BeiL. Brunet.
1833.
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BeiL. Brunet.
1833.
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Inhalt.
- Erſter BriefSeite 1
- Zweiter Brief— 6
- Dritter Brief— 11
- Vierter Brief— 58
- Fuͤnfter Brief— 70
- Sechſter Brief— 82
- Siebenter Brief— 102
- Achter Brief— 111
- Neunter Brief— 140
- Zehnter Brief—156
- Elfter Brief— 191
- [VIII] Zwoͤlfter BriefSeite 207
- Dreizehnter Brief249
- Vierzehnter Brief257
- Fuͤnfzehnter Brief281
Erſter Brief.
— Als ich mich Strasburg naͤherte, ward
mir ſehr bange vor Quarantaine und Douane.
Es iſt etwas Gruͤnes und Gelbes, Afrikaniſch-
Schlangenartiges in dieſen Worten. Ich zitter¬
te vor dem gelben Hauſe auf der Rheinin¬
ſel, das, wie ich hoͤrte, zum Contumazgefaͤng¬
niſſe beſtimmt iſt, und, wie uranfaͤnglich zum
Tempel der Langeweile beſtimmt, verdruͤslich
und ſchlaͤfrig zwiſchen den Baͤumen hervorſah.
Es ging aber alles ſehr gut und ſchnell von
III. 1[2] Statten. Ich und meine Koffer wurden fuͤr
geſund und loyal erklaͤrt. Nicht einer wurde
aufgemacht, ſondern blos etwas oberflaͤchlich im
Wagen nachgeſehen. Das vorige Mal, da ich
mit einer Miethkutſche nach Strasburg kam,
wurde mir Alles durchſtoͤbert. Der Douanier
fragte mich, ob es mein eigener Wagen waͤre
und als ich es bejahte, traute er mir. Als
wenn nur reiche Leute ehrlich waͤren! O, ihr
armen Seelen habt es doch gar zu ſchlimm!
Wir Diebe, oder Enkel euerer Diebe, fuͤrchten
jede Stunde, ihr, von uns Beſtohlenen oder
Enkel der von uns Beſtohlenen, moͤchtet einmal
ſo klug werden, euer Eigenthum zuruͤckzufor¬
dern — welche diebiſche Geſinnung wir an euch
ſehr unmoraliſch finden; und darum trauen wir
euch nicht und paſſen ſehr auf.
Ich verliere immer den Kopf, ſo oft ich mit
einer Polizei oder Douane zu thun habe; denn
mir iſt ſehr gut bekannt, daß mit einem Spitz¬
[3] buben niemand groͤßere Aehnlichkeit hat als ein
ehrlicher Mann. Als mich der Zoͤllner fragte,
ob ich nichts zu deklariren haͤtte, antworte ich:
rien que quelques paquets de tabac pour ma
consomation. Darauf fragte er: votre qualité?
Ich verſtand, er wollte die Qualitaͤt des Ta¬
backs wiſſen und erwiederte: qualité ordinaire.
Er hatte aber nach meinem Stande gefragt.
Am Wachthauſe erkundigte ſich der Thorſchreiber
nach Neuigkeiten bei mir, und als ich von Po¬
len zu erzaͤhlen anfing, lief er ſchnell zuruͤck und
holte einen Gensd'armen und noch einen Her¬
ren aus der Wachtſtube. Letzterer, wahrſchein¬
lich ein Polizeibeamter, forſchte mich ſehr gruͤnd¬
lich nach Neuigkeiten uͤber Polen aus. Ich berich¬
tete Troͤſtliches, wofuͤr er mir ſehr artig dankte.
Dieſer Herr ſchien eigens an den Eingang der
Stadt beordert worden zu ſeyn, um die Rei¬
ſenden, die von Deutſchland kommen, auszu¬
fragen. Die Regierung mag große Unruhe ha¬
1*[4] ben. Auf meine Bemerkung uͤber die Volksbe¬
wegung, welche die Geſchichte von Warſchau
wahrſcheinlich in Paris hervorbringen werde,
gab mir der Polizeimann recht; doch laͤchelte
er dabei.
In Strasburg ſprach ich viele Deutſche und
einige franzoͤſiſche Patrioten. Sie haben bei
zwoͤlf Flaſchen Wein ſechs Fuͤrſten weggejagt.
Den Koͤnig von Preußen wollte ich beibehalten,
ward aber uͤberſtimmt. Hoͤflich, wie Sie mich
kennen, disputirte ich nicht lange. Mein Plan,
den Prinzen von Coburg zum Koͤnige von
Deutſchland zu machen, fand großen Beifall.
Sie werden bald mehr davon hoͤren.
Ich habe Gluͤck mit dem Wetter. Geſtern
in Strasburg regnete es, ich brauchte es nicht
beſſer. Heute aber iſt einer der ſchoͤnſten Tage,
die ich dieſen Sommer noch geſehen. Geſtern
Abend fuͤhrte mich * * * in Caſino, und
dann in ſein Haus zum Abendeſſen. Mein
[5] Kritiker, Profeſſor ***, war auch unter den
Gaͤſten. In einem zweiten Artikel aus meinen
Schriften ſind Pariſer Sachen uͤberſetzt, unter
andern die Erzaͤhlung vom Greve-Platz. Ganz
vortrefflich. *** las daraus vor. Er fragte
mich, was er ferner uͤberſetzen ſollte? Ich ant¬
wortete: die Wahl ſey ſchwer, es ſey alles
ſchoͤn.
Die Vorfaͤlle in Paris werden Sie erfahren
haben. Man zweifelt jetzt nicht mehr an der
Abdankung des Miniſteriums.. Ob Frankreich
in dieſer Stunde ein Koͤnigreich iſt oder eine
Republik, das mag der Himmel wiſſen. Ich
habe heute noch keine Zeitung geleſen.
— Iſt Maria noch muthig und beharr¬
lich? (In der Waſſerkur.) Auf jeder Poſt
begleite ich die Pferde an die Traͤnke, und ſau¬
fe mit ihnen gemeinſchaftlich.
[6]
Zweiter Brief.
Schon No. 4! Ach hielten wir nur ſchon
an No. 74, womit unſere vorjaͤhrige Correſpon¬
denz geendigt! Ihren Brief habe ich geſtern er¬
halten, alſo erſt am ſechsten Tage! Hu! Der
war ſchauerlich und roch nach Peſt. Sie haͤtten
ihn gewiß nur mit Handſchuhen beruͤhrt. Er
hatte zwoͤlf mit einem Meſſer gemachte Ein¬
ſchnitte, war ſo ſtark in Eſſig getraͤnkt, daß
man ihn auf eine Kopfbeule mit dem ſchoͤnſten
Erfolge haͤtte legen koͤnnen, und die Dinte war
[7] von der Schaͤrfe des Eſſigs ganz aufgeloͤßt.
Es war ein ſchwarzes Meer. Doch konnte ich
ihn deutlich leſen.
In Wien ſoll die Cholera ſchrecklich wuͤthen,
auch unter den hoͤhern Staͤnden. Sie iſt dort
ganz jakobiniſch und ruft: à bas les aristocra¬
tes! Das hat man von keinem andern Orte
gehoͤrt und an dieſer Boͤsartigkeit mag wohl die
bekannte Schlemmerei der Wiener Schuld ſeyn.
Zwar wird ſie die Furcht maͤßig gemacht haben;
aber die Maͤßigkeit eines Wiener Magenmen¬
ſchen iſt immer noch eine halbe Indigeſtion.
Auch geſtehen ſie dort ſelbſt, daß ihre Kranken¬
anſtalten noch nicht vollendet geweſen, als ſie
von der Cholera uͤberraſcht worden. Ich aber
bin uͤberzeugt, daß die verdammte Scheu der
Oeſtreichiſchen Regierung vor jeder Oeffentlich¬
keit, die Cholera in Wien verheerender gemacht
hat als ſonſt uͤberall. Der Oeſtreichiſche Beob¬
achter, den ich erſt geſtern geleſen, erzaͤhlt kein
[8] Wort von der Cholera. Der Tod, wie das
Leben iſt dort ein Staatsgeheimniß.
*** iſt auch noch hier, in Baden war
er ſo kraͤnklich, hier iſt er ganz geſund. Er
fragte mich nach meinen Damen. Es iſt
ſein leidenſchaftlicher Wunſch mit ſeiner Fami¬
lie hier wohnen zu koͤnnen. Paris gefaͤllt ihm
ungemein, aber, wie mir, mehr das oͤffent¬
liche Leben; Geſellſchaften beſucht er wenig.
Von den Franzoſen in politiſcher Beziehung hat
er die ſchlechteſte Meinung bekommen, auch
von der Oppoſitions-Parthei. Sie waͤren ganz
wie vernagelt, und von dem Auslande, beſon¬
ders von deutſchen Verhaͤltniſſen, haͤtten ſie
nicht die gemeinſten Schuͤlerkenntniſſe.
Ein Italieniſcher Saͤnger Rubini iſt jetzt
hier; der ſoll ein Wunder ſein, Alle, die ſtreng¬
ſten Kenner, ſind entzuͤckt von ihm. Meine
Malibran iſt noch abweſend. Inzwiſchen hat
die Paſta, die viel verlohren haben ſoll, deren
[9] Rollen uͤbernommen. Die Devrient iſt dieſen
Winter am italieniſchen Theater engagirt. Meier-
Beer's Oper koͤmmt bald zur Auffuͤhrung ...
O Pfui! was krieche ich da auf dem Papiere
herum, wie eine Abendblatt-Laus!
Ich denke immer noch daran ein Jour¬
nal herauszugeben und von Neujahr damit an¬
zufangen; bis dahin aber den Stoff vorzube¬
reiten. Ich will auch ſuchen in die Kunſt ein¬
zudringen, die mir bis jetzt fremd war. Ich
muß auf ein ruhiges Aſyl fuͤr meinen Geiſt
bedacht ſeyn; denn aus dem Gebiete der Po¬
litik, wie ich vorherſehe, werden wir Deutſche
bald vertrieben werden.
Das Wetter wird alle Tage ſchoͤner. Ge¬
ſtern habe ich bei *** in Paſſy gegeſſen.
Er wohnt am Bois de Boulogne, in einem
ſchoͤn gelegenen Hauſe, das eine herrliche Aus¬
ſicht auf Stadt und Land hat. Ueber der
Thuͤre iſt ein Italieniſcher Namen eingehauen,
[10] der eines Arztes, dem vor dreihundert Jahren
Franz I. dies Haus geſchenkt. In dem nehm¬
lichen Hauſe wohnte vor ſechszig Jahren Frank¬
lin, und der erſte (bekanntlich von ihm er¬
fundene) Blitzableiter, den Paris bekam, wur¬
de auf dies Haus geſetzt.
[11]
Dritter Brief.
Nun, ſchmeckt Ihnen Frankfurt? Ich
denke wie Kamillenthee. Nicht gerade erſt
jetzt wegen dieſer Choleriſchen Zeit; mir hat
es immer ſo geſchmeckt. Eine Apotheke —
alles getrocknet, alles zerſtoßen, alles in Buͤch¬
ſen und Schachteln. Nichts friſch, nichts ganz,
nichts frei. Und der vornehme Moſchus-Ge¬
ruch, den der Bundestag zu uns gebracht, der
macht einem gar uͤbel. Iſt noch nichts ver¬
ordnet wie viele Juden an der Cholera ſterben
[12] ſollen? Wie viele Einheimiſche, wie viele
Fremde? Geht es nach der Anciennitaͤt der
Leibſchmerzen oder wird nach Gunſt verfahren?
Was es mir in dieſer Peſt- und Krieges¬
zeit fuͤr Verdruß macht, daß ich ſo wenige
Naturkenntniſſe habe, kann ich Ihnen nicht ge¬
nug klagen, und nie verzeihe ich es Ihnen,
daß Sie mich ſo ſchlecht erzogen haben. Ei¬
gentlich bin ich ganz auf die Natur angewie¬
ſen, ich habe einen unbeſchraͤnkten Kredit bei
ihr und ſie hat noch alle meine Forderungen
bewilligt. Ich bin ein gebohrener Naturphi¬
loſoph. Ich habe von meiner fruͤheſten Jugend
an Gott und Menſchheit vom Standpunkte der
Natur betrachtet; die Religion war mir das
All-Element, die Geſchichte eine Art hoͤherer
Magnetismus; Geiſt und Materie unterſchied
ich nie; der Geiſt war mir eine unſichtbare
Materie, die Materie ein unſichtbarer Geiſt.
Dieſer Naturglaube gab mir eine gemeinſchaft¬
[13] liche Regel, gemeinſchaftliches Maas und Ge¬
wicht fuͤr Alles. Darum ſetzte mich nie etwas
in Verwirrung; darum verwunderte ich mich
nie uͤber etwas. Komete, Peſte, Kriege, Re¬
volutionen und Erdbeben, wußte ich immer in
die natuͤrlichſten Verbindungen zu bringen, und
wenn mir die Anmaßung der unwiſſenden
Menſchen, die das Alles fuͤr Aberglauben er¬
klaͤren, nicht laͤcherlich erſcheint, ſo habe ich
dieſe Nachſicht eben auch meiner Natur-Phi¬
loſophie zu danken, die mich lehrt, daß Dumm¬
heit und Menſchenduͤnkel Elemente ſind, wie
andere. Nun habe ich zwar ein gluͤckliches
Ahndungsvermoͤgen, das mich Blinden auf den
rechten Weg fuͤhrt; aber den Weg kenne ich
nicht, und ich weiß weder Andern noch mir
ſelbſt zu beweiſen, wovon ich doch ſo feſt uͤber¬
zeugt bin. Und daran ſind Sie ſchuld.
Ein Aufſatz uͤber die Cholera, den die all¬
gemeine Zeitung in den letzten Tagen enthielt,
[14] hat mich von meiner Unwiſſenheit in den Na¬
turwiſſenſchaften recht betruͤbt uͤberzeugt. Der
Verfaſſer hat ganz meine Anſicht, daß die epi¬
demiſchen Krankheiten der Menſchen mit den
Krankheiten der Erde zuſammenhingen. Nur
ſpricht er von feuerſpeienden Bergen, von Erd¬
beben, Elektrizitaͤt, ungewoͤhnlicher Abweichung
der Magnetnadel und andern Dingen, die ich
wenig verſtehe und was Sie mir in Ihrem
naͤchſten Briefe, wie ich hoffe, all erklaͤren wer¬
den. Der Verfaſſer kommt zu dem Reſulta¬
te: daß die Cholera hoͤchſtens in ſehr gelinder
Art, vielleicht aber gar nicht weiter nach dem
weſtlichen Europa vordringen wuͤrde. Er meint,
die unterdeſſen ſtattgehabten Erdbeben und Aus¬
bruͤche der Vulkane, ſo wie die Entſtehung
neuer vulkaniſcher Inſeln bei Sicilien haͤtten
dieſen Theil der kranken Erde geheilt. Wir
werden ſehen. Ich moͤchte den Vorſchlag ma¬
chen, Kamillen- und Pfeffermuͤnzthee, ſtatt ihn
[15] den Menſchen einzugeben, lieber der Erde ſelbſt
einzugießen, indem man große Loͤcher hinein¬
graͤbt; und um die ganze Erde in der Ge¬
gend des Aequators eine Flanellbinde zu le¬
gen, ſie vor Erkaͤltung zu ſchuͤtzen. Dann
wuͤrde die Cholera aufhoͤren. Was ſagen Sie
dazu?
— Die Juden ſind duͤmmer wie Vieh,
wenn ſie ſich einreden, bei entſtehender Revo¬
lution wuͤrden ſie von den Regierungen ge¬
ſchuͤtzt werden. Nein, man wuͤrde ſie dem
Volkshaſſe aufopfern; die Regierungen wuͤr¬
den ſuchen ſich um dieſen Preis von der Re¬
volution loszukaufen. Wenn man in Indien
die graͤuliche Boaſchlange erlegen will, jagt
man ihr einen Ochſen entgegen; den frißt ſie
ganz auf und dann, wenn ſie ſich nicht mehr
bewegen kann, toͤdtet man ſie. Die Juden
werden die Ochſen ſeyn, die man der Revo¬
lution in den Rachen fuͤhrt, und wenn ſie ſich
[16] nicht auf mein Journal abbonniren mag ihnen
Gott gnaͤdig ſeyn.
Geſtern Abend war * * * bei mir, um
Abſchied zu nehmen. Er reiſt heute zuruͤck.
Es giebt nichts komiſcheres als die Verzweif¬
lung dieſes Mannes, wieder in den deutſchen
Kerker eingeſperrt zu werden, und nicht in Pa¬
ris bleiben zu koͤnnen. Mich beneidet er wie
einen Gott. Mit * * * iſt es das Nehmli¬
che. Vor einigen Tagen ſprach ich von ſeiner
baldigen Abreiſe mit ihm; daruͤber ward er
ganz wild und faſt boshaft, und bat mich
um Gotteswillen, doch von dieſer Sache nicht
zu ſprechen.
Liſt hat ein ſehr gutes Buͤchelchen in
franzoͤſiſcher Sprache, uͤber Eiſenbahnen hier
drucken laſſen. Es ſoll ſich eine Aktiengeſell¬
ſchaft bilden, welche Eiſenbahnen von Paris
nach Havre und Strasburg fuͤhren, ſo daß
man in zwoͤlf Stunden von hier nach Stras¬
[17] burg wird reiſen koͤnnen, und weiter nach
Frankfurt gezogen in achtzehn Stunden dort¬
hin. Wenn ich Morgens von hier abreiſte,
koͤnnte ich Abends Thee bei Ihnen trinken und
den andern Abend wieder hier ſeyn. Welch
ein reizender Gedanke! Heine ſagt zwar, es
ſei eine ſchreckliche Vorſtellung, in zwoͤlf Stun¬
den ſchon in Deutſchland ſeyn zu koͤnnen.
Dieſe Eiſenbahnen ſind nun meine und Liſt's
Schwaͤrmereien, wegen ihrer ungeheuern politi¬
ſchen Folgen. Allem Despotismus waͤre da¬
durch der Hals gebrochen, Kriege ganz unmoͤg¬
lich. Frankreich, wie jedes andere Land,
koͤnnte dann die groͤßten Armeen innerhalb
vier und zwanzig Stunden von einem Ende
des Reichs zum andern fuͤhren. Dadurch
wuͤrde der Krieg nur eine Art Ueberrumpelung
im Schachſpiel, und gar nicht mehr auszufuͤhren.
Ich freue mich, daß Sie jetzt wegen der
Cholera beruhigter ſind. Aber ich mußte laut
III. 2[18] auflachen, als Sie mir Vorwuͤrfe machten, ich
haͤtte Ihnen die Angſt eingeredet. Das waͤre
Waſſer in den Main tragen. Merkur, der
Gott der Beredtſamkeit, wenn er ein paar
Bouteillen Champagner getrunken hat und be¬
ſonders begeiſtert iſt, koͤnnte Ihnen vielleicht
eine Furcht ausreden; aber einreden —
das vermag kein Gott; da iſt alles ſo vollge¬
pfropft, daß nicht fuͤr die kleinſte Furcht mehr
Platz iſt. Ich kann mir wirklich nicht anders
erklaͤren wie Sie die Cholerafurcht in Ihrem
Angſtmagazin haben unterbringen koͤnnen, als
daß ich annehme, Sie haben vorher andere
Aengſte herausgeworfen. Sehen Sie, das nennt
man in der Aeſthetik ſatyriſche Schreibart!
Verlaſſen Sie ſich darauf, daß unſer Profeſſor
Oertel mit ſeiner Waſſerkur gegen Cholera Recht
hat. Ich habe keinen Augenblick daran gezwei¬
felt. Ich habe geſtern wieder zwei neue Hefte
von Oertels Waſſer-Bibel bekommen, worin
[19] ſchoͤne Beiſpiele vorkommen. Unter andern:
Vor kurzem ſtarb in Anſpach eine alte Jungfer
von 97 Jahren. Die Todtenweiber, die mit
dieſem armen alten Hunde keine Umſtaͤnde ma¬
chen wollten, wuſchen ſie, ſtatt wie uͤblich mit
warmen, mit kaltem Waſſer. Davon wachte
die Jungfer aus dem Scheintode wieder auf und
lebte noch drei Tage.
Ein Baron von Maltitz, ſeit kurzem hier,
hat mich vorgeſtern beſucht. Es iſt der Schrift¬
ſteller, deſſen Buch Gelaſius der graue
Wanderer ich kritiſirt, und der mir in ir¬
gend einer Zeitung dafuͤr gemuͤthlich gedankt,
und mich dabei: Alter Boͤrne! angeredet
hat. Seine Schriften machen Gluͤck und werden
viel gekauft. Vor mehreren Jahren ließ er in
Berlin ein Schauſpiel der alte Student
(es iſt gedruckt) auffuͤhren. Das Stuͤck ent¬
hielt Anſpielungen auf die fruͤhere Unabhaͤngig¬
keit Polens. Dieſe wurden bei der Auffuͤhrung
2*[20] von jungen polniſchen Studenten gehoͤrig ge¬
deutet und mit Enthuſiasmus beklatſcht. Zur
Strafe wurde Maltitz, obzwar ſein Stuͤck die
Cenſur paſſirt hatte, und er ein gebohrener
Preuße iſt, aus dem Lande verbannt. In der
letzten Zeit ſchrieb er ein epiſches Gedicht Polo¬
nia, was ſehr viel geleſen wird. Selbſt in
Paris wurden 200 Exemplare verkauft.
Goethes Tagebuch, von dem ich Ihnen
neulich geſchrieben, habe ich nun geendigt. So
eine duͤrre lebloſe Seele giebt es auf der Welt
nicht mehr, und nichts iſt bewundernswuͤrdiger
als die Naivitaͤt, mit welcher er ſeine Gefuͤhl¬
loſigkeit an den hellen Tag bringt. Das Buch
iſt eine wahre Bibel des Unglaubens. Ich ha¬
be beim Leſen einige Stellen ausgezogen, und
ich lege das Blatt hier bei. Viele Bemerkun¬
gen hieruͤber waren gar nicht noͤthig; Goethes
klarer Text macht die Noten uͤberfluͤſſig. Und
ſolche Conſuln hat ſich das deutſche Volk ge¬
[21] waͤhlt! Goethe — der angſtvoller als eine Maus,
beim leiſeſten Geraͤuſche ſich in die Erde hin¬
einwuͤhlt, und Luft, Licht, Freiheit, ja des Le¬
bens Breite, wonach ſich ſelbſt die todtgeſchaffe¬
nen Steine ſehnen — alles, alles hingiebt, um
nur in ſeinem Loche ungeſtoͤrt am geſtohlenen
Speckfaden knuppern zu koͤnnen — und Schil¬
ler, der edler aber gleich muthlos, ſich vor
Tyrannei hinter Wolkendunſt verſteckt, und oben
bei den Goͤttern vergebens um Huͤlfe fleht, und
von der Sonne geblendet die Erde nicht mehr
ſieht, und die Menſchen vergißt, denen er Ret¬
tung bringen wollte. Und ſo — ohne Fuͤhrer,
ohne Vormund, ohne Rechtsfreund, ohne Be¬
ſchuͤtzer — wird das ungluͤckliche Land eine
Beute der Koͤnige und das Volk der Spott der
Voͤlker.
— Fragen Sie mich ſo oft Sie wollen nach
dem Straßenkothe; aber fragen Sie mich nie
nach der franzoͤſiſchen Politik. Es iſt ein gar
[22] zu ſchmutziges Ding. Voriges Jahr ſagte ich:
Der Koͤnig iſt verlohren; jetzt ſage ich: Frank¬
reich iſt verlohren. Wenn nicht der Senator
*** oder ſonſt ſo ein frankfurter Philiſter,
beſſer Frankreich regierte als das Miniſte¬
rium, will ich ein Schurke ſeyn. Gelobt
wird auch die Regierung von allen fremden
Kabinetten wie ein Kind, das ſich artig aufge¬
fuͤhrt. — Es iſt eine Schmach! und ſtolz ſind
ſie auf dieſes Lob — es iſt Wahnſinn. — Der
Koͤnig wohnt jetzt in den Tuillerien. Er woll¬
te es ſich bequem machen, er iſt jetzt dem Place
LouisXV. etwas naͤher, als im Palais
Royal.
In Berlin iſt ein junger Referendarius zu
einjaͤhriger Feſtungsſtrafe verurtheilt worden,
weil er mehrere Artikel, die im Meſſager uͤber
die preußiſche Regierung geſtanden, ins Deutſche
uͤberſetzt und einigen Freunden zu leſen gegeben
hatte. Das Urtheil lautet: „weil er verſucht
[23] Mißvergnuͤgen gegen die Regierung zu erregen.“
Jetzt iſt es ſogar ein Verbrechen, wenn Einem
die Regierung kein Vergnuͤgen macht! Da
muͤßte man die Regierungen zuerſt einſperren,
denn dieſe verbreiten am meiſten Mißvergnuͤgen
gegen ſich ſelbſt. Alles gehet zuruͤck, theure
Freundin. Der Jammer iſt nur, daß wir nicht
mit zuruͤckgehen, und wieder jung und dumm
werden. Adieu, ich gehe in's Louvre. Ich ſtu¬
diere jetzt Gemaͤlde und Thiere. Vorgeſtern im
Jardin des Plantes war ich ganz verlohren in
dem Anblicken der herrlichen Loͤwen. Der Eine
hat ein junges Huͤndchen zum Zeitvertreibe in
ſeinem Kaͤfig. Der Loͤwe ſchlief, das arme
Huͤndchen ſaß in dem entfernteſten Winkel, be¬
trachtete den Loͤwen mit unverwandten Blicken,
ruͤhrte ſich nicht und ſah betruͤbt aber unterwuͤr¬
fig aus. Es war ein ruͤhrendes Bild der Wil¬
lenloſigkeit, wie der Loͤwe ein ſchreckliches der
Willkuͤhr. Ich wuͤnſchte Loͤwe oder Huͤndchen
[24] zu ſeyn; aber ſo in der Mitte ſtehen, den Stolz
des Loͤwens und die Schwaͤche des Huͤndchens
— das iſt die Langeweile.
[25]
Tag- und Jahrs-Hefte als Ergaͤnzung
meiner ſonſtigen Bekenntniſſe, von
1789 bis 1806.
(Goethes Werke 31ſter Band.)
„Der Geiſt naͤhert ſich der wirklichen,
wahrhaften Natur, durch Gelegenheits-Ge¬
dichte.“ — Wie Einen Gelegenheits-Gedichte
zur wahrhaften Natur fuͤhren koͤnnen, begrei¬
fe ich nicht, Goethe muͤßte denn auch die
Liebe zu den Gelegenheiten rechnen — was
ihm leicht zuzutrauen iſt. Aber wer ein ſo
wetterwendiſches Herz hat, daß ihn die Ge¬
legenheit leicht in ihre Kreiſe fortzieht, wenn
die Gelegenheit das Herz nicht bricht, der
2*[26] hat die Dichtkunſt gefunden, geſtohlen, erwor¬
ben vielleicht mit ſeiner Haͤndearbeit, geſchenkt
wurde ſie ihm nie.
1789.
Kaum hatte ſich Goethe nach ſeiner Ruͤck¬
kehr aus Italien in die Weimariſchen Ver¬
haͤltniſſe wieder eingeſponnen, als die Revo¬
lution losbrach. „Schon im Jahre 1785
„hatte die Halsbandgeſchichte einen unausſprech¬
„lichen Eindruck auf mich gemacht. In dem
„unſittlichen Stadt-, Hof- und Staatsab¬
„grunde, der ſich hier eroͤffnete, erſchienen
„mir die graͤulichſten Folgen geſpenſterhaft, de¬
„ren Erſcheinung ich geraumere Zeit nicht los¬
„werden konnte; wobei ich mich ſo ſeltſam be¬
„nahm, daß Freunde, unter denen ich mich
„eben auf dem Lande aufhielt, als die erſte
„Nachricht hievon zu uns gelangte, mir nur
„ſpaͤt, als die Revolution laͤngſt ausgebrochen
[27] „war, geſtanden, daß ich ihnen damals wie
„wahnſinnig vorgekommen ſei. Ich verfolgte
„den Prozeß mit großer Aufmerkſamkeit, be¬
„muͤhete mich in Sicilien um Nachrichten von
„Caglioſtro und ſeiner Familie, und verwan¬
„delte zuletzt, nach gewohnter Weiſe, um alte
„Betrachtungen los zu werden, das ganze
„Ereigniß unter dem Titel: der Groß-
„Cophta, in eine Oper, wozu der Gegen¬
„ſtand vielleicht beſſer als zu einem Schau¬
„ſpiele getaugt haͤtte.“ Die Ausbruͤche der
Revolution zu einer Oper begeiſtert! Wer je¬
des Gefuͤhl, ſobald es ihm Schmerzen verur¬
ſacht, gleich ausziehen laͤßt wie einen hohlen
Zahn, den wird freilich nichts in ſeinem
Schlafe ſtoͤren; aber mit Gefuͤhlloſigkeit, mit
einer hohlen Seele, iſt der Schlaf doch et¬
was zu theuer bezahlt!
O welch' ein Klein-Cophta! Statt in
der Hofgeſchichte eine Weltgeſchichte zu ſehen,
[28] ſieht er in der Weltgeſchichte eine Hofge¬
ſchichte. Und wie ihn ſeine Philiſter-Ehr¬
furcht vor den Großen wie blind und taub,
ſo auch ſtumm gemacht. Den Cardinal Ro¬
han verwandelt er in einen Domherrn. Die
Koͤnigin in eine unvermaͤhlte Dame! Es iſt
gar kein Sinn in dieſer Geſchichte, ſo darge¬
ſtellt. Aber Caglioſtro! Es iſt nicht zu
leugnen, daß ihn Goethe mit Freundſchaft be¬
handelt. Es war Dankbarkeit. Einem mo¬
raliſchen Gourmand wie Goethe mußte Cag¬
lioſtro's Lehre, die er im hoͤchſten Grade ſei¬
ner Myſterien, nach langer, langer Pruͤfung,
endlich dem Eingeweiheten offenbarte — die
Lehre: — „Was du willſt, das die Menſchen
„fuͤr dich thun ſollen, das thue fuͤr ſie nicht,“
— dieſe Lehre des Anti-Chriſts mußte wohl
einem Goethe munden.
1790.
Kehrte mit der Fuͤrſtin Amalie von ſei¬
ner zweiten Reiſe in Italien zuruͤck. „Kaum
„nach Hauſe gelangt, ward ich nach Schleſien
„beordert, wo eine bewaffnete Stellung zweyer
„großen Maͤchte den Congreß von Reichen¬
„bach beguͤnſtigte. Erſt gaben Cantonierungs¬
„quartiere Gelegenheit zu einigen Epigram¬
„men ... In Breslau hingegen, wo ein
„ſoldatiſcher Hof und zugleich der Adel einer
„der erſten Provinzen des Koͤnigreichs glaͤnzte,
„wo man die ſchoͤnſten Regimenter ununter¬
„brochen marſchiren und manoͤvriren ſah, be¬
„ſchaͤftigte mich unaufhoͤrlich, ſo widerlich es
„auch klingen mag, die vergleichende Ana¬
„tomie, weßhalb mitten in der bewegteſten
„Welt ich als Einſiedler in mir ſelbſt abge¬
„ſchloſſen lebte. Dieſer Theil des Naturſtu¬
„diums war ſonderbarlich angeregt worden.
[30] „Als ich nehmlich auf den Duͤnen des Liedo,
„welche die venezianiſchen Lagunen von dem
„adriatiſchen Meere ſondern, mich oftmals er¬
„ging, fand ich einen ſo gluͤcklich geborſtenen
„Schafſchaͤdel, der mir... jene große fruͤher
„von mir erkannte Wahrheit: die ſaͤmmtlichen
„Schaͤdelknochen ſeyen aus verwandelten Wir¬
„belknochen entſtanden, abermals bethaͤtigte....“
Was? Goͤthe ein reich begabter Menſch,
ein Dichter; damals in den ſchoͤnſten Jahren
des Lebens, wo der Juͤngling neben dem
Manne ſteht, wo der Baum der Erkenntniß
zugleich mit Bluͤthen und mit Fruͤchten pran¬
get — er war im Kriegsrathe, er war im
Lager der Titanen, da, wo vor vierzig Jah¬
ren der zwar freche, doch erhabene Kampf
der Koͤnige gegen die Voͤlker begann — und
zu nichts begeiſterte ihn dieſes Schauſpiel, zu
keiner Liebe, zu keinem Haſſe, zu keinem Ge¬
bete, zu keiner Verwuͤnſchung, zu gar nichts
[31] trieb es ihn an, als zu einigen Stachelgedich¬
ten, ſo werthlos, nach ſeiner eigenen Schaͤ¬
tzung, daß er ſie nicht einmal aufbewahrte,
ſie dem Leſer mitzutheilen? Und als die
praͤchtigſten Regimenter, die ſchoͤnſten Officiere
an ihm voruͤberzogen, da — gleich der jun¬
gen blaſſen Frau eines alten Mannes —
bot ſich ſeinem Beobachtungsgeiſte kein ande¬
rer, kein beſſerer Stoff der Betrachtung dar,
als die vergleichende Anatomie? Und als er
in Venedig am Ufer des Meeres luſtwandelte
— Venedig, ein gebautes Maͤhrchen aus
Tauſend und einer Nacht; wo alles toͤnt und
funkelt: Natur und Kunſt, Menſch und Staat,
Vergangenheit und Gegenwart, Freiheit und
Herrſchaft; wo ſelbſt Tyrannei und Mord nur
wie Ketten in einer ſchauerlichen Ballade klir¬
ren; die Seufzer-Bruͤcke, die Zehen-Maͤnner;
es ſind Scenen aus dem fabelhaften Tartarus
— Venedig, wohin ich ſehnſuchtsvolle Blicke
[32] wende, doch nicht wage ihm nahe zu kommen,
denn die Schlange oͤſterreichiſche Poli¬
zei liegt davor gelagert, und ſchreckt mich
mit giftigen Augen zuruͤck — dort, die Son¬
ne war untergegangen, das Abendroth uͤber¬
flutete Meer und Land, und die Purpurwel¬
len des Lichtes ſchlugen uͤber den felſigen
Mann und verklaͤrten den ewig Grauen —
und vielleicht kam Werthers Geiſt uͤber ihn,
und dann fuͤhlte er, daß er noch ein Herz
habe, daß es eine Menſchheit gebe um ihn,
einen Gott uͤber ihm, und dann erſchrak er
wohl uͤber den Schlag ſeines Herzens, ent¬
ſetzte ſich uͤber den Geiſt ſeiner geſtorbenen
Jugend; die Haare ſtanden ihm zu Berge,
und da, in ſeiner Todesangſt, „nach gewohn¬
ter Weiſe, um alle Betrachtungen loszuwer¬
den“ — — verkroch er ſich in einen ge¬
borſtenen Schafs-Schaͤdel und hielt
ſich da verſteckt, bis wieder Nacht und Kuͤhle
[33] uͤber ſein Herz gekommen! Und den Mann
ſoll ich verehren? Den ſoll ich lieben? Eher
werfe ich mich vor Fitzli-Putzli in den Staub;
eher will ich Dalai-Lama's Speichel koſten.
Haͤtte Deutſchland, ja haͤtte die ganze Welt
nur zwei Dichter, nur zwei Brunnen, ohne
die das Herz verſchmachten muͤßte in der
Sandwuͤſte des Lebens — nur Kotzebue und
Goethe — Tauſendmal lieber labte ich mei¬
nen Durſt mit Kotzebue's warmer Thraͤnen-
Suppe, die mich doch wenigſtens ſchwitzen
macht, als mit Goethe's gefrorenem Weine,
der nur in den Kopf ſteigt, und dort hinauf
alles Leben pumpt.
1792.
„In der Mitte des Sommers ward ich
„abermals ins Feld berufen, dießmal zu ern¬
„ſteren Scenen. Ich eilte uͤber Frankfurt,
III. 3[34] „Mainz, Trier und Luxemburg nach Longwi,
„welches ich den 28. Auguſt (Goethe's Ge¬
„burtstag — das vergißt er nie) ſchon ein¬
„genommen fand; von da zog ich mit bis
„Valmy, ſo wie auch zuruͤck bis Trier; ſo¬
„dann, um die unendliche Verwirrung der
„Heerſtraße zu vermeiden, die Moſel hinab
„nach Koblenz, Mannheim. Naturerfahrun¬
„gen ſchlangen ſich, fuͤr den Aufmerkſamen,
„durch die bewegten Kriegsereigniſſe. Einige
„Theile von Fiſchers phiſikaliſchen Woͤrter¬
„buche begleiteten mich; manche Langeweile,
„ſtockende Tage betrog ich durch fortgeſetzte
„chromatiſche Arbeiten...“ Kein Wort uͤber
die Kriegsereigniſſe! Intereſſirt ihn auch die
Politik nicht, konnte ihn doch als Dichter
und Beobachter das Kriegsleben, dem es an
beliebter plaſtiſcher Dickleibigkeit gewiß nicht
fehlt, Stoff zu Wahrnehmungen und kuͤnſt¬
leriſchen Darſtellungen geben. Aber die ehr¬
[35] furchtsvolle Scheu, von hoͤchſten und allerhoͤch¬
ſten Perſonen und ihren hoͤchſten und aller¬
hoͤchſten Dummheiten zu reden, laͤßt ihn noch
nach vierzig Jahren verſtummen.
1793.
Waͤhrend der Blockade von Mainz, der
er bis zum Ende der Belagerung beiwohnte,
beſchaͤftigte er ſich mit Reinecke Fuchs und
uͤbte ſich im Hexameter. Warum ſagt er
nicht, was er zu jener Zeit ſo oft im Haupt¬
quartier gemacht? Hat er vielleicht an der
Abfaſſung des beruͤhmten Manifeſts des Her¬
zogs von Braunſchweig Theil gehabt? Auch
fuhr er fort am Rhein unter freiem Himmel
die Farbenlehre zu treiben.
„Und ſo hielt ich, fuͤr meine Perſon we¬
„nigſtens, mich immer feſt an dieſe Studien,
„wie an einem Balken im Schiffbruch; denn
3*[36] „ich hatte nun zwei Jahre unmittelbar und
„perſoͤnlich das fuͤrchterliche Zuſammenbrechen
„aller Verhaͤltniſſe erlebet.“
„Einem thaͤtigen, productiven Geiſte, ei¬
„nem wahrhaft vaterlaͤndiſch geſinnten, und
„einheimiſche Literatur befoͤrdernden Manne
„wird man es zu Gute halten, wenn ihn der
„Umſturz alles Vorhandenen ſchreckt, ohne daß
„die mindeſte Ahndung zu ihm ſprach, was
„denn beſſeres, ja nur anderes daraus erfol¬
„gen ſolle. Man wird ihm beiſtimmen, wenn
„es ihn verdrießt, daß dergleichen Influenzen
„ſich nach Deutſchland erſtrecken, (die franzoͤ¬
„ſiſche Revolution eine verdriesliche Ge¬
„ſchichte!) und verruͤckte, ja unwuͤrdige Per¬
„ſonen das Heft ergreifen. In dieſem Sin¬
„ne war der Buͤrgergeneral geſchrieben,
„ingleichen die Aufgeregten entworfen, ſo¬
„dann die Unterhaltungen der Ausge¬
„wanderten.“
Der Buͤrgergeneral ward gegen Ende von
1793 in Weimar aufgefuͤhrt, „aber die Ur¬
„bilder dieſer luſtigen Geſpenſter waren zu
„furchtbar, als daß nicht ſelbſt die Scheinbil¬
„der haͤtten beaͤngſtigen ſollen.“
Nun wahrhaftig, die in Weimar muͤſſen
unerhoͤrt ſchwache Nerven gehabt haben, wenn
ſie dies Scheinbild der franzoͤſiſchen Revolu¬
tion, das Goethe im erwaͤhnten Luſtſpiele dar¬
ſtellt, in Angſt verſetzt hat. Ich glaube es
aber nimmermehr. Sie werden ſich wohl bei
der Auffuͤhrung jener Poſſen eben ſo gelang¬
weilt haben, als ich es beim Leſen gethan,
mit dem ich ſo eben fertig geworden; und
Goethe ſchrieb das Gaͤhnen ſtatt der Lange¬
weile den Vapeurs zu. Des Buͤrgergene¬
rals großer Inhalt iſt folgender: Gevatter
Schnaps, ein Dorfbarbier, ließ ſich wei߬
machen: Zu den Jacobinern in Paris, welche
alle geſcheide Leute in allen Laͤndern aufſuch¬
[38] ten, an ſich zoͤgen und benutzten, waͤre ſein
Ruf erſchollen, und ſeit einem halben Jahre
gaͤben ſie ſich alle erdenkliche Muͤhe, ihn fuͤr
die Sache der Freiheit und Gleichheit zu ge¬
winnen. Man kenne in Paris ſeinen Ver¬
ſtand und ſeine Geſchicklichkeit. Ein Spaßvo¬
gel, der ſich fuͤr einen Abgeſandten der Jaco¬
biner ausgiebt, ernennt den Barbier zum Buͤr¬
gergeneral und beauftragt ihn, in ſeinem Dor¬
fe die Revolution anzufangen. Man giebt ihm
eine Freiheitsmuͤtze, Saͤbel, Uniform und ei¬
nen falſchen Schnurrbart. Die ganze Frei¬
heits-Komoͤdie geht aber darauf hinaus, den
Bauer Martin um einen Topf Milch zu
prellen. Und in dieſe alberne Milchſuppen¬
geſchichte wollte Goethe den Weimaranern ei¬
nen Abſcheu vor der franzoͤſiſchen Revolution
einbrocken! Und die Weimarer ſollen wirklich
Kraͤmpfe davon bekommen haben! Es iſt nicht
moͤglich.
[39]
Noch laͤcherlicher iſt das Luſtſpiel die
Aufgeregten. Auch in dieſem dramati¬
ſchen Bilde wollte Goethe die Graͤuel der
franzoͤſiſchen Revolution darſtellen, um die
Deutſchen vor Freiheitsſchwindel zu bewahren.
Nun leſe man die Folgen, welche das un¬
gluͤckſelige Revolutionsfieber in einem Doͤrf¬
chen gehabt. Erſte Folge. Louiſe ſagt:
ſie habe vergangenen Winter ein Paar Struͤm¬
pfe mehr geſtrickt, weil ihr Vater, der Bar¬
bier, ihr Muße dazu gegeben, da er wegen
der Zeitungen ſpaͤter nach Hauſe gekommen.
Zweite Folge. Das Kind der Graͤfin faͤllt
ſich ein Loch in den Kopf, weil ſein Hofmei¬
ſter, der die Zeitungen las, nicht auf das¬
ſelbe Acht gegeben. Und das iſt Alles! Die
Berliner freilich werden manches in dieſem
Drama ſehen, was einem kurzſichtigen Suͤd¬
deutſchen entgeht. Sie haben einen Herſchel¬
ſchen Goͤthoſkop — wir nur unſere Augen.
1794.
„Man ſendete mir aus dem ſuͤdlichen und
„weſtlichen Deutſchland Schatzkaͤſtchen, Spar¬
„thaler, Koſtbarkeiten mancher Art, zum treuen
„Aufbewahren, die mich als Zeugniß großen
„Zutrauens erfreuten, waͤhrend ſie mir als
„Beweiſe einer beaͤngſtigten Nation traurig vor
„Augen ſtanden.“
Guter Gott, welche Gewichte ſind es, die
den zentnerſchweren Haß Goethes gegen die
franzoͤſiſche Revolution bildeten! Seine liebe
Mutter in Frankfurt hatte ein bequemes Haus
mit ſchoͤnen Moͤbeln, mit wohlverſorgtem Kel¬
ler, mit Buͤchern, Kupferſtichen und Landkar¬
ten. Durch die Feindſeligkeiten der Franzoſen
geaͤngſtigt, wollte die Mutter ihren Beſitz ver¬
aͤußern, ſich eine Wohnung miethen; aber eben
wegen der unruhigen Zeiten wurden unvor¬
theilhafte Kaufantraͤge gemacht; das Berathen
[41] mit Freunden und Maͤklern war von unendli¬
cher Verdrießlichkeit. Und das der Schmerz
eines Dichters! Iſt der ein Mann des Jahr¬
hunderts, der mit ſolchem Herzen einer Ein¬
tagsfliege die Welt umfaßt?
Er erzaͤhlt, wie er ſich uͤber Fichte's Lehr¬
weiſe in Jena entſetzte, daran verbrannte; wie
Fichte ſich in ſeinen Schriften „nicht ganz ge¬
hoͤrig uͤber die wichtigſten Sitten- und Staats¬
gegenſtaͤnde erklaͤrt habe.“ Wie „uns deſſen
Aeußerungen uͤber Gott und goͤttliche Dinge,
uͤber die man freilich beſſer ein tie¬
fes Stillſchweigen beobachtet, von au¬
ßen beſchwerende Anregungen zugezogen.“
1795.
Mit Kapellmeiſter Reichardt zerfiel er, mit
dem er, „ungeachtet ſeiner vor- und zudring¬
„lichen Natur, in Ruͤckſicht ſeines bedeutenden
„Talents in gutem Vernehmen geſtanden; er
[42] „war der Erſte, der mit Ernſt und Staͤtig¬
„keit meine lyriſchen Arbeiten durch Muſik ins
„Allgemeine foͤrderte .... ohnehin lag es in
„meiner Art, aus herkoͤmmlicher Dankbarkeit
„unbequeme Menſchen fortzudulden, wenn ſie
„mir es nur nicht gar zu arg machen, als¬
„dann aber meiſt mit Ungeſtuͤm ein ſolches
„Verhaͤltniß abzubrechen. Nun hatte ſich Rei¬
„chardt mit Wuth und Ingrimm in die Revo¬
„lution geworfen; ich aber, die graͤulichen un¬
„aufhaltſamen Folgen ſolcher gewaltthaͤtig auf¬
„geloͤſten Zuſtaͤnde mit Augen ſchauend und
„zugleich ein aͤhnliches Geheimtreiben im Va¬
„terlande durch und durch blickend, hielt ein¬
„fuͤr allemal am Beſtehenden feſt, an deſſen
„Verbeſſerung, Belebung und Richtung zum
„Sinnigen, Verſtaͤndigen, ich mein Lebenlang
„bewußt und unbewußt gewirkt hatte, und
„konnte und wollte dieſe Geſinnung nicht ver¬
„hehlen.“
Goethe, wie alle Grenz-Menſchen das
Stadtthor ſeiner Welt, ſie ſchließend, vertheidi¬
gend. Die Gemeinde erweitert ſich, das Thor
wird niedergeriſſen oder uͤberbauet und dient
zum Durchgange wie fruͤher zur Abwehr.
„Reichardt war von der muſikaliſchen Seite
„unſer Freund, von der politiſchen unſer Wider¬
„ſacher, daher ſich im Stillen ein Bruch vor¬
„bereitete, der zuletzt unaufhaltſam an den Tag
„kam.“
Ich kannte Reichardt etwas. Er war ein
Preuße, das heißt ein Windbeutel. Wo er ſich
befand, entſtand gleich ein Luftzug, ſelbſt im
verſchloſſenſten Zimmer. Er hatte bewegliche
Gefuͤhle, doch er fuͤhlte; man konnte ihn her¬
beiziehen und wegſchieben. Er ſtand nicht, gleich
Goethe, wie eine Mauer im Leben da, die,
wenn auch mit Obſtſpalieren bedeckt und ver¬
ziert, doch unbeweglich, undurchſichtig bleibt,
uns die Ausſicht verſteckt, und uns zu einem
[44] Umwege noͤthigt, ſo oft wir in Gottes freie
Welt gehen oder ſehen wollen. Und naiv iſt
Goethe! Er geſteht, er habe Reichardt lieb ge¬
habt, ſo lang er ihm nuͤtzlich geweſen, indem
er durch Compoſitionen ſeiner Lieder dieſe ver¬
breiten half; den Reichardt außer Dienſten aber
habe er gehaßt. Das iſt ſachdenklich!
1799.
Entwurf der natuͤrlichen Tochter. „In
dem Plane bereitete ich mir ein Gefaͤß, worin
ich alles, was ich ſo manches Jahr uͤber fran¬
zoͤſiſche Revolution und deren Folgen geſchrieben
und gedacht, mit geziemendem Ernſte niederzu¬
legen hoffte.“ Ich will dieſe natuͤrliche Tochter,
dieſes vieljaͤhrige Werk geziemenden Ernſtes
wieder einmal leſen; aber jetzt nicht, nicht in
dieſen rauhen Herbſttagen. Im naͤchſten Som¬
mer, im Juli, in den Tagen, wo man Ge¬
frornes liebt.
1800.
„Der Propylaͤen drittes und letztes Stuͤck
ward bei erſchwerter Fortſetzung gegeben. Wie
ſich boͤsartige Menſchen dieſem Unternehmen ent¬
gegengeſtellt, ſollte wohl zum Troſte unſerer
Enkel, denen es auch nicht beſſer gehen wird,
gelegentlich naͤher bezeichnet werden.“
Nun, warum bezeichnet er es nicht naͤher?
Warum? Darauf iſt leicht die Antwort gege¬
ben. Goethe beſann ſich, daß etwas zum Troſte
der Enkel zu ſagen, wie jede Menſchenfreund¬
lichkeit, nebuliſtiſcher Natur und eines ſo
realen Mannes, wie er, ganz unwuͤrdig ſey.
1802.
Goethes Geſinnung uͤber Preßfreiheit ſpricht
ſich hier gelegentlich aus. Schlegels Jon kam
zur Auffuͤhrung und ſchon am Abende der Vor¬
[46] ſtellung trat „ein Oppoſitions-Verſuch unbe¬
„ſcheiden hervor; in den Zwiſchenacten fluͤſterte
„man von allerlei Tadelnswuͤrdigem, wozu denn
„die freilich etwas bedenkliche Stellung der
„Mutter erwuͤnſchten Anlaß gab. Ein ſowohl
„den Autor als die Intendanz angreifender Auf¬
„ſatz war in das Mode-Journal projectirt,
„aber ernſt und kraͤftig zuruͤckgewieſen; denn es
„war noch nicht Grundſatz, daß in demſelbigen
„Staat, in derſelbigen Stadt es irgend einem
„Glied erlaubt ſey, das zu zerſtoͤren, was an¬
„dere kurz vorher aufgebauet hatten.“
1803.
Nichts laͤcherlicheres, als bald der ernſte
duͤrre Ton, bald die breite kunſtſchmauſende
Behaglichkeit, mit welchen Goethe in dieſem ſei¬
nen Buͤchelchen uͤber das kleinſtaͤdtiſche Hof-
und buͤrgerliche Stadtbauweſen in Weimar ſich
[47] ſo oft auslaͤßt. Was der Kunſtfreund an ſol¬
cher Puppen-Architektur ſo Erquickliches finden
mochte, daß er noch nach vielen Jahren ſich
damit beſchaͤftigt, waͤre ganz unerklaͤrlich, wenn
man Goethes Charakter nicht kennte. Des Le¬
bens Behaglichkeit war ihm das Leben ſelbſt.
Darum iſt ihm nichts klein, was dieſen Kreis
beruͤhrte, darum iſt ihm alles klein, was von
dieſem Kreiſe ablag.
1805.
Und in dieſem Buͤchelchen auch, wie in den
groͤßten und bedeutendſten Werken Goethes, trat
mir was mich immer beleidigt, halb laͤcherlich,
halb aͤrgerlich entgegen. Zuvoͤrderſt die hollaͤndi¬
ſche Reinlichkeit des Styls, die jeden Zim¬
merboden mit gekraͤuſelten Sande bedeckt, und
oft die Baͤume vor den Haͤuſern mit Oelfarbe
anſtreicht. Dann die aufgenoͤthigte Ruhe, das
Bleigewicht, das Goethe an jede Empfindung,
[48] jeden Gedanken ſeiner Leſer haͤngt. Endlich die
tyranniſche Ordnung, die Geiſt und Herz
nach dem Takte eines Melzel'ſchen Metronomen
ſich bewegen heißt.
1806.
Man dachte daran, Oehlenſchlaͤgers Tragoͤdie
Hakon Jarl auf die Weimariſche Buͤhne zu
bringen, und ſchon war alles dazu vorbereitet.
„Allein ſpaͤterhin ſchien es bedenklich, zu einer
Zeit, da mit Kronen im Ernſt geſpielt wurde,
mit dieſer heiligen Zierde ſich ſcherzhaft zu ge¬
baͤrden.“
Denkwuͤrdigkeiten, die Goethe von
dieſem wichtigen Tage bemerkt. Am
30. Januar der Geburtstag unſerer Großher¬
zogin, und wie das Trompeter-Chor eines Preu¬
ßiſchen Regiments in dem Theater Proben ſei¬
ner außerordentlichen Geſchicklichkeit gegeben. —
Theater-Repertoir — geſchenkte Zeichnungen
[49] und andere Kunſtnachrichten. — Vollſtaͤndiges
Verzeichniß der von Goethe durch Gefaͤlligkeit
erworbenen Kunſtgegenſtaͤnde. — Reiſe nach
Carlsbad und dort genoſſene Kupferſammlungen.
Farbenlehre. Bei jeder Gefahr haͤlt Goethe ein
Prisma vor die Augen, um jene nicht zu ſehen,
und ſonderbar genug verſteckt er ſich vor dem
Lichte hinter Farben. — In Carlsbad: „Fuͤrſt
„Reuß XIII., der mir immer ein gnaͤdiger
„Herr geweſen, befand ſich daſelbſt, und war
„geneigt, mir mit diplomatiſcher Gewandtheit
„das Unheil zu entfalten, das unſern Zuſtand
„bedrohte. — Mineralien.“
„Ueber eine paͤdagogiſch-militairiſche An¬
„ſtalt bei der franzoͤſiſchen Armee gab uns
„ein trefflicher aus Baiern kommender Geiſtli¬
„cher genaue Nachricht. Es werde nehmlich
„von Offizieren und Unteroffizieren am Sonn¬
„tage eine Art von Katechiſation gehalten, wor¬
„in der Soldat uͤber ſeine Pflichten ſowohl
III. 4[50] „als auch uͤber ein gewiſſes Erkennen, ſo weit
„es ihn in ſeinem Kreiſe foͤrderte, belehrt wer¬
„de. Man ſah wohl, daß die Abſicht war,
„durchaus kluge und gewandte, ſich ſelbſt ver¬
„trauende Menſchen zu bilden; dieß aber ſetzte
„freilich voraus, daß der ſie anfuͤhrende große
„Geiſt demungeachtet uͤber jeden und alle her¬
„vorragend blieb und von Raiſonneurs nichts
„zu fuͤrchten hatte.“ Daß man ja nicht denke,
indem er ſolche Schulen lobend erwaͤhnt, er
ſey der Meinung, daß man aus einem Sol¬
daten einen denkenden Menſchen machen ſollte.
Der Unterricht iſt nur das Oel, womit man
das Rad einer Maſchine ſchmieret, daß dieſe
beſſer gehe. Raiſonniren ſoll das Rad nicht,
ſondern nur geſchmeidiger werden, um der len¬
kenden Hand zu folgen. —
„Die praͤgnante Unterhaltung mit meinem
Fuͤrſten im Hauptquartier zu Niederrosla“
moͤchte ſchwer auszuſprechen ſeyn.
[51]
Und als beim Herankommen des Ungewit¬
ters Jedermann aͤngſtlich einen Schlupfwinkel
ſuchte, rief Goethe, als man eben die erſten
Lerchen ſpeiſte, aus: „Nun, wenn der
Himmel einfaͤllt, ſo werden ihrer
viele gefangen werden.“ —
1807.
Schrieb in Carlsbad eine kleine mineralo¬
giſche Abhandlung. „Ehe der kleine Aufſatz
„nun abgedruckt werden konnte, mußte die
„Billigung der obern Prager Behoͤrde eingeholt
„werden, und ſo hatte ich das Vergnuͤgen, auf
„einem meiner Manuſcripte das visa der Pra¬
„ger Cenſur zu erblicken.“
In Carlsbad erwieß ihm die Fuͤrſtin Solms
„ein gnaͤdiges Wohlwollen.“
1808.
Bekennt, daß er ſeit einigen Jah¬
ren keine Zeitungen geleſen. Nach
4 *[52] Carlsbad aber nahm er die Jahrgaͤnge 1805
bis 1807 der allgemeinen Zeitung mit, ein
Blatt, das er wegen ſeiner klugen Redar¬
tation noch leiden mag.
Schrieb ein Gedicht „zu Ehren und Freu¬
den der Frau Erbprinzeſſin von Heſſen-Caſſel.“
1810.
„Die Gegenwart der Kaiſerin von Oeſter¬
reich Majeſtaͤt in Carlsbad, rief gleich ange¬
nehme Pflichten hervor, und manches andere
kleine Gedicht entwickelte ſich im Stillen.“
1811.
Er und andere gingen nach Wehnditz, ei¬
nem Dorfe bei Carlsbad, und tranken Ungar¬
wein. „Man trug ſich uͤber eine ſolche Wall¬
fahrt mit folgender Anekdote: „Drey bejahr¬
te Maͤnner gingen nach Wehnditz zum Weine!
[53]
| Obrist Otto, alt ... | 87 Jahr |
| Reimſchneider Muͤller . | 84 — |
| Ein Erfurter ... | 82 — |
| 253 Jahre. |
Sie zechten wacker, und nur der letzte
zeigte beim Nachhauſegehen einige Spuren von
Beſpitzung; die beiden andern griffen dem Juͤn¬
gern unter die Arme, und brachten ihn gluͤck¬
lich zuruͤck in ſeine Wohnung.“
1813.
Durch die Kriegsereigniſſe geaͤngſtigt ſuchte
er Ruhe, indem er ſich mit ernſtlichſtem Stu¬
dium dem chineſiſchen Reiche widmete.
„Hier muß ich noch einer Eigenthuͤmlichkeit
„meiner Handlungsweiſe gedenken. Wie ſich in
„der politiſchen Welt irgend ein ungeheures
„Bedrohliches hervorthat, ſo warf ich mich ei¬
„genſinnig auf das entfernteſte.“
Unter den kleinen Bemerkungen uͤber die
Ereigniſſe des Tages findet ſich: „Die Frei¬
willigen betragen ſich unartig und nehmen nicht
fuͤr ſich ein.“
1816.
Man verzeiht Goethe faſt die kindiſche Auf¬
regung, in welche ihn jeder Widerſpruch ſeiner
Farbenlehre verſetzt, weil er doch da einmal
aus ſeinem engen Egoismus, wenn auch auf
verbotenem Wege, heraustritt, weil ihn doch
da einmal das Urtheil der Menſchen kuͤmmert.
„Profeſſor Pfaff ſandte mir ſein Werk gegen
die Farbenlehre, nach einer den Deutſchen an¬
gebohrenen unartigen Zudringlichkeit.“ Das
kann doch den Deutſchen wahrlich ihr aͤrgſter
Feind nicht nachſagen, daß ſie unartig zudring¬
lich waͤren. Nur zu ſchuͤchtern und artig ſind
ſie! Goethe legte das Buch ungeleſen bei
Seite!
[55]
Goethe war vergnuͤgt und wie in Baum¬
wolle gehuͤllt, als ihn ein Donner aufſchreckte.
„Ein ſolcher innerer Friede ward durch den
„aͤußern Frieden der Welt beguͤnſtigt, als nach
„ausgeſprochener Preßfreiheit die Ankuͤndigung
„der Iſis erſchien, und jeder wohldenkende
„Weltkenner die leicht zu berechnenden weitern
„Folgen mit Schrecken und Bedauern voraus¬
„ſah.“
1817.
„Ein Symbol der Souverainitaͤt ward uns
„Weimaranern durch die Feierlichkeit, als der
„Großherzog von Thorn dem Fuͤrſten von Thurn
„und Taxis, in ſeinem Abgeordneten, mit dem
„Poſtregal belieh, wobei wir ſaͤmmtlichen
„Diener in geziemendem Schmuck, nach
„Rangsgebuͤhr erſchienen.“
„Zu jener Zeit ſtudirten in Jena und Leip¬
„zig viele junge Griechen. Der Wunſch, ſich
[56] „beſonders deutſche Bildung anzueignen, war
„bei ihnen hoͤchſt lebhaft, ſo wie das Verlan¬
„gen, allen ſolchen Gewinn dereinſt zur Auf¬
„klaͤrung, zum Heil ihres Vaterlandes zu ver¬
„wenden. Ihr Fleiß glich ihrem Beſtreben;
„nur war zu bemerken, daß ſie, was den
„Hauptſinn des Lebens betraf, mehr von Wor¬
„ten als von klaren Begriffen regiert werden!“
„Papadopulos, der mich in Jena oͤfters
„beſuchte, ruͤhmte mir einſt im jugendlichen
„Enthuſiasmus den Lehrvortrag ſeines philoſo¬
„phiſchen Meiſters. Es klingt, rief er aus,
„ſo herrlich, wenn der vortreffliche Mann von
„Tugend, Freiheit und Vaterland
„ſpricht. Als ich mich aber erkundigte, was
„denn dieſer vortreffliche Lehrer eigentlich von
„Tugend, Freiheit und Vaterland vermelde,
„erhielt ich zur Antwort: Das koͤnne er ſo
„eigentlich nicht ſagen, aber Wort und Ton
„klaͤngen ihm ſtets vor der Seele nach: Tu¬
[57] „gend, Freiheit und Vaterland.“ Gott welch'
ein Spott! Die Griechen haben es wohl ge¬
zeigt, was ſie darunter verſtehen, wenn auch
der edle Juͤngling Tugend, Freiheit und Vater¬
land nach Goethes duͤrrer Weiſe nicht zu
ſchematiſiren verſtand.
„Hierauf ward mir das unerwartete Gluͤck,
„Ihro des Großfuͤrſten Nicolaus und Gemah¬
„lin Alexanders Kaiſerliche Hoheit, im Gebiet
„unſerer gnaͤdigſten Herrſchaften bei mir im
„Haus und Garten zu verehren. Der Frau
„Großfuͤrſtin Kaiſerliche Hoheit vergoͤnnten eini¬
„ge poetiſche Zeilen in das zierlich praͤchtige
„Album verehrend einzuzeichnen.“ Das ſchrieb
er in ſeinem 71ſten Jahre. Welche Jugend¬
kraft!
[58]
Vierter Brief.
Dieſe Woche war wieder ſehr reich an
Begebenheiten: die Verwerfung der Reform-
Bill in England, und die abgeſchaffte Erblich¬
keit der Pairs in Frankreich. Dort hat die
Ariſtokratie geſiegt, hier hat ſie eine Niederlage
erlitten. Es iſt eine Compenſation und es wird
dabei fuͤr die gute Sache nichts gewonnen, und
nichts verlohren. Der Sieg des Adels in Eng¬
land kann dort eine Revolution und die Volks¬
herrſchaft zur Folge haben; dagegen kann die
[59] Abſchaffung der Erblichkeit der Pairs in Frank¬
reich wieder zum Abſolutismus fuͤhren. Wenn
es noch eines Anlaſſes beduͤrfte, den Haß der
großen Maͤchte gegen Frankreich zu entflammen,
ſo iſt er jetzt durch Herabwuͤrdigung der fran¬
zoͤſiſchen Ariſtokratie gefunden. Die Familie
Von in Oeſterreich und Preußen wird ihre Ver¬
wandtſchaft raͤchen. In Deutſchland nimmt alles
ſo eine ſchlechte Wendung, wie ich es vorher
geſehen. Die Badiſche Kammer iſt dem Preu¬
ßiſchen Mauthſyſteme beigetreten, das heißt, es
hat ſich der preußiſchen Politik unterworfen.
Und alle Deputirten, die ich dieſen Sommer in
Carlsruhe geſprochen, haben doch gegen dieſe
verderbliche Allianz mit Preußen wie gegen Gift
geeifert. Welche Menſchen! Mit ihrer Pre߬
freiheit iſt es auch nichts. Ein in Carlsruhe
erſcheinendes franzoͤſiſches Blatt, ob es zwar
unter Cenſur ſtand, iſt auf Antrag des Bundes¬
tags unterdruͤckt worden. Ich habe mit der
[60] Hoffnung auch alle Maͤßigung aufgegeben. Ich
werde kuͤnftig uͤber Politik nicht mehr ſchreiben,
wie ich es bis jetzt gethan. Maͤßigung wird ja
doch nur fuͤr Schwaͤche angeſehen, die zum Ueber¬
muthe, und Rechtlichkeit fuͤr Dummheit, die
zum Betruge auffordert. In dem erſten Ar¬
tikel meines projektirten Journals trete ich mit
einer trotzigen Kriegserklaͤrung hervor. Ich ſage
unter andern: „In fruͤhern Zeiten hatten wir
„die friedliche Wage in unſrem Schilde gefuͤhrt.
„Gluͤhendes Gefuͤhl, unſere Liebe und unſern
„Zorn, unſere Hoffnung und unſere Furcht, den
„wilden Sturm des Herzens — alles brachten
„wir unter Maaß, und brachten Ordnung in
„jede Leidenſchaft. Zwar wurden die Machtha¬
„ber immer von uns verwuͤnſcht, weil ſie trotzig
„behaupten, das Gluͤck und die Freiheit der
„Welt ſey ihr Eigenthum und von ihrem guten
„Willen, von ihrer eigenen Schaͤtzung hinge es
„ab, wie viel ſie den Voͤlkern davon zuruͤckhal¬
[61] „ten, davon uͤberlaſſen, und welchen Preis ſie
„dafuͤr verlangen moͤgen. Aber wir dachten:
„es ſey! mit Kraͤmern muß man feilſchen; da
„iſt Gold, da iſt die Wage. Aber ſie ſtrichen
„das Geld ein, und warfen hoͤhniſch das
„Schwert in die Schaale. Wollt Ihr's ſo?
„Nun es ſey auch. Schwert gegen Schwert ....
„Denn ſeit wir geſehen, daß der juͤngſte Koͤnig
„um die Gunſt der aͤlteſten Tyrannen buhlt,
„und die aͤlteſten Tyrannen ſelbſt den Raub
„einer Krone laͤchelnd verzeihen, wird nur zu¬
„gleich mit der Krone die Freiheit auch geraubt
„— ſeitdem hoffen wir nichts mehr von fried¬
„licher Ausgleichung. Die Gewalt muß ent¬
„ſcheiden. Beſiegen koͤnnt Ihr uns, aber taͤu¬
„ſchen nicht mehr.“ Ich werde das Journal
die Glocke nennen.
Das Wetter hier macht einem ganz ver¬
wirrt. Im October zwanzig Grad Waͤrme!
Vielleicht hat der Himmel beſchloſſen, daß ſich
[62] die Fuͤrſten noch dieſen Herbſt die Haͤlſe bre¬
chen. Man fuͤrchtet Unruhen in England.
Nach geſtern angekommenen Nachrichten hat
das Volk in der Provinz das Landhaus eines
Pairs abgebrannt, der gegen die Reform ge¬
ſtimmt. Wellington ſoll ſein Haus verrammelt
haben. Wenn es in England Revolution giebt,
werden die Alliirten uͤber Frankreich herfallen,
wovon ſie bis jetzt nur die Furcht vor England
abgehalten.
Ich war vor einigen Tagen zum Erſtenmale
im neuen Theater des Palais-Royal, wo ei¬
nige ganz allerliebſte Stuͤcke mich ſehr unter¬
halten, und mir das ſaure Blut etwas verſuͤßt
haben; beſonders that das ein Vaudeville: Le
Tailleuret la Feé, ou Les chansons
de Bèrenger. Berangers Großvater, ein
armer Schneider, ſitzt und naͤht. Neben ihm
in der Wiege flennt der kuͤnftige Dichter, der
eben auf die Welt gekommen. Die herbeigeru¬
[63] fene Amme erſcheint, verwandelt ſich in eine
Fee, und zwar in die Geſtalt der Goͤttin der
Freiheit, den Spieß in der Hand, die rothe
Muͤtze auf dem Kopfe. Sie gelobt dem alten
Schneider, ſeinen Enkel das ſchoͤnſte Lebensloos
zu ſchenken, ihn zum Freiheitsdichter zu ma¬
chen. Jetzt erſcheinen, von dem Zauberſtabe der
Fee herbeigerufen, die Hauptlieder Beranger's,
unter allegoriſchen Perſonen. Zuletzt wird ſeine
Buͤſte bekraͤnzt. Es iſt eine vollkommene Apo¬
theoſe.
Beranger's Herkunft und Geburt ſind im
Vaudeville hiſtoriſch dargeſtellt. In ſeinem Lie¬
de Le Tailleur et la Fée, erzaͤhlt der
Dichter:
Es iſt etwas, das die heutige franzoͤſiſche
Regierung lauter verdammt, als die Millionen
der Getaͤuſchten; ſchwarze faͤrbt, als alle Ta¬
gesblaͤtter der Unzufriedenen: — Beranger
hat ſeit der letzten Revolution nicht
ein einziges Lied geſungen. Gleich in
den erſten Tagen machte ihm die boͤſe Ahndung
deſſen, was kommen werde, das Herz, und
bald darauf die Erfuͤllung der ſchlimmſten Be¬
ſorgniß die Zunge ſchwer. Selbſt die Hoffnung
mochte ihm nicht geblieben ſeyn, die ihm doch
unter dem Drucke der Zeiten, da die aͤltern
Bourbons herrſchten, zu Wein- Liebes- Frei¬
heits- und Spottliedern begeiſtern konnten.
[65] Die neuen Machthaber warfen auch nach Be¬
ranger ihre goldene Angel aus; doch er ließ ſich
nicht koͤdern und ſchwieg, und dieſes ſtumme
Lied ſchalt lauter gegen die Tyrannei, als es
irgend eines ſeiner fruͤhern Lieder gethan.
Ich habe Ihnen ſchon geſagt, daß ich an¬
fange mich mit der bildenden Kunſt zu beſchaͤf¬
tigen, und wie ernſt es mir damit iſt, habe ich
neulich an meinem erſten Beſuche im Muſeum
ſelbſt erprobt. Ich habe zum erſtenmale in mei¬
nem Leben alles ſo bedaͤchtig, ſo genau betrach¬
tet, daß ich nach zwei Stunden nicht uͤber das
erſte Zimmer hinausgekommen, obzwar wenig
Bedeutendes und Erfreuliches an Kunſtwerken
darin aufbewahrt wird. Es iſt etwas, meinen
alten Geiſt aufzufriſchen, ihm einen neuen
Standpunkt fuͤr alte Betrachtungen zu verſchaf¬
fen. Das Licht wird mir mit der Zeit wohl
aufgehen, und ich mache mich jetzt ſchon uͤber
mich ſelbſt luſtig, wie ich mich einmal ſpaͤter
III. 5[66] oͤffentlich uͤber Kunſt werde vernehmen laſſen.
Freilich fehlt mir etwas, was zum vollkomme¬
nen Verſtaͤndniß der Kunſtwerke ganz unent¬
behrlich iſt, nehmlich die Technik. Aber ich
werde dieſe Unwiſſenheit, wie manche andere,
ſchon durch rothe, gruͤne und gelbe Worte zu
bedecken wiſſen.
— Die Gnade des Kaiſers von Rußland
gegen die ungluͤcklichen Polen ſteht in voller
Bluͤthe. In Warſchau ſind ſchon funfzehnhun¬
dert Perſonen eingekerkert worden, und alle
Fluͤchtlinge werden mit Steckbriefen verfolgt,
wozu der gute Schwiegervater behuͤlflich iſt.
Wird denn die Zeit niemals kommen, daß ſich
die Voͤlker auch verſchwaͤgern und einander in
der Noth beiſtehen?
— Der Baron *** aus Wien, deſſen ich
ſchon erwaͤhnt, ſagte mir, in Wien waͤre kein
gebildet Haus, in dem man nicht meine Schrif¬
ten haͤtte. Voriges Jahr war er in der Schweiz
[67] und blieb vier ganze Wochen oben auf dem
Rigi. Ich fragte ihn: ob er Geſellſchaft bei ſich
gehabt? Er erwiederte: „Ich war in Ihrer Ge¬
ſellſchaft dort.“ Er hatte nehmlich meine Werke
bei ſich. Eigentlich habe ich die Wiener gern.
Sie leſen weniger, beſonders Journale, und
haben darum keinen verſchlemmten, abgenutzten
Geiſt. Wenn ſie Verſtand haben iſt er ſelbſt¬
ſtaͤndiger, origineller als der der Nordlaͤnder.
Dabei ſind ſie gutmuͤthig und ſind ganz gluͤck¬
lich, wenn man ihren Kaiſer lobt.
Auf den Boulevards und was noch wunder¬
licher iſt, auf dem Platze vor der Boͤrſe, findet
man jetzt ſehr haͤufig Bibeln zum Verkaufe aus¬
geſtellt. Die heilige Waare liegt auf der Erde
unter andern profanen Buͤchern oder ſonſtigem
ſchlechten Troͤdel. Sie ſind ſehr wohlfeil und
gehen gut ab. Sie ſtammen von der hieſigen
Bibelgeſellſchaft, die ſie unentgeldlich austheilt,
worauf ſie denn, wie billig, von den Geſchenk¬
nehmern verkauft werden. Geſtern ſah ich einen
wohlgebildeten Mann, von etwa funfzig Jahren,
der ſich eben auf der Straße eine ungerupfte
wilde Ente gekauft, die er mit Muͤhe in die
linke Rocktaſche zwaͤngte, gleich darauf auch eine
Bibel kaufen, die er unter dem rechten Arme
forttrug. Es gefiel mir ungemein, daß er ſich
weniger [ſ]chaͤmte di[e] Bibel als die Ente oͤffent¬
[69] lich zu tragen, und daß er um die letztere
laͤnger gefeilſcht als um die erſtere. — — Ah
je respire! Da iſt Ihr Brief. Was kann ich
dafuͤr? Ich bin Ihr gelehriger Schuͤler immer
geweſen, ich kann die Angſt nicht laſſen.
Aber was faͤllt Ihnen ein? Warum zwei¬
feln Sie, daß ich in Paris vergnuͤgt ſey? Pa¬
ris gefaͤllt mir wie immer. Da ich mich aber
wie zu Haus fuͤhle, hat es natuͤrlich — zwar
immer noch den Reitz, aber nicht mehr den
Ueberreitz der Neuheit. Ich genieße ruhiger,
und Deutſchland liegt ſo ferne von meinem Sin¬
ne, daß ich es, wie fruͤher geſchehen, mit Frank¬
reich gar nicht mehr vergleiche.
[70]
Fuͤnfter Brief.
Es iſt wieder von Stiftung einer deutſchen
Zeitung in Paris die Rede, und wenn ſie zu
Stande koͤmmt, werde ich wahrſcheinlich beſon¬
ders thaͤtig dabei ſeyn. Einflußreiche Franzoſen
fangen an einzuſehen, wie wichtig fuͤr Frank¬
reich ſelbſt deutſche liberale Zeitungen werden
koͤnnen, und man zeigt ſich geneigt mit Geld
und auf andere Weiſe zu unterſtuͤtzen. Ich
werde da freilich ſehr vorſichtig ſeyn muͤſſen,
daß ich meine Unabhaͤngigkeit nicht verliere.
Doch brauche ich nicht zu aͤngſtlich zu ſeyn;
[71] denn ich hoͤre Ketten ſchon im ſiebenten Him¬
mel raſſeln, und habe immer Zeit meine Frei¬
heit ſicher zu ſtellen. Wer von den hohen Per¬
ſonen die Sache angeregt, das weiß ich eigent¬
lich noch gar nicht; denn was man mir zu
verſtehen gegeben, glaube ich nicht. Ich werde
mich aber gewiß in nichts einlaſſen, bis ich die
Hand gedruͤckt, die den erſten Ring faßt; ſonſt
koͤnnte geſchehen, daß ich glaubte mit dem Teu¬
fel zu thun zu haben, und haͤtte doch mit Beel¬
zebub zu thun gehabt. Das wird der ganze
Unterſchied ſeyn zwiſchen meinen verſchiedenen
Vermuthungen. Doch das ſchreckt mich nicht ab,
man muß leben und leben laſſen, und wenn ich
der guten Sache nuͤtzlich ſeyn kann, moͤgen An¬
dere auch ihren perſoͤnlichen Vortheil dabei
finden.
Intriguen, die ich in Baden ſchon geahn¬
det, wurden mir hier beſtaͤtigt. Die Wohl¬
feilheit, bei einer an deutſchen Zeitungen un¬
[72] gewoͤhnlichen Schoͤnheit des Drucks und Pa¬
piers, der in Muͤnchen erſcheinenden Tri¬
buͤne, — der myſterioͤſe Umſtand, daß ein
Pforzheimer Kaufmann (Wuͤrtembergiſcher Un¬
terthan) aus Patriotismus die Fonds dazu
hergiebt — der Geiſt der Widerſetzlichkeit ge¬
gen die Baieriſche Regierung, der das Blatt
beſeelt — gab mir allerlei Vermuthungen.
In Paris, wo man alles erfaͤhrt, habe ich
denn endlich erfahren, daß der Koͤnig von
Wuͤrtemberg die Tribuͤne geſtiftet und be¬
zahlt, um ſie als Waffe gegen Baiern zu ge¬
brauchen. Baiern hat ſich nehmlich im kuͤnf¬
tigen Kriege gegen Frankreich an die heilige
Allianz angeſchloſſen. Baden, Wuͤrtemberg
und andere kleine Staaten ſollen ganz auf¬
geloͤßt und zwiſchen Oeſterreich, Preußen und
Baiern getheilt werden. Und ſo weiter.
In Stuttgart laͤßt jetzt die Regierung
auch eine Zeitung errichten, um der Oppoſi¬
[73] tion widerſtehen zu koͤnnen (ſo wird geſagt);
wohl eigentlich aber mehr, ſich der Despotie
des deutſchen Bundes entgegen zu ſetzen.
Sie hat zum Redacteur einen guten Schrift¬
ſteller, Profeſſor Muͤnch, berufen, und giebt
ihm drei tauſend Gulden Gehalt. Lindner
iſt Mit-Redacteur. Auch an der Tribuͤne
ſchreibt er viel. Wo auch immer im Gehei¬
men etwas Moraliſches vorgeht, — er muß
dabei ſeyn.
Der Koͤnig von Baiern, den man neu¬
lich fragte, welche Anſtalten man fuͤr ihn
und ſein Haus gegen die Cholera treffen
ſolle? hat darauf zur Antwort gegeben:
„Gar keine. Bin ich nicht an den
Staͤnden geſtorben, wird mich auch
die Cholera verſchonen.“ Alſo Frei¬
heit und Peſt ſind einem Koͤnige ganz ei¬
nerlei! Auch der Freiheit Peſt und
Koͤnig.
Ich war ſeit einer Woche zweimal im
italieniſchen Theater, und habe die Paſta und
den vergoͤtterten Rubini gehoͤrt, beide im
Othello und Tankred. Die Paſta ſoll an
dem einen Ende ihrer Stimme einige Toͤne
verloren, dafuͤr aber an dem andern einige
Toͤne gewonnen haben. Ob oben oder unten,
weiß ich nicht. Die Paſta ſingt immer noch
herrlich, aber ihre Stimme drang mir nicht
in das Herz. Ihr Vortrag iſt hoͤchſt edel,
aber kalt, plaſtiſch, antik; ſie ſingt nicht
chriſtlich. In Glucks Opern waͤre ſie an ih¬
rer Stelle. Das iſt mein Urtheil. Die an¬
dern finden nichts an ihr zu wuͤnſchen uͤbrig.
Als Desdemona verglich ich ſie mit meiner
immer noch angebeteten Malibran, und dieſe
Vergleichung konnte ſie nicht ertragen. Ru¬
[75] bini's verherrlichter Geſang ließ mich auch
kalt; ich liebe dieſe ſtaͤhlernen Stimmen nicht,
und dann hat ſeine Stimme etwas reſonni¬
rendes, eine Art Echo hinter ſich. Aber
meine Ignoranz bleibt unter vier Augen.
Als Tankred gefiel mir die Paſta beſſer, das
fra tanti palpiti haͤtten Sie hoͤren ſollen. Es
war naͤrriſch daruͤber zu werden. O ihr ar¬
men deutſchen Kleinſtaͤdter mit euern Acht¬
zehn-Batzen-Prima-Donnas! Eine dicke
deutſche Dame, und wahrſcheinliche Berlinerin,
die hinter mir ſaß und die ich, noch ehe ſie
Deutſch ſprach, daran als Landsmaͤnnin er¬
kannte, daß ſie bravo ſtatt brava ſchrie,
— ſchwitzte Entzuͤcken. Ich mußte ihr ge¬
radezu ins Geſicht lachen. Dieſen Winter
iſt die italieniſche Oper auf allen Vorplaͤtzen,
Treppen, Corridors, von unten bis oben, mit
ſcharlachrothem Tuche bedeckt. Man glaubt
in einem Pallaſte zu ſeyn. Das hat noch
[76] gefehlt, dieſem adeligen Vergnuͤgen voͤllig ein
ariſtokratiſches Anſehn zu geben. Zwiſchen
den Akten habe ich, wie es die jungen Leute
pflegen, in alle Logen hineingeſehen. (Sie
erinnern ſich, daß die Logenthuͤren Fenſter ha¬
ben.) Die Pracht und der Geſchmack der
weiblichen Anzuͤge gewaͤhrte wirklich einen herr¬
lichen Anblick, ſelbſt maͤnnlichen, alten und
ſchon beſchaͤftigten Augen, wie die meinen.
Aber beim Ausgange aus dem Theater ließ
ich alle die geputzten Damen die Muſterung
paſſiren, und es fanden ſich nicht zwei ſchoͤne
Geſichter darunter, — wahrhaftig nicht zwei!
Sagen Sie mir, was hat das fuͤr einen
Grund, daß in der letzten Zeit der Frankfur¬
ter Senat einige außergewoͤhnliche Heiraths¬
erlaubniſſe ertheilt? Iſt das contagioͤs oder
miasmatiſch? Auf jeden Fall iſt es eine Ko¬
meten-artige Erſcheinung und Vorlaͤufer der
Cholera. Der Senat und der geſetzgebende
[77] Koͤrper ſollten ſich Flanellbinden um den Kopf
wickeln, vielleicht ſchwitzen ſie die roſtrothe Phi¬
liſterei aus, und werden geſund.
*** iſt geſtern nach Amerika zuruͤckge¬
reiſt. Das iſt ein unordentlicher Menſch! So
arg habe ich es doch nie getrieben. Um fuͤnf
Uhr wollte er abreiſen, und um drei Uhr traf
ich ihn ganz athemlos auf der Straße laufen,
erſt bei ſeinem Bankier das noͤthige Geld zu
holen. Dann begleitete ich ihn nach Hauſe.
Seine zwei großen Koffer wuͤrden erſt gepackt
und wie! Noch naſſe Federn, mit denen er
eben erſt geſchrieben, wurden im Koffer auf
die Waͤſche gelegt. Waͤhrend gepackt wurde
ſchrieb er eine Vorſtellung an den Koͤnig.
Kein Accent im ganzen Briefe. Dann legte
er ihn zuſammen, wie einen Waͤſchzettel, und
ließ die Beſorgung an den Koͤnig dem Por¬
tier zuruͤck. Dazwiſchen kamen Rechnungen,
Beſuche — es war den Schwindel zu bekom¬
[78] men. Wenn er den Poſtwagen nicht verſaͤumt,
hat er Gluͤck gehabt. Denn er wollte auf
dem Wege noch Seidenwaaren fuͤr ſeine Fa¬
milie einkaufen. Eine gluͤckliche Natur! Bei
Tiſche haͤtten Sie ihn ſehen ſollen, wenn ich
und * * * Witze machten. Da er nie weni¬
ger als ein halbes Pfund Fleiſch auf einmal
in den Mund nimmt, brachte ihn ſein Lachen
oft dem Erſticken nahe.
Warum iſt denn der dumme * * * nach
* * * zuruͤck? Warum hat er ſich fangen
laſſen? Hoffte er, ſeine Dummheit wuͤrde ihn
vor Verfolgung bewahren? Dann kannte er
wenig unſere Zeit. Dumm zu ſeyn, auch oh¬
ne weiteres Vergehen, wird heute als ein Ein¬
griff in die Majeſtaͤtsrechte angeſehen, und als
ſolches beſtraft.
Seit der Revolution ſind die Theater voͤl¬
lig frei, und alle Cenſur der aufzufuͤhrenden
Stuͤcke iſt aufgehoben. Nun hatte vorgeſtern
das Theater des Nouveautés ein neues
Drama Procès d'un maréchal de France
angekuͤndigt. Der Prozeß des Marſchalls Ney
ſollte darin vorgeſtellt werden, die Pairs¬
kammer erſcheinen, vollſtaͤndiges Gericht gehal¬
ten, und alle Pairs beim Namen aufgerufen
werden, die fuͤr oder gegen Neys Tod ge¬
ſtimmt. Die Regierung fuͤrchtete die uͤblen
Folgen, und daß hierdurch der Haß, den man
hier gegen die Pairs hat, noch mehr angefacht
werden moͤchte. Sie ließ alſo durch die Poli¬
zei die Auffuͤhrung des Stuͤckes verbieten.
Der Theater-Director erklaͤrte, er werde ſich
an das Verbot nicht kehren, da es geſetzwidrig
[80] waͤre, und ließ Abends ſein Haus oͤffnen. Da
wurde aber das Theater von der Polizei um¬
ſtellt, Jedem der Eingang ins Haus verwehrt,
und ſo die Auffuͤhrung mit Gewalt verhindert.
Geſtern war das Stuͤck abermals angekuͤndigt,
und das Haus abermals geſperrt. Ich war
beide Abende zugegen. Der ganze Boͤrſenplatz
war von der bewaffneten Macht und dem Vol¬
ke beſetzt; letzteres verhielt ſich aber ruhig.
Der Theater-Director hat gegen dieſe Gewalt
proteſtirt und erklaͤrt, er wuͤrde jeden Abend
das Stuͤck ankuͤndigen laſſen, die Polizei bei
den Gerichten belangen, und um Schadener¬
ſatz anhalten. Nun will ich zwar gerne glau¬
ben, daß das Drama ſkandaloͤs ſeyn, daß es
Unruhe erregt haben mag, und daß die belei¬
digten Pairs Grund genug bekommen haͤtten,
den Theater-Director und den Verfaſſer vor
Gericht zu ziehen. Aber die Auffuͤhrung durf¬
te nicht verhindert werden, denn durch die
[81] neue Charte iſt alle vorhergehende Cenſur auf¬
gehoben, und die Regierung hat ſich hierbei
einer wahren Verletzung der Conſtitution ſchul¬
dig gemacht. Es iſt eine Ordonanz-Geſchich¬
te in kleinem Fuße.
III. 6[82]
Sechster Brief.
Von einem merkwuͤrdigen Werke, das
zehn Baͤnde haben wird, iſt geſtern der erſte
Theil erſchienen. Er liegt vor mir auf mei¬
nem Tiſche, ich habe ihn aber noch nicht ge¬
leſen. Sie ſollen ſpaͤter daruͤber genaue Re¬
chenſchaft bekommen. Das Buch heißt: Pa¬
ris, ou le Livre des cent-et-un. Wie auch
das Buch beſchaffen ſeyn mag, auf jeden Fall
iſt es eine von den Erſcheinungen, wie ſie
nur Paris hervorbringt, und die Allen, die im
Geiſte leben, den hieſigen Aufenthalt ſo ange¬
[83] nehm machen. Das Buch iſt auf folgende
Art entſtanden. Ladvocat, einer der bedeu¬
tendſten hieſigen Buchhaͤndler, iſt durch den
Druck dieſer Zeit in Noth und Verlegenheit
gekommen. Ihm aufzuhelfen haben alle die
Schriftſteller, die ihre Werke fruͤher von ihm
herausgeben ließen, ſich vereinigt, gemeinſchaft¬
lich ein Buch zu ſchreiben, und es dem Lad¬
vocat unentgeldlich zu uͤberlaſſen. Sie haben
zu dieſem guten Werke noch andere Schrift¬
ſteller eingeladen, ſo daß der Verein bis zu
hundert und ſechszig angewachſen iſt. Das er¬
laſſene Circular lautet wie folgt: „Les sous¬
„signés, voulant donner a Mr. Ladvocat,
„libraire, un témoignage de l'intérêt qu'il
„cheuses où il se trouve, par toutes les pertes
„qu'il a éprouvées depuis un an, [ont] résolu
„de venir à son secours en s'engageant à
„lui donner chacun au moins deux chapitre
6 *[84]„qui devront composer un ouvrage intitulé:
„le Diable boiteux à Paris, ouParis
„etles moeurs comme elles sont.
„Ils invitent tous les hommes de lettres qui
„n'étaient pas présentes à leur réunion, à
„venir se joindre à eux pour secourir un
„libraire qui a si [puissaimmest] contribué à
„donner de la valeur aux productions de
„l'esprit, et à consacrer l'indépendance de
„la profession des hommes de lettres.“
Darauf folgt das alphabetiſche Verzeichniß von
hundert und ſechszig Schriftſtellern, worunter
alle Bedeutende, die Frankreich hat: Béranger,
Chateaubriand, Cuvier, Delamartine, Dela¬
vigne, Salvandy, Etienne, Guizot, Victor-
Hugo, Jouy, Kératry, Mignet, Royer-Col¬
lard, Scribe, Thiers, Villemain u. ſ. w.
Ladvocat ſagt: „dans l'impossibilité où se
„trouve l'Editeur de témoigner sa reconnais¬
„sance à la littérature contemporaine pour
[85] „la bienveillance toute paternelle qu'elle lui
„a prodiguée, il se borne à imprimer l'en¬
„gagement et la liste des hommes de let¬
„tres, qui sont venus à son aide avec tant
„de zèle et de chaleur; il conserve cette
„liste chargée de leurs noms comme on con¬
„serverait des lettres de noblesse acquises
„sur le champ d'honneur.“ Das Buch kann
nur hoͤchſt intereſſant ſeyn. Denn ſind auch
unter deſſen Verfaſſern Schriftſteller von min¬
derer Bedeutung, wie unſer Paul de Kock
und ſolche andere, ſo muß doch das dem Wer¬
ke, wegen ſeiner beſondern Art und Beſchaf¬
fenheit, einen Werth mehr geben. Es wird
nehmlich ein neues Tableau de Paris gleich
dem von Mercier, Jouy und andern. Aber
dieſe ſind alt, und da die Sitten ſich veraͤn¬
dert, nicht mehr treu. Uebrigens wurden jene
Tableaux immer nur von einem Verfaſſer
geſchrieben; die Anſichten der Pariſer Dinge
[86] und Verhaͤltniſſe muͤßten daher individuelle
bleiben. Jetzt aber beobachten hundert und
ſechszig Menſchen, jeder von ſeinem Stand¬
punkte aus; das Gemaͤhlde muß daher treuer
werden. Und es ſind Schriftſteller von den
verſchiedenſten Geiſtesrichtungen und buͤrgerli¬
chen Verhaͤltniſſen und Geſinnungen. Proſai¬
ker und Dichter, Philoſophen und Dramatiker,
Staatsmaͤnner, Deputirte, alte und junge,
Maͤnner und Weiber, Claſſiker und Roman¬
tiker, Liberale, Miniſterielle, Ultras, Royali¬
ſten, Karliſten, Buonapartiſten. Dieſe werden
ſich ſelbſt zeichnen, und das iſt der Gewinn.
Selbſt gemeine Schriftſteller, wie Pigault-Le¬
bruͤn, Paul de Kock muͤſſen dem Buche zum
Vortheile gereichen, denn ſolche Naturen be¬
merken vieles in der Welt, was beſſern und
geiſtreichern Menſchen entgeht.
Warum die Tribuͤne nicht im Frankfur¬
ter Caſino gehalten wird, will ich Ihnen er¬
[87] klaͤren. Erſtens: durfte ſie die Frankfurter
Poſt wahrſcheinlich nicht kommen laſſen, und
zweitens: war das auch nicht der Fall, ſo
haben die Herren Geſandten ihre Anhaͤnger
im Caſino, die es anzuſtellen wiſſen, daß je¬
nes Blatt nicht angeſchafft wird. Uebrigens
hat die Tribuͤne aufgehoͤrt. Wie ich geſtern
erfahren, hat der Redakteur Wirth ſich ge¬
fluͤchtet, weil er erfahren, daß er gleich nach
der Aufloͤſung der Kammern arretirt werden
ſolle, und daß es ihm dann ſchlecht ergehen
wuͤrde. O wie habe ich alles vorhergeſehen,
vorhergeſagt, und wenn meine Briefe nicht
ſchoͤn ſind, werden ſie doch wahr ſeyn! Ha¬
ben Sie in den Zeitungen die Note des ruſ¬
ſiſchen Kaiſers an die kleinen deutſchen Hoͤfe
geleſen? Gleich nach dem Falle Warſchau's
ſtieg ſeine Sprache vom kalten Null bis zu
20 Grad Unverſchaͤmtheit. Er ſagt ihnen:
es waͤre endlich einmal Zeit, daß ſie dem re¬
[88] volutionairen Unfug in ihren Staaten ein En¬
de machten; er droht ihnen mit ſeinem Bei¬
ſtande, wenn ſie ſich allein nicht zu helfen
vermoͤchten. Und gleich haben die kleinen
Voͤgel gepipſt wie der alte Vogel geſungen.
Die kleinen Miniſterchen in Karlsruhe, die
dieſe ganze Zeit uͤber gelispelt, wie eine Kind¬
betterin nach ſchwerer Geburt, fangen jetzt an
und bruͤllen wie die Loͤwen. Lachen muß man
immer uͤber eine deutſche Beſtie, ſie mag noch
ſo wild und gefaͤhrlich ſeyn. Der Badiſche
Finanz-Miniſter, den neulich ein Deputirter
in der Kammer an die Vorlage einer Finanz-
Rechnung erinnert, die man ſchon laͤngſt er¬
wartet habe, erwiederte, man ſolle ihn mit
ſolchen Fragen ungeſchoren laſſen. „Ja,
ſie wollen ſcheeren, aber ſich ſcheeren laſſen,
das wollen ſie nicht.“ Aber der Deputirte
(Buchhaͤndler Winter aus Heidelberg) hat ihm
tuͤchtig darauf geantwortet. Er ſagte: das
[86[89]] Volk habe ihn nicht gewaͤhlt, damit er die
Miniſter ungeſchoren laſſe. Noch eine merk¬
wuͤrdige Sitzung fand neulich in Karlsruhe
ſtatt. Der Deputirte Welker, der fuͤr ſeinen
Geiſt, ſeinen Muth und ſeine Beharrlichkeit
die Bewunderung und den Dank von ganz
Europa verdient (denn die Freiheit ſelber des
kleinſten Staats iſt eine Angelegenheit der
ganzen Welt), hat die Motion gemacht: die
badiſche Regierung ſolle bei der deutſchen Bun¬
desverſammlung den Antrag machen, daß ne¬
ben den Diplomaten, die doch eigentlich nur
die Fuͤrſten repraͤſentiren, auch eine deutſche
Volkskammer gebildet werde. Die Carlsruher
Miniſter, als dieſe Motion von Welker ange¬
kuͤndigt wurde, hatten nicht einmal den Muth,
ſie mit anzuhoͤren und ſind vor Angſt aus der
Kammer gelaufen. Iſt das nicht koͤſtlich, deutſch,
eine in Spiritus zu verwahrende Geſchichte?
Auch Rotteck und Fecht haben ſich bei dieſer Ge¬
[90] legenheit herrlich benommen. Aber alle dieſe
kuͤhnen Redner, wie Mauguin neulich in der
Kammer ſagte „ſtehen ſchon auf der Pro¬
ſkriptionsliſte,” und, wie ich im vorigen
Winter prophezeit — wenn Prophetengeiſt dazu
gehoͤrt, eine tauſendjaͤhrige Vergangenheit zu
beurtheilen — es wird in Deutſchland mit einer
großen Haͤngerei endigen. Auch habe ich aller
Maͤßigung, ja aller Gerechtigkeit entſagt. Vor¬
geſtern fing ich einen Aufſatz an, mit dem mein
projektirtes Journal beginnen ſollte. Darin heißt
es: „Auf dem Wege nach Paris fing ich an,
„ein eitler Narr zu werden, und bin es geblie¬
„ben dieſe vier Wochen lang, die ich hier ſchon
„zugebracht. Erſt geſtern ſchuͤttelte ich mich und
„kam wieder zur Beſinnung. Ich wollte es
„dem großen Goethe nachthun, ich wollte das
„Unnachahmliche nachahmen. Ich wollte werden,
„ſeyn wie er — unnahbar, kalt, wurzelfeſt,
„theilnehmend aber theilgebend und
[91] „gefuͤhlloſer als ſelbſt eine Steinwand, die doch
„Empfindung ſchwitzt, wenn ſich der Fruͤhling
„nahet. Schlachten und Stuͤrme und jammer¬
„voller Schiffbruch, Tyrannenwuth, athemlos
„gehetzte Freiheit, gemordete Unſchuld, Himmel
„und Erde, Feuer und Froſt, die Natur und
„die Geſchichte — alles wollte ich mir in be¬
„hagliche Ordnung in meinem Zimmer aufſtellen,
„und mir dann aus Wahrheit und Luͤge, aus
„Recht und Betrug, aus Treue und Verrath,
„aus Liebe und Haß, aus Gott und Teufel
„ein koͤſtliches Ragout bereiten, und kunſtſchmau¬
„ſend alle Stunden aller meiner Tage verleben,
„und nur waͤhrend der Verdauung milde und
„leiſe beklagen, daß der Arm des Teufels viel
„zu kurz, und daß Gott der Vater etwas nach¬
„gedunkelt ..... Titanen-Uebermuth! Kin¬
„diſche Vermeſſenheit! Nicht bis an die erſten
„Wolken kam ich. Ich fiel hinunter; aber mit
„blutigem Munde kuͤßte ich meine gute Erde
[92] „und vergaß meine Schmerzen. Ich will lieben
„und ſtreiten wie vor. Und keine Milde, ja
„keine Gerechtigkeit mehr! Sie haben Milch
„in Blut, Blut in Eſſig verwandelt, und ha¬
„ben den Eſſig vergiftet. Ein Thor, wer noch
„in unſern Tagen die Schaamloſen durch Gro߬
„muth zu beſchaͤmen, die Hartherzigen durch
„Bitten zu erweichen gedenkt! Teufel gegen
„Teufel! ... Weil ſie die Voͤlker ſo lange wie
„Kinder behandelt, ſind ſie bis zu Kindermaͤd¬
„chen herabgeſunken. Sie dahlen und taͤndeln,
„und luͤgen und drohen, und patſchen und
„ſchmeicheln, und kitzeln und windeln, und
„waſchen mit dem Schwamme. Aber das Spru¬
„deln und Weinen der Kinder macht ſie leicht
„ungeduldig. Sie ziehen dann ihr weiſes Haͤub¬
„chen ab, und zeigen die duͤſtre Krone darunter;
„ſie legen die Ruthe weg und holen den Scep¬
„ter. Nun wohlan! An der Grenze eurer und
„unſerer Geduld erwarten wir euch! ... Zwar
[93] „ſollten die Menſchen verſtummen, wenn Gott
„ſelbſt ſpricht, wenn der Himmel mit der taub¬
„ſtummen Welt in Zeichen redet. Aber die Un¬
„gluͤckſeligen haben nur franzoͤſiſch gelernt; die
„Sprache des Himmels verſtehen ſie nicht, ſeine
„Zeichen verſpotten ſie. Wir wollen Dollmetſcher
„des Himmels ſeyn, wir wollen deutſch mit den
„Herrn ſprechen. Ihres Dankes ſind wir nicht
„gewaͤrtig, um ihr Verzeihung, daß wir ſie zu
„retten geſucht, werden wir nicht betteln. Der
„Loͤwe bezahlte den Storch, der ihm den Tod
„aus dem Halſe gezogen, zwar mit Loͤwentrotz
„— doch er bezahlte ihn. Aber das war ein
„Koͤnig der Thiere; die Koͤnige der Menſchen
„ſind ſo großmuͤthig nicht.“
Kann ich aber in einer ſolchen Stimmung
ein Journal ſchreiben? Es iſt nicht moͤglich.
Mit dieſer Wuth iſt man ein guter Soldat,
aber ein ſchlechter Feldherr. Nun wohl, ich
entſage lieber der Ehre und will lieber ein ge¬
[94] meiner Soldat ſeyn, denn ich will ſtreiten wie
ein Baͤr. Ich habe es mit dem Journal ernſt¬
lich verſucht, aber es ging nicht. Ich konnte
den Stoff nicht bemeiſtern. Ich hatte mir ver¬
ſchiedene Kapitel beſtimmt, uͤber dieſen und je¬
nen Gegenſtand. Wenn ich nun Materialien
zu meinem Aufſatze genug hatte, brachte mir
der Tag wieder neuen Stoff, den ich zum alten
geſellte, und ſo kam ich nie zum Anfange. Auch
bin ich zu bewegt, ich muß mir taͤglich Luft
machen, ich muß Einen haben, mit dem ich
alle Tage, zu jeder Stunde ſpreche; kurz ich
kann nur auf Briefpapier ſchreiben. Und jetzt
werden Sie mich wieder auslachen und trium¬
phiren. Thun Sie das, Sie haben doch den
Schaden davon. Ich werde Ihnen alſo wieder
Briefe ſchreiben wie vorigen Winter, und weiter
nichts arbeiten.
In London hat man jetzt angefangen,
Zeitungen auf baumwollene Schnupftuͤcher zu
drucken. Dadurch erſpart man die druͤckende
Stempeltaxe, die auf den Papierzeitungen
liegt. Wenn dieſe Erfindung ſich auch au¬
ßer England verbreitet, wird die deutſche
Bundesverſammlung, weil es ſchwer zu ver¬
hindern iſt, daß unter die unſchuldigen
Schnupftuͤcher ſich nicht auch jene ſtaatsge¬
faͤhrlichen miſchen, den Beſchluß faſſen, daß
einſtweilen auf fuͤnf Jahre alles Naſenputzen
verboten ſey. O Gott! weit davon entfernt
iſt man nicht. In Preußen ſind ſie toll zum
Binden. Sie wollen es Oeſterreich nachma¬
chen! Die Dummkoͤpfe. Sie ſehen es nicht
ein, daß mehr als zu irgend einer Kunſt,
zur Dummheit angebornes Genie gehoͤrt. In
[96] Berlin wird bald eine Verordnung erſcheinen,
die jede Anzeige eines Buches im ganzen
Lande verbietet, wenn ſie nicht vorher in ei¬
ner Berliner Zeitung ſtand. Wenn ich ſage,
daß unſere deutſche Regierungen ſaͤmmtlich
verruͤckt ſind, ſo meyne ich das im wirklichen
mediciniſchen Sinne. Sie haben eine unheil¬
bare fixe Idee, die franzoͤſiſche Revolution iſt
ihnen in den Kopf geſtiegen, und ich fuͤrchte,
ſie koͤnnen ſelbſt durch viele Schlaͤge nicht
mehr kurirt werden. O wie traurig! Denn
wenn die Regierungen verruͤckt ſind, werden
alle vernuͤnftige Leute eingeſperrt.
Die Griechen haben ſich von ihrem Ty¬
rannen Capo d'Iſtrias auf aͤcht antike Weiſe
befreit. Nicht durch Zeitungen und feiges Li¬
beral-Geſchwaͤtz, ſondern durch das Schwert.
Das iſt plaſtiſche, das iſt nicht unſere roman¬
tiſche gemalte Freiheit! Es war kein Meuchel¬
mord, wie die Hof- und Miniſter-Zeitungen
[97] verlaͤumden; es war ein ehrlicher offener
Kampf. Capo d'Iſtrias war von ſeinen Tra¬
banten umgeben, und mitten unter ihnen ha¬
ben ihn zwei kuͤhne Spartaner erſchlagen.
Sie raͤchten das Land, ſie raͤchten ihr eigenes
Blut. Der eine war der Sohn, der andere
der Bruder, eines der edelſten Griechen, den
Capo d'Iſtrias, weil er ſich ſeiner Tyrannei
widerſetzte, ſchon ſeit lange in einem Kerker
gefangen hielt. Es war mir immer in der
tiefſten Seele zuwider, dieſen liſtigen, abge¬
feimten, in der Schule des Despotismus er¬
grauten Staatsmann an der Spitze eines ed¬
len Volkes zu ſehen, das nur fuͤr Freiheit
und Glauben lebte und ſtarb. So regierte
er auch. Es war ein unaufhoͤrlicher Kinder¬
mord, es war ein taͤglicher Vergiftungs-Ver¬
ſuch der Freiheit. Mit allen Schlechten un¬
ter den Griechen verband er ſich, die Guten
zu unterdruͤcken, mit allen kleinen Tyrannen,
III. 7[98] die Helden der Freiheit in Feſſeln zu ſchla¬
gen. Jeden Aufſchwung des Geiſtes ſuchte
er durch alle Hoͤllenkuͤnſte der ruſſiſchen und
oͤſterreichiſchen Polizei niederzuhalten. Hohe
Schulen, die uͤber das Rechnen und Schrei¬
ben hinausgingen, unterdruͤckte er; die Pre߬
freiheit wurde mit der Wurzel ausgeriſſen und
einem Kindervolke wurde ſchon ſein Stam¬
meln zenſirt. Aber wie wird es den ungluͤck¬
lichen Griechen jetzt ergehen! Sich auf Ca¬
po d'Iſtrias Zuchtruthe verlaſſend, ließen die
despotiſchen Maͤchte die Griechen einige Jahre
unbeobachtet. Jetzt werden ſie ſie wieder un¬
ter eigne Aufſicht nehmen. Alle, alle Voͤlker,
und das franzoͤſiſche zuerſt, werden wieder
ſchaͤndlich betrogen. Der Laͤndertauſch, der
Laͤnderſchacher wird wieder im Stillen getrie¬
ben. Und gewiß gruͤndet ſich darauf die fre¬
che Sprache Caſimir Perriers, und ſeine kecke
Friedens-Verſicherung. Bald wird er mit ei¬
[99] ner Provinz in Papier vor die Kammer tre¬
ten und triumphirend ausrufen: Seht, das
haben wir im Frieden gewonnen; wer hat
nun Recht? Das Volk wird wieder in Zent¬
nern, das Vaterland Morgenweiſe verkauft.
Was ſie im Geheimen bruͤten, wer kann das
wiſſen? Die oͤffentliche Meinung hat ſich ſchon
fuͤrchterliche Dinge erdacht; aber die Furcht
der oͤffentlichen Meinung iſt die einzige, die
nicht truͤgt, und die immer lange vorher
weiß, zwar nicht auf welchem Wege die Ge¬
fahr koͤmmt, aber daß ſie koͤmmt. So ſpricht
man: Polen ſolle an Preußen kommen —
das waͤre die Sklaverei ſtatt in Eſſig, in
Zucker eingemacht, die weit verderblichere, hoff¬
nungsloſere, weil ſie mundet. Und dafuͤr
Griechenland an Rußland, und ſo weiter den
Voͤlker-Troͤdel. Moͤchte einem nicht die Bruſt
zerſpringen vor Wehmuth, moͤchte einem nicht
das Herz ausbluten, wenn man bedenkt, daß
7*[100] die edlen, hochherzigen, geiſtreichen Griechen
— verkannt nur von jenem zahmen Viehe,
das ein polizeiſtoͤrriges Herz fuͤr ein ruchloſes
Herz haͤlt — verkannt nur von allen thoͤrig¬
ten Flitter-Goͤtzendienern, die den ungeſchlif¬
fenen Diamanten als ſchlechtes Geſtein ver¬
werfen — verkannt nur von den ſchuldbe¬
wußten, aberglaͤubiſchen Machthabern, welchen
ein Geiſt das Ende ihrer Tage verkuͤndet —
daß dieſes edle Volk darum ſieben Jahre lang
ſoll mit ſeinem Blute das Land getraͤnkt, das
Meer gefaͤrbt, ſoll alles aufgeopfert haben, Le¬
ben und Gut, Weib und Kind und oft die
Hoffnung ſelbſt, um endlich nach Allem, die
Herrſchaft der Baſtonade gegen die Herrſchaft
der Knute zu vertauſchen?
— Ueber die Anzeige eines deutſchen Buch¬
haͤndlers habe ich geſtern herzlich lachen muͤſſen.
Er ſpricht auf die klaͤglichſte, weinerlichſte, herz¬
zerreißenſte Art von den ſchrecklichen Folgen der
[101] Cholera. Doch ſetzt er unbegrenztes Vertrauen
auf Gott, daß naͤchſtes Jahr gluͤcklicher ſeyn werde.
Und warum jammert der Mann, warum wen¬
det er ſich in ſeiner großen Noth zum Himmel?
Seine zwei Taſchenbuͤcher: die Roſen, und
das Vergißmeinnicht von Clauren, ſind
fertig, aber er fuͤrchtet, in dieſer betruͤbten Zeit
zu geringen Abſatz zu haben, und will daher die
Taſchenbuͤcher erſt im naͤchſten Jahre verſenden.
Er endigt ſeine Klage und ſein heißes Gebet
mit den Worten: „Ich halte mich in der Hoff¬
„nung uͤberzeugt, daß dann die wiedergewonnene
„Ermuthigung und Erheiterung uͤber das Be¬
„ginnen einer beſſern Zukunft, dieſen beiden
„Werken der freudige Zuruf — Willkommen!
„— ſo wie eine freundliche Aufnahme bereitet
„ſeyn wird.“ Schoͤne Reconvaleszenz! Sich an
Claurens Vergißmeinnicht nach langen Leiden
zu erholen!
[102]
Siebenter Brief.
Ich bin ein rechter Ungluͤcksvogel, daß ich
die Frankfurter Revolution nicht mit angeſehen.
Vor einigen Tagen ſchrieb mir Dr. D ... ein
kurzes Billet: „In Frankfurt haben die Buͤrger
mit der Linie einen Kampf gehabt.“ Was!
rief ich voll Erſtaunen aus, die Frankfurter ha¬
ben die Linie paſſirt, ſie, die ſeit Jahrhunderten
nicht uͤber die Wartthuͤrme hinausgekommen?
Komet!
Verfloſſenen Sonntag war ein Konzert im
italieniſchen Theater, dem ich aber ſelbſt nicht
[103] beigewohnt. Es begann mit einer „ouverture
à grand orchestre“ — und errathen Sie von
welchem Komponiſten? Von Don Pedro, dem
Kaiſer von Braſilien. Es iſt uͤberfluͤſſig noch
zu bemerken, daß die Muſik erbaͤrmlich war.
Der Herr Kaiſer thaͤte auch beſſer, ſeinen Mord-
Bruder aus Portugal zu verjagen, als die fried¬
lichen Leute aus dem Theater. Ich habe we¬
nigſtens Einen geſprochen, dem auf die kaiſer¬
liche Muſik-Sudelei ganz uͤbel geworden, und
der darum aus dem Konzerte lief. Was aber
Paris ein naͤrriſcher Ort iſt! Es iſt das wun¬
derlichſte Ragout von Scherz und Ernſt. Der
Dey von Algier gab auch Stoff zu mehreren
Theaterſtuͤcken. Einmal, wie er eine Maͤdchen-
Penſion beſucht; das muß luſtig ſeyn. Im
neueſten Hefte der Revuͤe de Paris ſteht ei¬
ne Novelle von dem ehemaligen Miniſter von
Martignac. Eine neue Oper: la marquise de
Brinvilliers (die beruͤchtigte Giftmiſcherin un¬
[104] ter Ludwig XIV.) haben neun hieſige Kompo¬
niſten gemeinſchaftlich verfertigt: Cherubini,
Boieldieu, Herold, Paer, Auber, und andere.
Iſt das nicht toll! Und eine tragiſche Oper!
Melpomene in der Harlekinsjacke. Die Sinn¬
lichkeit, hoͤhere wie niedere, iſt aber bei den
Pariſern ſo abgeſtumpft, daß ihnen Teufelsdreck
noch zu fade vorkoͤmmt; man muß ihnen taͤg¬
lich neuen Geſtank erfinden. Neulich wurde im
Theater des Nouveautés an einem und dem¬
ſelben Tage, ein neues Stuͤck zu ſchreiben
beſchloſſen, entworfen, ausgefuͤhrt, die Muſik
dazu gemacht, einſtudirt, aufgefuͤhrt, und —
ausgepfiffen! Es war eine Wette. Kotzebue's
beruͤchtigter Rehbock, wird unter dem Namen
le chevreuil in den Variétésaufgefuͤhrt
und hat großen Beifall. In Deutſchland ſorgt
man auf eine edlere Weiſe fuͤr das Vergnuͤgen
des Publikums. In Berlin iſt erſchienen (durch
die Cholera veranlaßt): „Begraͤbniß-Buͤch¬
[105] lein zum Gebrauche bei Beerdigungen
in den Staͤdten und auf dem Lande.
Nebſt einem Anhange von Grabſchrif¬
ten.“ Schoͤnes Stammbuch! Eines der hieſi¬
gen kleinen Blaͤtter enthaͤlt heute einen Aufſatz
uͤber die in Berlin erſcheinende Cholera-Zei¬
tung, worin es unter andern heißt: c'est une
invention prussienne; on n'eût pas dit que
le domaine de la presse s'aggrandit ainsi
dans les domaines de Fréderic-Guillaume.
Peut-être aussi le titre n'est-il qu'une épi¬
gramme pour montrer et désigner le venin
de la presse et la contagion du Journalisme.
In Deutſchland haben ſie das Geheimniß
gefunden, die Dummheit in ewig bluͤhender Ju¬
gend zu erhalten. Es giebt keine Goͤtter mehr,
ſonſt muͤßte man ſie auf der Erde lachen hoͤren,
denn der alte Olymp war ein luſtiger Himmel.
So eben las ich in der preußiſchen Staatszei¬
tung, daß im koͤniglichen Theater am 26. Okto¬
ber, zum Erſtenmale, „der dumme Peter,
Original-Luſtſpiel in zwei Akten“ aufgefuͤhrt
wird. Ein Stuͤck, das ſeit ſechzehn Jahren in
allen deutſchen Reſidenzen gegeben wird, nennen
ſie ein Original-Luſtſpiel! Ungluͤckliches Land!
Die Sonne ſinkt, die Fledermaͤuſe ſteigen auf.
Polens Revolution war die Abendroͤthe der Frei¬
heit. Von Hannover ſchreiben ſie: das ſchoͤne
Oktober-Wetter habe den beſten Einfluß auf
den Geſundheitszuſtand gehabt, und die poli¬
[107] tiſche Entzuͤndung habe ſich gleichfalls
merklich gelegt. Man fange an einzuſehen,
daß man im hannoͤveriſchen Lande ſo viel Frei¬
heit und Sicherheit als in England
genieße, und darum habe es mit einer Con¬
ſtitution gar keine Eile. Wenn nur der Adel
eine feſtere Einrichtung bekomme, dann ſey allen
Uebeln abgeholfen ... Und die allgemeine Zei¬
tung nimmt ſolche Unverſchaͤmtheiten auf, und
jedes Wort verdienter Zurechtweiſung weiſ't ſie
zuruͤck. Die badiſchen Staͤnde bekommen keine
Preßfreiheit. Die Deputirten haben ſich bis
jetzt kraͤftig benommen, ob zwar die guten deut¬
ſchen Seelen immerfort „von den Hallen“
der Volkskammer reden. Jetzt wollen wir ſehen,
ob ſie beharrlich ſind, eingedenk der heiligen
Schrift: aber wer beharret bis am Ende wird
ſelig werden. Nichts gleicht der Frechheit, mit
welcher das Preßgeſetz abgefaßt iſt, welches die
Miniſter in Karlsruhe der Kammer vorgelegt.
[108] Die Preſſe ſey frei — mit Ausnahme aller Buͤ¬
cher unter zwanzig Bogen, mit Ausnahme aller
Werke, die von der Bundesverſammlung reden.
O Schmach uͤber das Volk, das ſich dieſen
Hohn gefallen laͤßt! Einen dummen Karpfen
faͤngt man mit mehr Witz. O Beaumarchais,
haͤtteſt du deutſchen Stoff gehabt, das waͤre ein
ganz anderer Figaro geworden! In Caſſel liegen
die Beamten und Offiziere der neuen Maitreſſe
zu Fuͤſſen, und bald wird auch die Conſtitution
da liegen. Um dieſen Preis wird die Dame
von dem Durchlauchtigen deutſchen Bunde ge¬
gen die Kurfuͤrſtin und gegen die Heſſen be¬
ſchuͤtzt und geſchuͤtzt. — Bei euch iſt ja „un¬
begrenzte Trauer,“ wegen des Todes des
Fuͤrſten von Hohenzollern-Sigmaringen. Steht
Ihnen die ſchwarze Kleidung gut?
Sie reden immer noch von der Bocken¬
heimer Zeitung, als wenn die lange dauern
wuͤrde! Laſſen Sie nur erſt die belgiſche An¬
gelegenheit in Ordnung gebracht ſeyn, und
die Graͤfin Schaumburg Wurzel gefaßt haben,
und man wird die Bockenheimer Zeitung nur
noch im Kuchengarten finden. Fuͤr jetzt
iſt alles verlohren. Nur der Koͤnig von Hol¬
land kann noch retten, wann er ſo klug iſt,
ein Narr zu ſeyn. Die Revolution, die ſich
jetzt mit großen Schritten in England naht,
gereicht uns Deutſchen gar zum Verderben.
Deutſchland iſt das ewig offene Fontanell,
wodurch alle aus dem uͤbrigen Europa ver¬
jagte Despotie abfließt; und je reiner die
uͤbrigen Laͤnder werden, je ſchmutziger werden
wir. Sie glauben mir das noch nicht, aber
[110] Sie werden es erfahren. Meine Pariſer Briefe
vom vorigen Winter werden erſt Ende kuͤnfti¬
gen Sommers ihre Bedeutung bekommen, und
was ich unter Vespertinchen verſtanden,
wird dann erſt der Welt klar werden. Von
Frankreich mag ich gar nicht reden. Es mag
ſein Teſtament machen. Koͤnig Philipp traͤgt
eine Schlafmuͤtze unter ſeiner Krone, und
der Kaiſer von Oeſterreich eine Schlafmuͤtze
uͤber der ſeinigen. Es iſt eine neue Freund¬
ſchaft zwiſchen beiden, welche die alten Fruͤch¬
te tragen wird. Koͤnig Philipp kann ſeine
Nachtmuͤtze nicht mehr abziehen, ohne daß ihm
die Krone vom Kopfe faͤllt, Oeſterreich aber
kann jeden Augenblick ſeine Mummerei weg¬
werfen, und ſteht dann geruͤſtet da. Die
Papiere ſtehen hoch, die Boͤrſe jauchzet. Ich
rufe wie Fiesko aus: Wohl bekomm euch
die Verdammniß!
[111]
Achter Brief.
Das Buch der hundert und ein
Schriftſteller hat meinen Erwartungen nicht ent¬
ſprochen. Es wird hier freilich von allen Par¬
theien gelobt, weil Schriftſteller aus jeder Par¬
thei daran gearbeitet haben. Aber fuͤr mich,
fuͤrchte ich, wird es ein Buch der hundert und
ein Taͤuſchungen werden. Gleich anfaͤnglich aͤr¬
gerte ich mich daruͤber, daß dieſe Sittenmaler
ſo veraͤchtlich von ihrem alten Meiſter Mercier
ſprechen, aus deſſen Schule ſie alle hervorge¬
gangen. Sie ſagen: „Il faut faire pour le
[112] „Paris d'aujourd'hui ce que Mercier a fait
„pour le Paris de son temps, avec cette
„différence que cette fois les tableaux de
„moeurs seront rarementècrits sur la
„borne.“ Mercier nennen ſie einen Gaſſen¬
jungen! Wahrhaftig, er ſagt mehr in einer
einzigen Zeile, als die neuen auf einem ganzen
Bogen. Er malte in Oehl; Jouy und ſeine
Nachahmer malten mit Paſtellfarben. Das ſieht
freilich ganz artig aus, aber man kann es weg¬
blaſen. Auch war Merciers Zeit guͤnſtiger zur
Sittenmalerei als die jetzige. Damals fingen
gerade die Staͤnde an ſich zu vereinigen, und
da konnte man eben am beſten ihre Trennungen
kennen lernen; jetzt aber, da ſie vereinigt ſind,
kann man nur noch ihre Nacht zeichnen. Doch
lieſ't ſich das Buch immer angenehm weiter; man
lernt daraus, man reiſt darin, und koͤmmt weiter.
Eines einzigen Artikels im ganzen Bande
muß ich als Ausnahme mit großem Lobe ge¬
[113] denken. Es iſt das Kapitel: Le Bour¬
geois de Paris von A. Bazin, einem
Schriftſteller der mir ganz unbekannt iſt.
Das iſt eine vortreffliche Zeichnung, mit Geiſt
und Gemuͤth entworfen. Von den uͤbrigen
Kapiteln ſind zwei zu erwaͤhnen, bei welchen
der Reichthum des Stoffes die Armuth der
Kunſt verguͤtet; nehmlich: L'abbaye-aux-
bois von der Herzogin von Abrantes,
und une fête au Palais-Royal von
Salvandy. L'abbaye-aux-bois, heißt
das Haus, ein ehemaliges Kloſter, worin
Madame Recamier wohnt, ſeit ſie die große
Welt verlaſſen. Aber die große Welt iſt ihr
dorthin nachgezogen, oder eigentlich nachge¬
ſtiegen, ich glaube bis in den dritten Stock
hinauf. In dem Hauſe wohnen noch mehrere
Frauen, die ſich aus dem Glanze und dem Ge¬
raͤuſche der großen Welt zuruͤckgezogen, um —
nicht uͤberſehen und uͤberhoͤrt zu werden. Alle
III. 8[114] dieſe frommen Weiber bilden ihren eigenen
Mittelpunkt, haben ihren eigenen Zirkel. Die
Herzogin erzaͤhlt nun, wie es in dieſen ver¬
ſchiedenen Geſellſchaften, beſonders bei Madame
Recamier hergeht, welche Staatsmaͤnner, Schrift¬
ſteller, Kuͤnſtler ſich da verſammeln, welche
Werke da vorgeleſen, welche Kunſtwerke vorge¬
zeigt werden, und was ſonſt da getrieben wird.
Madame Recamier wird wegen ihrer Liebens¬
wuͤrdigkeit, Beſcheidenheit, Entſagung, Mild¬
thaͤtigkeit geprieſen. Ich habe das von dieſer
beruͤhmten Frau ſeit zwanzig Jahren ſchon oft
geleſen, und will es auch alles glauben; nur
fuͤrchte ich immer, daß die Tugend, der es nicht
gelingt unbemerkt zu bleiben, es gar nie mit
Ernſt verſucht hat. Die Herzogin Abrantes
(ſie hat auch verfloſſenen Sommer Memoiren
aus den Zeiten des Kaiſerreichs herausgegeben)
iſt uͤbrigens eine rechte Klatſchlies, und erzaͤhlt
alles im Tone einer buͤrgerlichen Frau Baſe.
[115] Sie mag eine muntere Franzoͤſin ſeyn, denn
die Sentimentalitaͤt, die ſie manchmal verſucht,
gelingt ihr gar nicht; ſie bringt keine Thraͤne
zu Stande, und wenn ſie darauf hinarbeitet,
ſieht es ſo komiſch aus, wie ein Menſch, der
nieſen moͤchte und nicht kann. „Une fête au
Palais-Royal“ von Salvandy, dem Schuͤler
Chateaubriands in Styl und Politik, beſchreibt
das glaͤnzende Feſt, welches der Herzog von
Orleans vier Wochen vor der Revolution dem
Koͤnige von Neapel gegeben, wobei Charles X.
zugegen war. Da war leicht ſchoͤn beſchreiben;
ſchon dieſes mein kurzes Inhalts-Verzeichniß iſt
ein Gemaͤlde, ein Gedicht, ein Drama. Sal¬
vandy iſt einer von den bequemen Carliſten,
die in Pantoffeln und im Schlafrock die Ruͤck¬
kehr Heinrichs V. abwarten, und unterdeſſen
manche Thraͤne in ihren Wein fallen laſſen.
Er erinnert ſich mit Wehmuth jenes herrlichen
Feſtes, das auf der Grenze zweier Mon¬
8 *[116]archien gegeben worden. Weil ihm das
Herz ſo ſchwach, traut er ſeinem Kopfe nicht.
Er fraͤgt: „De quel style décririez-vous les
danses dont rétentissait peut-être Herculanum
la veille du jour qui se leva le dernier sur
la cité condamnée?“ So ſind die Legitimi¬
ſten. Wenn ſich Peter ſtatt Paul auf einen
Thron ſetzt, ſehen ſie darin den Untergang ei¬
nes verfluchten Landes. Vier tauſend Gaͤſte
waren verſammelt. Charles X. trat zwiſchen
dem Herzoge von Orleans und dem Koͤnige von
Neapel in den Saal. Nach wenigen Wochen
war der eine vom Throne geſtuͤrzt, der zweite
todt, der dritte Koͤnig! Charles X. ſagte, den
Himmel betrachtend zu Salvandy: „il fait beau
temps pour ma flotte d'Algier.“... Au mo¬
ment que j'écris, le pirate que Charles X.
décrêta de punir, se promène au milieu de
nous, parâit dans la même Palais-Royal
d'où Charles X. suivait son foudre vengeur
[117] lancé sur l'aile des vents, le dey d'Algier
enfin peut vivre dans nos murs. Charles X.
ne pourroit pas y mourir.“ Salvandy ſprach
mit einem der Miniſter Karls uͤber die Gefah¬
ren des Kampfes, worin die koͤnigliche Gewalt
ſich eingelaſſen. „Nous ne reculerons pas
d'une semelle,“ m'avait-il dit. Eh bien,
lui répondis-je, le roi et vous reculerez
d'une frontière.“ Das iſt ſchoͤn, wenn es
wahr iſt ... — Auch unſer Béranger hat ein
Gedicht in das Buch geliefert und ein recht
ſchlechtes. Es iſt eine Ode an Chateaubriand
in Genf, die ihn freundlich bittet, nach Frank¬
reich zuruͤckzukehren:
Pleure une étoile de moins! Was iſt nur
dem ſchlichten Béranger eingefallen, ſich mit
[118] ſolchem abſcheulichen eau de mille fleurs zu
parfuͤmiren! Wer hieß aber auch den ehrlichen
Mann Lobgedichte ſchreiben? Wer nicht zu
ſchmeicheln gewohnt iſt, dem gelingt es ſchwer
ſelbſt das Verdienſt zu loben. Chateaubriand
antwortete ihm in einem Briefe, der, ob
zwar in Proſa geſchrieben, weit dichteriſcher
iſt, als Bérangers Gedicht. Chateaubriand
weiß die Lobpreiſung eines unbeſtechlichen Man¬
nes zu ſchaͤtzen. „Comment ſerais-je [invul¬
nérable] à la flatterie d'une Muse qui à dé¬
daigné de flatter les rois? Aber nein, ſagte
er, ich werde nicht zuruͤckkommen. „Jamais
je ne me rapprocherai de ces hommes qui
ont dérobé à leur profit la révolution de
juillet, de ses écornifleurs de gloire, de
courage et de génie.“Schmarotzer des
Ruhms — man kann das nicht beſſer ſa¬
gen: „Malgré les génuflexions de notre di¬
plomatie et à cause même de ses mains
[119] mendiantes, il ne me parait pas très-cer¬
tain qu'on nous aumone la paix.“ Perrier
und ſeine Leute nennt er: „la coterie coléri¬
que, sans dignité, élevation.“ Uebri¬
gens verſpricht er, uͤber die Lage Frankreichs
bald eine neue Brochure herauszugeben. Die¬
ſe iſt auch bereits erſchienen, und ich werde
darauf zuruͤckkommen. Es wird einem doch
immer warm, ſo oft man Chateaubriand, lieſ't,
zuweilen auch ſchwuͤl; aber was liegt daran?
Beſſer als kalt; das Fenſter iſt leicht geoͤffnet.
— Ich haͤtte ſo gerne nachholen moͤgen,
was waͤhrend meiner Abweſenheit von Paris
an bedeutenden Komoͤdien auf die Theater ge¬
kommen, was an guten Buͤchern erſchienen iſt;
aber nicht moͤglich nachzukommen. Nicht ein¬
mal das Neueſte jedes Tages iſt zu verbrauchen.
Es iſt zu verzweifeln. Das iſt gar nicht Le¬
ben zu nennen, wenn die Vergangenheit ſtuͤnd¬
lich waͤchſt, und die Gegenwart gar nicht auf¬
[120] kommen kann und gleich nach der Geburt
ſtirbt. Da iſt es doch in unſerm guten Va¬
terlande beſſer; da ſteht die Gegenwart mit
ihrem dicken Bauche und breiten Ruͤcken feſt
auf den Beinen, und nimmt ſo viel Platz ein,
daß nicht die ſchmalſte Zukunft vorbei kann.
Geſtern las ich das Verzeichniß der in dieſem
Herbſte erſchienenen neuen deutſchen Buͤcher.
Hundert und mehr Schriften uͤber die Cholera!
Ich bekam Leibſchmerzen nur vom Leſen des
Catalogs. Sonſt habe ich nichts von Bedeu¬
tung angezeigt gefunden, auſſer dem folgen¬
den Werke, wornach ich ſehr ſchmachte. Es
iſt wahrſcheinlich eine Satyre gegen den deut¬
ſchen Bundestag; denn unſere malizioͤſen Lands¬
leute, man kann es nicht leugnen, misbrau¬
chen die Preßfreiheit gar zu arg. Das Buch
hat den Titel: „Das Schabbes-gaͤrtle von
unnere Leut; eppes mit e Roritaͤt Geblumes
fuͤre Brautschmuck. E Chetisch meloche,
[121] von Itzig Feitel Stern. Mit eppes neun
Stuͤck ganz feine gillmelirte Kupferstichlich
etc.“ Es iſt in Meiſſen erſchienen, wo man
gutes Porzellain macht und das beſte Deutſch
ſpricht. Unter Schabbes-Gaͤrtle, wird gewiß
die [Bundesverſammlung] gemeint, und un¬
nere Leut, das ſind, Baden, Baiern, und
die andern kleinen Fuͤrſten, welche ſechs Mo¬
nate lang bei ihren ſauren Staͤnde-Arbeiten
ſehr geſeufzt und geſchwitzt, jetzt aber im ſie¬
benten ſich ausruhen und im Schabbes-Gaͤrtle
ſpazieren gehen. Chetisch Meloche iſt der
Untergang der Polen und Roritaͤt Geblumes
ſind die ſchoͤnen Reden der patriotiſchen De¬
putirten in Karlsruhe und Muͤnchen. „Ein
Pferd, ein Pferd — nein einen Eſel, einen
Eſel, ein Koͤnigreich fuͤr einen Eſel!“ Was
ich damit machen will? Die Haut will ich
ihm abziehen und Jemanden hinein naͤhen.
Wen? Das iſt ein Geheimniß. Es iſt nur
8*[122] gut, daß ich uͤber dreißig Jahre alt bin; jetzt
brauchte ich nur badiſcher Staatsbuͤrger zu
werden, dann kann ich in Karlsruhe eine Zei¬
tung herausgeben, ſobald ich Kaution geleiſtet.
Einen Eſel, einen Eſel, meine ſaͤmmtlichen
Schriften fuͤr einen Eſel! Man kann aber
uͤber Deutſchland gar keinen dummen Spaß
mehr machen. Man ſoll den Teufel nicht ru¬
fen, auch nicht im Scherze. Als ich Ihnen
voriges Jahr geſchrieben: Geben Sie acht,
man wird bei uns Cenſur und Kaution zu¬
gleich feſtſetzen, ſchaͤmte ich mich Narr ſpaͤter
und dachte bei mir: du biſt aber auch gar
zu argwoͤhniſch; ſo dumm, ſo ſchlecht ſind ſie
nicht. Ueber das Schabbes-Gaͤrtle darf man
gar nicht ſprechen, und ſo oft jetzt unſere
Fuͤrſten die Klagen ihrer Voͤlker nicht werden
hoͤren wollen, werden ſie ſich in das Schabbes-
Gaͤrtle zuruͤckziehen. Der Deputirte Seufert
in Muͤnchen hat mit deutſcher Bangigkeit die
[123] Kammer aufgefordert, ſich zuruͤckzuziehen und
den Kampf um Freiheit aufzugeben. Sie wiſ¬
ſen ihre Haͤnde nur zum Schreiben zu gebrau¬
chen, dieſe ungluͤckſeligen Gelehrten! Er ſagte:
„Warſchau iſt gefallen, die Reformbill iſt ge¬
„fallen, die Feinde der fortſchreitenden Ent¬
„wicklung freiſinniger Staatseinrichtungen erhe¬
„ben mit friſchem Muthe das Haupt, die
„Vorſtellungen und Reklamationen der Diplo¬
„maten, welche den Abſolutismus repraͤſentiren,
„werden dem Vernehmen nach zudringlicher und
„hochfahrender.“ So ſpricht ein Mann, der
ſich einen Vertheidiger des Volkes nennt! Alſo
weil wir Widerſtand gefunden, ſollen wir gleich
die Waffen ſtrecken? Haben ſie denn erwartet
daß man ihnen die Freiheit auf goldenen
Schuͤſſeln mit einem artigen Complimente in
das Haus bringen werde? Wie feige macht
doch die Gelehrſamkeit! Tauſende von edlen
Polen haben Armuth und Verbannung einer
[124] ſchmachvollen Unterwerfung vorgezogen. Die
Ungluͤcklichen! Das Korps des Generals Ry¬
binski, das ſich nach der preußiſchen Grenze
zuruͤckgezogen, iſt dort im jammervollſten Zu¬
ſtande angekommen. Alle, die Mitglieder der
National-Verſammlung, Miniſter, Generale,
Magiſtratsperſonen, Offiziere, Soldaten, ſogar
die Weiber und Kinder, wanderten barfus durch
den Koth, und ſehr wenige hatten eine Kopf¬
bedeckung. Selbſt der Generaliſſimus Rybinski
hat weder Hut noch Mantel. Und als ſie in
ſolcher Erſchoͤpfung das preußiſche Gebiet er¬
reicht, war die erſte Sorge der preußiſchen
Behoͤrden, alle Miniſter und Senatoren in ein
Kloſter zu ſperren, und dort mußten ſie fuͤnf¬
zehn Stunden ohne Nahrung zubringen! Und
ſo ein Wuͤrzburger Profeſſor, der im Schlaf¬
rocke am Kamin ſitzt und Bier trinkend ſeine
Reden ausarbeitet, ſagt ſeinen Federgenoſſen,
ſie haͤtten lang genug gekaͤmpft, Heldenmuth
[125] genug gezeigt, und ſie ſollten ſich der Noth¬
wendigkeit unterwerfen! Welche Welt iſt das!
Sie zu ertragen haben wir einen Gott zu
viel oder einen zu wenig. Chriſtus muß den
Himmel verlaſſen, daß wir alle Hoffnung und
allen Glauben verlieren, Liebe und Freiheit
als thoͤrigte Traͤume vergeſſen, und in der
Menſchheit nicht mehr erblicken, als mechani¬
ſche und chemiſche Kraͤfte, die ſich wechſelſei¬
tig verdraͤngen und zerſtoͤren, ſich aus Eigen¬
nutz verbinden und aus Habſucht verſchlingen.
Oder ein anderer Chriſt muß kommen, der
uns fuͤr neue Leiden neuen Glauben, neue
Hoffnung bringt.
Ein miniſterielles Blatt aͤrgert ſich ſehr uͤber
das Fallen der Renten, das Montag ſtatt ge¬
habt, und ſcheltet die reichen Leute Poltrons.
Der Kraͤmer-Miniſter Perrier hat ſeinen Puls
auf der Boͤrſe und zwiſchen zwei und vier Uhr
Nachmittags iſt er immer krank. — O Schande
uͤber die Nation! Schmach uͤber Iſrael! Herr
von Rothſchild iſt von den hieſigen Gerichten zu
zweitaͤgiger Gefaͤngnißſtrafe verurtheilt worden,
weil er trotz wiederholter Ermahnung, ſein Ka¬
briolet nicht wollte numeriren laſſen. Wahr¬
ſcheinlich trotzt er auf den diplomatiſchen Cha¬
rakter, den ihm ſein General-Conſulat giebt.
Ein Rothſchild ſoll ſich gegen das Numeriren
wehren! Haͤtte er niemals numerirt, waͤre er
nicht geadelt und diplomatiſirt worden. Um
[127] ſeiner ſchoͤnen Augen willen iſt es nicht
geſchehen.
Geſtern Abend habe ich doch einmal wieder
eingeſehen, wozu Gott den Menſchen Ohren ge¬
ſchaffen hat; man vergißt das leicht und oft.
Ich habe die Malibran in der diebiſchen Elſter
gehoͤrt. Nun, jetzt bin ich doch wieder verliebt,
und Kaſimir Perrier kann froh daruͤber ſeyn;
das wird ihm etwas Ruhe vor mir verſchaffen.
Sie trat nach langer Abweſenheit zum Erſtenmal
wieder auf und wurde vom Publikum mit noch
mehr Liebe als Geraͤuſch empfangen. Das war
deutlich zu merken. Auch mußte ſie die ange¬
fangene Arie wieder unterbrechen, denn die Ruͤh¬
rung unterdruͤckte ihre Stimme. Nun moͤchte
ich wiſſen, ob das Natur oder Kunſt war: dem
Teufel kann man trauen, aber keiner Komoͤdian¬
tin. Ich kann ganz mit Ernſt verſichern, daß
ich verliebt in ſie bin, nicht in ihre Perſon, aber
in ihrem Geſang und noch mehr in ihr Spiel.
[128] Und Spiel in einer Oper! wer denkt nur an ſo
etwas, wer erwartet es? Nie habe ich eine
Schauſpielerin geſehen, die ſo aufmerkſam iſt,
auf ſich und auf die andern. Sie vergißt nichts,
weder bei der leidenſchaftlichen Bewegung, noch
in der gleichguͤltigſten Ruhe. Sie vergaß nicht
einmal die Servietten auszuſchuͤtteln, als ſie den
Tiſch abdeckte. Es ſteht keiner auf der Buͤhne
und es moͤgen der Mitſpielenden noch ſo viele,
deren Rollen noch ſo unbedeutend ſeyn, fuͤr den
ſie nicht einen eigenen Blick, eine eigene Bewe¬
gung haͤtte. Sie ſpielt fuͤr alle. Die Darſtel¬
lung der thaͤtigen Leidenſchaften, des Haſ¬
ſes, des Zorns, der Verachtung, der handeln¬
den Verzweiflung gelingt ihr meiſterhaft, und
ganz durchſichtig wie ſie iſt, ſieht man die Lei¬
denſchaften nicht blos in ihrer Reife, ſondern
man kann ſie vom erſten Keime an bis zu den
Fruͤchten verfolgen. Sie muß viel ſtudiren, viel
nachdenken, viel leſen, ſogar mediziniſches. Wo¬
[129] her wuͤßte ſie ſonſt alle pathologiſchen Bewe¬
gungen des Koͤrpers ſo Naturtreu darzuſtellen?
Ich mußte manchmal die Augen von der Buͤhne
abwenden, um nur wieder Athem zu ſchoͤpfen;
denn wenn man die Pulsſchlaͤge zaͤhlt, die zu
ſolchen Gemuͤthsbewegungen gehoͤren, wird ei¬
nem ganz angſt bei der Rechnung. Mein kuͤhles
Urtheil: daß die Malibran oft zu natuͤrlich
ſpiele, hieß ich mit Unwillen ſchweigen, ſo
recht es auch hat. In der Tragoͤdie, ſowohl
im Gedichte als in der mimiſchen Darſtellung,
darf zwar die Perſon handeln; aber leiden
darf nur der Menſch. Die Perſon leiden
zu ſehen — was hat man davon? (Es iſt
doch ſchoͤn, daß ein Kritiker nichts zu fuͤrchten
hat; haͤtte das: „was hat man davon?“ ein
Anderer geſagt, ich wollte mich ſchoͤn uͤber
ihn luſtig machen.) Der Koͤrper ſoll die Lei¬
den der Seele durchblicken laſſen; wird er aber
ſelbſt truͤbe, wie kann da die Seele durch¬
III. 9[130] ſcheinen? Das vergißt die Malibran zuweilen
und ihre leidenſchaftlichen Bewegungen werden
dann zu Nervenkraͤmpfen. Aber ach! wenn
man mit der Geliebten ſchmollt, es dauert
nicht lange. Sie ſpielt doch himmliſch. Und
Rubini, Lablache! Was ſoll ich noch viel
ſagen? Ich koͤnnte doch nicht mehr heraus¬
bringen als unſere deutſche Morgen- und
Abendblaͤtter: „der geſtrige Abend war ein
genußreicher Abend.“
Jetzt Adieu Malibran II., Malibran I.
koͤmmt. So ſchrieb ich, als ich Konrad mit
Ihrem Briefe hereintreten ſah. Aber ich bitte,
gebrauchen Sie kuͤnftig ſtatt vier nur drei Ob¬
laten. Dann koͤnnte ich doch wenigſtens ſaty¬
riſch ſeyn und Ihr fuͤrchterliches Geſiegel mit
dem dreikoͤpfigen Cerberus vergleichen, der grim¬
mig alle Neugierigen abwehrt. Lieber Satan,
ſagen Sie mir doch, wer, der nicht muß, wird
denn in Ihren ſauren Brief hineinſehen? O
[131] wie verwuͤnſche ich die Cholera, daß ſie mir
durch ihre Raͤucherungen mein Gluͤck ſo ver¬
ſaͤuert! Sie fragen mich: wie es denn meine
Bekannten hier machen, wenn die Cholera
koͤmmt? Mein Gott, wenn Sie darunter
fremde Deutſche verſtehen, ſo ſind ja das
meiſtens ſorgenloſe junge Leute, die erſtens
ſolche Gefahren gar nicht beunruhigen, und
die, da es ihnen oft an Geld fehlt, an wei¬
te Flucht nicht denken koͤnnen. Heine ſagt
mir, er wuͤrde nicht hier bleiben, ſondern nach
der Schweiz gehen. Sie koͤnnen ſich denken,
daß die reichen lebensluſtigen Pariſer, die keine
Nothwendigkeit an Paris feſſelt, fortlaufen
werden. Was mich betrifft, ſo will ich mir
voraus gar nicht daruͤber den Kopf zerbrechen.
Da die Nachricht von der Cholera in England
heute widerrufen wird, ſehe ich nicht ein, wie
ſie ſo ſchnell nach Paris kommen ſoll, und
das wird ſich wohl noch bis zum Fruͤhlinge
9*[132] hinziehen. Vor einiger Zeit habe ich recht an¬
genehm geſchwaͤrmt mit meiner Flucht. Ich
wollte nach Marſeille reiſen und von da nach
Genua, damit ich doch einmal das Meer und
italieniſchen Himmel zu ſehen bekaͤme. Es iſt
doch eine rechte Suͤnde, daß ich hier ſitze und
das viele Geld verzehre und fuͤr das nehmliche
Geld, ja fuͤr weniger, koͤnnte ich den Winter
im ſuͤdlichen Frankreich oder im noͤrdlichen
Italien vertraͤumen. Ich habe die groͤßte
Sehnſucht einmal aus dieſem nordiſchen Kli¬
ma der Politik und des Verſtandes zu
wandern, und unter einem Himmel der
Natur und Kunſt zu athmen. Was halten
Sie davon?
Die Schroͤder-Devrient hat vor einigen
Tagen beim italieniſchen Theater als Donna
Anna debuͤtirt und hat in hohem Grade mis¬
fallen. Sie wird in den oͤffentlichen Blaͤttern
ſtreng beurtheilt, und man ſcheint Recht zu
[133] haben. Im deutſchen Theater gefiel ſie den
Pariſern ſehr, und da kam die Eitelkeit uͤber
ſie und ſtach ihr die Augen aus. Jetzt be¬
geht ſie gar noch den tollen Uebermuth und
tritt naͤchſten Sonntag zugleich mit der Mali¬
bran und zwar in einem Stuͤcke auf, worin
ſie deren Rolle uͤbernimmt. Sie wird im
Othello die Desdemona ſingen und die Mali¬
bran den Mohr. *** ſagte mir heute:
die Malibran (es iſt ihr Benefiz) habe das
ſo angezettelt, um die Devrient auf einmal
und fuͤr immer zu ſtuͤrzen. Mein vaterlaͤndi¬
ſches Herz blutet mir bei dieſer traurigen Aus¬
ſicht. Ich bin in einer ſchrecklichen Lage.
Ich wuͤnſche den Triumph der Malibran, und
wuͤrde doch den Fall der Devrient beweinen.
So zwiſchen Liebe und Patriotismus geklemmt
— was ſoll ich thun, wie ſoll ich mich er¬
leichtern? Theure Freundin, helfen, rathen Sie.
Welche Zeit! wohin ſoll man ſich wenden?
[134] wo findet das zerriſſene Herz einen geſchickten
Schneider? Wo? Im Weimariſchen, in dem
gluͤcklichen Lande, „wo die Liebe befiehlt
und die Liebe gehorcht.“
Das Verbot der Bockenheimer Zeitung —
das iſt die graue Narrheit, die vor Alter
kindiſch geworden. Sie wollten keine Blitzab¬
leiter; nun um ſo beſſer. Dann wird das
Donnerwetter ſtatt in die Erde auf die
Dummkoͤpfe ſelbſt herabfahren, und wir wer¬
den ſie los. Selbſt der tuͤrkiſche Kaiſer laͤßt
jetzt eine Zeitung ſchreiben! Wenn die tuͤr¬
kiſche Regierung im Liberalismus ſo weit
vorſchreitet, als Deutſchland zuruͤckgeht, dann
werden Frankfurt und Konſtantinopel bald auf
[135] einander treffen. Wahrhaftig ich bewundere
den Sultan, ob ich zwar das gar nicht noͤ¬
thig haͤtte, um unſere chriſtliche Fuͤrſten zu
verachten. Bei dieſen, wo ihr boͤſer Wille
aufhoͤrt, beginnt erſt ihre Schwaͤche. Keiner
von ihnen hat den Muth, dem Widerſtreben
ihres Hofes, ihres Adels gegen die Entwick¬
lung der Volksfreiheit ſich entgegen zu ſetzen.
Der Kaiſer von Rußland iſt ſo feige und
ſchwach, daß er nicht wagt die Polen frei zu
geben, weil es ſeine ruſſiſchen Hofbaͤren nicht
wollen. Und der Sultan ſteht ganz allein,
hat kein Volk auf ſeiner Seite, gegen ſich
aber den Poͤbel, die Geiſtlichkeit und die
Ariſtokratie, und doch laͤßt er ſich nicht ein¬
ſchuͤchtern und geht auf dem Wege der Ver¬
beſſerungen muthig vorwaͤrts! Und der Adel,
der dem Sultan feindlich entgegenſteht, iſt
kein entnervter, haſenfuͤſſiger, an ſeidenen
Baͤndern wie Huͤndchen gefuͤhrter europaͤiſcher
[136] Adel; es ſind keine parfuͤmirten Diplomaten
in ſeidenen Struͤmpfen und glaſirten Hand¬
ſchuhen — es iſt eine Militair-Ariſtokratie,
es ſind die reichen wilden Janitſcharen. Aber
freilich iſt Mahomet nicht am Kreuze geſtor¬
ben, und Dulden und Warten wird ſeinen
Glaͤubigen nicht als Heldenmuth gelehrt. Ich
begreife nur nicht, wie ſich der Sultan jetzt
ſchon ſo viele Jahre, unter ſeinen zahlloſen
Feinden, gegen die, im Dunkeln ſchleichend,
kein Muth ſchuͤtzt, hat erhalten koͤnnen.
Ganz gewiß ließ er ſich von Wien einen
Kunſtverſtaͤndigen kommen, der ihm eine ge¬
heime Polizei auf chriſtlichen Fuße eingerich¬
tet hat.
Der Koͤnig von Wuͤrtemberg hat einen
oͤffentlichen Befehl erlaſſen, wodurch den Of¬
fizieren ſtreng unterſagt wird, von Politik zu
ſprechen und Geſellſchaften zu beſuchen, worin
dieſes geſchieht. Ich habe doch in dieſer un¬
[137] gluͤcklichen Zeit wenigſtens die Schadenfreude,
wahrzunehmen, wie ſehr ſich die deutſchen
Fuͤrſten ſeit einem Jahre geaͤrgert haben.
Jetzt ſteigt ihnen die Saͤure auf, ſo ſtark, in
ſolcher Menge, daß man die ganze nordiſche
Briefpoſt an der franzoͤſiſchen Grenze damit
desinfiziren koͤnnte. Es giebt doch nichts ko¬
miſchers, als ſolch eine altvaͤteriſche Regie¬
rung. Von der Cholera, die doch gewiß kon¬
tagioͤs iſt, haben ſie aus politiſchen Gruͤnden
behauptet, ſie ſey miasmatiſch, und von der
Politik, die miasmatiſch iſt, behaupten ſie aus
choleriſchen Gruͤnden, ſie ſey kontagioͤs. O!
Doch will ich mit dieſem O! keineswegs ge¬
ſagt haben, daß mir der Koͤnig Philipp nicht
auch ſoll geſtohlen werden. Hat mir dieſer
Volks-Koͤnig, der ſich ein halbes Jahr lang
den Pariſern nie anders zeigt, als wie ein
deutſcher Opern-Koͤnig mit der Hand auf
dem Herzen, ein großes Stuͤck von meinen
[138] Tuillerien weggenommen, und ich betrete nie
den Garten, ohne zu erſtaunen uͤber dieſe
Kuͤhnheit und uͤber dieſe Nachſicht auf beiden
Seiten. Das hat keiner der legitimen Koͤ¬
nige vor Orleans zu thun gewagt, zu thun
je Luſt gezeigt. Er laͤßt ſich einen Privat-
Garten fuͤr ſich und ſeine Kinder aus dem
uſurpirten Theile machen. Er hat gar nicht
das Recht dazu, denn die Tuillerien gehoͤren
ihm nur als Koͤnig, und was ihm als Koͤ¬
nig gehoͤrt, daran hat das Volk auch Theil.
Und was noch bedenklicher iſt, nicht die Hab¬
ſucht, die Furcht hat Louis-Philipp zu die¬
ſer Uſurpation verleitet. Er laͤßt hohe Ter¬
raſſen aufwerfen, Mauern und Graben zie¬
hen, um das Schloß von der Gartenſeite ge¬
gen einen Andrang zu ſchuͤtzen. Er fuͤrch¬
tet ſich — Frankreich mag ſich vorſehen.
Die Verkleinerung des Tuillerien-Gartens,
das waͤre alſo die einzige Folge der franzoͤſi¬
[139] ſchen Revolution, die ſich mathematiſch be¬
zeichnen laͤßt; alles uͤbrige iſt Metaphyſik.
Die Folgen, welche die Juli-Revolution fuͤr
Deutſchland gehabt, ſind viel deutlicher. 1. Die
Cholera. 2. In Braunſchweig hatten ſie ſonſt
einen Fuͤrſten, der es wenigſtens nicht mit
dem Adel hielt; jetzt haben ſie Einen der
ſich vom Adel gaͤngeln laͤßt. 3. Die Sach¬
ſen haben ſtatt einen Fuͤrſten jetzt zwei.
4. Die Heſſen haben ſtatt der alten fuͤrſtlichen
Maitreſſe eine junge bekommen. 5. In
Baden konnte man fruͤher eine Zeitung ſchrei¬
ben ohne Kaution, jetzt muß man eine lei¬
ſten. 6. Wer in Baiern den Koͤnig belei¬
digte, mußte fruͤher vor deſſen Oelbilde Ab¬
bitte thun; jetzt kommt der Beleidiger auf
fuͤnf Jahre in das Zuchthaus. Da weiß man
doch wenigſtens, woran man iſt!
[140]
Neunter Brief.
Die Geſchichte mit Belgien iſt noch nicht
zu Ende, auch nicht einmal in dem Sinne der
guten kurzſichtigen Menſchen, die in der Aus¬
gleichung dieſes Streites das Ende aller Ver¬
wirrung ſehen. Was mich betrifft, werde ich
die Annahme des aufgezwungen Friedens von
beiden Partheien doch nur als einen Waffen¬
ſtillſtand fuͤr dieſen Winter anſehen. Und auf
dieſes miſerable Fundament von Backſteinen
glaubt Caſimir Perrier, das ſchwache Gebaͤude
[141] des europaͤiſchen Friedens ſtuͤtzen zu koͤnnen,
und ehe es noch aus der Erde herausgearbeitet,
ſteckt er ſchon ein Baͤumchen auf und haͤlt eine
betrunkene Kranzrede, als waͤre das Dach fertig!
Die Wage des Schickſals in der bemehlten
Hand eines Kraͤmers zu ſehen, — nein, man
koͤnnte daruͤber von Sinnen kommen! Giebt es
denn etwas laͤcherlicheres, als das Schmunzeln
dieſes Miniſters, ſo oft er eine Nachricht erhal¬
ten, Preußen oder Oeſterreich vermindere ſeine
Truppen, beurlaube ſie! Es iſt wie die Freude
eines Kindes, wenn es wahrnimmt, daß Mam¬
ma die Ruthe wieder hinter den Spiegel ſteckt,
die ſie drohend hervorgeholt. Es iſt wie die
Heiterkeit, wie das aufbluͤhende Geſicht eines
Bauchfluͤſſigen, wenn er erleichtert vom Nacht¬
ſtuhle aufſteht, wohin ihn Leibſchmerzen getrie¬
ben, und ach! ruft. Dieſes Frankreich, vor
dem, es iſt noch kein Jahr, zwanzig Fuͤrſten
hinter den zwei Millionen ihrer Wachen zitter¬
[142] ten; dieſes Frankreich der drei Tage, das ein
erſchrecktes Jahrtauſend vor ſich hertrieb — es
iſt folgſam wie ein Schulbube, und lernt alle
Tage ſeine Lektion, und laͤßt ſich alle Tage
examiniren, um zu zeigen, daß es ſeine Lektion
gelernt hat! Und was zum Lohne fuͤr alle dieſe
ſchmachvollen Opfer? Daß der junge Koͤnig
Philipp mit den alten Koͤnigen wird ſpazieren
gehen duͤrfen, wenn dieſe nach einer ſauern
Woche wieder einen Feiertag bekommen! Aber
Sie muͤſſen die neue Schrift von Chateaubriand
leſen. Sie hat mich erquickt durch alle Adern.
Mein ganzes Herz hat er ins Franzoͤſiſche uͤber¬
ſetzt, und wie viel ſchoͤner iſt die Ueberſetzung
als das Original! Ich weiß nicht, was die
ſchoͤnſte Freude des Lebens iſt; aber die groͤßte
iſt gewiß die Schadenfreude, die wir uͤber die
Niederlage und Beſchaͤmung unſerer Feinde em¬
pfinden. Chateaubriand ſchlaͤgt mit eiſernen
Keulen, die er in ſeinem Zorn gluͤhend gemacht,
[143] auf die franzoͤſiſche Zwergregierung, die ich haſſe,
ob ich ſie zwar verachte. Frankreich hat ſie nur
der Gegenwart beraubt, und wie groß der Raub
auch iſt, man kann ihn zaͤhlen, berechnen, man
weiß was man verlohren, was man wieder zu
bekommen ſuchen muß. Uns, uns Deutſchen
aber, hat Koͤnig Philipp eine ganz unberechen¬
bare Zukunft geſtohlen. Geſtern hoͤrte ich, der
Kaiſer von Oeſterreich habe den Caſimir Perrier
den Stephans-Orden ſchenken wollen, aber der
oͤſterreichiſche Geſandte hier, daruͤber vorlaͤufig
um Rath gefragt, habe erwiedert: es ſey noch
nicht die Zeit. Wie tief wird Frankreich
noch ſinken, wie hoffnungslos wird noch Deutſch¬
land werden muͤſſen, bis Perrier den Stephans-
Orden verdient! Wie verhoͤhnt ihn aber auch
Chateaubriand. „Redet nicht von Ehre,
die Renten wuͤrden um zehn Centimen
fallen.“ Wegen ſeines Muthes, ſeiner Treue
und ſeines gluͤhenden Eifers fuͤr Recht und
[144] Wahrheit, darf man dieſem Schriftſteller die
Kinderei nachſehen, daß er fuͤr das Kind Bor¬
deaux ſich bemuͤht, und man ſoll nur laͤcheln
daruͤber, als uͤber eine Schwachheit. Die Men¬
ſchen haben immer wunderliche Gottheiten ge¬
habt; der eine betet Fizli-Puzli, der andere die
Legitimitaͤt an. Aber alles was er gegen das
franzoͤſiſche Miniſterium ſagt, gegen deſſen Ver¬
waltung im Innern und nach Außen, iſt klar
wie die Sonne und rein wie Gold. „Die
„Wahl-Monarchie hat der Fahne, der ſie ſich
„bemaͤchtigt, bis jetzt noch wenig Ruhm ver¬
„ſchafft. Sie weht nur uͤber der Thuͤre der
„Miniſter und unter den Mauern von Liſſa¬
„bon; ſie wurde nur von den Winden zerriſſen;
„der Regen faͤrbt ſeinen Purpur und ſein Him¬
„melblau ab, und uͤbrig bleibt ein ſchmuzig
„weißer Lappen, die natuͤrliche Farbe der Ba¬
„ſtard-Legitimitaͤt ... Der Scepter des jungen
„Heinrichs, geſtuͤtzt von den Haͤnden des jungen
[145] „Frankreichs, waͤre fuͤr die Ruhe Frankreichs,
„ja fuͤr das Gluͤck ſeines jetzigen Beherrſchers
„ſelbſt, weit erſprießlicher geweſen, als eine
„um einen Pflaſterſtein gewundene und aus dem
„Fenſter geſchleuderte Krone; eine Krone, die
„zu leicht, wenn ſie ſich von ihrem Gewichte
„trennt, zu ſchwer, wenn ſie daran befeſtigt
„bleibt .... Ehrwuͤrdige Perſonen, die Praͤla¬
„ten der Quaſi-Legitimitaͤt, betrachten uns als
„tolle Hunde, immer bereit auf Europa loszu¬
„fahren, wenn nicht tuͤchtige Knechte uns an
„der Kette hielten. Das haben Franzoſen oͤf¬
„fentlich geaͤußert! Sie haben ihr Vaterland
„aufgedeckt, ſie haben mit dem Finger auf deſſen
„geheime Schaͤden gezeigt; ſie haben es dem
„Hohne der Maͤchte blosgeſtellt; ſie haben uns
„dieſen als eine leichte Beute gezeigt, oder als
„Menſchen, denen nur der Schrecken Energie
„geben wuͤrde. Als unſer Muth von einſt, be¬
„zeugt durch ſo viele Eroberungen, waͤre nur
III. 10[146] „das Ergebniß der Furcht geweſen, die hinter
„uns ſtand; unſer Ruhm nur die Folge unſerer
„Verbrechen! Seyd artig, hat man uns zu
„ſagen ſich erfrecht, und man wird nicht
„uͤber euch herfallen. Und ein ſolches
„Wort konnte aus dem Munde eines Franzoſen
„kommen! Und das Herz derer, die es gehoͤrt
„das Wort, hat nicht gezuckt! Und das Blut
„hat nicht gekocht in ihren Adern! Wenn das
„Gebaͤude vom July nur auf der Hingebung
„der Nationalwuͤrde ruht, wird es zuſammen
„ſtuͤrzen; man baut kein dauerhaftes Denkmahl
„auf Unehre. Triumphbogen, die man mit
„Koth zuſammen knetete, wuͤrden nicht auf die
„Nachwelt kommen.“
Ueber die thoͤrigten Friedenshoffnungen des
Miniſteriums und wie ſie, von Furcht geblendet,
der Gefahr zueilen, die ſie fliehen moͤchten, druͤckt
ſich Chateaubriand wie folgt aus: „Zweifelt nicht
„daran, die fremden Maͤchte, welche die Frei¬
[147] „heit unſrer Preſſe und Rednerbuͤhne, ſchon mit
„der Legitimitaͤt, mit Muͤhe aushielten, werden
„ſie mit dem eingeſtandenen Prinzipe der Volks¬
„ſouveraͤnitaͤt und einer auf der Straße zuge¬
„ſchlagenen Krone noch ſchwerer ertragen. Sie
„moͤgen ſich verſtellen, abwarten, vielleicht auf
„einige Zeit bis auf einen gewiſſen Grad ent¬
„waffnen; ſie moͤgen euch ſagen, daß ihr durch
„euer friedliches Syſtem die Retter Europas
„ſeyd, und euer Stolz iſt vielleicht naiv genug,
„an dieſe grobe Schmeichelei zu glauben. Wenn
„ihr aber den verſchiedenen Maͤchten Zeit laßt,
„die Revolutionen, Toͤchter der eurigen, zu er¬
„ſticken; wenn ihr ihnen ganz laut erklaͤrt, ihnen
„darthut, daß ihr keinen Krieg fuͤhren koͤnnt,
„ohne in einen Bankerott, oder in eine Schrek¬
„kensregierung zu ſtuͤrzen — dann habt ihr ge¬
„gen die einfachſten Regeln eurer Selbſterhaltung
„gefehlt. Nicht die, welche die Ehre Frankreichs
„vertheidigen, fuͤhren den Krieg herbei; ihr ſeyd
10 *[148] „es, die durch euer albernes Betragen Frank¬
„reich einem neuen Einfalle blos ſtellt. Ihr wer¬
„det fuͤr jetzt den Frieden haben, ich will es
„wohl glauben; man kann keinem den Degen
„in den Leib ſtoßen, der uns den Ruͤcken zukehrt.
„Aber fordert man in Frankreich, in dem Vater¬
„lande der Ehre, auf ſolche Weiſe den Frieden?“
Die Cholera iſt jetzt wirklich in England,
und wird dort, wenn ſie ſich einmal verbreitet,
verheerender werden, als in jedem andern Lan¬
de, weil England, Gott ſey Dank, eine ſchlech¬
te Polizei hat. Hat die Nachricht auf der
frankfurter Boͤrſe keinen Eindruck gemacht? Der
Dr. *** hier will ein ſicheres Mittel gegen die
Cholera gefunden haben: man ſoll jeden Mor¬
gen Tiſane von Sauerampfer trinken. Das iſt
ein ſaueres Fruͤhſtuͤck. *** hat ſich gegen die
Cholera tauſend Stuͤck Blutigel ins Haus ge¬
nommen — ou peut-on être mieux qu'au
sein de sa famille?
Ihr heutiger Brief hat mir ſehr großes Ver¬
gnuͤgen gemacht, und beſonders freue ich mich
uͤber Ihre Freude an dem guten Erfolge mei¬
nes Buches. Ich haͤtte das nicht erwartet. Ich
ſehe daraus wieder, wie wenig Kunſt das Herz
bedarf, um zu gefallen; daß die Aufrichtigkeit
immer bewegt, und daß man der Wahrhaftig¬
keit ſelbſt den Mangel der Wahrheit verzeiht.
Denn weiß ich es nicht, wie oft ich mich geirrt
haben kann? Weiß ich es nicht, daß tauſend
Leſer anderer Meinung ſind als ich? Aber ſie
ſehen, ſie fuͤhlen, daß ich meine Geſinnung treu
ausgeſprochen, und darum ſind ſie zufrieden mit
mir und glauben mir, wenn ſie auch nicht mei¬
nen Reden glauben. Es waͤre doch erſchrecklich,
wenn ich wirklich nicht mehr wagen duͤrfte nach
[150] Deutſchland zu kommen! Dann koͤnnte ich ja
auch Deutſchland nicht mehr verlaſſen, und
ich waͤre um die ſchoͤnſten Stunden meines Le¬
bens geprellt. Es wird aber ſo ſchlimm nicht
ſeyn, Ihr ſeyd zu aͤngſtlich. Man hat jetzt
groͤßere Dummheiten, groͤßere Miſſethaten zu be¬
gehen; zu ſolchen kleinen Betiſen und Spitzbuͤ¬
bereien hat man keine Zeit. Was das diplo¬
matiſche Geſchwaͤtz heißen ſoll, ich haͤtte hier
vielen nichtsnutzigen Deutſchen Stellen verſchafft,
weiß ich wahrhaftig nicht. Vielleicht meint man
Anſtellungen bei Zeitungsredactionen. Und auch
dieſes hat keinen Sinn. Es wird wohl nichts
anders ſeyn, als daß ich mehreren Deutſchen
Nachrichten und Stoff zu misfaͤlligen Zeitungs¬
artikeln geliefert habe.
Eines der kleinen hieſigen Blaͤtter enthielt
geſtern folgendes: „au cimetière Montmar¬
tre on lit cette inscription sur une tombe
nouvelle:Ci gît M. le Baron Jean de
Bruckmann, conseiller actuel de
sa majesté le roi de Prusse. La place
qu'occupeactuellementM. Bruckmann,
ne lui sera enviée par personne.“ Es iſt
ſchon traurig genug, daß deutſche Hofraͤthe
nicht unſterblich ſind; aber daß ſie gar in Pa¬
ris ſterben, das iſt herzzerreißend. Man ſieht
die ſchrecklichen Folgen. Erfrecht ſich ein un¬
verſchaͤmter Franzoſe, ſich uͤber einen koͤniglich¬
preußiſchen wirklichen Rath luſtig zu machen;
was wuͤrde er ſich nicht erſt gegen einen un¬
reellen erlauben! Es muß doch ein unerklaͤr¬
[152] licher wunderbarer Zauber in einem Titel ſeyn!
Es iſt das dritte edle Metall. Mancher, der
dem Silber widerſteht, widerſteht doch dem
Golde nicht, und wer dem Golde widerſteht,
unterliegt oft einem Titel. Da iſt ein gewiſ¬
ſer Muͤnch, ein politiſcher Schriftſteller von
einigen Talenten; der war fruͤher ein heißer
Demagog, ſein Liberalismus ſtand auf 30
Grad Reaumuͤre im Schatten. Der Koͤnig
der Niederlande machte ihn vor einigen Jahren
zum Profeſſor, und augenblicklich ſank ſein
Liberalismus auf 15 Grad. Kuͤrzlich wurde
er vom Koͤnige von Wuͤrtemberg zum geheimen
Hofrath ernannt, darauf kam Herr Muͤnch dem
Gefrierpunkte ſehr nahe. Wird er einmal ge¬
heimer Regierungsrath, ſinkt er gar unter
Null herab. Zwar erwarb er ſich durch ſein
Sinken nicht blos einen Titel, ſondern auch
einen jaͤhrlichen Gehalt von dreitauſend Gulden;
aber das Geld iſt doch hier nur das Gebacke¬
[153] ne zur Chocolade, dazu gegeben um ſie be¬
quemer auszutunken; die Hauptfluͤſſigkeit bleibt
der geheime Hofrath. Fuͤr den Gehalt beſorgt
Herr Muͤnch die Stuttgarter Bibliothek, aber
fuͤr den geheimen Hofrath arbeitet er an der
Hofzeitung, und ſucht alle Tage zu beweiſen,
daß die Regierung immer Recht hat dem Vol¬
ke gegenuͤber, und daß es ſehr loͤblich iſt,
wenn ſie alles Schlimme ohne langes Zaudern
auf einmal thue, damit das Volk den bittern
Trank ſchnell hinunter ſchlucke; das Gute aber
nur allmaͤhlig, daß man es mit langſamen
Zuͤgen hinunter ſchluͤrfe und der Genuß um
ſo dauernder ſey. Mit welcher raſtloſen Feind¬
ſeligkeit in Deutſchland die oͤffentliche Meinung
verfolgt wird, mit welcher Unverſchaͤmtheit die
Cenſur jede Wahrheit unterdruͤckt, und ſich zur
unverlangten Beſchuͤtzerin ſelbſt jeder auslaͤn¬
diſchen Luͤge hervordraͤngt, ſobald dieſe Luͤge
zum Vortheile einer Regierung gereicht — da¬
[154] von liegt eben ein neuer Beweis mir unter
den Augen. Dr. *** der ein Korreſpon¬
dent der allgemeinen Zeitung iſt, berichtete
kuͤrzlich von dem Prozeſſe des Journaliſten
Marraſt, der in ſeiner Zeitung, die Tribuͤne,
den Miniſtern Soult und Perrier oͤffentlich
vorgeworfen: ſie haͤtten bei dem Waffen-An¬
kauf in England ihren großen Vortheil gehabt.
Der Bericht ſagt: „Von Soult glauben vie¬
„le Leute, es ſey nicht unmoͤglich, daß er
„neben ſeinen militairiſchen Beſchaͤftigungen
„auch auf Profit ausgehe; man erinnert an
„ſein Benehmen in Spanien, an ſeine unbe¬
„zahlte Bildergallerie. Perrier ſteht ebenfalls
„im Rufe, als laſſe er ſich nicht gern einen
„Profit entgehen; auf ihn bezieht man allge¬
„mein das Wort des Figaro: „d'autres ont
„prêté à la petite semaine. Doch wir
„halten beide Miniſter in Betracht
„ihres allgemein rechtlichen Charak¬
[155] „ters fuͤr unſchuldig.“ Zu dieſen unter¬
ſtrichenen Worten, bemerkte * * *, von dem
ich die allgemeine Zeitung leihe, mit der Feder:
dies habe ich nicht geſchrieben. Das
hat alſo die Augsburger Cenſur hinzugeſetzt.
Oder vielleicht hat es der Redakteur der allge¬
meinen Zeitung ſelbſt gethan, — ein talent¬
voller aber wunderlicher Mann, der ſeit zwan¬
zig Jahren mit wahnſinniger Beharrlichkeit den
Stein der Weiſen ſucht, und ſich abmuͤht,
die Diplomatik mit der Wahrheit zu amalga¬
miren, um eine goldene Zeitung hervorzu¬
bringen.
[156]
Zehnter Brief.
In dem Buche des cent-et-un iſt auch
ein Kapitel: la première représentation. Der
Verfaſſer Merville, ſelbſt ein dramatiſcher Dich¬
ter, beſchreibt die Noͤthen und Aengſte, die der
Dichter waͤhrend einer erſten Auffuͤhrung erlei¬
det: die unberechenbare Laune des Publikums,
der Eigenſinn, die Willkuͤhr und der Unverſtand
der Schauſpieler, die geheimen Schliche der
Feinde, die Falſchheit der Freunde — es iſt
wirklich ſchauderhaft. Ein Thor, wer nach
[157] Ruhm ſtrebt, und ſein Gluͤck den Winden, ſeine
Ruhe dem Waſſer anvertraut!
Nun, euere Allerheiligen-Revolution iſt
ja ſchon wieder gedaͤmpft! Du brauchſt dich
nicht zu ſchaͤmen. Frankfurt; auch Warſchau
iſt gefallen, und war doch mehr als du.
Die raͤthſelhafte Geſchichte war mir ganz klar,
noch ehe ich in einem oͤffentlichen Berichte
aus Mainz geleſen, daß man einen Theil der
Bundesgarniſon, um Platz zu gewinnen, nach
Frankfurt verlegen wolle. Das iſt's. Vier¬
zig Jahre der Kriege und Revolutionen ſind
durch Frankfurt gezogen, und nicht einmal
waͤhrend ſolcher ſtuͤrmiſchen Zeit hat dort das
Militair eine Gewaltthaͤtigkeit, die Buͤrger¬
ſchaft ſich eine Empoͤrung gegen die Geſetze
zu Schulden kommen laſſen. Ganz gewiß
wurde hier oder dort der ſchwache Funke der
Unzufriedenheit angeblaſen und Brennmate¬
rialien darauf geworfen. Das war leicht zu
[158] machen. Frankfurt iſt ja ſeit 1814 das
Hauptquartier der vaterlaͤndiſchen geheimen
Polizei, und der General-Stab iſt aus den
vortrefflichſten Schurken zuſammengeſetzt. Un¬
ſere weiſe Regierung wird nun von den zehn¬
tauſend Buͤcklingen, die ſie ſeit fuͤnfzehn Jah¬
ren der Bundesverſammlung verehrt hat, nichts
als die Ruͤckenſchmerzen uͤbrig behalten. Jetzt
iſt wieder die verdammte Bockenheimer Zei¬
tung ſchuld an Allem! Sie werden in Deutſch¬
land noch verruͤckt uͤber die Zeitungen; es ſind
die Furien, die das Gewiſſen unſerer Regie¬
rungen verfolgen. Ich las mit geſpenſtiſchem
Grauſen, daß der Senat den Schatten einer
Verordnung von 1660 aus dem Grabe her¬
vorgerufen, um die Bockenheimer Zeitung da¬
mit zu vertilgen; die Hexe von Endor haͤtte
es nicht ſchauerlicher machen koͤnnen. Aber
die Naivitaͤt, die unbeſchreiblich heitere Naivi¬
taͤt: daß jene alte Verordnung von 1660
[159] mit der jungen Geſetzgebung der deutſchen
Bundesverſammlung in der liebevollſten Ein¬
tracht lebe — wie unſer Senat erklaͤrte, —
verſcheuchte alle Schrecken der Nacht von
mir, und ich mußte laut auflachen. Haͤtte
ich ſo etwas geſagt, haͤtte man es fuͤr fre¬
velhaften Spott und Preßfrechheit erklaͤrt.
Alle Arretirungen in Frankfurt waͤhrend der
Unruhen wuͤrden bei Nacht vorgenommen.
Was mich betrifft, ſo erklaͤre und entſchuldige
ich einen ſolchen ſchaͤndlichen Friedensbruch leicht
damit, daß dort die Regierung wie uͤberall der
Antipode des Volks iſt, und ſie daher Tag hat,
waͤhrend jenes Nacht. Wie aber unſere Buͤrger,
unſere Advokaten, die ſich mit mathematiſcher
Geographie und Moralphiloſophie nicht viel be¬
ſchaͤftigen, eine ſolche ſchauderhafte Gewaltthaͤtig¬
keit, einen ſolchen finſtern Uebermuth aus dem
Mittel-Alter ertragen — das begreife ich, das
verzeihe ich nicht. In Frankreich iſt man ja
[160] freier im Gefaͤngniß, als bei uns in der Frei¬
heit. Der Polizei, die nur von Willkuͤhr lebt,
die fuͤrchterliche Gewalt zu geben, jeden, den ſie
anſchuldigt, jeden, den ſie beargwohnt, aus ſeinem,
ſelbſt bei jedem Moͤrder heiligen unverletzlichen
Aſyl, aus ſeiner Ruheſtaͤtte zu reißen, den Un¬
ſchuldigen oft von dem einzigen Zeugen ſeiner
Unſchuld, vom Tageslicht zu trennen — iſt eine
Tyrannei ſo ſchaͤndlicher Art, daß wir ſie ſchwei¬
gend duldet, noch ſtrafbarer iſt, als wer ſie
uͤbt. Und das in einem Staate, wo die Ge¬
richte im Dunkeln Recht ſprechen, und wo die
Preſſe unter der ſchmaͤhlichſten Sklaverei ſteht!
Wenn eine ſolche naͤchtliche Arretirung einen
Fremden trifft, dann iſt er wie verſchwunden
von der Erde, denn kein Tagesblatt darf Nach¬
richt geben von dem Werke der Finſterniß, und
der Tod gewaͤhrte dann einem Solchen groͤßere
Sicherheit als die Gefangenſchaft; denn einem
Verſtorbenen wird doch wenigſtens ein oͤffent¬
[161] licher Todesſchein ausgeſtellt. Was machen denn
in Frankfurt unſere jungen Geſetzgeber, unſere
jungen Senatoren? Wie dulden ſie ſolche Schaͤnd¬
lichkeiten? Wozu denn haben ſie die Univerſitaͤ¬
ten des neunzehnten Jahrhunderts beſucht? Wenn
ſie ſich in Frankfurt mit einem Staatsrechte
und einer Geſetzgebung aus dem ſechszehnten
Jahrhundert begnuͤgen, haͤtten ſie ihren Eltern
die Studienkoſten erſparen koͤnnen. Das eben
iſt der Jammer — wir haben keine Jugend.
Sobald ſie in den geſetzgebenden Koͤrper kom¬
men, werden ſie dickbaͤuchig; ſobald in den Se¬
nat, werden ſie grau; ſie beginnen mit geheu¬
chelter Sympathie und endigen mit aufrichtiger.
— Sind Sie heute bei Verſtand? Dieſe
Frage darf Sie nicht beleidigen; ich wuͤrde Sie
nie fragen: ſind Sie heute bei Herz? Nun, wenn
Sie bei Verſtand ſind, will ich Ihnen ein Raͤth¬
ſel aufgeben, das mich geſtern Abend eine halbe
Stunde lang beſchaͤftigt hat, und das der erſte
III. 11[162] Philoſoph in der rue de Provence nicht zu loͤ¬
ſen vermochte. Beſchaͤmen Sie mich. In den
hieſigen Blaͤttern ſtand vor einigen Tagen fol¬
gende oͤffentliche Ankuͤndigung, die aus der Ga¬
zettede la vallée cherry entnommen war.
Ob dieſes Thal in Frankreich oder in der fran¬
zoͤſiſchen Schweitz liegt, weiß ich nicht. „Il est
dès à présent interdit à toute per¬
sonne quelconque d’ épouser mafille
Betzy. Unterzeichnet: I. G. Miller.“ Wel¬
che Urſache kann ein Vater haben, jedem ohne
Ausnahme zu verbieten, ſeine Tochter zu hei¬
rathen? Eines der erwaͤhnten Blaͤtter zerbricht
ſich auch den Kopf daruͤber und ſtellt allerlei
Vermuthungen auf, von welchen aber eine im¬
mer duͤmmer iſt als die andere. Selbſt die letzte,
die der Zeitungs-Schreiber feſt hielt, befriedigte
mich nicht, ob ſie zwar etwas fuͤr ſich hat. Der
Zeitungs-Schreiber ſagt: nachdem er viele ge¬
lehrte Perſonen, unter andern, Apotheker, Laſt¬
[163] traͤger, Schriftſteller und Zahnaͤrzte zu Rathe
gezogen, ſey er endlich bei der Idee ſtehen ge¬
blieben: daß die Tochter des I. G. Mil¬
ler ein Sohn ſey. Dieſe Sache iſt fuͤr ei¬
nen Franzoſen zu tief, in Deutſchland wird man
es leichter herausbringen. Machen Sie ſich al¬
ſo an das Werk. Ich haͤtte große Luſt die Sa¬
che in eine Frankfurter Zeitung zu ſetzen, um
die dortigen Gelehrten aufzufordern ſich mit die¬
ſer wichtigen Angelegenheit zu beſchaͤftigen: aber
die Cenſur wuͤrde den Artikel ſtreichen. Denn
das Maͤdchen aus dem Thale heißt ungluͤcklicher
Weiſe Betzy, und dieſen Namen fuͤhrt auch in
Frankfurt ein Paſtetenbaͤcker. Es waͤre Preßfrech¬
heit, ſo etwas drucken zu laſſen.
Nichts pikanteres giebt es zum Fruͤhſtuͤcke, als
die taͤglich hier erſcheinenden kleinen Blaͤtter nicht¬
politiſchen Inhalts. Es iſt wie Auſtern und Ca¬
viar. Mich wundert nur, daß bei dem großen
Beifalle, den ſie nothwendig finden muͤſſen, de¬
11 *[164] ren nicht mehrere herauskommen. Ich kenne
nur drei: Der Figaro iſt mit unendlich viel
Geiſt geſchrieben, und hat das ganze Jahr durch
aber auch nicht einen truͤben Tag. Die beiden
andern, ob ſie zwar keinen ſolchen Luxus von
Witz ausbreiten, leſen ſich doch auf das ange¬
nehmſte, und ich erinnere mich nicht, daß ich
je eine einzige Zeile darin haͤtte uͤbergehen moͤ¬
gen. Dabei kann ich mich nun nie enthalten, dieſe
Blaͤtter mit unſern deutſchen aͤhnlicher Art zu
vergleichen, und ich komme dann immer auf ein
Reſultat, das mir nicht ganz klar iſt. Alles
was die hieſigen Blaͤtter, den deutſchen gegen¬
uͤber, an aͤußern guͤnſtigen Verhaͤltniſſen voraus
haben: die Freiheit der Preſſe, die ungeſtoͤrte
Benutzung der Politik, beſonders der reich zu¬
ſammengehaͤufte taͤglich wechſelnde Stoff, den
ihnen die große Hauptſtadt, in Kunſt, Wiſſen¬
ſchaft, Theater, Literatur, geſelligem Leben und
Tagsgeſchichten, darbietet — das alles ſtelle ich
[165] den deutſchen Blaͤttern zur Rechnung, und brin¬
ge es in Abzug ihrer Schuld. Aber ſelbſt nach
dem Allen haben ſie mir wegen ihrer ewigen
Einfoͤrmigkeit und unendlichen Langweiligkeit noch
Rede zu ſtehen. Es liegt eben eine Monats-
Sammlung von einem der erwaͤhnten Blaͤtter
vor mir auf dem Tiſche; es heißt L'Entr'acte
und iſt das unbedeutendſte von allen. Ich neh¬
me die erſten acht Blaͤtter zur Hand, um de¬
ren Inhalt zu zaͤhlen, zu meſſen und zu wiegen.
Das Blatt iſt gleich dem Morgenblatte, in Quart
gedruckt, aber etwas weitlaͤufiger, ſo daß es we¬
niger enthaͤlt als jenes. Von den vier Seiten
des Blates fallen erſtens zwei Seiten weg, die
ganz mit den Anzeigen der Theaterſtuͤcke des
Tages und den Namen der darin auftretenden
Perſonen ausgefuͤllt ſind. Von den zwei uͤbri¬
gen Seiten bringe ich taͤglich eine Spalte in Ab¬
zug, welche ſogenannte Miszellen, hier cause¬
ries genannt, enthalten. Gegen dieſe koͤnnte
[166] man freilich einwenden, daß die unbeſchraͤnkte
ſatyriſche Freiheit ihnen zu ſtatten komme. Hier
darf man die Uebermuͤthigen und die Narren mit
Nadeln ſtechen, in Deutſchland nur zuweilen mit
dem Kopfe eines Nagels tuͤpfen. Bleiben alſo
fuͤr jedes nur noch drei Spalten uͤbrig. Und
in dem engen Raume dieſer drei Spalten ent¬
halten die acht ohne Wahl herausgeriſſenen Blaͤt¬
ter: 5 Buͤcherkritiken, 3 Theaterkritiken, 2 Ro¬
mane und 12 Aufſaͤtze, deren Titel ich Ihnen
mittheile, damit Sie daraus ſehen, daß es frei
gewaͤhlte Formen ſind, allgemeine Stoffe, die
den deutſchen Schriftſtellern der kleinſten Stadt
auch zu Gebote ſtaͤnden. Die Muſik wie ich
ſie liebe. Der Tag nach der Hochzeit.
Eroͤrterungen unter Freunden. Der
finſtere Mann. Der froͤhliche Mann.
Die Cholera-Zeitung. Die Kunſt von
dem Daumen zu leſen. Warum der Fu߬
gaͤnger mehr Ideen hat, als der im Wa¬
[167] gen ſitzt. Das Ende der Welt. Der
Eck am Kamin. Der ehrliche Mann wi¬
der Willen. Ueber die verſchiedenen
Arten, wie die Menſchen mit ihren Klei¬
dern verfahren. Und was ſolche Artikel be¬
ſonders auszeichnet, iſt deren Kuͤrze. Das Kur¬
ze mißfaͤllt nie; man kann in zwei Minuten
nicht langweilig ſeyn, es gehoͤrt Zeit dazu. Iſt
ein ſolcher Artikel unangenehm, ſo war es doch
eine Pille, keine Mixtur, man ſchluckt es hinun¬
ter; denn der Kopf hat wie der Magen ſeine Ge¬
ſchmacksnerven, was einmal daruͤber hinaus iſt,
ſchmeckt der Geiſt nicht mehr. Warum koͤnnen
oder wollen nun unſere deutſchen Schriftſteller
in ihren Journalen keine ſolchen kurzen Aufſaͤtze
machen? Ich kann nicht klug daraus werden,
und bitte Sie daher, wenn Sie nach Aufloͤſung
des großen Raͤthſels von der Betzy Miller
noch etwas Verſtand uͤbrig behalten, auch uͤber
dieſes dunkle Geheimniß nachzudenken.
In einer Anzeige von Heine's Adelsbriefen
heißt es unter andern: „Auch ſetzt man ei¬
nigen Zweifel in die Aufrichtigkeit der Geſin¬
nungen Heine's, indem es einiges Aufſehen
macht, den burlesken Satyriker oder den nie¬
dern Komiker auf einmal als Freiheits-Apoſtel
wiederzufinden.“ Das ſteht in den Leipziger
Blaͤttern fuͤr litterariſche Unterhal¬
tung, der groͤßte Viehſtall, den ich je geſehen.
— Haben Sie denn wirklich gemeint, das
Loben meiner Briefe wuͤrde immer ſo fortge¬
hen? O, laſſen Sie nur erſt die preußiſchen
Rezenſenten kommen und den Leipziger Vieh¬
ſtall aufthun; da werden Sie noch ganz an¬
dere Dinge hoͤren. Wenn ich Wunden ſcheute
haͤtte ich den Kampf vermieden. Die Leute
thun mir gar nicht Unrecht, die in den Brie¬
[169] fen meine fruͤhere Maͤßigung nicht finden; aber
ſie thun ſich ſelbſt unrecht, daß ſie ſie ſuchten.
Die Zeiten der Theorien ſind voruͤber, die Zeit
der Praxis iſt gekommen. Ich will nicht ſchrei¬
ben mehr, ich will kaͤmpfen. Haͤtte ich Gele¬
genheit und Jugendkraft, wuͤrde ich den Feind
im Felde ſuchen; da mir aber beide fehlen,
ſchaͤrfe ich meine Feder, ſie ſo viel als moͤg¬
lich einem Schwerte gleich zu machen. Und
ich werde ſie fuͤhren, bis man ſie mir aus
der Hand ſchlaͤgt, bis man mir die Fauſt
abhaut, die mit der Feder unzertrennlich ver¬
bunden iſt. Die Maͤßigung iſt jetzt noch in
meiner Geſinnung, wie ſie es fruͤher war;
aber ſie ſoll nicht mehr in meinen Worten er¬
ſcheinen. Damals, als ich ſo ruhig ſchrieb,
ſtuͤrmte es gerade am heftigſten in mir; weil
ich [n]och nicht wußte was ich wollte, ging ich
langſam und ſprach bedaͤchtig. Jetzt aber,
da mir klar geworden, was ſie wollen, weiß
11*[170] ich auch, was ich will, ich darf mich dem
Strome meines Herzens uͤberlaſſen, habe nichts
mehr zu waͤhlen und nichts mehr zu bedenken.
Was faͤllt nur den Leuten ein, daß ich
ein Feind von Rothſchild ſey? Ein Gluͤck fuͤr
mich, daß ich es nicht bin; denn waͤre ich es,
haͤtte ich nicht von ihm geſprochen, und haͤtte
die Wahrheit meiner Ehre aufgeopfert. Gegen
den Menſchen Rothſchild habe ich gar nichts,
aber weil er Rothſchild iſt, ſetze ich ihn den
Koͤnigen gleich, und das kann ihn doch gewiß
nicht verdrießen, wenn er auch nicht zu ihnen
gehoͤren moͤchte, da er am beſten weiß, wie
tief jetzt ein Koͤnig unter Pari ſteht. Aber
er iſt der große Maͤkler aller Staats-Anlei¬
hen, welcher den Fuͤrſten die Macht giebt,
der Freiheit zu trotzen, und den Voͤlkern den
Muth nimmt, ſich der Gewalt zu widerſetzen.
Rothſchild iſt der hohe Prieſter der Furcht,
die Goͤttin, auf deren Altar Freiheit, Vater¬
[171] landsliebe, Ehre und jede Buͤrgertugend ge¬
opfert werden. Rothſchild ſoll in einer Boͤr¬
ſenſtunde alle ſeine Papiere losſchlagen, daß
ſie in den tiefſten Abgrund ſtuͤrzen, dann eile
er in meine Arme und er ſoll es ſpuͤren, wie
feſt ich ihn an mein Herz druͤcke. Wahrhaf¬
tig es ſcheint, daß dieſe Menſchen die Freiheit
der andern noch mehr fuͤrchten als ihre eigene
Armuth, ſonſt wuͤrden ſie nicht mit ſo aͤngſt¬
licher Eile ihr Geld zu den Fuͤſſen der Koͤni¬
ge werfen, ſo bald ſie es verlangen. Ob wir
einmal frei werden, weiß ich nicht, aber fuͤr
die kuͤnftige Armuth der Papier-Reichen will
ich mich verbuͤrgen.
Der hohe Senat erzeigt mir zu viel Ehre,
wenn er ungehalten gegen mich iſt. Habe ich
denn wirklich geſagt, die Franzoſen waͤren bei
ihrem Ruͤckzuge in Frankfurt ſchlecht behandelt
worden? So viel ich mich erinnere, habe ich
nur erzaͤhlt, daß es ſo von den Franzoſen hier
[172] behauptet worden. Meine Penſion koͤnnen ſie
mir nicht entziehen, denn ſie haben mir ſie
nicht gutwillig zuerkannt, ſondern waren durch
einen Beſchluß der deutſchen Bundesverſamm¬
lung dazu verpflichtet worden. Freilich wuͤrde
ich in ſolcher Gefahr auf den Schutz der ho¬
hen deutſchen Bundesverſammlung nicht rech¬
nen duͤrfen, denn dieſe greift nie in die Un¬
gerechtigkeit eines einzelnen deutſchen Staates
ein, ſondern nur in die Gerechtigkeit. Aber
fuͤrchten Sie doch nicht, daß ſie mir in Frank¬
furt etwas zu Leide thun. Geſchieht es, ge¬
ſchieht es ja nur aus Rache, und Menſchen
ſolcher Geſinnung wuͤrden mich nach ſich ſelbſt
beurtheilen, und ſich fragen, was gewinnen
wir dabei, wenn wir ihm ſeine Penſion ent¬
ziehen? Er wuͤrde uns dann erſt recht feind¬
lich entgegen treten. Hat doch, wie ſie be¬
haupten, die einzige Bockenheimer Zeitung Mord
und Todſchlag in Frankfurt erregt, was koͤnn¬
[173] te ich nicht erſt anſtiften, dem alle Blaͤtter
offen ſtehen! Und um jaͤhrlich vierhundert
Gulden herauszumorden, wuͤrde Frankfurt nicht
genug ſeyn, der Untergang von ganz Deutſch¬
land muͤßte dazu beitragen. Das wuͤrde man
bedenken.
Geſtern fand ich in einem deutſchen Blatte,
als ganz kuͤrzlich erſchienen, angezeigt: „Iam
Kippur der Versoͤhnungstag. Novelle von
David Russa.“ Es iſt das erſte Werk eines
jungen Schriftſtellers, und wird (freilich vom
Verleger ſelbſt) ſehr gelobt. Empfehlen Sie
das Buch unſern Juden. Es ſoll ihr Herz auf¬
lockern, damit man nach ausgejaͤteten Metal¬
liques etwas Liebe und Menſchlichkeit hinein¬
ſaͤen koͤnne. Es iſt in Leipzig erſchienen.
Die Theilnahme der Pariſer fuͤr die ungluͤck¬
lichen Polen zeigt ſich eben ſo warm, als fruͤher
fuͤr die Kaͤmpfenden. Es macht ihnen Ehre,
ich haͤtte es kaum erwartet. Die kaͤmpfenden
Polen gewaͤhrten ein ſchoͤnes Schauſpiel, die
beſiegten, vor der Tyrannei fluͤchtigen Polen
zeigen mir den nackten, haͤßlichen Ernſt. Alle
Theater wollen nach der Reihe Vorſtellungen
zum Beſten der Polen geben, und ſie bereiten
dazu eigene aus der neueſten polniſchen Ge¬
ſchichte bearbeiteten Stuͤcke vor. Geſtern machte
das Theater de la Porte St. Martin
den Anfang. Sie gaben la vieillesse de
de Stanislas. Das Stuͤck wird ſeit ohn¬
gefaͤhr vierzehn Tagen gegeben, und bei jeder
Vorſtellung wird den Polen eine eigene Loge
unentgeldlich uͤberlaſſen. Die Miniſter in ih¬
[175] ren Blaͤttern aͤrgern ſich gar ſehr daruͤber, und
laſſen ſagen: ob denn das Mitleid waͤre, wenn
man den ungluͤcklichen Polen jeden Abend das
Bild ihrer Leiden vor die Augen bringe? Bis
zur Gemeinheit zeigen ſie ihren Aerger. Die
Hauptrolle im Stanislas hat der zwar alte aber
noch immer friſche Pottier, und da ſagen die
miniſteriellen Theater-Artikel, das Stuͤck ſollte
nicht heißen la vieillesse de Stanislas, ſondern
la vieillesse de Pottier. Sie moͤchten gern
ihre zugleich niedertraͤchtige und wahnſinnige
Politik, die ſie gegen Polen und Rußland be¬
folgt haben, vergeſſen machen, und es muß ſie
darum aufbringen, jeden Abend im Theater die
Begeiſterung, den Spott und den Groll der
Pariſer neu angefacht zu ſehen. Die vielen
Polen, die jetzt hier zuſammentreffen, machen
den Miniſtern grauſame Kopfſchmerzen, und ſie
gehen mit dem Gedanken um, ſie alle nach
dem ſuͤdlichen Frankreich zu verweiſen. Es iſt
[176] ihr warmes Sibirien. Der Kaiſer Nikolas preßt
ſeinen Sieg aus bis auf den letzten Tropfen,
und wirft dann dem Koͤnig Philipp die Schaa¬
len vor die Fuͤſſe. Es wundert mich nicht und
ich nehme es ihm gar nicht uͤbel. Die deut¬
ſchen Diplomaten und ihre Federknappen haben
ſeit einem Jahre die Milde, Großmuth und
Gerechtigkeit, welche kuͤnftig Kaiſer Nikolas ge¬
gen die Polen zeigen wuͤrde, ſo hoch in den
Himmel erhoben, daß Nikolas, in der Ver¬
zweiflung, das erhaltene Lob zu erreichen, lie¬
ber gar nicht darnach ſtrebt, ſondern bleibt,
wo, was und wie er iſt — der Beſchuͤtzer und
Verbuͤndete jedes Tyrannen und der Feind und
Unterdruͤcker jeder Freiheit in Europa. Die
ganze polniſche Armee, die ſich nach Oeſterreich
und Preußen zuruͤckgezogen, iſt verbannt und
darf nie in ihr Vaterland zuruͤck. Schon dreitau¬
ſend Polen wurden nach Sibirien geſchickt. Viele
wurden hingerichtet, Unzaͤhlige ihrer Guͤter be¬
[177] raubt und mit ihren Kindern dem Hungertode
preis gegeben. Sie machen gar kein Geheim¬
niß aus ihrer Rache. Die Namen der Hin¬
gerichteten, Verbannten, Beraubten, werden
in den Zeitungen amtlich mitgetheilt. Es iſt
fuͤrchterlich zu leſen. Die naive preußiſche
Staatszeitung theilt dieſes alles mit, wahr¬
ſcheinlich damit die deutſchen unartigen Kinder
Furcht vor der großen ruſſiſchen Ruthe bekom¬
men. Es liegt grade ſo ein Rache-Verzeich¬
niß vor mir. Man ſchaudert, wenn man lieſt,
daß in Rußland die Landguͤter nach Seelen
gemeſſen werden, wie bei uns nach Mor¬
gen. So heißt es in einem Confiscations-Re¬
giſter von Guͤtern polniſcher Rebellen: ein Gut
von hundert ein und ſiebenzig maͤnnlichen See¬
len, ein jaͤhrliches Einkommen 1318 Rubel,
80 Kopeken Silber bringend, dem N. N. ge¬
hoͤrig — ein Gut von hundert acht und neun¬
zig Seelen, — ein Gut von zwei hundert maͤnn¬
III. 12[178] lichen Seelen. Das ſind ſchoͤne maͤnnliche See¬
len, die ſich eine ſolche Behandlung gefallen
laſſen, und ſich dabei nicht ſoviel ruͤhren, als
die Scholle hinter dem Pfluge! Nichts macht
einen komiſcheren Eindruck, als wenn man nach
den praͤchtigen kaiſerlichen Strafen der polni¬
ſchen Rebellen die armſeligen Belohnungen lieſt,
mit welchen man die treugebliebenen Polen er¬
freut. So wurde ein litthauiſcher Edelmann,
„der beim Ausbruch des Aufſtandes ſeinen Bau¬
ern die Waffen abnahm, und ſelbſt als einfa¬
cher (ſollte heißen einfaͤltiger) Freiwilliger in
der ruſſiſchen Armee gegen die Inſurgenten
kaͤmpfte, worin er ſich augenſcheinlichen Gefah¬
ren ausſetzte, in Betracht „ſeiner ſo ausgezeich¬
neten treuen Dienſtleiſtungen“ — zum Titu¬
lar-Rath ernannt. Da ſind doch unſere
deutſchen Hofraͤthe kluͤger; ſie ſetzen ſich fuͤr
ihre Titel keiner groͤßern Gefahr aus, als hoͤch¬
ſtens zum Narren gehalten zu werden. Was
[179] mich nun, nach ſolchen ſchaͤndlichen Handlun¬
gen der Despotie, wie immer, am meiſten be¬
wegt, das ſind ihre ſchaͤndlichen Reden, ihr
Spott, der, ohne ihre Macht zu vermehren,
nur den Schmerz der Unterdruͤckten vergroͤßert.
Wenn man jetzt die Artikel lieſt, welche alle
Tage die ruſſiſche Warſchauer Zeitung enthaͤlt,
muß man ſich den Kopf zuſammen halten, daß
er nicht auseinander faͤllt. Es iſt eine genia¬
liſche Unverſchaͤmtheit. Ein ſolcher Artikel ſprach
in dieſen Tagen uͤber die Urſachen der polni¬
ſchen Revolution, und unterſucht, welche ge¬
gruͤndete Beſchwerden denn die Polen gegen
die ruſſiſche Regierung gehabt haͤtten? Der
Kaiſer haͤtte ſie mit Wohlthaten uͤber¬
ſchuͤttet, und haͤtten ſie auch kleine Beſchwer¬
den gehabt, wo es denn ein reines Gluͤck in
der Welt gaͤbe? Man wolle nun die ver¬
meintlichen Beſchwerden der Polen uͤber die
Verletzungen der Conſtitution beſprechen, und
12*[180] ſonnenklar zeigen, wie ungegruͤndet ſie waren. ...
Die Unterdruͤckung der Preßfreiheit?
Aber ſeit wann koͤnnen wir uns ohne dieſelbe
nicht mehr behelfen?... Der Mangel ei¬
nes conſtitutionellen Budgets! Aber
die Miniſter haben den Kammern das Budget
nicht vorgelegt, weil ſie vorher ſahen, es wuͤr¬
de verworfen werden. ... Die geheime Po¬
lizei! Aber wie gelind muß dieſe geweſen
ſeyn, da ſie den Ausbruch der Revolution nicht
verhindern konnte. ... Die Aufhebung der
Oeffentlichkeit in den Reichstag-Ver¬
handlungen! Nun, was iſt's denn weiter?
Dadurch hat das Publikum nur eines ſeiner
unentgeldlichen Schauſpiele verlohren. Und dar¬
um eine Revolution anfangen? „Selbſt Eng¬
land (hoͤren Sie, hoͤren Sie) wuͤrde gern
einwilligen, daß die Thuͤren ſeines
Parlaments dem Publikum verſchloſ¬
ſen werden, und daß man ſeine Pre߬
[181] freiheit beſchraͤnkt, wenn es ſich ge¬
gen ein ſo geringes Opfer eines Thei¬
les ſeiner National-Schuld entledi¬
gen, und ſeinen Fabrikanten den
Markt des ganzen Nordens eroͤffnen
koͤnnte!“ O! das iſt zu himmliſch! Wenn
der oͤſterreichiſche Beobachter das lieſt, wird er
ausrufen: Pends-toi, figaro, tu n'as pas de¬
viné celui-là! Aber die preußiſche Staats¬
zeitung, die die Streiche mittheilt, ſcheint ſich
uͤber die Schelmerei ihrer ruſſiſchen Suzane
nicht zu wundern; denn ſie denkt wohl, bei
Gelegenheit koͤnne ſie es noch ſchoͤner machen.
Jetzt heißt es, der Kaiſer Nikolas ſei darum
nach Moſkau gereiſt, um mit ſeinen getreuen
Edelleuten dort zu uͤberlegen, ob er ſeinen Voͤl¬
kern etliche Freiheiten und welche er geben ſolle.
Und das thut er, um die Eiferſucht der Ruſſen
zu beſchwichtigen, daß ſie nicht murren, wenn
den Polen nicht alles geraubt wird. Wir wol¬
[182] len ſehen. Iſt es aber nicht wunderlich, daß
die Fuͤrſten, ſo oft ſie die Freiheit unterdruͤcken
wollen, keines Menſchen Rath brauchen, ſondern
auf der Stelle mit ſich einig und entſchloſſen
ſind; ſobald ſie aber ihren Voͤlkern Freiheit ge¬
ben wollen, bei allen Leuten herumfragen, was
ſie davon halten, und ſehr herablaſſend dem ge¬
ringſten ihrer Unterthanen erlauben, nur ohne
Scheu ſeine Meinung zu ſagen? Die kuͤnftige
polniſche Freiheit wird man in Wien auf der
Straße predigen duͤrfen; ſo unſchuldig wird ſie
ſeyn. Darin aber irren ſich ſo viele Menſchen,
daß ſie glauben, Rußland, Oeſterreich und Preu¬
ßen verſagten ihren Voͤlkern conſtitutionelle Frei¬
heit, und verhinderten deren Entwicklung in den
kleinen Staaten, blos aus Haß gegen die Frei¬
heit allein und aus Liebe zur unbeſchraͤnkten
Herrſchaft. Das iſt freilich ein Hauptbeweg¬
grund, aber es iſt nicht der einzige. Der an¬
dere liegt darin: daß wenn die großen Maͤchte
[183] ihren Staaten Konſtitutionen gaͤben, ſie unfehl¬
bar ihren politiſchen Einfluß auf die kleineren
Maͤchte verlieren wuͤrden — einen Einfluß, den
ſie nur dadurch erwerben und erhalten, daß die
Ariſtokratie in dieſen kleinen Staaten, in ihrer
Angſt vor dem Andrang der Demokratie, ſich
um Schutz flehend nach Petersburg, Wien und
Berlin wenden — ein Schutz, der ihnen auch
verkauft wird, und den ſie mit Verrath ihres
Vaterlandes und ihres Fuͤrſten theuer bezahlen.
Darin iſt die Hoffnungsloſigkeit der gegenwaͤr¬
tigen Lage Europas, und darin iſt die Thorheit
der hieſigen Miniſter, welche traͤumen, alle Ver¬
wirrung koͤnnte friedlich geloͤſet werden.
Geſtern Abend trat die Devrient in Roſſinis
Othello auf. Sie ſpielte die Desdemona, Ma¬
dame Malibran den Mohren. Allen Dilettanti
und den vielen Amanti der ſchwarzen Schoͤnen
war ſehr bange vor dem kuͤhnen Unternehmen,
und ich fand, daß ihre Furcht noch lange nicht
groß genug geweſen. Waͤre nicht eine der Gra¬
zien, aus gewohnter Liebe, der Malibran treu
geblieben, ſie haͤtte ſich ſehr laͤcherlich gemacht.
Was doch die Eitelkeit ſchlecht rechnet! Sie woll¬
te donnern und blitzen, wie ein afrikaniſches Ge¬
witter, aber die Stecknadelnatur des weiblichen
Zornes ſtach uͤberall hervor, und das duͤnne ſpitze
Grimmchen war gar zu komiſch. Die Malibran
hat eine zarte feine Geſtalt, und ſo blieb ihr
nichts anders uͤbrig, um einen Mann vorzuſtel¬
[185] len, als alles was ihr von maͤnnlicher Kraft
bekannt war, um Mund und Augen anzuhaͤu¬
fen. Sie warf in einem fort die Lippen hoͤh¬
niſch aus, rollte die Augen, zog die Augenbrauen
finſter zuſammen. Das ſollte Eiferſucht, Wuth,
Rachedurſt vorſtellen; aber es glaubte ihr Nie¬
mand ein Wort. Ihrer ſchoͤnen Stimme that
ſie Gewalt an, daß man ſich erbarmen mußte.
Ich ſah doch, daß die Leute hier unpartheyiſch
ſind und ſich von keiner vertrauten Vorliebe be¬
ſtechen laſſen. Der Beifall war kalt, noch mehr,
er war kuͤhl, und man konnte merken, daß die
alte Gewohnheit verfuͤhren wollte, man ihr aber
kein Gehoͤr gegeben. Die Devrient, noch eine
ſchoͤne Frau, hat eine volle, klangreiche Stim¬
me, die mir nur manchmal zu heldenmaͤßig vor¬
kam. Ich glaube, ſie hat einigemal geſchrien.
Haben ſie nichts gehoͤrt? Ihr Spiel iſt zu lo¬
ben; ſie hat gelernt und gebraucht ſchoͤne aka¬
demiſche Stellungen. Den Schmerz der Des¬
[186] demona ſpielt ſie oft edler als die Malibran;
die glaͤubige Deutſche hat einen Zug von der
ſchmerzensreichen Mutter um ihre Lippen, den
die unglaͤubige Franzoͤſin nicht auszudruͤcken
vermag.... Selbſt der Zufall machte ſich
uͤber dieſe laͤcherliche Vorſtellung luſtig. Als
am Schluſſe Desdemona und Othello todt auf
dem Boden liegen und der Vorhang fallen ſoll¬
te, blieb er haͤngen. Die Devrient, die als
Fremde wohl nicht recht wußte, wie ſie ſich zu
betragen habe, erhob ihren Kopf und ſah nach
der Malibran hin, um ihrem Beiſpiele zu fol¬
gen. Dieſe aber ließ ſich gar nicht irre machen
und blieb todt. Da gab es denn ein unbaͤndi¬
ges Gelaͤchter, und auf dieſe Weiſe konnte jeder
Unzufriedene mit Anſtand ſeinem Spott Luft
machen... Nach Othello kam noch eine kleine
komiſche Oper: la prova d'un opera seria, ſo
eine Art von Kapellmeiſter von Venedig,
den man in Deutſchland ſpielt. Lablache und
[187] die Malibran waren unvergleichlich. Aber das
iſt ein altes Wort fuͤr eine ganz neue Empfin¬
dung und das ich bloß aus Noth gebrauche. Die
Malibran und das Haus verguͤteten ſich reich¬
lich an Verdienſt und Lohn, was ſie in der vor¬
hergegangenen Vorſtellung einander ſchuldig ge¬
blieben. Ich will aber weiter kein Wort dar¬
uͤber ſprechen. Ich waͤre ja ein Narr, wenn
ich Ihnen immer aufrichtig berichtete, was ich
fuͤr ein Narr geweſen!
Unſer Koͤnig hat geſtern ſechs und dreißig
Stuͤck Pairs gemacht, neue Saͤulen den Thron
zu ſtuͤtzen, neue Faſchinen in den Strom der
Zeit zu legen, daß der demokratiſche Schlamm
ſich daran feſtſetze. Geſtern war Sonntag, aber
die Gewalt hat keinen Feiertag. Mir war die¬
ſe Sache immer gleichguͤltig geweſen. Sie moͤ¬
gen Pairs haben oder keine, erbliche oder nur
lebenslaͤngliche: das aͤndert nichts. Neue Rui¬
nen, wie in den engliſchen Gaͤrten, das ſind
[188] unſchaͤdliche Spielereien. Man mag einem Kin¬
de eine graue Peruͤcke aufſetzen, es wird nicht
alt davon. Was ich in dieſer Sache nur wich¬
tig finde, iſt daß der Koͤnig, indem er Pairs
ernannte, wozu ihn die Konſtitution von 1830
nicht berechtigte, einen Staatsſtreich begangen.
Und hat er einmal dem Teufel einen Finger ge¬
geben, wird er ihm auch ſpaͤter die Hand rei¬
chen, und ſich ihm endlich ganz uͤberlaſſen.
— So eben leſe ich in der neueſten Ham¬
burger Zeitung folgende Brochure angezeigt:
„Gegen L. Boͤrne, den Wahrheit-,
Recht- und Ehrvergeſſenen Briefſteller
aus Paris, von E. MeyerDr.“ Ich kann
es mir nicht erklaͤren; aber ſobald ich den Titel
geleſen, bekam ich gleich einen heftigen Appetit,
und ich ſchickte den Konrad weg, mir vom Re¬
ſtaurateur ein tête de veau au Naturél zu ho¬
len. Ich pflege ſonſt nie à la fourchette zu fruͤh¬
ſtuͤcken. Ach! koͤnnten nur viele Menſchen, wie
[189] ich, Wahrheit, Recht und Ehre noch vergeſ¬
ſen — es ſtuͤnde beſſer mit der Welt! Wenn
ich nur dieſe Schrift bald in Paris haben koͤnn¬
te; ich wuͤrde wahrſcheinlich darauf antworten.
Zwar liegt das ſonſt nicht in meiner Art, aber
ich muß dießmal zum Schutz der guten Sache
das ſchwere Opfer bringen, mich gegen perſoͤn¬
lichen Angriff zu vertheidigen. Vielleicht koͤnnen
Sie in Frankfurt erfahren, wer dieſer Dr. Meyer
iſt. Es iſt immer gut, das zu wiſſen. Sie ſe¬
hen aber daraus wieder, was ein Gelehrter aus¬
ſteht, und ſeyn Sie froh, daß Sie dumm ſind.
Eben erhalte ich zwei dicke Briefe von Ham¬
burg. Genannte Schrift von Dr. Meyer und
noch andere Kriegsmanifeſte liegen darin. Hur¬
rah! Ich habe bis jetzt weder Briefe noch Bro¬
churen geleſen; aber ich brenne vor Begierde,
und ſchließe darum. Acht Franken koſten mich
die Hamburger Grobheiten!
[191]
Eilfter Brief.
Lange hat mir nichts ſo viele Freude
gemacht, als die Schrift des Dr. Eduard
Meyer in Hamburg. Man ſchrieb mir von
dort, er waͤre ein langer Menſch mit ganz
unerreichbarem Kopfe: aber ich will ihn ſchon
erreichen und wenn ich einmal mit ihm zu¬
ſammentreffe, ſteige ich auf einen Stuhl und
kuͤſſe ihn herzlich. Er hat ſeinen Nachfolgern
alle großen und ſchweren Steine weggenom¬
men, und wenn noch Einer nach mir werfen
[192] will, muß er leichten Kies dazu gebrauchen.
Geſteinigt zu werden — es iſt wenigſtens ein
heiliger bibliſcher Tod. Nie haͤtte ich gedacht,
daß die deutſche Sprache eine ſolche Kraft be¬
ſitzt; man koͤnnte damit den Mont blanc in
Staub verwandeln. Hoͤren ſie nur, was ich
in der Schrift des Dr. Meyer alles bin, wie
ich genannt werde. Elend — ſeicht —
graͤulich — ruchlos — laͤcherlicher
Thor — ſuperkluger Schreier — dit¬
to eingebildeter — heilloſer Geſell
— Hauptraͤdelsfuͤhrer einer jaͤmmer¬
lichen Scriblerbande — Menſch —
ditto gottloſer — Kerl — jaͤmmer¬
licher Wicht — entarteter Burſch —
Mordbrenner — ſchamloſer Bube —
Jude. — „Eduard, Eduard! warum
iſt dein Schwert ſo roth?“ Verglichen
mit dem, was ich bin, habe ich ſehr wenig,
wie es allen edlen Naturen zu gehen pflegt.
[193] Ich habe nichts, als: Anmaßung —
Frechheit — Unverſchaͤmtheit — ditto
unerhoͤrte — grundſchlechte Geſin¬
nung — ſchaudernerregende Naivi¬
taͤt. Daß mich Herr Dr. Meyer wenigſtens
Herr nennte, daß er Herr Mordbrenner,
Herr jaͤmmerlicher Wicht zu mir ſagte!
Aber nicht ein einziges Mal thut er das.
Dieſe Herrnloſigkeit giebt ſeiner Schrift ein
ehrwuͤrdiges deutſchamtliches Anſehen. Auch
ſchrieb mir Einer von Hamburg, ſie waͤre
auf Befehl des Mufti verfaßt worden.
Nach allen ſeinen unvergleichlichen Kraft¬
aͤußerungen hat Eduard Meyer noch die Be¬
ſcheidenheit zu fuͤrchten, man moͤchte ſeine Art
ſich auszudruͤcken mit „gemeinen Schmaͤ¬
hungen“ verwechſeln und er bittet ſeine Le¬
ſer dieſes nicht zu thun. Er meint: man
wundere ſich vielleicht, daß er, als zahmer
Deutſcher, mit einemmale ſo wild geworden;
lII. 13[194] aber man kenne die Deutſchen noch gar nicht.
„Der Deutſche iſt geduldig, aber doch nur
„bis zu einem gewiſſen Grade. Wenn die
„Geduld ihm reißt, wenn er das Schweigen
„bricht und einen Entſchluß gefaßt hat, ſo
„wird ſich mancher wundern uͤber die ſchein¬
„bare Verwandlung ſeiner Natur. Und ich
„fuͤhle es, daß auch ich ein Deutſcher
„bin.“ Anch'io sono pittore! Er habe nie
Freude an literariſchen Streitigkeiten gefunden,
aber „was zu arg iſt, iſt zu arg.“ Man
muͤſſe, „dem Geſindel einmal auf die Finger
klopfen, daß etwas Furcht hineinfaͤhrt.“
Aber guter Gott! was hilft da etwas,
was hilft ſelbſt viel? Es mag noch ſo viel
Furcht in die Finger hineinfahren, ein tapferes
Herz jagt ſie wieder in die Schlacht zuruͤck.
Vor die Bruſt haͤtte er mich ſtoßen, auf den
Kopf haͤtte er mir klopfen ſollen, daß da
Furcht hineinfaͤhrt. Der Mann iſt zu gutmuͤthig.
[195]
Er ſagt: In meinem Buche waͤre keine
neue Idee. „Nichts als leeres, langweiliges
„Kaffeehaus- und Zeitungsgeſchwaͤtz, von der
„Oberflaͤche geſchoͤpfte Bemerkungen, wie tau¬
„ſend vorlaute Reſonnaͤrs ſie taͤglich machen.“
Da haben ſie den alten Deutſchen wieder!
Neue Ideen wollen ſie haben! Eine Idee,
wenn ſie ſie achten ſollen, muß eine Hand¬
ſchrift ſeyn, auf Pergament geſchrieben, in
Schweinsleder gebunden, und als einziges
Exemplar in einer einzigen Bibliothek verwahrt
werden. Was in tauſend Jahrbuͤchern der
Geſchichte gedruckt zu leſen, was der Himmel
ſelbſt herabgedonnert, was drei Welttheile
wiederhallten, was der Laſttraͤger auf der Gaſſe,
wie der Denker in ſeinem Zimmer, was der
Buͤrger in ſeiner Werkſtaͤtte, der Bauer hinter
dem Pfluge, der Soldat unter ſeinem Joche,
der Bettler in ſeinen Lumpen ſpricht, denkt,
fuͤhlt, klagt, wuͤnſcht und hofft — das ver¬
13*[196] ſchmaͤhen ſie, das iſt ihnen Kaffeehaus- und
Zeitungsgeſchwaͤtz! Was alle wiſſen, verdiente
keiner zu lernen! Gut, Ihr ſollt neue Ideen
haben; zeigt nur erſt, daß Ihr deren wuͤrdig
ſeyd; gebt Rechenſchaft, wie Ihr die alten
verwendet.
Mein Eduard iſt zwar ein beſcheidener
junger Menſch, aber an Welterfahrung ſcheint
ihm noch viel zu fehlen. Er ſagt: er muͤſſe
ſich gegen den Vorwurf verwahren, als haſſe
er die Sache einer geſetzmaͤßigen Freiheit, doch
deren Vertheidigung muͤſſe man dem Himmel
uͤberlaſſen. „Wenn Fuͤrſten ihre Zeit und ihre
„Voͤlker verkennen, oder gar der Schlechtigkeit
„huldigen, wird gerechte Vergeltung ihrer
„Misgriffe ſie ſelbſt am ſchwerſten treffen.
„Dies wuͤnſche, hoffe und weiß ich.“ Dieſes
wuͤnſche, hoffe und weiß ich auch. Aber mein
lieber Eduard, wer ſoll denn jene gerechte
Vergeltung an den Fuͤrſten vollziehen? Selten
[197] ſchickt Gott ein himmliſches Strafgericht herab,
die Verwaltung ſeiner Stellvertreter zu unter¬
ſuchen, und ſo oft es noch geſchah, wurde
nichts dadurch gebeſſert. Die himmliſchen Com¬
miſſaire waren auf der Erde fremd, gingen
irre, oder ließen ſich wohl gar beſtechen. Das
haben wir ja kuͤrzlich erſt an der Cholera-
Morbus geſehen, die, ſtatt die Unterdruͤcker,
die Unterdruͤckten zuͤchtigte. Nur dem hilft
Gott, der ſich ſelbſt hilft, Aide-toi, et le
ciel t'aidera.
Noch ein anderer Herr hat gegen mich ge¬
ſchrieben, Wurm genannt, in den kritiſchen
Blaͤttern der Boͤrſenhalle. Der iſt aber
ſehr ſanft in Vergleich mit Dr. Meyer und ge¬
braucht nur milde Adjektive und Nominative,
und dieſe nur in geringer Zahl. Fadaiſen,
Niaiſerien, politiſches Geſchwaͤtz, Ef¬
fronterie, Sanskulottiſcher Witz, Ge¬
ſelle, Auswuͤrfling — und das iſt alles!
[198] Einmal neckt er mich mit einem ſchoͤnen Milch¬
maͤdchen, das ich in England hatte heyrathen
wollen, das mir aber einen niedlichen Korb ge¬
geben. Auf Ehre, ich weiß nicht worauf ſich
das bezieht; ich will aber in der Chronik mei¬
nes Lebens nachſchlagen. Herr Wurm ſchließt
ſeinen Artikel — doch gewiß nur in der Ab¬
ſicht, daß man trotz ſeiner Freiheit merke, es
habe ihn ein Deutſcher geſchrieben — mit fol¬
genden Worten. „Wenn dieſer Loͤwe, oder
„wie er ſonſt heißen moͤchte, auf guten
„Rath hoͤren will, ſo wird er bleiben wo er iſt,
„wo man ihn nicht kennt. Ob eine deutſche
„Regierung von ſeinen politiſchen Laͤſterungen
„Notiz nehmen wuͤrde, wiſſen wir nicht. Aber
„laßt ihn keinen Verſuch machen, ſich in gute
„Geſellſchaft einzudringen. Er wird aus jeder
„Geſellſchaft, in der man auf Ehre haͤlt, auf
„beſchimpfende, und wenn es Noth thut, denn
„dieſes Geſchlecht iſt zudringlich, auf
[199] „phyſiſch empfindliche Weiſe entfernt werden.
„Das iſt die Sprache, die man mit dieſen Ge¬
„ſellen reden muß: eine andere verſtehen ſie
„nicht.“ ... Daß dieſe Thoren mich noch daran
erinnern, daß ſie mir unter die Augen brin¬
gen, was mich vergeſſen zu laſſen, ihnen noch
wichtiger ſeyn muͤßte, als es mir gleichguͤltig
iſt, ob ſie ſelbſt es vergeſſen oder nicht! Wenn
ich nicht kaͤmpfte fuͤr das geſchaͤndete Recht und
die mishandelte Freiheit aller Menſchen; duͤrfte
ich ein Herz haben fuͤr die Leiden eines Volks,
eines Geſchlechts, fuͤr meine eignen allein; duͤrfte
ich mir nach den Tagesmuͤhen ſaurer Gerech¬
tigkeit einen Feierabend ſuͤßer Ruhe verſtat¬
ten; duͤrfte ich das, wollte ich das; wollte ich
meine Kraft gebrauchen dieſem Zwerggeſchlechte
gegenuͤber — wahrlich, es bliebe nichts von ihm
uͤbrig, es als kleines Siegeszeichen an den Hut
zu ſtecken. Manchmal uͤberſchleicht es mich;
aber dann, die menſchliche Schwachheit an mir
[200] ſelbſt erfahrend, lerne ich ſie an andern verzei¬
hen, und ich ermanne mich wieder. Dieſen
Sommer in Baden, als ich unter meinen Pa¬
pieren ſuchte, fiel mir ein altes Blatt in die
Hand, das mich auf das heftigſte bewegte. Das
Herz befahl meiner Hand, die Hand ergriff die
Feder — nach fuͤnf Minuten legte ich weg; ich
konnte nie zu meinem Vortheile ſchreiben. Es
war ein Paß. Im Jahre 1807, da ich Student
war, ließ ich mir in Frankfurt einen Paß aus¬
ſtellen, um uͤber Mainz nach Heidelberg zu rei¬
ſen. Ich kam aus dem Leben der Freiheit,
kehrte in daſſelbe zuruͤck, und beruͤhrte das Land
der Gleichheit. Der Schreiber auf dem Roͤ¬
mer, der den Paß ausfertigte, war eine Mis¬
geſtalt, mit einem giftigen Kroͤtengeſichte. Als
ich den Paß in die Hand nahm, las ich darin:
Juif de Francfort. Mein Blut ſtand ſtille:
doch durfte ich nichts ſagen, noch thun, denn
mein Vater war gegenwaͤrtig. Damals ſchwur
[201] ich es in meinem Herzen: wartet nur! ich
ſchreibe euch auch einmal einen Paß,
euch und allen!... Und nicht wahr, nicht
wahr, ich habe meinen Schwur gehalten?
Lyon hat mich guͤnſtiger rezenſirt als Ham¬
burg — doch davon ſpaͤter. Ich will zuerſt auf
Ihren geſtrigen Brief antworten. Das Buch
iſt noch nicht hier angekommen, doch ſchrieb mir
Campe, es waͤre abgeſchickt worden. Aber auf
die hieſigen Urtheile brauchen Sie nicht begierig
zu ſeyn. Die wenigen Deutſchen meiner Be¬
kanntſchaft werden mir wohl ihre Meynung nicht
immer aufrichtig ſagen: Franzoſen leſen es nicht;
da kann ſich alſo keine oͤffentliche Meynung bil¬
den, und hoͤchſtens eine individuelle laut wer¬
den. Campe ſchreibt mir: „Sonderbar ſind die
[202] „Elemente in dieſem Augenblicke angeregt, an¬
„geregt durch dieſe Briefe. Die Ariſtokraten
„werden keck und ruͤcken heraus und kaͤmpfen...
„Ich kann Ihnen die Bemerkung, die ich uͤber
„den Eindruck, den Ihre Briefe bey vielen
„der Beſſern gemacht haben, nicht verheh¬
„len, die aufrichtig bedauern, daß Sie ſich ſo
„ganz ruͤckſichtslos haben gehen laſſen, ſo daß
„Sie den Platz als Zuſchauer verließen und
„ſelbſt Akteur wurden! Dadurch haben ſie ei¬
„nen betraͤchtlichen Theil Ihres wohlerworbenen
„Ruhms eingebuͤßt, der Ihnen ſchwer wieder
„zu erringen ſeyn moͤchte. Dieſes Urtheil iſt
„die allgemeine Stimme, und Sie werden von
„vielen Seiten ſo zurecht gewieſen werden, daß
„dieſes der Refrain durchweg bleiben wird. Das
„Volk iſt glaubig und ſagt Amen!“ Wie mich
dieſer Mann kennt! Ich habe nie fuͤr meinen
Ruhm, ich habe fuͤr meinen Glauben geſchrie¬
ben. Ob ich den Leſern gefalle oder nicht —
[203] will ich denn gefallen? Ich bin kein Zucker¬
baͤcker, ich bin ein Apotheker. Es iſt wahr, daß
ich den Platz als Zuſchauer verlaſſen und unter
die Handelnden getreten, aber war es nicht
Zeit, dem faulen Leben eines Theaterkritikers
endlich zu entſagen? Sie ſehen, wie ich wirke,
an meinen Gegnern am meiſten. Ich habe den
zaͤhen deutſchen Boden aufgewuͤhlt; es ziehe je¬
der ſeine Furche wie ich; fuͤr die Saat wird
Gott ſorgen. Wenn nun eine aufgebrachte
Scholle an meinen Fuͤßen, an meinem Pfluge
haͤngen blieb, und ſie beſchmuzte — was ſcha¬
det mir das?
Campe war wegen des Buches in einer Wo¬
che viermal vor Gericht. Man legte ihm ein
Exemplar vor, worin mehr als funfzig ver¬
dammliche Stellen mit Bleiſtift angeſtrichen wa¬
ren. Eine Stelle, worin es vom Bundestage
heißt: der ſey toll geworden, war doppelt
und noch einmal ſo dick als die uͤbrigen ange¬
[204] ſtrichen. Die Stelle war im Buche mit einem
Papierſtreifen bezeichnet. Dieſen ließ Campe,
als er das Buch in die Hand nahm, wie zu¬
faͤllig herausfallen, ſo daß der Unterſuchungs¬
richter die toll gewordene Stelle nicht mehr fin¬
den konnte. Das muß recht komiſch geweſen
ſeyn.
Ein Kaufmann Namens ***, den ich in
Hamburg vor einigen Jahren kennen gelernt,
hat mir die zwei gegen mich gerichteten Artikel
zugeſchickt. Er ſchreibt unter andern: „...Die
„Hamburger Kaufleute erklaͤrten darauf, ohne
„gerade die Skribler zu loben, daß in den Boͤr¬
„neſchen Briefen zerſtoͤrende Ideen enthalten
„ſind, die nur ein Aufwiegler oder Sanscuͤlotte
„ans Tageslicht befoͤrdern kann. Dies hat das
„Verbot der Briefe herbeigefuͤhrt.“ —
Sehen Sie doch, von dem Brillantring,
den ich vor einigen Jahren vom Herzog von
Weimar erhalten haben ſoll, etwas naͤheres zu
[205] erfahren. Das Ding kann ſchoͤn werden. „Ringe
ſind es, die eine Kette bilden“ — ſagt Koͤnigin
Eliſabeth. Aber ein Ring! Was kann der
nuͤtzen? Zum Halseiſen iſt das doch zu eng
und meine Feder zu erwuͤrgen viel zu weit.
Den *** bedaure ich; es giebt wenige
Menſchen, die den Muth haben, anders als
der Poͤbel-Ausſchuß zu denken, der an jedem
Orte die oͤffentliche Meinung verwaltet. Ei¬
gentlich ſind es weniger uͤbelwollende als un¬
wiſſende Menſchen, die nicht zu rechnen ver¬
ſtehen. Fuͤr die Haͤlfte von Muͤhen und Sor¬
gen, die es ſie koſtet, ihrem Geiſte einen Eh¬
rendienſt bei der vornehmen Dummheit zu ver¬
ſchaffen, koͤnnten ſie deſſen Freiheit behaupten
und gewoͤnnen dabei, ſelbſt an ſinnlichem Gluͤcke.
Die Frankfurter moͤgen nur ſchweigen und dem
Himmel danken, daß einer unter ihnen lebt,
der beſſer iſt als ſie. Die Zeit kann, die Zeit
wird kommen, und bald vielleicht, wo man
[206] ihre Freiheit, ſo anſpruchlos und demuͤthig ſie
auch iſt, in den Edelmannsklubbe des deutſchen
Bundes nicht laͤnger wird dulden wollen, und
dann werden wir ſehen, wer von jenen Roͤ¬
merpatrioten, wer von jenen Zunfthelden, wer
von jenen Stadtgerichts-Schreiern den Muth
haben wird, ſich den ſtolzen und maͤchtigen
Raͤubern entgegen zu ſtellen! Dann kommen
ſie vielleicht und ſtreicheln meine Katzenpfote.
Ich erwarte ſie.
Zwoͤlfter Brief.
Vorgeſtern beſuchte mich ***. Er blieb
aber nur eine Viertelſtunde, er war auf dem
Wege nach der Kammer. Der Mann iſt klar,
wie ein Waldbach, der uͤber Kieſeln fließt;
doch iſt es nicht erfreulich, einer menſchlichen
Seele bis auf den Grund zu ſehen. Eine
Tiefe iſt nicht klar. ***, weil er ſo klare
Augen hat, glaubt, alles waͤre ihm klar, was
er nur fluͤchtig anſieht und er urtheilt zu ſchnell,
um immer richtig zu urtheilen. Ich habe in .....
manchmal daruͤber lachen muͤſſen: man mag
[208] ihm noch ſo kurz antworten auf ſeine Fragen,
ſo war ihm die Antwort noch immer um die
Haͤlfte zu lang; er verſtand ſie ſchon um die
Mitte. Das iſt Franzoſen-Art, die fuͤr alle
Verhaͤltniſſe fertige mathematiſche Formeln ha¬
ben. Sage ich zwei mal zwei — faͤllt mir
*** in die Rede und faͤhrt fort: iſt vier.
Als waͤre nicht moͤglich, daß ich etwas anders
haͤtte ſagen wollen. Er misverſteht einen zwar
nie, aber er verſteht einen nur halb, weil er
nicht zu Ende hoͤrt. Die Verhaͤltniſſe von
Frankreich, eben weil es Franzoſen-artige Ver¬
haͤltniſſe ſind, die kennt er freilich gut. Er
verſicherte mich auf das Beſtimmteſte, daß die
hieſige Regierung auf nichts anders ſinne, und
nach nichts anderem trachte, als die Dynaſtie
Karls X. zuruͤckzufuͤhren und Koͤnig Philipp
ſelbſt ſey damit einverſtanden. So wird frei¬
lich alles verſtaͤndlich. Mir waͤre es ſelbſt recht,
ſie verſuchten es. Ich liebe die großen Maſ¬
[209] ſen auch [in] der Dummheit; ein Narrenhaus
iſt mir lange nicht ſo erſchrecklich, als ein ein¬
zelner verruͤckter Menſch. Glauben Sie mir
auf mein ehrliches Wort: ich kenne alle Toll¬
heiten, die ſeit dreitauſend Jahren von den
Koͤnigen begangen worden ſind, von Saul bis
auf Karl X., aber unſere gegenwaͤrtige Zeit
iſt reicher an Wahnſinn, als es jene dreitau¬
ſend Jahre waren. Wenn man alle fuͤrſtli¬
chen Palaͤſte Europa's nebeneinander ſtellte, es
gaͤbe eine ganze Narren-Stadt. Taͤglich ver¬
mehren ſich meine Nachrichten aus Deutſchland,
daß man den Plan gefaßt, Frankreich zu ver¬
theilen, wie eine Paſtete; ja Koͤnig Philipp
ſelbſt ſoll ein Stuͤck davon bekommen. Die al¬
ten Bourbons ſollen die Schuͤſſel mit der Kru¬
ſte behalten. Die koͤſtliche Naivitaͤt finde ich
nicht darin, daß ſie glauben, es ausfuͤhren zu
koͤnnen, ſondern, daß ſie glauben, wenn ſie
das ausgefuͤhrt, waͤre ihnen geholfen. Kindern
III. 14[210] macht man weis, die Kinder, und den Fuͤrſten,
die Revolutionen kaͤmen aus den Brunnen. Jetzt
denken ſie, ſie brauchten den Brunnen nur zu¬
zuſchuͤtten und dann waͤre alles aus. Wer giebt
mir Geduld genug, mit Narren zu raiſoniren?
Ich muß wohl ſelbſt ein Narr ſeyn. Frankreich
war ſeit vierzig Jahren der Krater Europa's.
Wenn der einmal aufhoͤrt Feuer zu werfen, wenn
der einmal aufhoͤrt zu rauchen, dann wehe den
Naturpfuſchern, dann iſt kein Thron der Welt
auf eine Nacht ſicher. Sie zittern, wenn einige
Franzoſen mit liberalen Reden in ihrer Maul¬
taſche durch Deutſchland reiſen und ſchreien ent¬
ſetzt: Propaganda, Propaganda! Und ſie wollen
ganze Voͤlker-Theile von Frankreich mit ihren
alten Laͤndern vereinigen! Sie denken: mit ih¬
ren alten abgeſchmackten Regierungskuͤnſten, mit
ihren Taſchenſpieler-Streichen, womit man kein
Kind mehr betruͤgt, wuͤrde es gelingen, ihre
neuen wilden Unterthanen zahm zu machen! —
[211] ſie, die nicht einmal die Polizei verſtehen, die doch
die einzige Kunſt iſt, die ſie mit Fleiß und Liebe
gelernt. Als ſie 1814 in Paris waren, wohin
Petersburg, Wien und Berlin ihre ſchlaueſten
Koͤpfe geſchickt hatten, wurden alle dieſe ſchlauen
Koͤpfe der heiligen Allianz von jedem niedrigen
franzoͤſiſchen Mouchard zum Beſten gehabt, und
haͤtte es die Uebermacht nicht gethan, mit Liſt
haͤtten ſie Paris nicht unterjocht. Nichts war
verderblicher fuͤr die Koͤnige, als der Untergang
Warſchau's. Weil ſie ein Wunder zerſtoͤrt, glau¬
ben ſie, ſie koͤnnten auch Wunder machen.
In Berlin iſt mein Buch von der Polizei
in Beſchlag genommen worden. Als wenn der
Regen davon aufhoͤrte, wenn einige unter den
Schirmen gehen. Ginge es an, ſie confiszirten
freilich am liebſten das ganze Weltall. Die
Muͤnchner Tribuͤne giebt Auszuͤge der Pariſer
Briefe. Der Dr. Wirth, der ſie ſchreibt, iſt
ein Mann, dem man Hochachtung, ja Bewun¬
14*[212] derung nicht verſagen kann. Hochachtung —
weil er fuͤr die Freiheit kaͤmpft, wie ein Held
in der Schlacht, nicht bloß wie ein Maul-Rit¬
ter mit Worten. Bewunderung — weil er mu¬
thig ertraͤgt, was ſonſt den tapferſten Mann
niderwirft; die kleinen Bosheiten, die kleinen
Quaͤlereien der kleinen Knechte. Gefaͤngniß,
Geldſtrafe, die jaͤmmerlichen Tuͤcken der jaͤmmer¬
lichen Polizei, das Knurren und Bellen der Hof¬
hunde, nichts ſchreckt ihn ab. Jetzt aber, wo
ihm in Muͤnchen alle Luft benommen, und die
Frechheit der Gewalt jeden Widerſtand unmoͤg¬
lich macht, iſt er nach Rheinbaiern gezogen, wo
noch die franzoͤſiſchen Geſetze regieren, welchen
die deutſchen Miniſter nicht Hohn zu ſprechen
wagen. Dort wird er ſein Journal fortſetzen.
Auch hat er in vielen Orten in Deutſchland Un¬
terſtuͤtzung gefunden, um ſich eine eigene Preſſe
anzuſchaffen. Iſt es aber nicht ſehr ehrenvoll
fuͤr eine deutſche Regierung, daß ſich ein deut¬
[213] ſcher Buͤrger unter franzoͤſiſche Geſetze fluͤchten
muß, um Schutz gegen deutſche Tyrannei zu
finden?
Die Regierung hat bis heute noch keine Nach¬
richt mitgetheilt, ob ſie der Bewegungen in Lyon
Herr geworden oder nicht. Sie ſagen, der Ne¬
bel hindere den Telegraphen. Es giebt nichts
gefaͤlligeres, als ſo ein Nebel, der noch keinen
Miniſter in der Noth verlaſſen. Die Ruhe, die
jetzt in Lyon herrſcht, hat ſich von ſelbſt herge¬
ſtellt; aber das Volk iſt noch Meiſter der Stadt.
Man hat den Herzog von Orleans als Friedens¬
engel, den Marſchall Soult als Wuͤrgengel da¬
hin geſchickt. Nun bin ich begierig, wie ſie Leyer
und Schwert zuſammen dichten werden. Der
Marſchall Soult kann ſich taͤuſchen; Napoleons
Zeiten ſind voruͤber und der Buͤlletin-Donner
[214] ſchreckt keinen Haſen mehr. Der Herzog von
Orleans kann ſich auch taͤuſchen. Eine [fuͤrſtli¬
che] gnaͤdige Herablaſſung thut keine Wunder
mehr; das Volk giebt keine Bratwurſt fuͤr die
allerhuldvollſten Redensarten, es will baares
Geld ſehen. Die Neigung der Miniſter iſt fuͤr
Gewalt; aber die Furchtſamkeit des Koͤnigs wird
wohl verhindern, was ſeine Weisheit und Ge¬
rechtigkeit nie verhindert haͤtten. Caſimir Per¬
rier, der Koͤnig von Iſrael, der hohe Prieſter
der Renten, der Held des Friedens, hat ſich in
der Kammer geberdet wie Moſes, als er vom
Berge Sinai herab kam, und das Volk um ein
goldenes Kalb tanzen ſah. Er hat den Goͤtzen¬
dienern ſeine zehn Gebote an den Kopf ge¬
worfen und das goldene Kalb in Pulver ver¬
wandelt. Er iſt ein completter Narr! Auch
haben die Leviten der Boͤrſe ein Jubelgeſchrei
erhoben, als ſie ihren ſtrahlenden Moſes wie¬
der ſahen, daß man betaͤubt davon wurde.
[215] Dieſer Caſimir Perrier hat daruͤber gefrohlocket,
daß in den blutigen Geſchichten von Lyon gar
nichts von Politik zum Vorſchein gekommen, und
daß es nichts als Mord, Raub und Brand ge¬
weſen! Es ſey nichts weiter, als ein Krieg der
Armen gegen die Reichen, derjenigen, die nichts
zu verlieren haͤtten, gegen diejenigen, die etwas
beſitzen! Und dieſe fuͤrchterliche Wahrheit,
die, weil ſie eine iſt, man in den tiefſten
Brunnen verſenken muͤßte, hielt der wahnſinni¬
ge Menſch hoch empor, und zeigte ſie aller
Welt! Die dunkeln Triebe des Volks hat er
ihm klar gemacht; ſeiner wilden Laune des
Augenblicks hat er durch Grundſaͤtze Dauer
gegeben; ſeinen kurzſichtigen Sorgen des Ta¬
ges den Blick in ewige Noth eroͤffnet. Den
hoͤchſten Grad des Wahnſinnes moͤgen jetzt die
Aerzte Staatskunſt nennen. Um den rei¬
chen Leuten ſagen zu koͤnnen: Seht, ihr ſeyd
bedroht, ihr muͤßt es um eurer Sicherheit mit
[216]mir halten — um dieſe elenden Kraͤmer-
Vortheile eines Tages opfert Caſimir Perrier
das Gluͤck Frankreichs, Europa's, vielleicht um
ein Jahrhundert auf. Es iſt wahr, der Krieg
der Armen gegen die Reichen hat begonnen,
und wehe jenen Staatsmaͤnnern, die zu dumm
oder zu ſchlecht ſind zu begreifen, daß man
nicht gegen die Armen, ſondern gegen die
Armuth zu Felde ziehen muͤſſe. Nicht gegen
den Beſitz, nur gegen die Vorrechte der Rei¬
chen ſtreitet das Volk; wenn aber dieſe Vor¬
rechte ſich hinter dem Beſitze verſchanzen, wie
will das Volk die Gleichheit, die ihm gebuͤhrt,
anders erobern, als indem es den Beſitz er¬
ſtuͤrmt? Schon die Staaten des Alterthums
kraͤnkelten an dieſem Uebel der Menſchheit;
drei tauſend Jahre haben das Unheil geſaͤet,
und das Menſchengeſchlecht nach uns wird es
aͤrndten. Frei nannten ſich die Voͤlker, wenn
die Reichen ohne Vorrang unter einander die
[217] Geſetze gaben und vollzogen; die Armen waren
niemals frei. Ueber die kurzſichtigen Politiker,
welche glaubten, in den Staaten, wo Adel
und Geiſtlichkeit ihre Vorrechte verlohren, ſey
der ewige Friede geſichert! Eben dieſe, wie
Frankreich und England, ſtehen der fuͤrchter¬
lichſten Revolution naͤher, als die andern
Staaten, wo noch keine freien Verfaſſungen
beſtehen. In den Letztern wird dem niedern
Volke, durch ſeinen benachbarten Stand, die
Buͤrgerſchaft, die Ausſicht nach den hoͤhern,
bevorrechteten Staͤnden verſteckt. Es vermißt
daher keine Gleichheit. Da aber, wo der
Mittelſtand ſich die Gleichheit erworben, ſieht
das untere Volk die Ungleichheit neben ſich,
es lernt ſeinen elenden Zuſtand kennen, und
da muß fruͤher oder ſpaͤter der Krieg der Ar¬
men gegen die Reichen ausbrechen. Die heil¬
loſe Verblendung des Buͤrgerſtandes zieht das
Verderben ſchneller und fuͤrchterlicher herbei.
14 *[218] Seit er frei geworden, blickt er, halb aus
Furcht, halb aus Hochmuth, beſtaͤndig hinter
ſich, und vergißt daruͤber vor ſich zu ſehen,
wo ein beſiegter, aber noch lebendiger Feind,
nur darauf wartet, daß er den Blick wegwen¬
de. Dieſe Furcht und dieſen Hochmuth wiſſen
die Ariſtokraten in Frankreich und England
ſehr gut zu benutzen. Den Poͤbel hetzen ſie
im Stillen gegen die Buͤrger auf und dieſen
rufen ſie zu: Ihr ſeyd verlohren, wenn Ihr
euch nicht an uns anſchließt. Der dumme
Buͤrger glaubt das, und begreift nicht, daß
ſeine eigene Freiheit, ſein eigener Wohlſtand
ſchwankt, ſo lange das arme Volk nicht mit
ihm in gleiche Freiheit und gleichen Wohlſtand
eintrete; er begreift nicht, daß ſo lange es
einen Poͤbel giebt, es auch einen Adel giebt,
und daß ſo lange es einen Adel giebt, ſeine
Ruhe und ſein Gluͤck gefaͤhrdet bleibt. Waͤre
dieſe Verblendung nicht ſo unheilbringend, es
[219] gaͤbe nichts laͤcherlicheres als ſie. Dieſe reichen
Ladenherrn von Paris, dieſe Bankiers und Fa¬
brikanten, die, es ſind noch keine fuͤnfzig Jah¬
re, ſich von jedem Lump von Ludwigsritter
Kanaille mußten ſchelten laſſen, reden, wie
ſie es gehoͤrt, den ganzen Tag von der Ka¬
naille, wozu ſie jeden rechnen, der keinen
feinen Rock traͤgt, und keine andere Renten
hat, als die ihm jeden Tag die Arbeit ſeiner
Haͤnde einbringt! Die Regierung, welche uͤber
die menſchliche Schwaͤche erhoben ſeyn ſollte,
benutzt ſie nur, ihre Herrſchſucht zu befriedi¬
gen, und ſtatt die buͤrgerliche Ordnung auf
Weisheit, Gerechtigkeit und Tugend zu gruͤn¬
den, bauen ſie ſie uͤber hinfaͤlliges Holzwerk,
das ſie in den Schlamm der Leidenſchaften
einrammeln. Die Nationalgarde, die Wache
der franzoͤſiſchen Freiheit, ſuchen ſie zu ent¬
nerven, durch eiteln Flitter zu gewinnen. Erſt
kuͤrzlich hat der Koͤnig an einem Tage drei¬
[220] hundert Ehrenkreuze unter ſie vertheilt. Die
Ehre haben ſich die Fuͤrſten immer als eines
Gegengiftes der Tugend bedient, vor der ſie
zittern. Die ſo leicht bekreuzte Nationalgarde
wird hinter die Arbeitsleute mit den ſchweren
Kreuzen gejagt, ſo bald dieſe murren. Die
Arbeitsleute, um ſie doch auch zu etwas zu
gebrauchen, werden gegen die Juliushelden,
die man Republikaner ſchilt, gehetzt, und dieſe,
die ſich zu nichts gebrauchen laſſen, werden
mit Haß und Spott verfolgt, bis ihnen der
Kerker eine willkommene Zuflucht bietet. Ca¬
ſimir Perrier, der ſich wie ein Schulbube zu
den Fuͤßen aller fremden Diplomaten ſetzt, und
zu ihren Lehren hinaufhorcht, haͤlt ſich fuͤr
einen großen Staatsmann, weil er Ehre und
Schaam weit von ſich gewieſen. Nichts iſt
bewunderungswuͤrdiger, als die Offenheit, mit
der er alles gegen ſich ſelbſt bekannt macht,
was er haͤtte verſchweigen ſollen und koͤnnen —
[221] ſo feſt iſt er uͤberzeugt, daß Unverſchaͤmtheit
die erſte Tugend eines aͤchten Staatsmannes
iſt! Erſt heute iſt wieder etwas an der Ta¬
gesordnung, was dieſe ſeine Tugend in das
glaͤnzendſte Licht ſetzt. Am letzten vierzehnten
Juli, am Jahrestage der Beſtuͤrmung der
Baſtille, fuͤrchtete man eine Bewegung von
den getaͤuſchten und erbitterten Juliushelden,
die man, noch aus einem Ueberreſte von Schaam,
Republikaner ſchilt. Nun ſah man an jenem
Tage mit Erſtaunen, daß Arbeitsleute aus den
Vorſtaͤdten der Polizei beigeſtanden und uͤber
alle junge Leute herfielen und ſie mishandel¬
ten, die man an grauen Huͤten, an Julius¬
kreuzen oder andern Zeichen als Republikaner
zu erkennen glaubte, und die ſich ganz ruhig
verhielten. Darauf beſchuldigten einige oͤffent¬
liche Blaͤtter den Polizei-Praͤfekten und den
Miniſter des Innern: ſie haͤtten jene Arbeits¬
leute angeworben und bezahlt, um die ihnen
[222] verhaßten Republikaner zu mishandeln. Caſi¬
mir Perrier haͤtte den Vorwurf ruhig hinneh¬
men ſollen; aber nein, die That, die er be¬
gangen, war ihm noch nicht unverſchaͤmt ge¬
nug, er wollte ſie noch durch Laͤugnen verherr¬
lichen. Er klagte jene Zeitungs-Redaktoren
der Verlaͤumdung an. Der Polizei-Praͤfekt
fuͤhrte die nehmliche Klage. Seit geſtern ha¬
ben die gerichtlichen Verhandlungen begonnen.
Und was ſtellte ſich hervor? Es war klar
wie die Sonne, fuͤnfzig Zeugen ſagten es aus,
daß die Polizei wirklich das Geſindel der Vor¬
ſtaͤdte (nicht die Arbeiter, ſondern die Muͤſſig¬
gaͤnger) angeworben und taͤglich mit drei Fran¬
ken beſoldet habe, um uͤber die friedlichſten
Menſchen herzufallen. Auf ſolche Weiſe buhlt
dieſer Miniſter um das Lob des oͤſterreichiſchen
Beobachters und der preußiſchen Staatszeitung.
Die Bruſtwehr, welche in den Julitagen [errich¬
tet] wurde, Frankreich vor dem Abgrunde zu
[223] ſchuͤtzen, hat er leichtſinnig niedergeriſſen; er
meint, das waͤre nur ein Loch, das er mit
ſeinen Haͤnden allein ausfuͤllen wolle. Das
niedere Volk, das aus den Juli-Kaͤmpfen ge¬
laͤutert hervorgegangen, ſucht er durch die ſchaͤnd¬
lichſten Verfuͤhrungen wieder in den Koth hin¬
einzuziehen, um ſich daraus brauchbare Werk¬
zeuge fuͤr alle die Gewaltthaͤtigkeiten zu bil¬
den, die er gegen Frankreich noch im Sinne
hat.
Der fuͤrchterliche Krieg der Armen gegen die
Reichen, der mir ſo klar vor den Augen ſteht,
als lebten wir ſchon mitten darin, koͤnnte ver¬
mieden, die Ruhe der Welt koͤnnte geſichert
werden; aber alle Regierungen ſind vereint be¬
muͤht, das Verderben herbeizufuͤhren. Wenn
die Staatsmaͤnner zittern vor einem Uebel, mei¬
nen ſie, ſie haͤtten das ihrige gethan. Die ar¬
men Leute in Frankreich haben in der Kammer
keine Stellvertreter. Die neueſte franzoͤſiſche
[224] Konſtitution hat die alte Thorheit, die alte Un¬
gerechtigkeit, die alte erbaͤrmliche Philiſter-Poli¬
tik beibehalten, das Wahlrecht an den Beſitz
gebunden, und die Beſitzloſen auch ehrlos ge¬
macht. Die Reformbill in England hat auch
nur den Zuſtand der Mittelklaſſen verbeſſert,
und das Heloten-Verhaͤltniß des niedern Volks
von neuem befeſtigt. Im Parlament wie in
der Deputirtenkammer ſitzen nur die reichen
Gutsbeſitzer, die Rentiers und Fabrikanten, die
nur ihren eigenen Vortheil verſtehen, welcher
dem der Arbeitsleute gerade entgegenſteht. Die
graubaͤrtige Staatsweisheit, vor Alter kindiſch
geworden, geifert gegen den Wunſch der Beſ¬
ſern und Einſichtsvolleren: daß man auch die
niedern Staͤnde an der Volksrepraͤſentation moͤ¬
ge Theil nehmen laſſen. Sie ſagen: Menſchen,
die nichts zu verlieren haben, koͤnnten an dem
allgemeinen Wohle des Landes nie aufrichtigen
Antheil nehmen; jeder Intriguant koͤnne ihre
[225] Stimme erſchleichen oder erkaufen. So ſpre¬
chen ſie, um das Gegentheil von dem zu ſa¬
gen, was ſie denken. Weil es unter den ar¬
men Leuten mehr ehrliche giebt als unter den
Reichen, weil ſie ſeltener als die andern ſich
beſtechen laſſen, wollen ſie die Miniſter nicht
unter den Volksvertretern ſehen. Sie moͤgen
uns ihre geheimen Regiſter oͤffnen, ſie moͤgen
uns die Namen ihrer Anhaͤnger, ihrer Angeber,
ihrer politiſchen Kuppler, ihrer Spione leſen
laſſen — und dann wird ſich's zeigen, ob mehr
Reiche, um ihren Ehrgeitz und ihre ſchnoͤden Luͤ¬
ſte zu befriedigen, oder mehr Arme, um ihren
Hunger zu ſtillen, das Gewiſſen verkauft ha¬
ben. Die reichen Leute machen allein die Ge¬
ſetze, ſie allein vertheilen die Auflagen, davon
ſie den groͤßten und ſchwerſten Theil den Armen
aufbuͤrden. Das Herz empoͤrt ſich, wenn man
ſieht, mit welcher Ungerechtigkeit alle Staats¬
laſten vertheilt ſind. Hat man denn je einen
III. 15[226] reichen Staͤdter uͤber zu ſtarke Auflagen klagen
hoͤren? Wer traͤgt denn nun alle die Laſten,
unter welchen die europaͤiſchen Voͤlker halb zer¬
quetſcht jammern? Der arme Tagloͤhner, das
Land. Aber was iſt dem Staͤdter das Land?
Gott hat es nur zu Spazierfahrten und Kirch¬
weihfeſten geſchaffen! Der Bauer muß ſeinen
einzigen Sohn hergeben, den frechen Ueberfluß
der Reichen gegen ſeine eigene Noth zu ſchuͤtzen,
und unterliegt er der Verzweiflung und murret,
ſchickt man ihm den eigenen Sohn zuruͤck, der
fuͤr fuͤnf Kreuzer taͤglich bereit ſeyn muß, ein
Vatermoͤrder zu werden. Alle Abgaben ruhen
auf den nothwendigſten Lebensbeduͤrfniſſen, und
der Luxus der Reichen wird nur ſo viel be¬
ſteuert, als es ihre Eitelkeit gern ſieht; denn
ein wohlfeiler Genuß wuͤrde ſie nicht auszeich¬
nen vor dem niedrigen Volke. Die fluchwuͤrdi¬
gen Staatsanleihen, von denen erfunden, wel¬
chen nicht genuͤgt, das lebende Menſchengeſchlecht
[227] ungluͤcklich zu wiſſen, ſondern die, um ruhig zu
ſterben, die Zuverſicht mit in das Grab nehmen
wollen, daß auch die kommenden Geſchlechter
zu Grunde gehen werden — entziehen dem Han¬
del und den Gewerben faſt alle Kapitalien, und
nachdem ſie dieſes Verderben geſtiftet, bleiben
ſie, zu noch groͤßerem Verderben, unbeſteuert,
und was dadurch der Staat an Einkommen ver¬
liert, wird von dem armen Reſt der Gewerbe
verlangt. Der reiche Fabrikant haͤlt ſich fuͤr zu
Grunde gerichtet, wenn nicht jede ſeiner Toͤch¬
ter einen tuͤrkiſchen Shawl tragen kann, und
um ſich und ſeiner Familie nichts zu entziehen,
wirft er ſeinen Verluſt auf die Arbeiter und
ſetzt ihren Tagelohn herab. Die Stadt Paris
braucht jaͤhrlich vierzig Millionen, von welchen
ein ſchoͤner Theil in den raͤuberiſchen Haͤnden
der beguͤnſtigten Lieferanten und Unternehmer
zuruͤckbleibt. Jetzt brauchen ſie noch mehr Geld,
und ſie beſinnen ſich ſeit einiger Zeit, ob ſie die
15 *[228] neuen Auflagen auf den Wein, die Butter oder
die Kohlen legen ſollen. Der Reiche ſoll nicht
darunter leiden, der Arme ſoll bezahlen wie im¬
mer. Eine Flaſche Wein zahlt der Stadt fuͤnf
Sous; ob es aber der geringe Wein iſt, den
der Arme trinkt, oder ein koſtbarer, den der
Reiche genießt, das macht keinen Unterſchied.
Die Flaſche Wein, die zwanzig Franken koſtet,
zahlt nicht mehr Abgaben, als eine zu acht Sous.
Eine Saͤngerin, die jaͤhrlich vierzig tauſend Fran¬
ken Einkommen hat, zahlt nichts, und ein ar¬
mer Leyermann muß von dem Ertrage ſeiner
Straßen-Bettelei der Polizei einen großen Theil
abgeben. Das fluchwuͤrdige Lotto iſt eine Ab¬
gabe, die ganz allein auf der aͤrmſten Volks¬
klaſſe liegt. Dreißig Millionen ſtiehlt jaͤhrlich
der Staat aus den Beuteln der Tageloͤhner,
und eine Regierung, die dies thut, hat noch
das Herz, einen Dieb an den Pranger zu ſtel¬
len und einen Raͤuber am Leben zu beſtrafen!
[229] Und nach allen dieſen Abſcheulichkeiten kommen
ſie und laͤſtern uͤber die Ungluͤcklichen, die nichts
zu verlieren haben, und fordern die reichen Leute
auf, gegen das wilde Thier, Volk, auf ſeiner
Hut zu ſeyn! Geſchieht das alles ſogar in Frank¬
reich, wo die freie Preſſe manche Gewaltthaͤtigkeit
verhindert, manche wieder gut macht — was mag
nicht erſt in jenen Laͤndern geſchehen, wo alles
ſtumm iſt, wo keiner klagen darf, und wo jeder
nur den Schmerz erfaͤhrt, den er ſelber fuͤhlt!
Wie man dort das arme Volk betrachtet, wie
man es dort behandelt, wie man es dort ver¬
achtet, das hat ja die Cholera, dieſe unerhoͤrte
Preßfrechheit des Himmels, uns ſehr nahe
vor die Augen geſtellt. Wie haben ſie in Ru߬
land, Oeſterreich und Preußen gelaͤchelt, geſpot¬
tet und geſchulmeiſtert — und ihr Laͤcheln war
ein blinkendes Schwert, ihre Belehrung kam
aus dem Munde einer Kanone und ihr Spott
war der Tod — uͤber die wahnſinnige Verblen¬
[230] dung des Volks, welches glaubte, die Vorneh¬
men und Reichen wollten ſie vergiften, und die
Cholera ſey ein Miſchmaſch des Haſſes! Aber
die Wahrheit, die mitten in dieſem Wahne ver¬
borgen, der dunkle Trieb, der das Volk lehrt,
es ſey nur ein ſchlechtes Handwerkszeug, zum
Dienſte der Reichen geſchaffen, das man weg¬
wirft, wenn man es nicht braucht, und zerbricht,
ſobald es unbrauchbar geworden — dieſe Wahr¬
heit iſt den Spoͤttern und Schulmeiſtern ent¬
gangen. Geſchah es denn aus Zaͤrtlichkeit fuͤr
das Volk, daß man ſie mit Kolbenſtoͤßen ge¬
zwungen, ſich in die Spitaͤler bringen zu laſ¬
ſen, ihre Wohnung und ihre Familie zu meiden?
Es geſchah, um der Aengſtlichkeit der Reichen
zu froͤhnen. Haben ſie ſich denn nicht in allen
Zeitungen den Troſt zugerufen, haben ſie nicht
gejubelt daruͤber: die Krankheit treffe nur die
Armen und Niedrigen, die Reichen und Vor¬
nehmen haͤtten nichts von ihr zu fuͤrchten? Hoͤ¬
[231] ret, lieſ't denn das Volk ſolche Reden nicht,
wird es nicht daruͤber nachdenken? Ja freilich,
das beruhigt ſie, daß das Volk nicht denkt.
Aber ihm iſt der Gedanke Frucht, die That
Wurzel, und wenn das Volk einmal zu denken
anfaͤngt, iſt fuͤr Euch die Zeit des Bedenkens
voruͤber und Ihr ruft ſie nie zuruͤck. — Genug
mich geaͤrgert. In Rußland lebt ein Schaͤfer,
der iſt hundert acht und ſechszig Jahr alt. Aber
ein Ruſſe aͤrgert ſich nicht. Er giebt oder be¬
koͤmmt die Knute, uͤberzeugt oder wird uͤber¬
zeugt. So wohl iſt uns civiliſirten Deutſchen
nicht. Doch kann es noch kommen.
Ein engliſches Blatt theilte kuͤrzlich die Nach¬
richt mit, Lord Gray, der Verfechter der Re¬
formbill, habe Gift bekommen, und kraͤnkele
dem Grabe zu. Das haͤtten die nehmlichen ge¬
than, die auch den freiſinnigen Canning aus
dem Wege geraͤumt. Vor einigen Tagen wurde
ein Mordverſuch gegen die Koͤnigin Donna Ma¬
ria gemacht, die mit ihren Eltern im Schloſſe
Meudon wohnt. Aus einem gegenuͤberliegenden
Hauſe wurde in das Zimmer der Prinzeſſin ge¬
ſchoſſen. Die europaͤiſche Ariſtokratie ſpielt ein
va banque. Deſto beſſer; ſo werden wir ihrer
in einem Satze los. Glauben Sie mir, das iſt
es auch, wovor die Fuͤrſten ſich fuͤrchten. Man¬
che ſind gutwillig und wuͤrden dem Volke ſein
Recht gewaͤhren; aber ſie kennen ihre Umgebun¬
[233] gen, ſie kennen zu gut die Freunde des Throns,
und wiſſen recht gut, daß mancher ihrer Schmeich¬
ler ſich die eigenen Lippen vergiften koͤnnte, um
durch einen unterthaͤnigen Handkuß ihren Herrn
zu toͤdten. Sie verdienen ihre Angſt. Warum
muß man ein Edelgebohrner oder Schurke ſeyn,
um hoffaͤhig zu werden?
Der Verlaͤumdungs-Prozeß, von dem ich
Ihnen geſtern geſchrieben, iſt noch in voriger
Nacht entſchieden worden. Die beiden angeklag¬
ten Zeitungs-Redaktoren wurden frei geſprochen.
Sie haben alſo Caſimir Perrier nicht verlaͤum¬
det, und die Anſchuldigung, daß er die Vor¬
ſtaͤdter angeworben und bezahlt, um ſie gegen
die Verraͤther ſeines weiſen Regierungsſyſtems
zu hetzen, wurde gegruͤndet gefunden. Alſo iſt
Caſimir Perrier verurtheilt, und doch wird er
ungeſtraft bleiben. Er lacht daruͤber und traͤgt
dieſe Laſt noch zu ſeinen andern Laſten. Der
wird nie vergiftet.
[234]
Wie es in Frankreich mit der Volkserzie¬
hung iſt, zeigt folgende ſchoͤne Rechnung. Unter
294,975 jungen Leuten, die im vorigen Jahre
zur Conſkription erzogen worden, fanden ſich
12804, die nur leſen konnten; 121,079 konn¬
ten leſen und ſchreiben und 153,636 konnten
weder leſen noch ſchreiben. 7460 blieben unge¬
wiß. Alſo mehr als die Haͤlfte wuchs in der
groͤßten Unwiſſenheit auf. Die jetzige Regierung
hat verſprochen dem Uebel abzuhelfen, und kuͤnf¬
tig beſſer fuͤr den Volksunterricht zu ſorgen. Wir
wollen aber abwarten, ob ſie Wort haͤlt. Caſi¬
mir Perrier kann Fortſchritte machen, er kann
noch einmal die Jeſuiten einholen.
Seit einigen Tagen wird in der Kammer
das neue Strafgeſetzbuch verhandelt. Die
Menſchlichkeit hat auch hier endlich Eingang
gefunden, wo ſie ſo lange und ſo unerbittlich
ausgeſchloſſen war. Die Verletzungen des Ei¬
genthums werden nicht mehr ſo blutduͤrſtig ge¬
[235] raͤcht. In einigen Faͤllen wurde die Todes¬
ſtrafe abgeſchafft; auch die Strafen anderer
Verbrechen wurden gemildert. Es iſt ein Fort¬
ſchritt, und daß das jetzt in Frankreich auf die¬
ſer großen Eiſenbahn der Freiheit und Sitt¬
lichkeit noch uͤberraſchen muß! Geſtern wurde
uͤber die Prangerſtrafe geſtimmt. Man hat ſie
beibehalten. Die Menſchen haben vor nichts
mehr Furcht, als vor ihrer eigenen Vernunft,
und ſehen ſich vor, daß ſie ihnen nicht uͤber
den Kopf wachſe. Ein Deputirter trug darauf
an: man moͤchte den Pranger wenigſtens fuͤr
die Minderjaͤhrigen, Greiſe und Weiber ab¬
ſchaffen. Die beiden erſten Milderungen wur¬
den angenommen, die letzte aber verworfen.
Und da fand ſich nicht Einer, der die Ver¬
theidigung des armen Weibes uͤbernommen
haͤtte. Ja mehrere Stimmen riefen ſpoͤttiſch:
Ah! les femmes! mir that dieſe Gleichguͤltig¬
keit wehe. Der Mann, der ſeine Ehre ver¬
[236] liert, kann ſie auf hundert Wegen wieder fin¬
den. Sein ganzes Leben iſt oͤffentlich, das
Feld der Thaten ſteht ihm frei. Aber die Frau,
deren Schande der Welt gezeigt worden, wie
kann ſie je die Ehre wieder finden? Je auf¬
richtiger ihre ſpaͤtere Tugend, je inniger ihre
ſpaͤtere Reue iſt, je verborgener wird ſie ſich
halten, und die Welt, die ihre Schuld erfuhr,
erfaͤhrt ihre Buße nie. Wenn man den Grei¬
ſen und Minderjaͤhrigen den Pranger erlaͤßt,
ſollte man um ſo mehr die Frauen damit ver¬
ſchonen, welche die Schwaͤche des Alters und
der Kindheit in ſich vereinigen. Habe ich
nicht Recht, oder verdiente ich wegen meiner
Meynung von den Frauen ſelbſt an den Pran¬
ger geſtellt zu werden?
Der Praͤfekt von Lyon hat eine Prokla¬
mation erlaſſen, die, wie folgt, beginnt:
„Lyonnais! Quittez votre deuil et revêtez
vos habits de fête, S. A. R. le duc d'Or¬
[237] léans arrive dans nos murs. C'est l'arc-en¬
ciel qui annonce la fin de l'orage.“ Lautet
das nicht wie deutſch? Koͤnnte man nicht glau¬
ben, es waͤre in Berlin geſchrieben? Von ei¬
nem Kronprinzen zu ſagen: „es iſt der Re¬
genbogen,“ toͤnt freilich noch etwas familiaͤr
und revolutionaͤr — der Deutſche haͤtte dafuͤr
geſagt: Hoͤchſtdieſelben geruhen ein Re¬
genbogen zu ſeyn — doch uͤbrigens iſt
gar nichts daran auszuſetzen.
Herr Rouſſeau muß ja ſeinen Hofrath ver¬
dienen, und da war es ſeine Amtspflicht, den
Artikel aus der Boͤrſenhalle mitzutheilen. In
der Muͤnchner Hofzeitung habe ich ihn auch
abgedruckt gefunden. Ich habe nur immer
meine Freude daran, wenn ich wahrnehme,
[238] daß die ariſtokratiſche Parthei nicht einen
Schriftſteller von nur ertraͤglichem Talente fin¬
den kann, der oͤffentlich ihre Sache vertheidigt.
Heimlich, namenlos mag es zuweilen fuͤr Geld
geſchehen, aber frei hervortretend eine ſchlechte
Sache zu vertheidigen, hat noch keiner gewagt,
deſſen Namen guten Klang hat. Jeder fuͤrch¬
tet, ſich verhaßt und laͤcherlich zu machen.
Und ſo ſind es immer einige arme Teufel von
verlohrnem Geiſte, die nichts mehr zu verlie¬
ren haben, welche dem Adel ihre Faͤuſte leihen.
Zwar giebt es einige Maͤnner von ausgezeich¬
netem Talente, wie Goͤrres iſt, und wie
Schlegel und Adam Muͤller waren, die ſich
gegen den Liberalismus ausgeſprochen; aber ſie
kaͤmpften weder fuͤr die Ariſtokratie, noch fuͤr
den Abſolutismus, ſondern fuͤr die geiſtliche Macht,
die dem Liberalismus feindlich gegenuͤber ſteht.
Habe ich denn behauptet, die Franzoſen
waͤren bei ihrem Ruͤckzuge in Frankfurt mis¬
[239] handelt worden? Da ich das Buch nicht habe,
bitte ich Sie die Stelle genau nachzuleſen,
und mir daruͤber zu ſchreiben. Ich kann das
unmoͤglich geſagt haben, weil mir gar nichts
davon bekannt iſt, und ich es auch nicht ein¬
mal glaube. Ich habe nur erzaͤhlt, wie ſich
einige Franzoſen hier geaͤußert. Auch habe
ich nie geglaubt, daß Marſchall Soult, der
als Miniſter im Sinne ſeiner Regierung fried¬
liche Geſinnung und Friedenszuverſicht aͤußern
mußte, an oͤffentlichem Tiſche von der Hoff¬
nung der Franzoſen, wieder nach Frankfurt
zu kommen, geſprochen. Was ich gehoͤrt, habe
ich Ihnen berichtet, und ich habe es in der
guten Abſicht drucken laſſen, die Frankfurter
Regierung aufmerkſam zu machen, daß eine
Zeit kommen koͤnnte, wo es, mit den Franzo¬
ſen feindlich zu ſtehen, der Stadt Schaden
bringen moͤchte, und ſie ſich daher nicht mehr
als ſie muß, gegen das franzoͤſiſche Volk un¬
[240] freundlich zeigen ſolle. Misverſtanden kann
man das in Frankfurt nicht haben, und wenn
man mich doch getadelt, ſo war es gewiß aus
jener alten engherzigen Philiſterei geſchehen,
deren ganze Weisheit darin beſteht, nichts
Unangenehmes aufzuruͤhren, ſondern den
ungeſunden Schlamm ſich anhaͤufen zu laſſen,
lieber als daß man ihn wegfuͤhre, und die
Naſen der Nachbarn dadurch belaͤſtige.
Die Geſchichte mit der Graͤfin *** werde
ich in keine Zeitung bringen laſſen. Das haͤtte
Sie nicht noͤthig gehabt mir zu unterſagen. Ich
werde nie gegen einzelne Menſchen als oͤffentlicher
Anklaͤger auftreten, auch nicht wenn ich ſie fuͤr
ſchuldig halte. Was nicht Volksmaſſen ſind, oder
Menſchen, die ganze Maſſen und allgemeine In¬
treſſen repraͤſentiren, liegt ganz außer meinem Wir¬
kungskreiſe, denn es liegt außer meiner Pflicht.
Der *** iſt nur das Mundſtuͤck einer di¬
plomatiſchen Trompete, das gar nicht weiß, was
[241] er blaͤßt. Haͤtte ich aber den ſpielenden Mund
ſelbſt vor mir, wuͤrde ich ihm ſagen: Sie glau¬
ben, es waͤre mir blos um Geld zu thun! à la
bonne heure. Das beleidigt wenigſtens meinen
Kopf nicht, und mein Herz nimmt ſo leicht
nichts uͤbel. Sie meinen aber auch, mich aͤr¬
gert, daß ich noch keinen Orden bekommen!
Vous n'y pensez pas, mon cher Baron. Ich
gaͤbe den Heiligengeiſt-Orden, den Hoſenband-
Orden, die rothen und die ſchwarzen Adler und
wie dieſe Zeichen der Dienſtbarkeit ſonſt heißen,
alle fuͤr einen Zahnſtocher hin, den ich gerade
in dieſem Augenblicke noͤthig brauche. Außer ſie
muͤßten mit Brillanten beſetzt ſeyn, fuͤr welche
ich die Haͤlfte ihres Werthes bezahlte, weil ſie
in ſolcher Faſſung die Haͤlfte ihres Werthes in
meinen Augen verloͤhren.
Seyn Sie ruhig; Gott ſelbſt rezenſirt meine
Schriften; der erſte Artikel iſt ſchon erſchienen,
die Fortſetzung wird bald folgen. Der Bundes¬
III. 16[242] tag, der ſich, ſo lange er den Weichſelzopf ge¬
habt, ganz ſtill, ganz ruhig, ganz warm gehal¬
ten; ſich die Schlafmuͤtze bis uͤber den Mund
herabgezogen; nichts ſah, nichts hoͤrte, nichts
ſprach, nicht an die freie Luft zu gehen wagte
— er iſt wieder munter geworden, ſeitdem die
Polen beſiegt; ſeit dem Falle Warſchau's iſt ihm
das Herz geſtiegen. Die kleinen deutſchen Fuͤr¬
ſten werden wie die Schulbuben zurecht gewie¬
ſen, ſie ſollten auf die Vollziehung der Karls¬
bader Beſchluͤſſe kuͤnftig beſſer achten; ein neues
Preßgeſetz wird angekuͤndigt; die Cenſurkom¬
miſſion in Frankfurt hat ihre Mannſchaft er¬
gaͤnzt, und ſich auf den Kriegsfuß geſetzt; die
Strasburger Zeitung wurde verboten. Kann
man ſchmeichelhafter von meinen Briefen ſpre¬
chen? Gerechter Gott! Nicht einmal den Muth
hatten ſie, eine kleine auslaͤndiſche Zeitung zu
unterdruͤcken, die ihnen ſeit dem erſten Tage
ihrer Erſcheinung wie der Tod verhaßt war, ehe
[243] ſie die ganze Macht Rußlands zu ihrem Schutze
bereit ſahen. Jetzt wird man noch an groͤßere
Sachen gehen. Und iſt man mit den Sachen
fertig, ſobald man alle Hoffnungen des Vater¬
landes niedergeriſſen, wird man unter deren
Schutt hervor auch die Menſchen zerren, die
in den Gebaͤuden wohnen, und ſie dafuͤr zuͤchti¬
gen, daß ſie zu edel waren, ſo lange ſie die
Macht gehabt, ſich gegen jede Rache zu ſchuͤtzen.
An meinem Schmerze hat wenigſtens getaͤuſchte
Hoffnung keinen Theil; ich wußte vorher, daß
es ſo kommen wuͤrde. Aber die Andern! Der
gute, feurige Welker hat zu fruͤh Triumph! ge¬
rufen. Dieſe edlen oder ſchwachen Maͤnner ha¬
ben mich ausgelacht, als ich ihnen ſchon vor
neun Monaten ſagte: Seht euch vor, Ihr wer¬
det betrogen, benutzt die Zeit, ſeyd ſchnell. Sie
haben ſich bedacht, als haͤtten ſie die Ewigkeit
gepachtet; ſie ſind den Schneckenweg des Rechts,
der zaudernden Ueberlegung bergauf geſchlichen,
16*[244] und haben in ihrem Vertrauen den Verrath, in
ihrer Gruͤndlichkeit den Abgrund gefunden, und
haben uns mit hineingezogen. Geſchmauſt ha¬
ben ſie mit den Edelleuten, gezecht haben ſie mit
den Miniſtern, und haben ihre geheimſten Ge¬
danken dem Weine anvertraut, der ſie den ewig
Nuͤchternen verrathen.
Warum haben denn die Polen Frankfurt
nicht beruͤhren duͤrfen? War es wegen der Cho¬
lera, oder wegen der Freiheit? Die Amneſtie
des Kaiſers Nikolaus gleicht der bekannten Ra¬
ritaͤt Lichtenbergs. Sie iſt ein Meſſer ohne
Klinge, woran der Stiel fehlt. Die
Gnade! die Gerechtigkeit!
In Berlin haben ſie Rotteks Weltgeſchichte
verboten. O! die Zeit wird kommen, wo ſie
alle Weltgeſchichten verbieten und der Natur
drei Jahreszeiten ſtreichen. Das iſt der Status
quo. Was iſt der Status quo? So nennen ſie
jeden Ort, wo ſie ſtehen geblieben, und ſtuͤnde
[245] auch die ganze Welt hundert Meilen weit davon
entfernt.
Der Koͤnig von Baiern laͤßt ſich aus allen
Staͤdten, Flecken und Doͤrfern des Landes von
den Magiſtratsperſonen im Namen der Gemein¬
de unterthaͤnige Adreſſen ſchicken. Dieſes pa¬
pierne Heer ſoll gegen die rebelliſche oͤffentliche
Meinung zu Felde ziehen. In einer ſolchen
Adreſſe aus Waſſerburg heißt es ſehr naiv:
„den ausgeſprochenen Grundſatz einer weiſen
„Sparſamkeit empfangen wir — jedoch ohne
„Beſchraͤnkung der Allerhoͤchſten Perſon im Wohl¬
„thun und im Glanz des Hofes und des Staa¬
„tes, mit ewigem Danke.“ Die Waſſerburger
haben zwar einen ſchlechten Styl, aber ein gu¬
tes Herz. Das iſt die Hauptſache. Weiter.
Ein Bairiſcher Staatsbeamte ſchloß ſeine Rede,
die er bei einer oͤffentlichen Feierlichkeit gehalten,
mit folgenden Worten: Haß und Verach¬
tung jenen Abgeordneten, die es wag¬
[246] ten, die Civilliſte des Koͤnigs zu ſchmaͤ¬
lern. Hu! das iſt wahrhaft melodramatiſch.
Die Sache der Emanzipation der Juden hat
auch in der Bairiſchen Kammer wieder eine deut¬
ſche ungeſchickte Wendung genommen. Es iſt
das alte harte Raͤthſel, an dem ich mir ſchon
fuͤnf Jahre die Zaͤhne ſtumpf beiße. Die Kam¬
mer hatte beſchloſſen, die Juden ſollten den
chriſtlichen Staatsbuͤrgern gleichgeſetzt werden.
Was war nun nach einer ſolchen Erklaͤrung zu
thun? Nichts. Man hatte nur alle Geſetze,
welche eine Ungleichheit der Juden ausſprechen,
aufzuheben. Das war der Stoff einer einzigen
Formel, einer einzigen Zeile. Aber was geſchah?
Nach Beendigung der Debatten beſchloß die Kam¬
mer: „Sr. Majeſtaͤt den Koͤnig in verfaſſungs¬
„maͤßigem Wege zu bitten, vor allen eine ge¬
[247] „naue Reviſion der uͤber die Verhaͤltniſſe der juͤ¬
„diſchen Glaubensgenoſſen beſtehenden Verord¬
„nungen vornehmen und den Entwurf eines auf
„Beſeitigung der gegruͤndeten Beſchwerden der
„Judenſchaft und die Erleichterung ihrer bisheri¬
„gen buͤrgerlichen Verhaͤltniſſe zielenden Geſetzes
„den Staͤnden des Reiches vorlegen zu laſſen.“
Da verliere Einer die Geduld nicht! Einer deut¬
ſchen Regierung Zeit zu Verbeſſerungen geben,
das heißt mit dem juͤngſten Tage einen Vertrag
abſchließen. Wozu ins Teufels Namen alle dieſe
Umſtaͤndlichkeiten? Wenn die Juden emanzipirt
werden ſollen, wozu denn noch vorher die lang¬
weilige Muſterung alter Ungerechtigkeit? Soll
man denn die buͤrgerliche Geſellſchaft wie eine
Uhr behandeln, die, wenn ſie vorwaͤrts ſoll, nach¬
dem ſie lange ſtehen geblieben, jede verſaͤumte
Viertelſtunde nachſchlagen muß? Daruͤber ſterben
ganze Menſchengeſchlechter in Elend und Kum¬
mer. Die Vertheidiger der Juden haben in
[248] Muͤnchen ſo wunderliche Reden gefuͤhrt als ihre
Anklaͤger. Einer der erſten ſagte: die Juden
ſeyen zur Zeit ihrer Selbſtſtaͤndigkeit ein tapfe¬
res Volk geweſen, und die hartnaͤckige Verthei¬
digung von Jeruſalem ſey mit der von Sara¬
goſſa zu vergleichen. Aber, gerechter Gott! dar¬
auf koͤmmt es ja hier gar nicht an. Die ſtaats¬
buͤrgerliche Gleichheit ſoll ja den Juden nicht als
ein Verdienſt, als ein Lohn, ſie ſoll ihnen als
ein unveraͤußerliches Recht zuerkannt werden.
Schlimm iſt fuͤr die Juden, daß der Deutſche
in dieſer Sache wie immer unter der ſtrengen
Regierung ſeines Herzens ſteht. Selbſt um ge¬
recht zu ſeyn, muß der Deutſche lieben. Nun
liebt man aber die Juden nicht. Aber der ſtarke
Mann der Wahrheit und des Rechts muß auch
ſein Herz zu meiſtern wiſſen. Sie wiſſen, wie
meines fuͤr die Juden ſchlaͤgt! Und habe ich ſie
darum nicht doch immer vertheidigt?
[249]
Dreizehnter Brief.
Von meinen Briefen iſt in allen Blaͤt¬
tern, ſogar in engliſchen die Rede. Im Conſti¬
tutionel heißt es unter andern: „C'est le nec
plus ultra de la presse allemande libérale.
Personne n'a encore osé écrire ainsi. C'est
la témérité personnifiée. Nos allemands peu
éclairés, ressemblent à un homme longtems
emprisonné et privé de lumières, qui dès
qu'on lui ouvre les portes pour le délivrer,
est offusqué par la lumière qu'il ne peut
supporter.“ Der Temps nennt mich einen
[250]„écrivain courageux“ und hebt es heraus,
daß ich geſagt: beſſer einen Don Miguel zum
Herrn haben, als einen mild vaͤterlichen deut¬
ſchen Fuͤrſten. Der Artikel aus der Boͤrſenhalle
geht nach und nach in alle miniſterielle und ari¬
ſtokratiſche Blaͤtter uͤber. Geſtern las ich ihn
in der Zeitung von Bern, — ein Kirchhof, wo
der Hochmuth von fuͤnf Jahrhunderten begra¬
ben liegt, und wo in dieſer unſerer Mitternacht
alle Geiſter der alten Raubritter herumwandeln
und heulen, daß einem die Haare zu Berge
ſtehen. Ihr tapfern Ritter, Ihr Hofleute in
eurer Narrenjacke, erhabene Saͤulen des Throns,
treue Schildtraͤger der Fuͤrſten, brave Daͤmme
gegen das wildbrauſende Volk — wo ſeyd Ihr
denn? Junker, Legationsraͤthe, Kammerherrn,
tretet heraus, tretet hervor, erhebet euch. Hoͤ¬
ret, wie ein niedriger Knecht euch verhoͤhnt,
euch trotzt!.. Sie ſind ſtumm, und faͤnde ſich
nicht zuweilen ein Ochſe von Buͤrger, der ihnen
[251] aus Dummheit ſeine geſalzene Zunge liehe;
ſie wuͤrden erſticken vor Wuth. Ich aber habe
meine Freude daran, und ich moͤchte die gan¬
ze Junkerei mit muͤrben Brezeln bewirthen.
Ich kann Sie verſichern, daß die ſchoͤnſte
Poſſe auf dem Theater mich nie ſo ſehr er¬
goͤtzt hat, als die Schrift des Eduard Meyer.
Und was an der einen Luſt fehlte, erſetzte die
Schadenfreude. Ich dachte bei mir: welch'
eine Sache muß es, welche Menſchen muͤſſen
das ſeyn, die ſolche Beſchuͤtzer ſuchen und nur
ſolche finden! Auch habe ich bei dieſer Ge¬
legenheit einem theilnehmenden, aber von dem
gegen mich erregten Laͤrm etwas betaͤubten
Manne geſchrieben: „So ſind eure Vertheidi¬
ger, ſo iſt eure Sache, ſo ſeyd Ihr ſelbſt!“
Wenn Sie in meinen Worten etwas Wehmuͤ¬
[252] thiges gefunden, ſo iſt der gute Eduard ganz
unſchuldig daran. Ich erinnere mich nicht
mehr, in welcher Stimmung ich damals ge¬
ſchrieben; aber es kann wohl ſeyn, daß ich
bei dieſem Anlaſſe einen truͤben Blick in unſer
truͤbes Vaterland geworfen und daß mich das
etwas bewegte. Den Alexis Haͤring, den
ſchicken Sie mir ja ſobald als moͤglich; der
erſpart mir funfzig Sous und fuͤnf Stunden
Zeit fuͤr ein Boulevard-Theater. Ich kenne
ihn von Berlin her, es iſt ein ungeſalzener
Haͤring. Vor meiner Rache iſt er ſicher.
Waͤre er ein Milchner, ſalzte ich ihn vielleicht;
aber ſolch einen Rogner kann ich zu gar nichts
brauchen. Auch wuͤrde ich mich wohl huͤten,
dem Leipziger Viehſtalle zu nahe zu kommen.
Ich bin kein Herkules, und deſſen Keule war
es auch nicht, die das Wunder gethan. Die
Pleiße aber iſt ſo dumm und flach, daß nur
ein Paar Schnupftuͤcher damit zu reinigen ſind.
[253] Guter Guter! Wenn man dieſe Menſchen erſt
perſoͤnlich kennt, dann iſt man gar entwaffnet
und wehrlos. Dieſer Willibald Alexis —
pfui, es iſt mir, als ſollte ich mit Ruͤhreiern
Krieg fuͤhren. Ein platter, abgeſchmackter Oſter¬
fladen, eingeſchrumpft und altbacken, wie er
am zweiten Pfingſttag ausſehen und ſchmecken
wuͤrde ... Nun, wie gefalle ich Ihnen? Ha¬
be ich nicht ſchon viel [profitirt] von meinem
Eduard? Alſo den Haͤring ſchicken Sie mir.
Die ſchoͤnen Frankfurter Maͤdchen werden
ſich wohl zu troͤſten wiſſen, wenn ſie in kei¬
ner Leihbibliothek meine Briefe werden bekom¬
men koͤnnen. Clauren erſetzt mich ihnen vom
Samſtag Abend bis Montag Morgen. Die
andern Leſer werden Mittel finden, ſich das
Buch auf andere Art zu verſchaffen. Funfzig
Thaler Strafe! das iſt ein ſtarkes Leſegeld!
Mir faͤllt dabei nur immer ein, daß in Frank¬
furt, Hamburg und andern deutſchen Landen,
[254] wo man nie nach Thalern rechnet, doch im¬
mer nach Thalern beſtraft wird. Das beweiſ't,
daß man Geſetze in Anwendung bringt, deren
Form wie deren Geiſt veraltet iſt. So waͤre
denn mein Buch in Deutſchland vogelfrei er¬
klaͤrt. Das war gar nicht noͤthig, ich habe
es ja ſelbſt gethan. Frei wie ein Vogel, ſollte
es in den Luͤften ſchweben, erhaben uͤber dem
ſtinkenden Nebel der Polizei und dem feuch¬
ten Dunſtkreiſe angſtſchwitzender Buͤrger. Es
wird ſchon herabpfeifen durch Nebel und Dunſt,
und ſieht man es auch nicht, wird man es
doch immer hoͤren.
Die Affen-Kultur hat hier ſeit der letzten
Revolution große Fortſchritte gemacht. Sonſt
beſchraͤnkte ſich die Kunſtfertigkeit der Affen
auf den Schauplatz der ebenen Erde. Sie
tanzten, zogen den Hut ab, zerrten die Maͤd¬
chen an den Roͤcken, putzten den Herrn die
Stiefel, und forderten hoͤflich Geld ein. Das
[255] war alles gut und eintraͤglich. Doch entging
den armen Savoyarden die Theilnahme und
das Souſtuͤck der Hausbewohner, die in den
obern Stocken wohnten, und nicht gerade am
Fenſter lagen. Jetzt aber haben ſie die Affen
abgerichtet, an langen Stricken feſtgehalten,
die Haͤuſer hinaufzuklettern, auf den Gelaͤndern
der Balkone herum zu ſpazieren, vor das Fen¬
ſter zu ſpringen, und an die Scheiben zu klo¬
pfen. Dieſe geniale Induſtrie iſt hoͤchſt ergoͤtz¬
lich. Doch muß ich ſagen, daß es oft eine
unangenehme Ueberraſchung fuͤr die Leute im
Zimmer ſeyn mag. Denken Sie ſich, eine
junge ſchoͤne Dame ſaͤße auf dem Sopha ne¬
ben ihrem Vetter, durchblaͤtterte mit ihm
les feuilles d'automne von Hugo, und waͤre
ſehr zerſtreut — und jetzt pochte ploͤtzlich ein
garſtiger Affe an das Fenſter und guckte neu¬
gierig und ſpoͤttiſch in das Zimmer hinein —
das waͤre ja ein groͤßerer Schrecken, als wenn
[256] der Mann unerwartet aus dem Komptoir wie¬
der heraufkaͤme, weil er ſeine Brille vergeſſen.
Ich begreife nicht, wie die Polizei ſolche Frie¬
densſtoͤrung dulden kann; es muͤßte denn ſeyn,
daß ſie ſelbſt die Affen zu Hausſpionen ange¬
ſtellt. Es waͤre gar nicht unmoͤglich. So
ein Affe hat Verſtand genug dazu.
[257]
Vierzehnter Brief.
Geſtern hat ſich Mauguin mit dem De¬
putirten Viennet geſchlagen. Mauguin vergaß
ſich und nannte die Kammer eine miniſterielle;
Viennet, ſelbſt ein Miniſterieller, vergaß ſich
auch, und nannte den Mauguin einen ſchaam¬
loſen Menſchen. Das beleidigte ihn, und er
forderte Viennet. Ich finde es aber laͤcherlich,
daß er einen Vorwurf, den er Andern gemacht,
nicht ſelbſt annehmen wollte. Darauf wurden
zwei Piſtolen geladen, und mit nicht mehr
und nicht weniger als zwei Schuß Pulver
III. 17[258] wurden zwei Ehren wieder hergeſtellt. In
England und Deutſchland wird ſo etwas ge¬
woͤhnlich mit mehr Ernſt betrieben, hier aber
wird oft eine Komoͤdie daraus gemacht; denn
ich vermuthe ſehr, daß man falſch ladet.
Waͤre ich Sekundant, ich thaͤte eine gute Ku¬
gel hinein. Zwar waͤre der Welt mit einem
Narren weniger nicht geholfen; aber ich thaͤte
es aus Bosheit.
Meine Pariſer Briefe ſind jetzt bei den
hieſigen Buchhaͤndlern angekommen, und ich
habe ſie geleſen mit einer Ruhe und einer
Gleichguͤltigkeit, mit der man die Rechnung
eines Schneiders lieſt, wenn, um ſie zu be¬
zahlen, es weder an Geld noch guten Willen
fehlt. Ich wuͤrde kein Wort zuruͤcknehmen,
wenn ich ſie heute ſchriebe, und keine einzige
Rede nur um einen Lichthauch blaͤſſer machen.
Grob ſind ſie freilich, wie man ſie gefunden.
Wer hieß aber auch die dummen Menſchen
[259] ihnen ſo nahe treten, und ſie durch die Brille
betrachten? Sie ſind grob, wie Fresko-Ge¬
maͤlde ſind und ſeyn muͤſſen, die in einiger
Entfernung angeſchaut werden ſollen. Auf der
friſchen, noch feuchten Gegenwart gemalt,
mußten die Zuͤge ſchnell der entſchloſſenen
Hand nachſtuͤrzen, durften nicht hinter zau¬
dernder Bedenklichkeit nachſchleichen. Dem Vol¬
ke, das in weiten Kreiſen umher ſteht und
kein Vergroͤßerungsglas gebraucht, faͤllt es
gerade mit dem rechten Maaße in die Augen.
Wie freue ich mich, daß mir das gelungen;
wie froh bin ich, daß ich der paſtellfarbigen
Artigkeit entſagt, die den verzaͤrtelten Diplo¬
maten ſo gut gefaͤllt, weil ſie es weglaͤcheln,
ſobald es ihnen nicht mehr behagt. Nein,
diesmal habe ich tiefe Furchen durch ihre Em¬
pfindung gezogen, und das wird Fruͤchte tra¬
gen; denn ſelbſt fuͤr ihre eigenen Felder iſt
die Saat nicht in ihrer Hand — Gott ſorgt
17*[260] dafuͤr. Daß man mir nur das Herz oͤffne,
feindlich oder freundlich, gleichviel; beides iſt
mir willkommen, denn beides nuͤtzt der guten
Sache.
Heine hat gegen die zwei Hamburger
Kuͤnſtler Meyer und Wurm, die noch fresko¬
artiger gemalt als ich ſelbſt, einen Artikel ge¬
ſchrieben. Geleſen habe ich ihn nicht, er
ſprach mir blos von ſeinem Vorſatze. Es war
ihm aber gar nicht darum zu thun, mich zu
vertheidigen, ſondern ſich ſelbſt, da er zugleich
mit mir angegriffen worden. Heine hat dar¬
in eine wahrhaft kindiſche Eitelkeit; er kann
nicht den feinſten, ja nicht einmal den groͤb¬
ſten Tadel vertragen. Er ſagte mir, er wolle
jene Menſchen vernichten. Das duͤrfte mir
gleichguͤltig ſeyn. Zwei Spatzen weniger in
der Welt, das hilft zwar nichts, kann aber
noch nichts ſchaden. Den Artikel ſchickte er
an Cotta fuͤr die allgemeine Zeitung; nun
[261] ſchrieb ihm dieſer zuruͤck: Es moͤchte doch ſeine
Bedenklichkeit haben, eine Schrift zu verthei¬
digen, worin mit ausdruͤcklichen Worten ſtuͤnde,
jedes Volk duͤrfe ſeinen Koͤnig abſetzen, ſobald ihm
ſeine Naſe nicht mehr gefiele. Geduld, himmli¬
ſche Geduld! Was fange ich nun mit ſolchen
Menſchen an, die ganz ernſtlich glauben, ich haͤt¬
te den Voͤlkern gerathen, ihre Fuͤrſten zu verjagen,
ſobald ſie mit deren Naſen unzufrieden wuͤrden?
Wie wuͤrde es mir ergehen, wenn ich gegen ſol¬
che Anſchuldigungen mich vor deutſchen Rich¬
tern zu vertheidigen haͤtte? Wenn ich ſagte:
Meine Herrn, Sie muͤſſen das nicht ſo woͤrtlich
nehmen — nun, ich glaube, das glaubten ſie
mir vielleicht. Was wuͤrde mich das aber nuͤ¬
tzen? Sie wuͤrden erwiedern: Sie haͤtten aber
bedenken ſollen, daß Sie nicht blos fuͤr gebil¬
dete Leſer ſchreiben, ſondern daß auch eine große
Zahl Ungebildeter Ihre Werke lieſt, die keiner
Ueberlegung faͤhig, ſich nur an den Wortver¬
[262] ſtand halten. Zu dieſer Bemerkung wuͤrde ich
ſchweigen, und ſagen: laßt mich in das Ge¬
faͤngniß zuruͤckfuͤhren. Alles Reden waͤre doch
vergebens. Stuͤnde ich aber vor einem deut¬
ſchen heimlichen Gerichte, waͤren Geſchworne da,
und ſaͤße Volk auf den Gallerien, wuͤrde ich
mich, wie folgt, vertheidigen. „Meine Herrn!
„Der Deutſche iſt ein Krokodill! (Allgemeines
„Geſchrei des Unwillens. Krokodill! Krokodill!
„zur Ordnung, zur Ordnung!)... Meine
„Herrn, der Deutſche iſt ein Krokodill. (Zur
„Ordnung, zur Ordnung! der Praͤſident:
„Sie mißbrauchen das Recht der Vertheidi¬
„gung....) Meine Herrn, der Deutſche iſt ein
„Krokodill — aber ich bitte Sie, laſſen Sie mich
„doch zu Ende reden. Wenn ich ſage, der Deut¬
„ſche iſt ein Krokodill, ſo meine ich gewiß nicht
„damit, der Deutſche ſey ein wildes, grauſa¬
„mes, raͤuberiſches Thier wie das Krokodill, und
„weine heuchleriſche Kindesthraͤnen. Ich denke
[263] „gerade das Gegentheil. Der Deutſche iſt zahm,
„gutmuͤthig, raͤuberlich aber gar nicht raͤube¬
„riſch, und weint ſo aufrichtige Thraͤnen, als
„ein Kind, wenn es die Ruthe bekoͤmmt. Wenn
„ich das deutſche Volk ein Krokodill genannt,
„ſo geſchah es blos wegen ſeiner Koͤrperbedeckung,
„die ganz der eines Krokodills gleicht. Sie hat
„dicke harte Schuppen, und iſt wie ein Schie¬
„ferdach. Was feſtes darauf faͤllt, prallt ab,
„was fluͤſſiges, fließt hinunter. Jetzt denken
„Sie ſich, meine Herrn, Sie wollten ein ſol¬
„ches Krokodill thieriſch magnetiſiren; zweitens,
„um es ſpaͤter von ſeinen ſchwachen Nerven zu
„heilen; erſtens, um es fruͤher hellſehend zu
„machen, daß es in ſein Inneres hinein ſchaue,
„ſeine Krankheit erkenne, und die dienlichen
„Heilmittel errathe. Wie wuͤrden Sie das an¬
„fangen? Wuͤrden Sie mit zarter gewaͤrmter
„Hand auf den Panzer des Krokodills herum¬
„ſtreicheln? Gewiß nicht, Sie waͤren zu ver¬
[264] „nuͤnftig dazu. Sie wuͤrden begreifen, daß ſol¬
„ches Streicheln auf das Krokodill ſo wenig
„Eindruck machte, als auf den Mond. Nein,
„meine Herrn, Sie wuͤrden auf dem Krokodill
„mit Fuͤßen herum treten, Sie wuͤrden Naͤgel
„in ſeine Schuppen bohren, und wenn dies noch
„nicht hinreichte, ihm hundert Flintenkugeln auf
„den Leib jagen. Sie wuͤrden berechnen, daß
„von dieſer großen angewendeten Kraft neun
„und neunzig Hunderttheile ganz verlohren gin¬
„gen, und daß der Hunderttheil, der uͤbrig blie¬
„be, gerade die ſanfte und beſcheidne Wirkung
„hervorbraͤchte, die Sie bei Ihrem thieriſchen
„Magnetiſiren beabſichtigen. So habe ich es
„auch gemacht. Waͤre aber das deutſche Volk
„kein Krokodill, ſondern haͤtte es eine zarte
„Haut, wie die ſchoͤne Fuͤrſtin von ***, dann
„haͤtte ich ihm nicht geſagt, es duͤrfe einen Fuͤr¬
„ſten vertreiben, der eine unangenehme Naſe
„hat, ſondern ich haͤtte wie folgt mit ihm ge¬
[265] „ſprochen: „„Die Fuͤrſten — mag ſie nun Gott
„oder der Teufel, oder moͤgen ſie ſich ſelbſt,
„mag die weiſe Vorſehung, oder mag der Narr
„Zufall ſie eingeſetzt haben — ſind beſtimmt,
„die Voͤlker, welche ihnen anheim gefallen, nicht
„blos mit Gerechtigkeit, ſondern auch mit Weis¬
„heit, nicht blos mit Weisheit, ſondern auch
„mit Staͤrke, nicht blos mit Staͤrke, ſondern
„auch mit Milde zu regieren. Wo ſie dieſes
„nicht thun, oder nicht vermoͤgen; wo ſie das
„Recht ſchmaͤhlich verletzen, ihren eignen Suͤn¬
„den, oder denen ihrer Luſtgeſellen zu froͤhnen;
„wenn ſie ſtatt der ernſten Stimme der Klug¬
„heit, den Poſſenliedern der Thorheit ihr Ohr
„hingeben; wenn ſie zu ſchwach oder zu feige
„ſind, den Verfuͤhrungen oder Drohungen frem¬
„der Fuͤrſten zu widerſtehen; wenn ſie jedes
„Vergehen als eine Beleidigung ihrer Macht
„blutig und tuͤckiſch raͤchen — ein ſo mishan¬
„deltes, ſo mit Fuͤßen getretenes Volk darf
17 *[266] „und muß ſeinen verbrecheriſchen Fuͤrſten vom
„Throne ſtoßen und aus dem Lande jagen.““
„Haͤtte ich aber ſo mit dem deutſchen Krokodill
„geſprochen, wie viel von meinen Worten waͤre
„in ſein Inneres gedrungen? Wenig, Nichts,
„ja weniger als nichts. Ein Defizit des Wi¬
„derſtandes waͤre dabei herausgekommen, und
„das Krokodill haͤtte meine Lehre ſo gedeutet:
„einen Fuͤrſten, der despotiſch regiere, muͤſſe
„man die Civilliſte verdoppeln. Darum
„ſagte ich ihnen: ihr duͤrft jeden Fuͤrſten ver¬
„jagen, ſobald euch ſeine Naſe nicht mehr ge¬
„faͤllt. Deutſche Gutmuͤthigkeit bringt von ſol¬
„cher Lehre neun und neunzig Hunderttheile in
„Abzug, und dann bleibt gerade ſo viel uͤbrig,
„als ihnen zu wiſſen gut iſt, als ich ihnen bei¬
„zubringen mir vorgeſetzt“... (allgemeines Bei¬
fallklatſchen). Der Praͤſident: Alle Zeichen
des Beifalls oder der Unzufriedenheit ſind un¬
terſagt; wenn die Ruhe noch einmal geſtoͤrt
[267] wird, werde ich den Saal raͤumen laſſen ...
Darauf ziehen ſich die deutſchen Geſchwornen in
ihr Zimmer zuruͤck. Nach zehn Monaten, elf
Tagen, zwoͤlf Stunden und dreizehn Minuten,
treten ſie wieder in den Saal, und erklaͤren den
Angeklagten fuͤr nicht ſchuldig. Todesſtille.
Die Geſchwornen ſehen ſich um, und werden
bleich. Waͤhrend ihrer Berathſchlagung waren
Angeſchuldigte, Richter, der Prokurator des Koͤ¬
nigs, der Vertheidiger, ſaͤmmtliche Advokaten
und Zuhoͤrer alle Hungers geſtorben, und ſchon
in Faͤulniß uͤbergegangen. Dieſe traurige Ge¬
ſchichte hatte in Deutſchland großes Aufſehen
gemacht, und Herr von Kamptz in Berlin be¬
nutzte ſie geſchickt, und ließ in Jarke's antire¬
volutionairem Tendenzblaͤttchen einen Aufſatz dru¬
cken, worin er aus der neueſten Erfahrung be¬
wies, daß ein Schwurgericht fuͤr Deutſchland
gar nicht paſſe.
[268]
Sie aber, Sie, was halten Sie davon?
Finden Sie nicht, daß ich Recht habe? Aber
mein Gott! Sie haben gar nicht Acht gegeben.
Sie waren zerſtreut und ich weiß auch warum.
Waͤhrend meiner langen Rede haben Sie an
nichts gedacht, als wer die Fuͤrſtin ſey, deren
ſchoͤnen Teint ich gelobt. Ich werde mich wohl
huͤten, das zu geſtehen. Indem ich es verſchwei¬
ge, werden alle deutſche Prinzeſſinnen die Schmei¬
chelei auf ſich beziehen, und ich werde dadurch
ſechs und dreißig regierende Herzen gewinnen,
welches mir ſehr nuͤtzlich ſeyn kann, wenn ich
einmal fruͤher oder ſpaͤter in die rauhen Faͤuſte
irgend einer deutſchen Polizei plumpe.
— Geſtern habe ich einem Welt-Eſſen bei¬
gewohnt. Nicht einem Eſſen, wo, wie in man¬
chen Laͤndern Europens, die Welt von wenigen
Maͤulern geſpeißt wird; ſondern wo die Welt
durch ihre Repraͤſentanten ſelbſt ſpeißt. Ich
habe Nord- und Suͤdamerikaner, Egyptier und
[269] Oſtindier, Schweden, Polen, Franzoſen, Eng¬
laͤnder, Deutſche, Schweizer, Italiener um ei¬
nen Tiſche verſammelt geſehen. Nur Ruſſen
waren keine da; denn dieſe, mit den Markkno¬
chen der Polen angenehm beſchaͤftigt, verſchmaͤ¬
hen jetzt die magern Beefſteaks von gewoͤhnli¬
chen Ochſen. Herr Juͤllien, Herausgeber der
bekannten Revuͤe encyklopaͤdique, verſam¬
melte ſeit vielen Jahren ſeine Freunde und die
es werden ſollen — das will ſagen alle Welt
— monatlich einmal zu einem encyklopaͤdiſchen
Diner. Die Geſellſchaft iſt gewoͤhnlich mehr als
hundert Perſonen ſtark; geſtern aber waren es
hoͤchſtens dreißig. Ihnen die kleinen Goͤtter,
die beruͤhmten Polen, Italiener, Franzoſen zu
nennen, waͤre zu weitlaͤufig; die beruͤhmten Frank¬
furter herzuzaͤhlen waͤre kuͤrzer, aber das ver¬
bietet mir die Beſcheidenheit. Von europaͤi¬
ſchem Rufe war nur ein einziger Mann gegen¬
waͤrtig, Sir Sidney Smith, deſſen Bio¬
[270] graphie ſie im Converſationslexikon finden. Er
iſt ein ſchoͤner und fuͤr ſein Alter noch ruͤſtiger
Mann, und, was an einem Seehelden auf¬
faͤllt, er hat ganz die Art und Haltung eines
feinen Pariſers. Der wuͤrde nie, wie Jean Bart,
Taback im Vorzimmer eines Koͤnigs rauchen.
Ich habe mich ſehr unterhalten. Aber, mein
Gott, ich erſtaune uͤber die Menſchen, welchen
in Paris nicht aller Ehrgeiz zu Ekel wird.
Dieſe Stadt iſt eine Kloake des Ruhms, die
ihn auf dunkeln und ſchmutzigen Wegen in den
naͤchſten Bach ſchwemmt, worin er immer wei¬
ter und weiter, bis in das Meer der Vergeſſen¬
heit fließt. Sidney Smith wohnt ſeit vielen
Jahren in Paris. Seine Tochter wohnt auch
hier und iſt an den Baron Delmar (Oſſiani¬
ſcher Name), einen getauften Juden und geadel¬
ten Lieferanten aus Berlin, verheyrathet. Man
erzaͤhlte mir von ihm, daß er nur Perſonen vom
hoͤchſten Stande empfange, und man, um in
[271] ſeinem Hauſe Zutritt zu erhalten, mehr Ahnen
beduͤrfe, als man ehemals von einem deutſchen
Domherrn forderte. So iſt es aber in allen
Laͤndern; chriſtlicher Adel und juͤdiſches Geld
haben eine unglaubliche Affinitaͤt gegen einan¬
der, und darum iſt die Faubourg St. Ger¬
main jeder Reſidenz eigentlich eine Vorſtadt
Jeruſalems.
Ein junger Menſch aus Genf ließ, als er
meinen Namen hoͤrte, ſich mir vorſtellen, und
aͤußerte: er habe ſchon laͤngſt den Wunſch ge¬
habt, mich kennen zu lernen. Sie wiſſen ja,
wie ich bei ſolchen Gelegenheiten mit meinem
Pagodenkopf wackele; ich lache mich immer ſelbſt
aus, und erſt ſpaͤter den Andern. Der junge
Neugierige nahm bei Tiſche ſeinen Platz neben
mir. Ich fragte ihn, wie es ihm in Paris ge¬
fiele? Er erwiederte: Die Politik verleide ihm
ſeinen ganzen Aufenthalt. Ich ſtutzte; doch weiß
ich mich leicht in ſolche Denkungsart zu finden.
[272] In meinem eignen Kopfe iſt eine große Land¬
ſtraße ganz mit dieſer Geſinnung gepflaſtert.
Ich erwiederte: ja wohl waͤre es traurig, daß
Politik, Regierung, Staat, Geſetz, Freiheit, al¬
les nur Werkzeuge, das Gluͤck der Menſchen zu
bereiten; alles nur Wege, ſie zur Kunſt, Wiſ¬
ſenſchaft, zum Handel, zu haͤuslichem Gluͤcke,
zu bruͤderlicher Geſellſchaft, zum Vollgenuſſe des
Lebens zu fuͤhren — daß dieſe Werkzeuge mit
dem Kunſtwerke ſelbſt, daß die Wege mit dem
Ziele verwechſelt werden; daß man vor lauter
Arbeiten es zu keiner Arbeit bringt; daß die
grauſamen Kriege der Regierungen gegen ihre
Voͤlkchen und die thoͤrigten Voͤlker unter ſich
ſelbſt alle Kraͤfte der Menſchheit verzehren; daß
die letzte Verwuͤnſchung den letzten Athemzug
ausgeben und der Frieden keinen mehr finden
wird, der ihn genießt. Aber zu dieſem Stand¬
punkte der Betrachtung folgte mir der junge
Mann nicht; die Politik war ihm zuwider, wie
[273] dem Dichter Robert in Baden-Baden. Dar¬
uͤber verwunderte ich mich. Ich fragte ihn, ob
er in Paris ſtudire und was? Er erwiederte,
daß er ſich der deutſchen Philoſophie er¬
geben, und jetzt beſchaͤftigt ſey, ein Werk von
Schelling ins Franzoͤſiſche zu uͤberſetzen. Er
kannte die ganze philoſophiſche Literatur der
Deutſchen, ſogar die Werke Carove's, des Bio¬
graphen Gottes. Im naͤchſten Fruͤhling will er
nach Muͤnchen gehen. Alſo das war's! Es
iſt nicht noͤthig, daß ich mich daruͤber auslaſſe;
ich habe das ſchon oft beſprochen. Als ich ihm
einmal Salat praͤſentirt, der noch nicht ange¬
macht war, dachte ich: Als deutſcher Philoſoph
haͤtte er es vielleicht gar nicht bemerkt.
Beim Deſert wurden wie uͤblich Toaſts aus¬
gebracht. Zuerſt: â l'union des peuples! Dann
wurden alle [Voͤlker] durchgetrunken. Zuerſt die
Polen. Herr Juͤllien kuͤndigte an, die Geſell¬
ſchaft wuͤrde den Generalen Romarino, Langer¬
III. 18[274] man und Schneider und der Graͤfin Plater, der
polniſchen Amazone, die in dieſen Tagen hier
ankommen wuͤrde, im naͤchſten Monate ein Feſt
geben. Darauf ſtand ein junger Pole auf, Herr
von Plater, Vetter der Graͤfin, und dankte im
Namen ſeiner Nation. Endlich kam auch die
Reihe an die Deutſchen — ganz zuletzt. Herr
Juͤllien trank aber nicht auf die Geſundheit des
ganzen deutſchen Koͤrpers, ſondern nur auf die
ſeiner ſchwachen Fuͤße, auf das Wohl de cette
partie de l'Allemagne, welche Freiheit habe,
fordere, vertheidige. Ich, ***, und ein Ber¬
liner, den ich nicht kenne, waren die drei an¬
weſenden Deutſchen. Der Berliner war wohl
ein Hegelianer, oder dachte an die Cholera oder
an Koͤpenick und ſchwieg. Mir durfte zu re¬
den gar nicht einfallen, weil ich ſchlecht Fran¬
zoͤſiſch ſpreche. Aber *** der es gut ſpricht,
forderte ich auf zu antworten. Doch er ſchwieg.
Und er ſchwieg nicht allein, er ward noch roth,
[275] als haͤtte er geſprochen. Stumm und roth wie
ein Krebs! Ich ſchaͤmte mich — nein, das iſt
das rechte Wort nicht — es ſchmerzte mich.
Und warum habe ich nicht geſprochen? Der
Pole vor mir ſprach viel ſchlechter Franzoͤſiſch,
als ich. Und mir war das Herz ſo voll, daß
ich eine ganze Stunde haͤtte ſprechen koͤnnen,
und ich haͤtte vermocht, alles ſo ſchnell nieder¬
zuſchreiben, als es haͤtte geſprochen werden muͤſ¬
ſen. Aber mir kam in den Sinn, was wohl
meine Aengſtlichkeit entſchuldigt, aber das Ge¬
fuͤhl derſelben nur noch bitterer macht. Ich be¬
dachte: ein Pole, ein Spanier repraͤſentirt ein
Vaterland, ſein Volk ſteht hinter ihm, was er
ſpricht ſind nicht Worte, er beruͤhrt Taſten, die
Thaten wiederklingen, er erinnert, man hoͤrt
nicht ihn, man hoͤrt die Vergangenheit, man
ſieht das weit entfernte Land. Aber was re¬
praͤſentire ich, an welche Thaten erinnere ich?
Ich ſtehe allein, ich bin ein Lakai und trage,
18 *[276] wie alle Deutſche, die Livree des Grafen von
Muͤnch-Bellinghauſen. Man haͤtte mich als
einen Schriftſteller, als einen Redner beur¬
theilt; man haͤtte mich, nachdem ich gut oder
ſchlecht geſprochen, wie einen Schauſpieler be¬
klatſcht oder ausgepfiffen. Da ſtockt das Blut,
da ſteht die Zunge ſtill. Mag ſich ſchaͤmen,
wem es zukoͤmmt. Arndt waͤre freilich nicht
in Verlegenheit gekommen. Er haͤtte geſpro¬
chen von den Sygambern und Cheruskern,
von den Katten und Franken, von Allemanen,
Frieſen, Chaucern, Vandalen, Burgundionen,
Quaden, Markomanen, Bojoariern, Hermun¬
duren und Teutonen. Er haͤtte geſprochen —
von Gauen, von Hermann dem Cherusker, vom
Teutoburger Wald, von Marobodaͤus und den
Hohenſtaufen. Aber ich bin nicht Arndt. Ich
kenne nur die Deutſchen des Regensburger
Reichstags und des Wiener Friedens, und die
ſind nicht weit her.
[277]
Bei Tiſche wurde auch angekuͤndigt, daß
eine aus polniſchen und franzoͤſiſchen Gelehr¬
ten gebildete Geſellſchaft den Vorſatz gefaßt,
alle claſſiſchen Schriften der Polen, etwa funf¬
zig bis ſechzig Baͤnde, in das Franzoͤſiſche zu
uͤberſetzen, um mit dem Ertrage des Werkes
die duͤrftigen Polen zu unterſtuͤtzen. Gewiß,
die Franzoſen haben eine gute Art, wohl zu
thun. Die Rauheit ihrer Regierung gut zu
machen, thut das auch Noth. Schmach und
Ungluͤck uͤber die heuchleriſchen Erbſchleicher
der Julirevolution! Keiner der vertriebenen
Polen darf nach Paris; ſie werden wie Va¬
gabunden auf vorgeſchriebenen Wegen nach dem
ſuͤdlichen Frankreich gewieſen, und dort unter
Aufſicht der Polizei geſtellt. Man will ſie an
das Mittellaͤndiſche Meer fuͤhren, um ſie dann
bei Strafe des Hungertodes zu zwingen, un¬
ter den Truppen von Algier Dienſte zu neh¬
men. Afrika oder Sibirien — dieſe Wahl
[278] giebt ihnen Louis Philipp! Um dieſen Preis
erkauft ſich der Kraͤmer Perrier den Bruder¬
kuß des Grafen von Neſſelrode!
Vor einigen Tagen hat man einen Men¬
ſchen feſtgenommen, der von dem Theater ſich
an den Wagen des Koͤnigs ſich zu draͤngen
ſuchte. Man fand Piſtolen und einen Dolch
bei ihm. Mag nun ſeyn, daß die Polizei
dieſen Menſchen abgerichtet, um den Koͤnig
zu ſchrecken, und zur Tyrannei zu fuͤhren; oder
mag ernſtlich ein Mordverſuch ſtattgefunden —
beides ſind ſchlimme Zeichen. Dieſer Koͤnig
leidet an einem boͤſen innern Geſchwuͤre und
er wird nie mehr geſunden.
Was iſt denn das fuͤr eine Geſchichte mit
dem Oehler, wovon die heutigen Blaͤtter ſpre¬
chen? Laſſen Sie mir doch durch *** uͤber
die Sache genau berichten und der Wahrheit
gemaͤß. Es heißt, der Oehler habe ſchwoͤren
muͤſſen, daß er nie daruͤber ſprechen wolle, aus
welchem Grunde er arretirt worden ſey. Das
iſt eines der teufliſchen Mittel, welche deut¬
ſche Regierungen ſeit fuͤnfzehn Jahren oft an¬
gewendet, ihre verborgenen Miſſethaten mit
ewiger Nacht zu bedecken. Ein Thor und ein
pflichtvergeſſener Menſch, wer einen ſolchen
abgefolterten Eid haͤlt. Es iſt der Eid, zu
dem ein Raͤuber mit gezuͤcktem Dolche uns
zwingt, daß wir ſeine Miſſethat nicht verra¬
[280] then, damit er ferner ungeſtoͤrt rauben und
morden koͤnne. Jeder gute Buͤrger iſt es ſei¬
nem Vaterlande, dem mishandelten Rechte,
dem beleidigten Himmel ſchuldig, an den Tag
zu bringen, was gottvergeſſen im Dunkeln
waltet, und einen Eid zu brechen, der ihn
zum Mitſchuldigen einer Schandthat macht und
ihn an die Suͤnder kettet. Wie! Koͤnige ha¬
ben den Eid gebrochen, den ſie ungezwungen
der Freiheit geſchworen, und ein Buͤrger ſollte
verpflichtet ſeyn, zum Vortheile der Tyrannei
einen Schwur zu halten, den ihm die grau¬
ſamſte Gewalt abgepeinigt? Nimmermehr. Das
fordert der Himmel nicht, ja das weiſ't er
zuruͤck.
[281]
Fuͤnfzehnter Brief.
Meine Briefe, wie ich geſtern hier vom
Buchhaͤndler hoͤrte, werden beſonders viel von
Englaͤndern gekauft. So waͤre ja die Zeit
ſchon gekommen, die ich vorher geſagt, wo die
neugierigen Reiſenden ihre Antiquités de l'Alle¬
magne in der Hand, unſer Vaterland be¬
ſuchen. Die Englaͤnder ſind hier wie immer
voraus; ich, bin ihr Vaſari, ſie kaufen mich
und ſtecken mich in die Taſche.
Ich glaube es immermehr, daß Herr von
*** geſagt hat: dieſerDr. Boͤrne ver¬
[282] diente, daß man ihm fuͤnf und zwan¬
zig aufzaͤhlte. Ich kenne Herrn von ***
ſehr genau; ich habe vor einigen Jahren in
Schlangenbad ihm taͤglich das Eſſen bringen
ſehen; es iſt nicht moͤglich, daß ein Edelmann
die Geſinnung eines Lakaien habe, daß ein
Miniſter wie ein Stallknecht ſpreche. Indeſſen
habe ich doch fuͤr den moͤglichen Fall, daß es
wahr ſey, dem Herrn von *** die fuͤnf und
zwanzig Stockpruͤgel in Rechnung geſetzt, und
ich werde ſie ihm fruͤher oder ſpaͤter ver¬
guͤten.
Die Pariſer Briefe hat der Buchhaͤndler
hier ſchon alle verkauft. Sie werden in das
Engliſche uͤberſetzt. Dagegen habe ich nichts.
Geiſt und Sprache der Englaͤnder weiß ſich
mit allem Deutſchen innigſt zu verſchmelzen.
Aber die franzoͤſiſche Ueberſetzung, an die man
auch denkt, wuͤrde ich hintertreiben, wenn es
in meiner Gewalt ſtuͤnde.
[283]
In der Nuͤrnberger Zeitung, ein Unter-
Blaͤttchen, wo die Huͤhneraugen und Froſt¬
beulen der aͤrmſten Teufel von Schriftſtellern
ſich verſammeln, heißt es in einem Schreiben
aus Berlin: „Boͤrne's Briefe aus Paris, die
„hier großes Aufſehen gemacht, wurden allge¬
„mein mit Verachtung und Abſcheu auf¬
„genommen, und es iſt erſtaunlich, wie dieſer
„Boͤrne, der ſonſt bei den Berlinern ſo hoch
„geſtanden, ploͤtzlich ſo tief ſinken konnte.“
So oft ich ſolchen Bettelvogt-Styl leſe, be¬
komme ich die groͤßte Luſt, einmal gegen mich
ſelbſt zu ſchreiben, um den armen deutſchen
Miniſterial-Kanzliſten zu zeigen, wie man luͤ¬
gen koͤnne, ohne ſich laͤcherlich zu machen.
Ich weiß es beſſer, wie ich in Berlin gewirkt.
Fuͤr gar viele war ich ein Pfropfenzieher, und
mancher eingeſchloſſene Geiſt iſt hoch hinauf
bis an die Decke geſprungen, nachdem ich ihn
von der Angſt des Eiſendrahts befreit.
Neulich war ich im Theater de la
Gaité, welches ich fruͤher noch nie beſucht.
Seitdem haben Wind und Froſt meine Augen
wieder getrocknet; denn wahrhaftig, gleich dar¬
auf haͤtte ich Ihnen gar nicht davon ſchreiben
koͤnnen. Nie in meinem Leben habe ich ſo
viel geweint, als in dieſem théâtre de la Gaité.
Ich hatte mich nicht vorgeſehen, hatte meine
Augen nicht verriegelt, und jetzt ſtuͤrzte die
ſpitzbuͤbiſche Ruͤhrung herein, und raubte allen
Verſtand in meinem Kopfe. Dieſes Theater
iſt das vornehmſte unter den gemeinen,
unter den Boulevard-Theatern. Das volle
Haus gewaͤhrte einen wohlthuenden, ſanft er¬
waͤrmenden Anblick, und nie habe ich mich
zwiſchen den Akten ſo behaglich gefuͤhlt als
[285] hier. Das Aufziehen des Vorhanges ſtoͤrte
mich jedesmal. Die Zuſchauer gehoͤrten alle
zu den niedern Buͤrgerklaſſen, die den Mittel¬
ſtand von dem Poͤbel trennen. Meiſtens Wei¬
ber und Maͤdchen, ſehr wenige Maͤnner. Sie
trugen alle weiße Haͤubchen. Sie koͤnnen ſich
nichts lieblicheres denken. Alle Gallerien rund
umher, von oben bis unten und das ganze
Parterre, waren weiß. Ich wußte vor lauter
Wohlgefallen gar nicht, womit ich dieſen
ſchoͤnen Anblick vergleichen ſollte. Bald er¬
ſchien es mir wie ein beſchneiter Wald; bald
wie ein Bleichgarten, wo die Waͤſche zum
Trocknen [aufgehaͤngt] iſt; bald wie eine Heerde
(aber gutmeinender) Gaͤnſe; bald wie eine
Lilienflur, auf welcher die wenigen vornehmen
und farbigen Huͤte als Tulpen hervorſtanden.
Jetzt war zu bewundern der Fleiß und die
Aufmerkſamkeit dieſer Zuſchauerinnen den gan¬
zen Abend. Dieſe guten Muͤtter und Toͤchter
[286] ſind nicht abgeſtumpft, ſie gehen ſelten in das
Theater, und ſehen wohl nur einmal das
nehmliche Stuͤck. Sie kommen mit einem
tuͤchtigen Hunger und wollen ſich ſatt hoͤren
und ſehen. In der Mitte der erſten Gallerie,
ganz genau in der Mitte, wo bei uns die
Prinzeſſinnen ſitzen, ſaß, wie ein Solitair in
einem Ringe, ein Marktweib, fleiſchig, roth¬
wangig, mit Armen, wie junge Tannen. Ich
konnte kein Auge von ihr abwenden. Sie
hatte ihre verſchraͤnkten Arme auf die rothge¬
polſterte Lehne gelegt, und ſtarrte regungslos
fuͤnf Stunden lang mit durchbohrender Auf¬
merkſamkeit nach der Buͤhne hin. Es war,
als haͤtte ſie die Worte ſchockweiſe gekauft und
bezahlt, und zaͤhlte aͤngſtlich nach, ob ſie kei¬
nes zu wenig bekomme. Und jetzt das allge¬
meine Weinen! Nein, einen ſolchen Augen¬
bruch habe ich nie geſehen. Wer Augen hat¬
te, weinte; wer ein weißes Schnupftuch, trock¬
[287] nete ſeine Thraͤnen; wer ein farbiges (das iſt
keine Erfindung) ließ ſie fließen. Ich ſelbſt,
als ich mich umhergeſehen, und wahrnahm,
wie wenige Menſchen im Hauſe waren, die
das Recht hatten mich auszulachen, weinte
auch. Der Polizei-Kommiſſair des Theaters,
der neben mir ſaß, ſah mich recht freundlich
und gutmuͤthig an und dachte wohl bei ſich:
gaͤbe es doch keine ſchlimmere Volksbewegung
als dieſe, dann waͤre es ein Vergnuͤgen Polizei-
Kommiſſair im quartier du temple zu ſeyn!
Warum haben wir ſo viel geweint? Sie ſol¬
len es erfahren. Vorher aber ziehen Sie auf
eine Viertelſtunde einen Ueberrock an, ſetzen
einen runden Hut auf — kurz — ich bitte Sie,
machen Sie mir durch weibliche Bedenklichkei¬
ten die Arbeit nicht ſo ſauer. Ich habe we¬
nig Zeit; Europa wartet auf mich.
Das Drama heißt: Il y a seize ans,
den Stoff moͤgen ſie wohl aus Deutſchland
[288] geholt haben; aber die Bearbeitung ſcheint
eigenthuͤmlich. Sie iſt gut genug, und fuͤr
Paris von einer ſeltenen Vollendung. Ich ha¬
be nie ein Schauſpiel geſehen, das, ohne den
geringſten Kunſtwerth zu haben, doch eine
theatraliſche Wirkung hervorbringt, der man
ſich den andern Tag nicht zu ſchaͤmen braucht.
Hoͤren Sie! Amalie, die Tochter des Grafen
von Clairville, 32 Jahre alt — vergeſſen
Sie dieſes Alter nicht; ſind es doch nur Jahre
einer Andern! — wird gleich bei ihrem erſten
Auftreten als ein hoͤchſt liebenswuͤrdiges, hoͤchſt
achtungswerthes Frauenzimmer erkannt. Sanft,
beſcheiden, von der zarteſten weiblichen Sitt¬
ſamkeit, hat ihr das reifere Alter nichts ge¬
nommen, als die Leidenſchaftlichkeit, mit der
man in der Jugend jedes Leid ertraͤgt, und
der unvermaͤhlte Stand ihr nichts gegeben
als einen Reichthum von aufgeſparter Liebe
An dem Tage, wo wir ſie kennen lernen, er
[289] wartet ſie den Baron von Saintval, den ihr
beſtimmten Gatten, um ſich mit ihm zu ver¬
loben. Der Baron iſt vierzig Jahre alt, und
iſt nicht blos ein untadelhafter Mann, ſondern
auch ein Mann von den angenehmſten und
ſchaͤtzenswerthſten Eigenſchaften. Die Graͤfin
erkennt ſeinen Werth, aber ſie fuͤhlt keine Lie¬
be fuͤr ihn. Sie liebt nicht einen andern, ſie
hat nie geliebt. Doch ſie hat eine tiefe Ab¬
neigung gegen die Ehe, und nur um ihren
Vater vor Verarmung zu ſchuͤtzen, in die ihn
ein erlittener Ungluͤcksfall zu ſtuͤrzen droht,
reicht ſie dem reichen Baron die Hand. Es
iſt aber hier keiner von den gemeinen Haͤndeln,
wo ein pflichtvergeſſener Vater das Gluͤck und
die Seligkeit ſeines Kindes ſeiner eigenen Be¬
haglichkeit aufopfert und wo ein unerfahrnes,
pflichtmißdeutendes Kind ein ſolches Opfer
bringt; ſondern es findet ein edleres Verhaͤlt¬
niß ſtatt. Graf Clairville hatte im Jahre 1814,
III. 19[290] als der Feind nach Frankreich kam, von dem
alten Baron Saintval eine halbe Million in
Papieren anvertraut bekommen. Er verſchloß
das Portefeuille in eine geheime Schublade
ſeines Sekretairs, und von dort wurde es ihm
auf eine unerklaͤrliche und unerklaͤrt gebliebene
Weiſe entwendet. Der alte Baron ſtarb un¬
terdeſſen; keiner wußte von dem anvertrauten
Vermoͤgen, nicht einmal der Sohn des Barons.
Aber Graf Clairville verkannte keinen Augen¬
blick die Stimme der Ehre und der Pflicht,
und beſchloß mit Aufopferung ſeines ganzen
Vermoͤgens dem Erben ſeines verſtorbenen
Freundes den Verluſt zu erſetzen. Doch durfte
ihn ſeine Verarmung in alten Tagen und die
Hilfloſigkeit ſeiner Tochter ſchmerzen, und als
der Baron um deren Hand anhielt, ihm er¬
laubt ſeyn, ihre Abneigung gegen die Ehe zu
uͤberwinden, um ſeine Pflicht mit ſeinem Vor¬
theile zu vereinigen.
[291]
In dem Hauſe des Baron Clairville und
unter dem Schutze der Tochter, lebte ein
16jaͤhriger Knabe, Namens Felix. Die Graͤ¬
fin hatte ihn als Findelkind aufgenommen und
ihn erzogen. Sie war dem Knaben mit muͤt¬
terlicher Liebe zugethan, und dieſer hing an
ihr mit der zaͤrtlichſten Neigung eines Soh¬
nes. An dem Tage, der zu ihrer Verlobung
beſtimmt war, ſehen wir die Graͤfin in der
heftigſten Gemuͤthsbewegung. Sie hat den un¬
vermeidlichen Entſchluß gefaßt, den Knaben
vor Ankunft ihres Verlobten aus dem Hauſe
zu entfernen. Sie ruft Felix herein, druͤckt
ihn mit Schmerz und Liebe an ihre Bruſt,
und kuͤndigt ihm an, er muͤſſe ſie verlaſſen.
Der Knabe jammert verzweiflungsvoll. Die
Graͤfin kann nicht anders — den Knaben zu
beruhigen, ihm die Nothwendigkeit ſeines har¬
ten Geſchicks zu erklaͤren, ihr eigenes Herz zu
rechtfertigen, muß ſie ihm geſtehen, daß ſie
19*[292]ſeine Mutter ſey. Jetzt vermaͤhle ſie ſich;
ihre Ehre, ihr Gluͤck, ihre Ruhe haͤnge von
dem Geheimniſſe ab, das den achtſamen Blik¬
ken eines Gatten nicht lange verborgen bleiben
koͤnne. Sie muͤßten ſich trennen. Felix iſt
entzuͤckt in der geliebten Pflegemutter ſeine
wahre Mutter zu finden. Er hat alles ver¬
ſtanden, er begreift alles, mit maͤnnlicher Faſ¬
ſung ertraͤgt er ſein trauriges Geſchick, und iſt
zum Opfer entſchloſſen. Er verſpricht ſeiner
Mutter, erwerbe das Geheimniß ewig bewah¬
ren, ihre Ehre ihm heilig ſeyn. Felix wird
der Begleitung eines alten Paͤchters anvertraut,
der von dem Geheimniſſe weiß. Er ſoll nach
Paris gefuͤhrt werden, wo die Graͤfin fuͤr ihn
ſorgen will. Bei der Trennung giebt ſie ihm
Diamanten von großem Werthe und vieles
Geld mit. Der Knabe geht, und der Ver¬
lobte koͤmmt an. Baron Saintval hat immer
eine Art Kaͤlte in dem Betragen der Graͤfin
[293] gefunden, eine unerklaͤrliche Zuruͤckhaltung,
und der verſteckte Kummer in ihren Zuͤgen
war ihm nicht entgangen. War es Abneigung
gegen ihn, war es etwas Anderes— er wußte
es nicht zu deuten. Jetzt im Begriffe, ein
unaufloͤsliches Band zu knuͤpfen, ſuchte er die
Graͤfin auf die liebevollſte und zarteſte Weiſe
dahin zu bringen, daß ſie ihm ganz ihr Herz
oͤffne. Aber ſelbſt die edelſte Frau kennt den
engen Schmugglerpfad, der ſich zwiſchen, der
Wahrheit und der Luͤge hinſchlaͤngelt, und
weiß ſich durchzuſchleichen. Der Baron iſt be¬
ruhigt, iſt gluͤcklich und hofft, die Freundin
werde ihn noch lieben lernen. Der Ehever¬
trag wird unterzeichnet. —
Im zweiten Akte ſehen wir die Scene
in einem Walde. Dort, zwiſchen Felſen, iſt
eine Bande jener Brandſtifter verſammelt, die
im letzten Jahre der Regierung Karls X. ei¬
nen Theil Frankreichs verwuͤſteten, und deren
[294] Treiben man damals einer hoͤlliſchen Politik
der Regierung zuſchrieb. Die Brandſtifter
waren benachrichtigt, daß ſie von Soldaten
verfolgt wuͤrden, und da der Weg zu ihrem
Schlupfwinkel uͤber eine ſchmale Bruͤcke fuͤhrte,
die uͤber einen Abgrund hing, ſaͤgten ſie die
Balken, welche die Bruͤcke trugen, ſo durch,
daß man es aͤußerlich nicht wahrnahm, damit
ſie unter den nacheilenden Soldaten einbraͤche.
Jetzt kam Felix mit ſeinem Begleiter. Der
alte Paͤchter betrat zuerſt die Bruͤcke, ſie brach
und er ſtuͤrzte in die Tiefe, rettungslos.
Felix ſpringt entſetzt zuruͤck, ſchreit nach Hilfe,
und ſinkt mit herzzerreißendem Jammer be¬
ſinnungslos zu Boden. Ein alter Bettler von
der Mordbrenner-Bande giebt dem Knaben
liebreiche Worte, und bietet ſich an, ihn bei
hereinbrechender Nacht in eine nahe Paͤchters¬
wohnung zu bringen. Der Bettler wollte dieſe
gute Gelegenheit zu einer Schandthat benutzen.
[295] Ihm war von ſeinen Obern der Auftrag er¬
theilt worden, eben in jener Paͤchterswohnung
Feuer anzulegen, und Felix mußte ihm dazu
dienen, ſich mit guter Art dort einzufuͤhren.
Er begleitet den Knaben dahin. Dort bei
dem reichen Paͤchter war man gerade mit ei¬
nem froͤhlichen Erndtefeſte beſchaͤftigt. Der
Knabe, deſſen Ungluͤck der Bettler erzaͤhlt,
wird aufs liebreichſte aufgenommen; man ſucht
ihn zu beruhigen, man troͤſtet ihn. Um ſeine
Herkunft, um ſeine Eltern befragt, ſchweigt
Felix und weiſ't ſanft doch entſchloſſen die
Theilnahme zuruͤck. Das befremdet; doch die
guten Leute ſchreiben es dem Schrecken, der
Verwirrung des Knaben zu. Der Bettler wird
von den Paͤchters-Leuten fuͤr ſeine gutmuͤthige
Sorge um dem Knaben gelobt, beſchenkt und
eingeladen, die Nacht im Hauſe zuzubringen.
Er lehnt das Anerbieten unter einem Vor¬
wande ab und entfernt ſich. Dem krankmuͤ¬
[296] den Felix wird ein Lager bereitet. Als dieſe
eingeſchlafen und alles im Hauſe ruhig war,
ſchleicht ſich der Bettler ins Haus zuruͤck,
wirft eine Brandbuͤchſe auf ein Strohdach und
eilt davon. Der Vorhang faͤllt.
Im folgenden Akte ſehen wir die Paͤch¬
terswohnung, noch den vorigen Tage ein Sitz
des Wohlſtandes, des Gluͤcks und der Froͤh¬
lichkeit, in eine wuͤſte Brandſtaͤtte verwandelt,
und hoͤren das Jammergeſchrei der zu Grunde
gerichteten Landleute; Felix, von Gensd'armen
bewacht, bleich und zerſtoͤrt, ſteht vor dem
Maire und wird von ihm vernommen. Der
Verdacht der Brandſtiftung fiel auf ihn. Er
war der einzige Fremde im Hofe, ſein ge¬
heimnißvolles Weſen hatte gleich bei ſeinem
Eintritt Aufmerkſamkeit erregt, und uͤbrigens
war bekannt, daß Knaben zu ſolchen Brand¬
ſtiftungen gebraucht wurden. Felix ſoll dem
Unterſuchungsrichter ſeinen Namen, Wohnort
[297] und ſeine Herkunft angeben; er ſagt: das
muͤſſe er verſchweigen. Man unterſucht ſeine
Taſchen und findet Diamanten und Geld darin.
Woher er ſie bekommen, erklaͤrt er nicht.
Endlich wird er von einem der umherverſam¬
melten Landleute erkannt, der ihn fruͤher auf
dem Gute des Grafen Clairville geſehen. Felix
behauptet ſtandhaft, er kenne den Grafen
Clairville nicht. Es wird ihm angekuͤndigt,
er wuͤrde dahin gefuͤhrt werden. Der un¬
gluͤckliche Knabe, eingedenk ſeiner Mutter und
ihres fuͤrchterlichen Geheimniſſes, geraͤth in
Verzweiflung, fleht jammervoll, man moͤchte
ihn nur nicht auf das Gut des Grafen Clair¬
ville bringen, er wolle alles eingeſtehen. Ja
er habe die Diamanten und das Geld dort
geſtohlen, er habe das Feuer angelegt. Nach
dieſem Geſtaͤndniſſe war es um ſo noͤthiger,
ihn auf das Gut zu bringen, und Felix wur¬
de unter Bewachung, von dem Maire begleitet,
[298] nach Clairville gefuͤhrt. Dort wurde am nehm¬
lichen Morgen die Trauung der Graͤfin Clair¬
ville mit dem Baron Saintval vollzogen. Die
Neuvermaͤhlten kommen aus der Kirche, eine
glaͤnzende Geſellſchaft war im Salon verſam¬
melt, die Zeit vor dem Hochzeitmahle mit
Spiel, Muſik, Tanz zu verbringen. Die
Graͤfin war heiter, ihr Mann gluͤcklich. Da
wurde der Maire gemeldet, der in einer Sa¬
che, die das allgemeine Wohl betraͤfe, den
Herrn und die Dame des Hauſes ſprechen
muͤſſe. Man laͤßt ihn eintreten (Felix in ei¬
nem Wagen bewacht, bleibt unten im Hofe).
Der Maire wendet ſich an die Graͤfin, und
faͤngt ſeine Geſchichte zu erzaͤhlen an. Dieſe
begreift anfaͤnglich nicht. Man haͤlt ihr die
Diamanten und den Geldbeutel vor Augen,
die man bei Felix gefunden. Da wird es bei
der Graͤfin fuͤrchterlich Tag; doch noch faßt
ſie ſich. Sie erklaͤrt, ſie habe wirklich das
[299] alles dem Knaben geſchenkt. Der Maire er¬
wiederte: der Knabe ſelbſt bekenne, es geſtoh¬
len zu haben. Die Graͤfin begreift Felix Edel¬
muth, der, ihr Geheimniß nicht zu verrathen,
lieber freiwillig ein Verbrechen auf ſich nahm.
Der Maire erwiedert: wie ſie aus zartem Mit¬
leide den Diebſtahl, den der Knabe begangen,
verſchweige; aber die Gerechtigkeit duͤrfe ſich
nicht abwenden laſſen; der Knabe habe ſich
auch der Brandſtiftung ſchuldig gemacht, und
er muͤſſe ihn den Gerichten uͤberliefern. Auf
ſeinen Wink wird Felix in den Saal gefuͤhrt.
Die Graͤfin druͤckt ihn leidenſchaftlich, angſt¬
voll an ihre Bruſt. Felix fluͤſtert ihr zu, ſie
moͤge ſich nicht verrathen, er habe nichts aus¬
geſagt. Sie aber kann ihr Herz nicht mehr
bemeiſtern, ihre Mutterliebe bricht in lichte
Flammen aus, und ihr Gatte, ihr Vater,
die fremden Gaͤſte alle, vernehmen mit Ent¬
ſetzen aus ihrem Munde den Schmerzensruf:
[300]Felix iſt mein Sohn! Es war eine fuͤrch¬
terliche Scene. Ich erleichterte mir ſehr das
Herz, indem ich die alberne Figur betrachtete,
die der friſche Ehemann machte, als ihm die
lebendige Mitgift ſeiner Frau vorgezaͤhlt wurde.
Der alte Vater geraͤth in Verzweiflung. Er
zieht den Degen und will ſeine Tochter durch¬
bohren, die ihn entehrt hat. Er reicht den
Degen dem Baron und bittet ihn, in ſeinem
Blute die erlittene Beſchimpfung abzuwaſchen.
Die Graͤfin ſinkt ohnmaͤchtig nieder und der
Vorhang faͤllt. —
Im letzten Akte erſcheint die Graͤfin gefaßt.
Sie hatte den Schmerz ausgeleert, und es
blieb ihr nur noch ihre Pflicht uͤbrig. Sie
hat beſchloſſen in ein Kloſter zu gehen, und
von allen Sorgen des Lebens nur noch die
fuͤr ihren Felix zu behalten. Sie ſchreibt ihrem
Vater einen Brief, ihm die dunkle traurige
Geſchichte zu erklaͤren. Sie erwartet den Be¬
[301] ſuch ihres Mannes, der ſchon alle Anſtalten
zu ſeiner Abreiſe hat treffen laſſen, und ſie
zum Abſchied noch einmal ſehen wollte. Es
iſt eine dumpfe Scene, wobei einem wehe
wird. Der Baron liebt Amalie, aber hier
war keine Rettung fuͤr ſein Herz; es mußte
entſagen. Die Graͤfin erklaͤrt: es werde ihren
eigenen, es werde den Schmerz, den, wie ſie
hoffe, er ſelbſt empfinde, mildern, wenn ſie ihm
die Ueberzeugung gebe und er ſie mitnehmen koͤn¬
ne, daß ſie ſeiner Achtung nie unwuͤrdig war.
Sie wolle ihm darum ihre ungluͤckliche Ge¬
ſchichte erzaͤhlen. Achtung! Der Baron macht
ein Geſicht wie ein Schaaf. Er bittet ſie,
um Gottes willen zu ſchweigen; er wolle nichts
hoͤren; er liebe ſie, und es waͤre ihm zu
ſchmerzlich, erfahren zu muͤſſen, daß fruͤher als
er, ſchon ein Anderer ihre Liebe beſaß. Die
Graͤfin erwiedert mit leidenſchaftlicher Heftigkeit:
Liebe? ich geliebt? Jamais! Der arme Baron
[302] wird ganz verwirrt im Kopfe. Die Graͤfin,
von Schmerz und Schaam niedergeworfen, faͤllt
zu ſeinen Fuͤßen und erzaͤhlt folgendes: Vor
16 Jahren, im Jahre 1814, als ſich der
ſiegende Feind Paris nahte, habe ſie ihr Va¬
ter, ſie in Sicherheit zu bringen, auf ein
Gut eines ſeiner Paͤchter gefuͤhrt. In einer
Nacht wurde das Dorf uͤberfallen; alles ging
in Rauch und Flammen auf, alles wurde ge¬
pluͤndert, niedergemetzelt. Der Paͤchter ver¬
barg ſie, das ſechzehnjaͤhrige Maͤdchen, ſchnell
in eine dunkle Hoͤhle; kein Lichtſtrahl drang
hinein ... Sie war noch nicht dunkel genug
fuͤr die Erinnerung... Die Graͤfin haͤlt ſich
die Haͤnde vor die Augen — wir wiſſen alles.
Felix ihr Sohn, iſt 16 Jahre alt. Die Graͤ¬
fin erhebt ſich, und bricht in einen Strom
von Thraͤnen aus. Der aufhorchende Baron
wird immer ſtarrer und ſtarrer, bis er wie
zerſchmettert zu den Fuͤßen der Graͤfin nieder¬
[303] ſinkt. Er wolle die Geſchichte zu Ende er¬
zaͤhlen. Er fraͤgt nach dem Namen der Dor¬
fes, ſie nennt es ihm. Da zieht er einen
Ring vom Finger. Die Graͤfin, als ſie ihn
erblickt, ſchreit: es iſt der Ring von meiner
verſtorbenen Mutter, den ich damals getragen.
Der Graf: ein Verbrechen hat dich vor
ſechszehn Jahren zu meiner Gattin
gemacht! .. Und nun dieſes Gemiſch von
Wonne und Schmerz! Es war nicht zu dichten
und nicht zu ſpielen, aber es war zum Wei¬
nen. Felix tritt herein: der Baron durchwuͤhlt
ſeine Geſichtszuͤge, erkennt ſeine eigenen, und
druͤckt entzuͤckt den Knaben an ſein Herz, dem
er kurz vorher das Herz haͤtte durchbohren
moͤgen ... Iſt das nicht die ſchoͤnſte garſtige
Geſchichte von der Welt, und muß man nicht
erſtaunen, daß der Menſch ſeine Phantaſie
foltert, um Leiden von ihr zu erfahren, die das
boshafteſte Geſchick dem Menſchen nie angethan?
Die Ungluͤckſeligen! Sie laſſen uns ja keine
Ruhe, ſie verhoͤhnen unſere Friedlichkeit, und
fordern uns zu einem Kampfe heraus, den ſie
fliehen, ſobald wir ihn angenommen! War ich
doch vorgeſtern auf dem Wege, ein ordentlicher
Menſch zu werden und ein Schriftſteller von
Gerſtenzucker. Ein Maͤhrchen hatte ich im Ko¬
pfe und eine Novelle, und beide — ich ſchmeichle
mir gewiß nicht zu viel — haͤtten in der Wie¬
ner Theaterzeitung gedruckt werden duͤrfen. So
war ich, und heute bin ich wieder ein [ſchreckli¬
cher] Nußknacker. Alle zerbrochene Schaalen
moͤgen uͤber die kommen, die mich verhindert,
mein Maͤhrchen und meine Novelle zu vollenden.
Montag ging ich um zwei Uhr aus dem Hauſe,
um mein taͤgliches Bewegungs-Penſum abzu¬
[305] laufen: die Boulevards entlang bis auf den
Baſtillen-Platz, und von da am Waſſer zuruͤck.
In der Paſſage de l'opéra kaufte ich mir
ein Zahnpulver, Poudre-naqueut dentifrice
balsamique, pour donner aux dents la blan¬
cheur de l'ivoire. Ich las im Gehen den Zet¬
tel, in den das Schaͤchtelchen gewickelt war. Es
war Wiegen-Eyapopeija fuͤr mein unruhiges
Herz. Wie Herr Naquet ſagt: „Als ich wegen
„herannahenden Greiſen-Alters, und meiner hin¬
„faͤlligen Geſundheit, meinen Parfuͤmerie-Han¬
„del aufgab, wollte ich ein Kunſtwerk zum Vor¬
„ſchein bringen, auf das ich die Sorgen meines
„ganzen Lebens verwendet, ohne doch je das ge¬
„wuͤnſchte Ziel erreichen zu koͤnnen. .... Auf
„dem Lande, wohin ich mich zuruͤckzog, im Schoo¬
„ſe der Einſamkeit und des ſuͤßern Friedens, ge¬
„lang es mir endlich, nach einer unzaͤhligen
„Menge von Verſuchen, ein balſamiſches
„Zahnpulver zu Stande zu bringen ....
III. 20[306] „Weder die glaͤnzenden Anerbietungen meiner
„Nachfolger; weder die Sorgen, noch die uner¬
„muͤdete Geduld, die ein ſo großes Werk erfor¬
„dert, noch die große Zahl der angeblichen Pſi¬
„lodantes, die man unter praͤchtigen Titeln
„der Welt darbietet — nichts, nichts konnte
„meinen Entſchluß wankend machen. Und ich
„hatte recht.... Der Menſchheit nuͤtzlich zu
„ſeyn, den Frauen zumal, war immer mein
„einziger Wunſch und wird es immer bleiben....
„Der Mund, die Wohnung der Grazien und
„der zauberiſchen Schoͤnheit, zog ſchon von der
„fruͤhſten Jugend an all mein Denken auf ſich,
„ich weihte ihm meine Sorgen und meinen Ei¬
„fer, und ich war gluͤcklich genug, der Welt ei¬
„nige Erzeugniſſe darzubieten, die mir ihren Bei¬
„fall erwarben. Doch, ich darf es kuͤhn behaup¬
„ten, nie gab ich ihr ein Zahnpulver, das die¬
„ſem gleicht; ein Zahnpulver, das, indem es
„die Zaͤhne weiß macht, ihren Schmelz bewahrt,
[307] „das Zahnfleiſch befeſtigt, und in dem Munde
„ein ſchimmerndes Hochroth, und einen Balſam-
„Duft verbreitet .... Soll ich von der All¬
„macht jenes Zauberbuͤchleins ſprechen, wenn es
„dem entzuͤckten Blicke eine Doppelreihe von
„Perlen darbietet, die zwiſchen glaͤnzenden Co¬
„rallen ſchimmern? Nein, hochberuͤhmte Dichter,
„anmuthige Federn haben dieſen Gegenſtand be¬
„handelt, meine Farben werden bleich erſcheinen
„neben jenen. Ich habe mehr gethan. Ich ha¬
„be mich mit etwas beſchaͤftigt, das nicht weni¬
„ger ſchwer, doch weit nuͤtzlicher iſt, als die Be¬
„ſchreibung eines ſchoͤnen Mundes; ich habe das
„Mittel geſucht, und nach langen muͤhevollen
„Arbeiten es gefunden, wie man den Mund
„immer ſchoͤn erhalte. Die Schachtel koſtet 3 Fr.
„50 c., eine halbe 2 Fr...“ Und ſo traͤum¬
te ich mich in das Maͤhrchen hinein: Von der
ſchoͤnen holdſeligen Fee Conferenz, deren
Mund laͤchelte wie Morgenroth, deren Zaͤhne
20 *[308] glaͤnzten wie Sonnenſtrahlen, und wo ſie vor¬
uͤberſchwebte, verwandelte ſie Tag in Nacht. Die
ſchlafenden Voͤgel erwachten und ſangen ihr Mor¬
genlied. Die Blumen neigten ihr Haupt vor
ihr. Was lebte, zog ihr jubelnd entgegen. Und
ſie feſſelte einen Koͤnigsſohn, der ſich in Liebe
fuͤr ſie verzehrte. Er ermordete ſeinen Vater,
und dann fuͤhrte ſein eignes Volk ihn auf das
Blutgeruͤſte. Ehe ſein Haupt fiel, rief der Un¬
gluͤckliche die Rache des Himmels an. Die Fee
war eine boͤſe giftige Zauberin. Da beruͤhrte
ſie ein guter Geiſt, der maͤchtiger war als ſie,
mit leichter Hand, und ſie zerſtiebte in ein blut¬
rothes Pulver ... An der Ecke der Richelieu-
Straße war das Maͤhrchen fertig.
Einige Schritte weiter, bey den Varie¬
tés, umgab ein großer dichter Menſchenkreis ein
Frauenzimmer von etwa vier und dreißig Jah¬
ren, in deren blaſſen Zuͤgen Spuren einer gro¬
ßen Schoͤnheit zu erkennen waren. Sie war
[309] nicht vornehm, aber anſtaͤndig und reinlich ge¬
kleidet. Sie kniete auf dem regenfeuchten Bo¬
den und herzte einen alten garſtigen Pudel, der
frohlockend an ſie heraufſprang. Was um ihr
her geſprochen, gelacht wurde, kuͤmmerte ſie nicht,
ſie hatte die Welt vergeſſen uͤber ihren Fund.
Am Morgen hatte ſie ihn auf der Straße ver¬
lohren, und nach einigen Stunden, an dieſer
Stelle — ein Wunder in Paris — ihn wieder
gefunden. Ich machte eine Novelle daraus. Von
dem Hunde des treuloſen Geliebten.
Er kam nicht wieder. Am dritten Abend ver¬
geblichen, ſchmerzlichen Erwartens, ſcharrte es
an Antoniens Thuͤre. Sie oͤffnete ſie, und blieb
mit ſprachloſem Entzuͤcken ſtehen. Es war der
Hund des Geliebten. Sie horchte nach ſeinem
Tritte, ſie lehnte ſich uͤber das Treppengelaͤnder
und ſchaute hinab. Er kam nicht. Da verfiel
ſie in ſtillen Wahnſinn. Jeden Abend ſetzte ſie,
wie ſie es gewohnt war, zwei Gedecke auf den
[310] Tiſch. Auf einem Stuhle neben ihr ſaß der
Hund, dem ſie den Namen Heinrich gab. Sie
legte ihm das Eſſen auf den Teller. „Willſt
du denn davon nicht, Heinrich? das haſt du ja
immer gern gehabt;” dann brach ſie in Thraͤ¬
nen aus und warf ſich jammernd auf die Erde.
Der Hund ſprang vom Stuhle und wimmerte
zu ihren Fuͤſſen ...
Jetzt kam ich an die Montmartre-Straße.
Da ſah es aus, wie in einem Feldlager. Dra¬
goner, Huſaren, Gensd'armen, Fußvolk, zahl¬
loſe Schaaren von Polizei-Wachen, hielten die
Straßen beſetzt, die von den Boulevards ſeit¬
waͤrts fuͤhren. Große Soldaten-Trupps zogen
auf und ab. Ich fragte einige aus dem zahl¬
reich verſammelten Volke, was das bedeute?
Die Studenten hatten ſich vereinigt, in feier¬
lichem Zuge dem General Romarino, der in der
Straße Montmartre wohnte, eine Ehrenfahne
zu uͤberreichen. Die bewaffnete Macht jagte ſie
[311] zuruͤck und zerſtreute ſie mit unerhoͤrter Mis¬
handlung. Da ergrimmte ich wieder, und fort
Maͤhrchen, fort Novelle! Ich verſtand das gleich.
Wort fuͤr Wort wußte ich vorher, was Caſimir
Perrier an dieſem Tage (er ſollte uͤber die Lyo¬
ner Graͤuel Rechenſchaft geben) in der Kammer
ſagen, was ſeine Papagayen auf der Boͤrſe und
in den Zeitungen ihm nachplaudern wuͤrden.
Schon den Tag vorher waren die Studenten
in gleich großer Zahl zu den polniſchen Gene¬
ralen gezogen. Die Polizei ſetzte ſich nicht ent¬
gegen und alles lief ruhig ab. Kein Buͤrger
zeigte Furcht, kein Laden wurde geſchloſſen, der
Verkehr nicht im geringſten geſtoͤrt. Den fol¬
genden Tag hatten die Miniſter ſich gegen den
vorausbekannten Angriff der Oppoſition zu ver¬
theidigen. Es that ihnen Noth, ihren Soͤldner¬
trupp und ihr Angſtgefolge enge zuſammenzu¬
ziehen und zum Kampf anzufeuern. Der Zug
der Studenten kam ihnen erwuͤnſcht entgegen.
[312] Man ſtellte ſich, als habe man Furcht, um bei
den Buͤrgern Furcht zu erregen. Man ließ die
bewaffnete Macht auf den Straßen toben.
Schrecken verbreitete ſich. Die Laͤden wurden
geſchloſſen. Das wollte man. Die Kaufleute,
die gerade um dieſe Weihnacht-Zeit mehr ver¬
kaufen in einer Woche, als ſonſt in ganzen
Monaten, ſollten gegen die Maͤnner der Frei¬
heit, der Bewegung, gegen die Unruheſtifter
murren, und ihren Schmerz und ihren Zorn der
Rache ihres Kraͤmer-Gottes, Caſimir Perrier,
uͤberlaſſen. Bei ſolchem ſchaͤndlichen, kleinlich
tuͤckiſchen Treiben der Staats-Gewalt — kann
man da Novellen ſchreiben? Nein. Ich verfaßte
eine donnernde Zornrede, breit und erhaben wie
keine fruͤher; zehn Galgen hoch. Nicht dieſen
Perrier allein, alle Perriers Europa's hatte ich
niedergeſchmettert. Ich hatte mich abgekuͤhlt
und war zufrieden mit mir. Aber wie wurde
ich beſchaͤmt! Ich kam bis auf den Boulevard
[313] duͤ Temple. Wie wurde ich da beſchaͤmt von
einem Manne, der ſprachlos da ſtand, aber mit
einer einzigen Bewegung die Regierung beredt¬
ſamer ſtrafte, als ich mit tauſend Worten es
gethan. Es war ein ſtattlicher kraͤftiger Mann
aus dem Volke, mit ſonnenbraunem Geſichte,
feurigem Blicke, buſchigen Augenbrauen. Er
trug Beinkleider und Hausmuͤtze eines Natio¬
nalgardiſten; den Rock hatte er abgelegt, und
die zuruͤckgeſtuͤlpten Hemdaͤrmel zeigten nervige
Arme, zum Dreinſchlagen geuͤbt und ſtets be¬
reit. Dieſer Mann war eine Wachsfigur.
Erfahren Sie vorher, daß man hier ſeit einem
Jahre die abgenutzten, altherkoͤmmlichen Wachs¬
figuren vervollkommnet hat. Durch mechaniſche
Vorrichtung hat man ihnen Bewegung gegeben;
ob allen, oder nur denjenigen, die außer den
Buden zum Anlocken ſtehen, weiß ich nicht, da
ich nie in eine ſolche eingetreten. Der Mann,
von dem ich ſpreche, der Muſter-Franzoſe, ſtand,
20*[314] ſo wie ich ihn beſchrieben, mit verſchraͤnkten Ar¬
men unter einem kleinen Zelte, deſſen Inneres
eine Landſchafts-Dekoration vorſtellte. Es war
eine Felſengegend, im Hintergrunde das Thor
einer Stadt oder eines Dorfes. Der Mann
ſchien aus der Fremde in die Heimath zuruͤck¬
gekehrt zu ſeyn. Jetzt erhob er den Kopf und
ſah ſich im Vaterlande umher. Trauer und
Schmerz, Zorn und Verachtung malten ſich in
ſeinen ſchwarzen Augen. Jetzt ſenkte er Kopf
und Blick zur Erde, und eine Bewegung des
Mitleids zuckte ihm durch Arme und Schultern,
leiſe und truͤbe, wie der Schatten einer Wolke.
Doch, hat vielleicht meine Phantaſie das alles
in den Mann hineingedichtet, oder mein Spott
hineingelogen? Nein, nein. Ueber ſeinem Kopfe
hing eine Tafel, worauf mit großen Buchſta¬
ben: France geſchrieben war. Haͤtte Louis
Philipp dieſes trauernde Frankreich von Wachs
geſehen, es waͤre ihm durch Mark und Bein
[315] gedrungen — oder er waͤre kein Menſch, und
dann waͤre nichts Menſchliches von ihm zu for¬
dern. Ich aber ſchaͤmte mich meiner Rede aus
Worten. Waͤre ſie geſchrieben geweſen, haͤtte
ich ſie verbrannt; da ſie nur gedacht war, warf
ich ſie in den Lethe.
Guten Morgen, ob Sie es zwar nicht ver¬
dienen. So heruntergebracht haben Sie mich,
ſo demuͤthig haben Sie meine Hoffnung ge¬
ſtimmt, daß ich nicht einmal heute einen Brief
erwarte, ob es zwar der ſechste Tag iſt, daß
ich Ihren Letzten erhalten.
Alſo mein Eduard hat Ihnen ſo ſehr ge¬
fallen, daß Sie ihn umarmt haben? Der gluͤck¬
liche Eduard! Er iſt juͤnger als ich.
In der Muͤnchner Hofzeitung wurde geſtern
wieder einmal geraſſelt. Ich glaube, man ſieht
[316] die deutſchen Leſer fuͤr Voͤgel an. Ach, daß es
nicht wahr waͤre! Es iſt zum Erſtaunen, wie
gemein und ſchlecht jenes Ariſtokraten-Manifeſt
wieder geſchrieben iſt. Es ſcheint, die Miniſter
dort laſſen ihre Kriegs-Artikel von ihren Koͤ¬
chen verfertigen. So ſehr hat die Macht allen
Kredit verlohren, daß ſich nicht einmal ein
Worttroͤdler findet, der, die Armuth ihrer Ge¬
ſinnung zu bedecken, ihnen auf einen Tag einen
anſtaͤndigen Rock leiht. Wie habe ich es dies¬
mal getroffen, wie genau habe ich alles vorher
berechnet! Es war mir klar, daß es jetzt dar¬
auf ankaͤme, jetzt wo der Kampf in Deutſch¬
land beginnt, kein Juſte-Milieu aufkommen zu
laſſen, das die Streitenden trennend, ſich bald
dort, bald hier hinneigend, um von beiden Sei¬
ten Vortheil zu ziehen, einen ſumpfigen Frieden
bildet, der die Luft verpeſtet und nur den qua¬
kenden Froͤſchen wohl thut. Die Franzoſen ha¬
ben kein Temperament zum Juſte-Milieu. Was
[317] wir jetzt ſehen, iſt nur ein kuͤnſtliches Schau¬
kelſyſtem, das keine Dauer haben wird. Bald
wird das Bret den Schwerpunkt verlieren, und
auf der einen oder andern Seite uͤberſchnappen.
Die Deutſchen aber bilden einen gebohrnen Mit¬
telſtand. Die ſchaukeln nicht, ſie nageln den
Wagebalken feſt, ſchmieden eiſerne Klammern
daruͤber, legen noch Felſenſtuͤcke darauf, und zu
groͤßerer Beruhigung ſich ſelbſt mit ihrer gan¬
zen Breite, und ſolche gutverwahrte, nichts ent¬
ſcheidende Gleichguͤltigkeit koͤnnte noch manche
zehn Jahre uͤberdauern. Darum ſchien mir gut,
meine Geſinnung und deren Ausdruck auf das
aͤußerſte zu treiben, um meine Gegner zu ver¬
leiten, daß ſie das nehmliche thun. O ganz
praͤchtig iſt mir ſchon mancher in die Falle ge¬
kommen! Es giebt keinen beſſeren Jagdhund,
das Lager der Tyrannei aufzufinden, als ich
einer bin; ich wittere ſie auf hundert Stunden
weit. Die Muͤnchner Sau habe ich auch her¬
[318] aus geſtoͤbert. In meinen Briefen ereiferte ich
mich daruͤber, daß kein Deutſcher in Paris an
den Kaͤmpfen der Julitage Theil genommen.
Von den deutſchen Handwerksburſchen, bemerkte
ich, wundre mich das nicht. Dieſe haͤtten bei
Freiheit und Gleichheit nichts zu gewinnen;
denn waͤhrend ihrer Jugend duͤrften ſie betteln,
und im Alter die Zunfttyrannen machen. Das
machte den bairiſchen Diplomaten-Lehrjungen
den Kopf verlieren, und er ſchrie auf: Seht
Ihr, ſeht Ihr, wie thoͤrigt Ihr ſeyd mit Eurer
Staatsreform? Seht Ihr, wie die Zunftver¬
faſſung gedankenloſe, folgſame, leicht zu regie¬
rende Unterthanen bildet? Und Ihr wollt die
Zuͤnfte aufheben? .. So haben ſie fruͤher nicht
geſprochen. Das Zunftweſen war der Herrſch¬
ſucht immer lieb geweſen; aber ſie vertheidig¬
ten es mit ſchoͤnen Worten von Buͤrgerwohl¬
ſtand, Flor der Gewerbe; das Geheimniß ihrer
ſchlauen Staatskunſt verriethen ſie nie dem
[319] Volke. Ich werde Ihnen in meinem naͤchſten
Briefe noch andere Geſchichten erzaͤhlen, wie ich
durch Feuer und Rauch die verborgene Schel¬
merei aus ihrer Hoͤhle hervorgelockt. Die mini¬
ſterielle Klatſch-Lieſe in Muͤnchen, um meine
Ehre zu verdaͤchtigen, um meinen Muth herab¬
zuſetzen, erinnert mich an einen „gewiſſen Vor¬
fall auf dem Frankfurter Komoͤdienplatz“ und
meint, es kaͤme mir nicht zu, den Deutſchen
ihre Feigheit in Paris vorzuwerfen. Wenn man
etwas beſchaͤmendes von mir wußte, warum er¬
zaͤhlte man denn den Vorfall nicht? Sollte
man etwa auf eine alte Geſchichte mit dem
Schauſpieler Heigel anſpielen? Aber damals
hat ſich das Chriſtenthum ſehr hundsvoͤttiſch be¬
nommen; ich aber habe mich als tapferer Mak¬
kabaͤer gezeigt. Jude, Jude! das iſt der letzte
rothe Heller aus der armſeligen Sparbuͤchſe ih¬
res Witzes. Aber nach allem, ich wollte, es
gaͤbe mir Einer die drei Louisd'or zuruͤck, die
[320] ich fuͤr mein Chriſtenthum dem Herrn Pfarrer
verehrt. Seit achtzehn Jahren bin ich getauft
und es hilft mich nichts. Drei Louisd'or fuͤr
ein Plaͤtzchen im deutſchen Narrenhauſe! Es
war eine thoͤrigte Verſchwendung.
Geſtern bin ich geſtoͤrt worden, den Brief
zu endigen und abzuſchicken, wie ich es ge¬
dachte. Erſtens, durch Ihren praͤchtigen fuͤnf¬
ſeitigen Brief. Dann geſtoͤrt durch einen
Brief, den ich gleichzeitig von Campe erhielt;
dann durch uͤberſchickte Zeitungen; dann durch
einen andern Zeitungs-Artikel aus Deutſchland,
den man mir mitgetheilt; endlich durch die
Bewegung, die das alles in mir hervorge¬
bracht. Es war eine freudige Bewegung,
das ſchwoͤre ich Ihnen. Es geht ja alles
[321] herrlicher, als ich zu traͤumen gewagt. Wenn
Sie hoffen, die Nachricht von der Entziehung
meiner Penſion wuͤrde ich nicht als eine per¬
ſoͤnliche Sache anſehen, ſondern es zum gro¬
ßen Ganzen rechnen — laſſen Sie meinem
Herzen Gerechtigkeit wiederfahren. Nicht ge¬
nug Gerechtigkeit laſſen Sie aber meinem Ko¬
pfe wiederfahren, wenn Sie glauben, ich wuͤr¬
de das zu den Ungluͤcksfaͤllen dieſer truͤben
Tage zaͤhlen. Es iſt ja keine Niederlage, es
iſt ein Sieg der guten Sache. Kann mir
denn etwas willkommener ſeyn, als daß ich
ihre Leidenſchaft entflammt, ſie dahin gebracht,
in ihre hoͤlzerne mechaniſche Tuͤcke Blut und
Leben zu bringen, und aus gluͤhendem Haſſe
zu thun, was ſie fruͤher nur mit eiskalter
Politik begangen? Die Frankfurter Regierung
hatte gar nicht das Recht, mir Penſion zu
entziehen; denn nicht ſie, ſondern die deutſche
Bundesverſammlung hatte mir, wie allen
IIl. 21[322] Staatsdienern des Großherzogthums Frankfurt,
die Penſion zuerkannt. Der Senat glaubte
auch gewiß nicht, das Recht zu haben, dachte
auch nimmermehr daran, es ſich anzumaßen;
aber irgend ein Diplomat befahl, drohte viel¬
leicht und der feige Senat gehorchte angſtzit¬
ternd wie immer. Daß man mir ſagen ließ,
ich ſolle nach Frankfurt kommen, um ein Amt
zu uͤbernehmen, das — ich glaube es gern, um
meiner Verachtung eine Graͤnze zu ſetzen —
war ein Vorwand, um, wenn ich der Ein¬
ladung nicht folgte, mir die Penſion nehmen
zu koͤnnen. Der Senat weiß recht gut, daß
noch weniger, als ich mich dazu verſtuͤnde, in
Frankfurt ein Amt zu bekleiden, er ſich dazu
verſtehen wuͤrde, mir eins zu uͤbertragen. Das
glaube ich. Aber nimmermehr kann ich glau¬
ben, daß man mich nach Frankfurt hat locken
wollen, um mich der Rache Oeſterreichs oder
Preußens auszuliefern. Es waͤre zu ſchaͤnd¬
[323] lich, zu niedertraͤchtig! Daß Herr von Quaita
gleich nach Erſcheinen meiner Briefe geaͤußert,
man werde mir meine Penſion entziehen, das
war natuͤrlich. Er konnte es fruͤher wiſſen,
als der Senat, denn er iſt das Sprachrohr
der lispelnden Diplomatik, und was man in
Wien fluͤſtert, ſchreit er den alten Buͤrgern
im Roͤmer zu. Den Senator von Heiden, ich
kenne ihn. Ja ich ſehe ihn roth werden; er
iſt ein edler Menſch. Ich ſelbſt erroͤthete dar¬
uͤber, ich, den doch die Schandthat getroffen,
der ſie nicht begangen. Ruhen laſſen will
ich die Sache gerade nicht. Helfen wird mir
keine Klage; der Bundestag, der hier entſchei¬
det, iſt ſelbſt Parthei. Zuerſt waͤre abzuwar¬
ten, daß mir der Senat ein Dekret ſeines
Beſchluſſes zukommen laͤßt. Reden Sie mit
*** daruͤber, ob ein ſolches zu erwarten, wenn
nicht, wie ich eine ſolche Mittheilung erzwin¬
gen kann. Er moͤge mir auf jeden Fall eine
21*[324] Vollmacht zum Unterzeichnen ſchicken, dann
wollen wir uns daruͤber beſprechen. Die Sache
ſoll oͤffentlich werden, das iſt meine gute Ab¬
ſicht. Zu gewinnen iſt unmoͤglich. Wenn die
Frankfurter Advokaten etwas in Maſſe fuͤr
mich thaͤten, ſo waͤre es ſchoͤn; aber ich hoffe
es nicht. Wenn es R. gut findet, will ich
einen offenen Brief an die Advokaten drucken
laſſen, und ihn nach Frankfurt ſchicken. Ich
muß aber darin ſprechen duͤrfen auf meine
Weiſe. Das, fuͤrchte ich, ſchuͤchtert ihren guten
Willen zuruͤck. R *** Rath werde ich auf
keine Weiſe in dieſer Sache verſchmaͤhen, ſo¬
bald er mir nur frei laͤßt, meine Angelegen¬
heit an die allgemeine zu knuͤpfen. Fuͤr mei¬
nen perſoͤnlichen Vortheil allein habe ich eine
ſchwache Zunge und eine ſtumpfe Feder. —
Die Angſt fuͤr mein Naſſauer Geld iſt laͤcher¬
lich. Wie koͤnnen Sie denken, daß ein Staat
aus einer kleinlichen Rache ſeinen ganzen Kre¬
[325] dit umſtoßen ſolle? Aber Euere Furcht iſt be¬
zeichnend genug. Wie weit muß es in Deutſch¬
land gekommen ſeyn, daß man ſolche Gewalt¬
thaͤtigkeiten fuͤr moͤglich haͤlt?
Aus Campe's Brief theile ich Ihnen in
meinem Naͤchſten einiges mit. Heute nur, ſo
viel das Papier verſtattet. Menzel ſchrieb
ihm: „Sie werden meine in dieſen Tagen er¬
„ſchienene Kritik der Boͤrneſchen Briefe erhal¬
„ten. Kein Verbot, keine Winkelkritik, wird
„je im Stande ſeyn, Boͤrne den wohlverdien¬
„ten Lorbeerkranz zu entreißen. Sein Genie
„ſichert ihm fuͤr alle Zukunft eine der ehren¬
„vollſten Stellen unter den erſten unſerer Lite¬
„ratur. Sein edles Zornfeuer macht ihn jedem
„wahren Patrioten im hoͤchſten Grade achtungs¬
„werth. Selbſt das frivole Hundegebell, das
„ſich gegen ihn erhebt, ehrt ihn, und die
„Nachwelt wird es erkennen.“
In einem neuen Zeitungs-Artikel gegen
meine Briefe heißt es unter andern Merkwuͤr¬
digkeiten: ich waͤre erboßt gegen alle Leute
von Rang und Stand, weil ich ſelbſt kein
Hofrath waͤre; erboßt gegen die Reichen, weil
ich arm ſey; erboßt gegen die Fuͤrſten, weil
ich keine Hoffnung haͤtte, je ſelbſt ein
Fuͤrſt zu werden. Iſt das nicht himmliſch?
Reden Sie. Ich arm? Iſt mein Herz allein
nicht eine Million werth? Ich lege die ganze
Million zu Ihren Fuͤßen. Verſchmaͤhen Sie
ſie nicht; ich kann doch noch einmal Fuͤrſt
werden. In Verſteigerungen kauft man oft
die koſtbarſten Sachen um weniges Geld.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Briefe aus Paris. Briefe aus Paris. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjtr.0