es ihm vor-
komme, antwortet er, Verletzung und Schmerz ha-
be er nicht geſpuͤrt, aber eins ſeiner Augen ſchaue im-
mer uͤber ſich zu den Baͤumen (wie naͤmlich die Zie-
gen nach dem Laub thun), das andere unter ſich. —
Das eingeſetzte Herz erinnert an Hrugnir’s ſteiner-
nes und das ſeinem Diener Mokurkalfr eingeſetzte
Pferdeherz u. ſ. w. Zu dem Einſetzen fremder Au-
gen vgl. auch das Maͤrchen von der Nachtigall und
Blindſchleiche (I. 6.) und naͤhere Einſicht muͤßte leh-
ren, in wie fern ein altdeutſches Gedicht „von einem
Koͤnig der Katzenaugen gewann“ (Schlegels Muſ.
IV. p. 416. Nr. 138.) hierher gehoͤrt.


33.
Der Faule und der Fleißige.


(Aus der Schwalmgegend.) Die Erloͤſung durch
einen Kuß kommt haͤufig in den Sagen vor.


34.
Die drei Handwerkspurſchen.


Nach einer Erzaͤhlung aus Zwehrn und einer an-
dern aus der Leinegegend. In der letztern iſt ab-
weichend, daß der Wirth den Getoͤdteten begraͤbt,
aber ein Freund deſſelben kommt, entdeckt ſein Pferd
im Wirthsſtall und ſein Hund ſcharrt unter der Dach-
traufe, wo der Ermordete vergraben liegt, einen
Arm heraus, deſſen Kleidung er wieder erkennt.


[XXXII]

35.
Die himmliſche Hochzeit.


(Aus dem Mecklenburg.) Graͤnzt an die Legende
und iſt doch auch ganz kindermaͤrchenhaft. Der un-
ſchuldige Glauben an die Worte Gottes, fuͤhrt ſelbſt
beim Mißverſtaͤndniß doch zur Seligkeit. Uebrigens
merkwuͤrdige Einſtimmung mit einem indiſchen My-
thus von einem Goͤtterbild, welches das verzehrt,
was ihm auch ein unſchuldiger Knabe vorſetzt. (Po-
lier II. 302. 303.)


36.
Die lange Naſe.


(Aus Zwehrn.) Die Sage vom Fortunat, die
ſich auch als eine deutſche ausweiſt, denn nach dem
Volksbuch iſt dieſe Erzaͤhlung offenbar nicht gemacht,
ſondern hier viel alterthuͤmlicher und einfacher. (Vgl.
I. Nr. 36. 37.) Der Wuͤnſchmantel und das
Horn kommen da gar nicht vor, ſondern ein Hut
und ein Seckel; die Geſta Romanor. haben alles
noch viel einfacher: im Fortunat wachſen ſtatt der
Naſen Hoͤrner, in den Geſtis Romanor. entſteht
der Ausſatz (eben ſo kommen in Helwig juͤdiſch.
Geſchichten Nr. 38. zwei Aepfelbaͤume vor, wo die
Frucht des einen ausſaͤtzig macht, die des andern
heilt). Da die Alten ſchon, wie wir, mancherlei
Spruͤchwoͤrter von der langen Naſe hatten, ſo mag
ihnen auch eine aͤhnliche Fabel bekannt geweſen ſeyn
z. B. bei Martial: naſus, qualem nolnerit ferre ro-
gatus Atlas.
— Der D. Fauſt kann ſich auf eine
wirkliche Perſon gruͤnden, um die ſich viel aͤltere Sa-
gen geſammelt haben; ſein Name iſt mythiſch und
weil er den Wuͤnſchmantel beſitzt, heißt er der
Begabte, das Gluͤckskind, Wuͤnſchkind fauſtus wie
fortunatus.


Das gedruckte Buch wurde zuerſt im 15 Jahrh.
vermuthlich aus Volksſagen in ſpaniſch niedergeſchrie-
ben, wie ſchon die Eigennamen darin: Andaloſia,
Marſepia, Ampedo, beweiſen.


[XXXIII]

37.
Die Alte im Wald.


(Aus dem Paderboͤrn.) Mit Joringel und Jo-
rinde I. 69. verwandt. Die Alte iſt die Hexe im
Maͤrchen von Gretel und Haͤnſel I. 16. und ſelbſt zu
der Circe gehoͤrig.


38.
Die drei Bruͤder.


Aus der Schwalmgegend, doch auch ſonſt viel-
faͤltig gehoͤrt, hier am vollſtaͤndigſten. Es iſt ein
altes Scherz- und Luͤgenmaͤrchen und wahrſcheinlich
ſehr verbreitet. Im 16 Jahrh. kam eine Sammlung
davon in Frankreich heraus von Philipp d’ Alcripe
(Picard).
Herr von Neri (rien) in Verbos (Vertbois)
wo dieſes ſich auch unter andern findet. In der neu
eroͤffneten Schaubuͤhne menſchlicher Gewohn- und
Thorheiten ſ. l. ct a. (wahrſcheinlich bald nach dem
30 jaͤhr. Krieg) werden S. 88 — 92 ſolche Aufſchnei-
dereien zuſammengeſtellt, darin heißt es: „damit ich
allhier jenes vierjaͤhrigen Kindes, welches mit einem
ſchweren breiten Saͤbel ſo meiſterlich fechten koͤnnen,
daß ihm in vollem Regen kein einziger Tropfen aufs
Haupt gefallen, keine Meldung thue.“ — „Item:
jener Goldſchmidt, welcher einer Muͤcken unter jeden
Fuß ein guͤldenes Hufeiſen mit 24 Naͤgeln ange-
heftet.“


39.
Der Teufel und ſeine Großmutter.


(Aus Zwehrn.) Im Grund aͤhnlich dem Teufel
mit den drei Goldhaaren (I. 29.), wo ihm das Ge-
heimniß abgelauſcht wird, wie dem Rumpenſtilzchen
(I. 55.) und dem Fiſcher in der Hervarar Sage S.
182. — Die Peitſche iſt eine bei Gold anſchlagende
Wuͤnſchelruthe. — Das ganze Maͤrchen hat et-
was nordiſches in ſeinem Weſen, der Teufel erſcheint
als ein ungeſchickter, uͤberliſteter Jote, vor allem nor-
diſch iſt das Raͤthſel; auch das Verſtecken des menſch-
lichen Ankoͤmmlings durch die Rieſenfrau, Tochter,
Kindermärchen II. C
[XXXIV] iſt ein alter Zug ſ. Hymisquida Str. 8. Anmer-
kung 20.


40.
Ferenand getruͤ un Ferenand ungetruͤ.


(Aus dem Paderboͤrn.) Das ſchoͤne Maͤrchen
ſcheint nicht vollſtaͤndig, es muͤßte im Zuſammenhang
ſtehen, wenn der Schimmel zuletzt ein Koͤnigsſohn
wird. Der rothe Faden am Hals des wieder leben-
dig gemachten iſt ſagenmaͤßig. Ueber das Gevatter-
bitten vgl. den Gevatter Tod I. 44. Die Floͤte, die
rettet, gleicht Arions Laute, das getreue Pferd dem
Bayard, Falada, dem Schemik (altdeutſch: Schim-
mel, Schimmung, iſl. Skemmingur) der boͤhmiſchen
Sage und Grani der nordiſchen. Zu merken ſind die
Schriften der Koͤnigin, entweder geſtickte Kleider,
wie das islaͤnd. ſkript und boͤkur (Buͤcher, Zeichnun-
gen, Stickereien) oder Runenſtaͤbe; wenigſtens iſt
die gefundene Schreibfeder gewiß ein ſolcher. — Die
Verſe, wie gewoͤhnlich die Reden der Vornehmen,
ſind hochdeutſch, das pflegen die Erzaͤhler faſt immer
ſo zu halten, wo ſie beide Sprachen verſtehen, wie
dies im Paderboͤrn haͤufig iſt, und die hoͤhere Mund-
art bezeichnet dann die Sprache der Vornehmen und
der Poeſie.


41.
Eiſenofen.


(Aus Zwehrn.) Dem Hauptinhalt nach verwandt
mit Koͤnig Schwan (I. 59.) Loͤweneckerchen (II. 2.)
den zwei Koͤnigskindern (II. 27.) und dem ſchoͤnen
Maͤrchen Pintoſmauto im Pentameron, wo die
treue Gemahlin den Koͤnig, der ſie vergaß, nicht nur
aus Gefahren gerettet, ſondern ſelbſt erſchaffen hatte.


Das Unterſchieben der falſchen Braut, die ſich zu
leicht an ihres Vaters unkoͤnigliches Handwerk erinnert,
war ſchon im Hurlebutz (I. 66.) vergl. Wolſunga S.
C. 21. und altd. Waͤlder I. 71.


Der dunkle und feurige Ofen, worein der Koͤ-
nigsſohn verwuͤnſcht iſt, bedeutet ohne Zweifel die
Hoͤlle, Unterwelt, den Orcus, wo der finſtere
Tod hauſt, aber auch die Schmiedeeſſe ſteht. Damit
[XXXV] erklaͤrt ſich die noch jetzt ſpruchmaͤßige Redensart:
etwas geheimes (in andern Sagen iſt es ein
Stein oder eine Steinſaͤule, der man das Geheim-
niß entdeckt. Buͤſchings Volksſagen S. 66 und 363.)
dem Ofen ſagen, den Ofen um etwas bitten, wie die
Alten bei der Unterwelt, wo der gerechte Todten
(Hoͤllen)-Richter wohnt, ſchwuren. Deswegen ſpricht
das Gaͤnsmaͤgdlein zum Ofen (II. 3.) vergl. Erdmaͤnn-
lein, (II. 5.) und enthuͤllt ihm die geſchehene Unthat,
die ſie keinem Menſchen offenbaren darf. Auch das
Wort Eiſenofen iſt alterthuͤmlich und nicht ſowohl
auf einen eiſernen zu deuten, als auf das alte Eit-
ofan
, Feuerofen, Camin, zuruͤckzufuͤhren (von Eit,
Eſſe, Feuer. ſ. gloss. doc. v. eitofan.)


42.
Die faule Spinnerin.


(Aus Zwehrn.) Aehnliche Idee im Pentamerone
IV. 4. und in einer altdeutſchen handſchr. Erzaͤh-
lung: von der Minne eines Albernen. Vgl. vom boͤ-
ſen Spinnen I. 14. und Cap. 125. in Pauli’s Schimpf
und Ernſt. ed. 1535. fol. Der Baum im Wald iſt
ein Spindel-Baum, Spill-, Spul-Baum, lat. fu-
ſarius,
franzoͤſ. fusain (von fuseau, Spindel) vergl.
Gerberts gloss. theotisca p. 139. evonymus, alſo
ein Gluͤck- oder Ungluͤck bedeutender Wuͤnſchelbaum.


43.
Der Loͤwe und Froſch.


(Aus der Maingegend.) Ueber Erloͤſung durch
Kopf-Abhauen vgl. I. 52. und 66. und die ſchwarze
und weiße Braut. (II. 49.)


44.
Soldat und Schreiner.


(Aus dem Muͤnſterland.) Manches darin iſt gut
und recht maͤrchenhaft, doch ſcheint das Ganze gelit-
ten zu haben, theils durch Luͤcken, theils durch Ver-
wirrung.


C 2
[XXXVI]

45.
Die ſchoͤne Katrinelje.


(Aus dem Paderboͤrn.)


46.
Der Fuchs und das Pferd.


(Aus Muͤnſter.) Der Zuſammenhang mit der
großen Thierfabel wird ſich beim Reinhart Fuchs zei-
gen. Verwandt iſt das Ganze mit dem Maͤrchen
vom alten Sultan (I. 48.)


47.
Die zertanzten Schuhe.


(Aus dem Muͤnſterland.) Die Todesſtrafe ſteht
darauf, wenn die Aufgabe nicht geloͤſt wird, wie in
Nr. 48. in dem Maͤrchen von Turandot u. a.


48.
Die ſechs Diener.


(Aus dem Paderboͤrn.) Muͤnchhauſen hat auch
dieſes Maͤrchen, das hier ungleich beſſer iſt, in ſei-
nen luͤgenhaften Reiſen benutzt (London d. i. Goͤttin-
gen 1788. S. 84. ff.) Man vergleiche das Volksbuch
[von] der pommerſchen Kunigunde und das Maͤrchen
von den ſechs Soͤhnen und ihren Kuͤnſten im Penta-
merone. Auch Thor mit ſeinem Diener Thialfi ge-
hoͤrt hierher; ſo wie die große Mahlzeit an die
Rieſen-Gaſtmaͤhler in den altdaͤniſchen Liedern erin-
nert, wo auch die Braut ganze Ochſen verzehrt und
aus Tonnen dazu trinkt.


In einer heſſiſchen Erzaͤhlung aus der Schwalm-
gegend kommen einige aͤhnliche Perſonen vor, aber
die Fabel iſt verſchieden und unbedeutender. Der
Horcher, der Laufer, einer der alles umblaͤſt
und ein Starker kommen zuſammen in Geſell-
[XXXVII] ſchaft. Der Laufer holt das Wildpret, der Blaͤſer
jagt mit ſeinem Wind die Leute aus den Doͤrfern,
oder blaͤſt ſie durch die Schornſteine hinaus und
nimmt dann, was ſich im Haus findet: Brot, Fleiſch,
Eier; der Starke traͤgts fort und der Horcher muß
acht geben, ob Huſaren hinter drein kommen. Sie
gehen auf eine Zeit an des Koͤnigs Hof, die Koͤnigs-
tochter iſt krank und kann nur durch ein Kraut
geheilt werden, das hundert Meilen weit vom Koͤ-
nigreich waͤchſt und in 24 Stunden muß herbeige-
ſchafft ſeyn. Es wird bekannt gemacht, daß derjeni-
ge, welcher es holt, ſo viel Schaͤtze haben ſoll, als
er verlangt. Die vier Geſellen geben ſich dazu an,
die Aerzte beſchreiben das Kraut genau und der Lau-
fer macht ſich auf den Weg. Er bringts auch vor der
beſtimmten Zeit und die Princeſſin wird geſund.
Darauf fragt der Koͤnig, wie viel Gold er verlange.
„So viel als mein Bruder (der Starke) tragen
kann.“ Der Koͤnig denkt, der iſt noch beſcheiden und
ſagt ja. Der Starke aber macht ſich einen ungeheu-
ren Sack, rafft alles Gold in der Schatzkammer auf
und ſagt, das ſey noch zu wenig. Der Koͤnig muß
erſt vier, dann acht Wagen voll anders woher kom-
men laſſen, als er noch mehr geben ſoll, ſagt er: „ich
habe nichts mehr in meinem ganzen Reich-“ „Wenns
nicht anders iſt, ſo mags gut ſeyn“ ſagt der Starke
und geht mit dem Reichthum ab. Als die vier Ge-
ſellen fort ſind, aͤrgert den Koͤnig das viele Geld,
das er dahin gegeben und ſchickt ein Regiment Huſa-
ren nach, die ſollen es wieder abnehmen. Der Hor-
cher aber hoͤrts, der Laufer ſieht, obs wahr iſt, der
Blaͤſer laͤßt ſie heranruͤcken und blaͤſt ſie in die Luft,
ſo daß keiner mehr zu hoͤren noch zu ſehen iſt. Dar-
nach theilen ſie ſich ins Geld und leben vergnuͤgt bis
an ihr Ende.


49.
Die weiße und ſchwarze Braut.


(Aus dem Meklenb. und Paderboͤrn.) Nach der
einen Erzaͤhlung wird der Bruder nicht blos un-
ter die Schlangen geſetzt, ſondern wirklich umge-
[XXXVIII] bracht und unter die Pferde im Stall begraben. Die
Ente kommt Abends ans [Gatterloch] geſchwommen
und ſingt:
macht auf die Thuͤr, daß ich mich waͤrme,
mein Bruder liegt unter den Pferden begraben
hauet den Kopf der Ente ab

wodurch die Handlung des Koͤnigs, daß er ihr den
Kopf abhaut, woran ihre Loͤſung gebunden war, beſ-
ſer begruͤndet wird. Am Ende wird der Bruder im
Stall ausgegraben und ſtattlich unter die Erde ge-
bracht, vgl. den ſingenden Knochen I. 28. Das ganze
Maͤrchen liegt einer modernen ſchlechten Ueberarbei-
tung in den Sagen der boͤhm. Vorzeit. Prag. 1808.
S. 141 — 185 zu Grund. Der Eingang iſt von Blu-
men und Perlenkaͤmmen, wie ſonſt auch vorkommt.
Eigen iſt, daß die begabte Schoͤnheit vor freier Luft und
Sonnenſtrahl gehuͤtet werden muß. Unterwegs nun
bricht die boͤſe Hexe das Kutſchenfenſter, daß Luft
und Sonne eindringt, da wird ſie in eine goldne
Ente verwandelt. Im Pentamerone IV. 7. findet
ſich eine eigenthuͤmliche, halb aus ihm halb aus dem
Gaͤnsmaͤdchen (oben Nr. 3.) zuſammengeſetzte Re-
cenſion, wie denn auch unſer gegenwaͤrtiges Maͤrchen
genau an die Fabel von der Koͤnigin Berta wieder
erinnert. Beſonders iſt der einfache Gegenſatz von
Schwaͤrze und Weiße, fuͤr Haͤßlichkeit und Schoͤnheit
zu bemerken, da er an die Mythe von Tag und Nacht
(und der Nacht Tochter) denken laͤßt und Berta (die
weiße, biort) ſchon im Wort den Tag und das Ta-
gesbrehen, Anbruch, ausdruͤckt. Indem die im Waſ-
ſer geſtoßene als ſchneeweiße Ente aufſteigt und fort-
lebt, erſcheint ſie als Schwanen-Jungfrau. (Ebenſo
iſt auch die nordiſche Schwanhild weiß und ſchoͤn
wie der Tag, im Gegenſatz zu ihren raben-ſchwar-
zen Stief
bruͤdern.) Der Name Reginer iſt ver-
muthlich ſchon alt in dieſer Geſchichte; aus den alten
Marſchaͤllen, Stallmeiſtern und Wagenfuͤhrern ſind
in der ſpaͤtern Volksanſicht Kutſcher geworden, wie
aus den Helden Soldaten. Darum daß der Bruder
bei den Pferden iſt und unter ihnen begraben wird,
erinnert er an das Roß Falada, deſſen Stelle er im
Maͤrchen vertritt. Der Kuͤchenjung iſt wie dort der
Hirtenjung.


[XXXIX]

50.
De wilde Mann.


(Aus dem Muͤnſterland.) Merkwuͤrdig iſt in dem
ſchoͤnen Maͤrchen, daß hier ganz eigentlich ein maͤnn-
licher Aſchenputtel
vorkommt, wie es in den
aͤlteren Sagen auch ſcheint geweſen zu ſeyn. Vgl. B.
I. Anhang S. XVI. und die Nachtraͤge. Der ſchlechte
Kittel, weshalb er wie Allerlei-[Rauh] (I. 65.) allein
ſchlafen muß, ſogar die gemeine Kuͤchenarbeit kom-
men vor, und eben ſo kehrt er heimlich nach dem koͤ-
niglichſten Leben in ſeinen alten Zuſtand zuruͤck, ſo
daß er nur an einem aͤußeren Zeichen erkannt wird.


51.
De drei ſchwatten Princeſſinnen.


(Aus dem Muͤnſterland.) Der Zauber in ſeiner
Entwicklung oder im Gang zu ſeiner beſtimmten Auf-
loͤſung durch uͤbermaͤchtige Eingriffe geſtoͤrt, zieht
Verderben oder gaͤnzliche Vernichtung nach ſich. vgl.
die Anmerkung zum Eſelein Nr. 58. Er will heim-
lich bleiben, ſcheut Licht (darum [ſind] die drei ſchwarz
und werden allmaͤhlich weiß. ſ. auch die abweichende
Erzaͤhlung vom Marien-Kind I. 3. Anhang S. V.)
und Rede: und es iſt ganz daſſelbe, wenn beim He-
ben des Schatzes, das erſte geſprochene Wort ihn
ſiebenmal tiefer zu verſinken zwingt.


52.
Knoiſt un ſine dre Suͤhne.


(Aus dem Sauerland und in dem dortigen Dia-
lect.) Wird [ſingend] und mit ſehr lang gezogenen
Sylben erzaͤhlt. Werrel (Werl) iſt ein Wallfahrts-
ort in Weſtphalen, Soiſt (Soeſt) im Bergiſchen. Es
wird auch als Raͤthſel angegeben und wenn man lang
gerathen hat und nach der Aufloͤſung fragt, geant-
wortet: „eine Luͤge.“ Nach einer an dern Erzaͤhlung
gehen ſie, nachdem der nackende den gefangenen Ha-
ſen in die Taſche geſteckt hat, in die Kirche, wo der
[XXXX[XL]] „boͤcken Paſtor“ und der „hageboͤcken Koͤſter“ das
Weihwaſſer austheilen: „darauf keimen ſe bie een
graut, graut Waater, dat was ſo breed, dat en
Haan daroͤver ſchret, do woͤren drei Schippe up,
dat eene was leck, dat annere was leck, dat derde
was kien Boaden in, in dat, wo kien Boaden was,
ſetten ſe ſick alle drei in, de eene verſop, de annere
verdrank, de derde kam der gar nig wier ut.“


53.
Dat Maͤken von Brakel.


(Aus dem Paderboͤrn.) St. Anna naͤmlich iſt
die Schutzpatronin von Brakel und ihre Capelle liegt
nicht weit von der Stadt. Mudder iſt aus dem Hoch-
deutſchen heruͤbergekommen, Moͤhme aber der ge-
meine Ausdruck. Man hat dort noch einen andern
Spottvers:


O hilge ſuͤnte Anne,

help mie doch bald tom Manne!

O hilge ſuͤnte Viet,

et is ietz de hogeſte Tied!

St. Vitus iſt der Schutzpatron des nahliegen-
den Corvei.


54.
Das Maͤrchen vom Hausgeſinde.


(Aus dem Paderboͤrn.) Die vielerlei Abweichun-
gen dieſes uralten Maͤrchens (gleichſam ein Geſpraͤch
mit dem Widerhall) anzufuͤhren, wuͤrde hier zu weit-
laͤuftig ſeyn und noch unpaſſender die meiſtentheils
in die alte Sprache und Fabel reichenden, immer ſehr
poetiſchen Namen zu erklaͤren. Der Hel (Hoͤlle)
Saal heißet Eliud, ihr Tiſch Hungur, ihr Meſ-
ſer Sultur, ihr Knecht Ganglaͤti, ihre Magd
Gangloͤt, ihre Schwelle Fallandi-forrad, ihr
Bett Kaur, ihre Decke Blikandi-baul, ihr
Acker Hnipinn. In der Gothreks Saga ſind andere
bedeutſame Familiennamen, der Vater Skapnar-
tungur
, die 3 Soͤhne: Fiolmodi, Ymſigull,
[XXXXI[XLI]] Gillingr
, die Mutter ſammt den drei Toͤchtern:
Totra, Snotra, Hiotra, Fiotra und in ei-
ner andern Sage der Mann Stedie, die Frau
Brynia, die Tochter Smidia, der Sohn Thoͤl-
lur
; man findet in den mythiſchen Geſchlechtsna-
men lauter Verwandſchaften. So zaͤhlt Vidrich
im Lied von Rieſe Langbein 18. 19. 20. die Namen
von Vater, Mutter, Schild, Helm, Schwert und
Pferd auf. In einem altdeutſchen Gedicht vom
Hausrath heißt der Hund Grin, die Katze Ziſe,
der Knecht Wiſe, das Pferd Kerne, die Magd
Metze. Muſaͤus (Volksm. V. 130) hat aus einem
Volkspilgerlied folgende ſchoͤne Stelle aufbehalten:
aus welcher Gegend kommt ihr? „von Sonnenauf-
gang.“ wohin, gedenkt ihr? „nach Sonnennieder-
gang.“ in welches Reich? „in die Heimath.“ wo
iſt die? „hundert Meil ins Land hinein.“ Wie
heißeſt du? „Springinsfeld gruͤßt mich die Welt,
Ehrenwerth heißt mein Schwert, Zeitver-
treib
nennt ſich mein Weib, Spaͤtestagt ruft
ſie die Magd, Schlechtundrecht nennt ſich der
Knecht, Sauſewind tauft ich mein Kind, Kno-
chenfaul
ſchalt ich den Gaul, Sporenklang
heißt ſein Gang, Hoͤllenſchlund lock ich den Hund,
Wettermann kraͤht (heißt) mein Hahn, Hupf
ins Stroh
heißt mein Floh. Nun kennſt du mich
mit Weib und Kind und allem meinem Hausgeſind.“


Schuͤtze im hollſt. Id. 2. 117. und 4. 136. fuͤhrt
an: Hebberecht ſo heet min Knecht; Snakfor-
dan
ſo heet min Man, Tiedvoͤrdrif ſo heet min
Wif, Luuſebung ſo heet min Jung. In den
Kinderliedern, Anhang zum Wunderhorn S. 41. — 43.
Bibberlein heißt mein armes Huͤhnelein, Ente-
quentlein
die Ente, Wackelſchwaͤnzlein die
Gans, Schmortopf das Schwein, Klipper-
bein
die Ziege, Gutemuh die Kuh, Guckher-
aus
das Haus, Kegelbahn der Mann, Golden-
ring
das Kind, Hat er gſagt die Magd, Ha-
berecht
der Knecht, Wettermann der Hahn,
Huͤpf ins Stroh der Floh. — Stilling in ſ. Le-
ben I. S. 62. fuͤhrt nur eine Zeile an: „Gerberli
hieß mein Huͤneli,“ und ein hollaͤnd. Volkslied be-
ginnt: koekeloery heet myn haan, prys heer
[XXXXII[XLII]] myn hennetjen.
Wenn der Tannhaͤuſer II. 67.
ſein Geſinde Zadel, Zweifel, Schade und
Unbereit nennt, ſo iſt das ſchon der Uebergang
der epiſchen Namen in die bewußte Allegorie, wie
z. B. in dem Spruch: Vielborgen hat eine Stief-
mutter, heißt: Verkaufdeingut, die gebiert eine
Tochter heißt: Gibswohlfeil, dieſelbige Tochter
hat ein Bruder der heißt: zum Thorhinaus. In
der Mitte ſteht noch das bekannte: „Sparebrot
(Vater) iſt tod, Schmalhans heißt der Kuͤchen-
meiſter.“ Einzelne Namen, wie der des Weibes
Zeitvertreib und Leidvertreib laſſen ſich in
vielen alten Beyſpielen darthun, z. B. Morolf 59.
1145. Auch der „Ruprecht mein Knecht“ aus dem
Wartburger Krieg gehoͤrt hierher Vergl. die Na-
men, die in der ſchoͤnen Katrinelje vorkommen.


55.
Das Laͤmmchen und Fiſchchen.


(Aus dem Fuͤrſtenthum Lippe.) Das Ende wohl
unvollſtaͤndig und es ſchwebte nur vor: die Stief-
mutter glaubt das Laͤmmchen gegeſſen zu haben und
verlangt nun vom Koch auch noch das Fiſchlein zu-
bereitet. Der Koch aber toͤdtet es auch nicht, wie es
anfaͤngt zu ſprechen und zu klagen, bringts zum
Laͤmmchen und taͤuſcht die Stiefmutter wieder, deren
Bosheit dem Vater zu Ohren kommt und die beſtraft
wird. S. die weiße und ſchwarze Braut (No. 49.)
die Anmerkung dazu — der Eingang vom Abzaͤh-
len kommt auch in dem Lied der Graͤfin von Orla-
muͤnde (im Wunderhorn) vor.


56.
Simeliberg.


Merkwuͤrdig, daß dieſes im Muͤnſterland erzaͤhlte
Maͤrchen auch am Harz von der Dummburg Otmar
S 235 — 18. oder Hochburg vorkommt und genau
mit dem orientaliſchen von den 40 Raͤubern ein-
ſtimmt, (1001. No. VI. 345.) wo ſogar der Felſen
[XXXXIII[XLIII]]Seſam auffallend an die Namen Semſi und
Semeli, wie der Berg in den deutſchen Sagen
heißt, erinnert. Gerade dieſe Bergbenennung iſt
uralt in Deutſchland, nach einer Urkunde bei Piſto-
rius III. 642. heißt ein Berg im Grabfeld Similes
und in einem Schweizerlied (Kuhns Kuͤhreihen,
Bern 1810. S. 20. und Spaziers Wanderungen,
Gotha 1790. S. 340. 341.) wird ein Simeliberg
wiederum erwaͤhnt. Man kann dabei an das ſchwei-
zeriſche ſimel fuͤr ſinbel: rund denken. (ſ. Stalders
Woͤrterbuch.)


57.
Kinder in Hungersnoth.


(No. 57. — 69. aus ſchriftlichen Quellen geſammelt.)


Praͤtorius (im Abentheuerlichen Gluͤckstopf, 1669.
S. 191. 192.) gibt die Sage, wie er ſie gehoͤrt hat,
die Mutter ſoll zu Grafelitz uͤber Eger in Boͤhmen
gelebt haben.


58.
Das Eſelein.


Nach einem lateiniſchen Gedicht in elegiſchem
Sylbenmaß aus der zweiten Haͤlfte des 15ten Jahr-
hunderts in einer Straßburg. Handſchrift (MSS.
Johann. c. 105. 5 Blaͤtter) unter dem Titel Aſi-
narius
. Die Erzaͤhlung iſt wie in dem Raparius
(60.) breit, doch nicht ungefaͤllig. Anfang:


Rex fuit ignotae quondam regionis et urbis,
ſed regis nomen pagina nulla docet,

Is ſibi conſortem regni talamique ſodalem
ſortitus fuerat nobilitate parem.

Schluß:


poſt liaec preterea patris ſortitur honorem
ſicque regit regum rex duo regna duum.

Ueber den Inhalt vergl. die Anmerkung zu Hans
mein Igel, No. 22. Eigentlich muͤßte nach der Be-
lauſchung des geheimnißreichen Zaubers Ungluͤck er-
[XXXXIV[XLIV]] folgen, wenigſtens Stoͤrung des irdiſchen Gluͤcks, (wie
es erfolgt, nachdem Pſyche den Amor beleuchtet hat,
bei der Meluſine, dem Schwanenritter u. a.); bei
dem Hans mein Igel iſt die Spur in dem Umſtand,
daß er ſchwarz wird und erſt muß [geheilt] werden,
hier darin, daß der Juͤngling aͤngſtlich entfliehen will,
im Lateiniſchen:


ergo gener mane ſurgit ſomno ſatiatus,
pelle volens aſini ſicut et ante tegi;

quam non inveniens, multo ſtimulante dolors,
de ſola cepit anxius eſſe fuga.

Und indem er dem Alten antwortet:


— — ita faciam tecumque manebo

et precor ut finem deut bona cepta bonum.

Ein indiſches Maͤrchen, das dieſem ganz nah
kommt, iſt in den Altd. Waͤldern I. 165 — 67. mit-
getheilt; auch ſcheint ſich es auf ein gaͤnges Sprich-
wort: „welcher Eſel nicht kann Pauken (oder Lauten)
ſchlagen, [muß] die Saͤck zur Muͤhle tragen,“ zu be-
ziehen.


59.
Der undankbare Sohn.


Aus Schimpf und Ernſt Kap. 413. Ganz in
der Art wie Großvater und Enkel (I. 78.) der zar-
ten Kindheit vor allen nahliegend und eindringlich.
Aelter und mehr legendenmaͤßig bei dem Dominika-
ner Thomas von Cantimpre aus dem 12 Jahrhund.
der das Maͤrchen als muͤndliche Ueberliefrung mit-
theilt; Vergl. Buͤſching in Schlegels Muſeum IV.
32. 33. der noch ein anderes Buch citirt, wo es vor-
kommt.


60.
Die Ruͤbe.


Der aͤußern Form nach eins der aͤlteſten Maͤr-
chen, naͤmlich aus einem lateiniſchen Gedicht des
Mittelalters uͤberſetzt und zwar nach der in Stras-
burg
vorhandenen Papierhandſchrift (MS. Johann.
[XXXXV[XLV]]C. 102. aus dem 15. Jahrh.) worin es 392 Zeilen in
elegiſchem Versmaß bildet und Raparius uͤber-
ſchrieben iſt. Eine andere gleichzeitige wird zu Wien
aufbewahrt, (Denis II. 2. p. 1271. Cod. DI XII.
R.
3356.) Das Gedicht ſelbſt mag indeſſen bereits im
14. Jahrhund. verfaßt worden ſeyn, ohne Zweifel
nach muͤndlicher Volksſage, vielleicht eben aus dem
Elſaß. Denn die große Ruͤbe gehoͤrt zu den Volks-
ſcherzen, und in dem Volksbuch von dem luͤgenhaf-
ten Aufſchneider (auch ins Schwediſche uͤberſetzt Lund
1790.) heißt es: „Als ich nun weiter fortwanderte
und nach Straßburg kam, ſah ich daſelbſt
auf dem Feld
eine ſolch große Ruͤbe ſtehen,
als ich noch niemals eine geſehen und ich glaube, daß
einer mit einem Roß in drei langen Sommertagen
die elbe nicht umreiten koͤnne.“ Dem Maͤrchen ſelbſt
fehlt es nicht an merkwuͤrdigen Beziehungen. Der
mißrathene Verſuch, den Gluͤckserwerb zu uͤberbieten,
da doch das unſchuldige Herz fehlt, in viel andern
Maͤrchen. Die Erloͤſung aus dem Sack iſt genau
die [aus] dem Brunnen-Eimer in der Thierfabel, wo
der Fuchs den dummen Wolf beruͤckt, hinunter ins
Himmelreich einzugehen, damit ihn dieſer heraus-
ziehe; als ſie ſich unterwegs in den Eimern begegnen,
ſpricht der Fuchs die bekannten ſpoͤttiſchen Worte:
„ſo gehts in der Welt, der eine auf, der andere nie-
der!“ Dieſer Sack und Eimer ſind ferner wiederum
die Tonne, worin der kluge Mann von den dummen
Bauern erſaͤuft werden ſoll (ſ. I. 61. und Scarpafico
bei Straparola) der aber einem vorbeigehenden Hir-
ten weiß macht, daß wer ſich hinein lege, zu einer
Hochzeit und großen Wuͤrde abgeholt werden ſollte.
In allen dieſen Maͤrchen iſt der Wuͤnſchelſack oder
das Gluͤcksfaß von der komiſchen Seite dargeſtellt,
denn der Mythus wandelt gern den Ernſt in Schimpf
um. An die ernſthafte Seite erinnert aber unſer
Raparius am bedeutendſten: wie hier der Mann am
Baum haͤngend Weisheit lernt, ſchwebt der nordiſche
Weiſe in der [Luft] und lernt alle Wiſſenſchaft (Runa-
capituli)
veit ek, at ek hiek vindga meidi a
naͤtur allar niu.
(weiß ich, daß ich hing am winddurchwehten Baum
[XXXXVI[XLVI]] ganzer neun Naͤchte lang.)
tha nam ek frevaz ok frodr vera.
(Da begann ich beruͤhmt und klug zu werden.)


Odin ſetzt ſich unter die Galgenbaͤume, redet mit den
Haͤngenden und heißt darum hanga-god (-tyr-
drottinn.)
Dieſer mythiſchen Wichtigkeit wegen
moͤge die darauf bezuͤgliche Stelle des Originals zu-
gleich eine Probe des Stils geben:


Tunc quaſi ſocraticus hunc laeta voce ſalutat
et quafi nil triſte perpatiatur ait:

„ſalve! mi frater, hominum cariſſime ſalve!
huc ades, ut ſpero, ſorte favente bona.“

Erigit ille caput ſtupidosque regirat ocellos,
ambigit et cujus vox ſit et unde ſonet.

Dum ſuper hoc dubitat, utrum fugiat maneatve,
huc movet ire timor et vetat ire pudor.

Sic ſibi nutantem ſolidat conſtantia mentem,
dixit: „l reſonet vox tua, quisquis es hic?“

De ſacco rurſus auditur vox quoque ſecundo:
„ſi dubitas, quid ſim, ſuspice, tolle caput;

in ſacco ſedeo, ſedet ſapientia mecum,
hic ſtudiis didici tempore multa brevi.

Pape! ſcolas quaerunt longe lateque ſcolares,
hic tantum veras noveris eſſe ſcolas.

Hic, phas ſi ſit adhuc hora ſubſiſtere parva,
omnia nota dabit philoſophia michi,

ac cum prodiero, puto me ſapientior inter
terrigenas omnes non erit unus homo.

Pectore clauſa meo latet orbita totius anni,
ſic quoque ſiderei fabrica tota poli,

lumina magna duo complector vi rationis,
nec ſenſus fugient aſtra minora meos.

Sed neque me ſigna poſſent duodena latere,
quas vires habeant, quas et arena maris.

Flatus ventorum bene cognovi variorum,
cuilibet et morbo quae medicina valet
*);

vires herbarum bene cognovi variarum,
et quae ſit volucrum vis ſimul et lapidum.

Septem per partes cognovi quaslibet artes;
ſi foret hic Catho cederet atque Plato.

Quid dicam plura? novi bene ſingula jura,
caeſareas leges hic ſtudui varias.

[XXXXVII[XLVII]]
Qualiter et fraudes vitare queam muliebres*),
gratulor hoc iſto me didiciſſe loco.

Hic totum didici, quod totus continet orbis,
hoc totum ſaccus continet iſte meus;

nobilis hic ſaccus precioſo dignior oſtro,
de cujus gremio gratia tanta fluit.

Si ſemel intrares, daret experientia noſſe,
hic quantum ſaccus utilitatis habet.“

61.
Das jungegegluͤhte Maͤnnlein.


Von Hans Sachs erzaͤhlt. Kempt. Ausg. IV. 3.
152 — 153. Neigt ſich zu den Volksſcherzen. Das
Verjuͤngen alter Greiſe ſammt dem misgluͤckenden
Nachahmen erinnert gaͤnzlich an die griechiſche Fabel
von Medea, Aeſon und Pelias.


62.
Des Herrn und des Teufels Geſchirr.


Von Hans Sachs erzaͤhlt im Jahr 1557. Kempt.
Ausg. I. 5. S. 1006 — 1007. Die Woͤlfe als Got-
tes Hunde
ſtimmen merkwuͤrdig zu den odiniſchen
Hunden (Vidris grey) gleichfalls Woͤlfen. Ueber
das Einſetzen anderer Augen vgl. die drei Feldſchee-
rer, Nr. 32. Ein uralter Grund bricht allenthalben
durch dieſe Fabel.


63.
Der Hahnenbalken.


Von Fr. Kind in Beckers Taſchenbuch von 1812.
in einem Gedicht erzaͤhlt; es hat Aehnlichkeit mit
Ruͤbezahls Neckereien. Der oberſte Gipfelbalken im
Dachwerk heißt Hahnenbalken, weil der Hahn
darauf zu ſitzen pflegt (Parcifal 5758.)


[XXXXVIII[XLVIII]]

64.
Die alte Bettelfrau.


Ein Bruchſtuͤck und verworren. Wird in Stil-
lings Juͤnglingsjahren erzaͤhlt, ſcheint aber ein altes
Volksmaͤrchen, wobei die es vortragende Amme oder
Mutter, den zuhoͤrenden Kindern vielleicht auch den
Gang der krummen, gebuͤckten Alten mit dem Stock
in der wackelnden Hand vormacht. Der Schluß fehlt,
vermuthlich raͤcht ſich das Bettelweib durch eine Ver-
wuͤnſchung, wie man mehr Sagen von eintretenden
pilgernden Bettlerinnen hat, die man nicht ungeſtraft
beleidigt. Es iſt merkwuͤrdig, daß der in Bettlerge-
wand verhuͤllte Odin unter dem Namen Grimnir in
die Koͤnigshalle einkehrt und ihm die Kleider am
Feuer zu brennen anfangen. Der eine Juͤngling
bringt ihm ein Horn zu [trinken], waͤhrend ihn der
andere hatte zwiſchen die Flamme ſitzen laſſen. Zu
ſpaͤt merkt der des Pilgers Goͤttlichkeit, will ihn aus
der Flamme ziehen, faͤllt aber in ſein eigen Schwert.


65.
Die drei Faulen.


Schimpf und Ernſt Cap. 243. Die Geſta Ro-
manor. (deutſche Ausg. Cap. 3. lat. Cap. 91.) haben
das Maͤrchen auch, doch ſo, daß der, welcher ſich
lieber verbrennen will, der erſte iſt; welcher ſich lie-
ber will aufhenken laſſen, der zweite: der dritte aber
ſpricht: „laͤge ich in meinem Bett und mir fielen die
Dachtropfen in beide Augen, ehe ich mich auf eine
Seite wendete, ehe ließ ich mir die Tropfen die Augen
[ausſchlagen].“ Fiſchart im Gargantua 79b erzaͤhlt
einen andern Fall von dem faulen Heinz: „eben wie
jener Knecht, da man ihn fruͤh weckt: o de Vaͤgel-
ken pipen ſchun in de [Noͤrken]! oh, lat pipen, ſahd he
lat pipen, de Vaͤgelkens hefen klene Hoͤfdken, hefen
bale utgeſlapen, averſt min Hoͤfedken is tomal gar
grot, deit ime Noht me to ſlapen.“


[XXXXIX[XLIX]]

66.
Die heilige Frau Kummerniß.


Neigt ſich wie Nr. I. 81. I, 3. Il. 1. II. 35. aus
der heil. Legende ins Maͤrchen. Vergl. Strobl ovum
paschale p.
216. 217. und Benign. Kybl Wunder-
ſpiegel I. 505. uͤber die letzte Spielmannsbitte ſ. Nr.
24. den Jud im Dorn. Man hat mehr als eine Sa-
ge von Heiligenbildern, die aus Gnade einen Finger
der Hand ausſtrecken, um den Ring daraus fallen zu
laſſen. Der heil. Sebald zu Nuͤrnberg, als ein fre-
cher Geſell ſein Bild am Bart zupfte und ſprach:
Alter, wie ſchmeckt dir der Moſt? regte die Hand
und gab ihm eine Ohrfeige, daß die fuͤnf Finger auf
der Wange unvertilgliche Spuren druͤckten. (Wagen-
seil. de civit. Norimberg.
Altdorf 1697. 4. p. 37
— 57.) S. auch de beiden Kuͤnigeskinner (Nr. 27.)
wo der ſteinerne Mann mit dem Kopf nickt.


67.
Schlauraffenland.


Die Fabel vom Affen- oder Schlauraf-
fenland
(die ſchlauen, klugen ſind den dummen
Affen, apar ósvinnir, mythiſcher Gegenſatz) ſteigt
ohne Frage in ein hohes Alter auf, da ſchon das ge-
genwaͤrtige Maͤrchen aus einem altdeutſchen Gedicht
des 13 Jahrhunderts herruͤhrt. Bald wird ſie ſpaß-
haft, wie hier und meiſtentheils, gewendet, aber im
Maͤrchen von dem Zuckerhaͤuschen, das mit Fladen
gedeckt, mit Zimmt gebalkt iſt, (I. 16) erſcheint ſie
in glaͤubigem Kinderernſt gleichwohl dieſelbe und
ſchließt ſich an die noch tieferen Mythen von dem
verlorenen Paradies der Unſchuld, worin Milch und
Honig ſtroͤmen. Zu der erſten Art blos gehoͤrt Hans
Sachſens bekannter Schwank (ſ. Haͤsleins Auszug
S. 391.) und Fiſcharts Anſpielung im Gargantua
S. 96a „in dem Land kann ich nicht mehr bleiben,
die Luft thut mich in Schlauraffen treiben, drei Meil
hinter Weihnacht, da ſind die Lebkuchenwaͤnde,
Schweinebratenbalken, Malvaſirbrunnen, Milchram-
Kindermärchen II. D
[L] regen, Zuckererbſenhagel, da wird der Spaß be-
zahlt und der Schlaf belohnt, da gibts Bratwuͤrſt-
zaͤune, Honiggyps und Fladendaͤcher.“ Eben ſo hat
man im altfranzoͤſ. Fabliaux von dem pays de Co-
cagne
(Méon.
4. 176.) — Auf der andern Seite
ſchlaͤgt das Maͤrchen in die vielen Sagen von den un-
moͤglichen Dingen (Nr. 68.) und die gleichfalls alte
Geſchichte vom Finkenritter ein, deſſen Fiſchart
mehrmals gedenkt und woran er vielleicht ſelbſt mit-
gearbeitet hat (uͤber das Volksbuch vgl. Kochs Grund-
riß 2.) Im Bienenkorb St. 4. Cap. 4. heißt es un-
ter andern: „zur Zeit, da die Haͤuſer flogen, die
Thiere redten, die Baͤche brannten und man mit Stroh
loͤſchte, die Bauern bollen und die Hunde mit Spie-
ßen herausliefen, zur Zeit des ſtrengen Finkenrit-
ters.“ Manches in der Zuſammenſtellung dieſer un-
moͤglichen Dinge deutet auf geheime, verloren gegan-
gene Beruͤhrungen derſelben dennoch hin und es iſt
hier, wie in den Traumdeutungen, die Reihe ſolcher
ahnungsvollen Verwandtſchaften (da ja uranfaͤnglich
alle Gegenſaͤtze verfließen) von den rohen und groben
Luͤgen zu unterſcheiden. Ein hollaͤndiſches Volkslied
„de droomende Reyziger“ wiewohl moderniſirt hat
aber noch viele alte Strophen und Uebereinſtimmung
mit dem Altdeutſchen Gedicht, vgl. die Samml. To-
verlantarn. S. 91 — 92. Vgl. das Dietmarſiſche
Lied von den unmoͤgl Dingen, Walafrieds Strabo
ſimilitudo impoſſibilium (Canis. II. p. 2. p. 241.)
und Stellen bei Tanhaͤuſer 2. 66. Marner 2. 172.
und Boppo 2. 236. Das Luͤgenmaͤrchen, das unter
der Ueberſchrift von den Wachteln ſich in Hand-
ſchrift (Nr. 119.) zu Wien befindet, hat auch eine
mit unſerm merkwuͤrdig uͤbereinſtimmende Stelle.


Die hunt ſint mit muz behut,

da ſind kirchtuͤr gut,

gemauert aus putern gotwaiz

und ſchaint die ſunn als haiz,

daz ſchat im umb ain har.

ain aichen-phaff, daz iſt war

ain puchain meſſe ſinget,

der antlaz im geben wirt,

daz im der ruck ſwirt,

den ſegen man mit kolben gab

[LI]
ze hant hub ich mich herab,

von dem antlaz ich erſrak:

ſiben Wachteln in ſak!

68.
Das Dietmarſiſche Luͤgen-Maͤrchen.


Nach Vieths Chronik. Vgl. Alterthumszeitung
1813. Nr. 6. S. 29.


69.
Raͤthſel-Maͤrchen.


Aus einem Volksbuch mit Raͤthſeln. Die Ver-
wandlung in Blumen auf dem Feld kommt auch im
Liebſten Roland vor (I. 56) und die Aufloͤſung hier
erinnert an die Bienenkoͤnigin, die den Honigmund
heraus findet (I. S. 299.)


70.
Der goldne Schluͤſſel.


Aus Heſſen.


[]

Appendix A Druckfehler.


  • Seite 112. Zeile 7. lies machte ſich.
  • — 115 — 13. ſtatt kommt l. komm.
  • — 148. — 4. ſtatt holte l.Holte.
  • — 206. — 7. und 10. von unten ſt. Ort l.
    Ohre.
  • — 208. — 16. ſt. kuren l. kuͤren.
  • — 288. — 10. v. u. ſt. umgeſchaffen l. un-
    geſchaffen.

[][][]
Notes
*)
D. h. Windchen wehe! nicht die Ausrufung
eheu!
*)
Duns ſoviel als zog, von dinſen.
*)
Nämlich. Pauli’s Schimpf und Ernſt enthält einen
Schwank, wornach einem die Strafe erlaſſen wer-
den ſoll, wenn er kommt: „halb geritten und halb ge-
gangen, mit ſeinem größten Feind und größten Freund.“
Der Schuldige kommt mit ſeinem Pferd, indem er den
rechten Fuß in den Steigbügel ſetzt, mit dem andern
auf der Erde fortſtelzt; mit ſeiner Frau, die ihn auf
eine Ohrfeige gleich als Mörder anklagt, (was er ihr
fälſchlich als ein Geheimniß anvertraut hatte) und ſich
ſo als ſein größter Feind ausweiſt; und mit ſeinem
Hund, der ſein größter Freund iſt, weil er, nachdem
er ihn geſchlagen, auf ſein Locken, wedelnd zurück
kommt. Hans Sachs erzählt auch die Geſchichte ſehr
gut und in der Sache übereinſtimmend, ed. 1560. fol.
78. Eine abweichende Recenſion, welche die Geſta Ro-
manor. enthalten (lat. Ausg. Cap. 121. deutſche, Cap.
24.) hat auch die Aufgabe etwas anders: der Schul-
dige bringt nämlich kein Pferd, ſondern legt das rechte
Bein auf den Hund, und weil er noch ferner ſeinen
beſten Spielmann ſollte mitbringen, hat er ſein Kind
mitgenommen, als welches ihm, wenn es vor ihm
ſpiele, die größte Kurzweil mache. — Endlich kommt
daſſelbe in einer Erzählung der Cento novelle antiche
(Torino
1802.) S. 163. vor. Wer zu einem beſtimmten
Tag „ſeinen Freund, Feind und Spielmann mit-
bringt“ ſoll die Gnade des Königs und große Schätze
haben, das wird wie dort aufgelöſt; nur, daß er halb
geritten und halb gegangen kommen ſoll, fehlt.
*)
Es gibt auch Geſchlechter, wo bei jedem Mitglied,
wenn es heftig bewegt wird, von Zorn, Schaam, ein
ſcharf gezeichneter rother Blutſtreif auf der Stirne
ſich zeigt.
*)
Dieſer Vers geht auch in andere Volkslieder der dor-
tigen Gegend über.
*)
S. Runacap. 9.
*)
S. Runacap. 24. 25.

License
CC-BY-4.0
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2025). Grimm, Jacob. Kinder- und Haus-Märchen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjvj.0