und die
gluͤckſeeligen Inſeln.
Italiaͤniſche Geſchichte
aus dem ſechszehnten Jahrhundert.
im Verlage der Meyerſchen Buchhandlung1787.
Es iſt eine Luſt, in den Italiaͤniſchen
Bibliotheken herum zu wuͤhlen:
man ſpuͤrt auch in den geringeren zuweilen
unbekannte Handſchriften auf. Ob ich an
dieſer, von welcher ich hier die getreue
Ueberſetzung liefre, einen guten oder ſchlech-
A 2ten
[4] ten Fund gethan habe, mag jeder Leſer fuͤr
ſich beſtimmen. Ich entdeckte ſie bey Cajeta
in einer verfallnen Villa, die auf einer
reizenden Anhoͤhe den zaubriſchen Meer-
buſen beherrſcht, unter alten Buͤchern und
Papieren; als ich mit einem jungen Roͤ-
mer einen gluͤcklichen Herbſt dort zubrach-
te, waͤhrend er die Verlaſſenſchaft ſeines
Oheims in Beſitz nahm.
Sollte verſchiedenen, wegen Ferne
des Landes und der Zeit, einiges dunkel
oder zu gelehrt vorkommen: ſo koͤnnen ſie
ſolches bequem uͤberſchlagen, und ſich
blos an den Faden der Begebenheiten
halten; in der Natur ſelbſt muͤſſen die
Weiſeſten manches ſo vorbeigehn.
[5]
Vielleicht findet mein Freund noch
anderswo das uͤbrige der Geſchichte; aus
Familien-Nachrichten ſcheint Fiordimo-
na, die man darin kennen lernen wird,
ihre Tage beſchloſſen zu haben.
Der Verfaſſer ſetzt ſeiner Schrift fol-
gende Fabel vor, um ſinnlich zu machen,
daß auch das nuͤtzlichſte unſchuldiger Weiſe
ſchaͤdlich ſeyn kan.
„Ein waͤchſerner Hausgoͤtze, den
man außer Acht gelaſſen hatte, ſtand
neben einem Feuer, worin edle Cam-
paniſche Gefaͤße gehaͤrtet wurden, und
fing an zu ſchmelzen.
Er beklagte ſich bitterlich bey dem
Elemente. Sieh, ſprach er, wie grau-
A 3ſam
[6] ſam du gegen mich verfaͤhrſt! jenen gibſt
du Dauer, und mich zerſtoͤrſt du!
Das Feuer aber antwortete: Be-
klage dich vielmehr uͤber deine Natur;
denn ich, was mich betrift, bin uͤberall
Feuer.“
Geſchrieben im December 1785.
[[7]]
Erſter Theil.
A 4
[[8]][[9]]
Wir fuhren an einem Tuͤrkiſchen Schiffe
vorbey, ſie brannten ihre Kanonen
los: die Gondel wankte, worin ich aufgerichtet
ſtand; ich verlor das Gleichgewicht, und
ſtuͤrzte in die See, verwickelte mich in
meinen Mantel, arbeitete vergebens, und ſank
unter.
A 5Als
[10]
Als ich wieder zu mir gekommen war, be-
fand ich mich bey einem jungen Menſchen, wel-
cher mich gerettet hatte; ſeine Kleider lagen von
Naͤſſe an, und aus den Haaren troff das Waſ-
ſer. „Wir haben uns nur ein wenig abge-
[kuͤhlt!“ ]ſprach er freundlich mir Muth ein; ich
druͤckte ihm die Haͤnde.
Das Feſt war fuͤr uns verdorben. Meine
vorigen Begleiter eilten nun von dannen. Wir
ließen den Bucentoro zwiſchen tauſend Fahr-
zeugen, unter dem Donner des Geſchuͤtzes von al-
len Schiffen, aus den Haͤfen in die offne See ſte-
chen, und den Dogen ſich mit dem Meere ver-
maͤhlen; und er brachte mich mit ſeinem Fuͤh-
rer nach meiner Wohnung.
Hier ſchied er von mir, ohne daß er mir
weder ſein Quartier, noch ſeinen Namen ſagen
wollte; blos aus der Mundart bemerkte ich, daß er
ein Fremder war: jedoch verſprach er, mich bald
zu beſuchen. Wir umarmten uns, und mir
wallte
[11] wallte das Herz, es regte ſich eine Gluth darin-
nen. Seine Jugend ſtand eben in ſchoͤner
Bluͤthe, und um Mund und Kinn flog ſtark
der liebliche Bart an; ſeine friſchen Lippen
bezauberten im Reden, und die Augen ſpruͤhten
Licht und Feuer; groß und wohlgebildet am gan-
zen Koͤrper, mit einer kuͤhnen Wildheit, erſchien
er mir ein hoͤheres Weſen.
Sein Bild wich den ganzen Tag nicht aus
meiner Seele; ich konnte weder eſſen noch trin-
ken, und vor Ungeduld nicht bleiben.
Abends war Gondelrennen, das auf der
See, was Wettlauf auf dem Lande; wodurch
unſre Leute zu muthigen Schiffern ſich bilden: ein
Spiel, wo Staͤrke, Gewandheit, und Fuͤhrung
des Ruders den Preis davon traͤgt, und welchem
nur ein Pindar fehlt, es wie die Olympiſchen zu
verherrlichen. Der ganze große Kanal ſchaͤumte
und war Getuͤmmel von ſchoͤnem Leben; die
Fenſter der Pallaͤſte prangten mit ihren Tapeten,
und
[12] und die untergehende Sonne glaͤnzte daraus wie-
der in unzaͤhlbaren frohlockenden Geſtalten.
Ich fuhr an den Markusplatz, und gieng
darauf in Gedanken herum, bis die Nacht ein-
ſank, und ihre Kuͤhle verbreitete; die Erleuchtung
der Buden mit den Koſtbarkeiten der Meſſe gab
eine neue Augenweide. Ich blickte in verſchie-
dene Weinſchenken unter den Hallen; in einer
duͤnkte mich, den jungen Mann geſehen zu haben,
der mich ſo großmuͤthig der Gefahr entzog. Ich
kehrte ſogleich um, und ging in meiner Maske
hinein.
Es war der Verſammlungsort der Kuͤnſt-
ler, und ich hatte recht geſehen. Sie ſchienen
im Streite zu ſeyn. Paul von Verona fuͤhrte
das Wort, und ſagte:
„Wer uͤber ein Kunſtwerk am richtigſten
urtheilen kan? Ich glaube, wer die Natur am
beſten kennet, die vorgeſtellt iſt, und die Schran-
ken der Kunſt weiß. Ich verachte die Elenden,
die
[13] die von einem Manne von Geiſt und Welt verlan-
gen, daß er ein Schmierer, wie Sie, ſeyn ſoll, eh er
uͤber ein Gemaͤhlde urtheilen will: das komiſche
Approbatum ſogar, welches die teutſchen Roß-
taͤuſcher an die Pferde vor der Markuskirche
mit ihren Namen ſchrieben, gilt mir zum Exem-
pel mehr hier, als jener ganzer Troß; in Stu-
tereyen gebohren und erzogen, fuͤhlten ſie die herr-
liche lebendige Pferdsnatur, und wie jeder von
den vier jungen muthigen Hengſten ſeinen eigenen
Charakter hat, die Vortreflichkeit ihrer Koͤpfe,
und wie ſie ſchnauben und ungeduldig ſind, daß
ſie im Zuͤgel gehalten werden, lernt man durch
kein bloßes Gekritzel von Zeichnung. Selbſt der
groͤßte Mahler, der immer auf feſtem Lande leb-
te, kan uͤber kein Seeſtuͤck urtheilen; und der
erſte beſte Sultan, der liebt, und noch Kraft in
den Adern hat, darf eher ſprechen aus ſeinem
Serail uͤber eine nackende Venus von unſerm Al-
ten, als der fromme Fra Bartolommeo.“
„Wahr!
[14]
„Wahr! verſetzte ein andrer, der deutlichen
hellen und volltoͤnigen Ausſprache nach, ein Roͤ-
mer; aber der Geſchmack koͤmmt nicht von ſelbſt.
Man muß erſt wiſſen, was Kunſt iſt, und den
Vorrath der Kunſtwerke mit Naturerfahrnem
Sinn gepruͤft haben: ſonſt geht der Prozeſſion
mit der Madonna von Zimabur hinter drein,
und bejubelt ſie als das non plus ultra. Die Leute
glauben, es waͤre nicht moͤglich etwas beſſers zu
machen, weil ſie nichts beſſers geſehen haben;
und denken, wie ihnen zu Muthe waͤre, wenn ſie
den Pinſel in die Hand nehmen ſollten. Daher
alle die albernen Urtheile von ſonſt ſehr geſcheidten
und gelehrten Maͤnnern uͤber die Kuͤnſtler der vo-
rigen Zeit; ſie ſchwatzten gleich vom Zeuxis und Apel-
les, weil ſie platterdings von dieſen Namen
keinen ſinlichen Begriff hatten. Und ſo wirds
bey den Auslaͤndern, wo die Kunſt anfaͤngt,
und die Meiſterſtuͤcke nicht vorhanden ſind, mit
euch und Titian und Raphael ergehen; ihr werdet
eben ſo gemißbraucht werden“.
„Und
[15]
„Und dan[n] muß man gewiß mehr als ein
Werk und viel von einem Meiſter geſehn haben,
ehe man nur ihn recht kennen lernt. So gehts
auch mit den Menſchen uͤberhaupt; die treflichen
muß man ſtudiren. Es iſt nichts eitler und
thoͤrichter, als die Reiſenden und Hofſchran-
zen, die einen wichtigen Mann gleich beym er-
ſten Beſuch und Geſpraͤch weg haben wollen.“
Doch, um nicht auszuſchweiffen! Keiner
kann einen Theil vollkommen verſtehen, ohne
vorher einen Begriff vom Ganzen zu haben, und
ſo wieder umgekehrt. Jedes einzelne Gemaͤhl-
de zum Beyſpiel macht folglich einen Theil von der
geſammten Mahlerey, ſo wie ſie gegenwaͤrtig in
der Welt iſt; und man muß wenigſtens ihr Be-
ſtes uͤberhaupt kennen, ehe man dem Einzelnen
ſeinen Rang anweiſen will.“
Mein Junger Mann erwiederte jetzt mit
Feuer:
„Ich
[16]
„Ich mag nicht beſtimmen, in wie ferne
der Herr Recht hat. Das Geraͤuſch der Meſſe
um uns erlaubt keine nuͤchterne Berathſchlagung;
ich glaube, Meiſter Paul hat das Seinige geſagt,
damit, daß ein befugter Richter noch die Gren-
zen der Kunſt kennen muß.“
„Allein, ihr Lieben, jede Form iſt indi-
viduell, und es gibt keine abſtrakte; eine bloß
ideale Menſchengeſtalt laͤßt ſich weder von Mann
noch Weib, und Kind und Greis denken. Eine
junge Aspaſia, Phryne, laͤßt ſich bis zur Lie-
besgoͤttin oder Pallas erheben, wenn man die ge-
hoͤrigen Zuͤge mit voller Phantaſie in ihre Bildun-
gen zaubert: aber ein abſtraktes bloß vollkommnes
Weib, das von keinem Klima, keiner Volksſitte et-
was an ſich haͤtte, iſt und bleibt meiner Meinung
nach ein Hirngeſpinſt, aͤrger als die abentheurlichſte
Romanheldin, die doch wenigſtens irgend eine
Sprache reden muß, deren Worte man ver-
ſteht.“
„Und
[17]
„Und ſolche unertraͤglich-leere Geſichter und
Geſtalten nennen die armſeeligen Schelme, die
weiter nichts als ihr Handwerk nach Gipſen er-
lernt haben und treiben, wahre hohe Kunſt; und
wollen mit Verachtung auf die Kernmenſchen
herunter ſchauen, die die Schoͤnheiten, welche
in ihrem Jahrhundert aufbluͤhten, mit leben-
digen Herzen in ſich erbeutet haben.“
„Dies iſt der wahre Weg, beſchloß der Roͤ-
mer. Inzwiſchen kan man uͤber nichts urthei-
len, wovon man kein Ideal hat; und dieß ent-
wirft der Verſtand mit der Wahl aus Vielem.“
Hier trennte ſich die Geſellſchaft; Paul
ging weg, und nahm den Juͤngling in Arm.
Ich folgte nach. Sie zogen den Platz ein paar-
mal herum, und hoͤrten da und dort der Muſik
und den Scherzen luſtiger Truppen zu. Beym
Eingang in die Merceria verließ ihn endlich
Paul; ich nahm meine Maske ab, und machte
mich an ihn.
BEr
[18]
Er erkannte mich gleich, und freuete ſich,
daß mein Zufall keine ſchlimme Folgen gehabt
haͤtte. Ich bezeugte ihm von neuen meine Dank-
barkeit, und wuͤnſchte ihm irgend worin fuͤr ſeine
edle That Dienſte leiſten zu koͤnnen.
Dieß ſetzte ihn in [Verlegenheit. „Was]
hab ich gethan, erwiederte er, das ich nicht bey
jedem andern Erdenſohn gethan haͤtte? haͤtte thun
muͤſſen? Wie mancher Bube hohlt ſo ein Stuͤck
Geld vom Sand aus der Tiefe, und ſtuͤrzt ſich
noch oben drein von Hoͤhen in die Fluht. Uerber-
triebnes Lob fuͤr Schuldigkeit macht die Men-
ſchen feig und eitel. Das iſt ein elendes Volk an
Heldenmuht und Verſtand, wo bey jeder Kleinig-
keit eine Ehrenſaͤule muß aufgerichtet werden.
Was geſchehen iſt, ſey geſchehen!“
„Groß auf ihrer Seite, verfuͤgt ich; und
gewiß iſt der Rettende ſchon in ſich der goͤttliche.
Inzwiſchen glaub ich aber doch, daß die Dankbarkeit
das feſteſte und ſanfteſte Band der Geſellſchaft ſey;
und
[19] und auch ein wenig Ausſchweifung darin eine
Nazion immer liebenswuͤrdig, und den wackern
Maͤnnern derſelben das Leben froher mache“[.]
Er ſah mich hierbey mit einem neuen ſee-
lenvollen Blick an, und wir faßten uns trauli-
cher. Ich bat ihn inſtaͤndig, dieſen Abend bey
mir zu bleiben; und wir ließen uns am Broglio
uͤber den Kanal ſetzen.
Wir aßen und tranken, und das Tiſchge-
ſpraͤch wurde immer lebendiger, ſo bald die Be-
dienten uns verlaſſen hatten. Der erſte Vor-
wurf war der heutige Tag. Er ruͤhmte die Klug-
heit unſers Senats, daß ſie ſich aus dem bitter-
boͤſen Kriege nach dem Buͤndniſſe bey Cambray,
und jetzt aus dem Ueberfalle der ganzen Tuͤrki-
ſchen Macht ſo glorreich gezogen haͤtten, und in der
alten Wuͤrde noch mit dem Meere vermaͤhlen koͤnn-
ten. Nur that es ihm leid, daß der Cyperwein
in Italien nun ſeltener und theurer werden wuͤrde.
B 2„Wir
[20]
„Wir ſind unter vier Augen, erwiedert ich,
um ihm das etwannige Mißtrauen gegen einen No-
bile zu benehmen; denn ich fuͤhlte den Zug der
Liebe unwiederſtehlich. Nach jenem ungluͤckſeli-
gen Bunde war ein arger Staatsfehler nur ei-
niger maßen wieder gut gemacht, den man vorher
haͤtte vermeiden muͤſſen. Und auch jetzt wuͤrden wir
das ſuͤße Koͤnigreich, die Inſul der Liebe, nicht
eingebuͤßt haben, wenn man dem Sultan, als
der Silen noch Statthalter in Cilicien gegen-
uͤber war, einige Faͤſſer von ihrem Nektar wohl-
feiler vergoͤnnte; und die chriſtlichen Freybeuter
mit ſeinen weggekapperten ſchoͤnen Knaben und
Sclavinnen nicht allzu ſicher zu Famauguſta in
der Nachbarſchaft einliefen.“
„Unſre Braut ſcheint uns uͤbrigens nicht
mehr ſo treu bleiben zu wollen, wenn man auf
Vorbedeutungen gehen darf. Sie wiſſen, daß
das Feſt ſchon vorgeſtern ſollte gehalten werden;
aber die wilde Goͤttin weigerte ſich, war Auf-
ruhr
[21] ruhr und ſtuͤrmte, und warf ein Duzend ertrunk-
ner Schiffbruͤchigen zum großen Kanal herein bis
an den Pallaſt des alten Dogen. Pabſt Alexan-
der der dritte, der noch Gewalt uͤber die muhtwilli-
ge hatte, iſt leider laͤngſt geſtorben; und Ko-
lumb, der Held, deſſen Genua nicht werth war,
und andre welſche Piloten haben dem Portugie-
ſiſchen Heinrich und den Kaſtilianiſchen Fuͤrſten
die wahre Amphitrite ausgekundſchaftet, woge-
gen unſre nur eine Nymphe iſt. Und uͤberhaupt
gibt ſie ſich nur den Tapfern und Klugen preis,
wie alle freye Schoͤnheit, und es hilft da keine
Ceremonie. Wir haͤtten uns beſſer um unſre
Braut bewerben ſollen, anſtatt uns um Stein-
haufen viel zu plagen, nachdem ſie uns einmal
guͤnſtig war.“
„Vielleicht iſt dieß Schickſal, antwortete er
ſchalkhaft-bitter; ihr Doge vermaͤhlt ſich ver-
muhtlich nicht umſonſt ſo oft, und traͤgt von
jeher die Phrygiſche Muͤtze mit Hoͤrnern! und
B 3dann
[22] dann iſt ſo eine Ceremonie gut fuͤrs Volk, und
macht ihm Muht; und was einmal ſo praͤchtige
Gewohnheit iſt, laͤßt ſich ſo leicht nicht
abſchaffen. Ihr Herren thut vielleicht bald
wieder einen andern Fang im Archipelagus,
und fiſcht ein neues Koͤnigreich. Es iſt genug,
daß man eins hundert Jahre lang ruhig beſitzt.
Dreymal hundertauſend Zecchinen kann man her-
nach leicht fuͤr den Genuß bezahlen; drey tau-
ſend Zecchinen fuͤrs Jahr war die Reſidenz der
Venus ſelbſt wohl unter Bruͤdern wehrt. Dieß
hat euch eine Venezianerin vermacht, als ihr
Gemahl der Koͤnig ſtarb, und ſeine Kinder, eins
nach dem andern, kurz darauf in eurer Stadt:
nun iſt die Reihe an euch Juͤnglingen, eine
Koͤnigin in Oſten zu heirathen *).
Die-
[23]
Dieſer Stachel ſchnitt ein, und verwun-
dete mein damals noch all zu pahrtheyiſch-vater-
laͤndiſches Herz. Mir geſchah, als ob ich vor der
Zeit vernuͤnftig geweſen waͤre; doch gefiel mir
uͤberaus ſeine Freymuͤthigkeit gegen mich. Er be-
merkte mit ſcharfem Blicke gleich das Unheimliche,
und fuhr fort: „aber wir ſind doch immer in Ve-
nedig, und die [Mauern] haben da Ohren; ſprechen
wir von etwas anderm!“
Nach einer kleinen Stille fing er [an: „ich]
muß ihnen doch etwas von mir ſagen, damit
ſie wiſſen, wer ich bin, und wie ich mit andern
zuſammenhange.“
„Ich bin ein Mahler aus Florenz, und
halte mich hier auf, um nach den Toskaniſchen
Gerippen mich am Venezianiſchen Fleiſche zu wei-
B 4den.
*)
[24] den. Tizian hat den weſen[t]lichen Theil von der
Mahlerey, ohne welchen alles andre nicht beſte-
hen kan. Es iſt freylich da, aber ungeſund und
ſiech; ſeys noch ſo himmliſch und vortreflich, oder
als Gaukelſpiel ohne Wahrheit. Wer nicht wie
Tizian zu Werke ſchreitet, wird auch nie ein
wahrhaftig großer Mahler werden. Die allge-
meine Stimme entſcheidet hier, nicht die Kuͤnſt-
ler. Tizian ergreift alle, die keine Mahler
find; und dieſe ſelbſt im Hauptſtuͤcke der Mah-
lerey, welches platterdings die Wahrheit der
Farbe iſt, ſo wie die Zeichnung der weſentliche
Theil der Zeichnung. Mahlen iſt Mahlen: und
Zeichnen Zeichnen, Ohne Wahrheit der Farbe
kann keine Mahlerey beſtehen; eher aber ohne
Zeichnung.“
„Wenn ich als Laye bey euch ſtrengen Herren
ein Wort reden darf, fiel ich ein, ſo mag ihnen
das Venezianiſche Fleiſch nach den Knochen und
Seh-
[25] Sehnen des Michel Angelo deſto beſſer ſchmecken
und bekommen.“
„Dieß iſt lauter Sophiſterey, antwortete
er. Der Mahler gibt ſich mit der Oberflaͤche ab,
und dieſe zeigt ſich blos durch Farbe; und er hat
mit dem Weſentlichen der Dinge im eigentlichen
Verſtande wenig zu ſchaffen. Wer ſich einmal
in dieſe Grillen verliert, kann ſo leicht nicht wie-
der herauskommen. Das Zeichnen iſt bloß ein
nohtwendig Uebel, die Proporzionen leicht zu
finden: die Farbe, das Ziel, Anfang und Ende
der Kunſt. Es verſteht ſich, daß ich hier vom
Materiellen ſpreche. Dem Geruͤſte den Rang
uͤber das Gebaͤude geben zu wollen, iſt ja laͤcher-
lich; dem Zeichen, welches menſchliche Schwach-
heit erfand, vor der Sache ſelbſt, wenn ich ſo
reden darf. Das Hohle und das Erhobne, Dunkle
und Helle, das Harte und Weiche, und Junge
und Alte, wie kann man es anders herausbrin-
gen, als durch Farbe? Form und Ausdruck kann
B 5nicht
[26] nicht ohne ſie beſtehen. Die ſchaͤrfſten und
ſtrengſten Linien, ſelbſt eines Michel Angelo,
ſind Traum und Schatten gegen das hohe Leben
eines Tizianiſchen Kopfs. Profile kann jeder
Stuͤmper abnehmen, da braucht ſich der andre
nur vors Licht zu ſetzen, richtiger als ſie ein Ra-
phael aus freyer Hand zeichnet; aber das Lebendige
mit allen den feinen Tinten in ihrer Vermiſchung,
und ſchwindenden Umriſſen, die keine bloße Linie
faßt: da gehoͤrt Auge und Gefuͤhl dazu, das die
Natur nur wenigen gab. Wer ſich einmal an
das Leichte gewoͤhnt, der koͤmmt mit dem Schwe-
ren gar ſelten fort“*).
„Sie
[27]
„Sie moͤgen im Grunde Recht haben, ver-
ſetzt ich darauf; nur verfaͤllt man bey ihrer Art
leicht in den Fehler, daß man ſich allzu ſehr an das
Materielle haͤlt, und das Geiſtige daruͤber au-
ßer Acht laͤßt. Inzwiſchen moͤchte ihnen der Roͤ-
mer, wahrſcheinlich war es einer dieſen Abend
im Weinhauſe, was ſie ſagten, ſcharf beſtreiten.[“]
„Der Vorurtheile ſind noch mehr in der
Kunſt, die eben ſo hartnaͤckig verfochten werden,
ſprach er ferner. Was das Geiſtige betrift, das
lernt ſich und verlernt ſich nicht; da gehoͤrt gu-
ter Inſtinkt aus Mutterleibe dazu, und vollkom-
mene Gegenſtaͤnde von außen herum. Deuten
und hinfuͤhren kann man wohl; aber wo kein
Zug,
*)
[28] Zug, keine innere Richtung iſt, koͤmmt lauter Ma-
nier hervor, dem Menſchen, der ſeinen Durſt
loͤſchen will, ſo viel als Nichts, und uͤberdrein
vergebliche Muͤhe; denn er hat ſich an den leeren
Schein hinbemuͤhen und unterſuchen muͤſſen.
„Der Roͤmer hat viel Verſtand; nur mah-
len ſoll er nicht: er haͤtt ein Schriftſteller wer-
den ſollen; jetzt aber iſt er einmal im Geleiſe und
ſchwatzt ſich durch. Dieſer ahmt eine Natur
nach, welche nur noch in Steinen exiſtirt, eine
Natur ohne Farbe mit Farbe: und will taͤuſchen!
eine feſte ſtarre Bewegung von den Millionen Le-
bendigen, die immer um uns herum entſtehen! weil
es freylich jederman leichter, und dem ſchachmat-
ten Stubenſitzer bequemer iſt, einen breternen
Hirſch zu ſchießen, als einen, der durch die
Waͤlder ſtreift und uͤber Buͤſche und Graͤben
ſetzt; zumal da wir heutiges Tags meiſt verbotene
Jagd haben.“
„Er hat ein langes und breites an der
Hochzeit zu S. Giorgio Maggiore von un-
ſerm
[29] ſerm herrlichen Paul getadelt. Chriſtus mit
ſeinen Apoſteln ſitzt freylich im Mittelgrund
am Tiſche ziemlich unbedeutend; und ſie ſind
bloß deßwegen da, weil ſie da ſeyn muͤſſen, weil
wir andern Menſchenkinder uns keinen [ſinnli-
chen] Begriff von den Geſtalten dieſer Wunder-
maͤnner machen koͤnnen.
„Die Hauptſache aber bleibt immer der
Schmaus, das Feſt, und der Wein uͤber alle
Weine; erſte erfreuliche Bekraͤftigung unſrer Re-
ligion nach dem Johannes. Und in dieſer Ruͤck-
ſicht iſt das Stuͤck voll Laune, und die Bege-
benheit darin erzehlt, wie eine ſpaniſche Romanti-
ſche Novelle. Die Hauptfiguren ſind ein Tiſch
mit Spielleuten, die auf lieblichen Inſtru-
menten Muſik machen. Paul ſelbſt ſpielt
eine Geige der Liebe; Tizian den Regenten der
Harmonie, den Baß; Baſſano, Tintorett ande-
re Inſtrumente. Sie ſind meiſterhaft gemahlt,
haben trefliche Geſtalten, paſſenden Ausdruck,
und ſind ſchoͤn gekleidet. Am Tiſche der Braut
iſt
[30] iſt eine [Sammlung] der erſten Menſchen dieſer
Zeit, alles voll Chronikwahrheit und Laune;
ſie muͤſſen ihm das Drama auffuͤhren. Die Luft
im Hintergrunde iſt gar leicht und heiter. Archi-
tektur, Gefaͤße und Speiſen verzieren ſehr gut.
Die Beleuchtung breitet das Ganze auseinan-
der, und ſcheinet vollkommen natuͤrlich. Wer
ſieht ſo etwas nicht gern, und weidet ſeine Au-
gen daran!“
„Derſelbe hat groß Aergerniß genommen an
der Verletzung des Koſtums in der Familie des
Darius beym Alexander mit ſeinem Helden;
und bejammert, daß ſo viel Herrlichkeit dadurch
geſtoͤrt werde.“
„Sie kennen das Stuͤck zu gut, da es bey
ihren Verwandten ſich befindet. Man kann es
den Triumph der Farben nennen; mehr Harmonie,
mehr Pracht, mehr Lieblichkeit iſt nicht moͤglich
ſchier zu zeigen. Außerdem herrſcht noch Wahr-
heit in allen Koͤpfen, die meiſtens Protraͤte
ſind. Wenn man nicht an die alte Geſchichte
denkt,
[31] denkt, und glaubt, es waͤre der Sieg eines
Helden der neuern Zeiten: ſo iſt es ein wahrhaf-
tes Meiſterſtuͤck durchaus. Die Architektur im
Hintergrunde gibt den Ton zum Ganzen; und es
gehoͤrte ſo tiefes Gefuͤhl im Auge von Farbe,
Pracht und Harmonie derſelben dazu, wie Paul
hatte, um auf einem ſolchen weißen Grunde die
Geſichter und Stoffe ſo hervorgehen und leben zu
laſſen. Die Gruppe der vier weiblichen Figu-
ren, die der Alte in eine Pyramide bringt, iſt
durchaus reizend, die Geſichter lebendig, und
von wunderbarer Friſchheit. Alexander hat ei-
nen ſchoͤnen Juͤnglingskopf, der freylich eher
Weibern gefallen kann, als die Welt bezwingen.
Daß er ganz bis auf die Fuͤße von oben herab in
Purpur uͤberein gekleidet iſt, macht zwar einen
großen rothen Fleck bey laͤngrer Betrachtung;
doch hebt es ihn als Hauptfigur hervor. Sie
ſehen, daß im Wein die Wahrheit liegt! aber
Paul kann ſie vertragen. Parmenion hat einen
herr-
[32] herrlichen Kopf, und ein zauberiſches gelbes Ge-
wand; die Princeſſinnen haben ſchoͤn geflochten
blondes Haar. Und welche Menge Figuren, wie
auf der Hochzeit, faſt alle in Lebensgroͤße! Man
kann dies wohl das praͤchtigſte und zauberiſcheſte
Gemaͤhlde nennen, was Farben betrift; mit jedem
Blicke quillt neuer Genuß daraus fuͤrs Auge;
naͤchſt dem noch goͤttlichern und reichern Hingang
zum Tempel der Madonna als Kind in der
Scuola della Carità von Tizian, dem Triumph
aller Mahlerey. Sie werden lange unuͤbertrof-
fen bleiben, und einzeln in der Welt daſeyn.[“]
„Die Vernachlaͤßigung des Koſtums iſt eigent-
lich ein Fehler fuͤr die Antiquaren; denn der gro-
ße Haufe weiß nichts davon und merkts nicht.
Freylich waͤre es beſſer, die Kuͤnſtler waͤhlten kei-
ne alte Geſchichten, wenn ſie Naturwahrheit
und Farbenpracht in den Gewaͤndern zeigen woll-
ten; griechiſche Geſtalt und leichte Kleidung iſt
uns ganz entruͤckt. O wie verlangt mein Herz,
jene
[33] jene gluͤckſeligen Inſeln und das feſte Land auf
beyden Seiten noch heut zu Tag zu ſehen, und
wie das heitre milde Klima noch jetzt dort das
Lebendige bildet! Ach, wir ſind ſo weit von der
Natur abgewichen, und von der wahren Kunſt
zuruͤck, daß wir faſt insgeſammt einen bekleide-
ten Menſchen fuͤr ſchoͤner halten, als einen nackten!
Das koſtbarſte, praͤchtigſte, feinſte und niedlichſte
Gewand iſt fuͤr den aͤchten Philoſophen, und das
Weſen, das nach klarem friſchen Genuß trach-
tet, ein Flecken, eine Schale, die ihn hemmt
und hindert.“
„Haͤtt ich ſie doch damals ſchon gekannt,
ſagt ich ihm hierauf, als ich dieſen Zug begann:
ſo waͤr ihr Wunſch erfuͤllt! So wie ſie mich
hier ſehen, hab ich dieſes alles ſchon durchwan-
dert; leider zu fruͤh. Mein Vater nahm mich
mit ſich nach Griechenland, wohin er von der
Republik abgeſchickt wurde; und ich blieb mit
ihm daſelbſt drey Jahre; das beſte, was ich zu-
Cruͤck-
[34] ruͤckgebracht habe, iſt Kenntnis des Griechiſchen;
ich leſe das alte ziemlich gelaͤufig, und ſchreibe und
ſpreche das neue.“
Hier ſprang er auf vor Freuden, ganz au-
ßer ſich, ſo daß die Glaͤſer vom Tiſche flogen,
und [rief: „o] gluͤcklicher, ſeltner, wunderba-
rer Zufall! ſo jung und ſchoͤn, und voll Verſtand und
Erfahrung! wir muͤſſen ewig Freunde ſeyn, und
nichts ſoll uns trennen; du biſt der Liebling mei-
ner Seele.“
So fiel er mir um den Hals. Uns ver-
ging auf lange die Sprache, und wir waren
zuſammengeſchmolzen durch Kuß und Blick und
Umarmung.
Endlich nahm er wieder das Wort, und [ſag-
te: „hier] iſt nichts als wir! und alles andre in
der Welt ſteht uns nur da zum Dienſt.“
Ich war ganz erſchuͤttert, durchbrannt von
ſeinem Feuer, ſeiner Heftigkeit. Es wurde uͤber-
haupt
[35] haupt wenig mehr geſprochen, außer unzuſam-
menhangende Reden im lyriſchen Taumel, Ac-
cente der Natur. Wir gluͤhten beyde von Wein
und Leidenſchaft: er riß ſich los, ſchon ſpaͤt in
der Nacht, mit den Worten: „Morgen ſind
wir wieder beyſammen“.
Ich legte mich zu Bette. Herz und Seele
und alles in mir war wie ein Bienenſchwarm,
ſo ſummſend, ſtechend heiß, und ungeduldig;
ſchlummerte wenig Stunden, und fuhr oft dazwi-
ſchen auf.
Den andern Morgen kam er bey guter Zeit.
Mich uͤberlief bey ſeinem Anblick ein leichter
Schauder vor ſeinem geſtrigen Ungeſtuͤm; aber
er erſchien mir von neuem ſo liebenswuͤrdig, daß
ich hingeriſſen wurde, und dem unwiederſtehli-
chen Zuge nachfolgte.
Ich hatte noch keinen Menſchen gekannt,
mit welchem ich ſo zuſammenſtimmte, in der Art
C 2zu
[36] zu empfinden und zu handeln; nur war er rei-
cher und ſtaͤrker an Natur als ich, ſeine Seele
voller, aber auch unbaͤndiger, und ſeine Geburt
warf ihn in andre Umſtaͤnde, unter andre Men-
ſchen, in eine andre Laufbahn. Wer einen
Freund ohne Fehler finden will, der mache ſich
aus dieſer Welt heraus, oder geh in ſich ſelbſt
zuruͤck; die Vollkommenheit erſcheint hienieden
mir in Augenblicken, und dieſe allein ſind unſer
Genuß. Ein großer Geiſt, ein edel Herz
wiegt manches Laſter auf, wohinein uns die
Schlechtigkeit buͤrgerlicher Verfaſſungen ſtuͤrzt.
„Wir ſchieden geſtern von einander wie im
Rauſche; trat er ins Zimmer. Gluͤck iſt die
groͤßte Gabe, die Sterblichen zu Theil werden
kann, nur muß man es mit Verſtand brauchen.“
Nachdem wir einigemal ſtillſchweigend auf-
und abgegangen waren, fragte er [mich: „habt] ihr
nie etwas von Kunſt getrieben?„ Ich antwortete
ihm, daß ich nach der hieſigen Erziehung zeich-
nen
[37] nen gelernt haͤtte, Augen, Maͤuler, Naſen,
Ohren und Geſichter, und Haͤnde und Fuͤße nach
Vorſchriften; im Grunde ſo viel als Nichts: denn
bis zum eigentlichen Lebendigen waͤr ich nicht
gekommen; welches mir herzlich Leid thue! mich
reize ſie unendlich, und ich moͤcht es gern darin
bis zu einer gewiſſen Fertigkeit fuͤr mein eigen
Vergnuͤgen gebracht haben. Jetzt mach ich nur
noch zuweilen die Hauptumriſſe ſchoͤner Gegenden,
der Erinnerung wegen.
„Da iſt noch nichts verloren, fuhr er fort;
wir wollen einander helfen. Alle Kuͤnſte ſind
verwandt; ſie zuſammen erhoͤhen und verſtaͤrken
die Gluͤckſeligkeit des Menſchen, bilden ſein Ge-
fuͤhl, mehr als alles, fuͤr die Schoͤnheiten der
Natur, und ſetzen ihn uͤber das Thier. Wie
fangen wir es am beſten an, damit ihr ſo ge-
ſchwind als moͤglich euch dieſe Fertigkeit erwerbt?
Ich denke, fuͤgt er ſcherzhaft hinzu, ihr braucht
mich zum Modell, nach kurzen Wiederhohlungen
C 3von
[38] von dem, was ihr ſchon wißt; ſo wie ich euch
dann zuweilen bey meiner Arbeit[.]“
„Im Griechiſchen hab ich mich hauptſaͤchlich
nur mit den Dichtern beſchaͤftigt, mit dem Ho-
mer, Pindar, Sophokles, Euripides, weil
mein Lehrmeiſter ſelbſt ein Dichter war; und
dabey aus den Geſchichtſchreibern nur die Be-
ſchreibungen der glaͤnzenden Siege uͤber die
Perſer geleſen. Die Schaͤtze der Weisheit im
Ariſtoteles, Plato, Xenophon kenn ich mei-
ſtens nur aus Geſpraͤchen und vom Hoͤrenſagen,
und habe wenig von den Quellen ſelbſt getrunken.
Wir koͤnnten damit manchen folgenden ſchoͤnen
Sommerabend uns himmliſch ergoͤtzen, wenn
euch dazu Zeit uͤbrig bliebe.“
Mein eifrigſtes Verlangen aber iſt, daß ihr
mich in dem noch Lebendigen dieſer Goͤtterſprache,
im Neugriechiſchen, unterrichten moͤchtet; damit ich
bald mit Bequemlichkeit, und groͤßerm Nutzen
und
[39] und Vergnuͤgen eine Wallfahrt beginnen koͤnne
nach dem aͤchten klaſſiſchen Boden.“
Ihr habt genug am Zeichnen, wie einer,
der ſelbſt kein Dichter werden, ſondern nur
die Meiſterſtuͤcke der Alten und Neuen in ihrer
ganzen Vollkommenheit faſſen will, an der Poe-
tik des Ariſtoteles. Jede Kunſt, bis zum letz-
ten Ziel erlangt, iſt etwas anders, und erfor-
dert eines Menſchen ganzes Leben. Fuͤr euch
ſolls nur Spiel ſeyn; ihr ſeyd zu Hoͤherm be-
ſtimmt, und muͤßt glaͤnzen, wie der Morgen-
ſtern in eurer Republick. Dieß wird immer
neuen Reiz in unſre Freundſchaft bringen, und
wir werden leben in der Natur, ſo viel uns mit
Sinnen, Phantaſie und Verſtand vergoͤnnt iſt.“
„Du erfuͤllſt mich mit Hofnung und Freude,
antwortet ich ihm. Mein Vater iſt jetzt in Dal-
mazien, und ich bin mit meiner Mutter allein
Sie zieht bald aufs Land, vielleicht noch dieſe
Woche. Die Gegend iſt eine der angenehmſten
C 4der
[04[40]] der ganzen Lombardey; das Gut, wohin wir
wollen, liegt am Lago di Garda, wo Katull,
vor welchem Caͤſar ſich neigte, zuweilen vom
Roͤmiſchen Taumel ausruhte. Er ſang vor dem
Ort:
Peninſularum, Sirmio, inſularumque
Ocelle, quascunque in liquentibus ſtagnis
Marique vaſto fert uterque Neptunus*).
„Willſt du mich begleiten: ſo werden wir
nach dem Pindar in die Burg des Kronos gelan-
gen, umweht von kuͤhlen Seeluͤften, wo in
ſchattigen Gaͤrten Goldblumen funkeln, dieſe der
Erd’ entſprießen, und anmuthigen Baͤumen,
andre aber der klare Bach erzieht. Wir wollen
mit
[41] mit ihren Angehaͤngen und Kraͤnzen uns die
Arme umflechten, und die Schlaͤfe umwinden.“
„Vorher aber muß ich dich meiner Mutter
vorſtellen; jedoch du mußt huͤbſch geſcheidt ſeyn.
Sie iſt eine gar gute Frau, die mich zaͤrtlich
liebt. Sie weiß ſchon, daß ein junger Menſch
mich aus dem Kanale gerettet hat, und es wird
ihr gefallen, daß du es biſt. Sie hat große
Freude an ſchoͤnen Madonnen; und wenn du
ihr eine in ihre Kapelle mahlſt und fromm biſt: ſo
haͤlt ſie dich wie ein Kind.„
Es gieng hierbey eine ſonderbare Bewegung
in ihm vor, die mir lange hernach erſt erklaͤrlich
wurde; er ſah mich an, neugierig mit heißen Bli-
cken, und fragte:„ alſo nicht weit vom Ausfluſſe
des Mincio iſt euer Landſitz?„
„Wenig davon, verſetzt ich.“ Darauf gieng
er nachdenkend einigemal mit mir auf und ab.
Endlich ſprach er:„ gut; ich reiſe mit euch, und
C 5mahle
[42] mahle deiner Mutter eine Madonna, wenn ich
ihr anſtehe. An Geſcheidtheit bey ihr ſolls hof-
fentlich nicht ermangeln.“
Es wurde beſchloſſen, ihn den Abend noch
ihr vorzuſtellen, bey Tiſche wollt ich alles ein-
lenken.
Hier ſchied er von mir. Ich brachte die Sache
vor; und meine Mutter wars gleich zufrieden,
ohne ihn noch geſehen zu haben, aus Willfaͤhrig-
keit gegen mich.
Mit ſchwellte aber die neue Bekanntſchaft
immer mehr das Herz; einen jungen Mahler
der Art hatt ich noch nicht gekannt. Ich war uͤber-
raſcht; es gieng alles ſo ſchnell fort, und ich konn-
te keiner gehoͤrigen Ueberlegung Raum geben.
Beym erſten Blick und Geſpraͤch ſchon ge-
fiel er meiner Mutter, wie ihr noch kein frem-
der gefallen hatte. Hier erfuhr ich, daß er ſich
Ardinghello nannte; ich hatte, voll von ihm, nicht
daran
[43] daran gedacht, ihn von neuem um ſeinen Namen
zu befragen. Er gab ſich hernach verſchiedne an-
dre; doch dieſer ſoll ihm hinfuͤhro bleiben.
Den folgenden Morgen ſah ich einige ange-
fangne Gemaͤhlde von ihm. Sein Lebendiges war
friſch und meiſterhaft in der Arbeit, und kam
dem Tizianiſchen ziemlich nahe; doch war es nicht
Manier, ſondern ſein eigen, und verſchieden
nach der Natur: wenig Gewand, das meiſte
nach dem Nackenden; Studien von Maͤdchenkoͤ-
pfen, voll Geiſt und Lieblichkeit, und Bruͤſten
und Leibern, und Ruͤcken, und Schenkeln und
Beinen, nackten Buben im Baden, Laufen und
Balgen. Fuͤr Bezahlung, ſprach er, und nach
andrer Belieben hat er noch nichts gemacht.„
Das weitre, fuͤgte er wie unbedeutend hinzu,
will ich dir einmal erzaͤhlen, wenn wir mehr
in Ruhe ſind.“
Er beſuchte die Tage darauf den alten Greis
Tizian noch einmal, und ſeine Freunde; und zu
Ende
[44] Ende der Woche reiſten wir ab. Meine Mut-
ter fuhr mit ihren Leuten voraus, und wir hin-
ter drein, weil wir zu Vicenza uns einen Tag
wegen der Gebaͤude des Palladio aufzuhalten ge-
dachten. Wegen des Griechiſchen nahm ich noch
die Buͤcher mit, die nicht in der Bibliothek auf
dem Gute ſich befanden; und er das noͤthige
Geraͤht zum Mahlen und Zeichnen.
Als wir eine Strecke vom großen Kanal
entfernt waren: ſetzte ſich Ardinghello aufs Ver-
deck der Barke, und blickte tief geruͤhrt nach der
Stadt mit unverwandten Augen; die Feuchtig-
keit trat hinein und ſein Herz ward erweicht.
Seine Seele ſchien zu ahnden, daß er ſie nie
wieder ſehen ſollte. So walzen die Schickſale
den Menſchen fort, wie die Fluhten des Meers
einen ſchwachen Truͤmmer! die Sonne war eben
aufgegangen, und die Thuͤrme, Kirchen, Pal-
laͤſte und Inſeln lagen da im duͤnnen Nebel.
Mir
[45]
Mir war wohl, daß ich heraus kam. Im
Winter iſt Venedig angenehm, weil die Men-
ſchen ſo enge beyſammen ſind, und alles zur Er-
goͤtzlichkeit treibt, Lage und Regierung; aber im
Sommer iſts ein ungeſunder und gefaͤhrlicher
Ort. Ein Eingebohrner kann die Wahrheit beſ-
ſer wiſſen, als ein Dichter aus Neapel. Es mag
der Natur nach ein ganz andrer Unterſchied ſeyn
zwiſchen Rom und Venedig; ob es gleich praͤch-
tig klingt:
Illam homines dices, hanc poſuiſſe deos*).
Wenn einer die Geſchichte kennt und da ge-
lebt hat, und es beym Ausfluſſe der Brenta vom
Ufer betrachtet: ſo ſieht es richtiger aus, wie ein
endlich ſichrer Zufluchtsort von dem Lande weg-
gepruͤgelter und weggeſcheuchter furchtſamen Ha-
ſen, die ſich hernach groß und zu gefluͤgelten Loͤ-
wen
[46] wen gemacht haben, als ihnen die Feinde uͤbers
Waſſer nicht nach konnten, und ſie von fern
ſicher ſehen mußten. Eine unuͤberwindliche Fe-
ſtung iſts gewiß, weil durch die Suͤmpfe vom
Land aus nichts anders als kleine Barken an-
laͤnden koͤnnen, [und] man von der See her in
die Haͤfen den Faden der Ariadne braucht; und
eben weil es unuͤberwindlich und unzukommbar iſt,
außer Verraͤtherey, traͤgt es, vom Meer um-
geben, eine gewiſſe Majeſtaͤt an ſich. Goͤtter
aber fluͤchten ſich nicht in Suͤmpfe. Inzwiſchen
hat Sannazar der reizenden Dichtung wegen ſei-
ne ſechs tauſend Ducaten doch verdient. Die Wahr-
heit bezahlt man ſelten ſo theuer.
Der große Doge Peter Ziani hat ſie gar
wohl erkannt, als er den kuͤhnen Entſchluß faßte,
noch zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts
eine neue Voͤlkerwanderung anzuſtellen. Kon-
ſtantinopel iſt ohne Streit ein gluͤckſeliger Plaͤtz-
chen auf dieſem [Erdboden]. Die Venezianer hat-
ten
[47] ten es damals mit den Franken eingenommen;
und wir beſaßen mehr von Griechenland als jetzt.
Er rieht mit ſtaͤrkern Gruͤnden, als je Demoſthe-
nes, dieſe Lagunen zu verlaſſen, und dort uns
anzupflanzen; und Dido und Aeneas waren
dagegen Luftgeſtalten.„ Wenn der Mond mit
ſeiner Ebbe und Fluht unſern Kanaͤlen das Waſ-
ſer entzieht, ſprach er im großen Rahte, der
Schlamm ſich zeigt, und ſeinen Geſtank ausduͤn-
ſtet: welche gute Naſe kann da vor Ekel auf den
Wegen bleiben? Sind nicht immer unſre Laza-
rethe voll, und die Jahr aus Jahr ein nicht von
dannen ſchiffen, wie gefangen? Ueberdieß haben
wir Erdbeben, noch außerdem, daß das Meer
oft herein ſtuͤrmt und unſre Ziſternen und Waa-
renlager verderbt. Und welch ein Wohnſitz, um
auszuhalten, wo nichts als ſchlechte Fiſche Nah-
rung gibt, weder Korn, noch Wein und Oel
waͤchſt, weder Baum hervorkoͤmmt, noch trinkbar
Waſſer quillt, wo alle Elemente verdorben ſind,
Waſ-
[48] Waſſer, Luft, und Erd und Feuer? und von al-
len Seiten Feindſchaft um uns her? Dort ſind
wir gleich in unſern Beſizungen, und welche
Ausſichten in die Zukunft!“
Jedoch uͤberwand ihn der Procurator von
S. Marco, der Greis Anzolo Falier unter
fuͤnfhunderten mit einer Stimme, indem er nach
dem Ariſtoteles behauptete: daß die Feſtigkeit,
ohngeachtet aller Uebel bey einer Hauptſtadt, der
gluͤcklichen Lage, ohne dieſelbe, vorzuziehen waͤre;
und daß gerade die Unfruchtbarkeit ein Volk zur
Tapferkeit zwaͤnge und uͤber andre erhoͤbe.
Darin beſtand unſre Unterhaltung bis nach
Padua; und Ardinghello beſchloß mit folgenden
Worten:„ Wo die Verſtaͤndigen nicht herrſchen,
iſt keine Staatsverfaſſung gut; jedoch mit dem Un-
terſchiede, daß zum Exempel bey einer Million
Buͤrgern in einer Demokratie fuͤnfmalhundert
tauſend und etliche Narren uͤber viermalhundert
tauſend und neunhundert geſcheidte Leute den Aus-
ſchlag
[49] ſchlag geben: und in einer Monarchie ein Narr
neunmalhundert tauſend neunhundert und neun
und neunzig Philoſophen ins Verderben ſtuͤrzen
koͤnnte, wenn ſie nach dem auf Schulen gelehrten
Staatsrechte keine Rebellen ſeyn wollten.“
Als wir von Vicenza weggereiſt waren,
ſprachen wir viel uͤber die Gebaͤude zu Venedig
und den Palladio. Ardinghello hielt Venedig
fuͤr einen der merkwuͤrdigſten Oerter in der Bau-
kunſt; und ſagte: hier waͤre nicht nur ein Styl, ſon-
dern man ſaͤhe darin die Geſchichte derſelben der
neuern Jahrhunderte; und erkenne immer, daß
ein Senat von vielen Perſonen da herrſche, und
nicht ein einzelner oft elender Menſch ohne Ta-
lent und Geſchmack, weil man nichts ganz ſchlech-
tes unter den oͤffentlichen Gebaͤuden faͤnde, wie
in andern Reſidenzen.
Er liebte den Palladio vor allen neuern
Baumeiſtern; nannt ihn eine heitre Seele voll
des Vortreflichſten aus dem Alterthum; und daß
Der
[50] er davon mittheile, und aus ſich ſelbſt, ſo viel
ſich fuͤr ſeine Zeitverwandten ſchicke.
In Vicenza wird leider von ihm nichts
recht ausgebaut, und die Gebaͤude gleichen faſt
nur angefangenen Modellen von ſeinen Ideen;
aber welch ein Wunderwerk iſt der Pallaſt Cor-
naro am Kanal! wie ſchoͤn die Kirchen zu
S. Giorgio, und al redemtore in Venedig!
und die Bruͤcke zu Vicenza uͤber den Bacchilion,
ſo leicht und reizend und ſicher in ihrem Bogen,
wie ein beherzter Amazonenſprung! Wie angenehm
das durchbrochne Gelaͤnder, damit man das er-
freuliche Waſſer dadurch wegſtroͤmen ſehe!
Jedoch gefiel Ardinghellon das Rahthaus
nicht, obgleich es Palladio ſelbſt unter die ſchoͤn-
ſten Werke neuerer Kunſt ſetzt. Die Faſſade,
an und fuͤr ſich richtig und ſchoͤn, glich doch nur
einer Schminke, die einer alten Matrone auf-
getragen waͤre; die Bogen derſelben entſpraͤ-
chen nicht denen des gothiſchen Gebaͤudes, das
uͤberall
[51] uͤberall ſchief durchguckte. Julio Romano haͤt-
te damals ſchon aͤlter und erfahrner mehr Ge-
ſchmack gezeigt, als er eine meiſterhafte gothiſche
dazu erfand. Es ſey etwas anders, einen Riß
auf dem Papier anſchauen, und ein Gebaͤude
aufgemaurt in der Luft; dieß haben die Raths-
herrn, die des Palladio ſeinen waͤhlten, wie
viele Große die bauen laſſen, nicht gewußt.
Unſer Geſpraͤch lenkte ſich endlich auf die
Architektur uͤberhaupt; und er ſagte, ſo viel ich mich
erinnere:
Von Schoͤnheit in der Baukunſt hab ich
wenig Begriff, weil ſie mir ganz außer der leben-
digen Natur zu ſeyn ſcheint; hoͤchſtens entſpringt
ihr Reiz bloß aus der Metaphyſik davon, wenn
ich das Wort hier brauchen darf, und nicht
aus Wirklichkeit: deßwegen ihre Verſchiedenheit
bey allen Voͤlkern, die ſich einander nicht nach-
ahmen. Eine ſtrenge Theorie davon verliert ſich
in das Dunkel der Schoͤpfung. Schoͤnheit iſt
D 2was
[52] was Vergnuͤgen wirkt; was bloß Schmerz ſtil-
len und verhuͤten ſoll, braucht eigentlich keine
Schoͤnheit an und fuͤr ſich zu haben. So gehts
mit den Gebaͤuden; ſie halten bloß Ungemach ab.
So bald das Wetter gut iſt, mag ich in keinem
bleiben, und will ins freye Feld. Alles muß auf
Ungemach, Krankheit, Feindſeeligkeit, und
Beduͤrfniß von Zuſammenkuͤnften berechnet wer-
den; dieß beſtimmt hernach ihre Vollkommenheit.
Harmonie, Ebenmaaß, Uebereinſtimmung mit
jedes Zweck macht deſſen Schoͤnheit, wenn man
das, was nichts Lebendiges nachahmt, ſo nennen
will *); was ſollen uns alle die uͤberfluͤſſigen,
unbedeutenden Zierrahten? Ein Gebaͤude iſt ein
Kleid, das Menſchen und Thiere vor boͤſem Wet-
ter ſchuͤtzt, und muß darnach beurtheilt werden.“
„Geht
[53]
„Geht man in die Wildheit zuruͤck: ſo fin-
det man Grotten und Waldung, und durchge-
rißne Felſen, um uͤber Abgruͤnde von Stroͤmen
zu gelangen. Dieß hat zwar der ſittliche Menſch
zuerſt nachgebildet, und noch jetzt ſind die Spu-
ren da unter tauſend gemachten Beduͤrfniſſen; wir
ahmen die urſpruͤnglichen Formen nach, von Fels
und Baum in demſelben Gebaͤude durchaus von
Stein. Dieſer iſt inzwiſchen ungelenk, und wer
ihn allzuſehr zu leichtem Holze ſchnitzelt, beſon-
ders am Boden, wo er gerade vor Augen liegt,
wird abgeſchmackt und laͤcherlich. Holz hat ſeine
natuͤrliche Form in Stamm und Zweigen: woher
die Saͤulen und zum Theil die Gewoͤlbe. Je
weniger man von der natuͤrlichen Form abnimmt:
deſto reiner ihre Schoͤnheit; ſo uͤbertrift eine
Saͤule immer einen Pilaſter. Das meiſte aber
bezieht ſich auf Zweck, und hat mit Nachahmung
der Natur wenig zu ſchaffen. Die Schoͤnheit
der Maſſen muß aus einem gluͤcklichen geheimen
Gefuͤhl hervorkommen, das ſich an der Harmo-
D 3nie
[54] nie der Theile des Menſchen, des Großen in
der Natur, und uͤberhaupt alles Lebendigen lan-
ge geweidet hat; und wieder mit einem ſolchen
Sinn genoſſen werden. Hier laſſen ſich, was
Erfindung betrift, keine beſtimmte Regeln ge-
ben; ein ganz anders iſt, wenn man bloß nach-
ahmt, was Griechen und Roͤmern gefiel.“
„Und dieß bleibt wohl immer das Zuverſicht-
lichſte, fiel ich ein, da ſie ausgemacht die menſch-
liche Natur mehr durchgearbeitet, und zur hoͤch-
ſten Vollkommenheit gebildet haben, die wir ken-
nen.“
Wenn der Erdboden durchaus gleiches Kli-
ma haͤtte, verſetzte er darauf, wie die Gegenden,
welche ſie bewohnten; die Menſchen uͤberall die-
ſelben Beduͤrfniſſe, dieſelben Sitten und Ge-
braͤuche, die gleiche Idee von Gluͤckſeeligkeit, die-
ſelben Feſte und Spiele! Und uͤberhaupt will der
Menſch Neues; er hat ohne dieß zu viel vom
Geſetz zu leiden, das er nicht abwerfen kann;
warum
[55] warum von freyen Stuͤcken ſich eins auf den Na-
cken legen, das ihm nicht gefaͤllt?“
„Ein Umſtand allein veraͤndert oft das Gan-
ze. Bey den Griechen und Roͤmern zum Bey-
ſpiel war ein Tempel meiſtens nur fuͤr Einen
ihrer vielen Goͤtter; eine unendliche Wohnung
fuͤr denſelben abgepaßt gewiſſer maßen, wann er
vom Olymp hernieder in die Gegend kam, wie
ein Koͤnig aus ſeiner Reſidenz in ein Schloß
einer ſeiner Provinzen.“
„Die Form deſſelben war alſo nicht groß,
und die Saͤulengaͤnge behielten die Schoͤnheit
menſchlicher Proporzion; welche verſchwindet,
wenn ſie ins Ungeheure getrieben werden. Je-
der Buͤrger opferte entweder einzeln; oder war
allgemeines Feſt: ſo ging der Prieſter oder die
Prieſterin hinein, und das Volk ſtand innen und
außen herum. Gleiche Bewandniß hat es bey
ihren Orakelſpruͤchen.“
D 4Un-
[56]
„Unſre Kirchen hingegen ſind große Ver-
ſammlungsplaͤtze, wo oft die Einwohner einer
ganzen Stadt Stunden lang ſich aufhalten
ſollen. Ein feyerlicher gothiſcher Dom mit ſeinem
freyen ungeheuren Raume, von vernuͤnftigen
Barbaren entworfen, wo die Stimme des Prie-
ſters Donner wird, und der Choral des Volks
ein Meerſturm, der den Vater des Weltals
preiſt und den kuͤhnſten Unglaͤubigen erſchuͤttert,
indeß der Tyrann der Muſik, die Orgel, wie
ein Orkan darein raſt und tiefe Fluhten waͤlzt:
wird immer das kleinliche Gemaͤcht im Großen,
ſeys nach dem niedlichſten Venustempel von dem
geſchmackvollſten Athenienſer! bey einem Manne
von unverfaͤlſchtem Sinn zu Schanden machen.“
Wir haͤtten dafuͤr, daͤucht mich, eher ihre
Theater zum Muſter nehmen ſollen, die natuͤr-
lichſte Form fuͤr eine große Menge, worin jede
Perſon ihren Poſten wie in einer Republik, einer
Demokratie einzunehmen ſcheint, und ein herrli-
ches
[57] ches Ganzes bildet. Und ſind wir nicht gegen
das Weſen der Weſen alle gleich? Koͤnig und
Bettler, P[h]iloſoph und Baͤuerlein, arme blinde
Wuͤrmer? die nichts wiſſen, die hieher geſetzt ſind
wie verrahten und verkauft, in Nacht und Nebel,
wo wir vergebens die Koͤpfe in die Hoͤhe ſtrecken?“
„Ich habe hier nnd da in Kloſtergaͤrten
doch gefunden, wie ſich die liebe Natur auch in
ihrer groͤßten Einfalt ſelbſt regt. Der Bruder
Redner ſaß unten zwiſchen alten ſchattigen Baͤu-
men, und vor ihm hatten ſie an einem Huͤgel in
hohler Rundung Sitze mit Raſen nach einander
in der Hoͤhe ruͤckwaͤrts angelegt; und ſo ſaßen ſie
uͤbereinander, und hoͤrten zu; und oben an bey-
den Seiten ſchloſſen das Andachtsoͤrtchen wieder
Baͤume, wo der Wind die zarten Zweige be-
wegte, und die Blaͤtter fluͤſterten, als ob Engel
darinnen ſpielten, ſich ihrer Froͤmmigkeit freu-
ten“
D 5„In
[58]
„In unſern Kirchen mit langem gleichplat-
ten Boden kann man nicht einmal das Meßamt
gehoͤrig verwalten; die hinterſten ſehens nicht vor
den vordern, was der Prieſter beginnt, und ſie
ſtehen und liegen ohne Ordnung unter einander,
im eigentlichſten Verſtande wie die Schaafe.“
Uebrigens iſt die Quaal aller Baumeiſter,
daß ſie fuͤr Sommer und Winter daſſelbe Gebaͤu-
de machen muͤſſen, einen Rock fuͤr die groͤßte
Hitze und die groͤßte Kaͤlte. Weil ſie nun in Suͤ-
den ſich nach dem Sommer richten: ſo frieren ſie
im Winter am meiſten; und in Norden nach
dem Winter: ſo ſchwitzen ſie dort im Sommer
am meiſten; obsgleich nach der Natur ganz um-
gekehrt ſeyn ſollte.“
Die Gegend von Vicenza hatte ihm unge-
mein gefallen; beſonders aber der herrliche Spa-
zierplatz des Campo Marzo mit der neu heraus-
empfundenen Triumphpforte vom Palladio
zum Eingang. In der That lagern ſich reizend
die
[59] die ſchoͤn bewachſene Huͤgel darum her, und die
Tyrolergebuͤrge machen in blauer Ferne ſuͤße Au-
genweide.
Mehr aber gefiel ihm noch Verona wegen
der Etſch, der Alpentochter, die Wellenſchla-
gend aus den Felſen ſich mitten durch die Stadt in
Schlangenkruͤmmungen reißt, woruͤber die Bruͤ-
cke der Scaliger ſich in kuͤhnen Bogen hebt,
weiter, heroiſcher und Kunſtgebildeter, als ſelbſt
die Bruͤcke Rialto, das Wunder von Venedig,
welche mit ihren ſechszig Stufen herauf und hin-
unter mehr Treppe, als fortgeſetzter bequemer
Weg iſt.
Wir machten den letzten Strich in unver-
gleichlicher Nacht, wo der Mond, beynahe voll,
immer mit uns ging, und uns durch die ſchoͤnen
Ulmen begleitete, die ihre Kraͤnze von dichtbe-
laubten Weinranken lieblich zuſammenpaarten;
und Blitze von einem fernen Gewitter flammten
heruͤber in die heitre Luft. Mond und Abend-
ſtern
[60] ſtern und Sirius und Orion ſchienen wie Schutz-
geiſter unſrer Sphaͤre naͤher zu ſchweben.„ Ach,
ihr Goͤtter, rief Ardinghello, warum ſo einen
kleinen Punkt uns zum Genuß zu geben, und nach
den unendlichen Welten uns ſchmachten zu laſſen!
Wir ſind wie lebendig begraben.“
Schon regte ſich ein leichter friſcher Mor-
genwind und ſaͤuſelte durch die Blaͤtter; ein mil-
der Lichtrauch ſtieg auf in Oſten, von einzelnen
Strahlen durchſpielt, als wir bey unſerm Land-
gut anlangten, wo der See ſich ausbreitete und
ſeine Ufer von Wellen rauſchten. Sie brachen
ſich ergoͤtzend uͤber einander und ſchaͤumten; und
wir fanden die Beſchreibung Virgils: Flucti-
bus \& fremitu aſſurgens marino*), ganz
nach der Natur. Ich legte mich zu Bette, weil
ich den vorigen Tag nicht geſchlafen hatte. Ar-
ding-
[61] dinghello aber wollte nicht, und machte Bekannt-
ſchaft mit der Gegend.
Die Zimmer fuͤr uns waren ſchon zuberei-
tet; den Nachmittag richteten wir uns voͤllig ein.
Ardinghello bekam eins gegen Norden zum Mah-
len, wo er Licht und freyen Himmel hatte, wie
er wuͤnſchte; und uͤberdieß den Ausgang aufs
Feld.
Wir beſchifften die erſten Tage die Kuͤſten,
ſtiegen da und dort ans Land, und ſchweiften
herum an den ſchoͤnen Huͤgeln bis nach Breszia.
Ardinghello legte alsdenn gleich ſeine Madonna
an fuͤr meine Mutter, damit er in den guten
Stunden hernach daran arbeiten koͤnnte.
Im Griechiſchen waren wir ſchon einig we-
gen Ton, oder Accent, und Ausſprache; wir
richteten uns gaͤnzlich hierin nach den obgleich
verwilderten Abkoͤmmlingen der Alten, zumal
da wir doppelten Endzweck hatten. Wir gelan-
gen zur Kenntniß todter Sprachen nicht allein
durch
[62] durch Vernunftſchluͤſſe und Vergleichungen, ſon-
dern noch durch Herkommen; und da hat doch das
Volk, deſſen Sprache die aͤlteſte Tochter iſt von
der abgeſtorbnen, oder vielmehr ſelbſt noch Mut-
ter, nur durch die Zeit veraͤndert und ver-
wandelt, das naͤchſte Recht zur Erklaͤrung. Kein
auswaͤrtiger Buͤcherheld wird mit ſeinem bloßen
Buchſtabieren auch je dem Runden und Lebendi-
gen deſſelben bey Leſung der uͤbriggebliebnen Denk-
male gleich kommen.
Vom Neugriechiſchen bracht ich Ardinghel-
lon ſehr bald alles bey, was zum taͤglichen Leben
gehoͤrt; ob es gleich von dem alten noch mehr
abweicht, als das Italiaͤniſche von dem Lateini-
ſchen. Die neuern Griechen haben fuͤr die ge-
meinſten Sachen andre Woͤrter, als Brod, Wein,
und ſo weiter. In einem Theil von Theſſalien
iſt es faſt Wallachiſch, halb latein und tuͤrkiſch.
Der Mundarten ſind vielleicht mehr als bey den
Alten; und ſo gehts mit der Ausſprache. Die
jetzi-
[63] jetzigen Spartaner ſprechen zum Beyſpiel den Laut
Ch aus, wie die Franzoſen. Die Evangelien
und Epiſteln verſteht man ſo ziemlich noch uͤberall
im Griechiſchen des neuen Teſtaments; aber vom
Xenophon und Plato wenig. Die Kaufleute und
Geiſtlichen haben ſich jedoch eine eigne Sprache
gebildet, welche man die Schriftſprache nennen
kann, und naͤhern ſie ſo viel moͤglich der alten.
Dieſe ſpricht und ſchreibt man, und wird in gu-
ter Geſellſchaft verſtanden; und richtet ſich uͤbri-
gens nach der Gegend, wo man hinkoͤmmt.
Die groͤßte Barbarey iſt eigentlich auf den In-
ſeln, weil dieſe noch mehr als das feſte Land von
den fremden uͤberſchwemmt wurden; auch weichen
die Sitten hier mehr von den alten ab.
Ueberhaupt war die Ausſprache ſchon bey
den Alten verſchieden nach Ort und Zeit, wie bey
uns und uͤberall. Die erſten Pelasger ſprachen ver-
muhtlich ihr Griechiſch anders aus, als die Athe-
nienſer unter dem Perikles; und ſo Homer und
ſeine
[64] ſeine Zeitverwandten. Plato beklagt ſich im Ge-
ſpraͤche Kratylos, kurz nachher als die zwey
langen Joniſchen Vokalen zu Athen, unter dem
Archon Euklid, im zweyten Jahre der vier und
neunzigſten Olympiade in allgemeinen Gebrauch
gekommen waren, daß man das Wort, welches
den Tag ausdruͤckt, nicht mehr Himera wie die
Vorfahren ausſpreche: ſondern entweder He-
mera, oder neuerdings ἡμέρα; und dabey den
ſchoͤnen Urſprung nicht mehr fuͤhle, daß es von
Himeros, das Verlangen herkomme; weil man
nehmlich in der Nacht und Dunkelheit nach dem
Licht und Aufgang der Sonne verlangt.
Aus dieſem Beyſpiele duͤrfte man vielleicht
ſchließen, daß die neuern Griechen in manchem
zur Ausſprache der Aeltern und ſelbſt Homers wie-
der zuruͤckkehrten; und daß auch hier, wie ſonſt
in der Welt, alles im Kreiſe herumgeht.
Am beſten iſt es, man richtet ſich nach der
jedesmaligen lebendigen Ausſprache, und dem
gro-
[65] großen Haufen; und man muß es, wenn man
verſtaͤndlich ſeyn will *).
Von
E
[66]
Von den Alten laſen wir die Abende
bald ein Stuͤck aus dem Plato, bald aus dem
Ariſtoteles, oder Xenophon; kehrten aber von
ihrem Scharfſinn und Adel, der reinſten Em-
pfindung und ihren hohen Fluͤgen oft zuruͤck unter
das Athenienſiſche Volk zum Demoſthenes und
Ariſtophanes.
Ardinghello hatte den letztern nur dem Na-
men nach gekannt, und weidete ſeine Seele nun
an ihm leibhaftig mit Entzuͤcken. Er bruͤtete
ſo recht uͤber ſeinem Witze, ſeiner Laune, ſeinen
kuͤh-
*)
[67] kuͤhnen Erdichtungen; und hielt ſeine Poſſen-
ſpiele fuͤr das allerhoͤchſte Denkmal menſchlicher
Freyheit, welchem ſich keins unter den Millio-
nen andrer Schriften von weitem naͤhere. Wer
mit den Griechen wetteifern wolle, muͤſſe in
beyden leben und weben. Hier erſcheine der
Menſch wie er ſey, mit allen ſeinen natuͤrlichen
Herrlichkeiten und Schlechtigkeiten. Hier ent-
ſpraͤngen und raͤnnen die lauterſten Lebensbaͤche.
Mein Freund ſteckte mich mit ſeiner Meinung
an, und Redner und Dichter wirkten maͤchtig
auf uns: wir wurden ſelbſt freyer im Umgange,
und unſre Sprachkenntniß wuchs wie eine uͤppi-
ge Pflanze. Wir hielten uns ganz an Athen
vom Themiſtokles an bis zum Tod Alexanders;
drangen immer tiefer ein in deſſen Staatsverfaſ-
ſung, Geſetze, Gerichte; ruhten im Schatten
an den bemoosten Wurzeln des ſchoͤnen lebendi-
gen Baums, der ſeine Zweige uͤber ganz Griechen-
E 2land
[68] land verbreitete; und gingen aus dieſem Kreiſe,
und was ſich damit verband, ſelten heraus.
Dabey beſchrieb ich ihm den gegenwaͤrti-
gen Zuſtand der Inſeln und des feſten Landes; Ge-
ſellſchaften, Sitten und Gebraͤuche, Feſte und
Spiele, Klima, Jahrszeiten, Wind und Wet-
ter, Gewaͤchſe und Fruͤchte, und was von den
Alten noch uͤbrig iſt.
Ohngeachtet ſeiner Luſt an dem Ariſtopha-
nes, der glaͤnzenden Satyre der Wolken gegen
den Daͤmon des Philoſophen, und des bit-
tern Angriffs der Lehre deſſelben, daß kindliche
Liebe und Verehrung der Eltern und Verwand-
ten dem Verſtande nachſtehen muͤſſe: hielt er
nichtsdeſtoweniger die Denkwuͤrdigkeiten des
Sokrates fuͤr das gediegenſte Kleinod aller Weis-
heit, und die Moral aller Moralen.
Uebrigens kamen wir darinn uͤberein, daß
man die Wolken nach ihrer, und nicht nach un-
ſerer
[69] ſerer Zeit beurtheilen muͤſſe. Die Menſchen wa-
ren damals gewohnt, einander nackend zu ſehen;
und ſcherzten zur Ergoͤtzlichkeit fuͤr den Augen-
blick uͤber ihre Maͤngel und Gebrechen, und ver-
gaßen es hernach bald wieder. Ariſtophanes war
ſo wenig Schuld an dem gewiß bis zum Vergeſ-
ſen ſeines Muthwillens lang hernach erfolgten
Tode des Sokrates, als an dem des Euripides;
und beyde wurden im Grunde nicht minder hoch-
geſchaͤtzt, trotz aller Laͤcherlichkeiten, die er auf
ſie warf. Welche poßierliche Rolle laͤßt er nicht
der Weiſen letztern im Feſte der Ceres und Pro-
ſerpina ſpielen! Bey uns waͤre freylich ſo etwas
wie Mord und Todtſchlag. Und außerdem war
man es gewohnt, daß Philoſophen und Dichter,
und von dieſen wieder die tragiſchen und komiſchen
ſich zur Kurzweil des Volks einander zum beſten
hatten. Wer weiß, wie hart Sokrates und
Euripides vorher dem Ariſtophanes begegneten?
Das beſte Zeugniß fuͤr das, was ich ſage, iſt,
E 3daß
[70] daß Plato nicht aufhoͤrte, den komiſchen Dich-
ter hochzuſchaͤtzen.
Dieſer hohe Genius ſchien uns uͤberhaupt ei-
nen viel weitern Geſichtskreis als Xenophon zu
haben, und ſelbſt uͤber ſeinen Lehrmeiſter hinaus-
zugehen. Wir meinten, nicht wenige ſeiner Ge-
ſpraͤche muͤßten die Lieblingsſchriften fuͤr jeden gu-
ten Kopf ſeyn, der ſie fertig in der bezaubernden
Urſprache leſen kann; und dieß zwar haup[t]ſaͤch-
lich deßwegen, weil er ſelten ſeine Materie er-
ſchoͤpft, aber mit gewaltiger Hand in tiefe reiche
Fundgruben hineinfuͤhrt. Wir bewunderten oft
an ihm, dieſen Tag, die allergewandeſte Attiſche
Feinheit, die ſo edel kein Schriftſteller, unſers
Wiſſens, weder ſeiner noch vielweniger irgend
einer andern Nazion je erreicht hat; und den
folgenden wieder die erhabenſten Gedanken in
der kuͤhnſten Sprache.
Demoſthenes iſt freylich gegen ihn, wie der
noch junge zu ſtrenge Dionys von Halikarnaß
wahr
[71] wahr ſpricht, Held im Streite, wo es das Le-
ben gilt, und jeder Hieb und Stoß, Wunde.
Aber ein andres iſt Schlachtfeld, ein andres
Akademie! wo unter kuͤhlen Lauben auch zuweilen
bloß angenehmes Geſchwaͤtz ergoͤtzt; und lyri-
ſche Verzuckungen ſuͤßer Trunkenheit bey ſternen-
heller Nacht am ſeligſten machen.
Mitten unter dieſer Seelenweide legt ich
mich eifrig auf die Zeichnung. Ich fing vom
neuen damit an, allerley mathematiſche Figuren
aus freyer Hand bis zur Vollkommenheit zu ent-
werfen, um ſie zur Sicherheit im Zuge zu brin-
gen. Alsdenn plagte mich Ardinghello nur kur-
ze Zeit mit menſchlichen Gerippen, und ging
gleich uͤber auf den Umriß der Theile, und ihre
Verhaͤltniſſe zu einander; und endlich gelangt ich
zum Lebendigen, wie aus einer trocknen Wuͤſte
zu ſchattichten friſchen Quellen. Wir waren ſchon
aus der ruhigen Schoͤnheit am Leidenſchaftlichen:
E 4als
[72] als eine ſchreckliche Begebenheit erfolgte, die uns
auf lange trennte.
Ueber die Verhaͤltniſſe des menſchlichen
Koͤrpers gingen wir, außer den Vorſchriften
der beyden großen Florentiner, noch ein Werk
durch von dem Teutſchen Albrecht Duͤrer. Er
ſagte, wenige haͤtten die Theorie ihrer Kunſt wohl
ſo inne gehabt unter allen neuern Mahlern und
Bildhauern, als dieſer; man faͤnde bey ihm ein
erſtaunliches Studium: aber zum Hohen und
Schoͤnen derſelben ſey er nicht gelangt, weil Nie-
mand aus ſeiner Nazion und ſeinem Zeitalter
koͤnne. Dieß hange außer dem Innern noch gar
zu viel von Gluͤck und Zufall ab. Wir koͤnnten
das Lebendige nicht anders nachbilden, als bis
wir es entweder ſelbſt gelebt, oder mit unſern
Sinnen in ergreiffender Wirklichkeit empfunden
haͤtten. Ohne Perikles und Asſpaſia, Alkibia-
den, Phrynen und ihres gleichen alt und jung:
kein Phidias, Praxiteles und Apelles. Albrecht
Duͤ-
[73] Duͤrer habe den Nuͤrnberger Goldſchmidsjungen
nie voͤllig aus ſich bringen koͤnnen; in ſeinen Ar-
beiten ſey ein Fleiß bis zur Angſt, der ihm nie
weiten Geſichtskreis und Erhabenheit habe gewin-
nen laſſen; und bloß deßwegen haͤtte ihn Michel
Angelo ſo ſehr gehaßt. Seine meiſten Kompoſi-
zionen waͤren Paſſionsgeſchichten, und Hexen
und Teufel. Er als verlorner Sohn am Troge
bey Schweinen, die Trebern freſſen; Proſerpina,
wie ſie Pluto auf einem Bocke hohlt; Diana,
wie ſie eine Nymphe mit dem Knittel bey einem
Satyr pruͤgelt: zeigten genug ſeine mißleitete
Phantaſie. Sonſt ſey er ein wackrer Meiſter,
habe Kraft und Staͤrke; und ein guter Kopf von
richtigem Geſchmack koͤnne viel von ihm lernen.
Wir hatten bey unſerm Leben auf dem Lan-
de uns zum Geſetz gemacht, daß keiner den an-
dern in ſeinem Thun und Laſſen ſtoͤren ſollte; und
alles Beyſammenſeyn war freyer Wille von beiden
E 5Sei-
[74] Seiten. Wenn alſo einer allein ſeyn wollte: ſo
ſagte er es dem andern, oder ſchloß die Thuͤr ab.
Zuweilen gingen wir mit einander, zuweilen zog
einer allein aus: und Ardinghello kam manchen
Tag und manche Nacht nicht nach Hauſe, ohne
mir vorher zu ſagen, wenn er fortging, und ohne
daß es mich befremdete. Die immer gruͤnen mit
hohen Baͤumen eingefaßten Wieſen, und die vie-
len klaren Fluͤſſe, von den Seen rein gewaſchen,
erfreuten ihn unendlich in der Lombardey; ſolche
Natur war dem Toskaner fremd. Er niſtete ſich
in den ſchoͤnſten Doͤrfern uͤberall ein, und machte
Bekanntſchaft mit den Landleuten.
Einigemal kam er Abends auf einem luſtigen
Nachen mit Weinlaub und Epheu geſchmuͤckt,
der Zithar am Arm im Dithyrambengeſang gleich
einem jungen Bacchus wieder, oder in einem
andern Aufzug: und es war immer ein allge-
meiner Jubel; denn jederman wollte ihm wohl.
Er ließ ſich mit jedem ein, und drang in deſſen
Inn-
[75] Innres; half ihm fort, oder machte ihm das Le-
ben froh und leichter. Er hatte eine von den ſelt-
nen gefuͤhligen Stimmen, die das Herz anlocken;
ihr Ton war feſt und voll; ſuͤß und gelind bey
Liebe, und heftig eindringend wie ein Sturmwind
in der Hoͤhe bey widrigen Leidenſchaften. Er
ſpielte zwar auch treflich die Laute: aber die Zi-
thar zog er allen Inſtrumenten zur Begleitung
vor. Er ſang wenig andrer Dichter Worte, ſon-
dern eigne Poeſie, wie ſie ſeinem Weſen entquoll!
meiſtens ohne Reime; oder dieſe, wie ſie ſich
ſchicken wollten. Es war bezaubernd, dem jun-
gen Schwaͤrmer zuzuhoͤren, und wie in laͤcheln-
der Kuͤhnheit das Feuer aus ihm wehte. Wie oft
haben wir hernach in heitern Naͤchten uns in den
See geſtuͤrzt! denn er hatte mir das Schwimmen
bald beygebracht: und in der unermeßlichen ge-
ſtirnten Natur frey herumgewallt wie die Goͤtter!
Noch hab ich ihm eine groͤſſere Geſchicklich-
keit im Fechten zu verdanken, worin er ein gro-
ßer
[76] ßer Meiſter war; wie er denn ſeinen Koͤrper
uͤberhaupt aͤußerſt gewandt und ausgebildet hatte.
So flog himmliſch leicht unſer Leben da-
hin unter Spiel und Feſt und reizender Beſchaͤfti-
gung.
Mit ſeiner Madonna war er im Auguſt
ſchon fertig. Er hatte die Begebenheit der Flucht
nach Aegypten gewaͤhlt. Sie ſaß mit dem Kind
an der Bruſt unter einem Ahorn, der ſeine
Zweige weit umher verbreitete, und Daͤmme-
rung hernieder warf; in der Naͤhe und Ferne
ſtanden Pignen und Cypreſſen anmuthig ver-
maͤhlt und zerſtreut. Die Gegend war ein Gebirg,
woheraus ein Fluß in Katarakten ſich ſtuͤrzte, in
fernem Schaum und Dampf von Silberſtaub,
dann eine kleine Ebne durchfloß, und in einem
ſtillen See ruhig dahin wallte. Die bezaubernd-
ſte Seite von der romantiſchen Wildniß unſers
Lago war ganz treu hier zu ſehen; vom Glanz
der untergehenden Sonne blitzten Fels und See,
und
[77] und ſchimmerte das Laub der Baͤume. Auͤßerſt
kuͤhn gewagt!
Die Madonna war eine holde Jungfrau,
die ihr erſtes Kind in Armen haͤlt, und der Ge-
ſchichte davon in entzuͤckender Grazie nachdenkt;
ein Kopf ganz aus der Natur, nur erhoͤht und
ins Reine gebracht, von unausſprechlicher Wir-
kung auf jeden fuͤhlenden Menſchen. Auch der
Bube, ſo recht in Liebe erzeugt, trug die Spu-
ren der vollen Wonne ſeines Werdens in der Ge-
ſtalt; er hielt ſich mit dem einem Haͤndchen an
der rechten halb entbloͤßten Bruſt unter dem
roͤhtlichten Gewand an, und laͤchelte von der
offnen ſtraff geſchwellten jugendlichen linken ab
mit ſeinem blonden Koͤpfchen in die ſchoͤne Na-
tur. Das braune Haar der Madonna war in
ein roͤhtlicht geſtreiftes Netz gebunden, wovon
noch einige Locken ins Geſicht und die Backen fie-
len; der blaue Mantel zerfloſſen, und die Bei-
ne und zarten Fuͤſſe ruhten in reizender Lage.
Bey-
[78] Beyder Augen, beſonders der Madonna blickten
heiter ſchoͤn, in Empfindung ſchwimmend. In
den Zweigen des Ahorns ſchweben Engel wie jun-
ge Liebesgoͤtter; abwaͤrts weidet der Eſel, und
Joſeph ſteht auf ſeinen Stab gelehnt, wie
ein alter treuer Waͤrter, der ſein Anvertrautes
gluͤcklich aus der Gefahr uͤber die Grenze gebracht
hat.
Form und Ausdruck und Kolorit in allen
Theilen des Lebendigen, Bekleidung und Beleuch-
tung und Scene macht eine ſuͤße Harmonie zu-
ſammen. Das Gemaͤhlde war groß, und die Fi-
guren im Vordergrunde an die zwey Drittel in
Lebensgroͤße; jedoch ging ihm die Arbeit geſchwind
von ſtatten, weil er die Studien zur Madonna
und dem kleinen mitgebracht hatte, und nur zum
Joſeph und den Engeln einen Alten und Kinder
aus der Nachbarſchaft gebraucht.
Meine Mutter konnte ſich daruͤber nicht
ſatt freuen, und gewann ihn immer lieber.
In-
[79]
Inzwiſchen bemerkt ich doch bey ſeinem froͤh-
lichen und traulichen Weſen eine leidenſchaftliche
Haſtigkeit an ihm, und etwas Verborgnes in
ſeinen Geſichtszuͤgen; auch fiel mir endlich ſein
Ausbleiben auf. Er ſagte zwar: „ich bin ein
Herumſchweifer, und kann nicht wohl an einer
Stelle bleiben;“ aber er nahm mich doch zu ſel-
ten mit ſich. Ich wollte wiſſen, was in ihm
vorging; und dieß klaͤrte ſich denn auf einmal in
einer ſtillen Mitternacht auf, wo alle Winde
ſchwiegen, und kein Laut ſich regte.
Wir ſaßen am kuͤhlſten Platz unſers Gar-
tens auf einer Anhoͤhe, in einer Laube von Lor-
beer und Myrthengeſtraͤuch, von einem alten
Hayn gruͤner Eichen umfaßt; und hatten oft die
Glaͤſer ausgeleert, und geſungen und geſprochen;
viel vom Menſchen und den Begebenheiten der
Welt, jugendlich, erfahren und unerfahren.
Mein Herz ſtand offen; und ich entdeckt ihm
auf die letzt meine kleine Liebesgeſchichten, womit
ich
[80] ich hier den Lauf nicht unterbrechen will; geſtand
ihm aber, daß ich noch nicht alles faͤnde, was ich
verlangte.„ Du wirſt mir guten Unterricht geben
koͤnnen, fuͤgt ich hinzu; denn nach deinen Stu-
dien in der Mahlerey, und Leibes und Seelen-
tugenden mußt du ſchon ein Held unter Amors
Fahne ſeyn.“
Er antwortete hierauf:„ ich ſpreche nicht
gern von dieſen Dingen; denn ſie machen alle
Menſchen neidig, Freund und Feind. Aber weil du
einmal angefangen haſt, ſo will ich auch dir be-
kennen. Doch vorher den Todesbund ewiger
Freundſchaft feyerlicher vom neuen; wir kennen
uns nun vollkommen.“
Hier zog er einen Dolch hervor, ſtreifte
ſich den linken Arm auf, ſtach hinein, und ließ
das Blut in den Becher rinnen; uͤberreichte mir
den Dolch: und ich that, wie von einer furcht-
baren Macht ergriffen, voll Gluth und Ruͤhrung
daſſelbe.„ Wie unſer beyder Blut hier im Weine
ver-
[81] vermiſcht iſt, rief er aus, und in unſer Leben
ſich ergeußt: ſo ſollen unſre Herzen und Seelen
auf dieſer Welt zuſammenhalten; dieß ſchwoͤren
wir dir, Natur! und deiner Gottheit! Wer ſchei-
det, fall in Elend und Verderben.“
Wir tranken, umſchlangen uns feſter und
inniger, ſtillten darauf die Wunden, und der
eine verband mit laͤchelndem Ernſt den andern.
Dieß geſchehen, und aus dem Taumel uns
wieder gefaßt und in Ordnung, fing er an:
„das herrliche Geſchoͤpf, das ich liebe, bekraͤnz
als Prieſterin unſern Bund! Caͤcilia iſt ihr Na-
me, von der Heiligen, der himmliſchen Muſik,
entlehnt. O du dort oben walte uͤber uns! Auch
unſer Feſt iſt Saitenſpiel und Geſang; und ſind
wir nicht ſo fromm als du, wozu nur Auser-
waͤhlte gelangen: ſo iſt doch unſre Liebe heilig;
denn ſie iſt ganz Natur, und hat mit buͤrgerli-
chem Weſen nichts zu ſchaffen. Dieſe Caͤcilia
wohnt eine Stunde von hier; iſt einzige Tochter bey
Fzwey
[82] zwey Bruͤdern, ihr Vater leider der große
C ****, und ſoll ſich in kurzer Friſt mit dem
reichen Mark Anton vermaͤhlen; welches du
ſchon alles weißt.„ Ich blieb hierbey ſtumm vor
Erſtaunen, und hoͤrte mit beyden Ohren.
„Wir wurden durch einen bloßen Zufall naͤ-
her bekannt, fuhr er fort; denn ſchon vorher hat-
te ich ſie als den ſchoͤnſten weiblichen Kopf in Ve-
nedig einigemal in Kirchen auf den Raub abge-
zeichnet, und ein paarmal in Geſellſchaft geſehen.
Nie aber wollt es mir gelingen, in ihrem Hauſe
Zutritt zu erhalten, oder ſie allein zu ſprechen.
Dieſes geſchah endlich beym Schluſſe des letzten
Karnevals, auf dem Markusplatz, in einer
Ecke an der [neuerbauten] Kirche S. Zeminiano,
als es Nacht werden wollte. Ich trug ſchier eine
Maske, wie einer ihrer Bruͤder: ſie ſah mich im
Getuͤmmel fuͤr denſelben an, ging auf mich zu,
faßte mich bey der Hand, und fluͤſterte mir et-
was freudig ins Ohr. Ob ich ſie feſt hielt, und
wie?
[83] wie? kannſt du denken! ich hatte ſie ſchon auf den
Platz herein kommen ſehen, auch war ihr lieblich
Geſicht wenig verhuͤllt. Maͤnner und Weiber,
die ſie begleiteten, mochten ebenfal[l]s im Irrthu-
me wie ſie ſeyn; denn ſie ließen uns beyſammen,
gaukelten auf dem bunten Welttheater, im Kleinen,
ihre Mummereyen fort, und hatten keinen Arg-
wohn. Ich gebrauchte die ſchnelle Gelegenheit, ſo
gut mir moͤglich war. Sie mußte mich auch mit
einem Blick erkennen koͤnnen: unſre Augen hat-
ten ſich ſchon oft mit Seele begegnet. Ich verlang-
te zu wiſſen, ob ich etwas uͤber ſie vermoͤchte;
hob ein wenig meine Maske vom Geſicht: und
ſie wollte ſich, erroͤthend von den ruͤndlichen
Wangen bis an den ſchneeweißen Hals, zuruͤck-
ziehen; allein ich hielt das warme Haͤndchen feſt.
Ich blickte raſch umher, und ſie deßgleichen:
wir wurden in der Daͤmmerung nicht beobachtet,
und ein Poſſenreiſſer hatte uͤberdieß aller Augen
auf ſich gezogen; und ſagte ihr, aber wie kann
F 2ich
[84] ich genau die Worte wiederholen! daß ich ſie lieb-
te, anbetete; daß ich verſchwiegen waͤre, wie ein
Stein, eine Mauer, mich der geringſten Gunſt
nie ruͤhmen wuͤrde; mich ihr in allem unter-
werfen wollte, allen meinen Verſtand zu unſerm
Vortheil anwenden wollte; wir ſeyen fuͤr einan-
der geſchaffen, und das Verhaͤltniß mit andern
Menſchen ſolle uns nicht trennen. Alles dieß
und mehr ging aus meinem Munde wie ein Lauf-
feur, leis, aber maͤchtig ihr ins Ohr. Sie trat
fort und hielt ein, zuckte mit der Hand, und
uͤberließ ſie wieder den heißen Wallungen meiner
Liebespulſe. Endlich riß ſie ſich los, ſagte mir
aber mit einer ſchuͤchternen gebrochnen Stimme
die Honigworte, die wie eiskuͤhlend und bren-
nendſuͤß erquickend Labſal durch Mark und Gebein
rannen: „Morgen fruͤh zu Santi Giovanni e
Paolo.“
Ich ſchwand von ihr weg wie der Blitz,
zur erſten Probe meiner Auffuͤhrung: und ſchlief
die
[85] die ganze Nacht nicht, war ſo wach und leben-
dig, als ob ich nie geſchlafen haͤtte, und nie wie-
der ſchlafen wuͤrde, durchaus Feuer und geiſtig
Toben. Was hab ich da nicht fuͤr Plane ge-
macht!“
„Ich hielt ſchon lange vor der Zeit Wacht um
die Kirche; und wie ſie aufging, war ich der erſte
drinnen. Ich wartete und wartete, und verging
vor Ungeduld; ſo langweilig war mir das Meßleſen
der Prieſter noch nicht vorgekommen. Wie es allzu-
lange waͤhrte: ſo ließ ich mir den Vorhang von
dem goͤttlichen Tizian wegziehen, wo Peter, der
Maͤrtyrer, von einem Raͤuber erſchlagen wird,
ſein Gefaͤhrte fluͤchtet, und ein Paar reizende
Buben als Engel auf die Baͤume der herrlichen
Landſchaft herabſchweben. —“
„Welch ein Meiſterſtuͤck! die Scene ſchon
aͤußerſt lebendig; welche Lokalfarben haben nicht
die ſchlanken Staͤmme der hohen Kaſtanienbaͤu-
me! wie verliert ſich das Land in ferne blaue
F 2Fel-
[86] Felſen! der Moͤrder voll raͤuberiſchem Weſen in
Geſtalt und Stellung und jeder Gebehrde bis
auf Kleidung und Kolorit! der Heilige hat ganz
das Entſetzen eines Ueberfallnen, und eines gu-
ten weichen Mannes, der ſein Leben banditenmaͤ-
ßig verliert: auf ſeinem Geſichte iſt die Blaͤſſe
der Todesangſt; und mit welcher Natur in der
Lage iſt er niedergeworfen! der, welcher flieht,
eben ſo taͤuſchend in allen Theilen. Die drey Fi-
guren machen einen vortreflichen Kontraſt in
Stellung, Charakter und Kolorit und den Ge-
waͤndern von Moͤnchs und Raͤubertracht. Welch
ein treflicher Ton im Ganzen, und wie ſchoͤn
haͤlt es die Beleuchtung zuſammen!“
„Dieß half etwas, aber wenig, ich hatte kei-
ne Ruhe. Endlich erſchien ſie doch, und armer
Tizian, wie fielſt du weg! O alle Kunſt neige
dich vor der Natur! Sie zog zur Pforte herein,
den Kopf in eure Tracht verſteckt, wie im duͤn-
nen Gewoͤlk aufgehende Sonne, vor ihrem
Glanz
[87] Glanz verſchwand alles, oder bekam Anſehen,
Weſen, lenkte ſich zu einem Ganzen.“
„Sie kam mit ihrer Mutter. Beyde knie-
ten erſt vor dem Altare nieder, wo Meſſe geleſen
werden ſollte; und ſetzten ſich hernach, ſie mit
abgeworfner Huͤlle vom Haupte. Im Knieen
blickte ſie einigemal gen Himmel und ſeufzte;
ich bemerkte alles. Sie wurde mich hernach im
Sitzen gleich gewahr, und maß mich mit
einer Engelſchoͤnheit, ruhig dem Anſchein nach,
vom Wirbel bis zur Zehe, in tiefem Nachdenken.
Was fuͤr Seele aus ihrem weitgewoͤlbten ſchwar-
zen Auge blickte, iſt nicht zu ſagen; und um ihre
Lippen regten ſich bange Gefuͤhle, die jedoch in
Laͤcheln uͤbergingen. Ach, daß ich nicht gleich
mit ihr ſprechen durfte!“
„Ich ſaß nicht weit von ihr rechter Hand,
ſchraͤg auf der Seite, und verwandte, ſo viel ich
unbemerkt ſeyn konnte, kein Auge. Sie las
F 4her-
[88] hernach in ihrem Buche, und nahm ein Zeichen
heraus, und deutete mir mit einem Winke dar-
auf.“
„Die Meſſe war vorbey, und man ging aus
einander; ich folgte ihr auf dem Fuße. Bey
der Kirchthuͤr hatt ich im Gedraͤnge, mit der fein-
ſten Wendung, die Karte unvermerkt in der
Hand. Ich konnte nicht geſchwind genug in einen
Winkel kommen, und leſen.“ Zwey Stunden
nach Mitternacht an der Thuͤr auf die Straße
hinter dem Kanale.„ Weiter ſtand nichts dar-
auf, und es war genug.“
„Nur dieß und Sie empfand und dacht ich
den ganzen Tag. Gegen Abend ging ich ſchon
dort einigemal auf und ab, und wußte alle Thuͤ-
ren und Fenſter und Gelegenheiten auswendig.
Ich verſah mich alsdenn auf allen Fall in meinem
[Quartiere] mit Gewehr; meinen Gondelfahrer hatt
ich ohne dieß ſchon vorher immer bey der Hand.“
Nach
[89]
Nach Mitternacht macht ich mich auf den
Platz bey Maria Formoſa. Wie wurde mir die
Zeit ſo lang! Die Hofnung hob mich vom Bo-
den weg durch alle Himmel: die Natur hingegen
wollte gar nicht fort; Orion, Adler, Schwan
und Wagen ſchienen mich zum beſten zu haben,
ich haͤtte ſie gern Himmelab aus Ungeduld mit den
Haͤnden geruͤck[t], und ſprang oft naͤrriſch in die
Hoͤhe, ſie zu erreichen.“
„Endlich ſchlug die letzte Viertelſtunde, und
ich eilte an den beſtimmten Ort. Alles war ſtill
auf den Wegen, und ich lief uͤber die Bruͤcken weg;
und wartete in einer Ecke nahe bey der Thuͤr, in
meinen Mantel eingehuͤllt, lauter Ohr und
Auge.“
„Ich war kaum da: ſo ging ſie ſchon auf.
Ich machte mich herbey, und vernahm die leiſen
Worte:„ herein!“ ich ſchluͤpfte durch, und war
im Dunkeln.„ Die Schuh aus! fluͤſterte ſie,
mir die Treppe herauf nach!“ Und ſachte, ſachte,
F 5Hand
[90] Hand in entzuͤckend zarter, warmer, feſthaltender
Hand tappten wir in ein Zimmer auf den Ka-
nal; und wieder zugeſchoben mit dem Riegel
wurde die Pforte des Himmels. Caͤcilia war in
einem leichten Nachtgewande, den Kopf entbloͤßt
und das lange Haar nur in einen Knoten gebun-
den, das weich in den Seiten mir in die Finger
fiel.“
„Ich hielt ſie umſchlungen, und raubte den
erſten Kuß, der wie ein ſuͤßer Blitz mein Weſen
durchfuhr; und ſie ſagte ſeufzend:“ O was wag
ich nicht, euch naͤher kennen zu lernen! ich weiß,
daß ihr ein Florentiner ſeyd, und hier die Mah-
lerey treibt, aber daß dieß eure Beſtimmung nicht
iſt, ſondern Nebenbeſchaͤftigung, und euer Ziel
im Verborgnen hoͤher ſteckt. Eine Freundin eu-
rer Tante und von mir, die euch als eine andre
zaͤrtliche Mutter wohl will, und durch jene euch
eure Wechſel auszahlt, hat es mir unter dem
Siegel des Stillſchweigens anvertraut. Eure
edle
[91] edle ſchoͤne Geſtalt und Jugend, und, es muß
nun von meinen Lippen! ein unwiderſtehlicher
Zug im Innern, den ich noch bey keinem Sterb-
lichen fuͤhlte, haben mich dazu verleitet.“
„Verlaßt euch in Geheimniſſen auf Wei-
ber, dacht ich, wenigſtens, die ſie nicht ſelbſt be-
treffen! und gerieht in ein Labyrinth.“
„Ein andermal von unſern Umſtaͤnden,
erwiedert ich. O daß ich dich endlich habe, du
Stolz von Venedig und Zierde der Welt!
Laß uns jetzt ganz allein ſeyn, und die voruͤber-
eilenden Augenblicke genießen in junger feuriger
Liebe, o du Seele meiner Seele, Geiſt und Licht
meines Lebens! Hier hob ich ſie mit Macht in
meine Arme, und trug ſie unuͤberwindlich ſo auf
einen Sopha, der in der Ecke am Fenſter ſtand.“
„Ungluͤcklicher, ſagte ſie, was willſt du be-
ginnen?“ und ſtieß mir mit allen Kraͤften das
Geſicht von ihrer Bruſt. Dieß iſt kein falſches
Straͤuben! ein einziger Ruf von mir, den mei-
ne
[92] ne Bruͤder hoͤren: und du biſt des Todes, und
ich im Hauſe auf immer elend!„ Dieß war in ei-
nem ſo feſten ſichern Tone geſagt, wie ein Schwert-
ſchlag die Schulter herein, daß ich nachlaſſen
mußte; ich wurde wie von einander geriſſen,
als das himmliſche warmlebendige Geſchoͤpf meinen
Armen entwich.“
„Nicht ſo heftig, holder Verwegner! ſo
war es nicht gemeint!“ fing ſie nach einer kleinen
Pauſe an, und ſtreichelte mir die Backen, die
Sirene.
„Ganz außer mir ergriff ich ſie wieder mit
Gewalt von neuen. Hier aber gerieht ſie in
bittern Zorn, und riß mich mit den Haaren von
ſich:“ glaube nicht, ſagte ſie, daß ich ein Kind
bin, das nicht weiß, was es thut, und mit ſich
anfangen laͤßt, was ein wuͤhtender Menſch
will!„ Ich konnte nichts dagegen aufbringen,
und Unmoͤglichkeit, Liebe und Bewunderung
machten, daß ich meine Leidenſchaften baͤndigte.“
„Wir
[93]
„Wir ſetzten uns denn. Ich war auf dem
ſtuͤrmiſchen Meere, herumgewuͤhlt von tauſend
Wogen. Sonderbare Scene! Sie ſchlang her-
nach ihren rechten Arm um meinen Nacken, und
ich meinen linken um ihre Lenden, und die zwey
andern Haͤnde ſchloſſen ſich in ihrem Schooße zu-
ſammen; vor uns ſtand auf einem Tiſchchen ein
Nachtlicht. Ach, wie ſie bluͤhte! ein voller Ro-
ſenbuſch im May am friſchen Morgen im neuen
Glanz des Himmels und den Choͤren der Nach-
tigallen herum. Ihre jungen feſten Bruͤſte koch-
ten und wallten; und im Netz ihrer verwirrten
blonden Haare zappelte meine arme Seele wie ein
gefangener Vogel.“
„Ich flog ihr mit flehendem Geſicht am Bu-
ſen, und klagte ſchmachtend:“ Was haſt du mit
mir vor, Zauberin?“
„Liebe! ſey ohne Sorge! antwortete ſie
darauf; ſonſt wuͤrd ich nicht gethan haben, was
ich that; ſuͤße Traulichkeit, wo ihrer zwey ſich das
Le-
[94] Leben froh machen, die fuͤr einander geſchaffen
ſind.“
„Uns verging die Sprache, und wir ſaßen
lang, eine ſchmerzlich entzuͤckende Stille, in heißer
Empfindung aneinander gegoſſen.“
“Mir rollten endlich unaufhaltbare Thraͤ-
nen uͤbers Geſicht von dem wuͤthenden Kampf
im Innern.”
„O ich ſehe, daß du liebſt, ſagte ſie: und
hob mir das Geſicht in die Hoͤhe, das ich knieend
wie ein Kind in ihrem Schooß verbarg, nach-
dem ich ihr wenig Worte von meinen Schickſalen
erzaͤhlt hatte, nahm mich auf, und kuͤßte mir
zaͤrtlich, am ganzen Leibe zitternd, die Augen
und das bloße Herz, wovon ſie das Hemde weg-
riß.“ Nun geh fort, ſagte ſie; wir koͤnnen jetzt
nicht reden, und nicht laͤnger bleiben. Verſprich,
beſcheidner zu ſeyn; und komme heut uͤber acht
Tage wieder fruͤh nach Santi Giovanni e Paolo;
wenn
[95] wenn ich dir ein Zeichen gebe: ſo ſind wir dieſelbe
Stunde in der Nacht eben ſo beyſammen.“
„Mir war ſelbſt zu wohl und zu weh im
Herzen, und ſie brachte mich unter brennenden
Kuͤſſen und gluͤhenden Umarmungen leiſe wieder
von ſich. Dieß war die erſte Zuſammenkunft.
Morgen, Benedikt, das Uebrige, wenn wir
wieder dazu geſtimmt ſind! ſagte hier Arding-
hello.“
Wir machten uns alsdenn berauſcht auf unſre
Zimmer.„ O [Freundſchaft], und Liebe, rief er,
nach dem Wunſche gut zu ſchlafen, was iſt ohne
dich die Welt! ein Haufen Unſinn fuͤr alle Phi-
loſophen.“
Was Ardinghello geſagt hatte, und die
Vorbereitung dazu, machte mich aͤußerſt unruhig;
mein Geſichtskreis war zwar erweitert: verlor
ſich aber in undurchdringlichen Nebel, und mich
ſchreckte die Zukunft. Seine Leidenſchaften kuͤm-
merten mich. Jedoch verließ ich mich wieder
auf
[96] auf ſeinen hellen Geiſt und ſein edel Herz; und
ſchwur ihm vom neuen bey mir ewige Treue,
und ihn uͤberall, wo Noht an Mann ging, zu
unterſtuͤtzen. Er ſollte mir auf der Stelle fort-
erzehlen, aber er wollte nicht, und ſagte:“
Wir haben ja dazu genug Zeit und Muße;
mein Kopf iſt zu ſehr im Taumel.“
Den Tag darauf bekamen wir Beſuch; und
wer war es? es war der Braͤutigam der Caͤcilia
mit ihren Bruͤdern, die ihm bis Verona entge-
gen ritten, welcher ein kleines Geſchaͤft abmachen
wollte. Sie ſelbſt war einigemal mit ihrer Mut-
ter bey uns geweſen, und ich hatte nichts gemerkt:
ſo ſehr konnte ſie ſich verſtellen. Er geſtand mir
zwar damals ein, der Schalk, daß ſie die ſchoͤn-
ſte weibliche Geſtalt waͤre, die er je geſehen haͤt-
te, was Geſicht und Wuchs und Hand und Fuß
betraͤfe; wenn das Verbergne dem aͤußerlichen
gleich kaͤme: ſo wuͤßte er nicht, ob die griechi-
ſche Venus zu Florenz noch das Wunder bliebe:
und
[97] und bedaurte, daß ſo etwas ungenutzt fuͤr die
Kunſt vergehen ſollte. Allein eben am Verborg-
nen habe Phryne ſo ſehr die andern Maͤdchen
uͤbertroffen; vollkommne Bildung an dieſen Thei-
len, der Reife nahe, ohne Ueberfluß und Ma-
gerkeit, die zarten haͤufigen, und doch feſten
Schwingungen des Lebens in den reinſten For-
men mit aller reizenden Mannigfaltigkeit zur
groͤßten harmoniſchen Einheit durch keine Klei-
dung und Stubenluft verdorben, immer in gehoͤ-
riger Munterkeit und Bewegung erhalten, von
hohem und heiligem und wolluͤſtigem Geiſt beſeelt,
ein wenig Ueberfuͤlle, wo ſie ſeyn muͤſſe, uͤppige
ſanfte Woͤlbung und wieder ſtraffer Umriß ſey
aͤußerſt ſelten, und ein Wunder in der Natur
und man koͤnn es immer, wenn man es faͤnde,
als das allergoͤttlichſte auf dieſem Erdenrund be-
trachten. Es fiel mir nun freylich ein, daß ſie
hoͤher gluͤhte, wenn er von fern im Schatten die
Laute ſpielte, oder mit ſeiner verfuͤhreriſchen
GStim-
[98] Stimme zur Zithar ſang; und ſie ſelbſt war es,
was er bey mir ſchilderte.
Ihr juͤngſter Bruder, ſie war das letzte
Kind, konnt ihn gleich wohl leiden. Sie be-
ſahen ſein Gemaͤhlde, und machten ihm daruͤber
große Lobſpruͤche; nur der Braͤutigam, eine kalte
Staatsperuͤcke von widrigem Geſichte, tadelte
ihm einiges ohne rechten Verſtand, um nach
dem gewoͤhnlichen Kniffe der Großen ſich damit
ein Anſehen zu geben, welches Ardinghello je-
doch gefaͤllig aufnahm, indem er ſich damit ent-
ſchuldigte, daß die Mahlerey ſehr ſchwer, und ſelten
einer in allen Theilen nur ertraͤglich waͤre; und
ruͤhmte dabey ſeine große Einſicht. Dieß gefiel
ihm denn; und er fragte ihn wie einen jungen
Mahlergeſellen, ob er ihn und ſeine Braut ab-
konterfeyen wolle? Ardinghello verbeugte ſich,
und erwiederte, daß ihm dieß großen Ruhm zu-
wegebringen wuͤrde, wenn es nach Wunſch ge-
laͤnge. Jener beſchloß, ihn abrufen zu laſſen,
ſo
[99] ſo bald es ſich ſchickte. Darauf ritten ſie fort,
nachdem ſie ohngefehr ein paar Stunden ange-
halten hatten.
Den Abend blieben wir bey meiner Mutter.
Sie freute ſich uͤber den Beyfall fuͤr ſein Gemaͤhl-
de; und daß er durch dieſe Gelegenheit, beſon-
ders wenn noch die Portraͤte gefielen, in dem
neuen Pallaſte des Braͤutigams viel Arbeit be-
kommen koͤnne. Geld ſey da genug; und dieß
brauchten die Mahler. Die gute Frau war fern,
etwas weiter zu muhtmaßen; aber Ardinghello
ſtellte ſich auch ſo fromm an. Wir mußten bis
ſpaͤt in die Nacht bey ihr aushalten, und er erzehl-
te, um die Zeit auszufuͤllen, einige ruͤhrende
Maͤhrchen.
Wir machten noch vor Schlafengehen aus,
den andern Morgen auf dem See ins Gebirg
hinein zu ſchiffen, und zum Mittagsmal das Ge-
hoͤrige mitzunehmen; ich brannte vor Verlangen,
mehr und alles vom ihm zu erfahren.
G 2Die
[100]
Die Voͤgel begruͤßten vielſtimmend den
neuen Tag. Die Sonne kam herauf im herrli-
chen Lichtkreis am Ende der Bergſtrecke des
Monte Baldo, und ſchritt kuͤhn uͤbers Gebirg
bey Verona im gelben Feuer; die Stirn, womit
ſie ſich empor warf, war Majeſtaͤt, die der Blick
nicht aushielt; und je voller ſie herein trat: deſto
oͤfter mußte ſich das geblendete Auge von dem goͤtt-
lichen Glanze wegwenden, der doch ſo entzuͤckend
nach der blinden Dunkelheit war, daß es immer
durſtiger ſich in den koͤſtlichen Strahlen be-
rauſchte.
Breit lag der See da im Morgenduft, und
die Huͤgel im duͤnnen Nebel; ein leiſes Wehen in der
Mitte kraͤuſelte die Wellen, und weckte ſeine
Schoͤnheit wie auf, und machte ſie lebendig.
Die Haͤuſerchen zwiſchen den Baͤumen am
Ufer ſchienen allein zu ſchlummern mit ihrer
Unbeweglichkeit, und weil die Menſchen noch
nicht heraus waren.
Un-
[101]
Unſer Nachen wallte leicht mit vollgeſchwell-
tem Seegel uͤber die naſſen Pfade.
Es war ein heiter Wetter zu Anfang Oktobers,
und einer meiner unvergeßlichen Tage. Sir-
mio lag lieblich da in Strahlen und ſonnte ſich;
und die unabſehliche Kette der Felſen dahinter,
wie eine neue Welt, als ob ſie beſtimmt waͤre,
lauter Titanen zu tragen. Suͤßer roͤhtlichter
Dunſt bekleidete glaͤnzend den oͤſtlichen Himmel,
und die wollichten Woͤlkchen ſchwebten ſtill um
den lichten Raum des Aethers, worin entzuͤckt
in hohen Fluͤgen die Alpenadler hingen.
Der See iſt wuͤrklich einer der ſchoͤnſten,
die ich geſehen habe, ſo reizend ſind deſſen Ufer,
und zugleich majeſtaͤtiſch und wild, mit ſo viel
Abwechslung von Lokalfarben; und Licht und
Schatten macht immer neue Scenen. Die
Halbinſel Sirmio liegt in der That da, wie der
Sitz einer Kalypſo, um von da aus das Land zu
G 3be-
[102] beherrſchen; und hat das praͤchtige Theater von
ungeheuren Gebirgen vor ſich.
Wir kamen bey guter Zeit am beſtimmten
Ort an; und machten uns noch in der Kuͤhle den
Berg hinauf. Als wir die erſte Anhoͤhe erſtie-
gen hatten: lagerten wir uns in dem Waͤld-
chen von Kaſtanien unten an den Quell der mit
Epheu bekleideten Felſenwand ins weiche Gras,
von hohen dunkeln Eichen und Buͤchen hier um-
ſchattet; nachdem wir erſt unſre Weinflaſchen an
den friſcheſten Platz geſtellt, gerade wo der
Sprung hervorſtrudelte. Dem Schiffer ſagten
wir, er ſollte vor Sonnenuntergang uns wieder
abholen; und ſo blieben wir allein.
Wir ruhten vom Aufſteigen aus, und ſtreck-
ten uns die Laͤnge lang auf die bequemſten Fleck-
chen; noch niedrig beym Aufgehen hatte ſchon
die Sonne durch die Staͤmme den Thau wegge-
kuͤßt, und es war nun alles trocken. Wir ge-
noſſen vom neuen das Labſal des letzten Schlum-
mers
[103] mers, als wir ſo fruͤh aus den Betten mußten: und
die einzelnen Lichtſtrahlen zitterten ſuͤß von oben
ſchraͤg durch die bewegten Zweige auf unſre Au-
genlieder, und ſchimmerten in die Daͤmmerung.„
O Sonn und Erde, rief endlich Ardinghello,
wie gut macht ihrs euern Kindern, wenn ſie ſich
ſelbſt das Leben nicht verbitterten!“ und ſprang
auf. Auch ich raſtete nicht laͤnger: der friſche
Duft der fortrieſelnden Quelle machte den gan-
zen Koͤrper doppelt rege.
Ich nahm ihn in Arm, und ging mit ihm
auf und nieder durch die Baͤume, und ſagte:„
das iſt doch nicht fein, da wir ſo lange beyſam-
men ſind, und ich dich liebe, wie mein ander Ich,
daß du mir noch nichts von deinen Lebensumſtaͤn-
den bekannt gemacht haſt, und immer damit hin-
ter dem Berge hielteſt! So oft die Rede auf dei-
ne Familie kam, bogſt du davon aus, als ob du
aus dem Kraute gewachſen waͤreſt; was Caͤcilien
G 4be-
[104] betrift, laß ichs noch angehen, und deine Ent-
ſchuldigung waͤre bey jedem andern gut geweſen.
Lieber! verſetzte er darauf, mein Schutz-
geiſt hat mich davon abgehalten. Ich glaube,
daß jeder Menſch einen Daͤmon hat, der ihm
ſagt, was er thun ſoll, und daß Sokrates nicht
einen allein hatte; wenn wir nur deſſen Stim-
me hoͤren, und uns nicht uͤbereilen wollten. In je-
dem Menſchen wohnt ein Gott, und wer ſein
inner Gefuͤhl gelaͤutert hat, vernimmt ohne Wort
und Zeichen deſſen Orakelſpruͤche; er kennt ſeinen
eignen hoͤhern Urſprung, ſein Gebiet uͤber die
Natur, und iſt nichts unterthan.“
„Ich ſtamme aus einem der guten Haͤuſer
von Florenz: mein Vater war Aſtorre Fresco-
baldi, und meine Mutter, Maria, von der
verfolgten Familie der Albizi! beyde ſind nicht
mehr, und ich bin allein noch uͤbrig, ihr erſtes
und letztes Kind. Mein Vater entbrannte in
Leidenſchaft fuͤr Iſabellen, die dritte Tochter
des
[105] des Cosmus, vermaͤhlt mit dem Roͤmer Paul
Orſini: und ſie gab ihm leicht Gehoͤr; er war
noch jung, wohl gebildet, und hatte tauſend
Reize ſie zu feſſeln. Sie wurde gleichfals gegen
ihn entzuͤndet; und in Abweſenheit ihres Man-
nes, der von ihr wie geſchieden lebte und ſich
meiſtens zu Rom aufhielt, hatten ſie erwuͤnſchte
Gelegenheit, ihr Liebesſpiel zu treiben. So ge-
bahr ſie denn zwey Toͤchter, von welchen wenig-
ſtens die erſte meine natuͤrliche Schweſter iſt.
Sie hat ſich hernach vielen Preis gegeben und
mag wohl ſelbſt nicht wiſſen, mit wem ſie die
uͤbrigen Kinder erzeugte; jung und ſchoͤn uͤber
alle Weiber, voll Witz und Geiſt und Leben,
und ſo durch Erziehung gebildet, daß ſie Spa-
niſch, Franzoͤſiſch, und ſo gar Lateiniſch ſpricht,
verſchiedne Inſtrumente ſpielt, wie eine Sirene
ſingt, und Verſe macht, oft aus dem Stegreif,
herrſchte ſie am Hofe, wie eine Goͤttin, und that,
was ſie wollte. Noch jetzt uͤbt ſie Gewalt aus,
G 5ob-
[106] obgleich der Scepter ihres Vaters ihr nur ent-
wandt iſt *). Ihre Liebhaber verfolgten ſich ei-
ner den andern, und wie Sonne ſtrahlte die
Muhtwillige, ungeſtoͤrt vom Krieg der Elemente
um ſie herum; immer mit neuen Vergnuͤgungen
beſchaͤftigt, ließ ſie ihre Geliebteſten im Elend ver-
derben, und machte ſich daruͤber keine Sorge.
Ein goͤttlich ſchoͤnes Ding bloß fuͤr die Gegen-
wart! ein Feuer, das alles aufzehrt, was ſich
ihm naͤhert.
Mein Vater wurde das erſte Opfer; der
Herzog ließ ihn gefangen ſetzen. Er machte ſich
los, und fluͤchtete nach Venedig; und von dort
in die Levante. Man zog ſeine Guͤter ein, un-
ter
[107] ter Vorwand von Verſchwoͤrung und Staatsver-
brechen; meine Mutter ſtarb daruͤber fuͤr Gram.
Mich nahm meine Tante Lukrezia zu ſich.
O guter Freund, du weißt noch nicht, was ein
kluger Tyrann thun kann! von fern ſieht die Ty-
gertatze ſchoͤn aus, wegen ihrer Staͤrke und Be-
hendigkeit. Wenn Cosmus ein zweyter Augu-
ſtus iſt in Unterjochung der Freyheit und Wol-
luſt gegen ſeine Landestoͤchter, und in ſeinen
Julien: ſo iſt er noch viel grauſamer, als ſein
Urbild.
Durch ein bloßes Ohngefehr hab ich die beſte
Erziehung erhalten. Als Knabe folgt ich mei-
ſtens meinem Hange, und wurde hernach bey
dem geſtoͤrten Hausfrieden durch die Leidenſchaft
meines Vaters gegen Iſabellen wenig mit vor-
geſetzten Lehrmeiſtern geplagt. Ich ging mit
Kindern von allerley Klaſſen um, und die faͤhig-
ſten waren meine Spielgeſellen; ich ſuchte ſie zu
uͤbertreffen im Laufen und Ringen und Schwim-
men
[108] men im Arno und in liſtigen Streichen. Ich
habe freylich manche Beule im Balgen und Fal-
len davon getragen, bin aber davon weder ein
Kruͤppel geworden noch geſtorben. Mein Vater,
ein muthiger tapfrer Mann, nahm mich im erſten
zarten Alter einigemal mit zur See, wo er als
Befehlshaber der Galeeren die Kuͤſten gegen die
Korſaren beſtrich: und die reinen großen ewigen
Gegenſtaͤnde erfuͤllten hier meine ganze Seele,
und erregten maͤchtig alle Triebe zum Freyen und
Edlen.
Wie ich zum Juͤngling heran wuchs, hatten
die bildenden Kuͤnſte und hoͤhern Leibesuͤbungen
den groͤßten Reiz fuͤr mich; und naͤchſt dieſen
griechiſche und roͤmiſche Sprache und die Ge-
ſchichte dieſer hohen Voͤlker; auch hierin wollt ich
jeden uͤbertreffen, und Gluͤck und Geſtalt und
Weſen fuͤhrte mich zu den beſten Meiſtern.
In der Zeichnung und Mahlerey kam ich
auf die letzt unter die Haͤnde des Georg Vaſari,
der
[109] der zwar nie ein ſchoͤpferiſches Werk hervorge-
bracht hat, aber voll Kenntniß und Geſchmack
war, bey allen ſeinen Vorurtheilen. Der alte
Schwaͤtzer blies wie ein Boreas mit vollen Ba-
cken in meinen Enthuſia[s]mus. Mein Vater, deſ-
ſen Augapfel ich war, ließ mir zwar nach ſeiner
Jovialitaͤt, und nach Georgens Verheißungen,
daß ich ein Licht werden wuͤrde, alles zu verdun-
keln, freyen Willen: doch bracht er mich noch kurz
vor ſeiner Gefangenſchaft und Flucht zu verſchied-
nen philoſophiſchen Koͤpfen, in deren Umgang
ich nach und nach mich zu einer andern Richtung
lenkte. Meine erſte Neigung behielt aber immer
die Oberhand.
Ich glaube, die Hauptregel bey der Erzie-
hung ſey, den Kindern Zeit zu laſſen, ſich ſelbſt
zu bilden. Das beſte, was man thun kann, iſt,
daß man die Triebe ſchaͤrft und reizt, ein Vor-
treflicher Menſch zu werden, und ihnen die eigne
Arbeit ſo viel wie moͤglich dabey erleichtert. Alle
Na-
[110] tur, wenn ſie groß und herrlich werden ſoll,
muß freye Luft haben. Freylich muß der Stoff
dazu in den Urkraͤften liegen; und ein guter Er-
zieher ſollte doch einiger maßen die Vortreflichkeit
der Pflanzen kennen. Jeder gewaltige Geiſt
wirft ſchon in der Kindheit, obgleich noch im
Chaos und Nebel, helle Strahlen von ſich.
Alkibiades legt ſich als ſpielender Knabe Wagen
und Ochſen in den Weg, zwingt den Treiber zu
halten; Scipio erkannte den kuͤnftigen Marius
im jungen Soldaten. Ein einziger Gedanke,
nur eine That, von ſcharfem tiefem Gefuͤhl oder
vielfacher Ueberlegung entſproſſen, obgleich noch
roh auf verſchiednen Seiten, iſt eine gluͤckliche Vor-
bedeutung; und ſo Schnelligkeit zu faſſen und
zu behalten: hingegen Allgehorſam und Frauba-
ſengutartigkeit, ſo beliebt bey Pedanten, eine
ungluͤckliche; denn da iſt kein Muht und keine
Kraft. Alles, was in die jungen Seelen einge-
trichtert wird, was ſie nicht aus eigner Luſt und
Lie-
[111] Liebe halten, haftet nicht, und iſt vergebliche
Schulmeiſterey. Was ein Kind nicht mit ſeinen
Sinnen begreift, wovon es keinen Zweck ahndet,
zu ſeinem eigenen Nutzen und Vergnuͤgen: das
verfliegt wie Spreu im Winde. So iſt die
Natur des Lebendigen vom Baum und Gras an;
und der Menſch macht davon keine Ausnahme.
Jeder geh in ſein Leben zuruͤck, und ſehe, ob
etwas von allem dem Vorzeitigen geblieben iſt,
wo nicht etwa bloß zum Verderb des Genuſſes.
Viel Natur und wenig Buͤcher, mehr Erfah-
rung als Gelerntes hat die wahren vortreflichen
Menſchen in jedem Stand hervorgebracht.
Ein Kind muß erſt den Boden kennen ler-
nen, worauf es gebohren iſt, Gewaͤchſe, Thiere
und Menſchen, eh es etwas Auslaͤndiſches faſ-
ſen kann: ſonſt koͤmmt ein Papagay heraus.
„Keine Schrift, ſagt Plato mit Recht, und waͤ-
re ſie von dem aͤchteſten Trismegiſt, gibt mehr
als Erinnerung der Dinge, die man ſchon kennt;“
und
[112] und iſt fuͤr den, der ſie nicht kennt, eben ſo un-
bedeutend, als die Hieroglyphen fuͤr die Roͤmer
auf ihren praͤchtigen Oblisken. Von der ſinnli-
chen Natur aber geht man hernach uͤber in die
Geiſterwelt; und macht in Entzuͤcken Bekannt-
ſchaft mit den großen Griechen und Roͤmern, und
allen außerordentlichen Weſen, die dieſe Nacht
erleuchten.
Als mein Vater einige Jahre weg war,
fuhr er fort, bekam ich eine ſolche Sehnſucht nach
ihm, daß ich nicht laͤnger bleiben konnte. Ich
fuͤhlte die Ungerechtigkeit des Großherzogs wegen
ſeiner buhleriſchen Tochter erſt recht lebendig;
ſah meine eigne Gefahr, und machte mich ohn-
geachtet der Vorſtellungen meiner Tante auf,
und reiſte ihm nach, ohne zu wiſſen, wo er ſich
eigentlich aufhielt. Ich ging unter anderm Na-
men nach Venedig, um dort, waͤhrend ich ihn
auskundſchaftete, die Werke Tizians zu ſtudie-
ren, und vom Paul Veroneſe und Tintorett zu
ler-
[113] lernen; und meine Tante ſchickte mir von mei-
nem Muͤtterlichen, ſo viel ich brauchte. Paul
gewann mich bald lieb, ſo wie der Greis Tizian,
den ich in ſeinen letzten Tagen oft mit Singen
und Spielen ergoͤtzte; und ſie weyhten mich in
verſchiedene von ihren Geheimniſſen ein, weil ſie
Auge bey mir fanden. Es war mir nun lieb,
daß ich außer meinem eignen Vergnuͤgen noch
etwas gelernt hatte, womit ich mich auf allen
Fall durch die Welt ſchlagen konnte.
Den Herbſt vor meiner Bekantſchaft mit
dir erfuhr ich endlich, daß mein Vater zu Kan-
dia als Hauptmann in Dienſten eurer Republik
ſtuͤnde, unter dem General Malateſta, einem
Florentiner; deſſen Sohn Cosmus in den Ar-
men ſeines Vaters dort umbringen ließ, weil er
mit ſeiner erſten Tochter Maria zu thun hatte,
die er deßwegen ſelbſt, der kalte Barbar ohne
Eingeweyde, mit Gift hinrichtete. Ich war
ſchon zur Abreiſe fertig, und wartete nur auf
Hein
[114] ein Schiff zur Abfahrt, als meine Tante mir die
neue traurige Nachricht meldete, daß auch er
durch Meuchelmoͤrder, eben wie der junge Ma-
lateſta, laͤngſt, noch vor dem Kriege mit den Tuͤr-
ken, das Leben eingebuͤßt habe. Dieß traf mich
wie ein Wetterſchlag; ich ſchwur in meinem Her-
zen hohe Rache, und kochte lauter Galle. Noch bis
jetzt kann ich nichts ausrichten, wenn ich mein jun-
ges Blut nicht fuͤr ein altes ausgemergeltes auf
der Stelle hingeben will: aber das Verderben
reift uͤber ihren Haͤuptern.“
Dem Edlen ſtanden hier die Thraͤnen in den
Augen, er warf ſich nieder an die Quelle, mit
dem Geſicht auf dem Boden; ſein Inneres war
beklommen; er ſchwieg, und knirſchte mit den
Zaͤhnen.
Ich faßte ihn bey der Hand, und redt ihm
zu: „mich jammert dein Schikſal, und du haſt
Recht zu zuͤrnen. Aber die Welt iſt voll von Un-
gluͤcklichern! und du kannſt noch ſtolz ſeyn; wo
ſind
[115] ſind diejenigen, die ſo viel Leben in ihrem In-
nern haben, wie du, um alles zu bekaͤmpfen? Freude
und Leid umtanzt und umringt wechſelsweiſe je-
den Menſchen, und hierin iſt kein Unterſchied
zwiſchen Koͤnig und Knecht.“
„O ihr Venezianer, fuhr er auf, und ihr
Genueſer habt gut reden! Euch hat kein Haus,
wie uns das Mediceiſche, ſo niedertraͤchtig zu
Grunde gerichtet, und ihr ſtrahlt frohlockend in
Oſten und Weſten von Italien wie das Zwil-
lingsgeſtirn am Himmel; Toskana, die alte
Glorie von Welſchland, liegt da in Schmutz und
Trauerkleidern, mit Ketten behangen von ſeinen
eignen Soͤhnen.“
Unſer Geſpraͤch ging dann auf die Geſchichte
dieſer Staaten uͤber, das hier zu weitlaͤuftig waͤ-
re, und außer meinem Kreiſe.
Es war ſchon gegen Mittag, und der Dunſt
vom Sonnenbrand auf den Gegenden benahm
H 2alle
[116] alle Ausſicht; unten ſchien der See zu kochen,
und eine ungeheure Feuerpfanne von geſchmolz-
nem Silber; Eydexen, Kaͤfer, Muͤcken und un-
zaͤhlbare Inſekten hielten in der Gluht ein allge-
meines Feſt, und die Grillen betaͤubten mit ihrem
Gezirp wie ein Meerbrauſen die Ohren: wir
machten uns alſo an unſere Quelle in die gruͤne
kuͤhle Nacht, wo die undurchdringlichen Eichen
und Buchengewoͤlbe und Felſen maͤchtiglich vor
der Hitze Dampf beſchirmten.
Wir ſtaͤrkten uns mit Speiſe; und der fri-
ſche Purpurſaft der Traube weckte unbezwinglich
die Freude wieder in jeder Nerve. Wie ein Paar
junge Goͤtter lagen wir da im Schatten, und unſre
Augen und Lippen laͤchelten vom vergangnen Kum-
mer wie die Blumen des Fruͤhlings von ſuͤßem
Abendthau. O Jugend, o gluͤckſelige Jugend;
ach, warum verlaͤſſeſt du uns ſo bald!
Wir ſchwiegen, und uͤberließen uns der
neuen Wonne; und plaͤtſcherten, denn wir hat-
ten
[117] ten Rock und Struͤmpfe ausgezogen, mit den
Haͤnden und Fuͤßen in dem klaren Waſſer; das
ungern in die Waͤrme hinaus rann, um uͤber
Klippen zu ſchaͤumen. Jeder von uns ahndete ſo
das Gefuͤhl ſeiner Laufbahn.
Nachdem wir lange in Genuß und Em-
pfindung gelegen hatten, und mit den Wellen
und Kieſeln geſpielt, und Kraͤutern und jungen
Sproſſen, brach ich zuerſt das Stillſchweigen,
und fragte leiſe: und Caͤcilia?
„Ach, Caͤcilia, erwiedert er haſtig, iſt fuͤr
mich verloren, ein ſchwarzer Unhold entfuͤhrt
ſie mir. Selige Augenblicke, wo an mir al-
les Irdiſche ſich bey ihr zu Geiſt erhoͤhte, ich vor
mir ſelbſt verſchwand in einem Meer unterge-
taucht von unſterblicher Reinheit und Klarheit!
die Arme dauert mich; aber da iſt keine Rettung,
wo ein Gott nicht hilft.
Das goldne Geſchoͤpf hat uͤber mich vermocht,
was ich nie glaubte. Unſre naͤchtlichen Zuſam-
H 3men-
[118] menkuͤnfte in Venedig waren leider ſelten, und
wir ſahen uns einander nur bey groͤßter Sicher-
heit. Noch waͤhrend dieſer Zeit warb mancher
um ſie, ſo wie ſchon viele vorher um ſie gewor-
ben hatten; beſonders der junge Bartholommeo
F ** mit einer voͤlligen verliebten Raſerey,
uͤbrigens ein Mann, nicht ohne trefliche Eigen-
ſchaften, wie du weißt, nur von geringem Ver-
moͤgen: aber keine Parthie war ihren Eltern
und Bruͤdern gut genug; und keiner von den
Helden ergriff ihr Herz. Mir gab ſie nach und
nach alles Preis, Seel und Leib, nur die letzte
Gunſt ward mir vorbehalten; ihr Entſchluß hierin
war ſtahlfeſt und unwankbar: weder Beredtſam-
keit, noch Gewalt, und die feinſte Verſchlagen-
heit konnt etwas ausrichten. Sie hat mir gute
Proben abgelegt, daß ein Weib vor der Verfuͤh-
rung ſicher ſeyn kann, wenn es nicht verfuͤhrt
ſeyn will. Du magſt immer daruͤber laͤcheln;
aber ſie hat es geleiſtet. Ich ſehe dich in Gedan-
ken
[119] ken fragen, was wir zuſammen thaten? Was Adam
und Eva, lieber Freund, ehe ſie aus dem Pa-
radieſe verſtoßen wurden: Wir lebten im Stan-
de der Unſchuld nach und nach; freylich ging dieß
auf einmal aus der buͤrgerlichen Welt nicht, wo
alles ſeine ſuͤndliche Bloͤße doppelt und dreyfach
bedeckt. Wir offenbarten uns ſo wie von Ange-
ſicht zu Angeſicht unſer Innres. Du kanſt mich
immer zu dieſer Zeit einen holden einfaͤltigen
Schaͤferknaben nennen: aber ohne ſolche Vorberei-
tung gelangſt du nie bis in den achten und neunten
Himmel; nur hoͤchſtens auf die gruͤne Wieſe,
wo, wie man ſagt, diejenigen hinkommen, die
weder ſelig noch verdammt ſind. Wer alle Him-
mel durchwandert hat, und in jedem genoſſen und
gelitten zum Aufflug in den hoͤhern: darf von dem
Reiche der Liebe reden. Glaube nicht, daß ich hier
wie Petrarca ſchwaͤrme; dieſer war ein armer
Suͤnder, und hing nur am Schein, nie an der
Wirklichkeit; er hat mit ſeinem Geaͤchz und Jam-
H 4mer
[120] mer ſchier unſre ganze Poeſie zu Grunde gerich-
tet. Die Thoren ſeufzten ihm Jahrhunderte
lang nach, und mancher beſang bey einer feilen
Dirne die Grauſamkeit der beruͤhmten Provenza-
lin in unertraͤglichem Einerley, anſtatt die ver-
ſchiednen Reize der Erdentoͤchter, in ihrer Man-
nigfaltigkeit, wie die heitern Griechen aufzuem-
pfinden. Er ſelbſt zwang die kluge Frau zur un-
erbittlichen Strenge: ſie ſchwebte ja in augen-
ſcheinlicher Gefahr, daß er bey der erſten Gunſt
noch einen Band Sonette, und beruͤhmtere Oden
auf etwas anders als ihre ſchoͤnen Augen
machte.“
“An Planen von Entfuͤhrung und ewiger
Verbindung wurde von uns im Anfange ſtark
gearbeitet; aber weil wir keine Luftgeſtalten
waren und Sinn hatten, und ſie auf keine Weiſe
von ihrer Familie laſſen wollte, die ſie allzuzaͤrtlich
liebte, und beſonders ihre Mutter todt zu kraͤnken
befuͤrchtete: legten ſie ſich bey naͤherer Bekannt-
ſchaft
[121] ſchaft nach und nach. Wir ſahen die mißlichen
Folgen bey den großen Hindernißen zu deutlich;
und erkannten inzwiſchen innig, daß die Natur
unter allem buͤrgerlichen Verhaͤltniß bey Men-
ſchen von reiner Empfindung und klarem Begriff
immer durchgeht, trotz allen Geſetzen. Sie rich-
ten ſich zwar im Aeußerlichen nach der Ordnung
des großen Haufens: betreiben aber im Geheim ihre
eigne Art von Gluͤckſeligkeit, ohne welche kein
Leben Werth hat. So verſtrichen denn die himm-
liſchen Tage, und wir ließen die Goͤtter walten.
Eben im Fruͤhling nach geſchloßnem Frieden
kam endlich Mark Anton G *** aus Grie-
chenland daher geſtuͤrmt mit neuem Gold und
Schaͤtzen. Sein Weib und ſeine zwey kleinen
Kinder, Toͤchter, waren dort an der Peſt ge-
ſtorben; und die heißen Strahlen, die Caͤciliens
Schoͤnheit von ſich warf, ſchienen waͤhrend der
erſten Beſuche bey ihren Eltern gerade den Reiz
zu haben, zu andern Erben fuͤr ſein Vermoͤgen.
H 5Gleich
[122] Gleich einige Wochen nach ſeiner Ankunft hielt
er um ſie an: und ſie ward ihm verſprochen, und
mußte drein willigen; ob er gleich ſchon in die
Vierzig, ſie erſt mannbar iſt, und ihn nicht
leiden kann; aber er hat ſeine großen Beſitzun-
gen bey ſeiner Statthalterſchaft in Kandia noch
reichlich vermehrt mit Grauſamkeiten und Erpreſ-
ſungen, und Unterſchleiffen in Verhandlungen
mit den Tuͤrken, ſteht in großem Anſehn; und
ihre Familie, obgleich bemittelt, bedarf doch
wegen ihrer Bruͤder einer ſolchen Verwandſchaft.
Unſer Liebesknoten ſchlang ſich dadurch nur feſter;
jedoch drohte das nahe Hagelwetter in der Ferne,
die Blumen aller unſrer Freuden zu zerſchlagen.”
Mein Aufenthalt dieſen Sommer hier am
Lago in kurzen Luſtreiſen von Venedig aus war
ſchon beſchloſſen, eh ich mit dir bekannt wurde;
und dein Antrag mit dir zu ziehen, ſetzte mich
anfangs in Verlegenheit: allein ich wußte nun
der Sache keinen beſſern Raht. Auch Caͤcilia,
die
[123] die aͤußerſt beſorgt iſt, wurde furchtſam daruͤber;
doch iſt alles in ſo weit nach Wunſch abgelaufen.
Hier kamen wir weit oͤftrer zuſammen. Sie
hat ihre Wohnung auf dem Gut in dem Garten,
gerade vor einer Pflanzſchule von jungen Baͤu-
men, nicht weit von einem Brunnen mit einem
weiten Marmorbecken, von hohen Ahornen
umgeben, wo man ſehr bequem uͤber die Mauer
klettert. Sie kan von der Seite zu einer Thuͤr
herein; und uͤber dieß iſt ein Fenſter in ihr Zim-
mer wegen des Lattenwerks fuͤr die Reben daran
leicht zu erſteigen; welches ich aber doch, aus
Furcht geſehen zu werden, nur einigemal die letz-
ten Naͤchte, wo es voͤllig Dunkel war, und weder
Mond noch Stern leuchtete, um die Umſchweife
zu erſparen, gewagt habe: und ich erſtieg immer
damit alle neun Himmel; mit der Nachricht von
der Ankunft des Braͤutigams zur Hochzeit er-
obert ich endlich, ach, unter wie viel Schmeiche-
leyen, beredten Bitten, heißen Wolluſtkuͤſſen
und
[124] und Gewaltthaͤtigkeiten! das heilige Palladium;
umrungen von Glanz und Feuer, jede Fieber
ſuͤße Wuht.“
Ardinghello hatte ſich bey den letzten Reden
von mir abgewandt, und hielt nun ſein Geſicht
in den friſchen klaren Quell hinein, um die Gluht
davon abzukuͤhlen.
Wir machten uns vom neuen uͤber die Fla-
ſchen her, und ich gab ihm den Raht, weder ſie
noch ihn zu mahlen, und lieber ſich zu rechter Zeit
zu entfernen; die Sache kaͤme mir allzugefaͤhrlich
vor.
„Flieh du, antwortete er, wenn du keinen
Willen haſt, und dir die Fuͤße gebunden ſind!
ja, fliehen moͤcht ich, aber mit ihr; jedoch,
wohin?“
Schon ſenkte ſich der Tag, und der Abend
ruͤckte naͤher; wir erſtiegen noch die Hoͤhen, und
uͤberſahen weit die Lombardey und ihre Luſtreviere.
Beym Heruntergehen nahmen wir einige Zeich-
nun-
[125] nungen von reizenden Winkeln und Ausſichten
ab; fanden alsdenn unſern Steurmann auf uns
warten, verließen Quell und Waͤldchen und
den leichten erhebenden Aether: wandelten wieder
in die Tiefe, und ſegelten unter dem lieblichen
Zauberſpiel von Abendroͤthe nach Hauſe, zwiſchen
den Geſaͤngen frohlockender Winzer uͤber den
Seegen des Herbſtes.
Ardinghello wagte noch dieſelbe Nacht eine
Zuſammenkunft mit Caͤcilien. Sie hielten Raht,
und es wurde beſchloſſen, daß er die Portraͤte
mahlen ſollte; indem es anſtoͤßig ſeyn wuͤrde,
und ſogar Verdacht erregen koͤnnte, wenn er es
nicht thaͤte. Uebrigens verließen ſie ſich auf ihre
Gegenwart des Geiſtes und Verſtellungsgabe,
und nahmen deßwegen die ſicherſten Maaßregeln.
Den dritten Tag darauf holt ihn auch ihr
juͤngrer Bruder dazu ab, und er begleitete ihn
mit allen Zugehoͤrigen; der Braͤutigam wolte ihr
Ebenbild noch vom Stand ihrer Jungfraͤulichkeit.
Sie
[126]
Sie haͤtte gar nicht noͤthig gehabt ihm zu ſitzen;
aber er zauderte mit Fleiß, und ſchien auf Nichts
acht zu geben, als die eigenſten und bedeutendſten
Zuͤge von ihr recht zu faſſen. Er bat ſie, ſo ganz
bloß als unbekannter Mahler, ſie moͤchte ſich nur
voͤllig frey ihrem Weſen uͤberlaſſen, und thun
wie ſonſt in der Geſellſchaft, oder als ob ſie al-
lein waͤre; er muͤſſe von ſelbſt aus den mancher-
ley Bewegungen ihrer Seele auf der Oberflaͤche
des Koͤrpers ihren Charakter abnehmen, und ſei-
ne Phantaſie das Ganze bilden. Ein gutes
Portraͤt ſey platterdings keine bloße Abſchrift,
und es gehoͤre dazu das tiefſte Studium des Men-
ſchen, wovon er noch leider weit entfernt, wozu
er auch zu jung waͤre; aber er wolle nach Ver-
moͤgen das Seinige thun.
Ihre Mutter war immer dabey zugegen,
und der Braͤutigam, und einige von ſeinen und
ihren Verwandten gingen auf und ab. Caͤcilia
war ſehr aufgeraͤumt, ſprach und ſcherzte, und
hat-
[127] hatte die Mahlerey zum Beſten; ſchien zwar dem
holden Juͤngling in ſeiner Beſchaͤftigung gern
zuzuſehen, warf ſo gar unverſtellte Blicke auf ihn,
wie man auf Schoͤnheit wirft: aber alles wie fremd
und zum erſtenmal; und ihre Worte hatten im-
mer etwas von dem vornehmeren Ton gegen einen,
den man fuͤr ſeine Arbeit bezahlt.
Die erſte Sitzung geſchah des Nachmittags
gegen Abend. Nach wenig Umriß und Zeich-
nung fing er ſogleich am Kopf an zu mahlen.
Sie ſaß den andern Morgen beym Fruͤhſtuͤck noch
einmal; und dann wollt er ſie nicht weiter plagen,
außer bey der Vollendung, um hier und da nach-
zuhelfen. Den Nachmittag und ganzen dritten
Tag und vierten Morgen bracht er damit faſt
allein zu: und ſiehe da! ſie kam heraus wie voͤl-
lig lebendig. Alt und jung bewunderten die er-
ſtaunliche Gleichheit. Er hatte ſie in einem
leichten ſoͤmmerlichen Morgenanzuge vorgeſtellt,
meiſt von gruͤner Seide, worunter die vollkomm-
nen
[128] nen Formen ihrer jugendlichen Glieder reizend
aufwallten, und durchleuchteten. Sie ſtand in
Lebensgroͤße, nachdenkend, wie geruͤhrt, in die
Zukunft blickend, den Kopf in der linken auf
einen Pult geſtuͤtzt, in einem Zimmer, wo durch
ein ganz ofnes Fenſter die Ausſicht auf den See
ging, an welchem Sirmio in der Naͤhe und ein
wenig blaue Ferne von den Gebirgen wohl ange-
bracht waren. Ardinghello hatte im Geſichte
ſchoͤne Zuͤge von ihrem Charakter ausgeſpaͤhet, die
ſich nachher erſt entwickelten.
Den fuͤnften Nachmittag gab er ſich an den
Braͤutigam. Nach den erſten Umriſſen geſtand
er ihm gleich, daß ihm ſein Kopf ſehr ſchwer vor-
komme; und daß er noch keine rechte Idee von
der urſpruͤnglichen Einheit ſeines Charakters in
der Einbildung habe. Mit allen großen Maͤn-
nern muͤſſ’ ein Kuͤnſtler lange leben, um nur
eine von ihren bedeutendſten Auſſenſeiten in taͤu-
ſchender Wahrheit feſt zu haſchen; und [uͤberhaupt]
ſey
[129] ſey es ſchier unmoͤglich, irgend Jemand ſicher
darzuſtellen, den man nicht an Geiſt und Kraft
gewiſſer maaßen uͤbertreffe.
Es ging hierbey im Mark Anton eine ge-
waltige Veraͤnderung vor, und er erroͤthete, und
wurde wieder blaß augenſcheinlich; ſo daß er aufſte-
hen und ans Fenſter gehen und Ardinghello ein-
halten mußte.
Dieſer faßte darauf all ſein Bewußtſeyn
zuſammen; und jener kam nach einer langen
Pauſe wieder und ſetzte ſich. Ardinghello zeichne-
te vom neuen, und ihre Blicke begegneten ſich
einander wunderbar: die des Ardinghello hell
und durchdringend, doch von aufgewuͤhltem Her-
zen, flamten in die ſeinigen, wie in eine duͤſtre
Nacht voll Irrfeuer.
Mark Anton fragte ihn endlich, ob er ſich
ſchon lange in Venedig und der Gegend aufhalte.
Ardinghello antwortete mit Beſinnung: „es iſt
noch nicht lange; die Werke des Tizian, und
JPaul
[130] Paul von Verona, und Tintorett haben mich
dahin gezogen; und auch am Johann Bellini iſt
noch zu ſtudieren, und andern; beſonders aber
an der herrlichen Menſchenart zum Kolorit.“
„Seyd ihr aus Florenz ſelbſt?“ verfolgte er
ferner.“ Ja; „war die Antwort.„ Und euer
Vater?“ „Mein Vater iſt todt, und meine Mut-
ter iſt todt, ich ohne Geſchwiſter bin allein
uͤbrig.“
„Wer war er, was trieb er?„ dieſe Frage
machte Ardinghellon endlich ungeduldig, er
ſchnickte den Pinſel aus, und antwortete: „er
war ein Schwertfeger und machte gute Klingen.“
Bey dieſen Worten trat Caͤcilia herein, und
hemmte das Geſpraͤch; denn ſie waren vor-
her ganz allein. „Nun, gehts gut?“ fragte ſie
laͤchelnd. „Es wuͤrde beſſer gehen, antwortete
Ardinghello, wenn ich das Gluͤck gehabt haͤtte,
Ihro Excellenz laͤnger zu kennen.“ An mir iſt
nicht ſo viel gelegen, erwiederte der Braͤutigam,
wißt
[131] wißt ihr was, laßt es fuͤr jetzt gut mit mir ſeyn,
und macht die Signora vollends fertig. Wir
werden naͤher bekannt werden, und kuͤnftigen
Winter einmal iſts beſſere Zeit,“
„Wie ſie befehlen, verſetzte Ardinghello.“
und ruͤckte die Staffeley weg.
„O nein, ſprach heftig Caͤcilia, im Winter
gibts lauter Nebel und Regen, und keine gute Luft
zum Mahlen!“
„Nun gut, ſagte der Braͤutigam, da kann
es ja noch nach unſrer Vermaͤhlung hier geſchehen.
Jetzt bin ich ohne dieß zu ſehr beſchaͤftigt; und
kann nicht ſo ruhig ſeyn, wie Sie, mein Herz.“
Sie nahm ihn bey der Hand, und ſah ihn
zaͤrtlich an, und fuͤhrte ihn fort. Ardinghello
gab ſeiner Zeichnung einen Naſenſtuͤber, brachte
die Sachen in Ordnung, und ging darauf von
ihrem Gut, und kam zu mir nach Hauſe.
Er erzehlte mir, was vorgegangen ſey: und
mir wurde daruͤber warm im Kopfe. Ich konn-
J 2te
[132] te nicht anders glauben, als Mark Anton habe
Lunte gerochen; und warnte und beſchwur ihn
mit Bitten inſtaͤndig, aͤußerſt auf ſeiner Hut zu
ſeyn, und fuͤr jetzt ſich ganz ſtille zu halten.
Er aber meynte, ſeine Art roht und blaß zu wer-
den muͤſſe von etwas anderm herruͤhren, als
Eiferſucht; ſo viel er ſich ſelbſt fuͤhle und an an-
dern beobachtet habe, offenbare ſich dieſelbe auf
eine andre Weiſe. Jedoch ſey wahr, daß die
Grundverſchiedenheit der Menſchen hierin ſon-
derbare Abweichungen mache. Inzwiſchen haͤtt
er ſich noch nirgend ſo betrogen, wenn dieß Eifer-
ſucht ſeyn ſolle; auch reime ſich dieß nicht zu ſei-
nem uͤbrigen Charakter, wie er ihn aus Hoͤrenſa-
gen und den wenigen Augenblicken kenne. Daß
er auf ſeiner Hut ſeyn wuͤrde, dafuͤr brauch ich
nicht zu ſorgen; aber ein Feiger nur flieh alle
Gefahr. Man muͤſſe Stand halten, mit uner-
ſchrocknem Muht, ſo lange das Verderben nicht
unuͤberwindlich einbraͤche; dieß allein rette und
begluͤcke den Mann.
Sein
[133]
Sein Verdacht auf etwas anders; und ein
wahrſageriſcher Geiſt geb ihm ein, der Statthalter
von Candia ſey bey Ermordung ſeines Vaters
nicht ganz außer Spiele geweſen; und die Aehn-
lichkeit ſeiner Geſtalt ihm aufgeſchoſſen.
Mir fiel heiß hierbey ein, daß Mark An-
ton, vor ſeiner Statthalterſchaft von der Repu-
blik abgeſchickt, einige Zeit zu Florenz geſtanden
und mit dem Großherzog auf einem ſo guten Fuß
umgegangen ſey, daß er ſeinen ſchwierigen Auf-
trag gluͤcklich ausgefuͤhrt habe; ich ſchwieg jedoch
hiervon ſtille, um nicht Oel ins Feuer zu gießen,
und ſagte im Gegentheil: dieß kaͤme mir nicht
wahrſcheinlich vor, er ſolle ſich deßwegen nichts
in Kopf ſetzen.
Den folgenden Morgen bracht er das Bild
dahin, daß es im Rahmen konnte aufgeſpannt
werden; und bekam fuͤr ſeine Arbeit von Caͤcilien
J 2ſelbſt
[134] ſelbſt einen ſchoͤnen goldnen Ring mit einem koſt-
baren Rubin zum Geſchenk, der gerad an den
Herzensfinger ſeiner linken Hand paßte. Dieß
gefiel ihm denn; und er freute ſich, und lachte dar-
uͤber, wie die Dinge dieſer Welt ſo ſonderbar un-
ter einander laufen. Am dritten tag hierauf
ſollte das Beylager gehalten werden, alle An-
ſtalten dazu waren ſchon gemacht, und die Nach-
barſchaft zu einem feſtlichen Ball eingeladen.
Ardinghello ging inzwiſchen tiefſinnig her-
um, aß wenig und trank viel, und konnt es nicht
laͤnger verbergen, daß er vom Stempel der Liebe
maͤchtig gezeichnet war; er mied alle Geſellſchaft.
Morgens, Abends und des Nachts kam er nie
auf ſein Zimmer, und ſchlief nur des Mittags.
Ich hatte mit dem Armen [Mitleiden]: aber da
war nicht zu rahten; er hoͤrte wie ein Meerſturm.
Die erſten Stunden der Nacht am Tage vor der
Hochzeit trat er auf einmal ploͤtzlich haſtig auf
mein Zimmer, blaß und fuͤrchterlich; ich ſchrieb
eben
[135] eben an einem Briefe. Wie ich ihn aber ſo er-
ſcheinen ſah: fiel mir die Feder aus der Hand,
und ich ſprang auf: „was gibts, was haſt du?“
„Mein Argwohn war nur zu gut gegruͤndet,
hoͤre!“ ſprach er, und ging mit mir zum aͤußer-
ſten Ende von der Thuͤr weg.
„Du kennſt den ſchoͤnen einſamen Platz,
wo die großen babyloniſchen Weiden vom hohen
Felſengeſtad herunter nach dem See hangen, und
das Ganze zu einer ſtillen melancholiſchen Ver-
tiefung ſich einſchließt: dahin war die letzte Zeit
immer mein liebſter Spaziergang; ſchon vorher
ſind wir dort beyſammen geweſen. Auch dieſen
Abend ging ich dahin, und nahm einmal ein In-
ſtrument mit. Es fing an zu daͤmmern, als
ich noch auf der entbloͤßten Wurzel der vorderſten
Weide nach dem Thale zu ſaß, und meine Lei-
den ſang. Der Inhalt von meinem Liede war:
Ach, mein Vater todt, meine Mutter todt, mei-
nes Lebens Luſt in fremder Gewalt! iſt dieß nicht
J 4ein
[136] ein junges Herz zu brechen? Saitenſpiel klags mit
mir! Und bey den Worten, nach dem Blick
und der Empfindung: Fluͤſterſt du Luͤftchen in
den Blaͤttern mir Troſt zu? kams uͤber mich, als
ob ich meinen Vater vor mir und mir winken ſaͤ-
he. „Warum erſcheinſt du, was verlangſt du
von mir?“ rief ich und ſprang auf. Zugleich er-
blickt ich nicht weit von mir einen Kerl mit dem
Meſſer in der Hand, welcher alsbald davonging
mit dieſen Worten: „flieh junger Menſch, du
dauerſt mich, ich ſollte dich ermorden! Flieh ſo
geſchwind du kannſt, ſo weit dich deine Beine
tragen, und meide den Mark Anton. Schon
wurde durch ihn dein Vater umgebracht. Mei-
de das Gebiet des Großherzogs.“
„Mir wurde dabey das Herz im Leibe umgekehrt;
aber ich beſann mich doch nicht lange, ſondern
riß meine Piſtole hervor (er ging auf ſeinen
Wegen nie ohne Gewehr aus) und jagte ihm von
der Seite eine Kugel durch die Bruſt, daß er
auf
[137] auf der Stelle ſtuͤrzte.“ Stirb Elender, fuͤr dei-
ne Schlechtigkeit in der Schlechtigkeit, und be-
reite das Quartier deinem Patron in der Unter-
welt! „vernahm er noch die Antwort. Darauf
gab ich ihm noch einen ſichern Stoß mit ſeinem
eignen Meſſer, und waͤlzte den Koͤrper in die
Dornen und das Geſtraͤuch hinein, den Felſen
hinunter. Niemand war ſchon laͤngſt mehr auf
dem Felde, und es ſchon finſter; und der Ort iſt
uͤberhaupt, wie du weißt, voͤllig abgelegen. Den
Kerl erkannt ich noch, wie ich ihn naͤher beſah;
ich habe vor kurzem in einem Wirthshauſe zum
Zeitvertreib mit ihm a la Mora geſpielt, und
ihm nicht allein ſeinen Verluſt geſchenkt, ſondern
die Zeche oben drein bezahlt.“
Dieß entſetzte mich; ich ſah die graͤßlichen
Folgen bey ſeiner kuͤhnen Entſchloſſenheit voraus,
und wußte nichts zu antworten, als: „es iſt un-
geheuer!“
J e„Du
[138]
„Du ſollſt nichts dabey zu thun, und nichts
dabey zu verantworten haben, fuhr er fort; nur
beſchwoͤr ich dich beym Himmel und deinem letzten
Tropfen Liebe zu mir, laß michs ausfuͤhren, ei-
nen haͤßlichen politiſchen Meuchelmoͤrder mehr
aus der Welt zu ſchaffen. O Vernunft breit al-
len deinen heitern Aether in meinem Verſtand
aus, daß ich kalt genug zu Werke ſchreite! wenn
er morgen auf der Hochzeit mit dir von mir ſpre-
chen ſollte: ſo ſage nur, du habeſt mich die letz-
tern Tage nicht geſehen, ich ſtreiche ſo oft im Lan-
de herum, und ſuche Schoͤnheit in Gegenden und
unter Menſchen; und gieb im uͤbrigen auf alles
Acht was vorgeht, beſonders auf dem Ball in der
Nacht.“
Ich war betruͤbt von allen dieſen Dingen,
und wußte mir nicht zu helfen. Es war da kein
Naht, als entweder ihn oder den andern aufzu-
opfern; und vor dem erſten Gedanken ſchauder-
te meine Seele, wie vor ihrem Nichtſeyn; den
koͤ-
[139] koͤniglichen Juͤngling vom raͤcheriſchen Arm der
Natur bewafnet, voll innerm Gehalt, der uͤber-
all hervorſtrahlt: oder den mißgeſchaffnen Boshaf-
ten, der das Vortreflichſte aus kleinlicher Leiden-
ſchaft und elendem Intereſſe wegtilgt? es fand
weder Wahl noch ein ander Mittel ſtatt.
Ich gab ihm nach der Ueberlegung zur Ant-
wort: „Du ſollſt mich als deinen Freund erken-
nen; an deinem Muht und deiner Klugheit im
uͤbrigen darf ich nicht zweifeln. Jedoch bedenke
vorher, was du thuſt, und daß dein Leben ſelbſt
dabey in aͤußerſter Gefahr iſt.“
Was ſoll mir ein Leben, das Sklaverey
duldet und Unrecht leidet? erwiederte er, ſchaͤnd-
liches Unrecht! und das grauſamſte! O ich weiß,
daß das ewig lebt, was in mir lebt; und daß
dieß keine Gewalt zu Grunde richtet. Ich war, was
ich bin, und werd es ſeyn: ein edler Geiſt, den ſein
goͤttlich Urweſen durch alle Zeiten von der Drangſal
niedriger Verbindungen immer bald erloͤſen wird.
O waͤ-
[140] O waͤren viele wie ich! der Tyranney unter unſerm
Geſchlecht ſollte bald weniger ſeyn. Aber da fuͤrch-
ten ſie ſich vor dem Woͤrtchen Tod, und glauben
ſie waͤren das, was da kalt und bleich und ſtarr aus-
geſtreckt auf dem Brete liegt, da es nur das Ge-
ſpenſt der eigentlichen Unterwelt iſt, das ihre nie-
drigre Gattung von Weſen nach ſeinen jaͤmmerli-
chen Beduͤrfniſſen herumfoltert, und alle reine
Seele mit Apoſtelſtimme den verachtet, der kei-
nen Muht hat zu ſterben, und ſich von dem Elend
frey zu machen.“
Mich duͤnkte, einen Gott reden zu hoͤren:
ſo ſtolz und groß ſtand der Menſch vor mir; ich
mußte ihn an mein Herz druͤcken.
Allein der mißlichſte [Punkt] bey der Sache
war Caͤcilia; dieß machte ihm am meiſten zu ſchaf-
fen, und er uͤberlegte auf allen Seiten. Er glaub-
te, daß es endlich auch hier gehen wuͤrde, und ſey
der Gewalt ſicher, die er uͤber ihren Willen
habe! ſie ſelbſt ins Spiel verflochten, und der
au-
[141] außerordentlichen Biegſamkeit ihres Geiſtes und
ihren andern Faͤhigkeiten die Rolle nicht zu ſchwer.
Er muͤſſe das aͤußerſte wagen, ſie dieſe Nacht noch
zu ſprechen: es waͤre nohtwendig, daß ſie ſich vor-
her darauf bereite.
Uebrigens ſahen wir immer klaͤrer in dem,
was vorgegangen war. Mark Anton ſtieg nicht
aus bloßer Hoͤflichkeit bey ſeiner letzten Ankunft
an unſerm Haus ab, da er es bey den vorigen
Beſuchen nicht that, die er bey ſeiner Braut ab-
legte; der Großherzog mochte Wind bekommen
haben, wie der junge Frescobaldi heranwaͤchſe,
und daß kein bloßer Mahler in ihm ſtecke, weß-
wegen ihn der Adel zu Florenz gewiſſermaßen ver-
achtete; und wollte bey Zeiten der gefaͤhrlichen
Brut den Nacken brechen. Der Moͤrder des
Vaters hatte denſelben in Venedig ausgekundſchaf-
tet, und ſein eigen boͤs Gewiſſen dazu angetrie-
ben. Das andre ergab ſich von ſelbſt: er
ließ ihn bey ſich mahlen, um ihn genauer
kennen zu lernen, und [ob er] wirklich ge-
faͤhr-
[142] faͤhrlich waͤre; und Ardinghello beſchleunigte mit
den ohne alles Arg geſagten Worten: er war ein
Schwertfeger und machte gute Klingen; die ihm
vielleicht der Zorn des Himmels eingab, dem
Verbrecher das Todesurtheil anzukuͤndigen, ſei-
nen Untergang, wenn es nicht anders verhaͤngt
geweſen waͤre.
Der Urſprung dieſer Begebenheiten war uns
aber damals unbekannt, und Ardinghello erfuhr
ihn erſt, als er wieder nach Florenz kam. Mark
Anton verliebte ſich dort gleichfalls in Iſabellen,
und bracht es ſo weit mit ſeinem Geld, und ſei-
ner ihr neuen gefaͤlligen venezianiſchen Mundart,
daß auch ihm, der Seltenheit wegen, eine Zu-
ſammenkunft verſprochen wurde. Allein ſtatt
des gehofften Vergnuͤgens fand er durch geheime
Veranſtaltung des Vaters von Ardinghello in
ihrem Zimmer eine alte magre Ziege angebun-
den; und ſchlich wieder davon, als ob er nicht
da geweſen waͤre. Laͤcherlich dadurch bey ihr
gemacht,
[143] gemacht, hatte die ganze Liebesgeſchicht ein Ende.
Mark Anton nahm dies zwar nicht wie einen
luſtigen Streich bey dergleichen Laufbahnen auf
die leichte Achſel; doch konnt er ſich ſogleich nicht
raͤchen, und lies die Sache lieber im Verborgnen.
Der Großherzog, in der Folge davon benachrich-
tiget, gebrauchte ihn hernach, als ein Mann, der
ſeine Leute kannte, zu ſeinen Abſichten. Ardinghello,
noch Knabe, bekuͤmmerte ſich nicht um ſolche
Dinge. So entſtehen immer die wichtigſten
Folgen aus Kleinigkeiten.
Ich gieng darauf zu meiner Mutter; und
er ſchloß ſich auf ſein Zimmer. Um Mitternacht
ſchlich er heraus, und ſtieg in Caͤciliens Garten.
Sie hatten ſich gleich im Anfang ihrer Liebe Zei-
chen fuͤr Augen und Ohren erfunden, die kein
andrer Menſch verſtand und die ohne allen Ver-
dacht waren. Sie vernahm ihn, und erſchrack:
dieſe Zeit uͤber ſollte keine Zuſammenkunft mehr
gehalten werden; und beſann ſich, ob ſie kom-
men
[144] men oder nicht kommen wollte. Als er aber darauf
das Zeichen gab, wo alles mußte gewagt werden;
denn auch dieß hatten ſie, im Fall, wo ſie ſich die
hoͤchſte Gefahr entdecken mußten: ſo ging ſie zit-
ternd nach der Thuͤr, und ihr ſanken die Kniee ein.
„Caͤcilia, ſprach er zu ihr, wie ſie im verbor-
genſten Buſchwerk an der Mauer beyſammen wa-
ren, ich bin verloren, wenn ich deinem Braͤuti-
gam nicht zuvorkomme; „und erzehlte ihr die
Begebenheit den Abend mit dem Banditen, und
alles in wenig Worten, was ſie noch nicht wuß-
te.“ Morgen Nachts, wo nur immer moͤglich,
ſchaff ich ihn aus der Welt, und ich hoff, es ſoll
bey dem feſtlichen Geraͤuſche nicht an Gelegenheit
fehlen, wenn du nicht lieber mich willſt hinge-
richtet ſehen.
Jedes Wort war ihr ein Donnerſchlag.
„O welch ein Sturm waͤlzt ſich uͤber mich
her! rief ſie aus, entſetzt, nach langer Betaͤubung;
ſchon
[145] ſchon tauml’ ich mitten in den erzuͤrnten Wogen
von Abgruͤnden geworfen, und alle Winde raſen.
Ach, waͤre ich mit dir aus dem Schiffbruch auf
einer wuͤſten unbewohnten Inſel nur! Aber
wir gehen unter in den wilden Fluhten.
Mir ſagts mein Herz, erwiedert er darauf,
daß wir gluͤcklich der Gefahr entkommen. Habe
Muht, himmliſch Weſen! der Wellen Ungeſtuͤm
verletzt kein Geſtirn; es tritt deſto glaͤnzender
bald wieder auf, und ſtrahlt in ewiger Klar-
heit.“
Niemand weiß von unſrer Liebe (der Edle
wollte ſeinen Freund auf alle Weiſe außer Ge-
fahr ſetzen). Niemand weiß von dem ſchaͤndlichen
Vorhaben des Mark Anton gegen mich; ſein
Spion und Moͤrder meines Vaters modert ſchon
zwiſchen Klippen und Dornen: ſolche Dinge
vertraut man nicht, außer gegen wen man muß.
Der Großherzog iſt noch weit von hier, mich ſoll er
Kſo
[146] ſo leicht nicht in die Schlinge bekommen. Schlage
mich aus dem Sinn die kurze Zeit des Getuͤm-
mels, und thu, als ob du von mir nichts wuͤß-
teſt: und du biſt ſicher. Ueber mich waltet die
Vorſicht: ſonſt waͤr ich dem Tod nicht entgangen,
und ſie haͤtte mir meinen Pfad nicht gezeigt.“
„O wie kann ich dich, Geliebter, einen
Augenblick vergeſſen? Wie kannſt du vergeſſen
meine Seeligkeit und mein Leiden?„ fiel ſie ihm
mit Thraͤnen an ſeine hochklopfende Bruſt; fuhr
aber bald haſtig auf und ergriff ihn, zuruͤckſtoßend,
klammernd bey der Hand: „fort von hier, uͤber
Berg und Thal, laß mich! O haͤtt ich dich nie
geſehen, o ich Ungluͤckſelige! Ich beſchwoͤre dich
bey aller unſrer Wonne, bey deiner und meiner
Liebe, ſtuͤrzte ſie ſich ihm zu Fuͤßen, und umwand
ſeine Knie: uͤberwaͤltige dich meinetwegen, der
Ruhe meiner Familie wegen, verſchiebe wenig-
ſtens die Rache! Mich feſſelt das grauſame Schik-
ſal
[147] ſal mit eiſernen Ketten an mein Elend, und ich
kann ihm nicht entrinnen: du aber geh in ein an-
der Land, ſey gluͤcklich bey allen deinen Vollkom-
menheiten, und laß mich. O Gott, ſchluchzte
ſie, wer weiß, wenn und wie und wo, und ob
wir je uns wieder ſehen!“
„Ardinghello umwand ſie feſt mit ſeinen Ar-
men, und traͤufelt ihr mit der Stimme des lebendig-
ſten Gefuͤhls ins Ohr: welche ſklaviſche Furcht
hat ſich deiner bemeiſtert! komme wieder zu dir,
und rede mit Beſinnung Es ſiege die Liebe, die
in der Natur allen andern vorging, und die Gerech-
tigkeit! haſt du keinen Blick in die Tage der Zu-
kunft? einem ſolchen boͤsartigen Ungeheuer
wollteſt du an der Seite liegen, und deine glaͤn-
zende Wohlgeſtalt von ihm ſchaͤnden laſſen, in
lauter Gram und Ekel, da die edelſten Juͤnglin-
ge voll Eifer und Feuer vor dir ſchmachten? hat dieß
ſo maͤchtig wallende Herz in deinem Buſen ſo
wenig eigne Kraft, daß es nichts fuͤr ſich thut:
K 2ſon-
[148] ſondern ſeine angebohrnſten Regungen nach an-
drer Willen umlenkt? O Caͤcilia, erhabenes We-
ſen, erkenne deinen Werth! zu deinem eignen
Wohl, und weil ich dich kannte, vertraut ich dir
das Geheimniß.“
„Soll ich den Schlechten verklagen, ihn zu
einem Zweykampf herausfordern? wie albern!
Warten in der aͤußerſten Gefahr? wie thoͤricht!
ihn gehen laſſen, dulden, leiden, ſchweigen und
mich davon machen? O ich waͤre nicht werth,
dich an meine Seele zu faſſen, nicht werth auf
dieſem Boden zu athmen, tief tief unter der Erde,
der armſeeligſte halbzertretenſte Wurm muͤßt ich
ſeyn.“
Die Zeit iſt edel, wir haben keine Worte
zu verlieren; ich ſage dir aus dem Buch des ewi-
gen Verhaͤngniſſes: Mark Anton, der nieder-
traͤchtige Meuchelmoͤrder muß ſterben von mei-
ner raͤcheriſchen Hand fuͤr alle ſeine Bosheiten; oder
du
[149] du mußt mich und dich dem Tod und der oͤffent-
lichen Schmach Preis geben. Es findet hier kei-
ne Wahl ſtatt, und ich kenne dazu genug dei-
nen hellen Geiſt und deine hohen Gefuͤhle.
Meinetwegen hab in jeder Ruͤckſicht keine Sor-
ge: fuͤr dich wird dein ſcharfſichtiges Auge leicht
den Ausweg finden, und deine Gewandtheit
ohne Verletzung und Gefahr daruͤber, weg-
gleiten.“
„Nun, ſo fuͤrchte denn alles, unerbittliches
Felſenherz! verſetzte ſie ihm aufgebracht; und
wenn du ſicher ſeyn willſt: ſo zuͤcke den Stahl
zuerſt auf mich. O herbeygefuͤhrt durch die Luͤfte,
ſteh ich an dem Keſſel eines Feuerſpeyenden Ge-
buͤrgs, Verderben rund um mich, und mir ver-
gehen die Sinnen. O koͤnnt ich mein unabſehli-
ches Elend aller Unſchuld zur Schau aufſtellen,
und ſie damit vor dem erſten Fehltritt warnen!“
K 3Ar-
[150]
Ardinghello konnt ihr nicht mehr antwor-
ten, ſo ſchnell riß ſie ſich von ihm fort nach ihrem
Zimmer; doch drehte ſie ſich unterwegs noch eini-
gemal um, kam aber außer ſich, nicht wieder zu-
ruͤck.
Er ſagte mir Anfangs von dieſer Unterredung
nur ſo viel, daß ſie ohngefehr den von ihm er-
warteten Ausſchlag genommen habe.
Den andern Morgen in aller Fruͤhe geſchah
die Trauung. Cacilia erſchien am Nachmittage,
wo das Gelag war, reizender als je; Schlaflo-
ſigkeit, und die beſtaͤndige Ueberlegung deſſen
was vorgehen ſollte, hatte ihre Lebensgeiſter er-
hitzt, und uͤberzog ihr Geſicht mit der lieblichſten
Schaamroͤthe.
Ardinghello bereitete ſich den Tag uͤber auf
die That: machte ſich ſelbſt auf den Nohtfall eine
Maske, kaͤmmte ſein Haar anders, veraͤnderte
Hut und Kleidung, um einen Landman der Ge-
gend
[151] gend vorzuſtellen, und ſetzte ſich in gute Verfaſ-
ſung zur Flucht auf jeden Fall. Meine Mutter
und ich waren beym Feſte.
Eine zahlreiche Geſellſchaft hatte ſich ein-
gefunden. Pracht und Ueberfluß, mit feiner
Kunſt angeordnet, herrſchten an der Tafel, und in
Saͤlen und Zimmern Glanz und Freude. Die
Braut ſchien in neuen Empfindungen verloren,
antwortete aber doch leicht jedem Schalk, und
immer in jungfraulicher Beſcheidenheit; jeder-
mann ſchien den Gluͤcklichen zu beneiden, deſſen
Beute ſie ward, und den Wunſch im Herzen zu
hegen, mit ſuͤßer Gier im Liebesbette, ſtatt ſei-
ner, der zarten Schoͤnheit Blume zu pfluͤcken.
Gegen Abend erhob ſich der Ball. Als die
Kerzen brannten, vermißte man bald Braut und
Braͤutigam, und laͤchelte daruͤber. Der Braͤu-
tigam kam nach langer Zeit zuerſt wieder, und
ſeine Unenthal[t]ſamkeit und Enthaltſamkeit beklatſch-
K 4te
[152] te ohne Scheu der Muhtwill junger Maͤnner-
Doch hoͤrte man zu ſeiner Entſchuldigung von einer
Stimme den frechen Fescenniniſchen Scherz: der
verſuchte Ritter wird den Morgen ſchon bey hartem
Sturm die Fahne auf die Feſtung gepflanzt haben.
Er lachte; jedoch duͤnkte michs nicht das Laͤcheln
der Luſt nach gepflogner Liebe, und winkte mit der
Hand nach dem Fenſter. Und ſieh! Racketen
ſtiegen auf in der Luft und kreuzten ſich uͤber dem
See; und zerknallten in ſchoͤnen Kreiſen ſinkend.
Gleich hernach erſchien auch die Braut wieder,
und wurde begluͤckwuͤnſcht von Muͤttern und Wei-
bern, indeß ſie gluͤhte wie eine Roſe.
Man fuͤhrte ſie an den Erker zum be-
ſten Platz, das Schauſpiel anzuſehen: und auf
einmal rauſchte die Girandola gen Himmel wie
ein ungeheurer brennender Palmbaum. Dar-
auf folgten mancherley neue Feuerwerkskuͤnſte. Der
Ort dazu war auf einem hohen felſichten Ufer des
Sees
[153] Sees nicht weit vom Pallaſte; der Braͤutigam,
welcher dergleichen verſtand und es angeordnet
hatte, lief hernach ſelbſt hinunter, um die Leute,
die es abbrannten, zum Eifer zu treiben, weil
einigemal ſtarke Pauſen vorgingen: und gerad
am Ende der Stiege wurd er vom Ardinghello an
der Kehle feſt gepackt, und empfing den ſchaͤrf-
ſten moͤrderlichſten Dolchſtich von unten auf ins
Herz. Derſelbe ſagt ihm ſchleunig noch ins Ohr:
„bin der junge Frescobaldi! deine Braut war
meine Geliebte, die Frucht unſrer Liebe wird dein
Vermoͤgen erben ſtatt deſſen meines Vaters.“
Er lag da und regte ſich nicht mehr: Ar-
dinghello entwiſchte. Niemand bemerkte ihn,
die Bedienten unten ſperrten alle, weit von dem
Pallaſte, Augen und Maͤuler auf uͤber das Feu-
erwerk, und jubelten und laͤrmten; und oben
plauderte man gleichfals und betrachtete.
K 5Es
[154]
Es lag da, ſo lange das Feuerwerk dauerte.
Wie es vorbey war, und die Bedienten wieder
hereinſprangen: erſcholl auf einmal ein Zeterge-
ſchrey. Man draͤngte ſich zu den Thuͤren heraus:
der Braͤutigam iſt ermordet! lief ploͤtzlich von
einem Mund zum andern. Caͤcilia rennte mit
Geheul hervor, und wie ſie deutlich vernahm,
unten an der Stiege mit einem Stoß in die
Bruſt ermordet! ſank ſie auf der Stelle nieder
in Ohnmacht, und Arm und Beine welkten,
ihr Antlitz entfaͤrbte ſich, und der Kopf hing im
Nacken. Man hob ſie auf und brachte ſie auf Sitze,
und beſprengte ſie mit ſtarken Waſſern; es war ein
allgemeines Gewuͤhl und Laͤrmen.
Der Todte ward unten in ein Zimmer ge-
bracht; man zog die Kleider weg und beſichtigte
die Wunde: ſie ging nett ins Herz, und da war
an keine Huͤlfe mehr zu denken. Caͤcilia kam
wieder zu ſich, „was iſt mir? wo bin ich? ſprach ſie
ſtoͤh-
[155] ſtoͤhnend mit verirrten Blicken.“ Ach, todt,
todt! Wer hat ihn umgebracht! o ich Ungluͤckſeli-
ge! „und ſo zerraufte ſie ſich die ſchoͤnen blonden
Locken, und riß die Kleidung vom Leibe, und
wuͤthete wie eine Bacchantin.
Ich darf ſagen, daß, bey Kummer und Sor-
ge fuͤr Ardinghellon, mich doch dieß entzuͤckte.
O ihr Weiber, welch ein Mann erreicht je eure Ver-
ſtellung! Sie wollte mit Gewalt zu ihm, aber man
hielt ſie ab. O Gott, welch ein Vermaͤhlungs-
feſt! ſchluchzte ſie, und die Traͤhnen ſtuͤrzten ihr
aus den Augen. Haͤtt ich aber alles gewußt: ſo
wuͤrd ich tiefes Mitleiden mit ihr gehabt haben.
Die Verwandten des Mark Anton, worun-
ter eine verheurathete Schweſter von ihm war,
verſtummten und machten allerley Geſichter, und
wußten nicht, wo ſie angreiffen ſollten: die Bruͤder
und Eltern der Caͤcilia verloren aber den Kopf nicht;
und
[156] und der aͤlteſte, auch ſchon verheurathet, ergriff
ſie bey der Hand, und ſagte zu ihr: „faſſe dich,
was geſchehen iſt, kann man nicht aͤndern, und
ſey vernuͤnftig, fuͤr dich iſt jetzt ein kritiſcher Zeit-
punkt! Sprich, und rede laut: hat Mark An-
ton ſchon wirklich ſeinen Bund in der That mit
dir vollzogen, oder nicht? das andre ſoll hernach,
ſo viel menſchmoͤglich iſt, aufs ſchaͤrfſte unterſucht
werden.“ Sie warf den Kopf in die Arme und
bedeckte die Augen, und ſagte ſeufzend und wei-
nend: „ach, waͤr es nicht geſchehen, und ich noch,
was ich war!“
Die Schweſter antwortete hierauf: „wir ſind
hier auf einmal in ſonderbare Umſtaͤnde gerathen,
und werden ſchwerlich ſo friedlich aus einander ge-
hen koͤnnen, als wir zuſammen gekommen ſind.“
„Damit ſie erkennen, verſetzte der Vater
der Caͤcilia, daß wir nichts unbilliges verlangen:
ſoll meine Tochter gleich in ſichre Verwahrung ge-
bracht
[157] bracht werden, und einige von ihren Verwand-
ten und meine Soͤhne moͤgen ſie begleiten. Der
Fall iſt außerordentlich. Wir ergeben uns dann in
den Ausſpruch des hohen Rahts. Inzwiſchen
wollen wir alles aufs ſtrengſte ausfragen und un-
terſuchen.“
Die aͤlteſten und angeſehenſten von der Re-
publick, die hier zugegen waren, verſammelten
ſich gleich auf ein Zimmer allein, und machten
einen Kreis; die Verwandten blieben in der
Naͤhe, die uͤbrigen Gaͤſte im Tanzſaal, und un-
ten wurden die Thuͤren geſperrt. Die Bedien-
ten kamen erſt einzeln nach einander vor. Keiner
wußt etwas, und man fand nirgendwo die ge-
ringſte Spur. Der Gaͤſte waren viel und mancher-
ley. Man hatte zwar auf ein Paar derſelben
Argwohn, weil ſie vor dem Ermordeten um
Caͤcilien warben, und gegen denſelben heimli-
che Feindſchaft hegten: jedoch durfte man ſie ſo
bloß darauf oͤffentlich nicht antaſten; man erkundig-
te
[158] te ſich nur ſehr ſcharf unter der Hand, wo ſie waͤh-
rend der That ſich befunden haͤtten. Sichre Per-
ſonen legten gut Zeugniß fuͤr ſie ab, daß ſie in
ihrer Gegenwart geweſen waͤren.
In ſo weit war alſo die Unterſuchung ver-
geblich. Man ſchickte darauf Leute in die Gegend
aus, um jeden Verdaͤchtigen feſt zu halten, wel-
ches man freylich eher haͤtte thun ſollen: allein
im erſten Aufruhr dachte Niemand daran;
und Ardinghello, einer der ſchnellſten Fuß-
gaͤnger, befand ſich zu dieſer Zeit ſchon in Sicher-
heit.
Was Caͤcilien betraf, konnte man nicht
nach aller Strenge verfahren, da es der Wohlſtand
und das Anſehen ihrer Eltern und Bruͤder nicht
zuließ, welche beyde letztere bey dem Sieg uͤber
die Tuͤrkiſche Flotte ſich den Namen großer
Helden erworben hatten; alle waren au-
ßer-
[159] ßerdem dem reizenden Geſchoͤpf gewogen,
und keiner von Herzen dem Braͤutigam.
Mancher machte ſich in Ruͤckſicht ihrer Hofnung,
entweder ſie ganz zu beſitzen, um eine der reich-
ſten Parthieen von Venedig, noch unabgeweidet
in friſcher Bluͤthe; oder doch auf irgend eine Ge-
faͤlligkeit bey ſolcher Lage Rechnung. Wenn ein
Menſch einmal todt iſt, hoͤrt bald alle Gunſt auf;
und wer am Leben bleibt, hat immer das beſte
Spiel. Dieß iſt in der Natur der Dinge; ei-
nem Todten iſt doch nicht mehr zu helfen, denken
ſie, und es koͤmmt dabey nichts heraus. So
gings zu Venedig, wohin Caͤcilia ſich noch dieſelbe
Nacht unter Begleitung ihrer Bruͤder und der
Verwandten ihres Braͤutigams, mit etlichen
Perſonen vom Raht, auf den Weg machen mußte,
bis ihre Schwangerſchaft ſich voͤllig offenbahrte. Sie
wurde zwar nach der Form gehoͤrig bewacht und be-
fragt: allein da man gar keine Angaben, nicht den
geringſten Verdacht, und ſie einen Bartolus und
Bal-
[160] Baldus in derſelben Perſon zum Advokaten hat-
te, endlich frey geſprochen; und ſie ſelbſt verſtand
meiſterlich die Seelen zu feſſeln, und ſpielte durch-
aus ihre Rolle vortreflich: in dem kurzen Um-
gange mit Ardinghellon hatten ſich ihre ſeltne
Naturgaben herrlich noch entwickelt und ausge-
bildet.
Zu Anfang des neunten Monats darauf
wurde ſie, in Beyſeyn gerichtlicher Zeugen,
von einem geſunden kraͤftigen Sohn entbunden,
welcher in der Taufe die Namen S. Marco Giovanni
e Paolo empfing; und Niemand wußte die gehei-
me Bedeutung. Sie gelangte damit zum recht-
lichen Beſitz aller Guͤter Mark Antons, dem ihre
Bruͤder ein praͤchtiges Grabmal von dem beruͤhm-
teſten Bildhauer mit einer ſinnreichen Inſchrift
von dem beſten lateiniſchen Poeten beſorgten,
und trauerte lange, und hielt ſich eingezogen von
allen Luſtbarkeiten.
Arding-
[161]
Ardinghello hatte ſich nach gluͤcklich vollbrach-
ter That durch Umwege ſchnell auf ſein Zimmer
gemacht, und geſchwind umgekleidet; er war
ſicher, von Niemand bemerkt worden zu ſeyn, und
wollt im Freyen unter der fremden Kleidung
nicht laͤnger bleiben. In unſre Wohnung konnt
er nach Belieben herein und heraus, weil er den
Schluͤſſel zu der einen Außenthuͤr von ſeinem
Fluͤgel hatte. Auch war ohne dieß alles aus dem
Pallaſte nach einem guten Platz zum Feuerwerk
gelaufen, dem zauberiſchen Schauſpiel uͤber dem
See. Inzwiſchen machte er ſich doch behend auf
jeden Fall gefaßt, und lauerte nahe bey [ſei-
nem] Zimmer im Garten, bis ich mit meiner Mutter
nach Hauſe kam, und ihm das gluͤckliche Zeichen
gab; das Feſt war gaͤnzlich verſtoͤrt, und ich
hielt nur ſo lange aus, als es ſich ſchickte, um
nichts zu verſaͤumen.
Auf ihn fiel nicht der mindeſte Verdacht,
weder hier noch in Venedig. Dort wurde bey
Leini-
[162] einigen jungen Herren ſtrenge Nachforſchung ge-
halten, die mit heftiger Leidenſchaft vorher um
Caͤcilien warben; aber es kam nichts heraus, und
die Ermordung blieb ein Raͤhtſel:
[[163]]
Zweyter Theil.
L 2
[[164]][165]
Ardinghello wollte nun nicht laͤnger in der
Gegend bleiben: die Sonne war hinweg,
die ihn an ſich zog, und um die er ſich herumbe-
wegte; aber auch fuͤr jetzt nicht wieder nach Ve-
nedig. Und wenn ſich dort die Sachen aufs
gluͤcklichſte ſetzten; ſo ſah ſein Geiſt in der Zu-
kunft Dinge, die ihn folterten. Suͤßigkeit voll-
fuͤhrter Rache, Gram von Caͤcilien geſchieden zu
ſeyn, Kummer ihretwegen, und Sorge fuͤr ſeine
eigne Sicherheit wechſelten in ſeinem Herzen
ploͤtzlich auf und ab, wie ein Aprillwetter.
Sich laͤnger aufzuhalten war gefaͤhrlich; weil
man unter den Papieren Mark Antons vielleicht
Auftraͤge von Cosmus finden konnte: und ſich
gleich aus dem Lande zu machen, ſchien verdaͤch-
tig. Endlich entſchloß er ſich, nach Ueberlegung
L 3aller
[166] aller Umſtaͤnde, noch einige Tage zu harren, und
inzwiſchen ſcharf auf ſeiner Hut zu ſeyn. Es kam uns
nicht wahrſcheinlich vor, daß der Großherzog ſeinen
und ſeines Vaters Tod ſchriftlich ſollte verhandelt
haben; und ein Vertrauter, wenn er auch noch
da waͤre, wie nicht zu vermuhten, duͤrfte bey
Schlechtigkeiten von ſo uͤblem Erfolg keinen Laͤrm
machen, zumal da er doch nicht ſicher waͤre, und
nur muhtmaßen koͤnnte.
Ardinghello ſtellte ſich aufgeraͤumter an, als
je; und wenn in Geſellſchaft die Rede auf die
Begebenheit kam; ſo ſchwieg er entweder, oder
pries Mark Anton gluͤcklich, daß er ſo gerad
in voller Freude ſtarb; und auch Caͤcilien, daß
ſie ſo geſchwind als moͤglich von dem harten Joche
der Ehe ſey ausgeſpannt worden.
Wir fiſchten dann auf dem See, gingen auf
die Jagd, und laſen noch dabey zu guter letzt die
ſchoͤnſten Oden im Pindar, der ſeine Seele vom
neuen mit hohem Taumel ſchwellte, und in et-
was
[167] was ſeinen Sinn von der Gegenwart wegwand.
Die Romanze aller Romanzen auf die Inſel Rho-
dos beſonders entzuͤckte ihn ſo, daß er ſie bald aus-
wendig konnte. Seine Phantaſie kam wieder ganz
in das Goͤtterreich der Poeſie hinein, die Spiele
griechiſcher Jugend riſſen ſein Herz dahin, ſuͤße Liebe
und ſolche Thaten pries er allein ein wuͤrdig Fruͤh-
lingsleben; alle ſeine Kraͤfte tobten und wurden
ungeſtuͤm: er wollte fort in die Welt, in Be-
wegung, auf eine neue Buͤhne, und war nicht
mehr zu halten.
Keine volle zwey Wochen nach Caͤciliens
Abreiſe brach er auf. Er ſchrieb vorher an ſeine
Tante um einen Wechſel nach Genua; er gedachte
von dort nach Frankreich zu ſchiffen, und dadurch
nach Spanien zu wandern, bis an die letzten
Kuͤſten von Portugall. Mir band er unterdeſſen
Caͤcilien aufs Herz, und daß ich ihm von ihr bey
jeder guter Gelegenheit Nachricht geben ſollte.
So bald ſie frey waͤre, muͤßte vermittelt werden,
daß wir alle drey zuſammen eine Freundſchaft
L 4aus-
[168] ausmachten. Fuͤr unſre Heimlichkeiten bildeten wir
uns eine jedem andern unergruͤndliche Schrift,
und wollten bey den Hauptpunkten das Neugrie-
chiſche gebrauchen. Seine Wiederkunft wuͤrde
alsdenn von den fernern Umſtaͤnden abhangen.
Seine Reiſe nach Genua nahm er ſich vor
zu Fuße zu thun, und ſo ſollt es ſein Lebenlang
durch alle ſchoͤne Gegenden geſchehen; er hielt es
fuͤr Thorheit, ſie anders zu machen, wenn man ge-
ſund und ſtark waͤre, und keine nohtwendige Eile
haͤtte: die Natur von Land und Leuten koͤnne
man auf keine andre Weiſe ſo gut kennen lernen;
und was die Straßenraͤuber betraͤfe: ſo ſey man
im Wagen der Gefahr weit eher ausgeſetzt; und
die aͤrgſten wuͤrden von Billigkeit zuruͤck gehalten,
gegen ein harmloſes Geſchoͤpf, das ohne buͤrgerli-
chen Reichthum, wie ſie, bloß menſchlich einher-
ſchreitet.
Er ließ mir alle ſeine Habſeeligkeiten zuruͤck;
und nahm nichts mit ſich, als einen wohlgeſpick-
ten
[169] ten Beutel, und ein Hemd und ein Paar
Struͤmpfe außer denen, die er an hatte.
An einem Abend beurlaubte er ſich von mei-
ner Mutter, die weichmuͤhtig Thraͤnen vergoß,
und ihn an ihre Bruſt druͤckte; er wurde von
ihr geliebt, wie mein Zwillingsbruder. Sie gab
ihm ihren reinſten Seegen, und bat zu Gott,
daß er ſie erhoͤren moͤchte, da er nicht laͤnger blei-
ben wollte; und ſagte ihm zuletzt, daß ſie ſich oft
nach ſeinem Umgang ſehnen wuͤrde. Ihr mach-
ten wir weiß, daß er wieder in ſeine Heimaht
zoͤge.
Wir brachten die Nacht alsdenn beyſammen
zu, ſo recht wie klare Quellen von Leben, wo alle
Blicke durchgehen; ich wuͤnſche mir nie eine groͤß-
re Seeligkeit. Aber ach! was iſt der Menſch?
ein Punkt, zerfetzt und zerriſſen vom Schickſal auf
allen Seiten, und unaufhaltbar fortgetragen in
den wilden Fluhten der Dinge, wo er weder An-
fang noch Ende ſieht.
L 5Ge-
[170]
Gegen Morgen fuhr er auf, ſteckte die alte
Handſchrift von den Denkwuͤrdigkeiten des So-
krates in die Taſche, die ich ihm fein und wohl-
geſchrieben mit auf den Weg gab, und die griechi-
ſchen lyriſchen Dichter von Heinrich Stephan;
warf ſeine Zithar uͤber die Schulter, daß ſie ſtuͤr-
miſch erklang, druͤckte mich noch einmal an ſein Herz,
und kuͤßte ſeine ganze Seele auf meine Lippen,
und ſchoß von dannen. Ich [erbebte] wie von
einem Todesſchauer und ſank wie ins Grab. O
Elend und Jammer, hienieden ohne Freund zu
ſeyn! und Stolz und Jubel und Kuͤhnheit, wo
zwey ihr Weſen verdoppeln!
Meine Mutter und ich gingen darauf zu En-
de Oktobers wieder nach Venedig, wo mein Va-
ter aus Dalmazien ſchon angekommen war. Der
Weg dahin erfuͤllte mich mit Traurigkeit. Gegend
und Menſchen und Gebaͤude hatten den vorigen
Reiz verloren, und ſtanden da wie Schatten.
Ich
[171] Ich erkannte innig, daß zu allem Genuß zwey
Herzen nohtwendig ſind, die ſich lieben.
Die Zaͤrtlichkeit meines Vaters, meiner
aͤltern Bruͤder und verwittibten Schweſter,
die ihn begleitet hatten, linderten und verſuͤßten
allein meinen Gram zu Hauſe. Caͤcilia ſaß noch
in ſtrenger Verwahrung: doch war jederman fuͤr
ſie, wegen ihrer ehemaligen klugen und beſcheidnen
Auffuͤhrung bey aller ihrer Schoͤnheit. Auch
ich that unter der Hand mein beſtes; das zaͤrtli-
che Geſchoͤpf hatte ſich von dem Zuge der Natur
uͤberwaͤltigen laſſen, und konnte hernach nicht
anders handeln.
Verſchiedne junge Leute, alle von großem
Talent und genaue Bekannten von Ardinghello,
kamen zu mir, ſeinen gegenwaͤrtigen Aufenthalt
zu erfahren; welchen ich ihnen aber nicht entdeckte,
mit Vorſpiegelung, er habe in ſeine Heimaht ge-
wollt.
Zu
[172]
Zu Anfang Novembers erhielt ich folgenden
Brief von meinem Freunde.
Genua, November.
Wie ich aus dem Fruchtbaren großen Thale
der Lombardey, von hundert Fluͤſſen durchſtroͤmt,
das ſeines gleichen in der Welt nicht hat, durch
die wilden kahlen Felſenkruͤmmen des Apennin
hinauf trat, und endlich aus der Bochetta her-
vor, von heitern Luͤften umſpielt, daß die Locken
um meine heißen Schlaͤfe flatterten, oben auf der
Hoͤhe das tiefe breite Meer unter mir glaͤnzen ſah,
von ſuͤßen Strahlengewoͤlk des Abends umla-
gert: Gott, wie ergriff das mein Herz und alle
Sinne! wie die Thetis Homers mit einem
Sprung vom Olymp haͤtt ich mich in die ewige
Lebensfuͤlle hineinſtuͤrzen, und wie ein Wallfiſch
darin herumtaumeln und alle meine Leiden ab-
kuͤhlen moͤgen.
Ich blieb hier die Nacht bey einem alten
Schaͤfer, der Chronik der Gegend; und ſah die
Ster-
[173] Sterne auf und untergehen und das Weltlicht
wieder erſcheinen, und thronte ſo uͤber Italien,
dieß Paradies mit allen ſeinen Bewohnern von
Anbeginn der Zeit, Menſchen und Thieren und
Pflanzen und Baͤumen, und ich machten ein
friedliches Eins; ſo rein und heilig zerfloſſen
war meine Seele.
Den Morgen ſchritt ich hinab, und ſchlief des
Nachmittags in einem reizenden Dorf an der Kuͤſte
nicht weit von der Stadt. Gegen Mitternacht
wacht ich wieder auf vom Saitenſpiel und einer
Stimme, die lieblich mein Weſen durchdrang.
Ich lauſchte und vernahm die Worte, und ſprang
ans Fenſter: die Muſik. kam aus einem alten Ge-
maͤuer an einen Huͤgel gebaut, der in hohen Pig-
nen und Cypreſſen und niedern Fruchtbaͤumen ſich
auf dem Meer hervorſtreckte; es waren Stanzen ei-
nes Maͤhrchens vom Pulci, die ich gar wohl
kannte. Als darauf noch eine weibliche Stimme
zu der maͤnnlichen einfiel: ſo zog auch ich meine
Ci-
[174]Citharra hervor, brachte ſie leis in Stimmung,
und ſang, als ſie aufhoͤrten, nach einigen Grif-
fen von ihrer traurigen Harmonie in eine froͤh-
lichre hinuͤber; „Wer ſeyd ihr ſuͤßen Saͤnger
dort, die ihr mich ſo entzuͤckend aus dem Schlafe
weckt? habt Dank, habt Dank, daß ihr den
Menſchen ſo Freude macht, und ihr Herz ruͤhrt
in der ſtillen Daͤmmerung.“
„Wir ſind Vater und Tochter, die ein hol-
des Kind in Schlummer ſpielen, ſamt dem Gat-
ten, den der heiße Tag abgemattet;“ ertoͤnte zur
Antwort heruͤber, indem ein Alter mit langem
Bart an den Bogen der Thuͤr ſich ſtellte.
„O ihr Gluͤcklichen! verfolgt ich darauf,
und ſang von Begeiſterung ergriffen, die Zeiten
des Saturnus von Hesperien, wo alle ſo lebten;
wo noch kein Phalaris die goldne Inſel der drey
Vorgebirge folterte, und keine Caͤſarn mit Buͤr-
gerblute die Felder duͤngten.“
„Und
[175]
„Und wer biſt du, edler Geiſt?“ fragt er
mich dann.
„Ein junger Pilgrim, der nach dem Vor-
treflichen auf Erden wandert, und ſeine Seele
nun hier an Honig labt.“
Er ging herunter, ich ihm entgegen; wir
bewillkommten uns, und fuͤllten die Becher.
Es war ein herrlicher Mann, an die ſechszig,
ein aͤchter dichter Kopf, viel vom Ideale des
Homer, nur nicht blind: wie es der hohe Jonier
auch nicht war, der nur nicht ſah, was gewoͤhn-
liche Menſchen immer gegenwaͤrtig mit ihren lee-
ren Koͤpfen ſehen, wovon er endlich den launig-
ten Namen bekam, und der griechiſche Kuͤnſtler,
der ſein Bild erfand, richtete ſich nach dem
Volkswitz.
Wir machten geſchwind Bekanntſchaft. Es
war ein Architekt geweſen, und weil er wenig
zu bauen fand, ſeinem Hange zur Poeſie ge-
folgt; und man hielt ihn nun fuͤr einen der beſten
Rei-
[176] Reimer aus dem Stegreife weit und breit,
und er zog als ein ſolcher im Lande her-
um und ergoͤtzte die Leute. Seine Frau war
fruͤh geſtorben, und ſeine einzige Tochter gab er
vor wenig Jahren einem wackern Landmann zur
Ehe, der hier ein Gut gepachtet hatte, und bey
dem er ſich meiſtens aufhielt. Die Wirthſchaft
war wirklich aus der goldnen Zeit, wie ich her-
nach mit Vergnuͤgen erfuhr.
Ich ſagte ihm, daß ich ſchier eben ſo die
Mahlerey triebe, wie er ehemals die Baukunſt.
Dieß freute ihn denn von Herzen; er faßte mei-
nen jungen Kopf und ſtreckte ihn in ſeinen grauen
Bart hinein, und kuͤßte mich uͤber und uͤber: ergriff
alsdenn das Saitenſpiel, und ſang mit einer
Schwaͤrmerey das Lob der Dichtkunſt, wie ein
wahrer Prieſter des Apollo, daß ich mich vor
Luſt nicht regte. Das halbe Dorf kam zuſam-
men, und girrte vor den ofnen Thuͤren und Fen-
ſtern leiſen Beyfall. Und als er endigte, ſchien
das
[177] das Meer ſtaͤrker ans Geſtade zu brauſen, und
alle riefen: es lebe Boccadoro! ſo nannte man
ihn.
Zur [fernern] Kurzweil fing ich darauf ei-
nen Gegengeſang an, und richtete Pindars
Χρυσεα φορμιγξ Απολλονος nach Ort und
Umſtaͤnden ein; und ſchilderte zum Beſchluſſe den
Alten vor mir nach dem Leben, und erhob ſeinen
Stand uͤber den eines Koͤnigs. Und mit einem
Jubelgeſchrey: es lebe der ſchoͤne fremde Juͤng-
ling und der goͤttliche Alte! zog man von dannen,
als wir gegen Morgen ſchieden.
Ich machte, wie es Tag war, einen Spa-
ziergang auf den Huͤgel, und beſah die Lage von
Genua: ein reizendes Theater, das von jeher
ſeine Bewohner angetrieben hat, das Meer zu
beherrſchen; und woheraus immer die groͤßten
Seehelden hervorgekommen ſind. Heiliger Co-
lumbus, und du Andreas Doria, die ihr nun
mit den Themiſtokleſſen und Scipionen in Ely-
Mſium
[178] ſium Paar und Paar herumwandelt, euch Halb-
goͤtter unter den Menſchen bet ich im Staube an.
Ach, daß auch mir kein ſolches Loos beſtimmt
iſt! Ich ſah hinaus in die unermeßliche Sphaͤre
von Gewaͤſſer, und die ungeheure Majeſtaͤt woll-
te mir die Bruſt zerſprengen; mein Geiſt ſchweb-
te weit uͤber der Mitte der Tiefen, und fuͤhlte
ganz in unausſprechlicher Wonne ſeine Unend-
lichkeit.
Nichts auf der Welt fuͤllt ſo ſtark und maͤch-
tig die Seele; das Meer iſt doch das ſchoͤnſte,
was wir hienieden haben. Sonn und Mond
und Sterne ſind dagegen nur einzelne glaͤnzen-
de Punkte, und ſammt dem blauen Mantel des
Aethers daruͤber her nur Zierde der Wirklichkeit.
Dieß iſt das wahre Leben: hierauf giebt ſich der
Menſch Fluͤgel, die ihm die Natur verſagt; und
verbindet in ſich die Vollkommenheiten aller an-
dern Geſchoͤpfe. Wer das Meer nicht kennt,
koͤmmt mir unter den Menſchen wie ein Vogel
vor,
[179] vor, der nicht fliegen kann; oder der ſeine Fluͤ-
gel nicht braucht, wie die Straußen, Huͤner
und Gaͤnſe. Hier iſt ewige Klarheit und Rein-
heit; und alles Kleine, was ſich in den Winkeln
der Staͤdte in uns niſtet, wird hier von den großen
Maſſen weggeſcheucht. Wie dort die Seealpen
aufſteigen! gleich Helden bey Aſpaſien und
Phrynen; wie die zarte Linie am Horizont ſich
ſo weich herumruͤndet! in den Ocean hinaus
moͤcht ich; wie klopft mir das Herz!
Boccadoro wartete ſchon auf mich, als ich
wieder ans Wirthshaus kam. Er ſagte, ich
muͤßte ihn heute begleiten zu einem großen Feſte,
das die ganze Woche fortdauerte.
Marcheſe S*** vermaͤhlte ſich mit einer
jungen Fregoſa in allem erſinnlichen Pomp;
der Braͤutigam ſey wohl jetzt einer der reichſten
Privatedelleute von Europa. Dieſen Abend wuͤrde
Wettrennen gehalten, darauf Schmaus und Ball;
morgen Stierhetze, und ſo weiter fort, jeden Tag
M 2eine
[180] eine andre Luſtbarkeit; Komoͤdie, Seiltaͤnzerey-
en und allerley Kuͤnſte ſollten ſich auf dem Land
und Waſſer zeigen. Er waͤre aufgefordert zwiſchen
andrer Muſik bey der Tafel zu ſingen, und er
baͤte inſtaͤndig, auch mich darauf vorzubereiten;
wir koͤnnten unterwegs ein huͤbſches Thema zum
Wechſelgeſang ausdenken. Der Pallaſt laͤge we-
nige Miglien weit von der Stadt auf der andern
Seite der See; ein Paar Knechte von ſeinem
Schwiegerſohne wuͤrden uns mit ihm ſelbſt und
ſeiner Tochter auf einer Barke dahin fahren.
Doch er glaube, daß ich dieſes alles ſchon wiſſe;
und vermuhtlich eben deßwegen hier eingetroffen
ſey.
Ich verſicherte ihn, daß ich herunter ge-
kommen waͤre, ohne das mindeſte von dieſer
Hochzeitfeyer zu wiſſen. Aus dem Stegreife
koͤnnt ich in ſo hoher Geſellſchaft nicht ſingen;
und außerdem muͤßt ich immer erſt ein wenig die
Art meiner Zuhoͤrer kennen, um leicht den Ein-
gang
[181] gang in ihr Herz und Phantaſie zu finden: ſonſt thue
uͤberhaupt das vortreflichſte oft nicht ſeine Wir-
kung. Doch woll ich ihn begleiten; ſein Epitha-
lamium zu hoͤren ſchon allein reize mich. Er koͤn-
ne mich als Stimmer ſeiner Zithar beym Schmau-
ſe mit einfuͤhren.
Ich lernte nun ſeine Tochter kennen, eine
erzgute frohe junge Hausmutter; und ihren Mann,
einen muntern treflichen Wirthſchafter; und ei-
nen kleinen Engel von Soͤhnchen: ſo daß ein
ſchoͤnes Ganzes in lebendiger Ordnung war.
Das alte mit Epheu bewachsne Gemaͤuer der klei-
nen Landburg fand ich innen bequem eingerichtet.
Ich nahm gegen Mittag bey ihnen ein geſundes
koͤſtliches einfaches Mahl ein. Nach Tiſche
ſchlummerten wir alle ein Paar Stunden; und
dann fuhren wir ab, und mich ergoͤtzten unend-
lich die Seewellen, ſo gruͤnlicht klar und weich
und furchtbar lieblich ſchroff uͤber den Abgruͤnden,
wo jede auch in ihrer Kleinheit ſich majeſtaͤtiſch als
Tochter des unermeßlichen Ozeans zeigte.
M 3Wir
[182]
Wir langten gerad auf den Rennplatz an,
als die Pferde ſchon vorgefuͤhrt wurden. Die Si-
tze waren lauter Licht und Glanz von ſchoͤnen
und praͤchtig gekleideten Herren und Damen, mit
einer Menge Volks uͤberall. Der Pferde wa-
ren nur drey; aber alle drey muhtſchnaubende
Koͤnigliche Thiere, ſo daß es ſchwer war, vor-
aus zu beſtimmen, welches den Preis davon
tragen wuͤrde. Man hatte deßwegen große Wetten
angeſtellt; die mehrſten waren fuͤr einen goͤttlich
ſchoͤnen Rappen, der ſich an den Schranken gar
nicht wollte halten laſſen. Ein Falk ſtand dage-
gen ſtill da: doch brach der Blick ſeines Augs in
die Bahn wie ein Sonnenſtrahl, und ſein Fuß
hob ſich leicht wie lauter volle Nerve. Wie das Seil
fiel, that auch der Rapp einen Vorſchuß; in der
Mitte der Bahn aber zog der Falk ſo aus und
uͤberhohlte die andern, daß ſein Gang ſchneller
war, als die Geſchwindigkeit eines Sturmwinds
uͤber gelbe Saaten; er flog dahin, und ſeine Bewe-
gung war das Entzuͤcken aller Augen, ſelbſt de-
rer,
[183] rer, die gegen ihn gewettet hatten. Kurz, er
gewann den Preis, jedoch mit Noht; und ward
hernach erſt unbaͤndig.
Nach dem Wettrennen war Komoͤdie, und nach
der Komoͤdie der naͤchtliche Schmaus. Gegen
Ende deſſelben, als Wein und Geſpraͤch die Le-
bensgeiſter in ſtaͤrkre Wallung gebracht hatten:
fing Boccadoro an ſein Saitenſpiel zu ruͤhren.
Es entſtand eine allgemeine Stille: und die Toͤ-
ne ſeiner Griffe waren wie ein leiſes Fluͤſtern am
heißen Mittag in kuͤhlen Waͤldern von den See-
luͤften. Sein Geiſt taumelte darauf durch die
alten Zeiten der griechiſchen Heroen; und er
ſang die Hochzeit des Peleus und der Thetis:
ſchmuͤckte die Fabel aus mit lieblichen Worten, und
ging davon auf die Gegenwart uͤber, ſchilderte
den Braͤutigam als einen neuen Peleus, eben ſo
von den Goͤttern begluͤckt, und ſeine Braut als
die juͤngre Thetis.
M 4Auf
[184]
Auf einmal wendete ſich dann der alte
Schalk an mich, der ich hinter ihm unter den
andern Spielleuten in der Ecke ſtand; und zog
mich hervor, als einen andern Apollo, wenn ich
ſeine Worte wiederhohlen darf, der ploͤtzlich den
Apennin herabgekommen ſey, dieß Feſt noch zu
verherrlichen; und uͤberreichte mir die Zithar.
Ich ward uͤberraſcht und gluͤhte vor Schaam
auf in der fremden glaͤnzenden Geſellſchaft.
Ein freudiges Murmeln lief durch den gan-
zen Saal, und aller Blicke flogen auf mich.
Es half hier keine Weigerung, wenn ich nicht woll-
te zum Geſpoͤtt und zu Schanden werden. Ich
entſchloß mich alſo kurz, die Sache ſo gut abzu-
machen, als mir moͤglich war; und waͤhlte die
mir leichteſte Versart, nach der Melodie, die
den immer ſtaͤrker einſchlagenden Anapaͤſtiſchen
Rythmus hat, und dich ſo oft ergoͤtzte.
Nach wenig einfachen Ackorden ſang ich ge-
rade ſo, wie es war, meine [Ueberraſchung]
und
[185] und Ve[r]wirrung: und daß ich Boccadoren hieher
folgte, die Pracht und Schoͤnheit des Feſtes zu
ſehen, ganz fremd und unbekannt, ein bloßer
Wandrer hier, ſeit wenig Stunden. Doch euer
Ruhm, fuhr ich fort, geht uͤber Meer und Alpen;
und wer iſt der kalte neidiſche Menſch, den eure
gluͤckliche Liebe nicht begeiſtern ſollte? Nehmt ge-
faͤllig die wenigen Blumen an, die ich mit geſchwin-
dem Raub uͤber eure Tafel ſtreue.
Der Sohn der Thetis ſtrahlt nun durch alle
Nachwelt, weil er einen Homer zum Saͤnger
hatte: wie viel groͤßer aber waren Kolumb und
Doria? und wie weit kann die Frucht eurer
Liebe an edlern Thaten uͤber ihn hervorragen,
als wegen eines verbluͤhten durchgegangnen Wei-
bes von einem Manne, den die Natur zum Hahn-
rey beſtimmte, und der weder in Bund noch
Freundſchaft mit ihm ſtand, dreymal um die
[Mauern] von Troja herum zu laufen, und als-
denn den ermuͤdeten Feind in den Hals zu ſtechen!
M 5Als
[186] Alswegen eines abgewieſenen Pfaffen einen graͤu-
lichen Laͤrm anzufangen, und dann ſeine Gelieb-
te daruͤber geduldig hergeben, und ſich ans Meer
ſetzen und weinen *)!
Verzeihe mir dieſe Laͤſterungen, beſter
Freund; du weiſt, daß ich die Homeriſche Na-
tur tiefer fuͤhle, als das vornehme Weltvolk auf
der Oberflaͤche, die nicht zu ihren Moden paßt.
Aber du kennſt das Sprichwort: unter den Woͤl-
fen muß man mit heulen.
Ich beſchrieb darauf die Gegend von Ge-
nua, und ihre Bewohner; pries dieſer Helden-
muht von den fernſten Zeiten an; und daß es
beſſer laͤge, als ſelbſt das alte Rom, die Inſeln
des Thyrrheniſchen Meers und Kuͤſten von Afri-
ka
[187] ka zu beherrſchen. Erzog nun im Geſang den
jungen Themiſtokles, die Seeligkeit der Mutter
und des Vaters uͤber denſelben und die goldnen
Zeiten ſeiner Buͤrger, und machte allen Gaͤſten
nach den ſuͤßen Guͤtern das Maul waͤſſerig; jeder
ſchien im Herzen zu ſchwoͤren, ſich dabey anders
aufzufuͤhren, als ihre Vorfahren beym Kolumb,
von deſſen hohem erfindriſchen Geiſt ſie mehr
Schimpf und Verachtung als Ehre haben.
Ich wurde waͤhrend des Liedes bey einigen
gluͤcklichen Stanzen von lautem Jubel unter-
brochen, und erhielt, wie ich aufhoͤrte, großen
Beyfall; der mir nur in ſofern wohlgefiel, weil
ich mich aus der Verlegenheit gezogen hatte.
Man ſtand nun vom Tiſch auf, und es
ging zum Ball. Als die Braut vor mir vorbey
gefuͤhrt wurde: begruͤßte ſie mich mit einem feſten
luͤſternen Blick und wolluͤſtigem Laͤcheln, und rief
mir zu, Bravo! Sie hielt noch den Kopf zuruͤck,
als ſie vorbey war, und Mienen und Gebehrden
ge-
[188] geſtatteten Kuß und Umarmung, wenn wir al-
lein waͤren; ganz die Geſtalt einer Bacchantin
in Gluth und Ueppigkeit, voll Koͤrperreiz mit
frecher Seele: welche Weiber mir nur in gewiſ-
ſen Momenten gefallen koͤnnen. Ich fuͤhlte we-
nig Neigung, naͤhere Bekantſchaft mit ihr zu
machen; wohl aber mit einem andern Frauen-
zimmer, deſſen Mutter, was die Formen des Ge-
ſichts betrift, ſich an dem Vatikaniſchen Apollo
verſehen zu haben ſcheint, nur ohne Stolz und
Zorn, vielmehr alles heilige Guͤte; ein wunder-
bares Geſchoͤpf!
Ich erfuhr von Boccadoren, es ſey eine
Freundin der Braut, und hielte ſich bey ihr auf.
Die Eltern waͤren verungluͤckte Kaufleute aus
Nizza in der Provence geweſen, und vor eini-
gen Jahren geſtorben. Die Braut heißt Fulvia,
und die Freundin Lucinde; ich verlangte die
letztere tanzen zu ſehen, aber ſie tanzte nicht.
Et-
[189]
Etwa zwey Stunden nach Mitternacht
darauf, als der Ball am lebendigſten war, hoͤrte
man einige Schuͤſſe fallen, und bey der ploͤtzli-
chen Stille daruͤber ein aͤngſtlich Schreyen und
wieder Schuͤſſe, und Getuͤmmel die Treppe herauf
nach dem Saal. Und in einem Augenblick, ehe
man eine Hand umwendet, brachen graͤßliche
Maͤnner mit Saͤbeln und Gewehr in den Haͤnden
zur vordern Thuͤr herein. Man ſtand wie ver-
ſteinert, und wollte fliehen und konnte nicht,
und wußte nicht wohin. Alles draͤngte ſich auf
die Seiten nach den Fenſtern, und wo nur eine
Oefnung war; und heulte und jammerte, und
alle Geſichter faͤrbte die Todesblaͤſſe.
Wir wurden von Seeraͤubern uͤberfallen,
nach den gelben Afrikaniſchen Geſtalten; und an
Gegenwehr war wenig zu denken. Ein Theil
von denſelben beſetzte die Thuͤr, wo ſie hereinka-
men, andre faßten gleich die Braut und griffen
zuerſt nach den Frauenzimmern und ſchleppten ſie
fort.
[190] for[t.] Ich ſtand zu Ende des Saals an den Fen-
ſtern nach dem Garten; die erſten von Adel ſpran-
gen mit Gefahr hinaus. Ich wurde faſt vom
Getuͤmmel erdruͤckt; und konnte kaum eine Pi-
ſtole losreißen, die ich ſogleich nach dem ſtaͤrkſten
Kerl an der Thuͤr abbrannte. Die Kugel traf
ſo gluͤcklich ihn zum linken Ohr hinein, daß er
auf der Stelle ſtuͤrzte. Der Knall verſchafte mir
einigen Raum, ſo daß ich die andre zog, und
zugleich meinen Degen. Waͤhrend der Zeit hat-
ten ſich noch andre Genueſer und Bedienten mit
Gewehr verſehen und ſchlugen im Mangel deſ-
ſelben mit Stuͤhlen drein. Die Raͤuber hieben
mit ihren Saͤbeln um ſich, und ſpalteten etlichen
die Koͤpfe und verwundeten diejenigen, welche
voran waren. Doch brachten wir ſie endlich zur
Thuͤr hinaus, die ſie aber von außen beſetzt hiel-
ten, ſo lange bis ihre Gefaͤhrten mit der Beute
bis ans Meer kamen, und ſie einſchifften. Als-
denn wichen ſie, und wir hatten das Nachſe-
hen,
[191] hen, ohne ihnen viel Schaden zufuͤgen zu koͤnnen;
weil ſie ihren Angriff zu gut angeordnet hatten.
Der Braͤutigam ſelbſt bekam eine ſtarke
Wunde; und ein Paar von den vornehmſten Gaͤſten
lagen ohne Huͤlfe niedergeſtreckt. Die wackerſten
machten ſich mit dem Johann Andreas Doria,
welcher, wie du weißt, die Tuͤrkiſche Flotte mit
beſiegen half, von dem Geſchlecht des großen al-
ten, gleich auf nach Genua, um den Raͤubern
nachzuſetzen: und ich wollte mit dabey ſeyn. Es
war eine Frechheit ſeit undenklichen Jahren ohne
Beyſpiel.
Wir langten dort gegen Morgen an. Fuͤnf
Dreyruderige wurden ausgeruͤſtet, und wir ſtachen
eine Stunde am Tag in die See, als noch die
Sonne mit einem eingefallnen Nebel kaͤmpfte;
der Wind hatte ſich die Nacht geaͤndert, und ein
Scirocco blies von Suͤdoſten! Wir wußten nicht,
wohin unſre Fahrt zu halten, und machten uns
auf die Hoͤhe zwiſchen beyde Kuͤſten. Endlich
nach
[192] nach und nach, obgleich langſam, erweiterte ſich
der Geſichtskreis: und die Gebirge fingen an ſich
zu zeigen unter der grauen Huͤlle; und erſt gegen
Mittag lag die Waſſerwelt uns einigermaßen vor
Augen, jedoch von allen Seiten ſo mit Dunſt
umfangen, daß wir nichts entdecken konnten.
Doria beſchloß nun, zwey Schiffe abzuſon-
dern, und dieſelben auf Sizilien zuſtreichen zu
laſſen: er ſelbſt wollte mit den andern uͤber Cor-
ſica hinaus in die Provenzaliſchen Gewaͤſſer.
Noch, ehe wir ausliefen, wurden auf beyde Sei-
ten Jagdboote ausgeſendet; keines aber war zu-
ruͤck gekommen. Ich blieb auf dem Schiffe, wo
er ſelbſt war. Es ging nun in vollem Zuge. Noch
kannten wir die Staͤrke der Feinde nicht; bey
Nacht und Nebel hatten wir die Anzahl ihrer
Barken nicht unterſcheiden koͤnnen.
Am Abend kam das Jagdboot wieder, und
verkuͤndigte, daß es den Feind bey Monaco im
Geſicht erreicht haͤtte; die Raͤuber ſeyen vier
große
[193] große Galeeren ſtark. Wir ruderten die ganze
Nacht; und den andern Morgen, als ſich das
Wetter aufheiterte, erblickten wir ihre Seegel.
O wie klopfte mir das Herz, bald im Schlacht-
getuͤmmel zu ſeyn! der Tod iſt dabey doch nichts
anders, als eine freye Bahn auf die edelſte Art
in die Geiſterwelt aus dieſem Chaos von Unwiſ-
ſenheit.
Sie entdeckten uns gleichfals und verdop-
pelten ihre Ruderſchlaͤge. So ſtrebten wir den
ganzen Tag.
Eben als die Sonne, nach dem Steſicho-
ros, aus den Luͤften in den goldnen Becher trat,
und den Ozean hinab ſchwam zu den finſtern Tie-
fen der heiligen Nacht, thaten wir die erſten
Kanonenſchuͤſſe nach ihnen; wir hatten den Vor-
theil des Windes uͤber ſie, und ſie machten dar-
auf Halt, weil ſie nicht weiter fluͤchten konnten.
Wir griffen ſie ſchier in gerader Linie an, und
dehnten uns etwas aus, damit ſie uns nicht von
Nden
[194] den Seiten ankonnten. Wir brachten ihnen ei-
nige herrliche Lagen bey, und waren weit beſſer
als ſie mit grobem Geſchuͤtz verſehen. Nach man-
cherley Wendungen kamen wir, als ſchon die
[Daͤmmerung] ſich einſenkte, mit zwey Schiffen
an einander zum Handgemenge, und unſer drit-
tes ſuchte die zwey andern Galeeren abzuhalten,
die es entern wollten.
Ich befand mich auf dem erſtern, und
kaͤmpfte mit aller Gewalt und Beſonnenheit, de-
ren ich faͤhig war. Noch hatt ich zum Gluͤck kei-
ne Wunde, aber die Kugeln vom kleinen Ge-
wehr und Saͤbelhiebe ſtreckten manchen an mir
nieder. Endlich drangen wir ein in ihre groͤßte
Galeere, und ich war unter den erſtern, mit einem
ſtarken Dolch in der Linken, und in der Rechten
den Degen, und im Gurt noch eine geladne
Piſtole. Bevor ich uͤberſprang, ſtieß ich einen
ihrer kekſten darnieder, der ſchon im Zuge war,
dem Doria mit ſeinem ſichelfoͤrmigen Damas-
ce-
[195] cenerſaͤbel den Unterleib durchzuſchneiden, und ret-
tete dieſem ſo das Leben. Mit einem andern
auf der feindlichen Barke, der auf mich einhieb,
wurd ich hernach bald fertig; doch konnt ich mit
dem Dolch ſeinen Streich aus beyden Faͤuſten
nicht ſo ganz abhalten, daß er mir nicht ein we-
nig im Herunterſchellern den linken Arm ſtreif-
te: ich traf ihm daruͤber gerade die Kehle, daß
er die Zunge herausſtreckte.
Sie wichen und ergaben ſich; nur der,
welcher der Anfuͤhrer ſchien, ſprang unters Ver-
deck: und ich ihm nach. Und ſieh! hier ſteckte
die Braut mit der andern Beute. Er holte mit
dem Saͤbel weit nach ihr aus, um ihr den Kopf
vom Rumpfe zu hauen: ich aber kam ihm zuvor,
und ſtach ihm die Klinge mit ganzem Leibe unter
dem aufgehobnen Arm ins Haarwachs, daß er auf
die Seite ſtuͤrzte, zog ſie heraus, und gab ihm
ihm dann vollends den Reſt.
N 2Die
[196]
Die Hauptgalere war nun uͤbermannt, al-
lein die andre wehrte ſich deſto fuͤrchterlicher. Ein
junger Mann, noch ohne Bart, focht wie ein Ver-
zweifelter, und hatte neben ſich viele Todten
liegen; und er wuͤrde ſich frey gemacht haben,
wenn wir andern nicht den Unſern zu Huͤlfe gekom-
men waͤren. Auch dieſe mußte ſich dann er-
geben. Inzwiſchen fluͤchteten die zwey andern,
nachdem ſie unſer drittes Fahrzeug eroberten,
mit dieſen. Wir ſetzten ihnen nach, verloren
ſie aber in der Dunkelheit: und den Morgen dar-
auf waren ſie uns aus dem Geſichte, und wir
konnten ihren Weg nicht entdecken.
Doria kehrte aͤrgerlich nach Hauſe, daß die
Sache nicht beſſer abgelaufen war. Vielleicht
haͤtt er gar nicht angegriffen, wenn nicht einer
ſeiner Verwandten aus dem Tanzſaal mit waͤre
weggeſchleppt worden, den er nun doch wieder
frey machte. Es ging hier Noth an Mann,
und die aͤußerſte Gefahr war in der Saͤumniß.
Die
[197] Die zwey andern Schiffe haͤtt er freylich nicht
nach Sicilien ausſchicken ſollen; aber wer kann
alles vorherſehen? Wer wußte, daß die Raͤuber
ſo ſtark waren? Nach geſchehener That iſt jeder
Tropf kluͤger, als Hannibal und Caͤſar.
Ich hingegen war gluͤcklich wie ein Gott;
mich duͤnkte, daß ich erſt das wahre Leben recht
geſchmeckt haͤtte. Doria der ſtrenge machte bey
allem ſeinem Verdruß mir große Lobſpruͤche, und
ſagte oͤffentlich: „du haſt einen ſchoͤnen Anfang
gemacht, Junge; wenn du laͤnger lebſt, und ſo
fortfaͤhrſt, wird ein beruͤhmter Held aus dir wer-
den.„ Fulvia, deren Schutzengel ich geweſen
war, dankte mir mit Thraͤnen voller Zaͤrtlich-
keit. Aber mehr als alles, auch die ſchoͤne Pro-
venzalin Lucinde befand ſich unter den Gerette-
ten; die nur noch jaͤmmerlich an der Seekrank-
heit litt, und bis aufs Blut von ſich gab. Ich
hatte nicht die geringſte Anwandlung davon ge-
ſpuͤrt; und es erquickt mich durch Mark und Bein
N 3daß
[198] daß ich dieſes Element und deſſen lebendige Be-
wegung noch immer von meinem Knabenalter an
ſo wohl vertrage.
Wir liefen gegen Abend in dem Hafen von
Villafranca ein, nachdem wir den ganzen Tag
vergebens herumgekreutzt hatten, um die Ver-
wundeten zu pflegen, unſre Todten zu begraben
(die gebliebnen Feinde warfen mir gleich uͤber
Bord) und den abgehaͤrmten Frauenzimmern
einige Ruhe genießen zu laſſen; nur ein Paar Ver-
maͤhlte unter denſelben waren von Kanonenkugeln
zerſchmettert worden, die uͤbrigen alle blie-
ben unverſehrt. Wir fuͤhrten ſie den Berg hin-
auf in das Staͤdtchen, das hinten im Keſſel unter
dem gaͤhen Felſen mit wenigen Haͤuſern nur wie
eine Einſiedeley liegt zwiſchen Oelbaͤumen. Ich
nahm Lucinden in Arm, die auf dem feſten Bo-
den gleich wieder zu ſich kam; und ſprach ihr
Muth ein nach uͤberſtandner Gefahr. „Ach, ant-
wortete ſie ſeufzend, warum leb ich noch, um
auf
[199] auf immer ungluͤcklich zu ſeyn! Niemand weiß
mein Leiden. O, waͤr ich nur dort oben
bey den Auserwaͤhlten unter den Heiligen und
Engeln!„ Und hier that ſie einen ſchmachtenden
Blick aus ihren großen ſchwarzen Augen gen Him-
mel, und zerſchmeltzte mir ganz mein Herz da-
mit. „So viel Schoͤnheit iſt nicht gemacht,
verſetzt ich ihr, um hinieden ſich zu quaͤlen; wirf
allen Kummer weg; und ſey ſelbſt ſo ſeelig, als
du andere ſeelig machſt.„ Sie ſchwieg, und neig-
te das Haupt wie eine welke Blume, und ging,
ohne auf meine Reden Acht zu geben, mit mir
voran; ihre traurige Miene, und blaſſe Farbe,
ihr verwirrtes Haar, und losgegangnes Ge-
wand vollendeten das Bild einer bezaubernden
Heiligen. Wir quartierten ſie zuſammen in ein
Haus ein, und ſie wurden gut verpflegt und ge-
wartet. Ich ſelbſt blieb in dem Staͤdchen, und ruh-
te die Nacht aus; meine Streifwunde hatte zwar
nichts zu bedeuten.
N 4Den
[200]
Den andern Morgen nach der Meſſe unter-
hielt ich mich noch ein parmal auf den Raub we-
nige Augenblicke allein mit Lucinden, die nun
wieder zu Kraͤften gekommen war; und erfuhr,
daß der Anfuͤhrer der Raͤubergaleeren, den ich
niedergeſtoßen hatte, ein Liebhaber von Fulvia
geweſen ſey, ein Genueſer, der gefangen ſeinen
Glauben verlaͤugnete, und alsdenn unter dem
beruͤhmten Ulazal diente, groͤßtem Seehelden
unſrer Zeiten. In ſie entbrannt, ohne daß ſeine
Leidenſchaft je ihr Ziel erreichte, unternahm er
die That nach hinlaͤnglich eingezogner Nachricht
von allen Umſtaͤnden der Hochzeit; und haͤtte
ſie bald gluͤcklich ausgefuͤhrt. Er war Baſtard von
einem Adorno, und man nannte ihn zu Genua
Biondello. Jungfraͤulich verſicherte ſie mir,
daß die Braut noch ihre Ehre bewahrt haͤtte mit
heißen Bitten, und Beſchwoͤrungen, daß er ſie
nur ſo lange verſchonen moͤchte, bis er ans
Land kaͤme, bey ihrem uͤblen Befinden; und ſie ſey
rein
[201] rein bis auf einige Kuͤſſe, die ſie dem Verdammten
unterdeſſen habe geſtatten muͤſſen. Die andern
waͤren meiſtens noch viel aͤrger als die Braut
von der Seekrankheit befallen geweſen, ſo daß
die Barbaren ſelbſt Mitleiden und Barmherzig-
keit gegen ſie gehabt haͤtten, ohne ſie weiter noch
zu martern. Außerdem habe die Noth in Sicher-
heit zu kommen, die Raͤuber zu aͤußerſter Ge-
ſchaͤftigkeit angetrieben, und die Menge die
Begierden jedes einzelnen im Zaum gehalten;
und ſo ſeyen ſie noch gluͤcklich der Schand ent-
riſſen worden, und eine koͤnne fuͤr die andre
zeugen. Biondello habe denn in der Verzweiflung
Fulvien aus Eiferſucht niederſaͤbeln wollen, als
ich ſie errettet haͤtte. „Heilloſes Geſchenk der
Schoͤnheit, rief ſie aus, in wie viele Drangſale
ſtuͤrzeſt du uns! und wenn wir andre damit gluͤck-
lich machen, ſo gerathen wir dadurch ſelbſt in das
aͤußerſte Elend. Wie die Koͤnige, die alles ver-
moͤgen, nur daß unſre Herrſchaft kurze Zeit dauert,
N 5ha-
[202] haben wir durch dich keinen Freund; und die vor-
treflichſten Maͤnner, mit allen Vollkommenheiten
ausgeruͤſtet, wie zum Exempel ihr ſeyd, legen
uns haͤßliche Fallſtricke.“
Dieſe Apoſtrophe ging mir wie eine Kugel
vor den Kopf, und ich fiel in Staub vor der
Himmliſchen nieder.
Nachmittags drehte ſich der Wind; und wir
fuhren mit Rudern und Segeln wieder ab. Auf
unſer Schiff war mit einigen andern Gefangnen
der junge Held gebracht worden, der auf der
zweyten eroberten Galeere ſo tapfer kaͤmpfte, ſo
daß wir unſer drittes Fahrzeug daruͤber einbuͤßten.
Ich hoͤrte ihn hernach im Neugriechiſchen mit
einem ſeiner Gefaͤhrten ſprechen; und er ſtampfte
noch mit dem Fuße vor Zorn, daß die zwey an-
dern Galeeren ſie im Stiche gelaſſen hatten; je-
doch mit Unrecht: denn jene wurden gleich im An-
fang des Gefechts von unſerm Geſchuͤtz ſehr uͤbel
zugerichtet. Er ſprach inzwiſchen ſo frey und oh-
ne
[203] ne Furcht in der Gefangenſchaft, und ſeine Ge-
ſtalt war ſo ſchlank und edel in der wilden Farbe
von Meer und Sonnenbrand, daß mein Herz
gegen ihn von Zuneigung wallte. Ich beſchloß,
alles moͤgliche anzuwenden, ihn von der Knecht-
ſchaft los zu machen, welches mir denn auch
gluͤckte; noch ehe wir zu Genua einliefen, ſchenkt
ihn mir Doria zur Belohnung. Ich nahm ihn
zu mir, wie wir von Bord traten; erklaͤrte ihm
ſeine Freyheit, woruͤber er mir an die Bruſt
flog, und ließ ihn wenig Tage darauf mit einem
Venezianiſchen Schiffe nach Konſtantinopel ab-
fahren. Er bat mich vorher um meine Zuſchrift;
die ich ihm dann an dich gab.
Du ſollſt dich nicht in mir betrogen haben,
ſprach er zu mir beym Abſchied: ſolche Menſchen,
wie wir, muͤſſen einander ihr lebenlang helfen.“
Die Maͤnner, die ihre ſchoͤnen jungen Wei-
ber wieder bekamen, freuten ſich wenigſtens,
daß ihnen Grund und Boden geblieben war;
und
[204] und die Vaͤter und Muͤtter hoften bey ihren
Toͤchtern das beſte. Wegen der Braut wurden
insgeheim von der Familie des noch verwun-
det darnieder liegenden Braͤutigams verſchiedne
Perſonen beſonders in Verhoͤr genommen; und als
ihre Ausſagen uͤbereinſtimmten, und derſelben
Unſchuld bekraͤftigten: ſo uͤberließ man ſich wieder
ganz der Freude.
Der Himmel beſchere mir nur immer ſo
fort ein Leben, und laſſe mich nie in Unthaͤtig-
keit ſchmachten: von Caͤcilien und dir geſchieden
zu ſeyn aber thut mir weh im Herzen. Wann wird
einmal wieder die Zeit der Vereinigung kommen!
Ach, wenn es ihr nur wohl geht! dieß iſt jetzt
alles, was ich von ihr verlange.
Ardinghello.
Ich meldete Ardinghellon den Empfang ſei-
nes Briefs; und daß die Sachen der Caͤcilia er-
wuͤnſchten Ausſchlag naͤhmen, und man auf ihn
gar keinen Verdacht haͤtte; und andre Dinge,
die
[205] die mich betrafen, und nicht zu dieſer Geſchichte
gehoͤren; und erhielt von ihm im Dezember fol-
gende weitere Nachricht.
Genua, Dezember.
Die See iſt hier doch etwas ganz anders,
als in euren Brentaſuͤmpfen! die Stuͤrme ma-
chen mir jeden Tag ein neues Schauſpiel; und
ich begreife nun, wie Kolumben der Muth im
Herzen erwuchs, ſich mit einer Bande Geſindel
in den unwirthbaren Ozean hinaus zu wagen,
gleich einem Gotte, der Waſſerfluthen und Or-
kane kennt, und in ihr grauſames wildes Spiel
ſich zu finden weiß, kuͤhner als Herkules und
alle Helden der vorigen Zeitalter. Wann die
Wogen ſo den Hafen hereinbrechen und ſich an
ſeine hohe Mauer hinaufwaͤlzen, bis uͤber die
Daͤcher der Haͤuſer, die da ſtehen, und Schaum
und Meer wie ein Wolkenbruch wieder herab-
ſtroͤmt, und mit dem neu herbeyrauſchenden Un-
geſtuͤm ſich klatſchend zu Staub wirbelt: wie lebt
die
[206] die Natur da in meinem Sinn und ergreift mit
ihrer Muſik mein Weſen!
Ich habe angefangen, es mit Farben darzu-
ſtellen, aber alles wieder weggeworfen: dahin
reicht keine Kunſt; ſie bleibt hier zu ſehr bloß
todter witziger Buchſtabe.
Dafuͤr geb ich mich deſto mehr mit den hie-
ſigen Seeleuten ab; ſtudiere den Schiffbau; laſſe
mir ihre Zuͤge durch das Mittellaͤndiſche Meer er-
zehlen, ihre Gefechte, Gefangenſchaften, ihren
Handel; bewirthe die beſten oft, und theile ihnen
wieder von demjenigen mit, was ich weiß; und
erkenn immer mehr, daß der Menſch eher ſo gut
iſt, als er ſeyn kann, als daß er ſo boͤs waͤre, als
er ſeyn koͤnnte, im Ganzen genommen.
Zufriedner bin ich mit ein Paar Skizzen,
die ich aus den Begebenheiten gemacht habe, wel-
che ich dir in meinem vorigen Brief erzehlte.
Die eine ſtellt die Scene vor, wie die Raͤuber
in den Tanzſaal fielen, und Braut und Frauen-
zimmer
[207] zimmer entfuͤhrten; doch wuͤrde mir die naͤchtliche
Beleuchtung bey der Ausfuͤhrung im Großen
ſchwer werden. Die andre iſt, wie ich den
Biondello unter dem Verdeck niederſtieß. Wenn
ich den Ausdruck der Wuth und Verzweiflung in
ſeinem Kopf erreichen koͤnnte, und den hoͤchſten
Schrecken, der an die Ohnmacht grenzt, in den
ſchoͤnen Weibergeſtalten, die ich in ihren Gruppen
und zerzaußten Kleidungen ganz nach der Natur
genommen habe, ſamt den zwey niedergeſchmet-
terten: ſo muͤßte dieſes Bild im Großen jeder-
man ergreifen. Fulvia beſitzt ſie, und ſie mag
ſich dieſelben einmal von einem andern ausmah-
len laſſen. Ich bin mit ihr ſchon bekannter ge-
worden, als ich anfangs wollte.
Ich ſtecke in einer Lage, die ich dir kaum
mit Worten andeuten kann. Wenn Lucinde an
Fulvias Stelle waͤre: ſo fuͤhrten wir ein Goͤtter-
leben; ſo aber iſt Natur und buͤrgerlicher Stand
einander ganz entgegen. Fulvia hat eine Phry-
nenſele
[208] nenſele; und dieſe ſollte Lucinde haben, um das
gluͤckſeligſte Geſchoͤpf zu ſeyn. Ich habe Ge-
ſpraͤche mit der letztern gehabt, mich auf ewig
mit ihr zu feſſeln; wenn die Ehe nicht der Tod
bey lebendigem Leibe fuͤr meinen freyen Sinn
waͤre. Ach es geht bey ihr alles ſo ſchoͤn hinuͤber
und heruͤber! was dieß weibliche Weſen fuͤr einen
ſuͤßen Klang hat, iſt unausſprechlich. Und ihre
Ahndungen und Gefuͤhle von unſichtbaren Wel-
ten, ſo fremd und ſonderbar und kindlich zuwei-
len ſie mir auch vorkommen, ergoͤtzten mich
doch wie homeriſche und platoniſche Dichtungen.
Es iſt mancher von ihr angebrannt, und luͤ-
ſtern bis zur Wuth nach ihrem Ambroſia und
Nectar: aber wen ſie etwa moͤchte, der will oder
darf ſie nicht heurathen; und ſo iſt der Engel
melancholiſch und ungluͤcklich. Sie will mir wohl,
das ſeh ich, und leidet Pein, und thut ſich die
aͤußerſte Gewalt an. Warum muͤſſen wir ſo ge-
bunden ſeyn, und jeden Tropfen Luſt mit Ach
und
[209] und Weh erkaufen! Alles in der Natur iſt
gluͤcklich, nur der Menſch nicht; das, was wir
Vernunft nennen, ſteht ihm immer als ein ty-
ranniſcher Zuchtmeiſter zur Seite; und diejeni-
gen, welche man ihrer Vollkommenheit wegen be-
wundert, ſind die armſeligſten unter allen.
Als ich mich einſt an einem Abend tiefer
mit ihr im Geſpraͤch hieruͤber verlor, und ihr
dieſes einleuchten machen, und ſie, wie mich
duͤnkt, auf ihren rechten Lebenspfad fuͤhren woll-
te: ſah ich auf einmal Fulvien neben uns, die
ich im Eifer nicht bemerkt hatte; wir ſonderten uns
vorher von der Geſellſchaft ab, und ſtanden an
einem Fenſter im Saal mit der Ausſicht uͤbers
Meer hin. Der Ernſt kehrte ſich dann in Kurz-
weil; Fulvia foppte mich als einen bloͤden Schaͤ-
fer, und in Ruͤckſicht auf ſie war der Spott nicht
ungerecht: und Lucinden ſagte ſie einige unanſtaͤn-
dige Dinge, welche deßwegen erroͤthend ausſchied.
OFol-
[210]
Folgenden Nachmittag erhielt ich durch ein
Weib, das Lucinden bediente, ein Zettelchen,
worauf geſchrieben ſtand; „ich muß Sie allein
ſprechen, mich zwingt die Noht dazu; warten
Sie eine Stunde nach Einbruch der Nacht un-
ten am Pallaſte; die Ueberbringerin wird Sie an
Ort und Stelle fuͤhren.“
Ich wußte nicht, was ich denken ſollte,
und von der Frau war weiter nichts herauszu-
bringen; inzwiſchen verſprach ich gewiß zu kom-
men.
Dieſelbe fuͤhrte mich auch die beſtimmte Zeit
die Treppe hinauf, und oben durch den kleinen
Garten. Es war finſter, und regnete, und der
Wind ſauſte. Alsdenn machte ſie ein Zimmer
auf, ſchloß mich hinein, und ich war voͤllig im
Dunkeln. Sogleich wurd ich von einer warmen
Hand feſt gefaßt, und auf ein Ruhebettchen ge-
bracht; ſchuͤchtern erſt und endlich inbruͤnſtig um-
armt und gekuͤßt unter heißen Seufzern, ohne
wei-
[211] weiter nur ein Wort zu hoͤren. Mein ganzes
Blut gerieth in Wallung an den Liebe klopfenden
Bruͤſten; ich glaubte, Lucinde ſey ploͤtzlich eine
heitre Griechin geworden, und wollt ihr him-
melſchoͤnes junges Leben genießen, und mit mir
den Anfang machen. Mir wich das Gewand
unter immer mehr verfuͤhreriſchem Straͤuben;
und ich gelangte bey dem hoͤchſten Reize, den jun-
ge zarte nackte vollkommne weibliche Formen in
der Dunkelheit fuͤr unſern ſtaͤrkſten Sinn nur
haben koͤnnen, zum entzuͤckendſten Ziel meiner ent-
flammten Begierden.
Das Bacchantiſche Leben, das endlich alle
Verſtellung vergaß, brachte mich hernach doch
etwas aus meiner Unuͤberlegung, obgleich noch
ganz im Rauſche. „Lucinde, Lucinde, rief ich,
welch eine gluͤckliche Verwandlung! laß mich dei-
ne Stimme hoͤren.“
„O du mein Alles! hoͤrt ich nun Fulvien
ſtatt ihrer, verzeyhe mir dieſen Betrug: was ich
O 2bin
[212] bin und habe, iſt dein Eigenthum, du biſt mein
Herr und Meiſter! du haſt mir das Leben errettet,
und ich kann nichts weniger thun, als dir wie Magd
und Sklavin dienen, Engel, Gott! wo find ich
einen Namen, der alles das ausdruͤckt, was ich
in dir umfaſſe? Auch Lucinde ſoll dir zu Theil
werden! Stolz und Eiferſucht ſamt der Perſon
will ich deinem Vergnuͤgen aufopfern.“ Hier
umrang ſie mich aufs heftigſte und biß mich wie
raſend in die Bruſt.
Ich mußte mirs gefallen laſſen; ich war
angefuͤhrt auf eine Weiſe, die mir hohe Luſt ge-
waͤhrte. Wenn ich auch ein Joſeph haͤtte ſeyn
wollen: ſo war die Flucht zu ſpaͤt. Ihr Gemahl
erzeigt mir Freundſchaft: aber wer kann dafuͤr,
daß er einfaͤltig iſt, und kein beſſer Schickſal ver-
dient? Warum hat er ſo geheurathet? Dieß ſind
natuͤrliche Folgen, die ſelten ausbleiben. Ful-
via hat ein heißes Temperament, und er iſt ſchwach
und kalt und traͤge: ſolch ein Paar thut kein gut
zu-
[213] zuſammen, wie mancher wegen des Kontraſtes
ſich wohl einbilden moͤchte.
Ich verwunderte mich uͤber den Schritt,
den ſie gethan haͤtte; freute mich ihrer Liebe,
und pries ihre Reize: geſtand ihr aber aufrichtig,
wie naͤrriſch der Menſch ſey, und daß mein Herz
auch beym lebendigſten Genuß der Wonne noch
nach Lucinden ſchmachte.
„Und warum ſollen wir dich nicht als Freun-
dinnen lieben koͤnnen? o du biſt ein ſo theuer
Gut, daß wir beyde an dir uͤberfluͤßig genug
haben; und ihrer mehrere, wenn du willſt. Du
ſollſt als der edelſte Wein nur zum hoͤchſten Feſt
aufgeſpart werden, der mit ſeinem Balſam allen
koͤſtlichen Geſchmack uͤberfluͤgelt. Warum ſollen
vernuͤnftige Schweſtern nicht friedlich mit einan-
der an dir Theil nehmen! Warum ſollen wir
uns von Gewohnheiten und Geſetzen im Zaum
halten laſſen, die bloß fuͤr den Poͤbel ſind, eben
O 3weil
[214] weil er Poͤbel iſt, der ſich nicht ſelbſt regieren
kann?“
Du ſiehſt hieraus, daß ich doch mit einem
gutartigen Geſchoͤpfe noch zu thun habe. Ich
mußte uͤber ihre Asſpaſienberedſamkeit und feinen
Lobſpruͤche laͤcheln; band ihr aber aufs Gewiſſen,
behutſam zu ſeyn; und ſo war der neue Liebeshan-
del fertig.
Es laͤuft mir heiß uͤber den Leib, da ich mit
dir von Caͤcilien ſprechen will, und ich erroͤthe,
wie ein Unheiliger; ſie bleibt immer die Krone
von Venedig. Moͤchte ſie und Lucinde nur ſo
Schweſtern ſeyn, wie Fulvia ſagte! Aber ich
bin ein Thor und unerſaͤttlich. Ach, die Arme
wird verlangen Nachricht von mir zu hoͤren; und
dieß iſt noch nicht einzulenken. Wie bin ich
ſtrafbar, daß ich mich mit dem Schoͤnen zu ver-
einigen ſuche, wo ichs finde! iſt dieß nicht der
edelſte Trieb unſers Geiſtes? iſt der nicht ein
Elender, ein von Gott Verworfner, der dieſen
Trieb
[215] Trieb nicht hat, nicht ausuͤbt? In was fuͤr ei-
ner Welt bin ich, wo dieß Naturlaſter ſeyn ſoll?
den Menſchen zerruͤttende bloße duͤrgerliehe Ord-
nung iſt es. Komm, goͤttlicher Plato, und
ſtuͤrz alle die barbariſche Geſetzgebung uͤber den
Haufen, und fuͤhre deine Republik ein, wo
wenigſtens Mann und Weib mit ihrer Liebe
heilig und frey ſind.
Ardinghello.
Ich erhielt mit dieſem Briefe faſt zur ſel-
ben Zeit ein Kaͤſtchen von Smyrna an Arding-
hellon, und konnt es ihm ſogleich durch einen
Veroneſer, einen alten Bekannten von unſerm
Hauſe, welcher in Handlungsgeſchaͤften nach
Genua abreiſte, uͤberſenden. Dabey meldete ich
ihm die voͤllige Befreyung ſeiner Caͤcilia. Im
Februar ſchrieb er mir wieder, wie folgt, mit
dem von Verona bey deſſen Zuruͤckkunft.
O 4Genua
[216]
Genua, Februar.
Sieh, theureſter Schatz meines Lebens,
edles Herz, hoher Geiſt, gute Thaten bleiben
nicht unbelohnt! Lies dieſes koſtbare Zettelchen:
fuͤr dich hab ich kein Geheimniß.
„Du haſt den Sobn des Kalabreſers
Ulazal gerettet, ein Kind der Liebe, das er mit
einer Griechin aus Rhodos erzeugte. Nimm hier
einen kleinen Dank dafuͤr; und reiße dich los,
und komm in meine Arme. Bey meiner Mut-
ter Platane Stephani zu Smyrna kanſt du
mich immer ausfinden; dahin richte auch deine
Antwort. Ich verſichere dich, daß kein beſſer
Leben iſt, als vom Archipelagus bis an die Saͤu-
len des Herkules auf den klaren Waſſern in be-
ſtaͤndiger Bewegung zu ſeyn, und durch ſeine
Tapferkeit die Schoͤnheit aller der reizenden Kuͤ-
ſten zu genießen. Koniglicher Juͤngling erquicke
bald mit deinem muthigen Anblick meine Seele!
Diagoras Ulazal.“
In
[217]
In dem Kaͤſtchen ſind Edelſteine und Rin-
ge und einige andre Orientaliſche Koſtbarkeiten
von großem Werth.
Alle diejenigen, die wir ihm gefangen nah-
men, hat er ſchon frey gemacht, und meiſtens
mit andern Chriſtenſklaven ausgewechſelt. Er
verſprach es ihnen, wenn ſie ihn nicht entdecken
wuͤrden; und die auserleſene Schaar war ent-
ſchloſſen genug dazu: ſolche Zuneigung hatte je-
der fuͤr den jungen Helden.
Nun hoͤre meine andre Begebenheiten! den
Antrag des Diagoras muͤſſen wir weiter uͤber-
legen; ich kann mich noch nicht entſchließen, das
ſchoͤne Italien zu verlaſſen, da ich noch ſo wenig
davon geſehen habe.
Fulvia nahm uͤber ſich, Lucinden zu bekeh-
ren; meine Leidenſchaft gegen dieſelbe ſchwoll
immer mehr an, je haͤrter und unerbittlicher ſie
wurde. Vor vierzehn Tagen ohngefehr ließ ſie
endlich etwas von ihrer Strenge nach; da ſie vor-
O 5her
[218] her immer alle Geſellſchaft mied, wo ſie wußte,
daß ich zugegen war. Eine gewiſſe Heiterkeit
und Fruͤhlingsroſenroͤthe ging in ihrem himmli-
ſchen Antlitz auf, das ſonſt ein innrer Gram
mit einer melancholiſchen Lilienblaͤſſe uͤberzog,
die mir ſo das Herz zuſammenklemmte, daß ich
aus der Haut fahren mochte, um dem Engel zu
helfen. Sie geſtattete ſo gar, daß ich auf einem
vermummten Ball eine Menuet mit ihr tanzte.
Gott! welcher hohe Reiz enthuͤllte ſich in jeder Be-
wegung ihres ſchlanken Koͤrpers! wie heiß die
Augen in mich ſonnten, und ſich doch ſo ſelbſt
uͤberlaſſen! wie ſuͤß die zarten Lippen in ſo fri-
ſcher feuchter Roͤthe laͤchelten, und die feſten
glaͤnzenden Bruͤſte von der Ebbe und Fluht der
Jugend wallten! Ich ward umflochten von einem
unzerreißlichen Liebesnetz; und die Beruͤhrung
ihrer Finger entflammte mich, als ob ich lauter
Salpeter und Schwefel waͤre. Wo ich den
Blick hinrichtete, entſtanden neue Zaubereyen;
ſo
[219] ſo hatten mich ihre behenden ſichren Fuͤße nie
entzuͤckt, und nie ſo ihre braunen ſich hebenden
Locken uͤber den ſchoͤnen weißen Hals, ſamt aller
ihrer Kleidung. Wir ſchwebten um einander
wie klare lichte Empfindung; ſie ſchien zu fuͤhlen
was ich fuͤhlte, und zitterte auf die letzt vor
Bangigkeit, ſo daß wir ploͤtzlich aufhoͤren muß-
ten.
Noch dieſelbe Nacht ward eine Verraͤtherey
gegen ſie ausgedacht und vollfuͤhrt. Ich ſtahl
mich mit Fulvien vom Ball weg, und dieſe ver-
barg mich in einen großen Schrank, der in
Lucindens Schlafzimmer ſtand, worin einige alte
Familienkoſtbarkeiten hingen; Fulvia ließ mich
allein, und kam unbemerkt wieder zuruͤck.
Lucinde machte ſich gleich darauf vom Tanz-
ſaal; ich erbebte vor Schrecken und Luſt, wie
ich ſie hereinrauſchen hoͤrte. Sie ſang alsdenn
beym Auskleiden ein provenzaliſch Lied, mit einer
Stimme, woraus die Toͤne ſo gefuͤhlig und rein
wie
[220] wie Perlen hervorkamen, die ich noch nie ver-
nommen hatte: nur befremdete mich aͤußerſt deſ-
ſen Inhalt. Es war der Seelenjubel einer Jung-
frau, die ihren Geliebten wieder findet, frey von
Noht und Drangſaal, worin er lang geſchmachtet
hat, und ihn mit tauſend Kuͤſſen, Liebkoſungen
und Zaͤrtlichkeiten empfaͤngt. Doch vielleicht,
dacht ich, iſt es etwas auswendig gelerntes, und
es faͤllt ihr eben ſo ein; aber es machte mir hef-
tige Unruhe, als ſie beym Schluß in die Haͤnde
klatſchte, und ausrief: „o haͤtt ich dich ſchon,
mein Florio! aber wie weit biſt du noch ent-
fernt! doch Fluͤgel wieder meiner Hofnung, daß
du noch lebſt. O du heilige Magdalena beſcheere
mir den holden, die du auf deinem Felſen zu
Marſeille ſchon oft uͤber ihn gewaltet haſt, und
den Verwegnen aus den Fluhten des Meers und
toͤdtlichen Gefahren nach meinen Bitten errettet!
O du liebe heilige Magdalena, ich falle hier vor
dir nieder, und fleh dich an, uͤberlaß, o Freun-
din
[221] din des Erloͤſers, mein Gemuͤht nicht immer dem
bittern Kummer! mache mein Herz leicht, und
wieder froh, und ſtehe bey meiner Liebe! Arding-
hello, der Fluͤchtling, heurathet mich doch nicht.
Was hilft mirs, wenn ich ſeine Quaal auch noch
ſo hoch treibe: er machte mich endlich ungluͤcklich.
Wohlwollen muß ich ihm, ach ja! er iſt ein ver-
fuͤhreriſcher Bube. O [Florio] erſcheine bald! Hei-
lige gib mir ihn!“
Ich wurde faſt zum Narren, ſo griffen mich
dieſe Reden der Unſchuld in meinem Schrank an;
und mußte alle meine Kraͤfte zuſammenſpannen,
um auszuhalten. Noch war ich unentſchloſſen,
was ich thun wollte, Tumult und Aufruhr in al-
len Nerven und Adern. Und ſo harrte ich, bis
ſie ſich zu Bette legte, und harrte noch hernach
uͤber eine Stunde; und lange und lange, bis
ich endlich in der Verzweiflung, mit meinen Ge-
danken und Gefuͤhlen ins Reine zu kommen,
leiſe die Thuͤr eroͤfnete, und heraus trat.
Den
[222]
Den Mantel hatte ich ſchon vorher abgewor-
fen, und die Schuh ausgezogen; ich ging auf den
Zehen und hielt mich mit den Haͤnden im Gleich-
gewicht. Sie lag vom Schlaf aufgeloͤſt mit dem
Kopf uͤber den rechten Arm, und den linken
ſanft ausgeſtreckt, mit den Knien jungfraͤulich
ein wenig zuſammengezogen, die Decke von ſich ge-
worfen, und nur den Unterleib mit dem ſeinenen
Tuche verhuͤllt; es war eben eine laue Nacht.
Ich heſah alsdenn ihr Zimmer. Vor einer
Madonna mit dem Kinde, nach der reizenden
von Raphael auf dem Stubl von einem ſeiner
beſten Schuͤler kopirt, brannt eine Lampe; und
eben ſo brannt eine andre vor einer Magdalena,
gewiß von dem Wundermanne der Lombardey
Antonio Allegri: ſolch eine unbeſchreibliche An-
muht war in den Umriſſen ihres Geſichts, ſo
lieblich die Farbe, und unuͤbertreflich das blende
Haar gemahlt, uͤber die jungen Bruͤſte reizend
wie von einem Luͤftchen verweht. Vor beyden
ſtanden
[223] ſtanden Blumenſtoͤcke; vor der Magdalena auf-
gebluͤhte Roſen und Knospen, vor der Madonna
Lilien und Nelcken, die ſie ſich ſelbſt den Winter
erzog. Auf dem Tiſche vor jener lagen die
Gedichte des Petrarca; und Schreibzeug, Fe-
dern und Dinte und Papier und beſchriebne Blaͤt-
ter. Ich las das eine, wo ausgeſtrichen und
veraͤndert war: und fand das Lied im Provenza-
liſchen, was ſie geſungen hatte. Das wußt ich
auch noch nicht, daß ſie ihre Gefuͤhle in ſo ſchoͤne
Form von Worten bringen konnte: mir wallte
dabey eine Gluht nach der andern auf im Herzen.
Petrarka war das gediegenſte, immer gerade das
wenige Vortreflichſte, mit ausgetrockneten ver-
ſchiednen Blumenblaͤttern belegt und bezeichnet;
beſonders in den Reimen nach dem Tode der
Laura. Neben der Madonna ſtand ihre Neh-
arbeit in einem Rahmen; ſie hatte angefan-
gen, die lebendigen Roſen und Lilien vor ſich da-
hinein zu ſticken. Mich uͤberlief ein Schauder,
als
[224] als ob ich in den Tempel der Keuſchheit eingebro-
chen waͤre, und laͤſterlichen Frewel ausuͤben woll-
te. Ich blickte durch das Fenſter am Bette,
und der volle Mond wich hinter die Seealpen, den
Graͤuel nicht anzuſehen; unten rauſchte zuͤrnend
das Meer auf. Ich ward erſchuͤttert, und es
fehlte nicht viel, daß ich mich wieder in den
Schrank verborgen haͤtte; doch kniet ich vor ſie hin,
und ſtaͤmmte mich ſachte mit beyden Haͤnden auf
ihr Lager; ihr ambroſiſcher Athem beruͤhrte mich
wie Wonne des Himmels. So lag ich eine
Weile in ihrem Anſchauen verſunken und verlo-
ren, und meiner endlich nicht mehr maͤchtig.
Ich warf die Kleider von mir, und naͤherte
mich nach und nach leiſe mit ganzem Leibe dem
Schoͤnſten, was die Welt hat. Ich ſchob alsdenn
mit den aͤußerſten Fingern das Hemd auf beyde
Seiten von den Bruͤſten, die mich mit ihren
Knospen der Unſchuld anlaͤchelten, als ob ſie Ver-
ſchonen ihrer Jungfraͤulichkeit baͤten; und ſo
bracht
[225] bracht ich das Tuch von ihren reinen trocknen
Fuͤßchen und den netten Beinen bis an die Mitte
der wie Saͤulen runden uͤppig hinaufſchwellen-
den Schenkel, worunter es feſt hing.
O all ihr Maͤchte des Himmels und der
Erden, welche Vollkommenheiten habt ihr hier
vereinbart! ich zerrann in nicht mehr zu hem-
mendes Entzuͤcken, und riß das Tuch los: und
ſie fuhr auf und that einen Schrey unter meinen
Kuͤſſen.
„Habe keine Furcht, ſtammelt ich ihr, ich
bin Ardinghello, und werde dir kein Leid zufuͤ-
gen.“ Sie hoͤrte nicht und rief: „Boͤſewicht!
Schaͤndlicher! Huͤlfe!“ und wand ſich los und
bedeckte ſich und weinte in voller Verzweiflung: ich
war wie von einem Wetterſtrahl durchſchlagen
in allen Gebeinen.
„Vergib, o Himmelskind, einem, von un-
wiederſtehlicher Liebe ganz niedergeworfnen und
uͤberwaͤltigten, dieſe Frechheit. Ich ſchwoͤre dix
Pbey
[226] bey allen deinen und meinen Heiligen, ich werde
dir kein Leid zufuͤgen!“ ſo faßt ich ſie mit Ge-
walt bey ihrer Rechten, und hielt ſie an mein laut-
ſchlagend Herz.
„Weg von mir grauſamer Verderber!“
ſchluchzte ſie.
„Komme wieder zu dir, Lucinde! ſprach
ich ihr ein; ſieh! ich beruͤhre dich nicht mehr.
Ich bin ſchon gluͤcklich, wenn ich dich nur ſehe;
[und] wenn ich von dir bin, iſt alles vor mir in
Leerheit. Deine Geſtalt allein, auch ohne Wort
und Zuneigung, iſt mir mehr, als andrer feurige
Liebe. Sende mich in Gefahren, worinn ich tau-
ſendmal mein Leben wage: dein Wink wird mein
Geſetz ſeyn. Du biſt meine beßre Seele, die al-
le meine Faͤhigkeiten fuͤllt. Du herrſcheſt uͤber
mich, wie mein ſtrengſter Verſtand; ſieh! das
zeig ich dir; und alles kann ich fuͤr dich thun,
außer was mir unmoͤglich iſt.“
„O
[227]
„O Ardinghello! Ardinghello! weinte ſie,
verlaß mich! o verlaß mich!“
„Goͤttliche, und warum? Warum koͤnnen
zwey Menſchen, wie wir ſind, nicht ohne
Suͤnde ſo beyſammen ſeyn! Warum immer eine
Scheidewand von Mauer und Kleidung und me-
chaniſcher Geſellſchaft dazwiſchen! Bedenke,
wie die Seeligen im Himmel ſind, und unſre
erſte Eltern waren. Alles dieß dient nur, wenn
man unter dem großen Haufen iſt.“
„Und was willſt du von mir? was kann
ich fuͤr dich thun, ohne mich ungluͤcklich zu ma-
chen?“ verſetzte ſie etwas ruhiger, ſich rundum
einhuͤllend.
„Sage mir, wen du liebſt? fuhr ich fort;
denn daß du liebſt, das weiß ich, und weiß noch,
daß du ungluͤcklich geliebt haſt.“
„Ach, antwortete ſie darauf, nach einigem
Stillſchweigen, den Hauptmann einer Galeere!
der mich, wie ich noch ein kleines Kind zu Nizza
P 2war,
[228] war, ſchon aufbluͤhender großer Knabe, bey mei-
nen Eltern leſen und ſchreiben lehrte. Hernach
legte er ſich auf die Handlung, und fuͤhrte mit
der Zeit Kauffahrtey Schiffe; und endlich wurd
er Anfuͤhrer einer Spaniſchen Galeere. Als ſol-
chen ſah ich ihn noch lange vor zwey Jahren in
Genua wieder; wo wir uns einander verſprachen,
und die Vermaͤhlung feyern wollten, wenn er
wieder aus dem Tuͤrkenkriege kaͤme. Allein er
kam nicht wieder; und ich hielt ihn fuͤr todt, bis
ich vor wenig Tagen die zugleich frohe und traurige
Bothſchaft hoͤrte, daß er zu Konſtantinopel in
harter Sklaverey ſich befinde. Mir brachte ſie ein
alter Schiffer aus Antibes, der von dort ab-
fuhr, und uns beyde kennt. Nun hoff ich, daß
man ihn erloͤſen, und ihm ſeinen ehemaligen Po-
ſten wiedergeben, und wir endlich gluͤcklich ſeyn
werden.“
„Zaͤrtliche, verfuͤgt ich darauf, deine Hof-
nung ſteht auf ſchwachen Fuͤßen; Spanien iſt
noch-
[229] noch im heftigen Kriege mit den Tuͤrken; und wenn
dein Braͤutigam ein Held war, ſo werden ſie ihn
ſo leicht nicht herausgeben.“ Hier verbarg ſie ihr
Geſicht ins Kuͤſſen, und ſeufzte und weinte; und
ich fuhr fort:“ doch wenn es von Spanien aus nicht
geſchieht: ſo kann vielleicht ein andrer ihn frey
machen; und was ſchenkſt du mir, engliſche, wenn
ich es waͤre! „druͤckt ich ihr mit der rechten in die
Hand, und mit der linken ins Herz“ und ich
will es dir faſt ſo gut als gewiß verſprechen; ich
hab einen Freund am Tuͤrkiſchen Hofe ſelbſt, der
alles kann. „Sie verbarg ihr Geſicht noch tie-
fer, und ſagte gebrochen unten hervor:“ ach,
mein Beſtes! aber du biſt grauſam! „Und die
Verſicherung?“ redt ich außer mir ihr zu.
„Gieb dort mir her Feder, Papier und Dinte,
und leuchte!“ dieß war nun mein Wille nicht,
aber ich verlangte zu wiſſen, was das ſchwaͤr-
mende Maͤdchen begaͤnne; und nahm die Lampe
von der Magdalena, Feder, Dinte und Papier,
P 3und
[230] und den Petrarca zur Unterlage; und die from-
me ſchrieb, und laͤchelte unter Thraͤnen:
„Wenn Ardinghello mir meinen Braͤutigam
Florio Branca aus der Sklaverey erloͤſt und
frey wieder herſtellt, und zaͤrtlich liebt und
ſchweigt: ſo ſoll er meine erſte hoͤchſte Gunſt ha-
ben mit dieſen Zeilen, oder Madonna mich nie
zu Gnaden annehmen; aber eher er auch nicht
einen guͤtigen Blick verlangen.
Lucinde.
Darauf gab ſie mir das Zettelchen mit ei-
nem ſtrengen Blick voll Bedachtſamkeit, und
ſagte: „nun gehorche, und verwahr es ſorgfaͤl-
tiglich, wenn ich ſo viel uͤber dich vermag, als
du ſprichſt. Und noch eins, wer hat dich hie-
her gebracht?“ Hier mußte mir nun platterdings
eine Luͤge aus der Noht helfen: „ich ſagte; ich
ſey ihr nachgegangen, und habe mich dort hinter
den Schrank verſteckt, ohne von ihr bemerkt zu
wer-
[231] werden.“ Biſt du ſo ein Tauſendkuͤnſtler! „ſag-
te ſie ſpottend.
Der Morgen brach an; ich wollt ihr einen
Kuß zum Abſchied geben, aber er ward mir nicht
verſtattet. Ich kleidete mich geſchwind wieder
zurecht, und verließ ſie; machte fuͤr Fulvien auf
der Treppe das verabredete Zeichen, daß nichts
geſchehen ſey und ſie ſchweigen ſollte; eroͤfnete
ſachte die Thuͤr des Pallaſtes, und ſchlich in mei-
ne Wohnung.
Den ganzen Morgen konnt ich kein Auge
zuthun; und als ich des Nachmittags ein Paar
Stunden geſchlummert hatte: duͤnkte mich al-
les ein Traum.
Wie es dunkel wurde, ging ich zu Fulvien
in Geſellſchaft: ſie und ihr Gemahl hatten mir
ein fuͤr allemal Erlaubniß gegeben, zu kommen,
wenn ich wollte. Es befanden ſich mehrere Per-
ſonen vom geſtrigen Ball da; man ſprach dar-
uͤber, und ſpielte hernach. Lucinde ſaß unter-
P 4deſ-
[232] deſſen fuͤr ſich am Fenſter, mit dem Kopf in der
Hand, und blickte mich nicht an, und war in
geheimer Betrachtung verloren. Ich machte
mich alsdenn zu ihr; ſie ſchlug die großen ſchoͤnen
feuchten Augen nieder und ſeufzte und erroͤthete
uͤber und uͤber. Ich getraute mich kein Wort
zu reden. Endlich legte ſie den andern Arm auch
ins Fenſter, und betrachtete mich ſtill mit einer
gewiſſen Wehmuth voll Empfindung; wir ſaßen
allein, und ſie ſagte nun leiſe mit Engeltoͤnen
zu mir: „Was hab ich gethan! was haſt du ge-
than die vorige Nacht!“ Inzwiſchen hohlt ich ei-
nen Ring hervor mit dem groͤßten ſtrahlendſten
Diamant unter denen vom Diagoras; und ſchob
ihn ihr unbemerkt an den vorletzten Finger ihrer
linken leichten Charitinnenhand, und antwortete
Aug und Aug in ſuͤßem Liebesgenuß:“ Nimm
hin du Braut meiner Seele! „Sie erſchrack
und war zwiſchen Weigern und Zaͤrtlichkeit, und
blickte darauf, und um ſich; und verbarg
dann
[233] dann die Hand im Schoß, und zitterte und
gluͤhte.
„Sag mir nur noch, mein Leben, fragt ich
ſie fluͤſternd, [ob] der alte Schiffer aus Antibes
hier iſt, und wie er heißt, damit ich ihn ausfra-
gen kann, wo man den Florio in Konſtantino-
pel findet.“
„Er heißt Gabriotto, verſetzte ſie haſtig,
und liegt mit ſeinem Schiff im Hafen.“ Da-
bey ſtand ſie behend auf, trat zu Fulvien an de-
ren Spieltiſch, die eben einen feinen Streich
machte, woruͤber gelacht wurde; und verlor ſich
dann aus dem Saale, und kam nicht wieder zum
Vorſchein.
Mit Fulvien hatt ich noch vor Mitternacht
eine kurze Zuſammenkunft, die ſich den ganzen
Tag bedachtſam auffuͤhrte, und nichts merken ließ;
und erzehlte ihr, daß ich nicht uͤbers Herz habe brin-
gen koͤnnen, Lucinden Gewalt anzuthun, und es
auch vergebens geweſen ſeyn wuͤrde. Machte
P 5ihr
[234] ihr eine ganz andre Beſchreibung, wie ſie mit
ihren Geliebten entdeckt haͤtte, der in der Skla-
verey lebe; und mit einem Wort, daß ich das
himmliſche Maͤdchen zu hoch ſchaͤtze, um es zu
verfuͤhren und ungluͤcklich zu machen. Ich bat
ſie ihrer ſelbſt wegen, von dieſem alle ſtille zu
ſeyn.
Sie wars gar wohl zufrieden, und antwor-
tete, daß ſie die Geſchichte wiſſe; ſie habe aber ge-
glaubt, daß der Braͤutigam in der Schlacht ge-
blieben und alles laͤngſt vorbey ſey. Auch ſie woll
ihr moͤglichſtes beytragen, daß der Armen gehol-
fen werde; ſie liebe ſie als ihre beſte Freundin
und eine der vollkommenſten Perſonen ihres Ge-
ſchlechts: nur koͤnne ſie ihre allzugroße Froͤmmig-
keit, Eingezogenheit und Kaͤlte nicht vertragen;
die Jugend unſers Lebens, beſonders beym
Frauenzimmer, ſey zu kurz, um ſie ſo ungenoſſen
wegſtreichen zu laſſen, und in dieſem Punkt Lu-
cinde gewiß immer albern.
Dar-
[235]
Darauf ging es an das Katulliſche da mihi
baſia mille, wovon ich mich bald los machte.
In ſolche neckende Handel gerahten wir Liebes-
ritter! aber ich ſtelle mich auch auf keinen philo-
ſophiſchen Lehrſtul, wo man zu ſeyn befiehlt, was
der Menſch nie war.
Den andern Morgen ſucht ich den Ga-
briotto auf, und traf ihn endlich gegen Mittag
in einem Weinhauſe, nachdem ich ihn im Hafen
nicht gefunden hatte. Es iſt ein herrlicher Alter,
in ſeinem Leben von mancherley Schickſalen durch-
gearbeitet. Dreymal war er in Sklaverey, in
Aegypten, Mauritanien, und Griechenland;
und ſah Mecca und das heilige Grab, zog mit
ſeinen Patronen uͤber den Kaukaſus und Atlas,
und kam jedesmal wunderbar wieder los; fuͤhr-
te nun ein Kauffahrthey Schiff, und ließ ſichs
wohl ſeyn in ſeinen letzten Tagen. Was iſt ei-
nes Koͤnigs Leben, der ſeine Zeit durchgaͤhnt, gegen
die Wanderungen und Gefuͤhle eines ſolchen Er-
den-
[236] denſohns? O guͤtiger Himmel, laß mich nur
nie auf einer Stelle kleben bleiben!
Ich machte bald mit ihm Bekanntſchaft, er
liebte die lehrbegierige Jugend: wir ſetzten uns in
einen Winkel allein, und ich ſorgte dafuͤr, daß
wir nicht Durſt litten.
Ich verſchwieg im Anfange mein Geſchaͤft;
und wir kamen auf die aͤgyptiſchen Pyramiden
zu ſprechen. Er machte die geſcheidte Bemer-
kung dabey, daß die Leute damals entſetzlich un-
ter der Zucht ihrer Koͤnige muͤßten geſtanden ha-
ben, um ſo ungeheure Steinhaufen aus ferner
Gegend her zuſammenzutragen; die am Ende doch
nur eine Kleinigkeit gegen die vielen Felſen des
Kaukaſus, Atlas und der Alpen waͤren, welche
die Regen des Himmels binnen den Jahrtauſen-
den zu eben ſolcher unzerſtoͤrbaren Form geſpuͤlt.
Ich erzehlte ihm dabey zum Scherz aus dem
Herodot das Maͤhrchen von der reizenden Koͤ-
nigstochter, die bloß durch ihre Liebhaber ſich eine
er-
[237] erbaut habe, der ſie fuͤr jede Gunſt doch nur ei-
nen Stein herbeyſchaffen durften; und daß folg-
lich bey allen die Arbeit nicht gleich ſauer geweſen
ſeyn moͤge. „Wer den letzten lieferte, antwor-
tete er lachend, und dem Werk die Krone auf-
ſetzte, muß wenigſtens guten Muht gehabt haben.“
Er machte mir alsdenn eine angenehme
Beſchreibung von den Sitten mancher Laͤnder,
die er durchſtrichen war. Zum Exempel von
Georgien und Cirkaſſien, wo die ſchoͤnſten Men-
ſchen leben, ſagt er, daß die Kinder da hervor-
kaͤmen, wie die Blumen und Fruͤchte auf dem
Felde, und man von keiner Eiferſucht wiſſe.
Die Maͤnner hielten ſich bloß fuͤr das Mittel ihrer
Entſtehung, und bildeten ſich nicht ein, als ob
ſie dieſelben etwa ſelbſt verfertigten, wie ein
Kunſtwerk, und waͤren dabey eitel auf ihren
Verſtand oder ihre Geſchicklichkeit wie bey uns;
und alle Welt lebte gluͤcklicher ohne die Ketten
und Feſſeln.
Von
[238]
Von der Schoͤnheit, beſonders der Weiber
dort, gingen wir auf unſre Landestoͤchter uͤber;
und von dieſen behauptete er doch, daß ſie mehr
Geiſt und Form in ihrer Geſtalt haͤtten, obgleich
nicht die Zartheit und die Bluͤthe des Fleiſches jener.
„Als hier in Genua, fuͤgte er hinzu, iſt ein jun-
ges Frauenzimmer, Lucinde von Montefeltro,
die ich allem Reiz vorziehe, den ich dort geſehen
habe.“
Dieſe Reden gingen mir, wie du leicht den-
ken kannſt, gar ſuͤß vom Ohr zum Herzen durch
all mein Weſen. Wir tranken dabey mit durſti-
gern Zuͤgen. Der Zauberthau des Weinſtocks
ſetzte ihn in meine Jugend zuruͤck, und durchgluͤh-
te ſeine Adern wieder mit der erſten Lebenswaͤr-
me. Ich fragte ihn darauf, ob er dieſe Lucinde
von Montefeltro genau kenne.
„Wie oft hab ich den Engel als Kind auf
meinen Armen getragen, und ihr Leibchen
rundum bepatſcht und geſtreichelt, was ich noch
im-
[239] immer thun moͤchte, ohn ihr mehr Schaden zu-
zufuͤgen! fuhr er lieblich zu ſprechen fort. Ihr
Vater war ein heruntergekommner Edelmann, der
um ſich wieder zu erhohlen hernach Handlung
trieb. Mit ſeiner erſten Frau zeugte er keine
Kinder; alsdenn ſchon in die funfzig, vermaͤhlte
er ſich mit einer armen, aber jungen und aͤußerſt
ſchoͤnen Anverwandtin der Mutter der Fulvia,
Fregoſa, die nun in das Haus S*** getreten iſt,
bey welcher ſich Lucinde aufhaͤlt. Sie hieß
Sophia, und lebte mit dem alten Montefeltro
ſchier an die drey Jahr in Ehe, als ſie wider
Verhoffen ſchwanger wurde, und mit Lucinden
niederkam.
Jedoch unter den Roſen der Gaſtfreund-
ſchaft! es hielt ſich damals zu Nizza wegen des
milden Winterklimas unter fremdem Namen ein
wunderſchoͤner und tapfrer portugieſiſcher Prinz
auf, der eine Wunde im Krieg mit den Saraze-
nen bekommen hatte, die in ſeinem Lande nicht recht
hei-
[240] heilen wollte. Dieſer miethete ſich einen Garten
neben dem des Montefeltro auf dem Weg uͤber den
Berg nach Villafranca; und wir alle haben nie
anders gemeint, als er habe mit Fug und Recht
gethan, was der alte nicht konnte. Und ſo ward
ein ſuͤß verlaſſen Weib gluͤcklich gemacht, und es
lebt ein himmliſch Geſchoͤpf auf der Welt mehr,
aller Augen zu entzuͤcken.
Als Lucinde ohngefehr zehn Jahr alt war,
ſtarb ihre Mutter, die ſie als ihr einzig Kind
mit aller Zaͤrtlichkeit liebte; ihr Vater that ſie
darauf zur Erziehung in ein adelich Nonnenklo-
ſter. Nachher ward ich von einem ſchrecklichen
Sturm verſchlagen, zum drittenmal gefangen,
und diente bey einem reichen Kaufmann in
Griechenland. Wie ich nach einigen Jahren
wieder los kam, hatte ſich alles veraͤndert; dem
Montefeltro waren etliche reiche Schiffe nach ein-
ander theils weggenommen worden, theils zu
Grunde gegangen, zu gleicher Zeit brachen einige
ſtar-
[241] ſtarke Bankerotte in Marſeille aus, wobey er
ſo viel einbuͤßte, daß die Glaͤubiger ſich ſeines
uͤbrigen Vermoͤgens bemaͤchtigten. Er fluͤchtete
zuvor mit wenigen hieher, da der Reichthum
der Kaufleute mehr in Forderungen als baarem
Gelde beſteht, und gab binnen Kurzem vor Kum-
mer ſeinen Geiſt auf; Lucinden nahmen aus dem
Kloſter ihre muͤtterlichen Anverwandten zu ſich.
Und ſo ſtrahlt ſie denn wie der Morgenſtern, der
bey einer Nacht ohne Mond aus den ſtuͤrmiſchen
Wellen der See aufgeht und Glanz von ſich
traͤufelt, am Genueſiſchen Himmel.“
„Aber o waͤre ſie auch ſo gluͤcklich, als ſie
ſchoͤn iſt, und alle weibliche Tugenden beſitzt!
Sie koͤnnt es ſeyn, wenn das Schickſal ihr nicht
einen Strich durch die Rechnung gemacht haͤtte.
Florio Branca liebte ſie, und ihn Lucinde; und ſie
lebten ſchon in ſeeliger Ehe mit einander, wenn er
nicht in Sklaverey gerahten waͤre. Er wuchs an
den Ufern des Varo auf, kam in das Haus ihres
QVa-
[242] Vaters, ging alsdenn zur See, und bildete ſich
zu einem Helden.“
„Im Dienſte von Spanien lief er mit einem
Geſchwader nach der neuen Welt aus, und
ſtreifte in Mexico und Peru herum. Kam wie-
der zuruͤck mit Ruhm und Schaͤtzen, und ſah das
edle Reis zu einem ſchoͤnen Baum emporgeſchoſ-
ſen in ſuͤßer Bluͤhte ſtehen, und wollte ſich unter
deſſen anmuhtigem Schatten letzen, als er unter
dem Johann von Auſtria mit der Galeere,
die er anfuͤhrte, gegen die Unglaͤubigen mußte.
Die Flotte der Feinde von zweyhundert und
ſechszig Schiffen wurde zwar geſchlagen, und von
den Chriſten bey den Echinadiſchen Inſeln der
groͤßte Sieg ſeit langen Zeiten erlangt, den ſie ſich
nur jaͤmmerlich zu Nutze machten: allein Ulazal,
der tapfre Corſar, entkam, mit dreißig Dreyrude-
rigen, und fuhrte den Florio mit ſich nach Konſtan-
tinopel gefangen; welcher unter dem Doria beym
erſten Angriffe ſich befand, und nach vielen Wun-
den
[243] den nicht mehr im Stande war, von den Schaa-
ren umzingelt, ſich durchzukaͤmpfen. Sie kennen
ihn dort, wie die Reiger den ſchnellen gewand-
ten Falken; und werden ihn nicht loslaſſen.
Er dient als Sklave beym Großvezier ſelbſt; ich
hab ihn geſprochen, und ein Briefchen von ihm
ſeiner traurigen Geliebten hier uͤberbracht; wor-
in er ſie beſchwoͤrt, ihn zu vergeſſen, und einen
gluͤcklichern zu waͤhlen, wenn er noch ein Jahr
lang ausbleibt.“
Dieſe Nachricht wuͤhlte mir das Herz auf,
und Florio dauerte mich; ich ſeufzte heftig be-
wegt, und im Geſichte gluͤhend: armer Schelm!
Der Alte fuhr fort: „wenn du ihn ſaͤheſt,
mein Sohn, du wuͤrdeſt ihn lieben; er iſt ein
gar guter junger Mann bey ſo viel rauher Ta-
pferkeit. Wie oft haben wir vor wenigen Jah-
ren zuſammengeſeſſen, und einander erzehlt!
Wenn ich ihm vom Kaukaſus und Atlas ſprach:
ſo beſchrieb er mir, wie viel hoͤher die Gebirge von
Q 2Ame-
[244] Amerika waͤren; und wir geriethen dann in ei-
nen freundſchaftlichen Streit. Ich hatte die
unendlich ſchoͤnern Weiber, Maͤnner und Thiere
von weit edlerer Natur fuͤr mich: und er pries
und ruͤhmte zum Scherz die reichen Gold- und
Silberminen, womit man die ganze alte Welt
erkaufen koͤnnte, wenn man alle Beute heraus-
holte.“ Wir tranken alsdenn auf ſeine Geſund-
heit und baldige Befreyung.
Ich fragte den Gabriotto noch, ob er viel-
leicht den Ulazal von Perſon kenne? und er ſagte
mir, daß er ihn einmal zu Rhodi geſehen habe,
und ſchilderte mir ihn als einen andern Hanni-
bal auf der See Er machte hierbey die Beob-
achtung, wuͤrdig eines ſolchen Graubarts:
„Kolonna zog zu Rom im Triumph ein wegen
ſeines Drittelſiegs; wenn einer aber die Thaten
beyder in jenem Treffen genau abwiegen koͤnnte,
in welchem Glanze wu de da noch der fluͤchtige
Kalabreſer vor ihm erſcheinen! Ein ſolcher ſich-
rer
[245] rer Ruͤckzug eines einzelnen Mannes mit ſeinen
Freunden, nachdem er Wunder des Ver[st]andes
und der Tapferkeit fuͤr die Flotte der andern
Admirale gethan hatte, aus der vollen Macht
der Ueberwinder, bezeugt die groͤßte Unerſchro-
ckenheit, Ueberſicht, und Erfahrung. Schade,
und ewig Schade, daß er unſerm Glauben ab-
truͤnnig geworden iſt.“
Zumal, ſetzt ich hinzu, da ihn der heilige
Vater Pius wieder zu Gnaden annehmen wollte,
und Philippen beredete, alles anzuwenden,
dem Helden Herrſchaften und Reichthuͤmer zu
ſchenken, wo er ſie nur immer haben moͤchte, in
Spanien, ſeinem Vaterlande, oder Sizilien,
wenn er die Heyden verließe. Doch gefaͤllt mir
nicht, daß man denſelben mit ſolchen Antraͤgen
bey dem Sultan wenigſtens verdaͤchtig machen
ſollte, damit er ihn ſelbſt aus der Welt ſchafte:
weil man keine andre Mittel dazu vor ſich ſaͤhe.
Ulazal aber war zu klug fuͤr ſolche Verſprechun-
Q 3gen
[246] gen; ſcheute uͤberdieß die kuͤnftige feige ſchaale
Rolle, und trat folgenden Fruͤhling nun ſelbſt
als Admiral auf, mit einer neuen Flotte.“
„Es iſt naͤrriſch, daß man von den Kalabre-
ſern verlangt, ſie ſollen nicht zu den Tuͤrken uͤber-
gehn. Die Tuͤrken pluͤndern ihre Gegenden,
und fuͤhren ſie ſelbſt in Sklaverey; und ihre
Fuͤrſten ſehen gelaſſen zu, ohne ſie zu verthei-
digen, und ſaugen ſie noch obendrein mit allerley
Auflagen aus. Sie werden alſo mit doppelten
Ruthen gezuͤchtigt. Was hat ein Mann, der
Kopf hat und Muth im Herzen, anders zu thun,
da er allein ſich nicht wehren kann gegen beyde
Feinde, die ihn berauben? er ſchlaͤgt ſich zur
Parthey der Sieger.“
Ich will doch lieber in dem Glauben leben
und ſterben, worinn ich gebohren und erzogen
bin, und ein wenig Unrecht leiden, erwiederte
der Alte; das Dulden iſt auch ſuͤß, wenn man
das
[247] das Vermoͤgen noch in ſich fuͤhlt, auszudauern,
und große Belohnung dereinſt unter ſeinen Ge-
liebten dafuͤr erwartet.“
„Ein guter Glaube uͤberwindet freylich alles,
antwortet ich ihm darauf;“ und dachte im Her-
zen, wer damit nur immer in der gluͤckſeeligen
Dunkelheit herumtappen koͤnnte!
Noch denſelben Abend lief ein Franzoͤſiſches
Schiff im Hafen ein, mit dem neuen Geſandten
und Conſul fuͤr Konſtantinopel und Smyrna,
das nur Waſſer einnahm, und mit dem erſten
guten Wind wieder abſeegeln wollte. Ich bedien-
te mich der Gelegenheit, eilte ſogleich nach Hau-
ſe, und ſchrieb an den Diagoras, ſo rein und
frey, wies in meinem Geiſte lebte, friſch von
der Hand weg; und bat hernach den Edeln in-
ſtaͤndig, den Florio Branca zu befreyen, wenn
er koͤnnte; oder mir wenigſtens die Art zu mel-
den, wie es moͤglich waͤre, ohn ihm jedoch etwas
Q 4von
[248] von mir zu ſagen; und dann nach Genua zu
ſchicken.
Die Aufſchrift macht ich an ſeine Mutter,
damit der Brief deſto ſichrer moͤchte abgegeben
werden. Der Patron des Schiffs erhielt von
mir ſchon zum voraus eine Belohnung; und ich
verſprach ihm mehr, wenn er mir gute Antwort
bringen wuͤrde, und ſagte ihm zugleich, was
es betraͤfe. Er gelobte mir heilig an, ihn aufs
beſte zu beſorgen.
Den andern Morgen gegen Mittag ging
das Jagdboot auch wieder ab, und mir ſchwoll
das Herz von verſchiednen Leidenſchaften, ſo wie
der Wind die Seegel ſchwellte. Ich muß ſelbſt
uͤber das Gleichniß laͤcheln, und doch iſts wahr,
und gefaͤllt mir; ach, unſre Gedanken und
Empfindungen ſind ſo zart und veraͤnder-
lich, und heiter und wild und ſtuͤrmiſch wie die
Luͤfte.
Ardinghello.
Hier-
[249]
Hierauf gab ich dem Ardinghello keine
Antwort; und erhielt im Merz wieder folgen-
den Brief von ihm.
Genua, Merz.
Sie hat mich zum erſtenmal gekuͤßt, frey-
willig; und meine Lippen ſchmachten in einem
fort nach ihrem ſuͤßen Munde. Schuͤchtern,
jungfraͤulich, und doch naturnohtwendig, wie
der Magnet ſich zieht, flog unerwartet ploͤtzlich
der himmliſche Kuß auf mich. Wie ſelbſt darin
verwandelt ſchlief ich die Nacht, ein wolluͤſtig
ſtehend Feuer; und bin nun erwacht wie ein ſee-
liger Engel. O ein gluͤcklicher Tag der geſtrige!
wie der neue Fruͤhling ging die Sonne auf und
unter. Wir ſaßen gegen Abend oben allein im
Garten, unten hatte Fulvia und ihr Gemahl
Geſellſchaft; und die See ſpielte in kleinen Wel-
len, um, wie zaͤrtliches Leben, ſich in die Luͤfte
zu verbreiten.
Q 5Ich
[250]
Ich zeigte Lucinden erſt einige Griffe auf
der Laute, alsdenn ſangen wir zuſammen; und
unſre Herzen ergoſſen ſich endlich in einander durch
Geſpraͤch und Blicke. “Ein Weib iſt doch das
armſeeligſte Ding auf Erden! ſeufzte ſie auf die letzt
wehmuͤthig, nach mancherley Reden uͤber Welt
und Daſeyn und Beſtimmung, und kehrte die
Augen von mir ab gen Himmel; gefeſſelt auf
allen Seiten, duͤrfen wir keinen freyen Schritt
thun, wo uns der Geiſt hinleitet, ohne
Schmach und Schande. Nicht uͤber die Straße
koͤnnen wir gehn allein und ſonder Mamma und
Baſe, wenn man uns fuͤr wohlgebildet haͤlt,
ohne daß die Laͤſterzungen auf uns ſtechen; Natur
und Leben und Sitten und Gebraͤuche in andern
Gegenden zu ſehen und zu hoͤren, iſt uns gaͤnz-
lich verſagt: wir muͤſſen auf einer Stelle bleiben,
wie die Plaggen, und glauben, was man uns
vorluͤgt, ohne ſinnlichen Begriff; Wahn und
Traum und Gehorſam unſer Eigenthum: kein Tro-
pfen Wahrheit die Seele zu erquicken.
„Wenn
[251]
„Wenn eine ſchoͤn iſt: ſo legt man ihr uͤberall
Schlingen; und derjenige ſelbſt, welchem ſie in
einer gewitterhaften Stunde gefaͤllig war, ver-
laͤumdet ſie oft hernach am aͤrgſten, und tritt
zum ſchimpfenden Poͤbel uͤber, wenn er einen
andern vorgezogen glaubt; oder ſie wird von
unvernuͤnftiger Eiferſucht noch feſter einge-
kerkert.“
„Sind wir nicht ſchoͤn: ſo erwerben wir
keine Liebe mit aller Weisheit und allen Kuͤnſten
der Muſen und der Minerva; und außerdem
heißts immer noch: ſie iſt doch nur ein Weib, und
kann und darf nicht recht ſehen wie es iſt; Pe-
danterey und Ziererey ohne Zweck und Nutzen!
ein Weib hat weder Staͤrke, noch Ueberlegung,
etwas großes in irgendwo zu erlangen und zu faſſen;
die Guten und Verſtaͤndigen haben Mitleiden mit
deſſen Schwaͤche, und die Boshaften verſpotten
es, und ſuchen es mit ihrem Lobe vollends zur
Naͤr-
[252] Naͤrrin zu machen. So geht man mit uns
um.“
„Am beſten waͤr es, nie gebohren worden
zu ſeyn; denn was wir wollen und lieben, duͤrfen
wir doch nicht haben! oder, ſo bald dieſe Neigun-
gen in unſerm Herzen aufgehn, geſchwind
von der Erde weggenommen zu werden. Unſer
Loos iſt Traurigkeit und Leiden, und wenig heitre
Augenblicke; ein vergnuͤgter ſichrer Zuſtand iſt
uns nicht beſchieden: unſer Leben ein ſchwacher
Kahn im ſtuͤrmiſchen Meer, oft von Wellen uͤber-
ſchlagen.“
Aber warum ſchrieb ich dir den todten Sinn
und Buchſtaben von dem, was ſie ſo goͤttlich in
bezaubernden Worten, Toͤnen und Gebehrden
ſagte!
Ich hielt ihre Linke in meinen beyden Haͤn-
den, und ſie uͤberließ die entzuͤckenden Wal-
lungen ihrer innern Schoͤnheit ruhig meinem hei-
ßen Gefuͤhl.
„O
[253]
„O Lucinde, antwortet ich ihr darauf, du
haſt viel Wahres geſagt, wir ſind ungerecht
gegen euch! aber auch unſer Loos iſt hart. Uns
liegt die Arbeit ob, und ihr wirkt ſtill wie die
Sonne, und macht ſchon gluͤcklich, bloß durch eure
Schoͤnheit. Wir muͤſſen alles erringen und er-
kaͤmpfen; und ihr ſtrahlt nur um euch: ſo liegt
man euch zu Fuͤßen.“
„Hohe Schoͤnheit iſt freylich aͤußerſt ſelten;
aber auch eine Jungfrau, die ſie beſitzt und zu
gebrauchen weiß, iſt, was bey uns Alexander und
Caͤſar mit Heeren von Helden; es koͤmmt nur
auf ſie an, was ſie erobern will! das ewige
Schickſal hat ihr alle Herzen unterworfen.“
„Liebe und Geiſt iſt eins und daſſelbe unter
verſchiednen Namen, nur daß man Ueberfluß
von Geiſt Liebe nennt: hohe Schoͤnheit beherrſcht
alle Geiſter. Sie vereinigt ſich deßwegen gern
mit großer Gewalt, oder großem Verſtande,
weil da die Liebe am maͤchtigſten iſt. Der Menſch
fuͤr
[254] fuͤr ſich allein, uͤberhaupt jedes Weſen, abgeſon-
dert, iſt ungluͤcklich. Was kuͤmmert den Vor-
treflichen im Grunde Wahn und buͤrgerliches Vor-
urtheil? Das Geſetz iſt toll und thoͤricht, das
ihm Eigenthum und freyen Gebrauch ſeiner Per-
ſon abſpricht; und er tritt es mit Fuͤßen, ſo bald
er kann.“
„Ich moͤchte lieber Ardinghello ſeyn, ver-
ſetzte ſie ſchnell in leiſem Nachtigallenton, ganz
auf mich geheftet, als Semiramis und Laura,
ſo jung und ſchoͤn mit ſo viel Tapferkeit und Ta-
lent!“ und hier neigte ſie ihre Lippen nach den
meinigen, ich ward von einem ſuͤßen Blitz durch-
ſchlaͤngelt, und meine Seele ſchwebte in der
Herrlichkeit des Entzuͤckens wie aufgeloͤßt von al-
len Banden. So hielten wir uns lang um-
ſchlungen, bis unſre Blicke in Wolluſtthraͤnen
ergingen, und ſie ausrief, roſenroth und lilien-
blaß, und ſich losriß:“ o du, mein Abgott,
was
[255] was wird noch aus mir werden!“ ohne mir mehr
zuzugeſtehen.
Fulvia kam bald darauf, als ich noch an
einen Baum gelehnt ſtand, und mit den Armen
die Augen zuhielt, um nichts irrdiſches zu be-
trachten. Die Schlaue merkt alles, und erkennt
die Momente, wie ein edles Raubthier.
So ſchiff ich denn zwiſchen einer Scylla und
Charybdis im Wonnemeere der Liebe; und laſſe
mich von ihren Strudeln herumwaͤlzen in Ge-
fahren, damit mein Muht nicht muͤſſig liege. Doch
erſchreck ich zuweilen vor Lucinden; ſie hat in
manchen Punkten nicht die Biegſamkeit ihres
Geſchlechts, und in ihrer Geſtalt entdeck ich Zuͤge
von fuͤrchterlicher Heftigkeit; und eben dieſe ſind es,
was mich ſo gewaltſam ergreift, und an ſie feſſelt.
Ich fuͤhle durch und durch, was das himmliſche
Geſchoͤpf verlangt, und dieß foltert mich, da es
unmoͤglich geſchehen kann: und doch iſt der En-
gel zu ſchoͤn fuͤr die Welt, die ihn mit ihren Sit-
ten
[256] ten angeſteckt hat, als daß ein Naturſohn ihr ihn
ſo ungenoſſen ſein lebenlang uͤberlaſſen ſollte.
Uebrigens ſtudier ich hier immer mehr die
Schiffahrt, und ſtreiche oͤfters an der Kuͤſte her-
um. Zu Korſika bin ich auch ſchon geweſen,
und das rauhe Volk gefaͤlt mir: es liegt Stoff
darinn. Es koͤmmt kein Schiff an, und geht
keins ab, das ich nicht ausforſche. Und ſo be-
ſchaͤftigt ſich auch noch meine bildende Kunſt mit
der See; ich habe die eine Skitze, wo ich den
Biondello niederſtoße, im Großen angelegt.
Den Helden Doria beſuch ich fleißig, und
lerne viel aus ſeinen Geſpraͤchen; er will mir
wohl, das ſeh ich aus ſeinen Mienen und Ge-
behrden und ſeiner Offenherzigkeit. Er weiß,
wer ich bin, und Fulvia und ihr Gemahl wiſſen
es mit Lucinden; ich bin gleich anfangs von ei-
nem meiner Landesleute verrahten worden, der
mich erkannte. In Venedig blieb ich eher ver-
borgen, waͤhrend des Kriegs mit den Tuͤrken,
und
[257] und weil es dort viel Mahler giebt, worunter
man ſich leicht verſtecken kann; hier ſind deren
kaum ein Paar. Auch kam ich bey euch in kei-
ne ſo vornehme oͤffentliche Geſellſchaften. In-
zwiſchen hab ich keinen Schaden davon, ſondern
Vortheile; man ſchaͤtzt mich deſto mehr, und ich
habe, wo ich will, freyen Zutritt.
Vor dem Tyrannen von Toskana fuͤrcht
ich mich nun wenig mehr; meine Tante meldet
mir, daß es uͤbel mit ihm ausſieht. Er hat
durch ſeine Ausſchweifungen ſchon laͤngſt ſeine
Geſundheit zu Grunde gerichtet, und bey der
Kamilla Martella die Neige ſeiner Kraͤfte
vollends ſo abgezapft, daß ihm die Zunge ſteif
geworden iſt und verdorrt, und er nicht mehr
ſprechen kann. Alles dieß iſt buchſtaͤblich wahr,
und ſo unklug wirthſchaftete kein Tiberius auf der
Inſel Capri, und kein Nero in beyderley Geſtalt;
die noch immer wußten, wenn ſie fuͤr ſich auf-
hoͤren ſollten. Ein neuer Heppokrates von Maa-
Rchi-
[258] chiavell wird den jungen Tarquinen auch noch hier-
in die Anfangsgruͤnde vorbuchſtabiren muͤſſen; denn
von ſelbſt wird ſelten einer ſo geſcheidt ſeyn.
Der neue Herzog, ſein Sohn, fuͤhrt ſich auf
wie ein Bloͤdſinniger, und eure beruͤhmte Bianca
behandelt ihn auch ſo mit Fug und Recht.
O Caͤcilia, Aphrodite des Adriatiſchen Pa-
phos, wie lebſt du, und unſre Liebe? du ſollſt
gewiß noch dereinſt voll Zaͤrtlichkeit Lucinden,
und auch Fulvien, als deine Geſpielinnen umar-
men. Meine Seele ſchmachtet nach ihr und
dir; ſey nicht ſo karg mit deinen Worten.
Ardinghello
Zu Ausgang des Merz ſchrieb ich ihm, da ich
aus dem Schluß ſeines Briefes ſah, daß er ohn-
geachtet ſeiner Leidenſchaft doch den Kopf noch
nicht verlor, und immer den Edelmuth im Grun-
de ſeines Herzens hatte.
Ve-
[259]
Venedig, Merz.
Ich moͤchte mich lieber mit dir nur weni-
ge Augenblicke muͤndlich unterhalten, als in dem
laͤngſten triftigſten Buchſtabenwechſel.
Ich habe Caͤcilien ſchon zum zweytenmal
geſprochen; das erſtemal in Geſellſchaft, und dar-
auf vor wenig Tagen allein. Sie iſt hoch ſchwan-
ger, geſund und bey Kraͤften; und Mutter und
Bruͤder und Freunde und Geſpielinnen geben ſich
alle Muͤhe, ihr neue Ergoͤtzlichkeiten zu verſchaf-
fen. Es iſt eine wahre Augenweide, eine ſo
junge reizende Frau am Ziel ihrer Beſtimmung
zu ſehn, und einem Fremden, der nichts von ihr
hoft und erwartet, muß ſie ſo ſelbſt ſchoͤner und
vollkommner ſeyn, als ſie als Maͤdchen war;
geſchweige dem gluͤcklichen Geliebten, der die
ſuͤße Frucht ſeiner Liebe ſo heranreifen ſaͤhe. Ar-
dinghello, du biſt ein Goͤtterſohn, zu hohem
Wohl erkohren; nur verſcherze dein Heil
nicht!
R 2Das
[260]
Das erſtemal wagte ſie nicht, nach dir zu
fragen; aber das Spiel ihrer Blicke um mich,
deinetwegen, war mir ein Himmelreich. Sie
erroͤthete, wurde blaß, ſeufzte, ſuchte ſich zu ver-
bergen: doch die Natur triumphirte: ihr Buſen
wallte ſtaͤrker, und ſie kam endlich zu mir, und
ließ ſich mit mir in ein Geſpraͤch ein, lieblich
und traulich. Ich faßte mich dabey ſo, als ob
ich in dieſen Augenblicken deiner nicht gedaͤchte;
und ſie ging froher von mir, ſie mochte nun arg-
wohnen oder nicht argwohnen: denn ſie mußte
fuͤhlen, daß ich ihr wohl wollte, und dieß ſchon
vorher wiſſen.
Vor wenig Tagen ließ ich mich bey ihres
Vaters Pallaſt anfahren, bey welchem ſie noch
immer wohnt, bis nach ihrer Niederkunft, um
ihren juͤngſten Bruder zu beſuchen, den ich nun
naͤher kenne; und als er nicht zu Hauſe war,
ging ich inzwiſchen zu ſeiner Mutter, und traf Caͤ-
cilien gerade bey ihr. Die Mutter verließ uns
denn
[261] denn eine Weile wegen Geſchaͤften, und wir
blieben allein. Ihre ſchoͤnen großen Augen ruh-
ten lang hell und klar auf mir, und ihre Lippen
laͤchelten, wie wenn man einen zum reden zwingen
will. Mich dauerte die Verlaßne, und ich fing an
von dem Gemaͤhlde zu ſprechen, das eben vor
uns hing; und kaum hatte ſie mir den Meiſter
geſagt, ſo war die Frage darauf: „wo iſt jetzt ihr
Freund Ardinghello? ich hab ihn nicht wieder
geſehen, ſeit dem er mich gemahlt hat; er wird
alſo wohl nicht mehr in Venedig ſeyn.“
Ich antwortete: „den letzten Brief von ihm
hab ich aus Genua; es geht ihm dort ſehr wohl.“
Du haͤtteſt ſehen ſollen, wie ſie darauf lebendig
ward, und ſich alles an ihr regte; ein neuer
Morgen ihr Geſicht mit heißen Sonnenblicken.
Nicht mehr feſt halten konnt ihr Herz: „es iſt
ein treflicher Menſch, voll Verſtand und Talent
und das geringſte iſt der Mahler an ihm, ſo weit
ers auch ſchon in ſeiner Kunſt gebracht hat.“
R 3Hier
[262] Hier gluͤhte ſie auf wie eine Roſe, und fuͤgte
laͤchelnd hinzu, ſich fuͤhlend: „ich glaube, daß
ich in ihn verliebt geworden waͤre; es iſt gut,
daß er weg iſt.“
Mir waren hier die Daumenſchrauben auf-
geſetzt: aber doch bekannt ich nicht wegen ihrer
ſelbſt, und deiner und meiner; noch ſcheint es
mir nicht Zeit zu ſeyn. Ich antwortete wie kalt
und ſchier eiferſuͤchtig darauf: „dieß wuͤrde den
jungen Herrn bis ins kleinſte Gelenk kitzeln,
wenn ich ihm ſo etwas berichtete; er war ganz be-
zaubert von ihrer Schoͤnheit, wie er ſie mahlte;
und beneidete muhtwillig ihren ungluͤcklichen Ge-
mahl.
Dieß Wort kam wie eine finſtre Wolke vor
ihrer Schoͤnheit Glanz, ſie entfaͤrbte ſich, und
verſetzte: „nun ſo arg und gefaͤhrlich iſt es nicht;
ſie brauchen ihm auch nichts hiervon zu ſchreiben;
doch gruͤßen ſie ihn von mir, und melden ihm,
daß ich ſeine Kunſt bewundre, und große Dinge
von
[263] von ihm erwarte, und den eifrigſten Willen ha-
be, ihm in Zukunft nuͤtzlich zu ſeyn.“ Hier-
uͤber trat die Mamma wieder ins Zimmer,
und ich verließ ſie bald darauf.
Du ſiehſt daraus, daß alle Verſtellung ein
Ende hat gegen einen, der Perſon und Sache
kennt: es iſt ein Gluͤck fuͤr euch, daß kein ſolcher
unter ihren Richtern ſaß. Wer die Wege gut
weiß, geht auch im Nebel ſicher; und ein Wolluͤſt-
ling von Auge ſieht oft die Gegenſtaͤnde darin
mit mehr Freude, als bey hellem Wetter.
Inzwiſchen dauert ſie mich doch von Grund der
Seele; denn ſie iſt ungluͤcklich.
Dein Umgang mit Lucinden gefaͤllt mir nicht.
In Ruͤckſicht ihrer wenigſtens kann ich die Grund-
ſaͤtze nicht billigen, die du ihr einfloͤßeſt; beſonders
wenn Florio der Mann iſt, wie ihn der alte
Schiffer ſchildert: ich befuͤrchte, daß es ſchlim-
me Haͤndel abſetze. Ueberhaupt muß ſich jeder
nach dem Staate richten, worin er lebt, wenn
R 4er
[264] er ihn nicht gewiſſermaßen uͤberſieht, und her-
aus kann, wenn er will: ſonſt trift am Ende
das Sprichwort ein „der Krug geht ſo lange
zu Waſſer, bis er zerbricht.“ Wenn Lucinde
deinen Geiſt haͤtte bey ihrer Jugend und Schoͤn-
heit: o dann ſtuͤnden ihr Koͤnigreiche zu Gebot;
ſo aber mußt du ſie erſt in das alte Korinth oder
Athen bringen, wenn ſie nach dir gluͤcklich ſeyn
ſoll. Und noch dazu ſcheint mir ihr Charakter
ſich nie recht zu bequemen. Mit einem Worte:
ſo bald ein Weib eines Mannes Frau wird, be-
gibt es ſich im Punkt der Liebe ſeiner Freyheit,
hernach eine andre Wahl zu treffen; und was
opfert der Mann nicht dafuͤr auf, daß ihm daſſelbe
treu ſeyn moͤge? Schoͤnheit und Keuſchheit bey-
ſammen wird ewig eine hoͤhere Vollkommenheit
ſeyn, als Lais und Phryne, ſetze ſie in einen
[Staat], in welchen du willſt. Doch red ich,
was Lucinden betrift, in der Ferne; und ein ein-
ziger Blick auf ſie und wenig Worte von ihren
Lippen koͤnnten vielleicht meine eigne Moral weg-
ban-
[265] bannen. Das Zettelchen, welches ſie dir im Bet-
te ſchrieb, bleibt immer ein wunderbarer Flug, von
dem andern Erdenvoͤlkchen weg, wozu eine ſtar-
ke Leidenſchaft gehoͤrt, die alle Furcht von Vorur-
theilen uͤberwaͤltigt.
Es ſchweben Gefahren uͤber ihr und dir;
aber wer ſich ſelbſt nicht rathen kann, dem iſt
nicht zu helfen. Jeder weiß am beſten, wie ihn
die Umſtaͤnde umringen.
Fulvia geb ich dir gerne Preis, nimm
mirs nicht uͤbel! aͤchte Genueſerin nach dem
Sprichwort *); ein Geſetz, von keiner Gewalt
in Ausuͤbung gebracht, iſt kein Geſetz in Wirklich-
keit. Wer ſeine Rechte nicht behauptet, der hat
keine; ſo gehts allen Maͤnnern, die nicht auf
R 5ih-
[266] ihrer Hut ſind. Dieß ſahen die Spartaner wohl
ein; und welcher Kopf nicht, der noch Vernunft
hat!
Ich mag nicht daran denken, daß du mir
vom Diagoras ſollſt entriſſen werden. Bleib in
deinem Italien, und lies das andre in Ge-
ſchichten und Reiſebeſchreibungen; der Menſch
braucht zu ſeinem Gluͤcke nicht den ganzen Erdbo-
den. Die See iſt weiter nichts, als ein unge-
heurer leerer Weg ꝛc.
Erſt in der Mitte des May erhielt ich wieder
einen Brief von ihm, und zwar aus Lucca, wel-
ches mir ſonderbar auffiel. Er lautete, wie folgt.
Lucca, May.
Auch du biſt Schuld daran! Lucinde iſt von
Sinnen gekommen.
Florio Branca kam, erloͤſt vom Diagoras,
und oben drein mit Geſchenken [ausgeſtattet]; ein
Held wie ein junger Diomed, nur im Geſicht
voll Ehrennarben. Er wußte nicht, daß ich ſein
Ret-
[267] Retter war, und wir wurden bald Freunde. Er
drang auf ſeine Vermaͤhlung: zu Meſſina, wo ein
Theil der Spaniſchen Flotte liegt, war ihm von
den oberſten Befelshabern nicht allein ſein vori-
ger Poſten, ſondern eine weit anſehnlichre Stel-
le zugeſichert worden. Ich befand mich eben
nicht in Genua, wie er ſeine Braut uͤberraſchte;
Fulvia erzehlte mir, ſie ſey in Ohnmacht gefal-
len, als ſie ihn ſo unerwartet ploͤtzlich vor ſich ge-
ſehen haͤtte. Man ſchrieb es der Freude zu.
Sie faßte hernach alle ihre Kraͤfte zuſammen,
alte Liebe und Verſtellungskuͤnſte: und Flor[o]
hielt ſie in ſeinen Armen ſtumm vor Heftigkeit
der Wonne nach ſo vielen Drangſalen.
Ich traf bey meiner Ankunft den Florio zu-
erſt bey ihr und Fulvien und ihrem Gemahl in
Geſellſchaft. Seine Geſtalt und ſein Weſen
machte gleich auf mich großen Eindruck; ſtarker
Gliederbau, ſcharfe Geſichtszuͤge, kleines blitzend
verwegnes Auge, verbrannte Farbe, krauſes
Haar und derbes Fleiſch und wenig Worte zeig-
ten
[268] ten mir ein Muſter von Seemann; und ſein
Knebelbart und kurzer Saͤbel vollendeten das
Bild. Ich wuͤnſchte beyden herzlich Gluͤck uͤber
ihre Wiedervereinigung. Lucinde ſah mich ſtill
an, und glich einem Gewitter von Empfin-
dung.
Die Tage darauf macht ich naͤhere Bekannt-
ſchaft mit dem Florio; und meine kalte Ver-
nunft rang immer mehr, meine heißen Begierden
zu bekaͤmpfen; der Tapfre war die edelſte der Blu-
men ganz wehrt.
Ich ſprach Lucinden alsdenn allein im Gar-
ten. Sie jammerte uͤber die Unruhen des See-
lebens und die Kriegsgefahren. O wie mein
Herz ihr entgegen ſchlug, als ich die Morgenroͤ-
the von Kuͤſſen um ihre Lippen ſchweben ſah!
Aber ich verwuͤſtete ſchaͤndlich alle Inbrunſt der
Natur wie ein Gotteslaͤſtrer, und gab ihr das
theure Zettelchen wieder, und ſtammelte die tol-
len Sylben hervor: „ich kann deine Gunſt nicht
annehmen; Florio iſt deiner Liebe ungetheilt
werth:
[269] werth: in mir iſt jede Fieber Wunde; aber ſeyd
gluͤcklich mit einander, rein und ohne Flecken.“
Sie blieb wie eine Saͤule ſtehen, las die Zei-
len ihrer Hand, und zerpfluͤckte darauf langſam
mit den Zaͤhnen das Blat Stuͤckchen vor Stuͤck-
chen, indeß ich von ihr ging, und mir die Thraͤ-
nen in die Augen tobten.
Dieß geſchah nach der Mittagsmahlzeit.
Fulvia, die von dieſem allen jedoch nichts wußte,
und auch nie erfahren ſoll, berichtete mir, daß
ſie den ganzen Abend in ihr Zimmer eingeſchloſſen
geweſen waͤre, und ſie Niemand weiter geſehen haͤt-
te, bis ſpaͤt den andern Morgen, wo man mit einem
andern Schluͤſſel daſſelbe aufgemacht, und ſie in ih-
rer Kleidung auf dem Bette gefunden, die Haͤnde
ringend, mit dem Oberleibe aufgerichtet und ſeuf-
zend mit vor ſich niedergeſchlagnen unverwand-
ten Augen. Weder Fulvia, noch der Braͤuti-
gam, noch irgend Jemand hat nach der Zeit ein
Wort von ihr herausbringen koͤnnen, ſo daß ſie
voͤllig die Sprache verloren zu haben ſcheint.
Sie
[270] Sie laͤßt ſich geduldig hinfuͤhren, wohin man
will, geht auch fuͤr ſich herum: ringt aber im-
mer die Haͤnde und ſeufzt, verſteht platterdings
nichts mehr, was man ſagt, und nimt an kei-
nem Geſpraͤche mit Mienen und Gebehrden An-
theil. Sie ißt und trinkt wenig; ſo bald ſie aber
genug hat: ringt ſie wieder die Haͤnde und ſeufzt.
Es ſind von den Aerzten verſchiedne Mittel ver-
ſucht worden, aber alles vergeblich. Sie kennt
Fulvien nicht mehr, ihren Braͤutigam nicht mehr,
und mich nicht mehr; wie ſie dieſer kuͤſſen woll-
te, hat ſie nach ihm ausgeſchlagen, und ihn ins
Geſicht gekratzt. Auch von ihren Freundinnen
leidet ſie dieß nicht: ſonſt iſt ſie in allem geduldig.
Ich mochte mir immer mit einem Strick die
Gurgel zuſammenziehn, wenn ſie mich ſo ſtarr
anſah, und die Haͤnde rang und ſeufzte.
Jetzt ſteckt ſie nun in einem Nonnenkloſter
zur Verpflegung. Florio war im Begriff, ſich
eine Kugel vor den Kopf zu ſchießen, und iſt
nun bey der Flotte, um in der Verzweiflung ge-
gen
[271] gen die Tuneſer ſein Ende zu finden; und ich ha-
be mich ſo auf den Weg nach Florenz gemacht.
O Natur, deine ſchoͤnſte Zierde iſt zerruͤttet und
zu Grunde gerichtet! das arme Maͤdchen zur Luſt
erſchaffen und aller Augen und Herzen zu entzuͤ-
cken hat nie die hoͤchſte Suͤßigkeit des Daſeyns
gekoſtet, und lebt nun ein unaufhoͤrlich Gefuͤhl
von unausſprechlichem tiefen Leiden.
Du haſt ſo etwas nicht erfahren, und kannſt
dies folglich auch nicht denken; ſo ſchoͤn, ſo rei-
zend, ſo geliebt, ſo liebend, und ſo voll Geiſt:
und nun auf einmal alles im Ruin ohne Zuſam-
menhang; daſſelbe nicht mehr daſſelbe, es iſt graͤß-
lich! Wer ſie kennt, vergießt Thraͤnen uͤber ihr
Schickſal; ganz Genua trauert. Weide dich,
barbariſche Moral, Feindin des Lebendigen,
mit Wolfsgrimm hier an deinem Opfer!
Aber auch ich, o Gott, wo werden mich
meine heftigen Leidenſchaften nicht noch hinrei-
ßen! ach, ich habe ihren Zuͤgel nicht ſo am ſichern
Griff, daß ſie auf, halsbrechenden Wegen nicht
ein-
[272] einmal mit mir davon rennen, der Wagen uͤber-
ſchlaͤgt, und Roß und Fuͤhrer in den Abgrund
taumeln, wo man Blut und Gehirn noch lange
dem Wandrer an Klippen zeigt, bis die Regen-
guͤſſe des Himmels die Reſte des Verwegnen vom
Felſen waſchen!
Ardinghello.
Ich konnt ihm hierauf nicht antworten,
weil er mir keine Zuſchrift meldete. Die Be-
gebenheit war entſetzlich, und ging ſelbſt durchs
Herz. Je mehr ich daruͤber nachdachte: deſto
natuͤrlicher aber kam ſie mir vor. Fulvia mochte
wohl die groͤßte Schuld haben, und weit weni-
ger Caͤcilia und ich; außer der eignen Großmuth
von Ardinghello. Lucinde war mit allen Rei-
zen bey ihrer Jungfraͤulichkeit zu beklagen: ein
ſchwacher Feind in der Feſtung iſt fuͤrchterlicher,
als der ſtaͤrkſte von außen.
Seine Reiſe nach Florenz ſchien mir immer
gewagt, ob ich gleich ſchon laͤngſt wußte, daß
Cosmus geſtorben war.
[[273]]
Dritter Theil.
S
[[274]][275]
Lucca, May.
Ich ſitze hier an den Hoͤhen des Thals von
Lucca, wo uͤber mir der Wind durch
die Buchen ſaͤuſelt, und unter mir die Quellen
rieſeln, bewegt in der innerſten Seele, wie am
Scheidewege meines Lebens. O wer die Zukunft
aufhuͤllen koͤnnte! Aber dieſe kennt Niemand,
als der, der alles weiß; wir ſind nur Funken,
unſers Schickſals ungewiß, die in dem Unermeß-
lichen herumſtaͤuben. Wohl dem, der wie ein
Schmetterling ſich an den Blumen ergoͤtzt, die
er vor ſich findet! hat der, welcher mit Gefah-
ren kaͤmpfte und ſein Ziel errang, am End etwas
beſſers? Genuß jedes Augenblickes, fern von
Vergangenheit und Zukunft, verſetzt uns unter
die Goͤtter. Was hat der Menſch und jedes We-
S 2ſen
[276] ſen mehr, als die Gegenwart? Traum ohne
Wirklichkeit alles uͤbrige.
Doch weg mit dieſer Muͤckenweisheit! un-
ſer Geiſt hat mehr Tiefe. Nur die Kraft iſt
ſeelig, die Wiederſtand nach ihrem Maaß uͤber-
waͤltigt, und ihn nach ihrem Seyn ordnet, ſeys
auch unter Pein und Leiden. Dem Herkules,
als er den Anteus bezwang, rannen die Schweiß-
tropfen ſuͤßer hervor aus ſeiner Stirn, als ihm
je die Umarmungen einer ſchwachen gefaͤlligen Dir-
ne waren; und nur Omphale, die ihn die
Spindel drehen machte, verdiente die Liebe des
Helden.
Meine Tante ſchrieb mir nach dem Tode
des Cosmus, daß wichtige Veraͤnderungen am
Hofe vorgefallen waͤren, und unſre Feinde einen
ſtarken Stoß erlitten haͤtten; ich ſollte mich auf
den Weg in mein Vaterland machen: ſie ſey ver-
ſichert, daß alles gut gehen, und ich meine vaͤ-
terlichen Guͤter wieder erhalten wuͤrde; und
noch
[277] noch außerdem woll ihr der Kardinal wohl, der
alles vermoͤge.
Dieſe Nachricht kam mir nun gelegen und
ungelegen, nach Lucindens Verwirrung; ich hatte
ganz andre Dinge im Kopfe zur Ausfuͤhrung:
aber Niemand kann ſich von ſeiner Wurzel los-
reißen; und ſo bin ich auf der Grenze. Der
junge Herzog iſt wenig Schritte von mir zu Piſa,
und bey ihm Bianca; von welcher man ſagt, daß
ſie ihm einen Zaubertrank eingegeben habe: ſo
ſehr haͤlt ſie ihn an ſich gefeſſelt. Beyde gebrau-
chen die Baͤder, weil ſie gern einen Erben von
ihm bekommen moͤchte *).
S 3Es
[278]
Es geht mir hart an, daß ich in dieſe Sphaͤ-
re hinein ſoll; wenn ich hinein komme: ſo erlieg
ich vielleicht unter den Truͤmmern.
Ardinghello.
Piſa,
[279]
Piſa, zu Ausgang des May.
Da ſieh mich nun ſchon am Hofe! Noch
aber bin ich wie ein fremdes Thier hier, wie ein
S 4Sper-
*)
[280] Sperber unter dem zahmen Federvieh, das mit
aller Macht herbey gelaufen und geflattert koͤmmt,
wenn
*)
[281] wenn man ihm Futter hinwirft; und ſeine Eyer
legt.
Ich hoͤrte von einer neuen Art Olympiſchen
Spielen, die in den Baͤdern ſollten gehalten
werden, und ging den Tag, der zum Feſt an-
S 5be-
*)
[282] beraumt war, bey guter Morgenzeit von Lucca
durch das fruchtbare Thal uͤber den Berg.
Unentſchloſſen, wie von einem andern We-
ſen geleitet, wandelt ich herunter, und langte
bey den Haͤuſern an: mir wiederſtand die Luft,
und ein geheimer Ekel hielt mich ſo ab, daß ich
zuſammenſchauderte, und mir die Ohren brauſten:
doch aber drang ich durch.
Ich hatte mich kaum im Wirthshauſe zu ei-
nem Fruͤhſtuͤcke niedergeſetzt, als zwey von mei-
nen ehemaligen Kameraden hereintraten, mich
anſtaunten, und mir um den Hals fielen; wir
waren wie in einer neuen Welt bey einander, und
mein Blut ſtuͤrmte in Katarakten von meinem
Herzen. „Willkommen! willkommen Prospe-
ro! riefen ſie; bleibſt du bey uns? o du mußt bey
uns bleiben! es ſoll dir wohl gehen, du haſt uns
immer gefehlt.“
Mich freuten die natuͤrlichen Aufwallungen,
ihre Blicke ſchienen nicht erlogen, und ich
ver-
[283] vergaß gleich zum erſtenmahl das ἀπιςεῖν des
Sizilianers *).
Ich antwortete ihnen bloß auf ihre Fragen,
daß ich nach Rom reiſen wolle, und jetzt von
Genua kaͤme; und ſo eben in Lucca von ihrem
Feſte gehoͤrt haͤtte. Waͤhrend dem uͤberraſchten
mich noch verſchiedne andre alte Bekannten, und
ſie ließen nicht ab, bis ich verſprach, mit Antheil
an ihren Spielen zu nehmen. Oeffentlich konn-
te man mir nichts zu Leide thun; ich war we-
der verbannt, noch hatt ich etwas geſuͤndigt.
Ein Theil von ihnen machte darauf mit mir
einen Spaziergang; und ich ſuchte, durch einge-
leitete Geſpraͤche mit dieſem und jenem, nach und
nach geſchwind kennen zu lernen, was ſich ſeit mei-
ner Abweſenheit veraͤndert hatte.
Zu
[284]
Zu Mittage ſpeiſt ich in großer Geſellſchaft;
und bemerkte bald ein paar Spuͤrhunde, die auf
mich ausgeſandt waren; und fuͤhrte ihre Naſen
auf allerley Abwege. Das Voͤlkchen war uͤber-
aus luſtig, und witzelte und ſang und ſcherzte;
aber uͤberall fehlte der edle Kern der Selbſtſtaͤn-
digkeit, bis auf einen meiner alten Freunde
Mazzuolo, der ſeinen Geiſt wunderbar geſtaͤrkt
hatte: und wir theilten einander unſern Selen-
jubel mit im Winkel durch Blick und Kuß und
Haͤndedruck und kurze abgebrochne Reden.
Nach ein und zwanzig Uhr kam der Herzog
an mit ſeinem Gefolge von Piſa in den zu dem
Feſte beſonders aufgepflanzten Zelten; und gleich
darauf wurden die Spiele mit Trompeten und
Paukenſchall eroͤfnet. Das erſte war ein Piſto-
lenſchießen, und der Preis ein herrlicher Spa-
niſcher Hengſt aus ſeinem Marſtall. Der Mit-
ſtreiter waren mit mir ſechszehn, lauter junge
Leute aus den beſten Haͤuſern im Florentiniſchen,
der
[285] der aͤlteſte nicht uͤber dreißig Jahre, und der
juͤngſte nicht unter ſiebzehnen.
Sie baten insgeſamt fuͤr mich um Erlaub-
niß mitzuſtreiten, zumal da einer an der geraden
Zahl fehle, der ploͤtzlich krank geworden war.
Der Herzog ließ mich in meinen Reiſekleidern vor
ſich, und ſagte, nachdem ich ihm einen Lobſpruch
wie einem andern Herkules gemacht hatte: es
gefall ihm, daß ich eben bey dieſer Gelegenheit
von meiner langen Reiſe zuruͤckkomme. Bianca,
die zugegen war, blickte mich an mit einer großen
Neugierde, und tauſend Fragen ſchwebten auf
ihren Lippen.
Du wirſt dich verwundern uͤber meine Kuͤhn-
heit, und mich vielleicht fuͤr unbeſonnen halten:
allein fuͤrs erſte reizten mich die Spiele ſelbſt,
und mein ganzer Muht ſagte mir, daß ich wenig-
ſtens in einem den Preis davon tragen wuͤrde,
da ich meine Gegenſtreiter ſo vor mir ſah; und
dann ſcheint es mir allemal zutraͤglicher, von
ohn-
[286] ohngefehr mit den Tyrannen der Welt Bekannt-
ſchaft zu machen, als durch lange Vorbereitun-
gen, wo die Caͤremonien alle Natur erſticken.
Ich will dich nicht lange mit der Erzehlung
aufhalten. Wir ſchoſſen mit Piſtolen zu Fuß
und zu Pferde; und ich traf allemal bey weitem
das Ziel, vierzig Schritt entfernt, am beſten.
Es war ausgemacht, daß im andern Falle die
zwey erſten Schuͤtzen noch einmal um den Preis
kaͤmpfen ſollten; dieß unterblieb alſo, und die
Adriatiſche Zauberin uͤberreichte mir den Zuͤgel
des ſtolzen jungen Roſſes mit dieſen Worten:
„ſeyd auch ſo treflich im Streite, wo es das Leben
gilt, fuͤrs Wohl des Vaterlandes.“ Ich ſah ſie
an mit einem kuͤhnen Blick, und wieder ſcham-
haft, und beruͤhrte ihre ſchoͤne Hand wie in der
Zerſtreuung zaͤrtlich mit den letzten Fingern der
meinigen, und antwortete: „o waͤre ſchon die
Gelegenheit da, euch, o Wunderfrau, und dem-
ſelben meinen Eifer zu zeigen!“
Dar-
[287]
Darauf wurde aus freyer Hand mit Buͤch-
ſen nach der Scheibe geſchoſſen, zweyhundert
Schritt weit, und Mazzuolo kam dem Mit-
telpunkte vor mir naͤher; ich hatte hier mein ei-
gen Gewehr nicht. Der Preis beſtand in ei-
nem andern Neapolitaniſchen Hengſt und einem
ſchoͤnen Jagdhunde.
Den andern Tag waren die Fechterſpiele.
Erſt fochten acht Paar nach dem Loſe; einzeln
jedes Paar. Die den Stoß beybrachten, mach-
ten dann wieder vier Paar; dieſe vier alsdenn
zwey, bis endlich eins und einer allein der Sieger
blieb.
Die Herrchen fochten mit vieler Zierlichkeit,
und ſagten ihre Lectionen her; ich aber gewann
ihnen mit einem gegenwaͤrtigen Auge und faſt
lauter geraden Stoͤßen, womit ich in ihre Gauke-
leyen hineinfuhr, den Preis ab; dem letzten und
geſchickteſten ſchlug ich zweymal mit ſtarken un-
hoͤflichen Paraden das Rappier aus der Hand,
und
[288] ſetzte ihm alsdenn noch obendrein nach einer [Se-
cundenfinte] eine Quart uͤber den Arm gerad
auf den rechten Piez, ſo daß der ſchwarze Fleck
eine vollkommne ſichtbare Finſterniß auf ſeiner
Weſte machte.
Fuͤr dieſes Probſtuͤck gab mir Iſabella, die
Geliebte meines Vaters, einen goldnen mit Stei-
nen beſetzten Degen; und mir ſchwellte die Hand
von Grimm, wie ich ihn am Griffe faßte: „Tapf-
rer, ſprach ſie leiſe zu mir mit blitzenden Augen
und Honiglippen, ziehe ſtolz damit wieder in Flo-
renz ein, und trag ihn mir zum Angedenken.“
Den dritten Morgen, nachdem Bianca
ſich gebadet hatte, war Wettlauf in ſandiger
Bahn, und Abends Ringen, wovon Mazzuolo
und ich ausſchieden, um weder aus Hoͤflichkeit uns
uͤberwinden zu laſſen, noch den andern vielleicht
auch dieſe Preiſe wegzunehmen, und ſo die allge-
meine Freude zu ſtoͤren. Und damit es uns kein
ſtolzes Anſehen gab, ſchieden noch mehrere davon
aus.
[289] aus. Zu Elis haͤtten wir dieſes nicht noͤthig ge-
habt; aber man merkte noch außerdem, daß wir
uns nicht in Griechenland befanden: der Oliven-
kranz waͤre mir lieber geweſen, als Roß und
Degen; ſie blieben immer eine kindiſche, tyranni-
ſche und ſklaviſche Belohnung.
Mir uͤberlief die Galle, wie ich Abends zu
Piſa einritt, und ſehen mußte, daß man mehr
das Pferd und den Degen, als mich betrachtete;
und warlich nicht etwa deßwegen, weil ich auf
meine Perſon eitel waͤre, ſondern daß die Nazion
ſeit weniger als [hundert] Jahren ſo den gro-
ßen Sinn verlor, wodurch ſie ſich in den Zeiten
der Freyheit auszeichnete.
Mit einem Wort: eine Weiberanſtalt.
Bianca wollte dem Herzog eine Kurzweil machen,
und zugleich den jungen Adel von Florenz ſich
verbinden; an einen andern Zweck wurde wenig
dabey gedacht, denn wenn man im Ernſte daran
gedacht haͤtte: ſo waͤr alles unterblieben.
TSo
[290]
So ſieht man oft bey einer Ausfuͤhrung
ohne Gedanken, daß Fuͤrſtin und Fuͤrſt etwas
Gutes in einem Buche mag geleſen haben.
Ardinghello.
Piſa, Junius.
Ich werde die Guͤter meines Vaters wieder er-
halten, Bianca hat es mir verſprochen, mit welcher
ich oft im Geſpraͤch bin; und dieß iſt mir ſichrer,
als ob es mir der Herzog ſelbſt verſprochen haͤtte.
Sie iſt wirklich ein reizendes Weib, voll Schlau-
heit und Verſtellung, weiß das Leben zu genie-
ßen, und fuͤhrt bey ihrem Honig einen ſcharfen
Stachel. Sie macht Venedig, der hohen Schu-
le der Weiber, gewißlich vor einer großen An-
zahl Ehre; und es ergoͤtzt ſie, daß ich dieß ſo
gut kenne. Das gefaͤllige Weſen, das ſie dabey
hat, wie alle vorzuͤgliche Perſonen ihres Ge-
ſchlechts, waͤrmt und erheitert mich ſehr ange-
nehm. Sie weiß ſich wie die meiſten ein wenig
viel
[291] viel mit ihrem Spiegel; und dieß muß man
benutzen.
Auch der Herzog will mir wohl, vermuth-
lich durch Sie. Ich habe ſchon verſchiedne mahl
mit ihm Schach ſpielen muͤſſen, worin er ſich ein-
bildet ein großer Meiſter zu ſeyn. Ich verlor
mit Fleiß das erſte Spiel, und gab ihm Gelegen-
heit zu feinen Zuͤgen, die meine Stellung ſehr
ſpannten; doch macht ich ihm ſeinen Sieg noch
ſauer, welcher ihn dann hoͤchlich freute. Das
zweyte Spiel dreht ich ſo lange, bis keiner mehr
gewinnen konnte; und uͤberließ ihm wieder das
dritte. Beym vierten und fuͤnften aber macht
ich den Herrn Schachmatt in einer Reihe von
Kettenzuͤgen, ruͤhmte ſeine Geſchicklichkeit, und
entſchuldigte ihn mit kleinen Verſehen. Bis an
den zehnten und zwoͤlften Zug und in die Mitte ſpielt
er in der That vortreflich, hat puͤnktliche Erfah-
rung, und man muß bey jeder Art von Spiel
wohl auf ſeiner Hut ſeyn; aber bey den Aus-
T 2gaͤn-
[292] gaͤngen, was eigntlich nur Freude macht, und tief
verwickelte Mannigfaltigkeit hat, haperts.
So weit ging es nun alles gut; aber Iſa-
bella iſt in mich verliebt! mir ſagen es ihre wol-
luͤſtigen Augen, und das Herneigen ihrer
Seele, wenn ich in ihre Geſellſchaft komme.
Sie haͤlt wie ein Laͤmmchen, und ſcheint zwi-
ſchen Blutsfreundſchaft und andrer Liebe, gegen
die Geſetze des Judenlykurgs, keinen Unterſchied
zu machen; oder die erſtre duͤnkt ihr vielleicht
ohne dieſe ein leerer Name, wobey Niemand
vom Urſprung an einen ſinnlichen Begriff habe.
Und ihr Vater und ihre drey Bruͤder lebten ſo
mit ihr nach der allgemeinen Rede. Stammen
ſie etwa wie Alexander der ſechſte und deſſen Soͤh-
ne und Lukrezia von einer beſondern Menſchen-
art? Es mag Fehler der Erziehung ſeyn, oder
von dem Mord herruͤhren: mir koͤmmt es abſcheu-
lich vor, und ich werde zuverlaͤſſig mit ihr keinen
Baſtarden vom Magus zeugen.
Ich
[293]
Ich finde hier eine gute Schule, den Men-
ſchen zu ſtudieren, wo er in verſchiednen Punk-
ten ſeine Vorurtheile abgelegt hat, und bloß nach
ſeiner innern Natur lebt; ſchier wie unter den
Imperatoren Claudius und Nero. So viel
iſt wenigſtens richtig, man trift unter ein
Dutzend Perſonen von beyderley Geſchlecht bey-
ſammen, wie in wohlgeordneten Staaten, kaum
drey oder vier an, die jederſeits Pein litten,
wenn ſie ſich einander helfen koͤnnten. Sorgten
nur die Geſetze fuͤr die Folgen, wie in Sparta!
Mit klopfender Sehnſucht hoff ich auf Nach-
richt von euren Gewaͤſſern.
Prospero Frescobaldi.
Ardinghello ſchien mir ſchon von dem Wir-
bel des Hofs ergriffen, und mir war bange vor
den Gefahren, die ihn umgaben. Ich glaubte,
daß, was ihm ſo ſchnell und heftig auf einander
begegnete, ſein junges Gemuͤth in etwas aus ſeiner
Grundverfaſſung geſetzt habe; und rief ihm zu als
T 3war-
[294] warmer Freund von fern unter manchem
andern:
„Kein hoher Geiſt, der frey ſeyn kann,
verpflichtet ſich an den Hof eines Despoten; er er-
waͤhlt lieber Waſſer und Brod. Bey einem
ſchlechten Fuͤrſten kann keiner ausdauern, ohne
ſchlechte Streiche zu begehn: es iſt platterdings
nichts anders zu thun fuͤr einen Edeln, der ſich
retten will, als zu fliehen. So haͤtte Seneca
unter dem ſchicklichſten Vorwand erſt Agrippinen,
und dann den Nero verlaſſen, wenn er ein Stoi-
ker, wie ſich gebuͤhrt, haͤtte bleiben wollen. Al-
lein es gefiel dem Herren zu herrſchen: er blieb
bey den Tygern, und duckte ſich unter ihre
Klauen.
Ich erinnerte ihn an ſeine ehemaligen repu-
blikaniſchen Geſinnungen, warnte ihn vor den
Ausſchweifungen in der Liebe; und beſchloß mit
der Nachricht, die ihm ſo freudenvoll ſeyn mußte,
daß Caͤcilia ſchon vorigen Monat auf dem Land-
gut
[295] gut ihres Vaters am Lago di Garda von einem
geſunden und ſtarken Knaͤblein ohne lange Mut-
terwehen gluͤcklich entbunden worden ſey; und ich
mich nun wieder in der Nachbarſchaft befinde, wo
unſre Freundſchaft ſo friſch und maͤchtig aufgruͤn-
te, und in unſern Herzen unzerſtoͤrliche Wur-
zeln ſchlug. Er koͤnne nun alles einlenken,
ſein Leben in Zukunft ſich aͤußerſt angenehm zu
machen.
Florenz, Julius.
Deine zaͤrtliche Sorge fuͤr mein Heil ruͤhrt
mich bis ins Innerſte, und die Nachrichten von
Caͤcilien freuen mich herzlich: allein die Zeiten
meiner Ruhe, des gluͤckſeeligen Maulwurflebens
ſind noch nicht gekommen.
Ich verſtehe alles, was du ſagſt; nur moͤcht
ich das Blaͤtchen umwenden, und behaupten;
bey einem treflichen Fuͤrſten kann keiner aus-
dauern, ohne ſchlechte Streiche zu begehen. Die
Sokratiſche Philoſophie hat den Fehler, daß ſie
T 4faſt
[296] faſt alles auf den Nebenmenſchen und die Geſetze
des Staats bezieht, und nichts an und fuͤr ſich
betrachtet; welches natuͤrlicher Weiſe allemal vor-
geht. Nach der Meinung des alten Patrioten,
der doch den Schierlingsbecher zu ſeinem eignen
Beſten ausleerte, waͤre nur der Loͤwe gut und
ſchoͤn, der ſeinen Athenienſern Haſen fing. Nero,
der zwar immer im Taumel lebte, und ſelten
klar ſah und bey Ueberlegung, hat wenigſtens
damit der wahren Politik ein Ziel geſteckt, daß
er ſagte: keiner habe ſo wie er vor ihm verſtanden
zu herrſchen. In der That zeigt die Geſchichte
des Decemvir Appius mit der Virginia die
Einfalt der damaligen Zeiten, und Sylla,
Auguſtus und Tiberius ſind ſchon Virtuoſen
dagegen im Despoti[s]mus.
Mit der Idee von einem vollkommnen
Staate kann man leider geſchwinder fertig werden
als der Wirklichkeit; da legen Grund und Bo-
den, Urſprung und Geſchichte des Volks, gegen-
waͤr-
[297] waͤrtige Staͤrke an Leib und Seele, deſſen Glau-
ben, Meinungen und Sitten und Nachbarn un-
uͤberwindliche Schwierigkeiten in den Weg, und
kommen lauter unbezwingliche borſtige Ungeheuer
zum Vorſchein. Hier haſt du kurz mein Glaubens-
bekenntniß; und ich will dir reinen Wein ein-
ſchenken.
Man betrachtet eine Geſellſchaft von Men-
ſchen, die man einen Staat nennt, am beſten
als ein Thier, das von innen Kraͤfte, Proporzion
aller Theile haben und geſund ſeyn muß, und
volle Nahrung, um fuͤr ſich auf die Dauer zu
exiſtiren, und gluͤcklich zu ſeyn: und von außen
Staͤrke, Erfahrung und Klugheit, um ſich gegen
die Feinde zu erhalten; denn alles von außen,
wie Kindern bekannt, iſt Feind.
Das Wohl des Ganzen iſt das erſte Geſetz,
wie bey jedem lebendigen Dinge; und jede
Staatsverfaſſung, wo nur ein Theil ſich
T 5wohl-
[298] wohlbefindet, oder gar abgeſondert waͤre, iſt ein
Ungeheuer, eine Mißgeburt.
Ein Despot alſo, das iſt, ein Menſch, der
ohne Geſetze, die aus dem Wohl des Ganzen
entſpringen, uͤber die andern herrſcht, bloß nach
ſeinem Gutbefinden, iſt kein Kopf am Ganzen
des Staats, ſondern ein Ungeziefer, ein Bendel-
wurm im Leibe, eine Laus, Muͤcke, Wespe,
das ſich nach Luſt an ſeinem Blute naͤhrt; oder
will man lieber: ein Hirt, weil doch dieß das
beliebte Gleichniß iſt, der ſeine Schaafe ſchiert
und melkt, und die jungen Laͤmmer ſchlachtet
und die fetten Alten, wahrlich nicht zu ihrem
Beſten, ſondern zu ſeinem Beſten.
Der Staat iſt endlich ein Thier, das ſeine
Geſetze hat, weder von Kuͤhen noch Schaafen,
ſondern von der Natur des Menſchen, weil er
aus Menſchen beſteht; und kein Menſch iſt ſo
uͤber andre, wie ein Hirt uͤber ſeine Heerde.
Ein vollkommner Staat muß ein Thier ſeyn, das
ſich
[299] ſich ſelbſt nach ſeiner Natur, ſeinen Beduͤrfniſſen
und Erfahrungen regiert, wie ein Ulyßes fuͤr ſich
nach den Umſtaͤnden und gegen andre.
Eine reine Ariſtokratie, wo mehrere be-
ſtaͤndig herrſchen nach ihrem Gutbefinden, ohne
Geſetze aus dem Wohle des Ganzen, nur mit
Geſetzen fuͤr ihr Wohl, die ſie nach Belieben
aͤndern, iſt eine vielkoͤpfige Hyder von Despotis-
mus, viel Ungeziefer auf dem Leibe ſtatt eines.
Ein Staat von Menſchen, die des Namens
wuͤrdig ſind, vollkommen fuͤr alle und jede,
muß im Grund immer eine Demokratie ſeyn;
oder mit andern Worten: das Wohl des Ganzen
muß allem andern vorgehn, jeder Theil geſund
leben, Vergnuͤgen empfinden, Nutzen von der
Geſellſchaft und Freude haben; der allgemeine
Verſtand der Geſellſchaft muß herrſchen, nie bloß
der einzelne Menſch.
Dieſe Lage aber zu erhalten, dazu gehoͤrt ein
durchgearbeitetes Volk, das ſich ſelbſt, ſeine
Kraͤf-
[300] Kraͤfte und ſein Intreſſe kennt, und ſich in einen
Punkt vereinigen kann; und ſelten iſt einer,
der an der Spitze ſteht, aus Liebe oder Gewalt,
im Stande, eine andre Verfaſſung in eine ſolche
umzuaͤndern, geſchweig ein Philoſoph auf ſeinem
Studierzimmer. Die urſpruͤngliche Ungleichheit
der Menſchen und die daraus entſpringende aͤußer-
liche Ungleichheit der Beſitzungen und der Gewalt
und des Anſehens machen noch uͤberdieß den gordi-
ſchen Knoten der durch keine Vernunft an und fuͤr
ſich, ohne Ruͤckſicht auf die jedesmalige Verfaſſung,
aufzuloͤſen iſt. Nur ein Dichter kann auf einmal
Tauſende und Millionen von Menſchen wie uͤber-
ein gedrechſelte Maſchinen in einen Raum, wo
kein Grad der Breite von Europa, Afrika, Aſien,
und Amerika iſt, hinſtellen und in beliebige Ord-
nung bringen.
Was fuͤr Muͤhe koſtete es nicht dem Roͤmi-
ſchen Volke, das in dieſer erſten Kunſt uͤber alle
Nazionen hervorragt, ehe es ſich von der Gewalt
der
[301] der Koͤnige losmachte, und hernach durch ſeine
Tribunen die Ariſtokraten baͤndigte? O es iſt
dem Menſchen ſo ſuͤß, uͤber andre zu herrſchen,
deren Knaben und Toͤchter und Weiber ſich auf-
warten zu laſſen, ihren beſten Wein zu trinken,
ihre beſten Fruͤchte, ihr beſtes Gemuͤß und Fleiſch
zu ſchmauſen, ſie im Sonnenbrand arbeiten zu
ſehen, und ſelbſt in kuͤhlen Schatten faullenzen,
ſie unter den Schwertern und dem donnernden
Geſchuͤtz der Feinde zu wiſſen, wenn junge zarte
Dirnen ihm ſorgſam die Fliegen wegwedeln! Je-
der will dazu Recht haben, und goͤttliches Recht
haben, ſobald er im Beſitz iſt, und ließ eher den
letzten Kopf von allen ſeinen Unterthanen, Vater
und Sohn, Mutter, Bruder, Schweſter, Tochter
uͤber die Klinge ſpringen, die es rebelliſch leugneten,
und befaͤnde ſich lieber allein in einer Wuͤſte zwi-
ſchen [der] Peſt der Hingerichteten, als daß er
zum Exempel einem Rom geſtattete, außer ſeiner
Unterjochung das erſte Volk der Welt zu ſeyn.
Dieß iſt in der Natur; ſo elend iſt der Menſch;
alle
[302] alle unſre Moral iſt gemacht, und ſteht nur in
Buͤchern: lehrt es nicht alle Geſchichte?
Daſſelbe thut man um Herrſchaft zu erlan-
gen, und duͤngt die Felder mit Buͤrgerblute;
du kennſt die Verſe des Euripides, die Caͤſar im
Munde fuͤhrte.
Sie haben allerley Blendwerk von Beſchoͤ-
nigung auserſonnen, worunter das taͤuſchendſte
iſt, dem Staate Ruh und Ordnung zu verſchaf-
fen, und behende Staͤrke zu geben; und ſie ſtellen
ſich an, als ob ſie nur deſſen erſte Diener waͤren,
und große Laſten auf ſich truͤgen. Wie iſt aber
einer Bedienter, dem Niemand befiehlt, der kei-
nen Herrn uͤber ſich erkennt! Wie iſt einer Be-
dienter, der nach Gutbefinden Geſetze macht und
giebt, und keins annimt? nach Willkuͤhr ohne
Geſetze ſtraft? Geſetzt auch, Ruh und Ordnung;
iſt dieß Gluͤckſeeligkeit? im Kerker iſt auch Ruh
und Ordnung.
Be-
[303]
Behende Staͤrke? Xerxes erfuhr ſie anders
von den Themiſtokleſſen der Griechen; und die
Dictatoren der Roͤmer, die Kamille ſind andre
Leute, als vielleicht je einer unter ihnen war, und
koſteten ſicherlich weniger zu unterhalten. Doch
wenden wir unſre Ohren ab von dieſen Larifari,
die Sache ſpringt von ſelbſt in die Augen. Kein
Tyrann wird wohl je ſo ein Narr ſeyn, und ſein
Sklavenreich einem freyen Rom, Athen oder
Sparta vorziehen, ſtrahlende Namen durch alle
Zeitalter; allein wenn er geſcheidt iſt, und mit
einem Geſcheidten unter vier Augen ſpricht, ganz
etwas anders behaupten; etwa folgendes:
„Jedes Weſen darf von Natur um ſich greif-
fen, ſo viel es Macht hat, es ſey unter ſeines
Gleichen, oder andern Dingen. Du zuͤrnſt,
daß du gehorchen mußt? gehorche nicht, wenn
du kannſt! und du erhaͤltſt ein ander Recht. Daß
ich, Sultan, zu Konſtantinopel herrſche, da es
mir Millionen und Millionen Sklaven erlauben,
wie
[304] wie nimſt du das mir uͤbel? willſt du uͤber nichts
herrſchen? iſt nicht jeder Menſch ein Sultan,
wenn er kann, nicht jeder Stier und Hirſch? die
Verſtaͤndigen werden freylich nie gehorchen, wenn
ſie nicht muͤſſen. Gehorchet nicht, wenn ihr
koͤnnt, ſo lange bis ihr alle Herren ſeyd! und euer
Staat iſt die Vereinigung des reinſten Ganzen,
eine Sonne, wo jeder Theil Licht hat und flammt
und brennt, und einer den andern verſtaͤrkt und
entzuͤckt, und alle insgeſammt dann fremde traͤge
Erdenkoͤrper zum Leben erwecken, wie jetzt allein
Ich.“
Es lies ſich vielleicht hierauf auch immer
antworten: „daß der Loͤwe minder ſtarke Thiere
zerreißt, und ihr Blut ausſaugt, iſt nun freylich
einmal ſo in der Natur, und erhaͤlt ihn und
macht ihn gluͤcklich. Daß du Sultan aber uͤber
Millionen herſcheſt, iſt Stelzenwerk, und macht
dich im Grunde ungluͤcklich; denn du lebſt nur
im Traum und Nebel, ohne eigentlichen Genuß.
Der
[305] Der Zufall hat dich oben an geſchleudert, und nicht
deine Kraft hingeſtellt. Du fuͤllſt deine Sphaͤre
nicht aus, und biſt immer in einem ohnmaͤchti-
gen Streben, Gefuͤhl von Schwaͤche; haſt den
Anſchein von Held und Sieger, und das innre
von einem niedergetretnen Ueberwundenen!“ und
ſo weiter, wenn man ohngeachtet aller Traulich-
keit Luſt haͤtte, auf der Stelle geſpießt zu wer-
den.
Um zum Beſchluß hiervon nach der Schule
noch zu reden: ſo theilt man die Staaten ein in
Demokratien, Ariſtokratien, und Monarchien;
und ſagt, jede Verfaſſung ſey ſchier gleich vor-
treflich, wenn die Menſchen gut da waͤren, das
iſt: wenn jeder, oder doch diejenigen, welche
regieren, die andern lieben, wie ſich ſelbſt, und
ihr Wohlſeyn nur in dem des Ganzen finden;
und fuͤhrt zu Beyſpielen an Athen nach dem
Piſiſtrat, Rom nach der V[e]rtreibung der Koͤnige,
Uund
[306] und den Theſeus und Cyrus und Romulus
aus den dunkeln Zeiten der Fabel.
Weil aber ein boͤſes principium im Men-
ſchen ſtecke, und der reine Geiſt nicht allein in
ihm herrſche, welches alle die Schlechtigkeiten
bewieſen, die ſonſt unerklaͤrlich blieben: ſo habe
jede von dieſen gluͤckſeeligen Verfaſſungen nur
aͤußerſt kurze Dauer, und arte bald entweder in
Tyranney aus, denn faſt allemal folge auf einen
raren weißen Raben Marc Antonin eine Men-
ge Commoduſſe, oder in Oligarchie, wie nach
den Scipionen und Gracchen in Rom unter dem
Marius und Sylla, Pompejus und Caͤſar; oder
Anarchie und zuͤgelloſe Frechheit. Und in Be-
trachtung der Natur dieſer Dinge ſchmieden ſie
denn einen Staat zuſammen, der aus allen drey-
en Verfaſſungen zugleich beſteht, und erhalten
ihn unſterblich und ewig vollkommen durch ihre
Geſetze, als ob das Leben ſich feſt halten ließe
beſſer als Metall und Holzwerk bey Maſchinen!
In-
[307] Inzwiſchen ſind ſolche Ideale der Vollkommen-
heit von ſcharfſinnigen und erfahrnen Maͤnnern
aͤußerſt erſprießlich und verdienen warmen Dank,
und hohen Ruhm und Preis, ob ich mich gleich
lieber an Rom und Sparta halte, den edelſten
und vollkommenſten Greiſen unter allen Staaten,
die wir kennen, und die vielleicht je gelebt haben.
Jeder, der in der buͤrgerlichen Welt ſich her-
umſchlaͤgt, und da und dort groß und herrlich
und menſchenfreundlich wirken will, oder irgend-
wo an der Spitze ſteht, les’ ihre Geſchichte, und
denke ſie tief durch mit einer Seele voll Erfah-
rung: und ſie wird ihm ganz ander Licht gewaͤh-
ren, als auch die beſten Maaßregeln eines ein-
zelnen Politikers.
Einem Tyrannen den Dolch ins Herz: aͤndert
allein noch keinen Staat um, wenn er nicht reif zu
einer beſſern Verfaſſung iſt, das goͤttliche Weſen, und
wenn es ſich auch lauter und rein erkennt, als es
U 2von
[308] von ſeinem Urſprung gekommen iſt, muß ſich uͤberall
nach der Materie bequemen, wohinein es vom
unerbittlichen Schikſal getrieben fuhr. Einer,
der aus beyden Brutuſſen zuſammengeſetzt waͤre,
wuͤrde nun bey uns immer als Poͤbel herumgehen,
wenn er ohne Hofnung ſich ſelbſt immer gram blei-
ben koͤnnte.
Unſre Targuine hatten wir ſchon verjagt,
allein ſie wurden uns von einer unendlich groͤſſern
Macht, als der des Porſenna, wieder aufge-
bunden, und unſre innerliche Einrichtung war
bey weitem noch nicht ſo wie die Roͤmiſche zur
Republik gediehen; und noch außerdem war der
heidniſche toskaniſche Koͤnig gewiß ein beßrer
Menſch, als der orthodoxe Karl der fuͤnfte.
Dieſer voll Ehrgeiz und kalter Liſt und Schlau-
heit ohne eigentlichen weitſehenden Verſtand kam
zu fruͤh zur Regierung von großen Reichen, um
ein Mann von natuͤrlichem Gefuͤhl bleiben zu
koͤnnen. Er ging uͤbrigens noch auf dem Weltthea-
ter
[309] ter mit den Menſchen um, wie hernach in der
Einſamkeit mit ſeinen Uhren; und es gehoͤrte ein
Sturm von Leben wie beym Ruͤckzug von Algier
dazu, und Untergang und Verderben mußten graͤß-
lich vor Augen liegen und ſeine eigne Perſon er-
greifen, bevor ſein Herz in waͤrmere Wallung ge-
bracht und gegen fremde Noht empfindlich wur-
de. Gebohren zu Anfang des Jahrhunderts hat
er mit wunderbarem Gluͤck die ganze erſte Haͤlfte
deſſelben durchgeherrſcht, und alles mußte gewiſ-
ſermaßen ſich in ſeinen Ton ſtimmen. Unſre
Freyheit und die Gluͤckſeeligkeit von Millionen
kuͤnftiger Seelen vernichtete er ſo ganz ohne Ge-
fuͤhl, wie ein Vogelſteller einem Gramsvogel
im Garn die Bruſt eindruͤckt.
Es bleibt uns nun nichts anders uͤbrig, nach-
dem der eiſerne Arm mit Gericht und Beil uͤber
uns vereinzeltem buntem Haufen ſchwebt, der
ſich nicht mehr vereinigen kann, als daß einer des
andern innerliche Kraft im Vertrauen kluͤglich
U 3an-
[310] anrege, und wenigſtens den einen großen Grund-
ſatz auf die ſinnlichſte Weiſe ausbreite, daß der
Staat der beſte ſey, wo alle uͤberhaupt, und die
Beſſern, und der ausbuͤndige Vortrefliche
bey den Vorfallenheiten ihre Rechte genießen;
und daß man dabey nicht allein auf gluͤcklichre
Zeiten hoffe, ſondern dieſelben herbeyleite.
Unter dem Cosmus hat der Despotismus ſchon zu
tiefe Wurzeln gefaßt, und ſein Sohn mag ſo
ſchwach ſeyn und immer mehr ſchwach werden als
er will: ſo laͤßt er ſich ſogleich nicht ausrotten.
Ich fuͤr mein Theil darf mich jedoch wenig uͤber
Franzen beklagen: er hat mir nun meine [vaͤter-
lichen] Guͤter wieder gegeben, in beſſerm Stand
als ſie waren, und, um mich ſich deſto mehr zu verbin-
den, noch eine kleine Dichteriſche Villa dazu ge-
ſchenkt, nahe bey Cortona, mit der reizenden
Ausſicht uͤber das fruchtbare Thal der Chiana
und den Thraſimeniſchen See; und mich zu-
gleich zum Oberaufſeher aller ſeiner Kunſtſachen,
Schloͤſ-
[311] Schloͤſſer und Gebaͤude angeſtellt. Freylich wenn
ich Iſabellen ſehe, flammen nichts deſtoweniger
immer aufs neue raͤcheriſche Blitze von meinem
Herzen.
Meine Tante, und der Kardinal Ferdi-
nand*), der ein ganz andrer Mann iſt, ſchei-
nen ſich das Leben ſehr froh zu machen; ſo wunder-
barlich laufen die Begebenheiten in einander.
Wegen meiner Ausſchweifungen in der Lie-
be brauchſt du nicht ſehr bange zu ſeyn: der hat
gewiß ein verwahrloſtes Haupt, der nicht bey-
zeiten erkennt, daß die Geſundheit der Grund
und Boden aller unſrer Gluͤckſeeligkeit iſt, ohne
welchen kein Vergnuͤgen beſtehen kann; und uͤber-
haupt, daß volle Exiſtenz das hoͤchſte Gut in der
Welt iſt, und alles andre dagegen nur Freude von
kurzer Dauer.
U 4Ohn-
[312]
Ohnerachtet dieſer Grundſaͤtze ſchweb ich vom
neuen in Goͤtterwonne mehr als jemals. Ich
war noch keine funfzehn Jahr, als ich mit einem
kleinen Engel aus der Nachbarſchaft, noch unter
meinem Alter, eine Tochter zeugte. Meine El-
tern vermittelten, verbargen und bemaͤntelten
die Sache mit der Schwiegermamma, der hin-
terlaßnen Wittwe von einem Buchhaͤndler, ſo gut
als es geſchehen konnte. Meine Geliebte ward in
ein Kloſter gethan, und den Augen der Leute
ſo entruͤckt, und die Frucht der Unſchuld mit laͤcheln-
der Zaͤrtlichkeit erzogen.
Ich habe beyde wiedergefunden. In einem
Garten voll Blumen aus einem Traubengelaͤnder
flog Emilia auf mich, und hing an meinen Lip-
pen, an meinem Herzen mit tauſend neuen Rei-
zen; und fuͤhrte mir behende dann das ſuͤße Ge-
ſchoͤpf zu, das [liebkoſend] mit ausgeſtreckten Ar-
men nach mir aufſah und Vater! Vater! ent-
zuͤckend mir durch Mark und Bein frohlockte.
So
[313]
So bald ichs moͤglich machen kann, reiſ’ ich
zu euch, ich muß Caͤcilien ſelbſt ſehen und ſpre-
chen, mit Briefen iſts nicht gethan; und du be-
gleiteſt mich dann hieher. Wir wollen wie in
einem Paradieſe leben.
Frescobaldi.
Caͤcilia an Ardinghello.
Nur die Liebe zu dir hat mich erhalten.
O, daß ich nicht bey dir bin! welch ein Ge-
genſtuͤck zu unſrer bangen furchtbaren Trennung!
Aber noch iſt mir die Sonne der Freude nicht
ganz aufgegangen; doch weiden ſich meine Bli-
cke an ihrer lieblichen Morgenroͤthe, und ſchon
wall ich auf den purpurnen oͤſtlichen Fluhten ent-
gegen ihrem blendenden erſten Feuer.
O du mein Alles, Licht und Leben und Hei-
terkeit meiner Seele, wann werd ich mich wieder
um dich winden? mich in dich verwandeln, nur
voll von dir, nichts mehr, dein unausſprechliches
entzuͤckendes Selbſt ſeyn?
U 5Wie
[314]
Wie eine Rebe den Ulmbaum werd ich dich
umflechten, und die ſuͤße Traube ſoll dich ſchmuͤ-
cken.
Hand in Hand wollen wir nun die Geſtirne
blinken und den Mond aufgehn ſehen, im kuͤhlen
erquickenden Gefluͤſter der bewegten Zweige, ohne
Furcht bey der Nacht; und uns laut kuͤſſen und
unſre Wonne girren zwiſchen Roſen gelagert un-
ter dem hohen Ahorn, worin die muntern Philo-
melen ſeufzen und zwitſchern und ſchlagen.
Lange lebt ich eine Gefangne, mit ſchreck-
lichen Phantaſien und Traͤumen: nur du, nur
du, mein Abgott, und waͤr ich auch ein Vogel in den
Luͤften, biſt in der weiten Welt meine Freyheit.
Fulvia an Ardinghello.
Groͤßter und ſtrahlendſter Diamant von allen
jungen Rittern!
O waͤr ich ſo die ſchoͤnſte und groͤßte Perle!
nur deinetwegen.
For-
[315]
Fortung und Victoria halten nun den Ro-
ſen und Lorbeerkranz uͤber deinen Scheitel ver-
ſchlungen hinten auf deinem Triumphwagen:
aber ich war auch gluͤcklich! die gluͤcklichſte unter
den Weibern. Jene Koͤnigin der Amazonen
mußte den Ueberwinder von Aſien aufſuchen: und
du kamſt zu mir, Genua zu verherrlichen; und
den ſchwachen kraftloſen Stamm, womit ich
vermaͤhlt bin.
Ich trage mit uͤppiger Hofnung die Frucht
unter meinem Herzen, und ſie beginnt zu reifen.
Die Parzen ſelbſt haben ihr kuͤnftig Leben aus
deinem Munde geſungen. Die Korſaren und das
Mißtrauen meiner Verſchwaͤgerten machten,
daß ich noch unverdorben in deine Arme kam.
Dir fehlt zum Koͤnig aller Koͤnige nichts
als ein Konſtantinopel, ein Iſpahan.
Florenz, September.
Man muß das Eiſen ſchmieden, weil es
warm iſt. Wir, Beſter, haben es mit einander
ab-
[316] abgekartet, und den Miniſter geſtuͤrzt, eh er ſichs
verſah. Es war mit dem alten Ziegenfuͤßler
ohne Beſtechung nichts anzufangen, und er hat
uns Tort und Drangſal genug angethan. Wir
ſind jedoch ſaͤuberlich mit ihm verfahren, und
er darf in Einſamkeit und Muße noch ſeine Beu-
te uͤberzehlen. Die Kammerjungfer der Bian-
ca, und der Kammerdiener des Großherzogs
ſchlugen ihm fuͤr eine Summe Zecchinen das Bein
unter; das iſt: ſie brachten ihm aus den Mor-
genſtunden falſche, ganz entgegengeſetzte, und
doch fein und wahrſcheinlich erdichtete Nachrich-
ten von dem, was man gern ſaͤhe: und er plum-
ſte hinein. Wir warfen bey der Gelegenheit
noch einige Laͤcherlichkeiten auf ihn, und empho-
len unvermerkt den, welchen wir an ſeine Stel-
le wollten.
Ich haͤtte den Poſten vielleicht fuͤr mich er-
obern koͤnnen; aber ich mocht ihn nicht. Auch
bey einem wackern Fuͤrſten, dem ein ſchlaues Weib
ge-
[317] geluͤſtet, koͤmmt der treflichſte Mann zu kurz;
er haͤlt ihn mit ſeinen allerweiſeſten Rahtſchlaͤgen
doch nur immer bey den Ohren: und die reizende
Kreatur, mit geringerm Aufwande, weit ſtaͤrker
anderswo in Nektarſuͤßen Banden. Ueberdieß
mußt ich ſcheuen, bey erſter Gelegenheit ein
Opfer der Eiferſucht zu werden.
Der neue laͤßt ſich gut an; er ſcheint ein
Mann von Kopf, und hat Aufwallungen von
Muht, doch merk ich Winkelzuͤge. Wir wollen
ſehen, wie lang er aushaͤlt: noch iſt er dem Zau-
berfelſen der Sirenen nicht vorbey, und keine
[Scylla] und Charibdis durch, und an ſeiner Stelle
werden die mehrſten bald uͤber einen Leiſten ge-
ſchlagen. Jetzt gefaͤllt er ſehr der Bianca und
dem Fuͤrſten. Es war eben kein beßrer da.
Ich hab ihn beredet, ſogleich in der Stadt
und auf dem Land einige neue [Anordnungen]
einzurichten, die erſprießliche Folgen haben duͤrf-
ten.
Fuͤrs
[318]
Fuͤrs erſte iſt die Anzahl der taͤglichen Lehrſtun-
den in den oͤffentlichen Schulen vermindert, das
bloß leere ſcholaſtiſche Geſchwaͤtz, ſo viel moͤglich,
daraus verbannt; und es ſind andre wackre Mei-
ſter in verſchiednen Faͤchern mit guten Beſoldun-
gen angeſetzt worden.
Die Geſchichte von Florenz und deſſen buͤr-
gerlicher Verfaſſung wird nun gelehrt, woran
man nicht mehr dachte, nebſt der von Griechen-
land und Rom, nach kurzen einfachen vorlaͤufi-
gen Begriffen von menſchlicher Geſellſchaft uͤber-
haupt.
Alsdenn die Naturgeſchichte des Landes; mit
ſinnlicher Anzeige deſſen, was der Boden gut
hervorbringt, am beſten zum Lebensunterhalt
dient, und am beſten verkauft wird. Noch uͤber-
dieß ſollen die Zoͤglinge waͤhrend der Ferien bey
den Wallfahrten alles an Ort und Stelle in eig-
nen Augenſchein nehmen.
Fer-
[319]
Ferner haben wir den Feſten und Spielen
der Jugend einen edlern Zweck zugeſellt; und
man wird nun Schwert und Schießgewehr mit
Leichtigkeit bey Beleidigungen gebrauchen ler-
nen. Zugleich ſind ſie unvermerkt Gelegenheit,
daß der Kern der Mannſchaft ſich geſchwind ver-
einigen kann, wenn es die Noht erfordert. Alle
Woche iſt in den Staͤdten und wichtigſten Flecken
eine Fechtakademie und doppelte Ehrenpreiſe,
weil die Verdorbnen die Belohnung doch gleich in
der Hand haben muͤſſen; und in Stadt und auf
dem Lande wird eben ſo nach dem Ziele geſchoſ-
ſen.
Und endlich ſind nun fuͤr Knaben und Maͤd-
chen oͤffentliche Muſickſchulen, und Tanz- und
Zeichnungsſaͤle; was iſt Leben ohne Freude?
In das Seeweſen hab ich mich noch nicht
einmiſchen koͤnnen. Mehr iſt nicht moͤglich, fuͤr
jetzt zu thun: ſo iſt das Volk ſchon geſunken.
Un-
[320]
Unſer junger Monarch iſt uͤbrigens leicht
zu leiten; und er findet, obgleich nicht ohne gute
natuͤrliche Anlagen und manche helle Blicke,
doch dieß, aus einer ſonderbaren Schwachheit
ſelbſt zu handeln, faſt immer das beſte, was
der letzte Wohlredner ihm entſchloſſen vortraͤgt.
Außerſt ſelten thut er etwas aus ſich: Huͤlfe
und Geſellſchaft muß er uͤberall haben.
Gewohnheit iſt eine ſchreckliche Tyrannin!
die Quelle des Uebels liegt darin, daß die bequem-
lich gewordnen Romuluſſe und Caͤſarn durch blo-
ße Geburt von Kindheit an bey der geringſten
Kleinigkeit bedient werden, und hernach Ma-
ſchinen ſind, von einer Menge Leuten zuſam-
mengeſetzt, nie ganz und unabhaͤngig, eher
Schnecken und Schildkroͤten, als Adler in den
Luͤften, die ſie doch ſeyn moͤchten. Bauer und
Bettler haben mehr Gefuͤhl eigner Exiſtenz als
ſie, und genießen groͤßre Gluͤckſeeligkeit.
Noch
[321]
Noch ißt und trinkt er gern etwas gutes;
und er hat ſeine Zunge im Geſchmack ſo ausge-
bildet, wie ein großer Tonkuͤnſtler ſein Ohr, und
ein Coreggio ſein Auge. Auch laͤßt er die beſten
Reben kommen von Oſten und Weſten, und pflanzt
ſie an in Toskana; und dieß verdient gewißlich allen
Dank. Die Zunge iſt der Maßſtab ſeiner Ge-
ſundheit; wenn ſie nehmlich gerade das Mittel
haͤlt zwiſchen trocken und feucht, befindet er ſich
am beſten. Suͤß und Bitter unterſcheidet er
nach allen Graden, wie Licht und Finſterniß mit
ihren Farben.
Frescobaldi.
Rom, Oktober.
Ich bin mit dem Kardinal hieher gereiſt,
um Kunſtſachen zu kaufen, und in Ordnung zu
bringen; und ſtreiche nun herum wie eine Flamme,
ſo iſt alles bey mir in Bewegung.
Wer Rom in ſeinen Ruinen und ſeiner Ver-
ſunkenheit ganz fuͤhlen wollte, muͤßt ein neuer
und doppelt und dreyfach großer Marius auf den
Xzer-
[322] zerſtoͤrten und zerfallnen Kaiſerpallaͤſten des Mon-
te Palatino ſitzen. Kein Menſch auf dem
heutigen Erdboden vermag dieß; alles iſt dagegen
zu klein, was herkoͤmmt und was da iſt. Mei-
ne Thraͤnen rinnen auf die heilige Aſche der Hel-
den, und ich ſchaudre zuſammen in der Unwuͤr-
digkeit, wozu mich das Schickſal verdammt hat.
Welch ein Gluͤck, bey ſeiner Geburt in ein Rom
zu den Zeiten der Scipionen auf die Welt gewor-
fen zu werden! aber dieß kann Niemand mehr
begegnen.
Wer ſich eine Idee von der Roͤmiſchen Ge-
gend machen will, muß ſie an einem heitern
Morgen oder Abend auf dem Thurme vom Kapi-
tol ſehen. Weit, voll großer reiner Gegenſtaͤnde,
ein entzuͤckend Stuͤck Welt, zu handeln und wie-
der auszuruhn, iſt ſie; ſchoͤne Huͤgel, fruchtbare
Flaͤchen, ferne Ketten, kuͤhl Gebirg, und das
unermeßliche Meer in der Naͤhe zum leichten
Ausflug in alle Nazionen. Und wie ſtolz und
koͤniglich nun Rom in der Mitte liegt auf ſeinen
freund-
[323] freundlichen mannigfaltigen Hoͤhen, an der
Schlangenwindung des Tyberſtroms, als ſtark
anziehender Vereinigungspunkt! Zeigt mir eine
andre Stadt in der Welt, im herrlichen Europa,
von wo aus man daſſelbe, und Afrika und Aſien
ſo bequem beherrſchen koͤnne, gerad im mildeſten
menſchlichſten Klima zwiſchen Hitze und Kaͤlte!
Es bleibt dabey: Luft und Land macht den
Hauptunterſchied von Menſchen; alsdenn koͤmmt
Zufall und die Kette der Begebenheiten, Neuheit
und Ablebung; alles geht im Kreis und Taumel,
und die Bewegung laͤuft immer fort. Es kann
nicht fehlen, jede Gegend ſtimmt mit der Zeit
die Seelen der Einwohner nach ſich. Rom iſt
weit, glaͤnzend, und groß in praͤchtigen Fer-
nen, ſchoͤn in der Naͤhe; ſtill auf ſeinen bekraͤnz-
ten Huͤgeln, und einſam zum Genuß und Nach-
denken: und ſo die Roͤmer von jeher, was die
Form betrift, und ſie werdens bleiben. Jetzt geben
ihnen ihre eignen Ruinen etwas zerſtoͤrendes,
X 2das
[324] das noch entferntere Gegenden als ehemals em-
pfinden.
O daß du nicht hier biſt und mich begleiten
kannſt! Doch iſt auch wieder Genuß und Ruͤhrung
ſtaͤrker bey traurigen Gefuͤhlen, wenn der Menſch
allein iſt.
Ich bin die erſten Tage in den Gebirgen
herumgeritten zu Tivoli, Paleſtrina, Frascati
und Albano; und hernach an der See herum
zu Nettuno, Oſtia, Civitavecchia. Wie ein
Hannibal ſuch ich es einzunehmen, das unbaͤndige
Rom: aber es wird mir wie ihm nicht gelingen. Als-
denn hab ich es wieder von ſeinen Hoͤhen betrachtet:
und nun ſtuͤrz ich mich hinein in die Tiefe. Mei-
ne Seele kann wegen der vorigen Stuͤrme noch
keine rechte Ruhe finden, und dieß treibt mich
oft nach kurzem Schlummer vom Lager auf;
hier will ich dir denn, um mich zu zerſtreuen,
und vielleicht zu deinem Vergnuͤgen etwas beyzu-
tragen, zuweilen einige Worte uͤber mein gegen-
waͤr-
[325] waͤrtig Leben hinwerfen. Fuͤr Eingeweyhte iſt das
willkuͤhrliche Zeichen immer ein guter Zauberſtab,
die Gefuͤhle eines andern wieder hervorzurufen;
zumal wenn ſie dereinſt dieſelben Gegenſtaͤnde
vor ſich haben.
Geſtern fruͤh bin ich an dem Koliſaͤum
herumgeklettert. Es liegt auf dem herrlichſten
Platze, den man ſich denken kann; gerad in der
Mitte des alten Roms, in dem Thale zwiſchen
den drey Huͤgeln Palatino, Celio und Esquilino;
und war der bequemſte Freudenort fuͤr alle Ein-
wohner. Es iſt ruͤhrend und ſchrecklich zugleich,
wie einige Zwergenkel der heroiſchen Urvaͤter und
die Barbaren an den erhabnen, in ſchoͤner Form
erbauten Maſſen genagt und zerſtoͤrt haben, und
ſie doch nicht zu Grund richten konnten. Die
eine Haͤlfte der aͤußern Einfaſſung iſt weggetra-
gen, und aus den geraubten Truͤmmern ſind die
ſtolzeſten Pallaͤſte der neuern Welt aufgefuͤhrt;
die andre ſteht noch, ein weiter Kreis in hoher
X 3grauer
[326] grauer Majeſtaͤt mit lauter Quaderſtuͤcken von
Felſen und dreyfachen feſten Saͤulen uͤber einan-
der mit korinthiſchen kleinen Pilaſtern oben ge-
kraͤnzt. Die Zuſammenfuͤgungen von Stein
auf Stein hat das Maulwurfsgeſchlecht uͤberall
durchloͤchert, um die metallnen Pfloͤcke heraus-
zuhohlen; und die breiten Sitze von Backſtei-
nen ſtehen auf Gewoͤlben noch zum Theil rund
um in Truͤmmern, und zum Theil hat ſie die
Zeit in Ruinen darnieder geſtuͤrzt, und ſie liegen
unten im Schutte.
Gras und Kraut und Geſtraͤuch mir Lor-
beerſtauden gruͤnt [und] bluͤht uͤberall, wie auf
einem Anger von fruchtbarem Boden, und das
Oval der Arena iſt eine vollkommne Wieſe.
Eine ſolche Geſtalt hat jetzt das ehemalige
Wunder der Welt, das achtzichtauſend Zuſchauer
faßte, welche alle binnen wenig Minuten wieder
auf der Straße ſeyn konnten; und erſchuͤttert
noch den kuͤhnſten der heutigen Erobrer. Herum
trau-
[327] trauern der Esquilino und Palatino und Celio
mit ihren zerfallnen Tempeln, Baͤdern, Waſ-
ſerleitungen und niedern Gewoͤlben.
Der Plan zum Ganzen iſt aͤußerſt einfach.
Die Rundung eyfoͤrmig; und der groͤßere Durch-
meſſer theilt ſich in vier kleine, von denen zwey
die Arena einnimmt, und einen auf jeder Seite
der Gang vom Gebaͤude ſelbſt, die zuſammen
etwas uͤber achthundert Palme ausmachen; die
Peripherie hat deren drittehalb tauſend.
Die Hoͤhe beſteht aus vier Abſaͤtzen. Die
drey untern ſind mit Saͤulen nach Doriſcher,
Joniſcher und Korinthiſcher Ordnung in Bogen
uͤber einander; der vierte iſt mit kleinen korinthi-
ſchen Pilaſtern geziert, und ſchließt ohne Bogen
mit einem praͤchtigen dreygeſtreiften Gebaͤlke.
Die ganze Hoͤhe macht zweyhundert und zwey
und dreyßig Palme.
Es muß viel Holz darinnen geweſen ſeyn, weil
es verſchiednemal abbrannte; und zuweilen bloß
X 4ein-
[328] einfach, und zuweilen reich verziert und vergol-
det war. Die innre Ausſicht ging in eine Ord-
nung von einzel[n]en Saͤulen aus, die das Zelt feſt
hielten, nach den Muͤnzen des Titus und Do-
mizian.
Die Schoͤnheit der Saͤulen beſteht mehr im
Verhaͤltniß der Theile als der Arbeit; ihre Form
iſt rauh und einfach, wie es die ungeheure Groͤße
und Feſtigkeit erheiſcht.
Das Amphitheater von Verona iſt kleinlich
und provinzial dagegen.
Mir winkte oben auf durch Ruinen und
Geſtraͤuch, ewig jung und unverſehrbar, die Pyra-
mide des Ceſtius von fern in blauer Luft, und
ich konnte nicht erwarten dahin zu gelangen; ſtrich
an dem halb eingefallnen Septizonium des Se-
verus vorbey durch die Niederlagen des Circus
Maximus zwiſchen den Aventiniſchen und Palati-
niſchen Bergen nach dem Tyberſtrom zu, und
daran fort, bis ich der reinen ſchroffen Felſenſpitze
im-
[329] immer naͤher kam. Ach, wie alle die Herrlichkeit
ſo verwuͤſtet liegt! und doch ſind die Uberbleibſel
der Verwuͤſtung nur klein gegen das, was ſtand:
vom Circus Flaminius, Agonalis, Florealis,
Vaticanus; von denen des Saluſt und Nero iſt
keine Spur mehr zu finden. Und was waren
die Gebaͤude ſelbſt in ihrer Vollkommenheit gegen
das ungeheure Leben darin! Die Phantaſie des
Menſchen mit ihrer Goͤtterkraft ſcheut ſich zu-
ruͤck, wenn ſie ſich eine Vorſtellung machen ſoll,
wie nach dem Siege des Metellus in Sizilien uͤber
Karthago hundert und zwey und vierzig
Elephanten auf einmal kaͤmpften und erlegt
wurden; und von hundert Loͤwen unter dem
Sylla es bis auf ſechshundert unter dem Pom-
pejus kam. Unter den Kaiſern vollends folgte
hierin eine Ausſchweifung auf die andre. Tra-
jan gab nach dem daciſchen Kriege und dem Tode
des Decebalus hundert und drey und zwanzig
Tage lang dergleichen Schauſpiele, wo zuweilen
X 5bis
[330] bis auf zehntauſend zahme und wilde Thiere
und unzaͤhlbare Gladiatoren kaͤmpften; und
Kommodus brachte nach dem Lampridius hundert
Elephanten mit eigner Hand um.
Es iſt klar genug, daß ein ſolches Volk,
welches noch uͤberdieß wirkliche Koͤnige und Hel-
den am Leben, wie Jugurtha, ihren letzten
Tropfen Exiſtenz in ſeinen oͤffentlichen Gefaͤng-
niſſen bis auf den aͤußerſten Hunger ausdauern
ſah, der kleinern Athonienſiſchen Tragoͤdie nicht
bedurfte, um das Herz nach dem Ariſtoteles von
Furcht und Schrecken zu reinigen. Und was
ſind wir, denen die Vorſtellungen des Sophokles
und Euripides zu grauſam vorkommen?
Es iſt wohl wahr, der Menſch bezieht al-
les auf ſich ſelbſt, und alſo auch die Werke der
Kunſt; ſein Gefuͤhl iſt wie ſein Charakter. Ein
Miltiades, Themiſtokles, ein Sylla und Caͤſar
koͤnnen bey Gegenſtaͤnden Vergnuͤgen empfinden,
die bey einem Schwachen Abſcheu erregen und ihn
mar-
[331] martern, weil er nicht die große ſtarke Selbſt-
ſtaͤndigkeit hat, die Leiden andrer außer ſich zu
fuͤhlen, ihre Natur und Eigenſchaften wie jene
mit ihren Kraͤften zu ergruͤnden und zu erkennen,
die Sphaͤre ſeines Geiſtes dabey zu erweitern,
und zugleich uͤber alles dieß empor zu ragen, ohne ſich
als Theil damit zu vermiſchen und ſelbſt zu leiden.
Griechen und Roͤmer vergnuͤgte vieles, wovor
wir fromme moraliſche Seelen Abſcheu haben.
Der letztern Fechter waren meiſt zum Tode ver-
dammte Sklaven; und die Tragoͤdien der erſtern
zeigten ihnen, wie Menſchen untergehen, die
nicht vollkommen genug ſind, und wie Held und
Heldin bey Ausuͤbung hoher Tugenden leiden ſoll,
oder ſich weiſe mit ganzem Bewußtſeyn unter das
Geſetz der Nothwendigkeit, den ungefaͤhren Zu-
ſammenſtoß der Begebenheiten, beugt. Dieß ergreift
maͤnnliche Seelen, und ein ſolch ausgewaͤhlt Le-
ben, von trivialen Lumpereyen fern, dringt in nichts
deſtoweniger rein und ſcharf-fuͤhlende Herzen; es
ging
[332] ging nach dem großen paradoxen, unſrer em-
pfindelnden Welt unbegreiflichen Grundſatze der
Stoiker: der Weiſe erbarmt ſich, hat aber kein
Mitleiden.
Die Pyramide iſt ein gar herrlich Werk,
hundert und etliche Fuß hoch. Sie ſteht ewig
jung da, obgleich das Gruͤne von Geſtraͤuchen
ſich hinein geniſtet hat, wie ein gediegner Feuer-
wurf aus der Erde, ſo ſcharfflammend; grade
gegen die vier Welttheile mitten zwiſchen den Ring-
mauern, die Seite nach der Stadt gegen Nor-
den. Ueppig feſt trotzt ſie der Luft, dem Him-
mel und ſeinen Wolken. Eine dauerhaftere Form
gibts nicht: alles was von oben herunter faͤllt und in
der Erde anzieht, macht ſie ſtaͤrker, die maͤchtigſte
Feindin der Zerſtoͤrung. Aber was hilfts? Der Geiſt
und das Leben iſt doch weg aus dem Menſchen, der
darunter begraben liegt; ſein Name bleibt indeſſen
immer etwas. Wie das zarte Schwarz dem in-
nen blendend weißen Marmor ſo lieblich laͤßt!
ſie
[333] ſie ſteigt hervor ſo natuͤrlich wie ein Gewaͤchs, und
die aͤgyptiſche Nachahmung ſchlaͤgt alle Roͤmiſche
Grabmaͤler, ſelbſt die der Metella, des Auguſt
und Hadrian darnieder.
Da ich ſo nahe mich befand, wandelte ich
noch zum Thore hinaus uͤber die alte Via Oſtia
nach der Sankt Paulskirche, die Konſtantin
der große angelegt haben ſoll. Welch ein Ein-
druck von verſchiednen Empfindungen! Schoͤnheit
und Pracht in ihrer groͤßten Herrlichkeit ent-
zuͤckt Augen und Phantaſie: und die Armſeelig-
keiten darum her ſetzen einem das Meſſer an die
Kehle wie Diebsgeſindel. Man hat hier Roms
ungeheure Macht und Ruin beyſammen.
Sie iſt von innen wie ins Kreuz gebaut,
doch merkt mans kaum, und ſie bleibt ein Oblon-
gum; nachher erſt hat man die Verehrung vom
Kreuz ins Alberne getrieben. Die vierzig geſtreif-
ten haushohen korinthiſchen Saͤulen, und die
vierzig kleinen glatten unter dem Schiffe machen,
mit
[334] mit den uͤber doppelt breiten mittlern, fuͤnf Gaͤnge,
die ihres Gleichen in der Welt nicht haben. Unter
den geſtreiften ſind zwey Dutzend von pariſchem
Marmor in hoͤchſter Schoͤnheit. Das Scheuren-
dach und Obergebaͤude daruͤber mit den acht Fen-
ſtern macht damit einen wunderbaren Kontraſt,
der aber doch einfach iſt, und gewiſſermaßen
dem untern entſpricht, und dieß gibt dem Ganzen
eine furchtbare Groͤße; die entzuͤckendſte griechiſche
Schoͤnheit muß, vom Schickſal unwiederſtehlich
genoͤthigt, den wilden Barbaren dienen.
Der Boden iſt aus Marmortruͤmmern,
worin hier und da noch Fetzen von Inſchriften
ſich befinden. Im Kreuzgange, wenn ich ihn ſo
nennen darf, ſind ſechs große und zwey kleine
Altaͤre mit dreyßig Porphyrſaͤulen, alle, zwey
oder drey etwa ausgenommen, aus einem Stuͤck,
wie die achtzig weißen Marmorſaͤulen; und noch
tragen da die Decke ſechs ungeheure von aͤgypti-
ſchem Granit, und vier eben ſo große von Mar-
mor.
[335] mor. Der herrliche freye Raum thut einem un-
gemein wohl zwiſchen den Saͤulen, ſamt der
uneingeſchraͤnkten Hoͤhe.
Dieſe Kirche bleibt die hoͤchſte Pracht der
Welt, und nichts uͤbertrift ſie. Man mag von
den gefangnen ruͤhrenden Schoͤnheiten nicht weg-
gehn, wie von lauter Iphigenien in Tauris,
und die ganze Seele ſtimmt ſich daran rund und
geſchmeidig.
Man ſagt, die Saͤulen waͤren vom Grab-
male Hadrians, der jetzigen Engelsburg, genom-
men, und es iſt ſehr wahrſcheinlich. Die Aſche
des Kaiſers muß dort wie in Blumen gelegen ha-
ben; ungluͤckliche Manen! Uebrigens iſt es den
Roͤmern wieder ergangen, wie ſie es den Griechen
machten; und derjenige, welcher dieſe Kirche
baute, hat vielleicht, wie Mummius bey Fortſchaf-
fung der gepluͤnderten Statuͤen von Korinth den
Schiffern, eben ſo den Baumeiſtern gedroht,
ſie
[336] ſie ſollten andre Saͤulen machen laſſen, wenn ſie
etwas daran verdaͤrben oder zerbraͤchen.
Mich uͤberfiel der Mittagsbrand, wie ich
wieder in der freyen Sonne war, als ob ich aus
einem kuͤhlen Bade kaͤme; und ich verdoppelte
meine Schritte nach dem Thore, wo die zwey
wilden Thuͤrme aus den mittlern Kriegszeiten
und die mit Epheu dicht behangne alte Stadt-
mauer neben der Pyramide mit ihrem Schatten
mich erfreulich an ſich zogen. Mir ſchien der
Weg zu weit bis auf den Spaniſchen Platz, und ich
begab mich unter die Pignen, Cypreſſen, gruͤne
Eichen und Maulberbaͤume, nach den friſchen
Weinkellern des Monte Teſtaccio; lies mirs
koͤſtlich bey einem alten Wirth, einem Sizilianer
und Sohn des Aetua ſchmecken und legte mich
nach wohlgehaltnem Mahl und angenehmen Ge-
ſchwaͤtz in ein Zimmer gen Norden zur ſuͤßen
Ruh nieder, und fiel in einen erquickenden
Schlaf.
Gegen
[337]
Gegen Abend erwacht ich wieder, und hoͤrte
in einem Saale neben mir: Michel Angelo, Ra-
phael, und Antiken; und unten Trommel und
Geige. Ich ſprang auf; und ſah zwiſchen den
Baͤumen Feſt und Tanz und Schoͤnheit, und
trat in den Saal. Der Streit war ſo heftig,
daß man mich nicht bemerkte. „Michel Angelo,
ſprach ein reizender junger Menſch, gehoͤrt gar
nicht unter die Mahler, ſo wenig als einer, der
bloß den Kontrapunkt verſteht, unter die großen
Saͤnger und Geiger. Was hat er denn hervor-
gebracht? Seine Capella Sixtina, und weiter
nichts als ſeine Capella Sixtina. Iſt dieß ge-
mahlt? Iſt dieß Natur? Wer kann ſich erinnern,
irgend etwas in der Welt geſehen zu haben, das
ſeinen Herrgoͤttern, Propheten und Sybillen,
und vollends ſeinen Seligen und Verdammten
gliche? Geſchoͤpfe einer ungeheuren Einbildungs-
kraft, die zwar erſtaunlich viel fuͤr Studium den
Kuͤnſtlern, aber wenig fuͤr Volksverſtand, und
nichts fuͤr Auge und Herz ſagen.“
Y„Der
[338]
„Der elende Florentinerſchmeichler Vaſari
hat mit dem Dampf von ſeinem Weyrauchkeſſel,
den er dem alten Kunſtdespoten unter der Naſe
herumſchwenkte, damit er durch deſſen Empfe-
lung etwas zu mahlen bekaͤme, den Leuten das
Gehirn benebelt. Und iſt dieß groß im Geiſte,
wie er die guͤtige himmliſche Seele, den Raphael,
verfolgt hat? Weil er ſelbſt ſein Unvermoͤgen in
der Farbe erkennen mußte: ſo zeichnete er mit aller
ſeiner Gelehrſamkeit die Umriſſe dem Venezianer
Baſtian, und dieſer ſollte mit ſeinem Kolorit
den Pfeil vergiften. Aber was kam zum Vorſchein
in Pietro Montorio? Ein Zwitterding, welches
ſeiner Einſicht warlich wenig Ehre macht, und
der Goͤttliche blieb, wer er war. Raphael hin-
gegen, der edle reine Juͤngling, der nur die
Vollkommenheit der Kunſt im Auge hatte, ſon-
der Neid, ſtrebt in Unſchuld, das zu dem Sei-
nigen noch zu gewinnen, was der weit aͤltere,
der Mann in Ruͤckſicht ſeiner, Vortrefliches be-
ſaß;
[339] ſaß; und wahrlich meiſtens aus kindlicher Gut-
herzigkeit: denn die Antiken ſind doch auch hier-
in ganz andre Muſter, und Michel Angelo iſt
dagegen ein Wilder. Und endlich konnte Ra-
phael wohl von Michel Angelo lernen, aber
Michel Angelo nicht von ihm; denn was den
Raphael zum erſten Mahler macht, lehrt und lernt
ſich nicht.“
Ein Landsmann von mir, der eigentlich mit
dieſem im Klopfgefechte begriffen war, wurde dar-
uͤber vor Aerger gruͤn und gelb, und die Naſe
ſchwoll ihm zuſehends: doch konnt er vor Zorn
nichts hervorbringen, ſo wortreich er auch ſonſt
iſt, und haͤtte bald wie Markus Tullius Cicero
vor dem ſchoͤnen Clodius, dem rebelliſchen Tribun,
das Haſenpanier ergriffen, wenn ich nicht eini-
germaßen ſeine Parthie aufnahm. Ich antwor-
tete:
„Die Herrgoͤtter von Michel Angelo koͤnnt
ihr freylich nicht in der Welt geſehen haben: aber
Y 2gibts
[340] gibts in der neuern Kunſt erhabnere Geſtalten?
und entſprechen ſie nicht doch alle dem, was der
gemeine Mann bey uns ſich als Zauberer vor-
ſtellt? Eure Geſtalt ſelbſt, Freund, iſt zu edel
und eure Blicke zu hochgeiſtig, fuhr ich fort,
als daß der Gott, der die Sonne ſchaft, und
der, welcher die Eva ſchaft, euch nicht ergriffen
haben ſollten. Das Erhabne ſchlaͤgt ein wie ein
Wetterſtrahl, und beruͤhrt am erſten die großen
Seelen. Die Propheten und Sybillen ſind
lauter maͤchtige Charakter im Feuer, Eifer und
Begeiſterung. Und im juͤngſten Gericht ver-
dammt Chriſtus ſtreng, droht die Suͤnder ma-
jeſtaͤtiſch mit aufgehobner Rechten fort: indeß
die zaͤrtliche Mutter mit angelegten Armen und
Haͤnden an die Bruſt die Seeligen heraufwinkt;
und es iſt ein Spiel der Phantaſie, wo der menſch-
liche Koͤrper in allen moͤglichen Stellungen wun-
derbar ſicher ausgezeichnet iſt.
„Ich habe vor wenig Tagen, fuͤgt ich hin-
zu, ein kleines Gemaͤhlde von ihm gekauft, wel-
ches
[341] ches vorſtellt Chriſtum am Kreuz, wo der Er-
loͤſer geſagt hat:“ Weib, ſiehe, das iſt dein
Sohn! „und zu dem Juͤnger, den er lieb hatte:“
ſiehe, das iſt deine Mutter! „Unten auf beyden
Seiten mit der Mutter und dem Johannes,
ſie rechts, dieſer links; und an den Armen des
Gekreuzigten ſchweben zwey Engel in einem Ge-
witterhimmel voll Dunkelheit und Feuergewoͤlk.“
„Chriſtus und die Madonna ſind die er-
habenſten tragiſchen Geſtalten, die ich je in
Mahlerey geſehen habe. Chriſtus iſt ein lei-
dender Alexander, Hannibal, Caͤſar, und was
man Großes und Erhabenes von Menſchheit kennt.
Ein goͤttlicher Juͤngling voll Guͤte fuͤr den großen
Haufen, welcher der Menge unterlag: ein
Tiberius Gracchus, und die Mutter eine Kor-
nelia, voll Geiſtesſtaͤrke und Groͤße.“
„O wie verſchwinden alle Madonnen, und
wie iſt ſelbſt Raphael, den ich bewundre und
liebe, wie den neuern Apelles, klein dagegen
Y 3und
[342] und gewoͤhnlich! Stellung von ihr, Blick zu ihm,
zu ſeinem ſchmerzenbaͤndigenden ſcharfen Aug und
hohem Angeſicht; herabgehaltne Rechte, voll
Kraft und Zorn angehaltner linker Arm, Daum
und Zeigfinger nach dem Juͤnger hingerichtet;
der Wurf des blauen Mantels uͤber das rothe Ge-
wand: alles harmonirt und macht ein Gan-
zes. Johannes ſinkt vor Schmerz zuſammen
mit uͤbereinander geſchlagnen auf die Bruſt geleg-
ten Haͤnden.“
Welch Meiſterwerk von Zeichnung iſt
der Koͤrper des Gekreuzigten! Wahrheit bis in
die kleinſten Theile, und zugleich Leben und Leiden
durchaus in Einheit.“
Man fuͤhlt wirklich hier etwas von dem,
was Vaſari im Allgemeinen ſagt, der zuweilen
ſo golden beſchreibt, ob es gleich wahr iſt, daß
ihm ſeine antike Vaterlandsliebe zu Ungerechtig-
keiten gegen die drey großen Apoſtel der Kunſt,
Raphael, Tizian und Cerregio, verleitet: es iſt,
als
[343] als ob ein himmliſcher Kraftvoller Genius her-
untergekommen waͤre, und Mitleiden mit allen
den Stuͤmpern gehabt und denſelben gezeigt haͤtte,
wie ein Chriſtus am Kreuz, und eine Madonna
und ein Johannes dabey vorzuſtellen ſey. Er iſt
bis zur Taͤuſchung angenagelt, und bewegt ſich
gerade dazu, wie es ſich ſchickt.“
„Die Mutter iſt ein hohes Weib, noch in
unverwelkter Schoͤnheit, ihres Adels bewußt,
die uͤber die Grauſamkeit zuͤrnt, welche man an
dem Sohn ausuͤbt, ſein ganzes Leiden fuͤhlt mit
dem weinenden Feuerblick: aber in der Zerknir-
ſchung noch ſolche Feſtigkeit und Erleuchtung hat,
um erhabner als eine Niobe dabey zu ſtehen und
anzuſchauen.“
Der junge Kuͤnſtler fuhr auf, druͤckte mir
beyde Haͤnde, freudig und verſchaͤmt im Geſichte
gluͤhend, und ſprach freundlich zu mir: Ich habe
nur gelaͤſtert, um den dort zu ſchrauben; und
uͤberhaupt erfaͤhrt man mit den bitterſten Wie-
Y 4der-
[344] derſpruͤchen am beſten die Wahrheit, die man ſonſt
ſelten aus den verborgnen Tiefen eiferſuͤchtiger
Virtuoſen hervorhohlt. Ich kenne das kleine Ge-
maͤhlde von Michel Angelo wohl; wie vielmal
iſt es nicht kopirt worden! nur wuͤnſcht ich,
daß die Figuren in Lebensgroͤße waͤren. Ich kann
das kleine nicht leiden, es geht mir wider den
Sinn; und iſt ein Schlupfwinkel, wohinein ſich
Mittelmaͤßigkeit und Schwaͤche verbirgt, und bey
Weibern und Kindern und Unverſtaͤndigen groß
thut.“
Ich antwortete ihm, daß ich hierin gar ſehr
ſeiner Meinung waͤre, daß aber doch am Ende
alle Kunſt blos Zeichen ſey, und Verſtand und
Geiſt am mehrſten von einem Menſchen entſchei-
de; und daß, wer keinen Verſtand habe, nirgend-
wo oben an ſtehen koͤnne. Michel Angelo haͤtte
ſich uͤbrigens mit ſeinen Enakskindern, den
Propheten und Sybillen genug gerechtfertigt.
Unterdeſſen ſey wieder wahr, es koͤnn einer au-
ßer-
[345] ßerordentlich viel Verſtand und Erhabenheit in
der Denkungsart haben, und doch ein ſchlechter
Mahler ſeyn.
Hier that einer in der Ecke mit haͤmiſchem
Blick und boshaftem Laͤcheln den Mund voll ge-
rader weißer ſcharfer Zaͤhne aus einem praͤchti-
gen ſchwarzen Bart auf, ſtreckte die rechte Hand
hervor aus einem abgetragnen grauen Mantel,
fuhr in meiner Rede fort, und ſagte:
„Und einer Blut wenig Verſtand haben,
und ein ſehr beruͤhmter, vielleicht auch guter
Mahler ſeyn.“
„In dieſer Kunſt kann es einer ohne Schoͤ-
pfungskraft, Erfindungsgeiſt, ohne eigentlichen
Verſtand, oder wie ihr das heißt, was im Leben
einen Menſchen uͤber den andern ſetzt, nach dem
allgemeinen Urtheile weiter bringen, als in ir-
gend einer andern, wenn er nur ein gutes Auge
hat, ſich eine fertige Hand erwirbt im Schweiße
ſeines Angeſichts, und uͤberdieß Achtung giebt,
Y 5was
[346] was denen gefaͤllt, die reich ſind und kaufen. Und je
mehr er bloßer Kopiſt der Natur iſt, deſtomehr wird
er gefallen. Und er muß behaupten, dieß ſey das
Wahre, und alle Ueberfluͤge der Einbildungskraft,
die nur hie und da einige Sonderlinge aufhielten,
als leeres Zeug verachten, und fragen, was nennt
ihr erhaben?“
Ich wußte nicht, ob ich dieß fuͤr Muht-
willen, Satyre oder Ernſt aufnehmen ſollte;
doch hetzt es mich ſchnell auf, und ich antwortete
gerade zu, wie es die Lage der Sachen erheiſchte.
„Erhaben? verſetzt ich, iſt ein hoͤher We-
ſen, das in uns eindringt mit Empfindungen, Ge-
danken, Geſtalt, Gebehrde, Handlung; und
man bedarf da keiner weitlaͤuftigen Schreiberey
von Sophiſten. Wer nicht uͤber andre iſt, ſoll
ſie nicht zu Paaren treiben und ihnen vorpredi-
gen wollen, es ſey, worin es ſeyn mag. Pracht
laͤßt ſich wohl damit vereinigen, aber Pracht iſt
nicht Erhabenheit. Ueberall fuͤllt es die Seele mit
Ent-
[347] Entzuͤcken und Erſtaunen, daß ſie die Zeit vergißt,
und verſetzt den Menſchen unter die Goͤtter.„
Wir werden nie mit der Kritik nur eini-
germaßen ins reine kommen, erwiederte er
darauf kalt und trocken, wenn wir nicht die Gren-
zen jeder Kunſt beſtimmen, und feſtſtellen, was
ſie uͤberhaupt ſelbſt iſt. Und wir ſind jetzt da,
uns zu freuen; und nicht, den Weg durch die-
ſes Labyrinth auszuſpaͤhen. Laſſen wir es alſo
bey dem Geſagten bewenden.“
„Nein, nein! riefen hier einſtimmig ver-
ſchiedne, es iſt noch hoch am Tage, und die ſchoͤnſte
Zeit dazu; ſetzten wir nur das angenehme Geſpraͤch
weiter fort.“ Und ſo baten ſie ihn: und der ſo hef-
tig gegen Michel Angelo ſprach, ſtreichelte ihn lieb-
koſend am Barte, bis er folgendermaßen anfing:
„Das erſte und [heftigſte] Verlangen der See-
le, welches ſie nie verlaͤßt, iſt Neuheit und dann
Durchſchauung, und endlich Vollkommenheit oder
Zerſtoͤrung der Dinge. Dieß treibt die Unſterb-
liche
[348] liche durch alle Welten. Sie ſchaft und wirkt,
ihre Schwingen ſind unermuͤdlich und verlieren
ihre Kraft nie, und ſie kann nicht aufhoͤren ſich
zu bewegen und bewegt zu werden; ſo beſcheiden
gegen ſich, daß ſie von ſich ſelbſt nichts weiß:
aber die Iliade zeugt uͤberall genug von Home-
ren.“
„Nun iſt der Menſch ſelten in der Lage,
daß ſeine Seele in der Wirklichkeit hienieden nach
dieſen ihren Neigungen gluͤcklich ſeyn koͤnnte:
ſie wirft ſich alſo aus Verzweiflung in die Kunſt, und
treibt damit ihr Spiel. Wohl derjenigen, die
lange in den ſeeligen Traͤumen hinſchwebt, ohne
zu erwachen!“
„Alle Kunſt iſt Darſtellung eines Ganzen fuͤr
die Einbildungskraft. Sie unterſcheidet ſich nach
den Mitteln, die ſie dazu braucht; und dieſe ſind in
jeder Art ihre nothwendigen Schranken, wohinein
ſich ein Weiſer leicht bequemt, und woruͤber nur
die Unklugen hinaus wollen.“
„Ari-
[349]
Ariſtoteles, und wer ihm folgt, ſchraͤnkt
die Poeſie auf Handlungen ein, als ob die Spra-
che nichts anders ſinnlich vorſtellen koͤnnte: aber
ſelbſt die griechiſchen Dichter haben ſich nie dieſem
Geſetz unterworfen; und Virgils Georgica
und die Natur der Dinge des Lukrez und man-
che hohe Hymne bloßer Empfindung werden Mei-
ſterſtuͤcke bleiben.“
„Die meiſten haben wunderliche Begriffe
von Poeſie, und meinen, ſie koͤnne ohne Nebel
und Wolken nicht beſtehen, und muͤſſe platter-
dings ein Rauſch, eine Raſerey ſeyn, und ſcheue
das Licht der Vernunft; und die albernſten Poͤ-
belmaͤhrchen und Kinderfabeln waͤren ihr beſtes
und weſentliches, und wuͤrdigen ſie ſo herab von
ihrem Adel. Wenn ſie nur den Sophokles und
Euripides wollten ſprechen hoͤren, die dieſe Kunſt
zur Vollkommenheit gebracht: ſo koͤnnten ſie ſich
leicht von ihrem Wahn befreyen.“
„Die
[350]
„Die Bildhauerey und Mahlerey ſtellt Ober-
flaͤchen von Koͤrpern dar; die letztere, in ſo weit ſie
ſich durch Farben zeigen.“
„Ein neues Ganzes, wie ſchon geſagt,
oder ein altes neu auf die wahrſte und
lebendigſte Weiſe den Menſchen in die Seele
bringen, iſt Kunſt. Das ſchicklichſte fuͤr den
Dichter ſind Handlungen, oder Bewegungen im
Zeitraum, weil ſeine Zeichen, das ſind Worte,
nur nach und nach koͤnnen gehoͤrt werden; aber
doch kann er immer auch damit Dinge neben ein-
ander oder Koͤrper darſtellen, und der Zuhoͤrer
denkt ſie ſich zuſammen, wie er am Ende bey den
Begebenheiten ſelbſt muß. Homer wuͤrde wohl
gethan haben, wenn er die Gegend von Troja
nicht fuͤr bekannt angenommen, und die Jahrs-
zeit, worin alles geſchah, ſinnlicher gemacht haͤt-
te. Wer denkt an Zeit, wenn ich einem mit
Worten etwas beſchreibe, und dieſer getaͤuſcht
daſſelbe dabey ſich vorſtellt? Bey jedem Genuſſe
ſind
[351] ſind wir ewig, und ſcheinen die Zeit nicht mehr
zu fuͤhlen.“
„Unſer Leben iſt kurz: wer uns ein Ganzes
taͤuſchend am geſchwindeſten in die Seele bringt,
erhaͤlt den Vorzug.“
„Wenn einer inzwiſchen gar zu große Be-
gierde hat, ein neues Ganzes zu wiſſen: ſo be-
hilft er ſich auch mit dem mangelhafteſten Mit-
tel, bis er ein beſſers vorfindet.“
Ein Dichter muß dem Mahler immer in
Schilderung koͤrperlicher Gegenſtaͤnde unterliegen:
und gerade ſo gehts dem Mahler im Gegentheil
mit Handlungen. Nichts deſtoweniger ragt doch
die Poeſie mit ihren willkuͤhrlichen Zeichen uͤber
alle ihre Schweſtern hervor. Kein Mahler kann die
Groͤße der Alpen, das unendliche Meer, den
unendlichen [Himmel] ſchildern auf ſeinem Laͤpp-
chen Leinwand; und kein Tonkuͤnſtler Kanonen-
ſchall, Donner und Orkan, ob er gleich das ſee-
lenergreiffendſte Mittel unter allen hat, da das
le-
[352] lebendigſte, woraus wir beſtehen, ſelbſt Luft und
Feuer iſt.“
„Die Muſik uͤberhaupt geht ganz aus der
ſichtbaren Welt hinaus, und wirkt mit bloßen
verſchiednen Arten von Bewegung, die von der
Materie nur den Punkt zu ihrem Aufflug neh-
men, [und] durch ihre Proporzionen Empfindun-
gen erregen: und ich glaube ſchier nach dem Py-
thagoras, daß das eigentliche Element, worin
die Geiſter exiſtiren, reiner Klang und Ton
iſt.“'
„Geſchichtmahler iſt ein wahrer Wiederſpruch,
da ein Mahler nur einen Moment vorſtellen kann,
und Geſchichte nohtwendig eine Reihe von Be-
gebenheiten erheiſcht. Es verſuch es nur einer,
und erzehle mir mit ſeiner Mahlerey Begebenhei-
ten, die ich nicht ſchon weiß, von Menſchen, die ich
noch nicht kenne! und geſetzt auch, einer ſtellte mir
eine Geſchichte, z. B. vom aͤltern Scipio mit
lauter [Portraͤten] dar, ſo wahr und vortreflich,
als
[353] als ob ſie alle Tizian gemacht haͤtte: was weiß
ich dadurch mehr als den Moment? Weiß ich,
was entweder vorher, oder nachher geſchehen iſt,
da keiner auch von ſeinem bekannteſten Freunde
zuverſichtlich mit einem momentanen Blicke weiß,
was er vorher gethan hat, oder nachher thun wird?
ſo tief im Verborgnen lebt der Urquell unſrer Wir-
kungen. Und wo iſt der Zauberer, der mir aus
einer That, oder aus tauſend Thaten das Ge-
ſicht nur eines Mannes darſtellt, das er noch
nicht ſah, mit allem ſeinem Eigenthuͤmlichen?
Dazu gehoͤrt der Gott Platons, um den ſich das
Weltall rollt, und kein Sterblicher. Alles, was
der Mahler erfinden kann, iſt Ideal von Ge-
ſtalt dieſer oder jener Klaſſe von Menſchen, oder
Gattung von Geſchoͤpfen im Allgemeinen.“
„Jedes Werk der bildenden Kunſt mit dem
Ausdruck von Leidenſchaft iſt alsdenn doch nur
eine unaufgeloͤſte Diſſonanz. Das vollkommen-
ſte hiſtoriſche Gemaͤhlde, das iſt, wo der inter-
Zeſſan-
[354] reſſanteſte Moment aus einer Begebenheit gewaͤhlt
iſt, und man das Vorhergehende und Nachfolgende
am beſten erkennen kann, bleibt alſo immer an
und fuͤr ſich ſchon ein quaͤlendes Fragment, das
weder Herz noch Geiſt befriedigt.“
„Um hieruͤber nicht zu ſtreiten, ſo bleibt
ausgemacht: das Vortreflichſte derſelben iſt das
ſchoͤne Nackende; mit dem Ausdruck gehts her-
nach wie bey der Muſik: er iſt die Bluͤthe der
Vollkommenheit, aber nicht eigentlich die
Vollkommenheit ſelbſt. Jeder Sinn hat ſein
eignes Element, worin der Ausdruck nur
ſchwimmt. Die Poeſie arbeitet zwar fuͤr alle;
aber doch iſt auch die Sprache und Harmonie
derſelben fuͤr das Ohr ihr Grundſtoff. Die ſchlech-
ten Kuͤnſtler meinen, ſie haͤtten genug gethan,
wenn ſie nur eine ruͤhrende intereſſante Ge-
ſchichte mit ihren Wechſelbaͤlgen ausſtaffieren,
und ein ſchmachtend Auge hineinbringen: ihr Tho-
ren! eine einzige vortrefliche griechiſche Statue
ohne Kopf und allen Ausdruck von Leidenſchaft
geht
[355] geht bey dem Kenner von Kunſtfertigem Sinn
uͤber alle euer Fratzenweſen von unreifen Ge-
ſichtszuͤgen, noch ſo affektirt geworfnen Gewaͤn-
dern, und tauſenderley nachgeaͤfftem Koſtume.
Aber auch im Gegentheil iſts nicht genug ge-
than, wenn einer einen Haufen nackender Koͤr-
per hervorheckt, die weiter nichts haben, als
ihre gehoͤrige Anzahl von Rippen und Knochen,
und Muskeln, und Augen, Maͤulern, Naſen,
Ohren.“
„Mit einem Worte, die Schoͤnheit nacken-
der Geſtalt iſt der Triumph bildender Kunſt;
viel fuͤr Auge und den ganzen koͤrperlichen Men-
ſchen, wenig fuͤr den innern. Sie allein er-
greift das Unſterbliche nicht; dazu gehoͤrt etwas,
was ſelbſt gleich wie unmittelbar von der Seele
koͤmmt, und ihrer regenden unbegreiflichen Kraft:
Leben, Bewegung. Und dieß haben unter al-
len Kuͤnſten allein Muſik und Poeſie: neigt
euch ihr andern Schweſtern vor dieſen Muſen.“
Z 2Ich
[356]
Ich ſahe wohl, mit was fuͤr einem Feind ichs
hier zu thun hatte; ein Federmeſſerſtich von ihm
verwundete toͤdtlicher als der Schlag von einer
Keule; doch wollt ich ihn erſt ganz herauslocken,
und bat: er moͤchte die Grenzen jeder Kunſt naͤ-
her beſtimmen, und insbeſondre von Bildhaue-
rey, und Mahlerey: und alsdenn uns ſeine Begrif-
fe von der Schoͤnheit entdecken. Und freute
mich unausſprechlich, einen ſolchen Meiſter ſo
unvermuthet ploͤtzlich anzutreffen. Er wollte
abbrechen: allein wir ließen ihn nicht. Ich ſetz-
te mich ihm gegenuͤber, und wir ſtutzten die Glaͤ-
ſer an, die von dem beſten Monte Giove ſchaͤum-
ten.
„Die Bildhauerey iſt eigentlich fuͤr einzelne
Figuren, fing er vom neuen an; die Mahlerey
hat die Noht empor gebracht, mehrere vorzu-
ſtellen. Sie hat dieß den Siegen der Griechen
zu verdanken, beſonders nach der Schlacht bey
Marathon. Der Bruder des Phidias, Pa-
naͤos
[357]naͤos mahlte dieſelbe, da dieſer ſelbſt ſie in Stein
nicht vorſtellen konnte, weil kleine Figuren dar-
in nicht wirken, und die Materie fuͤrs Weit-
laͤuftige zu unbehuͤlflich iſt.“
Es iſt wohl keine Frage, welche von beyden
Kuͤnſten die Formen des Menſchen beſſer dar-
ſtellen kann. Die Mahlerey iſt eine beſtaͤndige
Luͤge, und ihre Erhobenheit und Tiefe erkuͤnſtelt.
Wir laſſen uns taͤuſchen, weil voͤllige Wahrheit
und Wirklichkeit wie bey Bildhauerey unmoͤglich
iſt, und geben uns zu unſerm eignen Vergnuͤgen
alle Muͤhe, die Koͤpfe und uͤberhaupt das Na-
ckende z. B. vom Tizian rund und hervorgehend,
und die Fernen und Mittelgruͤnde ſeiner Land-
ſchaften im gehoͤrigen Abſtand zu ſehen. Ihre eigent-
lichen Gegenſtaͤnde ſind, wo die Farbe, leichte Be-
wegung und zarter Stoff einen vorzuͤglichen Theil
ausmacht. Die Neuheit hauptſaͤchlich, und
dann die uͤberwundne Schwierigkeit machten ſie
unter dem Zeuxis und Apelles ſo reizend; und
Z 3ge-
[358] gewiß iſts, daß die Farbe viel zur Taͤuſchung,
im Ganzen genommen, beytraͤgt. Auf den
erſten Blick wirkt ein gemahltes Bild auch auf
den Verſtaͤndigen mehr, als eine eben ſo vor-
trefliche Statue in ihrer Art; aber wenig Zeit
und Beſinnung macht die Mahlerey dagegen ganz
verſchwinden. Unter tauſend Geſichte[r]n findet man
ferner in einem guten Klima nur aͤußerſt wenige
fuͤr den Marmor, aber weit mehrere fuͤr die
Farbe. Die Bildhauerkunſt iſt die aͤchte Probe
ſchoͤner Form, und geht ins Weſentlichre, und
das Erhabne: die Mahlerey giebt ſich mit allem
ab, wo ſie nur ein wenig Reiz findet.“
„Die letztere muß ſich alſo vor allem huͤten,
was ſchon die Bildhauerey vollkommen darſtel-
len kann; und beyde muͤſſen ſich davor huͤten, das
Reich der Poeſie zu beſchreiten: denn jede bleibt
uͤberwunden, ſobald ſich nur ein gewoͤhnlich gu-
ter Meiſter der andern Kunſt an den Kampf
macht. Poeſie enthaͤlt ſich der Formen und
Far-
[359] Farben; Bildhauerey enthaͤlt ſich der Farben und
Geſchichten von vielen Figuren; Mahlerey ent-
haͤlt ſich alles deſſen, was ſich bloß durch Form
zeigt, und ſo wie die Bildhauerey noch der Ge-
ſchichten, wo man das Ganze nicht mit einem
Blicke herausnehmen kann. Dienſte und Gefaͤl-
ligkeiten moͤgen ſie ſich uͤbrigens gern erzeigen.
Rom allein iſt voll von Beyſpielen, wie gute
und wackre Meiſter verungluͤckt ſind, indem ſie
uͤber dieſe Regeln hinaus wollten; und den ſchoͤn-
ſten Theil ihres Lebens umſonſt dagegen kaͤmpf-
ten.“
„Apelles nahm ſich wohl in Acht, kein bloßes
Portraͤt vom Alexander zu machen; hierin mußt
er allezeit dem Lyſipp wegen ſeiner Formen nach-
ſtehen. Er bildete ihn alſo mit dem Blitz in der
Hand; mit dem Kaſtor und Pollux und der
Victoria; auf einem Tr[i]umphwagen mit dem
Krieg hinter drein, dieſem die Haͤnde auf den
Ruͤcken gebunden. Dieß mußte Lyſipp ſo natuͤr-
Z 4lich
[360] lich wohl bleiben laſſen. Aber Bildhauerey behaͤlt
doch immer den Rang; denn ſie zeigt das edelſte
der bildenden Kunſt, nehmlich die Form am
vollkommenſten. Bey Weibern iſt es wahr,
und bey Knaben iſt die Farbe auch ſehr reizend;
allein ſie iſt doch bloß ein ſeichter Augengenuß,
der nicht in den ganzen Menſchen ſo eindringt,
wie die Form.“
„Das Klaſſiſche uͤberall iſt das gedraͤngt-
volle, wenn einer alles weſentliche und bezeichnen-
de von einem Gegenſtande herausfuͤhlt und nach-
ahmt; und in dieſem Verſtande kann man gewiß
ſchon aus einer Hand, oder irgend einem Theil
am menſchlichen Koͤrper bey einem Kuͤnſtler den
großen Mann erkennen, wie aus der Klaue den
Loͤwen. Phantaſie, die aus Tauſenden zuſam-
mentraͤgt, aber nicht das rechte, ſondern außer-
weſentliche, iſt das Gegentheil und Bett-
lerarmuth; Lumpen und [Lappen] und kein ganz
Stuͤck
[361] Stuͤck. Ein Ding recht faſſen, zeigt den trefli-
chen Menſchen und macht den Virtuoſen.“
„Der ſchoͤne Menſch im bloßen Gefuͤhl ſeiner
Exiſtenz ohne Leidenſchaft in Ruhe iſt der eigent-
lichſte Gegenſtand der Nachahmung des bildenden
Kuͤnſtlers, und ſeine Nummer Eins; in dieſer
Verfaſſung ohne alle Bekleidung liegt die reinſte
Harmonie der Schoͤnheit, und ſie paßt am aller-
beſten zu dem [gaͤnzlichen] Mangel an Bewegung
ſeiner Werke. Alle Leidenſchaft, alle Handlung
zieht, leitet unſre Betrachtung von ihren ſchoͤnen
koͤrperlichen Formen ab. Zur Schoͤnheit ſelbſt
gehoͤrt der Charakter, oder das, wodurch ſich eine
Perſon von der andern unterſcheidet. Schoͤn-
heit mit lebendigem Charakter iſt das ſchwerſte
der Kunſt.“
„Bey Gruppen von Figuren ſind Spiele,
Scherze die wenig bedeuten, die beſten Hand-
lungen, weil ſie von der Schoͤnheit und den ange-
nehmen Stellungen der Formen am wenigſten
Z 5ab-
[362] abziehen. Die entzuͤckendſte Handlung fuͤr den
Betrachtenden hierbey iſt freylich, wo gerad ein
Koͤrper den andern genießt: Kuß, Umar-
mung —“
“Nach dieſen Grundſaͤtzen arbeiteten die
Alten: nicht, wie einige Antiquaren ſagen,
weil die Stille der eigentlichſte Zuſtand der Schoͤn-
heit waͤre, wie bey der See; und die ſchoͤnſten
Menſchen uͤberhaupt von geſittetem Weſen zu
ſeyn pflegten. Das Meer iſt im Gegentheil
natuͤrlich immer in Bewegung, und gewiß ſchoͤ-
ner im Sturm als in der Stille; und Alkibiades,
und Phryne, und Thais, welche Perſopolis in
Brand ſteckte, die ſchoͤnſten Menſchen unter den
Griechen, ſind warlich nicht beruͤhmt wegen ih-
res ſtillen geſitteten Weſens; und Clodius nicht,
und die Fauſtinen, und die groͤßten Schoͤnheiten.
Es ſind die Schranken der Kunſt! ſie kann das
hohe Leben, ſchnelle Bewegung ſelten darſtellen;
und es iſt wunderlich, dieß deßwegen mit Verach-
tung
[363] tung in der Wirklichkeit ſelbſt anſehen wol-
len.“
„Wenn das Kunſtwerk eine Geſchichte dar-
ſtellen ſoll: ſo muß der Ausdruck herrſchen; denn
dieſer iſt alsdenn der Hauptzweck, und Schoͤn-
heit in Stellung und Formen und Geſtalten
muß hier der Wahrheit aufgeopfert werden. Al-
lein Geſchichte, Scenen aus Dichtern bleiben
immer die letzten Vorwuͤrfe der bildenden Kunſt;
weil ſie dieſelben nie ganz, und nie ſo mit dem
ergreiffenden Leben darſtellen kann, wie ein He-
rodot und Homer. Der bildende Kuͤnſtler begiebt
ſich außerdem von ſelbſt ſchon hierbey ganz unter
den Geſchichtſchreiber und Dichter, und ſchaft als
Gehuͤlfe zu deſſen Leben und Bewegung nur die
Koͤrper alsdenn; augenſcheinlich hat dieſer das
Ganze, und er nur den Theil.“
„Die alten Kuͤnſtler wagten es außerdem
nicht, den Kern von manchen tragiſchen Geſchich-
ten darzuſtellen, weil ſie bloß das Grauſame wuͤr-
den
[364] den dargeſtellt haben, und das andre nicht konn-
ten, was die That mildert; z. B. Medeen im
Morden ihrer Kinder: die vereinzelte Scene
haͤtte durch ihre Gegenwart alle Geſchichte uͤber-
blendet. Nur Ageſander, und Michel Angelo
unter den Neuern ſind daruͤber hinaus gegangen:
der eine der Kunſt, der andre der Religion we-
gen. Aehnliche Bewandniß hat es bey wahrer
Darſtellung einer alten Hekuba; man denkt
ſich bey der gerunzelten Haut ihr ganzes Leben
nicht, um davon geruͤhrt zu werden. Und eine
junge oder noch ſchoͤne Hekuba iſt Wiederſpruch
und Unſinn.“
„Kurz eine lebendige Geſtalt von einem
Charakter ſich vorzuſtellen in aller Vollkommen-
heit und Schoͤnheit, iſt das Meiſterſtuͤck des
bildenden Kuͤnſtlers; welches wenige noch bis
dato geleiſtet haben.“
„Schoͤnheit uͤberhaupt in allen Kuͤnſten iſt,
wie mich duͤnkt, leichtfaßliche Vollkommenheit
fuͤr
[365] fuͤr Sinn und Einbi[l]dungskraft. Wer damit
nicht zufrieden ſeyn will, kann ſich an die Er-
klaͤrung des Erzbiſchoffs della Caſa halten, wel-
cher das Weltberuͤhmte Kapitel uͤber den Backo-
fen geſchrieben hat; dieſer ſagt: Schoͤnheit iſt
Eins, ſo viel nur immer moͤglich; und Haͤßlich-
keit im Gegentheil iſt Viel. Allein der Kuͤnſt-
ler bedarf ſolcher tiefen Philoſophie nicht bey ſei-
ner Arbeit. Vergebt uͤbrigens, lieben Bruͤder
und Freunde, wenn ich an dem Ziele vorbeyge-
ſchoſſen habe, und macht es beſſer.“
Der Mann zog mich doch an ſich, trotz aller
ſeiner haͤmiſchen Blicke auf bildende Kunſt, und
beſonders Mahlerey, und ich verlangte genauere
Bekanntſchaft mit ihm zu machen. „Schade,
rief ich aus, daß ich kein junges Lorbeerreis habe,
euer weiſes Haupt zu bekraͤnzen! ob ich gleich in
manchem nicht eurer Meinung ſeyn kann. Um
Kopf und Schweif gleich zuſammen zu paaren:
ſo glaub ich nicht, daß ein Kuͤnſtler etwas gutes
her-
[366] hervorbringen werde, der ohne deutlichen Be-
griff, ohne klares Gefuͤhl von Schoͤnheit zu Wer-
ke ſchreitet.“
„Nach Platons Erklaͤrung, den ihr mir
wohl zu kennen ſcheint, iſt die Schoͤnheit die
urſpruͤngliche Idee der Dinge in Gott. Und die
Seelen, die ſein Anſchauen genoſſen und dieſe
Ideen erkannten, ſchaudern, wenn ſie in die-
ſem Leben die Bilder davon mit den Augen erblicken,
erinnern ſich dunkel ihres vorigen Zuſtandes,
erſchrecken und werden entzuͤckt. Ihre Schwin-
gen regen ſich, gehen vom warmen Einfluß auf,
der Federſtock keimt und ſ. w.“
„Es iſt gewiß eine erhabne Hymne auf die
Liebe, und liegt tiefe Warheit zu Grunde.“
„Was ſich ſelbſt bewegt, iſt Seele, ewig,
ohne Anfang: davon alles Werden, und alle
Koͤrper, die ſich bewegen. Schoͤnheit iſt die
vollkommenſte Harmonie der Bewegung, und
die Seele erkennt darin ihren reinſten Zuſtand.
Schoͤn-
[367] Schoͤnheit giebt der Seele das lauterſte Gefuͤhl ihres
Daſeyns. Schoͤnheit iſt die freyeſte Wohnung
der Seele. Schoͤnheit erinnert die Seele an
ihre Gottheit, an ihre Schoͤpfungskraft, und
daß ſie uͤber alle die Koͤrperwelt, die ſie umgiebt,
ewig erhaben iſt. Im Anfang macht ihr dieß
Freude, aber endlich Pein; ſie ſieht ſich gefan-
gen, und daß ſie nicht mehr iſt, was ſie war: und
die Thraͤnen rinnen uͤber ihren nichtigen gegenwaͤr-
tigen Zuſtand. Doch ſtaͤrkt ſie wieder ihre ewige Na-
tur, und die ſuͤße himmliſche Hofnung regt ihre Fitti-
ge, daß ſie doch bald aus dieſer Dunkelheit, aus dieſem
Wahne von Irrgeſtalten ſich erheben werde in das
Licht zu den Schaaren der ſeeligen Geiſter, wo we-
der Froſt noch Hitze abwechſeln, und alles iſt in
ſeiner mannigfaltigen Wahrheit und urſpruͤngli-
chen Schoͤnheit.“
„Nicht gebohren werden, uͤbertrift alle irr-
diſche Gluͤckſeeligkeit; und wenn du da ſeyn wirſt:
ſo iſt, je geſchwinder, je beſſer, wieder dahin
zu
[368] zu kehren, wo du herkoͤmmſt. So bald die Ju-
gend ſich einſtellt mit ihren tollen Streichen,
wer windet ſich mit aller Arbeit daraus? wer
ſteckt nicht in Plagen und Leiden? Morde, Par-
theyen, Streitigkeiten, Gefechte und Neid.
Auf die letzt uͤberſchleicht uns das unzufriedene,
ſchwache, menſchenſcheue, verhaßte Alter, wo
alle Uebel haufenweiß zuſammen wohnen.“
„So ſeufzte ſelbſt der bewunderte Sophokles
am Ende ſeiner gluͤcklichen und glaͤnzenden Lauf-
bahn.“
„Ihr ſagt: Schoͤnheit nackender Ge-
ſtalt ſey viel fuͤr Auge und den ganzen koͤrperli-
chen Menſchen, wenig fuͤr den innern? Sie al-
lein ergriff das Unſterbliche nicht?“
„Wenn wahr iſt, was ihr ſelbſt behauptet,
daß, wer ein Ganzes taͤuſchend am geſchwindeſten
in die Seele bringt, den Vorzug erhalte: ſo
ſteht wohl bildende Kunſt aller andern voran;
die Seele genießt vor ihren Werken, der muͤhſeeligen
Zeit-
[369] Zeitlichkeit entruͤckt. Ihre Zeichen, wodurch
ſie darſtellt, ſcheinen die Sache ſelbſt zu ſeyn, ſo
leicht verſchwinden ſie; ſie ſind die natuͤrlichſten
und ſicherſten, und gelten uͤberall einerley ohne
Mißverſtand. Ich habe hier volle Gewißheit,
da ich bey Poeſie immer traͤumen muß, und nach
Wirklichkeit haſche. Bey ihr hab ich alles zu-
ſammen mit einem Blick, und dieß ergreift den
niedrigſten bis zum hoͤchſten. Mit einem Wort:
ihr iſt allein die Schoͤnheit im ſtrengſten Verſtand
eigen; denn dieſe muß mit einem Blick aufgewogen
werden koͤnnen.“
Hier wurd er erbittert, und ſchuͤttete auf ein-
mal das Kind mit ſamt dem Bad aus; und fiel
in meine Rede.
„Alle bildende Kunſt behauptete er ſtreng,
iſt am Ende bloß Oberflaͤche. Und dieß iſt die
Urſache, warum wahrhaftig große Menſchen
unter den Kuͤnſtlern mit ihren Werken ſo ſelten
zufrieden waren. Sie konnten nur wenig von
A adem
[370] dem hineinbringen, was ſie fuͤhlten; und dieß
nicht einmal ſo rein beſtimmt, daß es gerade
daſſelbe Leben wieder erregte. Ein gen Him-
mel gekehrtes Auge, nehmen wir das edelſte
Glied, das am deutlichſten vom Innern ſpricht,
was kann dieß zum Exempel nicht fuͤr vielerley
ausdruͤcken? Ich brauch es nur obenhin; denn ich
weiß wohl, daß alle Profeſſoren im Grunde der
Natur keins nachmachen. Bey einem Volke
von Stummen da moͤchten die bildenden Kuͤnſte
in der That viel vermoͤgen; denn ſie haͤtten da
mehr Natur fuͤr ſich nachzuahmen: bey uns andern
Menſchen aber, die wir den groͤßten Theil un-
ſrer Empfindungen und Gedanken mit der Spra-
che ausdruͤcken, wo ſich beſonders bey den
Vortreflichen am wenigſten die Gebehrden aͤndern,
die, wie man ſo gar bey Gelegenheit des Laokoon
bemerkt hat, auch bey den heftigſten Gefuͤh-
len ſich ſelten von außen regen, laͤßt ſie ihnen
vielleicht gerade das ſchlechteſte uͤbrig; und der
groͤß-
[371] groͤßte Kuͤnſtler kann oft ſo wenig von einem So-
krates, Lykurg und Epaminondas darſtellen, als
von einem unvergleichlichen Saͤnger oder Gei-
ger.“
„Nehmen wir vollends, wie ſauer, und ſelbſt
nach dem Ausſpruch des alten Michel Angelo,
kinder- und weibermaͤßig auch dieß ſchlechteſte
muß nachgeahmt werden, und welch eine uner-
traͤglich mechaniſche Uebung auch fuͤr Menſchen
von der hoͤchſten Faͤhigkeit dazu gehoͤrt, ehe ſie es
zur Vollkommenheit bringen; und daß das mei-
ſte wirkliche der bildenden Kunſt in den Saͤlen
der Großen jaͤmmerlicher Wuſt und Unſinn iſt:
ſo gehoͤrt warlich ein ſtarker Entſchluß dazu, ſich
in ihr Feld zu wagen. Ihre beſten Gegenſtaͤnde
bleiben gewiß die andern Thiere und Pflanzen,
Gras und Baͤume; dieſe koͤnnen ſie darſtellen,
die Kuͤnſtler! den Menſchen ſollen ſie dem Dich-
ter uͤberlaſſen. Die Landſchaftsmahlerey wird
auch endlich alle andre verdraͤngen. Und alſo
A a 2koͤn-
[372] koͤnnen wir gewiſſermaßen die Griechen uͤbertref-
fen, weil wir uns gerad an die wahren Gegenſtaͤn-
de machen, die ſie verfehlt haben.“
„Nichts wirkt recht auf den Menſchen,
was ſtille ſteht; aller Stillſtand wird bald Tod.“
„Es bleibt gewiß eine Kleinigkeit, einen
Caͤſar, einen Brutus von außen auch vortreflich
zu mahlen, und zu bildhauen, gegen das her-
auszuhohlen, was in ihnen ſteckt. Auf der Ober-
flaͤche kann man den Menſchen leicht kennen ler-
nen: aber im Innern, in der Tiefe? da ge-
hoͤrt ganz andrer Gehalt und Stand dazu.“
„Wer behaupten wollte, daß die bildende
Kunſt uͤber Poeſie, Beredtſamkeit und Philo-
ſophie ginge, muͤßte behaupten: daß eine Sta-
tue oder Bruſtbild vom Homer, Pindar, De-
moſthenes, Ariſtoteles, oder nehmen wir neuere,
daß ein vollkommen, wie moͤglich auch, getroff-
nes Bild in Farbe oder Stein von Arioſt, Macchia-
vell uͤber ihre Schriften ginge. Und gewiß
moͤcht
[373] moͤcht ein Gott mehr daran haben, wenn ſie mit
Haut und Haar ſo waͤren, wie ſie ſelbſt; welches
jedoch menſchlicher Hand unmoͤglich: aber ein
Sterblicher muß eine gigantiſche Einbildung von
ſeinem phyſiognomiſchen Sinn haben, um dieß
zu wollen. Ein ſolcher verſuch es einmal, und
erſetz uns aus dem uͤbriggebliebnen Kopfe des
Sophokles ſeine hundert verlorne Trauerſpiele!“
„Man ſchaue einen Sokrates an, einen
Plato, einen Euripides: wer wird ihre Mar-
morbuͤſten fuͤr ihre lebendigen Reden und Ge-
dichte nicht gleich weggeben? Wir koͤnnen an
uns ſelbſt nicht im Spiegel wahrnehmen, auch
in dem nehmlichen Moment, was wir denken
und empfinden; und ſo gar verſchiedne Leiden-
ſchaften zeigen ſich bis auf ihre hohen Grade im
Geſicht uͤberein. Die ganze bildende Kunſt iſt
ein vages unbeſtimmtes Weſen, das ſeinen Haupt-
werth eigentlich von der Schoͤnheit der Formen
und Umriſſe enthaͤlt; und dann außerweſentlich
A a 3iſt
[374] iſt ſie eine große Zierde der Poeſie und Geſchich-
te, die aber ganz natuͤrlich ohne ſie beſtehen koͤn-
nen. Poeſie iſt das innre Leben ſelbſt: Bild
von Farbe oder Stein bloß das Zeichen; wer
jenes nicht ſchon in ſich hat, kann bey dieſem we-
nig fuͤhlen und erkennen.“
„Wo hat in aller Welt je ein Gemaͤhlde
die Wirkung hervorgebracht, die die Oedipe und
Iphigenien hervorbrachten? und wo wird es je
moͤglich ſeyn, daß eins ſolche hervorbringen koͤnne,
wenn man auch den Raphael, Correggio und Tizian
in ein Wunderweſen zuſammenſchmelzte? Es ver-
ſteht ſich warlich, daß hier nicht davon die Rede ſey,
was paͤbſtliche Neffen, und Moͤnchs- und Non-
nenkloͤſter theurer bezahlen.“
„Ich leugne uͤbrigens gar nicht, daß eine
erſtaunliche Phantaſie und Fuͤlle von Leben dazu
gehoͤrt, ſich einen Alkibiades, Perikles, oder
die Asſpaſia ſo vorzuſtellen, und ihre Bilder durch
die ſpaͤtere Kunſt lange Zeit nach ihnen ſo wirk-
lich
[375] lich zu machen, aus bloßen Geſchichtbuͤchern,
wie ſie lebendig waren und handelten; denn in
der That — hat es auch keiner noch gethan.
Allerley Geſtalten traͤumen mag man ſich wohl,
und wer ſich an leerer Spreu ſatt ißt, mag dar-
nach gaffen und hinlaufen: aber Wahrheit, phy-
ſiognomiſche mit Leib und Leben wie Wirklichkeit,
ohne Miene und Gebehrde Punkt fuͤr Punkt von
der Natur ſelbſt abzukonterfeyen, dieſe aus blo-
ßen Erzaͤhlungen und ſelbſt eignen Reden der
Menſchen zu erfinden; geht uͤber des Menſchen
Kraͤfte; dazu haben wir noch keine Wiſſenſchaft,
keine Gruͤnde und Regeln, weder Ja noch Nein.
Unſer beſtes ſind noch die allgemeinen Zuͤge der
Leidenſchaften und andern Empfindungen, die
ſich in Bewegungen beſonders von außen zeigen,
durch oͤftre Wiederhohlung bey wirklichen Men-
ſchen ſich in die Geſtalt praͤgen, und nach und
nach Charakter bilden; aber mit dem Allgemei-
nen wird man bald fertig und es entſteht endlich
ein raſendes Einerley.“
A a 4„Kurz,
[376]
„Kurz, ich habe von dem Menſchen, au-
ßer der wirklichen Vermiſchung, hauptſaͤchlich
Genuß durch ſeine Reden und Handlungen, durch
Worte und Bewegungen; beydes kann mir die
bildende Kunſt nicht geben. Man ſtelle ſich ſeinen
Freund auch in dem intereſſanteſten Moment
der Freundſchaft auf einmal wie zu einer Buͤſte
verſteinert unveraͤnderlich mit ſeinen Mienen
und Gebehrden vor! mit Erinnerung der Worte
aller vor und nach dem Moment wird das Bild
gewiß lieblich in die Seele leuchten, und anfangs
einen Freudenſchauer erregen. Aber wie die Er-
innerung ſich ſchwaͤcht, wird es nach und nach im-
mer weniger bedeuten, und, bey den Gedanken
an hundert andre Scenen, endlich leer, und ſo gar
Spott werden: ſtatt daß nur ein herzlicher Brief
von demſelben immer neu die Seele erquickt,
ſo oft man ihn noͤthig hat, wieder durch zu leſen.
Was ſoll nun ſo ein Bild auf andre fuͤr Wirkung
machen, die ſich dabey platterdings nichts gewiſ-
ſes vorſtellen koͤnnen? die die Perſon nicht ken-
ken-
[377] nen, nicht gekannt haben, nichts von ihr aus
der Geſchichte wiſſen?“
„Geſchieht dieß bey wirklichen Menſchen:
was wollt ihr mit euren Idealen, wovon ihr nicht
eine Form als wahr beweiſen koͤnnt? die ſchoͤn-
ſten Bilder ſind weiter nichts, als ein geiſtig
Licht in die Seele, die ſie aufheitern, und aller-
ley unbeſtimmte ſuͤße Gefuͤhle in ihr erregen, wie
ein reiner vollkommner Akkord auf einem wohl-
klingenden Inſtrumente. Und ſolche Schoͤnheit
iſt das eigentliche Weſen der bildenden Kunſt,
und keine Handlung, die die Poeſie weit wahrer und
lebendiger vorſtellt. Die Handlung kann hoͤch-
ſtens nur dienen, der Schoͤnheit den beſondern
Charakter zu geben; das iſt, die Handlung iſt
des Koͤrpers wegen, und der Koͤrper nicht der
Handlung wegen da.“
„Es iſt wahr, die Schoͤnheit iſt ein mo-
mental Gefuͤhl, und unterſcheidet ſich dadurch
von bloßer Vollkommenheit, die fuͤr den Ver-
A a 5ſtand,
[378] ſtand, ſo wie jene fuͤr den Sinn, gehoͤrt. Wo
ſie aber in der Zeit folgt, wie bey Tanz und
Melodie und Gedicht, iſt ſie hauptſaͤchlich fuͤr die
Seele, eigentliche Seelenſchoͤnheit, tiefe, leben-
dige; denn die Seele hat die Kraft, eine Folge
ſich wie ein Beyſammen auf einmal vorzuſtellen
und zu denken. Daraus die Regel: daß ein ſol-
ches Ganzes nicht zu verwickelt ſeyn muͤſſe, da-
mit man wie in einem Athem alle deſſen Theile
und ihre Verbindung im Geiſt uͤberſehe. Dieß er-
regt dann, was man Begeiſtrung nennt. Ein
ſchoͤnes Gedicht, eine ſchoͤne Muſik, ein ſchoͤner
Tanz muß dieſe allezeit auf die letzt hervorbrin-
gen: ſo wie der Dichter, Tonkuͤnſtler, Taͤnzer
ſie vorher in der Seele haben muß, ehe er ſie in
einen Strom dahin wallt; eine volle Seele, die
ſich ausſchuͤttet, und eine andre wieder ſchwaͤn-
gert.“
„Alle bloß bildende Kunſt macht auch den
ſtaͤrkſten Liebhaber und Beſitzer uͤber kurz oder
lang
[379] lang zum Tantalus. Das ſchoͤnſte Bild, ſeys
auch eine Venus vom Praxiteles, wird endlich
ein Schatten ohne Saft und Kraft, es regt und
bewegt ſich nicht, und verwandelt ſich nach und nach
wieder in den todten Stein, oder Oel und Farbe,
woraus es gemacht war; und fuͤr den lebendigſten
Menſchen am geſchwindeſten. Ich glaube, daß, wenn
die goldnen Zeiten der Griechen laͤnger gedauert haͤt-
ten, ſie endlich alle Statuen wuͤrden ins Meer ge-
worfen haben, um des unertraͤglich Todten,
Unbeweglichen einmal ledig zu werden. Und
wir finden auch nicht, daß Themiſtokles, Plato
und Euripides und die andern großen Griechen
der erſten Zeiten ſich ſchon viel darum bekuͤm-
mert haͤtten: die Bildſaͤulen gingen immer die
Religion und das gemeine Volk an. Alkibiades
ſchlug ſo gar vor Ueberdruß einer Menge oͤffent-
licher Hermen die Naſen entzwey; und hernach
gehoͤrten ſie mit den Gemaͤhlden zum Luxus der Rei-
chen, die vor ihrer gewoͤhnlichen Langenweile
nicht
[380] nicht wußten, was ſie anfangen ſollten. Plu-
tarch fragt ehrlich in ſeinem Perikles: „welcher
gutartige Juͤngling wird Phidias oder Polyklet
ſeyn wollen wegen des olympiſchen Jupiters oder
der Juno zu Argos?“ und ſo ſetzt der verſtaͤndige
Horaz eine Ode von Pindar uͤber hundert Sta-
tuen; und die aufgeheitertſten Kaiſer zu Rom,
Antonin und Mark Aurel, waren wirklich
ſchon des ſteinernen Volkes ſatt: und ſo iſt das
ſteinerne und gemahlte Volk bey den heutigen
Roͤmern bloßer Prunk, und man ſieht es den
beſten an, daß auch ſie deſſen von Herzen ſatt
ſind. Die Natur uͤbt ihr Recht aus, und zeigt
ihnen mit Gewalt, daß es doch nur eitel Traͤu-
merey iſt.“
„Die beſte Kunſt iſt ein bloßes Denkmal ver-
floßnen Genuſſes oder Leidens fuͤr den Kuͤnſtler
ſelbſt, das ihm lediglich Anlaß giebt, ſich das
Ganze wieder vorzuſtellen, und in ſein Gedaͤcht-
niß zuruͤck zu rufen. Welch ein Abſtand von
Poe-
[381] Poeſie und ihrer Gewalt uͤber die Herzen! Ue-
berhaupt iſt die bildende Kunſt eine jugendliche
Sache, wo der Menſch noch an der Huͤlle her-
umſchwebt. Ein alter Mahler, ein armer Suͤn-
der! Wenn einer innen iſt, kann er nicht mehr
außen ſeyn. Es kaͤme darauf an, ob Raphael nicht
den Pinſel wuͤrde weggeworfen haben, wenn er aͤl-
ter geworden waͤre! wenigſtens ſind ſeine erſten
Gemaͤhlde im Vatikan die beſten, und er trachtete
nicht umſonſt nach dem Kardinalshut.“
Sein Mund glich einem vollen Spring-
brunnen, ſo goß er hervor. Mir riß endlich die
Geduld, und ich ergrimmte. „Biſt du noch
nicht fertig, Barbar, Bilderſtuͤrmer? zuͤrnt
ich ihm entgegen.“
„Was du wahr geſagt haſt, trift alle menſch-
liche Kunſt. In der Natur haben wir freylich
alles beyſammen, und die verſchiednen Kuͤnſte
theilen ſich nur in ſie. Jede muß dagegen ihre
Maͤngel, ihre Schranken erkennen. Die Mah-
le-
[382] lerey hat keine wirkliche Bewegung, nur den
Schein davon, Zeichen; die Poeſie kann keine
Geſtalt, keine Schoͤnheit fuͤr den Sinn darſtel-
len, bleibt ewig ungluͤckſelig blind; und Muſik
an und fuͤr ſich iſt ohne beſtimmten Ausdruck,
und nur eine Magd der Muſen.“
„Der Dichter ahmt und ſtellt im Grunde nicht
einmal etwas Wirkliches ſelbſt dar, ſondern nur
Mittel, nehmlich die Reden der Menſchen; und
wie weit liegt die erſte Natur der Sprache in
den Abgruͤnden der Zeit verborgen? Fuͤr uns
Schaumblaſen auf ihren Tiefen iſt ſie meiſtens
bloß willkuͤrlicher Schall. Wir haben allen un-
ſern Genuß durch Koͤrper, und von dieſen kann
er nichts individuelles darſtellen; alles iſt bey ihm
allgemein, bis auf die Namen ſchier Peter, Paul,
und Lukas und Johannes, wenn ihm gute Schau-
ſpieler nicht zu Huͤlfe kommen. Dafuͤr hat er
freylich ein weitſchweifig Reich, und flattert
uͤberall an, wo die Mahlerey und Bildhauerkunſt
we-
[383] wegen enger Schranken ihrer unbeweglichen
Mittel nicht hin kann.“
„Das hoͤchſte Leben iſt das ſchwerſte in al-
len Kuͤnſten, ſo wohl in den bildenden, als
Poeſie und Muſik: Sturm in der Natur,
Mord zwiſchen Mann und Mann, Seelenverei-
nigung zwiſchen Mann und Weib, und Tren-
nung, Abgeſchiedenheit verliebter Seelen. Das
Todte kann auch der bloße Fleiß darſtellen, aber
das Leben nur der große Menſch. Wem beym
Urſprung ſeiner Exiſtenz nicht die Fackel der Gott-
heit entzuͤndet, der wird weder ein hohes Kunſt-
werk, noch eine erhabne Handlung hervorbrin-
gen. Schoͤnheit iſt Leben in Formen und jeder
Regung, und nichts Todtes iſt ſchoͤn, außer in
einem Verhaͤltniß von Leben.“
„Warum iſt der Torſo ſchoͤn, warum die
Koloſſen auf dem Monte Cavallo, warum unſre
Venus? Weil ſie in hoͤchſter Vollkommenheit
menſchlicher Kraft im freudigen Genuß ihrer
Exiſtenz ſich befinden. Warum Apollo, warum
der
[384] der Fechter? Weil ihr Leben in der Vollkommenheit
ſeiner Kraft ſich in hoher Wirkung zeigt. Warum
Laokoon, Niobe? Weil auch ihr hoͤchſtes Leben
einer ſtaͤrkern Macht unterliegt. Der Dichter
deutets mit Worten an, der bildende Kuͤnſtler
ſtellts mit deſſen Oberflaͤche ſelbſt dar.“
Zu der Zeit, wo die Menſchen am mehr-
ſten lebten und genoſſen, war die Kunſt am groͤß-
ten: zu der Zeit, wo ſie am elendeſten waren, am
ſchlechteſten; „dieß iſt die Geſchichte derſelben in
wenig Worten.“
„Wie bis zum bloßen Thier herabgeſunken,
kalt und gefuͤhllos muß der Menſch ſeyn, den
es nicht ergreift, deſſen Herz es nicht erhebt,
wenn er in die Hallen tritt, wo die Helden un-
ſers Geſchlechts, die Weiſen, die Dichter von
Phidiaſſen und Praxitelen aufgeſtellt wie lebendig
athmen? der Armſeelige wird erſchrecken wie in
einer Goͤtterverſammlung: der Edle ſchuͤchterne
aber begeiſtert werden, die glorreiche Bahn zu
ver-
[385] verfolgen; welche Kunſt kann ihr hohes Leben
ſinnlicher in die Seele blitzen? Und eine From-
me, die alle Morgen die ſchoͤnen himmliſchen Fi-
guren an den Waͤnden im Tempel mit inniger
Freude ſchaut, kann kein haͤßliches und boͤſes
Kind gebaͤhren.“
„Die Griechen mußten dann doch mehr Le-
ben in der Mahlerey finden, als Bildhauerkunſt;
weil ſie dieſelbe, wo ſie am verſtaͤndigſten waren,
mehr als dieſe belohnten, und befoͤrderten. Ein
Bild in Stein war ihnen nur Zeichen einzelner
Wahrheit, nehmlich der Form: die Mahlerey
aber Zeichen aller Wahrheit und Wirklichkeit,
und von ungleich groͤßerm Umfange; jenesgleich-
ſam nur Daͤmmerung, Ding im Mondſchein:
Gemaͤhlde von Apelles, Geſtalten wirklicher
Welt in ihrem Tage; und Zeichen bleibt immer
weiter nichts als Zeichen, ſeys von Stein oder
Farbe. Und eben dieß iſt es, warum die Bild-
B bhauerey
[386] hauerey ſank, nachdem die Mahlerey empor ſtieg;
und bey uns nun nie wird fortkommen koͤnnen,
ſo lang es noch gleich gute Mahler als Bildhau-
er giebt.“
„Welcher Bildhauer wollte zum Exempel
die Waffenlaͤufer des Parrhaſius uͤbertreffen,
wo der eine im Lauf zu ſchwitzen ſchien, der an-
dre aber die Waffen ablegte und keuchte? Frey-
lich kannte dieſer Wolluͤſtling den hoͤchſten Reiz
des Eigenthuͤmlichen ſeiner Kunſt.“
„Fuͤr Geſtalt giebt es keine mathematiſche
Wiſſenſchaft, wo man alles und jedes mit Zirkeln
und Linien und Zahlen beweiſen koͤnnte; das ge-
laͤuterte Gefuͤhl erfahrner hoher Menſchen ent-
ſcheidet hier allein endlich, und hat zu aller Zeit
jedem Kunſtwerk ſeinen Rang angewieſen. Deß-
wegen aber beruht Ideal nicht auf bloßen Hirn-
geſpinſten, ſondern die Natur ſelbſt iſt die ewige
Regel: und ein Kuͤnſtler muß von ihren Quel-
len
[387] len ſchoͤpfen, wenn er neue Schoͤnheit und neuen
unſterblichen Reiz hervorbringen will. Durch
Uebung gewinnt man nach und nach doch auch
ſichre wiſſenſchaftliche Fertigkeit.“
„Was bildet den lebendigen Koͤrper von in-
nen hervor, vom erſten Stoff zum Daſeyn an
ſo wie er iſt? die erſte regende Kraft; hernach ſein
Leben in der Welt.“
„Kann ich von der aͤußern Bildung auf
die Art des Geiſtes ſchließen?“
„Warum nicht? vom Werk auf den Mei-
ſter; nur gehoͤrt Erfahrung und Verſtand genug
dazu, und Adlerheit uͤber andre, es mit Gewiß-
heit zu koͤnnen, und nicht eine Urſache fuͤr die
andre zu halten. Jede Geſtalt zeigt Urſpruͤng-
lichinnres, wenigſtens was jung in Thaͤtigkeit
war, das Leben in der Welt, und die Begriffe
und Einbildungen daruͤber. Und wer das Innre
B b 2nicht
[388] nicht kennt, kennt gewiß auch ſchlecht das Aeu-
ßere.“
„Warum ſoll der Kuͤnſtler keine Handlun-
gen darſtellen duͤrfen? Koͤrper und Handlungen
machen hier eins aus, das iſt: Leben; und bey-
des iſt dafuͤr da; hohes edles Leben; dieß iſt ſein
letzter Endzweck. Bey einzelnen Figuren giebt dieß
Schoͤnheit: bey mehrern zu Darſtellung einer
Begebenheit kann und muß er zuweilen gar die
Haͤßlichkeit abbilden, wie z. B. den Maxentius in
einer Schlacht vom Konſtantin, einen Attila, einen
Heliodor. Vollkommenheit zeigt ſich von außen
durch Schoͤnheit: Unvollkommenheit durch Haͤß-
lichkeit; und die mehrſten Begebenheiten in der
Welt ſind ein Kampf zwiſchen Tugend und Laſter.
Soll er das Laſter ſchoͤn darſtellen? und iſt er
deßwegen ein Kothmahler, wenn er es haͤßlich dar-
ſtellt? Haͤßlichkeit veraͤndert hier ſeinen Namen,
und wird zu Schoͤnheit der Kunſt. Die Geſchich-
te
[389] te ſoll auch bey dem Mahler nicht bloß Augenwei-
de ſeyn, ſondern tiefer dringen. Der Kunſt die-
ſes nehmen wollen, heißt ſie zum ſchaalſten
Zeitvertreib machen. Außerdem ſind immer
dieſe dreyerley Gattungen getrieben worden, wie
ſchon in Griechenland, wo, nach dem Ariſtote-
les, Polygnot die Menſchen beſſer mahlte, als
ſie waren, Pauſon ſchlechter, und Dionys nach
der Wirklichkeit.“
„An Ausdruck und Bewegung von Leiden-
ſchaften wird die Natur hoffentlich immer eben
ſo unerſchoͤpflich bleiben, als an neuen Geſich-
tern und Geſtalten.“
„Kurz, der Kuͤnſtler ſtellt wie ein Zaubrer
fuͤr den Verſtaͤndigen mit einem Blick auf einmal
die wirkliche That dar, wo der Augenſchein
uͤber alle andre Vorſtellung hinreißt; und dar-
uͤber macht der Geſchichtſchreiber und Dichter fuͤr
die Unwiſſenden nur eine Bruͤhe darum her,
B b 3gleichſam
[390] gleichſam ſeines Evangeliums Ausleger und Doll-
metſcher — ſtellt die ſchoͤnſten Denkmale der
Begebenheiten auf fuͤr Herrſcher, Philoſophen
und Voͤlker dem erſten feinſten Sinn des Geiſtes,
und ihm am naturnaͤchſten, dem Auge. Und es
iſt nicht mehr als billig, daß Zaubrer nicht dar-
ben.“
„Die Dichter, die einen Epaminondas
auffuͤhren, wie er leibte und lebte, laßt ſie auch
alles in der Geſchichte dazu nehmen, werden ſo
rar ſeyn, wie die Mahler, die ſeine Geſtalt ſo
treffend aus ihrem Kopf erfinden, daß ſie ſeinem
Portraͤte gliche; und es erwaͤchſt dem Praxite-
les und Apelles daraus wohl wenig Nachtheil,
daß ihre Phryne den neuen Namen Venus aus
der Mythologie, oder Helena oder Iphigenia
aus den Dichtern, oder einen andern in ihren
Kunſtwerken aus der Geſchichte habe: ſo wie dem
Raphael, daß ſein Oheim Bramante in der
durch
[391] durch alle Zeiten goͤttlichen Gruppe der Schule
den Archimedes vorſtelle, wenn ſich auch einmal
des letztern Bildniß finden ſollte.“
„Vortreflich! muthiger, tapfrer, edler
Juͤngling, rief er mir hier zu; und nun genug.
Wir haben den Kreis durchlaufen, und ſind un-
vermerkt auf derſelben Seite wieder angekom-
men, wovon wir ausgingen. Ich reich euch
zum Frieden die Hand, ſchlagt ein; ich hoffe,
daß wir gute Freunde ſeyn werden, ſo bald wir
uns ein wenig beſſer im Innern kennen. Man
behauptet in der Hitze des Streits oft Dinge,
die man ſelbſt fuͤr falſch und uͤbertrieben haͤlt.
Zuhoͤrer, die Verſtand haben, nehmen von ſelbſt das
Wahre heraus; und die keine Unterſcheidungs-
kraft beſitzen, muͤſſen uͤberall Schwaͤrmern, oder
der großen Heerde wie die Kaͤlber folgen. Der
Abend iſt zu ſchoͤn, als daß wir ihn hier im Zim-
mer verplaudern ſollten; und die unten tanzen
B b 4und
[392] und ſich ergoͤtzen, haben uns ſchon laͤngſt geru-
fen.“
Wir umarmten uns denn beyde mit gluͤ-
hendem Geſicht und klopfendem Herzen.
Unten erfuhr ich, daß mein Mann ein
Grieche ſey aus der Inſel Scio, den die Giuſti-
niani als Knaben mit ſich genommen hatten.
Er hielt ſich nun fuͤr beſtaͤndig in Rom auf, und
lebte frey von einer kleinen Penſion aus dieſem
Hauſe; und erwarb ſich das uͤbrige damit, daß er
griechiſche Handſchriften aus der Vatikaniſchen
Bibliothek fuͤr auswaͤrtige Gelehrten theils ko-
pierte, theils die verſchiednen Lesarten daraus
ſammelte. Er heißt Demetri, und mag an die
vierzig Jahr alt ſeyn. Sein Wuchs iſt groß und
ſtaͤmmicht, und ſeine Geſtalt ſo kuͤhn und unabhaͤn-
gig, und ſeine Sitte ſo gegen alles Vornehme,
daß er wie Diogenes dem Dionyſios von Syra-
kus zu Korinth haͤtte ſagen koͤnnen: er ſey des
gluͤck-
[393] gluͤcklichen Lebens nicht werth, das er nun fuͤhre.
Wie mir dieß in meinen Eingeweiden herumging,
kannſt du dir leicht vorſtellen.
Der bildſchoͤne Juͤngling, welcher den
Streit erregte, heißt Tolomei, iſt ein weitlaͤuf-
tiger Anverwandter von ihm, Sohn eines
griechiſchen Kaufmanns zu Brindiſi, treibt hier
die Mahlerey, und ſteht unter ſeiner Aufſicht.
Ich ſah ihn mit einer ſchlanken Roͤmerin tan-
zen, und mußte laͤcheln, daß der holde Bube
den alten ſtrengen Michel Angelo ſo hart ange-
griffen hatte; das Raͤthſel ließ ſich nun leicht
aufloͤſen. Das ſuͤße Paar wallte in jeder Bewe-
gung neue entzuͤckende Schoͤnheit von ſich; der
Knabe ſchien ein Maͤdchen, und die Jungfrau
mit ihrem zuͤndenden Blick ein verkleideter Juͤng-
ling. Die Menge ſtand umher, und kein Auge
verwendete ſich von ihnen aus den erheiterten Ge-
ſichtern.
B b 5Der
[394]
Der Monat Oktober wird in Rom und
auf dem Lande herum ganz der Freude gewidmet:
jedes ſpart dafuͤr den Sommer auf.
Ich machte mich bald wieder an den Grie-
chen; ich hatte noch manchen Punkt mit ihm ins
Reine zu bringen, der kaum war beruͤhrt wor-
den. Er erzeigte ſich gefaͤllig. Wir ſtiegen den
Monte Toſtaccio hinauf, um die Gegend zu
uͤberſchauen, und trafen oben Kuͤnſtler an, die
nach der Natur zeichneten. Man hat hier rei-
zende Ausſichten hin uͤberall, und verſchiedne
Landſchaften jede ſo vollkommen fuͤr Gemaͤhlde,
um ſie ſchier nur abzunehmen. Pyramide, die
das Kleinod der Gegend bleibt: Sankt Paul
und Tyber: Steffano rotondo, alte Waſſerlei-
tungen, Koliſaͤum: Grabmal der Metella:
Pietro Montorio: Porta Porteſe zeigen immer
neue bezaubernde Seiten mit Pignen, roman-
tiſchen Villen, Rebenhuͤgeln und den herrlichen
Fer-
[395] Fernen der Gebirge von Frascati, Tivoli, und dem
Sabinerlande. Wir ſetzten uns nieder, und
jeder drehte ſich dahin und dorthin; die große
Augenluſt machte uns eine Weile ſtumm, und alle
die andern Sinnen verloſchen.
Wir fingen endlich an, von Rom zu ſpre-
chen, dem alten und dem neuern; gingen uͤber auf
Griechenland, und deſſen ehemaligen und gegen-
waͤrtigen Zuſtand: und unſre Reden ſtimmten ſo
ſchoͤn zur untergehenden Sonne an der unvollen-
deten Peterskuppel des unſterblichen Michel An-
gelo! „Ach, allesgeht auf und unter, Voͤlker und
wir, und die Werke der Menſchen! der Menſch
iſt ein ſtolzes Geſchoͤpf, rief ich aus; er hat die
Oberflaͤche der Erde gebildet, beherrſcht den Ad-
ler und Loͤwen, und baͤndigt das ungeheure Meer
mit ſeinen Schiffen: aber er weiß nicht von wan-
nen er koͤmmt, noch wohin er faͤhret; erſcheint,
veraͤndert ſich augenblicklich, unſicher, ob er
ein
[396] ein eignes Weſen ausmacht, und verſchwindet.
O ihr, die ihr um uns herumſchlummert, ihr
Scipionen, Kamille, Lukrezien und Kornelien,
was und wo ſeyd ihr? koͤnnt ihr nicht erwachen,
und uns belehren?“
„Ein andermal hiervon, gab er zur Ant-
wort, wenn wir mehr in Einſamkeit ſind, nicht
umgeben von ſo viel zerſtreuender Herrlichkeit.“
Er hielt dieſe Kuppel ſelbſt fuͤr den kuͤhnſten
koloſſaliſchen Gedanken eines Rieſengeiſtes, und
glaubte, daß die alten Griechen und Roͤmer ihn
bewundern wuͤrden.
Wir kamen alsdenn wieder auf unſer altes
Thema, die bildende Kunſt, und deren Weſent-
liches, den Menſchen, und die Vollkommenheit
ſeiner Geſtalt; und unſer beyder Schluß war,
daß der neuern hierin der Kern mangle. Man
kann wohl ſagen, daß die Werke der alten grie-
chiſchen
[397] chiſchen Meiſter eine Frucht ihrer Gymnaſien
waren; und daß, wo dieſe nicht ſind, ſie ſchwer-
lich kann eingeaͤrndtet werden. Der erfahrne
und geuͤbte Sinn des ganzen Volks am Nacken-
den, dieß iſt die Hauptſache, die uns fehlt, nebſt
dem der Arbeiter ſelbſt; das ſchoͤnſte Nackende
der Kunſt wird endlich nur durch Erinnerung
geſchaffen und genoſſen.
Man kann die Natur nicht abſchreiben;
ſie muß empfunden werden, in den Verſtand
uͤbergehen, und von dem ganzen Menſchen wie-
der neu gebohren werden. Alsdenn kommen
allein die bedeutenden Theile und lebendigen For-
men und Geſtalten heraus, die das Herz ergreif-
fen und die Sinnen entzuͤcken; die Regung in
vollſtimmiger Einheit durch den ganzen Koͤrper
des gegenwaͤrtigen Augenblicks bildet kein bloßer
Fleiß nicht. Je groͤßer und erhabner der Kuͤnſt-
ler: deſto edler und eingeſchraͤnkter die Auswahl.
Im
[398] Im Nackenden der bey uns gewoͤhnlich bekleideten
Theile, alſo des ganzen Koͤrpers bis auf Kopf und
Haͤnde und Fuͤße koͤnnen wir den Alten nicht gleich
kommen, weil wir ihre Gymnaſien und Ther-
men nicht haben. In Koͤpfen, Haͤnden und
Beinen und Kindern halten wir ihnen vielleicht
die Wage: in ſo weit wir noch Perikleſſe, Plato-
nen, Alkibiadeſſe, und Aspaſien und Phrynen
haben. Die hoͤchſte Vollkommenheit iſt uͤberall
der letzte Endzweck der Kunſt, ſie mag Koͤrper
oder Seele, oder beydes zugleich darſtellen;
und nicht die bloße getroffene Aehnlichkeit der
Sache, und das kalte Vergnuͤgen daruͤber. Der
Meiſter ſucht ſich dann unter den Menſchen,
die ihn umgeben, zu ſeiner Darſtellung das beſte
Urbild aus, und erhebt deſſen individuellen Cha-
rakter mit ſeiner Kunſt zum Ideal. Die Schoͤn-
heit muß allgemein: der Charakter aber individuell
ſeyn, ſonſt taͤuſcht er nicht, und thut keine Wir-
kung; und das Individuelle kann der Menſch
ſo
[396[399]] ſo wenig als das Gold erfinden Dieß iſt das Pro-
blem, an deſſen Aufloͤſung ſo viele ſcheitern.
Der ganz außerordentlichen Menſchen ſind
bey allen Nazionen aͤußerſt wenig geweſen; es
gehoͤrt eine unendliche Menge von gluͤcklichen Um-
ſtaͤnden dazu, ſolche alleredelſte Gewaͤchſe und
Herrlichkeiten der Natur hervorzubringen. Neh-
men wir den Griechen, der bey weitem geiſtreich-
ſten Nazion unter allen, die wir in der Ge-
ſchichte kennen, auf Erdboden, nur ein Dutzend
dieſer hervorragenden Maͤnner: einen Lykurg,
Themiſtokles, Pythagoras, Sokrates, Ariſto-
teles, Homer, Soph[o]kles, Ariſtophanes, Pe-
rikles, Demoſthenes, Phidias, Apelles: und
wir werden ſehen, wie ihr Sonnenfeuer zu den
Sternen andrer Voͤlker zuruͤckweicht, zumal
wenn wir bedenken, daß ihre uͤbrige Vortrefli-
chen großentheils nur von dieſen beſtrichne Mag-
netnadeln waren.
Die
[400]
Die Ehre des Volks und der Fuͤrſten be-
ſteht darin, ſolche ſeltne Erſcheinungen bey ihrem
Aufgang zu erkennen, und ſie zu pflegen und zu
warten. Bey ihnen konnte kein Laͤrmmacher ſo
leicht mit ſeinen ausgeſchickten Trabanten das
erfahrne Ohr uͤbertaͤuben, das ſcharfe geuͤbte
Auge benebeln; ſie kannten den nackenden Men-
ſchen aus ihren Gymnaſien, und die hohen Geſtal-
ten aus ihren gemeinen Verſammlungen. Die
Verſtaͤndigen pruͤften, gaben Rath, verdammten,
belohnten. Eins trieb und vervollkommte das
andre.
Und ſo gings noch bey den Roͤmern. Au-
guſt hat keinen Virgil und Horaz hervorgebracht;
aber weil ſie einmal jung da waren, ſo hielt er
ſie warm.
Außerdem hatten die alten mehrere Arten
von Schoͤnheiten, und wir kennen die reizende
Mannigfaltigkeit nicht von Ringern, Fauſtbal-
gern,
[401] gern, Wettlaͤufern, Wurfpfeilſchuͤtzen, Diskus-
werfern, und dergleichen; und ſo machten ihre
Goͤtter wieder verſchiedne allgemeine Kl[a]ſſen.
Bey uns iſt alle Geſtalt in ein einzig doppelartig
gabelfoͤrmig vollkommen Thier zuſammen-
geſchrumpft.
Die Sonne war prachtvoll untergegangen,
und das ſchoͤnſte Abendroht zog lieblich hinten
nach. „Wenn ich ein Landſchaftsmahler waͤre,
rief Demetri, ich mahlte ein ganzes Jahr wei-
ter nichts als Luͤfte, und beſonders Sonnenun-
tergaͤnge. Welch ein Zauber, welche unendliche
Melodien von Licht und Dunkel, und Wolken-
formen und heiterm Blau! es iſt die Poeſie der
Natur. Gebirge, Schloͤſſer, Pallaͤſte, Luſt-
hayne, immer neue Feuerwerke von Lichtſtrah-
len, Rieſen, Krieg und Streit, flammende Schweife
wechſeln mit neuen Reizen ab, wann das Geſtirn
des Tages in Brand und Gluhten unterſinkt.
C cAber
[402] Aber leider mit euerm Licht in der Mahlerey
ſieht es uͤbel aus!“
„Und was man davon mahlen kann, fuhr
ich fort, dauert nur wenig Momente; die gluͤck-
lichſte Phantaſie und Empfindung gehoͤrt dazu,
es aufzubewahren, nach Hauſe zu tragen; und
wunderbare Kunſt, es taͤuſchend langſam hinzu-
pinſeln.“
Wir gingen wieder hinunter; es war leer
geworden, und die uͤbrigen zogen auch noch von
dannen. Endlich blieben ein halb Dutzend Maͤd-
chen, und Demetri, und Tolomei, und ich.
Wir machten uns zuſammen wieder auf den
Saal, eine auserleſene Geſellſchaft. Die Maͤd-
chen waren aͤchte Roͤmerinnen an Wuchs und
Geſtalt, mit der erhabnen antiken noch republi-
kaniſchen Geſichtsbildung, die auch auf fremde
Fuͤrſten wie nur Barbaren herunter ſchaut. Sie
haͤt-
[403] haͤtten, wie die alten, dem hohen Senat mit
berichten laſſen, wenn ſie das Verbot gegen eine
gewiſſe Luſtbarkeit von ihnen nicht aufhuͤben,
daß ſie nicht mehr gebaͤhren wollten.
Paar und Paar ſtanden im vertrauten Um-
gang mit einander; die reizenden Geſchoͤpfe lie-
ßen ſich von ihren Geliebten als Modelle brau-
chen, und gaben ihre Schoͤnheiten deren
Kunſt preis. Sie machten ſich ſelbſt Muſik,
und tanzten lauter Nazionaltaͤnze, wo wenig
gezogner, gedehnter, franzoͤſiſcher Schritt, ſon-
dern immer neuer Freudenſprung iſt. Ich ließ
dabey wacker auftiſchen, und einſchenken, und
wurde ſelbſt von dem Wirbel ergriffen.
Nach Mitternacht ging es in ein aͤchtes
Bacchanal aus; das erhitzte Leben blieb nicht mehr
in den gewohnten Schranken, und jedes tobte
C c 2nach
[404] nach ſeinem Gefuͤhl und ſeiner Regung. De-
metri machte ſeinen Einfall zu einem Sparta-
niſchen Tanz laut, und dieſer wurde mit Jauch-
zen ausgefuͤhrt. Doch machte man vorher den
feyerlichen Vertrag, nichts ſchaͤndliches zu begin-
nen, und die Leidenſchaften bis ans lange Ziel
gleich Olympiſchen Siegern im Zuͤgel zu halten,
wies braven Kuͤnſtlern gezieme.
Man entkleidete die Jungfrauen, die, Gluht
in allen Adern, ſich nicht ſehr ſtraͤubten, zuerſt
bis auf die Hemder, und ſchlitzte dieſe an beyden
Seiten auf bis an die Huͤften; und die Haare
wurden losgeflochten. Demetri ſchlug die Hand-
trommel, und ich ſpielte die Zithar.
Sie ſchwebten in Kreiſen, druͤckten einzeln
ihre Empfindungen aus, und jede enthuͤllte in
den ſußeſten Bewegungen ihre Reize, bis Paar
und Paar wieder ſich ſaßten und hoben, und wie
Sphaͤ-
[405] Sphaͤren herumwaͤlzten. Es war gewiß ein
Goͤtterfeſt, ſo viel mannichfaltige Schoͤnheit her-
umwuͤhlen und herumtaumeln zu ſehen, und
ich habe in meinem Leben noch kein vollkommner
weiblich Schauſpiel genoſſen.
Man hohlte hernach aus der nahen Villa
Sacchetti Epheu zu Kraͤnzen, und belaubte Wein-
ranken mit Trauben zu Thyrſusſtaͤben; und je-
der Juͤngling warf alle Kleidung von ſich. Es
ging immer tiefer ins Leben, und das Feſt wurde
heiliger; die Augen glaͤnzten von Freudenthraͤ-
nen, die Lippen bebten, die Herzen wallten vor
Wonne.
Wir fuͤhrten auf die letzt allerley Scenen
auf, aus Fabel, komiſchen und tragiſchen Dich-
tern und Geſchichte in himmliſchen Gruppen,
wo eine wahrhaftige Phryne an Schoͤnheit dar-
unter mit erroͤhtendem und laͤchelndem Stolze ſich
C c 3endlich
[406] endlich ganz nackend zeigte, in den verſchaͤmte-
ſten, und muthwilligſten Stellungen.
Tolomei wetteiferte mit ihr; er hatte wirk-
lich Schentel wie ein junger Gott, entzuͤckend
Feuer ſchon der Hand; und die Sproſſen zum
kuͤnftigen Strauchwerk waren an ſeinem Leib-
chen eben angeflogen.
Demetri glich dem Zevs, und ihm fehlte
dazu nur Donnerkeil und Adler.
Die Phryne riß alsdenn der andern ſchoͤn-
ſten das Hemde weg, und beyde den uͤbrigen; und
nun ward ich von ihr wie von einer wuͤhtenden
Pentheſilea gefaßt, der hoͤchſte Bacchantiſche
Sturm rauſchte durch den Saal, der alles Ge-
fuͤhl unaufhaltbar ergriff, wie donnerbrauſende
Katarakten, vom Senegal und Rhein, wo man
von ſich ſelbſt nichts mehr weiß, und groß und
allmaͤchtig in die ewige Herrlichkeit zuruͤckkehrt.
Gegen
[407]
Gegen Morgen macht ich die Zeche richtig;
und wir ſchwaͤrmten im Geiſterglanze des Voll-
monds unter Chor und Rundgeſang an der Ty-
ber vorbey, und hernach durch die hehren Ruinen
und Triumphpforten uͤber den Tarpejiſchen Fel-
ſen.
[][]
Appendix A Druckfehler und Verbeſſerungen zum
erſten Theil des Ardinghello.
- Seite 128 Zeile 10 ſteht ſchoͤne fuͤr ſchon
- -- 133 -- 1 -- Verdacht -- Verdacht ging.
- -- — -- 2 -- geb ihm ein -- gab ihm ein.
- -- 138 -- 16 -- betruͤbt -- betaͤubt.
- -- 145 -- 2 -- von Abgruͤnden -- von Abgruͤn-
den zu Abgruͤnden. - -- 170 -- 9 -- erlebte -- erbebte.
- -- 223 -- 13 -- Petrarca -- Im Petrarca ꝛc.
- -- 250 -- 18 -- Plaggen -- Pflanzen ꝛc.
- -- 402 -- 12 ſteht Endlich blieben ein halb
Dutzend Maͤdchen und Demetri
fuͤr Endlich blieben ein halb
Dutzend Maͤdchen, eben ſo viel
Kuͤnſtler und Demetri ꝛc.
[][][][]
beruͤhrten Punkte der Venezianiſchen Ge-
ſchichte
ſie noch nicht wiſſen ſollte, kan leicht anders-
wo davon Nachricht finden.
Ausfaͤllen auf die Roͤmiſchen und Florenti-
niſchen Schulen; in der Folge wird ſich al-
les deutlicher entwickeln. Inzwiſchen liegt
ſchon Wahres hier zum Grunde. Es gieng
dem jungen Mann wie allen, die in zu
ſtren-
heit kommen, verabſcheuen ſie das Joch. Allein
trefliche Naturen bequemen ſich nach und
nach wieder zu dem Guten, was ſie mit
ſich brachte.
ſeln, die der Gott der Waſſerwelt in ſuͤ-
ßen Seen und dem ungeheuren Meer um-
faßt.
ter erbaut haben.
Schoͤnheit allgemeiner und richtiger, und
nicht mehr ſo jugendlich ſinnlich finden.
ſchenden Fluhten.
jedoch der Fall nicht; und wir haben Recht,
einzelne Namen z. B. ſo aͤcht altgriechiſch
dem Laute nach zu uͤbertragen, als wir zu
beſtimmen im Stande ſind. Der Laut η
wird inzwiſchen immer ſchwer mit einem Zei-
chen vollkommen richtig zu beſtimmen ſeyn,
da ihn wahrſcheinlich ſchon die Alten ver-
ſchieden ausſprachen; nehmlich nach dem die
zwey Vokalen waren, die er ausdruͤckte.
Die neuern Griechen machten es nach und
nach damit, wie die Englaͤnder mit ihrem
rr und ra, und ergriffen endlich noch eine
feſtere Parthie. Auch iſt der Uebergang von
rr und ra in i den Sprachorganen leichter
und natuͤrlicher, als es auf dem Papiere
ausſieht.
Den Neugriechen klingt außerdem Hira
oder Hiri; Aphroditi, und ſ. f. ſo zaͤrt-
lich,
Silli und dergleichen. Auf aͤhnliche Weiſe
aͤndern die Sizilianer das Toskaniſche um.
Ueber Wohlklang eines Vokals vor dem an-
dern laͤßt ſich im Allgemeinen nichts ent-
ſcheiden; es koͤmmt auf jedes Wort ſelbſt,
den Gebrauch, und das Ohr des Volks an.
Was uns fremd lautet bey allen andern
Nazionen, lautet ihnen nicht fremd.
che cra voce per la città, che egli aveſſe
commercio carnale ſeco: ſagt eine Floren-
tiniſche Handſchrift aus der damaligen Zeit
hieruͤber.
ſo gemein war, und noch iſt, daß Hand-
werksleute Homeriſche Fabel und Mytho-
logie kennen.
Uomini ſenza fede; hat vermuthlich ſeinen
Urſprung aus Venedig, der natuͤrlichen
Feindin von Genua.
ſchen Edelmanns, Bartolomeo Capello.
Deſſen Pallaſt gegen uͤber hatte das Haus
Salviati zu Florenz eine Bank, und darin
zum Kaſſierer dem Pietro Bonaventu-
ri. Dieſer perliebte ſich in ihre aufbluͤhende
Schoͤn-
und klug und kuͤhn, obgleich unter ihrem
Stand und ohne Vermoͤgen. Sie glaubte,
er ſelbſt habe Antheil an der Bank, und
gab ſeiner Leidenſchaft unter Verſprechung
der Ehe Gehoͤr; ſchlich ſich oft des Nachts
zu ihm, und kehrte vor Anbruch des Morgens
wieder zuruͤck. Einſt da ſie auch die Thuͤr
von ihrem Hauſe angelehnt hatte, kam, wie
damals in Venedig gewoͤhnlich, fruͤh der
Becker an die Fenſter, um den Maͤgden zu
ſagen, daß der Backofen fuͤr den Brod-
teig geheitzt waͤre; und zog die Tuͤhr zu,
in der Meinung, es ſey geſtern Nachts
vernachlaͤßigt worden.
Bianca war mit ihrem Geliebten einge-
ſchlummert, und Beyde hatten ſich verſchla-
fen,
zu wiſſen, wie es zuging, und erſchrack.
Eine alte Vertraute hoͤrte weder auf Pfei-
fen von Bonaventuri noch Rufen.
Sie trug die Frucht der Liebe ſchon un-
ter ihrem Herzen; auf freye Einwilligung
ihrer Eltern durfte ſie nicht hoffen: Bona-
venturi mußte mit ihr ploͤtzlich ſogleich nach
Florenz durchgehen; wo ſie zu Anfang ein
kuͤmmerlich Leben fuͤhrte, und die niedrig-
ſten Arbeiten beym Vater ihres Gatten ver-
richtete; ſie hatten ſich nun vermaͤhlt.
Hier wurde hernach der junge Herzog
gegen ſie entzuͤndet, als er ihre Reize von
ohngefehr auf einem Spazierritt am Fen-
ſter erblickte; und ſein Hofmeiſter Mondra-
gone, ein Spanier, und deſſen Frau mach-
ten die Unterhaͤndler.
Der
venturi zum Gardaroba maggiore, und
ſchenkte ihm einen praͤchtigen Pallaſt in
Via Maggio, wo er mit der Bianca in allem
Ueberfluß lebte.
Als dieſer aber ſich bald zu uͤbermuͤhtig
betrug: ſo ließ ihn der Herzog bey Nacht
auf der Straße ermorden, wo er ſich noch
tapfer wehrte.
Ihr einzig Kind, eine Tochter mit Bo-
naventuri, wurde mit Ulyß Bentivoglio
verheurathet und reich ausgeſtattet.
Keine zwey Monate nach dem Tode der
Johanne von Oeſterreich, ſeiner Gemahlin,
(einige Jahre nach dem gegenwaͤrtigen Lauf
dieſer Geſchichte) vermaͤhlte ſich der Herzog
mit Bianken in Geheim; welches er ein
Jahr darauf allen Hoͤfen bekannt machte.
Nach Venedig ſandt er den Grafen Sforza
von
cken der Stadt, brannten die Kanonen ab,
und erklaͤrten die Bianca fuͤr vera e parti-
colar figliola della Republica, e cio in con-
ſiderazione di quelle preclariſſime e ſingo-
lariſſime qualita, che degniſſima la fanno
di ogni gran fortuna. Das iſt: erklaͤrten
ſie fuͤr eigentliche und beſondre Tochter der
Republick, und dieß in Betrachtung der
glaͤnzenden und außerordentlichen Eigenſchaf-
ten, die ſie vollkommen wuͤrdig jedes Thro-
nes machten.
Sie wurde darauf als Tochter von Sankt
Markus noch einmal oͤffentlich ihm ange-
traut. Aus einer gleichzeitigen Handſchrift.
iſt alles Gelenk der Klugheit.
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- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjqg.0