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Theorie
von der
Generation.


in
zwo Abhandlungen

erklaͤrt und bewieſen


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Berlin,:
gedruckt bey Friedrich Wilhelm Birnſtiel.
1764.

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Vorrede.


Jch habe dieſe Schrift anfaͤng-
lich nicht in der Abſicht ver-
fertiget, um ſie drucken zu laſ-
ſen. Einige meiner guten Freunde, worun-
ter der ſeel. Herr Dokt. Guſtav Mat-
thias Ludolf,
deſſen Andenken mir immer
ſchaͤtzbar bleiben wird, der vornehmſte war,
verlangten von mir, daß ich Jhnen einen
Auszug aus meiner Jnauguraldiſſertation,
die eine Theorie der Generation enthielt, ma-
chen ſollte. Dieſer Auszug ſollte nur die
allgemeine Entſtehungsart der Theile eines
organiſchen Koͤrpers in ſich faſſen; in die be-
ſondere Umſtaͤnde und Urſachen, die zur For-
mation dieſes oder jenen Theiles beſonders
)( 2erfor-
[]Vorrede.
erfordert werden, ſollte ich mich nicht einlaſ-
ſen. Jch ſollte erklaͤren, wie ſowohl bey
Pflanzen, als auch bey Thieren, Gefaͤße
entſtehen; warum dieſe ein Herz haben, und
jene nicht; wie ferner uͤberhaupt ſolche Thei-
le bey beyden entſtehen, die aus andern klei-
nern Theilen zuſammengeſetzt ſind, und zu-
ſammengenommen unmittelbar den ganzen
Koͤrper ausmachen, wie bey den Pflanzen
die Blaͤtter, der Kelch, die Saamenkapſel;
bey den Thieren die Fuͤße, die Fluͤgel, die
Nieren u. ſ. w. ſind. Was aber erfordert
wird, wenn an dieſem Orte Blaͤtter, nicht ein
Kelch, an einem andern ein Kelch und keine
einfache Blaͤtter, und wieder an einem an-
dern ein Saamenbehaͤltniß und kein Kelch
herfuͤrgebracht wird, darum ſollte ich mich
nicht bekuͤmmern; im Gegentheil aber ſollte
ich nunmehro auch dieſe allgemeine Grund-
ſaͤtze der Theorie von der Generation deutli-
cher erklaͤren, alles weitlaͤuftiger aus einan-
der ſetzen, und mich uͤberhaupt dabey einer
Schreibart bedienen, die weniger methodiſch
und kurz, aber um eben ſo viel leichter und
angenehmer iſt. Beſonders ſollte ich um-
ſtaͤndlicher erklaͤren, was es mit der Con-
ception
[]Vorrede.
ception fuͤr eine Bewandniß hat. Jch habe
dieſes alles gethan, und mein Manuſcript
verrichtete das, wozu es beſtimmt war.


Nunmehro aber haben ſich die Um-
ſtaͤnde geaͤndert. Mein Freund lebt nicht
mehr; hingegen habe ich von Ew. Hoch-
wohlgebohren dem wuͤrklichen Leib-
Medico Sr. Koͤniglichen Majeſtaͤt auch
General-Stabs-Medico der Koͤnigli-
chen Armeen, Herrn Geheimen Rath
Cothenius, Deſſen
bey vielen Gelegen-
heiten mir bezeigtes guͤtiges Wohlwollen
hier oͤffentlich mit Dank zu erkennen, ich
fuͤr meine Pflicht erachte, die Erlaubniß er-
halten, hier die Phyſiologie und andere Col-
legia zu leſen, ſo wie dieſes ſchon ehedem
bey dem Lazareth in Breslau eine von
Ew. Hochwohlgebohren mir aufgetrage-
ne Funktion geweſen iſt. Es liegt mir
jetzo eben ſo viel daran, meinen Zuhoͤrern
einen vollſtaͤndigen Begriff von dem Gene-
rationsgeſchaͤfte zu machen, als mir da-
mals daran gelegen war, meinen Freun-
den meine Entdeckung in dieſer Sache um-
ſtaͤndlich zu erklaͤren. Das iſt die Urſache,
)( 3warum
[]Vorrede.
warum ich mich entſchloſſen habe, mein al-
tes Manuſcript wieder hervor zu ſuchen und
es drucken zu laſſen.


Allein es iſt noch eine andere Urſache,
die mich eben ſo ſehr, als die vorige dazu
bewogen hat. Herr Bonnet hat in ſei-
nen Betrachtungen uͤber die organiſchen
Koͤrper ſich angelegen ſeyn laſſen, das be-
kannte Syſtem des Malpigh von der
Evolution zu vertheidigen. Er hat accu-
rat diejenige Beweiſe, die ſich aus meinen
Beobachtungen zum Vortheil der Epigene-
ſis hernehmen laſſen, mit groſſem Eifer be-
ſtritten; aber ich habe noch andere Gruͤn-
de, wodurch ich gewiß verſichert bin, daß
Epigeneſis uͤberhaupt bey ihm eigentlich
ſo viel als meine Theorie insbeſondere
und vornehmlich
bedeutet. Seine
Schreibart iſt uͤbrigens ſo beſchaffen, daß
man daraus urtheilen ſollte, er habe die
Evolution auſſer allen Zweifel geſetzt; das
Wort demonſtriren iſt ſein gewoͤhnlicher
Terminus. Da aber ſeine angefuͤhrte
Gruͤnde das Weſentliche der Sache nicht
beruͤhren, und nur denenjenigen, die ſich in
die
[]Vorrede.
die hieher gehoͤrige Unterſuchungen und Ex-
perimente nicht beſonders eingelaſſen haben,
wahrſcheinlich vorkommen koͤnnen; ſo habe
ich geglaubt, es ſey accurat meine Sache,
dieſes zu zeigen. Jch hatte in meinem
Manuſcript die Jdee von einer Theorie
der Generation entwickelt, und eine Hiſto-
rie von den vornehmſten Meynungen uͤber
dieſelbe beygefuͤgt, um dieſe mit jener zu
vergleichen. Zu dieſen habe ich alſo die
Widerlegung der Einwuͤrfe des Herrn
Bonnet hinzugeſetzt, und daraus iſt die
vorlaͤufige Abhandlung entſtanden.


Der Herr Baron von Haller, den
ich fuͤr denjenigen erkenne, der am beſten
die Unterſuchungen in dieſem Theile der
Phyſick zu beurtheilen im Stande iſt, deſ-
ſen Ausſpruͤche auch uͤberhaupt in allen dem-
jenigen, was die Natur des thieriſchen Koͤr-
pers betrift, allezeit bey mir ein großes Ge-
wicht haben werden, dieſer große Ge-
lehrte hatte mir die Ehre erzeigt, nicht nur
in Briefen, ſondern auch oͤffentlich in den
Goͤttingiſchen gelehrten Anzeigen ſeine Ge-
danken uͤber meine Theorie zu eroͤffnen,
)( 4und
[]Vorrede.
und mir einige Zweifel wider dieſelbe vorzu-
ſtellen: ich habe mich alſo auch zugleich be-
muͤhet, dieſe Zweifel aufzuloͤſen, und zu dem
Ende habe ich auch zu der vorlaͤufigen Ab-
handlung die Recenſion hinten beydrucken
laſſen.


Uebrigens habe ich in der Theorie ſelbſt,
die in der zwoten Abhandlung enthalten iſt,
nicht nur den ehemaligen Auszug, wie er
Anfangs war, mehr erweitert, und dabey
dennoch aber allenthalben auf die Deutlich-
keit und Leichtigkeit des Vortrages geſehn,
ſondern auch verſchiedene Sachen hin und
wieder hinzugeſetzt, die in meiner Diſſerta-
tion nicht befindlich ſind.


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Jn-
[]
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Jnhalt.


Erſte Abhandlung.


  • 1. Abſchnitt.
    • Begriff einer Theorie von der Generation.  1
    • Jn den bisher bekannten Schriften von der Gene-
      ration iſt keine Theorie von derſelben ent-
      halten.   2
    • Erklaͤrung des Wortes Generation.  7
    • Beſchaffenheit einer Theorie von derſelben.   7
    • Unterſcheid dieſer Theorie von der Phyſiologie.   11
  • 2. Abſchnitt.
    Hiſtorie der verſchiedenen Hypotheſen von
    der Generation.

    • Erſte Klaſſe. Hypotheſen der Alten.   14
    • Zweyte Klaſſe. Schriften von der Vegetation der
      Pflanzen.   17
    • Dritte Klaſſe. Beobachtungen bey vierfuͤßigen Thie-
      ren.   25
    • Vierte Klaſſe. Beobachtungen an den Eyern.   26
    • Fuͤnfte Klaſſe. Hypotheſen der Praͤdelineation.   27
    • Needham und Buͤffon.  28
    • Des Herrn Baron von Hallers Beobachtungen   33
    • Bonnet.  34
  • 3. Abſchnitt.
    • Beweiß der Epigeneſis.  35
    • 1) Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſen von der
      Praͤdelineation   39
    • Man findet nichts in der Natur was einer Evolution
      aͤhnlich waͤre   40
    • Die bey den Pflanzen und Jnſekten wahrgenommene
      Einwickelung der juͤngern in den aͤlteren
      Theilen iſt keine ſolche Evolution, wie ſie in
      den Hypotheſen angenommen wird   46
    • Vergleichung der Hypotheſen von der Praͤdelineation
      mit der vorher beſtimmten Harmonie und
      dem Jdealiſmus   59
    • Ein zweyter Grund der Unwahrſcheinlichkeit der Praͤ-
      delineation   72
    • 2) Aufloͤſung der Schwierigkeiten die wider die
      Theorie des Verfaſſers gemacht ſind   74
    • Der Satz, was ich nicht ſehe, iſt nicht da, iſt keine
      Stuͤtze dieſer Theorie, wie ſolches vorgege-
      ben wird   76
    • Er hat auch gar keinen Einfluß in dieſelbe und die
      Theorie gruͤndet ſich auf lauter reine Beo-
      bachtungen   80
  • Die Art, wie ſich der Herr von Haller die allmaͤh-
    lige Erſcheinungen der Gefaͤße auf der area
    umbilicali
    vorſtellt, ſtimmt mit den Beo-
    bachtungen nicht uͤberein   91
  • 3) Widerlegung der Einwuͤrfe des Hrn Bonnet   97
  • Wenn ein Theil des Embryo da iſt, ſo iſt weder die
    Kleinheit noch die Durchſichtigkeit deſſelben
    wie Herr Bonnet glaubt, ſo beſchaffen, daß
    er deswegen unſichtbar wuͤrde; und noch
    weniger kann die Ruhe dieſes zu wege
    bringen   99
  • Allein dieſe Wahrheit wird beym Beweiſe der Epi-
    geneſis dennoch nicht zum Grunde gelegt   101
  • Aus der Fortſetzung der Gedaͤrme des Embryo in
    die Haut des Gelben vom Ey folgt gar nicht
    daß beyde immer zugleich haben eriſtiren
    muͤſſen   102
  • Weitere Erklaͤrung wie es ſich mit dieſer Continuation
    und beſonders mit den Gefaͤßen in dieſen
    Theilen verhaͤlt   109
  • Beſchaffenheit der Gefaͤße in dem Meſenterio des
    Froſches und uͤberhaupt in dem Erwach-
    ſenen   121
  • Noch ein anderer Beweis der Epigeneſis, der von
    der Fluͤßigkeit der erſten Theile hergenom-
    men iſt   130
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Zweyte
[]

Zweyte Abhandlung.


  • Theorie
    von der
    Generation.
    1. Kap.

    Von den verſchiedenen Arten der Theile in den
    organiſchen Koͤrpern die eine verſchiedene
    Entſtehungsart erfordern
    §. 1-14.
  • 2. Kap.
    Von der Entſtehungsart der Gefaͤße und des
    zellenfoͤrmigen Gewebes in den Pflanzen.

    • 1) Wahre Beſchaffenheit dieſer Theile §. 15. 16.
    • 2) Hieraus wird geſchloßen wie es ſich mit ihrer
      Entſtehungsart verhalten muͤße §. 17.
    • 3) Daß es ſich mit derſelben aber auch wuͤrklich ſo
      verhalte, wird unmittelbar durch Obſervationen
      a poſteriori bewieſen §. 18-21.
    • 4) Vollſtaͤndige Erklaͤrung durch was fuͤr wuͤrkende
      Urſachen und auf was fuͤr Art das zellenfoͤrmige
      Gewebe und die Gefaͤße herfuͤrgebracht werden
      §. 22-27.
    • 5) Allgemeines Geſetz bey der Formation der natuͤr-
      lichen organiſchen Koͤrper §. 28.
    • 6) Wie die organiſche Struktur und die vegetabili-
      ſche Verrichtungen von einander dependiren §. 29.
  • 3. Kap.
    Von der Entſtehungsart der Gefaͤße und des
    zellenfoͤrmigen Gewebes in den Thieren.

    • 1) Wahre Beſchaffenheit der Gefaͤße der Thiere
      §. 30. 31.
    • 2) Erklaͤrung ihrer Entſtehungsart durch Obſerva-
      tionen bewieſen §. 32-34.
    • 3) Wie die Haͤute bey den Gefaͤßen der Thiere nach
      und nach entſtehen. Des Hrn. von Hallers Zwei-
      fel hierbey werden zugleich gehoben §. 35-38.
    • 4) Warum die Gefaͤße der Thiere ramificirt ſind, die
      Gefaͤße der Pflanzen aber nicht §. 39-42.
    • 5) Warum bey den Thieren ein Herz entſteht, bey
      den Pflanzen aber nicht §. 43-45.
  • 4. Kap.
    Von der Entſtehungsart der vor ſich beſtehen-
    den und der aus andern zuſammengeſetzten
    Theile in den Pflanzen.

    • 1) Erklaͤrung der ganzen Entſiehungsart aller die-
      ſer Theile uͤberhaupt §. 46-51.
    • 2) Beſondere Formation verſchiedener Theile die zu
      dieſer Gattung gehoͤren, vornehmlich der Blaͤtter
      die zugleich wider Hr. Bonnet einen augenſchein-
      lichen Beweis von der Epigeneſis geben §. 52-58.
    • 2) Zwote Art der Organiſation der Theile, wodurch
      das allgemeine Geſetz von der Formation weiter
      beſtimmt wird §. 59.
  • 5. Kap.
    Von der Entſtehungsart eben derſelben Theile
    in den Thieren.

    • 1) Erklaͤrung der Entſtehungsart dieſer Theile
      §. 61. 62.
    • 2) Beweis durch die Beobachtung der Fluͤgel, der
      Fuͤße und der Nieren. Analogie mit den Pflan-
      zen §. 63-66.
    • 3) Vorſtellung der ganzen Formation eines Thieres,
      wie ſie nach und nach geſchiehet §. 67-74.
  • 6. Kap.

    Von der Conception.


    • 1) Entwicklung des Begriffs der Conception und
      Zuſammenhang derſelben mit den uͤbrigen Funkti-
      onen, die zuſammen die Generation ausmachen
      §. 75. 76.
    • 2) Was es mit der Vegetation einer einfachen Pflan-
      ze fuͤr eine Beſchaffenheit habe: wie ſie durch
      Herfuͤrbringung der Fruktification endlich voͤllig
      geendigt wird, und was hiervon die Urſache ſey
      §. 77-83.
    • 3) Dieſes alles wird, da es der Grund von dem
      ganzen Conceptions-Geſchaͤfte iſt, durch mehrere
      Erfahrungen weitlaͤuftig beſtaͤtiget §. 84-88.
    • 4) Hieraus wird die ganze Conception erklaͤrt und
      bewieſen §. 89-94.
    • 5) Conception bey den Thieren §. 95-98.
Anhang.
[]

Anhang.
Wiederholte Verſuche.


  • Beſchaffenheit der erſten Anlage zu den Fluͤgeln und
    Fuͤßen, imgleichen der Bruſt und des Unterlei-
    bes pag. 257.
  • Beſchaffenheit der erſten Gefaͤße in der Area 260
  • Von der Bewegung des Herzens 264
  • Von der Continuation der Haͤute des Eyes in den
    Embryo 272.

[figure]
[[1]]
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Vorlaͤufige Abhandlung
von der
Theorie der Generation
uͤberhaupt,
und
von den verſchiedenen Hypotheſen
die man bishero um ſie zu erklaͤren
angenommen hat.



Jch muß mich alſo wohl endlich ent-
ſchließen, dieſe ſehr unangeneh-
me Arbeit uͤber mich zu nehmen,
wenn ich Friede und Ruhe vor
Jhnen, mein lieber Freund, haben will. Jch will
es thun, wie ich es ſchon oft verſprochen habe,
und zwar jetzo gleich; nur erlauben Sie mir zu-
Avor
[2]Begriff einer Theorie
vor noch, Jhnen zu ſagen, daß nichts in der Welt
verdrießlicher ſey, als eine Sache, die man ein-
mahl in ihrem ganzen Umfange, und nach allen
ihren Kleinigkeiten durchgedacht hat, hernach von
neuen wieder vorzunehmen, und ſie nach eben den-
ſelben Kleinigkeiten, bloß einer andern Ordnung,
oder einer andern Schreibart wegen, noch einmahl
wieder durch zu arbeiten, und daß nichts in der
Welt unertraͤglicher ſey, als ein Freund der dem
andern ſo lange martert, bis er ſich endlich frey-
willig entweder, oder nicht freywillig, dennoch
aber wuͤrklich entſchließt, dieſes aͤngſtliche Ge-
ſchaͤfte geduldig anzufangen.


1. Abſchnitt.
Begriff einer Theorie von der
Generation.



Jn den bis-
her bekaun-
ten Schriften
von der Gene-
ration iſt kei-
ne Theorie
derſelben ent-
halten.

Jch glaube, daß ich mich nicht ſehr
irre, wenn ich ſage, daß ungeach-
tet der vielen Schriften, die in den aͤl-
tern ſo wohl, als in den neuern Zeiten
uͤber die Generation herausgegeben ſind,
deñoch bishero noch niemand eine wuͤrk-
liche Lehre von der Generation, die uͤbrigens auch
falſch ſeyn moͤchte, gegeben, oder, die Generation
wuͤrklich weder wahr noch falſch erklaͤrt habe. Es
wird Jhnen ſcheinen als wenn hierinn etwas wi-
derſprechendes waͤre; deswegen will ich mich deut-
licher erklaͤren.


Setzen
[3]von der Generation.

Setzen Sie daß Jhnen jemand eine Hiſtorie
zum Exempel, von der Generation gibt, und daß
er Jhnen dieſe Hiſtorie fuͤr eine Erklaͤrung derſel-
ben aufdringen wollte, ſo wuͤrden ſie ſagen, er ha-
be Jhnen dieſe Erſcheinung zwar erzehlt, aber nicht
erklaͤrt, er habe Jhnen dieſelbe nicht nur nicht
wahr, ſondern auch nicht einmahl falſch, und mit
einem Worte, er habe ſie gar nicht erklaͤrt. Sie
ſehen alſo hieraus ſchon, daß zwiſchen falſch erklaͤ-
ren, und nicht erklaͤren ein Unterſchied ſey, und
daß es gar wohl moͤglich ſey, von einer Sache zu
reden, ohne ſie doch weder wahr noch falſch zu
erklaͤren.


Wie iſt es aber moͤglich, werden Sie ſagen,
daß man ſich ſo ſehr verkennen, daß man eine
Hiſtorie fuͤr eine Erklaͤrung anſehen ſollte? Dieſes
iſt geſchehen, wie Sie in der Folge ſehen werden;
allein es iſt ja auch eben nicht noͤthig, daß das,
was man ſagt, eine Hiſtorie ſey, um keine Erklaͤ-
rung der Generation zu ſeyn. Wie vielerley Sa-
chen wolte ich Jhnen in der Welt nicht ſagen, oh-
ne Jhnen doch weder die Geſchichte der Genera-
tion erzehlt, noch die Generation erklaͤrt zu haben.
Wie alſo, wenn unſere Verfaſſer, indem ſie die Er-
zeugung zu erklaͤren glaubten, indeſſen von einer
ganz andern Sache gehandelt haͤtten? Aber auch
dieſes wird Jhnen unglaublich vorkommen, und
auch hiervon werden ſie dennoch in der Folge ver-
ſchiedene Exempel ſehen.


Endlich aber iſt es auch moͤglich, daß das,
was man ſagt, ziemlich genau das Anſehen einer
A 2Erklaͤ-
[4]Begriff einer Theorie
Erklaͤrung haben koͤnne, da man doch in der That
weder dieſe noch irgend eine andere Sache, weder
hiſtoriſch erzehlt, noch erklaͤrt, und kurz, da man
in der That eigentlich gar nichts geſagt hat. Wenn
man als eine beſondere Erſcheinung die Anziehung
des Magneten durch eine anziehende Kraft, die
man ihm zueignete, erklaͤren wolte, ſo wuͤrde die-
ſes das Anſehen einer Erklaͤrung haben, und doch
keine ſeyn, indem ſie eben das, was erklaͤrt wer-
den ſoll, zum voraus ſetzt, und alſo nicht erklaͤrt.
Eben ſo verhaͤlt es ſich mit den Erklaͤrungen der
Alten aus den ſo genannten verborgenen Urſachen
(qualitatibus occultis). Und dieſes iſt die dritte
Art ſich zu betruͤgen, ſich einzubilden, daß man
die Generation erklaͤrt oder eine Lehre von der
derſelben gegeben habe, da man ſie doch in der
That gar nicht erklaͤrt hat.


Wenn ich uͤberdem nun noch dieſes hinzu
ſetze, welches die Erfahrung alle Tage beſtaͤtiget,
daß es eben kein ſo ſeltenes Phaͤnomen ſey, wenn
ein Gelehrter ſich vornimmt etwas abzuhandeln,
ohne ſolches vorher genau zu beſtimmen, und alſo
ohne zu wiſſen, was er eigentlich abhandeln will,
wenn er dem ungeachtet wuͤrklich ein Buch von
einer anſtaͤndigen Groͤße ausarbeitet, und noch
nicht weiß, was in ſeinem Buche eigentlich enthal-
ten iſt, und dieſes auch in ſeinem Leben niemahls
erfaͤhrt, wenn das alles ſage ich, in der Republick
der Gelehrten eben keine ſo ſeltene Erſcheinung iſt,
ſo wird es Jhnen nun ſo wunderbar und wider-
ſprechend nicht mehr vorkommen, wenn ich ſage
daß
[5]von der Generation.
daß ungeachtet der großen Menge Buͤcher, die
von der Generation handeln ſollen, ſie doch kaum
ein einziges finden werden, in welchem die Genera-
tion entweder wahr oder auch nur falſch erklaͤrt ſey.


Ehe ich aber weiter gehe, und aus dem Be-
griff der Lehre von der Generation zeige, daß al-
les das, was davon geſchrieben iſt, keine Lehre
von der Generation genennt werden koͤnne, ſo will
ich eine kleine Anmerckung machen, die ſehr noͤthig
ſeyn wird. Noch vor einem Jahre glaubte ich,
daß wuͤrcklich niemand die Generation weder wahr
noch falſch erklaͤrt habe. Jch haͤtte in dieſes Vor-
urtheil nicht verfallen ſollen, denn das Buch,
worinn die Generation nothwendig erklaͤrt, obwohl
falſch erklaͤrt ſeyn muſte, war mir dem Nahmen
nach, und der Verfaſſer deſſelben war mir ſeinen
Eigenſchaften nach ſehr wohl bekannt. Jetzo alſo
ſage ich, es hat niemand einen einzigen, aber
auch nur dieſen einzigen, ausgenommen, die Ge-
neration, auch nicht einmahl falſch erklaͤrt. Jch
habe im Vorhergehenden zu einem Exempel einer
nur ſcheinbaren Erklaͤrung die anziehende Kraft,
in ſofern ſie zur Erklaͤrung der Wuͤrkung des
Magneten angewendet wuͤrde, und die verborge-
ne Urſachen derer Alten angefuͤhrt, und ich ſetze
jetzo hinzu, daß dieſe ſcheinbare Erklaͤrungen bey
denen Alten ſo gewoͤhnlich waren, daß man ſie bey
nahe uͤberhaupt ihre Art zu philoſophiren nennen
koͤnnte. Carteſius, dieſer große Mann, der
uns faſt kein wahres Wort geſagt hat, und der
dem ungeachtet bis zum bewundern groß iſt, ent-
A 3deckte
[6]Begriff einer Theorie
deckte zuerſt die Falle, worinn ſich vor ihm alle
Philoſophen gefangen hatten. Er ſagte, wo ich
mich nicht ſehr irre, ſo ſind ja wohl dieſe Erklaͤ-
rungen keine Erklaͤrungen, er zeigte wie eine
Erklaͤrung ausſehen muͤſte, und lehrte wie man
philoſophiren muͤſte, wenn man es wuͤrklich
thun, und nicht nur den Schein, als ob man es
gethan haͤtte, haben wollte. Und hierin beſtun-
den des des Cartes vornehmſte Verdienſte. War
es alſo wohl Wunder, wenn dieſer zu philoſophiſche
Geiſt die anziehende Kraft gar nicht einmahl lei-
den konnte? Allein war ich eben deswegen nicht
blind, wenn mir bey meiner Generation, die noch
niemand erklaͤrt haben ſollte, das Buch de Ho-
mine \& formato fœtu
nicht einfiel? Jch hatte es
nicht, und ich dachte, des Cartes, der noch kei-
ne phyſiſche Wahrheit entdeckt hat, wird auch die
Urſachen der organiſchen Koͤrper nicht entdecken,
vornehmlich da er keine Vergroͤßerungsglaͤfer hat,
da er keine Verſuche liebt, da er ſich um unſere
Welt gar nicht bekuͤmmert. Das war alles rich-
tig, und ſehr richtig; allein daß Carteſius die
Sache auch nicht falſch wenigſtens erklaͤrt haben
ſollte, dieſes haͤtte ich von ihm nicht dencken ſollen.
Jch bekam nachhero das Buch de homine \& for-
mato fœtu,
und laſe es der Hiſtorie wegen; ich
ſahe alſo daß Carteſius ſehr accurat, ob wohl ſo
falſch als moͤglich, erklaͤrt hatte.


Jndeſſen iſt Carteſius wuͤrcklich der ein-
zige der erklaͤrt und zwar falſch erklaͤrt hat.
Die andern alle haben gar nicht erklaͤrt und
dieſes
[7]von der Generation.
dieſes werden ſie aus der nun folgenden Erklaͤ-
rung der Lehre von der Generation und der als-
dann mit derſelben verglichenen Hiſtorie dieſer
Lehre bald einſehen.


Ein jeder verſteht unter dem WorteErklärung
des Wortes
Gener a-
tion.
Be-
ſchaffenheit
einer Theo-
rie
von der-
ſelben.

Generation die Art, wie ein organi-
ſcher Koͤrper (eine Pflanze, ein Thier)
nach allen ſeinen Theilen, durch Huͤl-
fe anderer organiſchen Koͤrper, von
derſelben Art, hervorgebracht wird.
Dieſe Erklaͤrung habe ich in der Diſſertation von
dem Worte Generation gegeben (Expoſ. Inſtit.
§. 1.) Wer alſo die Generation erklaͤren will,
der wird den organiſchen Koͤrper und deſſen
Teile, woraus er beſteht, zum Vorwurf nehmen,
und hieruͤber philoſophiren muͤſſen; er wird zei-
gen muͤſſen, wie dieſe Theile entſtanden ſind, und
wie ſie in der Verbindung, in welcher ſie mitein-
ander ſtehen, entſtanden ſind.


Jch ſage dieſes iſt der Begriff, den ich und
den ein jeder von einer Lehre von der Generation
hat. Man mag dieſen Begriff nun deutlich ha-
ben und ihn auszudruͤcken im Stande ſeyn, oder
man mag ihn undeutlich denken; ſo wird doch
niemand unter denen Worten Erklaͤrung der Ge-
neration, Lehre von der Generation, Theorie der
Generation, etwas anders, als das, was ich be-
ſtimmt habe, verſtehen.


Jch ſage man wird den organiſchen Koͤrper
der Pflanze oder des Thieres zum Vorwurf neh-
men und hieruͤber philoſophiren muͤſſen. Jch glau-
A 4be-
[8]Begriff einer Theorie
be, daß ich mich nicht beſſer ausdruͤcken kann.
Was uͤber eine Sache philoſophiren oder ſie phi-
loſophiſch erkennen heiſt, das wißen Sie. Nicht
philoſophiſch erkennen, und doch aber erkennen,
heiſt ihre Eigenſchaften aus der Erfahrung wiſ-
ſen, dabey aber unbekuͤmmert ſeyn, warum ſie
dieſe Eigenſchaften und keine andere habe, und
warum die Sache ſo vielmehr als anders beſchaf-
fen ſey. Man nennt es eine Sache bloß hiſtoriſch
erkennen. Wer alſo zum Exempel bloß aus der
Erfahrung weiß, auf was fuͤr Art der organiſche
Koͤrper des Menſchen aus ſeinen verſchiedenen
Theilen zuſammengeſetzt iſt und aus was fuͤr Theilen
er auf dieſe Art zuſammen geſetzt iſt, der kennt den
organiſchen Koͤrper des Menſchen hiſtoriſch. Sie
ſehen dieſes iſt accurat die Anatomie, und dieſe iſt al-
ſo nichts anders, als eine hiſtoriſche Kenntniß oder
eine Hiſtorie des menſchlichen organiſchen Koͤrpers.


Wer aber eine Sache nicht aus der Erſah-
rung unmittelbar, ſondern aus ihren Gruͤnden
und Urſachen erkennt, wer alſo durch dieſe, nicht
durch die Erfahrung, gezwungen wird, zu ſagen,
die Sache muß ſo, und ſie kann nicht anders ſeyn,
ſie muß ſich nothwendig ſo verhalten, ſie muß die-
ſe Eigenſchaften haben und andre kann ſie nicht
haben, der ſieht die Sache nicht nur hiſtoriſch
ſondern wuͤrklich philoſophiſch ein, und er hat ei-
ne philoſophiſche Kenntniß von ihr.


Wenn nun alſo jemand aus denjenigen Kraͤf-
ten der Natur, durch welche die organiſchen Koͤr-
per formirt werden, und aus der Beſchaffenheit
die-
[9]von der Generation.
dieſer Kraͤfte, imgleichen aus den Eigenſchaften
derjenigen Subſtanz, aus welcher die Koͤrper for-
mir werden ſollen, einſieht, daß zum Exempel
ein Koͤrper, der aus dieſer Subſtanz formirt wer-
den ſoll, zwar Gefaͤße bekommen werde, allein dieſe
Gefaͤße werden nicht ramificirt ſeyn, ſo daß aus ei-
nem viele andere entſpringen ſollten, ſondern es
werden ſo viel Staͤmme und beſondere Urſpuͤnge
derſelben ſeyn, als Gefaͤße vorhanden ſind, daß im
Gegentheil alle dieſe Gefaͤße bey ihrem Anfange ſo
weit als bey ihren Enden ſeyn, und alle parallel ne-
ben einander liegen werden, daß ſie ferner nothwen-
dig ſo neben einander gelegt ſeyn werden, daß da-
durch ein Cylinder oder ein Kegel mit einer der
Strucktur nach in wenigem nur unterſchiedenen
Axe und in der Spitze des Kegels ein Vegeta-
tionspunkt formirt werden muͤſſe, und kurz daß
dieſer ganze organiſche Koͤrper, nichts anders als
eine Pflanze werden koͤnne, (denn dieſe angegebe-
ne Beſtimmungen druͤcken ſchon das weſentliche
der Pflanze, wodurch alle uͤbrige Eigenſchaften
derſelben determinirt werden, aus), wer dieſes al-
les, ſage ich, aus der Beſchaffenheit der Kraͤfte,
durch welche der organiſche Koͤrper formirt wer-
den ſoll, und aus den Eigenſchaften der Subſtanz
aus welcher er formirt werden ſoll, einſieht, der
hat eine philoſophiſche Erkenntniß von dieſem or-
ganiſchen Koͤrper. Eben ſo ferner, wenn jemand
aus der Beſchaffenheit eben dieſer Kraͤfte, wo-
durch die organiſchen Koͤrper formirt werden, und
aus den Eigenſchaften einer andern Subſtanz, aus
A 5wel-
[10]Begriff einer Theorie
welcher nun wiederum ein ſolcher Koͤrper formirt
werden ſoll, einſieht, daß dieſer Koͤrper ebenfalls
zwar Gefaͤße bekommen werde, daß aber dieſe Ge-
faͤße ramificirt werden ſeyn muͤſſen, daß immer
mehrere kleinere aus wenigern groͤßeren und alle
endlich aus einem gemeinſchaftlichen werden ent-
ſpringen muͤſſen, daß eben dieſes gemeinſchaftli-
Gefaͤße ein Herz ſeyn werde, weil die Figur des
Herzens, welches bey den Jnſeckten ein bloßer et-
was weiter Canal iſt, nichts zum Weſen des Her-
zens beytraͤgt; daß aus dieſen Beſtimmungen fer-
ner alle uͤbrige Eigenſchaften, wodurch ſich der thie-
riſche organiſche Koͤrper von dem organiſchen Koͤr-
per der Pflanze in Anſehung ſeiner Zuſammenſe-
tzung unterſcheidet, nothwendig werden erfolgen
muͤſſen, wenn alſo ſage ich auf dieſe Art jemand
den Bau dieſes organiſchen Koͤrpers aus der Be-
ſchaffenheit der ihn formirenden Kraͤften | und den
Eigenſchaften der Subſtanz, woraus er formirt
wird und alſo aus ſeinen Urſachen einſieht; ſo hat
derſelbe eine philoſophiſche Erkenntniß von ihm
die von der bloß hiſtoriſchen ſehr verſchieden iſt.


Hieraus aber ſehen Sie zu gleicher Zeit auch,
daß eine ſolche phyloſophiſche Erkenntniß von ei-
nem organiſchen Koͤrper accurat unſere Theorie
der Generation ſeyn werde, eben ſo wie ich kurz
vorher geſagt habe, daß die hiſtoriſche Kenntniß
deſſelben nichts anders als die Anatomie ſey.


Da man ferner die philoſophiſche Erkenntniß
eines Dinges eine Wiſſenſchaft deſelben nennt;
ſo
[11]von der Generation.
ſo iſt es einerley, ob ich ſage, die Lehre von der
Generation ſey eine philoſophiſche Kenntniß des
organiſchen Koͤrpers, oder ſie ſey eine Wiſſenſchaft
deſſelben. Eben ſo koͤnnen Sie dieſes noch auf
verſchiedene andere Art ausdruͤcken, und Sie ſa-
gen immer daſſelbe wieder. Sie koͤnnen z. E. ſa-
gen wer die Lehre von der Generation weiß, der
muß den zureichenden Grund von den Theilen und
der Zuſammenſetzung des organiſchen Koͤrpers wiſ-
ſen; er muß den organiſchen Koͤrper aus ſeinen Ur-
ſachen erkennen; er muß eine philoſophiſche Er-
kenntniß von ihm haben; er muß eine Wiſſen-
ſchaft von dem organiſchen Koͤrper haben, und
weil die Anatomie eine hiſtoriſche Kenntniß des or-
ganiſchen Koͤrpers iſt; ſo ſagen Sie wiederum
eben das vorige, wenn Sie ſich ſo ausdruͤcken:
Die Lehre von der Generation verhaͤlt ſich zu der
Anatomie, wie ſich die Pſylologia rationalis zur
empyrica verhaͤlt.


Die Lehre von der Generation iſtUnterſcheid
dieſer Theo-
rie von der
Phyſiologie.

auch von der Phyſiologie unterſchieden.
Dieſe, wenn Sie ſie uͤberhaupt neh-
men wollen, iſt eine Wiſſenſchaft von de-
nenjenigen Verrichtungen des organiſchen Koͤr-
pers, welche ihren zureichenden Grund in dem
Weſen und der Natur des organiſchen Koͤrpers
ſelbſt haben. Alle Veraͤnderungen alſo, die in
dem organiſchen Koͤrper vorgehen, deren Urſachen
aber nicht nur in dem Koͤrper befindlich ſind, ſon-
dern die auch weſentliche Stuͤcke deſſelben ausma-
chen, gehoͤren zur Phyſiologie und muͤſſen in der-
ſel-
[12]Begriff einer Theorie
ſelben erklaͤrt werden. Da hingegen diejenigen
Veraͤnderungen die ihren Grund außer dem Koͤr-
per oder in Dingen wenigſtens die nicht zum Koͤr-
per gehoͤren, kurz die ihren Grnnd nicht in der
Natur und dem Weſen des Koͤrpers haben, zur
Pathologie hingerechnet werden. Da man auch
Funktionen diejenige Veraͤnderungen eines orga-
niſchen Koͤrpers nennt, die ihren hinreichenden
Grund in der Natur und dem Weſen deſſelben ha-
ben, ſo koͤnnen Sie ſich kuͤrzer ausdruͤcken, in-
dem Sie ſagen, die Phyſiologie iſt eine Wiſſenſchaft
von den Funktionen des organiſchen Koͤrpers.


Nunmehr vergleichen Sie dieſen Begriff der
Phyſiologie, welcher richtig iſt, mit dem Begriff
meiner Theorie und ſehen Sie ob dieſe beyden Be-
griffe einerley ſind. Jſt denn die Wiſſenſchaft von
den Funktionen eines organiſirten Koͤrpers und die
Wiſſenſchaft eben dieſes Koͤrpers ſelbſt, oder der
Zuſammenſetzung und der Strucktur ſeiner Theile
le ein und eben daſſelbe Ding? Dieſe beyde Wiſſen-
ſchaften ſind nicht nur ſehr von einander unterſchie-
den, ſondern ſie haben auch gar nichts aͤhnliches
mit einander. Die Verhaͤltniſſe zwiſchen der Ana-
tomie, der Lehre von der Generation, und der
Phyſiologie werden ungefehr dieſe ſeyn. Jn der
Anatomie lernen wir aus der Erfahrung die Zu-
ſammenſetzung und die Strucktur eines organiſchen
Koͤrpers. Wir koͤnnen aber dieſe Zuſammenſetzung
und Strucktur nicht erklaͤren, wir wiſſen nur, daß
ſie ſo iſt, und weiter wiſſen wir nichts. Nun
kommt
[13]von der Generation.
kommt auf der einen Seite der Anatomie die Leh-
re von der Generation, darinn wird das, was
wir aus der Anatomie hiſtoriſch wuſten, aus Gruͤn-
den erklaͤrt. Auf der andern Seite der Anatomie
befindet ſich die Phyſiologie, worinn die Wirkun-
gen, die der organiſche Koͤrper hervorzubringen
faͤhig iſt, erklaͤrt werden. Die Phyſiologie ver-
haͤlt ſich zur Anatomie accurat, wie ein Coralla-
rium zu ſeinem Theorema, aus dem es hergeleitet
wird; meine Theorie verhaͤlt ſich zur Anatomie,
wie die Demonſtration dieſes Theorema zu eben
demſelben.


Sie werden nunmehr wiſſen, wie einer der
die Generation erklaͤren will, es anfangen muͤſſe,
wovon er reden, und wie er reden muͤſſe.


Wer nicht von der Strucktur der Theile und
der Zuſammenſetzung des Koͤrpers ſpricht, wer
davon nicht die Urſachen angibt, und zeigt wie
durch dieſe Urſachen die Theile und die Zuſammen-
ſetzung determinirt werden, der erklaͤrt auch die
Generation nicht. Das was er ſagt, kann uͤbri-
gens ſchoͤn ſeyn; es kann ſehr wahr und auch ſehr
gelehrt ſeyn, nur eine Erklaͤrung von der Genera-
tion wird es nicht ſeyn, immer eben ſo wenig, als
Sie eine Hiſtorie von Frankreich eine Theorie der
Generation nennen koͤnnen.


Nun unterſuchen Sie alle Schriften die unter
dem Titel einer Abhandlung von der Generation
ſeit des Ariſtoteles Zeiten bekannt geworden ſind;
ich
[14]Hiſtorie der verſchiedenen
ich ſage in allen dieſen Schriften wird nicht ein
Wort von der Entſtehungsart auch nur des gering-
ſten Theiles zu finden ſeyn. Das iſt es alſo was
ich gleich im Anfange behauptet habe. Man hat
bishero von einer Theorie der Generation nichts
gewuſt, und man hat keinen Begriff von dieſer
Wiſſenſchaft gehabt.


2. Abſchnitt.
Hiſtorie der verſchiedenen Hypo-
theſen von der Generation.



Jch will nunmehro gantz kurz die Hiſtorie
der Lehre von der Generation noch durchgehn, und
bey einer jeden Hypotheſe Jhnen zeigen, warum
ſie unmoͤglich eine Erklaͤrung genennt werden koͤn-
ne. Um Jhnen einen ganz kurzen Begriff von
dieſem Stuͤck der gelehrten Hiſtorie beyzubringen,
ſo theile ich alles was von dieſer Sache geſchrieben
iſt in 5 Claſſen ein.


Erſte Claſſe,
was die Al-
ten gethan
haben.

Die erſte Claſſe begreift alles dasjenige
in ſich, was von den Alten bis auf die Zeiten
des Harvaͤus geſchrieben iſt. Jn allen dieſen
Schriften ſinden Sie immer ein und eben daſſelbe,
und dieſes beſteht vornehmlich in folgenden Punk-
ten. 1.) Der maͤnnliche Saame wird aus allen
Theilen des ganzen Koͤrpers von dem Nahrungs-
ſaft, der fuͤr jeden dieſer Theile insbeſondere be-
ſtimmt war, und der in einer uͤberfluͤßigen Men-
ge in denſelben ſich angeſammlet hatte, hergenom-
men
[15]Hypotheſen von der Generation.
men, er wird aus allen dieſen Theilen, als ein
ihnen uͤberfluͤßiger Nahrungsſaft wieder zuruͤck-
gefuͤhrt, ohne Unterſcheid, aus welchen Theilen
er gekommen iſt, in eine Maſſe vermiſcht, und
in den Saamenblaͤschen zum kuͤnftigen Gebrauch
niedergelegt. Das iſt die ſchoͤnſte Hypotheſe, die
jemahls der menſchliche Verſtand erdacht hat, die
nicht nur mit der Art, wie ſich die Alten die For-
mation der Thiere vorſtellten, nemlich durch die
ſo genannte Aneinanderſetzung der Theile (forma-
tio per adpoſitionem particularum
) vollkommen
und ſehr ſchoͤn uͤbereinſtimmt, ſondern die man
ſich auch, wenn dieſe Art der formation richtig
waͤre, auf keine andere Art vorſtellen koͤnnte, die
ein Philoſoph nicht ohne Vergnuͤgen leſen kann,
wenn er gleich weiß daß ſie falſch iſt. 2.) Die-
ſer Saamen iſt die wuͤrkende Urſache, von wel-
cher alle Bewegung bey der Formation des Koͤr-
pers herkommt, und eben derſelbe iſt auch, nach-
dem er mit dem weiblichen Saamen im Utero
vermiſcht iſt, die Materie, aus welcher der Koͤrper
formirt wird. 3.) Der Grund, warum die Thei-
le in dieſer vielmehr als in einer andern Ordnung
zuſammen geſetzt werden, alſo der Grund der
Strucktur und der Zuſammenſetzung der Theile
(dieſes, bemercken Sie es ſich, waͤre die Sache die
wir erwarten) liegt in der Seele, die von der Seele
des Vaters getrennt, in dem Saamen eingewickelt
(in ſemine tanquam vehiculo) zugleich mit dem-
ſelben in den zu formirenden Koͤrper uͤbergeht.
Das iſt es alles, was die Alten von der Genera-
tion
[16]Hiſtorie der verſchiedenen
tion geſagt haben; Sie finden es am deutlichſten
im Sennert vorgetragen, und zwar in ſeinen In-
ſtitutionibus medicinæ pag.
80 und 81. und wie-
derum pag. 87 und 88. Sie werden, wenn ſie
dieſen Mann, der das Beſte und Auserleſenſte aus
den Alten zuſammen getragen hat, in den ange-
zeigten Orten nachleſen, ſehen, daß ich nicht ein
Wort zugeſetzt und nichts von der Hauptſache weg-
gelaſſen habe. Aber finden ſie nun wohl in allen
dem, was die Alten geſagt haben, die geringſte
Erklaͤrung auch nur des allergeringſten Theiles?
Jn dem 1ſten Punkte wird geſagt wie der maͤnn-
liche Saamen abgeſondert wird; von der Forma-
tion wird gar nicht geſprochen. Jm 2ten Punkt,
wird geſagt, wo die Kraft herkomme, wodurch der
Koͤrper formirt wird, und welches die Materie
ſey, aus welcher er formirt wird. Von der For-
mation ſelbſt wird wiederum nichts geſagt. Jm
3ten Punkt wird zwar geſagt, daß der Grund
warum der Koͤrper ſo und nicht anders formirt
wird, in der Seele liege, aber er wird, geſetzt
daß dieſes wahr waͤre, deswegen nicht angegeben,
und es werden nicht aus ihm die Theile und ihre
Zuſammenſetzung erklaͤrt. Wenn auch die Alten
zum Voraus geſetzt haben, die Formation geſchehe
durch die Aneinanderſetzung der Theile (per ap-
poſitionem
) ſo iſt dieſes keine Erklaͤrung unſerer
organiſchen Koͤrper. Jch will wiſſen, warum
durch dieſe Aneinanderſetzung der Theile keine
Kugel, keine bloße ſimpele ſolide Kugel, ſondern
ſolche organiſche Koͤrper, wie wir haben, formirt
wer-
[17]Hypotheſen von der Generation.
werden; das will ich wiſſen. Jndeſſen haben
doch die Alten in Anſehung der Erklaͤrungen kein
quid pro quo gemacht. Sie haben ſich lieber von
Erklaͤrungen gar nichts einfallen laſſen.


Die zwote Claſſe enthaͤlt eineZwote Claſ-
ſe. Schriften
von der Vege-
tation der
Pflanzeh.

ganz beſondere Art von Gelehrten, die
ſich hauptſaͤchlich an den Pflanzen
gehalten haben, und Sie ſollen vor-
nehmlich bey ihnen lernen, wie man
erklaͤrt zu haben ſcheinen kann, ohne doch erklaͤrt
zu haben. Sie betiteln ihre Theorien, die aber
nur Theorien zu ſeyn ſcheinen, eben deswegen
weil ſie die Sachen zu erklaͤren ebenfalls nur das
Anſehen haben, Abhandlungen von der Ve-
getation.
Sie ſehen leicht, wenn ſie die Vege-
tation wuͤrklich erklaͤrt haͤtten, daß ſie alsdann
wenigſtens den Theil der Lehre von der Genera-
tion geliefert haben wuͤrden, der von der Forma-
tion dererjenigen Theile handelt, die zuſammen-
genommen unmittelbar das Ganze ausmachen.
Allein wenn Sie dieſe Abhandlungen leſen, ſo
werden Jhre Begriffe allmaͤhlig, verwirrt;
Sie vergeſſen dabey, was Sie eigentlich ſu-
chen wollten. Sie leſen auf dieſe Art die Abhand-
lung zu Ende, und nachhero wiſſen Sie zwar
eigentlich nicht, wie es mit der Vegetation zugeht,
und Sie ſind bey ſich uͤberzeugt, daß Sie es nicht
wiſſen, allein Sie ſollten doch ſchwehren, daß
Sie die Erklaͤrung derſelben geleſen haͤtten. Hoͤ-
ren Sie nur zu, ich will Jhnen dieſes Geheimniß,
Bwel-
[18]Hiſtorie der verſchiedenen
welches den Verfaſſern ſelbſt ein Geheimniß iſt,
erklaͤren; zuvor will ich Jhnen die fuͤrnehmſte
Verfaſſer nennen. Honoratus Fabri hat ſchon
nach dieſer Methode uͤber die Pflanzen philoſo-
phirt, ich glaube aber nicht, daß er der Erſte
geweſen ſey. Es iſt uͤbrigens eben derſelbe groß-
muͤthige Jeſuite, welcher ſagt, er habe den Um-
lauf des Blutes nicht von Harway gelernt; er
habe ihn lange zuvor ſeinen Zuhoͤrern vorgetra-
gen, er halte ihn aber nicht fuͤr eine Sache von
ſo großer Wichtigkeit, daß er ihrentwegen einen
Proceß anfangen ſollte. Solten Sie ſo vernuͤnf-
tige und wahre Gedancken wohl zu einer Zeit er-
warten, da ein Vorurtheil von der Groͤße und
Wichtigkeit dieſer Erfindung bey nahe die ganze
Welt eingenommen hatte? ein Vorurtheil, wel-
ches ſich auch jetzo noch erhaͤlt? Nach ihm hat
beſonders Greew in ſeiner Anatomia plantarum,
dieſelbe Sache noch weiter getrieben, und nachhe-
ro haben alle diejenigen, die entweder von der
Vegetation, oder eine Art von Phyſiologie, oder
auch Anatomie der Pflanzen haben ſchreiben wol-
len, worunter beſonders Du HamelPhyſic des
arbres
zu rechnen iſt, eben dieſelben Sachen wie-
der nachgeſagt. Einer von den neueſten iſt Hill,
der ſeine Schrift ſo gar einen Verſuch einer Lehre
von der Erzeugung nennt. Linnaͤus ſelbſt hat
ſich in dieſes Nez mit herein ziehen laſſen.


Die allergewoͤhnlichſte Art, die Formation
der Theile bey den Pflanzen zu erklaͤren, und wel-
che Sie daher auch beym Greew, Du Hamel, Hill
und
[19]Hypotheſen von der Generation.
und allen andern am haͤuſigſten antreffen, iſt die-
ſe, daß ſie ſchlechtweg die Struktur der Theile ana-
tomiſch und alſo hiſtoriſch beſchreiben, und ohne
weitere Umſtaͤnde alsdann dieſe Beſchreibung fuͤr
eine phyſiſche Erklaͤrung ausgeben. Sie werden
ſagen, wo ſteckt denn hier die Kunſt, oder das
wahrſcheinliche Anſehen einer wahren Erklaͤrung.
Freylich, wenn ich Jhnen vorher ſage, was zu
einer Erklaͤrung erfordert wird, und alsdann ohne
Umſchweife beſtimme, was der Verfaſſer gethan
hat, ſo ſehen Sie wohl, daß er nicht erklaͤrt hat;
allein Sie muͤſſen ſich an ſeine Stelle ſetzen,
Sie muͤſſen vors erſte zum Voraus ſetzen, daß
Sie keinen recht deutlichen Begriff von einer Er-
klaͤrung haben, daß Sie uͤber dieſen, als uͤber ei-
ne Kleinigkeit, welche einem jeden ſo ſchon hin-
laͤnglich klar ſeyn muͤſſe, weggehn. Alsdann
muͤſſen Sie den Verfaſſer Schritt fuͤr Schritt fol-
gen. Dieſer ſteht alſo, und Sie eben ſo wohl,
daß die Pflanzen, in dem ſie wachſen, ſich gleich-
ſam aus einem Punkt in ihre verſchiedene Theile,
Stamm, Aeſte, Zweige, Blaͤtter, allmaͤhlig
ausdehnen. Auf dieſe Art entſtehen alſo die
Pflanzen; und folglich iſt hierbey weiter nichts zu
erklaͤren uͤbrig, als den erſten Urſprung der Theile
zu entdecken, oder gleichſam das Neſt zu entdecken,
aus welchem die verſchiedene Theile entſpringen.
Dieſes alles aber, bemercken Sie es ſich wohl,
ſagen unſere Naturforſcher nicht mit ausdruͤckli-
chen Worten, aber es befindet ſich dunkel in ihrer
Seele, und es iſt der Grund der Methode ihrer
B 2gleich
[20]Hiſtorie der verſchiedenen
gleich folgenden Erklaͤrung. Sie ſetzen es alſo zum
Voraus, und ſie koͤnnen es ohne Schaden, und
ohne unverſtaͤndlich zu werden thun, weil ein jeder
Leſer in demſelben Zuſtande ſich befindet, und eben
daſſelbe dunkel bey ſich denket. Um alſo nun die-
ſes noch unbekannte Neſt Jhnen zu entdecken, ſo
nehmen ſie ganz natuͤrlicher Weiſe ihr anatomi-
ſches Jnſtrument zur Hand, zergliedern die Pflan-
ze, und ſehen zu, wo die Faſern, die den Theil,
deſſen Urfprung ſie erklaͤren wollen, ausmachen,
entſtehen. Sie ſagen alsdann, dieſer Theil ent-
ſpringt aus dem Mark der Pflanze, jener aber
nimmt ſeinen Urſprung zwiſchen den holzigen Fa-
ſern, und den Faſern der Haut u. ſ. w. Theils
um Jhnen dieſes noch deutlicher zu machen, theils
um zu beweiſen, daß das, was ich ſage, wahr
ſey, wiewohl dieſes Leztere nicht noͤthig waͤre,
weil der ganze Greew, der ganze Du Hamel
und Hill von Exempeln davon voll ſind, will ich
ein Exempel aus dem Greew anfuͤhren. Seite
114 in der kleinern Ausgabe, iſt die Rede vom
Urſprung der Knoſpen und der Zweige. Was er
hievon ſagt, und wie er hieruͤber philoſophirt da-
von will ich Jhnen ſeine eigne Worte anfuͤhren.
Dieſe ſind folgende: “Si on examine donc l’ origi-
„ne des branches \& des bourgeons, on decou-
„vre ſans peine, qu’ils ne ſortent pas de la ſur face
„des tiges, mais que les parties inferieures con-
„tribuent a les former.
Bald darauf faͤhrt er fort:
„Ainſi il y a beaucoup d’apparance, que la plûs
„part des bourgeons tirent leur origine de pluſi-

eurs
[21]Hypotheſen von der Generation.
„eurs fibres du corps ligneux, qui ſ’ inſerent, \&
„qui ſe melent avec la mouelle, comme on le peut
„voir, lorsqu’on fait la diſſection d’ une tige.”

Was haben Sie wider dieſe Erklaͤrung einzuwen-
den? Zeigt er Jhnen nicht den Urſprung der Thei-
le, den Sie wiſſen wollten? Aber thut er auch
wohl das Geringſte mehr, als was ein Anatomi-
cus thut, wenn er ſagt, die arteria cœliaca ent-
ſteht dicht unter dem diaphragma aus der aorta;
die vaſa ſpermatica entſtehen mehrentheils aus den
vaſis renalibus? Es iſt keine Entſchuldigung,
wenn Sie ſagen, Greew hat ſein Buch Anato-
mie der Pflanzen betitelt; Hill hat das Seinige,
eine Lehre der Erzeugung genennt, und iſt eben
ſo verfahren, und Greew hat an den angezeig-
ten Orten eben ſo wohl wie Hill, eben ſo wohl
wie alle andere, die Vegetation erklaͤren wollen.
Wo ſteckt denn nun alſo in den dunkelen Begrif-
fen, die ich oben angefuͤhrt habe, und worin der
Grund dieſer falſchen Methode die Vegetation zu
erklaͤren, verborgen liegt, der Jrrthum? Jch ha-
be Jhnen, mein lieber Freund, ſchon ſo viel dun-
kele Begriffe meiner Vorgaͤnger entwickelt, daß
ich dieſer Arbeit bey nahe bis zum Eckel uͤberdruͤßig
bin. Jch habe mich ſchon an verſchiedenen Orten
in meiner Diſſertation in dieſes Geſchaͤfte einge-
laſſen, und wenig Dank davon gehabt, und es iſt
auch eigentlich nicht mein Amt, das Chaos eines
jeden auseinander zu wickeln. Verſuchen Sie al-
ſo hierbey einmahl ſelbſt ihre Kraͤfte. Gelingt es,
ſo haben Sie eine kleine Uebung in einer Sache,
B 3wor-
[22]Hiſtorie der verſchiedenen
worin billig ein jeder Gelehrter eine Fertigkeit ha-
ben ſollte; wo nicht, ſo will ich Jhnen hernach
dennoch die Sache vollſtaͤndig erklaͤren.


Eine andere Art, ein quid pro quo zu ma-
chen, iſt, wenn man den Endzweck eines Din-
ges mit der phyſiſchen Urſache vermiſcht. Sie
fragen nach der Urſache, warum dieſes oder jenes,
in dem menſchlichen Koͤrper zum Exempel, ſich ſo
und nicht anders verhaͤlt, und man ſagt Jhnen,
es ſey darum ſo, damit dieſes oder jenes dadurch
bewerkſtelliget werden koͤnne, oder auch es ſey aus
dem Grunde ſo, weil dieſes dadurch hat ſollen be-
werkſtelliget werden. Das nennt man alsdenn
Erklaͤrungen, und man weiß von keinen andern
Erklaͤrungen weiter. Jn allen anatomiſchen, phy-
ſiologiſchen, mediciniſchen Buͤchern finden Sie
von der Struktur und Zuſammenſetzung des
menſchlichen Koͤrpers keine andere als ſolche Erklaͤ-
rungen und man denkt an keine andere Art der-
ſelben. Eben deswegen ſage ich, man hat von ei-
ner Anatomia rationali, oder einer Lehre der Ge-
neration noch keinen Begriff gehabt. Sollte wohl
die Zweydeutigkeit in den Ausdruͤcken zu dieſem
Jrrthum Anlaß gegeben haben? Das waͤre doch
in der That laͤcherlich. Wir muͤſſen es einmahl,
wenn wir, wie gewoͤhnlich, nichts zu thun ha-
ben, unterſuchen. Dieſe Art alſo von Erklaͤrun-
gen finden Sie nun auch haͤufig bey den Vegeta-
tions-Seribenten.


Die
[23]Hypotheſen von der Generation.

Die allerluſtigſte Art zu erklaͤren aber iſt die,
da man, um eine Sache zu erklaͤren, eben dieſel-
be Sache wieder ſagt, und ſie nur mit andern
Worten ausdruͤckt. Hievon muß ich Jhnen wie-
der ein Exempel, und zwar aus dem Greew an-
fuͤhren; denn Sie werden mir alsdenn deſto eher
glauben, daß ſeine Nachfolger es nicht beſſer ge-
macht haben. Greew will, Seite 123 erklaͤren,
warum bey einigen Pflanzen die Blaͤtter laͤnglicht
werden und warum andere hingegen runde Blaͤtter
bekommen. Das iſt ſo leicht nicht; es haͤngt
mit den mehreſten weſentlichen Kennzeichen der
Pflanze zuſammen, und man muß daher die er-
ſten Gruͤnde der ganzen Pflanze einſehn, wenn
man von der Figur der Blaͤtter Rechenſchaft ge-
ben will. Mir iſt es deswegen ſchwer geworden.
Greew aber wird bald fertig. Hoͤren Sie, wie
er die Sache anfaͤngt. Er ſagt, wenn die Haupt-
Rippe des Blattes viel laͤnger iſt, als die Seiten-
Rippen, ſo wird das Blatt laͤnglicht. Rund aber
wird das Blatt, wenn die Seiten-Rippen zuſam-
men ſo lang ſind wie die Haupt-Rippe. Da ha-
ben wirs! Was iſt denn aber ein laͤnglichtes
Blatt? Das iſt ein Blatt, deſſen Laͤnge die Brei-
te uͤbertrift; und was iſt ein Rundes? ein Blatt
deſſen Breite der Laͤnge gleich iſt. Ob Sie aber
ſagen Laͤnge des Blattes, oder die Haupt-Rippe
deſſelben, die allemahl das Maasſtab der Laͤnge
iſt; und ob Sie die Breite des Blattes
oder die Seiten-Rippen, die eben die Brei-
te ausmachen, nennen, das iſt einerley. Folg-
lich
[24]Hiſtorie der verſchiedenen
lich Herr Greew ſagen Sie durch ihre Erklaͤ-
rung eben ſo viel, als wenn ſie geſagt haͤtten,
eine Pflanze bekommt runde Blaͤtter, wenn ſie
runde Blaͤtter bekommt, und laͤnglichte Blaͤtter
aber bekommt ſie, wenn ſie laͤnglichte bekommt.
Auf eben dieſelbe Art erklaͤrt er die Flaͤche der
Blaͤtter, die ausgezackte oder glatte Raͤnder der-
ſelben. Voͤllig auf eben dieſelbe Art; ich will mich
alſo dabey nicht aufhalten. Jch habe mir die
Muͤhe gegeben und alle dergleichen ſcheinbare Er-
klaͤrungen die im ganzen Greew vorkommen, zu
unterſuchen. Sie koͤnnen alle zu eine der angege-
benen Arten reducirt werden. Eben ſo habe ich
es mit dem Hill, dem Honoratus Fabri und
einigen andern gemacht. Vom Du Hamel habe
ich nur die Recenſion in den Commentariis Lip-
ſienſibus
geleſen, und daraus hinlaͤnglich geſehen,
daß er in demſelben Jrrthum gerathen iſt; Er hat
ſehr viel ſchoͤne Sachen geſchrieben, und ſein koſt-
bares Werk verdient große Achtung; nur die
Vegetation zu erklaͤren haͤtte er ſich nicht einlaſſen
ſollen. Jn Hills Verſuch aber iſt nicht ein klu-
ger Gedanke zu finden.


Einige haben auch geglaubt, das Geheimniß
der Generation bey den Pflanzen gluͤcklich erwiſcht
zu haben, wenn ſie durch Vergroͤßerungsglaͤſer
in dem Stylo des Piſtills Wege wahrgenommen
haben, wodurch der Blumenſtaub zum Germen
kommen koͤnnte. Das iſt bey den Pflanzen eben
das, was bey den Thieren der Beyſchlaff iſt. Wenn
aber
[25]Hypotheſen von der Generation.
aber jemand die gluͤckliche Entdeckung gemacht
haͤtte, daß beym Beyſchlaff der maͤnnliche Saa-
men in die Geburthsglieder des Frauenzimmers
uͤbergehe, daß in denſelben eine Scheide befind-
lich ſey, wodurch er ungehindert zu die innere
Theile kommen koͤnne; werden Sie denn ſagen,
daß der die Theorie der Generation der Thiere ent-
deckt habe? Wie der Beyſchlaf zu verrichten ſey,
das mag er wohl verſtehn, aber nicht die Lehre
von der Generation.


Viele Abhandlungen fuͤhren auch den Titel
von der Vegetation und Sie finden in ihnen
nichts als Phyſiologie. Wie der Nahrungsſaft
in die Wurzeln eindringe, wie er in den Gefaͤßen
in die Hoͤhe ſteige, wie er zubereitet werde und
dergleichen Sachen. Von der Formation der
Theile aber finden Sie kein Wort.


Die dritte Claſſe enthaͤlt die Beo-Dritte Claſ-
ſe, Beobach-
tungen der
Zergliederer.

bachtungen, die von guten Anatomi-
ſten ſeit Harveys Zeiten bis jetzo her
an Menſchen oder vierfuͤßigen Thie-
ren ſind gemacht worden. Dahin gehoͤren die
in den Eyerſtoͤcken und in den Trompeten gefunde-
ne Embryonen, woraus wir gelernt haben, daß
der Ort, wo die Conception geſchiehet, die Eyer-
ſtoͤcke ſind. Ferner die Beobachtungen, daß gleich
nach der Conception die Eyerſtoͤcke aufſchwellen,
und die Trompeten dieſelben umfaſſen, daß das
Ey aus dem Eyerſtock durch dieſe durch und in
B 5den
[26]Hiſtorie der verſchiedenen
den Uterum uͤbergeht, daß alsdann der Uterus
ſelbſt aufſchwellt, und das Ey an demſelben an-
waͤchſt. So ſchoͤn wie es iſt, alle dieſe Sachen
zu wiſſen, ſo wichtig dieſe Entdeckungen auch ſind,
ſo ſehen Sie doch leicht, daß ſie alle zur Forma-
tion des Koͤrpers nichts beytragen, daß man aus
allen dieſen ſchoͤnen Beobachtungen den organi-
ſchen Koͤrper nicht erklaͤren kann. Sie zeigen uns
zwar den Ort, wo die Formation geſchiehet, aber
nicht die Art, wie ſie geſchiehet. Sie enthalten
die Umſtaͤnde, die die Generation begleiten, aber
nicht dieſe ſelbſt. Wir haben indeſſen die Ent-
deckung dieſer wichtigen Sachen dem Harwey,
Malpighius, Regnerus de Graaf,
dem
Herren von Haller und auch zum Theil dem Val-
lisneri
zu danken.


Vierte Claſ-
ſe, Beobach-
tungen an den
Eyern.

Zur vierten Claſſe rechne ich die
Beobachtungen an gebruͤteten Eyern,
in ſo fern man das, was man geſe-
hen hat, ſo wie es geſehen iſt, genom-
men hat, ſo koͤnnen dieſe Beobachtungen dem
Werthe nach mit denen in der dritten Claſſe gleich-
geſchaͤtzt werden; allein von einer Erklaͤrung iſt
alles das, was man dabey geſagt hat, ſehr unter-
ſchieden. Man hat eben die Dinge hiſtoriſch er-
zaͤhlt, die man aus ihren Urſachen erklaͤren ſollte.
Man hat zum Exempel geſehn, daß Fluͤgel, da-
von man zu einer Zeit noch nichts entdeckt hatte,
zu einer andern Zeit nunmehro entſtanden waren;
allein die Art, wie ſie entſtanden waren, und die
Urſa-
[27]Hypotheſen von der Generation.
Urſachen wodurch ſie entſtanden waren, blieben
verborgen.


Die fuͤnfte Claſſe begreift dieDie fünfte
Claſſe, Hypo-
theſen der
Prädelinea-
tion.

beyde in den neuern Zeiten erfundene
Hypotheſen der Praͤdelineation in ſich,
davon die eine, welche das Syſtem
der Entwicklung (Syſtema evolutio-
nis
) genennt wird, den Malpighius oder Ma-
lebranche,
die andere hingegen, welches man
Syſtema præformationis nur zu nennen pflegt,
und welches die Saamen-Thiere, fuͤr die erſten
Anfaͤnge der Thiere haͤlt, den Hartſoͤcker oder
den Leuwenhoͤck zum Erfinder hat. Der wahre
Erfinder verliert nicht viel, wenn man ihn gleich
nicht erkennt. Jch habe ſchon in meiner Diſſer-
tation (Exp. Jnſt. §. 3.) von dieſen beyden
Hypotheſen geſagt, daß man dadurch nicht
nur die Generation nicht erklaͤrte, ſondern daß
man vielmehr durch ſie behaupte, es finde kei-
ne Formation der organiſchen Koͤrper in der Na-
tur ſtatt. Dieſes iſt ſehr klar und einfach. Herr
Bonnet, hat es auch ſchon in ſeinem 1762. her-
ausgegebenem Werke, davon ich in der Folge
noch weitlaͤuftiger reden werde, angenommen,
deswegen finde ich nicht fuͤr noͤthig mich hierbey
aufzuhalten. Jndeſſen habe ich doch dieſe Wahr-
heit, ſo einfach ſie auch iſt, in keinem Buche
das vor 1759, da ich meine Diſſertation heraus-
gegeben habe, gedruckt waͤre, angetroffen. Man
hat vielmehr geglaubt, man erklaͤre durch dieſe
Hypo-
[28]Hiſtorie der verſchiedenen
Hypotheſen wuͤrklich die Generation, und alſo ſe-
hen Sie auch wiederum aus dieſem Exempel, wie
leicht es ſey, etwas fuͤr eine Erklaͤrung zu halten,
was keine iſt.


Dieſes iſt das Vornehmſte und das Beſte
was von der Generation ſeit Ariſtotelis Zeiten
iſt geſagt worden. Es ſind auſſerdem noch einige
beſondere Hypotheſen ausgearbeitet worden, die
aber meines Wiſſens auſſer ihren Verfaſſern nie-
mand angenommen hat. Zu dieſen gehoͤrt auch
das, was Buffon und Needham geſchrieben
haben. Jch kann mich nicht in eine Zergliederung
ihrer Schriften einlaſſen, weil ich zu weitlaͤuftig
werden wuͤrde. Wenn Sie ſie aber ſelbſt leſen
wollen, ſo werden Sie finden, daß ſie eben ſo
wenig, wie andere, auch den geringſten organi-
ſchen Theil eines Thieres oder einer Pflanze nicht
erklaͤrt haben.


Needham.

Vom Needham will ich nur die-
ſes einzige bey dieſer Gelegenheit erin-
nern, daß auch ſeine Abſicht nicht einmahl gewe-
ſen ſeyn kann, die Generation zu erklaͤren. Er
hat vielmehr, wenn ich aus dem, was er geleiſtet
hat, ſeinen Endzweck beurtheilen ſoll, nur erwei-
ſen wollen, daß nicht, wie es vor ihm durchgaͤn-
gig angenommen war, alle organiſche Koͤrper aus
einem Ey entſtuͤnden, ſondern daß vielmehr in der
Natur eine Kraft ſey, wodurch auch ohne Eltern,
ohne vorhergegangene Vereinigung zweyer Ge-
ſchlech-
[29]Hypotheſen von der Generation.
ſchlechter, wenigſtens mikroſcopiſche Thierchen,
wie er ſie nennt, hervorgebracht werden koͤnnten,
und wuͤrcklich hervorgebracht wuͤrden. Dieſes
hat er beſonders durch ſeine Jnfuſionen zu erwei-
ſen geſucht, und dieſes iſt es auch, was er eigent-
lich ſagen will, wenn er ſo oft in ſeinem Buche
den allgemeinen Schluß macht, worauf alle ſeine
Beobachtungen abzielen: il y a donc dans la Na-
ture une forçe productrice.


Um das, was Needham gethan hat, noch
feſter zu ſetzen, ſo erinnern Sie ſich, daß Ariſto-
teles
und alle ſeine Nachfolger behaupteten, daß
aus der Faͤulniß Thiere von einer geringern Gat-
tung, Jnſekten und Wuͤrmer erzeugt werden koͤnn-
ten. Das ging bis ins vergangne Jahrhundert.
Darauf ſchrieb Franciſcus RediExperimenta
circa generationem inſectorum.
Hierin bewieß
er, daß die Exempel, welche die Alten von einer
ſolchen generatione æquivoca, wie ſie ſie nennten,
angefuͤhrt hatten, alle falſch ſeyn; daß alle dieſe
Jnſeckten aus Eyern entſtuͤnden, die vorher durch
andere Jnſeckten, an dem Ort wo man geglaubt
hatte, daß ſie aus der Faͤulniß entſtanden waͤren,
hingeleget ſeyn. Durch dieſe Verſuche bekehrte
Redi die ganze gelehrte Welt, und kein Menſch
wollte mehr an die Fabel von der Erzeugung aus
der Faͤulniß glauben, ſondern man nahm viel-
mehr als einen Grundſatz, den Sie auch in Lin-
naͤi
philoſophia botanica ausgefuͤhrt finden, an:
omne vivum ex ovo! Nun kam Needham und
ſagte,
[30]Hiſtorie der verſchiedenen
ſagte, zwar nicht eben Jnſeckten, aber doch klei-
nere wenigſtens und unvollkommnere mikroſcopi-
ſche Thierchen werden, nicht zwar aus der Faͤul-
niß, aber doch ohne Eltern, ohne Ey in meinen
Jnſuſionen erzeugt. Der Satz omne vivum ex
ovo
iſt falſch, und dieſer hingegen, datur vis pro-
ductrix,
iſt wahr. Sie ſehen, daß Needham
accurat ein Antagoniſt vom Redi iſt; das er die
alte verſtoßne Wahrheit des Ariſtoteles, nur et-
was genauer beſtimmt, wieder errettet hat. Al-
lein Sie ſehen auch, daß Needhams Schrift
von einer Lehre von der Generation ſehr verſchie-
den iſt. Jn dieſer ſoll man die Generation und
zwar die gewoͤhnliche Generation der vollkomm-
nen Thiere, wozu die Vereinigung beyder Ge-
ſchlechter erfordert wird, erklaͤren. Needham
hat nichts erklaͤrt, er hat nur bewieſen, daß eine
Erzeugung und zwar mikroſcopiſcher Thierchen
ohne Ey, ohne Eltern, die ich in meiner Diſſer-
tation, um ſie von der gewoͤhnlichen Erzeugung
zu unterſcheiden, die Entſtehung (ortum) ge-
nennt habe, in der Natur ſtatt finde. Wie dieſe
Entſtehung bewerkſtelliget werde, daran iſt nichts
gelegen. Genug daß ſie geſchiehet. Bey der
wahren Erzeugung hingegen hat man nichts zu
beweiſen. Es zweifelt kein Menſch, daß ſie nicht
ſtatt finden ſolle, aber erklaͤren ſoll man, wie es
damit zugeht. Sie ſehen wohl, Needhams
Lehre iſt von der Lehre der Generation auf
allen Seiten verſchieden. Nicht nur in An-
ſehung der Sache, wovon er handelt, ſondern
auch
[31]Hypotheſen von der Generation.
auch in Anſehung desjenigen, was er von die-
ſer Sache ſagt.


Es iſt daher ein Mißverſtaͤndniß geweſen,
wenn wir die Worte in der Recenſion meiner Theo-
rie die ſich in den Goͤttingiſchen gelehrten Anzeigen
im Jahr 1760 143. Stuͤck befindet, „indem der
„Verfaſſer, wenn kein Fehler in ſeinen
„Schluͤßen iſt, die Needhamiſche Meynung
„faſt erweiſet,
ſo ausgelegt haben, als wenn ich
wenigſtens mit Needham einerley Sachen ge-
ſchrieben haben muͤſte. Der große Gelehrte, wel-
cher dieſe Recenſion gemacht hat, der Hr. Baron
von Haller, hat die Gefaͤlligkeit gehabt, in einem
Briefe, den ich nachhero von Jhm bekommen
habe, mir ſeine Meynung deutlicher zu erklaͤren.
Er ſagt, wenn das richtig iſt, was ich geſchrie-
ben habe, ſo verſchieden es auch von dem, was
Needham gethan hat, ſeyn mag, ſo kann man
doch Needhams Saͤtze aus den meinigen herlei-
ten, und ſie folglich durch meine Saͤtze als durch
neue Gruͤnde beweiſen. Hierwider kann ich auf
eine billige Art nichts einwenden. Denn es iſt
wahr. Und in der That halten auch die angefuͤhr-
te Worte weiter nichts in ſich, als daß durch mei-
ne Theorie, wenn ſie richtig iſt, auch die Need-
hamiſche Meynung zugleich eine große Wahr-
ſcheinlichkeit bekommt. Jch halte auch die meh-
reſte Erinnerungen in dieſer Recenſion fuͤr billig;
Zum Exempel, daß ich mit mehrern Erfahrungen
noch meine Saͤtze haͤtte beſtaͤrken ſollen. Jmglei-
chen
[32]Hiſtorie der verſchiedenen
chen daß ich mit einem mahl ein wenig zuviel ge-
wagt habe. Denn wenn man in phyſiſchen Ent-
deckungen recht ſicher gehen will, ſo muß man die
Natur einer Sache nicht von einer, ſondern von
ſo vielen Seiten, als moͤglich iſt, kennen, und
alsdann, wenn ſich die Sache auf allen Seiten
und in allen Umſtaͤnden immer auf dieſelbe Art
uns vorſtellt, koͤnnen wir verſichert ſeyn, daß ſie
ſich ſo, wie wir glauben, verhaͤlt. Jch habe eine
dergleichen Furchtſamkeit auch in der Vorrede
meiner Diſputation ſchon einigermaſſen blicken
laſſen. Jndeſſen kann ich wohl eben nicht ſagen,
daß ich bisher viel Uebereilungen entdeckt haͤtte;
ſondern die neue Erfahrungen, welche ich mir
waͤhrend der Zeit, von verſchiedenen Dingen an-
geſchaft habe, ſtimmen nicht nur mit meinen
Grundſaͤtzen uͤberein, ſondern ſie ſcheinen ſie auch
ſehr zu beſtaͤrken. Dieſes thut aber der vorigen
Wahrheit nichts, und die Erinnerung bleibt im-
mer ſehr wahr und nuͤtzlich. Und auf dieſe Art
erkenne ich aus den mehreſten Anmerkungen die-
ſer Recenſion die große Einſicht ihres Verfaſſers.
Nur einige wenige Punkte kommen darinn vor,
und zwar eben die, welche Herr Bonnet in ſeiner
neuen Schrift mit großem Fleiß weiter zu treiben
ſcheint, die ich, dafern ich nicht wider mein Ge-
wiſſen reden ſoll, nicht zugeben kann. Hiervon
will ich alſo in der Folge Jhnen meine Gedan-
cken ſagen.


Sie
[33]Hypotheſen von der Generation.

Sie wiſſen, daß der Herr vonDes Herrn
Baron von
Haller Beo-
bachtungen.

Haller in ſeiner kleinen Phyſiologie
ſehr viel Zuneigung zur wahren For-
mation der organiſchen Koͤrper, die
wuͤrklich durch die Kraͤfte der Natur bewerkſtel-
liget wuͤrde, bezeigt hat. Jndeſſen, nachdem
Buffon und Needham eine Zeitlang die Gelehr-
ten beſchaͤftigt hatten, ſo gab er 1758. Beobach-
tungen uͤber die Formation des Herzens in den
Huͤnereyern heraus. Hierin behauptete er zwar
nicht als voͤllig gewiß die Hypotheſe des Mal-
pighii,
allein er ſagte, daß die Beobachtungen
mehr vor als wider dieſe Hypotheſe waͤren, und er
wollte die Gruͤnde der Beurtheilung ſeiner Leſer
vorſtellen. Dieſes vortreffliche Werk enthaͤlt ſo
wichtige, ſo accurate und vollſtaͤndige Beobach-
tungen von allen denen Veraͤnderungen, die mit
dem Embryo im Ey waͤhrend ſeiner ganzen For-
mation allmaͤhlig vorgehen, daß man nicht nur
bishero keine ſo vollkommne Beſchreibung dieſer
Hiſtorie der Formation gehabt hat, ſondern daß
man auch niemahl eine vollkommnere wird erwar-
ten koͤnnen. Der Mangel der Kupfer wird zwar
denenjenigen, die dieſe Verſuche nicht gemacht
haben, die Beſchreibungen etwas ſchwer machen,
allein denenjenigen, die darin geuͤbt ſind, koͤnnen
dieſe nicht anders als hinlaͤnglich deutlich ſeyn.


Dieſe war alſo die letzte Schrift, welche von
der Generation herausgekommen war, da ich ein
Jahr darnach meine Diſſertation drucken ließ, und
Cjetzo
[34]Hiſtorie der verſchiedenen ꝛc.
jetzo endlich iſt als das allerneueſte, was wir von
Bonnet.der Generation haben, des Herren
Bonnets Schrift, die den Titel fuͤhrt,
Conſiderations ſur les corps organiſées, heraus-
gekommen, worinn wiederum, und zwar aus eben
denſelben Gruͤnden des Herren von Hallers, des
Malpighs Hypotheſe behauptet, und in ihrem
ganzen Umfange vorgetragen wird.


Dieſes waͤre alſo ein kleiner Abriß einer Hiſtorie
der Lehre von der Generation, woraus Sie vors er-
ſte ſo viel werden geſehen haben, daß in allen dieſen
Schriften, des einzigen Carteſii Tractat, der
aber nach aller Menſchen Geſtaͤndniß nur eine
bloße Chimaͤre in ſich enthaͤlt, ausgenommen, kei-
ne Erklaͤrung der Generation vorkoͤmmt. Ob ich
aber in meiner Diſſertation, oder auch in der fol-
genden Abhandlung, die organiſchen Theile und ihre
Zuſammenſetzung in den Thieren und Pflanzen
wuͤrklich erklaͤrt habe, oder ob ich eben ſo, wie die
andern, nur einen kuͤnſtlichen Dunſt gemacht ha-
be, der das Anſehen einer Erklaͤrung hat, beym
Lichte beſehen, aber nichts weniger als Erklaͤrung
iſt, das will ich nun, nachdem ich Jhnen in dem
obigen den Begriff einer Erklaͤrung auseinander
geſezt habe, Jhnen und andern, die da wiſſen, was
man unter Erklaͤrung zu verſtehn hat, zu beurthei-
len uͤberlaſſen. Nunmehro bleibt mir noch eine
andere kleine Arbeit uͤbrig.


Be-
[35]

3. Abſchnitt.
Beweiß der Epigeneſis.



Jch habe mich allezeit ſehr in Acht genommen,
wider das, was ein anderer geſchrieben hat,
zu diſputiren. Nicht deswegen, weil ich ſolches
etwan fuͤr unbillig gehalten haͤtte; es hat ein jeder
die Freyheit, das, was er in den Wiſſenſchaften
fuͤr wahr haͤlt, oͤffentlich fuͤr wahr zu erkennen,
und folglich muß er auch das Recht haben, das-
jenige, was ihm wider die Wahrheit zu ſtreiten
ſcheint, zu widerlegen. Allein ich habe geglaubt,
daß es ſehr wohl moͤglich ſey, eine Warheit aufs
Beſte zu vertheidigen ohne eines andern ſeine
Saͤtze, die wider dieſe Wahrheit ſtreiten, foͤrm-
lich anzugreifen. Denn, da ein Satz, wenn er
einmahl wahr iſt, unmoͤglich auch falſch ſeyn kann;
ſo habe ich ja weiter nichts noͤthig, als dieſen Satz
ſo zu beweiſen, daß niemand an deſſen Wahrheit
mehr zweifelt, und die Gruͤnde, welche wider die-
ſen Satz angefuͤhrt werden, fallen alsdann eben
dadurch von ſelbſten ſchon weg. Da nun alſo auf
dieſe Art alle Diſpuͤten unangenehm ſind, was
treibt mich denn dazu, mich in eine unangenehme
Sache einzulaſſen? Da ich alſo meine Diſſertation
ſchrieb, ſo ſetzte ich mir dieſes als eine Regel vor, daß
ich in derſelben wider niemanden diſputiren wollte.


Daher werden Sie zwar allenthalben von
demjenigen, was ich fuͤr wahr halte, Beweiſe
finden. Nirgend aber werden Sie foͤrmliche Wi-
C 2derle-
[36]Beweiß der Epigeneſis.
derlegungen antreffen. Eben daher finden Sie
im dritten Theil die Meynungen anderer Natur-
forſcher zwar angefuͤhrt, auseinander geſetzt, mir
den meinigen verglichen, aber nicht widerlegt.
Nach eben der Regel habe ich in dieſer Abhand-
lung bisher die vornehmſte Hypotheſen von der
Generation erzehlt, genau unterſucht, und was
etwan dadurch zum Vortheil der Wiſſenſchaften
gethan ſey, beſtimmt, aber von Widerlegungen
kein Wort mit einflieſſen laſſen. Aus eben dieſem
Grunde habe ich mich in meiner Diſſertation an-
geſtellt, als wenn mir von keinen andern Hypo-
theſen, die ich etwan, dafern ich die meinige auf
einem ſichern Grunde bauen wollte, erſt widerle-
gen muͤßte, etwas bekannt waͤre, ob wohl ſolches
ſonſt gewoͤhnlich zu geſchehen pflegt. Jch habe
gethan, als wenn ich nicht wuͤßte, daß gelehrte
Maͤnner waͤren, die, in ſofern in meiner Theorie
zum voraus geſetzt wird, daß die organiſchen Koͤr-
per wuͤrklich durch natuͤrliche Kraͤfte gebildet wer-
den, davon das Gegentheil behauptet haͤten. Jch
habe vielmehr eine ſolche Stellung angenommen,
gleichſam als haͤtte erſtlich noch niemand von die-
ſer Sache geſchrieben, zweytens als ſaͤhe man taͤg-
lich, daß neue organiſche Koͤrper entſtehen, die
vorhin nicht da waren; als ſey alſo an dieſer
Wahrheit, daß ſie wuͤrklich formirt werden, gar
kein Zweifel, und waͤre folglich kein anderes Pro-
blem bey den Gelehrten aufzuloͤſen uͤbrig als die-
ſes: Wie aber und auf was fuͤr Art und durch
welche Urſachen werden dieſe Koͤrper formirt?
Als-
[37]Beweiß der Epigeneſis.
Alsdann aber, habe ich geglaubt, wenn ich wuͤr-
de gezeigt haben, wie die organiſche Koͤrper for-
mirt werden, und bewieſen, daß ſie auf dieſe und
auf keine andere Art formirt werden, alsdann, ſa-
ge ich, habe ich geglaubt, daß von ſelbſten klar
ſeyn wuͤrde, daß ſie auch wuͤrcklich formirt ſeyn
muͤſten, daß dieſer Zweifel, ob ſolches auch wuͤrck-
lich geſchehe, eben dadurch von ſelbſt wegfallen
wuͤrde, und daß auf dieſe Art, ob ich gleich jenen
Satz, wodurch man, wie man es nennt, die
Epigeneſin behauptet, nicht unmittelbahr bewie-
ſen haͤtte, ſo daß mir dieſer Beweiß ein beſonde-
rer Endzweck geweſen waͤre, es doch eben ſo gut
ſey, als wenn ich ſolches gethan haͤtte. Daß die-
ſes mein Plan geweſen ſey, ſehen Sie an der gan-
zen Ausfuͤhrung meiner Diſſertation. Nachdem
ich mit wenigen Worten feſt geſetzt habe, daß den
lebenden Koͤrpern eine gewiſſe Kraft eigen ſey,
wodurch die Nahrungsſaͤfte durch ihre Theile di-
ſtribuirt werden, welches ich allenfalls ohne Scha-
den hatte weglaſſen koͤnnen; ſo entdecke ich ſogleich
durch Beobachtungen die wahre Beſchaffenheit
der Gefaͤße in den Pflanzen, und daraus ſchließe
ich, wie ſie nothwendig haben formirt werden muͤſ-
ſen. Und eben ſo verfahre ich bey der Formation
der uͤbrigen Theile. Jch ſage alſo, Sie ſehen aus
der ganzen Ausfuͤhrung meiner Diſſertation,
daß der Endzweck derſelben eigentlich nicht
die Vertheidigung der Epigeneſis geweſen ſey.


So ſehr die Maxime, daß man, ſo viel als
moͤglich iſt, alle Diſpuͤten vermeiden muͤſſe, den
C 3Regeln
[38]Beweiß der Epigeneſis.
Regeln der Vernunft und der Billigkeit, wie ich
glaube, gemaͤß iſt, ſo ſehen Sie doch leicht, daß
ſie in dem Fall, wo in einer Theorie Schwuͤrigkei-
ten gezeigt werden, die man aufgeloͤſet haben will,
ſchlecht angebracht ſeyn wuͤrde. Man ſagt mir
zum Exempel, wenn das, was ich behaupte, wahr
iſt, ſo wird ja dieſes oder jenes daraus folgen,
welches doch unmoͤglich ſeyn kann; oder man ſagt
mir, ſie ſchließen aus dieſer Beobachtung dieſen
Satz, allein das folgt nicht. Hier kann ich nicht
antworten, ich will nicht diſputiren. Es iſt hier
die Rede nicht mehr vom Diſputiren. Wenn ich
zeige, daß ich entweder dieſen Satz aus jener
Beobachtung wuͤrklich nicht ſchlieſſe, auch ihn zu
meiner Theorie, wenn ich ihn geſchloſſen haͤtte, nicht
wuͤrde noͤthig gehabt haben, daß dieſer Schluß
mir alſo aus einer Uebereilung nur ſey zugeſchrie-
ben worden, oder wenn ich zeige, wie der Satz
aus der Beobachtung folgt und mit derſelben zu-
ſammenhengt; ſo heiſt das nicht mehr diſputiren.
Es heiſt in einem gewiſſen Punkt ſich naͤher erklaͤ-
ren, ſich deutlicher und vollſtaͤndiger erklaͤren.


Da nun in der Recenſion, die der Herr Ba-
ron von Haller uͤber meine Diſſertation zu ma-
chen mir die Ehre erzeigt hat, dergleichen Schwie-
rigkeiten gezeigt und vorgeſtellt werden, wie man
ſolches allemahl von einem ſo großen Mann, der
keine bloße hiſtoriſche Erzaͤhlung, ſondern eine
Beurtheilung der Sache liefern ſoll, mit Grunde
auch fordern kann; da auch eben dieſe Schwierig-
keiten
[39]Beweiß der Epigeneſis.
keiten ferner in des Herren Bonnets Betrachtun-
gen uͤber die organiſchen Koͤrper weiter vorgetra-
gen und mehr auseinander geſetzt werden, ob gleich
meine Schrifft nicht genennt wird; ſo iſt es alſo
in dieſem Fall keine Beſcheidenheit mehr, hierauf
nicht zu antworten. Nein, es iſt meine Schul-
digkeit, mich in dieſem Punkt naͤher zu erklaͤren.


1) Unwahrſcheinligkeit der Hypo-
theſen von der Praͤdelineation.



Ehe ich aber dieſe Schwierigkeiten ſelbſt aufloͤſe,
ſo will ich Jhnen vorher erklaͤren, was ich
von dem Syſtem der Evolution fuͤr eine Jdee ha-
be, wenn ſolches, ohne noch an diejenige Verſu-
che und Beobachtungen zu denken, welche die Ge-
neration naͤher angehen, und aus denen eigentlich
nur eine Theorie hergeleitet werden kann, bloß an
und vor ſich betrachtet wird. Und ich kann dieſes
jetzo um ſo vielmehr thun, da ich mich noch nie-
mahls, und bey keiner Gelegenheit in Anſehung
der Wahrſcheinlichkeit oder Unwahrſcheinlichkeit
dieſer Hypotheſen herausgelaſſen habe.


Jch muß geſtehn, daß beyde Meynungen, ſo wohl
die von der Evolution, als auch die andere von
den Saamenthierchen, mir immer, und auch ehe
ich noch glaubte, daß ich jemahls zu Beobachtun-
gen kommen wuͤrde, die mich in den Stand ſetz-
ten, eine Theorie der Generation auszuarbeiten,
ſchon unwahrſcheinlich vorgekommen ſind. Jch
C 4kann
[40]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
kann ſo gar nicht laͤugnen, daß eben dieſes eine
von den fuͤrnehmſten Urſachen zugleich mit gewe-
ſen iſt, warum ich mich mit der Widerlegung die-
ſer Hypotheſen niemahls habe aufhalten wollen;
und ich wuͤrde vielleicht noch ſo denken, wenn der
Herr von Haller nicht zu erkennen gegeben haͤt-
te, daß er bey dem Syſtem der Evolution viel
Wahrſcheinlichkeit finde, und wenn Hr. Bonnet
nicht eben dieſes faſt fuͤr gewiß hielte. Hiedurch
bekoͤmmt die Sache in meinen Augen ein ganz
anderes Anſehen, und ich denke nicht mehr, daß
es ſich der Muͤhe nicht belohne, des Malpighs
Syſtem zu widerlegen.


Man findet
nichts in der
Natur wel-
ches einer
Evolution
ähnlich wäre.

Die Urſache aber, warum mir
dieſe beyde Hypotheſen, auch ohne
noch auf die eigentlich zur Sache gehoͤ-
rige Obſervarionen zu ſehen, an ſich
ſchon ſehr unwahrſcheinlich vorgekom-
men ſind, iſt fuͤrnehmlich dieſe, weil
man in der ganzen Natur, auch kein einziges Phaͤ-
nomen antrift, welches mit einer ſolchen Evolution,
wie in dieſen Hypotheſen angenommen wird, nur
die geringſte Aehnlichkeit haͤtte, wie ich ſolches gleich
deutlicher erklaͤren werde. Nun wiſſen Sie aber,
wie man in phyſiſchen Erklaͤrungen verfahren muͤſ-
ſe. Man muß, wenn man nicht unmittelbar durch
Beobachtungen und Verſuche hinter eine Sache
kommen kann, nicht, wie Carteſius und Ham-
berger
gethan haben, eine Moͤglichkeit, wie ſich
et wan allenfalls eine Sache verhalten koͤnnte, aus
der
[41]von der Praͤdelineation.
der Luft erdenken; ſondern man muß, wie es der
Herr von Haller und andere gute Naturforſcher
immer gemacht haben, ſich nach einem andern aͤhn-
lichen Fall in der Natur umſehn, wo der Wahr-
heit leichter beyzukommen iſt; hieraus muß man
ſo lange, bis man Beobachtungen bekoͤmmt, die
die Sache demonſtriren, wahrſcheinlicher Weiſe
ſchließen, daß es ſich mit jener unbekannten Sa-
che, unfehlbahr eben ſo verhalten werde. Je mehr
man aͤhnliche Faͤlle entdeckt, worin die Natur auf
eben dieſelbe Art verfaͤhrt, einen deſto hoͤhern Grad
der Wahrſcheinlichkeit bekoͤmmt die Hypotheſe, und
wenn man endlich eine ganze Menge dergleichen
aͤhnlicher und zwar wuͤrklich aͤhnlicher Faͤlle auf-
weiſen kann, ſo ſagt man alsdann, es iſt der
Natur gewoͤhnlich, ſo zu handeln,
oder wenn
es ſehr weit geht, ſo ſage man wohl gar es iſt ein
Geſetz der Natur, nach welchem ſie ſo handeln
muß, und die Hypotheſe wird eine phyſiſche Wahr-
heit. Wenn aber hingegen man keinen einzigen
Fall in der Natur entdecken kann, wo ſie ſo ver-
fuͤhre, wie in einer Hypotheſe angenommen wird;
wenn dieſe nichts weiter vor ſich hat, als eine bloſ-
ſe Moͤglichkeit, als bloß dieſes, daß ſie keinen Wi-
derſpruch enthaͤlt; alsdann iſt einem Naturfor-
ſcher eine ſolche Hypotheſe ein veraͤchtliches und
unertraͤgliches Ding, und das kommt daher; ſie
harmonirt gar nicht mit dem Begriff, welchen er
von der gegenwaͤrtigen Natur durch Erfahrungen
bekommen hat. Er ſagt alsdann, ich finde gar
nicht den allergeringſten Grund, warum ich dieſe
C 5Chi-
[42]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
Chimaͤre, denn eine bloße Chimaͤre iſt es doch nur,
fuͤr wahr halten ſollte. Laſſen Sie mich zu frie-
den, es ſoll mir nicht ſo ſchwer werden, fuͤr unwiſ-
ſend gehalten zu werden, als Jhre Hypotheſe zu
behaupten. Koͤnnen Sie mir es nun wohl ver-
denken, wenn ich, auch ehe ich das Geringſte von
der wahren Theorie der Generation gewuſt habe,
doch dieſe beyde Hypotheſen wenigſtens niemahls
habe ausſtehen koͤnnen? Jch habe immer eben ſo
gedacht, wenigſtens habe ich dieſe Gedanken un-
deutlich gehabt, die ich Jhnen jetzo entwickele.
Sie ſehen aber hieraus ſchon, daß ich nicht der-
jenigen Schwierigkeiten wegen dem Syſtem der
Evolution abgeneigt geweſen bin, die man dem-
ſelben gewoͤhnlich macht, und die von der ſehr
großen Kleinheit der organiſchen Koͤrper, die in
einer unendlichen Menge in dem erſten Ey geſteckt
haben ſollen, hergenommen ſind. Dieſe wuͤrden
mich vielleicht weniger gedruͤckt haben, und es gel-
ten bey mir die Saamenthierchen, die jener
Schwierigkeit nicht unterworfen ſind, dennoch nicht
mehr als die Evolution.


Nunmehro will ich Jhnen aber die obige
Wahrheit deutlicher erklaͤren. Jch ſage, man
findet in der ganzen Natur kein einziges Phaͤno-
men, welches mit einer ſolchen Evolution, wie in
den beyden Hypotheſen angenommen wird, auch
nur einige Aehnlichkeit haͤtte. Jch will Jhnen
jetzo den Begriff der Evolution, und zwar ſo, wie
er nicht nur beyden Hypotheſen gemein iſt, ſon-
dern
[43]von der Praͤdelineation.
dern wie er auch auf andere Erſcheinungen in der
Natur, die nicht eben Producktions organiſcher
Koͤrper ſind, angewendet werden kann, beſtim-
men. Sie ſehen leicht, daß ich den Begriff et-
was allgemeiner und weiter machen werde, als
er in der Hypotheſe der Evolution angenommen
wird, allein dadurch verlieren die Vertheidiger
der Hypotheſe nichts, ſondern ſie gewinnen, und
ich verliere; denn wenn auch das, was beyden
Hypotheſen gemein iſt, und was ich von dem
Syſtem der Evolution nur abſtrahirt habe, nicht
einmahl in der Natur angetroffen wird, wie viel-
weniger wird das uͤbrige, was einer jeden noch
beſonders eigen iſt, mit dem Vorigen zugleich an-
getroffen werden. Jch erinnere dieſes vielleicht
ohne Urſache, und es iſt leicht, die Billigkeit
meines Verfahrens einzuſehn. Evolution alſo
heiſt im generellern Verſtande ein Phaͤnomen,
welches in der Natur entſteht, eine Zeitlang dau-
ert und wieder aufhoͤrt, welches aber nicht durch
natuͤrliche Urſachen producirt, ſondern vielmehr
unmittelbahr von Gott, und zwar zur Zeit der
Schoͤpfung ſchon erſchaffen, die Zeit uͤber, ehe
es zum Vorſchein gekommen, unſichtbahr gewe-
ſen, alsdann aber, da es erſchienen iſt, eigentlich
nur, auf was fuͤr Art es uͤbrigens auch geſchehe,
ſichtbahr geworden iſt. Alſo kuͤrtzer, ein Phaͤno-
men, welches ſeinem Weſen und Eigenſchaften
nach immer exiſtirt hat, nur nicht ſichtbar gewe-
ſen iſt, endlich aber, auf welche Art es wolle, un-
ter der Maske, als wenn es erſt entſtuͤnde, ſichtbar
wird
[44]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
wird. Die Art, wie es eine Zeitlang unſichtbar
geweſen, hernach ſichtbar geworden ſey, mag ſeyn
welche ſie wolle. Es mag vorher zu klein, es
mag durchſichtig geweſen, hernach aber in ein
groͤßeres Volumen ausgedehnt, oder undurchſich-
tig geworden ſeyn, oder es mag noch auf eine
andere Art geſchehen ſeyn, das iſt mir alles einer-
ley; und Sie haben die Freyheit zu wehlen, zu
erfinden, wie Sie wollen. Nun ſage ich, ein
dergleichen Ding, ein ſolches evolvirtes Phaͤno-
men, oder eine ſolche Evolution finden Sie in der
ganzen Natur nicht. Miſchen Sie mir nur nicht
gleich alles durcheinander. Sie werden ſagen;
Wie? Pflanzen? Jnſeckten? Das ſind eben die
Dinge, bey denen ich die Evolution laͤugne; aber
haben Sie drey Augenblicke Gedult; ich werde da-
hin kommen. Wir wollen vors erſte die organi-
ſche Koͤrper, die eben der Gegenſtand unſerer
Dispuͤte ſind, nur ſo lange uͤber Seite ſetzen, und
die uͤbrige Erſcheinungen der Natur, die uͤbrige
ganze Natur nur mit einem Blick durchgehn.
Was ſind da nicht noch fuͤr Erſcheinungen? fuͤr
Dinge, die die Natur hervorbringt, und deren
Art, wie ſie hervorgebracht werden, wir ſchon
wiſſen, und zwar ſo, daß wir alle darin einſtim-
mig ſind. Gehen Sie alſo dieſe Dinge durch,
und ſehen Sie, ob Sie eine Evolution, oder et-
was aͤhnliches unter ihnen antreffen werden. Sie
finden alſo zum Exempel in der Luft Wolken, wel-
che entſtehn und wieder aufhoͤren. Aber ſchienen
ſie nur zu entſtehen? und wurden ſie eigentlich
nur
[45]von der Praͤdelineation.
nur evolvirt? Nein, wir wiſſen, daß ſie durch
natuͤrliche Urſachen und zwar durch die Waͤrme
producirt werden, und wie ſie producirt werden.
Die Materie zu den Wolken war da, aber Wol-
ken wurden erſt producirt. Der Regenbogen ent-
ſteht und vergeht wieder. Aber hat er immer exi-
ſtirt? Nein wir wiſſen, daß er weiter nichts iſt,
als eine Reihe fallender Regentropfen, die die
Sonnenſtrahlen zuruͤckwerfen, und die nicht im-
mer, als fallende, und Sonnenſtrahlen zuruͤck-
werfende Regentropfen exiſtirt haben. Jch wuͤr-
de laͤcherlich werden, wenn ich mit dieſen Erklaͤ-
rungen weiter durch Schnee, Hagel, Regen, u.
ſ. f. durchgehen wollte. Aber erinnern Sie ſich
auch an die durch Miſchungen producirte Sub-
ſtanzen, die in der Natur erzeugt werden, und
deren Entſtehungsart wir wiſſen. Schwefel,
Salze, Metalle. Hat der Schwefel ſeinem We-
ſen und Eigenſchaften nach, folglich als Schwefel
ſchon immer exiſtirt? Er wird producirt, indem
Vitriolſaͤure mit einem brennbaren Weſen verbun-
den wird. Alle Dinge woraus unſere Erdkugel
nicht nur, ſondern die Welt zuſammengeſetzt iſt,
und die wir kennen, ſind entweder offenbar un-
beſtaͤndig, und muͤſſen als Veraͤnderungen des
Weltgebaͤudes angeſehn werden, oder ſie ſcheinen
beſtaͤndig, und koͤnnen alſo in ſo fern als weſent-
liche Stuͤcke dieſes Weltgebaͤudes betrachtet wer-
den. Zu den erſtern gehoͤren die ſchon angefuͤhrte
Exempel. Die Gebuͤrge hingegen, die Fluͤſſe,
Laͤnder, das Meer, die innere Strucktur des Erd-
bodens,
[46]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
bodens, koͤnnen Sie, wie Sie wollen, entweder
zur erſten oder zweyten Claſſe rechnen. Sollen
es nach Woodwart und andern, Veraͤnderun-
gen ſeyn, ſo ſind es eben ſo wenig wie die vorigen
Erſcheinungen Entwickelungen. Sind es we-
ſentliche Stuͤcke der Welt, die noch von der
Schoͤpfung herruͤhren, ſo ſind ſie immer ſichtbar,
niemahl unſichtbar geweſen, folglich keine Entwi-
ckelungen. Jch will nicht weiter gehn. Jch
habe nur Wege zur Unterſuchung gezeigt. Jhnen
aber uͤberlaſſe ich es, eine vollſtaͤndige Unterſu-
chung anzuſtellen, und mir nur ein einziges Exem-
pel einer wahren Entwickelung, oder etwas, das
ihr aͤhnlich waͤre, ausfindig zu machen.


Die bey den
Pflanzen und
Jnſeckten
wahrgenom-
mene Ein-
wickelung der
jüngern in
den ältern
Theilen iſt kei-
ne ſolche Evo-
lution, wie ſie
in der Hypo-
theſe ange-
nommen
wird.

Nun ſind wohl drey Augen-
blicke vorbey, und ich will ihre Pflan-
zen und Jnſeckten anhoͤren. Sie ſa-
gen, man ſieht ja eine Entwickelung
bey den Pflanzen wenigſtens, an ih-
ren Knoſpen (Gemmis) und bey den
Jnſeckten an der Verwandlung. Daß
dieſes eine wahre Entwickelung, ſo
wie ich ſie definirt habe, ſey, die an-
ſtatt der Producktion ſeyn ſoll, die
alſo die Producktion ausſchließt, und
nicht vor ſich vorhergehen laͤßt, die-
ſes eben iſt es, was ich laͤugne, was
Sie durch Aufzeigung anderer Entwickelungen,
die man offenbahr fuͤr wahre Entwickelungen er-
kennt, wahrſcheinlich machen ſollen, und welches
ich
[47]von der Praͤdelineation.
ich hingegen, indem ich zeige, daß ſonſt in allen
andern dergleichen Faͤllen offenbar keine Entwicke-
lungen ſtatt finden, unwahrſcheinlich mache. Jch
ſage alſo, es gibt allerdings eine Art von Ent-
wickelung in der Natur, die vornehmlich bey den
Pflanzen ſtatt findet, in deren Knoſpen, oder
Saamen, denn dieſe ſind nichts anders als Knoſ-
pen, die juͤngere Blaͤtter immer in den aͤltern ein-
gewickelt ſind, und allmaͤhlig, indem ſie wachſen,
durch Verlaͤngerung ihres Stiels aus denſelben
herfuͤrgeſtoßen werden; die ferner auch bey den
Jnſeckten an ihrer Verwandlung ſich zeigt. Al-
lein dieſe Evolution, ſo gewiß wir an ihr ſehen,
daß juͤngere und ſpaͤter producirte Theile in aͤlteren
und fruͤher producirten eine Zeitlang eingewickelt
liegen, bis ſie die Haͤrte und Feſtigkeit der Er-
wachſenen bekommen, ſo beweiſet ſie doch nicht,
daß dieſe, ſo fruͤhe auch als Sie wollen, in den
aͤlteren befindlich geweſene juͤngere Theile, niemahls
producirt, ſondern von je her ſchon darin gewe-
ſen waͤren, folglich iſt dieſe Evolution von jener
vermeinten Evolution wie ſie die Vertheidiger der
Hypotheſen annehmen, und wie ich ſie definirt
habe, die nehmlich ſtatt der Generation dienen,
und alle wahre Producktion ausſchließen ſoll, him-
melweit unterſchieden; und ſie kann alſo als kein
Exempel unſerer Evolution, womit wir es zu thun
haben, angefuͤhrt werden. Man wuͤrde, wenn
man es thun, und dieſe Evolution analogiſch da-
durch wahrſcheinlich machen wollte, dabey eben
dasjenige zum Voraus ſetzen, was man beweiſen
wollte.


Jch
[48]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.

Jch will mich noch einige Augenblicke bey
dieſer mir von Jhnen angefuͤhrten Entwickelung,
die ich die exiſtirende Entwickelung indeſſen nen-
nen will, aufhalten, um Jhnen noch deutlicher
zu zeigen, daß dieſelbe, von der Entwickelung
der Hypotheſe, wie ich dieſe nennen will, ſehr
unterſchieden ſey, und dadurch folglich klar zu ma-
chen, daß die Hypotheſe eigentlich wuͤrklich voͤllig
aus der Luft genommen ſey. Jch ſage alſo, Sie
koͤnnen nicht nur gar nicht beweiſen, daß dieſe
Entwickelungen, die Sie mir als Exempel ſolcher
Entwicklungen, wie Sie in der Hypotheſe anneh-
men, anfuͤhren wollen, dergleichen waͤren, wie
Sie doch, wenn Sie ſie als dergleichen Exempel
anfuͤhren wollten, allerdings thun muͤſten; ſon-
dern es iſt auch offenbar, daß es ganz andere
Dinge ſind, die die Natur dabey zur Abſicht hat,
und die mit der Entwickelung der Hypotheſe gar
nichts zu thun haben. Man ſieht, ſage ich, den
Endzweck der Natur, und dasjenige, was ſie da-
durch bewerkſtelliget, gar zu deutlich, als daß
man auf die Gedancken gerathen koͤnnte; ſie muͤſ-
ſe die aͤltere Theile zuruͤckſchieben, und die juͤngere
allmaͤhlig hervorziehn, weil ſie eben auf dieſe Art
erzeugt werden ſollen. Sollten die ganz jungen
und erſt producirten Theile, die ſo zart und ſo weich
ſind, daß ſie einem vollkommen fluͤßigen Weſen
ſehr nahe kommen, ſo gleich frey zu liegen kom-
men, daß ſie der Luft, und allen aͤuſſerlichen Ur-
ſachen ausgeſetzt waͤren; ſo wuͤrde ein Regen, ein
Thau, eine kalte Luft, der Wind, ein warmer
Son-
[49]von der Praͤdelineation.
Sonnenſchein, ein jedes Jnſeckt, der Staub ſo
gar und eine jede Kleinigkeit der Natur, im Stan-
de ſeyn, die jungen Theile in ihrem erſten Anfan-
ge zu zerſtoͤhren, und es wuͤrde niemahls eine
Pflanze zur Vollkommenheit gebracht werden.
Daher muſten ſie alſo, ſo lange, bis ſie ſelbſt die
gehoͤrige Feſtigkeit bekaͤmen, nothwendig in de-
nen Theilen der Pflanze, oder des Jnſeckts, die
fruͤher producirt, und alſo aͤlter und feſter waren,
eingewickelt liegen, und innerhalb dieſer Theile
alſo muſten ſie nothwendig formirt werden.


Daher kommt es, daß, je zaͤrtlicher die Thei-
le einer Pflanze ſind, und je weniger dieſe ſonſt
noch Mittel hat, ihre junge Theile zu beſchuͤtzen,
als wozu bey einigen noch der klebrigte harzigte
Saft, bey andern (tomentoſis) das wolligte We-
ſen, womit die Knoſpen uͤberzogen und durchwebt
ſind, hingehoͤren, daß, ſage ich, um deſto viel-
facher alsdann ihre jungen Theile eingewickelt ſeyn
muͤſſen, oder welches eben daſſelbe iſt, daß um
deſto fruͤher in den aͤlteren Theilen die juͤngere als-
dann auch producirt werden muͤſſen. Daher fin-
den Sie auch bey allen Liliengewaͤchſen, weil ſie
kein Harz und keine Wolle und uͤberdem eine zarte
Subſtanz haben, und folglich auch bey der Hya-
cinte, daß ſie fruͤher, als andere Pflanzen, ihre
jungen Theile produciren, und daß man folglich in
einer Hyacinte oder in einen andern Liliengewaͤch-
ſe ſchon Theile nothwendig entdecken muß, die erſt
lange hernach, und nach vielen andern hervorge-
Dſcho-
[50]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
ſchobenen Theilen erſt, als erwachſene, zum Vor-
ſchein kommen, woruͤber Herr Bonnet pag. 103
ſich ſo wundert. Jch ſehe im Vorbeygehen, daß
er wuͤrklich jene exiſtirende Evolution mit der in
der Hypotheſe angenommenen voͤllig vermiſcht, und
fuͤr einerley haͤlt. Er ſagt an eben dem Ort p. 103.
„Il y a plûs, on obſerve, pour ainſi dire, a l’
„œil, cet enveloppement. On decouvre dans
„un Oignon d’Hyacinte jusqu’ a quatrieme Ge-
„neration‟.
Es iſt alſo wohl noͤthig, wie ich
merke, daß ich dieſe Sache ein wenig ausein-
ander ſetze.


Bey denen filicibus, welche in ihrem Bau
von den Pflanzen im eigentlichen Verſtande ſehr
unterſchieden ſind, indem die ganze Pflanze eigent-
lich nur ein einziges zuſammengeſetztes Blatt iſt,
kann die Einwickelung der jungen Theile durch
ordentliche Knoſpen oder Augen, dieſer beſondern
Strucktur wegen, nicht bewerkſtelliget werden.
Sie bekommen alſo auch keine Knoſpen, wie an-
dere Pflanzen haben. Jſt nun der Endzweck bey
den gemmis etwas anderes, als die bloße Ver-
wahrung der jungen Theile geweſen, ſo wird ſich
dieſes hier vielleicht offenbaren. Es wird der-
ſelbe Endzweck durch andere Mittel erreicht, und
dieſelbe Sache auf eine andere Art bewerkſtelliget
werden. Und alſo werden wir auf dieſe Art hin-
ter die wahre Abſicht der Natur kommen koͤnnen.
Jſt aber, wie ich ſage, die bloße Verwahrung der
jungen zarten Theile der Endzweck bey den Knoſ-
pen
[51]von der Praͤdelineation.
pen geweſen; ſo muß ſich bey dieſen neuen Anſtal-
ten, die die Natur bey den filicibus macht, wie-
derum nichts anders als eine bloße Verwahrung
der jungen Theile ſehen laſſen. Nun finden Sie
aber an ſtatt der Knoſpen hier weiter nichts, als
eine Art von Aufrollung des ganzen Blattes in ei-
ne oder etliche Kugeln, wodurch die juͤngere Thei-
le im Mittelpunkt, die aͤlteren aber an der aͤuße-
ren Flaͤche herum zu liegen kommen, und Sie ſe-
hen alſo, daß auch hier wiederum ſich nichts an-
ders als eine ſorgfaͤltige Verwahrung der jungen
zarten Theile wahrnehmen laͤſt. Wie koͤnnen Sie
denn alſo auf die Gedanken gerathen, als wenn
dieſe Entwickelung der juͤngern Theile in den aͤl-
tern darum in den Pflanzen oder Jnſeckten ſich ſo
zeigte, weil von je her dieſelben darin eingewickelt
gelegen haͤtten.


Bisher habe ich geſagt, Sie koͤnnen mir in
der ganzen Natur kein einziges Exempel einer Er-
ſcheinung aufweiſen, die durch eine Evolution zum
Vorſchein gebracht wuͤrde, ſondern alle Erſchei-
nungen, die in der Welt ſtatt finden, werden
durch phyſiſche Urſachen im genaueſten und voll-
ſtaͤndigſten Verſtande producirt oder herfuͤrge-
bracht.
Sie haben darauf von Pflanzen und
Jnſeckten und Verwandlung geredet. Und ich
habe geantwortet, daß dieſe Einwickelung, die bey
den Pflanzen ſo wohl, als bey den Jnſeckten aller-
dings ſtatt findet, himmelweit von einer ſolchen
Entwickelung, wie ſie in der Hypotheſe angenom-
D 2men
[52]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
men wird, unterſchieden ſey. Sie haben denn
alſo aus dieſer exiſtirenden Entwickelung jene Ent-
wickelung der Hypotheſe wenigſtens ſchlieſſen wol-
len; aber ich habe Jhnen gewieſen, daß Sie nicht
den allergeringſten Grund zu dieſem Schluß, oder
zu dieſer Vermuthung vielmehr haben.


Wenn ich Jhnen nun aber auf irgend eine
Art, an ſtatt ganz klar zu zeigen, aber auch nur
bloß dieſes zu zeigen, daß der Endzweck, der
durch die Einwickelung bey den Pflanzen und Jn-
ſeckten erhalten wird, die Verwahrung der jungen
Theile ſey, wenn ich, ſage ich, an ſtatt dem, nun
auch auf irgend eine Art zeigen koͤnnte, daß eben
dieſe Verwahrung der jungen Theile der einzige
Endzweck ſey, der durch die ganze Einwickelung
erhalten wird, das heiſt alſo eben ſo viel, als daß
auch ſonſt gar nichts anderes dadurch erhalten
wuͤrde. Wuͤrde alsdann daraus noch dieſes nur
folgen, daß Sie kein Exempel einer Evolution
aufweiſen koͤnnten? und daß folglich die Hypothe-
ſe unwahrſcheinlich waͤre? Nein, wenn es wahr
iſt, daß dieſe Einwickelung, die bey den Pflanzen
ſtatt findet, nichts weiter hinter ſich hat, als ein-
zig und allein die Verwahrung der jungen Theile,
ſo folgt offenbar daraus, daß ſie auch nicht die
Evolution der Hypotheſe hinter ſich habe. Wenn
ſie aus keinem andern Grunde geſchiehet, als zur
Erhaltung der jungen Theile zu dienen, ſo wird
ſie auch nicht aus dem Grunde inſtituirt, damit
ſie ſtatt der Producktion dienen ſoll. Das heiſt
alſo
[53]von der Praͤdelineation.
alſo nicht mehr, die Hypotheſe iſt unwahr-
ſcheinlich,
ſondern es heiſt, ſie iſt falſch.


Das will ich Jhnen nun alſo jetzo zeigen,
nicht in der Abſicht, als wenn ich hierauf bloß
die Wahrheit bauen wollte, dieſe muß auf mehr
unmittelbahre und mehr in die Augen fallende
Gruͤnde, auf Beobachtungen, die von der Sa-
che ſelbſt hergenommen ſind, nicht auf eine Reihe
von Schluͤßen gebauet werden. Jch will dieſen
Beweis nur im Vorbeygehen mit anfuͤhren. Die
vierfuͤßigen Thiere und Voͤgel geben ihn uns.
Dieſe ſind alle, ſo lange ſie noch Embryonen ſind,
entweder in einem Ey, und alſo nicht nur in einer
Schale ſondern auch in einem dicken und weichen
Weſen, oder aber in Haͤuten und mit dieſen im
Utero enthalten, und folglich fuͤr aͤußerliche Be-
ſchaͤdigungen ſicher. Wenn nun alſo, wie ich
ſage, die Natur bey der Einwickelung der juͤngern
Theile keine andere Abſicht hat, als die Erhaltung
derſelben, ſo wird bey den Thieren dieſe Einwicke-
lung der juͤngern in aͤltere Theile nicht noͤthig ſeyn,
und da die Natur nichts umſonſt thut, ſo muß ſie
bey denſelben nicht ſtatt finden. Sie findet aber
auch in der That nicht nur nicht ſtatt, ſondern ſie
findet auch ſo ſehr nicht ſtatt, daß, gleichſam als
wenn die Natur gegen meinen Antagoniſten ſich
recht eigenſinnig bezeigen wollte, vielmehr das
Gegentheil geſchiehet; denn das Herz wird, an
ſtatt daß es innerhalb der aͤltern Theile herfuͤrge-
bracht und organiſirt werden ſollte, außer dem
D 3Leibe
[54]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
Leibe des Embryo producirt, außer demſelben all-
maͤhlich organiſirt, und vollkommner gemacht,
und, wenn es bey nahe ſeine vollkommne Strucktur
erhalten hat, an ſtatt, daß ſolches nun, wie bey
den Pflanzen geſchiehet, zwiſchen den aͤlteren Thei-
len herfuͤrgeſtoßen werden ſollte, ſo bleibt es auch
nicht einmahl wo es iſt, ſondern es wird im Ge-
gentheil nun eben erſt in die Bruſt hineingezogen,
die Bruſt wird verſchloßen, und das Herz kommt
in Ewigkeit nicht wieder zum Vorſchein. Eben
ſo verhaͤlt es ſich auch mit den Eingeweiden des
Unterleides. Bey ihrem erſten Urſprunge liegen
ſie frey; in den Erwachſenen aber werden ſie ein-
geſchloßen. Wenn aber, wie die Vertheidiger
der Evolution ſagen muͤſſen, die Erhaltung der jun-
gen Theile nicht der einzige Endzweck iſt, welche
die Natur bey der Einwickelung hat, woher koͤm̃t
es denn, daß eben nur alsdenn, wenn fuͤr aͤußer-
lichen Beſchaͤdigungen keine Furcht noͤthig iſt, und
ſonſt aber niemahls, alle Einwickelungen wegfal-
len? Jch ſage alſo noch einmahl, da die Natur
immer einwickelt, wenn Beſchaͤdigungen zu beſor-
gen ſind, und niemahls einwickelt, wo keine zu
beſorgen ſind; ſo ſehen Sie ja wohl, daß ſie mit
ihren Einwickelungen auf nichts anders ſieht, als
nur die Beſchaͤdigungen zu verhuͤten, und daß ſie
folglich, ſo lange ſie nur noch einwickelt, an keine
Producktion einmahl gedenkt.


Was antworten Sie mir hierauf? Jch will
nicht hoffen, daß Sie mich mit der Unſichtbar-
keit,
[55]von der Praͤdelineation.
keit, dieſer gluͤcklichen Ausflucht, wenn man in
den lezten Zuͤgen liegt, zu Leibe gehn werden.
Sie muͤſſen es ſo drehen. Sie ſagen, die Theile
ſind bey den vierfuͤßigen Thieren und Voͤgeln auch
zuſammen gewickelt, ſo wie die Fluͤgel des Papi-
lions in der Puppe gleichſam in Falten gelegt
ſind. Aber ihrer Durchſichtigkeit wegen ſieht man
dieſe Zuſammenwickelung nicht, ſondern es ſieht
accurat ſo aus, als wenn die Theile glatt ausge-
dehnt laͤgen; und obgleich dieſe Theile aus Kuͤgel-
chen beſtehn, die man gut von einander unterſchei-
det, und die alſo, wenn Falten in dem Theil ſeyn
ſollten, nothwendig an einigen Stellen doppelt
liegen, und alſo undurchſichtigere Streifen wenig-
ſtens verurſachen muͤſten, ſo ſieht man dennoch
dieſes alles nicht. Jch will fuͤr dieſe Unſichtbar-
keit alle Hochachtung haben, und ſie nicht laͤugnen.
Jch bin nicht ſo unbeſcheiden, daß ich hartnaͤckig
auf eine Sache dringen ſollte, die nicht recht ge-
faͤllt, und es fehlt auf der andern Seite der Wahr-
heit niemahls an einer Menge Zeichen, wodurch
ſie ſich zu erkennen gibt. Was alſo unſern gegen-
waͤrtigen Fall betrift, ſo ſage ich, ob man gleich
keine Falten in den jungen Theilen der Thiere ent-
deckt; ſo koͤnnten ſie doch wohl vielleicht zuſam-
mengewickelt ſeyn. Jch ſage noch mehr, ob gleich
dieſe Zuſammenwickelung der Theile, wie bey dem
Fluͤgel des Papilions auch bey den Blaͤttern der
Pflanzen ſtatt findet, und dieſe Zuſammenfaltung,
hier mit bloßen Augen, von allen, die jemahls
Pflanzen geſehn haben, beobachtet wird, ob ſchon
D 4die
[56]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
die Theile der Pflanzen bey ihrem erſten Anfange
eben ſo durchſichtig und durchſichtiger noch ſind,
wie die Theile der Thiere; und ob man folglich
gleich mit Grunde fragen koͤnnte, warum ſoll
denn nur bey den Thieren die Zuſammenfaltung
nicht beobachtet werden, wenn ſie eben ſo gut wie
bey den Pflanzen ſtatt finden ſoll, da ſie doch hier
ohne Vergroͤßerungsglas in einer Entfernung von
15 bis 20 Schritten noch ſehr deutlich geſehen
werden kann; obgleich, ſage ich, dieſes alles iſt,
ſo gebe ich doch zu, daß vielleicht wohl die jungen
Theile bey den Thieren auch zuſammengewickelt
ſeyn koͤnnten. Allein von dieſer Zuſammenwicke-
lung iſt die Rede nicht. Jch habe ſie mit Fleiß
immer Zuſammenwickelung genennt, um ſie von
jener Einwickelung der juͤngern in den aͤltern Thei-
len zu unterſcheiden. Bey den Pflanzen werden
die juͤngere Theile in den aͤltern eingewickelt, um
ſie fuͤr aͤußerliche Beſchaͤdigung zu bewahren; es
werden auch außerdem die juͤngere Theile in ſich
zuſammengefaltet; allein hiervon habe ich kein
Wort geſprochen. Alſo mein lieber L . . was
iſt nun zu thun? Sie muͤſſen ſagen — auch die-
ſe Einwickelung — bey den Thieren iſt unſicht-
bar! Doch nein, das geht nicht. Dieſe Ein-
wickelung ſieht man nicht nur bey den Thieren
nicht, ſo wie man die Zuſammenwickelung nicht
ſahe, ſondern man ſieht auch, daß die Einwicke-
lung nicht iſt; man ſieht das Herz vor und außer-
halb der Bruſt in der es eingewickelt ſeyn muͤſte,
frey, und bloß mit ſeinem Pericardio umgeben lie-
gen.
[57]von der Praͤdelineation.
gen. Man ſieht es, ſo bald man es ſieht immer
außerhalb der uͤbrigen Theile die ſchon da ſind lie-
gen, da man die Blaͤtter der Pflanzen hingegen,
ſo bald man ſie ſieht, und ſo lange man ſie ſieht,
immer auch in andern eingewickelt ſieht, bis ſie
endlich voͤllig gruͤn, ſteif, hart, alt, und erwach-
ſen ſind, wo ſie ſich endlich voͤllig von der zuſam-
mengewickelten Knoſpe zuruͤck biegen, ausdehnen
und frey herabhengen. Hier iſt alſo die Frage
nicht mehr, ob das, was man nicht ſieht, auch
nicht daſey? ſondern ob das, was man ſieht, da
ſey? und dieſes koͤnnen Sie, ohne ein Jdealiſt
zu werden, nicht mehr laͤugnen. So weit aber
muͤſſen wir in phyſicaliſchen Diſpuͤten nicht gehn.


Dieſen Beweis im Vorbeygehen alſo, wol-
len wir nun wie ich Jhnen verſprochen habe, weg-
laſſen, und es noch bey dem alten, daß man kein
Exempel in der Natur von einer Evolution antrift,
und daß folglich die Hypotheſen, und beyde
Hypotheſen zwar an ſich betrachtet, unwahrſchein-
lich ſind, bewenden laſſen, damit ich deſto beſſer
und ungehindert, Jhnen meine Jdee, die ich von
dieſen Hypotheſen in Anſehung ihrer Wahrſchein-
lichkeit oder Unwahrſcheinlichkeit habe, ferner
vollſtaͤndig erklaͤren kann.


So ſehr indeſſen dieſe bey den Pflanzen und
Jnſeckten ſich wuͤrklich ereignende Einwickelungen
der juͤngern Theile von denen in der Hypotheſe an-
genommenen Einwickelungen, die alle wahre For-
D 5mation
[58]Unwahrſcheinligkeit der Hypotheſ.
mation ausſchließen, verſchieden ſind; ſo wenig
man auch den allergeringſten Grund nur hat, aus
jenen exiſtirenden Evolutionen die Hypotheſe zu
ſchlieſſen; ſo klar es vielmehr iſt, daß die Natur
bey jenen Einwickelungen einzig und allein die Er-
haltung der jungen Theile zur Abſicht hat, und an
nichts weniger, als daran denkt, organiſche Koͤr-
per aus dem Zuſtande der unendlichen Kleinheit
und der Unſichtbarkeit, in den Stand der Sicht-
barkeit hervor zu ziehen: ſo ſind doch dem unge-
achtet jene wahrgenommene Einwickelungen dem
Erfinder der Grund zu ſeiner Hypotheſe geweſen;
denn ſo wie Carteſius dachte, dachte Mal-
pighius
nicht. Er muſte, wenn er etwas an-
nehmen ſollte, wie es der Vernunft auch gemaͤß
iſt, in der Natur wenigſtens einigen Grund da-
zu finden, geſetzt auch, daß es nur ein Schein-
grund geweſen waͤre. Er vermiſchte die gewoͤhn-
liche Einwickelung bey den Pflanzen mit ſeinen
Jdeen, die himmelweit davon unterſchieden wa-
ren. Allein aus eben dieſen Urſachen iſt es eine
große Frage, ob nicht Malpigh, wenn man
ihm ſo deutlich, wie ich glaube gethan zu haben,
den Unterſcheid zwiſchen dem, was er wuͤrklich
beobachtet hatte, und dem, was er durch die Ein-
bildungskraft hinzuſetzte, gezeigt haͤtte; wenn
man ihm auch ferner gezeigt haͤtte, wie ſehr auch
das, was die Natur bey ihren Einwickelungen
allein nur zur Abſicht hat, von |dem, was er be-
hauptete, unterſchieden ſey; es iſt, ſage ich, eben
deswegen, weil er nicht dazu aufgelegt war, et-
was
[59]von der Praͤdelineation.
was ſchlechterdings aus der Luft herzunehmen, ei-
ne große Frage, ob er nicht bald ſeine Gedanken
wuͤrde geaͤndert haben.


Wenn ich beyde Hypotheſen,Vergleichung
der Hypothe-
ſen der Präde-
lineation mit
der vorherbe-
ſtimmten Har-
monie und
dem Jdealis-
mus.

denn eine iſt dem Weſen nach, ſo wie
die andere, und ſie ſind nur durch zu-
faͤllige Umſtaͤnde von einander unter-
ſchieden, mit einer andern bekannten
Hypotheſe, in Abſicht auf die Gruͤn-
de, die man hat, ſie anzunehmen,
oder nicht anzunehmen, vergleichen
ſollte; womit wuͤrde ich ſie wohl vergleichen? Jch
glaube, ich werde durch dieſes Mittel im Stande
ſeyn, Jhnen meine Jdee, die ich von der Hypo-
theſe habe, noch beſſer auszudruͤcken. Wenn Sie
aber den Werth dieſer Hypotheſe beurtheilen wol-
len, ſo muͤſſen Sie wohl auf einen Umſtand ach-
tung geben, der derſelben ein ganz verſchiedenes
Anſehen geben kann, und dieſen will ich alſo, ehe
ich die Vergleichungen anſtelle, erklaͤren. Wenn
man die Generation ungekuͤnſtelt, und wie ſie uns
zu erſt in die Augen faͤllt, anſieht, ſo glaubt man,
es werden die organiſche Koͤrper wuͤrklich produ-
cirt, und man laͤſt es ſich nicht einfallen, daran
zu zweifeln; das heiſt, man behauptet die Epige-
neſin,
und Sie ſehen wohl, man behauptet ſie,
ohne einmahl zu wiſſen, daß man etwas behaup-
tet. Vertheidigen aber wuͤrde man dieſelbe,
wenn man nicht mit dem, was uns bey der Na-
tur zuerſt in die Augen faͤllt, zufrieden ſeyn woll-
te;
[60]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
te; wenn man die Sache genauer unterſuchte,
wenn man die Zweifel, die einem wider den Satz,
daß die Koͤrper formirt wuͤrden, einfallen koͤnn-
ten, aufloͤſete, und Gruͤnde anfuͤhrete, woraus
man ſchließen koͤnnte, daß die Koͤrper nicht nur
dem Anſehen nach formirt zu werden ſchienen, ſon-
dern daß dieſes auch wahr ſey, daß die Koͤrper
auch wuͤrklich formiret wuͤrden. Endlich iſt, die
Epigeneſinerklaͤren, wieder etwas anderes.
Wenn es wahr iſt, daß die Koͤrper formirt wer-
den, ſo muß dieſes durch gewiſſe Urſachen und auf
eine gewiſſe Art geſchehen. Dieſe Urſachen ange-
ben, dieſe gewiſſe Art vorſtellen, das heiſt erklaͤ-
ren. Sie ſehen hieraus klar, was die Alten ge-
than haben, was ich in dieſer vorlaͤufigen Abhand-
lung thue, und was ich in meiner Diſſertation
gethan habe und in der folgenden Theorie wieder
thun werde.


Hippocrates, Ariſtoteles, alle Alten ha-
ben die Epigeneſis behauptet, aber ſie haben ſie
nicht vertheidiget. Hierzu wird erfordert, daß
man wiſſen muß, es koͤnne die Wahrheit, daß
Koͤrper formirt werden, in Zweifel gezogen wer-
den. Das konnten ſie aber nicht wiſſen; ſie konn-
ten nicht wiſſen, daß jemahls Menſchen in der
Welt kommen wuͤrden, die dieſe Wahrheit laͤug-
nen ſollten; daher dachten ſie auch nicht daran, ſie
zu vertheidigen. Sie haben ſie alſo behauptet,
ohne einmahl zu wiſſen, daß ſie etwas beſonderes
dadurch behaupteten. Erklaͤrt haben ſie die Wahr-
heit
[61]von der Praͤdelineation.
heit eben ſo wenig, das habe ich in dem Vorigen
ſchon gezeigt. Jn meiner Diſſertation habe ich
die Epigeneſin ebenfalls ſtatuirt, und eben ſo we-
nig wie jene unmittelbar vertheidiget. Jch wußte
zwar, daß es Gelehrten gaͤbe, die an dieſer Wahr-
heit zweifelten, allein ich ſtellte mich doch ſo an,
als wenn ich dieſes nicht wuͤßte. Auch das habe
ich Jhnen in dem obigen ſchon weitlaͤuftiger ge-
zeigt. Allein erklaͤrt habe ich in meiner Diſſerta-
tion die Epigeneſin, wie ſie ſolches an eben dem
Orte weiter ausgefuͤhrt geleſen haben. Jn dieſer
vorlaͤufigen Abhandlung endlich habe ich eigent-
lich die Abſicht, dieſe Wahrheit zu vertheidigen.
Denn eben dadurch, daß ich die Hypotheſen der
Praͤdelineation widerlege, vertheidige ich zugleich
den Satz, daß die Koͤrper bey der Generation
formirt werden. Jene Hypotheſen ſind von die-
ſem Satze gerade das Gegentheil. Die Hypothe-
ſen ſagen die Koͤrper werden nicht formirt, die
Epigeneſis ſagt, ſie werden formirt; wenn ich al-
ſo ſage die Hypotheſen ſind falſch; ſo ſage ich eben
damit zugleich, die Epigeneſis iſt wahr. Nun-
mehro kann ich Jhnen den Umſtand ſagen, der
in die Beurtheilung der Gruͤnde, die man haben
kann, jene Hypotheſen entweder anzunehmen,
oder zu verwerfen, einen großen Einfluß hat. Er
betrift die Erklaͤrung der Epigeneſis; ich ſage,
wenn man irgend ein Mittel ſieht, die Formation
der organiſchen Koͤrper, alſo die Epigeneſin, zu
erklaͤren; wenn man irgendwo Kraͤfte in der Na-
tur entdeckt, und irgend eine moͤgliche Art ein-
ſieht,
[62]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
ſieht, wie durch jene Kraͤfte die organiſche Koͤrper
herfuͤrgebracht werden koͤnnten; ſo werden alsdann
die Hypotheſen ein ganz anderes Anſehen haben,
und man wird ganz anders von ihnen urtheilen
muͤſſen, als wenn man gar nicht einſieht, wie es
moͤglich ſey, daß durch irgend eine natuͤrliche Ur-
ſache, welche es auch ſey, ſo organiſche, ſo kuͤnſt-
liche organiſche Koͤrper hervorgebracht werden
koͤnnten. Dieſes iſt alſo der Umſtand, worauf
bey der Beurtheilung der Hypotheſen vieles an-
kommt.


Nunmehro aber ſage ich weiter: Zu den Zei-
ten des Malpigh hatte man des Carteſii Tracktat,
der aber eine zu offenbare Chimaͤre war, und
alſo dem Malpigh nicht hinlaͤnglich ſeyn konnte,
ausgenommen, keine andere Erklaͤrung der Gene-
ration. Man ſahe alſo zu denen Zeiten noch kein
Mittel ein, wie durch natuͤrliche Urſachen die or-
ganiſche Koͤrper formirt werden koͤnnten. Folg-
lich waren zu der Zeit die Hypotheſen der Praͤde-
lineation auch aus dieſem Geſichtspunkt zugleich
mit zu betrachten. Wenn ich aber nun ferner
ſage, daß ich mich ſchmeichle, in meiner Diſſer-
tation wuͤrklich die Urſachen, wodurch dieſe kuͤnſt-
liche organiſche Koͤrper formirt werden, und die
Art, wie ſie formirt werden, und zwar die wahre
Urſachen davon, und die wahre Art entdeckt zu
haben; ſo hoffe ich, daß ich damit vors erſte we-
nigſtens nichts unerwartetes ſage; denn allerdings
wenn ich es fuͤr Erdichtung und nicht fuͤr Wahr-
heit
[63]von der Praͤdelineation.
heit hielte, ſo haͤtte ich eine Schartaͤcke, die ſie
waͤre, nicht drucken laſſen. Daß ich mich aber
in dieſer Schmeicheley auch nicht betriege, das iſt
der Punkt, deswegen ich mich auf meine Bewei-
ſe berufe, die noch niemand angeruͤhrt hat, denn
was die Schwuͤrigkeiten, die der Herr Baron
von Haller gemacht hat, anbetrift, ſo werden
Sie in der Folge bald ſehen, daß ſie theils meine
Beweiſe uͤber die Erklaͤrung der Art der Forma-
tion gar nicht beruͤhren, ſondern eigentlich nur
wider den Satz der Epigeneſis, daß organiſche
Koͤrper wuͤrklich formirt werden, gehen, uͤberdem
aber auch dieſe Wahrheit, die Epigeneſin ſelbſt
meyne ich, nicht umſtoßen, ſondern nur einen
Satz laͤugnen, den ich weder zum Beweiſe, daß
die Koͤrper auf die Art, wie ich es angeben habe,
formirt werden, noͤthig habe, noch noͤthig wuͤrde
gehabt haben, wenn ich eigentlich nur bloß die
Epigeneſin haͤtte behaupten wollen. Jch muß
noch mehr ſagen. Wenn ich frey und ohne Um-
ſtaͤnde reden darf, ſo habe ich meine Erklaͤrungen
nicht nur bewieſen, ſondern ich habe ſie auf eine
andere und ſtaͤrkere Art bewieſen, als gewoͤhnlich
phyſiſche Wahrheiten bewieſen zu werden pflegen,
und im 255ten §. Schol. 2. habe ich den Unter-
ſcheid zwiſchen meinen Beweiſen und den gewoͤhn-
lichen gezeigt. Wenn ich |nun auf dieſe Art feſt-
ſetzen kann, daß ich die Art gezeigt habe, wie or-
ganiſche Koͤrper nicht nur formirt werden koͤnnen,
ſondern auch wuͤrklich formirt werden, ſo ſehen
Sie wohl, daß die Hypotheſen alsdenn, und
alſo
[64]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
alſo jetzo, wieder ein ganz anderes Anſehen be-
kommen muͤſſen.


Jn dem erſten Fall, wenn man annimmt,
daß man keine Art einſehe, wie durch natuͤrliche
Urſachen organiſche Koͤrper formirt werden koͤnn-
ten, wie auch Herr Bonnet an einem Orte in ſei-
nem Buche ſolches behauptet, ſo hat man einigen
Grund, die Hypotheſe anzunehmen, geſezt auch,
daß dieſelbe durch keinen aͤhnlichen Fall in der
Natur ertraͤglicher oder annehmlicher gemacht wer-
den koͤnnte, wenn ſie nur keinen Widerſpruch ent-
haͤlt, und an ſich moͤglich iſt. Jch ſage aber nur
einigen Grund hat man dazu, und mehr Grund,
als wenn man die Moͤglichkeit ſieht, wie orga-
niſche Koͤrper formirt werden koͤnnen. Aber ein
hinlaͤnglicher Grund iſt dieſes dem ohngeachtet ei-
nem wahren Naturforſcher dennoch nicht, denn
er wird immer noch mehr Geſchmack an dem auf-
richtigen Bekenntniß, welches ihm noch uͤbrig
bleibt, finden: ich weiß nicht wie es zugeht. Ei-
nigen Grund dazu aber wuͤrde man auf dieſe Art
daher nehmen, indem man ſagte; ich begreife
nicht, wie durch irgend eine derer Urſachen in der
Natur, die wir kennen, welche wir auch dazu
annehmen wollten, ſolche organiſche Koͤrper, wie
dieſe ſind, die wir vor uns haben, herfuͤr gebracht
werden koͤnnten; folglich muß ich ſchließen, ſie
werden nicht herfuͤr gebracht. Jch weiß es wohl,
daß Sie ſagen werden, das muſt du nicht ſchlieſ-
ſen, denn wenn du dieſe Urſachen gleich nicht
ken-
[65]von der Praͤdelineation.
kenneſt, ſo folgt nicht — u. ſ. w. Das iſt auch
richtig, allein hiervon iſt die Rede nicht, und
ich rede deswegen auch nur von einigem Grunde.
Dieſes heiſt alsdann: Halb aus Noth gezwun-
gen ſeyn, eine obwohl unwahrſcheinliche Hy-
potheſe anzunehmen.
Wenn man aber im Ge-
gentheil, ſo wie ich im zweyten Fall feſtgeſezt ha-
be, einſieht, wie allerdings wohl durch natuͤrliche
Kraͤfte dergleichen organiſche Koͤrper, wie wir
vor uns ſehen, erzeugt werden koͤnnen; es ſey,
daß die Art, wie es geſchehe, bekannt gemacht
ſey; es ſey, daß man ſich ſelbſt eine Art der Moͤg-
lichkeit habe vorſtellen koͤnnen; es ſey kurzum
wie es wolle; genug, wenn man nicht mehr ſa-
gen kann, daß durch die Kraͤfte der Natur die
organiſche Koͤrper nicht moͤglich ſeyn; wenn die-
ſes iſt, ſage ich, und man behauptet noch die Hy-
potheſen; ſo ſehen Sie wohl, da dieſe Hypotheſen
durch keine Analogie nur leidlich gemacht werden
koͤnnen, daß das alsdann nicht mehr heiſſe: halb
aus Noth gezwungen ſeyn, eine unwahr-
ſcheinliche Hypotheſe anzunehmen;
ſondern
es heiſt: aus Eigenſinn etwas unwahrſchein-
liches behaupten, damit man Gelegenheit
habe anders zu denken, als andere;
das heiſt
es alsdann; und Sie werden dieſe Wahrheit
durch die Beyſpiele, welche ich geben werde, noch
deutlicher einſehen. Hieraus folgt aber nicht,
daß, wenn eine wahre Theorie von der Genera-
tion bekannt iſt, man, nachdem man ſie geleſen
hat, nothwendig entweder die Hypotheſen der
EPraͤde-
[66]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
Praͤdelineation nicht mehr behaupten, oder aber
zu dieſer zwoten Claſſe von Gelehrten gehoͤren muͤſ-
ſe. Bey Leibe nicht! Man darf dieſe Theorie
nur nicht verſtanden haben, ſo iſt es immer ſchon
genug, zur erſten Claſſe noch gerechnet zu werden.


Jn dem erſten Fall, wenn man keine Theo-
rie der Generation hat, ſo kommen mir die Hy-
potheſen der Praͤdelineation bey nahe vor wie die
Hypotheſe der vorher beſtimmten Harmonie zwi-
ſchen der Seele und dem Koͤrper. Dieſe iſt eben-
falls ein Syſtem, woran niemand ſonſt gedacht
hat, im hoͤchſten Grad kuͤnſtlich und im hoͤchſten
Grad unnatuͤrlich. Die unuͤberſteigliche Schwie-
rigkeiten, welche entſtunden, da man die Wuͤr-
kungen des einen in dem andern verſtaͤndlich erklaͤ-
wollte, und dieſes doch ohne die Seele materiell
zu machen, haben die Philoſophen ſo lange ge-
martert, bis ſie auf die gluͤckliche und ſcharfſinni-
ge Erfindung geriethen, dieſe Wuͤrkungen ohne die
Erfahrung zu beleidigen, ſchlechtweg zu laͤugnen.
Man hatte geglaubt, die Erfahrung lehrte unmit-
telbar den phyſiſchen Zuſammenhang zwiſchen der
Seele und dem Koͤrper. Sie uͤberlegten die Sa-
che recht, und ſahen, daß das nicht wahr ſey;
das war genug, die Wuͤrkungen nun auch zu laͤug-
nen. Und nun waren ſie fuͤr den Theologen auf
der einen, und den Materialiſten auf der andern
Seite ſicher. Hierin aber hat die Harmonie ei-
nen Vorzug, daß ihre Vertheidiger auch nicht
einmahl zu dem Bekenntniß, ich weiß nicht wie
die
[67]von der Praͤdelineation.
die Wuͤrkungen zugehn, ihre Zuflucht nehmen
konnten. Das brauchen wir auch nicht, ſagt der
Materialiſt, wenn Sie die Wuͤrkungen nur zu-
geben, ſie moͤgen geſchehen, wie ſie wollen, ſo
muß die Seele ſchon materiell ſeyn. Folglich wa-
ren ſie mehr gezwungen als die Vertheidiger der
Hypotheſen der Praͤdelineation ſeyn wuͤrden, und
muͤſſen deswegen um deſto eher entſchuldiget
werden.


Wenn mir aber einer, dem ich auch nur ge-
zeigt haͤtte, wie durch natuͤrliche Kraͤfte wohl orga-
niſche Koͤrper formirt werden koͤnnten, bemerken
Sie wohl, ich ſage nicht, dem ich bewieſen haͤtte,
daß auf dieſe oder jene Art die Koͤrper formirt wer-
den, ſondern nur, deren ich gezeigt haͤtte, wie ſie
allenfalls formirt werden koͤnnten, wenn der nur
mir darauf antwortete; Ja, ſo koͤnnten ſie allen-
falls formirt werden, aber das beweiſet nicht, daß
ſie ſo, oder ſonſt auf eine andere Art formirt wer-
den; ich glaube alſo nicht daß ſie formirt werden;
ſo wuͤrde mir dieſer, ungeachtet er recht haͤtte, den-
noch ſchon bey nahe ſo vorkommen, wie ein Egoi-
ſte, dem ich es an der Miene anſehen koͤnnte, daß
er mir mein Daſeyn nur darum laͤugnete, um mir
zu zeigen wie kuͤnſtlich er ſey. Sie wiſſen, der
Egoiſte ſagt: Jch exiſtire! aber Du? exiſtireſt
nicht! Demonſtrire mir einmahl, daß du exiſti-
reſt! Wenn Sie ihm, wie Molliere es mit ſei-
nem Jdealiſten machte, eine Ohrfeige geben, ſo
beweiſet das nichts. Dieſe Ohrfeige iſt eine Ver-
E 2aͤnde-
[68]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
aͤnderung, die in ſeiner Seele vorgeht, und die ih-
ren Grund in vorhergehenden Veraͤnderungen,
nicht aber in Jhnen hat. Was wollen Sie alſo
machen?


Jn eben dieſem Zuſtande wuͤrde ich ſeyn,
wenn ich in meinen Beweiſen nothwendig auf dem
Satze, was ich nicht ſehe, iſt nicht da, als auf
einem Grundſatze, zuruͤck gehn muͤſte. Demon-
ſtriren Sie mir einmahl, daß etwas, Sie moͤgen
es ſehn oder nicht ſehn, oder auf irgend eine an-
dere Art, wie ſie immer wollen, nicht empfinden,
deswegen nicht da ſey! demonſtriren Sie mir das
einmahl! Wenn Sie Salomons Weisheit haͤtten,
ſo ſind Sie es nicht im Stande.


Jch aber will Jhnen wohl demonſtriren, daß
eine ſolche Demonſtration unmoͤglich ſey. Jſt
das Ding, davon Sie beweiſen ſollen, daß es
nicht da ſey, wuͤrklich da; ſo werden Sie gewiß
nicht demonſtriren koͤnnen, daß es nicht da ſey.
Jſt es aber nicht da, ſo kann es vors erſte auf kei-
ne Art empfunden werden; alſo koͤnnen Sie auch
durch unmittelbahre Erfahrungen nichts von ihm
entdecken, und nichts von ihm beweiſen. Es kan
ſich aber auch durch Wuͤrkungen nicht offenba-
ren; folglich bekommen Sie gar keine Gruͤnde,
woraus Sie etwas von ihm ſchließen koͤnnten.
Da Sie aber wenn Sie etwas ſchließen ſollen
Gruͤnde haben muͤſſen, woraus Sie es ſchließen,
und aus nichts nichts ſchließen koͤnnen; ſo koͤn-
nen Sie auch unmoͤglich von einem Dinge, das
nicht
[69]von der Praͤdelineation.
nicht da iſt, durch Schluͤße beweiſen, daß es
nicht da ſey. Und folglich, es mag da ſeyn oder
nicht da ſeyn, ſo koͤnnen Sie uͤberhaupt niemahls
beweiſen, daß etwas nicht da ſey. Daher haben
ſchon die Scholaſtiker die ſo bekannte und ſehr ver-
nuͤnftige Regel gemacht affirmanti incumbit pro-
batio!
und ich auf meiner Seite werde mich ſo
ausdruͤcken: ich habe keinen Grund, warum ich
von einem Dinge, von dem ich nichts hoͤre oder
ſehe, behaupten ſollte, daß es da ſey; alſo behaup-
te ich dieſes auch nicht. Jndeſſen aber kann ich
doch auch nicht demonſtriren, daß es nicht da ſey.


Uebrigens muß ich erinnern, daß eine De-
monſtration der Abweſenheit eines Dinges nur ſo
lange unmoͤglich ſey, als von einem Dinge oder
auch von einem Koͤrper uͤberhaupt geſprochen wird,
folglich ſo lange ich den Satz, was ich nicht ſe-
he, iſt nicht da,
als einen allgemeinen Satz
anſehe; wie ſolches gut waͤre, wenn man ihn in
mein Syſtem einſchieben koͤnnte. Allein die De-
monſtration hoͤrt auf, unmoͤglich zu ſeyn, ſo bald
das Ding, davon die Rede iſt, beſtimmt und zu
eine gewiſſe Art von Koͤrpern reducirt wird. Als-
dann ſind dieſe Determinationen weſentlich mit
gewiſſen Erſcheinungen verknuͤpft, die mir, wenn
ſie nicht ſtatt finden, einen Grund abgeben, zu
ſchließen, daß ein ſolches Ding unmoͤglich da ſeyn
koͤnne, und folglich auch nicht da ſey. Auf dieſe
Art kann ich zum Exempel ſehr leicht beweiſen,
daß in meinem Geldbeutel kein Friederichs d’or
E 3ſey;
[70]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
ſey; daß Doris jetzo nicht in meiner Stuͤbe ſey.
Sie ſehen leicht, alle dieſe beſtimmte Dinge ſind
mit gewiſſen Erſcheinungen verbunden, die ihrer
Natur nach nicht verborgen bleiben koͤnnen. Den
Friederichs d’or muͤſte man im Geldbeutel ſehn
und fuͤhlen koͤnnen, wenn er darin waͤre; und
wenn Doris hier waͤre, ſo wuͤrden wieder andere
Erſcheinungen ſtatt finden. Daher habe ich auch
allerdings, wie Sie in der Folge ſehn werden, in
meiner Diſſertation beweiſen koͤnnen, daß Theile
des Embryo zu der Zeit, da man ſie nicht ſieht,
nicht da ſeyn koͤnnen; das Phaͤnomen, womit die
Theile als Theile des Embryo verbunden ſind, ſind
Kuͤgelchen, woraus ſie beſtehn, und die ſo groß
ſind, daß ſie durch ein maͤßiges Mikroſcop alle-
mahl geſehn werden koͤnnen; das gehoͤrt zur Na-
tur der Theile des Embryo; daraus kann ich alſo
ſchließen, daß eben demſelben Mikroſcop noch
weniger die Theile, die aus jenen Kuͤgelchen zu-
ſammen geſetzt ſeyn ſollen, verborgen bleiben koͤn-
nen. Wenn ich aber weiter keinen Grund haͤtte,
als ſchlechtweg den, daß ich die Theile nicht ſehe,
und folglich auf den allgemeinen Satz, was ich
nicht ſehe, iſt nicht da, zuruͤck gehn muͤßte, wie
man es wohl gern haben moͤchte, ſo wuͤrde ich die-
ſen hernach unmoͤglich demonſtriren koͤnnen.


Sie ſehen alſo wohl, daß es mir, wenn ich
auf dieſen Grundſatz zuruͤck zu gehn genoͤthiget waͤ-
re, oder auch einem, der wider die Hypotheſen
der Praͤdelineation nichts weiter thun, als nur
zei-
[71]von der Praͤdelineation.
zeigen koͤnnte, daß die Hypotheſen ja gar zu un-
wahrſcheinlich, und hingegen es ja hier der Natur
eben ſo wohl, als in andern Faͤllen moͤglich ſey,
durch ihre uns bekannte Kraͤfte wuͤrklich zu pro-
duciren, und nicht nur produciren zu ſcheinen,
eben ſo gehen wuͤrde, wie es einem Philoſophen
geht, der es mit einem Egoiſten zu thun hat. Jch
kann aber zum Gluͤck vors erſte nicht nur eine
Art zeigen, wie organiſche Koͤrper entſtehen koͤnn-
ten, ſondern ich kann beweiſen, daß ſie auf die
Art, wie ich es angebe, wuͤrklich entſtehn, das
iſt, wie ich ſchon erinnert habe, in meiner Diſ-
ſertation geſchehen, und wird in der folgenden
Theorie wieder geſchehn; und vors andere habe
ich auch in dieſen Beweiſen nicht noͤthig, auf je-
nen Grundſatz zuruͤck zu gehn, daß das, was ich
auf keine Art empfinde, deswegen auch nicht da
ſey, dieſes werde ich bald in der Folge dieſer Ab-
handlung ſelbſt noch zeigen, ſo billig ich ſonſt auch
immer dieſen Grundſatz zum Voraus ſetzen koͤnn-
te. Folglich muß mir auch ein Naturforſcher,
der ſo ſubtil und ſo ſcharf wider mich verfaͤhrt, wie
ein Egoiſte in der Philoſophie, keine Schwierig-
keiten im Wege legen koͤnnen.


Aber nunmehro ſehen Sie auch hieraus, wie
hoch es mit den Hypotheſen der Praͤdelineation
getrieben iſt. Vors erſte unwahrſcheinlich im
hoͤchſten Grade; denn Sie finden in der ganzen
Natur kein einziges Beyſpiel von einem ſolchen
Dinge, wie Sie in der Hypotheſe annehmen.
E 4Vors
[72]Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſ.
Vors andere nicht der geringſte Grund, wodurch
wir genoͤthiget wuͤrden, dieſe ſo unwahrſcheinliche
Hypotheſe anzunehmen. Zum dritten endlich da-
durch, daß ich, wie ich verſprochen habe, die wi-
der meine Theorie gemachte Schwierigkeiten auf-
loͤſe, und folglich den Beweis nicht nur vor mei-
ne Theorie, ſondern eben dadurch zugleich auch
mit vor die Epigeneſis wieder herſtelle, ſo weit
uͤber dem allen noch beſonders widerlegt, daß auch
keine Egoiſtiſche Ausfluͤchte mehr uͤbrig bleiben.


Wenn Sie alſo die zween erſten Punkte von
der Unwahrſcheinlichkeit der Hypotheſe, und von
dem Mangel eines hinlaͤnglichen Grundes zu die-
ſer unwahrſcheinlichen Hypotheſe zuruͤck zu gehn,
zuſammen nehmen, ſo haben Sie den Geſichts-
punkt, aus dem ich dieſe Hypotheſen vor dem
betrachtete. Wenn Sie den dritten Punkt noch
hinzuthun, ſo werden Sie dieſelbe ſo ſehen, wie
ich ſie jetzo ſehe.


Ein zweyter
Grund der
Unwahr-
ſcheinlichkeit
der Prädeli-
neation.

Jch hatte noch mehr Gruͤnde wi-
der dieſe Hypotheſen, die mir aber
theils wieder entfallen ſind, theils auch
zu weitlaͤuftig ſeyn wuͤrden, als daß
ich ſie anfuͤhren koͤnnte. Einer faͤllt
mir noch ein, den ich ziemlich kurtz
werde vorſtellen koͤnnen. Sie werden ſich noch
erinnern, daß eine Evolution ein Phaͤnomen war,
welches ſeinem Weſen nach gleich bey der Schoͤ-
pfnng von Gott erſchaffen, aber in einem unſicht-
baren
[73]von der Praͤdelineation.
baren Zuſtande erſchaffen wurde, eine Zeitlang
unſichtbar blieb, und alsdann ſichtbar wurde.
Sie ſehen bald, ein entwickeltes Phaͤnomen iſt
ein Wunderwerk, welches von den gemeinen
Wunderwerken nur darin unterſchieden iſt, daß
es erſtlich zur Zeit der Schoͤpfung ſchon von Gott
producirt iſt, zweytens daß es eine Zeitlang, ehe
es zum Vorſchein gekommen, unſichtbar geblie-
ben iſt. Alle organiſche Koͤrper ſind alſo wahre
Arten von Wunderwerken. Allein wie ſehr aͤn-
dert ſich nicht dadurch der Begriff, den wir von
der gegenwaͤrtigen Natur haben, und wie viel
verliert er nicht von ſeiner Schoͤnheit! Bishero
war ſie eine lebendige Natur, die durch ihre eige-
ne Kraͤfte unendliche Veraͤnderungen herfuͤrbracht.
Jetzo iſt ſie ein Werk, welches nur Veraͤnderun-
gen herfuͤr zu bringen ſcheint, in der That aber
und dem Weſen nach unveraͤndert ſo liegen bleibt,
wie es gebauet war, außer, daß es allmaͤhlig im-
mer mehr und mehr abgenutzt wird. Zuvor war
ſie eine Natur, die ſich ſelbſt deſtruirte, und ſich
ſelbſt von neuen wieder ſchuff, um dadurch unend-
liche Veraͤnderungen herfuͤrzubringen, und ſich
immer wieder auf einer neuen Seite zu zeigen.
Jetzo iſt ſie eine lebloſe Maße, von der ein Stuͤcke
nach dem andern herunter faͤllt, ſo lange bis der
Kram ein Ende hat. Eine ſolche elende Natur
kann ich nicht ausſtehn, und die Saamenthier-
chen, in ihrer Hypotheſe betrachtet, ſind nicht ein
Werk des unendlichen Philoſophen, ſonder ſie ſind
das Werk eines Leuwenhoͤcks, eines Glas-
ſchleifers.


E 52) Auf-
[74]Aufloͤſung der Schwierigkeiten.

2) Aufloͤſung der Schwierigkeiten,
die wider die Theorie des Verfaſ-
ſers gemacht ſind.



Jch will nunmehro die mir gemachte Schwie-
rigkeiten aufloͤſen. Jn meiner Recenſion,
die mir der Herr Baron von Haller die Ehre er-
zeigt hat, von meiner Schrift zu machen, iſt ei-
gentlich keine weiter mehr aufzuloͤſen uͤbrig, als
dieſe, die ich allerdings einen ſehr wichtigen Ein-
wurf nennen kann, daß ich nemlich mein Syſtem
auf einem Grundſatz gebanet habe, welcher falſch
iſt, auf dieſem Grundſatz, was man nicht
ſieht, iſt auch nicht da.
Denn in den uͤbrigen
Erinnerungen ſind wir ſchon vollkommen einig.
Was die Vergleichung meiner Theorie mit der
Needhamiſchen betrift, davon habe ich oben ge-
ſprochen und den Unterſcheid gezeigt. Daß zur
Beſtaͤrkung einer Theorie auch außer denenjenigen
Verſuchen und Beobachtungen, die zu ihrem Be-
weiſe hinlaͤnglich ſind, noch beſondere Erfahrun-
gen erfordert werden, wodurch man eben dieſelbe
Sache auf verſchiedenen Seiten kennen lernt, das
habe ich zugeſtanden, und den Grund davon eben-
falls in dem obigen ſelbſt angezeigt. Jch habe
auch dem Herrn von Haller in einem Briefe die
Urſachen erklaͤrt, warum ich in meiner Schrift ſo
kurz habe verfahren muͤſſen, und ich will mich
be-
[75]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.
befleißigen, theils in der hier folgenden Theorie,
theils bey andern Gelegenheiten mehrere Erfah-
rung beyzubringen, und die beygebrachte weiter
auszufuͤhren, theils auch mich auf des Herren
von Hallers Erfahrungen ſelbſt zu berufen, als
welches mir nicht nur frey ſtehen muß, ſondern
wodurch ich auch die vollkommenſte Zeugniſſe der
Wahrheit und meiner Theorie werde geben koͤn-
nen; inſonderheit da mir der Herr von Haller
gleich in ſeinem erſten Briefe die Ehre erzeigt hat
zu ſagen, daß unſere Beobachtungen vollkommen
mit einander uͤbereinſtimmen. Was die Erklaͤ-
rung des Herzens, und der Schlagadern betrift,
ſo ſind wir ebenfalls darin einig, nachdem ich mich
in einem Briefe deutlicher erklaͤrt habe. Der Feh-
ler lag wieder an meinen zuſammengezogenen Aus-
druͤcken, wodurch ich oſt mit drey Worten eine
Erklaͤrung gegeben habe, die alſo leicht uͤberſehn
werden kann. Jch werde das Herz und die Schlag-
adern, und warum die Pflanzen kein Herz haben,
in der folgenden Theorie deutlicher erklaͤren. Die
Reizbarkeit hingegen habe ich nicht erklaͤrt, und
habe ſie auch nicht erklaͤren koͤnnen; denn ihre
Urſachen waren mir unbekannt. Es bleibt alſo
in der Recenſion nichts weiter uͤbrig, als dieſer
Einwurf, daß ich mein Syſtem auf einem fal-
ſchen Grundſatz gebauet habe.


Der Herr von Haller druͤckt ſich dieſerwe-
gen ſo aus. „Bey der Erzeugung der Thie-
re muß man wohl auf einen Grundſatz mer-

ken,
[76]Aufloͤſung der Schwierigkeiten,
ken, der gleich am Anfange ſteht, und nach
welchem dasjenige nicht da iſt, was man
nicht ſieht
‟. Jn der Folge laͤugnet er dieſen
Satz, und beweiſet durch das Exempel der Ge-
kroͤßadern in den Froͤſchen, daß oft Theile ihrer
Durchſichtigkeit wegen unſichtbar ſeyn koͤnnten,
und dennoch wuͤrklich vorhanden ſeyn muͤſten; Er
ſetzt hinzu, daß man auch nicht allemahl im Stan-
de ſey, die Durchſichtigkeit, durch Weingeiſt zu
heben, und daß man folglich nicht ſchließen koͤn-
ne, was nicht geſehn wird, ſey nicht da. Jch
muß alſo zeigen, daß dieſer Satz, was man nicht
ſieht, iſt nicht da, keine Stuͤtze meines Syſtems
ſey; daß ich alle meine Wahrheiten, ohne dieſen
Satz zu beruͤhren, beweiſen koͤnne, und daß es
auch wuͤrklich meine Abſicht nicht geweſen ſey, ihn
dazu zu gebrauchen. Jn wie fern dieſer Satz
wahr oder falſch ſey, das iſt hernach eine andere
Frage, die mir nichts angeht. Jſt er falſch, ſo
iſt es genug, daß ich ihm nicht brauche. Jſt er
in eigentlichen Abſichten, die zu unſerm Zweck
gehoͤren, wahr, ſo geht mir auch das nichts an,
weil er in mein Syſtem keinen Einfluß hat, nur
daß ich um deſto weniger Urſache habe mich fuͤr
ihn zu fuͤrchten.


Der Satz,
was ich nicht
ſehe, iſt nicht
da, iſt kein
Grundſatz die-
ſer Theorie.

Man muß, wenn von einem
Grundſatz eines Syſtems die Rede iſt,
dreyerley verſchiedene Dinge wohl von
einander unterſcheiden. Man kann
in einem Syſtem ſich eines Satzes
vors
[77]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.
vors erſte als eines Axioms bedienen; wenn man
dieſes thut, ſo ſetzt man deſſen Wahrheit als aus-
gemacht zum Voraus, und beweiſet ihn nicht;
man kann ſich zweytens deſſelben zwar als eines
Grundſatzes (principii) bedienen, allein man
ſieht ihn nicht als ein Axiom, ſondern nur als ein
Theorem an; alsdann beweiſet man ihn zuvor,
ehe man ſich deſſen zu Beweiſen anderer Wahrhei-
ten bedient. Zum dritten endlich kann man von
einem Satze etwan in einem Scholio wohl reden,
man kan verſchiedenes davon in die Laͤnge und in
die Breite ſagen, und ſich auf alle Art mit ihm
herumwerfen, ihn behaupten, laͤngnen, verthei-
digen, widerlegen, genauer beſtimmen u. ſ. w.
ohne ihn doch dem allen ungeachtet, auf irgend
eine Art in dem Syſtem als einen Grundſatz zu
brauchen, weder ſo, daß man ihn als ein Axiom
betrachtete, und ihn als ausgemacht zum Voraus
ſetzte, noch ſo, daß man ihn als ein bloßes Theo-
rem zuvor bewieſe. Jch ſage ich habe von dem
Satze, was ich nicht auf irgend eine Art
beobachten kann, muß ich auch nicht an-
nehmen,
denn auf dieſes Ungefehr werden meine
eigentliche Ausdruͤcke hinauslaufen, in dem Scho-
lio des 166 §. in dieſem Scholio, welches zu
meiner ganzen Diſpuͤte Anlaß gegeben hat, zwar
vieles geredet, aber ich habe mich deſſelben nicht
als eines Grundſatzes, weder als ein Axioma,
noch als Theorema betrachtet, in meinem Sy-
ſtem bedienet.


Wenn
[78]Aufloͤſung der Schwierigkeiten,

Wenn ich dieſen Satz als ein Axiom ge-
braucht haͤtte, und nichts wider die Gruͤnde des
Herren von Hallers einzuwenden wuͤſte, ſo waͤ-
re mein Syſtem eine Chimaͤre. Haͤtte ich ihn
hingegen als ein Theorem gebraucht, ſo wuͤrde es
darauf ankommen, ob der Hr. von Haller wuͤrk-
lich meine Beweiſe vor dieſem Satz, zum Exem-
pel den von der allemahl ſtatt findenden Sichtbar-
keit der Kuͤgelchen, woraus alle Theile des Em-
bryo ohne Ausnahme zuſammen geſetzt ſind (man
ſehe hievon zum Exempel in der Diſſertation das
Herz in der 9ten Figur bey c) umgeſtoßen haͤtte,
welches nicht geſchehen iſt, und ob ich nicht fer-
ner noch durch andere Beweiſe ihn bekraͤftigen
koͤnnte. Wenn ich aber dieſen Satz gar nicht als
einen Grundſatz gebraucht, ſondern nur beylaͤufig
von ihm in dem angezeigten Scholio geſprochen
habe, ſo liegt auch gar nichts daran, er mag ſo
wahr oder ſo falſch ſeyn als er wolle.


Daß ich dieſen Satz vors erſte nicht als
Axiom gebraucht habe, dieſes erhellet ſchon dar-
aus, weil ich, indem ich auch nur davon zu ſpre-
chen Gelegenheit nahm, die Beweisgruͤnde ſchon
beygefuͤgt habe, wie der Herr von Haller ſelbſt,
ſeiner gewoͤhnlichen Aufrichtigkeit nach, einige
derſelben auch in der Recenſion mit angefuͤhrt
hat. Alſo vor der Chimaͤre waͤre ich vors erſte
ſchon ſicher.


Bey der Frage ob ich mich des Satzes als
eines noch zu beweiſenden Grundſatzes bedienet
habe,
[79]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.
habe, fraͤgt ſich eigentlich wiederum zweyerley.
Erſtlich ob ich die Abſicht gehabt habe, die fol-
gende Wahrheiten des Syſtems auf ihn zu bauen,
und folglich ihn mit Fleiß als einen Grundſatz an-
zunehmen. Zweytens, wenn ich auch nicht die-
ſe Abſicht gehabt habe, ob er nicht dennoch wider
meine Einſicht und Willen einen Einfluß in mein
Syſtem hat.


Daß ich wenigſtens die Abſicht nicht gehabt
habe, ihn als einen Grundſatz zu brauchen, iſt
daraus klar, weil ich ihn nicht in einem beſon-
dern mit ſeiner Nummer bezeichneten Paragra-
phen, den ich, wenn ich etwas damit beweiſen
wollte, citiren koͤnnte, vorgetragen, ſondern nur
in einem Scholio beylaͤufig von ihm geſprochen
habe; da ich doch diejenigen Saͤtze, auf denen
etwas ankoͤmmt, und die ich zu Beweiſen der
folgenden Wahrheiten brauche, allemahl in beſon-
dern Paragraphen vorgetragen habe. Es iſt mir
alſo nunmehro nur bloß noch uͤbrig, zu zeigen,
daß der Satz keinen Einfluß in mein Syſtem hat,
und das werde ich bewerkſtelligen, wenn ich zeige,
auf welchen Gruͤnden meine behauptete Wahrhei-
ten eigentlich beruhen, und daß dieſe Gruͤnde ganz
andere Gruͤnde ſind, als der Satz, alles was
ich nicht ſehe, iſt nicht da;
wenn ich zeige,
daß wo ich behaupte, daß gewiſſe Theile noch
nicht exiſtiren, ich ſolches nicht deswegen behaup-
te, weil ich ſie nicht ſehe, ſondern daß ich alle-
mahl ganz andere Urſachen dazu habe.


Jch
[80]Aufloͤſung der Schwierigkeiten,
Er hat auch
keinen Einfluß
in dieſelbe,
und die Theo-
rie gründet ſich
auf lauter
reine Beo-
bachtungen.

Jch behaupte alſo gleich im An-
fange im 166 und 167. §., daß in de-
nen hier beſchriebenen Embryonen und
ihren areis noch keine Gefaͤße ſeyn,
theils um hieraus zu ſchließen, daß
die Nahr[u]ngsſaͤfte auf eine beſon-
dere Art, und durch eine beſondere
Kraft, durch dieſe Theile getrieben werden, be-
ſonders aber auf dieſem Grunde hernach die gan-
ze Theor[i]e der Formation der Gefaͤße zu bauen.
Hierwider nun eben wendet der Herr von Haller
beſonders ein, es ſey nicht zu ſchließen, weil man
in dieſen Theilen keine Gefaͤße auch auf irgend
eine Art entdecke, ſo ſeyn keine darinn. „Die
Erſcheinung, daß nemlich in der ſogenann-
ten
area umbilicaliim Huͤnchen Wege ge-
zeichnet ſeyn, die nach und nach vollkom-
men und zu Gefaͤßen werden
‟ das ſind ſeine
eigene Worte „ſey richtig, nur bleibe der
Zweifel uͤbrig, ob die durchſichtigen Wege
zwiſchen dem koͤrnigten Weſen auch wuͤrk-
lich aus bloßen Wegen ohne Haͤute beſte-
hen, und dieſes ſey ſo leicht nicht auszuma-
chen
‟. Wir wollen alſo ſehn, wie ich mich aus
dieſer Schwierigkeit herausziehe, und ob ich theils
um zu beweiſen, daß in der area keine Gefaͤße
ſeyn, theils um meine Erklaͤrung von der Forma-
tion der Gefaͤße zu rechtfertigen, noͤthig habe,
mich darauf zu berufen, daß ich die Gefaͤße auf
keine Art ſehe, oder durch irgend ein Mittel ent-
decken kann.


Jch
[81]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.

Jch berufe mich alſo, um meine Beweiſe
anzuſtellen, auf die Beobachtungen, welche ich
im 178 und 179, beſonders aber im 178 §. wel-
chen ich auch in dem oben citirten Scholio ange-
fuͤhrt habe, vorgetragen, in der 4ten, 7ten, 8ten
und 10ten beſonders in der 4ten Figur aber ge-
zeichnet habe. Dieſe Beobachtungen enthalten
die Stuͤtzen, auf welchen ich ſo wohl meine Theo-
rie von der Formation der Gefaͤße, als auch die-
ſe Wahrheit gegruͤndet habe, daß zu denen Zei-
ten, wenn der Embryo noch ſo wie hier beſchaf-
fen iſt, noch keine Gefaͤße in der area ſeyn. Das
in der 4ten Figur gezeichnete Stuͤck der area lehrt
uns die Formation der Gefaͤße ſo offenbar, daß
man ſie gleichſam mit Augen ſieht. Dieſe will
ich alſo zuvor aus dieſer Beobachtung zeigen, und
alsdann auch daraus wieder beweiſen, daß eben
jetzo in dieſer area noch keine Gefaͤße da ſeyn. Man
ſieht alſo in dieſer Figur, die ich ſo accurat und
mit ſo großem Fleiß nach der Natur gezeichnet
habe, daß auch faſt kein Punckt iſt, den ich nicht
in meinem Original geſehen haͤtte, daß die koͤr-
nigte Materie, die vorhin, wie in fig. 1. eben
gleich und aneinander hangend geweſen iſt, nun-
mehro in große, der Figur nach unbeſtimmte, und
hin und wider noch zuſammenhangende Stuͤcke,
a. a. zerfallen ſey. Dieſes ſieht man, und es iſt
alſo daran kein Zweifel. Man ſieht aber ferner,
daß dieſe Trennung der koͤrnigten Materie der
area, von dem mehr und mehr eindringen-
den fluͤßigen Weſen, welches man in den ent-
Fſtan-
[82]Aufloͤſung der Schwierigkeiten,
ſtandenen Zwiſchenraͤumen b. b. wahrnimmt, her-
ruͤhre; denn eben dieſes fluͤßige Weſen, mit der
ſubtileren koͤrnigten Materie b. b. iſt es, welches
die verſchiedene dichtere Stuͤcke der groͤbern koͤr-
nigten Materie trennt, und von einander abge-
ſondert haͤlt. Alſo auch dieſes ſieht man noch bishe-
ro; und es kann folglich auch daran nicht gezwei-
felt werden. Man nennt eine dergleichen Tren-
nung einer feſtern Materie, die durch ein fluͤßi-
ges Weſen geſchiehet, eine Aufloͤſung. Man
ſieht es alſo mit Augen, daß die koͤrnigte Mate-
rie der area, welche vorhin wie fig. 1. ganz, eben,
zuſammenhengend war, durch ein nach und nach
eindringendes fluͤßiges Weſen, in ungleich große
unfoͤrmliche Stuͤcke aufgeloͤſet werde, die hernach
ferner, wie man ſolches auf eben die Art in den
folgenden Beobachtungen, laͤnger gebruͤteter Eyer
ſieht, allmaͤhlig durch das weitere Eindringen
der fluͤßigen Materie in kleinere Stuͤcke getheilt
und aufgeloͤſet werden. Dieſes alles alſo ſieht
man. Etwas aͤhnliches hiervon bemercket man
an der Art der Aufloͤſung der Salze und faſt aller
andern Materien, die ebenfalls bey weniger Feuch-
tigkeit zuerſt in groͤßere Stuͤcke zerfallen, welche
aber hernach bey mehr zudringender Feuchtigkeit
weiter aufgeloͤſet werden. Nur dieſen Unterſcheid
findet man hier, daß die von einander getheilte
Stuͤcke noch immer an einigen Orten hin und
wieder ſtaͤrker oder ſchwaͤcher, durch mehr oder
weniger feinere koͤrnigte Materie zuſammen hen-
gen, wie ſie denn alle, wo nicht unmittelbar un-
ter
[83]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.
ter einander, wenigſtens vermittelſt der Membran
des Gelben vom Ey, an welcher ſie alle feſt ſitzen,
und der darunter gelegenen Subſtanz des Gelben,
mit der ſie ebenfalls zuſammenhengen, continui-
ren. Dieſe nun aber auf ſolche Art durch die Auf-
loͤſung in ungleiche Stuͤcke, die auch an vielen
Orten noch unmittelbar untereinander zuſammen-
hengen, folglich noch nicht vollkommen, ſo wie ſie
ſich in der Folge befindet, getheilte nnd gleichſam
zerriſſene area iſt eben der Ort, wo in der Folge
die netzfoͤrmige Nabelgefaͤße ausgebreitet erſchei-
nen, wie ſie in der 8ten und 10ten Figur durch
das Mikroſcop vorgeſtellt werden; und die Folge
der Beobachtungen an immer mehr und mehr ge-
bruͤteten Eyern lehrt, wie ſolches auch ſchon hin-
laͤnglich aus der Vergleichung der vierten, achten
und zehnten Figur zu erkennen iſt, daß die Zwi-
ſchenraume b in allen dieſen Figuren zu Gefaͤßen,
die Jnſeln aber, oder voneinander getheilten Stuͤ-
cke der koͤrnigten Materie allmaͤhlig zu Zwiſchen-
raͤumen der Gefaͤße werden. Bey allen dieſem
kann ſo wenig ein Jrrthum vorfallen, wie bey
irgend einer Wahrheit in der Welt. Es ſind alles
unmittelbare Beobachtungen; und man ſieht, wenn
man viel Eyer um dieſe Zeit der Jneubation auf-
ſchlaͤgt, an den allmaͤhligen und kaum merklichen
Veraͤnderungen der area, wodurch ſie aus dem
Zuſtande, wie ſie in der vierten Figur iſt, allmaͤh-
lig in den Zuſtand, worin ſich die in der 8ten und
10ten Figur befindet, uͤbergeht, daß die noch
hin und wieder zuſammenhengende Stuͤcke a. a.
F 2der
[84]Aufloͤſung der Schwierigkeiten,
der vierten Figur noch eben dieſelben ſind, die ſich
wieder als voͤllig nunmehr getrennte und mehr ge-
theilte kleinere Jnſeln in der 8ten und 10ten Fi-
gur bey a. zeigen, und daß hingegen die Zwiſchen-
raͤume b. in der vierten Figur eben dieſelbe Zwi-
ſchenraͤume ſind, die ſich wiederum bey b. in der
achten und zehnten Figur, nur wegen der ſtaͤr-
kern Theilung der Jnſeln, kleiner, in groͤßerer
Menge, und mehr geordnet zeigen. Daß aber
dieſes nun ſchon die wuͤrklichen Anfaͤnge der Ge-
faͤße ſind, das iſt daraus klar genug, weil man
in dieſen Zwiſchenraͤumen, wie ich ſolches auch
in der 10ten Figur vorgeſtellt, und in deren Er-
klaͤrung angezeigt habe, die Blutkuͤgelchen ſchon
haͤufig ſpringen ſieht. Eben ſo kann man auch
den allmaͤhligen Uebergang der area in der erſten
Figur, in die aream der vierten Figur durch fleiſ-
ſige Beobachtungen wahrnehmen. An dieſer
Formation der Gefaͤße iſt nun alſo vors erſte nicht
zu zweifeln.


Nunmehro aber frage ich, was hat dieſe
durch die Aufloͤſung gleichſam zerrißene area in
der vierten Figur fuͤr Aehnlichkeit mit den ſchoͤnen,
ordentlichen, netzfoͤrmigen Nebelgefaͤßen, die in
den letzten Tagen der Jncubation in der area aus-
gebreitet ſind? und ich frage, ob man dieſe durch
die Aufloͤſung der koͤrnigten Materie, woraus die
area beſteht, geſchehene Zerreiſſung derſelben, Ge-
faͤße nennen koͤnne? Da wir die Formation der
Gefaͤße wiſſen, ſo will ich einmahl beſtimmen,
was
[85]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.
was noch an dieſer area fehlt, und was noch alles
erfordert wird, ehe vollkommne Gefaͤße darinn
entſtehen. Vors erſte alſo muͤſſen die groͤßere
Stuͤcke dieſer area, dergleichen man in der Figur
verſchiedene ſieht, die noch wie eine Reihe Gebuͤr-
ge mit einander zuſammenhengen, in kleinere
Stuͤckchen getheilt werden; das demonſtrirt die
9te Figur, deren area in viel kleinere Jnſeln ge-
theilt iſt, und daher vielmehr Zwiſchenraͤume der-
ſelben enthaͤlt. Das heiſt aber ſchon nichts an-
ders, als es muͤſſen noch viel neue Gefaͤße, zu
zu denen noch gar keine Anlage gemacht iſt, ent-
ſtehen. Wenn aber dieſe fernere Aufloͤſung ge-
ſchehn iſt, ſo ſind alsdann auch die bloßen Wege
nur zu dieſen neuen Gefaͤßen noch lange nicht fer-
tig. (Machen Sie mir hier keine Einwendung
von durchſichtigen Haͤuten; ich rede hievon noch
kein Wort. Der Kanal aber gehoͤrt auch zu den
Gefaͤßen, und wenn der nicht da iſt, wenn im
Gegentheil die Maße ſolide iſt, ſo ſind keine Ge-
faͤße da.) Alsdann verhalten ſich die dadurch ent-
ſtandene Zwiſchenraͤume ſo wie die, welche ſie
ſchon in der Figur ſehen; nemlich die alsdann
kleinere Stuͤcke, welche aus der groͤbern koͤrnig-
ten Materie beſtehen, hengen alsdann noch ver-
mittelſt der feinern Materie zuſammen, ſo wie ſie
jetzo die groͤßere Stuͤcke in der Figur dadurch zu-
ſammenhengen ſehen. Die Aufloͤſung der groͤße-
ren Stuͤcke geſchiehet alſo nicht ſo, als wenn ſie
gerade durchſchnitten wuͤrden, ſondern es wird ein
Theil der groͤbern Materie, woraus die Stuͤcke
F 3be-
[86]Aufloͤſung der Schwierigkeiten,
beſtehen, zugleich mit aufgeloͤſet, und zwar nicht
ſogleich in unſichtbare Theilchen, die mit dem
fluͤßigen Weſen ſogleich mit weggenommen wuͤr-
den, ſondern erſt in eine feinere ebenfalls noch
koͤrnichte Materie, wodurch die getheilte Stuͤcke
noch ferner aneinander hengen bleiben, und die al-
ſo noch weiter aufgeloͤſet werden muß. Jndem
alſo endlich dieſe feinere Materie voͤllig aufgeloͤſet
wird, ſo werden alsdann erſt alle die Stuͤcke, wel-
che noch zuſammenhingen, voͤllig von einander ge-
trennt, und in Jnſeln verwandelt, und die feine-
re Materie ſelbſt wird zugleich mit aus dem Wege
geraͤumt. Alsdann alſo befindet ſich erſt die area
in dem Zuſtand, wie die iſt, die man in der 8ten
und 10ten Figur ſieht. Sie begreifen aber leicht,
daß dieſe Gefaͤße, wie ſie nunmehro ſind, und
wie ſie in der 8ten und 10ten Figur erſcheinen,
noch lange nicht vollkommne Gefaͤße ſind. Eben
ſo deutlich, wie Sie die aream bishero ſich haben
theilen, und Wege formiren ſehen, eben ſo deut-
lich zeigen die folgende Beobachtungen die Bil-
dung der Haͤute dieſer Wege, wodurch ſie endlich
Gefaͤße werden. Jch kann mich aber hierbey jetzo
unmoͤglich noch aufhalten. Jch werde aber eine
Figur von einer ſolchen Beobachtung in einer an-
dern Abhandlung von den Haͤuten der Gefaͤße mit
naͤchſten geben, woraus auch dieſe Sache klar
werden wird. Jetzo will ich nur ſo viel davon
ſagen. Daß niemahls dieſe Haͤute als ſolche durch-
ſichtige Membranen, dergleichen die Membran
des Gelben vom Ey, die Membran des amnii, der-
glei-
[87]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.
gleichen das Peritonaͤum und die Pleura iſt, zum
Vorſchein kommen; Man ſieht aber, daß allmaͤh-
lig eben ſolche Kuͤgelchen, als die ſind, woraus
die Jnſeln in der 10ten Figur beſtehn, ſich an den
Seiten der Wege anſetzen, daß hingegen die, wor-
aus die Jnſeln beſtehn, in kleinere und durchſich-
tige Kuͤgelchen ſich aufloͤſen, ſo daß alsdann dieſe
neue Haͤute aus dicht zuſammengepreßten, und
ſehr undurchſichtigen Kuͤgelchen beſtehn, und wie
ein dickes koͤrnigtes Leder ausſehen. Das ſind
die Haͤute der Gefaͤße in der area! keine der pleu-
ra
aͤhnliche durchſichtige Haͤute niemahls!


Dieſes alles alſo wird, ehe die area der vier-
ten Figur wahre Gefaͤße bekommt, noch erfor-
dert; alle dieſe Veraͤnderungen muͤſſen noch in
ihr vorgehen; fernere Zertheilung der groͤßern
Jnſeln (a. a.); voͤllige Trennung derſelben von ein-
ander, wo ſie noch zuſammen hengen; fernere
Aufloͤſung der koͤrnigten Materie b. b. und voͤllige
Wegraͤumung derſelben, damit die Saͤfte frey
hindurch flieſſen koͤnnen; Endlich Haͤute um dieſe
formirte Wege. Kann ich alſo wohl ſagen, daß
in dem Zuſtande, worin ſich die area fig. 4 befin-
det, ſchon Gefaͤße in ihr enthalten waͤren? Muß ich
nicht vielmehr ſagen, daß ſie nicht nur eben erſt
in der Bildung noch begriffen ſind, ſondern auch,
daß nur die allererſte Anlage zur Bildung der Ge-
faͤße erſt angefangen iſt? und daß folglich wahre
Gefaͤße noch nicht da ſind? Allein ſchließe ich denn
nun entweder bey der vorher erklaͤrten Formation
F 4der
[88]Aufloͤſung der Schwierigkeiten,
der Gefaͤße, oder indem ich zu andern Abſichten
behaupte, daß in der area der vierten Figur noch
keine Gefaͤße ſind, ſolches daraus, weil ich ſie
nicht ſehe, und gehe ich denn in dieſen Schluͤßen
auf den Grundſatz zuruͤck, was ich nicht ſehe,
iſt nicht da?
Schließe ich nicht vielmehr dieſe
Wahrheiten aus dem, was ich wuͤrklich ſehe,
aus dem, weil ich ſehe, daß die Gefaͤße noch
lange nicht fertig, daß ſie kaum erſt angefangen
und eigentlich noch gar keine Gefaͤße ſind? Dieſe
Beobachtungen alſo ſind meine Gruͤnde, worauf
ich die im 766 und folgenden §phen behauptete
Saͤtze, und die Formation der Gefaͤße gebauet
habe, wie man ſich allemahl auf Erfahrungen ver-
laſſen kann; Deswegen habe ich auch im Scholio
den 178 und folgenden §§. citirt, wo dieſe ganze
Formation der Gefaͤße ordentlich und deutlich be-
ſchrieben wird, und ausdruͤcklich am Ende des
Scholii geſagt: tandem, quando incipiant vaſa
exiſtere, \& quomodo ineipiant (§. 178. ſeqq.)
ad oculum demonſtrabo.


Allein daß ich freylich dieſe Beobachtungen
zu allererſt haͤtte anfuͤhren, und alsdann die in dem
166ten und folgenden §. vorgetragene Wahrhei-
ten einzig und allein darauf haͤtte bauen ſollen, oh-
ne aller der uͤbrigen in dieſem Scholio beygebrach-
ten Beweiſe einmahl zu gedenken, daß ich alſo in
der ſyſtematiſchen Ordnung einen Fehler begangen
habe: dieſes will ich Jhnen gern zugeben. Aber
dabey leidet die Wahrheit meiner Theorie nichts!
Jch
[89]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.
Jch wolte gern eine aͤhnliche Ordnung hier beobach-
ten, wie ich mich bey den Pflanzen bedient hatte.
Jch wolte zuerſt die weſentliche Kraft bey den
Thieren feſt ſetzen, und alsdann die Formation der
Gefaͤße erklaͤren. Allein dieſes haͤtte auch geſche-
hen koͤnnen; nur haͤtte ich die Beobachtungen des
178 §. ſeq. zuerſt anfuͤhren ſollen, nicht um eine
vollſtaͤndige Theorie der Formation der Gefaͤße ſo-
gleich darauf zu bauen, ſondern nur vors erſte
dieſes daraus herzuleiten, daß zu dieſer Zeit, und
nicht eher, es geſchehe uͤbrigens auf welche Art
es wolle, die Gefaͤße formirt werden. Jch ſahe
auch wohl, daß ich dieſer Beobachtungen wuͤrde
noͤthig haben; deswegen habe ich mich auch im
Scholio wenigſtens darauf berufen. Allein ich
glaubte nicht, daß man auf das unwahrſchein-
liche Huͤlfsmittel zuruͤckgehen wuͤrde, daß ja wohl
vielleicht Theile da ſeyn koͤnnten, ob ſie gleich auf
keine Art zu entdecken waͤren. Denn ob ich gleich
nun gezeigt habe, daß ich zu meiner Theorie den
Satz, was ich nicht ſehe, iſt nicht da, nicht noͤ-
thig habe, ſo gebe ich deswegen doch noch lange
nicht zu, daß mir die Theile des Embryo unge-
achtet aller angewendeten Sorgfalt, wenn ſie wuͤrk-
lich da ſind, verborgen bleiben koͤnnten. Jch will
nicht alle Urſachen dazu, die ich in dem Scholio
angefuͤhrt habe, hier wiederholen, ob ſie gleich
nicht widerlegt ſind. Jch will nur dieſen einzi-
gen Grund anfuͤhren; welcher Beobachter kann
mir ſagen, daß er zum Exempel das Herz durch
ein Mikroſcop, welches nur ſo viel vergroͤßert, als
F 5das,
[90]Aufloͤſung der Schwierigkeiten,
das, wodurch ich den Embryo mit dem Herzen
in der 5ten Figur gezeichnet habe, und das iſt
nur ein ſchwaches Mikroſcop, jemahls ſo klein ge-
ſehen habe, als ein Sandkorn? Man wuͤrde als-
dann dieſes Herz, wenn es jemahls ſo klein exi-
ſtirte, mit einem weit ſtaͤrkeren Vergroͤßerungs-
glaſe etwan ſo groß wie das in der 5ten Figur zu
ſehn bekommen. Allein das geſchiehet niemahls.
Das Herz iſt entweder gar nicht zu ſehn, oder es
iſt ſo groß wie in dieſer Figur. Dieſes beweiſet,
die Beobachter moͤgen die Staͤrke ihrer Vergroͤſ-
ſerungsglaͤſer beſtimmt haben oder nicht, die Figur
unter welcher ſich das Herz zeigt, und die uͤbrige
Vollkommenheit des Embryo. Aus dieſer Figur
ſchließe ich, daß ein kleiner Herz als mein ziem-
lich großes iſt, welches ich in der 5ten Figur ge-
zeichnet habe, noch niemand geſehen hat. Was
auch die Durchſichtigkeit betrift, ſo gibt es keine
wuͤrkliche wie Waſſer oder Cryſtall durchſichtige
Theile einmahl in dem Embryo, außer die Haut
des Gelben, die Haut des Amnii, und in Erwach-
ſenen das Peritonaͤum und die Pleura. Dieſe
Theile aber ſind von den organiſchen Theilen, wor-
aus das Thier zuſammengeſetzt iſt, ſehr unterſchie-
den, und man muß nicht von dem einen auf das
andere ſchließen. Sie beſtehen nicht aus Kuͤgel-
chen, wie alle uͤbrige Theile; ſie haben keine Ge-
faͤße und keine Nerven, und ſie bleiben, welches
wohl zu merken iſt, zu allen Zeiten gleich durch-
ſichtig. Dieſe alſo, welche unſern Augen auch
nicht zwar entwiſcht ſind, koͤnnten doch aber wohl
bis-
[91]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.
bisweilen oder haͤtten wenigſtens vielleicht koͤnnen
entwiſcht ſeyn, das will ich allenfalls zugeben.
Aber das Herz, die Gefaͤße und ihre Haͤute, wenn
ſie da ſind, die Fluͤgel und die Fuͤße, dieſe Thei-
le, die alle aus Kuͤgelchen beſtehn, die eigentlich
nur weiß und etwas zwar wie alle Koͤrper wenn
ſie klein und duͤnne ſind, keinesweges aber voͤllig
wie Waſſer oder Cryſtall durchſichtig ſind, daß
dieſe Theile ihrer Kleinigkeit oder ihrer Durchſich-
tigkeit wegen vielleicht wohl unſichtbar bleiben
koͤnnten, das ſcheint mir, wenn ich ſagen ſoll wie
ich es denke, eine egoiſtiſche Ausflucht zu ſeyn.
Aber deswegen bauet der Herr von Haller auch
nicht, wie Herr Bonnet thut, hierauf die Hy-
potheſe der Evolution als etwas voͤllig gewiſſes.
Er ſagt nur, wenn ich im Gegentheil meine Theo-
rie ganz vollkommen gewiß und ausgemacht, wuͤrk-
lich demonſtrirt haben wollte, ſo bleibe mir dieſer
Zweifel auch aufzuloͤſen noch uͤbrig, und dieſer
ſey ſo leicht nicht auszumachen. Jch denke indeſ-
ſen durch die genauere bisherige Unterſuchungen
die Sache vollkommen ins Licht geſetzt zu haben.


Jch will, um von dieſen Zwei-Die Art wie
ſich der Hr. v.
Haller die all-
mählige Er-
ſcheinungen
der Gefäße
auf der area
umbilicali

vorſtellt,

feln auf keiner Seite etwas uͤbrig zu
laſſen, die Sache noch auf eine an-
dere Art vornehmen. Der Hr. von
Haller
ſtellt ſich die Formation der
Gefaͤße in der area auf dieſe Art vor.
Jn der area Figura 1. ſollen die Ge-
faͤße ſchon zwiſchen dem koͤrnigten
Weſen
[92]Aufloͤſung der Schwierigkeiten,
ſtimmt mit
den Beobach-
tungen nicht
überein.
Weſen vorhanden ſeyn; ſie ſollen aber
dergeſtalt zuſammen gefallen oder von
beyden Seiten zuſammengedruͤckt und
voͤllig leer ſeyn, daß man ihre Hoͤlen
nicht unterſcheiden koͤnne. Was aber ihre Haͤute
anbetreffe, ſo ſollen eben dieſe ihrer Durchſichtig-
keit wegen unſichtbar ſeyn. Das erſtere ginge
noch an; wenigſtens ſehe ich keine Unmoͤglichkeit
darinn; aber das zweyte widerſpricht der Beobach-
tung, die ich von den Haͤuten im vorhergehen-
den angezeigt habe, und die ich weitlaͤuftiger in
einer beſondern Abhandlung ausfuͤhren will. Wir
wiſſen, daß dieſe Haͤute erſt ſehr ſpaͤt, lange nach-
dem die area ſchon in dem Zuſtande der 8ten und
10ten Figur geweſen iſt, lange nachdem ſchon
Blutkuͤgelchen durch die formirte Wege gelauffen
ſind, gebildet werden; wir ſehen alsdann, auf
was fuͤr Art dieſes geſchehe; wir ſehen, daß Kuͤ-
gelchen allmaͤhlig ſich an den Seiten der Wege an-
ſetzen, und daß daraus Haͤute formirt werden, die
alsdann ſchon gleich bey ihrem erſten Anfange wie
ein dickes undurchſichtiges koͤrnigtes Leder ausſe-
hen. Folglich koͤnnen dieſe Haͤute nicht jetzo ſchon
in| dieſem Zuſtande der area, wie ſie in der erſten
Figur iſt, vorhanden ſeyn. Der Hr. von Hal-
ler
muß aber behaupten, daß auch dieſe Haͤute
ſchon jetzo in dieſer area vorhanden ſeyn; denn
ſonſt hat er ſchon verlohren; die Haͤute werden
formirt, die Epigeneſis iſt klar. Das waͤre alſo
ein Widerſpruch den die Natur hier einmahl der
Vorſtellung des Herrn von Hallers macht. Wir
wollen
[93]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.
wollen ſehn was fuͤr dergleichen Widerſpruͤchen die-
ſe Vorſtellung noch weiter ausgeſetzt iſt.


Dieſe zuſammengefallene Gefaͤße ſollen in der
Folge durch den Antrieb des Blutes, der vom
Herzen herruͤhrt, erweitert und ausgedehnt wer-
den, und auf dieſe Art ſollen die Gefaͤße nun zu-
erſt erſcheinen. Dieſe Jdee iſt ſchoͤn; aber die
Beobachtungen widerſprechen ihr. Jch habe im
vorigen angefuͤhrt, daß die groͤßere Stuͤcken (a. a.)
in der area der 4ten Figur noch von einander ge-
theilt und zwiſchen ihnen alſo noch Gefaͤße for-
mirt werden muͤſſen. Wenn nun nach dem Be-
griffe des Herren von Hallers dieſe groͤßere
Stuͤcke eigentlich wuͤrklich ſchon getheilt ſind, und
wuͤrklich ſchon Gefaͤße, nur zuſammengefallene
und daher unſichtbare Gefaͤße, die mitten durch
ſie durchgehen, und zu ihrer voͤlligen Erſcheinung
nur den Antrieb des Blutes erwarten, in ſich ent-
halten; ſo muͤſſen dieſe Gefaͤße, ſo bald die Thei-
lung der groͤßern Stuͤcke (a. a.) geſchiehet, vors
erſte ſogleich auch als voͤllig offne Wege erſcheinen;
vors andere muß zugleich auch das durch ſie durch-
laufende Blut, als welches eben die Urſache ihrer
Eroͤffnung ſeyn ſoll, zum Vorſchein kommen.
Allein das Ding verhaͤlt ſich hier ganz anders.
Beydes geſchiehet nicht. Jch will, um nicht An-
laß zu neuen Einwendungen zu geben, nichts da-
von ſagen, daß man zu dieſer Zeit in dieſer area
noch kein Blut ſieht, deſſen Sichtbarkeit auch der
Herr von Haller nicht laͤugnet; daß man gar kei-
ne
[94]Aufloͤſung der Schwierigkeiten,
ne durchgehende Saͤfte ſieht, daß man das Herz
auch lange nachhero noch ſtille liegen, im hoͤch-
ſten Grad ſtille liegen, folglich ſich nicht bewegen
ſieht; von dem allen, ſage ich, will ich kein Wort
reden; denn man koͤnnte, ich weis nicht, von
was fuͤr durchſichtigen Dingen hier wiederum eine
Einwendung machen; wodurch der Beweis zwar
nicht entwichen, aber neue Knoten auseinander
zu wickeln wieder vorgeworfen wuͤrden, und wor-
uͤber man die andern Beweiſe, wobey alle der-
gleichen Ausfluͤchte glatt abgeſchnitten ſind, ver-
geſſen zu haben ſcheinen koͤnnte. Jch halte mich
alſo an dem andern Punkt, und ſage, die auf
dieſe Art entſtandene Wege muͤſten wenigſtens ſo
gleich offne Wege ſeyn. Allein ſie ſehen in der
vierten Figur das Gegentheil. Wenn ein großes
Stuͤck in zwey kleinere getheilt wird, ſo geſchie-
het dieſes nicht ſo, als wenn ſie mit einem Meſſer
von einander geſchnitten waͤren, ſondern es wird
ein Theil der groͤbern koͤrnigten Materie, woraus
das große Stuͤck beſtund, zugleich mit aufgeloͤſet,
und zwar nicht in kleine unſichtbare Theilchen, die
mit den durchdringenden Saͤften mit weggenom-
men wuͤrden, ſondern nur vors erſte in eine fei-
nere koͤrnigte Materie, und die zwar an eben dem
Orte noch ſitzen bleibt, und wodurch die kleinere
getheilte Stuͤcke noch ferner zuſammenhengen blei-
ben. Dieſes alles habe ich deswegen mit Fleiß
ſchon in dem vorigen ſo genau mit vorgetragen.
Sie ſehen alſo in der ganzen Beobachtung der
vierten Figur wohl augenſcheinliche Beweiſe von
einer
[95]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.
einer allmaͤhlichen Aufloͤſung einer groͤbern Ma-
terie in eine ſeinere, wodurch, indem dieſe Aufloͤ-
ſung fortgeſetzt wird, zugleich große Stuͤcke der
koͤrnigten Materie getrennt und in viele kleinere
zertheilt werden; aber Sie ſehen nicht die gering-
ſte Spuhr, ſondern vielmehr das Gegentheil, von
einer durch das Eindringen des vom Herzen ge-
triebenen Blutes verrichteten Erweiterung und
Ausdehnung ſolcher Gefaͤße, die ſchon da, und
nur zuſammen gefallen geweſen waͤren. Und das
iſt alſo der zweyte Widerſpruch den die Natur der
Jdee des Herrn von Hallers macht.


Wenn Sie nur die Obſervation in der vier-
ten Figur bloß anſehen, ſo muß Jhnen dieſe Jdee
den Augenblick unmoͤglich ſcheinen! der Herr von
Haller
wird dieſen Zuſtand der area gewiß oͤfter
geſehen haben, denn es kann der Aufmerkſamkeit
dieſes großen Naturforſchers ſo leicht nichts ent-
wiſchen; allein er wird ihn vermuthlich nicht fuͤr
die erſte Anlage zu den Gefaͤßen gehalten haben;
daher ſpricht er, wenn er von dem erſten Anfange
und von der erſten Erſcheinung der Gefaͤße redet,
immer ſchon von kurzen Linien, von rothen Punk-
ten und Spitzchen, die ſich in der area zeigen, und
hernach in der Folge von gezeichneten Wegen, ſo
wie wenn ſie mit einer Nadel eingegraben waͤren.
Jn der 21 Obſervation (nach 31½ Stunden T.),
worin er zuerſt von dem Anfange der Gefaͤße re-
det, ſagt Er: A ces anneaux ſuccedoit l’aire
grumelée jaune blanchatre; on y diſtinguoit des

lignes
[96]Aufloͤſung der Schwierigkeiten,
lignes fort courtes, qui font le commencement des
vaiſſeaux du reſeau embilical.
Jn der 24ſten
Obſervation nach 36 Stunden R. ſagt er: Une
ebauche de la figure veineuſe ſuccede a cette aire
ce ſont deux arc de cercle, \& deux ſegmens
remplis de points plus rouge que jaune. C’eſt
le commencement du reſeau ombilical.
Das iſt
aber ganz accurat meine Beobachtung in der 1ſten
Figur, wie ſie den bloßen Augen ſich zeigt, und
die ich in der 8ten Figur durch das Vergroͤße-
rungsglaß vorgeſtellt habe. Allein das iſt lange
nicht der erſte Anfang der Gefaͤße. Jch habe ſie
in der Obſervation der vierten Figur viel fruͤher
entdeckt und da alſo ihre wahre erſte Anlage ge-
ſehn. Dieſe in der 7ten Figur vorgeſtellte Beo-
bachtung aber, worinn der Herr von Haller zu-
erſt die Gefaͤße erkennt hat, iſt eben diejenige, die
ſich auch mit ſeiner Jdee unter allen am beſten
vertraͤgt. Man ſieht in dieſen Abſchnitten der
Scheibe mehr roth als gelbe Punkte, Stiche,
kurze Linien. Das koͤnnen Stellen der Gefaͤße
ſeyn, wo das Blut ſtockt, und die Gefaͤße aus-
dehnt, da indeſſen die uͤbrigen Theile der Gefaͤße
noch zuſammen gezogen ſind. Sieht man aber
auch nur eben daſſelbe Objeckt mit dem Vergroͤſſe-
rungsglaſe an; wie ich es in der 8ten Figur ge-
genau vorgeſtellt habe. ſo faͤllt ſchon alle Wahr-
ſcheinlichkeit weg. Man ſieht keine zuſammenge-
zogene, und an einigen Stellen aufgetriebene Ge-
faͤße mehr; man ſieht feſte, ſteife unbewegliche
Jnſeln, die durch ihre Zuſammenziehung oder
Erwei-
[97]die wider die Theorie des Verf. ꝛc.
Erweiterung die zwiſchen ihnen enthaltene Rin-
nen auf keine Art weiter oder enger machen koͤn-
nen, und man ſieht Rinnen, die, es mag Blut
in ihnen enthalten ſeyn oder nicht, zugleich zum
ſichern Beweiſe, daß ſie keine Haͤute haben, im-
mer gleich weit bleiben. Jſt es moͤglich, daß
auch nur hierwider etwas eingewendet werden
koͤnnte?


Meine Formation der Gefaͤße habe ich alſo
gerettet. Jch muß nun auch zeigen, daß meine
Theorie von der Vegetation des Embryo eben ſo
wenig auf den angeblichen Grundſatz von der Un-
ſichtbarkeit beruhet. Hierin habe ich es eigentlich
nur mit Herren Bonnet zu thun.


3) Widerlegung der Einwuͤrfe
des Herrn Bonnet.



Er ſagt im erſten Theil pag. 101. im 125. §.
wo er eigentlich die Epigeneſin, in ſo fern
ſie aus den Beobachtungen an ausgebruͤteten
Eyern bewieſen wird, zu widerlegen ſucht: On
veut juger du tems, ou les parties d’un corps
organiſé ont commencé d’exiſter par celui,
ou elles ont commencés de devenir ſenſibles.

Das heiſt eigentlich ſo viel, als, man ſetzt zum
Voraus, daß die Theile eines organiſchen Koͤr-
pers nicht eher exiſtiren, als bis man ſie wahr-
nimmt; Jch muß alſo zeigen, daß ich um die
Epigeneſin zu beweiſen, ſolches nicht noͤthig ha-
Gbe.
[98]Widerlegung der Einwuͤrfe
be. Alsdann ſetzt er hinzu, On ne conſidere
point, que le repos, la petitiſſe \& la transpa-
rence de quelqu’unes de ces parties, peuvent
nous les rendre inviſibles, quoiqu’ elles exiſtent
réellement.
Dieſes alles ſagt er dem Herrn von
Haller
nach der im zweyten Theil pag. 177. ſich ſo
ausgedruckt hat: Après ces obſervations on doit
être en garde contre l’envie de prononcer, que
telle \& telle partie d’un animal eſt nouvellement
nee, \& qu’elle n’a pas exiſté auparavant.
Als-
dann ſetzt der Herr von Haller hinzu: Elle peut
avoir été trop petite elle peut n’avoir ete, que
transparente, le mouvement \& le repos appa-
rent des parties du corps animal dépend encore
de l’accroiſſement \& de l’opacité de ces parties.

Sie ſehen wohl, das iſt von Wort zu Wort eben
daſſelbe, oder es hat es doch wenigſtens ſeyn ſol-
len; denn eigentlich hat er in dem letzten Punkte
den Herrn von Haller nicht recht verſtanden.
Dieſer ſagt, die ſcheinbare Ruhe und Bewegung
hengt ebenfalls von der gehoͤrigen Groͤße und Un-
durchſichtigkeit ab; und er meynt damit, wenn
ein Theil zu klein oder zu durchſichtig iſt, ſo kann
man auch ſeine Bewegung nicht gewahr werden;
und das iſt auch richtig; denn wenn ich einen
Theil ſeiner Durchſichtigkeit oder Kleinheit wegen
einmahl nicht ſehen kann, ſo kann ich ihn auch
nicht ſehen, er mag ſich bewegen, ſo viel er will;
daher fuͤhrt auch der Herr von Haller das Bey-
ſpiel vom Winde an, den ich nicht ſehn kann, weil
dieſe bewegte Luft zu durchſichtig iſt. Aber Herr
Bon-
[99]des Herrn Bonnet.
Bonnet, der dieſes nicht recht verſtanden hat,
widerſpricht dem Herrn von Haller. Er ſagt
die Ruhe macht die Theile unſichtbar, und der
Theil wuͤrde folglich, wenn er ſich bewegte, da-
durch ſichtbar werden. Aber das iſt es eben, was
der Herr von Haller nicht haben will. Wir
ſehn eine Zeitlang nicht das Herz ſich bewegen,
und das iſt nicht gut; deswegen ſagt er, eben die
Urſachen, die uns das Herz verbergen, machen
auch, daß wir es nicht ſehen koͤnnen, ob es ſich
gleich bewegt. Allein das geht uns eigentlich nicht
viel an; es iſt ein kleiner Mangel der Einſicht,
den wir Herren Bonnet gern vergeben wollen,
ob er gleich mit einer ſehr veraͤchtlichen Mine nur
kurz vorher noch geſagt hat, mais la foibleſſe
de cette objection ſe fait aiſement ſentir.


Sie ſehen leicht, daß wenn ich wider den
erſten Satz des Herrn Bonnets beweiſe, daß ich
bey der Vertheidigung der Epigeneſis nicht aus
dem Anfang der Sichtbarkeit der Theile den An-
fang des Daſeyns derſelben ſchließe, ich alsdann
den zweyten Satz zu widerlegen nicht noͤthig habe,
und daß ich hingegen, wenn ich dieſen widerlege
das erſtere nicht beweiſen duͤrfe. Jch will aber
dieſes beweiſen und jenes widerlegen; und mit
der Widerlegung den Anfang machen.


Drey Stuͤcke ſollen uns die Thei-Wenn ein
Theil des Ein-
bryo da iſt, ſo
iſt weder die

le den Augen entziehen; die Ruhe,
die Kleinheit und die Durchſichtigkeit.
G 2Was
[100]Widerlegung der Einwuͤrfe
Kleinheit
noch die
Durchſichtig-
keit deſſelben
wie Hr. Bon-
net
glaubt,
ſo beſchaffen,
daß er deswe-
gen unſicht-
bar würde;
und noch we-
niger kann
die Ruhe die-
ſes zu wege
bringen.
Was die leztere betrift; ſo habe ich
ſchon geſagt, daß außer dem Perito-
naͤo und der Pleura, woran uns aber
bey dieſen Verſuchen niemahls etwas
gelegen iſt, kein Theil, der zum Koͤr-
per des Embryo gehoͤrt, wie die Luft,
die dadurch unſichtbar werden kann,
durchſichtig ſey. Wenn ſich Herr
Bonnet zum Exempel einmahl das
Herz im Ey wird zeigen laſſen zu wel-
cher Zeit er wolle; ſo wird er ſehn, daß
es immer weiß und opack genug, nie-
mahls nur wie Kryſtall durchſichtig
ſey. Was die Kleinheit anbetrift, ſo habe ich
in meiner Diſſertation in dem bekannten Scholio
ſchon geſagt, daß alle Theile des Embryo aus Kuͤ-
gelchen beſtehn, die immer durch maͤßige Ver-
groͤßerungsglaͤſer geſehn werden koͤnnen; kann aber
Herr Bonnet begreifen, wie ein Theil, der aus
hundert oder mehr ſolcher Kuͤgelchen beſteht, eben
denſelben Vergroͤßerungsglaͤſern ſeiner Kleinheit
wegen unſichtbar bleiben kann. Jch weis wohl
daß der Herr von Haller dieſen Beweis in der
Recenſion angefuͤhrt hat; aber er hat ihn nicht
widerlegt. Was endlich die Ruhe betrift, wobey
Herr Bonnet dem Herrn von Haller widerſpricht,
und ich hingegen ihn vertheidigen werde, ſo muß
man wohl unterſcheiden zwiſchen gewahr werden
und ſehen. Ein kleines Ding kan unter einer
großen Menge anderer kleinen Dinge wohl unſe-
rer Aufmerkſamkeit entgehen, da es uns hingegen
in
[101]des Herrn Bonnet.
in die Augen faͤllt, ſo bald es ſich bewegt, aber
ſehen muͤſſen wir es dem ohngeachtet koͤnnen, und
unſichtbar kann es uns niemahls werden, es mag
ſo ſtille liegen als es will, ſo bald wir es nur in
ſeiner Bewegung ſehen koͤnnen. Allein das Un-
terſcheiden iſt eben Herren Bonnets Sache nicht.


Alſo waͤre mir die Epigeneſis zuAllein dieſe
Wahrheit
wird beym
Beweiſe der
Epigeneſis
dennoch nicht
zum Grunde
gelegt.

beweiſen noch uͤbrig, und zwar ohne
dabey anzunehmen, daß die Theile
alsdann erſt entſtehen, wenn ſie zum
Vorſchein kommen. Meine Beobach-
tungen dazu ſind die 5te 11te und 12te
Figur. Jn der 5ten Figur ſehen Sie
eine aus einem faſt fluͤßigen Weſen
beſtehende Kante, die den ganzen Embryo um-
gibt, unten breiter iſt, und nach oben ſpitz zugeht.
Die folgende Beobachtungen lehren, daß dieſe
Kante allmaͤhlig von unten nach oben zu ſich in die
Hoͤhe zieht, bis ſie allenthalben gleich breit wird.
Alsdann faͤngt ſie an auf beyden Seiten aus der
Mitte ſich weg und nach oben und unten an ei-
nen Ort hinzuziehen, und daſelbſt Huͤgel zu for-
miren, wie die 12te und 11te Figur zeigen. Al-
les dieſes ſind reine Beobachtungen; Es ſind aber
auch reine Beobachtungen, welche in der Folge
lehren, daß dieſe Huͤgel in die Fluͤgel und Fuͤße
uͤbergehn, und daß alſo auch die erſte fluͤßige
Kante der 5ten Figur ſchon eine Anlage zu denſel-
ben war. Nun iſt aber dieſe fluͤßige Kante kei-
ne Fluͤgel und Fuͤße noch nicht, alſo muͤſſen dieſe
G 3ja
[102]Widerlegung der Einwuͤrfe
ja nothwendig aus ihr noch erſt formirt werden.
Das iſt der ganze Beweiß. Wie kann denn nun
aber der Mann ſagen, On veut juger du témps,
ou les parties ont commencé d’ exiſter, par celui,
ou elles ont commence de devenir ſenſibles.
Die
Kante mag ſo fruͤh und ſo lange vorher ſchon exi-
ſtirt haben, wie ſie will; Genug daß ſie jetzo nur
auch da iſt, und eine Kante, aber keine Fluͤgel
und Fuͤße iſt, und daß dieſe alſo erſt muͤſſen aus
ihr formirt werden.


Aus der Fort-
ſetzung der Ge-
därme des
Embryo in die
Haut des gel-
ben vom Ey
folgt gar nicht,
daß beyde im-
mer zugleich
haben exiſti-
ren müßen.

Das iſt das Vornehmſte, was
Herr Bonnet wider die Epigeneſin
geſchrieben hat. Er traͤgt aber uͤber-
dem noch p. 125 einen Beweisgrund
wider dieſelbe vor, der wieder den
Herren von Haller zugehoͤrt, und wo-
bey er Jhn auch citirt. Sie muͤſſen
uͤberhaupt bemerken, daß alles, was
Herr Bonnet geſchrieben hat, meh-
rentheils aus dem Herren von Haller
genommen iſt. Etwas weniges hat er hin und
wieder auch von andern Verfaſſern mit unterge-
mengt. Eigenes aber hat er gar nicht. Der Hr.
von Haller ſagt, die Haut des gelben vom Ey iſt
eine genaue Fortſetzuug der Gedaͤrme des Embryo,
und daraus ſchließt er, daß das eine ohne dem
andern niemahls habe exiſtiren koͤnnen, und daß
folglich, da das Gelbe vom Ey ſchon vor dem
Beyſchlaff im Eyerſtock geweſen ſey, auch die Ge-
daͤrme und der Embryo darinn geweſen ſeyn muͤſ-
ſen.
[103]des Herrn Bonnet.
ſen. Das iſt ein ſehr artiger Gedanke, den ich
aber widerlegen werde, und den Herr Bonnet
wiederum nach ſeiner gewoͤhlichen Art auf verſchie-
dene Weiſe verdirbt. Vors erſte ſchreibt er ſo
wohl im 141ten als auch im 148ten §. die Beo-
bachtungen, daß die Haut des Gelben eine Con-
tinuation der Gedaͤrme ſey, dem Herren von
Haller
zu; in dem leztern §. ſagt er; Voila des faits,
que nous devons aux ſoins \&c.
Das verlangt
aber der Herr von Haller gar nicht. Dieſer
große Naturforſcher hat zu viel Geheimniſſe der
Natur entdeckt, als daß er noͤthig haͤtte, um ſei-
nen Ruhm zu vermehren, dem Malpigh eine
kleine Erfindung wegzunehmen, die uns ſelber
Malpigh ſo hoch eben nicht angeſchrieben hatte.
Man ſieht ſchon bloß aus der 52ten 57ten und
61 Figur des Malpigh in ſeinen wiederholten
Obſervationen in der Londener Ausgabe, daß die
Sache ihm bekannt geweſen ſey. Er ſagt aber
auch ausdruͤcklich, zum Exempel in der Erklaͤrung
der 61. Figur pag. 11. In aperto pullo vitellus
E, hujus magnitudinis, inteſtinis F brevi ductu
Gcontinuabatur.
Und eben daraus, weil Mal-
pigh
die Sache mit ſo wenigen Worten vortraͤgt,
ſieht man, daß er ſie fuͤr ſo was großes nicht ge-
halten habe. Der Gedanke aber, hieraus die
Evolution zu beweiſen, dieſer gehoͤrt, ſo viel ich
weis, dem Herrn von Haller zu.


Sie wiſſen aus meiner Theorie, daß die Ve-
getation des Embryo auf Art der Abſonderungen
G 4der
[104]Widerlegung der Einwuͤrfe
der Saͤfte, die nachher ſolide, und, wie ich ſol-
ches weiter erklaͤrt habe, organiſch werden, ge-
ſchehe. Der Ruͤckgrad iſt der erſte Theil, welcher
auf dieſe Art aus dem Ey abgeſondert wird; ſo wie
das Ey ſelbſt, (vitellus) von dem Eyerſtock inner-
halb ſeiner Subſtanz abgeſondert wurde. Auf
eben dieſe Art faͤhrt der Ruͤckgrad ſort, auf bey-
den Seiten die Subſtanz abzuſondern, woraus
durch ihre innere Organiſation, die ich eben ſo
deutlich erklaͤrt habe, in der Folge die Fluͤgel und
Fuͤße werden. Alle dieſe von ihrem naͤchſtvorher-
gehenden abgeſonderte Theile, bleiben, wenn kei-
ne beſondere Urſache, die ſie trennt, hinzukommt,
an denſelben feſt ſitzen, und ſehen hernach als eine
bloße Fortſetzung von ihnen aus. Alle Theile be-
kommen ihre Haͤute erſt nachdem ſie ſelbſt ſchon
formirt ſind. Bey den Gefaͤßen habe ich es Jh-
nen ſchon gezeigt; bey der Epiderniis ſo wohl der
Pflanzen als Thiere iſt es an ſich ſchon bekannt;
durch dieſe Haͤute bekommen die abſondernde mit
den von ihnen abgeſonderten Theilen noch mehr
das aͤußerliche Anſehen, als wenn ſie ein einziger
Theil, und der eine eine unmittelbare Fortſetzung
des andern waͤre, nur an ihrer inneren Strucktur
kann man bisweilen, nicht aber allemahl den Un-
terſcheid wahrnehmen. Kann man denn nun aber
ſchließen, daß wenn die aͤußerſte Haut, die, wie
der Herr von Haller, im 2ten Theil 187. ſagt,
in den letzten Tagen nur das Gelbe vom Ey um-
gibt, in die Haut des Embryo, die gewoͤhnliche
aͤußere Haut des Gelben in die aͤußere Haut der
Ge-
[105]des Herrn Bonnet.
Gedaͤrme und in das Peritonaͤum, und die inner-
ſte Haut deſſelben in die zottigte Haut (villoſam) der
Gedaͤrme; daß alſo uͤberhaupt und kurz das Gelbe
des Eyes in den Embryo continuirt; kann man,
ſage ich, daraus ſchließen, daß beyde Stuͤcke, das
Ey und der Embryo deswegen nothwendig zu-
gleich, es ſey zu welcher Zeit es wolle, vor oder
nach dem Beyſchlaf oder bey der Schoͤpfung, zu
exiſtiren haben anfangen muͤſſen? Wuͤrde ich nicht
auch ſchließen muͤſſen, wenn ich behaupte, daß
die Fluͤgel und Fuͤße aus dem vorhergehenden Ruͤck-
grad abgeſondert werden, ſo daß ſie nachhero, be-
ſonders wenn ſie in der Folge beyde ihre aͤußerliche
gemeinſchaftliche Haut bekommen haben, wenig-
ſtens dem aͤußern Anſehen nach als ein einziger
fortgeſetzter Theil ausſehn, daß auch die Fluͤgel
und Fuͤße mit dem Ruͤckgrad zugleich zu exiſtiren
haben anfangen muͤſſen, und daß das eine ohne
dem andern nicht habe beſtehen koͤnnen? Allein
folgt dieſes? Kann nicht ganz natuͤrlicher Weiſe
der Ruͤckgrad eher exiſtirt haben? und kann dieſer
nicht, nachdem er eine Zeitlang allein exiſtirt hat,
eine fluͤßige Subſtanz ſeitwaͤrts abgeſondert haben,
die, indem ſie ſolide wird und in Fluͤgel uͤbergeht,
auch uͤberdem in der Folge noch erſt durch ein Aus-
ſchwitzen mit dem Ruͤckgrad zugleich eine gemein-
ſchaftliche Haut bekommt; vollkommen, ich will
nicht ſagen nur aͤußerlich, ſondern vollkommen
das Anſehen haben koͤnnte, als wenn ſie mit dem
Ruͤckgrad ein einziger continuirter Theil waͤre?
Jch ſehe gar nicht den Zuſammenhang zwiſchen
G 5die-
[106]Widerlegung der Einwuͤrfe
dieſen Saͤtzen; Ein Theil eines Dinges conti-
nuirt gerade fort in den andern Theil deſſelben
Dinges; daher hat der eine Theil deſſelben nie-
mahls ohne dem andern Theil exiſtiren koͤnnen,
ſondern das ganze Ding hat in inſtanti producirt
werden muͤßen. Der Herr von Haller hat nicht
ſo geſchloſſen, ſondern nur Herr Bonnet, wie
ich Jhnen in der Folge zeigen werde. Wie viel
Dinge ſehen Sie in der Welt, die aus einem con-
tinuirten Stuͤcke beſtehen, und dennoch allmaͤh-
lich producirt werden. Sehen Sie nur die Eis-
zapfen an den Daͤchern an. Eine aus dem ge-
ſchmolznen Schnee entſtandene Waſſertropfe lauft
an dem Eiszapfen der Laͤnge nach herunter, an
ſeiner Spitze bleibt ſie hangen, gefriert und ver-
laͤngert den Eiszapfen; auf dieſe Art entſteht und
waͤchſt dieſer nach und nach, und wenn er fertig
iſt, ſo iſt er ein einziges continuirtes Stuͤck. Wer
iſt wohl im Stande, ſich einzubilden, daß eine
Mauer mit einem mahl hervorgebracht ſey? Ein
Stein wird nach dem andern hinzugeſetzt, und
wenn auf dieſe Art die ganze Mauer ſo hoch, wie
ſie ſeyn ſoll, in die Hoͤhe gezogen iſt, alsdann
wird ſie mit einer gemeinſchaftlichen Haut uͤberzo-
gen, und ſieht wie ein einziges continuirtes Stuͤck
aus. Dieſe Entſtehungsart der Mauer aber haͤlt
Herr Bonnet fuͤr unmoͤglich; er ſagt, wenn ein
Theil eines Dinges eine Continuation des andern
Theils dieſes Dinges iſt, ſo hat der eine Theil
niemahls ohne dem andern Theil exiſtirt. S’il eſt
demontré
ſagt er pag. 135. que le Jaune eſt une
con-
[107]des Herrn Bonnet.
continuation des inteſtinis du poulet, il l’eſt, que
le poulet a exiſté dans l’ oeuf avant la féconda-
tion.
Sie muͤſſen mir hier keinen unverſtaͤndi-
gen Einwurf machen, und ſagen, man koͤnne
von einem natuͤrlichen organiſchen Koͤrper, nicht
auf eine Mauer ſchließen. Hier iſt gar nicht die
Frage, ob der Koͤrper organiſch ſey oder nicht or-
ganiſch. Es iſt von der Continuation die Rede,
und es fraͤgt ſich, ob aus derſelben, wenn Theile
nemlich eines Koͤrpers in eins fortgehen, auf die
Entſtehung deſſelben, oder auf die Unmoͤglichkeit,
daß ein Theil nach dem andern enſtanden ſey, ge-
ſchloſſen werden koͤnne. Der Koͤrper mag alſo
uͤbrigens organiſch ſeyn oder nicht, das thut nichts
zur Sache, und es muß, wenn die Continuation
einmahl an ſich die nach und nach geſchehene Pro-
ducktion nicht unmoͤglich macht, dieſe Producktion
durch dieſelbe ſo wenig an dem einen als an dem
andern Koͤrper unmoͤglich gemacht werden. Setzen
Sie, das ein organiſcher Koͤrper aus ſo vielen
verſchiedenen Theilen, als Sie wollen, auf ſo
wunderbare Art, wie Sie wollen, zuſammen-
geſetzt ſey, und ſetzen Sie, daß alle dieſe Theile,
ſo wie das Gelbe des Eyes in die Gedaͤrme, auch
in ſich ineinander continuiren. Was wird denn
hindern, daß nun weniger entweder, wie ſolches
bey der Formation der Thiere und Pflanzen ſtatt
findet, immer der eine Theil aus dem andern nach
und nach excernirt werde, oder wie ſolches bey der
Producktion anderer Dinge ſtatt findet, durch ei-
ne immer nach und nach geſchehene Aneinander-
ſetzung
[108]Widerlegung der Einwuͤrfe
ſetzung ganz kleinere Theilchen, ein organiſcher
Theil nach dem andern auf dieſe Art in dem orga-
niſchen Koͤrper allmaͤhlich producirt werde, was
wird, ſage ich, hindern, daß dieſes nun weniger
geſchehe, als wenn der Koͤrper, der auf dieſe Art
nach und nach producirt werden ſoll, eine gerade
Linie waͤre? Sie werden hieraus, hoffe ich, ſehen,
daß das, was Sie ſagten, ſo wenig ein Einwurf
ſey, als wenn Sie geſagt haͤtten, man kann aus
der Entſtehungsart eines gruͤnen Koͤrpers nicht
auf die Enſtehungsart eines rothen ſchließen.


Jch will Jhnen jetzo zeigen daß der Herr
von Haller nicht ſo wie Herr Bonnet von dieſer
Continuation des Gelben in die Gedaͤrme des Em-
bryo geſchloßen hat. Sie muͤſſen nur auf ſeine
Ausdruͤcke ſehn, bey welchen ein jedes Wort ſeine
Bedeutung hat. Er ſagt p. 186. Il me paroit
presque demontrable, que l’embrion ſe trouve
dans l’œuf.
Die Woͤrter paroit und presque
muß man freylich nicht weglaſſen wenn man die
Gedanken des Herren von Hallers in dieſer Sa-
che beurtheilen will. Aber dem Herren Bonnet
kommt es auf ein paar ſolche Woͤrter nicht an.
Wiederum ein Beweis, daß Herr Bonnet dem
Herren von Haller, wo er ihm nicht widerſpre-
chen will, niemahls nachſagen muͤſſe, ohne ſich zu-
gleich ſeiner eigenen Worte zu bedienen.


Sie werden vielleicht begierig ſeyn zu wißen,
wie ſich Herr Bonnet doch wohl muͤße angeſtellt
haben,
[109]des Herrn Bonnet.
haben, da er aus der Continuation zweyer Thei-
le in einander die Unmoͤglichkeit ohne einander je-
mahls exiſtirt zu haben, geſchloßen hat. S’il eſt
demonſtré
ſagt er an dem einen Orte, il eſt auſſi
demonſtré.
An dem andern Ort aber pag. 125
ſetzt er Saͤtze bald mit den Koͤpfen bald mit den
Fuͤßen zuſammen.


Der Satz pag. 126. Das Gelbe iſt ein we-
ſentlicher Theil des Embryo ſoll der Verbindungs-
ſatz zwiſchen der Beobachtung und ſeinem Schluß-
ſatz ſeyn. Sie ſehen wohl, daß wenn gleich das
Gelbe ein weſentlicher Theil des Embryo waͤre, ſo
wie ein jeder Theil der Mauer, den ſie ſich in derſel-
ben concipiren, ein weſentlicher Theil dieſer Mauer
iſt, ſo wie die |Fluͤgel, die Fuͤße weſentliche Theile
des Embryo in dem Verſtande waͤren; ſo verſteht
es ſich immer von ſelbſten, daß das Gelbe ſowohl
ohne dem Embryo als der Embryo ohne Fluͤgel und
der eine Theil der Mauer ohne dem andern hat
exiſtiren koͤnnen.


Jch habe in dem vorigen Abſa-Erklärung
wie es ſich mit
dieſer Conti-
nuation, uud
beſonders mit
den Gefäßen
in dieſen Thei-
len verhält.

tze erklaͤrt, wie wuͤrklich in dem Thiere
die Theile, ob ſie gleich in einander
continuirende Haͤute haben, denn
das iſt gar nicht eine Sache, die ir-
gend einer Entſtehungsart zuwider
ſeyn koͤnnte, nach und nach formirt
werden. Das haͤtte ich eigentlich nicht noͤthig
gehabt; es waͤre genug geweſen, wenn ich nur
gezeigt haͤtte, wie ſie nach und nach, auf was fuͤr
Art
[110]Widerlegung der Einwuͤrfe
Art es auch ſey, haͤtten entſtehen koͤnnen. Jch
will zum Ueberfluß nun noch auch erklaͤren, was
es mit den Gefaͤßen, die aus dem Embryo in
die Haut des gelben continuiren, fuͤr eine Bewand-
niß habe, und dieſes darum, weil der Herr von
Haller
ſelbſt dieſer Gefaͤße Erwaͤhnung thut.
(Second. Mem. p. 188.) Sie wiſſen aus meiner
Theorie, daß nachdem die erſte Anlage des Em-
bryo aus dem Ey abgeſondert iſt, er ferner noch aus
demſelben, und zwar ſo nutrirt werde, daß, indem
die Subſtanz des Gelben aufgeloͤſet wird, die ei-
gentliche daraus entſtandene Nahrungsſaͤfte unter
der Haut des Gelben weggehen, durch die Mate-
rie, die unter eben dieſer Haut gelegen iſt, durch-
dringen, ſich ſelbſt Wege machen und auf dieſe Art
bis zum Embryo kommen, und in deſſen Theile,
wo ſie zuerſt aufgenommen werden, weiter fortge-
hen, bis ſie an den Ort kommen, wo das Herz
formirt wird. Sie wiſſen ferner, daß eben auf
dieſe Art durch die, durch die Theile hindurchdrin-
gende Saͤfte in denſelben die Gefaͤße formirt wer-
den. Es iſt ja alſo wohl nothwendig, daß die
Gefaͤße des Gelben und die Gefaͤße des Embryo
ein und eben dieſelbe continuirte Gefaͤße ſeyn muͤſ-
ſen, weil ſie durch eben dieſelbe Saͤfte die aus dem
Gelben in dem Embryo uͤbergehen, die erſt durch
das Gelbe des Eyes, hernach ferner fort durch
die Theile des Embryo bis zum Herzen, oder den
Theil, der das Herze werden ſoll, penetriren, for-
mirt werden.


Der
[111]des Herrn Bonnet.

Der Herr von Haller aber irrt darin, daß
er dieſe Gefaͤße in dem Gelben fuͤr die eigentliche
Gefaͤße des Eyes haͤlt, wodurch die Subſtanz
deſſelben ehemals abgeſondert ſey, und ferner fort
noch nutrirt wuͤrde; und die folglich immer ſchon
in dem Gelben exiſtirt haben muͤßen. Sie ſind
aber die Gefaͤße des Embryo, die ſich nur in der
Subſtanz des Gelben ausbreiten, ſo wie die Wur-
zeln der Pflanzen in der Erde, und die erſt for-
mirt werden, wenn der Embryo formirt wird, wie
ich dieſe Formation bewieſen und erklart habe.
Das Ey iſt aber aus andern Gefaͤßen, die aus dem
Eyerſtock kamen, ſo wie die Saamen der Pflanze
aus der alten Pflanze abgeſondert, und bis ſo lan-
ge, als es noch hat wachſen ſollen, nutrirt wor-
den. Alsdann iſt das Ey von dem Eyerſtock,
wie die Pflanzenſaamen von der alten Pflanze und
von ihrer Saamencapſel, ſeparirt worden; es hat
bey der gehoͤrigen Waͤrme der Jncubation durch
Huͤlfe der weſentlichen Kraft, die ſich uns durch
ſo viel Spuhren kennbar macht, zu vegetiren an-
gefangen. Der Embryo iſt ferner vom Ey, ſo
wie ehedem das Ey vom Eyerſtock ercerniret wor-
den, und dieſer hat alsdenn angefangen, Wur-
tzeln zu faſſen. Der Embryo iſt alſo ein neuer
entſtandener Theil des Eyes, oder accurater die
Sache auszudruͤcken ein Ramus des Eyes, nicht
umgekehrt, wie ſich der Herr von Haller es vor-
geſtellt hat. Dieſes alles aber ſind nicht Saͤtze
die angenommen werden, um den Einwuͤrfen des
Hrn. von Hallers auszuweichen. Es ſind Wahr-
hei-
[112]Widerlegung der Einwuͤrfe.
heiten, die ich lange ſchon in der Diſſertation be-
wieſen und weitlaͤuftiger erklaͤrt habe.


Gleich in der Folge p. 189. ſagt der Herr
von Haller, es wuͤrde ſehr unphiloſophiſch ſeyn,
zu ſagen, daß die Arterie des Gelben, die ehe-
dem von einer Arterie der Mutter entſtanden ſey,
ſich von derſelben losgerißen und in einen Aſt der
Gekroͤßader des Embryo eingepfropft habe. So
denke ich in Anſehung der Einpfropfung auch, und
ich ſetze noch hinzu, daß ſie eine Erklaͤrung desje-
nigen ſeyn wuͤrde, der in die Enge getrieben waͤre,
und nur aus Angſt eine Ausflucht ſuchte, wie die-
ſe auch uͤbrigens beſchaffen ſeyn moͤchte. Allein,
wenn ich ſage, daß das Gelbe von der Arterie des
Eyerſtockes, durch welche die Subſtanz deſſelben
ehedem abgeſondert, und bis zur Trennung des
Eyes vom Eyerſtock auch nutrirt worden iſt, ſich
allerdings zwar abgeloͤſet habe; denn das lehrt die
Erfahrung ſelbſt; daß aber nachhero nicht etwa
ein im Gelben uͤbrig gebliebner Aſt ſich in einen
Aſt des Embryo eingepfropfet habe, ſondern daß
vielmehr das Gelbe entweder keine Gefaͤße in ſei-
ner Subſtanz uͤbrig behaͤlt, oder daß dieſe, da
kein Saft mehr durch ſie dringt, zuſammenwach-
ſen, und verſchwinden; daß im Gegentheil ein
neuer Embryo entſteht; daß mit ihm neue Gefaͤſ-
ſe entſtehn, und ſich im Gelben ausbreiten, daß
dieſe Gefaͤße aber keinesweges als Gefaͤße des Gel-
ben ſondern als Gefaͤße des Embryo angeſehen
werden muͤſſen; daß deswegen das Gelbe nunmeh-
ro
[113]des Herrn Bonnet.
ro nicht als ein Theil, der noch nutrirt werden
und wachſen ſoll, ſondern als ein Theil anzuſe-
hen iſt, der zum Wachsthum eines andern ange-
wendet und dadurch allmaͤhlig verzehret wird;
wenn ich ſo ſage, ſo glaube ich nicht unphiloſo-
phiſch, ſondern den Begriffen, die ein guter Na-
turforſcher, und folglich auch der Herr von Hal-
ler
durch die Erfahrung erlangt hat, ſehr gemaͤß
zu reden. Wenn der Saamen der Pflanzen, zum
Exempel einer Bohne, dem Gelben, die Saa-
menkapſel dem Eyerſtock, und das Herz im Saa-
men (corculum Linnæi) dem Embryo aͤhnlich iſt,
als woran niemand zweifeln wird, ſo iſt hierbey
alles, was ich vom Ey geſagt habe, ganz klar,
Jm Anfange haͤngt der Saamen durch einen klei-
nen kurzen und dicken Stiel an der Saamenkap-
ſel. Jn dieſem Stiele befinden ſich die Gefaͤße,
wodurch der Saamen ehedem bey ſeiner Formation
abgeſondert, und bis zu ſeiner gehoͤrigen Groͤße
ernaͤhrt worden iſt; eben ſo verhaͤlt es ſich noth-
wendig mit dem Ey und dem Eyerſtock. Alsdann
faͤllt der Saame von der Kapſel herunter, und
zwar ſo, daß der Stiel an der Kapſel ſitzen bleibt;
denn der Saame darf nunmehro nicht weiter wach-
ſen, ſondern er ſoll im Gegentheil aufgeloͤſet wer-
den, und der jungen Pflanze zur Nahrung dienen.
Eben ſo ſehen wir das Ey aus dem Eyerſtock kom-
men, ohne Stiel, ohne herabhaͤngende Gefaͤße,
die zerrißen waͤren, die eingepfropfet werden duͤrf-
ten. Die junge Pflanze faͤngt nunmehro, ſo bald
der Saame in die Erde kommt, oder auch ſchon
Hfruͤ-
[114]Widerlegung der Einwuͤrfe
fruͤher an, Gefaͤße zu bekommen, die ſich in die
Subſtanz des Saamens ausbreiten und wodurch
die aufgeloͤſete Subſtanz des Saamens zur Nah-
rung in die junge Pflanze gezogen wird; ſie ent-
ſtehen auf beyden Seiten zwiſchen der jungen Wur-
zel (roſtellun) und dem Stamme (plumula) und
verbreiten ſich in die Seitentheile (lobos ſeminales)
des Saamens. Das ſind nun eigentlich unſere
Nabelgefaͤße, die ſich im Gelben des Eyes ver-
breiten. Sind dieſes aber nun wohl dieſelbe Ge-
faͤße, wodurch in der alten Pflanze der Saame er-
naͤhrt wurde? Keinesweges! wir haben dieſe ja
in dem kleinen Stiel des Saamens geſehn, und
geſehn, daß der Saame ſich von ihnen abloͤſet;
daß jene hingegen ganz neue Gefaͤße und zwar
Gefaͤße des Embryo ſind, wodurch der Saame
nicht nutrirt ſondern verzehrt wird. Eben alſo
verhaͤlt es ſich auch mit den Geſaͤßen, die ſich bey
der Jncubation im Gelben verbreiten; ſie ſind
ganz neue formirte Gefaͤße des Embryo, wodurch
die Subſtanz des Gelben verzehrt wird, und die
mit den alten eigentlichen Gefaͤßen des Gelben kei-
ne Gemeinſchaft haben, und niemahls bekommen.
Dieſe bleiben am Eyerſtock ſitzen; und ich ſehe al-
ſo gar nicht, wo die Einpfropfung herkommen
ſollte, oder wozu ſie noͤthig waͤre, eben ſo wenig,
als ich ſehe, wie ſie moͤglich waͤre. Die Pflanze
uͤbrigens faͤngt, wenn der Saame groͤſtentheils ver-
zehrt iſt, auch endlich an Wurzeln in der Erde zu
verbreiten, und hieraus in der Folge ihre Nah-
rung zu ziehen. Dieſe Wurzeln ſind wiederum
den
[115]des Herrn Bonnet.
den vorigen Gefaͤßen, die ſich aus dem Embryo
im Saamen verbreitet hatten, aͤhnlich, und die
Erde verhaͤlt ſich nunmehro zur Pflanze, wie ſich
vorhin der Saame zu derſelben verhielt, und wie
ſich das Gelbe zum Embryo verhaͤlt.


Allein ſo klar dieſes alles auch ſchon iſt; ſo
kann ich doch noch weiter gehn. Jch habe geſagt,
daß dieſe Begriffe von der Beſchaffenheit der Ge-
faͤße im Gelben des Eyes den Begriffen eines gu-
ten Naturforſchers, (und folglich auch des Herren
von Hallers,) die er durch die Erfahrung erlanget
hat, ſehr gemaͤß ſeyn; ich ſetze noch hinzu, daß
ſich der Herr von Haller die Sache unmoͤglich an-
ders, daß Er ſie ſich unnmoͤglich ſo vorſtellen koͤn-
ne, als wenn die eigentliche Gefaͤße des Gelben,
wodurch es nutrirt worden und gewachſen iſt, aus
den Gefaͤßen des Embryo entſprungen, oder eben
dieſelben, die wir bey der Jncubation aus dem
Embryo entſtehen ſehen, ſeyn koͤnnten. Dieſes
will ich jetzo noch zeigen. Wir wollen alſo ſetzen,
es ſoll eine Evolution ſtatt finden, ſo wird das Ey
im Eyerſtock, und der Embryo im Ey enthalten
geweſen ſeyn. Der Embryo wird alſo als ein Theil
des Eyes anzuſehen ſeyn, ſo wie das Ey ein Theil
des Eyerſtockes iſt; nicht aber umgekehrt, daß
das Ey ein Theil des Embryo waͤre, ſo wenig
wie der Eyerſtock ein Theil des Eyes iſt; denn der
Embryo iſt im Gelben des Eyes und innerhalb
ſeiner Membran enthalten, eben ſo wohl, wie das
Ey innerhalb der Membran des Eyerſtockes ent-
H 2halten
[116]Widerlegung der Einwuͤrfe
halten iſt. Eben ſo iſt ein jeder glomer ein Theil
der Glandula conglomerata, und ein jeder kleine-
rer Lobus pulmonis ein Theil dieſer Lunge. Nun-
mehro ſehe man, wie es ſich uͤberhaupt allemahl
in dem ganzen thieriſchen Koͤrper mit der Diſtri-
bution der Gefaͤße verhaͤlt; ob die Gefaͤße des
des Ganzen als Aeſte aus den Gefaͤßen ihrer Thei-
le entſpringen, oder ob vielmehr umgekehrt die Ge-
faͤße der Theile aus den Gefaͤßen des Ganzen als
Aeſte entſtehn. Bey den Lungen haben wir zu-
erſt einen gemeinſchaftlichen Stamm. Dieſer iſt
das Gefaͤß des ganzen Eingeweydes, welches aus
zweyen Lungen zuſammengeſetzt iſt, alsdann haben
wir eine rechte und eine linke Lungenpulsader, die
Rechte iſt das Gefaͤße der rechten, die Linke der
linken Lunge. Entſteht nun aber der Stamm der
Lungenpulsader, als das Gefaͤß des ganzen Ein-
geweydes, aus einem der Gefaͤße der beyden Lun-
gen, dem rechten oder dem linken? oder entſtehen
dieſe Gefaͤße aus dem gemeinſchaftlichen Gefaͤße
des ganzen Eingeweydes? Eben ſo geht es in der
Folge der Theilung der Lungen weiter fort. Eine
jede Lunge iſt in ihre Lobos eingetheilt, und wie
eine jede Lunge ihr eigenes Gefaͤße hatte, ſo hat
nun wiederum ein jeder Lobus ſein eigenes Gefaͤß,
aber das Gefaͤß des Lobi entſteht als ein Aſt aus
dem Geſaͤße der Lunge; nicht umgekehrt. Eben
ſo verhaͤlt ſich die Sache bey den glandulis conglo-
meratis;
eben ſo verhaͤlt ſie ſich bey den Gefaͤßen
des Armes und der Finger, die Theile des Armes
ſind. Alſo; das iſt ein Geſetz beym thieriſchen
Koͤr-
[117]des Herrn Bonnet.
Koͤrper und auch bey den Pflanzen (man ſehe hier-
von meine Diſſertation, wo ich dieſe Sache aus
ihren Gruͤnden vorgetragen habe §. 237.): Die
Gefaͤße des Theiles entſtehen allemahl aus
den Gefaͤßen des Gantzen; niemahls
umgekehrt.
Man wird auch leicht einſe-
hen, daß eine unumgaͤngliche Nothwendigkeit
dieſes ſo mit ſich bringt. Da nun alſo der Em-
bryo ein Theil des Gelben iſt, der innerhalb der
aͤußern Membran des Gelben, ſo wie das Ey im
Eyerſtocke, ſo wie der Lobus pulmonis in der Lun-
ge, und wie ein Glomer in der Glandula conglo-
merata,
eingeſchloßen liegt; und da ferner das Ey
ein Theil des Eyerſtocks iſt; ſo muͤſſen die ei-
gentlichen Gefaͤße des Eyes, wodurch es nu-
trirt wird, aus den Gefaͤßen des Eyerſto-
ckes, und ſie koͤnnen keinesweges aus den
Gefaͤßen des Embryo entſpringen.
Sollte
alſo der Herr von Haller, der die allgemeine Re-
geln der Einrichtung des thieriſchen Koͤrpers ſo
wohl kennt, nicht eben ſo denken? Jch bin ver-
ſichert, daß Er, wenn ich Jhn nur an dieſe Gruͤnde,
die ich vorgetragen habe, und die Jhm alle ſehr
wohl bekannt ſind, erinnern koͤnnte, mir bald voll-
kommen Recht geben, und das Argument von der
Continuation wieder fahren laſſen wuͤrde. Vom
Herren Bonnet kann ich eben daſſelbe nicht hof-
fen. Er ſcheint mir, wie viele, die ſich fuͤr Phy-
ſiologen halten, von einer ſolchen Kenntniß der
Natur der Thiere ſehr entfernt zu ſeyn.


H 3Der
[118]Widerlegung der Einwuͤrfe

Der Herr von Haller ſagt ferner p. 188.
189. die Saͤfte, welche durch dieſe Gefaͤße gehen,
muͤſſen die Urſache ihrer Bewegung in Herzen
des Embryo erkennen; aber auch das, obgleich
dieſe Gefaͤße mit dem Embryo waͤhrend der Jncu-
bation erſt entſtehen und folglich alsdann auch erſt
Saͤfte durchlaſſen iſt nicht nothwendig. Jch will
nicht vom Herzen reden, wo es noch gar nicht entdeckt
wird, ohngeachtet aus dem obigen ſchon genugſam
bekannt ſeyn muß, daß es alsdann auch noch nicht
exiſtirt, und die Durchſichtigkeit nur eine Sache iſt
zu der man ſeine Zuflucht zu nehmen gezwungen iſt;
ich fuͤhre nur die Beobachtung an, da man das Herz
ſehr deutlich ſieht, aber auch ſehr deutlich ſtill liegen
ſieht. Alſo zu dieſer Zeit, vorher, da es unſicht-
bar war, mag es geſchlagen haben, wodurch wer-
den die Saͤfte bewegt? Mir konnte dieſes keine
Schwierigkeit ſeyn, ſondern es war mir vielmehr
eine angenehme Beſtaͤrkung einer Wahrheit, die
ich lange vorher aus andern Gruͤnden eingeſehen
hatte. Es iſt die weſentliche Kraft, die bey den
Thieren eben ſowohl wie bey den Pflanzen ſtatt fin-
det; wie hundert andere Beobachtungen ſolches
lehren. Man leſe davon meine Diſſertation nach.


Es iſt noch eine beſondere Beobachtung, die
mir eben einfaͤllt, die alles dieſes noch mehr be-
ſtaͤtigen wird, und die der Herr Baron von Hal-
ler
gewiß auch oft wird geſehen haben. Man
kan nicht alles aufſchreiben was man ſieht. Man
ſieht oft ſo viel merkwuͤrdige Dinge auf einmahl,
daß
[119]des Herrn Bonnet.
daß man, indem man das eine beſchreibt, das
andere daruͤber vergißt. Man ſieht faſt zu allen
Zeiten die letzten Gefaͤße in der area vollkommner,
als die im Embryo, wodurch ſie in das Herz deſ-
ſelben continuiren, und dieſes aber um ſo viel-
mehr, je fruͤher man die area nimmt. Zu der
Zeit, wenn die area wie meine 7te Figur iſt, wor-
in der Herr von Haller Punkte beſchreibt, die
zwar gelb ſind, aber ſtark ins rothe fallen, und
worin das Herz noch nicht ſchlaͤgt, ſieht man al-
ſo dieſe Aeſte von Gefaͤßen, und man ſieht die
Staͤmme nicht, wodurch ſie weiter continuiren.
Warum ſieht man denn aber jene nur und dieſe
nicht? Die doch wegen ihrer Groͤße deutlicher
ſeyn muͤſſen. Beobachtet man aber eine area
noch fruͤher, wie die in der 4ten Figur; ſo ſieht
man ganz offenbar in der area eine Anlage zu Ge-
faͤßen, und man ſieht noch gar keine naͤher am
Embryo und im Embryo, wodurch ſie zum Her-
zen continuiren koͤnnten; man ſieht auch kein Herz.
Es iſt alſo ganz gewiß, daß gewiſſe Aeſte von
Gefaͤßen in der area fruͤher producirt werden als
ihre Staͤmme, und fruͤher noch als das Herz.
Nachhero aber geht es nicht weiter nach dieſer Re-
gel |fort, ſondern die Aufloͤſung frißt gleichſam in
der Subſtanz des Gelben immer weiter um ſich,
die durch dieſe Aufloͤſung entſtandene Nahrungs-
ſaͤfte werden von den bereits formirten Gefaͤßen
abſorbirt, und die neue Gefaͤße folglich, die durch
die, in die Alten eindringende Nahrungsſaͤfte fer-
ner in der Subſtanz des Gelben formirt werden,
H 4muͤſ
[120]Widerlegung der Einwuͤrfe
muͤſſen nothwendig in dieſe ſich inſeriren, wie ich
ſolches weitlaͤuftiger in der Theorie ausgefuͤhrt
habe. Aber die Ordnung in Anſehung der For-
mation der Gefaͤße iſt doch eine Wahrheit, auf
die ich, wie ich glaube bisher noch nicht gefallen
geweſen bin. Wie wunderbar und wie paradox
ſcheint nicht alles, was wir bey dieſen Verſuchen
in der Natur ſehen. Huͤten Sie ſich, daß Sie
nicht das, was Sie ſehen, wenn es mit Jhren
Hypotheſen nicht uͤbereinſtimmt, ſo lange drehen
und wenden, bis es einigermaßen ihrer Hypothe-
ſe aͤhnlich wird. So hat es der Hr. von Haller
dieſes mahl und vielleicht zum erſten mahl in ſei-
nem Leben gemacht. Was er nicht ſieht, und
auf keine Art entdecken kann, muß dennoch da
ſeyn. Das Herz, welches er ſtille liegen ſieht,
ſoll dennoch ſich bewegen. Ein fluͤßiges Weſen,
welches Herr Bonnet fuͤr Angſt ſolide genennt
hat, welches aber der Herr von Haller einmahl
fuͤr allemahl fluͤßig ſieht, ſoll dennoch aber we-
nigſtens organiſch ſeyn. Warum ſoll ich nicht
alle dieſe Dinge, da ich ſie ſehe glauben? Was
liegt mir daran, wenn die ganze mechaniſche Me-
dicin ein Chimaͤre wird? Jch habe dieſe Wahrheit
in meiner Diſſertation frey ausgeſprochen, und
andere Erfahrungen werden mich auch ferner ſo
weit bringen, daß ich die wahre Urſachen der
Verrichtungen des thieriſchen Koͤrpers, und das
Weſen deſſelben, entdecken werde.


Beſchaffen-
heit der Ge-

Der Herr von Haller beruft
ſich in der Recenſion auf die Gekroͤß-
adern
[121]des Herrn Bonnet.
adern der Froͤſche, welche durchſich-fäße in dem
Meſenterio
des Froſches
und über-
haupt in dem
Erwachſenen.

tig ſind, und ſo, ſagt er, koͤnnen die
Adern in der area auch beſchaffen
ſeyn. Die Gekroͤßadern des Froſches
aber haben aus andern Beyſpielen ge-
wiß ihre Haͤute, ob man ſie gleich
nicht ſieht; alſo koͤnnen ſie die Adern in der area
auch haben. Dieſes iſt die Sache, die ich noch
beantworten muß. Ueberhaupt haben alle dieje-
nige Gefaͤße, die man ſchon durch das Vergroͤße-
rungsglaß ſehen muß, wenn man ſie entdecken
will, keine Haͤute mehr; man mag einen Theil
nehmen welchen man will, ſo gilt dieſes uͤberhaupt
von ſeinen Gefaͤßen; eben ſo wenig alſo haben
auch die kleinere Gefaͤße, die man im Gekroͤſe
des Froſches durch Huͤlfe der Froſchmaſchine fieht,
ihre eigene Haͤute, die von der Subſtanz des Ge-
kroͤſes ſelbſt verſchieden waͤren. Das Gekroͤſe be-
ſteht aus ſeinen zwey Blaͤttern, die durch ein fei-
nes zellenfoͤrmiges Gewebe mit einander verbun-
den ſind. Dieſes ganze Gekroͤſe iſt zwar durch-
ſichtig, aber nicht ſo durchſichtig, daß es deswe-
gen unſichtbar werden ſollte, denn wenn ein Loch
in daſſelbe gerißen iſt, und man ſieht es wie ge-
woͤhnlich durch das Mikroſcop, um die Bewe-
gung des Blutes zu ſehn, ſo unterſcheidet man
dieſes Loch in dem Meſenterio nur gar zu deut-
lich; alſo, ſo durchſichtig wie die Luft, die da-
her unſichtbar wird, iſt das Meſenterium nicht.
Aber noch mehr; die Adern, in welchen man nur
eine einfache Reihe von weißen Blutkuͤgelchen
H 5lauf-
[122]Widerlegung der Einwuͤrfe
lauffen ſieht, wenn ſie von dieſen entleert ſind,
ſind alsdann um ein merkliches durchſichtiger, als
die uͤbrigen Stellen im Gekroͤſe ſind, wo ſich kei-
ne Gefaͤße befinden. Da nun dieſe uͤbrige Stel-
len aus den 2 Blaͤttern und des dazwiſchen gele-
genen zellenfoͤrmigen Gewebes beſtehen, und die
beyden Blaͤtter uͤber das kleine Gefaͤße continui-
ren; das zellenfoͤrmige Gewebe aber zwiſchen den-
ſelben, nicht durch den Ort continuirt, wo ſich
das Gefaͤße befindet; denn eben den Raum, den
das zellenfoͤrmige Gewebe zwiſchen den Blaͤttern
an dieſem Orte einnehmen ſollte, nimmt die Hoͤle
des Gefaͤßes ein; ſo muß alſo die groͤßere Durch-
ſichtigkeit des Gefaͤßes von der Abweſenheit des
zellenfoͤrmigen Gewebes, und die groͤßere Un-
durchſichtigkeit der uͤbrigen Stellen im Gekroͤſe
von dem zwiſchen den Blaͤttern befindlichen zellen-
foͤrmigen Gewebe herruͤhren; und folglich muß
eben dieſes Gewebe einigen Grad der Un-
durchſichtigkeit verurſachen koͤnnen, der ſich
empfinden laͤſt.


Das ſind bishero, denke ich, richtige Schluͤſ-
ſe. Nunmehro wiſſen wir aus den anatomiſchen
Entdeckungen des Herrn von Hallers, und es
iſt jetzo ſchon lange bekannt, daß die Haͤute der
Gefaͤße (nur bey den großen Gefaͤßen die fleiſchig-
te ausgenommen, die aber bey den kleinern nicht
ſtatt findet), weiter nichts ſind, als ein zellenfoͤr-
miges Gewebe, welches ſich aber von dem ge-
woͤhnlichen Zellengewebe, worin das Gefaͤß alle-
mahl
[123]des Herrn Bonnet.
mahl eingewickelt liegt, und welches als die Sub-
ſtanz des ganzen Theiles anzuſehen iſt, durch ſei-
ne Dichtigkeit (denſitas) unterſcheidet. Der Hr.
von Haller nennt es celluloſa ſtipata (conden-
ſata);
die Gewoͤhnliche wuͤrde celluloſa rarior ge-
nennt werden. Jn unſerem Falle iſt alſo das
Zellengewebe, wodurch die beyde Blaͤtter des Ge-
kroͤſes mit einander verbunden werden, eine ſol-
che celluloſa rarior; ſie macht mit den beyden
Blaͤttern zuſammen genommen die Subſtanz des
Gekroͤſes aus, in welcher ſich die Gefaͤße ausbrei-
ten. Sollen nun dieſe Gefaͤße Haͤute haben, ſo
muß außer dieſem gewoͤhnlichen Zellengewebe,
welches zur Subſtanz des Gekroͤſes gehoͤrt, zu-
naͤchſt um der Hoͤle des Gefaͤßes herum, ſich noch
ein dichters Zellengewebe befinden, welches ſich
durch eben dieſe Dichtigkeit von dem gewoͤhnlichen
unterſcheidet, und wovon man alsdann eben die-
ſes Unterſchiedes wegen ſagt, und mit Recht ſa-
gen kann, es mache eine beſondere Haut des Ge-
faͤßes aus, die von der Subſtanz des Gekroͤſes
unterſchieden iſt. Jch rede jetzo noch nicht von
Erſcheinungen, noch nicht von dem, was zu ſe-
hen, oder nicht zu ſehn iſt, ſondern bloß von der
Sache, wie ſie ſich an und vor ſich ſelbſt verhal-
ten muß. Man muß mir alſo auch jetzo noch
nicht einwenden, dieſes dichtere Zellengewebe
koͤnne dennoch wohl ſehr ſubtil, ſehr durchſichtig
und alſo unſichtbar ſeyn; davon will ich gleich in
der Folge reden. Jch ſage alſo, ſo verhaͤlt die
Sache mit den Gefaͤßen an und vor ſich, und die-
ſes
[124]Widerlegung der Einwuͤrfe
ſes iſt ihre wahre Beſchaffenheit, man mag es
ſehn koͤnnen oder nicht; Zunaͤchſt um der Hoͤle
des Gefaͤßes herum muß ſich, wenn dieſes eine
Haut hat, ein Zellengewebe befinden, welches
ſich durch ſeine Dichtigkeit von dem uͤbrigen Zel-
lengewebe, das zum Gekroͤſe gehoͤrt, unterſchei-
det, man mag dieſes dichtere Zellengewebe ſehn
koͤnnen oder nicht; denn findet ſolches auch in der
That nicht ſtatt, ſo hat man keinen Grund, war-
um man ſagen ſollte, ein Theil dieſes Zellenge-
webes, welcher nahe an der Hoͤle des Gefaͤßes
liegt, oder ein Theil der Blaͤtter des Gekroͤſes, ſoll
als eine Haut des Gefaͤßes betrachtet werden, und
das uͤbrige ſoll zum Gekroͤſe gehoͤren. Jch ſage
alſo noch einmahl, ſo verhaͤlt ſich die Sache noth-
wendig in ſich ſelbſt; nunmehro wollen wir von
den Erſcheinungen reden, die daraus folgen. Das
Zellengewebe, welches die Haut des Gefaͤßes aus-
macht, iſt dichter als das gewoͤhnliche Zellenge-
webe des Gekroͤſes; es iſt ein dichterer, und dieſes
ein duͤnnerer Koͤrper, (corpus rarius). Es kann
alſo wohl nicht fehlen, da alle dichtere Koͤrper, wel-
che mehr Materie haben, undurchſichtiger, alle
duͤnnere aber durchſichtiger ſind; ſo muß, ſo durch-
ſichtig auch beyde uͤbrigens immer ſeyn moͤgen,
doch wenigſtens das Gewebe, welches die Haut
des Gefaͤßes ausmacht, einen hoͤhern Grad der
Undurchſichtigkeit haben, als das uͤbrige Gewebe
des Gekroͤſes. Waͤre dieſes nun durchſichtig ge-
nug, daß es unſichtbar bleiben koͤnnte; ſo waͤre
es auch moͤglich, daß das Zellengewebe des Ge-
faͤßes,
[125]des Herrn Bonnet.
faͤßes, ob es gleich undurchſichtiger als das uͤbrige
iſt, doch noch nicht denjenigen Grad der Undurch-
ſichtigkeit haͤtte, der erfordert wird, damit man
es deutlich ſehn, und von dem uͤbrigen unterſchei-
den koͤnnte. Da aber das Gewebe des Gekroͤſes
ſchon einen ſo merklichen Grad der Undurchſich-
tigkeit hat, daß es ſich ſehr wohl von denen Orten,
wo ſich kein ſolches Gewebe befindet, unterſchei-
den laͤßet; wie ich dieſes im vorhergehenden Ab-
ſatze gezeigt habe; ſo muß auch die Undurchſich-
tigkeit des Gewebes, welches die Haut des Ge-
faͤßes ausmacht, nothwendig noch vielmehr hin-
laͤnglich dazu ſeyn, daß man dieſe Haut ſehn und
unterſcheiden koͤnne; und ſie muß alſo noth-
wendig ſichtbar ſeyn.


Allein wir koͤnnen die Erſcheinung, welche
hieraus folgt, leicht noch genauer beſtimmen.
Hat die Haut des Gefaͤßes einen hoͤhern Grad
der Undurchſichtigkeit, ſo muß in der Beobach-
tung mit der Froſchmachine, da man das Gekroͤ-
ſe gegen das Licht ſieht, auf beyden Seiten des
Gefaͤßes ein dunkelerer oder undurchſichtigerer
Streifen zum Vorſchein kommen, und eben hier-
durch muß ſich die undurchſichtigere Haut des
Gefaͤßes entdecken, wie ſich ein jeder aus der Art,
wie man das Gefaͤße beobachtet, leicht vorſtellen
kann. Und auf dieſe Art erſcheinen auch die groſ-
ſen Gefaͤße im Gekroͤſe, bey denen ich ihre Haͤute
zugebe. Jn der Mitte des Gefaͤßes erſcheint der
rothe Cylinder von Blut; alsdenn folget eine dun-
keler
[126]Widerlegung der Einwuͤrfe.
keler undurchſichtigerer Streifen; dieſer iſt die
Haut des Gefaͤßes, das dichtere Zellengewebe;
nur muß man ſich hierbey vorſehn, daß man das
Objeckt gerade gegen das ſtaͤrkſte Licht haͤlt, ſonſt
entſteht auf der einen Seite ein Schatten, den
man entweder fuͤr eine Haut halten koͤnnte, oder
der doch der wahren Haut, wenn man den Schat-
ten fuͤr das natuͤrliche Gekroͤſe haͤlt, das Anſehn
gibt, als wenn ſie durchſichtiger waͤre, wie dieſe,
weil ſie, gegen den Schatten betrachtet, heller iſt.
Dieſer Streifen iſt uͤbrigens noch ziemlich ſchwach,
aber er laͤßt ſich ſehr wohl beobachten; alsdann
endlich folgt auf beyden Seiten das bloße Gekroͤſe,
welches wiederum heller als der vorhergehende
Streifen iſt, ich kann das gewoͤhnliche Zellenge-
webe darinn an ſeinen beſondern Zeichen ſehr wohl
erkennen.


Allein ſo verhaͤlt ſich die Sache bey den klei-
nern Gefaͤßen, die entweder eine einfache Reihe
von weißen oder gelblichen, oder die auch mehre-
re und rothe Blutkugeln zugleich fuͤhren, nicht.
Wenn roth Blut in dem Gefaͤße iſt, ſo folgt auf
den rothen Cylinder unmittelbar das durchſichtige
Gekroͤſe; nicht der geringſte Unterſcheid, zwiſchen
der Subſtanz, die unmittelbar den rothen Cylin-
der beruͤhrt, und der uͤbrigen continuirten Sub-
ſtanz des Gekroͤſes findet ſtatt. Jſt das Gefaͤße
von Blutkugeln leer, ſo erſcheint es, wie ich ſchon
erinnert habe, unter der Geſtalt eines durchſichti-
gen Streifen, und unmittelbar auf dieſem folget
als-
[127]des Herrn Bonnet.
alsdann zu beyden Seiten das weniger durchſich-
tige bloße Gekroͤſe oder die Subſtanz deſſelben;
und hierin laͤſſet ſich nicht das allergeringſte Ver-
ſchiedene weiter entdecken. Jch habe mich zu die-
ſen wiederholten Verſuchen der Froſchmachine und
der Vergroͤßerungsglaͤſer des verſtorbenen Herren
Docktor Lieberkuͤhns bedienet, der der Erfinder
dieſer bey der Lehre von der Bewegung des Blutes
ſo nuͤtzlichen Maſchine iſt, und man weis, daß
ſeine Jnſtrumente von dieſer Art, die er ſich zu
ſeinem Gebrauche verfertigen ließ, gewiß gut wa-
ren. Jch habe aber, wie ich ſage, aller ange-
wendeten Muͤhe ungeachtet, dieſe Zeichen von den
Haͤuten der Gefaͤße, von welchen ich bewieſen
habe, daß ſie ſich nothwendig offenbaren muͤſſen,
wenn ſie da ſind, nicht entdecken koͤnnen. Jch
ſehe die Hoͤle des Gefaͤßes; ich unterſcheide ſie
von dem darin enthaltenen Blute, ich ſehe auch
die gewoͤhnliche Subſtanz des Gekroͤſes, und un-
terſcheide ſie von jener Hoͤle; aber Haͤute um die
Hoͤle, die von der Subſtanz des Gekroͤſes verſchie-
den waͤren, habe ich nicht geſehn. Alſo, kurz
und gut, die ganze Hiſtorie von der Unſichtbar-
keit iſt nur eine Chimaͤre. Sie kann Verwir-
rung ſtiften, aber wenn wir auf ihr etwas bauen, ſo
betruͤgt ſie uns allemahl. Jch ſage alſo, die klein-
ſten Gefaͤße im Gekroͤſe ſind bloße Hoͤlen, die
oben und unten (wenn ich nemlich das Gekroͤſe
horizontal lege) durch nichts als die beyde Blaͤt-
ter des Gekroͤſes, ſeitwaͤrts aber durch das Zel-
lengewebe, wodurch beyde Blaͤtter verbunden
wer-
[128]Widerlegung der Einwuͤrfe
werden, terminirt ſind. Jn andern Theilen ſind
dergleichen Hoͤlen rings herum durch dasjenige
Zellengewebe terminirt, welches die Subſtanz
des Theiles ausmacht.


Jch habe in einem Utero gravido ein Ge-
faͤß, welches ſo ſtark wie eine Stecknadel war,
mit der groͤßeſten Sorgfalt unterſucht. Hierbey
ſind wir keinen optiſchen Jrrthuͤmern ausgeſetzt,
vor welchen man ſich bey der Froſchmachine in acht
nehmen muß; man kann hierbey ſein Objekt mit
und ohne Spiegel unterſuchen, und die Beobach-
tungen ſind alſo beſſer und ſicherer als die beym
Froſche. Wenn aber die kleinere Gefaͤße (ich will je-
tzo nur von den kleineren reden, die nicht dicker ſind,
wie eine Stecknadel,) wenn dieſe kleinere Gefaͤße
mein lieber L .. Haͤute haben, ſo weiß ich nicht
mehr in der Welt, was wahr oder was nicht wahr
iſt. Jch kenne ja die Subſtanz des Uteri gravidi,
dieſe braͤunliche und etwas ins roͤthliche fallende,
weiche, nachgebende Subſtanz, die, ſo lange man
ſie mit bloßen Augen betrachtet, den Muskelfibern
ſehr aͤhnlich iſt, unter dem Mikroſcop aber keine
Fibrillen, wie die Muskelfieber, wenn ſie unter
daſſelbe gebracht wird, zeigt, ſondern alsdann noch
gelbbraͤunlich ausſieht, nur wenig durchſichtig iſt,
und dabey aus Kuͤgelchen ob wohl wenig accura-
ten Kuͤgelchen beſteht, welche beynahe in einander
fließen; dieſe Subſtanz ſage ich kenne ich, nach-
dem ich ſie einmal recht nach allen ihren Merkmah-
len und Charakteren unterſucht habe, nunmehro
ſo
[129]des Herrn Bonnet.
ſo gut, als ich Sie kenne mein Freund; und ich
weis auch, wie die innere glatte Membran der Ge-
faͤße, imgleichen wie die aͤußere dicke Haut derſel-
ben unter dem Mikroſcop ausſieht. Wenn ich
nun alſo einen kleinen Theil aus der Subſtanz des
Uteri, worin ſich mein Gefaͤß befindet, heraus-
ſchneide, ihn unter dem Mikroſcop bringe, der
Laͤnge nach zerſchneide, und die innere Flaͤche mei-
nes Gefaͤßes unterſuche; alsdann aber finde, daß
die Subſtanz, die dieſe innere Flaͤche ausmacht,
nach allen Kennzeichen und Eigenſchaften eben die-
ſelbe bloße reine Subſtanz iſt, die ich als die Sub-
ſtanz des Uteri beſchrieben habe; ſo kann ich ja noth-
wendig am Ende nichts anders, als ich muß den
Ausſpruch thun; die Subſtanz des Uteri ſelbſt
terminirt rings herum die Hoͤle des Gefaͤßes; die-
ſe Hoͤle hat um ſich keine andere beſondere Subſtanz,
wodurch ſie eingeſchloßen iſt, die von der Subſtanz
des Uteri verſchieden waͤre; Sie hat alſo keine ei-
gene Haut, und das ganze Gefaͤß iſt weiter nichts
als eine bloße Hoͤle.


Mir ſelbſt iſt uͤbrigens dieſer Begriff von den
Gefaͤßen anfaͤnglich, nachdem ich ihn mir aus vie-
lerley Erfahrungen herausgebracht hatte, paradox
vorgekommen. Man ſtellt ſich gemeiniglich die
Gefaͤße als Roͤhren vor, die vor ſich ohne der
Subſtanz des Theiles, darin ſie befindlich ſind,
beſonders beſtehn, und die nur von dem Zellenge-
webe umgeben ſind, und in demſelben eingewickelt
liegen. Das ſind ſie aber eigentlich nicht; ſie ſind,
Jauch
[130]Widerlegung der Einwuͤrfe
auch ſelbſt die Aorta nicht ausgenommen, eigent-
lich nur Hoͤlen; allein die Subſtanz in welcher die-
ſe Hoͤlen ſo, wie wenn ſie darinn ausgegraben waͤ-
ren, ſich befinden, wird, je naͤher ſie der Hoͤle
kommt, allmaͤhlig immer dichter und feſter; und
dieſer dichtre Theil der Subſtanz wird alsdann von
den Zergliederern als zum Gefaͤße gehoͤrig ange-
ſehen, und die Haut deſſelben genennt. So ver-
haͤlt ſich die Sache bey den groͤßeren Gefaͤßen, bey
den kleinern aber findet auch dieſer Unterſcheid in
der Subſtanz nicht einmahl ſtatt. Die Art der
Praͤparation hat uͤbrigens zu dem irrigen Begriffe
Anlaß gegeben. Man ſchneidet einen Theil der
Subſtanz von den ausgeſpritzten Gefaͤßen weg,
und einen Theil laͤßt man um dem Wachſe ſitzen;
dieſen nennt man die Haut des Gefaͤßes, und ſieht
das ganze Gefaͤße nunmehro als einen holen Cy-
linder an, der in der Subſtanz des Theiles geſteckt
haͤtte, gleichſam als wenn man ihn herausgezogen
haͤtte; man denkt aber nicht daran, daß man die-
ſen Cylinder durch die Kunſt gemacht hat. Die
innere Membran und die fleiſchigte Haut hindern
auch nicht, daß mein Begriff nicht dennoch rich-
tig ſeyn ſollte; allein ich muß die Ausfuͤhrung die-
ſer Sache bis an einem andern Orte verſpahren.


Noch ein
ander Beweis
der Epigeneſis,
der von der
Flüßigkeit der
erſten Theile

Jch glaube bishero die Zweifel
des Herrn Baron von Hallers geho-
ben, und die etwas ſtolze Einwuͤrfe des
Hrn. Bonnets beantwortet zu haben:
Jch will nunmehro noch einen kurzen
Be-
[131]des Herrn Bonnet.
Beweis der Epigeneſis hinzuſetzen.hergenom-
men iſt.

Es iſt eine bekannte Beobachtung, daß
die erſten Anfaͤnge der Theile bey den Thieren ſo
wohl als auch bey Pflanzen fluͤßig ſind. Mal-
pigh
und Harwaͤus haben es ſchon bemerkt.
Boerhave hat es in ſeiner Phyſiologie allenthal-
ben eingefuͤhrt, der Herr von Haller hat es in
ſeinen neuen Beobachtungen beſtaͤtiget, und ich
habe es eben ſo befunden; nur Herr Bonnet, der
keine Verſuche hieruͤber ſelber angeſtellt hat, laͤug-
net es. Allein daran liegt nicht viel; das Zeug-
niß eines Malpighs und Hallers, beſonders
da ſie ſelber Vertheidiger der Evolution ſind, gilt
mehr, und die Sache iſt zu klar und zu gewiß, als
daß das Laͤugnen des Herren Bonnets in einige
Betrachtung gezogen werden koͤnnte. Das Ge-
hirn iſt beym Embryo ſo fluͤßig wie Waſſer. Jn
der Folge bekommt es eine etwas dickere Conſi-
ſtenz, allein es bleibt noch lange ſo, daß es als ein
fluͤßiger Koͤrper angeſehen werden muß, und nicht
unter die feſten Theile gerechnet werden kann, ſo
wenig wie der Schleim ein ſolider Koͤrper genennt
werden kann, ob er gleich einigen Grad der Zaͤ-
higkeit hat. Die Theile der Pflanzen ſind in ihren
erſtern Anfaͤngen zwar nicht ſo duͤnne wie Waſſer,
allein daß ſie wahre Saͤfte und keine feſte Theile
ſind, bezeigt dieſer einzige Charakter, daß ſie ſich
wie duͤnne harzigte oder gummigte Subſtanzen in
Faden auseinander ziehen laſſen. Hiedurch unter-
ſcheiden ſich die Saͤfte unſers Koͤrpers und der
Pflanzen von den wahren feſten Theilen deſſelben.
J 2Jene
[132]Widerlegung der Einwuͤrfe
Jene moͤgen dicke werden, ſo viel ſie wollen, ſo
werden ſie dennoch dadurch zu keine feſte Theile ei-
nes organiſchen Koͤrpers werden; wenn Saͤfte
aber in feſte Theile uͤbergehen ſollen, ſo wird dazu
etwas mehreres erfordert, und ſie muͤſſen ihre gan-
ze Natur aͤndern.


Nemlich alle feſte Theile bey den Thieren ſo
wohl als bey den Pflanzen haben dieſe Eigenſchaft,
daß wenn ihr Zuſammenhang einmahl getrennt iſt,
ſie alsdenn nicht mehr mit einander zuſammen kle-
ben koͤnnen, deswegen koͤnnen ſie, wenn ſie hart
ſind zerbrochen, wenn ſie aber elaſtiſch oder zaͤhe
ſind, zerrißen werden. Bey den Saͤften hinge-
gen, und bey allen fluͤßigen Koͤrpern, findet die-
ſes nicht ſtatt; wenn ihre Theile von einander ge-
trennt werden, und ſich wiederum einander beruͤh-
ren, ſo hengen ſie wiederum ſo gut wie vorhin zu-
ſammen. Man ſieht hieraus bald, worin der Un-
terſcheid zwiſchen einem fluͤßigen und feſten Koͤr-
per beſteht. Jn jenem zieht ein jeder Theil einen
jeden andern mit einer gleich ſtarken Krafft an;
daher moͤgen ſie alle untereinander bewegt werden,
ſo viel ſie wollen, ihr Zuſammenhang bleibt im-
mer eben derſelbe. Jn dieſem ſind nur gewiſſe be-
ſtimmte Theile die ſich mit einer beſtimmten Kraft
einander anziehen, da ſie ſich hingegen mit andern
Theilen gar nicht anziehen, daher wenn dieſe be-
ſtimmte Zuſammenſetzung einmahl geſtoͤhrt iſt, ſo
hoͤrt auch der ganze Zuſammenhang auf, weil,
wenn man die getrennte Stuͤcke wiederum zuſam-
men-
[133]des Herrn Bonnet.
menfuͤgen wollte, man nicht diejenige kleineſte Thei-
le wiederum zuſammen bringen wuͤrde, die ſich
vorhin unmittelbar einander beruͤhrt haben. Die-
ſes iſt der weſentliche Unterſcheid zwiſchen dem fluͤſ-
ſigen und feſten Koͤrper, und ich habe ihn deswe-
gen auseinander geſetzt, weil, ſo viel ich weis,
noch niemand dieſen Begriff entwickelt oder uͤber-
haupt einen weſentlichen Unterſcheid zwiſchen ei-
nem fluͤßigen und feſten Koͤrper angegeben hat.
Die Definition des Graveſande, die er von einem
fluͤßigen und feſten Koͤrper gibt und die auch von
den uͤbrigen angenommen zu werden pfleget iſt
falſch. Nach derſelben wuͤrden dieſe Koͤrper nur
dem Grade nach unterſchieden ſeyn; ein fluͤßiger
Koͤrper wuͤrde weiter nichts als ein weniger feſter
Koͤrper ſeyn; allein ich habe gezeigt, daß ein ganz
anderer Unterſcheid zwiſchen ihnen ſtatt findet.


Aus dieſem Begriffe werden Sie nunmehro
leicht einſehen, daß es eine wahre Unmoͤglichkeit
ſey, daß ein fluͤßiger Koͤrper zugleich organiſch ſeyn
koͤnne. Wie ein fluͤßiger Koͤrper derjenige iſt,
deſſen Theile ohne Unterſcheid alle mit einer glei-
chen Kraft ſich anziehen und bey dem alſo keine
beſtimmte Zuſammenſetzung ſtatt findet, ſo iſt im
Gegentheil ein organiſcher derjenige, deſſen Theile
auf eine beſtimmte Art zuſammengeſetzt ſind, und
nur auf dieſe Art ſich anziehen, ſo nemlich, daß
ein jeder Theil mit ſeinen gewißen Theilen und mit
keinen andern zuſammenhaͤngt. Trennen Sie die-
ſen Zuſammenhang, oder ſtoͤhren ſie dieſe Ord-
J 3nung,
[134]Widerlegung der Einwuͤrfe
nung, wie die Theile untereinander zuſammenge-
ſetzt ſind, ſo daß ein jeder Theil zugleich mit einem
andern, als er vorhin zuſammengeſetzt war, zu-
ſammen kommt, ſo haͤngen alle dieſe Theile nicht
wieder zuſammen; da ſie beym fluͤßigen Koͤrper
eben ſo gut wieder zuſammhaͤngen als vorhin.
Und hierin beſteht das Weſen eines organiſchen
Koͤrpers. Soll dieſer alſo fluͤßig ſeyn ſo iſt er zu-
gleich nicht organiſch.


Dieſer Beweis aber beruhet nicht, wie man
wohl dergleichen Beweiſe zu machen pflegt, auf
eine willkuͤhrliche Definition. Herr Bonnet mag
meine Definition von einem fluͤßigen Koͤrper laͤug-
nen; er mag die erſten Anfaͤnge der Koͤrper ſolide,
oder auch hart nennen, und alsdann unter ſolide
oder hart dieſes oder jenes verſtehen; ſo halte ich
mich bloß an der Erfahrung; dieſe lehrt, daß je-
ne Anfaͤnge ſich, wie klebrigte Saͤfte thun, in
Faden ziehen laſſen. Hieraus ſchließe ich, und
man koͤnnte dieſes geometriſch daraus beweiſen, wie
ein jeder, der in der Phyſick nicht fremde iſt, ohne
mein Erinnern leicht einſieht, daß ein jeder Theil
dieſer Anfaͤnge von demjenigen, mit welchen er
bishero zuſammengeſetzt war, ſich trennen, und mit
jedem anderen, der zuerſt an ihm gebracht wird,
ſich eben ſo gut wiederum zuſammenſetzen laͤſt, und
mit demſelben eben ſo gut wiederum zuſammen-
haͤngt, als er mit dem vorigen Theil zuſammenhing.
Das heiſt nun aber ſchon nicht mehr organiſch
ſeyn.


Jch
[135]des Herrn Bonnet.

Jch habe hauptſaͤchlich dieſen Beweis darum
angefuͤhrt, weil er dem Einwurfe von der Unſicht-
barkeit nicht ausgeſezt iſt. Herr Bonnet glaub-
te, daß es nicht moͤglich ſey, zu beweiſen daß ein
Ding nicht da ſey, und es muͤſſe ihm nothwendig
allemal die Ausflucht uͤbrig bleiben, es koͤnne un-
ſichtbar ſeyn.
Der Herr von Haller ſagt auch
in der Recenſion: Es bleibe bey der Area der
Zweifel uͤbrig, ob die durchſichtige Wege nicht
dennoch ihre Haͤute haben, ob man ſie gleich nicht
ſehen koͤnne, und dies ſey ſo leicht nicht aus-
zumachen.

[figure]
J 4Goͤt-
[136]

Goͤttingiſche Anzeigen 143 Stuͤck 1760.


Halle.

Wir haben ſeit langer Zeit kein ſo wichtiges Werk gele-
ſen, als des Hrn. Caſpar Friedrich Wolfs,
eines Berliners, den 24 Novemb. 1759. zu Halle ver-
theidigte Probſchrift, die den Titel fuͤhrt Theoria Ge-
nerationis,
und eigentlich eine Vertheidigung der Epige-
neſeos iſt. Dieſe Probſchrift macht auch ein ganzes 146
Qvart ſ. ſtarkes Buch aus, und ob man wohl wuͤnſchen
wird, einige Saͤtze des Hrn. Verfaſſers mit laͤngern und
mehrerern Erfahrungen beſtaͤrkt zu ſehen, auch andere
furchtſame Phyſiologen lieber uͤber das bekannte einen klei-
nen Schritt vorwaͤrts thun, als einen Sprnng wagen, ſo
verdient dennoch des Hrn. Wolfens Arbeit, die groͤßte
Aufmerkſamkeit, indem er, wann kein Fehler in ſeinen
Schluͤßen iſt, die Needhamſche Meynung faſt erweiſet, und
an ſtatt aller andern, das neue Gewaͤchſe oder Thier| bil-
dende Kraͤfte bloß eine gewiſſe Bewegung zum einzigen
Werkzeuge macht, die bey ihm Vis eſſentialis heiſt, und
die er nicht weiter beſtimmt, von der Seele aber allerdings
trennet. Er faͤngt bey den Kraͤutern, als den einfachen
Geſchoͤpfen an. Jm Anfange, ſagt er, iſt in dem Blatte
nichts als eine Menge Blaͤschens und in der noch jungen
Wurzel entweder eben der Bau, oder auch gar nur ein
durchſichtiges Weſen zu erkennen, ohne daß man dabey ein
Gefaͤße erblicke. Dieſer Satz iſt dem Hrn. W. ſehr an-
gelegen, indem er hauptſaͤchlich zu beweiſen trachtet, die
Gefaͤße ſeyn in dieſem Zuſtande der Pflanze nicht zu klein
oder zu durchſichtig, ſondern gar nicht vorhanden gewe-
ſen. Deswegen fuͤhrt er auch die Erfahrung an, daß
man in einem jungen Blatte mit einer Nadel die Geſtalt
der Blaͤschen veraͤndern, ein ganzes Blaͤschen von einer
Stelle zur andern ſchieben, zwey Blaͤschen zuſammen in
eines druͤcken, und hernach wieder trennen; endlich aber
ausleeren koͤnne, daß ſie zuſammen fallen. Man kann
fer-
[137]Goͤttingiſche Anz. 143 St. 1760.
ferner nach Belieben, bloß durch eine Bewegung der
Tropfen neue Gefaͤße machen, ihnen eine andere Richtung
geben, den Raum zwiſchen zweyen andern durch einen
Tropfen den man aus ihnen druͤckt, zu einem Gefaͤße bil-
den und zwey in eines zuſammen vereinigen. Hieraus
ſchließt Hr. Wolf, der zarte Bau der Gewaͤchſe habe
keine Gefaͤße, ſondern laurer Blaͤschen, und die Gefaͤße
ſeyn im Anfange bloße Wege, ohne Haͤute, die in dem
erwachſenen Kraute einen feſten Ueberzug und ſo genannte
Haͤute annehmen. Der Anwachs der Blaͤtter geſchieht
durch neue Blaͤschen, die ſich zwiſchen die alten ſchieben,
und die Gefaͤße entſtehen, indem ein Theil der feſtwerden-
den Saͤfte zu einer Blatter zwiſchen den Blaͤschen, und
zu einem Wege (meatus) zwiſchen den Gefaͤßen wird.
Aus eben dem verdickten Saft, der ſich in die Gefaͤße
und Blaͤschen inwendig anhaͤngt, werden beyde Theile
immer vollkommner; urſpruͤnglich aber iſt der Stoff des
Gewaͤchſes ein bloßes Gemiſche, in welchem allgemach
Blaͤschen und Gefaͤße entſtehen. Beyde ſind die Folge
und nicht die Urſache der Bewegung des Saftes. Aus
beyden Klaſſen, deren Geburt Hr. W. in mehrerm be-
ſtimmt, beſteht die ganze Pflanze. Hr. W. befolgt hier-
naͤchſt das Wachsthum (vegetatio) im weißen Kopfkoh-
le, und findet den Urſprung deſſelben in einer gewoͤlbten
Spitze, die aus dem Keime heraustritt. Dieſe Spitze
bildet ſich nach und nach in Blaͤtter, die gleichfalls durch
gewiſſe Staffeln vollkommen werden, und es entſtehn zum
ferneren Anwachs neue Spitzen. Alles dieſes iſt ein Saft,
der aus dem Ende der Pflanze austritt und nach und nach
dicker und feſter wird. Die junge Wurzel, denn Hr. W.
verfolgt die ganze Oeconomie der Pflanzen, erwaͤchſet aus
Saͤften, die von außen durch die Rinde dringen, und in
das adrigte hoͤlzerne Weſen ſich einen Zugang machen und
alſo nach des Hrn. Wolfs Ausdrucke zuruͤckfuͤhrende
Adern ohne Schlagadern zuwege bringen. Wir koͤnnen
ihm durch die uͤbrigen Theile nicht nachfolgen, und bemer-
ken nur, daß er die Befruchtung auf ſexualiſch annimmt
J 5ihr
[138]Goͤttingiſche Anz. 143 St. 1760.
ihr Hauptweſen aber darinn ſetzt, daß der maͤnnliche Staub
im hoͤchſten Grad nahrhaft ſey. Bey dieſem ganzen Ge-
ſchaͤfte hat er keine andere Grundkraͤfte vonnoͤthen, als die
Bewegung (vis eſſentialis) und das Dichtwerden des
Saftes. Bey der Erzeugung der Thiere muß man wohl
auf einen Grundſatz merken, der gleich am Anfange ſteht,
und nach welchem dasjenige nicht da iſt, was man nicht
ſieht. Der Grund hiezu iſt beym Hrn. Wolf, daß al-
les im Thiere aus Kuͤgelchen beſtehe, dieſe aber ſichtbar
ſeyn folglich keine Theile angenommen werden koͤnnen, die
unſichtbar, und doch vorhanden ſeyn. Wer aber ſich mit
den Vergroͤßerungsglaͤſern viel geuͤbt hat, wird ſich, zu-
mahl aus den Gekroͤsadern der Froͤſche belehrt haben, daß
allerdings die ſtarke Farbe die Theile ſichtbar, und die
Durchſichtigkeit unſichtbar macht, und in erwachſenen Thie-
ren, deren Adern gewiß ihre in andern Beyſpielen ſichtba-
re Haͤute haben, gar oft die Blutkuͤgelchen ſichtbar ſind,
ohne daß man dabey die Haͤute der Adern erkennen koͤnne,
und ohne daß man dieſe Durchſichtigkeit allemahl mit ei-
ner Saͤure, oder mit dem Weingeiſte zu uͤberwinden im
Stande ſey. Dieſe Anmerkung iſt hier um deſto wichti-
ger, weil Hr. W. mit großem Rechte, und mit dem
Zeugniſſe anderer Beobachter der Natur, zu beweiſen
glaubt, in der ſo genannten Area umbilicali ſeyn im
Huͤnchen Wege gezeichnet, die nach und nach vollkommen
und zu Gefaͤßen werden. Die Erſcheenung iſt richtig,
nur bleibt der Zweifel uͤbrig, ob die durchſichtigen Wege
zwiſchen dem koͤrnigten Weſen auch wuͤrklich aus bloßen
Wegen ohne Haͤute beſtehen, und dieſes iſt ſo leicht nicht
auszumachen. Hr. W. verfolgt hiernaͤchſt zum Theil das
Wachsthum des Huͤnchens im Eye. Er faͤngt bey den
Hoͤfen an, deren weißer Stoff an der Haut des Gelben
anhaͤngt, und von dieſem Gelben unterſchieden iſt. Dieſe
Materie wird nach und nach gelber und endlich roth, ſie
zertheilt ſich in Jnſeln, und dazwiſchen offen gelaßne We-
ge, die kurz darauf zu Gefaͤßen werden. Dieſer weiße
Stoff muß aus dem Gelben durch eine Aufloͤſung entſtan-
den,
[139]Goͤttingiſche Anz. 143 St. 1760.
den, und folglich das Gelbe die wahre Materie zur
Nahrung
ſeyn. Die Kraft, die ſie dahin befoͤrdert, iſt
die oben ſchon in den Gewaͤchſen genennte Vis eſſentialis.
Mechaniſch brechen ferner alle dieſe neu entſtandene Adern
zuſammen, vereinigen ſich, und werden zum Herzen (ob
wohl dieſes eben nicht in der Mitte liegt). Alsdann aber,
und wenn das Blut in den Wegen roth und kuglicht wird,
entſteht die Reizbarkeit, wodurch ſich das neue Thier vom
Gewaͤchſe unterſcheidet. Die Schlagadern, wenn wir
Hrn. W. recht verſtehn, werden aus dem Abſcheiden des
uͤberfluͤßigen Safts, eine ſchwere Aufgabe, indem man ſo
wohl die Urſache, warum ſich in den Gewaͤchſen kein
Herz bildet *), als warum bey denſelben niemahls Schlag-
adern gebauet werden **) und endlich warum keine Reiz-
barkeit entſtehet, nicht erklaͤrt findet. Nur fuͤhrt unſer
geſchickter Verfaſſer aus der Erfahrung an, daß ſich am
neuen Thiere Schlagadern zeigen, wo vorher keine waren,
die aus einer unorganiſchen Materie entſtehen. Er glaubt
auch auf eine faſt aͤhnliche Weiſe bilden ſich auch in den Er-
wachſenen neue Schlagadern, wiewohl haͤufiger vor dem
20ſten Jahre. Alle dieſe Schlagadern, faͤhrt er fort,
muͤſſen aus einem Herzen entſpringen, weil nur ein Flecken
im Gelben erwaͤchſt. Er glaubt auch es ſey mechaniſch
nothwendig, daß uͤberall, wo eine Schlagader iſt, auch
eine zuruͤckfuͤhrende hervorgebracht werde, und die Val-
veln in den letztern ſeyen eine Nachahmung der Zellen der
Gewaͤchſe. Er findet den Charackter des Thieres im Her-
zen, und haͤlt diejenigen Thiere faſt nur fuͤr Gewaͤchſe,
bey denen man kein Herz findet. Wie ſich die Eingewei-
de aus einer unorganiſchen Materie, und nachwaͤrts aus
dem fadigten Gewebe bilden, gibt er die Niere zum Exem-
pel, und glaubt ſo gar der adrigte Bau derſelben ſey zum
Abſcheiden des Harns nicht nothwendig, da ſich ja der
Harn ſchon zu einer Zeit abgeſchieden habe, da an der
Nie-
[140]Goͤttingiſche Anz. 143 St. 1760.
Nieren ſtatt ein bloßes fadigtes Gewebe da geweſen ſey.
Neben der weſentlichen Kraft ſind noch andere Nebenur-
ſachen zur Bewegung der Saͤfte, hierzu gehoͤrt das Herz,
das ſich zwar in den Huͤnchen mit ſeinem Klopfen anſtellt,
als wenn es alles allein verrichten wollte, da es doch noch
keine Bewegung gehabt hat, dieweil das Thier ſchon im
ſtarken Wachsthum war, und da ſein Klopfen, nach des
Hrn. W. Erfahrungen erſt anfaͤngt, wann es rothes
Blut durchlaͤßt. Auch iſt die ganze mechaniſche Arzney-
wiſſenſchaft, in ſo weit ſie die Bewegungen des Leibes
aus ſeinem Bau erklaͤren will, eine bloße Chimaͤre. End-
lich erklaͤrt Hr. W. aus ſeinen Grundſaͤtzen, wie eine
Mißgeburt, oder ein doppeltes Kind mit einem einzigen
Herzen entſtehen koͤnnen, und haͤlt hierin ſeine Lehre fuͤr
die nemliche mit der Halleriſchen. Dieſes iſt ein kurzer
Entwurf dieſer wichtigen Abhandlung.


[figure]
Zwo-
[[141]]
[figure]

Zwote Abhandlung
Theorie
von der
Generation.



1. Kap.
Von der
Eintheilung des organiſchen Koͤrpers in
gewiſſe Arten von Theile, die eine verſchie-
dene Entſtehungsart erfordern.


§. 1.


Laſſen Sie ſich die Zeit bey dieſer trock-
nen Eintheilung der Theile eines or-
ganiſchen Koͤrpers in gewiſſe Klaſſen
nicht lang werden. Dieſe Eintheilung iſt hoͤchſt
nothwendig: Sie wuͤrden ohne derſelben nicht wiſ-
ſen, warum ich eben die Entſtehungsart der Gefaͤße
bey den Pflanzen, oder des Herzens bey den Thieren,
oder wol gar ſolcher Theile, die Sie niemals haben
neñen hoͤren, zu erklaͤren ſuchte, und warum ich nicht
eben ſowol von der Entſtehungsart der Blume,
einer Leber, eines Knochens u. ſ. w. rede. Dieſe
Ein-
[142]1. Kap. Von der Eintheilung
Eintheilung gehoͤret zur vernuͤnftigen Einrichtung
unſers Jnſtituti; ſie wird verhindern, daß wir
nicht ſo, wie jene Philoſophen,, (pag. 4.) indem
wir glauben die Generation zu erklaͤren, unver-
merkt zu Anatomiſten werden, oder uͤber den Bey-
ſchlaf philoſophiren, oder ſonſt irgend eine andere
Sache, nur nicht die Generation, abhandeln.
Sie wird uns den kuͤrzeſten und leichteſten Weg
zu unſerem Endzweck zeigen; und Sie werden
uͤberdem dadurch in den Stand geſetzt werden, die
ganze Theorie deſto deutlicher zu uͤberſehn.


§. 2.


Wir ſollen die Art und Weiſe zeigen wie die
verſchiedene Theile eines organiſchen Koͤrpers ge-
bildet werden, (pag. 7.) oder kuͤrzer, wir ſollen
ihre Entſtehungsart erklaͤren. Da aber dieſe
Theile bey den Pflanzen ſowohl, als bey den Thie-
ren, beſonders bey dieſen letztern, ſo ſehr verſchie-
den ſind; ſo ſehen Sie leicht, daß ſie unmoͤglich
alle auf einerley Art gebildet werden koͤnnen. Wir
muͤſſen alſo wiſſen, wie vielerley Arten von Thei-
len es gibt, die von einander verſchieden, und
zwar aber ſo verſchieden ſind, daß ſie deswegen eine
eigene Entſtehungsart erfordern, oder daß ihre Ver-
ſchiedenheit einen Einfluß in die Art ihrer Forma-
tion hat. Es iſt alſo nicht genug, Klaſſen zu ma-
chen, ſondern dieſe muͤſſen auch weſentlich ſeyn;
diejenige Theile, welche in eine Klaſſe gebracht wer-
den, muͤſſen auch einerley Entſtehungsart erfor-
dern, und es muͤſſen keine Theile in verſchiedene
Klaſ-
[143]des organiſchen Koͤrpers ꝛc.
Klaſſen kommen, als diejenigen, von denen man
voraus ſieht, daß ſie auf eine andere Art werden
producirt werden.


§. 3.


Es iſt nemlich bekannt, daß man aus ver-
ſchiedenen Dingen verſchiedene Gattungen und Ar-
ten machen kann, nachdem man verſchiedene Ei-
genſchaften von ihnen zum Grunde der Einthei-
lung legt. Auf dieſe Art ſind die verſchiedene Sy-
ſteme in der Botanick entſtanden. Jn der Ana-
tomie und Phyſiologie beurtheilt man die Theile
nach ihren Verrichtungen und nach dem Endzweck,
wozu ſie beſtimmt ſind; daher iſt eine Leber z. E.
ein ganz anderes Ding als eine Niere, weil in je-
ner Galle in dieſer aber Urin abgeſondert wird, und
weil jene zur Digeſtion unentbehrlich erfordert wird,
dieſe aber nichts dazu beytraͤgt. Da aber dieſe
Verrichtungen ganz und gar nicht von der innern
Strucktur, wie man glaubt, und noch weniger
von ihrer Figur, ſondern von andern Umſtaͤnden
dependiren, die in die Formation der Theile kei-
nen Einfluß haben; ſo daß z. E. in einer Glan-
dula conglomerata
Milch, in der andern Spei-
chel abgeſondert werden kann, obgleich die Struck-
tur dieſer Glandeln voͤllig einerley iſt; ſo iſt hier-
aus klar, daß jene Eintheilung, die wir hier noͤ-
thig haben, von der anatomiſchen Eintheilung ganz
verſchieden ſeyn wird. Sie muͤſſen ſich daher nicht
wundern, wenn Sie hier von ganz andern Arten
der Theile reden hoͤren, als Sie bishero gehoͤrt haben.
Wir muͤſſen hier den Koͤrper in einer andern Ab-
ſicht
[144]1. Kap. Von der Eintheilung
ſicht betrachten, als wir ihn in der Anatomie und
Phyſiologie zu betrachten gewohnt ſind.


§. 4.


Jndeſſen aber, ſo richtig auch dieſes alles iſt,
ſo nothwendig dieſe Eintheilung auch iſt; ſo ſehen
Sie doch leicht, daß ſie niemand machen kann,
als derjenige, dem die Theorie der Generation,
wenigſtens einigermaßen ſchon bekannt iſt, und
daß ſie folglich zu der Erfindung ſelbſt nicht verhel-
fen kann; weil nemlich dabey zum voraus geſetzt
wird, daß man wiſſen muß, welche Theile auf ei-
nerley Art, und welche auf verſchiedene Art for-
mirt werden. Daher habe ich ſie freylich nicht eher
gemacht, als bis mir die Entſtehungsart der meh-
reſten Theile ſchon bekannt war. Sie ſehen auch
zugleich, warum ich Jhnen noch nicht Rechenſchaft
von meiner Eintheilung geben kann, warum ich
Jhnen noch nicht beweiſen kann, daß alle diejeni-
ge Theile, die ich unter einer Klaſſe bringe, einer-
ley Entſtehungsart haben werden, und daß es
nicht mehrere ihrer Entſtehungsart nach verſchie-
dene Arten der Theile gebe, als die, welche ich an-
gebe; Sie muͤſſen dieſes alles vor jetzo noch als
wahr annehmen, bis Sie in der Folge ſehn, daß
es ſich wuͤrklich ſo verhaͤlt, und daß folglich die
Eintheilung richtig iſt.


§. 5.


Jch ſage alſo, es gibt in den Thieren ſo wohl
als in den Pflanzen nicht mehr als drey Hauptgat-
tungen von Theilen, die ihrer Entſtehungsart nach
vollkommen von einander unterſchieden ſind.


§. 6.
[145]des organiſchen Koͤrpers ꝛc.

§. 6.


Die erſte Art derſelben ſind diejenigen, die
nicht weiter aus andern Theilen beſtehen, ſondern
die die letzten und einfachen ſind, und aus denen
im Gegentheil alle uͤbrige Theile zuſammen geſetzt
werden. Es ſind in den Pflanzen die Gefaͤſſe und
Blaͤßchens. Rinde, Holz, Wurzel, Stamm,
Aeſte, Blaͤtter, Blumen, Fruͤchte, Saamen, kurz
alle Theile der Pflanzen ſind entweder aus Gefaͤſ-
ſen, oder aus Blaͤßchen, oder aus beyden zuſam-
men geſetzt. Jn den Thieren ſind es wieder die
Gefaͤße und das Zellen-Gewebe. Die Blaͤßchen
in den Pflanzen ſind nichts anders, als ein Zellen-
Gewebe; nur ſind an einigen wenigen Orten die
Zellen verſchloſſen, an ſtatt daß dieſe bey den Thie-
ren allenthalben mit einander communiciren. Die
Nerven und Muskeln ausgenommen, (das Ge-
hirn rechne ich mit zu den Nerven,) beſtehen alle
Theile der Thiere wiederum aus Gefaͤſſen, die ver-
mittelſt des Zellengewebes mit einander verbunden
ſind, oder aus einem Zellengewebe allein. Alle
Eingeweide, die Knochen, die Haut, gehoͤren zur
erſten Claſſe, die Epidermis, die Haare und Naͤgel
zur zweiten.


§. 7.


Die andere Gattung von Theilen ſind dieje-
nigen, die nun aus Gefaͤſſen und dem Zellengewe-
be zwar zuſammen geſetzt ſind, allein die dem ohn-
erachtet doch noch nicht vor ſich ſelbſt beſtehen;
ſondern ebenfalls noch wieder Theile von andern
Theilen ſind, die ſie durch ihre Zuſammenſetzung
Kaus-
[146]1. Kap. Von der Eintheilung
ausmachen. Die Nerven in den Blaͤttern der
Pflanzen, die Fibern in den Stengeln, in dem
Stamm, in der Wurzel, die ſo genannte Suturen
in den Saamenkapſeln, die Epidermis, die Rinde,
das Mark gehoͤren hieher. Dieſe aber ſind keine ein-
fache Theile, ſondern ſie beſtehen aus zuſammen ge-
ſetzten Gefaͤſſen oder Blaͤßchen, ſie ſind aber zu-
gleich Theile der Wurzel, des Stengels, der Blaͤt-
ter. Jn den Thieren die Muskeln, die Knochen,
die Nerven, die nebſt dem Zellengewebe und den
darin eingewickelten groſſen Gefaͤſſen von der all-
gemeinen Haut umgeben werden, und mit dieſen
zuſammen einen Arm, einen Fuß, einen Finger
ausmachen.


§. 8.


Die dritte Gattung ſind ſolche, die entweder
aus dieſen, oder unmittelbar aus den Theilen der
erſten Gattung znſammen geſetzt ſind, und die nun
nicht weiter Theile anderer Theile ſind, ſondern vor
ſich ſelbſt beſtehn, und unmittelbare Theile des
Ganzen ſind. Die Wurzel in den Pflanzen und
ihre Zweige, der Stamm, die Aeſte, die Blaͤtter,
der Kelch, die Corolla, die Stamina, das Piſtill,
die Saamen. Jn den Thieren alle Viscera und
die Extremitaͤten.


§. 9.


Jch habe vorhin geſagt, es laſſe ſich a priori
nicht einſehen, daß z. E. alle vor ſich beſtehende
Theile, auf einerley Art formirt werden muͤſſen,
und daß die Gefaͤße hingegen eine ganz andere
Ent-
[147]des organiſchen Koͤrpers ꝛc.
Entſtehungsart haben werden. Es laͤßt ſich die-
ſes einigermaſſen aus der Art der Zuſammenſe-
tzung muthmaſſen; und Sie werden daher bey ei-
ner genauern Unterſuchung auch finden, daß die-
jenige Theile, die ich unter einer Klaſſe gebracht
habe, ſehr wenig in ihrer Zuſammenſetzung unter-
ſchieden ſind, und diejenigen hingegen, die in ver-
ſchiedenen Klaſſen ſtehn, gar nichts aͤhnliches mit
einander haben. Beſonders aber gilt dieſes von
der erſten und letzteren Klaſſe. Die zweite iſt von
der letztern nicht ſo ſehr unterſchieden; die Art
aber, wie ſie gebildet werden, iſt ebenfalls auch
nicht ſo ſehr von der Entſtehungsart derſelben un-
terſchieden.


§. 10.


Jn der erſten Klaſſe haben Sie alſo Gefaͤße
und Blaͤschen bey den Pflanzen; dieſe ſind nur
bloß ihrer Figur nach unterſchieden; beyde ſind
Aushoͤlungen in dem Theile, worin ſie ſich befin-
den; jene ſind runde oder eckigte, dieſe aber ſind
laͤngliche Hoͤlen. Ja es findet ein Uebergang aus
dem einen in den andern ſtatt; es giebt Blaͤschen,
dle ſich in die Laͤnge erſtrecken, die aber durch Zwi-
ſchenwaͤnde, wo ſie mit ihren Enden zuſammen
ſtoſſen, von einander abgeſondert werden, und Sie
wiſſen oft nicht, ob ſie ſolche Blaͤschen laͤnglichte
Blaͤschen, oder aber Gefaͤße nennen ſollen, die
durch Valveln gleichſam in Glieder getheilt ſind.
Sie werden ſich alſo nicht wundern, wenn der-
gleichen Theile auf eine aͤhnliche Art formiret
werden.


K 2§. 11.
[148]1. Kap. Von der Eintheilung

§. 11.


Zur dritten Klaſſe gehoͤren bey den Pflanzen
die Blaͤtter, der Kelch, die Samenkapſel, die Sa-
men. Dieſe haben mit den Blaͤßchen oder Ge-
faͤſſen gar keine Aehnlichkeit mehr, unter ſich aber
ſind ſie kaum von einander unterſchieden. Der
Kelch iſt nichts anders als eine Anzahl modificir-
ter Blaͤtter. Jn einigen Pflanzen, z. E. in den
Sonnenblumen, in den Diſteln, in den Umbelli-
feris, erhellet dieſes ſehr deutlich. Die Samen-
kapſel und ſelbſt die Samen (lobi ſeminales) ſind
wiederum nichts anders als ſolche veraͤnderte Blaͤt-
ter. Man ſieht dieſes, wenn die reife Samen-
kapſeln aufſpringen und ſich in Blaͤtter, aus denen
ſie zuſammen geſetzt ſind, theilen, wie bey den
Schotengewaͤchſen, und wenn die Lobi ſeminales
ſo gar in ordentliche Blaͤtter (ſolia ſeminalia)
uͤbergehen.


§. 12.


Bey den Thieren ſcheinet die Aehnlichkeit et-
was ſchwerer zu ſeyn, aber ſie iſt es deswegen nicht.
Nur muß man in Anſehung der Gefaͤße zwiſchen
den groͤßeren und den kleinſten einen Unterſchied
machen, der auch in die Entſtehungsart einen Ein-
fluß hat, der ſich aber hier noch nicht erklaͤren
laͤßt. Die kleinſten ſind den Gefaͤßen der Pflan-
zen aͤhnlich, und ſie ſind daher auch von der Cel-
luloſa
nicht ſehr unterſchieden; mit den groͤßern
aber hat es eine andere Bewandniß. Die Einge-
weide, welche zur dritten Klaſſe gerechnet werden,
ſind in ihrer Struktur wenig von einander unter-
ſchie-
[149]des organiſchen Koͤrpers ꝛc.
ſchieden; ſie beſtehen alle aus Gefaͤßen und einem
Zellengewebe. Das Herz aber muß nicht zu die-
ſen Eingeweiden, ſondern zu den groͤßern Gefaͤßen
gerechnet werden; man ſieht es auch im Embryo
daher unter der Geſtalt eines einfachen gekruͤmten
Canales. Eben ſo ferner wie die groͤßere Gefaͤße
nicht reine einfache Theile ſind, ſo iſt auch der
ganze Canal der Gedaͤrme nicht voͤllig zur dritten
Klaſſe zu rechnen, ſondern er iſt ein Mittelding
zwiſchen Gefaͤßen und den Theilen dieſer dritten
Klaſſe. Endlich muͤſſen die Muskeln und Ner-
ven noch ganz ausgenommen und zu den Nerven
das Gehirne mit gerechnet werden. Sie gehoͤ-
ren zu keiner der angefuͤhrten Klaſſen, allein dieſe
Klaſſen begreifen auch nur die vegetabiliſche Theile
in ſich, die Muskeln und Nerven aber ſind eben
diejenige Theile, wodurch organiſche Koͤrper Thie-
re werden, und die allerdings ihre ganz eigene Ent-
ſtehungsart haben, von welcher ich noch nicht viel
habe entdecken koͤnnen. Das wenige, was ich
davon weis, iſt noch hypothetiſch und durch zu
wenig Erfahrungen noch beſtaͤrket, als daß ich mir
getrauen ſollte, es fuͤr eine Wahrheit auszuge-
ben; ich habe deswegen auch noch kein Wort da-
von geſagt oder geſchrieben.


§. 13.


Alle uͤbrige Theile des thieriſchen Koͤrpers
aber koͤnnen ſicher zu einer dieſer Klaſſen gerechnet
werden, und diejenigen, welche unter einer Klaſſe
kommen, ſind wenig oder gar nicht in ihrer Zu-
K 3ſam-
[150]2. Kap. Von der Entſtehungsart
ſammenſetzung unterſchieden, und ſie haben daher
auch einerley Entſtehungsart.


§. 14.


Nunmehro wiſſen Sie alſo, warum ich von
der Entſtehungsart der einfachen, der zuſammen-
geſetzten und der vor ſich beſtehenden Theile han-
deln werde. Die Conception aber iſt noch ein
von der Generation verſchiedenes Ding, welches
alſo beſonders noch erklaͤret werden muß, wie ich
bey der Erklaͤrung derſelben ſolches deutlicher zei-
gen werde.



2. Kap.
Von der Entſtehungsart der Gefaͤße
und des zellenfoͤrmigen Gewebes
in den Pflanzen.


§. 15.


Beſchaffen-
heit der Ge-
fäſſe

Man ſtellt ſich insgemein die Ge-
faͤße der Pflanzen als Roͤh-
ren oder ordentliche Canaͤle vor, die ihre eigene,
von den Haͤuten anderer Gefaͤße und von der
Subſtanz des Theils, in welchem ſie ſich befinden,
unterſchiedene Haͤute haben. Allein man ſchneide
den Stengel einer Pflanze oder einer Wurzel, die
beyde aus lauter parallel neben einander gelegten
Ge-
[151]der Gefaͤße ꝛc.
Gefaͤßen beſtehen, quer durch; von dem einen
Ende ſchneide man eine duͤnne Scheibe ab und
lege ſie unter dem Vergroͤſſerungsglaſe, ſo wird
man an ſtatt von einander unterſchiedener Ringe,
die die Enden der Gefaͤße vorſtellen ſollten, deren
dreyeckigte Zwiſchenraͤume entweder leer, oder mit
einer von den Ringen unterſchiedenen Subſtanz
angefuͤllt waͤren, ein bloßes Netz finden. Ein
jeder Faden dieſes Netzes wird zweien an einan-
der angraͤnzenden Loͤchern gemein ſeyn. Kurz,
wenn Sie die Subſtanz, woraus die Faͤden beſte-
hen, als die Subſtanz des Theils anſehen, in dem
ſich die Gefaͤße befinden, des Stengels nemlich
oder der Wurzel, wie ſolche allerdings auch ange-
ſehen werden muß, ſo bleibt vor den Gefaͤßen wei-
ter nichts uͤbrig als bloße Loͤcher. So wie in ei-
nem Siebe, oder in einem Durchſchlage, die Loͤ-
cher nicht Ringe genennt werden koͤnnen, die ne-
ben einander in einem Behaͤltniß eingeſetzt waͤren;
ſo eben ſind die Loͤcher in dieſer abgeſchnittenen
Scheibe des Stengels bloße Loͤcher, und haben
nichts, was von der Subſtanz des Stengels ſelbſt
verſchieden waͤre. Hieraus ſieht man aber, daß
der Begriff von den Gefaͤßen der Pflanzen nur
eingebildet iſt, und daß dieſe Gefaͤße im Gegen-
theil nichts anders ſind, als bloße Hoͤlen, die in
der Subſtanz des Stengels ausgegraben ſind,
und die nichts weniger als eigene Haͤute haben.


§. 16.


Die ſo genanten Blaͤschen derund der Bläs-
chen.

Pflanzen verhalten ſich wiederum
K 4eben
[152]2. Kap. Von der Entſtehungsart
eben ſo wie die Gefaͤße. Sie ſind nichts
weniger als von einander verſchiedene Blaͤs-
chen. Der ganze Theil, worin ſie ſich befinden,
beſteht aus einem zellenfoͤrmigen Gewebe, ſo wie
die Celluloſa in den Thieren iſt, und die Blaͤschen
ſelbſt ſind bloße Loͤcher. Der Unterſchied zwi-
ſchen den Gefaͤßen und den Blaͤschen iſt kein an-
derer, als daß jene laͤnglichte, dieſe aber runde
oder eckigte Hoͤlen ſind.


Auf was fuͤr Art Sie uͤbrigens auch immer
die Gefaͤße oder Blaͤschens unterſuchen moͤgen,
ſo werden Sie allezeit finden, daß ſie ſich ſo, wie
ich ſie beſchrieben habe, und nicht anders ver-
halten.


§. 17.


Entſtehungs-
art, wie ſie
möglich iſt.

Es giebt Theile in den Pflanzen,
zum Exempel die Samen (lobi ſe-
minales
), die aus lauter Blaͤschen,
und andere, z. E. ein Aſt einer Wur-
zel, der Stiel eines Blats, die aus lauter Gefaͤſ-
ſen beſtehn. Wenn ich nun im Vorhergehenden
geſagt habe, daß ſolche Theile, wie Saamen, Wur-
zel, Stengel, die beſondere vor ſich beſtehende
Theile ſind, auf eine andere Art hervor gebracht
werden ſollen, als die Gefaͤße und das Zellenge-
webe; ſo werden ſie ſich dieſes ſchwer vorſtellen
koͤnnen. Sie werden ſagen, ein Aſt zum Exem-
pel von einer Wurzel ſoll aus nichts als lauter Ge-
faͤßen beſtehn, und er ſoll doch auf eine andere Art
producirt werden, als dieſe Gefaͤße. Wenn der
Aſt producirt wird, es mag geſchehen auf was fuͤr
Art
[153]der Gefaͤße ꝛc.
Art es immer wolle, ſo muͤſſen ja zu gleicher Zeit
auch die Gefaͤße producirt werden, aus denen er
einzig und allein beſtehen ſoll. Denn wenn kei-
ne Gefaͤße da ſind, ſo iſt kein Aſt da, und die
Entſtehung der Gefaͤße und die Entſtehung des
Aſtes ſind eine und eben dieſelbe Sache. Auf
ſolche Art wuͤrde es ſich verhalten, wenn die Ge-
faͤße ordentliche Roͤhren waͤren, und der Aſt be-
ſtuͤnde aus nichts, als aus dieſen Roͤhren. Allein
erinnern Sie ſich nun wieder an meinem Begrif-
fe von den Gefaͤßen, die nichts anders als bloße
Hoͤlen ſind; ſo werden Sie ſich die Moͤglichkeit
dieſer Sache ganz leicht vorſtellen koͤnnen. Der
Aſt koͤnte zuerſt ohne Hoͤlen ſolide producirt ſeyn,
und hernach koͤnten dieſe Hoͤlen in ihm ausge-
bohrt werden.


§. 18.


Was werden Sie aber ſagen,Wie ſie würk-
lich ſich ver-
hält.

wenn ich Jhnen zeige, daß ſich dieſes
wuͤrklich ſo verhalte, daß der Aſt
und ſeine Gefaͤße wuͤrklich auf dieſe und auf keine
andere Art hervorgebracht werden? Sie werden
ſagen: Wie ſchoͤn ſtimmen die Vernunft und die
Erfahrung mit einander uͤberein, wenn man nur
im Stande iſt, alle Verwirrung, die mehrentheils
aus unbeſtimmten Begriffen und zweydeutigen
Woͤrtern entſteht, zu vermeiden! Man koͤnnte
allerdings auf der einen Seite ein Gebaͤude aus
lauter Schluͤßen und auf der andern Seite ein an-
deres aus lauter Erfahrungen aufbauen, ohne bey
Verfertigung des einen an die Materialien des
K 5an-
[154]2. Kap. Von der Entſtehungsart
andern einmal zu denken; und dieſe beyden Ge-
baͤude muͤſten, wenn ſie nunmehro, nachdem ſie
voͤllig fertig ſind, mit einander verglichen wuͤrden,
nicht um ein Haar von einander verſchieden ſeyn.
Allein der einzige Endzweck iſt, die Wahrheit zu
wiſſen, und man bedient ſich daher billig aller moͤg-
lichen Huͤlfsmittel, um dahinter zu kommen.


§. 19.


Beobach-
tung der
Bläschen.

Der Saamen von der Bohne
und auch die Saamenkapſel dieſer
Pflanze ſchicken ſich zu unſerm Ver-
ſuche am beſten. Beyde beſtehen in
ihrem vollkommenen Alter aus Blaͤschen, wenn
man ſie aber zu einer Zeit, da die Blume noch
nicht zum Vorſchein gekommen iſt, unter dem
Vergroͤßerungsglaſe herfuͤr ſucht, ſo zeigen ſie ſich
in Geſtalt kleiner runder Waſſertropfen, halb
fluͤßig, und durchſichtig wie der ſchoͤnſte Cryſtall.
Nicht die geringſte Spur von Blaͤschen iſt auf
irgend eine Art in ihnen anzutreffen, ſondern ſie
beſtehen aus einer allenthalben gleichfoͤrmigen in
eines fortgehenden Subſtanz. Wenn dieſe klei-
ne Kugeln allmaͤhlig groͤßer werden, ſo faͤngt zu-
gleich ihre Conſiſtenz an ſolide zu werden, und
zu gleicher Zeit fangen auch an, ſich kleine Puncte
zu zeigen, die nichts anders ſind, als kleine Hoͤ-
len, in welchen ſo wie in den erwachſenen Blaͤs-
chen allezeit, und auch in den Gefaͤßen, ein voͤllig
fluͤßiges Waſſer enthalten iſt. Allmaͤhlig werden
dieſe kleine Hoͤlen groͤßer, und vermehren ſich zu-
gleich
[155]der Gefaͤße ꝛc.
gleich der Menge nach, bis endlich auf dieſe Art
der ganze Koͤrper der jungen Saamenkapſel oder
des Saamens ſelbſt in eine zellenfoͤrmige Sub-
ſtanz verwandelt wird.


§. 20.


Auf gleiche Art verhaͤlt es ſichund der Ge-
fäße.

mit den Gefaͤßen. Ein Aſt (ramus)
einer Wurzel zeigt dieſes am deutlichſten. Er er-
ſcheint in ſeinem erſten Anfange als eine kleine Er-
habenheit an dem Stamme der Wurzel, aus wel-
chem der Aſt herfuͤrbrechen ſoll, und zwar unter
der aͤußern Haut dieſes Stammes. Man entdeckt
in dieſem kleinen Huͤgel gleichfalls nicht die gering-
ſte Spuhr von einem Gefaͤße; nach und nach aber
zeigen ſich Linien, die endlich in ſolche Gefaͤße, wie
ich ſie beſchrieben habe, uͤbergehen.


§. 21.


Jch werde noch wenig ſagen duͤr-Was ſich
hieraus ſicher
ſchließen läſt.

fen, ſo wird Jhnen nunmehro die gan-
ze Entſtehungsart der Gefaͤße von ſelb-
ſten einfallen. So viel iſt jetzo ſchon ausgemacht;
wenn die Gefaͤße weiter nichts ſind als bloße Hoͤ-
len, und der Theil, in welchem ſich dieſe Hoͤlen,
wenn er erwachſen iſt, befinden ſollen, kurz nach
ſeiner Entſtehung noch durchgaͤngig ſolide und oh-
ne Hoͤlen iſt; ſo kann es wohl unmoͤglich anders
ſeyn, es muͤſſen dieſe Hoͤlen in ihm auf irgend ei-
ne Art, durch irgend eine Kraft, vermittelſt irgend
eines Jnſtruments ausgegraben werden. Nur
fraͤgt es ſich alſo noch, auf was fuͤr eine Art, durch
was
[156]2. Kap. Von der Entſtehungsart
was fuͤr eine Kraft, mit was fuͤr einem Werkzeu-
ge geſchiehet ſolches?


§. 22.


Völlige Erklä-
rung der Ent-
ſtehungsart
der Gefäße.

Jch will machen, daß mein Leſer
dieſes alles und mithin die ganze Ent-
ſtehungsart der Gefaͤße und der Zellen
ſelbſt erfinden ſoll. Jch will Jhn nur
an einige Dinge erinnern, die ihm auch ſonſt,
wenn ich ihm Zeit genug gelaſſen haͤtte, von ſelbſt
wuͤrden eingefallen ſeyn. Der Theil, durch deſ-
ſen Exempel ſich die Erinnerungen am beſten er-
klaͤren laſſen, iſt wieder der Saamen der Bohne.
Dieſer iſt durch einen kleinen Stengel an der Saa-
menkapſel befeſtiget. Der Saamen, wenn er er-
wachſen iſt, beſteht aus lauter Blaͤschen, der
Stengel aber aus lauter Gefaͤßen. Nun ſtellen
Sie ſich beyde in ihrem allererſten Zuſtande vor,
wo der Saamen in Geſtalt eines Kuͤgelchens noch
ohne Zellen, und der kleine Stengel ohne Gefaͤße,
beyde durchgaͤngig ſolide und dabey ſehr zart und
weich zum Vorſchein kommen. Der Saame waͤchſt
in dieſem Zuſtande ſtaͤrker, als wenn er aͤlter iſt.
Die Nahrungsſaͤfte muͤſſen alſo aus der Saamen-
kapſel durch den Stengel in den Saamen getrie-
ben werden, und ſich darin anlegen. Nun hat
aber der Stengel keine Hoͤlen, durch welche der
Saft frey durchgehen koͤnnte, ſondern er beſteht
aus einer durchgaͤngig ſoliden, ob gleich ſehr zar-
ten und weichen Subſtanz. Der Saft muß alſo
nothwendig eine Kraft beſitzen, vermittelſt welcher
derſelbe, obgleich in den allerſubtilſten Tropfen,
durch
[157]der Gefaͤße ꝛc.
durch dieſe Subſtanz des Stengels durchdringt,
und ſich alſo auf dieſe Art ſelbſt Wege macht, die
vorhin nicht da waren, und die den Tropfen pro-
portionirt ſind. Wege aber, die vorhin nicht da wa-
ren! Und hierbey faͤllt es Jhnen wieder ein, daß
die Gefaͤße nichts anders ſind, als bloße laͤnglich-
te Hoͤhlen, als eben ſolche Wege, die vorhin nicht
da waren! Darf ich nun noch wohl erklaͤren wie
die Gefaͤße entſtehen?


§. 23.


Mit den Zellen in dem Saamenund der Bläs-
chen.

hat es eben dieſelbe Bewandniß. Von
dem zugefuͤhrten Nahrungsſafte geht etwas ſogleich
in die vegetabiliſche Subſtanz uͤber. Einiger Theil
aber davon wird als Nahrungsſaft in eignen Be-
haͤltnißen aufgehoben. (denn dieſes iſt das Geſetz
aller lebendigen Geſchoͤpfe, daß ſie mehr zu ſich
nehmen, als ſie zur Erſetzung des Verlohrnen in
ihrem Koͤrper noͤthig haben. Dadurch wer-
den ſie in den Stand geſetzt, ſich nachhero,
ohne von außen Nahrungsmittel zu ſich zu
nehmen, eine lange Zeit zu erhalten. Bey
den Thieren ſammlet ſich aus dieſem Grunde das
Fett an, welches zur Zeit der Nothwendigkeit aus
allen und den kleinſten Zellen ſehr geſchickt wieder
herfuͤrgeſucht wird. Die Pflanzen verwahren ih-
ren uͤberfluͤßigen Saft ebenfalls in ihren Zellen.)
Nun ſind aber in dem erſten Anfange des jungen
Saamen noch keine Zellen da; der Saft alſo, wird
ſich, indem er ſich in kleinen Tropfen anſammelt,
durch die Ausdehnung der zarten Subſtanz des jun-
gen
[158]2. Kap. Von der Entſtehungsart
gen Saamens ſelbſt dergleichen kleine runde Hoͤlen
formiren, die zuerſt in Geſtalt der Punkte zum
Vorſchein kommen, und nach und nach ſo wohl
an Groͤße als der Zahl nach zu nehmen. Wie
alſo die Gefaͤße in einem Theil, der noch keine hat,
durch das Eindringen und den Durchgang der
Saͤfte
durch dieſen Theil formirt werden, ſo wer-
den die Zellen und die Blaͤschen hingegen durch
das Ruhen und die allmaͤhlige Anhaͤufung
dieſer Saͤfte
in einem Theil zuwege gebracht.


§. 24.


fernere Erläu-
terung der
Sache.

Jch werde nun nur noch einige
Anmerkungen hinzuſetzen. Die erſte
iſt dieſe: Der Saamen iſt im erſten
Anfange klein; daher werden die zu dieſer Zeit
durch den Stengel durchdringende Tropfen des
Safts ſehr ſubtil, und ihrer Anzahl nach ebenfalls
nur ſehr geringe ſeyn duͤrfen; und aus dieſer Urſa-
che ſind die erſten Gefaͤße ſehr klein und der An-
zahl nach wenig. Nach und nach aber, wenn der
Saame waͤchſt, werden groͤßere Tropfen durchzu-
dringen ſuchen, und die Gefaͤße erweitern; und
zu gleicher Zeit werden an denen Orten, wo noch
keine ſind, neue formirt werden. Eben dieſes gilt
auch von den Zellen in dem Saamen.


§. 25.


Warum die
Wurzel, Aeſte
und Stengel
aus Gefäßen,
die Blätter,

Die andere Anmerkung iſt dieſe:
Wie ſich der Saamen zu ſeinem klei-
nen Stengel verhaͤlt, ſo verhaͤlt ſich
die Saamenkapſel gegen ihren Stengel
(pe-
[159]der Gefaͤße ꝛc.
(pedunculo), und ſo verhaͤlt ſich dasBlumen und
Früchte aber
aus Bläschen
beſtehen.

Blatt gegen ſeinem Stiel, (petiolo)
und ſo verhalten ſich in einem Baume
viele Blaͤtter zuſammen genommen
gegen ihren gemeinſchaftlichen Zweige, an dem ſie
vermittelſt ihrer Stiele feſt ſitzen, und ſo endlich
verhalten ſich auch alle Blaͤtter, Blumen, Fruͤch-
te, als die letzten Theile des ganzen Baums, bis
wohin der Saft ſteigen kann, und wo er endlich
ruhen muß, gegen den Aeſten, dem Stamme und
der Wurzel des Baumes. Denn in der That be-
ſtehen die Saamenkapſel, die Blaͤtter, die Blu-
men, die Fruͤchte, und alle letzte Theile einer Pflan-
ze, wo der Saft, wenn er bis dahin gekommen
iſt, ruhen muß, und nicht weiter kommen kann,
aus Blaͤschen, und ſie haben noch dazu alle die-
ſes Merkmahl, daß ſie in eine Flaͤche ausgedehnt
ſind, oder die Figur eines rundlichen Koͤrpers ha-
ben. Hingegen beſtehen die Wurzel, der Stamm,
die Aeſte, und alle Theile, durch welche der Saft
nur durchgehen muß, um nach andere hinzukom-
men, aus Gefaͤßen; und ſie haben alle eine laͤng-
lichte Figur. Durch dieſe kurze Erzehlung habe
ich Jhnen nicht nur einen generellen anatomiſchen
Begriff von der Strucktur der ganzen Pflanze
uͤberhaupt gegeben, ſondern Sie verſtehen auch
nunmehro hieraus erſtlich die Entſtehungsart aller
Gefaͤße und Blaͤschen; und zum zweyten ſehen
ſie die Urſachen, warum alle Aeſte und Stengel
aus Gefaͤßen, alle Blaͤtter und letzte Enden der
Pflanzen aber aus Blaͤschen beſtehen. Denn da
die
[160]2. Kap. Von der Entſtehungsart
die Saͤfte durch die Wurzel, Aeſte und Stengel
durch gehen muͤſſen; ſo muͤſſen in dieſen Theilen
nothwendig Gefaͤße erzeugt werden. Da eben die-
ſelben aber in den letzten Enden endlich ruhen muͤſ-
ſen, ſo muͤſſen in dieſen Theilen nothwendig Blaͤß-
chen entſtehen.


§. 26.


Die dritte Anmerkung betrift die
Kraft von der
die Bewegung
der Säfte de-
pendirt.
Kraft, vermittelſt welcher der Saft
durch die Pflanze getrieben wird. Jch
habe mich auch in meiner Diſſertation
noch nicht weiter um dieſelbe bekuͤmmert, als daß
ich ſie fuͤr eine den vegetabiliſchen Koͤrpern eigene
und weſentliche Kraft erklaͤrt habe. Es iſt auch
genug, wir wiſſen, daß ſie da iſt, und wir kennen
ſie ihrer Wuͤrkung nach, als welche einzig und al-
lein nur erfordert wird, um die Entſtehung der
Theile daraus zu erklaͤren. An dem Nahmen, wo-
mit wir ſie benennen, liegt noch weniger; nur die-
ſes muß ich erinnern, daß ſie diejenige Kraft iſt,
durch welche in den vegetabiliſchen Koͤrpern alles
dasjenige ausgerichtet wird, weswegen wir ihnen
ein Leben zuſchreiben; und aus dieſem Grunde
habe ich ſie die weſentliche Kraft dieſer Koͤrper ge-
nennt; weil nemlich eine Pflanze aufhoͤren wuͤrde,
eine Pflanze zu ſeyn, wenn ihr dieſe Kraft genom-
men wuͤrde. Jn den Thieren findet ſie eben ſo
wohl ſtatt wie in den Pflanzen, und alles dasjeni-
ge, was die Thiere mit den Pflanzen gemein ha-
ben, haͤngt lediglich von dieſer Kraft ab.


§. 27.
[161]der Gefaͤße ꝛc.

§. 27.


Von der bishero erklaͤrten Ent-Anmerkung.
ſtehungsart der Gefaͤße und der Blaͤschen in den
Pflanzen habe ich in meiner Diſſertation §. 21. 22.
und §. 23. Beweiſe gegeben. Es ſind ferner da-
ſelbſt die vornehmſte Eigenſchaften der Gefaͤße,
und endlich auch ihre verſchiedene Strucktur in ei-
nigen verſchiedenen Pflanzen aus ihren Gruͤnden er-
klaͤrt worden §. 35. ſeq. 41. Da jetzo meine Abſicht
nur iſt, einen generellen und kurzen Begriff von
dem ganzen Lehrgebaͤude der Generation zu geben,
ſo iſt es mir lieb, daß alle dieſe Dinge mit den
bisher Vorgetragenen nicht ſo zuſammenhaͤngen,
daß dieſe ohne jenen nicht ſollten koͤnnen verſtan-
den werden, und daß ich alſo nicht noͤthig habe,
dieſe Abhandlung durch jene Erklaͤrungen weitlaͤu-
fig zu machen.


§. 28.


Aber einige Schluͤße, die ſichAllgemeines
Geſetz bey der
Formation
der organi-
ſchen Körper.

aus der bisher vorgetragen Theorie
von der Entſtehungsart der Gefaͤße
ſchon ziehen laſſen, muß ich noch und
zwar jetzo gleich hinzuſetzen, weil Jh-
nen der ganze Begriff dieſer Sache noch in fri-
ſchem Andenken iſt. So wie ſichs mit der For-
mation der Gefaͤße und der Blaͤschen bey dem
Saamen der Pflanze verhaͤlt, ſo verhaͤlt es ſich
mit der Formation der Gefaͤße und der Blaͤschen
aller uͤbrigen Theile der Pflanze; ich habe bey ih-
nen dieſelbe Beobachtungen angeſtellt, und bey al-
Llen,
[162]2. Kap. Von der Entſtehungsart
len, wie zu vermuthen iſt, einerley gefunden; aber
eben ſo verhaͤlt es ſich auch, wie Sie im folgenden
Kapitel ſehen werden, mit der Formation der Ge-
faͤße und der Zellen bey den Thieren. Alſo nun
hurtig, weil wir bey der Sache ſind, weiter ge-
ſchloſſen, was ſich ſchließen laͤft! Dieſe Gefaͤße
und Blaͤschen oder Zellen machen die innere Struk-
tur eines Theiles; ſie machen den Theil organiſch,
und ohne ihnen wuͤrde der Theil auf hoͤren orga-
niſch zu ſeyn. Nehmen Sie der Leber oder der
Niere alle Gefaͤße weg, ſo bleibt weiter nichts,
als ein Klumpen Materie uͤbrig, die zwar die Ei-
genſchaften der thieriſchen Subſtanz haben kann,
in der ſie aber ſo wenig Organiſation oder Struk-
tur noch antreffen, als in einem Klumpen Wachs.
Eben dieſelbe Bewandniß hat es mit den Blaͤt-
tern der Pflanzen, den Aeſten der Wurzel ꝛc. Nun
aber werden dieſe Gefaͤße und Blaͤschen erſt in ei-
nem Theile formirt, nachdem der Theil ſchon pro-
ducirt war, und die Production des Theils iſt von
der Formation ſeiner Gefaͤße, woraus er, wenn er
erwachſen iſt, beſtehen ſoll, verſchieden. Folglich
wird ein jeder organiſcher Theil zuerſt producirt,
und alsdann organiſirt, und dieſe Organiſation ei-
nes Theiles iſt eine von der Produktion deſſelben
unterſchiedene Wuͤrkung der Natur. Wie die
Produktion geſchiehet, das werden Sie im vier-
ten Kapitel ſehen; vor jetzo iſt es genug, wenn
wir wiſſen, daß ein Theil, ehe die Formation der
Gefaͤße in ihm vorgeht, allemal unter der Figur
einer Tropfe entweder, oder eines Randes, oder
eines
[163]der Gefaͤße ꝛc.
eines kleinen Huͤgels ſchon da iſt. Da nun die-
ſes bey allen Theilen der Thiere und Pflanzen ſtatt
findet; ſo koͤnnen wir ein allgemeines Geſetz von
der Formation der natuͤrlichen organiſchen Koͤr-
per daraus machen. „Ein jeder organiſcher Koͤr-
„per, oder Theil eines organiſchen Koͤrpers, wird
„erſt ohne organiſche Struktur producirt, und
„alsdann wird er organiſch gemacht;‟ Dieſe
Organiſation nemlich iſt alsdann die Formation
der Gefaͤße oder der Zellen und Blaͤschen.


§. 29.


Noch eine ſolche Anmerkung!Wie die or-
ganiſche
Struktur und
die vegetabili-
ſche Verrich-
tungen von
einander de-
pendiren.

Alsdann wollen wir weiter gehn.
Die Saͤfte dringen durch die junge
Theile, wenn ſie noch unorganiſch
ſind, wenn ſie noch keine Gefaͤße ha-
ben; ſie machen ſich ſelber Wege
(§. 22. 23.) und ſie vertheilen ſich
zwar ſo gleichmaͤßig durch den jungen Theil, wie
es die Nutrition deſſelben erfordert; die Oerter
dieſes Theils, die gleich ſtark wachſen, muͤſſen
nothwendig einerley Menge der Saͤfte bekommen,
und diejenigen Oerter, bey welchen wir ſehen, daß
ſie geſchwinder und ſtaͤrker ſich ausdehnen, muͤſ-
ſen nothwendig eine groͤßere Menge der Saͤfte be-
kommen. Dieſe determinirte Diſtribution, dieſe
ſo genau beſtimmte Vertheilung der Saͤfte koͤn-
nen wir keiner andern Urſache als jener weſentli-
chen Kraft der Pflanzen zuſchreiben, und hierdurch
werden nun endlich, wie Sie in den citirten §. §.
L 2geſehn
[264[164]]2 Kap. Von der Entſtehungsart
geſehn haben, die Gefaͤße formirt. Aber wie we-
nig ſtimmt dieſes mit unſern gewoͤhnlichen Be-
griffen von der Bewegung und Diſtribution der
Saͤfte uͤberein, wenn wir uns vorſtellen, daß dieſe
einzig und allein von der einmahl ſo und nicht an-
ders eingerichteten Vertheilung der Gefaͤße, von
dieſer einmahl, es ſey auf welche Art es wolle, ge-
bauten und feſtgeſetzten hydrauliſchen Maſchine
dependiren ſoll! Umgekehrt mein lieber Freund!
Dieſe hydrauliſche Maſchine, dieſe beſtimmte Ver-
theilung und Ramification der Gefaͤße dependirt
einzig und allein von der Vertheilung der Saͤfte,
und dieſe hat eine ganz andere Urſache zum Grun-
de! Wenn wir aber ſo denken, ſo kan dieſes der
mechaniſchen Philoſophie nicht wohl gefallen; al-
lein deſto beſſer gefaͤllt es der Wahrheit, und jene
muß es uns alsdann nicht uͤbel nehmen, wenn
wir ſo denken!



3. Kap.
Von der Entſtehungsart der Gefaͤße
und des zellenfoͤrmigen Gewebes in
den Thieren.


§. 30.


Mit der Entſtehungsart der Gefaͤße in den
Thieren werde ich nunmehro leichter fer-
tig werden. Jch habe nicht mehr noͤthig,
neue Begriffe umſtaͤndlich zu erklaͤren; ſondern
ich
[265[165]]der Gefaͤße ꝛc.
ich darf nur zeigen, daß ſich hier alles eben ſo
verhalte wie bey den Pflanzen.


Die kleinen Gefaͤße der ThiereBeſchaffen-
heit der Ge-
fäße.

ſind in der That eben ſo wohl, wie die
Gefaͤße der Pflanzen, bloße Hoͤlen,
keinesweges aber mit eignen beſondern Haͤuten
verſehene Roͤhren. Jch kan dieſes auf keine an-
dere Art beweiſen, als daß ich mich auf die Er-
fahrung berufe; man unterſuche dieſe kleinen Ge-
ſaͤße, wie man wolle, ſo wird man niemals eine
eigne Haut an ihnen finden.


Die großen Gefaͤße ſind, eigentlich zu reden,
eben ſo wenig wahre Roͤhren, wie die kleineren,
nur muß man bey ihnen dieſes beſondere bemer-
ken: die Subſtanz, in welcher dieſe Hoͤlen ausge-
graben ſind, iſt nahe an der Hoͤle ſelbſt am dich-
teſten und am haͤrteſten; je weiter ſie von derſel-
ben rings herum abweicht, um deſto loſer und
weicher wird ſie. Es verhaͤlt ſich mit ihr, wie
mit der aͤußern Haut und dem darunter liegenden
Zellengewebe; jene iſt nichts weiter als eben die-
ſes Zellengewebe ſelbſt, welches, je naͤher es der
aͤußern Flaͤche unſers Koͤrpers kommt, um deſto
feſter und dichter wird, bis auf die aͤußerſte Flaͤ-
che ſelbſt, welche naͤchſt unter der Epidermis liegt,
und welche am allerdichteſten iſt. Man wird
daher auf keine Weiſe die aͤußere Haut einen von
dem darunter liegenden Zellengewebe verſchiede-
nen Theil nennen koͤnnen. Eben ſo verhaͤlt es
ſich mit den Gefaͤßen und dem ſie umgebenden
L 3Zellen-
[166]3. Kap. Von der Entſtehungsart
Zellengewebe. Man wuͤrde nicht ſagen koͤnnen,
wo die Haut des Gefaͤßes aufhoͤrte, und das Zel-
lengewebe anfinge, eben ſo wenig wie ſich dieſe
Graͤnze bey der aͤußern Haut beſtimmen ließe.


§. 31.


Man wird fragen, was ich mit den fleiſchig-
ten Haͤuten der großen Gefaͤße anfangen wolle.
Jch ſage, es iſt nichts ſeltenes, daß in einem in
eines fortgehenden Zellengewebe Muskel-Faſern
ausgeſpannt ſind; dergleichen finden ſich bey den
Thieren in dem Zellengewebe, welches in die
aͤußere Haut uͤbergeht, dergleichen iſt der ſubcu-
taneus colli,
der quadratus menti. Es iſt aber
nicht mit meinem Willen geſchehen, daß die Zer-
gliederer dieſe Muskelfaſern Haͤute der Gefaͤße
genennt haben.


Jch will mich aber nicht laͤnger mit Aufloͤ-
ſung mehrerer Einwuͤrfe aufhalten. Es iſt zu
unſerm Endzwecke hinlaͤnglich, daß die kleinern
Gefaͤße bloße Hoͤlen ſind, und daß auch die groſ-
ſen einmal klein, und folglich alle Gefaͤße in ih-
rem erſten Anfange weiter nichts als bloße Hoͤ-
len geweſen ſind. Denn wenn ſich dieſes ſo ver-
haͤlt, ſo ſind die Gefaͤße als Hoͤlen entſtanden,
und ich habe weiter nichts zu thun, als daß ich
zeige, wie dergleichen Hoͤlen haben entſtehen
koͤnnen.


§. 32.


Entſtehungs-
art der Ge-
fäße.

Dieſes laͤßt ſich noch beſſer als
bey den Pflanzen bewerkſtelligen.
Es ſchickt ſich aber auch kein Theil da-
zu
[167]der Gefaͤße ꝛc.
zu ſo gut, als die aͤußere Flaͤche des Gelben im
Ey. Dieſes iſt bey den Huͤhnern eben das, was
bey den vierfuͤßigen Thieren der Kuchen iſt. Es
entſtehen daher in demſelben um ſo viel mehr Ge-
faͤße, die ſich uͤber deſſen aͤußere Flaͤche ausbrei-
ten, je ſtaͤrker das junge Huͤhnchen anwaͤchſt.
Auf dieſer aͤußern Flaͤche alſo laͤßt ſich die Entſte-
hung der Gefaͤße ſehr deutlich wahrnehmen.


§. 33.


Dieſe Flaͤche iſt im AnfangeBeobach-
tung, wodurch
ſie bewieſen
wird.

aus lauter kleinen Kuͤgelchen zuſam-
men geſetzt, und man bemerkt an ihr
nicht den geringſten Strich oder Li-
nie, welche einem Gefaͤße aͤhnlich ſaͤhe. Nach
und nach aber faͤngt ſie an an verſchiedenen Orten
zu berſten und Rinnen zu bekommen, und die
Stuͤckchen, in welche ſie zerſpringt, ſtellen eben
ſo viel kleine Jnſeln vor. Die Rinnen ſind die
wahre erſte Anfaͤnge der Gefaͤße, und die kleine
Jnſeln ſind die Zwiſchenraͤume derſelben; denn
im Anfange iſt in jenen zwar nur eine ſubtilere
fluͤßigere und bewegliche Materie enthalten; da-
hingegen die Jnſeln aus groͤßern Kugeln beſtehen,
und dabey dicht und feſt ſind; allmaͤhlig aber faͤngt
in eben dieſen Rinnen das Blut ſelbſt an, ſich zu
zeigen; ſie continuiren alsdann offenbar mit den
Gefaͤßen des jungen Huͤhnchens, und vermittelſt
dieſen mit dem Herzen deſſelben. Jch habe keine
Vorſtellung in der Natur ſchoͤner geſehn, als
dieſe. Aus dieſem Verſuche alſo iſt klar, daß die
L 4Gefaͤße
[168]3. Kap. Von der Entſtehungsart
Gefaͤße in den Thieren auf eben dieſelbe Art, wie
in den Pflanzen entſtehen. Der Theil, worin ſie
entſtehen ſollen, iſt zuerſt da, ohne Gefaͤße; her-
nach werden dieſe durch die Kraft, mit welcher der
Nahrungsſaft und das Blut durch die Theile ge-
trieben werden, in deſſen Subſtanz ausgegraben.


§. 34.


Kraft wo-
durch die Säf-
te bewegt wer-
den.

Man koͤnnte dieſe Kraft in den
Thieren dem Herzen zuſchreiben, wie
man insgemein alle Bewegungen der
Saͤfte demſelben zuzuſchreiben pflegt.
Meine Theorie von der Erzeugung wuͤrde auch
nichts darunter leiden, weil ich mich in die Erklaͤ-
rung dieſer Kraͤfte bey den Thieren ſowohl als bey
den Pflanzen noch nicht eingelaſſen habe, und
auch nicht einzulaſſen noͤthig habe; allein die Wahr-
heit wuͤrde darunter leiden, und mein Urtheil von
dieſer Sache muß fuͤr deſto unpartheyiſcher gehal-
ten werden, je weniger die eine oder die andere
Meinung meinen Saͤtzen befoͤrderlich oder hinder-
lich ſeyn koͤnnte. Die Oberflaͤche des Gelben im
Ey zertheilt ſich in Jnſeln, der Nahrungsſaft fließt
durch die gemachte Rinnen, und das Blut faͤngt
ſchon an ſich in denſelben zu zeigen, alles zu einer
Zeit, da an dem Herzen noch nicht die geringſte
Bewegung zu merken iſt. Ja da ſchon lange vor-
her zu einer Zeit, da das Herz ſelbſt noch nicht exi-
ſtirt, der erſte Anfang des Huͤnchens ernaͤhrt, und
folglich der Nahrungsſaft aus dem Gelben vom
Ey zu ihm hingefuͤhrt werden muß; ſo ſiehet man
wohl,
[169]der Gefaͤße ꝛc.
wohl, daß dieſe Bewegung der Saͤfte, wodurch
die Gefaͤße formirt werden, unmoͤglich dem Her-
zen zugeſchrieben werden kann. Vielmehr iſt klar,
daß hier eine Kraft ſtatt finde, die der Wuͤrkung
nach von jener Kraft in den Pflanzen gar nicht un-
terſchieden iſt, und die ich daher auch mit demſel-
ben Nahmen der weſentlichen Kraft in meiner Diſ-
ſertation benennt habe.


§. 35.


Jn Anſehung der Haͤute der groͤſ-Wie die Häute
der Gefäße
entſtehen.

ſeren Gefaͤße habe ich folgende Beo-
bachtung gemacht. Eine merkliche
Zeit nachhero, nachdem das Blut ſchon frey und
ſchnell durch die vorher ſchon formirte Wege und
Hoͤlen gefloßen iſt, alsdann erſt und nicht eher
fangen die Haͤute an formirt zu werden, und das
geſchiehet auf dieſe Art; Anſtatt daß bishero ein
jeder Zwiſchenraum zwiſchen zwey z. E. parallel
gelegenen Gefaͤßen durchgaͤngig gleich dichte gewe-
ſen iſt, und einen gleichen Grad der Undurchſich-
tigkeit gehabt hat; ſo fangen dieſe Zwiſchenraͤume
der Gefaͤße nunmehro an, in der Mitte, als dem-
jenigen Ort, wo ſie von beyden Gefaͤßen gleich
weit, und von beyden am weiteſten entfernt| ſind,
ein wenig durchſichtiger, nahe aber bey den Hoͤlen
zugleich ein wenig undurchſichtiger und dichter zu
werden. Dieſe Veraͤnderung nimmt allmaͤhlig zu,
ſo, daß die Verſchiedenheit der Dichtigkeit der
Subſtanz, die den Zwiſchenraum der Gefaͤße aus-
macht, an dieſen Oertern allmaͤhlig immer merkli-
L 5cher
[170]3. Kap. Von der Entſtehungsart
cher wird, und immer mehr in die Augen faͤllt;
alsdann iſt dieſe Subſtanz um deſto dichter, je naͤ-
her ſie der Hoͤle kommt, und um deſto loſer und
durchſichtiger, je weiter ſie von der Hoͤle entfernt
iſt; und dieſes iſt nach dem Begriffe, den ich §.
30. von den Haͤuten der Gefaͤße gegeben habe,
nunmehro ſchon die Haut des Gefaͤßes ſelbſt; der-
jenige Theil nemlich der Subſtanz, die den Zwi-
ſchenraum ausmacht, welcher am dichteſten iſt,
wird nach der in der Anatomie eingefuͤhrten Ge-
wohnheit die Haut des Gefaͤßes genennt. Der
Herr von Haller pflegt ein zellenfoͤrmiges Gewe-
be, welches dichter und feſter iſt, als das Gewoͤhn-
liche, celluloſa ſtipata zu nennen; die aͤußere Haut
iſt alſo ein ſolches dichteres zellenfoͤrmiges Gewebe,
und die ſogenannte Haͤute der Gefaͤße ſind ebenfalls
nichts anders als ein Dichterwerden dieſer Sub-
ſtanz, oder es beſteht darin, daß dieſe Subſtanz
mehr bey den Hoͤlen allmaͤhlig dichter wird.


§. 36.


Das Verhält-
niß der Häute
zu den Oeff-
nungen bey
den Arterien
läſt ſich hier-
aus erklären.

Je weiter dieſes allmaͤhlige Dich-
terwerden der Subſtanz naͤhe bey den
Hoͤlen von ſtatten geht, um deſtomehr
breitet ſich der helle und durchſichtige
Flecken, der ſich mitten in dem Zwi-
ſchenraum zwiſchen zwey Gefaͤßen be-
findet, aus, und die dichtere Subſtanz bey den
Hoͤlen wird folglich um deſto ſchmaͤler; ſo daß end-
lich der dichtere Theil des Zwiſchenraumes durch-
ſichtig wird, und der kleinſte Theil deſſelben nahe
an
[171]der Gefaͤße ꝛc.
an den Hoͤlen nur undurchſichtig uͤbrig bleibt; al-
lein je ſchmaͤhler dieſer undurchſichtige Theil wird,
um deſtomehr nimmt er zugleich in dem Grade
ſeiner Dichtigkeit und Undurchſichtigkeit zu; und
hierdurch erhaͤlt endlich der dichtere Theil der Sub-
ſtanz, der nahe bey den Hoͤlen ſich befindet, eini-
germaaßen das Anſehen, als wenn er zum Ge-
faͤße gehoͤrte, und eine Haut deſſelben ausmachte.
Hieraus verſteht man nunmehro, wie es zugeht,
daß die Arterien, je aͤlter und groͤßer ſie werden,
nach Verhaͤltniß ihrer Oeffnungen (Luminum)
immer duͤnnere, zugleich aber auch dichtere und
feſtere Haͤute bekommen. Wenn in des Herren
von HallersElementis Phyſiologiæ nach Win-
tringhams
Verſuchen den kleinern Aeſten eine
groͤßere Staͤrke (robur) zugeſchrieben wird; ſo
hat Wintringham hierbey einen Jrrthum began-
gen. Er vermiſcht die Zaͤhigkeit (Tenacitas)
der Haͤute mit der Staͤrke; dieſe iſt die Kraft wo-
mit ſie der Ausdehnung widerſtehn, jene iſt das
Vermoͤgen vermittelſt welchem ſie durch ihr Nach-
geben dem Zerreißen widerſtehn; wenn daher die
kleinere Aeſte, und wenn auch ſo gar die Venen
daher eine groͤßere angewendete Kraft leiden, ehe
ſie zerreißen, ſo folgt daraus wohl, daß ſie zaͤher
ſind und nachgeben, nicht aber, wie Wintring-
ham
ſagt, daß ſie eine groͤßere Staͤrke haben.
Durch dergleichen unbeſtimmte Begriffe werden
lauter verdrießliche Verwirrungen und Jrrthuͤmer
in die Wiſſenſchaften eingefuͤhrt, die hernach zu
mehreren Jrrthuͤmern oder Schwierigkeiten wenig-
ſtens
[172]3. Kap. Von der Entſtehungsart
ſtens Anlaß geben. Eben ſo iſt es wiederum falſch,
wenn Wintringham den kleineren Aeſten duͤn-
nere Haͤute zuſchreibt. Loſer und weicher ſind ih-
re Haͤute wohl, aber nicht duͤnner nach dem Ver-
haͤltniß der Oeffnung. Er wird, beſonders wenn
er ſeine Verſuche an injicirten Gefaͤßen gemacht
hat, ſo viel weggeſchnitten haben, als ihm billig
geſchienen, und was ihm billig geſchienen hat, iſt
vielleicht nicht billig geweſen.


§. 37.


Wenn ehr
die Häute der
Gefäße ent-
ſtehn und wie
man die Zeit
mit Gewiß-
heit ſagen
kann.

Man ſieht aus dieſer Beobach-
tung (§. 35.), wenn ehr die Haͤute
der Gefaͤße zu exiſtiren anfangen.
Weit gefehlt, daß ſie alsdann ſchon
da ſeyn ſollten, wenn man durch das
Vergroͤßrungsglaß noch keine Spuhr
von Gefaͤßen wahrnimmt, wie z. E.
in der Obſervation, die ich in der vorigen Ab-
handlung aus meiner Diſſertation citirt habe
(fig. 1.) oder auch alsdann, wenn man den An-
fang zur Formation der Gefaͤße in der area zwar
ſchon erkennt, die Wege aber noch nicht vollkom-
men ſind wie fig. 4.; ſo ſind ſie alsdann noch
nicht einmahl da, wenn dieſe Wege ganz voll-
kommen ſind, wenn das Blut durch ſie bewegt
wird, und wenn man ſie mit bloßen Augen ſieht,
wie in der area fig. 7. b. die in der 8ten und 10ten
fig. unter dem Mikroſeop vorgeſtellt iſt; denn man
ſieht in dieſen Figuren, daß die Zwiſchenraͤume
der Gefaͤße noch durchgaͤngig gleich dichte ſind,
und
[173]der Gefaͤße ꝛc.
und allenthalben einen gleichen Grad der Undurch-
ſichtigkeit haben, zur Entſtehung der Gefaͤße aber
wird erfordert, daß die Subſtanz in den Zwi-
ſchenraͤumen ihre Dichtigkeit veraͤndern muß
(§. 35.). Allein woraus haben Sie jetzo ge-
ſchloßen, daß die Gefaͤße im Anfange noch keine
Haͤute haben? daraus, weil Sie dieſelben im
Anfange nicht ſehen? Keinesweges, ſondern
daraus, weil Sie dieſelben einige Tage nachhero
erſt haben allmaͤhlig werden ſehn, und die Art
und Weiſe geſehn haben, wie ſie geworden ſind.


§. 38


Die Art, wie dieſe Veraͤnde-Was es mit
dem Dicht-
werden der
Subſtanz für
eine Bewand-
niß hat.

rung in Anſehung der Dichtigkeit mit
der Subſtanz in den Zwiſchenraͤumen
der Gefaͤße zuwege gebracht wird, will
ich nicht weiter erklaͤren, ſondern ſie
nur auf andere Erſcheinungen zuruͤck-
bringen. Die Entſtehungsart der Fluͤgel und
Fuͤße, wie Sie im folgenden Kapittel ſehn wer-
den, hat dieſes mit dem gegenwaͤrtigen Phaͤno-
meno gemein, daß ſich im Anfange in der Mitte
des Ruͤckgrads auf beyden Seiten die Subſtanz,
woraus die Fluͤgel und Fuͤße formirt werden ſollen,
eben ſo haͤufig anlegt als an denen Orten, wo die-
ſe Theile eigentlich entſtehen ſollen, in der Folge
aber allmaͤhlig ſich wiederum wegzieht und end-
lich gar verſchwindet, da indeſſen dieſe Subſtanz
an denen ihr eigentlich beſtimmten Orten um ſo
viel ſtaͤrker anwaͤchſt und dichter wird. Mehrere
aͤhn-
[174]3. Kap. Von der Entſtehungsart
aͤhnliche Exempel finden ſie in meiner Diſſertation
(§. 228. Schol.) wo ich auch die Urſachen die-
ſer Erſcheinungen zu entdecken geſucht habe.


§. 39.


Die Ramifi-
cation der Ge-
fäße iſt an ſich
nothwendig.

Allein warum ſind die Gefaͤße
bey den Thieren ramificirt, warum
entſtehen immer ihrer Viele aus einem
gemeinſchaftlichen Stamme nnd alle
endlich aus einer allgemeinen Quelle, dem Her-
zen, da es doch bey den Pflanzen nicht ſo war?
Wenn Sie ſo fragen, ſo iſt die Antwort nicht
eben ſchwer, wenn Sie aber fragen, warum ha-
ben die Gefaͤße der Pflanzen keine Ramification;
ſo werde ich mehr Schwierigkeit finden, Jhnen
meine Begriffe zu entwickeln. Jch ſage alſo ſo-
gleich, die Ramification iſt, wenn uͤberhaupt Ge-
faͤße formirt werden ſollen, an ſich nothwendig,
und Gefaͤße, wenn ſie formirt werden, werden
allemahl ramificirt werden, dafern nicht eine be-
ſondere Urſache hinzukommt, die ſolches verhin-
dert. Dieſes will ich Jhnen zuvor erklaͤren; her-
nach werde ich die Urſache zu entwickeln ſuchen,
warum ſie in den Pflanzen nicht ſtatt findet. Es
ſey alſo ein junger nicht lange erſt entſtandener
Theil; in ihm ſeyn eine gewiſſe Anzahl kuͤrzlich erſt
entſtandener Gefaͤße, Hoͤlen alſo, oder bloße We-
ge, die noch keine Haͤute haben, und die Zwi-
ſchenraͤume zwiſchen dieſen Gefaͤßen, oder die
Subſtanz, die dieſe Zwiſchenraͤume ausmacht,
verhalte ſich noch ſo, daß ſie ohne alle Gefaͤße iſt,
daß
[175]der Gefaͤße ꝛc.
daß ihre Nutrition durch das gleichmaͤßige Ein-
dringen der Saͤfte geſchiehet, wie wir ſchon ge-
ſehn haben, daß ein ſolches Eindringen in eine
Subſtanz ohne Gefaͤße ſtatt finden kann (§. 29.
26. 34.); ſo werden alſo dieſe Saͤfte durch die
Seitenwaͤnde der Hoͤlen, die ſchon der Anfang
der Subſtanz der Zwiſchenraͤume ſind, ſo durch-
ſehwitzen, oder durchdringen, wie ſie durch den
uͤbrigen Theil der Subſtanz weiter penetriren, und
dieſes Durchdringen durch die Waͤnde der Hoͤlen,
wie ich es nenne, iſt eigentlich ſelbſt ſchon nichts
anders, als eben das Eindringen in die Sub-
ſtanz der Zwiſchenraͤume; ich ſage aber die Saͤfte
wuͤſſen aus den Hoͤlen kommen, denn es gibtkei-
nen andern Weg von der Quelle der Saͤfte zu die-
ſer Subſtanz, als der, welcher vermittelſt der
ſchon producirten Hoͤlen ſtatt findet. Nunmehro
ſetzen Sie alſo, die Subſtanz der Zwiſchenraͤume
ſoll wachſen, ſie ſoll, damit der ganze Theil groͤſ-
ſer wird, auch ihrerſeits groͤßer werden; ſo wer-
den nunmehro mehr Saͤfte zu ihrer Nutrition er-
fordert werden, und in ſie eindringen muͤſſen;
folglich werden die Hoͤlen in einer beſtimmten Zeit
ſo viel mehr Saͤfte hindurch laſſen muͤſſen, als die
Subſtanz des Zwiſchenraumes groͤßer geworden
iſt; die Hoͤlen werden alſo in ihrem Umfange um
ſo viel erweitert, oder von den haͤufiger durchdrin-
genden Saͤften ausgedehnt werden. Aber nun-
mehro muͤſſen auch ferner in den groͤßergeworde-
nen Zwiſchenraume neue Gefaͤße formirt werden,
oder ſetzen ſie hypothetiſch ſie ſollen formirt wer-
den;
[176]3. Kap. Von der Entſtehungsart
den; ſo geſchiehet dieſes nach dem Begriffe von
der Formation der Gefaͤße (§. 33.) durch die in
ſie eindringende und haͤufiger eindringende Saͤfte;
dieſe Saͤfte aber kommen aus den vorigen Hoͤlen,
die nun ſchon groͤßer geworden ſind, folglich muͤſ-
ſen die neue entſtehende Hoͤlen, Aeſte (rami) von
den Vorigen werden. Auf dieſe Art wird es ſich
mit einem jeden neuen formirten Gefaͤße verhal-
ten; indem es formirt wird, wird es immer als
ein Ramus von einem vorhergehenden, welches
zugleich groͤßer wird, formirt werden, und alle
Gefaͤße werden alſo als ein einziges auf dieſe Art
zuſammenhengendes Syſtem erzeugt werden.


§. 40.


Die Urſache,
die ſie in den
Pflanzen ver-
hindert, liegt
in der Sub-
ſtanz derſel-
ben.

Nun aber warum geſchiehet
dieſes nicht auch bey den Pflanzen?
Jch ſage kurz, die Materie, woraus
Pflanzen erzeugt werden, dieſe Pflan-
zenſubſtanz, die von der thieriſchen
Subſtanz ſehr verſchieden iſt, iſt die
Urſache, die ſolches verhindert. Die
Erfahrung lehrt es, daß ein Theil, ſo wohl bey
Thieren als Pflanzen, nachdem er producirt iſt,
weiter nutrirt wird, und alſo die Nahrungsſaͤfte
in ſeine Subſtanz aufnimmt; hoͤrt dieſes auf zu
geſchehn, ſo trocknet der Theil zuſammen, und
ſtirbt ab, wie wir an den Blaͤttern der Baͤume
im Herbſt ſehen; geſchiehet es in einem gewiſſen
Grade, ſo bleibt der Theil wie er iſt; dieſes findet
bey friſchen Blaͤttern der Pflanze, wenn ſie er-
wach-
[177]der Gefaͤße ꝛc.
wachſen ſind, ſtatt; geſchiehet es in einem weit
hoͤhern Grade, ſo nimmt der Theil in ſeiner Groͤße
zu, wie wir an allen jungen Theilen der Pflanzen
und Thiere ſehen. Die Erfahrung lehrt ferner,
daß dieſes Aufnehmen der Saͤfte um ſo viel ſtaͤr-
ker geſchiehet, je juͤnger der Theil iſt, und daß es
allmaͤhlig abnimmt, je aͤlter er wird. Jn der
Phyſiologie iſt dieſes mehr als zu bekannt, und
auch im gemeinen Leben. Allein das Merkmal,
woran wir dieſes allmaͤhlig abnehmende Eindrin-
gen der Saͤfte in einem Theile, je aͤlter dieſer wird,
erkennen, iſt nicht nur das geringere Wachsthum
des Theiles, indem ein Theil immer weniger in
ſeiner Groͤße zunimmt je aͤlter er wird; ſondern
wir erkennen eben dieſes auch daran, daß er, je
aͤlter er wird, immer ſolider und haͤrter wird. Jm
Anfange iſt er halb fluͤßig, wie Sie im folgenden
Kapitel ſehn werden, hernach wird er zaͤhe, als-
dann wird er ordentlich ſolide, endlich wird er ſteif
und zerbrechlich. Hier ſind alſo drey Dinge mit
einander verbunden, das allmaͤhlig abnehmende
Eindringen der Saͤfte in den Theil, der dadurch
nutrirt wird, das abnehmende Wachsthum die-
ſes Theils, und das Hartwerden (die Solidescenz)
eben deſſelben. Es fraͤgt ſich, wie ſind dieſe mit
einander verbunden, welches iſt die Urſache und
welche ſind die Wuͤrkungen, oder dependiren alle
drey Erſcheinungen von einer vierten Urſache?


Jn meiner Diſſertation §. 26. habe ich das
Hartwerden fuͤr die Urſache, und das aufhoͤrende
Eindringen der Saͤfte fuͤr eine Folge davon, das
Maufhoͤ-
[178]3. Kap. Von der Entſtehungsart
aufhoͤrende Wachsthum aber wiederum fuͤr eine
Folge von dieſem gehalten. Jch habe das Hart-
werden als eine Eigenſchaft der Pflanzenmaterie
angeſehen, und ſie fuͤr eine Wuͤrkung von dem
Ausduͤnſten gehalten, allein ich denke jetzo anders
von dieſer Sache. Das Ausduͤnſten hat keinen
Einfluß hierin. Es mag ſich aber verhalten wie
es will; ſo iſt wenigſtens die Obſervation richtig,
und wir koͤnnen ſie als ein Geſetz anſehen.


§. 41.


Die Sub-
ſtanz der
Pflanzen wird
zu zeitig hart,
und zur Nu-
trition un-
tüchtig.

Die zwote Obſervation iſt dieſe:
Bey den Pflanzen gehen dieſe drey
Veraͤnderungen viel ſchleuniger vor
ſich, als bey den Thieren. Jn Zeit
von einem Jahre werden alle Theile
einer Pflanze holzartig, und die wei-
che Theile, die man an einem Baume
ſieht, ſind Produkte deſſelben Jahres. Ein Blatt
wird in etlichen Wochen, oder in einem Mona-
the, zur Vollkommenheit gebracht, und alsdann
ſind nicht nur ſchon Holzfaſern darin, ſondern es
waͤchſet auch gar nicht weiter; es bleibt wie es iſt,
und es dringen alſo nicht mehrere Nahrungsſaͤfte
hinein, als erfordert werden, dasjenige zu erſetzen,
was durch die Ausduͤnſtung weggeht. Bey den
Menſchen wird hierzu eine Zeit von 30 Jahren
erfordert, und ein Fetus iſt zu der Zeit, wenn
ein Blatt ſchon ſein vollkommnes Wachsthum er-
reicht hat, noch eine Gallerte, ſo wie er bey ſei-
nem erſten Urſprunge geweſen iſt. Wenn ein
Blatt
[179]der Gefaͤße ꝛc.
Blatt ein halbes Jahr alt iſt, ſo dringen alsdann
in ihm gar keine Saͤfte mehr ein; das Blatt trock-
net zuſammen, ſtirbt, und faͤllt ab. Zu dieſem
Zuſtande kommt ein Thier niemals; der Menſch
wird im 80ſten 90ſten Jahre wohl kleiner, allein
er verliert die Kraft, Saͤfte aufzunehmen, nie-
mals ganz und gar; und, welches wohl zu bemer-
ken, eben ſo, wie es dem Blatte geht, wuͤrde es
ſich mit der ganzen Pflanze verhalten, wenn nicht
beſtaͤndig neue junge Theile wieder in ihr herfuͤr
gebracht wuͤrden; der Stamm eines Baumes be-
kommt alle Jahr neue Gefaͤße, der Baum neue
Blaͤtter, Bluͤte und Fruͤchte, und man muß ei-
gentlich ſagen, daß in einer ſo genannten peren-
nirenden Pflanze alle Jahr wiederum eine andere
Pflanze vegetirt. Am allerdeutlichſten ſieht man
dieſe Sache bey den Gefaͤßen, die, weil ſie nicht
aus andern Theilen zuſammen geſetzt ſind, uns
nicht dadurch betruͤgen koͤnnen, daß an ſtatt der
vorigen Theile, woraus das Gefaͤß beſtuͤnde, mit
der Zeit andere, und zwar mehrere derſelben, zum
Vorſchein kaͤmen. Die Gefaͤße werden alſo bey
den Pflanzen niemals ſo groß, daß ſie nur mit
bloßen Augen geſehen werden koͤnnten. Bey
den Thieren hingegen werden dieſelben zur Dicke
eines Daumes und weiter ausgedehnet.


§. 42.


Und hieraus wird ſich unſer Pro-Vollſtaͤndi-
ge Erklaͤrung,
warum die

blema aufloͤſen laſſen. Eben dieſe
Gefaͤße, die ſich nur zu eine ſo geringe
M 2Weite
[180]3. Kap. Von der Entſtehungsart
Gefaͤße der
Pflanzen
nicht rami-
ficirt ſind.
Weite ausdehnen laſſen, alsdann
aber nicht weiter nutrirt werden, und
nicht groͤßer wachſen koͤnnen, koͤnnen
eben deswegen auch nicht ramificirt
werden. Es ſey ein Blatt, worinn ſich noch kei-
ne Gefaͤße befinden; im Stiele deſſelben aber ſind
die Gefaͤße, die dem Blatte die Nahrungsſaͤfte
geben, welche ſich durch ſeine Subſtanz gleich-
maͤßig ausbreiten, in einer gewißen Anzahl.
Nunmehro ſoll das Blatt wachſen, und folglich
mehrere Saͤfte noͤthig haben; es wuͤrden alſo,
wenn die Subſtanz des Blattes und des Stieles
eine thieriſche Subſtanz waͤre, in dem Blatte neue
Gefaͤße entſtehen, deren Weite oder Oeffnung zu-
ſammen genommen, weiter waͤren, als vorhin
die Oeffnung der Gefaͤße im Stiele geweſen ſind,
weil jetzo mehr Saͤfte in die Subſtanz des Blat-
tes gefuͤhrt werden ſollen; ſie wuͤrden ferner alle
aus den alten Gefaͤßen des Stieles entſtehn; al-
lein dieſe wuͤrden deswegen nun auch um ſo viel
weiter geworden ſeyn, ſo viel das Blatt mehr Saͤf-
te haben muß. Da aber dieſe alte Gefaͤße des
Stiels nicht erweitert werden koͤnnen, und das
Blatt doch mehr Saͤfte erfordert, ſo muͤſſen noth-
wendig zwiſchen den alten Gefaͤßen des Stieles
neue Gefaͤße entſtehen, die denjenigen Theil der
Saͤfte hinzu ſetzen, der im Blatte noch erfordert
wird; und folglich werden alſo von denen Gefaͤſ-
ſen, die im Blatte formirt werden ſollen, ſo viele
aus den alten Gefaͤßen des Stieles entſtehen, als
alte Gefaͤße im Stiele vorhanden geweſen ſind,
die
[181]der Gefaͤße ꝛc.
die uͤbrigen werden aus denen eben ſo viel neu im
Stiel producirten Gefaͤßen ihren Urſprung neh-
men. Das heißt aber nur die Gefaͤße des Stiels
werden als eben ſo viel, und nicht mehrere Ge-
faͤße, durch das Blatt continuiren, nicht aber ſich
in mehrere Gefaͤße ausbreiten. Sie ſehen leicht,
wenn ich alles kurz zuſammen ziehe, ſo laͤuft die
ganze Sache hierauf zuruͤck. Wenn ein Gefaͤß
formirt, und zwar ſo formirt werden ſoll, daß es
als ein Aſt aus einem aͤlteren entſtehe: ſo muß
dis aͤltere diejenige Saͤfte geben, die im Anfange
zur Formation des neuen Gefaͤßes erfordert wer-
den, in der Folge aber fortfahren, durch eben daſ-
ſelbe durchzuziehen. Hierzu wird nothwendig er-
fordert, daß das aͤltere Gefaͤß in ſeinem Umfange
oder in der Weite ſeiner Hoͤle ſo viel zunehme,
daß es zu einer gewißen Zeit um ſo viel mehr Saͤf-
te durch ſich hindurch laſſe, als es vorhin hat
durchlaſſen koͤnnen, ſo viel das neue Gefaͤß erfor-
dert; kann dieſes aber nicht geſchehen; laͤßt ſich
das aͤltere Gefaͤß nicht erweitern, und kann es
nicht im Stande geſetzt werden, diejenige mehre-
re Saͤfte zu fuͤhren, die zur Formation des neuen
erfordert werden; ſo wird dieſes, wenn es den-
noch entſtehen ſoll, ſeine Saͤfte, wodurch es for-
mirt wird, nicht aus dem aͤlteren Gefaͤße, ſon-
dern unmittelbar aus derſelben Quelle herholen,
aus welcher das alte Gefaͤß die ſeinige ſchoͤpfet,
und auf dieſe Art wird alſo ein Gefaͤß entſte-
hen, welches nicht ein Aſt des vorigen, ſondern
ein ganz verſchiedenes, dem vorigen parallel gele-
M 2genes
[182]3. Kap. Von der Entſtehungsart
genes Gefaͤß iſt; und ſo verhaͤlt ſich die Sache in
den Pflanzen.


§. 43.


Warum die
Thiere ein Herz
haben, die
Pflanzen aber
nicht.
Definition
des Herzens.

Allein hierin liegt nunmehro auch
ferner der Grund dieſes wichtigen Un-
terſchiedes zwiſchen den Pflanzen und
den Thieren, daß dieſe ein Herz jene
aber keines haben. Sie werden die
Urſache aus dem vorigen bald einſe-
hen, wenn ich Jhnen nur erſt einen
Begriff von einem Herzen gemacht habe. Die
Figur traͤgt nichts zum Weſen des Herzens bey,
das ſehen Sie wohl; dieſe mag kegelfoͤrmig, rund,
oder walzenfoͤrmig ſeyn, wie wir wuͤrklich dieſe
verſchiedene Figuren bey verſchiedenen Thieren ſe-
hen, es kann immer ein Herz ſeyn. Die Farbe
thut noch weniger; kurz, es kommt darauf an: es
muß ein Gefaͤß ſeyn, aus welchem alle Arterien des
Koͤrpers entſpringen, und in welches alle Venen
deſſelben zuſammen fließen; es muß alſo der allge-
meine Stamm aller Gefaͤße des Koͤrpers ſeyn.
Wenn ein ſolches Gefaͤß in einem organiſchen Koͤr-
pers exiſtirt, ſo hat derſelbe ein Herz; widrigen-
falls hat er keines. Dieſes iſt aber nicht nur philoſo-
phiſch, ſondern auch phyſiſch betrachtet, wahr.
Das Herz der Jnſeckten iſt nicht wie bey vierfuͤßi-
gen Thieren und Voͤgeln kegelfoͤrmig, und mit zwo
Kammern verſehen, ſondern es iſt ein einfacher
Kanal, und ſelbſt das Herz im Embryo der Voͤ-
gel und vierfuͤßigen iſt ein bloßer einfacher ge-
kruͤmmter Kanal.


§. 44.
[183]der Gefaͤße ꝛc.

§. 44.


Nunmehro werden Sie die Ur-Erklaͤrung der
Urſache.

ſache bald einſehen, warum die Thiere
nothwendig ein Herz bekommen muͤſ-
ſen, und die Pflanzen hingegen keines bekommen
koͤnnen. Wenn in Thieren Gefaͤße formirt wer-
den ſollen, ſo muͤſſen ſie nothwendig als Aeſte an-
derer vorhergehenden Gefaͤße formirt werden; die
nemlich die zur Formation der neuen Gefaͤße noͤ-
thige Saͤfte hergeben, wie wir §. 39. geſehn ha-
ben, und anders koͤnnen ſie nicht formirt werden.
Das iſt nun ſchon genung. Setzen Sie, daß ei-
ne Anzahl von Gefaͤßen in einem Theile z. E. im
Gekroͤſe formirt wird, ſo werden dieſe alle Aeſte
eines Stammes ſeyn; allein, werden Sie ſagen,
in andern Theilen, z. E. in den Nieren entſtehen
ebenfalls dergleichen Gefaͤße, die nunmehro
wieder ihre beſondere Staͤmme haben. Das iſt
richtig; allein dieſe Staͤmme ſind wieder Gefaͤße,
ſie muͤſſen wieder formirt werden, und dieſes kann
wiederum nicht anders geſchehen, als daß ſie als
Aeſte eines vorhergehenden Gefaͤßes formirt wer-
den. Sie ſehen wohl, dieſes geht beſtaͤndig ſo fort,
und wenn wir zuletzt noch zwey Gefaͤße uͤbrig be-
halten, ſo ſind dieſe wiederum aus einem andern
als Aeſte entſtanden; Zuletzt muͤſſen wir alſo noth-
wendig auf einem einzigen Gefaͤße kommen, und
dieſes iſt alſo nach dem Begriffe im vorhergehen-
den §. ein Herz.


§. 45.


Hieran iſt alſo kein Zweifel.Fernere Er-
klärung der-
ſelben.

Aber, werden Sie ſagen, dieſes Herz,
M 4die-
[184]3. Kap. Von der Entſtehungsart
dieſes erſte Gefaͤß muß auch formirt wer-
den, und wenn die Wahrheit, daß Gefaͤße in
Thieren, wenn ſie formirt werden, nothwendig
als Aeſte anderer Gefaͤße formirt werden muͤſſen,
allgemein richtig iſt; ſo muß dieſes auch vom Her-
zen gelten. Wo werden wir alſo einmahl ein En-
de finden, und wo iſt dieſes Gefaͤß, welches aͤl-
ter iſt als das Herz, und von welchem das Herz
als ein Aſt anzuſehen iſt? Eigentlich muͤſte ich Jh-
nen hierauf antworten, darum haben Sie ſich nichts
zu bekuͤmmern; genug, daß in den Thieren ein
Gefaͤß nothwendig ein Herz werden muß, daß ein
Gefaͤß in ihnen entſtehen muß, welches den we-
ſentlichen Eigenſchaften nach ein Herz iſt. Ob
dieſes Gefaͤß nun nach Art der uͤbrigen ebenfalls
wiederum ſo formirt wird, daß es zugleich aus ei-
nem andern hergeleitet wird, oder ob es in dieſem
Stuͤcke bey ſeiner Formation etwas beſonderes hat,
oder ob es endlich auf eine ganz andere Art formirt
wird, das iſt wiederum eine andere Frage, die
von jener, warum die Thiere ein Herz haben, ver-
ſchieden iſt. Jn der That aber werden auch, um
dieſe Hiſtorie vollkommen zu verſtehn, Sachen
erfordert, die erſt in der Folge abgehandelt werden
koͤnnen. Jndeſſen will ich die Sache erklaͤren,
wie ſie ſich verhaͤlt; Sie moͤgen ſo viel davon ver-
ſtehn als Sie wollen. Das Herz entſteht alſo auf
dieſelbe Art, wie die uͤbrige Gefaͤße, es hat auch
bey ſeiner Formation in keinem Stuͤcke |etwas be-
ſonders; nur geht, nachdem die erſte Anlage zu
dieſem Gefaͤße gemacht iſt, eine Veraͤnderung mit
ihm
[185]der Gefaͤße ꝛc.
ihm vor, die mit den uͤbrigen nicht vorgeht. Das
Herz entſteht alſo ebenfalls durch das Durchdrin-
gen der Saͤfte durch eine Subſtanz, die vorhin
ſchon da war, und die bis dahin noch keine Hoͤle
gehabt hat; (dieſe Subſtanz iſt das zellenfoͤrmige
Gewebe, das in der Folge die Haut des Herzens
macht und welches ein Theil der Subſtanz des
Ruͤckgrades iſt.) Es entſteht auch ferner als ein Aſt
eines andern Gefaͤßes, und dieſes Gefaͤß gehoͤrt
zum Koͤrper der Mutter des Embryo, nicht zum
Embryo ſelbſt. Allein ſo bald nunmehro nach ge-
ſchehener Producktion des Herzens weiter mehrere
Gefaͤße producirt zu werden anfangen (die Caro-
tides, ſubclaviæ
) die als Aeſte folglich aus dem
Herzen oder deſſen Verlaͤngerung (dem Bulbo aortæ)
entſtehen; ſo geht nunmehro mit dem Herzen eine
Veraͤnderung vor; es faͤngt an, ſeine Saͤfte, die
es bishero aus dem alten Gefaͤße der Mutter ge-
nommen hatte, nunmehro aus der Subſtanz des
Eyes an ſich zu ziehen. Hieraus entſtehen die er-
ſten Staͤmme der Venen; zugleich aber loͤſet ſich
eben dadurch die Subſtanz, in welcher die Hoͤle
des Herzens formirt worden iſt, von dem Theile
der Mutter, worinſich das alte Gefaͤß, der Stamm
des Herzens, befindet, und folglich auch das Herz
von dieſem Gefaͤße ab; denn es wird zu einer ſol-
chen Abloͤſung eines Theiles von einem andern wei-
ter nichts erfordert, als daß die Saͤfte, die aus
dem einen Theil in dem andern uͤbergehen, abge-
ſchnitten und dem Theile, welcher abgeloͤſet werden
ſoll, neue Quellen von Saͤften angewieſen werden.
M 5Tau-
[186]3. Kap. Von der Entſtehungsart
Tauſend Exempel von dergleichen Abloͤſungen fin-
den bey den Pflanzen und bey den Thieren ſtatt;
die merkwuͤrdigſten habe ich in der Diſſertation
in der Anmerkung zum 228. §. angefuͤhrt und
die Wichtigkeit dieſer Veraͤnderungen in Anſehung
ihrer Folgen, die ſie haben, zugleich gezeigt. Al-
ſo anſtatt, daß das Herz bishero eine Verlaͤnge-
rung oder ein Aſt des Gefaͤßes der Mutter gewe-
ſen iſt, ſo hoͤrt es nun auf, einer zu ſeyn, und an-
ſtatt, daß es bis hieher ſeine Saͤfte aus dieſem Ge-
faͤße genommen hatte, ſo nimmt es dieſelben jetzo
aus denen Venen, die ſo, wie die Arterien auf
der einen Seite, immer zu gleicher Zeit mit ihnen
formirt werden, und wird dadurch, was ſonſt kein
Gefaͤß wird, eine einzige und unabhaͤngige Quel-
le aller Arterien, und der Zuſammenfluß aller
Venen.



4. Kap.
Von der Entſtehungsart der vor ſich
ſelbſt beſtehenden, und der aus andern
zuſammengeſetzten Theilen.


§. 46.


Was erfor-
dert wird um
die Entſte-
hungsart die-
ſer Theile zu
entdecken.

Weil die Entſtehungsart der bey-
den letztern Gattungen von
Theilen, der vor ſich ſelbſt beſtehen-
den und derjenigen, die zwar wie je-
ne aus andern zuſammengeſetzt, dabey
aber zugleich noch Theile anderer Thei-
le
[187]der vor ſich ſelbſt beſtehenden, ꝛc.
le ſind, nicht ſehr verſchieden iſt; ſo will ich in
dieſem Abſchnitt von beyden zugleich handeln.


Nachdem ich die zwo verſchiedene, zur voll-
kommnen Formation eines ſolchen Theils erfor-
derte Wuͤrkungen der Natur, (da nemlich zuerſt
der Theil ſelbſt, aber ohne einige innere organi-
ſche Strucktur hervorgebracht, und hernach erſt
in ihm die Gefaͤße formirt werden) von einander
unterſchieden, und dieſe letztere Wuͤrkung in den
beyden vorhergehenden Kapiteln ſchon erklaͤrt ha-
be; ſo wird uns die nun noch uͤbrige Hervorbrin-
gung des unorganiſchen Theils ſelbſt zu erklaͤren
wenig Schwierigkeiten verurſachen koͤnnen. Die
Kunſt beſteht nur einzig und allein darinn, daß
man die beyden ganz verſchiedene und auch zu
verſchiedenen Zeiten ausgefuͤhrte Wuͤrkungen wohl
von einander unterſcheidet, und eine jede beſon-
ders zu erklaͤren vornimmt. Es wird alsdann
nichts weiter erfordert, als daß wir uns einzig
und allein bey der Erfahrung halten, daß wir das
glauben, was wir ſehn, und es fuͤr dasjenige
halten was es iſt, nicht aber aus Vorurtheilen
etwas erdichten was nicht da iſt, und was wir
auf keine Weiſe wahrnehmen, oder durch irgend
eine Kunſt entdecken koͤnnen.


§. 47.


Der Saamen der Bohne undBeobachtung
die dazu füh-
ret.

die Saamenkapſel dieſer Pflanze ſind
ſolche Theile, die vor ſich ſelbſt be-
ſtehen, und zugleich diejenigen, wo-
bey
[188]4. Kap. Von der Eintſtehungsart
bey ſich die Entſtehungsart derſelben am deutlich-
ſten ſehen laͤſt. Jch habe mich eben dieſer Theile
ſchon in dem vorhergehenden zur Erklaͤrung der
Gefaͤße und der Blaͤschen bedient, und daher die
ganze Beobachtung ſchon eben daſelbſt beſchrie-
ben. Jch wiederhole alſo aus derſelben jetzo nur
dieſes, daß die Saamenkapſel ſowohl als der Saa-
men in ihren erſten Anfaͤngen ſich unter der Ge-
ſtalt kleiner runder Tropfen zeigen, die aus einer
halbfluͤßigen klebrichten und durchſichtigen Ma-
terie beſtehen, welche ſich wie alle klebrichte halb-
fluͤßige Materien thun, in ordentliche Faden
auseinander ziehen laſſen. Kein einziger voll-
kommner organiſcher Theil einer Pflanze hat dieſe
Eigenſchaft; man nehme welchen man wolle, ſo
wird ſich ein jeder zerbrechen oder zerdruͤcken laſ-
ſen, und wird elaſtiſch ſeyn. Dieſes Auseinan-
derziehen aber iſt die Eigenſchaft der vegetabili-
ſchen und animaliſchen Saͤfte, die noch nicht in
einen vollkommnen organiſchen Theil uͤbergegan-
gen ſind. Nun ſage ich alſo, man ſoll dieſe
aus einem etwas zaͤhen und klebrichten Safte be-
ſtehende Tropfen auch fuͤr weiter nichts als fuͤr ſol-
che Tropfen halten; ſo wird wegen der Entſte-
hungsart dieſer Theile kein Zweifel mehr uͤbrig
ſeyn.


§. 48.


Erklärung
der Entſte-
hungsart die-
ſer Theile

Es iſt bey den Pflanzen ſo wohl
als bey den Thieren etwas ſehr gemei-
nes, daß Saͤfte, die in den Gefaͤſ-
ſen, oder in den Zellen derſelben ent-
hal-
[189]der vor ſich ſelbſt beſtehenden, ꝛc.
halten geweſen ſind, nunmehro ausdurch eine Ex-
cretion.

demſelben, oder ſo gar aus dem Koͤr-
per der Pflanze oder des Thieres herausgetrieben
werden. Jch will bey den Thieren nur die Milch
und das ſemen virile und bey den Pflanzen wie-
derum den Blumenſtaub und die klebrigte Mate-
rie, mit welcher bey einigen Pflanzen die jungen
Blaͤtter in dem Auge uͤberzogen zu ſeyn pflegen,
zum Exempel anfuͤhren.


Man nennt dieſe Wuͤrkungen der Natur in
den Pflanzen und Thieren Abſonderungen, Excre-
tionen. Jch |ſage alſo, dieſer etwas zaͤhe Saft,
woraus jene kleine Tropfen, als die erſten Anfaͤn-
ge des Saamens und der Saamenkapſel, beſte-
hen, iſt ebenfalls weiter nichts, als ein ſolcher
Saft, der vorher in den Gefaͤßen der Pflanze und
in den Blaͤschen oder in der Subſtanz, (wie dieſe
uͤbrigens auch organiſirt, oder gar nicht organi-
ſirt geweſen ſeyn mag,) desjenigen Theils, an
welchem der Tropfen feſt hengt, enthalten gewe-
ſen, und hernach durch eine Art der Abſonderung
oder Excretion aus ihn herausgetrieben wor-
den iſt.


Daß er ein wahrer Saft ſey, lehrt die Er-
fahrung, und daß er in der Pflanze vorher ent-
halten geweſen, und unmittelbar aus dem Theil,
woran der Tropfen feſthaͤngt, herausgetrieben
worden ſey, daran wird niemand zweifeln. Jch
ſehe alſo nicht ein, warum es noͤthig waͤre, dieſe
Ent-
[190]4. Kap. Von der Entſtehungsart
Entſtehungsart der vor ſich ſelbſt beſtehenden
Theile noch auf eine andere Art weiter zu beweiſen.


§. 49.


Einige be-
ſondere Fälle
bey dieſer Ent-
ſtehungsart,
wovon ver-
ſchiedene Fi-
guren der for-
mirten Theile
dependiren.

Es iſt aber nicht nothwendig,
daß der ausgetriebene Saft allemahl
zuerſt in der Geſtalt eines Tropfens
erſcheine. Dieſes wird geſchehen,
wenn der Abſonderungsort ein Punkt
iſt. Er wird aber unter der Geſtalt
eines Huͤgels, oder einer halben Ku-
gel, zum Vorſchein kommen, wenn
der Abſonderungsort eine groͤßere runde Flaͤche
einnimmt, und er wird in der Geſtalt einer Linie
erſcheinen, wenn dieſer Ort ein ſcharfer Rand iſt.
Jn dem erſteren Falle wird daraus ein ſolider Ku-
gel- oder Kegelfoͤrmiger Koͤrper entſtehen; und
dieſes findet bey den Saamen und Saamenbehaͤlt-
niſſen ſtatt; in dem andern Falle pflegt ſich dieſer
Huͤgel ſtark in die Laͤnge auszudehnen, und es
entſteht ein cylindriſcher Koͤrper daraus; dieſes
findet bey den Aeſten der Wurzel ſtatt. Jn dem
3ten Falle muß nothwendig aus der Erhebung
dieſer Linie ein flacher duͤnner Koͤrper entſtehen.
Bey den Blaͤttern ſind dieſe Erſcheinungen haͤufig.


§. 50.


Was ferner
mit dem neu-
en auf dieſe
Art formirten

Wenn nun der Saft, entweder
in der Geſtalt eines kleinen Huͤgels,
oder eines Tropfens, oder eines klei-
nen Randes, aus einem Theile her-
aus-
[191]der vor ſich ſelbſt beſtehenden, ꝛc.
ausgetrieben iſt; ſo gehen alsdannTheile vor-
geht.

dreyerley Veraͤnderungen zugleich mit
ihm vor. Vors erſte da der Theil, aus welchem
der Saft herausgetrieben iſt, und zwar an dem-
ſelben Orte, wo er herausgetrieben iſt, und in der
Geſtalt eines Tropfens, oder Randes, oder Huͤ-
gels anhaͤngt, nach ſo wohl, wie vor, fortfahren
wird, eben dergleichen Saft noch beſtaͤndig aus-
zutreiben; ſo wird durch dieſen neu hinzukommen-
den und in ſie einzudringenden Saft, der Huͤgel,
der Rand, die kleine Kugel zu nehmen, ſich aus-
dehnen, und groͤßer werden. Zugleich aber wird
Zweytens der zu allererſt ausgetriebene Saft, wel-
cher nun der aͤlteſte iſt, eben durch dieſe Dauer,
oder durch die Laͤnge der Zeit, nach und nach im-
mer zaͤher, feſter und ſolider werden. Zum Drit-
ten endlich wird auch zu gleicher Zeit eben wieder
durch den neu hinzukommenden Saft, der nun
ſchon etwas feſt gewordene und in einen Cylinder
oder Kegel oder Flaͤche ausgedehnte junge Theil
nach ſeinen inneren Theilen organiſirt; indem
nemlich durch dieſen beſtaͤndig zufließenden neuen
Saft, auf die in den vorigen Kapiteln beſchrie-
bene Art, Blaͤschen oder Gefaͤße in ihm formirt
werden. Auf dieſe Art alſo wird der Theil, wel-
cher zuerſt nur ein bloßer Saft war, nachhero ein
zwar etwas feſter, aber doch noch unorganiſcher
Theil wurde, endlich in einen vollkommenen or-
ganiſchen Theil verwandelt, und welches wohl zu
merken iſt, durch die einzige Wuͤrkung, wodurch
die Gefaͤße oder die Blaͤschen formirt werden, werden
zu-
[192]4. Kap. Von der Entſtehungsart
zugleich zwo Abſichten erreicht, die erſte nemlich,
da die Gefaͤße oder die Blaͤschen ſelbſt hervorge-
bracht werden, und die zwote, da eben dadurch
zugleich der Theil, welcher vorher unorganiſch
war, organiſirt, oder in einen organiſchen Koͤrper
verwandelt wird.


§. 51.


Entſtehungs-
art der bloß
zuſammenge-
ſetzten Theile
durch eine De-
poſition.

Die Entſtehungsart der zwoten
Gattung der Theile, die nemlich aus
andern zuſammengeſetzt ſind, zugleich
aber Theile von andern Theilen ſind,
iſt von der bisher erklaͤrten in weiter
nichts unterſchieden, als daß der Saft,
anſtatt daß er bey jenen aus ſeinem Abſonderungs-
theil herausgetrieben wurde, hier vielmehr inner-
halb deſſelben an einem beſtimmten Orte niederge-
legt wird, ſich daſelbſt je mehr und mehr anſammelt,
die Subſtanz des Theils, worin er angelegt wird, von
einander treibt, und ſich auf ſolche Art innerhalb
deſſelben Platz macht; und alsdann zugleich, wie
die vor ſich beſtehende Theile, entweder Gefaͤße
oder Blaͤschen bekommt.


§. 52.


Beſondare
Formation
verſchiedener
vor ſich beſte-
henden Theile.

Dieſes iſt das allgemeine, was
bey der Formation aller vor ſich beſte-
henden und zuſammen geſetzten Theile
vorgeht. Dieſe ſind nun aber auch
bey den Pflanzen ſchon ſehr verſchie-
den. Es giebt alſo z. E. von vor ſich beſtehenden
Theilen Aeſte einer Wurzel, es giebt Blaͤtter, es
giebt
[193]der vor ſich ſelbſt beſtehenden ꝛc.
giebt Fruͤchte. Darin kommt alſo die Formation
dieſer Theile uͤberein, daß ſie alle durch die Excre-
tion, die Depoſition, und durch die Organiſation,
die in der Formation der Gefaͤße beſteht, formirt
werden; es muͤſſen aber nothwendig außer dem
bey einem jeden dieſer drey Theile noch beſondere
Umſtaͤnde ſtatt finden, wodurch ein Blatt, z. Ex.
ein Blatt, und nicht ein Aſt einer Wurzel, wird.
Etwas weniges will ich von dieſen beſondern Um-
ſtaͤnden noch anfuͤhren.


§. 53.


Mit den Wurzeln hat es keineDer Wur-
zel.

Schwierigkeit. Ein jeder Aſt einer
Wurzel entſteht durch die Excretion
aus einem Vorhergehenden. Man findet nem-
lich, wenn ein Aſt aus einem vorhergehenden ent-
ſtehen ſoll, an dieſem unter ſeiner aͤußern Haut ei-
nen kleinen Huͤgel, dieſer dehnt die aͤußere Haut
ſo lange aus, bis ſie endlich berſtet, alsdann bricht
er, indem er ſich allmaͤhlich mehr in die Laͤnge
und in die Forme eines Kegels ausdehnt, durch
die gemachte Spalte durch. Er bekommt nach
und nach ſeine Gefaͤße, und wird auf dieſe Art ein
neuer Aſt der Wurzel.


§. 54.


Zu den Blaͤttern wird mehr er-Der Blätter;
Beſchaffen-
heit eines
Blatts und

fordert, denn ſie ſind mehr aus ver-
ſchiedenen Theilen zuſammen geſetzt;
ſie beſtehen aus ihrem Stiele, aus der
NHaupt-
[194]4. Kap. Von der Entſtehungsart
einer einfa-
chen Pflanze.
Hauptrippe, die der verlaͤngerte Stiel
iſt, und aus ihren breiten Seitenthei-
len, die die Fluͤgel des Blatts pflegen genennt zu
werden, und die wiederum aus den Seitenrippen
und ihren Zwiſchenraͤumen zuſammen geſetzt ſind.
Jch muß, ehe ich die Formation der Blaͤtter erklaͤ-
ren kann, etwas von der Beſchaffenheit einer voll-
ſtaͤndigen Pflanze ſagen, was nemlich zu einer
vollſtaͤndigen Pflanze erfordert wird. Eine jede
Pflanze, die außer ihrem Hauptſtamme noch Zwei-
ge hat, die ſeitwaͤrts aus jenem herfuͤr ſchießen,
ſehe ich ſchon als eine zuſammen geſetzte Pflanze
an. Zu einer einfachen Pflanze wird weiter nichts
erfordert, als ein einfacher Stamm (caulis), der
ſeitwaͤrts bloß mit ſeinen Blaͤttern verſehen iſt,
oben aber in der Spitze ſeine Fruktifikation, und
unten endlich ſeine Wurzel hat. Alſo iſt ein jeder
Zweig einer zuſammengeſetzten Pflanze eine beſon-
dere Pflanze; denn an ſtatt der Wurzel hat er we-
nigſtens Fibern, die in dem vorhergehenden
Stamme, aus welchem er entſproſſen iſt, ſich ver-
laͤngern.


§. 55.


Warum
Blätter nicht
anders, als
mit einer zu-
gleich produ-
cirten voll-
ſtändigen
Pflanze her.

Runmehro ſage ich, ein Blatt
kann nicht anders entſtehn, als es
muß zugleich eine vollſtaͤndige einfa-
che Pflanze entſtehn. Denn ein
Blatt iſt nur eine Folge von dem er-
ſten Anfange einer einfachen Pflanze;
folglich, wenn daſſelbe entſtehen ſoll,
ſo
[195]der vor ſich ſelbſt beſtehenden ꝛc.
ſo muß nothwendig auch alsdann einfür gebracht
werden kön-
nen.

Stamm, es muͤſſen mehrere Blaͤtter,
und ſogar am Ende auch eine Frukti-
fication entſtehen. Wenn dahero im Fruͤhjahr
an den Baͤumen neue Blaͤtter ausſchlagen, ſo ge-
ſchiehet dieſes allemal auf keine andere Art, als
daß nebſt einem Blatte zugleich auch mehrere, und
nebſt dieſen auch zugleich ein Stamm, an welchen
alle Blaͤtter befeſtigt ſind, und endlich nebſt dem
Stamme auch oben in der Spitze deſſelben eine
Fruktification, folglich alſo eine vollſtaͤndige ein-
fache Pflanze herfuͤrgebracht wird. Dieſes ge-
ſchiehet nemlich allemal an denenjenigen Orten ei-
nes Zweiges, wo im vorigen Jahre die Blaͤtter
geſeſſen haben, und der im vorigen Jahre mit ſei-
nen Blaͤttern eine einfache Pflanze geweſen iſt, der
aber nunmehro dadurch, daß an ſtatt der im vori-
gen Jahre abgefallenen Blaͤtter einfache Pflanzen
herfuͤr kommen, eine zuſammengeſetzte wird. Eine
ſolche einfache Pflanze erſcheint bey ihrem Anfan-
fange unter der Geſtalt eines Auges oder Knoſpe
(gemma), die von der Pflanze ſelbſt bloß darin
noch unterſchieden iſt, daß ihr Stamm noch ſehr
kurz, gleichſam zuſammen gezogen, und folglich
die Blaͤtter auf ſolche Art in einander geſchoben
ſind, daß immer die obere von den unteren ein-
geſchloßen und umgeben werden. Sie ſehen alſo
aus dieſer Beſchaffenheit, warum niemals ein
Blatt alleine entſtehen kann; es iſt der Ef-
fekt, nemlich eine excernirte Subſtanz, von ei-
nem Stamme; dieſer Stamm aber iſt zugleich
N 2eine
[196]4. Kap. Von der Entſtehungsart
eine Urſache mehrerer Blaͤtter und einer Fruk-
tification.


§. 56.


Entſtehungs-
art des Blat-
tes.
Formation
der Haupt-
rippe, die ein
Beweis der
Epigeneſis iſt.

Nunmehro kann ich Jhnen mei-
ne Obſervationen ſagen, woraus Sie
die Art der Formation eines Blattes
verſtehn werden. An denen Orten,
wo die Blaͤtter an einem Zweige feſt
ſitzen, zwiſchen dem Stiele des Blat-
tes und dem Stamme dieſes Zweiges,
wird ein Saft excernirt, der unter der
Geſtalt eines durchſichtigen kleinen Huͤgels zum
Vorſchein kommt. Dieſer iſt der Anfang des
Stammes der neuen einfachen Pflanze, oder des
neuen Zweiges, welcher producirt werden ſoll.
Bishero iſt alſo die Formation eines ſolchen
Zweiges von der Formation eines Aſtes der
Wurzel noch nicht unterſchieden. Nunmehro
aber, an ſtatt daß dieſer Huͤgel, wie bey den Wur-
zeln, ſich erheben, und in die Figur eines cylin-
driſchen Koͤrpers ſchlechtweg ſich ausdehnen ſolte,
ſo thut er dieſes nicht, ſondern er bleibt noch klein
und kurz, und excernirt um ſeinen Gipfel herum
neue kleinere Huͤgel. Dieſe ſind die Anfaͤnge der
Blaͤtter und zwar nur erſt der Haubrippe derſel-
ben, die eine Verlaͤngerung des Stieles iſt. Die-
ſe Erſcheinung iſt ſehr ſchoͤn, ſie iſt wieder, wenn
man von Vorurtheilen, nach welchen man wohl
oͤfter die Beobachtungen aͤngſtlich zu drehen und
gleichſam zu verzerren ſucht, frey iſt, ein offenbah-
rer und ſehr einfacher und ungekuͤnſtelter Beweis
von
[197]der vor ſich ſelbſt beſtehenden ꝛc.
von der allmaͤhligen Formation der Theile, der
einem keinen Gedanken von der Evolution einmal
einfallen laͤßt. Dieſe kleine Huͤgel ſind, nachdem
ſie ſchon etwas aͤlter oder juͤnger noch ſind, mehr
oder weniger erhoben. Zu einer gewiſſen Zeit
ſind ſie bey einigen Pflanzen kegelfoͤrmig, bey an-
dern mehr abgeplattet oder zuſammen gedruͤckt.
Die vollkommen kegelfoͤrmigen ſind zur Obſerva-
tion die ſchoͤnſten; ſie ſind groß genug, daß ſie
durch ein maͤßiges Vergroͤßerungsglas vollkom-
men deutlich geſehn und auf allen Seiten betrach-
tet werden koͤnnen; man kann ſie dahero auch ſehr
gut ohne Spiegel und undurchſichtig betrachten.
Man ſieht aber alsdann mit aller angewandten
Muͤhe weiter nichts an ihm, als einen bloßen klei-
nen Kegel, der rings herum mit ſeiner glatten und
allenthalben gleichen Flaͤche, oben aber durch ſei-
nen Gipfel, terminirt iſt. Nun weis man aus
der Folge der Obſervationen gewiß, daß dieſer
Kegel noch weiter nichts, als der Embryo der
Hauptrippe des Blattes iſt, und niemals einen
Theil der Fluͤgel des Blattes vorſtellt, oder zu ei-
nem Theil dieſer Fluͤgel wird, indem dieſelben bald
darauf beſonders formirt werden, und alsdann zu-
erſt unter der Geſtalt einer Kante an dieſem Ke-
gel zu beyden Seiten zum Vorſchein kommen;
folglich ſieht man bey dieſer Erſcheinung offenbar,
daß ein Theil nach dem andern formirt wird; daß
zu der Zeit, wenn dieſe Erſcheinung ſtatt findet,
da man dieſen kleinen Kegel groß genug, deutlich
genug, und auch ohne Spiegel oder gegenſcheinen-
N 3des
[198]4. Kap. Von der Entſtehungsart
des Licht undurchſichtig betrachten kann, nur
noch die bloße Hauptrippe, aber noch keine Fluͤgel
des Blattes exiſtiren. Wenn man aber ſagen
will, dieſe Kante, als der Anfang der Fluͤgel des
Blattes, kann ungeachtet der Groͤße, worin man
den Kegel betrachten kann, ungeachtet aller Deut-
lichkeit, womit man die Flaͤche des Kegels rings
herum glatt und allenthalben gleich ſiehet, dennoch
wohl zu der Zeit, wo man ſie nicht ſieht, unſicht-
bar da ſeyn, weil man nicht ſchließen kann, daß
das, was man nicht ſieht, deswegen nicht da ſey;
ſo iſt dieſes freylich eine Sache, wobey man ge-
meiniglich viel zu denken pflegt, was man nicht
ſagt, und worauf auch derjenige, der Vergnuͤgen
am Diſputiren findet, nicht eben Luſt zu antwor-
ten hat. Jch habe indeſſen aber in der vorherge-
henden Abhandlung dieſe Ausflucht des Herrn
Bonnets deſtruiret.


§. 57.


Formation
der Flügel des
Blattes.
Entſtehung
der Seiten-
rippen.

Wenn auf dieſe Art dieſer kleine
Kegel, als der Anfang der Hauptrip-
pe, formirt iſt, ſo faͤngt er nunmehro
an auf beyden Seiten eine neue Sub-
ſtanz zu excerniren, die zuerſt unter
der Geſtalt einer ſchmalen, durchſich-
tigen, ſehr duͤnnen, und ſehr von dem dicken Kegel
unterſchiedenen Kante zum Vorſchein kommt; die-
ſe Kante iſt der Anfang der Fluͤgel des Blatts.
Sie wird allmaͤhlig immer breiter; im Anfange
iſt ſie allenthalben gleich duͤnne und durchſichtig.
Allmaͤh-
[199]der vor ſich ſelbſt beſtehenden ꝛc.
Allmaͤhlig aber bekoͤmmt ſie durchſichtigere und
undurchſichtigere Querſtreifen, die von dem Ke-
gel, (der ſich nunmehro ſchon fuͤr die Haupttrippe
erkennen laͤſt, da ihn kurz vorher noch kein Menſch
davor wuͤrde gehalten oder uͤberhaupt erkennt ha-
ben) anfangen, und nach den Rand der Kante
auslaufen. Die undurchſichtigere Streifen ſind
die Anfaͤnge der Seitenrippen, die durchſichtigen
aber ihre Zwiſchenraͤume, wodurch ſie von ein-
ander unterſchieden ſind. Sie verſtehen leicht,
dieſe Veraͤnderung in der Kante iſt durch die De-
poſition einer neuen Subſtanz innerhalb der alten
Subſtanz, woraus anfaͤnglich die Kante beſtund, zu-
wege gebracht worden. Sie koͤnnten ſich aber hier-
inn irren, wie ich mich ſelbſt im Anfange geirrt habe,
daß Sie glaubten, daß die undurchſichtige Strei-
fen, als die gewiſſe Anfaͤnge der Seitenrippen,
die neue deponirte, die durchſichtigen aber, als
die Zwiſchenraͤume, die ehemalige alte Subſtanz
der Kante ſeyen. Es verhaͤlt ſich umgekehrt; die
durchſichtige Zwiſchenraͤume ſind neu deponirt, und
die undurchſichtigere Anfaͤnge der Rippen ſind die
ehemalige alte Subſtanz der Kante. Sie koͤnnen
dieſes hieraus ſchließen. Vors erſte iſt eine juͤn-
gere und ſpaͤter deponirte, oder excernirte Subſtanz
allemahl durchſichtiger; die aͤltere hingegen un-
durchſichtiger. Ferner der juͤngere Theil iſt alle-
mahl derjenige, in welchem die Vegetation oder
die Formation neuer zuſammengeſetzter Theile fort-
faͤhrt; in dem aͤlteren hoͤrt ſie auf; da nun in den
Zwiſchenraͤumen noch neue Rippen formirt, in
N 4den
[200]4. Kap. Von der Entſtehungsart
den Seitenrippen aber keine neue Theile weiter her-
fuͤrgebracht werden, als die Gefaͤße unmittelbar
ſo gleich; ſo koͤnnen Sie ſchon hieraus ohne Ob-
ſervation wiſſen, daß die Zwiſchenraͤume der Sei-
tenrippen von dieſen, nicht dieſe von der Subſtanz
der Zwiſchenraͤume deponirt ſeyn muͤſſen. Der
folgende §. beſtaͤtiget dieſes noch mehr; ich ſuche
es aber darum ſo gewiß zu machen, weil die Ord-
nung, in welcher die verſchiedene Theile formirt
werden, und die Art, wie der eine durch den an-
dern producirt wird, eben die Sache iſt, die die
Theorie der Generation ausmacht.


§. 58.


Entſtehung
der folgenden
kleineren Rip-
pen in den
Flügeln des
Blattes.

Alſo war die Subſtanz, die an-
faͤnglich unter der Geſtalt der Kante
aus dem Kegel excernirt wurde, eben
die nemliche, die in der Folge die Sei-
tenrippen ausmachte, die durch eine
neue Subſtanz unterbrochen, und in
Querſtreifen getheilt wurde; und auf dieſe Art
entſtunden alſo die Seitenrippen, und zugleich die
Zwiſchenraͤume. Um nun deſto eher mit der For-
mation der uͤbrigen Rippen, die in dieſen Zwi-
ſchenraͤumen ferner noch producirt werden ſollen,
fertig zu werden, ſo vergleichen Sie nunmehro ei-
ne jede Seitenrippe mit dem vorigen Kegel des 56.
§. und die duͤnnere durchſichtige Zwiſchenraͤume
mit der Kante um denſelben; ſo finden Sie eine
vollkommne Analogie zwiſchen dem Kegel mit ſei-
nem Rande auf beyden Seiten, und einer Sei-
ten-
[201]der vor ſich ſelbſt beſtehenden ꝛc.
tenrippe mit ihren Zwiſchenraͤumen auf beyden
Seiten; folglich haben Sie hier wiederum die nem-
liche Umſtaͤnde, und eben ſo, wie vorhin in der
Kante die Seitenrippen formirt worden ſind, ſo
werden jetzo in den Zwiſchenraͤumen die kleinere
Rippen auch weiter herfuͤrgebracht werden. Sie
ſehen| auch nun hieraus die Folge in Anſehung der
Produktion der Zwiſchenraͤume und der Seiten-
rippen, die ich im vorigen §. verſprochen habe.
Wenn ein Zwiſchenraum der Kante, die Seiten-
rippe aber dem Kegel aͤhnlich iſt, ſo muß ſich auch
ihre Production auf eine aͤhnliche Art verhalten.
Nun iſt aber gewiß die Kante von dem Kegel, und
nicht umgekehrt der Kegel von der Kante, excer-
nirt worden; folglich wird auch die durchſichtige
Subſtanz der Zwiſchenraͤume von der undurchſich-
tigeren, die die Seitenrippen ausmacht, und nicht
umgekehrt, deponirt worden ſeyn.


§. 59.


Sie ſehen zugleich in dieſer For-Die zwote Art
der Organiſa-
tion eines
Theiles.

mation der Rippen in den Fluͤgeln des
Blattes die zwote Art der Organiſa-
tion eines Theiles. Jch habe im 28.
§. ein allgemeines Geſetz von der Formation der
organiſchen Koͤrper uͤberhaupt gemacht, welches
darin beſteht, daß alle dergleichen Koͤrper, oder
ihre Theile, zuerſt unorganiſch producirt, und als-
dann durch eine beſondere, von der Producktion
unterſchiedene Wuͤrkung der Natur organiſirt wer-
den. Die Art der Organiſation, welche ich dabey
N 5an-
[202]4. Kap. Von der Entſtehungsart
anfuͤhrte, war die Formation der Gefaͤße und Blaͤs-
chen; hier haben Sie alſo wiederum eine andere
Art derſelben, die durch die Producktion zuſam-
mengeſetzter Theile zuwege gebracht wird; denn
in dieſen Rippen werden hernach weiter Gefaͤße,
in den lezten Zwiſchenraͤumen aber Blaͤschen for-
mirt. Uebrigens gilt von dieſer Organiſation alles
dasjenige, was in dem angefuͤhrten §. von jener
iſt geſagt worden. Da es aber aus den einfachen,
den zuſammengeſetzten und vor ſich beſtehenden
Theilen keine andere in organiſchen Koͤrpern mehr
gibt, und geben kann; die vor ſich beſtehende aber
nicht Theile anderer Theile ſind; und folglich auch
andere Theile eigentlich durch ihr Daſeyn nicht or-
ganiſiren koͤnnen; ſo ſehen Sie zugleich hieraus,
daß es, eigentlich zu reden, außer dieſen zwo Ar-
ten keine andere Art der Organiſation mehr geben
kann.


§. 60.


Erinnerung.

Jch habe mich mit Fleiß etwas
weitlaͤuftig in die Formation der Blaͤt-
ter eingelaſſen, weil dieſelbe ein Exempel von der
Formation der vor ſich beſtehenden und zuſammen-
geſetzten Theile iſt, woraus man ſich einen Begriff
von der ganzen Entſtehungsart der organiſchen
Koͤrper machen kann, und wodurch ſich vieles in
der Folge ſehr ſchoͤn wird erlaͤutern laſſen; Jnſon-
derheit da alles, was ich davon geſagt habe, un-
mittelbare Beobachtungen ſind. Die uͤbrige Thei-
le der Pflanze kann ich nicht durchgehen. Wenn
Sie
[203]der vor ſich ſelbſt beſtehenden ꝛc.
Sie ihre verſchiedene Entſtehungsarten wiſſen wol-
len, ſo muß ich Sie auf meine Diſſertation ver-
weiſen, wo Sie alle Theile der Frucktification, und
wornach Sie ſonſt weiter fragen koͤnnen, erklaͤrt
finden werden.



5. Kap.
Von der Entſtehungsart der vor ſich
beſtehenden, und aus andern zuſammen-
geſetzten Theilen in den Thieren.


§. 61.


Die vor ſich beſtehende Theile inWie man
hierbey zu
verfahren hat.

den Thieren werden wieder auf
eben dieſelbe Art, wie die in den Pflan-
zen hervorgebracht. Es wuͤrde nicht die beſte
Methode ſeyn, wenn ich in Anſehung dieſer Thei-
le zwiſchen den Thieren und den Pflanzen eine
Analogie zum Voraus ſetzte, und aus dieſer Ana-
logie auf die Aehnlichkeit der Entſtehungsart die-
ſer Theile in beyden ſchloͤße. Zum wenigſten
glaube ich, daß Sie bey dieſer Methode, da ich
nichts zum Voraus ſetze, ſondern vielmehr dieſe
Theile in den Pflanzen ſo wohl, als in den Thie-
ren beſonders unterſuche; aus dieſen Unterſuchun-
gen finde, daß ſie auf eine aͤhnliche Art entſtehen,
und alsdann umgekehrt aus dieſer aͤhnlichen Ent-
ſtehungsart dieſer Theile in den Thieren und Pflan-
zen
[204]5. Kap. Von der Entſtehungsart
zen auf die Analogie ſchließe, welche zwiſchen den-
ſelben in Anſehung der Produktion dieſer Theile ſtatt
findet, daß Sie, ſage ich, bey dieſer Methode ſiche-
rer ſeyn werden. Jch bin bishero auf dieſe Art ver-
fahren, und ich werde mich auch ins kuͤnftige der-
ſelben bedienen.


§. 62.


Worin die
Entſtehungs-
art dieſer Thei-
le bey den Thie-
ren verſchieden
iſt.

Dieſes einzige beſondere aber iſt
bey der Entſtehungsart der vor ſich
beſtehenden Theile in den Thieren
noch zu bemerken. Der Saft, aus
welchem ein neuer Theil formirt wer-
den ſoll, wenn er aus einem vorher-
gehenden Theile ausgetrieben iſt, pflegt an dem
Thiere einen weit groͤßeren Raum einzunehmen,
als dieſer neue Theil einnimmt, wenn er erwach-
ſen iſt. Er zieht ſich nemlich, nachdem er aus-
getrieben iſt, allmaͤhlich von denenjenigen Orten,
bis wohin der neue Theil ſich nicht erſtrecken ſoll,
wieder zuruͤck, und haͤuft ſich bloß an denjenigen
Orten an, wo der neue Theil entſtehen ſoll.


§. 63.


Beobachtung
wodurch die
angegebene
Entſtehungs-
art bewieſen
und erläutert
wird.
Exempel der

Die allererſten Theile eines
Huhns, welche man in ausgebruͤte-
ten Eyern wahrnimmt, ſind die Anfaͤn-
ge des Kopfs und des Ruͤckgrads, die
ohne allen Zweifel eigentlich weiter
nichts als die Anfaͤnge des Gehirns
und des Ruͤckmarks ſeyn werden.
Die
[205]der vor ſich beſtehenden, ꝛc.
Die naͤchſt nach ihnen folgende TheileFlügel und
Füße.

ſind die Fluͤgel und die Fuͤße, und
dieſe entſtehen auf folgende Art. Es erſcheint
nemlich zu beyden Seiten des Ruͤckgrads von
dem Kopf an bis an dem unterſten Ende deſſelben,
eine ſehr ſubtile, durchſichtige, halbfluͤßige, aus
kleinen Kuͤgelchen beſtehende Subſtanz, die in der
Geſtalt einer breiten Kante den ganzen Ruͤckgrad
umgiebt, und in welcher dieſer erſte Anfang des
Thieres, der Ruͤckgrad, gleichſam zu ſchwimmen
ſcheint. Nach und nach aber zieht ſich dieſe
Subſtanz aus der Mitte zu beyden Seiten des
Ruͤckgrades allmaͤhlich weg, bis ſie an dieſen Or-
ten endlich gar verſchwindet. Oberwaͤrts aber
und unterwaͤrts, wo die Fluͤgel und die Fuͤße ent-
ſtehen ſollen, bleibt dieſelbe nicht nur ſtehn, ſon-
dern ſie wird daſelbſt zugleich auch ſolider, feſter,
und undurchſichtiger. Sie erſcheint alsdann an
dieſen Orten unter der Geſtalt von Huͤgeln, die
hernach mit der Zeit hoͤher werden, ſich mehr in
die Laͤnge ausdehnen und endlich in Fluͤgeln und
in Fuͤßen uͤbergehen *)


§. 64.
[206]5. Kap. Von der Entſtehungsart

§. 64.


Analogie
dieſer Entſte-
hungsart der
Flügel und
Füße.

Jch kann mir keine zwo Erſchei-
nungen denken, die ſich einander aͤhn-
licher waͤren, als dieſe, welche die
Formation der Fluͤgel und Fuͤße bey
dem Vogel gibt, und jene im 57. §.
beſchriebene von der Formation der Seitentheile,
oder der Fluͤgel, wie man ſie zu nennen pflegt,
in den Blaͤttern. Es iſt keine chimaͤriſche Ana-
logie, ſondern es iſt gewis, die Thiere haben mit
den Blaͤttern der Pflanzen in Anſehung ihrer For-
mation die mehreſte Aehnlichkeit. Der Ruͤckgrad
iſt hier das, was bey der Formation des Blattes
der kleine Kegel oder die Hauptrippe war. Die
Kante iſt hier wiederum eben das, was dort die
Kante war. Die Ordnung in der Producktion,
und die Art derſelben, iſt voͤllig einerley; nemlich
der Ruͤckgrad und jene Hauptrippe des Blattes
werden zuerſt allein excernirt, und alsdann ge-
ſchiehet die Excretion der Kante aus dem Ruͤck-
grade und aus der Hauptrippe ſeitwaͤrts. Es iſt
wahr, die Kante des Ruͤckgrads zieht ſich in der
Folge aus der Mitte deſſelben weg und haͤuft ſich
hingegen nur oben und unten zu beyden Seiten
an, und dieſes geſchiehet bey der Kante des Blat-
tes nicht; allein nehmen Sie nur an ſtatt des
Huhnes die Fledermaus, ſo haben Sie nun auch
alles bis zum Erſtaunen aͤhnlich. Sehen Sie
nur indeſſen, bis Sie eine Fledermaus, um ſie
genauer zu betrachten, bekommen, die verſchiede-
ne Figuren davon im Jonſton noch, ſo werden
Sie
[207]der vor ſich beſtehenden, ꝛc.
Sie nicht nur finden, daß die Haut, welche die
Fluͤgel ausmacht, in eines um den ganzen Leib
und auch ſo gar um den Schwanz mit herum geht,
und folglich ſich nicht in der Mitte weggezogen
hat, ſo wenig wie bey dem Blatte, ſondern daß
auch ſo gar in dieſen Fluͤgeln der Fledermaus, ſo
wie in den Fluͤgeln der Blaͤtter, ſich wahre Sei-
tenrippen, und kleinere, die aus dieſen entſtehen,
befinden. Dasjenige nemlich, was bey andern
Thieren Knochen und Muskeln in den Armen oder
Forderfuͤßen genennt wird, das macht hier wah-
re Seitenrippen, wie in den Blaͤttern, und eben
diejenige Theile, die in andern Thieren unter der
Geſtalt der Finger oder Zaͤhen zum Vorſchein
kommen, und dieſen Nahmen fuͤhren, ſind hier
kleinere Rippen, die ſo, wie bey den Blaͤttern,
nicht am Ende, ſondern ſeitwaͤrts aus den Sei-
tenrippen entſtehen; endlich, was bey andern
Thieren Haut und zellenfoͤrmiges Gewebe ſchlecht-
weg iſt, das macht hier die Zwiſchenraͤume der
Seitenrippen. Kurz die Fledermaus iſt ein voll-
kommnes Blatt! das haͤtten Sie ihr wohl nicht
angeſehn. Allein, wie ich geſagt habe, die Aehn-
lichkeit iſt nicht chimaͤriſch, denn die Entſtehungs-
art der beyden Dinge iſt einerley.


§. 65.


Mit den Jnſecktenfluͤgeln, dieAnwendung
und Nutzen
derſelben.

auch ihre Rippen haben, will ich Sie
ſelbſt ſpielen laſſen. Mir iſt es nur
darum zu thun, nicht einen Ueber-
gang, ſondern eine unmittelbare Aehnlichkeit zwi-
ſchen
[208]5. Kap. Von der Entſtehungsart
ſchen Pflanzen-Blaͤttern und vierfuͤßigen Thieren
ſelbſt zu finden. Jch hatte die erſte Anlage zu
den vier Fuͤßen in der Geſtalt einer Kante um den
Ruͤckgrad geſehn; die der Kante der Blaͤtter aͤhnlich
war. Dieſes kam mir ſo ungewoͤhnlich und wun-
derbar vor, daß ich kaum glauben wollte daß dieſe
Kante der wuͤrkliche Anfang zu den vier Fuͤßen oder
Fluͤgeln und Fuͤßen ſeyn konnte; ich habe daher
im 228. §. Schol. mit vieler Muͤhe in dem Serrato
antico majori
nnd im Latiſſimo dorſi einigen Ue-
berreſt von dem Theil der Kante geſucht, der ſich
ehedem inder Mitte des Ruͤckgrads befunden hat-
te, um eine Sache, die| ich geſehen hatte, mir
ſelber glaublicher zu machen. Wenn aber bey
einigen Thieren dieſe Theile, die vier Fuͤße, ſo
beſchaffen ſind, daß ſie zu ihrer erſten Anlage
nothwendig eine Kante erfordern, daß ſie ſelbſt
beym Erwachſenen nicht ſehr von einer ſolchen
Kante, oder von den Fluͤgeln eines Blattes ver-
ſchieden ſind; ſo verliert die Sache dadurch viel
von dem Wunderbaren; das war meine Abſicht.
Nunmehro ſetze ich noch dieſes hinzu; Es gibt
Pflanzen, deren Blaͤtter ſehr tief bis auf die Haupt-
rippe eingeſchnitten, (z. E. Folia pinnata) ſind;
bey dieſen finden eigentlich keine Fluͤgel ſtatt, ſon-
dern nur bloße Seitenrippen, die von einander
frey und abgeſondert ſind. Dieſe Blaͤtter nun for-
miren bey ihrer Entſtehung, wie man ſchon leicht
vermuthen kann, keine Kante um den kleinen Ke-
gel, ſondern dieſer excernirt ſeitwaͤrts einen Saft,
der zuerſt unter der Geſtalt kleiner Hugel zum Vor-
ſchein
[209]der vor ſich beſtehenden, ꝛc.
ſchein kommt, alsdann aber ebenfalls die Figur
kleiner Kegel annimmt, woraus alſo freye Seiten-
rippen werden wie ich dieſes uͤberhaupt auch bey
allen Pflanzen, die zuſammengeſetzte Blaͤtter ha-
ben, beobachtet habe. Nun ſind aber die Fluͤgel
der Voͤgel, bey denen ich alle meine Verſuche an-
geſtellt habe, allerdings breiter, und erſtrecken ſich
weiter nach unten zu, laͤngſt den Ruͤckgrad herun-
ter, als die Fuͤſſe der vierfuͤßigen Thiere. Soll-
ten alſo nicht die Voͤgel mit einfachen uneinge-
ſchnittenen Blaͤttern, die vierfuͤßige Thiere aber
mit zuſammengeſetzten oder eingeſchnittenen zu ver-
gleichen ſeyn, und folglich auch mit dieſen einer-
ley Entſtehungsart haben; ſo nemlich, daß die
erſte Anfaͤnge der Vorder- und Hinterfuͤße, oder
der Arme und Fuͤſſe, niemahls wie bey den Voͤ-
geln eine ganze Kante, ſondern gleich anfaͤnglich
ſchon kleine Huͤgel geweſen ſind? Wahrſcheinlich
iſt es, aber behaupten kann ich es nicht, weil ich
die erſten Anfaͤnge bey vierfuͤßigen Thieren nie-
mahls geſehn habe.


§. 66.


Mit den Nieren verhaͤlt es ſichExempel
der Nieren.

eben ſo. Die ſubtile aus Kuͤgelchen
beſtehende Subſtanz, unter deren Ge-
ſtalt ſie zu allererſt zum Vorſchein kommen, nimt
im Anfange die ganze Hoͤhle des Unterleibes ein.
Nachhero theilt ſie ſich zuerſt in die Mitte der
Laͤnge nach von einander, ſo daß gleichſam zween
Klumpen daraus werden; dieſe ziehen ſich mit
Oder
[210]5. Kap. Von der Entſtehungsart
der Zeit mehr und mehr zuſammen, bis ſie end-
lich die Figur der Nieren erhalten. Wie alſo
die Fuͤße und Fluͤgel im Anfange als ein einziger
zuſammenhangender Theil entſtanden waren, nach
und nach aber ſich in vier verſchiedene Theile von
einander theilen; eben ſo ſind auch die Nieren
als eine einzige Subſtanz abgeſondert, oder aus
ihrem vorhergehenden Theile heraus getrieben
worden, die ſich aber hernach in 2 Theile von ein-
ander theilt. Jch glaube nicht noͤthig zu haben,
noch etwas zum Beweiſe dieſer Entſtehungsart der
vor ſich beſtehenden Theile hinzu zu ſetzen. Es
iſt klar, daß es ſich hier eben ſo, wie bey den
Pflanzen, verhalte.


§. 67.


Kurze Vor-
ſtellung der
ganzen Ent-
ſtehungsart
eines organi-
ſchen Körpers.

Aus dieſem allen werden Sie ſich
nunmehro leichtlich ſelber einen voll-
ſtaͤndigen allgemeinen Begriff von der
ganzen Formation eines organiſchen
Koͤrpers machen koͤnnen. Die ver-
ſchiedene Theile entſtehen nemlich alle
einer nach dem andern, ſie entſtehen alle ſo, daß
immer einer von dem andern entweder excernirt,
oder deponirt wird, nachdem er entweder ein
freyer vor ſich beſtehender Theil iſt, und nur an
demjenigen, dem er ſeine Production zu verdan-
ken hat, anhengt, und befeſtiget iſt, oder aber in-
nerhalb demſelben eingeſchloſſen liegt; wie ſolches
§. 48. 51. ſeq. von den Pflanzen, §. 62. ꝛc. von den
Thieren gezeigt worden iſt, ſo daß alſo ein jeder
Theil allemal, erſtlich ein Effekt eines andern vor-
her-
[211]der vor ſich beſtehenden, ꝛc.
hergehenden Theiles iſt, und alsdann wiederum
die Urſache anderer folgenden Theile wird. Ein
jeder Theil iſt im Anfange, wenn er excernirt oder
deponirt wird, unorganiſch, und er wird erſt or-
ganiſirt, wenn er ſchon wieder andere Theile ex-
cernirt hat, und dieſe Organiſation eines Theils
geſchiehet entweder durch Gefaͤße und Blaͤschen,
die in ihm formirt werden (§. 28.), oder durch
zuſammengeſetzte Theile, die innerhalb ſeiner Sub-
ſtanz deponirt werden. (§. 159.) Jene Excretion
des einen Theils durch den andern, die ich, um ein
einfaches Wort zu haben, Vegetation genennt
habe, geht auf ſolche Art eine Zeitlang fort, end-
lich aber hoͤrt ſie auf, und diejenige Theile, welche
alsdann zuletzt excernirt worden ſind, bleiben die
letzten, und excerniren keine andere weiter. Der-
gleichen letzte Theile ſind alſo bey den Thieren die
Finger zum Exempel, oder die Zaͤhen; bey den
Pflanzen die kleine Zwiſchenraͤume der letzten und
kleinſten Rippen in den Blaͤttern, wenn dieſe voͤl-
lig erwachſen ſind.


§. 68.


Alſo findet nun, wie die VerſucheOrdnung,
in welcher die
Theile bey den
Thieren auf
einander fol-
gen. Forma-
tion des
Rückgrades.

lehren, bey dieſer nach und nach ge-
ſchehenen Formation der Theile in den
Thieren folgende Ordnung, in Anſe-
hung der Zeit, ſtatt. Der erſte Theil,
der excernirt wird, und der alſo gleich-
ſam der Stamm aller uͤbrigen iſt, iſt
der Anfang zum Ruͤckgrade und dem Kopfe; er iſt
O 2noch
[212]5. Kap. Von der Entſtehungsart
noch voͤllig unorganiſch; weder im Kopfe, der ſich
nur durch ſeine abgeſtumpfte Rundung und durch
ſeine Dicke vom Ruͤckgrad unterſcheidet, noch in
dieſem ſelbſt, findet man die geringſte Spur von
organiſchen Theilen, Gefaͤßen entweder, oder an-
dern zuſammengeſetzten deponirten Theilen; ſon-
dern beyde beſtehen durchgaͤngig aus einer Sub-
ſtanz, die aus leicht zuſammenhengenden kleinen
Kuͤgelchen zuſammengeſetzt iſt, und die ich, aus
gewiſſem Grunde, ein zartes zellenfoͤrmiges Ge-
webe mit Recht zu nennen glaube.


§. 69.


Der Flügel
und Füße.

Dieſe erſte Grundlage des Thie-
res excernirt alsdann auf beyden Sei-
ten die Subſtanz zu den Fluͤgeln und
Fuͤßen, die unter der Geſtalt einer Kante zum
Vorſchein kommt, zu gleicher Zeit aber wird ſie
ſelbſt organiſch durch zuſammengeſetzte deponirte
Theile, die in ihr formirt werden; man ſieht nem-
lich zu eben der Zeit, da man die Kante producirt
ſieht, auch in dem Ruͤckgrade ſelbſt die Zuͤge von
Wirbelknochen; wahre Knochen koͤnnen dieſes frey-
lich noch nicht ſeyn, aber wohl Theile, die in der Folge
eine Knochenſubſtanz deponiren, und daher jetzo
ſchon dieſer Knochen ihre Figur haben. Dieſe
Fluͤgel und Fuͤße alſo ſind zuſammen genommen
der zweete Ausſchuß von Theilen, die von dem
erſten, dem Ruͤckgrade, excernirt werden, und die
wir alſo zuſammen den zweeten Grad der Vegeta-
tion nennen koͤnnen. Wie ſich der Ruͤckgrad in
der
[213]der vor ſich ſelbſt beſtehenden ꝛc.
der Folge weiter verhaͤlt, wollen wir hernach ſehn;
vorjetzo aber wollen wir die Fluͤgel und Fuͤße
verfolgen.


§. 70.


Dieſe, wenn ſie ſich in Huͤgel anDer Zähen.
ihren Orten zuſammen gezogen haben,
bleiben alsdann lange unveraͤndert, nur daß ſie in
ihrer Groͤße zunehmen, und ihre aͤußerliche Figur
ein wenig aͤndern. Jch habe dieſe Fluͤgel und
Fuͤße in Embryonen, die ſchon Eingeweide im
Unterleibe hatten, noch immer an ihren Enden ab-
gerundet, mit einem ſtumpfen runden Rande ter-
minirt und ohne den geringſten Anſatz zu den Zaͤ-
hen gefunden. Endlich aber muͤſſen nothwendig
an dieſem abgeſtumpften Ende der Fuͤße aus die-
ſen die Zaͤhen excernirt werden. Jch habe den
erſten Anfang der Zaͤhen niemals beobachtet;
ich will aber ihre Formation einmal analogiſch
muthmaſſen, und ich bin verſichert, man wird
es bey angeſtellten Verſuchen, die hierbey leicht
ſind, nicht anders befinden. Die Zaͤhen muͤſſen
alſo wiederum bey einem Vogel, der geſpaltene
Klauen hat, oder bey einem vierfuͤßigen Thiere
von dieſer Art, ſo wie die Seitenrippen an den
eingeſchnittenen Blaͤttern der Pflanzen, im An-
fange unter der Geſtalt kleiner Huͤgel zum Vor-
ſchein kommen, die ſich allmaͤhlig verlaͤngern, bey
den Waſſervoͤgeln aber, wie bey Enten, wird ſich
an dem abgeſtumpften Ende des Fußes, ſo wie
bey den einfachen Blaͤttern, ein duͤnner durchſich-
tiger Rand, oder eine Kante excerniren; in dieſer
O 3werden
[214]5. Kap. Von der Entſtehungsart
werden allmaͤhlich hellere Streifen entſtehen, die
die Zwiſchenraͤume zwiſchen den Zaͤhren oder die
ausgeſpannte Haut ſind. Bey den Fledermaͤu-
ſen wird nach geſchehener Excretion der Fluͤgel gar
keine Excretion weiter ſtatt finden, ſondern es
wird durch die Wirkung einer Depoſition in der
erſten Kante, um den Ruͤckgrad, ſo gleich ſchon
alles dasjenige vergehen, was von den Zaͤhen der
Enten geſagt worden iſt. Es kann nicht fehlen,
die Sache muß ſich ſo verhalten, indeſſen iſt es
doch nur eine Muthmaſſung, weil ich ſie nicht ge-
ſehn habe. Dieſe Zaͤhen nun aber, denn produ-
cirt werden ſie gewiß, ſind nunmehro der zweyte
Grad der Vegetation, oder der zweyte Ausſchuß
von Theilen, und auch der letzte auf dieſer Seite,
denn ſie excerniren nun weiter keine andere Theile.
So wie der Rruͤckgrad alſo vorhin auf jeder Seite
zween Theile excernirt hatte, ſo excernirt nunmeh-
ro ein jeder von dieſen Theilen, wenigſtens bey
vierfuͤßigen Thieren mit Zaͤhen, wiederum vier
dergleichen Theile, und alsdann hoͤrt die Vegeta-
tion auf Seiten des Ruͤckgrads auf.


§. 71.


Weiteres Ver-
halten des
Rückgrades.

Nachdem der Ruͤckgrad auf bey-
den Seiten die Fluͤgel und Fuͤſſe excer-
nirt hat, ſo ruhet er eine Zeitlang.
Alsdann aber, wenn dieſe Theile ſchon in Huͤgel
nach oben und unten ſich zuſammengezogen haben,
alsdann unternimmt er eine neue Excretion. Nem-
lich an ſeiner vordern Flaͤche, auf welche er ruhet,
faͤngt
[215]der vor ſich beſtehenden ꝛc.
faͤngt nunmehro an eine Subſtanz, die der vori-
gen Seitenkante in allem aͤhnlich iſt, ſich zu excer-
niren; ſie beſteht aus Kuͤgelchen, wie die vorige,
ſie nimmt die ganze vordere Flaͤche des Ruͤckgra-
des ein, und ich halte ſie wiederum fuͤr ein zartes
zellenfoͤrmiges Gewebe. Hiervon dependirt eine
beſondere Erſcheinung. Nemlich der Embryo ver-
aͤndert zu dieſer Zeit oder kurz nachhero ſeine Lage,
er drehet ſich um; da er bishero auf ſeine Vorder-
flaͤche gelegen hat, ſo wirft er ſich auf die eine
Seite, und dieſes geht ſo zu; die zellenfoͤrmige
Subſtanz welche vorwaͤrts excernirt wird, zieht den
Embryo nach forne zu zuſammen, und zwar all-
maͤhlig um ſo viel mehr, je ſolider die Subſtanz
wird; daher ſehen Sie in der eilften Figur meiner
Diſſertation, die ich ohne beſondere Abſicht ſo ge-
zeichnet habe, wie ich ſie geſehn habe, und wo der
Embryo noch ſo, wie in der fuͤnften Figur, auf
ſeine Vorderflaͤche liegt, den Schwanz und den
obern Theil des Ruͤckgrades ſchon etwas gekruͤmmt,
da im Gegentheil der juͤngere in der fuͤnften Figur
noch ſchnurgerade ausgeſtreckt liegt. Jn der Fol-
ge iſt es bekannt, daß ſich der Embryo endlich ſo
weit zuſammen zieht, daß er mit ſeinem dicken Ko-
pfe beynahe den Schwanz erreicht, und auch in
meiner dreyzehenden Figur, wo der Embryo ſchon
auf der Seite liegt, ſehen Sie ſchon eine ſehr merk-
liche Kruͤmmung des Ruͤckgrades, und beſonders
des Schwanzes, mit einem Theil der zellenfoͤrmi-
gen Subſtanz, wodurch er zuſammengezogen iſt,
und aus der die Nieren werden. Ganz |zuletzt
O 4wird
[216]5. Kap. Von der Entſtehungsart
wird er wieder etwas gerader. Meine vierzehende
Figur iſt von der Gattung. Wenn er ſich alſo
auf dieſe Art mit dem Kopf und den gekruͤmmten
Schwanz gegen den Boden ſtemmt, und mit dem
Ruͤcken einen Bogen macht, ſo muß dieſer Em-
bryo nothwendig auf die Seite fallen. Das geht
alſo ſehr mechaniſch zu. Dieſes Welzen des Em-
bryo iſt mit allen dem artig. Der allererſte, wie
ich ihn geſehn, und in der vierten Figur vorgeſtellt ha-
be, lag nicht, wie beym Malpighius, auf die Vor-
derflaͤche, ſondern auf der Seite, und alsdann erſt,
wenn er anfaͤngt ſeine Seitenkante zu bekommen,
legt er ſich auf die Vorderflaͤche. Sie ſehen ſchon,
alle dieſe Wendungen ſind eben ſo viel Effeckte
der verſchiedenen Excretionen, die nach und nach
vorgehen. Jn der erſten Lage wird der Ruͤckgrad
excernirt; denn dieſer Embryo liegt noch nicht,
wie bald nachher, in der Mitte des Amnii frey,
ſondern er hengt noch mit ſeiner Hinterflaͤche an
der Membran deſſelben feſt. So wuͤrde er liegen
bleiben, wenn er gleich nicht befeſtiget waͤre; al-
lein nachhero excernirt er auf beyden Seiten die
Kante zu den Fluͤgeln und Fuͤſſen, er wird alſo da-
durch breit und platt, und faͤllt deswegen auf die
Vorderflaͤche; endlich excernirt ſich zum dritten-
mahl die Subſtanz auf der Vorderflaͤche; der Em-
bryo wird dadurch gekruͤmmt, und faͤllt wieder auf
die Seite. Dieſe Subſtanz nun alſo iſt der erſte
Anfang, zu den Eingeweyden des Unterleibes, und
zum Unterleibe ſelbſt. Sie iſt alſo ein zweeter Aus-
ſchuß von Theilen, oder eine zwote Excretion,
die
[217]der vor ſich beſtehenden ꝛc.
die der Ruͤckgrad macht, und die er zwar nun nach
forne zu macht.


§. 72.


Unter allen Eingeweiden des Un-Formation
der Eingewey-
de des Unter-
leibes.

terleibes habe ich die Nieren am ge-
naueſten und bis zu ihrer Vollkom-
menheit unterſucht, wie meine Figu-
ren zeigen. Es verhaͤlt ſich aber mit allen Einge-
weyden uͤberhaupt eben ſo, wie mit der Formation
der Fluͤgel und Fuͤſſe. Jm Anfange ſind ſie alle,
ſo wie die Seitenkante war, eine einzige in eines
fortgehende Subſtanz, (Subſtantia continua) die,
wie ich im vorigen §. geſagt habe, die vordere
Flaͤche des Ruͤckgrades einnimmt; allmaͤhlig aber
ſcheidet ſich dieſe Subſtanz an verſchiedenen Orten
von einander, und macht daher verſchiedene Klum-
pen von einer ſolchen Subſtanz. Dieſes habe ich
bey den Nieren nach allen Graden zugeſehn. Die
Subſtanz derſelben iſt im Anfange eines, alsdann
wird ſie in der Mitte allmaͤhlig duͤnner, in den
Seitentheilen aber dicker; endlich verſchwindet ſie
aber in der Mitte voͤllig, und wir haben nunmeh-
ro zwo Nieren. Eben ſo muß es ſich auch mit
der Leber und der Subſtanz des Unterleibes ſelbſt
verhalten ob ich gleich nicht bey ihnen alles eben
ſo genau beobachtet habe. Die Haut und das
zellenfoͤrmige Gewebe des Unterleibes (denn Mus-
keln werden noch lange nicht generirt) die Leber,
die Nieren, die Milz, alles iſt eines geweſen (der
Kanal der Gedaͤrme ſcheint eine beſondere Excre-
O 5tion
[218]5. Kap. Von der Entſtehungsart
tion zu ſeyn) und hat ſich in der Folge allmaͤhlig
von einander geſchieden. Aber dieſes voneinan-
der ſcheiden iſt eben dieſelbe Erſcheinung wieder,
die wir bey der Seitenkante das Wegziehen dieſer
Subſtanz von einem Orte und das ſtaͤrkere An-
haͤufen derſelben an einem andern Orte nennten,
und es wird alles auf die nemliche Art und
durch einerley Urſachen, die ich in der Diſſertation
im Scholio des 228. §. angegeben habe, zuwege
gebracht.


§. 73.


die wiederum
ein Beweiß
wider die Evo-
lution iſt.

Noch ein einzigesmahl erlauben
Sie mir einige Worte noch von den
Begriffen des Herrn Bonnets, von
der Evolution zu ſagen. Jch finde
hier wiederum ein Argument. Das iſt allemahl
der Charakter der Wahrheit: wo Sie hinſehen,
finden Sie Beweiſe davon; und das hingegen iſt
das Kennzeichen einer unrichtigen Hypotheſe: die
ganze Natur proteſtirt dawider. Nach den Be-
griffen der Evolution muͤſſen die organiſchen Thei-
le aus ihrem Zuſtande der Kleinheit und Unſicht-
barkeit allmaͤhlig hervorwachſen, und endlich ſich
unſern Augen darſtellen; und ſie muͤſſen zwar in
ihrem allererſten Zuſtande ſchon eben ſo organiſch
ſeyn, und eben die Figur haben, wie wir ſie bey
Erwachſenen finden, nur daß ſie ſehr klein ſind,
und undurchſichtig ſeyn ſollen. Nach dieſen Begrif-
fen alſo muͤſſen wir die Theile, ſo bald wir ſie ſehn,
ſo bald ſie nicht mehr zu klein oder zu durchſichtig
dazu
[219]der vor ſich beſtehenden ꝛc.
dazu ſind, ſo gleich auch in ihrer natuͤrlichen Lage,
Figur und Organiſation antreffen. Es muͤſten,
wenn wir zum erſtenmahle die Nieren ſehen, ein
Paar ganz kleine, kleine Nierchens, die auch, wenn
wir in allen den Begriffen des Herren Bonnets
folgen wollen, noch ſo durchſichtig wie ein Cryſtall
ſeyn muͤſten, zum Vorſchein kommen. Aber wie
wenig ſtimmt dieſes mit der Erſcheinung, die wir
beobachten, uͤberein? Eine in einem fortgehende
Subſtanz, die die ganze Vorderflaͤche des Embryo
einnimmt, iſt die gemeinſchaftliche Anlage zu allen
Eingeweyden des Unterleibes! Es iſt wahr, und
ich habe ſchon im vorhergehenden davon geſagt,
dieſe Entſtehungsart, wie ich ſie beobachtet und
vorgetragen habe, iſt ſo unerwartet, daß durch
Vermuthung kein Menſch jemahls ſich eine ſolche
Vorſtellung davon wuͤrde haben machen koͤnnen,
und ich wuͤrde ſelbſt am wenigſten darauf gefallen
ſeyn, und daher iſt es nicht zu bewundern, daß
Herr Bonnet, der ſich uͤberhaupt in dieſe Art der
Verſuche eben nicht beſonders eingelaſſen zu haben
ſcheint, ſich ſolche Begriffe von den Erſcheinun-
gen bey dieſer Sache gemacht hat, die ſo ſehr von
der Wahrheit entfernt iſt. Eben daher glaube ich
auch, iſt es gekommen, das Niemand von den
Beobachtern die allererſten Anfaͤnge der Theile ent-
deckt hat; denn wenn ſie gleich dieſe erſte Anlagen
zu denſelben geſehn haben, ſo haben ſie ſolche doch
wegen ihrer großen Unaͤhnlichkeit mit dieſen Thei-
len nach allen ihren Eigenſchaften, nicht dafuͤr er-
kennen, oder auch wohl wegen dem wenigen Be-
ſondern
[220]5. Kap. Von der Entſtehungsart
ſonderen, welches dieſe erſte Anfaͤnge haben, und
wodurch ſie in die Augen fallen koͤnnten, gar nicht
einmahl wahrnehmen koͤnnen. Es gehoͤrt nicht
nur Behutſamkeit, denn dieſe ließe ſich endlich
noch erlangen, ſondern hauptſaͤchlich Aufmerkſam-
keit zum Beobachten. Man muß nicht ſchlaͤfrig
ſeyn, wenn man etwas ſehen will.


§. 74.


Urſache des
Rückgrades.

Hieraus ſehen Sie alſo, wie bey
den Thieren allmaͤhlich die ganze For-
mation des Koͤrpers geſchiehet, wie
ein Theil nach dem andern herfuͤrgebracht wird,
wie ein Theil immer den andern excernirt oder de-
ponirt *). Eine Frage bleibt noch uͤbrig, die
Jhnen ſchon oͤfter hierbey wird eingeſallen ſeyn.
Der Ruͤckgrad war der erſte Theil und die Grund-
lage
[221]der vor ſich beſtehenden, ꝛc.
lage der uͤbrigen; wenn aber alle fuͤr ſich beſtehen-
de Theile durch die Exeretion herfuͤrgebracht wer-
den, von welchem Theile iſt der Ruͤckgrad excer-
nirt worden? Nothwendig vom Ey! ſo wie die-
ſes vom Eyerſtock. Schon bey den Fluͤgeln und
Fuͤßen haben ſie ein Ende der Vegetation erfol-
gen ſehn; aber das war nur ein Ende der Vege-
tation in der Seitenkante, die das iſt, was die
Vegetation eines Blattes bey den Pflanzen iſt,
indeſſen fuhr der Embryo forne noch fort zu vege-
tiren. Die letzte Vegetation, die unmittelbar
aus dem Ruͤckgrade ihren Urſprung nimmt, iſt die,
wodurch der Eyerſtock producirt wird, dieſer ex-
cernirt noch das bey vierfuͤßigen Thieren ſogenann-
te corpus luteum, bey Voͤgeln das Ey, doch oh-
ne dem Amnio, und hiermit hoͤrt endlich auch die-
ſe Vegetation und mit ihr zugleich alle Vegeta-
tion des ganzen Embryo auf. Wenn nun nach
einer gewiſſen Zeit der maͤnnliche Saamen, an
die-
*)
[222]6. Cap. Von der Conception.
dieſes letzte Produckt der Vegetation, an den letz-
ten Theil des Embryo gebracht wird, ſo faͤngt
alsdann die Vegetation hier wiederum an, wo ſie
ſtehn geblieben war; das Ey excernirt das Amni-
um, und dieſes den Ruͤckgrad. Dieſe Urſache,
warum die Vegetation mit der Excretion des Eyes
voͤllig aufhoͤrt, und nicht anders als durch das
Zuthun des maͤnnlichen Saamens wieder ange-
fangen werden kann, wollen wir nun im folgen-
den Kapitel unterſuchen.



6. Kap.
Von der Conception.


§. 75.


Entwicklung
des Begriffs
der Concepti-
on, uud Zu-
ſammenhang
derſelben mit
den übrigen
Funktionen,
die zuſammen
die Genera-
tion ausma-
chen.

Jch habe mit der Enſtehungsart der-
jenigen Theile, die zu allerletzt
formirt werden, der Gefaͤße nemlich
und des zellenfoͤrmigen Gewebes den
Anfang gemacht. Dabey ſetzte ich
zum Voraus, daß der Theil, in wel-
chem die Gefaͤße, oder die Zellen,
formirt werden, ſchon exiſtirte, ob-
wohl ohne Gefaͤße, ohne Zellen, und
voͤllig unorganiſch. Alsdann habe
ich in den folgenden beyden Kapiteln die Entſte-
hungsart dieſer Theile erklaͤrt, in welchen die Ge-
faͤße formirt werden, die alſo eher als die Gefaͤße
hervorgebracht werden, und die deswegen bey der-
ſel-
[223]6. Kap. Von der Conception.
ſelben Erklaͤrung als ſchon exiſtirend angenommen
werden muſten. Hierzu wurde von dem neuen
Theile, welcher formirt werden ſollte, ſelbſt, noch
gar nichts erfordert, wie ſolches bey den Gefaͤßen
noͤthig war; allein andere Theile wenigſtens, eben
derſelben Pflanze, oder eben deſſelben Thieres, wel-
ches durch alle dieſe hervorgebrachte und noch her-
vorzubringende Theile entſtehen ſollte, wurden
dabey allerdings als ſchon exiſtirend angenom-
men, andere Theile nemlich, aus welchen der Saft,
der zur Formation des neuen Theils noͤthig war,
herausgetrieben wurde. Jetzo endlich werde ich
die Entſtehungsart derjenigen Theile erklaͤren,
welche die allererſten Theile der ganzen Pflanze,
oder des ganzen Thieres ſind, und die zu ihrer
Hervorbringung gar keine andere Theile, die vor
ſie hergehen ſollten, noͤthig haben. Dieſe aller-
erſten Theile aber einer Pflanze oder eines Thie-
res, ob ſie gleich keine andere Theile, die zu eben
der Pflanze oder Thier gehoͤrten, zu ihrer Her-
vorbringung noͤthig haben, ſo erfordern ſie den-
noch etwas, ohne welchem ſie nicht hervorgebracht
werden koͤnnen; ſie erfordern nemlich eine andere
Pflanze, oder ein anderes Thier, von eben der-
ſelben Art, als eben dasjenige iſt, welches aus
dieſen und den folgenden hervorzubringenden Thei-
len zuſammengeſezt werden ſoll.


Sie ſehen alſo, daß zu denen Theilen, wel-
che zu allerletzt formirt werden, den Gefaͤßen, nem-
lich, und den Zellen, am allermeiſten zum Vor-
aus geſetzt wird. Es muß zu ihrer Hervorbrin-
gung
[224]6. Kap. Von der Conception.
gung nicht nur eine Pflanze von eben der Art,
ſondern es muͤſſen auch Theile eben derſelben
Pflanze, ja es muß ſchon die Subſtanz eben deſ-
ſelben Theils, in welchem ſie formirt werden ſol-
len, vor ihnen vorhergehen. Zu denen Theilen,
welche naͤchſt vor ihnen entſtehen, den vor ſich
beſtehenden Theilen wird ſchon weniger erfordert;
es darf nur bloß eine andere Pflanze von eben der
Art, und andere Theile eben derſelben Pflanze,
vor ihnen vorhergehen. Zu denen allererſten
Theilen wird am wenigſten erfordert, nemlich bloß
eine andere Pflanze von eben der Art.


Diejenige Verrichtung oder Wirkung der
Natur, durch welche dieſe allererſten Theile einer
Pflanze oder eines Thieres hervorgebracht werden,
und welche in einer Pflanze oder in einem
Thiere vom 2ten Geſchlecht, und zwar nicht eher,
als nach Vereinigung beyder Geſchlechter geſchie-
het, nenne ich, in ſo fern die Vereinigung beyder
Geſchlechter, oder das Zuthun des maͤnnlichen
Saamens, nothwendig dazu erfordert wird, die
Conception. Niemand hat jemals etwas anders
unter dieſem Worte verſtanden, nur daß man die
Sache nicht diſtinkt gedacht, und deswegen auch
nicht deutlich ausgedruͤckt hat.


Wie ich hier die Verrichtung der Natur,
durch welche die allererſten Theile einer Pflanze
hervorgebracht werden, Conception nenne, ſo
habe ich in meiner Diſſertation diejenige Verrich-
tung, durch welche nach dieſem erſten Theile an-
dere
[225]6. Kap. Von der Conception.
dere mehrere vor ſich beſtehende Theile hervorge-
bracht zu werden fortfahren, Vegetation, diejenige
aber, durch welche Gefaͤße und Zellen in dieſen
Theilen formiret werden, Nutrition genennt, und
uͤber dieſe, da ich von verſchiedenen Gattungen
der vor ſich beſtehenden Theile in den Pflanzen
habe reden, und ſolche erklaͤren muͤſſen, noch ver-
ſchiedene andere dergleichen natuͤrliche Verrich-
tungen angegeben.


§. 76.


Wann Sie jene Gradation, wor-Fortſetzung
dieſer Be-
griffe.

inn immer wenlger und weniger zur
Hervorbringung der Theile erfordert
wurde, je nachdem dieſe dem erſten Anfange der
ganzen Pflanze naͤher waren, und worinn die al-
lererſten Theile am allerwenigſten, nemlich bloß
eine Pflanze von eben der Art, noͤthig hatten,
noch weiter fortgeſetzt haben wollen, ſo kann ich
ſolches wirklich thun; Sie werden nemlich in die-
ſer letzten Stuffe nunmehro eine Pflanze oder ein
Thier bekommen, welches zu ſeiner Hervorbrin-
gung kein anderes Thier, ſondern bloß eine Na-
tur, bloß eine Welt noͤthig hat. Wenn eine
Pflanze oder ein Thier, durch Huͤlfe einer andern
Pflanze oder eines andern Thieres von eben der
Art herfuͤr gebracht wird, ſo iſt dieſes diejenige
natuͤrliche Verrichtung, welche eigentlich Gene-
ration muß genennt werden; wenn ſolches aber
auf eine andere Art und durch andere Mittel von
der Natur bewerkſtelliget wird, wenn kein orga-
Pniſcher
[226]6. Kap. Von der Conception.
niſcher Koͤrper von eben der Art zur Herfuͤrbrin-
gung eines ſolchen Koͤrpers angewendet wird, ſo
nenne ich dieſes im eigentlichen Verſtande eine
Entſtehung. Es giebt noch heutiges Tages der-
gleichen Entſtehungen in der Natur. Die neuere
Naturforſcher quaͤlen ſich noch beſtaͤndig fort um
neue Beweiſe fuͤr dieſelben zu ſammlen, weil an-
dere ſo hartnaͤckig ſind, und die einmal gefaßte
Meynung, daß alle lebendige Geſchoͤpfe aus einem
Ey entſtehen ſollen, nicht wieder verlaſſen wollen.
Was aber die Erklaͤrung der Entſtehungen anbe-
trifft, ſo iſt bishero davon noch nichts gedacht
worden.


§. 77.


Erklärung
der Concep-
tion.

Allein nunmehro will ich zu dem,
was ich eigentlich in dieſem Kapitel
abhandeln ſoll, zu der Erklaͤrung der
Conception, ſelbſt uͤbergehen. Was ich bishero
geſagt habe, dient nur einen allgemeinen Begriff
von demjenigen ganzen Geſchaͤfte der Natur zu
machen, wodurch ſie organiſche Koͤrper herfuͤr-
bringt. Jch werde Sie jetzo von einigen gerin-
gen Erſcheinungen durch ganz natuͤrliche und
leichte Schluͤße bald zu wichtigere Wahrheiten,
und endlich zu unſerm Ziel, zu die Art, wie die
Conception geſchiehet, ſelbſt hinauf fuͤhren.


§. 78.


Was es mit
der Vegetation

Jch habe in dem vorhergehenden
(§. 55.) ſchon erinnert, daß kein
Blatt
[227]6. Kap. Von der Conception.
Blatt in einer Pflanze entſtehen kann,einer einfa-
chen Pflanze
für eine Be-
wandniß hat.
Sie hört nach
geſchehener
Production
der Fruktifica-
tion auf.

daß nicht zugleich mit ihm mehrere,
und zugleich ein Aſt hervorgebracht
wuͤrden, woran dieſe alle befeſtiget
ſind. Jch habe an eben dem Orte zu-
gleich ſelbſt aus der Entſtehungsart
eines Blattes gezeigt, warum dieſes
ſich nothwendig ſo verhalte.


Aus einem andern Grunde, der ſich in der
Folge bald von ſelbſten erklaͤren wird, muß ich
jetzo noch hinzu ſetzen, daß auch nicht einmal ein
Blatt entſtehen koͤnne, daß nicht, nachdem nach
und nach mehrere Blaͤtter auf ihm gefolget ſind,
die alle an einem gemeinſchaftlichen Aſt feſt ſitzen,
endlich auch ſogar eben ſo nothwendig, dafern das
Leben nicht unterbrochen wird, eine vollſtaͤndige
Fruktification oder eine Blume und eine Frucht
zugleich mit erfolgen ſollte, die ebenfalls mit zu
der beſondern einfachen Pflanze gehoͤret, welche
die Blaͤtter mit dem Aſt zuſammen genommen
vorſtellen, und wodurch nunmehro endlich die gan-
ze Vegetation, oder Hervorbringung neuer vor
ſich beſtehender Theile, zu welcher gleich bey Her-
vorbringung des erſten Blatts ſchon der Grund
gelegt war, voͤllig beſchloſſen wird, eben ſo wie
ſolches bey den Thieren nach geſchehener Pruduk-
tion des Eyes geſchiehet, (§. 74.) ſo gar, daß we-
der aus dieſer erſten Anlage, die gleich bey Her-
vorbringung des erſten Blatts beſtimmt wurde,
noch ferner neue Theile entſtehen koͤnnen, noch
auch, daß ſolches durch eine neue hinzukommende
P 2Urſache
[228]6. Kap. Von der Conception.
Urſache in eben demſelben Vegetationspunkt, wor-
aus nemlich die bisherigen Blaͤtter, der Aſt ſelbſt,
und die Frucht mit der Blume entſtanden ſind, ge-
ſchehen koͤnte. Man muß die ganze Anlage zur
Hervorbringung neuer vor ſich beſtehender Theile,
ohne welcher dergleichen ganzen Anlage kein Blatt
allein entſtehen kann, als ein ganzes Syſtem von
Veraͤnderungen anſehen, die alle ihren Grund
gleich in der erſten Veraͤnderung haben, und die
alſo nothwendig, dafern dieſe Reihe von Veraͤn-
derungen einmal angefangen iſt, alle auf einander
erfolgen; und dieſes Syſtem von Veraͤnderungen
nun alſo, ſage ich, wird durch Herfuͤrbringung der
Frucht beſchloßen, ſo daß die Frucht nemlich die
letzte Veraͤnderung iſt, welche ihren Grund in der
erſten Anlage oder auch in der vorhergehenden
Reihe der Veraͤnderungen gehabt hat.


§. 79.


Beſchaffen-
heit der Fruk-
tification, in-
ſofern daraus
die Urſache zu
erkennen iſt,
warum nach
ihrer Produk-
tion die Vege-
tation aufhö-
ret. Jhre
Theile ſind
nichts anders
als modifi-
cirte Blätter.

Um nun zu wiſſen, was dieſe Fruk-
tification, wodurch die einmal deter-
minirte
Vegetation geendiget wird,
fuͤr ein Ding ſey; ſo erinnern Sie ſich
dasjenige wieder, was ich ebenfalls
ſchon in dem Vorhergehenden von ih-
ren Theilen geſagt habe. Sie wer-
den, wenn Sie wiſſen, was ſie ſey,
daraus bald die Urſache begreifen,
warum durch ihr die Vegetation geen-
diget werden muͤſſe. Ueberdem da
durch den Grund der gleich beym An-
fange
[229]6. Kap. Von der Conception.
fange zu der ganzen Reihe von Veraͤnderungen
gelegt wurde, bishero lauter Blaͤtter, die ſich alle
einander aͤhnlich waren, herfuͤr gebracht wurden;
ſo fraͤgt ſich hier wiederum, was iſt nun die Fruk-
tification, die ſo ſehr von den bisherigen Blaͤttern
verſchieden ausſieht? Auch in dieſer Abſicht, und
aus dieſem Geſichtspunkte, muͤſſen wir die Frukti-
fication kennen lernen. Jch habe aber in dem
Vorhergehenden geſagt, ihre Theile ſeyn weiter
nichts als modificirte oder veraͤnderte Blaͤtter.
Jch will die Gruͤnde, wodurch dieſes ſehr klar
wird, kurz noch einmal anfuͤhren. Der Kelch iſt
der erſte Theil der Fruktiſication; dieſer iſt bey
der Sonnenblume weiter nichts als eine Anzahl
dicht zuſammen gehaͤufter kleinerer Blaͤtter, als
die vorhergehenden gewoͤhnlichen ſind. Bey den
Graſen beſteht er gemeiniglich aus zwey Blaͤttern,
die kuͤrzer ſind, da die vorhergehenden ungleich
laͤnger waren. Die Blumenblaͤtter ſind wieder-
um nichts anders; die Graſe beweiſen dieſes.
Dieſer ihre Blume iſt vom Kelch nicht im gering-
ſten unterſchieden; ſie iſt alſo von den vorherge-
henden gewoͤhnlichen großen Blaͤttern eben ſo, und
nicht anders verſchieden, als der Kelch von ihnen
verſchieden iſt. Sollte ihnen die Farbe der Blu-
me anſtoͤßig ſeyn, ſo ſehen Sie nur auf die Sta-
tice. Dieſe hat viel Kelche, der unterſte iſt blaß
und ohne Farbe, die folgenden fallen allmaͤhlich
immer mehr und mehr ins roͤthliche; der oberſte,
welcher nunmehro die Blume ſelbſt iſt, denn es
gibt keine andere, und ſie hat auch alle Eigen-
P 3ſchaften
[230]6. Cap. Von der Conception.
ſchaften einer Blume, iſt alſo am ſtaͤrkſten ge-
faͤrbt, uͤbrigens aber der Figur nach nicht im ge-
ringſten von den vorhergehenden Kelchen unter-
ſchieden. Werden Sie nun noch zweifeln, daß
Kelch und Blume, und folglich auch Blaͤtter,
Kelch und Blume dem Grunde nach einerley ſeyn?
Die Staubfaͤden uͤbergehe ich, weil an ihnen bey
unſerm Vorhaben nichts gelegen iſt. Die Frucht
kan man am beſten bey den leguminoſis (an den
Schoten) oder auch an den cruciformibus erken-
nen. Dieſe Saamenkapſeln verrathen ihre Na-
tur zu deutlich, wenn ſie reif ſind, und ihre Val-
veln von einander ſpringen; eine jede Valvel iſt
alsdann ein wahres Blatt, und niemand kann es
verkennen. Bey einigen Arten haben ſie ſo gar
Nerven, wie andere Blaͤtter haben. Allein ſo
lange ſie noch im Piſtill ſind, ſollte man es ihnen
nicht anſehen, daß ſie aus Blaͤttern beſtehen.
Mit dem Saamen verhaͤlt es ſich eben ſo. Er
verraͤth ſich, ſo bald er in die Erde geſteckt wird.
Denn alsdenn gehen ſeine Seitentheile in Blaͤt-
ter uͤber, allein dieſes geſchiehet nicht eher, als
bis er in die Erde geſteckt wird, wo er eine neue
Kraft bekommt, die er, ſo lange er in der alten
Pflanzen iſt, und einen Theil derſelben ausmacht,
von ihr niemals erhaͤlt. Er iſt alſo auch der-
jenige Theil der Fruktification der am allerwe-
nigſten den Blaͤttern aͤhnlich ſieht, und der alſo
am ſtaͤrkſten modificirt iſt.


§. 80.
[231]6. Kap. Von der Conception.

§. 80.


Allein dieſes iſt noch nicht hin-Sie ſind zwar
unvollkomm-
ne Blätter.

laͤnglich; wir muͤſſen die Fruktifica-
tion noch um etwas naͤher kennen.
Es ſind modificirte Blaͤtter; allein die Art dieſer
Modification! Es ſind veraͤnderte Blaͤtter; allein
auf was fuͤr eine Art ſind ſie veraͤndert? Dieſes
laͤßt ſich eben ſo leicht, und leichter noch, als das
vorige aus dem bloßen Anſehen erkennen. Die
Blaͤtter, welche den Kelch in der Sonnenblume
ausmachen, ſind kaum den achten Theil ſo breit,
als die gewoͤhnlichen Blaͤtter; und ſind dabey viel
kuͤrzer. Von dem Kelch und der Blume in
den Graſen habe ich eben dieſes ſchon erinnert;
beyder ihre Blaͤtter, woraus ſie beſtehen, ſind
kaum den 50ſten Theil ſo lang, als die gewoͤhnli-
chen Graßblaͤtter, und ſind dabey viel ſchmaͤhler.
Die Frucht, oder Saamenkapſel, wenn ſie im
Piſtill betrachtet wird, (wo ſie eigentlich betrach-
tet werden muß, denn die Kraft, wodurch ſie in
ein Pericarpium anwaͤchſt, iſt eine neu hinzukom-
mende Kraft, davon die Blaͤtter und der Kelch
niemahls etwas erfahren, und mit welcher, wenn
ſie dieſelbe bekaͤmen, ſie ſich ebenfalls viel ſtaͤrker
ausbreiten wuͤrden;) iſt kaum noch fuͤr zuſammen-
geſetzte Blaͤtter anzuſehen, und nur einzig im
Stigmate zeigen ſich noch einige Spuhren von
dieſen zuſammengeſetzten Blaͤttern; ſo klein und
ſo unvollkommen ſind hier die Blaͤtter ſchon, aus
welchen die Frucht zuſammengeſetzt iſt. Dem
Saamen endlich kann man es gar nicht mehr an-
P 4ſehen,
[232]6. Kap. Von der Conception.
ſehen, daß er aus Blaͤttern zuſammengeſetzt ſey,
und wir haben ihn daher auch nur bloß aus den
Veraͤnderungen kennen lernen, die mit ihm vor-
gehen, wenn er in die Erde geſteckt wird. Wo-
durch ſind alſo nun die Blaͤtter in der Frucktifica-
tion modificirt? Durch die Unvollkommenheit!
Die Theile der Fruktification ſind weiter nichts
als unvollkommne Blaͤtter.


§. 81.


Dieſe Unvoll-
kommenheit
der Blätter
nimmt all-
mählig zu je
weiter die Ve-
getation fort-
geſetzt wird.

Sie werden aus den bisherigen
Beſchreibungen der Theile der Fruck-
tification bemerkt haben, daß dieſe
Unvollkommenheit immer je laͤnger je
mehr zunimmt. Die Blaͤtter, wor-
aus die Blume beſteht, ſind unvoll-
kommner, als die Blaͤtter des Kelchs;
die Blaͤtter des Piſtills ſind unvollkommner, als
die Blaͤtter der Blume, und die Blaͤtter des Saa-
mens ſind die ſchlechteſten. Alles dieſes wird Jh-
nen noch verſtaͤndlicher ſeyn, wenn ich nun hin-
zuſetze daß ſelbſt die gewoͤhnliche Blaͤtter der Pflan-
ze ſchon nach und nach immer unvollkommner
werden, daß die, welche zuerſt herfuͤr gebracht wer-
den, vollkommner, und die letzten die unvollkom-
menſten ſind. Ja in der Sonnenblume und in
vielen andern geſchiehet dieſes ſo deutlich, ſo ſchoͤn,
daß Sie nicht ſagen koͤnnen, wo die gewoͤhnlichen
Blaͤtter der Pflanze aufhoͤren, und wo die, die
zum Kelch gehoͤren, anfangen.


§. 82.
[233]6. Kap. Von der Conception.

§. 82.


Schon hieraus nun, aus dieſerUnd hieraus
muß endlich
das völlige
Aufhören der-
ſelben erfol-
gen.

Eigenſchaft der Frucktification, aus
dieſem Verhaͤltniß, in welchem dieſel-
be mit den gewoͤhnlichen Blaͤttern der
Pflanze ſteht, werden Sie die Urſache
abnehmen koͤnnen, warum, nach dem
die Frucktification erſt herfuͤr gebracht iſt, alle fer-
nere Herfuͤrbringung anderer Theile nothwendig
aufhoͤren muß. Die Blaͤtter der Pflanze, und
die, woraus die Frucktification beſteht, werden je
laͤnger je unvollkommner. Die Vegetation wird
alſo allmaͤhlig immer ſchwaͤcher. Wenn dieſes
nun wuͤrklich ſo iſt, ſo muß nothwendig endlich die-
ſe Vegetation, dieſe Herfuͤrbringung neuer Theile,
gar aufhoͤren; denn ſonſt wuͤrde dieſelbe an einem
Orte anfangen muͤſſen, in gleichem Grade fortzu-
gehen. dieſes voͤllige Aufhoͤren nun alſo geſchie-
het bey dem Saamen. Hier iſt alles ſchon ſo un-
vollkommen, und die Vegetation folglich ſo ſchwach,
daß nichts unvollkommneres nach ihm erfolgen
kann.


§. 83.


Hieraus nun aber laͤſt ſich auchDie Urſache
aller dieſer
Veränderun-
gen bey der
Vegetation
iſt der Mangel
der Säfte.
Dieſe Wahr-

zugleich, und zwar ſehr leicht, die Urſa-
che ſchließen, wodurch die Vegetation
allmaͤhlich immer ſchwaͤcher wird, war-
um allmaͤhlich immer unvollkommne-
re Blaͤtter herfuͤrgebracht werden, und
warum ſie endlich gar aufhoͤrt. Wir
P 5wiſſen
[234]6 Kap. Von der Conception.
heit a priori
bewieſen.
wiſſen nemlich, daß zum Wachsthum
eine Pflanze und zur fernern Herfuͤr-
bringung neuer Theile in derſelben
weiter nichts erfordert wird, als erſtlich dieſe
Pflanze ſelbſt, in ſo fern ſie nemlich unbeſchaͤdigt,
geſund, und mit ihrer weſentlichen Kraft verſe-
hen iſt, und zweytens eine hinlaͤngliche Menge von
Nahrungsſaͤften, die in die Pflanze und alle ih-
re Theile eindringen koͤnnen. Wenn beydes da
iſt, ſo faͤngt die Pflanze an zu wachſen, und for-
mirt neue Theile. Soll alſo die Vegetation ſchwaͤ-
cher werden, oder gar aufhoͤren, ſo muß es noth-
wendig an einem von beyden fehlen; entweder muß
die Pflanze ungeſund oder beſchaͤdiget ſeyn, oder
es muß an Nahrungsſaften fehlen. Soll aber
die Pflanze an ſich geſund und unbeſchaͤdigt ſeyn,
ſo kann es folglich, wenn an einem Orte derſel-
ben die Vegetation dennoch nicht ſo wie bisher
von ſtatten gehen will, wenn ſie ſchwaͤcher wird,
an nicht anders liegen, als daran, daß die Nah-
rungsſaͤfte nicht ſo haͤufig an dieſen Ort hindrin-
gen, als ſie in die vorige Theile gedrungen ſind,
und wenn endlich die Vegetation gar aufhoͤrt, ſo
kann dieſes von nichts anders herruͤhren, als daß
gar keine Nahrungsſaͤfte weiter bis in dieſen Ort
hingetrieben werden. Nunmehro ſehen Sie auf
unſern gegenwaͤrtigen Fall. Die Pflanze iſt da;
ſie iſt auch geſund und unbeſchaͤdiget, und auch
die Theile, und die Oerter, wo die Vegetation
ſchwaͤcher wird, und wo ſie aufhoͤrt, ſind geſund
und unbeſchaͤdiget; es kann alſo dieſes Schwaͤcher-
werden
[235]6. Kap. Von der Conception.
werden und das Aufhoͤren der Vegetation von kei-
ner andern Urſache, als von Seiten der Nahrungs-
ſaͤfte, herruͤhren. Da, wo die Vegetation ſchwaͤ-
cher wird, muͤſſen die Saͤfte anfangen ſparſamer
hingetrieben zu werden, und um ſo viel ſparſamer,
je ſchwaͤcher die Vegetation wird, und je unvoll-
kommner die Theile ſind, die durch ſie producirt
werden, und da, wo die Vegetation gar aufhoͤrt,
als welches im Saamen und zwar in dem Theil
deſſelben, der von LinnaͤusRoſtellum genennt
wird, geſchiehet; da, ſage ich, muͤſſen zu der
Zeit wenigſtens, wo dieſes Roſtellum aufhoͤren
ſoll, neue Theile zu excerniren, gar keine Saͤfte
weiter in daſſelbe eindringen. Dieſer Schluß iſt
ſo richtig, daß ich eigentlich nichts weiter zum
Beweiſe dieſer Wahrheit hinzuzuſetzen noͤthig haͤt-
te; Da aber auf dieſe Wahrheit, daß das Aufhoͤ-
ren der Vegetation von dem Mangel der Nah-
rungsſaͤfte an dem Orte, wo die Vegetation ge-
ſchehen ſoll, dependire, die ganze Theorie der
Conception beruhet; da mir alſo wuͤrklich an die-
ſem Satze viel gelegen iſt, und da ich allerdings
auf ihn bauen will; ſo will ich ihn nach der Vor-
ſchrift des Herrn von Hallers, (pag. 136.) durch
mehrere Erfahrungen noch weiter beſtaͤrken. Die
Urſache uͤbrigens, warum je laͤnger eine einfache
Pflanze waͤchſt, je mehr ſie Ausſchuͤße |von Blaͤt-
tern bekommt, dieſelbe auch um ſo viel weniger Nah-
rungsſaͤfte bis in dieſe entferntere Theile hinauf-
treibe, habe ich in der Diſſertation §§. 96-99.
weitlaͤuftig auseinander geſetzt. Wir koͤnnen aber
dieſe
[236]6. Kap. Von der Conception.
dieſe Urſache entbehren; es iſt genug wenn wir wiſ-
ſen, daß die Sache ſelbſt ihre Richtigkeit hat.


§. 84.


Eben dieſel-
be durch ande-
re Erfahrun-
gen beſtärket.
Sie erhellet
1) Aus der
Trockenheit
felbſt die wir
in den Theilen
der Fruckrift-
cation wahr-
nehmen.

Die Theile der Fruktification
zeigen nicht nur eine Unvollkommen-
heit in ihrer Strucktur, ſondern ſie
haben auch uͤberdem noch dieſe beſon-
dere Eigenſchaft, daß ſie meiſtens
trocken, ſteif, und leicht bruͤchig ſind,
und man bemerkt dieſes ſo gar ſchon
bey den Blaͤttern, daß ſie, je unvoll-
kommner ſie werden, um deſto mehr
in der Trockenheit zu nehmen. Bey
einigen Pflanzen, inſonderheit bey
denen, deren Blaͤtter nach und nach unvollkomm-
ner werden, bis ſie endlich allmaͤhlig, nicht aber
auf einmahl, in den Kelch uͤbergehen, wie bey der
Sonnenblume, laͤſt ſich dieſes am deutlichſten
wahrnehmen. Die unterſten Blaͤtter (die Saa-
menblaͤtter ausgenommen) ſind die groͤßeſten und
vollkommenſten, aber ſie ſind auch zugleich dieje-
nigen, die den meiſten Saft haben. Je hoͤher
man kommt, deſto kleiner und unvollkommner wer-
den ſie, aber deſto weniger Saft haben ſie auch
zugleich. Die letzten, welche ſchon den Kelch
ausmachen, und die Kleinſten und Vollkommen-
ſten ſind, haben, mit den Vorigen verglichen,
uͤberaus wenig Saft; ſie beſtehen bloß aus ihren
zwo Haͤuten, zwiſchen welchen keine fleiſchigte ſaf-
tige Subſtanz, wie bey den vorigen enthalten iſt,
und
[237]6. Kap. Von der Conception.
und ſind zaͤhe wie Leder. Die Korolle, die Anthe-
ren, das Piſtill und der Saamen ſind noch trockner.


§. 85.


Man muß ſich hierbey nur nichtEin Zweifel
dabey wird ge-
hoben.

durch die Beſchaffenheit der Fruͤchte,
die bey einigen Pflanzen uͤberaus ſaf-
tig ſind, irre machen laſſen. Linnaͤus wuͤrde
mir vielleicht hieraus keinen Einwurf machen;
Leſern aber, die die Geſetze der Vegetation nicht
ſo gut kennen, muß ich die Sache einigermaſſen
wenigſtens erklaͤren. Man muß die Frucht nicht
als einen Theil der Pflanze anſehen, der mit in
die Reihe der Theile der gewoͤhnlichen Vegeta-
tion gerechnet werden kann, ſondern ſie iſt ein
Theil, der aus einem andern, nemlich aus dem
Germen durch eine befondere hinzukommende Ur-
ſache, nachdem die Vegetation ſchon vollbracht
iſt, entſteht. Jch habe dieſe Urſache in der Diſ-
ſertation (§. 134.) erklaͤrt; hier iſt es genug, wenn
wir wiſſen, daß die Frucht nicht mit in die Reihe
der Theile gerechnet werden muß, die durch dieſe
Vegetation, wovon die Rede iſt, allein producirt
werden, und daß dieſes ſich ſo verhalte, ſehen
wir daraus, weil zu der Zeit, da die uͤbrige Thei-
le der Fruktification producirt werden, der Kelch,
die Blume, das Stigma, die Antheren, noch kei-
ne Frucht, ſondern nur ein Germen an deſſen
Stelle vorhanden iſt. Was hernach dem Ger-
men widerfaͤhrt, widerfaͤhrt den uͤbrigen Theilen
nicht; daher muß nothwendig eine beſondere Urſa-
che
[238]6. Kap. Von der Conception.
che vorhanden ſeyn, wodurch das Germen in eine
Frucht verwandelt wird, die in den Urſachen der
Vegetation noch nicht enthalten iſt; denn ſonſt
muͤſten eben dieſe Veraͤnderungen auch mit dem
Kelch den Antheren und dem Stigma vorgehen.
Wir ſehen von dieſer Sache ein vollkommen aͤhn-
liches Exempel an den Blaͤttern, die aus den Sei-
tentheilen des Saamens (lobis ſeminalibus) ent-
ſtehen, wenn dieſer in die Erde geſteckt wird.
Wenn aber von der Formation des Saamens, und
der Vegetation der alten Pflanze, wodurch er her-
fuͤrgebracht wird, die Rede iſt, ſo betrachten wir
den Saamen ſo, wie er ſich in der alten Pflanze
befindet, nicht aber das, was aus ihm wird, wenn
er von neuem in die Erde kommt. Eben ſo alſo
muͤſſen wir es auch mit den Germen machen.
Dergleichen Erſcheinungen, wenn ſie einem Na-
turforſcher vorkommen, pflegen oft, ſo wie ſie ei-
nen Beweis ſchwer machen, wohl große Hinder-
niſſe bey der Erfindung zu ſeyn; der Wahrheit
aber ſchaden ſie dem ohngeachtet nichts.


§. 86.


Sie erhellet
2) aus der
Auflöſung der
Theile in der
Fruktifica-
tion.

So wie die Trockenheit, vor-
nemlich bey den Theilen der Fruktifi-
cation, ſtatt findet, ſo findet bey eben
denſelben auch noch eine ganz beſonde-
re Erſcheinung ſtatt, die ein eben ſo
vollkommner Beweis von dem Man-
gel der Saͤfte iſt. Nemlich die ganze Theile zer-
ſpringen in ihre kleinere Theile, woraus ſie zuſam-
men
[239]6. Kap. Von der Conception.
mengeſetzt ſind. Die Saamenkapſel zerſpringt auf
dieſe Art in ihre Valveln, wie wir inſonderheit
bey den Schotengewaͤchſen (Leguminoſis, ſili-
quoſis
) ſehen; der Saamen zerſpringt in ſeine
Seitentheile, und loͤſet ſich von der Frucht ab.
Die Frucht faͤllt ſelbſt von der Pflanze herunter.
Die Blumenblaͤtter fallen ebenfalls herunter; kurz
die ganze Fruktification faͤllt von einander. Jch
habe aber anderswo gezeigt, daß dieſe Abloͤſungen
der Theile von andern Theilen, an denen ſie befe-
ſtiget waren, von nichts anders herruͤhren, als
von dem Mangel der Saͤfte, welche zuvor beſtaͤn-
dig aus dem einen Theil in den andern uͤbergingen,
nunmehro aber ausbleiben; dadurch nemlich wird
der Ort, wo ſie mit einander zuſammenhaͤngen,
trocken, zieht ſich zuſammen, und zerbricht; wir
ſehen dieſes an ſehr haͤufigen Exempeln, und es iſt
auch uͤberdem bekannt, daß die ganze Feſtigkeit
der Pflanzen und thieriſchen Subſtanzen von den
Saͤften herruͤhret, wodurch die erdigten Theile,
wie durch einem Leim, zuſammenhaͤngen. Wenn
alſo die Theile der Fruktification aufberſten, und
von einander fallen, ſo iſt dieſes wiederum ein ſiche-
res Zeichen von dem allenthalben in der Fruktifi-
cation herrſchenden Mangel der Saͤfte. Man
ſieht aber dieſes Aufſpringen und Zerfallen der Thei-
le, oder vielmehr dieſe Trockenheit und dem Man-
gel der Saͤfte ſelbſt, nirgend deutlicher und ſchoͤ-
ner, als in den Antheren, die ich noch nicht ange-
fuͤhrt habe; dieſe loͤſen ſich vors erſte von ihren
Faͤden (Filamentis) ab, ſo daß ſie nur noch kaum,
wie
[240]6. Kap. Von der Conception.
wie an einem Haar, an einer Faſer hengen bleiben,
und von der geringſten Luft bewegt werden, da
ſie vorhin, in ihrem juͤngeren Alter, wie ein Blatt
an ſeinem Stiele befeſtiget waren, und aufgerich-
tet ſtunden, denn ſo verhaͤlt es ſich im Anfange mit
den Antheren aller Pflanzen; Alsdann platzet ein
jedes Saͤckchen der Anthere auf; man ſieht es, daß
die Trockenheit daran Schuld iſt, denn die Haut
dieſer Saͤckchen wird zerbrechlich. Endlich wird
die innere Subſtanz, die im fruͤhern Alter blaſen-
artig war, nicht nur zerreiblich, ſondern ein wah-
res trocknes Pulver, welches ſich verblaſen laͤßt,
und wuͤrklich aus beſonderer Abſicht der Natur vom
Winde zerſtreuet wird.


§. 87.


3) aus der
Farbe| dieſer
Theile.

Noch ein anderes Merkmahl der
Trockenheit in den Theilen der Frukti-
fication iſt die fremde, von der gruͤ-
nen verſchiedene, Farbe, ſie ſey gelb, oder roth,
wie ſie wolle, die wir allemahl in den Theilen der
Fruktification antreffen. Wenn die Saͤfte, die
in einem Theile befindlich ſind, in demſelben ſto-
cken, und nicht beſtaͤndig mit friſchen Saͤften, die
hinzukommen, erſetzt werden, ſo aͤndern ſie, da
ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen, und den Kraͤften der Ve-
getation nicht mehr unterworfen ſind, ihre Mi-
ſchung, und verlieren dadurch ihre den Pflanzen
eigene Farbe; und auf dieſe Art alſo, iſt eine an-
dere als gruͤne Farbe in den Theilen der Pflanzen
ein Zeichen von dem Mangel neuer hinzukommen-
den
[241]6. Kap. Von der Conception.
den Saͤfte. Um aber nicht dieſen Beweis auf ei-
ne Erklaͤrung zu bauen, die vielleicht falſch ſeyn
koͤnnte, ſo will ich lieber den Satz, daß die fremde
Farbe ein Zeichen des Mangels der Saͤfte iſt, durch
eine andere, und ſehr gemeine Erfahrung bewei-
ſen. Jm Herbſte, wenn die Blaͤtter an den
Baͤumen ihre gewoͤhnliche gruͤne Farbe verlieren,
und entweder eine ſchoͤne rothe oder voͤllig gelbe
Farbe annehmen; wenn ſie ferner abfallen, und
dabey zugleich ſo trocken werden, daß man ſie oft
mit den Fingern zerreiben kann; und wenn man
endlich dabey weis, daß eben zu dieſer Zeit die
Saͤfte aus Mangel der Waͤrme, nicht mehr ſo
haͤufig, oder gar nicht, durch den Baum ſteigen;
wird man da zweifeln, daß jene drey Erſcheinun-
gen die fremde Farbe, das Abfallen, und die Tro-
ckenheit von dieſem Mangel der zufließenden Saͤf-
te herruͤhren? Alle Theile der Pflanze, alle Blaͤt-
ter, und ſelbſt das Holz nicht ausgenommen,
verlieren, wenn ſie trocken werden, ihre gruͤ-
ne Farbe, und werden gemeiniglich gelb, oder
roth, ſo wie gemeiniglich die Theile der Fruktifi-
cation, die Blumenblaͤtter, die Staubfaͤden, und
die Fruͤchte ſind. Jch glaube nunmehro, daß die-
ſes Merkmale genug von dem Mangel der in die
Theile der Fruktification neu hinzufließenden
Saͤfte ſeyn werden.


§. 88.


Jch will noch einen Verſuch hin-Eben die-
ſe Wahrheit

zu ſetzen, wodurch dieſe Wahrheit,
Qdaß
[242]6. Kap. Von der Conception.
noch durch
Verſuche be-
ſtätiget.
daß die Unvollkommenheit der Theile
in der Fruktification einzig und allein
von dem Mangel der zufließenden
Nahrungsſaͤfte herruͤhre, außer allem Zweifel
geſetzt wird. Man ſetze eine Pflanze, von der
man ungefehr weis, wie viel Schuͤſſe von Blaͤt-
tern ſie bekommen muß, ehe die Fruktification er-
folgt, in ein ſehr magers Erdreich, ſo wird ſie auſ-
ſer dem, daß ihre Blaͤtter ſehr klein und unvoll-
kommen werden, auch, wenn ſie ſonſt 6 Aus-
ſchuͤße von Blaͤttern macht, ehe die Fruktification
kommt, jetzo kaum 3 gemacht haben, ſo wird die
Fruktification ſchon da ſeyn. Man pflanze nun
aber eben die Pflanze in | ein ſehr feuchtes und
fruchtbares Erdreich, ſo werden ihre Blaͤtter nicht
nur groͤßer und vollkommner werden, ſondern an
ſtatt, daß ſie gewoͤhnlicher Weiſe 6 Ausſchuͤſſe von
Blaͤttern bekommt, und in dem magern Erdreich
nur drey bekam, ſo wird ſie jetzo neune herfuͤrbrin-
gen. Dieſes iſt ſchon ſehr deutlich. Ein Ueberfluß
an guten Nahrungsſaͤften haͤlt immer das Herfuͤr-
bringen der Fruktification zuruͤck; ein Mangel
an denſelben beſchleuniget ſie. Aber man kann die
Sache noch handgreiflicher machen. Wenn eine
Pflanze in einem guten Erdreiche mit der Frukti-
fication zaudert und immer noch ſchoͤne vollkomme
Blaͤtter herfuͤr bringt, ſo nehme man ſie nur her-
aus, und ſetze ſie in ein duͤrres Erdreich; den Au-
genblick wird die Fruktification ſeyn; ſie wird nicht
ein Blatt mehr herfuͤrbringen; was ſie einmal hat,
wird ſie behalten, aber neue Blaͤtter wird ſie nicht
bekom-
[243]6. Kap. Von der Conception.
bekommen. Oder noch beſſer. Man laſſe eine
Pflanze in einem duͤrren Erdreiche ſo weit kom-
men, daß ſie wuͤrklich ſchon den Kelch formirt,
und in dieſem auch die Anfangstheile zu den Blu-
menblaͤtter und den Antheren ſchon enthaͤlt. Als-
dann ſetze man ſie hurtig in ein fruchtbares Erd-
reich, oder verſchaffe ihr uͤberfluͤßige Nahrungs-
ſaͤfte, ſo werden die Antheren, die ſchon, obwol
noch jung, da ſind, in Blumenblaͤtter, dieſe in
Kelchblaͤtter, uͤbergehn, und an ſtatt des Piſtills
werden gewoͤhnliche Blaͤtter zum Vorſchein kom-
men; ſie wird noch anfangen neue Ausſchuͤße von
Blaͤttern zu formiren, und alsdann erſtlich wieder
eine Fruktification herfuͤrbringen. Hieraus ent-
ſtehen alsdann die ſo genannte flores | proliferi, die
auch wuͤrklich mit Blaͤttern verſehen ſeyn koͤnnen,
und alsdann frondoſi vom Linnaͤus genennt
werden. (Phil. bot. pag. 81.)


§. 89.


Es wuͤrde uͤberfluͤßig ſeyn, wennErklärung
der Concep-
tion aus die-
ſer Wahrheit.
Der mänli-
che Saamen
würkt als ein
Nutriment.

ich mich laͤnger bey dem Beweiſe die-
ſes Satzes aufhalten wolte. Sie ha-
ben die Sache nunmehro von verſchie-
denen Seiten betrachtet, und allent-
halben Beweiſe dieſer Wahrheit ge-
funden. Nunmehro wollen wir wei-
ter gehn, und aus dieſer bishero bewieſenen Wahr-
heit, |auf welcher alles ankommt, die Beſchaffen-
heit, die es mit der Conception hat, herleiten.
Wir ſind der Sache ſchon ſehr nahe, und es iſt
Q 2nun-
[244]6. Cap. Von der Conception.
nunmehro uͤberaus leicht, dieſe Wuͤrkung des
maͤnnlichen Saamens, und das ganze Concep-
tionsgeſchaͤfte einzuſehen, wie ich es §. 75. be-
ſtimmt habe. Dieſe erſte Theile der jungen
Pflanze, die durch die Kraft des hinzukommen-
den maͤnnlichen Saamens erzeugt werden ſollen
(§. cit.) ſind von den gewoͤhnlichen Blaͤttern der
alten Pflanze in nichts unterſchieden. Unterſu-
chen Sie dieſen erſten Keim der jungen Pflanze,
die ſo genannte Plumula, ſo werden Sie finden,
daß ſie eben ſo aus jungen Blaͤttern zuſammen-
geſetzt iſt, wie die Knoſpen bey den alten Pflanzen
zufammengeſetzt ſind, in welchen die vor ſich be-
ſtehende Theile herfuͤrgebracht werden. Allein
dieſes iſt auch eine mehr als zu bekannte Wahr-
heit, und eben die, die dem Erfinder des Syſtems
der Evolution zu dieſem Syſtem Anlaß gegeben
hat. Jſt dieſes nun aber ſo, ſind dieſe erſten
Theile der jungen Pflanze eben ſolche Blaͤtter, wie
ſie in der alten Pflanze, ehe die Fruktification her-
fuͤrgebracht wurde, producirt wurden; ſo werden
ſie auch zu ihrer Herfuͤrbringung eben dieſelbe,
und keine andere Urſachen erfordern, als diejeni-
gen, welche bey der Vegetation der alten Pflanze,
zu der Zeit, da ſie ihre gewoͤhnliche Blaͤtter her-
fuͤr brachte, ſtatt fanden; nun ſind aber dieſe zur
Vegetation erforderte Urſachen keine andere, als
erſtlich eine geſunde lebende Pflanze, (in ſo fern
nemlich in ihr jene weſentliche Kraft ſtatt findet)
und zweytens eine hinlaͤngliche Menge der Nah-
rungsſaͤfte; denn ſo bald dieſe beyde Stuͤcke zu-
ſammen
[245]6. Kap. Von der Conception.
ſammen kommen, geht die Vegetation von ſtat-
ten; folglich werden alſo zur Herfuͤrbringung der
erſten Theile der jungen Pflanze auch wiederum
dieſe beyde Urſachen erfordert werden. Nunmeh-
ro aber wiſſen Sie, daß in dem Saamen der al-
ten Pflanze, als dem Orte, wo die erſten Theile
der jungen Pflanze, die pulmula, herfuͤrgebracht
werden ſollen, ſo wie in der ganzen Fruktification
ſchon die eine von dieſen Urſachen, die erforderliche
Menge der Nahrungsſaͤfte nemlich, fehlt, (und
dieſes iſt unſer wichtiger Satz, den ich ſo weit-
laͤuftig bewieſen habe). Was kann alſo der maͤnn-
liche Saame, der Blumenſtaub der Pflanzen, der
ſo nothwendig allemal bey dieſer Herfuͤrbringung
der erſten Theile der jungen Pflanze erfordert
wird, was kann dieſer anders ſeyn? als eben die-
ſe bishero gefehlte und nun wieder erſetzte Urſa-
che, ein Nahrungsſaft nemlich, oder ein Nutri-
ment? und was wird alſo nunmehro die ganze
Conception, als welche, wie wir §. 75. geſehn
haben, in weiter nichts, als in der durch Huͤlfe
des maͤnnlichen Saamens wieder hergeſtellten Ve-
getation beſteht, was wird dieſe ſeyn? Weiter
nichts, als eine Erſetzung desjenigen Nutriments,
welches bishero gemangelt hatte, und deswegen
die Vegetation unterbrochen worden war.


§. 90.


Allein ich werde Jhnen kaumGenauere Be-
ſtimmung die-
ſer Würkung
des Saamens.

dieſe Erklaͤrung von der Wuͤrkung
des maͤnnlichen Saamens gegeben
haben, ſo wird Jhnen der Einwurf
Q 3ein-
[246]6. Kap. Von der Conception.
einfallen: Warum thut nicht ein jedes Nu-
triment eben das, was der Saamen thut,
wenn er an die Oerter, wo die Vegetation auf-
gehoͤrt hatte, gebracht wird? Sie denken ganz
richtig, wenn Sie hieraus ſchließen, daß der
maͤnnliche Saamen, geſetzt auch, daß er ein Nu-
triment iſt, dennoch vor den gewoͤhnlichen Nutri-
menten einen beſondern Vorzug haben muͤſſe.
Dieſen wollen wir nun genauer zu beſtimmen ſu-
chen, und er wird ſich aus der beſondern Art und
Weiſe, wie dieſes Nutriment angewendet wird,
und wie es wuͤrkt, leicht beurtheilen laſſen; da-
durch aber werden wir alsdann auch eine vollſtaͤn-
dige Definition des maͤnnlichen Saamens, und
eine vollſtaͤndige Erklaͤrung der Conception, er-
halten.


§. 91.


Er iſt ein im
höchſten Grad
vollkommnes
Nutriment.

Geben Sie nur auf die beſon-
dere Art achtung, wie ſich die Natur
unſers Nutriments, des Blumenſtau-
bes, bedienet; auf die Art, wie ſol-
ches zu ſeiner Verrichtung angewen-
det wird. Es wird unmittelbar von außen an die-
jenigen Theile herangebracht, die durch daſſelbe
nutrirt werden ſollen. Dieſes iſt eine beſondere
Art zu nutriren. Wir wiſſen, daß alle andere
Nutrimente zuerſt, ohne einmahl an diejenigen
Theile, die durch dieſelben nutrirt werden ſollen,
zu gedenken, vielmehr nach die vollkommenſten
und aͤlteſten Theile des Koͤrpers hingebracht wer-
den, von hier in die Gefaͤße gehen, und das gan-
ze
[247]6. Kap. Von der Conception.
ze Syſtem der Gefaͤße und mithin den ganzen Koͤr-
per durchlaufen, ehe ſie an denjenigen Ort hinkom-
men, wo die Nutrition geſchehen ſoll. Wir wiſ-
ſen aber auch die Urſache ſehr wohl, warum dieſes
geſchiehet, und warum es geſchehen muß; die
Nutrimente leiden, indem ſie durch die alten Thei-
le des Koͤrpers, und durch alle Gefaͤße deſſelben,
durchgehen, in einem jeden Theil, an einem jeden
Orte, wo ſie hinkommen, eine beſondere Veraͤn-
derung, und werden alſo auf dieſe Art, ehe ſie
an dem beſtimmten Ort, wo die Nutrition geſche-
hen ſoll, hingelangen, ſo ſehr veraͤndert, daß ſie
ſich kaum noch aͤhnlich ſind; und eben hierdurch
werden ſie erſtlich geſchickt gemacht, daß ſie die
jungen Theile nutriren koͤnnen, und daß dieſe hin-
wiederum einen Theil von Jhnen in ſich behal-
ten, einen andern Theil zur Formation neuer Thei-
le aus ſich heraustreiben und abſondern koͤnnen.
Sie errathen nunmehro, welches die Eigenſchaft
ſey, die wir unſerm Nutriment noch beſonders zu-
ſchreiben muͤſſen; da dieſes nicht erſt, wie die ge-
woͤhnlichen Nutrimente, noͤthig hat, durch den
ganzen Koͤrper, deſſen Theile durch daſſelbe nutrirt
werden ſollen, durchgefuͤhrt zu werden, ſondern
dern unmittelbar von außen an dieſe Theile heran-
gebracht wird, und dennoch dieſelben Dienſte ver-
richtet, die jene, wenn ſie ſchon alle Gefaͤße durch-
gegangen waͤren, alsdann erſt wuͤrden zu leiſten
im Stande geweſen ſeyn. Es muß nemlich dieſes
nothwendig ein Nutriment ſeyn, welches denjeni-
gen Grad der Vollkommenheit in Anſehung des
Q 4Ver-
[248]6 Kap. Von der Conception.
Vermoͤgens zu nutriren, ſchon erreichet hat, wel-
chen die gewoͤhnlichen Nutrimente, wenn ſie in dem
Koͤrper genommen werden, erſt erreichen ſollen;
denn, wenn dieſes nicht waͤre, ſo wuͤrde es unmoͤg-
lich auf dieſe Art da es unmittelbar von außen an
die zu nutrirende Theile gebracht wird, jener ihre
Stelle vertreten koͤnnen, die durch den ganzen Koͤr-
per gefuͤhrt werden. Jch habe daher in meiner
Diſſertation das Semen maſculinum ein Nutriment
genennt, welches den hoͤchſten Grad der Vollkom-
menheit erreicht hat, (nutrimentum perfectum)
und dadurch habe ich zugleich eine wahre Defini-
tion von demſelben gegeben. Hieraus ſehen Sie
alſo nicht nur den Unterſcheid, welcher zwiſchen
dieſem und den gewoͤhnlichen Nutrimenten ſtatt
findet, vollkommen ein, ſondern Sie verſtehen
auch aus eben dieſem Unterſcheid nunmehro die
Urſache, warum unmoͤglich die gewoͤhnlichen Nu-
trimente die Stelle des maͤnnlichen Saamens ver-
treten koͤnnten.


§. 92.


Dieſes läſſet
ſich auch aus
der |Entſte-
hungsart des
Blumenſtau-
bes begreifen.

Nicht um die gegebene Erklaͤ-
rung des maͤnnlichen Saamens wei-
ter zu beweiſen, ſondern vielmehr um
den Begriff davon vollſtaͤndiger zu ma-
chen, will ich noch dieſes anfuͤhren;
daß der Blumenſtaub aus einem Nah-
rungsſafte entſtehet, der wuͤrklich ſo weit gebracht
iſt, daß aus ihn organiſche Theile formirt werden
ſollen, welches aber durch einen beſondern Umſtand,
davon ich in meiner Diſſertation, in dem Ab-
ſchnitte,
[249]6. Kap. Von der Conception.
ſchnitte, von der Entſtehung des Blumenſtaubs,
weitlaͤuftig geredet habe, verhindert wird. Sie
ſehen alſo aus der Entſtehungsart des Blumen-
ſtaubes, daß er ein vollkommnes, und zwar bis zum
hoͤchſten Grade der Vollkommenheit gebrachtes
Nutriment ſey.


§. 93.


Wir werden nunmehro ganzKurzer Be-
griff des
männlichen
Saamens
und der Con-
ception.

kurz, was der maͤnnliche Saame, und
was die Conception ſey, beſtimmen
koͤnnen. Von jenem habe ich bishe-
ro geſagt, daß er weiter nichts ſey, als
ein im hoͤchſten Grad vollkomm-
nes Nutriment,
welches keine weitere Bearbei-
tung noͤthig hat, wie ſolches mit den gewoͤhnlichen
Nutrimenten geſchehen muß, ehe ſie ihre Funk-
tion verrichten koͤnnen. Dieſe Erklaͤrung iſt voll-
ſtaͤndig und ich habe nichts weiter hinzuſetzen.
Von der Conception aber habe ich bishero §. 89.
geſagt, ſie ſey eine Erſetzung eines Nutrimentes,
alſo eine Art einer |Nutrition. Dieſes iſt noch
nicht genug; ſie muß von der gewoͤhnlichen Nu-
trition unterſchieden werden. Sie ſehen ſehr leicht
aus den Gruͤnden ſelbſt, woraus ich §. 91. geſchloſ-
ſen habe, daß der maͤnnliche Saamen ein vollkomm-
nes Nutriment ſey, daß er es nur deswegen habe
ſeyn muͤſſen, weil die Nutrimente durch die ge-
woͤhnlichen Wege der Pflanze nicht mehr an die
Oerter gebracht werden konnten, die nutrirt wer-
den ſollten. Haͤtte dieſes geſchehen koͤnnen, ſo
wuͤrde die Vegetation gar nicht aufgehoͤrt haben
Q 5(§. 83.)
[250]6. Kap. Von der Conception.
(§. 83.) folglich wuͤrde keine Conception noͤthig
und auch nicht moͤglich geweſen ſeyn; oder viel-
mehr wir wuͤrden die alsdann auf die gewoͤhnliche
Weiſe fortgeſetzte Vegetation keine Conception ge-
nennt haben. Alſo unterſcheidet ſich die Conception
von der gewoͤhnlichen Nutrition darin, daß das
Nutriment nicht durch die gewoͤhnliche Wege,
durch den ganzen Koͤrper, und alſo von inwendig
zu dem Orte der Nutrition, und den Theilen, die
nutrirt werden ſollen, ſondern von außen, an die-
ſelbe unmittelbar gebracht wird. Wir koͤnnen alſo
die Conception definiren, ſie ſey eine von außen
geſchehene Nutrition,
wobey nemlich das Nu-
triment unmittelbar an die Theile, die nutrirt wer-
den ſollen, gebracht wird. Dieſes enthaͤlt zugleich
auch ſchon jene beſondere Eigenſchaft des Nutri-
mentes, daß es im hoͤchſten Grade vollkommen
ſeyn muͤſſe, denn wenn dieſes nicht iſt, ſo kann
dadurch keine ſolche unmittelbare Nutrition von
außen bewerkſtelliget werden.


§. 94.


Eine Erinnerung wird man mir meiner Theo-
rie von der Conception wegen zu machen erlau-
ben. Buffon ſagt, der maͤnnliche Saame ſey
der uͤberfluͤßige Theil der Nahrungsſaͤfte, die
zur Nutrition aller Theile des Koͤrpers beſtimmt
geweſen waͤren; ſie ſeyen aus allen dieſen Thei-
len, als uͤberfluͤßig, wiederum zuruͤckgenom-
men, ins Blut gebracht, und von neuem in die
Saamenblaͤschen, oder in die Antheren der Pflan-
zen niedergelegt; ſie haben aber nunmehro eben
da-
[251]6. Kap. Von der Conception.
dadurch die Natur aller derer Theile erlangt, zu
deren Nutrition ſie beſtimmt, und in denen ſie
ſchon einmahl wuͤrklich enthalten geweſen ſind; da-
hero ſeyen ſie nun auch geſchickt, daß aus ihnen
eben dergleichen Theile wiederum und keine andere
zuſammengeſetzt werden koͤnnen. Das alles hat
Hippocrates und nach ihm Galenus und die
uͤbrigen Alten auch ſchon geſagt, wie ich dieſes in
der Hiſtorie der Theorie von der Generation in der
vorhergehenden Abhandlung auch angefuͤhrt habe.
Es fraͤgt ſich aber, iſt dieſes auch nicht etwan mei-
ne Theorie ſelbſt? Sie werden bald ſehen, daß das
alles, ſo wahr, oder ſo falſch es an ſich ſeyn mag,
mit meiner nicht die geringſte Aehnlichkeit weiter
hat, als nur den Namen. Hippocrates nennt den
Samen ein Nutriment, u. ich habe ihn freylich auch
ſo genennt; allein indem ihn Hippocrates unter
die Klaſſe der Nutrimente zehlt, ſo ſagt er dadurch,
daß er eben ſo, und aus eben der Materie, erzeugt
wird, wie die uͤbrige Nutrimente, und er will alſo
dadurch weiter nichts, als die Entſtehungsart des
Saamens erklaͤren. Das iſt auch Buͤffons
Meynung ſo, wie Sie leicht aus allen den ange-
fuͤhrten Umſtaͤnden ſehn. Jch habe hiervon bis-
hero noch nichts erwehnt, außer was ich §. 92.
vom Blumenſtaube geſagt habe, das iſt eben daſ-
ſelbe, und ich habe es nur zur Bekraͤftigung mei-
ner Theorie mit angefuͤhrt; wenn ich aber in der
Theorie der Conception den Saamen ein Nutri-
ment nenne, ſo rede ich von ſeiner Wuͤrkung, und
will alſo damit ſo viel ſagen, er hat bey der Con-
ception
[252]6. Kap. Von der Conception.
ception eben die Wuͤrkung, die die Nutrimente bey
der Nutrition haben, oder er thut bey jener eben
das, was dieſe bey der Nutrition thun. Jch er-
klaͤre alſo dadurch die Conception, an welcher Hip-
pocrates
oder Buͤffon nicht einmahl gedacht ha-
ben. Es kann ſogar dieſe Wuͤrkung des Saa-
mens, die ich ihm zueigne, bey dem Begriffe,
welchen Hippocrates und Buͤffon von der Ge-
neration haben, nicht einmahl ſtatt finden. Nach
meiner Theorie wird unſer Koͤrper durch eine Ve-
getation formirt, und dieſe geſchiehet zwar durch
fortgeſetzte Abſonderungen (§. 46. \&c.) Hierzu
werden Nutrimente erfordert; Saͤfte nemlich, wel-
che abgeſondert werden koͤnnen, und Sie ſehen
ſchon hieraus, wie die Sachen weiter zuſammen-
hengen. Hippocrates, und ſo auch Buͤffon,
glaubte, daß der Koͤrper (und zwar im Utero)
durch eine bloße Zuſammenſetzung entſtuͤnde, ſo
daß ein Theil an dem andern von außen angeſetzt
wuͤrde. Hierzu aber wird eine Materie, im ei-
gentlichen Verſtande genommen, woraus nemlich
etwas formirt werden kann, erfordert, und eben
dieſe Materie iſt nach der Meynung der beyden Na-
turforſcher der maͤnnliche Saamen. Weit gefehlt
alſo, daß ſie die Verrichtung und den Nutzen des
Saamens in der Nutrition ſetzen ſollten, ſo war
er vielmehr in dieſer Abſicht betrachtet weiter nichts
als eine geſchickte Materie, aus welcher ein beſtimm-
ter organiſcher Koͤrper formirt werden koͤnnte;
aber in eben dieſer Abſicht nenne ich ihn ein Nu-
triment und um die Entſtehungsart des Saamens
bekuͤm-
[253]6. Kap. Von der Conception.
bekuͤmmere ich mich nicht, denn dieſe iſt in der
Phyſiologie bekannt genug.


§. 95.


Bey den Thieren geſchiehet dieBey den Thie-
ren verhält es
ſich mit der
Conception
eben ſo. Die
Vegetation
des Thieres
hört zeitig
auf; und end-
lich hört auch
die Nutrition
auf.

Conception auf eben dieſelbe Art, und
aus eben denſelben Urſachen, und man
kann ſie aus eben denſelben Gruͤnden
erkennen. Nur darin iſt ſie hier noch
deutlicher, daß die von neuen ange-
fangene Vegetation, wodurch das jun-
ge Thier formirt wird, von der alten,
wodurch das aͤltere Thier ſelbſt herfuͤr-
gebracht wurde, durch eine lange Zwi-
ſchenzeit unterſchieden iſt; dahingegen bey den
Pflanzen die neue Vegetation, kaum daß die al-
te aufgehoͤrt hat, ſchon wieder anfaͤngt. Die
Vegetation eines Thieres im eigentlichen Verſtan-
de, wodurch nemlich vor ſich beſtehende Theile
herfuͤrgebracht werden, wird kaum ſo lange dau-
ren, als die vierfuͤßige Thiere im Utero einge-
ſchloßen ſind; alsdann iſt das Thier nach ſeinen
vor ſich beſtehenden Theilen fertig, und dieſe Ve-
getation hoͤrt auf, da indeſſen die organiſirende
Nutrition, wodurch nemlich neues Zellengewebe
formirt, und mit neuem Fette angefuͤllt wird, und
zugleich in dieſem Zellengewebe auch neue Gefaͤße
formirt werden, beſtaͤndig noch fort dauert. Hier-
durch nimmt der Koͤrper in der Groͤße zu, ob gleich
ſolches nicht ſo geſchwinde, als in der erſten Zeit
bey der Vegetation ſolches geſchahe, von ſtatten
geht
[254]6. Kap. Von der Conception.
geht. Dieſes nun dauert eine gewiſſe Zeit, die
bey verſchiedenen Thieren verſchieden iſt, alsdann
hoͤrt auch ſelbſt dieſe organiſirende Nutrition auf,
und der Koͤrper waͤchſt nicht mehr.


§. 96.


Die daher
entſtehende
überflüßige
Nahrungs-
ſäfte reitzen
zum Bey-
ſchlaf,

und hierdurch
wird die Vege-
tation im Ey
von neuen
wiederum ver-
anlaſſet.

Man pflegt dieſes Aufhoͤren des
des Wachſens dem nunmehro erfol-
genden Widerſtande der feſten Theile
zuzuſchreiben. Es liegt uns nichts
hieran; wir koͤnnen die Urſache ent-
behren. Genug jene Nutrition und
das davon abhengende Wachsthum
des Thieres hoͤrt um eine gewiſſe Zeit
auf. Jndeſſen aber faͤhrt die Mi-
ſchung des Blutes und der Nahrungs-
ſaͤfte, ſo gut wie zuvor, da aus die-
ſen neue Theile formirt wurden, fort.
Hieraus entſteht eine Empfindung, die dem Thie-
re bishero unbekannt war, eine Art von Beaͤngſt-
lichkeit, die aber angenehm iſt, und davon ſich
dennoch das unruhige Thier, ob es gleich nicht
weis wie, loszumachen bemuͤhet. Jene Empfin-
dung vermehrt ſich bey dem Anblicke eines Thie-
res von derſelben Art und von verſchiedenem Ge-
ſchlechte. Kurz alles dieſes laͤuft am Ende auf
nichts anders hinaus, als auf die Vereinigung bey-
der Geſchlechte; hierdurch wird dem Thier alle
Unruhe, alle Beaͤngſtlichkeit, auf einmahl be-
nommen. Die Vegetation faͤngt nemlich an
demjenigen Orte, wo ſie vor Zeiten ſtehn geblie-
ben
[255]6. Kap. Von der Conception.
ben war, nun wieder von neuen an, fortzufah-
ren, und zur Erhaltung derſelben werden nun-
mehro diejenigen Saͤfte dahin zugezogen, die durch
ihre Anhaͤufung im Blute jene Unruhe verurſacht
hatten. Der Ort uͤbrigens, wo die alte Vegeta-
tion aufgehoͤrt hatte, iſt im Eyerſtocke, welcher
der Frucht der Pflanzen aͤhnlich iſt. Der lezte
Theil des Thieres iſt das Ey, welches mit dem
Saamen zu vergleichen, und, wie dieſer in der
Frucht, im Eyerſtocke enthalten iſt.


§. 97.


Die zu dieſer von neuen ange-Weiteres
Verhalten des
befruchteten
Eyes.

fangenen Vegetation erforderten er-
ſten Nutrimente ſind alſo der maͤnnli-
che Saamen. Das Ey, welches hie-
durch im Stande geſetzt iſt, die erſten Anfaͤnge
des Thieres abzuſondern, von dem Orte aber, wo
es bishero feſt geſeſſen hatte, keine Nutrimente
mehr bekommt, loͤſet ſich deswegen von demſelben
ab (denn dieſes iſt allemahl die Wuͤrkung der ab-
geſchnittenen Nahrungsſaͤfte). Jn den Voͤgeln
wird es voͤllig herausgetrieben; in vierfuͤßigeu
Thieren aber ſetzt es ſich am Utero feſt; denn, da
die erſte Anlage des Thieres nun ſchon vorhanden
iſt, ſo koͤnnen nun die zur ferneren Herfuͤrbrin-
gung der folgenden Theile erforderte Nutrimente
in eben dieſer erſten Anlage, durch welche ſie
durchgehen muͤſſen, ſchon um etwas vollkommer
gemacht werden; daher iſt es nicht mehr noͤthig,
daß die Nutrimente den hoͤchſten Grad der Voll-
men-
[256]6. Kap. Von der Conception.
menheit haben muͤſſen, und daher koͤnnen nun-
mehro die Saͤfte des Uteri, ſo gut wie in den Voͤ-
geln das Gelbe vom Ey, und in den Pflanzen die
ſich aufloͤſende Subſtanz der Seitentheile des
Saamens zur ferneren Fortſetzung der Vegetation
angewendet werden. Dieſe ganze Sache habe ich
in meiner Diſſertation (Schol. 4. §. 230.) weit-
laͤuftiger ausgefuͤhrt.


§. 98.


Das ſind alſo die Sachen, die ſo lange un-
bekannt geblieben ſind, die Einige aus Mangel
der Vergroͤßrungsglaͤſer, aus Mangel der Beob-
achtungen und anderer dazu erforderlichen Erfah-
rungen, andere aber, denen es hieran nicht gefehlt
hat, aus Mangel daruͤber angeſtellter Specula-
tionen nicht haben entdecken koͤnnen.


[figure]
An-
[[257]]
[figure]

Anhang.


Wiederholte Verſuche.


Jch habe dieſen Som-Beſchaffen-
heit der erſten
Anlage zu den
Flügeln und
Füßen, inglei-
chen der Bruſt
und des Un-
terleibes.

mer die Verſuche mit
gebruͤteten Eyern wie-
derholt, und meine
Theorie dadurch noch weit mehr be-
ſtaͤrkt gefunden. Jch habe einige Jrr-
thuͤmer, die ich bey der beſondern Er-
klaͤrung der Vegetation einiger Theile
begangen habe, entdeckt; die Sache aber, wie ich
ſie nun gefunden habe, widerſpricht nicht meiner
Theorie, ſondern ſie wird den allgemeinen Geſetzen
der Vegetation, die ich gegeben habe, und die
auch bey den Pflanzen ſtatt finden, gemaͤßer, und
nimmt einiges Sonderbare weg, welches ſich nicht
anders als mit Muͤhe erklaͤren ließ. Die Kante
Rnemlich,
[258]Anhang.
nemlich, die die erſte Anlage zu den Fluͤgeln und
Fuͤßen iſt, verſchwindet nicht voͤllig, wie es das
Anſehen hat, ſondern ſie zieht ſich nur von bey-
den Seiten nach die Vorderflaͤche des Embryo hin,
und formirt in der Folge die beyde Seitentheile
der Bruſt und des Unterleibes, die aber ſehr ſpaͤte
noch offen bleiben, und endlich durch ein neues
formirtes Bruſtbein zuſammen wachſen; da im
Unterleibe, auch noch lange nachher eine Oeffnung
uͤbrig bleibt, die in den Nabel continuirt. Die
Subſtanz, welche die Kante formirt, ſcheint mir
insbeſondere diejenige zu ſeyn, die in die muſcu-
los, ſerratum anticum majorem, deſcendentem,
adſcendentem
und transverſalem abdominis uͤber-
geht, und ich habe Urſachen, ſie nicht fuͤr den
pectoralem majorem zu halten. Das Herz wird
zu dieſer Zeit nur an dem bulbo aortæ und der
vena cava von dieſen beyden Seitentheilen der
Bruſt beruͤhrt, der ganze ventriculus, die auricu-
la,
und der groͤſte Theil des bulbi aortæ ſteht vor-
ne vor, und liegt alſo frey. Die Membran, wo-
mit das Herz umgeben iſt, die der Herr von Hal-
ler
fuͤr die Bruſt gehalten hat, und die mir das
Pericardium zu ſeyn ſchien, iſt weiter nichts, als
eine Fortſetzung des Amnii, womit der ganze Em-
bryo umgeben iſt, und die ich oft von demſelben
abgezogen, und damit zugleich das Herz entbloͤßet
habe. Das Herz liegt alſo allerdings außer der
Bruſt, weil dieſe nicht nur der ganzen Laͤnge nach
forne, ſo weit das Sternum in Erwachſenen geht,
offen, ſondern auch viel zu kurz iſt, als daß ſie
das
[259]Wiederholte Verſuche.
das Herz erreichen und bedecken koͤnte. Jn der
Folge aber zieht ſich theils das Herz zuruͤck, theils
verlaͤngern ſich auch durch das bloße Wachſen die
Seitentheile der Bruſt, und auf dieſe Art kommt
das Herz in der Bruſt zu liegen. Das Sternum
faͤngt an formirt zu werden, und ſchlieſſet die Bruſt
zu. Es iſt immer, und auch beym Erwachſenen
noch, eine Narbe, und ein Zeichen der ehemali-
gen Oeffnung der Bruſt. Der Herr von Hal-
ler
will, wie es auch nach den Regeln der Evo-
lution ſeyn muͤſte, daß die Bruſt immer verſchloſ-
fen, und das Herz immer innerhalb derſelben ge-
legen geweſen ſeyn ſolle; man darf aber nur die
Beſchaffenheit des Bruſtbeins und des knorplichen
Theils der Rippen beym Erwachſenen anſehen, ſo
ſieht man daraus ſchon, daß ſich die Sache ehe-
mals anders verhalten haben muͤſſe.


Die Fluͤgel und Fuͤße aber fangen auf dieſe
Art an, aus der nemlichen Kante zu entſtehen:
Jnnerhalb der Subſtanz derſelbelben wird nach
den Regeln der Vegetation §. 51. ein Saft de-
ponirt, der durch ſeine ſtaͤrkere Durchſichtigkeit
ſeine Fluͤßigkeit innerhalb dieſer Subſtanz, und
daß er neuer iſt, als die Kante ſelbſt, verraͤth;
er dehnt an dieſen Orten die Subſtanz der Kante
aus, und formirt dadurch die Huͤgel in derſelben,
davon ich geredet habe. Das Wegziehen und
voͤllige Verſchwinden der Kante, wodurch dieſe
Huͤgel formirt werden ſollten, war mir bey den
Thieren etwas beſonders, dergleichen ich bey den
Pflanzen nicht wahrgenommen hatte. Jetzo aber
R 2ſieht
[260]Anhang.
ſieht man, daß die Vegetation des Embryo in al-
len Stuͤcken, die die Geſetze der Vegetation uͤber-
haupt betreffen, der Vegetation der Pflanzen aͤhn-
lich iſt. Die Formation der Huͤgel durch eine
Depoſition iſt der Formation der Seitenrippen im
Blatte ſo vollkommen aͤhnlich, daß nicht das aller-
geringſte Außerordentliche bey jener mehr uͤbrig
bleibt.


Beſchaffen-
heit der erſten
Gefaͤße in der
Area.

Jn Anſehung der Gefaͤße habe ich
alle ſchon beſchriebene Erſcheinungen
wieder geſehn; allein außer denſel-
ben ſind mir noch einige andere vor-
gekommen, die die Sache wiederum auf eine an-
dere Art eben ſo gewiß machen. Jn einem Ey
von 44 Stunden erſchien das Amnium auf der
Flaͤche des Gelben unter ſeiner gewoͤhnlichen laͤng-
lichten und in der Mitte etwas zuſammengezoge-
nen Figur. Es war mit einer ziemlich breiten
area umbilicali umgeben, auf welche, wie gewoͤhn-
lich, wiederum ein dunkeler Zirkel folgte. Das
Ey war vollkommner, als es ſonſt um dieſe Zeit
zu ſeyn pflegt. Der Embryo hatte noch keine
Kante; wenigſtens war keine ſichtbar; das heißt
aber nach meinen Grundſaͤtzen ſo viel, als es war
noch keine da. Jndeſſen entdeckte ich, indem ich
die Area mit dem Vergroͤßerungsglaſe noch im Ey
unterſuchte, die Anfaͤnge der Gefaͤße in dieſer
Area. Die Stellen, welche zu Gefaͤßen werden
ſollten, waren, weder durch das Vergroͤſſerungs-
glas, noch mit bloßen Augen betrachtet, roth.
Mit bloßen Augen ſahe man gar nichts in der
Area;
[261]Wiederholte Verſuche.
Area; durch das Vergroͤßerungsglas aber ent-
deckte man dieſe Stellen; ſie waren kaum von den
uͤbrigen zu unterſcheiden; ſie waren nur etwas we-
niges dunkeler, und fielen kaum ins braͤunliche.
Jch erinnere dieſes deswegen, damit man dieſen
Zuſtand der Area nicht fuͤr den nemlichen haͤlt,
den der Herr von Haller beſchreibt, und den ich
in der Diſſertation Fig. 7. 8. gezeichnet habe;
ſie iſt viel fruͤher, als dieſe geweſen ſind. Die
Stellen alſo, welche zu Gefaͤßen werden ſollten,
waren ſo beſchaffen, daß man ſie unmoͤglich fuͤr
Gefaͤße halten konte; und niemand, als der die
folgende Veraͤnderungen der Area oͤfter geſehn
hat, wuͤrde ſich auch einbilden koͤnnen, daß ſie
nur die Anſaͤnge von Gefaͤßen ſeyn koͤnten; in-
deſſen aber iſt an dieſem letztern kein Zweifel, und
wer dieſe Verſuche oͤfter gemacht hat, wuͤrde ſie auch
wohl erkannt haben. Jch will nur drey Charak-
tere von dieſen Gefaͤßen, die ich indeſſen ſo nen-
nen will, anfuͤhren, woraus man, meiner Einſicht
nach, hinlaͤnglich wird erkennen koͤnnen, daß ſie
noch nicht einmal mit Recht Wege oder Rinnen,
vielweniger Gefaͤße genennt werden koͤnnen, die
ihre Haͤute haͤtten, und durch die Kraft des Her-
zens vermittelſt der hinein getriebenen Saͤfte aus-
gedehnt waͤren. Vors erſte alſo communicirten
dieſe Stellen nicht mit einander, ſondern ſie wa-
ren rings herum mit der weißen koͤrnigten etwas
feſteren Subſtanz umgeben und verſchloſſen, ſo,
daß das an dieſen Stellen befindliche fluͤßigere
Weſen nirgends ausfließen konnte. Zum zwey-
R 3ten
[262]Anhang.
ten war die Figur dieſer Stellen nicht laͤnglicht,
wie Wege oder Gefaͤße ſeyn muͤſſen, ſondern ſo
breit als lang, uͤbrigens verſchieden, dreyeckigt,
viereckigt oder fuͤnfeckigt. Zum dritten endlich
befanden ſich dieſe Luͤcken in der Area, denn ſo
kann ich ſie am richtigſten benennen, groͤßer und
haͤufiger an dem Unfange der Area; nach dem
Amnio zu wurden ſie kleiner, und dichte an dem-
ſelben war die Area vollkommen ganz, vollkommen
weiß und eben, ohne der geringſten Spur von ei-
ner ſolchen Trennung der weiſſen Materie. Man
ſieht aus dem allen wohl, daß dieſe erſte Anfaͤnge
der Gefaͤße noch bis jetzo weiter nichts ſind, als
Stellen in der weiſſen Materie der Area, die durch
ein fluͤßiges Weſen, welches ſich zum Theil aus
der Materie ſelbſt praͤcipitirt zu haben ſcheint,
aufgeloͤſet ſind; daß es aber Gefaͤße, oder auch
nur Wege ſeyn ſolten, die (nicht durch eine we-
ſentliche Kraft, ſondern) durch die Kraft des Her-
zens, vermittelſt der hinein gepreßten Saͤfte, aus-
gedehnt und dadurch ſichtbar geworden waͤren, iſt
unmoͤglich, weil dieſe Luͤcken nicht mit einander
communiciren, und weil keine Wege nach dem
Herzen zu vorhanden ſind, durch welche die Saͤf-
te haͤtten kommen muͤſſen, ſondern die Area viel-
mehr nahe um dem Amnio herum noch vollkom-
men ganz iſt.


Jn der Folge fangen dieſe Gefaͤße an, mit
einander zu communiciren, und alsdann netzfoͤr-
mige Wege vorzuſtellen. Auch alsdann erkennt
man
[263]Wiederholte Verſuche.
man noch die Spuren der ehemaligen bloßen Luͤ-
cken. Man findet nemlich hin und wieder der-
gleichen Stellen, die gemeiniglich dreyeckigt zu
ſeyn pflegen; aus einer jeden Spitze eines drey-
eckes geht eine ſubtile Rinne heraus, die mit an-
dern dergleichen Rinnen communicirt, und auf
dieſe Art hengen die dreyeckigten Luͤcken gleichſam
wie durch anaſtomoſirende Wurzeln unter einan-
der zuſammen. Dieſe Erſcheinung habe ich noch
in einer Area geſehn, wo die Rinnen ſchon roth
waren, und das Herz ſchlug.


Wenn dieſe Communication der Luͤcken ver-
mittelſt der feinern Rinnen unter einander geſche-
hen iſt, ſo bekommt die Area alsdann erſt dadurch
das Anſehen, welches ich in der Diſſertation be-
ſchrieben und in der 8ten Figur gezeichnet habe;
wo ſie nemlich in lauter runde oder eyfoͤrmige Jn-
ſeln eingetheilt iſt. Eben wegen dieſer Figur der
Jnſeln gibt es zwiſchen ihnen dreyeckigte Zwi-
ſchenraͤme, die durch Rinnen mit einander zuſam-
men hengen, wie ich es beſchrieben habe. Jch
habe damals in meiner Diſſertation zwar die Be-
ſchaffenheit der Jnſeln beſchrieben; auf die drey-
eckigte oder unordentliche Figur der Zwiſchenraͤu-
me aber hatte ich nicht Achtung gegeben; allein
ich war dem ungeachtet gewiß, daß dieſe Zwi-
ſchenraͤume bloße Zwiſchenraͤume und keine Ge-
faͤße ſeyn; ob ich gleich alle Charaktere, woran
ich es ſahe, aus meinem Begriffe nicht entwickelt
hatte. Wer mit Beobachtungen umgegangen iſt,
R 4wird
[264]Anhang.
wird wiſſen, daß es uns oft ſo geht. Wir ſehen
es einer Sache an, daß es ſich ſo oder ſo mit ihr
verhalten muͤſſe; wenn wir aber aus dem, was
wir eigentlich nur geſehn haben, das letztere deut-
lich beweiſen ſollen, ſo koͤnnen wir es entweder
nicht, oder es koſtet uns wenigſtens Muͤhe. Und
wer die Logick verſteht, wird auch wiſſen, woher
dieſes kommt. Wir haben alsdann von der Be-
obachtung nur klare Begriffe. Die Merkmale,
welche das, was wir daraus ſchließen, demon-
ſtriren, ſind in unſerem Begriffe enthalten; wenn
wir ſie aber, um unſern gefaßten Schluß zu be-
weiſen, angeben ſollen, ſo muͤſſen wir ſie zuvor
entwickeln, und folglich den klaren Begriff deut-
lich machen. Das iſt bisweilen ſchwer, und de-
nenjenigen, die darinn nicht geuͤbt ſind, oder denen
es ſonſt an Scharfſinnigkeit fehlt, oft unmoͤglich.
Jch habe hier einige dieſer Merkmale entwickelt;
es finden ſich derſelben noch weit mehrere in den
Beobachtungen, die ich mir aber deswegen nicht
die Muͤhe geben mag, zu entwickeln, weil ich die
Sache ſchon fuͤr zu offenbar halte.


Von der Be-
wegung des
Herzens.

Weil aber auch die Bewegung
des Herzens in dieſer Sache einen
Einfluß hat, ſo will ich auch hiervon
noch eine von meinen neuern Beobachtungen an-
fuͤhren. Der Herr von Haller behauptet, daß
alle Veraͤnderungen des Wachsthumes und die
ganze Evolution von der Bewegung des Herzens
dependiren; hierdurch werden die Saͤfte in die
Gefaͤße
[265]Wiederholte Verſuche.
Gefaͤße hineingetrieben, und die Gefaͤße, und zu-
gleich die Theile, worin ſich dieſe befinden, wer-
den dadurch auseinandergeſchoben und ausgedehnt.
Jndeſſen hat er vor dem Ende des zweeten Tages
niemals das Herz ſich bewegen ſehn, (Second.
Mem. p.
105.) ob wohl innerhalb dieſer beyden
Tage ſchon viel Veraͤnderungen vorgegangen ſind,
und der Embryo ſtark gewachſen iſt. Die Anfaͤn-
ge des Kopfes, des Ruͤckgrades, des Gehirnes,
des Ruͤckmarkes, der Augen, des Schnabels, und
endlich auch die Kante, aus welcher die Fluͤgel und
Fuͤſſe entſtehen, und die hernach in die Bruſt und
den Unterleib uͤbergeht, ſind alle ſchon da, und ſind
nach und nach entſtanden. Der Herr von Hal-
ler
hat auch das Herz uͤberhaupt nicht vor 48
Stunden geſehen. (Sec. Mem. p. 64.) Jch hatte
es hingegen viel fruͤher, nemlich, zu 36 Stunden
in der Beobachtung, davon meine 5te Figur in
der Diſſertation iſt, unter der Figur eines halben
Cirkels, allein weiß, und ohne alle Bewegung ge-
ſehn. Dieſe Beobachtungen ſind mir auch jetzo
wieder vorgekommen. Jch bin verſichert, daß
ſich bey dieſen Embryonen, das Herz niemahls
bewegt gehabt hat, ſo wie ich verſichert bin, daß
es eine Zeit gibt, nemlich vor 24 Stunden, wo
noch gar kein Herz da iſt, und wo aber der Kopf
und der Ruͤckgrad ſchon wiewohl ohne Gehirn und
Ruͤckmark exiſtiren, wie in meiner vierten Figur.
Nunmehro aber habe ich eine Beobachtung, die
die Meynung des Herren von Hallers zu beſtaͤ-
tigen ſcheint, die aber am Ende die Sache, wie
R 5ſie
[266]Anhang.
ſie ſich verhaͤlt, außer allen Zweifel ſetzen wird,
und die ich aufrichtig, wie ich ſie geſehn habe, an-
fuͤhren werde. Jch oͤfnete ein Ey von 29 Stun-
den. Es zeigten ſich wider alles Vermuthen in
der Area ſchon die Anfaͤnge der Gefaͤße, und die
Vene, welche die Area umgibt; ſie waren braͤun-
lich und fielen ins Rothe; kurz, die Area hatte bey-
nahe das Anſehen, wie die, welche ich in der 7ten
Figur meiner Diſſertation gezeichnet habe, die
aber aus einem Ey von 64 Stunden iſt. Das Herz
war roͤthlich, und ließ ſich alſo im Ey ſelbſt ſehen;
allein ich ſahe es nicht ſchlagen, und hielt alſo den
Embryo von der Vollkommenheit wie den, in der
angefuͤhrten Figur, wovon ich in der Anmerkung des
179. §. in der Diſſertation geſagt habe, weil bey ihm
das Herz gleichfalls nicht ſchlug, daß nur noch ein
Grad der Vollkommenheit im Blute fehle, ſo wuͤrde
daſſelbe das Herz irritirt haben, dieſes wuͤrde ſich
lebhaft zuſammengezogen, und das Blut, wel-
ches bishero ſtille zu ſtehen ſchien, durch die Ge-
faͤße fortgetrieben haben. Jch glaubte alſo damahls,
daß dieſe Veraͤnderungen, da das Herz aus der
Ruhe in die lebhafteſte Bewegung, und das Blut
aus einer unmerklichen in die ſchnelleſte Bewegung
geſetzt wird, auf einemmahle geſchehen ſollten; daß
alles ſo lange ſich ruhig verhielte, bis die gehoͤrige
Roͤthe im Blute, und die gehoͤrige Reitzbarkeit
im Herzen entſtanden waͤren; alsdann wuͤrde alles
mit einemmahle in Bewegung gerathen. Jch
beſahe dieſes Herz durch das Vergroͤßerungsglas,
und ſahe zu meiner groͤſten Verwunderung, daß
es
[267]Wiederholte Verſuche.
es ſich bewegete. Alſo eine Bewegung des Her-
zens zu einer Zeit, wo man ſie noch nicht geſehen
hat, und wo man ſie nicht vermuthet! Allein dieſe
Bewegung war von der gewoͤhnlichen Bewegung
des Herzens ſehr verſchieden. Es iſt bekannt, daß
ſich das Herz im Ey ſo lebhaft zuſammenzieht, daß
ſeine Theile bey ihrer Syſtole voͤllig verſchwinden;
ſie preſſen alles Blut, welches ſie bey der Diaſtole
in ſich enthalten, aus ihren Hoͤlen hinaus, ſie wer-
den daher weiß, ziehen ſich in einen kleinen Punkt
zuſammen, und man ſieht ſie nicht mehr, daher
auch der Nahme des huͤpfenden Punktes entſtan-
den iſt. Ueberdem geſchehen dieſe Zuſammenzie-
hungen ſehr oft und ſehr geſchwind. Allein hier
verhielt es ſich anders; die Bewegung war vors
erſte ſehr langſam, ſie war, was man pulſum ra-
rum
und zugleich, was man tardum nennt; die
Zuſammenziehungen geſchahen ſparſam und lang-
ſam. Dabey aber waren dieſelben ſchwach, daß
man ſie nur mit Muͤhe wahrnehmen konnte. Sie
waren keine wahre Zuſammenziehungen, wodurch
das Blut aus der Hoͤle des Herzens haͤtte heraus-
getrieben werden koͤnnen, ſondern vielmehr nur ein
ſehr leichter und ſanfter Druck auf dieſes in der
Herzkammer enthaltene Blut. Jch ſahe nicht, daß
dieſe Tropfe von Blut bey der ſchwachen Zuſam-
menziehung kleiner wurde; ſie blieb wie ſie war;
das Blut wurde nicht bewegt, ſondern nur ſehr
ſanfte und langſam gedruͤckt, ſo wie in dem Magen
die Speiſen durch den motum periſtalticum ge-
druͤckt werden. Alſo iſt dieſes wiederum eine be-
ſondere
[268]Anhang.
ſonderc Periode des Herzens, wo es zwar da iſt,
auch ſich bewegt, allein durch dieſe Bewegung
noch nicht im Stande iſt, das Blut fort zu bewe-
gen, und man ſieht zugleich aus dieſer Beobach-
tung wie es ſich mit dem Anfange der Reitzbarkeit
und der Bewegung des Herzens verhaͤlt. Sie
entſteht nicht auf einemmahle, wie ich mir dieſes
ſonſt vorgeſtellt habe, ſondern nach und nach; ſie
wird allmaͤhlig ſtaͤrker, und geht endlich zuletzt aus
einer langſamen ſpaſtiſchen, wie ich ſie beſchrieben
habe, in eine augenblickliche convulſiviſche Bewe-
gung uͤber, wie wir ſie beym Erwachſenen noch
ſehen.


Man kann, denke ich, nunmehro nicht mehr
ſagen: man ſieht das Herz nicht, man ſieht
nicht es ſich bewegen; Gut! daraus folgt
nicht, daß es nicht da ſey, daß es ſich nicht
bewege, und die Urſache der Bewegung des
Blutes ſey. Es kann ſich bewegen, aber
man ſieht nur dieſe Bewegung nicht.
Jch
habe dieſe Bewegung geſehn, aber ich habe zugleich
geſehn, daß das Blut dadurch nicht bewegt wurde.


Man pflegt nemlich in der Phyſiologie nicht
nur die Bewegung des Blutes, ſondern auch aller
uͤbrigen Saͤfte, die ganze Nutrition und alle vege-
tabiliſche Bewegungen, und das ganze vegetabi-
liſche Leben in den Thieren von der Bewegung des
Herzens herzuleiten. Der Herr von Haller
ſucht alſo natuͤrlicher Weiſe in eben dieſer Bewe-
gung des Herzens zugleich auch diejenige Kraft,
welche
[269]Wiederholte Verſuche.
welche erfordert wird, die Evolution zu bewerkſtel-
ligen; ich halte ſowohl das Letztere als auch die ge-
meine Meynung der Phyſiologen fuͤr unrichtig,
und glaube hinlaͤngliche Spuhren von einer beſon-
dern den Pflanzen ſowohl als den Thieren weſent-
lichen Kraft gefunden zu haben, der ich die oben
benennte Verrichtungen, die Diſtribution der Saͤf-
te und die Nutrition, bey den Pflanzen beſtaͤn-
dig, bey den Thieren zur erſten Zeit ihrer Forma-
tion allein, in Erwachſenen zum Theil noch zu-
ſchreibe. Jch fuͤhre alſo unter andern Beweiſen
auch dieſen an, daß es eine Zeit gibt, wo noch
kein Herz im Embryo iſt, und wo dieſer dem un-
geachtet ſtark nutrirt wird, und vegetirt. Man
wendet alsdann dawider ein, das Herz koͤnne da
ſeyn, ob man es gleich nicht ſieht, und ich antwor-
te, das Herz iſt niemahls ſo klein, auch niemahls
ſo durchſichtig, daß es dadurch unſichtbar werden
ſollte, und ich habe es auch in meinen letzten Beo-
bachtungen noch immer von eben der Groͤße, und
immer aus kleinen Kuͤgelchen zuſammengeſetzt ge-
funden, ſo fruͤhe ich es auch geſehn habe, ob es
wohl ſehr unvollkommen, und erſt formirt zu ſeyn
ſchien. Allein ich will ſetzen, es ſey vorhero un-
ſichtbar geweſen; ich ſehe es aber, wenn ich es zu-
erſt ſehe, noch eine Zeitlang vollkommen in Ruhe
und ohne alle Bewegung, folglich kann es, wenn
es auch da iſt, dennoch in der erſten Zeit die Saͤfte
nicht bewegen. Man wende alſo auch ferner hier-
wider ein, es habe ſich, ungeachtet es in Ruhe zu
ſeyn ſchien, dennoch bewegt; man habe nur dieſe
Bewe-
[270]Anhang.
Bewegung nicht ſehn koͤnnen; ſo antworte ich;
wenn mir das Herz einmahl ſeiner Durchſichtig-
keit oder Kleinheit oder anderer Umſtaͤnde wegen
nicht unſichtbar iſt, wenn ich es einmahl genau ſehn,
und ſeinen Umfang genau unterſcheiden kann, wie
ich es denn, ſo oft ich es geſehn habe, allemahlſehr
genau geſehn habe, (denn man ſieht es entweder ſehr
deutlich oder ganz und gar nicht,) ſo iſt es unmoͤg-
lich, daß mir ſeine Bewegung, wenn es eine hat,
verborgen bleiben ſollte. Jch werde ja ſehn, ob
ſein Umfang, den ich ſo genau ſehe, immer der
nemliche bleibt, oder ob er wechſelsweiſe groͤßer und
kleiner wird; ob er ſeinen Ort, den er einnimmt,
ſteif und feſt behaͤlt, oder ihn veraͤndert. Allein
geſetzt, das alles waͤre nicht, und das Herz, wel-
ches ich ruhig ſtille liegen ſehe, bewegte ſich den-
noch; ſo ſehe ich aber auch, daß die erſte Bewe-
gung des Herzens, wenn ich ſie wuͤrklich ſehe, noch
nicht ſo beſchaffen iſt, daß dadurch das Blut fort-
getrieben werden koͤnnte. Sollte dieſes alles noch
nicht hinlaͤnglich ſeyn, meine Theorie von der we-
ſentlichen Kraft, von der allmaͤhligen Formation
der Theile, und der allmaͤhligen Erlangung ihrer
Eigenſchaften, die ſie im Erwachſenen haben muͤſ-
ſen (die weſentliche Kraft nur ausgenommen) zu
beweiſen? Jch will die ganze Sache der Beur-
theilung des Herren von Hallers uͤberlaſſen; nur
eine eintzige Anmerkung will ich hierbey noch
machen.


Jm Erwachſenen traͤgt das Herz zur Nutri-
tion gewiß ſehr vieles bey, und ohne demſelben
wuͤrde
[271]Wiederholte Verſuche.
wuͤrde die Diſtribution der Saͤfte, wie ſie zur Nu-
trition erfordert wird, nicht geſchehen koͤnnen; ob
es alſo gleich nicht die einzige Urſache der ganzen
Diſtribution iſt, ſo iſt es doch eine ſolche Urſache,
welche nothwendig mit dazu erfordert wird. Wenn
nun aber das Thier formirt werden ſoll, ſo wird
hierzu ſchon die Diſtribution der Saͤfte erfordert,
wie kann dieſe alſo indeſſen geſchehen, ehe die Ur-
ſachen da ſind, wodurch ſie im Erwachſenen zuwe-
ge gebracht zu werden pflegt? Es kommen mehre-
re dergleichen Faͤlle vor. Jm Erwachſenen wird
auch zur Formation des Blutes ein Chylus erfor-
dert, der in den Gedaͤrmen zubereitet werden ſoll,
und die Lungen ſcheinen auch etwas dazu beyzu-
tragen. Allein im Embryo ſind alle dieſe Theile
noch nicht vorhanden, und dennoch wird Blut
formiret. Es ſcheint alſo, als wenn zu denen-
jenigen Verrichtungen, die nothwendig im Em-
bryo auch zu der Zeit ſchon ſtatt finden muͤſſen,
wenn die gewoͤhnliche Urſachen dieſer Verrichtun-
gen noch nicht vorhanden ſind, indeſſen andere
Urſachen beſtimmt waͤren, die dieſe Verrichtun-
gen ſo lange bewuͤrken muͤßten, bis die rechte Ur-
ſachen derſelben hervorgebracht waͤren; daß alsdann
die Verrichtungen durch dieſe gewoͤhnliche Urſa-
chen bewuͤrket werden, und jene hingegen zu wuͤr-
ken aufhoͤren! Allein ſo verhaͤlt ſich die Sache
auch noch nicht. Die erſten Urſachen der Ver-
richtungen, die ſchon beym Embrio ſtatt funden,
hoͤren niemahls auf zu wuͤrken; ſie thun noch
beym
[272]Anhang.
beym Erwachſenen das meiſte zu den Verrichtun-
gen, und die gewoͤhnlichen, welche uns die rechte
Urſachen beym Erwachſenen zu ſeyn ſcheinen, wuͤr-
ken entweder nichts, oder ſie thun etwas anders.
Jch habe dieſe Scheinurſachen, die beym Er-
wachſenen uns von ſo großer Wichtigkeit zu ſeyn
ſcheinen, cauſas acceſſorias genennt, und ihre
Wuͤrkungen die ſie uͤberhaupt haben koͤnnen, be-
ſtimmt (Diſſ. §. 244.) Sie ſind gemeiniglich me-
chaniſch; ſo lange wir uns bey unſern Erklaͤrun-
gen an ſie noch halten, werden wir die wahre Na-
tur der Thiere niemahls entdecken.


Von der
Continuation
der Haͤnte des
Eyes in den
Embryo.

Endlich habe ich auch die Haͤute
in ſpaͤter gebruͤteten Eyern genauer un-
terſucht, als ich es vor dem gethan hatte,
um von der Continuation des Embryo
in die Haͤute des Gelben deſto beſſer
urtheilen zu koͤnnen. Jch habe in der erſten Ab-
handlung die Beobachtungen ſo angenommen,
wie ſie der Herr von Haller und Herr Bon-
net
angegeben haben, und habe gezeigt, daß dar-
aus nichts wider die Epigeneſis zu ſchließen ſey.
Jch wollte aber dem ungeachtet doch wiſſen; ob
es denn auch mit den Beobachtungen ſeine voͤlli-
ge Richtigkeit haͤtte; nicht, als wenn ich an der
Wahrheit desjenigen, was der Herr von Haller
wahrgenommen zu haben vorgiebt, zweifelte; ich
werde mir dieſes am allerwenigſten einfallen laſ-
ſen. Allein es koͤnnen bisweilen gewiſſe Umſtaͤnde
uͤber-
[273]Wiederholte Verſuche.
de uͤberſehen werden, die der Sache ein ganz an-
deres Anſehen geben; deswegen iſt es nicht nur
beſſer, daß man eine Beobachtung aus der man
etwas ſchließen will, ſelbſt unterſuchet, und nie,
mahls auf bloße Worte eines andern etwas bauet-
ſondern es iſt, dieſe Worte moͤgen ſo wahr ſeyn,
als ſie wollen, unumgaͤnglich nothwendig.
Jn der That ſinden ſolche Umſtaͤnde bey dieſer
Beobachtung ſtatt, die nicht nur den Schluß,
den man daraus zieht, voͤllig von derſelben ab-
ſchneiden, ſondern die, wenn ſie ausgedruͤckt waͤ-
ren, nicht einmahl zulaſſen wuͤrden, das man auf
die Gedanken einer ſolchen Folgerung kommen
koͤnnte.


Wir finden nach geſchehener Jncubation den
Embryo im Ey. Der Herr von Haller ſagt, er
iſt ſchon vor der Jncubation und vor dem Bey-
ſchlaf darin, nur unſichtbar, geweſen, ich ſage, er iſt
waͤhrend der Jncubation in demſelben formirt wor-
den. Der Herr von Haller fuͤhrt um ſeine Mey-
nung zu beweiſen, die Beobachtung an, daß die
Theile des Embryo in die Haͤute des Gelben con-
tinuiren. Es verſteht ſich hierbey, wenn man
aus dieſer Beobachtung auf die Exiſtenz des Em-
bryo vor dem Beyſchlaf ſchließen will, daß dieſe
Haͤute des Gelben, in welche die Gedaͤrme des
Embryo continuiren, ſchon vor der Jncubation da
geweſen, und zwar ſo da geweſen ſeyn muͤſſen, daß
man ſie ſieht, und daß an dieſer ihrem Daſeyn gar
kein Zweifel ſeyn muß. Denn man ſieht leicht,
wenn es ſich mit dieſen Haͤuten eben ſo, wie mit
Sdem
[274]Anhang.
dem Embryo, verhalten ſollte, wenn ſie vor der
Jncubation unſichtbar ſeyn ſolten, und man wollte
ſagen, ſie haben dennoch als unſichtbar exiſtirt;
ſo waͤre man in dem Beweiſe nicht um ein Haar
weiter gekommen, ſondern man haͤtte nunmehro
von den Haͤuten mit ſamt dem Embryo eben das-
jenige wieder zu beweiſen, was man vorhin nur
vom Embryo allein zu beweiſen hatte, allein es
laͤßt ſich niemand einfallen, daran zu zweifeln,
und man geraͤth nicht einmal auf die Gedanken:
Jſt denn aber auch die Haut des Gelben,
in welche der Embryo continuirt, gewiß
vor der Jncubation ſchon da geweſen?

Eben in dieſer Gewißheit ſoll der ganze aus der
Beobachtung gezogene Beweis beſtehn; und
wenn das Daſeyn der Haut zweifelhaft waͤre, ſo
wuͤrde man nicht einal an die Continuation, um
ſie zum Beweiſe der Epigeneſis zu gebrauchen,
gedacht haben. So wuͤrde ich, wenn mir jene
Frage eingefallen waͤre, und ſo wuͤrde ein jeder
gedacht haben. Man weis uͤber dem das Gelbe
iſt vor der Jncubation mit einer Haut uͤberzogen;
wer wird alſo daran zweifeln, daß dieſes nicht
eben dieſelbe Haut ſeyn ſollte, in welche die Ge-
daͤrme des Embryo continuiren? Allein iſt es eben
deswegen nicht ſonderbar, wenn nunmehro meine
angeſtellte Verſuche lehren, daß nichts weniger,
als dieſe Membran des Gelben, die vor der Jn-
cubation ſchon da geweſen iſt, mit den Theilen des
Embryo continuirt, daß ſie mit denſelben nicht
die allergeringſte Gemeinſchaft hat, und daß hin-
gegen
[275]Wiederholte Verſuche.
gegen die Haͤute des Gelben, in welche die Ge-
daͤrme des Embryo continuiren, nichts weniger
als vor der Jncubation ſchon da geweſen ſind, ſon-
dern daß ſie vielmehr mit ſamt ihren Gefaͤßen, die
aus den Gekroͤßadern des Embryo entſtehen, und
die der Herr von Haller fuͤr ein ſo wichtiges Ar-
gument anſahe, viel ſpaͤter noch als der Embryo
ſelbſt formirt werden. Jch ſchame mich wegen
meiner laͤcherlichen Diſpute, die ich wider die Fol-
gerung aus der Continuation ſo umſtaͤndlich, ſo
klar und deutlich ausgefuͤhrt habe, da eine ſolche
Continuation niemals in der Welt in den Eyern
ſtatt gefunden hat; und es geht mir dieſes mal wie
jenen Gelehrten, die ehedem ſo eifrig uͤber
die Entſtehungsart des goldenen Zahnes diſputirt
haben. Herr Bonnet hat mir gluͤcklich, wiewol
ſo wenig als der Herr von Haller mit Vorſatz,
etwas aufgebunden; und ich hingegen habe aus
Gruͤnden der Phyſick bewieſen, daß Hans Nord
unmoͤglich Raum in einem Kruge habe. Was
aber das artigſte bey dieſer ganzen Sache iſt,
iſt dieſes, daß ich dem Herrn von Haller nicht
Schuld geben kann, daß er das geringſte un-
wahre Wort geſagt habe. Er ſagt, die Gedaͤr-
me continuiren in die Haͤute des Gelben; das iſt
wahr. Er ſagt weiter, das Gelbe hat ſchon im
Eyerſtock exiſtirt, das iſt wieder wahr: Er haͤtte
auch ſagen koͤnnen, die Haut des Gelben ſey ſchon
im Eyerſtock vorhanden geweſen; allein er ſetzt
nicht hinzu, daß dieſes nicht dieſelbe Haut ſey, in
welche die Gedaͤrme des Fetus continuiren; das
S 2iſt
[276]Anhang.
iſt nemlich der Umſtand von welchem ich gleich An-
fangs geſagt habe, daß er nicht beſtimmt ſey, und
der der Sache ein ganz anderes Anſehen gibt.


Jch will jetzo dasjenige, was ich bey mei-
nen Verſuchen gefunden habe, umſtaͤndlicher er-
klaͤren. Nach dem 12ten, 14ten bis 16ten Tage
beſteht das Ey aus drey von einander verſchiede-
nen Saͤcken, aus dem Sacke des Gelben, welcher
in der Mitte liegt, aus dem Amnio mit dem Fe-
tus, welches nach dem ſtumpfen Ende des Eyes,
und aus dem Sacke des Weißen, welcher nach
dem ſpitzigen Ende zugelegen iſt. Dieſe drey Saͤ-
cke ſind auf folgende Art in Haͤuten eingeſchloſſen
und mit einander verbunden. Zuerſt erſcheint
unmittelbar unter der aͤußern harten Schale, wenn
man dieſe wegnimmt, die weiße dicke undurchſich-
tige und trockne Haut, die an den unterſten zwey
Drittheilen der Schale feſt ſitzt, oben aber am
ſtumpfen Ende zwiſchen ſich und der Schale ei-
nen großen leeren Raum laͤßt, der ohne Zweifel
mit Luft angefuͤllt iſt. Es iſt ſchwer, die Schale
ohne Verletzung dieſer Haut loß zu machen; es laͤßt
ſich aber bewerkſtelligen. Dieſe Haut umgiebt
alle drey Saͤcke, das Amnium, das Gelbe, und
das Weiße, und ſie iſt alſo die erſte gemeinſchaft-
liche Haut, wodurch dieſe drey Theile uͤberzogen
und an einander gehalten werden. Wenn man
die Schale gluͤcklich losgemacht hat, ſo hat man
nunmehro ein neues weiches Ey, welches der Fi-
gur nach von der Schale verſchieden iſt; denn
dieſe
[277]Wiederholte Verſuche.
dieſe Haut formirt an dem obern ſtumpfen Ende
nicht wiederum ein Gewoͤlbe, wie die Schale, ſon-
dern eine platte Flaͤche. An dieſer Flaͤche iſt ſie
auch auf der darunter gelegenen folgenden Haut ſo
befeſtiget, daß ſie ſich nicht ohne Zerreißung von
derſelben trennen laͤßt. Von dem uͤbrigen Um-
fange des Eyes aber, wo ſie das Gelbe und das
Weiße bedeckt, laͤßt ſie ſich leicht abloͤſen. Wenn
man dieſe Haut herunter nimmt, ſo folgt nunmeh-
ro die zweyte, die zwar ebenfalls ziemlich ſtark,
aber durchſichtig iſt, ſo daß man nunmehro die
drey Theile des Eyes, und im Amnio den Fetus
ſelbſt ſehen kann. Sie iſt wiederum eine allge-
meine Haut aller drey Theile des Eyes, und dieſe
werden noch durch dieſelbe in eine Kugel zuſam-
men gehalten. Malpigh hat dieſes in der 54.
Figur im Anhange ſehr ſchoͤn und natuͤrlich aus-
gedruͤckt. Es iſt nemlich dieſe Haut diejenige,
welche Malpighchorium nennt. Auf ſie folgt
die dritte oder die zweyte durchſichtige, denn die er-
undurchſichtige muß eigentlich nicht mitgezehlt
werden; dieſe iſt wiedrum allgemeiu, und ſie hielt,
nachdem ich des Malpighs Chorium herunter-
gezogen hatte, noch immer die drey Theile des
Eyes in einem Kuchen zuſammen, auf die Art,
wie Malpigh dieſe drey Theile, da ſie noch ins
Chorium eingeſchloſſen waren, in der 54ſten Figur
vorgeſtellt hat. Sie iſt ſehr ſubtil, und Mal-
pigh
hat ſie dahero nicht wahrgenommen; er hat
ſie allemal mit dem Chorio zugleich herunter ge-
zogen, als welches ſehr leicht geſchehen kann.
S 3Man
[278]Anhang.
Man kann ſie, wenn man man will, auf fuͤr die
innere Lamina des Chorii anſehen, und beyde fuͤr
eine Haut halten. Nachdem ich dieſe herunter
gezogen hatte, ſo fielen numehro die drey Theile
des Eyes in drey verſchiedene Kuchen von einan-
der; denn ob ſie gleich an einem Orte ihrer Ober-
flaͤche noch mit einander verbunden ſind; ſo ſtel-
len ſie nunmehro doch drey verſchiedene Kuchen
gleichſam vor, die vorhin durch die allgemeine
Haͤute in einem zuſammen gepreßt waren. Man
ſieht dieſes in der 52ten Figur des Malpigh,
wobey man ſich nur vorſtellen darf, als wenn die
Haut des Amnii D, welches hier zerriſſen, und
nach dem Gelben zu herunter gezogen iſt, uͤber
den Fetus zuruͤck geſchlagen waͤre, und eine Blaſe
um ihn formirte, die alsdann das Amnium vor-
ſtellen wuͤrde. Nunmehro folgen alſo die eigene
Haͤute eines jeden dieſer drey Theile des Eyes, von
deren Continuation in einander die Rede iſt.
Das Amnium beſteht aus einer einfachen Haut,
die, nachdem ſie die Blaſe um den Fetus formirt
hat, am Nabel ſich zuruͤck ſchlaͤgt, zugleich ſich an
der Oberflaͤche deſſelben feſtſetzt, und in die Epi-
dermis des Fetus continuirt. Es ſchlieſſet alſo
die Oeffnung des Unterleibes, durch welche die
Gedaͤrme des Fetus heraus hengen, nicht zu, und
dieſe ſind daher auch nicht nur auſſer der Hoͤle des
Unterleibes, ſondern auch auſſer dem Amnio und
auſſer dem Sacke des Gelben gelegen, und wer-
den durch nichts als| durch die allgemeine Haͤute,
durch des Malpighs Chorium eingeſchloſſen.
Jch
[279]Wiederholte Verſuche.
Jch weiß nicht, daß man dieſes ſchon bemerkt
hat. Man ſtellt ſich vor, ſie ſollen im Amnio
nicht nur, ſondern auch innerhalb des Nabels noch
liegen; das iſt aber falſch, und der ganze Nabel,
den Malpigh in der 48ſten Figur bey B gezeich-
net hat, exiſtirt eigentlich nicht, ſondern iſt ein
kuͤnſtliches Produkt; er entſteht nemlich, wenn
man das Amnium zerreißt, und, um den Fetum zu
entbloͤßen, die Membran des Amnii uͤber die Ge-
daͤrme und Naͤbelgefaͤße zuruͤck ſchlaͤgt. Daher
ſagt Malpigh, die Haut dieſes Nabels conti-
nuirt in die Haut des Embryo; das thut das Am-
nium, und dieſe Haut, die den Nabel formirt, iſt
weiter nichts als die zuruͤckgeſchlagene Membran
des Amnii. Der Sack des Gelben beſteht nun-
mehro aus zwey ihm eigenen Haͤuten, die eben
diejenigen ſind, die in den Embryo continuiren,
die aͤuſſere iſt duͤnne, glatt und durchſichtig, wie
die Membran des Amnii, die Pleura, das Peri-
toneum, und andere dergleichen duͤnne Membra-
nen; die innere iſt dicker, weich und ſchwammigt;
ſie formirt die breite in die Hoͤle des Sackes her-
abhengende Falten, die Duplicaturen dieſer in-
nern Haut ſind, ſo wie die Falten in den Gedaͤr-
men von der innern ſo genannten zottigten Haut
derſelben formirt werden. Sie iſt in allen Stuͤ-
cken dieſer innern Haut der Gedaͤrme aͤhnlich;
und es iſt daher kein Zweifel, daß ſie nicht auch
eben ſo aus lauter kleinen durch ein Zellengewebe
verbundenen Gefaͤßen beſtehen ſolte, wie wir an
den Lieberkuͤhniſchen Jnjectionen ſehen, daß die
S 4Haut
[280]Anhang.
Haut der Gedaͤrme zuſammengeſetzt iſt. Auf der
Oberflaͤche dieſer Falten laſſen ſich auch leicht durch
das Vergroͤßerungsglas die beſondere Art von
ſchlangenfoͤrmigen Canaͤlen wahrnehmen, die gleich-
ſam auf dieſe Oberflaͤche der Falten oder Valveln
wie ſie der Erfinder derſelben, der Hr. von Haller
nennt, nur aufgelegt zu ſeyn ſcheinen. Mit der
Continuation verhaͤlt es ſich nun auf dieſe Art;
ich habe ſchon geſagt, daß ungeachtet des ver-
ſchloßenen Amnii eine Oeffnung in das Unterleib
des Fetus uͤbrig bleibt, aus dieſer hengen die Ge-
daͤrme des Fetus heraus, und es ſind beſonders
zwey Kruͤmmungen, die von dem duͤnnen Darm
formirt werden, merkwuͤrdig, die in der fruͤhern
Zeit den ganzen duͤnnen Darm ausmachten, wel-
cher aber hernach durch ſeine Verlaͤngerung meh-
rere dergleichen Krummungen formirt; die eine
von dieſen Kruͤmmungen iſt der Theil des duͤnnen
Darmes, der allein mit dem Sacke des Gelben
durch einen kurzen und duͤnnen Canal communicirt.
Die aͤußere eigene Haut des Gelben geht an einem
Orte von der Oberflaͤche dieſes Sackes ab, formirt
eine Scheide um den Vereinigungscanal, in wel-
cher auch noch ein paar kleine Gefaͤße von den
Aeſten der Gekroͤsadern neben dem Canal einge-
wickelt liegen; ſie kommt auf die Kruͤmmung des
Darmes, geht gerade uͤber ſeine Oberflaͤche her-
uͤber, und continuirt, nachdem ſie ſeine aͤußere
Haut gemacht hat, in das Gekroͤſe. Die innere
eigene Haut des Gelben continuirt durch den Ca-
nal in die innere Haut der Gedaͤrme.


Nun-
[281]Wiederholte Verſuche.

Nunmehro wiſſen wir, das Gelbe iſt vor der
Jncubation mit einer einzigen einfachen duͤnnen
Membran umgeben, außer welcher man auch kei-
ne Spuhr von irgend einer andern wahrnimmt;
wenn alſo dieſe Membran eine von denen waͤre,
die in der Folge die eigene Membranen des Gel-
ben ausmachen, ſo verhielte es ſich mit der Con-
tinuation ſo, wie man es vorgibt, allein das iſt
es eben, was gar nicht moͤglich iſt. Wir wiſſen,
daß, ſo bald das Amnium mit dem Embryo in
den erſten 24 Stunden zum Vorſchein kommt,
daſſelbe ſo gleich unter der alsdann noch einfachen
Membran gelegen und folglich von derſelben mit
eingeſchloſſen| iſt. So bleibt das ganze Amnium
auch in der Folge der Jneubation beſtaͤndig in die-
ſer aͤußern Haut des Gelben eingeſchloßen, und
folglich muß dieſelbe indem das Amnium waͤchſt,
und ſich ausdehnt nothwendig eine gemeinſchaft-
liche Haut werden, worin nicht nur das Gelbe
ſondern zugleich auch das Amnium eingeſchloßen
iſt. Es iſt auf gar keine Art moͤglich, daß eine
Membran, die im Anfange nebſt dem Gelben auch
zugleich mit das Amnium umgeben hat, in der
Folge das Amnium und den Fetum ausſchlieſſen
und in die innere Theile des Fetus continuiren
koͤnnte, ſo, daß, wenn das Unterleib des Fetus
verlaͤngert wuͤrde, dieſes nunmehro vielmehr jenen
Sack, in dem es vorhin enthalten geweſen iſt, ein-
ſchließen wuͤrde, wie es ſich wuͤrklich in der Folge
verhaͤlt, wo der Sack des Gelben mit ſeinen bey-
den eigenen Haͤuten in die Hoͤle des Unterleibes
S 5ge-
[282]Anhang.
gezogen wird. Es wundert mich, daß der Herr
von Haller dieſe Unmoͤglichkeit nicht ſehr bald
gemerkt hat. Jch muß geſtehn, ſo bald ich das
in ſeinen 2 eignen Haͤuten eingeſchloßene Gelbe
und die Art der Verbindung deſſelben mit den Ge-
daͤrmen des Embryo ſahe, ſo fiel es mir ſogleich in
die Augen, daß dieſe eigene Haͤute des Gelben
unmoͤglich die alte Haut deſſelben ſeyn koͤnnten,
als von welcher ich einmahl ſchon den Eindruck hat-
te, daß ſie uͤber das Amnium weggehen muß.
Jch haͤtte es auch eben deswegen ſchon vorher, ehe
ich die Unterſuchungen anſtellte, einſehen ſollen;
allein ich hatte die ganze Sache nicht recht uͤber-
legt. Man ſieht alſo leicht, dieſe alte Haut des
Gelben, welche vor der Jncubation ſchon exiſtirt,
iſt eben dieſelbe, welche Malpigh Chorium ge-
nennt hat. Dieſe continuirt aber auf keine Art
mit dem Fetus; ſie geht uͤber das Amnium, wor-
in der Fetus eingeſchloßen liegt, weg, und kommt
alſo nirgends mit ihm zuſammen. Die beyde eige-
ne Haͤute des Gelben aber, die wuͤrklich mit den
Gedaͤrmen des Fetus continuiren, ſind neue for-
mirte Haͤute, die ziemlich ſpaͤt erſt und zwar nach
und nach ſehr langſam formirt werden. Es ſind
eben die, welche unter der alten Haut des Gelben
die aream umbilicalem ausmachen, in welcher
die Gefaͤße formirt werden, und deren Entſte-
hungsart aus der koͤrnigten Materie ich in mei-
ner Diſſertation erklaͤrt habe.


Es findet alſo, wenn man von Haͤuten re-
det, die mit dem Eye ſelbſt im Eyerſtocke ſchon
vor-
[283]Wiederholte Verſuche.
vorhanden geweſen ſeyn ſollen, keine Continua-
tion dieſer Haͤute in den Embryo ſtatt; unb folg-
lich wuͤrde auch die Evolution, wenn gleich eine
ſolche Continuation ein Beweiß derſelben waͤre,
dennoch dadurch nicht bewieſen werden koͤnnen;
allein da auch, wie ich in der erſten Abhandlung
weitlaͤuftig bewieſen habe, ſelbſt eine dergleichen
Continuation, wenn ſie wuͤrklich ſtatt faͤnde, den-
noch nichts beweiſen wuͤrde, ſo wird nunmehro
Herr Bonnet um ſo vielmehr daraus erkennen,
daß er geirrt habe, wenn er geglaubt hat, dieſes
Argument ſey eine vollkommne Demonſtration
ſeiner Hypotheſe.

[figure]
[[284]]

Appendix A Druckfehler.


  • Seite 34 Reihe 22 nach Dispuͤten muß zugeſetzt wer-
    den: vermieden werden koͤnnen, und alle Dis-
    puͤten aber


[][][][]
Notes
*)
§. 194. cit, 215. \& 216.
**)
§. 215.
*)
Der geneigte Leſer beliebe hiervon im Anhange meine
wiederholte Verſuche zu leſen, worin ich einen Jrr-
thum, den ich in meinen ehemaligen Beobachtungen
begangen habe, entdeckt habe. Es findet kein Weg-
ziehen der Kante ſtatt, ſondern dieſe geht, nachdem
aus ihr die Fuͤße und Fluͤgel entſtanden ſind, in die
Bruſt und den Unterleib uͤber, wie ſolches an be-
ſagtem Orte weiter erklaͤrt wird.
*)
Jch muß aber hier von der Art dieſer Excretion noch
eine Anmerkung machen; Es hat mir bey meinen
neueſten Obſervationen geſchienen als wenn der Saft,
indem er aus einem vorhergehenden Theile zur Anla-
ge eines neuen Theils excernirt wird, nicht voͤllig
uͤber der Oberflaͤche des vorhergehenden Theiles her-
ausgetrieben wuͤrde, ſondern vielmehr unter der aͤuſ-
ſerſten Membran deſſelben, die uͤberaus duͤnne und
zart iſt, ſitzen bliebe, und auf dieſe Art durch ſeine
Anhaͤufung und durch die Erhebung und Ausdehnung
der Membran jene Erhabenheiten und Huͤgel als die
erſten Anlagen neuer Theile zuwege braͤchte; ſo wie
wir durch Anhaͤufung der Saͤfte unter der Epider-
mis oͤfter verſchiedene Arten von Ausſchlaͤgen oder
Baͤu-
*)
Baͤulen und Auswuͤchſe ſich generiren ſehen. Dieſes
findet nicht nur bey den Thieren ſondern auch bey den
Pflanzen ſtatt, und es laͤßt ſich hieraus um ſo viel
leichter begreifen, warum der Saft zu der erſten
Zeit da er noch fluͤßig iſt nicht zerfließet, und es
ſcheint daher auch nothwendig zu ſeyn, daß es ſich
mit der Excretion auf dieſe, und auf keine anderr Art,
verhalten muͤſſe. Uebrigens iſt aber dennoch die Ex-
cretion immer von der Depoſition ſehr verſchieden.
Bey dieſer wird der Saft zwiſchen den organiſchen
Theilen abgeſetzt bey jener bleibt er nur unter der Epi-
dermis; dieſe aber rechne ich nicht mit zu den orga-
niſchen Theilen.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 1. Theorie von der Generation. Theorie von der Generation. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjtb.0