[][][][][][][[I]]
Lehrbuch
der
Gynaͤkologie,
oder

ſyſtematiſche Darſtellung der Lehren
von Erkenntniß und Behandlung eigenthuͤmlicher geſunder
und krankhafter Zuſtaͤnde, ſowohl der nicht ſchwangern,
ſchwangern und gebaͤrenden Frauen, als der Woͤchnerinnen
und neugebornen Kinder.

Zur
Grundlage akademiſcher Vorleſungen,
und zum Gebrauche fuͤr praktiſche Aerzte, Wundaͤrzte
und Geburtshelfer,


Erſter Theil.

Mit einer Kupfertafel.

Leipzig,: bey Gerhard Fleiſcher.
1820.

[[II]][[III]]

Vorrede.


Wenn die Lehre von der Behandlung geſunder und
krankhafter Zuſtaͤnde des weiblichen Koͤrpers uͤberhaupt,
und beſonders waͤhrend des hoͤchſtwichtigen Zeitpunktes
der Geburt, in neuer Zeit, verglichen mit dem Zuſtan-
de in welchem ſie ſich noch vor ungefaͤhr hundert Jah-
ren befunden, ſo große Fortſchritte gemacht hat, ſo ver-
danken wir dieſes unfehlbar außer dem Einfluße des
Fortſchreitens geſammter aͤrztlicher Wiſſenſchaft, doch ins-
beſondere der auch in dieſem Zweige nach und nach im-
mer mehr verloͤſchenden widernatuͤrlichen Trennung zwi-
[IV] ſchen Chirurgie und Medicin. Man darf ſicher behaup-
ten daß vorzuͤglich die Behandlung des Geburtsgeſchaͤfts
wenig erſprießliche Folgen haben konnte, ſo lange ſie
als bloßes Conglomerat gewiſſer mechaniſcher Fertigkei-
ten erſchien, die Beobachtung eigentlicher lebendiger
Wirkſamkeit des Organismus aber faſt ausgeſchloſſen
blieb, und man darf ſogar uͤberhaupt annehmen daß
Krankheiten des weiblichen Koͤrpers, ſo lange dem
Arzte nicht eine klare Einſicht in die eigenthuͤmliche
Natur dieſes Geſchlechts vorſchwebte, nur wenig natur-
gemaͤß behandelt werden konnten. Die Erkenntniß dieſer
Wahrheiten hat nun allmaͤhlig immer mehr auf Vernichtung
der engen Grenzen, worin die Entbindungskunſt ſich
eingezwaͤngt ſah, hingewieſen, und darauf gedrungen,
die Lehre von der Huͤlfsleiſtung bei der Geburt nur als
eine beſondere Disciplin der Lehre von der Natur und
Behandlung des weiblichen Koͤrpers uͤberhaupt anzuer-
kennen. Maͤnner wie Boër, mein trefflicher ehemaliger
Lehrer Profeſſor Joͤrg, Schmidmuͤller, Nolde,
Schmitt, Fauſt
, haben in dieſem Sinne gelehrt und
geſchrieben, und wie ich mich ſelbſt praktiſch mehr mit
dieſem Zweige der Heilkunde befaßte, vorzuͤglich aber
[V] ſeit ich 1814 die Direktion einer bedeutenden Entbin-
dungsanſtalt uͤberkam, wurde mir dieſes ſo zur feſten
Ueberzeugung, daß ich nicht nur nach dieſen Grund-
ſaͤtzen meine Vortraͤge ordnete, ſondern fortwaͤhrend darauf
bedacht war, Materialien zu ſammeln, um eine Darſtellung
der geſammten Gynaͤkologie, welche als Ganzes
bisher noch nirgens abgehandelt iſt, einſt daraus zu
geſtalten.


Nachdem ich endlich mit der Ausarbeitung meiner
naturwiſſenſchaftlichen Studien zu einem Ganzen, durch
die Herausgabe meiner Zootomie, nicht ſowohl abgeſchloſ-
ſen, ſondern mich nur durch Ordnung des Erworbenen
zu weitern Forſchungen vorbereitet und erleichtert hatte,
ſchritt ich zur Ausfuͤhrung dieſes Plans, welche Arbeit
jetzt dem Publikum zu uͤbergeben ich mich im Begriff
ſehe. Ich lege dieſe Schrift fortwaͤhrend meinen Vor-
traͤgen zum Grunde, und wuͤrde mich freuen wenn auch
andere Lehrer dieſelbe fuͤr gleichen Zweck zu benutzen
angemeſſen faͤnden, habe denn auch deßhalb durchgaͤngig
einer Praͤciſion nachgeſtrebt, wodurch die Betrachtung
der vielfachen hierher gehoͤrigen Gegenſtaͤnde, welche in
anderen Werken (z. B. dem in 4 Baͤnden noch nicht
[VI] geſchloſſenen ſchaͤtzbaren Lehr- und Handbuche uͤber Ent-
bindungskunſt und Frauenzimmerkrankheiten des H. v.
Siebold) in einem groͤßern Umfange abgehandelt
worden ſind, in dem Raum zweier Baͤnde zu beendigen
moͤglich wurde. Demungeachtet hat mich indeß dieſe
Ruͤckſicht auch nicht abhalten koͤnnen, bey moͤglicher
Kuͤrze doch den einzelnen Gegenſtaͤnden diejenige Aus-
fuͤhrung zu geben, wodurch dieſes Buch zugleich Hand-
buch fuͤr angehende Aerzte, und uͤberhaupt zum Nach-
ſchlagen fuͤr beſondere Faͤlle im praktiſchen Leben brauchbar
werden konnte; denn was den muͤndlichen Vortrag be-
trifft, ſo glaube ich nicht, daß er etwa nur dadurch
indem er dem Zuhoͤrer einige Kenntniſſe welche in dem
abſichtlich gewaͤhlten duͤrftigen Compendium fehlen, mit-
theilt (obwohl man ſie in jedem andern Handbuche
leicht nachleſen kann), ſondern dadurch ſeine wahre
Bedeutung erfuͤllt, daß er durch lebendiges Wort und
Wechſelrede den Sinn fuͤr das ſelbſtthaͤtige Eindringen
in irgend eine Wiſſenſchaft erwecke. —


Mit Beifuͤgung literariſcher Notitzen glaubte ich
nur ſparſam verfahren zu muͤſſen, da ich es hier fuͤr
[VII] die Hauptaufgabe hielt, zunaͤchſt die Sache ſelbſt, und
zwar das Gepruͤfte und durch Erfahrung Bewaͤhrte, klar
und beſtimmt darzuſtellen. — Daß die zweckmaͤßige
Benutzung des von Andern Geleiſteten hierbei nicht
uͤbergangen iſt, wird man hoffentlich bemerken, jedoch
auch ſich uͤberzeugen daß ich, wo die Natur mir einen
andern Weg zeigte, durchaus keiner bloßen Auto-
ritaͤt gefolgt bin. Außer den literariſchen Huͤlfsmitteln
und in manchen ſchwierigen Punkten dem Rath gelehrter
Freunde, unter denen ich insbeſondre meine verehrten
Collegen Hofrath Seiler und Kreyſig zu nennen mich
verpflichtet fuͤhle, habe ich ſo viel als moͤglich durchgaͤn-
gig auf Naturbeobachtung mich geſtuͤtzt, wozu mir ins-
beſondre die ſeit 1814 in den Annalen der Entbindungs-
antalt genau aufgezeichneten mehr als tauſend Geburts-
faͤle Materialien liefern konnten, und ſo unterwerfe ich
nit dem Bewußtſeyn uͤberall das Beſte treu beabſichtigt
zu haben, dieſe Arbeit dem Urtheile ſachkundiger Richter.


Der Druck dieſes erſten Theils war uͤbrigens bereits
im vorigen Jahre beendigt, und wenn er ſelbſt erſt
jetzt erſcheint, ſo iſt es nur um den zweiten Theil,
[VIII] welcher die phyſiologiſchen und pathologiſchen Zuſtaͤnde
der Schwangern, Gebaͤrenden, Woͤchnerinnen und Neu-
geborenen umfaſſen wird, dieſem erſteren in kurzer Zeit
nachfolgen zu laſſen.


Dresden, d. 1. Mai 1820.


Dr. C. G. Carus.


[IX]

Inhalt
des erſten Theils der Gynaͤkologie
.


  • Einleitung Seite 1
  • I.Allgemeine Gynaͤkologie.
  • Erſter Abſchnitt. Von den Eigenthuͤm-
    lichkeiten im Baue und Leben des Wei-
    bes (allgemeine Phyſiologie)
    — 15
  • 1) Eigenthuͤmlichkeiten in der Geſammtform des
    weiblichen Koͤrpers — —
  • 2) Eigenthuͤmlichkeiten im Baue der weiblichen Ge-
    ſchlechtstheile und des weiblichen Beckens — 20
  • I. Zeichenlehre der weiblichen Geſchlechtstheile — 35
  • II. Zeichen des regelmaͤßig gebildeten Beckens — 40
  • 3) Eigenthuͤmlichkeiten der weiblichen phyſiſchen
    und pſychiſchen Lebensaͤußerungen — —
  • Zweiter Abſchnitt. Von der Eigenthuͤm-
    lichkeit in den Krankheiten des weib-
    lichen Geſchlechts (allgemeine Patho-
    logie
    — 57
  • Dritter Abſchnitt. Von der aͤrztlichen
    Behandlung des weiblichen Organis-
    mus im geſunden und kranken Zuſtande
    (allgemeine Diaͤtetik und Therapie
    Seite 61
  • I. Von der Perſoͤnlichkeit des Frauenarztes und
    Geburtshelfers — 62
  • II. von der Art und Weiſe die verſchiedenen Zu-
    ſtaͤnde des weiblichen Koͤrpers auszumitteln und
    zu unterſuchen.
  • 1) Unterſuchung durch Geſicht und Getaſt.
    a) die aͤußerliche — 68
  • b) Innere Manualunterſuchung. — 72
  • 2) Inſtrumental-Unterſuchung — 76
  • III. Von den allgemeinen Regeln der Diaͤtetik
    und Therapie fuͤr das weibliche Geſchlecht.
  • a) Diaͤtetik — 80
  • b) Therapie — 84
  • II.Specielle Gynaͤkologie.
    Erſter Theil.
    Vom Leben des Weibes an und fuͤr ſich, im geſunden
    und kranken Zuſtande.
  • Erſter, phyſiologiſch-diaͤtetiſcher Abſchnitt.
  • I. Von der normalen Entwickelung, Reife und Er-
    toͤdtung des Geſchlechtscharakters — 89
  • II. Von den Regeln der Diaͤtetik waͤhrend der drei
    weiblichen Lebensperioden insbeſondere — 98
  • Zweiter, pathologiſch-therapeutiſcher Ab-
    ſchnitt
    .
  • Erſte Abtheilung. Von den Krankheiten in der
    erſten Lebensperiode des weiblichen Koͤrpers — 101
  • I. Von den angebornen Fehlern weiblicher Genitalien.
    1) Von krankhaften Bildungen der aͤußern Ge-
    ſchlechtstheile Seite 101
  • 2) Von krankhaften Bildungen der innern Ge-
    ſchlechtstheile — 104
  • II. Von der krankhaft zu zeitig entwickelten Pubertaͤt — 106
  • Zweite Abtheilung. Von den Krankheiten in der
    Zeit der Geſchlechtsreife — 113
  • I. Allgemeine Krankheitszuſtaͤnde.
  • 1) Unregelmaͤßigkeiten der Menſtrualfunktion — 114
  • A. Mangelnde oder verzoͤgerte. Entwickelung der Men-
    ſtrualfunktion — 115
  • B. Unvollkommene Menſtruation — 127
  • C. Uebermaͤßiges Hervortreten der Menſtrualfunktion — 143
  • D. Hemmung oder Unterdruͤckung der Menſtrualfunktion — 151
  • 2) Beſondere durch Unregelmaͤßigkeiten der Puber-
    taͤtsentwickelung begruͤndete Krankheitszuſtaͤnde — 156
  • 1. Verſtimmung der Reproduktion waͤhrend der Pu-
    bertaͤtsentwickelung.
  • Bleichſucht — 158
  • 2. Verſtimmung der animalen Funktionen waͤhrend
    der Pubertaͤtsentwickelung — 172
  • 3) Mutterwuth, Manntollheit — 216
  • 4) Unfruchtbarkeit — 221
  • 5) Hyſterie, Mutterbeſchwerung — 231
  • II. Krankheitszuſtaͤnde der einzelnen weiblichen Ge-
    ſchlechtsorgane — 253
  • I.Krankheiten der Gebaͤrmutter.
  • A. Stoͤrungen des Bildungslebens.
    1) Entzuͤndung der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter Seite 254
  • 2) Blutfluß der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter — 272
  • 3) Weißer Fluß, Schleimfluß der weiblichen Ge-
    burtstheile — 294
  • 4) Waſſerſucht der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter — 309
  • 5) Von den verſchiedenen ſpeckigen, fleiſchigen oder
    knoͤchernen Ausartungen der nicht ſchwangern Ge-
    baͤrmutter — 316
  • 6) Von den polypoͤſen Auswuͤchſen an der innern
    Flaͤche der Gebaͤrmutter — 326
  • 7) Von der boͤsartigen Verhaͤrtung und dem offe-
    nen Krebſe der Gebaͤrmutter — 339
  • B. Abnorme Lagen der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter.
  • 1) Vorfall der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter — 364
  • 2) Schieflagen der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter.
    1) Vorwaͤrtsneigung — 379
  • 2) Ruͤckwaͤrts eigung oder Zuruͤckbeugung — 381
  • 3) Umkehrung oder Umſtuͤlpung der nicht ſchwangern
    Gebaͤrmutter — 383
  • II.Krankheiten der Mutterſcheide— 388
  • 1) Von den Mutterſcheidenpolypen — —
  • 2) Von dem Vorfalle der Mutterſcheide — 389
  • 3) Von dem Mutterſcheidenbruche — 393
  • Mittelfleiſchbruch — 399
  • III.Krankheiten der Eierſtoͤcke— 400
  • 1) Entzuͤndung der Eierſtoͤcke — —
  • 2) Waſſerſucht der Eierſtoͤcke — 406
  • 3) Von den Speck- und Fleiſchgeſchwuͤlſten, Verknoͤ-
    cherungen, ſo wie von Erzeugung fremder Koͤrper
    in den Eierſtoͤcken Seite 412
  • IV.Krankheiten der Bruͤſte— 414
  • 1) Krankhafte Entwickelung der Bruͤſte in den Zeu-
    gungsfaͤhigen Jahren uͤberhaupt.
  • 1) Congeſtionen nach den Bruͤſten und Schmerzhaft-
    werden derſelben — 415
  • 2) Unvollkommene Ausbildung der Bruͤſte und vorzei-
    tiges Welken derſelben — 417
  • 3) Uebermaͤßige Ernaͤhrung und Fettanhaͤufung um
    dieſelben — 418
  • 2) Beſondere Degenerationen im Innern der
    Bruͤſte — 419
  • 1) Von den Milchknoten in den Bruͤſten — 420
  • 2) Von den ſkrophuloͤſen Verhaͤrtungen der Bruͤſte — 422
  • 3) Von den Balggeſchwuͤlſten der Bruͤſte — 423
  • 4) Lymphatiſche und Blutgeſchwuͤlſte der Bruͤſte — 427
  • 5) Vom Skirrhus und Krebs der Bruͤſte — 428
  • V.Von einigen krankhaften Zuſtaͤnden
    der aͤußern Geburtstheile
    — 441
  • VI.Von einigen krankhaften Zuſtaͤnden
    der weiblichen Harnwege
    — 445
  • 1) Von der betraͤchtlichen Erweiterung der Harnroͤhre — —
  • 2) Gefaͤßgeſchwulſt der Muͤndung der Harnroͤhre und
    Verdickung der die Harnroͤhre umgebenden Zell-
    haut, nebſt varikoͤſer Beſchaffenheit ihrer Gefaͤße — 447
  • 3) Von den Steinbeſchwerden des weiblichen Ge-
    ſchlechts — 449
  • Dritte Abtheilung. Von den Krankheiten in der
    letzten Lebensperiode des weiblichen Koͤrpers Seite 454
  • I. Zu zeitiges Erloͤſchen der Menſtrualfunktion — 455
  • II. Von der zu lange fortdauernden Menſtrualfunk-
    tion — 457.
  • Erklaͤrung der zum erſten Theile gehoͤrigen Kupfertafel — 459.
[[1]]

Lehrbuch
der
Gynaͤkologie
.


1
[[2]][[3]]

Einleitung.


§. 1.


Viel des Eigenthuͤmlichen und Beachtungswerthen’ ſowohl
ſeiner Bildung, als ſeinem Leben nach, bietet der weibliche
Koͤrper jeder aufmerkſamen phyſiologiſchen und aͤrztlichen For-
ſchung dar. Abgeſehen ſogar von den eigentlichen Werkzeu-
gen des Geſchlechts, finden wir ſo viel Ausgezeichnetes im
Weſen und in der Art weiblicher Organiſation, ſehen dieß Al-
les auf ſo regelmaͤßige und merkwuͤrdige Weiſe ſich entfalten,
nehmen wahr ſo mannigfaltiger Aeußerungen eines beſondern
Lebens, vom Erſcheinen der Geſchlechtsreife an, durch die
hoͤchſte Entwicklung des Fortpflanzungsvermoͤgens bis zum
Erloͤſchen dieſer Thaͤtigkeit hin, und bemerken endlich in alle
dieſen Perioden ſo eigenthuͤmliche, nur in dieſem Koͤrper moͤg-
liche Krankheitszuſtaͤnde, daß dieß uns wohl berechtigen darf,
auch dieſen Kreis in ſich ſtreng verbundener Naturerſcheinun-
gen, gleich ſo manchem andern, als ein geſchloſſenes Ganze,
als einen abgeſonderten, fuͤr ſich beſtehenden Zweig der Na-
tur- und namentlich der Heilwiſſenſchaft zu betrachten.


§. 2.


Indem es nun in vorliegender Arbeit unſer Zweck iſt,
eine Ueberſicht ſaͤmmtlicher hierher gehoͤriger Gegenſtaͤnde, in
ſo weit ſie den aͤrztlichen Wirkungskreis beruͤhren, zuſammen-
[4] zuſtellen; ſo glauben wir dieſelben unter dem Namen der
Gynaͤkologie*) ſchicklich vereinigen zu duͤrfen. Ohne dem-
nach das Wort Gynaͤkologie in ſeiner weiteſten Bedeutung
zu nehmen (ſo wenig als wir dieß bey andern aͤhnlichen Wor-
ten z. B. Phyſiologie zu thun gewohnt ſind) definiren
wir es als: die Lehre von der Eigenthuͤmlichkeit
des weiblichen Koͤrpers, ſeinem Bau, ſeinem Le-
ben, ſeinen Krankheiten und der ihm angemeſſe-
nen ſo diaͤtetiſchen als aͤrztlichen Behandlung
nach
.


§. 3.


So gewiß aber im Allgemeinen der volle Begriff eines
Theiles nur erlangt wird aus der wohlaufgefaßten Idee des
Ganzen, ſo unmoͤglich es z. B. ſeyn wuͤrde eine treue Vor-
ſtellung vom Leben eines beſondern Organs zu erhalten, ohne
deutliche Anſicht des geſammten organiſchen Koͤrpers, ſo un-
zweckmaͤßig ſcheint es auch zu ſeyn, wenn die Geſchichte ei-
niger beſondern Vorgaͤnge des weiblichen Lebens aus dem
Ganzen der Gynaͤkologie herausgeriſſen und als eine in ſich
beſchloſſene Lehre dargeſtellt werden ſoll. Demohnerachtet hat
ein ſolches Verfahren ruͤckſichtlich der Geburtshuͤlfe bisher faſt
allgemein Statt gefunden, und wir werden leicht hierin den
Grund davon erkennen koͤnnen, daß eben die Geburtshuͤlfe
bisher einer ſtrengern wiſſenſchaftlichen Ordnung ſo ſehr er-
mangelte, ja ſogar ihr Begriff von Verſchiedenen auf ſo ver-
ſchiedene Weiſe erfaßt wurde.


§. 4.


Streng genommen iſt aber Entbindungskunde oder Ge-
burtshuͤlfe nur die Lehre von den Huͤlfsleiſtungen bey der
Geburt, und doch, wer wird zu jeder dieſer Huͤlfsleiſtungen
geſchickt ſeyn, wenn er nicht zugleich die Kenntniß der Schwan-
gerſchaft, des weiblichen Beckens und dergl. mit ſich
[5] bringt? — welcher Geburtshelfer wird den an ihn gemachten
Anforderungen entſprechen koͤnnen, dafern er nicht vom nor-
malen und abnormen Verlauf des Wochenbetts eine naturge-
maͤße Anſicht ſich erworben hat? — und wie endlich, koͤn-
nen alle dieſe merkwuͤrdigen Vorgaͤnge des weiblichen Lebens
begriffen werden ohne Erlangung einer klaren Idee vom We-
ſen und Charakter des weiblichen Koͤrpers uͤberhaupt?


§. 5.


Dieſe Beduͤrfniſſe fuͤhlend wurde nun das Syſtem der
Geburtshuͤlfe oft ein Aggregat der heterogenſten Beſtandtheile.
Von einem Verfaſſer wurden ausfuͤhrlichere anatomiſche Be-
ſchreibungen mit aufgenommen, von einem Andern die Krank-
heiten der Woͤchnerinnen zugleich mit abgehandelt, von einem
Dritten blos die Geſchichte normaler und abnormer Geburten
mit den noͤthigen Vorkenntniſſen aus der Schwangerſchafts-
lehre durchgegangen und die Beſchreibung der geburtshuͤlflichen
Operationen beigefuͤgt, wieder andere wollten ſie blos auf
Kenntniß mechaniſcher Huͤlfsleiſtungen beſchraͤnken u. ſ. w.,
kurz man ließ weg, ſetzte zu, richtete ein, alles nach Will-
kuͤhr, und wenn auch bey ſo verſchiedenen Richtungen die
Kunſt im Ganzen bedeutend gefoͤrdert wurde und das Fort-
ſchreiten der Phyſiologie auch auf manche Punkte dieſer Dis-
ciplin ein helleres Licht warf, ſo aͤußerte ſich doch noch im
Innern der Mangel wahrer wiſſenſchaftlicher Geſetzmaͤtzigkeit,
ein Mangel welcher ſo lange gefuͤhlt werden wird, als man
etwas, das, gleich der Geburtshuͤlfe, nur Fragment eines
groͤßern Ganzen iſt, als ein fuͤr ſich Beſtehendes aufſtellen will.


§. 6.


Bereits haben zwar mehrere ſcharfſinnige Gelehrte in
dieſem Fach das Unvollſtaͤndige der Geburtshuͤlfe durch Aus-
arbeitung eigener Schriften uͤber die Krankheiten des weibli-
chen Geſchlechts zu ergaͤnzen, und ſo aus dieſen beiden Thei-
len ein geordnetes Ganze zu ſchaffen geſucht; allein ſelbſt
dieſe Trennung ſcheint noch zu gewaltſam, da in der Natur
[6] das Geburtsgeſchaͤft mitten zwiſchen die Vorgaͤnge der Schwan-
gerſchaft und Wochenzeit eingefuͤgt iſt, da Krankheiten ſo oft
aus einer in die andere Periode hinuͤberwirken, und da ge-
burtshuͤlfliche Unterſuchungen, ja ſogar Operationen, auch bey
krankhaften Zuſtaͤnden der Schwangern und Woͤchnerinnen, ja
auch ſonſt, vorkommen koͤnnen.


§. 7.


Indem wir nun aber eben dieſe Trennungen zu vermei-
den, und die geſammte Maſſe hierhin einſchlagender Kennt-
niſſe zu einem Ganzen zu verbinden wuͤnſchten, wird es noͤ-
thig ſeyn theils von dem Endzweck und der Eintheilung der
Gynaͤkologie, theils von der Art des Studiums und den Ei-
genthuͤmlichkeiten in der praktiſchen Anwendung derſelben noch
einige naͤhere Schilderungen zu geben.


§. 8.


Endzweck der Gynaͤkologie kann aber kein ande-
rer ſeyn, als den naturgemaͤßen Gang der Entwicklung des
weiblichen Koͤrpers, ſo wie ſeiner mannigfaltigen eigenthuͤm-
lichen Verrichtungen zu erhalten, oder dann wenn Stoͤrungen
eintraten, die Entwicklung gehindert iſt, die Funktionen un-
terbrochen werden, den naturgemaͤßen Gang wiederherzuſtellen
oder jene krankhaften Zuſtaͤnde ſo unſchaͤdlich als moͤglich zu
machen. Dieſer Zweck iſt zugleich fuͤr alle Perioden und Zu-
ſtaͤnde des weiblichen Lebens derſelbe, und als Endzweck der
Geburtshuͤlfe z. B. duͤrfte man daher keinesweges etwa blos
das Beendigen der Geburt betrachten, vielmehr bleibt auch
hier, Sorge fuͤr die Erhaltung naturgemaͤßen Geburtsver-
laufs, und Sorge fuͤr deſſen Wiederherſtellung bey abnormen
Verhaͤltniſſen (zuweilen alſo auch Verzoͤgerung der Geburt)
oder zum Mindeſten moͤglichſtes Beſeitigen und Unſchaͤdlich-
machen vorhandener Abnormitaͤten Hauptaugenmerk des Ge-
burtshelfers.


[7]

§. 9.


Die Eintheilung der Gynaͤkologie wird ſich aus
einer Erwaͤgung der verſchiedenen Lebenszuſtaͤnde des weiblichen
Koͤrpers leicht ergeben, und vollkommen wiſſenſchaftlich d. i.
ſtreng logiſch ſeyn koͤnnen, was bisher in der geſonderten Be-
handlung ihrer Theile nirgends moͤglich war. — Sie zerfaͤllt
aber zuvoͤrderſt in einen allgemeinen und ſpeciellen
Theil, von welchen der erſterea) den beſondern Bau des
weiblichen Koͤrpers und ſeine allgemeinern Lebensverhaͤltniſſe
b) den gemeinſamen Charakter ſeiner Krankheiten c) die allge-
meinen Grundſaͤtze der Behandlung dieſer Krankheiten und der
weiblichen Natur im Allgemeinen umfaſſen muß. — Die ſpe-
cielle Gynaͤkologie
hingegen betrachtet den weiblichen Koͤr-
per als begriffen in ſeinen beſondern Verrichtungen und zwar er-
ſtens
den Verlauf ſeiner Lebenserſcheinungen im geſunden und
kranken Zuſtande blos an und fuͤr ſich, ohne Ruͤckſicht auf die
Zuſtaͤnde erhoͤhter Geſchlechtsthaͤtigkeit bey Schwangerſchaft, Ge-
burt u. ſ. w., indem der ganze Kreis des weiblichen Lebens al-
lerdings beſchloſſen werden kann, ohne daß dieſe Zuſtaͤnde ein-
traten. Es wuͤrden aber drei Perioden in dieſem Leben zu un-
terſcheiden ſeyn: a) die der Entwicklung, oder der Kindheit
b) die der Geſchlechtsreife und c) die des Abſterbens der Ge-
ſchlechtsfunktion oder des Alters.


§. 10.


Zweitens aber wird es Gegenſtand der Gynaͤkologie,
das weibliche Leben in dem ihm eigenthuͤmlichſten Zuſtande er-
hoͤhter Geſchlechtsthaͤtigkeit, d. i. in dem Verhaͤltniſſe zu einem
Erzeugten, und zwar gleichfalls im normalen und abnormen
Gange zu betrachten. Es gehoͤrt folglich hierher die Geſchichte
der Schwangerſchaft, Geburt und des Wochenbetts; dreier Pe-
rioden des weiblichen Lebens, welche auf das Beſtimmteſte jenen
allgemeinen Lebenskreis wiederholen, und einen nicht minder be-
ſchloſſenen Ring darſtellen, in welchem die Schwangerſchaft der
allgemeinen Koͤrperentwicklung, die Geburt der Geſchlechtsreife,
ſo wie das Wochenbett und die Stillungsperiode, als Uebergang und
[8] Ruͤckkehr zu einem fruͤhern Zuſtande, der Periode der Decrepidi-
taͤt entſprechen wird. In allen dieſen drei Perioden iſt ſonach
nicht mehr das Weib an und fuͤr ſich, ſondern im Verhaͤlt-
niß und in Wechſelwirkung, mit einem zweiten in ihm Ent-
ſtandenen, Gegenſtand der Unterſuchung, und ſo wie man
daher laͤngſt ſich genoͤthigt ſah, den Koͤrper und das Leben
des Kindes bey der Geſchichte der Geburt ausfuͤhrlicher zu
beruͤckſichtigen, ſo wird es nun’, bei einer umfaſſendern Be-
handlung nothwendig, das Erzeugte, gleichſam als einen
Theil, als ein vom Mutterkoͤrper aus ernaͤhrtes Gebild, ſei-
ner mannigfaltigen normalen ſowohl als abnormen Beſchaf-
fenheit nach in allen jenen drei Perioden zu betrachten.


§. 11.


Es wird ſich auf dieſe Weiſe der Plan fuͤr die ganze
Gynaͤkologie in folgendem Schema darlegen laſſen:
[9]

[10]

Anmerkung. Es zeigt ſich in dieſem Schema, daß
man die Abtheilung II der beſondern Gynaͤkologie auch mit
dem gemeinſamen Namen der Entbindungskunde (im weitern
Sinne des Worts, denn im engern begriffe es nur die Phy-
ſiologie, Diaͤtetik, Pathologie und Therapie der Geburt), ſo
wie die phyſiologiſche, diaͤtetiſche und pathologiſche Seite die-
ſer Abtheilung als Bereich der Hebammenkunſt anſehen kann.
Daß wir uͤbrigens die Phyſiologie, Pathologie und Therapie
des Erzeugten waͤhrend der Schwangerſchaft und Geburt ſo
wie des Neugeborenen ſelbſt, hier mit aufnehmen, wird außer
den §. 10. erwaͤhnten Gruͤnden, auch dadurch nothwendig,
daß wir bedenken, wie ſelbſt krankhafte Zuſtaͤnde des Erzeug-
ten ſo vielfach auf den muͤtterlichen Koͤrper uͤberwirken. Was
endlich die Art und Folge der Abhandlung dieſer Gegenſtaͤnde
betrifft, ſo wird es am zweckmaͤßigſten ſeyn ſowohl im erſten
als zweiten ſpeciellen Theile, erſt das Phyſiologiſche und Diaͤ-
tetiſche durchzugehen und dann das Pathologiſche und Thera-
peutiſche deſſelben folgen zu laſſen.


§. 12.


Die Art des Studiums der Gynaͤkologie iſt,
gleich dem der uͤbrigen Zweige der Heilkunde, um nicht zu
ſagen der Naturwiſſenſchaft uͤberhaupt, eine dreifache. Gy-
naͤkologiſche Kenntniſſe naͤmlich werden erworben durch muͤnd-
lichen Unterricht, durch Benutzung der vorhandenen Schriften
und durch Beobachtung der Natur ſelbſt. Kein Weg von die-
ſen dreien allein leitet indeß zum rechten Ziel, denn auf
dem letzten verſinken wir leicht in rohe Empirie, auf dem
zweiten wird eine praktiſch unhaltbare Gelehrſamkeit erwor-
ben, und der erſtere kann das jurare in verba magistri
wohl veranlaſſen. Wuͤnſchenswerth bleibt es daher ſtets, alle
drei Verfahren zu einigen, obwohl fuͤr die vollkommenere Aus-
bildung, das Beobachten der uͤberall unerſchoͤpflichen Natur,
in welcher erſt viele Erfahrung uns recht einheimiſch machen
kann, das Weſentlichſte bleiben wird. — Daß uͤbrigens
dem Studium der Gynaͤkologie immer viele und mannigfal-
tige Vorkenntniſſe vorhergehen muͤſſen, liegt wohl am Tage,
[11] und als die wichtigſten hierher gehoͤrigen erwaͤhnen wir 1) die
allgemeinen Lehren der Mathematik und beſonders der Me-
chanik, 2) menſchliche und vergleichende Anatomie und Phy-
ſiologie, 3) Pathologie, Materia medica und Therapie,
4) Chirurgie.


§. 13.


Von der Eigenthuͤmlichkeit in der prakti-
ſchen [Anwendung] der Gynaͤkologie
wird zum Theil
noch ausfuͤhrlicher bei Beruͤckſichtigung derjenigen Eigenſchaf-
ten die Rede ſeyn, welche den Frauenarzt und Geburtshelfer
auszeichnen muͤſſen, hier nur von der angenehmen, und von
der Kehrſeite dieſes Zweiges der Heilkunde einige Worte. —
Theilt naͤmlich auch die Behandlung des weiblichen und kind-
lichen Koͤrpers mit Ausſchluß der Geburtsperiode ziemlich die
Vortheile und Nachtheile aͤrztlicher Praxis uͤberhaupt, ſo iſt
doch die eigentliche Geburtshuͤlfe um ſo mehr von letzterer
unterſchieden. — Als angenehme Seite geburtshuͤlflicher
Kunſtuͤbungen duͤrfen wir aber namentlich zaͤhlen: eine mehr
geſicherte, auf feſtern zum Theil mathematiſchen Grundſaͤtzen
beruhende Phyſiologie, Pathologie und Therapie, ſo wie die
ſo oft ſich darbietende Moͤglichkeit ſchnelle und entſcheidende,
daher auch dankbarer anerkannte Huͤlfe zu leiſten. Als Nach-
theile hingegen ſind die vielfachen, mit dieſer Praxis unzer-
trennlich verbundenen geiſtigen und namentlich koͤrperlichen
Anſtrengungen, die Widerwaͤrtigkeit, um nicht zu ſagen Ekel-
haftigkeit mancher Unterſuchungen und Operationen, ja ſelbſt
die nicht geringe von Anſteckungen u. ſ. w. zu befuͤrchtende
Gefahr zu erwaͤhnen. — Ob man uͤbrigens bey Behand-
lung von Frauen und Kindern im Allgemeinen fuͤr die dem
Arzte durch Unfolgſamkeit, Nachlaͤſſigkeit, Redſeligkeit, uͤber-
maͤßige Reizbarkeit u. ſ. w. veranlaßten Beſchwerden, die Beob-
achtung und Behandlung einer zaͤrtern und feinern Organiſa-
tion als einigen Erſatz gelten laſſen will, wird der Neigung
und Eigenthuͤmlichkeit des Arztes uͤberlaſſen bleiben.


§. 14.


So waͤre es denn am Schluſſe dieſer Einleitung viel-
leicht nur noch uͤbrig von den Schickſalen der Gynaͤkologie
[12] bei der Entwicklung der Wiſſenſchaften uͤberhaupt das Wich-
tigere zu erwaͤhnen, zugleich aber auf die einzelnen Maͤnner
und ihre Werke hinzuweiſen, welchen dieſe Disciplinen ins-
beſondre eine weitere Bildung und Bereicherung verdanken;
allein die Maſſe hierhergehoͤriger Nachrichten und Angaben iſt
groß und weitlaͤuftig; eine ausfuͤhrliche Bearbeitung derſelben
kann daher in einem Werke deſſen Beſtimmung es iſt die
gepruͤfteſten und moͤglichſt erſprießlichen Grund-
ſaͤtze der Wiſſenſchaft ſelbſt
aufzuſtellen, keinen Platz
finden, und einen fluͤchtigen Abriß davon zu geben (wie es
in einigen Handbuͤchern geſchehen iſt) verſchmaͤhen wir um ſo
mehr, da durch eine halbe Kenntniß uͤberall wenig gewonnen
iſt, und beſondere, das Ganze umfaſſende Schriften hieruͤber
nicht fehlen *). Indem wir ſonach auf dieſe ſowohl, als
[13] hinſichtlich der Menge beſonderer Abhandlungen uͤber einzelne
gynaͤkologiſche Gegenſtaͤnde auf die Werke uͤber Literatur der
Medicin im Allgemeinen verweiſen *) iſt nur noch zu bemer-
ken, daß am Schluſſe oder auch im Texte der einzelnen Ab-
ſchnitte ſtets eine Auswahl von den gepruͤfteſten, auch
dem angehenden Frauenarzt nothwendigen
Wer-
ken, wo moͤglich mit einigen den Inhalt kurz andeutenden
Worten aufgefuͤhrt werden ſollen. — So viel indeß ſcheint
hier zu erwaͤhnen unerlaͤßlich, daß, wenn es hier unternom-
men wird, die Gynaͤkologie unter den Neuern zuerſt in ih-
rer Geſammtheit als mediciniſche Wiſſenſchaft aufzuſtellen,
[14] doch deshalb dieſes Unternehmen nicht uͤberhaupt als fruͤher
gaͤnzlich unverſucht betrachtet werden duͤrfe, indem vielmehr
gerade die aͤlteſten Schriften uͤber dieſe Gegenſtaͤnde keine
Trennung zwiſchen Geburtshuͤlfe und Frauenkrankheitslehre an-
erkannten, wovon theils die dem Hippokrates zugeſchrie-
benen Buͤcher, theils Moſchions, theils des Octavii Ho-
ratiani Gynäcia,
theils des Albertus magnus, und Ande-
rer Schriften Zeugniß geben, welche man der Mehrzahl nach
in einzelnen Sammlungen *) abgedruckt finden kann. —
Doch iſt es ja wohl das Schickſal der meiſten Wiſſenſchaften,
daß zwar ſchon der erſte Blick in ihr Feld den Geſammtkreis
derſelben ahnen laͤßt, ſpaͤterhin aber die groͤßere Ausbildung
einzelner Zweige mannigfaltige Spaltungen noͤthig macht, bis
denn endlich die Vereinigung der getrennten Theile zu einem
Ganzen unumgaͤnglich nothwendig wird.


[15]

I.
Allgemeine Gynaͤkologie.


Erſter Abſchnitt.
Von den Eigenthuͤmlichkeiten im Baue und
Leben des Weibes (allgemeine Phyſiologie).


§. 15.

Bevor wir den weiblichen Koͤrper in den einzelnen Stadien
ſeines Lebens betrachten und verfolgen koͤnnen, iſt es noͤthig
theils ein allgemeines Bild der Eigenthuͤmlichkeit ſeiner Orga-
niſation wie ſeines Lebens darzulegen, theils gewiſſe Organe,
deren Bildung und Verrichtung fuͤr das weibliche Leben vor-
zuͤglich wichtig ſind, einer genauern Betrachtung zu unter-
werfen.


1. Eigenthuͤmlichkeiten in der Geſammtform
des weiblichen Koͤrpers
.

§. 16.

Stellen wir einen wohlausgebildeten maͤnnlichen und ei-
nen aͤhnlichen weiblichen Koͤrper einander gegenuͤber, ſo erge-
ben ſich alsbald die betraͤchtlichſten und bedeutungsvollſten
Verſchiedenheiten, deren Weſentliches, um es ſogleich im Gan-
zen anzudeuten, auf Vorwalten der fuͤr Aſſimilation
[16] und Reproduktion beſtimmten Gebilde
, oder (was
eben hierdurch begruͤndet wird) auf ein Hinneigen zum
Typus des nicht vollkommen ausgebildeten
, des
kindlichen Koͤrpers zuruͤckgefuͤhrt werden kann.


§. 17.

Wichtig iſt zuvoͤrderſt in dieſer Hinſicht die allgemeine
Koͤrpergroͤße. Das Weib iſt der Regel nach kleiner als
der Mann, es iſt dieß das Reſultat der fruͤher beendigten,
beſchraͤnkten individuellen Entwicklung, deren Urſache wiederum
aus der mehr hervorgehobenen geſchlechtlichen Productivitaͤt
ſich ergeben wird. Eben aber weil die geringere Koͤrpergroͤße
die Folge einer fruͤhzeitiger beſchraͤnkten Entwicklung iſt, zei-
gen auch Kopf, Rumpf und Glieder andere Verhaͤlt-
niſſe
als im maͤnnlichen, laͤnger fortwachſenden, zu groͤße-
rer Reife gelangenden Koͤrper, und eben dieſe Eigenthuͤmlich-
keit der Verhaͤltniſſe iſt es, welche vorzuͤglich die Annaͤherung
an die kindlichen Formen zeigt und jetzt noch eine naͤhere
Beſtimmung fordert.


§. 18.

Zunaͤchſt aber das Verhaͤltniß des Rumpfs zu den Glie-
dern angehend, ſo ſind die letztern durch die Zartheit und ge-
ringere Laͤnge ihrer Knochen, wie durch die weniger ausge-
wirkten Muskeln (eine Eigenthuͤmlichkeit des weiblichen Koͤr-
pers uͤberhaupt) beſonders ausgezeichnet. Der zartere Bau
iſt es, welcher ſich in den obern Gliedmaaßen vornehmlich,
und zwar an der ſchlankern Form des Ober- und Vorderarms
ſo wie in der ſchmaͤlern Hand zu erkennen giebt; die gerin-
gere Laͤnge der untern Gliedmaaßen iſt dagegen namentliche
Urſache der verringerten Laͤnge des ganzen Koͤrpers, als wel-
che aus dem Baue des Rumpfes allein keinesweges ſich er-
geben wuͤrde. Alſo wie bey dem Kinde der Rumpf zu den
Gliedern verhaͤltnißmaͤßig groͤßer iſt als bey den Erwachſenen,
ſo auch, obwohl in geringerem Verhaͤltniſſe, im weiblichen
Koͤrper.


[17]
§. 19.

Am Rumpfe ſelbſt faͤllt ſogleich der groͤßere Umfang
des Unterleibes im Verhaͤltniß der Bruſt (wieder wie beym
Kinde) in die Augen, der ganze Rumpf, welcher bey dem
Manne eine mit der Baſis nach oben gerichtete Pyramide
darſtellt, zeigt hier das umgekehrte Verhaͤltniß und wird auf-
waͤrts nach der Schultergegend zarter und ſchmaͤler, die
Bauchflaͤche ſelbſt tritt gewoͤlbter hervor, die Darmbeine wei-
chen mehr auswaͤrts, die Schambeine ſchließen ſich in einem
ſtaͤrker gewoͤlbten Bogen und aus dieſer breitern Baſis des
Rumpfes ſind ferner die ſtaͤrkern Schenkelmuskeln und
breitern Huͤften erklaͤrlich. Junen unterſucht, zeigt die
weibliche Bauchhoͤhle ebenfalls, theils groͤßere Laͤnge (von
der laͤngern Saͤule der Lendenwirbel abhaͤngig), theils, und
zwar beſonders abwaͤrts, groͤßere Weite (oberwaͤrts, wo ſie
vom Thorax mit umſchloßen wird, iſt ſie etwas enger als
beym Manne). Eben ſo iſt daher der Darmkanal verhaͤlt-
nißmaͤßig laͤnger, die Leber (als lungenartiges, als Abſon-
derungsorgan, und im oberſten Theile der Bauchhoͤhle lie-
gend), kleiner.


§. 20.

Die Bruſthoͤhle betreffend, ſo iſt ſie von ſchlankern,
gebogenern Rippen, mit verhaͤltnißmaͤßig laͤngern Rippen-
knorpeln und ſchwaͤchern geradern Schluͤßelbeinen umgeben,
ihr Raum, der aͤußern Form entſprechend, beſchraͤnkter, und
die darin befindlichen Organe, namentlich Herz und Lungen,
kleiner. Mit letzterm Umſtande zeigt ſich ferner die Eigen-
ſchaft der Stimmwerkzeuge in nothwendiger Verbindung und
wir beobachten deßhalb eine engere 5—6 Knorpelringe mehr
haltende Luftroͤhre, und einen engern, etwas hoͤhern, elaſti-
ſchern, an der Vorderflaͤche mehr abgerundetern Kehlkopf.


§. 21.

Dieſe Verſchiedenheiten ſind nun in Beziehung auf die
oben (§. 16.) erwaͤhnten allgemeinen Bildungsmomente von
beſonderer Wichtigkeit. 1) Der Koͤrper, ſeinem Stoffwechſel
I. Theil. 2
[18] nach betrachtet, zeigt uns naͤmlich in der Athmungs- und
Abſonderungs-Funktion ein ſtaͤtes Verfluͤchtigen und Abſchei-
den organiſchen Stoffes, welches eben ſo ſtaͤtig dann durch
Aſſimilation eingenommener Stoffe compenſirt wird. Eben
deßhalb ſehen wir dann das Verhaͤltniß uͤberwiegender Pro-
duktivitaͤt im Weibe durch das Ueberwiegen der, namentlich
der Aſſimilation beſtimmten Bauchhoͤhle uͤber die der Athmung
beſtimmten Bruſthoͤhle ausgeſprochen, ja in der doch im
Ganzen groͤßern Bauchhoͤhle wieder die Leber verhaͤltnißmaͤßig
kleiner. 2) Wie die niedern Thiergattungen, z. B. Fiſche,
einen Rumpf beſitzen, welcher noch faſt nichts als Bauch-
hoͤhle iſt, wie die Bauchhoͤhle auch im Rumpfe des menſch-
lichen Foͤtus die Bruſthoͤhle außerordentlich und je fruͤher um
ſo mehr uͤberwiegt, ſo erſcheint auch im Weibe dieſes Ver-
haͤltniß als eine zum Typus niederer oder unvollendeter Or-
ganiſation ſich hinneigende Eigenthuͤmlichkeit. 3) Wie in den
niedriger ſtehenden Thiergattungen, z. B. Fiſchen, oder in
den noch unvollkommen entwickelten Foͤtus die Knochen und
Muskeln, kurz die Bewegungsorgane verhaͤltnißmaͤßig weniger
ausgearbeitet ſind, wie uͤberhaupt groͤßere Muskelthaͤtigkeit
und ſtaͤrkere ſo wie ausgedehntere Reſpiration gewoͤhnlich
(z. B. bey dem Vogel) ſich verbunden finden, ſo haͤngt mit
dieſer Beſchraͤnkung der Reſpiration und uͤberwiegenden Pro-
duktivitaͤt, der ſchlankere, zartere Knochen *)- und Muskelbau
des Weibes zuſammen. 4) Die groͤßere Bauchhoͤhle ferner,
ſo wie der laͤngere Darmkanal, entſpricht eben ſo der ſtaͤr-
kern Aſſimilation, als 5) die geringere Entwicklung der
Bruſteingeweide, die Neigung zu Bruſtkrankheiten und der
zartern (kindlichern) Stimme.


§. 22.

Die Verhaͤltniße am Kopfe des Weibes endlich, zeigen
abermals ein deutliches Hinneigen zur kindlichen Form, und
zwar theils in dem feinern Knochenbau deſſelben, theils in
den weniger entwickelten Zuͤgen des Geſichtes, der kleinern
[19] Naſe, den nicht ſo hervorgehobenen Wangenbeinen, vorzuͤg-
lich aber in dem, dem Kinde ſo eigenthuͤmlichen Ueberge-
wichte des Schaͤdels gegen das Antlitz, welches Verhaͤltniß,
obwohl in geringerem Grade, auch am Weibe bemerklich iſt.
Es ſteht ferner wieder mit dem Bau des Schaͤdels in ge-
nauſtem Zuſammenhange, wenn das Gehirn im Weibe ver-
haͤltnißmaͤßig groͤßer und ſchwerer als im Manne gefunden
wird, ſo daß, obwohl das Ruͤckemnark in beiden ziemlich
gleich iſt *), doch im Weibe das Gehirn, auch im Ver-
haͤltniß
zum Ruͤckenmark, mehr als im Manne praͤdomi-
nirt, wobey wir wieder an das im Manne groͤßere, im
Weibe ſchwaͤchere Vermoͤgen willkuͤhrlicher Bewegung denken
muͤßen.


§. 23.

Was die Nerven und Gefaͤße des Weibes betrifft, ſo
finden die erſtern ſich im Allgemeinen, und ihrem Verhaͤlt-
niße zum Gehirn nach, ſo wie das Ruͤckenmark ſelbſt, fei-
ner
, mit Ausnahme der Riechnerven, welche durch ihre groͤ-
ßere Staͤrke wieder an die ſtarken Riechnerven des Kindes
erinnern. Eben ſo ſcheinen dann endlich auch die Arterien
im Verhaͤltniße des kleinern Herzens von geringerer Weite
(die zu den Geſchlechtsorganen gerichteten Staͤmme ausge-
nommen); wenn hingegen die Venen offenbar ein Erweite-
rungsvermoͤgen beſitzen, welches im maͤnnlichen Koͤrper nur
ſelten beobachtet wird, und wodurch dieſe Gefaͤße an den
wichtigſten Funktionen des weiblichen Koͤrpers auf das Ent-
ſchiedenſte Theil nehmen. Eine aͤhnliche Bewandtniß ſcheint
es mit den Saugadern zu haben, deren hier groͤßere Ent-
wicklung und Thaͤtigkeit mit dem ſchnellern organiſchen Stoff-
wechſel des weiblichen Koͤrpers in genauer Verbindung ſteht.


§. 24.

Endlich, nachdem wir allgemeine Koͤrpergroͤße, ſo wie
die Verhaͤltniße der einzelnen Koͤrpergegenden und der wich-
tigern innern Organe betrachtet haben, bleibt uns noch die
[20] Eigenthuͤmlichkeit der Koͤrperoberflaͤche zu beruͤckſichtigen
uͤbrig. Auch dieſe aber deutet durch ihre Beſchaffenheit wie-
der beſtimmt auf die oben (§. 16. u. 21.) angegebenen
Hauptmomente. — Die Hautflaͤche naͤhmlich iſt weicher,
wellenfoͤrmiger, weniger Umriſſe von Knochen und Muskeln
zeigend, theils wegen geringerer Entwicklung der letztern,
theils wegen ſtaͤrkerer Unterlage von Fett und Zellgewebe in
Folge der vermehrten Produktivitaͤt, zugleich aber wieder
ſelbſt im zartern Baue des Hautorgans, die Annaͤherung an
den Typus eines kindlichen Koͤrpers darſtellend. Daſſelbe gilt
endlich auch von den Produktionen der Haut; das Haar iſt
weicher, feiner, laͤnger, uͤppiger hervorkeimend, allein wie
im Kinde auf kleinere Flaͤchen beſchraͤnkt, ſo daß Mund,
Kinn und After unbedeckt von Haaren bleiben, ja auch am
uͤbrigen Koͤrper auf Bruſt, Ober- und Unterſchenkel eine
ſparſamere Entwicklung beobachtet wird.


2. Eigenthuͤmlichkeiten im Baue der weibli-
chen Geſchlechtstheile und des weiblichen
Beckens
.

§. 25.

Ohne die ausfuͤhrlichere anatomiſche Beſchreibung hier
zu beruͤckſichtigen, haben wir fuͤr jetzt nur auf diejenigen
Momente in der Entwicklungs-Geſchichte und in der vollen-
deten Form dieſer Theile zu achten, welche fuͤr die Phyſio-
logie des weiblichen Koͤrpers uͤberhaupt und namentlich fuͤr
die Geſchichte der Schwangerſchaft und Geburt von Wich-
tigkeit ſeyn koͤnuen.


§. 26.

Die Geſchlechtstheile betreffend, ſo nehmen wir hier
zuerſt auf die Bildung der innern Geſchlechtstheile, und zwar
insbeſondere auf die des Fruchtbehaͤlters und ſeiner Fortſe-
tzungen Ruͤckſicht, indem von den Eyerſtoͤcken nur eben
die Einfachheit und Gleichfoͤrmigkeit ihrer Struktur Erwaͤh-
nung verdient. — Unterſuchen wir naͤmlich die Eyerſtoͤcke
[21] anderer Thierklaſſen, z. B. der Voͤgel, der Amphibien u. ſ. w.
ſo nehmen wir wahr, daß ſie bey dieſen als aus wirklichen
Eykeimen zuſammengeſetzt erſcheinen, welche, indem ſie nach,
oder auch vor der Befruchtung ſich abſondern, das deutlich
ſichtbare Material zur Bildung des Foͤtus abgeben. Selbſt
bey mehreren Saͤugethieren iſt eine ſolche Zuſammenhaͤufung
von Eyblaͤschen am Eyerſtocke noch ſichtbar; z. B. bey meh-
reren Nagethieren, den Haſen, Kaninchen u. ſ. w., da hin-
gegen in den menſchlichen Ovarien bekanntlich die Eyblaͤschen
ſo undeutlich werden, daß mehrere Phyſiologen (neuerlich
Wilbrand) die Bildung des Embryo aus einem von den
Ovarien kommenden Keime gelaͤugnet haben, womit wir in-
deß um ſo weniger uͤbereinſtimmen koͤnnen, da auch an den
menſchlichen Ovarien die Narben abgeloͤster Eykeime deutlich
zu ſehen ſind. Von der Bedeutung dieſer Eigenthuͤmlichkeit
der Ovarien und namentlich des menſchlichen Weibes kann
indeß erſt ſpaͤterhin bey der Geſchichte der Empfaͤngniß und
Schwangerſchaft die Rede ſeyn.


§. 27.

Was ferner die Bildung der Fallopiſchen Roͤh-
ren
, des Fruchthaͤlters und der Scheide betrifft,
ſo iſt es zuvoͤrderſt nothwendig, um eine naturgemaͤße Vor-
ſtellung von Entſtehung ihrer Form, und der Eigenthuͤmlich-
keit ihres Lebens zu erhalten, alle drei Theile, als ein
Continuum, als einen aufwaͤrts getheilten Y foͤrmigen
Gang zu betrachten, wie wir im Embryo, und in tiefern
Thierklaſſen dann dieſe Form wirklich, naͤmlich als bloßen
Eyergang (Oviductus), und zwar entweder einfach (wie
bey den Voͤgeln), oder doppelt (wie bey den Amphibien
und Fiſchen) antreffen. *) In dieſer Geſtalt erſcheint ein
ſolcher Kanal vollkommen darmartig, muͤndet noch oft (wie
bey den Amphibien und Voͤgeln) in den untern Theil des
Darmkanals, erſcheint dadurch gleichſam als Anhang deſſel-
ben und erinnert dadurch eines Theils an die Fortpflanzung
der niedrigſten Thiergattungen, wo, wie bey vielen Pflanzen-
[22] thieren, der Darmkanal ſelbſt Geſchlechtshoͤhle iſt, ſo wie
andern Theils dadurch der in der Thaͤtigkeit von Geſchlechts-
und Verdauungswerkzeugen, als urſpruͤnglich gleichartigen
Theilen, ſo deutlich bemerkbare Consensus erklaͤrt wird.


§. 28.

Wie nun uͤberhaupt die fortſchreitende organiſche Aus-
bildung weſentlich in immer groͤßerer Theilung nach verſchie-
denen Richtungen begruͤndet iſt, ſo zeigt ſich nun auch bey
der Entwicklung des Thierkoͤrpers das Trennen dieſes einfa-
chen oder doppelten Eyerganges in mehrere Theile. Bey
der Mehrzahl der Saͤugethiere naͤmlich bildet ſich die untere
Abtheilung beider Ovidukten (Fallopiſchen Roͤhren) in einen
Fruchthaͤlter aus, welcher ebendeßhalb als zweihoͤrnig (Uterus
bicornis
), d. i. Vfoͤrmig erſcheint. Dieſe Hoͤrner werden
dann bey der aufſteigenden Thierreihe immer kuͤrzer, bis im
menſchlichen Uterus (obwohl auch dieſer jene Bildungsſtadien
durchlaͤuft) nur die Stelle des Zuſammentreffens beyder Eyer-
gaͤnge ſich beſtimmter als Fruchthaͤlter entwickelt, weßhalb
dann auch die Bildung deſſelben am unterſten Ende, naͤmlich
am eigentlichen Punkte der Vereinigung beyder Gaͤnge, d. i.
am Muttermunde fruͤher als an den obern Theilen vervoll-
ſtaͤndigt wird. Unterſucht man daher den Uterus eines neu-
gebornen Maͤdchens, ſo findet man den Grund deſſelben noch
ſehr klein, die Hoͤhle wenig, d. i. nicht mehr als den Kanal
des Mutterhalſes entwickelt, den aͤußern Muttermund hinge-
gen ſehr groß, die Waͤnde des Mutterhalſes ſtaͤrker, als die
des Gebaͤrmutterkoͤrpers, kurz man darf ſagen, daß in dieſer
Periode die Region des Scheidentheils des Uterus, die Re-
gion der Fruchthoͤhle, eben ſo beſtimmt uͤberwiegt, als bey
vollendeter Entwicklung der Fruchthaͤlterkoͤrper und Grund
den Scheidentheil uͤberwiegt; ja es wird dieß noch auffallen-
der, wenn man an die Entwicklung des Uterus in der
Schwangerſchaft denkt, wo die Hoͤhle eine ſo außerordentliche
Ausbildung erlangt und die Vaginalportion zuletzt voͤllig ver-
ſchwindet (vergl. Tab. I. Fig. I. u. II.).


[23]
§. 29.

Weit entfernt indeß, daß der Uterus, als mehr ent-
wickelter Theil des geſammten Fruchtganges (Fallopiſche Roͤh-
ren, Uterus und Scheide), von der darmartigen Struktur
dieſes urſpruͤnglichen Gebildes gaͤnzlich abweichen ſollte, ſo
zeigt ſich vielmehr in dieſem Organe die Urbildung des ge-
meinſamen Ganzen in ihrer vollſten Ausbildung, ohngefaͤhr
auf gleiche Weiſe, wie das Herz die ausgezeichnetſt entwi-
ckelte Stelle des Gefaͤßſyſtems genannt werden kann. Gerade
ſo naͤmlich wie der Ovidukt eyerlegender Thiere gleich dem
Darmkanale 1) aus einer aͤußern, vom Bauchfelle herruͤh-
renden Haut, 2) aus einer Muskelhaut, 3) aus einer Ge-
faͤß- und Nervenhaut, und 4) aus einer innerſten Flocken-
haut beſteht, ſo auch der geſammte Fruchtgang des menſch-
lichen Weibes, und namentlich der aus ihm entwickelte Ute-
rus, an welchem man den untern Theil, die Vaginalpor-
tion, gleichſam als eine Einſchiebung in die Mutterſcheide
(Intussusceptio) betrachten kann; ſo wie die bedeutende Lage
der (namentlich venoͤſen) Gefaͤßgeflechte als Gefaͤßhaut, und
die, vorzuͤglich zur Zeit der Schwangerſchaft ſo aͤußerſt be-
ſtimmt entwickelte Faſerlage, als Muskelhaut betrachtet wer-
den muß.


§. 30.

Im Uterus finden wir ſonach alle die Gebilde, welche
der ihm eigenthuͤmlichen Thaͤtigkeitsform entſprechen, mir
vollkommenſter Beſtimmtheit vor: naͤmlich 1) Gefaͤße, als der
bildenden Thaͤtigkeit entſprechend (wobey vorzuͤglich das am
allerſtaͤrkſten waͤhrend der Schwangerſchaft bemerkbare Ueber-
gewicht der Venen phyſiologiſch wichtig iſt, indem die Venen
uͤberhaupt als die fruͤhern und verhaͤltnißmaͤßig weniger ent-
wickelten Gefaͤße des weiblichen Organismus vorherrſchend
ſind (§. 13.), und an ſeiner ſtaͤrkern Produktivitaͤt mehr,
als man wohl bisher gemeynt hat, Antheil nehmen); 2) Ner-
ven, obwohl in minderer Anzahl, und verhaͤltnißmaͤßig zum
Uterus (namentlich denſelben in ſchwangerm Zuſtande ge-
dacht) keineswegs bedeutend. Auch dieſer Punkt ſeiner Or-
[24] ganiſation iſt aber in ſo ferne wichtig, als damit gerade
das außerordentlich thaͤtige Bildungsvermoͤgen des Organs
zuſammenhaͤngt. Im ganzen Thierreiche ſehen wir naͤmlich
die Thaͤtigkeit der Reproduktion, und die Entwicklung des
Nervenſyſtems im umgekehrten Verhaͤltniße; Thiere, bey
welchen gar kein, oder nur ein ſehr unvollkommenes Nerven-
ſyſtem nachzuweiſen iſt, zeigen das groͤßte Reproduktionsver-
moͤgen (man denke z. B. an die ungeheuere Regenerations-
kraft der Polypen, der Krebſe, Schnecken, Salamander u. ſ.
w.), ja ſelbſt im Menſchen ſehen wir die nervenloſen Ge-
bilde der groͤßten Regeneration faͤhig, z. B. der Haare, Naͤ-
gel u. ſ. w. Es iſt alſo hiermit vollkommen im Einklange,
wenn der Uterus uͤberhaupt, und namentlich in der Gegend
des Koͤrpers und Grundes, nervenaͤrmer gefunden wird, die
Gegend des Muttermundes aber empfindlicher und nerven-
reicher ſich zeigt, indem das letztere eben ſowohl mit der
zur Empfaͤngniß noͤthigen Reitzung, als das erſtere mit der
außerordentlichen Entwicklung des obern Gebaͤrmuttertheils in
der Schwangerſchaft zuſammenhaͤngt.


§. 31.

Die Muskelfaſern endlich ſind als integrirende Theile
des Uterus bekanntlich von mehreren Anatomen und Phy-
ſiologen (noch neuerlich von Wenzel) gelaͤugnet worden,
wir haben daher die Gruͤnde anzufuͤhren, welche uns zu de-
ren Annahme berechtigen. Naͤmlich 1) die Bildungsgeſchichte
des Uterus als eines vollkommen darmartigen Gebildes,
2) die Analogie, indem bey dem darmartigen Uterus der
groͤßern Saͤugethiere, ſelbſt im ungeſchwaͤngerten Zuſtande, die
Muskelfaſern deutlichſt erſcheinen; 3) die unlaͤugbare Anwe-
ſenheit von ſtarken Faſerlagen am ſchwangern menſchlichen
Uterus, welche ihrer Farbe, Geſtalt, und ihrem Verlaufe
nach ganz mit den Faſerlagen der Harnblaſe u. ſ. w. uͤberein-
ſtimmen, und welchen man nicht etwa aus dem Grunde die
muskuloͤſe Beſchaffenheit abſprechen darf, weil ſie außer der
Schwangerſchaft beynahe unmerklich ſind, indem a) der Ute-
rus in der Schwangerſchaft erſt als in ſeiner wahrhaften
und vollkómmenen Ausbildung begriffen anzuſehen iſt, und
[25] es folglich damit ſehr uͤbereinſtimmt, wenn wir außer dieſer
Periode nicht alle ſeine Gebilde beſtimmt entwickelt finden,
eben ſo, wie z. B. niemand im Stande ſeyn wird, an dem
noch nicht vollkommen entwickelten Darmkanal des Embryo,
die Muskelfaſern ſichtlich darzuſtellen; b) ferner kann aber
auch das Ausbilden der Muskelfaſern in der Schwanger-
ſchaft, und ſpaͤterhin das wieder Verwiſchtwerden derſelben,
ſo wie ihre Reproduktion in einer kuͤnftigen Schwangerſchaft
keineswegs als etwas der Natur ſo widerſprechendes ange-
ſehen werden, indem in einem Gebilde deſſen Produktivitaͤt im
Allgemeinen ſo ſehr uͤberwiegt, auch Erſcheinungen dieſer Art,
ſo wenig als das Wiedererzeugen von Gliedern mit allen
Muskeln bey Krebſen und Salamandern, unmoͤglich bleiben.
4) Die Thaͤtigkeitsaͤußerungen des Uterus, in welchen wir
das Wirken einer außerordentlich ſtarken Bewegkraft nicht ver-
kennen duͤrfen, als eine Kraft, deren Organ im ganzen
thieriſchen Organismus eben die Muskelfaſer iſt. 5) Das
Aufregen dieſer Thaͤtigkeit durch Reitze, welche uͤberhaupt
Muskularthaͤtigkeit zu erwecken pflegen, wohin theils mecha-
niſche Reitzung gehoͤrt (ſo z. B. erwecken Friktionen des Un-
terleibes Wehen), theils aber inbeſondere der galvaniſche Reitz
als das eigentlichſte Reagens fuͤr Muskelfaſer zu rechnen iſt
(bekanntlich ſah Reil ſchon das Zuſammenziehen des darm-
artigen traͤchtigen Uterus in friſch getoͤdteten Kaninchen unter
Anwendung des Galvanismus; Verſuche, welche ich mit glei-
chem Erfolge wiederholte).


§. 32.

Ruͤckſichtlich der Fallopiſchen Roͤhren und der Scheide,
ſo ergiebt ſich nun ferner ſchon aus dem Vorigen, daß dieſe
als weniger entwickelte Theile des allgemeinen Fruchtganges
(§. 27. 28.) angeſehen werden muͤſſen, folglich das Weſent-
liche ihrer Organiſation noch mit der des Fruchthaͤlters uͤber-
einſtimmen wird, beiden daher auch dieſelben Lagen von Mem-
branen eigen ſind, mit Ausnahme der Scheide, welcher der
Ueberzug des Bauchfelles abgeht. Unſtreitig iſt es hingegen,
daß beiden, gleich dem Uterus, Gefaͤße und Muskelfaſern
zukommen, von welchen letztern, daß ſie in den Fallopiſchen
[26] Roͤhren vorhanden ſind, die bey Saͤugethieren beſtimmt nach-
zuweiſende periſtaltiſche Fortbewegung des Eyes, Zeugniß ab-
giebt, ſo wie von der muskuloͤſen Struktur der Scheide an-
dern Theils, die am Eingange derſelben verdichteten Faſer-
lagen (Constrictor cunni), ferner die Querfaltung der in-
nern Haut (gerade dieſelbe Erſcheinung zeigt ſich auch am
entleerten Darme), und endlich mehrere, z. B. bey der Ge-
burt, der Nachgeburt, wahrnehmbare Thaͤtigkeitsaͤußerungen
derſelben Beweiſe liefern.


§. 33.

Der Bruͤſte endlich gedenken wir hier unter den Ge-
ſchlechtstheilen noch insbeſondere, um theils auf die Gruͤnde
ihres fuͤr die praktiſche Anwendung der Gynaͤkologie ſo wich-
tigen Consensus mit dem Uterus hin zu weiſen, theils ge-
wiſſe Eigenthuͤmlichkeiten ihrer Struktur bemerklich zu ma-
chen. — Wenn naͤmlich uͤberhaupt das Geſchlechtsſyſtem
gleichſam nur als ein dem lebendigen Koͤrper eingepflanzter
Theil anzuſehen iſt, ſo daß auch ohne daſſelbe die indi-
viduelle
organiſche Exiſtenz allerdings moͤglich bliebe (ob-
wohl nicht die Exiſtenz der Gattung), ſo gilt dieß vorzuͤg-
lich auch von den Ernaͤhrungsorganen des Foͤtus im menſch-
lichen Weibe, und namentlich von den Bruͤſten. Auf ſehr
merkwuͤrdige Weiſe naͤmlich iſt die Bruſtdruͤſe gleichſam
wie der Mutterkuchen an den Uterus, ſo auf die aͤußere
Flaͤche des Thorax geheftet (die Placenta wurde daher ſchon
von alten Phyſiologen als Mamma uterina bezeichnet);
dort empfaͤngt ſie die Saͤfte, welche noch nach der Geburt
zur Ernaͤhrung des Kindes erfordert werden, und welche in
niedern Klaſſen dem Jungen ſogleich vom Eyerſtocke aus als
Dotterſack, als gemeinſamer Chylusbehaͤlter mitgetheilt zu
werden pflegen, hier aber, nachdem ſie zuvor im Fruchthaͤl-
ter ſelbſt dem Foͤtus zugefuͤhrt worden, zu den Bruͤſten ſich
wenden. — Fruchthaͤlter und Bruͤſte ſind alſo in dieſer Hin-
ſicht von gleicher Bedeutung, und daher der im Leben
derſelben deutlich bemerkbare Zuſammenhang; denn nicht ſo-
wohl in Verbindung von einzelnen Nervenfaͤdchen und Ge-
faͤßen (z. B. wollten Einige den Consensus zwiſchen Uterus
[27] und Bruͤſten aus der Anaſtomoſe der epigaſtriſchen Gefaͤße
und der Art. mammaria interna erklaͤren) iſt die Begruͤn-
dung ſolcher Mitleidenſchaft zu ſuchen, ſondern eben in der
organiſchen Bedeutung und urſpruͤnglichen Gleichartigkeit
oder Entgegenſetzung verſchiedener Theile, weßhalb dann
auch manche durch Nerven und Gefaͤße nahe verbundene
Theile keinen Consensus zeigen, da hingegen bey andern,
wo dieſe Verbindung als ſehr unerheblich erſcheint, die Mit-
leidenſchaft bedeutend iſt.


§. 34.

Bey der Bildung der Groͤße insbeſondere iſt ferner theils
auf ihre, dem Uterus voͤllig gleichmaͤßige Entwicklung uͤber-
haupt Ruͤckſicht zu nehmen, theils die Gleichmaͤßigkeit des
Verlaufes der Milchadern nach der Warze, und der Blut-
adern nach dem Nabelſtrange an der Placanta zu bemerken;
in welcher letztern Hinſicht auch erwaͤhnt zu werden verdient,
daß ſelbſt bey Thieren eine Uebereinſtimmung der Placenta
und Bruͤſte in ſo weit ſtatt findet, ſo daß demnach bey
Thieren, wo das Chorion am Eye die Stelle der Placenta
vertritt, auch die Bruͤſte ſehr platt ſind (z. B. beym Pferde),
da hingegen, wo am Eye viele Placenten ſich finden, auch
die Zahl der Zitzen ſich vervielfacht (z. B. bey der Kuh mit
4 Zitzen fuͤr ein Junges), und endlich bey mehrfach werfen-
den Thieren die Zahl der Jungen (folglich auch die Zahl der
Placenten) mit der der Zitzen uͤbereinſtimmt (Z. B. bey
Hunden). — Es wird hierdurch erklaͤrlich, daß und warum
auch bey verſchiedenen menſchlichen Individuen die Eigen-
thuͤmlichkeit der Bruͤſte in der Regel mit der der Placenten
uͤbereinſtimmen werde, ſo wie umgekehrt die Placenta fuͤr
die Prognoſe des Stillungsgeſchaͤftes wichtig wird, wovon
weiter unten das Naͤhere.


§. 35.

Wir kommen nun zur Betrachtung des Beckens, als
eines knoͤchernen Kanals, durch welchen das Kind bey der
Geburt hindurchgetrieben wird, und in welchem die innern
Geſchlechtsorgane enthalten ſind. In erſterer Hinſicht werden
[28] uns ſonach die Dimenſionen und verſchiedenen Richtungen
der einzelnen Beckengegenden intereſſiren, in letzterer phyſio-
logiſcher Hinſicht muß uns die der Entwicklung der Ge-
ſchlechtstheile gleichmaͤßige Entwicklung der geſammten Be-
ckenform merkwuͤrdig ſeyn. Wir beginnen, mit Uebergehung
der Zuſammenſetzung deſſelben aus Knochen und Baͤndern,
bey der Eintheilung und Ausmeſſung deſſelben.


§. 36.

Das ganze Becken alſo theilen wir in das große und
kleine Becken (Cavitas pelvis major s. superior et minor
s. inferior
), ſo zwar, daß die uͤber den Vorberg (Pro-
montorium
) und den obern Rand des Schambogens ver-
laufende ungenannte Linie (Linea innominata) die Graͤnze
beyder abgiebt. — Die Hoͤhle des großen Beckens nun
insbeſondere betrachtet, welche von hinten durch die Lenden-
wirbelſaͤule, von der Seite durch die ſchieflaufenden Darm-
beinflaͤchen, und von vorne durch die weichen Bauch-
waͤnde begraͤnzt wird, zeichnet ſich aus durch eine, oben
breite und weite, abwaͤrts verengerte, alſo beynahe trichter-
foͤrmige Hoͤhle, deren Querdurchmeſſer im wohlgebauten weib-
lichen Koͤrper, von der Mitte eines Huͤftbeinkammes bis zum
andern, 9 bis 10 Pariſer Zoll betraͤgt, wo dagegen ihre
Breite am Eingange ins kleine Becken bis auf 5 Zoll ver-
ringert erſcheint. — Fuͤr den Verlauf des Geburtsgeſchaͤftes
nun, ſo wie fuͤr den Zuſtand der Schwangerſchaft, iſt dieſe
Trichterform in mehrerer Hinſicht wichtig; einmal naͤmlich,
indem dadurch der ſchwangere Uterus die ſicherſte und ange-
meſſenſte Unterſtuͤtzung erhaͤlt, andern Theils, indem durch
dieſe ſchiefen Flaͤchen, namentlich das Einrichten der Laͤngen-
achſe des Kindes in die Fuͤhrungslinie des Beckens, und das
Eintreten des Kindeskopfes in das kleine Becken vorbereitet
und erleichtert, ja ſogar bedingt wird.


§. 37.

Mannigfacher begraͤnzt, und deßhalb ſchwerer auszu-
meſſen, iſt der Raum des kleinen Beckens, an welchem
folgende drei Gegenden daher beſonders betrachtet und ausge-
[29] meſſen werden: — 1) der Eingang (Apertura pelvis supe-
rior
), eine von der ungenannten Linie begraͤnzte Flaͤche; 2) die
Hoͤhle (Cavitas pelvis minoris), eine Flaͤche, deren Umfang
durch eine in die Verbindung des zweiten und dritten falſchen
Kreuzwirbels und in die Mitte des Schambogens gelegte Kreis-
linie beſtimmt wird; 3) der Ausgang (Apertura pelvis infe-
rior
), welcher von den untern Raͤndern des Ossis sacri und
coccygis, ſo wie den Ligamentis sacrotuberosis und sacro-
spinosis,
und endlich von den ossibus ischii, pubis und
der symphysis ossium pubis beſtimmt wird.


§. 38.

Die Dimenſionen dieſer Gegenden ſind beym wohlge-
bauten weiblichen Koͤrper, und zwar nach dem hierbey uͤbli-
chen Pariſer Maaß, folgende: 1. im Eingangea) der
geraden Durchmeſſer Diameter recta s. conjugata) vom
obern Rande der Schamfuge bis zum Vorberge = 4 Zoll,
b) der Querdurchmeſſer (Diameter transversa) von den aus-
geſchweifteſten Stellen zu beiden Seiten der ungenannten
Linie = 5 Zoll, c) die ſchraͤgen oder Deventer’ſchen Durch-
meſſer (Diametri obliquae), deren erſter von der rechten
Krenz- und Darmbeinverbindung (Symphysis sacro-iliaca)
bis zur linken Scham- und Darmbeinverbindung (Synostosis
pubo-iliaca
), deren zweiter von der linken Kreuz- und
Darmbeinverbindung bis zur rechten Scham- und Darmbein-
verbindung reicht = 4½ Zoll. 2.) In der Beckenhoͤhle
a) der gerade Durchmeſſer, von der Verbindung des zweiten
und dritten falſchen Kreuzwirbels bis zur Mitte der Scham-
fuge = 4½ Zoll, b) der Querdurchmeſſer, von einem Sitz-
beinſtachel (spina ossis ischii) zum andern = 4 Zoll.
(Auch zieht man wohl noch eine Diagonalconjugata, Behufs
der Anwendung innerer Beckenmeſſer, von der Mitte der
Schamfuge bis zum Vorberge, eine Linie, welche dann der
Conjugata der Beckenhoͤhle gleich, alſo 4½ Zoll, gefunden
wird, und folglich aus ihrer Groͤße auch einen Schluß auf
die Conjugata des Beckeneinganges erlaubt.) — 3. Im Be-
ckenausgange
: a) der gerade [Durchmeſſer], vom untern
Rande der Schamfuge bis zur Spitze des Schwanzbeines
[30] = 3½ Zoll (beym Zuruͤckweichen des Schwanzbeines jedoch
auf 4 bis 4¼, ja 4½ Zoll vergroͤßert); b) der Querdurch-
meſſer, von einem Sitzhoͤcker (Tuberositas ossis ischii)
zum andern = 4 Zoll (vergl. Tab. I. Fig. III. IV. V.).


§. 39.

Man findet ſonach bey dieſen Ausmeſſungen, daß Be-
ckeneingang und Hoͤhle, als Ellipſen, der Beckenausgang hin-
gegen (bey zuruͤckgebogenem Schwanzbein) mehr als Kreis-
form ſich darſtelle, daß jedoch ferner der groͤßte Durchmeſſer
dieſer Elipſen nicht die gleiche Richtung habe, ſondern im
Eingange quer, in der Beckenhoͤhle gerade geſtellt ſey, eine
fuͤr die Bewegung des Kindes durch das Becken aͤußerſt wich-
tige Bemerkung. Endlich aber hat man auch zu beachten,
daß der Eingang des kleinen Beckens in der Natur nicht als
regelmaͤßige Ellipſe ſich darſtelle, ſondern durch das Hervor-
ragen des Vorberges mehr die Geſtalt eines im Ausſchnitte
ſowohl, als an der Spitze abgeſtumpften Kartenherzens er-
halte, ſo daß man eine etwas kleinere Ellipſe von 4½ Zoll
Laͤnge, und 4 Zoll Breite, am angemeſſenſten auf zweyerley
Weiſe, naͤmlich nach der Richtung der zwei ſchiefen Durch-
meſſer, und folglich in die zu beyden Seiten des Vorberges
befindlichen Ausbiegungen auf den Kreuz- und Darmbeinver-
bindungen legen koͤnne.


§. 40.

Ferner haben wir die Hoͤhe des Beckens, den Scham-
bogenwinkel, ſo wie Abſtand und Richtung der Schenkelkoͤpfe,
und endlich auch Neigung und Kruͤmmung des Beckens ge-
nauer zu beſtimmen. — 1. Die Hoͤhe des geſammten Be-
ckens betreffend, ſo mißt ſie 7 Zoll, wovon dem kleinen Be-
cken an der Ruͤckwaͤnd 4½ Zoll, an der Seitenwand 3½ Zoll,
an der Vorderwand 1½ Zoll zukommen. 2. Der Winkel,
welcher unter der Schamfuge durch Scham- und Sitzbeine
gebildet wird, iſt ein Winkel von 90° d. i. ein rechter Win-
kel (er unterſcheidet insbeſondere nebſt der groͤßern Woͤlbung
des Schambogens und der auswaͤrts gedruͤckten Raͤnder der
aufſteigenden Sitzbeinaͤſte, das weibliche vom maͤnnlichen Be-
[31] cken, und iſt namentlich fuͤr die Entwicklung des Kindeskopfes
aus der untern Beckenoͤffnung von Wichtigkeit.)


§. 41.

3. Ruͤckſichtlich der Verbindung der Schenkel-
knochen mit dem Becken
achtet man theils auf den
Winkel, welchen der Schenkelknochen und deſſen Hals bildet;
er betraͤgt 120°; theils auf den Winkel, welchen die Fort-
ſetzung der Direktionslinie der Schenkelhaͤlſe vor dem Vor-
berge bildet; er betraͤgt 100°. Eine Linie vom aͤußern
Umfange des großen Rollhuͤgels am Schenkelknochen (Tro-
chanter major
) bis zu dem gleichen gegenuͤberliegenden
Punkte betraͤgt 13 Zoll.


§. 42.

4. Die Neigung (Inclinatio) des Beckens wird
durch die Verbindung deſſelben mit der Wirbelſaͤule und ſein
Verhaͤltniß zur Laͤngenachſe des Koͤrpers beſtimmt. Es fin-
den ſich naͤmlich die Seitenwandknochen des Beckens (Ossa
innominata
) unter ziemlich rechtem Winkel an das Kreuzbein
geheftet; allein, da letzteres ſelbſt ruͤckwaͤrts gebogen iſt, ſo
kann auch die Richtung jener Knochen nicht horizontal, ſie
muß vorwaͤrts geneigt ſeyn, welches ſo viel betraͤgt, daß der
obere Rand der Schambeinverbindung bey aufrechter Stellung
gegen 3 Zoll tiefer als der Vorberg gefunden wird. Die
Flaͤche des Beckeneinganges iſt ſonach ſtark nach vorwaͤrts
abhaͤngig (geneigt), und will man dieſe Neigung nun noch
genauer beſtimmen, ſo muß man den Winkel meſſen, welchen
die verlaͤngerte Conjugata des Beckeneinganges mit der Hori-
zontalebene bildet (vergl. uͤber Neigung und Kruͤmmung
Tab. I. Fig. VI.). Dieſen Winkel nun erklaͤren die meiſten
Lehrbuͤcher der Geburtshuͤlfe, alle Levret*) folgend, fuͤr 35°
betragend, H. Froriep ſetzt ihn dagegen auf 40—43°;
indeß uͤberzeugen mich meine Beobachtungen, daß auch dieß
noch viel zu gering iſt, wie man leicht ſehen wird, wenn
[32] man genau nach dieſer Annahme einen Beckendurchſchnitt
aufzeichnet, oder an Skeletten dieſen Winkel mißt, wo man
ihn bey uͤbrigens ganz regelmaͤßiger Koͤrperform wohl bis zu
60—65° vergroͤßert ſieht. Ich glaube daher der Regel am
naͤchſten zu kommen, wenn ich denſelben, als die Mittelzahl
aus mehreren Meſſungen, auf 55° feſtſetze. Was dagegen
die Flaͤche des Beckenausganges betrifft, ſo findet man auch
dieſe ſchief gegen den Horizont geſtellt, und zwar wieder ſo,
daß die vordere Seite tiefer als die hintere ſteht, und folg-
lich in gleicher Richtung ein Winkel mit dem Horizont ge-
bildet wird, welcher 18° zu betragen pflegt. Subtrahirt
man nun von dem Winkel des Beckeneinganges mit dem
Horizont, den Winkel des Beckenausganges, ſo erhaͤlt man
den Winkel, unter welchem die verlaͤngerten Conjugaten des
Beckeneinganges und Ausganges zuſammenſtoßen, naͤmlich ei-
nen Winkel = 55° — 18° = 37°.


Anmerkung. Faſt in ſaͤmmtlichen Saͤugethieren iſt
die Neigung des Beckens ſo ſtark, daß die ganze Schamfuge
bloß dem Schwanzbeine, und gar nicht mehr dem Kreuz-
beine gegenuͤberſteht, woher dann eben die ſtark ruͤckwaͤrts
gerichteten Geſchlechtstheile und die veraͤnderte Begattungs-
weiſe (Coitus a posteriori) ſich erklaͤren.


§. 43.

5. Endlich die Beckenkruͤmmung betreffend, ſo iſt es
ſowohl zur Verſtaͤndniß des Geburtsmechanismus, als auch
fuͤr zweckmaͤßiges Vollfuͤhren aller im und durch das Becken
vorzunehmender Operationen und Unterſuchungen wichtig, die
Richtung derſelben, welche man in Form einer durch das
Becken gefuͤhrten Linie ſich vorſtellt, auf das genaueſte zu
beſtimmen. Fruͤher nannte man nun dieſe Linie Achſe des
Beckens
, und Levret beſtimmte ſie als eine ſenkrechte,
auf die Mitte der Eingangsflaͤche fallende Linie, welche ſich
folglich zur ſenkrechten Laͤngenachſe des weiblichen Koͤrpers
genau eben ſo verhalten muß, als die verlaͤngerte Conjugata
zur Horizontalebene, d. i. welche mit derſelben einen Winkel
von 55° bilden, und deren Verlaͤngerung vom Beckenein-
gange aufwaͤrts ohngefaͤhr den Nabel treffen wuͤrde. Offenbar
[33] verdient nun aber dieſe Linie den Namen der Beckenachſe
keineswegs, indem fuͤr einen durchaus gekruͤmmten Gang
keine gerade Linie als eigentliche Achſe dienen kann. Um da-
her die Hoͤhle des Beckens genauer zu beſtimmen, zog Roͤ-
derer
eine zweite Linie ſenkrecht auf die Mitte der untern
Beckenoͤffnung, welche um 18° von der Laͤngenachſe des
weiblichen Koͤrpers ruͤckwaͤrts abweicht, und folglich in der
Beckenhoͤhle mit der Levret’ſchen Achſe unter einem Winkel
von 143° ſich kreuzt. Allein auch dieſe beyden Achſen zu-
ſammen genommen beſtimmen die Beckenhoͤhle, ſo wie die
Bewegung des Kindes und die Fuͤhrung der Inſtrumente noch
nicht genau, ja zum Theil ganz falſch (denn das Kind tritt
nicht nach Roͤderers Achſe nach hinten, ſondern vielmehr
nach vorwaͤrts aus dem Becken), und man ſah ſich daher
genoͤthigt, die Idee einer oder mehrerer Beckenachſen ganz zu
verlaſſen, dagegen aber eine gekruͤmmte Linie (Fuͤhrungs-
linie
) anzunehmen.


§. 44.

Um nun dieſe Fuͤhrungslinie wahrhaft geometriſch, und
alſo vollkommen genau zu beſtimmen, finde ich folgendes Ver-
fahren am augemeſſenſten: — Man nimmt die Mitte der
Schambeinverbindung, da, wo die Conjugata der Becken-
hoͤhle ausgeht, braucht von dieſer Conjugata die Haͤlfte (alſo
eine Linie von 2¼ Zoll) als Radius, und beſchreibt nun
mit dieſem Halbmeſſer einen Kreis um die Synchondroſe
herum, wo ſich dann ergeben wird, daß der in die Becken-
hoͤhle fallende Abſchnitt dieſes Kreiſes ſowohl die Mitte des
Einganges als Ausganges durchſchneidet, als uͤberhaupt durch-
gaͤngig in der Mitte der Beckenhoͤhle verlaufend, die wahre
Fuͤhrungslinie auf das Beſtimmteſte angiebt, woraus ſich
dann zugleich ergiebt, daß die Ruͤckwand des Beckens, alſo
die innere Flaͤche des Kreuzbeines und des im zuruͤckge-
bogenen Zuſtande
betrachteten Schwanzbeines, einen Kreis-
abſchnitt darſtellen muͤſſe, deſſen Radius die ganze Conjugata
der Beckenhoͤhle iſt; was dann beym vollkommen regelmaͤßi-
gen Becken auch wirklich der Fall ſeyn wird.


I. Theil. 3
[34]

Anmerkung. Weit ſeltner, als man gewoͤhnlich zu
glauben ſcheint, iſt es, daß ein weibliches Becken in aller
Hinſicht als normal gebildet ſich zeigt, und insbeſondere habe
ich dieß von der Kruͤmmung der Beckenhoͤhle beſtaͤtigt gefun-
den, wo man oft unter einer betraͤchtlichen Reihe, uͤbrigens
ziemlich wohlgebauter Becken, kaum eines vorfindet, deſſen
Kruͤmmung ganz der wahren Norm entſpraͤche.


§. 45.

So weit denn die mathematiſche Betrachtung des Be-
ckens; was das in phyſiologiſcher Hinſicht noch Bemerkungs-
werthe betrifft, ſo muß theils die Art ſeiner Knochenverbin-
dungen, theils die Entwicklung deſſelben beruͤckſichtigt wer-
den. Die Art der Beckenverbindungen angehend, ſo ſind
von den vier Knochenverbindungen drei (naͤmlich zwei Darm-
und Kreuzbeinfugen und die Schamfuge) im normalen Zu-
ſtande keiner Bewegung, keines Auseinanderweichens (worauf
man ſonſt wohl bey der Theorie der natuͤrlichen Geburt Ruͤck-
ſicht nahm) faͤhig, dahingegen bey einigen Saͤugethieren (ſo
nach Le Gallois beym Meerſchweinchen) die Schamfuge ſich
wirklich oͤffnet, folglich die Seitenwandbeine ſich allerdings
bewegen, worin wir eine Aehnlichkeit mit dem beweglichen
Becken niederer Thiergattungen, z. B. der Schildkroͤten, be-
merken. Daß jedoch die Verbindung des Schwanz- und
Kreuzknochens hinlaͤngliche Bewegung zulaſſen muͤſſe, um eine
normale Weite der untern Beckenoͤffnung zuzulaſſen, ergiebt
ſich ſchon aus §. 38. Ruͤckſichtlich der Entwicklung der gan-
zen Beckenform endlich bemerken wir, daß diejenige Geſtalt,
welche wir im Vorhergehenden als die eigentlich normale fuͤr
den ausgebildeten weiblichen Koͤrper beſchrieben, nicht gleich
im Kinde etwa nur im verjuͤngten Maaßſtabe vorhanden ſey,
ſondern ihre Eigenthuͤmlichkeit erſt ſpaͤterhin erhalte. Unter-
ſucht man naͤmlich das Becken des neugebornen Maͤdchens,
ſo iſt allerdings wegen aͤußerſt geringer Hervorragung des
Vorberges und Schmalheit der Huͤftgegend auch die obere
Beckenoͤffnung mehr ein der Laͤnge, als der Breite nach
liegendes Oval; ſpaͤterhin wird dann der ganze Beckenraum
mehr kreisrund, bis erſt waͤhrend des Eintrittes der Ge-
[35] ſchlechtsreiſe das Becken (die Knochenhoͤhle fuͤr Geſchlechts-
organe, wie es der Thorax fuͤr Reſpirationsorgane iſt) ſeine
querovale Geſtalt erhaͤlt, ja ſeine volle Ausbildung erſt waͤh-
rend der erſten Schwangerſchaft erreicht, woher wir es leiten
muͤſſen, daß die Taille des weiblichen Koͤrpers eine andere iſt
im jungfraͤulichen Zuſtande und eine andere nach der erſten Geburt,
ein Unterſchied, welchen ſchon die alten plaſtiſchen Kuͤnſtler
in der verſchiedenen Bildung der Venus anadyomene (die
dem Meere entſtiegene) und der Venus genetrix (der Er-
zeugerin) ſehr wohl ausgedruͤckt haben.


§. 46.

Es iſt jetzt, bevor wir zur Betrachtung der Eigenthuͤm-
lichkeiten des weiblichen Lebens uͤbergehen, nothwendig, zuvor
noch die Kennzeichen zu beruͤckſichtigen, aus denen am leben-
den Koͤrper das wahrhaft normale Befinden und der verſchie-
dene Zuſtand der einzelnen, vorher betrachteten Theile zu er-
kennen iſt, als welches dann das Geſchaͤft einer beſondern
Zeichenlehre der weiblichen Geſchlechtstheile und des weiblichen
Beckens ſeyn wird.


I. Zeichenlehre der weiblichen Geſchlechtstheile.

§. 47.

1. Zeichen der normalen, zu Zeugung, Er-
naͤhrung des Kindes und Geburt uͤberhaupt ge-
ſchickten weiblichen Geſchlechtstheile
. — Hierher
gehoͤren a) hinſichtlich der aͤußern Schamtheile: an-
einanderſchließende, doch nirgends verwachſene oder ſonſt ver-
unſtaltete, innerlich geroͤthete und glatte, aͤußerlich mit Haar
bewachſene, große Schamlefzen; hinlaͤnglich weite, weder zu
ſehr ruͤckwaͤrts noch vorwaͤrts gerichtete Schamſpalte (Rima
genitalium
); nicht zu weit vorragender und breiter, noch auch
allzuſchmaler oder zerriſſener Damm (Perinaeum), und kein
allzubreites Schambaͤndchen (Frenulum vulvae). Ferner re-
gelmaͤßig gebildete, weder zu ſtarke und vorragende, noch zu
kleine oder unempfindliche, lebhaft geroͤthete, maͤßig feuchte,
[36] nicht mit dickem Schleim uͤberzogene, oder ſonſtigen Krank-
heitszuſtand verrathende kleine oder Waſſerlefzen, empfindliche
ohngefaͤhr ¼ Zoll lange Klitoris, welche wenig vor dem Prae-
putio Clitoridis
vorragt, und unter dieſer, ohngefaͤhr in der
Tiefe von ¾ Zoll, der weder zu ſehr erſchlaffte und erwei-
terte, noch allzuſehr verengerte Eingang in die Harnroͤhre
(Orificium urethrae).


§. 48.

b) Hinſichtlich der Scheide und Gebaͤrmutter:
eine am Eingange 1 bis 1½ Zoll weite, weder durch ein zu
feſtes, noch allzugroßes Hymen verſchloßene Scheide, welche
da, wo das Hymen mangelt, die myrthenfoͤrmigen Karun-
keln erkennen laͤßt, und ein maͤßig weiter, gegen 4 Zoll lan-
ger, nach der Richtung des untern Theiles der Beckenfuͤh-
rungslinie ſanft gebogener, maͤßig durch Schleim befeuchteter,
weder zu ſehr, noch zu wenig erwaͤrmter, weder mit zu ſtar-
ken oder gar herabgeſunkenen Querfalten verſehener, noch
ganz glatter Scheidenkanal. Ferner eine verhaͤltnißmaͤßig ge-
bildete, hinter Schamfuge und Harublaſe, und vor dem
Maſtdarme, zwiſchen Eingang und Hoͤhle des kleinen Beckens
liegende Gebaͤrmutter, deren Laͤngenachſe der Levret’ſchen Be-
ckenachſe entſpricht, und deren unteres Segment mittelſt des
1 Zoll langen Mutterhalſes (Cervix uteri) in die Scheide
(welche dieſe Vaginalportion ſelbſt aͤußerlich bekleidet) herab-
ragt, woſelbſt der aͤußere Muttermund von gleicher elaſtiſcher
Textur, ohne Verhaͤrtungen und Auswuͤchſe, etwas ruͤckwaͤrts
gerichtet, mit etwas verlaͤngerter vorderer Lippe, und zwar
als Querſpalte, oder zur Zeit der Menſtruation als runde
Oeffnung bemerkt wird.


§. 49.

c) Hinſichtlich der Bruͤſte: weder allzugroße, mit
zu vielem Fette uͤberkleidete Bruſtdruͤſen; gleichfoͤrmige Halb-
kugelgeſtalt beyder Bruͤſte, welche weder platt aufliegend,
noch zitzenartig herabhaͤngend, weder innerlich Verhaͤrtungen
zeigend, noch allzuſehr erſchlafft, dagegen elaſtiſch, mit einer
zarten reinen Haut uͤberzogen gefunden werden. Ferner re-
[37] gelmaͤßig geſtaltete, hinlaͤnglich große, nicht geſpaltene, mit
roͤthlicher oder brauner Haut uͤberdeckte, empfindliche, leicht
turgescirende Warzen, und ein gegen ¾ Zoll breiter glatter,
gleichmaͤßig mit den Warzen gefaͤrbter Hof um dieſelben.


§. 50.

2. Zeichen des jungfraͤulichen Zuſtandes die-
ſer Theile insbeſondere
. Obwohl es unlaͤugbar iſt,
daß der wahrhaft jungfraͤuliche Zuſtand des weiblichen Koͤr-
pers ſchon in ſeiner allgemeinen Bildung dem ſchaͤrfern Beob-
achter ſich mit ziemlicher Beſtimmtheit darſtellt, ſo kann doch
von dieſem Geſammtuͤberblick namentlich fuͤr gerichtliche Faͤlle
wenig Anwendung gemacht werden, indem die Entſcheidung
hierbey zu ſehr der Individualitaͤt des Beobachters uͤberlaſſen
bliebe, es waͤre denn, daß in dieſer Hinſicht noch beſtimm-
tere Merkmale aufgefunden wuͤrden, etwa gleich dem, welches
nach Winkelmann bereits den Alten bekannt geweſen: daß
naͤmlich die Schlankheit des Halſes als Zeichen jungfraͤulichen
Zuſtandes gelten kann, und, ſobald ein um den Hals gemeſſener
Faden, leicht uͤber den Kopf weggefuͤhrt werden koͤnne, dieß
als Andeutung verlorener Jungfrauſchaft zu betrachten ſey.
Sicherer als dieſe Merkmale bleibt daher zur Beſtimmung
des jungfraͤulichen Zuſtandes noch der Zuſtand der Genitalien,
obwohl auch hier im Voraus bemerkt werden muß: erſtens,
daß wenn man, wie Einige thun, zwiſchen phyſiſcher und
moraliſcher Jungfrauſchaft unterſcheiden will, die zu erwaͤh-
nenden Kennzeichen natuͤrlich blos fuͤr die erſtere guͤltig ſind;
zweitens, daß ungewoͤhnliche urſpruͤngliche Bildungen der Ge-
nitolien, Krankheiten derſelben, z. B. Leucorrhoe, Verletzun-
gen, Entzuͤndungen, Eiterungen u. ſ. w. ſehr leicht einen
Zuſtand herbeyfuͤhren koͤnnen, welcher, indem er die Zeichen
der Jungfrauſchaft auch ohne ſtatt gehabten Coitus zerſtoͤrt,
ſehr leicht zu irrigen Urtheilen verleiten kann, weßhalb dann,
indem auch viele der zu nennenden Kennzeichen, ſelbſt das
unverletzte Hymen auch nach gepflogenem Coitus bemerkt
worden iſt, in jeder Hinſicht bey den uͤber dieſen Gegenſtand
zu ziehenden Reſultaten mit moͤglichſter Umſicht und Benutzung
aller Anhaltungspunkte zu verfahren iſt.


[38]
§. 51.

Als Zeugen jungfraͤulichen Zuſtandes an den Geſchlechts-
theilen betrachten wir aber: unverletztes, auch nicht allzuſehr
erſchlafftes Hymen; wulſtige, dicht an einander ſchließende,
elaſtiſche, innerlich glatte und lebhaft geroͤthete große Scham-
lefzen, welche die kleinen nicht allzuſchlaffen oder verhaͤrteten
und gleichfalls lebhaft geroͤtheten Scham- oder Waſſerlefzen
bedecken. Ferner eine kleine, groͤßtentheils von der Vorhaut
bedeckte und zwiſchen den Schamlefzen verborgene Klitoris;
ein enger, etwas wulſtiger Rand der Harnroͤhrenoͤffnung, und
ein uͤberhaupt zuſammen gezogener, kaum 1 Zoll weiter Ein-
gang der Scheide. — Ferner der engere, ſtark quergefaltete
Scheidenkanal, der ſchlankere 1 Zoll lange Fruchthaͤlterhals
von feſter Subſtanz und glatter Oberflaͤche, nebſt dem mit
dichtſchließenden Lippen (einer hintern kuͤrzern und einer vordern
laͤngern) verſehenen, eine Querſpalte (zur Zeit der Men-
ſtruation jedoch bey wulſtigern Lippen wehr gerundete Oeff-
nung) zeigenden, etwas ruͤckwaͤrts gekehrten Muttermunde;
wobey durch das Scheidengewoͤlbe ſo wie durch den Maſt-
darm der Gebaͤrmutter-Koͤrper und Grund, obwohl nur un-
deutlich, ebenfalls klein und von ſtarker Subſtanz wahrge-
nommen werden. Endlich der glatte, gewoͤlbte, weder be-
ſondere Hautfalten noch Flecken zeigende Unterleib und die
kleinern elaſtiſchen, halbkuglichen Bruͤſte mit hellrothen War-
zen und Hoͤfen um dieſelben verſehen.


§. 52.

3. Kennzeichen des ſtatt gehabten Beyſchlafs.
Es gilt von ihnen, ruͤckſichtlich ihrer Unſicherheit, bey-
nahe daſſelbe, was uͤber die Zeichen des jungfraͤulichen Zu-
ſtandes bemerkt wurde, und man darf annehmen, daß, wenn
die zu erwaͤhnenden Kennzeichen beſtimmt vorhanden ſeyn
ſollen, theils mehrere Male wiederholter Coitus ſtatt gehabt
haben, theils derſelbe vollſtaͤndig (nicht etwa sine immissione
penis
) geweſen ſeyn muͤſſe. Die Veraͤnderungen, welche in
dieſem Falle an den Geſchlechtstheilen wahrgenommen werden,
ſind aber folgende: — Schlaffes, zerriſſenes oder ganz ver-
[39] ſchwundenes Hymen, ſchlaffere innerlich braͤunlich gefaͤrbte
mehr mit Schleim uͤberzogene große Schamlefzen, laͤngere
oder haͤrtere ebenfalls braͤunliche mehr hervorragende Nymphen,
empfindlichere weniger bedeckte Klitoris, weitere Harnroͤhren-
muͤndung, ſchlaffere weniger dicht gefaltete Scheide, tiefer
ſtehender, oft auch mehr angeſchwollener Muttermund und
Mutterhals, etwas ſchlaffere Bruͤſte, dunklere Warzen und
etwas vermehrtes Volumen der Schilddruͤſe.


§. 53.

4. Kennzeichen vorausgegangener Geburten.
Auch ruͤckſichtlich dieſer muß bemerkt werden, daß wir eigent-
lich kein einziges haben, welches einzig und allein vollkom-
mene Sicherheit der Unterſcheidung gewaͤhrte, und daß durch
vorausgegangene krankhafte Zuſtaͤnde der Genitalien, Polypen,
Eiterungen, Syphilis, Waſſerſucht des Uterus u. ſ. w. meh-
rere Zeichen herbeygefuͤhrt werden koͤnnen, welche ganz den
Zuſtand vorhergegangener Geburten nachbilden, obwohl im
Ganzen genommen, zumal da aͤhnliche Krankheitszuſtaͤnde
doch ſeltner ſind, ſich auch ſonſt zu erkennen geben, dieſe
Kennzeichen doch noch mehr Zuverlaͤßigkeit als die vorherge-
henden gewaͤhren. Es ſind folgende: — Mehr von einander
klaffende große und kleine Schamlefzen und erweitertere Schei-
denmuͤndung bey ſtark ausgedehntem oder verletztem Scham-
baͤndchen, oder eingeriſſenem Damme; ſchlaffere, weitere, glat-
tere, oft mit theilweiſem Vorfalle behaftete Mutterſcheide;
wulſtigere, ſchwammigere Vaginalportion des Fruchthaͤlters;
groͤßerer, durch das Scheidengewoͤlbe leichter fuͤhlbarer Gebaͤr-
mutterkoͤrper und dickerer Muttermund, an deſſen weniger
genau ſchließenden Lippen die Spuren fruͤherer Einriſſe als
Narben ſich darſtellen. Endlich ſchlaffere Bauchbedeckungen
mit Querfalten oder veraͤnderter Hautfarbe bezeichnet, Spuren
waͤhrend der Schwangerſchaft vorhanden geweſener Venenge-
ſchwuͤlſte der Schenkel; ſchlaffere, zuweilen mit fuͤhlbaren vom
Stillungsgeſchaͤft zuruͤckgebliebenen Milchknoten verſehene Bruͤſte
mit dunkelfarbigen mehr hervorragenden Warzen.


[40]
II. Zeichen des regelmaͤßig gebildeten Beckens.

§. 54.

Als hierher gehoͤrige Kennzeichen ſind zunaͤchſt die all-
gemeine regelmaͤßige Bildung des Koͤrpers und insbeſondre
des Skeletts nach aͤcht weiblichem Typus zu bemerken, in-
dem Verbiegungen der Wirbelſaͤule, gekruͤmmte Gliederkno-
chen oder gehinderte Bewegungen der Glieder, wie beym
Hinken, ſehr haͤufig mit fehlerhafter Beckenbildung ſich ver-
binden. Ferner hinlaͤngliche Breite der Huͤften- (9—10 Zoll)
und Rollhuͤgelgegend (13 Zoll), regelmaͤßige Woͤlbung des
Schambogens und Kreuzbeines, regelmaͤßige Tiefe des gan-
zen Beckens (7 Zoll), normale Vorwaͤrtsneigung der Darm-
beinkaͤmme, und weder zu weit vorwaͤrts noch zu weit ruͤck-
waͤrts gerichtete aͤußere Schamtheile (Genitalia quoad situm
media
). Außerdem giebt vorzuͤglich die Geſchichte vorher-
gegangener Geburten (namentlich kurz vorhergegangener)
uͤber die Beſchaffenheit des Beckens Aufſchluß, indem die
normale Geburt eines ausgetragenen normal gebauten Kindes
undenkbar iſt ohne ein regelmaͤßig gebildetes Becken, obwohl
auch ein ſolches ſpaͤterhin ſich veraͤndern und vom Normal-
baue betraͤchtlich abweichen kann. Das ſicherſte Merkmal
bleibt daher immer die Anſtellung einer genauen innern ge-
burtshuͤlflichen Unterſuchung (von welcher ſpaͤterhin die Rede
ſeyn wird), auch wegen moͤglicher Weiſe vorhandener innerer
Geſchwuͤlſte und Knochenauswuͤchſe, welche in der aͤußern
Form ſich nicht andeuten.


3. Eigenthuͤmlichkeit der weiblichen phyſiſchen
und pſychiſchen Lebensaͤußerungen
.

§. 55.

Wenn wir uͤberhaupt an dem wichtigen phyſiologiſchen
Satze feſthalten, daß der Organismus nur eins ſey und
folglich ſeine Thaͤtigkeit nicht etwas vom Organe weſent-
lich
verſchiedenes, ſondern beydes nur verſchiedene Seiten
eines Einzigen, ſo werden auch die §. 16—24 betrachteten
[41] Individualitaͤten der weiblichen Form uns im Voraus die
wichtigern Eigenthuͤmlichkeiten dieſes Lebens andeuten koͤnnen,
unter welchen letztern wir uͤbrigens die allgemeinern
Momente wieder zuerſt einer naͤhern Betrachtung unterwer-
fen. — So wie aber in der Natur uͤberhaupt eine zwey-
fache Richtung allgemeiner Thaͤtigkeit bemerkbar iſt, eine naͤm-
lich, welche auf die Geſtaltung des Einzelnen, auf Individua-
litaͤt abzweckt, und eine zweite, welche auf das Allgemeine
und Geſetzmaͤßige ſich bezieht, als Beſtreben nach Einheit,
nach Totalitaͤt erſcheint, ſo wiederholt ſich auch ein ſolcher
Gegenſatz von Kraͤften in den beſondern Naturweſen auf die
mannigfaltigſte Weiſe. So naͤmlich ſehen wir das Reich der
Pflanzen und Thiere ſich entgegengeſetzt, wo im erſtern die
Exiſtenz ſelbſt der Hauptzweck der Lebensverrichtungen iſt,
und daher alle einzelnen Thaͤtigkeiten der Pflanzen nur auf
Naͤhren und Ausſondern, Wachſen, Fortpflanzen und Ab-
nehmen gerichtet ſind, wenn hingegen der Zweck des thieriſchen
Organismus mehr das Beſtimmen der Exiſtenz in Em-
pfindung und Bewegung, die Willkuͤhr iſt. Eben ſo wieder-
holt ſich dieſer Gegenſatz in der phyſiſchen und pſychiſchen
Natur des Menſchen ſelbſt, indem die erſtere auf Bildung,
Erhaltung und Wechſel des Stoffes gerichtet, die zweite aber
auf Einheit und Freyheit gegruͤndet iſt, und will man dieſe
Unterſcheidung endlich noch mehr auf das koͤrperliche des Or-
ganismus beziehen, ſo beruht auch darin der Gegenſatz der
vegetativen oder produktiven, und der animalen Sphaͤre, wo
wir zur erſtern die gleichſam aus der Pflanzenwelt entlehn-
ten Organe der Aſſimilation, Cirkulation, Reſpiration und
Secretion ſo wie der geſchlechtlichen Reproduktion rechnen,
wenn wir unter der zweiten die Gebilde der Sinneswerk-
zeuge, Bewegungswerkzeuge und des Nervenſyſtems begreifen.


§. 56.

Endlich aber wiederholt ſich dieſer Gegenſatz auch auf
das Beſtimmteſte in dem Verhaͤltniße der beiden Geſchlechter.
Wie naͤmlich das Univerſum eben nur durch die wechſelſeitige
Durchdringung von geſetzmaͤßiger Einheit und Mannigfaltig-
keit, von Ewigkeit zu Ewigkeit beſteht, und in einer ſtaͤten
[42] Umwandlung, d. i. in einem ſtaͤten Hervortreten, Erzeugen,
und Aufloͤſen, Sterben begriffen iſt (welches ausfuͤhrlicher
nachzuweiſen, Sache der hoͤheren Philoſophie der Natur iſt),
ſo muͤſſen auch, wo ein Individuelles neu hervortreten, d. i.
erzeugt werden ſoll, Entgegengeſetzte ſich verbinden, um in
ihrer Durchdringung eine neue Verwendung der ewigen Subſtanz
(keine eigentlich neue Erſchaffung, als welche undenkbar iſt) zu
bewirken, und wir ſehen daher denn ſchon in der Pflanzenwelt
das Hervortreten verſchiedenartiger Gebilde, von denen einige
die materielle Anlage zur kuͤnftigen Frucht in ſich tragen
(Staubwege, Pistilla), wenn andere die befruchtende, d. i.
begeiſtigende Thaͤtigkeit, die Idee der Geſetzmaͤßigkeit, der
Beſtimmung einer regelmaͤßigen Entwicklung,
enthalten (Staubfaͤden, Stamina).


§. 57.

Wenn indeß dieſes Verhaͤltniß in der Pflanze, welche
der Erde eingewurzelt gleichſam noch weniger in ſich beſchloſ-
ſen iſt, mit minderer Klarheit erſcheint, ſo tritt es dagegen
in der Sexualverſchiedenheit der hoͤheren Thiere, und am
ſchoͤnſten im Menſchen mit vollkommenſter Freiheit hervor;
und wie wir in der Fortpflanzung das Weib als rein em-
pfangend, das Koͤrperliche geſtaltend, den Mann aber als
befruchtend, als begeiſtigend finden, ſo iſt auch in ihrem ge-
ſammten Leben ein ſolcher Gegenſatz ausgeſprochen, welcher,
obwohl der Gattungscharakter in Thaͤtigkeit und Geſtalt bey-
den gemeinſam iſt, doch in dem Weibe das phyſiſche, das
auf vegetatives oder produktives Leben ſich Beziehende eben
ſo beſtimmt uͤberwiegen laͤßt, als im Manne das pſychiſche,
das animale Leben vorherrſchend erſcheint. — Es wird ſich
dieß bey der nun erforderlichen Betrachtung der beſondern
Aeußerungen weiblichen Lebens am ſicherſten und deutlichſten
ergeben.


§. 58.

Beruͤckſichtigen wir aber das weibliche Leben, in wie
fern es ſich durch Aſſimilation, Cirkulation und Reſpiration,
Se- und Excretion, ſo wie durch Geſchlechtsfunktion aus-
[43] zeichnet, ſo finden wir 1) die Aſſimilation, die Stoffauf-
nahme betreffend, daß dem Weibe eine ſtaͤrkere aſſimilative
Kraft der Verdauungswerkzeuge eigenthuͤmlich ſey, welches
erwieſen wird durch das geringere aber oͤfter wiederkehrende
Beduͤrfniß an Nahrungsmitteln bey nichts deſto weniger ſehr
reichlicher Chylusbereitung und raſcher Erſetzung verlorener
Stoffe. Zugleich muß indeß auch bemerkt werden, daß die
Senſibilitaͤt der weiblichen Verdauungsorgane ſtaͤrker ſey, als
die der maͤnnlichen, weßhalb oͤftere Stoͤrungen der Verdauung
und groͤßere Wirkung aufgenommener, reitzender, erregender
Stoffe auf das allgemeine Befinden. Endlich pflegen ſelbſt
die Stuhlausleerungen, wegen der groͤßern Thaͤtigkeit der
Aufſaugung, feſter und ſeltner zu ſeyn. — Was 2) die den
organiſchen Stoffwechſel unterhaltende Gefaͤßthaͤtigkeit
betrifft, ſo haͤngt es eben von der raſchen Aſſimilation ab,
daß ſich die Blutmaſſe im Weibe ſchneller als im Manne
wieder erzeugt; ja uͤberhaupt iſt der Umtrieb der Saͤfte ge-
ſchwinder, der Pulsſchlag daher frequenter, obwohl gemeinig-
lich etwas kleiner, auch die Neigung zu Wallungen und
leichtern Fieberbewegungen in dieſem Geſchlechte groͤßer, und
die Thaͤtigkeit und Wichtigkeit des Nervenſyſtems bedeutender
als im Manne.


§. 59.

3) Die Athmung und Ausſcheidung betreffend, ſo
iſt die Aushauchung der Lungen im weiblichen Geſchlechte
ſchwaͤcher, dagegen die Ausduͤnſtung und druͤſige Abſonderung
der zartern Haut verhaͤltnißmaͤßig allerdings bedeutender*),
ferner wird auch in den groͤßern innern Abſonderungsorganen
gleichwie in den Lungen geringere Excretion wahrgenommen,
die kleinere Leber laͤßt auf ſchwaͤchere Gallabſonderung ſchlie-
ßen, und von den Nieren finden wir die Ausſonderung einer
geringern Quantitaͤt eines dunkler gefaͤrbten, ſtaͤrker riechen-
[44] den Harnes bewerkſtelligt. 4) Was endlich die Geſchlechts-
funktion
angeht, ſo werden die folgenden Abſchnitte dieſer
Schrift die einzelnen hierher gehoͤrigen Erſcheinungen ſo aus-
fuͤhrlich durchzugehen haben, daß eine beſondere Eroͤrterung
derſelben ſchon deßhalb hier uͤberfluͤßig wird, und ſo begnuͤgen
wir uns daher jetzt nur im Allgemeinen zu bemerken, daß
auch in der Reproduktion der Gattung, eben ſo wie in der
individuellen Reproduktion, die uͤberhaupt vorherrſchende Thaͤ-
tigkeit der Stoffbildung ſich deutlichſt zeige, ja wie es phy-
ſiologiſch hoͤchſt merkwuͤrdig ſey, daß der Bildungsſtoff, durch
welchen das Weib bey der Fortpflanzung thaͤtig iſt, nicht
ſowohl wie beym Manne als ein abgeſonderter Stoff, wie
das Sperma, erſcheint, ſondern vielmehr durch das Blut
ſelbſt dargeſtellt wird, wie die Ausſonderung des Blutes in
der Periode nicht reger Geſchlechtsthaͤtigkeit (als Menſtrua-
tion), und die hoͤchſt bedeutende Anhaͤufung des Blutes im
ſchwangern Uterus, Behufs der Foͤtusernaͤhrung beweiſet.


§. 60.

Wir kommen nun zu den charakteriſtiſchen Erſcheinun-
gen des weiblichen Lebens, welche auf ſenſibele und Be-
wegungsſunktion, ſo wie auf hoͤheres Nervenleben d. i. pſy-
chiſche Eigenthuͤmlichkeit ſich beziehen. — Was hier aber zu-
voͤrderſt die ſinnliche Wahrnehmung betrifft, ſo iſt
dieſe im Allgemeinen allerdings feiner zu nennen als im
maͤnnlichen Koͤrper, jedoch nicht ſo, daß die Reitzbarkeit und
die Schaͤrfe und Genauigkeit der Wahrnehmung in gleichem
Maaße ſich entwickelt zeigten. Gewiß naͤmlich iſt das Auge
des Weibes gegen helles Licht, ſcharf entgegengeſetzte Far-
ben u. ſ. w. empfindlicher, aber es iſt weniger fuͤr unmit-
telbare Auffaſſung richtiger Verhaͤltniſſe, großer Geſammtein-
druͤcke u. ſ. w. geeignet; eben ſo wird das Ohr des Weibes
gegen irgend einen heftigen Schall empfindlicher, fuͤr gewiſſe
einzelne Klaͤnge reitzbarer gefunden, dagegen ihm das ſcharf
unterſcheidende muſikaliſche Gehoͤr doch ſeltner zukommt, und
es ſtimmt mit jener groͤßern Reitzbarkeit (ſo wie ſelbſt mit
dem durch engern Gehoͤrgang ausgezeichneten Baue des weib-
lichen Ohres) allerdings uͤberein, daß in dieſem Geſchlechte
[45] haͤufigere Abſtumpfung dieſes Sinnes und oͤftere Schwerhoͤ-
rigkeit bemerkt wird. Endlich was die Sinnesarten des Ge-
taſtes, Geruchs und Geſchmacks beym Weibe anbelangt, ſo
iſt auch in dieſen eine groͤßere Erregbarkeit und leichter moͤg-
liche Ueberreitzung deutlich wahrnehmbar. Die groͤßere Recep-
tivitaͤt ſenſibeler Organe iſt uͤbrigens auch in aller andern
Hinſicht, z. B. der Wirkung der Arzneymittel, der Einfluͤſſe
aͤußerer Temperatur und Witterungsveraͤnderungen, der groͤ-
ßern Neigung zu exaltirten Zuſtaͤnden des Nervenſyſtems, der
groͤßern Empfaͤnglichkeit gegen thieriſchen Magnetismus u. ſ. w.
ſo unverkennbar und folgt aus der mehr hervorgehobenen ve-
getativen Natur, und ſomit weniger ausgeſprochenen indivi-
duellen Selbſtſtaͤndigkeit ſo beſtimmt, daß wir noch weitere
Erlaͤuterungen hieruͤber fuͤr uͤberfluͤßig halten.


§. 61.

Die Bewegkraft angehend, ſo iſt aus denſelben Gruͤn-
den, welche die erhoͤhte Senſibilitaͤt dieſes Geſchlechts erklaͤ-
ren, auch die zwar ſchwaͤchere, dafuͤr aber auch dem Ner-
venſyſteme mehr unterworfene Muskelkraft zu folgern, und
wir finden demnach in Uebereinſtimmung mit der fruͤher be-
merkten geringern Entwicklung des Muskel- und Knochenſy-
ſtems, daß die Bewegungen des weiblichen Koͤrpers, obwohl
mit geringerer Energie, doch mit groͤßerer Zierlichkeit und Leich-
tigkeit ausgeuͤbt werden; wobey uͤbrigens ſelbſt der parallele
Stand der verminderten Reſpiration und der ſchwaͤchern Mus-
kelkraft in ſo fern merkwuͤrdig iſt, als ſchon in der Thier-
reihe eine ſolche Gleichſtellung nachgewieſen werden kann, und
ſchwaͤchere Reſpiration auch insgemein mit geringerer Mus-
kelkraft verbunden iſt. — Als Erzeugniß endlich von Bewe-
gung und Athmung, von Sinneswahrnehmung und Reflexion
zugleich, gehoͤrt noch hierher der Ton, die Sprache, als
welche wir dann in Folge verminderter Athmung (§. 20.)
und Bewegung auch ſchwaͤcher und hoͤher (kindlicher), zu-
gleich aber auch gemuͤthvoller als die maͤnnliche finden.


§. 62.

Endlich ruͤckſichtlich des hoͤhern Nervenlebens, auf
welches wir die Eigenthuͤmlichkeit weiblicher Gemuͤthsſtimmung,
[46] weiblicher Temperamente und Leidenſchaften beziehen, ſo iſt
auch hier das Pſychiſche ein wahrer Spiegel des Koͤrperli-
chen, ja vielmehr die ideale Seite des Organismus ſelbſt.
Wenn daher uͤberhaupt im Reiche des geiſtigen Lebens (ganz
gemaͤß den drei Richtungen oder Syſtemen im Organiſchen
der animalen Sphaͤre) unterſchieden werden kann zwiſchen
Gemuͤth (Empfindungs-, Gefuͤhlsvermoͤgen), Geiſt (Re-
flexions-, Erkenntnißvermoͤgen) und Willen (Thatkraft,
Vermoͤgen zur freien Beſtimmung), ſo wird ſich nun bereits
aus dem Vorhergegangenen abnehmen laſſen, welche Seiten
im Weibe hervorgehoben, welche weniger ausgebildet ſeyn
muͤſſen. Wenn naͤmlich im Weibe uͤberhaupt Animalitaͤt,
und folglich ſchaͤrfere Individualitaͤt ſo wie Selbſtſtaͤndigkeit
weniger vorherrſcht, ſo wird ſich dieß auch im Pſychiſchen aͤu-
ßern, und wir finden daher die Energie der Geiſteskraft im
Weibe nicht, welche dem Manne moͤglich iſt. Das eigent-
liche Feld der Wiſſenſchaft und Spekulation, die Schaͤrfe des
Urtheils, die Tiefe der maͤnnlichen Vernunft, ſind der weib-
lichen Seele unzugaͤnglich; dahingegen iſt der Geiſt des Wei-
bes feiner, ſchneller in der Auffaſſung, zur richtigen Erkennt-
niß der einzelnen und naͤheren Verhaͤltniſſe des menſchlichen
Lebens mehr geeignet, und ein gewiſſer Scharfſinn, Neigung
zur Liſt, ſo wie Fertigkeit im Uebergehen aus einer Vorſtel-
lungsreihe in die andere, iſt ihm natuͤrlich.


§. 63.

Im Gemuͤth hinwiederum iſt die groͤßere Reitzbar-
keit, die Weichheit, Lebendigkeit des Gefuͤhls, die Regſam-
keit der Phantaſie allerdings dieſem Geſchlechte charakteriſtiſch,
allein eben dieſe zu große Beweglichkeit laͤßt die Tiefe des
Gefuͤhls, die ſchoͤpferiſche Kraft der Phantaſie, welche die
Seele faͤhig macht zur Hervorbringung großer und hoher
Werke der Dichtung und bildenden Kunſt, vermiſſen. Ueber-
dieß iſt hierin die vorherrſchende Neigung zum Anmuthigen,
Zierlichen und Kleinen begruͤndet, da große und erhabene Ge-
genſtaͤnde zu gewaltſam die Seele des Weibes erſchuͤttern,
als daß ein reines Wohlgefallen hieran ihm wenigſtens ganz
natuͤrlich ſeyn koͤnnte. — Vorzuͤglich endlich werden die Aeu-
[47] ßerungen weiblichen Gemuͤths durch die Geſchlechtsverhaͤlt-
niſſe des Weibes ſelbſt beſtimmt. Die Beſtimmung, ſich an
einen Gatten anzuſchließen, die Beſtimmung, Mutter zu
werden, iſt ſchon in den Puppenſpielen des Maͤdchens ſicht-
bar, und aͤußert ſich ſpaͤter, wenn der Kampf des Selbſt-
gefuͤhls und der Neigung gegen das andere Geſchlecht ſich
im Buſen regt, als das Gefuͤhl holder jungfraͤulicher Scham,
ja oft als ein gewiſſer edler jungfraͤulicher Trotz, bis endlich,
wenn der Mann des Verlangens gefunden iſt, alles dieſes
in anmuthige und ſeelenvollſte Hingebung ſich aufloͤſt. Noch
gewaltiger indeß als die Gattenliebe herrſcht im Buſen des
Weibes die Mutterliebe, und hunderte von Beyſpielen laſſen
uns die ungemeinen Aufopferungen bewundern, deren Muͤtter
fuͤr ihre Kinder faͤhig waren.


§. 64.

An dieſe Grund-Regung und Richtung des weiblichen
Gemuͤths ſchließen ſich dann viele andere weibliche Neigungen
und Leidenſchaften an. Wir zaͤhlen dahin die aus dem Be-
duͤrfniße an einen Staͤrkern ſich anzuſchließen, und aus
dem Gefuͤhle der eigenen Schwaͤche hervorgehende Weichheit
und Sanftmuth, die aus reger Phantaſie und geringerer
Energie des Geiſtes hervorgehende Neugier, die aus Haug
zu gefallen und lebhafter Phantaſie ſich erzeugende Eitelkeit
und Putzſucht, ſo wie die aus Neigung und Sorgfalt fuͤr
Gatten und Kinder entſtehende ſchoͤne Tugend der Haͤuslich-
keit; dagegen aber liegt auch in ihnen Faͤhigkeit zu den hef-
tigſten Ausbruͤchen des Haſſes und der Rache, wenn jener
feurigen Liebe gegen Gatten oder Kind ſich Hinderniſſe in
den Weg draͤngen, oder dieſe Liebe ſelbſt ſich unerwiedert,
ja betrogen ſieht.


§. 65.

Die Kraft des Willens endlich zeigt in der weib-
lichen Seele ohngefaͤhr dieſelben Eigenthuͤmlichkeiten, welche
die Kraft der Bewegung im weiblichen Koͤrper wahrnehmen
ließ. Im Ganzen wird namentlich die Feſtigkeit und Be-
harrlichkeit des Entſchlußes, ſo wie das Vermoͤgen, ſchnell
[48] nach Willkuͤhr uͤber alle Kraͤfte des Geiſtes und Koͤrpers zu be-
ſtimmen (Gegenwart des Geiſtes) vermißt; obwohl dagegen nicht
zu laͤugnen iſt, daß das weibliche Geſchlecht bey Ausdauer in klei-
nen Dingen, zu deren Ertragung oder Beſiegung nicht ſowohl
Muth und Kraft, als Geduld und Ruhe erforderlich ſind,
haͤufig den Vorrang vor dem maͤnnlichen behauptet; worin
wir (um dieß beylaͤufig zu erinnern) gewiß den Hauptgrund
dafuͤr finden koͤnnen, daß das Weib weit mehr als der
Mann zum ſtaͤtigen Beyſtande, zur ruhigen Verpflegung und
Beſorgung Kranker, Gebaͤrender, der Woͤchnerinnen, ſo wie
der Neugebornen ſich eignet.


§. 66.

Noch haben wir nun, bevor wir die allgemeinen phy-
ſiologiſchen Betrachtungen der weiblichen Individualitaͤt be-
ſchließen, die Entwicklung deſſelben nach ſeinen ein-
zelnen Lebensperioden
in einer Hauptuͤberſicht zuſam-
men zu ſtellen, wobey wir zuerſt die Frage beleuchten muͤſ-
ſen, ob wohl uͤberhaupt bereits im erſten Keime ein Unter-
ſchied der Geſchlechter anzunehmen ſey, oder ob voͤllige Gleich-
heit derſelben uranfaͤnglich vorhanden und vielleicht (wie einige
Phyſiologen wollen) zuerſt alle Embryonen des weiblichen
Geſchlechts ſeyn moͤchten? — Wofern es aber gewiß iſt,
daß die organiſche Bildung nur ein Hervortreten, ein Aus-
einanderweichen, ein Trennen eines urſpruͤnglich Einfachen
in die verſchiedenen Werkzeuge des Lebens ſey, daß folglich
in dieſem Einen und Zuerſtgegebenen der Idee nach bereits
der ganze Organismus liege, und nur erſt in der Zeit aus
dieſem Einfachen wirklich werde (und dieſen Satz ſtellen
Vernunft und Erfahrung gleichmaͤßig feſt), ſo kann auch
aus dieſem Keime nicht ein qualitativ Anderes hervorge-
hen, als der Idee nach darin gegeben war, obwohl quan-
titative
Abaͤnderungen (z. B. durch unzureichende oder
uͤbermaͤßig angefachte Bildungskraft, Hemmungen oder ab-
norme Vergroͤßerungen) ſehr leicht moͤglich ſind; und es iſt
folglich erwieſen, daß die erſten Keime geſchlechtlich verſchie-
dener Individuen keineswegs alleſamt weiblich, oder uͤberhaupt
einander ganz gleich ſeyn koͤnnten, wenn nicht alſobald die
[49] Nothwendigkeit, daß ſie auch ſpaͤterhin ſich gleich ſeyn muͤß-
ten, alſo (was doch nicht der Fall) zu lauter weiblichen
Koͤrpern anwuͤchſen, gefolgert werden ſollte.


§. 67.

Erſte Lebensperiode. Der Unterſchied des Geſchlechts
muß daher als eine Verſchiedenheit des ganzen Keimes noth-
wendig zugleich als urſpruͤnglich angenommen werden, und
eben wiefern das Ganze verſchieden iſt, wird dieſe Verſchiedenheit
auch in den groͤßern organiſchen Verhaͤltniſſen des Leibes
uͤberhaupt, fruͤher noch als in den eigentlichen Geſchlechts-
organen angedeutet ſeyn. — Vergleicht man nun, um die
Wahrheit dieſes Vernunftſatzes auch durch die Erfahrung
nachzuweiſen, eine Reihe von Embryonen unter einander, ſo
ergiebt ſich allerdings, daß ſchon in zwei- und dreimonathli-
chen regelmaͤßig gebildeten menſchlichen Fruͤchten, der weibliche
Typus an der groͤßern Bauchhoͤhle, dem engern Thorax und
den zartern obern Gliedmaaßen kenntlich ſey, wenn dagegen
im maͤnnlichen das umgekehrte Verhaͤltniß Statt findet *). —
Obwohl nun alſo bereits in dieſer Periode das Charakteri-
ſtiſche der weiblichen Form ausgeſprochen iſt, ſo erſcheint
dieſe Bezeichnung doch nur ſehr ſchwach in den Geſchlechts-
organen, und aller Geſchlechtsunterſchied in der Lebens-
thaͤtigkeit ruht mit den wichtigſten uͤbrigen Funktionen noch
vollkommen. Selbſt im Neugeborenen, bis zum beſtimmten
Erwachen der ſenſibeln Lebenserſcheinungen, findet die groͤßte
Aehnlichkeit zwiſchen beiden Geſchlechtern Statt, und das
Geſchlechtsſyſtem liegt als Keim zu neuen Entwicklungen
gleichſam noch ſchlafend im Koͤrper des weiblichen Kindes.


§. 68.

Wie indeß die Ausbildung des Koͤrpers im Allgemeinen
vorſchreitet, tritt auch der Typus des Geſchlechts allmaͤhlig
ſchaͤrfer hervor; der zartere Gliederbau, die Laͤnge des Un-
terleibes, die Zierlichkeit und Geſchicklichkeit der Bewegungen
I. Theil. 4
[50] unterſcheiden das Maͤdchen ſchon bedeutend vom Knaben, und
eben ſo geben fruͤhere geiſtige Entwicklung, groͤßere Fertigkeit
im Auffaſſen und Behalten, bald ſichtbar werdende Neugier
(vorzuͤglich wie Pockels bemerkt auch auf Geſchlechtsgeheim-
niſſe gerichtet), ferner eigene Spiele, in denen das Muͤtter-
liche und die haͤusliche Sorgfalt immer vorherrſchend ſind,
bezeichnende Merkmale dieſes Geſchlechts ab. — Raſcher ent-
wickelt ſich nun bey uͤberwiegender produktiver Kraft der Koͤr-
per, einer Pflanze vergleichbar, welche auf beſſerm Boden
ſchneller zum Bluͤhen gelangt, und nach und nach, ſo wie
Erzeugung plaſtiſcher Stoffe ſich haͤuft, bildet ſich nun auch
das Geſchlechtsſyſtem, deſſen ſtufenweiſe Entfaltung wir noch
im Speciellen weiter unten zu verfolgen haben, vollkomm-
ner aus.


§. 69.

Zweite Lebensperiode. Um vier bis ſechs Jahre
zeitiger als der maͤnnliche Koͤrper erreicht nun der weibliche
die Zeit ſeiner Reife. Die individuelle Fortbildung wird ge-
hemmt und es tritt nun die Fortbildung der Gattung, die
Fortpflanzungsthaͤtigkeit hervor. Erſt jetzt iſt nun das Weib
ſeinem Koͤrperlichen und Geiſtigen nach, ſo wie wir es im
Obigen beſchrieben haben, vom Manne unterſchieden und aus-
gebildet. Der groͤßere Reichthum erzeugten Blutes draͤngt
ſich periodiſch gegen das Geſchlechtsſyſtem, deutend auf ſeine
Beſtimmung zur Ausbildung eines neuen Organismus ver-
wendet zu werden, und erzeugt hier einen Zuſtand von Ueber-
fuͤllung, welcher, in ſo fern nicht Schwangerſchaft eintritt,
gleichſam durch einen kritiſchen Blutfluß, d. i. durch die ih-
ren beſondern Erſcheinungen nach weiter unten zu betrachtende
Monathsreinigung oder Menſtruation gehoben wird.


§. 70.

In wiefern nun ſchon aus dem Vorhergegangenen ſich
ergiebt, daß jene periodiſchen Congeſtionen nach dem Ge-
ſchlechtsſyſtem, welche die Menſtruation erzeugen, auf die Fort-
pflanzung ſich beziehen, koͤnnte man (mit Cuvier) dieſen Zu-
ſtand ohngefaͤhr der Brunſt in den Thieren vergleichen, und
[51] es knuͤpft ſich ſomit an die Betrachtung dieſer Eigenthuͤmlich-
keit des weiblichen Lebens zugleich die eines neuen Cyelus,
welcher, indem er auf Reproduktion der Gattung abzweckt,
nothwendig die Geſchichte der individuellen Reproduktion mit
ihren drei Stadien (Kindheit, Reife und Alter) wiederholt,
und die Geſchichte der durch die Empfaͤngniß veranlaßten
Veraͤnderungen des weiblichen Koͤrpers, d. i. der Schwan-
gerſchaft
, der Geburt, ſo wie der Wochen- und Stil-
lungsperiode
, in ſich faßt, von welchen denn gleichfalls
noch die wichtigſten phyſiologiſchen Momente (im Einzelnen
werden ſie im zweiten Theile eroͤrtert) hier durchzugehen ſind.


§. 71.

Schwangerſchaft. Von dem Zeitpunkte an naͤmlich,
wo durch den Akt fruchtbarer Begattung, die Franſen der
Fallopiſchen Roͤhren, von Blut ſtrotzend, die Ovarien krampf-
haft umfaßren, um den Urſtoff einer ſpaͤterhin im Uterus
auszubildenden Frucht zu empfangen, tritt eine Umaͤnderung
im weiblichen Leben ein, in welcher das Ueberwiegen pro-
duktiver Thaͤtigkeit (an ſich ſchon dieſem Organismus charak-
teriſtiſch) bis zum hoͤchſten Grade ſich entwickelt. Das Ge-
ſchlechtsſyſtem und insbeſondere der Uterus wird hierbey der
Heerd dieſer neuangeregten Bildung und es erfolgt daher ein
Zuſtand von Congeſtion nach dieſen Theilen, welcher ohnge-
faͤhr dem der Menſtruation vorausgehenden analog iſt, weß-
halb denn ſo viele [Symptome] angehender Schwangerſchaft mit
denen angehender Menſtruation uͤbereinſtimmen. Was indeß
bey der letztern als Blutfluß ſich entſcheidet, geht hier in
einen entzuͤndungsartigen Zuſtand uͤber, welcher ſogar auf
den uͤbrigen Koͤrper, gleich einer wahren beginnenden Ent-
zuͤndung wirkt, Fieberbewegungen, Nervenleiden, Temperatur-
wechſel, Verdauungsſtoͤrungen veranlaßt *). Endlich in einem
[52] Zeitraume, welcher den monathlichen Typus gerade zehn-
mal
wiederholt, erlangt bey gleichmaͤßiger Entwicklung des
muͤtterlichen Bildungsorgans, des Fruchthaͤlters, auch die
Frucht ſelbſt ihre Reife, d. i. das Kind erreicht einen ge-
wiſſen Grad von Selbſtſtaͤndigkeit, wobey es auch außer dem
muͤtterlichen Koͤrper ſein Leben fortzuſetzen faͤhig wird, und
dieß iſt der Grund, welcher die Trennung beider Koͤrper
herbeyfuͤhrt.


§. 72.

Geburt. Wie naͤmlich etwa zwei Koͤrper von gleich-
namiger Elektricitaͤt, wie die gleichnamigen Pole der Mag-
netnadel ſich abſtoßen, ſo ſondern ſich am Ende der Schwan-
gerſchaft, ſobald der Foͤtus der Moͤglichkeit individueller Exi-
ſtenz nach dem muͤtterlichen Koͤrper gleich geworden, beyde
Koͤrper von einander ab, und es erwacht ſomit im weiblichen
Koͤrper das Beſtreben, wieder in den Zuſtand, in welchem
er vor der Empfaͤngniß war, zuruͤckzukehren und ſo dieſen
Cyclus zu beſchließen. Vorzuͤglich deutlich tritt dieß im
Fruchthaͤlter ſelbſt hervor, und er aͤußert ſich daher bey der
Geburt durch Zuſammenziehungen, Contractionen d. i. Wehen,
deren Zweck aber zum Theil die Austreibung der Frucht,
allein eben ſo ſehr auch die eigene Verkleinerung iſt, weßhalb
ſie auch nach der Geburt fortdauern. — Die Geburtsthaͤtig-
keit ſelbſt, als einen großen Theil mechaniſcher Kraft in Anſpruch
nehmend, als den Wendepunkt darſtellend, von welchem aus
die in der Schwangerſchaft ſo bedeutend geſteigerte Bildungs-
thaͤtigkeit wieder herabſinkt, ergreift und erſchuͤttert faſt alle
organiſchen Syſteme des Koͤrpers gewaltſam, iſt daher in
vieler Hinſicht Veranlaſſung zu krankhaften Erſcheinungen,
und uͤberhaupt eine der merkwuͤrdigſten Revolutionen, welche
im Leben des Weibes, und zwar mehrere Male, Statt fin-
den kann.



[53]
§. 73.

Wochenbett und Saͤugungsperiode betreffend,
ſo ſind dieß nur Fortſetzungen und Abſchließungen der vorigen
Perioden. Im Wochenbett naͤmlich vollendet der Uterus ſeine
Zuſammenziehung und Wiederherſtellung in den vorigen Stand,
ſowohl ruͤckſichtlich ſeines Parenchyma’s und ſeiner Form, als
ruͤckſichtlich ſeiner innern Flaͤchen. Die beſondere Geſaͤßthaͤ-
tigkeit im Innern deſſelben verliert ſich, die in Bezug auf
geſchlechtliche Functionen uͤberſchuͤßig erzeugten Koͤrperſaͤfte
nehmen andere Richtungen, bewirken theils eine vermehrte
Thaͤtigkeit in der Haut, theils und hauptſaͤchlich Hervortreten
einer zum Behuf fernerer Ernaͤhrung des Kindes geſchehenden
Abſonderung in den Bruͤſten, theils endlich bey krankhaften
Zuſtaͤnden wohl auch heftige Congeſtionen noch andern Or-
ganen, Entzuͤndungen, Fieber u. ſ. w. — Am laͤngſten nun
erhaͤlt ſich unter jenen fuͤr die Thaͤtigkeit des Uterus eintre-
tenden Funktionen die der Milchſekretion; ſie iſt es, welche
fortwaͤhrend, und zwar dem Gange der Natur nach ohnge-
faͤhr in einem der Schwangerſchaftsperiode ſelbſt entſprechen-
den Zeitraum, die Menſtruation erſetzt, und eine Empfaͤng-
niß eben dadurch gewoͤhnlich hindert.


§. 74.

Nachdem wir ſofort bemerkt haben, wie am Ende die-
ſes Cyclus von Schwangerſchaft, Geburt und Wochenbett,
der Koͤrper wieder bis auf wenige uͤbrig gebliebene Spuren,
in den vorigen Zuſtand zuruͤckkehrt, wie ſich dieſer Cyclus
ſelbſt ein oder mehrere Male, ja ſehr haͤufig wiederholen
kann, oder aber im Gegentheile auch wohl ganz fehlt, gar
nicht eintritt, und blos die ſtets wiederkehrenden monathli-
chen Perioden die Zeit der Geſchlechtsreife ausfuͤllen, ſo iſt
es nun noch uͤbrig, den Zuſtand zu betrachten, welcher er-
folgt, wenn bey vorruͤckendem Alter der Ueberſchuß jener,
Behufs der Reproduktion der Gattung erzeugten Saͤfte ſich
allmaͤhlich verliert, und der Koͤrper ruͤckſichtlich der Geſchlechts-
funktion ſich wieder dem kindlichen Zuſtande anſchließt.


[54]
§. 75.

Dritte Lebensperiode. Wie naͤmlich in der erſten
die Geſchlechter ſich mehr glichen, die weiblichen Geſchlechts-
theile ohne eigentliche Funktion waren, und der Uterus ſelbſt,
dieſem angemeſſen, eine andere Geſtalt und verdichtete weni-
ger blutreiche Waͤnde zeigte, ſo tritt ein aͤhnlicher Zuſtand
nun auch im hoͤhern Alter, in der dritten Lebensperiode des
weiblichen Koͤrpers ein. Der Uterus wird feſter, ja beynahe
knorpelartig, und die Vaginalportion iſt bey Frauen, welche
mehrere Male geboren haben, wulſtig; der Muttermund un-
eben, und es erinnert ſo die allgemeine Geſtalt des Frucht-
haͤlters wieder einigermaßen an die noch nicht entwickelte
Form deſſelben im Kinde. Die Ovarien welken und fallen
zuſammen, ja ſogar die aͤußern Geſchlechtstheile erſchlaffen
und verlieren die ihnen vorher eigenthuͤmliche Geſtalt. Die
aͤußern Schamlippen weichen aus einander, die innern Scham-
lippen und die Klitoris werden wieder (wie beym unreifen
Maͤdchen) ſichtbar; die Bruͤſte verlieren ihre Elaſticitaͤt, fal-
len zuſammen, und ſind, eben ſo wie der Uterus jetzt zur
Ausſcheidung der Menſtruation unfaͤhig wird, zu einer er-
hoͤhten abſondernden Gefaͤßthaͤtigkeit nicht mehr geeignet. —
Auf gleiche Weiſe indeß wie die erhoͤhte Thaͤtigkeit der Ge-
ſchlechtsorgane in der Periode der Zeugungsfaͤhigkeit nicht
ſowohl Urſache als vielmehr Folge allgemeiner Koͤrperveraͤn-
derungen war, ſo iſt auch dieſes Hinwelken im Alter nicht
als Urſache, ſondern als Folge von Umaͤnderungen anzuſe-
hen, welche im allgemeinen Koͤrperbefinden Statt gehabt ha-
ben und ſich auf Sinken reproduktiver Thaͤtigkeit beziehen.


§. 76.

Dieſe Verminderung der Aſſimilation und allgemeinen
bildenden Thaͤtigkeit, welche dem Organismus uͤberhaupt bey
vorruͤckender Lebenszeit nothwendig iſt, und als Folge des
Gegenſatzes zwiſchen Individuum und Geſammtheit der Na-
tur erſcheint, aͤußert ſich der Regel nach durch wirkliche
Stoffabnahme; der Koͤrper faͤllt zuſammen, die reichlichen
Ablagerungen von Fett und Zellgewebe verſchwinden, die
[55] Haut faltet ſich, die Knochen treten mehr hervor, der Cha-
rakter weiblicher Form verliert ſich mehr und mehr, die
Aehnlichkeit deſſelben mit dem maͤnnlichen wird (wie im Kin-
desalter) groͤßer, und indem ſo der Koͤrper nicht einmal fuͤr
eigene Erhaltung thaͤtig ſeyn kann, muß nothwendig das
Aufrechterhalten der Thaͤtigkeit fuͤr Erhaltung der Gattung
ganz unmoͤglich werden. — Wie denn nun aber die Aeu-
ßerungen
des Geiſtes und Gemuͤthes immer weſentlich
durch die Organiſation beſtimmt werden, ſo zeigt ſich dieß
auch hier: — Die Sanftheit, Zartheit, die Erregbarkeit und
Anmuth des weiblichen Gemuͤths verlieren ſich, die mindere
Energie des Willens und Klarheit der Vernunft machen das
Weib empfaͤnglicher fuͤr die Schwaͤchen des Alters, zu wel-
chen uͤbrigens eben ſo das maͤnnliche Alter geneigt, obwohl
dagegen mehr geſchuͤtzt iſt, und erzeugen dann oft einen
Charakter, welcher in eben ſo geringem Grade, als der
der bluͤhenden Jungfrau oft in hohem Grade liebenswuͤrdig
zu nennen iſt.


  • W. Rouſſel Phyſiologie des weiblichen Geſchlechts. A. d.
    Franz. v. Michaelis. Berlin 1786. 8.
  • Jac. Fid. Ackermann uͤber die koͤrperliche Verſchieden-
    heit des Mannes vom Weibe außer den Geſchlechts-
    theilen. A. d. Lat. von Wenzel. Coblenz 1788. 8.
    (Bey vielem Intereſſanten leider auf eine unſtatthafte
    Hypotheſe gegruͤndet, naͤmlich daß das vermehrte oder
    verminderte Vorwalten des Sauerſtoffs die Grundurſache
    der Geſchlechtsverſchiedenheit bedinge.)
  • C. Fr. Pockels Verſuch einer Charakteriſtik des weibli-
    chen Geſchlechts. Hannover 1806. 2te Aufl. in 4 Thln.
    (Beruͤckſichtigt hauptſaͤchlich die pſychiſche Natur die-
    ſes Geſchlechts.)
  • Naturgeſchichte des Weibes, ein Handbuch fuͤr Aerzte u. ſ. w.
    nach J. L. Moreau von Rink und J. K. F. Leune
    4 Thle. Leipzig 1810. 8.

(Enthaͤlt vieles Intereſſante uͤber die Verhaͤltniſſe des
weiblichen Geſchlechts in verſchiedenen Zeiten und Laͤndern
und umfaßt zugleich die Diaͤtetik.)


[56]
  • Autenrieth uͤber die Verſchiedenheit beider Geſchlechter
    in Reil’s Archiv f. Phyſ. 7. Bd. 1. Hft.
  • Ueber die Analogie der maͤnnlichen und weiblichen Ge-
    ſchlechtstheile von Dr. J. Chr. Roſenmuͤller im
    1. Bde d. Abhandlungen d. phyſikaliſch-mediciniſchen
    Societaͤt zu Erlangen.
  • C. L. Creve vom Baue des weiblichen Beckens. Leipzig
    1794. 4.
  • S. Th. Soemmering Tabula Sceleti feminini. 1797.
    Traject. ad M. Fol.
  • J. H. F. Autenrieth p. Fischer diss. sistens nonnul-
    las observationes de pelvi mammalium. Tub.
    1798.
    uͤberſ. im 2n Hefte 2ten Bds d. Beytraͤge f. Zergliede-
    rungskunde v. Iſenflamm u. Roſenmuͤller.
    (Auch dienen zur naͤhern Kenntniß d. weibl. Beckens
    die kuͤnſtlichen Pelviarien z. B. v. Froriep.)
  • J. G. Walther Betrachtungen uͤber die Geburtstheile
    des weiblichen Geſchlechts. Berlin 1776.
  • J. Chr. G. Joͤrg uͤber das Gebaͤrorgan des Menſchen
    und der Saͤugthiere. Fol. Leipz. 1808.
  • J. F. Lobstein Fragment d’anatomie physiologique
    sur l’organisation de la matrice dans l’espece hu-
    maine. Paris
    1803.
  • J. G. Klees uͤber die weiblichen Bruͤſte. Frankf. a. M.
    3te Aufl. 1806.
  • J. Ch. Rosenmüller quaedam de ovariis embryo-
    num.
    1803. 4.
  • J. G. Knebel Grundriß zu einer Zeichenlehre der ge-
    ſammten Entbindungswiſſenſchaft. 1798.

[57]

Zweiter Abſchnitt.
Von der Eigenthuͤmlichkeit in den Krankheiten des
weiblichen Geſchlechts (allgemeine Pathologie).


§. 77.

So wie der weibliche Koͤrper ruͤckſichtlich des Phyſiolo-
giſchen zwar ſchon im Allgemeinen durch eigenthuͤmliche Ver-
haͤltniſſe ſeiner organiſchen Syſteme und aͤußern Geſammt-
bildung von dem maͤnnlichen abweicht, allein nur durch die
geſchlechtlichen Funktionen und Organe vollkommen von ihm
ſich unterſcheidet, ſo auch ruͤckſichtlich der pathologiſchen Zu-
ſtaͤnde. — Es veranlaßt dieß die Krankheiten des weiblichen
Organismus einzutheilen in ſolche, welche er mit dem maͤnn-
lichen gemein hat, und welche in ihrem Verlauf nur modi-
ficirt werden durch die Individualitaͤt des Koͤrpers, an wel-
chem ſie vorkommen, und in andere, welche als auf die be-
ſondere Organiſation des Weibes gegruͤndet, nur in dieſem
Geſchlecht moͤglich und ihm ganz eigenthuͤmlich ſind. Zur
erſtern Klaſſe gehoͤrt demnach das ganze Heer von Krankhei-
ten, welchen der Menſch uͤberhaupt unterworfen iſt, als:
Fieber, Entzuͤndungen, Laͤhmungen, Kraͤmpfe, Stoͤrungen
organiſcher Bildung u. ſ. w.; zur zweiten Klaſſe hingegen
rechnen wir die Stoͤrungen weiblicher Geſchlechtsverrichtung
und die daraus ſich ergebenden allgemeinen oder oͤrtlichen
Krankheiten.


§. 78.

Hier nur kann es allein unſer Zweck ſeyn, von der
zweiten Klaſſe eine ausfuͤhrlichere Darſtellung zu geben, und
wir erwaͤhnen daher von der erſtern blos dasjenige, wodurch
die Individualitaͤt des weiblichen Koͤrpers auch in den ihr
nicht ausſchließend eigenthuͤmlichen Krankheitszuſtaͤnden be-
zeichnet wird. Es iſt aber hieruͤber zu bemerken: erſtens,
daß die groͤßere Receptivitaͤt des weiblichen Organismus ihn
im Allgemeinen fuͤr Einwirkung ſchaͤdlicher Einfluͤſſe empfaͤng-
licher, folglich zu Kraͤnklichkeit uͤberhaupt geneigter macht;
[58] das Weib erkrankt daher haͤufiger, oft in Folge ſcheinbar un-
erheblicher Schaͤdlichkeiten, und alles dieß natuͤrlich um ſo
mehr, je reitzbarer das Individuum iſt (daher das unaufhoͤr-
liche Krankſeyn mancher uͤberfeinen weiblichen Conſtitution)
und wir finden auch hier wieder die Aehnlichkeit mit dem
Kindeskoͤrper, von welchem daſſelbe gilt. — Zweitens:
Die geringere Energie in der Reaction des weiblichen Koͤr-
pers uͤberhaupt macht es indeß erklaͤrlich, daß die von ein-
wirkenden Schaͤdlichkeiten erzeugten Krankheitsſtuͤrme minder
heftig, Faͤlle ſchweren Erkrankens im Ganzen ſeltner zu ſeyn
pflegen als im maͤnnlichen Geſchlecht; Frauen zeigen eben
deßhalb oft unter den beſchwerlichſten Lagen bewunderns-
werthe Ausdauer, und werden weniger leicht ganz niederge-
worfen aufs Krankenlager als Maͤnner.


§. 79.

Drittens. Das Vorherrſchen vegetativer Funktionen
im weiblichen Koͤrper bedingt ferner auch das haͤufigere Vor-
kommen von krankhaften Zuſtaͤnden ſowohl in den erſten We-
gen des Aſſimilationsprozeſſes und den ſecernirenden Orga-
nen, als in der allgemeinen Bildungsthaͤtigkeit, deren Traͤ-
ger das Gefaͤßſyſtem iſt, woher denn theils das hier ſo haͤu-
fige Vorkommen von Unordnungen in der Art der Blutcirku-
lation, theils die oͤftern Faͤlle abnormer, auf pathologiſche
Bildung oder Ausſcheidung abzweckender Gefaͤßthaͤtigkeit, und
ſomit die haͤufigen Krankheitsformen der Entzuͤndung, Ver-
wachſung, Verbildung, Gefaͤßerweiterung, Waſſeranhaͤufung,
Eiterung u. ſ. w. erklaͤrlich werden. — Viertens wird der
Verlauf der Krankheiten in Folge des obenerwaͤhnten Ueber-
gewichts produktiver Funktionen auch in ſo ferne modificirt,
als der Koͤrper ſelbſt in Hebung und Entſcheidung der Krank-
heiten ſich thaͤtiger beweiſet, woher denn die außerordentliche
Heilkraft der Natur oft in Faͤllen der bedeutendſten organi-
ſchen Zerruͤttungen (z. B. bey Eiterungen, durch Schwan-
gerſchaft außerhalb der Gebaͤrmutter veranlaßt) abgeleitet
werden kann. — Fuͤnftens beruht es in dem beſondern
Vorwalten der Senſibilitaͤt dieſes Geſchlechts, daß Symptome,
welche vom Nervenſyſtem ausgehen, die meiſten Krankheiten
[59] der Weiber begleiten, daß Schmerzen, Kraͤmpfe, Laͤhmungen,
Sinnes-Taͤuſchungen oder Ueberſpannungen hier ſo ausge-
zeichnet haͤufig erſcheinen und Ruͤckwirkungen des Nervenſy-
ſtems auf andere Syſteme und Organe auch oͤfters zu wei-
tern Verſtimmungen Anlaß geben, wenn hingegen Reaktionen
des Muskularſyſtems, in Form von Convulſionen, Ausbruͤ-
chen von Manie u. ſ. w. weniger heftig als im maͤnnlichen
Geſchlecht zu ſeyn pflegen.


§. 80.

Wie nun durch die erwaͤhnten Momente ſowohl die
Aetiologie als Symptomatologie weiblicher Krankheiten man-
ches Eigenthuͤmliche erhaͤlt, ſo iſt auch endlich ruͤckſichtlich
der Prognoſe noch anzumerken, daß, ſo wie uͤberhaupt der
geringern Energie der Reaktionen wegen das weibliche Ge-
ſchlecht mehr zu chroniſchen als acuten Krankheiten geneigt
iſt, auch acute Krankheiten ſelbſt im Allgemeinen hier min-
der leicht eine ſo gefahrdrohende Hoͤhe erreichen; woraus
denn die Erfahrung erklaͤrlich wird, daß in typhoͤſen Epide-
mieen z. B. der Regel nach mehr Maͤnner als Frauen ver-
ſtarben. Unguͤnſtiger hingegen muß eben dadurch die Prog-
noſe werden bey chroniſchen Krankheiten, theils wegen der
groͤßern Neigung zu organiſchen Verbildungen, Waſſeran-
ſammlungen u. ſ. w.; theils wegen der ſchneller eintretenden
Atonie, welche haͤufig durch den mehrmals ſich wiederholen-
den Cyclus der hoͤhern, ſo tief in den weiblichen Organis-
mus eingreifenden Geſchlechtsverrichtungen von Schwanger-
ſchaft, Geburt und Wochenbett unterhalten, befoͤrdert, oder
doch vorbereitet wird; vorzuͤglich unguͤnſtig muß jedoch die
Prognoſe im Allgemeinen bey den chroniſchen Krankheitszu-
ſtaͤnden ſolcher Organe werden, deren Funktion ſchon an und
fuͤr ſich im weiblichen Koͤrper beſchraͤnkter iſt, z. B. bey
Krankheiten der Lungen.


§. 81.

Was die zweite Klaſſe weiblicher Krankheiten, naͤmlich
die dieſem Geſchlecht ausſchließend eigenthuͤmlichen betrifft, ſo
iſt von ihnen im Allgemeinen zu bemerken, daß, ſo wie die
[60] Dispoſition dazu uͤberhaupt nur durch den geſchlechtlichen Charak-
ter gegeben wird, ihr haͤufigeres oder minder haͤufiges Vorkom-
men auch an das Hervortreten oder Zuruͤcktreten weiblicher Indi-
vidualitaͤt geknuͤpft iſt. Es wird daher erklaͤrlich, warum
z. B. das kindliche Alter, bey minder ausgepraͤgtem Ge-
ſchlechtscharakter, auch beynahe gar keine dem weiblichen Ge-
ſchlechte ausſchließend eigenthuͤmlichen Krankheitszuſtaͤnde zeigt,
wenn hingegen in den zeugungsfaͤhigen Jahren Krankheiten
dieſer Art in Menge vorkommen, und zwar auch hier wie-
der in groͤßter Mannigfaltigkeit da, wo die Geſchlechtsthaͤ-
tigkeit am ſtaͤrkſten hervorgehoben iſt, alſo namentlich waͤh-
rend der Schwangerſchaft und dem Wochenbette, am aller-
haͤufigſten jedoch bey der Geburt, als deren Abnormitaͤten
mit ihrer Behandlung ja ſogar zur Bildung einer eigenen
Disciplin die Veranlaſſung gaben. Eben deßhalb ſehen wir
im hoͤhern Alter, nach erloſchener Zeugungsfunktion, zwar
wohl manche der einer fruͤheren Periode eigenthuͤmlichen Krank-
heiten fortdauern oder ſich entwickeln, aber wir vermiſſen
Krankheiten, welche in dieſer Lebensperiode des Weibes aus-
ſchließend vorkommen koͤnnten, und ſehen vielmehr im Patho-
logiſchen wie im Phyſiologiſchen den weiblichen Koͤrper wieder
mehr dem maͤnnlichen genaͤhert.


§. 82.

Uebrigens gilt ruͤckſichtlich der Aetiologie, Symptomato-
logie und Prognoſe auch von dieſer Krankheitsklaſſe im All-
gemeinen wieder was §. 78 — 80 uͤber die erſtere Klaſſe ge-
ſagt iſt, ſo daß auch hier z. B. großes Vorwalten der Nei-
gung zu abnormen Bildungen und chroniſchen Zuſtaͤnden, ſo
wie zu Stoͤrungen der Senſibilitaͤt bemerklich wird, wobey
indeß noch außerdem erwaͤhnt zu werden verdient, daß, ſo
wie die weiblichen Geſchlechtsverrichtungen uͤberhaupt entſchie-
dener und ſtaͤrker in das Befinden des geſammten Organis-
mus eingreifen, auch die Stoͤrungen dieſer Funktionen von
groͤßerm Einfluße auf Erregung allgemeiner Krankheitszu-
ſtaͤnde ſind, als dieß z. B. vom maͤnnlichen Geſchlechte be-
hauptet werden kann. — Die Eintheilung dieſer eigentlichen
Geſchlechtskrankheiten, deren naͤhere Eroͤrterung nun vorzuͤg-
[61] licher Gegenſtand des ſpeciellen Theils dieſer Arbeit ſeyn
wird, kann uͤbrigens namentlich von zwey Standpunkten aus
entworfen werden, d. i. entweder indem man unterſcheidet
zwiſchen oͤrtlichen Krankheiten des Geſchlechtsſyſtems: Ent-
zuͤndungen, Verbildungen, fehlerhaften Lagen u. ſ. w. und
allgemeinen obwohl von der Geſchlechtsindividualitaͤt beding-
ten Krankheitszuſtaͤnden, z. B. Bleichſucht, Hyſterie u. ſ. w. —
Oder indem man ſie ordnet nach den einzelnen Lebensperio-
den, wie es geſchehen in dem §. 11. entworfenen Schema. —
Fuͤr unſern Zweck halten wir es am ſchicklichſten, beide Ein-
theilungsgruͤnde zu verbinden, und ſaͤmmtliche Geſchlechts-
krankheiten der Weiber uͤberhaupt nach den Lebensperioden,
im Beſondern aber nach ihrer Oertlichkeit oder Allgemeinheit
zuſammenzuſtellen.


Dritter Abſchnitt.
Von der aͤrztlichen Behandlung des [weiblichen]
Organismus im geſunden und kranken Zu-
ſtande (allgemeine Diaͤretik und Therapie).


§. 83.

Unter den hierher gehoͤrigen Gegenſtaͤnden koͤnnen wir
unterſcheiden, erſtens die Beachtung der Perſoͤnlichkeit des
Arztes fuͤr das weibliche Geſchlecht, zweitens die Eroͤrterung
der Art und Weiſe, ſowohl die verſchiedenen phyſiologiſchen
als pathologiſchen Zuſtaͤnde des weiblichen Koͤrpers zu er-
forſchen (alſo der Unterſuchungsmethode), und drittens Er-
waͤgung der allgemeinen fuͤr die Behandlung ſelbſt aufzuſtel-
lenden Maximen.


[62]
I.Von der Perſoͤnlichkeit des Frauenarztes
und Geburtshelfers
.

§. 84.

Von einem jeden, der helfend und heilend auftreten
will, fordert man mit Recht noch außer den genuͤgenden
Kenntniſſen und Fertigkeiten eine geſunde kraͤftige Individua-
litaͤt, innere Sicherheit, Gegenwart des Geiſtes, Schaͤrfe
ſinnlicher Wahrnehmungen, Rechtlichkeit und Milde in ſeinem
Handeln. Auch der Frauenarzt und Geburtshelfer muß da-
her mit ſolchen Eigenſchaften ausgeſtattet ſeyn, wenn er ſei-
nen Beruf wuͤrdig erfuͤllen ſoll, ja er muß es um ſo mehr,
da das weibliche Geſchlecht einen ſehr feinen Sinn fuͤr maͤnn-
lichen Werth zu beſitzen pflegt, und ihm leicht das Ver-
trauen, und mit ihm eine ſo weſentliche Bedingung der Hei-
lung ſchwinden wird, wenn ein unſicheres, ſchwankendes oder
wohl gar unſchickliches Benehmen, Mangel eines wohlgegruͤn-
deten Selbſtvertrauens errathen laͤßt. Außerdem iſt jedoch
noch anzumerken, daß, wie namentlich die Entbindungskunſt
bey ihrer Ausuͤbung mit ſo vielen Schwierigkeiten und An-
ſtrengungen verknuͤpft iſt, auch ebendeßhalb von dem ſich ih-
rer Ausuͤbung Widmenden eine vorzuͤglich dauerhafte Geſund-
heit, kraͤftige obwohl nicht allzuvoͤllige Bildung des Koͤrpers,
insbeſondere aber kraͤftige, ſchlank- und wohlgebildete Arme
und Haͤnde ſo wie feinfuͤhlende Finger erfordert werden; Er-
forderniſſe, welche auf laͤngere Zeit nur erhalten werden
koͤnnen durch eine ſorgfaͤltige, allen Ausſchweifungen und
Unmaͤßigkeiten abſagende zweckmaͤßige Lebensordnung und wohl-
geordnete Kultur und Uebung der Glieder.


§. 85.

Obwohl nun der Arzt mit dieſen phyſiſchen und den
obenerwaͤhnten pſychiſchen Eigenthuͤmlichkeiten begabt, ſchwer-
lich die rechte Art des Benehmens gegen weibliche Kranke
verfehlen wird, und wir gern ein kleinliches Savoir faire
der Nation uͤberlaſſen, welche auf Aeußerliches ſo ſtreng hal-
tend dieſes unuͤberſetzbare Wort gebildet hat (um ſo mehr,
da durch aͤhnliche Kunſtgriffe wohl oft ein gewoͤhnlicher Rou-
[63] tinier *) groͤßern Eingang als der gruͤndliche und wiſſenſchaft-
liche Arzt erhaͤlt) ſo darf man demohnerachtet mit Recht ei-
nige beſondere Punkte dieſer aͤußern Behandlung des weibli-
chen Geſchlechts noch einer naͤhern Beachtung wuͤrdig erklaͤren.


§. 86.

So gehoͤrt hierher zunaͤchſt ſchon die Aufmerkſamkeit
auf aͤußerliche Erſcheinung des Arztes in Kleidung, Haltung
und Betragen. — Ein Geſchlecht, welches die Sitte als
erſte Richterin anerkennt, empfindet jede Unſchicklichkeit dieſer
Art nothwendig mehr als der Mann, und eine jede geſuchte,
geckenhafte Kleidung eben ſo ſehr als ein allzuvernachlaͤßigtes
Aeußere, ein jedes Auffallende, nach konventionellen Grund-
ſaͤtzen Unpaſſende des Betragens wird das weibliche Gefuͤhl
unangenehm afficiren, ja zuruͤckſtoßen, wenn es von einem
maͤnnlichen Individuum kaum bemerkt wuͤrde.


§. 87.

Außerdem hat das Betragen des Arztes ſich insbeſon-
dere nach weiblicher Individualitaͤt zu fuͤgen, theils bey Er-
forſchung der Krankheitszuſtaͤnde, theils bey Anordnung des
Heilplanes. In erſterer Hinſicht iſt es die Aufgabe einer-
ſeits, zart und wuͤrdig den Frauen zu begegnen, damit ſie es
wagen moͤgen, vertrauenvoll ſelbſt Geheimniſſe, welche weib-
liche Schamhaftigkeit ſonſt gern verbirgt, dem Arzt offen
darzulegen; ein Vertrauen, welches der Arzt durch eine einzige
unſchickliche leidenſchaftliche Aeußerung bey zartfuͤhlenden
Frauen verſcherzen wird. Andererſeits iſt aber auch Scharf-
blick, ſichere Ordnung im Krankenexamen und vielfache Um-
ſicht noͤthig, um durch den gewandten, oft nur zu redſeligen
Vortrag der Kranken, ja durch abſichtliche auf Taͤuſchung
abzweckende Darſtellung eines zur Liſt geneigten Geſchlechts
nicht von der richtigen Anſicht des eigentlichen Zuſtandes ſich
abbringen zu laſſen; eine Aufgabe, welche oft namentlich
[64] bey Ausmittelung von Schwangerſchaften u. dergl. mit nicht
geringen Schwierigkeiten verbunden zu ſeyn pflegt. — Mit
einem Worte: der Mittelweg zwiſchen einer zu regen Theil-
nahme und einer abſtoßenden Kaͤlte wird jeder aͤrztlichen Aus-
mittelung bey weiblichen Individuen den ſicherſten Erfolg
gewaͤhren.


§. 88.

Was zweitens die Anordnung des Heilplanes betrifft,
ſo wird auch hier der Arzt theils durch ein gewiſſes Einge-
hen in die Individualitaͤt ſeiner Kranken, durch Benutzung
ihrer vorherrſchenden Neigungen u. ſ. w. manches zur Ver-
vollſtaͤndigung ſeiner Kur beytragen, und ſeine Kranke dadurch
zu genauerer Befolgung der ihr vorgeſchriebenen Regeln ver-
moͤgen koͤnnen; theils aber iſt nicht zu uͤberſehen, wie der
Arzt ſelbſt durch ſeine Perſoͤnlichkeit, durch ſeinen feſten Wil-
len oft auf das entſchiedenſte zur Beſeitigung regelwidriger
Zuſtaͤnde beytragen koͤnne. Die Einwirkung naͤmlich einer
kraͤftigen, geiſtigen Individualitaͤt auf eine ſchwaͤchere ſchon
an und fuͤr ſich, iſt (moͤgen wir dieß nun magnetiſche oder
andere Kraft nennen) unlaͤugbar und durch vielfache Beob-
achtungen erwieſen *); und daß von derſelben nun gerade bey
weiblichen Kranken, wo aufgeregte oder verſtimmte Senſibi-
litaͤt oft eine ſo große Rolle ſpielt, in vielen Faͤllen kraͤftige
Huͤlfe erwartet werden duͤrfe, liegt am Tage. Wie oft hoͤ-
ren wir daher nicht die Klagen reitzbarer weiblicher Kranken
faſt augenblicklich ſich mindern, ſobald der geehrte vertrau-
ensvoll empfangene Arzt ſich ihnen naͤhert? — Eben ſo
beſtimmt, als das Gefuͤhl des Krankſeyns durch die Annaͤ-
herung einer widerwaͤrtigen Perſon geſteigert wird.


[65]
II.Von der Art und Weiſe, die verſchiedenen
Zuſtaͤnde des weiblichen Koͤrpers auszumit-
teln und zu unterſuchen
.

§. 89.

Wir koͤnnen hierbey unterſcheiden: a) das allgemeine nach
regelmaͤßig geordneten Fragen eingeleitete Vernehmen der
zu Unterſuchenden
, ihrer fruͤhern Geſchichte nach ſowohl,
als nach der Art ihrer gegenwaͤrtigen beſonderen Empfindun-
gen; und b) die durch den Sinn des Geſichts oder des
Getaſts, ja ſelbſt durch Inſtrumente vorzunehmende Unter-
ſuchung der weiblichen Koͤrperbildung
ſowohl im
Allgemeinen, als insbeſondre den Geſchlechtstheilen, ſo wie
(bey Hinſicht auf Geburt) dem Becken nach.


§. 90.

Was zuvoͤrderſt die Ordnung und Folge der zum Be-
hufe ſolcher Ausmittelungen zu ſtellenden Fragen betrifft, ſo
werden zwar im Ganzen wie bey maͤnnlichen Individuen
auch hier Alter, Eigenthuͤmlichkeiten bey der Geburt, Ge-
ſundheitsumſtaͤnde der Eltern, Kinderkrankheiten, aͤußere Ver-
haͤltniſſe, Temperatur, vorherrſchende Neigungen, ſpaͤterhin
erfahrene Krankheiten u. ſ. w. eroͤrtert werden muͤſſen; es wird
ferner der gegenwaͤrtige Zuſtand nach den einzelnen organi-
ſchen Syſtemen zu erwaͤgen ſeyn, ſo daß man z. B. von
der Funktion der Dauungsorgane beginnt, uͤbergeht ſodann
zur Funktion des Gefaͤßſyſtems, der Abſonderungs- und Ath-
mungsorgane, und endlich die Verrichtungen des hoͤhern thie-
riſchen Lebens, nach Senſation und Muskularthaͤtigkeit unter-
ſucht; allein immer wird nun noch einen ſehr weſentlichen
Theil dieſer Unterſuchung die Beruͤckſichtigung der eigentlichen
Geſchlechtsverhaͤltniſſe ausmachen, wobey dann auf nachſte-
hende Punkte vorzuͤgliches Gewicht zu legen ſeyn wuͤrde. —


§. 91.

Zunaͤchſt aber gehoͤrt hierher die Entwicklung des Ge-
ſchlechtscharakters im Erſcheinen der Menſtruation, welche
I. Theil. 5
[66] durch die Zeit, in welcher ſie erſcheint, durch die Zufaͤlle, mit
welchen ſie eintritt, durch die Art ihrer Wiederkehr, durch die
Quantitaͤt und Qualitaͤt des abfließenden Blutes, vielen Auf-
ſchluß uͤber die urſpruͤngliche Thaͤtigkeit des Geſchlechtsſyſtems,
und die mehr oder minder vollkommene Harmonie in den
Funktionen des Koͤrpers verheißt. — Nahe verbunden iſt
hiermit Erforſchung der Regungen des Geſchlechtstriebes, ob
ſie ſpaͤt oder fruͤh erwacht, ob ſie in geringem oder hohem
Grade, vielleicht zu Ausſchweifungen fuͤhrend, empfunden
wurden? — Eroͤrterungen, wobey allerdings nur durch be-
ſondere Vorſicht und Schonung der Schamhaftigkeit, und oft
mehr durch Benutzung der Ausſagen von Eltern, Verwand-
ten, Hebammen u. ſ. w. als durch muͤndliches Examen zum
Ziel der Erkenntniß des eigentlichen Zuſtandes zu gelangen iſt.


§. 92.

Ferner verdienen bey nicht mehr jungfraͤulichem Zu-
ſtande, namentlich bey Verheiratheten theils (unter der er-
waͤhnten Vorſicht) die ehelichen Verhaͤltniſſe, theils und na-
mentlich die vorausgegangenen oder jetzt Statt habenden Zu-
ſtaͤnde von Schwangerſchaft, Geburt, Wochenbett und Stil-
lungsperiode die genaueſte Beruͤckſichtigung, da vorzuͤglich
von den letztern Zuſtaͤnden aus oft die Entſtehung der ver-
ſchiedenartigſten krankhaften Zuſtaͤnde gerechnet werden muß.
Es ſind daher theils die Anzahl und Art vorausgegangener
Geburten, theils der Verlauf vorausgegangener Schwanger-
ſchaften, das Befinden in denſelben, die etwa Statt gehab-
ten phyſiologiſchen und pathologiſchen Eigenthuͤmlichkeiten der
Wochenbetten ſtets und zwar nach den einzelnen dieſe Perio-
den charakteriſirenden Erſcheinungen (von welchen ſpaͤter die
Rede ſeyn wird) moͤglichſt genau zu erforſchen; und endlich
iſt denn auch bey aͤltern weiblichen Individuen der Eintritt
der klimakteriſchen Jahre (das Außenbleiben der Menſtrua-
tion) ausfuͤhrlich zu beruͤckſichtigen, da auch in dieſen Zeit-
raum mancher Krankheitszuſtand des weiblichen Koͤrpers
wurzelt.


[67]
§. 93.

Anlangend zweitens die Unterſuchung der weiblichen
Koͤrperbildung
, ſo iſt es dieſe, welche man, da ſie
vorzugsweiſe bey Geburten vorgenommen werden muß (ob-
wohl ſie in vielen andern Zuſtaͤnden des weiblichen Koͤrpers
nicht minder nothwendig iſt), mit dem Namen der geburts-
huͤlflichen Unterſuchung
(Exploratio obstetricia) be-
zeichnet, und nach folgenden Grundſatzen unterſchieden hat. —
Zunaͤchſt naͤmlich theilt man dieſelbe, je nachdem ſie uͤber
die geſammte aͤußere Koͤrperbildung ſich verbreitet, oder vor-
zugsweiſe auf die innern Geburtstheile und das Becken be-
ſchraͤnkt wird, in die aͤußere und innere Unterſuchung (Ex-
ploratio obstetricia externa et interna
), welche letztere
auch wohl noch insbeſondere mit dem Nahmen des Zufuͤh-
lens (Touchement, Touchiren) belegt zu werden pflegt.
Zweitens aber unterſcheidet man, je nachdem die Unterſu-
chung durch die Hand des Geburtshelfers oder durch Werk-
zeuge vorgenommen wird, Unterſuchung durch Geſicht und
Getaſt und Inſtrumentalunterſuchung (Exploratio obstetri-
cia manualis et instrumentalis
).


§. 94.

Wie nun ſchon theils im Allgemeinen ein decentes und
ſchonendes Verfahren dem Frauenzimmerarzte zur Pflicht gemacht
wurde (§. 86.), theils aͤhnliche Regeln ruͤckſichtlich des Kranken-
examens (§. 91.) erwaͤhnt worden ſind, ſo muͤſſen nun ins-
beſondre bey dem genauern Erforſchen der koͤrperlichen Bil-
dung des Weibes die nachſtehenden Grundſaͤtze beruͤckſichtigt
werden: — 1) Iſt beym Vortrage der Nothwendigkeit der
Unterſuchung ſelbſt mit Anſtand und Vorſicht zu verfahren
(ohne wirkliche Nothwendigkeit wird natuͤrlich dieſes jedem
unverdorbenen weiblichen Geſchoͤpfe hoͤchſt unangenehme Ver-
fahren gaͤnzlich uͤbergangen), und es ſind demnach die Gruͤn-
de, welche die Unterſuchung erheiſchen, mit Ruhe und Feſtig-
keit darzulegen. 2) Es wird zweckmaͤßig ſeyn, bey der Un-
terſuchung ſelbſt irgend eine vertraute Perſon, z. B. eine
Verwandtin der zu Unterſuchenden gegenwaͤrtig zu haben.
[68] 3) Bey der Unterſuchung ſelbſt wird man alle nicht unum-
gaͤnglich nothwendigen Entbloͤßungen oder ſonſtige Beleidungen
der auch im gefallenen Weibe zu ehrenden Schamhaftigkeit
ſorgfaͤltigſt vermeiden, und was durch Getaſt ausgemittelt
werden kann, nicht durch das Geſicht eroͤrtern. 4) Man
bereite alle zur Unterſuchung noͤthigen Utenſilien, z. B. das
Lager, die zum Beſtreichen der Hand erforderliche Salbe oder
des etwas, Tuͤcher, Waſchwaſſer u. ſ. w., und ſehe darauf,
daß die zur Unterſuchung ſelbſt am meiſten geeignete Lage
oder Stellung des Koͤrpers zuvor angenommen werde.


§. 95.

5) Bevor man zur Unterſuchung ſchreitet, laſſe man die
Harnwege ſowohl, als den Darmkanal (letztern mittelſt eines
Lavements) entleeren. 6) Man trage Sorge, daß die un-
terſuchende Hand weder durch Rauhigkeiten, Ecken der Naͤ-
gel, Kaͤlte, Naͤſſe, oder durch Ringe u. dgl. den Koͤrper der
zu Unterſuchenden nachtheilig afftcire. 7) Man gewoͤhne ſich
die Unterſuchung mit beyden Haͤnden gleich fertig unterneh-
men zu koͤnnen, und 8) man verfahre bey der Unterſuchung
ſelbſt in einer gewiſſen geſetzmaͤßigen Ordnung (ohngefaͤhr ſo
wie wir ſie hier beſchreiben), beginne nach vorausgeſchicktem
Examen mit der aͤußern und endige mit der innern oder
(wenn ſie noͤthig ſeyn ſollte) mit der Inſtrumentalunterſu-
chung; auf welche Weiſe, wenn jeder Punkt ſogleich hinlaͤng-
lich genau beachtet wird, man der unangenehmen Nothwen-
digkeit der Wiederholung einzelner Theile der Unterſuchung
am ſicherſten entgehen wird.


1. Unterſuchung durch Geſicht und Getaſt.

a) Die aͤnßerliche.

§. 96.

Unter den Bereich dieſer Unterſuchung gehoͤrt nun ganz
vorzuͤglich und zuerſt die Beruͤckſichtigung der allge-
meinen Koͤrperform
, der Geſtalt, der Toroſitaͤt, der
Beſchaffenheit von Haut und Haar nach, und zwar nament-
lich in wiefern ſie dem oben (§. 16. u. f.) angegebenen weib-
[69] lichen Typus entſpreche oder nicht, ſodann in wie weit etwa
Spuren fruͤher Statt gehabter Krankheiten (z. B. der Rha-
chitis) daraus ſich abnehmen laſſen, und endlich um auch
daraus mit abzumeſſen, welche Conſtitution, welches Tem-
perament im Koͤrper der zu Unterſuchenden vorherrſchend ſey.
Zunaͤchſt an dieſe allgemeine Unterſuchung ſchließt ſich nun
unter den Theilen einer ſpeciellen aͤußern Unterſuchung die der
Bruͤſte: — Hier naͤmlich iſt durch Beſichtigung ſowohl als
Betaſtung, theils uͤber Groͤße, Geſtalt, Elaſtizitaͤt oder
Schlaffheit des geſammten Bruſtkoͤrpers, uͤber das regelmaͤ-
ßige oder abnorme Parenchyma deſſelben, Abweſenheit von
Verhaͤrtungen, Anfuͤllung der Milchadern (welche vielleicht
bey gelindem Drucke nach der Warze hin milchigte Fluͤßig-
keit ergießen) u. dgl., theils uͤber Beſchaffenheit der die
Bruͤſte uͤberkleidenden Haut, ob ſie nicht durch Hautkrank-
heiten entſtellt, oder durch Narben fruͤherer Eiterungen be-
zeichnet ſey, und insbeſondere endlich uͤber die Farbe und
Bildung der Bruſtwarzen, ob ſie klein, tiefliegend, geſpal-
ten, ſehr oder nicht ſehr empfindlich, mit kleinem oder gro-
ßem, dunkelm oder hellem Hof umgeben ſeyen, zu ent-
ſcheiden*).


§. 97.

Fernere Gegenſtaͤnde dieſer Unterſuchung ſind noch die
uͤbrigen aͤußern Geſchlechtstheile, der Unterleib
und das Becken. In wiefern jedoch die Entbloͤßung dieſer
Theile insbeſondere weiblicher Schamhaftigkeit entgegen iſt,
wird man hierbey nur in ungewoͤhnlichern, namentlich ge-
richtlichen Faͤllen, das Geſicht zu Huͤlfe nehmen, da ſchon
das Getaſt hieruͤber in den meiſten Faͤllen genuͤgenden Auf-
ſchluß zu geben vermag. — Wird jedoch vielleicht wegen
Verdacht von Anſteckung, oder um uͤber Zeichen der Jung-
frauſchaft zu entſcheiden, die genaueſte Unterſuchung noth-
wendig, ſo laͤßt man der Perſon eine horizontale Lage (am
[70] beßten bey etwas erhoͤhter Kreuzgegend) annehmen, und wird
ſo alsbald uͤber den Zuſtand der uͤbrigen aͤußern Genitalien
entſcheiden koͤnnen, wobey denn namentlich auf die Stellung
derſelben (ob mehr vor- oder ruͤckwaͤrts), auf Turgor oder
Erſchlaffung, Integritaͤt oder Verletzung, Verhaͤrtung, oder
ſonſtige Entſtellung derſelben zu achten iſt.


§. 98.

Bedarf man indeß der Ocularinſpektion nicht, ſo wird
man durch folgendes Verfahren den Zuſtand dieſer Theile am
ſicherſten ausmitteln: — Kann naͤmlich die zu Unterſuchende
außerhalb des Bettes und in aufrechter Stellung verweilen,
ſo wird man dieſelbe, leicht angelehnt, an eine Wand treten
laſſen, ſich ſelbſt laͤßt man ſodann auf das rechte Knie
(wenn man mit der rechten Hand unterſucht, im Gegentheil
auf das linke) nieder, und fuͤhrt nun die Hand (gewoͤhnlich die
rechte) an dem ihr entſprechenden Schenkel der zu Unterſu-
chenden (alſo am linken) unter den Kleidern, jedoch ohne
dieſe mehr als bis zum Knie aufzuheben, zur Huͤfte herauf,
indem man zugleich auf Richtung und Form der Schenkel-
knochen, etwaige Blutaderknoten, oͤdematoͤſe Anſchwellungen
u. ſ. w. achtet. Hier angekommen fixirt die Hand erſt den
großen Rollhuͤgel, dann den Huͤftbeinkamm, indem mit der
zweiten Hand auf der andern Seite, jedoch uͤber der (frey-
lich nicht zu dicken) Bekleidung daſſelbe geſchieht. So nun
die Breite des Beckens nach der Entfernung beyder Haͤnde
zu beſtimmen, fordert allerdings Uebung, iſt aber bis zu ei-
nem hohen Grade der Sicherheit ſehr wohl moͤglich. Zugleich
dient die Beruͤckſichtigung der Neigung des Huͤftbeinkammes,
verbunden mit der ſpaͤtern Beachtung des Schambogens und
der Stellung der Genitalien um die Neigung des Beckens
zu erforſchen.


§. 99.

Ferner gleitet die unterſuchende Hand ruhig, ohne zu
ſtark oder zu leicht und reitzend die Haut zu beruͤhren, nach
der Ruͤckwand des Beckens, und indem hier Woͤlbung des
Kreuzknochens, Tiefe des aͤußern Eindrucks in der Gegend
[71] des Vorbergs beachtet wird, fixirt wieder die zweite Hand
uͤber der Kleidung den Schambogen, um auf aͤhnliche Weiſe,
wie fruͤher die Breite, nunmehr auch die Tiefe des Beckens
zu meſſen. Sodann bewegt man die unterſuchende Hand
vorwaͤrts nach dem Schambogen, deſſen Stand und Woͤl-
bung zu erforſchen, man beachtet zugleich die Leiſtengegend,
wegen etwaiger Bruͤche oder Druͤſengeſchwuͤlſte und beſtimmt
genauer das Verhalten der aͤußern Schamlippen, ſo wie des
Dammes, ihrer Bildung und Richtung nach.


§. 100.

Endlich iſt denn vorzuͤglich die Erforſchung des Unter-
leibes, ſeiner Ausdehnung oder Erſchlaffung, und den durch
die Bauchdecken zu fuͤhlenden Theilen nach, ein wichtiges
Moment der aͤußern Unterſuchung. Man wird auch dieſes
durch ſorgfaͤltige Betaſtung der geſammten Unterleibsflaͤche in
verſchiedenen Richtungen beendigen, obwohl es, namentlich
fuͤr die Ausmittelung angehender Schwangerſchaften oder kurz
vorhergegangener Geburten faſt rathſamer iſt, der zu Unter-
ſuchenden, wenn man bis hierher in der Exploration gediehen
iſt, eine horizontale Lage mit etwas vorwaͤrts gebeugtem
Oberkoͤrper annehmen zu laſſen, um ſo bey erſchlafften Bauch-
muskeln tiefer eingreifen und den hinter dem Schambogen
vielleicht noch verborgenen nicht zu ſehr ausgedehnten Uterus
entdecken zu koͤnnen. Außerdem iſt hier auf das Verhalten
des Nabels und der Linea alba, auf Gefuͤhl von Fluctua-
tion im Uterus oder in der Bauchhoͤhle, auf Wahrnehmung
von Kindestheilen oder Kindesbewegungen Ruͤckſicht zu neh-
men, und was insbeſondere die letztern betrifft, ſo raͤth
man, um dieſelben mehr aufzuregen, theils das abwechſelnde
gelinde Heben und Sinkenlaſſen des Uterus, welches noch
wirkſamer gemacht werden kann durch das bey gleichzeitig
unternommener innerer Unterſuchung Statt findende gelinde
Andraͤngen an das untere Segment des Uterus (ein Verfah-
ren, welches auch um den weniger ausgedehnten Fruchthaͤlter
der von außen unterſuchenden Hand fuͤhlbarer und erkenuba-
rer zu machen, zu empfehlen iſt), theils das Auflegen einer
etwas kalten Hand auf den bloßen Leib; beyde Verfahren
[72] fuͤhren jedoch keineswegs immer zum Zwecke. — Hat man
uͤbrigens auf die angegebene Weiſe die Unterſuchung des
Unterleibes bey aufrechter Stellung beendigt, ſo fuͤhrt man
nun die unterſuchende Hand nach der andern Huͤfte (welches,
wo man mit der rechten Hand unterſucht, die rechte ſeyn
wird), betaſtet auch hier Huͤftbeinkamm und Rollhuͤgel, und
gleitet nun an dieſem Schenkel aͤußerlich eben ſo herab, wie
man an dem andern heraufgegangen war. Wuͤrde uͤbrigens
an dieſer Seite noch eine beſonders genaue Betaſtung noͤthig
erachtet, ſo waͤhlt man dazu lieber die andere (d. i. die linke)
Hand, ſo wie es ſich denn auch von ſelbſt ergiebt, daß bey
Kranken oder Gebaͤrenden dieſe aͤußere Unterſuchung ganz im
Liegen oder Sitzen vorgenommen werden muß, obwohl dieſe
letztere Haltung des Koͤrpers namentlich der Unterſuchung
des Beckens weit weniger guͤnſtig iſt als die aufrechte Stellung.


b) Innere Manual-Unterſuchung.

§. 101.

In den Bereich derſelben faͤllt hauptſaͤchlich Erforſchung
a) der Mutterſcheide, ihrer Weite, ihrer innern Flaͤche, ihrer
Querfalten, Schleimabſonderung, Temperatur u. ſ. w.; ſodann
b) der Scheidenportion des Fruchthaͤlters und des Mutter-
mundes; c) des vorliegenden Theiles vom Ey uͤberhaupt und
insbeſondere vom Kinde, ſo wie anderer vielleicht krankhafter
hier wahrzunehmender Geſchwuͤlſte u. ſ. w., und endlich d) des
innern Raumes vom kleinen Becken. — Am zweckmaͤßigſten
wird die innere Unterſuchung blos mit einem Finger, dem
Zeigefinger, unternommen; ſelten wird man, um etwas hoͤher
herauf zu reichen, den Mittelfinger noch mit hinzu nehmen,
und nur im Nothfall der genauſten Beſtimmung eines etwa
ſehr verunſtalteten Beckens oder des vorliegenden Kindestheils,
gebraucht man die ganze Hand.


§. 102.

Vorbereitungen zur innern Unterſuchung ſind, außer der
§. 94. u. 95. angegebenen, erſtens Sorge fuͤr eine zweck-
maͤßige Stellung der zu Unterſuchenden. Auch hier naͤmlich
[73] iſt wieder der aufrechte Stand, bey welchem die Frau an
eine Wand oder einen Tiſch ſich etwas anlehnt, und der
Unterſuchende auf das rechte Knie (wenn er mit der rechten
Hand unterſucht, im Gegentheil auf das linke) ſich niederlaͤßt,
der genauen Unterſuchung am guͤnſtigſten; naͤchſt dieſem kann
man bey Kraͤnklichen oder Gebaͤrenden auch die ſitzende Stel-
lung (am beßten dann auf einem vorne mit einem Aus-
ſchnitt verſehenen Seſſel, auf einem Geburtsſtuhle, Sella ex-
ploratoria
) oder die horizontale Lage waͤhlen, nur daß im
letztern Falle der Unterſuchende entweder auf dem Rande des
Bettes ſich niederlaſſen oder zur Seite deſſelben ſtehen wird. —
Zweitens iſt fuͤr Oehl, Fett oder ungeſalzene Butter zu ſor-
gen, indem das Einſalben des unterſuchenden Fingers theils
um weniger Schmerz zu machen, theils um der Gefahr der
Anſteckung ſich nicht auszuſetzen, unumgaͤnglich noͤthig iſt*).
Und endlich ſind einige Tuͤcher zum Abtrocknen und zum Un-
terbreiten auf den Boden des Zimmers bey Unterſuchung in
aufrechter Stellung, ſo wie Geraͤthſchaften zum Waſchen vor-
raͤthig zu halten.


§. 103.

Die Unterſuchung ſelbſt vollzieht man ſo, daß, nachdem
die zu Unterſuchende eine paſſende Stellung angenommen,
und Ausleerung von Stuhl und Urin, ſo wie (im Falle et-
waiger Verunreinigung der Geſchlechtstheile) Auswaſchung
derſelben mittelſt eines Schwammes Statt gehabt hat, man
den unterſuchenden Zeigefinger hinlaͤnglich mit einer Fettig-
keit beſtreicht, ihn in die Hand einſchlaͤgt, mit Daumen und
Mittelfinger bedeckt, und nun ſelbſt eine der Haltung der
Frau entſprechende Stellung annimmt. Man fuͤhrt jetzt die
geſchloſſene Hand an der innern Flaͤche des Schenkels (wenn
man mit der rechten Hand unterſucht, am linken Schenkel)
herauf, oͤffnet dieſelbe an den Genitalien, um durch Daumen
und Mittelfinger die aͤußern und innern Schamlippen vor-
[74] ſichtig, ohne Schmerz zu erregen oder die Schamhaare zu
dehnen, auseinander zu legen, und bringt nun den Zeige-
finger ſelbſt behutſam in die Schamſpalte ein, indem man
hierbey theils die Klitoris nicht zu beruͤhren Sorge traͤgt,
theils bey jungfraͤulichem Zuſtande das Hymen vermeidet,
ſtreckt dann Mittel-, vierten und kleinen Finger nach hinten
uͤber den Damm aus, und legt die andere Hand aͤußerlich
uͤber die Kleidung an die Bauchflaͤche, um noͤthigenfalls den
Uterus mehr zu fixiren oder gelind aufzuheben, wenn er we-
gen zu weit vorwaͤrts gerichtetem Grunde die Unterſuchung
der Vaginalportion erſchwert.


§. 104.

Indem nun ſo der Finger im Becken aufwaͤrts gefuͤhrt
wird, unterſucht man nach den §. 101. bemerkten Ruͤckſich-
ten theils die Mutterſcheide, den Mutterhals und Mutter-
mund (wobey zum Meſſen des erſtern das insgemein zoll-
lange vorderſte Fingerglied als bequemſter Maaßſtab dient)
ſo wie den zuweilen durch das Scheidengewoͤlbe fuͤhlbaren
Koͤrper oder Grund des Fruchthaͤlters genau, und mittelſt
ruhiger, Schritt vor Schritt gehender Betaſtung. Hierauf
wendet man ſich zur Ausmittelung der vielleicht zu entdecken-
den Kindestheile oder anderer Theile des Eyes, wobey, was
das Wahrnehmen des Kindestheils, namentlich in fruͤherer
Zeit der Schwangerſchaft betrifft, die Regel gelten kann, daß
man denſelben immer am leichteſten erreichen werde, wenn
der Finger gerade hinter dem Schambogen heraufgefuͤhrt und
hier etwas ſtill gehalten wird, wobey ſich der Kopf oft als
bewegliche leichte Kugel, namentlich bey einem aͤußern Drucke
von ſelbſt auf die Fingerſpitze auflegt. Endlich aber achtet
man genau auf die Durchmeſſer, wie auf Kruͤmmung, Nei-
gung, Hoͤhe und ſonſtige Bildung des Beckens, welches
durch Hin- und Herbewegen der Fingerſpitze (vorausgeſetzt,
daß das Gefuͤhl mittelſt vielfacher Uebungen an trockenen
Becken, Leichnamen und lebenden Koͤrpern hinlaͤnglich ge-
ſchaͤrft ſey) ſehr wohl, ja am beßten beſtimmt werden kann. —
Iſt nun alles hierher gehoͤrige genuͤgend unterſ[u]cht, ſo wird
der Finger zuruͤckgefuͤhrt, wieder in die Hand eingeſchlagen,
[75] und die Hand ſelbſt ruhig wieder unter der Kleidung oder
Bettdecke hervorgefuͤhrt, um ſie alsbald zu reinigen.


§. 105.

Will man uͤbrigens mit zwey oder mehreren Fingern
unterſuchen, ſo verfaͤhrt man zwar im erſtern Falle wieder
ohngefaͤhr wie bey der Unterſuchung mit einem Finger, im
andern Falle hingegen muß man die ganze Hand mit Oehl
beſtreichen, dieſelbe moͤglichſt geſtreckt und coniſch zuſammen-
gelegt mit ihrer Breite im geraden Durchmeſſer des Becken-
ausganges geſtellt, behutſam, gelind drehend, und in der
Fuͤhrungslinie einbringen. Im Becken dienen dann die ein-
gebrachten ausgeſperrten oder aneinanderliegenden fuͤnf Finger
zu ſehr genauer Schaͤtzung des Beckenraumes, und zwar in-
dem man ſich zuvoͤrderſt durch Vergleichung an einem Zoll-
ſtabe genau bekannt macht: theils wie viel der Raum zwi-
ſchen ausgeſpanntem Zeige- und Mittelfinger, theils wie viel
der Raum zwiſchen ausgeſperrtem Zeigefinger und Daumen an
der eigenen Hand betrage, dann aber auch mißt, wie breit
drei, vier oder fuͤnf Finger der Hand ſind, und nun dieſe
Groͤßen mit dem Gefuͤhle bey der Unterſuchung ſelbſt ver-
gleicht. — Noch iſt denn auch der Unterſuchung durch
den Maſtdarm
als einer Abart der innern Unterſuchung
zu gedenken, in wiefern dieſelbe namentlich bey manchen
Krankheiten der innern Genitalien, Schwangerſchaften außer-
halb der Gebaͤrmutter u. ſ. w. von Wichtigkeit iſt. — Man
unternimmt dieſelbe, nachdem vorher ein oder einige Lave-
ments gegeben worden ſind, ohngefaͤhr wie die innere Unter-
ſuchung der Mutterſcheide mit einem eingeoͤhlten Zeigefinger,
laͤßt der zu Unterſuchenden eine Seitenlage oder, noch beſſer,
die Lage, auf Knie und Ellbogen geſtuͤtzt, annehmen, und
bringt nun den Finger gelind drehend nach der Richtung des
Maſtdarmes aufwaͤrts, um ſo das Verhalten des Uterus, des
Beckens u. ſ. w. zu erforſchen.


Bey allen dieſen Unterſuchungen iſt uͤbrigens die viel-
fachſte Uebung allein faͤhig, einen hoͤhern Grad von Fertig-
keit zu gewaͤhren, und den Reſultaten der Exploration eine
groͤßere Sicherheit zu verſchaffen, weßhalb denn allen ange-
[76] henden Frauenaͤrzten, Geburtshelfern und Hebammen dieſelbe
nicht dringend genug empfohlen werden kann. —


2. Inſtrumental-Unterſuchung.

§. 106.

Sie beſchraͤnkt ſich vorzuͤglich auf die genauere Aus-
meſſung des Beckens und theilt ſich wieder, je nachdem dieſe
Meſſung von außen oder im innern Beckenraume ſelbſt ver-
anſtaltet wird, in die innere und aͤußere: — Zwar hat
man auch zur naͤhern, durch den Sinn des Geſichts vorzu-
nehmenden Unterſuchung der innern weichen Geburtstheile vor
einiger Zeit ein Inſtrument empfohlen, welches der von
Bozzini*) erfundene Lichtleiter iſt; allein abgeſehen, daß
offenbar hier das Getaſt ſeiner Natur nach wichtigere Ergeb-
niſſe als das Geſicht verſpricht, ſo wuͤrde auch dieſer ganze
Apparat in ſeiner Anwendung ſo unſchicklich, ja komiſch er-
ſcheinen, daß wir ihn geradezu, wenigſtens was Erforſchung
dieſer Theile betrifft, in das Reich der praktiſch voͤllig un-
nuͤtzen Traͤumereyen verweiſen muͤſſen. — Ueberhaupt iſt im
Allgemeinen von der Inſtrumental-Unterſuchung weit weniger
praktiſcher Vortheil, und ein weniger ſicheres Reſultat zu
ziehen, als von der Manual-Unterſuchung, ja viele der er-
fundenen Inſtrumente ſind als voͤllig unbrauchbar zu verwer-
fen, und wir gedenken daher nur der einigermaſſen nutzbaren,
indem wir zugleich bemerken, daß die Idee des Beckenmeſſers
als eine deutſche Erfindung zu betrachten, und von G. W.
Stein dem aͤltern ausgegangen iſt, welcher ſeinen erſten
einfachen Beckenmeſſer 1772 bekannt machte.


§. 107.

Zu den aͤußerlich anwendbaren Beckenmeſſern
gehoͤrt zuerſt: der DickenmeſſerBaudeloque’s (Compas
[77] d’epaisseur
), ein Taſterzirkel mit einem zwiſchen ſeinen
Schenkeln angebrachten verjuͤngten Zollſtabe, mittelſt deſſen
die Zirkelſchenkel ſelbſt feſtgeſtellt werden koͤnnen. Man be-
zweckt dadurch vorzuͤglich die Beſtimmung der Conjugata des
Beckeneinganges, indem die mit platten Knoͤpfen verſehenen
Schenkel des Zirkels, einer außen auf der Mitte der Scham-
fuge, der andere hinten an der Spitze des Stachelfortſatzes
vom letzten Lendenwirbel aufgeſetzt werden, und nach feſtge-
ſtellten Schenkeln nun das Inſtrument abgenommen, und die
Entfernung des Knopfes am verjuͤngten Maaßſtabe gemeſſen
wird, von welcher Weite (bey regelmaͤßigem Becken insge-
mein 7 Zoll) ſodann 2½ Zoll fuͤr die hintere, und ½ Zoll
fuͤr die vordere Beckenwand (alſo uͤberhaupt 3 Zoll) abzu-
ziehen iſt, um die Conjugata zu finden. Freilich laſſen nun
hierbey verſchiedene Dicke der Beckenwaͤnde, innere Knochen-
auswuͤchſe u. ſ. w. Gelegenheit zu manchen Irrungen zu *),
demohnerachtet ſtimme ich H. v. Siebold bey, welcher es
in der Mehrzahl der Faͤlle ein nuͤtzliches und brauchbares
Werkzeug nennt **). — Laͤßt man das Inſtrument in nicht
zu kleinen Dimenſionen verfertigen (etwa ſo, daß die groͤßte
Entfernung beider Knoͤpfe gegen 15 Zoll betraͤgt), ſo kann man
es zugleich als Huͤftenmeſſer benutzen, ohne hierzu noch
eines beſondern Inſtrumentes zu beduͤrfen, und beſtimmt
demnach hierdurch theils den Querdurchmeſſer des großen Be-
ckens beynahe unmittelbar, theils den Querdurchmeſſer des
Beckeneinganges durch Meſſung der Breite an den Trochan-
teren (insgemein 13 Zoll), von welchen man 8 Zoll fuͤr
Seitenwaͤnde und Schenkelhals abzieht. —


Ferner iſt hier zu erwaͤhnen der Neigungsmeſſer
(Cliseometer) von G. W. Stein, ein Quadrantenaͤhnliches
Werkzeug, deſſen Zweck iſt, die Neigung der untern Becken-
oͤffnung gegen den Horizont zu meſſen, deſſen Anwendung
[78] jedoch mit zuviel Umſtaͤndlichkeiten verknuͤpft iſt, und deſſen
praktiſcher Nutzen ſo gering iſt, daß es hoͤchſtens zur Be-
richtigung der Theorie und Anwendung an Skeletten zu em-
pfehlen iſt *). Etwas leichter anwendbar iſt dagegen der
Neigungsmeſſer von B. Fr. Oſiander, allein da er die
Neigung des Beckens blos durch die mehr oder weniger ſchief
geſtellte Wand der Schamfuge beſtimmt, ſo wird er bey ver-
bildetem Becken wieder haͤufig irre leiten **).


§. 108.

Zu den innerlich anwendbaren Beckenmeſſern
gehoͤrt als eines der einfachſten Inſtrumente, der kleine ver-
beſſerte Stein’ſche Beckenmeſſer; ein bloßer geknuͤpfter Zoll-
ſtab mit beweglichem Zeiger, mittelſt welchem man, nachdem
er eingeoͤhlt, moͤglichſt tief gegen das Promontorium in das
Becken gebracht, und der Zeiger an der innern Schamfugen-
flaͤche fixirt worden, die Diagonalconjugata der Beckenhoͤhle
(ſ. §. 38.) mißt, und folglich um die eigentliche Conjugata
des Einganges zu finden, noch ½ Zoll abziehen muß. —
Beynahe noch einfacher und in jedem Augenblicke zu fertigen
iſt ferner der Stark’ſche Beckenmeſſer, welcher aus einem
duͤnnen, um den Zeigefinger geſchlungenen ſeidenen Faden,
und einer auf dieſem Faden durch den Daumen beweglichen
Korkſcheibe beſteht. Man bringt Zeigefinger und Daumen
aneinanderliegend, die Korkſcheibe auf dem Daumennagel ge-
ſtellt, ein, entfernt nun beyde Finger in der Richtung der
Diagonalconjugata moͤglichſt weit, nimmt dann das Werkzeug
heraus und mißt die Entfernung der Korkſcheibe von der
Zeigefingerſpitze mittelſt eines Zollſtabes.


Endlich gedenken wir noch des groͤßern Stein’ſchen
Beckenmeſſers
, welcher aus zwei auswaͤrts gebogenen
ſcherenartig beweglichen, durch eine Stellſchraube zu fixiren-
den Armen beſteht. Er wird erwaͤrmt und eingeoͤhlt, ge-
[79] ſchloſſen in die Scheide gebracht, der hintere Arm an den
Vorberg, der vordere an die innere Flaͤche der Schamfuge
geſetzt, die Erweiterung beyder Arme durch die Stellſchraube
bezeichnet und alsdann das Werkzeug geſchloſſen und wieder
herausgefuͤhrt. Man mißt hierauf die Weite der bis zur
Stellſchraube wiederum geoͤffneten Arme, und findet auch ſo
die Diagonalconjugata der Beckenhoͤhle *). Die Anwendung
dieſes Inſtruments hat jedoch am lebenden Koͤrper große
Schwierigkeit, es erregt leicht Schmerzen, wird in ſeiner Er-
weiterung ſehr durch die weichen Theile gehindert (was ſchon
von den beiden vorigen einfachern Werkzeugen gilt) und giebt
ein falſches Reſultat, weßhalb es zum praktiſchen Behuf
gar nicht empfohlen werden kann. Daſſelbe gilt dann auch
von den Beckenmeſſern Coutouly’s, Aitken’s, Koͤppe’s, As-
drubali’s, Jumelin’s
und Anderer, weßhalb wir dieſelben
ganz uͤbergehen. **)


§. 109.

Bevor wir nun die Lehre von der Inſtrumentalunterſu-
chung gaͤnzlich verlaſſen, muͤſſen wir noch, in wiefern nach
§. 10. u. 11. nicht blos das Weib, ſondern auch die Frucht
Gegenſtand der Gynaͤkologie iſt, der zur Unterſuchung des
Kindes erfundenen Werkzeuge gedenken, welche wir unter-
ſcheiden in ſolche, die zur Ausmeſſung des Kindes noch in-
nerhalb des muͤtterlichen Koͤrpers, und in ſolche, die zur
Meſſung und Waͤgung deſſelben außerhalb dieſes Koͤrpers be-
nutzt werden. — Zu den erſtern gehoͤren aber die an den
Griffen mehrerer Geburtszangen angebrachten Gradboͤgen oder
Maaßſtaͤbe ***), von Stein†), ihrem Erfinder, Labime-
ter
genannt, welche, indem ſie den Grad der Eroͤffnung der
Zangenblaͤtter anzeigen, auch das Maaß von dem zwiſchen
die Zange gefaßten Kopfe angeben. Aitken, Oſiander,
Buſch
, haben dieſe Vorrichtung an ihren Zangen benutzt,
doch gewaͤhrt ſie wenig Genauigkeit wegen der verſchiedenen
[80] Faſſung des Kopfes, und im Allgemeinen wird ſchon jeder
Geburtshelfer, der ſeine Zange kennt, die bedeutendere oder
geringere Kopfgroͤße dem Augenmaaße nach beſtimmen koͤn-
nen. — Zu dem zweiten Behufe kann allerdings jede groͤ-
ßere Wage, jeder Zollſtab und Taſterzirkel benutzt werden,
doch hat man auch hierzu beſondere Werkzeuge erfunden, wo-
hin der Cephalometer Stein’s (ein Taſterzirkel mit
Gradbogen) und deſſen Baromacrometer*), Oſiander’s
Wage, und die beſonders zweckmaͤßige Vorrichtung (Paedio-
meter
) von Siebold**) gehoͤren.


III.Von den allgemeinen Regeln der Diaͤtetik
und Therapie fuͤr das weibliche Geſchlecht
.

a.Diaͤtetik.

§. 110.

Alle Diaͤtetik oder Hygiaſtik, und ſo auch die fuͤr das
weibliche Geſchlecht, hat eines Theils den Zweck, den Willen
der Natur ruͤckſichtlich der dem Koͤrper unerlaͤßlichen Beduͤrf-
niſſe zu deuten, und die Gewaͤhrung dieſer Beduͤrfniſſe zu
leiten und zu ordnen, andern Theils den Zweck, alles der
koͤrperlichen und geiſtigen Thaͤtigkeit Nachtheilige und Ge-
faͤhrliche zu verhuͤten. In wiefern nun aber die Entwick-
lung weiblicher Individualitaͤt eine rein menſchliche, und in
ſofern der maͤnnlichen gleiche iſt, welche demnach im Weſent-
lichen nur die Beguͤnſtigung durch rechte Anordnung von
Nahrung und Luft, Ruhe und Bewegung, Schlaf und Wa-
chen, Licht und Waͤrme fordert, ſo koͤnnen auch die Regeln
der Hygiaſtik uͤberhaupt, ſehr wohl auf die Leitung des ge-
ſunden weiblichen Organismus angewendet werden, und die
Modifikationen, welche ſich im ſpeciellen Theile hieruͤber er-
geben werden, koͤnnen folglich theils blos auf die dem weib-
lichen Organismus ausſchließend eigenthuͤmlichen Funktionen
[81] (z. B. Schwangerſchaft, Geburt und Wochenbett) ſich bezie-
hen, theils werden ſie durch die allgemeinern Eigenthuͤmlich-
keiten deſſelben beſtimmt werden. Zu den letztern gehoͤren
daher namentlich ſolche Regeln, welche von der individuellen
Stimmung weiblicher Senſibilitaͤt, ſo wie des weiblichen Er-
naͤhrungsproceſſes herbeygefuͤhrt werden, und nur hieruͤber iſt
jetzt einiges Naͤhere zu erinnern, dahingegen die Regeln fuͤr
Behandlung des geſunden weiblichen Koͤrpers im Zuſtande
der Schwangerſchaft, Geburt, Wochen- und Stillungsperiode
durchaus fuͤr den ſpeciellen Theil aufbehalten bleiben muͤſſen.


§. 111.

Bey Entwerfung allgemeiner diaͤtetiſcher Regeln fuͤr das
weibliche Geſchlecht werden wir ſonach auf die §. 58. u. f.
eroͤrterten Regeln vorzuͤglich fußen. — Was alſo 1) Be-
ſtimmung der Lebensordnung ruͤckſichtlich der
Aufnahme von Nahrungsmitteln
betrifft, ſo fordert
der weibliche Koͤrper bey ſchnellerem Stoffwechſel, raſcherer
Aſſimilation und regerer Senſibilitaͤt der Verdauungsorgane
a) das haͤufigere Aufnehmen naͤhrender Stoffe. Den Frauen,
beynahe wie den Kindern, ſcheint es daher natuͤrlich, oͤfterer zu
eſſen und oͤfterer zu trinken, ſo daß alſo die hin und wieder ein-
gefuͤhrte Sitte taͤglich nur eine einzige Mahlzeit zu halten, außer
derſelben aber, mit Ausnahme einiges Getraͤnkes, faſt nichts zu
genießen, dem weiblichen Koͤrper offenbar am wenigſten ange-
meſſen iſt. b) Die Menge aufzunehmender Nahrung betref-
fend, ſo ſteht es mit der vorigen Regel ſchon in Ueberein-
ſtimmung, daß dieſelbe geringer ſeyn muͤſſe, und c) die Art
und Wahl der Nahrung anbelangend, ſo darf man weder
eine zu rohe und ſchwerverdauliche Koſt dem Weibe insbe-
ſondre zutraͤglich erklaͤren, noch duͤrfen namentlich erhitzende,
ſtark reitzende Getraͤnke und Speiſen fuͤr dieſes Geſchlecht
gebilligt, und alle ſtarken Gewuͤrze, ſtark geſalzene Speiſen,
ſo wie geiſtige betaͤubende Dinge muͤſſen hier moͤglichſt ver-
mieden werden, wenn nicht nach und nach hyſteriſche Be-
ſchwerden, Kraͤmpfe, Obſtruktionen u. ſ. w. entſtehen ſollen.
Ebendeßhalb pflegen daher leichte Fleiſchſpeiſen, Milch, meh-
lichte Vegetabilien u. ſ. w. eine dem weiblichen Geſchlecht vor-
I. Theil. 6
[82] zuͤglich angemeſſene Nahrung zu ſeyn. — Die Ausleerungen
des Darmkanals endlich, welche wie ſchon erinnert an und
fuͤr ſich im Weibe ſparſamer zu erfolgen pflegen, muͤſſen eben
deßhalb ſorgfaͤltig beruͤckſichtigt, durch maͤßige Koͤrperbewegung,
Vermeidung des den Unterleib beengenden, durch weibliche
Arbeiten leider oft veranlaßten zu vielen Sitzens, ſo wie
durch Vermeidung aller den Unterleib nachtheilig preſſender
Kleidung, in regelmaͤßiger Ordnung erhalten werden.


§. 112.

2) Die Gefaͤßthaͤtigkeit angehend, ſo werden, in
wiefern dieſelbe im Weibe uͤberhaupt ſchon verhaͤltnißmaͤßig
aufgeregter iſt, alle Einwirkungen, welche in dieſer Hinſicht
einen nachtheiligen Erethismus veranlaſſen koͤnnten, vermin-
dert werden muͤſſen. Heftige Gemuͤthsbewegungen, Stuͤrme
der Leidenſchaften muͤſſen daher nicht minder, als Uebermaaß
erhitzender Bewegungen, z. B. des Tanzes, oder erhitzender
Speiſen und berauſchender Getraͤnke der Geſundheit nachtheilig
ſich zeigen; eben ſo wie ferner auch alle Einfluͤße, welche
zur Bildung von lokalen Blutanhaͤufungen fuͤhren, als: ſehr
beengende Kleidung, Schlafen in dicken Federbetten, Ueber-
ladung mit warmen Getraͤnken, Thee, Kaffee, Schokolade u.
ſ. w. hier zu erwaͤhnen, und fuͤr das weibliche Geſchlecht
als nachtheilig zu bemerken ſind. — 3. Die Athmung
und Ausſcheidung
betreffend, ſo muß bey den kleinern
Reſpirationsorganen und groͤßerer Neigung zu Bruſtkrankhei-
ten um ſo ſorgfaͤltiger alles, wodurch die Athmungsthaͤtigkeit
geſtoͤrt werden koͤnnte, vermieden werden; hierher rechnen wir
denn theils Einathmen ſehr erkaͤlteter reiner Luft, oder ſon-
ſtige ploͤtzliche Abkuͤhlung durch Trunk oder Bad nach vor-
ausgegangener Erhitzung, vorzuͤglich durch auhaltendes Tan-
zen (die Todesurſache fuͤr manche bluͤhende Maͤdchengeſtalt),
ferner das Tragen von Schnuͤrbruͤſten, allzuangeſtrengtes
Singen u. ſ. w. — Ruͤckſichtlich der im weiblichen Geſchlecht
uͤberhaupt thaͤtigern Hautausſonderung iſt ferner eine ſorgfaͤl-
tige Hautkultur ſowohl, als in allen kaͤltern Klimaten eine
dieſen angemeſſene waͤrmere Koͤrperbekleidung vorzuͤglich noth-
wendig, und man erklaͤrt mit Recht die Entſtehung vielfa-
[83] cher Leiden der Frauen aus der Vernachlaͤßigung dieſer bey-
den Punkte.


§. 113.

4) Die Regeln, welche endlich in Bezug auf die hoͤ-
hern animalen Funktionen im Allgemeinen zu geben
ſind, beziehen ſich theils auf die Sinnesthaͤtigkeit, welche
eben in wiefern ſie feiner und erregbarer iſt, uͤberall ſchoͤne
ſittliche Maͤßigung zur Pflicht macht; theils auf die Bewe-
gung, welche, in wiefern ſie von weniger ausgewirkten Or-
ganen geuͤbt wird, allzugewaltſame und heftige Anſtrengun-
gen verbietet. Was ferner die Erſcheinungen des hoͤhern
Nervenlebens und ihre naturgemaͤße Leitung betrifft, ſo iſt
eine gewiſſe pſychiſche Hygiaſtik fuͤr das weibliche leicht be-
wegliche Gemuͤth ganz vorzuͤglich nothwendig, und man darf
wohl hier an den Satz erinnern, welchen J. Paul Fr. Rich-
ter
uͤber geiſtige Ausbildung im Allgemeinen aufſtellte, daß
naͤmlich der Menſch nach der Seite hin, wo er von der Na-
tur am wenigſten beguͤnſtigt ſey, ſich vorzuͤglich zu bilden
ſtreben ſolle, um ſo das harmoniſche Gleichgewicht im In-
nern zu erhalten. — Bey den Frauen nun, wo das Ge-
muͤth an und fuͤr ſich vorwaltet, wird eben dadurch Kultur
des Verſtandes und der Willenskraft Hauptaugenmerk allge-
meiner Bildung ſeyn muͤſſen; dahingegen eine auf ſtaͤte Er-
regung des Gemuͤths abzweckende geiſtige Beſchaͤftigung, Ro-
manenleſerey, falſche Myſtik u. ſ. w. dieſes Geſchlecht ſo leicht
zur widrigſten Empfindeley, ja durch ſtaͤte Ueberſpannung des
Nervenſyſtems zu ſo vielfaͤltigen ſelbſt koͤrperlichen Krankhei-
ten fuͤhren muß. — Vertrauungsvolles Haften an einem
Hoͤchſten, unerſchuͤtterlich Feſten und Ewigen im Innern, ſtille
gleichmaͤßige wohlgeordnete Thaͤtigkeit im Aeußern, bey klarer
einfacher aber wohlgegruͤndeter Entwicklung des Verſtandes,
dieß moͤgen die Elemente heißen, in denen die Seelengeſund-
heit, deren Weſen von dem ſcharfſinnigen Heinroth*) ſo
wahr gezeichnet worden, dem weiblichen Geſchlechte erreicht
[84] und bewahrt wird, und in welchen die Reinheit und wohl-
thuende Ruhe der edlen Frau ſich bewaͤhrt. —


b) Therapie.

§. 114.

Nothwendig zwar muͤſſen die allgemeinen Grundſaͤtze,
nach denen wir die Heilung menſchlicher Krankheiten einlei-
ten, auch fuͤr die Behandlung weiblicher Krankheiten insbe-
ſondre guͤltig ſeyn, eben ſo wie die allgemeinen Grundſaͤtze
der Hygiaſtik auch fuͤr das weibliche Geſchlecht gegolten hat-
ten, demohnerachtet koͤnnen und muͤſſen fuͤr die aͤrztliche Be-
handlung, ſelbſt ſolcher Krankheiten, welche beiden Geſchlech-
tern gemein ſind, gewiſſe beſondre Regeln aufgeſtellt werden,
welche abermals auf die im Vorigen eroͤrterte Individualitaͤt
des Weibes im geſunden und kranken Zuſtande ſich gruͤnden
werden. Wir gehen die weſentlichſten derſelben hier durch: —
Es gehoͤrt aber hierher zunaͤchſt eine nach der allgemeinen Indivi-
dualitaͤt des Weibes abgemeſſene Lebensordnung bey Krankheiten.
Weibliche Kranke verlangen in der Regel beſondere Vorſicht
in der Anordnung ihrer aͤußern Umgebungen; ein recht ru-
higes freundliches Krankenzimmer, recht ſorgfaͤltige Vermei-
dung aller gewaltſamern Sinneseindruͤcke und Gemuͤthsbewe-
gungen muͤſſen ſonach hier vorzuͤglich wuͤnſchenswerth ſeyn,
und in Verbindung mit angemeſſener Diaͤt (wo auch bey der
Reconvaleszenz die erregenden roborirenden Dinge, als Wein
u. dgl., bey uͤbrigens gleichen Umſtaͤnden, in weit weniger
ſtarken Doſen als beym maͤnnlichen Geſchlecht gegeben wer-
den duͤrfen) werden ſie bey einem Koͤrper, wo, faſt wie im
kindlichen, die Naturkraft uͤberhaupt zur Heilung von Krank-
heiten mehr vermag, vorzuͤglich viel zur Wiederherſtellung
der Geſundheit beytragen.


§. 115.

Ferner was die Darreichung von Arzneymitteln u. ſ. w.
betrifft, ſo iſt zuvoͤrderſt uͤberhaupt zu bemerken, daß ſehr
heftig einwirkende, ſogenannte heroiſche Heilmittel fuͤr das
weibliche Geſchlecht im Ganzen am wenigſten ſich eignen,
[85] daß aber auch von andern Arzneymitteln, der groͤßern weib-
lichen Receptivitaͤt gemaͤß, bey uͤbrigens gleichen Umſtaͤnden,
weiblichen Kranken immer etwas ſchwaͤchere Gaben als maͤnn-
lichen gereicht werden muͤſſen. — Die Heilmethoden ſelbſt
anbelangend, ſo iſt daruͤber im Allgemeinen wohl nur ſoviel
zu erinnern, daß, da zufolge der vorherrſchenden Thaͤtigkeit
reproduktiver und insbeſondre der Verdauungs-Organe, auch
hier vorzuͤglich die Quelle unzaͤhliger Krankheiten verborgen
liegt, die Aufmerkſamkeit und Wirkſamkeit des Arztes ins-
beſondre nach dieſer Seite gerichtet ſeyn muͤſſe *). — Außer-
dem noͤthigt uns indeß die vorwaltende Reitzbarkeit des weib-
lichen Koͤrpers, die Neigung zu Schmerzen, Kraͤmpfen u. ſ. w.
hier haͤufiger als im maͤnnlichen Koͤrper von Mitteln Ge-
brauch zu machen, welche, obwohl wieder zunaͤchſt das ve-
getative Leben anſprechend, vorzuͤglich die angeregte Senſi-
bilitaͤt herabzuſtimmen vermoͤgen; wohin insbeſondre laue
Baͤder, Narcotica u. ſ. w. gehoͤren; wobey jedoch ſehr zu huͤ-
ten iſt, daß dieſe, insgemein nur als palliativ wirkende Mit-
tel angezeigten Dinge, nicht als Hauptmittel angeſehen wer-
den, indem gerade bey weiblichen Krankheiten vorzuͤglich das
gehaͤufte Anwenden ſogenannter antiſpasmodiſcher und Ner-
ven-Mittel oͤfters gar ſehr zum Nachtheil gereicht. — Daß
uͤbrigens auch bey dieſem Geſchlecht die eigentlich pſychiſche
Einwirkung des Arztes durch Erweckung eines feſten Ver-
trauens und durch entſchiedenes Benehmen ſehr viel ausrichte,
unterliegt keinem Zweifel, und iſt ſchon §. 88. erwaͤhnt worden.


§. 116.

Endlich aber bleibt es bey Behandlung weiblicher Krank-
heiten immer von ausgezeichneter Wichtigkeit, die merkwuͤr-
[86] digen, ſo tief in das weibliche Leben eingreifenden eigen-
thuͤmlichen Funktionen der Menſtruation, Schwangerſchaft,
Geburt, Wochen- und Stillungsperiode genau zu beachten,
woraus ſich denn die Anzeige ergiebt, nicht nur Unordnun-
gen, welche in dieſen Funktionen Statt gehabt haben, zu be-
ſeitigen, ſondern auch dann, wenn gerade eine dieſer Perio-
den vorhanden iſt, und andere krankhafte Zuſtaͤnde aͤrztliches
Eingreifen noͤthig machen, darauf Ruͤckſicht zu nehmen, daß
der normale Gang derſelben dadurch keine Stoͤrung erleide.
In letzterer Hinſicht geſchieht es daher, daß z. B. zur
Zeit der eintretenden Menſtruation der Gebrauch von Arz-
neymitteln gewoͤhnlich, und zwar mit Recht zuruͤckgeſetzt
wird, und in eben dieſer Hinſicht erfordert die Behandlung
der Krankheiten von Schwangern und Woͤchnerinnen, ſeyen
es auch gar keine dieſem Geſchlecht ausſchließend eigenthuͤm-
liche Krankheiten (alſo z. B. Fieber, Rheumatismen, Diar-
rhoͤen u. ſ. w.) beſondere Vorſicht, damit nicht vielleicht ein
im Allgemeinen vollkommen zweckmaͤßiges Mittel, in die-
ſem Falle durch Unterbrechung einer ſolchen wichtigen Funk-
tion nachtheilig werde.


§. 117.

In wiefern wir nun uͤber allgemeine Pathologie, Hygiaſtik
und Therapie des weiblichen Geſchlechts keine beſondern Werke
beſitzen, ſo halte ich es hier noch fuͤr den ſchicklichſten Ort,
der beachtungswertheſten Hand- und Lehrbuͤcher theils uͤber
den geſammten Kreis, theils uͤber einzelne Hauptfaͤcher der
Gynaͤkologie zu gedenken. Zuerſt nennen wir die Schriften,
welche zuſammengenommen ziemlich die ganze Gynaͤkologie
begreifen. Dahin gehoͤren:


  • a) Fried. Benj. Oſiander Abhandlungen, Beobach-
    tungen und Nachrichten von Krankheiten der Frauen-
    zimmer und Kinder. Tuͤbingen 1787.
    Dieſer Schrift folgte ſpaͤter von demſelben eine
    andere: Ueber die Entwicklungskrankheiten in den Bluͤ-
    thenjahren des weiblichen Geſchlechts. 1. Th. Goͤttingen
    1817. 2. Th. Tuͤbingen 1818.
  • b) Deſſelben Grundriß der Entbindungskunſt in 2 Theilen.
    1) Schwangerſchafts- und Geburtslehre, 2) Entbin-
    dungs- und Werkzeugslehre enthaltend.) Goͤttingen
    1802. 8.
    Neuerlich iſt an deſſen Stelle getreten das vorzuͤg-
    lich durch literariſchen Reichthum intereſſante Lehrbuch
    der Entbindungskunſt von demſelben. Tuͤbingen
    1818. 1r Thl.
  • a) J. C. G. Joͤrg Syſtematiſches Handbuch der Geburts-
    huͤlfe. Leipz. 1807. u. deſſelben
  • b) Handbuch der Krankheiten des menſchlichen Weibes
    nebſt einer Einleitung in die Phyſiologie und Pſycho-
    logie des weiblichen Organismus. Leipz. 1809. 8.
  • a) El. v. Siebold Lehrbuch der theoret. prakt. Entbin-
    dungskunde. 2 Bde. 3te Aufl. Nuͤrnb. 1812. und
    deſſen
  • b) Handbuch zur Erkenntniß und Heilung der Frauenzim-
    merkrankheiten. Frankf. a. M. 1811. 2 Bde.
    (Ebenfalls eine ausfuͤhrliche Phyſiologie und Pſy-
    chologie des weibl. Geſchlechts enthaltend.)

Ueberſichten der Frauenkrankheiten allein geben:


  • J. Aſtruc theoret. prakt. Abhandlung von den Frauen-
    zimmerkrankheiten. A. d. Franz. von Otto. Dresden
    1768. 6 Bde. (eigentlich gehoͤrt auch hierzu noch eine
    obwohl ſehr kurze Anleitung zur Geburtshuͤlfe unter
    dem Titel: L’art des accouchemens reduit à ses
    principes. Paris
    1766.
  • Chambon de Montaux medicin. prakt. Abhandlungen
    von den Krankheiten verheiratheter und unverheiratheter
    Frauenzimmer. A. d. Franz. v. Spohr. Nuͤrnb. 1787.
    8. u. deſſelben Arzt f. Schwangere. A. d. Franz. 1792.
  • Chr. Ludw. Murſinna Abhandlung von den Krank-
    heiten der Schwangern, Gebaͤrenden, Woͤchnerinnen und
    Saͤuglinge.
  • Alex. Hamilton’s Unterricht in der Behandlung der
    Frauenzimmer und neugeborener Kinderkrankheiten.
  • Joh. Ant. Schmidtmiller Handbuch d. mediciniſchen
    Geburtshuͤlfe (1. Th. die Krankheiten der Schwangern
    und Gebaͤrenden, 2. Th. die der Woͤchnerinnen und neu-
    geborenen Kinder enthaltend.)
  • L. J. C. Mende die Krankheiten des Weibes noſologiſch
    und therapeutiſch bearbeitet. Leipz. 1810. 2 Thle.

Kuͤrzer und unvollſtaͤndiger als die vorhergehenden ſind:


  • Joſ. A. Millmeyer der Arzt f. Frauenzimmer. Lpz. 1800.
  • Mellin der Frauenzimmerarzt. Kempten. 1807.

Mehr mit Hinſicht auf Hygiaſtik und zum Theil mehr
populaͤr bearbeitet ſind folgende:


  • Ad. Nolde Gallerien der aͤltern und neuern Geſundheits-
    lehrer fuͤr das ſchoͤne Geſchlecht. Roſtock 1794.
  • G. Fr. Hoffmann d. j. wie koͤnnen Frauenzimmer frohe
    Muͤtter geſunder Kinder werden, und ſelbſt dabey ge-
    ſund und ſchoͤn bleiben. 3 Bde. Frankf. 1791.

Zum Theil gehoͤren auch hierher die fruͤher (§. 76.) an-
gefuͤhrten Schriften von Rouſſel, Moreau, Klees u. ſ. w.


Uebrigens werden auch in mehrern Lehrbuͤchern der Ge-
burtshuͤlfe wenigſtens die Krankheiten der Schwangern, der
Woͤchnerinnen und Neugeborenen mit abgehandelt. Dahin
gehoͤren:


  • Theoretiſch-praktiſche Abhandlung uͤber die Geburtshuͤlfe
    und Krankheiten der Schwangern, Kindbetterinnen und
    neugeborenen Kinder. A. d. Franz. mit Anmerk. von
    J. Chr. Stark. 2 Theile. Erfurt 1800.
  • J. J. Plenk Anfangsgruͤnde der Geburtshuͤlfe. 5te Aufl.
    Wien 1792.
  • Lud. Fr. v. Froriep theoret. prakt. Handbuch d. Ge-
    burtshuͤlfe. 6te Aufl. Weimar 1818.

(Die Krankheiten d. Woͤchnerinnen u. Kinder mitumfaſſend.)


Was nun uͤbrigens die wichtigern Lehrbuͤcher der Ent-
bindungskunde ſelbſt, ſo wie die beſondern Schriften uͤber
Kinderkrankheiten u. ſ. w. betrifft, ſo werden dieſe ſpaͤterhin
im zweyten Theile der ſpeciellen Gynaͤkologie nahmhaft ge-
macht werden.


[[89]]

II.
Specielle Gynaͤkologie.


Erſter Theil.
Vom Leben des Weibes an und fuͤr ſich, im
geſunden und kranken Zuſtande.


Erſter phyſiologiſch-diaͤtetiſcher Abſchnitt.

I. Von der normalen Entwicklung, Reife und Ertoͤdtung
des Geſchlechtscharakters.

§. 118.

Indem wir bereits fruͤher theils von der Entwicklung der
Geſchlechtstheile (§. 25. u. f.), theils von den einzelnen Le-
bensperioden des weiblichen Geſchlechts im Allgemeinen (§. 66.
u. f.) gehandelt haben, bleibt uns fuͤr dieſen ſpeciellen phy-
ſiologiſchen Theil hauptſaͤchlich noch die genauere Beachtung
der dem Weibe im nicht ſchwangern Zuſtande charakteriſtiſchen
Funktion der Menſtruation (Menstruatio, Fluxus
mensium, Catamenia
), ihrer Evolution, Dauer und Re-
volution, ihren Quellen, ihrer Qualitaͤt und Quantitaͤt nach
uͤbrig; Gegenſtaͤnde, welche allerdings um ſo genauere Erwaͤ-
gung fordern, da wir gerade in Hinſicht dieſer Function auf
die mannigfaltigſten krankhaften Zuſtaͤnde ſtoßen werden, de-
ren rechte Anſicht doch allein aus der moͤglichſt vollkommnen
Kenntniß des Geſunden ſich ergeben kann.


[90]
§. 119.

Eintritt der Menſtruation. Bedingt von der
im Weibe uͤberwiegenden reproduktiven Thaͤtigkeit, welche in
wiefern ſie eben das Geſchlecht charakteriſirt, auch bey
ſich minderndem und aufhoͤrendem individuellem Wachsthum
namentlich durch die Organe fuͤr Fortbildung der Gattung,
d. i. durch die Geſchlechtsorgane ſich anzeigen und entladen
muß, erſcheint die Menſtruation, gleichſam als kritiſcher
Blutfluß, wodurch eine vorausgegangene Congeſtion nach den
Genitalien ſich entſcheidet. Ihr Eintritt wird daher von
mehreren Symptomen theils verkuͤndet, theils begleitet, welche
wir als Vorboten, als Beſtrebungen zur Men-
ſtruation
(Molimina ad Menstruationem) bezeichnen. Wir
unterſcheiden bey dieſen Zufaͤllen theils allgemeine, theils lo-
kale Zuſtaͤnde: — Zu den erſtern gehoͤren diejenigen Wahr-
nehmungen, welche auf Ueberfluß der Saͤftemaſſe hindeuten;
d. i. Schwere der Glieder, Roͤthe der Hant, Neigung zu
Congeſtionen nach verſchiedenen einzelnen Organen, aus de-
nen ſich manche ſchmerzhafte Empfindungen erklaͤren laſſen;
z. B. der dumpfe oft klopfende Kopfſchmerz, Zahnſchmerzen,
Bruſtbeſchwerden, und insbeſondere die hier faſt nie fehlen-
den Kreuzſchmerzen, welche von Anhaͤufung des Blutes in
den venoͤſen Geflechten, ſo das Ende des Ruͤckenmarks um-
geben, und in der Naͤhe der Beckennerven gefunden werden,
ganz wie bey Haͤmorrhoidalbeſchwerden, abzuleiten ſind. Fer-
ner gehoͤren hierher das freywillige Entſtehen von roſenartigen
oder auch Geſchwuͤre (vorzuͤglich Paronychia) veranlaßenden,
in den Jahren der ſich entwickelnden Pubertaͤt ſo haͤufig vor-
kommenden Entzuͤndungen; die mannigfaltigen Verſtimmun-
gen des Gemuͤths, Ohnmachten, Schlafſucht u. ſ. w.; Zu-
faͤlle, welche oft, wenn ſie in hoͤherem Grade erſcheinen, das
Eingreifen aͤrztlicher Kunſt noͤthig machen.


§. 120.

Die oͤrtlichen Vorboten und Begleiter der Menſtruation
betreffend, ſo haͤngen ſie nun insbeſondre von der Reitzung
der Gefaͤße und Nerven des Fruchthaͤlters ſelbſt, ſo wie
[91] der ihm zunaͤchſt liegenden Organe ab, und ſind namentlich
merkwuͤrdig, in wiefern wir die meiſten derſelben bey an-
gehender Schwangerſchaft wieder finden. Am Uterus naͤm-
lich bemerken wir zu dieſer Zeit ein Aufſchwellen ſeiner
Wandungen, und insbeſondre der Vaginalportion, tie-
feres Herabſinken deſſelben ins Becken, Umaͤnderung der
Querſpalte des Muttermundes in eine rundliche Oeffnung.
Die Empfindungen, welche dieſe Formaͤnderung begleiten,
ſind Druck und Spannung im Becken, erhoͤhter Begattungs-
trieb, Draͤngen auf den Urin mit oft veraͤnderter Qualitaͤt
deſſelben, Turgeszenz und erhoͤhte Waͤrme in den aͤußern
Genitalien und der Vagina, verbunden mit vermehrter
Schleimabſonderung in letzterer. Zugleich nehmen die Bruͤſte
auch an dieſer Erregung des Uterus Antheil, ſchwellen an,
erregen Stechen, ja kommen wohl, namentlich bey etwas
verzoͤgertem Eintritt des Monatsflußes, zur wirklichen Milch-
abſonderung.


§. 121.

Das Lebensalter nun, wo unter ſolchen Zeichen die
Regeln wirklich erſcheinen, zeigt in verſchiedenen Laͤndern und
Climaten, nach verſchiedener Lebensweiſe und Conſtitution,
die groͤßte Verſchiedenheit. Fuͤr unſer Clima duͤrfte als mitt-
lere Zeit wohl ziemlich das funfzehnte Jahr als Norm gelten.
Bey mehr verfeinerter luxurioͤſer Erziehung, zeitiger Anregung des
Geſchlechtstriebes, und ſitzendem Stubenleben ſtellt ſich indeß
haͤufig auch bereits im zwoͤlften oder dreizehnten Jahre die
Menſtruation ein, fuͤhrt aber hier, ſo wie da, wo ſie von ſehr
heißem Clima beguͤnſtigt iſt, oder auch durch ſehr kaltes
Clima *) (wegen fruͤher gehemmter Koͤrperentwicklung) hervor-
gerufen, bereits im achten oder zehnten Jahre erſcheint, fruͤh-
zeitigeres Altern herbey. Der noch zeitigere Eintritt der Re-
geln kann nur als krankhaft angeſehen, und als ſolcher be-
handelt werden.


[92]
§. 122.

Dauer und Wiederkehr der Menſtruation.
Nachdem die Menſtruation wirklich erſchienen, pflegt ſie ins-
gemein 4 bis 6 Tage anzuhalten, und zwar ſo, daß
das Blut ſelbſt zuerſt in etwas mehr ſeroͤſer Beſchaffenheit
erſcheint, und gegen das Ende meiſtens *) abermals ſich ver-
duͤnnend, aufhoͤrt. Der Koͤrper, welcher waͤhrend dieſer Zeit
doch insgemein etwas angegriffen iſt, und dieſes durch ver-
aͤnderte Hautfarbe, blauliche Ringe um die Augen, ver-
minderten Appetit, veraͤnderten Geruch der Hautausduͤn-
ſtung zu erkennen giebt, fuͤhlt ſich nach Statt gehabter Men-
ſtruation erleichtert, befreit, die unangenehme Spannung iſt
gehoben, und ebendeßhalb der Uterus ſelbſt zur Empfaͤngniß
jetzt mehr als vor der Menſtruation geeignet. Allein nach
Verlauf einiger Wochen erſcheint die Anhaͤufung plaſtiſcher
Stoffe wieder, nach und nach kehren mehrere der obenge-
nannten Vorboten zuruͤck, obwohl, der Regel nach, die naͤch-
ſten Male in weit geringerer Heftigkeit als das Erſtemal,
und die Menſtruation ergießt ſich von neuem, und zwar
der Regel nach je nach Ablauf von 4 Wochen, vom Ein-
tritte der vorhergehenden Periode an gerechnet.


§. 123.

Dieſe Periodicitaͤt nun, welche einer ſolchen Ausſon-
derung den Namen des Monathsflußes erworben hat, iſt ih-
ren Urſachen nach, auf verſchiedene Weiſe eroͤrtert worden.
Wollen wir eine ganz einfache und auch wohl zureichende
Anſicht hieruͤber faſſen, ſo waͤre es vielleicht folgende: —
Jeder organiſirte Koͤrper auf Erden naͤmlich, muß in gewiſ-
ſer Hinſicht gedacht werden als Glied des Erdkoͤrpers, als
ſeinem Leben nach bedingt durch das Leben der Erde. Je
hoͤher indeß die Organiſation ſteigt, um ſo mehr wird ſich
die Abhaͤngigkeit individuellen Lebens vom irdiſchen Leben
[93] mindern, ja ſelbſt in einem und demſelben Organismus
muͤſſen edlere Organe freier, vom irdiſchen Leben unabhaͤngi-
ger ſeyn als die niedern. Die Veraͤnderungen im irdiſchen
Leben ſelbſt ſind aber regelmaͤßig periodiſch, ja durch ihre
Regelmaͤßigkeit zum Grunde unſerer Zeiteintheilung geworden.
Dieſen Perioden nun folgt unter den Organismen am ſicht-
barſten das Leben der Pflanze, vorzuͤglich ihrer Fortpflan-
zung nach, im Thiere aber regt ſich gleichfalls das Repro-
duktive zumeiſt nach jenem vom Leben der Erde entlehnten
Typus, und inſonderheit gilt dieß auch hier zumal von dem
Geſchlechtlichen, welches ſchon, in wiefern es auf das Ganze,
auf die Erhaltung der Gattung gerichtet, und der individuel-
len Reproduktion entgegengeſetzt iſt, mehr dem allgemeinen
Leben der Erde verwandt erſcheint.


§. 124.

Wie daher die Pflanze zu gewiſſen Zeiten bluͤht und
Fruͤchte traͤgt, ſo geraͤth das Thier zu gewiſſen regelmaͤßig
wiederkehrenden Zeiten in Brunſt, und erzeugt Junge. —
Auch der Menſch iſt dieſen Einfluͤßen nur zum Theil entzo-
gen, und ſo kehrt namentlich beym Weibe die die Erzeugung
bedingende Congeſtion nach dem Geſchlechtsſyſtem regelmaͤßig,
obwohl ſich durch eine freiwillige Ergießung wieder hebend,
zuruͤck. — Warum indeß gerade in 4 Wochen die Ruͤckkehr
dieſer Congeſtion und dieſes Blutflußes erfolgt — bleibt noch
die Frage, und, ſo oft das Gegentheil behauptet worden iſt,
glauben wir doch hier das Einwirken der durch den Mon-
deswechſel im Leben der Erde erzeugten Veraͤnderungen (welche
ſich vorzuͤglich durch Wechſel der Witterung und Erſcheinung
von Ebbe und Fluth des Meeres ausſprechen) anerkennen zu
muͤſſen, um ſo mehr, da der Einfluß des Mondes auf aͤhn-
liche auch im maͤnnlichen Geſchlechte vorkommende Ausſchei-
dungen, z. B. des Haͤmorrhoidalflußes, unlaͤugbar iſt. Ein-
wuͤrfe dagegen, z. B. daß der Monathsfluß nicht durchaus
zu einer Zeit bey dem weiblichen Geſchlecht eintrete (ob-
wohl er allerdings bey den meiſten im Neumond erfolgt),
und daß er bey manchen Individuen ſtatt vierwoͤchentlich,
ſtets drei- oder ſechswoͤchentlich wiederkehre, ſind leicht zu be-
[94] ſeitigen, indem man bedenkt, daß, was das erſtere betrifft,
die Menſtruation ja nicht ihrem erſten Eintritt nach (welcher
von eigener Koͤrperentwicklung abhaͤngt), ſondern mehr ihrer
Wiederkehr nach durch den Mondeswechſel beſtimmt wird *).
Das zweite aber betrifft offenbar Ausnahmen von der Regel,
und dieſe werden durch die weniger naturtreue, ja ſo oft
naturwidrige Lebensweiſe vieler Individuen hinlaͤnglich er-
klaͤrt. — Daß uͤbrigens der Mondesſtand auf weibliche Ge-
ſchlechtsfunktion wirkt, ſcheinen die zum groͤßern Theil auch
von mir als bewaͤhrt erkannten Bemerkungen Oſiander’s**)
zu beſtaͤtigen, nach welcher im Neumonde erzeugte Kinder
mehr maͤnnlichen, die im Vollmonde erzeugten mehr weibli-
chen Geſchlechts werden. — Wie aber ſelbſt im Menſchenge-
ſchlecht nicht nur Mondes- ſondern auch Sonnenſtand auf
die Fortpflanzungsthaͤtigkeit einwirke, beweiſen die den Fruͤh-
lingsmonathen, der Empfaͤngnißzeit nach, entſprechenden, an
Geburten ſo reichen Monathe December, Januar und Februar. —
Sollte etwa vom Monde mehr die weibliche, von dem von
Neuem ſtaͤrker einwirkenden Sonnenlicht mehr die maͤnnliche
Zeugungskraft in Anſpruch genommen werden? —


§. 125.

Noch iſt endlich die Qualitaͤt und Quantitaͤt des
ausfließenden Blutes
ſowohl, als die Art und Stelle
der Gefaͤße
, welche es ergießen, etwas genauer zu er-
waͤgen. Fruͤher hielt man naͤmlich dieſes ausfließende Blut
fuͤr unrein, fuͤr entmiſcht, und von der Art, daß ſelbſt die
Naͤhe der in der Menſtruation begriffenen Perſonen einen
nachtheiligen Einfluß auf Vegetations- und Gaͤhrungsprozeſſe
aͤußern koͤnne, allein beſtimmte Beobachtungen hieruͤber ſind
ſo wenig anzufuͤhren, daß wir dieſe Meynung als ein Vor-
[95] urtheil betrachten, deſſen Entſtehung nur aus der Voraus-
ſetzung erklaͤrlich wird, zu Folge welcher, daß der Koͤrper
durch dieſen Blutfluß (daher Reinigung*) genannt) ſich
von ſchaͤdlichen Stoffen befreie, angenommen wurde. Im
Gegentheil finden wir aber an dieſem Monathsblute, welches
durch ſeine dunkle Farbe dem Venenblute, und durch ſein
Nichtgerinnen **) dem Foͤtusblute gleicht, weder beſondern Ge-
ruch noch ſonſtige ungewoͤhnliche Beſchaffenheit, und wenn
es zuweilen doch etwas dieſer Art zeigt, ſo iſt dieß mehr
auf Rechnung des Aufenthalts deſſelben in der Vagina, der
veraͤnderten Druͤſenabſonderung an den aͤußern Geſchlechts-
theilen und Unreiulichkeit zu ſetzen. — Die Quantitaͤt des
in jedem Termin abgehenden Blutes iſt ſchwer genau zu be-
ſtimmen und auch aͤußerſt verſchieden, jedoch kann man ſie
im Durchſchnitt wohl auf zwei bis ſechs Unzen rechnen.


§. 126.

Was die eigentliche Quelle des Monathsblutes anbelangt,
ſo iſt, theils ob daſſelbe aus den Arterien oder Venen hervor-
komme, theils ob es aus der Hoͤhle des Fruchthaͤlters oder dem
Kanale des Mutterhalſes ausgeſchieden werde, zweifelhaft. Was
das erſtere betrifft, ſo kann die Struktur des Uterus ſchon auf
den Gedanken leiten, daß wohl nur die Venen es ſeyn moͤchten,
welche dieſes Blut ergießen. Das ausnehmende Uebergewicht
dieſer Venen uͤber die Arterien, die beſondere Erweiterung
derſelben zur Zeit der Schwangerſchaft ***), das was ſich
[96] uͤber die Quellen des Blutergußes nach Abtrennung der Pla-
centa im Wochenbett ſpaͤter ergeben wird, wo naͤmlich deut-
lichſt die geoͤffneten Venenzellen, welche das Blut ergießen,
nachzuweiſen ſind, geben dieſer Meynung noch groͤßern Halt.
Nehmen wir aber ferner hinzu, wie groß die Aehnlichkeit
des Menſtrualflußes mit dem doch offenbar von den Venen
abzuleitenden Haͤmorrhoidalfluße iſt, die Aehnlichkeit des Men-
ſtrualblutes mit dem Venenblute (ſ. §. 125.), ſo gewinnt
dieſe Anſicht immer mehr Gewißheit, und es kann wenig
dawider beweiſen, wenn die normale Art der Blutbewegung
in Venen entgegengeſetzt wird, da auch bey dieſer, wenn die
Venen ſich betraͤchtlich erweitern, eine Ausſchwitzung *) durch
Seitenoͤffnungen Statt finden koͤnnte, deren Daſeyn uͤberhaupt
um ſo weniger gelaͤugnet werden darf, je ſicherer neuere
(namentlich die von Prof. Meyer angeſtellten) Verſuche die
Einſaugung durch die Venen erweiſen. Ob uͤbrigens der
obere Raum des Fruchthaͤlters oder der Kanal des Mutter-
halſes die Menſtruation ergieße, iſt wohl nicht ſo leicht mit
Gewißheit zu entſcheiden, denn obgleich der Struktur nach
man annehmen darf, daß wohl die Waͤnde der Hoͤhle hierzu
am meiſten geeignet ſeyn moͤchten, ſo bemerkte doch H. Oſian-
der
**) deutlich das Ausſchwitzen von Blut aus Gefaͤßen
des Mutterhalſes (wodurch zugleich die zuweilen vor-
kommende Menſtruation zur Zeit der Schwangerſchaft erklaͤr-
lich wird). Am wahrſcheinlichſten ergießen es im geſunden
Zuſtande beyde Gegenden zugleich.


§. 127.

Wie nun die Menſtruation als eigenthuͤmliches Produkt
allgemeiner Koͤrperentwicklung in dem angegebenen Zeitraume
(§. 121.) erſcheint, ſo auch verliert ſie ſich bey erloͤſchender
weiblicher Eigenthuͤmlichkeit in den allgemeinen Verhaͤltniſſen
[97] der organiſchen Funktionen, und erſcheint ſonach uͤberhaupt
(was fuͤr die Behandlung der abnormen Menſtruation von
groͤßter Wichtigkeit iſt) als aͤußeres Zeichen des ge-
meinſamen Zuſtandes in der Bildungsthaͤtigkeit
des Organismus
. — das Lebensalter betreffend, wo
dieſes Verſchwinden der Menſtruation und mit ihm das Er-
loͤſchen der Zeugungsfaͤhigkeit Statt hat, ſo iſt daſſelbe, dem
verſchiedenen Eintritte derſelben gemaͤß, auch in unſerm
Clima mannigfachen Abaͤnderungen unterworfen, woruͤber na-
mentlich von Haller in den Elementen der Phyſiologie
viele Beyſpiele geſammelt worden ſind. Als gemeinguͤltigſte
Norm darf man bey uns das 45ſte Jahr betrachten, obwohl
auch Abweichungen vom 43ſten bis 48ſten Jahr haͤufig vor-
kommen, ja Beyſpiele, wo Weiber noch in den funfziger
Jahren concipirt haben, nicht allzuſelten ſind *). Uebrigens
verſchwindet gewoͤhnlich die Menſtruation nicht ploͤtzlich, ſon-
dern wird allmaͤhlig ſchwaͤcher, und es empfinder der Koͤrper
bey dieſer Revolution in der Regel eine Reihe ungewoͤhnlicher
Zuſtaͤnde, welche den allgemeinen Vorboten der Menſtruation
(§. 119.) oft nicht unaͤhnlich ſind, und ſich leicht erklaͤren,
wenn man bedenkt, daß bey beginnender Decrepiditaͤt an-
faͤnglich doch immer die thaͤtigere Reproduktion fort wirke,
obwohl nicht mehr mit hinreichender Kraft, um das Erſchei-
nen ihres aͤußern Zeichens (d. i. der Blutergießung) zu be-
wirken, daß daher eine gewiſſe Ueberfuͤllung der Gefaͤße nicht
mangeln koͤnne, und ebendadurch Congeſtionen nach Kopf und
Bruſt, Stockungen im Pfortaderſyſtem, Haͤmorrhoidalcongeſtio-
nen oder Ergießungen, gichtiſche Beſchwerden u. ſ. w. haͤufig ent-
ſtehen muͤſſen. Ja als einer beſonders merkwuͤrdigen Erſcheinung
iſt hier noch der zuweilen ſogar im hohen Alter wieder erwachen-
den Congeſtion nach den Genitalien, und der wiederkehrenden
Menſtruation zu gedenken, Faͤlle, welche dem Zahnen im
hohen Alter vergleichbar ſind, die Aehnlichkeit, welche in ſo
mancher Hinſicht zwiſchen Decrepiditaͤt und Kindheit Statt
findet (§. 75.) erhoͤhen, allein gewoͤhnlich fuͤr den Organis-
I. Theil. 7
[98] mus eben ſo ſehr zum Nachtheil gereichen, als das zu fruͤhe
Eintreten der Menſtruation in der Kindheit.


II. Von den Regeln der Diaͤtetik waͤhrend der drei
weiblichen lebensperioden insbeſondre.

§. 128.

Je vielfacher die Ruͤckſichten ſind, welche bey Beſtim-
mung diaͤtetiſcher Pflege fuͤr Schwangere, Gebaͤrende, Woͤch-
nerinnen und Stillende genommen werden muͤſſen, um ſo
weniger bleibt uns hier, wo wir das Weib außer dieſen Zu-
ſtaͤnden betrachten, den oben (§. 111.) aufgeſtellten allge-
meinen diaͤtetiſchen Regeln hinzuzuſetzen uͤbrig, und es koͤn-
nen ſich dieſe Zuſaͤtze allein auf die Leitung weiblicher Ent-
wicklung, der Menſtrualfunktion und des Geſchlechtsverhaͤlt-
niſſes beziehen.


§. 129.

Die individuelle Entwicklung betreffend, ſo bedenke man
vorzuͤglich, wie der weibliche Koͤrper, als zaͤrtere und doch
uͤppigere Pflanze, raſcher der Zeit ſeiner Bluͤthe entgegengeht,
und wie ſchon aus dieſer Ruͤckſicht jede Lebensweiſe, welche,
indem ſie den Koͤrper vielartigen Reitzungen ausſetzt, das
Reifen folglich noch mehr beſchleunigt, verderbliche Folgen
herbeyfuͤhren muͤſſe. Iſt daher irgend etwas ein großes Pal-
ladium ſchoͤner und naturgemaͤßer weiblicher Entfaltung, ſo
iſt es Sittenreinheit. — Hierauf zunaͤchſt ſey daher die
Sorgfalt der Erzieher gerichtet! Vermieden werde (und zwar,
bey der Neugier junger Maͤdchen nach den Geheimniſſen des
Geſchlechts, doppelt vorſichtig), was pſychiſch einwirkend die
Phantaſie befleckt, was phyſiſch Congeſtionen nach den Ge-
faͤßen der Geſchlechtsorgane veranlaßt, als wohin erhitzende
Getraͤnke, ſtark gewuͤrzte Speiſen, Schlafen in dicken Feder-
betten und warmen Stuben, ſo wie ſitzende Lebensweiſe ge-
hoͤren. — Der Geſchlechtsgenuß ſelbſt vor erſchienener Men-
ſtruation iſt verderblich. — Ueberhaupt aber wird durch ſorg-
ſame Leitung in dieſer ganzen erſten Lebensperiode das Er-
ſchließen reiner und edler Jungfraͤnlichkeit, und aus ihr die Folge
[99] wahrer und geſunder Weiblichkeit, bey urſpruͤnglich kraͤftiger
Natur, eben ſo gewiß ſich ergeben, als die Vernachlaͤßigung
dieſer Periode den Grund zu den vielfachſten Krankheiten
phyſiſcher und pſychiſcher Lebensaͤußerungen, ja oft ein durch-
aus widernatuͤrlich gewordenes zerſtoͤrtes Leben herbeyfuͤhrt *).


§. 130.

Die Zeit des Eintritts der Menſtruation ſelbſt, fordert
noch beſtimmter: Auswahl leichter nicht reitzender Nahrungs-
mittel und Getraͤnke, Vermeidung erhitzender Bewegungen,
z. B. des Tanzens, Verhuͤtung von Erkaͤltungen, namentlich
der untern Extremitaͤten, des Unterleibes und der Bruͤſie,
von beengenden Kleidungen, Schnuͤrbruͤſten u. ſ. w. — So
wie endlich bey ſtarkgenaͤhrten Koͤrpern, wo Congeſtionen,
Schwindel und andere Vorboten der Menſtruation fuͤhlbarer
werden, die Wahl einer beſchraͤnkten, mehr vegetabiliſchen
Diaͤt, verduͤnnender ſaͤuerlicher Getraͤnke, und vorzuͤglich der
Gebrauch allgemeiner lauer Baͤder empfohlen zu werden ver-
dienen. — Die erſterwaͤhnten Vorſichten muͤſſen dann ins-
beſondre zur Zeit des Menſtrualflußes ſelbſt fortgeſetzt,
und alle Einfluͤße vermieden werden, welche dem Koͤrper in
einer neuen und ungewohnten Funktion irgend ſtoͤrend werden
koͤnnen. — Fragt man uͤbrigens, welcher Zeitraum nach
ſomit erreichter Pubertaͤt der Geſchlechtsverbindung und dem
neu ſich eroͤffnenden Cyclus von Schwangerſchaft, Geburt
und Wochenbett am angemeſſenſten ſey, ſo darf man wohl
annehmen, daß der Wille der Natur ſie nicht eher fordre,
bis der Koͤrper auf das Vollkommenſte der Menſtrualfunction,
als wodurch das Geſchlechtsſyſtem auf nachfolgende hoͤhere Thaͤ-
tigkeit vorbereitet wird, gewohnt worden iſt; und die Erfahrung
beſtaͤtigt es vollkommen, daß jene die geſuͤndeſten Frauen
werden, welche zwei bis drei Jahre nach Eintritt der Pu-
bertaͤt ſich verheirathen, und daß hingegen eine zu ſchnell
nach jener Periode vollzogene Verbindung oft der Geſundheit
[100] eben ſo nachtheilig werde, als eine zu lang verſchobene oder
widernatuͤrlich gaͤnzlich verſchmaͤhte oder verſagte.


§. 131.

Viel endlich liegt fuͤr die Geſundheit der Frau in der
Wahl des Gatten ſelbſt. Die Natur fordert eine gewiſſe
Gleichartigkeit (d. i. eine gleiche Entwicklung der Geſchlechts-
individualitaͤt) unter zwei ſich verbindenden Gatten, und be-
deutende Ungleichheit unter beyden kann ſelbſt durch Miß-
verhaͤltniß der geſchlechtlichen Organiſation den Zweck der
Verbindung ganz unerreicht laſſen *), weßhalb denn auch
eine Berathung aͤrztlicher Perſonen bey Schließung ehelicher
Verbindung wenigſtens als wuͤnſchenswerth anempfohlen wer-
den muß. — In dieſer Vereinigung ſelbſt wird fruͤher erhal-
tene Sittenreinheit am ſicherſten die Myſterien des Geſchlechts
gegen Entweihung ſchuͤtzen; denn obſchon der haͤufigere Ge-
ſchlechtsgenuß dem weiblichen Koͤrper im Allgemeinen wohl
minder als dem maͤnnlichen nachtheilig iſt, ſo entwuͤrdigt er
doch im Uebermaaß den Zweck der Verbindung eben ſo ſehr,
als er phyſiſch ſelbſt dem Vermoͤgen zu empfangen nachthei-
lig und der Entſtehung organiſcher Krankheiten der Geburts-
theile guͤnſtig iſt. — Zur Zeit der Menſtruation **) ſowohl
als in der Zeit des Wochenbettes iſt der Geſchlechtsgenuß
widernatuͤrlich und folglich ſchaͤdlich, zur Zeit der Schwan-
gerſchaft und Stillung wenigſtens nicht naturgemaͤß.


§. 132.

Was die Zeit des aufhoͤrenden Monathsflußes, die ſo-
genannten klimakteriſchen Jahre betrifft, ſo muͤſſen hier aͤhn-
liche Vorſichtsmaaßregeln als bey der Evolution der Men-
ſtruation (§. 130.) beobachtet, heftig reitzende Speiſen und
Getraͤnke vermieden, namentlich aber haͤufige Aufregungen
der Nerven der Geſchlechtsorgane verhuͤtet werden, damit
[101] dieſe ſo bedeutende Revolution weder unmittelbar Krankheiten
anlaſſe (wohin namentlich Blutfluͤße, Schleimfluͤße, Indu-
rationen u. ſ. w. gehoͤren), noch fuͤr die ſpaͤtern Lebensjahre
eine ſchwankende Geſundheit nach ſich ziehe.


Zweiter pathologiſch therapeutiſcher Abſchnitt.

Erſte Abtheilung.
Von den Krankheiten in der erſten Lebens-
periode des weiblichen Koͤrpers
.

§. 133.

Es iſt ſchon in der allgemeinen Pathologie des weib-
lichen Koͤrpers bemerkt worden, warum gerade in dieſer er-
ſten Lebensperiode nur wenige dieſem Geſchlecht eigenthuͤm-
liche Krankheitszuſtaͤnde vorkommen koͤnnen (ſ. §. 81.), und
indem wir nun zu einer naͤhern Betrachtung derſelben uns
wenden, finden wir hier allein theils mehrere praktiſch wich-
tige urſpruͤngliche Mißbildungen der weiblichen Genitalien *)
aufzufuͤhren, theils die vorſchuelle Entwicklung des Geſchlechts-
charakters zu beruͤckſichtigen.


I.Von den angeborenen Fehlern weiblicher
Genitalien
.

1. Von krankhaften Bildungen der aͤußern Geſchlechtstheile.

§. 134.

Die Bruͤſte, Organe, welche uͤbrigens bey lebens-
faͤhigen weiblichen Individuen nie ganz fehlten, bieten ihrer
[102] Zahl, Form, und namentlich der Bildung ihrer Warzen nach,
eine Menge theils weniger, theils mehr einflußreicher Abnor-
mitaͤten dar. Man fand *) drei, vier, ja fuͤnf Bruͤſte an
einem Koͤrper, zwei Warzen an einer Bruſt, die uͤberzaͤhli-
gen Bruͤſte ſaßen zuweilen am Ruͤcken, oder unter den Ar-
men, die Form der Bruſt fand man zuweilen zitzenartig,
die Bruſtwarzen mangelten mitunter gaͤnzlich oder ſie ent-
wickelten ſich wohl auch nach der Geburt nicht vollkommen. —
Unterſucht man naͤmlich die Bildung der Bruſtwarzen beym
neugeborenen Kinde, ſo findet man ſie platt und quergeſpal-
ten, gleichſam einwaͤrtsgeſtuͤlpt (auf welche Form ſowohl als
auf den ſich darin vorfindenden Milchſaft man die Meynung,
daß ſie wohl Einſaugungsorgane des Foͤtus ſeyn koͤnnten,
gegruͤndet hat). Nach und nach ſollen nun die Warzen waͤh-
rend der erſten Lebensperiode ſich hervorheben und ausbil-
den, allein theils durch feſt anliegende Kleider gehindert,
theils in Folge unzulaͤnglicher Bildungskraft verharren ſie zu-
weilen in dieſem fruͤhern Zuſtand und werden dadurch dem
Stillungsgeſchaͤft ſpaͤter aͤußerſt hinderlich. Von allen hier
erwaͤhnten Abnormitaͤten waͤre denn nur die letztere einer aͤrzt-
lichen Abhuͤlfe faͤhig, und es wird daher theils prophylaktiſch
uͤberhaupt auf die Vermeidung eines nachtheiligen Druckes
der Bruͤſte in den Kinderjahren zu ſehen ſeyn, theils, wo
eine ſolche unvollkommene Entwicklung in den der Pubertaͤt
bereits ſich naͤhernden Jahren bemerkt wuͤrde, dieſelbe durch
Tragen eines angemeſſenen Warzendeckels (von denen wir
ſpaͤterhin die zweckmaͤßigſten Formen betrachten werden) un-
terſtuͤtzt werden muͤſſen.


§. 135.

Die Schamlefzen betreffend, ſo bieten dieſe ziem-
lich haͤufige, jedoch groͤßtentheils voͤllig unſchaͤdliche Abnormi-
taͤten oder vielmehr Varietaͤten dar. So fehlen z. B. die
Nymphen zuweilen bey neugeborenen Maͤdchen, zumal in
aſiatiſchen Laͤndern, wo das Beſchneiden dieſer hier gewoͤhnlich
[103] ſehr großen Theile Sitte iſt *), gleichſo wie auch an maͤnn-
lichen Kindern bey beſchnittenen Voͤlkern, der Mangel der
Vorhaut zuweilen angeboren erſcheint. Hinwiederum findet
ſich zuweilen der Umfang der Schamlippen beſonders groß,
namentlich ſind die kleinern haͤufig verlaͤngert und umgaben
in einem von Haller erwaͤhnten Falle ſogar den After. —
Nur Faͤlle der letztern Art waͤren es auch hier, welche durch
aͤrztliche Kunſt beſeitigt werden koͤnnten, indem mittelſt einer
leichten chirurgiſchen Operation die uͤberfluͤßigen, mancherley
Unbequemlichkeiten veranlaſſenden Theile entfernt wuͤrden.


§. 136.

Die Klitoris ferner zeigt mehrere aͤhnliche Abnormi-
taͤten, iſt bald zu groß **), bald zu klein, ſelten (welches
als eine Annaͤherung an verſchiedene Thierbildungen, z. B.
der Beutelthiere betrachtet werden darf) in zwei Spitzen
auslaufend. Abhuͤlfe wird wieder nur bey zu betraͤchtlicher
Entwicklung durch Abbindung oder Beſchneidung Statt fin-
den, und auch dieſer Theil wird daher in mehreren ſuͤdlichen
Laͤndern, wo er insgemein groͤßer als in noͤrdlichen wird,
einer gewoͤhnlich im zehnten Jahre unternommenen Beſchnei-
dung unterworfen.


§. 137.

Das Hymen. So wie es in einigen Faͤllen gaͤnzlich
mangelte oder eine ungewoͤhnliche, bald voͤllig ringfoͤrmige
Geſtalt, verdickte Subſtanz, oder mehr nach vorwaͤrts gerich-
tete Lage zeigte, ſo verſchloß es auch zuweilen die Schei-
denmuͤndung vollkommen (Atresia hymenaica) und hinderte
dadurch ſpaͤterhin den Ausfluß des monathlichen Blutes ſo-
wohl als die Conception. Im letztern Falle wird die Ein-
[104] ſchneidung der vorgeſpannten Membran, und das Einlegen
eines in Eſſig getauchten Baͤuſchchens, um neue Verwachſung
zu verhuͤten, unerlaͤßlich, ja ſelbſt bey betraͤchtlicher Ver-
dickung ſah man ſich zuweilen, obwohl erſt im vorgeruͤckten
Alter, um Conception, ja um die Geburt moͤglich zu ma-
chen, zu einer aͤhnlichen Operation genoͤthigt *). —


2. Von krankhaften Bildungen der innern Geſchlechtstheile.

§. 138.

Die Mutterſcheide, als Fortſatz des Fruchthaͤlters,
nimmt gewoͤhnlich an den Abnormitaͤten des letztern ſehr be-
ſtimmt Antheil. Bey unvollkommener Entwicklung des Ge-
ſchlechtsſyſtems uͤberhaupt findet ſich daher auch die Mutter-
ſcheide ausnehmend klein und eng, ohne ſich in den ſpaͤtern
Jahren dieſer Lebensperiode normal zu entfalten, welches
zum Grund bleibender Unfruchtbarkeit wird; oder ſie iſt fer-
ner der Laͤnge nach, zuweilen auch nur am Eingange (und
zwar beydes mitunter bey doppeltem Uterus) durch eine
Scheidewand in zwei Gaͤnge getheilt, Verwachſungen, welche
uͤbrigens dieſelbe Kur wie die Atreſie zulaſſen. Auch findet
ſich in ſeltnen Faͤllen ein freylich unheilbares Zuſammenmuͤn-
den des Scheidenkanals und Maſtdarms (bey der ſogenann-
ten Kloakenbildung **).


§. 139.

Die Gebaͤrmutter ſah man in mehreren Faͤllen, ſelbſt
bey vorhandenen aͤußern Genitalien gaͤnzlich mangeln, oder
in den fruͤhern Lebensjahren ſich ſo wenig entwickeln, daß in
den Jahren herannahender Pubertaͤt ſie noch in derſelben
Groͤße wie beym neugeborenen Kinde gefunden wurde; Miß-
[105] bildungen, welche nothwendig Unfruchtbarkeit zur Folge ha-
hen, und unheilbar ſeyn muͤſſen. Ferner findet man nicht
ſelten den der Groͤße nach normal entwickelten Uterus, der
Geſtalt nach ganz auf dieſelbe Weiſe gebildet, wie er ſonſt
nur in fruͤhern Perioden des Foͤtuslebens oder in niedern
Thieren getroffen wird (§. 27. u. 28.). Man findet daher
ſowohl die Hoͤhle von oben herab durch eine Scheidewand
getheilt (Uterus divisus) *) als den Uterus nach beyden
Fallopiſchen Roͤhren hin gehoͤrnt (Uterus bicornis) **) oder
denſelben, zuweilen zugleich mit dem Scheidenkanale voll-
kommen doppelt (Uterus duplex) ***), Mißbildungen, welche
uͤbrigens Empfaͤngniß, Schwangerſchaft und Geburt zwar kei-
neswegs unmoͤglich machen, wie mehrere Faͤlle beweiſen,
allein doch den regelmaͤßigen Verlauf dieſer Perioden mehr
oder weniger ſtoͤren, ja ſogar in der Mehrzahl aͤhnlicher
Faͤlle †) den Tod der Schwangern, Gebaͤrenden oder Woͤch-
nerinnen herbeyfuͤhrten. — Außerdem bemerkte man zuweilen,
als nicht minder unheilbare Mißbildung, Einmuͤnden der Ge-
baͤrmutter in den Maſtdarm. Endlich kommen wohl auch
fleiſchige Verwachſung ††) oder haͤutige Verſchließungen des
Muttermundes vor, welche gleichwie die Atresia hymenaica
das Ausfließen der Menſtruation und die Conception hindern,
und dann bey bloß haͤutiger Verſchließung durch Einfuͤhren
und Durchſtoßen einer geknoͤpften Sonde gehoben werden
koͤnnen.


[106]
§. 140.

Die Muttertrompeten mangeln nur bey gaͤnzlich
fehlendem Uterus durchaus, haͤufiger fehlen ihnen die Franzen
am Abdominalende. Zuweilen ſah man auch nur eine der-
ſelben fehlen, oder beide am Abdominalende ſich vereinigen.
Auch entſpringen ſie zuweilen auf ungewoͤhnliche Weiſe, z. B.
eine aus dem Cervix uteri. — Auch dieſe natuͤrlich nur
bey der Section zu entdeckenden Abnormitaͤten koͤnnen Un-
fruchtbarkeit veranlaſſen.


§. 141.

Die Eyerſtoͤcke endlich fehlen ebenfalls entweder gaͤnz-
lich, ſelbſt bey vorhandenem Uterus, oder es betrifft dieſer
Mangel nur die eine Seite. Mitunter entwickeln ſie ſich
denn auch ſehr unvollkommen, bleiben klein, und veranlaſſen
dann, eben ſo wie durch ihren gaͤnzlichen Mangel, Unfrucht-
barkeit.


II.Von der krankhaft zu zeitig entwickelten
Pubertaͤt
.

§. 142.

So wie mehrere der bisher betrachteten Bildungsfehler
des Uterus als unvollkommene Entwicklungen des Geſchlechts-
ſyſtems anzuſehen waren, ſo finden wir dagegen in andern Faͤllen
auch eine zu dem uͤbrigen Syſtem in Mißverhaͤltniß ſtehende
beſchleunigte und oft dem geſammten Organismus verderblich
werdende Ausbildung deſſelben. Eigentlich charakteriſtiſch iſt
dieſem Zuſtande die fruͤher als gewoͤhnlich eintretende Men-
ſtruation, welche ſich indeß haͤufig mit gleichzeitig bemerkba-
rer Entwicklung der Geſchlechtsorgane, mit Anſchwellung der
Bruͤſte, Vergroͤßerung der Schamlefzen und Mutterſcheide,
ſo wie mit Entwicklung von Haar auf dem Schamberge ver-
knuͤpft, ja wobey der Uterus ſelbſt weit fruͤher als gewoͤhn-
lich conceptionsfaͤhig wird *). In wiefern nun aber die Ent-
[107] wicklung des Geſchlechtsſyſtems und Erſcheinung der Men-
ſtruation, wie fruͤher gezeigt wurde, nur Produkt und Bluͤthe
allgemeiner Organiſation ſeyn ſoll, ſo liegt am Tage, wie
eine ſolche theilweiſe Entwicklung nothwendig entweder hem-
mend in die allgemeine Entwicklung eingreifen, oder ſelbſt
zerſtoͤrend auf den Koͤrper wirken koͤnne.


§. 143.

Das Lebensalter betreffend, in welchem die Erſcheinung
einer krankhaft beſchleunigten Menſtruation, und der ihr ent-
ſprechenden Ausbildung der Geſchlechtstheile beobachtet wurde,
iſt ſehr verſchieden. Mitunter, obwohl ſelten, trat ſchon im
erſten oder zweiten Lebensjahre *) ein regelmaͤßig wiederkeh-
render Blutfluß aus den Geburtstheilen ein, und wenig ſpaͤ-
ter erſchien dann die Entwicklung der Bruͤſte und Scham-
haare. Haͤufig ſind die Faͤlle in den naͤchſtfolgenden Jahren.
So ſah v. Siebold**) dieſelbe im ſechſten, Andere ſahen
ſie im ſiebenten, achten oder neunten Jahre erſcheinen.


§. 144.

Die Urſachen einer ſolchen zu fruͤhen Geſchlechtsent-
wicklung koͤnnen entweder in urſpruͤnglicher Bildungsrichtung,
oder in krankhaften Zuſtaͤnden anderer Syſteme und Organe,
oder in der Lebensweiſe begruͤndet ſeyn. Was das erſtere
betrifft, ſo erſcheint hier der Organismus uͤberhaupt auf ei-
ner niedrigern Stufe, ohngefaͤhr vergleichbar den vielen Thier-
gattungen, bey denen auch die Fortpflanzungsthaͤtigkeit weit
zeitiger als im Menſchen ſich entwickelt, dieſer Zuſtand iſt
dann mehr in der Anlage des Ganzen begruͤndet, er wird
eben deßhalb weniger leicht dem Ganzen verderblich, und
man kennt Beyſpiele, wo unter dieſen Umſtaͤnden Perſonen,
*)
[108] wenn auch nicht voͤllig die gewoͤhnliche Koͤrpergroͤße, doch
ein betraͤchtliches Alter erreichten (eben ſo wie manche Thiere
auch nach der entwickelten Geſchlechtsfunktion immer fortwach-
ſen, z. B. die Fiſche). Die Erkenntniß dieſer Urſache
ergiebt ſich theils aus der Abweſenheit der andern, z. B. der
fehlerhaften Lebensweiſe, theils aus den weit geringern oder
ganz fehlenden ſonſtigen Krankheitsſymptomen. — Die zweite
Urſache anbelangend, welche wir in andern die zu zeitige
Pubertaͤtsentwicklung als ſecundaͤren Zuſtand herbeyfuͤhrenden
Krankheiten vorfanden, ſo gehoͤren unter dieſelbe ganz vor-
zuͤglich die Scrofelkrankheit und die in Folge von Entzuͤn-
dung u. ſ. w. entſtandenen Verbildungen der Unterleibsorgane,
als bey welchen in Folge von Stoͤrung der Blutbewegung im
Pfortaderſyſtem Congeſtionen nach den Haͤmorrhoidal- oder
Uteringefaͤßen ſo haͤufig bemerkt werden. — Die Erkennt-
niß dieſer
Urſache geht hervor aus den Zeichen jener Krank-
heiten. Kinder mit aufgetriebenem Leibe, aͤußerlich ange-
ſchwollenen Druͤſen, bleicher Farbe, gedunſenem Geſicht, mit
Neigung zu Verſtopfung, unnatuͤrlichem Appetit, mit Wuͤr-
mern behaftet (deren Reitz auf den Darmkanal oft conſenſuell
zu Erregung des Geſchlechtsſyſtems viel beytragen kann) ſind
es vorzuͤglich, bey denen die unzeitige Pubertaͤtsentwicklung
als ſecundaͤre Krankheit vorkommt. Als dritte Urſache endlich
fuͤhrten wir die Lebensweiſe auf, und es ſind vorzuͤglich phy-
ſiſch ein zu haͤufiger Genuß erhitzender, ſtark gewuͤrzter oder
geiſtiger Speiſen und Getraͤnke bey ſitzendem Stubenleben,
Schlafen in zu warmen Betten, ſo wie Reitzungen der Ge-
ſchlechtsorgane durch Onanie, pſychiſch ein ſchluͤpfriger Umgang
und zeitige Romaneulektuͤre. Beguͤnſtigt wird uͤbrigens die
Einwirkung dieſer Urſachen durch eine reitzbare ſchwaͤchliche
Conſtitution, und erkannt wird dieſelbe theils durch die Ab-
weſenheit der unter den vorher eroͤrterten Urſachen aufgefuͤhr-
ten Zeichen, theils durch Unterſuchung der aͤußern Lebensver-
haͤltniſſe ſelbſt, bey Beruͤckſichtigung der disponirenden Con-
ſtitution. Zu bemerken iſt indeß, daß ſehr wohl mehrere der
bisher erwaͤhnten Urſachen zugleich einwirken koͤnnen und wirk-
lich einwirken, z. B. ſcrofuloͤſe Conſtitution und zeitige ge-
ſchlechtliche Ausſchweifungen.


[109]
§. 145.

Verlauf und Prognoſe iſt bey dieſen Krankheits-
zuſtaͤnden eben nach den verſchiedenen urfaͤchlichen Verhaͤlt-
niſſen verſchieden. Bey einer in Folge urſpruͤnglicher Bil-
dungsrichtung fruͤher erſcheinenden Menſtruation, kann unter
guͤnſtigen Umſtaͤnden, wie ſchon erwaͤhnt, die Geſundheit wohl
eben ſo ungeſtoͤrt bleiben, als bey Nationen, denen dieſe fruͤhe
Pubertaͤtsentwicklung natuͤrlich iſt; oͤfterer indeß wird wenig-
ſtens Hemmung des voͤlligen Wachsthums, und ſchwaͤchliche
Geſundheit die Folge deſſelben ſeyn, wobey denn die Prog-
noſe um ſo guͤnſtiger geſtellt werden darf, je weniger zeitig
die Menſtruation erſcheint, je ſchwaͤcher dieſelbe ſich zeigt, je
kraͤftiger die urſpruͤngliche Koͤrperconſtitution iſt, und je mehr
die aͤußern Lebensverhaͤltniſſe allgemeine koͤrperliche Geſundheit
beguͤnſtigen. Weit nachtheiliger hingegen muß ein Blutfluß
dieſer Art werden, durch die zweite der erwaͤhnten Urſachen
erregt, theils weil ſchon jene Unterleibskrankheiten Gefahr
drohen, theils weil ein oft wiederholter Blutfluß, fuͤr deſſen
Erſcheinung die allgemeine Koͤrperbildung nicht ſattſame Noͤ-
thigung enthaͤlt, die individuelle Reproduktion vollends unter-
graben muß. Wirklich ſah man denn auch in Faͤllen dieſer
Art die Kinder mit jeder wiederkehrenden Periode mehr ab-
zehren und ermatten, ja endlich ſterben; und es wird die
Prognoſe hierbey theils zwar wieder nach den oben erwaͤhnten
Momenten, theils aber insbeſondre nach dem Grade der Hef-
tigkeit oder Heilbarkeit der primaͤren Krankheit ſich richten.
Am allerzerſtoͤrendſten jedoch wirkt namentlich die dritte Ur-
ſache, indem hier recht eigentlich die Geſchlechtsfunktion, als
die individueller Reproduktion entgegengeſetzte, gewaltſam her-
vorgerufen wird, welches, verbunden mit einer oft ſchon an
ſich ſchwaͤchlichen und reitzbaren Conſtitution, den Koͤrper in
kurzer Zeit voͤllig zerruͤttet, ſo daß hierbey, nur wo das Le-
bensalter etwas weiter vorgeruͤckt war, wo die Conſtitution
urſpruͤnglich beſſer iſt, und die genaueſte Anordnung der Le-
bensweiſe vom Arzte vorgeſchrieben und durchgeſetzt werden
kann, auch der Krankheitszuſtand ſelbſt noch nicht allzulange
angehalten hat, guͤnſtigere Hoffnungen gefaßt werden duͤrfen.


[110]
§. 146.

Ein Heilverfahren kann bey zu fruͤher Menſtruation
nur wo ſie in Folge anderer Krankheitszuſtaͤnde oder durch
fehlerhafte Lebensweiſe bedingt iſt, Statt finden, indem, wo
ſie als Folge urſpruͤnglich veraͤnderter Bildungsrichtung er-
ſcheint, ſich hoͤchſtens durch Auswahl leicht verdaulicher nahr-
hafter Diaͤt, durch Landluft, Baͤder und noͤthigenfalls durch
den Apparat ſtaͤrkender Arzneymittel, die allgemeine Repro-
duktion unterſtuͤtzen, aber die eigentliche abnorm zeitig eintre-
tende Pubertaͤtsentwicklung durch keine Art angewendeter Mit-
tel ſich hemmen, oder die Organiſation ſich gaͤnzlich zuruͤck-
bilden laͤßt.


§. 147.

Die Anordnung des Heilplans uͤbrigens fuͤr die beyden
andern Faͤlle ergiebt ſich ſchon beynahe von ſelbſt. Zuerſt die ſcro-
fuloͤſen Leiden, die mannigfaltigen Obſtruktionen u. ſ. w. an-
gehend, ſo koͤnnen und muͤſſen ſie vorzuͤglich durch angeregte
erhoͤhte Thaͤtigkeit des Darmkanals gehoben werden. Der
laͤngere Zeit fortgeſetzte Gebrauch gelind abfuͤhrender Mittel,
namentlich der Mittelſalze, des Rheum, des Tamarinden-
Aufgußes, der ſeifenhaften Extracte, die Seife ſelbſt in Pil-
lenform, auch wohl mit Antimonialpraͤparaten verbunden,
wirkt hier ausgezeichnet, indem dieſe Methode bey vermehrter
Secretion der innern Darmwaͤnde, ſehr viel zur Zertheilung
angeſchwollener Druͤſen, und Herſtellung regelmaͤßiger Saͤfte-
bewegung in den Unterleibsgefaͤßen beytragen wird, ja, wenn
ſie durch Einreibungen des fluͤchtigen Liniments in den Unter-
leib, ſorgfaͤltige Hautkultur, Gebrauch von Seifen- oder auch
wohl von ſaliniſchen Baͤdern, durch freie Luft, hinlaͤngliche
Bewegung, und eine geregelte leicht verdauliche Diaͤt unter-
ſtuͤtzt wird, vorzuͤglich geeignet iſt, die voͤllige Geſundheit
wieder herzuſtellen, und ſo auch das Symptom jenes Krank-
heitszuſtandes, die zu fruͤh erſchienene Menſtruation zu beſeitigen;
eben ſo wie wir auf aͤhnliche Behandlung andere, in Leiden
einzelner Unterleibsorgane begruͤndete Blutergießungen der Un-
terleibsgefaͤße (z. B. Haͤmorrhoidalfluͤße, Blutbrechen, Mor-
bus niger
) verſchwinden ſehen. Complicationen mit Wurm-
[111] beſchwerden machen uͤbrigens Anwendung anthelmintiſcher Mit-
tel noͤthig, und uͤberhaupt koͤnnen die beſondern Modifikatio-
nen dieſes Kurplans nur von der Individualitaͤt der Kranken
beſtimmt werden.


§. 148.

Beſondere Bemerkung verdient es daher in dieſen Faͤl-
len, daß man nicht etwa das Eintreten des Menſtrualflußes
ſelbſt, d. i. hier das Symptom allgemeiner Krankheit zu
hoch ſtelle, und in Abſicht der durch die Blutung erzeugten
Schwaͤche durch ſogenannte ſtaͤrkende Mittel entgegen zu ar-
beiten, den Zuſtand noch mehr verſchlimmere; gewiß es koͤnnte
nicht leicht thoͤrichter verfahren werden, als in ſolchen und
aͤhnlichen Faͤllen den Blutfluß unmittelbar, etwa durch kalte
Umſchlaͤge und Baͤder, ſtaͤrkere Doſen fuͤr den Uterus kon-
trahirend wirkender Mittel, z. B. der Zimmttinktur u. ſ. w.
ploͤtzlich hemmen, und ſo dem Organismus dieſe oft fuͤr den
Augenblick als Kriſis nothwendige Ausleerung entziehen zu
wollen! — [Und] was ſollen in aͤhnlicher krankhafter Span-
nung der Unterleibsorgane die eigentlich toniſchen Mittel aus-
richten? Muͤſſen ſie nicht durch ihre ſtimulirende Wirkung die
Anſchwellungen der Lymphgefaͤße u. ſ. w. vermehren? Man
gebe z. B. einem ſcrofuloͤſen Kinde eine Zeit lang bloße
China, und man wird nicht nur keine Beſſerung, man
wird wie bey einem vorſchnell unterdruͤckten Wechſelfieber
Auftreibungen der Leber, der Milz, des Pankreas u. ſ. w.
entſtehen ſehen. — Nur fuͤr die Zuſtaͤnde daher, wo, nachdem
durch die im vorigen Paragraph erwaͤhnte Methode jene
Krankheiten des Lymph- und Pfortaderſyſtems beſeitigt ſind,
der Unterleib frey und weich, die Zunge rein, die Auslee-
rungen natuͤrlich geworden ſind, und demohnerachtet Schwaͤche
und unvollkommene Verdauung andauern, paſſen die leich-
tern bittern Extracte, und ſpaͤterhin ſelbſt die Abkochungen
der China, verbunden mit dem Gebrauch mineraliſcher, na-
mentlich eiſenhaltiger Baͤder, und der ſparſame Genuß eines
guten weißen Weins.


[112]
§. 149.

Der Blutfluß ſelbſt fordert hier ſonach eigentlich nur
waͤhrend der Periode ſeiner Erſcheinung beſondere
Muͤckſicht; eines Theils naͤmlich wird es nothwendig, hier die
Mittel, welche denſelben irgend verſtaͤrken, oder auch gaͤnz-
lich und ploͤtzlich hemmen koͤnnten, z. B. die Abfuͤhrmittel,
Baͤder, Friktionen u. ſ. w. auszuſetzen, andern Theils iſt aber
auch dafuͤr Sorge zu tragen, ihn in moͤglichſt geringem Grade
zu erhalten, weßhalb man in dieſer Periode beſondere Ruhe
beobachten laͤßt, und die einfachſte Diaͤt, ſo wie den Ge-
brauch kuͤhlender Getraͤnke anordnet. Sehr ſelten wird man
uͤbrigens hier die Blutergießung ſelbſt zu copioͤs und in ſo-
fern augenblicklich gefahrdrohend finden, indeß wuͤrden wir
fuͤr einen ſolchen Fall vorzuͤglich den Gebrauch aromatiſcher
Fomentationen (aus Hb. Serpilli, Absinthii, Melissae mit
Wein vermiſcht) auf den Unterleib, Auftroͤpfeln von Naphtha
auf die regio hypogastria, und innerlich die Phosphorſaͤure
zu 8 bis 15 [Tropfen] in ſchleimigem Getraͤnk empfehlen.


§. 150.

Was nun ferner die Behandlung unzeitiger Pubertaͤts-
entwicklung in Folge gewaltſamer, mehr vom Nervenſyſtem
ausgehender Erregung betrifft, ſo muß nothwendig fuͤr die
Anordnung ſtrengerer Aufſicht, Verhuͤtung unpaßender Lectuͤre,
ſchlechten Umganges, der Maſturbation, Verſagung aller er-
hitzender Getraͤnke, des Weins, der Chocolade, des Kaffees
und gruͤnen Thees, ſo wie ſtark gewuͤrzter Speiſen, erſtes
Augenmerk des Arztes ſeyn; allein nicht minder wichtig bleibt
es dann ferner, theils die geſteigerte allgemeine und oͤrtliche
Senſibilitaͤt herab zu ſtimmen, theils die geſunkene Repro-
duktion zu heben. — Was das erſtere betrifft, ſo koͤnnen
dazu außer der ſchon erwaͤhnteu Entziehung ſchaͤdlicher Reitze,
der haͤufige Gebrauch lauer Baͤder mit Chamillen, Valeriana
und aͤhnlichen Aufguͤßen vermiſcht, ferner vorzuͤglich der
(außer der Periode der Menſtruation) taͤglich mehrere Male
veranſtalteten kalten Waſchungen der Geburtstheile, innerlich
aber die Anordnung kuͤhlender Emulſionen und aͤhnlicher
[113] Getraͤnke, ja bey einzelnen heftigern Aufregungen die An-
wendung des Dowerſchen Pulvers, kleiner Doſen des Extr.
Hyoscyami,
des Liq. Cornu Cervi, als nuͤtzlich empfohlen
werden. Was hingegen das Foͤrdern der Reproduktion an-
belangt, ſo iſt in dieſer Hinſicht zuerſt auf den Stand der
Verdauungswerkzeuge, von welchen ja alle individuelle Re-
produktion ausgeht, Ruͤckſicht zu nehmen. Gaſtriſche Unrei-
nigkeiten ſind daher zuvoͤrderſt zu beſeitigen, und es iſt nicht
etwa anzunehmen, daß allgemeine Schwaͤche dadurch ver-
mehrt wuͤrde, wenn dieß auf zweckmaͤßige Art geſchieht.
Steht aber in dieſer Hinſicht der Aſſimilation nichts mehr
im Wege, ſo iſt vorzuͤglich durch zweckmaͤßige Diaͤt aus
Bouillon, Gries, Sago, leichten Fleiſcharten, und eben ſo
durch die Anwendung rein bitterer Mittel des Extr. Tara-
xaci, Centaur. m., Trifolii, Gentianae,
und der China,
ſo wie ſpaͤterhin ſelbſt des Eiſens (anfaͤnglich als Tr. martis
cydoniata, Tr. tonico-nervina
u. ſ. w., ſpaͤterhin aber in
Subſtanz), verbunden mit dem Gebrauch eiſenhaltiger Baͤ-
der, der Landluft, hinlaͤnglicher Koͤrperbewegung und Ge-
muͤthsaufheiterung, ſowohl der koͤrperlichen allgemeinen Er-
mattung entgegenzuarbeiten, als auch der dem Koͤrper unan-
gemeſſene Blutfluß (waͤhrend deſſen Erſcheinen ſelbſt uͤbrigens
wieder die §. 149. gegebenen Regeln beobachtet werden muͤſ-
ſen) und ein etwa dieſem Blutfluß nachfolgender Schleim-
ausfluß aus den Geburtstheilen zu beſeitigen.


Zweite Abtheilung.
Von den Krankheiten in der Periode der Geſchlechtsreife.

§. 151.

Mit dem vollen Hervortreten des weiblichen Geſchlechts-
charakters iſt auch die Moͤglichkeit ſehr verſchiedenartiger,
uͤberhaupt aber der meiſten beſondern, dieſem Geſchlecht ei-
genthuͤmlichen Krankheitserſcheinungen gegeben. — Wir thei-
len die hierher gehoͤrigen abnormen Zuſtaͤnde in ſolche, welche
ſich in Stoͤrungen der allgemeinen weiblichen Eigenthuͤmlich-
I. Theil. 8
[114] keit ausſprechen, und als Unregelmaͤßigkeiten der Menſtrua-
tion, Bleichſucht, Hyſterie, Nymphomanie, Unfruchtbarkeit
erſcheinen, und in andere, welche in den Geſchlechtsorganen
ſelbſt ihren Sitz haben, und als Krankheiten des Fruchthaͤl-
ters, der Mutterſcheide, der Eyerſtoͤcke und Muttertrompeten,
ſo wie der Bruͤſte ſich darſtellen.


I. Allgemeine Krankheitszuſtaͤnde.

1. Unregelmaͤßigkeiten der Menſtrualfunktion.

§. 152.

Bevor wir zu dieſen einzelnen Unregelmaͤßigkeiten und
ihrer Behandlung uns wenden, ſcheint die gewoͤhnliche Art
ihrer Eintheilung noch einige naͤhere Eroͤrterung zu verlangen.
Man pflegt naͤmlich hier das aͤußerliche Zeichen des allge-
meinen krankhaften Zuſtandes, d. i. den Blutfluß ſelbſt, ſei-
ner Periodicitaͤt, Quantitaͤt und Qualitaͤt nach, ziemlich all-
gemein zum Maaßſtabe zu nehmen, um darnach zu ſtarke
und zu ſchwache, zu haͤufige und zu ſeltene oder verzoͤgerte
Menſtruation als beſondere Krankheiten zu unterſcheiden, nicht
bedenkend, daß man hier faſt um nichts beſſer verfaͤhrt, als
wenn man Fieber nach den dabey erſcheinenden ſtaͤrkern oder
ſchwaͤchern Schweiß- Harn- oder Stuhlausleerungen einthei-
len wollte. Es geht aber aus ſolcher Eintheilung offenbar
der Nachtheil fuͤr die Behandlung dieſer Zuſtaͤnde hervor, daß
dieſelbe leicht ebenfalls ganz ſymptomatiſch eingeleitet wird,
daß man leicht glaubt, es ſey hinlaͤnglich, bey zu ſchwacher
oder verzoͤgerter Menſtruation den Blutfluß auf irgend eine
Weiſe zu erregen oder zu verſtaͤrken, oder im entgegengeſetz-
ten Falle ihn zu hemmen, welches denn, ſobald es wirklich
ausgefuͤhrt wird, oft zum groͤßten Nachtheil der Kranken ge-
reichen muß. Wir halten es demnach hierbey fuͤr das Wich-
tigſte die Geſammtrichtung des Organismus auf
die geſchlechtliche Thaͤtigkeit
zum Maaß fuͤr Beur-
theilung und Eintheilung dieſer Zuſtaͤnde zu nehmen, und
unterſcheiden baher 1) (im Gegenſatz der zu zeitigen Men-
ſtruation) mangelnde oder verzoͤgerte Entwicklung, 2) unvoll-
[115] kommenen Zuſtand der Pubertaͤt und Menſtrualfunktion (wel-
ches beydes hervorgehen kann theils aus mangelhafter Re-
produktion im Allgemeinen und andern Krankheiten, theils
aus mangelhafter Bildung und Erregung des Geſchlechtsſy-
ſtems insbeſondere; 3) (im Gegenſatz zu den beiden vorigen
und verwandt der zu zeitigen Pubertaͤtsentwicklung) uͤbermaͤ-
ßiges Hervortreten der Menſtrualfunktion (theils durch zu
reichliche allgemeine Stoffbildung, theils durch andere Krank-
heiten, theils durch zu großes Ueberwiegen des Geſchlechts-
ſyſtems begruͤndet); 4) ploͤtzliche Hemmungen der Menſtrual-
funktion.


A.Mangelnde oder verzoͤgerte Entwicklung der
Menſtrualfunktion
.

§. 153.

Wie oben (§. 121.) bemerkt wurde, iſt der Eintritt
der Pubertaͤt an kein beſtimmtes Lebensalter feſtgebunden,
ſondern nach Clima, Nationalitaͤt, Lebensweiſe und Conſtitu-
tion verſchieden, und es kann folglich die Verzoͤgerung die-
ſes Eintritts, dafern ſie krankhaft genannt werden ſoll, nicht
an den Jahren abgemeſſen, ſondern nach dem Grade allge-
meiner Koͤrperausbildung beſtimmt werden. Erſcheint naͤmlich
das gemeinſame Wachsthum ziemlich beendigt, kuͤndigt ſich
das Beſtreben der Natur zur Ausſcheidung des im Koͤrper
uͤberfluͤßig erzeugten Bildungsſtoffes durch das Geſchlechts-
ſyſtem, inmittelſt mehrerer der oben (§. 119.) erwaͤhnten
Vorboten an, erſcheint aber der Blutfluß demohnerachtet
nicht, ſtellen ſich vielmehr Stoͤrungen allgemeinen Wohlbe-
findens ein, ſo haben wir den Zuſtand, welcher als verzoͤ-
gerte Entwicklung der Menſtrualfunktion bezeichnet wird.
Gaͤnzlichen Mangel dieſer Funktion finden wir entweder als
Idioſyncraſie bey Perſonen, deren Pubertaͤt allerdings ſich
entwickelt, obwohl durch eine ſonderbare Naturverirrung
ohne ihr aͤußerliches Zeichen (die Menſtruation), wohin denn
die Faͤlle gehoͤren, wo zeugungsfaͤhige Frauen entweder gar
nicht oder hoͤchſtens nur waͤhrend der Schwangerſchaft men-
ſtruirten, oder zweitens bey Perſonen mit ganz unausgebil-
[116] deten oder verbildeten Geſchlechtstheilen, wo ſonach eine
wahre Pubertaͤt eben ſo wenig als das Zeichen derſelben ein-
treten kann, aber auch, eben weil hier ein urſpruͤnglicher
Bildungsfehler iſt, und alles ſich mehr aus dem Ganzen,
aus einem Grunde ergiebt, Stoͤrungen der Harmonie koͤrper-
licher Thaͤtigkeiten, d. i. der Geſundheit, eben ſo wenig be-
merkt zu werden pflegen, als bey der in Folge urſpruͤnglicher
Bildungsrichtung zu fruͤh hervortretenden Pubertaͤt (§. 144.).


§. 154.

Was die blos verzoͤgerte Entwicklung der Men-
ſtrualfunktion
betrifft, ſo ſind die Zeichen, welche ſie be-
gleiten, theils nach den Urſachen der Verzoͤgerung, theils
nach der Conſtitution der Kranken aͤußerſt verſchieden, und
wir wenden uns deßhalb ſogleich zu den Urſachen, um an
deren Betrachtung die Lehre von den aͤußern Zeichen zu
reihen. Das wirkliche Erſcheinen der Menſtruation kann aber
verhindert werden 1) durch organiſche Urſachen, z. B.
Atreſie der Scheide oder des Muttermundes (§. 137. 138.
139.). In dieſen Faͤllen treten zur gewoͤhnlichen, der uͤbri-
gen koͤrperlichen Entwicklung entſprechenden Zeit, die allge-
meinen und oͤrtlichen Vorboten der Menſtruation ein, ja die
Ausſcheidung erfolgt ſpaͤterhin wirklich, allein das Blut wird
in der Hoͤhle der Vagina und Gebaͤrmutter zuruͤckgehalten,
dehnt dieſe aus, und haͤuft ſich, indem unter periodiſch wie-
derkehrenden Vorboten ſtets neue Ergießungen erfolgen, nach
und nach bedeutend (oft *) zu mehreren Pfunden) in den
Geſchlechtstheilen an. Es entſteht dann Auftreibung des Lei-
bes, unordentliche Verdauung, Kreuzſchmerz u. ſ. w., Zufaͤlle,
welche oft den Verdacht von Schwangerſchaft erregen koͤnnen.
Die geburtshuͤlfliche Unterſuchung wird uͤbrigens hier den Zu-
ſtand alsbald beſtimmt erkennen lehren.


[117]
§. 155.

2) Gehoͤrt zu dieſen Urſachen Stoͤrung der Re-
produktion
entweder in Folge anderer Krankheiten, oder
in Folge der Lebensweiſe. — Was das erſtere betrifft, ſo-
iſt ſehr wohl abzuſehen, wie das Eintreten irgend einer
Krankheit, z. B. eines Fiebers, in wiefern dadurch eine
pathologiſche Revolution veranlaßt wird, die phyſiologiſche
Revolution bey Entwicklung der Menſtrualfunktion hemmen
muͤſſe, und eben ſo klar iſt es, daß allgemeine chroniſche
Krankheiten, ja ſelbſt der nach acuten oder chroniſchen
Krankheiten zuruͤckbleibende Schwaͤchezuſtand dieſer Entwick-
lung hinderlich ſeyn muͤſſe. Allein in allen dieſen Faͤllen
wird die Verzoͤgerung der Menſtruation an und fuͤr ſich ſel-
ten als Krankheit empfunden, indem der Organismus, wo
ſelbſt die individuelle Reproduktion unvollkommen iſt, nicht
das Beduͤrfniß der Reproduktion der Gattung empfinden
kann, und nicht jenen Ueberfluß, welcher die Bedingung
der Menſtruation iſt, erzeugt. Nur wo daher Mißverhaͤlt-
niſſe in der Reproduktion der einzelnen organiſchen Syſteme
Statt finden, wo bey allgemeiner ſchon kraͤftiger gewordener
Ernaͤhrung die Ernaͤhrung der Geſchlechtsorgane und nament-
lich des Uterus ſelbſt noch unvollkommen bleibt, welches am
haͤufigſten bey ſcrofuloͤſen Individuen, bey Auftreibungen ein-
zelner Unterleibsorgane (etwa nach intermittirenden Fiebern)
oder krankhafter Erregung anderer Gebilde, z. B. aͤußerlichen
Geſchwuͤren, Wurm- oder Hautkrankheiten u. ſ. w. vorkommt,
erſcheinen die Molimina ad Menstruationem, werden hef-
tiger, geben zu Entſtehung von Geiſteskrankheiten, zu den
ſonderbarſten Umſtimmungen des Nervenlebens (welche durch
Idioſynkraſien, Kraͤmpfe, Epilepſie, Veitstanz, Somnam-
bulismus ſich aͤußern), zu Congeſtionen nach andern Gebil-
den, Blutfluͤßen, Schleimfluͤßen, Auftreibungen und Verbil-
dungen einzelner Organe Veranlaſſung, und indem oft ſo die
allgemeine Reproduktion in ihrer urſpruͤnglich auf erhoͤhtes
Geſchlechtsleben gerichteten Thaͤtigkeit gehindert wird, ſinkt
auch ſie ſelbſt, die Verdauung wird ſchwach, Obſtruktionen
oder Diarrhoͤen finden ſich ein, die Blutbereitung wird un-
vollkommen, es entwickelt ſich Bleichſucht, in Folge der
[118] Schwaͤche des Lymphgefaͤßſyſtems geſellen ſich Waſſeranhaͤu-
fungen hinzu und auf dieſe Weiſe kann dieſer Zuſtand ſelbſt
lebensgefaͤhrlich werden.


§. 156.

Ein aͤhnlicher Zuſtand entwickelt ſich denn [auch] zuwei-
len ohne eine andere vorausgegangene Krankheit blos in Folge
fehlerhafter Lebensweiſe. Perſonen welche durch anhalten-
des Sitzen Stoͤrungen in der Blutbewegung der Unterleibs-
gefaͤße veranlaſſen, welche in feuchter unreiner Luft, unter
Gram und Sorge, bey ſchlechten Nahrungsmitteln leben,
verfallen leicht, wenn die Zeit herannaht, wo die Entwick-
lung der Pubertaͤt von der Natur gefordert, obwohl nicht
erlangt wird, namentlich in die genannten Cacherien; dahin-
gegen Perſonen, welche in fruͤherer Zeit durch Ausſchweifun-
gen die Geſchlechtsorgane geſchwaͤcht und dadurch die Faͤhig-
keit derſelben zur Menſtrualfunktion und Zeugung großen
Theils zerſtoͤrt haben, in dieſer Periode vorzuͤglich mit den
gleichfalls genannten Nervenuͤbeln zu kaͤmpfen haben.


§. 157.

3) Finden wir als Urſache der verzoͤgerten Menſtruation
haͤufig die Abweichung in der Geſammtform des
weiblichen Koͤrpers
vom aͤchten Geſchlechtstypus, die
Hinneigung zur maͤnnlichen Koͤrperform, bey uͤbrigens regel-
maͤßiger Geſtalt der Geſchlechtstheile ſelbſt. Solche Indivi-
duen (Mannjungfern, Viragines) zeichnen ſich aus durch
die betraͤchtlichere Koͤrpergroͤße, breitere und laͤngere Bruſt,
laͤngeres Geſicht, maͤnnlichere Zuͤge, ſtaͤrkere Haarentwicklung
auf der Oberlippe, hervorgehobenere Knochenbildung, plattern
Unterleib und ſchmaͤlere Huͤften, und es iſt in ihnen uͤber-
haupt die Entwicklung der Menſtrualfunktion erſt einem et-
was ſpaͤtern Lebensalter natuͤrlich; allein ſelbſt wenn nun im
18ten oder 20ſten Jahre einige Vorboten dieſer Periode er-
ſcheinen, ſo iſt demohnerachtet zuweilen die Reproduktion nicht
(wie ſie im weiblichen Koͤrper doch eigentlich ſoll) kraͤftig
genug, um dieſe Entwicklung zu bewerkſtelligen, weßhalb
denn oft die Molimina eine krankhafte Hoͤhe erreichen, und
[119] die oben (§. 155.) genannten Verſtimmungen des Nerven-
ſyſtems und Cacherien ſich entwickeln koͤnnen.


§. 158.

4) Endlich findet ſich auch, obwohl ſeltner, die Er-
ſcheinung der Menſtrualfunktion durch uͤberwiegende Thaͤ-
tigkeit des arteriellen Syſtems
gehindert. Ohnge-
faͤhr eben ſo naͤmlich wie in entzuͤndeten Sekretionsorganen,
ſobald die Entzuͤndung eine gewiſſe Hoͤhe erreicht hat, die
ausſcheidende Thaͤtigkeit ſich zu verlieren pflegt, ſo finden
wir auch, namentlich auf dem Lande, bey recht kraͤftigen,
an Muskelanſtrengung und reine Luft (beides die Arteriellitaͤt
erhoͤhende Momente) gewoͤhnten Koͤrpern (wo uͤberhaupt die
Pubertaͤtsentwicklung immer etwas ſpaͤter erfolgt), daß trotz
den in ihrem Koͤrper reichlich erzeugten plaſtiſchen Stoffen
und manchen eintretenden Vorboten der Menſtruation doch
dieſelbe nicht wirklich erſcheint, und wohl aus keinem an-
dern Grunde, als weil im Gefaͤßſyſtem des Uterus die Ar-
terien ein zu großes Uebergewicht uͤber die Venen erlangt
haben. Bey ſolchen Individuen treten dann insbeſondre die-
jenigen Molimina welche rein dem Gefaͤßſyſtem angehoͤren,
in krankhafter Hoͤhe, und zwar vorzuͤglich periodiſch hervor,
ſie [klagen] uͤber Schwindel, Kopfſchmerz, ſind zu Entzuͤndungs-
und fieberhaften Krankheiten, apoplektiſchen und aſphyktiſchen
Anfaͤllen disponirt, ja erleiden dieſe Krankheiten oft wirklich.


§. 159.

Den Verlauf des Uebels und die Prognoſe bey
dieſen Verzoͤgerungen betreffend, ſo ergiebt ſich, was hieruͤber
zu bemerken waͤre, beynahe aus dem Vorhergehenden von
ſelbſt. Bey der erſterwaͤhnten organiſchen Urſache (§. 154.)
naͤmlich wuͤrde allerdings bey laͤngerer Fortdauer der innern
Ergießung ohne moͤgliche Entleerung nach außen, die ge-
waltſame Vergroͤßerung der innern Geburtstheile, der Druck
des angehaͤuften Blutes *) auf die benachbarten Organe zu
[120] vielfachen Unterleibs- und allgemeinen Leiden fuͤhren muͤſſen,
und indem die Heilkraft der Natur hierbey faſt unvermoͤgend
erſcheint, wuͤrde die Prognoſe ſehr unguͤnſtig geſtellt werden
muͤſſen, ließe nicht das Uebel eine leichte und ſichere Heilung
zu. Angehend 2) den Verlauf des Krankheitszuſtandes bey
der durch geſunkene Reproduktion verzoͤgerten Menſtrualfunk-
tion, ſo iſt derſelbe ſchon §. 155. u. 156. eroͤrtert worden
und wir fuͤgen hinſichtlich der Prognoſe nur bey, daß die-
ſelbe abzuwaͤgen ſey theils nach dem Grade, der Dauer, ſo
wie der leichtern oder ſchwerern Heilbarkeit der die Stoͤrun-
gen herbeyfuͤhrenden Krankheiten (wobey denn in der Regel
acute Krankheiten eine beſſere Prognoſe als chroniſche zulaſ-
ſen), theils nach der eigenthuͤmlichen Conſtitution der Kranken,
theils nach den aͤußern Verhaͤltniſſen, in wiefern ſie uͤberhaupt der
Heilung guͤnſtig ſind oder nicht, und in wiefern ſie, wenn in ihnen
der Grund der Verzoͤgerung ſelbſt liegt, gehoben werden koͤnnen.


§. 160.

Die krankhaften Zufaͤlle ferner, welche von der 3ten
Urſache herbeygefuͤhrt werden, ſind gewoͤhnlich beſonders lang-
wierig, ihr Verlauf jedoch nach ſtaͤrkerm oder ſchwaͤcherm
Koͤrperbau, guͤnſtigern oder unguͤnſtigern aͤußern Verhaͤltniſſen
verſchieden; nie kann jedoch hier die Prognoſe ſehr vortheil-
haft geſtellt werden, indem die Haupturſache, d. i. der un-
weibliche allgemeine Habitus, nicht zu beſeitigen iſt, viel-
mehr gewoͤhnlich, auch nachdem die Menſtruation endlich er-
ſchienen iſt, einen unregelmaͤßigen und unvollkommenen Gang
derſelben (wovon noch unten) zu veranlaſſen pflegt. — End-
lich die 4te Urſache betreffend, ſo ſind zwar die Zufaͤlle,
welche hier eintreten, oft ſehr ſtuͤrmiſch, allein theils iſt da-
bey die Natur ſelbſt weit mehr als bey andern huͤlfreich,
theils gelingt es der Kunſt hier weit leichter und ſicherer
Abhuͤlfe zu ſchaffen, und die Prognoſe wird daher im Gan-
zen vortheilhafter geſtellt werden koͤnnen.



[121]
§. 161.

Wir kommen nun zur Heilung dieſer Uebel, welche
wieder nach den verſchiedenen urſachlichen Momenten auf ver-
ſchiedene Weiſe eingeleitet werden muß. Die Heilung der
durch organiſche Urſachen verzoͤgerten Ergießung der Men-
ſtruation iſt ſchon oben (§. 137.) erwaͤhnt worden, und da-
her hier nur noch beyzufuͤgen, daß wenn das Durchſchneiden
der verſchloſſenen Partie zu einer Zeit vorgenommen wird,
wo ſchon bedeutende Blutergießungen dahinter ſich geſammelt
hatten, es nothwendig wird, mehrmalige Injektionen aus
einem Abſud von Hb. Serpilli, Absinthii, Flor. Chamo-
mill.,
allenfalls mit etwas Wein oder Tr. Myrrhae ver-
miſcht, in die innern Geburtstheile zu machen, theils um
die vollſtaͤndige Reinigung der Theile zu bewirken, theils um
die Zuſammenziehung derſelben zu befoͤrdern. Die Heilung
der Zufaͤlle betreffend, welche von Stoͤrungen in der Repro-
duktion ausgehend die Verzoͤgerung der Menſtruation veran-
laſſen, ſo muͤſſen wir zuvoͤrderſt erwaͤhnen, daß kaum irgend
ein Verfahren ſchaͤdlicher hierbey ſeyn koͤnne, als direkt das
Hervortreten jener monathlichen Blutergießungen durch An-
wendung reitzender, das Geſchlechtsſyſtem insbeſondere in
Anſpruch nehmender Mittel zu foͤrdern, wie es demohnerach-
tet von unwiſſenden Empirikern durch Darreichung der Aloë,
der Gummata ferulacea, der Sabina u. ſ. w. nicht ſelten
zu geſchehen pflegt. Daß hierbey naͤmlich theils der Dige-
ſtionsapparat noch mehr zerruͤttet, und ſowohl hierdurch als
durch den etwaigen Blutfluß die Schwaͤche noch mehr ver-
mehrt werden, theils aber in Folge der reitzenden Eigenſchaft
jener Mittel auch Anſchwellungen der Druͤſen des Unterlei-
bes, chroniſche Entzuͤndungen, namentlich der innern Ge-
ſchlechtsorgane, und in Folge dieſer, Nymphomanie, Waſſer-
ſucht der Ovarien u. ſ. w. veranlaßt werden muͤſſe, liegt
am Tage.


§. 162.

Allein auch das Verfahren, welches blos durch die ge-
meinhin ſtaͤrkend genannten Mittel ſolchen Zuſtaͤnden zu be-
gegnen hofft, und Kranke dieſer Art mit Extrakten, China
[122] und Eiſen uͤberhaͤnft, iſt keineswegs zweckmaͤßig zu nennen;
vielmehr wird es hier die erſte Indikation, die Natur der
Krankheit genau ins Auge zu faſſen, welche dieſe Stoͤrung
der Reproduktion herbeyfuͤhrte, ſie allein, und ganz abge-
ſehen von der Menſtrualfunktion, ihrem Charakter nach zu
behandeln, wobey man ſich dann uͤberzeugt halten darf, daß
bey hergeſtellter Harmonie allgemeiner koͤrperlicher Kraͤfte ge-
woͤhnlich auch das Symptom dieſer Krankheit, die Verzoͤ-
gerung der Menſtruation von ſelbſt verſchwinden werde.
Scrofuloͤſe Zuſtaͤnde, Leberauftreibungen, Status pituitosus
des Darmkanals und aͤhnliche Leiden machen daher die reſol-
virende, abfuͤhrende Methode, ohngefaͤhr nach derſelben Weiſe,
wie ſie oben (§. 147.) geſchildert wurde, nur wegen vorge-
ruͤckterem Alter in etwas ſtaͤrkerer Form nothwendig. Wurm-
complicationen erfordern Anthelmintica und nachherige Beſeiti-
gung der Verſchleimung des Darmkanals, fieberhafte Krank-
heiten die ihnen angemeſſene Behandlung u. ſ. w. — Wir
gedenken daher hier nur noch derjenigen Faͤlle beſonders, wo
entweder, nachdem die Krankheiten beſeitigt ſind, noch allge-
meine oder eine oͤrtliche Schwaͤche des Geſchlechtsſyſtems zu-
ruͤckbleibt, oder das Darniederliegen reproduktiver Thaͤtigkeit
uͤberhaupt nicht Folge von Krankheit, ſondern von unzweck-
maͤßiger Lebensweiſe war.


§. 163.

Im erſtern Falle wird bey allgemeinem Schwaͤchezu-
ſtande wieder zunaͤchſt auf die Thaͤtigkeit der Verdauungswerk-
zeuge zu ſehen, und die uͤbrige Lebensweiſe zweckmaͤßig an-
zuordnen ſeyn. Man waͤhlt dann, um die Kraͤfte des
Darmkanals zu heben, die bittern Mittel (Extractum Mille-
folii, Centaurii min..
Aufguͤße der Quaſſia und China u. ſ. w.)
welche man, je nachdem die Conſtitution uͤberhaupt mehr
ſchlaff und phlegmatiſch iſt, mir geiſtigen Mitteln (T. Cort.
Aurantior, Elix. visc. Wy [...][k]ii
u. ſ. w.), verbindet, man
ſorgt fuͤr regelmaͤßige Unterhaltung der Darmausleerungen,
laͤßt den Unterleib warm halten, trockne oder ſpirituoͤſe Frik-
tionen auf denſelben machen, man ordnet ferner als allge-
meine, die Reproduktion und den Tonus der Muskelfaſer be-
[123] foͤrdernde Mittel innerlich den Gebrauch des Eiſens, an-
faͤnglich als Tinktur, ſpaͤter in Subſtanz an, verbindet da-
mit den Gebrauch aromatiſcher Kraͤuterbaͤder, welchen bey
mehr phlegmatiſchen Subjekten etwas Wein oder Brandtwein
beygemiſcht wird, empfiehlt die fleißige Bewegung in freier
Luft, Reiſen, Gebrauch eiſenhaltiger Mineralbaͤder und eine
leicht verdauliche nahrhafte Diaͤt, verbunden mit dem Ge-
branche eines guten alten Weins.


§. 164.

Zeigt ſich indeß entweder allein oder in Verbindung
mit jener allgemeinen Unthaͤtigkeit noch eine oͤrtliche Schwaͤche
des Geſchlechtsſyſtems, welche durch Schlaffheit der aͤußeru
und innern Genitalien, ſehr geringe Temperatur derſelben,
gaͤnzlich mangelnde Geſchlechtsneigung, ja wohl auch durch
Atonie der benachbarten Harnwege und des Dickdarms ſich
zu erkennen giebt, ſo werden auch noch außer und nach
jenen allgemeinen, mehrere oͤrtlich das Geſchlechtsſyſtem in
Anſpruch nehmende Mittel angewendet werden muͤſſen. —
Innerlich giebt man daher die Zimmtrinde im Aufguß oder
als Tinktur, die Caſcarillenrinde, die Aqua Melissae vinosa
u. ſ. w., von Zeit zu Zeit laͤßt man, namentlich bey traͤ-
gen Stuhlausleerungen, eine Abfuͤhrung aus mehr draſtiſchen
Stoffen, den Fol. Sennae, der Rad. Jalappae, der Aloe
u. ſ. w. gebrauchen, und kann denn endlich bey torpiden
phlegmatiſchen Subjekten auch mit Nutzen die Gummiharze,
ja ſelbſt das Decoct. Sabinae (etwa zu ӠII auf ℥IV
Colat.
mit dem Syrup. Cort. aur. vermiſcht) oder die aus
aͤhnlichen Stoffen beſtehenden Praͤparate, z. B. die Pilulae
balsamicae Stahlii,
ferner aͤhnliche Miſchungen mit zuge-
ſetztem Eiſen (z. B. aus dem Gum. ammoniaci ӠI, der
Aloe lucida und dem ferr. oxydulat. nigr. von jedem Ӡβ
zu 3gran. Pillen, wovon 3—4 Stuͤck fruͤh und Abends zu
nehmen) in Anwendung ziehen. Aeußerlich aber verordnet
man dieſen Perſonen fluͤchtig reitzende Einreibungen in die
regio hypogastrica, Tragen eines aromatiſchen Pflaſters
daſelbſt, Anwendung der Elektrizitaͤt oder des Galvanismus,
wobey die Stroͤmungen durch das Becken geleitet werden,
[124] Fußbaͤder mit Aſche, Salz oder Senf geſchaͤrft, wollene Be-
kleidung der untern Extremitaͤten, reitzende Friktionen (etwa
von Spiritus serpilli, formicarum u. ſ. w. mit T. Can-
tharid.
vermiſcht) an die Fußſohlen, aromatiſche Halbbaͤder,
fleißige Bewegung, auch wohl oͤfteres Reiten und Fahren.


§. 165.

Iſt allein unzweckmaͤßige Lebensweiſe die Urſache der
gehinderten Entwicklung der Menſtrualfunktion, ſo muß man
zunaͤchſt die aͤußern Verhaͤltniſſe zu verbeſſern ſuchen, fuͤr ge-
ſuͤndere Luft und Nahrung Sorge tragen, die Aufheiterung
des Gemuͤrhs auf alle Weiſe beguͤnſtigen, und uͤbrigens den
Zuſtand von Unthaͤtigkeit der Reproduktion im Allgemeinen
ſowohl als Beſondern auf dieſelbe Weiſe, wie in den beiden
vorhergehenden Paragraphen gelehrt wurde, behandeln.


§. 166.

Die dritte Urſache, den maͤnnlichen Habitus be-
treffend, ſo iſt hier das Vermoͤgen der Kunſt allerdings am
meiſten beſchraͤnkt, wir koͤnnen und muͤſſen auch hier nur er-
innern, daß man nicht etwa die Entwicklung einer nur aus
dem Ganzen hervorgehenden Funktion durch gewaltſames
Hervorheben des Syſtems der Uteringefaͤße, d. i. durch unzei-
tig gegebene Emmenagoga u. ſ. w. beſchleunigen wolle, ſon-
dern dieſe Entwicklung, welche einzig Werk der Natur ſeyn
muß, auch dieſer ganz zu uͤberlaſſen, und ſich allein auf
vorſichtige Unterſtuͤtzung derſelben, ſo wie auf Beſeitigung
einzelner ſich darbietender Krankheitszuſtaͤnde zu beſchraͤnken,
als Regel annehme. Was aber Unterſtuͤtzung der Reproduk-
tion betrifft, ſo werden wieder namentlich die Verdauungs-
werkzeuge zu beruͤckſichtigen, durch eine zweckmaͤßige Anwen-
dung toniſcher Mittel die aſſimilativen Kraͤfte zu heben,
uͤberhaupt aber der Gebrauch von Baͤdern, hinlaͤnglicher Be-
wegung und freier Luft von Nutzen ſeyn, wobey uͤbrigens
durch wollene Binden um den Leib, waͤrmere Bekleidung der
Unterglieder, gelind zur Erhoͤhung der Thaͤtigkeit in den Be-
ckengefaͤßen mitgewirkt werden kann; auch wird bey mehr
torpidem Habitus, der Genuß eines guten alten Weins, mehr
[125] erſchuͤtternde Bewegungen (als Reiten, Fahren), geiſtige
Friktionen der Regio hypogastrica, elektriſche Baͤder u. ſ. w.
ſehr mit Nutzen Anwendung finden. Endlich ſcheint nach
den bisherigen Beobachtungen, ſo wie nach phyſiologiſchen
Gruͤnden, der thieriſche Magnetismus als ein vorzuͤgliches,
die Reproduktion unterſtuͤtzendes Mittel hier nicht uͤbergangen
werden zu duͤrfen.


§. 167.

Die Behandlung einzelner hierbey obwaltender Beſchwer-
den muß ganz nach der Art der Zufaͤlle ſelbſt eingerichtet
werden, und vorzuͤglich bleibt dabey der Stand des Gefaͤß-
ſyſtems zu beruͤckſichtigen, indem bey kraͤftigen vollſaftigen
Koͤrpern die haͤufigen Congeſtionen, Fieberbewegungen u. ſ. w.
vorzuͤglich durch ſehr beſchraͤnkte Diaͤt, verduͤnnendes, ſaͤuer-
liches Getraͤnk, gelinde Abfuͤhrungen, mehr vegetabiliſche
Diaͤt, Fußbaͤder u. ſ. w. beſeitigt werden muͤſſen, ja ſelbſt
mitunter allgemeine oder oͤrtliche Blutentziehungen erfordert
werden, dahingegen die bey ſchwaͤchlichen reitzbaren Subjekten
haͤufiger erſcheinenden Kraͤmpfe, Gliederſchmerzen, Schlaf-
loſigkeit u. ſ. w. mehr ein vorzuͤglich außer den ſtaͤrkern Au-
faͤllen ſtreng fortgeſetztes, auf Minderung zu reger Senſibi-
litaͤt abzweckendes Heilverfahren verlangen, und daher durch
laue Baͤder, zweckmaͤßige einfache Lebensweiſe, Landluft, rein
bittere Mittel, Emulſionen, kleine Doſen narkotiſcher Mittel
am ſicherſten bekaͤmpft werden. Wir erinnern hierbey nur,
daß die heftigern Anfaͤlle bey ſolchen ſenſibeln Conſtitutionen
oft weſentlich theils vom Gefaͤß-, theils vom Verdauungs-
ſyſteme erregt und unterhalten werden, daß man daher in
dieſen Faͤllen nie unterlaſſen darf, hierhin die gehoͤrige Auf-
merkſamkeit zu wenden, um durch zweckmaͤßige Anwendung
einer gelind antiphlogiſtiſchen oder gaſtriſchen Heilmethode
ſchnellere und vollkommnere Huͤlfe als durch Ueberhaͤufung
mit den gemeinhin ſogenannten krampfwidrigen Mitteln (T.
Castorei, Valerianae, Moschi, Liq. C. C., Opium
u. ſ. w.)
zu gewaͤhren.


[126]
§. 168.

Die vierte Urſache der verzoͤgerten Menſtrualfunktion
endlich, d. i. die uͤberwiegende arterielle Thaͤtigkeit,
macht ein mehr antiphlogiſtiſches Heilverfahren nothwendig,
heftigere hier erſcheinende Molimina fordern allgemeine oder
oͤrtliche Blutentziehungen, Abfuͤhrungen durch Mittelſalze,
verduͤnnende Getraͤnke, laue Baͤder, eine wenig naͤhrende,
mehr vegetabiliſche Diaͤt und Verhuͤtung aller zu ſehr an-
ſtrengenden Koͤrperbewegungen, ſo wie im Gegentheil des zu
vielen Sitzens.


§. 169.

Wir haͤtten nun noch den voͤlligen Mangel der
Menſtrualfunktion
ruͤckſichtlich ſeiner Behandlung zu er-
waͤhnen, allein ſchon aus den oben (§. 153.) erwaͤhnten
Urſachen dieſes Zuſtandes ergiebt ſich, daß eine beſondere
aͤrztliche Behandlung hier nur ſelten moͤglich ſey. Erſcheint
naͤmlich der Mangel der Menſtruation bey uͤbrigens wahrhaft
entwickelter Pubertaͤt und regelmaͤßigem Zuſtande der Ge-
ſchlechtstheile (von welchen man ſich freilich uͤberzeugt haben
muß, damit nicht etwa blos mechaniſche Hinderungen des
Ausflußes (ſ. §. 154.) mit eigentlichem Mangel der Funk-
tion verwechſelt werden) als bloße eigenthuͤmliche Varietaͤt
und als Idioſynkraſie, ſo pflegt dieß auch, eben weil es die-
ſem
Koͤrper natuͤrlich iſt, keine krankhaften Zufaͤlle zu ver-
anlaſſen, und es muͤſſen demnach ſolche Individuen nur im
Allgemeinen erinnert werden, eine zu ſtark naͤhrende Diaͤt
und ſitzende Lebensweiſe zu meiden, damit nicht bey dem
Mangel einer ſolchen Ausleerung Congeſtionen, Stockungen
u. ſ. w. um ſo leichter ſich erzeugen. Iſt hingegen bedeu-
tende Verbildung oder gaͤnzlicher Mangel wichtiger innerer
Geſchlechtsorgane die Urſache jener mangelnden Funktion, ſo
werden auch hier nur in den Faͤllen allgemeine Krankheits-
zuſtaͤnde befuͤrchtet werden muͤſſen, theils wo bey einem ſehr
wohlgenaͤhrten Koͤrper Ueberfuͤllung der Gefaͤße durch ſitzende
Lebensweiſe u. ſ. w. beguͤnſtigt wird, theils wo erſt ſpaͤterhin
dieſe organiſchen Stoͤrungen erfolgt ſind, wo z. B. durch
Exſtirpation der Ovarien oder des Uterus Eintritt oder Fort-
[127] dauer der Menſtruation unmoͤglich geworden iſt; auch hier
muß dann Diaͤt, Lebensweiſe und ſelbſt aͤrztliche Behandlung
auf aͤhnliche Weiſe geordnet werden, wie es bey Gelegenheit
der durch maͤnnlichen Habitus verzoͤgerten Menſtrualfunktion,
ſobald plethoriſcher Zuſtand ſich zeigt, erwaͤhnt wurde (§. 167.).


B.Unvollkommne Menſtrualfunktion.

§. 170.

Ein Zuſtand, welcher viel Verwandtes mit der zuvor
betrachteten verzoͤgerten Entwicklung der Menſtrualfunktion
hat, ihr oͤfters nachfolgt, und auf ſehr verſchiedene Weiſe
ſich aͤußerlich zu erkennen giebt. Wir definiren denſelben im
Allgemeinen ſo, daß alle Verhaͤltniſſe dieſer Funktion darun-
ter begriffen werden, bey welchen ſie, obwohl wirklich in
Thaͤtigkeit getreten, doch ſowohl ihrer Periodicitaͤt, Quan-
titaͤt und Qualitaͤt, als ihrer ſie begleitenden Vorboten und
Quellen nach, zum Nachtheile des allgemeinen Be-
findens
, unter das Maaß zuruͤckgeſetzt erſcheint, welches
wir oben (§. 119. u. f.) als die allgemeine Norm feſtgeſetzt
hatten. — Je nachdem nun uͤbrigens dieſe Unvollkommenheit
in einer oder der andern Hinſicht ſich offenbart, kann man
ſodann Veranlaſſung nehmen, mehrere Unterarten zu unter-
ſcheiden, wohin denn ruͤckſichtlich der Periodicitaͤt die zu ſel-
tene oder unordentliche, ruͤckſichtlich der Quantitaͤt die zu ge-
ringe, ruͤckſichtlich der Qualitaͤt die mißfarbige, ruͤckſicht-
lich der begleitenden Moliminum die ſchmerzhafte, und ruͤck-
ſichtlich der Quellen die aus andern Organen fließende Men-
ſtruation gehoͤren; Trennungen, welche jedoch als ſymptoma-
tiſch weniger Gewicht haben und im Einzelnen ſelbſt fuͤr die
Behandlung nur wenige Modifikationen erfordern, ſobald das
Weſentliche der unvollkommenen Menſtrualfunktion, ſeinen
urſaͤchlichen Verhaͤltniſſen, ſeinen Aeußerungen und ſeiner Hei-
lung nach zur deutlichen Anſchauung gebracht iſt, wovon
wir daher zunaͤchſt im Allgemeinen handeln.


[128]
§. 171.

Das Weſen (die ſogenannte naͤchſte Urſache) eines
ſolchen Zuſtandes kann aber nothwendig nur als eine im
Mißverhaͤltniſſe zu allgemeiner Lebensthaͤtigkeit verringert oder
geſtoͤrt erſcheinende Lebensthaͤtigkeit des Geſchlechtsſyſtems und
des Uterus insbeſondre betrachtet werden, und wir ſchließen
durch dieſe urſachliche Beſtimmung zugleich alle jene Zuſtaͤnde
als nicht krankhaft aus, in welchen, obwohl die Thaͤtigkeit
des Uterinſyſtems geringer iſt, als es der Regel nach ſeyn
ſollte, doch dieſes in Uebereinſtimmung mit dem Allgemeinbe-
finden ſteht und deßhalb nicht als Krankheit empfunden wird.
Es gilt naͤmlich in dieſer Hinſicht wieder ohngefaͤhr daſſelbe,
was bereits uͤber den Eintritt der Menſtruation geſagt wur-
de, naͤmlich daß das Maaß der Menſtruation, gleich jenem,
nach der verſchiedenen Conſtitution, Lebensweiſe u. ſ. w. ohne
Nachtheil der Geſundheit ſehr verſchieden ſeyn koͤnne, und es
iſt einleuchtend, daß bey einem im Ganzen ſchwaͤchern Koͤr-
perbaue, bey Reconvalescenten u. ſ. w. die Menſtruation
ſelbſt geringer ſeyn muͤſſe, daß ſie auch wohl ſeltener ein-
treten koͤnne u. ſ. w., obwohl dabey ein allgemeines Wohlbe-
finden fuͤglich Statt findet; Faͤlle, wobey denn jedes gewalt-
ſame Anregen einer ſtaͤrkern oder haͤufigern Menſtruation
nothwendig zum groͤßten Nachtheil jener Individuen gereichen
wuͤrde. Eben daſſelbe gilt, wenn die Stoͤrung der Men-
ſtruation Folge der Schwangerſchaft iſt, deren Symptome
anfaͤnglich oft Vieles mit den Zufaͤllen unvollkommner, und
zwar krankhafter Menſtruation gemein haben, weßhalb ſtets
bey Unterſuchung einzelner Faͤlle hieran zu denken, und die-
ſer Zuſtand nicht zu uͤberſehen iſt.


§. 172.

Indem wir alſo jenes Mißverhaͤltniß zwiſchen allgemei-
net und Geſchlechtsthaͤtigkeit allein ins Auge faſſen, bleiben
uns nur die weitern, ſowohl im Koͤrper, als in aͤußern Ein-
wirkungen liegenden Bedingungen (praͤdiſponirende und
Gelegenheitsurſachen) zu beruͤckſichtigen uͤbrig, wobey
zugleich die Art der durch eine oder die andere Urſache am
[129] haͤufigſten erzeugten Unregelmaͤßigkeit in der Menſtruation er-
waͤhnt werden muß. Zuvoͤrderſt gehoͤren aber hierher die Ab-
normitaͤten in der Bildung der Geſchlechtsor-
gane
, welche entweder urſpruͤngliche oder ſpaͤter entſtandene
ſeyn koͤnnen. So findet ſich namentlich bey mehr maͤnn-
lichem Habitus des geſammten Koͤrperbaues oft eine ge-
ringe Ausbildung des Uterus, welche ſich bey der innern
Unterſuchung durch beſondere Duͤnnheit der Vaginalportion
und Kleinheit des Gebaͤrmutterkoͤrpers *), und aͤußerlich ge-
woͤhnlich durch ſehr ſchwach entwickelte Bruͤſte zu erkennen
giebt, und es wird dadurch theils eine zu ſeltene, theils
eine zu ſchwache Ausſcheidung monathlichen Blutes zu
Wege gebracht, welches dann, wo die allgemeine Ernaͤhrung
gut iſt, und vornehmlich etwa durch ſitzende Lebensweiſe,
naͤhrende Speiſen u. ſ. w. unterſtuͤtzt wird, Veranlaſſung zu
Congeſtionen, Entzuͤndungen, Bruſtkrankheiten, Nervenleiden,
ja ſelbſt zu ſtellvertretenden Blutungen giebt. Aehnliche Un-
ordnungen werden bey unvollkommener Entwicklung anderer
innerer Geſchlechtstheile erfolgen koͤnnen.


§. 173.

Außer den urſpruͤnglichen ſind nun zweytens die ſpaͤter
entſtandenen Stoͤrungen in Form und Struktur der Geburts-
theile zu erwaͤhnen; es gehoͤren hierher Zerſtoͤrungen, Ab-
ſceſſe, Verhaͤrtungen, namentlich Scirrhus, Steatomata und
Sarcomata, Waſſeranhaͤufungen u. ſ. w., ſowohl des Uterus,
als der Ovarien, Zuſtaͤnde, fuͤr welche die Kennzeichen ſpaͤ-
terhin bey Betrachtung der oͤrtlichen Krankheiten angegeben
werden. Es iſt hierbey zu bemerken, daß in der Zeit, wo
ſolche Verbildungen ſich entwickeln, oft das ſparſamere Er-
I. Theil. 9
[130] ſcheinen der Menſtruation, ſowohl der Zeit als der Quantitaͤt
und Qualitaͤt nach, nicht als beſondere Krankheit empfunden
werde, in wiefern der Verbildungsproceß ſelbſt, als Haupt-
ſache, jene Abweichungen nothwendig involvirt, allein daß,
wenn die veraͤnderte Struktur als Produkt der Krankheit feſt-
ſteht, der normale Zuſtand im allgemeinen Befinden zuruͤck-
kehren kann, ſo daß nun die kraͤftigere Reproduktion im Gan-
zen oft das Mißverhaͤltniß zu den degenerirten, zur Menſtrual-
funktion wenig mehr geeigneten Geſchlechtsorganen auf aͤhn-
liche Weiſe wie bey urſpruͤnglichen Mißbildungen (ſ. vorigen
Paragraph) durch vielfache Beſchwerden hervortreten laſſen wird.


§. 174.

Andere Urſachen der verringerten Menſtruation ſind das
Sinken der reproduktiven Thaͤtigkeit, welches in-
deß nur dann die ſchwaͤchere Menſtrualfunktion als Krank-
heitszuſtand erſcheinen laͤßt, wenn ſie unverhaͤltnißmaͤßig zum
Ganzen im Geſchlechtsſyſtem vermindert iſt. So finden wir
z. B. in den meiſten chroniſchen und acuten Krankheiten, in
der Reconvalescenz, in uͤberhaupt ſchwaͤchlichen Individuen
bey unzulaͤnglicher Nahrung und Pflege des Koͤrpers u. ſ. w.
die Menſtruation ſparſam, waͤßerig, kurz zu ſchwach; allein
dieſes an und fuͤr ſich iſt nicht Krankheit, indem ja offen-
bar, wenn die Menſtruation unter dieſen Umſtaͤnden ſtark
waͤre, der Koͤrper darunter leiden muͤßte; iſt hingegen das
Leben des Geſchlechtsſyſtems allein geſchwaͤcht, ſo muß daraus
allerdings wieder ein Mißverhaͤltniß, wie bey den erwaͤhnten
organiſchen Verbildungen, hervorgehen. Solche oͤrtlich die
Lebensthaͤtigkeit dieſer Gebilde herabſetzende Momente aber
ſind theils krankhaft geſteigerte Thaͤtigkeit anderer Organe,
wodurch namentlich die aus abnormen Quellen fließende Men-
ſtruation erzeugt wird, theils Schleim- oder Blutfluͤße aus
denſelben, ſehr haͤufige Wochenbetten und zu lang fortgeſetz-
tes Stillungsgeſchaͤft, ausſchweifende Lebensart (Schwaͤche-
zuſtaͤnde, welche namentlich durch Erſchlaffung oder abnorme
Anſchwellung, verringerte Temperatur der Genitalien, ſchwaͤ-
chere oder widernatuͤrlich heftige Geſchlechtsneigung charakteri-
ſirt werden), theils und vorzuͤglich aber die entweder in
[131] Folge uͤbler Lebensweiſe oder in Folge anderer Krankheiten
entſtehenden Unordnungen im Syſtem der Lymphgefaͤße und
der Pfortader, indem nicht ſelten bey Druͤſenanſchwellungen
und geſtoͤrtem Kreislauf in den Unterleibsgefaͤßen das perio-
diſche Anſtroͤmen der Saͤftemaſſe nach den Uteringefaͤßen Hin-
derung findet, wodurch denn unter Mitwirkung einer ver-
ſtimmten Senſibilitaͤt Congeſtionen nach andern Organen,
vicariirende Blutungen, Nervenleiden u. ſ. w. erzeugt werden.
Man ſieht dabey uͤbrigens leicht, daß wieder die mit Be-
ſchwerden, oder zu ſelten, oder zu ſchwach und mißfarbig
erſcheinende Menſtruation hier nur das Symptom jenes er-
ſtern Krankheitszuſtandes iſt, und als ſolches auch bey der
Behandlung betrachtet werden muß, ſo wie die Zeichen dieſer
urſaͤchlichen Verhaͤltniſſe denn auch keine andern als die Zei-
chen jener, namentlich in den Unterleibseingeweiden Sitz faſ-
ſenden Krankheiten ſeyn koͤnnen, wohin denn der aͤußere
ſcrofuloͤſe Habitus, Digeſtionsbeſchwerden, Obſtruktionen, Auf-
treibungen einzelner Eingeweide u. ſ. w. gehoͤren.


§. 175.

Endlich kann denn auch die unvollkommene Menſtrual-
funktion eben ſo wie Verzoͤgerung derſelben (ſ. §. 158.) durch
Ueberwiegen arterieller Thaͤtigkeit veranlaßt wer-
den, und gerade ſehr robuſte Koͤrper, in welchen die Mus-
kularthaͤtigkeit und Oxydation auf einer Stufe ſteht, welche
dieſelben der Individualitaͤt des maͤnnlichen Koͤrpers naͤher
bringt, werden oft dadurch an normaler Ausuͤbung der Men-
ſtrualfunktion gehindert, und empfinden dieſen mit der eigen-
thuͤmlichen Natur des weiblichen Koͤrpers ſo wenig uͤberein-
ſtimmenden Zuſtand durch mannigfaltige Beſchwerden, Schmer-
zen, Wallungen, Blutungen, Neigung zu Entzuͤndungszu-
ſtaͤnden und Fiebern.


§. 176.

Bevor wir nun die Betrachtung der Urſachen unvoll-
kommner Menſtrualfunktion ganz verlaſſen, iſt noch von der
Beſtimmung der einzelnen Formen derſelben einiges beyzufuͤ-
gen, und die Frage zu beantworten, warum nun in einem
[132] Falle die ſeltene, in andern Faͤllen die ſchwache, in andern
die ſchmerzhafte, in andern die mißfarbige, und in noch an-
dern die durchaus unordentliche Menſtruation oder die aus
andern Quellen fließende ſich zeige? — Es ſcheint aber,
wenn man dieſe verſchiedenen Faͤlle unter einander vergleicht,
allerdings, daß, ob das Eine oder das Andere Statt finde,
vorzuͤglich theils durch das Verhaͤltniß zwiſchen Nerven- und
Gefaͤßſyſtem, theils durch den Stand der Gefaͤßthaͤtigkeit im
Uterus insbeſondre, theils durch das Verhaͤltniß anderer Or-
gane zu den Geſchlechtsorganen beſtimmt werde.


§. 177.

Zuvoͤrderſt das Verhaͤltniß zwiſchen Nerven- und Ge-
faͤßſyſtem betreffend, ſo iſt klar, daß ein hoͤherer Grad von
Torpiditaͤt, namentlich der den Sexualorganen beſtimmten
Nerven, unter Einwirkung einer oder der andern der fruͤher
erwaͤhnten Urſachen, das ſeltnere Erſcheinen der Menſtrua-
tion vorzuͤglich veranlaſſen werde, indem bey geringerer Em-
pfindlichkeit ſehr leicht die organiſche Reaktion fuͤr den Reitz
der ſich vermehrenden Saͤftemaſſe weiter hinausgeſchoben wird,
daher denn bey phlegmatiſchen Conſtitutionen und namentlich
unter Einwirkung gewiſſer urſpruͤnglicher abnormer Bildungs-
richtungen, ſo wie auch bey ſcrofuloͤſem Habitus, Stoͤrung
der Unterleibsfunktionen u. ſ. w. auch dieſe Abnormitaͤt am
haͤufigſten erſcheint. Die ſpaͤrliche oder mißfarbige Menſtrua-
tion hingegen wird theils einer im Allgemeinen zu geringen
oder unvollkommnen Blutbereitung, theils einer oͤrtlich geſun-
kenen oder durch krankhafte Verbildung abnorm gewordenen
Thaͤtigkeit der Uteringefaͤße angehoͤren, und wir finden ſie
daher theils bey allgemeinen acuten oder chroniſchen Krank-
heiten, theils bey Geſchwuͤren, Verhaͤrtungen, Waſſerſuchten
der Geſchlechtsorgane vorzuͤglich vor.


§. 178.

Ferner die ſchmerzhafte Menſtruation betreffend, ſo kann
man bey derſelben theils eine krampfhafte, theils eine ent-
zuͤndliche Form unterſcheiden, von welchen die erſte vorzuͤg-
lich durch ein an und fuͤr ſich verſtimmtes und uͤberſpanntes
[133] Nervenſyſtem, die andere hauptſaͤchlich durch das erwaͤhnte
Uebergewicht arterieller Thaͤtigkeit, beide indeß namentlich
durch geſtoͤrte Bildung und Lage der Geſchlechtsorgane, und
vorzuͤglich durch irgend ein zu großes Mißverhaͤltniß zwiſchen
ihnen und dem Allgemeinen veranlaßt werden. Ueberhaupt
ſind die beſondern Zufaͤlle der ſchmerzhaften Menſtruation
eigentlich nur als hoͤher geſteigerte Molimina ad Menstrua-
tionem
zu betrachten, und es iſt daher zuweilen dieſe Krank-
heitserſcheinung auch nur auf einen gewiſſen Zeitraum, z. B.
auf die Pubertaͤtsentwicklung ſelbſt eingeſchraͤnkt, mitunter
aber auch bey jeder Periode wiederkehrend *). Das erſtere
iſt dann oft mehr die Folge des Ungewohnten, und gleicht
ſich ſpaͤterhin nicht ſelten ohne alle aͤrztliche Huͤlfe von ſelbſt
aus. — Ferner die uͤberhaupt unordentliche und regelloſe
Menſtruation betreffend, ſo deutet dieſes gaͤnzliche Verlieren
eines geſetzmaͤßigen Typus in dieſer Funktion immer auf be-
deutende Stoͤrungen in den allgemeinen Syſtemen, erſcheint
daher als Symptom der Scrofelkrankheit, krampfhafter Krank-
heiten, z. B. der Epilepſie, des Veitstanzes u. ſ. w., ſo wie
bey angehenden organiſchen Verbildungen der Unterleibseinge-
weide oder der Geſchlechtsorgane ſelbſt **), und kann nur
beſeitigt werden, ſobald der allgemeine Krankheitszuſtand ge-
hoben iſt.


§. 179.

Endlich die Menſtruation aus ungewoͤhnlichen Quellen
anbelangend, ſo ſind zuvoͤrderſt die Organe ſelbſt, welche
hier fuͤr den Uterus vicariirende Thaͤtigkeit ausuͤben, ſehr
[134] verſchieden; einer der haͤufigſten Faͤlle iſt das Ergießen von
Blut aus dem untern Ende des Darmkanals *) durch die
Haͤmorrhoidalgefaͤße, ferner aus der mittlern Gegend deſſel-
ben beym Blutbrechen, und aus der oberſten beym Bluten
des Zahnfleiſches. Außerdem vertreten zuweilen die Thaͤtig-
keit der Uteringefaͤße: die Harnwerkzeuge, die Reſpirations-
organe (und zwar durch Bluthuſten oder Naſenbluten ſowohl,
als durch veraͤnderte Hautthaͤtigkeit, entweder im Allgemei-
nen, wie bey blutigen Schweißen, oder an einzelnen Stel-
len, wie bey periodiſch blutenden Wunden oder Geſchwuͤren),
endlich auch wohl andere Geſchlechtsorgane, und zwar na-
mentlich die Bruͤſte **). Seltner iſt, daß blos vermehrte
Se- oder Excretionen fuͤr die Menſtrualthaͤtigkeit des Uterus
erſcheinen, und Speichelfluͤße, Durchfaͤlle, ſtaͤrkere Harn- oder
Schweißabſonderungen ſtatt eines wahren Blutflußes eintre-
ten, noch ſeltner indeß, daß bey einer ſolchen periodiſchen
Thaͤtigkeit anderer Organe zugleich die eigentliche Menſtrua-
tion erſcheint, welche letztere Faͤlle dann mehr zu der in der
folgenden Rubrik abzuhandelnden uͤbermaͤßigen Menſtruation
gerechnet werden muͤſſen. — Die Gruͤnde betreffend, welche
nun in irgend einem gegebenen Falle gerade eine oder die
andere Art dieſer vicariirenden Blutergießungen herbeyfuͤhren,
ſo koͤnnen ſie verſchieden ſeyn; im Allgemeinen aber iſt zu
bemerken, daß vorzuͤglich die §. 172. u. 173. angegebenen
organiſchen Verbildungen, und uͤberhaupt alles, was direkt
oder indirekt die ausſcheidende Thaͤtigkeit der Uteringefaͤße
hindert, dieſe Form unvollkommner Menſtrualfunktion her-
beyfuͤhren; alſo namentlich die im Folgenden abzuhandelnde
Unterdruͤckung der Menſtruation durch aͤußere gewaltſam einwir-
kende Momente, zweitens aber die abnorm aufgeregte Thaͤtigkeit
anderer Organe entweder mittelſt urſpruͤnglicher Conſtitution
(weßhalb z. B. bey phthiſiſchem Habitus vicariirende Lun-
genblutfluͤße, bey erblicher Haͤmorrhoidalanlage vicariirende
[135] Haͤmorrhoiden haͤufiger vorkommen) oder in Folge oͤrtlicher
Reitze. Endlich wird auch die vicariirende Menſtruation
durch das §. 174 erwaͤhnte Mißverhaͤltniß reproduktiver oͤrt-
licher Thaͤtigkeit des Geſchlechtsſyſtems zu einer ſtaͤrkern all-
gemeinen Reproduktion, namentlich dann begruͤndet, wenn
eine der hier zuletzt genannten Urſachen noch damit ſich ver-
bindet.


§. 180.

Gehen wir nun uͤber zu dem bey unvollkommner Men-
ſtrualfunktion gewoͤhnlichen Krankheitsverlauf, und der
daraus ſich ergebenden Prognoſe, ſo muͤſſen wir wieder
den §. 171—175. erwaͤhnten urſaͤchlichen Momenten folgen.
Hier finden wir nun, daß namentlich die urſpruͤnglichen or-
ganiſchen Fehler eine recht regelmaͤßige und vollkommne Aus-
bildung der Menſtruation oft fuͤr alle Zeit hindern, dadurch
beſondere Langwierigkeit und Unheilbarkeit der Symptome ver-
anlaſſen, und in ſofern eine uͤble Prognoſe bedingen, welche
nur dann verbeſſert werden kann, wenn die Stoͤrungen der
Menſtruation an und fuͤr ſich nicht zu bedeutend ſind, die
urſpruͤngliche allgemeine Conſtitution kraͤftig iſt, und die aͤu-
ßern Verhaͤltniſſe dem Wohle der Kranken angemeſſen geleitet
werden koͤnnen. Im Gegentheil die unvollkommne Men-
ſtruation aus ſpaͤter entſtehenden organiſchen Fehlern betref-
fend (denn bey ſchon entſtandenen und nun ſich nicht wei-
ter bildenden gilt wieder das Obige), ſo ſind hier dieſe
Krankheiten, wie ſchon erwaͤhnt Hauptſache, und Verlauf,
ſo wie Prognoſe, richtet ſich nach der ihnen eigenthuͤmlichen
Natur, von welcher ſpaͤterhin die Rede ſeyn wird, und welche
leider nicht immer die beßten Ausſichten fuͤr das Heil der
Kranken gewaͤhrt. Bey der dritten Urſache, naͤmlich der zu
ſchwachen localen Gefaͤßthaͤtigkeit gegen die allgemeine, wird
ebenfalls der Krankheitsverlauf ſich ſchwerer und hartnaͤckiger
zeigen, je mehr die Geſchlechtsorgane in ihrer Thaͤtigkeit ge-
ſunken, und je reichlicher demohnerachtet die Chylusbereitung
von Statten geht, und es iſt darnach leicht abzunehmen, daß
z. B. in Faͤllen, wo die Schwaͤchung des Geſchlechtsſyſtems nur
voruͤbergehend, durch ſtarke Blutungen etwa veranlaßt wurde, das
[136] Geſammtbefinden aber durch ſeinen kraͤftigern Stand je-
nen oͤrtlichen Mangel bald zu heben verſpricht, der Krank-
heitsverlauf kuͤrzer und die Prognoſe guͤnſtiger ſeyn muͤſſe,
als wo bey einer durch ſcrofuloͤſe Dispoſition, ungeordnete
Diaͤt, geſchlechtliche Ausſchweifungen untergrabenen Conſtitu-
tion der normale periodiſche Blutandrang gegen das Sexual-
ſyſtem Hinderniſſe findet, und nun, ſich gegen andere Or-
gane wendend, die bedeutendſten Beſchwerden, ſowohl durch
Congeſtionen als durch Nervenzufaͤlle herbeygefuͤhrt hat. Am
leichteſten endlich voruͤbergehend, und, wenn auch zuweilen
mit augenblicklich heftigen Symptomen begleitet, doch bald
durch zweckmaͤßige Huͤlfe zur Ordnung ruͤckfuͤhrbar, pflegt
die unvollkommne Menſtruation wegen uͤberwiegender Arterien-
thaͤtigkeit zu ſeyn.


§. 181.

Was die einzelnen Formen der unvollkommnen Men-
ſtrualfunktion betrifft, ſo kann uͤber ſie allein eine beſondere
Beſtimmung des Krankheitsverlaufs und der Prognoſe nicht
Statt finden, in wiefern ſie nur als aͤußere Zeichen der oben
erwaͤhnten urſaͤchlichen Zuſtaͤnde angeſehen werden duͤrfen, und
man alſo z. B. nicht ſagen kann, daß die ſpaͤrliche Men-
ſtruation an und fuͤr ſich leichter oder ſchwerer heilbar ſey
als die ſeltene, oder die mißfarbige, oder die ſchmerzhafte;
wogegen es ſich jedoch von ſelbſt ergiebt, daß bey allen die-
ſen Zuſtaͤnden die Heilung um ſo eher zu erwarten ſteht, je
weniger eingewurzelt und verjaͤhrt, oder wohl gar durch erb-
liche Anlagen begruͤndet, dieſelben erſcheinen.


§. 182.

Wir kommen nun zu den Mitteln, welche die Kunſt
darbietet, um die Heilung des Krankheitszuſtandes, welcher
durch unvollkommne Menſtruation ſich aͤußert, zu bewerkſtel-
ligen, und muͤſſen hier wieder zwei Erinnerungen voraus-
ſenden, erſtens daß man, bevor man an eine ſolche Heilung
denke, ſtets erwaͤge, ob die in einem gegebenen Falle be-
merkte zu ſparſame oder ſonſt unvollkommene Menſtruation
hier auch wirklich krankhaft genannt werden duͤrfe, oder nicht
[137] vielmehr in dieſem Maaße gerade fuͤr das Wohlbefinden des
Koͤrpers noͤthig ſey, wohin z. B. die verminderte Menſtrua-
tion bey angehender Schwangerſchaft, bey acuten oder chro-
niſchen Krankheitszuſtaͤnden anderer Organe, waͤhrend der
Reconvalescenz u. ſ. w. gehoͤrt; zweitens, daß man nicht etwa
glaube, dem Willen der Natur Genuͤge gethan zu haben,
wenn man uͤberhaupt die Blutergießung zu Stande bringe,
als in welchem Falle ſonſt eine kuͤnſtliche Blutentziehung ja
ſchon hinreichen wuͤrde, die Krankheit zu heben, und die
Menſtruation zu erſetzen. Offenbar muß es naͤmlich bey die-
ſem Heilungsgeſchaͤft Hauptaugenmerk des Arztes ſeyn, die
Geneſis des Krankheitszuſtandes von dem die unvollkomne
Menſtruation das aͤußere Zeichen abgiebt, ſich klar vor Au-
gen zu legen, und dann die Momente, deren Produkt das
Uebel iſt, zu beſeitigen.


§. 183.

Wenden wir uns daher zuerſt zur Behandlung ei-
ner wegen urſpruͤnglichen Bildungsfehlern der
Geſchlechtstheile unvollkommnen Menſtrualfunk-
tion
, ſo kann allerdings hier die Kunſt am wenigſten aus-
reichen, um die Wurzel der Krankheit zu zerſtoͤren, es wird
vielmehr Hauptzweck bleiben muͤſſen, die Folgen dieſes Miß-
verhaͤltnißes zu verhuͤten oder zu heben, welches am ſicher-
ſten auf aͤhnliche Weiſe geſchehen wird, wie es oben (§. 167
u. 169.) fuͤr die verzoͤgerte oder mangelnde Menſtruation an-
gegeben worden war, und wobey denn in der zweckmaͤßig
eingerichteten Diaͤt und Lebensordnung bey weitem wieder
das wichtigſte Moment zur Linderung dargeboten iſt. Was
ferner die Behandlung der unvollkommenen Menſtrualfunktion
wegen ſpaͤter entſtandener Verbildung der Geſchlechtstheile be-
trifft, ſo iſt zu unterſcheiden, ob der Verbildungsproceß noch
im Gange, oder ob derſelbe abgeſchloſſen und die Verbildung
als fertiges Produkt zuruͤckgeblieben iſt. Im erſtern Falle
iſt eher die Ruͤckbildung zu normaler Form, oder doch Ver-
minderung des Uebels zu hoffen, und man behandelt daher
daſſelbe ganz abgeſehen von der abnormen Menſtruation nach
den Regeln, die wir im Folgenden fuͤr jene Bildungskrank-
[138] heiten durchgehen werden. Im andern Falle, wo die Des-
organiſation beendigt iſt, eben daher aber auch aͤrztlicher
Huͤlfe wenig Zugang mehr darbietet (z. B. bey Steatomen,
Verknoͤcherungen, Verhaͤrtungen, Verwachſungen), bleibt es
wieder, wie bey den urſpruͤnglichen Verbildungen, Hauptauf-
gabe, den Stand allgemeiner Reproduktion mit der Gefaͤß-
thaͤtigkeit des Geſchlechtsſyſtems in Uebereinſtimmung zu brin-
gen, eine zu reichliche Chyluserzeugung zu beſchraͤnken, und
eingetretene (gewoͤhnlich nur erſt durch fehlerhafte Lebensweiſe
herbeygefuͤhrte) Beſchwerden, z. B. Congeſtionen, Kraͤmpfe,
ſchmerzhafte Zuſtaͤnde u. ſ. w. durch die §. 167. und 169.
erwaͤhnten Mittel und Vorſchriften zu heben.


§. 184.

Ferner iſt die Behandlung der unvollkommnen Men-
ſtruation wegen unzulaͤnglicher Erregung reproduktiver Thaͤ-
tigkeit des Geſchlechtsſyſtems zu erwaͤgen. Wieder aber wird
die Wirkſamkeit des Arztes gegen die Erzeuger der Krank-
heit, die veranlaſſenden und vorbereitenden Urſachen zunaͤchſt
gerichtet ſeyn muͤſſen. Zeigt ſich daher in andern Organen
eine uͤberwiegende Erregung, wie dieß bey habituellen wohl
ſelbſt zu Blutergießungen fuͤhrenden Congeſtionen nach Kopf,
Bruſt, Haͤmorrhoidalgefaͤßen u. ſ. w., oder bey Wunden, Ge-
ſchwuͤren oder Hautkrankheiten der Fall iſt, ſo wird wieder
von dieſen Krankheiten die Urſache zu bedenken und zu beſei-
tigen ſeyn. Die erwaͤhnten Congeſtionen naͤmlich koͤnnen
theils ihren Grund haben in den Zuſtaͤnden der Unterleibs-
organe (der Quelle ſo außerſt verſchiedenartiger Leiden) und
ſind dann die Folgen unregelmaͤßiger Diaͤt, vorhandener Ob-
ſtruktion, Druͤſenanſchwellungen oder anderer Auftreibungen,
wo ſodann eine gelind ausleerende Heilmethode, verbunden
mit ſtrenger, einfacher Diaͤt, um ſo mehr leiſtet, da eine
ſolche Aufregung der Unterleibsorgane zugleich wohlthaͤtig das
Geſchlechtsſyſtem mit in Anſpruch nimmt. Sind jene Wal-
lungen hingegen mehr Folgen ſehr reichlicher Bluterzeugung
und der allgemeinen Koͤrperbildung (wie etwa bey ſtarkem
kurzem Koͤrperbau Congeſtionen nach dem Kopfe mit Schwin-
del und Naſenbluten, bey phthiſiſchem Habitus Beſchwerung
[139] der Reſpirationsorgane und Bluthuſten gern vorzukommen
pflegen), ſo iſt durch Beſchraͤnkung aller auf die leidenden
Theile wirkenden Reitze und durch antagoniſtiſche Erregung
anderer Gebilde am meiſten auszurichten. Man ordnet in
dieſen Faͤllen ein kuͤhles Regimen an, laͤßt die Kranken nicht
in dicken Federbetten ſchlafen, laͤßt eine mehr vegetabiliſche
Diaͤt fuͤhren, ſaͤuerliche Getraͤnke, bey Bruſtkrankheiten Mol-
ken u. dgl. genießen, reicht von Zeit zu Zeit blande Abfuͤhr-
mittel, wendet noͤthigenfalls ſelbſt allgemeine Blutentziehungen
durch einen Aderlaß am Fuße an, oder beſtimmt wenigſtens
zur Zeit der herannahenden Menſtruation Fußbaͤder oder Blut-
igel an das Perinaeum.


§. 185.

Bey andern krankhaften Zuſtaͤnden, als Wunden, Ge-
ſchwuͤren, Hautkrankheiten, muß, um die Menſtruation zu
ordnen, die Heilung dieſer Zuſtaͤnde vorausgehen, und zwar
unter den Vorſichtsmaaßregeln, welche die etwa bereits laͤn-
gere Dauer derſelben noͤthig macht, weßhalb dann z. B. bey
Heilung ſcrofuloͤſer langwieriger Geſchwuͤre das Tragen eines
Fontanells waͤhrend einiger Zeit nuͤtzlich ſeyn wird u. ſ. w. —
Zugleich aber wird bey ſich hebender allgemeiner Reproduk-
tion auf gelinde Erregung des Geſchlechtsſyſtems Ruͤckſicht
genommen werden muͤſſen, weßhalb auch hier Fußbaͤder, wol-
lene Bekleidung der Unterſchenkel, trockne Friktionen derſel-
ben, bey Vollbluͤtigen Blutigel an das Perinaͤum, bey Phleg-
matiſchen ſpirituoͤſe Einreibungen in der regio hypogastrica,
Elektricitaͤt, das Tragen aromatiſcher Kraͤuterguͤrtel, von Zeit
zu Zeit das Darreichen einer Abfuͤhrung aus Senna, Rheum
und aͤhnlichen Mitteln gute Wirkung thun. — Ueberhaupt
ſind bey allen Arten einer auf dieſe Weiſe geſtoͤrten Harmonie
koͤrperlicher Thaͤtigkeit, Mittel, welche durch ihre an ſich
indifferente Natur Herſtellung des Gleichgewichts befoͤr-
dern, aͤußerſt nuͤtzlich, und dahin rechnen wir ganz beſonders
die Wirkung des lauen Bades, welches, verbunden mit Sorg-
falt fuͤr Erhaltung und Herbeyfuͤhrung einer ruhigen und
heitern Gemuͤthsſtimmung, die Heilung ſo weſentlich un-
terſtuͤtzt.


[140]
§. 186.

Weiter fanden wir die unvollkommene Menſtrualfunk-
tion (§. 174.) bedingt durch oͤrtliche Schwaͤche des Sexual-
ſyſtems in Folge von Erſchoͤpfung oder Ueberreitzung. Bey
Behandlung dieſer Zuſtaͤnde iſt nun aber zuerſt immer das
Verhaͤltniß allgemeiner Bildungsthaͤtigkeit zu beruͤckſichtigen,
welche ſtets, wo ſie zugleich bedeutend gelitten hat, zuerſt
die Aufmerkſamkeit des Arztes fordert, da, wie ſchon mehr-
mals erinnert worden, die Menſtrualfunktion nur das Er-
gebniß allgemeiner Lebensthaͤtigkeit ſeyn kann. Man hat da-
her auch hier mit Beruͤckſichtigung des Organs, in welchem
die Wurzel der Geſammternaͤhrung ſich findet, d. i. des
Darmkanals, den Anfang zu machen, und wenn unter zweck-
maͤßiger Behandlung die Aſſimilation wieder regelmaͤßiger von
Statten geht, die die Muskelfaſer ſtaͤrkenden Mittel, als
China, Eiſen, Wein, Baͤder, Bewegung und freye Luft
ohngefaͤhr eben ſo wie oben (§. 162.) gelehrt wurde, anzu-
wenden.


§. 187.

Was hingegen die oͤrtliche Schwaͤche betrifft, ſo iſt zu
unterſcheiden, ob ſie mit erhoͤhter Empfindlichkeit oder mit
Apathie ſich verbunden zeigt. Im erſtern Falle iſt zunaͤchſt
auf Beſchraͤnkung aller das Geſchlechtsſyſtem erregender Reitze
Ruͤckſicht zu nehmen, der Gebrauch des Thees, der Cho-
kolade, gewuͤrzter Speiſen zu unterſagen, bey Frauen die
aͤußerſte Maͤßigkeit im Geſchlechtsgenuße zur Pflicht zu ma-
chen, und eben ſo ſehr alle Erregung der Phantaſie durch
weichliche Romanenleſerey zu unterſagen, vielmehr auf Zer-
ſtreuung und Aufheiterung des Gemuͤths mittelſt geregelter
Beſchaͤftigung Ruͤckſicht zu nehmen. Wird dieſes hinlaͤnglich
befolgt, das allgemeine Befinden durch die paſſende Anwen-
dung des erwaͤhnten ſtaͤrkenden Heilplans mehr und mehr
zur Norm zuruͤckgefuͤhrt, ſo werden gewoͤhnlich auch die Un-
regelmaͤßigkeiten der Menſtrualfunktion ſich verlieren, und wir
erwaͤhnen nur noch, daß bey einem hohen Grade von Atonie
auch Halbbaͤder oder Waſchungen aus einem Abſud von Ser-
pillum, Absinthium,
Tragen eines Guͤrtels mit dem Pulver
[141] der Eichenrinde gefuͤllt, und oͤfters mit rothem Wein befeuch-
tet, und beſonders der Gebrauch eiſenhaltiger Mineralbaͤder
mit vorzuͤglichem Nutzen angewendet werden koͤnnen.


§. 188.

Iſt hingegen (was vorzuͤglich nach zu haͤufigen Wo-
chenbetten, Leucorrhoͤe, ſyphilitiſchen Zuſtaͤnden und phlegma-
tiſchen Conſtitutionen, vorzukommen pflegt) die Schwaͤche der
Geſchlechtstheile mit bedeutend verminderter Senſibilitaͤt ver-
bunden, die Reproduktion im Allgemeinen aber kraͤftig ge-
nug, um die Bedingung zu einer reichlichern und zur rech-
ten Zeit eintretenden Menſtruation zu enthalten, ſo iſt vor-
zuͤglich die Reihe jener Mittel in Anwendung zu ziehen, de-
ren Wirkung das Nerven- und Gefaͤßſyſtem der Geſchlechts-
organe beſonders in Anſpruch nimmt, und welche im §. 164
bereits ausfuͤhrlich angegeben wurden.


§. 189.

Endlich mußte denn auch die zu ſehr hervorgehobene
Thaͤtigkeit des arteriellen Syſtems unter die Urſachen der un-
vollkommenen Menſtrualfuntion aufgenommen werden, und
wir haben ruͤckſichtlich der Behandlung dieſer Zuſtaͤnde nur
wieder die Regeln in Erinnerung zu bringen, welche bey
aͤhnlichem Zuſtande §. 168. gegeben worden ſind, und welche
in Anordung eines antiphlogiſtiſchen Regimens, beſchraͤnkter
Diaͤt, der Abfuͤhrungen und der Blutentziehungen vorzuͤglich
beſtanden.


§. 190.

Indem wir nun bisher vorzuͤglich die eigentlichen Ur-
ſachen der abnormen Zuſtaͤnde der Menſtruation ins Auge
faßten, wurden zugleich auch die eigentlichen Grundzuͤge hier
einzuleitender aͤrztlicher Behandlung entworfen, und die ein-
zelnen Modifikationen in der aͤußern Erſcheinung dieſer Krank-
heitszuſtaͤnde, z. B. das zu ſeltne, zu ſpaͤrliche, das miß-
farbige Fließen der Menſtruation, kann ebenfalls nur geringe
Modificationen der Behandlung veranlaſſen. Es iſt naͤmlich,
ob die eine oder die andere Form der unvollkommenen Men-
[142] ſtruation erſcheine, vorzuͤglich das Verhaͤltniß zwiſchen Gefaͤß-
und Nervenſyſtem, und zwiſchen Geſchlechts- und andern
Organen beſtimmend (§. 177—79.), und man thut daher
wohl, bey zu ſeltner Menſtruation (welche beſonders bey
verminderter Senſibilitaͤt einzutreten pflegt) außer den durch
ſonſtige Urſachen indicirten Mitteln, vorzuͤglich den §. 168.
angezeigten Heilplan zu befolgen, und gegen die normale
Zeit des eigentlichen Eintritts, namentlich die gelind erregen-
den Mittel: Fußbaͤder, Meliſſen- und Valeriana-Aufguß,
Elektrizitaͤt, aromatiſche Baͤder, trockne Friktionen der Un-
terſchenkel u. ſ. w. anzuwenden. Die uͤberhaupt unordentliche
Menſtruation iſt mehr Symptom allgemein verſtimmten
Befindens, und wird weichen, wenn jenes gehoben iſt. Eben
ſo macht die ſpaͤrliche Menſtruation beſonders das Beruͤck-
ſichtigen allgemeiner und oͤrtlicher Reproduktion die mißfar-
bige vorzuͤglich die Behandlung ſonſtiger Krankheitszuſtaͤnde
des Uterus (als mit welchen ſie am haͤufigſten verbunden
iſt) nothwendig.


§. 191.

Die ſchmerzhafte Menſtruation hingegen iſt vorzuͤglich
an Bildungsfehler des Uterus oder abnorme Lagen deſſelben
und allgemeines Vorwalten des Nervenſyſtems geknuͤpft, und
verlangt daher theils Behandlung jener organiſchen Urſachen,
oder, wo dieſe als unheilbar erſcheinen, moͤglichſte Beſeiti-
gung dieſer Symptome, indem man bey mehr entzuͤndlicher
Natur derſelben, welche bey reichlicher Bluterzeugung, ſitzen-
der Lebensweiſe und kraͤftigem Koͤrperbau vorzuͤglich beobach-
tet wird, oͤrtliche Blutentziehungen, kuͤhlende Abfuͤhrungen,
antiphlogiſtiſche Diaͤt, laue Baͤder anwendet; dahingegen, wo
dieſe Erſcheinungen urſpruͤnglich minder dem Gefaͤßſyſtem als
dem Nervenſyſtem angehoͤren, die, die Senſibilitaͤt direkt her-
abſtimmenden, oder antagoniſtiſch dieſelbe in den Geſchlechts-
theilen durch vermehrte Erregung anderer Organe herabſetzen-
den Heilmittel in Anwendung kommen. Wir rechnen zu den
erſtern die Halbbaͤder, Dampfbaͤder und Injektionen von Cha-
millen-, Valeriana- und Bilſenkraut-Abſud, die von den
erſtern Kraͤutern bereiteten und mit oͤhlichten oder ſchleimig-
[143] ten Mitteln verſetzten Lavements, die Einreibungen von
Opiatſalbe in die Kreuzgegend, die warmen trocknen Fomen-
tationen und die Cataplasmata aus den Spec. emollienti-
bus
uͤber die regio hypogastrica, die allgemeinen lauen
Baͤder, und innerlich den Gebrauch des Opiums in kleinen
Gaben, der Emulſionen, der Valeriana und ihrer Praͤpa-
rate, des Liq. C. C., des Moſchus, der Tr. Castorei u.
ſ. w. Zu der zweiten Klaſſe hingegen rechnen wir die rei-
tzenden Fußbaͤder, die fluͤchtig reitzenden Einreibungen in die
Kreuzgegend, die Befoͤrderungsmittel der Transſpiration und
Synapismen an die Unterſchenkel.


§. 192.

Zuletzt die Menſtruation aus ungewoͤhnlichen Quellen
betreffend, ſo ſind hier vorzuͤglich die §. 184. u. 190. gege-
benen Regeln zu bedenken, und es iſt darnach die Behand-
lung der einzelnen Faͤlle anzuordnen. Was demnach die Be-
handlung von dem die Regeln vertretenden Naſenbluten, Blut-
huſten u. ſ. w. betrifft, ſo iſt daruͤber ſchon oben das Naͤhere
erwaͤhnt, allein von den uͤbrigen vicariirenden Ausſcheidungen
gedenken wir hier noch der Blutungen aus den Bruſtwarzen,
wogegen vorzuͤglich das Einreiben vom Oleo camphorato,
das Bedecken mit Emplastro de Cicuta und E. mercuriali,
verbunden mit dem Gebrauche reitzender Fußbaͤder, der Elektri-
citaͤt, der Purgiermittel, ſo wie der ſaliniſchen Mineralquellen
und Baͤder empfohlen werden kann.


C.Uebermaͤßiges Hervortreten der Menſtrual-
funktion
.

§. 193.

So wie die unvollkommne Menſtruation den Verzoͤge-
rungen der Pubertaͤtsentwicklung verwandt war, ſo die uͤber-
maͤßig erſcheinende der zu fruͤhzeitig entwickelten Geſchlechts-
reife. Begriffen werden darunter alle Zuſtaͤnde, wo die Men-
ſtrualfunktion zum Nachtheile des allgemeinen Be-
findens
das oben (§. 119. u. f.) bezeichnete Maaß uͤber-
[144] ſchreitet. Als verſchiedene Formen, unter welchen dieſer
Krankheitszuſtand erſcheint, ſind theils die der Quantitaͤt nach
zu ſtarke, theils die der Zeit nach zu haͤufige Menſtruation
aufzufuͤhren; beydes kann ſich indeß auch vereinigen oder ab-
wechſelnd ſich zeigen, ja ſelbſt (bey der unordentlichen Men-
ſtruation) mit der unvollkommnen Menſtruation abwechſeln.
Weſentlich bleibt auch hier das Beruͤckſichtigen der urſachlichen
Momente, welche ein ſolches Mißverhaͤltniß zwiſchen ge-
ſchlechtlicher Thaͤtigkeit und insbeſondre dem Leben der Uterin-
gefaͤße und allgemeiner Bildungsthaͤtigkeit hervorrufen; denn
auch hier iſt klar, daß nur durch dieſes Mißverhaͤltniß der
Zuſtand zur Krankheit wird, indem, wenn die Menſtruation
im Einklange mit ſehr reichlicher allgemeiner Bluterzeugung
ſtaͤrker oder haͤufiger erſcheint, dieß allerdings mit vollkomm-
nem Wohlbefinden verbunden ſeyn kann, und folglich keiner
aͤrztlichen Behandlung unterliegen wird.


§. 194.

Innere vorbereitende Urſachen dieſer Abnormi-
taͤt ſind aber 1) ſanguiniſches Temperament, kurzer gedraͤng-
ter Koͤrperbau mit ſtark entwickeltem Sexualſyſtem, durch die
breiten Huͤften und ſehr vollen Bruͤſte, ſo wie durch ſtaͤrkere
Geſchlechtsneigung charakteriſirt; oder auch im Gegentheile
eine ſchwaͤchliche aber beſonders reitzbare Conſtitution; kurz,
ein urſpruͤngliches, in der organiſchen Bildung ſelbſt beding-
tes Ueberwiegen der Geſchlechtsthaͤtigkeit, welches, wenn es
mehr im Gefaͤßſyſtem ſich ausſpricht, namentlich von der zu
ſtarken, wenn es mehr im Geſchlechtsſyſtem ſich kund giebt,
mehr von der haͤufiger erſcheinenden Menſtruation begleitet
wird. 2) Hoher Grad von Atonie der Geſchlechtsorgane,
wo bey unvollkommner Contraktilitaͤt der Uteringefaͤße reich-
lichere Blutergießungen, als der Stand allgemeiner Bildungs-
thaͤtigkeit fordert, erfolgen, ein Zuſtand, welcher theils durch
zu haͤufige Wochenbetten, fruͤhere Haͤmorrhagien, Ausſchwei-
fungen und Krankheiten der Genitalien (z. B. Leucorrhoͤe
und Syphilis) herbeygefuͤhrt werden kann. 3) Organiſche
Verbildungen der Genitalien durch Abſceſſe, Verhaͤrtungen und
Carcinoma. 4) Krankheiten benachbarter Organe, wodurch
[145] der regelmaͤßige Blutlauf in den Unterleibsorganen geſtoͤrt
wird, wohin ſcrofuloͤſe Zuſtaͤnde, Krankheiten des Pfortader-
ſyſtems, Obſiruktionen und Auftreibungen einzelner Einge-
weide gerechnet werden muͤſſen.


§. 195.

Aeußere veranlaſſende Urſachen ſind 1) eine
zu reichlich naͤhrende Diaͤt von vielen Fleiſchſpeiſen, ſtarken
Bieren, vorzuͤglich bey ſitzender Lebensweiſe, wobey ohne die
Ernaͤhrung der organiſchen Gebilde kraͤftig zu foͤrdern, nur
die Maſſe des Blutes vermehrt wird, ſich dann vorzuͤglich
in den Venen (den eigentlichen Reſervoirs der Blutmaſſe)
anhaͤuft, und daher nun, ſo wie mancherley andere Blut-
fluͤße auch die zu reichliche Menſtruation erzeugt. 2) Aeußere
Einfluͤße, welche durch Erregung der Nerven der Sexual-
organe den ſtaͤrkern Blutandrang nach denſelben veranlaſſen,
wohin a) pſychiſche Reitze gehoͤren, als haͤufiger Umgang mit
dem andern Geſchlecht, Romanenleſerey und ſchluͤpfrige Phan-
taſien; b) eigentliche Geſchlechtsreitze, durch vielfache Aus-
ſchweifungen; c) Reitzungen der Geſchlechtsorgane durch er-
hitzende Bewegungen, z. B. Tanzen, oder erhitzende, gewuͤrzte
oder ſpirituoͤſe Speiſen und Getraͤnke; d) Mißbrauch erhitzen-
der diaͤtetiſcher und arzneylicher Mittel, innerlich oder aͤu-
ßerlich (als Injektionen, ſehr warme reitzende Baͤder, Dampf-
baͤder, Kohlentoͤpfe u. ſ. w.) angewendet; e) endlich die Stim-
mung der Atmosphaͤre, naͤmlich ſehr heiße Temperatur, trockne
Kaͤlte, Fruͤhlings- und Herbſtzeit. 3) Gehoͤren hierher aͤu-
ßere, den regelmaͤßigen Blutlauf der Unterleibsorgane be-
ſchraͤnkende Einwirkungen, namentlich zu feſt anliegende Klei-
der, Einſchnuͤren des Leibes u. ſ. w.


§. 196.

Es iſt ferner von dem Gange, welchen dieſer krank-
hafte Zuſtand nimmt, von den fuͤr das allgemeine Befinden
zu befuͤrchtenden Folgen und der hieraus ſich ergebenden
Prognoſe zu ſprechen, wobey denn leicht zu erkennen ſeyn
wird, daß alles dieſes nach der verſchiedenen Entſtehung und
Begruͤndung des Uebels verſchieden ſeyn muͤſſe. Man findet
I. Theil. 10
[146] naͤmlich, daß, wo eine ſtarke reproduktive Thaͤtigkeit, welche
in den Geſchlechtsorganen vorherrſcht, verbunden mit zu reich-
licher Diaͤt und weniger Koͤrperbewegung, das Uebermaaß in
der Menſtrualfunktion veranlaßt, die Wirkungen derſelben zu-
voͤrderſt eher wohlthaͤtig als nachtheilig erſcheinen, allein daß
bey ſehr haͤufiger Wiederkehr ſo ſtarker Ausſcheidungen die
Uteringefaͤße ſich erweitern, erſchlaffen, und, indem dieſe ha-
bituell gewordenen Ausleerungen auch ohne allgemeine reich-
lichere Bluterzeugung fortdauern (dann als ſogenannte paſſive
Blutungen), zuletzt allgemeine und oͤrtliche Krankheiten, als
Waſſerſucht, Gelbſucht, Auszehrung, Unfruchtbarkeit, Vor-
faͤlle und weißen Fluß herbeyfuͤhren, weßhalb denn hier alſo
die Prognoſe vorzuͤglich auf die Dauer des Uebels Ruͤckſicht
zu nehmen hat. — Noch leichter und ſchneller entſtehen die
erwaͤhnten Zufaͤlle jedoch, wenn die uͤbermaͤßige Menſtruation
mehr durch Vorwalten der Senſibilitaͤt der Geſchlechtsorgane,
und durch aͤußere die Reitzbarkeit krankhaft erhoͤhende Ein-
fluͤße (§. 195. 2.) erzeugt worden war, als unter welchen
Umſtaͤnden Schwaͤche des Muskularſyſtems, Sinken der aſſi-
milativen Funktion, Ueberhandnehmen der Reitzbarkeit entſteht
und ſo zu Nervenzufaͤllen, Gemuͤthskrankheiten u. ſ. w. der
Weg gebahnt iſt.


§. 197.

Iſt ferner die allzureichliche Menſtruation Folge einer
durch zu haͤufige Wochenbetten u. ſ. w. verurſachten Atonie
der Uteringefaͤße, ſo werden die im vorigen Paragraph er-
waͤhnten Beſchwerden nur um ſo raſcher ſich einſtellen, ja
dem Leben endlich gefaͤhrlich werden koͤnnen; und es gilt
daſſelbe auch dann, wenn dieſer Blutverluſt durch organiſche
Verbildungen (§. 194. 3.) erzeugt wird, wo, obgleich hier
der Blutfluß eigentlich nur Symptom einer andern Krankheit
iſt, doch das Sinken allgemeiner Reproduktion, welches an
und fuͤr ſich ſchon dieſe Krankheiten begleitet, dadurch nur
noch mehr beſchleunigt wird. Was endlich die Faͤlle betrifft,
wo dieſe Abnormitaͤt der Menſtrualfunktion durch Krankheiten
anderer und vorzuͤglich der Unterleibsorgane bedingt wird, ſo
richtet ſich hier Verlauf und Prognoſe wieder ganz nach die-
[147] ſen urſachlichen Krankheitszuſtaͤnden, und es iſt nur zu er-
waͤgen, daß eine laͤngere Dauer dieſes Blutverluſtes theils
die Geſchlechtsorgane ſelbſt zu andern Krankheiten disponirt,
theils die Zerruͤttung des Allgemeinbefindens immer mehr
beſchleunigen muͤſſe.


§. 198.

Indem wir nun ferner die rechte Art der Behand-
lung
uͤbermaͤßiger Menſtrualfunktion erwaͤgen, iſt wieder zu-
naͤchſt darauf aufmerkſam zu machen, daß man nicht uͤber-
ſehe, wie gewoͤhnlich auch dieſer Zuſtand blos Produkt oder
Symptom einer allgemeinen Verſtimmung ſey, und wie we-
nig daher auch hier bloßes Zuruͤckhalten des Blutes Abſicht
eines aͤchten Heilverfahrens ſeyn koͤnne. Alle Mittel folglich,
welche durch Contraktion der Uteringefaͤße oft ploͤtzlich eine
bedeutende Blutergießung zu hemmen vermoͤgen, werden auf
die Faͤlle eingeſchraͤnkt bleiben, wo die Menſtruation in
wahre Haͤmorrhagie uͤbergeht, und werden daher auch erſt
bey dieſer Krankheit naͤher durchgegangen werden *). — Um
ſo mehr iſt dagegen auf Lebensordnung und Diaͤt Ruͤckſicht
zu nehmen, dieſe ſo maͤchtigen Mittel in der Hand des auch
außer dem Receptbuche noch Heil ſuchenden Arztes **), und
wir finden daher ſchon von Astruc (wie denn uͤberhaupt die
franzoͤſiſchen Aerzte dieſes Feld der Heilkunde ſtets auf lo-
benswerthe Art beruͤckſichtigten) und neuerlich von Siebold
die diaͤtetiſchen Regeln in der Behandlung dieſes krankhaften
Zuſtandes obenan geſtellt, welches ja wohl eigentlich uͤberall
geſchehen ſollte, indem dieſe allgemeinſten Einfluͤße ja die Be-
dingungen
des Lebens enthalten.


§. 199.

Allgemein kann es daher hier zur Regel gemacht wer-
den: 1) heftige, anſtrengende Bewegungen des Koͤrpers und
[148] des Gemuͤths zu vermeiden; 2) erhitzender, ſpirituoͤſer oder
gewuͤrzter Getraͤnke und Speiſen ſich zu enthalten; 3) keine
engen einzwaͤngenden Kleidungsſtuͤcke zu tragen; 4) ſich da-
gegen an kuͤhles Verhalten, leichte mehr vegetabiliſche Diaͤt
zu gewoͤhnen; 5) beſonders große Maͤßigkeit hinſichtlich der
Geſchlechtsbefriedigung zu beobachten, und 6) vor, in und
nach der Menſtruationsperiode mehr die horizontale Lage an-
zunehmen. — Ueberhaupt alſo die §. 195. genannten veran-
laſſenden Urſachen zu vermeiden.


§. 200.

Die mediciniſche Behandlung hingegen wird namentlich
die Beſeitigung der innern Verſtimmungen, welche dieſe zu
ſtarke Ausſcheidung bedingen, zu bewirken ſuchen, und in
ſofern bey verſchiedenen Faͤllen verſchieden ſeyn; iſt daher uͤber-
haupt eine reichliche Stofferzeugung vorhanden und mit vor-
herrſchender produktiver Thaͤtigkeit der Uteringefaͤße verbunden,
ſo wird zwar hier die ſtaͤrkere Blutausſcheidung fuͤr den Au-
genblick ſelbſt heilſam werden und nicht zu ſtoͤren ſeyn, allein
um fernern Nachtheilen vorzubauen, iſt ſodann noͤthig, außer
einem ſtreng antiphlogiſtiſchen Regimen, von gelinden Ab-
fuͤhrmitteln (aus Mittelſalzen, Pulpa Tamarindorum u. ſ. w.)
Gebrauch zu machen, ja es koͤnnen vorzuͤglich Anfangs der
Behandlung ſelbſt allgemeine Blutentleerungen mit dem guͤn-
ſtigſten Erfolge angewendet werden; es muß ferner, außer
der Periode, durch geregelte angemeſſene Bewegung fuͤr Un-
terhaltung einer gelinden Transſpiration und Verarbeitung
der aſſimilirten Stoffe geſorgt, beym Herannahen der Periode
aber der Gebrauch des Nitrums und der vegetabiliſchen
Saͤuren empfohlen werden.


§. 201.

Iſt es hingegen mehr allgemeine und oͤrtlich aufgeregte
Senſibilitaͤt, welche die profuſe Menſtruation hervorrief, ſo
muͤſſen die weitern, haͤufig in der Lebensart allein liegenden
Urſachen, von welchen dieſes abhaͤngt, aufgeſucht und moͤg-
lichſt beſeitigt werden, als eigentliche Heilmittel aber dienen
dann innerlich die rein bittern Mittel, Extrakte, China, Eiſen,
[149] welche namentlich außer den Perioden, und bey ſtaͤtiger Ruͤck-
ſicht auf die regelmaͤßige Funktion des Darmkanals angewen-
det werden muͤſſen; ferner zur Zeit des Eintritts der Periode
das verduͤnnte Acidum vitrioli mit Himbeerſaft zum Ge-
traͤnk, auch wohl unterſtuͤtzt durch die Wirkung ſtaͤrkerer an-
tiſpasmodiſcher Mittel, z. B. des Dowerſchen Pulvers.
Aeußerlich wirken in den Zwiſchenraͤumen der Perioden kuͤhle,
mit Hb. absinthii u. ſ. w. verſetzte, oder eiſenhaltige Baͤder,
kaltes Waſchen der Geburtstheile, Tragen von Guͤrteln mit
bittern Rinden- oder Kraͤuterpulvern gefuͤllt, der Genuß einer
reinen und mehr kuͤhlen Luft, unter zweckmaͤßiger, die Erhi-
tzung der Phantaſie ableitender Beſchaͤftigung, vorzuͤglich wohl-
thaͤtig. In der Periode iſt vollkommne Ruhe Pflicht. Zu-
gleich iſt uͤbrigens Sorgfalt fuͤr Unterſtuͤtzung der Reproduk-
tion nicht zu uͤbergehen, theils weil außerdem leicht die
Schwaͤche und Reitzbarkeit bey dem uͤbermaͤßigen Saͤfteverluſt
auf einen gefaͤhrlichen Grad ſteigt, theils weil eine kraͤftiger
werdende Reproduktion ſchon an und fuͤr ſich die zu große
Reitzbarkeit mindert. Man ordnet daher (außerdem, daß
ſchon die obgedachten Tonica die Reproduktion unterſiuͤtzen)
eine leicht verdauliche Diaͤt von Bouillon, Sago, Gries,
Eyern an, laͤßt in den Zwiſchenzeiten der Periode einen kraͤf-
tigen alten Rheinwein in angemeſſenen Doſen gebrauchen und
empfiehlt Aufheiterung, Landluft u. ſ. w.


§. 202.

Iſt hingegen wahre Atonie der Uteringefaͤße Krankheits-
urſache, [ſo] muͤſſen die im vorigen Paragraph angezeigten
Mittel mit Ausnahme der Antispasmodicorum, und nach
den Umſtaͤnden in verſtaͤrkter Gabe und mit mehr fluͤchtig
reitzenden Stoffen vermiſcht gegeben werden, wobey uͤbrigens
ſtets wieder der Zuſtand allgemeiner Ernaͤhrung die erſte
Ruͤckſicht verdient, indem wir leicht bemerken koͤnnen, daß
dieſe Zuſtaͤnde am gewoͤhnlichſten bey aͤltlichen phlegmatiſchen
Koͤrpern, deren Verdauung ſchlecht von Statten geht, welche
zu Obſtruktionen und Waſſerſuchten geneigt ſind, vorkommen,
und ſich, wo ſie ganz rein durch oͤrtliche Urſachen in einem
uͤbrigens kraͤftigen Koͤrper veranlaßt wurden, gemeinhin auch
[150] ſehr bald, ja ohne alle aͤrztliche Huͤlfe, verlieren. — Außer
den Perioden werden alſo, nach Beruͤckſichtigung des Zuſtan-
des im Darmkanal, die Aufloͤſungen der Extrakte in aroma-
tiſchen Waͤſſern, die Decokte der China mit geiſtigen Tinktu-
ren, oder die weinigten Infusa derſelben, wie auch die Ei-
ſenpraͤparate verordnet, geiſtige Einreibungen in die regio
hypogastrica
und ossis sacri angewendet, eiſenhaltige oder
aromatiſche Baͤder gebraucht; zur Zeit der Periode hingegen
die mehr coutrahirenden Mittel, als z. B. Acidum Halleri,
Acidum phosphori
(zu 15—20 Tropfen in einem ſchlei-
migen Vehikel) ja ſelbſt bey ſtaͤrkern Blutergießungen die
T. Cinnamomi in Gebrauch gezogen; im Allgemeinen end-
lich wird die Bildungsthaͤtigkeit durch eine kraͤftige nahrhafte
Diaͤt unterſtuͤtzt.


§. 203.

Endlich iſt denn aber auch die profuſe Menſtruation
reines Symptom anderer Krankheiten, und zwar theils des
Uterus, theils benachbarter Organe, und dann kann es an
und fuͤr ſich einer weitern aͤrztlichen Behandlung nicht unter-
worfen ſeyn, außer daß waͤhrend der Periode die obigen Re-
geln (§. 199.) beobachtet werden muͤſſen, und daß bey zu
heftigem Blutabgange zuweilen von innerlich oder aͤußerlich
anwendbaren, die Contraktion der Gefaͤße bewirkenden Mit-
teln (ſ. davon bey der Metrorrhagie) Gebrauch zu machen
iſt. — Vorzuͤglich ſind es die mancherley Unterleibskraukhei-
ten, welche nur zu haͤufig als Quelle dieſer und aͤhnlicher
Stoͤrungen der Menſtruation zu betrachten ſind, und eben
weil man hier ſo oft das Symptom fuͤr das Weſentliche nimmt,
und, indem man durch Ueberhaͤufung mit ſogenannten Staͤr-
kungsmitteln den Blutfluß hemmt, die Obſtruktionen, Auftrei-
bungen u. ſ. w. nur noch vermehrt, muͤſſen wir wiederholt auf
das Unzweckmaͤßige ſolcher Behandlung aufmerkſam machen.


§. 204.

Den Unterſchied uͤbrigens zwiſchen ſehr ſtarker und ſehr
haͤufiger Menſtruation kann in der Regel die Behandlung nur
in ſofern beruͤckſichtigen, als er insbeſondre auf das groͤßere
[151] oder geringere Vorherrſchen des Nervenſyſtems gegruͤndet,
und daher im Allgemeinen bey der erſtern Form mehr die
das Gefaͤßſyſtem, bey der zweiten Form mehr die die Sen-
ſibilitaͤt in Anſpruch nehmende Heilmethode angezeigt iſt.


D.Hemmung oder Unterdruͤckung der Menſtrual-
funktion (Menses suppressi s. obstructi)
.

§. 205.

Wenn die organiſche Thaͤtigkeit, deren Produkt die Men-
ſtruation iſt, durch irgend eine Umſtimmung des allgemeinen
Lebens, und zwar zu einer Zeit, wo ſie im Normalzuſtande
fortwaͤhrend wirſkam ſeyn ſollte, ſich zu aͤußern aufhoͤrt, ſo
begruͤndet dieß den Zuſtand der ſogenannten Unterdruͤckung
der Menſtruation, von welcher alſo das Aufhoͤren der Men-
ſtruation in der Schwangerſchaft, ſo wie beym Erloͤſchen der
Zeugungsfunktion allerdings und genau unterſchieden werden
muß, um ſo mehr da man, wenn man bey dieſen Zuſtaͤnden die
Wiederherſtellung der Menſtruation zu bewirken verſuchen
wollte, dieß zum großen Nachtheil des Koͤrpers geſchehen
wuͤrde. Allein noch außerdem kann die Menſtruation zuwei-
len verſchwinden, und dieß, obwohl es in Folge eines Krank-
heitszuſtandes geſchieht, doch an und fuͤr ſich mit dem Allge-
meinbefinden ſo ſehr in Uebereinſtimmung ſeyn, daß ebenfalls
ein Heilverfahren, welches unmittelbar auf Herſtellung dieſer
Funktion gerichtet waͤre, nachtheilig werden muͤßte; und es
iſt dieſes namentlich dann der Fall, wenn die allgemeine bil-
dende Thaͤtigkeit nicht in dem Grade energiſch iſt, um den
auf das Geſchlechtsſyſtem gerichteten Ueberfluß zu erzeugen,
welches denn z. B. in acuten und chroniſchen Krankheiten,
bey anderweitigem Saͤfteverluſt durch Eiterungen, anhaltendes
Schwitzen (etwa bey Perſonen, welche in ſtarker Sommer-
hitze arbeiten) bey ſehr duͤrftiger Koſt und Lebensweiſe, in
der Reconvalescenz u. ſ. w. bemerkt wird. Immer alſo wird
dieſes Hemmen der Menſtrualfunktion um ſo krankhafter ſeyn,
je mehr der Koͤrper im Allgemeinen fuͤr das Ausuͤben dieſer
Funktion geeignet war, und je ploͤtzlicher dieſes Mißverhaͤlt-
[152] niß der Geſchlechtsfunktion zum Allgemeinbefinden herbeyge-
fuͤhrt wurde.


§. 206.

Die Urſachen nun betreffend, durch welche dieſe Stoͤ-
rung herbeygefuͤhrt werden kann, ſo gehoͤren dahin theils als
geneigt machende: ein hoher Grad allgemeiner und oͤrtlicher
Reitzbarkeit, Neigung zu Congeſtionen nach andern Organen,
ſo wie Verſtimmung des Lymphſyſtems und der Verdauungs-
werkzeuge; theils als veranlaſſende Urſachen, alles, was ei-
nen krampfhaften Zuſtand der Uteringefaͤße oder des Mutter-
mundes, ja Entzuͤndungszuſtand deſſelben zu veranlaſſen ver-
mag, wohin denn wieder theils allgemeine, theils oͤrtliche
Einwirkungen gerechnet werden muͤſſen, z. B. heftige Ge-
muͤthsbewegungen, Schreck, Aerger, andere gewaltſame Er-
ſchuͤtterungen des Nervenſyſtems, z. B. durch Elektricitaͤt *)
ferner erhitzende Arzneymittel, Speiſen oder Getraͤnke **) vor-
zuͤglich aber Erkaͤltungen, namentlich der untern Extremitaͤten
oder der Geſchlechtstheile ſelbſt, durch kalte Baͤder oder kal-
tes Waſchen, reitzende Injektionen, Geſchlechtsreitz u. ſ. w. —
Endlich kann aber die Menſtrualfunktion auch gehemmt wer-
den durch andere Krankheiten des Geſchlechtsſyſtems, als Ent-
zuͤndung, Skirrhus, Steatomata, Polypen u. ſ. w.


§. 207.

Der Krankheitsverlauf oder die Folgen der
ploͤtzlichen Hemmung der Menſtrualfunktion, und die ſofort
ſich ergebende Prognoſe, ſind wiederum nach den verſchie-
[153] denen Entſtehungsarten dieſes Krankheitszuſtandes ſehr ver-
ſchieden. Daß naͤmlich, wo die Menſtruation in Folge all-
gemein geſchwaͤchter Ernaͤhrung ſich verliert (§. 205.) dieſes
Verlieren an und fuͤr ſich betrachtet, eher vortheilhaft als
nachtheilig ſeyn muͤſſe, ergiebt ſich leicht von ſelbſt, und
das Urtheil des Arztes wird alſo blos jene allgemeinen Zu-
ſtaͤnde nach ihrer beſondern Natur zu erwaͤgen haben. Daſ-
ſelbe gilt auch bey anderweitigen Krankheiten der Geſchlechts-
organe, als Scirrhus uteri u. ſ. w. Ueberhaupt verſchwin-
den hierbey die Regeln nicht leicht ſo ploͤtzlich, ſondern ver-
lieren ſich nach und nach. Wo hingegen aus dem Zuſam-
mentreffen der erwaͤhnten innern und aͤußern Urſachen dieſe
Funktion allein geſtoͤrt wird, brechen theils oͤrtliche, theils
allgemeine Krankheitszuſtaͤnde bald hervor, deren Charakter,
jenachdem mehr das Gefaͤßſyſtem oder das Nervenſyſtem uͤber-
wiegt, entweder in der Form von Entzuͤndung und Fieber, oder
in der Form der Kraͤmpfe erſcheinen wird. Im erſtern Falle,
und vorzuͤglich nach ſtark und ſchnell wirkenden aͤußern Ur-
ſachen entſtehen daher ſtechende Schmerzen im Uterus, es ent-
wickelt ſich Metritis, es erſcheinen heftige Congeſtionen nach
andern Organen, Fieber verſchiedener Art, und bey anhalten-
der Unterdruͤckung koͤnnen ſich vicariirende Blutfluͤße, Waſſer-
ſuchten, Verbildungen der Geſchlechtsorgane, Gemuͤthskrank-
heiten, Auszehrungen, Bleichſucht u. ſ. w. entwickeln; oder
im Gegentheil bilden ſich krampfhafte Verſchließungen des
Muttermundes, wobey das Blut zwar noch ausgeſchieden,
aber nicht ausgeleert werden kann, dann oft in der Gebaͤr-
mutterhoͤhle ſich coagulirt, ja oft halb und halb organiſche
Bildung annimmt *); oder es tritt eine krampfhafte Verſchlie-
ßung der ausſcheidenden Gefaͤßmuͤndungen ſelbſt ein, das
Blut treibt (vorzuͤglich bey ſchlaffem Habitus und Neigung
zu Venenerweiterungen) die Venen des Fruchthaͤlters auf, und
[154] heftige Kreuzſchmerzen, Druck auf benachbarte Organe u. ſ. w
ſind die Folge davon; oder endlich es treten auch ſogleich
heftige krampfhafte Schmerzen der Unterleibseingeweide, Bruſt-
kraͤmpfe, ja Zuckungen und wirkliche epileptiſche Anfaͤlle oder
Laͤhmungen ein. Die Heftigkeit aller dieſer Zufaͤlle und die
Dauer der Unterdruͤckung richtet ſich vorzuͤglich nach der mehr
oder minder reichlichen Bluterzeugung, nach dem Grade der
Reitzbarkeit und der Heftigkeit der einwirkenden Urſachen, da-
her man denn bey kraͤftigen, wenig erregbaren Naturen oft
dieſe krankhaften Zuſtaͤnde ſich ganz allein und bald wieder
ausgleichen ſieht, dahingegen unter andern Verhaͤltniſſen aller-
dings oft nur ſchwierig und langſam der Normalzuſtand zu-
ruͤckgefuͤhrt werden kann.


§. 208.

Bey der nunmehr zu erwaͤgenden Behandlung iſt aber
wieder zuvoͤrderſt zu erinnern, daß man auch hier nicht etwa
blos das zuruͤckgehaltene Blut, ſondern die Stoͤrung einer
aus allgemeiner organiſcher Thaͤtigkeit ſich ergebenden wichti-
gen Funktion beruͤckſichtige, indem das erſtere leicht zu einer
ſehr oberflaͤchlichen Behandlung verleiten wuͤrde, und z. B.
eine kuͤnſtliche Blutentziehung allein, keineswegs die Blutſecre-
tion des Uterus erſetzt, ja man oft ſogar mit erhitzenden
bluttreibenden Mitteln in dieſen Zuſtaͤnden Mißbrauch treiben
ſieht, als welches doch bey Entzuͤndungen u. ſ. w. den groͤßten
Nachtheil herbeyfuͤhren muß. Eine vernuͤnftige Behandlung
wird demnach auch hier zunaͤchſt das Allgemeinbefinden ins
Auge faſſen, uͤberzeugt, daß, wenn dieſes geregelt iſt, auch die
oͤrtliche Thaͤtigkeit zur Norm zuruͤckkehren muͤſſe, und unter ein-
facher Hinleitung bald zuruͤckkehren werde. — Es ergiebt ſich
hieraus, daß, wenn blos ſtarke Ausleerungen oder geſchwaͤchte
Bluterzeugung die Unterdruͤckung veranlaßte, gar keine un-
mittelbar auf Wiederherſtellung der Menſtruation gerichtete
Behandlung weiter Statt finden koͤnne, ſondern blos die Un-
terſtuͤtzungsmittel der Reproduktion uͤberhaupt, durch Verbeſſe-
rung der aͤußern Lebensverhaͤltniſſe u. ſ. w. angezeigt ſeyen,
und daß bey allgemeinen oder oͤrtlichen Krankheiten, in ſo-
fern ſie Urſache, nicht Folge dieſer Abnormitaͤt ſind, dieſe
[155] ebenfalls ganz abgeſehen von der Verhaltung der Menſtrua-
tion behandelt werden muͤſſen.


§. 209.

Was dagegen die heftigern Zufaͤlle betrifft, welche nach
ploͤtzlicher Hemmung der Menſtruation eintreten koͤnnen, ſo
fordern auch dieſe zunaͤchſt blos die ihrer Eigenthuͤmlichkeit
angemeſſene Behandlungsweiſe; Entzuͤndungen, fieberhafte
Krankheiten, heftige Congeſtionen, machen daher Blutentzie-
hungen, Nitrum, abfuͤhrende Mittel, kuͤhlende Diaͤt und Re-
gimen nothwendig, jedoch ſo, daß man zugleich mit auf die
Art der aͤußern einwirkenden Schaͤdlichkeiten Ruͤckſicht nimmt,
und alſo nach heftigen Erkaͤltungen und bey rheumatiſcher
Natur der Zufaͤlle, ein diaphoretiſches Verhalten, aͤhnliche
Arzneymittel, Friktionen und warme trockene Fomentationen
der leidenden Theile zu Huͤlfe nimmt. Hinwiederum noͤthigen
heftige Nervenzufaͤlle, welche ſich gewoͤhnlich mit Erethismus
des Gefaͤßſyſtems verbinden, zu lauen Baͤdern, Lavements
von Chamillen und Valeriana, beruhigenden warmen naſſen
Fomentationen und Cataplasmaten, innerlich aber zur Anwen-
dung der Emulſionen, der Valeriana, des Dowerſchen Pul-
vers, des Liq. C. C., und ruͤckſichtlich der Aufreitzung des
Gefaͤßſyſtems, der mineraliſchen Saͤuern, womit denn uͤbri-
gens auch das diaͤtetiſche Verhalten durch moͤglichſte Beſchraͤn-
kung aller aͤußern Reitze in Uebereinſtimmung zu bringen iſt.


§. 210.

Nachdem aber auf dieſe Weiſe die allgemeinen Stuͤrme
gemaͤßigt worden, hat man zu beobachten, in wie weit der
Koͤrper geneigt ſey, die Wiederherſtellung der gehemmten
Funktion durch eigene Kraft zu uͤbernehmen. Oft naͤmlich iſt
unter jener allgemeinen Behandlung bereits die Menſtruations-
periode voruͤbergegangen, alle Beſchwerden verlieren ſich jetzt,
und dann iſt es hinreichend, zur Zeit der Wiederkehr dieſer
Periode die Erregung des Uterinſyſtems durch Fußbaͤder, warme
Bekleidung der untern Extremitaͤten, maͤßige Koͤrperbewegung
und einige Taſſen Meliſſenthee zu unterſtuͤtzen. Oder aber,
es bleibt auch nach beruhigten allgemeinen Zufaͤllen Auftrei-
[156] bung des Uterus, ſchmerzhafte Spannung in der Gegend deſſel-
ben zuruͤck, es zeigen ſich andauernde Erregungen der Blutmaſſe
gegen andere Organe, Neigung zu ſtellvertretenden Blutungen u.
ſ. w.; dann unterſuche man naͤher, ob vielleicht krampfhafte Ver-
ſchließung des Muttermundes vorhanden ſey, welches theils die
Dispoſition, theils die geburtshuͤlfliche Unterſuchung erkennen
lehrt, in welchem Falle dann Injectionen von Valeriana, Hyos-
cyamus und aͤhnlichen Aufguͤßen, Chamomillen-Halbbaͤder, Ca-
taplasmata auf die regio hypogastrica, Einreibungen des fluͤch-
tigen Liniments mit Tr. opii vermiſcht, innerlich die Tr. Va-
lerian. Lent., Tr. Castorei,
das Laudan. liq. in angemeſſe-
nen Gaben und Formen Nutzen bringen. Oder aber es zeigt ſich
bey ſchlaffer Faſer und phlegmatiſchem Habitus, die Auftreibung
des Uterus abhaͤngig von Stockungen des Blutes in den Venen-
geflechten deſſelben, womit ſich haͤufig die Auftreibung der Haͤ-
morrhoidalgefaͤße verbindet, und dann ſind namentlich wiederholte
blande Abfuͤhrungen, Blutigel an das Perinaͤum, Fußbaͤder mit
Senf oder Salz geſchaͤrft, fluͤchtig reitzende Einreibungen in die
regio hypogastrica und ossis sacri angezeigt; ſeltner, und
und nur bey beſonderer Torpiditaͤt, werden denn auch die eigent-
lich ſogenannten Emmenagoga, die Aloe, das Gum. Ammo-
niacum,
das Decoct. sabinae angewendet werden muͤſſen. —
Ein dem obigen aͤhnliches Verfahren wird Statt finden, wenn
bey vorlaͤufig zwar beſeitigten Beſchwerden, doch in der naͤchſten
Periode die Menſtruation nicht wieder eintritt, vielmehr andere
krankhafte Zuſtaͤnde ſich ausbilden, in welcher Hinſicht wir dann
auch theils auf die Behandlung der verzoͤgerten Menſtruation
(§. 160—68.), theils auf die Behandlung der aus ungewoͤhn-
lichen Quellen fließenden (§. 187. 195.) verweiſen koͤnnen.


2. Beſondere durch Unregelmaͤßigkeiten der Pu-
bertaͤtsentwicklung begruͤndete Krankheitszu-
ſtaͤnde
.

§. 211.

Wie wir im Vorigen bemerkt haben, liegen in den mannig-
faltigen Stoͤrungen der Menſtrualfunktion die Bedingungen zu
den verſchiedenartigſten Krantheitsformen oder Aeußerungen
[157] des Krankſeyns, die meiſten derſelben ſind indeß ſo eng an jene
urſachlichen Abnormitaͤten geknuͤpft, daß wir ſie als bloße
Symptome derſelben betrachten durften; andere hingegen bil-
den ſo merkwuͤrdige in ſich gleichſam zu einem Ganzen geſchloſſene
Gruppen krankhafter Zufaͤlle, daß ſie eine ihnen insbeſondre ge-
widmete Betrachtung fordern koͤnnen. — Es gilt dieſes vorzuͤg-
lich von gewiſſen Zuſtaͤnden, deren Entſtehung namentlich vor-
bereitet wird durch allgemeine Veraͤnderung des weiblichen Orga-
nismus, Veraͤnderungen, welche eben ſowohl den Grund der
Menſtrualfunktion ſelbſt und ihrer Abnormitaͤten enthalten, und
daher vorzuͤglich der Entwicklungsperiode der Pubertaͤt ange-
hoͤren. So wie naͤmlich das Erſcheinen der Menſtruation, gleich
der Ausbildung der Koͤrperform und der Entfaltung der weibli-
chen Gemuͤthseigenthuͤmlichkeit, Ergebniſſe einer und derſelben
innerlich ſchaffenden Kraft darſtellen, ſo koͤnnen Hemmungen die-
ſer innern Bildungsthaͤtigkeit auch zugleich durch unvollkommne
Menſtruation und Unvollkommenheiten anderer Funktionen ſich
ausſprechen, ohne daß gerade das eine als der Grund des an-
dern, ſondern das Allgemeine als der Grund dieſer [verſchiedenen]
Beſondern anzuſehen, ſonach aber auch das beſondere Aufſtellen
anderer Entwicklungskrankheiten neben den Abnormitaͤten der
Menſtruation gerechtfertigt iſt. — Warum nun aber gerade
Stoͤrungen der innern Entwicklungsthaͤtigkeit in gewiſſen Pe-
rioden des Lebens haͤufiger als in andern bemerkt werden, ergiebt
ſich leicht, wenn wir bedenken, daß, obwohl dieſe Thaͤtigkeit nie
ruht, und der Koͤrper nur in wiefern er im Bilden begriffen iſt,
exiſtirt, ſie doch Zeitraͤume erkennen laͤßt, wo durch Hervor-
treten oder Zuruͤcktreten einzelner Organe und Funktionen das in-
nere Verhaͤltniß der Organiſation in kurzem umgewandelt wird.
Eben darum muͤſſen nun aber auch (da das Produkt immer ver-
aͤndert wird, es mag nun blos der innere oder der aͤußere Faktor
veraͤndert worden ſeyn) alle aͤußern Einfluͤße auf den veraͤnderten
Organismus anders wirken, ihm gleichſam fremdartig geworden
ſeyn, woher denn z. B. die Erregbarkeit der Jugend uͤberhaupt
erklaͤrlich wird, indem hier, da die innern Zuſtaͤnde ſchnell wech-
ſeln, und alles Aeußere neu und ſtark eingreift, auch Krankhei-
ten, durch zu heftige Einwirkung von irgend einer Seite, ſo
haͤufig und in ſo verſchiedenen Formen entſtehen.


[158]
§. 212.

Im vorigen Abſchnitte betrachteten wir aber zunaͤchſt,
wie in demjenigen Syſteme, auf deſſen Entwicklung die Thaͤ-
tigkeit des jugendlichen weiblichen Koͤrpers vorzuͤglich gerichtet
iſt, naͤmlich im Geſchlechtsſyſteme und der ihm eigenthuͤmli-
chen Menſtrualfunktion mehrfache Stoͤrungen eintreten koͤnnen,
jetzt haben wir nun von einigen krankhaften Verſtimmungen
in den allgemeinen Thaͤtigkeiten zu ſprechen, welche, obwohl
ſie theils minder haͤufig als jene ſind, theils (wie ſchon oben
an mehrern Orten bemerkt worden iſt) ſich mit jenen Ver-
ſtimmungen der Menſtrualfunktion verbinden koͤnnen, doch
nicht minder merkwuͤrdig ſind, ja zum Theil die ſonderbarſten
Erſcheinungen darbieten. Wir unterſcheiden aber dieſe Zufaͤlle,
je nachdem ſie ſich in der einen oder der andern Sphaͤre des
Organismus darſtellen, in die der Bildungsthaͤtigkeit anheim
fallenden, wohin die durch unvollkommne Blutbereitung merk-
wuͤrdige Bleichſucht gehoͤrt, und in die der animalen
Sphaͤre zugehoͤrigen, wohin die Verſtimmungen und Exalta-
tionen der Sinnesthaͤtigkeit (krankhafte Empfindungen) die
Regelwidrigkeiten der Bewegungsthaͤtigkeit (Laͤhmungen und
Kraͤmpfe) ſo wie die Verſtimmungen und ungewoͤhnlichen Zu-
ſtaͤnde des innern Nervenlebens (Somnambulismus, Verzuͤ-
ckung, Gemuͤthskrankheiten u. ſ. w.) zu rechnen ſind.


1.
Verſtimmung der Reproduktion waͤhrend der Pubertaͤts-
entwicklung.

Bleichſucht (Chlorosis).

§. 213.

Beobachten wir den menſchlichen Koͤrper in ſeinen fruͤ-
heſten Lebenszuſtaͤnden, ſo bemerken wir an demſelben, na-
mentlich waͤhrend ſeines Lebens im Uterus eine reißend ſchnelle
Entwicklung, ein Wachsthum, welches (wie z. B. in den er-
ſten Monathen der Schwangerſchaft) den Leib des Embryo
in wenigen Tagen um das Doppelte vergroͤßert. Spaͤterhin
[159] nach der Geburt ſehen wir dieſes Wachsthum mehr und mehr
ſich verlieren, ja endlich ſtillſtehen, und zwar gehindert durch
das Hervortreten von Funktionen, welche anſtatt, wie im
fruͤhern Leben faſt Alles, die Reproduktion zu unterſtuͤtzen,
ihr vielmehr entgegenwirken, wohin denn namentlich theils
das mehr entwickelte animale Leben, theils die ausgebildetere
Reſpiration und ſtaͤrkere Abſonderung, theils die Entwicklung
des Geſchlechtsſyſtems gehoͤrt *). Dem Gange der Natur
nach ſoll nun die treibende Kraft des Wachsthums in eben
dem Maaße allmaͤhlig vermindert werden, als die aſſimilative
Thaͤtigkeit ſich verringert, allein bey irgend einer Verſtim-
mung des Organismus, namentlich wo durch unzweckmaͤßige
Diaͤt und ſonſtige Lebensweiſe die Thaͤtigkeit des lymphatiſchen
Syſtems gelitten hat, tritt denn auch leicht ein Mißverhaͤltniß
zwiſchen Ernaͤhrung und Wachsthum ein, wo bald das eine,
bald das andere ein krankhaftes Uebergewicht erhalten kann.
Am meiſten aber der Natur zuwider und daher auch am ſel-
tenſten vorkommend iſt das Uebergewicht der Ernaͤhrung uͤber
das Wachsthum, woraus die in einzelnen Faͤllen ſchon bey
Kindern **), haͤufiger aber ſpaͤterhin ſich bildenden ungeheuren
Fettanhaͤufungen abzuleiten ſind; weit oͤfterer hingegen, als
dem Weſen dieſer Periode naͤher liegend, bemerken wir das
Uebergewicht des Wachsthums uͤber die Ernaͤhrung, und daher
denn das Abmagern, die Stoͤrungen des Gemeingefuͤhls, die
Verſtimmungen des Gemuͤths, welche ſo haͤufig bey ra-
ſchem Wachsthum in den der Pubertaͤt nahen Jahren bemerkt
werden, ja ſogar wie auch H. Oſiander***) anfuͤhrt,
zum Theil bey Thieren, z. B. Pferden, Affen u. ſ. w. vor-
kommen.


[160]
§. 214.

Was nun aber zunaͤchſt das weibliche Geſchlecht betrifft,
ſo finden wir bey den meiſten weniger kraͤftigen Individuen
in der Periode, wo das Wachsthum des Koͤrpers ziemlich be-
endigt iſt, daß auch ohne eigentliche Stoͤrung des Wohlbe-
findens, doch eine blaßere Hautfarbe, Muͤdigkeit, eine mehr
melancholiſche Stimmung, mangelnder Appetit u. ſ. w. dieſe
wichtige Epoche bezeichnen, und merkwuͤrdig iſt zugleich die
Neigung zu Krankheiten, welche, obwohl ſie dem weiblichen
Geſchlecht keineswegs ausſchließend eigenthuͤmlich ſind, doch
insbeſondre auf abnormes Hervortreten der der Reproduktion
entgegenwirkenden Funktionen ſich beziehen, wohin denn vor-
zuͤglich die Bruſtkrankheiten und namentlich die ſo vielen Jung-
frauen verderblichen Lungenſchwindſuchten *) gehoͤren. Allein
auch ohne ſolche organiſche Zerſtoͤrungen erreichen zuweilen die
erwaͤhnten in Folge koͤrperlicher Entwicklung eintretenden Be-
ſchwerden eine krankhafte Hoͤhe (ohngefaͤhr eben ſo wie die
Molimina Menstruationis zuweilen krankhaft werden) und
begruͤnden ſo oft eine Reihe von Erſcheinungen, welche wir
unter dem Namen der Bleichſucht, Jungfernkrankheit, des
blaſſen Fiebers (Icterus albus) zuſammenfaſſen.


§. 215.

Man bemerkt aber an Perſonen, welche an dieſer Krank-
heit leiden: weiße, kreidenhafte, oft auch ins graue oder
gruͤnlichte fallende (daher Chlorosis, von χλωρός, gruͤn)
Geſichtsfarbe, mit blaͤulichten Raͤndern um die Augen und
blaſſen blaͤulichten Lippen, meiſt eine trockene, gedunſene
oder wirklich oͤdematoͤſe Haut, verminderte Temperatur, be-
legte Zunge, geſtoͤrten Appetit, zuweilen auch wohl mit
eigenen Geluͤſten zu ungenießbaren Dingen, wie Erde u. ſ. w.
verbunden. — Ferner ſchlechte Verdauung, Ueblichkeiten,
Saͤureerzeugung, Magendruͤcken, Blaͤhungsbeſchwerden, Un-
ordnung in den Stuhlausleerungen, blaßen waͤßrigen Urin,
[161] geſpannten Leib. Ruͤckſichtlich des Gefaͤßſyſtems bemerkt
man einen kleinen, zuweilen langſamen, zuweilen aber auch
fieberhaften und frequenten Puls, ſeltener Neigung zu Con-
geſtionen oder periodiſchen Blutungen aus ungewoͤhnlichen
Organen *). Die animalen Funktionen betreffend, ſo zeigt
ſich allgemeine Mattigkeit, Kopfſchmerz, Schwindel, Schlaͤf-
rigkeit, und doch oft unruhiger aͤngſtlicher Schlaf, melancho-
liſche Gemuͤthsſtimmung durch haͤufiges Weinen und weniges
Sprechen bezeichnet, ja es bilden ſich zuweilen fixe Ideen,
oder der Zuſtand geht ſogar in Wahnſinn uͤber. Das Ge-
ſchlechtsſyſtem iſt hierbey gemeiniglich ebenfalls in ſeinen Ver-
richtungen gehemmt, die Menſtruation (als das Produkt all-
gemeiner Bildungsthaͤtigkeit) erſcheint folglich insgemein nicht,
oder iſt mißfarbig, ſelten und ſpaͤrlich; ja die Organe ſelbſt
ſind oft nur unvollkommen entwickelt, Bruͤſte und Uterus
ſehr klein, und der Geſchlechstrieb mangelt entweder voͤllig,
oder iſt krankhaft aufgereitzt und erhoͤht.


§. 216.

Ueber die Urſachen der Bleichſucht iſt man ſtets ſehr
verſchiedener Meynung geweſen, namentlich indem man die
ſogenannte naͤchſte Urſache derſelben beſtimmen wollte **).
Nun iſt aber unter der naͤchſten Urſache nichts anders als
die Krankheit ſelbſt, ihrem Weſen nach, in wiefern dieſes
Weſentliche den Grund der aͤußerlich wahrnehmbaren Symp-
tome enthaͤlt, zu begreifen (weßhalb auch jene Benennung,
wie neuerlich von mehrern Seiten erinnert wurde ***), un-
I. Theil. 11
[162] paſſend iſt); dieſes Weſentliche ſelbſt aber kann ſo wenig,
als etwa das Leben uͤberhaupt, als ein Beſonderes fuͤr ſich
Beſtehendes, von dem Organismus Trennbares nachgewieſen
werden, ſondern iſt ein Begriff, in welchen die innern und
aͤußern Faktoren des Krankheitsprozeſſes als Einheit, als
Produkt aufgefaßt werden. — Das Weſentliche nun in der
Bleichſucht betreffend, ſo iſt es zunaͤchſt offenbar in eine
Stoͤrung der bildenden Thaͤtigkeit zu ſetzen; denn daß die
Stoͤrungen der animalen Funktionen hierbey nur ſecundaͤr
ſind, ergiebt ſich ſehr leicht. Allein, noch genauer, die Stoͤ-
rung der Bildungsthaͤtigkeit zeigt ſich namentlich im eigentli-
chen Heeroe derſelben, im Gefaͤßſyſtem und im Akt der Blut-
bereitung. Indem wir aber geſtoͤrtes Bildungsleben im All-
gemeinen, und unvollkommne Sanguifikation insbeſondre als
das Weſen des chlorotiſchen Zuſtandes betrachten, iſt doch
noch zu bemerken, daß ein ſolcher Grund noch nicht allein
das Eigenthuͤmliche der Bleichſucht beſtimmt (indem geſtoͤrtes
Bildungsleben und unvollkommne Sanguifikation bey ſo vie-
len andern Krankheiten auch des maͤnnlichen Geſchlechts,
z. B. Scorbut, morbus maculosus u. ſ. w. bemerkbar iſt),
ſondern daß jene Mißverhaͤltniſſe, um in der Form der Chlo-
roſe zu erſcheinen, zuſammentreffen muͤſſen a) mit der Indi-
vidualitaͤt des weiblichen Koͤrpers, welche auf uͤberwiegende
Produktivitaͤt gegruͤndet iſt, b) mit der Zeit der ſich entwi-
ckelnden oder vor kurzem entwickelten Pubertaͤt.


§. 217.

Die Art nun, wie Bildungsthaͤtigkeit und Sanguifika-
tion in ihren Beziehungen auf die Entfaltung des Geſchlechts-
ſyſtems geſtoͤrt werden kann, iſt zwiefach, naͤmlich: es leidet
entweder die Gefaͤßthaͤtigkeit urſpruͤnglich, und zeigt ſich zur
Erregung der Menſtrualfunktion, wie zur Unterhaltung in-
dividueller Reproduktion, unzulaͤnglich, oder es findet die re-
produktive Thaͤtigkeit in ihrer Aeußerung, in ihrem Hinwir-
ken auf das Geſchlechtsſyſtem Hinderniſſe, es bilden ſich
Stockungen, Venenerweiterungen, in Folge deſſen leidet die
Aſſimilation und Blutbereitung, und die Zufaͤlle der Bleich-
ſucht treten ein.


[163]
§. 218.

Was nun die entfernten Urſachen des chlorotiſchen
Zuſtandes betrifft, ſo ſind dieſe vorzuͤglich nach dem im vo-
rigen Paragraph beygebrachten Theilungsgrunde in zwei Klaſ-
ſen zu bringen; zu der erſten gehoͤren diejenigen, welche auf
die allgemeine produktive Thaͤtigkeit ſtoͤrend einwirken, als:
1) ungeſunde Luft, Feuchtigkeit, Kaͤlte, Mangel an Licht;
2) unzweckmaͤßige, ſchwer verdauliche, ſchlecht naͤhrende Koſt
und erſchlaffende Getraͤnke (vorzuͤglich Uebermaaß in Thee
und Kaffee); 3) Unthaͤtigkeit oder uͤbermaͤßige Anſtrengung,
Unreinlichkeit, Gram, zu fruͤh erregter Geſchlechtstrieb u. ſ. w.,
Einfluͤße, welche insgeſammt die Wurzeln der Aſſimilation,
die Unterleibseingeweide und das Lymphſyſtem angreifen, und
beſondere, ſo haͤufig der Bleichſucht vorausgehende Krank-
heitszuſtaͤnde, als Status pituitosus, Wuͤrmer, Obſtruktion,
oder Durchfall, ja Lienterie, Scrofeln, Waſſeranſammlungen
hervorbringen. 4) Andere Krankheiten und Einfluͤße, welche
die Reproduktion ſchwaͤchen, als Blutfluͤße, wohin auch die
zu ſtarke Menſtruation gehoͤrt, Schleimfluͤße, typhoͤſe oder in-
termittirende Fieber, welche eine ſehr langſame Reconvales-
zenz zur Folge haben, anhaltende Eiterungen, unzweckmaͤßig
angewendete Blutentziehungen oder Abfuͤhrmittel. Zur zwei-
ten Klaſſe hingegen rechnen wir die organiſchen Fehler, welche
die Erſcheinung der Regeln hindern oder ganz unmoͤglich ma-
chen, als: Verſchließungen des Muttermundes oder der Scheide,
unvollkommne Entwicklung des Uterus, oder Ausartung deſ-
ſelben oder der Ovarien (Zuſtaͤnde, welche vorzuͤglich durch
zu zeitigen und unnatuͤrlichen Geſchlechtsreitz veranlaßt wer-
den *)); endlich aber auch die Hemmungen der bereits ent-
wickelten Menſtrualfunktion durch gewaltſame Einwirkungen,
als heftige Gemuͤthsbewegungen, [Erkaͤltungen] u. ſ. w., oder
ploͤtzliche Entziehung eines zu Beduͤrfniß gewordenen Geſchlechts-
genußes (daher die Krankheit auch zuweilen bey jungen Witt-
wen beobachtet wurde).


[164]
§. 219.

Wir kommen nun zur Betrachtung des Krankheits-
verlaufs
, woraus ſich denn zugleich die Prognoſe mit
ergeben wird. Zunaͤchſt aber bemerken wir, daß die Krank-
heit haͤufig, und insbeſondre wo ſie bloße Folge raſcher koͤr-
perlicher Entwicklung iſt, einen ſehr gutartigen Charakter
zeigt, und bald, vorzuͤglich nachdem die Menſtruation wirk-
lich erſchienen, und in regelmaͤßigen Gang gekommen iſt,
wieder, ohne nachtheilige Folgen verſchwindet; Faͤlle, bey
welchen die Bleichſucht als wahre Uebergangsperiode erſcheint
und ganz den Moliminibus der Menſtruation verglichen
werden kann, ja oft eines derſelben mit ausmacht. Langwie-
riger und in ihren Zufaͤllen beſchwerlicher pflegt ſie dagegen
zu ſeyn, wenn die §. 218. erwaͤhnten entfernten Urſachen
der erſten Klaſſe auf einen ſchon von Anfang ſehr reitzbaren
und ſchwaͤchlichen Koͤrper in hoͤherem Grade einwirkten, die
Organe der Aſſimilation ſelbſt bereits in ihrer Bildung um-
geaͤndert, die Gekroͤsdruͤſen angeſchwollen, die Verdauung zer-
ruͤttet iſt; auch hier freylich wird die Bleichſucht nicht an
und fuͤr ſich gefaͤhrlich werden, allein ſie macht den Ueber-
gang zu andern Cachexien, es entſteht Haut-, Bruſt- oder
Bauchwaſſerſucht, es bilden ſich fauligte oder lentescirende
Fieber, es entſtehen Eiterungen in den Geburtstheilen, ſcor-
butiſche Blutungen, Gangraͤn, und durch dieſe Zufaͤlle ſtirbt
die Kranke. Etwas weniger unguͤnſtig iſt meiſtens der Ver-
lauf, wenn die Urſachen zweiter Klaſſe, und alſo mehr vom
Organ aus, die Krankheit erregten; die Zufaͤlle ſind hier oft
mehr acuter Natur, Schwindel, Congeſtionen, Blutungen,
werden hierbey haͤufiger beobachtet, dieſe Beſchwerden indeß,
wenn ſie nur durch eine zweckmaͤßige Lebensweiſe geleitet
werden, gleichen ſich nach und nach wieder aus, vorzuͤglich
wenn bereits die Menſtruation fruͤher im Gange geweſen iſt.
Nur wo die Verbildungen der Geſchlechtstheile ſehr betraͤcht-
lich ſind, die Krankheit bereits laͤngere Zeit gedauert hat,
ſcrofuloͤſe Conſtitution und unguͤnſtige aͤußere Verhaͤltniſſe die
Heilung erſchweren, wird die Prognoſe ſchlimmer, und aͤhn-
liche Zufaͤlle, wie die oben erwaͤhnten, ſtehen zu beſorgen,
Daß uͤbrigens auch bey betraͤchtlichen, aber die Operation
[165] geſtattenden Mißbildungen, z. B. den Atreſien, die Prognoſe
guͤnſtig geſtellt werden koͤnne, liegt am Tage.


§. 220.

Nach dem verſchiedenen Gange, welchen die Krankheit
genommen, iſt auch, wenn ſie durch herbeygefuͤhrte anderwei-
tige Leiden mit dem Tode endigt, der Sektionsbefund
verſchieden. Die haͤufigſten Erſcheinungen ſind: die allge-
meine Schlaffheit, welche oft, insbeſondre an der Subſtanz
des Herzens, bemerkbar iſt, die Waſſeranhaͤufungen, die ver-
ringerte, waͤſſerige, mehr venoͤſe Blutmaſſe, die Verhaͤrtungen
und Auftreibungen der Druͤſen des Lymphſyſtems und die
regelwidrigen Bildungen der Geſchlechtstheile, als Verwach-
ſungen des Muttermundes, beſondere Kleinheit des Uterus *),
Vergroͤßerungen der Eyerſtoͤcke u. ſ. w.


§. 221.

Behandlung. Um die rechte Art und Weiſe aͤrztli-
cher Behandlung in den verſchiedenen abnormen Zuſtaͤnden
des Lebens aufzufinden, iſt es ohne Zweifel eines der wich-
tigſten und, wie mir ſcheint, der bisher eben nicht vorzuͤglich
beachteten Mittel, daß man die Natur genau beobachte in
dem Gange, welchen ſie nimmt, indem ſie ohne aͤrztliche
Huͤlfe die Ruͤckkehr des Normalzuſtandes bewerkſtelligt, indem
doch die Heilung der Krankheit ſtets nur das Werk der Na-
tur allein ſeyn kann, und alle aͤrztlichen Mittel blos dazu
dienen ſollen, die Hinderniſſe, welche ſich ihr hierbey entge-
genſtellen, zu beſeitigen, was indeß blos moͤglich wird durch
die genauere Kenntniß dieſes Ganges. — Beachten wir nun
die Art, nach welcher vorzuͤglich der bleichſuͤchtige Zuſtand
von der Natur beſeitigt zu werden pflegt, ſo bemerken wir,
daß eines Theils ſchon der endliche Stillſtand des allgemeinen
[166] Wachsthums Gelegenheit giebt, daß ſich das Mißverhaͤltniß
zwiſchen bildender und zerſtoͤrender organiſcher Thaͤtigkeit aus-
gleicht, daß von dieſem Zeitpunkte an die Aſſimilation und
Blutbereitung wieder in das angemeſſene Verhaͤltniß zur all-
gemeinen Organiſation tritt, und endlich das Uebergewicht er-
haͤlt, welches das Erſcheinen der Menſtruation begruͤnden
kann. Im Gegentheile, wo die Krankheit reines Produkt
unguͤnſtiger aͤußerer Verhaͤltniſſe war, ſehen wir ſie ſich ver-
lieren, ſobald die Kranke in eine beſſere Lage verſetzt wird,
wo die Blutbereitung durch freye Einwirkung von Licht und
geſunder Luft, durch vermehrte Muskularthaͤtigkeit und Genuß
kraͤftigerer Nahrungsmittel befoͤrdert wird. Ja endlich ſelbſt
bey unheilbaren Verbildungen der Geſchlechtstheile und gaͤnz-
lichem Mangel der Menſtrualfunktion wird zuweilen die Ge-
ſundheit wieder hergeſtellt, indem entweder der Koͤrper ſich
an vicariirende Ausleerungen, z. B. regelmaͤßigen Haͤmor-
rhoidalfluß gewoͤhnt, oder der Ueberfluß plaſtiſcher Stoffe
auf die Ausbildung anderer Organe verwandt wird, weßhalb
wir denn oͤfters bey ſolchen unvollkommnen weiblichen Ge-
ſchoͤpfen die Muskelthaͤtigkeit in hohem Grade entwickelt, und
uͤberhaupt die Bewegungsorgane in einem Grade ausgebildet
finden, welcher mehr einen maͤnnlichen, als einen [weiblichen]
Koͤrper zu bezeichnen pflegt. — Dieſes alles iſt nun bey
Anordnung der aͤrztlichen Behandlung zu erwaͤgen.


§. 222.

Hauptanzeige bleibt es aber im Allgemeinen, theils
die Sanguifikation und Bildungsthaͤtigkeit auf ihren normalen
Standpunkt zu fuͤhren, theils die Richtung der Bildungsthaͤ-
tigkeit auf das Geſchlechtsſyſtem und die Menſtrualfunktion
zu beruͤckſichtigen, und etwaige hier ſich entgegenſtellende Hin-
derniſſe zu beſeitigen. — In erſterer Hinſicht nun wird es
den Arzt zunaͤchſt beſchaͤftigen muͤſſen, die veranlaſſenden Ur-
ſachen der Krankheit auszuforſchen und zu entfernen, wobey
denn, da die meiſten dieſer Zufaͤlle von unzweckmaͤßiger Le-
bensweiſe ausgehen, auch eine ſorgfaͤltige Anordnung der-
ſelben einen der wichtigſten Punkte des Heilplans ausmachen
wird. Reine, freie, trockne Luft, maͤßiges Warmhalten,
[167] maͤßige Koͤrperbewegung, Aufheiterung des Gemuͤths durch
freundlichen Umgang, Reinlichkeit und ſorgfaͤltige Hautkultur,
befoͤrdert durch den fleißigen Gebranch des lauen Bades, ſo
wie die Vermeidung aller den Geſchlechtstrieb erregenden
Reitze, werden daher, unterſtuͤtzt durch leichtverdauliche, naͤh-
rende, mehr animaliſche Diaͤt, oft, zumal wo das Uebel
nicht eingewurzelt, und nicht Produkt anderer Krankheitszu-
ſtaͤnde iſt, das Einzige ſeyn, was ein den Gang der Natur
ehrender Arzt verordnet, da der voreilige Gebrauch der ſoge-
nannten ſtaͤrkenden zuſammenziehenden Mittel, namentlich des
Eiſens, der kalten Baͤder u. ſ. w. hier nur dazu fuͤhren kann,
daß Nervenſchwaͤche, Verhaͤrtungen der Gekroͤsdruͤſen u. ſ. w.
ſich bilden. Man ſchone demnach hier die Krankheit als ei-
nen nothwendigen Entwicklungszuſtand; auch das von Hip-
pokrates
bereits angerathene Mittel der zeitigen Verheira-
thung kann nur dann zulaͤſſig erklaͤrt werden, wenn der
Koͤrper bereits ſeiner voͤlligen Entwicklung wenigſtens nahe
gekommen, oder dieſes der einzige Weg iſt, der Sehnſucht
einer ſtets angeregten Phantaſie, oder den unnatuͤrlichen Aus-
ſchweifungen Graͤnzen zu ſetzen. — Nur bey einer beſondern
Atonie der Muskelfaſer, uͤbrigens aber weder bedeutendem
gaſtriſchen Zuſtande noch ſonſtigen innern Verbildungen, kann
jenes diaͤtetiſche Verfahren durch den Gebrauch eines eiſen-
haltigen Mineralwaſſers, (z. B. des Pyrmonter oder Dribur-
ger), durch aͤhnliche Baͤder, durch den maͤßigen Genuß ei-
nes guten alten Weins, und die bittern Mittel (Extrakte,
China u. ſ. w.) unterſtuͤtzt, und ſo die Wiederherſtellung der
Geſundheit beſchleunigt werden.


§. 223.

Hartnaͤckiger, und folglich thaͤtigeres Eingreifen erfor-
dernd, zugleich aber auch beſonders haͤufig, ſind indeß dieje-
nigen Arten der Bleichfucht, welche hervorgehen aus bereits
entſtandenen Krankheiten des Lymphſyſtems und einzelner Un-
terleibsorgane. Hier iſt es ganz vorzuͤglich, wo die in Folge
vorgefaßter Meynung von vorhandener Schwaͤche gewoͤhnlich
im Uebermaaß gereichten toniſchen Mittel den entſchie-
denſten Nachtheil herbeyfuͤhren muͤſſen, ſo daß wir hieran
[168] gleich anfaͤnglich dringend zu erinnern fuͤr unumgaͤnglich noͤ-
thig hielten. Die ganze Macht aͤrztlicher Wirkſamkeit ſey
daher hier zunaͤchſt gegen jene der abnormen Sanguifikation
und Bildungsthaͤtigkeit zum Grunde liegenden, obwohl hin-
wiederum auch wechſelſeitig von dieſen unterhaltenen und ver-
ſtaͤrkten Krankheitszuſtaͤnde gerichtet, und man laſſe ſich nicht
abhalten, zur Beſeitigung derſelben auch anſcheinend ſchwaͤ-
chende Heilmethoden in Anwendung zu bringen.


§. 224.

Einer der allgemeinſten Krankheitszuſtaͤnde dieſer Art
ſind aber die Abnormitaͤten in der Thaͤtigkeit lymphatiſcher
Gefaͤße, verbunden mit Anſchwellungen und Degenerationen
der Lymphdruͤſen; und wie nun die Erfahrung zeigt, daß
hierbey vorzuͤglich die Befreyung des Darmkanals von auf-
gehaͤuftem Schleim und Verhaͤrtungen, die Vermehrung einer
gleichmaͤßigen Sekretion an der innern Flaͤche deſſelben (als
antagoniſtiſcher Reitz) und die Befoͤrderung der Lymphbewe-
gung, verbunden mit regelmaͤßiger Thaͤtigkeit des Haut-,
Nieren- und Lungenorgans wohlthaͤtig wirken koͤnne, ſo wird
es nun auch Pflicht, die aufloͤſenden und abfuͤhrenden Mittel
(vorzuͤglich die Mittelſalze, das Rheum, die Radix Jalappae,
die Fol. Sennae, den Karlsbader Brunnen, die ſeifenartigen
Extrakte, Fel tauri, Sapo venet. u. ſ. w.) den Umſtaͤnden
gemaͤß anzuordnen, und damit noͤthigenfalls die Antimonia-
lien, den Gebrauch der Seifenbaͤder, der Friktionen des Un-
terleibes zu verbinden. — Sind Wuͤrmer vorhanden, ſo wird
man zwar die Entfernung derſelben durch Anthelmintica
nicht verabſaͤumen, vorzuͤglich jedoch auf die Beſeitigung des
Status pituitosus als der eigentlichen Quelle derſelben Ruͤck-
ſicht nehmen. Eben ſo verlangen ferner Blutfluͤße, Schleim-
fluͤße, intermittirende Fieber u. ſ. w., ſobald man ſie als Ur-
ſachen der Bleichſucht erkennt, die ihnen angemeſſene Be-
handlung, und erſt wenn dieſer Anzeige Genuͤge geſchehen
iſt, und der bleichſuͤchtige Zuſtand als ſelbſtſtaͤndige Krank-
heitsform zuruͤckbleibt, wird es Zeit ſeyn, die Ende des §. 222.
erwaͤhnten Mittel in Anwendung zu ziehen, indem zugleich
[169] eine die Reproduktion unterſtuͤtzende Diaͤt und ſonſtige zweck-
maͤßige Lebensweiſe vorgeſchrieben wird.


§. 225.

In wiefern uͤbrigens, wenn die Bleichſucht Folge aͤhn-
licher primaͤrer Krankheitszuſtaͤnde iſt, die reproduktive Thaͤ-
tigkeit gewoͤhnlich mehr zerruͤttet, und der Koͤrper in jeder
Hinſicht mehr geſchwaͤcht iſt, als in den §. 222. betrach-
teten Faͤllen, ſo wird es auch haͤufig nothwendig, die toni-
ſchen Mittel ſelbſt laͤnger und in ſtaͤrkern Doſen zu gebrau-
chen. Man beobachtet hierbey die Vorſicht mit den gelinden
Mitteln (z. B. den leichtern Extrakten, als Extract. Sapo-
nar., Trifol. fibr., Cent. minoris
) den Anfang zu ma-
chen, dann zu den ſtaͤrkern (Extr. Gentianae, Cortex peruv.)
uͤberzugehen, und wenn der Darmkanal hierauf vorbereitet iſt,
das Eiſen in Anwendung zu ziehen, von welchem man ent-
weder die Tr. martis cydoniata unter einen Loͤffel Wein
zu 20 — 30 Tropfen, die Flor. sal. ammon. martiales,
oder, ſobald die Kranke es vertraͤgt, noch lieber die Pulver-
form, mit der Flaved. Cort. aurant., Cort. Cinnamomi
u. dergl. verbunden, anwendet. Ueberhaupt iſt bey Anord-
nung aller dieſer Mittel zugleich auf den Stand der Senſi-
bilitaͤt Ruͤckſicht zu nehmen; daher bey phlegmatiſchen Sub-
jekten die Anwendung von aromatiſchen Aufguͤßen (der Hb.
Melissae, Menth. pip.
u. ſ. w.) ſo wie das Verbinden der
rein bittern Mittel mit geiſtigen Tinkturen u. ſ. w., oder, na-
mentlich bey Neigung zu Durchfaͤllen, mit dem Cort. Cas-
carillae,
hingegen bey ſehr aufgeregter Senſibilitaͤt die Bey-
miſchung antiſpasmodiſcher Mittel, und, vorzuͤglich bey Ere-
thismus des Gefaͤßſyſtems, die Anwendung mineraliſcher
Saͤuren (Acid. Halleri, Elix. vitr. Mynsicht.) zweck-
maͤßig iſt.


§. 226.

Ferner iſt es zur voͤlligen Beſeitigung des chlorotiſchen
Zuſtandes angemeſſen, ſobald theils die vorausgegangenen
Krankheiten beſeitigt, theils die reproduktiven Thaͤtigkeiten
etwas vollkommner hergeſtellt ſind, auf das Erſcheinen der
[170] Menſtrualfunktion gelind mit hinzuwirken. — Merkwuͤrdig
iſt es hierbey zu finden, daß in dieſer Hinſicht aͤltere und
neuere Aerzte in der Behandlung dieſer Krankheit faſt ganz
auf entgegengeſetzten Wegen gingen, indem bey jenen das
Herſtellen der Menſtruation, oder in Ermanglung derſelben
die Blutentziehungen *) faſt eben ſo ſehr als Hauptſache be-
trachtet wurde, als von den Neuern im Durchſchnitte das
Anwenden ſtaͤrkender Mittel an die Spitze geſtellt wird; ja
man glaubte ſogar ziemlich gewaltſame Mittel, um die Her-
ſtellung der Menſtruation zu bewirken, erlaubt, wohin na-
mentlich das Verfahren Hamilton’s, welches Chambon de
Montaux
anfuͤhrt, gehoͤrt. Dieſer naͤmlich, als er eine
zwanzigjaͤhrige Bleichſuͤchtige behandeln ſollte, deren Regeln
ſeit 7 Monaten gehemmt waren, wo der Puls ſchwach und
ſelten, die Verdauung geſtoͤrt und die Kraͤfte geſunken wa-
ren, glaubte von den gewoͤhnlichen innern Mitteln eine zu
langſame Wirkung erwarten zu muͤſſen, dagegegen von einem
mechaniſchen Mittel, welches den Blutlauf mehr gegen die
innern Genitalien richtete, eine guͤnſtige Umaͤnderung hoffen
zu duͤrfen. Nachdem er daher der Kranken eine Abfuͤhrung
gegeben, legte er ein Tourniket an den Schenkel **) (ohnge-
faͤhr wie Behufs der Amputation), komprimirte die Schen-
kelarterien maͤßig, ließ zugleich ein Dampfbad an die Ge-
nitalien leiten, und ſpaͤterhin ein Cardiacum reichen, worauf
alsbald die Regeln floßen. — Unter den Umſtaͤnden jedoch,
welche wir hier im Sinne haben, koͤnnen ſolche gewaltſame
Mittel eben ſo wenig als ſtellvertretende allgemeine Blutent-
ziehungen Statt finden, ſondern es empfehlen ſich hier Be-
hufs der Befoͤrderung der Menſtruation nur die gelindern
Mittel, als Fußbaͤder, Halbbaͤder, weniger die Dampfbaͤder
der Genitalien, wollene Bekleidung oder trockene Friktionen
[171] der Unterglieder, allenfalls bey ſich zeigenden Congeſtionen
nach andern Organen, Blutigel an das Perinaeum oder ei-
nige blande Abfuͤhrungen.


§. 227.

Leidet dagegen die Aſſimilation und Blutbereitung in
Folge von Hinderniſſen, welche dem Hinwirken allgemeiner
reproduktiver Thaͤtigkeit auf das Geſchlechtsſyſtem ſich entge-
genſtellen, welches erkannt wird, indem hier die Regeln ge-
woͤhnlich fruͤher bereits erſchienen waren, oder Verbildungen
in den Geſchlechtsorganen vorhanden ſind, dann tritt vorzuͤg-
lich die oben gelehrte Behandlung verzoͤgerter, gaͤnzlich man-
gelnder oder gehemmter Menſtrualfunktion ein. Dieß ſind
daher vorzuͤglich die Faͤlle, wo in Folge einer verhaͤltnißmaͤßig
zu betraͤchtlich gewordenen Saͤftemaſſe Blutentziehungen, und
andere Saͤfteentleerungen durch vermehrte Darmſekretionen
beſondern Nutzen gewaͤhren, kurz wo die aͤltere Behandlungs-
weiſe dieſer Krankheit (§. 226.) vorzuͤglich angezeigt iſt.
Daß ferner, wo ſolche Verbildungen in Geſchlechtsorganen
(deren genauere Unterſuchung daher unerlaͤßlich bleibt) ſich
vorfinden, welche, wie z. B. Atreſien, eine operative Huͤlfe
zulaſſen, dieſe alſobald werde Statt finden muͤſſen, daß fer-
ner eine wohlgeordnete, mehr vegetabiliſche Diaͤt, verbunden
mit Baͤdern, angemeſſener Bewegung in freier Luft (wohin
insbeſondre auch das Reiten und Fahren zu rechnen iſt) u. ſ. w.
vorzuͤglich mit benutzt werden koͤnne, nm ſolche oft ſcorbu-
tiſche Entmiſchungen der Saͤftemaſſe zu heben, ergiebt ſich
von ſelbſt. Weiter verdient aber hierbey auch die eigentliche
Geſchlechtsfunktion Beruͤckſichtigung, indem z. B. wo der
bleichſuͤchtige Zuſtand ſich einfindet, entweder wegen eines der
allgemeinen Koͤrperentwicklung nach nicht hinlaͤnglich aufgereg-
ten Sexualſyſtems, oder in Folge des entzogenen Geſchlechts-
reitzes, z. B. bey jungen Wittwen, allerdings die Verhei-
rathung
eben ſo weſentlich zur Beſeitigung der Krankheit
beytragen kann, als, wo die Bleichſucht in Folge des uͤber-
maͤßigen oder unnatuͤrlichen Geſchlechtsreitzes ſich entwickelte,
die Beſchraͤnkung deſſelben. — Welche beſondere Behand-
lung ferner einzelne Symptome dieſer Krankheit zuweilen er-
[172] fordern koͤnnen, daß z. B. Neigung zur Saͤureerzeugung die
Anwendung abſorbirender und aromatiſch bitterer Mittel, das
Erſcheinen ſcrofuloͤſer Geſchwuͤre, ſo wie der Hautausſchlaͤge
eine vorſichtige nicht auf zu ploͤtzliche Unterdruͤckung gerich-
tete Behandlung noͤthig mache, laͤßt ſich ſo leicht aus den
Regeln der allgemeinen Therapie folgern, daß ausfuͤhrliche
Eroͤrterungen hieruͤber unnoͤthig ſcheinen.


§. 228.

Eigentlich wuͤrden nun an dieſem Orte auch die uͤbri-
gen, dem weiblichen Geſchlecht in der Periode der Puber-
taͤtsentwicklung vorzuͤglich gefaͤhrlichen Reproduktionskrankhei-
ten, namentlich die ohne Eiterung erfolgenden langſamen
Auszehrungen ſowohl, als die mit Eitererzeugung verbun-
denen Schwindſuchten, aufzufuͤhren ſeyn, indeß da dieſe
Krankheitsformen im Weſentlichen auf gleiche Weiſe auch dem
maͤnnlichen Geſchlecht eigen ſind, auch nicht zu ſagen iſt,
daß die Behandlung derſelben in dem einen Geſchlechte auf
irgend verſchiedenen Regeln als in dem andern beruhe, ſo
muß dem Plane dieſes Werkes gemaͤß, ihre weitere Betrach-
tung uͤbergangen werden, und wir wenden uns daher viel-
mehr zu den:


2.
Verſtimmungen der animalen Funktionen waͤhrend
der Pubertaͤtsentwicklung.

§. 229.

Obwohl naͤmlich auch dieſe Zufaͤlle dem weiblichen Ge-
ſchlecht weniger ausſchließend angehoͤren, als etwa die Bleich-
ſucht oder die Fehler der Menſtrualfunktion, ſo ſind doch die
Formen derſelben zum Theil ſo auffallend, und oft an das
Wunderbare graͤnzend, zum Theil werden ſie auch durch
das Eigenthuͤmliche der pſychiſchen Natur des Weibes ſo
ſehr modifizirt, daß wir die Betrachtung derſelben um ſo
weniger ausſchließen duͤrfen, da ſie zumal auch als Symp-
tome anderer Krankheiten vorkommen, auf alle Weiſe aber
dem Arzte fuͤr weibliche Krankheiten die genaue Kenntniß
[173] derſelben nicht mangeln darf, damit er durch die Neuheit
dieſer Erſcheinungen nicht uͤberraſcht, und in der ruhigen
Entwerfung ſeines Heilplans gehindert werde *).


§. 230.

Um aber zuvoͤrderſt das Eigenthuͤmliche vieler hierherge-
hoͤriger Zufaͤlle nicht unnatuͤrlich oder vielmehr uͤbernatuͤrlich
zu finden, muͤſſen wir immer recht klar vor Augen behalten,
daß der menſchliche Organismus zwar eine Einheit, aber nicht
ein wahrhaft in ſich beſchloſſenes, den Grund ſeiner Exiſtenz
allein in ſich tragendes Ganze ſey, daß er vielmehr nicht
einen Augenblick gedacht werden kann außer der Einwirkung
der ihn umgebenden Natur, von welcher er ſtets durchdrun-
gen iſt, welche er ſtets in ſich aufnimmt, und in welche
er ſich ſtets aufloͤſt. Eben aus dieſem Grunde wird er
aber auch faͤhig, ſich im Ganzen und das Ganze in ſich zu
fuͤhlen, ſo daß, je zarter ſeine Empfaͤnglichkeit, ſein Wahr-
nehmen wird, auch um ſo mehr ſein Empfinden aͤußerer
Veraͤnderungen ſich ausdehnt, und zwar in eine Weite, fuͤr
deren Begraͤnzung wir durchaus kein unverruͤckbares Maaß
haben, ſo daß als eitle Anmaßung erſcheint, wenn irgend
ein Phyſiolog hier eine Saͤule mit einem non plus ultra
aufzurichten gedenkt, denn nur was den Vernunftge-
ſetzen
widerſtreitet, iſt unmoͤglich. — Kann ſich denn etwa
ein Menſch, auf deſſen geſunden Koͤrper die Umſtimmungen
der Atmosphaͤre, der Witterung, keinen merklichen Eindruck
machen, ſinnlich uͤberzeugen, wie es moͤglich ſey, daß ein
Anderer, deſſen Senſibilitaͤt in erhoͤhterem Zuſtande ſich be-
findet, dieſe Veraͤnderungen, noch ehe ſie wirklich erfolgt
ſind, ſchon wahrnimmt? und iſt das Letztere deßhalb etwa
weniger in Wahrheit der Fall? —


[174]
§. 231.

Es iſt aber ferner zu bedenken, daß noch ein Unter-
ſchied beachtet werden muͤſſe zwiſchen der Erſcheinung der
Dinge und ihrem innerſten Weſen, d. i. ihrer innern die Form
der Erſcheinung bedingenden Idee. Nun ſind aber die Sinne
dem Erfaſſen der Erſcheinung allein beſtimmt, keineswegs
aber wird es dadurch ausgeſchloſſen, daß die Idee des Or-
ganismus nicht unmittelbar afficirt werden koͤnnte durch die
Verhaͤltniſſe und Veraͤnderungen anderer mit ihm in einem
unermeßlichen Weltall eingeborener Ideen, ja es iſt noth-
wendig, daß der Theil (und ein Organismus iſt ſtets nur
ein ſolcher) afficirt werden muͤſſe von den Umſtimmungen
des Ganzen, zu welchem er gehoͤrt, und zwar unmittelbar,
und auf gleiche Weiſe, wie das Leben und Gefuͤhl eines
einzelnen Organes im Koͤrper ſich aͤndert, jenachdem in an-
dern Organen, und folglich (da ein Theil nicht umgewan-
delt werden kann, ohne in gewiſſer Hinſicht das Ganze mit
zu aͤndern) auch im Ganzen weſentliche Umſtimmungen Statt
gefunden haben. Dieſes unmittelbare Wahrnehmen der
Verwandlungen im Leben anderer Weſen iſt aber um ſo
nothwendiger, je mehr der Organismus integrirender Theil
der allgemeinen Natur iſt, ſo ſehen wir denn, daß das In-
ſekt, welches nie den Winter erlebte, doch ſeine Eyer ge-
gen die Kaͤlte deſſelben zu bergen weiß, ſo wird der Fiſch
oder Vogel auf ſeinen weiten Wanderungen nach dem ihm
geſteckten Ziele gezogen, obwohl er es weder ſehen, noch
riechen, noch fuͤhlen kann, ſo vermeidet die geblendete Fle-
dermaus das aufgeſpannte Netz, ſo empfinden ſo viele Thiere
bevorſtehende Witterungsaͤnderungen, Erdbeben u. ſ. w. —
lauter Erſcheinungen, deren Verſtaͤndniß ſich uns bald klar
eroͤffnen wird, ſobald wir zu einer recht lebendigen An-
ſchauung der Natur in der Einheit uns erheben koͤnnen,
welches indeß die Seele in ihren eigenen Tiefen erfaſſen
muß, welches ihr von außen nicht bewieſen werden kann,
und welches daher bey denen, welchen dieſe Anſichten noch
nicht eigen geworden waren, Anlaß gab, entweder ſolche Er-
ſcheinungen lieber geradezu zu laͤugnen, oder ſich mit hypo-
thetiſchen Sinnesarten zu einer ſchwachen Erklaͤrung zu ver-
[175] helfen, gegen welche uns doch ſogar die eigentlich nur bild-
lichen Darſtellungen jener allgemeinen Verbindungen, wohin
Meßmer’s Aetherſtroͤmmungen gehoͤren, immer noch vor-
zuͤglicher ſcheinen.


§. 232.

Nach dieſen allgemeinen Vorbemerkungen wenden wir uns
nun zu naͤherer Betrachtung der der Pubertaͤtsentwicklung zuge-
hoͤrigen ungewoͤhnlichen und abnormen Zufaͤlle der animalen Thaͤ-
tigkeiten im weiblichen Organismus, und muͤſſen zuvoͤrderſt, wie
denn alle animale Thaͤtigkeit dieſen beyden Richtungen folgt,
zwiſchen abnormen Empfindungen und abnormen Gegenwirkun-
gen unterſcheiden. Beyde Gattungen ſind indeß in der Na-
tur keineswegs ſo ſcharf getrennt, daß nicht vielmehr gerade die
meiſten beſondern Krankheitsfaͤlle nach dem Vorherrſchen
der einen oder andern Abnormitaͤt klaſſificirt werden muͤßten,
und wenn wir daher Kraͤmpfe und Laͤhmungen einer-
ſeits, und erhoͤhte oder geſunkene Empfindlichkeit
andrerſeits, allerdings gleich eigentlichen Grundformen zu be-
trachten haben, ſo gehen doch die verſchiedenen Unterarten
derſelben nebſt ihren vielfachen Combinationen ins Unendliche,
ſo daß wir uns begnuͤgen muͤſſen, nur von den groͤßern
Krankheitsgruppen eine allgemeine Charakteriſtik zu entwerfen.


§. 233.

Unterſuchen wir nun zunaͤchſt die in dieſer Periode des
weiblichen Lebens vorkommenden Stoͤrungen des Empfin-
dungsvermoͤgens, ſo haben wir wieder die krankhaften Er-
ſcheinungen des innern Sinnes, in welchem das eigentliche
Seelenleben ſich ausſpricht, und des aͤußern Sinnes zu un-
terſcheiden. Zu denen der erſtern Art gehoͤren: a)die
Ueberſpannungen des Selbſtgefuͤhls im wachen
Zuſtande
, welche, je nachdem ſich das Gemuͤth der Kran-
ken dabey auf die aͤußern menſchlichen Verhaͤltniſſe, oder auf
innere geiſtige und religioͤſe Gegenſtaͤnde richtet, zur Sucht
bewundert zu werden
(ſey es auch nur wegen Ertra-
gung vielleicht abſichtlich geſchaffener Leiden) oder zur Fan-
taſterey
, Sprechſucht, Versſucht und Muſikſucht, oder
[176] endlich zur religioͤſen Schwaͤrmerey fuͤhrt; b)die
Ueberſpannung des Selbſtgefuͤhls im Schlafe
,
als Schlafrednerey und Schlafwandeln, ſo wie die
Ueberwaͤltigung des Selbſtgefuͤhls, als Alpdruͤcken(In-
cubus); c)
die gaͤnzlichen Abſpannungen des Selbſt-
gefuͤhls
, als Ohnmacht, Apathie und wirklicher Bloͤd-
ſinn
. — Zu den Abnormitaͤten des aͤußern Sinnes gehoͤ-
ren: a) die unverhaͤltnißmaͤßig ſtarke Erregung
der Sinneswahrnehmung durch gewoͤhnliche aͤu-
ßere Einfluͤße
, und hieher rechnen wir theils oͤrtliche
Schmerzen, wo ein Organ vermoͤge geſteigerter Empfindlich-
keit die fruͤher ihm natuͤrlichen Reitze (ſeyen es nun abſolut
oder nur relativ aͤußere, z. B. Einwirkung benachbarter Or-
gane) als ſchmerzerregend wahrnimmt, theils Beſtimmungen
des Willens durch den zu ſtark empfundenen Reitz, alſo die
Nachahmungsſucht. b) Die Erregung der Sinnes-
wahrnehmung auf ungewoͤhnlichem Wege
, die ſo-
genannten Sinnesverſetzungen, als das ſogenannte Sehen
durch die Magengegend, oder Hoͤren auf dieſelbe Weiſe oder
durch die Fingerſpitzen u. ſ. w. — c) Die Wahrnehmung
aͤußerer Verhaͤltniſſe, welche im gewoͤhnlichen
Zuſtande gar nicht empfunden werden
, und zwar
des Schauens oder Fuͤhlens in entfernte Orte (Rabdomantie),
das Wahrnehmen bevorſtehender Dinge, entweder nur durch
ein dunkles Gefuͤhl (Ahnung), oder mit klarem Bewußt-
ſeyn (Weiſſagung).


§. 234.

Wir kommen nun zu den Stoͤrungen des Vermoͤgens,
auf aͤußere Gegenſtaͤnde durch Muskularthaͤtigkeit zu wirken.
Hierher gehoͤren: a) Laͤhmungen, und zwar entweder mit
uͤbriggebliebener Senſibilitaͤt in dem gelaͤhmten Gliede, oder
mit aufgehobenem Empfindungsvermoͤgen (torpide Paralyſe).
b) Erſtarrung, und zwar mit vollkommener Unbeweg-
lichkeit der Glieder, Starrkrampf (Tetanus) mit ſeinen Un-
terarten (Trismus, Opiusthotonus etc.), oder mit waͤchſerner
Biegſamkeit derſelben (Catalepsis), wo ſie jede gegebene
Stellung behalten. c) Heftig aufgeregte unwill-
[177] kuͤhrliche Muskelbewegung
, Zuckungen, cloniſche Kraͤm-
pfe, Epilepſie, Veitstanz u. ſ. w. — Endlich aber halten
wir dieſes auch fuͤr den angemeſſenſten Ort, einiger ſonder-
baren im vegetativen Leben ſich aͤußernden Abnormitaͤten zu
gedenken, welche wir gleichfalls vorzuͤglich von krankhaften
Einwirkungen des Nervenſyſtems ableiten zu duͤrfen glauben,
und welche in der ungewoͤhnlich langen Suspenſion mehrerer
dem Leben ſonſt ununterbrochen nothwendiger Funktionen ſich
darſtellen, wohin zu rechnen: a) die lange Entbehrung
von Nahrungsmitteln
, b) die lange Unterdruͤckung
natuͤrlicher Ausleerungen
, c) die lange Unterbre-
chung des Athemholens
.


§. 235.

Es iſt nun im Folgenden unſere Abſicht, dieſe Krank-
heitsformen noch im Einzelnen durchzugehen, ſie nach ihrer
Entſtehung und ihrem Vorkommen, ſo wie nach der Art ih-
rer Erſcheinungen mit den Grundſaͤßen der Phyſiologie moͤg-
lichſt in Uebereinſtimmung zu bringen, zu beleuchten, und
dann von den Mitteln zu handeln, welche, in wiefern ſie
das Nervenſyſtem unmittelbar in Anſpruch nehmen, vorzuͤg-
lich zur Behandlung derſelben empfohlen zu werden verdie-
nen, in wiefern naͤmlich dieſe Krankheitserſcheinungen ſelbſt
nicht vielleicht blos Symptome anderweitiger Stoͤrungen dar-
ſtellen; als welches aus der Verbindung oder vielmehr An-
reihung dieſer Zufaͤlle an andere primaͤr vorhandene (z. B.
Stoͤrungen der Menſtruation u. ſ. w.) ſich ergiebt, und dann
weſentlich nur die Behandlung jenes primaͤren Leidens fordert.


§. 236.

1) Die Ueberſpannungen des Selbſtgefuͤhls
im wachen Zuſtande
betreffend, ſo ſind ſie vorzuͤglich
bey ſchwaͤchlichen uͤberreitzten Jungfrauen, deren Geiſtesent-
wicklung der koͤrperlichen weit vorgeeilt iſt, zu bemerken; es
iſt hier, als ob der Geiſt auf alle Weiſe die Schwaͤche und
Unvollkommenheit des Koͤrpers verdecken wollte, und zu-
gleich als ob der Geiſt bey der unvollkommnen koͤrperlichen
Organiſation, gleichſam des feſten Bodens in der ſinnlichen
I. Theil. 12
[178] Welt ermangelte, und daher von einer Erſcheinung leicht un-
verhaͤltnißmaͤßig, ja bis zum Aufgeben aller innern Freyheit
angezogen wuͤrde. Maͤdchen dieſer Art zeichnen ſich vorzuͤg-
lich aus durch einen zarten Koͤrperbau, feine Haut, ſprechende
Geſichtszuͤge und vorzuͤglich ein aͤußerſt lebendiges Auge, ſie
ſind zu Fieberwegungen und Unordnungen in der Verdauungs-
funktion geneigt, haben unruhigen Schlaf und lebhafte Traͤume.
Bemerken dieſe Individuen nun (und ſie fuͤhlen es vermoͤge
ihrer Reitzbarkeit fruͤher und ſtaͤrker, als gemeinhin geglaubt
wird), daß man ſie ihrer unvollkommnern phyſiſchen Ausbil-
dung wegen bemitleidet, daß ihnen deßhalb wohl gar weni-
ger Anſpruͤche auf kuͤnftiges ehliches Gluͤck verſtattet werden,
ſo erwacht ihre Eitelkeit, ſie wollen durch die gewaltſamſten
Anſtrengungen die Anſpruͤche auf Beachtung erzwingen, welche
ihnen die Natur verſagt zu haben ſcheint, und nur allzuleicht
geſchieht dieß dann auf Unkoſten der Wahrheit, ja ſie ſcheuen
die heftigſten koͤrperlichen Schmerzen nicht, wenn damit das
Ziel, Aufmerkſamkeit, ja Bewunderung zu erregen, erreicht
werden kann, daher denn die Faͤlle, wo Perſonen dieſer Art
vorgaben, lange Zeit ohne alle Nahrungsmittel zu leben, und
allerdings dabey nur ſehr wenig genoſſen *), die Faͤlle, wo andere
ungewoͤhnliche Dinge erdichtet wurden (z. B. verſtellte Som-
nambulen, oder das Schweitzermaͤdchen, welches eine Natter
im Leibe zu haben, und durch die Vagina mit Milch zu er-
naͤhren vorgab), ja wo die Perſonen ſogar die ſchmerzhafte-
ſten Krankheiten nachbilden, und chirurgiſche Operationen
nicht ſcheuen, wie ein Fall beweiſet, wo ein Maͤdchen ſich
Kieſel verſchiedener Groͤße in die Harnblaſe einbrachte und
ſich den ſchmerzhafteſten Extraktionen der uͤber die Natur dieſer
Blaſenſteine nicht wenig verwunderten Aerzte unterwarf **).


§. 237.

Aehnliche Ueberſpannungen hingegen, wenn dabey das
Gemuͤth auf innere ideale Gegenſtaͤnde gerichtet iſt, bringen,
[179] obwohl ſie urſpruͤnglich ziemlich bey denſelben Subjekten und
unter aͤhnlichen Verhaͤltniſſen wie die obgedachten entſtehen,
dann ganz andere Erſcheinungen hervor, unter welchen vor-
zuͤglich die religioͤſe Schwaͤrmerey eine eigene und haͤufig vor-
kommende Form darſtellt. Man bemerkt ſie vorzuͤglich bey
Maͤdchen, welche bey einer mit unverſtaͤndlichen Religions-
begriffen uͤberfuͤllten Phantaſie von irgend einem Ungluͤcksfall
ſchwer betroffen werden, oder bey andern Individuen, welche
bey reitzbarem Gemuͤth und einem vielleicht fruͤher weniger
als recht um goͤttliche Dinge bekuͤmmerten Sinne, nun durch
myſtiſche Prediger ploͤtzlich aufgeſchreckt wurden *). Ihr gan-
zes Weſen ſcheint dann dem Irdiſchen entzogen, eine Liebe,
deren Inbrunſt an Geſchlechtsliebe erinnert, iſt den Heiligen
oder dem Heilande zugewendet, und nur die naͤhere Erwaͤ-
gung, daß in dieſem Zuſtande weder Klarheit und Ruhe,
noch vernunftgemaͤße Willensfreyheit und Beſonnenheit obwal-
tet, kann gegen den leicht beſtechenden Reitz, ja gegen die
geiſtige Erhebung einer ſchoͤnen Schwaͤrmerin, dieſen Zuſtand
als krankhaft darſtellen. — Mitunter aber richtet ſich wohl
auch dieſes Beſtreben auf Kunſt der Sprache oder der Muſik,
ſo hoͤrte man von ſolchen exaltirten Kranken lange Gedichte
improviſiren, und mit feurigem Ausdrucke vortragen, man
hoͤrte ſie mit weit ſchoͤnerem Ausdruck und mehr Kunſt als
im natuͤrlichen Zuſtande ſingen, ja Inſtrumente ſpielen und
Sprachen reden **), darin ſie ſonſt wenig geuͤbt waren; ob-
wohl dieſes insgemein ſchnell voruͤbergehende Zuſtaͤnde ſind,
und zum Theil als bloße Symptome mit der Sucht nach
Auszeichnung oder der religioͤſen Schwaͤrmerey, oder koͤrperli-
chen Krankheiten ſich verbinden.


§. 238.

Wir kommen nun zu den Abnormitaͤten, welche auf
der Nachtſeite des Lebens bey weiblichen, in der Entwick-
lungsperiode begriffenen Individuen nicht ſelten bemerkt wer-
[180] den, und als Ueberſpannungen oder Oppreſſionen
des Selbſtgefuͤhls im Zuſtande des Schlafs
oben
bezeichnet worden ſind. — Alle dieſe Zuſtaͤnde aber haben
etwas beſonders Geheimnißvolles, haben deßhalb zu den ſon-
derbarſten Meynungen Veranlaß gegeben, und koͤnnen wohl
uͤberhaupt nie dem erwachten Menſchen in allen Beziehungen
ſo klar und verſtaͤndlich werden, als es das Wachen ſelbſt
iſt, eben weil das ſinnlich Vorhandene nur durch die Erfah-
rung erkannt wird, der Schlaf aber mit dem in ihm beſchloſ-
ſenen Kreiſe von Erſcheinungen eine zu ſehr in ſich begraͤnzte
Sphaͤre darſtellt, als daß ſie vollkommen in den Kreis der
freyen Verſtandsthaͤtigkeit, dem erſten Bedingniß der Erfah-
rung eingehen koͤnnte; hinwiederum aber der Menſch, wenn
er in die Sphaͤre des Schlafs und der Traͤume eingegangen
iſt, zu wenig Freyheit und Klarheit hat (eben weil ſeine
hier erregten Zuſtaͤnde ſelbſt freyes Spiel der Phantaſie ſind)
um, ſo lange er in derſelben befangen iſt, der wiſſenſchaft-
lichen Erfahrung faͤhig zu ſeyn.


§. 239.

Suchen wir indeß demohnerachtet tiefer in dieſe Ge-
genſtaͤnde einzudringen, ſo kann dieß nur geſchehen, indem
wir bedenken, daß uͤberhaupt nicht das Wachen, ſondern der
Schlaf der urſpruͤngliche Zuſtand des menſchlichen Organis-
mus ſey, daß im Schlaf die Individualitaͤt immer wieder
dem großen Ganzen, aus welchem ſie hervorgetreten, naͤher
gebracht, mehr von dieſem Ganzen durchdrungen werde, als
in der ſtarrern Selbſtſtaͤndigkeit des wachen Zuſtandes
moͤglich iſt. So finden wir denn im tiefen Schlafe die der
Sinneswelt zugekehrte Wirkung der Seele gleichſam aufgeloͤſt
in dem Ganzen der Natur, und das Gefuͤhl des indivi-
duellen Daſeyns uͤberhaupt aufgehoben, allein im leichteren
Schlafe kann auch das Gefuͤhl des Daſeyns beſtehen, es be-
ſteht jedoch dann auf andere Weiſe, naͤmlich wieder beengt
von den Schranken der Zeit und des Raumes in wunder-
licher Ungebundenheit; kurz der Traum hebt an. — Iſt
indeß der Traum ſo lebendig, daß er ſelbſt uͤber willkuͤhrliche
Reactionen ſeine Herrſchaft verbreitet, ſo erzeugt ſich eine
[181] widernatuͤrliche Verbindung von Tag- und Nachtſeite, ein
Schlafwachen (ſchon der Widerſpruch in dieſem Worte be-
zeichnet das Krankhafte) und es tritt hierbey nun ein dop-
pelter Fall ein, naͤmlich entweder entſpricht Traum und
Wirkſamkeit des Schlafenden den aͤußern Verhaͤltniſſen oder
nicht. Das erſtere zeigt ſich in vorzuͤglich hohem Grade im
Schlafwandeln (Somnambulismus), wo Schlafende be-
kanntlich das leiſeſte Gefuͤhl, ja mehr als dieſes, einen ge-
gewiſſen Inſtinkt verrathen, welcher ſie in vielerley Dingen
ſich orientiren, und in den gefaͤhrlichſten Stellen ſich erhal-
ten und fortbewegen lehrt, und welcher eben aus dem weni-
ger bewußten Verſinken der Individualitaͤt in den großen
Naturkreis verſtaͤndlich wird (ſ. §. 231.). — Dieſes Schlaf-
wandeln aber findet ſich vorzuͤglich bey ſehr ſanguiniſchen
Maͤdchen und vorzuͤglich wenn die Unterleibsorgane in nicht
ganz naturgemaͤßem Zuſtande ſind, bey aufgetriebenen Lymph-
druͤſen, Verſchleimungen des Darmkanals, Wuͤrmern u. ſ. w.
welches darthun kann, daß allerdings das Ganglienſyſtem,
wenn wir auch darin keineswegs den alleinigen Grund dieſer
Verſtimmungen ſuchen moͤgen, doch wichtigen Antheil an den-
ſelben nehmen muͤſſe. — Daß uͤbrigens auch der Einfluß des
Mondes auf Erregung dieſer Zuſtaͤnde bedeutend ſey, iſt be-
kannt, und daß dieſer Einfluß gerade beym weiblichen Ge-
ſchlecht wegen der Einwirkung deſſelben auf die Menſtruation
(§. 120 u. f.) bedeutender ſeyn koͤnne, mir ſehr wahrſcheinlich.


§. 240.

Die Schlafrednerey betreffend, ſo iſt dieſelbe offen-
bar ſchon mehr dem bloßen Traume genaͤhert und deßhalb
auch meiſtens den naͤchſten aͤußern Verhaͤltniſſen weniger ent-
ſprechend, ſomit die Tag- und Nachſeite weniger unterein-
andermengend, und folglich wieder unnatuͤrlich, uͤbrigens ſind
die Bedingungen, unter welchen ſie entſteht, ziemlich dieſel-
ben. — Dagegen haben wir noch dieſe Erſcheinungen des
Traumlebens in anderer Hinſicht zu betrachten, naͤmlich in
wiefern ſie ſelbſt durch aͤußere Einwirkungen, oder durch be-
ſondere krankhafte Stimmungen des leiblichen Organismus
(welche immer fuͤr die Phantaſie ein Aeußerliches ſind) be-
[182] ſtimmt, und die Freyheit des Phantaſieſpiels, das reine Auf-
loͤſen in einen groͤßern Naturkreis beeintraͤchtigt wird. Hier-
her gehoͤren nun ſchon die aͤngſtlichen, erhitzenden oder er-
mattenden Traͤume, welche von ſchwerer, ungeſunder oder
mit ſtark riechenden Dingen geſchwaͤngerter Zimmerluſt, nach
ſchweren Speiſen u. ſ. w. erregt werden; vorzuͤglich aber ge-
hoͤrt hierher das ſogenannte Alpdruͤcken, welches bey voll-
bluͤtigen, in der Entwicklungsperiode begriffenen weiblichen
Subjekten nicht ſelten vorkoͤmmt, und mir im Weſentlichen
darin zu beſtehen ſcheint, daß durch Anhaͤufung eines nicht
hinlaͤnglich oxydirten Blutes in den Gefaͤßen der großen Cen-
tralnervenmaſſen die Wirkſamkeit des Nervenſyſtems mehr
noch, als ſie es im Schlafe ſeyn ſoll, gehemmt wird, zuletzt
ſelbſt die Reſpirationsbewegung zu unterhalten verſagt *), und
das Gefuͤhl einer ſchweren, auf die Bruſt gelegten Laſt er-
zeugt, wobey ſelbſt, wenn durch dieſen Schmerz das Erwa-
chen endlich herbeygefuͤhrt wird, die allgemeine Laͤhmung, der
gleichſam aſphyktiſche Zuſtand, nicht eher nachlaͤßt, bis es
der angeſtrengten Willensrichtung des Kranken gelungen iſt,
laut aufzuſchreyen, d. i. die Laͤhmung der zur Athmungsbe-
wegung noͤthigen Muskeln zu uͤberwaͤltigen. Es erklaͤrt ſich
nun ſehr wohl, warum die einzelnen Anfaͤlle vorzuͤglich nach
Ueberladungen des Magens, nach hitzigen Getraͤnken, bey
ſchwerer Gewitterluft u. ſ. w. erfolgen **).


§. 241.

Ferner die Abſpannung des Selbſtgefuͤhls iſt,
wo ſie in der Entwicklungsperiode, und zwar nicht etwa be-
dingt durch andere Krankheiten, vorkommt, gewoͤhnlich die
Folge vorausgegangener Ueberſpannung, und zwar entweder
durch eine auf zu zeitige Entwicklung pſychiſcher Kraͤfte ge-
richtete Erziehung, oder in Folge phyſiſcher Reitzungen, ſo
wie heftiger Gemuͤthserſchuͤtt[erungen] herbeygefuͤhrt. Sie aͤu-
ßert ſich am gewoͤhnlichſten in der Form der Apathie, die
[183] Kranken zeigen ein gedunſenes ſchlaffes Anſehen, ihr Auge
ſtarrt geiſtlos gerade aus, ſie ſitzen wohl ſtundenlang, ohne
eine beſtimmte willkuͤhrlich geregelte Gedankenreihe zu verfol-
gen, Nichts regt ihre Theilnahme beſonders an, und ſelbſt
die leiblichen Verrichtungen gehen traͤge und unvollkommen
von Statten. Der Bloͤdſinn ſelbſt iſt der hoͤhere Grad
dieſer Apathie, und die Erſcheinungen deſſelben beduͤrfen
hier keiner naͤhern Beſchreibung. — Dagegen waͤre noch
von den gewoͤhnlich ſchnell voruͤbergehenden Abſpannungen
des Selbſtgefuͤhls, welche als leichte oder ſtarke Ohnmacht
(Lipothymia und Syncope) erſcheinen, zu ſprechen, allein
dieſe, obwohl ſie in den Entwicklungsjahren haͤufig genug
vorkommen, ſind ſo gaͤnzlich die aͤußern Symptome koͤrper-
licher Krankheit, und vorzuͤglich von krankhaften Zuſtaͤnden
des Gefaͤßſyſtems, daß, wenn ſie auch zuweilen faſt allein
das Krankſeyn bezeichnen *), dieſelben doch in wiſſenſchaft-
licher Hinſicht eine beſondere Betrachtung nicht geſtatten.


§. 242.

Nun zu den Abnormitaͤten in Wahrnehmun-
gen aͤußerer Gegenſtaͤnde
, wohin wir zuvoͤrderſt die
erhoͤhte Reitzbarkeit fuͤr gewoͤhnliche Sinneseindruͤcke
rechnen **). — Wenn aber der regelmaͤßige Stand ſinnlicher
Wahrnehmung abhaͤngt von einer gleichmaͤßigen Durchdrin-
gung der Außenwelt und der Individualitaͤt, ſo iſt offenbar
eine zu große Reitzbarkeit der Sinne gewiſſermaſſen anzuſehen
als ein Verlieren an das Aeußere, womit das ſtufenweiſe
Abnehmen der Selbſtſtaͤndigkeit und kraͤftigen Gegenwirkung,
beym Zunehmen der Reitzbarkeit, endlich aber das ſo bedeu-
tende Erſchlaffen individueller Thaͤtigkeit, daß ſelbſt die Re-
ceptivitaͤt gelaͤhmt wird, uͤbereinſtimmt. Wir bemerken da-
[184] her, daß eine ſehr haͤufige Reitzung, ein vermehrtes Hin-
wenden auf das Aeußere
veranlaßt, und die Erregbar-
keit eben dadurch bis auf einen gewiſſen Grad immerfort
ſteigert, dann aber laͤhmt, und werden von hier aus auch
uͤber die Urſache der ſo betraͤchtlich geſteigerten Senſibilitaͤt
junger, kunſtreich und zaͤrtlich erzogener (d. i. von Jugend
auf mit den mannigfaltigſten Reitzen umgebener) Maͤdchen
Aufſchluß erhalten koͤnnen, eine Senſibilitaͤt, die ſich dann
oft durch die ſonderbarſten Erſcheinungen kund giebt. Hierher
gehoͤren die Idioſynkraſien, wo Perſonen dieſer Art den Ge-
ruch oder Geſchmack gewiſſer Dinge, ja ſelbſt gewiſſe Farben
oder Toͤne, ſo wie die Anweſenheit mancher Thiere (beſon-
ders der Katzen, wahrſcheinlich zum Theil ihrer ſtarken Elek-
tricitaͤt wegen) nicht vertragen koͤnnen, ſondern davon ohn-
maͤchtig, zum Erbrechen gereitzt, oder ſonſt krankhaft afficirt
werden; beſonders merkwuͤrdig aber iſt die aus einem zu
ſtarken Eindruck entſpringende Nachahmungsſucht, welche in
einem gewiſſen Grade auch dem geſunden Menſchen, ja ſchon
ſo vielen Thieren eingepraͤgt iſt, und uͤber deren Grund wir
noch einige Betrachtungen beyfuͤgen.


§. 243.

Wenn wir naͤmlich die verſchiedenen Arten der Erre-
gung uͤberhaupt durchgehen, ſo zeigt ſich, daß da, wo noch
die Einheit der Organiſation unvollkommen, ihr leiblicher Re-
praͤſentant, das Nervenſyſtem, noch nicht gebildet iſt, eine
Erregung von außen auch unmittelbar die Reaktion be-
dingt; ein Polyp, ein Blatt der Dionaea Muscipula ziehen
ſich daher unfehlbar zuſammen, ſobald ſie beruͤhrt werden.
Mit der groͤßern Selbſtſtaͤndigkeit hingegen, der groͤßern Aus-
bildung der im Nervenſyſtem wirkenden Kraft, wird es im-
mer vollkommner in die Willkuͤhr des Organismus geſtellt,
ob eine Reaktion erfolgen ſolle oder nicht. Dieſer Gang wie-
derholt ſich vollkommen in einer hoͤhern Sphaͤre. Die ſchwaͤ-
chere Individualitaͤt, wie ſie im Kinde, wie ſie zum Theil
auch im Weibe erſcheint, erkennt leicht, und zwar eben weil
ſie noch inniger im großen Naturkreiſe und weniger iſolirt
lebt, den fremden Willen fuͤr den eigenen; unmittelbar, wenn
[185] ſie auch zunaͤchſt gar nicht auf ſie gerichtet war, folgt ſie
der fremden Willensrichtung, und unbewußt ahmt ſie nach.
Daher
der außerordentliche Nachahmungstrieb der Kinder,
daher aber auch das Nachahmen von Thaͤtigkeiten, welche
von niedern Organen geuͤbt werden, z. B. der Trieb zum
Gaͤhnen, wenn ein Anderer gaͤhnt, die Ueblichkeiten oder das
wirkliche Erbrechen, wenn ein Anderer ſich erbricht u. ſ. w.;
denn ſtets je niedriger die Funktion, um ſo mehr gehoͤrt
ſie der Geſammtheit der Natur an, und um ſo mehr ent-
fernt ſie ſich von vernunftgemaͤßer Einheit und Freyheit.
So lange nun dieſer Nachahmungstrieb in den Graͤnzen der
Naturgemaͤßheit bleibt, iſt derſelbe auch nicht als krankhaft
zu betrachten, zeigt es ſich jedoch, daß dadurch in einem
Organismus, welcher zu freier Willensrichtung beſtimmt iſt,
und ſie durch willkuͤhrlich geregelte Thaͤtigkeit ausſprechen
ſollte, dieſe beeintraͤchtigt, die Freiheit aufgehoben werde, ſo
iſt ſie krankhaft, und es ergiebt ſich, daß, je hoͤher die
Reitzbarkeit uͤberhaupt geſteigert iſt, die Neigung zu dieſem
krankhaften Zuſtande um ſo groͤßer ſeyn muͤſſe, Grund genug,
um einzuſehen, warum die meiſten auffallenden Beyſpiele
krankhafter Nachahmungsſucht *) das weibliche Geſchlecht, und
zwar beſonders in den Entwicklungsjahren, wo die Erreg-
barkeit immer groͤßer iſt (ſ. 211.) darbietet.


§. 244.

Ferner iſt eine der ſonderbarſten und ſeltenſten Erſchei-
nungen das Erhalten von Sinneseindruͤcken auf
ganz ungewoͤhnlichem Wege
, naͤmlich durch die Ma-
gengegend, oder andere ſonſt fuͤr dieſe Eindruͤcke unempfindliche
Koͤrperſtellen. Manche Schriftſteller zwar haben allen naͤhern
Eroͤrterungen hieruͤber mit einem Male dadurch ausweichen
wollen, daß ſie alle Beobachtungen dieſer Art geradezu als
Taͤuſchungen verwarfen, weil ſie nicht mit ihren vorgefaßten
Meynungen von dem, was die Natur vermoͤge, zuſammenſtimm-
[186] ten. Indeß iſt dieß nicht minder thoͤricht, als bey Aufneh-
mung ſo ſeltener Erfahrungen nicht mit der moͤglichſten Um-
ſicht und Schaͤrfe zu Werke zu gehen, weßhalb wir H.
Oſiander*) ſehr beypflichten, wenn er gegen die erſtern
den Montaigne anfuͤhrt, welcher die Art uͤber Aehnliches im
Voraus abzuurtheilen bitter tadelt, und gedenken hierbey auch
Leibnitzens, welcher bey Gelegenheit des Atheismus be-
merkt, daß Leichtglaͤubigkeit und Unglaͤubigkeit ſich oft ſon-
derbar vermiſchen, ja daß zuweilen nur der eigene Vor-
theil diktirt, was geglaubt und was nicht geglaubt werden
ſolle **); — eine Meynung, welche vielleicht ganz beſonders
an ſolche Aerzte erinnern koͤnnte, bey denen nichts Glauben
findet, was der bequemen Praxis des Receptſchreibeus hin-
derlich werden moͤchte.


§. 245.

Fragt man aber zuvoͤrderſt, ob Erſcheinungen dieſer Art
wirklich mit der Natur des menſchlichen Koͤrpers, wie wir
ſie ſonſt kennen, in vollkommnem Widerſpruch ſtehen oder
nicht, ſo ſcheint uns ſoviel ſicher, daß allerdings eigentliches
Sehen, eigentliches Hoͤren u. ſ. w. außer mittelſt der fuͤr
dieſen Sinn beſtimmten Werkzeuge nicht Statt finden
koͤnne; allein dieſes anzunehmen finden wir auch in den zu
erwaͤhnenden Beobachtungen keinen Grund, indem man ins-
beſondre feſthalten muß, daß die Natur ein Ganzes, in un-
endlichen Kraͤften ſich wechſelſeitig Durchdringendes iſt, daß
alle Dinge durch einander exiſtiren, daß daher in einem
des Gefuͤhls faͤhigen Koͤrper die mannigfaltigen aͤußern Ver-
aͤnderungen auch als Umſtimmungen dieſes Gefuͤhls ſich noth-
wendig abſpiegeln muͤſſen, wobey es jedoch geſchehen kann,
daß nur ein Theil dieſer Umſtimmungen zum Bewußtſeyn
kommt, ja daß ſie ſchon ohne Bewußtſeyn die Thaͤtigkeit des
Koͤrpers umaͤndern (wohin die Triebe und Inſtinkte niederer
Thiere (§. 231.) gehoͤren). Nun iſt aber uͤberhaupt das,
[187] was wir Wahrnehmen aͤußerer Gegenſtaͤnde nennen, bekannt-
lich keineswegs ein Wahrnehmen der Dinge an ſich, ſon-
dern das Wahrnehmen eines Bildes, welches die Phantaſie
erzeugt, angeregt von den verſchiedenartigen Reitzungen des
Koͤrpers; und eines Bildes zwar, welches aus den Farben
gemalt iſt, welche die einzelnen Sinnesformen darbieten, und
in welchem daher beym Mangel einzelner Sinnesformen auch
die Farben mangeln muͤſſen, welche dieſen mangelnden Sin-
nen entſprechen, ſo daß ein Blindgeborener daher wohl in
Toͤnen, nach Gefuͤhls-, Geruchs- und Geſchmacksempfindun-
gen Vorſtellungen haben wird, aber nicht nach Farben und
Licht. So wie nun aber z. B. ein Menſch ohne Fuͤße wohl
ſich fortbewegen lernt, dieſes Fortbewegen aber nie Gehen
genannt werden kann, ſo kann nun wohl der Mangel oder
die Unthaͤtigkeit eines Sinnes, z. B. des Geſichts, durch
eine andere Wahrnehmung erſetzt werden, allein dieß iſt nicht
Sehen zu nennen; und hier liegt nach unſerm Dafuͤrhalten
der Hauptknoten in dem Verſtaͤndniß der fraglichen Erſchei-
nungen.


§. 246.

Naͤmlich auch die innere, nicht unmittelbar von aͤußern
Erſcheinungen angeregte Thaͤtigkeit der Phantaſie bildet in
den ſinnlichen Formen, daher glauben wir einen lebhaft
gedachten Gegenſtand zu ſehen, wir glauben zu hoͤren,
zu ſehen u. ſ. w. im Traume, und doch ſehen wir eigent-
lich nicht. So nun auch, wenn das unmittelbare, nicht
durch die einzelnen Sinnesformen erregte Gefuͤhl eines aͤußern
Einflußes, deſſen Stimmung unſer Inneres mit durchdrungen
hat, wirklich zum Bewußtſeyn gelangt, wird es doch ange-
ſchaut werden unter der Form der gewohnten Sinne, welches
man im gemeinen Leben ſehr paſſend im Geiſte ſehen,
hoͤren
u. ſ. w. nennt. Z. B. ein Menſch, welcher mit
ploͤtzlich gelaͤhmtem Geſicht und Gehoͤr in einen kuͤhlen gruͤ-
nen Wald verſetzt wuͤrde, und ſich durchdrungen fuͤhlte von
der friſchen Natur, dem eigenen Duft der Blaͤtter und der
erquickenden Kuͤhle, deſſen Phantaſie wuͤrde angeregt werden,
wenn er fruͤher oft an aͤhnlichen Orten geweſen waͤre, ſich den
[188] Wald ſelbſt, das Gruͤn der Blaͤtter, das Geraͤuſch des Win-
des in den Zweigen auszubilden, ja er wuͤrde bey lebhafter
Phantaſie endlich dieſes ſelbſt zu ſehen, zu hoͤren glauben,
und es iſt deutlich, daß dieſes Phantaſiebild der Wirklichkeit
um ſo mehr entſprechen wuͤrde, je lebendiger der Menſch
von dem Gefuͤhle dieſer Natur durchdrungen war.


§. 247.

Nun iſt aber ſchon mehrmals bemerkt worden, daß der
niedere Organismus nothwendig zugleich inniger in der
Natur lebt, mehr von ihr durchdrungen wird, als der hoͤ-
here
, und hierauf muͤſſen wir Ruͤckſicht nehmen bey jenen
Beobachtungen der ſcheinbaren Verſetzungen der Sinne. —
Auch der Menſch naͤmlich enthaͤlt zugleich eine niedere und
eine hoͤhere Natur in ſich, und es iſt klar, daß die niedere
Sphaͤre insbeſondre geeignet ſeyn muͤſſe, von aͤußern Ver-
haͤltniſſen dergeſtalt durchdrungen zu werden, daß an dieſen
innern Modifikationen unmittelbar, in ſofern ſie durch die
vom Aeußern abgezogene und in ihr Inneres ſchauenden
Seele wahrgenommen werden, die Erkenntniß jener aͤußern
Verhaͤltniſſe moͤglich wird, wobey natuͤrlich wieder durch die
Phantaſie eine ſolche Vorſtellung in die gewohnten Sin-
nesformen eingebildet werden, und der Menſch glauben muß,
dieſe Gegenſtaͤnde zu ſehen, zu hoͤren u. ſ. w., obwohl er ſie
eigentlich vielmehr in einem dem Aeußern wahrhaft
entſprechenden Traume
wahrnimmt. — Wie weit uͤbri-
gens die Sphaͤre dieſer Wahrnehmung gehen koͤnne, laͤßt ſich
a priori durchaus nicht beſtimmen. Der Geiſt iſt uͤber Zeit
und Raum, Zeit und Raum ſind vielmehr in ihm, und
wenn wir beſtimmte Beyſpiele haben, daß ſelbſt Thiere die
Gegenwart von Perſonen, zu welchen ſie große Anhaͤnglich-
keit hatten, in einer Entfernung, wo die gewoͤhnlichen Sinne
nicht hinreichten, empfanden, wie duͤrften wir hier dem Men-
ſchen ein non plus ultra willkuͤhrlich vorſchreiben wollen? —
Es gilt hierbey viel mehr treu und unbefangen zu beobachten,
welche merkwuͤrdige Erſcheinungen die Natur hier uns dar-
bietet, als ihr im Voraus Graͤnzen ziehen zu wollen.


[189]
§. 248.

Fragt man uͤbrigens, welches die niedere Sphaͤre ſey,
durch welche der Menſch zu Perceptionen der erwaͤhnten Art
faͤhig werde, ſo kann hier keine als die Sphaͤre der Repro-
duktion gemeynt ſeyn, welche, in wiefern ihre Senſibilitaͤt
ſogar an den Traͤger eines eigenen Nervenſyſtems geknuͤpft
iſt, noch mehr zu dieſen Erſcheinungen geeignet wird; womit
denn uͤbrigens die Geſchichten dieſer Erſcheinungen ſelbſt uͤber-
einſtimmen, indem man immer bemerkt hat, daß vorzuͤglich
die den Centralpunkten der Reproduktion, d. i. der Gegend
zwiſchen Herz, Magen und Leber am meiſten genaͤherten
Partien des Koͤrpers ſolcher Perceptionen faͤhig waren, ob-
wohl wir deßhalb dieſer Gegend nicht das Vermoͤgen des
Geſichts, des Gehoͤrs u. ſ. w. ſelbſt zuſchreiben koͤnnen. —
Warum haͤtte man denn wohl nie bemerkt, daß eine Kranke
vorgab, mit den Ohren zu ſehen? mit den Augen zu hoͤren?
mit dem Gehirn uͤberhaupt Sinneswahrnehmungen zu haben? —
Warum finden wir uͤberall, ſelbſt bey Perſonen, welche ihrer
geringen Bildung nach unwiderleglich von aͤrztlichen Hypo-
theſen keine Sylbe wußten, immer wieder die Magengegend
als durch dieſe Senſibilitaͤt hervorgehoben? —


§. 249.

Ehe wir nun ganz von dieſer Digreſſion zuruͤckkehren
(welche wir uͤbrigens nicht gemacht haben wuͤrden, waͤren
die hier zur klarern Einſicht doch unumgaͤnglich noͤthigen
Ideen in den Phyſiologien bereits allgemein klar genug ent-
wickelt zu finden), nur noch einige Worte uͤber die Moͤglich-
keit des Wahrnehmens eigener innerer Koͤrpertheile in ſolchen
exaltirten Zuſtaͤnden. Auch dieſes naͤmlich koͤnnen wir nur
als Phantaſiebilder, oder wenn man lieber will, als Traͤume
von den Geſtalten dieſer einzelnen Organe betrachten, und
es ſcheint wohl natuͤrlich, daß wenn Umſtimmungen des Ge-
meingefuͤhls wahrhafte Vorſtellungen von Außendingen veran-
laſſen, auch die Organe an und fuͤr ſich ſelbſt Vorſtellungen,
und zwar von ihrem eigenen Zuſtande, erregen. Ja es liegt
wohl hierin noch eine beſtimmtere Rechtfertigung obiger An-
[190] ſicht, denn waͤre es nicht ein Widerſpruch, wenn man ſagte,
daß ein Organ ſich ſelbſt ſaͤhe? ſieht ja doch ſogar das Auge
nicht ſich ſelbſt. Vielmehr deuten alle dieſe Erſcheinungen
ſo wie das Gefuͤhl, welches in ſchweren Krankheiten nicht
ſelten bemerkt wird, und mir bey einem boͤsartigen Nerven-
fieber durch eigene Erfahrung bekannt wurde, wo der Kranke
naͤmlich ſich doppelt glaubte und einzelne ſeiner Glieder als
zu einem andern Koͤrper gehoͤrig betrachtete, — daß hier
Traͤume (welche indeß auch der Wirklichkeit zuweilen in ho-
hem Grade entſprechen koͤnnen) ſich geſtalten. — Eben deß-
halb iſt aber auch auf die Richtigkeit dieſer Vorſtellungen
nicht zu viel zu geben, denn wenn ſchon beym wirklichen
Sehen viel davon abhaͤngt, wie man ſieht, und das rechte
Sehen
erſt erlernt werden muß, ja um ſo mehr geſehen
wird, je mehr man weiß, ſo koͤnnen in ſolchen ungewoͤhnli-
chen Wahrnehmungen, und zwar oft ſehr unwiſſender Men-
ſchen, große Taͤuſchungen leicht Statt finden, ohne daß man
dieſe Irrthuͤmer deßhalb allein als Belege abſichtlichen Be-
trugs aufſtellen darf. — Endlich ergiebt ſich aber auch hier-
aus, daß auf dieſe Weiſe die Phantaſie keine Bilder erhal-
ten wird, deren ſie nicht bereits auf anderem Wege faͤhig
geworden iſt; ſo z. B. daß keiner Blindgebornen durch
Magengegend oder Fingerſpitzen u. ſ. w. Geſichtsvorſtellungen
angeregt werden koͤnnen, obwohl eine Blindgewordene deren
hierdurch eben ſo lange erhalten koͤnnte, als ihr die Erinne-
rungen des Geſichtsſinnes zuruͤckbleiben.


§. 250.

Was nun die einzelnen Faͤlle ſolcher ſcheinbaren Sin-
nesverſetzungen betrifft, ſo ſind deren allerdings noch zu we-
nige genau beobachtet, als daß man angeben koͤnnte, unter
welchen Umſtaͤnden und bey welchen Individuen ſie vor-
zuͤglich bemerkt wurden; jedoch ſcheint es, als ob ſie meiſtens
nur in Verbindung mit andern ungewoͤhnlichen Stimmungen
der Senſibilitaͤt, naͤmlich entweder in dem durch eigene Na-
turthaͤtigkeit oder durch Kunſt entſtandenen Somnambulismus,
oder bey krampfhaften Zuſtaͤnden, und namentlich bey der
[191] hyſteriſchen Catalepſis vorkommen. Als Gelegenheitsurſachen
zu Entſtehung dieſer Zufaͤlle hat man vorzuͤglich haͤufig Re-
gelwidrigkeiten der Menſtruation, insbeſondre die ploͤtzliche
Unterdruͤckung derſelben und heftige Gemuͤthsbewegungen be-
obachtet. Die Subjekte waren theils ſchwaͤchliche reitzbare
Perſonen von feiner Erziehung, theils aber auch Perſonen
aus der niederen Volksklaſſe und an ſtarke koͤrperliche Arbei-
ten gewoͤhnt. Zu den letztern gehoͤrt der von Dr.Renard
bekannt gemachte, durch das gerichtliche Zeugniß zweier an-
dern Aerzte und eines Predigers beglaubigte Fall einer Tag-
loͤhnersfrau von 23 Jahren, welche im kataleptiſchen Zu-
ſtande durch Magengegend und Fingerſpitzen hoͤrte *), und
zwar nicht nur wo dieſe Theile unmittelbar vom Laute ge-
troffen wurden, ſondern auch dann, wenn nur eine Zuleitung
zu dieſen Theilen, z. B. durch eine Kette von mehreren Per-
ſonen gebildet worden war. Eben ſo gehoͤren zu den Faͤllen
der Sinneverſetzung in kataleptiſchen Zuſtaͤnden die von Pe-
tetin
gemachten Beobachtungen **), welcher zuerſt die Auf-
merkſamkeit der Aerzte auf dieſen Gegenſtand lenkte. Von
den ſogenannten Sinneverſetzungen bey von ſelbſt entſtandenem
oder kuͤnſtlich erregtem Somnambulismus, ſo wie den dabey
nicht ſelten beobachteten ziemlich wahrhaften Traͤumen vom in-
nern Koͤrperbau enthalten die zahlreichen Schriften uͤber animalen
Magnetismus Beyſpiele in Menge. Ein aͤußerſt merkwuͤrdi-
ges Beyſpiel einer ohne Catalepſis und Somnambulismus
entſtandenen Sinneverſetzung, naͤmlich des Erregens von Ge-
ſichtsvorſtellungen mittelſt der Fingerſpitzen, wuͤrde hingegen
die neuerlich Aufſehen erregende Miß Mavoy in England
darbieten, ſobald die Thatſache ſelbſt hinlaͤnglich feſtgeſtellt
waͤre ***).


[192]
§. 251.

Endlich kommen wir zu den ſonderbarſten und ſeltenſten
Erſcheinungen der aufgeregten Senſibilitaͤt, wo die Schranken
des Raumes und der Zeit faſt aufgehoben ſcheinen, und wo-
hin zuerſt das Schauen oder Fuͤhlen von Gegenſtaͤnden ge-
hoͤrt, welche nach der gewoͤhnlichen Weiſe ſinnlicher Wahr-
nehmung nicht zu erkennen waren. Auch dieſes iſt ſelten
als einzeln vorkommende Erſcheinung, ſondern gewoͤhnlich als
Symptom des Somnambulismus beobachtet worden; jedoch
wuͤrde das Beyſpiel der Mad. Pedegache in Spanien,
welche das Vermoͤgen beſeſſen haben ſoll, in das Innere der
Koͤrper zu ſchauen, hierher gerechnet werden muͤſſen, dafern
ſichere und glaubwuͤrdigere Nachrichten daruͤber vorhanden
waͤren *). Ein merkwuͤrdiges, von erfahrenen Zeugen beglau-
bigtes und durch Verſuche erprobtes Beyſpiel einer hohen
rabdomantiſchen Senſibilitaͤt bey einem ohngefaͤhr 20 Jahr
alten, ſich ſonſt dem Aeußern nach wohl befindenden Frauen-
zimmer, von blaßer Farbe, ſchlankem Wuchs und lebhaftem
Gemuͤth, iſt dagegen das vom Bergmeiſter F. Glinsberg
in Arau bekannt gemachte **), wo eine Richtung von Stein-
kohlenlagern durch dieſelbe angegeben wurde, welche dem
Bergmeiſter unerwartet und unbekannt, demohnerachtet durch
die Nachgrabung beſtaͤtigt worden war. Die Empfindungen,
durch welche ſie das Verhaͤltniß der Foſſilien entdeckt, ſind
Engbruͤſtigkeit, Zuckungen, Schweiß, bey Steinkohlen ſchwe-
felartiger Geruch u. ſ. w. Sie gab zu Elgg die Maͤchtig-
keit des Floͤtzes ziemlich beſtimmt an und bezeichnete den
Platz einer verborgenen Quelle richtig.


§. 252.

Weit haͤufiger ſind dagegen aͤhnliche Erſcheinungen in
den ſogenannten magnetiſchen oder auch in kataleptiſchen Zu-
ſtaͤnden beobachtet worden, allwo denn auch das Vorgefuͤhl
zukuͤnftiger Dinge oft mit beſonderer Schaͤrfe hervortritt. Von
[193] beyden wollen wir nur einige Beyſpiele erwaͤhnen. So er-
kannte z. B. des Dr.Renard kataleptiſche Kranke Perſo-
nen in andern Zimmern und die Beſchaͤftigung derſelben, ſo
wie Geldſummen, Schluͤſſel u. ſ. w. in den Taſchen der An-
weſenden *); ſo ſagte dem Hofmedikus Klein eine von ſelbſt
in Somnambulismus gerathene Kranke von 21 Jahren am
30. Juny 1812 auf eine an ſie gerichtete Frage: daß eine
gewiſſe Frau den 20. July mit einem Knaben leicht nieder-
kommen, der Arzt aber nachher ſich in Acht zu nehmen
haben werde, welches puͤnktlich eintraf, indem den 20. July
die Geburt eines Knaben ſehr leicht erfolgte, der Hofmedikus
Klein hingegen einen ganzen Vormittag wegen Einſackung
der Nachgeburt bey der Entbundenen zu thun hatte **). Daß
uͤbrigens dieſe Vorgefuͤhle und beſtimmtern Vorausſagungen
ebenfalls ohne ſomnambulen Zuſtand vorkommen, iſt wohl
unlaͤugbar; Belege davon koͤnnen mehrere von H. Oſian-
der
uͤber das Ahnungsvermoͤgen geſammelte Erfahrungen
werden ***), ſo wie als einer der ſchoͤnſten Faͤlle des Hin-
ausſchauens uͤber die gewoͤhnlichen Schranken der Sinne die
Geſchichte des Maͤdchens von Orleans †) erſcheint, deren
ſittliche Schoͤnheit zugleich aus den trockenſten Kriminalakten
ſo rein hervorleuchtet, daß ſie einen großen deutſchen Dich-
ter zu einer unſterblichen Schoͤpfung entzuͤnden konnte.


§. 253.

Wirft man aber hierbey wieder die Frage auf, uͤber
Vereinbarkeit dieſer, mit den andern phyſiologiſchen Erſchei-
I. Theil. 13
[194] nungen, ſo glauben wir weder zu Ausnahmen von uͤbrigens
guͤltigen Naturgeſetzen, noch zu einem myſtiſch verzierten
Dualismus, welcher den Geiſt hier etwas weiter aus der
Kapſel des Koͤrpers hervorſehen laͤßt, unſere Zuflucht nehmen
zu muͤſſen, ſondern wir weiſen nur wieder auf die obigen
Anſichten (§. 246 u. 47.) von Durchdringung des Einzelnen
durch das Ganze, von dem Menſchenleben als integrirendem
Theil des Naturlebens zuruͤck, und finden es mit dieſer Ein-
heit, in welcher Alles ſich wechſelſeitig beſtimmend fortwirkt,
vollkommen uͤbereinſtimmend, daß unter zwey Bedingungen der
Wahrnehmungskreis der innerſten menſchlichen Einheit, d. i.
der Menſchenſeele, in Zeit und Raum betraͤchtlich erweitert
werden koͤnne, naͤmlich: erſtens wenn der Menſch der Natur
ſich vollkommen hingiebt, gleichſam in ihr untergeht (in wel-
cher Hinſicht wir die wohlthaͤtigen Inſtinkte bey Kranken, die
Ahnungen bevorſtehender Naturereigniſſe u. ſ. w. *) betrachten);
zweytens wenn der Menſch die Natur geiſtig in ſich auf-
nimmt, die Natur ſich unterwirft, ohne dadurch Kraft, Frey-
heit und Klarheit des Geiſtes aufzugeben, ſondern vielmehr
im erhoͤhten Beſitzgefuͤhl derſelben (ein nur Wenigen, von den
Banden der irdiſchen Begehrungen Befreiten, eigenthuͤmliches
Vermoͤgen, welches das Volk gewoͤhnlich nur Heiligen, und in
einem gewiſſen Sinne ſehr mit Recht zugeſchrieben hat). — Daß
uͤbrigens hier, wenn von Krankheit die Rede iſt, nur das
unter der erſten Bedingung entſtandene Fernſchauungs-
und Ahnungsvermoͤgen gemeynt ſeyn kann, liegt am Tage.


§. 254.

Noch bleiben uns nun die krankhaften Erſcheinungen
der Muskularthaͤtigkeit und Reproduktion, durch abnorme Ner-
veneinwirkung veranlaßt, zu betrachten uͤbrig. Was die ab-
norme Muskularthaͤtigkeit betrifft, ſo kommen die Zufaͤlle
derſelben in den Entwicklungsperioden des weiblichen Ge-
ſchlechts vorzuͤglich bey an und fuͤr ſich reitzbaren und
ſchwaͤchlichen Subjekten in der Form von Laͤhmungen dann
[195] vor, wenn durch vorausgegangene fruͤhzeitige Ausſchweifun-
gen Ueberreitzung Statt gefunden hat, und durch die ent-
ſtandene Schwaͤche die vollkommne Ausbildung des Geſchlechts-
charakters gehindert wird; oder wenn ſehr heftige Gemuͤthsbe-
wegungen ploͤtzlich einwirkten. Im Ganzen pflegt indeß ge-
rade dieſer Krankheitszuſtand doch weit weniger haͤufig, als
andere einzutreten, da er zu ſehr mit der in dieſer Zeit fuͤr
den Organismus natuͤrlichen Stimmung in Widerſpruch ſteht;
wenigſtens iſt er gemeiniglich nur voruͤbergehend, und er-
ſcheint dann oft mehr als Erſtarrung, vorzuͤglich als Cata-
lepſis. Haͤufiger kommen dagegen die eigentlichen Kraͤmpfe vor,
und zwar zuweilen mit einer Heftigkeit, welche alle Beſchreibung
uͤberſteigt *), man bemerkt hierbey Tetanus, Opiſthotonus,
wobey der Koͤrper, voͤllig im Sprenkel gebogen, ſich nur auf
Ferſen und Hinterhaupt aufſtuͤtzt, Trismus u. ſ. w. — Mit-
unter beſchraͤnken ſich wohl auch dieſe Kraͤmpfe auf einzelne
Theile, beſtehen z. B. in heftigem Kopfſchuͤtteln **), oder
taktmaͤßigen Gliederbewegungen (Veitstanz), verbinden ſich
mit Somnambulismus u. ſ. w. — Auch dieſe Zufaͤlle werden
uͤbrigens vorzuͤglich bey ſehr reitzbaren Individuen, und be-
ſonders nach Gemuͤthsleiden beobachtet, beſtehen nicht ſelten
(wie in dem unten angefuͤhrten erſten Falle von Brandis)
mit regelmaͤßiger Menſtruation, ſind gewoͤhnlich aͤußerſt hart-
naͤckig und ſpotten oft der wirkſamſten innern Arzneymittel.


§. 255.

Endlich bemerken wir auch den Einfluß ſolcher Ver-
ſtimmungen des Nervenſyſtems auf den Gang der reproduk-
tiven Funktionen im Ganzen zwar immer, aber in einzelnen
Faͤllen an beſonders auffallenden Erſcheinungen. Hierher
rechnen wir namentlich das lange Entbehren von Nahrungs-
mitteln, welches vorzuͤglich bey weiblichen Individuen bemerkt
[196] wurde, und allerdings gerade wegen der uͤberhaupt thaͤtigern
Reproduktion hier weniger uͤberraſchend, ja im Allgemeinen
wohl nicht ſo unbegreiflich ſcheinen kann, als man großen-
theils glaubt. Der Koͤrper naͤmlich, deſſen Exiſtenz nur
eben in einer ſtaͤten Verwandlung, in einem ſtaͤten Wechſel
von Aufnahme und Zerſtoͤrung beſteht, hat zwey Wege, dieſe
Exiſtenz zu ſichern, entweder die Aſſimilation zu erhoͤhen,
oder die Exkretion zu mindern, durch den Stand welcher
Faktoren ſich denn viele Erſcheinungen erklaͤren laſſen. So
ſehen wir in acuten Krankheiten oft bey Hemmung ſo vieler
Lebensaͤußerungen auch dieſen Stoffwechſel ſehr zuruͤckgetreten
und die Exiſtenz durch eine aͤußerſt geringe Stoffaufnahme
lange Zeit unterhalten, mit welcher immer noch die, wenn
auch oft ſehr merkliche Stoffabnahme des Koͤrpers in keinem
Verhaͤltniſſe ſteht; ſo finden wir auch bey vielen Thieren
(z. B. Amphibien und Fiſchen) eine lange Lebensdauer ohne
merkliche Stoffaufnahme unſchwer moͤglich, und daß dieß
ganz beſonders waͤhrend der Entwicklungsperioden vorkomme,
ſcheint in der Natur des Organismus begruͤndet, welcher hier
(eben ſo wie in Krankheiten, deren Ganzes immer wieder
als organiſche Entwicklung betrachtet werden muß) zu ſehr
in ſich beſchaͤftigt iſt, und dadurch in ſchwaͤchere Wechſel-
wirkung mit der Außenwelt tritt, weßhalb wir vorzuͤglich
an Thieren, wenn ſie ſich verwandeln, eine ſehr verminderte
Nahrungsaufnahme bemerken. Raupen z. B. hoͤren auf zu
freſſen, wenn ſie ſich einſpinnen, und daß gerade, wenn in der
Puppe das Thier zum Schmetterlinge umgeſtaltet wird, eine
aͤußere Ernaͤhrung gar nicht weiter Statt findet, iſt be-
kannt; eben ſo freſſen Voͤgel in der Mauſe weniger u. ſ. w.


§. 256.

Finden wir nun zur Zeit der Entwicklungsperiode aͤhn-
liche Erſcheinungen im Menſchen, ſo ſind wir gewiß nicht
berechtigt, dieſelben, ihrer Unmoͤglichkeit wegen, ſtets fuͤr
abſichtliche Betruͤgerey zu erklaͤren, und wenn gleich in meh-
rern Faͤllen theils in Folge unvorſichtigen aͤrztlichen Beneh-
mens, theils durch gleichzeitig erwachte Eitelkeit der Kran-
ken (ſ. §. 236.) Uebertreibungen der Thatſachen Statt ge-
[197] funden haben, ſo ſind doch theils dieſe Faͤlle ſelbſt *) theils
andere **) Beweis genug, daß der weibliche Koͤrper in ge-
wiſſen Stimmungen wirklich mit außerordentlich geringer
Nahrung lange Zeit ausreichen koͤnne. — Weit ſeltner hin-
gegen, und nur in Folge außerordentlicher Umaͤnderungen der
Organiſation, wird das Hemmen der Athmungsfunktion der
Lungen beobachtet, wohin der von H. Oſiander angefuͤhrte
Tacconi’ſche Fall gehoͤrt, wo ein Maͤdchen, nachdem es
im fuͤnften Jahre einen Sturz aus dem Fenſter erlitten (alſo
doch wahrſcheinlich eine heftige Hirnerſchuͤtterung Statt ge-
funden hatte), 10 Jahre lang ohne alles bemerkliche Athem-
holen (die Athmungsbewegung haͤngt bekanntlich im hohen
Grade vom Gehirn ab) zugebracht, und alſo ohne kleinen
Kreislauf (demnach auf bloße Hautreſpiration beſchraͤnkt) ge-
lebt hatte ***). Eine Erſcheinung, welche indeß, wenn wir
das uͤberhaupt geringere Athmungsbeduͤrfniß im weiblichen
Geſchlecht (§. 59.) ausnehmen, doch in zu entfernter Ver-
bindung mit der Geſchlechtseigenthuͤmlichkeit ſteht
um weitere Eroͤrterungen daruͤber hier zu erlauben.


§. 257.

Wir kommen nun, nachdem wir eine Schilderung die-
ſer mannigfaltigen, ſonderbaren, vom Nervenleben ausgehen-
den, oder in ihm ſich vorzuͤglich aͤußernden Entwicklungskrank-
heiten gegeben haben, zu einem ſehr ſchwierigen Punkte,
naͤmlich zu der Lehre von der Behandlung derſelben.
Es iſt aber hier beynahe derſelbe Fall, wie in der Behand-
lung der Gemuͤthskrankheiten und Geiſtesverirrungen uͤber-
haupt, wo durch die dunkeln Vorſtellungen vom Verhaͤltniß
[198] deſſen, was wir Seele nennen, zum Koͤrper, die verſchieden-
ſten Anſichten erzeugt worden ſind. — Hier koͤnnen und ſol-
len nur kuͤrzlich diejenigen Regeln zuſammengeſtellt werden,
welche Vernunft und Erfahrung als die mindeſt zweydeutigen
und als die einfachſten darſtellen.


§. 258.

Zuerſt aber bemerken wir in dieſer Hinſicht, daß, in-
dem offenbar in ſo vielen Faͤllen es ſich erkennen laͤßt, wie
Stoͤrungen in den niedern Funktionen auf die hoͤhern zuruͤck-
wirken, es das vorzuͤgliche Augenmerk des Arztes ſeyn muͤſſe,
in den oben betrachteten Zufaͤllen der Entwicklungsperiode des
weiblichen Geſchlechts den Stand der niedern organiſchen Ver-
richtungen genau zu unterſuchen, auf krankhafte Zuſtaͤnde der
Verdauungswerkzeuge, Verſchleimung, Obſtruktionen, fehler-
hafte Gallenabſonderung, hinlaͤngliche Ruͤckſicht zu nehmen,
ferner den Zuſtand des Lymphſyſtems ſo wie des Gefaͤßſyſtems
und insbeſondre der venoͤſen Gefaͤße, endlich aber die Bil-
dung und Thaͤtigkeit der Geſchlechtsorgane zu beachten. Fin-
den ſich nun hier auf irgend eine Art bedeutende Stoͤrungen
vor, ſo wird die Behandlung und Beſeitigung derſelben, nach
den Regeln, welche theils die ſpecielle Therapie, theils die
Lehre von den Geſchlechtskrankheiten aufſtellt, den Arzt ſtets
zuerſt beſchaͤftigen muͤſſen, indem entweder das Leiden des
Nervenſyſtems ſelbſt hierdurch verſchwinden, oder doch eine
die Heilung deſſelben erſchwerende oder gaͤnzlich hindernde
Complication dadurch entfernt werden wird.


§. 259.

Einen zweyten Hauptpunkt aͤrztlicher Behandlung muß fer-
ner die Unterſuchung und Regulirung der geſammten Lebensord-
nung der Kranken ausmachen. Es wird ganz vergebens ſeyn,
fuͤr die meiſten Faͤlle von Kraͤmpfen, von uͤberſpannter Empfind-
lichkeit u. ſ. w. einen noch ſo zweckmaͤßigen Heilplan zu ent-
werfen, gelingt es dem Arzte nicht, die vielfachen Diaͤtfeh-
ler, den Mißbrauch von warmen, erhitzenden und erſchlaffen-
den Getraͤuken, die Reitzung der Phantaſie durch ungewaͤhlte
Lektuͤre und unpaſſenden Umgang, das Nachtſchwaͤrmen und
[199] ſo viele andere Sproſſen eines immer weiter greifenden, im-
mer mehr von Naturgemaͤßheit zuruͤckweichenden Luxus zu
verbannen. Man eroͤffne daher die Behandlung damit, ſol-
chen Kranken, ihren Umſtaͤnden gemaͤß, eine Lebensordnung
von der Zeit des Aufſtehens bis zum Schlafengehen vorzu-
zeichnen, ihnen, wenn es die Umſtaͤnde erlauben, eine zweck-
maͤßige koͤrperliche Beſchaͤftigung, haͤusliche Arbeiten u. ſ. w.
zur Pflicht zu machen, und halte mit Feſtigkeit auf der
puͤnktlichen Befolgung dieſer Vorſchriften. Findet man aber
die Kranken unfolgſam, findet man, daß ſie nach eigenem Gut-
duͤnken ſich Abweichungen erlauben, wie dieß wohl namentlich
in manchen mit Einbildungen uͤberhaͤuften Individuen aus
den hoͤhern Staͤnden der Fall zu ſeyn pflegt, ſo gebe man
lieber, wenn Gegenvorſtellungen nicht beachtet werden, eine
Behandlung auf, bey welcher weder fuͤr die Kranke Erfolg,
noch fuͤr den Arzt Freude zu hoffen iſt.


§. 260.

Ein dritter fuͤr die Behandlung dieſer ſo wie anderer
Krankheiten beſonders wichtiger Gegenſtand iſt die Beſeitigung
der entfernten Urſachen. Indem nun aber in Krankheiten
niederer organiſcher Syſteme, ſo wie in der Lebensweiſe vor-
zuͤglich haͤufige Veranlaſſungen zu den genannten Leiden des
Nervenſyſtems gegeben ſind, wird allerdings durch die Befol-
gung der in den beiden vorigen Paragraphen gegebenen Re-
geln ein großer Theil der gegenwaͤrtigen Indikation erfuͤllt,
obwohl auch außerdem noch manches zu thun uͤbrig bleibt.
Namentlich gehoͤrt aber hierher die allmaͤhlige Verbeſſerung
allgemeiner Conſtitution, beſonders Verminderung der ungluͤck-
lichen krankhaften Reitzbarkeit, worin allerdings durch anhal-
tendes Fortwirken auf dem rechten Wege viel geſchehen kann,
namentlich indem man Veraͤnderung des Aufenthalts, Benu-
tzung mineraliſcher Baͤder, innerer und aͤußerer Mittel zur
Erhoͤhung kraͤftiger Muskularthaͤtigkeit und Reproduktion zu
Huͤlfe ruft. Außerdem iſt aber Verhuͤtung der Gelegenheits-
urſachen, wohin beſonders heftige Gemuͤthsbewegungen und
Ausſchweifungen gehoͤren, zu beruͤckſichtigen, ja es kann ſelbſt,
nachdem irgend gewaltſame Gemuͤthserſchuͤtterungen Statt ge-
[200] habt haben, oder laͤngere Zeit hindurch niederdruͤck[ende] Stim-
mungen das pſychiſche Wohlſeyn der Kranken ſtoͤrten, ein ru-
higes und angemeſſenes Benehmen des Arztes ſowohl, als
der von ihm geleiteten aͤußern Umgebungen, ein Benehmen,
durch welches der Kranken das Auffaſſen des rechten Ge-
ſichtspunktes fuͤr die Wuͤrdigung widriger aͤußerer Verhaͤltniſſe
erleichtert wird, ſehr viel zum Unſchaͤdlichmachen dieſer Ge-
legenheitsurſachen beytragen, wobey wir noch bemerken, daß
wenn der Arzt in ſich ſelbſt nicht diejenige Individualitaͤt
fuͤhlt, welche [auf] dieſe Weiſe fuͤr die Kranken heilbringend
werden kann, es dann ſehr zu wuͤnſchen iſt, daß er den
Beyſtand eines erleuchteten Geiſtlichen oder erfahrenen Freun-
des ſuche, auf keine Weiſe aber die Krankheit von dieſer
Seite zu bekaͤmpfen voͤllig unterlaſſe.


§. 261.

Viertens aber iſt es die Aufgabe des Arztes, auf das
geſtoͤrte Nervenleben ſelbſt einzuwirken, und ſein Normalver-
haͤltniß herzuſtellen, wozu ihm, unſerer Anſicht nach, drei
Wege offen ſtehen. — Entweder naͤmlich erregt er Veraͤn-
derungen in den niedern organiſchen Syſtemen, welche den
Einwirkungen der Außenwelt uͤberhaupt am meiſten zugaͤng-
lich ſind, und bewirkt dadurch mittelbar wohlthaͤtige Umſtim-
mungen im Nervenleben; oder er bedient ſich ſolcher Mittel,
welche das Nervenleben unmittelbarer in Anſpruch nehmen,
wohin die narkotiſchen, geiſtigen, antiſpasmodiſchen Arzney-
ſtoffe gehoͤren, obwohl auch bey dieſen vorzuͤglich und zu-
naͤchſt vielleicht mehr das Bildungsleben des Nerven und
durch dieſes die ſenſible Thaͤtigkeit afficirt wird, in wiefern
dieſe Stoffe als materielle Beſtandtheile des Koͤrpers aufge-
nommen werden und in das Gefaͤßſyſtem eingehen muͤſſen,
um ihre Wirkung zu zeigen. Drittens endlich benutzt der
Arzt die imponderabeln Einfluͤſſe, welche ohne irgend nach-
weisbare Stoffuͤbertragung die Umſtimmung des ſenſibeln Le-
bens unmittelbar bewirken, und von welchen denn eine Stu-
fenfolge ſehr verſchiedener Thaͤtigkeiten aufzufuͤhren iſt, welche
wir ſo ordnen moͤchten: Waͤrme und Kaͤlte, Licht und Fin-
ſterniß, telluriſcher Magnetismus, Elektricitaͤt, Galvanismus,
[201] thieriſcher Magnetismus, pſychiſche Einwirkung; und wir be-
merken hierbey, daß uns kein wahrer Grund vorhanden zu
ſeyn ſcheint, welcher die Meynung einiger Gelehrten recht-
fertigen koͤnnte, daß die meiſten dieſer, oder alle dieſe Er-
ſcheinungen im Innern gleichartig und nur verſchiedene For-
men einer derſelben, namentlich der Elektricitaͤt oder des
Galvanismus waͤren; bloße Aehnlichkeit einzelner Aeußerun-
gen dieſer Thaͤtigkeit kann hierfuͤr nicht beweiſend ſeyn, und
das qualitativ Verſchiedene derſelben leuchtet deutlich genug
hervor, zwar ſind ſie insgeſammt Aeußerungen des allgemei-
nen Naturlebens, allein ſo wenig wir berechtigt ſind, im in-
dividuellen Organismus Gefaͤßthaͤtigkeit, Muskelkraft, chemiſche
Vorgaͤnge als bloße Modifikationen etwa der Nerventhaͤtigkeit
oder deß etwas zu betrachten, ſondern alles dieſes als eigen-
thuͤmliche Zweige des einen Lebens erkennen muͤſſen, ſo auch
iſt dieß bey jenen Thaͤtigkeiten der Fall. — Wir werden nun
dieſe einzelnen Behandlungsweiſen, in wiefern ſie allerdings
in den eben betrachteten Krankheiten, ſobald dieſelben wirklich
idiopathiſche Nervenleiden ſind, von vorzuͤglicher Wirkung
ſeyn, ja die eigentlichen und weſentlichen Heilmittel derſelben
darſtellen muͤſſen, naͤher eroͤrtern, und zwar mit Hinſicht auf
die abgehandelten beſondern Krankheitszuſtaͤnde, wodurch denn
das fuͤr einzelne Faͤlle paſſende Verfahren aus dem Zuſam-
menhalten der Natur der Krankheit und der Lehre von der
Wirkung dieſer Mittel ſich leicht von ſelbſt ergeben wird.


§. 262.

Zunaͤchſt aber die Behandlung der Nervenleiden
durch Einwirkung auf die niedern Syſteme
betref-
fend, ſo koͤnnte man dieſelbe auch die antagoniſtiſche Methode
nennen und mehrere Arten derſelben unterſcheiden. Wir rech-
nen dahin: 1) die ausleerende Methode, welche beſtehen kann
in der Anwendung von Brech- und Abfuͤhrmitteln, oder in
Vermehrung anderweitiger Sekretionen, oder in Blutentzie-
hungen. — Was die Brech- und Abfuͤhrmittel anbelangt,
ſo bemerkt man dieſelben von beſonderer Wirkſamkeit in allen
uͤberſpannten Zuſtaͤnden mit kraͤftigem Wirkungsvermoͤgen und
zwar insbeſondre wenn die Krankheit nicht blos in ungewoͤhn-
[202] lichen Geiſtesrichtungen, ſondern auch in Verſtimmung des
koͤrperlichen Zuſtandes ſich aͤußert, als z. B. im Schlafreden,
Schlafwandeln, Alpdruͤcken und bey mehrern Arten von Kraͤm-
pfen, ſobald ſie vollſaftige, kraͤftige Subjekte befallen. Noch
mehr wird indeß dieſe Methode angezeigt ſeyn, wenn Nei-
gung
zu gaſtriſchen Zuſtaͤnden, Obſtruktionen, Druͤſenan-
ſchwellungen u. ſ. w. vorhanden iſt, exiſtiren indeß dieſe oder
aͤhnliche Krankheiten wirklich, ſo werden reſolvirende und
abfuͤhrende Mittel ſchon nach den §. 258. erwaͤhnten Regeln
ſich nothwendig machen. Die Wahl der einzelnen Mittel und
ihre Doſen muͤſſen ſich nach der Individualitaͤt der vorkom-
menden Faͤlle richten, jedoch werden leichtere Brechmittel
(Ipecacuanha auch in refracta dosi zur Ekelkur), nament-
lich bey den mehr durch gewaltſame Gemuͤthsaufregung ſich
aͤußernden Krankheiten, Fantaſterey und Schwaͤrmerey, krank-
hafter Reitzbarkeit der Sinnesorgane u. ſ. w. nuͤtzlich wirken,
dahingegen draſtiſche Abfuͤhrungen aus Jalappa, Mercur.
dulc. Fol. Sennae
u. ſ. w. von Zeit zu Zeit angewendet,
mehr bey bloͤdſinnigen Zuſtaͤnden, bey phlegmatiſchen Sub-
jekten, mit verſchleimtem Darmkanal und Wurmbeſchwerden,
blande Abfuͤhrungen (durch Mittelſalze, Elecluaria lenitiva,
und was bey ſehr ſenſibeln Koͤrpern ſich vorzuͤglich empfiehlt,
durch Oleum Ricini) vorzuͤglich bey entzuͤndlicher Diatheſis,
Congeſtionen u. ſ. w. nuͤtzlich werden.


§. 263.

Von den Erregungen anderweitiger Sekretionen erwaͤh-
nen wir zuerſt die kuͤnſtlich bewerkſtelligte und unterhaltene
Eiterung durch Fontanelle, Haarſeile oder offen erhaltene Ve-
sicatoria;
Mittel, welche namentlich wo die Krankheit nach
ploͤtzlich verſchwundenen andern Krankheiten, z. B. Hautaus-
ſchlaͤgen u. ſ. w. entſtand, oder auch nach Gemuͤthserſchuͤtte-
rungen eine Verſtimmung des Nervenlebens folgte, beſon-
dern Nutzen gewaͤhren, und beſonders bey abnorm aufgeregter
Senſibilitaͤt, cloniſchen Kraͤmpfen, Veitstanz u. ſ. w. ange-
wendet zu werden verdienen. Weniger haͤufig finden ſich da-
gegen Faͤlle, wo von den die Hamausſonderung, die Speichel-
[203] oder Harnſekretion *) befoͤrdernden Mitteln in dieſen Krank-
heiten Anwendung gemacht werden kann, zum wenigſten wer-
den ſie gewoͤhnlich mehr durch andere dieſe Nervenleiden be-
dingende Krankheiten (§. 258.) indicirt ſeyn. Oefterer hinge-
gen iſt von Blutentziehungen Nutzen zu erwarten, einem
Mittel, welches man zwar ſehr oft als fuͤr Stoͤrungen des
Nervenlebens ganz unpaſſend betrachtet hat, und welches
demohnerachtet ſo vielfaͤltige Erleichterung ſogar bey an ſich
ſchwaͤchlichen und reitzbaren Subjekten gewaͤhrt; denn ſo wie
immer die Blutmaſſe gern nach einem in aufgeregter Thaͤtig-
keit ſich befindenden Theile hindraͤngt, ſo auch findet ſich bey
abnorm geſteigerter Senſibilitaͤt die Nervenſubſtanz (an und
fuͤr ſich ſchon eine der blutreichſten), durch Congeſtionen noch
mehr in ihrer Thaͤtigkeitsaͤußerung gehemmt, und es erſcheint
dadurch Blutentziehung hierbey wohlthaͤrig wirkend. Auf
welche Weiſe uͤbrigens die Blutentziehung vorzunehmen ſey,
muͤſſen die Umſtaͤnde beſtimmen. Bey vollſaftigen, an Ohn-
machten, Alpdruͤcken, heftigen Zuckungen leidenden Perſonen,
zumal bey ſparſamer oder verzoͤgerter Menſtruation, ſind ge-
woͤhnlich ſtaͤrkere Ausleerungen nothwendig, bey ſehr ſchwaͤch-
lichen mit Nervenzufaͤllen behafteten Maͤdchen wird hingegen
die Anwendung oft wiederholter kleiner Blutentziehungen, und
zwar entweder nach Berlinghieri’s Methode **) durch kleine
Venaͤſektionen, oder, was vorzuͤglich bey mehrern Lokal-
leiden Empfehlung verdient, durch Blutigel oder Schroͤpfkoͤpfe
Statt finden.


§. 264.

2) Die irritirende Methode gruͤndet ſich vorzuͤglich auf
das Geſetz, daß bey ſehr hervorgehobener Thaͤtigkeit in einem
Theile des Koͤrpers, Thaͤtigkeiten anderer Organe herabgeſtimmt
[204] werden. Sie kann auf ſehr verſchiedene Weiſe in dieſen
Krankheiten, und zwar oft mit ſehr großem Nutzen angewen-
det werden, und zwar gewaͤhrt ſie hierbey einen doppelten
Vortheil, einmal fixirt ſie durch den mit der Anwendung die-
ſer Mittel verbundenen Schmerz das Selbſtgefuͤhl mehr auf
einen gewiſſen, vorher vielleicht geſchwaͤchten Theil, oder auf
den koͤrperlichen Zuſtand uͤberhaupt, und beugt dadurch man-
chen Ueberſpannungen deſſelben vor, anderntheils erregt die
heftigere Reitzung eine Entzuͤndung, welche oft zu einem
noch wohlthaͤtigern Ableitungsmittel der Blutmaſſe vom Ner-
venſyſtem wird, als Blutentziehungen an und fuͤr ſich werden
koͤnnen. Es gehoͤren hierzu Vesicatoria, Synapismen, die
Moxa, das Einreiben mit Tr. Cantharidum, Liniment.
volatile, Spirit. sal. ammon. caust.
u. ſ. w. — Die An-
wendung dieſer Mittel betreffend, ſo ſind ſie vorzuͤglich bey
oͤrtlichen Schmerzen, Laͤhmungen und partiellen Kraͤmpfen
huͤlfreich, nur bemerke man, daß eine Neigung zu Fieberbe-
wegungen, und eine ſehr geſteigerte allgemeine Reitzbarkeit
den Gebrauch derſelben einſchraͤnken, oft auch wohl ganz
verbieten.


§. 265.

Wir kommen ferner zur Behandlung jener Krankheitszuſtaͤnde
durch innere oder aͤußere, das Nervenſyſtem vorzuͤglich
in Anſpruch nehmende Arzneymittel
. Wir unter-
ſcheiden vorzuͤglich die indifferenzirenden, abſpannenden, indi-
rekt oder direkt die aufgeregte Nerventhaͤtigkeit mindernden,
und die erregenden Mittel. Unter den erſtern ſetzen wir den
indifferenteſten der Stoffe, welche uns die aͤußere Natur dar-
bietet, oben an, naͤmlich das Waſſer, deſſen treffliche Wir-
kung als laues Bad bey aufgeregter Senſibilitaͤt, Schmerzen,
Kraͤmpfen, ja ſelbſt nach ſtuͤrmiſchen Gemuͤthsbewegungen,
durch die vielfaͤltigſten Beobachtungen anerkannt iſt *). Eben
ſo wohlthaͤtig aber wirkt das Waſſer in einer der Koͤrper-
[205] waͤrme entſprechenden Temperatur innerlich, und der große
Nutzen, welchen Theeaufguͤße und Lavements (eigentlich nichts
als warme Baͤder fuͤr Magen und Darmkanal) bey aͤhnlichen
Leiden gewaͤhren, iſt keinem Arzte unbekannt.


§. 266.

Zunaͤchſt an die allgemein indifferenzirende Wirkung des
Waſſers ſchließt ſich die nun ſchon mehr individuelle vieler
Produkte des Pflanzenreichs, welche, in wiefern ſie auch im
thieriſchen Organismus die vegetative Seite (das ruhige in
ſich gekehrte Bildungsleben der Pflanze) hervorrufen, die
uͤbermaͤßigen Erregungen des animalen Lebens herabſtimmen. —
Wir zaͤhlen hierher zunaͤchſt die milden Oehle, entweder rein
als ſolche innerlich oder aͤußerlich angewendet, oder in der Ver-
bindung mit Schleim und Waſſer als Emulſionen; ferner den
Pflanzenſchleim und Zucker, dann aber die betaͤubenden Mittle,
welche, obwohl oft anfaͤnglich eine lebhafte Reaktion gegen
ihre Einwirkung bemerkt wird, doch in zureichender Quantitaͤt
bald den Organismus dem Pflanzenleben naͤher bringen, d. i.
beruhigen, einſchlaͤfern. Hierher gehoͤrt denn das Opium
vorzuͤglich, deſſen vorſichtiger*) (insbeſondre die Abwe-
ſenheit von Congeſtionen nach den Hirngefaͤßen, ſo wie von
Neigung zu Obſtruktionen fordernder) Gebrauch, bey nervoͤſem
Gliederſchmerz und geſteigerter Empfindlichkeit einzelner Sin-
nesorgane oft großen Nutzen gewaͤhrt. Aehnlich iſt ihm der
Crocus, das Extractum Hyoscyami**) und das bey
Bruſtkraͤmpfen vorzuͤglich wirkſame Extractum Lactucae vi-
rosae
***). Weniger ſcheinen fuͤr dieſe Krankheiten zu paſ-
ſen: Aconitum, Stramonium, Cicuta und Fol. Lauro-
[206] cerasi,
zum mindeſten hat die Erfahrung noch nicht ſo ent-
ſchieden fuͤr dieſelben geſprochen. Mehr mit ſcharfem Stoffe
verbunden iſt das Narkotiſche in der Belladonna, indeß wirkt
ſie gerade deßhalb wohl in convulſiviſchen Krankheiten ſehr
nuͤtzlich *).


§. 267.

Weniger narkotiſch, aber durch ihre Miſchung aus bit-
tern und aͤtheriſch-oͤhligten Stoffen zugleich das Muskel- und
Nervenſyſtem in Anſpruch nehmend, und deßhalb den krankhaften
Conflict beider (Krampf) vorzuͤglich zu beſeitigen geeignet, ſind
die Valeriana, die Flor. Chamomill., Hb. Melissae u. ſ. w. —
Beſonders iſt der Baldrian ein mit Recht geſchaͤtztes Mittel
fuͤr viele der oben beſchriebenen Entwicklungszufaͤlle, ſobald er
nur in hinlaͤnglich ſtarker Gabe (etwa nach Oſiander zu
einer halben bis ganzen Unze taͤglich) und in Pulverform an-
gewendet wird. — Verwandt in der Wirkung ſind den ge-
nannten ferner einige thieriſche Subſtanzen, naͤmlich das Ca-
storeum
und der Moschus, von welchen das erſtere mehr
den Senſibilitaͤtsſtoͤrungen in den Unterleibsnerven, das zweite
mehr den Stoͤrungen im Centralnervenſyſtem angemeſſen
ſcheint; und einige Mittel aus der Reihe der metalliſchen, als
die Flor. Zinci und Magisterium Bismuthi, welche bey
Abweſenheit von gaſtriſchen Zuſtaͤnden und Saͤureerzeugung, ſo
wie von entzuͤndlicher Diatheſis beſonders in Krampfzufaͤllen
mit Nutzen gebraucht werden. — Alle dieſe Mittel bilden
uͤbrigens durch ihre ſchon mehr erregende Wirkung den Ueber-
gang zu den eigentlichen fluͤchtigen Reitzmitteln, von welchen
jedoch gerade in dieſen [Entwicklungskrankheiten] im Ganzen
ſeltner Gebrauch zu machen iſt. — Zuerſt aber iſt hier der
arzneylichen Anwendung des Weins zu gedenken, welcher durch
eine beruhigende, der erregenden bald nachfolgende Wirkung
ſich noch den narkotiſchen Mitteln in etwas verwandt zeigt,
und daher bey ſchwaͤchlichen, reitzbaren, kleinmuͤthigen, mit
Zittern, Sinnesſchwaͤche und aͤhnlichen Beſchwerden behafteten
[207] Subjekten ſo aͤußerſt wohlthaͤtig wird. Ferner hat man den
Campher ſeit laͤngerer Zeit bey Gemuͤthskrankheiten uͤberhaupt,
vorzuͤglich aber auch in den durch Gemuͤthserſchuͤtterungen er-
regten oder nach andern Krankheiten ſich ausbildenden melan-
choliſchen Zuſtaͤnden junger Frauenzimmer nuͤtzlich gefunden.
Er wird vorzuͤglich phlegmatiſchen Individuen wohlthun, bey
entzuͤndlicher Diatheſis hingegen nicht gegeben werden duͤrfen.
Indem wir die uͤbrigen hierher gehoͤrigen Mittel, als Ser-
pentaria, Imperatoria,
die Naphthen, die verſchiedenen Tink-
turen u. ſ. w. uͤbergehen, erwaͤhnen wir nur noch des fluͤchti-
gen Laugenſalzes, welches als Liquor C. C., Spirit. sal.
ammon. foeniculat.
u. ſ. w., vorzuͤglich in Verbindung mit
narkotiſchen Subſtanzen, mit dem beßten Erfolg, namentlich
in den krampfhaften Entwicklungskrankheiten angewendet wird.


§. 268.

Endlich haben wir noch die Klaſſe der impondera-
beln Heilmittel
fuͤr dieſe Krankheiten zu betrachten, welche
ſo wichtig und ſachgemaͤß ſie auch immer erſcheinen moͤgen,
doch eben in ihrer Imponderabilitaͤt, darin daß ſie nicht nach
einem Recepte verordnet werden koͤnnen, darin, daß ſie rei-
nen Willen zu helfen, Beharrlichkeit und Aufopferung in ih-
rer Anwendung fordern, den Grund davon enthalten, daß ſie
weit weniger als billig benutzt, ja oft wohl gar zu Mode-
thorheiten herabgewuͤrdigt werden. — Wir haben aber hierher
gerechnet zuerſt Licht und Finſterniß, Waͤrme und
Kaͤlte. Dieſe maͤchtigen Einfluͤße, denen der Organismus
fortwaͤhrend unterworfen iſt, von welchen in der ganzen uns
umgebenden Natur Leben und Entwicklung abhaͤngt, deren
Wirkung insbeſondre auf das Nervenleben ſowohl im geſunden
als kranken Zuſtande ſo bedeutend iſt, werden auch fuͤr die
gegenwaͤrtig betrachteten Krankheitsformen in vieler Hinſicht
wohlthaͤtig, wenn ſie von der Hand eines umſichtigen Arztes
geleitet ſind. Waͤrme und Licht (wohin auch die Inſolatio-
nen oder das Sonnenbad gehoͤrt) wirken vorzuͤglich bey
ſchwaͤchlichen, melancholiſchen Subjekten in angemeſſenem nach
und nach geſteigertem Grade vorzuͤglich, ja ſie ſind ſelbſt zur
[208] Verhuͤtung krampfiger Anfaͤlle mit Nutzen anwendbar *). Kaͤlte
und Finſterniß hingegen werden zu Beſeitigung mancher exal-
tirten Zuſtaͤnde, zu Zwangsmitteln bey eingebildeten oder vor-
gegebenen Nervenkrankheiten manches wirkſame Mittel an die
Hand geben, nicht zu gedenken, daß die ploͤtzliche oͤrtliche
Anwendung der Kaͤlte ſo wie der Waͤrme zu einem der wirk-
ſamſten Reitzmittel wird, und daher bey Paralyſen, Kraͤm-
pfen u. ſ. w. viel zur Heilung beytragen kann.


§. 269.

Ferner den telluriſchen oder metalliſchen Mag-
netismus
betreffend, ſo iſt dieſes ſchon ſeit einigen Jahr-
hunderten von Mehrern empfohlene und angewendete Mittel
beſonders gegen Laͤhmungen, Schmerzen und Kraͤmpfe von
Nutzen befunden worden, und verdient gewiß auch in den
genannten Entwicklungskrankheiten haͤufigern Gebrauch, als
neuerlich davon gemacht zu werden pflegt. Die Form ſeiner
Anwendung muß uͤbrigens der Natur dieſer Krankheit ange-
meſſen ſeyn, und ſchwerlich wird daher jemand den Magnet
als Pulver und in Pflaſterform, wie er von den alten Aerz-
ten haͤufig gebraucht wuͤrde, noch jetzt anwenden. Am ſchick-
lichſten ſind Staͤbe, eyfoͤrmige oder herzfoͤrmige Platten, oder
Garnituren von Magnettaͤfelchen, wo immer Nord- und Suͤd-
Pol ſich beruͤhren muͤſſen, welche in Seide eingeſchlagen auf
den leidenden Theilen getragen werden. Bey Anwendung von
Magnetſtaͤben muß uͤbrigens namentlich die Richtung derſelben
beachtet werden, da bekannt iſt, daß die Richtung eines Ei-
ſenſtabes in den magnetiſchen Meridian allein ſchon denſelben
magnetiſch machen kann, und ſonach erwartet werden muß,
daß auch bey dem bereits magnetiſch geweſenen Stabe die
Heilkraft verſtaͤrkt oder geſchwaͤcht werde, je nachdem die
[209] Richtung deſſelben paſſend oder unpaſſend iſt. Am beßten
ſcheint es zu ſeyn, die Nordpolſpitze an den leidenden Theil,
die Suͤdpolſpitze aber gegen den Nordpol der Erde zu halten.
Hell, Unzer*) und einige franzoͤſiſche Aerzte (Andry und
Thouret) **) haben neuerlich ſich des Magnets, und zwar
zum Theil auch in den genannten Entwicklungskrankheiten
des weiblichen Geſchlechts vorzuͤglich bedient. Beſonders wich-
tig aber wuͤrde es ſeyn, wenn die von H. Kieſer***) ge-
machte Beobachtung uͤber die Kraft des Eiſens einen Zu-
ſtand von Schlaf, ja von Schlafwachen, und durch dieſen
Schlaf die Heilung von Krankheiten zu bewirken, durch wei-
tere Erfahrungen hinlaͤnglich beſtaͤtigt wuͤrde, indem davon
gewiß fuͤr die Behandlung der hier betrachteten Nervenzufaͤlle
ausgezeichneter Nutzen erwartet werden duͤrfte. Ueberhaupt
naͤmlich ſcheint der telluriſche Magnetismus herabſtimmend auf
den Organismus zu wirken, der individuellen Kraft deſſelben,
als eine vom Erdorganismus ausgehende Thaͤtigkeit, entge-
gengeſetzt, aus welchem Geſichtspunkte wir denn vorzuͤglich
ſeine hinreichend beſtaͤtigte ſchmerzlindernde Kraft erklaͤrlich,
und namentlich auch die von groͤßern Maſſen des Eiſens
(des vorzuͤglichen Traͤgers dieſer Kraft) bemerkte ſchlafma-
chende Wirkung begreiflich finden.


§. 270.

Noch haben wir auch des Galvanismus und der
Elektricitaͤt als Heilmittel fuͤr die Nervenleiden gedacht,
jedoch muß der Gebrauch derſelben hier allerdings manche
Einſchraͤnkungen erleiden, da die meiſten jener Zuſtaͤnde auf
abnorm geſteigerter Senſibilitaͤt beruhen, und Galvanismus
wie Elektricitaͤt an ſich ſtark erregende Einfluͤße ſind. Vor-
zuͤglich verdienen ſie daher nur bey Laͤhmungen, Schwaͤchezu-
ſtaͤnden, Torpor und Bloͤdſinn angewendet zu werden; allein
I. Theil. 14
[210] auch dann nie ohne die gehoͤrigen phyſikaliſchen Kennt-
niſſe, ohne hinlaͤngliche Ordnung und Ausdauer in der Kur,
ohne Beachtung der in den beſſern Schriften uͤber dieſe Ge-
genſtaͤnde *) vorzuͤglich empfohlenen und durch Erfahrung be-
waͤhrten Methoden, und nur unter der gehoͤrigen Beruͤckſichti-
gung des Zuſtandes der uͤbrigen organiſchen Syſteme, nament-
lich des Gefaͤßſyſtems, indem z. B. bey vollbluͤtigen, zu
Congeſtionen und Entzuͤndungen geneigten Subjekten von der
Anwendung dieſer Mittel leicht gefahrorohende Zufaͤlle beſorgt
werden muͤßten. Das Verfahren bey der Benutzung dieſer
Mittel hier uͤbrigens ausfuͤhrlicher zu beſchreiben, wuͤrde zu
viel Raum beduͤrfen, und wir verweiſen daher auf die an-
gefuͤhrten Schriften.


§. 271.

Endlich iſt noch von der Behandlung dieſer Krankheiten
durch die mittelbare Einwirkung eines Menſchen auf den an-
dern zu ſprechen, wohin der ſogenannte animale Mag-
netismus
und die pſychiſche Behandlung gehoͤrt. —
Daß nun aber uͤberhaupt eine ſolche Wirkung lebendiger Koͤr-
per auf einander Statt haben koͤnne, laͤßt ſich ſchon aus ſo
mancherley Idioſynkraſien, aus den Beyſpielen, welche ſelbſt
als Zufaͤlle anderer Krankheiten ſo haͤufig bemerkt werden
und eine natuͤrliche Abneigung oder Zuneigung gegen gewiſſe
Individuen ausſprechen, erkennen. Wirkt nun auf willkuͤhrlich
beſtimmte Weiſe der Inbegriff geſammter organiſcher Lebens-
thaͤtigkeit auf den Geſammtorganismus der Kranken, ſo giebt
[211] dieſes den Begriff des neuerlich ſo vielfach beſprochenen thie-
riſchen Magnetismus, des Mesmerismus oder Lebensmagne-
tismus; wirkt hingegen die Kraft der Vernunft des Arztes
mit Freyheit auf die geiſtige Thaͤtigkeit der Kranken gerichtet,
auf die Verbeſſerung koͤrperlicher Zuſtaͤnde, ſo nennen wir
dieß die pſychiſche Behandlung.


§. 272.

Was den thieriſchen Magnetismus betrifft, ſo wird wohl
jetzt nicht leicht mehr irgend ein unpartheyiſcher Mann, welcher
die verſchiedenen Schriften *) uͤber dieſen Gegenſtand verglichen,
oder ſelbſt einige Beobachtungen hieruͤber zu ſammeln Gelegen-
heit hatte, in Abrede ſtehen, daß die durch magnetiſche Ma-
nipulation (deren ausfuͤhrliche Beſchreibung man ebenfalls
in den unten angefuͤhrten Schriften nachſehen moͤge) hervor-
gerufenen Zuſtaͤnde, nicht nur keineswegs etwa immer Taͤu-
ſchung ſeyen, ſondern hoͤchſt merkwuͤrdige, oft den eben er-
waͤhnten von ſelbſt entſtandenen ungewoͤhnlichen Phaͤnomenen
krankhaft aufgeregten Nervenlebens aͤhnliche Erſcheinungen ab-
geben. Es beſtehen aber bekanntlich die an und in dem
magnetiſirten Individuum wahrzunehmenden Veraͤnderungen
zunaͤchſt im Gefuͤhl vermehrter Waͤrme, wohlthaͤtiger allgemei-
ner Anfregung und nachfolgender Abſpannung, endlich in
ruhigem Schlaf, welcher dann oft in Schlafwachen, Ver-
ſetzung der Sinne, Verzuͤckung u. ſ. w. uͤbergeht, immer aber
erſt wieder durch gewoͤhnlichen Schlaf in das Wachen zuruͤck-
gefuͤhrt wird, und dadurch beweißt, daß (wie dieß nament-
lich von H. Kieſer dargeſtellt wurde) alle jene ungewoͤhn-
lichen Erregungen des Nervenlebens der Nachtſeite des
[212] Lebens angehoͤren, und daher auch nicht (wie dieß Andere
gern haͤtten behaupten moͤgen) uͤber den Zuſtand des natuͤr-
lichen Wachens geſetzt zu werden verdienen. Wenn dieß
nun aber anerkannt iſt, ſo erſcheint dagegen die eigentliche
Heilkraft dieſer Zuſtaͤnde weit mehr in Zweifel gezogen,
und wenn ſich nun aus dem Vergleich einer Anzahl von
Krankheitsfaͤllen, durch Magnetismus behandelt, allerdings
ergiebt, daß erſtens die Kuren ſaͤmmtlich ungewoͤhnlich lange
Zeit, oft ein und mehrere Jahre dauerten, zweitens die
Krankheiten oft nur augenblicklich in ihren auffallendſten
Symptomen gemaͤßigt wurden, uͤbrigens aber oft ganz im
alten Zuſtande blieben, manche Krankheiten wohl auch ver-
ſchlimmert, wenige aber wahrhaft geheilt wurden, ſo muͤßte
gewiß das Zutrauen zu dieſem Mittel ſehr erſchuͤttert werden,
wenn wir nicht zugleich die Urſachen, welche das Nichtgelin-
gen vieler magnetiſcher Kuren bedingen, beruͤckſichtigen woll-
ten. Es ſcheinen dieſe aber zu ſeyn: 1) nicht hinlaͤngliche
Beachtung der Indikation des Magnetismus. Jedes Arzney-
mittel naͤmlich wirkt nur da, wo es nach wiſſenſchaftlichen
und Erfahrungsgrundſaͤtzen wirklich angezeigt iſt, allein bey
dem Magnetismus hat man oft ſehr wenig an Indikation
oder Contraindikation gedacht, ſondern bey Krankheitszuſtaͤn-
den, ſie mochten Namen haben und Conſtitutionen betreffen,
welche ſie wollten, aufs gerathewohl, namentlich wenn etwa
einige andere Kurmethoden ohne Erfolg geblieben waren, magne-
tiſirt, und zwar wohl aus dem ſchwer zu vertheidigenden Grunde,
weil der Magnetismus ein Univerſalmittel ſey. 2) Hat man
zu viel Fremdartiges den Kuren beygemiſcht, die Erſcheinun-
gen des Schlafwachens nur hervorzubringen getrachtet, um
ſeine Neugierde an den ſonderbaren Aeußerungen der Kranken
zu befriedigen. 3) Iſt man oft mit zu weniger, ja ohne
alle aͤrztliche Kenntniß dabey zu Werke gegangen, und
4) endlich werden bey ſo langen Kuren oft andere Verhaͤlt-
niſſe, angeregte Neigungen zwiſchen Magnetiſeur und der
Magnetiſirten, Gemuͤthsleiden, Fehler der Lebensordnung u. ſ. w.
leicht irgend einmal vorkommen koͤnnen, dann aber, wenn ſie
gerade einen entſcheidenden Zeitpunkt treffen, wohl die Be-
muͤhungen ganzer Monathe fruchtlos machen.


[213]
§. 273.

Wird daher der Magnetismus mit reinem Willen zu
helfen, abgeſehen von aller Sucht nach wunderbaren Erſchei-
nungen, Vorherſagungen u. dgl. mit hinreichender aͤrztlicher
Umſicht, am rechten Orte, mit ſchicklicher Leitung der aͤußern
Verhaͤltniſſe, und ſattſamer Staͤtigkeit (welche freylich oft
Aufopferungen fordert, deren der praktiſche Arzt nicht leicht
faͤhig iſt) ausgeuͤbt und angewendet, ſo muß er gewiß als
ein großes Mittel geachtet werden, und wir fuͤrchten auch
nicht *), daß er, wenn man ſo ſtrenge Anforderungen macht,
alsbald aus der Reihe haͤufig gebrauchter Mittel verſchwin-
den werde. — Was nun aber insbeſondre die Anwendung **)
des Magnetismus in den genannten Entwicklungskrankheiten
betrifft, ſo fordert ſie gewiß die Beruͤckſichtigung der im vo-
rigen Paragraph genannten, der Kur nachtheiligen Einfluͤße
in vorzuͤglich hohem Grade und uͤberhaupt beſondere Vorſicht;
viele dieſer Zuſtaͤnde beruhen naͤmlich an ſich ſchon auf ab-
norm geſteigerter Nervenwirkung, werden daher durch eine
ſtark eingreifende magnetiſche Behandlung betraͤchtlich ver-
ſchlimmert, und koͤnnen nur von einer einfachen, beruhigen-
den, den vom natuͤrlichen nicht ſehr verſchiedenen Schlaf be-
wirkenden Einwirkung Huͤlfe erhalten ***). Beſonders beruhi-
gend ſcheint die vorſichtige Anwendung des Magnetismus
aber immer bey krampfhaften Zufaͤllen dieſer Perioden gewe-
ſen zu ſeyn, wovon die genannten Schriften uͤber den thie-
[214] riſchen Magnetismus viele Beyſpiele enthalten, dann muß
aber insbeſondre die kraͤftige Atmosphaͤre und Einwirkung
eines geſunden Organismus bey den an allgemeiner Schwaͤche,
Zittern, partiellen Laͤhmungen und darnieder liegender Repro-
duktion leidenden Subjekten, wo anhaltende deprimirende
Affekte, uͤberfeine phyſiſche Erziehung, fruͤhe Ausſchweifun-
gen u. ſ. w. die Krankheitsurſachen abgeben, vorzuͤglich nuͤtzlich
werden, allein es wird deßhalb hierbey auch die Wahl des
Magnetiſirenden von Wichtigkeit ſeyn, in welcher Hinſicht
denn gewiß beſonders eine geiſtig und koͤrperlich moͤglichſt
geſunde, der Kranken ſonſt auch nahe und werthe Perſon
(Mutter, Vater, ein aͤlterer Bruder z. B.) in vieler Hin-
ſicht den Vorzug verdient.


§. 274.

Die rein pſychiſche Behandlung dieſer Krankheiten
angehend, ſo iſt zuvoͤrderſt zu bemerken, daß ihre Anwen-
dung immer noch eine gewiſſe Empfaͤnglichkeit von Seiten
der Kranken vorausſetzt, denn es iſt leicht zu erkennen, daß
z. B. im ausgebildeten Bloͤdſinn, uͤberhaupt ſchon bey ſehr
verminderter Geiſteskraft auch die Wahrnehmung fremder gei-
ſtiger Einwirkung vermindert ſeyn muͤſſe. Ferner wird dieſe
Behandlung mehr fuͤr Faͤlle paſſen, wo die Krankheit durch
abnorme Gemuͤthsrichtung, alſo z. B. durch Nachahmungsſucht,
durch religioͤſe oder poetiſche Schwaͤrmerey u. ſ. w. ſich aͤußert;
und endlich ſcheint ſie auch vorzuͤglich da geeignet, wo
ploͤtzliche heftige Eindruͤcke *) dieſe und aͤhnliche Zufaͤlle erregt
hatten, obwohl ſie auch mitunter in langwierigen und all-
maͤhlig entſtandenen krampfhaften Krankheiten **) mit Nutzen
[215] angewendet worden iſt. — Laſſen ſich jedoch uͤber irgend eine
Methode im Allgemeinen ruͤckſichtlich ihres Gebrauchs wenig
Vorſchriften geben, ſo iſt es dieſe. Alles beruht naͤmlich
hierbey faſt auf der Individualitaͤt des Arztes, welcher ſie
anwendet. Nur der mit Kraft des Geiſtes, mit energiſchem.
Willen und reiner Theilnahme an fremden Leiden Ausge-
ruͤſtete wird auf dieſe Weiſe zum Wohle ſeiner Kranken wir-
ken koͤnnen, fuͤr ihn aber bedarf es auch keiner Regeln,
denn es ſagt ihm die Erwaͤgung vorliegender Umſtaͤnde bald,
was in dieſem Falle zu thun ſey. — Man moͤchte daher
wohl, wie J. Paul den Dichtern, hier den Aerzten zurufen:
„Vor allen Dingen habt Genie!“ und wir finden daher
auch gluͤckliche Anwendung dieſer Methode immer nur bey
wenigen aber ausgezeichneten Aerzten in der Geſchichte der
Heilkunſt bemerkt *). — Erinnert muß jedoch werden, daß
wir unter ſolcher pſychiſcher Behandlung keineswegs blos das
gewaltſame Erſchuͤttern der Kranken durch einzelne Macht-
ſpruͤche im Sinne haben, ſondern vorzuͤglich glauben, daß
die ruhige aber feſte und ſtaͤtige Einwirkung einer geſunden
geiſtigen Individualitaͤt auf eine verſtimmte, kleinmuͤthige,
geſchwaͤchte nicht anders als hoͤchſt wohlthaͤtig fuͤr das in-
nerſte, und in wiefern dieſes die Wurzel des aͤußern Lebens
iſt, auch fuͤr das aͤußere Leben ſolcher Kranken wirken muͤße.
Wobey wir an des trefflichen Leſſing Ausſpruch gedenken,
welcher ſagt, daß der Umgang mit einem kraftvollen weiſen
und guten Menſchen die eigentliche Seelenarzney ſey.


§. 275.

Nachdem nun alſo die verſchiedenen Methoden, welche
die Kunſt zur Behandlung jener Entwicklungskrankheiten dar-
bietet, ihrer Natur nach im Einzelnen erwogen worden ſind,
kann ſich aus der Vergleichung mit dem, was oben uͤber die
Natur der Krankheit ſelbſt erinnert worden iſt, leicht die
Wahl der fuͤr beſondere Faͤlle ſchicklichen Heilverfahren erge-
[216] ben, und wir fuͤgen daher ſchluͤßlich nur noch zwey Bemer-
kungen bey: erſtens, daß man nicht uͤberſehen duͤrfe, wie
manche jener Zuſtaͤnde, welche in der Entwicklungsperiode
des weiblichen Geſchlechts von Zeit zu Zeit beobachtet wor-
den ſind, uͤberhaupt gar keiner aͤrztlichen Behandlung unter-
worfen ſeyn koͤnnen. — Wer moͤchte die edle Begeiſterung
einer Johanna von Orleans krankhaft nennen? wer die Ei-
geuthuͤmlichkeit der rabdomantiſchen Senſibilitaͤt, welche in
das innerſte Leben des Organismus verflochten ſeyn kann,
durch Arzneymittel heben wollen? — Zweytens, daß viele
dieſer Entwicklungszuſtaͤnde, durch das Fortſchreiten des Le-
bens ſelbſt gehoben werden, zu raſches aͤrztliches Einwirken
folglich, in wiefern es einen nothwendigen organiſchen Prozeß
ſtoͤrt, leicht zum Nachtheil der Kranken gerathen koͤnne, und
daß daher, bevor uͤberhaupt die aͤrztliche, oft allerdings
auch ſehr nothwendige Behandlung Statt finden kann, die
genaueſte Erforſchung der Individualitaͤt des Falles beſonders
wichtig, und ſtets die einfachere, die Natur mehr leitende
als zwingende Behandlung die angemeſſenſte ſeyn werde.


§. 276.

Wir wenden uns jetzt zu einigen andern Krankheits-
erſcheinungen, welche nun ganz beſonders der Periode aus-
gebildeter Weiblichkeit angehoͤren und entweder in dem mit
krankhafter Heftigkeit herrſchenden Geſchlechtstriebe, oder in
dem voͤllig gehemmten Fortpflanzungsvermoͤgen, oder endlich
in dem verſtimmten Verhaͤltniß zwiſchen Senſibilitaͤt und
Reproduktion begruͤndet ſind, und in den Formen der
Nymphomanie, Unfruchtbarkeit und Hyſterie er-
ſcheinen.


3) Mutterwuth, Manntollheit(Nymphomania,
Andromania, Furor uterinus).

§. 277.

Eine traurige, der auf Sitte und Schamhaftigkeit
gegruͤndeten weiblichen Natur Hohn ſprechende, und eben
[217] deßhalb einen hoͤchſt widrigen Anblick gewaͤhrende Krankheit,
welche in uͤbermaͤßig hervorbrechendem, Verſtand und Ge-
wiſſen faſt oder vollkommen uͤberwaͤltigendem Triebe zur
Geſchlechtsluſt ſich zu erkennen giebt. Man bemerkt die-
ſelbe bey juͤngern und aͤltern Perſonen, vorzuͤglich ſanguini-
ſchen oder choleriſchen Temperaments, mit kraͤftigem Koͤrper,
theils, obwohl ſeltner, noch in den Entwicklungsjahren und
zuweilen mit chlorotiſchen Symptomen verbunden, theils waͤh-
rend der ganzen, jedoch vorzuͤglich waͤhrend der ſpaͤtern Pe-
riode der Geſchlechtsreife, ja ſogar waͤhrend der Schwanger-
ſchaft, und es koͤnnen fuͤglich mehrere Grade dieſes Uebels
unterſchieden werden. Erſter Grad naͤmlich, die Geilheit
(Salacitas), wo zwar noch nicht alles Schamgefuͤhl verloren
iſt, aber theils das Aeußere des Koͤrpers (das erhitzte Ge-
ſicht, die ſchwimmenden Augen, die ſtarkgeroͤtheten aufgewor-
ſenen Lippen u. ſ. w.) die angeregte Sinnlichkeit offenbaret,
theils kein Mittel, die Befriedigung zu erzwecken, verſchmaͤht
wird, wohin wir Putz, unzuͤchtige Kleidung und Reden vor-
zuͤglich rechnen, obgleich auch die Maſturbation ſolchen Kran-
ken ſehr gewoͤhnlich iſt.


§. 278.

Der zweyte Grad iſt die eigentliche Melancholia ute-
rina,
indem die Kranke, welche die Ueberwaͤltigung ihres
beſſern Selbſt durch einen rohen gewaltſamen Trieb empfin-
det, in Truͤbheit des Gemuͤths verſinkt, ein ſtilles vor ſich
hin Starren eintritt, der Koͤrper ſelbſt leidet, abmagert, die
Verdauung und der Schlaf geſtoͤrt werden, demohnerachtet
aber alle Gedanken auf Geſchlechtsbefriedigung gerichtet ſind,
auch wohl ſchamloſe Entbloͤßungen und Anerbieten verſucht
werden, bey Annaͤherung maͤnnlicher Individuen aber, die innere
Begier durch Unruhe, unſtaͤte Blicke, Worte und Gebaͤrden ſich
vorzuͤglich kund giebt. — Der dritte Grad endlich verdient den
Namen Mania; die Freiheit des Willens iſt hier gaͤnzlich
aufgehoben, die Kranke wuͤthet, reißt ſich die Kleidung ab,
faͤllt Mannsperſonen mit Raſerey an, ſchreiet, die Ausleerun-
gen erfolgen oft bewußtlos, und wenn durch ſolche Anſtren-
gungen die Kraͤfte erſchoͤpft ſind, folgt ſtilles Hinbruͤten,
[218] Melancholie oder ſelbſt ſoporoͤſer Zuſtand. Gewoͤhnlich pflegt
uͤbrigens der dritte Grad, wenn er nicht bald gehoben wird,
den Tod zu beſchleunigen, indem dabey die Reproduktion
immer mehr ſinkt, Bloͤdſinn, Auszehrung, Waſſerſucht oder
Apoplexie eintritt und das hier gewiß wuͤnſchenswerthe Ende
herbeyfuͤhrt; auch Selbſtmord iſt hier nicht ungewoͤhnlich.


§. 279.

Ueber das eigentliche Weſentliche dieſer traurigen
Krankheit (die ſogenannte naͤchſte Urſache) haben bisherige
Unterſuchungen noch zu wenig Aufſchluß gegeben. Die aͤltern
Aerzte ſuchten ſie in der Schaͤrfe und Gaͤhrung des weibli-
chen Samens, die Neuern gewoͤhnlich in uͤbermaͤßigem Ge-
ſchlechtstriebe, mit Wahnſinn oder Melancholie verbunden *).
Betrachtet man indeß theils die disponirenden, theils die Ge-
legenheitsurſachen der Nymphomanie, theils was die Erwaͤ-
gung der verſchiedenen Ausgaͤnge der Krankheit zeigt, theils
endlich was die Phyſiologie uͤber den Sitz der Geſchlechtsluſt
im weiblichen Koͤrper lehrt, ſo wird es mehr als wahrſchein-
lich, daß namentlich chroniſche Entzuͤndungen der
Ovarien
die Urſache aller jener Erſcheinungen darſtellen,
welche den Begriff der Nymphomanie geben. — Nicht zu
laͤugnen naͤmlich iſt es, daß die Ovarien eben ſo der erſte Grund
der weiblichen Zeugungsfaͤhigkeit, und ſomit auch des Zeu-
gungstriebes ſind als die Hoden der maͤnnlichen. Viele der
niedern weiblichen Thiere entbehren daher alle Geſchlechtsor-
gane, nur die Ovarien nicht, ja daß ſelbſt im Menſchen
die Ovarien allein der Erzeugung und Ausbildung eines neuen
Individuums faͤhig ſind, beweiſen die ſpaͤter zu betrachtenden
Eyerſtocksſchwangerſchaften. — Nun ſehen wir aber aller-
dings, wie ſich dieſes in der ausfuͤhrlichen Geſchichte der
[219] normalen Schwangerſchaft noch beſtimmter ergeben wird, in
beginnender Schwangerſchaft, alſo bey der ſtaͤrkſten geſchlecht-
lichen Erregung des weiblichen Organismus, die Ovarien in
einem Zuſtande, welcher dem der Entzuͤndung in vieler Hin-
ſicht verglichen werden kann, und es iſt alſo leicht begreiflich,
wie umgekehrt der entzuͤndliche pathologiſche Zuſtand der
Genitalien, die aͤußerſte Steigerung der Geſchlechtsbegierde
(gleichſam den Trieb den im Normalzuſtande dieſer erhoͤhten
Gefaͤßthaͤtigkeit verbundenen Zuſtand angehender Schwanger-
ſchaft herbeyzufuͤhren) zur Folge haben koͤnne und muͤſſe.


§. 280.

Sollte man vielleicht dieſer Anſicht entgegenſtellen, daß
es mit ihr unvereinbar ſey, daß, wie die Erfahrung zeigt,
Schwangerſchaft gerade bey dieſer Krankheit doch ſo ſelten
eintrete, ſo kann erwiedert werden, daß dieſes vielmehr zur
Beſtaͤtigung diene, indem wir aͤhnliche Erſcheinungen auch in
den Entzuͤndungen anderer Organe nur allzuhaͤufig finden.
So wird z. B. bekanntlich die Magen- und Darmentzuͤndung
vom heftigſten Durſte begleitet, und demohnerachtet gewoͤhn-
lich alles Getraͤnk ausgebrochen und nicht aſſimilirt, und
eben ſo finden wir ſehr einleuchtend, daß die Ovarien, wenn
ſie in einem wahren krankhaften Entzuͤndungsproceſſe begrif-
fen ſind, der normalen Erregung, welche zur Conception
noͤthig iſt, unfaͤhig werden. — Was die Sektionen betrifft,
ſo hat man ſie uͤberhaupt ſelten angeſtellt, auch die Ovarien
dabey weniger beachtet; jedoch werden wir bey den ſpaͤter
zu beſchreibenden Krankheiten der Eyerſtoͤcke finden, in wie
naher Verbindung heftiger, zu Ausſchweifungen fuͤhrender
Geſchlechtstrieb und abnormer Zuſtand der Genitalien zu ſte-
hen pflegen; auch ſah ich in zwey Faͤllen die Ovarien von
Perſonen, welche einer ausſchweifenden Lebensweiſe beſchuldigt
wurden, etwas vergroͤßert, geroͤthet und mit kleinen Puſteln,
faſt wie mit einem chroniſchen Hautausſchlage, bedeckt.


§. 281.

Ueber die entfernten Urſachen iſt zu bemerken,
daß ſowohl die disponirenden als die Gelegenheitsurſachen
[220] namentlich auf zweyerley Wege die Krankheit zu erzeugen
vermoͤgen, naͤmlich entweder vom Gemuͤth aus, oder vom
Organ. Zu den disponirenden Urſachen gehoͤren aber
lebhafte Phantaſie, auf wolluͤſtige Gegenſtaͤnde durch haͤufige
unſchickliche Lektuͤre, durch ſchluͤpfrigen Umgang und vieles
Tanzen gerichtet; ferner Vollbluͤtigkeit, lebhaftes Tempera-
ment, Genuß ſtark naͤhrender und zugleich erhitzender, Con-
geſtionen nach den Geſchlechtsorganen herbeyfuͤhrender Speiſen
und Getraͤnke, Schlafen in ſehr warmen Betten, Mißbrauch
der Kohlentoͤpfe, uͤbermaͤßige Befriedigung des Geſchlechtstrie-
bes, zumal waͤhrend der Schwangerſchaft (wo um ſo eher
bey der an ſich ſtaͤrkern Erregung des Geſchlechtsſyſtems und
Unſtatthaftigkeit neuer Conception die chroniſche Entzuͤndung
der Ovarien eintreten kann), Wurmbeſchwerden, vorzuͤglich
Aſkariden (welche ſich zuweilen wohl ſelbſt zu den Geſchlechts-
organen verbreiten), ſcharfer weißer Fluß, Steine in den
Harnwegen u. ſ. w. — Gelegenheitsurſachen koͤnnen
faſt die meiſten derer, das Gemuͤth oder die Geſchlechtsor-
gane afficirenden heftigen Reitze werden; wir zaͤhlen dahin
namentlich Ungluͤck in der Liebe (eine ſehr haͤufige Veran-
laſſung), ploͤtzliche Entziehung des gewohnten Geſchlechtsge-
nußes (weßhalb die Krankheit bey jungen Wittwen nicht ſel-
ten beobachtet wird), Reitzung der Genitalien durch unpaſſend
ſchlecht verfertigte oder gelegte Peſſarien, durch draſtiſche Ab-
fuͤhrmittel, durch Emmenagoga, zur Unzeit bey Amenorrhoͤe
vollſaftiger Perſonen angewendet, durch ſtark reitzende Einſpri-
tzungen, ſyphilitiſche Anſteckung, heiße Dampfbaͤder u. ſ. w. —
Alles Urſachen, deren Natur dem oben angegebenen entzuͤnd-
lichen Charakter der Krankheit vollkommen entſpricht.


§. 282.

Die Prognoſe iſt bey dieſer Krankheit immer mißlich,
jedoch am uͤbelſten, wenn ſie bereits den zweiten oder gar
den dritten Grad erreicht hat, in welchem letztern ſie in der
Regel unheilbar zu ſeyn pflegt, vielmehr in vollkommner
Tollheit, durch Epilepſie oder die uͤbrigen §. 278. erwaͤhnten
Arten ſich endigt: guͤnſtiger wird daher die Vorausſagung
nur da ſeyn koͤnnen, wo die Krankheit auf einer niedern
[221] Stufe verweilt, noch nicht von langer Dauer iſt, und die
veranlaſſenden Urſachen eine leichte Beſeitigung geſtatten.
Selten beobachtete man, daß die Krankheit ohne aͤrztliche
Huͤlfe ſich gluͤcklich entſchied, und dann vornehmlich unter
folgenden von Astruc*) aufgezeichneten Umſtaͤnden, welche
uͤbrigens ſaͤmmtlich von der Art ſind, daß ſie mit unſerer
oben aufgeſtellten Anſicht von dem eigentlich Weſentlichen der
Krankheit vollkommen uͤbereinſtimmen: — 1) naͤmlich hob
ſich die Krankheit zuweilen, indem ein ſtarker Gebaͤrmutter-
blutfluß entſtand, 2) bey eintretendem ſtarken Haͤmorrhoidal-
fluße, 3) durch langwierigen ſchwaͤchenden weißen Fluß (wel-
ches alles auf Beſeitigung entzuͤndlicher Leiden hinweiſt),
4) durch eintretende wirkliche Schwangerſchaft (welche indeß
aus oben erwaͤhnten Gruͤnden kaum anders als im erſten
Grade des Uebels Statt finden wird); 5) wenn der Uterus
einen betraͤchtlichen Vorfall erlitt und nun der Einwirkung
kaͤlterer aͤußerer Temperatur ausgeſetzt iſt (wo die Kaͤlte an-
tiphlogiſtiſch wirkt).


§. 283.

Die Regeln zur Behandlung der Mutterwuth muß-
ten uͤbrigens ebenfalls hoͤchſt ſchwankend bleiben, ſo lange
man uͤber das Weſentliche der Krankheit noch keinen beſtimm-
ten Begriff gefaßt hatte, und es ſcheint allerdings, als wenn
auch hier theils die bisher durch Erfahrung bewaͤhrten Re-
geln mit der Meynung von der entzuͤndlichen Natur des
Uebels vollkommen uͤbereinſtimmten, theils dieſe Anſicht ſelbſt
zu neuen Behandlungsweiſen nicht unwichtige Fingerzeige ge-
waͤhrt. Im Allgemeinen darf man daher wohl ſagen, daß
die Behandlung zwar nach den verſchiedenen Stadien ver-
ſchieden, aber doch immer vorzuͤglich antiphlogiſtiſch werde
ſeyn muͤſſen, wobey indeß zugleich die ſpeciellen veranlaſſen-
den Urſachen beruͤckſichtigt werden muͤſſen, und namentlich
auch die allgemeinen diaͤtetiſchen Regeln fuͤr dergleichen Un-
gluͤckliche von beſonderer Wichtigkeit ſind, deren wir daher
hier zunaͤchſt gedenken. Es gehoͤrt aber hierher 1) Aufent-
[222] halt in reiner kuͤhler Luft, 2) Vermeidung zu warmer Schlaf-
ſtellen, daher leichte Bedeckung, Matrazen u. ſ. w. empfohlen
werden muͤſſen; 3) kuͤhlende Diaͤt, Obſt, ſaͤuerliche waͤſſerige
Fruͤchte, als Gurken, Melonen u. ſ. w.; 4) reichliches ver-
duͤnnendes Getraͤnk, aus Dekokten von Althaͤa und Quecken-
wurzel, der Gerſtentrank mit Cremor tartari, Limonade
u. ſ. w. — 5) Hinlaͤngliche Beſchaͤftigung der Koͤrperkraͤfte
durch Arbeiten, namentlich Gartenarbeiten; 6) Zerſtreuung durch
veraͤnderten Aufenthaltsort und Umgebungen, weßhalb kleine
Reiſen ſehr wohlthaͤtig zu ſeyn pflegen; 7) ſtrenge Bewah-
rung vor allem, wodurch Geſchlechtsluſt erregt werden koͤnnte,
als z. B. haͤufiges Sehen maͤnnlicher Individuen, weßhalb
nichts der Heilung hinderlicher ſeyn kann, als wenn in uͤbel-
geleiteten Irrenanſtalten ſolche arme Geſchoͤpfe neugierigen
Fremden zur Schau dargeboten werden; vorzuͤglich aber muß
hierher die Bewachung der Perſonen, um ſie von der ihnen
ſo gewoͤhnlichen Selbſtbefriedigung abzuhalten, gerechnet wer-
den, welche Aufgabe indeß oft ſchwer genug auszufuͤhren iſt,
indem ſie ihrem krankhaft herrſchenden Triebe auf alle Weiſe
genug zu thun ſuchen *) und oft das Anlegen von Zwangs-
weſten und aͤhnlichen Vorrichtungen noͤthig macht.


§. 284.

Die eigentlich aͤrztliche Behandlung muß nun insbe-
ſondre und zunaͤchſt die veranlaſſenden Urſachen beruͤckſichti-
gen, und, in wiefern dieſe doppelter Art ſind, d. i. theils
vom Gemuͤth, theils vom Organ ausgehen, auch theils auf
die Seele, theils auf den Koͤrper wirken. — In erſterer
Hinſicht, welche beſonders in Faͤllen, wo die Krankheit durch
pſychiſche Einfluͤße herbeygefuͤhrt wurde, wichtig iſt, kann
namentlich bey geringerem Grade des Uebels die kraͤftige Er-
weckung des im Weibe doch ſo maͤchtigen Schamgefuͤhls
durch eindringende Vorſtellungen des verſtaͤndigen Arztes oder
[223] auch wohl eines erfahrenen Geiſtlichen, ſehr viel ausrichten.
Außerdem ſind mehrere andere entgegengeſetzte, vorzuͤglich de-
primirende Gemuͤthsbewegungen als Heilmittel zu Huͤlfe zu
nehmen; hierher gehoͤrt namentlich in dem erſten Grade der
Krankheit Erregung der Furcht vor den traurigen Ausgaͤngen
derſelben, auch ſpaͤterhin Schreck durch Drohungen.


§. 285.

In Ruͤckſicht auf den Koͤrper verlangt die Krankheit
zunaͤchſt Entfernung fortwaͤhrend einwirkender localer Urſachen.
Tragen die Perſonen Peſſarien, ſo ſind dieſe entweder ganz
herauszunehmen (indem, wie oben bemerkt wurde, bey Ge-
baͤrmuttervorfaͤllen oft die Nymphomanie von ſelbſt verſchwand),
oder, wenigſtens wenn ſie anderer Urſachen wegen nicht ganz
entbehrt werden koͤnnen, ſind ſie durch minder reitzende Un-
terſtuͤtzungsmittel, z. B. durch einen eingelegten Schwamm,
zu erſetzen. Eben ſo muͤſſen Wurmcomplicationen gehoben,
Ausſchlagskrankheiten, jedoch mit Vorſicht, geheilt werden.
Scharfer weißer Fluß macht beſonders haͤufige Reinigung der
Genitalien durch kaltes Auswaſchen mit bittern Decokten noth-
wendig, obwohl Schleimfluͤße ſelbſt, gleich andern vielleicht ein-
tretenden Blutfluͤßen, hierbey nicht zu ſchnell unterdruͤckt werden
duͤrfen. — Waͤre uͤbrigens Entziehung des naturgemaͤßen
oder gewohnten Geſchlechtsgenußes Krankheitsurſache, und
hat das Uebel noch keinen hoͤhern Grad erreicht, wie nament-
lich gleich nach entwickelter Pubertaͤt, ſo muß allerdings,
wenn es ſonſtige Umſtaͤnde erlauben, baldige Verheirathung
empfohlen werden, indem dann oft die Veraͤnderungen der
Geburtstheile durch Schwangerſchaft, Geburt und Wochenbett
das Uebel am gruͤndlichſten heben koͤnnen, dahingegen bey
weiter vorgeruͤckter Krankheit, auch die natuͤrliche Befriedi-
gung der Geſchlechtsluſt nur die Krankheit erhoͤhen wuͤrde.


§. 286.

Ferner muß in Hinſicht der entzuͤndlichen Natur der
Krankheit außer dem oben erwaͤhnten antiphlogiſtiſchen Regi-
men vorzuͤglich auch eine antiphlogiſtiſche aͤrztliche Behand-
[224] lung durch innere und aͤußere Mittel empfohlen werden.
Wir rechnen dahin, bey kraͤftigen vollſaftigen Individuen, die
von Zeit zu Zeit wiederholten Blutentziehungen und kuͤhlen-
den Abfuͤhrungen aus Mittelſalzen, Pulpa tamarindorum
u. ſ. w., die kuͤhlen Baͤder, die kalten Waſchungen der Ge-
nitalien, die Umſchlaͤge von Camphoreſſig uͤber dieſelben.
Ferner wirken antagoniſtiſch erregte Abſonderungen ſehr vor-
theilhaft, als: die Ekelkur durch haͤufige kleine Doſen der
Ipecacuanha, ja ſelbſt Merkurialeinreibungen in die Leiſtenge-
gend, ſogar bis zur Erregung eines leichten Speichelflußes,
oder oberflaͤchliche Eiterungen durch Einreibungen von Tar-
tarus emeticus
(welche wir hier in hoͤhern Graden des
Uebels empfehlen moͤchten). — Was nun den hoͤchſten Grad
der Krankheit und oft ſchon den zweyten betrifft, ſo kann
allerdings, namentlich bey ſchon betraͤchtlicher Dauer oft uͤber-
haupt keine vollkommne Heilung gehofft werden, und zwar
immer um ſo weniger, je mehr ſich die geiſtigen Thaͤtigkei-
ten dabey geſtoͤrt zeigen, und dann bleibt das Unterbrin-
gen ſolcher Ungluͤcklichen in eine zweckmaͤßige Verſorgungs-
anſtalt, um ſie den Augen der neugierigen Menge zu ent-
ziehen, oft das einzige Geſchaͤft des Arztes; obwohl man
vielleicht auch hier noch die Frage aufwerfen koͤnnte, ob nicht
durch eine laͤngere Zeit noch anhaltend fortgeſetzte antiphlo-
giſtiſche Behandlung, ja im aͤußerſten Falle wohl ſelbſt durch
die Exſtirpation der Ovarien (eine anerkanntermaaßen ohne
allzugroße Gefahr des Lebens vorzunehmende Operation) Huͤlfe
moͤglich ſey? —


4) Unfruchtbarkeit (Sterilitas).

§. 287.

Wir bezeichnen auf dieſe Weiſe denjenigen Zuſtand des
dem Alter nach zeugungsfaͤhig ſeyn ſollenden weiblichen Koͤr-
pers, wo unter den aͤußern, im Normalverhaͤltniß die Em-
pfaͤngniß zur Folge habenden Bedingungen dieſelbe demohn-
erachtet gar nicht erfolgt; diejenigen Faͤlle daher ſchließen
wir vom Begriffe der Unfruchtbarkeit aus, wo die Empfaͤngniß
[225] durch Mißverhaͤltniß beiderſeitiger Geſchlechtstheile *), durch
Abneigung zweier Gatten, oder durch maͤnnliche Impotenz
verhindert wird, indem unter ſolchen Umſtaͤnden wohl die
Ehe, aber nicht das Weib unfruchtbar ſeyn kann, uͤber
welche Verhaͤltniſſe die naͤhere Eroͤrterung in die gerichtliche
Medicin gehoͤrt **).


§. 288.

Die Unfruchtbarkeit des Weibes iſt nun aber eigentlich
nicht an und fuͤr ſich als Krankheit zu betrachten,
ſondern kann vielmehr nur die Folge allgemeiner oder
oͤrtlicher Krankheitszuſtaͤnde
ſeyn, welche jedoch, da
ihnen dieſe fuͤr das weibliche Leben ſo einflußreiche Wirkung
gemeinſam iſt, unter dieſem Geſichtspunkt beſonders zuſam-
mengeſtellt zu werden verdienen. Es gehoͤren aber hierher:
1) allgemeine ſehr phlegmatiſche oder mehr maͤnnliche Con-
ſtitution, oft durch mangelnde Menſtruation und ſehr ſchwa-
chen oder gaͤnzlich fehlenden Geſchlechtstrieb noch naͤher
charakteriſirt. 2) Urſpruͤngliche bedeutende Bildungsfehler der
Geſchlechtstheile, als Mangel der Ovarien, der Gebaͤrmutter,
bedeutende Verwachſungen der Vagina oder des Muttermun-
des (obwohl wir ſchon fruͤher bemerkt haben, daß dieſe Ver-
wachſungen allein doch wohl die Conception nicht immer un-
moͤglich machen [ſ. Anmerk. zu §. 139.], wohin auch ein von
H. Oſiander***) erzaͤhlter, und ein noch wichtigerer von
I. Theil. 15
[226]Dr.Boͤniſch*) beobachteter Fall gehoͤrt), allgemeine ſehr
betraͤchtliche Verengerung des Scheidenkanals, ſehr großes
und feſtes Hymen, ja ſelbſt ein außerordentlich verengertes
Becken. 3) Spaͤter entſtandene Verbildungen der Genitalien,
welche den Coitus uͤberhaupt, oder wenigſtens die normale
Aufnahme und Zuruͤckbehaltung des maͤnnlichen Sperma’s
hindern. Hierher gehoͤren: ſtarke Einriſſe des Mittelfleiſches
bis in den After, betraͤchtlicher Scheidenvorfall, Schieflagen,
Umſtuͤlpung oder Vorfall des Uterus, und bedeutende Zer-
reiſſungen, Verhaͤrtungen, Geſchwuͤre des Muttermundes **).
Beſonders aber auch Ausartungen der Eyerſtoͤcke (z. B. Waſ-
ſerſucht derſelben), Verwachſungen der Muttertrompeten u. ſ. w.
oder wohl gar Zerſtoͤrungen oder Exſtirpationen einzelner
Theile der innern Genitalien.


§. 289.

4) Fremde Koͤrper in den Genitalien, als uͤbelgelegte
Peſſarien, Polypen von betraͤchtlichem Umfange in der Va-
gina oder im Uterus (kleinere Polypen des Uterus geſtatten
wohl zuweilen die Conception, hindern jedoch in der Regel
das Austragen der Frucht), Reſte der Placenta, Schleim-
pfroͤpfe u. ſ. w. — 5) Ein hoher Grad von Atonie der Ge-
burtstheile, welcher entweder als torpide Schwaͤche, mit
gaͤnzlich geſunkener Senſibilitaͤt (durch Kaͤlte, Schlaffheit, Unem-
pfindlichkeit der Genitalien charakteriſirt) oder als Schwaͤche
mit krankhaft geſteigerter Senſibilitaͤt (durch Schmerzhaftigkeit
und Kraͤmpfe in den Geſchlechtsorganen, und oft auch in
den ihnen nahe liegenden Theilen, als im Darmkanal oder
***)
[227] in den Harnwegen ſich aͤußernd) erſcheinen kann. Dieſe Schwaͤche
ſelbſt kann denn wieder durch verſchiedene Veranlaſſungen
herbeygefuͤhrt worden ſeyn, z. B. durch ausſchweifende Le-
bensart, langwierigen weißen Fluß, uͤbermaͤßige Menſtrua-
tion, ſehr haͤufige Wochenbetten, oͤfteres Abortiren, ſchwere
Entbindungen, Metrorrhagien, Syphilis, Waſſerſucht des
Uterus u. ſ. w. — 6) Allgemeine bedeutende Krankheiten aller
Art, Fieber, Waſſerſ[u]chten, hoher Grad von Bleichſucht u. ſ. w.
7) Der zu haͤufige Coitus.


§. 290.

Die Prognoſe uͤber Heilbarkeit oder Unheilbarkeit
der Unfruchtbarkeit, welche namentlich in gerichtlicher Hin-
ſicht oft, z. B. um das Urtheil in Eheſcheidungsſachen zu
beſtimmen, von beſonderer Wichtigkeit iſt, richtet ſich natuͤr-
lich ganz nach der Art der erwaͤhnten verſchiedenen, hierbey
moͤglicher Weiſe zum Grunde liegenden Urſachen. — Unguͤn-
ſtig muß ſie daher ausfallen bey betraͤchtlichen, keine Abhuͤlfe
durch Operation geſtattenden Mißbildungen, oder ſpaͤter Statt
gehabten Zerſtoͤrungen einzelner Geſchlechtstheile, Waſſerſuch-
ten der Eyerſtoͤcke u. ſ. w.; guͤnſtiger hingegen bey Verbildun-
gen der Geſchlechtstheile, welche aͤrztliche Huͤlfe geſtatten,
z. B. Scheidenpolypen, kleinern Vorfaͤllen und Schieflagen
des Uterus. Ueberhaupt aber werden dynamiſche Urſachen
(z. B. Atonie der Geſchlechtstheile) immer eine weit guͤn-
ſtigere Prognoſe geben, als organiſche.


§. 291.

Eben ſo wie die Prognoſe wird ſich nun auch die
aͤrztliche Behandlung
der Unfruchtbarkeit nach den ver-
ſchiedenen urſachlichen Verhaͤltniſſen richten, ſo daß denn
einleuchtend iſt, wie bey maͤnnlichem Habitus, verbunden
mit Mangel der Menſtruation und des Geſchlechtstriebes, bey
Mangel einzelner Geſchlechtstheile, beſonderer Kleinheit des
Becken- oder Scheidenkanals, uͤberhaupt gar keine Huͤlfe
Statt finden kann, dahingegen andere heilbare Krankheiten
der Geſchlechtstheile, als Atreſie der Scheide oder des Ute-
rus, Leucorrhoͤe, Gebaͤrmutter- und Scheiden-Polypen, nach-
[228] gebliebene Reſte der Placenta u. ſ. w. theils ſchon eroͤrterte,
theils noch zu eroͤrternde Heilungsmethoden nothwendig ma-
chen, weßhalb uns denn nur die hier ein beſonderes Heilver-
fahren gebietenden Urſachen noch etwas naͤher zu erwaͤgen
uͤbrig bleiben.


§. 292.

Wir rechnen hierher zunaͤchſt die allgemeine phlegma-
tiſche Conſtitution, durch ſchwammigen Koͤrperbau, langſamen
Puls, traͤges Temperament u. ſ. w. charakteriſirt. Hier wer-
den denn namentlich eine mehr reitzende Diaͤt, der Gebrauch
eines guten alten Weins, aromatiſche Kraͤuterbaͤder, ſpirituoͤſe
Waſchungen des Ruͤckgraths und der Kreuzgegend nach den-
ſelben, die Anwendung der Elektricitaͤt, innerlich der China-
abkochungen mit der Tr. Cinnamomi, Cortic. aurant.
u. ſ. w., ferner das Reiſen, das Trinken des Driburger oder
Pyrmonter Mineralwaſſers, verbunden mit Aufheiterung des
Gemuͤths, nuͤtzlich werden. — Zweitens bey beſonderer (ob-
wohl nicht abſoluter) Engigkeit der Genitalien muͤſſen laue
ſeifenhafte Baͤder, Dampfbaͤder, eingebrachte, mit erweichen-
den, ſchleimigen, oͤhligen Dingen befeuchtete Schwaͤmme,
Einreibungen des Perinaͤi mit mildem Fett oder Oehl be-
ſonders empfohlen werden. Vorzuͤglich iſt jedoch auch zu
bemerken, daß bey ſo engen Genitalien oft die Befruchtung
am erſten Statt finden wird, wenn der Coitus in der letz-
ten Zeit der Menſtruation, oder gleich nach Beendigung der-
ſelben vollzogen wird, indem hier die Genitalien noch mehr
erweicht und erweitert zu ſeyn pflegen, und zugleich, wie
ſchon oben bemerkt wurde, der weibliche Koͤrper zu dieſer
Zeit am meiſten der Conception faͤhig iſt.


§. 293.

Was drittens die verſchiedenen abnormen Lagen des
Uterus betrifft, ſo machen dieſe zwar die Behandlung noͤthig,
von welcher noch ſpaͤterhin bey den organiſchen Krankheiten
des Uterus beſonders die Rede ſeyn wird, allein es iſt doch
auch zu bemerken, daß bey gewiſſen fehlerhaften Lagen deſ-
ſelben auch durch eine beſondere Haltung des Koͤrpers waͤh-
[229] rend des Coitus ſelbſt (z. B. nach Schmidtmuͤller*)
bey Schieflagen des Uterus nach ruͤckwaͤrts, wegen des nach
dem Schambogen gedraͤugten Muttermundes durch den Coi-
tus a posteriori
) der Zweck der Empfaͤngniß eher erreicht
werden kann. Zuweilen kann wohl auch eine betraͤchtliche
Weite und Schlaffheit die Urſache ſeyn, welche die zur Er-
zeugung noͤthige Erregung, ſowohl der maͤnnlichen als weib-
lichen Genitalien hindert; es ſind dann die Bedingungen der
Schlaffheit aufzuſuchen, bey betraͤchtlichen Einrißen des Mit-
telfleiſches wird daher eine neue Skarifikation der Wundraͤn-
der, Anlegung der blutigen Nath und ruhige Lage nothwen-
dig, um die Wiedervereinigung zu bewerkſtelligen; außerdem
hingegen bey bloßer Schlaffheit iſt Anwendung adſtringirender
Mittel, des Waſchens mit rothem Wein, der Einſpritzungen
der Dekokte von Eichen-, Weiden-, Ulmenrinde, der Tormen-
tillwurzel, der Gallaͤpfel, oder ſchwacher Eiſenvitriolaufloͤſun-
gen zu empfehlen.


§. 294.

Wo ferner anderweitige allgemeine Krankheiten, Unre-
gelmaͤßigkeiten der Menſtruation, Bleichſucht, Syphilis, Skir-
rhus, Krebs, Waſſerſuchten u. ſ. w. die Conception hindern,
muß theils nach oben entwickelten Grundſaͤtzen, theils nach
den Regeln, welche die ſpecielle Therapie hieruͤber ertheilt,
die Heilung derſelben bezweckt, und nachbleibende allgemeine
Atonie nach den §. 292. angegebenen Ruͤckſichten behandelt
werden. — Beſonders haͤufig iſt die oͤrtliche Schwaͤche der
Genitalien Urſache der Unfruchtbarkeit, und der Arzt muß
daher trachten, erſtens die Urſachen derſelben, als Haͤmor-
rhagien, zu haͤufige oder zu ſtarke Menſtruation, Schleim-
fluͤße u. ſ. w. zu entfernen, theils den Schwaͤchezuſtand ſelbſt
ſeiner Natur angemeſſen zu behandeln. Stellt ſich daher die
Schwaͤche, verbunden mit ſehr erhoͤhter Senſibilitaͤt dar, ſo
entſtehen vorzuͤglich leicht krampfhafte Zuſammenziehungen
[230] der Muskelfibern des Scheidenkanals (Vaginalkrampf
nach Schmidtmuͤller) machen den Coitus hoͤchſt ſchmerz-
haft, zumal wenn ſich zugleich in Folge mangelhafter Sekre-
tion der Vagina eine Trockenheit derſelben hinzugeſellt und
die Befruchtung findet nicht Statt. Bey dieſem Leiden iſt
ſodann vorzuͤglich auf den Stand der Senſibilitaͤt uͤberhaupt
Ruͤckſicht zu nehmen, indem es am haͤufigſten bey hyſteriſchen
Individuen, bey Perſonen, welche an ſchmerzhafter Men-
ſtruation leiden u. ſ. w. vorkommt. Man muß daher die
allgemeine Conſtitution durch beſſere Lebensordnung und Diaͤt
zur Norm zuruͤckfuͤhren, dabey laue Baͤder, Landluft, robo-
rirende Mittel zu Huͤlfe nehmen, und endlich, um die ab-
norme Reitzbarkeit der Genitalien zu mindern, erweichende
Dampfbaͤder *), Einreibungen des Olei hyoscyami, oͤfteres
Einbringen eines Schwammes in laue mit Opiattinktur ver-
miſchte Milch getaucht, Einſpritzungen von Abkochungen
der Mohnkoͤpfe, von Aufguͤßen des Bilſenkrautes, der Ka-
millen, der Valeriana u. ſ. w. anwenden. —


§. 295.

Im Gegentheil aber kann auch torpide Schwaͤche vor-
handen ſeyn, und dann iſt vorzuͤglich theils im Allgemeinen
[auf] Erregung einer kraͤftigern Reproduktion durch ſtaͤrkende
Diaͤt, Reiſen, Beſuchen mineraliſcher Baͤder und die uͤbrigen
§. 292. angezeigten Mittel Ruͤckſicht zu nehmen, theils von
den das Geſchlechtsſyſtem insbeſondre in Anſpruch nehmenden
Mitteln Gebrauch zu machen, welches vorzuͤglich diejenigen
ſeyn werden, deren bey Betrachtung der aus Torpiditaͤt ver-
zoͤgerten oder zu ſchwachen Menſtruation oͤfters gedacht wor-
den iſt. Wir rechnen dahin namentlich die Verbindung des
Extraktiv- und harzigen Stoffes mit aͤtheriſch oͤhligten Be-
ſtandtheilen, alſo die China mit der Zimmttinktur, der Cas-
karille, den Gummiharzen, ja bey ſehr hohem Grade der
Atonie, der Sabina, und der Cantharidentinktur; gleichzeitig
[231] den Gebrauch aͤußerer Mittel, der geiſtigen Einreibungen,
des Einreibens vom fluͤchtigen Liniment mit Tr. Canthari-
dum
in die Kreuzgegend, die Urtikation (das Streichen mit
Neſſeln, ſo daß die Blaͤtter in einer den feinen Haͤckchen
derſelben entgegengeſetzten Richtung die Haut beruͤhren) das
Tragen eines mit aͤtheriſchen Oehlen geſchaͤrften Emplastri
aromatici,
das trockne Frottiren der Schenkel, oͤrtliche aro-
matiſche Baͤder, die Anwendung der Elektricitaͤt u. ſ. w. —
Auch von draſtiſchen Abfuͤhrmitteln, aus Rad. Jalappae,
Rheum, Senna
u. ſ. w., wenn ſie von Zeit zu Zeit, als
Erregungsmittel des dem Geſchlechtsſyſtem ſo nahe verwand-
ten Darmkanals, dargereicht werden, hat man in Verbin-
dung mit den uͤbrigen Mitteln, vorzuͤgliche Wirkungen bey
dieſem Zuſtande von Atonie beobachtet. — Endlich wird es
der Arzt, wo er uͤber den Zuſtand der Unfruchtbarkeit zu
Rathe gezogen wird, nie umgehen koͤnnen, ruͤckſichtlich des
ehlichen Umganges ſelbſt beiden Gatten zweckmaͤßige diaͤte-
tiſche Vorſchriften zu ertheilen, vorzuͤglich das Uebermaaß
deſſelben, eine gar nicht ſeltne Urſache der Unfruchtbarkeit,
einzuſchraͤnken, die ſonſtigen Regeln aber nach den einzelnen
vorkommenden Faͤllen zu beſtimmen.


5) Hyſterie, Mutterbeſchwerung (passio hysterica,
adscensus uteri
).

§. 296.

Die Hyſterie iſt eine von denen Krankheiten, welche
der außerordentlichen Vielgeſtaltigkeit ihrer Symptome wegen
ſchwer eine vollſtaͤndige Beſchreibung, faſt gar nicht eine
kurze Definition zulaſſen, und welche, demohnerachtet ſo
kenntlich ſind, daß, wer ſie nur einigemal geſehen hat, ſie
wenigſtens nicht leicht wieder verkennen wird. — Vorzuͤg-
lich hat man ſie mit der Hypochondrie des maͤnnlichen Ge-
ſchlechts zuſammengeſtellt, und es hat dieß ſogar Veranlaſ-
ſung zu der Streitfrage gegeben, ob beide nicht eins und
daſſelbe ſeyen? — Bejahend wurde dieſe Frage ſchon von
mehreren aͤltern Aerzten, als Sydenham, Tissot
[232] und Selle entſchieden, und unter den Neuern tritt ihnen
auch H. Joͤrg bey *), welcher ſelbſt der Meynung iſt, es
ſey beſſer, den Namen der Krankheit zu vertilgen, zumal
da ihr Sitz nicht im Geſchlechtsſyſtem (worauf ihr Name
von ὑστέρα, uterus, deutet) und es daher ſchicklicher
waͤre, ſie als weibliche Hypochondrie zu bezeichnen, deren
Charakter von der maͤnnlichen Hypochondrie nur indem er
durch den Geſchlechtscharakter modificirt werde, ſich unter-
ſcheide. Entgegengeſetzter Meynung ſind Andere, z. B. H.
Haaſe**), welcher ſowohl in den weſentlichen Krankheitser-
ſcheinungen, als in der Art ſie zu behandeln wichtige Unter-
ſchiede zwiſchen beiden findet. — Wir gedenken nun hier
zuerſt die Art des Vorkommens und die Aeußerungen der
Hyſterie zu ſchildern, und hoffen, daß ſich ſodann aus der
Betrachtung uͤber das Weſentliche und Urſachliche dieſer Er-
ſcheinungen auch das Verhaͤltniß dieſer Krankheit zur Hypo-
chondrie ergeben werde.


§. 297.

Der hyſteriſche Zuſtand alſo, von welchem wir vorlaͤufig
nur erinnern, daß er vorzuͤglich durch Stoͤrungen aſſimilativer
und reproduktiver Thaͤtigkeit, verbunden mit Verſtimmungen
im Leben des centralen und insbeſondre des ſympathiſchen
Nervenſyſtems ſich ausſpreche, kommt zwar namentlich in
der eigentlich zeugungsfaͤhigen Lebensperiode, vorzuͤglich zwi-
ſchen dem 20 — 46ſten oder 48ſten Jahre vor, pflanzt ſich
jedoch zuweilen auch auf das ſpaͤtere Lebensalter fort, ſo wie
er mitunter wohl auch in der Entwicklungsperiode unter den
hier einheimiſchen, oben beſchriebenen Nerveuleiden eine Stelle
mit einnimmt, ja viele derſelben wohl erſt ſelbſt hervorruft. Ein
lebhaftes Temperament, eine reitzbare Koͤrperconſtitution, wie
ſie namentlich zartgebauten Bruͤnetten eigen zu ſeyn pflegt,
bilden ferner, verbunden mit ſtark entwickelter Geiſtesthaͤtig-
keit, diejenige Individualitaͤt, welche dieſer Krankheit am mei-
[233] ſten unterworfen zu ſeyn pflegt; uͤbrigens kommt ſie bey
Frauen und Jungfrauen vor, und obwohl vorzuͤglich nicht
verheirathete oder ungluͤcklich verheirathete, kinderloſe Frauen,
beſonders aber junge Wittwen, daran zu leiden pflegen, ſo
bleiben doch ſelbſt Schwangere, Woͤchnerinnen und Stillende
von dieſen Anfaͤllen nicht ganz befreyt.


§. 298.

Bey den Aeußerungen der Krankheit haben wir zuvoͤr-
derſt der Periodicitaͤt ihrer Anfaͤlle zu gedenken, durch welche
ſie an andere ebenfalls in gewiſſen Zeitraͤumen wiederkehrende
Nervenkrankheiten, z. B. die Epilepſie und den Veitstanz
erinnert. Dieſe Periodicitaͤt aber iſt in ſofern zwiefach, als
in einem Falle die Wiederkehr der Anfaͤlle durch aͤußere Veranlaſ-
ſungen, Gemuͤthsbewegungen, ſtarke Sinneseindruͤcke u. ſ. w.
herbeygefuͤhrt wird, ohne dieſe Einfluͤße aber die Anfaͤlle auf
unbeſtimmte Zeit außen bleiben, und dieſes Periodiſche iſt
dann ganz Produkt der Reitzbarkeit des Nervenſyſtems und
des aͤußern Moments; oder im andern Falle, wird die
Wiederkehr des Paroxysmus mehr nach regelmaͤßigen Zeitraͤu-
men (ohngefaͤhr wie die Wiederkehr eines Wechſelfieberan-
falls) beſtimmt, und iſt das Urſachliche davon mehr der an-
dere Faktor der Krankheit, d. i. das reproduktive Syſtem,
welches als ein Niederes dem wechſelnden Gange des aͤußern
Naturlebens mehr hingegeben iſt, und von ſeinen Perioden
mit afficirt wird, wohin denn ganz beſonders die bey vielen
Hyſteriſchen zur Zeit der Menſtruation ſtaͤrkern Anfaͤlle ge-
hoͤren. — Uebrigens darf die Periodicitaͤt dieſer Krankheit
nicht ſo verſtanden werden, als ob außer den Anfaͤllen ein
vollkommnes Wohlbefinden Statt habe, indem vorzuͤglich die
krankhafte Nervenreitzbarkeit, Gemuͤthsverſtimmung, die Ver-
dauungsbeſchwerden, die Kranken nie zu verlaſſen pflegen.


§. 299.

Wir gehen nun zur Schilderung der verſchiedenen Krank-
heitsſymptome nach den einzelnen organiſchen Syſtemen uͤber,
und werden ſodann von der Erſcheinung des hyſteriſchen Anfalls
insbeſondre handeln: — Animale Sphaͤre. 1) Symp-
[234] tome geſtoͤrter Senſibilitaͤt
. Ein vorzuͤglich gewoͤhn-
licher Zufall iſt die ſehr geſteigerte Receptivitaͤt der Sinnes-
organe, ſo daß das ſchwaͤchſte Geraͤuſch, das Fallen eines
Buchs, das Oeffnen einer Thuͤre, eine ſtarke Anrede u. ſ. w.
die Kranken wirklich ſchmerzhaft oder ſchreckhaft afficirt; eben
ſo pflegt es mit den uͤbrigen Sinnen zu ſeyn: das Auge
vertraͤgt weder helles Licht noch kraͤftige Farbe, nur was
matt, ſchwaͤchlich, ſchmachtend aber zierlich iſt, gefaͤllt ſolchen
Kranken. Beſonders aber iſt auch die Empfindlichkeit im
Geruch und Geſchmack geſteigert; ſchon der Geruch einer
Blume, noch weit mehr aber der von ſtaͤrkern fluͤchtigen
Arzneyſtoffen, Campher, Moſchus u. ſ. w. erregt oft Schwindel
und Ohnmachten, und uͤberhaupt ſind die ſonderbarſten Idio-
ſynkraſien hier ganz in der Ordnung, ſo daß dagegen oft
wieder andere ſehr widrige Dinge, z. B. Castoreum, Asa
foetida,
ganz leicht genommen werden. Zu dieſer geſchaͤrf-
ten Senſibilitaͤt gehoͤrt auch das feinere Gefuͤhl fuͤr die In-
dividualitaͤt anderer Perſonen, und ſonſtige aͤußere Verhaͤlt-
niſſe, welche auf die Sinne eines geſunden Koͤrpers keinen
Eindruck machen, in welcher Hinſicht wir wieder an das
erinnern muͤſſen, was oben uͤber Nervenzufaͤlle in den Ent-
wicklungsperioden geſagt iſt. Ferner gehoͤren hierher die
mannigfaltigen Sinnestaͤuſchungen, und die ſehr erhoͤhte Em-
pfindlichkeit des innern Sinnes gegen alle Arten von Krank-
heitszuſtaͤnden. Als Folgen der erſtern naͤmlich ſind die Fle-
cken, Funken, Bilder, Phantasmata vor den Augen, das
Doppeltſehen, das Brauſen vor den Ohren u. ſ. w., als Fol-
gen der letztern die haͤufigen Klagen, zum Theil uͤber ganz
eigene Krankheitsempfindungen, zu betrachten.


§. 300.

Dieſe beſondern Krankheitsempfindungen beziehen ſich
vornehmlich auf Kopf und Unterleib. Im erſtern ſtellen ſich
oft heftige, bohrende, immer auf einem Punkt fixirte Schmerzen
ein (Clavus hystericus), oder der Schmerz erſcheint als
heftiges beſchwerliches Ziehen in der Hinterhauptsgegend, als
Migraͤne, auch als aͤußerliches Reißen, Gefuͤhl von Kaͤlte,
Schmerzen laͤngſt des Ruͤckenmarks, Empfindung von Amei-
[235] ſenkriechen in demſelben; im Unterleibe als ſchmerzhafte Span-
nung in den Praͤcordien, Gefuͤhl von Zuſammenſchnuͤrung
an einzelnen Stellen des Darmkanals, welches oft den Ort
wechſelt, und daher von den Kranken mit der Empfindung
einer ſich fortbewegenden Kugel verglichen wird (Globus hy-
stericus
), vorzuͤglich aber von Schmerz im Uterus ſelbſt,
vielleicht oft durch Krampf der Muskelfibern in den runden
Mutterbaͤndern veranlaßt, welches von den Kranken als
ſchmerzhaftes Aufgehobenwerden des Uterus beſchrieben wird.


§. 301.

Ueberhaupt aber muͤſſen hierher auch noch die Verſtim-
mungen des hoͤhern Nervenlebens, ſowohl im Schlafe, als
im wachen Zuſtande gerechnet werden. Der Schlaf naͤmlich
iſt gewoͤhnlich hoͤchſt unruhig bis zur wahren Agrypnie, un-
ruhige, aͤußerſt lebhafte Traͤume, Schlafrednerey, und ſelbſt
Nachtwandeln kommen nicht ſelten vor. Im wachen Zu-
ſtande zeigt ſich eine außerordentliche Erregbarkeit des Ge-
muͤths, die verſchiedenſten Stimmungen wechſeln ſehr raſch,
die unbedeutendſten Veranlaſſungen erregen Aergerlichkeit,
Truͤbſinn, Weinen; aus Melancholie, welche jedoch im Gan-
zen vorherrſchend iſt, ſpringt oft eine Kranke dieſer Art zur
Luſtigkeit uͤber, beſonders aber werden hyſteriſche Individuen
durch eine ungemeine Redſeligkeit charakteriſirt, mit welcher
ſie oft, zu nicht geringer Qual des Arztes alle, auch die
unbedeutendſten Krankheitsſymptome, ja oft dieſe gerade
am meiſten, eroͤrtern, hierbey auch es ſich angelegen ſeyn
laſſen, alles recht gewaltig, gefahrdrohend und unertraͤglich
zu ſchildern, ja oft zu Erdichtungen ihre Zuflucht nehmen,
und ſich beleidigt fuͤhlen, wenn der Arzt nicht mit derſelben
Wichtigkeit wie ſie, die Krankheit betrachtet.


§. 302.

2) Die Symptome geſtoͤrter Muskularthaͤtig-
keit
betreffend, ſo ſind hierher die vielfachen Arten von
Kraͤmpfen zu rechnen, woran hyſteriſche Kranke zu leiden
pflegen, Zufaͤlle, deren eigentliche Natur in vieler Hinſicht
noch eine wichtige Aufgabe fuͤr Phyſiologen und Patho-
[236] logen iſt, und woruͤber denn zuvoͤrderſt im Allgemeinen noch
einige Betrachtungen hier ſtehen moͤgen. Nehmen wir aber
zuvoͤrderſt die Erſcheinung des Krampfes in einem willkuͤhr-
lichen Muskel, wo er ſich am deutlichſten verfolgen laͤßt, ſo
finden wir denſelben in einem ſonſt ganz geſunden Koͤrper
namentlich unter zwey Bedingungen, entweder naͤmlich bey
zu heftig einſtroͤmender Blutmaſſe, oder bey zu ſtark einſtroͤ-
mender Nervenwirkung; hat z. B. ein Muskel geruht, oder
iſt er auch ſchon ermuͤdet, und wirkt ploͤtzlich eine heftige
Willenserregung auf denſelben, ſo tritt Krampf ein, die
Muskelſubſtanz, durch ploͤtzlich geſteigerten Einfluß des Ner-
ven gewaltſam gegen die nervige Mitte angezogen, erſtarrt
gleichſam, preßt den Nerven, erzeugt Unbeweglichkeit (Starr-
krampf
) oder bey ſchwaͤcherer Muskularthaͤtigkeit nur perio-
diſches
Angezogenwerden, Zittern (Zuckungen) und hef-
tigen Schmerz, wie dieß Jeder zuweilen beſonders in den
groͤßern Muskeln, z. B. den Wadenmuskeln, erfahren haben
wird. Etwas aͤhnliches geſchieht aber auch, wenn der Blut-
lauf gegen eine ruhende Muskelpartie laͤngere Zeit einiger-
maſſen durch Druck gehindert war, nun dieſer Druck auf-
hoͤrt, und eine verhaͤltnißmaͤßig groͤßere Blutmenge, als die,
woran der Muskel bereits ſich gewoͤhnt hatte, zuſtroͤmt;
auch hier iſt der Muskel geſpannt, ſeiner freien Bewegung
beraubt, es entſteht ein prickelnder Schmerz (das ſogenannte
Einſchlafen der Glieder) und nur erſt wenn das Gleichge-
wicht der Blutvertheilung wieder hergeſtellt iſt und dieſer
Theil ſich wieder an die ihm zugetheilte Menge gewoͤhnt,
tritt die freye Bewegung wieder ein, welche jedoch hier uͤber-
haupt nicht in dem Maaße, als im erſtern Falle, geraubt
zu ſeyn pflegt, hier aber auch nicht wie im erſtern Falle
durch Zuckungen, ſondern nur durch mehr oder minder ge-
laͤhmte Bewegung (Starrkrampf) ſich aͤußern wird.


§. 303.

So wie nun auf dieſe zweyerley Weiſe im geſunden
Koͤrper ein ſchnell voruͤbergehender Krampf entſtehen kann,
ſo entſtehen durch dieſe Veranlaſſungen, die ſich wohl auch
zum Theil mit einander verbinden koͤnnen, im krankhaft ver-
[237] ſtimmten Organismus heftigere Krampfzufaͤlle, wobey die
Urſache der ſtaͤrkern Nervenerregung entweder in aͤußern, die
Nervenenden afficirenden Reitzen, oder in innern, auf die
Centralmaſſen des Nervenſyſtems wirkenden Momenten liegen
kann, in welchem letztern Falle die Kraͤmpfe (Starrwerden
oder konvulſiviſche Bewegungen) allgemein zu werden pflegen.
Eben ſo kann denn auch die Gefaͤßthaͤtigkeit entweder im
Allgemeinen heftig aufgeregt ſeyn und Kraͤmpfe bewirken
(wohin die krampfhaften Zuſtaͤnde in entzuͤndlichen Fiebern
gehoͤren) oder oͤrtlich angeregt krampfhafte Erſtarrungen ver-
anlaſſen (wohin die Krampfzufaͤlle bey Entzuͤndungen [und]
Congeſtionen gehoͤren). Im Ganzen ſcheinen auf die letztere
Weiſe (vom Gefaͤßſyſtem aus) vorzuͤglich die Kraͤmpfe in
den unwillkuͤhrlichen Muskeln zu entſtehen, ſo daß wir die
krampfhaften Einſchnuͤrungen des Darmkanals in der Kolik,
die krampfhaften Zuſtaͤnde in den Harnwegen, die Einſchnuͤ-
rungen des Uterus u. ſ. w. vorzuͤglich aus dieſem Geſichtspunkt
betrachten moͤchten, womit das Geſellen dieſer Zufaͤlle zu
entzuͤndlichen Zuſtaͤnden und Congeſtionen, und die hierbey
oft ſo entſchieden huͤlfreiche antiphlogiſtiſche Behandlung in
vollkommnem Einklange ſteht.


§. 304.

Was nun die Krampfzufaͤlle hyſteriſcher Individuen ins-
beſondre anbelangt, ſo gehoͤren ſie beiden erwaͤhnten Gattun-
gen an und erſcheinen uͤberhaupt hier faſt in allen moͤglichen
Formen, Starrkrampf, Convulſionen, Catalepſis, Veitstanz,
Sardoniſches Lachen, Hundskrampf, beſonders aber die Kraͤmpfe
in den der Willkuͤhr im Normalzuſtande entzogenen Gebilden,
Bruſtkraͤmpfe, Schluchzen, Magenkrampf, Kolik, Gebaͤrmut-
terkrampf ſind bald einzeln, bald mehrere zugleich, in den
Anfaͤllen der Hyſterie oͤfters bemerkbar, und bringen mehrere
der oben genannten beſondern Schmerzgefuͤhle hervor. —
Die Kraͤmpfe ſelbſt erreichen uͤbrigens auch hier oft eine un-
gemeine Heftigkeit, ſo daß wir wieder an Mehreres oben
bey den Krampfzufaͤllen in der Entwicklungsperiode Erwaͤhnte
(§. 254.) erinnern koͤnnen.


[238]
§. 305.

Reproduktive oder vegetative Sphaͤre.
1) Symptome geſtoͤrter Gefaͤßthaͤtigkeit ſind zu-
naͤchſt der ſowohl außerhalb als namentlich innerhalb der
Anfaͤlle veraͤnderte Pulsſchlag, gewoͤhnlich durch Frequenz
und Kleinheit, ſeltner durch Langſamkeit, dagegen oft durch
Unordentlichkeit ausgezeichnet, ferner große Neigung zu Con-
geſtionen und Fieberbewegungen, haͤufiges Herzklopfen, ſchnel-
ler Wechſel der Temperatur an der Oberflaͤche des Koͤrpers,
ſo wie der Hautfarbe, namentlich aber die vielfachen Ruͤck-
wirkungen, welche die abnorme Gefaͤßthaͤtigkeit auf andere
Syſteme aͤußert, wohin die Anfaͤlle von Schwindel, Ohn-
machten, ja vollkommen aſphyktiſcher Zuſtand, ſo wie meh-
rere der oben erwaͤhnten Sinnestaͤuſchungen u. ſ. w. zu rech-
nen ſind.


§. 306.

2) Die Symptome geſtoͤrter Verdauung be-
treffend, ſo fehlen ſie faſt nie und aͤußern ſich auf die
verſchiedenſte Weiſe, naͤmlich: 1) durch Appetitloſigkeit oder
widernatuͤrliche Appetite; 2) verdorbenen, bald bittern oder
fauligten, bald ſalzigen oder ſauren Geſchmack; 3) eine be-
legte ſchleimige Zunge; 4) durch oͤfteres Aufſtoßen und
uͤberhaupt ganz beſondere Neigung zu ſtarker Luftentwicklung
im Darmkanal; 5) Erzeugung von Saͤure in den erſten We-
gen (obwohl es mir ſcheint, als ob dieſes Symptom der
Hypochondrie, und zwar vielleicht der im Manne uͤberhaupt
vorwaltenden Oxydation wegen weit mehr als der Hyſterie
eigenthuͤmlich ſey); 6) ſchlechte Verdauung, wo entweder die
Nahrungsmittel zum Theil unveraͤndert wieder abgehen, oder
Druck, Schmerzen und Kraͤmpfe veranlaſſen, auch wohl
uͤberhaupt die Aſſimilation ſehr langſam von Statten geht,
ſo daß daher Kranke ſolcher Art mitunter eines ungewoͤhnlich
langen Faſtens faͤhig ſind; 7) fehlerhafte Gallenabſonderung
theils der Menge nach (Polycholie), theils der Qualitaͤt
nach (wo ſich zuweilen Gallenſteine erzeugen); 8) Unord-
nung in den Stuhlausleerungen, daher oft ſtaͤter Wechſel
von theils fluͤßigen, theils verhaͤrteten Stuhlausleerungen,
[239] obwohl die ſeltnen traͤgen knotigen Darmexcretionen dieſen
Kranken am gewoͤhnlichſten zu ſeyn pflegen.


§. 307.

3) Symptome geſtoͤrter Athmung ſo wie ab-
normer ſecernirender Thaͤtigkeit
. Zu den erſtern
rechnen wir namentlich die gewoͤhnlich durch abnorme Reitz-
barkeit der Bronchien begruͤndeten aſthmatiſchen Anfaͤlle, den
krampfigen Huſten u. ſ. w. — Zu den letztern theils die
abnormen Zuſtaͤnde der Hautausduͤnſtung, durch haͤufigen
Schweiß oder auch im Gegentheil durch ſehr trockne Haut
bezeichnet, theils abnorme Verhaͤltniſſe in der Thaͤtigkeit der
uͤbrigen groͤßern Ausſcheidungswerkzeuge, unter welchen wir
noch der Harnwege insbeſondre gedenken muͤſſen, indem die
Nieren vorzuͤglich in und nach den Anfaͤllen eine abnorme
Menge hellen waͤßrigen Urins auszuſcheiden pflegen, und
ſelbſt in der Blaſe eine Menge krampfhafter und ſchmerzhaf-
ter Zuſtaͤnde bey Hyſteriſchen nicht ſelten bemerkt werden.


§. 308.

Ob endlich 4) das Geſchlechtsſyſtem an dieſer
Krankheit bedeutenden Antheil nehme, daruͤber ſind wieder die
Meynungen getheilt, indem die aͤltern Aerzte faſt alle uͤbri-
gen Zufaͤlle von dieſem Syſtem ableiteten, mehrere Neuere
hingegen behaupten, daß der Antheil deſſelben aͤußerſt unbe-
traͤchtlich ſey. Erwaͤgt man nun aber genauer, wie bey den
meiſten Hyſteriſchen beobachtet wird, daß wenn auch die Bil-
dung der Geſchlechtsorgane, ja ſelbſt die Menſtruation keine
hervorſtechenden Regelwidrigkeiten zeigt, doch gewoͤhnlich der
eigentliche Zweck des Geſchlechtsorganismus, die Erzeugung,
unvollkommen erreicht wird, indem es unverheirathete, vor-
zuͤglich aber verheirathet geweſene, oder ungluͤcklich verheira-
thete, auch die den klimakteriſchen Jahren ſich naͤhernden In-
dividuen ſind, bey welchen die Krankheit am oͤfterſten vor-
kommt, erwaͤgt man ferner, wie tief das Geſchlechtsſyſtem
uͤberhaupt in das Weſen des weiblichen Koͤrpers eingreift,
welches eben durch die vorwaltende Produktivitaͤt deſſelben
ausgeſprochen iſt, und wie nothwendig es allgemeine Zerruͤt-
[240] tung und Verſtimmung veranlaſſen muß, wenn die eigentliche
Beſtimmung, der Zweck, auf welchen alles hinweiſt, gar
nicht oder unvollkommen erreicht wird, ſo muß man wohl
mehr der aͤltern Anſicht von dieſer Krankheit beypflichten,
wovon noch bey der Unterſuchung der ſogenannten naͤchſten
Urſache weiter die Rede ſeyn wird. Uebrigens iſt denn doch
auch nicht zu laͤugnen, daß Unordnung der Menſtruation,
vorzuͤglich die zu haͤufige, oder zu ſeltne, oder unterdruͤckte
Menſtruation, ferner anderweitige Krankheiten der Geſchlechts-
theile, als: weißer Fluß (ein beſonders haͤufiger Begleiter
der Hyſterie), Verhaͤrtungen, Kraͤmpfe im Uterus u. ſ. w.
ſo wie abnormes Verhaͤltniß des Geſchlechtstriebes, gar nicht
ſelten bey ſolchen Kranken wahrgenommen werden.


§. 309.

Wir kommen nun zur Eroͤrterung des Weſens (der
naͤchſten Urſache) der Hyſterie und Beſtimmung ihres Ver-
haͤltniſſes zur Hypochondrie, eine bey der Vielgeſtaltigkeit
des Gegenſtandes allerdings ſchwierige Aufgabe; demohner-
achtet ſcheint uns in folgender Beſtimmung das Weſentlichſte
aufgefaßt werden zu koͤnnen, indem wir ſagen, daß die Er-
ſcheinungen der Hyſterie zunaͤchſt bedingt werden: durch
eine Verſtimmung des Nervenſyſtems, welche
eine Folge iſt des Mißverhaͤltniſſes zwiſchen all-
gemeiner und geſchlechtlicher Produktivitaͤt
. Auf
dieſen Krankheitsgrund weiſen auch die entfernten, ſowohl
disponirenden als Gelegenheitsurſachen hin, denn alles, was
Mißverhaͤltniſſe in der reproduktiven Thaͤtigkeit erzeugt, und
zugleich die Erregbarkeit des Nervenſyſtems ſteigert, fuͤhrt
die hyſteriſchen Beſchwerden herbey; hierhin gehoͤrt: ſchwaͤch-
liche, reitzbare, angeborene, oder durch luxurioͤſe Erziehung,
zu zeitig angeſtrengte Geiſtesthaͤtigkeit und ſonſtige unpaſſende
Lebensweiſe erworbene Conſtitution; ferner unordentliche Diaͤt
(Koͤchinnen leiden deßhalb nicht ſelten an Hyſterie), das in
den hoͤhern Staͤnden gewoͤhnliche Untereinandermiſchen von
Thee, Kaffee, Backwerk, Chokolade u. ſ. w., dabey vieles
Sitzen und Beſchaͤftigung mit weiblichen Arbeiten, wodurch
eben ſo wie durch beengende Kleider, Schnuͤrbruͤſte u. ſ. w.
[241] der Unterleib zuſammengepreßt und die Verdauung geſtoͤrt
wird, auch uͤble Luft, ſchwerverdauliche Nahrung; dann pſy-
chiſche Einfluͤße, als: Erregungen der Phantaſie durch unge-
waͤhlte Lektuͤre, Einwirkung verſchiedenartiger Leidenſchaften
oder deprimirender Affekte, ungluͤckliche Liebe und endlich ge-
ſchlechtliche Ausſchweifungen oder gaͤnzlicher Mangel an na-
turgemaͤßer Befriedigung des Geſchlechtstriebes, Stoͤrungen
der Menſtruation, Krankheiten der Geſchlechtsorgane, Un-
fruchtbarkeit oder zu haͤufige Wochenbetten, ja auch wohl
zuweilen ploͤtzlich gehemmte andere Krankheiten, Gicht oder
chroniſche Hautausſchlaͤge.


§. 310.

Das Verhaͤltniß aber der Hyſterie zur Hypochondrie
betreffend, ſo ſcheint es kein anderes als das des weiblichen
Geſchlechts zum maͤnnlichen uͤberhaupt; auch die Hypochon-
drie naͤmlich iſt zwar in Verſtimmung des Nervenlebens in
Folge abnormer Zuſtaͤnde der reproduktiven Funktionen be-
gruͤndet, allein wie im maͤnnlichen Koͤrper uͤberhaupt die
aſſimilativen Funktionen weniger uͤberwiegen, wie das Ge-
ſchlechtsſyſtem hier weniger als im Weibe in das Ganze ein-
greift, wie dagegen gerade hier die Produktivitaͤt und Kraft
mehr in einer hoͤhern Sphaͤre ſich offenbaren ſollen, ſo neh-
men nun auch Stoͤrungen dieſer Thaͤtigkeiten hier eine ganz
andere Form als im Weibe an, aͤußern ſich in Verfinſterun-
gen des Gemuͤths (beſonders in Menſchen, welche uͤberhaupt
mit ſich nicht zu Klarheit und Frieden gekommen ſind) und
durch alle jene Beſchwerden, welche vorzuͤglich auf geſtoͤrte
Unterleibsfunktionen hinweiſen, indeß gerade hier wegen dieſer
Unklarheit des Gemuͤths mit ſolcher Heftigkeit empfunden
werden.


§. 311.

Den Krankheitsverlauf des hyſteriſchen Zuſtandes
anbelangend, ſo iſt er im Ganzen langwierig, im Beſon-
dern ein remittirender zu nennen. Die Krankheit pflegt
naͤmlich, wie ſchon oben (§. 299.) erinnert wurde, Anfaͤlle
zu machen, welche theils der Art ihrer Erſcheinung, theils
I. Theil. 16
[242] dem Grade ihrer Heftigkeit nach, aͤußerſt verſchieden ſeyn koͤn-
nen. Sind dieſe Anfaͤlle durch innere Zuſtaͤnde, herannahende
oder fließende Menſtruation, gaſtriſche Zuſtaͤnde, Flatulenz
u. ſ. w. veranlaßt, ſo kuͤndigen ſie ſich oft durch erhoͤhte
Reitzbarkeit, veraͤnderte Gemuͤthsſtimmung, Mattigkeit, Ziehen
in den Gliedern, unſtaͤte krampfige Bewegung der Augaͤpfel
u. ſ. w. an, dahingegen nach aͤußern veranlaſſenden Momenten
ſie ganz ploͤtzlich einzutreten pflegen. Die Anfaͤlle ſelbſt ah-
men oft die Erſcheinung anderer Krankheiten ſo vollkommen
nach, daß der Arzt, welcher ſeine Kranke zuerſt in dieſem
Anfalle erblickt, oft nicht wiſſen wird, ob er eine Maniaca,
eine Epileptiſche, eine am heftigſten Fieber, oder eine am
Wundſtarrkrampfe Leidende vor ſich habe, wobey nur ein
ſcharfer Blick auf den geſammten Habitus der Kranken, ihre
Art des Benehmens, wenn die Heftigkeit des Anfalls ſich
etwas mindert, namentlich aber Beruͤckſichtigung der vorher-
gegangenen Umſtaͤnde, das Eigenthuͤmliche dieſer Krankheit
bemerken laſſen wird.


§. 312.

Die Symptome, welche in den Anfaͤllen er-
ſcheinen
, ſind uͤbrigens wieder die oben angefuͤhrten, nur
immer gewiſſe Gruppen derſelben, z. B. entweder vorzuͤglich
die Symptome abnormer Muskelthaͤtigkeit (Kraͤmpfe) und
zwar entweder in den willkuͤhrlichen Muskeln oder in den
reproduktiven Organen, oder beſonders Leiden des Gefaͤßſy-
ſtems, als Congeſtionen, Ohnmachten, Herzklopfen, oder
Leiden der Verdauungswerkzeuge, Blaͤhungsbeſchwerden bis
zur Tympanitis, wochenlange Obſtruktionen, Erbrechen u. ſ. w.;
oder endlich werden zuweilen die Anfaͤlle auch durch bloße
Symptome geſteigerter Senſibilitaͤt charakteriſirt, als durch
Weinen, Lachen, Singen, Reden in Verſen, Viſionen u. ſ. w. —
Die Dauer der Anfaͤlle iſt ſehr verſchieden, von einer Vier-
telſtunde bis zu drei und mehrern Stunden, ſie endigen ſich
gewoͤhnlich mit Erſchoͤpfung, Schlaf oder ſelbſt mit tiefer
Ohnmacht.


[243]
§. 313.

Die Prognoſe iſt in dieſer Krankheit eines Theils
guͤnſtig, andern Theils unguͤnſtig; guͤnſtig iſt ſie, weil die
Krankheit an ſich nicht toͤdtlich iſt, ja ſelbſt die heftigſten
Kraͤmpfe, welche oft augenblickliche Apoplexie zu drohen
ſcheinen, periodiſch wiederkehrend Jahre lang von hoͤchſt
ſchwaͤchlichen Individuen ausgeſtanden werden, ohne daß ſie,
ſo lange ſie blos Symptome der Hyſterie ſind, dem Leben
der Kranken wirklich Gefahr braͤchten. Unguͤnſtig hingegen
iſt die Prognoſe 1) weil die Hyſterie oft ſo in die Wurzeln
des Lebens der Kranken verflochten iſt, daß ſie in der Re-
gel eine aͤußerſt langwierige Dauer zeigt, ja oft nur zu he-
ben iſt, nachdem im innern Leben ſelbſt irgend ein bedeuten-
der Wendepunkt voruͤber war, z. B. nach den klimakteriſchen
Jahren. 2) Weil theils durch unendliche Reitzbarkeit der
Kranken, verbunden oft mit großer Lebhaftigkeit und Unfolg-
ſamkeit, das Einwirken neuer Schaͤdlichkeiten faſt gar nicht
vermieden werden kann, und daher oft ſchon auf dem Wege
der Beſſerung von neuem das alte Leiden herbeygefuͤhrt
wird. 3) Weil oft die Unterhaltung der Krankheit von
aͤußern Verhaltniſſen der Kranken bedingt wird, welche abzu-
aͤndern nicht in der Macht des Arztes ſteht. 4) Weil die
Krankheit eben ihres veraͤnderlichen Charakters, ſo wie der
Gemuͤthsart der Kranken wegen, zu nicht geringer und lang-
wieriger Qual der Kranken ſelbſt, ihrer Umgebungen und
ihres Arztes zu gereichen pflegt. 5) Weil eine ſehr lange
Dauer des Uebels oft, namentlich durch immer groͤßere Zer-
ruͤttung in den Funktionen der reproduktiven Sphaͤre, zuletzt
andere wirklich gefaͤhrliche Krankheiten veranlaſſen muß, wo-
hin Verhaͤrtungen und Auftreibungen der Unterleibsorgane,
Waſſerſucht und Auszehrung, oder Gemuͤthskrankheiten, Bloͤd-
ſinn, Melancholie u. ſ. w. gehoͤren.


§. 314.

Die Abwaͤgung, ob in einem gegebenen Falle die Hei-
lung der Hyſterie leicht oder ſchwer gelingen werde, richtet
ſich aber 1) nach der Conſtitution der Kranken; je ſchwaͤch-
[244] licher dieſelbe iſt, je mehr erregt die Receptivitaͤt des Ner-
venſyſtems erſcheint, je mehr vielleicht das Uebel ſelbſt durch
erbliche Anlage als begruͤndet angenommen werden kann, oder
auf unvollkommen erfolgter Entwicklung des ganzen Koͤrpers
beruht, um ſo geringer iſt die Ausſicht auf baldige Gene-
ſung. 2) Nach dem Stande der Digeſtions- und Aſſimila-
tionsorgane; je weniger dieſe etwa durch eine ſehr lange
Dauer des Uebels zerruͤttet ſind, um ſo groͤßer wird die
Hoffnung zur Heilung ſeyn. 3) Nach dem Zuſtande der ge-
ſchlechtlichen Funktionen, welche, je regelmaͤßiger ſie von
Statten gehen, auch um ſo mehr die Heilbarkeit des Uebels
erwarten laſſen (daher zuweilen Wiedereintritt der Menſtrua-
tion, oder beginnende Schwangerſchaft die Hyſterie beſeiti-
gen). 4) Nach dem Verhaͤltniſſe zu andern Krankheiten,
indem der Eintritt ſckundaͤrer Krankheiten (§. 313.) natuͤr-
lich die Prognoſe verſchlimmern muß, dahingegen die Wie-
derkehr vorher unterdruͤckt geweſener Krankheiten, z. B. von
Hautausſchlaͤgen, Haͤmorrhoiden, Gicht, auch vortheilhaft wir-
ken kann. 5) Nach den Urſachen der Krankheit und den ſon-
ſtigen Verhaͤltniſſen der Kranken, ob es uͤberhaupt moͤglich
oder wenigſtens in der Gewalt des Arztes iſt, die letztern fuͤr
ſeinen Zweck guͤnſtiger zu ordnen, und die erſtern zu beſeitigen.


§. 315.

Behandlung. Wie bey Behandlung der Nervenzu-
faͤlle in den Entwicklungsperioden (§. 274.) iſt auch bey
Hyſteriſchen, ja vielleicht hier, der groͤßern Erfahrenheit der
Kranken wegen, noch mehr, die Individualitaͤt des Arztes
von wichtigem Einfluß. Ernſte, ruhige, Vertrauen erregende
Beſonnenheit des Arztes, uͤbrigens ohne abſtoßende Kaͤlte,
wirkt auf ſolche Kranke aͤußerſt wohlthaͤtig, und oft mindert
dann ſchon die Gegenwart deſſelben den Anfall um Vieles.
Wie nun aber ein ſolches Benehmen eines Theils den Kran-
ken aͤußerſt nuͤtzlich wird, ſo iſt dieſe Beſonnenheit auch dem
Arzte beſonders nothwendig, um bey den gewaltſamen Stuͤr-
men der Krankheit nicht des Vermoͤgens einer ruhigen Er-
waͤgung des eigentlich Weſentlichen verluſtig zu gehen, um
aus den wortreichen Berichten der Kranken das Wichtige
[245] herauszunehmen und es von dem minder Wichtigen zu ſchei-
den, wobey man denn oft finden wird, daß gerade diejeni-
gen Symptome, worauf die Kranken in ihren Erzaͤhlungen
das meiſte Gewicht legen, und die ſie oft mit unermuͤd-
licher Redſeligkeit ſchildern, weit weniger beachtet zu werden
verdienen als andere, welche ſie oft waͤhrend ihrem Berichte
ganz unwillkuͤhrlich verrathen oder nur nebenbey erwaͤhnen.


§. 316.

Ferner iſt nicht zu uͤberſehen, daß dieſe Kranken eine
große Neigung haben, ihre Krankheitsſymptome als recht ge-
faͤhrlich vorzuſtellen, ja deren wirklich mitunter, aus einer
gewiſſen Sucht bewundert zu werden, erdichten; welches in-
deß den Arzt auch nicht dahin bringen darf, ihnen das Ge-
hoͤr gaͤnzlich zu verſagen, als wodurch leicht eine nachtheilige
Spannung zwiſchen der Kranken und dem Arzte erzeugt,
und wenigſtens die pſychiſche Einwirkung des letztern gaͤnzlich
gehemmt wird, ja welches zum Theil auch deßhalb ungerecht
waͤre, da die Kranke ihr eingebildetes Leiden oft nicht min-
der heftig als ein wirkliches empfindet.


§. 317.

Bey der Behandlung ſelbſt verdienen nun zwei Punkte
vorzuͤglich beruͤckſichtigt zu werden: Erſtens daß der Arzt alle
Gewalt, welche er uͤber die Kranke beſitzt, zunaͤchſt darauf
verwende, die Feſtſtellung einer zweckmaͤßigen Lebensordnung
und Diaͤt zu erhalten. — In Vergehungen gegen ſolche
Regelmaͤßigkeit iſt ja in den meiſten Faͤllen die Urſache des
Krankſeyns zu ſetzen und daher auch keine Hoffnung zur
Heilung zu faſſen, wenn nicht die Kranken dahin zu bewe-
gen ſind, zweckmaͤßigen Verordnungen in dieſer Hinſicht ſich
zu fuͤgen. Zweitens aber muß im Allgemeinen gegen die
bey dieſen Krankheiten ſo gewoͤhnliche blos ſymptomatiſche
oder palliative Behandlung gewarnt werden. Wie wir naͤm-
lich erinnert haben, iſt zwar die Erſcheinung der Krankheit
oft eine bloße Kette von Symptomen aufgeregter Senſibilitaͤt,
allein das Bedingende derſelben iſt vielmehr die Stoͤrung der
Reproduktion, und zwar ſicher nicht blos in wiefern das
[246] Nervenſyſtem dieſe Stoͤrungen wahrnimmt, ſondern auch in
wiefern ſeine Bildung ſelbſt leidet. Wird daher die
Krankheit fortwaͤhrend mit ſogenannten Nervenmitteln, krampf-
widrigen Mitteln u. ſ. w. bekaͤmpft, auf die Wurzel aller Bil-
dungsthaͤtigkeit aber, d. i. auf Digeſtion und Sanguifikation
keine oder nicht genuͤgende Ruͤckſicht genommen, ſo kann es
leicht der Fall ſeyn daß, obwohl hin und wieder die Krank-
heit etwas erleichtert wird, ſie doch im Ganzen immer tiefer
einwurzelt, immer mehr die Quellen des Lebens untergraͤbt,
und immer unheilbarer wird.


§. 318.

Es wird ſonach auch hier Aufgabe der Behandlung,
zuvoͤrderſt dem Gange der Krankheit, den in irgend einem
gegebenen Falle vorhandenen beſondern Urſachen ihrer Entſte-
hung nachzuſpuͤren und dieſe zu bekaͤmpfen. Finden ſich da-
her, was hier ſo haͤufig bemerkt wird, in Folge fruͤherer
ſcrofuloͤſer Zuſtaͤnde Auftreibungen der Unterleibseingeweide,
verſchleimter Zuſtand des Darmkanals, fehlerhafte Gallenbe-
reitung, Obſtruktion u. ſ. w., ſo muß abgeſehen von allen
andern Symptomen (von palliativer Behandlung der drin-
gendſten ſprechen wir weiter unten), durch zweckmaͤßige An-
wendung reſolvirender Mittel, des Extract. Taraxaci, Sa-
ponariae, Chelidonii,
der Mittelſalze, mit Rheum, Senna
u. ſ. w., der Seife, der Antimonialien, der friſchen Kraͤuter-
ſaͤfte, durch Beſuchung des Karlsbades, durch Anordnung
einer ſehr einfachen ſtrengen Diaͤt, bey fleißiger Koͤrperbewe-
gung im Freien, aͤußerlich durch Friktionen des Unterleibes
und Seifenbaͤder, zunaͤchſt die Beſeitigung der abnormen Zu-
ſtaͤnde des Darmkanals, Zweck der Behandlung bleiben.
Gleichermaaßen kann aber auch das Gefaͤßſyſtem ſelbſt der
Sitz der Krankheit ſeyn, die Blutbereitung iſt bey Hyſteri-
ſchen oft ſehr reichlich, das Blut ſelbſt oft, aus der Ader
gelaſſen, dick und ſehr wenig geroͤthet, es bilden ſich dann
Ueberfuͤllungen, namentlich des Venenſyſtems, und ganz be-
ſonders des durch einen Zwiſchenkreislauf (in der Leber)
vom allgemeinen Kreislaufe und der Einwirkung des Herzens
mehr entfernten Pfortaderſyſtems, es wird dadurch das Gan-
[247] glienſyſtem nachtheilig afficirt, ja es werden Congeſtionen
nach Bruſt und Hirn veranlaßt. Dieſen Zuſtand bemerken
wir vorzuͤglich bey kurzen gedraͤngten Koͤrpern, welche eine
reichliche Diaͤt fuͤhrten, beſonders mit Abnormitaͤten der Men-
ſtruation, Verbildungen der Geſchlechtstheile, welche Em-
pfaͤngniß hindern, verbunden, und er pflegt ſich dann auch
namentlich durch Schwindel, Alpdruͤcken, Ohnmachten und
heftige Kraͤmpfe der willkuͤhrlichen Muskeln zu aͤußern.


§. 319.

Unter ſolchen Verhaͤltniſſen wird dann auch das Heil-
verfahren zunaͤchſt gegen die Abnormitaͤten des Gefaͤßſyſtems
gerichtet ſeyn muͤſſen. Den Anfang der Kur wird man oͤf-
ters durch eine oder einige allgemeine Blutentziehungen zu
machen genoͤthigt ſeyn, obwohl der Vortheil den ſie gewaͤh-
ren, in der Regel nur voruͤbergehend iſt, vorzuͤglich aber iſt
durch wenig naͤhrende, mehr vegetabiliſche Diaͤt, durch reich-
liches ſaͤuerliches Getraͤnk, durch hinlaͤngliche Bewegung zur
Verminderung der Blutmaſſe zu wirken. Dabey ſind na-
mentlich Obſtruktionen im Darmkanale zu verhuͤten, oͤftere
blande Abfuͤhrungen erweiſen ſich wohlthaͤtig, und nach den-
ſelben iſt ſodann insbeſondre von den die Contraction im Ge-
faͤßſyſtem erregenden Mitteln, den mineraliſchen Saͤuren (Elixir.
vitrioli Mynsicht.
z. B.), ſo wie von den rein bittern
Mitteln Gebrauch zu machen. — Außerdem gehen jedoch
nicht ſelten die Stoͤrungen der Reproduktion in der Hyſterie
von krankhaftem Zuſtande der Geſchlechtsfunktion ſelbſt aus,
und dann muß auch gegen dieſe die Behandlung vorzuͤglich
gerichtet ſeyn; Abnormitaͤten der Menſtruation muͤſſen ſodann
nach oben eroͤrterten Grundſaͤtzen beſeitigt, Krankheiten des
Uterus, der Ovarien u. ſ. w., nach ſpaͤter durchzugehenden
Regeln behandelt werden, bey einer dem Allgemeinbefinden
unangemeſſenen erzwungenen geſchlechtlichen Enthaltſamkeit,
muß der Arzt zur Verehlichung rathen, indem bey Indivi-
duen dieſer Art oft Beſchwerden, welche keinerley Mitteln
weichen wollten, in der eintretenden Schwangerſchaft oder
wenigſtens nach der Geburt verſchwinden. Eben ſo ſehr
koͤnnen indeß andern Theils Ausſchweifungen, namentlich
[248] Selbſtbefriedigung, Mißverhaͤltniſſe der Reproduktion und
Verſtimmung der Senſibilitaͤt veranlaſſen, und dann muͤſſen
theils eindringende Vorſtellungen, theils genaue, freylich oft
ſchwer moͤgliche Aufſicht als weſentliche Mittel der Heilung
in Ausfuͤhrung gebracht werden.


§. 320.

Endlich aber bemerken wir, daß oft die Hyſterie auf
ganz aͤhnliche Weiſe an die klimakteriſchen Jahre, wie die
oben erwaͤhnten Nervenzufaͤlle an die [Pubertaͤtsentwicklung],
geknuͤpft ſind. In wiefern naͤmlich bey herannahendem Alter
die Produktivitaͤt immer ſtufenweiſe abnimmt, bey einer ge-
wiſſen Stufe aber unfaͤhig wird, die Menſtruation als gleich-
ſam kritiſchen Blutfluß monathlicher Congeſtionen zu erzeugen,
obwohl eine im Verhaͤltniß zum Koͤrper reichlichere Saͤfteerzeu-
gung nichts deſtoweniger noch eine Zeitlang Statt findet, wie ſich
nun ſelbſt bey geſunden Koͤrpern um dieſe Periode mancherley ob-
wohl gewoͤhnlich bald voruͤbergehende Beſchwerden erzeugen,
ſo kann dadurch bey krankhaft geſteigerter Senſibilitaͤt oft
die ganze Reihe hyſteriſcher Zufaͤlle rege gemacht werden.
Dieſer Zuſtand giebt dann zwar, in wiefern man erwarten
darf daß nach beendigter Revolution auch jene krankhaften
Erſcheinungen ſich verlieren werden, im Ganzen eine guͤn-
ſtige Prognoſe, laͤßt jedoch auch nur ein ſehr beſchraͤnktes,
faſt allein auf Minderung der hervorſtechendſten Symptome ab-
zweckendes Heilverfahren zu, und in wiefern nun uͤberhaupt bey
der Hyſterie, namentlich waͤhrend der Anfaͤlle oͤfters die ein-
zelnen Symptome eine beſondre augenblickliche Behandlung
noͤthig machen, gehen wir jetzt noch die hierfuͤr geltenden
Regeln in der obigen Ordnung (§. 300. u. f.) durch.


§. 321.

1) Fuͤr die Behandlung der Zufaͤlle von geſteigerter Sen-
ſibilitaͤt aber, welche, theils wo den fruͤhern Anzeigen hin-
ſichtlich der Reproduktionsſtoͤrungen bereits Genuͤge geleiſtet
iſt, zur Hauptindikation wird, theils in den Stuͤrmen der
Anfaͤlle dringend noͤthig erſcheint, moͤchten wir zwei Wege
unterſcheiden, welche man den negativen und poſitiven nennen
[249] koͤnnte. Der erſtere naͤmlich wird auf Minderung aͤußerer
Erregungen abzwecken, es wird dahin gehoͤren Aufenthalt der
Kranken an einem ruhigen, weder zu hellen noch zu dunkeln,
maͤßig erwaͤrmten, mit reiner Luft erfuͤllten Ort, Entfernung
von Perſonen, welche widrig oder uͤberhaupt erregend auf
die Kranke wirken. Der andere wird auf die Anwendung
von Mitteln gerichtet ſeyn, welche die allgemeine oder lokale
abnorme Erregung herabſtimmen, und hierher gehoͤrt nun
wieder der ganze Heilapparat, welchen wir bey den der
Hyſterie nahe verwandten Nervenzufaͤllen der Entwicklungs-
periode durchgegangen haben (ſ. §. 265. u. f.), alſo laue all-
gemeine Baͤder, oͤrtliche Dampfbaͤder, Fomentationen, Cata-
plasmata,
Friktionen, die narcotica, antispasmodica und
die imponderabeln Arzneymittel, von denen allen am ange-
fuͤhrten Orte bereits das Naͤhere angegeben worden iſt.


§. 322.

2) Da die Stoͤrungen der Muskularthaͤtigkeit vorzuͤglich
Produkte abnormer Einwirkungen des Nerven- und Gefaͤß-
ſyſtems auf die Muskelfaſer ſind, ſo werden ſie auch nur
von dieſen Seiten her behandelt werden koͤnnen. Kraͤmpfe
alſo, von abnormer Nerventhaͤtigkeit erregt, machen wieder
das im vorigen Paragraph erwaͤhnte Verfahren nothwendig,
dahingegen die durch Congeſtionen, entzuͤndliche Reitzungen
u. ſ. w. bedingten, die Behandlung krankhafter Gefaͤßthaͤtig-
keit fordern. 3) Die Stoͤrungen der Blutbewegung ſelbſt
betreffend, ſo kann, wie oben bemerkt wurde, in der Be-
handlung dieſer Abnormitaͤt allerdings oft die Hauptindikation
liegen, oft aber wird ſie auch nur ſymptomatiſch gefordert,
da ſchon fruͤher bemerkt iſt, wie haͤufig ſelbſt bey anſcheinend
reinem Nervenleiden das Gefaͤßſyſtem im Spiel zu ſeyn
pflegt. Blutentziehungen, namentlich oͤrtliche, machen dann
waͤhrend der Anfaͤlle, nebſt ableitenden Mitteln, ſich noth-
wendig, zu welchen letztern die kuͤhlenden Fomentationen des
leidenden Theils (z. B. des Kopfes), verbunden mit Fußbaͤ-
dern, Befoͤrderung der Hautausduͤnſtung durch trockne warme
Friktionen, Cataplasmata; ferner innerlich blande Abfuͤhrun-
[250] gen, verduͤnnte vegetabiliſche oder mineraliſche Saͤuren, Emul-
ſionen, der Cremor tartari, das Nitrum u. ſ. w.


§. 323.

4) Ruͤckſichtlich der geſtoͤrten Verdauungsfunktion iſt
hier wieder nur von den einzelnen belaͤſtigenden Symptomen
der Anfaͤlle die Rede, welche oft beſondere Maaßregeln zu
ihrer Beſeitigung fordern; hierhin gehoͤren wieder Kolikanfaͤlle,
Magenkrampf, Blaͤhungsbeſchwerden, Obſtruktionen, Diar-
rhoͤen, Erbrechen u. ſ. w. — In allen dieſen iſt aber vorzuͤg-
lich auf drei Punkte Ruͤckſicht zu nehmen: erſtens auf Ent-
leerung des Darmkanals von ſchaͤdlichen Stoffen, wo nun
die Umſtaͤnde anzeigen muͤſſen, ob die Entleerung durch Brech-
mittel (deren Wirkung auf das geſammte Nervenſyſtem hier-
bey zugleich in Anſchlag zu bringen iſt), oder durch Abfuͤhr-
mittel, oder durch Lavements, deren aͤußerſt wohlthaͤtige, krampf-
loͤſende Wirkung in dieſen Krankheiten zur Genuͤge bekannt iſt,
geſchehen muͤſſe. Zweitens auf Verhuͤtung der Wiedererzeu-
gung ſolcher Stoffe theils durch Erhoͤhung des Tonus in
der periſtaltiſchen Thaͤtigkeit, theils durch Verbeſſerung der
Sekretionen des Darmkanals, wohin denn die bittern, abſor-
birenden und Digeſtivmittel: Mentha crispa und piperita,
die roͤmiſchen Chamillen, Extract. Taraxaci, Saponariae,
Centaurii minoris, Cascarillae,
die Kaͤmpf’ſchen Viſceral-
klyſtiere, mehrere Mittelſalze, die Magneſia, aͤußerlich Waſchen
der Magengegend mit Miſchungen aus Spirit. serpilli, Spi-
rit. Sal. ammon. caust.
und einigen Tropfen vom Oleo
Menth. p.,
Tragen aromatiſcher Pflaſter, Kraͤuterguͤrtel u. ſ. w.
gehoͤren. Drittens auf Beruͤckſichtigung der verſtimmten Ner-
ven- und Gefaͤßthaͤtigkeit der Unterleibseingeweide, in wel-
cher Hinſicht, jedoch erſt nach gehoͤriger Erfuͤllung der erſten
Indikation, vorzuͤglich von den krampfwidrigen und ableiten-
den Mitteln Gebrauch gemacht werden kann, wohin wir
theils die Valeriana und Flor. Chamomill, in Aufguͤßen,
den Liq. C, C., das Opium, die milden Oehle, die ſchlei-
migen Mittel, Emulſionen, die Lavements aus Valeriana-
Aufguͤßen, die Einreibungen einer Opiatſalbe oder des Ka-
millenoͤhls in den Unterleib, die warmen Fomentationen und
[251]Cataplasmata mit antiſpasmodiſchen Mitteln vermiſcht, und
bey Congeſtionen, vorzuͤglich in Folge der Haͤmorrhoidaldispo-
ſirion, oder gehemmter Menſtruation, Anlegung von Blut-
igeln an das Perinaͤum, Friktionen und warme Bedeckungen
der Unterſchenkel rechnen.


§. 324.

5) Die Symptome geſtoͤrter Athmung und Abſonderung
ſind im Ganzen abermals vorzuͤglich die Folgen von Unord-
nungen im Gefaͤß- oder Nerven- und Muskularſyſtem, und
hiernach zu behandeln; nur fordern einige derſelben verſchie-
dene Modifikationen dieſer Behandlung, ſo Krampfhuſten oder
aſthmatiſche Anfaͤlle als Folgen abnormer Contraction in den
Faſern der Lungenzellen und Bronchien oder in den groͤßern
den Reſpirationsbewegungen dienenden Muskeln fordern warme
Fomentationen der Bruſt, ſchleimiges demulcirendes Getraͤnk,
Inhalationen durch die von Mudge erfundenen Einathmungs-
maſchine *), die Anwendung von Extract. Hyoscyam., Lac-
tucae viros.,
ableitender Reitzmittel, reitzender Einreibungen
der Veſikatorien u. ſ. w. — Werden hingegen dieſe Zuſtaͤnde,
was haͤufig der Fall iſt, mehr vom Gefaͤßſyſtem bedingt,
von Congeſtionen nach der Bruſt, wohl gar von Abnormitaͤ-
ten des Herzens, dann ſind allgemeine und oͤrtliche Blutent-
ziehungen, leichte Abfuͤhrungen, Fußbaͤder und der uͤbrige fuͤr
dieſe Faͤlle geeignete Heilapparat in Anwendung zu ziehen. —
Auf aͤhnliche Weiſe ſind auch die oͤftern Anfaͤlle von Ohn-
machten zu behandeln, wobey wir nur noch erwaͤhnen, daß
dieſe Anfaͤlle, vorzuͤglich wenn ſie auf heftige Stuͤrme von
Kraͤmpfen u. ſ. w. folgen, nie zu ploͤtzlich durch Anwendung
der gewoͤhnlichen Erweckungsmittel, ſtarker Geruͤche, der Frik-
tionen u. ſ. w. verſcheucht werden duͤrfen, indem, worauf na-
mentlich H. Naſſe aufmerkſam gemacht hat, ihnen unter
dieſen Umſtaͤnden allerdings eine wohlthaͤtige heilende Kraft
zugeſchrieben werden muß, in ihnen der Organismus recht ei-
[252] gentlich ausruhen, ſich erholen ſoll, daher durch zu zeitige
Unterbrechung der Ohnmacht neu aufgeregt und beunruhigt
werden muß.


§. 325.

Auf ziemlich gleiche Weiſe ſind denn auch ihren Urſa-
chen nach die verſchiedenen Stoͤrungen der Abſonderungen zu
behandeln. Hautkraͤmpfe, trockne brennende Haut, fordern
laue Baͤder und gelinde Friktionen in oder nach denſelben;
bey Blaſenkraͤmpfen ſind Emulſionen, kleine Doſen Opium,
ſchleimige Getraͤnke, Fomentationen, Cataplasmata, allgemeine
und Halbbaͤder, ſo wie Ruͤckſicht auf etwaige Stoͤrungen im
Pfortaderſyſtem, Haͤmorrhoidalcongeſtionen, oder wohl gar ent-
zuͤndliche Zuſtaͤnde vorzuͤglich angezeigt. Endlich 6) die Stoͤ-
rungen der Geſchlechtsfunktionen betreffend, ſo iſt davon bereits
fruͤher (§. 319.), in wiefern die Beruͤckſichtigung derſelben oft
einen Haupttheil der allgemeinen Kur ausmacht, gehandelt
worden. Einzelne ſchmerzhafte Zuſtaͤnde aber, welche in den
Anfaͤllen erſcheinen, als Kraͤmpfe im Uterus, krampfhafte
Verſchließung des Muttermundes waͤhrend der Menſtruation
u. ſ. w. erfordern ziemlich dieſelbe Heilmethode, wie die vor-
her erwaͤhnten Blaſenkraͤmpfe, nur daß man hier noch die
mehr direkt auf den Uterus wirkenden Injektionen aus Kamil-
len, Valeriana, Bilſenkraut oder Schierlingsaufguß, Abko-
chung der Mohnkoͤpfe in Milch u. ſ. w. oft mit Nutzen zu
Huͤlfe nehmen kann. — Daß uͤbrigens auch bey allen dieſen
oͤrtlichen ſchmerzhaften Symptomen der Hyſterie die Einwir-
kung des animalen Magnetismus oft von großem Nutzen
befunden iſt, kann nur der Befangene laͤugnen, und daß
daher auch in dieſer Hinſicht von einem Mittel, welches zu-
weilen die Stuͤrme, welche keinem andern weichen, doch noch
beruhigt, unter hinlaͤnglicher Beruͤckſichtigung der weſentlichen
Krankheitsurſachen, Anwendung gemacht zu werden verdiene,
liegt am Tage.


[253]
II. Krankheitszuſtaͤnde der einzelnen weiblichen
Geſchlechtsorgane.

§. 326.

Wir duͤrfen es als ein Geſetz fuͤr die Lebenserſcheinung
menſchlicher Organiſation betrachten, daß je vollkommner eine
gewiſſe Seite derſelben der vegetativen Sphaͤre angehoͤrt, ſie
um ſo mehr der Einwirkung aͤußerer Natur, folglich auch
den ſchaͤdlichen Einfluͤßen der Außenwelt unterworfen, um ſo
mehr zu Krankheiten geneigt ſey; und zwar dieſes in demſelben
Grade als die Thaͤtigkeit, die Wichtigkeit dieſes Organs ge-
ſteigert iſt. Daher z. B. die ſo vielfachen und ſo haͤufigen
Krankheiten der Verdauungswerkzeuge, welche mehr als alle
andere Syſteme denſelben ausgeſetzt ſind, daher aber auch
im weiblichen Geſchlecht, wo die Geſchlechtsfunktion, wie
ſchon fruͤher bemerkt wurde, allerdings tiefer in das geſammte
Leben eingreift als im maͤnnlichen, das oͤftere Vorkommen
der Krankheiten der Geſchlechtsorgane, unter welchen Orga-
nen ſodann wieder keines haͤufiger und auf ſo verſchiedenar-
tige Weiſe afficirt wird als der Uterus, eben weil er, wenn
auch nicht die Wurzel (denn dieſe liegt in den Ovarien),
doch den eigentlichen Heerd geſchlechtlicher Produktivitaͤt ent-
haͤlt. — Unter den Abnormitaͤten nun, welche der Uterus
und zum Theil auch die uͤbrigen Geſchlechtsorgane darbieten,
hat man, in ſofern der nicht ſchwangere Zuſtand beruͤckſichtigt
wird, vorzuͤglich zweierley Klaſſen, naͤmlich Abnormitaͤten
ihres Bildungslebens
und Abnormitaͤten ihres raͤum-
lichen Verhaͤltniſſes zu andern Organen, d. i. ihrer Lage
zu unterſcheiden. — Zu den erſtern gehoͤren theils die Er-
ſcheinungen abnorm aufgeregter Gefaͤßthaͤtigkeit, als Ent-
zuͤndungen, Blutungen, abnorme Sekretionen
, und
die Folgen der abnorm aufgeregten Gefaͤßthaͤtigkeit: Eite-
rungen, Geſchwuͤlſte, Auswuͤchſe, Waſſeranhaͤu-
fungen, Verhaͤrtungen, Krebsgeſchwuͤre
; zu den
letztern gehoͤren die Senkungen (namentlich in Bruchge-
ſchwuͤlſte), und die vorzuͤglich auf den Uterus, zum Theil
auch auf die Vagina ſich beſchraͤnkenden Vorfaͤlle, Vor-
[254] waͤrts-
und Ruͤckwaͤrtsbeugungen, Schieflagen und
Umſtuͤlpungen.


I.
Krankheiten der Gebaͤrmutter.

A. Stoͤrungen des Bildungslebens.

1.
Entzuͤndung der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter
(Metritis)
.

§. 327.

Wenn uͤberhaupt im vorigen Paragraph geſagt wurde,
daß die Haͤufigkeit der Krankheiten vorzuͤglich mit abhaͤnge
von dem Grade der Thaͤtigkeit und Wichtigkeit eines Organs,
ſo gilt dieß insbeſondre von der Entzuͤndung, und was daher
den Uterus betrifft, ſo finden wir ihn auch ſtets, um je an-
geregter ſeine Thaͤtigkeit iſt, um ſo mehr zur Entzuͤndung
geneigt. Faſt nie entzuͤndet ſich daher der Uterus im jung-
fraͤulichen Koͤrper vor dem Eintritte der Catamenien, außer
etwa ſekundaͤr ergriffen von der Entzuͤndung benachbarter Ge-
bilde, oder unmittelbar durch mechaniſche Verletzung gereitzt *).
Etwas leichter ſchon kann dieſe Krankheit ſich ausbilden nach
voͤllig entwickelter Pubertaͤt, jedoch auch hier am leichteſten
zu der Zeit, wo, mit Ausnahme der Schwangerſchaft, das
Gefaͤßleben dieſes Organs am hoͤchſten geſteigert iſt, d. i. zur
Zeit der Menſtruation ſelbſt. — Es iſt aber die Metritis
nicht blos an ſich, ſondern vorzuͤglich auch wegen der viel-
fachen an ſie ſich anſchließenden andern Bildungskrankheiten
eine der wichtigſten Krankheitserſcheinungen, welche das weib-
liche Leben außerhalb des Cyklus von Schwangerſchaft, Ge-
[255] burt und Wochenbett darbietet, und es wird deßhalb noͤthig,
ihre Geſchichte mit beſonderer Genauigkeit zu verfolgen.


§. 328.

Entzuͤndung uͤberhaupt aber, dieß duͤrfen wir wohl als
des Reſultat ſowohl der geſunden Naturanſchauung dieſer
Krankheit, als der vielfachen Unterſuchungen daruͤber betrach-
ten, iſt ihrem Weſen nach: oͤrtlich abnorm hervorge-
hobenes Gefaͤß- oder Bildungsleben
; allein weniger
beachtet ſcheint es, daß man den Satz nicht umkehren darf,
und daß es zu einem falſchen Begriffe fuͤhren muß, wenn
man ſagt: jedes abnorm hervortretende Bildungsleben ſey
Entzuͤndung, indem offenbar eine Menge krankhafter Aus-
wuͤchſe (z. B. Polypen, Fettgeſchwuͤlſte), Verwachſungen u. ſ. w.
unter Erſcheinungen entſtehen, welche auch nicht eines der
charakteriſtiſchen Zeichen der Entzuͤndung (Roͤthe, turgescirende
Anſchwellung, vermehrte Waͤrme und Schmerz) darbieten,
und daher nur in Folge gefaßter Vorurtheile zur Entzuͤndung
gerechnet werden koͤnnen. Demohnerachtet iſt nicht zu ver-
kennen, wie ſchwer es ſey, die Graͤnze zwiſchen dieſer fal-
ſchen Bildungsthaͤtigkeit (Degeneratio) und wahrer Entzuͤn-
dung zu beſtimmen, ja man darf uͤberzeugt ſeyn, daß in der
Natur eine wahre Graͤnze zwiſchen beiden gar nicht exiſtire,
daß ſie vielmehr unmerklich in einander uͤbergehen und ſogar
gleichzeitig an einer Stelle vorkommen koͤnnen, denn wie oft
ſehen wir nicht krankhafte Geſchwuͤlſte ſich entzuͤnden. — Will
man indeß eine ſchaͤrfere Bezeichnung der Entzuͤndung, ſo
kann es wohl nur die folgende ſeyn, welche ſagt: Entzuͤn-
dung ſey oͤrtlich abnorm hervortretendes Bil-
dungsleben, in der Erſcheinung beſtimmt durch
Roͤthe, erhoͤhte Waͤrme, turgescirende Anſchwel-
lung und vermehrte Empfindlichkeit, im Weſen
begruͤndet durch Beſchraͤnkung auf den beſtehen-
den Begriff des Organs, bey welcher wahrhafte
Metamorphoſen dieſes Organs nur als Folge
ſich anſchließen koͤnnen
, dahingegen bey der falſchge-
richteten Bildungsthaͤtigkeit die Metamorphoſe ſelbſt die Haupt-
ſache iſt.


[256]
§. 329.

Durch dieſe Anſicht ſcheint zugleich die acute Natur, die
Intenſitaͤt der wahren Entzuͤndung verſtaͤndlich zu werden, in-
dem es deutlich iſt, daß gerade dieſes Beſchraͤnken, dieſes
Concentriren, welches der Entzuͤndung natuͤrlich iſt, die Hef-
tigkeit der Zufaͤlle und die ſo leicht daran ſich anknuͤpfende
Erſcheinung wahrer innerer Zerſtoͤrung, entweder durch orga-
niſche Zuruͤckbildung in einen koͤrperlichen fluͤßigen Urſtoff
(Eiterung), oder durch unorganiſche faͤulnißartige Aufloͤſung
(Brand) bedingen muß, weßhalb wir auch Zertheilung, Ei-
terung und Brand als die drei eigentlich der Natur der Ent-
zuͤndung allein rein angehoͤrenden Ausgaͤnge betrachten, Aus-
ſchwitzungen aber, ſie moͤgen nun von plaſtiſcher Lymphe ge-
bildet, die Verhaͤrtung oder den Skirrhus, oder aͤußere Ver-
wachſungen, oder als ſeroͤſe Fluͤßigkeit die Waſſeranhaͤufung
bedingen, ſchon als weniger rein der Entzuͤndung angehoͤrig, und
mehr als Uebergaͤnge zu bloßer falſchgerichteter Bildungsthaͤ-
taͤgkeit ſich darſtellend anſehen koͤnnen. Es ergiebt ſich fer-
ner, daß die ſogenannte chroniſche Entzuͤndung das eigent-
liche Mittelglied zwiſchen acuter Entzuͤndung und abnormer
Produktivitaͤt ſey, und wenn es oft ſchon ſchwer oder un-
moͤglich iſt, in der Natur den Graͤnzpunkt, wo acute Ent-
zuͤndung aufhoͤrt und chroniſche Entzuͤndung beginnt, anzuge-
ben, ſo wird denn endlich ein ſolcher feſter Punkt zwiſchen
chroniſcher Entzuͤndung und reiner Degeneration um ſo mehr
vermißt werden, je gewoͤhnlicher das Eine anfaͤngt, wenn
das Andere noch nicht aufgehoͤrt hat.


So weit denn alſo das Glaubensbekenntniß des Ver-
faſſers uͤber die Entzuͤndung im Allgemeinen, worauf im Fol-
genden oͤfters wird verwieſen werden muͤſſen, und welches
hier gleich bey der zuerſt abgehandelten Entzuͤndungskrankheit
niedergelegt iſt, damit dem Leſer die Entſcheidung, ob er dieſe
Anſicht zur Seinigen machen koͤnne, oder ob nicht, und ob
er dem zu Folge Modifikationen auch der weitern Darſtellun-
gen ſich zu machen noͤthig habe, erleichtert werde.


[257]
§. 330.

Die Entzuͤndung der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter aber,
eine Krankheit, deren beſondere Kennzeichen weiter unten auf-
gefuͤhrt werden ſollen, hat man auf verſchiedene Weiſe ein-
getheilt, einmal Ruͤckſicht nehmend auf die verſchiedenen Ge-
bilde am Uterus, in die roſenartige (Metritis erysipela-
tosa
), welche durch Ergriffenſeyn des Bauchfells, in wie-
fern es den Uterus uͤberzieht, charakteriſirt wird (denn eine
beſondere roſenartige Entzuͤndung auch der innern Gebaͤr-
mutterflaͤche anzunehmen, iſt man wohl uͤberhaupt ſchwerlich,
und außer der Schwangerſchaft und Wochenperiode gar nicht
anzunehmen berechtigt), und in die phlegmonoͤſe (Me-
tritis phlegmonosa
), wo das geſammte Parenchyma der Uterin-
waͤnde leidet. Ein andermal nimmt man Ruͤckſicht auf die
Gegend der Gebaͤrmutter, welche von Entzuͤndung befallen
iſt, und unterſcheidet ſonach Entzuͤndung des Gebaͤr-
muttergrundes, des Mutterhalſes, der Vorder-
und Hinterflaͤche, oder der rechten oder linken
Seitenflaͤche des Gebaͤrmutterkoͤrpers
. Dieſe letz-
teren Unterſcheidungen, welche uͤberhaupt im nicht ſchwangern
Uterus mit geringer Deutlichkeit erſcheinen, ſind weit weniger
weſentlich, und werden daher von Mehreren *) gaͤnzlich uͤber-
gangen.


§. 331.

Ferner unterſcheidet man, und zwar mit mehr Recht,
die urſpruͤngliche Entzuͤndung des Uterus (Metri-
tis idiopathica s. primaria
) und die uͤbertragene oder
nachfolgende (Metritis secundaria s. symptomatica)
welche letztere vorzuͤglich an Krankheiten benachbarter Gebilde,
an Entzuͤndung des Darmkanals, der Harnblaſe, der uͤbrigen
Strecken des Bauchfells, der Mutterſcheide u. ſ. w. ſich eben
ſo anſchließt, wie denn andrer Seits auch die Gebaͤrmutter-
I. Theil. 17
[258] entzuͤndung auf jene Gebilde ſich fortpflanzen kann. Endlich
glauben wir auch unterſcheiden zu muͤſſen zwiſchen der acuten
und chroniſchen Entzuͤndung der Gebaͤrmutter, unter denen
die letztere beſonders in einem Organ, welches ſo ſehr zu
Degenerationen ſeiner Subſtanz und Form geneigt iſt, von
großer Wichtigkeit erſcheint und eine ausfuͤhrlichere Beruͤck-
ſichtigung, als ſie bisher in den Schriften uͤber Frauenkrank-
heiten gefunden hat, verdient.


§. 332.

Die Symptome, welche als Kennzeichen theils die
Metritis uͤberhaupt, theils ihre einzelnen Gattungen beglei-
ten, ſind nun folgende: — Zuvoͤrderſt die acute Form be-
treffend, ſo tritt ſie mit nach Grad und Ausbreitung der
Entzuͤndung bald mehr bald minder heftigem Fieber ein, wel-
ches durch Froſt und nachfolgende Hitze, einen nach der
Conſtitution der Kranken zwar verſchiedenartigen, im Allge-
meinen jedoch frequenten und geſpannten Puls, heftigen
Durſt, verſtimmtes Gemeingefuͤhl u. ſ. w. charakteriſirt wird.
Ihre beſondern Zufaͤlle ſind druͤckender ſtechender Schmerz im
afficirten Organ, deſſen Sitz gewoͤhnlich auf einen kleinen,
nach dem Herde der Entzuͤndung verſchiedenen Ort beſchraͤnkt
iſt, und durch einen aͤußerlichen Druck uͤber der Schambein-
verbindung ſowohl, als durch die innerliche Unterſuchung auf
das Aeußerſte geſteigert wird. Ferner werden mehrere andere
Organe in ihrer Function geſtoͤrt und ſonſt ſchmerzhaft affi-
cirt; ſo, wenn vorzuͤglich mehr die Ruͤckwand des Uterus ent-
zuͤndet iſt, werden die Schmerzen vorzuͤglich auf die Kreuz-
und Lendengegend ſich erſtrecken, der Maſtdarm leidet, es
treten Stuhlverhaltungen, ſchmerzhafte Ausleerungen, und
im Verfolg der Krankheit leicht heftige, zuweilen eiterartige
Durchfaͤlle ein. Iſt dagegen mehr die vordere Gebaͤrmutter-
flaͤche ergriffen, ſo wird dies theils durch den veraͤnderten
Sitz des Schmerzes, theils durch das Leiden der Harnblaſe
(ſchmerzhaftes Uriniren, Urinverhaltung, ſpaͤterhin eiterartige
Sedimente im Urin und unwillkuͤrlichen Ausfluß deſſelben)
bezeichnet. Die Entzuͤndung des Gebaͤrmuttergrundes und
[259] vorzuͤglich des hier ihn begleitenden Bauchfelles kommt mit
den Zufaͤllen der Peritonitis uͤberhaupt ſehr uͤberein, und giebt ſich
durch ſtaͤrkere Auftreibung des Unterleibes zu erkennen. Halb-
ſeitige Entzuͤndung wirkt vorzuͤglich auf die ſeitlichen Becken-
muſkeln und dadurch auf die Bewegung des Schenkels; Ent-
zuͤndung der Vaginalportion endlich iſt beſonders mit großer
Empfindlichkeit beim Unterſuchen, erhoͤhter Temperatur und
Geſchwulſt des Muttermundes und gleichzeitigem Leiden des
Scheidenkanals, wenigſtens in ſeinem obern Theile (Trocken-
heit, brennender Schmerz, ſpaͤterhin gern Abfluß von eiter-
artigem, oft mißfarbigem Schleim aus demſelben) bezeichnet.


§. 333.

Die chroniſche Entzuͤndung der Gebaͤrmutter betreffend,
ſo kann ſie entweder an die acute, bey unvollkommen
erfolgter Zertheilung, ſich anſchließen, und zwar wird ſie vor-
zuͤglich bemerkt, wenn eine Metritis bey Woͤchnerinnen in
Folge heftiger Reizung oder wohl ſelbſt Verletzung des Mut-
termundes unter der Geburt entſtanden war, ohne ſich recht
vollſtaͤndig zu zertheilen, oder ſie entwickelt ſich in Folge
ſpecifiſcher, den Uterus in Anſpruch nehmender Einwirkungen
auch ſelbſtſtaͤndig. Ihre Zufaͤlle aber ſind weit weniger her-
vorſtechend, als die der acuten Metritis, und ſie wird daher
oͤfters uͤberſehen (z. B. als bloße Menſtrualkolik betrachtet)
oder mit andern Krankheiten verwechſelt, welches doch um
ſo uͤbler iſt, als gerade an dieſe Form ſich vorzuͤglich die
Degenerationen der Uterinſubſtanz anzuknuͤpfen pflegen. Kranke
dieſer Art ſind es vorzuͤglich, bey welchen die Menſtruation
fortwaͤhrend mit Schmerzen, allgemeinem Mißbehagen, Fie-
berbewegungen, geſtoͤrter Verdauung und Darmausleerung ein-
tritt, indem durch die periodiſche Congeſtion gegen die Uteringe-
faͤße die chroniſche Entzuͤndung dann oft der acuten naͤher geruͤckt
wird; auch außer der Zeit der monatlichen Perioden bleibt
indeß oft ein Gefuͤhl von Schwere im Becken, unvollkommne
Stuhlausleerung, oder beſchwertes Urinlaſſen, bey Frauen
ſchmerzhaftes Gefuͤhl beym Coitus, große Empfindlichkeit bey
der innern Unterſuchung, ſo wie Aeußerung von Schmerz
[260] bey tieferm Eingreifen der Hand uͤber den Schambogen, Nei-
gung zu Kreuzſchmerzen, vermehrte oder zu ſehr verminderte
Schleimabſonderung aus der Vagina, geſpannter Puls, oͤftere
leichte Fieberbewegungen und belegte Zunge zuruͤck, ſo wie
denn die monatlichen Perioden leicht ſelbſt in ihrer Ordnung
geſtoͤrt werden. — Zufaͤlle, welche dann oft noch mit allge-
meinen hyſteriſchen Leiden ſich verbinden oder gleichſam da-
durch maskirt werden.


§. 334.

Verlauf und Ausgaͤnge der Krankheit. Be-
faͤllt die acute Gebaͤrmutterentzuͤndung junge kraͤftige Indivi-
duen, wird ſie nicht durch allzugewaltſam einwirkende Urſachen
bedingt und richtig geleitet, ſo bemerkt man zwar, daß
Schmerz und Fieber oft bis gegen den ſiebenten oder neun-
ten Tag anhalten, ja geſteigert werden, und dabey zugleich
die Stoͤrungen des Gemeingefuͤhls, Beaͤngſtigung, Ueblichkei-
ten, Erbrechen, Durchfall, Angegriffenſeyn des Kopfs, alſo
Schwindel, Ohrenbrauſen, Delirien u. ſ. w. zunehmen; allein
am Ende dieſer Periode, und zwar gewoͤhnlich nach reichlich
ausbrechenden Schweißen, reichlichem Harnabgange, vermehr-
tem Abgange aus den Geburtstheilen, vorzuͤglich aber mit
dem Wiedereintritt der vielleicht gehemmt geweſenen Men-
ſtruation, laͤßt der Schmerz nach, die Zeichen des Fiebers maͤ-
ßigen ſich, ruhiger Schlaf, reinere Zunge u. ſ. w. erfolgt, die
Zertheilung der Entzuͤndung und die Reconvaleſcenz hebt an.
— Je robuſter uͤbrigens der Koͤrper, um ſo heftiger und
acuter pflegt dieſer Krankheitsverlauf zu ſeyn, je ſchwaͤchlicher
und reizbarer, um ſo anhaltender, wobey zugleich der Ueber-
gang in die chroniſche Entzuͤndung ſehr leicht erfolgt, indem
bey weniger bemerklichen kritiſchen Erſcheinungen zwar das
Fieber allmaͤhlig abnimmt und der Schmerz nachlaͤßt, allein
dagegen die §. 333. eroͤrterten Symptome eintreten.


§. 335.

Der Ausgang der Metritis in Eiterung wird wohl uͤber-
haupt nur ſehr ſelten bemerkt, denn ſelbſt in der Metritis
der Woͤchnerinnen gehoͤren Eiteranſammlungen in dem Gewebe
[261] des Uterus zu den ſeltenſten Erſcheinungen, wie von H. Wen-
zel
*) gewiß mit Recht behauptet wird, und wir koͤnnen
daher nur annehmen, daß, wo auch im nicht ſchwangern
Koͤrper dieſe Wendung der Krankheit vorkaͤme, ſie auf gleiche
Weiſe, wie andere innern Eiterungen, durch neu anſetzendes
Fieber mit Froſt, pulſirendem Schmerz, Spuren von Eiter-
abſetzung im Urin, Abendfieber u. ſ. w. bezeichnet werden
duͤrfte. Der Ausgang in Brand hingegen, obgleich bey nicht
Schwangern (ſchon wegen der Seltenheit der Metritis uͤber-
haupt) ebenfalls nur in wenigen Faͤllen beobachtet, kommt
doch hier, ſo wie auch bey Woͤchnerinnen, haͤufiger als die
Eiterung vor. Er wird bedingt durch eine ſchlechte Conſti-
tution, unguͤnſtige aͤußere Verhaͤltniſſe, epidemiſch herrſchende
boͤsartige Fieber, und vorzuͤglich durch verſaͤumtes, kraͤftig
einwirkendes antiphlogiſtiſches Verfahren in den erſten Stadien
der Krankheit. Es giebt ſich dieſer Ausgang vorzuͤglich durch
den veraͤnderten Charakter des Fiebers zu erkennen, welches
aus einer Synocha oder einem Synochus in den Charakter
des Typhus uͤbergeht und durch aͤußerſt frequenten, oft in-
termittirenden Puls, klebrige profuſe Schweiße, unwillkuͤr-
liche Ausleerungen, trockne braune Zunge, Meteorismus,
Sehnenhuͤpfen, Schluchzen und Kaͤlte der Extremitaͤten ſich
erkennen laͤßt und gewoͤhnlich bald das Ende herbeyfuͤhrt.


§. 336.

Dagegen kann dann auch die Eatzuͤndung ohne organi-
ſche Zerſtoͤrung durch Ausſcheidungen ſich endigen, wodurch
denn vorzuͤglich der Uebergang in andere Krankheiten und
namentlich in Degenerationen bewirkt wird. Es gehoͤrt hier-
her die Ausſchwitzung plaſtiſcher Lymphe in die Zellen der
Uterinſubſtanz und daran ſich knuͤpfende gutartige oder ſkirrhoͤſe
Verhaͤrtung, oder die Ausſchwitzung aͤhnlicher Stoffe auf der
Oberflaͤche, und die dadurch bewirkte Verwachſung des Ute-
rus mit benachbarten Theilen, oder endlich die Ergießung
ſeroͤſer Fluͤſſigkeit entweder in der Gebaͤrmutterhoͤhle oder in
[262] den Waͤnden derſelben, welches zur Waſſerſucht der Gebaͤr-
mutter fuͤhrt. In allen dieſen Faͤllen erfolgt die Zertheilung
unvollkommen, der heftigere Schmerz, das Fieber und die
ſonſtigen, daſſelbe begleitenden Symptome mindern ſich zwar,
aber es treten an deren Stelle die Zeichen dieſer Folgekrank-
heiten ein, von welchen die Geſchichte der Waſſerſucht, der
Verhaͤrtung und des Skirrhus ſpaͤter ausfuͤhrlicher betrachtet
werden muͤſſen, ſo daß wir hier nur uͤber die Verwachſung
bemerken, wie ſie ſich vorzuͤglich durch Stoͤrung der Funktion
derjenigen Organe, mit welchen ſie Statt gefunden hat, zu
erkennen giebt. Haben ſich daher bedeutende Verwachſungen
mit den Windungen des Darmkanals oder dem Netze ge-
bildet, ſo bleiben gewoͤhnlich Unordnungen in den Stuhlent-
leerungen, vorzuͤglich Obſtruktionen, Neigung zu Congeſtio-
nen u. ſ. w. im Pfortaderſyſtem zuruͤck; ſind Verwachſungen
zwiſchen Gebaͤrmutterkoͤrper und Grund und den gleichnami-
gen Theilen der Blaſe zugegen, ſo giebt ſich dies durch be-
ſchwertes Urinlaſſen, Blaſenkraͤmpfe, Iſchurie u. ſ. w. zu er-
kennen. Endlich wirken aber dieſe Verwachſungen auch auf
die Gebaͤrmutter zuruͤck, werden die Veranlaſſungen zu ſchie-
fen Lagen derſelben, und bedingen endlich insbeſondere, wie
alle uͤbrigen Degenerationen, ſolche Veraͤnderungen der innern
Strukturverhaͤltniſſe derelben, welche ihren weitern Thaͤtig-
keiten auf vielfache Weiſe hemmend werden muͤſſen, wohin
denn Stoͤrungen der Menſtruation, Unfruchtbarkeit oder Dis-
poſition zu den heftigſten, ja lebensgefaͤhrlichen Beſchwerden
bey angehender Schwangerſchaft gerechnet werden muͤſſen.


§. 337.

Wir kommen nun zu den Urſachen der Gebaͤrmutter-
entzuͤndung, wohin wir jedoch hier bloß die disponirenden
und Gelegenheitsurſachen zaͤhlen, indem die Anſicht des Ver-
faſſers vom Weſen, oder wenn man will, von der naͤchſten
Urſache der Entzuͤndung uͤberhaupt und folglich auch der Ge-
baͤrmutterentzuͤndung, ſchon oben (§. 328. 329.) ausgeſpro-
chen worden iſt. — Zu den disponirenden Veranlaſſungen
alſo muß zunaͤchſt die allgemeine, vollſaftige, robuſte, zu Ent-
[263] zuͤndungskrankheiten im Allgemeinen neigende Conſtitution ge-
zaͤhlt werden, welche namentlich die Entſtehung der acuten
Metritis beguͤnſtigt; ferner die reizbare ſchwaͤchliche Conſti-
tution, welche insbeſondre zur chroniſchen Form dieſer Krank-
heit geneigt macht, außerdem die epidemiſche, der Entſtehung
von Entzuͤndungskrankheiten guͤnſtige allgemeine Krankheits-
Conſtitution und die Jahreszeit; endlich aber ganz vorzuͤglich
die Zeit der herannahenden oder wirklich eingetretenen Men-
ſtruation, als der Zeitpunkt groͤßter Gefaͤßthaͤtigkeit in der
nicht ſchwangern Gebaͤrmutter, außerhalb welchem demnach
auch, wie ſchon oben im Eingange bemerkt worden, dieſe
Krankheit faſt gar nicht beobachtet wird. Ob uͤbrigens Jung-
frauen oder Frauen, welche bereits geboren haben, haͤufiger
an der Metritis leiden und groͤßere Dispoſition dazu verra-
then, iſt wohl ſo leicht nicht zu beſtimmen, demohnerachtet
glauben wir annehmen zu duͤrfen, daß allerdings theils des
jugendlichen Alters im Allgemeinen, theils der groͤßeren Derb-
heit und Elaſticitaͤt des Uterus im jungfraͤulichen Koͤrper we-
gen, zur acuten Gebaͤrmutterentzuͤndung bey erſtern die Nei-
gung groͤßer ſey, wenn dagegen in dem ſchlaffern Uterus bey
Frauen, welche bereits geboren, und vorzuͤglich oft durch
vorausgegangene Geburten ſelbſt bedingt, eine groͤßere Neigung
zur chroniſchen Entzuͤndung und daran ſich ſchließende Dege-
neration nicht gelaͤugnet werden kann.


§. 338.

Die Gelegenheitsurſachen betreffend, ſo muß zu dieſen
alles, was pſychiſch oder phyſiſch das Geſchlechtsſyſtem heftig
erregt, oder was den Uterus ſelbſt mechaniſch heftig reizt,
gezaͤhlt werden. Alſo ungluͤckliche Liebe in ſinnlichen Indivi-
duen, auch andere heftige Gemuͤthsbewegungen, beſonders
waͤhrend der Menſtruation, Nymphomanie, unterdruͤckte Men-
ſtruation, erhitzende Arzneymittel, vorzuͤglich zur Unzeit an-
gewendete Emmenagoga (z. B. bey der wegen uͤberwiegender
arteriellen Thaͤtigkeit Statt findenden Verzoͤgerung der Men-
ſtruation), draſtiſche Abfuͤhrmittel, Uebermaß geiſtiger Ge-
traͤnke oder ſtark gewuͤrzter Speiſen, Erhitzungen (z. B. durch
[264] Tanz) und nachfolgende Erkaͤltungen (beſonders kalte Baͤder,
Injektionen oder Waſchungen waͤhrend der Menſtruation),
ploͤtzlich gehemmte Blutfluͤſſe oder Schleimfluͤſſe der Geburts-
theile, oder Hautausſchlaͤge; ferner: Druck des Uterus bey
falſchen Lagen, durch fremde Koͤrper, z. B. Peſſarien, Poly-
pen, Reizung des Uterus durch unpaſſende Injektionen, zu
haͤufigen, mit Rohheit vollzogenen Coitus, durch Onanie, end-
lich anderweitige Krankheiten, Syphilis, Metaſtaſen, Ent-
zuͤndung benachbarter Organe, Geſchwuͤre der Mutterſcheide
u. ſ. w.


§. 339.

Die Prognoſe der Gebaͤrmutterentzuͤndung iſt zwar
nach der Individualitaͤt der Koͤrper, nach ihren verſchiedenen
Urſachen u. ſ. w. ſehr verſchieden, im Ganzen muß jedoch
dieſe Krankheit, gleich andern innern Entzuͤndungen, theils
wegen der Wichtigkeit des Organs, theils wegen der Heftig-
keit des damit ſich verbindenden Fiebers ſtets zu den gefahr-
vollen gezaͤhlt werden, obwohl nicht zu laͤugnen iſt, daß durch
ein zu rechter Zeit eintretendes kraͤftiges antiphlogiſtiſches Heil-
verfahren ſehr wohl ein guͤnſtiger Ausgang, und zwar in der
Mehrzahl der Faͤlle, herbeygefuͤhrt werden kann. Am un-
guͤnſtigſten wird die Prognoſe bey der phlegmonoͤſen Entzuͤn-
dung, namentlich unter innern und aͤußern Verhaͤltniſſen,
welche zum typhoͤſen Fieber und Brande fuͤhren koͤnnen.
Was das Alter betrifft, ſo erſcheint zwar gewoͤhnlich bey
juͤngern Perſonen die Entzuͤndung mit mehr Heftigkeit, ent-
ſcheidet ſich aber auch in der Regel vollkommner und geht
weniger leicht in Nachkrankheiten uͤber, als bey aͤltern. Vor-
zuͤglich aber wird der Arzt bey der acuten Metritis Urſache
haben, die Prognoſe nach dem Zeitpunkte, in welchem die
Krankheit, als er gerufen wurde, ſich befand, zu beſtimmen,
indem hiervon außerordentlich viel abhaͤngt. — Endlich die
chroniſche Entzuͤndung betreffend, ſo wird hierbey auf die
Dauer der Krankheit, auf den Grad derſelben, vorzuͤglich
aber auf die etwa ſchon eingetretenen oder noch nicht vor-
handenen Degenerationen, Verhaͤrtungen, Verwachſungen,
[265] Waſſerergießungen u. ſ. w. Ruͤckſicht genommen werden muͤſſen,
um den wahrſcheinlichen fernern Gang der Krankheit, ſo wie
die Heilbarkeit zu beurtheilen.


§. 340.

Die Behandlung der Metritis muß gleichfalls
nach Urſachen, Grad und Charakter der Krankheit verſchie-
den ſeyn. Zuvoͤrderſt aber gedenken wir des alten bewaͤhr-
ten Ausſpruchs: principiis obsta! und betrachten daher das
Verfahren, welches ſogleich im Beginn der Krankheit ange-
wendet zu werden verdient, um den Keim derſelben vor ſei-
ner weitern Verbreitung zu erſticken. — Entſteht aber nach
Unterdruͤckung der Menſtruation, nach Erkaͤltung zur Zeit der
herannahenden Menſtruation oder aͤhnlichen Einwirkungen,
und zwar vorzuͤglich bey ſehr reizbaren Naturen, Schmerz
im Uterus, Abſpannung, vermehrter Durſt und erhoͤhte Tem-
peratur, ſo ordne man ſogleich vollkommenſte Ruhe an, ſehe
auf Entleerung der Harnblaſe und des Darmkanals, in wel-
cher letztern Hinſicht einige erweichende Lavements ſehr zweck-
maͤßig ſind, laſſe ein laues Bad nehmen, warme Fomentatio-
nen uͤber die regio hypogastrica und die Geburtstheile le-
gen, oder auch ein Dampfbad bereiten; Injektionen in die
Vagina ſind bey jungfraͤulichen Individuen unpaſſend, machen
Schmerz und heben durch ihren mechaniſchen Reiz den Nuz-
zen auf, den ſie in dynamiſcher Hinſicht gewaͤhren koͤnnten;
bey Frauen, welche geboren haben, koͤnnen ſie hingegen unter
dieſen Verhaͤltniſſen ebenfalls mit Nutzen gebraucht werden,
und werden dann aus dem Aufguſſe der Hb. Hyoscyami,
Cicutae, Flor. Chamomill.,
aus warmer Milch mit einigen
Tropfen Laudanum liq. S. und aͤhnlichen Mitteln bereitet.
Innerlich laͤßt man, außer ſtreng antiphlogiſtiſcher Diaͤt,
eine Mohnſamen-Emulſion, einen Tamarindenaufguß mit
etwas Nitrum und aͤhnliche, den Eretismus des Gefaͤßſy-
ſtems herabſtimmende Mittel nehmen, ſucht, namentlich wo
Erkaͤltungen vorausgegangen ſind, die Hautthaͤtigkeit zu be-
foͤrdern durch Anwendung des Fliederaufguſſes, des Liq.
Mindereri,
des Liq. C.C., und trachtet endlich durch Be-
[266] folgung der oben fuͤr Behandlung der unterdruͤckten Men-
ſtruation aufgeſtellten Regeln, dieſe Funktion wieder hervor-
zurufen.


§. 341.

In gar manchen Faͤllen nun wird allerdings, wo die
Krankheit noch im Stadio irritationis verweilte, die gedachte
Behandlung hinreichen, den Eintritt eines eigentlichen Sta-
dii inflammationis
gaͤnzlich abzuwenden; iſt jedoch beym
Erſcheinen des Arztes dieſer erſte Zeitraum bereits voruͤber,
oder die Kraukheit mit ſolcher Heftigkeit eingetreten, daß ein
ſolches vorbereitendes Stadium uͤberhaupt nicht fuͤglich unter-
ſchieden werden konnte, ſo muß dann ſogleich eine ſtaͤrker
eingreifende Behandlung dem Weitergreifen des Uebels Schran-
ken ſetzen. Allgemeine Blutentziehungen namentlich ſind dann,
vorzuͤglich bey jungen vollſaftigen Individuen, nicht zu ent-
behren; bey ſchwaͤchlichen Koͤrpern, bey geringerm Grade des
Uebels, oder wenn, nachdem durch allgemeine Blutentlee-
rung zwar der erſte Anfall der Entzuͤndung gemaͤßigt iſt,
nun bey Wiedererzeugung der Blutmaſſe auch der Schmerz
wieder an Heftigkeit zunimmt, ſind dann oͤrtliche Blutent-
ziehungen noͤthig, welche mittelſt Anlegung von 6 — 8 —
10 Blutigeln an die ſchmerzende Stelle am ſchicklichſten be-
wirkt werden, ja bey nochmaliger Wiederkehr und noch nicht
hinlaͤnglich beſeitigten Schmerzen wohl abermals wiederholt
werden muͤſſen, wogegen Ruͤckſicht auf anſcheinende Entkraͤf-
tung ja nicht zu hoch angeſchlagen werden darf, indem das
Gefuͤhl von Schwaͤche Folge iſt des Fiebers, das Fieber aber
Folge der Entzuͤndung, und gegen die Entzuͤndung als ab-
norm geſteigerte Thaͤtigkeit des Gefaͤßſyſtems die Herabſtim-
mung dieſes Syſtems durch Blutentziehung das wirkſamſte
Mittel bleibt.


§. 342.

Die innern Mittel betreffend, ſo ſind hier vorzuͤglich
diejenigen angezeigt, welche theils als der produktiven orga-
niſchen Kraft uͤberhaupt entgegen wirkend erſcheinen, theils
[267] durch vermehrte Sekretionen des Darmkanals die Erregung
anderer Organe vermindern, theils uͤberhaupt beruhigend auf
das Gefaͤßſyſtem wirken. Zu den erſtern rechnen wir vor-
zuͤglich das Queckſilber, welches, gleich andern minerali-
ſchen Giften, vorzuͤglich der Reproduktion unmittelbar ent-
gegengeſetzt iſt (eben dadurch in groͤßern Gaben und in ge-
wiſſen Verbindungen als eins der zerſtoͤrendſten Gifte ſich
darſtellt), daher als Beſchraͤnkungsmittel abnorm aufgeregter
Thaͤtigkeit in den feinern Verzweigungen des Gefaͤßſyſtems
(ſowohl bey Entzuͤndung als Degeneration, in welcher letz-
tern Hinſicht beſonders an die Wirkung des rothen Queckſil-
berpraͤcipitats bey ſchwammigen Auswuͤchſen erinnert werden
kann), einer ſchon von H. Hegewiſch*) aufgeſtellten An-
ſicht zu Folge, ſo außerordentlich huͤlfreich ſich erweiſt. Auch
in der Gebaͤrmutterentzuͤndung daher, und zwar vorzuͤglich
der Neigung dieſes Organs zu Degenerationen wegen, zeigt
das Queckſilber, und insbeſondere das Calomel, ſich von
ausgezeichnetem Nutzen; nur muß die Gabe nach der Indi-
vidualitaͤt des Kranken abgemeſſen werden, damit vorzuͤglich
ſtaͤrkere Doſen (2 — 4 Gran) nicht etwa zu ſchnell uͤber-
maͤßige Darmausleerungen hervorbringen, und ſo die weitere
Anwendung verhindert wird. Beym Nachlaß der acuten Me-
tritis und vorzuͤglich bey Symptomen, welche einen Ueber-
gang in die chroniſche verrathen, iſt namentlich auch von den
aͤußerlichen Einreibungen des Unguenti mercurial. in Ver-
bindung mit dem Linimento volat. Gebrauch zu machen.


§. 343.

Was die den uͤbrigen Heilanzeigen (ſ. vorigen §.) ent-
ſprechenden Mittel betrifft, ſo ſind von den den Darmkanal
insbeſondere in Anſpruch nehmenden vorzuͤglich das Nitrum
und die blanden Abfuͤhrmittel zu erwaͤhnen; erſteres kann zu
5 — 10 Gran pro dosi mit dem Calomel oder in Emulſio-
nen aufgeloͤſt gegeben werden. Noch ſtaͤrkere Doſen paſſen
nur fuͤr die acuteſten Faͤlle, indem bey andern dadurch theils
[268] heftige Diarrhoͤen zu ſchnell erregt werden, theils ſelbſt der
Conſenſus zwiſchen Darm und Uterus dieſe heftigern Reizun-
gen verbietet. Von den Abfuͤhrungsmitteln muͤſſen aber
wegen letzterer Ruͤckſicht nur die weniger reizenden, als
Manna, Oleum Ricini, Pulpa Tamarindorum, Pulpa Cas-
siae,
auch wohl bey groͤßerer Unempfindlichkeit die Senna,
ferner die leichtern Mittelſalze, als Tartarus tartarisatus u.
ſ. w. in Anwendung gezogen werden. In der Regel pflegt
es fuͤr die Milderung des Fiebers am zweckmaͤßigſten zu ſeyn,
wenn taͤglich drei bis ſechs mehr fluͤſſige Ausleerungen erfol-
gen, welche zum Theil auch durch gegebene Lavements zu
bewerkſtelligen ſind.


§. 344.

Allgemein beruhigende Mittel ſind theils mittelbar ſchon
die in den beiden vorigen §§. genannten im hohen Grade, theils
koͤnnen hierher noch einige beſondere Mittel gerechnet werden, un-
ter welchen dann das diaͤtetiſche Verhalten mit Recht obenan
geſtellt wird. Man ſorgt daher fuͤr den Aufenthalt der Kran-
ken in reiner, maͤßig erwaͤrmter Luft und nicht zu erhitzender
Bedeckung, erlaubt bloß ſchwach naͤhrende, kuͤhlende Speiſen
und Getraͤnke, leichte Suppen, Kalteſchalen von Waſſer,
Zitronenſaft, Zucker und Zwieback, Flieder- und Kamillenthee,
abgekochtes Waſſer mit Himbeerſaft, Zitronenſaft u. ſ. w. zum
Getraͤnk, laͤßt zwiſchen den uͤbrigen Mitteln die ſchon fuͤr
das Stadium irritationis empfohlenen Mittel, vorzuͤglich die
Emulſionen, fortgebrauchen, und wendet eben ſo auch die
oͤrtlich beruhigenden Mittel, Fomentationen, Cataplasmata,
Dampfbaͤder und (unter der angegebenen Einſchraͤnkung) auch
Injektionen noch fortwaͤhrend bis zur Linderung des Schmer-
zens an.


§. 345.

So wie nun unter ſolchem Verfahren die Zufaͤlle der
Krankheit ſich mindern, geht man mit demſelben gleichfalls
zuruͤck, und wenn endlich bey Eintritt des ſiebenten oder
neunten Tages kritiſche Ausleerungen ſich zeigen, treten die
[269] ſtaͤrker einwirkenden Mittel voͤllig zuruͤck, und es bleibt nun
die Hauptindication, dieſe Beſtrebungen der Natur zu unter-
ſtuͤtzen. Bey erleichternden Schweißen giebt man deshalb
gelind diaphoretiſche Mittel, z. B. Liquor Mind. mit dem
Fliederblumenaufguſſe; bey ſich wieder zeigender Menſtruation
befoͤrdert man dieſelbe durch Dampfbaͤder, Fußbaͤder, Me-
liſſenthee, Friktionen der Schenkel u. ſ. w. — ſtaͤrkere Harn-
abſonderung unterſtuͤtzt man durch verduͤnnende Getraͤnke und
laͤßt die obige antiphlogiſtiſche Diaͤt dabey fortfuͤhren. —
Geſchieht indeß die Zertheilung unvollſtaͤndig, ſo daß inner-
licher Schmerz, Abendfieber, Durſt, belegte Zunge zuruͤck-
bleiben, ſo kann man dann mit Nutzen auch ſtaͤrkere ablei-
tende Mittel zu Huͤlfe nehmen, unter welchen ganz vorzuͤg-
lich die Sinapismen auf die Waden, bey torpidern Subjekten
auf die Regio hypogastrica ſelbſt, empfohlen werden muͤſſen.
Veſikatorien und fluͤchtig reizende Einreibungen ſind hier we-
niger paſſend, erſtere wegen ihrer reizenden Einwirkung auf
Nieren und Geſchlechtsſyſtem, letztere wegen des damit ver-
bundenen mechaniſchen Reizes; dagegen iſt hier die fortge-
ſetzte Anwendung des Calomels, verbunden mit reizmindern-
den Mitteln, z. B. kleinen Doſen Opium, Extract. Hyo-
scyami
oder Cicutae, Infusum Valerianae und aͤhnlichen
Mitteln ganz zweckmaͤßig. Geht (was indeß ſelten der Fall
iſt) die Entzuͤndung in Eiterung uͤber, ſo muß durch erwei-
chende Umſchlaͤge, ſchleimige Injektionen und Dampfbaͤder
die Entleerung des Abſceſſes durch die Vagina befoͤrdert und
ſodann fuͤr Erhaltung gutartigen Eiters und allgemeinere kraͤf-
tige Reproduktion durch mehr naͤhrende Diaͤt, China u. ſ. w.
geſorgt werden.


§. 346.

Am wenigſten vermag die heilende Kunſt, wo bey an-
faͤnglicher Vernachlaͤſſigung oder ganz irriger erregender Be-
handlung, oder auch typhoͤſer, epidemiſch herrſchender Con-
ſtitution die Entzuͤndung zur Gangraͤn ſich neigt, dem gemaͤß
auch der Fiebercharakter ſich aͤndert und die ſogenannten ner-
voͤſen Symptome bereits eingetreten ſind. Es wird dann
[270] vorzuͤglich die Aufgabe des Arztes, die organiſche Reaktion
zu erhoͤhen und das Ueberwinden und Schrankenſetzen oͤrtli-
cher Abſterbung durch das Lebendige zu befoͤrdern. Innerlich
iſt daher in dieſen Faͤllen von den mineraliſchen Saͤuren,
dem Elix. Halleri (vielleicht auch namentlich von der Phos-
phorſaͤure) in Verbindung mit der Valeriana, Serpentaria,
dem Campher, dem Moſchus, den Naphten u. ſ. w. Gebrauch
zu machen. Das Calomel, welches hier leicht zu colliquati-
ven Durchfaͤllen Veranlaſſung giebt, muß gewoͤhnlich ausge-
ſetzt und fuͤr hinlaͤngliche Darmentleerung durch Lavements
geſorgt werden. Die Diaͤt erfordert nur in ſofern einige Ab-
aͤnderung, als fuͤr Kranke dieſer Art als Zumiſchung zu Kalte-
ſchalen und zum Getraͤnk, der Wein ein vortreffliches Mittel
wird. Aeußerlich ſind gleichfalls die mehr erregenden Mittel
in Anwendung zu ziehen, als Sinapismen uͤber den Leib,
Fomentationen von Aufguͤſſen der Hb. Menth. crisp., Me-
liss., Majoran.
u. ſ. w., mit Wein vermiſcht, uͤber die Ge-
burtstheile, ja ſelbſt bey ſehr trockner brennender Haut allge-
meine aromatiſche Baͤder.


§. 347.

Was die Behandlung der chroniſchen Entzuͤndung be-
trifft, ſo muß hier vorzuͤglich auf dem oben (Ende 345. §.)
angezeigten Wege fortgegangen werden, und namentlich wenn
die Krankheit nur in der Tiefe fortſchleicht, nur durch perio-
diſch eintretende Schmerzen, erhoͤhte Empfindlichkeit und all-
gemeine Beſchwerden ſich zu erkennen giebt, vorzuͤglich durch
Abwendung aller Erregungen und fortdauernde Ableitungen
gewirkt werden. — Solchen Perſonen daher, obwohl ſie ſich
zu Zeiten recht wohl befinden, muß doch eine ſehr genaue,
mehr vegetabiliſche kuͤhlende Diaͤt, Vermeidung aller erhitzen-
den Bewegung, vorzuͤglich Vermeidung aller Reizungen des
Geſchlechtsſyſtems zur Pflicht gemacht werden; man laͤßt da-
bey das Calomel mit dem Extrakt der Cicuta in kleineren
Doſen fortnehmen, wendet Einreibungen mit dem Unguent.
neapolit.
an, laͤßt vom Infuso Hyoscyami, Cicutae und
Valerianae vorſichtig Einſpritzungen, oder durch den Weid-
[271] lich’
ſchen Badeſtuhl innere oͤrtliche Baͤder gebrauchen, einen
Schwamm, mit ſolchen Aufguͤſſen getraͤnkt, in die Geburts-
theile legen, vorzuͤglich aber empfehlen ſich dann auch Fon-
tanelle an den Schenkeln, bey ſtaͤrker erregten Schmerzen Blut-
igel an das Perinaͤum und oͤfters dargereichte blande Ab-
fuͤhrungen.


§. 348.

In allen Faͤllen endlich, wo die Metritis als ſekundaͤre
Krankheit erſcheint, oder von beſondern, noch fortwirkenden
Gelegenheitsurſachen erregt wird, muß hierauf auch die Be-
handlung noch beſondere Ruͤckſicht nehmen. Vorausgegangene
Entzuͤndungen benachbarter Organe muͤſſen daher zwar im
Allgemeinen gewoͤhnlich nach aͤhnlichen Ruͤckſichten, wie die
Entzuͤndung der Gebaͤrmutter, jedoch zugleich nach denjenigen
Modificationen, welche die Natur des afficirten Organs for-
dert, behandelt werden, druͤckende Peſſarien, Auswuͤchſe am
Muttermunde, Polypen muͤſſen entfernt, fehlerhafte Lagen
des Uterus nach unten anzugebenden Regeln beſeitigt, und
Unterdruͤckungen der Menſtruation, der Leucorrhoͤe, der Haͤ-
morrhoiden gehoben, ſo wie ſyphilitiſche und andere Geſchwuͤre
der Geburtstheile geheilt werden. — Bleibt uͤbrigens nach
gehobener Metritis (welches vorzuͤglich bey typhoͤſem oder
chroniſchem Charakter der Fall zu ſeyn pflegt) allgemeine
oder oͤrtliche bedeutende Schwaͤche zuruͤck, ſo fordert dies den
bey den Regelwidrigkeiten der Menſtruation mehr erwaͤhnten
roborirenden Heilplan, und was die zuweilen ſich anſchließen-
den Folgekrankheiten und Degenerationen betrifft, ſo wird
von deren Behandlung noch ſpaͤter ausfuͤhrlicher gehandelt
werden.


[272]
2.
Blutfluß der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter
(Haemorrhagia uteri, Metrorrhagia).

§. 349.

Ein Organ, gleich der Gebaͤrmutter, zu deſſen norma-
ler Verrichtung ſo haͤufige Blutausſcheidungen gehoͤren, deſſen
Reichthum an Gefaͤßen ſo groß iſt, deſſen Gefaͤße vorzuͤglich
in Venen beſiehen, deren Ausdehnbarkeit noch uͤberdies ſo
außerordeutlich iſt, muß ſchon dadurch auch die Anlage zu
bedeutenden krankhaften Blutergießungen erhalten. Vermehrt
wird indeß dieſe Anlage, je mehr dieſes Organ bereits an
Aufnahme und Ausſcheidung betraͤchtlicher Blutmaſſen gewoͤhnt
iſt, welches denn im Uterus um ſo mehr der Fall iſt, je
haͤufigere Schwangerſchaften und Geburten Statt gehabt ha-
ben und je ſchlaffer dadurch ſeine Gefaͤße, ja ſein ganzes
Parenchyma, geworden ſind. — Eben hierin liegt denn auch
der Grund davon, daß namentlich zur Zeit der normal auf-
geregten Gefaͤßthaͤtigkeit ſelbſt, alſo vorzuͤglich waͤhrend der
Menſtruation, Schwangerſchaft, Geburt und Wochenperiode
die heftigſten Blutergießungen vorkommen, naͤchſt dieſen Pe-
rioden aber dann, wenn durch krankhafte Bildung der Uterus
vergroͤßert, aufgelockert und ſonſt veraͤndert iſt. Die Bluter-
gießungen uͤbrigens, welche den erſtern Zuſtaͤnden angehoͤren,
bleiben von den gegenwaͤrtigen Betrachtungen natuͤrlich aus-
geſchloſſen.


§. 350.

Die Eintheilung der hier zu betrachtenden Metrorrhagie
angehend, ſo iſt dieſe Krankheit verſchieden 1) der Quan-
titaͤt des Blutfluſſes nach
, und zwar vom tropfen-
weiſen Abgange
(Stillicidum sanguinis) bis zum Blut-
ſturz
(Haemorrhagia), woruͤber jedoch zu bemerken iſt,
daß die Quantitaͤt an und fuͤr ſich keinesweges ein Urtheil
uͤber die Wirkung des Blutfluſſes auf den Koͤrper, welcher
daran leidet, begruͤndet, indem natuͤrlich eine und dieſelbe Blut-
[273] menge fuͤr einen Koͤrper hoͤchſt angreifend und betraͤchtlich,
fuͤr einen andern gering ſeyn kann, wie dies ſchon bey dem
normalen Blutfluſſe der Menſtruation bemerkt worden iſt.
2) Der Qualitaͤt nach, indem das abfließende Blut ent-
weder hellrothes arterielles, oder dunkelgefaͤrb-
tes, venoͤſes
, und ferner fluͤſſiges und reines, oder
coagulirtes und mißfarbiges, mit Lymphe oder Eiter
gemiſchtes Blut iſt.


Anmerkung. Was die Blutergießungen aus dem Uterus
betrifft, ſo koͤnnte man wohl die Frage aufwerfen, ob es uͤber-
haupt arterielle Blutungen in einem Organe geben koͤnne, deſſen
natuͤrliche Ausſcheidungen (wie dies die Phyſiologie der Men-
ſtruation lehrte) doch hoͤchſt wahrſcheinlich allein durch Venen
bewerkſtelligt werden? — und ob ich nun gleich ziemlich feſt
uͤberzeugt bin, daß allerdings auch die Metrorrhagie außer der
Menſtruations- und Schwangerſchaftszeit durch die an der innern
Uterinflaͤche ſich vorfindenden Venenmuͤndungen geſchehe, ſo
halte ich doch jene Unterſcheidung nicht fuͤr ganz uͤberfluͤßig, in-
dem es doch gewiß etwas Anderes iſt, wenn das in die feinern
Venenzweige ergoſſene arterielle Blut ſogleich wieder aus dieſen
Venenzweigen ausſtroͤmt, oder wenn Blut, welches ſchon laͤn-
gere Zeit in den Venenſtaͤmmen verweilte, durch eine retrograde
Bewegung (welche im Venenſyſtem vielleicht haͤufiger als ge-
meinhin angenommen wird, vorkommt) ſich ergießt.


§. 351.

Eine dritte Eintheilung bezieht ſich auf das Verwei-
len oder Ausfließen
des Blutes, nach welcher wir in-
nern
und aͤußern Gebaͤrmutterblutfluß unterſcheiden,
und hier wird es denn noch erforderlich, der beſondern Kenn-
zeichen des erſtern zu gedenken, indem fuͤr ſaͤmmtliche uͤbrige
Arten ſich die charakteriſtiſchen Merkmale leicht von ſelbſt
darbieten. Ein Gebaͤrmutterblutfluß alſo, wo das Blut in
der Hoͤhle des Uterus ſelbſt ſich anhaͤuft, wird erkannt:
1) aus den Zeichen des Blutverluſtes und der Er-
I. Theil. 18
[274] ſchoͤpfung uͤberhaupt, als: Sinken und vermehrte Frequenz
des Pulſes, Mattigkeit, Schwindel, Ohrenbrauſen, Kaͤlte
der Extremitaͤten, kalter Schweiß, eingefallene Geſichtszuͤge,
Ueblichkeiten, Erbrechen, Zittern, Ohnmachten und Zuckun-
gen. 2) Aus der Vergroͤßerung des Uterus, wobey der aͤu-
ßerlich durch die Bauchdecken fuͤhlbar werdende Grund deſſel-
ben weich, teigartig gefunden wird. 3) Aus vorhergegange-
nen oder noch einwirkenden Urſachen, welche eine Verſchlie-
ßung oder Verſtopfung des Muttermundes zur Folge haben
koͤnnen. Uebrigens kann begreiflich ein wirklich bedeutender
innerer Blutfluß außer der Schwangerſchaft und Wochenpe-
riode nur ſelten und nie ohne vorausgegangene krankhafte
Metamorphoſe des Organs Statt finden.


§. 352.

4) Endlich unterſcheiden wir, den Urſachen nach,
zwiſchen aktivem und paſſivem Gebaͤrmutterblut-
fluſſe
, welches namentlich in Ruͤckſicht der Behandlung wich-
tig iſt. Der aktive Blutfluß iſt Produkt oͤrtlich erhoͤhter
Gefaͤßthaͤtigkeit, und wird gewoͤhnlich durch vorausgegangene
Congeſtionen bedingt, weshalb ihm mancherley Vorboten:
Schwere der Glieder, Ohrenbrauſen, Kopfſchmerz, Schwin-
del, vermehrte Waͤrme, Druck im Becken, Draͤngen zum
Urinlaſſen u. ſ. w. haͤufig vorauszugehen pflegen. Dieſe akti-
ven Blutungen ſind uͤbrigens gewoͤhnlich mehr arterieller Be-
ſchaffenheit; das Blut wird gewoͤhnlich rein und fluͤſſig aus-
geleert, und ſie ſind mehr kraͤftigen, juͤngern, ſonſt geſunden
Koͤrpern eigen. Der paſſive Blutfluß iſt die Folge
oͤrtlich geſunkener Gefaͤßthaͤtigkeit oder organiſcher Zerſtoͤrung
der Gefaͤße ſelbſt, wodurch ſie außer Stand geſetzt werden,
dem normalen, und noch weniger dem abnormen Andraͤngen
der Blutmaſſe (bey Congeſtionen, welche allerdings auch dem
paſſiven Blutfluſſe vorausgehen koͤnnen) Widerſtand zu leiſten,
obwohl hierbey auch auf die Verhaͤltniſſe der Blutmiſchung
Ruͤckſicht zu nehmen iſt, und auch verminderte Gerinnbarkeit
derſelben, wie bey ſcorbutiſchen und typhoͤſen Zuſtaͤnden, paſ-
ſive Blutung bedingen kann.


[275]
§. 353.

Weſentlich iſt demnach dieſer Krankheitserſcheinung
im Allgemeinen: Mißverhaͤltniß einer im Uterus
Statt findenden Blutſekretion
*)zu dem Stande
allgemeiner Gefaͤßthatigkeit und der Repro-
duktion uͤberhaupt
, durch welche Beſtimmung denn alle
Arten normaler Blutergießungen dieſes Organs am ſicherſien
ausgeſchloſſen werden. Die entfernten Urſachen ſind
nach den verſchiedenen Arten der Blutung verſchieden. Fuͤr
den aktiven Blutfluß ſowohl als fuͤr den paſſiven geben 1) ge-
wiſſe abnorme Erregungen der allgemeinen Ge-
faͤßthaͤtigkeit
(des einen Faktors der Krankheit) die Veran-
laſſung. Sie werden bedingt durch: a) ſehr reichliche Diaͤt,
beſonders den Genuß ſtark naͤhrender Getraͤnke, z. B. ſtarker
Biere; b) ſitzende Lebensweiſe; c) Nahrungs- oder Arzney-
mittel, welche die Nerven und Gefaͤße des Unterleibes und
namentlich der Geſchlechtsorgane, heftig anregen, als geiſtige
oder uͤberhaupt erhitzende Getraͤnke, Wein, Chokolade, gruͤ-
ner Thee, ſtark gewuͤrzte Speiſen, draſtiſche Abfuͤhrmittel,
zur Unzeit angewendete Emmenagoga u. ſ. w.; d) pſychiſche
Reize, als heftige Leidenſchaften, Zorn, Schreck, Freude u.
ſ. w., bey welchen die Blutbewegung entweder uͤberhaupt aus-
nehmend geſteigert oder auch momentan gehemmt und An-
haͤufung in den Venen dadurch beguͤnſtigt wird; e) ſehr
heiße Temperatur der Luft und aͤhnliche Baͤder.


§. 354.

2) Fuͤr den aktiven Blutfluß insbeſondre wir-
ken vorzuͤglich außer den genannten folgende, mehr oͤrtliche
Bedingungen erregend: a) ein hoher Grad von Reizbarkeit
[276] uͤberhaupt, und beſonders in den Nerven des Geſchlechts-
ſyſtems, welcher namentlich die Folge fehlerhafter phyſiſcher
Erziehung, zeitiger und uͤbermaͤßiger Geiſtesanſtrengung, fruͤ-
her Ausſchweifungen und des Mißbrauchs erhitzender Nah-
rungsmittel und Getraͤnke zu ſeyn pflegt; b) Krankheiten
benachbarter Unterleibsorgane, welche den Kreislauf des Pfort-
aderſyſtems beeintraͤchtigen, und Andrang nach den Geſchlechts-
organen veranlaſſen, eben ſo auch allgemeine Krankheiten,
welche ſich zuweilen ſogar durch Metrorrhagien entſcheiden,
wo dann die Blutung allerdings ſehr wohlthaͤtig ſeyn kann;
c) oͤrtliche Reize von druͤckenden Peſſarien, reizenden Injekrio-
nen u. ſ. w. 3) Fuͤr den paſſiven Blutfluß ſind beſon-
dere Veranlaſſungen vorzuͤglich Krankheiten, welche entweder
allgemeinen fehlerhaften Zuſtand der Sanguifikation bedingen
(Skorbut, Faulfieber, Entmiſchung durch zu haͤufiges Ader-
laſſen), oder in Verbildung der Uterinſubſtanz ſich darſtellen,
als Syphilis, ſchwammige Auftreibung des Uterus, Polypen,
Skirrhus, Krebs, Steatomata, Leucorrhoͤe, ſehr haͤufige vor-
ausgegangene Wochenbetten, zuruͤckgebliebene Nachgeburtsreſie,
Umſtuͤlpung, Vorfall des Uterus, ſo wie Einfluͤſſe, welche
entweder mechaniſch den Uterus erſchuͤttern, oder dynamiſch
die Auflockerung ſeiner Subſtanz vermehren, als Dampfbaͤ-
der, Kohlentoͤpfe u. ſ. w. — Je mehr ſich nun mit dieſen
oͤrtlichen Veranlaſſungen die allgemeinen Abnormitaͤten der Ge-
faͤßthaͤtigkeit (§. 353. 1.) verknuͤpfen, um ſo ſtaͤrker tritt
der Blutfluß ein.


§. 355.

Der Gang, welchen dieſe Krankheit zu nehmen pflegt,
die Folgen, welche ſie herbeyfuͤhrt, und die hieraus ſich
ergebende Prognoſe muß wieder theils nach den veranlaſ-
ſenden Urſachen, theils nach dem Grade der Krankheit ſehr
verſchieden ſeyn. Was die aktiven Blutfluͤſſe betrifft, welche
aus der kraͤftigern Conſtitution der Kranken, der gewoͤhnlich
mehr hellrothen Beſchaffenheit des ausfließenden Blutes, der
Abweſenheit bedeutender Verbildungen, dagegen oft durch die
aͤußerſt geſteigerte Reizbarkeit des Geſchlechtsſyſtems erkannt
[277] werden, ſo ſind ſie gewoͤhnlich in ihrem Verlaufe mehr acut,
und zwar um ſo mehr, je vollkommner ſie der allgemeinen
Gefaͤßthaͤtigkeit angehoͤren, je mehr ſie aus einer wahren
Plethora hervorgehen. Auch ergiebt es ſich leicht, daß ein
ſolcher Blutfluß gerade wie die unter aͤhnlichen Umſtaͤnden
gewoͤhnliche uͤbermaͤßige Menſtruation, fuͤr den Augenblick eher
heilſam als gefaͤhrlich erſcheinen werde, nur daß bey einer
oͤftern Wiederkehr, oder bey langer Dauer, der Uebergang
in einen paſſiven Blutfluß gefuͤrchtet werden muß. Iſt da-
gegen jene allgemeine Bedingung nicht vorhanden und die
aktive Metrorrhagie bloß durch unverhaͤltnißmaͤßig geſteigerte
Thaͤtigkeit der Uteringefaͤße, namentlich bey einer im Allge-
meinen ſchwaͤchlichen Conſtitution, in Folge oͤrtlicher Reize
der Geſchlechtsorgane, in Folge von Stoͤrungen des Kreis-
laufs im Pfortaderſyſtem, etwa bey ſkrophuloͤſen Individuen
entſtanden, ſo iſt nicht nur der Blutverluſt oft weit bedeu-
tender und anhaltender, ſondern ſeine Ruͤckwirkungen auf das
allgemeine Befinden ſind zugleich weit eingreifender, die Zei-
chen der Verblutung (§. 351.) treten weit leichter ein, Waſſer-
ſuchten, Gelbſuchten, Auszehrungen, Unfruchtbarkeit, unheilbarer
weißer Fluß, folgen weit leichter nach, und die Prognoſe wird
folglich weit unguͤnſtiger.


§. 356.

Vorzuͤglich Gefahr drohend pflegen indeß die paſſiven
Blutfluͤſſe zu ſeyn, eines Theils, weil uͤberhaupt Individuen,
bey welchen Blutungen dieſer Art vorkommen koͤnnen, gemei-
niglich ſchon ſehr geſchwaͤcht ſind, beſonders die reproduktive
Thaͤtigkeit ihres Koͤrpers gewoͤhnlich hoͤchſt zerruͤttet iſt, an-
dern Theils, weil der Blutverluſt ſelbſt in der Regel bedeu-
tender und anhaltender iſt, als bey den uͤbrigen Arten. —
Der Gang und die Prognoſe der Krankheit im Einzelnen
richtet ſich uͤbrigens nach den beſondern abnormen Zuſtaͤnden
des Uterus, welche am haͤufigſten dieſe Blutungen zur Folge
haben, und welche eben, in wiefern ſie gewoͤhnlich langwie-
rige, ſchwer oder gar nicht heilbare Zuſtaͤnde ſind, vorzuͤglich
habituell werdende, bey jeder ſtaͤrkern Koͤrper- oder Gemuͤths-
[278] bewegung, oder ſonſtigen Veranlaſſung wiederkehrende Blut-
ergießungen bedingen und ſomit die Prognoſe aͤußerſt unguͤn-
ſtig machen. Wahre Verblutung und ploͤtzlicher Tod, oder
gefaͤhrliche Folgekrankheiten, Waſſerſucht, Auszehrung, heftige
Schleimfluͤſſe koͤnnen daher hier ſehr leicht eintreten.


§. 357.

Was die ſonſtigen beſondern Formen der Metrorrhagie
betrifft, ſo iſt es, ob eine oder die andere derſelben vorhan-
den, im Ganzen von geringerm Einfluß auf Krankheitsver-
lauf und Prognoſe, als die vorher erwaͤhnten Momente;
nur von dem Unterſchiede zwiſchen innerem und aͤußerem Blut-
fluſſe iſt zu bemerken, daß allerdings der erſtere, theils we-
gen der ſchwierigen Erkenntniß, theils wegen der betraͤchtli-
chen Ausdehnung, ſo der Uterus dabey erleidet, und wodurch
er zu neuen, vorzuͤglich paſſiven Blutungen immer mehr dis-
ponirt wird, gefaͤhrlicher ſey als der aͤußere. — Daß end-
lich bey Stellung der Prognoſe auch ganz vorzuͤglich auf die
Conſtitution der Kranken, ſo wie auf die Quantitaͤt des aus-
ſtroͤmenden Blutes, auf minder oder heftiger einwirkende Ge-
legenheitsurſachen, auf kuͤrzere oder laͤngere Dauer des Ue-
bels und auf die aͤußern Verhaͤltniſſe der Kranken Ruͤckſicht
genommen werden muͤſſe, ergiebt ſich von ſelbſt.


§. 358.

Von der Behandlung der Metrorrhagie. —
In wiefern bey jedem Blutfluß immer die allgemeinen Zu-
ſtaͤnde des Gefaͤßſyſtems von beſonderer Wichtigkeit ſind, und
jeder Blutfluß, wenn auch durch ganz oͤrtliche Veranlaſſun-
gen hervorgerufen, doch wenigſtens durch den Andrang vom
allgemeinen Kreislaufe aus, fortwaͤhrend unterhalten wird, ſo
muß es nothwendig als die erſte und wichtigſte Indication
erſcheinen, negativ zu verfahren, und alles abzuwenden, wo-
wodurch der Erethismus unterhalten oder vermehrt werden
koͤnnte, ein Grundſatz, worin denn auch alle, uͤbrigens oft
von ſehr verſchiedenen Geſichtspunkten ausgehenden Schrift-
ſteller uͤber dieſen Gegenſtand einſtimmig ſind. — Die hori-
[279] zontale Lage wird daher zuvoͤrderſt der Kranken angewieſen,
und wir ſtimmen Aſtruc bey, *) wenn er die Lage mit er-
hoͤhten Schenkeln hierbey nicht fuͤr zweckmaͤßig erklaͤrt, indem
dadurch zwar oft der Ausfluß des Blutes vermindert, aber
Anhaͤufungen in den innern Geeurtstheilen (innere Blutun-
gen) beguͤnſtigt werden. In dieſer Lage iſt ferner die voll-
kommenſte Ruhe des Koͤrpers, wie des Gemuͤths zu beobach-
ten, und das Geſchaͤft des Arztes wird es hierbey oft ſeyn,
theils durch Entfernung aller beunruhigenden Perſonen und
Gegenſtaͤnde, theils durch freundliche Zuſprache, das uͤber
den etwa ploͤtzlich eingetretenen Blutfluß ſelbſt gewoͤhnlich
aͤußerſt aufgeregte Gemuͤth der Kranken zu beruhigen. Zu-
gleich achtet man darauf, alles zu entfernen, was eine gleich-
maͤßige, ruhige Reſpiration (welche fuͤr Beruhigung der Blut-
bewegung ſo wichtig iſt) unterbrechen koͤnnte; man traͤgt
Sorge, daß alle beengende Kleidungsſtuͤcke geloͤſt ſeyen und
eine reine, ſehr maͤßig erwaͤrmte Zimmerluft die Kranke
umgebe.


§. 359.

Was dagegen die poſitive aͤrztliche Behandlung betrifft,
ſo koͤnnen hier durchaus keine ſo beſtimmten und allgemein
guͤltigen Heilregeln, wie ruͤckſichtlich des Diaͤtetiſchen, gege-
ben werden, und weder die ſchon von Hippokrates em-
pfohlnen Brech- und Purgirmittel, noch die von Andern,
z. B. von Aſtruc an die Spitze geſtellten Blutentziehungen **),
noch die einzelnen geruͤhmten Arzneymittel, vom Drachenblut
bis zur Zimmttinktur, und neuerlich zur Ratanhia, duͤrfen
als ſpecifiſch huͤlfreich betrachtet werden, ſondern die verſchie-
denen Bedingungen der Krankheit ſind ins Auge zu faſſen,
[280] die innern und aͤußern entfernten Urſachen zu beſeitigen, und
daher in verſchiedenen Faͤllen verſchiedene Maaßregeln zu er-
greifen.


§. 360.

Zuerſt alſo die Behandlung der aktiven Blut-
fluͤſſe:
— Hier iſt zu unterſuchen, ob die oͤrtliche Aufre-
gung der Uteringefaͤße Produkt allgemeiner Zuſtaͤnde, nament-
lich des durch zu reichliche Ernaͤhrung und ſitzende Lebens-
weiſe erzeugten allgemeinen Blutuͤberfluſſes ſey, wobey dann
der Puls voll und beſchleunigt, das Geſicht roth, Kopf-
ſchmerz oder Kreuzſchmerz vorhanden zu ſeyn pflegt, mehrere
Vorboten gewoͤhnlich vorausgegangen ſind, und die Blutung
ſelbſt in groͤßerer Heftigkeit, aber auch in raſcherm Verlaufe
erſcheint. Dieſe Krankheitsform iſt es alsdann, in welcher
ein rein antiphlogiſtiſches Verfahren indicirt iſt, und wo das
ploͤtzliche Hemmen der (hier ſelbſt als huͤlfreich, gleichſam
kritiſch erſcheinenden) Blutung durch adſtringirende Mittel den
groͤßten Nachtheil bringt. Hier alſo finden ganz beſonders
die Blutentziehungen ſelbſt Statt, und es muß hierbey die
Quantitaͤt des mittelſt eines am Arm vorzunehmenden Ader-
laſſes, ſo wie, ob vielleicht die Wiederholung des Aderlaſſes
noͤthig werde, vorzuͤglich durch die Umſtaͤnde ſelbſt beſtimmt
werden. Indeß kann man im Allgemeinen behaupten, daß
es beſſer ſey, etwas zu viel als zu wenig Blnt wegzuneh-
men, indem der weibliche Koͤrper uͤberhaupt leicht Blutver-
luſte erſetzt, und außerdem, bey nicht hinlaͤnglicher Blutent-
leerung, die Metrorrhagie laͤnger dauert, die Uteringefaͤße
nachtheilig erweitert werden und die Blutung endlich zur ha-
bituellen wird.


§. 361.

Das uͤbrige Heilverfahren wird ebenfalls vornehmlich
auf Maͤßigung des Orgasmus und Hinderung einer zu ra-
ſchen Wiedererzeugung von Blut abzwecken muͤſſen. Man
laͤßt daher die Kranke nicht in warme Betten, ſondern am
beſten auf eine Matraze unter leichte Wolldecken legen, ord-
[281] net vegetabiliſche Saͤuren, Citronenſaft, Himbeereſſig u. ſ. w.
unter das Getraͤnk, laͤßt von Zeit zu Zeit etwas Himbeer-
oder Citroneneis genießen, giebt Waſſerkalteſchalen zur Nah-
rung, wendet innerlich den Cremor tartari mit dem Nitrum
an, und ſobald die Heftigkeit der Blutung ſelbſt gemaͤßigt iſt,
macht man mit Nutzen von kuͤhlenden Abfuͤhrmitteln aus
Pulp. Tamarind., Manna, Tart. tartarisatus Gebrauch.
Endlich iſt auch nach gaͤnzlich beſeitigtem Anfalle darauf zu
halten, daß die Lebensart angemeſſener eingerichtet und da-
durch die Gelegenheit zu einer ſonſt leicht von neuem eintre-
tenden Blutung gehoben werde. Die Reconvalescentin muß
daher eine beſchraͤnktere, mehr vegetabiliſche Diaͤt fuͤhren, ihre
ſitzende Lebensweiſe aufgeben und ſich vor allen, das Ge-
ſchlechtsſyſtem insbeſondre erregenden oder allgemeinen Ere-
thismus veranlaſſenden Einfluͤſſen huͤten.


§. 362.

Iſt aber zweytens die aktive Blutung nicht die Folge
von wahrer Plethora, ſondern von einer im Mißverhaͤltniß
zur allgemeinen Reproduktion aufgereizten Thaͤtigkeit der Uterin-
gefaͤße, ſo iſt die Hauptindication zwar theils immer wieder
Herabſtimmung allgemeiner Blutbewegung, theils aber Ver-
minderung der geſteigerten Senſibilitaͤt. Die beſondern Mit-
tel zur Erfuͤllung dieſer Indication ſind in verſchiedenen In-
dividuen verſchieden. Bey uͤbrigens wohlgenaͤhrten, blutrei-
chen Naturen, wie man ſie gerade bey geſteigerter Senſibili-
taͤt, vorzuͤglich in den hoͤheren Staͤnden, gar nicht ſelten
findet, ſind ebenfalls Blutentziehungen am Arme, wenn auch
in etwas kleinern Quantitaͤten und mehr als Ableitungen be-
trachtet, ſehr wohlthaͤtig, und man kann damit wieder ziem-
lich das im vorigen Paragraph geſchilderte weitere Heilver-
fahren verbinden, nur daß man nach zweckmaͤßiger Blutent-
leerung und Ruͤckſicht auf Befreiung des Darmkanals mehr
von den mineraliſchen Saͤuren, als Aqua Rabeliana oder
Elixir acidum Halleri Gebrauch macht.


[282]
§. 363.

Bey einer mehr ſchwaͤchlichen Conſtitution, oder wo der
Blutfluß ſchon laͤngere Zeit angehalten und durch ſeine Hef-
tigkeit die Kraͤfte bereits ſehr erſchoͤpft hat, iſt dann ſtatt
der Blutentziehungen von andern ableitenden Mitteln, von
gelinder Hauterwaͤrmung durch Friktion, von Befoͤrderung all-
gemeiner Transpiration, von Aufſetzen trockner Schroͤpftoͤpfe
auf den Unterleib oder auf die innere Schenkelflaͤche, oder
auf die Bruͤſte, Gebrauch zu machen, ja, wenn das ſonſt
empfohlene Anlegen von Binden um Oberſchenkel und Arme
jemals einen wirklich wohlthaͤtigen Einfluß gezeigt hat, ſo
iſt es ohne Zweifel namentlich in dieſen Faͤllen geweſen.
Aeußerlich wendet man aromatiſchen Eſſig als Fomentation
auf die Geburtstheile, oder Aufguͤſſe von aromatiſchen Kraͤu-
tern, mit Eſſig und Wein vermiſcht, zu aͤhnlichen Fomen-
tationen oder zu Injektionen in die Vagina an, macht Ein-
reibungen von Naphta auf den Unterleib, und von einigen
(z. B. von Chauſſier) ſind auch die eiskalten Umſchlaͤge
auf die Fuͤße geruͤhmt worden. Innerlich ſind wieder ganz
vorzuͤglich die mineraliſchen Saͤuren zu empfehlen, und zwar
waͤhlt man bey anhaltendem Blutfluſſe, wo dieſe Mittel oft
laͤngere Zeit gegeben werden muͤſſen, um die nachtheilige Wir-
kung derſelben auf die Verdauungswerkzeuge zu vermeiden,
vorzuͤglich ihre Verbindung mit bittern Extrakten, oder das
an ſich mit bittern und aromatiſchen Stoffen bereitete Elix.
acidum Mynsichtii.
Endlich ſind aber auch die narkotiſchen
und krampfwidrigen Mittel fuͤr dieſe Faͤlle von Blutungen
huͤlfreich, und theils das Doverſche Pulver, theils die Ver-
bindung des Laudani liq. mit den mineraliſchen Saͤuren,
vorzuͤglich auch das Opium in Klyſtiren angewendet, ver-
dienen hier Empfehlung.


§. 364.

Die diaͤtetiſchen Mittel betreffend, ſo muß bey dem
§. 362. beruͤhrten Falle wieder eine aͤhnliche Lebensordnung,
wie §. 361. vorgeſchrieben iſt, beobachtet werden, bey den-
[283] jenigen Conſtitutionen hingegen, von welchen §. 363. die
Rede war, iſt es nothwendig, theils fuͤr etwas mehr aͤußere
Waͤrme zu ſorgen, theils durch das uͤbrige Verhalten die Re-
produktion mehr zu beguͤnſtigen, und einer zu betraͤchtlichen
Schwaͤchung des Nervenſyſtems durch gelind erregende und
ſtaͤrkende Mittel vorzubeugen. Man reicht einer ſo erſchoͤpf-
ten Kranken etwas Zimmt- oder Meliſſenthee mit Wein,
ſpaͤterhin Alaunmolken, erlaubt ihr eine kraͤftigere, obwohl
leicht verdauliche, Nahrung, etwas Bouillon mit Ey, Hirſch-
horngallert, laͤßt bey Schwindel und Ohnmachten die Schlaͤ-
fengegend, vorzuͤglich aber den Unterleib, mit koͤllniſchem Waſ-
ſer waſchen u. ſ. w. — Ganz beſonders indeß muß bey die-
ſen Zuſtaͤnden die obwaltende Veranlaſſung, welche oft in
andern Krankheitszuſtaͤnden liegt, beruͤckſichtigt und darnach
denn oft die angegebene Behandlung noch modificirt werden.
Sind daher Unregelmaͤßigkeiten in der Funktion der Unter-
leibsorgane, ſkrofuloͤſe Zuſtaͤnde, Obſtructionen u. ſ. w. vor-
handen, ſo iſt nicht eher eine vollkommne Heilung der, wenn
auch vielleicht fuͤr kurze Zeit ſtehenden, aber immer von neuem
wiederkehrenden Blutungen zu hoffen, bevor nicht durch die
ſchon bey den Unregelmaͤßigkeiten der Menſtruation erwaͤhnte
reſolvirende und ausleerende Methode eine gruͤndliche Beſeiti-
gung dieſes gaſtriſchen Zuſtandes Statt gehabt hat*); und
hier iſt es auch, wo bey nach oben turgeſcirenden Unreinig-
keiten, bey einer durch Ueberladung erzeugten Verdorbenheit
der Verdaunngskraͤfte, bey der nach heftigen Gemuͤthsbewe-
gungen oft Statt findenden Polycholie u. ſ. w. ſelbſt die Brech-
mittel (Ipecaouanha) eine hoͤchſt [wohl]thaͤtige Wirkung uͤben,
indem ſie nicht nur die Ausleerung bewerkſtelligen, ſondern
auch durch ihre Wirkung auf das Nervenſyſtem zur Vermin-
derung der oͤrtlich krankhaft erregten Senſibilitaͤt weſentlich
beytragen.


[284]
§. 365.

Außerdem koͤnnen dieſe von oͤrtlich geſteigerter Erregung
bedingten Blutfluͤſſe mitunter durch aͤußere Reize unterhalten
werden, z. B. durch Peſſarien, welche ſofort zu entfernen,
und, wenn ſie nicht ganz entbehrt werden koͤnnen, mit einem
in Infus. serpylli, mit etwas Wein vermiſcht, getauchten
Schwamme zu vertauſchen ſind. Ferner iſt Vermeidung alles
Geſchlechtsreizes, ſo lange noch die geringſte Neigung zur
wiederkehrenden Blutung vorhanden iſt, zur ſtrengſten Pflicht
zu machen. Auch chroniſche Eutzuͤndungen, Geſchwuͤre, ſchar-
fer weißer Fluß, Syphilis, Auswuͤchſe der Mutterſcheide u.
ſ. w. koͤnnen Veranlaſſung zur Entſtehung oder Unterhaltung
dieſes Blutfluſſes ſeyn, und muͤſſen dann nach den ihrer Na-
tur angemeſſenen Regeln behandelt werden. — Daß endlich,
wo dieſer Blutfluß etwa an andere Krankheiten als eine kri-
tiſche Ausleerung ſich ſchließt, zu ſeiner Unterdruͤckung gar
nichts geſchehen duͤrfe, ſondern bloß zweckmaͤßige Behandlung
der zum Grunde liegenden Krankheit angezeigt ſey, liegt am
Tage.


§. 366.

Wir kommen nun zur Behandlung paſſiver Metrorrha-
gien. Auch hier iſt außer den allgemeinen, §. 358. ange-
gebenen Regeln zunaͤchſt das allgemeine Befinden ins Auge
zu faſſen und danach das Heilverfahren einzuleiten. Colli-
quative Blutungen, als Folge typhoͤſer Zuſtaͤnde oder ſkor-
butiſcher Aufloͤſung der Blutmaſſe, erfordern daher den Ap-
parat der analeptiſchen, Contraktion und Lebensthaͤtigkeit uͤber-
haupt foͤrdernden Mittel; oft jedoch muͤſſen auch die Mittel,
welche zur ſchnellen Stillung lebensgefaͤhrlicher Blutungen
uͤberhaupt empfohlen werden koͤnnen und von welchen unten
die Rede ſeyn wird, angewendet werden. Iſt hingegen Ere-
thismus des Aderſyſtems vorhanden, welcher bey geſunkener
Vitalitaͤt der Uteringefaͤße hier durch Blutergießung ſich aus-
ſpricht, ſo muß dann zunaͤchſt wieder ein aͤhnliches allgemei-
nes Verfahren, als oben bey den aktiven Blutungen em-
pfohlen worden iſt, auch hier Anwendung finden, beſonders
[285] ſind die mineraliſchen Saͤuren, und noch mehr die hier ganz
paſſende Phosphorſaͤure in Verbindung mit den §. 363. er-
waͤhnten ableitenden Mitteln in Gebrauch zu ziehen, und
Veranlaſſungen, durch welche allgemeiner Erethismus unter-
halten wird, wohin auch gaſtriſche Zuſtaͤnde gehoͤren, ſind
zu entfernen.


§. 367.

Vorzuͤglich aber verdient bey dieſer Gattung der Me-
trorrhagie der oͤrtliche Zuſtand des Uterus Beruͤckſichtigung,
und da auch in dieſer Hinſicht oft beſondere Gelegenheitsur-
ſachen einwirken koͤnnen, ſo muß auf Entfernung derſelben
Bedacht genommen werden, obwohl auch hier oft vorher die
ſchneller wirkenden blutſtillenden Mittel in Anwendung zu
ziehen ſind, ſobald der Blutfluß Gefahr droht und das erſtere
in kurzer Zeit ſich nicht ausfuͤhren laͤßt. Zu jenen Gelegen-
heitsurſachen gehoͤren aber theils mechaniſche Urſachen, als
Druck von Peſſarien, welche ſofort zu entfernen, oder durch
einen in adſtringirende, mit Branntwein vermiſchte Dekokte
getauchten Schwamm zu erſetzen ſind, falſche Lagen des Ute-
rus, namentlich Vorfaͤlle, welche zuruͤckzubringen und durch
das vorgenannte Mittel zuruͤckzuhalten ſind. Ferner vorzuͤg-
lich Ausartungen der Uterinſubſtanz, namentlich Gebaͤrmutter-
polypen, welche durch die unten zu beſchreibende Operation
entfernt werden muͤſſen; eben daſſelbe gilt auch von den
Nachgeburtsreſten. Krebshafte Zuſtaͤnde des Uterus hingegen
laſſen, in ſofern ſie Haͤmorrhagien erregen, gewoͤhnlich nur
die theils oben erwaͤhnte Ruͤckſicht auf Hebung des Erethis-
mus, theils die auf unmittelbare Siſtirung der Blutung ge-
richtete Behandlung zu.


§. 368.

Wir gehen daher jetzt die Mittel insbeſondre durch,
welche zu ſchneller Hemmung lebensgefaͤhrlicher, vorzuͤglich
auf Atonie gegruͤndeter Mutterblutfluͤſſe ſich immer am huͤlf-
reichſten bewieſen haben. Wie man indeß am deutlichſten bey
aͤußerlichen, durch Verletzung entſtandenen Blutungen beob-
[286] achten kann, wird eine ſolche Ergießung vorzuͤglich auf zweyer-
ley Weiſe ſchnell geſtillt, erſtens durch mechaniſche Zuſam-
menpreſſung der blutenden Gefaͤße, ſey dies nun durch in-
nere Muskularthaͤtigkeit oder durch aͤußere Gewalt geſchehen;
zweytens durch aufgeregte Contraktilitaͤt der blutenden Gefaͤße
ſelbſt. Beobachten wir nun den Weg, welchen die Natur
ſelbſt einſchlaͤgt, um die normalen Blutergießungen aus den
Uteringefaͤßen zu beendigen, ſo giebt dies wieder fuͤr die rech-
te Art der Behandlung krankhafter Ergießungen dieſer Art
einen wichtigen Fingerzeig ab. Der Monatsfluß naͤmlich,
als eine wahre aktive Blutung, wird in ſeinem Aufhoͤren be-
dingt durch Minderung des Andranges vom allgemeinen Gefaͤß-
ſyſtem aus, der Wochenfluß hingegen, welcher mehr als eine
durch Eroͤffnung der Venenzellen des Uterus vom Abloͤſen der
Placenta bedingte paſſive Blutung betrachtet werden kann,
hebt ſich durch die Contraktion, durch die Verkleinerung des
entleerten Fruchthaͤlters und durch die auf dieſe Weiſe bewirkte
Zuſammendruͤckung der blutenden Gefaͤßmuͤndungen.


§. 369.

Schon hieraus ergiebt ſich nun wohl, daß gewiß auch
ſo wie fuͤr die Hemmung krankhafter Blutergießung aktiver
Art das oben erwaͤhnte allgemeine Verfahren das zweckmaͤ-
ßigſte iſt, fuͤr die ſchnelle Stillung der paſſiven Blutfluͤſſe
hingegen, die auf Erregung allgemeiner Zuſammenziehung des
Fruchthaͤlters abzweckenden Mittel am meiſten angezeigt ſeyn
werden. Wir unterſcheiden von dieſen Mitteln die innern
und aͤußern, und betrachten die erſtern zunaͤchſt: — a) die
Zimmttinktur ſtellen wir wohl billig oben an, da kaum
ein Arzt oder Geburtshelfer ſeyn wird, der nicht von ihren
aͤußerſt wohlthaͤtigen Wirkungen Gebrauch gemacht und ſie
aͤußerſt nuͤtzlich gefunden haͤtte. Man giebt ſie zu 20—60
Tropfen, und es hat mir immer geſchienen, als werde ihre
Wirkung (vielleicht durch gleichzeitige Verminderung allgemei-
ner Senſibilitaͤt) ſehr befoͤrdert, wenn man der angegebenen
Doſis einige Tropfen TR. thebaica beyfuͤge. b) Das Mut-
terkorn
(Secale cornutum), ein neuerlich von Olivier
[287] Prescot
, Arzt in Nordamerika, empfohlenes Mittel, um
kraͤftige Contraktionen der Gebaͤrmutter zu erregen.*) Er em-
pfiehlt es in folgender Form:
℞. Secal. cornuti ӠI
Coq. c. Aqua font. q. s. ad Col. ℥IV.
S.
Hiervon alle 12 Minuten den dritten Theil zu nehmen.

Der Nutzen deſſelben, theils in dieſer Form, theils in Sub-
ſtanz, iſt ſeitdem von mehreren Aerzten beſtaͤtigt worden**),
und ich ſelbſt habe von der geiſtigen Tinktur des Mutter-
korns wohlthaͤtige Wirkung bey unkraͤftigen Wehen beobachtet,
und ſo duͤrfen wir es wohl als ein nicht zu uͤbergehendes
Mittel auch in Gebaͤrmutterblutfluͤſſen (gegen welche es ſchon
von Prescot beſonders mit empfohlen wurde) namhaft
machen.


§. 370.

c) Die Cassia lignea, der Zimmtrinde nahe verwandt,
und von Juſti***) vorzuͤglich zu 10—20 Gran alle Stun-
den empfohlen. d) Die Phosphorſaͤure, welche als
durchdringendes, erregendes Mittel in fluͤſſiger Form zu 15
— 20 Tropfen in ſchleimigen Vehikeln allerdings kraͤftig zur
Contraktion der blutenden Gefaͤße wirkt. — Mehr noch di-
rekt die Contraktilitaͤt der blutenden Gefaͤßmuͤndungen ſelbſt
in Anſpruch nehmend, eben daher aber auch weniger zur
ſchnellen Hebung heftiger Blutſtuͤrze, als vielmehr zur Hei-
lung anhaltender Blutungen
geeignet, ſind die fol-
genden Mittel: — e) Alaun zu 8 — 10 Gran in Pulver-
form mit Zucker, iſt ein wirkſames Mittel, ſobald gaſtriſche
Complicationen vorher gehoͤrig beſeitigt ſind. f) Das Dra-
chenblut
, ein dem vorigen in ſeiner Wirkung ſehr ver-
[288] wandtes Mittel, und daher von den aͤlteren Aerzten als
Specificum Helvetii*), in Verbindung mit jenem, haͤufig
angewendet und empfohlen. g) Das Kinogummi, eben-
falls als Pulvis stypticus mit dem Alaun verbunden, und
die Japaniſche Erde, zwey dem Drachenblute aͤhnliche,
indeß jetzt nicht eben haͤufig mehr angewendete Mittel.


§. 371.

h) Ferner wird von Reil**) nach Bishoprik ein
Mittel aus gebranntem Kupfervitriol, Drachen-
blut
und Weingeiſt empfohlen, deſſen Wirkungen ſehr
guͤnſtig in aͤhnlichen Faͤllen geweſen ſeyn ſollen. i) Auch den
Bleyzucker hat man bey Metrorrhagien empfohlen, nur
iſt doch nicht zu uͤberſehen, daß die anderweitige Wirkung
dieſes Mittels oft ſehr nachtheilig werden koͤnne und man
daher es zweckmaͤßig mit andern, gewiß nicht minder wirk-
ſamen, vertauſcht. Was k) das Kochſalz und den Sal-
peter
betrifft, ſo koͤnnen ſie wohl nicht fuͤglich anders, als
durch Revulſion wirken, daher ſie mehr bey heftigen aktiven
Blutfluͤſſen aus geſteigerter Reizbarkeit Anwendung finden, wo
denn auch die, freilich wieder auf andere Weiſe, wirkende
Digitalis purpurea mit Recht empfohlen werden koͤnnte. —
Endlich iſt nicht ganz mit Stillſchweigen zu uͤbergehen, daß
man fruͤher oft Mittel gegen den Blutfluß empfohlen hat,
denen man nicht fuͤglich anders, als durch den Abſcheu der
Kranken gegen dieſelben, eine hier vortheilhaft werdende Er-
regung des Nervenſyſtems zuſchreiben kann. Dahin gehoͤrt
es, die Kranken etwas von ihrem eigenen Blute getrocknet
nehmen zu laſſen, die Anwendung der kalcinirten Menſchen-
knochen, das Tragen einer getrockneten Kroͤte auf der Herz-
grube, das Anruͤhren eines Todten und andere aberglaͤubiſche
[289] Dinge mehr, von welchen man bey Aſtruc*) noch meh-
rere aufgefuͤhrt finden kann.


§. 372.

Wir haben ferner der wirkſamſten aͤußern Mittel
zu gedenken: — a) Eins der huͤlfreichſten derſelben iſt aber
die aͤußere Einreibung des Leibes mit der flachen
Hand
, wobey ſicher nicht allein die mechaniſche Reizung,
ſondern zugleich eine dynamiſche Einwirkung, welche man
wohl mit Recht eine magnetiſche neunen kann, in Anſchlag
zu bringen iſt. Verſtaͤrkt wird dieſes Mittel, wenn man
noch erregende Arzneyſtoffe damit verbindet, z. B. die Naphtha
vitrioli
auftroͤpfelt und einreibt, wobey auch der Reiz der
durch das ſchnelle Verdunſten des Aethers erregten fluͤchtigen
Kaͤlte wohlthaͤtig ſich zeigt; ferner iſt das Linimentum vo-
latile,
und bey ſehr hohen Graden von Atonie ſelbſt der reine
Spirit. sal. ammon. zum Einreiben anwendbar. b) Die
Injektionen
ſind, gleich dem vorigen Mittel, in allen
Faͤllen betraͤchtlicher Erweiterung und Erſchlaffung des Uterus,
von ausnehmendem Nutzen. Auch ſie hat man in zwey Klaſſen
zu theilen, je nachdem ſie entweder die Verſtaͤrkung der Con-
traktilitaͤt in den blutenden Gefaͤßmuͤndungen uͤberhaupt zum
Zweck haben, oder auf Erregung von Contraktion im ganzen
Organe hinwirken. Zu den erſtern gehoͤren die Einſpritzun-
gen von adſtringirenden Dekokten (Cort. Quercus, Ulmi
camp., Salicis
u. ſ. w.) und vorzuͤglich der Alaunaufloͤſung,
zu den letztern die Aufguͤſſe aromatiſcher Kraͤuter (Hb. Ser-
pilli, Meliss., Majoran., Rutae, Menth. crisp.
u. ſ. w.),
mit Wein oder Branntwein vermiſcht. Was die erſtern be-
trifft, ſo ſind ſie vorzuͤglich in Faͤllen ſchwammiger Auflocke-
rung der Fruchthaͤlterwaͤnde ohne beſondere Vergroͤßerung der
Gebaͤrmutterhoͤhle, was die letztern betrifft, ſo ſind ſie da-
gegen mehr bey Vergroͤßerung der Gebaͤrmutterhoͤhle ſelbſt,
durch zuruͤckgebliebene Nachgeburtsreſte, Polypen, coagulirtes
Blut u. ſ. w. angezeigt. Indeß wird es immer zweckmaͤßi-
I. Theil. 19
[290] ger ſeyn, bey den aromatiſchen Injektionen (welche im Gan-
zen in den meiſten Faͤllen angezeigt ſind) einen Zuſatz zu
machen, welcher auf Contraktion der blutenden Gefaͤße mit
abzweckt, und hierzu taugt vorzuͤglich der Zuſatz ſtark bitte-
rer Kraͤuter und des Eſſigs. Die Einſpritzungsmaſſe, von
welcher ich daher immer die vorzuͤglichſte Wirkung ſah, berei-
tet man ohngefaͤhr ſo, daß man eine Kanne vom Aufguß
der Hb. Melissae, Serpilli und Absinthii mit einer reichli-
chen Taſſe guten Weineſſigs und einer Taſſe Branntwein
oder zwey Taſſen Wein verſetzt und dieſes durch den wohl
eingebrachten (fuͤr den nicht ſchwangern Uterus nicht zu gro-
ßen) Knopf der Mutterſpritze langſam in die Gebaͤrmutter-
hoͤhle ſelbſt leitet.


§. 373.

c) Das Tamponiren wirkt wieder nur auf die blu-
tenden Gefaͤßmuͤndungen unmittelbar, theils durch mechaniſchen
Druck, theils durch die damit verbundenen ſtyptiſchen Mittel,
und kann folglich nur angezeigt ſeyn, wo die blutenden Ge-
faͤßmuͤndungen ſelbſt erreicht werden koͤnnen. Es findet ſonach
Statt bey Blutungen in Folge von Geſchwuͤren, carcinoma-
toͤſen Eroſionen, ſchwammiger Auflockerung der Vaginalportion
u. ſ. w., und wird entweder nach Le Roux angewendet, in-
dem man weiche Leinwand in Eſſig taucht und dieſe ſodann
in die Mutterſcheide und zum Theil in den Uterus ſelbſt ein-
bringt, oder aber, indem man Wolle, Charpie oder Schwamm
auf aͤhnliche Weiſe befeuchtet (wozu man ſich der erwaͤhnten
adſtringirenden Dekokte, oder bey großer Atonie auch des
reinen Branntweins bedient) und dieſe ſogenannten Mutter-
zapfen mit einem Pulver aus Alaun, arabiſchem Gummi,
Drachenblut u. ſ. w. beſtreut. — Daß uͤbrigens, wo der Tam-
pon die blutenden Gefaͤße nicht erreicht, ſondern nur den
Muttermund verſtopft, ſeine Anwendung oft innere Blu-
tungen herbeyfuͤhren und dadurch hoͤchſt nachtheilig, ja ge-
faͤhrlich werden koͤnne, liegt am Tage.


[291]
§. 374.

d) Guͤrtel, mit adſtringirenden Dingen, als gepul-
verte Eichenrinde, Gallaͤpfel, China u. ſ. w. gefuͤllt, mit ſpi-
rituoͤſen Dingen beſprengt und um den Unterleib getragen,
koͤnnen vorzuͤglich gegen lang dauernde geringere Metrorrha-
gien oft mit Nutzen gebraucht werden. e) Zuſammen-
druͤcken des Uterus von Außen
iſt bey den Blutungen
der Nichtſchwangern in der Regel gar nicht thunlich, und
uͤberhaupt der Anwendung der uͤbrigen blutſtillenden Mittel
gewiß nachzuſetzen, da durch dieſen Druck die Muskelkraft
ſelbſt gelaͤhmt werden muß. f) Anwendung der Kaͤlte.
Man hat die deprimirende zuſammenziehende Kraft, welche
die Kaͤlte auf den thieriſchen Organismus uͤberhaupt aͤußert,
bey Metrorrhagien insbeſondere auf verſchiedene Weiſe benutzt.
Theils naͤmlich als Anſpritzen des Unterleibes, oder Aufgießen
von eiskaltem Waſſer oder Auflegen ſehr kalter, naſſer Um-
ſchlaͤge, theils als Einſpritzung durch das Mutterrohr, oder
Einbringung von Eis in die innern Geburtstheile. — Daß
nun im Allgemeinen die Kaͤlte hier wegen der nachtheiligen
Einfluͤſſe, welche ſie auf andere Organe und den Uterus
ſelbſt leicht haben kann, immer ein zweydeutiges Mittel bleibe,
iſt wohl unlaͤugbar, jedoch iſt auch zuzugeben, daß die Er-
kaͤltung
, und in Folge dieſer, Entzuͤndung, Verhaͤrtung u.
ſ. w. um ſo weniger Statt haben werden, je fluͤchtiger die
Wirkung der Kaͤlte war. Wendet man daher die Kaͤlte auf
den Unterleib an, ſo iſt es noͤthig, gleich nach dem Auf-
ſpritzen, oder gleich nach Hinwegnahme der Umſchlaͤge, welche
nur ſehr kurze Zeit jedesmal liegen bleiben duͤrfen, den Leib
ſorgſam abzutrocknen und mit durchwaͤrmten wollenen Tuͤchern
zu bedecken; eben ſo iſt das ſchnelle Abfließenlaſſen der kalten
Injektion (alſo, indem man bey nicht zu ſehr erhoͤhten Schen-
keln der Kranken die Einſpritzung macht) vortheilhaft. —
Unter dieſer Vorſicht nun und namentlich bey wirklichen Ver-
groͤßerungen der Gebaͤrmutterhoͤhle durch Polypen, innere
Blutungen u. ſ. w. darf allerdings die Kaͤlte bey Mutter-
blutfluͤſſen nicht nur angewendet werden, ſondern ſie verdient
auch gerade wegen der oft ſehr ſchnellen Wirkſamkeit, und
[292] insbeſondere, weil man die Gelegenheit zu ihrer Anwendung
uͤberall vorfindet, ein bedeutendes Mittel mit Recht genannt
zu werden. — Erhoͤht kann uͤbrigens die Wirkung der Kaͤlte
noch werden, wenn man ſtatt des reinen Waſſers eine Mi-
ſchung aus Eſſig oder Branntwein und Waſſer gebraucht.


§. 375.

Nachdem wir nun dieſe Mittel, auf welche wir auch
bey den Blutungen der Schwangern und Woͤchnerinnen zu-
ruͤckweiſen werden, hier ausfuͤhrlicher durchgegangen haben,
kann nur uͤber die Behandlung der verſchiedenen Formen, ſo
wie uͤber die Nachkur des Gebaͤrmutterblutfluſſes Einiges hin-
zugefuͤgt werden. Die Formen betreffend, ſo iſt ruͤckſichtlich
des ploͤtzlichen heftigen Blutfluſſes und der langwierigen ſchwaͤ-
chern Blutungen ſchon im Vorhergehenden auf die entweder
dem erſtern oder den letztern angemeſſenen Mittel Ruͤckſicht
genommen worden. Was den aͤußern und innern Gebaͤrmut-
terblutfluß hingegen betrifft, ſo kann ihre Behandlung nur
in ſofern verſchieden ſeyn, als bey dem letztern erſtens die Ur-
ſachen, welche gerade dieſe Form veranlaſſen, z. B. Blut-
klumpen im Muttermunde, Nachgeburtsreſte u. ſ. w. beſeitigt
und dann vorzuͤglich (wegen der hier immer Statt findenden
Vergroͤßerung der Gebaͤrmutterhoͤhle) die genannten, auf Con-
traktion des geſammten Uterus abzweckenden Mittel angewen-
det werden muͤſſen.


§. 376.

Die Nachkur der Metrorrhagien hat insbeſondre zwey
Indicationen, erſtens, den Folgen des Blutfluſſes ſelbſt zu
begegnen; zweytens, die Urſachen, welche erneuerte Ergießun-
gen veranlaſſen koͤnnten, zu beſeitigen. Die Folgen, welche
namentlich bey den aktiven Blutungen durch oͤrtliche Erre-
gung, und noch mehr bey den paſſiven Blutungen ſich zei-
gen, beſtehen theils in oͤrtlicher und allgemeiner Erſchoͤpfung,
theils in beſondern Folgekrankheiten. Dem erſtern Zuſtande
iſt durch ein zweckmaͤßig eingeleitetes, auf Hebung der Re-
produktion abzweckendes Heilverfahren zu begegnen. Der Arzt
[293] hat demnach zuvoͤrderſt ſein Augenmerk auf den Zuſtand der
Verdauungswerkzeuge, von welchen alle Reproduktion aus-
gehen muß, zu richten; denn es iſt bekannt, wie ſchnell ein
Saͤfteverluſt dieſer Art erſetzt wird, ſobald die im weiblichen
Koͤrper uͤberhaupt kraͤftigere Aſſimilation regelmaͤßig von Stat-
ten geht, und daß es thoͤrigt ſey, zu erwarten, daß ohne
dieſe Ruͤckſicht, durch bloße ſogenannte roborirende Mittel
eine groͤßere Lebensthaͤtigkeit erzwungen werden koͤnne. Sind
daher gaſtriſche [Zuſtaͤnde] beſeitigt, ſo ordnet man eine leicht
verdauliche, nahrhafte Diaͤt aus Eyern, Bouillon, Sago,
Gries u. ſ. w. an, und empfiehlt den Gebrauch eines guten
alten Weins; zugleich giebt man die China, welcher in die-
ſen Faͤllen wohl kaum ein anderes Mittel von gleicher aus-
gezeichneter Wirkſamkeit an die Seite geſetzt werden kann,
laͤßt die eiſenhaltigen Mineralwaͤſſer trinken, aͤhnliche Mine-
ralbaͤder beſuchen, empfiehlt uͤberhaupt Landluft, maͤßige Be-
wegung, Aufheiterung des Gemuͤths, und ruͤckſichtlich der
oͤrtlichen, oft durch unordentliche Menſtruation u. ſ. w. be-
zeichneten Schwaͤche der Geſchlechtstheile bedient man ſich der
Einreibung, des Tragens der §. 374. erwaͤhnten Guͤrtel, oder
des Emplastr. aromatici, der Elektricitaͤt, der wollenen Be-
kleidung der Schenkel u. ſ. w. — Wahre allgemeine oder oͤrt-
liche Folgekrankheiten (z. B. Waſſerſuchten, weißer Fluß)
muͤſſen ihrer beſondern Natur nach behandelt werden. — End-
lich iſt vorzuͤglich nach paſſiven, oder uͤberhaupt von oͤrtlichen
Krankheitszuſtaͤnden des Uterus bedingten Blutfluͤſſen darauf
zu denken, daß die organiſchen Veranlaſſungen, als polypoͤſe
Auswuͤchſe, Vorfaͤlle, Schieflagen u. ſ. w. gruͤndlich gehoben,
erhitzende Bewegung, ſpirituoͤſe Getraͤnke, heftige Gemuͤths-
bewegungen und vorzuͤglich Geſchlechtsreize vermieden werden.


[294]
3.
Weißer Fluß, Schleimfluß der weiblichen Ge-
burtstheile
(Fluor albus, Leucorrhoea).

§. 377.

Wir reihen an die Betrachtung der Metrorrhagie ſogleich
die der Leukorrhoͤe, als einer ſehr haͤufigen Folgekrankheit, an,
obwohl ſie keineswegs allein auf den Uterus eingeſchraͤukt iſt.
Es iſt naͤmlich unter der Benennung des weißen Fluſſes be-
griffen eine jede abnorm vermehrte Schleimabſon-
derung der die Vagina, den Uterus, die Harn-
roͤhre, ja ſelbſt die aͤußern Genitalien ausklei-
denden
und uͤberziehenden Haͤute. Quantitaͤt und
Qualitaͤt dieſes Abfluſſes, Entſtehung und Verlauf dieſer
Krankheit ſind hierbey ſehr großen Verſchiedenheiten unterwor-
fen, welches zu mehrfachen Eintheilungen derſelben Veranlaſ-
ſung gegeben hat. [Zuvoͤrderſt] die Quantitaͤt betreffend,
ſo iſt ſie zuweilen nur gering, und beſchraͤnkt ſich auf ſeltnen,
tropfenweiſen Abgang, zuweilen aber auch ſo ſtark, daß der
Schleim faſt anhaltend ausfließt; uͤberhaupt aber iſt ſie in
verſchiedenen Perioden ebenfalls verſchieden, bey herannahen-
der Menſtruation, beginnender Schwangerſchaft gewoͤhnlich be-
traͤchtlicher, ja ſelbſt nach verſchiedenen Tages- und Jahres-
zeiten bald ſtaͤrker, bald ſchwaͤcher.


§. 378.

Ferner der Qualitaͤt nach, iſt der weiße Fluß zu un-
terſcheiden in den waͤßrigen, milchartigen, gruͤnlichen oder
mißfarbigen, geruchloſen oder riechenden, milden oder ſchar-
fen, die Geburtstheile und die innere Schenkelflaͤche wund-
machenden Abgang: Unterſchiede, welche jedoch wenig we-
ſentlich ſind und zum Theil nur von Unreinlichkeit, fremden
Koͤrpern in den Geburtstheilen, z. B. Peſſarien oder Poly-
pen, abhaͤngen. — Ruͤckſichtlich des Ganges iſt die Krank-
heit entweder ploͤtzlich nach Anſteckung und Entzuͤndung, oder
[295] langſam entſtehend, entweder habituell und ſtets andauernd,
oder intermittirend und periodiſch, oder auch ohne Ordnung
wiederkehrend. Weiter hat man uͤberhaupt gutartigen und
boͤsartigen weißen Fluß, veneriſchen und nicht veneriſchen,
einfachen und complicirten unterſchieden. Was indeß die Gut-
artigkeit oder Boͤsartigkeit der Krankheit betrifft, ſo iſt dieſer
Unterſchied nicht im Weſen derſelben, ſondern in der Con-
ſtitution der Kranken und den aͤußern Verhaͤltniſſen begruͤn-
det, und am wenigſten darf man annehmen, daß etwa der
durch Anſteckung entſtandene allein boͤsartig, der von ſelbſt
entſtandene gutartig ſey, indem oft allerdings gerade das
Umgekehrte Statt findet. Der Unterſchied zwiſchen veneriſcher
und nicht veneriſcher Leukorrhoͤe endlich, wenn er andeuten
ſoll, daß es wirklich einen wahrhaft ſyphilitiſchen weißen
Fluß geben koͤnne, iſt unſtatthaft, indem dieſe Schleimfluͤſſe,
obwohl ſie contagioͤs werden koͤnnen, wie dies auch von an-
dern Schleimfluͤſſen, z. B. dem der Naſe (Schnupfen), aner-
kannt werden muß, doch mit der Syphilis an und
fuͤr ſich gar nichts gemein haben
,*) (obwohl ſie aller-
dings mit Syphilis verbunden vorkommen koͤnnen) wovon ſich
demungeachtet manche Aerzte, und gewiß zum Nachtheil ihrer
Kranken, nicht uͤberzeugen koͤnnen.


§. 379.

Die Entwicklung und die Symptome der
Krankheit
ſind verſchieden: wo ſie ohne Anſteckung all-
maͤhlig entſteht, beginnt ſie in der Regel mit einem zur Zeit
der herannahenden und der voruͤbergegangenen Menſtruation
ſich zeigenden, nicht allzuſtarken, milden Schleimabgange aus
den Geburtstheilen; uͤbrigens iſt der Koͤrper geſund, und alle
ſeine Thaͤtigkeiten gehen regelmaͤßig von Statten. Nach und
nach, vorzuͤglich wenn ſchwaͤchende Einfluͤſſe den Koͤrper be-
troffen haben, nach ſchweren Krankheiten, bey zunehmenden
Jahren u. ſ. w. nimmt der Abgang zu, es geſellen ſich
ſchwammige Auflockerung der Vaginalportion, wundwerdender
[296] Muttermund, Empfindlichkeit der Geſchlechtsorgane, Urinbe-
ſchwerden, Stoͤrungen der Verdauung und allgemeine Abma-
gerung hinzu. Zugleich dehnt ſich die Periode des Ausfluſſes
vor und nach der Menſtruation immer mehr aus, ja zuletzt
iſt zu keiner Zeit die Kranke von dieſem belaͤſtigenden Ab-
fluſſe voͤllig frey. Endlich aber nimmt die Quantitaͤt des
ausfließenden Schleims immer mehr uͤberhand, die Qualitaͤt
deſſelben wird immer mißfarbiger und verdorbener, die Men-
ſtruation verliert ſich endlich vollkommen, die Ercoriationen
und Schmerzen der Geſchlechtstheile nehmen zu und die Re-
production ſinkt immer mehr.


§. 380.

Iſt dagegen die Leucorrhoͤe Folge der Anſteckung, ſo iſt
ihr Verlauf gewoͤhnlich mehr acut, es entſteht am zweyten
oder dritten Tage nach erfolgter Infektion Brennen in den
Geburtstheilen, die Temperatur der Vagina iſt erhoͤht, die
aͤußern Genitalien ſind wulſtiger und mehr geroͤthet, der Ge-
ſchlechtsreiz iſt ſtaͤrker, der Urinabfluß ſchmerzhaft oder auch
etwas gehindert, ſelbſt leichte Fieberbewegungen, vermehrter
Durſt u. ſ. w. geſellen ſich oft hinzu, obwohl eben die ge-
ringere Reizbarkeit der innern Vaginalhaͤute, im Vergleich der
weit groͤßern Empfindlichkeit der innern Flaͤche der maͤnnlichen
Harnroͤhre, die Zufaͤlle, welche bey dem von Anſteckung er-
folgten Schleimfluſſe (Tripper) der weiblichen Genitalien ein-
treten, weit geringer, als die, welchen das maͤnnliche Ge-
ſchlecht hierbey ausgeſetzt iſt, zu ſeyn pflegen. — Nachdem
dieſes entzuͤndliche Stadium einige Tage angehalten hat, tritt
dann der Schleimfluß ſelbſt ein, welcher hier gewoͤhnlich von
mehr verdickter, dem Eiter ſich naͤhernden Conſiſtenz, ſelbſt
von anſteckender Beſchaffenheit iſt, und nun, je nachdem die
Conſtitution der Kranken kraͤftiger oder minder kraͤftig iſt,
entweder kuͤrzere oder laͤngere Zeit anhaͤlt, ja ſelbſt habituell
und bleibend werden kann.


[297]
§. 381.

Eben ſo pflegt der Verlauf dieſer Krankheit mehr acuter
Natur zu ſeyn, wenn ſie ſich als kritiſche Ausleerung nach
Fiebern, oder als Metaſtaſe von katarrhaliſchen, rheumatiſchen
und gichtiſchen Zuſtaͤnden, oder als Stellvertreter fuͤr andere
gewohnte Ausleerungen eintritt, obwohl in den letztern Faͤllen
wieder das Uebergehen in eine habituelle Leukorrhoͤe ſehr leicht
Statt finden kann. Die Ausleerungen, fuͤr welche die Leu-
korrhoͤe oͤfters vicariirt, ſind theils Haͤmorrhoidalfluͤſſe, theils
ſchnell geheilte Geſchwuͤre, oder chroniſche Hantausſchlaͤge;
ferner tritt ſie oͤfters ein bey Unterdruͤckungen der Menſtrua-
tion, nach ſchnell verſchwundenen Fußſchweißen, unterlaſſenen
gewohnten Blutentleerungen oder Abfuͤhrungen, oder endlich
auch veranlaßt durch andere Krankheiten und in Begleitung
derſelben (z. B. mit verſchleimtem Zuſtande des Darthkanals,
Wuͤrmern, falſchen Lagen der Gebaͤrmutter u. ſ. w.).


§. 382.

Das Vorkommen der Krankheit iſt zwar am haͤufig-
ſten bey Frauen, welche bereits ein oder mehrere Male ge-
boren haben; indeß wird es auch bey Jungfrauen, in ſeltnen
Faͤllen ſogar vor der Pubertaͤtsentwicklung bemerkt, und pflanzt
ſich desgleichen noch auf das hoͤhere Alter haͤufig fort. Im
Allgemeinen iſt ſie wohl eine der haͤufigſten Beſchwerdon des
weiblichen Geſchlechts zu nennen, und vorzuͤglich bey erſchlaf-
fender uͤppiger Lebensweiſe der obern Staͤnde aͤußerſt gewoͤhn-
lich. Mitunter hat man, unter atmoſphaͤriſchen Einfluͤſſen,
welche uͤberhaupt die Entſtehung von Krankheiten der Schleim-
haͤute beguͤnſtigen, z. B. in naſſer Herbſtzeit, die Leukorrhoͤe
epidemiſch, und in Klimaten, wo dieſe Stimmung der Atmo-
ſphaͤre vorherrſchend iſt, auch endemiſch beobachtet, wovon
Siebold*) mehrere Beyſpiele angefuͤhrt hat.


[298]
§. 383.

Aetiologie. Das Weſen oder die naͤchſte Urſach der
Leukocrhoͤe iſt eine im Mißverhaͤltniß zur allgemei-
nen Reproduction geſteigerte ſecernirende Thaͤ-
tigkeit in den Schleimhaͤuten der Geſchlechts-
theile
. Die Schleimhaͤute uͤberhaupt aber bilden ein auf
den niedrigſten Stufen der Organiſation verharrendes Syſtem,
ſie ſind am meiſten entwickelt und ſelbſt uͤber die geſammte
aͤußere Koͤrperflaͤche verbreitet, wo der Organismus am un-
vollkommenſten iſt, wie in den niedrigern Thiergattungen, und
werden erſt bey vollkommnerer Ausbildung auf das Innere
und auf einzelne niedrigere Organe zuruͤckgedraͤngt, einen Ge-
genſatz bildend zu den hoͤhern Thaͤtigkeiten des Koͤrpers. Eben
daher kann nun die krankhaft geſteigerte Abſonderung der
Schleimhaͤute uͤberhaupt, und insbeſondere der Geſchlechtstheile,
vorzuͤglich auf doppeltem Wege entſtehen; erſtens, indem die
hoͤhern Syſteme uͤberhaupt, vorzuͤglich aber Spannkraft und
Muskularthaͤtigkeit, entweder an und fuͤr ſich, oder nur relativ
geſchwaͤcht erſcheinen, und ſomit theils wuchernde allgemeine Repro-
duction, und in Folge deren uͤbermaͤßige Ausſcheidung in den
Schleimhaͤuten bedingt wird, theils auch ohne abnorm erhoͤhte
allgemeine reproduktive Thaͤtigkeit bloß oͤrtlich die wuchernde
Thaͤtigkeit der Schleimhaͤute, im Gegenſatz der geſunkenen
Irritabilitaͤt, hervortritt. — Zweytens, indem bey normalem
Stande der Muskularthaͤtigkeit (Irritabilitaͤt) und Repro-
duction, durch oͤrtliche gewaltſame Aufregung eine abnorm ver-
mehrte Ausſcheidung der Schleimhaͤute Statt findet.


§. 384.

Wenn wir alſo bemerken, daß, wenn auch oft verbun-
den mit allgemeiner Schwaͤche, doch eigentlich der naͤchſte
Grund dieſes Schleimfluſſes erhoͤhte ausſcheidende Thaͤtigkeit
iſt, ſo ergiebt ſich hieraus, wie irrig es ſey, wenn die mei-
ſten neuern mediciniſchen Schriften hierbey nur Aſthenie ſahen
und dem zu Folge jedem Schleimfluß dieſer Art mit ſtaͤrken-
den innern und aͤußern Mitteln zu begegnen riethen, welche
[299] Anſicht gewiß nur zum Nachtheil der Kranken lange Zeit ver-
folgt wurde, gegen welche wir uns daher gleich im Eingange
verwahren wollten, verhoffend, daß die oben angeſtellten Be-
trachtungen uͤber naͤchſten Grund ſolcher Krankheitserſcheinun-
gen noch bey Erwaͤgung der entfernten Urſachen ſich
immer mehr beſtaͤtigen werden. Zu dieſen rechnen wir aber
zuvoͤrderſt die Conſtitution. Gerade ſchwammige, phlegmati-
ſche Naturen aber, bey welchen im Allgemeinen ſchon die
hoͤhern Thaͤtigkeiten unter der Laſt einer wuchernden Repro-
duction darnieder liegen, zeigen vorzuͤgliche Dispoſition zur
Leukorrhoͤe, und die Krankheit bildet ſich um ſo leichter aus,
je mehr die Senſibilitaͤt und Contraktilitaͤt der Geſchlechtsorgane
durch haͤufige Erregungen ihrer Reproduction, oͤftere Schwanger-
ſchaften, ausſchweifende Lebensart, erlittene Blutfluͤſſe u. ſ. w.
niedergedruͤckt, oder auch, was die Senſibilitaͤt betrifft, theils
durch aͤhnliche Einfluͤſſe, theils durch Mißbrauch erhitzender Ge-
traͤnke und Speiſen krankhaft erhoͤht iſt. Eben ſo muß zu
dieſen Urſachen gezaͤhlt werden alles, was die Entwickelung
einer ſolchen atoniſchen Conſtitution befoͤrdert, als uͤppige, un-
thaͤtige Lebensweiſe, Aufenthalt in feuchter, warmer Luft
u. ſ. w.


§. 385.

Durch oͤrtliche Erregung des Geſchlechtsſyſtems entſteht
ferner der weiße Fluß zuweilen bey jungen Maͤdchen in Folge
der thaͤtigern Reproduction dieſes Syſtems in den Jahren ein-
tretender Pubertaͤt, ferner in der Schwangerſchaft ſelbſt; eben
ſo, wo in Folge anderer Kraukheitszuſtaͤnde, z. B. verhaͤrteter
Unterleibsdruͤſen, Obſtructionen groͤßerer Eingeweide u. ſ. w.,
oder in Folge von Metaſtaſen rheumatiſcher, exanthematiſcher
und gichtiſcher Krankheitsſtoffe, Congeſtionen gegen die Uterin-
gefaͤße ſich bilden, oder durch Mißbrauch draſtiſcher Abfuͤhr-
mittel, treibender, zur Wiederherſtellung der Menſtruation an-
gewandter Arzneyen; durch ſchwerverdauliche, oder die Schleim-
haͤute beſonders anregende, geſalzene, eyweißſtoffreiche Spei-
ſen (z. B. Fiſche, Krebſe) verurſacht werden. Ferner gehoͤrt
hierher die Anſteckung ſelbſt, oder auch, ohne dieſelbe der zu
[300] haͤufige Geſchlechtsgenuß und die Onanie. Außerdem fremde
Koͤrper, als Peſſarien, Polypen, reizende Injectionen, war-
me Baͤder, Kohlenhaͤfen. Außerdem entſteht er leicht bey
Reizungen benachbarter Organe, Steinen in den Harnwegen,
Wuͤrmern; vorzuͤglich leicht endlich bey Verletzungen der Ge-
burtstheile ſelbſt, nach Einriſſen des Mittelfleiſches, Scheiden-
vorfaͤllen und ſtarken Einriſſen des Muttermundes.


§. 386.

Uebrigens iſt auch noch zu gedenken, daß der weiße
Fluß, ſo leicht auch im Allgemeinen ſeine Erkenntniß iſt, doch,
wie ſchon Aſtruc bemerkt, vorzuͤglich unter zweyerley Um-
ſtaͤnden, Aehnlichkeit mit andern Krankheiten gewinnt, naͤm-
lich entweder, wo er ganz neu entſtanden, oder wo er bereits
inveterirt und dadurch die Qualitaͤt des Abfluſſes geaͤndert iſt.
In beiden Faͤllen jedoch, vorzuͤglich im letztern, koͤnnte er
wohl mit einem Geſchwuͤre am oder im Uterus verwechſelt
werden; allein die genaue Beruͤckſichtigung der vorhergegange-
neu Zuſtaͤnde, Mangel ſtattgehabter Entzuͤndung und Ab-
weſenheit eines Fiebers, fuͤhren bald zur richtigen Erkenntniß.
Auf aͤhnliche Weiſe, vorzuͤglich aber durch Abweſenheit der die-
ſer Krankheit eigenen, unten zu beſchreibenden Symptome,
unterſcheidet er ſich von Skirrhus und Krebs, ſo wie durch
den Mangel des regelmaͤßigen Typus von der mißfarbigen
Menſtruation, durch Beruͤckſichtigung vorhergegangener Ereig-
niſſe vom Wochenfluſſe u. ſ. w.


§. 387.

Ueber Verlauf, Folgen und Prognoſe der Leu-
korrhoͤe haben wir zu bemerken, daß ſie namentlich verſchie-
den ſind nach der Conſtitution der Kranken, nach der groͤßern
oder geringern Heftigkeit ſchaͤdlicher Einwirkungen, und vor-
zuͤglich nach der Dauer, ſo daß dann vorzuͤglich, wenn die
Krankheit als Folge unheilbarer Verbildungen der Geburts-
theile, ſtarker Gebaͤrmutter- oder Scheidenvorfaͤlle u. ſ. w. ein-
getreten iſt und bey allgemeiner ſchwaͤchlicher Conſtitution be-
reits lange angehalten hat, die Prognoſe am uͤbelſten iſt und
Ercoriationen, Verhaͤrtungen und mancherley, nicht ſelten bey
[301] Sectionen ſolcher Kranken bemerkte Ausartungen der innern
Geburtstheile, Unfruchtbarkeit, allgemeine Abzehrung, Waſ-
ſerſucht u. ſ. w. am leichteſten herbeygefuͤhrt werden. Am
guͤnſtigſten iſt dagegen die Prognoſe, wo der weiße Fluß in
Folge der ſtarken Produktivitaͤt in den Entwickelungsjahren
oder bey der Schwangerſchaft eintritt, indem er hier gewoͤhn-
lich bald wieder und unter der Anwendung bloßer diaͤtetiſcher
Mittel ſich verliert. — Beſondere Erwaͤhnung verdient es
endlich, daß bey der Leukorrhoͤe eben ſo, faſt wie bey der Men-
ſtruation, eine ploͤtzliche Hemmung (Unterdruͤckung)
Statt finden kann, welche dann oft aͤhnliche Zufaͤlle, wie die
Hemmung der Menſtruation, Kopfſchmerz, Kreuzſchmerz, Fie-
ber, Kraͤmpfe, Durchfaͤlle, Haͤmorrhoiden u. ſ. w. veranlaßt,
ſobald dieſe krankhafte Abſonderung bereits dem Koͤrper zur
Gewohnheit geworden iſt.


§. 388.

Wir kommen nun zur Behandlung der Leukorrhoͤe.
Auch hier hat der einſeitige Brownianismus, indem er bey
dieſer Krankheit, wie ſchon oben erwaͤhnt, nichts als Schwaͤ-
che im Sinne hatte, ſich oft von hinlaͤnglicher Beruͤckſichti-
gung der wahren Natur der Krankheit und ſomit auch von
der Wahl eines zweckmaͤßigen Heilverfahrens entfernt. Ein
ſolches kann aber, da wir in obigem die ſehr verſchiedene Ent-
wicklungsart der Krankheit verfolgt haben, ebenfalls fuͤr die
einzelnen Faͤlle nur ein verſchiedenes ſeyn. — Zuerſt alſo von
derjenigen Leukorrhoͤe, welche durch eine im Uebermaaß thaͤ-
tige Reproduction bewirkt wird. Hierbey kommen zwey Faͤlle
in Betrachtung: entweder naͤmlich iſt die Reproduction im
Allgemeinen geſteigert und Mißverhaͤltniß zur Irritabilitaͤt ent-
ſtanden, oder es iſt bey normalem Allgemeinbefinden die Pro-
duktivitaͤt der Schleimhaͤute abnorm erhoͤht. In beiden Faͤllen
wird Beſchraͤnkung abnormer Produktivitaͤt erſte Indication
der Behandlung. Man erreicht dieſes im erſtern Falle zuvoͤr-
derſt durch zweckmaͤßige Regulirung taͤglicher Lebensordnung,
durch hinlaͤngliche Bewegung, durch Entziehung ſtark naͤhren-
der Getraͤnke und Speiſen, Unterſagung zu langen Schlafens,
[302] Aufenthalt in mehr kuͤhler Luft, Schlafen auf Matratzen und
ſorgfaͤltige Vermeidung von allem, was Congeſtionen nach
den Geſchlechtsorganen veranlaßt, oder die Senſibilitaͤt derſel-
ben erhoͤht. Ferner durch ſtrenge Sorgfalt fuͤr Reinhaltung
der Geburtstheile, oͤfteres Waſchen derſelben mit maͤßig kal-
tem Waſſer oder einem Aufguſſe der Hb. serpilli, Absinthii
u. ſ. w., und vorzuͤglich der allgemeinen Baͤder und im Som-
mer des Flußbades. Drittens nimmt man auf den Zuſtand
des Darmkanals beſondere Ruͤckſicht, ſucht nicht nur gaſtriſche
Zuſtaͤnde, Wuͤrmer u. dgl. zu beſeitigen, ſondern ordnet auch
außerdem zuweilen leichte Abfuͤhrungen aus der Pulp. Tama-
rind., Manna,
einem Infus. sennae u. ſ. w., doch ohne viele
Mittelſalze, an. — Unter dieſer Behandlung verliert ſich der
weiße Fluß uͤbrigens geſunder Koͤrper, wenn er in den Ent-
wickelungsjahren oder bey angehender Schwangerſchaft eintritt,
gewoͤhnlich bald, obwohl der letztere oft ſchon hartnaͤckiger zu
ſeyn und erſt nach der Niederkunft zu weichen pflegt.


§. 389.

Was die Leukorrhoͤe von bloß oͤrtlicher Erregung betrifft,
ſo muß man wieder unterſcheiden, ob dabey noch wirklich eine
vermehrte arterielle Thaͤtigkeit Statt findet, wie vorzuͤglich in
dem erſten Stadium der Krankheit, bald nachdem die krank-
haften Reize eingewirkt haben, der Fall zu ſeyn pflegt; oder
ob dieſe vermehrte Reaction bereits aufgehoͤrt und dem Zu-
ſtande der Atonie, der krankhaft fortwuchernden Ausſcheidung,
Platz gemacht hat. So lange das erſtere der Fall iſt, wird
wieder theils das im vorigen Paragr. geſchilderte allgemeine
Verfahren angewendet werden muͤſſen, theils auf Entfernung
der vielleicht noch einwirkenden oͤrtlichen Reize und Ableitun-
gen dieſer krankhaft erregten Thaͤtigkeit durch vermehrte Er-
regung in andern Theilen Bedacht genommen werden muͤſſen.
Iſt demnach Anſteckung die Folge, und hat man ſich uͤber-
zeugt, daß nicht etwa zugleich ſyphilitiſche Infektion Statt ge-
habt habe, ſo wird vorzuͤglich durch oͤftere Baͤder, Auswa-
ſchungen oder auch vorſichtig gemachte Injectionen die Reini-
[303] gung der Genitalien bewerkſtelligt, und man kann ſich hier-
bey zu den letztern Mitteln vorzuͤglich der durch Kalchwaſſer
verduͤnnten Milch mit Nutzen bedienen; ganz kalte Baͤder oder
Waſchungen hingegen ſind, um nicht Metaſtaſen nach andern
Organen zu veranlaſſen, hierbey unzweckmaͤßig. Innerlich
giebt man einige Abfuͤhrungen, zu denen hier auch mit Nutzen
das Calomel gebraucht werden kann, und laͤßt damit, wenn
die Entzuͤndungszufaͤlle betraͤchtlicher ſind, den Gebrauch von
etwas Nitrum verbinden. Uebrigens ſchraͤnkt man die Diaͤt
ein, empfiehlt kuͤhlende Getraͤnke, beſonders Emulſionen, und
ſucht die Hautausduͤnſtung zu befoͤrdern.


§. 390.

Haͤngt dieſe neuentſtandene Leukorrhoͤe dagegen ab von
ſkrophuloͤſen Zuſtaͤnden, Stoͤrungen des Pfortaderkreislaufs,
Wurmbeſchwerden u. ſ. w., ſo muß das Hauptaugenmerk des
Arztes darauf gerichtet ſeyn, dieſen primaͤren Krankheiten zu
begegnen, und auch hier darf man dreiſt anſcheinend ſchwaͤ-
chende, d. i. ausleerende Heilmethoden in Anwendung bringen,
ſobald jene Zuſtaͤnde es fordern; oͤrtlich bleibt auch hier die
Anwendung ſtarker adſtringirender, leicht gefaͤhrliche Suppreſ-
ſionen herbeyfuͤhrender Mittel unzweckmaͤßig und ſchaͤdlich, ſon-
dern nur das im vorigen Paragraph angezeigte Verfahren
paſſend. Haben unterdruͤckte Menſtruation oder ploͤtzliche Hem-
mungen anderer Krankheiten, z. B. von Hautausſchlaͤgen, die
Leukorrhoͤe veranlaßt, ſo iſt im erſtern Falle das oben (§.
208.) gelehrte Heilverfahren paſſend, im letztern durch Ablei-
tungsmittel, z. B. Fontanelle, der Urſache zu begegnen. Auf
aͤhnliche Weiſe iſt zu verfahren, wenn andere gewohnte, nun
ploͤtzlich gehemmte Ausleerungen, z. B. unterdruͤckte Fuß-
ſchweiße (welche durch reizende Fußbaͤder, trockne Friktionen
u. ſ. w. wo moͤglich wieder hergeſtellt werden muͤſſen), oder
verſetzte rheumatiſche und arthritiſche Stoffe (welche dann die
ihrer Individualitaͤt angemeſſene Behandlung fordern) dieſer
krankhaften Ausſonderung zum Grunde liegen. Eben ſo end-
lich ſind mechaniſche Reize, Peſſarien, Polypen, Vorfaͤlle,
[304] zu beſeitigen; betraͤchtliche Einriſſe des Mittelfleiſches erfor-
dern die blutige Nath u. ſ. w.


§. 391.

Iſt dagegen die arterielle Reaction gegen die einwirken-
de Erregung bereits voruͤber, ein atoniſcher Zuſtand eingetre-
ten, wo eben in Folge der geſunkenen Lebensthaͤtigkeit uͤber-
haupt dieſe niedere Thaͤtigkeit der Schleimhaͤute uͤbermaͤßig
hervortritt, ſo kann dieſes wieder entweder nur die Folge der
geſchwaͤchten animalen hoͤhern Lebensthaͤtigkeit im geſammten
Organismus, oder die Folge eines oͤrtlichen Schwaͤchezuſtan-
des ſeyn. — Das erſtere pflegt der Fall zu ſeyn nach ſchwe-
ren akuten oder chroniſchen Krankheiten, bey ungeſunder Le-
bensweiſe, in kalter feuchter Luft, bey ſchlechter Nahrung,
deprimirenden Gemuͤthszuſtaͤnden, ja die anfaͤnglich vielleicht
bloß oͤrtlich erregte Leukorrhoͤe ſelbſt wird bey laͤngerer Dauer
dieſe Schwaͤche zur Folge haben. — Hier gilt es nun wieder,
die Urſachen aufzuſuchen, welche einen Schwaͤchezuſtand dieſer
Art zur Folge gehabt haben, ſie ſodann zu beſeitigen und
gleichzeitig den Gebrauch roborirender Mittel damit zu ver-
binden. Iſt daher auf die Freiheit der erſten Ernaͤhrungs-
wege die gehoͤrige Ruͤckſicht genommen, ſo ſucht man die Ver-
dauungskraft durch bittere Mittel, Extr. Centaurii min.,
Gentianae, Trifol. fibr.,
bey mehr torpiden Subjekten in
Verbindung mit geiſtigen Mitteln, Elix. Viscerale Hoffm.,
TR. Cort. Aurant., Balsam. vit. Hoffm.,
allmaͤhlig zu
heben, und wendet dann die China (vorzuͤglich in Pulver-
form) und ſpaͤterhin das Eiſen, vorzuͤglich in Form der (wo
moͤglich an der Quelle zu trinkenden) eiſenhaltigen Mineral-
waͤſſer an. Ferner empfiehlt man eine naͤhrende, leicht ver-
dauliche Diaͤt, den maͤßigen Genuß eines guten alten Weins,
Landluft, Aufheiterung des Gemuͤths und beſonders den Ge-
brauch ſtaͤrkender, vorzuͤglich eiſenhaltiger Baͤder.


§. 392.

Die Leukorrhoͤe, wegen oͤrtlich geſunkener Lebensthaͤtigkeit
und dadurch profus gewordener Abſonderung der Schleimhaͤute,
[305] tritt allmaͤhlig immer bey laͤngerer Dauer des Uebels ein,
wenn auch vielleicht anfaͤnglich gleichzeitig erhoͤhte arterielle
Thaͤtigkeit bemerkt wurde, und zwar erfolgt der Uebergang
in dieſe Art des weißen Fluſſes um ſo leichter, je mehr im
allgemeinen Befinden die hoͤhern Reactionen geſchwaͤcht ſind,
je mehr das Temperament phlegmatiſch iſt, je uͤbler die aͤuſ-
ſern Verhaͤltniſſe der Kranken ſind und je weniger eine ſtrenge
Reinlichkeit von der Kranken beobachtet wird. — Außerdem,
daß nun hier wieder gilt, was bereits von mehreren fruͤhern
Formen geſagt iſt, naͤmlich, daß die Entfernung von mecha-
niſchen Reizen und unterhaltenden Urſachen der Secretion
(z. B. andern Krankheiten, Indurationen, Geſchwuͤren u. ſ.
w.), ferner ſtrenge Reinlichkeit und Vermeidung aller Ein-
fluͤſſe, wodurch (wie etwa von erhitzenden warmen Getraͤn-
ken, treibenden Mitteln und beſonders vom Geſchlechtsreize
gilt) Congeſtionen nach den Genitalien erregt werden, be-
ſonders die Aufmerkſamkeit des Arztes fordern, ſo iſt es hier
ferner nothwendig, zugleich Mittel anzuwenden, welche theils
direkt, theils indirekt die Secretion zu beſchraͤnken im Stan-
de ſind.


§. 393.

Zu den direkt die Secretion vermindernden Mitteln darf
wohl zuvoͤrderſt die ſtrenge Herabſetzung aller Stoffaufnahme
auf das moͤglichſt kleinſte Maaß gerechnet werden, wie es in
der ſogenannten Hungerkur in Anwendung gebracht wird;
welche wir daher nicht anſtehen, fuͤr einen tief eingewurzel-
ten, vorzuͤglich etwa fruͤherhin mit Syphilis complicirt ge-
weſenen weißen Fluß als ein nicht zu uͤbergehendes, und ſelbſt
wo die andern Mittel ohne Erfolg angewendet worden ſind,
noch Huͤlfe verſprechendes Mittel zu empfehlen, vornehmlich
dann, wenn die Lebensthaͤtigkeit in der Geſammtheit des Or-
ganismus noch nicht zu tief herabgeſtimmt iſt. Ferner ge-
hoͤren hierher die der Reproduction uͤberhaupt entgegenwirken-
den, vorzuͤglich der Klaſſe der mineraliſchen und metalliſchen
Arzneyſtoffe angehoͤrigen Mittel, welche ebenfalls vorzuͤglich
bey ſehr langwieriger Leukorrhoͤe und nachdem man die noͤ-
I. Theil. 20
[306] thige Ruͤckſicht genommen hat darauf, daß nicht etwa eine
zu ploͤtzliche Hemmung Statt finde, in Anwendung zu ziehen
ſind. Man waͤhlt dazu entweder das reine, oder nur mit
wenig Milch verſetzte Kalchwaſſer, die ebenfalls mit etwas
Milch oder mit einer Abkochung der Mohnkoͤpfe vermiſchte
Aqua vegeto-min. Goulardi, die Aqua phagadaenica, die
Aufloͤſungen des Alauns, des Zink-, Eiſen-, ſo wie des
Kupfervitriols oder Bleyzuckers, ohngefaͤhr zu einem Quent-
chen auf ein Pfund Fluͤſſigkeit, oder, in beſonders hartnaͤcki-
gen Faͤllen, vorzuͤglich wo vielleicht fruͤher ſyphilitiſche Com-
plicationen vorhanden geweſen ſind, den Mercurius sublima-
tus corros.
zu 2 bis 4 Gran in derſelben Quantitaͤt Fluͤſſig-
keit aufgeloͤſt.


§. 394.

Alle dieſe Mittel werden entweder als Injektionen oder
als Waſchungen der aͤußern Genitalien (vorzuͤglich wenn die
Leukorrhoͤe, obwohl dies ſelten der Fall iſt, ſich mehr auf
die aͤußern Geſchlechtstheile beſchraͤnkte) angewendet, oder
koͤnnen endlich auch mittelſt eines befeuchteten Schwammes in
die Vagina gebracht werden. Immer iſt es hierbey zweck-
maͤßig, vor Anwendung dieſer Mittel die Geburtstheile von
anhaftendem Schleime reinigen und abtrocknen zu laſſen, dann
dieſe Mittel, ſey es nun durch langſame Injection oder durch
den Schwamm, 10 Minuten bis eine Viertelſtunde mit der
abſondernden Flaͤche in Beruͤhrung zu laſſen und nach dieſer
Zeit abermals durch ein Bidetbad, oder durch laues Waſſer
und Schwamm eine Reinigung und Austrocknung vornehmen
zu laſſen. — Zu dieſen Mitteln iſt ferner auch die Anwen-
dung der Kaͤlte zu ziehen, obwohl ſie, ſey es nun als ſehr
kalte Einſpritzung oder Waſchung (in der letztern Form aller-
dings noch am erſten), wegen der oft anderweitig nachthei-
lig werdenden Wirkung nicht allgemein empfohlen werden kann.
— Endlich gehoͤren auch die kalten Baͤder, ſo wie die mit
adſtringirenden Mitteln (z. B. Eiſenvitriol zu 1 — 2 Loth)
verſetzten, hierher, bey welchen Mitteln ſaͤmmtlich die im vorigen
Paragraph erwaͤhnte Vorſicht nicht zu uͤbergehen iſt.


[307]
§. 395.

Als indirekt die Secretion vermindernde Mittel betrach-
ten wir diejenigen, welche, indem ſie oͤrtlich die Lebensthaͤ-
tigkeit uͤberhaupt und insbeſondere Arteriellitaͤt und Muskel-
kraft erhoͤhen, antagoniſtiſch die wuchernde Produktivitaͤt der
Schleimhaͤute herabſtimmen. Hierher gehoͤrt nun zwar ſchon
die §. 391. eroͤrterte allgemeine Behandlung, allein noch mehr
die Anwendung toniſcher Mittel auf die leidenden Organe
ſelbſt. Dahin ſind aber zu zaͤhlen die Abkochungen der Ei-
chen-, Ulmen- oder Weidenrinde, ſo wie der Gallaͤpfel, die
Aufguͤſſe der Hb. Serpilli, Absinthii, bey mehr torpiden
Koͤrpern vermiſcht mit fluͤchtig reizenden Stoffen, mit rothem
Wein oder etwas Branntwein, bey ſehr ſenſibeln Koͤrpern
mit einem Aufguſſe der Valeriana, des Hyoſcyamus, mit
einigen Tropfen der TR. thebaica, und wieder entweder als
Einſpritzungen oder als Waſchungen, oder endlich auch als
allgemeine Baͤder (Lohbaͤder, Baͤder von natuͤrlichen oder kuͤnſt-
lichen Eiſenwaͤſſern, oder von den genannten bittern Kraͤuter-
aufguͤſſen). Ferner ſind hierher zu zaͤhlen das Tragen von
Guͤrteln*) mit Eichenrinde und aromatiſchen Kraͤutern ge-
fuͤllt, das Emplastrum aromaticum uͤber die regio hypo-
gastrica,
die geiſtigen Einreibungen daſelbſt und beſonders
auch die trocknen Raͤucherungen der Geburtstheile mit Maſtix
oder Bernſtein.


§. 396.

Wird nun der weiße Fluß auf die angegebene Weiſe
ſtets ſeiner beſondern Entſtehungsweiſe angemeſſen behandelt,
ſo wird es vorzuͤglich, wenn das Uebel noch neu iſt, in vie-
len Faͤllen gelingen, die vollſtaͤndige Heilung zu bewerkſtelli-
gen, wobey nur noch zu erinnern iſt, daß auch, wenn der
[308] Ausfluß aufgehoͤrt hat, gewoͤhnlich noch eine betraͤchtliche
Erſchlaffung der Genitalien und Neigung zu Wiedererzeugung
der Krankheit zuruͤckbleibt, weßhalb dann insbeſondre theils
noch fuͤr laͤngere Zeit die in Obigem vorgeſchriebene Lebens-
ordnung puͤnktlich zu befolgen bleibt, theils mehrere der ge-
nannten Mittel, und beſonders bey geſchwaͤchten Koͤrpern die
China und der innere und aͤußere Gebrauch eiſenhaltiger Waͤſ-
ſer laͤngere Zeit fortgeſetzt werden muß. Das, was indeß
die Heilung dieſer Krankheit gewoͤhnlich am meiſten erſchwert,
iſt, daß die Kranken in der fruͤhern Zeit des Uebels theils
aus Schamhaftigkeit, theils aus Unachtſamkeit die Huͤlfe des
Arztes aufzuſuchen verabſaͤumen, daß derſelbe daher gewoͤhn-
lich die krankhafte Abſonderung bereits tief eingewurzelt fin-
det, und endlich ſeine Anordnungen ſelbſt zum großen Theil
in diaͤtetiſchen Vorſchriften beſtehen muͤſſen, auf deren ge-
naue Befolgung man ſich oft ſehr wenig verlaſſen darf.


§. 397.

Noch waͤre denn auch davon zu ſprechen, was dem
Arzte dann zu beruͤckſichtigen bleibe, wenn durch irgend eine
gewaltſame Urſache eine ploͤtzliche Unterdruͤckung dieſer dem
Koͤrper vielleicht laͤngere Zeit ſchon zur Gewohnheit geworde-
nen Abſonderung entſtanden waͤre. — Im Ganzen werden
hierbey wieder ziemlich dieſelben Regeln, welche oben (§. 208.)
fuͤr die Behandlung der unterdruͤckten Menſtruation gegeben
worden ſind, Anwendung finden, und vorzuͤglich in den Faͤl-
len, wo die Leukorrhoͤe Folge einer im ganzen Organismus
abnorm hervortretenden produktiven Kraft war, ſtellvertretende
allgemeine Ausleerungen (Venaͤſektionen, Abfuͤhrungen, Be-
foͤrderung der Tranſpiration u. ſ. w.), ſo wie, wenn Unord-
nungen im Druͤſenſyſtem, Obſtructionen u. ſ. w. eingetreten
ſind, die reſolvirenden, bey hyſteriſchen Zufaͤllen hingegen die
beruhigenden Mittel (Baͤder, Ableitungen u. ſ. w.) Anwen-
dung finden. Auch kann durch Injectionen aus aromatiſchen
Aufguͤſſen, Rubefacientia an die Schenkelflaͤchen, Dampf-
baͤder, gelinde Diuretica und Purgantia etwas zur erneuten
Vermehrung der Secretion gethan werden, obwohl man,
[309] wenn ſich durch eine vielleicht fuͤr einige Zeit unterhaltene
anderweitige Abſonderung (z. B. ein Foutanell) dieſe krank-
hafte Secretion erſetzen und dem Organismus endlich ganz
unnoͤthig machen laͤßt, dieſe Gelegenheit ergreifen wird, um
die radicale Heilung zu bewerkſtelligen.


4.
Waſſerſucht der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter
(Hydrometra).

§. 399.

Theils in den zeugungsfaͤhigen Jahren, und zwar vor-
zuͤglich bey Frauen, welche mehrere Male geboren haben,
theils aber auch noch im ſpaͤtern Alter und bey erloͤſchender
Geſchlechtsthaͤtigkeit bilden ſich zuweilen Waſſeranſammlungen
in der Gebaͤrmutter, welche man, je nachdem der Ort iſt,
an welchem die Anhaͤufung geſchieht, in die Waſſerſucht
der Gebaͤrmutterhoͤhle
, wenn das Waſſer frey in der
letztern ſtagnirt (Hydrometra ascitica), in die Waſſer-
ſucht der Gebaͤrmutterſubſtanz
(Hydrometra oede-
matosa
), wo das Waſſer das ſchwammige Gewebe der Ge-
haͤrmutterwaͤnde erfuͤllt, und in Blaſenwaſſerſucht der
Gebaͤrmutter
(Hydrometra hydatica) abtheilt. Bey der
letztern Form iſt das Waſſer in kleinern oder groͤßern Blaſen
eingeſchloſſen, und es wird ſonach durch dieſe, hier wie an
andern Theilen des Koͤrpers, und zwar ohne Zeugung ent-
ſtehenden Aftergebilde ein wahrer Uebergang hergeſtellt zu den
durch Zeugung entſtehenden falſchen Fruͤchten oder Molen,
beſonders den ſogenannten Traubenmolen, von welchen im
zweyten Theile die Rede ſeyn wird.*)


[310]
§. 400.

Die Waſſerſucht des Uterus iſt aber eine ihrer Erkennt-
niß nach beſonders ſchwierige Krankheit, welche theils mit
Waſſerſucht der Banchhoͤhle, Waſſerſucht der Ovarien, theils
und zwar vorzuͤglich leicht mit wirklicher oder Molenſchwan-
gerſchaft verwechſelt werden kann, ja endlich (wie wir bey
Betrachtung der Krankheiten der Schwangern finden werden)
am allerſchwerſten auszumitteln iſt, wenn ſie zugleich mit
wahrhafter Schwangerſchaft vorkommt, weshalb denn ihre
Diagnoſe eine ganz beſondere Beruͤckſichtigung erfordert.
Kennzeichen derſelben ſind aber zu entnehmen aus folgenden
Momenten: 1) allgemeine Koͤrperconſtitution und beſondere
vorausgegangene Krankheitsurſachen oder ſonſtige ſchaͤdliche Ein-
fluͤſſe. Vorzuͤglich diejenige Koͤrperbildung alſo, welche uͤber-
haupt zu Waſſeranſammlungen disponirt, d. i. phlegmatiſcher,
ſchwammiger Habitus, die ſpaͤtern Lebensjahre, beſtimmte
Ueberzeugung, daß Schwaͤngerung nicht Statt gehabt haben
koͤnne (etwa wegen bereits erloſchenem Zeugungsvermoͤgen);
ferner vorausgegangene, nicht zur reinen Entſcheidung gedie-
hene Gebaͤrmutterentzuͤndung, unterdruͤckte Menſtruation und
Leukorrhoͤe. 2) Eintretende Geſchwulſt des Unterleibes, wo-
bey indeß die vergroͤßerte Gebaͤrmutter durch die aͤußere Un-
terſuchung als Urſache der Ausdehnung ſich ausmitteln laͤßt,
ſo daß jedoch das Anwachſen der Gebaͤrmutter weniger regel-
maͤßig (haͤufig ſchneller) als bey der Schwangerſchaft erfolgt,
die Ausdehnung ſelbſt hoͤchſt ſelten den Umfang der hoch-
ſchwangern Gebaͤrmutter erreicht, auch wohl periodiſch ab-
und zunimmt. 3) Ein von Zeit zu Zeit ſich einſtellender
Abfluß von Waſſer aus den Geburtstheilen, welches entweder
rein oder mit Schleim, Blut oder Blaſen vermiſcht iſt (das
entſchiedendſte Zeichen). 4) Die geburtshuͤlfliche Unterſuchung
zeigt den Muttermund und Mutterhals ſchlaff, ſchwammig,
oder bey der Hydrometra oedematosa teigartig anzufuͤhlen,
welches, ſo wie die gewoͤhnlich ſehr geſunkene Temperatur,
oft auch an dem aͤußern Umfange der Geſchwulſt ſich ent-
decken laͤßt. Der Muttermund ſelbſt pflegt außer bey, und
kurz nach dem Abgange des Waſſers geſchloſſen zu ſeyn.
[311] Endlich zeigt auch entweder die aͤußere Unterſuchung, oder
die innere, oder beide Arten gleichzeitig angeſtellt, eine Flu-
ctuation im Uterus, jedoch natuͤrlich nur in den Faͤllen, wo
das Waſſer wirklich frey in der Gebaͤrmutterhoͤhle ſtagnirt.


§. 401.

Weniger charakteriſtiſch ſind die nachſtehenden Zufaͤlle:
1) Stoͤrungen der Verdauung, durch verlorne Eßluſt, Ekel,
Erbrechen, Verſtopfungen, Blaͤhungsbeſchwerden, Unterleibs-
ſchmerzen verſchiedener Art; 2) Gefuͤhl von Druck und Schwere
im Becken; 3) nach und nach ſich mindernder Abgang des
Urins, welcher von truͤber, molkiger Beſchaffenheit iſt, und
bey betraͤchtlicher Vergroͤßerung der Gebaͤrmutter oft auch in
ſeiner Entleerung Schwierigkeit findet, da hingegen die uͤbri-
gen Begleiter der Waſſerſuchten, als namentlich ſehr vermehr-
ter Durſt, hier entweder ganz mangeln oder in weit gerin-
germ Grade vorhanden ſind. 4) Vorfaͤlle der Mutterſcheide
oder der Gebaͤrmutter ſelbſt, als Folge der Atonie des Ge-
ſchlechtsſyſtems. 5) Oedematoͤſer Zuſtand der aͤußern Ge-
burtstheile und der untern Extremitaͤten; 6) ſchleichendes Fie-
ber. — Es ergiebt ſich demnach aus dem Vorhergehenden
ſchon, wenn man es zuſammenhaͤlt mit der im zweyten Theile
zu gebenden Geſchichte der natuͤrlichen Schwangerſchaft, wo-
durch dieſe Krankheit namentlich von der letztern ſich unter-
ſcheiden laſſe; indeß iſt doch hier noch insbeſondere zu be-
merken, daß vorzuͤglich die kuͤrzere Dauer der Waſſeranhaͤu-
fung (welche ſelten ſechs Monate uͤberſteigt), ganz beſonders
aber der Mangel aller fuͤhlbaren Kindestheile oder Kindesbe-
wegungen und der von Zeit zu Zeit Statt findende Waſſer-
abgang, in Verbindung mit dem allgemeinen Uebelbefinden,
zu dieſem Endzweck beruͤckſichtigt zu werden verdienen.


§. 402.

Aetiologie. Wie eine jede andere Waſſeranhaͤufung
kann die Gebaͤrmutterwaſſerſucht nur durch vermehrte Ausſchei-
[312] dung, oder durch verminderte Aufſaugung, oder durch beide
Momente gleichzeitig ihrem Weſen nach begruͤndet werden;
betrachtet man indeß die Natur der Krankheit naͤher, ſo muß
man wohl geneigt werden, ſie vorzuͤglich in die vermehrte
Ausſcheidung zu ſetzen, eines Theils, weil eine gewiſſe Er-
regung des Organs ſchon erforderlich iſt, um die Verſchlie-
ßung des Muttermundes (ohngefaͤhr wie bey der Schwan-
gerſchaft) zu bewirken, ohne welche die Anſammlung uͤber-
haupt nicht Statt finden wuͤrde; andern Theils, weil wir ſie
vorzuͤglich haͤufig nach Einfluͤſſen entſtehen ſehen, welche of-
fenbar eine vermehrte Erregung der Uteringefaͤße bedingen,
wie dieſes ſich noch naͤher bey Betrachtung der entfernten
Urſachen ergeben wird. Hierhin gehoͤren aber 1) die §. 400.
erwaͤhnte allgemeine Koͤrperbildung; 2) vorausgegangene Ge-
baͤrmutterentzuͤndung; 3) Verbildungen derſelben, als Eiterun-
gen, Indurationen, Auswuͤchſe; 4) hoher Grad von Atonie
des geſammten Geſchlechtsſyſtems in Folge vorausgegangener
Blutungen, Fehlgeburten, langwieriger Leukorrhoͤe, haͤufig nach
einander kommender Wochenbetten, ſitzender Lebensweiſe, ſchlech-
ter Koſt, deprimirender Affekte, ſehr warmer oder kalter feuch-
ter Luft u. ſ. w.; 5) haͤufig einwirkender Geſchlechtsreiz ohne
wirklich erregte Schwangerſchaft, oder wohl ſelbſt bey bereits
erloſchener Zeugungsfaͤhigkeit, und eben ſo bey disponirten
Subjekten alles, wodurch Congeſtionen nach den Geſchlechts-
organen veranlaßt werden, als geiſtige Getraͤnke, erhitzende
Speiſen, treibende Mittel u. ſ. w.; 6) koͤnnen auch Ge-
ſchwuͤlſte benachbarter Organe durch ihren Druck die Re-
ſorption ſtoͤren und Waſſeranhaͤufungen herbeyfuͤhren, oder
Verwachſungen des Muttermundes nach vorausgegangenen
ſchwierigen Geburten, Verſchließungen deſſelben durch Nach-
geburtsreſte, Schleimpfroͤpfe und coagulirtes Blut die An-
haͤufung von Fluͤſſigkeiten innerhalb der Gebaͤrmutterhoͤhle
beguͤnſtigen.


§. 403.

Ausgaͤnge und Folgen der Gebaͤrmutterwaſ-
ſerſucht nebſt der daraus ſich ergebenden Pro-
[313] gnoſe
. Gewoͤhnlich nimmt die Waſſerſucht der Gebaͤrmut-
ter einen dem Leben weit weniger gefaͤhrlichen Gang, als
die uͤbrigen Waſſerſuchten. Groͤßtentheils entſcheidet ſie ſich
naͤmlich durch die Heilkraͤfte der Natur mittelſt des Abfluſſes
durch die Mutterſcheide, obwohl die Anhaͤufung auch zu-
weilen von neuem ſich bildete. Die Urſachen dieſer Entlee-
rung ſind entweder wahre eintretende Contractionen des Uterus,
oder auch wohl aͤußere mechaniſche Einfluͤſſe, wie z. B. von
Dreißig*) ein Fall mit angefuͤhrt wird, wo nach einem
Sturz auf den Leib das Abfließen von Waſſer erfolgte. Nach
dem Abfluſſe ſelbſt bleibt zwar gewoͤhnlich noch eine betraͤcht-
liche Erſchlaffung der Geburtstheile laͤngere Zeit zuruͤck, ſo
daß man zuweilen nachfolgende paſſive Blutungen entſtehen,
oder auch wohl Neigung zu Luftentwicklung im Uterus, und
zu Gebaͤrmutterblaͤhungen gegeben ſieht; ja ſelbſt allgemeine
und zwar die betraͤchtlichſten Abſpannungen ſah man nach die-
ſen Entleerungen eintreten und Ohnmachten oder wohl gar
den Tod veranlaſſen. Endlich hat man wohl auch Beyſpiele
von ungewoͤhnlichen Wegen der Waſſerentleerung, wie durch
Geſchwuͤre, und zwar ſelbſt durch die Bauchbedeckungen und
durch verſtaͤrkt eintretende anderweitige Abſonderungen, z. B.
durch vermehrten Harnabgang, Schweiß, ja ſelbſt durch
Speichelflnß.


§. 404.

Wenn daher auch im Allgemeinen die Prognoſe nicht
ſehr unguͤnſtig zu nennen iſt, ſo muß ſie doch beſonders auf
folgende Momente Ruͤckſicht nehmen: 1) auf die geſammte
Conſtitution, je weniger ſchlaff und phlegmatiſch dieſelbe iſt,
um ſo leichter und vollkommner iſt die Heilung durch frey-
willige Entleerung zu erwarten; 2) auf die Dauer der Krank-
heit, je laͤnger dieſelbe iſt, je oͤfter ſich das Waſſer von neuem
angeſammelt hat, um ſo ſchwieriger wird die gaͤnzliche Ge-
neſung zu bewirken ſeyn; 3) auf die veranlaſſenden Urſachen,
[314] je mehr wirkliche organiſche Verbildungen im Spiel ſind, je
mehr durch deren Druck die Aufſaugung gehindert, oder der
Weg zur freywilligen Entleerung gehemmt iſt, um ſo unguͤn-
ſtiger muß die Vorherſagung werden.


§. 405.

Die Behandlung der Gebaͤrmutterwaſſerſucht muß
zunaͤchſt auf Entleerung des angeſammelten Waſſers gerichtet
ſeyn. In den Faͤllen ſonach, wo aus den oben erwaͤhnten
Zeichen mit Zuverlaͤſſigkeit die Natur der Krankheit, und zu-
gleich das nicht etwa gleichzeitige Vorhandenſeyn wirklicher
Schwangerſchaft erkannt worden iſt; ferner da, wo das Waſ-
ſer wirklich in der Gebaͤrmutterhoͤhle ſtagnirt, ſich dort durch
Fluktuation zu erkennen giebt (wenn im Gegentheil der oͤde-
matoͤſe Zuſtand des Uterus durch das teigartige Gefuͤhl an
ſeinen Waͤnden ſich auszeichnet), wird die Entleerung durch
den Muttermund zu befoͤrdern ſeyn. Es geſchieht dies, wo
keine Verwachſung Statt findet, am beſten durch die Ein-
fuͤhrung einer geknoͤpften Sonde, entweder frey oder in einer
Trockarroͤhre verborgen; wo hingegen der Muttermund ver-
wachſen gefunden wuͤrde, durch Einbringung eines duͤnnen,
etwas gebogenen und hinlaͤnglich langen Trockars. Gleich-
zeitig ſucht man hierbey die Zuſammenziehung des Fruchthaͤl-
ters durch aͤußere und innere Mittel, als Einreibungen von
Naphtha, Lin. vol., durch einige Gaben der Zimmttinktur
u. ſ. w. zu befoͤrdern, laͤßt nach der Entleerung eine Bauch-
binde maͤßig feſt um den Unterleib legen, und ſchreitet dann
zur Anwendung der ſonſt indicirten innern Mittel, welche
uͤbrigens bey der Hydrometra oedematosa als die einzigen
Huͤlfsmittel benutzt werden koͤnnen.


§. 406.

Die innere Behandlung hat aber hierbey einen drey-
fachen Zweck: 1) den Urſachen dieſer Waſſeranhaͤufung zu
begegnen; 2) dem Abgange des Waſſers, wenn er durch den
Muttermund nicht Statt finden kann, andere Wege, durch
Vermehrung ſonſtiger Excretionen, anzuweiſen; 3) der er-
[315] neuerten Waſſeranhaͤufung durch Verbeſſerung der allgemeinen
Conſtitution Schranken zu ſetzen. — Was das erſtere betrifft,
ſo wird die Behandlung nach den Umſtaͤnden verſchieden ſeyn,
bey den ſchnell, etwa nach vorausgegangener Entzuͤndung,
oder in Folge von Congeſtionen ſich bildenden Waſſeranſamm-
lungen ſind kuͤhlende Abfuͤhrmittel, ſaͤuerliche, verduͤnnende,
den Harnabgang befoͤrdernde Getraͤnke, Befoͤrderung der Haut-
ausduͤnſtung durch Liq. Mindereri, Fliederblumen-Aufguß,
trockne Frictionen angezeigt; ſind dabey ſelbſt Spuren noch
andauernder chroniſcher Entzuͤndung vorhanden, ſo muß damit
das oben fuͤr dieſe Krankheitsform beſchriebene Heilverfahren
verbunden werden (ſ. §. 345. u. 348.). Sind dagegen krank-
hafte Zuſtaͤnde des lymphatiſchen Syſtems, Druͤſenanſchwel-
lungen, Scirrhus uteri, unterdruͤckte chroniſche Hautausſchlaͤge,
Reſte unvollkommen geheilter Syphilis u. ſ. w. im Spiel, ſo
muͤſſen dieſe Krankheiten ihrer Natur gemaͤß behandelt, An-
timonialien, reſolvirende und ausleerende Mittel zu Huͤlfe ge-
nommen, oder das Queckſilber in Anwendung gezogen werden.


§. 407.

2) Zur mittelbaren Ausleerung des Waſſers durch ver-
mehrte anderweitige Abſonderung ſind ferner, wie bey andern
Waſſerſuchten, die Diuretica, als Squilla, Senega, Digita-
lis,
Abkochungen der Wacholderbeeren u. ſ. w. nuͤtzlich, ver-
bunden noͤthigen Falls mit reizenden Einreibungen und Epi-
spasticis.
3) Der Ruͤckſicht auf die Conſtitution wird Ge-
nuͤge geleiſtet durch zweckmaͤßige Anordnung der aͤußern Ver-
haͤltniſſe, Aufenthalt der Kranken in reiner Luft, Sorge fuͤr
Herſtellung einer guten Verdauung, ferner (nach bewirkter
Entleerung des Uterus) durch Anwendung der bittern Extrakte,
der China, der eiſenhaltigen Mineralwaͤſſer und des Eiſens in
Subſtanz, durch Anordnung einer zweckmaͤßigen, leicht ver-
daulichen, nahrhaften Diaͤt, den Genuß eines guten alten
Weins, und wo insbeſondre im Geſchlechtsſyſtem ein hoher
Grad von Atonie zuruͤckgeblieben iſt, durch die Anwendung oͤrt-
licher roborirender Mittel, der toniſchen Bidetbaͤder, der gei-
[316] ſtigen Einreibungen in die Regio hypogastrica, der Kraͤuter-
guͤrtel u. ſ. w.


5.
Von den verſchiedenen ſpeckigen, fleiſchigen oder
knoͤchernen Ausartungen der nicht ſchwangern
Gebaͤrmutter.
(Steatoma, Sarcoma, Osteosteatoma uteri,
Lithometra.
)

§. 408.

Wenn an und fuͤr ſich ſchon der weibliche Koͤrper durch
vorherrſchende Produktivitaͤt ausgezeichnet iſt, ſo gilt dies
doch in ganz vorzuͤglichem Grade von den weiblichen Ge-
ſchlechtsorganen und namentlich vom Uterus. Durchaus kein
Organ im menſchlichen Koͤrper, außer dieſem, beſitzt die Faͤ-
higkeit, ſich zu gewiſſer Zeit auf das zehn- bis zwoͤlf- und
mehrfache ſeiner Maße durch wirkliche Anwachſung zu ver-
groͤßern, und wieder auf den fruͤhern Standpunkt zuruͤckzu-
kehren; nur die Ovarien, als die eigentlichen Heerde neuer
Bildungen, ſind ihm der Produktivitaͤt nach vergleichbar.
Dies aͤußert ſich nun auch in pathologiſcher Hinſicht, und
die weiblichen Geſchlechtsorgane, vorzuͤglich aber der Uterus,
werden zum Sitze fuͤr die mannichfaltigſten Desorganiſatio-
nen, ſowohl der Form als Miſchung nach; Ausartungen,
welche ihrer Entſtehung, Erkenntniß und Folgen nach beſon-
ders merkwuͤrdig ſind, wenn ſie auch großentheils der heilen-
den Kunſt nur wenig Feld verſtatten.


§. 409.

Dieſe Ausartungen ſind [nun] ſowohl dem Umfange, als
dem Sitze und der Subſtanz nach ſehr vielen Verſchiedenheiten
unterworfen. In letzterer Hinſicht unterſcheidet man die
ſpeckigen Auswuͤchſe (Steatomata), welche oft auch weichere
[317] Maſſen, ja helle oder truͤbe Fluͤſſigkeit in ſich enthalten, fer-
ner die ſeltner vorkommenden, mehr derben fleiſchartigen Maſ-
ſen (Sarcomata), und endlich die wahren Verknoͤcherungen
oder Ablagerungen erdiger Maſſen an einzelnen Stellen des
Uterus (Osteosteatomata), oder im ganzen Umfange des
Organs (Lithometra). Ihrem Sitze nach betreffen ſie ent-
weder die obere oder untere, die vordere, hintere oder die
Seitengegend des Uterus, die innere oder aͤußere Flaͤche, oder
das eigentliche Parenchyma deſſelben. Der Umfang iſt gleich-
falls ſehr verſchieden; man findet ſie von der Groͤße einer
Haſel- oder welſchen Nuß, bis zu ſolcher Maſſe, daß dadurch
das Gewicht des nicht ſchwangern Uterus bis zu 40, ja wie
H. Otto*) ein Beyſpiel anfuͤhrt, bis zu 40, ja 80 Pfund
anwuchs. Der kleinern ſind dann nicht ſelten mehrere vor-
handen. Auch von den Verknoͤcherungen dieſes Organs ſind
aͤußerſt betraͤchtliche Faͤlle bekannt geworden. In einem der-
ſelben wog der verknoͤcherte Uterus 5½ Pfund, und es wur-
den zwey Stunden zum Durchſaͤgen der ſehr feſten Knochen-
maſſe gebraucht.**)


Anmerkung. Was die Geſchwuͤlſte und namentlich die
Knochenmaſſen oder Steine betrifft, welche innerhalb der Ge-
baͤrmutterhoͤhle gefunden werden, ſo gehoͤren ſie nicht hierher,
indem ſie als degenerirte Fruͤchte anzuſehen und daher unter
den abnormen Schwangerſchaften zu betrachten ſind.


§. 410.

Die Erkenntniß dieſer verſchiedenen Ausartungen der
Gebaͤrmutterſubſtanz iſt oft mit den bedeutendſten Schwierig-
keiten verbunden, zuweilen wird ſie, da die Stoͤrungen des
allgemeinen Wohlbefindens durch dieſelben oft ſehr gering ſind,
ein Arzt daher nicht leicht um Rath gefragt wird, gar nicht
[318] zu erlangen verſucht; zuweilen kann ſie auch wohl bey einem
Sitze ſolcher Geſchwuͤlſte an der obern Gegend der Ruͤckſeite
des Uterus unmoͤglich bleiben; auf alle Weiſe iſt jedoch Hrn.
Wenzel*) beyzuſtimmen, wenn er ſagt, daß beym Leben
der Kranken in der Mehrzahl der Faͤlle das Uebel verkannt
worden ſey. — Die Zuſtaͤnde, mit welchen dieſe Degeneratio-
nen vorzuͤglich verwechſelt zu werden pflegen, ſind aber, theils
bey ſehr betraͤchtlichem Umfange, die Schwangerſchaft, wor-
uͤber ein Beyſpiel von H. v. Siebold**) angefuͤhrt iſt,
theils falſche Lagen der Gebaͤrmutter, wie dies in einem Falle
angenommen worden war, wo man fruͤher die Zuruͤckbeugung
des im zweyten oder dritten Monat ſchwangern Uterus ver-
muthet hatte, bis ich bey meiner Unterſuchung es als ein
an der hintern Gebaͤrmutterflaͤche (ein Ort, wo mir dieſe
Mißbildungen ſchon mehrere Male aufgeſtoßen ſind) ſitzendes
Steatom erkannte.


§. 411.

In wiefern nun aber dieſe Geſchwuͤlſte ſelten von ent-
zuͤndlichen Zuſtaͤnden bedingt werden, ſo geben ſie ſich auch
namentlich im Beginn durch Stoͤrungen im Geſchlechtsſyſteme
faſt gar nicht zu erkennen, ſondern muͤſſen oft eher durch
Beeintraͤchtigung in den Verrichtungen benachbarter Organe
wahrgenommen werden; uͤberhaupt aber fallen ihre Kennzei-
chen theils in die Perceptionsſphaͤre der Kranken und ſpre-
chen ſich durch gewiſſe Krankheitsgefuͤhle aus, theils ſind ſie
aus der innern und aͤußern geburtshuͤlflichen Unterſuchung zu
entlehnen. Die letztern ſind vorzuͤglich wichtig und eigentlich
allein im Stande, eine genaue Diagnoſe feſtzuſetzen, indeß
allerdings deutlich nur vorhanden, wenn das Uebel ſchon ziem-
lich vorgeſchritten iſt. — Zu den erſtern Zeichen gehoͤren Ge-
fuͤhl von Druck, Vollheit, Schwere im Becken, Schmer-
zen, welche ſich auf die untern Extremitaͤten, Harnwerkzeuge
[319] und den Maſtdarm fortpflanzen; ferner bey betraͤchtlicher An-
ſchwellung des Uterus, Hemmungen in Stuhl- und Harn-
ausleerungen, nach und nach eintretende Verdauungsleiden,
kachektiſches Anſehen, Waſſeranſammlungen in der Bauch-
hoͤhle und oͤdematoͤſe Geſchwulſt der Fuͤße. Endlich vorzuͤg-
lich Stoͤrungen der Geſchlechtsverrichtungen, unordentliche, zu
ſtarke und haͤufige, oder zu ſchwache und ſeltene Menſtrua-
tion, Leukorrhoͤe, und in hoͤherm Grade des Uebels Unfrucht-
barkeit, obwohl bey kleinerm Umfange der Geſchwuͤlſte Schwaͤn-
gerung ſehr wohl eintreten kann, jedoch Schwangerſchaften
eines ſteatomatoͤſen Uterus oft durch Fehlgeburten unterbrochen
werden, uͤberhaupt aber die Diagnoſe dann durch gleichzeitige
Schwangerſchaft ausnehmend erſchwert wird.


§. 412.

Die geburtshuͤlfliche Unterſuchung gewaͤhrt folgende Merk-
male: 1) die Bruͤſte zeigen ſich zuweilen ungleich angeſchwol-
len und ſchmerzhaft; 2) der Unterleib iſt nach der Groͤße
der Geſchwuͤlſte bald mehr, bald weniger ausgedehnt, na-
mentlich iſt jedoch die Haͤrte uͤber dem Schambogen oft wie
bey einer Woͤchnerin am vierten oder ſechsten Tage nach der
Entbindung charakteriſtiſch, und wird als Uterus, namentlich
durch gleichzeitig vorgenommene innere Unterſuchung, erkannt
und von andern krankhaften Geſchwuͤlſten der Bauchhoͤhle un-
terſchieden. 3) Die innere Unterſuchung durch die Vagina
zeigt den Mutterhals und Muttermund gewoͤhnlich etwas ge-
ſchwollen, uͤbrigens aber, wenn das Aftergebilde hoͤher ſitzt,
im natuͤrlichen Zuſtande, allein ihrer Lage nach veraͤndert. So
fand ich ſie bey ſteatomatoͤſen Auswuͤchſen an der Ruͤckſeite
des Fruchthaͤlters hochſtehend und ganz gegen den Schambo-
gen gepreßt; ſo iſt ſie mitunter nach der dem Sitze der Ge-
ſchwulſt gleichnamigen Seite, zuweilen auch ſtark nach ruͤck-
waͤrts gedraͤngt und ſchwer zu erreichen. Iſt jedoch die ganze
Gebaͤrmutterſubſtanz degenerirt, ſo zeigt auch die Vaginal-
portion betraͤchtliche Abweichungen, fuͤhlt ſich hoͤckerig, ver-
groͤßert, verhaͤrtet an.


[320]
§. 413.

Die Auswuͤchſe ſelbſt, wenn ſie mehr dem mittlern und
obern Theile des Uterus angehoͤren, werden vorzuͤglich durch
das Vaginalgewoͤlbe entdeckt, durch welches ſie als ungleiche,
ſchwammige, bald groͤßere, bald kleinere Maſſen in die Be-
ckenhoͤhle hereinragen und oft dieſelbe zum großen Theil aus-
fuͤllen, zum Theil auf aͤhnliche Weiſe, wie dies bey Schwan-
gern in der letzten Zeit der Schwangerſchaft durch vorliegende
groͤßere Kindestheile zu geſchehen pflegt. Daß man nun aber
dieſe Geſchwuͤlſte nicht mit wirklichen Kindestheilen verwechſele,
und uͤberhaupt dieſen pathologiſchen Zuſtand von dem phyſio-
logiſchen der Schwangerſchaft unterſcheide, dazu dient nament-
lich die Beruͤckſichtigung des Ganges, welchen das Uebel
nimmt und genommen hat, in wiefern es nur in Jahren ſich
ausbildet und nicht in der Regelmaͤßigkeit vorſchreitet, wie
die Schwangerſchaft, ferner die Beruͤckſichtigung des Alters
und der ſonſtigen Lebensverhaͤltniſſe, indem dieſe Krankheiten
oft erſt in den Jahren bereits erloſchener Zeugungsfaͤhigkeit
der Unterſuchung des Arztes uͤbergeben werden, und endlich
die Beſchaffenheit der Geſchwulſt ſelbſt, indem theils die un-
gleiche ſchwammige Flaͤche ſie von den Kindestheilen unter-
ſcheidet, theils das Verhaͤltniß derſelben zum Muttermunde
charakteriſtiſch iſt, indem man theils erkennt, daß bey Ein-
bringung der Fingerſpitze in den Kanal des Mutterhalſes der
fremde Koͤrper außerhalb dieſer innern Raͤume liegt, theils
die Lage und Ausdehnung deſſelben an ſich ſchon ſchließen
laͤßt, daß er nicht in dem innern Gebaͤrmutterraume liegen
koͤnne.


§. 414.

4) Kann oft auch die Unterſuchung durch den Maſt-
darm uͤber dieſe Auswuͤchſe beſondern Aufſchluß geben; ihr
Umfang iſt hier zuweilen vollkommner zu umgehen und die
Art ihrer Textur ſicherer auszumitteln. — Da uͤbrigens auch
bey dieſer Art der Unterſuchung die Verwechſelung mit Ruͤck-
waͤrtsbeugung des Uterus ſehr wohl moͤglich iſt, ſo iſt auch
uͤber die Unterſcheidung von dieſer und aͤhnlichen falſchen
[321] Lagen, ſo wie von den krebsartigen Verhaͤrtungen und dem
Scheidenbruche (Colpocele) noch einiges zu erinnern. Von
falſchen Lagen, wo der Gebaͤrmuttergrund in das Scheiden-
gewoͤlbe herabgeſunken iſt, unterſcheidet man aber dieſe Ge-
ſchwuͤlſte durch die Beachtung der Richtung des Mutterhalſes
(ſ. §. 412.) und vorzuͤglich des Kanales im Mutterhalſe
Waͤre z. B. das Steatom an der Ruͤckwand des Uterus, ſo
wird, wenn es hoch anſitzt, der Mutterhals ruͤckwaͤrts, wenn
es tief ſitzt, gegen den Schambogen gepreßt ſeyn, und in
letzterem Falle das ganze Verhalten der Zuruͤckbeugung dem
erſten Anſcheine nach vollkommen gleichen; allein unterſucht
man genauer, ſo findet man den Gang des Mutterhalſes,
anſtatt daß er bey zuruͤckgebeugtem Uterus ſchraͤg ruͤck- und
abwaͤrts ſteigen ſollte, vielmehr, wie gewoͤhnlich, ziemlich
ſenkrecht. — Von dem Skirrhus unterſcheidet ſich das Stea-
tom durch ſeine betraͤchtlichere Groͤße und Hervorragung, und
durch weit geringere oder ganz mangelnde Schmerzhaftigkeit. —
Von dem Scheidenbruche endlich, wo ebenfalls oft eine weiche
Geſchwulſt in das Scheidengewoͤlbe hereinragt, unterſcheiden
ſich dieſe Auswuͤchſe durch groͤßere Feſtigkeit und vorzuͤglich
durch Unbeweglichkeit, da hingegen bey dem Scheidenbruche
die Geſchwulſt bey einer horizontalen Lage der Kranken nach
einem angebrachten Drucke leicht zuruͤck weicht.


§. 415.

Ueber die eigentliche Entſtehung dieſer verſchiedenen
Ausartungen ſind noch naͤhere Aufſchluͤſſe, als bisherige Un-
terſuchungen geliefert haben, zu wuͤnſchen, nur ſo viel ſcheint
mit Sicherheit angenommen werden zu koͤnnen, daß ſie als
Produkte eines oͤrtlichen krankhaften Wachsthums uͤberhaupt,
und nicht etwa als bloße Produkte vorausgegangener Entzuͤn-
dung anzuſehen ſind, daß ſie entſtehen, indem von dem dem
Uterus vielleicht im Uebermaaß zugefuͤhrten Blut und plaſti-
ſchen Stoff, rohe, wegen Mangel wahrer energiſcher Lebens-
thaͤtigkeit nicht hinlaͤnglich verarbeitete Maſſen ſich ablagern,
deren Subſtanz daher auch der Miſchung nach unvollkommner
bleibt (da der Miſchung nach gewiß eben eine ſolche ſtufen-
I. Theil. 21
[322] weiſe Hervorbildung aus einem urſpruͤnglichen Homogenen [aus
Eyweißſtoff] Statt findet, als der Form nach), weshalb denn
dieſe Ablagerung vorzuͤglich als eine zwiſchen geronnenem kaͤ-
ſigtem Eyweißſtoff und Fett in der Mitte ſtehende Maſſe ſich
darſtellt, in welcher in der Laͤnge der Zeit oft auch Knochen-
gebilde entſtehen, *) ja durch welche nach und nach die voll-
kommne Verknoͤcherung dieſes Organs zu Stande kommen
kann.


§. 416.

Als entfernte Urſachen koͤnnen zur Entſtehung die-
ſer krankhaften Metamorphoſen Einfluͤſſe ſehr verſchiedener Art
wirken. Eines Theils giebt vorzuͤglich das hoͤhere Lebensal-
ter **) und ſchwammige, atoniſche, phlegmatiſche Conſtitution
Veranlaſſung hierzu, indem gerade hier, wo der Einfluß des
den Organismus zu geſetzmaͤßiger Einheit verbindenden Ner-
venſyſtems ſchwaͤcher gefunden wird, ein zum Ganzen unver-
haͤltnißmaͤßiges und folglich abnormes Fortwachſen einzelner
Theile am leichteſten Statt finden kann. Noch mehr wird der
Koͤrper indeß hierzu disponirt, wenn noch Krankheitsſtoffe,
wie Syphilis, Gicht, unterdruͤckte Ausſchlagsſtoffe u. ſ. w.
hinzutreten, und vorzuͤglich, wenn heftige oder wenigſtens an-
haltende Erregungen des Geſchlechtsſyſtems hinzukommen. Wir
rechnen hierzu Stoͤrungen der Menſtruation, wo bey gehemm-
ter Blutergießung die Blutmaſſe im Parenchyma deſſelben ſich
anhaͤuft, weshalb denn auch die Zeit, wo die Menſtruation
wegen zunehmendem Alter verſchwindet, der Entſtehung ſowohl
als weitern Ausbildung dieſer Geſchwuͤlſte beſonders guͤnſtig zu
ſeyn pflegt, ja weßhalb namentlich die Ablagerungen von erdi-
ger Maſſe (die Verknoͤcherungen) faſt nie eher, als im ſpaͤ-
tern Lebensalter zu Stande kommen. Ferner ſind hierher zu
[323] zaͤhlen die ploͤtzlichen Hemmungen gewohnter Ausſcheidungen
der Geſchlechtswege, die ploͤtzliche Unterdruͤckung der Leukorrhoͤe.
Eben ſo mechaniſche Schaͤdlichkeiten, namentlich ſchwere, ſo-
wohl natuͤrliche, als durch ein rohes Eingreifen ungeſchickter
Geburtshelfer oder Hebammen beendigte Geburten, Ausſchwei-
fungen in der phyſiſchen Liebe, aber auch (vorzuͤglich nach
Bayle’s Beobachtung haͤufig) die Eheloſigkeit, druͤckende
Peſſarien, treibende Arzneymittel, reizende Injectionen u. ſ. w.


§. 417.

Von dem Gange der Krankheit und der hier-
aus ſich ergebenden Prognoſe
. Der Gang der Krank-
heit iſt in der Regel ein ſehr langſamer; ich habe eine Per-
ſon mit einem bedeutenden Steatom einige Jahre lang beob-
achtet, und immer nur eine ſehr geringe Maſſenzunahme be-
merkt; haͤufige Congeſtionen nach den Geſchlechtstheilen koͤnnen
indeß wohl das Wachsthum beſchleunigen. Die Beſchwerden,
welche ſich dieſen Ausartungen anknuͤpfen, ſind vorzuͤglich nach
der Ausdehnung der Geſchwulſt verſchieden, daher auch ge-
woͤhnlich nur langſam ſich ſteigernd, im Ganzen jedoch von
der Art, wie ſie §. 411. geſchildert worden ſind, von leichtem
Druck und erſchwertem Harnlaſſen oder Stuhlgange bis zur
allgemeinen Waſſerſucht. — Was ſonach die Prognoſe, und
zwar zunaͤchſt ruͤckſichtlich des Gefahrdrohenden der Zufaͤlle, be-
trifft, ſo iſt ſie vorzuͤglich dem Grade und der Dauer des
Uebels nach ſehr verſchieden. Bey geringerem Umfange wer-
den oft ſelbſt die Geſchlechtsfunctionen ſo wenig geſtoͤrt, daß
Menſtruation, Schwangerſchaft und Geburt ohne bedeutende
Hinderniſſe verlaufen koͤnnen; ſpaͤterhin leiden immer dieſe
Functionen zunaͤchſt, Abortus und Unfruchtbarkeit treten ein,
und Leiden der allgemeinen Reproduction folgen nach. Im
Ganzen wird jedoch dieſe Steigerung des Uebels weniger zu
fuͤrchten ſeyn, wo alle fernere Einwirkung der im vorigen
Paragraph genannten Urſachen ſorgfaͤltig vermieden wird, und
dann bleibt zuweilen das Uebel zeitlebens auf einer Stufe,
wo das allgemeine Wohlbefinden wenig beeintraͤchtigt wird,
ſo wie im Gegentheil die lebensgefaͤhrlichen Folgen des Ue-
[324] bels um ſo raſcher eintreten koͤnnen. Ruͤckſichtlich der Heil-
barkeit iſt die Prognoſe ſtets mißlich, da vollkommene Ruͤck-
bildungen in den Normalzuſtand faſt nie gelingen, operative
Kunſthuͤlfe ſelten Statt finden kann, und ſelbſt dem Fort-
ſchreiten des Uebels oft ſchwer Graͤnzen zu ſtellen ſind.


§. 418.

Von der Behandlung dieſer Degenerationen.
Der Zweck dieſer Behandlung iſt theils vollkommene Beſeiti-
gung des Uebels, theils, wo dieſe nicht moͤglich, Verhuͤtung
der Fortſchritte deſſelben und Milderung der durch daſſelbe
veranlaßten Beſchwerden. — Die eigentliche Heilung
nun iſt zu erlangen durch Operation, oder durch Anwendung
innerer und aͤußerer Arzneymittel. Die Operation iſt nur
moͤglich und rathſam, wenn die Geſchwuͤlſte in der Gegend
der Vaginalportion ſitzen, oder der Uterus tief in das Becken
herabgeſunken iſt; ſie iſt auf aͤhnliche Weiſe, wie an aͤußerer
Koͤrperflaͤche die Exſtirpation von Balggeſchwuͤlſten bewerkſtel-
ligt wird, vorzunehmen, ja ſelbſt die Exſtirpation des geſamm-
ten Uterus kann hier unter gewiſſen Umſtaͤnden, namentlich
vollkommner Degeneration ſeiner Subſtanz, anwendbar wer-
den, nach Art und Weiſe, von welcher bey Betrachtung ſkirrhoͤ-
ſer und carcinomatoͤſer Ausartung dieſes Organs das Naͤhere
bemerkt werden ſoll. Bey Geſchwuͤlſten, welche eine weiche,
halbfluͤſſige Maſſe enthalten, kann, wenn Fluctuation durch
das Scheidengewoͤlbe gefuͤhlt wird, auch die bloße Eroͤffnung
derſelben, etwa durch das Oſiander’ſche Hyſterotom *) (T. I.
f. VII.
), hinreichen, um nach Entleerung der Geſchwulſt un-
ter ſorgfaͤltiger Erhaltung gutartiger Eiterung, mittelſt oͤfterer
Injection aromatiſcher Aufguͤſſe, der Aufloͤſungen des Myr-
rhenextrakts, der innerlich gegebenen oder auch aͤußerlich be-
nutzten China und zweckmaͤßiger, leicht verdaulicher, nahrhaf-
ter Diaͤt die Heilung zu bewerkſtelligen. Aehnliche Behand-
[325] lung wird indeß auch nach den uͤbrigen Operationsweiſen ſich
noͤthig machen.


§. 419.

Die Heilung durch innere oder aͤußere Arzneymittel iſt
hoͤchſtens nur da zu erwarten, wo die Urſachen des Uebels in
heilbaren allgemeinen Krankheitszuſtaͤnden beruhen und der
Grad des Uebels nur gering iſt. Namentlich iſt daher bey
ſyphilitiſch Geweſenen oder noch daran Erkrankten von den Mer-
kurialien Gebrauch zu machen; bey gichtiſchen Krankheiten iſt
der Gebrauch warmer Mineralbaͤder zu empfehlen, und außer-
dem verdienen uͤberhaupt noch diejenigen Mittel Anwendung,
welche die oͤrtlich abnorm geſteigerte Produktivitaͤt herabſtim-
men, wohin ſonach der aͤußerliche Gebrauch der Sabina, des
Kirſchlorbeers, der Cicuta, namentlich im Aufguß als In-
jection, gerechnet werden muß. Außerdem iſt darauf zu ſehen,
daß die allgemeine Produktivitaͤt gehoben und geregelt werde,
wobey die Stimmung des Nervenſyſtems vorzuͤglich in ſofern
Beruͤckſichtigung verdient, als bey lebendiger und kraͤftiger Ein-
wirkung deſſelben auch alle aͤhnliche Afterorganiſationen um ſo
weniger entſtehen und um ſo leichter verſchwinden koͤnnen.
Man empfiehlt daher Bewegung in freyer reiner Luft, fleißige
Baͤder, Erheiterung des Gemuͤths, maͤßigen Gebrauch eines
guten alten Weins, bey ſorgfaͤltiger Vermeidung von allem,
was Verſtopfungen und Congeſtionen nach den innern Geni-
talien erregen oder unterhalten koͤnnte.


§. 420.

Ganz auf aͤhnliche Weiſe haben wir ferner zu verfah-
ren, wo, obwohl die voͤllige Heilung den Umſtaͤnden nach
nicht mehr erwartet werden kann, es bloß darauf ankommt,
das Fortſchreiten des Uebels zu hindern, und es bleibt daher
nur noch uͤbrig, von der Milderung der unerlaͤßlich mit groͤ-
ßern Geſchwuͤlſten dieſer Art verbundenen Beſchwerden zu ſpre-
chen. Auch hier vermag indeß die Kunſt nur wenig. An-
ordnung einer ſehr maͤßigen, durchaus nicht beſchwerenden
Diaͤt, Vermeidung heftiger Anſtrengungen und ſtarken Preſ-
[326] ſens beym Stuhlgange, wobey dieſe Geſchwuͤlſte ſich oft noch
feſter in das kleine Becken hereinſenken, von Zeit zu Zeit ge-
reichte blande Abfuͤhrmittel, dieſes habe ich immer bey Kran-
ken dieſer Art am zweckmaͤßigſten gefunden, um ihre Leiden
wenigſtens in etwas zu maͤßigen.


6.
Von den polypoͤſen Auswuͤchſen
an der innern Flaͤche der Gebaͤrmutter
.

§. 421.

Die Schleimhaut, welche die verſchiedenen Gegenden des
Fruchtganges (Fallopiſche Roͤhren, Uterus und Mutterſcheide)
uͤberzieht, iſt namentlich im Uterus ihrer Natur nach zu einem
hohen Grade der Produktivitaͤt beſtimmt, *) indem aus ihr ſich
die ſogenannte Flockenhaut zur Befeſtigung der Frucht entwik-
kelt, ja bey vielen Saͤugethieren (namentlich den Wiederkaͤuern)
die Kotyledonen aus ihr ſich bilden, welche als vollkommen
pilzfoͤrmige Erhabenheiten oft zolllang an duͤnnern Stielen uͤber
die Gebaͤrmutterflaͤche ſich erheben. Es iſt daher ſehr natuͤr-
lich, daß bey abnorm angeregter Bildungsthaͤtigkeit dieſer Or-
gane, eben ſo wie in der geſammten Subſtanz, auch in die-
ſer Haut Afterorganiſationen entſtehen, welche dann ihrer Form
nach oft auffallende Aehnlichkeit mit jenen Kotyledonen haben
und mit dem Namen der Polypen belegt werden.


§. 422.

Aeußeres und Inneres dieſer Auswuͤchſe zeigt vielfache
Verſchiedenheiten; gemeiniglich ſtellen ſie ſich in birnfoͤrmiger
[327] Geſtalt dar, mit dem dicken, abgerundeten Ende abwaͤrts ge-
richtet, mit dem duͤnnern Stiele aufwaͤrts anſitzend; zuweilen
ſind ſie auch mehr abgerundet, einem Apfel oder einer Zwie-
bel aͤhnlich und mit einer breitern Baſis aufſitzend. Ihr In-
neres iſt aus ſchwammigem Zellgewebe gebildet, welches reich-
lich von Blut durchdrungen iſt, deſſen Eintritt man ſich wohl
aus den Venenzellen des Uterus, und zwar ohne beſondere
Gefaͤße, durch Gaͤnge in dieſem ſchwammigen Zellgewebe zu
denken hat, welche Gaͤnge oͤfters (wie ich an zwey betraͤcht-
lichen Polypen, ſo ich in meiner Sammlung bewahre, deut-
lich bemerken kann) an der Oberflaͤche durch Poren ſich oͤff-
nen, woraus zum Theil das haͤufige Ausſikern von Blut aus
denſelben zu erklaͤren iſt. — Hr. v. Siebold*) erwaͤhnt
indeß auch eines mehr hornartigen Polypen, welcher aus ein-
zelnen Schichten, gleich der Hornhaut, im Auge zuſammen-
geſetzt war. Eben ſo findet man in ihnen zuweilen ſtarke
ſehnigte Faͤden, Ablagerungen von geronnenem kaͤſigtem Ey-
weißſtoffe u. ſ. w.


§. 423.

Der Ort, wo die Gebaͤrmutterpolypen entſtehen, iſt
ebenfalls verſchieden, theils naͤmlich bilden ſie ſich in dem
Grunde der Gebaͤrmutterhoͤhle, theils im Kanale des Mutter-
halſes, theils am Muttermunde; ſie liegen daher zuweilen
ganz von den Gebaͤrmutterwaͤnden umſchloſſen, und ſind dann
immer vorzuͤglich ſchwer zu entdecken, zuweilen ragen ſie in
den Muttermund und in die Mutterſcheide herab. Das Letz-
tere geſchieht immer, wenn der Polyp ſich betraͤchtlich zu ver-
groͤßern beginnt; ſein Wachsthum naͤmlich iſt ziemlich dem
der vorher beſchriebenen Auswuͤchſe vergleichbar, anfaͤnglich iſt
er klein, und wenn er durch gefuͤhlte Beſchwerden zuerſt ent-
deckt wird, oft nur von der Groͤße eines Taubeneyes, ſpaͤter-
hin aber gewinnt er immer mehr Umfang, und man hat
deren von mehreren Pfunden Schwere und im Umfange eines
[328] Kinderkopfs gefunden. Daß wir als eigentlichen Sitz der
Polypen die Schleimhaut der innern Uterinflaͤche betrachten,
ſie in ſofern der Placenta uterina (ſ. d. 2ten Theil) gleich-
ſtellen und ſie daher nicht mit andern Schriftſtellern aus der
Mittelſubſtanz des Uterus ableiten koͤnnen, iſt ſchon oben
(§. 421 u. 422.) erwaͤhnt worden.


§. 424.

Von der Erkenntniß des Gebaͤrmutterpoly-
pen
. Wie bey den im vorigen Abſchnitt betrachteten De-
generationen iſt auch hier die Erkenntniß oft mit bedeutenden
Schwierigkeiten verknuͤpft, und wieder wird zu dieſer Erkennt-
niß theils die Beachtung der Krankheitsgefuͤhle der Leidenden,
theils die geburtshuͤlfliche Unterſuchung fuͤhren koͤnnen. Die
erſtern, welche ziemlich den einzigen Leitfaden abgeben, ſo
lange der Polyp noch voͤllig in der Gebaͤrmutterhoͤhle einge-
ſchloſſen iſt, ſind nun gemeiniglich den Beſchwerden einer an-
gehenden Schwangerſchaft aͤußerſt aͤhnlich, ein ſchwacher Druck
in der Beckengegend, oͤftere Kreuzſchmerzen, prickelnde Em-
pfindungen in den Bruͤſten, Außenbleiben oder Unregelmaͤßig-
keit der Menſtruation, zuweilen ſtaͤrkerer Blutabgang, Be-
ſchwerden im Uriniren, geſtoͤrte Verdauung, Ueblichkeit und
Erbrechen laſſen hier leicht Verwechſelungen mit wirklicher
Schwangerſchaft zu. Unterſcheidung von dieſem Zuſtande wird
einigermaßen moͤglich: erſtens durch Beruͤckſichtigung des Al-
ters, indem Polypen zuweilen auch bey nicht mehr zeugungs-
faͤhigen Individuen ſich bilden; ferner durch Beruͤckſichtigung
des Ganges, welchen die Zufaͤlle nehmen, indem kein ſo re-
gelmaͤßiges Fortſchreiten, keine ſolche ſtufenweis erfolgende Ver-
aͤnderung im Umfange des Leibes, kein ſolches Vermindern
anderweitiger Beſchwerden, kein ſo regelmaͤßiges Wiederkehren
und allmaͤhliges Abnehmen der allerdings zuweilen auch bey
Schwangern bemerkbaren Menſtruation, wie bey wahrer
Schwangerſchaft bemerkt wird, ſondern der Zuſtand oft halbe
Jahre und laͤnger auf der gleichen Stufe verweilt.


[329]
§. 425.

Nimmt der Polyp an Groͤße zu, ſo werden die Zeichen
deſſelben immer deutlicher, und vorzuͤglich vermag dann die
geburtshuͤlfliche Unterſuchung beſtimmtere Aufſchluͤſſe zu geben.
Die Vaginalportion naͤmlich zeigt ſich gewoͤhnlich haͤrter und
ſtaͤrker, den Muttermund rundlich, und ſo wie der Polyp
ſich gegen und in denſelben herabſenkt, wird er geoͤffnet, der
Mutterhals verkuͤrzt ſich, und in dem Muttermunde wird
eine derbe kuglichte Geſchwulſt, welche bey der Beruͤhrung
unſchmerzhaft iſt, aber leicht blutet, fuͤhlbar (noch leichter
freylich wird er durch die Unterſuchung entdeckt, wo er ganz
am Muttermunde entſtanden war). Zugleich nimmt die Aus-
dehnung des Uterus zu, der Maſtdarm und Blaſenhals wer-
den gedruͤckt, oͤftere Ergießungen entweder von reinem venoͤ-
ſem Blute oder von waͤſſerigtem, ſchleimigtem, mit Faſern
des Polypen vermiſchtem, uͤbel riechendem Blute ſtellen ſich
ein, der Koͤrper magert ab, Entkraͤftung, Schwindel, bey
den Blutungen nicht ſelten Ohnmachten, Schwere der Glie-
der und ſchleichendes Fieber treten ein.


§. 426.

In dieſem Grade iſt nun ſchon das Uebel mit wahrer
Schwangerſchaft faſt gar nicht mehr zu verwechſeln, indem
namentlich der ſich gleich bleibende geoͤffnete Muttermund, ſo
wie die Art der Ausfluͤſſe, die Dauer des Uebels, der Man-
gel fuͤhlbarer Kindestheile oder Bewegungen zu ſichere Zei-
chen ſind; dagegen kann jetzt das Uebel leichter mit andern
krankhaften Zuſtaͤnden des Uterus, namentlich mit Vorfall
und Umſtuͤlpung deſſelben, verwechſelt werden. Dem Vor-
falle wird der Polyp aͤhnlicher, wenn er betraͤchtlich in die
Vagina herabgeſunken iſt und an ſeiner untern Flaͤche etwa
eine Vertiefung zeigt, iſt jedoch von erſterem bald zu unter-
ſcheiden, weil er unempfindlich iſt, weil man durch Sondiren
keine wahre Muttermundsoͤffnung entdeckt, weil er unten brei-
ter als oben zu ſeyn pflegt und oben vom Ringe des Mut-
termundes umgeben iſt. Schwerer iſt die Unterſcheidung des
[330] Polypen von der unvollkommnen Umſtuͤlpung der Gebaͤrmutter.
Hier ſind vorzuͤglich die vorausgegangenen Zuſtaͤnde zu be-
ruͤckſichtigen, der Polyp entſteht nur allmaͤhlig und ohne daß
nothwendigerweiſe eine Geburt vorausgegangen ſeyn muͤßte,
die Umſtuͤlpung iſt immer die Folge einer regelwidrigen oder
vernachlaͤſſigten Geburt, ſonſt kann die unvollkommne Um-
ſtuͤlpung den Polypen oft aͤußerſt taͤuſchend nachbilden, *) ſo
daß nur theils der doch gewoͤhnlich bey Polypen verduͤnnte
Stiel, theils und hauptſaͤchlich aber die Empfindlichkeit des
umgeſtuͤlpten Uterus gegen Druck, Kneipen oder gar gegen
die umgelegte Ligatur, Gelegenheit geben, dieſen Zuſtand vom
Polypen, welcher ſich an und fuͤr ſich ſtets unempfindlich
zeigt, zu unterſcheiden. Uebrigens laͤßt ſich allerdings auch
der Polyp nicht reponiren, was aber von einer langdauern-
den Inverſion ebenfalls gilt.


§. 427.

Nimmt nun der Gebaͤrmutterpolyp noch mehr zu, ſo
draͤngt er ſich in die Mutterſcheide herein, ja tritt wohl ſelbſt
vor dieſelbe hervor, erregt heftige Spannung und Schmerzen
im Becken, zieht den Grund des Uterus herab, bewirkt Vor-
fall oder theilweiſe Umſtuͤlpung, es entſtehen die hartnaͤckig-
ſten Obſtructionen und Harnverhaltungen, durch den Druck
auf Blut- und Lymphgefaͤße bilden ſich Waſſerſuchten aus,
und ſo kann, verbunden mit Zehrfieber, aͤußerſter Entkraͤf-
tung und oͤftern Blutungen, der Tod eintreten. Hoͤchſt ſelten
iſt es, daß, nachdem der Polyp eine bedeutende Groͤße er-
reicht hat, er ſich ſelbſt abloͤſt und ausgeſtoßen wird, und
wenigſtens gereicht dieſe Naturhuͤlfe nicht leicht zum Vortheil
der Kranken, da, wie auch Hr. v. Siebold erwaͤhnt, hier-
bey ſtets das Uebel ſchon auf eine zu hohe Stufe gediehen
iſt, und auch die Abloͤſung ſelbſt gewoͤhnlich mit ſtarken Blu-
[331] tungen erfolgt. — Auch in dieſem hoͤchſten Grade iſt das
Uebel zwar noch manchen andern Krankheiten aͤhnlich, aber
doch leicht genug von ihnen zu unterſcheiden. Von der gaͤnz-
lich vorgefallenen Gebaͤrmutter unterſcheidet es ſich naͤmlich
durch den fehlenden Muttermund, von der vollkommen um-
geſtuͤlpten Gebaͤrmutter durch die Entſtehung, durch die Deroͤ-
heit des Stiels, da bey letzterer das obere duͤnnere Ende
der vorhaͤngenden Geſchwulſt weicher iſt wegen der Hoͤhlung,
und durch die Unempfindiichkeit.


§. 428.

Aetiologie. Daß wir das Weſentliche dieſes Ue-
bels in einen krankhaften Bildungsprozeß der innern Ge-
baͤrmutterhaut glauben ſetzen zu muͤſſen, iſt oben bemerkt
worden, und es iſt daher jetzt nur noch von den verſchiede-
nen innern und aͤußern Momenten, welche dieſe Degeneratio-
nen beguͤnſtigen, einiges zu erwaͤhnen, obwohl das Meiſte
dem gleich lauten wird, was wir im vorigen Kapitel uͤber
die Entſtehung der Steatome u. ſ. w. aufgefuͤhrt haben. Auch
dieſe polypoͤſen Auswuͤchſe naͤmlich kommen haͤufiger bey Per-
ſonen vor, welche ſchon geboren haben, bey ſchlaffer torpider
Conſtitution, und in ſolchen Jahren, wo ſchon die wahre
Produktivitaͤt des Uterus abnimmt, und eben deshalb die
Neigung zu krankhaften Produktionen, vorzuͤglich bey oͤfterem
Geſchlechtsreiz, zunimmt. Beſtimmtere Veranlaſſung zu dieſen
Auswuͤchſen wird ferner gegeben durch ſchwere Geburten, wel-
che nicht gehoͤrig behandelt, ſondern durch rohes Eingreifen
der Kunſt beendigt worden ſind, beſonders uͤble Behandlung
der Nachgeburtsperiode, wo, wenn wir auch nicht annehmen,
daß Reſte der Placenta zu Polypen ſich umbilden, doch na-
mentlich die innere Flaͤche des Uterus ſo gereizt wird, daß eben
dadurch aͤhnliche Degenerationen der innern Haut nur um ſo
leichter eintreten. Ferner unvollkommen geheilte Syphilis,
ſehr ausſchweifende Lebensart, Mißbrauch geiſtiger Getraͤnke
und anderer erhitzender Dinge u. ſ. w.


[332]
§. 429.

Von dem Verlaufe, welchen dieſes Uebel zu nehmen
pflegt, iſt bereits in den vorigen §§. bey der Kennzeichen-
lehre die Rede geweſen, woraus ſich denn auch ſchon die hier
zu ſtellende Prognoſe faſt von ſelbſt ergiebt, uͤber welche wir
daher nur noch Folgendes erinnern. Nothwendig naͤmlich aͤu-
ßert ſich der Nachtheil derſelben zuerſt in den Functionen des
Geſchlechtsſyſtems, in Unordnungen der Menſtruation und
entweder in voͤlliger Hinderung der Empfaͤngniß oder oͤfterer
Veranlaſſung unzeitiger Geburten, in Veranlaſſung abnormer
Lagen der Gebaͤrmutter, Veranlaſſung zu Metrorrhagien, Leu-
korrhoͤe, ja ſelbſt durch anhaltenden Druck des Polypen auf
die Muttermundsraͤnder zu ſkirrhoͤſen Indurationen derſelben.
Spaͤterhin droht das Uebel eben ſo der allgemeinen Lebens-
thaͤtigkeit Gefahr. Die Prognoſe wird daher Ruͤckſicht neh-
men zunaͤchſt auf die Dauer des Uebels und auf den Grad,
welchen daſſelbe erreicht hat; ferner auf den Sitz des Poly-
pen, in wiefern dieſer fuͤr die Leichtigkeit oder Schwierigkeit
der Operation wichtig iſt, [dann] auf die uͤbrigen, durch den
Polypen bereits veranlaßten oͤrtlichen Leiden, als Vorfaͤlle
der Gebaͤrmutter u. ſ. w., endlich aber insbeſondre auf den
Zuſtand der allgemeinen Reproduction und Lebenskraft. Daß
uͤbrigens ſelbſt ſehr große Polypen nicht nur gluͤcklich beſei-
tigt werden koͤnnen, ſondern ſelbſt Schwangerſchaften zuwei-
len bald nachher wieder eintreten und regelmaͤßig verlaufen,
beweiſt eine von Sauter erzaͤhlte Beobachtung. *)


§. 430.

Behandlung. Das Weſentlichſte derſelben iſt na-
tuͤrlich die Entfernung dieſer Aftergebilde ſelbſt, da dieſelbe
hier weit mehr als in den fruͤher betrachteten Degenerationen
erleichtert iſt. Zu dieſem Endzwecke nun ſtehen vorzuͤglich
zwey Wege offen, erſtens die Unterbindung, zweytens die
[333] Ausrottung durch ſchneidende Werkzeuge; denn das bloße
Ausreißen, Abdrehen und Abkneipen entweder mit der Hand
oder durch Polypenzangen iſt wegen der Reizung oder Ver-
letzung der Uterinſubſtanz gar nicht, noch weniger aber die
Ausrottung durch erregte Eiterung mittelſt des Gluͤheiſens oder
der Aetzmittel zu empfehlen, indem fuͤr letztere Mittel dieſe
Auswuͤchſe theils ihres Orts wegen nicht geeignet ſind, theils
dieſe Ausrottung langwierig, ſchmerzhaft ſeyn und meiſtens
nur unvollkommen gelingen wuͤrde. — Wir ſprechen zuerſt
von den verſchiedenen Methoden der Unterbindung der Gebaͤr-
mutterpolypen.


§. 431.

Man kann aber die Unterbindung dieſer Polypen ent-
weder durch einen mit bloßer Hand, oder durch den mit In-
ſtrumenten umgelegten Faden bewerkſtelligen. Die Unterbin-
dung mit bloßer Hand iſt vorzuͤglich zweckmaͤßig, wo der
Polyp entweder aͤußerlich am oder im Muttermunde anſitzt,
oder zugleich Vorfall oder Umſtuͤlpung des Uterus Statt fin-
det. Man bedarf ſodann bloß eines hinreichend ſtarken ſei-
denen oder hanfenen gewaͤchſten Fadens, in welchen man eine
Schleife macht, dieſe, nachdem die Kranke nach gehabter
Darm- und Harnausleerung halbſitzend und halbliegend quer auf
ein Bett gebracht worden iſt (ohngefaͤhr ſo, wie im zweyten
Theile das Lager zum Unternehmen der Wendung beſchrieben
werden wird), mit einer in die Mutterſcheide gebrachten
Hand bis an die Wurzel des Polypen herauf leitet, ſie dort
mit der Hand fixirt und alsdann durch einen Gehuͤlfen zu-
ziehen laͤßt, bis der Zug von der Kranken ſchmerzhaft em-
pfunden wird. Hierauf befeſtigt man den Faden aͤußerlich
an einer Leibbinde, und zieht denſelben, immer bey einge-
brachter Hand, in den naͤchſten Tagen taͤglich einigemal feſter
zu. — Indem nun aber eben dieſes Zuziehen des Fadens
oft ohne weitere Huͤlfsmittel etwas ſchwieriger iſt, verdie-
nen doch zweckmaͤßig eingerichtete Inſtrumente, vorzuͤglich die
einfacher conſtruirten, namentlich fuͤr alle die Faͤlle empfohlen zu
werden, wo der Sitz des Polypen etwas hoͤher iſt.


[334]
§. 432.

Unter den verſchiedenen Inſtrumenten aber nennen wir
zuerſt als eins der einfachſten den von Sauter*) empfohl-
nen und dem Boucher’ſchen Inſtrumente nachgebildeten, aus
einer Reihe von Paternoſterkuͤgelchen und zwey Fuͤhrungsſtaͤbchen
von Fiſchbein beſtehenden Polypenunterbinder. Hier hat un-
teres und oberes Kuͤgelchen zwey Oeffnungen, ein aͤhnlicher
Faden wird mit beiden Enden durch die Oeffnungen des ober-
ſten Kuͤgelchens geſteckt, beide Enden werden durch den ein-
fachen Kanal der einigen dreyßig Paternoſterkuͤgelchen, und
unten wieder einzeln durch die zwey Oeffnungen des unter-
ſten Kuͤgelchens gefuͤhrt; die Kranke wird ebenfalls in die im
vorigen Paragr. beſchriebene Lage gebracht, die aus dem ober-
ſten Kuͤgelchen hervorragende Schlinge wird mittelſt der beiden
fiſchbeinernen Fuͤhrungsſtaͤbchen gefaßt, bis zur Wurzel deſſel-
ben auf der hintern Seite heraufgeſchoben, woſelbſt dann die
beiden Staͤbchen um die Polypenwurzel herumgefuͤhrt werden,
bis die Kuͤgelchenreihe vor dem Polypen liegt, dann zieht
man die aus dem untern Kuͤgelchen hervorhaͤngenden Enden
an, draͤngt die Kuͤgelchen nach aufwaͤrts, damit ſich die
Schlinge feſt um die Wurzel des Polypen legt, und ſchlingt
dann die heraushangenden Faͤden zu einem Knoten zuſammen,
welcher ebenfalls nach und nach feſter angezogen wird. **)


§. 433.

Anderer Art ſind der Levret’ſche, Niſſen’ſche und
Joͤrg’ſche Polypenunterbinder. Bey dieſen naͤmlich laufen
die Enden des Fadens, welcher die Schlinge bildet, in Roͤh-
ren. Bey dem von Levret empfohlnen ***) ſind zwey ſilberne,
[335] etwas auswaͤrts gebogene Roͤhren durch ein Gewinde mit
einander, gleich einer Zange, vereinigt. Das Inſtrument ſoll
geſchloſſen neben dem Polypen bis zur Wurzel eingebracht,
dann geoͤffnet werden, wo man dann den Polypen durch deſ-
ſen Arme hindurchdraͤngt, die Arme wieder ſchließt und die
unten heraushaͤngenden Fadenenden durch einen Knoten ver-
einigt. Dieſes Inſtrument hat indeß, wie ſchon von Rich-
ter
*) bemerkt worden, mancherley Unzweckmaͤßiges, vorzuͤg-
lich weil die Groͤße und Kruͤmmung des Inſtruments ver-
ſchieden ſeyn muß, fuͤr verſchiedene Faͤlle, weshalb daſſelbe
von Niſſen**) dergeſtalt verbeſſert worden iſt, daß die zwey
Roͤhren frey und nach der Beckenkruͤmmung gebogen ſind,
und nur, wenn ſie wie die Fuͤhrungsſtaͤbchen des Sauter-
ſchen Inſtruments, den Faden um die Wurzel des Polypen
gelegt haben, durch eine doppelt angeſchobene Zwinge verei-
nigt werden. Eine Einrichtung, welche endlich von H.
Joͤrg***) noch dahin abgeaͤndert worden iſt, daß an der
untern angeſchobenen Zwinge eine Schraube angebracht wurde,
durch welche die Enden des Fadens aufgewickelt werden, und
die Polypenwurzel ganz allmaͤhlig zuſammen zu ſchnuͤren iſt.


§. 434.

Außer dieſen giebt es noch eine nicht unbetraͤchtliche
Anzahl aͤhnlicher Inſtrumente; ſo empfiehlt Bell†), zum
Behuf dieſer Unterbindungen, bloß einen ſtaͤhlernen Fuͤhrer
mit zwey Ringen, durch welche der Faden gezogen wird,
ſo daß die Schlinge aus dem oberſten Ringe hervorragt,
[336] Dieſe wird dann um die Wurzel des Polypen gelegt, die
Enden des Fadens werden durch den untern Ring angezogen
und geknuͤpft. Ferner gehoͤren hierher die von Stark, von
Loͤffler, von Deſault und Andern angegebenen Inſtru-
mente, welche wir indeß um ſo eher uͤbergehen koͤnnen, da
unter den hier bereits beſchriebenen ſchon eine genuͤgende Aus-
wahl fuͤr verſchiedene Faͤlle frey ſteht und namentlich das ganz
einfache Sauter’ſche Inſtrument gewiß nicht leicht ſeine
Dienſte verſagen wird.


§. 435.

Es iſt daher jetzt nur noch von einigen Zufaͤllen zu
ſprechen, welche waͤhrend der Abbindung eines Polypen ſich
zuweilen aͤußern koͤnnen, ſo wie von der Behandlung, welche
nach Statt gehabter Abloͤſung deſſelben noͤthig wird. Oef-
ters naͤmlich entſteht bald nach angelegter Unterbindung hef-
tiger Schmerz, mit andern Nervenzufaͤllen gepaart, es ent-
ſteht Fieber und entzuͤndlicher Zuſtand der Gebaͤrmutter. Man
hat ſodann gleich zu unterſuchen, ob etwa die Ligatur gleich
anfaͤnglich zu ſtark angezogen ſey, oder ob ſie einen Theil
des Uterus mit gefaßt habe, welches dann abzuaͤndern iſt,
oder endlich, wenn vorher vielleicht die Diagnoſe noch nicht
zur vollkommenſten Gewißheit gediehen war, ſo muͤſſen Zu-
faͤlle dieſer Art ſogleich auf voͤllige Loͤſung der Ligatur drin-
gen, da ſelbſt von erfahrnen Geburtshelfern zuweilen unvoll-
kommne Umſtuͤlpungen des Uterus mit Polypen verwechſelt
wurden. Außerdem kann zur Linderung der bey reizbaren
Perſonen doch zuweilen, auch bey der vorſichtigſten Unter-
bindung, eintretenden Zufaͤlle innerlich eine kuͤhlende Emulſion,
bey eintretenden Kraͤmpfen etwas Opium u. ſ. w., aͤußerlich
Injectionen von Kamillen-, Valeriana-, Bilſenkraut-Aufguß
u. ſ. w. mit Nutzen Anwendung finden; Stuhl- und Urinver-
haltungen werden durch Klyſtiere und den Catheter beſeitigt.
Die Kranke muß dabey uͤbrigens ruhig liegen und nur duͤnne
und leichte Speiſen genießen.


[337]
§. 436.

Faͤngt der Polyp an ſich abzuloͤſen, ſo treibt er ſich
oft auf, einzelne Theile platzen und ergießen faulichte ſchlei-
migte Fluͤſſigkeiten; dann werden aromatiſche Aufguͤſſe von
Serpillum u. dgl. nothwendig. Hat er ſich endlich am vier-
ten bis ſechsten oder neunten Tage abgeloͤſt, ſo kann er mit
dem Unterbindungsfaden ſelbſt (wenn er nicht allzugroß iſt)
herausgenommen werden, außerdem entfernt man ihn mit
der Polypenzange, mit der Hand, oder (wenn er ſehr groß
iſt, wie bey einem 2 ½ Pfund ſchweren, von Sauter ope-
rirten) mittelſt der eingebrachten Geburtszange. Erfolgt bey
dem Abfallen etwas ſtaͤrkere Blutung, ſo macht man von
gelind reizenden und zuſammenziehenden Injectionen Gebrauch,
giebt innerlich etwas Zimmttinktur und verfaͤhrt nach Maaß-
gabe der Blutung eben ſo, wie oben bey den paſſiven Blu-
tungen gelehrt wurde.


§. 437.

Iſt nun aber der Polyp voͤllig beſeitigt, und ſind die
erſten dringendſten Zufaͤlle beruhigt, ſo erfolgt gewoͤhnlich noch
das voͤllige Abſterben und Ausrotten der Wurzel durch eine
maͤßige Eiterung. Es iſt hierbey noch das Geſchaͤft des
Arztes, theils auf Unterhaltung eines gutartigen Eiters zu
ſehen, welches nach den Umſtaͤnden bey ſehr geſchwaͤchten
Perſonen durch Injektionen von Chinadekokt mit Kalchwaſſer,
Serpillumaufguß, Myrrheneſſenz, oder bey ſtaͤrkern, vollbluͤ-
tigern und irritablern Subjekten durch Injektionen von Flie-
der- oder Kamillenaufguſſe geſchieht; theils auf Beſſerung der
allgemeinen Reproduction und Hebung der Kraͤfte Ruͤckſicht
zu nehmen. Man ordnet zu dieſem Behuf den Gebrauch der
China innerlich an, giebt eine leicht verdauliche, nahrhafte
Diaͤt, und laͤßt ſpaͤterhin, zur voͤlligen Wiederherſtellung der
Geſundheit, eiſenhaltige Baͤder beſuchen, oder auch wohl aͤhn-
liche Mineralwaͤſſer innerlich gebrauchen.


I. Theil. 22
[338]
§. 438.

Wir haben nun noch von der zweyten Art der Be-
handlung, naͤmlich von dem Ausſchneiden der Polypen zu
ſprechen. Fruͤher hat man dieſe Methode wenig angewendet,
und ſie auf die Faͤlle eingeſchraͤnkt, *) wo der Polyp einen
ſehnigten Stiel hat, oder in der Mutterſcheide ſitzt, oder we-
nigſtens tief in dieſelbe herabgetreten iſt, obwohl man auch
fuͤr dieſe Faͤlle vor dem Ausſchneiden das Anlegen einer Un-
terbindung empfahl. Neuerlich hat man hingegen die Aus-
rottungen durch ſchneidende Inſtrumente weit allgemeiner ſo-
wohl empfohlen, als wirklich ausgefuͤhrt. H. Oſiander
namentlich ſtimmte zunaͤchſt fuͤr dieſe Operationsweiſe, und
ihm hat ſich auch H. v. Siebold angeſchloſſen. Man ver-
richtet das Ausſchneiden aber, wie ſchon von Richter be-
merkt worden iſt, am ſchicklichſten mittelſt einer langen, vorn
abgerundeten und ſtumpfen Scheere, mit etwas auf der brei-
ten Seite aufwaͤrts gekruͤmmten Blaͤttern, oder (obwohl we-
niger paſſend, wegen leicht moͤglicher Verletzung der Geburts-
theile) mittelſt eines ſchneidenden Hakens, wie man deren
ſich fruͤher zur Zerſtuͤckung des Kindes bediente; und dafern
man wirklich ſicher ſeyn kann, daß ſolche Afterorganiſationen
ſich nach dem Ausſchneiden nicht leicht von neuem wie-
dererzeugen
, ſo verdient allerdings dieſe Methode, ihrer
Sicherheit, Schnelligkeit und Schmerzloſigkeit wegen, alle
Empfehlung, wobey auch die vielleicht anfaͤnglich etwas ſtaͤr-
kere Blutung eben nicht ſehr zu ſcheuen ſeyn wuͤrde. — Die
Behandlung auch nach dieſer Art der Ausrottung wird uͤbri-
gens ziemlich wieder dieſelbe ſeyn koͤnnen, welche wir em-
pfohlen haben fuͤr die Ausrottung durch die Anterbindung
(die indeß doch fuͤr manche Faͤlle, vorzuͤglich groͤßerer Poly-
pen, oder wo die Diagnoſe noch nicht ganz feſt ſteht, ſtets
ihre Vorzuͤge behalten duͤrfte).


[339]
7.
Von der boͤsartigen Verhaͤrtung
und dem offenen Krebſe der Gebaͤrmutter

(Scirrhus et Carcinoma uteri).

§. 439.

Mit dieſen Namen belegen wir diejenigen hoͤchſt ge-
faͤhrlichen und leider in dieſen Tagen nicht allzuſeltnen Me-
tamorphoſen der Gebaͤrmutterſubſtanz, wo dieſelbe von einer
harten, ſchmerzhaften, vorzuͤglich vom Muttermunde ausgehen-
den Geſchwulſt, namentlich in der zweyten Haͤlfte der zeu-
gungsfaͤhigen Lebensperiode, befallen wird, welche nach und
nach an Umfang, Empfindlichkeit und Derbheit zunimmt,
und endlich, oft angeregt durch die Revolution, welche der
Koͤrper in den klimakteriſchen Jahren erleidet, uͤbergeht in
geſchwuͤrige Aufloͤſung der Subſtanz, mit immer zunehmen-
den Schmerzen, Ausfließen einer hoͤchſt uͤbelriechenden Jauche,
wobey denn haͤufig, unter immer zunehmender Entkraͤftung,
bey oͤfterm Blutverluſt und voͤlliger Zerſtoͤrung eines großen
Theils des Uterus, nur der Tod dieſen Leiden das erwuͤnſchte
Ende giebt.


§. 440.

In wiefern nun dieſes Uebel oft einen ſehr kleinen und
verborgenen Anfang nimmt, oft Jahre lang von den Kranken
ohne bedeutende Beſchwerden getragen, oder wenigſtens leicht
mit andern Zufaͤllen verwechſelt wird, dann aber, wenn es
mit voller Heftigkeit hervorbricht, auch oft ſchon einen Grad
erreicht hat, wo es der Heilung bereits unuͤberſteigliche Hin-
derniſſe entgegenſetzt, muß es hier von groͤßter Wichtigkeit
ſeyn, die Kennzeichen dieſer Krankheit moͤglichſt ge-
nau feſtzuſtellen.


§. 441.

Wir unterſcheiden auch hier wieder ſolche Merkmale,
welche in die Perceptionsſphaͤre der Kranken fallen, und ſolche,
[340] welche durch aͤußere und innere aͤrztliche und geburtshuͤlfliche
Unterſuchung ausgemittelt werden. Was die erſtern betrifft,
ſo bemerken die Kranken anfaͤnglich leichtere ſchmerzhafte Em-
pfindungen in der Tiefe des Beckens, welche nicht andauernd
ſind, ſondern durch den Coitus, oder waͤhrend des Eintritts
der monatlichen Periode, beym Urinlaſſen, beym Stuhlgange,
bey ſtaͤrkerer Betaſtung des Unterleibes oder inneren Unter-
ſuchungen, zuweilen auch bey Witterungsveraͤnderungen hervor-
treten. Nach und nach werden dieſe Empfindungen ſtaͤrker,
anhaltender, und verrathen ſich beſonders durch das Gefuͤhl
von Stechen oder Brennen, welches immer von einem
Punkte ausgeht und oft die ganze Tiefe des Beckens durch-
dringt. Hierzu geſellt ſich oft Schwere, ziehender Schmerz
oder Laͤhmung eines oder beider Schenkel, und varikoͤſe An-
ſchwellungen an denſelben; die Kranken bemerken ſchmerzhafte,
oft ebenfalls ſkirrhoͤs verhaͤrtete Stellen in den Bruͤſten, ſie
bemerken, daß die Menſtruation weniger regelmaͤßig erſcheint,
alle Zufaͤlle um dieſe Zeit bedeutend zunehmen, daß das mo-
natliche Blut ſelbſt unregelmaͤßig gemiſcht iſt, waͤſſerig, rie-
chend und mißfarbig erſcheint, und aͤhnliche Ausfluͤſſe allmaͤh-
lig auch außer der Monatszeit ſich einſtellen; ferner treten
Stoͤrungen der Verdauung, Magendruͤcken, falſcher Geſchmack,
belegte Zunge, Ueblichkeit, Erbrechen hinzu, der Schlaf wird
unruhig, und durch die oͤftern vorzuͤglich Abends haͤufiger
wiederkehrenden Schmerzen und Fieberbewegungen unterbro-
chen, die Kraͤfte ſinken, und die Kranken, welche oft ſchon
anfaͤnglich eine auffallend graue gelbliche Hautfarbe haben,
bekommen dieſes kachektiſche Anſehen immer mehr.


§. 442.

Geht nun das Uebel in Krebsgeſchwuͤr uͤber, ſo werden
alle vorhergenannten Zufaͤlle immer heftiger. Die Schmerzen
pflegen oft in der Nacht mit unausſtehlicher Heftigkeit ſich
einzuſtellen, die Functionen der benachbarten Theile des Darm-
kanals und der Harnwege werden immer mehr geſtoͤrt, die
Kranke vermag das Bett nicht mehr zu verlaſſen, ein haͤßlich
riechender Ausfluß iſt fortwaͤhrend vorhanden und veranlaßt
[341] haͤufig Excoriationen der aͤußern Geburtstheile, ein ſchleichen-
des Fieber und immer ſtaͤrkere Abzehrung des Koͤrpers ſtellen ſich
ein, und unter der abfließenden Janche werden nicht ſelten klei-
nere oder groͤßere abgeloͤſte ſchwammige faulige Stuͤcke der ver-
dorbenen Gebaͤrmutterſubſtanz bemerkt.


§. 443.

Die Zeichen betreffend, welche durch aͤußere und innere
geburtshuͤlfliche Unterſuchung aufgefunden werden, ſo gehoͤren
dahin verhaͤrtete ſchmerzhafte Knoten in den Bruͤſten, der Unter-
leib iſt, wenigſtens durch den Uterus, ſelten aufgetrieben, allein
bey der aͤußern Beruͤhrung, oder vielmehr bey dem tiefern Ein-
greifen der Hand uͤber den Schambogen ſchmerzhaft; die aͤußern
Geburtstheile ſind zuweilen oͤdematoͤs, zuweilen, ohngefaͤhr
wie bey einer Woͤchnerin, mehr kuͤhl und ſchlaff anzufuͤhlen.
Bey der innern Unterſuchung durch die Mutterſcheide (welche fuͤr
die Diagnoſe hier uͤberhaupt die wichtigſte und entſcheidenſte iſt)
zeigt ſich namentlich der Muttermund und Mutterhals, ſo lange
das Uebel noch auf einer fruͤhern Stufe verweilt, in begraͤnzten
Stellen verhaͤrtet und hoͤchſt empfindlich; wenn die Krankheit be-
reits weiter um ſich gegriffen hat, iſt die Vaginalportion zugleich
aufgetrieben, die Muttermundslippen ſind ungleich, hoͤckerig
und hart anzufuͤhlen, die Mutterſcheide iſt ſchlaff und an ihren
Waͤnden mit riechendem, mißfarbigem Schleim uͤberzogen, die
Kranke klagt bey der Unterſuchung uͤber heftige Schmerzen.


§. 444.

Bey voͤllig ausgebrochenem Carcinom werden die Raͤnder
des Muttermundes noch unebner und wie ausgenagt ſich darſtel-
len, ein bedeutender Theil, ja oft die ganze Vaginalportion, iſt
verſchwunden, die ausfließende Jauche iſt von dem unertraͤglich-
ſten Geruche begleitet, oft iſt ein Theil der Vagina ſelbſt mit
ergriffen und mit hoͤckerigten Geſchwuͤren bedeckt, ja ſelbſt die
Harnwege werden mit davon ergriffen gefunden. Geht man
etwas in den Kanal des Mutterhalſes ein, ſo findet man dieſen
voll ſchwammiger, leicht blutender Excreſcenzen, und durch das
Scheidengewoͤlbe, oft noch deutlicher bey der Unterſuchung durch
[342] den Maſtdarm entdeckt man auch den Gebaͤrmutterkoͤrper auf-
getrieben und verhaͤrtet, ja zuweilen ſelbſt die Waͤnde des
Rectums angegriffen; wie denn die Zerſtoͤrungen dieſer Krank-
heit ſich nicht nur auf die Muttertrompeten, Ovarien und
Mutterſcheide, ſondern auf die ganzen Beckeneingeweide fort-
ſetzen koͤnnen.


§. 445.

Wenn nun auch aus den angegebenen Zeichen ſich er-
giebt, daß das voͤllig entwickelte Uebel nicht leicht zu ver-
kennen ſey, und im letzten Grade ſchwer eine Verwechſelung
mit andern gedacht werden koͤnne, ſo iſt dagegen eine ſolche
Verwechſelung in fruͤhern Perioden um ſo leichter moͤglich,
und zwar zunaͤchſt mit gutartigen Verhaͤrtungen, welche oͤf-
ters, wie auch H. Wenzel*) bemerkte, nach lang dauern-
den Unterdruͤckungen der Monatsreinigung in Folge anderwei-
tiger Krankheiten eintreten und wobey der Muttermund un-
gewoͤhnlich hart, aufgeſchwollen, mitunter wohl auch ungleich
und empfindlich gefuͤhlt wird, welches indeß dann gewoͤhnlich
rein von Stockungen und Venenerweiterungen in der Subſtanz
des Uterus abhaͤngig iſt und ſich daher bey wieder eintreten-
der Menſtruation wieder verliert. Aehnliche Aufſchwellungen
bleiben, wie ich ebenfalls mehrmals bemerkte und auch von
H. v. Siebold**), einſtimmend mit H. Oſiander, an-
gefuͤhrt wird, oͤfters nach ſchweren natuͤrlichen oder kuͤnſtli-
chen Geburten zuruͤck, ſind wohl mit wahren Haͤmorrhoidal-
zufaͤllen verknuͤpft, und zertheilen ſich demohnerachtet unter
zweckmaͤßiger Leitung oft vollkommen, ohne alle Neigung zum
Uebergange in offenes Krebsgeſchwuͤr. — Die Beachtung der
Entſtehungsweiſe, die beſſere allgemeine Conſtitution, das
weniger lebhafte Umſichgreifen des Uebels, die mindere Schmerz-
haftigkeit laſſen indeß den Unterſchied bald erkennen.


[343]
§. 446.

Weniger leicht koͤnnen die Zufaͤlle der ſkirrhoͤſen Ver-
haͤrtung des Uterus fuͤr bloße ſchmerzhafte oder unordentliche
Menſtruation aus Urſache allgemeinen krankhaften Zuſtandes
des Nerven- oder Gefaͤßſyſtems genommen werden, obwohl
fruͤher ſchon (§. 178. u. 191.) bemerkt worden iſt, daß gar
nicht ſelten Verbildungen der Geſchlechtsorgane und nament-
lich ſelbſt ſkirrhoͤſe Verhaͤrtungen dieſen Regelwidrigkeiten der
Menſtruation zum Grunde liegen. — Die geburtshuͤlfliche
innere Unterſuchung kann hier die Diagnoſe bald berichtigen.
Eben ſo wenig iſt bey genauerer Unterſuchung die Verwechſe-
lung mit zu ſtarker Menſtruation moͤglich, da, wenn die
Zufalle des Gebaͤrmutterkrebſes bis dahin gediehen ſind, daß
paſſive Blutungen ſich einſtellen, auch die innere Exploration
ſchon bedeutende Zerſtoͤrungen ſtets wahrnehmen laſſen wird. —
Eher waͤre, wegen der oft waͤhrend des Krebſes im Mutter-
halſe ſich bildenden fungoͤſen Auswuͤchſe eine Verwechſelung
mit dem Gebaͤrmutterpolypen denkbar, obwohl auch hier die
Geſchichte der Krankheit und namentlich die weit mindere
Schmerzhaftigkeit des Polypen Aufſchlnß giebt.


§. 447.

Endlich iſt es wohl auch zuweilen der Fall geweſen,
und [auch] mir vorgekommen, daß unwiſſende Land- und Wund-
aͤrzte, oder Hebammen, den Gebaͤrmutterkrebs mit angehen-
der Schwangerſchaft oder mit einem Vorfalle der Gebaͤrmut-
ter verwechſelt haben; allein von beiden Zuſtaͤnden iſt der
Unterſchied deutlich aufzufinden, nur wenn, was allerdings
ſelten der Fall, aber doch mehrmals wirklich beobachtet wor-
den iſt, mit Skirrhus oder Carcinom die Schwangerſchaft ſich
verbindet, wird die Diagnoſe ſowohl des Uebels als der
Schwangerſchaft betraͤchtlich erſchwert, indem es dann oft
ungewiß bleibt, welche Zufaͤlle dem Uebel und welche den phy-
ſiologiſchen und geſunden Veraͤnderungen durch Schwanger-
ſchaft zuzuſchreiben ſind. — Beſonders iſt hier das Verglei-
chen der Reſultate innerer und aͤußerer Unterſuchung wichtig;
[344] bey der Schwangerſchaft naͤmlich ſchwillt der Leib nach und
nach, und zwar in regelmaßiger Aufeinanderfolge an, ſpaͤ-
terhin ſind wohl bey genauer Unterſuchung, zumal da hier
der Koͤrper abgemagert zu ſeyn pflegt, aͤußerlich Kindestheile
oder die Fluctuation des Fruchtwaſſers zu fuͤhlen, da hin-
gegen beym bloßen Carcinom der Uterus ſelbſt gar nicht be-
deutend anzuſchwellen und uͤber das Becken ſich zu erheben
pflegt, wodurch denn namentlich auch Erkenntniß der Ver-
bindung dieſer Zuſtaͤnde moͤglich wird. Innerlich iſt die Ver-
kuͤrzung der Vaginalportion durch Eroſion, und der harte,
ungleiche, oft mehr runde Muttermund beym Carcinom, wenn
beide Zuſtande geſondert vorkommen, leicht von dem natuͤrlich
verſtreichenden Mutterhals und dem turgescirenden runden
Muttermunde bey Schwangern zu unterſcheiden. Uebrigens
verlieren ſich gewoͤhnlich die Beſchwerden der Schwangerſchaft
und die vielleicht anfaͤnglich noch fließende Menſtruation ſpaͤ-
terhin mehr und mehr, bey dem Krebs nehmen dieſe Zufaͤlle,
je laͤnger das Uebel dauert, um ſo mehr zu; charakteriſtiſch
aber vorzuͤglich ſind die große Empfindlichkeit und die heftigen
Schmerzen des Uterus.


§. 448.

Aetiologie. Worin beſteht das Weſentliche der ſkirrhoͤ-
ſen Verhaͤrtung und des Krebsgeſchwuͤrs? — Dieſe Frage
hat die Pathologen von jeher vielfach beſchaͤftigt; iſt es ein
ſpecifiſches, an einem Punkte ausgeſondertes und entſtehen-
des Gift, iſt es eine bloße Abart der Entzuͤndung, iſt es
oͤrtliches Offenbaren einer allgemeinen fehlerhaften Conſtitution
und Saͤftemiſchung, iſt es eine rein oͤrtliche Degeneration der
Subſtanz? daruͤber wuͤnſchte man ins Klare zu kommen. —
Wir wollen verſuchen, ob eine ganz einfache Betrachtung des
Ganges dieſer Krankheit hieruͤber einigen Auſſchluß gewaͤhren
kann. — So wie aber das Leben uͤberhaupt, ſo kann auch
die Krankheit nur unter Zuſammenwirkung eines innern und
aͤußern Moments entſtehen und beſtehen, und es iſt eine rein
oͤrtliche Krankheit ohne Beywirkung des Allgemeinen nicht
denkbar, da ja jedes Einzelne nur eben ſtets durch das Ganze,
[345] und in wiefern es im Ganzen iſt, beſteht und lebt. — An
dieſe Saͤtze glauben wir erinnern zu muͤſſen, insbeſondre wenn
man in das Weſen einer ſo viel Eigenthuͤmliches darbieten-
den Krankheit, wie Skirrhus und Krebs, einzudringen hofft.


§. 449.

So viel iſt nun aber hierbey ſicher, die Wurzel des
Uebels iſt krankhafte Verdichtung einer organiſchen
Subſtanz
. Dieſe Verdichtung ſelbſt entſteht aber offenbar
auf mehrfache Weiſe, theils durch vora[u]sgegangene Entzuͤn-
dung und erfolgte Ausſchwitzung, theils durch eine ohne wahre
Entzuͤndungszufaͤlle eintretende krankhafte Metamorphoſe, durch
Degeneration (ſ. §. 328.), theils wohl auch durch anhalten-
den Druck, durch Zuſammenpreſſung und mechaniſche Ver-
dichtung der Subſtanz unmittelbar, welches der Fall zu ſeyn
ſcheint, wenn durch druͤckende Schnuͤrbruͤſte ſich Krebsknoten
in den Bruͤſten, und zwar den Kranken oft voͤllig unbemerkt,
bis ſie dieſelben zufaͤllig entdecken, bilden, wenn durch Druck
von falſch gelegten oder unpaſſenden Mutterkraͤnzen, oder
durch Druck von in den Muttermund gedraͤngten Polypen
nach und nach Scirrhus uteri entſteht. — Durch eine be-
deutende krankhafte Verdichtung organiſcher Maſſe muß die-
ſelbe nothwendig dem lebendigen Stoffwechſel mit der Ge-
ſammtheit des Organismus entzogen werden; es wird eine
ſolche Stelle fuͤr den uͤbrigen Koͤrper oft ein wahrhaft frem-
der Theil. Ein ſolcher fremder Koͤrper aber innerhalb der
Graͤnzen des Organismus iſt dem Weſen deſſelben, wo alles
ineinander greifen, alles durch und in einander beſtehen ſoll,
zuwider; es wird daher die Reaction des Allgemeinen gegen
dieſes Beſondere angeregt, es vermehrt ſich der Zudrang von
Saͤften, um dieſe Stelle entweder wieder aufzuloͤſen oder
durch irgend einen andern Weg auszuſondern, ja zu zer-
ſtoͤren.


§. 450.

Iſt nun die allgemeine Reproduction kraͤftig und nicht
durch anderweitige Krankheitsſpuren geſtoͤrt, ſo gelingt wohl
[346] auch unter ſchicklicher Leitung dieſe Aufloͤſung vollkommen; da
indeß dieſes ſeltner der Fall iſt, eben weil in ſolchen geſun-
den Koͤrpern das Uebel weniger leicht ſich entwickelt, ſo ent-
ſteht nun am gewoͤhnlichſten im Umkreiſe der Verhaͤrtung und
ſelbſt in den Gefaͤßen, welche noch in die verhaͤrtete Stelle
eindringen, ein Entzuͤndungszuſtand, welcher durch den Reiz
dieſes Koͤrpers ſtets unterhalten wird, durch Brennen, Ste-
chen, große Empfindlichkeit, ja ſelbſt Fieberbewegungen ſich
zu erkennen giebt, und wobey denn eben bey dieſem ſtaͤrkern
Zudraͤngen plaſtiſcher Stoffe die Dichtigkeit, ſo wie die Groͤße
der verhaͤrteten Stelle, immer mehr zunehmen muß (indem
ein ſolcher Punkt gleich einem Punctum ossificationis durch
ſtete Anlegung neuer Schichten von außen waͤchſt), zugleich
aber das allgemeine Befinden durch dieſen ſteten gereizten
Zuſtand des Gefaͤßſyſtems geſtoͤrt und endlich zerruͤttet wird,
woher das kachektiſche Anſehen ſolcher Kranken, ihr Mangel
an Eßluſt u. ſ. w. ſich erklaͤren.


§. 451.

Hat nun das Uebel auf dieſer Stufe laͤngere Zeit be-
ſtanden, ſo kann durch innere oder aͤußere Momente, welche
den Zufluß von Saͤften ploͤtzlich noch mehr ſteigern, der Ue-
bergang der Entzuͤndung in Eiterung, d. i. in Aufloͤſung der
feſten Subſtanz in fluͤſſige, leicht befoͤrdert werden. †) Allein
die Aufloͤſung eines Theils, welcher ſchon in dem Maaße,
wie der Skirrhus, von reiner organiſcher Struktur abgewi-
chen und von dem Geſunden gleichſam abgeſondert iſt, eine
Aufloͤſung ferner, welche Statt findet in einer ſchon halbzer-
ruͤtteten, gewoͤhnlich ſchon vor Entſtehung des Skirrhus ka-
chektiſchen und durch die chroniſche Entzuͤndung noch mehr
[347] geſchwaͤchten Conſtitution, kann unmoͤglich eine gutartige ſeyn,
ſie wird im Gegentheil der faulichten Aufloͤſung nahe kommen;
daher denn das Eigenthuͤmliche der abgeſonderten Krebsjauche,
welche, wenn auch durch Aliberts*) Inoculationsverſuche
voͤllig dargethan ſeyn ſollte, daß ſie fuͤr den geſunden Koͤrper
keine Anſteckungskraft beſitzt, und wir auch, wie bereits H.
Wenzel**) bemerkt hat, an keine wirklich chemiſch aufloͤ-
ſende und corrodirende Eigenſchaft derſelben zu glauben Ur-
ſache haben, doch gewiß fuͤr die benachbarten Flaͤchen des
kranken Theils ſelbſt, d. i. fuͤr die Waͤnde des Geſchwuͤrs
als Reiz wirkt, wodurch die Entzuͤndung immer mehr unter-
halten, die ſkirrhoͤſe Verhaͤrtung immer weiter ausgebreitet,
und, in Folge derſelben, die Zerſtoͤrung und Aufloͤſung immer
weiter fortgepflanzt wird, wobey denn nicht ſelten ganze Par-
tien des Uterus, auch ohne vorher wahrhaft aufgeloͤſt zu
ſeyn, ſich abſondern und im eigentlichen Sinne abfaulen.


§. 452.

Wenn nun ſonach das Weſentliche dieſer Krankheit nicht
ſowohl in einem Moment allein, als vielmehr in dem Zu-
ſammentreffen mehrerer verſchiedenartiger all-
gemeiner und beſonderer auf einem Punkte
, zu
beruhen ſcheint (woraus ſich denn auch die Antworten auf
mehrere der genannten Fragen §. 448. ergeben), ſo blei-
ben hiernaͤchſt noch die einzeln entfernter und veranlaſ-
ſend wirkenden Urſachen
etwas naͤher zu erwaͤgen
uͤbrig. — Zuſtaͤnde, welche namentlich zur Entſtehung der
ſkirrhoͤſen Verhaͤrtung und des Krebsgeſchwuͤrs beytragen,
ſind aber theils allgemeine ſkrophuloͤſe Conſtitution, deprimi-
rende Gemuͤthszuſtaͤnde, Unordnungen im Pfortaderſyſtem, ſy-
philitiſche Anſteckung, hyſteriſche Zuſtaͤnde, ganz unbefriedig-
[348] ter Geſchlechtstrieb, Unterdruͤckungen der Menſtruation, des
Haͤmorrhoidal- oder weißen Fluſſes; ferner wird noch be-
ſtimmtere Veranlaſſung dazu gegeben durch ſchwere Geburten,
beſonders durch gewaltſame, mit Inſtrumenten verrichtete
kuͤnſtliche Eroͤffnung des Muttermundes, roh ausgefuͤhrte Zan-
genentbindungen bey nicht ſattſam erweitertem Muttermunde,
gewaltſame Lostrennung der Nachgeburt; durch ausſchwei-
fende Lebensart, ſtark zuſammenziehende, kalte oder reizende
Injectionen oder Tampons. Alles Dinge, welche vorzuͤglich
den Muttermund und die Vaginalportion heftig reizen, wo-
durch, zumal da gerade dieſe Gegend die nervenreichſte am
Uterus iſt (in ſofern man dieſen Ausdruck von einem uͤber-
haupt ſo nervenarmen Gebilde brauchen kann), Congeſtionen,
Entzuͤndungen und Degenerationen ſo leicht verurſacht werden,
und wodurch es erklaͤrlich wird, warum, wenn unter Be-
guͤnſtigung der allgemeinen Conſtitution Krebs entſteht, dieſer
faſt immer vom Muttermunde beginnt.


§. 453.

Noch naͤhere Veranlaſſung zu Entſtehung ſkirrhoͤſer Ver-
haͤrtungen geben ferner oft unvollkommen zertheilte Entzuͤn-
dungen bey vernachlaͤſſigten Puerperalfiebern oder nach Unter-
druͤckungen gewohnter Secretionen entſtanden, Mißbrauch er-
hitzender Abfuͤhr- oder treibender Mittel; ferner das unter-
laſſene Selbſtſtillen bey Perſonen, welche doch ihrem Allge-
meinbefinden nach recht wohl haͤtten ſtillen koͤnnen (eine in
unſern Tagen gewiß nebſt dem Uebermaaße im Geſchlechts-
genuſſe nicht ſelten Statt findende Urſache); eben ſo die Aus-
ſchweifungen im Genuß ſpirituoͤſer, gewuͤrzhafter Dinge, das
unter den Damen nicht ſelten herrſchende uͤbermaͤßige Kaffee-
und Theetrinken, der Genuß von Liqueur, Chokolade u. ſ. w. —
Endlich auch die Periode des weiblichen Lebens ſelbſt, in wel-
cher die Menſtruation naturgemaͤß ceſſirt, namentlich wenn
auch hier fruchtloſe Geſchlechtsreizungen und ſonſt ungeordnete
Lebensweiſe andauern. — Von welchen Einfluͤſſen denn ſaͤmmt-
lich noch zu bemerken iſt, daß ſo wie ſie eines Theils im
Stande ſind, die ſkirrhoͤſe Verhaͤrtung zunaͤchſt zu erzeugen,
[349] ſie andern Theils auch, wenn ſie bey ſchon entwickeltem
Skirrhus einwirken, den Uebergang in offenes Krebsgeſchwuͤr
befoͤrdern.


§. 454.

Von dem Verlaufe, welchen dieſe Krankheit zu neh-
men pflegt, hat bereits die vorhergegangene Beſchreibung ihrer
Kennzeichen ein Bild gegeben, und eben ſo wird ſich daraus
leicht, was uͤber die Prognoſe bey derſelben zu ſagen iſt,
abnehmen laſſen. Im Ganzen naͤmlich iſt allerdings die Vor-
herſagung aͤußerſt unguͤnſtig, denn ſelbſt kleine Skirrhen ver-
groͤßern ſich oft ſchnell und unaufhaltſam, werden oft der
aͤrztlichen Unterſuchung erſt auf einer Stufe betraͤchtlicher Aus-
bildung unterworfen, laſſen bey ihrer verſteckten Lage weit
ſchwerer voͤllige Ausrottung zu, und eben ſo wenig Erfolg iſt
oft von den wirkſamſten innern oder aͤußern Arzneymitteln zu
erwarten. — Etwas beſſer wird demohnerachtet immer noch
die Prognoſe geſtellt werden koͤnnen, ſo lange das Uebel noch
neu iſt, ſo lange noch die allgemeine Conſtitution weniger
angegriffen und zerruͤttet iſt, ſo lange die benachbarten Theile
noch ganz frey ſind und das Uebel auf die Vaginalportion
allein eingeſchraͤnkt iſt, ſobald die Urſachen des Uebels voll-
kommen klar und heilbarer Art (z. B. ſyphilitiſch) ſind, vor-
zuͤglich aber ſobald das Uebel noch bloß als Verhaͤrtung er-
ſcheint und der Uebergang in offenes Krebsgeſchwuͤr noch nicht
eingetreten iſt; in welchem letztern Falle, ſobald namentlich
der groͤßere Theil bereits zerſtoͤrt iſt, Heilung faſt immer un-
moͤglich bleibt, außer zuweilen durch eine Operation, fuͤr
welche dann die Ausfuͤhrung ſowohl als der Ausgang noch
guͤnſtiger ſeyn wird, wenn mit der Induration und dem Ge-
ſchwuͤr des Uterus eine betraͤchtliche Herabſenkung in das
kleine Becken verbunden iſt.


§. 455.

Behandlung. Zuvoͤrderſt iſt hier zu betrachten, was
durch Arzneymittel fuͤr Linderung und Heilung eines ſo boͤs-
artigen Uebels geſchehen kann, ſodann von der operativen
[350] Kunſthuͤlfe zu ſprechen. Fuͤr dynamiſche Behandlung
des Skirrhus
aber (denn bey ausgebrochenem Geſchwuͤr
ſcheint uͤberhaupt der dynamiſche Weg wenigſtens fuͤr die Hei-
lung nicht gefunden) glauben wir folgende Indicationen auf-
ſtellen zu muͤſſen: erſtens, die veranlaſſenden, noch fort-
wirkenden Urſachen des Uebels aufzuſuchen und zu entfer-
nen: — Hierhin gehoͤrt alſo die Hinwegnahme druͤckender
Peſſarien oder im Muttermunde liegender Polypen, ſo wie die
Entfernung aller in Lebensart und Diaͤt das Geſchlechtsſyſtem
heftig anregender Momente, ferner Behandlung und Herſtel-
lung des unterdruͤckten Menſtrual- oder weißen Fluſſes nach
oben angegebenen Regeln, Beruͤckſichtigung unterdruͤckter Haut-
ausſchlaͤge, welche, wo ſie nicht wieder herzuſtellen ſind,
durch anderweitige Abſonderungen, kuͤnſtliche Geſchwuͤre, auf-
gelegten Seidelbaſt u. ſ. w. zu erſetzen ſind, und endlich Be-
ſeitigung etwaiger verborgener Krankheitsſtoffe, vorzuͤglich ſy-
philitiſcher Zuſtaͤnde.


§. 456.

Zweyte Indication: Die mit dem Skirrhus ſtets
verbundene ſchleichende Entzuͤndung zu mindern und ihrem
Charakter gemaͤß zu behandeln. Man erreicht dies theils
durch Beruͤckſichtigung des Zuſtandes benachbarter Organe, und
namentlich des Darmkanals, welcher zunaͤchſt frey von allen
Obſtructionen und Congeſtionen gehalten werden muß, zu
welchem Zwecke daher blande Abfuͤhrmittel aus Tamarinden,
Manna, tartariſirtem Weinſtein, milde Lavements u. ſ. w.
aͤußerſt nuͤtzlich wirken, wobey denn auch die Diaͤt dem ent-
ſprechen und mehr aus gelind naͤhrenden, leichten, kuͤhlenden,
vegetabiliſchen Stoffen gewaͤhlt werden muß, indem zum Ge-
traͤnk Molken, Emulſionen u. ſ. w. empfohlen werden. Fer-
ner wirken Mittel, welche das Gleichgewicht allgemeiner Cir-
culation befoͤrdern, aͤußerſt wohlthaͤtig, wie das laue Bad;
und eben ſo iſt durch ableitende und den Blutandrang gegen
die gereizte Stelle direkt ſchwaͤchende Mittel weſentlich zu
nuͤtzen, zu welchem Zwecke denn Blutigel an das Mittel-
fleiſch, oder an die regio hypogastrica, Fontanelle an die
[351] Schenkel anzuwenden ſind, und Freyheit der Hautthaͤtigkeit
erhalten werden muß. Zugleich nimmt man auf den mit
dieſer Entzuͤndung ſich verbindenden heftigen Nervenreiz Ruͤck-
ſicht, zu welchem Zweck zwar ſchon die meiſten der genannten
Mittel mit hinwirken, obwohl auch noch außerdem Halb-
baͤder oder Injectionen mit dem Abſude von Mohnkoͤpfen,
von Cicuta und Bilſenkraut zu dieſem Behuf, ſo wie Einrei-
bungen vom Oleo Hyoscyami in den Unterleib, bey hefti-
gen Schmerzen ſelbſt Klyſtiere mit etwas Laudanum, oder
kleine Opiate innerlich nuͤtzlich werden.


§. 457.

Vorzuͤglich endlich iſt jedoch von den Mitteln Gebrauch
zu machen, welche die Reproduction in den kleinen Gefaͤßen
herabſetzen, deshalb bey aͤhnlichen chroniſchen Entzuͤndungen
uͤberhaupt ſo wohlthaͤtig wirken, und unter welchen die Queck-
ſilberpraͤparate oben anſtehen, theils innerlich das Calomel,
oder Hahnemann’sMercurius solubilis in kleinen Doſen,
vorzuͤglich in Pillenform mit aufloͤſenden Extrakten, theils
aͤußerlich als Einreibung die Merkurialſalbe in die regio hy-
pogastrica.
Ferner ſcheinen die guͤnſtigen Wirkungen, welche
man oͤfters in aͤhnlichen Faͤllen vom Extract. Cicutae, von
der Belladona und der Aqua Leurocerasi innerlich, und
von dem Abſud der Cicuta und der Kirſchlorbeerblaͤtter aͤußer-
lich bemerkt hat, ebenfalls hierher gerechnet werden zu muͤſ-
ſen. — Selten iſt es, daß die Entzuͤndung im Umfange der
Verhaͤrtung einen ſo hohen Grad erreicht, daß ſie uͤber den
groͤßern Umfang der Gebaͤrmutter ſich verbreitet, Fieber und
die uͤbrigen Zufaͤlle der Metritis erregt, wobey denn ganz
ein aͤhnliches Verfahren, wie bey der Metritis ſelbſt (ſ. §.
340 u. f.), eintreten muͤßte.


§. 458.

Die dritte Indication wuͤrde den Stand des all-
gemeinen Befindens und vorzuͤglich der Reproduction betref-
fen, in welcher Hinſicht auf Verbeſſerung der allgemeinen
Conſtitution durch Erhaltung und Hebung aſſimilativer Thaͤ-
[352] tigkeit der Verdauungsorgane, durch den Aufenthalt in freyer
geſunder Luft, durch Aufheiterung des Gemuͤths und maͤßige
Bewegung hingewirkt werden muß. Staͤrkende Arzneymittel,
wie China, Wein, Eiſen u. dgl., ſind jedoch immer nur hoͤchſt
ſparſam oder gar nicht anzuwenden, indem gewoͤhnlich auf
der einen Seite hierbey mehr geſchadet wird (naͤmlich in Er-
hoͤhung des oͤrtlichen Entzuͤndungszuſtandes), als im Allge-
meinen (durch Erhoͤhung der Lebensthaͤtigkeit) genuͤtzt werden
kann. Wichtiger ſind daher vorzuͤglich bey ſcrophuloͤſem Ha-
bitus, die Mittel, welche das Lymphſyſtem in Anſpruch neh-
men und eben dadurch, unterſtuͤtzt von den Baͤdern, Injectio-
nen, Einreibungen u. ſ. w., das Zuruͤckbilden jener Verhaͤr-
tungen und die Aufloͤſung derſelben beguͤnſtigen, zu welchem
Behufe denn, außer den oben ſchon in anderer Hinſicht em-
pfohlnen Merkurialien, der Cicuta und Belladona, noch die
friſchen bittern und ſeifenhaften ausgepreßten Kraͤuterſaͤfte
gehoͤren.


§. 459.

Iſt nun aber ſchon, ſelbſt bey geringern Graden des
Skirrhus, die aͤrztliche Behandlung oft keineswegs von ge-
wuͤnſchtem Erfolg, und zwar eben weil die verbildeten Stel-
len zu ſehr aus der Gemeinſchaft mit dem geſammten Orga-
nismus herausgetreten ſind und ſich dadurch zugleich der Ein-
wirkung dynamiſcher Mittel zu ſehr entziehen, ſo iſt nun,
wie ſchon bemerkt, noch weniger auf dieſe Weiſe bey wirkli-
chem aufgebrochenem Krebsgeſchwuͤr zu thun moͤglich, weshalb
wir hier nur noch einiger Mittel gedenken, von welchen man
ſelbſt noch auf dieſer Stufe des Uebels huͤlfreiche Wirkung
geſehen haben will. — Hierher gehoͤrt zunaͤchſt, nach We-
ſtring’s
, *) wie nach aͤltern Beobachtungen, die Ringel-
blume (Calendula officinalis), deren Extrakt nach Weſtring
[353] in Pillen zu 2 Gran, von 6 bis 16 Stuͤck Morgens und
Abends, gegeben werden ſoll, wobey zugleich ⅙ Gran von
dem Goldſalz (Gold, in Salpeterſaͤure aufgeloͤſt, mit ſalz-
ſaurem Ammonium geſaͤttigt und mit kohlenſaurem Kali nie-
dergeſchlagen) theils in die Schamlefzen, theils in das Zahn-
fleiſch einzureiben iſt, und Einſpritzungen von einer Aufloͤ-
ſung des Extract. Chaerophylli sylvestris in dem Aufguſſe
deſſelben Krautes, oder Aufloͤſung des Extrakts der Ringel-
blume in ihrem Aufguſſe gemacht werden ſollen. Da indeß
bey den von Weſtring erzaͤhlten Faͤllen die Unterſuchung
der Kranken nicht von ihm ſelbſt, ſondern nur durch Heb-
ammen vorgenommen worden war, ſo bleibt denn freilich,
ob das durch dieſes Mittel geheilte Uebel wirklich Krebs ge-
weſen ſey, ſehr im Zweifel.


§. 460.

Eben ſo hat man zu mehreren Malen von dem friſch-
ausgepreßten Safte des Mauerpfeffers (Sedum acre) bey
Krebsgeſchwuͤren vortheilhafte Wirkungen bemerkt. Ferner
werden von Richard Carmichael die kohlenſauren und
phosphorſauren Eiſenmittel gegen den Krebs beſonders em-
pfohlen, und in ziemlich ſtarken Doſen, zu 30 bis 40 Gran
taͤglich, gereicht. Wir haben zwar oben ſchon ein Bedenken
wegen Anwendung der toniſchen Mittel bey Zuſtaͤnden, wel-
che mit ſteter chroniſcher Entzuͤndung verbunden ſind, geaͤu-
ßert, und moͤchten daher auch das Eiſen, wenn nicht viel-
leicht die Saͤuren in den genannten Praͤparaten als corrigi-
rend wirken, nur unter beſonderer Vorſicht anrathen; dem-
ungeachtet wollen H. Ruſt und Voͤlker*) neuerlich von
dieſen Mitteln, ſo wie von dem Safte des Mauerpfeffers
guͤnſtige Wirkungen bemerkt haben. — Endlich erwaͤhnt H.
Wenzel**) des Gebrauchs des Arſeniks (in der [Fowleriſchen]
Solution) als ein bedeutendes Erleichterungs-, wenn auch
I. Theil. 23
[354] nicht Heilmittel, bey den ſtechenden Schmerzen, welche den
Uebergang in Carcinom bezeichnen, verwirft dagegen den von
Andern ebenfalls empfohlnen Gebrauch der Sabina als zu
reizend.


§. 461.

Außer der Anwendung ſolcher Mittel, welche eigent-
liche Heilung des Uebels bewirken ſollen, und wohin wir
denn auch noch die im Folgenden zu betrachtende Operation
rechnen, hat indeß der Arzt noch theils auf die haͤufigen Blu-
tungen, theils auf die oft ſo heftigen Schmerzen und die
dadurch erregte aͤußerſte Schlafloſigkeit und Entkraͤftung Ruͤck-
ſicht zu nehmen. Was zunaͤchſt die Blutungen betrifft, wel-
che durch die immer fortſchreitenden Zerſtoͤrungen des Uterus
veranlaßt werden, ſo muß erſtlich ſorgfaͤltige Ruhe, Vermei-
dung aller aufregenden Gemuͤthsbewegungen, Speiſen und
Getraͤnke prophylaktiſch beobachtet, und allgemeiner Erethis-
mus oder Congeſtionen muͤſſen durch kuͤhlende Getraͤnke, ver-
duͤnnte mineraliſche Saͤuren und aͤhnliche Mittel beſeitigt wer-
den, dahingegen die eingetretenen Blutungen ſelbſt durch
Anwendung adſtringirender Mittel, durch Tampons von
Schwaͤmmen in das Decoctum cort. salicis, quercus, ulmi
camp.
getaucht und mit rothem Wein beſprengt oder mit
einem ſtyptiſchen Pulver beſtreut, baldigſt zu ſtillen, jedoch
auch ſtaͤrkere Blutungen bey der Entzuͤndung, welche noch
den bloßen Skirrhus begleitet, durchaus nicht zu ſchnell
zu unterdruͤcken ſind. — Was die Schmerzen betrifft, ſo ſind
ſie theils Folgen erhoͤhter Entzuͤndung und werden durch anti-
phlogiſtiſches Regimen gemildert, theils Folgen des Nerven-
reizes, und werden dann narkotiſche Mittel, Opiate, Lave-
ments mit Laudanum u. ſ. w. erfordern, obwohl ſich die Kran-
ken bald an dieſe Mittel gewoͤhnen und dann zu betraͤchtli-
chen Doſen ſteigen muͤſſen, um nur einige Wirkung zu em-
pfinden. Bey heftigem zuweilen hierbey ſich zeigendem Er-
brechen iſt oft bloß die nicht genugſame Beruͤckſichtigung re-
gelmaͤßiger Stuhlentleerungen die Urſache; wo es Nervenlei-
den iſt, verdienten Narcotica und die von Siebold em-
[355] pfohlene Belladonna zu einem halben bis 1 Gran An-
wendung.


§. 462.

Wir kommen endlich zur Erwaͤgung der, einer dynamiſch
ſo ſchwer zu heilenden Krankheit noch durch unmittelbare Ab-
trennung des Krankhaften von dem Geſunden, Huͤlfe verſpre-
chenden Operation, [und] muͤſſen hierbey zuerſt die Frage auf-
werfen, ob uͤberhaupt man berechtigt ſey, von der Operation
hier wahrhafte Heilung zu erwarten, welches, ſo lange man
den oͤrtlich kranken Zuſtand als bloßes Produkt allgemeiner
Abnormitaͤt anſieht, wohl verneint werden muͤßte. Aus den
Unterſuchungen uͤber die Entſtehung des Krebsgeſchwuͤrs hatte
ſich indeß ergeben, daß, wenn dieſelbe auch allerdings zum
Theil durch das Allgemeine bedingt werde, doch auch eine
bedeutende Reaction auf das Allgemeine Statt finde, und
wir koͤnnen hieraus folgern, daß, wenn auch das bloße Hin-
wegſchaffen der krankhaft umgeaͤnderten Partie nicht als voll-
kommen die Heilung bewerkſtelligend zu betrachten ſey, doch
dieſe dadurch in einem weſentlichen Theile vollbracht und das
geſammte Heilungsgeſchaͤft ausnehmend beguͤnſtigt werden
koͤnne.


§. 463.

Im Allgemeinen wird ſonach die Operation um ſo mehr
leiſten, a) je lokaler die Entſtehung des Uebels iſt (z. B. wo
ſie bloß von Druck eines Mutterkranzes abhing); b) je we-
niger daſſelbe ſich bereits ausgebreitet hat, und jemehr es
auf einen oder einige Punkte der Vaginalportion eingeſchraͤnkt
iſt; c) je mehr die Krankheit noch auf der Stufe bloßer
ſkirrhoͤſer Induration verweilt, je neuer folglich ihre Ent-
ſtehung iſt; d) je beſſer die allgemeine koͤrperliche Conſtitution
iſt, und je weniger von dieſer Seite aus, etwa durch lang-
wierige Stoͤrungen im Lymphſyſtem u. ſ. w. zur Entſtehung
der oͤrtlichen Abnormitaͤt beygetragen worden war; e) je guͤn-
ſtiger die aͤußern Verhaͤltniſſe einer weitern zweckmaͤßigen Ein-
richtung von Diaͤt und Lebensordnung ſind, um auf dieſem
[356] Wege und unter Zuziehung zweckmaͤßiger Arzneymittel die
Herſtellung eines allgemeinen Normalzuſtandes zu erlangen.


§. 464.

Findet das Gegentheil von den im vorigen Paragraph
namhaft gemachten Punkten Statt, iſt namentlich das Krebs-
geſchwuͤr bereits ausgebrochen, ſo wird der Erfolg der Operation
um ſo unſicherer; ja man darf behaupten, daß ſie gar nicht
mehr vorzunehmen ſey, ſobald a) bereits die dem Uterus be-
nachbarten Organe von der geſchwuͤrigen Zerſtoͤrung mit be-
fallen ſind; b) bey offenem Krebsgeſchwuͤr die allgemeinen
organiſchen Syſteme dergeſtalt erkrankt ſind, daß theils Wie-
dereintritt der krankhaften oͤrtlichen Metamorphoſe (als Pro-
dukt allgemeinen Krankſeyns) zu befuͤrchten ſteht, theils ſelbſt
die Heilung und Regeneration der operirten Stelle nicht zu
erwarten iſt.


§. 465.

Die Operationsmethoden ſelbſt laſſen ſich eintheilen in
diejenigen, welche die Abtrennung der erkrankten Stelle allein,
und in diejenigen, welche die Ausrottung des ganzen Organs
zum Zweck haben. — Zu den erſtern gehoͤren die beiden
Methoden des Hrn. Hofrath Oſiander, welchem das Ver-
dienſt zukommt, in neuerer Zeit zuerſt darauf, daß bey die-
ſem fuͤrchterlichen Uebel durch die Operation doch zuweilen
Huͤlfe moͤglich bleibe, aufmerkſam gemacht und ſeine Em-
pfehlung durch die That bewieſen zu haben. — Die Schwie-
rigkeit der Operation wird naͤmlich hierbey vorzuͤglich durch
die Verborgenheit des Ortes, an welchem operirt werden muß,
gebildet, und faͤllt daher groͤßtentheils hinweg unter den Um-
ſtaͤnden, wo der Uterus bereits tief in das kleine Becken,
oder vor die aͤußern Geburtstheile herabgetreten iſt, ſo daß
daher auch in dieſem Falle wenig anders bey der Exſtirpation
eines Gebaͤrmutterſkirrhus zu verfahren ſeyn wuͤrde, als den
Regeln der Chirurgie gemaͤß bey Ausrottung krebshafter Stel-
len in andern Koͤrpertheilen zu verfahren iſt. Die Oſian-
der
’ſche Methode bezieht ſich daher vornehmlich darauf, die
[357] Schwierigkeit der Exſtirpation des Krankhaften bey nicht vor-
gefallenem Uterus zu uͤberwinden, und die deßhalb von ihm
vorgeſchlagenen und ausgefuͤhrten Operationsmethoden ſind
nachſtehende, welche wir hier der Vollſtaͤndigkeit wegen ganz
ſo, wie ſie zuerſt bekannt gemacht wurden, *) mittheilen
wollen:


Erſte Operationsart.


„Die zu operirende Perſon wird auf einen hohen Geburtsſtuhl oder
auf einen Tiſch wie in eine Entbindungs- oder Steinſchnittslage
gebracht und feſtgehalten. Die Genitalien werden durch Ausſpri-
tzen gereiniget und mit Salben erweicht. Das Fungoͤſe wird mit
den Fingern oder einem Exſtirpations-Inſtrumente weggenommen.
Iſt die Blutung darauf ſtark, ſo wird ſie mit einem eingebrachten
Schwamme, in Eſſig und ſtyptiſches Pulver getaucht, geſtillt; wo
nicht, ſo wird gleich mit der Operation fortgefahren. Zu dem
Durchſtechen des Uterus bedient ſich Hr. Hofr. O. kleiner geboge-
ner Nadeln von nicht gehaͤrtetem Stahl, deren Spitzen ſich leicht
biegen laſſen. Gehaͤrtete Nadeln ſetzen in die Gefahr, daß ſie ab-
brechen, und die abgebrochenen Spitzen alsdann in den verborgenen
Theilen vielleicht nie wieder aufgefunden werden, aber den groͤßten
Schaden anrichten koͤnnten. Das Durchſtechen der Nadeln durch
den Uterus macht, bis man ſich durch Uebung die noͤthige Fertig-
keit erworben hat, die groͤßte Schwierigkeit; wie weit man es
aber darin bringen kann, beweiſet unter andern der Umſtand, daß,
als im verwichenen Jahre bey einer oͤffentlichen Operation in dem
hieſigen Accouchier-Hoſpital ſich der Fall ereignete, daß die durch-
gezogenen Faden aus der bereits im Uterus ſteckenden Nadel aus-
gezogen wurden, der Hr. Hofr. O. die Nadel ſtecken ließ und die
Faden innerhalb der Vagina durch das Nadeloͤhr fuͤhrte, ohne ſich
eines Lichtleiters zu bedienen. Der ſehende Operateur kann und
muß in ſolchen Faͤllen eben die Praͤciſion und Geſchicklichkeit durch
Uebung bekommen, welche ſich viele Blinde erwerben, da er ohne-
hin ganz wie ein Blinder handeln muß. Ein Nadelhalter kommt
nur bey dem Einfuͤhren der Nadeln, ſonſt nicht, zu ſtatten; das
uͤbrige Durchſtechen muͤſſen die Finger allein, ſo wie alles Uebrige,
nach dem Gefuͤhl unterſcheiden. Die Stiche gehen ſowohl von hin-
ten nach vorn, als von vorn nach hinten und von der Seite.
[358] Die groͤßte Vorſicht iſt nothwendig, daß die Nadeln nicht zu weit
gehen, ſich in dem Muttergang anhaken, oder in eins von den
arterioͤſen oder großen venoͤſen Gefaͤßen hinter der Vaginalhaut
kommen. Dies zu verhuͤten, muß der Operateur ſeine Finger
Preis geben, die Spitzen der hervorſtechenden Nadel ſogleich mit
der Fingerſpitze umbiegen, und mit einer kleinen Zange faſſen und
anziehen. Ohne Nadelſtiche in die Finger geht es dabey nicht ab,
und man ſollte glauben, da nachher die Finger noch lange in der
ſcharfen Jauche arbeiten muͤſſen, eine gefaͤhrliche Anſteckung ſey
unvermeidlich. Der Hr. Hofr. O. iſt aber davon immer frey ge-
blieben. indem er gleich nach geendigter Operation die Haͤnde wie-
derholt mit Seife waͤſcht, dann die Stichwunden mit verduͤnntem
Laugenſalze auswaͤſcht und zuletzt anhaltend ausſaugt, ohne nach-
her auf die Wunden etwas Eitermachendes zu legen. Nach vier
bis ſechs Tagen ſind die Stichwunden ohne alle weitere Folgen heil.
Durch die Nadeln wird vierfacher gewichster Zwirn gezogen.
Manchmal ſind zwey durchgezogene Faͤden hinreichend, die Gebaͤr-
mutter in den Muttergang herabzuziehen; ein ander Mal erfodert
der Umfang vier Faͤden. Eine irrige Vorſtellung haben manche
Aerzte von dieſer Operation, welche glauben, die Gebaͤrmutter
muͤſſe vor den Leib herausgezogen und zum gaͤnzlichen Vorfallen
gebracht werden. Eben ſo irrig iſt diejenige Vorſtellung, nach
welcher einige glauben, die ganze Gebaͤrmutter werde ausgeſchnit-
ten, und deßwegen die Operation des Mutterkrebſes als unmoͤglich
laͤugneten oder verwarfen. Durch die Faͤden wird nun der ganze
Uterus in der Tiefe der Vagina zum Abſchneiden fixirt. Das tiefe
Herabziehen wird aber zuweilen durch das Verwachſen des aͤußern
Muttergrundes mit dem Netze [ſehr] erſchwert. — Als neulich, aus
gleicher Urſache der Uterus nicht in die Tiefe herab dem Ziehen an
den Faͤden folgen wollte, die Faͤden ſelbſt aber bey dem Einfuͤhren
des Biſtouri aus Verſehen durchſchnitten wurden, ſo ergriff der
Hr. Hofr. O. geſchwind eine Blaſenſteinzange, faßte den Uterus
am Orificio damit und ſchnitt den Cervix ab. Das Krebshafte
und Skirrhoͤſe braucht nur bis auf das Geſunde ausgeſchnitten zu
werden. Das Geſunde unterſcheidet man nach dem Gefuͤhl durch
die glattere Oberflaͤche und elaſtiſche Feſtigkeit von den rauhen und
holz[a]rtigen Skirrhoſitaͤten. Das gebogene Biſtouri muß ſchmal
und ſtark, ſcharfſchneidend, vorn abgerundet ſeyn, dicht auf den
Cervix und ſo hoch wie moͤglich gefuͤhrt werden, waͤhrend ein Ge-
huͤlfe die Lefzen ber Geſchlechtstheile von einander haͤlt. — Der
Schnitt wird im Bogen gefuͤhrt: erſt kraͤftig, dann langſam, um
die Vagina nicht zu verletzen.


[359]

Die zweyte Operationsart iſt folgende: Wenn der Cervix bereits
groͤßtentheils vom Krebsſchwamme zernichtet, weit ausgedehnt,
und die Hoͤhle voll hoͤckerichten carcinomatoͤſen Schwammes iſt, die
Gebaͤrmutter ſich nicht mehr mit der Nadel faſſen und herabziehen
laͤßt: ſo bringt er die zu operirende Kranke in eine horizontale
Lage, laͤßt einen Gehuͤlfen mit der Fauſt, auf die Gegend des
Fundi uteri gelegt, die Gebaͤrmutter herabdruͤcken, fixirt den Mut-
tergrund in der Aushoͤhlung des Ossis sacri mit dem Zeigefinger
der linken Hand; den Mittelfinger und Goldfinger ſteckt er in die
die Gebaͤrmutter und ſchneidet nun, waͤhrend dieſe Finger die Schee-
renſchnitte leiten, mit einer aufs Blatt gebogenen Scheere und
ſeinem Exſtirpations-Inſtrumente alles Schwammige, Unebne und
Skirrhoͤſe in kleinen Stuͤcken aus. Sobald dies geſchehen iſt, fuͤllt
er die Hoͤhle mit Badeſchwamm, welcher in Wein und das gemel-
dete ſtyptiſche Pulver getaucht worden, aus, und verfaͤhrt bey der
Heilung auf die bereits erwaͤhnte Weiſe. Dieſe Operation iſt, nach
der Ausſage aller Frauen, welche ſie aushielten, lange nicht ſo
ſchmerzhaft, als man ſich vorſtellt, und die Heilung geht uͤber alle
Erwartung ſchnell vor ſich Die Natur ſcheint bey keinem Theile
des menſchlichen Koͤrpers in Reproducirung des Verlornen und Hei-
lung des Verletzten thaͤtiger zu ſeyn, als bey den Zeugungstheilen
beyderley Geſchlechts. Mit Erſtaunen ſieht man z. B. in vier
Wochen ein durch Brand verlornes Scrotum wieder erſetzt, und
mit Verwunderung den voͤllig abgeſchnittenen Cervix zu einem
Quaſi-Muttermund in wenigen Wochen regenerirt, und aus dem
reſtirenden halben Uterus nach wenigen Wochen die Menſtruation
wieder regelmaͤßig hervorfließen. Die Dauer der Heilung iſt ſehr
verſchieden, ſo wie ſie es bey allen Krebs-Operationen zu ſeyn
pflegt. — Ein Umſtand [und] Erfahrungs-Reſultat iſt ſchon von
großer Wichtigkeit, naͤmlich daß bey dieſer mit ſo großer Schwie-
rigkeit im Verborgenen zu unternehmenden Operation bis jetzt nicht
eine Operirte waͤhrend der Operation oder in und waͤhrend der
Heilung geſtorben iſt. Alle heilten erſt, und einige ſtarben nach
Jahr und Tag an ganz andern Zufaͤllen, wie Nervenſchlag, Waſ-
ſerſucht u. dergl., oder das Uebel erneuerte ſich bey neuer Urſache
ploͤtzlich wieder, und nahm ſchnell und unheilbar uͤberhand; andere
blieben drey und mehrere Jahre lang geſund.“


§. 466.

Als Geguer dieſer Methode, partielle Ausrottungen des
Krankhaften im Uterus vorzunehmen, zeigte ſich nun vorzuͤg-
[360] lich Hr. Geheimerrath v. Wenzel, *) indem er der Meynung
iſt, daß eine ſo vollkommen oͤrtliche ſkirrhoͤſe oder carcinoma-
toͤſe Metamorphoſe einer Uterinpartie uͤberhaupt wohl nie vor-
komme, ohne daß nicht wenigſtens die benachbarten Gefaͤße
und Nerven deſſelben Organs zum Theil ſchon mit afficirt
waͤren, ſo daß, ſelbſt wenn ja das Skirrhoͤſe wirklich ausge-
rottet worden, doch von dem Zuſtande der uͤbrigen Partien
wegen nicht regelmaͤßig zu erwartender Entzuͤndung und Ei-
terung **) keine guͤnſtige Heilung zu hoffen ſey. Derſelbe
dringt daher, ſo lange uͤberhaupt nur der Uterus der Sitz
der Krankheit iſt, auf die Ausrottung des ganzen Organs,
und zwar zugleich mit den Muttertrompeten und Ovarien,
und zwar ſo, daß erſt ein kuͤnſtlicher Vorfall des Uterus,
durch Herabziehen mittelſt einer Polypenzange etwa, bewerk-
ſtelligt werde, dann aber der vorgefallene Uterus, oberhalb
ſeines Grundes, durch eine angelegte und nach und nach zu-
gezogene Ligatur ſo abgebunden werde, wie wir die Ausrot-
tung polypoͤſer Geſchwuͤlſte vornehmen. — Dieſe Operation
iſt indeß von H. v. Wenzel ſelbſt noch nicht unternommen
worden, und jeder, der die mit einer Abbindung ſo wichti-
ger Theile nothwendig verknuͤpfte bedeutende Gefahr erwaͤgen
will, moͤchte wohl etwas zoͤgern, der erſte zu ſeyn, welcher
ſeine Kranke einer ſo heroiſchen Behandlung unterwirft. —
Zu erinnern iſt indeß noch, daß auch Hr. v. Siebold***)
nach Struve bereits den Vorſchlag gethan hat, den vorge-
fallenen, bereits zu ſehr von krankhafter Metamorphoſe er-
griffenen Uterus entweder nach und nach aus dem Scheiden-
gewoͤlbe heraus zn praͤpariren und dieſes zu heften, oder auch
oberhalb des vorgefallenen Uterus eine Ligatur anzulegen und
dann den ganzen Uterus mit dem Pott’ſchen Biſtouri oder
einem aͤhnlichen Inſtrumente abzuſchneiden.


[361]
§. 467.

Ferner gehoͤrt zu den Vorſchlaͤgen zur Exſtirpation der
ganzen Gebaͤrmutter, welche aus der freilich durch ſehr Vie-
les begruͤndeten Anſicht hervorgehen, daß theilweiſe Ausrot-
tung keine entſchiedene Huͤlfe gewaͤhren koͤnne, die Methode
des Dr. Gutberlet, *) welche indeß ebenfalls noch in der
Wirklichkeit nicht ausgefuͤhrt worden iſt, und auch wohl ihrer
offenbar noch groͤßern Gefahr wegen noch weniger ausgefuͤhrt
werden moͤchte und duͤrfte. Hier naͤmlich ſoll zuerſt der Bauch-
ſchnitt gemacht, die Gebaͤrmutter ſodann durch eine von dem
Erfinder ſogenannte elliptiſche Hohlſonde aufgehoben und auf
dieſer Sonde von oben herab aus ihren Verbindungen getrennt
werden, wobey denn die Arteriae iliacae durch einen Ge-
huͤlfen zuſammengedruͤckt werden ſollen, um erſt nach und
nach die groͤßern Gefaͤße unterbinden zu koͤnnen. Die Ge-
baͤrmutter ſelbſt wird ſonach durch die Bauchwunde entfernt
und dann ein mit ſtyptiſchen Mitteln befeuchteter Schwamm
durch die Mutterſcheide eingebracht.


§. 468.

Bey ſo verſchiedenen, bloß vorgeſchlagenen Operations-
methoden muß ſonach ein Fall beſondere Bemerkung verdie-
nen, wo der geſammte carcinomatoͤſe Uterus auf eine von
den oben erwaͤhnten vorgeſchlagenen Methoden verſchiedene
Weiſe neuerlich wirklich ausgerottet worden iſt, und ich
fuͤge daher die kurze Erzaͤhlung dieſes Falles, welchen wir
Hrn. Hofr. Langenbeck**) verdanken, hier bey, um fuͤr
kuͤnftige aͤhnliche Faͤlle doch einen ſichern Fingerzeig zu geben:
[362]„Vor vier Jahren (erzaͤhlt Hr. Langenbeck) bekam ich Nachricht
von dem Hrn. General-Chirurgus Kirchmeyer in Caſſel, daß
eine Frau in Caſſel am Carcinoma uteri leide, und der ganze de-
generirte Uterus vorgefallen ſey, deßwegen er glaube, daß die Ex-
ſtirpation ſich gut machen laſſe. Die Frau O., einige 50 Jahre
alt, hatte ſchon lange an Schmerzen, Brennen und Stechen in der
Gebaͤrmutter gelitten; nach und nach war dieſe herunter getreten;
es zeigte ſich nun ein Abfluß uͤbel riechender Jauche, wovon die
Haut der benachbarten Theile wund ward. Die beym Carcinom
charakteriſtiſchen, brennenden, ſtechenden Schmerzen nahmen ſo ſehr
zu, daß die Frau ſehnlichſt wuͤnſchte, durch eine Operation von
ihrem Leiden befreyt zu werden. Bey meiner Unterſuchung fand ich
alles beſtaͤtigt. Die Portio vaginalis ragte etwas uͤber die Labia
maiora
hinaus. Die Labia orificii uteri waren ſteinhart, das Ori-
ficium
roth und erulcerirt; aus dem Orificio floß Jauche; an den
Labiis orificii zeigten ſich Exulcerationen; durch die innere Wand
der Vagina fuͤhlte ich den Uterus ſteinhart, hoͤckericht und ſehr ver-
groͤßert. Das allgemeine Befinden war noch ziemlich gut, ſo daß
ich die Exſtirpation unternehmen konnte. Ich ſtimmte daher ſogleich
mit dem Hrn. General-Chirurgus Kirchmeyer fuͤr die Exſtir-
pation, die ich am folgenden Tage auf folgende Weiſe vornahm:
Die Frau ward auf den Rand des Bettes gelegt, und beyde Fuͤße
auf Stuͤhle geſtellt. Ich ſetzte mich zwiſchen beyde Schenkel, praͤ-
parirte mit einem Scalpell, mit Beyhuͤlfe der Pincette, die hervor-
getriebene Vagina von ihrer Verbindung mit dem Uterus ab, ohne
jedoch die Vagina zu durchſchneiden. Nun kam ich zu dem Theile
des Uterus, der gleichſam, von vorn betrachtet, in das Perito-
naͤum wie in ein Tuch hineingeſteckt iſt. Ich trennte ebenfalls ſehr
genau von der Subſtanz der Gebaͤrmutter das Peritonaͤum, ohne
es zu durchſchneiden, weil ſonſt Gedaͤrme haͤtten herausfallen
koͤnnen, und zog den Uterus immer weiter heraus. Dieſe Tren-
nung ſetzte ich fort bis an den obern abgerundeten Rand des
Fundus uteri, und ſchnitt nun den Uterus vom Peritonaͤo ab, wel-
ches mir ganz geſund zu ſeyn ſchien. Es war dies folglich eine
wahre Ausſchaͤlung des Uterus aus dem Bauchfelle, ſo daß daſſelbe
in Verbindung mit der Vagina, einen leeren Beutel bildete. Die
Blutung war ſehr ſtark, und mußte durch Unterbindung geſtillt wer-
den. Dies war das ſchwerſte Geſchaͤft, da der Hr. Gen. Chirurg.
K., welcher zwar bey der Operation gegenwaͤrtig war, mir dabey
nicht helfen konnte, weil er am Podagra litt. Ich hielt daher die
blutende Flaͤche mit der linken Hand feſt, umſtach ſie mit Nadel
und Faden, ſchlug mit den Fingern der rechten Hand die Schlinge,
[363] zog mit der rechten Hand das eine Ende des Fadens an und das
andere mit den Zaͤhnen. Auf dieſe Weiſe wurden vier Ligaturen au-
gelegt, worauf die Blutung ſtand. Nach der Operation war die
Operirte ſehr ſchwach, erholte ſich aber bald wieder. Das Cavum
ward mit Charpie ausgefuͤllt. Die Heilung ging raſch von Statten,
und die Kranke iſt bis auf dieſen Augenblick vollkommen geſund.
Das Peritonaeum und die Vagina haben ſich ſo ſtark contrahirt,
daß, wenn man die Labia majora auseinander zieht, man nicht den
Finger hinaufbringen kann, ſondern man ſieht eine feſt benarbte
Haut, als waͤre es eine Imperforatio vulvae. Mit dem herausge-
nommenen Uterus waren in Verbindung die Ovaria und die abge-
ſchnittenen Ligamenta rotunda.


§. 469.

Noch waͤre nun die Frage aufzuwerfen, ob außer und
nach der Operation, einem Mittel, welches bey dem Gebaͤr-
mutterkrebs, gleich allen andern, nur ſelten helfen kann und
noch ſeltener wirklich geholfen hat, noch etwas durch innere
oder aͤußere dynamiſche Mittel zu wirken ſey? — H. Oſian-
der
empfiehlt naͤmlich die, nach der auf ſeine Weiſe ver-
richteten Operation ruͤckbleibenden Verhaͤrtungen nach und nach
durch den Gebrauch reſolvirender Mittel, vorzuͤglich der Aqua
laurocerasi,
wo moͤglich zu erweichen und ſo die Heilung
zu beendigen; allein mit Recht zweifelt man wohl an dem
Gelingen dieſer Behandlung, wenn man erwaͤgt, wie wenig
bey andern aͤußerlichen und folglich genauer zu beobachtenden
Krebsſchaͤden die bloß partielle Ausrottung nuͤtzt; und man
darf folglich wohl den Satz aufſtellen, daß uͤberhaupt die
Operation nur dann gruͤndliche Heilung hoffen laſſen werde,
wenn alles Krankhafte wirklich ausgerottet worden iſt, daß
aber auch nach einer ſolchen vollſtaͤndig verrichteten Operation
ein weiteres Heilverfahren uͤberfluͤſſig werde, außer daß man
ſich bemuͤhe, die Urſachen, welche, vom allgemeinen Befin-
den ausgehend, die Heilung erſchweren (als Fehler des Lymph-
ſyſtems u. ſ. w.) zu beſeitigen und die Reproduction immer
regelmaͤßiger und vollkommner wiederherzuſtellen.


[364]
B.Abnorme Lagen der nicht ſchwangern
Gebaͤrmutter
.

1.
Vorfall der nicht ſchwangern Gebaͤrmutter
(Prolapsus, Procidentia, Descensus uteri).

§. 470.

Wenn die Gebaͤrmutter, deren normale Lage zwiſchen
die Gegend des Beckeneinganges und die eingebildete Flaͤche,
in welcher wir die Beckenhoͤhle meſſen, und zwar mit ihrer
Laͤngenachſe in die Fuͤhrungslinie faͤllt, merklich tiefer in
das kleine Becken herabgetreten iſt, ſo bezeichnen wir dieſe
Regelwidrigkeit mit dem Namen des Gebaͤrmuttervor-
falls
.


§. 471.

Der Gebaͤrmuttervorfall wird, je nachdem die Lage des
Uterus mehr oder weniger von der Norm abweicht, in ver-
ſchiedene Grade eingetheilt. Bleibt naͤmlich die Gebaͤrmutter
zwiſchen der mittlern Flaͤche der Beckenhoͤhle und dem Aus-
gange derſelben, ſo iſt es ein unvollkommner Gebaͤrmutter-
vorfall (Descensus s. Prolapsus uteri incompletus); tritt
dagegen der Uterus aus der Beckenhoͤhle hervor und zwiſchen
die aͤußern Geburtstheile herein oder durch ſie hindurch, ſo
iſt es ein vollkommner Vorfall (Prolapsus completus s. Pro-
cidentia uteri
). — Bey einem jeden bedeutenden Gebaͤr-
muttervorfall iſt uͤbrigens zugleich die Lage der Mutterſcheide
veraͤndert, ſie iſt zum Theil oder vollkommen umgeſtuͤlpt,
und ſobald ſie auf dieſe Weiſe, gleichſam als aͤußere Decke
des Gebaͤrmutterkoͤrpers, betraͤchtlich mit aus den Geburts-
theilen hervorragt, erleidet gewoͤhnlich die Struktur ihrer in-
nern Wand ſelbſt eine ganz merkwuͤrdige Veraͤnderung, indem
die Schleimhaut derſelben mit einer wahren Epidermis ſich
[365] uͤberzieht, und Muttermund und umgeſtuͤlpte Scheide, wel-
che dann zuweilen faſt das Anſehen eines maͤnnlichen Glie-
des erhalten, alsbald voͤllig die Farbe der innern Schenkel-
flaͤche annehmen. Eine Erſcheinung, welche fuͤr die Bil-
dungsgeſchichte der Oberhaut, von welcher ſpaͤterhin die Rede
ſeyn wird, nicht unwichtig iſt.


§. 472.

Hat ein bedeutender Vorfall der Gebaͤrmutter laͤngere
Zeit Statt gehabt, ſo iſt gewoͤhnlich auch die Subſtanz des
Uterus veraͤndert, aufgeſchwollen und oft leicht blutend.
Uebrigens iſt der Vorfall des Uterus entweder beweglich und
leicht zuruͤckzubringen, oder nicht. Das Letztere tritt ge-
woͤhnlich nur bey ſehr veralteten Vorfaͤllen ein, wo dann
am obern Theile des Uterus ſelbſt mit der umgeſtuͤlpten Va-
gina ſich Verwachſungen zu bilden ſcheinen, die die Re-
poſition durchaus hindern.


§. 473.

Die Zufaͤlle, welche den Gebaͤrmuttervorfall begleiten
und ihm zum Theil als Zeichen dienen, ſind Empfindungen
von Druck und Spannung in der Beckengegend, vorzuͤglich
bey laͤngerem Stillſtehen oder Gehen, Hinderungen in den
Ausleerungen des Maſtdarms und der Harnblaſe, welche
letztere Ausleerung oft nur in den Fruͤhſtunden, oder waͤh-
rend der Ruͤckenlage, oder nach Aufhebung des Uterus, durch
zwey eingebrachte Finger leichter von Statten geht. Sinkt
der Uterus noch mehr herab, ſo nimmt das Gefuͤhl der
Preſſung noch mehr zu, obwohl der Schmerz, durch Span-
nung der dem obern Theile des Uterus angehefteten Theile
erregt, nach und nach durch groͤßere Erſchlaffung ſowohl, als
durch Gewoͤhnung ſich mindert; zugleich ſchwillt oft der
Uterus an, und es zeigt ſich Leukorrhoͤe. Noch mehr wer-
den dieſe Zufaͤlle geſteigert, wenn die Gebaͤrmutter ganz aus
den Geburtstheilen hervortritt und ſo Harnblaſe, Maſtdarm,
Mutterroͤhren und Eyerſtoͤcke gewaltſam aus ihrer Lage bringt,
und außerdem treten denn hierbey leicht Excoriationen, Ver-
[366] haͤrtung und Verdickung der Scheidenwand, ſo wie ſelbſt
krebsartige Beſchaffenheit der Vaginalportion ein.


§. 474.

Zu erkennen iſt im Ganzen der Gebaͤrmuttervorfall
ſehr leicht durch genau angeſtellte geburtshuͤlfliche Unterſu-
chung, wobey man jedoch die Vorſicht brauchen muß, bey
kleinern Vorfaͤllen, welche zuweilen in der Ruͤckenlage gaͤnz-
lich zuruͤckgehen und daher in den Morgenſtunden mitunter
ſelbſt nach angenommener aufrechter Stellung nicht mehr be-
merkt werden, ſtets in aufrechter Stellung und nachdem die
Kranke ſchon einige Zeit außer dem Bette ſich befunden hat,
die Unterſuchung vorzunehmen. Ohne ſorgfaͤltige innere Un-
terſuchung hingegen wird das Uebel allerdings oͤfters verkannt,
und oft ein bloßes Symptom deſſelben, z. B. weißer Fluß
oder Blutung, fuͤr die eigentliche Krankheit genommen, oder
aber man ſchließt wohl auch aus der Empfindung des Draͤn-
gens in den Geburtstheilen, aus der Verſtopfung u. ſ. w.
auf einen Vorfall, wo keiner vorhanden iſt, ſondern dieſe
Beſchwerden von Haͤmorrhoidalcongeſtionen u. ſ. w. abhaͤngen.
Endlich koͤnnte auch wohl der theils bey der Menſtruation,
theils in dem zweyten Schwangerſchaftsmonat regelmaͤßig
etwas tiefer ſtehende Uterus fuͤr vorgefallen gehalten werden,
welcher Irrthum jedoch durch gehoͤrige Beruͤckſichtigung der
uͤbrigen Umſtaͤnde und kurze Beobachtung des Uebels bald
berichtigt werden kann. Eben ſo leicht iſt es, den ſtaͤrkern
Gebaͤrmuttervorfall nach den oben angegebenen Zeichen von
dem Gebaͤrmutterpolypen oder von der Umſtuͤlpung des Ute-
rus (wovon weiter unten) zu unterſcheiden, indem er ſich
immer durch den am unterſten Ende der Geſchwulſt fuͤhlba-
ten quergeſpaltnen Muttermund hinlaͤnglich charakteriſirt.


§. 475.

Aetiologie. Das Weſentliche des Uebels be-
ſteht immer in abnormer Verlaͤngerung, Erſchlaffung und Aus-
dehnung der Gebaͤrmutterbaͤnder. Die entfernten veranlaſſen-
den ſowohl als Gelegenheitsurſachen ſind ſehr verſchieden.
[367] Im Allgemeinen iſt zu bemerken, daß Vorfaͤlle der Gebaͤr-
mutter bey Perſonen, welche noch nie geboren haben, uͤber-
haupt ſelten vorkommen und faſt nie ſehr bedeutend ſind,
daß ferner ſchlaffer, phlegmatiſcher Habitus, ein weites und
wenig geneigtes Becken, und namentlich alles, was den
Tonus der Geburtstheile ſchwaͤcht, zu dieſer regelwidrigen
Lage disponirt. Hierher gehoͤren oͤfters wiederkehrende bedeu-
tende Blutungen, Leukorrhoͤe, der Gebrauch von Kohlentoͤ-
pfen, zu warmen oͤrtlichen oder allgemeinen Baͤdern, unzeitige
Geburten und uͤberhaupt zu bald auf einander folgende Wo-
chenbetten.


§. 476.

Im je groͤßeren Maaße nun dieſe disponirenden Mo-
mente Statt gefunden haben, um ſo leichter wird durch die
jetzt namhaft zu machenden Gelegenheitsurſachen die Krank-
heit ſelbſt zu Stande kommen. Hierhin gehoͤren aber Un-
achtſamkeit und zu zeitiges Aufſtehen im Wochenbett (eine
der haͤufigſten Veranlaſſungen zu Vorfaͤllen), heftiges Preſſen
waͤhrend der Geburt ſelbſt, vorzuͤglich bey nicht hinlaͤnglich
eroͤffnetem Muttermunde, oder bey dem Abgange der Nach-
geburt, oder endlich beym Stuhlgange in den erſten Tagen
des Wochenbettes. Ferner anſtrengendes, oͤfter wiederkehren-
des Erbrechen, oder Huſten, anhaltender Durchfall mit ſtar-
kem Tenesmus, anſtrengende Arbeit, das Heben ſchwerer
Laſten, Springen u. dgl., durch welche Momente zuweilen
ſogar ploͤtzlich und ohne vorhergegangene weſentliche Dispo-
ſition ein Gebaͤrmuttervorfall zu Stande kommen kann, wel-
cher indeß dann auch um ſo ſtaͤrkere Zufaͤlle hervorzubringen
pflegt und zu Entſtehung von Entzuͤndung, Fieber, Schwin-
del u. ſ. w. Veranlaſſung geben kann. Endlich kann auch
durch den Druck von unzweckmaͤßigen Kleidungsſtuͤcken, zu weit
herabragenden und zu feſt anliegenden Schnuͤrbruͤſten, oder durch
Druck von abnormen Vergroͤßerungen benachbarter Theile, alſo
bey Ausartungen der Eyerſtoͤcke, der Gebaͤrmuttervorfall zu
Stande kommen. *)


[368]
§. 477.

Die Prognoſe richtet ſich bey dieſem Uebel nach dem
Grade, nach der Dauer und der Entſtehungsweiſe deſſelben.
Ein unvollkommner, beweglicher, erſt in Folge von Schwaͤche
neuentſtandener Vorfall macht im Ganzen wenig Beſchwerde,
nimmt jedoch in der Regel nach und nach immer mehr zu,
und fordert daher baldige Beſeitigung; ein betraͤchtlicher Vor-
fall hingegen ſtoͤrt oft nicht nur die Sexualfunctionen be-
deutend, ſondern wird durch Veranlaſſung zu Ausartung der
Uterinſubſtanz ſogar gefaͤhrlich, ſo wie zugleich die Moͤglich-
keit radicaler Heilung ſich immer mehr verringert. Ein Vor-
fall des Uterus endlich, welcher bereits Vergroͤßerung der
Uterinſubſtanz und regelwidrige Verwachſungen deſſelben mit
benachbarten Theilen zur Folge gehabt hat, iſt nicht nur un-
heilbar, ſondern auch durch immer weiter gehende Degene-
rationen, Blutergießungen u. ſ. w. oft gefaͤhrlich.


§. 478.

In der Behandlung des Gebaͤrmuttervorfalls ver-
dienen nun insbeſondre drey Indicationen Erwaͤgung: 1) die
dringendſten Krankheitszuſtaͤnde, welche durch den Vorfall
veranlaßt wurden, zu beſeitigen und die etwa noch fortwir-
kenden Gelegenheitsurſachen deſſelben zu heben; 2) den vor-
gefallnen Uterus in ſeine natuͤrliche Lage zuruͤckzufuͤhren, und
3) ihn in dieſer Lage theils durch Hebung der naͤchſten
Krankheitsurſache, d. i. der Erſchlaffung ſeiner Baͤnder, theils
durch mechaniſche Unterſtuͤtzungsmittel zu erhalten.


§. 479.

Die Erfuͤllung der erſten Indication richtet ſich nach
der Natur der durch den Vorfall veranlaßten Zufaͤlle. Bey
*)
[369] einer in Folge ploͤtzlicher Dislocation oder allmaͤhliger Ver-
groͤßerung und Einklemmung entſtandenen entzuͤndlichen Rei-
zung des Uterus, wird der antiphlogiſtiſche Heilapparat und
ſelbſt Blutentziehung eintreten muͤſſen; Baͤder, oͤrtliche Fo-
mentationen aus erweichenden, oder, bey mehr ſchwammiger
Auftreibung, aus bittern und narkotiſchen Kraͤutern, bey großer
Schmerzhaftigkeit aus warmer Milch mit Laudanum, oder aus
warmem Oleum Hyoscyami, bey Excoriationen des Uterus und
der Scheide aus dem nach Befinden mit den erwaͤhnten Auf-
guͤſſen zu verduͤnnenden Bleywaſſer, ſind außerdem nuͤtzlich. Zu-
gleich ſucht man alles, was das Herabpreſſen des Uterus ver-
mehrt und unterhaͤlt, zu entfernen, wohin vorzuͤglich Erbrechen,
Huſten und Stuhlzwang zu rechnen ſind, welche theils pal-
liativ durch demulcirende beruhigende Mittel gemildert, theils
nach ihrer Entſtehung behandelt werden muͤſſen.


§. 480.

Sind nun die Ruͤckſichten, welche die erſte Indication
fordert, genommen, oder waren uͤberhaupt keine Zufaͤlle die-
ſer Art vorhanden, welche eine beſondere Behandlung noͤthig
machen, ſo ſchreitet man zur Erfuͤllung der zweyten Indi-
cation, naͤmlich zur Repoſition des Vorfalls. Hierbey wird
nun das Verfahren verſchieden ſeyn, je nachdem der Vorfall
mehr oder minder bedeutend iſt. Ein kleiner Vorfall naͤmlich
weicht oft ſchon von ſelbſt zuruͤck, ſo wie die Kranke die
horizontale Lage annimmt, oder durch den wie zur Unterſu-
chung eingebrachten Zeigefinger noch etwas mehr zuruͤckge-
draͤngt wird, um einen groͤßern, namentlich einen completten
Vorfall zuruͤckzubringen, wird hingegen ein etwas zuſammen-
geſetzteres Verfahren nothwendig. Man laͤßt zu dieſem Ende
der Kranken, am beſten gleich fruͤh, bevor ſie das Bett ver-
laſſen hat, durch ein Lavement den Stuhl entleeren, ſo wie
fuͤr Entleerung der Blaſe, entweder auf natuͤrlichem oder
kuͤnſtlichem Wege, zu ſorgen iſt. Hierauf bringt man die-
ſelbe auf ein Lager, wo durch eine in der Kreuzgegend un-
tergeſchobene Rolle eine maͤßige Erhoͤhung hervorgebracht wor-
den iſt, beſtreicht dann, wenn der Uterus noch innerhalb
I. Theil. 24
[370] der Scheide liegt, den Zeige- und Mittelfinger mit Oebl,
bringt ſie in die Vagina ein und draͤngt behutſam und der
Fuͤhrungslinie gemaß den Uterus mittelſt angeſetzten Finger-
ſpitzen an der Vaginalportion in ſeine regelmaͤßige Lage
zuruͤck.


§. 481.

Liegt der Uterus voͤllig außerhalb der Geſchlechtstheile,
ſo beſtreicht man denſelben erſt mit Oehl, ſetzt dann Dau-
men, Zeige-, Mittel- und vierten Finger rings an die Va-
ginalportion, und draͤngt nun vorſichtig, und indem man
den Uterus dabey gelind drehend hin und her bewegt, den-
ſelben in die Tiefe des Beckens und in ſeine regelmaͤßige
Lage zuruͤck, indem man zugleich darauf achtet, ob die Re-
poſition etwa heftige Schmerzen, welche auf Druck wichtiger,
dem Uterus vielleicht ſchon nachgeſunkener Theile hinweiſen,
verurſacht, in welchem Falle man lieber die Repoſition nicht
vollkommen macht, ſondern gradweiſe vollbringt, ſo daß man
zuvoͤrderſt den Uterus nur in der Vagina zu erhalten und
erſt nach einiger Zeit ihn weiter herauf zu fuͤhren ſucht.
Wird der Vorfall durch Druck ausgearteter Organe in der
Beckenhoͤhle und erfolgte Verwachſungen unterhalten, ſo huͤte
man ſich, nicht durch Gewalt die Repoſition vollbringen zu
wollen, ſondern es muß, ſobald man ſich ſicher hiervon
uͤberzeugt hat, der Vorfall als unheilbar betrachtet werden,
als welches zwar ſelten, aber doch mitunter vorkommt.


§. 482.

Die Erfuͤllung der dritten Indication, welche die Er-
haltung in der normalen Lage bezweckt, iſt gleichfalls nach
dem Grade des Uebels verſchieden. Iſt es ein nicht be-
traͤchtlicher, neuentſtandener Gebaͤrmuttervorfall, ſo iſt es zu
erwarten, daß die radicale Heilung durch Wiederherſtellung
einer normalen Spannung der Uterinbaͤnder gelingen werde,
und dann muß zuvoͤrderſt fuͤr 2 bis 3 Wochen die horizon-
tale Lage zur Pflicht gemacht, und durch den Apparat toni-
ſcher Mittel die Contraktilitaͤt der Faſer befoͤrdert werden.
[371] Hierher gehoͤren: 1) Injectionen von Abkochungen der Sal-
via, des Serpillum, Abſinthium, der Eichen-, Ulmen- oder
Weidenrinde, auch wohl mit etwas rothem Wein oder Alaun-
aufloͤſung verſetzt; 2) Einreibung ſpirituoͤſer Mittel auf den
Unterleib, Tragen des aromatiſchen Pflaſters auf der regio
hypogastrica
u. ſ. w.; 3) Einbringung eines Schwammes
in die Vagina, welcher mit den genannten bittern und ad-
ſtringirenden Mitteln befeuchtet wird, oder eines Saͤckchens
mit Eichenrindenpulver gefuͤllt und mit rothem Weine be-
ſprengt.


§. 483.

Kann man nun hoffen, daß durch dieſe Maaßregeln
die Erſchlaffung der Gebaͤrmutterbaͤnder und Scheidenwaͤnde
gehoben ſey, ſo erlaubt man der [Kranken] etwas aufzuſtehen,
und achtet darauf, ob bey aufrechter Stellung und bey ge-
linder willkuͤhrlicher Preſſung der Bauchmuſkeln der Vorfall
nicht von neuem erſcheint. Iſt dies nun nicht der Fall, ſo
laͤßt man die Kranke allmaͤhlig laͤnger auf ſeyn, warnt in-
deß vor allen heftigen und anſtrengenden Bewegungen, nimmt
Ruͤckſicht auf Erhaltung leichter und natuͤrlicher Harn- und
Stuhlausleerungen (bey denen alles Preſſen ſtreng zu unter-
ſagen iſt), und faͤhrt noch einige Zeit mit Anwendung des
oͤrtlich die Contraktilitaͤt erhoͤhenden Apparats fort.


§. 484.

Wo dagegen der Vorfall uͤberhaupt zu veraltet iſt, als
daß man auf dem angegebenen Wege deſſen Heilung erwar-
ten duͤrfte, oder auch die angezeigte Methode fruchtlos ge-
blieben iſt, fordert das Uebel ein Mittel, welches wenigſtens
die mit der tief herabgetretenen Gebaͤrmutter nothwendig ver-
bundenen Beſchwerden etwas mindert. Dieſes wird bewirkt
durch eine mechaniſche Unterſtuͤtzung des Uterus, zu deren
Ausfuͤhrung man ſehr verſchiedene Mittel in Vorſchlag ge-
bracht hat. Eins der zweckmaͤßigſten zu dieſem Behuf iſt
die ſchon erwaͤhnte Einbringung eines hinlaͤnglich großen
Schwammes in die Vagina, bey welchem alle nachtheilige
[372] Reizung der Vaginalportion wegfaͤllt und man zugleich durch
Befeuchten des Schwammes mit einem Eichenrindendekokt
und etwas rothem Wein zur vollkommnen Heilung immerfort
beytragen kann. — Ein ſolcher Schwamm muß an ſeinem
untern duͤnnern Ende mit einer Schlinge verſehen ſeyn, theils
um ihn bequem herausnehmen zu koͤnnen (welches uͤberhaupt,
namentlich aber zur Zeit der monatlichen Reinigung oͤfters
geſchehen muß), theils um ihn an eine Leibbinde mit zwi-
ſchen den Schenkeln locker durchgezogenem Bande (ohngefaͤhr
wie der Beinriemen an einem Bruchbande) etwas befeſtigen zu
koͤnnen, wodurch man theils das Hervordraͤngen des Schwam-
mes in Folge von Vaginalkrampf, oder in Folge betraͤchtli-
cher Erweiterung der rima genitalium bey vielleicht fruͤher
Statt gehabten Einriſſen des Mittelfleiſches verhindern kann (in
welchem letztern Falle man zur Verhinderung des Hervordraͤngens
durch eine vor die Geburtstheile gelegte Compreſſe noch mehr
beytragen kann), theils auf alle Weiſe das Herausfallen des
Schwammes im Gehen zu verhuͤten iſt.


§. 485.

Wo indeß der Schwamm keine hinlaͤngliche Unterſtuͤtzung
gewaͤhrt, was vorzuͤglich bey einem ſchon Jahre lang be-
ſtehenden ſehr bedeutenden Gebaͤrmuttervorfalle und bey ſehr
weitem Becken eintreten wird, iſt man genoͤthigt, auf feſtere
Unterſtuͤtzungsmittel zu denken, und zu dieſem Behuf dienen
dann die Mutterkraͤnze (Pessaria), deren die Bandagen-
lehre *) eine betraͤchtliche Anzahl aufzaͤhlt, und von welchen
wir jetzt noch einige der empfehlenswertheſten betrachten und
ihre Anwendungsart beſchreiben wollen.


[373]
§. 486.

Wir theilen die Peſſarien ein in geſtielte und unge-
ſtielte. Beide Arten haben ihre beſondern Vortheile und
Nachtheile. Die ungeſtielten werden ohne Schmerzen getra-
gen, beduͤrfen keiner beſondern Binde zum Zuruͤckhalten, ja
hindern (gut gelegt) nicht einmal die Empfaͤngniß; dagegen
ſind ſie nicht leicht den gegebenen Umſtaͤnden, vorzuͤglich dem
Becken, genau anzupaſſen, muͤſſen daher, wenn ſie zu groß
ſind, die benachbarten Theile bedeutend druͤcken, oder werden,
wenn ſie zu klein ſind, bald ausfallen, ja das Uebelſte iſt,
daß die weichen Theile gewoͤhnlich durch den Druck des Peſ-
ſarii nachgeben und ſo, wenn es auch anfaͤnglich feſt lag,
doch ſpaͤterhin das Ausfallen deſſelben bewirken. — Was die
geſtielten Mutterkraͤnze anbelangt, ſo halten ſie zwar den
Uterus mit Sicherheit zuruͤck, dagegen machen ſie auch viele
Beſchwerden, fordern das Tragen einer beſondern Binde,
deren Durchnaͤſſung vom Urinabgange unvermeidlich iſt, der
Stiel des Mutterkranzes reibt und druͤckt die Vagina und die
aͤußern Geburtstheile, veranlaßt Leukorrhoͤe und Excoriationen.
Außerdem ſinkt auch, ſelbſt bey beſtens angelegter Binde,
der Uterus doch im Gehen etwas herab, und wenn ſich die
Kranke dann ſchnell und unvorſichtig niederſetzt, ſo ſtoͤßt der
Mutterkranz den Uterus gewaltſam in die Hoͤhe, welches
denn nicht nur ſchmerzhafte Empfindungen macht, ſondern
zu nachtheiligen Reizungen des Muttermundes, ſelbſt zu Ent-
ſtehung von Skirrhoſitaͤten fuͤhren kann.


§. 487.

Da ſonach die ungeſtielten Peſſarien allerdings
weniger beſchwerlich und gefaͤhrlich ſind, als die geſtielten,
ſo wird man ihnen, wo nur immer moͤglich, den Vorzug
*)
[374] geben. — Die Form wie das Material derſelben iſt indeß
aͤußerſt verſchieden, am wenigſten zu empfehlen ſind, ihres
Drucks und ihrer Form wegen, die cylinder-, apfel- und
birnfoͤrmigen Peſſarien; beſſer, und doch ſehr einfach, iſt der,
auch von Richter beſonders empfohlne Levret’ſche Mutter-
kranz (T. I. f IX.), welcher aus einem Ringe von Kork,
gegen 3 Zoll im Querdurchmeſſer und ein Sechstheil weniger
im geraden Durchmeſſer betragend, verfertigt und mit einem
Ueberzuge aus Wachs, mit etwas Gyps vermiſcht, uͤberzo-
gen wird. *) Weniger gut ſind die hoͤlzernen, bloß teller-
foͤrmigen, runden, oder die nach Art des Bruͤninghauſi-
ſchen hinten und vorn etwas ausgeſchnittenen (nach Art
einer ∞), welche ſehr leicht abgleiten und ausfallen.


§. 488.

Ferner gehoͤren hierher die elaſtiſchen ungeſtielten
Peſſarien, worunter das Hunold’ſche, aus einem Fiſchbein-
ringe mit Seide umwickelt und mit einem Netze von Haar-
baͤndern innen durchflochten (ſ. T. I. f. X.), Erwaͤhnung
verdient, obwohl auch dieſes wegen des duͤnnen Randes leicht
ausfallen kann. Dieſes leichte Herausgleiten iſt indeß auch
von den andern elaſtiſchen Peſſarien, z. B. von den Juvil-
le
’ſchen und Bernard’ſchen, zu befuͤrchten, von denen das
erſte aus einer kleinen Flaſche elaſtiſchen Harzes, am Boden
mit einem eingelegten goldenen Ringe (T. I. f. XII.), der
zweyte aus Leinwand, mit Aufloͤſung des elaſtiſchen Harzes
beſtrichen, beſteht, und welche namentlich durch die Erwaͤr-
mung ſich erweichen und ſo herausfallen.


§. 489.

Die geſtielten Mutterkraͤnze betreffend, ſo hat
man auch von dieſer Art theils elaſtiſche, theils unelaſtiſche.
[375] Die erſtern, gewoͤhnlich aus Leinwand, mit aufgeloͤſtem ela-
ſtiſchen Harz beſtrichen, verfertigt, erweichen ſich jedoch bald,
knicken zuſammen und laſſen den Vorfall wieder heraustreten,
koͤnnen daher nur fuͤr ſehr empfindliche Perſonen und bey nicht
allzubetraͤchtlichen Vorfaͤllen Statt finden, und muͤſſen oͤfters
erneuert werden. Sie haben das Gute, daß ſie beym Nie-
derſetzen nicht ſo gegen die Gebaͤrmutter ſtoßen, und ich habe
ſie daher nicht ohne Nutzen gefunden, zumal da mitunter,
wenn der Vorfall noch nicht gar zu ſtark war, er ſich durch
ein halbjaͤhriges oder etwas laͤngeres Tragen eines geſtielten
Mutterkranzes entweder ganz verliert, oder ſodann durch
einen bloßen Schwamm ſich zuruͤckhalten laͤßt.


§. 490.

Die harten elaſtiſchen Mutterkraͤnze ſind am beſten mit
einem ſoliden, nach der Fuͤhrungslinie maͤßig gebognen Stiele
verſehen, der Teller wird entweder von dem Stiele unmittel-
bar (wie bey dem Hunold’ſchen) getragen, und dann muß
der in der Mitter vertiefte Teller mit einigen Loͤchern verſehen
ſeyn, oder der Teller, zur Unterſtuͤtzung der Vaginalportion,
wird in einen bloßen Ring verwandelt und dann von drey
auf dem Stiele aufſitzenden Stuͤtzen getragen (wie bey dem
Zeller’ſchen ſ. T. I. f. XI.). Eins der gewoͤhnlichſten,
wohlfeilſten und beſten Peſſarien dieſer Art iſt das von Hu-
nold
, welches aus uͤberfirnißtem, vorher in Leinoͤhl gekochtem
Holze beſteht und welches man auch mit einer Wachsmaſſe
uͤberziehen laſſen kann. Um uͤbrigens bey dieſen harten ge-
ſtielten Peſſarien das Stauchen gegen die Gebaͤrmutter beym
Niederſitzen zu verhuͤten, giebt Richter den Rath, den
Stiel zu durchſchneiden, an jedem Ende eine etwa zolllange
ſilberne Roͤhre anzufuͤgen, eine duͤnner als die andere, ſo
daß eine ſich in die andere einſchieben laͤßt, und nun in dieſe
Roͤhren eine Feder von ſpiralfoͤrmig gewundenem Drath ſo
zu legen, daß ſich beym Druck der Stiel verkuͤrzt und von
ſelbſt wieder verlaͤngert; allein es iſt wohl zu zweifeln, ob
eine ſo kuͤnſtliche Vorrichtung hier lange Zeit widerhalten
[376] wuͤrde. Eher koͤnnte man daher, nach dem Vorſchlage Eben-
deſſelben, den Kranken, welche das Hunold’ſche oder Zel-
ler
’ſche Peſſarium tragen, den Rath geben, am hintern und
obern Theile der Schenkel Kiſſen zu befeſtigen, welche, wenn die
Kranken ſich ſetzen, den Stoß gegen den Stiel des Mutterkranzes
verhindern. — Daß uͤbrigens alle geſtielte Peſſarien am un-
tern Ende des Stiels mit ein oder einigen Oeffnungen zum
Durchziehen des an eine Leibbinde befeſtigten Bandes ver-
ſehen ſeyn muͤſſen, ergiebt ſich ſchon von ſelbſt.


§. 491.

Wir haben nun noch von der Art, Mutterkraͤnze ein-
zulegen und herauszunehmen, zu ſprechen: — Um einen un-
geſtielten Mutterkranz einzulegen, muß zuvoͤrderſt nach oben
(§. 480. u. 81.) angegebenen Methoden die vollkommne Re-
poſition des Vorfalls bewerkſtelligt ſeyn; man laͤßt dann die
Kranke (welche nuͤchtern ſeyn und Urin und Stuhl entleert
haben muß) in eben die Lage bringen, welche zur Repoſition
noͤthig war (§. 480.), laͤßt die Knie etwas anziehen, be-
ſtreicht den Mutterkranz mit Oehl und bringt ihn dann mit
ſeiner Laͤnge in der Achſe des Beckens, mit ſeiner Breite in
der Richtung der geraden Durchmeſſer deſſelben in die Mut-
terſcheide ein, wobey die Kranke alles Preſſen ſorgfaͤltig ver-
meidet. Im Becken nun giebt man ihm die Richtung, daß
er mit ſeiner Laͤnge in den Querdurchmeſſer der Beckenhoͤhle,
und mit ſeiner Breite in den geraden Durchmeſſer derſelben
zu liegen kommt, und der Muttermund uͤber der Oeffnung
des Mutterkranzes, und zwar auf der concaven Seite deſſel-
ben ſich befindet. — Hat man ſich von der guten Lage deſ-
ſelben uͤberzeugt, und empfindet die Kranke weder heftiges
Druͤcken, noch ſonſtigen Schmerz, ſo bedeckt man die aͤußern
Geburtstheile mit einer dicken, allenfalls mit rothem Wein
beſprengten Compreſſe, welche an eine Leibbinde hinten und
vorn befeſtigt wird, laͤßt ihr die Schenkel zuſammen legen
und ſich ruhig halten.


[377]
§. 492.

Nach einer zwey bis drey Tage beobachteten Ruhe,
wenn ſich der Mutterkranz in die weichen Theile des Beckens
gehoͤrig eingedruͤckt hat, laͤßt man die Kranke zwar aufſtehen,
allein alle anſtrengenden Bewegungen in den naͤchſt folgenden
Tagen ſorgfaͤltig vermeiden, die Compreſſe noch mehrere Tage
forttragen, Verſtopfungen durch von Zeit zu Zeit zu neh-
mende Lavements vorbeugen und beym Stuhlgange die Ge-
burtstheile mit der Hand bedecken, bis man ſich von voll-
kommen guter und feſter Lage des Peſſarii hinlaͤnglich uͤber-
zeugt hat. Ueberhaupt muß auch ſpaͤterhin von Zeit zu Zeit
die innere Unterſuchung vorgenommen werden, da zuweilen
das Peſſarium ſich verruͤckt oder ſchief legt (mit der breiten
Flaͤche nach vorn), oder auch wohl der Uterus ſich neben
demſelben herabdraͤngt, oder endlich, wenn das Inſtrument
lange gelegen hat, daſſelbe auch ſchadhaft werden koͤnnte. —
Im letzteren Falle, oder wenn es eine ganz falſche, im
Becken ſelbſt durch einen gelinden Druck nicht abzuaͤndernde
Lage bekommen haͤtte, muß es herausgenommen werden, wo-
bey denn die Kranke wieder dieſelbe Lage, wie bey der Ein-
bringung, annehmen muß, und man den Zeigefinger in die
Oeffnung des Mutterkranzes bringt, ihn erſt mit ſeiner Laͤnge
in die Fuͤhrungslinie des Beckens herabzudraͤngen und ſo her-
auszunehmen ſucht, welches allerdings zuweilen bey Peſſarien,
welche mehrere Jahre gelegen haben, mit nicht geringen
Schwierigkeiten verbunden zu ſeyn pflegt und wozu man ſich
zuweilen auch der Beyhuͤlfe einer etwas ſtarken krumm gebo-
genen Sonde bedienen kann. — Das Herausnehmen des
Mutterkranzes iſt uͤbrigens auch nothwendig, wenn er weißen
Fluß, Entzuͤndung, Geſchwulſt *) oder uͤberhaupt Schmerzen
verurſacht; eben ſo iſt es rathſam, ihn waͤhrend der Men-
ſtruation zu entfernen, und durchaus nothwendig wird dies
[378] zur Vermeidung nachtheiliger Reizung in der zweyten Haͤlfte
einer etwa eingetretenen Schwangerſchaft. Ueberhaupt be-
kommen oft die Kranken ſelbſt die noͤthige Fertigkeit im Her-
ausnehmen und Einlegen des Mutterkranzes, welches zur
oͤftern Reinigung der Geburtstheile und des Inſtruments am
vortheilhafteſten iſt.


§. 493.

Die Einlegung eines geſtielten Mutterkranzes fordert
im Weſentlichen daſſelbe Verfahren. Man laͤßt hierzu der
Kranken eine Leibbinde verfertigen, an welcher hinten zwey
lange ſeidene, einen halben Zoll breite Baͤnder befeſtigt wer-
den, um durch den Stiel des Mutterkranzes gezogen werden
zu koͤnnen. An der vordern Gegend der Leibbinde befeſtigt
man zu beiden Seiten ein paar kuͤrzere Baͤnder, um die von
dem Mutterkranzſtiel Vfoͤrmig nach vorn und oben gefuͤhrten
hintern Baͤnder daran zu knuͤpfen, durch welche Richtung der
Baͤnder das Verunreinigen derſelben bey Stuhl und Urinab-
gange in etwas vermieden wird. Den Mutterkranz ſelbſt
waͤhlt man nach der Hoͤhe und Weite des Beckens, indem
ſein Teller weder zu groß ſeyn darf, damit er nicht druͤcke,
noch zu klein, weil ſonſt der Uterus ſich neben demſelben
herabdraͤngen wird. Man bringt ihn nach gemachter Repo-
ſition, und zwar ebenfalls hinlaͤnglich eingeoͤhlt, ein, ſtellt
ihn ſo, daß der Muttermund auf dem Teller ruht, befeſtigt
dann die hintern Baͤnder, welche ſchon vor dem Einbringen
des Mutterkranzes durch die Oeffnungen des Stiels gezogen
ſeyn muͤſſen, an die vordern kuͤrzern Baͤnder, ſo daß der
Uterus dadurch gerade in ſeine normale Stellung gehoben wird,
und macht nun der angelegte Mutterkranz weder Druck noch
Schmerz, ſo kann der Kranken das Aufſtehen bald wieder
erlaubt werden, jedoch ſo, daß Anſtrengungen noch laͤngere
Zeit vermieden werden, vorzuͤglich um das Herabzwaͤngen des
Uterus neben dem Peſſarium zu verhindern. — Uebrigens
lernen die Kranken gewoͤhnlich auch mit dieſen Inſtrumenten bald
ſelbſt umgehen, und koͤnnen das Herausnehmen, Reinigen
und Einbringen deſſelben ſodann ſich ſelbſt beſorgen.


[379]
2.
Schieflagen der nicht ſchwangern Gebaͤr-
mutter
.

1) Vorwaͤrtsneigung (Antroversio uteri).

§. 494.

Der nicht ſchwangere Uterus, auf beiden Seiten durch
doppelte Baͤnder befeſtigt, kann vorzuͤglich nach vor- und hin-
terwaͤrts mit ſeiner Laͤngenachſe von der Fuͤhrungslinie des
Beckens ſich entfernen, ſeitwaͤrts hingegen wird er nur zu-
weilen durch abnorme Geſchwuͤlſte, entweder ſeiner eigenen
Subſtanz, oder benachbarter Organe, gedraͤngt. Die Neigung
mit dem Grunde nach vorwaͤrts, im gewoͤhnlichen Zuſtande
ſchon durch die Anheftung der runden Mutterbaͤnder im ge-
ringen Grade vorhanden, bekommt, wenn ſie betraͤchtlicher
wird und krankhafte Zufaͤlle erregt, den Namen der Schief-
lage nach vorn
oder der Vorwaͤrtsneigung, *) dahin-
gegen die abnorme Lage mit dem Gebaͤrmuttergrunde nach
ruͤckwaͤrts den Namen der Ruͤckwaͤrtsneigung oder der
Schieflage nach hinten erhaͤlt.


§. 495.

Was die hier zunaͤchſt zu betrachtende Vorwaͤrtsneigung
anbelangt, ſo iſt ſie vorzuͤglich wegen des Drucks auf die
Harnblaſe mit heftigen, von dieſem Organ ausgehenden Be-
ſchwerden verknuͤpft, die Kranke hat ſteten Trieb, den Urin
zu laſſen, empfindet bey ſtaͤrkerem Drucke auf die Scham-
beingegend Schmerzen, hat das Gefuͤhl eines harten, im
Stehen ihr auf die Blaſe fallenden Koͤrpers, welcher zuruͤck-
weicht, wenn ſie die Ruͤckenlage annimmt, ja es erſtrecken
[380] ſich die ſchmerzhaften Empfindungen zuweilen bis in die Len-
den und Inguinalgegend, welches alles denn leicht Veranlaſ-
ſung geben kann und auch in einem von Levret beſchriebe-
nen Falle wirklich gegeben hat, die Krankheit mit Steinbe-
ſchwerden zu verwechſeln. Das ſicherſte Kennzeichen derſelben
iſt daher nur aus der innern Unterſuchung zu entnehmen, bey
welcher man die Vaginalportion weit nach ruͤckwaͤrts und oft
ſo hoch geſtellt findet, daß man ihn kaum erreicht, da hin-
gegen durch den vordern Theil des Scheidengewoͤlbes der auf
der Harnblaſe liegende Grund des Uterus wahrgenommen
wird.


§. 496.

Die Entſtehung des Uebels iſt verſchieden. Beguͤn-
ſtigt wird ſie durch Einfluͤſſe, welche Erſchlaffung der Gebaͤr-
mutterbaͤnder bewirken, ſo wie durch den Zuſtand des Wochen-
bettes; ferner durch ſehr ſtarke Neigung oder Kruͤmmung des
Beckens mit ſtark hervorragendem Vorberge; ferner entſteht
ſie durch Erweiterungen der Flexura sigmoidea des Coli
von angehaͤuften Excrementen, durch Knochenauswuͤchſe an der
hintern Beckenwand, Ausartungen der Gebaͤrmutterſubſtanz
ſelbſt, oder widernatuͤrliche Verbindungen derſelben, nament-
lich mit dem Maſtdarme in Folge urſpruͤnglicher Mißbildung
(ſ. §. 138.).


§. 497.

Die Prognoſe iſt fuͤr leichtere Grade des Uebels nicht
unguͤnſtig, indem theils die Beſchwerden davon nicht betraͤcht-
lich ſind (außer daß dadurch oͤfters die Conception gehindert
wird), theils auch die Zuruͤckfuͤhrung der normalen Lage keinen
beſondern Schwierigkeiten unterworfen zu ſeyn pflegt, da hin-
gegen die hoͤheren Grade, theils wegen der Stoͤrung der
Urinexcretion, theils wegen gern entſtehender Haͤmorrhoidal-
zufaͤlle, vorzuͤglich wenn Mißbildungen des Beckens oder der
Gebaͤrmutter zum Grunde liegen, eine uͤble Prognoſe geben
und im letztern Falle oft als ganz unheilbar zu betrach-
ten ſind.


[381]
§. 498.

Die Behandlung hat dieſelben drey Indicationen, wel-
che beym Gebaͤrmuttervorfall aufgeſtellt worden ſind. Zunaͤchſt
alſo beſeitigt man Verhaltungen des Stuhls und Urins, ſo
wie entzuͤndliche Zufaͤlle, bringt dann die Kranke in eine
Ruͤckenlage, wobey die Kreuzgegend durch eine untergeſchobene
Rolle erhoͤht wird, und nun leitet man theils durch einen
uͤber dem Schambogen angebrachten Druck, theils durch Ein-
bringung zweyer Finger in die Vagina und gelindes Vor-
waͤrtsdruͤcken der Vaginalportion den Uterus in ſeine normale
Lage zuruͤck, wobey zuweilen, wo die Vaginalportion bereits
mit der hintern Scheidenwand verwachſen waͤre, es allerdings
nothwendig werden koͤnnte, nach v. Siebold’s Rath dieſe
Verwachſung zuvor durch das Meſſer zu trennen.


§. 499.

Die meiſte Schwierigkeit hat indeß die Erfuͤllung der
dritten Indication, naͤmlich der Erhaltung des Uterus in der
normalen Lage. Man empfiehlt zu dieſem Ende fuͤr mehrere
Tage die Beybehaltung der Ruͤckenlage, bringt einen Schwamm
in den hintern Theil des Scheidengewoͤlbes (aͤußerer Druck
durch Binden, uͤber dem Schambogen angelegt, kann bey der
tiefen Lage des Uterus im Becken wenig nuͤtzen), verhuͤtet
ſorgfaͤltig Anhaͤufungen feſten Stuhls im untern Theile des
Dickdarms, und laͤßt im aͤußerſten Falle ſelbſt einen ring-
foͤrmigen, die Vaginalportion umſchließenden Mutterkranz
tragen.


2) Ruͤckwaͤrtsneigung oder Zuruͤckbeugung der nicht ſchwangern Gebaͤr-
mutter (Retroversio uteri).

§. 500.

Dieſe abnorme Lage des Uterus, wo der Gebaͤrmutter-
grund in die Aushoͤhlung des Kreuzbeins ſinkt und der Mut-
terhals ſich hinter oder uͤber dem Schambogen findet, kommt
außer der Schwangerſchaft aͤußerſt ſelten vor, haͤufiger aber
in den erſten Monaten der Schwangerſchaft (ſ. d. 2ten Th.),
[382] obwohl man gerade der Behauptung des verewigten Rich-
ters
, *) es laſſe ſich eine ſolche Zuruͤckbeugung außer der
Schwangerſchaft kaum gedenken, nicht fuͤglich beypflichten
kann. Ich ſelbſt beobachtete einen Fall, wo ſtete, mit der
Wiederkehr der monatlichen Reinigung verknuͤpfte Kraͤmpfe
und heftige Haͤmorrhoidalbeſchwerden mit einer ſolchen falſchen
Lage des Uterus ſich verbunden hatten, und ſchon v. Sie-
bold
bemerkt, daß dieſe Lage gewiß oft bloß wegen unter-
laſſener geburtshuͤlflicher Unterſuchung nicht erkannt, ſondern
mit aus andern Urſachen entſtandenen Haͤmorrhoidalzufaͤllen
verwechſelt werde.


§. 501.

Veranlaſſungen zu dieſer abnormen Lage werden vor-
zuͤglich geben koͤnnen: ein weites, wenig geneigtes und ge-
kruͤmmtes Becken, heftiges Draͤngen beym Stuhlgange, Aus-
artungen der Gebaͤrmutterſubſtanz, laͤngere Urinverhaltungen
u. ſ. w. Die Folgen muͤſſen in Druck auf den Maſtdarm,
Obſtructionen, Kreuzſchmerzen u. ſ. w. beſtehen, und die Be-
handlung wird auf aͤhnliche Weiſe, wie bey der Vorwaͤrts-
neigung, vollzogen werden muͤſſen, nur daß man hier der
Kranken die Lage auf Kniee und Ellenbogen geſtuͤtzt, giebt,
und die zwey eingefuͤhrten Finger gegen den Gebaͤrmutter-
grund anſtemmt und dieſen gegen den Vorberg hinauf ſchiebt,
dann aber den Uterus durch laͤngere Zeit beybehaltene Bauch-
lage, Einbringen eines Schwammes in den vordern Theil
des Scheidengewoͤlbes oder durch einen eingelegten Mutter-
kranz in der angewieſenen Lage zu erhalten ſucht.


§. 502.

Außer dieſen beiden Schieflagen koͤnnten endlich auch
die Senkungen der Gebaͤrmutter in Leiſten-, Bauch-,
[383] Ruͤcken- und Mutterſcheidenbruͤche *) hierher gezaͤhlt werden,
von welchen man von Zeit zu Zeit Beyſpiele beobachtet hat,
allein theils ſind dieſe Faͤlle ſo aͤußerſt ſelten, theils iſt hier
ſo ganz die Beachtung und Behandlung der Bruchge-
ſchwulſt
ſelbſt Hauptſache, daß von dieſen Lagenveraͤnderun-
gen der Gebaͤrmutter als beſondere Krankheiten nicht die Rede
ſeyn kann, weßhalb wir hieruͤber auf die chirurgiſchen Lehr-
ſaͤtze von den Bruͤchen verweiſen, und uns zu der letzten
Regelwidrigkeit am Uterus wenden, naͤmlich zu der


3.
Umkehrung oder Umſtuͤlpung der nicht ſchwan-
gern Gebaͤrmutter
(Inversio uteri).

§. 503.

Durch dieſen Namen bezeichnen wir das Herabſinken
des Gebaͤrmuttergrundes in die Gebaͤrmutterhoͤhle, in den
Muttermund, ja zuletzt durch die Mutterſcheide und die aͤu-
ßern Geburtstheile, wobey denn natuͤrlich die innere Flaͤche
der Gebaͤrmutter zur aͤußern wird, und im Falle die Gebaͤr-
mutter bis vor die aͤußern Geburtstheile herabgeſunken iſt,
der Muttermund den obern Theil des vorliegenden Klumpens
ringfoͤrmig umgiebt und die ebenfalls herabgeſunkene und um-
geſtuͤlpte Mutterſcheide den hohlen Stiel dieſer mehr kuglichen
Geſchwulſt bildet. — Man unterſcheidet hierbey zwiſchen un-
vollkommner und vollkommner Umſtuͤlpung (Inversio uteri
completa et incompleta
) und begreift unter der erſtern Ab-
theilung diejenige Herabſenkung, wo die umgeſtuͤlpte Gebaͤr-
mutter noch nicht ganz durch den Muttermund ſich gedraͤngt
hat, da das Gegentheil die vollkommne Umſtuͤlpung dar-
ſtellt. —


[384]
§. 504.

Eine ſolche Aenderung im Verhaͤltniß der einzelnen Ge-
baͤrmuttergegenden nun iſt nicht gedenkbar, außer wo die Ge-
baͤrmutterhoͤhle und der Muttermund eine bedeutende Vergroͤ-
ßerung erfahren hatten, welches eines Theils durch die Schwan-
gerſchaft geſchieht, daher denn auch im Wochenbett, oder
vorzuͤglich unmittelbar nach der Geburt des Kindes die Um-
ſtuͤlpung am haͤufigſten vorkommt (wovon das Naͤhere im
zweyten Theile), andern Theils aber auch, obwohl ſeltner,
durch abnorme Auswuͤchſe, namentlich durch Gebaͤrmutterpo-
lypen, bewirkt wird. — Eben deßhalb aber, weil die Um-
ſtuͤlpung am gewoͤhnlichſten im Wochenbette entſteht, hat
man ſie auch unter den Krankheiten der Woͤchnerinnen der
Regel nach mit abgehandelt; allein da es an Beyſpielen
nicht fehlt, wo dergleichen fehlerhafte Lagen erſt mehrere
Jahre nach dem Wochenbette bemerkt wurden, ſo iſt es doch
noͤthig, auch unter den Krankheiten der Nichtſchwangern die-
ſem Falle eine beſondere Aufmerkſamkeit zuzuwenden.


§. 505.

Diaguoſe. Die Kranke fuͤhlt entweder bloß innerlich
in den Geburtstheilen einen ſtumpfen Druck, mit Gefuͤhl von
Draͤngen und Preſſen verbunden, leidet an oͤftern Blutungen,
an Schleimfluß, Stoͤrungen der Stuhl- und Harnausleerun-
gen, Haͤmorrhoidalzufaͤllen u. ſ. w., oder ſie wird durch eine
zwiſchen und vor den aͤußern Geburtstheilen fuͤhlbare Ge-
ſchwulſt incommodirt, empfindet die genannten Beſchwerden
dann gewoͤhnlich in noch hoͤherem Grade, und hat noch au-
ßerdem Schmerz von Excoriationen, entzuͤndlichen Zufaͤllen
des Uterus u. ſ. w. — Bey der angeſtellten Unterſuchung
giebt ſich die vollkommne Umſtuͤlpung zu erkennen dadurch,
daß die Geſchwulſt empfindlich iſt, und daß man zwiſchen
den ringfoͤrmig den Stiel der Geſchwulſt umgebenden Mut-
termund und den Stiel keine Sonde einfuͤhren kann (wo-
durch ſie ſich von einem Polypen unterſcheidet), ferner daß
abwaͤrts kein Muttermund bemerkt wird (wodurch ſie von
[385] dem Vorfalle abweicht). — Die unvollkommne Umſtuͤlpung
iſt oft ſchwerer zu erkennen; hier zeigt ſich eine kugliche Ge-
ſchwulſt im Muttermunde, welche oft alle aͤußerliche Merk-
male eines gegen die Mutterſcheide ſich herabdraͤngenden Po-
lypen hat, *) am meiſten jedoch von demſelben dadurch
ſich unterſcheidet, daß ſie empfindlich iſt, ſo daß die Kranke
anzugeben vermag, auf welche Weiſe dieſelbe durch den un-
terſuchenden Finger beruͤhrt oder gereizt wird.


§. 506.

Den vollkommenſten Aufſchluß aber wird in der Regel
die Beobachtung der vorhergegangenen Umſtaͤnde geben, denn
da, wie ſchon bemerkt, nur in Wochenbetten, oder durch
betraͤchtliche Polypen die Umſtuͤlpung entſteht, ſo kann durch
Beruͤckſichtigung dieſer Dinge und beſonders durch genaue Er-
forſchung des letzten Geburtsverlaufs und des Befindens im
Wochenbett alsbald die noͤthige Aufklaͤrung erhalten, und die
Diagnoſe, mit Beruͤckſichtigung des Reſultats der geburts-
huͤlflichen Unterſuchung, berichtigt werden.**)


§. 507.

Von den Bedingungen der Entſtehung einer
Gebaͤrmutterumſtuͤlpung iſt theils oben bey der Geſchichte der
Polypen die Rede geweſen, theils werden wir bey den Re-
gelwidrigkeiten der Geburt und des Wochenbettes wieder dar-
auf zuruͤckkommen. Die Prognoſe betreffend, ſo iſt zwar die
ploͤtzlich eingetretene Umſtuͤlpung oft mit den gefaͤhrlichſten
I. Theil. 25
[386] Zufaͤllen verbunden, theils an und fuͤr ſich klar, wie ſehr
bey ſo ganz widernatuͤrlicher Lage die Functionen des Uterus
geſtoͤrt werden muͤſſen, und wie leicht er der Gefahr der Ent-
zuͤndung und ſelbſt des Brandes ausgeſetzt ſey; demohnerach-
tet hat die Beobachtung Faͤlle gezeigt, wo der Uterus ſich
nach und nach ſo voͤllig an dieſe Lage gewoͤhnt hatte, daß
ſelbſt die Menſtruation fortdauerte und das Wohlbefinden
nicht mehr als durch einen gewoͤhnlichen Gebaͤrmuttervorfall
geſtoͤrt war.


§. 508.

Die Behandlung hat, wie bey dem Gebaͤrmutter-
vorfalle, namentlich drey Indicationen zu beruͤckſichtigen, naͤm-
lich: 1) die durch ein ploͤtzliches Herabtreten oder aͤußere
Schaͤdlichkeiten veranlaßt[e]n Zufaͤlle zu beſeitigen, in welcher
Hinſicht bey Entzuͤndungsgeſchwulſt des Uterus auf aͤhnliche
Weiſe verfahren werden muß, wie oben (§. 479.) fuͤr aͤhn-
liche Zufaͤlle, wenn ſie an der prolabirten Gebaͤrmutter ſich
zeigen, erwaͤhnt worden iſt; nur muß erinnert werden, daß
dieſe Zufaͤlle bey der Umſtuͤlpung, entweder wenn dieſelbe
eben erſt entſtanden, oder (was auch geſchehen kann), wenn
der vielleicht vorher nur zum Theil umgeſtuͤlpte Uterus nach
einer gewaltſamen Bewegung, nach heftigem Preſſen u. ſ. w.
ſich ploͤtzlich vollkommen umgeſtuͤlpt hatte und wohl gar vor
die aͤußern Geburtstheile getreten war, weit heftiger als bey
dem bloßen Gebaͤrmuttervorfall zu ſeyn pflegen und daher
gewoͤhnlich auch ein kraͤftigeres antiphlogiſtiſches Heilverfahren
fordern.


§. 509.

Die zweyte Indication gebietet die Wiederherſtellung der
natuͤrlichen Lage der Gebaͤrmutter; ihre Erfuͤllung findet jedoch,
je mehr die Umſtuͤlpung veraltet iſt, um ſo bedeutendere
Schwierigkeiten. Wo der Uterus noch beweglich iſt, verrich-
tet man ſie, indem man der Kranken eine Ruͤckenlage, wie
zur Repoſition des Gevaͤrmuttervorfalls, anweiſt, dann mit
koniſch zuſammengelegter und hinreichend eingeoͤhlter Hand
[387] den Fundus uteri mit den Fingerſpitzen faßt und ihn durch
behutſames, in der Richtung der Fuͤhrungslinie des Beckens
fortgeſetztes Druͤcken und Draͤngen nach und nach einwarts
ſchiebt, dem Muttergrunde dann durch den Muttermund hin-
durch nachfolgt, und ſo den Uterus bis zu der ihm natuͤrli-
chen Stellung im Becken herauffuͤhrt. Hat die regelwidrige
Lage noch nicht allzulange gedauert, ſo wird dieſes ohne
allzugroße Muͤhe gelingen; iſt das Gegentheil aber der Fall,
ſo wird oft der Kranken der Repoſitionsverſuch ſelbſt die hef-
tigſten Zufaͤlle verurſachen, und man wird genoͤthigt ſeyn,
Baͤder, erweichende Umſchlaͤge und aͤhnliche Mittel laͤngere
Zeit fortzuſetzen und dann erſt die Repoſition von neuem zu
verſuchen, obwohl man in mehreren veralteten Uebeln dieſer
Art ſich zuletzt bekennen mußte, daß die Repoſition uͤberhaupt
hier gaͤnzlich unmoͤglich ſey.


§. 510.

Die dritte Indication fordert Erhaltung des Uterus in
ſeiner wiedererlangten natuͤrlichen Lage, zu welchem Ende
denn zuvoͤrderſt die Contraction deſſelben bewerkſtelligt werden
muß, da außerdem ſtets die Neigung zum Wiedereintritt der
Umſtuͤlpung verbleiben wuͤrde. Die Contraction aber wird
erregt theils durch Einreibungen von Naphtha und fluͤchtigem
Linimente, theils durch Injectionen aromatiſcher, mit Eſſig
und Wein vermiſchter Kraͤuteraufguͤſſe, theils durch innerliche
Mittel, woruͤber ich auf die bey Gelegenheit der Gebaͤrmut-
terblutungen beſchriebene Behandlungsart verweiſe. Iſt die
Zuſammenziehung [vollkommen] geſchehen, ſo iſt Wiederumſtuͤl-
pung nicht moͤglich, und die Kur iſt beendigt. Sinkt aber
bey wiederhergeſtelltem normalem Verhaͤltniſſe des Uterus der-
ſelbe demohnerachtet noch tief in das kleine Becken herab,
ſo tritt die Behandlung des Gebaͤrmuttervorfalls ein, ſo wie
denn endlich, wo die Repoſition der Umſtuͤlpung uͤberhaupt
gaͤnzlich unterbleiben mußte, man wenigſtens das Zuruͤckbrin-
gen des Uterus in die Hoͤhle der Mutterſcheide nicht unter-
laſſen darf, und zum Zweck des Zuruͤckhaltens ſich dann (ſo
wie dies z. B. in dem erwaͤhnten, von Herzog beſchriebe-
[388] nen Falle geſchah) eines kurzgeſtielten Peſſarii, oder eines
Schwammes, oder beider zugleich bedienen kann.


Daß uͤbrigens bey vollkommner Umſtuͤlpung auch Herab-
ſinkung der Darmwindungen in dem umgeſtuͤlpten Uterus Statt
finden wird, ergiebt ſich von ſelbſt (man kann dies einen
Mutterdarmbruch, Enterocele hysterica, nennen); allein die
Behandlung der umgeſtuͤlpten Gebaͤrmutter hebt dieſen Darm-
bruch zugleich.


II.
Krankheiten der Mutterſcheide.

§. 511.

Die Mutterſcheide, in wiefern ſie eigentlich wahre Fort-
ſetzung des Uterus und von letzterem nur durch die geringere
Entwickelung ihrer Waͤnde verſchieden iſt, zeigt auch ganz
aͤhnliche Krankheitszuſtaͤnde, wie die im Uterus bemerkten,
obwohl gewoͤhnlich von geringerer Heftigkeit und minderer Aus-
dehnung auf das allgemeine Befinden. Mehrere Krankheits-
zuſtaͤnde der Vagina ſind daher mit gleichnamigen des Uterus
genau verbunden, und werden durch dieſelbe Behandlung, wie
jene, gehoben; dahin gehoͤrt der weiße Fluß, die Entzuͤn-
dung, die Eiterung, der krebshafte Zuſtand; andere ſind der
Mutterſcheide mit der Gebaͤrmutter gemein und fordern nur
hier eine etwas andere Behandlung, wohin der Mutterſchei-
denvorfall und zum Theil auch die Mutterſcheidenpolypen ge-
hoͤren; wenige ſind dieſem Organ eigenthuͤmlich, wohin wir
nur den Mutterſcheidenbruch rechnen.


1.
Von den Mutterſcheidenpolypen.

§. 512.

Wir koͤnnen uns hier der Hauptſache nach in allem,
was Entſtehungsweiſe, Erkenntniß, Prognoſe und Behandlung
[389] betrifft, auf das beziehen, was von §. 421. an uͤber die
polypoͤſen Auswuͤchſe der Gebaͤrmutter ſelbſt geſagt worden
iſt; nur einige Bemerkungen ſind noch anzufuͤgen: — Zu-
naͤchſt die Entſtehung betreffend, ſo ſind hier vorzuͤglich ſchar-
fer, durch Anſteckung entſtandener weißer Fluß, ſyphilitiſche
Anſteckung, Onanie, oder Quetſchungen einzelner Theile der
Mutterſcheide durch ſchwere, kuͤnſtliche Entbindungen als die
gewoͤhnlichſten Veranlaſſungen zu erwaͤhnen. Die Erkenntniß
anbelangend, ſo wird dieſe ſelbſt bey dem Beginn des Ue-
bels ſehr leicht durch die geburtshuͤlfliche Unterſuchung erwor-
ben. Auch die Prognoſe ferner wird guͤnſtiger, als fuͤr die
Gebaͤrmutterpolypen, da die Zufaͤlle, welche Mutterſcheiden-
polypen veranlaſſen, von weit minderer Heftigkeit ſind und
die Heilung ſehr erleichtert iſt. — Endlich ruͤckſichtlich der
Behandlung, ſo moͤchten wohl gerade dieſe Polypen am er-
ſten durch Ausſchneiden zu entfernen ſeyn, dann aber, wenn,
etwa wegen betraͤchtlicher Groͤße derſelben, Bedenken obwal-
tet, von dieſer Heilungsart Gebrauch zu machen, wird die
Ligatur angewendet werden muͤſſen, welche ebenfalls durch
den Sitz des Uebels bedeutend erleichtert wird, und gewoͤhu-
lich ohne Inſtrumente ausgefuͤhrt werden kann.


2.
Von dem Vorfalle der Mutterſcheide
(Prolapsus vaginae).

§. 513.

Wenn die Mutterſcheide entweder mit ihren ganzen
Haͤuten, oder bloß an ihrer innern Haut ſich betraͤchtlich aus-
dehnt, herabſinkt und ſich dabey nothwendig zum Theil in
das naͤchſtfolgende Stuͤck des Scheidenkanals einſchiebt (gleich
der Intus susceptio des Darmkanals) und umſtuͤlpt, ſo nen-
nen wir dies einen Mutterſcheidenvorfall, von welchem man
mit Richter*) eigentlich vier Arten unterſcheiden kann.
[390] Die erſten beiden Arten werden durch Erſchlaffung und Ver-
laͤngerung der innern Haut der Wutterſcheide gebildet, welche
entweder im ganzen Umfange des Scheidenkanals abgetrennt
und herabgeſunken iſt, oder nur an einer einzelnen Stelle den
Vorfall bildet; dieſe Arten kommen am haufigſten vor. —
Die beiden andern Arten entſtehen, wenn der geſammte Schei-
denkanal, alſo die Muskelhaut mit, entweder partiell, oder
im ganzen Umfange der Scheidenwaͤnde herabtritt.


§. 514.

Die Erkenntniß des Mutterſcheidenvorfalls iſt im
Allgemeinen ſehr leicht, zumal wenn er weit aus den Ge-
burtstheilen hervorgetreten iſt, wo derſelbe, wenn er den
ganzen Umfang des Scheidenkanals einnahm, cylinderfoͤrmig
und oft betraͤchtlich verlaͤngert erſcheint, indem er ſich z. B.
von einem Polypen (mit welchem indeß der partielle und
nur durch die innerſte Haut gebildete Vorfall allein bedeu-
tende Aehnlichkeit hat) durch die Empfindlichkeit, durch die
vollkommnere organiſche Textur und in den meiſten Faͤllen
durch die Faͤhigkeit, unter maͤßigem Druck gaͤnzlich zuruͤckzu-
weichen, unterſcheidet. Um den Vorfall der innern Haut
allein von dem Vorfalle des ganzen Scheidenkanals zu unter-
ſcheiden, muß man theils auf Entſtehung deſſelben, theils auf
Textur der vorliegenden Wulſt, theils auf die Lage der Ge-
baͤrmutter Ruͤckſicht nehmen. Ein Vorfall der innern Haut
naͤmlich entſteht nach und nach, ein Vorfall der ganzen Schei-
denhaͤute eutſteht ploͤtzlich; im erſtern Falle bilden die vor-
liegenden Theile einen blinden Sack, neben welchem man den
Finger einbringen muß, um den Muttermund, welcher dabey
ganz in ſeiner regelmaͤßigen Lage bleiben kann, zu erreichen,
im letztern Falle iſt der vorgetretene Theil mehr ein dicker
wulſtiger, vollkommner oder unvollkommner Ring oder Cylin-
der, ohngefaͤhr gleich dem Vorfalle des Maſtdarms, durch
welchen man den Finger einbringen muß, um dann die Muͤn-
dung der hier nothwendig ebenfalls mit herabgetretenen Ge-
baͤrmutter, und zwar weit unten, zu fuͤhlen.


[391]
§. 515.

Die Beſchwerden, welche ein Mutterſcheidenvorfall veran-
laßt und wodurch er ſich dem Gefuͤhle der Kranken ſelbſt zu er-
kennen giebt, ſind Draͤngen und Vollſeyn in den Geburtstheilen,
Hinderungen beym Urinlaſſen und Stuhlgange, ſo wie beym
Coitus beſchwerte Conception, Veranlaſſung des weißen Fluſſes,
und bey weit hervortretendem Vorfalle Excoriationen durch den
Harnabfluß, Degenerationen, Entzuͤndung und ſelbſt Gan-
graͤn. *) Außerdem entſtehen durch bedeutende Scheidenvorfaͤlle
nach und nach gewoͤhnlich Vorfaͤlle der Gebaͤrmutter, ſo wie
dadurch bey eintretender Schwangerſchaft und Geburt manche
regelwidrige Zufaͤlle veranlaßt werden koͤnnen.


516.

Die Urſachen des Mutterſcheidenvorfalls ſind theils
Schlaffheit der Geſchlechtsorgane und der dieſelben zunaͤchſt um-
gebenden Theile uͤberhaupt, in Folge oͤfterer Blutfluͤſſe, haͤufiger
Wochenbetten, unzeitiger Geburten, ausſchweifender Lebens-
weiſe, und beguͤnſtigt durch ein ſehr weites Becken, theils Ato-
nie in den Waͤnden des Scheidenkanals insbeſondre, welche ver-
anlaßt werden kann durch heftige und lang dauernde Ausdehnun-
gen derſelben bey ſchweren Geburten, durch erlittene Quetſchun-
gen oder partielle Zerreißungen, vorzuͤglich durch betraͤchtliche
Einriſſe des Mittelfleiſches, durch langwierigen weißen Fluß u.
ſ. w. Ploͤtzlich kann dieſer Vorfall erzeugt, oder wenigſtens
ſeine allmaͤhlige Entſtehung ſehr befoͤrdert werden durch Heben
ſchwerer Laſten, Springen, Fallen, anhaltenden Huſten, Stuhl-
zwang oder heftiges Erbrechen, durch heftiges Verarbeiten der
Geburtswehen, vorzuͤglich in einer unangemeſſenen Lage, z. B.
auf einem Geburtsſtuhle mit ſenkrechter Ruͤckenlehne u. ſ. w.
Zuweilen endlich entſteht der Mutterſcheidenvorfall auch in Folge
von Krankheiten benachbarter Organe, in Folge von Senkungen
[392] des Uterus, von langwierigen Harnverhaltungen, großen Bla-
ſenſteinen, Waſſeranſammlungen in der Bauchhoͤhle, und Bruͤ-
chen, welche ſich gegen das Gewoͤlbe der Mutterſcheide herab-
ſenken.


§. 517.

Die Behandlung des Mutterſcheidenvorfalls beſteht
theils in Zuruͤckbringung deſſelben, theils in der Sorgfalt
fuͤr ſeine Zuruͤckhaltung. Das erſtere iſt, wo das Uebel noch
nicht veraltet und weder mit Entzuͤndung, noch mit Dege-
neration der Vagina verknuͤpft iſt, gewoͤhnlich ſehr leicht,
indem man bey angeordneter Ruͤckenlage den Vorfall mit zwey
eingeoͤhlten Fingern allmaͤhlig zuruͤckſchiebt, die erſchlafften
Scheidenwaͤnde gegen die Beckenwandungen andruͤckt und gleich-
ſam ausglaͤttet. Schwerer dagegen gelingt die Repoſition,
wo der Vorfall betraͤchtlich angeſchwollen und entzuͤndet iſt,
wo man zuvor Umſchlaͤge von theils erweichenden und nar-
kotiſchen, theils ſpaͤterhin von gelind zuſammenziehenden Mit-
teln machen muß; am ſchwerſten jedoch iſt dieſelbe, wenn
der Vorfall betraͤchtlich groß, weit aus den Geburtstheilen
herabhaͤngend und vielleicht uͤberdies verhaͤrtet iſt. Will man
hier nicht (was in mehreren ſolchen Faͤllen, namentlich wenn
es bloß Vorfall der innern Scheidenhaut iſt, ſehr fuͤglich ge-
ſchehen kann und mehrmals bereits mit Gluͤck verſucht wor-
den iſt) lieber zum Abſchneiden oder Abbinden des prolabir-
ten Theils ſchreiten, ſo kann die Repoſition nur durch laͤn-
gere Zeit (zuweilen mehrere Wochen lang) fortgeſetzte Ruͤcken-
lage, bei ſehr ſtrenger Diaͤt, oͤftern Abfuͤhrungen und anhal-
tenden, durch Compreſſen und eine TBinde fortgeſetzten gelin-
den Druck bewerkſtelligt werden.


§. 518.

Das Zuruͤckhalten des reponirten Scheidenvorfalls wird
bewerkſtelligt 1) durch Entfernung der noch einwirkenden Ur-
ſachen, welche dieſes Uebel veranlaßt hatten, Hebung der Urin-
verhaltung, Beſeitigung der Steinbeſchwerden, des Stuhl-
zwanges, Erbrechens u. ſ. w.; 2) durch angemeſſene mechani-
[393] ſche Unterſtuͤtzung und zweckmaͤßige Lage. Als Mittel zur
Unterſtuͤtzung des Scheidenvorfalls iſt aber beſonders ein cylin-
derfoͤrmiger, oberwaͤrts etwas ſtaͤrkerer Schwamm, mit ad-
ſtringirenden Dekokten befeuchtet, zu empfehlen, weicher, wenn
die Kranke das Bette verlaͤßt, durch eine TBinde befeſtigt
werden muß. Zu demſelben Endzweck dienen ferner die Schei-
dencylinder aus Leinwand, mit Eichenrindenpulver und rothem
Wein gefuͤllt, und endlich kann man ſich dazu auch mehrerer
der oben beſchriebenen Mutterkraͤnze, ſo wie der hohlen elaſti-
ſchen Scheidencylinder bedienen, zumal wenn es ein Vorfall
der ganzen Scheidenwaͤnde, und derſelbe alſo auch mit einem
unvollkommnen Gebaͤrmuttervorfall verknuͤpft iſt.


3.
Von dem Mutterſcheidenbruche (Colpocele, Elytro-
cele, Hernia vaginalis
).

§. 519.

In den vertieften Falten, welche als Fortſetzungen des
Bauchfells vom Gebaͤrmuttergrunde nach der Harnblaſe ſo-
wohl als nach dem Maſtdarme hin gebildet werden, ſenken
ſich zuweilen ein oder mehrere benachbarte Unterleibseingeweide
herab, dehnen ſie nach und nach betraͤchtlich aus, und ver-
urſachen ſo eine Bruchgeſchwulſt, welche an dem Grunde der
Mutterſcheide entweder vor oder hinter der Vaginalportion
fuͤhlbar werden muß und deshalb den Namen des Mutter-
ſcheide bruchs bekommt. In wiefern jedoch die Falte, welche
vom Uterus nach dem Maſtdarme reicht, ſchon im regel-
maͤßigen Zuſtande tiefer iſt, als die vom Uterus nach der
Harnblaſe, und in wiefern noch uͤberdies der Uterus gewoͤhn-
lich mit dem Grunde etwas mehr gegen den Schambogen ge-
neigt iſt, und dadurch die vordere Falte noch mehr verengert,
ſo finden wir auch den Mutterſcheidenbruch haͤufiger hinter als
vor der Vaginalportion im Scheidengewoͤlbe, jedoch uͤberhaupt
ſelten genau in der Mitte der hintern oder vordern Gegend,
ſondern meiſtens etwas ſeitwaͤrts, als welches durch die an-
[394] einanderſtoßenden rundlichen Koͤrper des Maſtdarms, der Ge-
baͤrmutter und der Harnblaſe leicht erklaͤrlich wird.


§. 520.

Was die Hereinſenkung des Bruchſackes gegen das
Scheidengewoͤlbe insbeſondre betrifft, ſo finden wir entweder,
daß der durch das Bauchfell gebildete Bruchſack die geſamm-
ten Scheidenwaͤnde und alſo zugleich die Muskelhaut aus-
dehnt (dies iſt z. B. der Fall bey der Zuruͤckbeugung der Ge-
baͤrmutter, welche, wenn auch in geringerem Grade, noth-
wendig einen Mutterſcheidenbruch mit veranlaßt), oder daß
der Bruchſack die Faſern der Muskelhaut der Mutterſcheide
auseinander draͤngt, zwiſchen dieſelben hereintritt und dann
bloß die innere Haut zu ſeiner aͤußern Decke ausdehnt. Ob
das eine oder das andere der Fall ſey, wird theils aus der
Entſtehung ſich abnehmen laſſen (ein ploͤtzlich entſtandener
Mutterſcheidenbruch z. B., mit Zuruͤckbeugung der Gebaͤrmut-
ter, wird immer eine Ausdehnung der ganzen Scheidenwaͤnde
hervorbringen), theils wird es durch die Unterſuchung aus-
gemittelt werden koͤnnen, indem man bey dem Mutterſchei-
denbruche, welcher durch Auseinanderdraͤngen der Muskelfa-
ſern entſtanden iſt, nachdem in horizontaler Lage der Bruch
voͤllig zuruͤckgedraͤngt worden iſt, im Stande ſeyn wird, im
Scheidengrunde die Spalte auszumitteln, durch welche der
Bruchſack herabgedraͤngt war.


§. 521.

Die Erkenntniß des Mutterſcheidenbruchs iſt nicht
ſehr ſchwierig, und es kann dieſes Uebel nicht leicht mit an-
dern verwechſelt werden. Die Empfindungen, durch welche
ſich die Entſtehung deſſelben der Kranken ſelbſt ankuͤndigt,
ſind: ein nach irgend einer gewaltſamen Bewegung oder An-
ſtrengung ploͤtzlich entſtandenes, anfaͤnglich auch wohl gerin-
ges, allmaͤhlig aber ſtaͤrker werdendes Gefuͤhl von Vollheit
und Herabdraͤngen in der Mutterſcheide mit nachfolgendem
Schmerz, welcher oͤfters wiederkehrt, kolikartig erſcheint, und
mit welchem ſich verſchiedene Zufaͤlle verbinden, jenachdem
[395] dieſe oder jene Theile in den Bruchſack herabgeſunken ſind.
Bey einer nunmehr vorgenommenen aͤrztlichen und geburts-
huͤlflichen [Unterſuchung] wird ſich alsbald ergeben, daß in dem
Gewoͤlbe der Mutterſcheide am vordern oder hintern Theile
oder an den Seiten derſelben eine weiche, regelwidrige Ge-
ſchwulſt hervortritt, welche kleiner wird oder ſich voͤllig ver-
liert, ſobald die Kranke auf dem Ruͤcken liegt und die Ge-
ſchwulſt ſelbſt mit den Fingerſpitzen etwas gedruͤckt wird, da-
gegen weiter hervortritt in aufrechter Stellung, beim Huſten
und Preſſen. — Durch die letztern Umſtaͤnde, ſo wie durch
den groͤßeren Umfang und innere Vollheit unterſcheidet ſich
die Geſchwulſt deutlich von einem bloßen Vorfalle, ſo wie die
Freiheit und Regelmaͤßigkeit des Muttermundes keine Ver-
wechſelung mit Polypen oder Vorfaͤllen und Umſtuͤlpungen
der Gebaͤrmutter zulaͤßt.


§. 522.

Die Theile, welche in einen Mutterſcheidenbruch herab-
treten koͤnnen, ſind verſchieden; am haͤufigſten ſind es Darm-
windungen, das Ileum, die Flexura sigmoidea des Dick-
darms u. ſ. w.; ſeltner und nur bey Mutterſcheidenbruͤchen
zwiſchen Uterus und Maſtdarm iſt es moͤglich, daß Theile
des Netzes mit herabtreten; außerdem kann in einen ſolchen
Bruch auch die Harnblaſe ſich herabſenken, welches dann ge-
woͤhnlich Urinbeſchwerden (Ischuria) veranlaſſen wird, und
wobey, ſobald die Blaſe gefuͤllt iſt, die Unterſuchung eine
Fluctuation der Bruchgeſchwulſt, und Draͤngen zum Harn-
laſſen beym Druck auf dieſe Geſchwulſt zu erkennen geben
wird. Daß ferner ſelbſt der Uterus zuweilen in dieſen Bruͤ-
chen bemerkt wird, iſt ſchon oben erwaͤhnt worden. — Die
Groͤße dieſer Bruͤche iſt zuweilen bedeutend, und ſie koͤnnen,
wenn ſie allzutief hinter der Vagina herabſinken, zugleich
durch ihren Druck auf den Maſtdarm, Vorfaͤlle dieſes letztern
veranlaſſen.


[396]
§. 523.

Urſachen, welche den Mutterſcheidenbruch theils ver-
anlaſſen und die langſamere Entſtehung deſſelben beguͤnſtigen,
theils ſchnell herbeyfuͤhren, ſind: 1) haͤufige vorausgegangene
Geburten, beſonders ſehr großer Kinder, wobey durch Ein-
keilung des Kopfs in der Hoͤhle des kleinen Beckens, durch
Inſtrumental- oder Manualhuͤlfe, vorzuͤglich ohne die noͤthige
Vorſicht angewendet, die geſammten Mutterſcheidenwaͤnde
oder die Muskelhaut insbeſondre ausgedehnt, gequetſcht oder
die Faſern der letztern von einander getrennt worden ſind;
ferner Unvorſichtigpeiten im Wochenbett, zu zeitiges Verlaſſen
der horizontalen Lage, Anſtrengung durch Heben, oder beym
Stuhlgange, durch ſehr heftigen Huſten u. ſ. w., welche letz-
tern Urſachen zuweilen (obwohl ſelten) auch bey Frauen,
welche noch nicht geboren hatten, den Mutterſcheidenbruch
herbeyfuͤhren koͤnnen.


§. 524.

Die Folgen und die Gefaͤhrlichkeit der Mutterſcheiden-
bruͤche ſind im Ganzen weniger als bey andern Bruͤchen zu
fuͤrchten; ein Mutterſcheidenbruch naͤmlich klemmt ſich ſehr
ſelten ein, und es iſt dieſes kaum moͤglich, außer in dem
Falle, wo der durch das Bauchfell gebildete Hals des Bruch-
ſackes beſonders verhaͤrtet und verdickt, der Bruch ſelbſt folg-
lich ſchon ſehr veraltet iſt, oder zur Zeit einer vor ſich ge-
henden Geburt, obwohl auch hier der Bruch gewoͤhnlich von
ſelbſt zuruͤckweicht. Die meiſten Beſchwerden wird der Bruch
machen, wenn die Harnblaſe in denſelben herabgeſunken iſt,
obwohl auch außerdem der Bruch durch Kolikſchmerzen, Ob-
ſtructionen u. ſ. w. oͤfters der Kranken beſchwerlich werden
wird.


§. 525.

Behandlung. Auch hier ſind vorzuͤglich zwey Mo-
mente, die Zuruͤckbringung des Bruchs und die Zuruͤckhaltung
deſſelben zu beruͤckſichtigen; was das erſtere betrifft, ſo ge-
lingt die Taxis hier gewoͤhnlich ſehr leicht bey horizontaler
[397] Ruͤckenlage und maͤßigem Andraͤngen zweyer eingeoͤhlter und
in die Vagina gebrachter Finger; iſt der Bruch groͤßer und
an der hintern Scheidenwand herabgeſtiegen, ſo wird man fuͤr
ſchwierigere Faͤlle die Lage, auf Knie und Ellenbogen geſtuͤtzt,
anordnen, immer aber dafuͤr ſorgen muͤſſen, daß die Becken-
gegend mehr als die Bruſtgegend der Kranken erhoͤht ſey. Bey
dieſer Zuruͤckbringung des Bruchs iſt es uͤbrigens, wie auch
von Richter bemerkt wird, keinesweges hinlaͤnglich, die Ge-
ſchwulſt ſelbſt ſo lange zu druͤcken, bis ſie verſchwindet, ſon-
dern, da ſehr wohl Darmſtuͤcke in dem Bruchſackhalſe (d. i.
der Theil des Bruchſackes, welcher zwiſchen Gebaͤrmutter und
Maſtdarm liegt) liegen bleiben, und, wenn demohnerachtet
ein Peſſarium eingelegt wird, heftige Kolikſchmerzen veran-
laſſen koͤnnen, ſo muß man, wenn es ein hinterer Mutter-
ſcheidenbruch iſt, die ganze hintere Flaͤche der Mutterſcheide
bis an den Muttermund herauf druͤcken und ausſtreichen, bis
man dieſe ganze Flaͤche voͤllig frei fuͤhlt.


§. 526.

Was nun die Zuruͤckhaltung des Bruchs betrifft, ſo
pflegt dieſe immer etwas ſchwieriger zu ſeyn, und kann nur
theils durch Vermeidung und Beſeitigung der veranlaſſenden
Urſachen, durch mehrere Tage ſtreng beybehaltene horizontale
Lage und Einbringung einer die Bruchoͤffnung hinlaͤnglich com-
primirende, in die Mutterſcheide eingebrachte Vorrichtung er-
halten werden. Fuͤr letzteren Behuf koͤnnen indeß die gewoͤhn-
lichen ſcheiben- oder ringfoͤrmigen Peſſarien nicht empfohlen
werden, da ſie leicht Veranlaſſung zur Einklemmung dieſer
Bruͤche geben wuͤrden, man waͤhlt vielmehr hierzu die cylin-
derfoͤrmigen, welche man entweder bloß aus einem der Form
und Weite der Vagina vollkommen angemeſſenen Stuͤck Schwamm
verfertigt, welches man ſowohl mit Wachstaffent uͤberziehen
laſſen kann, als daſſelbe auch ohne Ueberzug, und mit ad-
ſtringirenden Dekokten befeuchtet, einbringen laͤßt (wobey nur
das oͤftere Einlegen und Herausnehmen unangenehm wird),
oder man bedient ſich dazu hohler elaſtiſcher Cylinder (z. B.
des Pickel’ſchen Scheidencylinders), welche man entweder
[398] um die Zuſammendruͤckung derſelben zu verhuͤten, nach v. Sie-
bold
’s Rath mit Roßhaaren ausfuͤllen, oder von dicht an
einander gewundenem Drath, welcher von innen und außen
mit Leinwand uͤberzogen und dann gut gefirnißt wird, ver-
fertigen laͤßt.


§. 527.

Will man ein ſolches Scheidenpeſſarium einlegen, ſo
muß der Bruch in der angemeſſenen und oben beſchriebenen
Lage voͤllig zuruͤckgebracht ſeyn, und dann der Cylinder ſo
eingelegt werden, daß er bis dicht an den Muttermund reicht
und ſomit auch das Herabſinken des Bruchs in den Bruch-
ſackhals verhindert werde, worauf er ſodann durch eine TBinde,
ohngefaͤhr nach Art eines geſtielten gewoͤhnlichen Peſſarii, zu
befeſtigen iſt, obwohl er bey Frauen, welche noch nicht ge-
boren haben, kaum dieſer Unterſtuͤtzung bedarf, ſondern durch
die Engigkeit der aͤußern Geburtstheile ſelbſt ſchon hinlaͤnglich
zuruͤckgehalten wird.


§. 528.

Die Faͤlle, wo Mutterſcheidenbruͤche, namentlich außer
der Schwangerſchaft und der Periode der Geburt, ſich einge-
klemmt hatten, ſind ſehr ſelten, und gewoͤhnlich wird eine
ſolche Einklemmung nur durch betraͤchtliche Anfuͤllungen eines
Theils vom Darmkanal, ſeltner der Harnblaſe, bewirkt wer-
ken koͤnnen. Kommt daher eine ſolche Einklemmung vor, ſo
wird zuerſt immer fuͤr Entleerung der Harnblaſe und des
Stuhls, letzteres durch erweichende oͤhligte Klyſtiere, zu ſor-
gen, dann aber die Taxis nach den oben angegebenen Re-
geln vorzunehmen ſeyn, welches auch gewoͤhnlich bald und
vollkommen gelingt, ſo daß man bisher kein Beyſpiel kennt,
wo eine Brucheinklemmung dieſer Art die Operation erfodert
haͤtte; in einem ſolchen Falle jedoch, wo die erwaͤhnte Me-
thode zur Zuruͤckbringung durchaus nicht hinreichte und dem-
ohnerachtet dieſelbe unumgaͤnglich nothwendig wuͤrde, muͤßte
die Operation allerdings mit vielfachen Schwierigkeiten ver-
bunden ſeyn, und koͤnnte nur, entweder durch Eroͤffnung der
[399] innern Wand der Bruchgeſchwulſt in der Scheide, Ausdeh-
nung des Bruchſackhalſes mittelſt der Finger, oder angemeſ-
ſener Werkzeuge und ſofortiger Zuruͤckbringung bewerkſtelligt
werden, da der Vorſchlag, die Bauchhoͤhle uͤber dem Scham-
bogen zu oͤffnen und von hieraus den Darm heraufzuheben,
noch weit weniger ausfuͤhrbar und mit weit groͤßerer Gefahr
verbunden ſeyn muͤßte.


Nur eine weitere Entwickelung des Mutterſcheidenbruchs
endlich iſt der


Mittelfleiſchbruch (Hernia perinaei).

§. 529.

Hier iſt der vom Bauchfell zwiſchen Uterus und Maſt-
darm gebildete Bruchſack naͤmlich ſo weit ausgedehnt, daß er die
Muskelfaſern der Mittelfleiſchgegend auseinander treibt und zwi-
ſchen der Schamſpalte und dem After als eine bald groͤßere bald
kleinere weiche Geſchwulſt hervortritt, welche beym Huſten
oder Preſſen und in aufrechter Stellung ſich vergroͤßert, beym
Liegen und unter einem gelinden Drucke hingegen ſich ver-
kleinert, innerlich aber in der Vagina ſich ebenfalls durch
Auftreibung ihrer hintern Wand zu erkennen giebt. Die Be-
ſchwerden, welche dieſer Bruch veranlaßt, ſind ziemlich die-
ſelben, wie die bey Gelegenheit des Mutterſcheidenbruchs be-
ſchriebenen, obwohl oft noch heftiger; auch die Entſtehungs-
weiſe iſt dieſelbe, und ſelbſt ruͤckſichtlich der Gefahr der Ein-
klemmung iſt auch hier zu bemerken, daß ſie ſelten vor-
kommt.


§. 530.

Was die Behandlung betrifft, ſo erfordert die Taxis
zuvoͤrderſt das Zuruͤckdruͤcken der aͤußerlich am Mittelfleiſche
fuͤhlbaren Geſchwulſt, dann aber die beym Mittelfleiſchbruche
angezeigte und beſchriebene Manipulation, ferner die Zuruͤck-
haltung des Bruchs betreffend, ſo dient dazu am ſicherſten
der gegen den Mutterſcheidenbruch empfohlne Scheidencylinder,
allenfalls mit einer an der TBinde zugleich befeſtigten klei-
[400] nen, aber etwas ſtarken Compreſſe, welche oͤfters mit einem
geiſtigen Mittel befeuchtet werden und genau auf die Stelle,
wo der Bruch hervorzutreten pflegt, druͤcken muß, um ſo
das allmaͤhlige Schließen der erſchlafften Muskelfaſern dieſer
Gegend zu bewerkſtelligen.


III.
Krankheiten der Eyerſtoͤcke.

§. 531.

Die Ovarien, ſo wie die Muttertrompeten, nehmen
zwar ebenfalls, gleich der Mutterſcheide, an mehreren Krank-
heiten des Uterus Antheil, und wir ſehen ſie daher oͤfters
gleichzeitig bey Gebaͤrmutterentzuͤndungen von der Entzuͤn-
dung ergriffen werden, wir finden ſie verhaͤrtet, krebshaft,
ja durch offene Krebsgeſchwuͤre voͤllig zerſtoͤrt, ſobald der
Uterus in hohem Grade von dieſem Uebel leidet, und endlich
iſt nothwendig auch ihre Lage oft mit veraͤndert, wenn die
des Uterus bedeutend von der Norm abweicht, demohnerach-
tet fehlen, wenigſtens fuͤr die Eyerſtoͤcke, auch eigenthuͤm-
liche, in ihnen primaͤr entſtehende Krankheitsformen keines-
weges, zu welchen wir namentlich die Entzuͤndung derſelben,
die Waſſerſucht und die vielartigen Degenerationen und Ver-
groͤßerungen der Subſtanz derſelben rechnen, welchen letztern
krankhaften Zuſtaͤnden dieſe Organe wohl mehr als irgend
ein anderer Theil des weiblichen Koͤrpers unterworfen ſind.


1.
Entzuͤndung der Eyerſtoͤcke (Oophoritis).

§. 532.

Eine Krankheit, welche, zumal da ſie unter die ſeltnern
gehoͤrt, ihrer Verſtecktheit wegen leicht verkannt und ſelbſt
bey der Aufzaͤhlung innerer Entzuͤndungen in aͤrztlichen Schriften
[401] oft uͤbergangen wird. — Um ein richtiges Bild derſelben zu
entwerfen, iſt es daher, wie auch namentlich von H. Cla-
rus
, welchem wir eine treffliche Abhandlung uͤber dieſen Ge-
genſtand verdanken, *) geſchehen iſt, unerlaßlich, auf die Ver-
haͤltniſſe unter welchen die Krankheit gewoͤhnlich entſteht, auf-
merkſam zu machen, indem hieran ſie oft mehr, als aus
ihren aͤußerlich wahrnehmbaren Zeichen, erkennbar iſt.


§. 533.

Man ſieht ſie aber vorzuͤglich bey ſehr ſinnlichen, durch
Romanenleſerey, fruͤhe Ausſchweifungen u. ſ. w. verdorbenen
Perſonen, und zwar wohl nur innerhalb der zeugungsfaͤhigen
Jahre, und die Ausbildung der Entzuͤndung kommt gewoͤhn-
lich durch Einfluͤſſe zu Stande, welche entweder phyſiſch durch
Veranlaſſung heftiger Congeſtionen und Stockungen in den in-
nern Genitalien wirken, wie ploͤtzliche Unterdruͤckung der Men-
ſtruation, in Folge heftig reizender Purgir- oder treibender
Mittel, der haͤufig Statt findende Geſchlechtsreiz, ohne da-
durch bewirkte Schwangerſchaft, uͤbermaͤßiger Genuß geiſtiger
Getraͤnke und ſtark gewuͤrzter Speiſen, ploͤtzliche Erkaͤltungen
u. ſ. w.; oder von der pſychiſchen Seite aus, das Geſchlechts-
ſyſtem heftig erregen, als ungluͤckliche Liebe, ploͤtzliche Um-
wandlung der Lebensweiſe, zumal wo bey unbefriedigtem Ge-
ſchlechtsbeduͤrfniß die Phantaſie um ſo gewaltſamer aufgeregt
wird, daher, wie H. Clarus bemerkt, das Uebel, nament-
lich bey feilen Dirnen, wenn ſie wegen Syphilis oder Kraͤtze
in Heilanſtalten oder Zuchthaͤuſer gebracht werden, ausbricht.


§. 534.

Die Zeichen, welche die ausgebrochene Krankheit charak-
teriſiren, ſind: 1) Schmerzhaftigkeit des afficirten Organs,
welche indeß oft nur bey angebrachtem aͤußern Drucke em-
pfunden wird; 2) das Gefuͤhl einer Anſchwellung, etwa
von der Groͤße einer welſchen Nuß, bey tieferem Eingreifen
I. Theil. 26
[402] hinter dem Schambogen in der Gegend der Scham- und
Darmverbindung; 3) durch Fieberſymptome, Durſt, verminder-
ten Harnabgang, belegte Zunge, Verſtopfung, Unruhe, Kopf-
ſchmerz u. ſ. w.; 4) vorzuͤglich durch Affectionen des geſamm-
ten Nervenſyſtems. Wir haben aber oben bereits die Mey-
nung aufgeſtellt, daß die Nymphomanie weſentlich in chroni-
ſcher Entzuͤndung der Eyerſtoͤcke begruͤndet ſey, und das, was
man bey acuter Entzuͤndung dieſer Organe beobachtet hat,
kann als ein neuer Beleg dafuͤr gelten; die Kranken ſind
naͤmlich hierbey melancholiſch, mit Gegenſtaͤnden der Sinnlich-
keit faſt ſtets beſchaͤftigt, machen dahin abzweckende Bewe-
gungen, brechen auch wohl in Delirien aus, welche ſich ſtets
um verliebte Phantaſien drehen; und hierzu geſellen ſich eine
Menge von andern Nervenzufaͤllen, Kraͤmpfe u. ſ. w., deren
Erſcheinung ſich wohl leicht erklaͤrt, wenn man bedenkt, wie
bedeutend die Erregungen des Nervenſyſtems ſind, welche ſich
mit der normal erhoͤhten Produktivitaͤt der Ovarien (bey der
Empfaͤngniß) verbinden.


§. 535.

Uebrigens kann die Oophoritis ſich leicht mit Entzuͤn-
dungen benachbarter Organe verbinden, und namentlich mit
der Metritis, mit welcher ihre Aehnlichkeit uͤberhaupt ſehr groß
iſt, ſo daß wir hier noch die namentlich von H. Clarus
fuͤr beide Krankheitsformen aufgeſtellten diagnoſtiſchen Merk-
male nicht uͤbergehen koͤnnen, welche darin beſtehen, daß bey
der Metritis weit heftiger das Gefaͤßſyſtem, bey der Oopho-
ritis mehr das Nervenſyſtem in Mitleidenſchaft gezogen wird,
auch bey erſterer ſowohl das Verdauungs-als das urinausſon-
dernde Syſtem in hoͤherem Grade in Anſpruch genommen
wird; ferner, daß der Sitz der Schmerzhaftigkeit nach der
Lage der Organe verſchieden iſt, und daß bey der Metritis
die innere Unterſuchung, ſo wie haͤufig die conſenſuelle Af-
fection der Bruͤſte das Uebel erkennen lehrt. — Auch mit
Schwangerſchaften außer der Gebaͤrmutter hat die Oophoritis
zuweilen große Aehnlichkeit, worauf wir im zweyten Theile
zuruͤckkommen werden.


[403]
§. 536.

Die Ausgaͤnge und Folgen der Oophoritis ſind denen
der Metritis aͤhnlich; auch hier kann das Uebel entweder ſich
unter kritiſchen Erſcheinungen zertheilen, oder in Eiterung,
oder in Degenerationen, ſo wie in chroniſche Entzuͤndung und
durch dieſe in Nymphomanie uͤbergehen, oder (was hier wegen
oͤfterer Verkennung des Uebels *) und deßhalb unzweckmaͤßiger
Behandlung nicht ſelten beobachtet worden iſt) durch ploͤtzlich
eintretende Gangraͤn in Tod ſich endigen. Immer iſt dieſe
Entzuͤndung ſonach theils an ſich, theils namentlich wegen
den ſo leicht ſich anſchließenden und unheilbaren Degeneratio-
nen eine ſehr bedenkliche Krankheit zu nennen, welche die
Aufmerkſamkeit des Arztes im hoͤchſten Grade verdient.


§. 537.

Die Behandlung der Oophoritis iſt im Allgemeinen
nach aͤhnlichen Grundſaͤtzen, wie die der Metritis, einzulei-
ten, nur mit dem Unterſchiede, daß man beruͤckſichtigt, wie
in der letztern gemeiniglich das geſammte Gefaͤßſyſtem und
conſenſuell der Darmkanal heftiger in Mitleidenſchaft gezogen,
dagegen in der erſtern mehr das Nervenſyſtem mit afficirt ſey.
Obwohl daher Blutentziehungen auch in der Oophoritis nicht
entbehrt werden koͤnnen, ſo ſind ſie doch gewoͤhnlich in gerin-
gerer Quantitaͤt und haͤufig nur durch oͤrtliche Ausleerungen
(etwa durch Blutigel an die Schamlefzen oder das Mittel-
fleiſch) zu veranſtalten. Diaͤt und Regimen muͤſſen antiphlo-
giſtiſch ſeyn, auf hinreichende Entleerung des Darmkanals
durch blande Abfuͤhrmittel oder Lavements iſt hinzuwirken, ſo
wie durch oͤrtliche Waͤrme mittelſt aufgelegter trockner gewaͤrm-
ter Kraͤuterkiſſen, durch ableitende Mittel, als Cataplasmata
auf die Fuͤße und ſpaͤterhin Sinapismen an die Waden, die
Zertheilung zu befoͤrdern.


[404]
§. 538.

Als innere Mittel werden mit beſonderm Nutzen die von
Clarus empfohlnen Verbindungen des Calomels mit dem
Opium oder den Zinkblumen und dem Caſtoreum, abwechſelnd
mit Mohnſamenemulſionen, mit etwas Nitrum gegeben wer-
den, jedoch ſo, daß hierbey noch beſondre Ruͤckſicht auf die
ſpeciellen Veranlaſſungen der Krankheit genommen wird, folg-
lich bey unterdruͤckten Hautausſchlaͤgen und nach heftigen Er-
kaͤltungen beſonders auf Herſtellung der Hautfunction gewirkt
werde durch Anwendung des Fliederblumenaufguſſes mit dem
Liquor Mindereri, oder der Antimonialien, wie des Vin.
emet.
— daß die unterdruͤckte Menſtruation nach oben auf-
geſtellten Regeln wieder in Fluß gebracht werde u. ſ. w. —
Im weitern Verlauf der Krankheit und namentlich wenn ſie
ſich mehr der chroniſchen Form naͤhert, werden ferner allge-
meine laue Baͤder, Einreibungen der Queckſilberſalbe mit dem
fluͤchtigen Liniment, und wo ſie voͤllig uͤbergeht in die Form
der Nymphomanie, die oben dargelegte Behandlung dieſer
Krankheit angezeigt ſeyn.


§. 539.

Geht die Entzuͤndung in Eiterung uͤber, welches ſich
ankuͤndigen wird durch Froſt, durch klopfenden Schmerz, durch
Beſchwerden bey der Bewegung des Schenkels der leidenden
Seite, lenteſcirendes Fieber, eiterartigen Bodenſatz im Urin,
Vergroͤßerung der aͤußerlich fuͤhlbaren Geſchwulſt, ſo kann die
Behandlung fernerhin allein es ſich zum Zweck machen, eine
vortheilhafte Entleerung des gebildeten Abſceſſes zu beguͤnſti-
gen. Zu dieſem Endzweck enthalte man ſich der Anwendung
aller ſtaͤrker eingreifenden, den Darmkanal oder Gefaͤß- und
Nervenſyſtem gewaltſam afficirender Mittel, als wodurch ein
ſolcher Prozeß, der allein Werk der Natur ſeyn kann, nur
geſtoͤrt werden muͤßte, ſetze dagegen den Gebrauch der lauen
Baͤder, der Fomentationen oder Cataplasmen des Unterleibes,
der lindernden eroͤffnenden Klyſtiere fort, und beobachte genau,
nach welchem Theile hin die Entleerung des Abſceſſes beab-
[405] ſichtigt wird. Iſt es gegen die Bauchdecken, welches durch
Zunahme und deutlichere Fluctuation der Geſchwulſt ſich zu
erkennen geben wird, ſo befoͤrdere man dieſe Entleerung durch
eine Seitenlage, durch fortgeſetzten Gebrauch der erweichenden
Umſchlaͤge und Baͤder; iſt es das Scheidengewoͤlbe, gegen
welches der Abſceß hindraͤngt, welches durch Preſſen in den
Geburtstheilen und durch die innere Unterſuchung abgenommen
werden kann, ſo ſind erweichende Injectionen vortheilhaft; in
beiden Faͤllen aber wird man immer die Eroͤffnung ſelbſt am
liebſten der Natur uͤberlaſſen, und zur kuͤnſtlichen Oeffnung
wenigſtens nicht eher ſchreiten, bis man ſich von der Ver-
wachſung des Eiterſackes mit den Bauchdecken oder dem Schei-
dengewoͤlbe (in welchem Falle von Oſiander’s Hyſterotom Ge-
brauch zu machen waͤre) hinlaͤnglich uͤberzeugt hat.


§. 540.

Sucht der Abſceß den Uebergang in den Darmkanal,
ſo giebt ſich dieſes durch vermehrtes Draͤngen auf den Maſt-
darm zu erkennen, und iſt durch eroͤffnende Klyſtiere zu be-
foͤrdern, wobey denn die Ausleerungen ſelbſt ſtets zu unter-
ſuchen ſind, um die beginnende Entleerung, welche als ei-
terigter Durchfall erſcheint, nicht zu uͤberſehen. — Von in-
nern Mitteln koͤnnen außer demulcirenden, gelind die Auslee-
rung befoͤrdernden Dingen, als Molken, Decoctum rad. Al-
thaeae, Graminis, Liquirit.
u. ſ. w. zum Getraͤnk keine
fuͤglich angewendet werden, und die Diaͤt muß ſehr leicht
und gelind naͤhrend ſeyn. Iſt dagegen der Abſceß geoͤffnet,
ſo findet die Anwendung der China Statt, um die Kraͤfte zu
erhalten und gutartige Eiterung, ſo wie Heilung des Abſceſ-
ſes zu bewirken. Bey der unmittelbar nach außen erfolgen-
den Entleerung des Eiters iſt uͤbrigens dann dieſelbe ganz
nach den Regeln der Chirurgie zu behandeln.


[406]
2.
Waſſerſucht der Eyerſtoͤcke (Hydrops ovarii).

§. 541.

Ein ziemlich haͤufiger Krankheitszuſtand dieſer Theile,
deſſen Vorkommen ſich wohl leicht erklaͤren laͤßt, wenn man
bedenkt, daß die normalen Productionen des Eyerſtocks nach
der Empfaͤngniß in Erzeugung von Blaͤschen, mit Fluͤſſigkeit
angefuͤllt, beſtehen, daß uͤberhaupt Fluͤſſigkeit den Anfang aller
organiſchen Bildungen darſtelle und ſomit auch in einem Or-
gane deſſen geſunde und krankhafte Produktivitaͤt gleich ſtark
iſt, die Anhaͤufung von waͤſſerigen Stoffen gleichſam als die
erſte Stufe zu anderweitigen Verbildungen betrachtet werden
kann, weshalb man denn auch nicht ſelten zugleich mit dieſen
Waſſeranſammlungen Verhaͤrtungen, ſpeckige Ausartungen, Er-
zeugung fremder Gebilde u. ſ. w. wahrnimmt.


§. 542.

Die Waſſerſucht der Eyerſtoͤcke kommt aber in verſchie-
denen Formen vor: entweder naͤmlich iſt der ganze Eyerſtock
zu einem zuweilen außerordentlich großen Sacke ausgedehnt,
welcher mitunter 20 bis 80, ja 100 Pfund Waſſer enthalten
hat, *) oder es iſt die Subſtanz des Ovarii zu mehreren be-
ſondern Zellen ausgedehnt, welche zum Theil unter einander
zuſammenmuͤnden und aͤhnliche Mengen Waſſer enthalten, oder
endlich, es bildet das Ovarium einen großen Sack, welcher
eine Menge hydatidenartiger Blaſen in ſich enthaͤlt. *) Die
Fluͤſſigkeit, welche in dieſen Blaſen oder in den groͤßeren
Saͤcken vorhanden iſt, zeigt ſich gewoͤhnlich als helles gelbli-
[407] ches Waſſer, zuweilen jedoch hat man ſie auch mehr gallert-
artig, oder als gallertartige Subſtanz gefunden. — Merk-
wuͤrdig iſt es, daß vorzuͤglich das linke Ovarium zu dieſer,
ſo wie zu andern Verbildungen beſonders hinneigt, welches
offenbar mit der auf der linken Koͤrperſeite uͤberhaupt uͤber-
wiegenden Produktivitaͤt (Magen und Herz liegen ja auch auf
der linken Seite) in Verbindung ſteht. Uebrigens nehmen
oͤfters auch die fallopiſchen Roͤhren, ſo wie die breiten Mut-
terbaͤnder an dieſer Waſſerſucht Antheil.


§. 543.

Die Kennzeichen dieſer Waſſeranſammlungen ſind oft
ſehr ſchwierig aufzufinden, und werden gewoͤhnlich nicht eher
wahrgenommen, bis die Geſchwulſt einen gewiſſen Umfang er-
reicht hat, indem bey geringern Graden die Kranken ſelbſt
keine bedeutende Beſchwerde dabey zu empfinden pflegen, und
daher nicht ſelten bey Sectionen dergleichen kleinere Anſamm-
lungen gefunden werden, wo im Leben kein Symptom die-
ſelben vermuthen ließ. Bey ſtaͤrkerer Auftreibung des leiden-
den Theiles hingegen zeigen ſich vorzuͤglich folgende Merkmale.
Die Kranke empfindet in der kranken Seite (gewoͤhnlich der
linken) einen ſtumpfen druͤckenden Schmerz, womit ſich zu-
gleich Beſchwerden bey der Bewegung des Schenkels dieſer
Seite und Anſchwellungen verbinden; zugleich entwickelt ſich
in der regio iliaca eine begraͤnzte, ſelten deutliche Fluctuation
zeigende Geſchwulſt, welche nach und nach ſich vergroͤßert und
endlich den ganzen Unterleib erfuͤllt. Auch durch das Schei-
dengewoͤlbe iſt dieſe Geſchwulſt oft bemerkbar, und es zeigt
ſich gewoͤhnlich der Uterus durch dieſelbe dergeſtalt aus ſeiner
Lage getrieben, daß die Vaginalportion nach derſelben Seite,
auf welcher die Geſchwulſt ſich befindet, der Gebaͤrmutter-
grund aber nach der entgegengeſetzten Seite hingedraͤngt iſt.


§. 544.

Im Verlaufe der Krankheit geſellen ſich dann zu den
genannten Kennzeichen noch mehrere andere, welche innere
Waſſeranſammlungen uͤberhaupt zu begleiten pflegen, als Man-
[408] gel an Appetit, Ekel und Erbrechen, Niedergeſchlagenheit und
Melancholie, Unordnung der monatlichen Reinigung, Leu-
korrhoͤe, truͤber ſparſamer Urin, Abmagerung, Engbruͤſtigkeit
u. ſ. w. — Zuletzt tritt nicht ſelten allgemeine Waſſerſucht
hinzu, und die Kranken ſterben entweder an dieſer oder an
vollkommner Abmagerung.


§. 545.

Die Krankheit kann vorzuͤglich verwechſelt werden ent-
weder mit Schwangerſchaft oder mit Waſſerſucht der Bauch-
hoͤhle (Ascites); von der erſtern unterſcheidet ſie ſich indeß
durch weit laͤngere Dauer und langſameres Zunehmen der
Geſchwulſt, durch die ungleiche, mehr von einer Seite aus-
gehende Geſchwulſt des Leibes (obwohl auch bey Schwanger-
ſchaften außer der Gebaͤrmutter, von welchen die Unterſchei-
dung uͤberhaupt ſchwieriger iſt, aͤhnliches Verhalten der jedoch
auch hier ſchneller anwachſenden Geſchwulſt Statt findet),
ferner durch den Mangel der weſentlichen Zeichen der Schwan-
gerſchaft, der Auflockerung und Verkuͤrzung der Vaginalpor-
tion und des Gefuͤhls von Kindestheilen und Kindesbewegun-
gen (mit welchen letztern zwar zuweilen von den Kranken
ſelbſt das Gefuͤhl der Fluctuation verwechſelt wird, wobey
denn die genaue geburtshuͤlfliche Unterſuchung dieſen Irrthum
widerlegen muß), durch die Veraͤnderung in den Bruͤſten,
welche bey Schwangerſchaft anſchwellen, bey dieſer Krankheit
ſchlaff werden. — Von der Bauchwaſſerſucht iſt die Eyer-
ſtockswaſſerſucht unterſchieden durch die begraͤnzte Geſchwulſt,
die undeutlichere Fluctuation und das ſchnellere Eintreten all-
gemeiner Krankheitszuſtaͤnde.


§. 546.

Die veranlaſſenden Urſachen dieſer Krankheit,
welche ihrem Weſen nach bedingt wird durch eine abnorm
aufgeregte, jedoch auf der niedrigſten Stufe der Bildung,
d. i. bey der Ausſcheidung von Waſſer verweilende Produkti-
vitaͤt (ſ. § 561.), ſind theils das Sinken normaler Produktivi-
taͤt in den hoͤheren Jahren, welches dieſe Organe zu ihrer
[409] eigentlichen Beſtimmung der Erzeugung neuer Individuen un-
faͤhig macht, theils oͤftere Reizungen des Geſchlechtsſyſtems,
ohne Herbeyfuͤhrung normaler Schwangerſchaft (z. B. durch
Onanie), ferner vorausgegangene, unvollkommen zertheilte
Entzuͤndungen, oder mechaniſche Erſchuͤtterungen durch Stoß
oder ſchweres Tragen, Einfluͤſſe, welche heftige Congeſtionen
gegen die Geſchlechtsorgane veranlaſſen, als Unterdruͤckung der
Menſtruation, erhitzende Getraͤnke, oder Arzneymittel, ſchwere
Geburten, ausſchweifende Lebensweiſe u. ſ. w., endlich auch
alles, wodurch die Function der ruͤckfuͤhrenden Gefaͤße gehemmt
wird, als Druͤſenanſchwellungen, fruͤher Statt gehabte ſyphi-
litiſche Anſteckung u. ſ. w.


§. 547.

Die Prognoſe iſt bey der Waſſerſucht der Eyerſtoͤcke
im Allgemeinen ſehr unguͤnſtig und die Krankheit meiſtens un-
heilbar; demohnerachtet werden Beyſpiele aufgefuͤhrt, wo die
Krankheit ſich theils durch Entleerung des Waſſers mittelſt
heftigen Erbrechens, theils mittelſt Ergießung aus den Ge-
burtstheilen durch die Muttertrompeten gluͤcklich gehoben haben
ſoll. Gewoͤhnlich zieht ſich indeß die Krankheit ſehr in die
Laͤnge, und kann in geringern Graden immer, zuweilen aber
ſelbſt bey betraͤchtlicher Entwicklung, lange ohne allzugroße
Beeintraͤchtigung des allgemeinen Befindens beſtehen, wird in
ſofern wenigſtens eine etwas beſſere Prognoſe als die Bauch-
waſſerſucht geſtatten, wenn ſie auch allerdings weit geringere
Hoffnung fuͤr die Heilung gewaͤhrt.


§. 548.

Die Behandlung laͤßt bey der Natur des Uebels be-
ſonders guͤnſtige Reſultate nicht erwarten, einmal, weil das
Uebel gemeiniglich erſt, nachdem es ſchon einen betraͤchtlichen
Grad erreicht hat, der aͤrztlichen Behandlung uͤbergeben wird;
zweytens, weil die Waͤnde, welche das Waſſer umſchließen,
in der Regel ſo ſehr in ihrer Struktur veraͤndert ſind, daß
ſie keine Hoffnung zur Reſorption zulaſſen; drittens, weil
ſelbſt die unmittelbare Entleerung des Waſſers mittelſt einer
[410] Operation nicht wohl moͤglich iſt, indem haͤufig mehrere Zel-
lenwaͤnde vorhanden ſind, welche dieſelbe hindern. Das Ge-
ſchaͤft des Arztes wird ſich daher nur auf Linderung der durch
die Geſchwulſt veranlaßten Beſchwerden und Verhuͤtung einer
weitern Vergroͤßerung derſelben, ſo wie in Faͤllen bereits ſehr
angewachſener, aͤußerlich deutliche Fluctuation zeigender Waſ-
ſeranſammlung auf unmittelbare Entleerung deſſelben durch die
Operation, und moͤglichſte Verhinderung neuer Anſammlungen
beſchraͤnken.


§. 549.

In erſterer Hinſicht muͤſſen die ſpeziellen Urſachen, wel-
che die Entſtehung der Waſſeranhaͤufung zur Folge hatten,
beruͤckſichtigt, Druͤſenanſchwellungen durch die Anwendung re-
ſolvirender Mittel, Spuren ſyphilitiſcher Zuſtaͤnde durch Mer-
kurialien gehoben werden, die Einſaugung des ergoſſenen Waſ-
ſers ſelbſt iſt durch Befoͤrderung der Hautthaͤtigkeit, ſo wie
der Harnſecretion und Anwendung zertheilender Einreibungen
zu befoͤrdern, und endlich beſonders die Lebensweiſe und Diaͤt
einer ſtrengen Ordnung zu unterwerfen, Aufenthalt in reiner
trockner Luft, leicht verdauliche kraͤftige Diaͤt, der maͤßige
Genuß eines kraͤftigen Weins und hinlaͤngliche, den Kraͤften
angemeſſene Bewegung ſind zu empfehlen, ſo wie Beſchwer-
den, welche vom Drucke der Geſchwulſt abhaͤngen, als Ver-
ſtopfungen, Congeſtionen u. ſ. w., durch von Zeit zu Zeit dar-
gereichte blande Abfuͤhrungen u. ſ. w. zu beſeitigen.


§. 550.

Die Operation, welche zur eigentlichen Heilung des Ue-
bels angewendet werden koͤnnte, iſt zweyfach, entweder die
Paracentheſe, oder die Exſtirpation des ausgearteten Organs.
Letztere wuͤrde allerdings den Vorzug verdienen, wenn ihrer
Ausfuͤhrung ſich nicht zu bedeutende Schwierigkeiten entgegen-
ſetzten. Sie koͤnnte naͤmlich nicht fuͤglich anders als im Be-
ginn der Krankheit Statt finden, da bey weiterer Entwicklung
der Geſchwulſt die Oeffnung der Bauchhoͤhle allzubetraͤchtlich
werden muͤßte; kann indeß gerade in dieſer erſten Zeit, wo
[411] entweder die Kranke noch gar keine Beſchwerden davon em-
pfindet, oder das Uebel noch nicht mit vollkommner Sicher-
heit zu erkennen iſt, ſelten ausgefuͤhrt werden. Was dagegen
die Paracentheſe betrifft, ſo wird ſie insgemein zwar bey die-
ſer Art der Waſſerſucht mehr widerrathen, als empfohlen; da
es indeß keinesweges an Beyſpielen fehlt, wo durch dieſelbe
theils das Uebel wirklich geheilt, *) theils doch das Leben der
Kranken auf viele Jahre gefriſtet worden iſt, ſo verdient die-
ſelbe ſicher haͤufiger als bisher geſchehen, in Anwendung ge-
zogen zu werden, und moͤchte auch wohl der Eroͤffnung durch
den Schnitt, von welcher nur allzuleicht, wie P. Frank
bemerkt, Fiſteln zuruͤckbleiben, vorgezogen werden. Rathſam
moͤchte es indeß ſeyn, nach gemachter Paracenteſe die Canuͤle
einige Zeit liegen zu laſſen, um ſo eine adhaͤſive Entzuͤndung
der Waͤnde des Sackes zu veranlaſſen und dadurch die radi-
cale Heilung zu bewerkſtelligen. — Noch iſt zu erwaͤhnen,
daß man auch vorgeſchlagen hat, die Paracenteſe des Eyer-
ſtocks durch die Vagina zu verrichten. Da indeß haͤufig das
waſſerſuͤchtige Ovarium zu ſehr aus der Hoͤhle des kleinen
Beckens ſich hervorhebt, und daher zuweilen von der Vagina
aus kaum zu erreichen ſeyn duͤrfte, da ferner hierbey auch
Verletzung betraͤchtlicher Gefaͤße leicht Statt finden koͤnnte,
ſo darf dieſe Operation wohl nur auf die wenigen Faͤlle ein-
geſchraͤnkt werden, wo die fluctuirende Geſchwulſt tief in das
Scheidengewoͤlbe ſich herabdraͤngt und die Fluctuation inner-
lich deutlicher als aͤußerlich fuͤhlbar iſt.


[412]
3.
Von den Speck- und Fleiſchgeſchwuͤlſten, Ver-
knoͤcherungen, ſo wie von den Erzeugungen
fremder Koͤrper in den Eyerſtoͤcken
.

§. 551.

Wenn die Waſſeranſammlung in den Eyerſtoͤcken als
der erſte Grad ihrer krankhaften Productivitaͤt betrachtet wur-
de, ſo erſcheint die Vergroͤßerung ihrer Subſtanz durch ey-
weißſtoffartige, fettartige Maſſen, in welchen ſich, wie in den
gleichartigen Geſchwuͤlſten der Gebaͤrmutter, oͤfters Knochen-
kerne anſetzen, die zweyte, und in der Bildung von einzel-
nen organiſchen Theilen, von Zaͤhnen, Haaren u. ſ. w. die
dritte und hoͤchſte Stufe dieſer abnormen Bildungsthaͤtigkeit. —
In aͤrztlicher Hinſicht haben indeß, was die Entſtehung, Er-
kenntniß, Folgen und Behandlung betrifft, alle dieſe Ausar-
tungen mit der Waſſerſucht der Eyerſtoͤcke ſo viel gemein,
daß wir bey der Betrachtung derſelben ſehr kurz ſeyn koͤnnen,
indem wir, was das Phyſiologiſche anbelangt (in welcher
Hinſicht namentlich die Erzeugung fremder Gebilde von be-
ſonderm Intereſſe iſt), auf die ſchoͤne Abhandlung von Au-
tenrieth
*) verweiſen.


§. 552.

Wie ſonach die Zellen des waſſerſuͤchtigen Eyerſtocks ge-
woͤhnlich nur krankhaft weitergebildete Graaf’ſche Blaͤschen
ſind, ſo auch dieſe ſpeckigen Auswuͤchſe und ſonſtigen Dege-
nerationen dieſes Organs; die Knochenſtuͤcke alſo, die Zaͤhne,
die Haare, duͤrfen nicht, wie zuweilen geſchehen iſt, als Ru-
dimente von Schwangerſchaften außer der Gebaͤrmutter, als
Ueberbleibſel von ganzen Embryonen betrachtet werden, wo-
gegen es der beſte Beweis iſt, theils daß aͤhnliche Bildungen
[413] auch an Organen vorkommen, wo an Conception und Schwan-
gerſchaft gar nicht zu denken iſt (ſo fand Penada*) das Herz
einer Ente mit Federn beſetzt), theils daß die hier vorge-
fundenen Gebilde ſolche ſind, welche im Organismus ſelbſt
auf der niedrigſten Stufe der Organiſation ſtehen, und daß
hingegen z. B. Wirbel- oder Schaͤdelknochen, Nervenmaſſe und
dergl. ſich nie in ſolchen ausgearteten Eyerſtoͤcken gefunden
haben; eine Thatſache, aus welcher H. Hegewiſch folgerte,
daß uͤberhaupt nur die Erzeugung reproduktiver Gebilde den
Antheil des Weibes an der Bildung eines neuen Individuums
ausmache, **) worauf wir im zweyten Theile zuruͤckkommen
werden.


§. 553.

Die Kennzeichen dieſer Ausartungen ſind ziemlich die-
ſelben (mit Ausnahme der Fluctuation), wie die der Eyer-
ſtockswaſſerſucht, nur daß oft die Unterſcheidung von Schwan-
gerſchaften außerhalb der Gebaͤrmutter hier noch ſchwieriger
wird, und aͤhnliche Degenerationen (wenn ſie nicht mit allzu-
ſtarker Vergroͤßerung verbunden ſind) oft noch laͤnger als die
Waſſeranhaͤufungen ohne Stoͤrungen des Allgemeinbefindens
ertragen werden. — Als veranlaſſende Urſachen ſind wohl
hier ganz vorzuͤglich ausſchweifende Lebensart und haͤufige Ge-
ſchlechtsreizung ohne Eintritt normaler Schwangerſchaft, nebſt
den andern bey der Waſſerſucht der Eyerſtoͤcke namhaft ge-
machten Einfluͤſſen aufzuzaͤhlen. — Lebensgefaͤhrlich werden
dieſe Degenerationen nur, wenn ſie einen ſehr betraͤchtlichen
Umfang erreichen, durch Druck auf benachbarte Theile, ver-
urſachte Waſſerergießung in der Bauchhoͤhle u. ſ. w.


[414]
§. 554.

Eine aͤrztliche Behandlung kann bey dieſen Ver-
bildungen gewoͤhnlich, wenn ſie eine betraͤchtliche Entwicklung
erreicht haben, nur auf palliative Weiſe, durch Milderung
der von dem Drucke derſelben veranlaßten Beſchwerden, Statt
finden; die radicale Heilung wuͤrde nur durch Exſtirpation
moͤglich werden, welche, wenn ſie auch allerdings in andern
Faͤllen einigemal ausgefuͤhrt worden iſt, *) doch hier, wo
bey weiter ausgebildetem Uebel gewoͤhnlich ſchon die Repro-
duction des geſammten Koͤrpers darnieder liegt, nicht wohl
mit Gluͤck unternommen werden duͤrfte.


IV.
Krankheiten der Bruͤſte.

§. 555.

Von den Bruͤſten gilt im Weſentlichen daſſelbe, was
wir uͤber die Krankheiten des Uterus erinnert haben, d. i. daß
ſie namentlich zu der Zeit, wo ihre Thaͤtigkeit am meiſten ge-
ſteigert iſt, naͤmlich zur Zeit der Schwangerſchaft und Stil-
lungsperiode, den meiſten Krankheiten, und zwar insbeſondre
den acuten Krankheitsformen unterworfen ſind, dahingegen
außer dieſer Zeit ſie entweder nur an allgemeinen Krankheits-
zuſtaͤnden oder an Krankheiten ſolcher Organe Theil nehmen,
welche ihnen, wie hauptſaͤchlich der Uterus, durch Conſenſus
eng verbunden ſind, oder durch unmittelbare oͤrtliche Einwir-
kung ſchaͤdlicher Einfluͤſſe in krankhaften Zuſtand verſetzt wer-
den. Da nun der urſpruͤnglichen Bildungsfehler der Bruͤſte
ſchon §. 134., der krankhaft uͤbereilten Ausbildung der Bruͤſte
ſchon bey der zu zeitig eintretenden Pubertaͤt §. 142. u. f. ge-
dacht worden iſt, die acute Entzuͤndung der eigentlichen Bruſt-
[415] druͤſe aber vorzuͤglich bey Schwangern und im Wochenbett
vorkommt, die abnorme Ausſcheidung des Monatsblutes durch
die Bruſtwarzen ebenfalls ſchon oben betrachtet wurde (§. 179
u. f.), und aͤußerliche Krankheitszuſtaͤnde endlich, z. B. Ver-
letzungen, Hautausſchlaͤge u. ſ. w., hier nicht weſentlich andere
Behandlungsmaaßregeln, als an andern Stellen fordern, ſo
bleiben hier theils nur einige krankhafte Zufaͤlle, welche die
voͤllige Entwickelung der Bruͤſte zu Anfang und im Verlauf
der zeugungsfaͤhigen Lebensperiode betreffen koͤnnen, theils De-
generationen der Bruſtdruͤſe ſelbſt, welche theils mit oder nach
chroniſcher Entzuͤndung der Druͤſenſubſtanz, theils ohne ent-
zuͤndliche Zufaͤlle hervortreten, zu betrachten uͤbrig.


1.
Krankhafte Entwicklung der Bruͤſte
in den zeugungsfaͤhigen Jahren uͤberhaupt
.

1) Congeſtionen nach den Bruͤſten und Schmerzhaft-
werden derſelben
.

§. 556.

Es iſt eine ſchon bey der Phyſiologie der weiblichen
normalen Entwicklung bemerkte Erſcheinung, daß bey und
nach dem erfolgten Eintritt der Menſtruation die Bruͤſte auf-
ſchwellen und ſich erſt hier vollkommen ausbilden; zuweilen
nur kann auch dieſe vermehrte Gefaͤßthaͤtigkeit, wie die der
Menſtruation zum Grunde liegende mit krankhafter Reizung
ſich verbinden; das Anſchwellen der Bruͤſte geſchieht zu raſch,
die Empfindlichkeit derſelben wird rege gemacht, es entſtehen
fluͤchtige Stiche, ein prickelndes Gefuͤhl, Schmerzhaftigkeit bey
geringem Drucke u. ſ. w., welche entweder zur Zeit der wie-
derkehrenden Menſtruation bloß ſich zeigen, oder auch außer
dieſer Periode anhalten, und mitunter ſelbſt zu Entſtehung
einzelner Knoten und Verhaͤrtungen, von welchen unten die
Rede ſeyn wird, Veranlaſſung geben.


[416]
§. 557.

Urſachen dieſes Krankheitszuſtandes ſind gewoͤhnlich un-
zweckmaͤßige Lebensweiſe im Allgemeinen, und oͤrtliche Reizun-
gen der Bruͤſte insbeſondre. Das allgemeine Verhalten an-
gehend, ſo ſchaden ſich Maͤdchen in der Entwicklungsperiode
namentlich durch zu vieles Stillſitzen, mangelnden Genuß der
freyen Luft, zu reichliche und erhitzende Nahrung, durch zu
warmes Verhalten, vorzuͤglich zu warme Schlafſtellen, und
durch Aufregung verliebter Phantaſien, oder wirkliche Aus-
ſchweifungen. Als oͤrtliche Reizung wirkt das oͤftere Beta-
ſten der Bruͤſte, namentlich durch einen Mann, zu warmes
Einhuͤllen der Bruͤſte, Beſprengen derſelben mit wohlriechen-
den Waͤſſern und Oehlen, ſo wie das Schminken derſelben,
das Heraufzwaͤngen der Bruͤſte durch Schnuͤrleiber, ſelbſt das
Tragen von mancherley Putz, Ketten u. ſ. w. auf und zwiſchen
den Bruͤſten.


§. 558.

Obwohl nun dieſe Art von Schmerzhaftigkeit der Bruͤſte
an und fuͤr ſich eben nicht bedenklich genannt werden kann,
ſo kann ſie doch leicht zu innern kleinen Verbildungen, Ver-
dickung in den Waͤnden der Milchkanaͤle u. ſ. w. fuͤhren, und
dadurch fuͤr die kuͤnftigen Functionen dieſer Theile beym Stil-
len ſehr nachtheilig werden, und darf ſchon in dieſer Hinſicht
nicht unberuͤckſichtigt bleiben. Zur Beſeitigung derſelben iſt es
vorzuͤglich nothwendig, die im vorigen Paragr. genannten Ur-
ſachen zu entfernen, die Lebensordnung und Diaͤt zweckmaͤßig
zu beſtimmen, auf regelmaͤßige Unterhaltung der Menſtruation
hinzuwirken, bey Ueberhaͤufung des Koͤrpers mit nahrhaften
Stoffen einige blande Abfuͤhrungen [und] kuͤhlende Getraͤnke
anzuordnen, und beſonders den oͤftern Gebrauch lauer allge-
meiner Baͤder zu empfehlen, welche ganz vorzuͤglich im Stande
ſind, dieſen Zuſtand von Schmerzhaftigkeit gruͤndlich zu
heben.


[417]
2) Unvollkommne Ausbildung der Bruͤſte und vor-
zeitiges Welken derſelben
.

§. 559.

Wenn die Bruͤſte in den Jahren nach Eintritt der Men-
ſtruation ſchlaff und klein bleiben, ſo iſt dies entweder Folge
einer im Allgemeinen geſchwaͤchten Reproduction, oder einer
mangelhaften Ausbildung oder anderweitigen Stoͤrung des Ge-
ſchlechtsſyſtems; und aus denſelben Gruͤnden kann auch, nach-
dem fruͤher dieſe Theile gehoͤrig ausgebildet waren, ihr vor-
zeitiges Zuſammenfallen und Abwelken verurſacht werden.
Die Schwaͤchung der Reproduction ſelbſt iſt aber entweder di-
rekt durch Saͤfteverluſt, vorausgegangene angreifende allge-
meine Krankheiten veranlaßt, oder es ſind die aſſimilirenden
Organe und namentlich die Lymphgefaͤße in Unordnung; die
Unvollkommenheit des Geſchlechtsſyſtems iſt entweder Folge
urſpruͤnglicher Mißbildung, oder durch oͤrtliche Krankheiten
und Zerſtoͤrungen deſſelben herbeygefuͤhrt, wie man denn z. B.
nach Ausrottung des Uterus Schlaffwerden und Einſchrum-
pfen der Bruͤſte bemerkte.


§. 560.

Es ergiebt ſich hieraus, daß mehrere Faͤlle dieſes krank-
haften Zuſtandes der Bruͤſte durchaus keiner Huͤlfe faͤhig ſind,
welches eintreten wird, wo die Urſachen der allgemein dar-
nieder liegenden Reproduction nicht zu beſeitigen ſind, oder
wo das Uebel auf urſpruͤnglicher Mißbildung des Geſchlechts-
ſyſtems, oder auf unheilbaren Zerſtoͤrungen wichtiger innerer
Geſchlechtsorgane beruht. In andern Faͤllen hingegen iſt es
oft moͤglich, eine vollkommnere Ausbildung der Bruͤſte zu be-
guͤnſtigen oder wiederherzuſtellen, wobey denn die Urſachen
beruͤckſichtigt werden muͤſſen. Reiner Zuſtand von Schwaͤche
wird den Genuß reichlich naͤhrender, leichtverdaulicher Spei-
ſen, den Gebrauch eines kraͤftigen Weins, die Anwendung
toniſcher Mittel, der Extrakte der China, des Eiſens, der
eiſenhaltigen Mineralbaͤder noͤthig machen, welche Mittel oͤrt-
lich durch Waſchen der Bruͤſte mit Eau de Cologne, war-
I. Theil. 27
[418] men Wein u. dergl., ſo wie durch waͤrmere Bedeckung der
Bruͤſte unterſtuͤtzt werden muͤſſen. Iſt der Schwaͤchezuſtand
hingegen bloß Folge von Leiden der Unterleibsorgane des
Druͤſenſyſtems, ſo muß, dieſe Zuſtaͤnde durch reſolvirende und
andere Mittel zu heben, die erſte Sorge des Arztes ſeyn.
Wie endlich dem Darniederliegen der Reproduction im Ge-
ſchlechtsſyſtem begegnet werden koͤnne, iſt bey den Unord-
nungen der Menſtruation und bey andern Gelegenheiten ſchon
mehrmals eroͤrtert worden, worauf wir daher hier zuruͤck-
weiſen.


3) Uebermaͤßige Ernaͤhrung der Bruͤſte und zu große
Fettanhaͤufung um dieſelben
.

§. 561.

Was das zu betraͤchtliche Anwachſen der Bruͤſte ſelbſt
betrifft, ſo iſt es die Folge aͤhnlicher Einfluͤſſe, als oben
§. 556 u. 557. fuͤr die ſchmerzhaften Empfindungen in die-
ſen Organen genannt worden ſind, und kann auch nur durch
aͤhnliche Behandlung (§. 558.) gemindert werden; die Fett-
anhaͤufungen hingegen ſind immer Folge einer krankhaften Re-
production, wobey die aufgenommenen Stoffe nicht gehoͤrig
verarbeitet, ſondern als rohe Fettmaſſen in das Zellgewebe
niedergelegt werden; es entſtehen daher dergleichen Ablagerun-
gen vorzuͤglich, wo bey an ſich phlegmatiſchen Individuen
durch Mangel an Thaͤtigkeit des Koͤrpers und des Geiſtes,
ſchlechte Luft und erſchlaffende Koſt, Stockung der Saͤfte und
unvollkommne Ausarbeitung derſelben veranlaßt wird, oder
wo die reproductive Thaͤtigkeit durch haͤufige Ausleerungen
(Blutfluͤſſe oder haͤufiges Aderlaſſen, zur Gewohnheit gewor-
denen Gebrauch von erhitzenden Abfuͤhrmitteln u. ſ. w.) er-
ſchoͤpft iſt, indem hierbey die Natur gleichſam daran ge-
woͤhnt wird, ſchnell, aber eben deßhalb auch unvoll-
kommner
die Subſtauzerzeugung zu bewerkſtelligen.


[419]
§. 562.

Der Arzt hat hierbey zunaͤchſt ſein Augenmerk auf die
Verdauungswerkzeuge zu richten, und nicht ſowohl auf die
Verminderung der Stofferzeugung uͤberhaupt zu denken (etwa
durch große Einſchraͤnkung und Verkuͤrzung der Diaͤt), ſon-
dern eine beſſere Verarbeitung der bildenden Stoffe einzuleiten.
Zu dieſem Endzwecke bedient man ſich der reſolvirenden, ſo
wie der aromatiſch bittern Arzneyen, empfiehlt den maͤßigen
Genuß eines kraͤftigen Weins und uͤberhaupt eine kraͤftige,
nahrhafte, erregende Koſt, dringt auf fleißige Bewegung in
freyer trockner Luft und hinlaͤngliche Beſchaͤftigung im Hauſe,
laͤßt aromatiſche Baͤder gebrauchen, und kann auch wohl,
nach v. Siebold’s Vorſchlag, die Bruͤſte ſelbſt mit von
Bernſtein oder Zucker durchraͤucherten Flanellen gelind frotti-
ren oder fomentiren laſſen.


2.
Beſondere Degenerationen im Innern der
Bruͤſte
.

§. 563.

Hierher gehoͤren die verſchiedenen Geſchwuͤlſte dieſer
Theile, welche theils als Verhaͤrtungen, theils als hohle,
mit Fluͤſſigkeiten oder geronnenen Maſſen angefuͤllte Anſchwel-
lungen erſcheinen, und welche wir unterſcheiden, je nachdem
ſie entweder einem beſondern Gebilde der Bruſt oder deren
geſammtem Parenchyma angehoͤren. Zu den erſtern rechnen
wir die Anſchwellungen der Milchgefaͤße (Milchknoten), die
Anſchwellungen der Lymphgefaͤße, aus welchen, wenn ſie ſich
verdicken und verhaͤrten, die ſcrophuloͤſen Indurationen,
wenn ſie ſich erweitern und fluͤßige Lymphe in beſondere
Saͤcke ergießen, die Lymphgeſchwuͤlſte, oder wenn ſich dieſe
Saͤcke mit geronnenen Stoffen ausfuͤllen, die Balggeſchwuͤlſte
hervorgehen; ferner die krankhaften Zuſtaͤnde der Blutgefaͤße,
indem ſich Extravaſate (Blutgeſchwuͤlſte) bilden. Die oͤrtli-
[420] chen Veraͤnderungen des ganzen Parenchyma hingegen, wel-
che dann allerdings zunaͤchſt durch krankhafte Thaͤtigkeit der
kleinern Blutgefaͤße, durch chroniſche Entzuͤndung, unterhal-
ten und vergroͤßert werden, und endlich zu allgemeiner Zer-
ſtoͤrung fuͤhren, ſind der Skirrhus und Krebs.


1) Von den Milchknoten in den Bruͤſten.

§. 564.

Dieſe Anſchwellungen charakteriſiren ſich namentlich durch
ihre Entſtehung, indem ſie ſich entweder bey oder nach einem
Wochenbette entwickeln, oder durch anderweitig, z. B. bey
Unterdruͤckung des Monatsfluſſes antagoniſtiſch veranlaßte
Milchſecretion bedingt werden. Sie fuͤhlen ſich meiſtens un-
gleich, als ein Convolut aufgetriebener Gefaͤße, an, ſind
ziemlich beweglich und bey der Beruͤhrung nicht ſchmerzhaft;
auch vergroͤßern ſie ſich nicht, machen ſonſt keine betraͤchtli-
chen Beſchwerden und zertheilen ſich gewoͤhnlich entweder, ſo-
bald eine neue Schwangerſchaft oder Stillungsperiode eintritt,
vermoͤge der groͤßern, neu aufgeregten Gefaͤßthaͤtigkeit, oder
nachdem die etwa urſachlich vorhandene Hemmung der Cata-
menien wegfaͤllt, oder auch allmaͤhlig durch Statt findende
Reſorption ohne beſondere aͤußere Veranlaſſungen. Sehr ſel-
ten iſt es, daß ſie außer der Periode der Stillung in Ent-
zuͤndung und Eiterung uͤbergehen, und wenig haͤufiger, und
nur bey ſehr verdorbener allgemeiner Conſtitution, kommt es
vor, daß ſie in ſkirrhoͤſe Knoten durch hinzutretende chroni-
ſche Entzuͤndung ſich verwandeln.


§. 565.

Die Behandlung ſolcher Milchknoten hat zunaͤchſt auf
die Urſachen Ruͤckſicht zu nehmen und dieſe zu entfernen,
alſo, wo die Auftreibung der Milchkanaͤle von Hemmung der
Catamenien abhaͤngt, die letztern nach oben (§. 208 ff) ge-
gebenen Regeln zu beſeitigen, bey ploͤtzlich unterbrochenem
Stillungsgeſchaͤft den Ausfluß der Milch durch warme trockne
[421] Fomentationen, Dampfbaͤder u. dgl. zu unterſtuͤtzen u. ſ. w. —
Außerdem aber ſind vorzuͤglich, um die Zertheilung dieſer Ge-
ſchwulſt zu bewerkſtelligen, Mittel, welche die oͤrtliche Per-
ſpiration und die Thaͤtigkeit der aufſaugenden Gefaͤße erhoͤhen,
in Anwendung zu ziehen. Als ſolche erwaͤhnen wir fuͤr aͤu-
ßerlichen Gebrauch das Bedecken der Bruſt durch gewaͤrmte
Kiſſen, mit den trocknen Specieb. resolvent., der Hb. Ser-
pilli, Majoranae, Hyosciami
u. ſ. w. gefuͤllt, das Auflegen
von Baumwolle oder Hanfwerg mit dem feinen Pulver der
Kamillenblumen, des Melilotenkrautes u. ſ. w. beſtreut; fer-
ner das Bedecken der Bruſt mit feinem, weichem, mehrfach
zuſammengelegtem Flanell, mit einem weichen haarigen Thier-
fell (z. B. von Katzen, Kaninchen, Haſen), ferner das Auf-
legen zertheilender Pflaſter und das Anwenden aͤhnlicher Ein-
reibungen.


§. 566.

Zu den erſtern bedient man ſich des Emplastr. de
Meliloto, de Cicuta, de Ammoniac.
mit dem Emplastro
mercuriali,
zu den Einreibungen benutzt man das Liniment.
vol. camphor.
in Verbindung mit dem Unguent, mercur.,
das Unguent. de Althaea, das Oleum camphoratum. End-
lich koͤnnen zum Zweck der Zertheilung die Dampfbaͤder, das
Einreiben mit durchraͤuchertem Flanell, die Elektricitaͤt und
der Galvanismus in Anwendung gezogen werden.


§. 567.

Als innerliche Mittel hingegen verdienen diejenigen vor-
zuͤglich angewendet zu werden, welche theils auf das Lymph-
ſyſtem gelind erregend wirken, theils anderweitige Ausſchei-
dungen befoͤrdern. Zu den erſtern gehoͤren die Antimonialien
und die aufloͤſenden Extrakte, oder friſch gepreßten Kraͤuter-
ſaͤfte, die Seife, die Mittelſalze, das fel tauri u. ſ. w.; zu
den letztern gehoͤren die von Zeit zu Zeit darzureichenden Ab-
fuͤhrungen, die maͤßige Befoͤrderung der Perſpiration durch
Liq. Mindereri, Liq. CC. und zweckmaͤßiges Verhalten.


[422]
2) Von den ſkrophuloͤſen Verhaͤrtungen der Bruͤſte.

§. 568.

Bey jungen Perſonen, namentlich gegen und nach dem
Eintritt der Menſtruation, erzeugen ſich oft, ſobald durch
unzweckmaͤßige phyſiſche Erziehung, ungeſunde Luft, unpaſ-
ſende Diaͤt u. ſ. w. die Functionen des lymphatiſchen Syſtems
uͤberhaupt gelitten haben, Knoten in den Bruͤſten, welche den
Anſchwellungen und Verhaͤrtungen der Lymphdruͤſen, die un-
ter dieſen Umſtaͤnden gewoͤhnlich auch an andern Orten vor-
kommen, im Weſentlichen ganz gleich ſind. Sie zeigen ſich
gewoͤhnlich empfindlich, vorzuͤglich ſobald Erregungen des Ge-
ſchlechtsſyſtems, wie z. B. in den monatlichen Perioden, Statt
finden, oder Gemuͤthsbewegungen, Diaͤtfehler, ploͤtzliche Tem-
peraturveraͤnderungen, oder anderweitige Krankheitsſtoffe ſy-
philitiſcher, arthritiſcher oder rheumatiſcher Art u. ſ. w. den
Koͤrper beunruhigen. Auch vergroͤßern ſie ſich oft und koͤnnen
zuletzt die voͤllige Natur des Skirrhus annehmen, im Gegen-
theil aber zertheilen ſie ſich auch mitunter, theils unter Min-
derung des allgemeinen ſcrophuloͤſen Zuſtandes in Folge
guͤnſtigerer aͤußerer Lebensverhaͤltniſſe, theils bey anderweitiger
groͤßerer Entwickelung der Bruͤſte, z. B. in angehender Schwan-
gerſchaft oder waͤhrend der Stillungsperiode.


§. 569.

Die Behandlung muß hier vorzuͤglich auf Ausrottung
anderweitiger Krankheitsſpuren und Herſtellung regelmaͤßiger
Thaͤtigkeit des allgemeinen Lymph- und Blut-Gefaͤßſyſtems
gerichtet ſeyn, und es iſt daher im Allgemeinen die reſolvi-
rende und ausleerende Methode angezeigt. Gleichzeitig nimmt
man Bedacht, die Einfluͤſſe, welche den ſcrophuloͤſen Zuſtand
unterhalten, zu beſeitigen, die Luft und Nahrung zu verbeſ-
ſern, hinlaͤngliche Koͤrperbewegung und beſonders die hier ſo
wichtigen Baͤder (vorzuͤglich die lauen Seifenbaͤder) zu em-
pfehlen. Oertlich aber ſind namentlich zu heftig reizende
Mittel zu vermeiden, um nicht zu chroniſchen Entzuͤndungen
im Umkreiſe der Verhaͤrtung Anlaß zu geben; hingegen iſt
[423] mehr die trockne Waͤrme, durch aufgelegte Kraͤuterkiſſen, auf-
gelegte Baumwolle, mit Kamillenpulver beſtreut, das Tragen
von Thierfellen, die Anwendung vom Emplastr. de cicuta
und Emplastr. mercurial. u. ſ. w. zu empfehlen.


§. 570.

Endlich muͤſſen dieſe Knoten, wo durchaus die Zerthei-
lung derſelben nicht zu erlangen iſt, ſie vielmehr den Ueber-
gang in Skirrhus drohen, durch die Exſtirpation mittelſt des
Meſſers hinweggenommen werden, von welcher bey Betrach-
tung des Skirrhus noch ausfuͤhrlicher die Rede ſeyn wird. —
Sollte endlich eine ſolche ſcrophuloͤſe Verhaͤrtung durch irgend
eine gewaltſame Einwirkung in den Zuſtand heftigerer Ent-
zuͤndung, und dadurch zuletzt in Eiterung verſetzt werden, ſo
iſt namentlich (wie es in druͤſigten Theilen uͤberhaupt Regel
iſt) die Eroͤffnung des ſich bildenden Abſceſſes vorſichtig zu
leiten und durch erweichende Cataplasmata zu befoͤrdern, nie
aber durch zu zeitig gemachte Einſchnitte zu uͤbereilen, viel-
mehr die ganze Behandlung auf aͤhnliche Weiſe einzurichten,
wie wir es im zweyten Theile noch ausfuͤhrlicher bey Be-
trachtung der in Eiterung uͤbergegangenen Bruͤſte ſtillender
Frauen betrachten werden.


3) Von den Balggeſchwuͤlſten der Bruͤſte.

§. 571.

Beynahe auf aͤhnliche Weiſe wie der Uterus in ſeinem
Parenchyma der Ablagerung roher eyweißſtoffiger oder fett-
artiger Maſſen entweder in geſchloſſenen Saͤcken oder zuletzt
auch wohl im ganzen Umfange ſeiner Subſtanz faͤhig war,
wie ſich in dieſen Geſchwuͤlſten zuweilen ſelbſt knoͤcherne Ab-
lagerungen entwickeln konnten, ſo ſind auch die Bruͤſte aͤhn-
licher Ausartungen faͤhig. Man bezeichnet dieſe Geſchwuͤlſte
hier, je nachdem die in ihnen enthaltene Maſſe weicher oder
feſter iſt, mit dem Namen der Breygeſchwulſt (Atheroma,
Meliceris
), oder der Speckgeſchwulſt (Steatoma), und auch
[424] in dieſen Geſchwuͤlſten der Bruͤſte hat man zuweilen Knochen-
kerne, ja ausgebreitete Verknoͤcherungen *), oder fremde Ge-
bilde, wie Haare, angetroffen.


§. 572.

Die aͤußere Beſchaffenheit dieſer Geſchwuͤlſte uͤberhaupt
(welches jedoch auch von den Balggeſchwuͤlſten der Bruͤſte
gilt) iſt von Richter**) ſehr treffend in folgenden Worten
charakteriſirt, indem er ſagt: „Gemeiniglich findet man dieſe
Geſchwuͤlſte unmittelbar unter der Haut, im Zellgewebe, zu-
weilen aber doch auch in innern Theilen (von den Bruͤſten
gilt dies wohl nicht, indem ich kein Beyſpiel aufſinden kann,
wo die Balggeſchwulſt z. B. unter der Bruſtdruͤſe geſeſſen
haͤtte). Die Haut, die ſie bedeckt, iſt unveraͤndert. Sie
ſind ganz unſchmerzhaft und meiſtentheils weicher anzufuͤhlen,
als der Skirrhus. Nur ſelten entzuͤnden ſie ſich aus innern
oder aͤußern Urſachen; noch ſeltener gerathen ſie in Eiterung.
Zuweilen wachſen ſie ſehr langſam, zuweilen ſehr ſchnell.
Zuweilen hoͤren ſie eine Zeit lang auf und fangen nachher
von neuem wieder an zu wachſen. Einige, vornehmlich die
Speckgeſchwuͤlſte, erreichen eine ungeheure Groͤße.“ —


§. 573.

Es ergiebt ſich hieraus auch, wodurch ſie ſich von an-
dern Anſchwellungen der Bruͤſte unterſcheiden, von dem
Skirrhus naͤmlich hauptſaͤchlich durch die Schmerzloſigkeit,
von den Milchknoten durch die Entſtehungsweiſe, indem den
letztern ſtets wirkliche Milchausſcheidung vorausgegangen iſt,
von den ſcrophuloͤſen Geſchwuͤlſten durch Beruͤckſichtigung der
allgemeinen Conſtitution und ebenfalls durch die Schmerzloſig-
keit, und von den Lymph- und Blutgeſchwuͤlſten durch die
mangelnde Fluctuation und die unveraͤnderte Hautfarbe.


[425]
§. 574.

Verurſacht werden dieſe Geſchwuͤlſte am haͤufigſten
durch mechaniſche Schaͤdlichkeiten, durch Druck, Stoß u. ſ. w.,
indem durch Quetſchung einer Stelle des Zellgewebes oder
eines lymphatiſchen Gefaͤßes eine kleine Ablagerung eyweiß-
ſtoffiger Maſſe herbeygefuͤhrt wird, welche ſich mit einem Sacke
von verdichtetem Zellgewebe umgiebt, und nun dergeſtalt rei-
zend auf die benachbarten Theile einwirkt, daß ein andauern-
der oder periodiſch wiederkehrender Zufluß plaſtiſcher Stoffe
gegen dieſe Stelle ſich bildet, welche denn theils zu Ver-
dickung des gebildeten Sackes, theils zur Vergroͤßerung der
geſammten Geſchwulſt beytragen. Beguͤnſtigt wird ferner die
Entwickelung ſolcher Geſchwuͤlſte durch allgemeinen ſcrophuloͤ-
ſen phlegmatiſchen Habitus, oder durch Vorhandenſeyn an-
derer Krankheitsſtoffe, der Gicht, der Syphilis, durch unter-
druͤckte anderweitige zur Gewohnheit gewordene Ausſcheidun-
gen u. ſ. w.


§. 575.

Die Beſchwerden, welche aͤhnliche Geſchwuͤlſte er-
regen, ſind nach dem Umfange derſelben verſchieden. Kleine
Balggeſchwuͤlſte ſtoͤren die Function der Bruͤſte nicht und wer-
den oft kaum bemerkt; groͤßere hingegen hindern nicht nur
die regelmaͤßige Function derſelben, ſondern erſchweren zuletzt
ſelbſt die Bewegung des Arms ihrer Seite, erregen durch
Druck theils Einſchrumpfen der Bruſtdruͤſen, theils Entzuͤn-
dung, welche in Eiterung uͤbergehen kann, wodurch denn im
guͤnſtigſten Falle die Geſchwulſt ſelbſt zerſtoͤrt wird, mitunter
aber auch boͤsartige Geſchwuͤre uͤbrig bleiben. — Langſame
Zertheilung dieſer Geſchwuͤlſte durch Reſorption iſt faſt nie
zu erwarten und auch durch Kunſt nur ſelten zu bewerk-
ſtelligen.


§. 576.

Die Behandlung dieſer Geſchwuͤlſte zweckt entweder ab
auf ihre Beſeitigung durch eine aufgeregte Reaction des All-
[426] gemeinen gegen die beſondre leidende Stelle, welches nament-
lich befoͤrdert werden kann durch Ausrottung anderweitiger
ſcrophuloͤſer, ſyphilitiſcher, arthritiſcher Dyskraſien und An-
wendung von Mitteln, welche im Allgemeinen ſowohl als oͤrt-
lich die Thaͤtigkeit der lymphatiſchen Gefaͤße erhoͤhen; Mittel,
von denen ſchon oben (§. 565 — 567.) die Rede geweſen
iſt, von welchen indeß bey der geringen Empfindlichkeit die-
ſer
Anſchwellungen immer die ſtaͤrkſten, z. B. das Gummi
Ammoniacum,
mit Eſſig zum Linimente gekocht, der Sal-
miak, mit Kali in Pulverform auf Baumwolle geſtreut, der
verduͤnnte Hirſchhorngeiſt u. ſ. w. angewendet zu werden ver-
dienen, indem ohne dies der durch Reize dieſer Art veran-
laßte Uebergang in Entzuͤndung mehr zu wuͤnſchen als zu
fuͤrchten iſt. — Von der Anwendung der Compreſſion, wel-
che bey Balggeſchwuͤlſten anderer Theile mitunter empfohlen
worden iſt, wuͤrde ſich hier nur dann Nutzen erwarten laſ-
ſen, wenn die Geſchwulſt mehr am Rande der Bruſt ſich be-
faͤnde, ſo daß ſie gegen eine Rippe angedruͤckt werden
koͤnnte.


§. 577.

Allen dieſen Mitteln aber iſt die Operation vorzuziehen,
und es verdienen jene uͤberhaupt nur da Anwendung, wo
die Kranke zu dieſer nicht bewogen werden kann. — Man
verrichtet ſie entweder ſo, daß man ganz auf die Weiſe, wie
die Exſtirpation des Skirrhus vorgenommen werden muß, die
Balggeſchwulſt ausſchaͤlt und dabey Bedacht nimmt, daß theils
der Sack derſelben vollſtaͤndig hinweggenommen, theils das
oft hartnaͤckig blutende Adergewebe im Umfange deſſelben mit
entfernt werde, oder man gebraucht die Operation nur (wel-
ches namentlich von etwas tiefer in die Subſtanz der Bruſt-
druͤſe eindringenden Balggeſchwuͤlſten und den Breygeſchwuͤl-
ſten gilt), um den Sack zu eroͤffnen, die inneliegende Ma-
terie auszuleeren und dann eine Eiterung zu erregen, um
den zuruͤckgelaſſenen Sack durch dieſe Eiterung zu zerſtoͤren.


[427]
§. 578.

Richter ſchlaͤgt zu dieſem Endzweck ein dreifaches Ver-
fahren vor: *) entweder naͤmlich, den Sack durch ein Aetz-
mittel zu oͤffnen, die Materie auszuleeren, die innere Flaͤche
des Sacks durch Scarificationen, oder durch Beſtreichen mit
Spießglasbutter, Vitriolgeiſt u. ſ. w. in Entzuͤndung zu ſetzen,
dann die Eiterung durch erweichende Mittel zu befoͤrdern und
ſo die voͤllige Zerſtoͤrung des Sackes abzuwarten; oder, wenn
die Maſſe der Balggeſchwulſt ſehr weich iſt, ſie durch einen
eingeſtochenen Troikart ausfließen zu laſſen, dann durch rei-
zende Injectionen von aufgeloͤſtem Hoͤllenſtein, TR. Cantha-
ridum
u. ſ. w., welche man bis zur angehenden Entzuͤndung
zuruͤcklaͤßt, Eiterung zu erregen und dieſe dann durch eiter-
machende Mittel zu behandeln; oder endlich ein mit eiter-
machenden Mitteln beſtrichenes Haarſeil durch die Geſchwulſt
zu ziehen, und ſo ebenfalls entweder die Geſchwulſt ganz
auszurotten, oder ſie dergeſtalt zu verkleinern, daß ſie leich-
ter exſtirpirt werden kann.


4) Lymphatiſche und Blutgeſchwuͤlſte in den
[B]ruͤſten
.

§. 579.

Die Balggeſchwuͤlſte, wenn ſie eine ſehr fluͤſſige Sub-
ſtanz enthalten, bilden den unmittelbaren Uebergang in die
lymphatiſchen Geſchwuͤlſte, und was daher von Entſtehung,
Erkenntniß und Behandlung jener geſagt iſt, gilt auch im
Weſentlichen von dieſen, nur daß ſie es insbeſondre ſind, die
mit Verletzungen eines Lymphgefaͤßes oder allgemeinen Leiden
des Lymphſyſtems in Verbindung ſtehen, weshalb bey ihrer
Eroͤffnung mit beſonderer Vorſicht zu verfahren iſt. — Die
Blutgeſchwuͤlſte, wobey in eine freye Hoͤhle fluͤſſiges Blut er-
goſſen iſt, kommen beynahe noch ſeltener als die lymphati-
ſchen Geſchwuͤlſte vor, und haͤngen vorzuͤglich mit Unter-
[428] druͤckungen der Menſtruation oder Congeſtionen nach den Bruͤ-
ſten, zur Zeit der klimakteriſchen Jahre zuſammen, wenn ſie
nicht unmittelbar durch aͤußere Gewalt und Zerreißung von
Blutgefaͤßen entſtanden ſind. — Bey ihrer Behandlung iſt
zunaͤchſt auf die dieſelben bedingenden allgemeinen Veranlaſ-
ſungen hinlaͤngliche Ruͤckſicht zu nehmen, theils oͤrtlich durch
eine kleine Oeffnung (ſobald die Maſſe des ausgetretenen Blu-
tes betraͤchtlicher iſt) die Entleerung zu bewerkſtelligen und
dann durch fortgeſetzten Gebrauch bitterer, die Reſorption und
Contraction befoͤrdernder Mittel (Fomentationen aus den Fl.
Arnicae, Hb. Serpill., Hb. Absynth., Flor. Chamomill.
rom.
u. ſ. w., mit Wein, Campherſpiritus u. ſ. w. vermiſcht)
die Schließung der Hoͤhle zu befoͤrdern.


5) Vom Skirrhus und Krebs der Bruͤſte.

§. 580.

Es iſt der ſkirrhoͤſe und carcinomatoͤſe Zuſtand der Bruͤ-
ſte in ſo vieler Hinſicht dem gleichnamigen Zuſtande des Ute-
rus verwandt, daß wir, namentlich was das eigentlich We-
ſentliche dieſer Krankheitsform betrifft, wieder ganz auf das-
jenige zuruͤckweiſen muͤſſen, was oben (§. 448 ff.) in dieſer
Hinſicht bemerkt wurde. Demohnerachtet begruͤndet auch hin-
wiederum das von dem Bau der Gebaͤrmutterwaͤnde ganz ab-
weichende Parenchyma der Bruſtdruͤſe theils das haͤufigere
Vorkommen an dieſem Orte, theils manche Eigenthuͤmlichkei-
ten im Verlaufe des Uebels, ſo wie in ſeiner Behandlung.


§. 581.

Die Erkenntniß des Bruſtſkirrhen wird gegeben durch
Beachtung ſeiner Entwickelungsweiſe und der damit verbunde-
nen ſchmerzhaften Zufaͤlle. Gewoͤhnlich aber zeigt ſich an-
faͤnglich ein kleiner, wenig ſchmerzhafter, beweglicher Knoten,
welchen die Kranke oft laͤngere Zeit getragen hat, ohne ihn
zu bemerken; nach und nach waͤchſt dieſer Knoten zwar nicht
immer an Umfange, aber dafuͤr alsdann an Haͤrte; ſeine
Beweglichkeit vermindert ſich, ſeine Schmerzhaftigkeit nimmt
[429] zu, und die Kranken klagen entweder uͤber ein anhaltendes
Brennen an dieſer Stelle, oder uͤber oft wiederkehrende fluͤch-
tige Stiche, welche beſonders bey ploͤtzlichen Witterungsver-
aͤnderungen, bey den eintretenden monatlichen Perioden u. ſ.
w. ſich verſtaͤrken. Dabey zeigt gewoͤhnlich der allgemeine
Habitus etwas Kachektiſches, eine blaſſe gelbliche Hautfarbe,
Abmagerung u. ſ. w. — Endlich aber wird der Knoten ploͤtz-
lich noch weit ſchmerzhafter, die Haut uͤber denſelben wird
blaulich und mißfarbig, und nun bildet ſich ein offenes Ge-
ſchwuͤr, deſſen Natur dann freylich nicht mehr zu verkennen
iſt, wo aber auch meiſtens der Zuſtand unheilbar gewor-
den iſt.


§. 582.

Ein ſolches Krebsgeſchwuͤr zeichnet ſich dann aus durch
die harten ungleichen Raͤnder, durch das hoͤchſt mißfarbige
Anſehen, durch den in der Tiefe ſtets fortwuͤthenden Schmerz
und durch den Erguß einer auch hier (wie beym Gebaͤrmut-
terkrebs) hoͤchſt uͤbelriechenden Jauche, bey deren Abgang ſich
oft Stuͤcke aus dem Grunde des Geſchwuͤrs mit abloͤſen, wo-
mit ſich oft heftige Blutungen verbinden (wenn das tiefer-
greifende Geſchwuͤr Gefaͤße zerſtoͤrt hat), und wobey im All-
gemeinen die Reproduction immer mehr ſinkt, Zehrfieber ein-
tritt, der Schlaf durch die heftigen naͤchtlichen Schmerzen
verſcheucht wird, und zuletzt unter aͤußerſter Abmattung der
erwuͤnſchte Tod eintritt.


§. 583.

Ruͤckſichtlich der Entſtehung des Bruſtſkirrhus und Kreb-
ſes bemerken wir, daß auch hier, ſo wenig als bey dem Ge-
baͤrmutterkrebs, irgend etwas uns berechtigt, einen eigen-
thuͤmlichen Krankheitsſtoff, ein beſonderes Krebsgift anzuneh-
men, vielmehr die Verhaͤrtung an und fuͤr ſich von ander-
waͤrtigen Indurationen nicht weſentlich differirt, jedoch durch
eine allgemeine krankhafte Stimmung der Reproduction nicht
nur an ihrer Zertheilung gehindert, ſondern durch eine im
Umkreiſe derſelben ſich bildende chroniſche Entzuͤndung theils
vergroͤßert, theils zu einer boͤsartigen Eiterung gefuͤhrt wird.


[430]
§. 584.

Obwohl man demnach Hrn. v. Winter*), welcher den
Bruſtkrebs uͤberhaupt mehr fuͤr eine allgemeine Krankheit ge-
halten wiſſen will, nicht fuͤglich ganz beyſtimmen kann, ſo
darf man doch von der andern Seite auch nie ſeine Eigen-
thuͤmlichkeit zu ſehr in lokaler Beziehung betrachten, ſondern
muß das Weſentliche ſtets als das Erzeugniß allgemei-
ner und lokaler Momente auffaſſen. — Hieraus ergiebt es
ſich, wie Verhaͤrtungen urſpruͤnglich verſchiedener Natur, z. B.
ſcrophuloͤſe Knoten, Milchknoten, Verdichtungen des Zellge-
webes durch erlittene Quetſchung und Ergießung plaſtiſcher
Lymphe, doch bey unguͤnſtigen allgemeinen Verhaͤltniſſen eben
ſo in den Krebs uͤbergehen koͤnnen, wie ſie im Gegentheil
bey guͤnſtigern allgemeinen Verhaͤltniſſen zur Zertheilung ge-
langen, und ferner, wie wirklich bereits ſkirrhoͤs gewordene
Knoten, wenn ſie an einem Theile exſtirpirt worden ſind, an
einem andern Theile gern ſich wieder erzeugen (Beyſpiele,
auf welche namentlich v. Winter ſeine oben erwaͤhnte An-
ſicht gruͤndete).


§. 585.

Es folgt aus allem dieſem, daß die entfernten Ur-
ſachen
des Bruſtkrebſes vorzuͤglich dreyerley Art ſeyn koͤn-
nen, theils naͤmlich ſolche, durch welche uͤberhaupt Verdich-
tungen und Verhaͤrtungen entſtehen koͤnnen, wohin Stoß,
Druck, unterlaſſenes Selbſtſtillen u. ſ. w. gehoͤren, theils ſol-
che, durch welche eine chroniſche Entzuͤndung veranlaßt und
unterhalten werden kann, als Erkaͤltungen, Mißbrauch er-
hitzender Getraͤnke, Congeſtionen nach den Bruͤſten durch feh-
lerhafte Menſtruation, oder durch die klimakteriſchen Jahre
bedingt, Anwendung zu reizender Mittel u. ſ. w., theils end-
lich ſolche, welche die Reproduction im Allgemeinen unter-
graben, die Function der Lymphgefaͤße und des venoͤſen Sy-
[431] ſtems ſtoͤren, als ungeſunde Luft, ſchlechte Nahrung, fruͤhere
ſyphilitiſche, ſcrophuloͤſe, rhachitiſche Krankheit und Gemuͤths-
leiden. — Zu erwaͤhnen iſt jedoch noch, daß die ſkirrhoͤſen
Verhaͤrtungen der Bruͤſte zuweilen auch nur aͤußere Zeichen
eines krankhaften Zuſtandes des Geſchlechtsſyſtems uͤberhaupt
und inſonderheit des Uterus ſind, weßhalb denn Bruſtſkirrhen
ſehr haͤufig gleichzeitig mit Scirrhus und Carcinoma uteri
vorkommen. — Die Einwirkungen endlich, welche vorzuͤglich
den Uebergang des Skirrhus in offenes Krebsgeſchwuͤr befoͤr-
dern koͤnnen, ſind im Ganzen wieder ziemlich dieſelben, wel-
che die Entſtehung des Skirrhus uͤberhaupt beguͤnſtigen; die
haͤufigſten unter denſelben ſind mechaniſche Reizung, der Ge-
brauch erweichender Mittel, vorzuͤglich der Breyumſchlaͤge,
die klimakteriſchen Jahre u. ſ. w. — Im Ganzen pflegt der
Uebergang in Krebsgeſchwuͤr immer um ſo eher zu erfolgen,
je verdorbener die allgemeine Conſtitution iſt, um ſo ſpaͤter
hingegen und oft erſt nach einer langen Reihe von Jahren,
oder gar nicht, je kraͤftiger dieſelbe iſt.


§. 586.

Die Prognoſe muß bey einem Uebel dieſer Art ſtets
unguͤnſtig ausfallen, da es immer ein Zuſammentreffen be-
ſonders gluͤcklicher Umſtaͤnde erfordert, wenn die Heilung ge-
lingen ſoll. Nur wo die Verhaͤrtung und Entzuͤndung im
Umkreiſe derſelben offenbar in Folge anderweitiger krankhafter
Zuſtaͤnde, z. B. bey Unterdruͤckung der Menſtruation, ent-
ſtanden iſt, und dieſe primaͤren Abnormitaͤten guͤnſtige Aus-
ſicht fuͤr Heilung gewaͤhren, oder hinwiederum, wo das Ue-
bel mehr aus oͤrtlichen, namentlich mechaniſchen, Einfluͤſſen
entſprungen, an ſich noch neu, und die allgemeine Conſti-
tution kraͤftig iſt, uͤberhaupt aber weder wegen zu betraͤchtli-
chem Umfang und Verhaͤrtung, noch wegen veraͤnderter Haut-
farbe und heftiger werdenden Stichen und Jucken der nahe
Uebergang in Krebs befuͤrchtet werden darf, kann eine guͤn-
ſtigere Prognoſe geſtellt werden, dahingegen bey hoͤherem Grade
des Uebels, beſonders wenn ſchon die benachbarten Theile
mit ergriffen ſind, die Knoten mit den darunter liegenden
[432] Theilen ſich feſt verbunden haben, die Achſeldruͤſen mit an-
geſchwollen ſind, und ganz vorzuͤglich, wo das Krebsgeſchwuͤr
bereits voͤllig ausgebrochen iſt, Rettung der Kranken faſt nie
mehr gelingen kann.


§. 587.

Die Behandlung kann, ſo lange das Uebel noch als
ſkirrhoͤſe Verhaͤrtung erſcheint, entweder auf Zertheilung oder
unmittelbar auf Ausrottung des Knotens gerichtet ſeyn; im
Falle des ausgebrochenen Krebſes findet, wenn uͤberhaupt noch
Huͤlfe moͤglich iſt, dieſe insgemein nur mittelſt des Meſſers
Statt, und in den Faͤllen endlich, wo wegen ausgebreitetem,
den benachbarten Theilen bereits mitgetheilten krebshaftem
Zuſtande an der Heilung gaͤnzlich verzweifelt werden muß,
kann bloß von palliativer Behandlung die Rede ſeyn.


§. 588.

Zuerſt betrachten wir diejenigen Mittel, welche zur
Zertheilung krebsartiger Knoten der Bruͤſte die heilende
Kunſt darbietet. Hierbey iſt eines Theils wichtig, eben ſo
wie bey den Skirrhen des Uterus, auf die allgemeine krank-
hafte Dispoſition Ruͤckſicht zu nehmen, gegen ſcrophuloͤſe, ſy-
philitiſche, rheumatiſche, arthritiſche Zuſtaͤnde ein zweckmaͤßi-
ges Verfahren eintreten zu laſſen, und auf Verbeſſerung der
aͤußern Verhaͤltniſſe der Kranken dadurch zu wirken, daß man
ſie in geſundere Luft bringt, ihnen eine leicht verdauliche, ge-
lind naͤhrende, beſonders mehr vegetabiliſche Diaͤt anordnet,
und durch den Gebrauch von allgemeinen Baͤdern, ſo wie vor-
zuͤglich durch Aufheiterung des Gemuͤths den Stand der Re-
production zu erhoͤhen und zu verbeſſern ſucht.


§. 589.

Außer dieſen allgemeinen Maßregeln muß nun ferner
das ſpecielle Heilverfahren namentlich bezwecken: theils die
chroniſche Entzuͤndung, durch welche die abnorme Bildung
ſtets verſtaͤrkt wird, zu maͤßigen, theils die Aufſaugung und
[Ruͤckbildung] der Verhaͤrtungen zu befoͤrdern. In erſterer,
[433] beſonders wichtiger Hinſicht *) wird die ſorgfaͤltige Vermei-
dung aller den Organismus gewaltſam erregender Einfluͤſſe,
erhitzender Getraͤnke und reichlicher Diaͤt namentlich, zur Pflicht,
man reicht von Zeit zu Zeit kuͤhlende Abfuͤhrungen, und kann,
vorzuͤglich wenn die Entzuͤndung durch lebhaftere Schmerzen
ſich aͤußert, bey kraͤftigern Naturen ſelbſt wiederholte oͤrtliche
oder allgemeine Blutentziehungen, den Gebrauch kuͤhlender
Emulſionen, des Salpeters u. ſ. w. nicht entbehren; dahin-
gegen bey ſehr ſchwaͤchlicher oder kachektiſcher Conſtitution der
Entzuͤndung mehr durch das antiphlogiſtiſche Regimen, durch
maͤßige Befoͤrderung der Hautthaͤtigkeit, ſo wie durch den vor-
ſichtigen innern und aͤußern Gebrauch des Queckſilbers ent-
gegengewirkt werden muß.


§. 590.

Um ferner die Zertheilung der ſchon krankhaft verbilde-
ten Stellen ſelbſt zu bewerkſtelligen, dienen die ſtaͤrkern, un-
ter den ſchon oben (§. 565 u. 566.) erwaͤhnten, Mittel,
das Emplastr. de Cicuta und Empl. mercuriale, das fel
Tauri
mit sal ammoniac., die friſch gequetſchten Blaͤtter
von der Calendula officinalis, dem Sedum acre, der Bel-
ladonna,
das Unguentum neapolit. mit dem Liniment.
vol. camphorat.
u. ſ. w. Hierbey muß uͤbrigens immer die
Wirkung der oͤrtlichen Waͤrme mit zugezogen werden, das
Tragen zertheilender Kraͤuterkiſſen oder warmer Thierfelle
Statt finden, ſo wie innerlich das Extract. Cicutae, Bel-
ladonnae,
die Merkurialien und Antimonialien, der Kirſch-
lorbeer angewendet werden; und ſo kann denn allerdings
zuweilen, namentlich in Faͤllen, wo die Kranken durchaus
zur Operation ſich nicht entſchließen koͤnnen, mittelſt anhal-
tender Befolgung dieſer Methode, Ruͤckbildung in den nor-
I. Theil. 28
[434] malen Zuſtand bewirkt, oder in andern Faͤllen, wo die Ver-
wachſung des Krebsknotens mit dem Bruſtmuskel die Operation
verhinderte, erſterer vielleicht beweglicher und ſo zur Operation
geſchickter gemacht werden. †)


§. 591.

Ehe wir nun die Operation ſelbſt naͤher durchgehen, iſt
es noch noͤthig, einiges uͤber die mediciniſche Behandlung des
offenen Bruſtkrebſes beyzufuͤgen, welche naͤmlich einen dop-
pelten Zweck haben kann, d. i. entweder auch in dieſem Sta-
dio der Krankheit, wo ſie in der Regel unheilbar iſt, noch
einen Verſuch zur Rettung der Kranken zu machen, oder nur
palliativ gegen die heftigen Schmerzen und oͤfters eintreten-
den Blutungen Linderung zu ſchaffen. Den erſteren Zweck
hat die fortgeſetzte innere und aͤußere Anwendung mehrerer
Kraͤuterſaͤfte, z. B. des Schierlings, der Belladonna, des
Kirſchlorbeers, des rothen Fingerhuts, der Ringelblume (Ca-
lendula officinalis
), des Onopordon acanthium, des Sedum
acre, Chenopodium bonus Henricus
u. a. m. — Ferner
der Gebrauch des Arſeniks (obwohl dieſer hier nur mit der
groͤßten Vorſicht angewendet werden darf), der aͤußere Ge-
brauch der ſalzſauren Daͤmpfe, *) das Aufſtreuen des Kohlen-
pulvers, **) das Auflegen einer lebenden Kroͤte auf das Krebs-
geſchwuͤr, ***) die ſchon oben erwaͤhnte Anwendung des Gold-
ſalzes und mehrerer anderer bald hier bald da empfohlener
[435] Mittel, welche indeß gewoͤhnlich bey wiederholter Anwendung
wenig geleiſtet haben (vergl. §. 459. 460.).


§. 592.

Was die bloß Linderung der quaͤlendſten Zufaͤlle bewir-
kenden Mittel anbelangt, ſo ſteht wieder unter den die hef-
tigſten Schmerzen beruhigenden das Opium oben an, womit
aͤußerlich Fomentationen des Krebsgeſchwuͤrs mit Aufguͤſſen
der Cicuta oder Abkochungen der Mohnkoͤpfe verbunden wer-
den koͤnnen. Zur Verminderung des Ausfluſſes und des hoͤchſt
uͤbeln Geruchs dieſer Geſchwuͤre empfiehlt ſich ferner das Auf-
ſtreuen von Kohlenpulver oder Anwendung von Kohlenſalbe
zum Verband, das Auflegen eines Karottenbreyes mit etwas
Opiattinktur, vielleicht auch ganz vorzuͤglich des empyrevma-
tiſchen Holzeſſigs, deſſen ſtark antiſeptiſche Kraft man neuer-
lich erprobt hat. Zur Beſeitigung der Blutungen benutzt
man das Aufdruͤcken eines Schwammes mit einer Miſchung
aus dem concentrirten Infus. serpilli und Weingeiſt befeuch-
tet und mit etwas ſtyptiſchem Pulver beſtreut, ja in man-
chen Faͤllen wird die Anwendung des gluͤhenden Eiſens kaum
umgangen werden koͤnnen. Innerlich ordnet man ſaͤuerliche
Getraͤnke (vorzuͤglich mit mineraliſchen Saͤuren), das Dower-
ſche Pulver, die Phosphorſaͤure u. ſ. w. an, und laͤßt ein ſehr
ruhiges Verhalten beobachten.


§. 593.

Die oft ſo geringe Wirkung dynamiſcher Mittel laͤßt
nun, namentlich ſo lange das Uebel noch auf der Stufe des
Skirrhus verweilt, die Operation allerdings als das zweck-
maͤßigſte Mittel zur Heilung erkennen; Gegenanzeige zu der-
ſelben wuͤrde es jedoch abgeben, wenn man den Skirrhus
mehr fuͤr allgemeine, als fuͤr oͤrtliche Krankheit zu halten
berechtigt waͤre; allein wie oben bemerkt wurde, iſt er bei-
des, oft nur das eine mehr als das andere, und eben deß-
halb muß es ein wichtiger Theil der Heilung ſeyn, wenn
[436] man das Lokalleiden fuͤrs erſte voͤllig beſeitigen kann, um ſo-
dann auch den Urſechen, welche im Allgemeinen liegen, ent-
gegen zu arbeiten. So lange daher die Natur des Uebels
eine vollſtaͤndige Ausrottung der kranken Stellen verſtat-
tet, ſobald die Entſtehung deſſelben mehr durch lokale Ein-
wirkungen bedingt war, und zugleich die allgemeine repro-
duktive Kraft nicht allzuſehr geſunken iſt, darf und muß ſo-
gar die Operation als eins der weſentlichſten Mittel zur Ret-
tung der Kranken angeſehen werden, indem ſie ſelbſt im un-
gluͤcklichſten Falle der Wiedererzeugung des Knotens, doch
eine bedeutende Verzoͤgerung des Ueberganges in den offenen
Krebs bewirken wird. *)


§. 594.

Beſchleunigt muß insbeſondre die Operation werden,
wenn ploͤtzliche Vergroͤßerung oder Verhaͤrtung des Knotens,
ſo wie die herannahende klimakteriſche Periode, befuͤrchten laſ-
ſen, daß der Uebergang in das offene Krebsgeſchwuͤr herau-
nahe; nicht zu unternehmen iſt ſie hingegen, wenn der Skir-
rhus mit den benachbarten Theilen bereits zu feſt verwachſen
iſt, als daß vollkommne Ausſchaͤlung zu hoffen waͤre, wenn
die Achſeldruͤſen zugleich mit verhaͤrtet ſind u. ſ. w., in wel-
chen Faͤllen vielmehr die Operation ſicher den Uebergang in
das offene Krebsgeſchwuͤr durch Veranlaſſen boͤsartiger Ge-
ſchwuͤrigkeit in den zuruͤckgebliebenen ſkirrhoͤſen Stellen zur
Folge haben wuͤrde. — Nun ſind aber bey offenem Geſchwuͤr
gewoͤhnlich dieſe Verwachſungen ſehr entwickelt vorhanden;
es iſt zugleich meiſtens das allgemeine Befinden bereits zu
tief erſchuͤttert, und daher kann auch hier nur ſehr ſelten
(allenfalls beym erſten Ausbruche des Geſchwuͤrs mittelſt Am-
putation der ganzen Bruſt) die Operation Statt finden.


[437]
§. 595.

Die Operation des Skirrhus und Krebſes der Bruſt
(welche zugleich dieſelbe iſt fuͤr anderweitige, fruͤher abgehan-
delte Verhaͤrtungen) wird nun entweder bloß auf das Her-
austrennen der einzelnen ſkirrhoͤſen Stelle ſich beſchraͤnken,
oder die ganze Bruſt hinwegnehmen. Im erſtern Falle macht
man entweder durch eine gebildete Falte auf der Verhaͤrtung
einen Laͤngenſchnitt, oder wenn letztere ſehr groß iſt, oder
ſehr feſt der Haut adhaͤrirt, macht man durch die ange-
ſpannte Haut einen ovalen Schnitt, indem man die verdor-
bene Hautſtelle folglich ſelbſt mit entfernt. Iſt nun der
Skirrhus bloß gelegt, ſo ſchreitet man zum Ausſchaͤlen deſ-
ſelben, wobey man theils den Knoten ſelbſt (mittelſt des ver-
groͤßerten Bromfield’ſchen Hakens etwa) aus der Wunde
etwas hervorhebt, und zugleich die Verbindungen deſſelben
mit den benachbarten Theilen ſo viel als moͤglich ohne Bey-
huͤlfe ſchneidender Inſtrumente, mit dem Finger oder einem
ſtumpfen Meſſer vom Knochen ſorgfaͤltig abtrennt, das Kranke
vollſtaͤndig entfernt und nur die feſtern Stellen, z. B. die
Gefaͤßſtaͤmme u. ſ. w., mit dem Meſſer durchſchneidet.


§. 596.

Waͤhrend dem nun das Ausſchaͤlen des Skirrhus auf
dieſe Weiſe verrichtet wird, entſtehen oͤfters nicht unbetraͤcht-
liche Blutungen aus den gewoͤhnlich krankhaft erweiterten Ge-
faͤßen im Umkreiſe deſſelben, und man muß daher einen Schwamm
nebſt kaltem Waſſer und etwas Weingeiſt bereit halten, um
dadurch die Blutung zu mindern, oder wenn ſie heftiger iſt,
durch Zudruͤcken des blutenden Gefaͤßes vom Finger eines
Gehuͤlfen, oder durch angelegte Unterbindungsfaͤden dieſelbe
beſeitigen.


§. 597.

Iſt die Verhaͤrtung gaͤnzlich herausgenommen, ſo reinigt
man die Wunde und unterſucht ſie ſorgfaͤltig, ob vielleicht
[438] an den Waͤnden derſelben noch verhaͤrtetes Zellgewebe, oder
krankhafte Gefaͤße ſich vorfinden; auch dieſe muͤſſen dann hin-
weggenommen werden, und nun erſt ſchreitet man zum Schluß
der Wunde. In Faͤllen, wo es moͤglich war, den Grund
derſelben von allem Krankhaften zu reinigen, und keine Un-
terbindung von Gefaͤßen noͤthig war, zieht man ſodann die
Wunde durch Heftpflaſterſtreifen zuſammen, bewirkt durch das
Mittel einer ſtarken Compreſſe und umgelegte Binden das
Andruͤcken der Haut an den Grund der Wunde, und ſucht
ſo die ſchnelle Vereinigung zu bewerkſtelligen; außerdem wird
es noͤthig, die Wunde mit Charpie anzufuͤlleu und die Hei-
lung durch Eiterung zu Stande zu bringen.


§. 598.

Iſt nun aber der Skirrhus irgend von betraͤchtlichem
Umfange, ſo thut man auf jeden Fall beſſer, ſogleich die
ganze Bruſt hinwegzunehmen, *) welches dann noch unerlaß-
licher wird, wenn bereits Krebs eingetreten iſt, oder wenig-
ſtens die Bruſt in ihrem ganzen Umfange verhaͤrtet iſt, ja
zuweilen muͤſſen hierbey ſogar, wenn gleichzeitig ſchon eine
oder mehrere Achſeldruͤſen verhaͤrtet ſind (ein Fall, in welchem
freylich zuweilen das Uebel ſchon allzuſehr uͤberhand genom-
men hat und mitunter die Operation gar nicht mehr erlaubt),
auch dieſe mit hinweggenommen werden; obwohl man auch
berechtigt iſt, da, wo etwa dieſe Achſeldruͤſen ſehr tief lie-
gen und die Operation derſelben deßhalb ſehr gefaͤhrlich er-
ſcheint, zuvoͤrderſt die Ausrottung der Bruſt allein zu unter-
nehmen, und unter allgemeiner zweckmaͤßiger Behandlung dann
abzuwarten, ob vielleicht die mitunter (wie durch einige
von Richter angefuͤhrte Faͤlle erwieſen wird) nur conſenſuell
angeſchwollenen Druͤſen ſich von ſelbſt zertheilen, dahingegen
[439] allerdings, ſobald ſie vielmehr ſtaͤrker anſchwellen, ihre Ex-
ſtirpation ungeſaͤumt nachgeholt werden muß.


§. 599.

Die Ausrottung der geſammten Bruſt verrichtet man
am beſten bey einer ſitzenden Stellung der Kranken, wo ſie
von zwey Gehuͤlfen hinlaͤnglich unterſtuͤtzt wird, und nach
hinlaͤnglicher Vorbereitung der Apparate zur Stillung eintre-
tender Blutung und zum Verband. Mehrere haben auch bey
der Kranken, ſelbſt als Vorbereitung zur Operation, die Milch-
diaͤt, mehrere Abfuͤhrungen, das Legen eines Fontanells em-
pfohlen, welches allerdings auch unter manchen Umſtaͤnden,
namentlich bey Neigung zu gaſtriſchen Unordnungen, bey an-
derweitigen, das Uebel unterhaltenden, noch nicht ganz aus-
gerotteten Krankheitsſtoffen gewiß mit Nutzen zu befolgen iſt.
— Die Hautoͤffnung zur Ausſchaͤlung der Bruſt wird ſodann
in ſchiefer Richtung von der Schulter gegen den untern Theil
des Bruſtbeins gemacht, ſo daß zwey halbmondfoͤrmige in der
Mitte (ſobald uͤbrigens die Haut noch geſund iſt) nur gegen
drey Finger breit auseinanderſtehende Schnitte die Warze ein-
ſchließen (iſt die Haut ſelbſt ſchadhaft, ſo muß freylich die
Hautwunde groͤßer werden, allein auch die Heilung erfolgt
dann weniger leicht). Die Laͤnge des Schnittes muß die der
Bruſtdruͤſe aufwaͤrts und abwaͤrts ohngefaͤhr einen Finger breit
uͤbertreffen.


§. 600.

Um nun das Ausſchaͤlen ſelbſt zu bewerkſtelligen, trennt
man erſt den einen Hautlappen von der Bruſt von außen
nach innen, dann die Bruſt vom Bruſtmuſkel und endlich
die Bruſt vom andern Hautlappen von innen nach außen ab.
Indem man hier zuerſt die Bruſt von dem einen und zuletzt
von dem andern Hautlappen abſondert, welches durch das
Meſſer geſchehen muß, nimmt man ſich ſehr in Acht, daß
nichts Krebshaftes an der Haut ſitzen bleibe; und eben ſo
[440] ſorgfaͤltig verfaͤhrt man bey dem Abloͤſen der Bruſt vom Bruſt-
muskel ſelbſt, welches wieder mehr durch die Finger und den
Scalpelſtiel geſchehen muß, indem man ſtets vom untern
Winkel der Wunde anfaͤngt, damit man nicht bey dem Tren-
nen in entgegengeſetzter Richtung zuletzt durch die Blutung
grſtoͤrt werde. Findet man hierbey Bruſt und Bruſtmuskel
feſt verbunden, ſo muß ein Stuͤck des letztern ſelbſt mit hin-
weggenommen werden, und iſt endlich die Bruſt ganz hinweg-
genommen, ſo muß man den Grund der Wunde nochmals
auf das Genaueſte unterſuchen, damit alles, was noch irgend
verdaͤchtig ſcheinen koͤnnte, voͤllig hinweggenommen werde;
hierauf laͤßt man die Wunde etwas ausbluten, ſtillt ſodann
das Blut durch Aufdruͤcken eines in kaltes Waſſer mit etwas
Weingeiſt getanchten Schwammes, oder bey groͤßern Gefaͤßen
durch die Unterbindung.


§. 601.

Das Schließen der Wunde geſchieht in den meiſten Faͤl-
len bloß durch Heftpflaſterſtreifen, nur, wo ſehr viel Haut
verloren gegangen iſt, moͤchte die blutige Nath nicht ganz
zu entbehren ſeyn. Man bedeckt die Wunde ſodann durch
eine ſtarke Compreſſe und befeſtigt dieſelbe durch die von
Richter*) empfohlne Binde. Zugleich muͤſſen die Bewegun-
gen des Arms dieſer Seite durch Tragen in einer Binde be-
ſchraͤnkt und ein antiphlogiſtiſches Verhalten beobachtet wer-
den. Die weitere Behandlung hat nichts Ausgezeichnetes.
Da man zuweilen uͤble Zufaͤlle in der Wunde vom Eintritt
der monatlichen Periode bemerkt hat, ſo thut man wohl, die
Operation ſtets nach dem letzten Eintritt dieſer Periode zu
unternehmen. — Iſt nun aber endlich auch die Wunde wirk-
lich gluͤcklich geheilt, ſo muß demohnerachtet die Kur noch
nicht als voͤllig beendigt angeſehen, ſondern es muͤſſen alle
die oben (§. 588 — 590.) genannten Maaßregeln fortwaͤh-
[441] rend angewendet werden, welche dazu dienen koͤnnen, auch
die im Allgemeinen begruͤndete krankhafte Reproduction zu be-
ſeitigen; zugleich muß die Narbe fortwaͤhrend durch ein auf-
gelegtes Thierfell warm gehalten und gegen alle Reizung ge-
ſchuͤtzt werden, und nur durch gleichzeitiges Beobachten aller
dieſer Heilregeln kann denn mitunter die voͤllige Geneſung
gehofft werden.


V.
Von einigen krankhaften Zuſtaͤnden der
aͤußern Geſchlechtstheile
.

§. 602.

Die aͤußern weiblichen Geſchlechtstheile koͤnnen, außer-
dem daß ſie, wie jeder anderer Theil der Oberflaͤche des Koͤr-
pers, verſchiedenen Verletzungen unterworfen ſind, welche
dann nicht weſentlich andere Behandlung als an andern Stel-
len des Koͤrpers fordern, vorzuͤglich mancherley Degeneratio-
nen, oder auch wohl krankhafte Ausſonderungen zeigen, von
denen wir noch einige der wichtigſten beſonders auffuͤhren
muͤſſen.


§. 603.

Erſtens die Verletzungen betreffend, ſo iſt hier
namentlich der Zufaͤlle zu gedenken, welche bey Neuverheira-
theten mitunter auf die Verletzung des Hymens folgen und
zu welchen ſich, namentlich bey betraͤchtlicher Engigkeit der
Scheidenoͤffnung, leicht Entzuͤndung und Anſchwellung der
Schamlefzen geſellen. Man wird dieſe Zufaͤlle am ſchnellſten
durch Anwendung ſolcher Mittel beſeitigen, welche auch an
andern Stellen des Koͤrpers, ſobald Quetſchung und Druck
allein die Oberflaͤche wund gemacht haben, am ſchnellſten
Huͤlfe gewaͤhren; Umſchlaͤge von Bleywaſſer, oder vom Ab-
ſud der Hb. serpilli, absynthii, des Cort. Quercus u. ſ. w.,
[442] mit etwas Wein oder Branntwein vermiſcht, ſind daher in
Anwendung zu ziehen, und werden in Verbindung mit ge-
hoͤriger Ruhe und Schonung das Uebel bald mindern.


§. 604.

Zweytens, zu den krankhaften Ausſonderun-
gen
gehoͤrt die Art des weißen Fluſſes, welche in den aͤußern
Genitalien ihren Sitz hat und ſchon oben erwaͤhnt worden iſt.
Gewoͤhnlich iſt ſie Folge lokal einwirkender Reize, z. B. der
Maſturbation oder der Aſkariden. Sie kann ſich uͤbrigens
nicht bloß an den eigentlichen Schamtheilen, ſondern, wie
ich in einem Falle ſah, auch an dem Warzenhofe vorfinden,
fordert aber immer zu ihrer Beſeitigung vorzuͤglich die aͤußer-
lichen, die wuchernde Reproduction und Secretion beſchraͤn-
kenden Mittel, welche oben (§. 393 — 395) gegen die Leu-
korrhoͤe, auch der innern Geſchlechtstheile, empfohlen worden
ſind, benebſt der Entfernung der die krankhafte Abſonderung
ſelbſt bedingenden Reize.


§. 605.

Drittens, die Ausartungen und Verunſtaltun-
gen der aͤußern Genitalien betreffend, ſo gehoͤren hieher die
Anſchwellungen und abnormen Verlaͤngerungen der Klitoris
und der Schamlefzen, die warzenaͤhnlichen Auswuͤchſe an den-
ſelben, die Bruchgeſchwuͤlſte der Schamlefzen, ſo wie der durch
Zerreißung verurſachte Mangel des Schambaͤndchens oder des
Mittelfleiſches. Ruͤckſichtlich der chroniſchen Anſchwel-
lungen
der aͤußern Schamtheile, ſo koͤnnen ſie von ſehr
verſchiedenen Urſachen entſtehen, und ſind bald von varikoͤſer,
bald von oͤdematoͤſer Beſchaffenheit. Sie zeigen ſich vorzuͤg-
lich bey Schwangern und werden oft fuͤr das Geburtsgeſchaͤft
ſtoͤrend, weßhalb ſie im zweyten Theile ausfuͤhrlicher betrach-
tet werden muͤſſen. Haͤufig aber ſind es wirklich wuchernde
Fortbildungen (gleich den Wucherungen in der Subſtanz der
Gebaͤrmutter und Eyerſtoͤcke), und dann bewirken ſie die be-
[443] deutendſten Verunſtaltungen, denen namentlich die Nymphen
oft in ſehr hohem Grade ausgeſetzt ſind.


§. 606.

Auch zu dieſen krankhaften Zuſtaͤnden geben theils ge-
ſchlechtliche Ausſchweifungen, theils aber vorzuͤglich vorausge-
gangene ſyphilitiſche Zuſtaͤnde Veranlaſſung. Ihre Beſeitigung
geſchieht am kuͤrzeſten und vollkommenſten durch das Meſſer,
ſobald wirklich die Groͤße oder Verunſtaltung von der Art iſt,
daß ſie den Verrichtungen dieſer Theile hinderlich wird, und
zwar ganz ſo, wie fruͤher bey den angebornen Mißbildungen
gelehrt worden war (ſ. §. 135.). Beyſpiele von unternom-
menen Ausrottungen dieſer Art lehrten, daß nicht nur die
dadurch veranlaßten Wunden bald heilten, ſondern ſelbſt da-
durch die Empfindlichkeit der aͤußern Geburtstheile und der
Reiz zum Coitus nicht verloren ging.*)


§. 607.

Zu dieſer Art von Ausartung an den aͤußern Ge-
ſchlechtstheilen gehoͤren ferner auch die warzenartigen
Auswuͤchſe
, welche beſonders haͤufig die Folge von nicht
vollkommen geheilter Syphilis ſind, und oft auf der Stelle
ſelbſt, wo veneriſche Geſchwuͤre geheilt ſind, zum Vorſchein
kommen, bald an den aͤußern, bald an den innern Scham-
lefzen, oder an den Carunculis myrthiform. gefunden wer-
den, zuweilen in ſehr betraͤchtlicher Menge, zuweilen nur
einzeln vorhanden ſind, und mitunter (wie auch von Clar-
ke
**)) bemerkt wird, ſelbſt an Stellen vorkommen, die vor-
her nicht an Syphilis gelitten haben.


[444]
§. 608.

Die Warzen ſind von ungleicher Oberflaͤche und wenig
veraͤnderter Hautfarbe; ſie ſind von geringer Empfindlichkeit,
wachſen aber ſchnell, verurſachen auf der gegenuͤberliegenden
Wandung der Geſchlechtstheile anhaltende Reizung, und, ſo-
bald ſie in groͤßerer Anzahl vorhanden ſind, einen ſchleimi-
gen Ausfluß.


§. 609.

Da dieſe Auswuͤchſe faſt immer veneriſchen Urſprungs
ſind, ſo muß man, wenn gleichzeitig noch andere Spuren
der Anſteckung oder wohl gar noch offene Geſchwuͤre gefun-
den werden, zunaͤchſt zur antiſyphilitiſchen Behandlung durch
Merkurialmittel ſchreiten, und damit fortfahren, bis alle nach
Heilung der Chanker etwa zuruͤckgebliebene Haͤrte verſchwun-
den iſt. Die Warzengeſchwuͤlſte ſelbſt werden am beſten
durch Wegſchneiden mittelſt der Schere entfernt, nur wo we-
nige Warzen ſich vorfinden und bey ſehr empfindlichen Sub-
jekten kann man ſtatt deſſen das Abbinden durch einen ſeide-
nen gewichſten Faden waͤhlen. Wo ſie dagegen ſehr zahl-
reich ſitzen, rathet Clarke, die ganze Hautpartie, auf wel-
cher ſie ſich befinden, durch einen Schnitt mit der Schere
zu entfernen. Die Blutung kann man durch Betupfen mit
Hoͤllenſtein ſtillen, und die Wunden heilen gewoͤhnlich ſehr
bald.


§. 610.

Wo durch Syphilis die Haut der Schamlefzen uͤber-
haupt verhaͤrtet und zu dergleichen Excreſcenzen geneigt iſt,
oder auch, wo die Warzen gern nach der Ausrottung wie-
derkehren, iſt es zweckmaͤßig, Mittel anzuwenden, welche die
Thaͤtigkeit der feinern Gefaͤße in dieſen Theilen erhoͤhen und
einen regern Stoffwechſel und dadurch geſundere Produktivi-
taͤt befoͤrdern. Dazu dienen aromatiſche Bidetbaͤder, die
Aqua phagadaenica, die Aufloͤſung von Kupfervitriol, von
[445] Hoͤllenſtein u. ſ. w. Um endlich den zuweilen nachbleibenden
Schleimfluß zu heilen, wird man nach aͤhnlichen Regeln,
wie oben (§. 604.) gegeben ſind, verfahren.


VI.
Von einigen krankhaften Zuſtaͤnden der
weiblichen Harnwege
.

§. 611.

Es iſt hier endlich noch der Ort derjenigen krankhaften
Zuſtaͤnde der Harnwerkzeuge zu erwaͤhnen, welche dem weib-
lichen Geſchlecht eigenthuͤmlich ſind, und es verſteht ſich ſo-
nach von ſelbſt, daß die Krankheiten der Nieren, der Urete-
ren, und ſelbſt die mehreſten derer, welche die Blaſe befallen
koͤnnen, nicht hierher zu rechnen ſind. *). D gegen bietet die
weibliche Harnroͤhre mehrere Ausartungen dar, und dieſe
ſowohl, als die beſondere Art, erzeugte Harnſteine aus der
Blaſe zu entfernen, machen hier noch eine eigene Betrach-
tung noͤthig.


1) Von der betraͤchtlichen Erweiterung der weib-
lichen Harnroͤhre
.

§. 612.

Dieſer Kanal, welcher uͤberhaupt an Weite bey Frauen,
vorzuͤglich wenn ſie ein oder mehrere Male geboren haben,
die Weite der jungfraͤulichen Urethra bedeutend uͤbertrifft, be-
ſitzt eine ſo große Ausdehnbarkeit, daß man in einzelnen
Faͤllen ihn bis zum Durchmeſſer eines halben oder ganzen
Zolles erweitert gefunden hat, und dadurch oͤfters (obwohl
[446] nicht immer) ein gaͤnzliches Unvermoͤgen, den Urin zuruͤck-
zuhalten, entſtehen ſah. Die Urſache dieſer Erweiterung
wird immer durch aͤußere mechaniſche Kraft gegeben, und
theils kann ſie durch gewaltſames Einbringen fremder Koͤrper
in die Harnblaſe *), theils durch den Coitus bewerkſtelligt
werden, welcher vorzuͤglich bey Frauen mit voͤllig oder groͤß-
tentheils verwachſener Mutterſcheide oft lange Zeit auf die-
ſem Wege ausgeuͤbt worden iſt, wovon Champion im
Journal universel des sciences mèdicales (Mai 1819. p.
241.) einen merkwuͤrdigen Fall bekannt maͤcht, und daſelbſt
zugleich die Beobachtungen von Turner, Latour, Mor-
gagni
und Andern zuſammenſtellt.


§. 613.

Die Behandlung einer ſolchen krankhaften Ausdehnung
wird zunaͤchſt auf Beſeitigung der erregenden Urſache gerich-
tet ſeyn, daher in mehreren ſolchen Faͤllen die Operation der
Atresia hymenaica (ſ. §. 137.) und die Eroͤffnung des na-
tuͤrlichen Geſchlechtsweges die vollkommenſte Huͤlfe gewaͤhrt;
außerdem aber koͤnnen und muͤſſen, namentlich ſobald In-
continentia urinae
ſich eingeſtellt hat, Mittel, welche oͤrt-
lich die Contraktilitaͤt erhoͤhen, angewendet werden, und kalte
Fomentationen von rothem Wein, dem Aufguß von Serpil-
lum, Absynthium,
mit der TR. terrae Catechu, nebſt Ein-
bringen eines Schwammes durch aͤhnliche Fluͤſſigkeiten be-
feuchtet, in die Vagina, ſind deßhalb zu empfehlen.


[447]
2) Gefaͤßgeſchwulſt der Muͤndung der Harnroͤhre und
Verdickung der die Harnroͤhre umgebenden Zellhaut, nebſt
varikoͤſer Beſchaffenheit ihrer Gefaͤße
.

§. 614.

Beide Krankheitsformen werden von Clarke, *) wel-
cher ihnen zuerſt eine naͤhere Aufmerkſamkeit gewidmet hat,
als zwey verſchiedene Zuſtaͤnde beſchrieben, ſtimmen aber
offenbar im Weſentlichen voͤllig uͤberein. Die Gefaͤßgeſchwulſt
der Harnroͤhrenmuͤndung naͤmlich beſchreibt derſelbe als eine
auf dem Rande der Harnroͤhrenoͤffnung ſitzende, ſcharlach-
rothe, blutreiche, etwas koͤrnige Geſchwulſt, welche aͤußerſt
beweglich, bey dem Urinlaſſen und Unterſuchen ſehr ſchmerz-
haft, und gewoͤhnlich von einem ſchleimigten Ausfluſſe be-
gleitet ſey. Die Verdickung der Harnroͤhre aber ſoll ſich
durch Beſchwerde und Schmerz waͤhrend des Coitus, durch
einen zum Theil wohl von der innern Haut der Harnroͤhre
erregten Schleimfluß, und durch die fuͤhlbare Geſchwulſt hin-
ter den Schamknochen zu erkennen geben. Uebrigens ſeyen
die Gefaͤße der Urethra ſehr angeſchwollen, und zwar ganz
vorzuͤglich in aufrechter Stellung der Kranken; wenn dieſelbe
etwas preßt, werde die Geſchwulſt ſelbſt aͤußerlich ſichtbar;
beſonders aber werde die Kranke dadurch beſchwert, daß im
hintern Theile der Harnroͤhre gewoͤhnlich eine Vertiefung ſich
bilde, in welcher einige Tropfen Urin ſich anſammeln und
ein ſtetes Draͤngen zum Waſſerlaſſen verurſachen.


§. 615.

Unterſucht man nun naͤher, wodurch dieſe verſchiedenen
Symptome eigentlich veranlaßt werden, ſo erkennt man bald,
daß bloß ein krankhafter Zuſtand des Venenſyſtems, welches
in den weiblichen Geſchlechtstheilen an ſich ſo ſehr uͤberwie-
gend iſt, dieſelben bedingen. Es gerathen naͤmlich, vorzuͤg-
[448] lich bey jungen vollſaftigen Frauen, zumal wenn dieſe Theile
durch ausſchweifende Lebensweiſe oͤfters gereizt werden, die
Venen der Vagina ſowohl als der Urethra leicht in einen Zu-
ſtand bleibender Ueberfuͤllung, ſchwellen an und erregen da-
durch Zufaͤlle, welche den Haͤmorrhoidalbeſchwerden ganz ana-
log ſind, wie dieſe ſich mit Tenesmus, vermehrter Empfind-
lichkeit und Schleimabgang gern verbinden, und ſelbſt zu
wuchernden Auswuͤchſen oder entzuͤndlichen Zuſtaͤnden Veran-
laſſung werden koͤnnen. Erfolgt dieſes mehr an der Muͤn-
dung der Haͤrnroͤhre, ſo bildet dies die erſte, entſteht es im
ganzen Verlaufe derſelben, ſo bildet es die zweyte der von
Clarke beſchriebenen Krankheitsformen.


§. 616.

Die Behandlung anlangend, ſo muß ſie theils allge-
mein, theils oͤrtlich ſeyn; in erſterer Hinſicht, welche na-
mentlich, wo das Uebel die ganze Urethra trifft, von Wich-
tigkeit iſt, muß die Kranke auf eine kuͤhlende antiphlogiſtiſche
Diaͤt und Lebensordnung geſetzt werden, gelinde Abfuͤhrmittel
aus den Schwefelblumen und Weinſteinrahm, der Pulpa ta-
marindorum
u. ſ. w. ſind anzuwenden, und alle Reize, wo-
durch die Geſchlechtswerkzeuge und Harnwege aufgeregt werden
koͤnnten, ſorgfaͤltig zu vermeiden. Iſt die Plethora uͤberdies
betraͤchtlich, die Menſtruation vielleicht ſparſam oder unter-
druͤckt, ſo koͤnnen ſelbſt allgemeine Blutentziehungen mit Nutzen
angewendet werden.


§. 617.

Was die Gefaͤßgeſchwulſt an der Muͤndung der Harn-
roͤhre betrifft, ſo rathet Clarke vorzuͤglich zur Wegſchaf-
fung derſelben entweder durch die Abbindung oder durch die
Schere, welches allerdings, ſobald ſie eine betraͤchtliche Groͤße
und Schmerzhaftigkeit erreicht hat, das zweckmaͤßigſte bleibt,
dahingegen bey einem geringern Grade des Uebels oft ſchon
adſtringirende kalte Fomentationen aus dem Aufguß von Ab-
[449] sinthium, serpillum,
mit rothem Wein, Tinct. Terrae Ca-
techu
u. ſ. w., nebſt dem Einlegen einer ſtarken Kerze und
dem dadurch verurſachten Zuſammendruͤcken der Geſchwulſt
vollkommen ausreichen. Wird die Ausrottung nothwendig,
ſo iſt die Ligatur vorzuziehen, welche meiſtens in Zeit von
vierundzwanzig Stunden das Uebel beſeitigt. Bey dem Weg-
nehmen mit der Schere wird von Clarke das Betupfen mit
dem Causticum commune mitius vorzuͤglich empfohlen, um
das Wiederkehren der Geſchwulſt zu verhindern.


§. 618.

Bey aͤhnlichen Anſchwellungen der innern Harnroͤhren-
wandung uͤberhaupt iſt die Behandlung zwar namentlich auf
das oben erwaͤhnte allgemeine Verfahren eingeſchraͤnkt, außer-
dem aber ſind hier ganz vorzuͤglich die oͤrtlichen Blutent-
ziehungen unentbehrlich, entweder durch Anſetzen von Blut-
igeln neben den großen Schamlefzen, oder nach Clarke’s
Rath durch unmittelbares Eroͤffnen der ſtaͤrker angeſchwolle-
nen Venen auf der innern hervorgetretenen Flaͤche der Ure-
thra. Nach vollzogener Blutentleerung aber muͤſſen dann
wieder die im vorigen Paragraph angeruͤhrten Mittel, oder,
bey großer Empfindlichkeit, das Kalk- oder Bleywaſſer kalt
angewendet werden, und ſie koͤnnen auch hier durch den Druck
einer Kerze unterſtuͤtzt werden.


3) Von den Steinbeſchwerden des weiblichen
Geſchlechts
.

§. 619.

Vermoͤge der betraͤchtlicheren Weite der weiblichen Ure-
thra iſt es zwar ſeltener, daß bey Frauen ſich groͤßere Steine
in der Harnblaſe erzeugen koͤnnen, indem ſie gewoͤhnlich bald
nach ihrer Bildung ausgeſtoßen werden; demohnerachtet kommt
es zuweilen vor, und es iſt beſonders noͤthig, daß der Arzt
fuͤr Frauenkrankheiten darauf achte und die Zeichen derſelben
I. Theil. 29
[450] kenne, weil er die Urſachen der Schmerzen und ſonſtigen Be-
ſchwerden außerdem leicht in den Geſchlechtsorganen ſelbſt
ſuchen und dadurch von Ergreifung eines allein zweckmaͤßigen
Heilverfahrens abgehalten werden koͤnnte.*)


§. 620.

Als Zeichen des Blaſenſteins ſind vorzuͤglich die mannich
faltigen ſchmerzhaften Empfindungen in der Blaſengegend zu
betrachten, welche in hohem Grade zunehmen, wenn die
Kranke ſich viel bewegt oder laͤngere Zeit ſteht. Vorzuͤglich
nach der Entleerung der Blaſe vom Urin bleiben krankhafte
Empfindungen zuruͤck, ja der Abfluß des Urins ſelbſt wird
oft ploͤtzlich (indem ſich der Stein vorlegt) unterbrochen,
und nur, nachdem die Kranke die horizontale Lage angenom-
men hat, wird der Abgang wieder frey. Zugleich bewirkt
der Reiz des Steins conſenſuelle Erregungen benachbarter Or-
gane, Jucken der aͤußern Geſchlechtstheile, Preſſen, Drang
zum Stuhlgange, ja wirkliche Zufaͤlle einer Blaſenentzuͤndung
(vorzuͤglich wenn der Stein ſehr uneben iſt), oder Schleim-
fluͤſſe aus der Mutterſcheide und Harnroͤhre. Der Urin ſelbſt
iſt meiſtens truͤbe, mit vielem Schleim, oft mit Eiter oder
Blut vermiſcht, und ſetzt gewoͤhnlich (welches eins der wich-
tigſten Kennzeichen abgiebt) bey ruhigem Stehen Sand ab.


[451]
§. 621.

Ganz zuverlaͤßig indeß kann man ſich vom Vorhanden-
ſeyn des Steins erſt durch das Sondiren der Harnblaſe
mittelſt des Catheters uͤberzeugen, wobey uͤbrigens, wenn
vielleicht der Blaſenſtein in einer Falte oder Vertiefung der
Blaſe ſich verbergen ſollte, die Kranke den Urin ſo lange an-
halten muß, bis zu erwarten iſt, daß durch dieſe Ausdeh-
nung der Stein ſelbſt frey geworden ſey. Auch von der Be-
ſchaffenheit der Oberflaͤche, von der Groͤße des Steins kann
der Arzt durch dieſe Unterſuchung Kenntniß erhalten, ja man
iſt zuweilen recht wohl im Stande, den Stein durch den in
die Vagina eingebrachten Finger ſelbſt zu erreichen und zu
unterſuchen.


§. 622.

Was nun die Urſachen zur Entſtehung des Steins, die
aͤrztliche Behandlung der Anlage zur Steinerzeugung und die
Anwendung der Mittel, um die Aufloͤſung des Steins zu
bewirken, betrifft, ſo kann dieſes weiter nicht Gegenſtand
unſerer Eroͤrterungen ſeyn, da es nicht weſentlich von dem
abweicht, was uͤber die Steinkrankheit uͤberhaupt die ſpecielle
Therapie lehrt. Es iſt daher nur zu erwaͤhnen, theils daß
die Methode, den Stein durch Einſpritzung chemiſcher, der
Natur des Steins angemeſſener Fluͤſſigkeiten aufzuloͤſen, *)
hier wegen der Weite und Kuͤrze der weiblichen Urethra leich-
ter Anwendung findet, theils daß die Methode, den Stein
durch die Operation wegzunehmen, gleichfalls leichter als
beym maͤnnlichen Geſchlecht, uͤberhaupt aber in mehrerer Hin-
ſicht von dem im maͤnnlichen Geſchlecht zu unternehmenden
Steinſchnitt verſchieden ſey, woruͤber daher noch Einiges bey-
zufuͤgen iſt.


[452]
§. 623.

Man hat aber bey der Steinoperation im weiblichen
Geſchlecht mehrere Arten zu unterſcheiden: erſtens naͤmlich
die Extraction ohne Schnitt, durch die bloße Ausdehnung
der Urethra, wobey der Stein entweder aus der Harnblaſe
ſelbſt, oder aus der Harnroͤhre, wenn er bereits in dieſe
herabgetreten iſt, ausgezogen wird, und zweytens die Ex-
traction durch den Schnitt.


§. 624.

Da, wie ſchon oben erwaͤhnt, die Ausdehnbarkeit der
weiblichen Harnroͤhre ſehr groß iſt, ſo verdient die Auszie-
hung des Steins ohne Schnitt in allen Faͤllen, wo man
ſich durch ſorgfaͤltige Unterſuchung von der Kleinheit des
Steins uͤberzeugt hat, den Vorzug. Die Ausdehnung ſelbſt
muß, damit nicht ein Unvermoͤgen, den Harn zu halten, zu-
ruͤckbleibe, ſehr langſam gemacht werden, und man kann ſich
zu dieſem Endzweck entweder nach Bromfield eines klei-
nen thieriſchen Blinddarms bedienen, welcher erſt durch eine
Sonde in die Blaſe gebracht, und dann durch eingeſpritztes
Waſſer ausgedehnt wird, oder, nach Richter, zweyer Con-
ductoren, von welchen der maͤnnliche zuerſt auf einer geraden
Hohlſonde, und dann der weibliche auf dem maͤnnlichen ein-
gebracht wird, und wodurch man, indem der eine unbeweg-
lich unter dem Schambogen liegt und der zweyte beweglich
nach unten und rechts und links bewegt wird, die Urethra
allmaͤhlig ſo weit ausdehnt, bis der Stein gefaßt und, wie
in andern Faͤllen durch die Schnittwunde, ausgezogen wer-
den kann. — Steckt der Stein bereits in der Harnroͤhre
(welches jedoch beym weiblichen Geſchlecht ſelten vorkommt),
ſo kann er gewoͤhnlich mittelſt eines kleinen gebogenen Stein-
loͤffels ausgezogen werden; außerdem muͤßte die Harnroͤhre
ſeitwaͤrts geſpalten, und dann das Ausziehen verrichtet
werden.


[453]
§. 625.

Die Ausziehung des Steins durch den Schnitt ge-
ſchieht am beſten ſo, daß nach eingebrachter gerinnter Sonde
zuerſt mittelſt eines ſchmalen geraden ſtumpfſpitzigen Biſtu-
ri’s ſeitwaͤrts in der Richtung nach der Mitte, zwiſchen der
Oeffnung des Afters und dem Sitzbeinhoͤcker (um die Mut-
terſcheide nicht zu verletzen), eingeſchnitten, dann in die
Schnittwunde auf der Sonde das Gorgeret und endlich auf
dieſem die Steinzange eingebracht wird, um ſo nach denſelben
Regeln, wie beym maͤnnlichen Geſchlecht, den Stein zu faſ-
ſen und auszuziehen. Fuͤr ſehr große Steine hat man zu-
weilen den Steinſchnitt durch die Mutterſcheide zu machen
empfohlen; allein immer wird hier zu fuͤrchten ſeyn, daß
eine Fiſtel zuruͤckbleibe, oder es ſind andere, beſonders fuͤr
nachfolgende Entbindungen unangenehme Zufaͤlle nicht zu
vermeiden, weshalb es denn fuͤr aͤhnliche Faͤlle allerdings
zweckmaͤßiger ſeyn duͤrfte, die hohe Geraͤthſchaft anzuwenden,
und den Stein ſonach uͤber dem Schambogen herauszuneh-
men, wobey der Vortheil Statt findet, daß man ihn durch
die Mutterſcheide gegen die Wunde hindruͤcken kann. —
Die Behandlung nach der Operation iſt uͤbrigens von der
beym maͤnnlichen Geſchlecht anwendbaren nicht weſentlich un-
terſchieden.


[454]
Dritte Abtheilung.
Von den Krankheiten in der letzten Lebens-
periode des weiblichen Koͤrpers.

§. 626.

Es iſt bereits fruͤher (§. 81.) erwaͤhnt worden, daß
in dem hoͤhern Lebensalter des Weibes eigenthuͤmliche Krank-
heiten faſt eben ſo wenig als in der erſten Lebensperiode
vorkommen, wovon der Grund in dem hier immer ſichtbarer
werdenden Erloͤſchen der Geſchlechtseigenthuͤmlichkeit uͤberhaupt
geſucht werden muß. Wenn aber auch neue, dieſer letzten
Periode ausſchließend eigene Krankheitsformen kaum aufge-
fuͤhrt werden koͤnnen, ſo iſt es dagegen um ſo haͤufiger, daß
Krankheiten, welche wir unter der zweyten Abtheilung haben
kennen lernen, in dieſe dritte Periode ſich fortpflanzen. Vor-
zuͤglich gehoͤren dahin alle diejenigen, welche an und fuͤr ſich
ſelbſt auf Schlaffheit und Abwelken oder Degeneriren der Ge-
ſchlechtsorgane beruhen; daher kommen denn paſſive Blutun-
gen, Schleimfluͤſſe, Verhaͤrtungen oder Verknoͤcherungen der
Geſchlechtstheile, fehlerhafte Lagen derſelben, krebshafte Zu-
ſtaͤnde, polypoͤſe Auswuͤchſe u. ſ. w., in den hoͤhern Jahren
des weiblichen Geſchlechts ſehr haͤufig vor, indem ſie entwe-
der aus den fruͤheren Jahren mit in dieſe ſpaͤtern uͤbergetra-
gen werden, oder indem ſie wirklich erſt in den Jahren nach
Erloͤſchen der Menſtruation entſtehen, wenigſtens durch dieſe
Revolution verſchlimmert werden, oder einen andern Cha-
rakter annehmen.


§. 627.

Bey allen dieſen Beſchwerden kann nun auch in den
hoͤhern Lebensjahren eine andere Behandlung, als bereits oben
angegeben worden, nicht Statt finden, und wir muͤſſen hier-
uͤber auf die zweyte Abtheilung zuruͤckweiſen. Dagegen blei-
[455] den uns hier noch diejenigen Regelwidrigkeiten zu betrachten
uͤbrig, welche das Aufhoͤren der Menſtruation verurſacht, in-
dem es entweder zu zeitig erfolgt, oder der Monatsfluß zu
lange andauert.


I.Zu zeitiges Erloͤſchen der Menſtrual-
function
.

§. 628.

So wie der Eintritt der Menſtruation nach der ver-
ſchiedenen Individualitaͤt an ſehr verſchiedene Jahre geknuͤpft
iſt, und ſonach der Begriff der zu zeitigen Menſtruation bloß
nach der Einwirkung der erſcheinenden Regeln auf das All-
gemeinbefinden abgemeſſen werden konnte, ſo muͤſſen wir auch,
da gleicher Weiſe das Aufhoͤren der Menſtruation nicht in
allen Frauen an denſelben beſtimmten Zeitpunkt geknuͤpft iſt,
das zu zeitige Aufhoͤren derſelben nur in den Faͤllen an-
nehmen, wo bemerkt wird, daß dadurch eine Dis-
harmonie mit den uͤbrigen koͤrperlichen Functio-
nen geſetzt, und krankhafte Zufaͤlle veranlaßt
werden
.


§. 629.

Die Urſachen und Folgen des zu zeitigen Verſchwindens
der Menſtruation haben Vieles gemein mit dem, was fruͤher
uͤber die ſparſame, ſeltene und unterdruͤckte Menſtruation be-
merkt worden iſt. Bedingt wird das zeitigere Aufhoͤren der
Regeln naͤmlich wiederum theils durch lokale, theils durch
allgemeine Regelwidrigkeiten: die lokalen beſtehen vorzuͤglich
in krankhaften Zuſtaͤnden des Uterus ſelbſt, in Degeneratio-
neu ſeiner Subſtanz, in Schleimfluͤſſen u. ſ. w., wobey die
Folgen fuͤr das allgemeine Befinden ſtets um ſo betraͤchtli-
cher ſeyn werden, je mehr die Reproduction uͤberhaupt noch
kraͤftig iſt. Dieſe Folgen beſtehen dann in Congeſtionen, vi-
kariirenden Blutungen, und als Ruͤckwirkungen des Gefaͤß-
[456] ſyſtems auf das Nerven- und Verdauungsſyſtem in vielfachen
hyſteriſchen, rheumatiſchen, gichtiſchen Zufaͤllen und mannich-
faltigen Ver auungsbeſchwerden, welche Leiden dann ſaͤmmt-
lich oft durch die oͤrtlichen krankhaften Zuſtaͤnde, die dadurch
verurſachten Schmerzen, Ruͤckwirkungen auf benachbarte Or-
gane u. ſ. w., erhoͤht werden.


§. 630.

Von allgemeinen Krankheitszuſtaͤnden, welche das zei-
tigere Aufhoͤren der Menſtruation bedingen, iſt vorzuͤglich der
Erſchoͤpfung reproduktiver Thaͤtigkeit, durch akute oder chro-
niſche Krankheiten, unter welchen vorzuͤglich die mannichfa-
chen Unterleibsleiden durch die im hoͤhern Alter ſo oft ein-
tretenden Unordnungen im Pfortaderſyſtem zu erwaͤhnen ſind,
oder durch unguͤnſtige aͤußere Verhaͤltniſſe, ungeſunde Luft
und Nahrung, durch Gemuͤthsleiden u. ſ. w., zu gedenken.
Hier iſt das Außenbleiben der Menſtruation bloß Symptom
der allgemeinen Krankheit, und kann auch an und fuͤr ſich
einer beſondern Behandlung nicht unterworfen ſeyn. — Es
iſt ſonach fuͤr alle Faͤlle zu zeitig verſchwindender Menſtruation
eine genaue Unterſuchung des Zuſtandes der Geſchlechtsorgane
ganz vorzuͤglich wichtig, um ſowohl die Prognoſe als den
Punkt, auf welchen die aͤrztliche Huͤlfsleiſtung zu wirken
habe, naͤher zu beſtimmen.


§. 631.

Ruͤckſichtlich der Behandlung iſt auch hier ganz vorzuͤg-
lich vor dem bloß ſymptomatiſchen Verfahren zu warnen,
welches darauf ausgeht, nur den Blutfluß ſelbſt wiederum
durch Anwendung treibender Mittel u. ſ. w. hervorzurufen;
vielmehr muß es der Hauptzweck des Arztes bleiben, das
Gleichgewicht allgemeiner organiſcher Thaͤtigkeit wiederherzu-
ſtellen, oͤrtliche Krankheiten der Geſchlechtsorgane nach oben
angegebenen Regeln moͤglichſt zu beſeitigen, und dann unter
einem angemeſſenen Verhalten der Kranken abzuwarten, ob
die periodiſche Blutausſcheidung noch fuͤr einige Zeit wieder-
[457] kehre oder nicht, in welchem letztern Falle ſodann gewoͤhnlich
nur die Vermeidung von allen das Gefaͤß- und Nervenſy-
ſtem gewaltſam erregenden Einfluͤſſen das allgemeine Wohl-
befinden zu erhalten vermag.


II.Von der zu lange fortdauernden Men-
ſtrualfunction
.

§. 632.

Auch dieſe Regelwidrigkeit laͤßt ſich, gleich der vorher-
gehenden, nicht nach einem gewiſſen Lebensalter, ſondern nach
der Ruͤckwirkung auf das allgemeine Befinden definiren, und
ſteht in ſofern namentlich der zu reichlichen oder zu haͤufigen
Menſtruation nahe.


§. 633.

Die krankhafter Weiſe zu lange fortdauernde Menſtrua-
tion kann vorzuͤglich in dreifacher Hinſicht verurſacht wer-
den: entweder durch allgemeine Vollſaftigkeit in Folge ſehr
reichlich naͤhrender Diaͤt und ſitzender Lebensweiſe, wobey
durch die Menſtruation ſelbſt zwar fuͤr den Augenblick Er-
leichterung geſchafft wird, aber zugleich durch die oͤfters wie-
derkehrenden Congeſtionen nach den Geſchlechtsorganen paſ-
ſive Blutungen und vielfaͤltige Degenerationen vorbereitet wer-
den; oder die andauernde Menſtruation wird bedingt durch
ſehr erhoͤhte Erregbarkeit der Geſchlechtsorgane, welche die
Folge iſt einer im Allgemeinen ſehr reizbaren Conſtitution,
oder einer reizenden, erhitzenden Diaͤt, oder ausſchweifender
Lebensart; oder endlich, es ſind organiſche Krankheiten der
Geſchlechtstheile und namentlich des Uterus vorhanden (wo-
hin vorzuͤglich die fehlerhaften Lagen und die ſchwammige
Auflockerung ſeiner Subſtanz gehoͤren), welche dieſe andauern-
den periodiſchen Blutergießungen bedingen.


[458]
§. 634.

Die Folgen des durch die letztern beiden Urſachen be-
dingten verlaͤngerten Menſtrualfluſſes ſind gewoͤhnlich weit
eindringender und gefaͤhrlicher, als des durch die erſtere ver-
anlaßten; ſie beſtehen in Entkraͤftung, Stoͤrung der Ver-
dauungsfunction, Schleimfluͤſſen, Waſſerſuchten, Fieberbewe-
gungen u. ſ. w., ja ſie geben wohl zu wahren Metrorrha-
gien Veranlaſſung und koͤnnen unmittelbar toͤdtlich werden.


§. 635.

Die Behandlung muß gaͤnzlich den genannten Urſachen
entſprechen, darf daher nie direkt die Unterdruͤckung dieſer
Blutergießung ſich zum Zweck machen, und muß daher ganz
nach den Grundſaͤtzen eingeleitet werden, welche wir oben bey
der zu reichlichen Menſtruation ausfuͤhrlich eroͤrtert haben.


§. 636.

Auch die im hohen Alter ſich zuweilen von
neuem zeigende Menſtruation
iſt nach aͤhnlichen Grund-
ſaͤtzen zu betrachten, wie die zu lange anhaltende, und for-
dert mit dieſer eine ziemlich gleiche Behandlung. —


Im Allgemeinen kann man uͤbrigens behaupten, daß
alle die genannten regelwidrigen Erſcheinungen der Menſtrual-
function im hoͤhern Alter, außer inſofern ſie durch andere,
namentlich organiſche Krankheiten der Geſchlechtstheile ver-
anlaßt ſind, nicht leicht Statt finden werden, wenn das
Weib bey Annaͤherung der klimakteriſchen Jahre die Regeln
der Hygiaſtik, welche fruͤher uͤberhaupt, und fuͤr dieſe Periode
insbeſondre aufgefuͤhrt ſind (§. 111 u. f. §. 130. 132.), ſorg-
faͤltig beobachtet; ſo wie hinwiederum auch die Beruͤckſichtigung
der Diaͤt und des Regimens oben an ſteht, wenn es zur
Aufgabe wird, entſtandene Regelwidrigkeiten dieſer Art zu
beſeitigen.

[[459]]

Appendix A Erklaͤrung
der zum erſten Theile gehoͤrigen
Tafel
I.


Fig. I. Die innern Genitalien eines neugebornen Maͤd-
chens. — a. b. Gebaͤrmuttergrund und Koͤrper; b. c. Mut-
terhals; d d. Mutterroͤhren; e e. Ovarien; f. Mutterſchei-
de; g g. runde Mutterbaͤnder; h h. breite Mutterbaͤnder.


Fig. II. Der hochſchwangere Uterus, in welchem der
aͤußerſte Grad der Entwickelung dieſes Organs, wo es faſt
ganz Gebaͤrmutterkoͤrper iſt, und der Mutterhals beynahe
verſchwunden iſt, im Gegenſatz zur Fig. I., wo der Gebaͤr-
mutterkoͤrper noch der kleinſte Theil iſt, ſich darſtellt. —
a. Gebaͤrmuttergrund; b. Gebaͤrmutterkoͤrper; c. Muttermund
mit einem kleinen Ueberreſt des Mutterhalſes; d. Vagina;
e e. runde Mutterbaͤnder.


Fig. III. Darſtellung der obern Oeffnung des kleinen
weiblichen Beckens. Sie bildet einen Kreis, von welchem
durch das Einſpringen des Vorbergs a ein mondſichelfoͤrmiger
Theil abgeſchnitten wird. — a b. Conjugata; c d. Quer-
durchmeſſer. e f, g h ſchraͤge Durchmeſſer.


[460]

Fig. IV. Darſtellung der mittleren Oeffnung der Hoͤhle
des kleinen Beckens. Sie bildet einen Kreis, welchem durch
die Einbiegung des Kreuzbeins ein mondſichelfoͤrmiger Ab-
ſchnitt zugeſetzt wird. a b. gerader, c d. Querdurchmeſſer.


Fig. V. Darſtellung des Ausganges vom kleinen Becken.
Er bildet einen Kreis, von welchem durch das Einſpringen
des Schwanzbeins (außer der Gevurtsperiode) ein Stuͤck
weggenommen wird; a b. gerader, c d. Querdurchmeſſer.


Fig. VI. Senkrechter Durchſchnitt der Hoͤhle des klei-
nen Beckens: a b. Kreuzbein; b c. Schwanzbein; d f. Scham-
fuge. — d a. Conjugata, e g. gerader Durchmeſſer der Be-
ckenhoͤhle, f c. gerader Durchmeſſer des Beckenausganges;
h i. Axe der obern Beckenapertur; l m. Axe der untern
Beckenapertur; k. Winkel, wo ſich beide Axen ſchneiden;
i l. Abſchnitt des mit der Haͤlfte des geraden Durchmeſſers
der Beckenhoͤhle beſchriebenen Kreiſes, welcher die eigentliche
Fuͤhrungslinie der Beckenkruͤmmung darſtellt, x y, Horizont;
v z. Perpendikularlinie des weiblichen Koͤrpers.


Fig. VII.Oſiander’s Hyſterotom. Die Laͤnge des
Ganzen 11 Zoll; a b. meſſingene Scheide; c d. zwey Meſ-
ſer einzeln oder zuſammen hervorzuſchieben durch den Druͤcker;
e f. Handgriff von Ebenholz.


Fig. VIII.Sauter’s Inſtrument zum Unterbinden
der Gebaͤrmutterpolypen; a b. die fiſchbeinernen Conductoren,
welche 9 Zoll lang ſind; h. Schnur von Paternoſterkuͤgelchen,
deren unterſtes und oberſtes von Rindshorn gearbeitet, mit
zwey Oeffnungen verſehen und fuͤr die Unterbindungsſchnur
etwas ausgeſchnitten ſind; f. oberſtes, g. unterſtes Kuͤgelchen;
d. Polypenwurzel; e. Polyp.


Fig. IX.Levret’s ungeſtielter eyfoͤrmiger Mutter-
kranz aus Kork mit Wachsmaſſe uͤberzogen.


[461]

Fig. X.Hunold’s ungeſtielter elaſtiſcher Mutter-
kranz aus einem Fiſchbeinringe mit einem Netze von Haaren.


Fig. XI.Zeller’s geſtielter Mutterkranz aus Holz.


Fig. XII.Juville’s ungeſtielter elaſtiſcher Mutter-
kranz aus einer Flaſche von elaſtiſchem Harz, mit einem ein-
gelegten kleinen goldenen Trichter (a), unten mit einem Bande
verſehen (b).


[]

Appendix B Verbeſſerungen.


Seite 20. §. 38. Zeile 4 von oben ſtatt geraden lies gerade.
* — 43. Z. 21. v. oben ſt. Nervenſyſtem l. Gefaͤßſyſtem.
— 88. — 1. v. oben ſt. Schmidtmuͤller l. Schmidmuͤller.
— 101. — 2. v. oben ſt. anlaſſe l. veranlaſſe.
— 118. — 2. v. oben ſt. hiezu l. hinzu.
— 124. §. 165. Z. 5. v. oben ſt. Gemuͤrhs l. Gemuͤths.
— 137. §. 183. Z. 9. v. oben ſt. verroͤgerte l. verzoͤgerte.
* — 193. in der Note † Z. 2. v. u. ſt. Seherabgabe l. Seher-
gabe
.
— 205. §. 266. Z. 10. v. oben ſt. Mittle l. Mittel.
— 211. §. 272. Z. 6. v. oben ſt. in den l. den.
* — 211. in d. Note Z. 1. v. oben ſt. Organismus l. Magne-
tismus
.
— 268. §. 344. letzte Z. ſt. Schmerzens l. Schmerzes.
— 297. Z. 2. v. oben ſt. wenn ſie ſich l. wenn ſie.
— 322. §. 416. Z. 4. ſt. *) l. **)
* — 399. §. 530. Z. 3. v. oben ſt. Mittelfleiſchbruch l. Mut-
terſcheidenbruch
.
— 406. §. 542. Z. 2. v. u. ſt. *) l. **)
— 440. Z. 6. v. oben ſt. grſtoͤrt l. geſtoͤrt.


Die mit einem * bezeichneten Druckfehler bittet man vorzuͤglich als
ſinnentſtellend, vor dem Leſen zu verbeſſern.


[]
[figure]
[][][]
Notes
*)
Von γυνη, γυναικος Weib und λογος Wort, Lehre.
*)
Unter den Werken welche die Geſchichte der Gynaͤkologie von den
aͤlteſten bis auf die neueſten Zeiten darlegen, verdient unſtreitig ne-
ben der auch dieſen Zweig beruͤckſichtigenden Geſchichte der Medicin
von C. Sprengel,
Fr. B. Oſiander’s Lehrbuch der Entbindungskunſt. 1r Thl.
Literariſche und pragmatiſche Geſchichte dieſer Kunſt. Goͤttingen,
1799. 8.

den erſten Platz, denn obwohl hierin eigentlich nur ein Theil der
Gynaͤkologie ins Auge gefaßt wird, ſind doch auch die Fortſchritte
der Wiſſenſchaft in den uͤbrigen Theilen keineswegs unbeachtet ge-
blieben. Ferner gehoͤren hierher: theils eine Literarhiſtorie der Ent-
bindungskunſt von Le Roi, uͤberſ. 1779, theils die noch beſſere
Schrift:
Le Sue gelehrte und kritiſche Verſuche einer Geſchichte der Ge-
burtshuͤlfe a. d. Fr. Altenburg 1786. 2 Thle. 8. (das Original
erſchien 1779.)

Ferner geben eine tabellariſche Geſchichtsuͤberſicht der Gynaͤkologie:
J. F. Schweighäuser tablettes chronologiques de l’histoire
de la médecine puerpérale. Strasb.
1806. 8. —

ſo wie die (obwohl zunaͤchſt fuͤr Entbindungskunſt berechneten)
Zeittafeln im theoretiſchpraktiſchen Handbuche der Geburtshuͤlfe von
Lud. Friedr. v. Froriep. 6te Aufl. Weimar 1818.

Und endlich ſind auch noch einigen andern Lehrbuͤchern der Geburts-
huͤlfe Geſchichtserzaͤhlungen angehangen: ſo unter den aͤltern den
Werken von Smellie und Aſtruc, unter den neuern außer dem von
Froriep auch dem Verſuche eines vollſtaͤndigen Syſtems d. Geburts-
huͤlfe von Fr. Heinr. Martens. (Leipzig 1802.)
*)
Was die Aufzaͤhlung einzelner uͤber gynaͤkologiſche Gegenſtaͤnde er-
ſchienener Schriften betrifft, ſo verweiſen wir vorzuͤglich auf
Guil. God. Ploucquet Literatura medica digesta s. Reper-
torium medicinac practicae, chirurgiae atque artis obstetriciae
T. I—IV. Tub.
1808. 4. u. Supplem. Tub. 1813. 4. (Haupt-
werk.)
K. Fr. Burdach Literatur der Heilwiſſenſchaft. 2 Bde. 1810. 8.
J. S. Erſch, Literatur der Medicin ſeit der Mitte des acht-
zehnten Jahrhunderts bis auf die neueſte Zeit. Leipz. 1812. (Als
kurzes, freilich auch fuͤr dieſen Zeitraum nicht vollſtaͤndiges Hand-
buch, zu empfehlen.)

Auch erſchienen mehrere literariſche Sammlungen fuͤr Gynaͤkologie
insbeſondre, welche indeß meiſt nur kurze Zeit fortgeſetzt worden
ſind. Dahin gehoͤren:
D. H. Roͤmer Annalen d. Geburtshuͤlfe, Frauenzimmer- u. Kin-
derkrankheiten fuͤr 1790—91. Winterthur 1793—94.

F. H. Martens kritiſches Jahrbuch der Geburtshuͤlfe 1802. und
ein aͤhnliches von J. A. Schmidtmuͤller 1807. So wie denn
zum Theil auch die allgem. gelehrten Zeitſchriften und noch mehr
die Journale f. Chirurgie u. Geburtshuͤlfe, z. B. die Stein’ſchen
Annalen, Murſinna’s Journal f. Chirurgie, Stark’s Archiv,
v. Siebold’s Lucina u. deren Fortſetzung als Journal f. Geb.hlf.
u. ſ. w., die Salzburger Zeitungen und die Allgemeinen
medicin. Annalen
hier aufzufuͤhren ſind. Endlich aber iſt zu
bemerken daß auch in einzelnen Handbuͤchern, z. B. in v. Sie-
bold
’s theoret. prakt. Lehrbuche der Entbindungsk. ſo wie in deſſen
Handbuche zur Erkenntniß u. Heilung d. Frauenzimmerkrankheiten,
und im theoret. prakt. Handbuch d. Geburtshuͤlfe v. Lud. Fr. v.
Froriep
die Literatur uͤber die meiſten Gegenſtaͤnde der Gynaͤkolo-
gie ziemlich vollſtaͤndig aufgefuͤhrt iſt.
*)
Eine ſolche Sammlung wurde z. B. von Conrad Gesner be-
gonnen, von Caſp. Wolf weiter gefuͤhrt, von Caſp. Bauhin u.
ſpaͤter von Iſrael Spach erneut und zwar unter dem Titel:
Gynaeciorum sive de mulierum tum communibus, tum gravida-
rum parientium, et puerperarum affectibus et morbis, Libri
Graecorum, Arabum, Latinorum veterum et recentium quotquot
extant etc. Argentin. 1597. Fol.
*)
Am Weibe haben die Knochen nur ungefaͤhr 3/100, im Manne 10/100
der geſammten Koͤrperſchwere.
*)
Ich fand es bey einigen Waͤgungen ganz gleich.
*)
S. mein Lehrbuch der Zootomie S. 611 u. f.
*)
Man darf nur das ganz verzeichnete Becken bey Levret (l’art des
accouchemens. Paris 1766. Tab.
4.) anſehen, um das Unrichtige
dieſer Augabe zu fuͤhlen.
*)
Wenn man nicht ſelten bemerkt, daß maͤnnliche Fruͤchte leichter als
weibliche unter der Geburt aſphyktiſch werden und ſchwerer zu er-
wecken ſind, ſo ſcheint dieß allerdings mit dem groͤßern Athmungs-
beduͤrfniße im maͤnnlichen Koͤrper in Verbindung zu ſtehen.
*)
Unterſchiede, welche in SoͤmmeringsIconibus embryonum. T. I.
ſehr ſchoͤn wiedergegeben ſind.
*)
Wie ſehr Entzuͤndungs- und Bildungsprozeß im Weſen verwandt
ſind, laͤßt ſich auf vielfache Art nachweiſen; man vergleiche nur
z. B. die Gefaͤßbildung im bebruͤteten Ey und die Gefaͤßbildung an
der gereitzten ſich entzuͤndenden Hautflaͤche, die Heilung von Wun-
den durch Entzuͤndung, die vielen durch Entzuͤndung entſtehenden
*)
krankhaften Gebilde u. ſ. w. (obwohl man allerdings zu weit geht,
wenn man mit manchen Pathologen alle krankhaften Verbildungern
fuͤr Produkte von Entzuͤndungen haͤlt).
*)
Moͤchte doch, ſo wenig als auch dieſes Wort in unſerer Sprache
ſich unumſchrieben wiedergeben laͤßt, eben ſo wenig die Sache ſelbſt
bey uns gefunden werden! —
*)
Man gedenke nur des ſchoͤnen Aufſatzes vom Archiater Brandis
im [Hufelandiſchen] Archiv f. d. pr. Heilk. 1815. Bd. II. St. 2.
*)
Man kann hierher auch die Unterſuchung der Milch ſelbſt rechnen,
und wir werden die Zeichen gutartiger, oder weniger guter Milch
bey der Geſchichte des Wochenbettes eroͤrtern.
*)
Man benutzt wohl auch bey Unterſuchung ſyphilitiſcher Perſonen
das Unguentum neapolitanum fuͤr dieſen Zweck, indeß ſchuͤtzt es
wohl ſchwerlich viel mehr als gewoͤhnliches Fett.
*)
S. D. Ph. Bozzini: Der Lichtleiter, oder Beſchreibung einer
einfachen Vorrichtung und ihrer Anwendung zu Erleuchtung innerer
Hoͤhlen und Zwiſchenraͤume d. lebenden animalen Koͤrpers. Weimar,
1806. Fol.
*)
In meiner Anſtalt z. B. gebar vor kurzem eine Perſon ein wohl-
ausgetragenes ſtarkes Kind natuͤrlich, und der Dickemeſſer zeigte
nur eine Beckentiefe von 6 Zoll, ließ folglich auf eine Conjugata.
von 3 Zoll ſchließen.
**)
Lehrb. d. theoret. prakt. Entbindungsk. 2. Thl. S. 29.
*)
S. deſſen Abbildung bey B. N. G. Schreger die Werkzeuge
d. Entbindungskunſt
. 1. Thl. Erlangen 1799. Fol. Tab. III.
Fig.
16.
**)
S. deſſen Handbuch der Entbindungskunſt. Bd. 1. S. 16 u. f.
*)
S. d. Abbildung bey Schreger a. a. O. T. II. F. 2.
**)
Auch von dieſem giebt Schreger a. a. O. naͤhere Beſchreibung.
***)
Wir werden darauf bey den Geburtszangen zuruͤckkommen.
†)
G. W. Stein kurze Beſchreibung eines Labimeters. 4. 1782.
*)
G. W. Stein kurze Beſchreibung eines Baromacrometers und
Cephalometers. 4. 1775.
**)
El. d. Siebold De Paediometro Commentarius. 4. Berol. 1318.
*)
S. in deſſen Lehrbuch der Seelenſtoͤrungen die Vorbegriffe. Thl. I.
*)
Ueberhaupt bedenkt man wohl zu wenig, daß eigentlich die Krank-
heiten des Koͤrpers insgeſammt der bildenden (vegetativen) Seite
deſſelben angehoͤren, daß die eigentliche Arzneykunde eben ſo nur die
Bildung (den ſtaͤtigen Stoffwechſel), ja zunaͤchſt vorzuͤglich nur den
Darmkanal in Anſpruch nehmen koͤnne, und daß die Verirrungen
der Nervenpathologie und des Brownianismus hauptſaͤchlich darin
begruͤndet waren, daß ſie ſtaͤts das Erkranken von Thaͤtigkeiten vor
Augen hatten, ohne die zunaͤchſtliegenden und der Medicin wichti-
gern abnormen Bildungsrichtungen zu beachten.
*)
Bey den Tartaren, Tonguſen und Oſtiaken, wie bey Negern und
Chineſen werden die Maͤdchen ſehr zeitig mannbar. S. Henke uͤb.
d. Entwicklungen d. menſchl. Organismus. S. 131.
*)
H. Oſiander ſah es allerdings auch am letzten Tage noch dun-
kel
ausfließen, doch waren die Geſchlechtstheile krankhaft. S. deſ-
ſen Annalen der Entbindungslehranſtalt. Thl. I. S. 176.
*)
Ich beobachtete daher, daß, bey recht geſundem Koͤrper, wo die
Menſtruation waͤhrend des Stillens ganz wegbleibt, dieſelbe genau
vier Wochen nach der ganz willkuͤhrlich beendigten Stillungsperiode,
und ebendaher wohl bey anderem Mondesſtande als fruͤherhin wie-
derkehrte.
**)
S. deſſen Annalen der Entbindungslehranſtalt zu Goͤttingen. 2. Bd.
*)
Es beruhen auf dieſem Begriffe die Sitten der Neger und anderer
Voͤlker, die Weiber in dieſem Zeitraume abzuſondern und als un-
rein zu betrachten. S. Moreau’s Naturgeſch. d. Weiber von
Leune. 2. Th. S. 150.
**)
Nach Lavagna (ſ. Meckels Archiv f. Phyſ. IV. 1. S. 151.) haͤngt
dieſes Nichtgerinnen vom Mangel des Faſerſtoffs ab.
***)
Merkwuͤrdig iſt es, daß man in einigen ſeltnen Faͤllen die Menſtrua-
tion, welche doch gewoͤhnlich zur Zeit der Schwangerſchaft ceſſirt,
gerade nur waͤhrend derſelben fließen ſah (ſ. Stein’s Annalen der
Geburtshuͤlfe. III. S. 156.), welches zu beweiſen ſcheint, daß eben
die in der Schwangerſchaft ſich ſtets erweiternden Uterin venen
hier auch den Grund der Menſtruation abgeben.
*)
Daß das Ausfließen des Monathsblutes nur ein Ausſchwitzen aus
kleinen Muͤndungen ſey, beweiſet der von Oſiander beobachtete
Fall einer Menſtruation an einem prolabirten Uterus (ſ. Annalen
d. Entbindungslehranſtalt zu Goͤttingen. 1. Bd. S. 175.).
**)
A. a. O.
*)
Oeffentliche Blaͤtter erzaͤhlten noch neuerlich den Fall, wo eine
Frau in Frankreich ihr letztes Kind im 69ſten Jahre gebahr.
*)
Man leſe hieruͤber den intereſſanten Aufſatz von Schlegel uͤber
die phyſiſche Erziehung des Menſchen in Stark’s neuem Archiv.
I. Bd. S. 516.
*)
S. einige Beyſpi[e]le dieſer Art in Stark’s neuem Archiv fuͤr Ge-
burtshuͤlfe. Bd. I. S. 376 u. 387.
**)
Bekannt iſt, daß man in den Ausſchweifungen zwiſchen Europaͤern
und Indianerinnen zur Zeit der Menſtruation ſelbſt die Quelle der
Syphilis finden wollte.
*)
Vorzuͤglich diejenigen, wodurch die eigentlich weiblichen Funktionen
mehr oder minder geſtoͤrt werden, welche zuweilen auch aͤrztliche
Huͤlfe zulaſſen, werden wir hierher ziehen, von den zwitterhaften
Bildungen wird noch bey den Kinderkrankheiten die Rede ſeyn.
*)
S. Otto Handbuch d. patholog. Anatomie. S. 238.
*)
S. daruͤber Oſianders Denkwuͤrdigkeiten fuͤr die Heilkunde und Ge-
burtshuͤlfe. II. Bd. S. 66.
**)
Daß dieſer Theil ſehr ſelten betraͤchtlich vergroͤßert iſt, und die
meiſten Faͤlle, wo man eine ſolche Vergroͤßerung beobachtet haben
wollte, wohl verunſtalteten maͤnnlichen Individuen angehoͤrten, iſt
neuerlich von H. Oſiauder (Handbuch d. Entbindungsk. 1r Thl.
S. 145.) mit Recht bemerkt worden.
*)
Wie H. Oſiander in d. Denkwuͤrdigkeiten II. Bd. S. 70. nach
Veſal erwaͤhnt, iſt es auch bey europaͤiſchen Muͤttern fruͤher ge-
braͤuchlich geweſen, das Hymen immer abſichtlich als einen unnuͤtzen
Theil zu zerſtoͤren (hierher gehoͤrt auch der Phallusdienſt der Alten).
**)
S. daruͤber J. F. Meckel’s Handbuch der patholog. Anatomie.
I. Bd. S. 698.
*)
S. davon ein Beyſpiel in Eisenmann Tab. quat. uteri duplicis.
1752. Fol. Tab. I. Fig.
1.
**)
S. Walter Betrachtungen uͤber d. Geburtstheile d. weibl. Geſchl.
Fig. III.
***)
S. Böhmer observation. anat. Fasc. II. T. VI. u. Eisenmann I.
c. Tab. II.
†)
S. Meckel a. a. O. S. 683.
††)
Von der letztern Verbildung findet ſich ein merkwuͤrdiges Praͤparat
in der Sammlung unſerer Akademie, wo uͤber die Urſpruͤnglichkeit
der Verwachſung die Totalform des Uterus keinen Zweifel geſtattet,
demohnerachtet aber Conception Statt gefunden hat, die Frucht
jedoch in der Bauchhoͤhle ſich entwickelte, ſpaͤterhin abſtarb und
als Lithopaedion nach dem erſt im hohen Alter erfolgten Tode dort
gefunden wurde.
*)
S. ein Beyſpiel dieſer Art von einer erſt im Alter verſtorbenen,
jedoch ſchon im zweiten Jahre menſtruirten und als achtjaͤhriges
*)
So in dem oben erwaͤhnten und in dem von Lobſtein beſchriebenen
Falle ſ. Lucina von Siebold. I. Bd. 1s St. S. 102. u. IV. Bd.
1s St. S. 163.
**)
Lehrbuch der Frauenzimmerkrankheiten. Thl. 1. S. 171.
*)
Maͤdchen gemißbrauchten und geſchwaͤngerten Perſon, im Archiv
Schweizeriſcher Aerzte. 1r Bd. 2s Hft.
*)
Von Oberteufer wird z. B. in Stark’s neuem Archiv fuͤr
Geburtshuͤlfe. 2r Bd. 4s St. S. 637 ein Fall erzaͤhlt, wo 6 Pfund
Blut nach Durchſchneidung des Hymens ausfloſſen.
*)
Merkwuͤrdig iſt es, daß dieſes ſtockende [Blut] doch nicht verdirbt
und fault, ſondern, wie mehrere Faͤlle beweiſen, als dickliche,
*)
ſchwaͤrzliche, ſonſt aber unverdorbene Blutmaſſe bey der Operation
ausfließt. Lavagna haͤlt auch von dieſer Erſcheinung den Mangel
des Faſerſtoffes fuͤr die Urſache. S. Meckels Archiv. IV. S. 152.
*)
Die Dicke des Uterus iſt uͤberhaupt bey verſchiedenen Koͤrpern ſehr
verſchieden, und es zeigt ſich dieſes oft bey Schwangerſchaft und
Wochenbett vorzuͤglich deutlich. Ich bewahre in der Sammlung der
Gebaͤranſtalt den Uterus einer Woͤchnerin von mehr maͤnnlichem
Koͤrperbau, welcher nur die Haͤlfte der Dicke eines gewoͤhnlichen
Uterus zeigt.
*)
Dieſe Form iſt denn wohl in urſpruͤnglicher Verſtimmung des Se-
xualnervenſyſtems begruͤndet, mir ſind daher auch Faͤlle, wo dieſes
Uebel erblich war, bekannt, und alle Heilungsverſuche fruchtlos
blieben.
**)
Zu Verſtimmungen dieſer Art kann oft der Grund ſchon fruͤh ge-
legt werden; ſo iſt mir ein Fall bekannt, wo ein uͤbrigens geſundes
und ſtarkes Maͤdchen ſtets der Zeit nach unordentlich menſtruirte,
nachdem ſie im zwoͤlften Jahre aus dem zweiten Geſtock eines Hau-
ſes herabgeſtuͤrzt war, und die Kreuzgegend ſich beſonders ver-
letzt hatte.
*)
Wir werden hier wieder an die phyſiologiſche Verwandtſchaft zwi-
Geſchlechtswegen und Darmkanal erinnert.
**)
Einen Fall dieſer Art, deſſen Heilung gelang, ſ. in Hufeland’s
Journal f. d. pr. Heilk. 1816. Novbr.
*)
Wie nachtheilig z. B. die Kaͤlte hier wirken kann, beweiſen meh-
rere Beiſpiele von Perſonen, die, um eine ſtarke Menſtruation zu
beſeitigen, kalte Waſchungen oder Baͤder anwandten, und darauf
in Metritis, Nymphomanie und aͤhnliche Zuſtaͤnde verfielen.
**)
M. ſ. hieruͤber ein Wort zu ſeiner Zeit von Ruſt in deſſen Ma-
gazin f. d. geſ. Heilkunde. IV. Bd. 2s Hft.
*)
So iſt mir ein Fall bekannt, wo bey einer acht und zwanzigjaͤhri-
gen Frau, indem ſie, um bey einem kranken Kinde die Elektricitaͤt
anwenden zu laſſen, dieſes auf dem Schooße hielt, und ſich folglich
ſo dem elektriſchen Strome mit ausſetzte, in dieſer Behandlung
aber, obwohl geſund, zwei Monathe hindurch, und auch waͤhrend
der Regeln verblieb, ploͤtzlich die Menſtruation verſchwand, nie wie-
derkehrte, dagegen aber Gicht zur Folge hatte.
**)
Joſ. Frank erzaͤhlt einen Fall, wo durch Wein und Beyſchlaf die
eben fließende Menſtruation verſchwand und Metritis veranlaßt
wurde (ſ. deſſen Acta instituti clinici Vilnens. Lips. 1808.).
*)
Bey einer Dame, wo wegen laͤngere Zeit unterdruͤckter Menſtrua-
tion bereits Schwangerſchaft vermuthet worden war, ging endlich
eine Maſſe ſolchen geronnenen Blutes ab, welche wegen ihrer ganz
fleiſchartigen Bildung von der Hebamme anfaͤnglich fuͤr den Arm
eines Kindes gehalten wurde.
*)
S. daruͤber ein Mehreres in meinem Aufſatze uͤber das Verhaͤltniß
der Reproduktion in Meckel’s Archiv f. Phyſiol. II. B. 2s Hft.
**)
Salzburger med. chir. Zeitung. 1810. II. Bd. S. 63 wird das
Beyſpiel eines Kindes angefuͤhrt, welches zu Straßburg gezeigt
wurde, noch nicht 5 Jahre alt war und 208 Pfund wog, bey einem
Koͤrperumfange von 48 Zoll.
***)
S. deſſen Schrift uͤber die Entwicklungskrankheiten des weibl. Ge-
ſchlechts. 1r Bd. S. 4.
*)
S. uͤber dieſe Krankheit junger Maͤdchen vorzuͤglich H. Oſianders
intereſſante Bemerkungen a. a. O. Thl. 2. S. 124.
*)
So iſt mir ein Fall bekannt, wo ein bleichſuͤchtiges Maͤdchen, bey
welchem die Menſtruation noch gar nicht erſchienen war, mehrere
Jahre ſtets in der Fruͤhlingszeit einen ſtarken Haͤmorrhoidalblutfluß
bekam; eine andere litt in der Herbſtzeit an Blutbrechen.
**)
So ſagt z. B. v. Siebold (Handb. d. Frauenzimmerkrankheiten.
Th. 1. S. 281.): „Die Bleichſucht iſt eine Krankheit der Repro-
duktion, und ihre naͤchſte Urſache liegt in der ſo ſehr geſunkenen
Thaͤtigkeit ihrer einen Seite der Produktivitaͤt.“ Allein was unter-
ſcheidet dann Bleichſucht von jedem andern atrophiſchen Zuſtand,
von Auszehrung, Marasmus u. ſ. w.?
***)
S. Heinroth Lehrb. d. Seelenſtoͤrungen. Thl. 1. S. 193.
*)
S. daruͤber Autenrieth Unterſuchung ausgearteter Eyerſtoͤcke in
Reil’s Archiy f. d. Phyſ. VII. Bd. 2s Hft.
*)
Ich bewahre in meiner Sammlung die innern Genitalien eines
17jaͤhrigen nicht menſtruirten Maͤdchens, welches unter chlorotiſchen
Symptomen an ſcrofuloͤſen Geſchwuͤren verſtorben war, wo der
Uterus nur etwas uͤber einen Zoll lang, ſeine Hoͤhle zwar geraͤumig,
aber die Waͤnde nur einige Linien ſtark ſind.
*)
Chambon de Montaux (des Maladies des filles. T. I. p. 119.)
ſagt daher: „La premiêre Indication est de diminuer la masse du
sang, puisqu’il y a une pléthore réelle dans presque tous les
sujets attaqués de la chlorose.“
**)
A. a. O. S. 204. Auch bey einigen Alten ſchon findet ſich das
Binden der Glieder als Befoͤrderungsmittel der Menſtruation em-
pfohlen.
*)
Es iſt ſonderbar, in den neuern Lehrbuͤchern uͤber Frauenkrank-
heiten dieſe merkwuͤrdigen Zufaͤlle immer uͤbergangen zu finden,
obwohl andere Schriften (z. B. Henke von den Entwicklungen des
menſchlichen Organismus) ſie als krankhafte Entwicklungszuſtaͤnde
mit aufgefuͤhrt hatten.
*)
S. Oſiander uͤber die Entwicklungskrankheiten. 1r Th. S. 188.
**)
Man leſe dieſen ſehr merkwuͤrdigen von H. Klein mitgetheilten
Fall in Harles Jahrbuͤchern der teutſchen Medicin und Chirurgie.
III. Bd. 2s Hft.
*)
So ſah man ja noch neuerlich, durch eine bekannte Schwaͤrmerin
angeregt, junge Maͤdchen dem Hauſe ihrer Eltern entweichen, und
ſich fuͤr Braͤute Chriſti erklaͤren.
**)
Oſiander a. a. O. Th. 1. S. 94.
*)
Wie ſehr die Athmungsbewegung vom Hirn abhaͤngt, haben die
Experimente von Brodie, le Gallois und Andern hinlaͤnglicher wieſen.
**)
S. vom Alp Reil’s Fieberlehre. IV. Bd. §. 94 u. f.
*)
So die mit Kraͤmpfen verbundenen Ohnmachten der Prinzeſſin
Lamballe, welche H. Oſiauder a. a. O. 1r Thl. S. 190 nach
Saifert erzaͤhlt.
**)
Die habituellen Schmerzen, an welchen reitzbare Kranke gewoͤhnlich
leiden, uͤbergehen wir hier, in wiefern ſie gewoͤhnlich an oͤrtliche
Verbildungen, Entzuͤndungen u. ſ. w. geknuͤpft ſind.
*)
So Voerhaves bekannter Fall von denen im Waiſenhauſe zu
Harlem laus Nachahmungstrieb mit Kraͤmpfen befallenen Maͤdchen,
und aͤhnliche mehr.
*)
A. a. O. 2r Thl. S. 304.
**)
S. Geiſt des H. v. Leibnitz u. ſ. w. Aus d. Franz. uͤberſetzt.
Wittenberg 1775. 1r Thl. S. 70.
*)
Hufeland’s Journal f. d. pr. Heilk. 1815. 2s St.
**)
Man ſ. dieſe Beobachtungen nebſt andern von D.Renard als
Einleitung zum eben angefuͤhrten Aufſatze.
***)
Die Bemerkungen, welche H. Nees v. Eſenbeck im Archiv f. d.
thier. Magnetism. III. Bd. 2s St. hieruͤber mittheilt, zeigen aller-
dings, daß man mehr Urſache habe, die Thatſache fuͤr wahr als fuͤr
erdichtet anzunehmen.
*)
S. daruͤber H. Oſiander uͤber d. Entwicklungskrankheiten im in
u. 2n Thle.
**)
Archiv ſchweizeriſcher Aerzte. 1r Jahrg. 1s Hft. 1816. S. 56.
*)
A. a. O. S. 72 u. 75.
**)
Hufelands Journal d. pr. Heilk. 1815. 2s St. S. 112.
***)
Ueber d. Entwicklungskrankheiten in d. Bluͤthenjahren d. weiblichen
Geſchlechts. 1r Thl. S. 111 u. f.
†)
Man leſe die aktenmaͤßige Geſchichte derſelben in Gayot von
Pitaval
ſonderbaren und merkwuͤrdigen Rechtsfaͤllen, deutſch, von
C. W. Franz. Jena 1792. 4r. Thl. — Sie war nie menſtruirt,
obwohl, wie durch die Unterſuchung der Koͤnigin von Sicilien und
zwey anderer Damen erwieſen, eine vollkommne und reine Jungfrau.
Ihre Seher [...]gabe, ihre Kraft und Entſchloſſenheit im Felde, ihre
Einfachheit und kindliche Unſchuld leuchten aus jedem Zuge hervor.
*)
Auf dieſe Weiſe ſind ja eben auch die Vorgefuͤhle der Thiere er-
klaͤrbar.
*)
Man leſe z. B. nur die Schilderung der Kraͤmpfe, welche der Ar-
chiater Brandis bey einem 19jaͤhrigen Frauenzimmer beobachtete
(Hufeland’s Journal d. prakt. Heilk. 41. Bd. 2. St. S. 9.).
**)
S. einen ausgezeichneten Fall dieſer Art bey Brandis a. a. O.
S. 19.
*)
S. Oſiander uͤber d. Entwicklungskrankheiten. 1r Thl. S. 188.
**)
So erzaͤhlt Adair in ſeinem philoſoph. medicin. Abriß d. Natur-
geſchichte d. Menſchen, aus d. Engl. uͤberſ. v. Michaelis. 1788.
S. 195. das Beyſpiel einer gewiſſen Johanna Naunton, welche 87
Tage ohne alle Nahrung, außer etwas Limonienſaft von Zeit zu
Zeit, zubrachte, ſo wie den Fall einer Schwindſuͤchtigen, welche 35
Tage blos von Waſſer, mit einigen Tropfen Spiritus nitri dulcis
vermiſcht, lebte.
***)
S. Oſiander a. a. O. S. 187.
*)
Gelinde Diuretica werden indeß vorzuͤglich, wo noch andere Krank-
heitsſtoffe im Koͤrper ſind (namentlich Ausſchlagsmaterien) aller-
dings zuweilen mit Nutzen angewendet.
**)
S. Oſiander uͤber d. Entwicklungskrankheiten 2r Thl. S. 285.
Berlinghieri heilte heftige konvulſiviſche Anfaͤlle eines hyſteriſchem
Maͤdchens durch gegen 400 kleiner Aderlaͤße zu einer halben Unze.
*)
Man leſe hieruͤber beſonders H. M. Marcard uͤber d. Natur
und d. Gebrauch d. Baͤder. Hannov. 1793. vorzuͤglich das 7. Kap.
wo auch der Schlaf machenden Wirkung des Bades gedacht iſt.
*)
Zuweilen vertragen Maͤdchen, an verſtimmter Senſibilitaͤt leidend,
dieſe Narcotica gar nicht. Ich ſah einſt ſchon nach ¼ Gr. die aller-
heftigſten Kraͤmpfe entſtehen.
**)
Dieſe Mittel ſind es auch beſonders, welche in mehrern dieſer
Krankheiten in Rauchform mehr als geſchieht, angewendet zu
werden verdienen. S. Hufeland, uͤb. d. Anwendung d. Heilmittel
als Rauch in deſſen Journal f. d. pr. Heilk. 1809. 5s St.
***)
S. daruͤber Schleſinger in Hufelands Journal f. d. pr. Heilk.
XXI. Bd. 1s St.
*)
S. Oſiander uͤber d. Entwicklungskrankheiten. 2r Thl. S. 297.
und Harles Jahrbuͤcher d. teut. Medic. u. Chir. II. Bd. 1s Hft.
*)
So beobachtete H. Naſſe einen Fall, wo epileptiſche Anfaͤlle, nur
wenn der Kranke im Dunkeln gelaſſen wurde, wiederkehrten. Auch
ſehe man hieruͤber von H. Oſiander (Neue Denkwuͤrdigkeiten
I. Thl. 1s Hft. S. 120 u. f.) die ſchon von den Alten fuͤr hoͤchſt
wichtig gehaltene Einwirkung von Licht oder Finſterniß bey kram-
pfigen Krankheiten eroͤrtert.
*)
J. C. Unzer’s Beſchreibung eines mit dem kuͤnſtlichen Magnete
angeſtellten medicin. Verſuches. Hamb. 1775.
**)
Andry’s n. Thourets Beobachtungen u. Verſuche uͤb. d. Gebrauch
d. Magnets in d. Arzueyk. Aus d. Franz. Leipz. 1785.
***)
Archiv. f. d. thier. Magnetismus. III. Bd. 2s St.
*)
Fr. H. Martens vollſtaͤndige Anweiſung zur therapeutiſchen An-
wendung des Galvanismus u. ſ. w. Weißenfels 1803. — Ebender-
ſelbe uͤberſetzte eine kleine Schrift von Geiger (Abhandlung uͤber
den Galvanismus und deſſen Anwendung v. Dr. C. Fr. Geiger.
Leipz. 1803.), in welcher unter andern S. 42. die Heilung einer
Amaurosis bey einer 20jaͤhrigen an unterdruͤckter Menſtruation lei-
denden Perſon durch Galvanismus erzaͤhlt iſt.
Tib. Cavallo’s Verſuch uͤber d. Theorie und Anwendung d. medi-
ciniſchen Elektricitaͤt. Aus d. Engl. Leipz. 1799.
C. G. Kuͤhn Geſchichte d. medicin. u. phyſikal. Elektricitaͤt. Leipzig
1783. 2 Thle. nebſt 2 Fortſetzungen. 1796. u. 1805.
*)
  • Heilkraft des thieriſchen Organismus nach eigenen Erfahrungen v.
    D.Arnold Wienholt. 3 Thle.
  • Verſuch einer Darſtellung des animaliſchen Magnetismus als Heil-
    mittel von C. A. F. Kluge. Berlin 1811.
  • Ferner mehrere Zeitſchriften, das aͤltere Archiv f. d. thier. Magne-
    tismus von Nordhoff, d. neuere von Kieſer, Wolfarts
    Aſklepiaͤon, ferner Brandis uͤber pſychiſche Heilmittel und Magne-
    tismus, 1818. und das neuere, beſonders in Meſmers Geiſt be-
    arbeitete Werk uͤber den Magnetismus von Ennemoſer.
*)
H. Oſiander uͤber die Entwicklungskrankheiten. 2. Thl. S. 222
und 223.
**)
Die verſchiedenen Methoden der Anwendung ſind namentlich in
dem oben angefuͤhrten Werke von Kluge ſehr gut neben einander
geſtellt.
***)
So erzaͤhlt Wienholt (drei Abhandlungen uͤber den thieriſchen
Magnetismus, herausg. v. D. J. Chr. F. Scherf. Brem. 1807.)
die Geſchichte eines eilfjaͤhrigen an Melaucholie und einzelnen, ge-
waltſame Geiſtesvetwirrung drohenden Anfaͤllen leidenden Kindes,
welches durch den unter Wienholts Leitung vom Vater oder von der
Mutter angewendeten Magnetismus, welcher hier blos taͤg-
lich einige Stunden Schlaf bewirkte, gaͤnzlich geheilt
wurde.
*)
Auf dieſe Weiſe heilte man oͤfters ploͤtzlich durch Mittheilung ent-
ſtandene Kraͤmpfe durch Drohungen; ſo Boerha[v] [...] im Harlemer
Waiſenhauſe. Mehrere aͤhnliche Faͤlle, auch den ziemlich komiſchen
von Al Raſchid’s Beyſchlaͤferin erzaͤhlt Reil, Fieberlehre IV. Bd.
S. 108 u. 655.
**)
Mehrere Faͤlle dieſer Art ſind von Brandis, in dem ganz hier-
her gehoͤrigen Aufſatze uͤber die Heilung von Krankheiten durch im-
ponderable Arzneymittel (Hufeland’s Journ. d. pr. Heilk. 41. Bd.
2s St.) mitgetheilt.
*)
Mehrere intereſſante Bemerkungen hieruͤber finden ſich in Hein-
roth
de voluntate medici, medicamento insaniae. Lips.
1818.
*)
Ueber Literatur und die verſchiedenen Anſichten von dieſer Krank-
heit darf folgende kleine Schrift empfohlen werden: F. A. Peschek
Diss. in. de furore uterino. Lips.
1810. — Nur daß der Verfaſſer
den eigentlichen Sitz der Krankheit in die aͤußern Genitalien ver-
legt, iſt wohl eben ſo wenig zu billigen, als wenn man den Sitz
des Hungers in die Mundhoͤhle verlegen wollte.
*)
Maladies des Femmes. T. II. p. 570.
*)
Man beobachtet z. B., daß dieſe Perſonen, wenn ſie an Neitzung
der Schamtheile gehindert werden, durch Neitzung der Bruſtwarzen,
ja durch Neitzung der Naſenloͤcher, ihre traurige Luſt zu buͤßen
ſuchen.
*)
Einen Fall dieſer Art ſ. in Stark’s neuem Archiv f. Geburts-
huͤlfe. I. Bd. IV. St. S. 376.
**)
S. daruͤber den 7. Abſchnitt in dem kurzgefaßten Syſtem der ge-
richtlichen Arzneywiſſenſchaft von J. D. Metzger. Vierte, von
Gruner beſorgte Auflage. 1814.
***)
Deſſen neue Denkwuͤrdigkeiten. I. Thl. 1s Hft. S. 259. Eine
Perſon hatte vor 8 Jahren zum zweiten Male geboren, und war
4 Jahre nachher von veneriſcher Kraͤtze, weißem Fluß und Augen-
entzuͤndung durch Queckſilber gruͤndlich kurirt worden, dann wohl
geweſen, nun ſchwanger geworden, hatte auch in der Schwanger-
ſchaft nichts krankhaftes empfunden, und demohnerachtet fand man
die Vagina uͤber zwei Zoll lang verwachſen. Haͤtte hier nicht ver-
muthet werden ſollen, daß die Verwachſung waͤhrend der Syphilis
*)
Berger Diss. Ad Theoriam de foetus generatione analecta. Lips.
1818. Die Perſon hatte nie gehoͤrig menſtruirt, lange in der Ehe
gelebt und bey endlich doch erfolgter Schwangerſchaft zeigte ſich
nach langen Geburtswehen durchaus kein Muttermund.
**)
Daß uͤbrigens ſelbſt bey offnem Krebs der Gebaͤrmutter zuweilen
doch noch Conception erfolgen koͤnne, hat die Erfahrung gelehrt.
***)
vor 4 Jahren geſchehen ſey? oder darf man annehmen, daß eine
Vagina waͤhrend der Schwangerſchaftszeit und ohne an-
dere Zufaͤlle 2 Zoll weit verwachſen koͤnne?
*)
S. deſſen Handbuch der mediciniſchen Geburtshuͤlfe. Thl. I. S. 46.
wo uͤberhaupt die Lehre von der Unfruchtbarkeit ſehr vollſtaͤndig ab-
gehandelt iſt.
*)
Auch die oͤrtlichen Baͤder durch den Weidlich’ſchen Badeſtuhl
(ſ. deſſen kleine Schrift uͤber den Badeſtuhl. Wien 1818.) verſpre-
chen hier beſondern Nutzen.
*)
Krankheiten des menſchlichen Weibes. S. 586.
**)
Ueber die Erkenntniß und Kur der chroniſchen Krankheiten. 2r Th.
S. 282.
*)
S. daruͤber auch H. Oſiander’s Entwicklungskrankheiten. 2r Thl.
S. 142. auch d. Abbildung einer ſolchen in Thom. Hayes War-
nung vor d. Folgen der Katarrhe, uͤberſ. v. Michaelis. Lpz. 1787.
*)
P. Frank ſagt (Epitom. d. curand. hom. morbis (Lib. II. p.
217.): Hoc ipsum viscus in virginibus necdum menstruatis raris-
sime, neque conspecto unquam a nobis exemplo, in-
flammatur.
*)
So bey C. Wenzel von den Krankheiten des Uterus. Fol. 1816.
S. 23.
*)
a. a. O. S. 52.
*)
Hufeland’s Journal d. pr. Heilkunde. XXI. Bd. 3. St.
*)
Man darf bey den Ergießungen des Uterus dieſen Namen wohl
ſehr mit Recht brauchen, da dieſelben hoͤchſt wahrſcheinlich zum Theil
fuͤr das Weib mit wahren Sekretionen des maͤnnlichen Koͤrpers
gleichbedeutend ſind, und wir H. Dollinger (ſ. Meckels Arch.
fuͤr Phyſ. Bd. II.) [ganz] beytreten, wenn er ſagt: das Weib zeuge
namentlich durch Blut, wie der Mann durch Samen.
*)
Maladies des femmes. T. II. p. 115.
**)
P. Frank Epitome d. hom. morb. our. T. V. P. II. p. 110. ſagt
uͤber die Venaͤſektion: saepe sanguis vel utrumque per ostium au-
fugit, vel imposito venae sauciatae spleniolo, ex viscere sponte
cruorem frundente pergit fluere rebellis.
*)
Dieſe Form der Metrorrhagie iſt es insbeſondre, welche, wie Reil
(Fieberlehre Bd. III. S. 309.) nach Stoll anfuͤhrt, zuweilen epi-
demiſch vorkommt.
*)
Hufeland’s Journal f. d. pr. Heilk. 1815. Decbr. S. 342.
**)
z. B. vom Medicinalr. Schneider in Fulda (ſ. Allgem. medic.
Annalen. 1817. S. 90.
***)
Stark’s Archiv. Bd. III. St. 1. S. 93.
*)
Es beſteht aus zwey Theilen Alaun und einem Theile Drachen-
blute; ſ. Jahn prakt. Materia medica. Thl. I. S. 85.
**)
Fieberlehre. Bd. III. S. 329.
*)
Maladies des femmes T. II. p. 185.
*)
ſ. P. Frank Epit. T. V. P. I. p. 152.
*)
Handbuch der Frauenzimmerkrankheiten. Thl. I. S. 454.
*)
Denen jedoch H. Wenzel (Krankh. d. Uterus S. 106.) die in die
Vagina gelegten, mit Eichenrindenpulver gefuͤllten und wohl auch
mit etwas rothem Wein angefeuchteten Saͤckchen uͤberhaupt, und
ganz vorzuͤglich beygleichzeitigen falſchen Lagen des Uterus, vorzieht.
*)
Daß aber Hydrometra hydatica nicht etwa bloße Molenſchwanger-
ſchaft ſey, beweiſen die von Dreißig (Handb. d. Pathologie der
chron. Krankh. Bd. 2. S. 484.) geſammelten Beyſpiele derſelben in
Jungfrauen und bejahrten Frauen.
*)
Pathologie d. chron. Krankh. Thl. 2. S. 496.
*)
Handbuch der pathol. Anat. S. 364 u. 365. vgl. auch F. Meckel
Handb. d. patholog. Anat. Bd. 2. Thl. 2. S. 242 u. folg.
**)
S. allgem. medicin. Annal. 1814. Annal. d. Heilkunſt. S. 555.
*)
Ueber die Krankheiten des Uterus S. 67.
**)
Handb. d. Frauenzimmerkrankh. Bd. 1. S. 535.
*)
Ueber die Entwickelung dieſer Geſchwuͤlſte ſ. m. mehrere intereſſante
Bemerkungen von Bayle (Journ. de Medicine an XI. Vendemaire)
im Auszuge in d. allgem. medicin. Annal. 1805. S. 806.
**)
Bayle fand unter vielen Faͤllen keinen, wo das Uebel unter dem
36ſten Jahre ſich entwickelt haͤtte.
*)
Zwey in einer Scheide bewegliche Meſſer (eins ſpitzig, eins abge-
rundet): ſ. Oſiander’s neuere Denkwuͤrdigk. Bd. I. Heft I.
*)
Aehnliche Produktivitaͤt zeigen ja auch die Schleimhaͤnte in andern
Organen, z. B. der Naſenhoͤhlen und Rachenhoͤhle, ja ſelbſt die
Eingeweidewuͤrmer des Darmkanals ſcheinen Erzeugungen ſeiner in-
nern Flaͤche zu ſeyn.
*)
Handb. uͤber d. Frauenzimmerkrankh. Thl. I. S. 509.
*)
S. d. intereſſanten Aufſatz von Hauk uͤber die bisherigen Ausrot-
tungsmethoden der Gebaͤrmutterpolypen in Ruſt Magaz. f. d. geſ.
Heilk. Bd. IV. Heft 3.
*)
S. B. v. Siebold’s Chiron. Bd. II. St. 2. S. 427.
*)
a. a. O. S. 420. (ſ. T. I. f. VIII.)
**)
Aehnlich dem Sauter’ſchen iſt auch der von Ribke, deſſen Ab-
bildung man in Ruſt’s Magaz. Bd. III. Heft I. nachſehen kann.
***)
S. d. Abbild. bey Richter Anfangsgruͤnde der Wundatzneyk.
Thl. I. S. 414.
*)
Ebendaſ. S. 415.
**)
Nissen de polypis uteri et vaginae novoque ad eorum ligatu-
ram instrumento. Götting.
. 1789., und in Richter’s Anfangsgr.
der Wundarzneyk. Thl. I. S. 416.
***)
Handb. d. Krankheiten des menſchl. Weibes, ſ. d. Kupfert.
†)
A system of operative Anatomy by Charles Bell. Lond. 1814.
nach der Anzeige deſſelben in d. Goͤtting. gelehrten Anz. Nr. 145.
und 146. Septb. 1818.
*)
S. Richter Anfangsgr. d. W. Th. I. S. 419.
*)
Krankh iten des Uterus. S. 117.
**)
Handbuch der Frauenzimmerkrankheiten. Thl. I. S. 488.
†)
Die ſonderbare Anſicht Bayle’s, daß dieſe Krebsgeſchwuͤre des
Uterus die Urſache des Skirrhus benachbarter Theile ſeyen (ſ. d.
Auszug von deſſen im Journal de Medicine gegebenen Abhandlung
im Jahrg. 1805. der allgem. medic. Annal. S. 809.), erwaͤhnen
wir hierbey nur hiſtoriſch, da eine ausfuͤhrliche Widerlegung derſel-
ben wohl uͤberfluͤſſig iſt.
*)
Salzburg. med. chirurg. Zeit. 1809. Februar.
**)
S. deſſen Werk uͤber die Krankheiten d. Uterus (S. 119.) und
uͤber die Induration und das Geſchwuͤr in indurirten Theilen. Mainz
1815. 8.
*)
J. P. Weſtring’s, Koͤnigl. Schwed. Leibarztes, Erfahrungen
uͤber die Heilung der Krebsgeſchwuͤre. Aus d. Schwed. uͤberſ. mit
Zuſaͤtzen von C. Sprengel. Halle 1817.
*)
Ruſt’s Magaz. f. d. geſ. Heilk. Bd. I. Heft 2.
**)
Krankheiten des Uterus S. 187.
*)
S. Salzburg. medicin. chirurg. Zeitung. 1818. Nro. 88.
*)
M. ſ. hieruͤber den ganzen XXV. Abſchn. d. Werkes uͤber d. Krank-
heiten des Uterus.
**)
Daſ. S. 150.
***)
Handb. der Frauenzimmerkrankheiten. Bd. I. S. 504.
*)
S. v. Siebold’s Journal fuͤr Geburtshuͤlfe u. ſ. w. Bd. I. St. 2.
S. 228.
**)
Neue Bibliothek fuͤr die Chirurgie und Ophthalmologie v. C. J.
M. Laugenbeck, Bd. I. St. 3. S. 461.
*)
M. ſ. einen merkwuͤrdigen Fall, wo ein großer, ſpaͤterhin durch
*)
den Maſtdarm ſich entleetender Eiterſack den Vorfall herabdraͤngte,
in den allgemeinen medicin. Annalen 1811. Annal. der Heilkunſt
S. 841.
*)
S. J. Glob. Bernſtein’s ſyſtemat. Darſtellung des chirurgiſchen
Verbandes. Jena 1798. und Ebendeſſelben Kupfertafeln mit Erklaͤ-
rungen und Zuſaͤtzen z. ſyſtemat. Darſt. d. chirurg. V. Querfol. m.
51 Kpf. 1802. Juville Abhandl. uͤber die Bruchbaͤnder u. and.
bey Gebaͤrmutterſenkungen u. ſ. w. anwendbaren Verbaͤnde. A. d.
Franz. v. Schreger. Nuͤrnb. 1800. Außerdem findet ſich die
ausfuͤhrlichſte Betrachtung der verſchiedenen Peſſarien bey: Hunold
*)
Diss. de Pessariis. Marb. 1799. 8. und in Richter’s Anfangsgr.
der Wundarzneykunſt. Bd. VII. S. 16.
*)
Wenn ein ſolcher Kranz gut liegen ſoll, ſo muß er namentlich nicht
zu duͤnn ſeyn, denn je breiter natuͤrlich der an der Vaginalwand
liegende Rand iſt, deſto weniger wird er abgleiten.
*)
Am gefaͤhrlichſten iſt das Einklemmen der Vaginalpartion in die
Mutterkranzoͤffnung, wobey man zuweilen zum Durchſchneiden des
Mutterkranzes gezwungen werden kann.
*)
Ich waͤhle hier das Wort Neigung, um die Krankheit zu unter-
ſcheiden von der bey Woͤchnerinnen beobachteten eigentlichen Vor-
waͤrtsbeugung (Pronatio uteri), von welcher im zweyten Theile die
Rede ſeyn wird.
*)
Anfangsgruͤnde d. Wundarzneyk. Th. 7. S. 47.
*)
Zu welchen man eigentlich ſelbſt die Zuruͤckbeugung der Gebaͤrmut-
ter rechnen kann.
*)
Vergl. den Fall, welchen Hauck (Ruſt’s Mag. Bd. IV Hft. 3.)
beſchreibt.
**)
Ein merkwuͤrdiges Beyſpiel von einer 26 Jahr dauernden Umſtuͤl-
pung, bey welcher zuletzt durch einen Quackſalber eine Ligatur an-
gelegt wurde, die nach 6taͤgigen ſchrecklichen Leiden und drohendem
Brande von dem nun dazu gerufenen Hrn. d’Outrepont abge-
nommen wurde, findet ſich in E. B. Herzog Diss. de inversione
uteri. Wirceb.
1817. 4.
*)
S. Richter Anfangsgr. d. W. Th. VII. S. 53.
*)
Ein merkwuͤrdiges Beyſpiel dieſer Art wird von Winzmann er-
zaͤhlt in v. Siebold’s Journ. f. Geburtsh. Bd. I. St. 2. S. 244.
*)
S. Annalen des kliniſchen Inſtituts zu Leipzig In Bds 2e Abth.
1812. S. 194.
*)
S. daruͤber Mehreres in Hrn. Oſiander’s Schrift uͤber die
Entwickelungskrankheiten. 2r Thl. S. 120.
*)
S. davon Beyſpiele angefuͤhrt bey Dreyßig Handbuch der Patho-
logie der chroniſchen Krankheiten. Th. II. S. 502 u. 3.
*)
Ein merkwuͤrdiges Beyſpiel dieſer Art ſ. man in Möbius Dis-
sert. in. de Virgine ascitica post paracenthesin purpura maligna
exstincta. Lips.
1725.
*)
S. P. Frank epitome de curand. hom. morb. Lib. VI. p. I.
p.
476.
*)
S. Reil’s Archiv fuͤr Phyſiologie. Bd. VII. Heft 2.
*)
S. deſſen Saggio d’osservazioni e memorie sopra alcuni casi sin-
golari
u. ſ. w. angezeigt in d. Erg. Bl. d. allgem. Lit. Zeit. 1810.
No. 136.
**)
S. ueues nordiſches Archiv von Pfaff, Scheel und Rudolphi.
1r Bd. 1s St.
*)
Einige Beyſpiele dieſer Art ſ. bey P. Frank (Epitome d. hom.
morb. cur. Lib. VI. p. 1. p.
479. angefuͤhrt.
*)
S. davon Beyſpiele geſammelt bey Otto. Handb. d. pathol. Anat.
S. 241.
**)
Anfangsgruͤnde der Wundarzneyk. Bd. I. S. 302.
*)
a. a. O. S. 311.
*)
Iſt der Bruſtkrebs urſpruͤnglich eine oͤrtliche Krankheit? in B.
v. Siebold’s Chiron. Bd. 2. St. 3.
*)
Beſonders hat hierauf Lasserre in einem intereſſanten Aufſatze
des Journal universel des sciences médicales Juin 1819. p. 289.
aufmerkſam gemacht.
†)
Zuweilen hat man auch (namentlich Young) gegen Krebsknoten
der Bruͤſte, wie gegen die Balggeſchwuͤlſte derſelben, die Anwendung
eines mechaniſchen Druckes empfohlen, allein wir zweifeln ſehr an
der Nuͤtzlichkeit dieſes Verfahrens, ja befuͤrchten vielmehr dadurch
den Uebergang in Krebsgeſchwuͤr beſchleunigt zu ſehen (m. ſ. die
Nachricht von einer ungluͤcklich abgelaufenen Behandlung dieſer Art
in d. Salzb. medic. chirurg. Zeit. 1819. Nro. 13. aus d. Edinburgh
med. and. surg. Journal.
*)
S. Hufeland’s Journ. f. d. prakt. Heilk. 1809. 6s St.
**)
S. ebendaſ. Bd. XXV. St. 1.
***)
S. Richter Anfangsgr. d. Wundarznk. Bd. I. S. 298.
*)
Ueber das Unternehmen, den Bruſtkrebs, ſo wie den Gebaͤrmutter-
krebs durch Operation zu heilen, ſ. m. insbeſondre noch: F. J. Bey-
erle
uͤb. d. Krebs der Gebaͤrmutter. Manh. 1818.
*)
Richter (Anfangsgr. d. Wundarznk. 4r Bd. S. 416.) macht es
ſogar wahrſcheinlich, daß der Schmerz hierbey nicht viel groͤßer ſey,
als bey bloßer Exſtirpation. Ueberhaupt verdient hieruͤber die ganze
treffliche Abbandlung Richters a. a. O. nachgeleſen zu werden.
*)
a. a. O. S. 411.
*)
In d. Salzb. medicin. chirurg. Zeit. 1819. No. 42. iſt aus dem
Medical Repository von New York ein Fall dieſer Art mitge-
theilt.
**)
Charles Mansfield Clarke Beobachtungen uͤber d. Krank-
heiten des Weibes, welche mit Ausfluͤſſen begleitet ſind, uͤberſetzt
von Heineken. Hannover 1818. B. I. S. 185.
*)
Von der Dysurle, Iſchurke, Enureſis und den Harnfiſteln, in ſo-
fern ſie in Folge der Schwangerſchaft oder Geburt eintreten, wird
im zweyten Theile die Rede ſeyn.
*)
Ein Beyſpiel, wo ein Maͤdchen ſich abſichtlich, um ihre Aerzte zu
taͤuſchen, Steine u. ſ. w. in die Urethra brachte, iſt oben (§. 236.)
erwaͤhnt worden.
*)
a. a. O. S. 188. 192.
*)
So ſuchte vor einigen Jahren eine Frau, angeblich wegen eines
Gebaͤrmuttervorfalls (gegen welchen ſie ſich ſchon einige Peſſarien
anderwaͤrts ohne Erleichterung hatte legen laſſen) bey mir Hulfe.
Da wirklich, wahrſcheinlich in Folge oͤftern ſchmerzhaften Preſſens
beym Uriniren, der Uterus etwas vorgefallen war, ſollte ein elaſti-
ſches Peſſarium eingelegt werden, allein die Schmerzen wurden als-
bald heftiger. Ich entfernte das Peſſarium, beobachtete den Harn,
fand ihn mit Gries vermiſcht, und entdeckte nun beym Sondiren
einen betraͤchtlichen Stein als die Urſache ihres Leidens, welcher ſo-
dann durch den Schnitt gluͤcklich entfernt wurde.
*)
Hierher gehoͤrt der Vorſchlag Ritter’s (ſ. Hufeland’s Jour-
nal fuͤr die prakt. Heilk. Bd. XXV. Heft 2.), die alkaliſche Rinde
der Harnſteine durch verduͤnnte Salzſaͤure, den gelben geſaͤuerten
Kern derſelben durch Kalilauge aufzuloͤſen.

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Carus, Carl Gustav. Lehrbuch der Gynäkologie. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjtv.0