[][][][][][][[I]]
Gedichte


Berlin,:
Carl Reimarus’ Verlag.
W. Ernſt.
1851.

[[II]][[III]]

Seinem Freunde
Bernhard von Lepel
der Verfaſſer.


[[IV]][[V]]

Inhalt.


  • Lieder und Sprüche.
  • Seite
  • Guter Rath 3
  • Der erſte Schnee 5
  • Das Fiſchermädchen 7
  • Mein Herz. (1840) 9
  • Herbſtmorgen. (1840) 11
  • An Marie. (1841) 13
  • Im Ilſethal. (1841) 15
  • Der Frühling an den Gefangenen. (Nach d. Engl.) 18
  • Im Herbſt 23
  • Wunſch 24
  • Nah und fern 26
  • Der Kranich 28
  • Hinaus! 30
  • Bekenntniß 32
  • Seite
  • Sonette34
  • Nach dem Sturm 40
  • Alles ſtill! 41
  • Um Dich 43
  • Drei-Strophen:
    Herz, laß dies Zweifeln, laß dies Klauben 44
  • Ich las: „glückſelig ſind die Reinen 45
  • Sag an „es fällt von Deinem Haupte 46
  • Ach, daß ich Dich ſo heiß erſehne 47
  • Zerſtoben ſind die Wolkenmaſſen 48
  • Sei milde ſtets, und halte fern 49
  • Es kann die Ehre dieſer Welt 50
  • Tritt ein für Deines Herzens Meinung 51
  • Du darfſt mißmuthig nicht verzagen 52
  • Du holde Fee, mir treu geblieben 53
  • Nicht Glückes-bar ſind Deine Lenze 54
  • O glaub, mein Herz iſt nicht erkaltet 55
  • Beutſt Du dem Geiſte ſeine Nahrung 56
  • Du wirſt es nie zu Tüchtgem bringen 57
  • Bilder und Balladen.
    Der Wetterſee 61
  • Der Wenerſee 64
  • Ein Jäger 68
  • Seite
  • Das Briſtol-Trauerſpiel, oder: Charles Bawdin’s
    Tod. (Nach Thomas Chatterton) 70
  • Unſer Friede 88
  • John oder Harry? (1844) 91
  • Junker Dampf 93
  • Die Strandbuche 96
  • Eines Vaters Wehklage. (Nach dem Engliſchen) 100
  • König Alfred 106
  • Eromwell’s letzte Nacht 110
  • Die arme Elſe 115
  • Treu-Lischen 118
  • Schön-Anne 121
  • Sylveſter-Nacht 128
  • Graf Hohenſtein 131
  • Sittah, die Zigeunerin 137
  • Maria Stuart’s Weihe 149
  • Rizzio’s Ermordung 153
  • Der ſterbende Douglas. (Schlacht v. Langſide. 1568) 160
  • Chevy-Chaſe, oder: Die Jagd im Chevy-Forſt.
    (Nach dem Alt-Engliſchen) 163
  • John Gilpin. (Nach William Cowper) 176
  • Die Bienenſchlacht 190
  • Der Tower-Brand 198
  • Schloß Eger oder drei böhmiſcher Grafen Tod 203
  • Lady Eſſex. (Fragment) 209
  • Gelegenheitliches.
  • Seite
  • Einem Todten 221
  • Einigkeit. 1842. (Bei Gelegenheit des Hamburger
    Brandes) 225
  • Shakeſpeare an einen deutſchen Fürſten 228
  • Rußland. (Einem Freunde, als er nach Moskau
    überſiedeln wollte) 230
  • Zu Ida’s Hochzeit 232
  • An Emilie 235
  • Zur Verlobung 238
  • Shakeſpeare’s Strumpf. (Bei Gelegenheit eines
    Leipziger Schiller-Feſtes) 240
  • An Bettina 243
  • Rangſtreitigkeiten 244
  • „Von der Tann iſt da!“ (Schleswig-Holſtein-Lied) 246
  • Karl Stuart. (Dramatiſches Fragment) 251
  • Ein Ball in Paris285
[[1]]

Lieder und Sprüche.


[[2]][3]

Guter Rath.


An einem Sommermorgen

Da nimm den Wanderſtab,

Es fallen Deine Sorgen

Wie Nebel von Dir ab.

Des Himmels heitere Bläue

Lacht Dir in’s Herz hinein,

Und ſchließt, wie Gottes Treue,

Mit ſeinem Dach Dich ein.

1*
[4]
Rings Blüthen nur und Triebe

Und Halme von Segen ſchwer,

Dir iſt als zöge die Liebe

Des Weges nebenher.

So heimiſch alles klinget

Als wie im Vaterhaus,

Und über die Lerchen ſchwinget

Die Seele ſich hinaus.

[5]

Der erſte Schnee.


Die Sonne ſchien, doch Winters Näh’

Verrieth ein Flockenpaar;

Es gleicht das erſte Flöckchen Schnee

Dem erſten weißen Haar.

Noch wird — wie wohl von lieber Hand

Der erſte Schnee dem Haupt —

So auch der erſte Schnee dem Land

Vom Sonnenſtrahl geraubt.

[6]
Doch habet Acht! mit einem Mal

Iſt Haupt und Erde weiß,

Und Freundeshand und Sonnenſtrahl

Sich nicht zu helfen weiß.

[7]

Das Fiſchermädchen.


Steht auf ſand’gem Dünenrücken

Eine Fiſcherhütt’ am Strand;

Abendroth und Netze ſchmücken

Wunderlich die Giebelwand.

Drinnen ſchnurrt das Spinnerädchen,

Blaß der Mond in’s Fenſter ſcheint,

Still am Herd das Fiſchermädchen

Denkt des letzten Sturms und — weint.

[8]
Und es klagen ihre Thränen:

„Weit der Himmel, tief die See, —

Doch noch weiter geht mein Sehnen,

Und noch tiefer iſt mein Weh.“

[9]

Mein Herz.
1840.


Der ſtolzen Sonne, heiß und glühend,

Dem ſtillen Monde trüb und bleich,

— Sehnſüchtig tauſend Sterne ſprühend —

Mein Herz, mein Herz iſt beiden gleich.

Dem Himmel, klar und rein und blauend,

Der Wolke, — jetzt gewitterreich

Und jetzt in Thränen niederthauend, —

Mein Herz, mein Herz iſt beiden gleich.

[10]
Der Nachtigall voll friſcher Lieder,

Der Roſe — blüthen- — dornenreich,

Dem Frühling und dem Winter wieder,

Mein Herz es iſt dem Allen gleich.

Nur Einem gleicht es nicht auf Erden:

Nie will in ſeinem kleinen Reich

Der langerſehnte Friede werden,

Drum iſt es nie ſich ſelber gleich.

[11]

Herbſtmorgen.
1840.


Die Wolken ziehn wie Trauergäſte

Den Mond zu Grabe zu geleiten;

Der Wind durchfegt die ſtarren Aeſte,

Und ſucht ein Blatt aus beſſren Zeiten.

Die grünen Tannen ſchaun ſo düſter

Auf eine jung-geknickte Eiche,

Als blickten trauernde Geſchwiſter

Auf der geliebten Schweſter Leiche.

[12]
Schon flattern in der Luft die Raben,

Des Winters unheilvolle Boten;

Bald wird er tief in Schnee begraben

Die Erde — ſeinen großen Todten.

Ein Bach läuft haſtig mir zur Seite;

Er ahnt des Winters Eiſesketten,

Und ſtürzt ſich fort und ſucht das Weite

Als könnt’ ihm Flucht das Leben retten.

Da mocht’ ich länger nicht inmitten

So todesnaher Oede weilen;

Es trieb mich fort, mit haſt’gen Schritten

Dem flücht’gen Bache nachzueilen.

[13]

An Marie.
1841.


Zur Maria, zur Madonne,

Bet’ ich gläubig ſpät und früh,

All mein Sein iſt Andachtswonne

Vor der himmliſchen Marie.

Und das Himmelskind Maria’s,

Der Erlöſer Jeſus Chriſt,

Ja, die Liebe — der Meſſias

Endlich mir erſchienen iſt.

[14]
Daß Maria doch verbliebe

Ihrem Kinde treugeſinnt!

Tödtet ſie in mir die Liebe

Kreuzigt ſie das eigne Kind.

[15]

Im Ilſethal.
1841.


Hier möcht’ ich wo hüpfend die Wellen

Sich ſtürzen vom Felsgeſtein,

Hier unter dem blauenden Himmel

Im Frühling geboren ſein.

Dann hätte ſich, ſtatt eines Prieſters,

Sobald ich die Sonne erblickt,

Die hehre, göttliche Schöpfung

Zu meiner Taufe beſchickt.

[16]
Es hätte ſich über dem Täufling

Gewölbt des Himmels Dom,

Die Bäume hätten gerauſchet

Wie leiſer Orgelſtrom.

Es wäre darinnen erklungen

Der Vögel Melodei;

Die Felſen hätten geſtanden

Als ernſte Zeugen dabei.

Ein Felsblock hätte mich ſicher

In ſeinem weiten Schooß

Wohl über die Taufe gehalten,

Umhüllt von duftigem Moos.

Es hätte der Kuß der Sonne

Die Stirne mir geſengt,

Und mit dem Waſſer der Taufe

Die Ilſe mich beſprengt.

[17]
Die Felſen hätten geſchworen

Den felſenfeſten Schwur:

Im Glauben mich groß zu ziehen

An Gott in der Natur.

[18]

Der Frühling an den Gefangnen.
(Nach dem Engliſchen des John Prince.)


„O komm, laß uns fliehn,

Laß uns jubelnd durchziehn

Die wiedererwachte Natur,

Die Himmel blaun,

Und die Lüfte bethaun

Mit Wonneſchauern die Flur.

Maaßliebchen erſcheint,

Und das Veilchen weint

[19]
Wie Thränen der Freude — den Thau,

Und’s Bächlein ſpricht:

Vergiß-mein-nicht

In Blumenſprache zur Au; —

Doch der Sommer iſt nah und ich darf nicht

verziehn,

Komm, zögre nicht länger, komm, komm, laß

uns fliehn.

„Die Lerche ſingt

Und ſteiget, und ſchwingt

Sich hoch in den Himmel empor,

Und Iris ſpannt

Ueber Meer und Land

Ihr farbenſchimmerndes Thor.

Der Zephyr ſpielt

Und koſet und ſtiehlt

[20]
Der Roſe würzigen Duft,

Im Nu durchdringt,

Unſichtbar beſchwingt

Der Blumenathem die Luft;

Doch der Sommer iſt nah und ich darf nicht

verziehn,

Komm, zögre nicht länger, komm, komm, laß

uns fliehn.

„Auf den Bergen thront

Und in Thälern wohnt

Nun Freiheit wieder und Luſt,

Es trägt der Strom

Des Himmels Dom

Geſpiegelt an der Bruſt;

Selbſt Moor und Bucht,

Selbſt Fels und Schlucht

[21]
Im Reize der Jugend erglänzt,

Sogar der Quell

An waldiger Stell

Iſt farrenkraut-bekränzt; —

Doch der Sommer iſt nah und ich darf nicht

verziehn,

Komm, zögre nicht länger, komm, komm, laß

uns fliehn.

„Der Burſch umſchlingt

Sein Liebchen und ſchwingt

Sich fort nach dem Takt der Schalmei,

Und wiederhallt

Der grünende Wald

Die luſtige Melodei;

Das Alter wird jung,

Von Erinnerung

[22]
Und Frühlingshauch geſchwellt, —

Der Jugend nur

Jung wie die Natur

Gehöret im Lenze die Welt;

Doch der Sommer iſt nah, und ich darf nicht

verziehn,

Komm, zögre nicht länger, komm, komm, laß

uns fliehn.“

[23]

Im Herbſt.


Es fällt das Laub wie Regentropfen

So zahllos auf die Stoppelflur;

Matt pulſt der Bach wie letztes Klopfen

Im Todeskampfe der Natur.

Still wird’s! und als den tiefen Frieden

Ein leiſes Wehen jetzt durchzog,

Da mocht’ es ſein, daß abgeſchieden

Die Erdenſeele aufwärts flog.

[24]

Wunſch.


Ich wollte, daß in Sturmesnacht

Die Mutter mich zur Welt gebracht,

Daß auf das Blitzen rings umher

Mein erſter Blick gefallen wär’.

Ich wollte, daß ſie nackt und bloß

Gebettet mich in Laub und Moos,

Daß Sturm und Donner um die Wett’

Mein Wiegenlied geſungen hätt’.

[25]
Ich wollte, daß der Hirſch im Tann

Mein Spielgenoß als Knabe dann,

Daß, über mir, der Sterne Heer

Die Bibel mein geweſen wär’.

Das Auge hell, im Arme Mark,

Friſch wie der Quell, wie Eichen ſtark,

So wär’ ich in das Leben dann

Getreten als ein ganzer Mann.

Im Buſen lebte mir die Kraft,

Die Thaten ſtatt der Lieder ſchafft,

Nicht länger ſäß der gute Will’

Im Winkel drinnen, fromm und ſtill.

O wär’ ich ſtark! nah iſt der Streit,

Und ganze Männer heiſcht die Zeit; —

Ich wollte, daß in Sturmesnacht

Die Mutter mich zur Welt gebracht.

2
[26]

Nah und fern.


Wenn die Wolken vielgeſtaltig

Sich am Horizonte dehnen,

Ueberkommt uns allgewaltig

Ihnen nach ein tiefes Sehnen.

Aber wenn die ſtolzen Züge

Sich zur Erde niederlaſſen,

War ihr Zauber — eitle Lüge,

Sind es graue Nebelmaſſen.

[27]
Wenig läßt die Nähe gelten,

Tauſend Reize hat die Ferne:

Selbſt die lichtesärmſten Welten,

Wandelt ſie — in helle Sterne.

2*
[28]

Der Kranich.


Rauh ging der Wind, der Regen troff,

Schon war ich naß und kalt;

Ich macht’ auf einem Bauerhof

Im Schutz des Zaunes Halt.

Mit abgeſtutzten Flügeln ſchritt

Ein Kranich drin umher,

Nur ſeine Sehnſucht trug ihn mit

Den Brüdern über’s Meer;

[29]
Mit ſeinen Brüdern, deren Zug

Jetzt hoch in Lüften ſtockt,

Und deren Schrei auch ihn zum Flug

Gen Süden ruft und lockt.

Und ſieh, er hat ſich aufgerafft,

Es gilt ja Lenz und Glück;

Umſonſt, der Schwinge fehlt die Kraft

Und ach, er ſinkt zurück.

Nur Hahn und Huhn zum Schabernack

Umkrähn ihn jetzt voll Freud: —

Es jubelt ſtets das Hühnerpack

Bei eines Kranichs Leid.

[30]

Hinaus!


Ich bin es ſatt auf Polſtern mich zu dehnen,

Es ekelt mich dies weibergleiche Thun,

Ich möcht im Kampf anſpannen alle Sehnen,

Mich müd und matt an die Lafette lehnen,

Und käm der Schlaf auf bloßer Erde ruhn.

Ich möcht hinaus! umbrüllt von Sturm und

Wettern

Möcht ich zu Schiff auf hohem Meere ſein;

[31]
Vom Blitz umflammt möcht ich den Maſt er-

klettern,

Und wenn die Wellen unſer Schiff zerſchmettern,

Ein kühner Schwimmer um das Leben frein.

Ich möcht hinaus! mag ſchleudern mich die Reiſe

Wohin ſie will, mir gilt es gleich fürwahr;

Heraus nur endlich aus dem alten Gleiſe,

Das Leben ſteigt mit der Gefahr im Preiſe, —

Auf denn, hinaus! zu Thaten und Gefahr.

[32]

Bekenntniß.


Ich bin ein unglückſelig Rohr:

Gefühle und Gedanken

Seh rechts und links, zurück und vor,

In jedem Wind, ich ſchwanken.

Bald iſt’s im Herzen kirchenſtill,

Bald ſchäumt’s wie Saft der Reben,

Ich weiß nicht, was ich ſoll und will; —

Es iſt ein kläglich Leben!

[33]
Da liegt nichts zwiſchen Sein und Tod,

Was ich nicht ſchon erflehte:

Heut bitt’ ich um des Glaubens Brod,

Daß morgen ich’s zertrete;

Was heut ich ſegne, ſegn’ ich nicht,

Ich werde ſein Verflucher,

Nach Wahrheit ring’ ich und nach Licht,

Und ſchelt es dann — Verſucher.

Dich ruf ich, der das Kleinſte Du

In Deinen Schutz genommen,

Gönn meinem Herzen Halt und Ruh,

Gott, laß mich nicht verkommen;

Leih mir die Kraft, die mir gebricht,

Nimm weg, was mich verwirret,

Sonſt löſch es aus dies Flackerlicht,

Das über Sümpfe irret!

[34]

Sonette.


1.
Ein Leben war’s, mit Kolben und mit Knütteln

In dieſen eitlen Jammer drein zu ſchlagen,

Doch hab ich ſtill ein läſtig Joch getragen,

Und meiner Pflicht gehorcht und ihren Bütteln.

Jetzt aber, wo an Winters Thron zu rütteln,

Voll Lerchenſchlag, die Frühlingslüfte wagen,

Jetzt will auch ich, und müßt’ ich ſie zernagen,

Die Ketten alle muthig von mir ſchütteln.

[35]
Ein Lebewohl — kein Fluch Euch, meine Dränger;

Ihr ſeid geſchützt vor meines Zorns Ergüſſen,

Weil ihr zu klein dem neugebornen Sänger;

Er eilt hinaus den jungen Lenz zu küſſen,

Und kein Gedanke nur gehört Euch länger,

Als er Euch ſelber hat ertragen müſſen.

2.
Nun kann ich wieder wie die Lüfte ſchweifen,

Am Strom, im Wald auf’s Neue bei den alten

Geliebten Plätzen Raſt und Andacht halten,

Und lächelnd nach der Abendröthe greifen.

Dem Markte fern, dem Feilſchen und dem Keifen

Fühl ich der Seele Schwingen ſich entfalten,

Mir kehrt die Kraft mein Denken zu geſtalten,

Der Keim wird ſtark zur Frucht heranzureifen.

[36]
Bald werd ich neu zu Freud und Frohſinn taugen;

Schon lern ich aus des Frühlings heitren Klängen,

Wie ſüßen Nektar, Luſt am Leben ſaugen;

Schon lächl’ ich wieder, ſtatt den Kopf zu hängen,

Und zwiſchen mich und Deine lieben Augen,

Seh ich ſich fürder keine Wolke drängen.

3.
Zur Geltung kommt das kläglichſte Gelichter!

„Sei Bänkelſänger oder Farbenreiber,

Sei Dorfſchulmeiſter oder Eſeltreiber,

Sei was Du willſt, gleichviel! nur ſei kein Dichter.“

Verlacht man auch ſolch Schwatzen geiſtesſchlichter

Gevatterſchaft, ſammt ihrer alten Weiber,

’s greift doch ins Herz, und einen müßgen Schreiber

Schilt man ſich oft als eigner Splitterrichter.

[37]
Wenn aber dann nicht Scham ob eitlem Ringen

Das heiße Blut ins Antlitz mir getrieben, —

Wenn’s Freude war am Schaffen und Gelingen;

Dann, während Erd’ und Erdennoth zerſtieben,

Fühl’ ich mich ſtark zu allen höchſten Dingen,

Und würdig ſelbſt Dein ſchönes Herz zu lieben.

4.
Ich würde mich in Mährchenträumen wiegen,

Und lerchenfroh begrüßen jeden Morgen,

Könnt’ ich den irdiſch’ſten der Erdenſorgen

Gebieten, ſich zu Füßen mir zu ſchmiegen.

Mir iſt als müßt’ ich durch die Lüfte fliegen,

Als würde mir die Freude Flügel borgen,

Vermöcht ich je, gleich jenem Sankt Georgen,

Die Noth — den ew’gen Drachen zu beſiegen.

[38]
Doch ob das Glück mir auch ein dürrer Bronnen,

Und ob ich auch entbehren mag und leiden,

Ich habe doch das beſte Theil gewonnen.

Und ſollt’ ich, dieſe Stunde noch, entſcheiden

Mich zwiſchen Dir und einer Welt voll Wonnen,

Es bliebe doch beim Alten mit uns Beiden.

5.
Es hat das Herz viel Todte zu beſtatten!

Sie, die gelebt drin und es ganz beſeſſen,

Verriethen’s oder lernten’s doch vergeſſen,

Sie wurden kalt, wie heiß geglüht ſie hatten.

Die Beſten ſelbſt, und ob einſt ohn’ Ermatten

Ihr Lieben ſie verſchwendriſch zugemeſſen,

Längſt pflanzt mein Herz an ihrem Grab Cypreſſen,

Sie leben noch, und wurden dennoch — Schatten.

[39]
Ein jeder Tag ſieht neue Kreuze ragen;

Wohl weint das Herz, — doch Mannes-Kraft

und Würde

Lehrt immer neu geduldiges Entſagen.

Nur ſollt ich je als ſchwerſte Lebensbürde

Auch Dich hinaus auf jenen Friedhof tragen, —

Mein Herze fühlt es, daß es brechen würde.

[40]

Nach dem Sturm.


O frage nicht warum noch itzt,

Wo mir des Glückes Sonne leuchtet,

Der Gram auf meiner Stirne ſitzt,

Und oftmals mir das Auge feuchtet.

Sahſt Du das Meer? hoch thürmen dort

Auch nach dem Sturm ſich noch die Wogen;

Die Bäume ſchau: ſie tropfen fort,

Wenn längſt der Regen weggezogen.

[41]

Alles ſtill!


Alles ſtill! es tanzt den Reigen

Mondenſtrahl in Wald und Flur,

Und darüber thront das Schweigen

Und der Winterhimmel nur.

Alles ſtill! vergeblich lauſchet

Man der Krähe heiſrem Schrei,

Keiner Fichte Wipfel rauſchet

Und kein Bächlein ſummt vorbei.

[42]
Alles ſtill! die Dorfes-Hütten

Sind wie Gräber anzuſehn,

Die, von Schnee bedeckt, inmitten

Eines weiten Friedhofs ſtehn.

Alles ſtill! nichts hör’ ich klopfen

Als mein Herze durch die Nacht; —

Heiße Thränen niedertropfen

Auf die kalte Winterpracht.

[43]

Um Dich.


Storch und Schwalbe ſind gekommen,

Veilchen auch, die blauen frommen

Frühlingsaugen grüßen mich;

Aber hin an Lenz und Leben

Zieh in Bangen ich und Beben —

Um Dich.

Ach, um Dich! und doch ich fühle,

Träte jetzt die Todeskühle

An mein Herz, und riefe mich,

Wie ein Kind dann, unter Jammern

Würd’ ich mich an’s Leben klammern —

Um Dich.

[44]
Herz, laß dies Zweifeln, laß dies Klauben,

Vor dem das Beſte ſelbſt zerfällt,

Und wahre Dir den Reſt von Glauben

An Gutes noch in dieſer Welt.

Schau hin auf eines Weibes Züge,

Das lächelnd auf den Säugling blickt,

Und fühl’s, es iſt nicht alles Lüge,

Was uns das Leben bringt und ſchickt.

Und Herze, willſt du ganz geneſen,

Sei ſelber wahr, ſei ſelber rein!

Was wir in Welt und Menſchen leſen

Iſt nur der eigne Wiederſchein.

[45]
Ich las: „glückſelig ſind die Reinen,

Ihr Sinn iſt offen Gott zu ſchaun;“ —

[Es] trieb in reuevollem Weinen

Hinaus mich in die Frühlingsaun.

Wie ſchwach ſind unſre beſten Gaben:

Die Liebe ſtrauchelt und die Treu,

Das Beſte was wir Menſchen haben,

Iſt unſer Wolln und unſre Reu.

Ich rief zu Gott: „woll Du mich leiten,

Die Gnade kennt ja kein Zuſpät!“

Da ſah ich Ihn vorüberſchreiten,

Wie Lenz, in ſtiller Majeſtät.

[46]
Sag an „es fällt von Deinem Haupte

Kein Haar, von welchem Gott nicht weiß“ —

Und was der Tag uns Größres raubte,

Das fiele nicht auf Sein Geheiß?!

Trag es, wenn ſeinen Schnee der Winter

In unſer Hoffen niederſtiebt,

Ein ganzer Frühling lacht dahinter:

Gott züchtigt immer, wen er liebt.

Laß in dem Leid, das Er beſchieden,

Den Keim uns künftgen Glückes ſchaun,

Dann kann der Tag, wo Freud und Frieden

In unſrem Herzen Hütten baun.

[47]
Ach, daß ich Dich ſo heiß erſehne,

Weckt aller Himmel Widerſpruch,

Und jede neue bittre Thräne

Macht tiefer nur den Friedensbruch.

Der Götter Ohr iſt Keinem offen,

Der ſich zergrämt in banger Nacht, —

Komm Herz, wir wollen gar nichts hoffen,

Und ſehn ob ſo das Glück uns lacht.

Vergebnes Mühen, eitles Wollen,

Die Lippe weiß kaum was ſie ſpricht,

Und, nach wie vor, die Thränen rollen

Mir über Wang und Angeſicht.

[48]
Zerſtoben ſind die Wolkenmaſſen,

Die Morgenſonn’ in’s Fenſter ſcheint:

Nun kann ich wieder mal nicht faſſen,

Daß ich die Nacht hindurch geweint.

Dahin iſt alles was mich drückte,

Das Aug’ iſt klar, der Sinn iſt frei,

Und was nur je mein Herz entzückte,

Tanzt wieder, lachend, mir vorbei.

Es grüßt, es nickt; — ich ſteh betroffen,

Geblendet ſchier von all dem Licht:

Das alte, liebe, böſe Hoffen —

Die Seele läßt es einmal nicht.

[49]
Sei milde ſtets, und halte fern

Von Hofart Deine Seele,

Wir wandeln alle vor dem Herrn

Des Wegs in Schuld und Fehle.

Woll einen Spruch, woll ein Geheiß

Dir in die Seele ſchärfen:

„Es möge, wer ſich ſchuldlos weiß,

Den Stein auf Andre werfen.“

Die Tugend, die voll Stolz ſich giebt,

Iſt eitles Selbſterheben;

Wer alles Rechte wahrhaft liebt,

Weiß Unrecht zu vergeben.

3
[50]
Es kann die Ehre dieſer Welt

Dir keine Ehre geben,

Was Dich in Wahrheit hebt und hält

Muß in Dir ſelber leben.

Wenn’s Deinem Innerſten gebricht

An ächten Stolzes Stütze,

Ob dann die Welt Dir Beifall ſpricht

Iſt all Dir wenig nütze.

Das flüchtge Lob, des Tages Ruhm

Magſt Du dem Eitlen gönnen;

Das aber ſei dein Heiligthum:

Dich ſelber achten können.“

[51]
Tritt ein für Deines Herzens Meinung

Und fürchte nicht der Feinde Spott,

Bekämpfe muthig die Verneinung

So Du den Glauben haſt an Gott.

Wie Luther einſt, in feſtem Sinnen,

So ſprich auch Du zu Gottes Ehr’:

„Ich geh nach Worms, und ob da drinnen

Jedweder Stein ein Teufel wär’!“

Und peitſcht Dich dann der Witz mit Ruthen,

Und haſſt man Dich, — o laß, o laß!

Mehr noch als Liebe aller Guten,

Gilt aller Böſen Hohn und Haß.

3*
[52]
Du darfſt mißmuthig nicht verzagen,

In Liebe nicht noch im Geſang,

Wenn mal ein allzu kühnes Wagen,

Ein Wurf im Wettſpiel Dir mißlang.

Wes Fuß wär’ niemals fehlgeſprungen?

Wer lief nicht irr’ auf ſeinem Lauf?

Blick hin auf das, was Dir gelungen,

Und richte ſo dich wieder auf.

Vorüber ziehn die trüben Wetter,

Es lacht aufs Neu der Sonne Glanz,

Und ob verwehn die welken Blätter,

Die friſchen ſchlingen ſich zum Kranz.

[53]
Du holde Fee, mir treu geblieben

Aus Tagen meiner Kinderzeit,

Was hat Dich nun verſcheucht, vertrieben

Du ſtille Herzensheiterkeit?

Leicht trugſt Du, wie mit Wunderhänden,

Mich über Gram und Sorge fort,

Und ſelbſt aus nackten Felſenwänden

Rief Quellen mir Dein Zauberwort.

Wo biſt Du Fee? aus Deinen Hallen

Zieh wieder in mein Herz hinein,

Und laß Dein Lächeln wieder fallen

Auf meinen Pfad — wie Mondenſchein.

[54]
Nicht Glückes-bar ſind Deine Lenze,

Du forderſt nur des Glücks zu viel;

Gieb Deinem Wunſche Maaß und Grenze,

Und Dir entgegen kommt das Ziel.

Wie dumpfes Unkraut laß vermodern,

Was in Dir noch des Glaubens iſt:

Du hätteſt doppelt einzufodern

Des Lebens Glück, weil Du es biſt.

Das Glück, kein Reiter wird’s erjagen,

Es iſt nicht dort, es iſt nicht hier;

Lern’ überwinden, lern’ entſagen,

Und ungeahnt erblüht es Dir.

[55]
O glaub, mein Herz iſt nicht erkaltet,

Es glüht in ihm ſo heiß wie je,

Und was ihr drin für Winter haltet,

Iſt Schein nur, iſt gemalter Schnee.

Doch, was in alter Lieb’ ich fühle,

Verſchließ ich jetzt in tiefſtem Sinn,

Und trag’s nicht fürder in’s Gewühle

Der ewig kalten Menſchen hin.

Ich bin wie Wein der ausgegohren:

Er ſchäumt nicht länger hin und her,

Doch was nach Außen er verloren,

Hat er an innrem Feuer mehr.

[56]
Beutſt Du dem Geiſte ſeine Nahrung,

So laß nicht darben Dein Gemüth,

Des Lebens höchſte Offenbarung

Doch immer aus dem Herzen blüht.

Ein Gruß aus friſcher Knabenkehle,

Ja mehr noch, eines Kindes Lall’n,

Kann leuchtender in Deine Seele

Wie Weisheit aller Weiſen fall’n.

Erſt unter Kuß und Spiel und Scherzen

Erkennſt Du ganz was Leben heißt;

O lerne denken mit dem Herzen,

Und lerne fühlen mit dem Geiſt.

[57]
Du wirſt es nie zu Tüchtgem bringen

Bei Deines Grames Träumerein,

Die Thränen laſſen nichts gelingen,

Wer ſchaffen will, muß fröhlich ſein.

Wohl Keime wecken mag der Regen,

Der in die Scholle niederbricht,

Doch golden Korn und Erndteſegen

Reift nur heran bei Sonnenlicht.

[[58]][[59]]

Bilder und Balladen.


[[60]][61]

Der Wetterſee.


Die Sonne ſinkt in den Wetterſee;

Da ſteigt — mit dem Neck und der Waſſerfee —

Von Gold und Rubin, aus des Seees Gruft,

Ein Schloß an die abendgeröthete Luft.

Der Mond geht auf; da blaſſen Rubin

und Gold zu Silber und Aquamarin;

Und hervor aus dem Schloß, hinaus zum Tanz,

Lockt die Nixen der Mondesglanz.

[62]
Teichroſen flechten ſie, draußen im Saal,

Um Stirn und Nacken ſich allzumal,

Als bangte jede, des Mondes Licht

Selbſt könne bräunen ihr Angeſicht.

Dann ſchlingen ſie Tänze, dann tönt ihr Geſang

Zu Necken’s melodiſchem Saitenklang,

Bis blaſſer das ſcheidende Mondlicht blinkt,

Und Schloß und Neck und Nixe verſinkt.

Schon baut ihren finſtern Palaſt die Nacht,

Da heult es im Walde, da knickt es und kracht, —

Ihren Renner, zottig und grau,

Reitet zur Tränke die Haidefrau.

Ihr Roß iſt ein Wolf, ſchnell wie der Wind,

Blindſchleichen die Zügel des Renners ſind,

Eine Natter iſt Peitſche, ein Igel iſt Sporn,

So jagt ſie herbei durch Dickicht und Dorn.

[63]
Wetteifernd funkelt das Katzengrau

Der Augen von Wolf und Haidefrau,

Man ſieht, bei ſolchem Blitzen und Sprühn,

Die lechzende Zunge des Wolfes glühn.

Er trinkt aus dem See, dann lenkt er den Schritt,

Und am Ufer entlang geht der nächtliche Ritt,

Bis früh am Morgen ſtatt Neck und Fee,

Fiſcher durchfurchen den Wetterſee.

[64]

Der Wenerſee.


Mit dem Meergott kämpften heißer die Giganten

einſt, denn je:

Siegreich, aus des Nordmeers Armen, riſſen ſie

den Wenerſee,

Bauten, zwiſchen Sohn und Vater, einen länder-

breiten Damm,

Stellten vor das Thor, als Wächter, einen ganzen

Felſenkamm.

[65]
Oft erfaſſt den See ein Zittern tiefer Sehnſucht,

und er lauſcht,

Wenn’s, gleich fernem Meeresbrauſen, in den

Tannengipfeln rauſcht,

Beim Geheul der Wölfe wähnt er, daß die Winds-

braut nahe ſei,

Und im heiſren Lied des Hähers hört er nur der

Möve Schrei.

Frühling wird’s, und dreißig Ströme zahlen

plötzlich ihm Tribut,

Dreißig Ströme, die ſonſt meerwärts nieder-

ſtürzten ihre Fluth,

Mit der Waſſer Steigen ſteigt auch das Gefühl

ihm ſeiner Kraft,

Und dem Freiheitsdrang geſellt ſich jetzt der Zorn

ob ſeiner Haft.

[66]
Hoch ſchon überragt der Spiegel ſeiner Fluth

den Rieſendamm,

Zwiſchen ihm und ſeiner Heimath hebt ſich nur

der Felſenkamm,

Da in ſiegesſichrem Muthe, ruft er: „Vater,

meine Hand

Streck’ ich Dir noch heut entgegen durch das

felsbewachte Land.“

Und der dreißig Ströme jeden ſchleudert er als

Wurfgeſchoß

Auf den Wächter, und zertrümmert Haupt und

Glieder dem Koloß,

Den gewalt’gen Rumpf des Felſens überſchäumt

ſein Waſſerſchwall,

Und zum erſten Mal, zur Tiefe donnert der

Trolhätta-Fall.

[67]
In dem Rieſendamme wühlt er ſich mit leichter

Müh ein Bett,

Und das Meer kommt ihm entgegen, und ſie

graben um die Wett’,

Jauchzend reichen Sohn und Vater zum Will-

kommen ſich die Hand,

Felſenglieder, wie Trophäen, decken rings um-

her das Land.

[68]

Ein Jäger.


Ich kenn einen Jäger, man heißt ihn „Tod“:

Seine Wang iſt blaß, ſein Speer iſt roth,

Sein Forſt iſt die Welt, er zieht auf die Pirſch,

Und jaget Elenn und Edelhirſch.

Im Völkerkrieg, auf blutigem Feld,

Iſt’s wo er ſein Keſſeltreiben hält;

Haß, Ehrſucht und Geizen nach Ruhmesſchall

Sind Treiber im Dienſte des Jägers all’.

[69]
Nicht fürcht ich ihn ſelber, wie nah er auch droht,

Doch wohl ſeine Rüden: Gram, Krankheit und

Noth,

Die Meute, die ſtückweis das Leben zerfetzt,

Und zögernd uns in die Grube hetzt.

[70]

Das Briſtol-Trauerſpiel
oder
Charles Bawdin’s Tod.
(Nach Thomas Chatterton.)


Aufdämmert der Tag, der Hahn kräht hell,

Blaß ſchimmert des Mondes Horn,

Und im Morgenrothe der Tropfen Thau

Glitzert am Hagedorn.

König Edward aber nicht Hahnenſchrei

Rief ihn vom Schlummer wach;

Drei Raben weckten ihn mit Gekreiſch

Oben am Wetterdach.

[71]
Und der König fuhr auf: „beim ewigen Gott,

Ich verſteh’ euer Mahnen und Schrein;

Charles Bawdin, der ſoll ſterben heut

Und eure Speiſe ſein!“

Der König rief’s; eine Kanne Wein

Leert’ er bis auf den Grund;

Ritter Canning ſtand zu Seiten ihm, —

Dem war das Herze wund.

Und Canning ſprach: „mein König und Herr

Vergieße nicht Bawdin’s Blut,

Was immer er dir Böſes that,

Ihm galt es brav und gut.

„Dem Lankaſterkönig hat er gedient

Offen und ſonder Scheu,

O Herr, an Deinem Feinde auch

Ehre Muth und Treu.“

[72]
Er ſprach’s. Noch ſchwieg der Ritter kaum,

Da zürnet der König und ſchnaubt:

„Eh Sternenſchein auf die Erde fällt,

Fällt heut Charles Bawdin’s Haupt.

„Er war ein Verräther, er hat ſeine Hand

In’s Blut der Yorks getaucht,

Nicht eher hab’ ich Raſt noch Ruh

Bis ſeines gen Himmel raucht!“

Drauf Canning ernſt: „nur Gnade Herr

Machet des Siegs Dich werth;

Den Oelzweig und die Palme nimm

Nicht aber das Racheſchwert.

„Gedenk, wir Menſchen allzumal

Sind nur an Sünde groß,

Ein Einziger auf Sankt Petri Stuhl

Iſt ſchuld- und fleckenlos.

[73]
„Vergieb! das feſtiget Dir auf’s Haupt

Die kaum gewonnene Kron’,

Und trägt Dein Scepter fort und fort

Auf Enkel und Enkelſohn;

„Doch willſt in Haß, mit blutigem Thau

Beſpritzen Du Dein Kleid,

So reißen finſtre Mächte Dir

Vom Haupte das Goldgeſchmeid.“

Der König hört’s. „Fort, Canning, fort!

So lange Charles Bawdin lebt

Will dürſten ich, und ob am Gaum

Mir auch die Zunge klebt.

Die Sonne, die da drüben ſteigt

Soll ſeine letzte ſein!“

Der König ſchwieg, in Cannings Bart

Rann eine Thrän’ hinein.

4
[74]
Und durch die Gaſſen, trüben Sinn’s,

Alsbald der Ritter ſchlich;

In Bawdin’s Kerker trat er ein,

Und weinte bitterlich.

Der ſah des Alten Herzeleid;

Er trat an ihn heran:

„Zu ſterben, Freund, iſt Menſchenloos,

Was thut es „wie“ und „wann“!

„Mir war das Schickſal dieſes Tags

Von Anbeginn beſtimmt;

Demüthig trägt ein Chriſtenherz

Was Gott ihm ſchickt und nimmt.

„Mir iſt der Tod Erlöſung nur

Von Allem, was ich litt; —

Was haſt Du, daß in’s Auge Dir

Die Mannesthräne tritt?!“

[75]
Sprach Canning: „wohl um Deinen Tod

Hab ich der Thränen viel,

Doch denk ich an Dein Weib und Kind

Find ich nicht Maaß nicht Ziel.“

„Dann trockne Dir die Thränen ſchnell“, —

Klang Bawdin’s Stimme da —

„Der Wittwen und der Waiſen Gott

Iſt auch den meinen nah.

„Mich mag er meucheln der Tyrann,

Der frech ſich König nennt;

Doch weiß ich, daß ihn Gottes Hand

Von meinen Kindern trennt.

„Und, Canning, ohne Bangen traun

Thu’ ich den letzten Gang;

Hab ja dem Tod in’s Aug’ geſehn

Ein halbes Leben lang.

4*
[76]
„Wie oft, wenn guten Schwertes Hieb

Hell durch die Lüfte pfiff,

Und blindlings in die Schlacht hinein

Der Tod nach Beute griff, —

„Wie oft dann ſah er wild mich an!

Ich ſtarrt ihm in’s Geſicht;

Er hob die Hand zum Speereswurf, —

Galt mir’s? ich wußt es nicht.

„Und nun, wegwerfen ſollt’ ich ſelbſt

Des Mannes beſte Zier?

Im Leben Muth, im Tode Muth

Das, Canning, ſchuld ich mir.

„Und ſchuld es meinem Vater auch; —

Der war ein Ritter gut:

Rein war ſein altes Wappenſchild,

Und rein ſein altes Blut.

[77]
„Geſetz und Recht, die hielt er feſt

Im Wirrſal der Parthein;

Die ſchwere Kunſt war ſeine Kunſt:

Gerecht und mild zu ſein.

„So war ſein Haus: ein offnes Thor,

Und offner Tiſch dazu;

Dem Bettler bot er Speiſ’ und Trank,

Dem Pilger Raſt und Ruh.

„An ſeines Namens blanker Ehr’

Hat Schande nie geklebt,

Und ſeiner fleckenloſen Treu

Der hab ich nachgeſtrebt.

„Mir lebt ein Weib, ich hab ihr Bett

Treubrüchig nie entehrt, —

Nie auch von Heinrich’s heil’gem Recht

Mich treulos abgekehrt.

[78]
„Drum geh in Ruh ich dieſen Gang,

Und, Canning, ſterbe gern;

Mein Auge wird den Tod nicht ſehn

Des Königs meines Herrn.“

Charles Bawdin ſchwieg; — da klang’s herauf

Wie Roſſesſtampfen ſchon,

Die roſt’gen Angeln drehten ſich

Und gaben ſchrillen Ton.

Hell in des Kerkers offne Thür

Drang jungen Tages Schein,

Und mit dem Licht des Morgens trat

Ein weinend Weib herein.

Charles Bawdin’s Weib. Der Ritter ſprach:

„Laß ſterben mich in Ruh,

Und wende nicht die Seele mein

Dem Irdſchen wieder zu.

[79]
„Laß ab! Die Thrän’ in Deinem Aug’

Macht mir das Herze weich,

Und wäſcht dem friſchen Muth in mir

Die Wange wieder bleich.“

Er ſprach’s und ſchwieg. Das blaſſe Weib

Sah ſtarr ihm in’s Geſicht,

Ihr Ohr vernahm die Worte wohl

Und hörte doch ſie nicht.

Dann rief ſie, daß ihr Schmerzensſchrei

Ihm in die Seele ſchnitt:

„Das Beil, das Deinen Nacken trifft,

O träf es doch mich mit!“

Hin ſank ſie; Bawdin küſſte leis

Auf Stirne ſie und Wang;

Dann ſprach er: „Schließer, nimm mich hin

Auf meinem letzten Gang!“

[80]
Er trat hinaus; da ſtand der Karrn

Der ſonſt nur Schächer trug,

Und alſobald zum Richtplatz hin

Bewegte ſich der Zug.

Der Zug war ſo: der Richter vorn

In ſeines Amts Geſchmeid,

Hell glitzerte das Quaſtengold

An ſeinem Scharlachkleid.

Zwölf Auguſtiner kamen dann

In härenem Gewand,

Mit Roſenkranz und Geißelſtrick

In recht- und linker Hand.

Bußpſalme ſangen finſter ſie

In mächtgen Melodien,

Und nieder ſchrillte Glöcklein Klang

Vom Thurme Sankt Marien.

[81]
Den Mönchen folgte, feſten Schritts

Ein Bogenſchützen-Hauf:

Die Sennen waren all geſpannt,

Die Pfeile lagen auf.

Wohl mocht ein Reſt lankaſtriſch Volk

Den Ritter noch befrein,

Es durfte Bawdin’s letzter Gang

Der ſeiner Feinde ſein.

Dann kam er ſelbſt: zwei Rappen vorn

In weißer Decken Putz,

Auf ihren Köpfen wiegte ſich

Ein ſchwarzer Federſtutz.

Und wieder dann kam feſten Schritts

Ein Bogenſchützen-Hauf:

Die Sennen waren all geſpannt,

Die Pfeile lagen auf.

[82]
Zwölf Auguſtiner wieder dann

Mit Pſalmesmelodien, —

Und immer noch ſcholl Glöcklein Klang

Vom Thurme Sankt Marien.

Den Schluß, den machte ſtraßenbreit

Des Volkes dicht Gedräng:

Von Dach und Fenſter folgte man

Dem traurigen Gepräng.

Und jetzt an Chriſti Kreuz vorbei

Bewegte ſich der Zug,

Hernieder ſchaute ſtill das Lamm,

Das unſre Sünden trug.

Und Bawdin betete und ſprach:

„Erbarm, o Herr, Dich mein,

Und waſch auch meine Seele heut

Von ihren Flecken rein!“

[83]
Er ſprach’s. Der König aber ſtund

An Schloſſes Fenſter ſchon,

In ſeinem Antlitz paarte ſich

Die Rache und der Hohn.

Charles Bawdin ſah’s; in ſeinem Karrn

Hob er ſich ſtolz empor,

Und donnerte mit feſter Stimm

An König Edwards Ohr:

„Verräther, der Du bleibſt und biſt,

Schau nur in Hohn mir zu,

Wie klein mich Deine Rache macht

Bin größer doch als Du.

„Durch Mord und jede faule That

Trägſt Du die Krone Dein,

Doch klebteſt Du mit Blut ſie feſt

Wird doch nie Deine ſein.

[84]
„Vernimm: es reift die Frucht heran

Vergangner Miſſethat,

Und wie Verrath Dich groß gemacht

Wird ſtürzen Dich Verrath.“

Er rief’s; das klang ſo feſt und klar

Zu Edwards Ohr hinauf:

Der murmelte, hochroth vor Scham,

Zum Richard Gloſter drauf:

„Traun Bruder, dieſes Bawdin’s Wort

Ging mir in Herz und Blut;

Der Könige König dieſer Welt

Das iſt doch Mannesmuth!“

Er ſprach’s; doch Richard Gloſter rief

Mit tückiſch rauhem Ton:

„Laß ſterben ihn, laß ſterben ihn,

Die Raben warten ſchon!“

[85]
Hin zog der Zug, dem Schloß vorbei,

Sie waren bald zur Stell:

Das blanke Beil im Sonnenſchein

Wie blinkte das ſo hell.

Behangen ſchwarz war das Schaffott;

Charles Bawdin ſtieg hinauf:

Ihm war das Sterben wie Triumph

Und ſtolzer Siegeslauf.

Rings ſtand das Volk; da ſprach er laut:

„Blutacker bleibt dies Land,

So lange Schwert und Scepter bleibt

In dieſes Edwards Hand.

„Vergehn vor Gram wird manches Weib,

Und manche junge Braut,

Eh’ dieſes Land den erſten Strahl

Des Friedens wiederſchaut.“

[86]
Er rief’s; an Prieſters Seite dann

Hinkniet’ er aufs Schaffott,

Und betend, ſtill die Seele ſein

Empfahl er ſeinem Gott;

Dann aber preſſend an den Block

Sein Haupt in ſtolzer Eil,

Abſchlug ihm das auf einen Hieb

Das blanke Henkerbeil.

Hinfloß ſein Blut; ſtillweinend ſtand

Das Volk im Kreis umher;

Wie viel auch rothen Blutes floß

Der Thränen floſſen mehr.

Der Henker dann, mit ſcharfer Axt,

Viertheilte Bawdin’s Rumpf,

Und jeder Theil ward aufgeſteckt

Auf einen Lanzenſtumpf.

[87]
Der Eine thät als Wetterfahn’

Hoch auf dem Thurm ſich drehn;

Ein zweiter war als Gitterſchmuck

Vor Edward’s Schloß zu ſehn.

Der dritt’ und vierte ſammt dem Haupt,

Bei Tages erſtem Schein,

Von dreien Thoren blickten die

Weit in das Land hinein.

Da wurden ſie, bei Tag und Nacht,

Umkrächzet und umkreiſt,

Das Raben- und das Krähenvolk

Hat alles aufgeſpeiſt.

Das war das End’ von Bawdin’s Treu,

Und ſeiner Ehren Ziel; — —

Gott ſchenk dem König unſrem Herrn

So treuer Diener viel.

[88]

Unſer Friede.


Ein Sommertag, wo man zu tiefer

Sieſta ſich verpflichtet hält,

Wo Mücken nur und Ungeziefer

So recht lebendig in der Welt,

Wo giftger Peſthauch auf zum Himmel

Aus ſtehenden Gewäſſern ſteigt,

In deren Schlamm ſich das Gewimmel

Vielbeinigen Gewürmes zeigt:

[89]
Das iſt der Friede, der uns ſchlimmer

Als je ein Krieg zu werden droht,

Als je ein Krieg, der uns noch immer

Ein offen Feld für Thaten bot;

Genüſſler hegt jetzt unſre Jugend,

Und Stockgelehrte allenfalls,

Doch jeder Kraft und Männertugend

Brach dieſer Friede ſchon den Hals. —

Doch wird die Sonn’ erſt unerträglich,

Und dörrt den Wald, und ſengt die Flur,

Da hilft ſich, auf gut-ſommertäglich,

Mit einem Schlage die Natur:

Die Donnerwolke blitzt und wettert,

Und nimmt der Luft den giftgen Hauch,

Und wird auch mancher Baum zerſchmettert,

In faule Sümpfe ſchlägt es auch.

[90]
Welch Friede dann, wenn ſegenſtrahlend

Die Sonn’ im Weſten untergeht,

Und dunkle Purpurroſen malend,

Der Himmel wie in Flammen ſteht!

Wir baden uns im Hauch der Friſche,

Wie neugeboren iſt das All,

Und in des Baumes Blätterniſche

Schlägt lieblicher die Nachtigall.

[91]

John oder Harry?
[1844.]


Da drüben an des Rheines Borden,

Des Franzmanns ritterlicher Sinn

Ruft jenen Percy aus dem Norden,

Den Heißſporn immer vor mich hin;

Den Heißſporn, der zum Zeitvertreibe

Die Schotten dutzendweis erſtach,

Und jammernd dann zu ſeinem Weibe

Von thatenloſem Daſein ſprach.

[92]
Und ſeh ich dann auf Polſterſitze

Dich deutſchen Michel hingeſtreckt:

Den Mund voll ſelbſtgefällger Witze,

Und in der Hand ’nen Becher Sekt;

Wird mir dazu die Augenweide

Von Hängebauch und Doppelkinn,

Will mir, zu meinem eignen Leide,

John Falſtaff gar nicht aus dem Sinn.

Wie, oder wär dies Locker-leben

Der Klugheit Maske nur für Dich?

Wirſt Du Dich aus dem Schlamm erheben

Wie Harry Monmouth ritterlich?

Wirſt Du dereinſt in Schlachtentänzen,

Bei Shrewsbury, auf blutgem Feld

Mit Percy’s Lorbeer Dich bekränzen?

Dann grüß Dich Gott, Du Zukunftsheld.

[93]

Junker Dampf.


Aus einem edlen Stamme

Entſproß der Junker Dampf:

Das Waſſer und die Flamme

Erzeugten ihn im Kampf;

Doch hin und her getragen,

Ein Spielball jedem Wind,

Schien aus der Art geſchlagen

Das Elementenkind.

[94]
Ja, frei an Füß’ und Händen

Iſt er ein lockrer Fant,

Doch hinter Kerkerwänden

Da wird er ein Gigant:

In tauſend Trümmerreſte

Zerſchlägt er jede Haft,

Mit ihrer Dicht’ und Feſte

Wächſt ſeine Rieſenkraft.

Selbſt da, wo ſeiner Zelle

Ein ſchmales Pförtchen blieb,

Ringt er nach Luft und Helle

Mit ſolchem Sturmestrieb,

Daß, wenn ihn beim Entwiſchen

Des Thores Enge hemmt,

Den Kerker, unter Ziſchen,

Er auf die Schulter klemmt;

[95]
Und ſo, trotz eh’rner Feſſel

An Füßen noch und Hand,

Reißt er den Kerkerkeſſel

Im Fluge mit durch’s Land,

Reißt ganze Häuſerreihen

Mit fort, wie Wirbelwind,

Bis wieder er im Freien

Nichts, als — ein ſpielend Kind.

[96]

Die Strandbuche.


Hoch auf meerumbrauſter Düne ragt in voller
Maienpracht

Eine Buche; „Mutter — ruft ſie — wieder kam
das Meer bei Nacht,

Wieder hat’s aus grünem Seetang viel der Kränze
mir geſchlungen,

Hat mir Bernſteinſchmuck geſpendet, und von
Liebe viel geſungen.

[97]
„Mutter, ſchilt es nicht Verführer, ſag nicht,
daß es treulos wär’,

Treulos iſt allein die Schwäche und gewaltig
iſt das Meer,

Hielteſt Du mich nicht umklammert, Mutter
Erde, liebestrunken

Wär ich Nachts, als es mich lockte, hin an ſeine
Bruſt geſunken.“

„„Sturm herbei!““ rief wild-aufjauchzend jetzt
das liebeſichre Meer,

Und auf hundert Wolkenroſſen jagte ſchnaubend
er einher;

„„Auf! entwurzle mir die Buche, ’s gilt der Sehn-
ſucht Schmerz zu kürzen,

Wär ſie frei, ſie würde ſelber ſich in meine
Arme ſtürzen.

5
[98]
„„Arme Thörin, die des Meeres eitlen Liebes-
ſchwüren traut!

Jeder Tanne ſpend ich Bernſtein, jede Buche
nenn ich Braut;

Nicht um unerfüllte Hoffnung um betrogne
ſollſt Du trauern,

Und der Liebe Wonne wird Dich bald wie Todes-
froſt durchſchauern.““

Tiefes Schweigen; — aber plötzlich kracht die
Buche, ſturmgepackt,

Blätterſtiebend ſtürzt ſie nieder wie ein grüner
Katarakt;

Laut erbrauſend heißt ſein neues Opfer jetzt das
Meer willkommen,

Hochaufſchäumend hat’s der Rieſe an die Wellen-
bruſt genommen.

[99]
„Weh, halt ein in Deinem Raſen, das mich zu
vernichten droht,

So entblättert nicht die Liebe, ſo entblättert
nur der Tod!“

Doch die Leidenſchaft des Rieſen kennet nicht der
Lieb’ Erbarmen,

Und er ſpielt mit ſeinem Opfer, bis es todt in
ſeinen Armen.

Aber dann, als ob er Abſcheu gegen eine Leiche
fühlt,

Hat er ſeiner Lüſte Spielzeug wieder an den
Strand geſpült;

An dem Fuß der Düne, deren Gipfel einſt der
Baum beſchattet,

Hat die alte Mutter Erde ihr entführtes Kind
beſtattet.

5*
[100]

Eines Vaters Wehklage.
(Nach dem Engliſchen des John Prince. *)


Hell ſchien der Mond, und ſeinen blaſſen Schimmer

Ausweinend in mein kümmerliches Zimmer,

Verlieh er drin viel ſilberfarbnen Duft

Der ſchlummerſtillen, träumeriſchen Luft.

Da war’s, da klopfte, weh mir! an mein Fenſter

Das ſchrecklich räthſelvollſte der Geſpenſter,

Da hat der Tod, ich war umſonſt verſchanzt,

An meinem Herd ſein Banner aufgepflanzt.

[101]
O Trauertag! die letzte ſeiner Stunden

Schlug meinem Herzen unheilbare Wunden:

Der Blume gleich, die ſchon im Lenz geknickt,

Hab ich in ihr mein ſterbend Kind erblickt.

Noch hielt ich zitternd es auf meinen Knien,

Als es vom Tode ſchon geſtempelt ſchien,

Und als ſein liebes, liebes Auge brach,

Sein letzter Seufzer mir zum Herzen ſprach,

Entflohen war, ſtill ohne Kampf, ſein Geiſt,

Da fühlt ich mich auf immerdar verwaiſt.

Bald ward er, den gehegt ich und gepflegt,

Sanft ſchlummernd in ſein Erdenbett gelegt;

Mitleidge Seelen ſchloſſen einen Kreis,

Still betend ſtanden ſie, und weinten leis.

Der Pfarrer ſprach; ich aber hörte nur

Den einen dumpfen Ton, der klanglos ſchwur:

„Wirſt deinen Liebling hier nicht wiederſehn!

Bald iſt der Liebe letzter Dienſt geſchehn.“

[102]
Dann ſchlich, oft rückwärts ſchauend, ich von
dannen,

Im Weltgewühl den Schmerz zu übermannen.

Ja, du mein Troſt und deiner Mutter Stolz,

Die, wenn du krank, in Thränen ſchon zerſchmolz,

Du biſt dahin! doch ward dir eine Welt,

Wo man der Tugend keine Netze ſtellt.

Du darfſt im Licht und in der Wahrheit ſein,

Derweil ich hier gefangen und allein,

Allein! der Barke gleich, auf offnen Meeren,

Wenn ſich die Elemente rings empören;

Allein! ein Harfenſpiel, das halb zertrümmert,

Nur fürder noch in Klagetönen wimmert.

Ich traure heimlich: würde ſonſt ja mehren

Die Qualen, die an deiner Mutter zehren,

Den tiefen Schmerz, um den ſie ſeufzt und weint,

Der ausgeprägt in jedem Zug erſcheint.

[103]
Oft am Kamine ſitzen wir zuſammen,

Und ſchauen, dein gedenkend, in die Flammen,

Und ſprechen von der Wangenröthe — ach!

Die langes Leben lügneriſch verſprach.

Wir denken jedes Blicks und Wortes dann,

Das, zu dem Herzen ſprechend, dir’s gewann,

Und ſchaun die Schätze an, die ſchon ſeit Jahren

Die Quelle deiner Kinderfreude waren,

Und die wir hüten nun, dem Geizhals gleich,

(Dein Kleid, dein Spielzeug macht uns überreich!)

Bis wenn ſie leichter wird die Herzenslaſt,

Zur Ruh wir gehen, oder doch — zur Raſt.

Zu küſſen früh dein ſchlummernd Augenpaar,

Zu herzen dich, wenn heimgekehrt ich war,

Beim Spiele zu hören dich, dein herzlich Lachen,

Und Sonntags deine Schritte zu bewachen, —

s’ war ſchön! ſchön wenn du kindlich mir entdeckt

Auf meinem Schooß, was dich erfreut, erſchreckt;

[104]
Wenn ich die Dämmrung der Gedanken klärte,

Und dich die Macht der Wiſſenſchaften lehrte.

Das war mein Wunſch: dein kindlich frommes
Walten,

Die reine Seele rein dir zu erhalten,

Zu leiten deine Schritte, bis die Tugend

Dich wahre vor dem Flatterſinn der Jugend,

Und ſo, geſchützt vor des Verſuchers Stricken,

Wollt’ ich in’s Weltgewühl hinaus dich ſchicken.

Dann wollt’ ich ſterben; und zum Vaterſegen

Im Todeskampf die Lippen noch bewegen,

Feſt überzeugt, du werdeſt einſt erſcheinen

An deines Vaters ſchlichtem Grab zu weinen.

So war mein Wunſch; doch wollte Gott mir
zeigen

Wie wenig Weisheit unſrem Wiſſen eigen;

So war mein Wunſch; doch anders war Sein Sinn,

Und fühlen muß ich, wie ſo klein ich bin.

[105]
Was klag ich auch! Gott rief dich aus dem Leben

Des Himmels ewge Freuden dir zu geben;

Hier aber ſei mit nimmermüder Hand

Dem Schweſterlein die Liebe zugewandt,

Die — ſäßeſt du noch auf des Vaters Knien —

Für dich mein Sohn wie aufbewahrt erſchien’.

Die eine Hoffnung bleibt mir auf der Welt:

Daß wenn dereinſt die Erdenhülle fällt,

Wenn Gott mich ruft, auch mich, vor ſeinen Thron,

Ich wiederfinde meinen Herzensſohn.

[106]

König Alfred.


Der Däne hauſt mit Mord und Brand

In Weſſex und Northumberland:

Held Alfred irrt im eignen Reich

Umher, dem flüchtgen Hirſche gleich.

Bei Wolf und Elen tief im Wald,

Da nimmt er ſeinen Aufenthalt,

Da ſammelt er, im Schutz der Nacht,

Ein neues Heer zu neuer Schlacht.

[107]
Und als die Seinen kampfbereit,

Da legt er an ein Harfnerkleid:

In’s Dänenlager will er gehn

Des Feindes Schwächen auszuſpähn.

Schon tritt er kühn, die Harf’ im Arm,

Vor König Guthrums Zecherſchwarm,

Bald in der Becher Kling und Klang

Tönt König Alfreds Schlachtgeſang.

Er ſingt von jenem Zechermahl,

Wo ſtatt der Becher Stahl an Stahl

In Lüften klirrt, und Schild an Schild, —

Wo Blut ſtatt Wein in Strömen quillt.

Er ſingt von jenem Zechermahl,

Wo „Tod“ den ſchäumenden Pokal

Kredenzt, und jeder der da trinkt

Für alle Zeit zu Boden ſinkt.

[108]
Von ſeiner Ahnen Kraft und Krieg,

Von Hengiſt und dem Stamford-Sieg,

Von Eglesford, wo Horſa fiel, —

Singt er ein Lied zum Saitenſpiel.

Der Dänenkönig aber lacht

Wohl ob der Sachſen Muth und Macht,

Er lacht, und hört nicht wie das Lied

Der Raben ſchon die Luft durchzieht.

Er zecht und jubelt noch im Zelt,

Als ſchon der ſiegesſichre Held

Mit Schild und Speer in’s Lager dringt,

Und neue Schlachtgeſänge ſingt.

Und wilder jetzt in Feindesreihn

Greift er, als in die Harf’ hinein,

Und ſpielt, daß Sait’ um Saite ſpringt,

Und Schrei um Schrei gen Himmel dringt.

[109]
Des Liedes lacht der Däne nicht,

Das klingenſcharf zum Herzen ſpricht,

Gen Jütland jagt es über’s Meer

Ihn, ohne Raſt und — ohne Heer.

In Weſſex und Northumberland

Herrſcht wieder König Alfreds Hand,

Und heimwärts lenkt des Dänen Kiel,

Denkt er an Alfreds Saitenſpiel.

[110]

Cromwell’s letzte Nacht.


Mir ſagt’s nicht nur des Arztes ernſte Miene,

Selbſt fühl’ ich’s, meine Stunden ſind gezählt.

Der tolle Traum, der mich vom Lager ſchreckte,

Er war nicht Ausgeburt des heißen Hirns,

Auch Stimme nicht des mahnenden Gewiſſens,

Er war ein Ruf aus einer andren Welt

Zum Hintritt vor den Richter mich zu rüſten.

[111]
Ein toller Traum! wüßt ich, in nächſter Nacht

Wird dir der Schlaf ein gleiches Schreckniß
bringen,

So möchte dieſe Stunde noch der Tod

Statt jenes Stuart an mein Lager treten.

Ernſt ſtand er vor mir; um den nackten Hals

Trug, ſtatt des Schmucks, er einen rothen Streifen,

Und als er, wie vordem, zu leichtem Gruß

Nach dem Barett auf ſeinem Haupte faſſte,

Nahm er den Kopf von ſeinem blutgen Rumpf,

Mein Auge ſchloß ſich; als ich’s ſcheu geöffnet

Sah wieder ich den purpurfarbnen Streifen,

Er winkte mit dem Finger mir, zu folgen,

Und ſchwand dann, rückwärts ſchreitend, in der
Thür.

Was ſchreckt das Traumbild mich des todten
Mannes

Und weckt in mir den alten Aberglauben

[112]
An eines Königs Unverletzlichkeit?

Das Schwert des Henkers wär’ wie Glas zer-
ſprungen,

Wenn Gottes Will’ ihn unverletzlich ſchuf.

Was iſt die Unantaſtbarkeit des Königs?

Nichts als ein Vorrecht, das die Zeit ihm leiht:

Sein Urahn, ein Eroberer und Mörder

Iſt der Begründer all der Heiligkeit.

Der kühne Normann, der bei Haſtingsfield

Den König Harald in den Staub geworfen,

Was war er Beſſres als der Cromwell heut,

Der jenen Carl bei Marſton-Moor geſchlagen?

Es ſoll nicht mehr ſein blutig Haupt mich
ſchrecken!

Es lebt in mir: ich war ein Gotteswerkzeug,

Und auserwählt zu retten und zu ſtrafen.

Ich ſah das Schiff, vom Sturm umhergeſchlagen,

Der Klippe nah, dran es zerſchellen mußte:

[113]
Ich ſprang hinzu, von ſeinem Platze drängt ich

Den ſchwachen Steurer, und mit ſichrer Hand

Lenkt ich das Schiff, als Lootſe, in den Hafen.

Es war noch immer, galt’s ein Volk zu retten,

Das Recht des Stärkern nicht das ſchlechtſte
Recht.

Daß ich mein Thun mit ſeinem Tod beſiegelt,

Es war Nothwendigkeit; er mußte ſterben,

Es war ſein Blut der Mörtel meines Bau’s.

Wenn in die Sendung, die an mich ergangen,

Ich Selbſtſucht, Stolz und Eitelkeit gemiſcht,

So weißt Du Gott, der meine Nächte kennet,

Wie für mein Unrecht bitter ich gebüßt.

Mein Leben war das Leben des Tyrannen,

Ob nimmer auch in Blut ich mich gebadet,

Haß fand ich dort, wo feſten Arms ich drückte,

Und Eiferſucht, wo milden Arms ich hob.

[114]
Erfüllt iſt meine Sendung; Gott, ich wollte

Des Mannes Blut wär nicht an meinen Händen!

Hab’ ich gefehlt, ſei mir ein gnädger Richter, —

In Deine Hand befehl’ ich meinen Geiſt.

[115]

Die arme Elſe.


Die Mutter ſpricht: „lieb Elſe mein,

Du mußt nicht lange wählen;

Man lebt ſich in einander ein,

Auch ohne Liebesquälen;

Manch’ Eine nahm ſchon ihren Mann,

Daß ſie nicht ſitzen bliebe,

Und dünkte ſich im Himmel dann,

Und alles ohne Liebe.“

[116]
Jung-Elſe hört’s und ſchloß das Band,

Das ewge am Altare,

Es nahm, zur Nacht, des Gatten Hand

Den Kranz aus ihrem Haare;

Ihr war zu Sinn, als ob der Tod

Sie auf die Schlachtbank triebe, —

Sie gab ihr Alles nach — Gebot,

Und alles ohne Liebe.

Der Mann iſt ſchlecht, er liebt das Spiel,

Und guten Trunk nicht minder,

Sein Weib zu Hauſe weint zu viel,

Und ewig ſchrein die Kinder;

Spät kommt er heim, er koſt, er — ſchlägt,

Nachgiebig jedem Triebe, —

Sie trägt’s, wie nur die Liebe trägt,

Und alles ohne Liebe.

[117]
Sie wünſcht’ ſich oft: „es wär’ vorbei“,

Wenn nicht die Kinder wären;

So aber ſucht ſie, ſtets auf’s Neu,

Den Gatten zu bekehren;

Sie ſchmeichelt ihm, und ob er dann

Auch kalt bei Seit’ ſie ſchiebe,

Sie nennt ihn: ihren liebſten Mann,

Und alles ohne Liebe.

[118]

Treu-Lischen.


„Mein Lischen, ſtell das Weinen ein,

Auf Regen folgt ja Sonnenſchein,

Ich kehr’ mit Schwalb’ und Flieder

Und wohl noch früher wieder.“

Der Burſche ſprach’s. Vom Giebeldach

Sah ihm Treu-Lischen lange nach,

Bis Hoffnung wiederkehrte

Und ihren Thränen wehrte.

[119]
Die Aeuglein wurden wieder klar,

Das Herze jeden Kummers bar, —

Sie wußte, mit dem Flieder

Kam ihr der Liebſte wieder.

Der Frühling kam mit Duft und Klang,

Treu-Lischen harrte mondenlang,

Herbſtwind durchfuhr den Garten, —

Vergeblich war ihr Warten.

Wohl kam der Frühling viele Mal,

Ihr Liebſter nimmermehr in’s Thal,

Doch Lenz um Lenz auf’s Neue,

Rief ſie: „nun kommt der Treue!“

Es konnt ihr Herz, das Jahr um Jahr

Dem Liebſten treu geblieben war,

Es konnt’s ihr Herz nicht faſſen,

Er habe ſie verlaſſen.

[120]
Grau ward ihr Haar, welk ihr Geſicht,

Das Alter kam, ſie wußt’ es nicht,

Ihr Hoffen und ihr Lieben,

Ihr Herz war jung geblieben.

Und als der Tod ſie heimgeführt,

Hat ihn das treue Herz gerührt,

Und mit des Liebſten Mienen

Iſt er vor ihr erſchienen.

[121]

Schön-Anne.


1.
Schön-Anne ſtrählt ihr ſchwarzes Haar,

Und hängt den Kopf in Trauer;

Sie ſpricht: „heut werd’ ich zwanzig Jahr

Und Jugend hat nicht Dauer;

Wenn ich ein Herz noch finden ſoll,

Recht wie mein eignes liebevoll,

So muß ich’s balde finden.“

6
[122]
Der Tag iſt um; neugierig-bang

Legt Anne ſich die Karten:

„Ein Jahr noch!“ ach, es iſt ſo lang

Bis über’s Jahr zu warten;

Sie ſeufzet: „wär’ erſt wieder Mai,

Nicht eher athm’ ich froh und frei,

Bis ich ein Herz gefunden.“

Das Jahr iſt um, der Mai iſt da

Mit ſeinen Blumen allen,

Wohl mochte Manchem, der ſie ſah,

Die hübſche Dirn’ gefallen;

Doch Anne war ein Waiſenkind,

Und wo nicht Hof und Truhe ſind,

Da hat die Lieb’ ein Ende.

[123]
Das Jahr iſt um, und Anne ſpricht:

„Gott, dieſe Herzensleere

Trag ich geduldig länger nicht,

Und koſtet’s Ruf und Ehre;

Die Eltern hab ich kaum gekannt,

Niemals ein Herze mein genannt, —

Ich will ein Herz beſitzen.

Und als der Sonntag Abend kam

Da ging ſie hin zum Tanze,

Sie fragte nichts nach Schand’ und Scham,

Und nichts nach ihrem Kranze, —

Sie ſuchte ſich den Hübſch’ſten aus,

Und nahm ihn keck mit ſich nach Haus; —

Es war ihr feſter Wille.

6*
[124]
„Ich hab ein Recht!“ der eitle Wahn

Ließ keinen Spott ſie ſcheuen,

Sie ſprach: „ich weiß, was ich gethan,

Und nimmer ſoll’s mich reuen;

Was mir das Leben ſchuldig iſt,

Das ſoll mir nun in kurzer Friſt

Mein eigen Kind bezahlen.“

2.
Und über’s Dorf ging Jahr um Jahr,

Aufſchoß manch ſchlanke Tanne,

Sie aber, die „Schön-Anne“ war,

Heißt lang nun „Mutter Anne“;

Jetzt, wenn im Krug brav Tänzer ſind,

Geht ſchon der ſchönen Anne Kind,

Im Sonntagsſchmuck zu Tanze.

[125]
Was weint die Mutter Anne ſo,

Und ſtützt den Kopf in Sorgen?

Schlägt ihr das Mutterherz nicht froh

An jedem neuen Morgen?

Die Tochter kommt vom Tanz nach Haus,

Die Mutter ſpricht: „bliebſt lange aus,

Kind, halte Dich in Ehren!“

Die Tochter zieht ein ſchnippſch Geſicht,

Und ſpricht: „laß mich nur machen!

Ich dächt, ich hielt’ auf Ehr und Pflicht,

Und — kann mich ſelbſt bewachen;

Und wenn ich leicht und locker wär’,

Es käm wohl nicht von ungefähr,

Hat alles ſeine Gründe.

[126]
„Du ſagſt mir oft, mein Vater ſei

Vor Jahren ſchon geſtorben,

Doch hat mir manche Neckerei

Den Glauben dran verdorben;

Wohl ſchuld ich dieſes Leben Dir,

Doch, weiß es Gott, oft wünſch ich mir,

Ich wäre nicht geboren.“

Sie ſpricht’s, ihr ſchwarzes Auge glüht,

Die Thür iſt zugeflogen,

Und um die letzte Hoffnung ſieht

Arm-Anne ſich betrogen;

Sie ſeufzt: „das alſo iſt der Lohn,

Um den ich allen Spott und Hohn

Mein Lebelang getragen!“

[127]
Dann aber betet ſie bewegt:

„Gott, es iſt mein Verſchulden!

Was uns Dein Wille auferlegt

Geziemet uns zu dulden; —

Entſagen kann die wahre Lieb’,

Es war die Selbſtſucht die mich trieb,

Und bitter muß ich’s büßen.“

[128]

Sylveſter-Nacht.


Das Dorf iſt ſtill, ſtill iſt die Nacht,

Die Mutter ſchläft, die Tochter wacht,

Sie deckt den Tiſch, ſie deckt für zwei,

Und ſehnt die Mitternacht herbei.

Wem gilt die Unruh? wem die Haſt?

Wer iſt der mitternächtge Gaſt?

Ob ihr ſie fragt, ſie kennt ihn nicht,

Sie weiß nur, was die Sage ſpricht.

[129]
Die ſpricht: wenn wo ein Mädchen wacht

Um zwölf in der Sylveſternacht,

Und wenn ſie deckt den Tiſch für zwei,

Gewahrt ſie, wer ihr Künftger ſei.

Und hätt’ ihn nie geſehn die Maid,

Und wär’ er hundert Meilen weit,

Er tritt herein, und ſchickt ſich an,

Und ißt und trinkt, und ſcheidet dann. —

Zwölf ſchlägt die Uhr, ſie horcht erſchreckt,

Sie wollt’ ihr Tiſch wär’ ungedeckt,

Es überfällt ſie Angſt und Graun,

Sie will den Bräutigam nicht ſchaun.

Fort ſetzt der Zeiger ſeinen Lauf, —

Niemand tritt ein, — ſie athmet auf, —

Sie ſtarrt nicht länger auf die Thür, —

Herr Gott, da ſitzt er neben ihr.

[130]
Sein Aug’ iſt glüh, blaß ſein Geſicht,

Sie ſah ihn all’ ihr Lebtag nicht,

Er blitzt ſie an, und ſchenket ein,

Und ſpricht: „heut Nacht noch biſt du mein.

Ich bin ein ſtürmiſcher Geſell,

Ich wähle raſch, und freie ſchnell,

Ich bin der Bräutgam, Du die Braut,

Und bin der Prieſter, der uns traut.“

Er faſſt ſie um, — ein einzger Schrei;

Die Mutter hört’s, ſie kommt herbei;

Zu ſpät, — verſchüttet liegt der Wein, —

Todt iſt die Tochter, und — allein.

[131]

Graf Hohenſtein.


1.
Der junge Graf von Hohenſtein

War ſonſt kein Waidgeſelle,

Was hält ſein Roß tagaus, tagein

Jetzt an des Förſters Schwelle?

Er trägt kein Hüfthorn um den Leib, —

Was will der Graf erjagen?

Ihr müßt des Förſters junges Weib,

Die ſchöne Gertrud fragen.

[132]
Die ſchöne Gertrud horcht geſpannt

Bei Dämmerſchein, im Garten;

Durch ihre Bruſt zieht, Hand in Hand,

Ein Bangen und Erwarten;

Da ſchallt ein Huf, der Hund ſchlägt an,

Sie ſpricht: „Gott, hab Erbarmen!“

Und eh ſie weiter beten kann,

Hält ſie der Graf in Armen.

Er ſpricht: „nun halt’ es endlich mir,

Was Du mir oft verſprochen,

Mir iſt die Zeit ſeit Monden ſchier

Auf Schnecken fortgekrochen;

Sprich nicht, auf’s Neue, hin und her

Von Schwur, Altar und Treue, —

Die Treu’ iſt eine alte Mähr’,

Und Schwachheit iſt die Reue.“

[133]
Er ſpricht’s, und als die Nacht erſcheint

Da hat das Spiel ein Ende,

Fortjagt der Graf, Schön-Gertrud weint,

Und ringt die ſündgen Hände;

Ihr Mann kehrt heim mit Gruß und Kuß,

Wie Abſchied er genommen,

Sie heuchelt, weil ſie heucheln muß,

Und heißt ihn froh willkommen. —

Ein Jahr und wenig Tage ſind’s,

Der Graf zieht andre Fährte,

Zur Taufe nur des Förſterkinds

’nen Becher Wein er leerte.

Der Wein war nüchtern wie die Leut’,

Und konnt ihn wenig laben,

Nur mocht an Förſters Vaterfreud’

Er ſeine Freude haben.

[134]
2.
Manch Jahr, in immer ſchnellrer Flucht,

Iſt hin in’s Land gegangen,

Längſt hält der Graf, in Sitt’ und Zucht,

Ein jung Gemahl umfangen;

In ihrem Aug’ iſt andres nicht

Wie Lieb und Treu zu ſchauen,

Doch keinem Engelsangeſicht

Vermöcht er zu vertrauen.

Er ſchläft: — auffährt er aus dem Traum,

Er bebt an Seel’ und Leibe,

Todblaß, die Füße wollen kaum,

Schleicht er zu ſeinem Weibe;

Er lauſcht, und als er vor ihr ſteht,

Was hört er? ſeinen Namen;

Ihr Träumen war ein fromm Gebet,

Vernehmlich ſprach ſie: Amen!

[135]
Er reitet einſam in den Wald,

Und ſinnt, und — muß erbleichen:

Er drückt dem Renner allſobald

Die Sporen in die Weichen,

Er fliegt nach Haus, auf ſeinem Roß,

Im Wettlauf mit dem Winde, —

Und findet — ſpielend vor dem Schloß,

Sein Weib mit ſeinem Kinde.

Oft läßt er ſelbſt, auf ſeinen Knien,

Den hübſchen Blondkopf ſchaukeln,

Bis plötzlich tolle Bilder ihn,

Wie hergeweht, umgaukeln:

Des Kindes Augen ſind ſo blau,

Und ſchwarz ſind doch die ſeinen, —

Er ſtößt es fort, und murmelt rauh:

„Was kümmert mich ſein Weinen?“

[136]
Einſt als ſein Roß, im Walde draus

Gar alten Weg genommen,

Iſt an des Förſters ſtillem Haus

Der Graf vorbeigekommen;

Er ſprach: „die Treu iſt keine Mähr’; —

Ich hab ihr Band zerriſſen,

Nun treibt mich ruhelos umher

Ein ſtrafendes Gewiſſen.“

[137]

Sittah, die Zigeunerin.


1.
Im Hochgebirg von Cumberland,

Zu Füßen einer Felſenwand,

Streckt wegesmüd und ſonn-ermattet,

Von wenig Kiefern nur beſchattet,

Und von der Armuth nur bewacht,

Ein Trupp Zigeuner ſich zur Nacht

Vor ihnen breitet ſeine Fluth

Ein Bergſee bis an Schottlands Grenze,

[138]
Und Abendroth-geflochtne Kränze

Beſpiegeln drinnen ihre Gluth.

Des Seees märchenhafte Schöne

Ergreift ſelbſt die Zigeunerſöhne,

Für deren Auge die Natur

Der Anblick eines Freundes nur,

Den man vieltauſendmal betrachtet,

Und nichts Beſondres mehr erachtet,

Bis, wenn er dann urplötzlich fehlt,

Die Lieb’ uns doppelt ſtark beſeelt.

Doch ſeltner ſpiegeln jetzt und blaſſer

Des Himmels Roſen ſich im Waſſer,

Und herwärts, von dem See zur Kluft,

Weht kühler ſchon die Abendluft.

Da nimmt das Träumen ſchnell ein Ende,

Geſchäftig regen ſich die Hände,

Und Alt und Jung, und Klein und Groß,

Schafft Holz herbei, und Laub und Moos.

Der Eine ſucht in ſeiner Taſche

[139]
Den Stahl, daraus er Funken weckt,

Doch eines Andern Tabacksaſche

Hat ſchon das Laub in Brand geſteckt.

Schon wirft die Flamme rothe Lichter

Auf ihre bräunlichen Geſichter;

Schon rupft man das geſtohlne Huhn,

Und eilt, es in den Topf zu thun;

Da, während’s drinnen kocht und ſiedet,

Greift einer nach dem Tambourin,

Ob immer hungrig und ermüdet,

Sie fliegen all zum Tanze hin;

Die Augen glühn, die Pfeifen dampfen,

Und immer lauter wird gepocht,

Und während ſie den Boden ſtampfen,

Des Pachters Huhn im Topfe kocht.

Der Tanz iſt aus; bei frohem Mahle

Beſchließen ſie den frohen Tag,

Und aus des Seees weiter Schale

Trinkt Jeder, was er trinken mag.

[140]
Schlicht iſt der Trunk, die Hirſche dürfen

Ihn theilen an derſelben Stell’,

Doch läßt ſich mehr als Waſſer ſchlürfen

Aus Bergesſee und Waldesquell;

Sie trinken, mit dem Trunk der Rehe,

Die Luſt in’s tiefſte Herz hinein,

In ungetrübter Gottesnähe,

Und frei, wie Hirſch und Reh zu ſein.

2.
Noch eh’ die Sonn’ heraufgezogen,

Sind die Zigeuner ausgeflogen.

Als Keſſelflicker, Rattenfänger,

Hanswurſt, Prophet und Bänkelſänger, —

Der Eine rechts, der Andere links,

Zog Alles in die Dörfer rings.

Nur eine Alte, welk und braun,

[141]
Und unerquicklich anzuſchaun,

Auf deren Antlitz, vielerfahren,

Sich Liſt und Herzensgüte paaren,

Sucht noch, mit ihren gelben Händen,

Schön-Sittah’s Anzug zu vollenden.

Zwölf Jahre mocht’ die Kleine zählen,

Und während das Zigeunerweib

Sich eilt ihr ſchwarzes Haar zu ſtrählen,

Schwatzt ſie zu Sittah’s Zeitvertreib:

„Die Flechte noch, — mein Herzenskind,

Dann auf, in’s nächſte Dorf, geſchwind,

Dort mach’, auf jedem Pachterhofe,

Dich flugs an Tochter oder Zofe;

Nimm, wenn ſich keine Karte fand,

Die Heirathsluſtge bei der Hand,

Und ſag ihr, noch in dieſem Jahre,

Führ’ ſie der Liebſte zum Altare.

Kann ſein, es leuchtet ihr nicht ein,

Doch denkt ſie drum, es könnte ſein.

[142]
Vor allen aber achte ſchlau,

Ob eine junge Pachtersfrau

Vielleicht um Kinder, im Gebet

Seit lange ſchon vergeblich fleht, —

Und Herzchen, haſt du die gefunden,

So ſag der Aermſten, unumwunden,

Daß eh’ der Kuckuk wiederkehre,

Ein Kindlein ihr geboren wäre; —

Sie mag dann ſehn ihr Glück zu haſchen, —

Wir aber kriegen volle Taſchen.“

Die Alte ſpricht’s, die Kleine lauſcht,

Die letzte Flechte wird beendet,

Und als ſie Gruß und Kuß getauſcht,

Hat Sittah ſich in’s Dorf gewendet.

Ob ſie der jungen Pachterfrau

Ihr unfehlbares Schickſal lehrte, —

Erfahren hat man’s nie genau;

Doch als ſie Abends heimwärts kehrte

Und dicht an eines Abgrunds Rand,

[143]
An dem der ſchmale Pfad ſich wand,

In heitrem Muth vorüberſchritt, —

Nahm ſie ein volles Täſchchen mit.

Die Dornen hatten ſie geritzt,

Der weite Weg ihr Blut erhitzt,

Sie hätt’ ’nen Tag von ihrem Leben

Für wenig Waſſer hingegeben.

So eilt den Felsweg ſie entlang;

Da fordert ſchier, am Bergeshang,

Ein Brombeerſtrauch mit ſchwarzen Beeren,

Sie gaſtlich auf doch einzukehren.

Die Luſt iſt groß davon zu pflücken,

Und abwärts gleitend auf dem Rücken,

Labt ſie ſich mit des Durſtes Gier, — —

Da weicht der Boden unter ihr.

Umſonſt, daß ſie mit beiden Händen,

Selbſt an des Felſens harten Wänden

Sich krampfhaft anzuklammern ſucht, —

Sie ſtürzt hinunter in die Schlucht.

[144]
3.
Gefolgt von ſeinen Meutehunden,

Hat aus dem nahgelegnen Schloß

Der Graf, mit ſeinem Dienertroß,

Das Kind, beſinnungslos, gefunden.

Doch wenig Wein auf Bruſt und Stirn,

Läßt bald die Pulſe wieder ſchlagen,

Und heim wird die Zigeuner-Dirn

Zu neuem Lebenslauf getragen.

4.
Die Jahre fliehn; der Spielgenoß

Von Hirſch und Reh, von Quell und Wind,

Iſt jetzt, auf ſeines Retters Schloß,

Des kinderloſen Grafen Kind; —

Schön, und erkoren Lieb’ und Land

[145]
Des alten Grafen einſt zu erben,

Sieht man um Sittah’s Herz und Hand

Des Landes ſtolzen Adel werben.

5.
Von Gäſten wimmelt Hof und Halle,

Aus Küch’ und Keller lärmt es laut,

Bei Gläſerklang und Liederſchalle

Trinkt man das Wohl der jungen Braut.

Schon an der Feſtestafel oben,

Geſtützt auf ihres Gatten Arm,

Hat Sittah lächelnd ſich erhoben,

Und grüßt der Gäſte lauten Schwarm; —

Da plötzlich ſchallen wilde Töne

Im Hofe drunten am Portal,

Und Lieder der Zigeunerſöhne

Ziehn durch den hochzeitlichen Saal.

7
[146]
Sie tönen lauter ſchon — und wilder

Sauſt in der Luft das Tambourin,

Da treten halbvergeßne Bilder

Auf’s Neu vor Sittah’s Seele hin.

Sie ruht, wie ſonſt in tiefen Schluchten

Und hört dem Waldesrauſchen zu,

Sie blickt, auf’s Neu, von Felſenbuchten

Auf Meeresſturm und Meeresruh;

Sie ſchaut der Abendröthe Streifen,

An denen einſt ihr Auge hing,

Und möchte wieder danach greifen,

Wie Kinder nach dem Schmetterling.

Sie hört des Birkhuhns Kreiſchen wieder,

Sie ſieht das Irrlicht wieder glühn,

Das längs der Haide, auf und nieder,

Unſtät wie ſie, zu wandern ſchien;

Sie möchte wieder, wieder wandern

So weit die Himmel Gottes blaun,

Auf’s Neu, von einem Tag zum andern,

[147]
Mit ihren Brüdern Hütten baun. —

Da, allgemach, erſtirbt die Weiſe,

Und glühend, ohne Blick und Wort,

Schleicht Sittah aus dem Saal und leiſe

Sich von des Gatten Seite fort.

6.
Die Braut iſt allſobald verſchwunden,

Umſonſt durchſpäht man Flur und Wald,

Sie hat die Grenze ſchon gefunden,

Und ihrer Brüder Aufenthalt.

Schon in des Cheviot wilden Keſſeln

Hat ſie ihr Brautgewand zerfetzt,

Und löſt die langgetragnen Feſſeln,

Wie ihre ſchwarzen Flechten jetzt.

Schon lagert Alt und Jung im Kreiſe

Um eines Feuers Flackerbrand,

7*
[148]
Und ihres Liedes wilde Weiſe

Hallt fort von Fels zu Felſenwand:

„Zur Wüſte wieder will der Löwe,

Der Aar zurück in ſeinen Horſt,

Nur auf dem Meere jauchzt die Möve, —

Und wir allein in Schlucht und Forſt.

Ihr könnt den Sturzbach nimmer zähmen,

Die Wildheit iſt ſein Weſen nur; —

Es heißt uns Luft und Leben nehmen,

Nimmt man uns Freiheit und Natur.“

[149]

Maria Stuart’s Weihe.


Schloß Holyrood iſt öd’ und ſtill,

Der Nachtwind nur durchpfeift es ſchrill,

Es klirrt kein Sporn in Hof und Hall’,

Nur finſtres Schweigen überall.

Da plötzlich ſchwebt, in luftgem Gang,

Ein hohes Weib die Hall’ entlang:

Ihr klares Aug’ ſtrahlt ewig-jung

Vom Feuer der Begeiſterung.

[150]
Zu Häupten ihr glüht Sternenſchein,

Ihr Haar iſt Gold, — wer mag ſie ſein?

Sie kommt, und bringt ihr Angebind

Im Saale drin dem Königskind.

Das Königskind das heißt Marie,

Sie aber iſt die Poeſie;

Die neiget jetzt zur Wiege ſich,

Und flüſtert ernſt: „ich weihe Dich!“

Sie flüſtert’s kaum, da — ſtill und ſtumm

Entſchwebet ſchon ſie wiederum,

Und lachend ſchlüpfen luſt’ge Zwei

Jetzt in die Thür, an ihr vorbei.

Die Eine ſtrotzt von buntem Tand,

Ein Spiegel blitzt in ihrer Hand,

Bald ſchaut ſie ſich und bald ihr Kleid,

Das war die Dirne „Eitelkeit“.

[151]
Die Andre frech und üppig gar,

Trägt langes aufgelöſtes Haar,

Ihr Aug’ iſt ſchwarz, nackt ihre Bruſt,

Das war die Dirne „Sinnenluſt“.

Sie neigen beid’ zur Wiege ſich,

Und kichern hell: „wir weihen Dich!“

Da huſcht, — und ihre Wang’ erblaſſt,

Raſch in den Saal ein dritter Gaſt.

Wie Schatten ſchleicht er an der Wand,

Sein Kleid iſt roth, roth ſeine Hand,

Er ſchaut ſich um, ſein Auge ſticht,

Und meſſerſcharf iſt ſein Geſicht.

Er neigt ſich jetzt, und ſpricht das Wort:

„Ich weihe Dich zu Blut und Mord!“

Aufſchreit im Schlaf das Königskind,

Und heller draußen pfeift der Wind.

[152]
Der Gaſt iſt fort, doch her und hin

Wirft banger Traum die Schläferin,

Geweiht für’s Leben ſchlummert ſie

Die ſchöne, ſchottiſche Marie.

[153]

Rizzio’s Ermordung.


1.
Herr Darnley reitet in den Wald, Lord Ruthven

ihm zur Seite;

Herr Darnley ſpricht: „was frommt es mir, daß

in den Lenz ich reite?

Ich ritt hinaus ein Schreckgeſpenſt mir aus dem

Sinn zu ſchlagen,

Ihr aber Ruthven haſtet Euch in’s Feuer Oel

zu tragen.“

[154]
Lord Ruthven ſtreicht den rothen Bart, als ſei

er des zufrieden,

Er ſchweigt, und denkt nur: „wenn es heiß, ſoll

man das Eiſen ſchmieden“;

Seit an Maria’s Ohr er frech ein Liebeswort

verloren,

Hat er der ſchönen Königin im Herzen Haß

geſchworen.

Er ſpricht kein Wort, beredter ſpricht ſein Lächeln

jetzt und Schweigen,

Er ſieht, von Schritt zu Schritt, das Blut in

Darnley’s Wange ſteigen,

Der ruft: „ſing aus Dein Rabenlied, und ſpricht’s

wie Deine Blicke,

Verdamm mich Gott, wenn ich den Fant nicht

in die Hölle ſchicke!“

[155]
Lord Ruthven ſtreicht den rothen Bart, und ſpricht:

„ſo ſoll ich’s glauben

Mein Herr und König zweifle noch am Spiel

der frommen Tauben?

Er wiſſe nicht, was Jeder weiß vom ſchottſchen

Königsſtuhle,

Daß Heinrich Darnley’s ehlich Weib des David

Rizzio Buhle!“

Herr Darnley kehrt gen Edinburg, er hält vor

ſeinem Schloſſe:

„Lord Ruthven — ſpricht er — ſo’s beliebt, bleibt

ihr mein Jagdgenoſſe;

Der Fuchs iſt ſchlau, doch bärg er ſich in ihres

Kleides Falten,

Ich jag ihn auf, noch heute Nacht will meinen

Schwur ich halten.

[156]
2.
Es glänzt der feſtgeſchmückte Saal von Rittern

wohl und Frauen,

Vor allen iſt Maria doch als Königin zu

ſchauen,

Sie läßt die Zeit bei Spiel und Tanz in raſchem

Flug enteilen,

Und nur ihr Gatte zögert noch des Feſtes Luſt

zu theilen.

Die Kerzen und die Wangen glühn vor Freuden

um die Wette,

Es ſchreitet an Lord Seytons Hand Maria

zum Bankette,

Der Becher ſchäumt, Maria winkt ein Saiten-

ſpiel zu bringen,

Ihr Liebling Rizzio nimmt es hin und hebet an

zu ſingen:

[157]
Der König zog in finſtrem Sinn

Hinaus mit ſeinem Troſſe;

Nachblickt die ſchöne Königin

Dem Reiter und dem Roſſe.

Und als des Waldes Laub und Moos

Den König kaum erlaben,

Da lockt ſie ſchon auf ihren Schooß

Den blonden Edelknaben.

Sie ſtreicht ſein Haar, ſie küſſt ſo heiß

Die Lippen ihm und Wangen,

Die aber ſind heut kalt wie Eis

Und athmen kein Verlangen.

Sie flüſtert: „lieber Knabe mein

Halt’ feſter mich in Armen,

Wir wollen eins zur Stunde ſein,

Das wird Dein Herz erwarmen.“

[158]
Er aber ſpricht: „’s läßt heut mich nicht

Feſt drücken Dich und preſſen,

Ich hatt’ zur Nacht ein Traumgeſicht

Das kann ich nicht vergeſſen:

„Es trat der König vor mich hin

Als ich Dich wollte küſſen;

Mir iſt ſo bang lieb Königin

Als würd’ ich ſterben müſſen....“

„„So ſtirb, Du buhleriſcher Thor!““ Herr

Darnley ruft’s dazwiſchen,

Es fegt im Nu ſein Zornesblick die Gäſte von

den Tiſchen,

„„Stirb denn, und dank’s im Tode mir, daß

ich mit guter Klinge

Zu Deinem böſen Bubenlied das letzte Vers-

lein ſinge.““

[159]
Es packt den Sänger Todesangſt: in namen-

loſem Leide

Hält feſt er, wie ein zitternd Kind, ſich an

Maria’s Kleide,

Die tritt, halb Furcht halb Zorn im Blick, her-

vor ihn zu bewahren,

Umſonſt, ſchon iſt des Königs Schwert ihm durch

die Bruſt gefahren.

Es hält, die lange Nacht hindurch, Maria

Todtenwache,

Zum erſten Mal zieht durch ihr Herz der heiße

Wunſch nach Rache;

Die Morgenſonne ſah den Schwur auf ihrer

Lippe beben, —

Herr Darnley hat des Sängers Tod bezahlt

mit ſeinem Leben.

[160]

Der ſterbende Douglas.
(Schlacht von Langſide. 1568.)


Die Heere ſtießen an einander; der Tag iſt

heiß, der Himmel finſter,

Vom Hufſchlag dröhnt weithin die Haide, roth

tropft der Thau vom ſchwarzen Ginſter;

Es blickt die ſchottiſche Maria von nahen Schloſ-

ſes Fenſterbrüſtung,

Ihr Auge haftet auf dem Kampfe, doch in dem

Kampf auf Einer Rüſtung.

[161]
Dem jungen Douglas folgt ihr Auge; ſie fühlt

ihr Herze höher ſchlagen,

Er iſt’s, der ſechszehnjährige Knabe, der aus

dem Kerker ſie getragen,

Er iſt’s, der ihr ein Heer geworben, und durfte

doch um Eins nicht werben,

Drum wirbt er jetzt um ſeinen Frieden und

um das Glück für ſie zu ſterben.

Wen tragen aus dem Kampfgetümmel ſie dort

auf zweiggeflochtner Bahre,

Das Antlitz weiß, und ſchwarz die Rüſtung

und roth von Blut die blonden Haare?!

Der Douglas iſt’s: Erfüllung wurde des Hoff-

nungsloſen einzgem Hoffen,

Es hat ein Schwert von Murray’s Mannen

in’s tiefſte Leben ihn getroffen.

[162]
Da liegt er, auf gewirktem Teppich, jetzt an

des alten Schloſſes Stufen,

Maria neigt ſich zu ihm nieder, ein Prieſter

wird herbeigerufen,

Der reicht den Kelch ihm unter Thränen, Er

aber ſegnet dieſe Stunde,

Hätt’ langſam ſonſt verbluten müſſen an ſeines

Herzens ſtiller Wunde.

Die Bruſt wird kalt, es ſtockt ſein Athem, ſein

Auge ſcheint vom Tod geſchloſſen,

Maria küſſt die bleiche Stirne, die ſchon ſo

frühe Ruhm genoſſen:

Da ſpielt um ſeinen Mund ein Lächeln, auf-

glimmt ein letzter Lebensfunken,

Dann iſt er in Maria’s Arme zu tiefſtem Schlaf

zurückgeſunken.

[163]

Chevy-Chaſe
oder
Die Jagd im Chevy-Forſt.
(Nach dem Alt-Engliſchen.)


Gott ſchütz’ den König, unſren Herrn,

Und unſer Aller Leben; — —

Im Chevy-Walde hat ſich einſt

Wehvolle Jagd begeben. —

Graf Percy von Northumberland,

Vor Thaue noch und Tage

Zog aus er heut, mit Hund und Horn,

Daß er den Hirſch erjage.

[164]
Er ſchwur es jüngſt an heilger Stätt’,

— Sorglos um Groll und Knirſchen, —

Er woll drei Sommertage lang

Auf ſchottſchem Boden pirſchen.

Er woll, was lebt im Chevy-Forſt

Mit Speer und Pfeil erlegen;

„Lord Douglas ſchütze, wenn er kann,

Den Hirſch in den Gehegen!“

Lord Douglas, der in Schottland lag,

Als er das Wort vernommen,

Dem Percy Grafen ſchwört er da

Ein blutiges Willkommen;

Der aber iſt im Walde ſchon

Mit fünfzehn hundert Mannen,

Wohlausgeſucht und wohlgeprobt

Den Bogen ſtraff zu ſpannen.

[165]
Schon, von der Meute aufgeſchreckt,

Flieht, was die Schlucht geborgen;

Ein Montag war’s, — noch halbe Nacht, —

Es graute juſt im Morgen.

Und eh’ der Mittag kam, da lag

Haufweis das Wild erſchlagen;

Doch raſtlos, nach gethanem Schmaus

Begann ein neues Jagen.

Auf’s Neu durch Schlucht und Dickicht hin

Stob Huf und Hund nach Beute,

Und neuer Angſtſchrei miſchte ſich

Dem Luſtgeheul der Meute.

Graf Percy nur war ſatt des Spiels

Mit Hirſchen und mit Hinden,

Er ſprach: „Lord Douglas gab ſein Wort,

Hier ſoll ich heut ihn finden.

[166]
„Bei Gott, nicht länger harrt’ ich ſein,

Dächt’ ich, er könn’ es brechen“;

Da thät alsbald ein Ritter jung

Alſo zum Grafen ſprechen:

„Schau Herr, dort blitzt es durch den Wald,

Das iſt er mit den Seinen;

Schau, wie im Mittagsſonnenglühn

Die blanken Speere ſcheinen.

„Zweitauſend ſind’s vom Lauf des Tweed,

Aus Thälern und aus Glennen,

Und der vorauf iſt Douglas ſelbſt

An Roß und Helm zu kennen.“

„Nun denn, wohlan!“ rief Percy da,

„Dies Feld ſei unſre Schranke,

Noch ſchlüpfte keiner mir hindurch,

Sei’s Schotte oder Franke.

[167]
„Das iſt der Hirſch, den ich geſucht,

Nun lohnt es ſich zu jagen,

Es brennt mein Herz Mann gegen Mann

Mit ihm die Schlacht zu ſchlagen.“

Lord Douglas auf milchweißem Roß,

Hält hoch vor den Genoſſen,

Hell glänzt die Eiſenrüſtung, wie

Von Golde übergoſſen;

Er ruft: „wer ſeid ihr, die ihr’s wagt

Mir Hirſch und Reh zu tödten,

Und meines Wortes bar und blos

Den Forſt mit Blut zu röthen!“

Drauf Percy ſchnell: „ein andermal

Auf weß Geheiß wir jagen,

Heut denken wir noch manchen Hirſch

Trotz Deiner zu erſchlagen.“

[168]
Lord Douglas hört’s, er ruft in Wuth:

„Da ſoll mich Gott verderben!

So wahr ein Lord ich bin, wie Du,

Du oder ich muß ſterben.

„Doch hör’ mich Percy, Schande wär’s

Und Schimpf an unſrem Leben,

So vieler Mannen ſchuldlos Blut

Mit in den Kauf zu geben;

„Es ſei all unſer Streit gelegt

In unſre beiden Speere!“

„Verdammt ſei der — rief Percy da —

Der andren Sinnes wäre.“

Da trat ein Rittersmann herfür,

With’rington hieß der Degen,

Der ſprach: „hier müßig zuzuſchaun

Dran iſt uns nicht gelegen.

[169]
„Wir wollen nicht, dieweil ihr kämpft,

Hier Pſalm und Lieder ſingen,

Und unſrem König Heinrich dann

So ſaubre Botſchaft bringen.

„Wohl ſeid Ihr Lords und edle Herrn,

Und wir nur Knapp und Ritter,

Doch dächt’ ich traun, auch unſer Schwert

Macht Wunden wohl und Splitter!“

Da thät alsbald all engliſch Volk

Den Eſchenbogen biegen,

Und achtzig Schotten ſanken hin

Von ihrer Pfeile Fliegen.

Lord Douglas aber, unbewegt,

Sitzt feſt im Eiſenbügel,

Und kehrt zu ſeinen Mannen jetzt,

Hoch auf des Waldes Hügel.

8
[170]
Schon ſtehn ſie da, nach Kriegesart,

Getheilt zu dreien Rotten,

Und nieder wie ein Hagel jetzt

Fährt Douglas mit den Schotten.

Das gab ein Stechen und ein Haun,

Manch’ breite Wunde klaffte;

Längſt unſer engliſch Bogenvolk

Nicht mehr die Senne ſtraffte.

Sie warfen Pfeil und Eſche fort,

Und griffen nach dem Eiſen,

Das ſpielte jetzt auf Helm und Schild

Takthämmernd ſeine Weiſen.

O Chriſt, es war für Herz und Sinn

Ein Leid nicht auszuſagen,

Wie ſtöhnend da, in Sand und Blut

Die Menſchenknäule lagen.

[171]
Und immer ſchwankte noch die Schlacht; —

Da endlich, — mit Geſtampfe, —

Anſprangen, wie zwei Löwen, jetzt

Die Führer ſelbſt zum Kampfe.

Sie kämpften bis vernehmbar faſt

Ihr Herz im Buſen klopfte,

Bis Blut und Schweiß, von Bruſt und Stirn

Wie Regen niedertropfte;

„Ergieb Dich Percy!“ Douglas rief’s —

„Ganz Schottland ſoll Dich preiſen,

Und König Jakob Ehr’ und Ruhm

Am Throne Dir erweiſen.“

Doch Percy ſtolz: „Da wollt’ ich eh’

Wie Kraut am Sumpf verrotten;

Mein Wort iſt „nein“, und doppelt „nein“

Genüber jedem Schotten.

8*
[172]
Da kam ein Pfeil, aus unſren Reihn,

Verräthriſch durch die Lüfte,

Und bohrte tief in Douglas Herz

Durch Rippe ſich und Hüfte.

Er ſank vom Roß, ein ſtiller Mann,

Graf Percy ſah ihn enden,

Und faſſte dann des Todten Hand

Mit ſeinen beiden Händen.

„O Douglas“, rief er, — „ſolchen Siegs

Des hat mein Herz nicht Labe,

Hin gäb’ ich für Dein Leben jetzt

Mein Land und meine Habe.“

Er ſprach es kaum, da kam’s wie Sturm,

Durch Freund und Feind geſtoben,

Den Leib zum Stoß weit vorgebeugt,

Und hoch den Schild gehoben: —

[173]
Wer iſt’s? Sir Ralph Montgommeri!

Er ſah den Douglas ſinken;

Da ſchwur er ſtill, Graf Percy’s Blut

Mit ſeinem Speer zu trinken.

Und ſchleudernd jetzt den wuchtgen Schaft

Mit Haſſes Kraft und Schnelle,

Durchfuhr die Lanze Percy’s Leib

Um eine Weber-Elle.

Hin ſank der ritterlichſte Held

Auf hufgeſtampfte Tenne;

Schon aber griff ein braver Schütz

Nach Köcher und nach Senne.

Er ſpannte ſtraff des Bogens Seil,

So ſtraff wie nie er’s ſpannte,

Und drückte ſeinen längſten Pfeil

Scharf an die Eſchenkante.

[174]
Lang zielt’ er ſo, daß ſichren Flugs

Der Pfeil zum Herzen dringe,

Und feucht vom Blut des Schotten jetzt

Bebt in der Bruſt die Schwinge.

So fiel Sir Ralph Montgommeri,

Und mit ihm ſind gefallen

Auf beiden Seiten männiglich

Die Ritter und Vaſallen.

Von zwanzig hundert ſchottſchen Volks

Die Schild und Speer genommen,

Kaum fünf und funfzig, weh und wund

Sind in ihr Land entkommen.

Und unſer Volk, nicht ſiegesfroh

Trug es den Sieg von dannen;

Nur drei und funfzig kehrten heim

Von funfzehn hundert Mannen.

[175]
Die andern ſchliefen feſt im Wald

Nach heißem Kampfgewühle;

Und Nachtwind nur und Mondenlicht

Glitt über ihre Pfühle.

Das war die Jagd von Chevy-Chaſe

Wo Herr und Hirſch gefallen; —

Gott ſchütz’ den König unſren Herrn

Und ſei uns gnädig allen.

[176]

John Gilpin.
(Nach William Cowper.)


John Gilpin hat ein Tuchgeſchäft

Nicht weit von Leiceſter-Square,

Auch war er Hauptmann der Miliz

In Londons Bürgerwehr.

Und Gilpin hat ein edles Weib;

Sie ſprach: „Mein theurer John,

Wir ſahen keinen Feiertag

Die zwanzig Jahre ſchon.

[177]
„Drum, heut an unſrem Hochzeitstag,

Dächt’ ich, Mann meiner Wahl,

Kutſchirten wir nach Ingelton,

In’s friſche Grün einmal.

„Fünf unſrer Kleinen nehm’ ich mit,

Sie wiegen ja nicht ſchwer,

Und haben Platz; — Du ſteigſt zu Roß,

Und reiteſt hinterher.“

John Gilpin ſprach: „Ich ehrte ſtets

Das weibliche Geſchlecht,

Doch dreimal ehr’ ich Dich, o Weib,

Drum iſt mir Alles recht.

„Auch ſchafft mein blühend Tuchgeſchäft

Leicht meinem Wunſch Gehör,

Und ſeinen Braunen leiht mir gern

Mein Freund, der Appreteur.“

[178]
Sprach Miſtreß Gilpin: „John, noch eins,

Wie iſt es mit dem Wein?

Ich denk’, wir nehmen welchen mit,

Es dürfte bill’ger ſein.“

John Gilpin küßt ſein treues Weib,

Er weinte auf ein Haar,

Daß Miſtreß, trotz Vergnügungsſucht

Doch noch ſo ſparſam war.

Der Wagen kam, doch hielt er nicht

Vor Gilpins eignem Haus,

Die edle Seele war in Furcht

Hochmüthig ſäh’ das aus.

Drei Häuſer abwärts ſtieg man ein,

Die Küchlein und das Huhn,

Und durch die City-Straßen hin,

Ging es im Trabe nun.

[179]
Die Peitſche pfiff, aufſchlug der Huf,

Daß alles klang und ſcholl,

Und Rad und Steine lärmten ſchier,

Als wären beide toll.

John Gilpin hatte ſich indeß

Als Reiter ſchon gezeigt,

Und lang geſchwankt, ob rechts ob links

Man in den Bügel ſteigt.

Jetzt aber ſitzt er ſattelfeſt; —

Er will davon im Nu,

Da ſteuern ſeiner Kunden drei

Grad auf den Laden zu.

John Gilpin denkt: „Verluſt an Zeit

Ich ſchätz’ ihn nicht gering,

Doch traun, Verluſt an Gut und Geld

Iſt noch ein übler Ding.“

[180]
Schnell ſpringt er ab. — Noch ſteht und ſchwankt

Der Handel mit den Drein,

Da ſtürzt ihm Betty in den Weg:

„Hier Herr, iſt noch der Wein!“

„Gut — ſpricht er — doch nun bring mir auch

Das Lederfutteral,

Darinnen bei Paraden ſteckt

Mein jungfräulicher Stahl.“

John Gilpin nahm die Flaſchen beid’,

Sie waren voll Likör,

Und hatten oben an dem Hals

Ein weites Henkelöhr.

Durch beide zog er jetzt hindurch

Die Scheide ſeines Schwerdt’s, —

Sie hingen, wie Piſtolen ſchier,

Am Sattel ſeines Pferd’s.

[181]
Dann ſchlug er um die Schultern ſich

Den Mantel ſchwarz und roth,

Als zög’ er in die Ritterſchlacht

Zum Siege oder Tod. —

Die Stadt hindurch, auf hartem Stein,

Da ſchien der Renner faul;

John Gilpin ſprach: „Du ſcheinſt mir auch

Ein alter Karrengaul.“

Doch plötzlich, draußen vor dem Thor,

Verging ihm aller Spott,

Der Braune ſchnob und wieherte

Und ſetzte ſich in Trott.

„Still, ſtill, mein Thierchen“, ächzte John,

„So wirf mich doch nicht ab!“

Doch, wie er auch am Zügel riß,

Gallop ward aus dem Trab.

[182]
Und auf und nieder, her und hin,

Flog unſer armer Tropf,

Bald hielt er an den Mähnen ſich,

Und bald am Sattelknopf.

Das arme Pferd, das immer ſonſt

Gelenkt von ſichrer Hand,

Es kam bei Gilpins Reiterei

Zuletzt um den Verſtand.

Und wie vom Teufel angeſchürt,

Durchging es voller Wuth:

Abriß ein Baum, von Gilpins Kopf,

Perrücke, Zopf und Hut.

Scharf blies der Oſt; noch flaggte bunt

Des Mantels weiter Schooß, —

Jetzt aber ging er in die Welt,

Die Knöpfe ließen los.

[183]
Die Hunde bellten Dorf um Dorf,

Die Kinder lärmten mit,

Und alles ſchrie: „das nenn’ ich brav,

Das nenn’ ich einen Ritt!“

Die Nachbarweiber klatſchten ſich

Bereits die Mäuler wund;

Die eine wußt’ es ganz genau:

Es gölte tauſend Pfund.

Die Zolleinnehmer hielten’s auch

Für Wetteritt und Lauf,

Und riſſen mit geſchäftger Hand

Die Gitterthore auf.

John Gilpin ſchlüpfte heil hindurch,

Nicht ſo das Flaſchenpaar,

Die eine ließ den Kork zurück,

Den Hals die andre gar.

[184]
Hin troff der röthliche Likör;

Man dacht’ es wäre Blut,

Und murrend klang es hie und da:

Der ſpornt auch allzu gut!“

Jetzt aber in Klein-Ingleton

Hinein ſprengt unſer John;

Es harrte ſchon, mit Gruß und Kuß,

Die Gattin am Balkon.

Sie ruft ihm zu: „Halt, Gilpin, halt!

Wo willſt Du hin? ſo ſprich!

Die Kinder haben Hunger ſchon,

Und weinen bitterlich.

John Gilpin hört’s; in tiefem Schmerz

Fleht er den Braunen: ſteh!

Doch ach, der Braune hat kein Herz

Für eines Vaters Weh.

[185]
Zwei Meilen hinter Ingleton

Da liegt ein zierlich Haus,

John Gilpin’s Freund, der Appreteur

Zog Sommers da hinaus.

Der Braune machte oft den Weg,

Und wiehernd jetzt am Zaun,

Ruft er den Herrn, der aber will

Kaum ſeinen Augen traun.

„He, Gilpin, he! was iſt geſchehen?

Was kommt Ihr überhaupt?

Und wenn Ihr kommt, warum beſchmutzt,

Barhäuptig und beſtaubt?“

John Gilpin drauf: „was ich hier ſoll,

Das frage dieſes Thier;

Wir ritten ſcharf, Perrück und Hut

Sind darum noch nicht hier.“

[186]
Laut lachte da der alte Freund,

Es war ein luſt’ges Blut, —

Er nahm ſich die Perrück vom Kopf,

Und ſprach in frohem Muth:

„Nimm hin! Du ſtarrſt von Staub und Schmutz,

Drum ſcheint ſie noch zu klein,

Doch waſch’ nur erſt die Kruſte ab,

So wird ſie paſſend ſein.

John Gilpin nahm, und dankte viel,

Und ſprach zum Pferde dann:

„He, Freund, ich hab’ für Dich gethan,

Was man nur thuen kann.

„Du wollteſt her zu Deinem Herrn,

Ich ehrte dieſen Trieb,

Nun aber trag’ auch mich zurück

Zu meinem treuen Lieb.“

[187]
Er ſprach es kaum, — da kreiſchte laut

Ein Eſel hinterm Heck,

Und Roß und Reiter zitterte,

So packte ſie der Schreck.

Wie wenn ein Löwe wo gebrüllt,

So griff der Renner aus; —

Auftauchte bald Klein-Ingleton,

Sammt ſeinem Kaffehaus.

Die Gattin harrte immer noch

Des Gatten am Balkon,

Jetzt ſah ſie ihn, und wandte ſich

Zum Schwager Poſiillon:

„Sieh, dieſe halbe Kron iſt Dein,

Mein wackerer Geſell,

Schaffſt Du mir meinen Ehemann

Lebendig hier zur Stell.“

[188]
Der Poſtillon, der war nicht faul,

Auszog er auf den Fang,

Und hakte bald nach Mann und Roß,

Mit Zügel und mit Strang.

Dem Braunen aber däucht es ſchier

Als wie ein Peitſchenhieb,

Er lief, daß ſelbſt der Poſtillon

Im Hintertreffen blieb.

Sechs Reiter kamen juſt des Wegs,

Die ſahen Gilpin’s Flucht,

Und wie der Poſtillon umſonſt

Ihn einzuholen ſucht.

Sie jagten mit, und ſchrieen laut:

„Halt’t ihn! ein Dieb! ein Dieb!“

John Gilpin aber, unverkürzt,

Des Tages Sieger blieb.

[189]
Und wie ein Jockey beſter Art, —

Mit Weſte, Stulp und Kapp, —

Erſt wo er aufgeſtiegen war,

Da ſtieg er wieder ab.

Und nun zum Schluß: dem König Heil,

Und Heil! John Gilpin Dir,

Und ſetzſt Du wieder Dich zu Roß,

So bitt’ ich, ſag’ es mir.

[190]

Die Bienenſchlacht.


Nur kein Gegrübel

Was es ſei;

Wohl oder übel —

Der Scherz iſt frei

Die Wespen und die Bienen

Sie haben ſich entzweit,

Wie Guelphen und Ghibellinen

Stehen ſie im Streit,

Parthei nimmt Hummel und Käfer,

Und ſelbſt der Blumen-Elf,

Es flüſtern die Lilienſchläfer:

„Hie Waibling und hie Welf!“

[191]
Die Bienen halten ſich wacker,

Doch ach, trotz Wall und Thurm,

Den Schoten- und Bohnen-Acker

Nahm der Feind im Sturm;

Schon um die heimiſche Linde,

Wie um Herd und Haus,

Sammelt das Bienen-Geſinde

Sich zum letzten Strauß.

Eine (ſie ſtund auf Wache,

Und das Weinen war ihr nah)

Schwur: „eine herrliche Sache

Sei dies mori pro patria!

Daß ihr Stand ſo ein harter

Freue ſie nur zu ſehn,

Wie die dreihundert Sparter

Würden ſie untergehn.“

[192]
Sprach da eine Zweite:

„Wohl, ſie ſtimme dem bei,

Daß zu fallen im Streite

Ein Vergnügen ſei;

Nur ſie wäre verwundert,

Daß man auf Sparta ſäh’,

Pforzheim und ſeine Vierhundert

Hätte man ja in der Näh’“.

Sprach es. Die Anderen alle,

Immer geſinnungsvoll,

Klatſchten in dieſem Falle

Geradezu wie toll; —

Siehe! da ſchwarz am Himmel,

Wie Heuſchreckenzug,

Nahet das Wespengewimmel

Sich im Siegesflug.

[193]
Solche Schwärme und Flüge

Nimmer der Garten ſah,

Wahre Hunnenzüge

Sind es des Attila.

Gierig nach Blut und Morden

Stürmen ſie heran,

Wie die Mongolenhorden

Unter Dſchingiskhan.

Bald in gebogenem Horne,

Bald in geſpitztem Keil,

Aber immer nach vorne

Stachel und Hintertheil:

So, nach reifer Betrachtung,

Stürmen ſie herbei,

Weil es der Verachtung

Sprechendſter Ausdruck ſei.

9
[194]
Auch die Bienen, in Demuth

Werden ſich deß bewußt,

Schier unendliche Wehmuth

Schleicht in ihre Bruſt,

Stimmen ſtatt Schlachtgeſanges,

Klagelieder an,

Und vor allem ein banges:

„Zeige dich braver Mann!“

Siehe, da ſchnell ein Saſſe

Tritt hervor aus den Reih’n:

„Mach’ Euch eine Gaſſe

Liebe Genoſſen mein!“

Und als ob es ihm wäre

Nichtiger Zeitvertreib,

Drückt er dreizehn Speere

Tief ſich in den Leib.

[195]
Wüthend die Bienen klammern

Da an den Feind ſich an,

Alle Wespen jammern:

„Rette ſich wer kann!“

Aber mit Waffen, ſchartig,

Hummeln und andere mehr,

Fallen jetzt landſturmartig

Ueber die Flüchtigen her.

Abend kommt; es ſchattet;

Letzte Röthe ſchied;

Siehe, da wird beſtattet

Bienen-Winkelried.

Solch ein Gäſte-Gedränge,

Alle mußten’s geſtehn,

Und ſolch Leichengepränge

Hatten ſie nie geſehn.

9*
[196]
Rings auf Spitzen und Thürmchen

An dem Hecken-Zaun,

Glühten Johanniswürmchen

Hell wie Fackeln traun;

Taghell ſo beleuchtet,

Kam der Zug daher,

Jedes Auge gefeuchtet,

Jedes Herze ſchwer.

Vorne, drei Hummelbrummer

Schritten ernſt und barſch,

Trommelten in Kummer

Ihren Trauermarſch;

Dann mit Ruhm zu melden

Kam der wächſerne Sarg,

Der des Helden der Helden

Irdiſche Hülle barg.

[197]
Vier kohlſchwarze Käfer,

— Allen wohlbekannt —

Waren, als Rappen, dem Schläfer

Drinnen vorgeſpannt;

Auf dem Deckel oben

Lagen, Schaft an Schaft,

Alle die dreizehn Proben

Seiner Ritterkraft.

Still des Zuges Spitze

Hat jetzt eingelenkt:

In eine Mauerritze

Wird der Sarg geſenkt.

Dann — wie Kriegsgeſinde

Raſch den Gram vertauſcht —

Haben im Duft der Linde

Alle ſich berauſcht.

[198]

Der Tower-Brand.


Wenn’s im Tower Nacht geworden, wenn die

Höfe leer und ſtumm,

Gehn die Geiſter der Erſchlagnen in den Corri-

doren um,

Durch die Lüfte bebt Geflüſter klagend dann,

wie Herbſteswehn,

Mancher hat im Mondenſchimmer ſchon die

Schatten ſchreiten ſehn.

[199]
Vor dem Zug, im Purpurmantel, ſilberweiß

von Bart umwallt,

Schwebt des ſechsten Heinrichs greiſe, gram-

verwitterte Geſtalt,

Lady Gray dann, mit den Söhnen König Edwards

an der Hand; — —

Leiſe rauſcht der Anna Bulen langes ſeidenes

Gewand.

Zahllos iſt das Heer der Geiſter, das hinauf —

hinunter ſchwebt,

Das da murmelt: „Fluch Dir Tower, dran das

Blut der Unſchuld klebt;

Schutt und Trümmer ſollſt Du werden!“ aber

machtlos iſt ihr Fluch,

Ehern hält den Bau zuſammen böſer Mächte

Zauberſpruch.

[200]
Wieder nachtet’s, wieder ziehn ſie durch die

Räume ſtill und weit,

Plötzlich ſtockt der Zug und ſchaart ſich um ein

glimmend Tannenſcheit,

Dann geſchäftig, wie die Bienen, tragen Schnitz-

werk ſie herzu,

Und zur hellen Flamme ſchüren ſie die matte

Gluth im Nu.

Wie das praſſelt, wie das flackert! einen ſprühn-

den Feuerbrand

Nehmen ſie zum nächtgen Umzug jetzt als Fackel

in die Hand,

Weithin wird die Saat der Funken in den Zim-

mern ausgeſtreut,

Flammen ſollen draus erwachſen; hei, der Fluch

erfüllt ſich heut!

[201]
Alles ſchläft; doch auf vom Lager ſpringt im Nu

der raſche Sturm,

Und er wirft ſich in das Feuer, und das Feuer

in den Thurm,

An des Towers Felſenwände peitſcht er ſchon

das Flammenmeer,

Und den Segen drüber ſprechend, wogt auf ihm

das Geiſterheer.

Doch, als ob das Salz der Thränen feuerfeſt

die Wände macht,

Wie wenn Blut der beſte Mörtel, den ein Mei-

ſter je erdacht, —

Seht, wie durſtig auch die Flamme ſich von Thurm

zu Thurme wirft,

Hat ſie doch, als wären’s Becher, nur den In-

halt ausgeſchlürft.

[202]
Wieder, wenn es Nacht geworden, wenn’s im

Tower leer und ſtumm,

Gehn die Geiſter der Erſchlagnen in den Corri-

doren um,

Durch die Lüfte bebt Geflüſter klagend dann,

wie Herbſteswehn,

Mancher wird im Mondenſchimmer noch die

Schatten ſchreiten ſehn.

[203]

Schloß Eger
oder
drei böhmiſcher Grafen Tod.


Lärmend, im Schloß zu Eger

Ueber dem Ungarwein,

Sitzen die Würdenträger

Herzogs Wallenſtein:

Tertſchka — des Feldherrn Schwager,

Illo und Kinsky dazu,

Ihre Heimath das Lager,

Und die Schlacht — ihre Ruh.

[204]
Luſtig flackern die Kerzen;

Aber der Tertſchka ſpriſcht:

„Iſt mir’s Nacht im Herzen,

Oder vor’m Geſicht?

Dieſe Lichter leuchten

Wie in dunkler Gruft,

Und die Wände, die feuchten,

Hauchen Grabesluft.“

Feurig funkelt der Unger;

Aber der Kinsky ſpricht:

Draußen bei Froſt und Hunger

Schüttelte ſo mich’s nicht,

Hielte lieber bei Lützen

Wieder in Qualm und Rauch;

Wolle Gott uns ſchützen,

Oder — der Teufel auch.“

[205]
Illo nur, Herz wie Kehle

Hält er bei Laune ſich,

Dicht iſt ſeine Seele

Gegen Hieb und Stich,

Trägt ein Büffelkoller

Wie ſein Körper traun, —

Luſtiger und toller

War er nie zu ſchaun.

Und vom Trunke heiſer

Kreiſcht er jetzt und lacht:

„Das erſt iſt der Kaiſer,

Wer den Kaiſer macht;

Eid und Treue brechen

Schreckt den Feigen allein,

Hoch, der König der Czechen,

Herzog Wallenſtein!“

[206]
Spricht’s. Da neue Bewohner

Klirrend in Eiſen und Stahl,

Buttlerſche Dragoner

Dringen in den Saal;

Buttler ſelbſt, im Helme,

Tritt an den Illo: „ſprich,

Seid Ihr Schurken und Schelme,

Oder gut kaiſerlich?!“

Hei, da fahren die Klingen

Wie von ſelber heraus,

Von dem Pfeifen und Schwingen

Löſchen die Lichter aus;

Weiter geht es im Dunkeln,

Nein, im Dunkeln nicht:

Ihrer Augen Funkeln

Giebt das rechte Licht.

[207]
Tertſchka fällt; daneben

Kinsky mit Fluch und Schwur;

Mehr um Tod wie Leben

Ficht ſelbſt Illo nur,

Schlägt blindhin in Scherben

Schädel und Flaſchen jetzt,

Wie ein Eber im Sterben

Noch die Hauer wetzt.

Licht und Fackel kommen,

Geben düſtren Schein:

In einander verſchwommen

Blinken Blut und Wein;

Ueberall im Saale

Leichen in buntem Gemiſch,

Stumm, vor ſeinem Mahle,

Sitzt der Tod am Tiſch.

[208]
Buttler aber, wie Wetter

Donnert jetzt: „laßt ſie ruhn!

Das ſind erſt die Blätter,

An die Wurzel nun.“

Bald in Schloſſes Ferne

Hört man’s Krachen und Schrein; —

Schau nicht in die Sterne,

Rette Dich Wallenſtein!

[209]

Lady Eſſex.
(Fragment.)


1.
In England wüthen zwei Tyrannen:

Der König Jacob und die Peſt,

Und Jener immer raft von dannen,

Was dieſe noch am Leben läßt.

Geſetz und Recht — des Volkes Pathen

Sind jedes Höflings Spiel und Spott,

Schon ſeufzen gilt als hochverrathen,

Und führt zu Kerker und Schaffott.

[210]
Im Staube liegt die heilge Sache

Des Volks, und bettelt vor dem Thron,

Schon aber weben Haß und Rache

Dein Siegeskleid — Revolution.

Schon ſchlummert Er in goldner Wiege,

Deß Stirne jenen Stempel trägt,

Den auf des Mordgeweihten Züge

Von Jugend auf das Schickſal prägt;

Schon athmet Cromwell, ſchon allnachtens

Tritt Englands Zukunft vor ihn hin,

Und legt die Keime künftgen Trachtens

In ſeinen ruhmbegiergen Sinn;

Schon graut der Tag, nur noch ein Kurzes

So ſteigt die Sonne blutigroth,

Doch für die Zeichen nahnden Sturzes

Iſt jede Fürſtenſeele todt.

An Jacobs Hof drückt ihren Stempel

Die Luſt noch auf jedwede Stirn,

[211]
Noch iſt ſein Schloß ein Bacchustempel:

Die Flaſche gilt, es gilt die Dirn’;

Wohl raſt die Peſt, doch jedes Opfer

Scheint nur zu rufen: „Friſch gelebt!

Wer weiß es ob der Tod den Klopfer

Nicht bald an Deiner Thüre hebt.“

Es iſt, als ob das nahe Sterben

Dem Leben tauſend Reize leiht,

Man jagt um ſeine Luſt zu werben;

Genuß“ iſt Loſungswort der Zeit.

Bei Hof iſt Ball; ſchau, — ſcheint nicht eben

Die Schönheit ſelbſt daher zu ſchweben?

Wer anders kann ſie ſein die Schlanke,

Zu der, wenn ſie vorüberrauſcht,

Ein jeder Sinn ſich und Gedanke

Hinneiget und gefangen lauſcht!

An ihrer Schönheit ſtumpft der Hohn.

Mehr als ein König auf dem Thron,

[212]
Wenn ſeine Blicke zornig irren,

Vermag ihr Auge zu verwirren;

Das bloße Flattern ihrer Locken

Macht ſchon des Höflings Zunge ſtocken,

Und ſelbſt der Neid auf den ſie ſpäht,

Bewundert ſolche Majeſtät.

Was iſt’s, das bis in’s tiefſte Herze

Selbſt das Geſchmeiß am Hof durchbebt,

Wenn anmuthvoll, mit leichtem Scherze,

Die Lady Eſſex näher ſchwebt!

Iſt es das junogleiche Haupt,

Was jeder Bruſt den Athem raubt?

Iſt’s jener Tugend hoher Geiſt

Der ſelbſt die Spötter ſchweigen heißt,

Und Ehrfurcht auch von dem ertrotzt,

Der ſchier von allen Laſtern ſtrotzt?

Wie oder iſt es nur ein Grauen,

Das ſich in alle Herzen bahnt,

[213]
Weil man die finſtren Mächte ahnt,

Die ihr im Buſen Hütten bauen?

So iſt’s! ein Ahnen flüſtert leis:

All dieſer Stolz iſt Aetna-Eis,

Iſt Lüge, die zu leugnen ſtrebt

Die Lavagluth, die drunter lebt.

2.
Der Herbſt iſt da; die Luſt zu jagen

Lockt aus der Stadt nach Windſor-Schloß,

Und jetzt, vorbei an Heck und Hagen

Brauſt Jacob und ſein Jägertroß.

Welch Leben das! die Roſſe ſchäumen,

Die Meute klafft, die Pfeife gellt,

Der Wald erwacht aus ſeinen Träumen,

Und ſchauert, wenn ein Opfer fällt.

Schon dunkelt’s; doch das Blutvergeuden

[214]
Es dauert fort bis in die Nacht,

Bis Dürſten nach des Mahles Freuden,

Dem Durſt nach Blut ein Ende macht.

Heim ruft das Horn; bald in den Räumen

Des Schloſſes lärmt man beim Bankett,

Man zecht, und ſtatt der Roſſe Schäumen,

Schäumt Wein und Freude um die Wett:

Toaſte ſchallen hunderttönig,

Der Wein verſchwiſtert Alt und Jung,

Und lüſtern bringt zuletzt der König

Den Damen ſeine Huldigung.

„Die Schönen hoch!“ Der trunkne Alte

Er ruft’s, und blinzelt durch den Saal,

Sie aber, der ſein Hoch erſchallte,

Die Lady Eſſex fehlt beim Mahl.

Indeß der königliche Zecher

Umſonſt nach ihren Zügen gafft,

[215]
Leert ſie den gifterfüllten Becher

Zurückgewieſner Leidenſchaft.

Sie, die bei tauſend Huldigungen

Ihr Herz mit kaltem Stolz bewehrt,

Sieht jeden Sieg, den ſie errungen

In Niederlage jetzt verkehrt.

Umſonſt, daß ſie die Sinnenliebe

So lang bemeiſtert und gebannt,

Jetzt höhnen ſie die eignen Triebe

[Und] des Geliebten Widerſtand.

Sie iſt allein; ſein Bild betrachtend

Wächſt wild die Gluth in ihrem Hirn,

Und eine Wolke legt ſich nachtend

Um die gebieteriſche Stirn.

Wohl eine Wolke, doch nicht ſolche

Die ſich in Wehmuthsthränen löſt,

Nein, die des Zorns, die Blitzesdolche

In des Verhaßten Seele ſtößt.

[216]
Sie zürnt; und doch — ihr iſt als riefe

Die Hoffnung Muth in ihre Bruſt,

Und aus des Auges dunkler Tiefe

Blickt mit dem Zorne dann — die Luſt.

Noch hängt ſie, vor Verlangen zitternd,

An ſeinem Bild mit ganzem Blick

Dann aber, wie ſich ſelbſt verbitternd,

Ruft ſie: „welch arm — erträumtes Glück!

Was ſoll dies kindiſche Betrachten,

Und dies Bewundern Zug um Zug?

Unwürdig mein und zu verachten

Iſt dieſer ſchale Selbſtbetrug.

Ich will ihn ſelbſt; mag leben — träumen

Eins ſein in der Vergangenheit,

So lang der Freude Becher ſchäumen

Fühlt man den Reiz der Wirklichkeit.

Die ſei’s!“

[217]
Und hinter Teppichwänden,

Hervor aus wohlgeborgnem Schrank,

Nimmt raſch ſie den aus Kupplerhänden

Heut erſt erkauften Liebestrank.

Ihr Auge glüht; „nun denn Phiole,

Wenn voll du jener Zaubermacht,

Die ſelbſt aus todtgebrannter Kohle

Noch neue Liebesflammen facht, —

Dann wirſt du den gebornen Gluthen

Anweiſen auch den rechten Lauf,

Und badend mich in Feuerfluthen

Geht mir ein neues Leben auf.“

Sie ſpricht’s; — im Geiſte weiter bauend,

Das Fläſchchen in gekrampfter Hand,

Stutzt plötzlich ſie, ſich ſelbſt erſchauend

Genüber in der Spiegelwand.

Es iſt als faſſe ſie ein Staunen

10
[218]
Vor ihrem eignen Ebenbild,

Sie hört den Stolz im Buſen raunen:

Du biſt es, draus Dir Rettung quillt!“

Sie hört’s, — hinklirrt das Glas in Scherben,

„Fahr wohl! — Du kümmerlicher Saft

Sollſt nicht um Herzen für mich werben,

Und ſpotten meiner eignen Kraft.

Traun, ob der alte Höllenmeiſter

Auch ſelber Dich bereitet hätt’,

Gilt’s eine Herrſchaft über Geiſter,

Ich biete Dir und ihm die Wett’;

Nur fort der letzte Reſt von Lüge,

All Schein und Maske fahre hin,

Sehn ſoll er meine wahren Züge,

Und ſiegen werd’ ich, wie ich bin.“

[[219]]

Gelegenheitliches.


[[220]][221]

Einem Todten.*)


Zwei Jahre kaum, als heitre Träume ſcheuchten

Der Sorgen dunklen Schwarm aus Deiner Bruſt;

Du riefſt „Ade!“ ich ſah Dein Auge leuchten,

Und fühlte Thränen doch das meine feuchten,

Ich war der ew’gen Trennung mir bewußt.

Mein armer Wilm, das Roth auf Deinen Wangen,

Es war das Kleid des friſchen Lebens nicht,

Der Tod nur, ſichrer Dich in’s Netz zu fangen,

Ließ Roſen blühn auf Deinem Angeſicht.

[222]
Du ſahſt das Roß des Matadors ſich bäumen,

Eh’ Deine Barke noch vom Ufer ſtieß, —

Gen Spanien ging’s, — Du durfteſt heiter träumen

Von duft’gen Mandel- und Kaſtanienbäumen,

Denn Deine Zukunft barg ein Paradies.

Doch ſtatt vom Duft der Blüthen zu geſunden,

Hat Dich der Hauch des Todes angeweht,

Und ach, der Matador, den Du gefunden,

Als Senſenmann vor meiner Seele ſteht.

Ich ſah ihn längſt Dich Schritt vor Schritt

bewachen,

Gleich einem Schatten Dir zur Seite gehn,

Behende ſprang er mit Dir in den Nachen,

Und immer ſchien er höhniſch mir zu lachen,

So oft Du riefſt: „auf fröhlich Wiederſehn!“

Auf Wiederſehn! wann, Freund? ſtatt Herzens-

frieden

Hat ew’ge Ruh die Ferne Dir geſchenkt,

[223]
Und in die Gruft, die Deinem Schmerz be-

ſchieden,

Hat man Dich ſelber nun hinabgeſenkt.

Schön iſt das Leben! ach, man lernt es lieben

Recht innig erſt, wenn man es meiden ſoll,

Doch in die weite Welt hinaus getrieben,

Wo fremd wie wir auch unſer Herz geblieben,

Da wird der Tod uns doppelt qualenvoll.

Auf welcher Wange ſahſt Du Thränen glänzen?

Wer hat Dein brechend Auge zugedrückt?

Mein armer Wilm, mit Immortellenkränzen

Hat flücht’ges Mitleid nur Dein Grab geſchmückt.

Was half es Dir, daß ſchöner dort die Roſen,

Und goldner ſelbſt des Himmels Sterne glühn?

Nun gilt es gleich — ob rauhe Stürme toſen,

Ob linde Weſte mit den Blumen koſen,

Mit Blumen, Freund, die Deinem Grab entblühn.

[224]
Du ruhteſt beſſer wohl am heim’ſchen Strande,

Im Dünenſand, wo Du zu ruhn geglaubt:

Ein Kuß der Liebe hätt’ im Vaterlande

Dem Tode ſeinen Stachel noch geraubt.

Doch jetzt, wo Du den bittren Kampf beſtanden,

Jetzt ruf ich: „Freund, wohl Dir! es iſt vorbei.“

Schön iſt das Leben, doch von tauſend Banden,

Ob in der Heimath, ob in fremden Landen,

Macht erſt der Tod die Menſchenſeele frei.

Mir löſt die Pflicht, der ſtrenge Kerkermeiſter,

Die Feſſel nie, gleichviel ob Tag ob Nacht,

Und ſelbſt von Deinem Grabeshügel reißt er

Mich unerbittlich, wenn der Tag erwacht.

[225]

Einigkeit.
1842.

(Bei Gelegenheit des Hamburger Brandes.)


Kein Jubel mehr! die Freude ſei bemeiſtert

Ob deutſchen Sinn’s und deutſcher Einigkeit;

Es gilt nicht viel, wenn ſich ein Volk begeiſtert

In unſrer krankhaft-überreizten Zeit.

Was Ihr geſehn — des Mitleids frommes Walten

Erlöſt noch lang vom alten Fluch uns nicht,

Und unſre Heimath iſt und bleibt zerſpalten,

Bevor uns nicht ein feſtres Band umflicht.

[226]
Begeiſtrung! ja, bei Gott, auf allen Gaſſen

Und aller Orten macht ſie jetzt ſich breit,

Und weſſen Herz ſich will begeiſtern laſſen,

Der eile ſich — jetzt iſt die rechte Zeit,

Es iſt die Zeit, wo ſich die deutſche Jugend,

Unwürdig, vor den Künſtlerwagen ſpannt; *)

Sie ſtempelt auch die Mode ’mal zur Tugend,

Und ſchwärmt für Einigkeit im Vaterland.

Ach, Einigkeit! die Liebe kann ſich regen

In einem Herzen, das der Haß verzehrt,

Es ſchlägt dem Feinde zornentbrannt entgegen,

Und hält ihn dennoch ſeines Mitleids werth.

Wer hat von Euch die namenloſen Schmerzen

Zerſchoſſner Feinde frohen Muth’s erblickt?

So haſſenswerth lebt nie der Haß im Herzen,

Daß er des Mitleids Stimme ſelbſt erſtickt.

[227]
Nein, ſoll die Zukunft uns ein Deutſchland bringen,

Da gilt es mehr als eine milde Hand,

Da gilt’s ein muthig Ringen und Bezwingen,

Ein Frühlingswehn durch’s ganze deutſche Land.

Wenn überall der Freiheit Banner rauſchen,

Und kein bedrücktes Volk um Rettung ſchreit,

Dann will auch ich die Zweifel froh vertauſchen,

Und gläubig baun auf Deutſchlands Einigkeit.

[228]

Shakeſpeare
an
einen deutſchen Fürſten.


Du liebſt die Kunſt, und ziehſt ihr friedlich Walten,

Ihr Auferbaun dem Lärm der Schlachten vor;

Die Schönheit und das Ebenmaaß der Alten,

Wie meines Geiſt’s lebendige Geſtalten —

Du würdigſt ſie mit oft erprobtem Ohr.

Setz’ ein in alte, wohlverdiente Rechte

Die Dichterfürſten der Vergangenheit,

Doch zwiefach ſchaff’ dem heutigen Geſchlechte

Und ſeinen Dichtern, Fürſt, Gerechtigkeit.

[229]
Die Kunſt iſt frei; ſie duldet keine Feſſel,

All’ ihr Geſetz iſt Schönheit und Natur;

Das Schwert des Zornes und des Witzes Neſſel

Entreiß ihr nicht, es braut ihr Zauberkeſſel

Am Freiheitsfeuer Zaubertränke nur;

Ich ſuchte mir und fand die Miſſethäter,

Eliſabeth, auf Deiner Väter Thron;

Wer aber zahlt dem tückiſchen Verräther,

Der Kronen trägt, auch heut noch ſeinen Lohn?

Wohlan denn Fürſt, ſei Du der Kunſt Erretter,

Nimm ihr das Joch, darin ſie ſchuldlos litt,

Frei ſei der Dichter und die Welt der Bretter,

Ob immer auch ein throngeborner Vetter

Als Richard Gloſter auf die Bühne tritt.

Du liebſt die Kunſt; was Licht und Sonnenſchimmer

Der Blume ſind, iſt ihr die Fürſtengunſt,

Doch wie die Blume, Fürſt, im Erdreich immer,

So wurzelt in der Freiheit alle Kunſt.

[230]

Rußland.
(Einem Freunde als er nach Moskau überſiedeln wollte.)


Lasciate ogni speranza voi ch’entrate.
Dante.

Wer auf die Zukunft ſchwört und unbekümmert

Der ew’gen Kraft des Geiſtes noch vertraut,

Die, gleich dem Meere, eine Welt zertrümmert,

Und eine neue, ſchönre auferbaut;

Wer, ihr vertrauend, unſer Krämerleben

Ob jener Zeit, die kommen muß, vergißt,

Der fliehe Dich, wo keine Geiſter weben,

Und jede Hoffnung eitel Thorheit iſt.

[231]
Wer, trotz der Dürre, ſeines Fleißes Segen —

Der Freiheit Saat, voll guten Muths erblickt,

Die junge Saat, von keinem Sommerregen,

Doch, über Nacht, von friſchem Thau erquickt;

Der fliehe Dich, wo auf den ſtein’gen Boden

Nur Mehlthau fällt, der jeden Keim zerfrißt,

Wo’s noch gelingt „ſolch Unkraut“ auszuroden,

Und jede Hoffnung eitel Thorheit iſt.

Doch wer, verzweifelnd ob ſo langem Harren,

Der Hoffnung Prachtbau ſelber niederreißt,

Und unſer Thun das Streben eines Narren,

Und unſren Glauben „Geiſtesſchwäche“ heißt;

Der ſuche Dich, und find’ in dir betroffen

Ein Maaß, daran er unſre Größe mißt,

Und lerne dorten für die Heimath hoffen,

Wo jede Hoffnung eitel Thorheit iſt.

[232]

Zu Ida’s Hochzeit.


Ida! es knüpft manch’ ſchöne Sage

Sich an dies Wort, aus frühſter Zeit,

Und bis an’s Ende aller Tage

Lieh ihm Homer Unſterblichkeit.

Berg Ida war’s, wo fleiß’ge Bienen

Den Götterhonig einſt gezeugt,

Mit dem der Nymphen treues Dienen

Den Zeus, den jungen, groß geſäugt.

[233]
Und Ida war’s, zu deſſen Füßen

Der ſchöne Sohn des Priam’s ſchlief,

Als ihn aus Träumen, liebeſüßen,

Ein Götterſtreit in’s Wachen rief;

Vor ihm, (Minerven im Geleite)

Den Erisapfel in der Hand,

Stand Juno, — aber ſtill zur Seite

Die ſiegesſichre Venus ſtand.

Und Juno ſprach: „holdſel’ger Knabe,

Du, dem an Schönheit Keiner gleicht,

Du ſei’s, der dieſe goldne Gabe

Der Schönſten von uns Dreien reicht.“

Sie ſprach’s; und Paris ohne Schwanken

Nahm hin das Pfand in guter Ruh,

Und warf es, anmuthvoll, der ſchlanken

Der meerentſtiegnen Venus zu.

[234]
So war’s vordem. Jetzt freilich ſchweigen

Die Himmel tiefer wie das Grab,

Und keine Götterkinder ſteigen

Mehr vom Olymp zu uns herab;

Doch guten Klang, traun wie vor Zeiten,

Hat immer noch was „Ida“ heißt,

Zumal wenn es den Eingeweihten

Mit ſüßem Götterhonig ſpeiſt.

Und immer noch zu Ida’s Füßen

Streckt ſich manch’ Schäfer auf die Trift,

Wenn keine Göttin auch, mit Grüßen,

Die blauen Lüfte mehr durchſchifft.

Die Schäfer unſrer Tage werden

Um den Olymp nicht kalt nicht heiß,

Sie reichen ihrem Gott auf Erden,

An Ida ſelber ihren Preis.

[235]

An Emilie.


Da draußen ſchneit es: Schneegeflimmer

Wies heute mir den Weg zu Dir;

Eintret’ ich in Dein traulich Zimmer,

Und warm an’s Herze fliegſt Du mir —

Abſchüttl’ ich jetzt die Winterflocken,

Abſchüttl’ ich hinterdrein die Welt, —

Nur leiſe noch von Schlittenglocken

Ein ferner Klang herübergellt.

[236]
Nun iſt es ſtill; nun laß uns koſen:

Du legſt Dein Haupt auf meinen Schooß,

Ich aber knüpf’ in leichtem, loſen

Getändel Dir die Flechten los.

Du zürnſt; warum? Du glaubſt zu müſſen,

Und ſchwörſt: „nie wieder einen Kuß!“

Da weiß ich, daß ich raſch mit Küſſen

Die krauſe Stirn Dir glätten muß.

„Nun aber komm, nun laß uns plaudern

Vom eignen Herd, von Hof und Haus!“

Da bauſt Du lachend, ohne Zaudern,

Bis unter’s Dach die Zukunft aus;

Du hängſt an meines Zimmers Wände

All meine Lieblingsſchilderein, —

Ich ſeh’s und ſtreck danach die Hände,

Als müſſ’ es wahr und wirklich ſein.

[237]
So flieht des Abends ſchöne Stunde,

Vom fernen Thurm tönt’s Mitternacht,

Die Mutter ſchläft, in ſtiller Runde

Nur noch die Wanduhr pickt und wacht.

„Ade, mein Lieb!“ von warmen Lippen

Ein Kuß noch, — dann in Nacht hinein:

Das Leben lacht, trotz Sturm und

Klippen,

Nur Steurer muß die Liebe ſein.“

[238]

Zur Verlobung.


Es paſſt uns nicht die alte Leier

In unſren jungen Liebesrauſch,

Wir denken und wir fühlen freier,

Und wollen’s auch beim Ringetauſch;

Der Treue Pfand, zu dieſer Stunde

Empfang’ es in Champagner-Wein:

Der güldne Ring auf Bechers Grunde

Soll Sinnbild meines Lebens ſein.

[239]
Laß überſprudeln mich, und freue

Der Kraft Dich, die da ſchäumt und gährt;

Tiefinnen, wie dies Bild der Treue,

Lebt meine Liebe unverſehrt.

Trink aus! begeiſtern und erheben

Laß Dich zu heil’ger Leidenſchaft,

Und trinke dann aus meinem Leben

Dir gleiche Luſt und gleiche Kraft.

[240]

Shakeſpeare’s Strumpf.
(Bei Gelegenheit eines Leipziger Feſtes, wo man mit einer
Schillerſchen Weſte Götzendienſt trieb.)


Hochgeſprungen, lautgeſungen!

Wenn verſchimmelt auch und dumpf,

Sei’s! wir haben ihn errungen

William Shakeſpeare’s wollnen Strumpf.

Sieg! wir haben jetzt die Strümpfe,

Haben jetzt das heil’ge Paar,

Drinnen er trotz Moor und Sümpfe

Sicher vor Erkältung war.

[241]
Sieg! wir huld’gen jetzt dem Strumpfe,

Der der Strümpfe Shakeſpear’ iſt,

Denn er reicht uns bis zum Rumpfe,

Weil er faſt zwei Ellen mißt.

Sieg! wir haben jetzt die Strümpfe,

Dran er putzte, wiſchte, rieb

Manchesmal die Federſtümpfe,

Als er ſeinen Hamlet ſchrieb.

Drum wer je ein Lied geleiert,

Wenn er ſich nicht lumpen läßt,

Singt Oktaven er, und feiert

Unſer nächſtes Shakeſpearefeſt.

Unſren Enkeln wird man melden:

„Euer Ahn, daß ihr es wiſſt,

War auch Einer von den Helden,

Die den Shakeſpeare-Strumpf geküſſt.“

11
[242]
Drum herbei was Arm’ und Beine,

Unſrer harret ſchon Triumph,

Und dem Shakeſpeare-Strumpf-Vereine

Helfen ſo wir auf den Strumpf.

[243]

An Bettina.


(Bei Leſung ihres Königs-Buches.)


Dein Geiſt nimmt wie auf Lerchenſchwingen

Tief in den Himmel ſeinen Zug,

Und freudig lauſch’ ich ſeinem Singen,

Und freudig folg’ ich ſeinem Flug.

Doch wie die Lerch’ auf ihren Zügen

Oftmals im Aether mir verſchwimmt,

So auch Dein Geiſt auf ſeinen Flügen,

Wenn er zu hoch in’s Blaue klimmt.

11*
[244]

Rangſtreitigkeiten.


In einem Lumpenkaſten

War große Rebellion:

Die feinen Lumpen haſſten

Die groben lange ſchon.

Die Fehde thät beginnen

Ein Lümpchen von Batiſt,

Weil ihm ein Stück Sacklinnen

Zu nah gekommen iſt.

[245]
Sacklinnen aber freilich

War grob wie Sackleinwand,

Und hatte wundereilig

Die Antwort bei der Hand:

„Von Lady’s oder Schlumpen —

’s thut nichts zur Sache hier,

Du zählſt jetzt zu den Lumpen,

Und biſt nicht mehr wie wir.“

[246]

Von der Tann iſt da!
(Schleswig-Holſtein-Lied. *))


Hurrah, hurrah,

Von der Tann iſt da!

Von der Tann iſt kommen auf Eiſenbahnen,

Mit Eiſen die Wege ſich weiter zu bahnen.

Ihr lieben Dänen, nun müſſen wir leider

Raſch über die Eider, raſch über die Eider,

Und weiter und weiter, — hurrah, hurrah,

Von der Tann iſt da, von der Tann iſt da.

[247]
Hurrah, hurrah,

Von der Tann iſt da!

Ihr Düppelſchen Höhen, ihr Düppelſchen Schanzen

Nun giebt es mal wieder ein Stürmen und Tanzen,

Und ſeid ihr erſt unſer, dann ’rüber nach Alſen,

Das Fiſchvolk uns gründlich vom Halſe zu halſen,

Und weiter und weiter, — hurrah, hurrah,

Von der Tann iſt da, von der Tann iſt da.

Hurrah, hurrah,

Von der Tann iſt da!

Was Strich, was Grenze von Flensburg bis

Tondern,

Wir wollen nichts Halbes, kein Theilen und

Sondern;

Herr Kammerherr Tilliſch, nun grade, nun grade

Wir wollen und müſſen bis Apenrade,

Und weiter und weiter, — hurrah, hurrah,

Von der Tann iſt da, von der Tann iſt da.

[248]
Hurrah, hurrah,

Von der Tann iſt da!

Wir wollen in Krieg und in Hader leben,

Bis daß wir wieder in Hadersleben;

Wir wollen zum Schluß die Fridricia-Schulden

Rückzahlen den Danske’s auf Groſchen und Gulden,

Und weiter und weiter, — hurrah, hurrah,

Von der Tann iſt da, von der Tann iſt da.

Hurrah, hurrah,

Von der Tann in da!

Von der Tann iſt da, den ſchicket uns Baiern,

Nun werden die andern nicht lange mehr feiern,

Die Schwaben und Franken, die Sachſen und

Heſſen,

Die werden am Ende uns auch nicht vergeſſen,

Und weiter und weiter, — hurrah, hurrah,

Von der Tann iſt da, von der Tann iſt da.

[249]
Hurrah, hurrah,

Von der Tann iſt da!

Ihr deutſchen Brüder im Weſten und Oſten,

O laßt nicht die Kling’ in der Scheide verroſten;

Die Büchs und den Pallaſch heruntergenommen,

Ihr ſeid uns willkommen, zum Siege willkommen,

Und weiter und weiter, — hurrah, hurrah,

Von der Tann iſt da, von der Tann iſt da.

[[250]][[251]]

Karl Stuart.
(Dramatiſches Fragment.)


[[252]]

Perſonen.


  • Karl Stuart, König von England.

  • Henriette Marie (Tochter Heinrichs IV. von
    Frankreich), ſeine Gemahlin.

  • Thomas Wentworth, Graf v. Strafford, erſter
    Miniſter.

  • Oberſt Goring.

  • Oberſt Bloomingfield.

  • Van Dyk.

  • Ein Diener.

Ort: London.   Zeit: 1640.

[253]

Erſter Akt.


Der König. Van Dyk.

Zimmer des Königs. Auf einem Stuhl, ſeitwärts vom
König, ſteht das Bild der Königin, von Van Dyk
gemalt. Der Maler ſelbſt, der das Bild eben ge-
bracht, in einiger Entfernung hinter dem König.

König.

Der Meiſter hat ſich neu bewährt; das iſt
Kein Bild der Königin, das iſt ſie ſelbſt.


Van Dyk.
(ſich verbeugend)

Ein liebend Auge iſt ein milder Richter,
Ihr lobt das Bild, weil Ihr ſein Vorbild liebt.


[254]
König.

O, Niemand weiß es beſſer als ihr Maler:
Der Liebe Blindheit hat die ſchärfſten Augen.
Wir überſehn die Blattern des Geſichts,
Sind blind für alle Mängel der Natur,
Und doch, wenn auf dem Bildniß unſrer Schönen
Das Grübchen fehlt, das ſie beim Lächeln zeigt,
So merken wir’s, und nennen voll Entrüſtung
Des Meiſters Werk — elende Stümperei.


Van Dyk.

Kann ſein daß mir die Stunde günſtig war,
Auch malt’ ich mit beſondrer Luſt und Liebe:
Mir lag ein Trieb und Sporn in dem Gedanken
„Es gilt der Tochter einer Medicis“; —
Dem ganzen Hauſe malt’ ich dieſes Bild,
Ein Künſtlerdank an alle Mediceer.


König.

Die Völker fühlen anders.


[255]
Van Dyk.

Volk und Kunſt
Sind jetzt Geſchwiſter, die ſich nicht verſtehn;
Es zieht ein jedes ſeine eigne Straße.


König.

Ein wahres Wort! und glücklich alle Kunſt,
Die unberührt vom Schmutz und Schlamm des
Lebens,
Taub für den Haß und Wirrwarr der Parthein,
Den Maſſen fern, — die eignen Pfade zieht.
Und glücklich Ihr, die Ihr der Schönheit dient!
Euch bindet nicht des Landes enge Grenze,
Nur in zwei Völker theilt ſich Euch die Welt:
In geiſtig Sehende und geiſtig Blinde.
Die Einen fliegen jubelnd Euch entgegen,
Die Andern wiſſen kaum es, daß ihr ſeid,
Und ſo, vor aller Niedrigkeit geborgen,
Löſt Ihr das Räthſel, ungehaſſt vom Pöbel,
Der Guten Freund, der Beſten — Stolz zu ſein.


[256]
Van Dyk.

Wohl, alle Kunſt iſt ein Geſchenk des Himmels,
Und Dankbarkeit des Auserwählten Pflicht,
Doch haben wir auch unſre ſchweren Stunden.
Den jungen Ruhm vergiftet uns der Neid,
Die eigne Kraft betrachten wir voll Zweifel,
Und was ſo leicht ſich und natürlich giebt,
Als wär’ das Werk uns in den Schooß gefallen,
Das rang in uns oft jahrelang nach Form,
Und manches Wehe — —


König.
(ihn unterbrechend)

Hört Ihr drauß den Lärm?!
Nicht Ruh nicht Raſt in meinem eignen Haus!
Van Dyk — ich ſeh Euch wieder! Tag um Tag
Beſtürmt mich jetzt das Volk, und ſeine Bitten
Sind nicht viel anders wie Befehle. Gott
Zum Gruß, nochmals — lebt wohl!

(Van Dyk ab.)

(Die Königin raſch und in höchſter Aufregung
eintretend.)

[257]
König.

Was giebt’s Marie?


Königin.

Es iſt empörend!


König.

Was empört Dich? ſprich.


Königin.

Das City-Volk iſt wieder auf den Beinen —


König.

Und wie ein Zerrbild auf Geſetz und Recht,
Schreit es: Gerechtigkeit, Gerechtigkeit!
Ich kenn’ ſie ſchon die neuen Themis-Prieſter
Mit nackten Armen und geſchwungner Axt.
Wem gilt es heut?


Königin.

Ach, meiner armen Mutter.
Durch Ränkekunſt vom eignen Herd verbannt,
Sucht Schutz ſie bei der königlichen Tochter,
[258] Doch ärmer als des ärmſten Mannes Weib,
Hab’ ich kein Obdach für die eigne Mutter.


König.

Was ſoll’s mit ihr?


Königin.

Fort ſoll ſie aus dem Land.
„Weg die Papiſtin, weg den Antichriſt,
Weg mit dem Buhlweib Herzog Buckingham’s!“
So ſchrein die Raſenden, und Späße hört’ ich,
Die alle Sitt’ und Scham mit Füßen treten.
Sonſt ſtirbt der Haß mit des Verhaßten Glück,
Nur dieſes Volk geizt nach der Schanden-Ehre
Für alles Mitleid taub und todt zu ſein;
Zu altem Haß geſell’n ſie neuen Spott,
Und roher als das rohſte Volk der Wüſte,
Mißachten ſie des Gaſtes heilig Recht.


König.

Wär’ Strafford da!


[259]
Königin.

Nenn’ mir den Namen nicht.
Er hat die Hand im Spiel; ich weiß es ſicher.


König.

So iſt er hier?


Königin.

Seit geſtern ſchon.


(Ein Diener tritt ein.)

Diener.
(anmeldend)

Graf Strafford, — Majeſtät.

(Diener ab.)

(Strafford tritt ein und eilt auf den König zu.)

Strafford.
(mit Wärme)

Mein Herr und König!


(er küſſt des Königs Hand und verbeugt ſich dann
gemeſſen gegen die Königin.)

König.

Gegrüßt Mylord! Ich wähnt Euch noch in Irland,
Von langer, ſchwerer Krankheit kaum erſtanden,
[260] Doch Strafford iſt der alte; er genas
Aus Luſt und Liebe ſeinem Herrn zu dienen.


Strafford.

Ihr ſprecht es aus; krank traf mich Euer Brief,
Ich las: Ihr rieft mich, — und ich war geneſen.
Seit geſtern bin ich hier; o, wär’ ich’s länger:
Bei Freund und Feind welch’ Wechſel der Er-
ſcheinung!
Der Feinde Haß, ohnmächtig ſonſt vor Furcht,
Jetzt prahlt er ſchier in offnem Widerſtande, —
Und ſchlimmer noch: des Argwohns Rattenzahn
Nagt an der Freunde Herz.


König.

Vor allem, Graf,
Saht Ihr das freche Treiben vor dem Schloß?


Strafford.

All dieſes Treiben iſt nur Wiederhall,
Iſt nur Symptom der Krankheit, nicht ſie ſelbſt,
Die Krankheit ſelber nennt ſich — Parlament.
[261] Das iſt die Amme, die den Zwieſpalt ſäugt,
Das iſt die Wurzel, die den Giftbaum trägt,
Und, allen Stolz wegwerfend aus der Bruſt,
Sprech ich zu jedem Feinde: „ſei mein Freund“,
Um dieſen Urfeind ſichrer zu vernichten.


König.

Ich lieb ihn nicht; doch was zumeiſt ich haſſe,
Das iſt dies Straßenparlament, das täglich
Mit drohenden Fäuſten jetzt Geſetze macht.
Wie ſtand es draußen?


Strafford.

Leer iſt Hof und Platz.
Des Schloſſes Wache griff die lautſten Schreier, —
Der Reſt zerſtob wie Spreu.


Königin.
(lebhaft)

Und die Gefangenen?


Strafford.

Sind noch in Haft.


[262]
Königin.
(heftig)

Sie müſſen an den Pranger.


Strafford.

Das gäb’ ein Martyrthum, wär’ ein Triumph;
Sie würden Blumen erndten ſtatt der Schande.


Königin.

So laßt ſie peitſchen.


Strafford.

Gnäd’ge Königin,
Wir haben andre Feinde zu bekämpfen.
Mein Rath iſt: gebt ſie frei, — und mehr als das:
Gebt ihrem Wunſch Gehör.


König.

Ich faſſ’ Euch nicht.
Ihr könnt nicht meinen, Graf, —


Strafford.

Der Königin Mutter
Muß aus dem Land.


[263]
Königin.

Wie?!


König.

Mylord Strafford, traun,
Nachgiebigkeit war ſonſt nicht Eure Tugend.


Strafford.

Und iſt es nicht; was Euch ſo ſcheinen mag
Iſt Pflicht der Klugheit, iſt — Nothwendigkeit.


König.

Die Klugheit heiſcht nur eins: dem Unfug ſteuern,
Ziel ſetzen dieſem maaßlos frechen Fordern.


Strafford.

Des Volkes Fordrung iſt nicht frech an ſich,
Es war’s die Art und Weiſe nur, die Form,
Das Wie war ſträflich, aber nicht das Was.
Hört auf dies „Was“. Der Feind iſt ſtark;
wir brauchen
Vertrauen jetzt, wir brauchen Bundsgenoſſen:
Des Volkes Lieb’ und Treu’, um jeden Preis;
[264] Der Königin Mutter aber (ſei’s geklagt!)
Iſt unſrem Volk verhaſſt.


König.

Sagt unſrem Pöbel.


Strafford.

Des Pöbels Stimme dürfen wir verachten,
So lang es eben Pöbel nur, was ſchreit.
Doch wenn ein ganzes Volk dahinterſteht,
Und jene rohe Menge nur die Zunge
Dem Wunſch und Willen aller Herzen leiht,
Dann iſt es Zeit auf ſolchen Ruf zu achten,
Und dieſe Stunde kam. — Auf meiner Fahrt
Jüngſt durch die Weſtprovinzen dieſes Lands,
In Cheſter, Warwick, Oxford, Shrewsbury,
All überall, am Weg, in Dorf und Stadt,
Stand man in Gruppen, ſchüttelte den Kopf,
Und trat ich näher, ſtets derſelbe Name
„Marie von Medicis“, — dieſelben Flüche,
Und ſtets derſelbe Ruf: „fort muß ſie, fort“.
[265] Das war der Pöbel nicht, das war das Volk,
Und dieſes Volk und ſeine gute Meinung
Das brauchen wir, das fiel entſcheidungsvoll
Noch immer in des Kampfes Wage, und
Wohin ſich’s neiget, neigt ſich auch der Sieg.


Königin.

Genug, Mylord! Ihr müht umſonſt Euch ab
Des Staatsmanns Ernſt und Würde zu erkünſteln,
Zu thun, als knüpfe ſich das Wohl des Lands
An meiner Mutter Bleiben oder Gehn.
Sie ſoll nicht fort um Ruh und Friedens willen,
Nicht fort, weil Pöbel oder Volk es fordert,
Sie ſoll nur fort weil es Graf Strafford will.
Verletzte Eitelkeit ſchreit laut um Rache:
Ihr denkt des Tages noch, wo meine Mutter
„Land-Edelmann“ in bittrem Scherz Euch nannte.
Doch Eitelkeit iſt nur der ſtumpfre Sporn,
Der Herrſchſucht Stachel ſetzt Euch ſchärfer zu,
Erproben möchtet Ihr an dieſem Fall
12
[266] All Eure Ausſicht auf Allmächtigkeit.
Ein kranker Stolz hat Euer Herz vergiftet;
Die Liebe ſelbſt zu Eurem Herrn und König
Iſt nur ein Kind des Hochmuths dem Ihr dient,
Und meiner Liebe Macht und Einfluß fürchtend,
Haſſt Ihr mich ſchon, weil mich der König liebt.
Thut, was Ihr müſſt, nur ſchonet meine Mutter,
Sonſt Graf, ſo wahr ich meiner Mutter Tochter,
Ich denk’ es Euch.

(ab.)

König.

Mylord, nicht Fürſten nur,
Auch Völker kennen Eigenſinn und Laune.
Welch’ Makel haftet an der Königin Mutter?!
Iſt es der bloße Name „Medicis“?
Wie, oder geht das ewige Geſpenſt —
Die Furcht vor Rom und ſeinem Pabſtthum wieder
Durch’s ganze Land?


Strafford.

Hört, was ich ſelbſt vernahm.
[267] Zu Coventry, es war am hellen Tag,
Sprang Einer aus dem Volk auf eine Tonne.
„Landsleute, — rief er — hört ein Stückchen noch
Von einer Medicis und Königin Mutter; —
Hieß Katharine zwar, und nicht Marie,
Doch welcher Apfel fiele weit vom Stamm!
Bluthochzeit feierte die Stadt Paris,
Der Glocke Zeichen war in Nacht verklungen,
Und durch die Straßen, wie gehetztes Wild,
Wehſchreiend, betend floh der Hugenott.
Schon zog ein Blutſtreif durch den Seine-Fluß,
Schon lag verſtümmelt, ſiebenfach durchbohrt,
Auf offnem Platz der greiſe Coligny,
Und immer noch, den Mord zum Morde
mahnend,
„Laßt Ader!“ ſchrie der tückiſche Tavannes.
Im Schloſſe aber, das ſie Louvre nennen,
An jener hohen Bogenfenſter einem,
Stand König Karl, der neunte ſeines Namens,
12*
[268] Und zitterte. Der ungeheure Frevel
Griff ihm in’s Herz. Trotz Licht und Fackelglanz,
Nacht war’s um ihn. Er warf die Büchſe fort;
„Ich kann nicht ſchießen, Mutter!“ rief der


König.

Da trat ein Weib hervor, ſchwarz war ihr Haar,
Schwarz wie der Sammet ihres Schleppenkleides,
Und ihrem Aug’ entflammte tiefre Gluth,
Als dem Rubin der ihr am Nacken blitzte.
„Biſt Du ein Mann!“ ſo raunte ſie ihm zu,
Ein König und — ſo feig? ich mag’s nicht
glauben!“
Das zündete. Der Fürſt, in falſcher Scham
Ergriff er neu das Rohr, ſie aber rief:
„Schau dort das Weib, das Hugenottenweib, —
Sie flieht und birgt den Säugling an der
Bruſt, —
Zertritt das Raupenneſt!“ Der König ſchoß;
Ein Wehſchrei klang herauf; doch die Entmenſchte
[269] Schlug in die Hand und lachte: „brav, mein
Sohn!“
Und dieſes Weib — und nun geht ſtill nach
Haus —
War eine Medicis und Königin Mutter.“
So ſprach der Mann (es war zu Coventry)
Und ſprang herab; ich aber fuhr des Wegs.


König.

Und ward kein Beifall laut? trug man den
Sprecher
Nicht im Triumph nach Haus? ſchwur nicht
ein Jeder,
Vom feiſten Höker bis zum Bettelbuben,
Für ſeinen Glauben einzuſtehn? die Thoren,
Als ſei ihr Glauben in Gefahr! ſo aber
Iſt dieſes Volk: ſein Denken all und Fühlen,
Sein Heiligſtes, ein Spielball iſt’s in Händen
Fanat’ſcher Prieſter, oder ſchlimmer noch,
Ehrgeiz’ger Gaukler die ihr Fach verſtehn.
[270]Der Mann, der da herab von ſeiner Tonne,
Mit jedem Wort die Saat des Haſſes ſtreute,
Was gab er mehr als Worte? welche Schuld
Warf er der Königin Mutter vor die Füße?
Was war es? nichts! ihr Name — ihre Schuld.


Strafford.

Das eben iſt’s; da lebt uns die Gefahr,
Daß jeder Scheingrund gläubge Hörer findet,
Daß alles Volk, von Argwohn wie beſtrickt,
Das Tollſte glaubt, nicht weil es glaubhaft wäre,
Nein, eben deshalb weil’s unglaublich iſt.
Schon flüſtert man von einer Hofverſchwörung,
Ihr — heißt es — ſeid im Herzen Katholik,
Und neu-errichtet ſehn viel Tauſend ſchon
Die Scheiterhaufen der Maria Tudor
Durch dieſe mediceiſche Marie.
Des Mißtrauens Neſſel wuchert durch das Land,
Und dieſes Unkraut aus den Seelen reißen,
Das kann kein Wort, das kann nur — eine That.


[271]
König.

Weh aller Zeit — und es iſt unſre Zeit —
Wo des Vertrauens Brücke abgebrochen,
Die zwiſchen Volk und Fürſtenherz ſich ſchlug;
Wo Königswort ein leerer Schall geworden,
Ein tönend Erz und einer Schelle Klang.
Des Volkes Furcht iſt Wahn! und doch, ich fühl’ es,
Was Argwohn eingeätzt in die Gemüther,
Das wiſcht man nicht mit Worten aus der Bruſt;
So ſei’s denn eine That; ſei’s denn ein Opfer:
Der Königin Mutter geht!


Strafford.

Glück auf, zum Sieg!
Aus dem Entſchluß wächſt uns ein ganzes Heer.
Traun, wie bei Azincourt, auf blut’gem Feld,
Die Geiſter einſt der Helden von Crecy
Die Lücken ſtopften und zum Sieg uns führten, —
So fechten jetzt für uns die guten Geiſter
Neu auferweckter Lieb’ und Treu. — Und nun
[272] An’s Parlament, — es darf nicht län-
ger leben
!


König.

Kein Ueberſtürzen, Graf! der Schritt iſt ernſt.
Das raſche Zürnen unſrer früh’ren Jahre,
Das, Mal auf Mal, die trotz’gen Parlamente
Uns löſen ließ, — es hat nicht eingeſchüchtert,
Es hat erbittert nur. Nein, nein, Mylord!
Das Mißtrauen, das Ihr wegzutilgen trachtet,
So ſtreut Ihr’s nur mit vollern Händen aus,
Denn eiferſüchtig bis zum eignen Schaden,
— Das Beſte ſelbſt noch als ein Schlimmes
deutend, —
Wie ſeinen Glauben unſer Volk bewacht,
Bewacht es auch ſein Recht.


Strafford.

Sein Recht? das ſoll’s!
Doch das iſt keines von des Volkes Rechten,
Daß, wenn durch Liſt und Mißbrauch aller Art,
[273] Des Landes puritanſche Conventikel
In’s Parlament (das Volkesſtimme ſei)
Mit Bibelſprüchen ſich hineingezetert, —
Daß wir vor ſolchem Echo von Sektirern
In Ehrfurcht ſtehn, wie vor Orakelſprüchen.
Das Wohl des Volkes iſt ſein höchſtes Recht,
Und in dem Rechte wurzelt unſer Recht,
Die Axt an ſolchen faulen Stamm zu legen.


König.

Und wenn’s geſchäh’, was führt dann den Beweis
Klar und handgreiflich vor des Argwohns Augen,
Daß Liebe nur zu Volk und Land, nicht aber
Engherzger Haß zu dieſem Schritt uns trieb!
Glaubt Ihr, Mylord, daß jenes Bleigewicht,
Was dieſes Parlamentes Filzerei
All unſren Plänen an die Flügel hängt, —
Daß all die Steine, die ſein Widerſprechen
Bei jedem Schritt uns vor die Füße rollt, —
Daß all ſein Pfeile-ſchießen giftgen Spottes,
[274] Sein uns mit Koth-bewerfen plumper Späße, —
Daß alles das uns in des Volkes Augen
Ein Recht verleiht die Läſtgen abzuſchütteln?!
Nein, an dem Spiel erquickt ſich nur das Volk,
Erlabt ſich dran, daß wir, die Hochbeglückten,
Auch unſren Hemmſchuh an den Füßen tragen,
Und eh’ Ihr nicht mit etwas Ungeheurem
An ihre Seele klopft und ſprecht: „ſeht her!
Die ihr „Vertreter“ nennt, — es ſind Ver-
räther
“;
Eh’ glückt es nicht. —


Strafford.

Drum eben glückt es, — leſt!


(er überreicht dem König ein Papier)

Ein Ungefähr verſchafft uns dieſen Brief.
Der Zufall iſt oft klüger als die Klügſten,
Und überliſtet hämiſch noch die Liſt.


(während der König lieſt, mit immer ſteigender
Lebendigkeit)

[275]

Jetzt haben wir die Füchſe all im Eiſen,
Die Pym’s, die Hampden’s und die Harriſon’s!
Verrath liegt klar zu Tag! das Schottenheer,
Das immer noch an unſrer Grenze lungert,
Hier dieſer Brief nennt es: „viel-liebe Brüder“
Und ladet gaſtlich, Wort um Wort, es ein,
An unſres Landes Tiſche ſich zu ſetzen.
Das iſt Verrath auch in des Volkes Augen!
So gradezu den Feind herbeizurufen,
Und mit ihm Krieg und ſeine tauſend Wunden,
Das öffnet aller Augen.


König.

Ihr vergeſſt,
(In zürnender Entrüſtung, die ich theile,)
Fünf Namen nur verräth uns dieſes Blatt:
Pym, Hampden, Hollis, Cromwell, Harriſon.
Die That iſt ihre That; das Parlament
Hat keinen Theil daran.


[276]
Strafford.

Es wird ihn haben.
Auswirk’ ich heute noch im Haus der Lords,
Noch dieſe Stunde, den Verhaftsbefehl;
Mit dem Befehl dann hin in’s Unterhaus,
Vom Hauſe ſelber dieſe fünf zu fordern.
Wenn ſich’s dann weigert, — und es wird ſich
weigern,
Sich ſträuben, wie der Leib ſich ſträubt die Seele,
In der ſein Leben wurzelt, wegzugeben, —
Dann Sieg! Hintretend vor Alt-Englands Volk,
Abreißend dieſen Heuchlern ihre Maske,
Erklären wir dies Schelmen-Parlament
Für aufgelöſt; und wenn dann unſer Land,
— Rundköpfge Pſalmenſänger ausgenommen —
Nicht „Amen“ ſpricht, und nicht aus voller
Kehle
„Hoch leb’ der König!“ ruft, ſo nennt es Lüge
Nenn ich mich je noch Euren treuſten Diener.


[277]
König.

Rundköpfge Pſalmenſänger, wie Ihr ſagt,
Uns lebt davon ein gutes Theil im Lande.
Sie werden um ihr Parlament ſich ſchaaren,
Und wenn die Schotten dann die Waffenruhe
In alter, guter Schottentreue brechen —


Strafford.

So ſind, geſtützt auf unſer Volk und Recht,
Wir dieſem Feind wie jedem Feind gewachſen.
Die iriſche Armee iſt treu: wir werfen
Von Belfaſt und Dublin zehntauſend Mann
Kerntruppen ’rüber an die ſchottſche Küſte,
Und wenn ſich’s hier am eignen Herde regt,
So haben wir auch hier noch Regimenter,
Die nur des Zeichens harrn —


König.
(geſpannt)

Glaubt Ihr das ſicher?


Strafford.

So ſicher wie an meine Schuld ich glaube,
[278] Und an Vergebung meiner Schuld. Hört ſelbſt:
Goring und Bloomingfield, zwei Oberſten,
Harrn in der Halle draus und bitten dringend
Um Audienz, im Auftrag ihrer Corps’s.
Gefall’ es Euch ſie vorzulaſſen.


König.
(indem er klingelt)

Gern!


(zum hereintretenden Diener:)

Die Oberſten!


(Die Oberſten treten ein)

Ah, Oberſt Bloomingfield!
Ich ſah zu Berwick Euch, im vor’gen Herbſt,
Als wir den Schotten gegenüberſtanden.
Ein ſtattlich Regiment das Eure! Sagt,
Wie ſteht’s um Geiſt und Stimmung in der
Truppe?


Bloomingfield.

Schlecht, Majeſtät!


[279]
König.

Schlecht, Oberſt? Sprecht, wie das?!


Bloomingfield.

Schlecht Majeſtät, weil man uns ganz vergiſſt,
Uns Sold bezahlt um — Nichts, anſtatt der Treue
Doch auch ein Wort, ein Wort mit hier zu
gönnen.


(er ſchlägt mit ganzer Hand an ſeinen Degen.)

Wir denken ſo: wie lange wird dies Neſt
Von Rechtsverdrehern und von Krämerſeelen,
— Dienſtfertige Narren nennen’s Parlament —
Noch unſrem Herrn in ſeiner Krone ſitzen?
Und unſer Tiſch- und unſer Nacht-Gebet
Heißt immer: Gott erleuchte unſren König,
Daß er, wie unſer Heiland einſt vor Zeiten,
Die Schachrer alle aus dem Tempel jagt.


König.

Topp, Bloomingfield, wie auch ihr Ausdruck ſei,
Ich weiß die Treue jederzeit zu ſchätzen,
[280] Und mit dem Herzen hört’ ich, was Ihr ſpracht. —
Euch Oberſt Goring, ſtaun’ ich faſt zu ſehn:
Vom Grafen Eſſex hört’ ich geſtern noch,
Ihr wär’t mit Leib und Seele Puritaner.


Goring.

Das bin ich, Majeſtät; vor allen aber
Bin ich Soldat; und was ich ſonſt auch glaube,
Zuvörderſt glaub’ an Gott ich und — den König.


König.

Das nenn ich brav geſprochen! nun, Ihr Herrn,
Was führt Euch her? ein Wunſch aus ſolchen
Herzen
Trägt die Gewähr in ſich.


Bloomingfield.

Das wolle Gott!
Wir haben hier ein Blatt zu recht geſchriftet,
Und bitten Eure Königlichen Gnaden,
Zu Troſt und Hoffnung aller treuen Diener,
Dies Blatt zu unterſchreiben. Inhalt lautet:
[281] — Das heißt der langen Rede kurzer Sinn —
„Ich Unterzeichneter, der König Karl,
Will wieder König ſein in meinen Landen,
Was ich hiemit kund und zu wiſſen thu.“


König.
(lachend)

Habt Ihr das je bezweifelt! dachtet Ihr
Ich könnte je, gleich jenem Kaiſer Karl,
Mein Diadem mit der Tonſur vertauſchen?


Bloomingfield.

Schreibt, Majeſtät; ’s wirkt beſſer ſchwarz
auf weiß.


König.
(heiter)

Es mag drum ſein!


(er unterſchreibt.)

Nun Bloomingfield, nehmt hin!
Wir werden Eures Arms und Eurer Treue
Gar bald bedürfen, — ſagt das Euren Corps’s,
Und damit Gott befohlen!


(Die Oberſten ab.)

[282]

Strafford, traun,
Wir haben Schätze noch trotz leeren Schatzes!
Des alten Graubarts ungeſchlachtet Wort
Ging wie ein Becher Wein mir durch die Seele.
Ihr aber blickt ſo finſter; was geſchah?


Strafford.

Ein Nichts, und doch ein Etwas, — wie
Ihr wollt.
Mein Blick fiel eben auf das Bild: es lachte;
Mir ging dies Lachen auch durch meine Seele.


König.

Strafford, was ſicht Euch an?


Strafford.

(ſtürmiſch die Hand des Konigs faſſend)

Mein Herr und König,
Wenn dieſe Hand zum letzten Mal ich küſſte!


König.
(voll Theilnahme)

Ihr ſeid noch krank, Mylord!


[283]
Strafford.

Mir ahnt Gefahr; —
Verſchworen hat der Haß ſich meiner Feinde,
Ich weiß es, ihre Fallen ſind geſtellt:
Sie oder ich, — ſo ſteht das Spiel.


(er ſchweigt einen Augenblick, dann in höchſter
Aufgeregtheit:)

Was auch geſcheh’,
Man kann an’s Leben mir, nicht an die Treue. —
Und nun in’s Haus der Lords!

(ab.)

König.

Behüt’ Euch Gott!


(er ſieht ihm nach, dann nach einer Pauſe:)

O, weckte doch ein Abglanz ſolcher Treue
In allen Herzen, drin der Argwohn wintert,
Wie Sonnenblick, den Frühling des Vertrauens.
Vertrauen, ſchönſter Stein in Königskronen,
Du Mutter aller Liebe, und ihr Kind,
Du einzig Pfühl, auf dem wir ſorglos ſchlummern,
[284] Ich rufe Dich, kehr’ wieder in dies Land!
Es giebt kein Glück, wo Du den Rücken wandteſt,
Es giebt kein Unglück — lächelſt Du auf’s Neu;
Laß ſiegen mich mit Dir in Friedensſchlachten,
Ein Sieg nur über Herzen iſt ein Sieg.


[[285]]

Ein Ball in Paris.
Ein Ball in Paris.


[[286]][287]
Paris hat Ball: hin durch der Gaſſen Enge

Brauſt raſſelnd der Karoſſen bunte Menge,

Die Quai’s entlang, entlang die Tuillerien,

Ein raſtlos Jagen und Vorüberfliehn.

Halloh, die Peitſche knallt, die Roſſe dampfen,

Schon dröhnt „La Grêve“ von ihrer Hufe

Stampfen,

Und jetzt ein kurzes „Halt!“ — hell glänzt

das Ziel,

Der prächtge Ballſaal des Hôtel de Ville.

[288]
Rings Fackelglanz; die Nacht iſt lichter Tag,

Betreſſte Diener ſpringen an den Schlag,

Leis kniſtert auf der ſteingehaunen Treppe

Der Atlasſchuh, es rauſcht die Seidenſchleppe,

Der Mantel fällt, und jetzt in luftgem Shawl,

Selbſt luftig, ſchwebt die Schönheit in den Saal.

Drin wogt es ſchon; auf Klängen der Muſik

Wiegt ſich der Glanz der neuen Republik:

Die Abenteurer und die Schleppenträger,

Die Vettern all und all die Stellenjäger

(Auf deren Bruſt das Kreuz der Ehre blitzt,

Weil nichts von Ehre drin im Herzen ſitzt)

All ſind ſie da, und leichter ſchwebt ihr Fuß,

Trifft ſie des Kaiſerneffen flüchtger Gruß.

Der Kaiſerneffe aber, klanglos hin

Zieht heut der Töne Macht an ſeinem Sinn,

Sein Aug’ iſt todt rings für den Blumenflor,

[289]
Nach einem Punkt nur blinzelt Er empor,

Von wo herab im Purpur, goldgeſtickt,

Des Kaiſers Bild auf ihn herniederblickt.

Das Kaiſerbild! traun in das Feſtgebraus

Aus ſeinem goldnen Rahmen tritt’s heraus,

Ein tiefer Ernſt umſchattet ſein Geſicht,

Der Kronendurſtge aber ſieht es nicht,

Er ſieht nur wie der Goldreif blinkt und blitzt,

Der auf der Stirne des Allmächtgen ſitzt,

Er ſieht das Scepter nur der halben Welt,

Das Jener ſpielend faſt in Händen hält,

Und zitternd nach des Glückes gleicher Huld,

Ruft er ſich ſelber zu: „Geduld, Geduld!“

So aber denken nicht die ſchlanken Schönen,

Die leicht hin ſchweben auf den leichten Tönen,

Mit Blüthen ſind die Blühenden geſchmückt,

Wie wenn man Roſen noch auf Roſen drückt,

13
[290]
Und ſchier als wär’ die Gabe zu genießen

Selbſt nur ein ſtundenkurzes Blüthenſprießen,

So jagt man hin, voll fieberhafter Haſt,

In ewger Furcht, die Stunde ſei verpaſſt.

Ich tanze nicht; — im Durſt nach Luft

und Friſche

Tret’ ich ſeitab in eines Fenſters Niſche,

Und hinter mir jetzt all den Saus und Braus,

Blick’ ich, aufathmend, in die Nacht hinaus.

Die lagert draußen ſchwarz und ſchwer und

dicht,

Mit Eiferſucht-umfinſtertem Geſicht,

Und in des Saales Glanz und Pracht und Schein,

Starrt wie der Tod in’s Leben ſie herein.

Doch lauter immer wird das laute Treiben,

Feſt drück’ die Stirn ich an die feuchten

Scheiben,

[291]
Da iſt es mir, als ob mein Ohr es träf’:

„Kennſt Du den Platz da draus? kennſt Du

„La Grêve“?

La Grêve! wie kalt das Wort mich überlief,

Und nächtge That vor meine Seele rief;

La Grêve! wo Haß nur, der nach Rache ſchnob,

Der Freiheit Zerrbild aus der Taufe hob;

La Grêve! wo man von Menſchenliebe ſchwur,

Wenn mal auf mal das Beil herniederfuhr;

La Grêve! wo Blut aus ſo viel Quellen floß,

Daß es — ein Strom ſich in den Strom ergoß.

Und mir im Rücken jetzt erbrauſt es wilder,

Vor meinen Augen aber, Schattenbilder

Der Greuel all, die ringsumher geſchehn,

Läßt mich die Nacht in ihrem Spiegel ſehn.

13*
[292]
Horch! Weiberſtimmen durch die Lüfte kreiſchen;

Da ſind ſie ſelbſt; — in Wolluſt zu zerfleiſchen,

Hat ihres Fleiſches Wolluſt ſich verkehrt, —

Blut heißt jetzt was die Sinnlichkeit begehrt.

Manch Eine trägt den Säugling an der Bruſt,

Doch nirgends einer Mutter ſtille Luſt;

Mit aufgelöſtem Haar, halbnackt die Leiber,

So ziehn vorbei mir die Verſailler Weiber.

Und jetzt, verhallt kaum iſt ihr Schrei nach

Brot,

Da naht ein zweiter Zug, den führt der Tod,

Er zieht als Mordgeſell dem Zug vorauf,

Und trägt zwei Stangen und zwei Köpfe drauf;

Wild heulend folgen aus den Rhône-Landen

Die Lyoneſer- und Marſeiller Banden,

Siegtrunken noch vom Sturm der Tuilerien,

Seh’ ich die Blutgen mir vorüberziehn.

[293]
Vorbei, vorbei! jetzt aber Trommelklang

So dumpf, ſo hohl, — das iſt ein Sterbegang;

Schon um den Platz wie eine Eiſenkette

Legt ſich der ſpitze Wald der Bayonnette,

Und raſch, in Nacht herauf, ſteigt das Schaffott,

Vom Volk umtanzt in widerlichem Spott.

Zwei Männer ſchreiten herwärts; — alles ſtill, —

Es winkt des Prieſters Hand, die ſegnen will,

Und machtvoll jetzt, hertönt’s aus dem Ge-

wimmel:

„Des heilgen Ludwig Sohn — ſteig’ auf gen

Himmel!“

Ein Beilesblitz; — — mein Auge ſchließt

ſich bang;

Da hinter mir aufſchreckt mich Beckenklang,

Und aus der Niſche fort und ihrer Nacht,

Tret’ ich zurück jetzt in die Saalespracht.

[294]
Drin wogt es noch; auf Klängen der Muſik

Schwebt nach wie vor der Glanz der Republik,

Noch immer ſenken taktvoll ſich und ſteigen

Die Walzerpaare nach dem Strich der Geigen;

Noch immer aus des Contre-Tanzes Touren

Erblühen Arabesken und Figuren,

Und immer noch, raſch wie Gewitterhuſch,

Brauſt der Galopp her im Orcheſtre-Tuſch.

Wohl! rings daſſelbe Thun noch und Beginnen,

Ich aber jetzt, mit nachtgeſchärften Sinnen,

Schau durch das Maskenwerk und ſeinen Schein,

Tief in das Herz der Wirklichkeit hinein.

Sieh Jenen dort: es frömmelt ſein Geſicht,

Mir ſagt’s ſein Aug’, daß er von „Tugend

ſpricht;

Sieh, wie ſo ſüß er ſeiner Dame lächelt,

Und Kühlung ihr mit ſeinen Blumen fächelt,

[295]
Sieh hin, — und denk dann an den Feſteszug,

Wo der Hyänenmenſch auch Blumen trug.

Sieh jenen Zweiten dort: wie Dantons Bruſt

Hebt ſich die ſeine ſtolz und ſelbſtbewußt;

Ein jedes Härlein ſchwört auf dieſem Haupt,

Daß es an nichts, als an ſich ſelber glaubt.

Und jenen Hagren ſieh! wie, kündet nicht

La mort — sans phrase!“ dies ſteinerne Geſicht?

Und Jenen ſieh: vergiftet iſt ſein Blut,

Peſtbeule außen, drinnen Höllenglut;

„Stirb an Dir ſelbſt, Tyrann! zu rein für Dich

Iſt einer Corday keuſcher Meſſerſtich.“

Genug! Du aber Fürſt, deß Blicke eben

Scheu wieder ſich zum Wandbild dort erheben,

Du Kaiſerneffe, der im Herzen ſtill

Noch immer rechnet: ob’s nicht werden will?

[296]
Und über ſich und ſeine Welt vergißt,

Daß rings die Welt ein drohnder Krater iſt, —

Sag an, wenn jener Schreckenszeit Geſtalten

Bluthochzeit wieder in den Gaſſen halten,

Biſt Du’s dann, der das losgelaſſne Thier

Voll Ruh empfängt, des Sieges ſicher ſchier,

Und eh’s in Blut ſich voll und ſatt geſchlürft,

Das Fangſeil raſch ihm über’n Nacken wirft, —

Biſt Du’s? — Du ſchweigſt; der Kaiſer aber ſpricht

Von ſeiner Wand herab: „er iſt es nicht!“

Appendix A

Druck von W. G. Korn in Breslau.


[][][]
Notes
*)
Ein Fabrikarbeiter in Mancheſter.
*)
Wilhelm Krauſe ſtarb zu Malaga 1842.
*)
Franz Lißzt wurde gerade damals im Triumph durch
die Straßen gezogen.
*)
Ich gebe auch jetzt noch das vorſtehende Lied.
An der Sache Schleswig-Holſteins verzagen, hieße an
Deutſchland ſelbſt verzweifeln. Der Verf.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Gedichte. Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjs1.0