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Katz' und Maus.


Berlin.:
Verlag von Gebrüder Paetel.
1886.
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Katz' und Maus.
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Katz' und Maus.

[figure]

Berlin.:
Verlag von Gebrüder Paetel.
1886.
[][]

Frau Ignes von Hülſen,
geb. Freyin von Ohlen-Adlerskron,
in
dankbarer und verehrungsvoller Liebe
zugeeignet
von
der Verfaſſerin.

Roſen werden meine Träume,

Lachend Maigrün die Gedanken,

Zwiſchen welchem Phantaſien

Traumhaft, bleich wie Lilien, ſchwanken.
Von den Roſen und den Lilien

Laß mich hier die liebſten bringen,

Sie als nimmerwelke Krone

Duftend um Dein Haupt zu ſchlingen!

Berlin, den 11. October 1885.


[][[1]]

Im Johanniskloſter.

„Nun ſo redet!“ ſprach Abt Wunfried,

Griff bedächtig nach dem Humpen,

Neigte ſich, warf einen ſchnellen

Blick in ſeine Purpurtiefe,

Wo die grellen Lichtreflexe

Funken gleich im Weine tanzten,

Hob ihn an die ſchmalen Lippen

Und that einen knappen Zug. —

Gegenüber an der Tafel,

Vor dem unberührten Becher

Saß, dem dieſe Worte galten,

Finſterblickend, ſtahlgewappnet,

Robert von dem Frankenſteine,

Den man auch nach ſeinen Streichen

Rings den „wilden“ Junker nannte.

Seinen langen, blonden Schnurrbart

Zornig in den Fingern zwirbelnd,

Düſtern Blick zum Abte ſchickend,

Schlug er mit der Rechten dröhnend

Auf die eich'ne Tafelplatte

Und rief haſtig: „Ja, beim ſchwarzen
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus. 1[2]
Höllenfürſt und allen Teufeln,

Reden will ich, Abt Wunfriedus,

Und Ihr ſollt der Rede ſtaunen!

Haben ſich die Läſterzungen

Hier im Kloſter Sanct Johannis,

Mich verketzernd, eingeniſtet,

Daß Ihr mich wie einen Schandbub',

Beichte heiſchend, vor Euch ladet?“

Hob das ernſte, bleiche Antlitz

Abt Wunfriedus und ſprach ruhig:

„Fein bedächtig, Junker Robert!

Wißt, daß ich Euch hergerufen

Unterm Scheine alter Freundſchaft,

Einer Zwieſprach hier zu pflegen,

Nicht um Euer Thun zu richten;

Ihr hingegen führet Reden,

Die ein friedliches Berathen

Schier unmöglich machen. — Demuth

Heiſch' ich hier als Euer Prieſter,

Offenheit als Freund und Oheim.

Iſt's Geheimniß denn geblieben,

Was in Kreuzburg vorgefallen?

Soll allein in Sanct Johannis

Niemand ahnen, was im Lande

Weit ſchon über Thüring's Grenzen

Kecklich alle Spatzen pfeifen?

Und wie wißt Ihr, ob ich's glaube;

Ob ich nicht in ſchweren Sorgen

Aengſtlich forſchte, ob dies Schreckniß

Nicht geſchah de gravi causa?

Seid Ihr ſchuldig, Junker Robert,
[3]
— Sanct Johannes mög's verhüten —

Wer vermöchte eh'r denn Wunfried

Eure Seel' zu abſolviren?

Drum erzählt mir ohne Zaudern

Und genau, daß jeglich Wörtlein

Auf das Kreuz Ihr könnt beſchwören,

Wie Ihr Streit bekamt zu Kreuzburg!“

Heftig an der Lippe nagend,

Starrt der Junker auf den Boden,

Wo auf weiß gefegten Dielen

Sich die langen Schatten malten;

Dann erhob er jach das Antlitz,

Dieſes freie, finſter kühne,

Wetterbraune Männerantlitz,

Und ſo hob er an zu ſprechen:

„Hab' geſündigt, Abt Wunfriedus,

Doch ſo ſchwer nicht, als Ihr meinet;

Wißt ja, heißes, ungeſtümes,

Trotz'ges Blut der Frankenſteiner

Schäumet hinter meinen Schläfen,

Und ſo kommt es — weiß der Satan! —

Gar zu leicht, daß mir die Adern

Zornhoch auf der Stirne ſchwellen.

Bös gemeint iſt's niemals, Wunfried,

Iſt nur ſo, wie's unſer Herrgott

Auch dem jungen Moſt beſchieden,

Der erſt gährt und ſchäumt und dränget,

Eh' er ſich, zu Gold geläutert,

In den beſten Wein verwandelt!

Wißt, ich habe keine Mutter,

Keine Schweſter, keine Baſe,
1*[4]
Bin als wie ein herrnlos Füllen,

Zwiſchen Männern aufgewachſen

Und entbehrte jeden Zuſpruchs.

Alſo ward ich, was ich bin nun,

Frei empor geſchoſſen Stämmlein,

Deſſen wilde Sauerſproſſen

Keine zarte Hand gereutet,

Guter Art, doch arg verwahrloſt,

Seine Kräfte fälſchlich nutzend

Und nach allen Seiten kecke

In die luſt'ge Freiheit ſtrebend!

Alſo höret. — War mit Hermann,

Herrn von Treffurt und zu Beilſtein,1)

Wohl befreundet und verbrüdert,

Wenn mich gleich ſein tückiſch Weſen,

Seine falſche Schleichermiene

Oft auf's grimmigſte verdroſſen.

Dennoch war ich ſtets in Frieden

Mit ihm Handels einig worden,

Seine Nähe meiſtens meidend,

Wie man eklen Spinnen ausweicht.

Nun geſchah es, daß Herr Hermann

Plötzlich ein Gelüſt verſpüret,

Sein Ererbtes zu vergrößern

Und die Grenzen ſeines Lehnes

Längs der Werra zu erweitern.

Schon ſeit grauen Jahren ſitzen

Die von Frankenſtein zu Salzung,

Bis ich jüngſt mir zum Ergötzen,

Hier am Petersberg bei Wartburg,

Meinen Mittelſtein erbaute.2)
[5]
Solches nutzte der von Treffurt,

Und er hob an, mich zu kirren,

Ihm die wenig Hufen Landes,

So am Werra-Ufer laufen

Und auf Salzungen verbrieft ſind,

Frankenſteiniſches Ganerbe,

Einzutauſchen oder gegen

Baare Münze zu verkaufen.

Ich ſann hin und her und dachte,

Daß der Landſtrich zu entbehren,

Wenngleich er zum beſten Acker

Zählte, den ich je beſeſſen;

That's dem Treffurt auch zu Liebe,

Denn ich wollt' ihn nicht zum Feinde;

Doch verkaufen gegen Baares

Wollt' ich ungern. — Nun hat Hermann

Dicht gelegen meinen Forſten

Einen Flecken, heißet: „„Haynich““;3)

Dahinein verlor manch' Wild ſich,

Wenn ich's in den Bergen hetzte,

Und verleidet' mir das Jagen.

Darum ſprach ich: „„Tauſch' die Hufen

Gegen jenen Flecken Haynich,

Laß ſie ſchätzen und vergleich' es

Dann gerecht mit meinem Acker!““

Ihm gefiel's, und alſo wurden

Schnell wir unſres Handels einig,

Setzten feſt auch Tag und Stunde,

Wo wir uns in Kreuzburg treffen

Wollten, Alles zu verbriefen. —

War auch zur beſtimmten Stunde
[6]
Hermann Treffurt und ſein Bruder,

Jener rothe Fuchs von Beilſtein

Mit dem Hinkefuß, Herr Henno,

Und ſein Beiſtand, Hinz von Naetter,

In Stadt Kreuzburg eingeritten.

Faſt zu gleicher Zeit mit ihnen

Traf auch ich ein. Mir zur Seite

Ritt mein wackrer Trautgeſelle,

Treuſch von Buttlar, der zu Schweinsberg

Bei dem alten Guntram Schencke

Mit mir Knappendienſte übte,

Und der jetzt mit ſeiner Hausfrau,

Vom Geſchlechte der von Malsburg,

Auf dem Brandenfelſen ſitzet.

Wie wir uns bei heitrem Mahle

Nun verſammeln, und Herr Henno

Hundert Sprüchlein, oder mehr noch,

Hercitirt, den Krug zu leeren,

Wie er ließ die Gäſte leben,

Jeden Einzelnen mit Namen,

Fürſt und Landsherr, unſre Veſten

Die hochwürd'ge Cleriſeia

Und zum Scherz Frau Aventiure

Und die holde Kön'gin Minne,

Kurz — wie er ſtets Vorwand ſuchte,

Weinesgluth aus unſerm Becher

In die Köpfe zu verpflanzen, —

Ja, da darf's nicht Wunder nehmen,

Daß wir, höchlichſt aufgeheitert,

Endlich von der Tafel ſchieden,

Um den Tauſchcontract zu ſchließen,
[7]
Den ein Schreiberlein, Claus Pfeiffer,

Während deſſen aufgeſetzet.

Henno nimmt das Schreiben jetzo

Und beginnt vor allen Zeugen

Laut den Inhalt zu verleſen;

War juſt ſo, wie wir's beſtimmten:

Meine Hufen für den Haynich.

Buttlar hört's gleich mir und nicket,

Hermann nickt und ſagt: „„Herzbruder,

Biſt Du dieſen Brief zufrieden?““

Und ich antwort': „„So mir Gott helf',

Ja, ich bin es, Hermann Treffurt!““

Und... nun ſoll ich's durchſeh'n, ſiegeln!“

Jetzo unterbrach ſich Robert,

Und mit wild gefurchter Stirne,

Seinen Seſſel rückwärts ſtoßend,

Sprang er auf, um haſt'gen Schrittes

An Abt Wunfried auf und nieder

Im Sanctuarium zu ſchreiten.

„Wißt, Abt Wunfried!“ grollt er heftig

Und ballt vor ihm beide Hände:

„Hab' gelernt, was Rittertugend,

Höfiſche Hantierung fordert,

Weiß mein feurig Roß zu tummeln

Bei Turnier ſowohl wie Fehde,

Daß der Name Frankenſteiner

Juſt ſo hell ſtrahlt wie die Krone4)

Seiner Schildzier, daß man ſeinen

Muth vergleichet mit dem Leuen,

Der in ſeinem Wappen gleißet!

Hab' gelernt, in Hof und Palas
[8]
Mich als Ritter zu geberden,

Aber kaufmänniſche Tugend,

Als da Leſen iſt und Schreiben,

Oheim Wunfried, lernt ich nicht!

Hab' mich ſtets darauf verlaſſen

Und geglaubt: „„Wozu denn Klöſter?

Und ſo viele fromme Brüder?

Hochgelahrte Herrn Magiſter,

Wenn der Ritter noch im Schreibſaft

Seine Freiheit ſoll erſäufen?““ —

Aber eingeſtehen wollt' ich

Das doch nimmermehr dem Beilſtein,

Hätte doch ſein ſpöttiſch Lächeln

Meine Galle ſchäumen laſſen;

So fuhr ich denn an Herrn Henno,

Ob mein Wort allein nicht gültig,

Dieſes Brieflein zu bethät'gen?

Und mit liſtig ſchlauer Miene

Gab der Hinkfuß mir zur Antwort:

„„Iſt ja nur der Ordnung wegen,

Und nun einmal Brauch und Sitte!

Uns, Herzbrüderlein, genügt wohl

Frankenſteiners Wort und Handſchlag,

Aber was da nach uns kommt,

Kind und Kindeskinder, Robert,

Die verlangen es beſiegelt,

Schon um Händeln vorzubeugen.““

Solches fand ich recht und billig,

Faßte ruhig nach dem Wachſe,

Drückt' auf's Pergament mein Siegel

Und gab's weiter an den Buttlar.
[9]
Dem geht's juſt wie mir. — Er ſetzte

Auf gut Glück ſein Zeichen drunter,

Treffurt, Naetter, — und nur Hinkfuß

Konnt' allein den Namen ſchreiben.

Drauf in weinesluſt'ger Stimmung

Ging's zurücke an die Tafel,

Unſern Tauſch mit manchem Becher

Edlen Feuerweins zu taufen.

Endlich ſchlug die Trennungsſtunde.

„„Bruder““, ſprach ich zu Herrn Hermann,

„„Laß uns Alles heute enden,

Gieb mir, wie es mir nun zuſteht,

Für den Handel meinen Kaufpreis.““

Lachte wild und laut der Treffurt:

„„Biſt Du rein des Teufels, Freundchen?

Haſt Du denn den Brief vergeſſen,

Den Du eben unterzeichnet?!““ —

Wieder machte Junker Robert

Hier, faſt keuchend, eine Pauſe,

Preßte die geballte Rechte

Auf die Bruſt und ſah zum Abte,

Der in regungsloſem Lauſchen

In die Hand die Wange ſtützte,

Wutherfüllten Blickes nieder.

„Laßt mich kurz ſein, Abt Wunfriedus,

Ahnt wohl ſchon, was mich betroffen?

Fluch der ehrlos falſchen Sippe,

Die, der Ritterſchaft zur Schande,

Solche Büberei verübte!

Den Contract, den man verleſen,

Hatte ich nicht unterſiegelt,
[10]
Nein, beim Teufel! einen andern,

Den ſie liſtig unterſchoben,

Der mir für die fetten Hufen

Jenes dürre, unfruchtbare,

Abgebrannte Dörflein Borsla,

Weit entlegen meinen Grenzen,

Statt des Haynichforſts verſchrieben!

Als Herr Hermann mir dies Schriftſtück

Höhniſch lachend vorgetragen

Und behauptet, ich ſei trunken

Wohl geweſen, da's gebrieft ward,

Jetzo ſei's nicht mehr zu ändern ....

Da erfaßte namenloſe,

Ungeheuer hitz'ge Wuth mich.

„„Bube!““ rief ich, und ich packte

Wie ein Wehrwolf ſeine Gurgel:

„„Reißt Du nicht den Lügenfetzen,

Dieſes Gott verfluchte Schriftſtück,

Hier vor mir und meinen Augen

Und ſofort in tauſend Stücken,

Würg' ich Dich, beim Satan, Schurke,

Wie 'nen Hund mit eignen Fäuſten!““ —

— „„Henno! — Naetter!““ — keuchte Jener

Nur ſtatt Antwort, und ich ſehe,

Wie die niederträcht'gen Burſchen

Blank ziehn und zu Hülfe eilen.

„„Waffâ! ... Waffâ!““ ſchrie Treuſch Buttlar,

Sprang dazwiſchen und warf jählings

Einen ſchweren Eichenſeſſel

Dem von Naetter in die Füße,

Daß er ſtrauchelnd rückwärts ſtürzte.
[11]
„„Waffâ! — Waffâ!““ wiederholt' ich,

Meiner Sinne nicht mehr mächtig,

Ließ den Treffurt fahren, ſuchte

Nach dem Schwert an meiner Seite ...

Ha! — und griff den leeren Riemen!

Gleicher Zeit ſah ich den Hinkfuß

Seine Waffe in des Bruders

Unbewehrte Rechte drücken,

Und mit wildem Rachefluche

Stürzt' ſich nun der eh' Gewürgte

Wider mich mit blanker Klinge.

Ich ſuch' Deckung an der Tafel,

Faſſe — mir iſt's jetzt als träumt' ich —

— Während meine Pulſe raſen —

Einen jener ſchwer gewicht'gen

Humpen, ſteinern, weingefüllet,

Schleudre ihn mit ſtarkem Arme

Meinem Angreifer entgegen.

— — Gut getroffen hatt' ich, Wunfried,

Beſſer als ich wollt' und wünſchte,

Denn mit klaffend blut'gem Schädel,

Ueberſtrömt von Wein und Scherben,

Lag der Treffurt auf den Dielen,

Röchelnd, ... und ein Mann des Todes. —

„„Fort von hier! — Bei Deinem Leben!““

Hört' ich Buttlar's Stimme flüſtern,

Und er faßt' mich, reißt mich mit ſich —

„„Auf die Roſſe! — Fort, Freund Robert!““
In den Seſſel war zurücke

Der Erzähler hier geſunken,
[12]
Stützte ſchwer das Haupt und ſtarrte

Schweigend auf die Tafelplatte,

Dann hob er das ſtolze Antlitz

Und ſprach ruhig: „Iſt zu Ende

Meine Beichte, Abt Wunfriedus,

Nun in Gottes Namen — richtet!“

— Lang' noch ſchwieg der Abt. Er wiegte

Auf den Schultern, ernſt erwägend,

Sein ergrautes Haupt und nickte

Vor ſich hin, als wollt' er ſagen:

„Ja, ſo iſt es! Wer kann's ändern

Oder ungeſchehen machen!“

Und aus ſeinem Auge huſchte

Jäh ein Blick nach Junker Robert,

Juſt ſo ſcharf, als wollt' er dringen

In des Ritters tiefſte Seele,

Juſt ſo prüfend, als erwäg' er,

Wie auf dieſen Mann zu bau'n ſei.

Und ſo hob er an zu ſprechen:

„Alſo hat der Herr befohlen

Unſer Gott: „„Du ſollſt nicht tödten!““

Und ſein Himmelreich verſchloſſen

Allen, ſo dawider handeln!

Schwer habt Ihr geſündigt, Junker,

Und den Blutfleck Hermann Treffurt's

Waſcht Ihr nicht von Eurer Seele,

Ob Ihr auch die That bereuet,

Keine Reu' erweckt die Todten!“ —

— Brach ein jäher Blitz aus Robert's

Nachdenklich geſenkten Augen:

„Hab' ich etwa hinterliſtig
[13]
Oder gar mit Ueberlegung,

Wie ein Schandbub', ihn erſchlagen?

Hat er mich nicht wild gereizet,

Mich betrogen! — ſeine Waffe

Drohend gegen mich gezücket?!

War das Blut in meinen Adern

Etwa kühl wie ſonſt am Tage?

Hat der Wein nicht meine Sinne

So erhitzt, daß jeglich Denken,

Ueberlegen mir geſtört war?

Und — zum Teufel — war nicht Alles,

Was ich that, nur eitel Nothwehr?

Wenn ich mir mein Leben wahre

Und den Feind zu Boden ſtrecke,

Bin ich dann ein Mörder, Wunfried?“

„Vor dem weltlichen Gerichte

Nicht! — denn dieſe Gründe, Junker,

Dienen wohl, Euch zu entſchuld'gen,

Aber doch nicht zu entlaſten.

Und Gerechtigkeit auf Erden,

Die ein Menſchengeiſt erklügelt,

Kränkelt auch an Menſchenſchwäche

Und ſieht nur mit ird'ſchem Auge

Und mißt nur mit eignem Maaße,

Das ſie dehnt ganz nach Behagen

Und verkürzt in eitel Willkür!

Ich hingegen, als der Kirche

Diener und als Gottes Stimme,

Sehe rechts und links nicht, ſehe

Einzig Eure nackte Sünde,

Kahl und unbemäntelt, ſehe
[14]
Hermann Treffurt's Blut und ſpreche:

„„Der's vergoſſen — der iſt ſchuldig.““ —

„So verdammt Ihr mich?“ — — Von ſeinem

Stuhl erhob ſich langſam Wunfried,

Trat zum Junker dicht und legte

Seine kühle, bleiche Rechte

Auf das trotzig junge Haupt;

„Robert!“ — ſprach er und ſah lange,

Lange in des Jünglings Auge:

„Nein, ich kann Dich nicht verdammen,

Aber Dich erlöſen kann ich,

Und ich will's auch, ſo mir Gott helf!“ —

„Nennt mir meine Buße, Oheim,

Reinigt mich, Herr Abt Wunfriedus!“

Und der wilde Frankenſteiner

Beugte demuthsvoll die Kniee,

Und ſein übermüthig Antlitz

War zum erſten Mal im Leben

Bleich und ernſt, und feucht ſein Auge.

Von der Erde hob ihn Wunfried,

Winkte ſchweigend nach dem Seſſel,

Setzte nieder ſich und ſtrich ſich

Mehrmals über ſeine Stirne,

Juſt als wollt' er noch zum letzten

Mal ſich's reiflich überlegen.

Sinnend ſchaute auf ihn Robert.

War ein Mann in reifern Jahren,

Dieſer Abt von Sanct Johannis,

Hochgewachſen, ſchlank und ſchmeidig,

Und noch völlig ungebeuget,

Wenn auch grau das dichte Haar ſich
[15]
Unter ſammtnem Käpplein lockte.

Scharfgeſchnitten ſeine Züge,

Kühn gebogne Adlernaſe,

Drüber groß und klug und forſchend

Seine grauen Augen wachten.

Schmal und feſt geſchloſſen legten

Sich die Lippen auf die Zähne,

Und ſie gaben leicht dem Antlitz

Einen Zug entſchloſſner Härte,

Einen grauſam ſtarren Hochmuth,

Der wohl eh'r für einen Kriegsmann,

Denn für einen Prieſter taugte.

Endlich legte ſich entſchloſſen

Wunfried's Rechte auf die Tafel,

Und faſt haſtig ſprach er alſo:

„Wohl! will Euch die Buße künden,

Junker Robert, und ich glaube,

Werdet niemals Euch im Leben

So erſtaunen mehr, denn jetzo!

Wunderliche Buße iſt es,

Und drum, eh' ich ſie verkünde,

Gebt den Handſchlag mir als Ritter,

Daß jedwedes meiner Worte

Soll in Eurer Bruſt verſargt ſein,

Bei den Wunden Jeſu Chriſti!“ —

Ueberraſcht ſchlug ein der Junker,

Und er murmelte betreten:

„Habt mein Ehrenwort drauf, Wunfried!“

Und zurück in ſeinen Seſſel

Lehnt' ſich Wunfried und erzählte:

„Zum Verſtändniß meiner Ford'rung
[16]
Laßt mich kurz Euch erſt verkünden,

Wie's zur Zeit da draußen ausſieht

In dem Reich der Welt und Kirche,

Denn ich glaube, Junker Robert,

Bei Euch auf dem Mittelſteine

Treibt man nicht viel Politik.“

— „Nein, beim Ew'gen!“ lachte Jener,

Und Abt Wunfried dreht am Finger

Spielend einen güld'nen Reifen

Und fuhr fort: „Im Jahr zwölfhundert

Wählt' ein Theil des Dom-Capitels

Zu Stadt Mainz den Freiherrn Sigfrid,5)

Herrn zu Eppſtein, zum Erzbiſchof,

Während deſſ' der Kaiſer Philipp,

Ihm zuwider, Leopolden,

Biſchof zu Stadt Worms, erwählte.

Sigfrid eilt voll Haß zum Papſte,

Ward in Gnaden auch empfangen

Und ernannt zum Cardinale

In der Ordnung Sanct Sabinen

Auf dem Monte Aventino.

Blieb daſelbſt, bis Kaiſer Philipp

Von dem Wittelsbach, dem Pfalzgraf,

Meuchlings umgebracht ward, und man

Sagt es, daß der Sigfrid Eppſtein

Auch darum gewußt ſoll haben;

War damals ein bös Gerüchte.

Soviel aber iſt ganz ſicher,

Daß Herr Sigfrid ſchleunigſt reiſte

Hin nach Mainz, und vom Capitel

Ward er nach Gebühr empfangen,
[17]
Und erwählt zum Erzbiſchofe.

Darin ſah der Kaiſer Otto

Nun gar gröbliche Beſchimpfung,

Sandte Schreiben zu dem Papſte

Und erfuhr, daß Sigfrid Eppſtein

Sich ſo ſicher eingeniſtet,

Daß ſich Rom für ihn erklärte

Und ſtatt ſeiner Kaiſer Otto

Schmählich mit dem Bann belegte.

Ja ſoweit ging man im Haſſe,

Daß der Eppſtein ſelbſt betraut ward,

An die Churfürſten zu ſchreiben,

Einen neuen Herrn zu wählen!

Wilder Zorn erfaßte Otto,

Er verſtieß den Eppenſteiner

Und bedrängt' ihn ſo gewaltig,

Daß der Erzbiſchof mußt' flüchten

Und allhier bei Landgraf Hermann,

Seinem Freunde, Zuflucht heiſchte.

Später erſt, als König Friedrich,

Herr zu Böhmen, ward erwählet

Zu des Reiches deutſchem König,

Kehrte er nach Mainz zurücke

In ſein Amt und ſeine Würden.

Doch beliebt an Friedrichs Hofe

Iſt der Biſchof nie geworden,

Denn man konnt's ihm nicht vergeſſen,

Daß er mit dem Wittelsbacher

Einverſtanden einſt geweſen,

Und man ſah gewaltig ſauer

Dazu drein, als nach dem Tode
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus. 2[18]
Dieſes Sigfrids dann ſein Vetter6)

Ward zum Erzbiſchof erwählet.

Jetzo iſt nun dieſer Herre,

Ein gar wackrer Gottesſtreiter,

Der zu Marburg die Gebeine

Sanct Eliſabeths gehütet

Und mit Conradus von Heſſen

Weiland ſchwere Kriege führte,

Plötzlich auch zu Tode kommen,

Nicht beklagt von König Conrad,

Der es niemals ihm vergeſſen,

Daß er ſeinen heft'gen Gegner,

Heinrich, Fürſt zu Heſſen, anſtatt

Seiner, einſt zum König wählte.

Und auf dieſen Haß, Freund Robert,

Gründet ſich nun Eure Buße. —

Nach all' dem, was ich erzählet,

Werdet Ihr es wohl begreifen,

Daß die Kön'ge für die Eppſteins

Nicht grad große Vorlieb haben,

Sonderlich der König Conrad!

Nun bedenkt das Unerhörte,

Daß man wieder einen Gerhard7)

Eppſtein, Waldgraf aus dem Rheingau,

Wählt in Mainz zum Erzbiſchofe.“

Abt Wunfriedus drehte längſt ſchon

Nicht den Reif mehr an dem Finger,

Die geballte Rechte klopfte

Zornesmuthig auf die Tafel,

Und die Stimme war erhoben,

Scholl im dem gewölbten Raume
[19]
Mächtig wie Trompetenſchmettern,

Das zu Schlacht und Angriff ruft!

„Und nun wiſſet auch, Herr Robert,

Was er iſt, der Auserwählte,

Der auf einem Biſchofſtuhle

Mächtig Regiment ſoll führen!

Iſt ein ſimples, ſchlichtes Mönchlein,

Sitzt zu Erfurt in der Klauſe,

Und bei Gott, hieß er nicht Eppſtein,

Würd' kein Hahn ſelbſt nach ihm krähen!

Giebt es denn nicht in den Klöſtern

Würd'ge Männer noch genugſam?

Iſt nicht das Johanniskloſter

Eins der ältſten ſeines Ordens?

Hab' ich nicht mein Amt verwaltet,

Gut gemehrt und Würd' gehoben,

Wie kein andrer Abt je vor mir?

Bin ich nicht von altem Stamme,

Aus dem ritterlichen Blute

Der von Frankenſtein entſproſſen,

Deren Stammbaum man zurückführt

Bis auf Königliche Wurzel?

Ja, beim Blute Chriſti, Robert,

'S iſt ein Schimpf, den man mir anthut,

Mir, und auch dem König Conrad,

Dem zum Trotz man dieſes Mönchlein,

Nur weil es ein Eppenſteiner,

Alſo willkürlich bevorzugt!“

— Wieder machte Abt Wunfriedus

Athemſchöpfend eine Pauſe,

Und es nagten ſeine Zähne
2*[20]
Zornig an der Unterlippe.

Robert aber blickte rathlos

In des Prieſters finſtre Züge,

Schüttelte das Haupt und fragte:

„Was hat Alles dies für Einfluß

Auf die Buß', die meiner harret?

Wäre ich der Papſt höchſt ſelber,

Ja, dann ſollte wohl mein Machtſpruch

Euch zum Mainzer Stuhl verhelfen,

So jedoch, als ſimpler Ritter,

Iſt's mir unklar, wie die Lage

Dieſer Dinge ich ſoll ändern!“

Lächelte der Abt und ſagte:

„Höre an, welch' einen Auftrag

Ich — zugleich in Königs Namen —

Dir und Deinem Muthe gebe!

Wird in wenig Tagen Gerhard,

Erzbiſchof und Graf zu Eppſtein,

Ueber'n Rennſtieg her von Erfurt

Graden Wegs zum Mainzer Stuhl ziehn.

Das nun ſicher zu vereiteln,

Junker Robert, iſt die Buße,

Die ich Deiner Schuld dictire.

Doch zum Schluße noch ein Zweites:

Kurze Wegſtund durch die Berge

Liegt das Dörflein Etterwinden,

Wo allſelbſt nach langem Leiden

Frau von Wangenheim, Margreta,

Wittib längſt und ohne Kinder,

Ihren Pilgerlauf beſchloſſen.

Statt nun dem Johanniskloſter,
[21]
Wie es billig und gerechtſam,

Lehn und Pfründe zu verſchreiben,

Hat der ſchlaue Abt zu Fulda,

Namens Bertholdus der Zweite,8)

Herr zu Leupolz, der ihr Vetter,

So fein klüglich ſie beredet,

Daß ſie uns, — von Rechteswegen

Ihre Erben! — hintergangen

Und das Lehn vergab an Fulda.

Nun ſoll einer mit dem Brieflein,

Drin ſie alles dies beſiegelt,

Hin nach Fulda und Bertholdus

In des Erbes Rechte ſetzen.

Dieſes pergamentne Streiflein

Reißt von dem Johanniskloſter

Ein beträchtlich Stücklein Seele,

Koſtet uns manch fetten Hufen.

Wehe uns, wenn wir es litten,

Daß ein Jeder dürfte ſchmälern

An den Grenzen Sanct Johannis!

Drum — das Brieflein zu vernichten,

Junker Robert, — Deine Buße!

Und den Plan, den ich geſchmiedet,

Höre nun in kurzen Worten.“

— Näher rückte Abt Wunfriedus

Seinen Seſſel; leiſer wurde,

Ernſt und heimlich ſeine Sprache,

Und wie ſeine Augen blitzten,

Wie das Blut der Frankenſteiner

Heißer in den Adern rollte,

Wie der rothe Wein im Kruge
[22]
Immer weniger ward und weniger,

Und die Sanduhr auf dem Simſe

Raſtlos ihre Körnlein ſtreute.

Sprang empor der Junker Robert,

Stiehs das Schwert auf, daß es klirrte,

Und rief jauchzend: „Tauſend Teufel

Haben dieſen Plan erſonnen,

Und ich führ' ihn aus, Herr Oheim,

Juſt ſo wahr als dieſen Krug ich

Auf das Wohl des Kloſters leere!“

Und er hob den ſchweren Humpen,

Setzt' ihn an und leert' ihn redlich,

So daß keine rothe Perle

Seinen Nagel netzte, als er

Uebermüthig gab die Probe.

Ernſter ward des Mönches Antlitz,

Und in feierlichem Tone

Fragt er: „Schwörſt Du's bei dem Kreuze,

Daß der Plan mit allen Folgen,

Sollte ja man uns entdecken,

Nur auf Dich und Deinen Namen,

Einzig auf Dein Haupt dann falle?

In des Königs Namen, Robert,

Sich're ich Dir Schutz und Hülfe,

Dich, den Ritter, kann er decken,

Aber mich und dieſes Kloſter

Schirmt kein königlicher Machtſpruch,

Und drum muß ich Sanct Johannis

Hier vor Allem ſicher ſtellen.

Biſt Du Willens, Frankenſteiner,

Sollſt Du vollen Ablaß haben
[23]
Für jedwede Schuld und Fehle,

Und drum ſag' ich Dir: Beſchwör' es!“

— Aus den heitern Zügen Roberts

Schwand das Lächeln. Ernſthaft legte

Er die Hand aufs Kreuzeszeichen,

Und mit feierlicher Würde

Sprach er langſam: „Ja, ich ſchwöre!“ —

Die Holzenburg.

Mit Sternen beſäet und wolkenlos ſpannt

Der Himmel ſich über das thüringer Land,

Und über die Berge, den ſchlummernden Hain

Hinjagen die ſilbernen Nebelfei'n,

Von luftigen Roſſen, da wogen ſo fahl

Und wehen die Schleier geſpenſtiſch zum Thal,

Und Perlen träufen wie blitzender Thau

Aus flatternden Mähnen hernieder zur Au.

Es baden die Nymphen im Bächlein ſo klar

Und ſtrählen im Winde ihr lockiges Haar,

Und lautlos zieht in der nächtlichen Stund

Die weiße Hinde durch blumigen Grund

Und äſet ſo heimlich und blicket ſo hold

Und trägt auf dem Haupte ein Krönlein von Gold;

Das klinget und ſinget im Hörſelberg.

Im Drachenſteine hauſet der Zwerg,

Der huſcht jetzt hernieder zum ſchilfigen Moor,
[24]
Zuweilen leuchtet Spitzflämmchen hervor,

Das wilde, das tanzende, tückiſche Licht;

Wer kennt das Laternchen des Heinzelmanns nicht?

An der Hochwalds Grotte aus kluft'gem Geſtein

Aufſprießt eine Blüthe wie Lilie ſo rein,

Die Wunderblume, die Zaubrin im Thal,

Sie ſchwanket, ſie wiegt ſich im Mondesſtrahl,

Sie flammt wie ein Sternlein in bläulichem Licht;

Heil, Wandersmann, Dir, deſſen Finger ſie bricht!

Grau ragen die Burgen im Düſter empor,

Gehoben die Brücke, geſchloſſen das Thor.

Ein einſames Horn von der Wartburg noch ſchallt

Als letzter Gruß zu dem nächtlichen Wald,

Dann Stille rings um, von dem Himmelszelt

Blickt Vollmond ſchweigend herab auf die Welt. —

Was dröhnet da plötzlich durch ſchlummernden Hag

Und wuchtet hernieder wie Hammerſchlag?

Was klopfet und hämmert, und raſſelt und ſchallt,

Und ſäget und ſplittert die Stämme im Wald?

Was ſchnaufet und keuchet, und haſtet und rennt,

Was pochet und raspelt und klettert behend?

Was klinget und tönet und ſtampfet und ſchwirrt,

Was wälzet die Steine, und meißelt und klirrt?

Auf dem Breitengeſcheide, der felſigen Wand,

Was ſteiget ſo zauberhaft ſchnell aus dem Sand?

Iſt's Blendwerk der Hölle, iſt's Zauberei?

Vermummte Geſtalten, ſie eilen herbei,

Sie fällen die Stämme, ſie lockern den Grund,

Sie bauen ein Schlößlein zur Geiſterſtund!

Geheimnißvoll auf des Berges Kamm

Aufthürmen ſie Steine und Stamm auf Stamm;
[25]
Da wächſt es empor, da dehnt es ſich aus,

Ein trutziglich hölzern gezimmertes Haus.

O nennt mir den Zaubrer, der Baumeiſter war! —

In dunkelen Kutten iſt's ſeltſame Schaar,

Durch Dornen und Hecken auf heimlichem Pfad,

Vom Kloſter Johannis her ſind ſie genaht,

An ihrer Spitze, auf ſchäumendem Roß

Ein Rittersmann befehligt den Troß,

Viſir geſchloſſen, die hohe Geſtalt

In eiſerner Rüſtung, vom Mantel umwallt.

Sie ſchaufeln den Graben, ſie pflöcken das Thor,

Sie thürmen die niedere Brüſtung davor.

Die Wände der Veſte ſind ſchmucklos und roh

Aus Brettern gefüget, das Dach iſt von Stroh,

Doch alſo geſchickt iſt das Burglein gebaut,

Daß es gar ſtattlich zum Thale hinſchaut,

Da ſcheinet die Baute wohl doppelt ſo breit,

Als wie man ſie ſchaut von der Bergesſeit',

Und zwiefach ſo hoch an dem Abgrund ſie ſchwebt,

Als wie ſie im Rücken vom Boden ſich hebt!

So täuſcht ſie das Auge dem fahrenden Mann,

Blickt er vom Thalgrund zum Schlößlein hinan;

Da iſt eine Halle, vier Wände, das Dach,

Ein ſchmucklos, ungedieltes Gemach,

Durch Luken kommt ihm das Tageslicht ein,

Bläſt ungehindert der Wind herein,

Holztiſche und Schemel, und rings an der Wand

Viel Fäſſer und Kiſten, des Schlößleins Proviant.

Daneben anreiht ſich ein Zimmerlein,

Gedehnet und ſchmal, und wenn auch recht klein,

So dennoch behaglich und beſſerer Art.
[26]
An Hausgeräthen ſcheint hier nichts geſpart:

Ein eichener Tiſch, und um ihn gereiht

Gedrechſelte Stühle, hochlehnig und breit,

Und kiſſenbeleget, ſogar in der Mitt

Ein Ritterſeſſel, nach edler Sitt,

Davor ſoeben noch legt ein Geſell

Ein büffelgehörntes, ſchwarzzottiges Fell,

Dieweilen ein Anderer fürſorglich ſpannt

Ein Teppichgeweb vor die hölzerne Wand.

Roth flammt es im Oſten am Himmel empor,

Doch raſtlos noch ſchaffet der ſeltſame Chor,

Bis endlich der Ritter dem Waidgeſell winkt,

Bis kurzer, dreimaliger Hornſtoß erklingt,

Bis es wie wimmelnder Ameiſenſchwall

Von allen Seiten hernahet dem Schall,

Sich ſtauend um des Geharniſchten Roß,

Ein kuttenumwalleter, mönchiſcher Troß.

Da rufet er: „Wollt meinen Dank nun empfahn,

Mit Euerer Hülfe das Werk iſt gethan,

Was jetzo noch fehlet dem luſtigen Haus,

Das führen die Mannen und Knechte mir aus,

Drum ziehet zurück nun, die Sonne erwacht,

Und ſchirmt im Gebete das Werk dieſer Nacht!“

Ein: „Deus vobiscum“ rings flüſterts im Kreis,

Das Zeichen des Kreuzes, — und heimlich und leis

Enteilt es von dannen, und huſchet und flieht

Auf lautloſen Sohlen durch Hecke und Ried

Zum Grunde hernieder, von Felſen umringt,

Draus mahnend vom Kloſter das Glöcklein erklingt,

Dort öffnet das Thor ſich, dort ziehen ſie ein;

Wer könnte ſie nächtlicher Wandrung noch zeihn? —
[27]
Hinſauſet der Wind durch das Thüringerland

Und tilget die Fußſpur, die friſche, im Sand,

Und fern, wo des Rhönlandes dämmernde Firn

Aufrichtet zum Himmel die zackige Stirn,

Da fliehet auf bleichem, wild haſtendem Roß

Der Nebelfeien geſpenſtiger Troß,

Denn Sonnenſtrahl, jener keckliche Fant,

Im güldenen Panzer, den Speer in der Hand,

Der hat ſie im ſchlummernden Thale entdeckt,

Mit ſtürmiſchem Glühen die Scheuen erſchreckt,

Verfolgt ſie, und hat wohl in zorniger Haſt

Die weiten, langwallenden Schleier erfaßt

Und reißt ſie herab in der Hufe Geſtampf;

Nach wallen ſie über den Wieſen wie Dampf.

Auch längſt iſt zum dunkelen Forſte entflohn

Die zaubriſche Hinde mit goldener Kron’,

Die Zwerge blieſen Spitzflämmchen wohl aus

Und ſchlüpften zurück in ihr ſchachtiges Haus,

Im Hörſelberge ward's ſtill, und die Wand,

An welcher die Blume, die leuchtende, ſtand,

Die glüht jetzt und gleißet im Sonnenſchein

wie köſtlich geaderter Marmelſtein,

Doch über dem Mooſe, gleich bläulichem Duft,

Ein Falter ſich wieget in ſchimmernder Luft.

In Purpur getauchet, in ſonnigem Brand,

Ein Flammenzeichen im thüringer Land,

Die Zinnenkrone auf lachender Stirn,

Gleich roſiger, reigengeſchmücketer Dirn

Erhebet die Wartburg das fürſtliche Haupt

Vom nächtlichen Schlummer, eichenumlaubt,

Und öffnet die Lippen mit erzenem Sang
[28]
In jubelndem, grüßendem Warthornklang:

„Gelobt ſei Gott! — es wich die Nacht,

Ihr Schläfer rings, erwacht! erwacht!

Am Himmel ſtieg' die Sonn' herauf,

Zu Freud und Leid, wacht auf, wacht auf!

Den jungen Tag, oh ſchaut ihn gern,

Thut Eure Pflicht und lobt den Herrn!

Wacht auf!“

Katz' und Maus.

Einen langen, grauen Schleier

Hat das Himmelsrund, das weite,

Um die Schultern ſich geworfen,

Und das blitzende Geſchmeide,

Drin ſonſt ſo ſtolz gegleißet,

Sonnenſtrahles güldne Spangen

Und das Diadem von Sternen,

Sorglich damit zugehangen.

Fröſtelte das weite Erdrund,

Denn der Wind hob ſeine Schwingen,

Um ein kühles, fremdes Liedlein

Durch den ſtillen Forſt zu ſingen.

Dunkle Tannen in dem Grunde

Schütteln ernſt das Haupt. Es jagen

Ueber ihnen graue Wolken,

Die im Schooß den Regen tragen,
[29]
Und es knarrt und pfeift im Aſtwerk,

Und es ſtreut die wilde Roſe

Zitternd ihre Blumenblätter

Nieder zu dem Borkenmooſe.

Tief im Wald, vorbei am Abgrund,

Wieſenplan und Waldesſchneiſe,

Zieht der Rennſtieg ſeine tiefen

Ausgewaſchnen Fahrſtraßgleiſe;

Wurzelwerk und loſes Steinicht,

Gräben auch, und Schlehdornranken

Bauen ihm und ſeinen Wand'rern

Und der Eile üble Schranken.

Hat ſchon oft der dicke Kaufherr

Von den hochbepackten Wagen,

Die von Leipzig nach der Mainzſtadt

Seinen bunten Tand getragen,

Ein gar wildes Ungewitter

Schwerer Flüche losgelaſſen

Ob des Wackelns, Schaukelns, Schwankens

Auf 'ner ſolchen Teufelsgaſſen;

Hat ſich pruſtend angeklammert

Und gezetert: „Ich verſpreche

Sanct Sebaſtian zwanzig Kerzen,

Wenn ich meinen Hals nicht breche!“

So auch heute. — Meiſter Gottfried

Saß, das Haupt zur Bruſt geneiget,

Nachdenklich auf hohem Sitze.

Auf dem planbeſpannten Wagen

Fuhr er an des Zuges Spitze,

Ihm zur Seite ſchritt Jung Peter,

Hoch und ſtramm, der Roſſelenker,
[30]
Von Natur ein ſtiller Burſche;

Gottfried nannte ihn „den Denker“,

„Träumer“ auch, und „ſtummer Peter“,

Aergerlich des ew'gen Schweigens, —

Doch zum Reden taugt nicht Jeder!

Jetzo auch ſprach er verdroſſen:

„Freundchen, iſt das Abendzwielicht

Auf die Augen Dir gefallen,

Daß Du, ſchlafend, ſelbſt vergiſſeſt

Deinen Gäulen mal zu knallen?

Oder blieb das Hagelwetter

Mit dem Donnern und dem Blitzen,

Das uns Mittags überraſchte,

Lähmend in der Zunge ſitzen?“

Peter wandte ſeinen Flachskopf

Und ſprach langſam: „Nichts von Allem,

'S iſt mir nur zu einer Rede

Juſt nichts Schlaues eingefallen!“ —

„Und wo ſind wir?“ fragte Gottfried.

„Auf der Höhe! — Gott zu preiſen!

Hier den Berg mit freiem Ausblick

Thuen ſie den Hirſchſtein heißen,

In nur wenigen Minuten

Sind wir an der „„hohen Sonnen““,

An dem Kreuzweg, der verbindet

Liebenſtein und Reinhardsbronnen;

Eh' die Nacht herein gebrochen,

Iſt auch Eiſenach erreichet.“

Und jung Peter knallt den Pferden,

Senkt das blonde Haupt und ſchweiget.

„Meiſter Gottfried!“ ruft es plötzlich,
[31]
Und ein Knecht ſteht ihm zur Seite:

„Hinter uns, dicht auf den Ferſen,

Naht ein ritterlich Geleite,

Wenig Mann nur; an der Spitze

In lang wallendem Gewande

Sprengt herzu gar eine Dame,

Sicherlich von hohem Stande!“

War vom Sitze aufgefahren

Meiſter Gottfried: „Blut und Eiſen!

Fehlte noch, ſich mit Geſindel

In der Nacht herum zu ſchmeißen.

Heda Burſchen! Nicht gefackelt,

Faßt die Axt, und an die Poſten!

Es gelüſtet wohl die Strauchdieb'

Unſre Prügel mal zu koſten?“

Rief's mit Zorn und Löwenſtimme,

Daß es weit die Nacht durchhallte,

Doch ſein Angeſicht ward farblos

Wie der Birkenſtamm im Walde,

Und er ſetzte flugs ſich nieder,

Denn er fühlt' die Kniee zittern:

„Sanct Sebaſtian! zwanzig Kerzen,

Schützt Du mich vor dieſen Rittern!“

Peter ſchüttelt ſeinen Flachskopf:

„Unbeſorgt nur, hier zu Lande

Steht im ganzen Rund kein Raubneſt.

Streifte nie Buſchklepperbande.

Seht doch! Einer aus dem Zuge

Sprengt an unſere letzten Wagen,

Scheint ſich auch nach ſeinen Mienen

Aeußerſt friedlich zu betragen.“
[32]
Kaum, daß Peter ausgeſprochen,

Hören ſie's auch näher traben,

Furchtlos ſpornt die Edeldame

Ihren Zelter durch den Graben

Und hält jählings neben Gottfried.

„Grüß Euch, Meiſter!“ ruft ſie heiter,

„Braucht Ihr wohl auf Euerm Wege

Ein paar friedliche Begleiter?

Gleich wie Euch iſt uns die Nacht auch

Plötzlich über'n Hals gekommen,

Und ich dächt', in größrer Anzahl

Möcht' das Reiſen beſſer frommen.

Wir ſind hieſ'ge Edelleute

Von dem Ganſchloß Etterwinden,

Wollen bis zum fernen Rheinland

Mühſam unſre Wege finden.

Nella heiß' ich, — Petronella, —

Bin aus adligem Geſchlechte,

Die „von Eſchwege“ genießen

Hier zu Lande große Rechte.

Die Gefährten mir zur Seite

Sind gar biedre Streitcumpane,

Und ich reiſe unterm Schutze

Des Fuldaer Sakriſtanes.“

Ueber Meiſter Gottfrieds Antlitz

Zog es hell wie Morgenſonne,

Und der Schrecken war verflogen

In behaglich ſichrer Wonne.

„Ei Vieledle!“ rief er eifrig,

Und er zwang den feiſten Rücken,

Sich zu wiederholten Malen
[33]
Vor der holden Frau zu bücken,

„Wer wie ich mit Kram gehandelt

Auf ſo viel verſchiednen Plätzen,

Weiß den Wohlklang Eures Namens

Wohl am freudigſten zu ſchätzen;

Hat doch jüngſtens noch zu Hersfeld

Hans von Eſchwege, der Ritter,

Für die tugendſame Hausfrau

Mir gehandelt bunten Flitter,

Schleierlein und blaue Seide,

Und zwei güldne Achſelſchnallen;

Hoffentlich, geſtrenge Dame,

Haben ſie Euch wohlgefallen?“

Lachte leiſe auf die Reit'rin:

„Diesmal habt Ihr Euch verzählet,

Jener Ritter iſt mein Oheim,

Ich bin leider unvermählet

Und muß auf ſolch ſchöne Gaben

Wohl noch ein paar Jährlein lauern;

Jetzo, eingedenk der Spangen,

Muß ich's wirklich recht bedauern!“

— Meiſter Gottfried forſchte eifrig,

Ob er nicht durchs Abenddunkeln

Könnte ſchauen ihre Züge

Und der Augen neckiſch Funkeln,

Doch die Nacht war gar zu neidiſch,

Außerdem fiel leiſer Regen,

Und das Fräulein hob den Schleier,

Ihn vors Angeſicht zu legen.

Meiſter Gottfried that von jeher

Zu den art'gen Männern zählen,
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus. 3[34]
Ließ es drum an Schmeicheleien

Und an Galantrie nicht fehlen,

Sprach von Leipzig, ſeinen Reiſen,

Was er hier und dort erlebte,

Was zur Zeit wohl an Gerüchten

Trüglich in den Lüften ſchwebte;

Und die Reiterin zur Seite

Lauſchte ihm mit viel Behagen,

That gar manche kindlich heitre,

Rechte wiſſensdurſt'ge Fragen.

„Seht!“ ſprach ſie, „ich hab' zeitlebens

Still daheim im Schloß geſeſſen,

Wie es in der Welt rings ausſchaut,

Hab' ich wahrlich faſt vergeſſen!“

— Immer dunkler war's geworden,

Dicke Regentropfen fielen,

Und der Wind begann aufs Neue

In dem Waldeslaub zu ſpielen.

Steil hernieder fiel die Straße,

Und nur mühſam durch der Erde

Schlamm'ge Furchen ſchwankten vorwärts

Zaumgeleitet die Gefährte.

„Gott ſei Dank“! ſprach Fräulein Nella,

Bald iſt's Schlimmſte überſtanden,

Und wir werden in dem Thale

Wie an ſichrer Küſte landen.

Hu! wie fallen die Geſchichten

All' mir ein, ſo die Geſellen

Jüngſt im Palas ſich erzählten

Von der Landſtraß Ueberfällen.

Wiſſet Meiſter, ſolche Strauchdieb',
[35]
Die aus lauter Armuth rauben,

Will ich immer noch für beſſer

Als die Plünderritter glauben!

Solche Herrn, die auf den Burgen

In dem Ueberfluſſe praſſen

Und ſich ehrlos noch bereichern

Durch den Raub auf offnen Gaſſen,

Solche Herrn kann ich als Ritter

Nun und nimmer mehr betrachten,

Kann ſie nur als ein Geſindel

Niederigſter Art verachten!“

Gottfried nickt und will entgegnen,

Doch ein Holpern ohne Gleichen

Schüttelt ihn auf ſeinem Sitze

Und benöthigt ihn zu ſchweigen.

In den Wieſengrund einſchwenket

Jetzt der Zug. — Zur linken Seite

Grenzt der Tann ihn, doch zur rechten

Strebet auf das Breitgeſcheide

Mit der kahlen, ſteilen Felswand.

Plötzlich knatterts in dem Walde,

Und aus wilden Kehlen donnert's

Furchtbar drohend: „Halte! Halte!“

Und wie aus der Erd' gewachſen

Blitzt es rings von blanken Waffen.

Meiſter Gottfried fühlt die Glieder

Wie in Todesgraun erſchlaffen. —

„Waffâ! Waffâ!“ gellt es wieder,

— Kurzes — fürchterliches Ringen —

Hieb auf Hieb — in ſchnellen Stößen

Schwerter aufeinander klingen!
3*[36]
Doch die Uebermacht, ſie ſieget,

Und der Zug iſt überwunden,

Leicht verletzt nur ſind die Knechte,

Nellas Reiſige gebunden.

Regungslos auf ihrem Roſſe

Starrt das Fräulein, kampfumgellet,

Bis ſie mit entſetztem Aufſchrei

Faſſungslos von dannen ſchnellet.

Doch umſonſt! — Auf ihren Ferſen

Folgt ein fremdes Roß dem ihren,

Ueberholt ſie, und der Reiter

Läßt es neben ihr pariren,

Fällt ihr in die Zügel, rufet:

„Sorget nicht um Euer Leben,

Keine Schmach ſoll Euch geſchehen,

Wollt Ihr willig Euch ergeben!“

„Willig!“ murmelt Nella bitter,

Und mit zornesbleichen Wangen

Schleudert ſie die Zügel von ſich.

Petronella iſt gefangen! —

Wilder brauſt es durch die Lüfte.

Dichter ſtürzt der Regen nieder,

Und die Eichenkronen rauſchen

Tolle, unheimliche Lieder.

Durch den Wald auf ſteilem Pfade

Geht's bergan zu dem Geſcheide,

Meiſter Gottfried ſchreitet zitternd

An des Sakriſtanes Seite;

Nella aber reitet neben

Ihrem ſeltſamen Gebieter,

Und ſie fühlt es, ſeine Blicke
[37]
Glühen forſchend zu ihr nieder,

Wenn der Wind, den Schleier faſſend,

Ihr das heiße Antlitz kühlet

Oder in den blonden, langen

Flatternd loſen Haaren wühlet.

„Eine Burg auf dem Geſcheide?“

Ruft der Mönch, da er ſie ſchauet,

„Wer hat die ſeit kaum fünf Tagen

Hier an ſteiler Wand erbauet?“

Keine Antwort. — Raſtlos weiter

Strebt man nach der ſichern Veſte,

Und der Meiſter murmelt ſeufzend:

„Komm' ich aus dem Teufelsneſte

Heil und mit geſunden Knochen,

Ohne jegliche Gebrechen,

Will ich hundert dicke Kerzen,

Sanct Sebaſtian, Dir verſprechen!“
In der Halle, ſturmumtobet,

Iſt der Zug nun eingekehret,

Und das Ausſehn der Beſieger

Hat den Schrecken noch gemehret;

Schwarz verkappt' geheimnißvolle,

Hohe, markige Cumpane,

Drängen ſich am allermeiſten

Um den bleichen Sakriſtane.

Durch die Thüre tritt der Ritter

Mit geſchloſſenem Viſire,

Nella an der Hand, er hob ſie

Schweigend erſt von ihrem Thiere

Und geleitet ſie fein ſittig,
[38]
Ganz wie altgewohnte Sache,

Durch die Halle nach dem kleinen,

Wohnlich ſchauenden Gemache.

„Setzt Euch nieder, Edle!“ ſpricht er,

„Und dankt mir's beim Saft der Rebe,

Daß ich Euch bei ſolchem Wetter

Hier ein gaſtlich Obdach gebe.

Hört Ihr wohl den Sturm und Regen

Auf dem Dache wiederklingen?

Wunderlich, daß oft zum beſten

Man die Leute noch muß zwingen!“

Leiſe lacht er, Nella deucht es

Gar wie Hohn in ſeiner Stimme,

Und ſie ballt die kleinen Hände

Wider ihn in trotz'gem Grimme:

„Alſo ſpottend wird geladen

Wohl die Maus erſt von der Katze,

Ehe ſie zum gier'gen Fange

Hebt die hinterliſt'ge Tatze?

Hüte Dich, Du kecker Räuber!

Ich bin nicht ſo ſchwach, wie Jene,

Und ich zeige erſt der Katze

Kampfesmuthig meine Zähne!“

Zu der Thür zurückgetreten

War ſchon Robert, jetzo wandte

Er das Haupt ſo ſchnell zu Nella,

Als ob Zaubermacht ihn bannte;

Sah die rothen Kienbrandlichter

Zuckend um ihr Antlitz wehen,

Um dies ſtolze, ſüße Antlitz,

Wie er keins zuvor geſehen.
[39]
War ihm unbekannt am Weibe

Dieſes trotzig kühne Streiten,

Als Gefangne noch den Faden

Der Verſöhnung durchzuſchneiden.

„Bravo!“ rief er jäh entgegen,

Katz' und Maus! ich laß es gelten,

Und ich werd' im Augenblicke

Mich zum holden Zweikampf melden!

Jetzt vergebt mir, wenn ich ſcheide,

Bald kehr' ich zurück zum Platze,

Und dann komm', Du kleines Mäuslein,

Wag' den Kampf mit Deiner Katze!“

Und die Thüre ſchloß ſich knarrend.

Stolz und bleich, hoch aufgerichtet

Blickt ihm nach die Edeldame,

Und was je ihr Geiſt erdichtet,

Was ſie je von ſchroffen Bildern

Wilden Haſſes mochte träumen,

Jetzt begann's mit heißem Blute

Zügellos empor zu ſchäumen.

Aller Trotz, der ihr zu eigen,

Das Bewußtſein der hülfloſen

Lage, drin ſie jetzt befangen,

Wuchs empor zum rieſengroßen

Zorne gegen jenen Räuber.

Ihre blauen Augen flammen,

Purpurn leuchten ihre Wangen,

Fiebernd müſſen ihre Blicke

Immer an der Thüre hangen;

Und ſie hört, wie in der Halle

Laut des Ritters Worte klingen,
[40]
Wie ſie heiter, voller Wohlklang

Immer wieder zu ihr dringen.

Und jetzt jubeln viele Stimmen,

Fäſſer rollen, Becher klingen;

Und jetzt hat die Diebes-Horde

Gar zu ſingen angefangen!

Endlich öffnet ſich die Thüre,

Wieder ſteht er auf der Schwelle,

Hoch und ſtattlich wie ein Kaiſer,

Dieſer freche Raubgeſelle.

„Nun? habt Ihr die fette Beute

Jetzt getheilt mit den Collegen?

War wohl heut ein guter Fiſchzug?“

Höhnet Nella ihm entgegen;

Und der Ritter ſetzt ſich lachend

Gegenüber ihr am Tiſche:

„Habt ganz recht! in meinem Netze

Zappeln heute ſeltne Fiſche;

Doch Ihr wißt, als liebſte Beute

Schleppt die Katze in ihr Häuslein,

Stets das kleine, ſammetweiche,

Bitterböſe Jungfer Mäuslein.

Fiſche ſind zu ſtumme Gäſte,

Doch des Mäuschens zornig Fauchen

Kann ich juſt am allerbeſten

Hier zu meiner Kurzweil brauchen!“

„Mich zur Kurzweil'?!“ — Nella ruft es

Athemlos in bleichem Zorne,

Und ſein luſtig Lachen wird ihr

Und dem Haſſe noch zum Sporne;

„Wenn Ihr Kampf auf Tod und Leben
[41]
Kurzweil nennt, mag ſie Euch werden!

Habe Niemand noch ſo glühend,

So gehaßt wie Euch im Leben!

Glaubt Ihr mich gar einzuſchüchtern,

Weil ich hülflos hier gefangen?

Nella Eſchwege wird niemals

Vor dem Straßenräuber bangen;

Kann ſich auch die Maus nicht wehren

In des Feinds gewalt'ger Tatze,

Kann ſie doch mit letztem Seufzer

Noch verfluchen dieſe Katze!“

— „Puh, wie ſchrecklich!“ ſchaudert Robert,

„Solche Maus — beim heil'gen Vater —

Muß ja fürchterlich verblüffen

Selbſt den muthigſten der Kater.

Alſo haſſen thut Ihr — haſſen?

Dann hält's ſchwer, verſöhnt zu werden,

Ich hingegen — hört! — ich liebte

Niemals noch ein Weib auf Erden,

Weil mir keines noch gefallen;

Mäuslein aber, das empörte,

Das gefällt mir nun vor allen,

Und drum laßt den Ausweg finden:

Als miraculum auf Erden,

Soll das Mäuslein ſeiner Katze

Minnigliche Hausfrau werden!“

— „Eure Hausfrau?!“ keine Sylbe

Weiter konnt' die Lippe beben,

Aber dafür haben Nellas

Augen Antwort ihm gegeben.

„Dieſer Antrag überraſcht Euch?
[42]
Zeit iſt gut bei allen Dingen,

Mögt mir ſpäter Eure Antwort,

Euer Jawort ſelber bringen!“

Gellend auf lacht Petronella,

„Jawort“! keuchet ſie im Grimme.

Robert aber tritt ſchnell näher,

Und er ſpricht mit leiſer Stimme,

Dieſem weichen Flüſterlaute,

Der ſo überzeugend klinget

Und wie giftig Blumenduften

Mächtig durch die Seele dringet:

„Hörtet Ihr wohl je das Märlein

Von der Katz' und Maus, Vielholde?

Zwei gewalt'ge Hexenmeiſter

Hat die Katze in dem Solde:

Ihre grünen, wunderlichen

Augen ſind es, die mit langen

Regungsloſen Zauberblicken

Unrettbar die Seele fangen.

In die grünen Räthſelaugen

Starrt die Maus ... kann nicht vom Platze ...

Wie gebannt, in ihr Verhängniß

Taumelt ſie, ans Herz der Katze.

Merkt's Euch, Fräulein! — Euch zu zwingen

Stehet nicht in meinem Sinne,

Ganz von ſelber ſollt Ihr kommen,

Durch den Zauberbann der Minne;

Und bis zu dem Wiederſehen

Lebet wohl und zieht von dannen,

Draußen harret Euer Rößlein,

Harren wohlgemuth die Mannen.
[43]
Ja, ich lieb' Euch, Petronella,

Doch halt' ich Euch nicht zurücke,

Weiß es ja, Ihr werdet kehren

Einſt zu meinem, Euerm Glücke!

Dann wird vor des Straßenräubers

Schlößlein nimmermehr Euch bangen,

Und das Mäuslein giebt von ſelber

Seiner Katze ſich gefangen!“

Nella ſteht und blickt und blicket

Stumm in ſeines Auges Flammen,

Die durch das Viſir ſie treffen,

Und ſie ſchaudert jäh zuſammen,

Und ſie ſchrickt vor ihm zurücke,

Und wie ſich die Hände ballen,

Iſt der kleine, weiche Handſchuh

Ihrer Rechten ſchnell entfallen.

Robert neigt ſich, reicht zurück ihn,

Und er lacht: „Gilt's Frieden, Süße?“

Nella aber ſchleudert wortlos

Ihm den Handſchuh vor die Füße.

Das Räthſel.

Gleich dem Zuge wilder Schwäne,

Die auf raſtlos ſchneller Schwinge,

Wie ein Schatten durch die Luft zieh'n,
[44]
Iſt das Wolkenheer zerſtoben,

Und durch ſeine letzten, dünnen

Nebelhaften Regenſchleier

Hat der Vollmond ſeiner Strahlen

Mildes Silberlicht gewoben.

Aus dem regenfeuchten Graſe

Steigt empor ein ſüßes Duften,

Tauſend jung erſchloſſ'ne Kräuter

Baden ſich in klaren Perlen,

Die aufs neue ſtets ein Lüftchen

Von den Zweigen niederſchüttelt.

In dem Fichtenwalde ſtreift ein

Wonnenvoller, kräftig herber

Harzgeruch, es rinnen langſam

Tropfen an den Bärten nieder,

Welche grün vom ſtarren Aſt wehn

Und den mooſ'gen Stamm umſchmeicheln.

Ruhe athmet's von den Bergen,

Selten nur, daß eine leiſe

Vogelſtimme Antwort locket.

Schweigend, wie in tiefem Traume,

Ritt zu Thale Petronella,

Neben ihr ſchritt düſter ſinnend,

Furchtbar ernſt der fromme Pater,

Während laut und voll Begeiſt'rung

Rings umher die Knechte ſchwatzten

Und ſolch' Aventiure prieſen,

Die ſo ernſt begonnen hatte,

Um ſo weinesfroh zu enden.

Nur der Meiſter ſchritt noch ſorgend

Haſtig nieder zu der Eb'ne,
[45]
Schüttelte das Haupt und traute

Noch ſo recht nicht dieſem Frieden.

Hatte auch der fremde Ritter

Auf ſein Ehrenwort verſichert,

Daß er nur die anvertrauten

Brieflein, die der Meiſter Gottfried

Auf der Reiſe mit ſich führe,

Wünſche jetzo ausgeliefert,

Und daß ſeine reichen Waaren

Wohlbehütet in dem Thale

Auf des Kaufherrn Rückkehr warten,

Schien ihm doch der Handel mißlich

Und auch gar nicht ſo recht glaublich;

Ehrenwort und Plünderritter

Paßten ihm nicht recht zuſammen.

Da er aber auf der Fahrſtraß'

Unberührt die Wagen vorfand

Und ſich eiligſt überzeugte,

Daß auch nicht ein Strohhalm fehlte,

Ja, da faßte er des Fräuleins

Kalte Hand und rief laut jauchzend:

„Blut und Eiſen, ſolch' ein Wunder!

Hab' doch Vieles ſchon erfahren,

Solch' ein Raubneſt aber niemals,

Selbſt im Märlein nicht, getroffen!

Könnt Ihr mir ſolch' Räthſel löſen?

Oder hab' ich's nur geträumet,

Oder iſt die Burg da oben

Selber gar ein großes Räthſel,

D'rüber ſich vielleicht noch höh're

Leute ihren Kopf zerbrechen?
[46]
Fräulein! Fräulein, ja es deucht mir,

Daß wir hier in keinem Raubneſt

Von gemeiner Art geweſen!“

Petronella ſtarrte wortkarg

Noch einmal empor zur Neſte,

Biß die Zähne feſt zuſammen,

Lachte höhniſch, nahm die Gerte

Und trieb jählings an den Zelter.

„Vorwärts“, rief ſie, „vorwärts, Burſchen,

Graden Wegs empor zur Wartburg!“ —
Wieder war ein Tag vergangen.

Frau Sophia, Heinrichs Mutter,

Von Brabant die edle Fürſtin,

Saß im Erker, und ſie ſtützte

Sorgenvoll das ernſte Antlitz

In die Hand und ſchaute prüfend

Nieder auf die blauen Berge,

Deren einen, wie durch Zauber

Ueber Nacht ein Schloß gekrönet.

Und ſie krauſte ihre weiße,

Kluge Stirn und ſprach voll Unmuths:

„Alſo gar ein Raubneſt iſt es?

Unerhört wär' ſolche Frechheit,

Und die Milde hier Verbrechen

An der Sicherheit des Landes.

Redet weiter, frommer Vater,

Hat man Euern Zug beraubet?“

Tief verneigte ſich der Alte,

Und mit einem Blick auf Nella,

Die an Frau Sophias Seite
[47]
Unverwandt auf das Geſcheide

Starrte, deſſen Wunder-Veſte,

Grell vom Abendroth beſchienen,

Ausſah als ſtünd ſie in Flammen,

Fuhr er fort ihr zu erzählen

Von dem wunderlichen Ritter,

Der verkappt, wie die Geſellen,

Von des Krämers buntem Tande

Nichts begehrt, als nur die Brieflein,

Die der Meiſter bei ſich führte,

Wie er ihm mit frecher Kühnheit

Von der Bruſt die Pergamente

Stahl, darauf Frau Margaretha

Ihren letzten Willen aufſchrieb.

Theilnahmsvoll hört's Frau Sophia,

Sinnet ernſt und ſpricht am Ende:

„In dem Volksmund heißt's vom Schlößlein,

Das auf räthſelhafte Weiſe

In nur einer Nacht erbaut ward,

Daß es ſei ein Werk des Satans.

Doch nach allen Euern Reden

Glaub ich faſt, daß dieſe Veſte

Nicht nur Luſt am Raube baute!

Jedenfalls nicht dulden werd' ich,

Daß zum Schrecken dieſes Landes

Solch' ein Zauberwerk beſtehe;

Und ich will dem Breitgeſcheide

Seine Krone juſt ſo plötzlich

Wieder von dem Scheitel reißen,

Wie es ſich mit ihr geſchmücket.

Jungfrau Nella, könnt Ihr mir wohl
[48]
Näh'res von dem Ritter ſagen?“

Tief betroffen ſchaute Nella

In der Fürſtin prüfend Auge,

Und mit ihren weißen Zähnchen

Heftig an der Lippe nagend,

Senkte rathlos ſie die Blicke,

Unentſchloſſen und umwölket

Streiften ſie das Fußgetäfel,

Während Wiederſchein der Sonne

Ihr die Wangen und das Blondhaar

Roſenroth und goldig ſäumten.

Endlich ſprach ſie in dem Tone

Eines ſchwer gereizten Weibes:

„Gnäd'ge Frau, ſoll ich Euch künden,

Wie mich jener Mann gekränkt hat,

So verſprecht mir bei den Heil'gen,

Daß es bleib' bei Euch verſchloſſen

Als ein lebenslang Geheimniß!

Viel zu ſtolz iſt Petronella,

Durch die Keckheit dieſes Räubers

In der Leute Mund zu kommen,

Viel zu ſtolz, um ihren Namen

Wenn auch nur durch die Erzählung

Mit dem ſeinen zu verbinden!“

Und darauf verkündet Nella

Von des ſchwarzen Ritters Antrag,

Wie er ſie im Uebermuthe

Zu der Hausfrau ſich erküret,

Wie er gar verlangt, ſie ſolle

Selber ihm das Jawort bringen.

Aber mit dem Zwiegeſpräche
[49]
Von der Katz' und Maus, da hielt ſie

Vorſorglich noch hinterm Berge,

Wußte ſelbſt nicht recht die Urſach,

Daß ſie's ſo geheim wollt' halten. —

War der Sakriſtan von Fulda

Eifersvoll herzugetreten,

Und er blickt mit liſt'gen Augen

Forſchend in der Jungfrau Antlitz.

„Nella“, ſprach er, „jener Ritter

Iſt in Eure Hand gegeben;

Hat er Euch ſein Herz geſchenket,

Wird er's ſicherlich verſuchen,

Baldigſt Euern Weg zu kreuzen.

Höret d'rum, was ich Euch ſage:

Jenen Mann ſollt Ihr entlarven

Und des Gaudiebs Namen künden

Mir und auch dem Abt zu Fulda;

Hier aufs heil'ge Kreuz beſchwört es,

So zu thun nach meinem Worte.“

Regungslos ſtand Petronella,

Starrte auf das dargebotne

Cruzifix des Sakriſtanes,

Und — war's nur das Licht der Sonne? —

Heißer glühten ihre Wangen.

„Ei, was zaudert Ihr, Jungfräulein?“

Lächelte Sophie und drohte

Scherzend mit erhobnem Finger,

„Iſt am Ende jener ſchwarze

Ritter auf der Teufels-Veſte

Doch nicht lang' mehr ohne Hausfrau?“

Wie von gift'gem Dolch getroffen
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus. 4[50]
Zuckte Nella auf vom Sinnen,

Und mit zornentflammtem Auge,

Drinnen Thränen der Empörung

Blitzten, hob die Hand ſie jählings,

Legte auf das Kreuz ſie nieder

Und ſprach kalt und ſtolz: „Ich ſchwöre“. —
In Johannis Kloſterhofe

Scharrte ungeduldig Roberts

Roß, dieweil er ſelber

In behaglichem Geplauder

Bei dem Abte noch verweilte.

Wunfried hielt die Pergamente

Siegesfreudig in der Rechten,

Trat zum offenen Kamine,

Drin ein kleiner Holzſtoß flammte,

Und er warf die kleinen Fetzen

Des zerrißnen Teſtamentes

Voller Vorſicht in die Gluth.

Alles, was da blieb, war Aſche,

War ein kleines Häuflein Aſche,

Und doch ſchloß es viele Hufen

Reichſten Kloſterſegens in ſich.

„So war dies die einz'ge Beute,

Die Ihr machtet, Junker Robert?“

Der Gefragte blickte ſchalkhaft

In des Abtes forſchend Auge,

Machte dennoch eine Geſte

Mit der Hand und zuckt' die Schultern,

So wie Einer, um den's ſchlecht ſteht,

Und ſprach: „Dies die einz'ge Beute!
[51]
Aber freilich, Abt Wunfriedus,

Iſt ſie hoch genug erkaufet,

Und in ſeltne Gegenſätze

Seht Ihr mich anitzt verwickelt:

Wollte keck den Räuber ſpielen

Und bin ſelber der Beraubte,

Wollte fangen und beſiegen,

Ach, und fühl' in ſchweren Ketten

Selbſt mich elend jetzt gefangen!“

„Wie? ... ſprich deutlicher!“ rief Wunfried.

„Deutlicher! Wohlan ſo höret!

In den Netzen, die ich ſtellte,

Einen liſt'gen Wolf zu knebeln,

Fing ſich plötzlich mir zum Staunen

Klein und grau ein Mäuschen ein,

Das mit nagend ſcharfen Zähnen,

Eh' ich's dacht', die Fäden durchbiß

Und von dannen floh. Und als ich

Ganz verwirrt dem holden Flüchtling

Nachſah, merkt' ich gar zum Schrecken,

Daß dies diebiſch kecke Mäuslein

Noch aufs ärgſte mich beſtohlen:

Dieſes hier, Abt Wunfried, ſchauet!“

Und der Ritter legte lächelnd

Auf das Herz die Hand und ſeufzte.

— „Das ging ſchnell, bei meiner Seele!

Wart doch ſonſt ſo kühl und nüchtern,

Daß Euch nie ein Weib verwirrte —“

— „Nein, noch nie! denn jener Weiber

Ewig einerlei Gebahren,

Dieſe ſchüchtern, ſittſam ernſten
4*[52]
Ewig ſtummen Edelfräulein,

Eine wie die Andre, Oheim,

Nein, die konnten mich nicht reizen.

Doch das Mäuslein mit den ſcharfen

Zähnen und der ſcharfen Zunge,

Die ſo gröblich mich behandelt,

Wie's ein Raubgeſell verdienet,

Aber niemals noch erfahren,

Die iſt juſt nach meinem Sinne;

Und ich ſchwör's bei meiner Ehre,

Sie wird mein! — Doch laßt's genug ſein,

Wundert Euch nicht meiner Rede,

Wiſſt, der „tolle“ Junker ſpricht ſie.

Hier die andern Brieflein. — Prüft ſie,

Sind aus Meiſter Gottfrieds Sacke.“

Eifrig griff nach ihnen Wunfried,

Neigte ſich und las und las ſie;

Endlich zuckt er auf vor Schrecken,

Ließ die Pergamente ſinken

Und ſtarrt' ſprachlos in die Flammen.

„Alſo war's vergeblich — — Alles!“

Murmelt er mit bleichen Wangen.

— „Was? was iſt vergeblich, Oheim?“

„Graf von Eppſtein iſt der Schlinge,

Iſt der Holzenburg entkommen,

Hier dies Brieflein bringt die Kunde

An das Sanct Kartäuſer Kloſter,

Daß ſtatt über Eiſenach er

Hat den Weg nach Cöln genommen.“

Und des Abtes Hände knittern

Aufgeregt das Unglücksſchreiben,
[53]
Um es mit gepreßten Lippen

Noch einmal zu überleſen.

„Hol's der Teufel!“ wettert Robert,

„Der Geſell muß hohe Gönner

Bei den lieben Heil'gen haben,

Daß ſie alſo ihn beſchirmen!“

Finſter blickt der Abt: „So wäre

Denn die Friſt ſchon abgelaufen,

Die der Holzenburg geſetzet,

Mag ſie heute Nacht verſchwinden

Juſt ſo ſpurlos und ſo heimlich,

Wie ſie aus dem Fels gewachſen!“

„Daran thut Ihr wohl, Herr Oheim,

Heute ſchon hat Frau Sophia

Einen Boten mir geſendet,

Schleunigſt mein Viſir zu lüften

Oder ihren Zorn zu fürchten;

Jener Sakriſtan von Fulda

Hat, bei Gott, nicht ſchlecht gezetert!

Außerdem, Herr Abt Wunfriedus,

Braucht man meiner in der Heimath;

Hat der rothe Fuchs von Beilſtein

Geſtern Nacht, wie man mir meldet,

Meinen Mittelſtein befehdet,

Und mit vieler Noth und Mühe

Iſt ſein Angriff abgeſchlagen.

Solche Art nimmt mich nicht Wunder,

Feig und ſchlau, ſo liebt's der Beilſtein.

Aber in den Fingern zuckt's mir,

Dieſem hinterliſt'gen Burſchen

Offen jetzt Beſcheid zu geben;
[54]
Hüte Dich, Du kleines Treffurt!“

Wunfried war zerſtreut; er nickte

Nur und ſprach: „So ziehet

Denn in Gottes Namen, Robert,

Eure Schuld iſt abgetragen!“ —

Robert griff zu Schwert und Helme

Und nahm Abſchied. Auf der Schwelle

Hielt der Abt ihn auf und blickte

Warnend nochmals ihm ins Auge:

„Hüte Dich, mein Sohn, und wahre

Nun vor allem das Geheimniß!

Denn gar ſchwere Folgen hätt' es,

Deinen Namen zu entdecken,

Blut'ge Fehde, Haß und Zwieſpalt,

Wie für Dich, ſo für das Kloſter.

Und vor allem, Robert, hüte

Dich vor jenem kleinen Mäuslein!

Seine weißen, ſcharfen Zähne

Schneiden Dir ins Mark des Lebens,

Fliehe vor ihm, Robert, — fliehe!“

— „Vor der Maus die Katze fliehen?“

Auf des Frankenſteiners Schulter

Legte Wunfried ſchwer die Rechte:

„Lache nicht! es hat ein Mäuslein

Andre Gegner ſchon beſieget,

Als wie blindverliebte Katzen.

Kennſt Du nicht das Märlein, Robert,

Wie ein Löwe ward bezwungen

Und beſieget durch ein Mäuslein?

Jener königliche Streiter

Baute zu feſt auf die Stärke
[55]
Und die Macht in ſeinen Tatzen,

Siegesmuthig wollt' er ſpotten

Seines kleinen Zwergengegners.

Aber ſieh, das ſchlaue Mäuslein

Schlüpft dem Starken in die Ohren,

Und von wildem Schmerz bezwungen,

Lag der Thiere König, flehte

Machtlos an das kluge Mäuschen.

Und darum merk' auf, mein Robert,

Nimm ein Beiſpiel an der Fabel!

Nicht ins Ohr kriecht Dir Dein Mäuslein,

Aber ſchlimmer noch, — im Herzen

Wird der Gegner ſich einniſten,

Wird die Sinne Dir berücken,

Dich in wilde Qualen ſtürzen,

Bis Du matt und ſterbenselend

Deinem Feind zu Füßen ſinkeſt.

Fliehe! — flieh' dies Mäuslein, Katze!“

Robert hört's und nickt und lächelt,

„Lebe wohl!“ ruft er und ſchwingt ſich

Ungeſtüm auf ſeinen Renner.

Die Werra-Fuhrt.

Das war ein wildes Rennen

Zu Treffurt auf dem Schloß,

Das Dach, die Balken brennen,
[56]
Es ſtürmt der Feinde Troß.

Der Junker Beilſtein hebt die Fauſt

In wildem Fluch. Es kracht und ſauſt,

Es berſten Schloß und Riegel;

Die Flamme loht zum Himmel auf,

Es wettert an den Wällen,

Die Schwerter klirren wild im Hauf,

Manch ſtolzen Wuchs zu fällen.

Dem Frankenſteiner Leuen droht

Gar oftmals bitt're Todesnoth,

Er brüllt aus blut'gem Rachen;

Doch kühn gereckt, zum Sprung geſtreckt,

Hebt furchtbar er die Pranken,

Und wo ſein Flammenathem weht,

Muß Feind und Mauer wanken.

Dem Fuchs entwindet er das Beil,

Das Wappen birſt. — Heil, Leue, Heil!

Du haſt den Sieg behalten! —

Das Angſtgeſchrei durchgellt das Rund,

Die Weiber auf den Knieen,

Sie jammern laut mit bleichem Mund:

„Wohin, wohin entfliehen?!“

Einbricht der Feind; an Wunden ſchwer,

Noch in der Bruſt den ſcharfen Speer,

Sinkt Henno bleich zuſammen.

Der Frankenſteiner bei ihm kniet

Und hält ihn in den Armen,

Den Stahl er aus der Wunde zieht

In chriſtlichem Erbarmen

Und rufet laut: „Den Kampf ſtellt ein,

Kein Mann mehr ſoll gefället ſein,
[57]
Vor allem ſchont die Weiber;

Doch keiner weiche aus dem Schloß,

Sperrt ſorglich alle Thüren!“

Und langſam wendet er das Roß,

Den Beilſtein fortzuführen. —

Da ſchreitet aus der Halle Thor

Ein ernſter, kleiner Zug hervor,

Sie leiten einen Kranken;

Es iſt ein Jüngling bleich und ſchlank,

Sein Antlitz dicht verbunden.

„Ein Kloſterſchüler — todeskrank,

Wird nimmermehr geſunden;

Vergönnt, o Herr, daß er entweicht,

Ein ſchirmend Obdach bald erreicht,“

Ruft flehend ſein Gefährte.

Der Frankenſteiner ſchaut ſich um,

— Er ſteht in tiefem Schatten —

Er nicket flüchtig, winket ſtumm,

Den Auszug zu geſtatten.

Den Kranken hebt man auf ein Roß,

Zu Pferd auch ſteigt ſein Kampfgenoß,

Und langſam ſie entſchwinden.

Und Ruhe wird es allgemach;

Im Hofe hingeſtrecket

Ruht Freund und Feind, — noch brennt das Dach,

Von Flammen rings umlecket.

Zur Mägdeſchaar tritt Frankenſtein:

„War jüngſt nicht hier ein Jungfräulein

Zum Burgfried eingekehret?“

„Sie war es, Herr, und bis zur Stund'

Hat ſie bei uns geweilet,
[58]
Doch wo ſie blieb? Nicht ward's uns kund,

Vielleicht iſt ſie enteilet.“

Da zuckt's ihm plötzlich durch den Sinn,

Hell lacht er auf: „Narr, der ich bin,

Das Spiel nicht zu durchſchauen!“

Und haſtig zu dem Kampfgenoß,

Dem treuen, er ſich wendet:

„Behauptet Ihr anitzt das Schloß,

Was ich begann, vollendet!

Zum Morgengraun bin ich zurück,

Mein Roß herbei! ... und hei! all Glück!

Noch fehlt mir was zum Siege!“ — —
Im tiefen Wald am Werraſtrand

Rathlos durch Buſch und Hecken

Zwei Reiter traben durch das Land,

Die Flußfuhrt zu entdecken;

Es iſt ein Jüngling, ſchlank und fein,

Ein ſchmächtig, zaghaft Jungherrlein,

Mit ſeinem Waidgeſellen.

Und weiche Stimme zürnet laut:

„Gott wird die Schmach vergelten!

Was ich bis jetzt im Land geſchaut,

Sind Dieb' und Raubneſthelden;

Weh Dir, Du Herr von Frankenſtein,

Der frech zerſtört die Heimath mein,

Mich grauſam neu verwaiſet!“

— „Dankt Gott dem Herrn, vieledle Maid,

Er ließ die Liſt gelingen,

Euch ohne alles Herzeleid

Noch aus der Burg zu bringen.
[59]
Das Spiel war kühn, doch iſt's geglückt,

Und der Gefahr ſeid Ihr entrückt,“

Ruft froh der Waidgeſelle.

„Wo iſt die Fuhrt? wer zeigt den Weg?“

Fährt Nella fort zu klagen,

„Hier durch die Fluth ohn' Weg und Steg

Kann mich mein Roß nicht tragen,

Schon ſtrauchelt es. Der Uferrand

Voll Felsgeröll, Geſtrüpp und Sand,

Er bringt uns noch zu Falle.

Was raſchelt da? ... Wie Hufſchlag klingt's!“ ...

Der Waidmann greift zum Schwerte:

„Dicht hinter uns aus Tannen dringt's

Und dröhnet auf der Erde“ — —

„Erbarm Dich, Gott! — ein Räuber gar?“

— „Getroſt, Vieledle! Die Gefahr

Habt Ihr nicht zu befürchten.“

Im Mondſchein auf dem Wieſenplan

Herſprengen zwei Geſtalten,

Zu Roſſe hoch, und wie ſie nah'n

Und neben Nella halten,

Viſir geſchloſſen — ſchwarz und groß —

Sinkt zitternd ihr die Hand zum Schooß:

„Er iſt's! ... es iſt ... die Katze!“

Doch haſtig ruft der Reitersmann

Und deutet nach den Wellen:

„Sucht Ihr die Fuhrt im Fluß? — ſagt an!

Wollt Ihr hindurch, Geſellen?

Nur nachgefolgt, ich reit' voraus,

Will ſie Euch gerne weiſen;

Zum Teufel, ja! Wie ſchaut Ihr aus?
[60]
Verbunden und auf Reiſen?

Wer biſt Du, Bürſchlein?“ — Der Geſell

Antwortet ſtatt der Herrin ſchnell:

„Aus Hersfeld ein Scholare,

Ward krank zu Treffurt; doch zur Nacht,

Als Robert Frankenſteiner

Das Schloß zu jähem Fall gebracht,

Ließ zieh'n man den Lateiner,

Daß auf der Wartburg mög' in Ruh'

Geneſen er.“ — „Doch wer biſt Du?“

Fragt krank und leiſe Nella;

Ein Hoffnungsſtrahl zog durch die Bruſt:

„Er kennt mich nicht ... O Wunder!

Könnt' ich ihm jetzo unbewußt

Die Maske zieh'n herunter!“

„Mein Name, Bürſchchen?“ jener lacht,

„Was nützt er Dir? — ganz leis und ſacht

Will ich nachher ihn künden,

Nicht fürchte Dein gelahrtes Blut,

Er könne Dir mißfallen,

Mein Namen klinget ſeltſam gut,

Der liebſte mir von allen.

Doch vorwärts nun! — He! Junkerlein,

Ihr ſagt, der Ritter Frankenſtein

Berannte heut Schloß Treffurt?“ —

— „So iſt es, Herr, — Gott ſei's geklagt,

Er ſtraf' des Frevler's Tücke!“

— „Es ſcheint, der Mann Euch nicht behagt?“

„Wenn ich das Schwert einſt zücke,

So treff' ich auf dem Erdenrund

Zwei Männer damit todeswund,
[61]
Der Eine heißt Herr Robert!“ —

Der Schwarze lacht, lacht leis und fein:

„Mein beſter Freund im Leben,

Jungherrlein, iſt der Frankenſtein,

Ich will ihm Warnung geben.

Geſundet nur nicht allzuſchnell,

Damit mein armer Trautgeſell'

Erſt ſeinen Willen ſchreibe!“

— „Da iſt die Fuhrt!“ — Hell wie Kryſtall

Rauſcht's um der Roſſe Hufen,

Beherzt einreitet der Vaſall,

Thut Nellas Knecht anrufen:

„Friſch zu, Geſell, prob Du erſt fein

Die Tiefe für Dein Junkerlein!“

Und lachend geht's ins Waſſer.

Wie Silber glänzt's und wogt und ſingt,

Sie ſind in Fluſſes Mitte,

Des Ritters Stimme plötzlich klingt:

„Verweilt, Herrlein! — ich bitte;“

Ihm in die Zügel fällt er ſchnell

Und neigt ſich dicht und lacht: „Geſell,

Frugt Ihr mich nicht nach Namen?

Wohlan denn, ich verrath ihn Dir,

Schön Nella von Eſchwege,

So überraſchend ward er mir,

Wie Labkraut blüht am Stege:

„„Die Katze““ heiß ich; meine Maus

Zu fangen, zog ich heute aus,

Bliebſt mir ja Antwort ſchuldig!

Daß ich Dich ritterlich geführt,

Dein Helfer jetzt geweſen,
[62]
Dafür hab' ich mir Lohn erkürt,

Und Folgendes erleſen:

Gieb mir aus all dem Ueberfluß

Nur einen kleinen, kleinen Kuß,

Schön Nella von Eſchwege!“ —

Im Wogenſchwall ſteh'n ſie allein,

Gebannet Seit' an Seite,

Im Mondlicht ſtrahlt wie Demantſtein

Sein ritterlich Geſchmeide,

Feſt hält er ihre Hand gefaßt.

Die Jungfrau zittert und erblaßt

Und ſtarrt in ſeine Augen,

Die ſchauen ſie ſo ſeltſam an,

Wie gluthenvolle Sonne,

Die weben einen Zauberbann

Von Angſt durchſchreckter Wonne;

Und näher neigt er, — näher ſich:

„Zahl' mir den Lohn und küſſe mich,

Klein Nella von Eſchwege!“ —

Ein Schreckensſchrei leis zu ihm gellt:

„Mag eh' die Fluth mich ſchlingen!“

Und Nella jach zur Seite ſchnellt,

Zum Fluß herab zu ſpringen.

Er lacht, hält ſie mit ſichrer Hand:

„Gemach, gemach! Ihr wär't's im Stand,

Hab' ich Euch je gezwungen?

Ich ſchreib' den Kuß zu Eurer Schuld,

Bis Ihr mich einſt beglücket,

Freiwillig mir durch Minnehuld

Ihn auf die Lippen drücket;

Bis Ihr den Ritter Frankenſtein
[63]
So minnig ſchließt ins Herzchen ein

Wie mich, der Euch drum bittet!

Und bis dahin gedenket mein,

Und tragt mich treu im Sinne.

Komm bald, Du ſüßes Jungfräulein,

Und bring mir Kuß und Minne,

Weit offen ſteht Dir Herz und Haus,

Es wartet treulich auf die Maus

Und ſehnſuchtsvoll die Katze!“

Und eindrückt er den ſcharfen Sporn,

Sprengt kühn empor zur Halde,

Und lachend leis, durch Strupp und Dorn

Verſchwindet er im Walde,

Sein Knappe folgt ihm, — wie ein Traum

Entfliehen ſie. Nur Silberſchaum

Wogt zitternd auf den Wellen

Und ſprüht empor zur jungen Maid,

Die regungslos verharret,

Die bleich, in bittrem Herzeleid

Zum Waldesſaum noch ſtarret,

Aufs Herz preßt ſchweigend ſie die Hand

Und reitet langſam an das Land:

„Wer wird mich an ihm rächen? ...“

Das Schilf ſingt leis ſein heimlich Lied,

Das Waſſer klingt und blitzet,

Und durch die ernſten Wipfel zieht's:

„Was tief im Herz ihm ſitzet,

Der Minne Luſt, der Minne Leid,

Die rächet ſchon, vielholde Maid,

Das Mäuslein an der Katze!“
[64]

Gudula.

Habt Ihr jemals Eure Andacht

In dem ſtillen Wald gehalten,

Wo auf mächtig grünbemooſten,

Weitverzweigten Buchenſäulen

Eine Kuppel rund ſich wölbet,

Köſtlicher und wunderbarer,

Als ſie Menſchenhand je baute?

Tauſend, tauſend Zweiglein ſind es,

Draus ein Baldachin gewebet,

Hunderttauſend grüne Blätter,

Drauf in zauberfeinen Linien

Hohe Hymnen ſtehn geſchrieben,

Hymnen zu der Ehre Gottes.

Und in dieſem Waldesdome

Wohnen tauſend fromme Zungen,

In dem Laube weht ein Odem,

Singt es wie mit Engelsſtimmen,

Wenn der Wind auf großer Harfe

Ihr Geflüſter hold begleitet.

Leute auch, viel groß und kleine,

Gehen in die Waldesmeſſe,

Fürnehmlich die lieben Sänger,

Vöglein mit der Silberkehle,

Und das Eichhorn auf dem Stamme

Sitzt und legt wie zum Gebete

Seine Pfötlein fromm zuſammen.
[65]
Häslein auch ſchlüpft ſcheu durchs Buſchwerk

Zu dem freien Buchwalddome,

Und es lauſcht — und fleht — und bittet —

Setzt ſich aufrecht — hebt die Pfötlein —

Blickt mit klarem Aug' zum Himmel.

Neben ihm auf weichem Mooſe

Schreiten leis die ſchlanken Rehe,

Thuen andachtsvoll ſich nieder,

Horchen auf Geſang und Predigt.

Doch das ſchlaue, ſtolze Füchslein

Gleicht gar manchem Menſchenkinde,

Heuchleriſch ſitzt's in dem hohen

Kirchenſtuhl, dem hohlen Baumſtamm,

Blinzelt liſtig nach den Betern

Und bedenkt ſich, wen am erſten

Nun von all den lieben Freunden

Es am Kragen packen werde,

Um das Fell über die Ohren

Ihm zu zieh'n, — das heißt ... verſteht ſich —

Wenn der Gottesdienſt vorüber! —

Heute auch war Meſſ' und Hochamt

In dem Buchwald, der am Fuße

Von dem Wartburgsberg ſich hinzieht,

Und der Chor der lieben Sänger

War um eine Zunge reicher

Noch denn ſonſt: Im weichen Mooſe,

Unter ſchwankendem Gezweige,

Das ein blühend Faulbaumſtämmlein

Wie ein weißer Flockenregen

Durch das lichte Buchgrün webte,

Lag ein Dirnchen, hielt die Arme
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus.[66]
Träumend unterm Kopf verſchränket,

Daß die braune, ſchwere Flechte,

Glänzend wie das Harz der Tanne,

Schlangengleich ſich drüber ringelt.

Trug ein dunkelzwilchnes Röcklein,

Glatt und ſchlicht; und ſchmucklos Mieder

Spannt ſich um die runde Hüfte,

Hält das weiße Hemd zuſammen,

Das ſich faltig um den Hals ſchmiegt,

Und das an dem Miederausſchnitt

Wird vom Strauße überhangen,

Deſſen ſchaukelnd blaue Glocken

Zahllos in dem Mooſe blühen.

Dirnleins braune Augenſterne

Blicken ſinnend in die Wipfel,

Und ein Lied erklinget leiſe

Summend von den friſchen Lippen,

Und der Wind fängt's auf und trägt es

Zu dem Thal, wo hart am Wege

Roſenknösplein an dem Zweig nickt,

Will's ihm ſingen und es küſſen,

Daß es ſeinen Kelch ihm öffne.

Alſo ſang das holde Mägdlein:
„Wenn der Morgen früht

Und die Primel blüht,

Lenzesfreud'!

Wenn die Quelle ſprüht

Und die Roſe glüht,

Sommerzeit!

Wenn die Blätter weh'n

Und im Staub vergeh'n,

Wintersruh'!

[67]
Daß Dich Gott behüt!

Wann trägſt Knoſp' und Blüth' —

Minne Du?! ...“
Gudula, das Kind der Waldfrau,

Lauſchte jetzt mit klugem Auge

Rings umher, ob irgend Antwort

Auf ihr fragend Lied erſchalle,

Und ſie nickt verſtändnißinnig

Zu den ſonnenlichten Wipfeln.

Darin klang und ſang es leiſe,

Juſt als ob ein Beifallsflüſtern

Durch das Blattwerk lief, und zärtlich

Rieſeln weiße Blüthenflocken

Auf das Haupt des Dirnleins nieder.

Gudula fuhr fort zu ſingen:
„Ich weiß es wohl, ich weiß es wohl,

Was Minne will beſagen,

Ich hörte in dem Holderſtrauch

Die Nachtigall es klagen,

Ich las es in der Roſe Kelch,

Der purpurn ſich erſchloſſen,

Als er bei Mondes Silberſchein

Den ſüßen Duft ergoſſen!

Ich fühlte es im ſtillen Wald

Auf leiſen Schwingen wehen,

So zauberhold durch Blüthenthau

Muß Göttin Minne gehen!

Ich weiß es wohl, was Minne iſt,

Und nahm ſie mir zu eigen,

Wem aber, wem — ach kommt und helft!

Wem ſoll ich ſie erzeigen?“
5*[68]
Wieder zog's durchs Laub wie zartes

Rauſchen, und die hohen Buchen

Steckten ihre Köpf' zuſammen,

Und ſie rauſchten: „Seltſam, ſeltſam,

Wer verſteht wohl Mädchenherzen?“

Und die Sonnenſtrahlen huſchten

Goldigglänzend durch die Stämme,

Schmeichelten beim Glockenblümchen

Und dem ſchlanken Farrenkraute

Um den köſtlich klaren Frühtrunk,

Den der Thau in ihren Kelchen

Demantglitzernd ausgegoſſen.

Kuckuck lachte aus dem Thalgrund,

Und der Meiſter Specht, der biedre,

War ſchon fleißig bei der Arbeit,

Klopfte, daß die Spähne flogen

Mahnend in den Schooß des Dirnleins.

Gudula erhob ſich langſam,

Griff zur Seite nach dem Körbchen,

Drin in duftend hohen Packen

Heilſam Waldkraut eingeſammelt,

Und ſchritt ſinnend, ſuchend weiter,

Dachte d'ran, daß ſie verſprochen,

Nach den ausgeſtellten Netzen

Und den Sprenkeln auf der Wieſe

Und nach gutem Fang zu ſchauen.

In Gedanken war ſie langſam

In dem Walde hingeſchritten,

Bis er endlich, lichter werdend,

An dem Wieſenhange grenzte.

Wogend Grün ſchwamm vor den Blicken,
[69]
Wunderlieblich überſäet

Von viel tauſend Blumenkelchen,

Blau und roth am Stengel nickend,

Goldiggelb die Köpflein hebend

Und in ſammetweichen Flocken

Weiß wie Schnee im Winde wehend,

D'rüber hin fiel ſchräg die Sonne,

Und ſie weckte roſ'gen Schimmer

Auf dem üpp'gen Sauerampfer,

Daß es ſchien, als walle Nebel

Purpurn dampfend auf der Wieſe.

Ach, welch' zauberhaftes Blitzen,

Wenn die hellen Strahlengarben

In dem Thau am Blattwerk ſpielen,

Wenn der Wind den Rothdorn ſchüttelt,

Daß er plötzlich, Funken ſprühend,

Steht in diamant'nem Regen!

Gudula ſtand lange ſinnend,

Blickte mit verklärtem Auge

In die Pracht, und durch die Seele

Zog es leis wie eine Ahnung

Vom verlornen Paradieſe,

Plötzlich zuckt ſie auf, es ſchärft ſich

Jäh ihr Blick, und ſchnell ſich bückend

Hinter junge Fichtenſtämme,

Lugt ſie ſorglich durch die Zweige,

Recht voll mädchenhafter Neugier.

Langſam wandelt durch die Wieſe

Ein Kartäuſermönch. — Das lange,

Prieſterliche Kleid umweht ihn

Weit und düſter, daß es ausſieht,
[70]
Als ſei jener Mann ein Wölklein,

Welches einſam durch den Glanz zieht.

Tief geneigt hält er das Antlitz,

Emſig in dem Buche leſend,

Deſſen gelblich Pergamentblatt

Weithin in der Sonne leuchtet.

Dann bleibt wiederum er ſtehen,

Blickt gedankenvoll zum Himmel,

Kritzelt etwas in das Büchlein

Und geht querfeldein d'rauf weiter.

Gudula ſteht und belauſcht ihn,

Heller Schalk blitzt aus dem Auge,

Und in beide Wangen ſenken

Sich die übermüth'gen Grübchen.

„Mönchlein,“ denkt ſie, „arger Träumer,

Siehſt Du nicht die Netze liegen?

Flatterſt Du als ſeltne Beute

Heut Freund Reimar in die Schlinge?“

Und ſie kichert, reckt das Köpfchen

Schadenfroh durch das Gezweige.

„Richtig! richtig! ... hei er ſtolpert! ...

Hu wie knäult ſich's um die Füße,

Rathlos ſteht der fromme Bruder,

Hebt entſetzt die Beine, — watet

Juſt, als ob im Schlamm er ſtecke,

Ach und jetzt ... hilf Gott, wie drollig!

Hupft er zornig, ſchlägt die Arme,

Dieſe langen, ſchwarzen Arme

Fuchtelnd durch die Luft, gerade

Wie ein Puthahn, den die böſen

Buben an der Sonnenwende
[71]
Auf ein heißes Blech geſetzet!“

Gudula ſtützt beide Arme

In die Seiten, und ſie lachet,

Daß die hellen Thränen leuchten

In den klaren Schelmenaugen;

Doch dann ſieget ſchnell das Mitleid.

„Nur gemach! gemach! ich komme!“

Ruft ſie laut, und wie ein Rehlein,

Schlank und mit behenden Schritten,

Eilt ſie ſchnell durch Klee und Ginſter

Zu dem netzgefangnen Mönche.

Hochgeröthet ſind die Wangen,

Und ſie ſteht und zeigt die Zähne

Lachend zwiſchen friſchen Lippen:

„Ei, ehrwürd'ger Herr! wer hätte

Solchen Fang ſich träumen laſſen,

Wahrlich, niemals hat im Netze

Solch' ein Dompfäfflein gezappelt,

Und ich glaub', der alte Reimar

Hat in ſeinem ganzen Leben

Solchen noch nicht abgerichtet!“

In des Mönches bleiches Antlitz

Iſt gar dunkle Gluth geſtiegen,

Er will Dank ihr ſagen — reden,

Und er ſenkt verwirrt die Blicke,

Stottert kauderwelſche Dinge.

„Nur Geduld! zerreißt dem alten

Vogelſteller nicht die Maſchen,

Sonſt kann ich den nächſten Sonntag

Wieder in den Rauchfang ſchreiben

Und den Schaden auskuriren,
[72]
Statt zum Ringelreih'n zu ſpringen!“

Und ſie kniete zu ihm nieder,

Löſte ſorglich ſeine Feſſeln;

Ach, mit wie viel böſen Fädlein

War der fromme Herr umſtricket!

„Seht doch, Herr, wie ins Verhängniß

Ahnungslos Ihr ſeid getaumelt,

Lockten Euch vielleicht die rothen

Vogelbeeren, die dort winken,

Oder wart Ihr in Gedanken

So entrückt dem Erdentreiben,

Daß Ihr zwiſchen Klee und Blüthen

Keine Hinterliſt vermuthet?“

Auf das tief geneigte Köpfchen,

Goldbraun in der Sonne ſchimmernd,

Blickte faſſungslos der Bruder,

Auf den weißen Mädchennacken,

Der wie Märzenſchnee und Lilie

Ihm zu Füßen ſchlank ſich wieget,

Und er ſpricht mit bangem Zögern:

„Habe Dank für Deine Mühe,

Die mich ſäumigen Geſellen

Unverdienter Weiſ' befreiet.

Hoffentlich wird dieſe Lehre

Mich die Augen öffnen laſſen,

Wenn ich künftig hier luſtwandle.

Sprich, biſt Du des Vogelſtellers

Mägdlein oder Enkeltochter?

Reimar nannteſt Du den Alten.“

„Nein, Herr, nichts von beiden bin ich,“

Lacht das Dirnlein auf den Knieen,
[73]
Löſt und zerrt noch an dem Netze,

„Reimar iſt mein Freund und Lehrer

In dem Harfenſpiel, wir ſehen

Oft uns hier am Vogelheerde,

Denn mein Mütterlein, Frau Dorta,

Iſt des Frauenſtifts Sanct Annen

Kräuterfrau, und ich bin täglich

Hier im ſtillen Wald zu finden,

Um die edlen Wunderpflanzen

Für das Hospital zu ſammeln.

So ... nun hebt den Fuß ... behutſam ...

Schreitet rückwärts! ... ſachte, — ſachte! ...

Nehmt mir ja das ganze Garn mit! ...

Ei, Glück auf! ... nun fliege Vogel!“ —

Und mit klaren Kinderaugen

Blickt ſie luſtig auf zum Mönche,

Der befreit, mit heißen Wangen,

Nochmals Dankesworte ſtammelt.

Jetzt zum erſten Male ſieht ſie

Ihres Schützlings volles Antlitz,

Sieht die bleichen, edlen Züge,

Große, leuchtend blaue Augen,

Deren Blick ſo ernſt und ſinnend

Und von Wimpern tief verſchleiert,

Daß es ſcheint, als ſei er träumend,

Wie nach Innen zu gerichtet;

Blonde, ſchwere Lockenringel

Fallen tief auf Stirn und Schläfen.

Seltſam, warum blickt die Kleine

Plötzlich ſo verwirrt und ſchweigend?

Warum ſtocket ihr die Rede,
[74]
Warum wendet ſie das Antlitz,

Springt verlegen auf vom Raſen?

Wie ihr Blick zur Seite weichet,

Sieht ſie eins der Pergamente

Von dem Wind ins Gras gewirbelt,

Und ſie faßt es ſchnell und will es

Seinem Herrn zurück erſtatten,

O, da ſieht ſie auf dem Blatte

Wundervolle Malereien,

Hohe, ſpitzgewölbte Fenſter,

Steingehauene Figuren,

D'raus die ſchlanken Säulen ragen,

Und ein Kuppeldach, ein köſtlich

Hochgewölbtes, d'ran die Englein

Schweben wie in Gottes Himmel.

Athemlos ſtarrt d'rauf das Mägdlein,

Und ein leiſes: „Oh“! der Wonne,

Des ſüß ſtaunenden Entzückens

Klingt von ihren rothen Lippen.

Wie gebannt ſteht der Kartäuſer,

Starrt ſie an gleich wie im Traume,

Und bis tief ins Herz getroffen

Von dem erſten, ſtummen Lobe,

Hebt tief athmend ſeine Bruſt ſich,

Und er fragt voll Haſt: „Gefällt's Dir?“

Wieder trifft ihr Blick den ſeinen,

Und ums Blatt die Hände faltend,

Fragt ſie ſchlicht: „O, frommer Bruder,

Kündet mir, wo ſolch' ein Haus ſteht,

Wo ich ſolche Pracht mag ſchauen,

Drin die Engel Gottes ſchweben?
[75]
Wär' es auch im fernen, fernen

Heil'gen Land beim Grab des Herren,

Ach, ich wollte ſonder Ruhe

Tag und Nacht voll Sehnſucht wandern,

Bis ich's ſchaute, — — und dann ſterben!“

Auf der bleichen Stirn des Mönches

Brennt es jetzt wie dunkler Purpur,

Ueberirdiſch Strahlen flammet

Aus den Augen, und es zittern

Wie im Fieber ihm die Lippen.

„Dirnlein!“ ruft er, „mög' der Himmel

Dich für dieſe Worte ſegnen,

Mög' er's tauſendfach vergelten,

Wie Du mich ſo hoch entzückeſt!

Schau, dies Bild hab' ich gezeichnet

Mit armſeligem Verſtande,

Ach, ſo wie mein Geiſt mir's malet,

Kann kein Griffel es beſchreiben,

Kann kein Menſchenwitz es faſſen,

Keine Kunſt es je vollenden!

Ich jedoch, ich ſeh's im Traume

Wunderherrlich ſich geſtalten,

Sehe es mit wachem Auge,

Wo ich wandle, wo ich gehe,

Wie ein Blendwerk ſich erheben

Aus dem Dunſt der matten Sinne!

Wenn der Sonne Abſchiedsglühen

Noch die Wolkenwand vergoldet,

Die am Himmel hochgethürmet

Ernſt und majeſtätiſch raget,

Ja, dann ſeh' ich's plötzlich zaub'riſch,
[76]
Wie die Maſſen hold zerfließen,

Wie ein wundervoller Bau ſich

D'raus erhebt, mit gold'nen Thürmen,

Schlank und zierlich, kreuzgekrönet,

Hallen wölben ſich zum Langhaus,

Und zwei Reihen Marmelſäulen

Stützen ſeine breitgebogte,

Lichtdurchſtrahlte Münſterdecke,

Und ich ſtehe, und ich ſtarre

Süß geblendet in die Helle,

Hebe flehend meine Hände

Zu dem gnadenreichen Trugbild:

„Ach, verweil' Du ſtolzer Münſter,

Daß ich mir Dein Bildniß präge

In die durſt'ge, durſt'ge Seele!“ —

Gudula ſah auf den Jüngling,

Deſſen glückverklärte Züge

Wie in heil'gem Feuer brannten,

Wie aus dieſem bleichen Träumer

Plötzlich ein Prophet geworden,

Der mit ſtolzer, todesmuth'ger

Hand ein Banner ſchwang, zur Ehre

Seiner Kunſt und ſeines Glaubens,

Und es zog durch ihre Seele

Wie ein ahnungsvolles Schauern:

Jenes Blendwerk ſeiner Träume

Wird er einſt mit eig'nen Händen

Sich zum ew'gen Denkmal bauen.

Leiſe nickten alle Blumen,

Und der Wind fuhr durch die Gräſer,

Daß ſie zitternd ſich ihm neigten,
[77]
Doch der Mönch ſprach langſam weiter,

Ruhiger, mit heller Stimme,

Noch durchbebt von all' dem Glücke,

Daß er endlich eine Seele

Fand, die ihn verſteh'n will: „Soll ich

Dir noch mehr der Bilder zeigen?

Hab' hier noch ein ganzes Büchlein,

Drin die einzelnen Partieen

Und Abtheilungen des Münſters,

Wie ich gerne einen baute,

Aufgezeichnet ſind mit Schreibſaft.“

„O, wie gern, ehrwürd'ger Bruder!

Laß mich Alles, Alles ſchauen,

Ach, und glaub' mir, daß ich all' mein

Spärlich Theilchen Witz und Klugheit

Sammeln will, die volle Schönheit

Deines Kunſtwerks zu begreifen.

Sieh', dort liegt ein Stamm im Graſe,

Breit und mooſig, hab' ſchon oftmals

D'rauf die Mittagsraſt gehalten!“ —

Und mit kindlich frohem Eifer

Faßte ſie die Hand des Mönches,

Zog ihn fort durch Gras und Blüthen

Und blieb plötzlich ſteh'n und ſagte

Mit treuherzig holdem Lächeln,

Während ihn ein ſchalkhaft Blinzeln

Aus dem Auge traf: „Bevor ich

Hier aus dieſen Pergamenten

Dich und Deine allertiefſten,

Innerſten Gedanken leſe,

Sage mir, mit welchem Namen
[78]
Ich den lieben Künſtler nenne,

Ihn den Heiligen empfehle?“

Herzlich drückt er ihre Rechte,

Setzt ſich ihr zur Seite nieder

Und ſpricht fröhlich: „Als die Mutter

Mich zur Taufe trug, da ward mir

Als ein weltlich guter Namen

Otto Gerhard beigegeben,

Und ich hörte oft die traute,

Weiche Frauenſtimme rufen:

„„Otto! Otto! ... herzig Söhnlein!““

Und es wuchſen dieſe Klänge

Mir durch Herz und Leib und Seele,

Daß ich nie wohl Lieb'res kannte.

Als die Eltern heimgegangen,

Niemand mehr war, der mich liebte,

Und als ich dies ernſte Kleid hier

Zu des Lebens Endziel kürte, —

Du mußt wiſſen, daß Novize

Ich bei den Kartäuſer Mönchen

Auf drei Probejahr geworden, —

Da ertrug ich's nicht, daß mürriſch

Fremde und gleichgült'ge Zungen

Mir den lieben Namen nannten,

Und ich ward: Gerhardus Rochus,

Aber meinen Vaternamen —

Bin gebürtig von dem Rheine

Aus dem kleinen Dörflein Rile, —

Legte ich damit zu Grabe.“

„Biſt Du glücklich in dem Kloſter?“

„Glücklich?!“ — — o wie klang es ſeltſam
[79]
Von des jungen Träumers Lippen,

Eine ganze Welt voll Jammer,

Sehnſucht und Ergebung bebte

Durch dies eine, kurze Wörtlein.

Dann ſenkt' er das Haupt und ſchüttelt's

Ernſt und ſpricht voll tiefer Wehmuth:

„Keiner, Keiner, ach, verſteht mich,

Als Phantaſt bin ich verſpottet,

Und die Blätter hier, die ſchaute

Außer Dir kein Menſchenauge!“

„Armer Mann!“ — ſprach leis die Dirne,

Und ſie fühlt ein ſchneidend Wehe

Durch die Seele zieh'n, „O zeig' mir,

Zeig' mir dieſe Blätter, Bruder!“ —

Haſtig thut er's, breitet ſelig

Sie auf ſeiner Freundin Kniee,

Und mit glückberedter Zunge

Giebt er eifrig die Erklärung,

Hier ein Säulenknauf, — das Querſchiff,

Kreuz- und Langhaus, — dort vom Thurme

Flücht'ger Umriß, — hier ein Bogen,

Die Façade und ihr Bildwerk,

Auch ein Giebel, und zum Schluſſe

Noch der Thurmhelm. — Tief geneigt

Das ſchlanke Köpfchen, und die Hände

Wie in Andacht ernſt gefaltet,

Saß das Waldkind, ſchaute mit den

Großen Augen wie im Traume

Auf die Bilder. „Ja Du haſt es

Aus den Wolken abgeleſen,

Gerhard Rochus, ſolch' ein Münſter
[80]
Kann nur Gottes Hand erbauen,

Ach, wie wollteſt Du die Englein

An den Bogen ſchweben laſſen,

Und wer fände einen Steinmetz',

Der ein ſolches Kirchthor meißelt?“

Um des Mönches Lippen ſpielte

Ein gar zuverſichtlich Lächeln,

Und mit einem Blick, der trunken

Ueber ſeine Bilder ſchweifte,

Sprach er kühn: „Dürft' ich's verſuchen,

Hätt' ich Mittel zu beginnen,

O, ich weiß, die lieben Heil'gen

Ließen es gewiß gelingen.“

Weiter plauderten die Beiden,

Und die lang entbehrte Wonne

Dieſes treuen Seelenaustauſchs

Glich dem Sonnenſchein im Lenze;

Unter ſeinem warmen Athem

Schmolz des Mönches ſtille Scheue,

Und es quoll, vom Eis des Trübſinns

Und der Einſamkeit entlaſtet,

Nun in hohen, ungeſtümen

Grundaufquellend ſel'gen Wogen

Seine Seele durch die Worte,

Hell klang ſie wie Maienjubel,

Dieſe Sprache des Vertrauens,

Klang wie eine treue Botſchaft

Fernen, lang erſehnten Glückes,

Die verheißt: „Harr' aus und hoffe,

Deinem Herrn ſollſt Du ein Haus bau'n!“ —

Endlich ſchied Gerhardus Rochus,
[81]
Doch er ſprach: „Ich komme wieder

Hier an dieſe ſelbe Stelle,

Und ich zeige den Entwurf Dir,

Der mich Tag und Nacht verfolget.

Alles hab' ich aufgezeichnet,

Fehlt mir nichts mehr, nur die Chöre,

Dieſe beiden köſtlich ſchönen

Rundungen kann ich nicht finden.“

„Zeig' ſie mir, ich harre Deiner,“

Lächelt Gudula zur Antwort,

Hand in Hand führt ſie ihn ſchweigend

Auf den rechten Weg zum Thale.

„Gott behüt' Dich, Gerhard Rochus,

Brauchſt Du jemals Freundes Zuſpruch,

Denk' an Gudula im Walde!

Mach's nicht wie die andern Vöglein,

Die aus Reimars Netz ich löſte,

Flatt're hoch, hoch auf zum Ruhme,

Aber bleib' nicht in den Wolken,

Kehr' zurück, Gerhardus Rochus.“
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus. 6[82]

Das Kräutlein Wohlverleih.

Wie war's im grünen Walde

Doch plötzlich ſonnenlicht;

Wie ſchmeichelnd koſt und weht es

Um Dirnleins Angeſicht;

Was lugt aus jeder Blüthe

Für Schelmenäugelein?

Die Hulden ſind's, die ſüßen

Verborg'nen Liebesfei'n;

Die blinzeln und die kichern,

O, zauberholder Klang!

Und leis wie Silberglöcklein

Tönt neckiſch ihr Geſang.

Das Dirnlein ſteht und lauſchet

Und lächelt wie im Traum.

Was durch die Halde rauſchet,

Merkt und verſteht ſie kaum,

Gleich wie der Lenz die Blüthe

Aus ſcheuer Knospe bricht,

Blickt ahnend ihr Gemüthe

In blendend helles Licht,

Sie kann den Klang nicht deuten,

Doch fühlt ſie's unbewußt,

Er zieht wie Glockenläuten

Hold ſegnend durch die Bruſt.

Die Augen muß ſie ſchließen,
[83]
Und ſieht im Geiſte mild

Schneeweiße Blumen ſprießen

Um ein verſchwimmend Bild,

Doch klarer wird's und klarer,

Je länger ſie's beſchaut,

Sein Blick, ſein wunderbarer,

Grüßt ſie wie lang vertraut,

Und Strahlen überfluthen

Sein Haupt in hohem Glanz,

Es brennt in Purpurgluthen

Jäh auf der bleiche Kranz.

Was ſoll des Waldkinds Träumen

Am hellen, lichten Tag?

Aufſchrickt ſie. — Bei den Bäumen

Klingt Ruf und Hufeſchlag,

Und ihr entgegen traben

Zwei Reiter wohlgemuth,

Es führt den Edelknaben

Ein kernig Jägerblut

Und leitet an dem Zügel

Sein Roß der Halde zu,

Hebt ſanft ihn aus dem Bügel

Zur kurzen Mittagsruh.

Und wie ſein Blick jetzt ſchweifet

Seitwärts zum grünen Tann,

Klein' Gudula er ſtreifet,

Und ſchnell ruft er ſie an:

„He, Dirnlein, kannſt Du ſagen

Zur Wartburg uns den Weg?

Schier möchte ich verzagen,

Weiß weder Fahrt noch Steg'.
6*[84]
Schau an nur, wie ich blute,

So hat mein Angeſicht

Manch' dornig ſcharfe Ruthe

Im Wald mir zugericht't!“

„Für beiderlei Gebrechen,

Junkherrlein, weiß ich Rath;

Der Wunde Kräuter brechen

Und zeigen Euch den Pfad,

Ich will es unverdroſſen!

Habt Ihr Euch ſchwer verletzt?“

Und wo mit dem Genoſſen

Der Junker ſich geſetzt,

Zum Eichenſtamm im Mooſe

Tritt furchtlos ſie heran;

Wie eine wilde Roſe

Thaufriſch im ſtillen Tann,

Neigt ſie ſich zu dem Kranken

Und löſt die Binde dicht

Von ſeinem Haupt, dem ſchlanken,

Und von dem Angeſicht,

Und ſtarrt — und ſieht erſchrecket,

Wie bei der Tücher Fall

Des Junkers Nacken decket

Goldblonder Locken Schwall,

Wie plötzlich voller Schelme —

Nie hätte ſie's geglaubt —

Taucht aus dem Pickelhelme

Ein reizend Mädchenhaupt.

„Hat der Scholar, der Kleine,

Lieb Dirnchen Dich erſchreckt

Und eine wunderfeine
[85]
Jungfrau für Dich verſteckt?“

Mit hellem Silberlachen

Ruft's Nella. — „Bleibe hier!

Komm', laß uns Freundſchaft machen

Und ſetz' Dich her zu mir,

Laß Dir die Mähre ſagen,

Die mich hierher geführt,

Was mich dies Kleid läßt tragen,

Das nur die Noth erkürt.“

Treuherzig reicht die Holde

Dem Waldkind ihre Hand,

Das in der Neugier Solde

Die Furcht ſchnell überwand.

Dieweil an ſchatt'ger Stelle,

Von Zweigen überdeckt,

Der treue Waidgeſelle

Zur Ruhe ſich geſtreckt,

Sitzt Gudula zur Seite

Dem fremden Jungfräulein.

Umwoben ſind ſie Beide

Vom gold'nen Sonnenſchein,

Wohl nie hat der im Walde

Zwei Blümlein je geſeh'n,

Wie ſie hier auf der Halde

So dicht beiſammen ſteh'n,

Maaslieb und wilde Roſe,

So garnicht ſich verwandt.

Sie plaudern hier im Mooſe

Einträchtig Hand in Hand,

Und ſorglich prüft die Dirne

Die beiden Wunden jetzt,
[86]
Die Petronellas Stirne

Und Wange arg verletzt:

„Ei, dafür giebt's ein Mittel,

Ich hab's ſogar zur Hand,

Das man im Annenſpittel

Auf manches Haupt ſchon band;

Hab's juſt vorhin gefunden

Dies wundervolle Kraut,

Schnell ſollt Ihr d'ran gefunden,

Wenn Ihr der Kraft vertraut.

Da hier im Korbe ſteckt es,

Die beſte Specerei!

Seht hier! mit gelben Blüthen

Das Kräutlein Wohlverleih!“

Nella betrachtet's ſchweigend

Und lacht und giebt's zurück

Und ſpricht, das Köpfchen neigend,

„Nun denn, — verſuch' Dein Glück!

Und macht von allen Schmerzen

Dein kühles Kraut mich frei

Und heilt's ſelbſt die im Herzen —

Glück zu! Kraut Wohlverleih!“

„Als einſt zwei Mönche kamen,“

Nickt ernſthaft Gudula,

„Die wußten and'ren Namen

Und nannten's Arnica

Und ſagten, daß für allen

Und jeden Schmerz es ſei,

D'rum nannte Sanct Maria

Es „„Kräutlein Wohlverleih““.

Wie uns von der Legende
[87]
Noch jetzt berichtet wird,

Hatte das Jeſuskindlein

Sich einſt im Wald verirrt;

In Leid und großem Schrecken

Verfolgte ſeine Spur

Maria, zu entdecken

Ihr Kind in Feld und Flur.

Doch nichts, ach, wollte zeigen

Des Heilands Fährte an,

Der Tag that ſich ſchon neigen,

Zu weinen ſie begann.

Da hat im hohen Graſe

Urplötzlich ſie geſchaut

Ein ſchlichtes, gelbgeblümtes

Und friſch gepflücktes Kraut,

Und wieder eins! und wieder!

So durch die ganze Flur,

Sie beugt ſich ſelig nieder

Und fand des Heilands Spur.

Und als ſie nun ihr Kindlein

Drückt wieder an die Bruſt,

Da küßt das gelbe Kraut ſie

In namenloſer Luſt,

„„Ich will Dich ſegnen, Kräutlein,

Fortan für ew'ge Zeit,

Du ſollſt die Wunden heilen

Und lindern jeglich Leid,

Auf daß kein ander Pflänzlein

Wie Du ſo köſtlich ſei,

Du meiner Thränen Tröſtung

Heiß: Kräutlein Wohlverleih.““
[88]
Alſo plaudernd, hat die Dirne

Mit geſchäftig kluger Hand

Um des Fräuleins weiße Stirne

Feſtgeleget den Verband.

Ernſthaft ſinnend Nella ſchaute,

Und ſie ſitzen Hand in Hand,

Und dem Waldkind ſie vertraute,

Wie man Treffurt heut berannt,

Wie ſie ſchlau, um zu entfliehen,

Dieſe Mummerei gewagt,

Wie ſie will nach Wartburg ziehen,

Daß ſie Frankenſtein verklagt.

„Iſt's noch weit? Ich ritt von dorten

Plötzlich und zu ſpäter Stund',

Hungrig bin ich jetzt geworden.“

Und ſie ſeufzt von Herzensgrund.

„Hungrig? laßt zum Mahl Euch laden,

Nehmt fürlieb, hier kocht die Noth,

'S iſt ein bischen ſchwarz gerathen,

Immerhin! es iſt doch Brod.“

Und mit Schelm, mit zauberiſchem,

Knixt ſie bittend: „Laßt mir doch

Dieſen Spaß, Euch aufzutiſchen,

Hunger iſt der beſte Koch!

Seht, aus meines Korb's Geflechte

Fiſch' ich ungeheure Schätze,

O, ich weiß, wo gute, echte

Tiefverſteckte Erdbeerplätze.“

Gern gegeben, gern genommen

Iſt das heit're Mahl beendet,

Und die Trennung iſt gekommen.
[89]
Schon dem Roſſe zugewendet,

Lächelt Nella: „Dich zu lohnen,

Möchte ſchwerlich jetzt angehen,

Meine liebe, kleine Wirthin

Wünſch' ich noch recht oft zu ſehen;

Auf die Wartburg ſollſt Du ſteigen,

Und Du ſollſt nach Nella fragen,

Hab' Dir vieles noch zu zeigen,

Hab' Dir Manches noch zu ſagen.

Deine lieben Augenſterne

Sollen Licht und Luſt mir bringen,

Und Dein Mündlein wird mir gerne

Von der Freundſchaft Lieder ſingen.

So behüt' Dich Gott! — Der kranke

Junker muß von dannen geh'n,

Doch er rufet Dir zum Danke,

Gudula — auf Wiederſeh'n!“ —

Heit're Abſchiedsworte ſchallen,

Grüßend „Lebe wohl“ man winkt,

Bis die Hufe fern verhallen,

Und der Stimme Ruf verklingt.

Gudula ſteht lang' und ſchauet,

Schaut umher voll Seligkeit,

Wie ſo hoch der Himmel blauet,

Wie die Welt ſo licht und weit,

Und ſie ſtreicht mit holdem Koſen

Zärtlich über Blatt und Laub,

Tändelt mit den Haideroſen,

Schmetterling und Sonnenſtaub;

Doch des alten Reimars Schlingen

Drückt ſie heiß an Lipp' und Bruſt,
[90]
Was ſie fühlt', — ſie muß es ſingen,

Nur im Lied wird's ihr bewußt,

Was wie ungeweinte Thränen

Sie ſo wonnenvoll durchbebt,

Und wie ſturmgewaltig Sehnen

Glühend an die Freiheit ſtrebt.

Kann ſie ſelbſt auch nicht ergründen

Dieſes Räthſels Zauberſpur,

Was ſie fühlt nur will ſie künden,

Und ſie jauchzt durch Feld und Flur:
„Heraus, heraus ihr Blümelein

Im bunten Feſttagskleide

Zu Spiel und Tanz und Ringelreih'n

Im thauigen Geſchmeide!

Aurikula, du junges Blut,

Feldnelke mit dem Zindelhut,

Kommt's euch denn gar nicht in den Sinn:

Wie froh ich bin! wie froh ich bin?

Ihr Vöglein rings, heraus, heraus

Aus euerm grünen Bette!

Wiſcht euch die müden Aeuglein aus

Und ſingt eins um die Wette!

Herr Kuckuck, alter Griesgram du,

Weck' Fink und Meiſe aus der Ruh',

Und jauchzt durch alle Welt es hin:

Wie froh ich bin! wie froh ich bin!

Ihr Blümlein ſagt mit euerm Duft

Die wunderſel'ge Kunde,

Ihr Vögel ſchmettert's durch die Luft

Zum fernſten Waldesgrunde!

Und laßt es blühen, klingen, weh'n:

[91]
„Klein Gudula iſt Heil geſcheh'n!“

Ich bin hinfort nicht mehr allein,

Ein Freund iſt mein! ein Freund iſt mein!“
Echo ruft im Waldesgrunde

Silberſtimmig, hell und rein

Antwort dieſem Mädchenmunde

Und den ſüßen Melodei'n,

Und im Sinnen hold befangen

Neigt das Haupt Jung Gudula:

Was die tauſend Stimmen ſangen,

Was da tönet fern und nah,

Ach, es iſt das alte, wahre,

Ewig kehrende Geſchick,

Iſt das hohe, wunderbare

Liedlein von dem Minneglück!

Ich fürcht' mich nicht!

Zu Wartburg auf dem Schloß ward Petronella

Mit aller Huld von Frau Sophie empfangen,

Und weidlich lachte man des kühnen Scherzes,

Als Kloſterſchüler noch zur guten Stunde

Des Frankenſteiners Raubluſt zu entfliehen.

„Ein herrlich Knäblein! muß der Neid Euch laſſen,

Fürwahr, ein ſolcher Page dürfte nicht

Den Saum mir tragen! Denn ſein Sternenblick

Ließ' mancher Fürſtin Sonnenglanz erbleichen,

Und ſolche Locken bänden unbewußt
[92]
Die Herrſcherin, beherrſcht mit ſüßen Feſſeln!“

So ſcherzte Frau Sophie und drehte Nella

Mit Kennerblick nach rechts und links, dieweilen

Ein leiſes Kichern durch die Halle raunte,

Und manches Haupt der Herrin Beifall nickt'.

Dann führten auf Befehl der hohen Frau

Zwei Edelfräulein und zwei Dienerinnen

Den holden Gaſt in trauliche Kemenate,

Auf daß der Page ſich zur Jungfrau wandle

Und ſanfter Ruhe pflege nach dem Ritt.

Als Abends dann an grünumrankter Mauer,

Die mit gezacktem Haupt den Abgrund grenzt,

Umfriedigend das blumenreiche Gärtlein,

Das längs dem Wall im Burghof hin ſich zieht,

Sie plaudernd ſchritt mit der Brabant'ſchen Fürſtin

Und Kunde gab von Treffurts Brand und Fall,

Da deckten Wolken Frau Sophias Stirne,

Und finſter ſprach ſie: „Es nimmt über Hand!

Ich hab' nicht Edelleute mehr im Lande,

Nein, freche Raubgeſell'n, die allem Recht

Und dem Geſetz zum Trotz des Standes Würde

Mit eig'nen Füßen treten in den Koth!

O, daß ich's doch ſo bitter muß empfinden,

Wie Weiberhand mit viel zu leichtem Druck

Ohnmächtig ſchwach auf dieſem Lande ruht,

Zu leicht ſelbſt, um das Haupt der edlen Freunde

Mit mildem Wink zu beugen, wie viel mehr,

Mit wucht'gem Schlag den Uebermuth zu treffen!“

Und traurig ſinnend, aber doch im Blick

Die ſtolze, hohe Zuverſicht der Liebe,

Legt ſie die Hand auf ihres Kindes Haupt,
[93]
Das traulich ſich, in gold'ner Locken Fülle,

Ans Knie der Mutter ſchmiegt, und flüſtert bang:

„Mein Knabe Du, mein Heinrich von Brabant,

Mög' Dich der Himmel eiſern wachſen laſſen,

Daß ſtahlgerüſtet Deine Heldenhand

Das Unkraut aus dem edlen Waizen rode,

Denn dieſe Gau'n entbehrten lang' des Spruchs,

Der willensſtark des Markſteins Grenze ſetzt!“

Und Sonnenpurpur floß um Kind und Mutter

Und küßte ſegnend Heinrichs junges Haupt,

In Glanz gebadet ſtanden rings die Berge,

Ein Blühen, Wachſen, Treiben rings umher,

Des Sommers Segensfüllhorn war ergoſſen

In gold'nen Streifen über Thüringen,

Und lachend, glücklich grüßten Thal und Höhen,

Ein Wonnenland, empor zu ihrem Fürſt.

So deutete auch lächelnd Petronella

Hinab auf dieſes ſonnenlichte Bild:

„Ihr ſeht zu ſchwarz, vieledle Fürſtin! — Pflege

Hat ſolchem Lande nie gefehlt — bei Gott!

Verſchieden nur iſt oft des Pfluges Namen,

Und nicht der beſte iſt's, der Stärke heißt;

Ihr habt mit Roſenketten ihn umwunden,

Und ſanfte Spuren, die er hinterließ,

Beweiſen Euch in tauſend holden Blüthen,

Daß auch der Liebe Saat hier Wurzel ſchlug.

Den zarten Keim kann Frauenhand behüten,

Doch ſproßt er auf zum Eichbaum, hoch und ſtark,

Wächſt auch zugleich mit ihm des Stammes Hüter,

Der Mann, der Fürſt, Herr Heinrich von Brabant!“

Und als Sophie die Hand ihr herzlich drücket,
[94]
Und wie ihr Blick in ſtolzem Zukunftstraum

Weit über Wald und Berge fernhin ſchweift,

Und wie der leiſe Glockenklang im Thal'

Sanct Anna's Abendgruß zur Wartburg ſchickt,

Da plaudert Petronella fröhlich weiter

Von Gudula, dem Kind der Kräuterfrau,

Das hier die Stirne trefflich ihr verbunden,

Das d'runten ſie auf blum'ger Halde fand,

Und deſſen kindlich reizendes Geplauder

Ihr wohlgethan wie Heimathſonnenſchein.

Doch wunderlich! von dem Zuſammentreffen,

Mit jenem Ritter an der Werrafuhrt

Verlautet keine Silbe. — Iſt es Zorn,

Der ihre Zunge leidenſchaftlich hemmt,

Den Namen des Verhaßten auszuſprechen,

Den Namen, den ihr Zorn dem Fremden gab,

„Der Katzenritter“! — wie ſie tief im Herzen

Verſpottet, höhnt den Freund des Frankenſtein?

Vielleicht auch, daß ſie längſt im Flug der Stunden

Der Aventiur vergeſſen und gedenkt

Der Fuhrt ſo wenig wie der Holzenburg?

Gar flatterhaft und ſorglos ſind die Weiber!

Doch nein! — den Blick aufs ragende Geſcheide,

Auf ſeine ſteile Felſenwand gebannt,

Die grell beleuchtet ihre nackten Felſen

Wie eine ſtarre Zinkenkrone hebt,

Fragt plötzlich ſie, wie ganz in Schau'n verſunken,

Das Antlitz abgewandt von Frau Sophie:

„Wie wunderlich! ſo ſchnell wie ſie entſtanden,

So zauberhaft verſchwand auch jene Burg;

In einer Nacht — ließ ich mir jüngſt erzählen —
[95]
War jede Spur vom Teufelsneſt verwiſcht!

Es glaubt das Volk, der Fels hab' ſich geöffnet

Und ſie verſchlungen, juſt um Mitternacht.“

Da hebt mit großen, ängſtlich klugen Augen

Der kleine Prinz ſein blondes Lockenhaupt,

Und ſeinen Finger an die Lippen legend,

Geheimnißvoll, mit ſchnellem Blick ringsum

Und einem Wink, daß Nella ſich ihm neige,

Erzählt er wichtig: „Ja, ſo iſt's, ſo iſt's!

Ich hörte wohl, wie Yſentrud am Abend

Die ganze Mähr' erzählt' Frau Irmengard.

Da drüben — ſeht Ihr — wo die grauen Felſen

Geborſten ſind — juſt mitten in der Wand,

Wo eine tiefe Kluft iſt eingeriſſen,

Ein weißer Waſſerſtrahl quillt d'raus hervor,

Hu — ſchwarz und ſchauerlich ſieht man ſie klaffen,

Und Felsgeröll thürmt d'rüber ſich empor,

Da ... ſchaut Ihr's deutlich? ... da, ſagt Yſentrud,

Geſchieht all' Nacht ein grauenvolles Wunder!

Der Berg birſt auf, und aus den ſchwarzen Klüften

Herſprengt in tollkühn', großem Sprung zum Thal

Ein ſchwarzes Roß, trägt einen ſchwarzen Reiter,

Und Funken ſprühen, wo ſein Hufſchlag trifft.

Das iſt der böſe, böſe Feind, der Teufel,

Der dreimal blos in ſeine Hände klatſcht,

Und alle Steine fangen an zu leben,

Und aus der Erde wirbelt Rauch und Qualm

Und Feuersgluth, und hohe Mauern ſteigen

An allen Seiten auf und fügen ſich

Zu jener Burg, die Alle wir geſeh'n.

D'rinn aber wohnt der Satan, und er lauert
[96]
Den Menſchen auf und fängt die Seelen ein!“ —

Faſt unwillkürlich lauſchte Petronella

Mit athemloſen Grau'n des Kindes Wort,

An ſeiner Seite knieend, feſt den Arm

Um des Erzählers kleinen Körper ſchlingend

Und ſtarr den Blick zu dem Geſcheid' gewandt.

Doch Frau Sophia ſchüttelt ernſt verweiſend

Das kluge Haupt: „Schäm' Dich des Mährleins, Heinz!

Was alte Weiber dumm und furchtſam klatſchen,

Macht Heinrich von Brabant die Wangen bleich?

Wer ſich als Knabe vor Geſpenſtern fürchtet,

Die doch vor jedem frommen Chriſtenherz

Davon fliehn in die ew'ge Nacht des Böſen,

Die jedes Kreuzeszeichen ſchnell bezwingt,

Der wird wohl nimmermehr ein Mann und Held,

Der muthig wär', einſt Feinde zu beſiegen

Aus Fleiſch und Bein am hellen Tageslicht!“

Des Kindes Augen blitzen, ungeſtüm

Befreit es ſich aus Petronellas Armen

Und greift behend nach ſeinem kleinen Schwert.

„Ich fürcht' mich nicht, Frau Mutter, fürcht' mich nimmer!“

Ruft er mit heißen Wangen, „käme ſelbſt

Der Satanas, mein Heſſen mir zu ſtehlen,

Und käm' er jetzt, — jetzt gleich dort aus dem Berg,

Ich wollte ihn mit meinem Schwerte ſchlagen

Und in das Herz ihn ſtechen, daß er todt,

Ganz todt d'ran liegen blieb! — Ich fürcht' mich nicht!“

Mit ſtolzem Lächeln, ſtrahlend voller Wonne

Steht Frau Sophie, das Glück ſchwellt ihre Bruſt

Beim Anblick dieſes trotz'gen, kleinen Mannes,

Und auf ſein Köpfchen legt ſie ernſt die Hand:
[97]
„Ein wack'rer Spruch, mein Sohn, — ein Mann ein Wort,

Doch wer ſich rühmt, ſoll auch den Muth beweiſen,

Denn ohne That iſt jeder Ruhm nur halb.

Hier in der ſichern Burg kann jeder Fant

Sich großer Heldenthaten kecklich rühmen,

Doch ſie zu glauben iſt nicht Bürgſchaft da.

Was meinſt Du, Heinz, willſt Du dieſelben Worte

Mir wiederholen dort auf jenem Berg?

Willſt Du beherzt an jener Felswand ſtehen

Und dann noch ſagen: „„Nein, ich fürcht' mich nicht?““

Erſtarrt in jähem Grauen ſteht der Prinz,

Das Blut weicht aus den Wangen, und die Hand

Sinkt mit dem Holzſchwert leiſe zitternd nieder,

Starr, glanzlos ſchweift ſein Blick zum grauen Fels,

Und heftig athmend ringt die kleine Bruſt,

Dann aber zuckt in wildem, kühnem Trotze

Das blonde Haupt empor, und von der Stirn,

Der klaren Stirne ſchüttelt's keck die Locken,

Wie Adlerblick ſchärft ſich das Kinderaug',

Und ſeine Hand ballt ſich zur Fauſt am Schwerte:

„Ich will's, Frau Mutter, ſo mir Jeſus helfe,

Ich fürcht' mich nicht; ich hab' es Dir geſagt,

Und dort, an jenem Felſen will ich's zeigen,

Daß Heinrich von Brabant kein Prahler iſt!“ —

Lang' wortlos ſchaut Sophie in ihres Kindes

Lieb Antlitz, — wie in aufgeſchlag'nem Buch

Lieſt ſie die Seele aus den reinen Zügen

Und neigt ſich ſtumm und küßt die junge Stirn.

„Des Himmels Segen über Euch, mein Prinz!“

Ruft Petronella, ſeine Locken ſtreichelnd,

Und richtet ſich empor, ſtolz, ſiegesfreudig:
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus.[98]
„O, nehmt mich mit zum Felſen, gnäd’ge Frau!

Laßt mich im hellen Sonnenlichte wieder

Die Stätte ſchau’n, da jüngſt ich Obdach fand;

Vielleicht entdeck’ ich noch im Sand ein Zeichen

Und eine Spur, die von Bedeutung iſt.“

Die Fürſtin nickt, reicht lächelnd ihr die Hand

Und ſpricht: „Wohlan, laßt uns in frohem Zuge

Das Teufelsneſt an hellem Tag beſchau’n,

Ich will des Volkes Aberglauben brechen

Und knieend auf dem Gipfel jenes Bergs

Die Heil’gen bitten, daß all’ Furcht und Grauen

Vom Flammenmeer der Weisheit werd’ verſchlungen,

So ſpurlos, wie vom Fels die Holzenburg!“

Das Abendroth erloſch auf dem Gebirge,

In Nebel ſank des Rhönlands blauer Strich,

Und dunkler färbt der Wald ſich in den Thälern,

Als ſtieg die Nacht aus ſeinen Wipfeln auf.

„Nun geh zur Ruh’, mein Heinz!“ ſagt leis Sophia

Und drückt des Knaben Kopf an ihre Bruſt,

„Sieh’, alle Vöglein ſchlafen in den Neſtern,

Und Blümchen nicken freundlich: Gute Nacht!

Bald ſtehen tauſend helle Silberſterne

Am Himmelsrund und ſenden ihren Strahl

Durchs Fenſterlein, zu ſpähen, ob mein Heinz

Die Mutter lieb hat und ihr Wort befolgt!“

Die Arme ſchlingt der Prinz um ihren Nacken:

„Kommſt Du nicht noch, herzliebes Mütterlein,

Mit mir zu beten und mich zuzudecken,

Bringſt Du mir keinen Kuß zur guten Nacht?“

„Ich komme, Heinz!“ — Da glänzen ſeine Augen,

Er ſtreichelt zärtlich Petronellas Hand
[99]
Und eilt hinweg. Nachſchaut ihm Frau Sophia

Und ſteht und ſchaut und blickt zum Himmel auf

In ſtummem Dank; dann legt ſie ihren Arm

Um Nellas Nacken, richtet hoch ſich auf

Und fragt: „Glaubſt Du, daß Heinrich von Brabant

Sein Holzſchwert in dem Sturm und Drang der Zeiten,

Im Feuerbrand der Prüfung und Gefahr

Dereinſt ſich ſelbſt zum güld'nen Scepter ſchweißt,

Um es zu führen mit dem Heldenſpruch,

Den Kindermund erkor: „„Ich fürcht' mich nicht?““

Kann unter ſolchem Fürſt ein Land verderben?

Heil, Kind von Heſſen, Dir! Gott ſteht Dir bei!

Vertraue — hoffe — kämpf' — und fürcht' Dich nicht!“

Et dimitte nobis debita nostra!

In dem Walde, tief in Tannen,

Liegt das Hospital Sanct Annen,

Läßt ſein helles Glöcklein klingen,

Eiſenach den Gruß zu bringen,

Wandrer auf entfernten Pfaden

Zu der Meſſe einzuladen,

Um in frommen Sangesweiſen

Seinen Herrn und Gott zu preiſen.

Einſam bleibt es auf den Wegen,

Denn das Kirchlein liegt entlegen;

Reimar nur, der Vogelſteller,

Brachte einen Opferheller,
7 *[100]
Und das Waldweiblein, die Dorte,

Hinkt gebückt zur Kirchenpforte,

Die ſind beide ſtets zur Stelle,

Manchmal auch ein Waidgeſelle,

Der in früher Morgenſtunde

Pürſchte juſt in dieſem Grunde.

Heute rauſcht's und ſtampft's im Walde,

Und durch thauerquickte Halde

Naht auf bunt gezäumtem Roſſe

Graden Wegs vom Wartburgſchloſſe

Fräulein Nella, und zur Seite

Giebt Klein-Gudula Geleite,

Troßknecht Hans auch, mit zwei Rüden,

Seine Herrin zu behüten. —

Wunderhold iſt die zu ſchauen

In dem langen, himmelblauen,

Goldumbordeten Gewande,

Deſſen breitgeſtickte Kante

Niederwallt von Roſſes Rücken.

Mit ſcheu ſtaunendem Entzücken

Gudula muß an ſie ſehen,

Ihres prächt'gen Mantels Wehen,

All' die breiten güld'nen Spangen,

Die an Arm und Schulter prangen.

Langſam hin das Rößlein ſchreitet,

Von des Waldkinds Hand geleitet,

Juſt, als wollt's recht mit Behagen

Seine holde Bürde tragen.

Zierlich hält's den Hals gebücket;

An dem Zaume, reich geſchmücket

Und mit buntem Kranz umwunden,
[101]
Den ihm Gudula gebunden,

Schüttelt's wiehernd ſeine Mähne,

Daß die eingeflocht'nen Strähne,

Mit viel Bänderſchmuck durchzogen,

Um das ſchlanke Haupt ihm wogen;

Schreitet wie auf eb'ner Straßen

Sicher hin durch Wald und Raſen;

Hie und da nur, wo im Grunde

Kieſel lagern, farbenbunte,

Weckt ſein Huf die hellen Funken.

In Geſpräche ganz verſunken,

Plaudern beide Mägdlein heiter

Dies und jenes, daß ſie leider

Sich für kurze Zeit nur fanden;

Daß zu weitentfernten Landen

Nella bald muß weiter reiſen

Zu dem Oheim, Franz geheißen,

Herrn zu Deurenberg am Rheine,

Seit zwei Jahren ſchon alleine,

Einſam auf dem Felſenneſte. —

„Ach, welch' freudenloſes Leben,

Fräulein, wird das für Euch geben!“

Muß ſie Gudula beklagen,

„Glaubt Ihr, daß Ihr's könnt ertragen?

Wird's Euch leicht, dies Land zu meiden,

Giebt es Keinen, der das Scheiden

Euch und Euerm jungen Herzen

Möcht' erſchweren?“ — Und mit Scherzen

Blinzt ſie ſchelmiſch auf zur Seite.

Nella's Blick ſchweift in die Weite,

Und ſie ſpricht, tief ſeufzend: „Keiner!
[102]
Denn bei Gott, 's fand ſich erſt Einer,

Der mein Herz ließ höher ſchlagen — —

Und der — —“ „Konnte er's nicht wagen,

Euch um Herz und Hand zu bitten?

O, ich weiß, ſtreng ſind die Sitten

Eures Stand's!“ nickt trüb die Dirne.

Nella mit umwölkter Stirne,

Ihre rothen Lippen nagend

Und die Blicke niederſchlagend

Finſter, ohne aufzurichten

Haupt und Nacken, ſpricht: „Mit nichten!

Den grad' will ich ja verlaſſen,

Denn juſt dieſen — muß ich haſſen!“

„Haſſen?“ — „Ja! mit gutem Grunde.

Aber jetzt gieb Du mir Kunde,

Gudula, von Deinem Leben,

Ob Dich Freunde hier umgeben?

Haſt Du Eltern?“ „In der Klauſe

Bei dem Stift bin ich zu Hauſe,“

Nickt das Waldkind, träum'riſch ſinnend,

Seine ſchlichte Mähr' beginnend,

„Mütterlein war früh geſtorben,

Und als ſich d'rauf neu geworben

Vater eine Hausfrau, Dorte,

Hört' ich doch nie rauhe Worte,

Wurde treu von ihr gepfleget,

Wohlgehütet und geheget.

Obwohl ſie hernach gegeben

Dreien Buben noch das Leben,

Hab' ich ſtets doch ſie gefunden

Lieb und gut, zu allen Stunden.
[103]
Als der Vater heimgegangen,

Hat die Noth wohl angefangen

Sich ins Häuslein einzuſchleichen,

Geld und Gut wollt' nicht mehr reichen,

Mutter nirgends Hülf' erblickte,

Bis ſie uns der Herrgott ſchickte,

Bis im Hospital Frau Dorten

Kräuterſammlerin geworden.

Nun giebt's garnichts mehr zu klagen,

Leben dort mit viel Behagen,

Und ich denk' mit frohem Sinn,

Daß ich wahrhaft glücklich bin!“

Lachend hat's die Maid geſprochen

Und ſich plötzlich unterbrochen:

„Fräulein, halt! auf Euerm Pfade

Waltet heute Gottes Gnade

Und viel Glück, — doch unberufen!

Seht vor Eures Roſſes Hufen

Im Geſtein hier, frank und frei,

Sproßt das Kräutlein Wohlverleih!“

Gudula hat ſich gebücket

Und das Blümlein ſchnell gepflücket,

Reicht's empor: „Was es wird bringen,

Fräulein, laßt mich Euch jetzt ſingen:
Wandle hurtig, holde Maid,

Hin zum grünen Walde,

Suche Dir zur Sommerszeit

Blümlein wohlgeſtalte,

Laß die Aeuglein geh'n im Rund,

Gieb fein acht, welch' Glöcklein bunt

Blüht auf Deinem Wege.

[104]
Schaueſt Du den rothen Klee

Dir zu Füßen ſproſſen,

Fürchte nimmer Leid und Weh,

Hoffe unverdroſſen!

Vierblatt kündet Glück Dir an,

Labkraut auch und Gundermann,

Brichſt Du ſie zum Strauße.

Haſt Du ein Vergißmeinnicht

Unverhofft gefunden,

Freundſchaft bleibt, wie es verſpricht,

Treulich Dir verbunden,

Baldrian und Wegetritt

Bringen Dir Geſundheit mit,

Güldenkraut ſchafft Heller!

Oſterblume, weiß wie Schnee,

Wird Dir nicht behagen,

Jungferlein, viel bitt'res Weh

Wirſt Du ſchweigend tragen,

Primula und Ehrenpreis,

Die verheißen Deinem Fleiß

Köſtlichſtes Gelingen!

Alle dieſe Blümelein

Wollen hold Dich grüßen,

Aber dreimal Heil iſt Dein,

Blüht Dir vor den Füßen

Unverhofft das eine Kraut,

Das man, ach! ſo ſelten ſchaut,

Wunderholde Blüthe,

Kündet Dir, o Mägdlein, an,

Daß Dich Glück will ſegnen,

Daß Dir bald Dein Freiersmann

[105]
Sicher will begegnen,

Daß ſich all' Dein Luſt und Leid

Wandeln wird zu Seligkeit,

Wohlverleih heißt's Kräutchen,

Wohlverleih! — Wohlverleih!“
Laut hat's Gudula geſungen,

Und der Klang hat ſüß durchdrungen

Nella's Seele und Gemüth,

Roſenhell die Wange glüht:

„Welches Glück könnt' harren mein?

Wer, ach, ſollt' der Freier ſein,

Den dies Blümlein kündet an?“

„Juſt der erſte Rittersmann,

Fräulein, der Euch jetzt begegnet,

Der mit frommem Gruß Euch ſegnet,

Der, den Ihr zuerſt jetzt ſchaut,

Wird Euch bald als ſüße Braut

Jubelnd in den Armen halten!“

„Liebes Dirnchen, wen wohl ſollten

Schauen wir in der Kapelle?

Welch' ein edeler Geſelle

Hätt' ſich hier zum Wald verloren,

Den mein Herz ſich auserkoren

Zum Gemahl?“ — Und Nella lachte,

Lacht' aus voller Kehle. — Sachte

Trägt ihr goldroth Roß ſie weiter.

„Aufgepaßt denn!“ ruft ſie heiter,

„Welch' ein ſchmucker Junggeſelle

Harret an der Burgthorſchwelle!“

„Kehren nicht zur Wartburg heute,

Wie ſo oft ſchon, Edelleute,
[106]
Die mit ſtolzem Gut und Namen

Frau Sophie zu huld'gen kamen?“

„Nein, noch hab' ich nichts vernommen;

Lieber Gott, wer ſoll denn kommen?

Alte Herrn und junge Knaben,

Die nur eine Tugend haben,

Die, — daß bald ſie wieder gehen.“

„Nur gemach! wir wollen ſehen!“

Lächelt ſchalkhaft d'rauf die Kleine,

Dann verſtummt ſie. Silberreine

Glockentöne dringen hallend

Und die ſtille Luft durchſchallend,

Ernſthaft mahnend durch die Tannen,

Meßgeläute von Sanct Annen;

Und die Augen ſittſam ſenkend

Und das Roß zur Pforte lenkend,

Schreitet Gudula d'rauf ſchweigend.

Nella hält, vom Pferde ſteigend,

— Hülfreich eilte Hans herbei, —

In der Hand Kraut Wohlverleih,

Denn dies Kraut ſoll ſie begleiten,

Und geſenkten Hauptes ſchreiten

Sie zur Kirche, und ſie treten

Zum Altare, knien und beten,

Während gold'ne Lichter ſpinnen

Um die holden Büßerinnen

Und der Andacht ſtille Feier

Ihre ſonnenhellen Schleier.

Ja, was beten wohl die Beiden? —

Endlich ſteh'n ſie auf und ſcheiden,

Schreiten zu der Pforte wieder,
[107]
Tief geſenkt die Augenlider;

Da ſchrickt Nella jäh zuſammen,

Und, die Augen — groß ... weitoffen,

Starrt ſie, wie vom Blitz getroffen,

Faſſungslos mit tiefem Beben

Auf den Ritter, welcher neben

Ihr an nied'rer Thüre lehnet.

„Fräulein ... er ... den wir erſehnet!“

Eilt ſich Gudula voll Staunen

In der Dame Ohr zu raunen,

Aber die, zum großen Leide!

Wendet jählings ſich zur Seite,

Ruft mit kurzer, harter Stimme,

Welche halb erſtickt im Grimme,

„Hans! mein Roß!“ — und ſie entweichet,

Doch noch ſchneller, ach! erreichet

Sie der Fremde, unverdroſſen,

Schwarz und hoch, Viſir geſchloſſen,

Flüſtert leis wie in Gedanken:

„Fräulein, will mich nur bedanken!“

„Und wofür?“ — zürnt ſie entgegen.

„Fürs Gebet und für den Segen!“

Wendend ſtolz das Angeſicht,

Nella d'rauf: „Verſteh' Euch nicht!“

„Betend habt Ihr mein gedacht!“

„Euerer?!“ — O, wie ſchneidend

Oft doch ſolch' ein Mädchenmund.

„Meiner! ja! ich ſchwör's zur Stund'!“

Ihr Auge blitzt, ſie athmet ſchnell,

Sie bebt vor Zorn. „Beweiſt's, Geſell!“

„Nun, ſpracht Ihr nicht, aufrichtig gern,
[108]
So eben das Gebet des Herrn?

Mit vollem Ernſt auch, will ich hoffen?“

„Gewißlich ...“ ſtottert ſie betroffen.

„Wohlan! — ſo ſchwuret Ihr doch eben,

Daß Euern Schuld'gern Ihr vergeben?“

„Ja, ja! ... ha! — jetzt kann ich verſtehen —“

„Daß die Vergebung mir geſchehen!“

Lacht er leiſe, „Eure Huld

Glaubt mich ja in tiefſter Schuld!

Das Gebet d'rum des vielholden

Jungfräulein hat mir gegolten,

Wie ich's eben Euch bewieſen.

Schaut, noch immer trag' ich dieſen

Kleinen, zürnenden Geſellen,

Darf ich nun zurück ihn ſtellen

Und mit Euch, die Ihr vergeben,

Künftighin in Frieden leben?“

Und er reicht — o wie verwegen!

Jenen Handſchuh ihr entgegen,

Den ſie ihm zurückwarf, droben

Auf der Holzburg, da mit groben

Worten frechlich er ſie kränkte.

Nella ihre Blicke ſenkte,

Reißt das Wohlverleih zu Stücken,

Wendet ſchweigend ihm den Rücken.

„Alſo Krieg? — ich muß es leiden!

Aber glaubt, einſt kommen Zeiten,

Wo mit trautem Friedensſehnen,

Mit viel heißen, bitt'ren Thränen

Jenes Wunder wird geſchehen,

Daß in frommem, bangem Flehen
[109]
Ihr die Hände werdet ringen,

Ein Gebet mir darzubringen,

Daß Ihr mit der Minne Bangen

Dieſen Handſchuh müßt empfangen,

Ihn an Herz und Lippen preſſen,

Schwören, nie mich zu vergeſſen.

Ja, bei Gott, ſo wird's geſcheh'n;

Denkt daran! — Auf Wiederſeh'n!“

Eh' nur Nella Zeit gefunden

Zu der Antwort, iſt verſchwunden

Jener freche Raubgeſelle

In dem Innern der Kapelle,

Während ſtaunend Gudula

Nicht begreift, was hier geſchah.

Tief erſt in des Laubwalds Mitte

Zügelt Nella ihre Schritte,

Und, kaum ihrer ſelbſt bewußt,

Sinkt ſie an der Freundin Bruſt,

Läßt den Thränen freien Lauf,

Stöhnet krampfhaft ſchluchzend auf:

„Katz' und Maus! — verruchtes Spiel!

Gudula, es iſt zu viel!“ —
[110]

Die Glockenblume.

Schweigend weiter ritt das Fräulein,

Gudula, viel zu beſcheiden,

Um durch allzukeckes Fragen

Eine Löſung auszufinden,

Schritt geſenkten Haupts zur Seite,

Ueberdenkend das Erlebte.

Wäre ja kein Weib geweſen,

Hätte ſie nicht regen Geiſtes

Den Zuſammenhang geahnet

Und in tauſend kühnen Bildern

Die Vermuthung ausgeſponnen.

Ja, ſie lächelte, die Kleine,

Und ſie dachte tief im Herzen:

„Wunderlich ſind oft die Wege,

Dornenvoll und viel verſchlungen,

D'rauf die ſüße Minne wandelt,

Und mir deucht' es, dieſen Beiden

Hat ſie ſchweren Gang beſchieden,

Müſſen Beide erſt ſich müde

Laufen, hin und her im Zweifel,

In der Dunkelheit und Wildniß,

Bis die ſtarren, trotz'gen Ecken

Ihrer Herzen abgeſchliffen,

Bis der ſpröde Stolz gebrochen,

Und die Augen ſehend werden,

All' ihr Glück erſt zu begreifen!“
[111]
Und ſie nickte zuverſichtlich

Mit dem ſchlanken, klugen Köpfchen,

Lächelt ſchalkhaft, tief in Sinnen,

Und ſie hebt in ſtummer Frage

Ihren Blick zum klaren Himmel,

Wo ein einzeln weißes Wölklein

Durch den blauen Aether ſchwebet,

Wo in ſchnellem Zickzackfluge

Schwalbenſchwingen ſilbern blitzen,

Und ſie denkt an jenes Kräutlein

Wohlverleih und ſeinen Zauber,

Der doch ganz gewiß nicht trüget.

Nein, ſie bangt nicht um das Schickſal

Dieſer beiden Menſchenkinder,

Denn auf Regen folgt die Sonne:
„Es muß ein Sturmwind ſauſen

Daher in ſtiller Nacht,

Eh' unter weißen Flocken

Der junge Keim erwacht.

Er muß mit wildem Klingen

Aufthau'n den Eiſesbann,

Eh' Blumenknoſpen ſpringen,

Eh's Frühling werden kann!

Er muß die Ketten brechen,

Darin die Erde lag,

Eh' an die Bruſt des Lenzes

Sie jauchzend ſinken mag!

Es muß ein Sturmwind wehen

Hin durch die Menſchenbruſt,

Eh' ganz ſie kann verſtehen

Der Liebe Leid und Luſt!“
[112]
Auf dem mooſ'gen Stamm im Walde

Welch' ein frohbewegtes Leben,

Welch' ein Fragen, welch' ein Forſchen,

Welch' ein ſelig Antwortgeben!

Eifrig in die kleinen Hände

Sammelt Gudula die Pracht

Jener Dombaupergamente,

Die Gerhardus' Geiſt erdacht,

Und wie durch die Finger gleiten

Immer neue Wunderſtreifen,

Kann des Waldkinds Sinn die Fülle

Solcher Schönheit kaum begreifen,

Oft auch bietet ſich den Blicken

Nur ein Plan mit graden Strichen,

Kreuz und quer iſt er durchzogen

Von viel Schnörkeln, wunderlichen,

Und da giebt es viel zu fragen,

Viel zu ſtaunen und zu merken.

Wunderdinge muß ſie hören

Von gewalt'gen Meiſterwerken;

Und das Blatt empor dann hebend

Und gewandt zum Sonnenlichte,

Spricht der Mönch mit heißem Auge

Und glückſtrahlendem Geſichte:

„Kannſt Du, liebes Dirnlein, ſchauen,

Welche Form dem Plan gegeben?

Wie ein Kreuz geſtaltet, ſoll ſich

Meine Kirche einſt erheben,

Und ſo iſt es ſchon mein Träumen

Seit den frühſten Jugendjahren,
[113]
Als mein Vater in Geſchäften

Weit mit mir ins Land gefahren.

Sind bis Welſchland gar gekommen

Auf den mühevollen Reiſen,

Raſteten auch einſt zwei Tage

In der Stadt, Amiens geheißen.

Alle ſonſt'ge Schönheit miſſend,

Wandert' ich unzähl'ge Male

Zu der hohen, wundervollen

Steingebauten Kathedrale,

Stand verſunken ganz in Schauen,

Solche Hoheit zu erfaſſen.

Niemals hat das Angedenken

Jenes Bau's mich mehr verlaſſen,

War ein Kind noch, ſechzehn Jahre

Mochte ich wohl damals zählen,

Dennoch wußte Geiſt und Auge

Sich beim Anblick zu vermählen,

Und ich dachte oft im Herzen:

Die zum Lob des Chriſtenthumes

Tempel Ihr und Münſter bauet,

Ach, gedenket doch des Ruhmes

Und des Zeichens unſres Glaubens!

Auf dem Kreuz ruht jeglich Leben,

Darum laßt auch aus dem Kreuze

Euer Heiligthum ſich heben!

Und ſo hab' ich dieſem Plane

Manch' Erinnern einverwebet,

Wie das Bild mir jenes Münſters

Zu Amiens vor Augen ſchwebet,

Aber meine Grundgedanken
v. Eſchtruth, Katz' und Maus. 8[114]
Hab' ich treulich beibehalten,

Aus dem Kreuz will ich dem Kreuze

Seinen ſchönſten Sieg geſtalten!“

Gudula hat ihn verſtanden,

Jede Antwort thut's bekunden,

Eifrig lauſcht ſie, — es entfliehen

Pfeilgeſchwind die Morgenſtunden.

„Und wie ſteht es mit dem Chore?

Wollteſt ja die Zeichnung bringen.“

Traurig ſenkt der Mönch das Antlitz:

„Dieſer Chor will nicht gelingen,

Habe ihn bis jetzt gehalten

Ganz nach dem Amiens'er Stile,

Doch gefällt's mir nicht. Statt näher,

Komm' ich weiter ſtets vom Ziele.

Möchte ihn ſo gerne wölben

Aller ſteifen Kunſt zum Hohne;

In dem Schöpfungsbuche ſelber

Forſch' ich nach des Werkes Krone,

So wie Gott am Dom des Himmels

Formte Sterne, Mond und Sonnen,

Alſo möcht' ich meine Weisheit

Schöpfen aus des Urquells Bronnen!“

Und mit abgewandtem Haupte

Reicht er ſeufzend ihr die Streifen

Der Entwürfe. — Sorgſam forſchend

Ihre Blicke drüber ſchweifen,

Lang und ſchweigend, — wie auch kann ſie

Lob ihm oder Tadel ſprechen?

Dann neigt ſie ſich hin zum Mooſe,

Eine Blume draus zu brechen,
[115]
Eine blaue Glockenblume,

Schlank und zierlich, zart geneiget,

Hebt empor ſie, ſchaut ſie ſinnend,

Prüfend an und ſinnt und ſchweiget.

„Was beginnſt Du?“ fragt Gerhardus,

Blickt auf Hand und Blume nieder,

„Sucheſt Du zu meinem Troſte

Süße, blüthenduftge Lieder?“

„Nein“, ſpricht lächelnd ſie entgegen,

„Bei dem Anblick dieſes ſchlanken

Wunderholden Blumenkelches

Kamen plötzlich mir Gedanken,

Kindlich unverſtänd'ge Träume,

Wie oft Mädchen denken, dichten;

Aber, willſt Du ſie vergeben,

Will ich gern ſie Dir berichten.“

„Rede, Dirnlein!“ ruft er eifrig,

Und beſtrahlt vom Sonnenlichte,

Blickt er nieder zu dem holden

Engelsfrommen Angeſichte.

„Sieh“ — ſagt Gudula mit leiſen,

Seelenvollen Flüſterlauten,

„Hab' geglaubt, die Hände Gottes

Formten ſtets die ſchönſten Bauten,

Wenn auch nicht aus Stein gefüget,

Hohe, ſtolze Kathedrale,

So doch manchen kleinen Tempel

Tief im Wald, im Feld, im Thale!

Hat daſelbſt die edlen Muſter

Ganz verborgen uns gewieſen,

Läßt die wundervollſte Rundung
8*[116]
Achtlos Dir zu Füßen ſprießen;

Kann wohl Menſchenkunſt je formen

Solch' ein Bildwerk, lichtdurchfloſſen?

Ach, in welcher Werkſtatt wurde

Solch' ein Glöcklein je gegoſſen!

Blind, verſtändnißlos durchſtürmet

Wohl die Menge Flur und Auen,

Doch Euch Künſtlern gab die Gottheit

Augen, ſeine Kunſt zu ſchauen;

Gab Euch die lebend'ge Seele,

Seine Werke zu begreifen,

Gab das Vorbild, Euer Streben

Groß und prachtvoll dran zu reifen.

Sieh, Gerhardus, dieſe Blume:

Weitgeſchweifte Kirchenbogen,

Gleich den marmorkant'gen Stützen

Von den Adern ſcharf durchzogen!

Kannſt Du beſſre Wölbung ſchauen?

Dehne ſie zu ſtolzen Hallen,

Laß Dein Netz von Ornamenten

Nach Geſchmack darüber fallen!

Aendre, feile, ſuch' die Formen

Deinem Chore anzupaſſen,

Nach der kleinen Glockenblume

Thürme Deine Rieſenmaſſen!

Sieh, Du lächelſt! — Meine Weisheit

Kommt ſo jämmerlich zu Falle?

Ach, wie hoffnungslos verſinket

Glockenblum' und Münſterhalle!“

Und ſie lachet hell und ſchelmiſch,

Reicht ihm ſchnell die Hand entgegen,
[117]
Dankerfüllet muß die ſeine

Gerhard auf ihr Köpfchen legen.

„Gudula!“ — ruft er entzücket,

„Möge Gott es mir beſcheren,

Oft und ſelig noch zu lauſchen

Deinen holden Baukunſtlehren!

Seine Wunderſchriften ſchenkte

Gott den ſtillen Wieſengründen,

Und er ſandte einen Engel,

Mir den Inhalt zu verkünden;

Nicht ſo werthlos, als Du glaubeſt,

Waren, Dirnchen, Deine Sätze,

Jene Glockenblume birgt mir

Neue, wundervolle Schätze!

Schenk' ſie mir, in ſtiller Klauſe

Sie zum Vorbild zu erküren

Einem Meiſterwerk, denn in ihr

Werd' ich Deine Nähe ſpüren,

Und was mir trotz heißen Strebens

Wollt' bis jetzt noch nicht gelingen,

Deingedenken und Begeiſt'rung

Muß es zur Vollendung bringen!“

Gudula blickt in ſein Auge,

In das blaue, räthſeltiefe,

Und ihr iſt es, als ob heimlich

Eine Stimme in ihr riefe:

„Falte, falte Deine Hände,

Denn Du ſtehſt vor einem frommen

Manne, über deſſen Seele

Reich der Geiſt des Herrn gekommen!“

Und im Laube geht ein Flüſtern
[118]
Wie von ſüßen Engelszungen,

Welche über Gerhards Haupte

Ein Haleluja geſungen.

Beide ſchweigen, beide ſchauen

Träumend nach dem Himmelsbogen,

Ueber deſſen Horizonte

Heiße Purpurgluthen wogen,

Beide fühlen tief im Herzen,

Daß das vollſte Glück hinieden

Ihre Stirne ſegnend küſſet

In geheiligt reinem Frieden.

Bald iſt Gerhard drauf geſchieden,

Hat die Hand ihr ſtill gedrücket,

Hat das ſchwarze Prieſterkleid ſich

Mit dem Blumenſtrauß geſchmücket,

Mit den blauen Glockenblumen,

Die ihm Gudula gegeben,

Die, wie leis in Fieberſchauern,

Zwiſchen ſeinen Fingern beben.

Lange ſteht und ſchaut das Waldkind,

Bis er fern im Holz verſchwunden,

Und ſie hat für ihr Empfinden

Schnell im Lied das Wort gefunden:
„Oft ſchon hab' ich mich gefraget,

Welch' ein Zauber hält mich feſt,

Der mich ſtets und aller Orten

Seine Stimme hören läßt?

Hat mich niemals doch im Leben

Stille Andacht ſo entzückt,

Wie mich jetzo ſeiner Rede

Ernſter Zauberklang beglückt!

[119]
Ach, mir deucht wie Glockenläuten,

Chorgeſang die Rede ſein,

Meine Hände muß ich falten,

Und ins Herz zieht Frieden ein!“

Der Steg.

Längſt ſchwebte Frau Sonne im güldenen Kleid

Ueber die Felſen des Breitengeſcheid,

Spielt um die wehenden Fähnlein und lacht

Auf Fürſtin Sophias buntfarbige Pracht.

Da wimmelt ein Reiterzug luſtig im Wald,

Es ſchnaufen die Roſſe, das Hüfthorn erſchallt,

Empor zum Geſcheide auf mühſamem Pfad

Sophia ſtolz zürnend dem Teufelsneſt naht;

Sie lenket die Zügel mit ſicherer Hand,

Lang wallet das dunkle, verbrämte Gewand.

Zu ihrer Seite, auf zierlichem Roß,

Sicher geleitet vom reiſigen Troß,

Voran dem Gefolge, dem Burggeſind,

Reitet ihr Söhnlein, Heinrich das Kind.

Hell ſchweifet ſein Blick durch das blühende Land,

Trifft furchtlos die ſchwindelnde Felſenwand,

Das fallende Waſſer klinget und ſchallt

Geſpenſtiſch am dunklen, breitklaffenden Spalt,

Doch ſonnenbeſtrahlet, in blendendem Licht

Schreckt er die Seele des Kindes heut nicht,

Mit trotzigen Lippen, erhobener Stirn

Weiſet er ſtolz auf die klüftige Firn:
[120]
„Da ſchaut, Petronella, das graue Geſtein,

Den Teufel ſchlang's und die Holzenburg ein!

Mir macht es nicht bang, ich trete davor

Und ſchlag' mit dem Schwert an das hölliſche Thor

Und rufe: „„Hei Satanas — auf mit der Thür!

Herr Heinrich von Heſſen ſteht zürnend dafür,

Der will Dich verjagen mit Knüttel und Brand

Aus ſeinem geliebten, thüringiſchen Land!““

Da lächelt die Jungfrau, und lächelnd ſie nickt:

„So hab' ich es gern, wie mein Aug' Euch erblickt;

Herr Heinrich von Heſſen, als Kind ſchon ein Held,

Bezwinget als Mann alle Teufel der Welt!“

Und weiter geht es zum Bergeskamm,

Da ragen die Tannen wohl Stamm an Stamm,

Hochebene dehnt ſich und Wieſenplan,

Zum Raſten und Lagern juſt angethan,

Wohl ſah dort die Eich' ſchon Jahrhunderte ziehn,

Dort richtet den fürſtlichen Baldachin,

Webt flatterndes Tuch durch der Zweige Grün,

Mit Teppichen decket des Bodens Blüh'n,

Herzu mit dem Labtrunk, bereitet das Mahl!

Hell ſchmettert der Hornruf zum ſonnigen Thal,

Und während im Walde ſchafft emſig der Troß,

Steiget Sophie und Heinrich vom Roß.

Mit Nella und weniger Edlen Geleit

Schreitet die Fürſtin zum Breitengeſcheid,

Auf mooſigem Pfade, im Sonnenbrand,

Jung Heinrich führet ſie ernſt an der Hand

Und blicket hinab in den ſchwindelnden Grund,

Hinab in den klüftigen, gähnenden Schlund,

Da rieſelt das Waſſer und tropft am Geſtein,
[121]
Da blickt man ſo hohl und ſo düſter hinein,

Und Stille ringsum, und ernſt jed' Geſicht.

Da lächelt der Knabe: „Ich fürchte mich nicht!“

Und laut er ruft, daß am Felſen es hallt:

„He Teufel! — Du Ritter von ſchwarzer Geſtalt!

Im Namen der Heiligen, die ich anbet',

Hervor nun komme zur grimmigen Fehd'!

Das Kreuzeszeichen, ich ſchlag's wider Dich,

Mein frommes Gemüthe, das wappenet mich,

So jag' ich hinaus Dich zum Thüringer Land,

Sein Schirmherr und Landgraf, das Kind von Brabant!“

Still bleibt's in der Tiefe, das Sonnenlicht glüht,

Daß blitzend das Waſſer in Funken verſprüht,

Und Heinrich ruft kühner und lauter zumal,

Doch Echo nur hallet im waldigen Thal.

Da faſſet Sophia ein Kreuzlein von Stein

Und pflanzt's in die klüftigen Felſen hinein,

Hebt ſegnend die Hände darüber und ſpricht:

„Das Kreuz hat geſieget, der Wahnwitz zerbricht,

Das Teufelswerk löſch' ich zur ſelbigen Stund'

Und tilg' es, wie hier, in der Leute Mund,

Vom Thüringer Land ſoll für ewige Zeit

Dem Teufel gehören kein Fingerbreit!“

Und Jubel erhebt ſich ringsum auf dem Plan,

Die Dienſtbaren ſind's, die ſolch' Schauſpiel erſah'n,

Sie ſchwenken die Fähnlein, die bunten, im Wind:

„Heil, Heil unſerm Heinrich, dem heſſiſchen Kind!“

Nur Nella allein ſteht am Abgrunde dicht,

Zur Tiefe gewendet ihr bleiches Geſicht,

Ihr iſt es, als müſſe aus düſterm Geſtein

Urplötzlich ſie treffen das Auge ſein,

[122]
Als müſſe aus gähnendem Felſenthor

Der ſchwarze Ritter jäh ſprengen hervor,

Und der Waſſerklang, der zum Ohre ihr dringt,

Ganz wie ſein ſpöttiſches Lachen ihr klingt.

Doch Alles bleibt ruhig, in ſonniger Pracht,

So friedlich, ſo traulich die Erde rings lacht,

Sie fühlt wie ihr Herze aufathmet ſo leicht,

Wie ſüße Ruhe es heimlich beſchleicht,

Da ſchwindet all' Grauen, in Roſenpracht mild

Verſinket ſein ängſtlich, unheimliches Bild.

Im Schatten der Eiche, welch' köſtliche Raſt,

So ganz bei den Rehen und Hirſchen zu Gaſt!

Jung Heinrich pflegt nach dem Mahl nicht der Ruh',

Er rufet die Schützen, die Hunde herzu,

Stürmt jubelnd die blumigen Auen hinan,

Zu ſchauen, zu ſpüren ein Wild ſich im Tann.

Sophia in wonniger, ſeltener Luſt,

Athmet die Waldluft mit wogender Bruſt,

In lieblichen Träumen die Blumen ſie bricht,

Zum Kranze, zur Kurzweil ihr Finger ſie ſticht,

Und Nella wandelt in Wieſe und Hain

Und ſammelt der Fürſtin die Blüthen ein.

Und weiter und weiter auf blumigem Pfad

Hat ſich ſchon Nella dem Abgrund genaht,

Da ſproſſen und nicken am grauen Geſtein

Zwei blutrothe Nelken im Sonnenſchein,

Sanft ſenkt ſich der Berg hier, Grasſtreifen breit

Furchen die Felswand des Breitengeſcheid,

Ein wenig nur klettern, ein wenig nur Muth,

Dann wandelt's am Felſen ſich ſicher und gut!

Und Nella, ſie wagt es, ſie ſieht es ſich ab
[123]
Und ſchwingt ſich behende am Steinicht hinab.

Den ſchleppenden Mantel löſt flink ihre Hand,

Schürzt zierlich und fußfrei das blaue Gewand,

Und ſchlank wie die Gemſe, ſo ſicher und frei

Schreitet ſie furchtlos am Abgrund vorbei,

Auf ſchmalem Pfad, über Blöcke, Gerank,

Wagt ſie den ſeltſamen, muthigen Gang,

Bricht Nelken und Steinklee und duftiges Kraut,

Kaum daß ſie noch vor ſich, noch hinter ſich ſchaut.

Da ſteht ſie urplötzlich vor klaffendem Spalt,

Der ruft ihr ein ſtummes, doch mächtiges Halt!

Er iſt nicht ſehr breit — doch drüber hinaus?

Duftend und groß genug iſt der Strauß!

Schon will ſie ſich wenden, da hat ſie geſandt

Noch einen Blick auf die Felſenwand,

Und regungslos ſteht ſie, mit ſtaunendem Schrei,

Da drüben grüßt ſie — Kraut Wohlverleih.

„Dich brech' ich, dich pflück' ich, o Pflänzelein!

Du fehlteſt noch einzig dem Strauße mein.

Weh' Dir! Du ſagteſt den feindlichſten Mann

Erſt heute Morgen zum Freier mir an,

Da blühſt Du ſchon wieder an ſchwindelndem Steg,

Da weiſſagſt Du wieder mir Glück auf den Weg!“

Und muthwillig lachend, Nella iſt jung,

Wagt ſie voll Eifers den kecklichen Sprung.

Wohl kommt ſie hinüber, kühn ſtieß ſie ſich ab,

Doch hinter ihr bröckelt's und poltert's hinab,

Es rollen die Steine — o Herzeleid,

Der Felſenſpalt ward jetzo doppelt ſo breit!

Nella neigt ſchnell ſich, pflücket das Kraut,

Dann erſt hat ängſtlich ſie rückwärts geſchaut;
[124]
Und vor ſich, o Himmel, ſenkrechte Wand,

Aufſteigend vor ihr, hält das Fräulein gebannt,

Nicht vorwärts, zur Seite nicht und nicht zurück.

„Kraut Wohlverleih, wehe! iſt ſolches mein Glück?“

„Grüß Gott Euch, Jungfräulein!“ Da zittert ein Schrei,

Da ſinkt aus den Händen Kraut Wohlverleih,

Denn drüben am Erdſpalt, in ſpottender Ruh'

Winkt grüßend der ſchwarze Ritter ihr zu,

Stützt auf ſein Schwert ſich, lacht luſtig ſie aus:

„Das nenn' ich gefangen, vielreizende Maus,

Fürwahr es ſcheinet Verhängniß zu ſein,

Zum zweiten Mal ſperrt Euch die Holzenburg ein!“

Ein Schauder faßt Nella, faſt unbewußt

Schlägt ſie das Kreuz über Stirn und Bruſt,

Sinkt zitternd zuſammen, liegt auf den Knieen

Und faltet die Hände zum Schutz wider ihn:

„Wo kam er her? aus der Felſenwand?

Errette mich, Jeſu, aus Teufelshand!“

„Was fürchtet Ihr, Jungfrau?“ der Ritter frägt,

„Vor Teufelszauber man Kreuze nur ſchlägt,

Glaubt Ihr in Wahrheit die kindiſche Mähr,

Daß ich leibhaftig der Satanas wär'?“

Wie ernſt klingt die Stimme, wie markig, wie ſtolz!

Ein kleines Kreuzlein von Roſenholz,

Das ſorglich im Wammſe verborgen war,

Zieht jetzt er hervor und reicht es ihr dar.

„Da ſchaut, was mein Zeichen, mein Kleinod iſt“,

Grollet er leiſe, „ich bin ein Chriſt!“

Da athmet ſie auf: „Ich fürcht' Euch nicht mehr,

Wie aber, redet! wie kommt Ihr hierher?“

Da blitzet ſein Auge voll Schalk durchs Viſir:
[125]
„Ich bin ja die Katze, das Mäuslein ſeid Ihr,

Und ſoll Euch mein Auge, mein Blick fangen ein,

So iſt's von nöthen, Ihr ſchaut oft hinein!

Doch laßt uns nicht plaudern in nutzloſem Streit,

Erſt will ich Euch helfen, gern bin ich bereit,

Will bauen Euch, Fräulein, die luftige Brück',

Euch leiten zum ſicheren Wege zurück.“

Und eilig tritt er zur Seite hierauf

Und hebt vom Gerölle den Fichtenſtamm auf,

Haut mit dem Schwert eine Narbe hinein,

Zu ſeh'n, ob er morſch ſchon, oft trüget der Schein.

Dann klimmt er zur Seite die Felsſchlucht hinan,

Fällt mit dem Schwerte zwei Stämmchen im Tann,

Schleift ſie zum Erdſpalt; quer drüber geſtreckt,

Haben ſie trefflich den Abgrund gedeckt,

Nun drüber den Aſt noch, mooſig und breit,

Gar ſchnell durch die Klinge von Zweigen befreit,

Wie im Spiele ſo müh'los der Ritter ſchafft,

Das Urbild gewaltiger, männlicher Kraft,

Und Nella, zwar will ſie ſich's ſelbſt nicht geſteh'n,

Sie hat mit Bewundrung ihm zugeſeh'n.

Er ſetzet den Fuß auf die ſchwankende Brück',

Geht prüfend herüber und wieder zurück.

„Nun, Jungfräulein, wagt es, das Steglein iſt gut,“

Ruft er vergnüglich, „verſucht's, faſſet Muth!“

Doch Nella ſetzt angſtvoll das Füßchen darauf,

Da kniſtert und ſchwankt es, und leis ſchreit ſie auf

Und flüchtet zurück ſich — „O nein, nimmermehr!

Die Stämme zerbrechen, ich laſte zu ſchwer!“

Da lacht er und ſchüttelt ermuth'gend das Haupt:

„Die tragen wohl zehnmal ſo viel, als Ihr glaubt,
[126]
Doch ſeid ohne Sorge, ich hol' Euch im Nu,

Trug oft doch die Katz' ſchon ein Mäuslein herzu!“

Und neben ihr ſteht er und neigt ſich aufs Knie:

„Ich trag' Euch!“ — Er, dem ſie doch niemals verzieh,

Der Mann, den ſie haſſet, ſie ſchrecket zurück:

„Nein, nein! ich verſuch's, ich geh' über die Brück'.“

Und ſie probet aufs Neu', beißt die Zähne zuſamm',

Es knirſcht auf den Steinen der lockere Stamm,

Sie blickt in die Tiefe, ſie ſchwindelt, ſie ſchwankt

Und flüchtet zurück ſich: „Es hält nicht, es wankt!“

Stumm ſteht er, als ging' ihn das garnichts mehr an,

Gekreuzet die Arme, der trotzige Mann,

Er ſieht ihre Angſt, ihrer Blicke Fleh'n,

Noch will er die Bitte jetzt nicht mehr verſteh'n;

Ein Hornſtoß klingt fern von des Berges Firn,

Da kehrt er zum Steg ſich mit finſterer Stirn,

Will ſcheiden von ihr. Das wäre ihr Tod!

Geängſtigt, gedrängt von der bitterſten Noth,

Faßt jäh ſeinen Arm ſie, umklammert ihn feſt,

Wie der Epheu, der niemals vom Eichenbaum läßt,

„O geh' nicht — o rette mich ... nimm mich mit Dir,

Ich muß ja verſinken im Abgrunde hier!“

Da trifft ſie ſein Auge, hellſtrahlend in Luſt,

Er neigt ſich, er hebet ſie ſchnell an die Bruſt,

So ſicher gefaſſet, bang an ihn geſchmiegt,

Leicht wie eine Feder ſein Arm ſie wiegt,

Und ſtumm betritt er die ächzende Brück'

Und trägt ſie zum ſicheren Jenſeits zurück.

Noch hält ſie ſein Arm. „Jungfräulein, ei ſprecht,

Des Lohnes iſt werth doch ein jeglicher Knecht,

Gar tief ſteht zum dritten Mal heut' Ihr in Schuld,
[127]
Und lange ſchon harr' ich, in Treu' und Geduld,

Ihr kamet ja heute und ſuchtet mein Haus,

Was wollt' bei der Katze die minnige Maus?“

Und abermals lacht er; dies Lachen vergällt

Nella ſeit langem ſchon Leben und Welt,

Mit glühenden Wangen, zur Seite gewandt,

Löſt ſie von ſeinem Nacken die Hand

Und zürnet ſtolz, verächtlich, kalt:

„Die Maus iſt in der Katz' Gewalt,

Mein Leben nehmet, macht es Euch Spaß,

Freiwillig ſchenk' ich nur den Haß!“

Sanft läßt er ſie gleiten zur Erde hin:

„Wie anders, o Fräulein, denkt Ritterſinn,

Den Lohn veracht' ich, der ſich fürwahr

Nicht bietet von ſelbſt und freiwillig dar,

Reißt man vom Strauche die Roſe im Zorn,

Entblättert den Kelch man und fühlt nur den Dorn!

Ich aber will, daß ſie ſelber ſich neigt,

Den ſüßen Kelch ohne Stachel mir zeigt,

Und will, daß von ſelber in minniger Luſt

Das Mäuslein der Katze hinſinkt an die Bruſt!

So lebet denn wohl nun, zum dritten Mal,

Steigt ungefährdet hernieder zum Thal,

Und braucht Ihr einſt Hülfe, ich bin auf dem Platz,

Dann, Mäuslein, rufe getroſt Deine Katz'!“

Mit klirrendem Gruße, kühn und gewandt,

Drückt er des Fräuleins bebende Hand,

Und ſchnell wie ein Schatten, mit ſelt'nem Geſchick,

Entſchwindet er zwiſchen den Felſen dem Blick.

Auch Nella entflieht, und ſie murmelt dabei:

„Hätt' nie ich geſeh'n Dich, Kraut Wohlverleih!“
[128]

Der Katzenritter.

Auf ſchwellendem Lager Schön-Nella liegt,

Vom Frühroth die Kiſſen geſäumet,

Es glüht ihre Wange, der Athem fliegt,

Sie lächelt, ſie ſeufzet und träumet.

Im Schlafen, im Wachen, o qualvolle Pein!

Verfolgt ſie das Auge, die Stimme ſein,

Wie ſoll ſie vor ihnen ſich retten?

O, daß er wollt' öffnen das ſchwarze Viſir,

Damit ſie ſein Antlitz kann ſchauen,

So blitzen die Augen allein nur herfür

Und füllen mit Angſt ſie und Grauen,

Doch wundervoll ſind ſie, ſo ſtrahlend und groß,

Und blicken ſo heiß und erbarmungslos,

Die Zauberaugen der Katze!

„Wer mag er wohl ſein? und welch' Räthſel hält

Die Holzenburg heimlich umſponnen?

Und ob ſich einſt Wohlverleih's Sprüchlein erfüllt,

Das ihn mir zum Gatten erſonnen?

Ich weiß es ja, daß er kein Höllengeiſt iſt,

Er trägt auf der Bruſt ein Kreuz wie ein Chriſt.“

So ſinnet, ſo träumet Schön-Nella.

Wie ſie geſtern ſich einſam im Burgfried erging,

Wo zum Wald führt die felſige Treppe,

Da huſchte ein Kätzlein, ein herziges Ding,

Spielt zutraulich ihr um die Schleppe;

Erſt wollt' ſie es ſtoßen zurück voller Haß,
[129]
Bei ſeinem Anblick der Zorn ſie erfaßt,

Es mahnet ſie an den Verhaßten;

Doch gar zu lieb tändelt's — es ſtocket ihr Fuß,

Sie lockt es, um mit ihm zu ſcherzen,

Sie nimmt es empor, mit ſchüchternem Kuß

Beginnt ſie das Thierlein zu herzen. —

„So ſteht es Euch gut. Es gebühret der Katz'

An Euerem Herzen ja längſt ſchon der Platz!“

Ruft's plötzlich hervor aus dem Buſche,

Und abermals, gleich wie geſtampft aus der Erd',

Steht Er da! Doch ſchnell wieder ſpringet

Zurück er zum Abhang, — dann ſchnaufet ein Pferd,

Sein Hufſchlag thaleinwärts verklinget.

Da ſchleudert das Kätzlein ſie wild von ſich fort:

„So bin ich denn ſicher an keinem Ort

Vor dieſem frechen Geſellen?“

Doch ob ſie auch zornig verzieht das Geſicht,

Beſchämt ihm zu zürnen, dem Kecken,

Ihr Stolz will es wohl, doch ihr Herz will es nicht,

Bewundert den muthigen Recken;

Die Eitelkeit flüſtert ihr leis in das Ohr:

„Was wagt er für Dich nicht, der närriſche Thor,

Das thut für 'ne Andre kein Andrer!“ —

Da ſchmettert ein Hornſtoß, und Nella erwacht,

Sieht ſonnigen Morgen rings prangen,

Und haſtig ſcheucht ſie die Träume der Nacht

Hinweg von den roſigen Wangen.

Es haſten und rennen im Hofe die Leut',

Herrn Heinrichs Namenstag feiert man heut'

Mit Pauken und mit Trompeten.

Es widerhallet der Jubel im Thal,
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus. 9[130]
Ein Flöten und Jauchzen und Singen,

Beim Feſtbankett in dem Ritterſaal

Die güldenen Becher erklingen;

Auch hat man zum Lobe der Kühnheit und Kraft

Ein Lanzenſtechen der Ritterſchaft

In Eiſenach vorbereitet.

Ganz nahe der Stadt, auf dem Wieſenplan,

Hat man die Tribüne erbauet,

Von welcher Sophia das Viereck der Bahn

Mit Heinrich bequem überſchauet;

Viel Holzgerüſte, ſie ſchließen ſich an,

Drauf eng gedränget der Bürgersmann

Das ſeltene Schauſpiel erharret.

Auf ſchnaubendem Roſſe, in gleißender Pracht,

Herſprengen die ſtolzen Geſtalten,

Es klirren die Schwerter, der Schild erkracht,

Vom Lanzenſtoße geſpalten;

Und Horngeſchmetter verkündet im Kreis,

Daß Treuſche von Buttlar den erſten Preis,

Den goldenen Humpen, erhalten.

Und wiederum ſtampft es und wühlt den Sand,

Es raſſelt und ſchnaufet und klinget:

Wohl dem, der aus Frau Sophias Hand

Die geſtickte Schärpe erringet!

Es ſplittern die Schäfte. Heiß rennt man ſich an,

Bis Walther von Romrod die Schärpe gewann,

Darreicht ſie ihm Fürſtin Sophia;

Der dritte Preis iſt ein Kränzelein ſchlicht,

Das Petronella Eſchwegen

Mit eigener Hand jetzt aus Roſen flicht,

Um des Siegers Stirn es zu legen.
[131]
Ein Hornſtoß verkündet der Kämpen Nah'n,

Es ſprengen die Roſſe gar kühn in die Bahn,

Es nicken die Federn am Helme;

Doch Staunen malt plötzlich ein jedes Geſicht,

Und Murmeln erhebt ſich verdroſſen:

„Wer iſt jener Blaue? wir kennen ihn nicht,

Er trägt das Viſier ja geſchloſſen!

Ha, ſeltſame Helmzier! Der närriſche Tropf,

Er trägt auf dem Haupt einen Katzenkopf,

Einen Handſchuh faſſen deſſ' Zähne!

O, ſchaut doch, ſchaut! auf dem lindenen Schild

Welch' unbekannt, wunderlich Wappen!

Da ſieht man gemalt einer Katze Bild,

Thät juſt ſich ein Mäuslein erſchnappen;

Ueberm Kettenhemd, auf geſticktem Gewand,

Ein Katzenfell weht an blauſeidenem Band,

Das flattert ihm keck um die Schulter!“

Und gelaſſen reitet der Fremdling einher,

Vor Sophia ſein Roß zu pariren,

Da neigt er fein ſittſam den kräftigen Speer,

Die Fürſtin zu ſalutiren.

Schön Nella erbleicht, durch des Ritters Viſier

Ein flammender Blick aufleuchtet zu ihr:

„Er iſt es! erbarm' dich, o Himmel!“

Befremdet die Fürſtin zum Marſchalk ſich wend't:

„Wie kommt's, daß verkappte Geſellen

So keck, ohn' daß man den Namen uns nennt,

Allhier in die Schranken ſich ſtellen?“

Der Marſchalk verneigt ſich: „O, Herrin, verzeih',

Es gilt hier nur launige Mummerei,

Der Fremde verweigert den Namen;
9*[132]
Vier Edelleute ſteh'n für ihn gut

Und haben's mit Handſchlag beſchworen:

„„Der Mann iſt von ritterbürtigem Blut,

Freiherrlich und edel geboren!““

So kann man ihm wehren die Schranken nicht;

Die Katze heut' gegen ein Mäuslein ficht,

Sein Gegner iſt Nieſemäuſel.“

Da lacht Frau Sophia: „Die Kurzweil gilt

Wohl ganz beſonderen Zwecken?

Laßt ſeh'n, ob die Katz' aus des Gegners Schild

Die Maus in den Sand wird ſtrecken!

Der Nieſemäuſel iſt weidlich bekannt

Als beſter Kämpe im Thüringer Land, —

Hei, Katz'! halt' ſteif Deine Ohren!“

Auf das Herz preßt Nella die zitternde Hand

Und nagt an der farbloſen Lippe:

„Vier Ritter, ſie haben ihn gut genannt,

Er ſtammt aus hochedeler Sippe!

Doch wehe ihm, weh' für dies keckliche Spiel,

Nicht die Maus iſt, Nellas Stolz iſt ſein Ziel,

Den will er zu Boden werfen!

O, daß er beſiegt würd', o, daß er erläg',

Mit Schimpf und Schande müßt' weichen!“

Doch ſagen des Herzens ſo ſtürmiſche Schläg':

„Nur ihm möcht' mein Kränzlein ich reichen!“

Und athemlos ſtarrt ſie hernieder zum Plan.

Sie rennen ſich an! Staub wirbelt die Bahn:

„Wer wird meine Roſen wohl tragen?“

Das nenn' ich ein Streiten! Das klirret und klingt

Und wankt doch auf keiner Seite;

Wild bäumet die Maus ſich, — die Katze erringt
[133]
Das Feld nicht um Haares Breite.

Welch' hitziger Stoß jetzt; doch ſchnell und gewandt

Parirt ihn die Katze. Hernieder zum Sand

Splittert's vom lindenen Schilde;

Und eingeleget die Lanze mit Macht,

Auf die Maus wirft die Katze ſich. — Beben

Faßt Nella. Wehe! — Es ſtampfet und kracht —

Die Maus aus dem Sattel zu heben,

Trifft furchtbar der Stoß, — ſie wankt auch, ſie ſinkt,

Und ſchmetternder Hornſtoß, Volksjubel erklingt:

„Die Maus, die Maus iſt beſieget!“

Zu Nellas Füßen der Sieger jetzt kniet,

Den duftigen Lohn zu empfangen,

Und als er der Holden ins Auge ſieht,

Da glühen die farbloſen Wangen,

Sie neigt ſich hernieder, mit zitternder Hand

Das Kränzlein ſie um die Stirne ihm wand,

Und ſtarrt, und ſtarrt in ſein Auge.

Da drückt er die Hand ihr, ganz gegen den Brauch,

Und flüſtert ihr leiſe entgegen:

„Beſiegte die Katze die Gegnerin auch,

Hat zu Füßen ſie doch ihr gelegen!

Und ſtreckt' ſie zum Sand auch das Mäuslein zur Stund',

Iſt ſelber ſie doch viel todeswund

Von ihm in das Herze getroffen!“ —

Auf der Wartburg flackern die Kerzen im Saal,

Da tönen die Pauken und Geigen,

Da ſchreitet man nach dem feſtlichen Mahl

Mit Jubel und Lachen zum Reigen.

Der Katzenritter, wer hat ihn geſeh'n?

Er nahm ſeinen Lohn nur, um ſchweigend zu geh'n?
[134]
Wo blieb er denn während der Tafel?

Die Flöten locken zum herrlichen Tanz,

Da ſchreitet empor er die Stiegen,

Noch liegt auf dem Helm ihm der roſige Kranz,

Ganz wie er vom Roſſe geſtiegen,

„In voller Rüſtung tritt er herein,

Mit geſchloſſ'nem Viſier will er führen den Reih'n?“

So murmelt es ſchnell durch die Halle.

Er aber geht ſtolz und ſtracks durch den Saal,

Vor Sophia ſich ſittig zu neigen:

„Vergönnet, o Fürſtin, ein einziges Mal

Zu führen gewappnet den Reigen.

Ihr wißt ja, es führt allezeit an der Tatz'

Die wehrhaften Krallen wohl jegliche Katz',

Selbſt wenn ſie ihr Kätzelein ſtreichelt!“

Hei, ſchwirrten die Klänge! An ſeiner Hand

Wie träumend iſt Nella gegangen,

Sein Auge hat ſtill und unverwandt

An ihrem Auge gehangen;

Und als der Reigen beendet war,

Da führt er ſie weiter noch immerdar,

Zum rebenumlaubten Altane.

Wie iſt's da ſo heimlich; das Blattgewind' weht

Wie Schilfesgeflüſter am Weiher,

Am tiefblauen Himmel der Vollmond ſteht,

Webt ſilberdurchleuchtete Schleier,

Ein Nachtfalter flattert und wiegt ſich und flieht,

Es ſinget der Wind das urewige Lied

Von fernem, von traumhaftem Glücke!

Es bebet die Jungfrau. Noch hält ihre Hand

Des Ritters Rechte gepreſſet,
[135]
Da flüſtert er heimlich, dicht zu ihr gewandt:

„Was je ich verſchuldet, vergeſſet,

Und nehmet allhier Euer Kränzlein zurück,

Ich bin nicht der Sieger. Mein Leben, mein Glück,

Es liegt in den Händen des Mäusleins!

Freiwillig, Vielholde, legt mir es ums Haupt,

Treuinnig ans Herz mir geſchmieget,

Dann erſt, Petronella, die Katze glaubt,

Daß wirklich, daß ganz ſie geſieget.

Und doch nicht geſieget; die Sieg'rin ſeid Ihr,

Denn Herz und Seele, Ihr nahmet ſie mir,

Ich hob nur die Maus aus dem Sattel! —

Was zaudert Ihr, Nella, ſo haßt Ihr fürwahr

Noch immer mich? haßt für das Leben?“

Da reicht ſie ihm zitternd den Siegerkranz dar

Und hauchet: „Ich hab' Euch vergeben!“

Da faßt ihn unendliche, jauchzende Luſt,

Er preßt ihre Hand an die ſtürmende Bruſt:

„Geliebte!“ jubelt er, „Nella!

O, ſag', daß Du mein biſt für ewige Zeit,

In minniglich ſüßem Bekennen,

Sag', daß uns hinfort nicht Wonne noch Leid

Im Leben und Tode mehr trennen!

Dann öffne ich, Nella, getroſt mein Viſier,

Dann nenn' ich den Namen, vertraue mich Dir, —

O, liebſt Du mich, liebſt Du mich, Nella?“

Wie träumend erhebt ſie ihr Angeſicht,

Ob ſolch ein Bekennen ihr tauge;

Sie lächelt, ſie bebet, ſie redet nicht,

Sie ſtarrt und ſie ſtarrt in ſein Auge,

Dann ſchrickt ſie empor: „Euern Namen mir?
[136]
O, ſchweigt, ſonſt ſeid ewig verloren Ihr,

Euern Namen darf ich nicht wiſſen.

Drum fliehet mich, flieht! und wendet den Blick,

Denn wiſſet, in Leben und Sterben

Ward ich Euer furchtbar, unſäglich Geſchick,

Ich will nicht, ich muß Euch verderben!

Verheimlicht für ewig den Namen vor mir

Und öffnet mir niemals das ſich're Viſier,

Es hieß' in den Tod Euch ſtürzen!

Euch zu verrathen dem Fuldaer Abt,

Hab' ich auf das Kreuz ihm geſchworen,

Drum meidet mich, Ritter, drum bleibet verkappt,

Beim Himmel, ſonſt ſeid Ihr verloren!

Und wollt' ich Euch lieben, nun iſt es vorbei,

Doch forſche ich nie, wer die Katze ſei,

Und brauche Euch nie zu verrathen!“

Da klinget es laut von dem Hofe herauf,

Ein verworrenes Schreien und Schelten,

Einen Knappen umringet ein johlender Hauf':

„Wir glauben nicht an Deinen Helden!

Hui, fährt nicht zum Rüſtzeug mit eiligem Satz

Als Büttel heraus Deine heimliche Katz',

Vielleicht auch als Bauer, als Schinder?!

Warum denn ſo heimlich? geſchloſſen Viſier?

Das braucht doch kein Ritter, kein echter!“

„Oho!“ brüllt der Knappe, „Ihr Krautſchneider Ihr,

Ein Prinz iſt nicht beſſer und ſchlechter!“

Und ſchlägt an das Schwert ſich, berauſchet vom Wein:

„So wiſſ't denn, die Katz' iſt der Frankenſtein,

Mein trutziglich, edeler Herre!“ —

Ein leiſer Aufſchrei! Am Gatterrand
[137]
Des Altanes iſt Nella geſunken,

Wie fiebernd preßt ſie des Ritters Hand:

„Er log es — o, ſagt, daß er trunken!“

Ernſt ſchüttelt das Haupt er: „Vieltrauteſte, nein,

Er redete wahr. Ich bin Frankenſtein,

Der wilde Junker geheißen.“

Da ſchnellt ſie empor, da blicket ſie wild:

„Ihr thatet den Beilſtein ermorden?“

Verwandelt iſt jählings das liebliche Bild,

Die Taube iſt Löwin geworden:

„O, Fluch dann und ewiger Haß jener Hand,

Die ſchändend die meine ſo heuchelnd umſpannt,

Aus meinen Augen, Verbrecher!

Ihr wagt es, zu werben um eine Maid,

Der Ihr den Oheim erſchlagen?

Der Ihr die Heimath zerſtört alle Zeit,

Die zum Raubneſt empor Ihr getragen?

Ha, wohl mir, daß ich den Namen gewann,

Jetzt ohne Bedenken klag' ich Euch an,

Ich will's, und ich hab' es geſchworen!“

Mit ruhiger Stimme, doch ernſt und gefaßt

Spricht Robert: „Was Ihr geſchworen,

Das müßt Ihr erfüllen. Wen Berthold haßt,

Der iſt wohl für immer verloren;

Doch ſei's drum, ich fürchte kein weltlich Gericht,

Ihr aber, Nella, Ihr ſolltet mich nicht

So ungerechtfertigt verdammen!“

„Rechtfertigen? Euch?! Welch' verwegenes Wort,

Das ſoll mich, bei Gott, nicht bethören,

Geht hin vor den Richter, verantwortet's dort,

Laßt dort Eure Redekunſt hören!
[138]
Daß Ihr habt erſchlagen den Oheim mein,

Wäſcht keins Eurer glatten Worte mir rein,

Drum ſpart ſie und woll't mich verlaſſen,

Verlaſſen für heut' und für ewige Zeit,

Nie ſeh' ich Euch wieder im Leben!

Was Ihr mir ſchufet an bitterem Leid,

Mag Gott es Euch gnädig vergeben!“

Fort ſtürmt ſie. — Er murmelt: „Das Spiel ſchon aus?

Nein, jetzt erſt beginnt es, hei, Katz' und Maus!

Nun vorwärts, nun wollen wir kämpfen!“

Behüt' Dich Gott!

Wo im Wald die Glockenblumen

Neben mooſ'gem Stamme nicken,

Saß Jung Gudula und harrte

Sehnſuchtsvoll des lieben Freundes.

Wie die bunte Eintagsfliege,

Die mit ſchillernd buntem Flügel

Blitzend durch die warme Luft ſchießt,

— Alte Mähr lebt in dem Volke,

Daß die Seelen ſchöner Mädchen,

Welche dem Geliebten treulos,

In Libellen ſind verzaubert —

Alſo ſchwirren die Gedanken

Durch des Waldkinds Köpfchen, unklar

Hin und her in laun'gem Zickzack,

Ohne Form, Geſtalt und Farbe;
[139]
Aber dann, gleich der Libelle,

Feſt an einer Blüthe haftend,

Und die Blüthe hieß: die Minne!

Noch verſtand ſie nicht zu deuten

Ihrer Seele tief Empfinden,

Doch ſie ahnte, daß gar ſeltſam

Wunderbares vor ſich ginge

Tief und ſelig ihr im Herzen. —

Heimlich aus den Blüthenhäuschen

Lugten mit den Sternenaugen

Nach der jungen Maid die Hulden,

Lächelten und nickten ſchelmiſch

Sich einander zu und wiegten

Sich auf ſchwankem Blumenſtengel,

Daß die zarten Schleier flogen.

Manchmal kam ein Dorn, ein ſcharfer,

Riß das fein Geweb' in Stücken,

Daß es weit zur Luft hinein trieb —

„Alten Weiberſommer“ nennen's

Dann die thöricht blinden Menſchen,

Und ſie ahnen nicht, daß ſolche

Schleier weh'n vom Haupt der Elfen! —

Süßen Harzduft trägt ein Luftzug

Von den Kiefern her. — Goldkäfer,

Der am bork'gen Stamme rannte

Und ſich kühn auf Dirnleins Hand ſchwang,

Sucht erſchrocken zu entfliehen,

Da die Finger jäh ſich regen,

Rollt zurück und fällt plump zappelnd

In das ſchwellend graue Waldmoos.

Dürres Aſtwerk knackt im Tanne,
[140]
Und es rauſcht in welken Blättern

Wie von haſt'gen Menſchenſchritten.

Gudula ſchrickt auf: „Er iſt es!“

Doch in großen, luft'gen Sätzen

Bricht ein Rüde durch das Buſchwerk,

Fangulf iſt's, der Freund Schön Nellas,

Springt herzu und ſchweift ums Waldkind

Freudig bellend, es zu grüßen.

Gleicherzeit „Hai ho!“ im Walde,

Und im ſchmucken Jägerkleide

Naht behend zu Fuße Nella,

Hinter ihr kommt Hans, der Treue.

Gudula eilt ihr entgegen,

Will „Grüß Gott!“ ihr fröhlich ſagen

Und verſtummt, da ſie ihr Antlitz

Sieht ſo bleich und ernſt gefurchet.

Schweigend drücken ſie die Hände,

Setzen auf den Stamm ſich, harren

Beide, daß die Andre ſpreche.

„Komme heut' mit einer Bitte,“

Seufzet endlich Petronella,

„Und ich hoffe, liebe Kleine,

Deiner ſichern, frohen Zuſag'!

Sieh', es iſt zum letzten Male,

Daß ich heut' an Deiner Seite

Hier in dieſen trauten Wäldern

Athmen kann, zum letzten Male,

Daß mein Aug' dies Thal erblickt,

Und zum allerletzten Male

Bin ich glücklich dann geweſen!

Morgen früh geht's fort zum Rheine.
[141]
O, mein Gott, welch' tiefer Jammer

Faßt mich bei dem Worte Scheiden!“

„Ach, ſo bleibet! — ſprecht, was treibt Euch?“

Flüſtert Gudula mit Thränen,

Und ſie drückt der Edeldame

Weiße Hand ſchnell an die Lippen,

„Brecht nicht mit ſolch' trüber Botſchaft

Mir das Herz! Denn Euch verlieren,

Heißt mir bittern Schmerz bereiten,

Heißt mich einſamer denn je ſein!

Hat Sophia nicht, die Fürſtin,

Euch gebeten, als Hoffräulein

Immerdar bei ihr zu bleiben?

War't es jüngſt auch ganz zufrieden,

Und nun plötzlich dieſe Wandlung?“

Finſter blickte Nella: „Weißt Du

Nicht, wie wenig Stunden oftmals

Eine ſonnenlichte Erde,

Eine Welt voll hoffend Blühen

In die tiefſte Nacht verſenken?

Eine Wolke deckt den Himmel,

Und die gold'ne, ſtolze Sonne

Sinkt hinab in freudlos Düſter,

Aller Luſt zum frühen Ende.

Alſo iſt auch meine Sonne

Und mein Glück mir jäh verſunken,

Nichts mir laſſend, als die dunkle

Sehnſucht, balde ihm zu folgen,

Zu vergeſſen, — zu verſinken,

Ohne je zurück zu kehren!“

„Nach dem Rheine zieht Ihr, Fräulein?“
[142]
„Ja, nach jenem fernen, grünen

Wundervollen Rheinſtrom, Dirnlein;

Sieh, und ſolches möcht' ich bitten,

Daß Du mir zum Deuernſchloſſe

Mögeſt als Geſpielin folgen,

Denn gar tief hab' ich ins Herz Dich

Lieb und freundlich eingeſchloſſen.

Willſt Du, Gudula, mir folgen?

Gott im Himmel wird's Dir lohnen,

Und mit Liebe, Treu' und Güte

Werde ich Dir's ewig danken.“ —

„Fort von hier?“ Wie leiſer Wehſchrei

Ringt ſich's von des Waldkinds Lippen,

Und mit angſtvoll großen Augen

Starrt ſie vor ſich hin ins Leere,

„Fort von hier? — ich kann's nicht faſſen;

Müßt' ja welken und vergehen,

Wie das Haidekraut verkümmert

Troſtlos in dem prächt'gen Garten.“

„Gudula!“ fleht Nella leiſe,

„Nein, Du ſollſt nicht ewig ſcheiden,

Wenn Du willſt, nach einem Jahr ſchon

Laß ich Dich zur Heimath kehren,

Früher ſchon, faßt Dich das Heimweh;

Will Dich ja nicht ketten, Dirnlein,

Nur Dich anfleh'n, mich zu tröſten.

Will die Einſamkeit mich tödten.

Antwort' jetzt nicht! Solche Sache

Will wohl, reiflich überlegt ſein,

Und drum geh' zu Mutter Dorte,

Frag' um Rath ſie und bedenk' es,
[143]
Ob's Dein Glück nicht ſei, zu folgen;

Den Entſchluß, den Du gefaßt haſt,

Bringſt Du mir empor zur Wartburg

Heute Abend noch, denn morgen

Mit dem frühſten muß ich reiſen.

Sorg' für nichts, denn was Du braucheſt,

Findeſt Du in meinem Vorrath,

Nur ein treues Herz voll Liebe

Bring' mir zu, — und ſomit, Guda,

Lebe wohl! — ich harre Deiner,

Und ſo Gott will, nicht vergebens.“
Einſam, ſchweigend ſitzt das Waldkind;

In dem Schooße ruh'n die Hände,

Große Thränen rollen langſam

Ueber die gebräunten Wangen,

Und die Augen blicken glanzlos

Starr herab auf Gras und Blüthen.

„Soll mein Herz mitbringen“, ſeufzt ſie,

„Das juſt, was allhier im Lande

Wohl in Ewigkeit verbleibet.

Und Gerhardus? — Nein, ich kann's nicht,

Kann nicht leben, wenn ich nicht mehr

Seine traute Stimme höre,

In die blauen Augen ſchaue,

Die kein Himmel mir erſetzet.

Einſam iſt er, wenn ich gehe,

Keine Seele iſt auf Erden

Der er ſich mag offenbaren,

Und das Angedenken aller

Stunden, die wir hier verplaudert,
[144]
Wird ihn nicht beglücken. Ach, denn

Doppelt fühlt er ſich verlaſſen,

Denkt er dran und muß ſie miſſen!

Doch die Mutter! — Freudenthränen

Wird ſie weinen meinem Glücke,

Wird dem Himmel danken, daß er

Alſo gnädig mich verſorget. —

Ach, was thu ich, liebe Heil'gen?

Ach, erbarmt Euch ſolchen Kummers!“ —

Kinderjubel ſchallt im Walde.

„Gudula!“ jauchzt's ſchon von ferne,

„Haia ho! — ſag' an wo ſteckſt Du?“

Und, kaum daß ſie Antwort rufet,

Sieht ſie auch die kleinen Brüder

Fern am Waldſaum; wie die Rehlein

Flink und zierlich kommt's geſtürmet.

Gudula umſchlingt den Kleinſten,

Hebt ihn koſend auf die Kniee,

Herzt und küßt ſein blondes Köpfchen,

Während ſchnell die beiden Andern

Eiferſüchtig näher drängen.

Aus dem Korbe läßt ſie naſchen

Alle drei die ſchwarzen Beeren,

Süß und köſtlich, und des Kleinen

Blaugefärbtes, leckres Mäulchen

Spitzt ſich ſtets aufs neu zum Kuſſe

Und ſagt ſchmeichelnd: „Liebe Guda!“ —

O, da war's, als ſollten Thränen

Aus der Dirne Augen ſtürzen! —

Ganz verſunken in dem Koſen

Dieſer drei geliebten Buben,
[145]
Hört ſie nicht die leiſen Schritte,

Welche mählich näher kamen.

Halb verſteckt vom ſtachlich grünen

Knirksbuſch, ſtand der Mönch Gerhardus,

Schaute regungslos auf dieſes

Holde, anmuthreiche Bildniß,

Und ein Schatten, trüb und ſchmerzlich,

Malte ſich auf ſeinen Zügen,

Während ſeine Lippe ſeufzte

Und ein nie gekanntes Sehnen

Seine Bruſt zuſammen ſchnürte.

„Wär's Dein Weib und Deine Kinder!“

Stöhnt er auf, „wie glücklich wärſt Du!“ —

Und er deckt auf Stirn und Augen

Jach die bleiche Hand und ſchüttelt

Angſtvoll ſchnell das Haupt und murmelt:

„Führe uns nicht in Verſuchung!“

Dennoch ſteht er, ſteht und ſchauet

Unverwandt nach den Geſchwiſtern,

Wie ein Bettler, hungernd, frierend

An des Reichen Thür, durch welche

Fremdes, fernes, nie erreichtes,

Wonnereiches Glück ihm lächelt! —

„Wie nun, wär' ſie eines Andern

Treue Hausfrau? — dies die Kinder — —“

Schwindelnd brauſt's durch ſeine Sinne,

Und ihm iſt's, als müſſ' er zornig

Sich dazwiſchen werfen, rufen:

„Wehe Dir! und wehe ihnen!“

„Herr, mein Gott, erbarm' dich meiner,

Die Gedanken reden irre,
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus. 10[146]
Fieber raſt durch meine Glieder,

Malt mir tolle, wüſte Bilder

Und verwirrt mit Teufelskünſten

Meiner Seele frommes Sinnen!

Nein! ich lüge, Gott — ich lüge! —

Hör' nicht ſolch' ein feig' Entſchuld'gen!

Bin geſund, und die Gedanken

Hab' ich ſündig längſt geheget.

Gott der Gnade — des Erbarmens —

Warum haſt Du jenes Mägdlein

Wunderſam mir zugeführet?

Hab' ſie nimmermehr geſuchet,

Ging nicht aus in falſchem Trachten,

Du haſt ſelber mich geleitet

In die Netze, die der Böſe

Tückiſch meinem Fuß geſtellet! —

Nun iſt's über mich gekommen,

Wie der gift'ge Hauch der Seuche,

Konnte mich davor nicht ſchützen,

Krankte heimlich, ohne Rettung;

Leib und Seel' verfiel dem Brande,

Der aus kleinen, ſchwachen Funken

So gewaltig lodernd aufwuchs,

Daß er nun mich ganz ergriffen,

Mich verzehrt in wilden Qualen!

Ja, ich liebe ſie, — ich liebe!

Bin ich elend nicht genugſam,

Daß auch dieſer Fluch noch treffe

Schwer mein Haupt, im Zorne Gottes? —

Ich bin Fleiſch, und Fleiſch iſt ſündig,

Wehe meinem ſchwachen Geiſte,
[147]
Daß er einſchlief, daß er hülflos

Der Verſuchung mich anheim gab,

Dieſem Fallſtrick, der mich fällte! —

Der mich fällte? — nein! noch ſteh' ich,

Stehe mitten in dem Kampfe,

Und ich ſchrei' um Hülfe, Herrgott!

Ich bin ſchwach, zum Sterben elend,

Der Gefahr ins Auge ſchauen,

Als ein Held ihr kühnlich trotzen,

Hieße mich vernichten. — Feige

Bin ich, und ich kann's nicht.

Darum will ich Schwächling fliehen,

Fliehen mit dem Tod im Herzen,

Aber doch nicht als Meineid'ger,

Als ein Mann, der durch dies Fliehen

Doch zum Held wird! Was iſt ſchwerer,

Als dem Glück den Rücken kehren?

Und mein Glück iſt dieſes Mägdlein. —

Lebe wohl denn, — lebe wohl denn!

Gudula, zum letzten Male

Sah ich Dich, und dieſes Bild hier

Nehm' ich mit mir.“ — Und die Arme

Weit und ſehnend nach ihr breitend,

Bleich die Wangen wie ein Todter,

Neigt er vor ſich, juſt als wollt' er

Mit den Blicken ſatt ſich trinken

Für ein langes Pilgerfahren.

Da ſchlägt hell im Zweig ein Buchfink,

Und klein Heriberth dreht's Köpfchen.

„Guda!“ ruft er angſtvoll, „Guda!“

Und er weiſt erſchreckt auf Gerhard.
10*[148]
Feſtgebannt ſteht der Karthäuſer. —

Auge ruht in Auge, — fliehen

Kann er nicht mehr, nein, er kann's nicht!

Ihm entgegen tritt das Waldkind,

Bleicher, ſtiller wie gewöhnlich,

Reicht ihm ernſt die Hand: „Gott grüß' Dich!

Habe recht auf Dich gewartet,

Freund Gerhardus, wicht'ge Dinge

Gilt es heute zu berathen!“ — Jäh zuſammen

Schrickt der Mönch. „Was ſoll es? rede!“

Stottert er mit haſt'gem Athem. —

Nach dem Baumſtamm weiſt die Dirne,

Setzt ſich zu ihm, und die Buben

Schickt ſie fort zum Kräuterſuchen.

Dann beginnt von Nellas Vorſchlag

Sie ihm ehrlich zu berichten.

Als ſie Alles ihm erzählet,

Schweigt ſie, angſtvoll an ihn blickend:

„Wirſt Du zürnen nicht, Gerhardus?

Soll ich bleiben, ſoll ich gehen? —

Ach, ſolch' Scheiden bricht das Herz mir!“

Himmelwärts blickt der Karthäuſer,

Ein verklärend Lächeln ſtrahlet

Auf den bleichen, ſchönen Zügen,

Und die Hände voller Demuth

Und Ergebenheit gefaltet,

Murmelt er: „Hab' Dank, o Vater,

Daß Du ſo die Zweifel ſchlichteſt,

Deine Gnade offenbareſt!“

Und die Hand zum Segen legend

Auf das Haupt des Mägdleins, blickt er
[149]
Lange, lange voller Wehmuth,

Aber doch gefaßt und friedlich

In die ſüßen Kinderaugen,

Und er ſpricht: „So hat's der Himmel

Ueber uns verfügt. Ohn' Grollen,

Liebe Freundin, laß uns ſcheiden,

Dir und mir zum Heil, Gott will es.“ —

Glanzlos blickt die Maid, es rollen

Thränen über ihre Wangen,

Tonlos flüſtert ſie: „So ſei es, —

Lebe wohl — leb' wohl für immer.“

Bebend hält er ihre Rechte,

Hülflos ringt er in dem Kampfe,

Und da ſie ſich von ihm wendet,

Wie verletzt von ſeinem ſchnellen

Rath, zu gehen und zu ſcheiden,

Wie ihr Blick ſo herzzerreißend

Unglücklich durch Thränen leuchtet,

Da iſt ſeine kaum erkämpfte

Und verzweiflungsvolle Stärke

Jäh gebrochen, — Zittern faßt ihn —

„Gudula!“ — ein Aufſchrei, qualvoll

Außer ſich, klingt von den Lippen,

Und er preßt die Hand in ſeiner,

Und er flüſtert: „Glaub' nicht, Mädchen,

Daß ich leicht Dich gehen heiße,

Gott allein weiß, was mich's koſtet!

Doch es muß ſein, muß, lieb Mägdlein,

Denn gehſt Du nicht — muß ich gehen,

Soll ich meine Seele retten,

Soll ich nicht im bittern Ringen
[150]
Zwiſchen Glück und Pflicht und Eidſchwur

Als Verworfner untergehen! —

Muß ich Dich auch ewig laſſen,

Lebt mir dennoch aller Ferne,

Allem Scheiden kühn zum Trotze,

Dein lieb Bildniß fort im Herzen,

Bleibt mit allem trauten Segen

Als Vermächtniß Deiner Freundſchaft.

Gott behüt' Dich! — Zieh' in Frieden!

Mein Gebet wird Dich begleiten,

Und die Engel Gottes werden

Beiden uns den Frieden bringen,

Der verheißen den Gerechten!“ —

Ruhiger war ſeine Stimme,

Leuchtender ſein Blick geworden,

Und die Hände über ihren

Beiden Händen treu gefaltet,

Murmelt er: „Der Herr des Himmels

Hat's gegeben, hat's genommen,

Gottes Namen ſei gelobet!“ —

Und er wandte ſich und eilte

Tief geſenkten Haupts von dannen.

Regungslos am mooſ'gen Stamme

Kniete Gudula und weinte,

Weinte heiße, bittre Thränen

Süßer, jungverblühter Minne,

Ach, und ewigen Entſagens. —

Ueber ihr im Buchenwipfel

Gurrt ein Pärlein wilder Tauben,

Summt's und ſurrt's von zarten Flügeln,

Flüſtert's wehmuthsvoll im Laube.
[151]
Und der Wind erhebt ſich leiſe,

Streift mit kühlem Athem ſeufzend

Um die Stirn des Waldkinds, daß die

Goldbraunlock'gen Haare wehen,

Wie ein Heil'genſchein, im Glanze

Zitternd klaren Sonnenlichtes,

Und er ſtreift die Blüthenglocken

Und die Gräſer auf der Halde,

Daß ſie grün und lautlos wogen,

Wie ein Meer von Wehmuthsthränen.

Und die Hulden ſenken traurig

Ihre roſigen Geſichtlein,

Sprechen zu dem Schmetterlinge:

„Schmeichle tröſtend um die Arme,

Bringe Du ihr unſ're Küſſe,

Sage ihr, die Liebesfeien

Schweben vor den Thron der Minne,

Süßes Glück ihr zu erflehen;

Tröſte, tröſte unſern Liebling.“

Und das bunte Pfauenauge

Flattert drauf um Guda's Wangen,

Flüſtert leis ins Ohr den Auftrag;

Aber bittrer ſchluchzt das Mägdlein,

Und die blauen Glockenblumen

Tragen ſelt'nen Thau im Kelche,

Thau, der ſie zu Boden drücket

Mit der Laſt geheimer Sehnſucht,

Thränenthau aus Mädchenaugen,

Still geweint im Leid der Liebe!

Hulden, Vögel, Blumen lauſchten,

Ob die Maid all' ihren Jammer
[152]
Nun im Liede künden werde,

Ob nicht wehmuthvolle Klage

Von den Lippen ſtrömt, die Fülle

Ihres Elends auszuſchütten?

Gudula, die einſt ſo ſelig

Jubelnd in die Welt geſchmettert,

Daß ſie einen Freund gefunden,

Die doch oftmals hier im Walde

Ihrer Seele Luſt geſungen,

Warum ſchweigt ſie nun im Schmerze?

Lang' vergeblich war das Lauſchen,

Gudula hat viele Thränen,

Doch kein Wort, kein einzig Liedlein,

Und ſo ward es kund den Blumen

Und den Vögeln tief im Walde:

„Was ein Mädchenherz empfindet,

Weint es Thränen heil'ger Liebe,

Dafür ward kein Laut erſchaffen,

Das muß man in eig’ner Seele

Leiden, um es zu begreifen.“
[153]

Am Rhein.

Deurenburg, Du köſtlich Schlößlein,

Stolze Zinnenbraut vom Rheine,

Prangſt an ſeiner Hügelkette

Gleich dem bunten Edelſteine!

Aus dem ſchilf'gen Uferkranze,

Aus der Fluthen grünem Schooße,

Hebſt Du ſchlank Dein lieblich Antlitz,

Wie am Felſenhang die Roſe.

Zauberwaſſer, die ſmaragdnen,

Spülen ſchmeichelnd Deine Füße,

Singen rauſchend ihre Lieder,

Dir zu huldigen, o Süße;

Heben rollend ihre Häupter

Schaumgekrönt, im heißen Drange,

Daß mit ſehnſuchtsvollem Arm Dich

Glitzernd ihre Fluth umfange!

Und ſie ſprühen Silberfunken,

Wellen ſeufzen, tauſend Wellen,

Und ſie ſtürzen ſich zum Felſen,

Ihre Stirn dran zu zerſchellen.

Deurenburg, Du Unbarmherz'ge,

Fühllos thronſt Du an dem Strande,

Schlingſt um Deine trotz'gen Thürme

Epheugrüne Feſtgewande,

Blickſt mit ewig gleichem Lächeln

Strahlend in dem Sonnenſcheine,

Wundervolle, hochgebaute
[154]
Zinnenbraut am deutſchen Rheine! —

Hornruf hallt und Abendläuten

Zu dem breiten Strome nieder,

Und die Mägde in dem Burgfried

Summen Feierabendlieder.

In dem trauten Wohngemache,

Deſſen runde Fenſterbogen

Wie drei ſtarre Augen blicken

Nieder in die breiten Wogen,

Wo im hohen Ritterſeſſel,

Stumm das Haupt zurückgeleget,

Franz von Deurenburg, der Alte,

Einſam ſonſt der Ruhe pfleget,

Da glüht heute rother Lichtſchein,

Schatten hin und wieder ſchwirren,

Und auf ſchwerer Eichentafel

Hört man Silberkannen klirren.

In dem Seſſel ſitzt der Ritter,

Doch wie ſonſt nicht düſter ſchweigend,

Nein, in mark'gem Beifallslachen

Oftmals Haupt und Rücken neigend,

Und ihm gegenüber, fleißig

Beim Geſpräch und bei dem Weine,

Luſtig, aufgeregt hantirend,

Robert von dem Frankenſteine.

„So, nun wißt Ihr Alles, Ritter,

Kündet' Euch mit jedem Satze

Eine ſeltſame Hiſtorie

Von der Maus und ihrer Katze,“

Schließt er endlich ſeine Rede,

„Und ich hoff', es ſoll nicht fehlen
[155]
Am Erfolg, darf ich hinfüro

Nur auf Euern Beiſtand zählen!“

Und mit ehrlich treuem Drucke

Reicht er ihm die Hand entgegen.

„Ja, das darfſt Du!“ ruft der Alte,

„Darfſt's bei Gott auf allen Wegen,

Du, der Sohn des lieben Freundes,

Meines wack'ren Kampfgenoſſen,

Haſt mit einem Schuß den Vogel

Meines Herzens abgeſchoſſen.

Was auch ſollte ſolchem Raufbold

Gegenüber Weigern nützen?

Beſſer iſt's, als Freund und Helfer

Seine Schelmſtreich' unterſtützen.

Mag denn Katz' und Mäuslein ringen,

Jedes ſich den Sieg erhoffen;

Auf der Deurenburg ſteht Beiden

Gaſtlich Thor und Thüre offen!“ —

„Und Ihr werdet als Er'miten

Mich empfangen, ohne Zaudern?

Sorgen auch, daß Knecht' und Mägde

Nicht bei Jungfrau Nella plaudern?“

„Sei verſichert,“ nickt der Alte,

„Sie erfährt im ganzen Hauſe,

Daß ein Eremit ſeit Jahren

Wohnet in der nahen Klauſe.“

„Dank Euch, edler Freund,“ ruft Robert,

Ihm zum Wohl den Krug noch füllend;

Dann ſich haſtig in die braune,

Wallend weite Kutte hüllend,

Nimmt er Abſchied. Bis zur Thüre
[156]
Noch der Ritter ihn begleitet,

Wo er mit viel frommen Wünſchen

Von dem guten Klausner ſcheidet.

„Gisberth!“ ruft er, „leucht' dem alten

Würd'gen Mann zu rechten Wegen.“

„Dank Euch!“ murmelt Robert, tiefer

Die Kapuze noch ſich legend

In das Antlitz; — und ſo wankt er

Durch das Thor, wo vor vier Stunden

Als ein Klausner von dem Berge

Gaſtlich Einlaß er gefunden.
Wochen ſind ſeit dem verſtrichen;

In dem buntgefärbten Laube

Spielt der Herbſtwind, fegt die Blätter

Wirbelnd nieder zu dem Staube,

Und er pfeift um Thurm und Söller,

Streitet mit der Wetterfahne,

Reißt die ſchlanken Weingewinde

Frevelnd von dem Burgaltane;

Zauſt Schön Nella's ſchwarzen Schleier,

Wenn ſie durch den Schloßhof ſchreitet,

Juſt als ob er dem Gewebe

Seinen holden Dienſt beneidet.

Nella aber ſteht und ſchauet

Sinnend nieder in die Wellen,

Die mit ſchaumgekröntem Haupte

Sturmgepeitſcht am Strand zerſchellen,

Und ſie legt um Guda's Nacken

Ihren Arm: „Solch' herbſtlich Klingen

Mahnet mich, Du liebe Kleine,
[157]
An Dein traurig Liederſingen,

O, wie lieb' ich Deine Weiſen,

Deines Sanges traurig Minnen.

Seit von Fulda wir geſchieden,

Kann ich Heit'res nicht beginnen;

Seit Bertholdus ich verrathen

Jenes Ritters Stand und Namen,

Tauſend quälende Gedanken

Tag und Nacht zu Sinn mir kamen,

Und die Ruhe hier, die Stille,

Nichts will fröhlich mich zerſtreuen,

Und doch will und darf ich niemals

Den Verrath an ihm bereuen.“

Tiefe Stille herrſcht, es blicket

Nella in die grünen Wogen,

Und ſie murmelt: „Wie viel Herzen

Hat wohl ſchon das Glück betrogen!

Gudula, o ſage — rede,

Ob ich recht nicht hab' gehandelt,

Da ich ihn verrieth? Was hat nur

Mein Gewiſſen ſo verwandelt?“

„Hättet Ihr's dem Abt verſchwiegen,

Fräulein, wär' es ein Verbrechen,

Was Ihr auf das Kreuz geſchworen,

Konntet, durftet Ihr nicht brechen!“

Nella athmet auf: „So iſt es,

Albern, thöricht Grillenfangen!

Ach, und dennoch füllet Eins mich

Doch mit namenloſem Bangen:

Furchtbar rächen wird Bertholdus,

Hat Vergeltung ihm geſchworen,
[158]
Fehd' erklärt dem Frankenſteiner;

Gudula, er iſt verloren!“

„Dann geſchieht ihm recht, Vieledle!“

Zürnet liſtig, ſchlau die Kleine,

„Warum raubt er? Traun, die Schuld iſt

Doch nicht Eure; 's iſt die ſeine!

O, und wie er Euch gekränket

Bei der Fuhrt, am Breitgeſcheide,

Wie er ungerufen, frechlich,

Hülfreich ſtand Euch ſtets zur Seite —“

„Hülfreich! ach, das iſt's ja, Liebe,

Bin zu Dank ihm reich verpflichtet,

Hab' zum Lohn für ſeine Treue

Nun zu Grunde ihn gerichtet!

Frechlich, ſagſt Du, mich gekränket?

Niemals iſt's ihm eingefallen,

Stets der Höflichſte, der Beſte,

Guda, war er mir vor Allen!

Ach, könnt' ich doch in dem tiefen

Grünen Strome drunten enden,

Oder könnt' ich die Gefahren

Hülfreich ihm vom Haupte wenden!“

Und mit haſt'gem Schritt enteilet

Sie durch herbſtlich Sturmeswehen,

Aber lächelnd hat das Waldkind

Und voll Glück ihr nachgeſehen

Und geflüſtert: „Haſt im Haſſe,

Wie der Herbſt, ſein Glück genommen,

Jetzt wird's Frühling, Deine Liebe

Wird wie goldne Sonne kommen,

Auf ſein einſam, trübes Herze
[159]
Wird ſie zaubermächtig glühen,

Und dann ſteigt aus Schutt und Trümmern

Doppelt reich das neue Blühen!“ —
Aus dem tiefen Burgthor ritten

Beide Frau'n, ins Land zu ſtreifen;

Kalt war's, ſilberhell die Zweige,

Schon that's in den Nächten reifen,

Und die erſten Flocken wehten

Weiß und glitzernd um die Wangen,

Auf dem Beet die letzten Aſtern

Ließen ſchwarz die Köpfe hangen.

In dem pelzverbrämten Mantel

Reitet Nella wohlgeborgen,

Reitet langſam durch die Tannen,

Sonder Luſt und ſonder Sorgen.

Sieh', da ſitzt auf mooſ'gem Steine,

Tief gebeugt von Noth und Jahren,

Juſt ein Klausner an dem Wege.

In den ſilberweißen Haaren,

Die in ſtruppig langen Wellen

Aus der zwilchenen Kapuze

Um die Stirn und Wangen quellen,

Spielt der Wind. Mit ſchnellen Blicken

Streifet Nella jetzt den Alten,

Schickt ſich an, mit güt'gem Nicken,

Ihren Zelter anzuhalten;

In die Taſche an dem Kleide

Greift ſie haſtig, ſucht behende,

Wirft den kleinen Opferheller

Grüßend in des Klausners Hände
[160]
Und will weiter reiten. Plötzlich

Blickt ſie auf und ſchrickt und ſchauet

Jäh betroffen in ſein Antlitz,

Drin ein großes Auge blauet,

Das ſie ernſt und ſeltſam anblickt.

Wie gebannt hält ſie am Platze,

Seufzt tief auf und denkt im Herzen:

„O, wie mahnt mich an der Katze

Augen dieſer Blick des Alten!“ —

Ob's zum Schutz bei ſcharfem Winde,

Jetzt erſt ſieht ſie vor den Lippen

Sorgſam hüllend eine Binde,

Die ſein halbes Antlitz decket,

Und mit mitleidsvollem Sorgen

Fragt ſie leis: „Wohin des Weges?

Rauh und neblig iſt der Morgen,

Nicht gemacht zur Raſt im Freien.

Ihr ſeid alt, ehrwürd'ger Vater;

Seht, gar dicht fängt's an zu ſchneien.“

Voll trifft ſie ſein Blick: „Ich wandre

Nach der Deurenburg, o Fraue,

Daß ich nach dem alten Freunde,

Meinem edlen Ritter, ſchaue.

Langſam geht's nur von der Stelle,

Doch ich habe Zeit und Weile,

Sehnſucht hilft mir, daß im Geiſte

Meinem Fuß voraus ich eile.“

Sanft, gedämpft klingt ſeine Stimme,

Und er wendet ſich zum Gehen,

Nella aber rufet freundlich:

„In der Burg auf Wiederſehen!“
[161]
„Pax vobiscum“! nickt der Alte,

Und das Fräulein ſprengt von dannen,

Silberhelle Flocken rieſeln

Abgeſtreifet von den Tannen;

Doch der Klausner wächſt und reckt ſich,

Schaut ihr nach und lacht verſtohlen:

„Für den Heller, Jungfrau Nella,

Will ich mir den Ablaß holen,

Wenn ich frecher Raubgeſelle

Jene ſchwere Schuld begangen,

Mir ein Mäuslein, hinterliſtig,

Sammt dem Herzen einzufangen!“ —
An dem Burgthor fragte Nella,

Forſchte eifrig beim Geſinde

Nach dem alten, fremden Klausner

Mit der räthſelhaften Binde

Vor dem Munde. Doch ſie hörte

Nur die theilnahmsloſe Mähre,

Daß er ſchon ſeit langen Jahren

Oefters Gaſt beim Ritter wäre,

Daß er drüben auf dem Berge

Gegenüber einſam hauſe;

Dort der Wachtthurm, holzgezimmert,

Bilde ſeine ſtille Klauſe.

Nella hört's und ſeufzt und ſinnet,

Greift zu Spindel, Flachs und Rade,

Schreitet zu des Ohms Gemache

Nieder von der Kemenate,

Setzt ſich ſchweigend zum Kamine,

Auf der Männer Rede lauſchend,
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus. 11[162]
Hie und da ein freundlich Grüßen,

Kurzes Wort mit ihnen tauſchend.

„Nella!“ ruft der Ritter plötzlich,

„Tritt herzu und nimm die Kanne,

Fülle Du einmal den Becher

Dieſem wackern alten Manne;

Iſt ſein Haar auch ſchon bereifet,

Schätzt er hoch doch ſolche Tugend,

Und er denkt bei Deinem Anblick

Doppelt gern entfloh'ner Jugend!“

Schnell folgt Nella ſeinem Rufe,

Will die ſchwere Kanne heben,

Doch ſie fühlt beim Blick des Klausners

Ihre Hände jäh erbeben,

Und zum Scherz ſich zwingend, fragt ſie:

„Sitte iſt's bei Edeldamen,

Daß wir bei des Trunks Kredenzen

Nennen unſern Gaſt bei Namen,

Sagt, wie heißt Ihr?“ Schnelles Lächeln

Spielet auf des Alten Zügen:

„Ein Gelübde heißt mich ſchweigen

Und verbietet mir zu lügen!

Meinen Namen, Fräulein, hab' ich

Selbſt faſt mit der Zeit vergeſſen,

Aber „„Pater Felis““ nannten

Mich die Leute unterdeſſen.“

„Pater Felix? ſeid Ihr glücklich,

Daß man Felix Euch benannte?“ —

Doch der Klausner ſchaffet emſig

Ordnend plötzlich am Gewande

Und entgegnet: „Nein, Ihr irrt Euch,
[163]
„„Felix““ hab’ ich nicht geſaget,

Sondern „„Felis““, glücklich bin ich

Auch nicht ſehr, Gott ſei's geklaget!“

„Felis“! ruft der alte Ritter,

Lachet auf, daß hell es ſchallet,

Daß es rings an Wand und Decke

Urgewaltig wiederhallet,

Und als Nella jäh betroffen

Wortlos ſtarret auf die Beiden,

Sagt er ſchnell: „Vergebt, Ihr Lieben,

Ach, an alte, tolle Zeiten

Hat der Name mich gemahnet!

Felis! — Felis! — es trieb's Keiner

Je ſo keck wie er! Zum Teufel!

'S giebt auch hier zu Land Lateiner.“

Langſam führt die Hand des Klausners

Nun zu Mund des Bechers Blinken,

Doch die breite, ſchwarze Binde

Hindert merklich ihn am Trinken,

Und voll Neugier forſchet Nella:

„Sprecht, was ſoll dies Band bedeuten?“

Leiſe lacht der Mönch: „„Der Maulkorb““

Heißt es ſpottend bei den Leuten;

Denn es iſt ein alt' Gelübde,

Wer die Mäßigkeit verſchworen

Und ſich Einſamkeit und Schweigen

Für ſein Leben auserkoren,

Der trägt zur beſtändigen Mahnung

Eine Binde vor dem Munde,

Daß er reuig ſich erinn're

Seiner Schuld und Bußeſtunde!“ —
11*[164]
„Warum ſeid Ihr Mönch geworden?“

Forſchet Nella eifrig weiter,

„War't von Kind an Ihr beſtimmet

Zu des Glaubens heil'gem Streiter?“

„Nein, ich war ein Ritter, Fräulein,

War mit Leib und Seel' ein Ritter;

War kein Roß zu wild im Stalle,

War zu hoch nie Liebchens Gitter,

Und kein feindlich Schwert zu ſcharf mir!

Aber ſeht, ſolch' ein Geſelle

Findet Händel, Raufen, Tollen,

Und ein böſes Wort fliegt ſchnelle. —

O, daß doch die böſen Worte

Möchten ſchwinden von der Erden,

Denn um ſolcher Worte Willen

Kann ich nie mehr glücklich werden!

Habe einen Trautgeſellen

Wohl im wilden Zorn und Haſſen,

Statt das Näh're zu erforſchen,

Schnöd' und tückiſch einſt verlaſſen,

Ihn den Feinden überliefert,

Die ihn hart und ſchnell gerichtet,

Die des armen, braven Burſchen

Ganzes Lebensglück vernichtet!

Als es längſt geſcheh'n, nach Jahren,

Da erfuhr ich wahre Kunde,

Daß ich ſchuldlos Blut verrathen! —

Drum die Binde auf dem Munde.

Sühnen konnt' ich's nicht am Freunde,

Er war tief in Noth geſtorben;

Darum habe ich zur Buße
[165]
Dieſes ernſte Kleid erworben,

Doch ich möchte Jeden warnen,

Möchte flehen aller Orten:

Hütet Euch in blindem Haſſe,

Menſchen, vor ſolch' böſen Worten!“ —

Nellas Haupt iſt tief geſunken,

Bleich geworden ſind die Wangen,

Und aus angſtgequältem Herzen

Leiſe Seufzer ſich entrangen.

„Pater Felis!“ fragt ſie leiſe,

„Saget mir bei Gottes Gnaden,

Iſt es auch ein ſchwer' Verbrechen,

Einen Schuldigen verrathen?“ —

„Was iſt ſchuldig? ſeht, es trüget

Oft der Schein bei vielen Dingen,

Oft erſt können lange Jahre

Eines Räthſels Löſung bringen.

Auch bei meinem Trautgeſellen

Konnt' ich kaum Bedenken tragen,

Denn vor meinen Augen hatt' er

Einen Rittersmann erſchlagen!“

„Und war ſchuldlos?“ Voll Entſetzen

Zittert Nella. „Nein! o ſaget

Bei dem ew'gen Heil der Seele,

Daß Ihr ihn gerecht verklaget!“

„Er war ſchuldlos!“ Dumpf und drohend

Klingt des Klausners ernſte Stimme:

„Er erſchlug den Mann aus Nothwehr,

Nicht, wie ich geglaubt, im Grimme;

Todſchlag, und zur Wehre ſetzen,

Fräulein, das iſt grundverſchieden!
[166]
Und kein Menſch ſoll kecklich wagen

Ein Gericht, man irrt hienieden!“ —

Wankend ſteht am Seſſel Nella,

Athemringend, angſtbefangen,

Langſam rollen große Thränen

Zitternd über ihre Wangen.

Schnell erhebt ſich jetzt der Klausner,

Nickt dem Ritter ſtumme Grüße,

Wirft verſtohlen einen heißen

Abſchiedsblick noch auf die Süße

Und geht ſchweigend durch die Thüre.

Draußen fallen weiße, dichte

Flocken ſchmeichleriſch hernieder,

Und mit brennendem Geſichte,

Wie mit langen, durſt'gen Zügen

Athmet er das kühle Wehen:

„Herr, der Du die Herzen lenkeſt,

Laß das ſüße Heil geſchehen,

Laß in der Geliebten Seele

Sturm und Ruh zugleich mich bringen,

Ihr zum Heil und mir zum Glücke

Laß, o Gott, mein Werk gelingen!“ —

Und er ſchreitet zu der Kammer,

Drum die Herbſteswinde ſtürmen,

Hört, wie ſich am Bergesfuße

Brauſend hoch die Wellen thürmen;

Doch ihm deucht's wie Frühlingswehen,

Wie ein Klang von Luſt und Lieben...

— Auf der Deurenburg ſind heute

Lang' zwei Fenſter hell geblieben. —
[167]

Ros' âne dorn — ein tube sunder gallen!

Auf der Fahrſtraß', die von Frankfurt

Und Stadt Mainz nach Cöllen führet,

Zog mit hochbepackten Wagen

Meiſter Gottfried, jener Krämer,

Welcher einſt auf dem Geſcheide,

Gleicherzeit mit Jungfrau Nella

Unfreiwillig Raſt gehalten.

Wieder führt der blonde Kutſcher

Schweigſam ſeine ſtrammen Gäule,

Wieder ſtöhnt und ächzt Herr Gottfried

Und gelobt den lieben Heil'gen

Ungeheuer viele Kerzen,

Wenn ſie ihn und ſeine Waaren

Ungefährdet ziehen ließen. —

Juſt war er von Goarshauſen,

Dieſer ſaub'ren kleinen Rheinſtadt,

In der Frühe ausgefahren,

Um die arg verſchneite Fahrſtraß'

Sich mühſelig hinzuſchleppen,

Als urplötzlich an dem Wege

Ihn ein alter Klausner anſprach

Und ihn bat, für kurze Strecke

Doch ihn gaſtlich mitzunehmen.

Gern gewährt's der bie'dre Kaufherr,

Heißt den Alten ihm zur Seite

Ein bequemes Plätzlein ſuchen,
[168]
Hüllt ihn ſorglich noch in eine

Pferdedecke, warm und hähern,

Und forſcht nun behaglich Kunde

Nach dem Land und nach den Leuten.

Doch der Klausner neigt ſich näher,

Flüſtert mit geheimnißvoller

Und vertraulich leiſer Stimme:

„Heda, wack'res Freundchen, willſt Du

Ein gut' Handgeld Dir verdienen

Und noch obendrein viel Freude

Und viel Kurzweil davon haben?“

Jäh erſchrocken war der Krämer,

Schaut entſetzt, ob jene Hand nicht,

Die vertraulich auf die Schulter

Ihn geklopfet, Waffen führet,

Und rückt ſchleunigſt etwas abſeits.

„Handgeld?“ ſtottert er geängſtigt,

„Sanct Virginia! was für Handgeld?“

Leiſe lacht der Klausner: „Hör' denn,

Laß mich künden, was ich meine!“

Und zum Ohr des Manns geneiget,

Spricht er lang und ſchnell und eifrig,

Und manch' „ah!“ und „oh!“ des Staunens

Ringt ſich von des Krämers Lippen;

Muthig wieder näher rückend,

Freudig nickend und verſprechend,

Lauſcht Herr Gottfried höchſt verwundert.

„Will es Alles ſo beſorgen,

Seid verſichert, frommer Vater!“

Ruft er endlich, „o, die Freude,

Daß ich jenes wunderholde
[169]
Edelfräulein wiederſchaue!

Auf der Deurenburg, heut' Abend?

Ich verſprech' es, ich verſprech' es

Und verlang' nicht Eure Batzen,

Thu's ſchon ſelber mir zur Freude,

Daß ich dort um Einlaß bitte.

Auch die Mähr von jenem Biſchof,

Herrn zu Fulda, will ich künden,

Ganz wie Ihr's von mir verlanget!“

Und der Schnee fällt dicht und dichter,

Und der Himmel ſpannt' ſich bleigrau,

Träg' und düſter, hohe Wälder

Ziehen ſich am Bergesabhang,

Und der Rhein wälzt Rieſenmaſſen

Tiefgefärbten Waſſers ſeitwärts. —

Endlich ſteigen aus dem Nebel

Eines Berghaupts Felsconturen,

Und auf dieſen, kaum dem Auge

Deutlich unterſcheidbar, ſchlankes,

Thurmgeziertes Burggemäuer. —

„Seht von Deurenburg die Zinnen;

Noch zwei Stunden, und Ihr haltet

An der Zugbrück', Meiſter Gottfried,

Alſo vorwärts, wagt's und klopfet!“

Und der Klausner ſpringt zur Erde,

Schüttelt derb die Hand des Krämers

Und ruft heiter: „So lebt wohl denn!“ — —

Als die erſten Sternlein blinkten,

Und der Mond mit bleichen Strahlen

Durch die Fenſterbogen lugte,
[170]
Wie's zu Deurenburg wohl ſtünde,

Sah er in dem traulich warmen

Burggemach, an dem Kamine,

Ritter Franz beim Humpen ſitzen,

Neben ihm den alten Klausner,

Nella und ihr treues Waldkind,

Und an deren Seite Gottfried,

Kaufherrn aus dem Sachſenlande,

Der als Gaſt hier vorgeſprochen. —

Hoch erfreut von dem Beſuche,

Fragt jetzt Nella nach der Heimath

Und erzählt vom Abenteuer

Auf der Holzenburg; ſie konnte

Satt nicht werden, jenes ſchwarzen

Ritters Höflichkeit zu preiſen

Und zu ſchwören, daß er wahrlich

Nicht ein Raubgeſell geweſen. —

Oheim Franz erfaßt beim Hören

Plötzlich ein fataler Huſten,

Daß ſich hoch ſein Antlitz röthet,

Und der Klausner voll Beſorgniß

Ihn bei Seite führt, der Arme!

Doch der Krämer ruft voll Eifers:

„Fräulein! ei, bei Sanct Brigitta!

Habt Ihr's denn noch nicht vernommen,

Daß des Räthſels Spur gefunden?

War jüngſt im Johanniskloſter

Gaſtlich aufgenommen; als ich

Nun von jener Nacht erzählte,

Blinzt der Abt mir zu und flüſtert:
[171]
„„Ganz sub rosa, lieber Bruder,

Will ich Dir das Räthſel löſen;

Doch ſprich' nicht davon im Lande:

Jener ſchwarze Ritter, höre,

War der wilde Frankenſteiner,

Der verkappt — cui bono? frag' ich,

An der Landſtraß' Euch geplündert

Und den Sakriſtan von Fulda

Um das Teſtament beſtohlen!

Itzo nun kommt ihm die Strafe,

Denn Bertholdus liegt mit Kriegsmacht

Vor dem Mittelſtein und Salzung'

Und berennt die feſten Schlöſſer!““

„Und der Frankenſteiner? Gottfried,

Wird er ſich behaupten können?“

Bleich, wie Schnee, fragt's Jungfrau Nella.

„Gegen ſolche Macht, Vieledle,

Kämpft ein Herzog ſelbſt vergebens;

Wird wohl jetzt dem Frankenſteiner

Ewiglich die Wildheit legen.

Schad' um ihn! ich hab' im Lande

Gar viel Gutes ſagen hören

Von des Ritters Muth und Stärke

Und von ſeinem treuen Herzen,

Das wohl Uebermuth und Frohſinn,

Doch nicht Schlechtigkeit regiere.

Wie man ſagt, hat Haß und Falſchheit

Heimlich ihn dem Abt verrathen,

Und um dieſer Untreu' willen

Büßt' er nun ſein keckes Stücklein

Leicht mit Tod und Untergange!“
[172]
„Gott im Himmel mög's verhüten!“

Murmelt Nella ſtarren Blickes,

Greift mit bebend ſchnellen Händen

Nach der Kanne auf dem Tiſche

Und eilt haſtig, ſie zu füllen.

Gudula folgt ihrer Herrin,

Und ſie legt, trotz guter Sitte,

Ihren Arm um Nellas Hüften

Und geleitet ſie zur Thüre.

Schmunzelnd aber blickt zum Klausner

Ritter Franz und ſtreicht den Schnurrbart:

„War noch halb gefüllt die Kanne,

Warum eilte denn Schön Nella?“

Und die Dreie lachen ſchalkhaft,

Heben ſchweigend ihre Humpen.

„Katz' und Maus!“ nickt Klausner Robert,

Leert' ihn bis zum letzten Tropfen. —

War es nur des Kienes Flamme,

Die ſo trügeriſch beleuchtet?

Als ſie kehrte, ſchien's den Männern,

Als ſei Nella's ſchönes Auge

Trüb' und roth und tief umſchattet;

Fröhlich plauderte der Kaufherr,

Gar ergötzliche Geſchichten,

Doch das Fräulein drehte ſchweigend,

Ernſt und bleich die flachs'ne Spule,

Und des Klausners Herz erbebet,

Macht zur Qual ſein grauſam Spiel ihm,

Denn er ſieht, daß ihren Faden

Heimlich bitt're Thränen netzen.

Doch er preßt die Hand aufs Herze
[173]
Und befiehlt es froh zur Ruhe.

„Jetzo ſind der Jungfrau Thränen

Segensreicher Thau des Himmels,

Der die Blüthe Deines Glückes

Schmerzlich ſüß küßt aus der Knospe;

Doch wenn Du in falſcher Weichheit

Dich von ihnen läſſeſt rühren,

Werden ſie zum gift'gen Frühreif

Und verderben jeglich Keimen

Deines mühſam, edlen Säens;

Darum fein geduldig, Herze,

Harre ſtandhaft Deiner Ernte!“ —
In der Klauſe, auf der Bergfirſt

Saß beim trüben Flackerſcheine

Eines Kienſpans, Junker Robert,

Vor ſich einen heißen Glühwein,

Den der wack're Knappe Walter

Ueberm off'nen Feuer braute.

Robert putzte an dem Rüſtzeug,

An dem breiten Schwert und Helme,

Prüft des Kettenhemdes Ringe,

Ob ſie gar der Roſt beſchleiche,

Und er dehnt die nerv'gen Arme

Und lacht fröhlich: „Hol' der Kuckuck

Solch' ein träges Klausnerſpielen!

Glaub', mir wird der Arm erlahmen

Von dem ew'gen Kreuzeſchlagen,

Und kriech' ich dereinſt als Ritter

Wieder in die ſchwere Wehre,

Drückt ſie wie ein altes Weib mich
[174]
Morſch und kraftlos matt zu Boden.

Wäreſt Du es nicht, Frau Minne,

Der ich ſolches Opfer brächte,

Und wär's nicht um Jungfrau Nella

Mit den ſüßen Veilchenaugen,

Daß ich in die Kutte ſchlüpfe,

Während ſie daheim die Schlöſſer

Mir verbrennen und verwüſten,

Wahrlich, nicht zehn Teufel ſollten

Hier mich auf dem Berge halten!

Heda! Knappe, friſch zur Klinge!

Sollſt mir kräftiglich pungieren,

Ohne Rößlein! Bruſt an Bruſt wohl

Stapfen wir im Zweikampf, Burſche!

Hei der Wonne! Den Gedanken

Schickte Sanct Georg mir ſelber,

Alſo ſtählen wir die Arme,

Alſo ſchweißen wir die Schwerter

Trotz des langen Müßiggehens!“ —

Walter ſaß beim off'nen Feuer

Und ſang eine friſche Weiſe,

So im Parzival zu leſen:

„Swer schildes ambet üeben wil,

der muoz durchstrichen lande vil — —“

Jetzo ſprang er auf, es blitzten

Seine Augen, und frohlockend

Rief er laut: „O, lieber Junker,

Wie doch laſſen Eure Worte

Mir das Herz im Leibe ſpringen,

Haia! mit dem Frankenſteiner

Einen flotten Schwertgang machen,
[175]
Heißt als wack'rer Kämpe ſterben,

Rühmte gern ſich mancher Tapf're!“

Und er zieht aus eich'ner Truhe

Haſtig vor die blanke Rüſte,

Schiebt den Tiſch und Schemel ſeitwärts,

Platz zu ſchaffen in der Hütte;

Oeffnet weit die nied're Thüre,

Um die Wärme abzudämpfen,

Und dann hört man durch die Nacht hin

Bald ein Dröhnen und ein Klingen

Und ein jubelnd Anruf halten.

Draußen aber heult der Schneeſturm,

Pfeift ſein Lied wild durch die Klauſe,

Und das off'ne Feuer flackert

Hell und grell weit durch die Thüre,

Färbt mit rothem Schein die Bäume.

Horch ... was keucht und ſtampfet plötzlich

Hülferufend in dem Buſchwerk?

Robert läßt die Klinge ſinken,

Eilet haſtig an die Thüre

Und lauſcht zweifelnd nach dem Thale.

Nein! er täuſcht ſich nicht ... horch, wieder

Klingt es matt und ſterbend: „Hülfe! ...

Hülfe!“ durch den Sturm, und wieder! ...

Dann iſt's ſtill. Doch Robert reißt den

Kienbrand aus dem Feuer, und er

Stürmt, gefolgt von Walter, haſtig

Niederwärts den wald'gen Abhang.

Bald auch kehren Beide wieder,

Stützen einen ſchlanken Jüngling,

Einen Mönch mit bleichem Antlitz,
[176]
Halb erfroren, matt zum ſterben,

Und ſie betten ihn fürſorglich

Auf des Ritters nied'res Lager,

Laſſen ihn den Glühwein ſchlürfen,

Reiben die erſtarrten Glieder.

Und der Mönch erholt ſich langſam,

Oeffnet weit die blauen Augen

Und reicht Robert beide Hände.

„Gott vergelt's Euch, Freunde!“ ſagt er,

„Kamet juſt zur rechten Stunde.“

Und er richtet halb empor ſich,

Schaut ſich um in dem Gemache,

Blicket lang' auf Junker Robert

Und ſagt leis: „Dies iſt die Klauſe,

Drinnen eine Katze hauſet?“

Und da Robert jach empor ſchrickt,

Zieht ein glückdurchſtrahlet Lächeln

Ueber ſeines Gaſtes Züge:

„Wohl mir, daß ich nun am Ziele!

Ritter Robert Frankenſteiner,

'S iſt zu Euch, daß mich der Weg führt,

Denn ich komm' von Sanct Johannis,

Trage einen Brief vom Abte,

Und ich heiß' Gerhardus Rochus.“ —

Und er reicht den Pergamentſtreif,

Sinkt erſchöpft zurück zum Lager

Und ſchließt abermals die Augen.

Robert aber hält das Schriftſtück,

Starrt darauf und kann's nicht leſen,

Und ſo ſetzt er ſich geduldig

An des jungen Mönches Seite,
[177]
Ihn zu pflegen. — Walter ſchüret

Noch einmal die Feuerbrände,

Stützt das Haupt tief in die Rechte

Und ſinnt nach, welch' wicht'ge Kunde

Dieſes Schreiben bringen werde,

Grübelt, ſinnt und denkt nach Hauſe,

An die Mittelſteiner Halle,

Wo wohl jetzt die Trautgeſellen

Und die ſchmucken Dirnen ſitzen,

Wo die Schaffnerin am Fleiſchtopf

Gar verlockend flink hantiret.

„Ei, Frau Röſel ... wollet freundlichſt

Des Jung Walter's nicht vergeſſen. ...“

Alſo murmelt er, und hierauf

Schnarcht er laut im ſchönſten Traume.
Andern Morgens warf die Sonne

Leuchtend wieder gold'ne Strahlen

Grüßend in die Bergwartklauſe,

Und ſie ſah Gerhardus Rochus

Wohl geſtärkt und neu bei Kräften

Fröhlich plaudernd neben Robert

Bei dem würz'gen Frühtrunk ſitzen.

Er erzählte, daß vom Abte

Seines Eiſenacher Kloſters

Ihm, als von dem Rhein gebürtig,

Sei ein Botſchaftsgang dictiret

Zu dem Mattenburger Kloſter,

Daß drauf Wunfried, der's vernommen,

Ihm in ganz geheimer Zwieſprach'

Von der Klauſe hier erzählet
v. Eſchstruth, Katz' und Maus. 12[178]
Und gebeten, dieſes Brieflein

An den Frankenſteiner Ritter

Recht behutſam abzugeben.

Nun hab' er von Goarshauſen

Bald zu Fuß ſich herbegeben,

Sei vom Schneeſturm überraſchet,

Schier vom rechten Weg gerathen

Und im Tann vor Kält' und Hunger

Und Ermattung faſt verkommen. —

Doch das Schreiben von Wunfriedus

Brachte keine Freudenbotſchaft,

Es erzählte, daß Bertholdus

Schon den Frankenſtein zerſtöret9)

Und anitzt vor Salzung' läge.

„Doch getroſt nur, lieber Neffe,“

Schrieb der Abt zum Schluß der Kunde,

„Weißt, was ich in Königs Namen

Dir ſo ſicher hab' verſprochen!

Schon ſchickt' ich ihm treue Boten,

Die Dein Unbill klagen ſollen,

Und, vertrau' ihm, König Wilhelm

Wird Dein Land zurückerobern,

Alſo hat er mir's geſchworen.“ —

Lange ſaß der Frankenſteiner

Stumm, mit ſchwer bewölkter Stirne,

Nagte zornig ſeine Lippen,

Und die Hand, zur Fauſt geballet,

Zitterte am Griff des Schwertes.

Endlich rang ſich's wie ein Stöhnen

Aus der Bruſt: „Gerhardus Rochus,

Braucht Ihr jemals grauſam herbe
[179]
Qualen, um im Fegefeuer

Arme Seelen ſchlimm zu foltern,

Sperrt ſie ein in enge Klauſe

Und erzählt, daß in der Heimath

Ihre liebe, traute Wohnſtätt'

Sei von Feindeshand geplündert;

Kann es Euch anitzt verſichern,

Daß dies ſchlimmer brennt wie Feuer!“

Lang' und forſchend blickte Gerhard,

Endlich rief er: „Junker Robert,

Wollet es nicht Neugier nennen,

Die mich ſelbe Frage thun läßt:

Warum weilt Ihr fern und thatlos,

Warum duldet Ihr's gelaſſen,

Daß man Euch ohn' jedes Hemmniß

In der Heimath macht zum Bettler?

Wahrlich, wäre Euer Ruhm nicht

Längſt im ganzen Land verbreitet,

Der Euch nennt von allen Rittern

Den verwegenſten und kühnſten,

Ich würd' glauben, Junker Robert — —“

„Sei ein Feigling? — friſch heraus nur!“

Lachte bitter auf der Edle,

„Glaub' es ſelbſt, 's hat ſo den Anſchein:

Aber nein, hört an, Gerhardus,

Welch' ein Tollkopf Euch bewirthet:

Um ein kleines, zartes Mäuslein

Sich mit kluger Liſt zu fangen,

Sitzt der wilde Frankenſteiner

Wochenlang auf ſtiller Lauer,

Und er läßt getroſten Herzens
12*[180]
Einen Wolf im Hirtenkleide

In der Heimath Heerde brechen!

Seht, ich liege hier gefeſſelt,

Und ſind's gleich nur Roſenketten,

Kann ſie doch mein ſtarker Arm nicht

Und kein Zorn und Muth zerreißen;

Und will Sanct Georg, der Streiter,

Oft auch kühn aufs Roß mich treiben,

Tritt herzu ein Weib, ein ſchwaches,

Winkt mir ſtumm mit ſüßem Lächeln,

Und ich taumle jäh zurücke,

Sinke kraftlos ihr zu Füßen,

Roß und Klinge ſtehen herrnlos,

Und ich bin ein Sclave worden,

Sclave jenes Zauberweibes,

Das da heißt die Kön'gin Minne.

Aber höret, Freund Gerhardus,

Hab' ich ſie für ew'ge Zeiten

Sicher mir ins Herz geſperret,

Dann friſch auf! dann in die Heimath!

Jenen Wolf will ich dann ſuchen

Und ihn packen und ihn würgen,

Heil dem Frankenſteiner Leuen!“

Lange ſprach dann noch Herr Robert,

Sprach von dieſem und von jenem,

Auch der Deurenburg erwähnt' er,

Und der Mönch ſchrak auf und murmelt:

„Kennt Ihr jene Burg? — Gott helf' mir,

Ach, was wißt Ihr von dem Schloſſe?“

Und der Frankenſtein erzählte,

Trat dann hin zur Fenſterluke,
[181]
Stieß ſie auf und ſprach: „Dort liegt ſie!“

Tief erregt ſprang plötzlich Gerhard

Auf von ſeinem Sitz und ſtrich ſich

Mit der Hand ſchnell übers Antlitz,

Die Bewegung zu verbergen:

„Kennt Ihr auch Klein Guda, Junker,

Saht Ihr ſie geſund und fröhlich?

Helf' mir Gott, iſt ſie wohl glücklich?“

Und er trat zur Fenſterluke,

Schaute ſtarren Blicks hinüber,

Wo die goldne Morgenſonne

Auf den weißbeſchneiten Thürmen

Deurenburgs wie Feuer brannte,

Und er hob die Arme ſehnend,

Stumm und innig ihr entgegen:

„Grüß' Dich Gott, Du Sarg und Wiege

Meines Traums und meines Glückes,

Tod und Leben, Finden, Scheiden,

Luſt und Leid trägſt Du verſchloſſen,

Wie an einem Blüthenſtrauche

Roſ' und Dorn zugleich erſprießen,

Grüß Dich Gott, Du Burg am Rheine,

Nimm mich auf, ob Sarg, ob Wiege!“

Ein Wiederſehen.

Das war ein goldner Morgen

So recht voll Pracht und Licht,

Hei, wie der Strahl der Sonne
[182]
Im Eiskriſtall ſich bricht,

Wie er die weißen Zinnen

In Schamesröthe taucht,

Wenn glühend ſeine Küſſe

Auf ihre Stirn er haucht!

Da hängt vom Tannenaſte

Der hellgefrorne Tand,

Eiszapfen, lang und zackig

Und blitzend wie Demant!

Und droben an dem Thurme

Der alte Wetterdrach'

Gähnt unter weißer Mütze

Verſchlafen von dem Dach

Und blinzt herab zum Hofe,

Wo von dem Fenſterrand

Den Schnee in Silberflocken

Stäubt ſchlanke Frauenhand.

Schön Nella iſt's und Guda,

Die ſchaffen dort ſich Platz,

Die Krumen auszuſtreuen

Für Täublein, Meiſ' und Spatz.

Hei, wie das luſtig flattert

Und zwitſchert, pickt und ſchwirrt,

Vom Wald ſelbſt hat ſich heute

Manch' Gaſt hierher verirrt;

Der thut noch ſcheu und blöde,

Faßt zu und ſchrickt davon.

Da lob' ich mir den Spatzen,

Den kecklichen Patron,

Der ſtets bei Nellas Händen

So nah wie möglich ſitzt,
[183]
Am liebſten aus den Fingern

Den Brocken ſchon ſtiebitzt,

Der, wenn die Maid dem Freßſack

Zuruft: „Nun abmarſchirt!“

Sich ſpielt auf den Gekränkten

Und furchtbar raiſonnirt!

Das war ein reizend Bildniß:

Im hellen Sonnenſchein,

Inmitten des Gezwitſchers

Die beiden Jungfräulein,

Umrahmt vom Fenſterbogen,

Umſchlungen traut und dicht,

Bei Gudas Roſenwangen

Ein Lilienangeſicht!

Was klopft allda am Thore

Und rührt die Glocke hell;

Kehrt ein zu unſerm Schlößlein

Ein fahrender Geſell?

„Heut' kommt mir Glück und Freude!“

Ruft Guda ſchnell erregt,

„Ich hab' heut' Nacht im Traume

Ein welkes Reis gepflegt,

Das unter meinen Händen

Urplötzlich keimt und blüht

Und ſchnell in rothen Roſen

Mir hold entgegen glüht!“

„Heil Dir,“ ſagt Nella bangend,

„Auch ich hatt' ſeltnen Traum,

Ich ſtand und hielt umſchlungen

Schneeweißen Blüthenbaum;

Doch alle Blätter ſanken
[184]
Und wehten in den Staub,

Und ſchmucklos trauernd blieb mir

Ein Stamm ohn' Blum' und Laub!“

Und Beide blicken ſchweigend

Hinab zum Brückenthor,

Wo Pförtner Gisberth eilig

Den Balken zieht hervor,

Wo laut die Ketten raſſeln,

Wo ſchwer die Brücke ſinkt,

Wo freundlich drauf des Alten

„Grüß Gott zur Einkehr!“ klingt.

Da tritt vom Licht beſtrahlet —

„O, Heil'ge ſteht mir bei!“ —

Ein Mönch herein zum Hofe,

Und zitternd leiſer Schrei

Ringt ſich von Gudas Lippen.

„Gerhardus!“ — jauchzt's ihm zu,

Streckt nach ihm beide Hände,

„Gerhardus Rochus, Du?!“

Und wie erfaßt vom Sturme,

Von ſel'gem Wirbelwind,

Stürmt jach die Stiege nieder

Frau Dorta's roſig Kind

Und eilt durch Schnee und Blinken,

In ſinnverwirrter Luſt,

Aufjauchzend hinzuſinken

Dem Freunde an die Bruſt.

Mit Thränen in den Augen,

Die Glück und Wonne weint,

Starrt ſie ihm ſtumm ins Auge,

Fühlt ſich ihm neu vereint
[185]
Und blickt und fragt im Zweifel:

„Gott, kann's denn möglich ſein,

Hüllt nicht vielleicht ein Traum nur

Die Sinne täuſchend ein?

O, ſprich ein Wort, Gerhardus,

Ein einzig Wort zu mir,

Ich kann's ja nicht begreifen,

Daß wieder ich bei Dir!“

Noch blickt er, Faſſung ringend

Und regungslos, ſie an,

Es liegt ihm Herz und Sinne

In ſüßem Zauberbann,

In ihre Augen tauchet

Die ganze Seele er,

Es wogt um ihn und wallet

Ein Sonne glühend Meer.

Er ſteht und drückt ans Herz ſie,

Der Welt und Zeit entrückt,

O, Wiederſeh'n, haſt jemals

Du Zweie mehr beglückt?

Da endlich zuckt empor er:

„Grüß Gott Dich, Gudula,

Wie groß iſt Gottes Gnade,

Daß ich Dich wiederſah!“

Beim Klange ſeiner Stimme

Aufſchrickt das blonde Kind,

Mit Zauberſchlag der ſüße,

Glückwirre Rauſch zerrinnt,

Sie ſieht nicht mehr ſein Antlitz,

Sie ſieht ſein Mönchsgewand;

Entgeiſtert, ſchlaff und bebend
[186]
Sinkt nieder ihre Hand,

Die Roſengluth der Wangen

Erbleicht zu weißem Schnee,

Dahin iſt Glück und Wonne,

Im Herz das alte Weh.

Verwirrt, beſchämt, erſchrocken

Weicht ſeinem Blick ſie aus:

„Ich will es Nella ſagen!“

Und flieht zurück zum Haus

Und ſtürmt empor die Stiege,

Wirft ſich an Nellas Bruſt:

„Gerhardus!“ — Sanft nickt Nella:

„Ich ſah's und hab's gewußt,

Erkannt' ihn nach dem Bilde,

Wie mir's Dein Wort beſchrieb —

Heil Dir, Du Ueberſel'ge,

Er kommt, er hat Dich lieb.

Doch ſchnell jetzt ihm entgegen,

Du ließt in wirrer Haſt

Im Hof, in Schnee und Kälte

Zurück den lieben Gaſt.“ —
Und wieder iſt es Abend,

Und wieder flammt der Kien,

Es praſſelt Tannenreiſig

Laut kniſternd im Kamin,

Und an der Tafel plaudert

Vertraut der kleine Kreis,

Denn wanderfrohe Kunde

Der Mönch zu ſagen weiß;

Dieweil ihm gegenüber,
[187]
Die Hände ſtill verſchränkt,

Klein Guda in ſein Auge

Die Blicke lauſchend ſenkt.

Die Wange glüht, es beben

Die Lippen Schreck und Leid,

Erzählt der ſchlanke Jüngling

Der Irrfahrt Fährlichkeit.

Und wieder, ganz verſunken

Im Anblick, freudenſtumm,

Blickt lächelnd ſie durch Thränen,

Weiß ſelber nicht warum;

Doch plötzlich hebt das Haupt ſie,

Schaut ihn erbleichend an.

„Gern blieb' ich!“ ſeufzt Gerhardus,

„Doch muß ich bald hindann,

Zum Mattenburger Kloſter

Treibt mich die ſtrenge Pflicht

Und heißt mich morgen ſcheiden;

Leicht wird's mir wahrlich nicht.“ —

„Zur Mattenburg? hei, Freundchen,

Hört an und ſchlaget ein,“

Ruft Ritter Franz vergnüglich,

„Ich fahr' Euch übern Rhein,

Wollt Ihr noch zweien Tage

Verweilen hier im Schloß;

Gen Werlau ſend' ich Knappen

Und Mägde mit dem Floß.

Denn wißt, zur Faſtnacht giebt es

Dort heitern Mummenſchanz,

Da ziehen ſie mit Larven

Und ſpringen froh zum Tanz.
[188]
Hab' all' Jahr' meine Burſchen

Und Mädels hingeſchickt,

Weil ſonſt das junge Völkchen

Mir gar zu traurig blickt.

Fahrt mit, mein Freund, am Felſen

Hält dann das Fahrzeug an,

Und Ihr braucht nur zu ſteigen

Den Kloſterberg hinan!“ —

„O, trefflich,“ lächelt Nella,

„Hör' Oheim, meinen Plan,

Nie war's, daß ich und Guda

Solch' eine Kurzweil ſah'n,

Drum laß uns mit zum Feſte,

Und gern ſind wir bereit,

Zu geben unſerm Gaſte

Ein Stücklein das Geleit.“

Wie ſtrahlet Gudas Auge;

Gerhardus blickt ſie an

Und reicht zum haſt'gen Danke

Die Hand dem Edelmann:

„Wie könnt' bei ſo viel Güte

Die Antwort lauten: nein?

O, wahrlich, nie fuhr Einer

So glücklich übern Rhein!“ —

Und als im Saal das Feuer

Erloſchen, als die Nacht

Ausbreitet ihres Schleiers

Sternhell geſtickte Pracht,

Da tritt heraus zum Söller

Frau Dortas herzig Kind,

Mild ſtreicht um ihre Stirne
[189]
Feuchtwarm ein lauer Wind;

Die Kälte iſt gewichen, es thaut

Vom Dach und blinkt

Sprühregengleich, wie Nebel,

Der glitzernd leiſe ſinkt.

Auf das Gelände ſtützet

Sich Guda, blickt hinaus,

Hier, ſtill und fern von Allen,

Hier weinet ſie ſich aus.

Und als die Thränen rinnen,

So ſüß und ſehnſuchtsbang,

Und endlich trocknen, zieht es

Wie jubelnder Geſang,

Gott preiſend, durch die Seele;

Doch Worte hat ſie nicht,

Sie fühlt nur, tief im Herzen

Iſt's frühlingswarm und licht.

Verwirrte Reime ſchwirren

Wie Goldſtaub durch die Bruſt,

Sie fühlt heut nur die Lieder

Und denkt ſie unbewußt:
„Was ſtarret rings doch Eis und Schnee

Mir kalt und bleich entgegen?

Ach, Gott, es muß im Sonnenſchein

Doch blühen aller Wegen!

Ich ſchließe Aug' und Ohr nicht zu

Und hör' doch Vöglein ſingen

Und hör' durch Sturm und Schneegetreib

Glückſel'ge Mailuſt klingen!

Und höre Läuten wundervoll

Wie frommer Kirchenglocken,

[190]
Die wollen mich ins Gotteshaus

Zu Dank und Beten locken!

Und Lüfte fühl' ich weich und lind

Mir um das Antlitz wehen,

Ich ſehe jeden Baum und Zweig

In voller Blüthe ſtehen

Und fühle heiß und ungeſtüm

Mein Herz im Buſen drängen,

Gleich wie die Roſe bebt und ſchwillt,

Will ſie die Knoſpe ſprengen!

Heraus denn aus der tiefſten Bruſt,

Du Jubelſchrei, Du Wonne!

Stürm' jauchzend hin durch Berg und Thal,

Flieg' auf zur güld'nen Sonne

Und künde, daß auf weiter Welt

Es aller — aller Orten,

Selbſt in Jung Gudas krankem Herz

Sei plötzlich Frühling worden!

Doch fragt man, wer ſolch' Wunder that

Zum ſeligſten Gewinne,

So flüſt're leis, ganz leis ihm zu:

Die Minne that's, die Minne!“

Rheinab!

Auf flockigem Lager, zur Mitternacht,

Iſt plötzlich der Thauwind, der Träumer, erwacht;

Da regt er die Schwingen, da dehnt er ſie aus,
[191]
Da klinget ſein Athem wie koſend Geſaus.

Er ſchüttelt die Locken, da ſtäubt es wie Duft,

Wie Regengeglitzer, feuchtwarm durch die Luft;

Durch Felder und Wälder hineilet ſein Fuß,

Da krachen die Zweige, da donnert der Fluß,

Da berſtet ſein Panzer von weißem Kriſtall,

Da gurgelt und woget der toſende Schwall;

Von Dächern und Zinnen abtropfet der Schnee,

Wie lächelnde Thränen, wie ſchwindendes Weh;

Grasſpitzen, Schneeglöcklein im lieblichen Flor,

Sie ſchauen wie grüßende Hoffnung hervor,

Und lachende Sonne am Himmelszelt

Strahlt golden hernieder zur wonnigen Welt.

Im Hofe der Deurenburg eilt Groß und Klein

Und dränget und ſchiebt ſich und lugt nach dem Rhein.

Ihr ſchmucken Liebdirnlein — kommt, eilet vom Schloß,

Viel ſehnige Arme regieren das Floß!

Zum Mummenſchanz! heia! zur Ringeltanzweis!

Erſchreckt Euch im Waſſer ein treibend Stück Eis?

Da jauchzt es und lachet und ſtürmet zum Thor:

Jû nârro! jû nârro!“ und fort eilt's im Chor.

Derweil ſich dies Alles im Schloßhof begab,

Verweilt in der Halle ein reiſiger Knab',

Jung Walter, und vor ihm, ſo bleich wie der Tod,

Schön Nella, die er zur Zwieſprach' entbot.

Es flammet und zucket des Knappen Geſicht,

Schwer wird's ihm zu reden, doch heiſcht es die Pflicht,

Und alſo hebt endlich die Rede er an:

„Jungfräulein, ich ſtieg hier zur Veſte hinan,

Weil trauriger Auftrag mir's alſo befahl,

Ich bringe Euch Kunde vom Werrathal!“
[192]
„O, redet!“ — ein zitternder Aufſchrei erklingt,

„Ich ahne, allmächtiger Gott! was Ihr bringt!“

Da zieht aus dem Wamſe, dem Ledergewand,

Der Burſch einen Handſchuh, — von Damenhand,

Und reicht ihn mit abgewandtem Geſicht

Und ringet in heftigem Kampfe und ſpricht:

„Der ihn mir gegeben, der kränkte Euch ſehr;

Vergebt ihm, vergeßt's, denn ... er lebet nicht mehr!

Er mengte zu hitzig dem Kampfe ſich ein,

Der Uebermacht trotzt auch kein Frankenſtein,

Sein letztes Wort war die Botſchaft für Euch:

„Enteile, o Knappe, zur Deurenburg zeuch

Und künd' es der holden, vieledelen Maid:

„„Was ich Dir geſchaffen an Herzeleid,

Ich that's nicht im Argen, o Nella, vergieb,

Wie Du mir auch zürnteſt, ich hatte Dich lieb!““

Jung Walter verſtummte, er athmete ſchwer

Und ſtarrte auf Nella; ſie bebte nicht mehr,

Sie preßte den Handſchuh voll Todesluſt

Still, marmorbleich an die wogende Bruſt, —

Dann ſchrickt ſie empor, erhebt ſich und wankt

Und murmelt: „Sei, trauriger Bote, bedankt,

Zieh hin Deine Straße, Gott ſegene Dich ...

Und ... biſt Du barmherzig, ſo bete für mich!“
Hei, jauchzt es und klingt es am felſigen Strand,

Hei, flattert im Winde Schurz, Fürtuch und Band!

Vier Burſchen, vier Mädels, ſie ſpringen aufs Floß

Und ſchwenken die Hüte hell jauchzend zum Schloß,

Da nahen noch eilig und Hand in Hand

Der Mönch und die Maid aus dem Thüringer Land,
[193]
Und künden's mit traurigem Angeſicht:

„Wir fahren allein, es begleitet uns nicht

Die freundliche Herrin, Schön Nella iſt krank,

Hat heute nicht Freude an Faſtnachtsgeſang!“

Nun gleitet das Fahrzeug hin über die Fluth

Und ſchwankt auf den Wogen und lenket ſich gut

Und treibt unter Scherzen und Freudenhall

Pfeilſchnell durch den gurgelnden Waſſerſchwall;

Am Ufer her geht es, da hat's nicht Gefahr,

Da ſtauet das Eis ſich machtlos und klar

Und hat nicht die raſende Sturmesgewalt,

Die in Fluſſes Mitte ſo knirſchend es ballt,

Und doch heißt's muthig hindurch ſich gewagt,

Ein Feigling wer vor drei Schollen zagt!

Doch wilder und wilder aufbäumt ſich der Fluß,

Wer hemmet ſolch' rieſengewaltigen Schuß?

Der Wind erhebt ſich, anwachſend zum Sturm,

Längſt ſank in der Ferne der Deurenburg Thurm.

Das Lachen verſtummt auf dem Floſſe zumal,

Die roſigen Dirnen ſchau'n leichenfahl,

An die Burſchen geklammert, und Schreckensſchrei

Ertönt, wälzt ſich donnernd die Eislaſt vorbei.

Die Rud'rer wechſeln wohl heimlich den Blick:

„Der Eisgang kommt plötzlich, welch' Mißgeſchick!“

Und ringen und kämpfen mit doppelter Kraft,

„Gott gnade uns, wenn jetzt der Arm erſchlafft!“

Gerhardus und Gudula, Hand in Hand,

Sie blicken ins Auge ſich unverwandt,

Da ſpiegelt nicht Angſt und Verzweiflung im Blick,

Da leuchtet todmuthig ein ſtrahlendes Glück,

Und wie auch die Fluth anwächſet und ſchwillt
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus. 13[194]
Und ziſchend empor an die Bretter quillt,

Und wie es brauſet gleich Schreckensgeſtöhn,

Und Scholle und Waſſer mit Donnergetön

Hinjagen und ſplittern in wirbelnder Haſt,

Wie's knirſchend das ſchwankende Schifflein erfaßt,

Wie gellender Angſtruf erklingt in der Rund',

Da drückt er die Hand ihr, da lächelt ihr Mund;

Doch wilder und wilder anſtürmet der Graus,

Verloren das Fahrzeug, nicht ein und nicht aus,

Gleich ſchaukelndem Spielball empor jach geſchnellt,

In die Schollen gekeilt, — wie ein Kienſpahn zerſchellt —

Erkrachet und ſtößt es! — „O Gott! — Chriſti Blut!“

Und Splitter und Schollen und ſchäumende Fluth ...

Mit mächtigem Arm in der furchtbarſten Noth,

In tollkühnem Ringen um Leben und Tod,

Faßt Gerhard die Liebſte und hält ſie und ſpringt,

Mit trotzigem Muth er hinüber ſich ſchwingt,

Wo mitten im wirbelnden, kochenden Schwall

Die Eisſcholle treibet, ein Block von Kriſtall.

Und ſieh', er erreicht ſie, faßt Fuß, ſtehet feſt —

„So bauſt Du, o Gott, uns ein ſchirmendes Neſt!“

Doch hinter ihm ſplitternd das Fahrzeug verſinkt,

Wer iſt es wohl, dem noch die Rettung gelingt?

Wie Epheu ſich feſt an den Eichenſtamm ſchmiegt,

Jung Guda am Herzen des Retters liegt;

Noch faßt ſie ſein Arm, noch hält er ſie feſt

An die Bruſt im zitternden Taumel gepreßt;

Mit jubelnder Lippe, den Himmel im Klang,

Jauchzt: „Otto!“ ſie, da ſie ſein Arm umſchlang,

Und: „Otto! Otto!“ flüſtert ſie fort,

Ihr ganzes Herz in dem einzigen Wort.
[195]
Da bebt er, erzittert zum Herzensgrund

Und neigt ſich und küßt ihren roſigen Mund

Und murmelt, das Auge zum Himmel gewandt:

„Nun rufe uns, Gott, in das Heimathland!“

So ſtehen ſie ſchweigend, ein Herz und ein Sinn,

So treiben ſie pfeilſchnell im Waſſer dahin.

Es ſchwanket die Scholle, ſie kniſtert und bricht

Am Rande zerſplitternd, doch ſinket ſie nicht,

Wohl morſcher ſtets wird ſie und reibet ſich auf,

Doch, Dank Dir, o Himmel, ſie ändert den Lauf,

Sie treibt nach dem Ufer, ſie ſpaltet ſich feſt,

Sie theilt ſich in Stücke, o kärglicher Reſt!

„Erbarm' Dich, o Himmel, geleit' uns ans Land,

Dort ſteht ſchon das Kloſter an Felſens Wand,

Mach' Ende, o Vater der furchtbaren Noth,

Wir waren ja glücklich und treu bis zum Tod!“

Der Dombaumeiſter.

Im Mattenburger Kloſter10)

Welch' froh bewegte Haſt,

Einkehr hat d'rin gehalten

Ein ſelten hoher Gaſt,

Auftiſcht man Fiſch und Braten

Herrn Conrad von Hochſtaden,

Dem Erzbiſchof zu Cöln.

Der fuhr mit viel Gefolge

Aufwärts den breiten Rhein,
13*[196]
Zur Wahl des Eppenſteiners

Zur Zeit in Mainz zu ſein,

Doch ward die Fahrt gehemmet,

Der Rheinſtrom eingedämmet

Von treibend Scholleneis.

Was ſollte man beginnen?

Es wächſt der Fluß und ſchwillt,

Um zack'ge Felſenklippen

Schäumt Waſſer hoch und wild.

Da, von der Noth getrieben,

Iſt man allhier geblieben

Im Kloſter Mattenburg.

Herrn Conrad hat's gemundet,

Er liebet Pracht und Glanz,

Schlingt purpurn ſich ums Leben

Den blüthenreichſten Kranz;

Der Wiſſenſchaft zu nützen,

Die Künſte zu beſchützen,

Iſt ſein geſegnet Werk. —

So ſchweift auch jetzt behaglich

Sein Blick der Halle Rund,

Die Wände ſind geſchmücket

Mit frommen Bildern bunt,

Und ſchlanke Säulen ragen,

Die eine Decke tragen,

Kunſtvoll in Holz geſchnitzt.

Den vollen Humpen vor ſich,

Zu Volpert er beginnt:

„Wie doch durch zierlich Kunſtwerk

Ein jed' Gemach gewinnt,

Und wie doch Land und Leute
[197]
Am meiſten durch Gebäude

Ein ſtattlich Anſehn ha'n!

Das naget mir am Herzen

Und quält mich Tag für Tag,

Was aus dem Cölner Dome

Wohl endlich werden mag;

Von Cöln kann man verlangen

Doch wahrlich ander Prangen

Am edlen Gotteshaus!

Herr Engelbert hat eifrig

Gepredigt ſchon die Pflicht,

Die Kirche auszubauen,

Doch fruchtete es nicht;

Ich aber will nicht ruhen,

Ich will den Hauptwurf thuen

Und bauen unſern Dom.

Wohl fanden ſich ſchon Mittel

Durch Sammlungen im Land,

Die Koſten eines Neubaus

Zu decken vor der Hand,

Doch klag' ich aller Stunden,

Wenn doch erſt wär' gefunden

Der Meiſter und der Plan!“ —

Da rückt auf hohem Seſſel

Herr Volpert hin und her,

Streicht ſich das Kinn und hüſtelt

Und ſagt bedeutungsſchwer:

„Darf meinen Herrn ich fragen,

Ob's Chriſten ſollen wagen,

Zu trau'n auf Weiſſagung?“

Herr Conrad ſtutzt und zögert:
[198]
„Schwarzkunſt iſt Teufelsſitt',

Propheten doch ſchickt Gott uns;

Was ſoll's? heraus damit!“ —

„So laßt Euch Kunde ſagen,

Was ſich hier zugetragen

In dieſem Kloſter, Herr!“

Und Volpert winkt verſtändlich

Dem Sakriſtane zu:

„Hol' Haderad's Vermächtniß

Aus ſeiner Nußbaumtruh'.

Will Euch drauf vorbereiten:

Hier lebt' vor läng'ren Zeiten

Ein Mönch, hieß Haderad,

Den man annoch im Lande

Wie einen Heil'gen preiſt,

Denn groß war ſeine Tugend

Und mächtiglich ſein Geiſt.

Er führt' das ſtrengſte Leben,

Kein'n Frömmern konnt' es geben

Im ganzen deutſchen Land.

Oft hatte er ſchon Worte

In hellem Seherblick

Fürs Kloſter ausgeſprochen,

Verkündet ſein Geſchick,

Und in den Mußeſtunden

Hat man ihn oft befunden,

Daß er vor Plänen ſaß,

Wie er ein Haus wollt' bauen

Zu ſeines Herrgotts Ehr':

„„Des Glaubens höchſtes Denkmal

Uns ſtrahlt von Cöllen her,
[199]
Wohl dem, der es vollendet, —

Heil uns! er wird geſendet

Von Gott zur Mattenburg!““

Und als er kam zum Sterben,

Da rief er: „„Brüder mein,

Ich ſeh' ein ſeltſam Bildniß,

Ich blicke auf den Rhein,

Merkt wohl, was ich Euch ſage,

Ich ſchau' in ferne Tage,

Mein Geiſt fliegt weit voraus ...

Wenn einſt allhier zum Kloſter

Ein Erzbiſchof kehrt ein,

Dann wird's Zeit der Erfüllung

Für meine Worte ſein.

Seht! Seht! ... Dort auf den Wellen,

Seht Ihr den Glanz, den hellen?

Dort ſchwimmt Unſterblichkeit!

Es ſteht ein Mönch im Nachen,

Trägt Ordensfarbe nur,

Ihn bindet an den Himmel

Annoch kein ew'ger Schwur,

Es liegt in Todesſchmerzen

Ein Mägdlein ihm am Herzen,

Die trennet nie von ihm! —

Den Kahn, der Beide führet,

Erbaut' nicht Menſchenhand,

Der hat ſie nicht empfangen

Am heimathlichen Strand,

Hat Ufer nie berühret,

Nie andre Laſt geführet,

Kein Flecklein weiſt er auf!
[200]
Der Kahn iſt nicht gezimmert

Aus Holz und Weidenband,

Nicht Stein, nicht Eiſen iſt er,

Er ſtrahlet wie Demant!

Und den der Kahn wird bringen,

Dem ſoll ein Werk gelingen,

Das tauſend Jahre ſteht!

Der wird zu Gottes Ehre

Ein Denkmal richten auf,

Das ragt in Himmels Wolken,

Hoch in die Luft hinauf, —

Heil, Cöllen Dir am Rheine,

Heil, Dom im Strahlenſcheine,

Er wird Dein Meiſter ſein!““ —

Herr Volpert hat geendet,

Starr blickt der Biſchof drein,

Man bringt ein Pergamentblatt

In braunem Nußbaumſchrein,

Er rollt es auf — da ſteht es;

Und um die Häupter weht es

Wie überird'ſcher Hauch.

Da plötzlich klingt vom Fenſter

Ein Schrei zum Saal herein:

„Barmherz'ger Gott! o eilet!

O, blickt herab zum Rhein!“

Und hundert Augen ſchauen,

Erzitternd, voller Grauen

Das Wunder, das ſich beut!

„Der Kahn! die Eiſesſcholle,

Und Mönch und Jungfrau drauf!

Zu Hülfe! eilt hernieder
[201]
Und nehmt ſie rettend auf!“

Welch' wirres Durcheinander,

Das haſtet, rennt und flieht,

Direkt her zu dem Kloſter

Das ſeltne Schifflein zieht.

Hinaus ins Waſſer wagen

Die Mönche ſich und tragen

Die Gäſte an das Land. —

Als Gerhard ſich und Guda

Gerettet endlich ſeh'n,

Da ſiegt das Fleiſch, das ſchwache,

Die Sinne, ſie vergeh'n;

Bewußtlos trägt man Beide

Im ſorglichſten Geleite

Empor zur Mattenburg.

Und als ſich Conrad neiget,

Zu ſchau'n den ſelt'nen Gaſt,

Das naſſe Kleid zu löſen,

Die dunkle Kutte faßt,

Da ſinken ihm behende

Zwei Rollen Pergamente

Als ſtumme Grüße zu.

Er ſchlägt ſie auf: „Allmächt'ger!

Baupläne, köſtlich fein!“

Es fluthet um die Blätter

Der gold'ne Sonnenſchein

Und taucht in Strahlenwogen

Die hohen Münſterbogen,

Die traumesſchöne Pracht.

Die Hände faltet Conrad

Und blickt zum Himmel auf:
[202]
„Du ſelber gießſt, o Heiland,

Des Lichtes Segen drauf!

Wach' auf und laß Dich preiſen,

Den Haderad verheißen,

Sollſt Dombaumeiſter ſein!“

Die Beichte.

Frühlingslieder, Frühlingsſtimmen

Wachen auf im dunklen Walde,

Sonnenſchein und Thauwindküſſe

Schmeicheln um die Wieſenhalde,

Und das Moos, mit hellen Spitzen,

Gänſeblümchen, friſch von Wangen,

Noch den Schlaf in beiden Aeuglein,

Steh'n ſie ſcheu und traumbefangen,

Wiſſen nicht, daß leiſ' und heimlich

Lenz in dieſes Thal geflogen,

Daß die weiße, flock'ge Decke

Von dem Raſen er gezogen,

Daß die kleinen, holden Blumen

Er geweckt mit ſüßen Küſſen,

Daß ſie ihm, nur ihm alleine

Blühen, duften, leben müſſen!

Und er flog auch jetzt im Walde

Noch umher auf Silberſchwingen,

Hörte auf dem weichen Boden

Roſſeshuf und Schritte klingen,
[203]
Und er ſah, gewiegt im Sattel,

Einer Jungfrau düſter Prangen;

Schwarz weht ihr Gewand und Schleier,

Bleich wie Marmor ſchau'n die Wangen.

Frühling liebt nicht dunkle Farben,

Liebt kein Auge feucht von Thränen,

Keine Seufzer, keine Klagen

Und kein ungeſtilltes Sehnen,

Alſo flog er koſend näher,

Flüſterte mit ſüßem Wehen:

„Nimm den Frühling auf im Herzen,

Dann wird all' Dein Leid vergehen!“

Nella aber ſeufzte traurig:

„Mir hilft weder Lenz noch Sonne,

Ach, in ew'ge Nacht verſunken

Iſt mir meines Lebens Wonne!

Will d'rum ewig von ihm ſcheiden

Und den frommen Schleier tragen,

In dem Kloſter will ich weinend

Meiner Liebe Leid beklagen.

Seit mir geſtern Todeskunde

Von dem Liebſten ward geſchicket,

Iſt der Blüthenbaum des Lebens

Bis zur Wurzel mir geknicket,

Abgeſtorben, welk und klagend,

Letzter Reſt viel ſtolzer Habe,

Trauert er, zu ſpät erkennend,

Auf des Glückes frühem Grabe!

Ach, die Schlang', die ihn geſtochen,

Gift'ger Wurm, der ihn benaget,

War mein Stolz, unſel'ger Stolz nur,
[204]
Gott im Himmel ſei's geklaget!

Hab' der Lieb' mein Herz verſchloſſen,

Hegte Hochmuth, grenzenloſen,

Seine Frucht muß ich jetzt ernten,

Dornen, ach, ſtatt Liebesroſen.

Troſt und Zuſpruch heiß erſehn' ich

Und ein mildes Wort mir Armen!

Darum hin zur Klauſe eil' ich,

Pater Felis hat Erbarmen;

Und mir ſagt es Herzensahnung,

Werd' getröſtet von ihm ſcheiden,

Jener treue Alte wird mich

Auf den Weg des Friedens leiten.“

Alſo ritt ſie ſinnend weiter,

Ernſt gefolgt von Hans, dem Knappen,

Langſam nur treibt ſie bergaufwärts

Ihren ſchwarzgezäumten Rappen.

Endlich ſieht durch Tannendickicht

Sie des Klausners Wartthurm ragen,

Ja, er ſelbſt ſteht in der Thüre,

Haſtig ſein „Grüß Gott“ zu ſagen;

Reicht ihr ſchnell die Hand entgegen,

Von dem Roſſe ſie zu heben,

Armer Alter! Nella fühlt es,

Wie ihm Arm und Finger beben.

„Kommt zu Felis Ihr, Vielholde?“

Fragt er ſchnell, und Nella nicket:

„Eine troſtlos Unglückſel'ge

Iſt es, ach, die Ihr erblicket;

Euern Rath und Euern Segen

Will ich heute mir erflehen,
[205]
Will Euch beichten, und Ihr ſollet

In das tiefſte Herz mir ſehen!“

Wieder rinnen helle Thränen,

Nella ringt die weißen Hände:

„Wollte Gott, o guter Klausner,

Daß ich jemals Frieden fände!“

Auf die Holzbank vor der Klauſe

Weiſt der Alte, winket ſchweigend;

„Redet!“ ſagt er, Haupt und Antlitz

Tief zur Bruſt hernieder neigend,

Und harrt lautlos. Nella folgt ihm,

Reicher noch die Thränen floſſen, —

Fern zum Abhang hin entſchwindet

Knappe Hans mit beiden Roſſen.

Leiſe erſt und bang und zitternd,

Hebt die Maid an zu erzählen

Von der Holzenburg, dem Ritter,

Und kein Wort will ſie verhehlen;

Aber ſchneller fliegt ihr Athem,

Hohe Gluth ſteigt in die Wangen,

Ungeſtüm wie Wind und Wogen,

Jubelnd faſt die Worte klangen,

Als ſie ſeine Liebe ſchildert,

Sein getreuliches Begegnen, —

Denn für all' die Hülf' und Dienſte

Muß ſie tauſendfach ihn ſegnen!

Und die Stimme ſinket wieder,

Leiſe flüſternd, tief erreget,

Und ſie ſchildert, wie die Liebe

Heimlich, wonnig ſie beweget,

Wie ſie ſich ins Herz geſchlichen,
[206]
Heiß mit Stolz und Trotz gerungen,

Wie, gleich gift'gem Hauch des Todes,

Dann ſein Namen ihr erklungen.

Und ſie ringt voll Qual die Hände:

„Ach, ich ſchwur, ihn zu verrathen,

Habe namenloſes Elend

Drum auf ihn und mich geladen;

Hab' zum Lohn für ſeine Treue,

Für ſein wankelloſes Lieben,

Ihn in Kampf um Gut und Habe,

Ja, ſelbſt in den Tod getrieben!

Nun erfaßt mich wilde Reue,

Bang' Verzweifeln, endlos Sehnen,

Ach, und nichts hab' ich zur Sühne,

Als der Liebe heiße Thränen!

Ja, ich lieb' ihn, — lieb' ihn! — Felis,

Alle Welt mag's jetzo wiſſen,

Hab' den Stolz mit Todesqualen

Läuternd aus dem Herz geriſſen!

Ewig krankend nun an Sehnſucht,

Wär' ich beſſer nie geboren,

Warum marterſt Du mich, Minne,

Eh' beſeſſen, ſchon verloren.“

Und das Antlitz in die Hände

Drückend, ſchluchzend abgewendet,

Hat Schön Nella ihre Beichte

In dem Thränenſtrom geendet.

Es erhebt ſich jach der Klausner;

„Giebt's denn Hoffnung nicht auf Erden?“

Murmelt er, „vielleicht, Vieledle,

Könnt Ihr doch noch glücklich werden!“
[207]
„Ohne ihn? — mit einem Andern?

Eher wird das Herz mir brechen;

Ach, Ihr kennt nicht Liebe, Pater,

Würdet ſonſt nicht alſo ſprechen!

In ein Kloſter will ich gehen,

Und den Rath, den treuen, frommen

Eures Mundes drob zu hören,

Felis, bin ich hergekommen!“

Vor ſich nieder ſtarrt der Klausner,

Scheint in Fiebergluth zu beben,

Rauh faſt vor Erregung ſpricht er:

„Gut, ich will Euch Hülfe geben,

Doch nicht ſelber. Juſt zur Stunde

Kehrt' ein Gaſt hier ein zur Klauſe,

Der weiß wohl noch beſſ're Kunde,

Harret ſeiner; er wird kommen!“ —

Haſtig iſt er eingetreten

Durch die Thüre, — ihre Hände

Faltet Nella, ſtumm zu beten,

Und, verſtrickt ganz in ihr Sinnen,

Merkt ſie nicht der Zeit Entfliehen,

Auf zum Himmel ſtarrt ſie traurig,

Wo die weißen Wolken ziehen.

Plötzlich hört ſie's raſſeln, klirren,

Wendet ſich, zur Thür zu ſchauen,

Und ein Schrei gellt durch die Stille,

Wonne — Schrecken — Luft und Grauen:

„Robert!“ und ſie ſteht und zittert,

Und ſie ſieht durch ihre Thränen

Vor ſich ihren ſchwarzen Ritter.

Iſt's ein Trugbild? ... Traumeswähnen?
[208]
Regungslos ſteht der Geliebte,

Durchs geſchloſſene Viſir

Schickt ſein Auge nur, das große,

Liebdurchflammten Gruß zu ihr,

Und von ſeinen Lippen plötzlich

Hört ſie's leiſe flüſternd klingen,

Ach, wie dieſe Worte zaub'riſch

Ihr durch Herz und Seele dringen:

„Hörtet Ihr wohl je das Märlein

Von der Katz' und Maus, Vielholde?

Zwei gewalt'ge Hexenmeiſter

Hat die Katze in dem Solde:

Ihre grünen, wunderlichen

Augen ſind es, die mit langen,

Regungsloſen Zauberblicken

Unrettbar die Seele fangen!

In die grünen Räthſelaugen

Starrt die Maus, .. kann nicht vom Platze,

Wie gebannt in ihr Verhängniß,

Taumelt ſie ans Herz der Katze!“ —

Und er öffnet ſeine Arme,

Hebt ſie ſehnend ihr entgegen,

Läßt den Blick in ihrem glühen,

Ohne ſeinen Fuß zu regen.

Und halb weinend, lachend, bebend,

Wie von ſüßem Bann berücket,

Unvermögend ihn zu brechen,

Feſt aufs Herz die Hand gedrücket,

Ganz das Werkzeug ihres Glückes,

Haltlos, Thränen auf den Wangen,

Liebesjauchzen auf den Lippen,
[209]
Feſt und ewiglich gefangen,

Nur den Blick in ſeinem Blicke,

Folgend nur dem Zauberwinken,

Taumelt ſie, die Maus, der Katze

Zitternd an die Bruſt zu ſinken!
Und auf ſeinen Silberſchwingen

Kam der junge Lenz geflogen,

Triumphirend, ſtrahlend iſt er

In die Herzen eingezogen.

Und es flammte durch die Lüfte,

Wie der Glanz von tauſend Sonnen,

Wie ein Klang von namenloſen,

Glückdurchbebten Frühlingswonnen!

Hand in Hand und Lipp' auf Lippe,

Liebestrunken, glückverſchollen,

Brauſt durch jener Beiden Seele

In Accorden, wundervollen,

Aus der Nacht des Leids entrungen,

Kampfgeläutert und in Schmerzen

Ernſt geheiligt, jenes hohe,

Einz'ge Lied vom Menſchenherzen,

Lied der wonnenreichſten Fülle,

Das ſich ringt aus dornenloſen,

Duftberauſchten, ſchäumendvollen

Kelchen rother Liebesroſen!
Wochen ſind ins Land gezogen,

Und ein Kränzlein iſt geflochten,

Denn das Mäuslein iſt der Katze
v. Eſchſtruth, Katz' und Maus. 14[210]
Minnigliche Hausfrau worden!

Junges, vollſtes Glück der Liebe,

Deſſen Himmel ewig blauet,

Hat die Deurenburg am Rheine

Still und friedlich noch geſchauet;

Dann jedoch ſind leiche Wolken,

Schatten drüber hingeflogen:

Ritter Robert, unmuthgrimmig,

Iſt zur Heimath hingezogen,

Wo der König, treu dem Worte,

Auf des Wack'ren Hülfe ſinnet,

Ihm mit Schwertesmacht die Burgen

Von dem Feind zurückgewinnet.11)

Hei, wie hat Herrn Robert's Klinge

Funkenhellen Zorn geſprühet,

Hei, wie hat ihm Muth und Liebe

Hoffend aus dem Aug' geglühet!

Und die Zeit iſt ſchnell gekommen,

Daß er wieder Herr des Seinen,

Daß das Glück im Schloß der Väter

Ihn mit Nella durfte einen.

Lange Jahre, reich an Segen,

Sind dem Paare drin verſtrichen,

Herz und Seel' iſt jung geblieben,

Ob die Locken auch erblichen. — —

Gudula iſt heimgekehret,

Und ſie ſpann in ſüßem Sinnen

An der Mutter Seite fleißig

Flachs zu feinem Hochzeitlinnen,

Bis es an die Thür geklopfet,
[211]
Bis ein ſchlanker Jüngling nahte,

Gerhardus von Rile hieß er,

Und er war durch Gottes Gnade

Steinmetz an dem Cölner Dome,

Mit dem Bau des Werks betrauet.

Alſo ward das Bild zur Wahrheit,

Das in Wolken er geſchauet.

Mit dem Kuſſe heil'ger Liebe

Durfte er die Spinn'rin wecken

Aus den Träumen, um nun wachend

Ihr ein Ringlein anzuſtecken;

Ja, ein Ringlein ohne Ende,

Endlos wohl wie Glück und Frieden,

Das im Kreis begabter Kinder

Beiden Gatten lang beſchieden.

Alſo ſagt's die Dombaukunde. — —

Robert's Wartthurm an dem Rheine

Hat der Landesfürſt geſchauet,

Hat ihn ſich zum luſt'gen Schloſſe

Hoch und ſtattlich ausgebauet,12)

Und da es bekannt im Lande,

Welch' ein Spiel man einſt getrieben,

Iſt den Burgen ſtets als Namen

„Katz' und Maus“ noch beigeblieben.
Als ich jüngſt durch die Ruinen

Wandelte in ernſtem Lauſchen,

Tönte in den Epheuranken

Plötzlich ein geheimes Rauſchen;

Flüſternd leiſ' wie Geiſterſtimmen,
14*[212]
Grüßte mich ein holdes Klingen,

Und es tönte mir zu Häupten

Wie der Klang von Silberſchwingen,

„Nella's Leid und Nella's Liebe

Zu den Schweſtern trag', den ſüßen,

Thränen trocknend, Sehnſucht tröſtend,

Sag', die Minne läßt Euch grüßen!“
[[213]]

Appendix A Anmerkungen.



1) Winkelm. Chron. Heſſenlandes Beſchreibung, II. Th. 11. Cap.:
„er ſaße zu Dreffurt und führte dieſen Titul: „„Hermann zu
Dreffurt, Herr zu Beilſtein und Frauenberg, Ritter.““


2) Winkelm. Chron., S. 293: „darnach erbauete ein Franken¬
ſteiner ein Schloß nahe bei Eyſenach, da es dan nahe lage am
St. Petersberg bei der Mülbruken, und nannte es den Mittelſtein.“

3) Heſſenl. Beſchreib., II. Th. 11. Cap.: „Diß Ambt Dreffurt
hat noch ein abſonderlich Gericht neben einem großen Stück Wal¬
des, die Vogtey, und der Wald Haynich genannt. — In dieſes
Ambt gehört auch das Dorf Borsla.“


4) Winkelm. Chron., II. Th. 10. Cap.:


„Francorum rupes animoso picta Leone,
Alas et galea porgit ovante duas.“

„Die Herrſchaft Frankenſtein im Schild führt einen Löuen,
Mit krumbem Hals, dafür man ſich muß ſcheuen,
Und auf dem Helm die Cron, darauf zwen Flügel ſtehn,
Womit man hurtig und mit Tapferkeit kann gehn.“

5) Winkelm. Chron. Heſſenl. Beſchreib., II. Th. 4. Cap.:
„Migrans Vir fidus qvinto septembris in idus,
Prae sul Sigfridus, fulget coelo qvasi fydus.“

6) Winkelm. Chron., II. Th. 4. Cap.: „D. O. M. S. — Sige¬
frido Tertio ex illustri Baronum de Epstein, prosapia nato,
Mogunt: Sedis Archiepo. XXXIII. Sacri Rom. Imp. per. Germ.
Archi. Cancell. ac Principi Electori XVII Legato Apostolico
et Fuldensis Ecclesiae quondam Administratori, viro magna¬
rum virtutum et actionum, qui cum Ecclesiam hanc Mogunt
a Conrado Archiepo de Novo, inchoatam consumasset ac con¬
secrasset, Henricum Landgr. Hassor. et Wilhelmum Hollandiae
comit. in Rom. Reges coronasset, Archiepiscopatum honore et
rebus magnifice ampliasset, cumque inter varia bella et peri¬
[214] cula, quibus imperium tunc nutabat, anno XXIV sapientis¬
sime rexisset, in flore aetaris extremum vitae diem obiit,
Bingiae Anno MCCXLIX
. VII id Martii .... per fruitur


7) Heſſenl. Beſchreib., II. Th. 4. Cap. S. 142: Gerhard I.
wird genennet Comes Sylvester de Eppenstein provinciae Rhe¬
nensis
, ein Waldgraf von Eppſtein in dem Rheingau; von andern
Comes Waldgravienses, ein Waldgraf. Selber iſt aus einem,
Barfüſſer Münch zu Erfurt von dem Capitul zu Maynz im Jahre
1247 zum Erzbyſchoff erkohren worden, wie er dann gewiſſlich ein
Herr von groſſem Gemüth und trefflichem Verſtand geweſen iſt.“


8) Heſſenl. Beſchreib., II. Th. 10. Cap.: „Henricum Ber¬
tholde seqvens Elbene decoris ingenui, dudum praemia digna
cavis.“


9) Heſſenl. Beſchreib., II. Th. 10. Cap. Antiq. Fuld. I. III,
S. 310: „Brouverus ſchreibt, daß der Abt zu Fulda, Bertholdus II.
von Leupolz, im Jahre 1247 das Schloß Frankenſtein wegen ver¬
übter Räubereyen auf der Landſtraſſen, unverſehens überfallen,
zerſtöret, und deſſelben Orts Herrn Roberte von Frankenſtein,
ſeinen Feind, ſeiner Güter und Schlöſſer beraubt, und ihn in
äuſſerſte Armuth geworfen hätte.“


10) Heſſenl. Beſchreib., II. Th. 3. Cap. S. 118: „Zunechſt
über obgedachter Statt Sanct Goar liegt das Schloß und die
Feſtung Rheinfels auf einem hohen Steinfels, welches Graf Diether
der Reiche genant, von Catzenelnbogen aus einem Kloſter Matten¬
burg
genant, im Jahre 1249 zu einem feſten Schloß gemacht.“


11) Heſſenl. Beſchreib., II. Th. 10. Cap. S. 292: „Im Jahre
1248 belagerte und eroberte König Wilhelm das Schloß Franken¬
ſtein, und die dazu gehörige Statt Salzungen an der Werra.


12) Heſſenl. Beſchreib., II. Th. 3. Cap.: „Schloß Neu Catzen¬
elnbogen, die Katz' genant, iſt im Jahr 1300 vom Grafen Johan¬
ſen zu Catzenelnbogen, erbauet worden, auf ödem Fels da früher
eine Clauſen geſtanden, hat zwar ſchlecht Anſehn, iſt aber feſt.“

Appendix B

Druck von G. Bernſtein in Berlin.

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Appendix C

Druck von G. Bernſtein in Berlin.


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Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Katz' und Maus. Katz' und Maus. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjq6.0