Im Verlage bey J. B. Wallishauſſer.
[][]
Dem Herrn
Carl Auguſt Weſt
widmet dieſen
ſeinen zweyten dramatiſchen Verſuch,
als Zeichen
der
Dankbarkeit und Freundſchaft,
der Verfaſſer.
Sappho.
A
[[2]]
Perſonen:
- Sappho.
- Phaon.
- Eucharis,
- Melitta,
- Rhamnes, Sklave.
- Ein Landmann.
- Dienerinnen, Knechte und Landleute.
Dienerinnen Sappho's.
[[3]]
Erſter Aufzug.
flaches Ufer ſich gegen die linke Seite zu in felſichten Ab-
ſtufungen emporhebt. Hart am Ufer ein Altar der Aphro-
dite. Rechts im Vorgrunde der Eingang einer Grotte
mit Geſträuch und Eppich umwachſen; weiter zurück das
Ende eines Säulenganges mit Stufen, zu Sapphos
Wohnung führend. Auf der linken Seite des Vorgrundes
ein hohes Roſengebüſch mit einer Raſenbank davor.
Erſter Auftritt.
Ferne.
Auf! auf, vom weichen Schlaf! Sie kommt, ſie naht!
O, daß doch nur die Wünſche Flügel haben,
Und träg der Fuß, indeß das Herz lebendig!
Heraus, ihr faulen Mädchen! Zögert ihr?
Der trifft euch nicht, der Jugend vorſchnell nennt!
A 2
[4]
aus dem Säulengange.
Was ſchiltſt du uns? da ſind wir ja!
Sie naht!
Wer? — Götter!
Sappho naht!
Heil, Sappho, Heil!
Ja wohl, Heil, Sappho, Heil! du braves Volk!
Doch was bedeutet —?
Nun, bey allen Göttern!
Was frägt das Mädchen auch ſo wunderlich!
Sie kehret von Olympia, hat den Kranz,
Den Kranz des Sieges hat ſie ſich errungen;
Im Angeſicht des ganzen Griechenlands,
Als Zeugen edlen Wettkampfs dort verſammelt,
Ward ihr der Dichtkunſt, des Geſanges Preis.
Drum eilt das Volk ihr jauchzend nun entgegen,
Schickt auf des Jubels breiten Fittigen
[5] Den Nahmen der Beglückten zu den Wolken!
Und dieſe Hand war's, ach, und dieſer Mund,
Der ſie zuerſt der Leyer Sprach' entlocken,
Und des Geſanges regelloſe Freyheit
Mit ſüßem Band des Wohllauts binden lehrte!
Heil, Sappho! Sappho, Heil!
So freut euch doch! —
Seht ihr den Kranz?
Ich ſehe Sappho nur!
Wir wollen ihr entgegen!
Bleibt nur, bleibt!
Was ſoll ihr eurer Freude ſchlechter Zoll?
Sie iſt an andern Beyfall nun gewohnt!
Bereitet lieber alles drinn im Hauſe,
Nur dienend ehrt der Diener ſeinen Herrn.
Siehſt du an ihrer Seite? —
Was?
Siehſt du?
Hoch eine andre glänzende Geſtalt,
Wie man der Leyer und des Bogens Gott
Zu bilden pflegt.
[6]
Ich ſehe, doch ihr geht!
Und erſt nur riefſt du uns!
Ich rief euch, ja!
Ihr ſolltet wiſſen, daß die Herrinn naht,
Ihr ſolltet wiſſen, daß euch Freude Pflicht,
Doch freuen mögt ihr euch nur drinn im Haus.
Der Mann mag das Geliebte laut begrüßen,
Geſchäftig für ſein Wohl liebt ſtill das Weib!
So laß uns nur —
Nicht doch! Nur fort! Nur fort!
Nun mag ſie kommen! Nun wird Albernheit
Ihr vorlaut nicht die ſchöne Feyer ſtören!
Zweyter Auftritt.
den beſpannten Wagen, eine gold'ne Leyer in der Hand,
auf dem Haupte den Siegeskranz. Ihr zur Seite ſteht
Phaon, in einfacher Kleidung. Volk umgibt laut
jubelnd den Zug.
Heil, Sappho, Heil!
[7]
Heil, Sappho, theure Frau!
Dank, Freunde! Land'sgenoſſen, Dank!
Um euretwillen freut mich dieſer Kranz,
Der nur den Bürger ziert, den Dichter drückt,
In eurer Mitte nenn' ich ihn erſt mein!
Hier, wo der Jugend träumende Entwürfe,
Wo des Beginnens ſchwankendes Beſtreben,
Wo des Vollbringens Wahnſinn-glüh'nde Luſt
Mit eins vor meine trunk'ne Seele treten,
Hier, wo Cypreſſen von der Aeltern Grab
Mir leiſen Geiſtergruß herüber liſpeln;
Hier, wo ſo mancher Frühverblich'ne ruht,
Der meines Strebens, meines Wirkens ſich erfreut,
In eurem Kreis, in meiner Lieben Mitte,
Hier dünkt mir dieſer Kranz erſt kein Verbrechen,
Hier wird die frev'le Zier mir erſt zum Schmuck!
Wohl uns, daß wir dich, Hohe, unſer nennen!
Habt die beſcheid'ne Rede ihr vernommen?
Mehr als ganz Griechenland hat ſie ihr Wort geſchmückt.
Sey mir gegrüßt, gegrüßt, du Herrliche!
lich grüßend.)
Mein treuer Rhamnes, ſey gegrüßt! — Artander,
[8] Du auch hier, trotzend deines Alters Schwäche?
Kalliſto — Rhodope! — Ihr weinet, Liebe?
Das Auge zahlt ſo richtig als das Herz,
Für Thränen — Thränen — ſeht! — O ſchonet mein!
Willkommen auf der Heimath altem Boden,
Willkommen in der Deinen frohem Kreis!
Umſonſt ſollt ihr die Bürgerinn nicht grüßen,
Sie führt zum Dank euch einen Bürger zu;
Hier Phaon Von den Beſten ſtammet er
Und mag auch kühn ſich ſtellen zu den Beſten!
Obſchon die Jahre ihn noch Jüngling nennen,
Hat ihn als Mann ſo Wort als That erwieſen.
Wo ihr des Kriegers Schwert bedürft,
Des Redners Lippe und des Dichters Mund,
Des Freundes Rath, des Helfers ſtarken Arm,
Dann ruft nach ihm und ſuchet länger nicht!
Du ſpotteſt, Sappho, eines armen Jünglings!
Wodurch hätt' ich ſo reiches Lob verdient?
Wer glaubt ſo Hohes von dem Unverſuchten?
Wer ſieht, daß du errötheſt, da ich's ſage!
Ich kann, beſchämt, nur ſtaunen und verſtummen.
Du ſicherſt dir, was du von dir entfernſt,
[9] Geſchwiſter ſind ja Schweigen und Verdienſt.
Ja, meine Freunde! Mögt ihr's immer wiſſen!
Ich liebe ihn! Auf ihn fiel meine Wahl!
Er war beſtimmt in ſeiner Gaben Fülle,
Mich von der Dichtkunſt wolkennahen Gipfeln
In dieſes Lebens heit're Blüthenthäler
Mit ſanft bezwingender Gewalt herabzuziehn.
An ſeiner Seite werd' ich unter euch
Ein einfach, ſtilles Hirtenleben führen,
Den Lorbeer mit der Myrthe gern vertauſchend,
Zum Preiſe nur von häuslich ſtillen Freuden
Die Töne wecken dieſes Saitenſpiels,
Die ihr bisher bewundert und verehrt.
Ihr ſollt ſie lieben lernen, lieben, Freunde!
Preis dir, du Herrliche! Heil, Sappho, Heil!
Es iſt genug! Ich dank' euch, meine Freunde!
Folgt meinem Diener, er wird euch geleiten,
Daß ihr bey Speiſ' und Trank und frohen Tänzen
Die Feyer unſers Wiederſehns vollendet,
Der Wiederkehr der Schweſter zu den Ihren!
Lebt wohl! — auch du — und du! — ihr alle! —
alle!
[10]
Dritter Auftritt.
- Sappho.Phaon.
Siehſt du, mein Freund, ſo lebt nun deine Sappho!
Für Wohlthat Dank, für Liebe — Freundlichkeit,
So ward mir's ſtets im Wechſeltauſch des Lebens;
Ich war zufrieden und bin hoch beglückt,
Gibſt du auch halb nur wieder das Empfang'ne,
Wenn du dich nicht für übervortheilt hältſt. —
Ich hab' gelernt verlieren und entbehren!
Die beyden Aeltern ſanken früh in's Grab,
Und die Geſchwiſter, nach ſo mancher Wunde,
Die ſie dem treuen Schweſterherzen ſchlugen,
Theils Schickſals-Laune, und theils eigne Schuld
Stieß früh ſie ſchon zum Acheron hinunter.
Ich weiß, wie Undank brennt, wie Falſchheit martert,
Der Freundſchaft und der — Liebe Täuſchungen
Hab' ich in dieſem Buſen ſchon empfunden;
Ich hab' gelernt verlieren und entbehren!
Nur ein's verlieren könnt' ich wahrlich nicht,
Dich, Phaon, deine Freundſchaft, deine Liebe.
D'rum, mein Geliebter, prüfe dich!
Du kennſt noch nicht die Unermeßlichkeit,
Die auf und nieder wogt in dieſer Bruſt.
O laß mich's nie, Geliebter, nie erfahren,
[11] Daß ich den vollen Buſen legte an den deinen
Und fänd' ihn leer!
Erhabne Frau!
Nicht ſo
Sagt dir dein Herz denn keinen ſüßern Nahmen?
Weiß ich doch kaum, was ich beginne, was ich ſage.
Aus meines Lebens ſtiller Niedrigkeit
Hervorgezogen an den Strahl des Lichts,
Auf einen luft'gen Gipfel hingeſtellt,
Nach dem der Beſten Wünſche fruchtlos zielen,
Erliege ich der unverhofften Wonne,
Kann ich mich ſelbſt in all dem Glück nicht finden.
Die Wälder und die Ufer ſeh' ich fliehn,
Die blauen Höh'n, die niedern Hütten ſchwinden,
Und kaum vermag ich's mich zu überzeugen,
Daß alles feſt ſteht, und nur ich es bin,
Der auf des Glückes Wogen taumelnd wird getragen!
Du ſchmeichelſt ſüß, doch, Lieber, ſchmeichelſt du!
Und biſt du wirklich denn die hohe Frau,
Die von der Pelops-Inſel fernſtem Strand,
Bis dahin, wo des rauhen Thrakers Berge
Sich an die lebensfrohe Hellas knüpfen,
Auf jedem Punkt, den Land und Menſchen fern,
[12] In's Griechen-Meer Kronions Hand geſchleudert,
An Aſiens reicher, ſonnenheller Küſte,
All' überall, wo nur ein griech'ſcher Mund
Die heitre Götterſprache ſingend ſpricht,
Der Ruf mit Jubel zu den Sternen hebt?
Und biſt du wirklich jene hohe Frau,
Wie fiel dein Auge denn auf einen Jüngling,
Der dunkel, ohne Nahmen, ohne Ruf,
Sich höhern Werths nicht rühmt, als dieſe Leyer,
Die man verehrt, weil du ſie haſt berührt.
Pfui doch! der argen, ſchlechtgeſtimmten Leyer!
Tönt ſie, berührt, der eig'nen Herrinn Lob?
O, ſeit ich denke, ſeit die ſchwache Hand
Der Leyer Saiten ſelber ſchwankend prüfte,
Stand auch dein hohes Götterbild vor mir!
Wenn ich in der Geſchwiſter frohem Kreiſe
An meiner Aeltern niederm Heerde ſaß,
Und nun Theano, meine gute Schweſter,
Die Rolle von dem ſchwarzen Simſe hohlte,
Ein Lied von dir, von Sappho uns zu ſagen;
Wie ſchwiegen da die lauten Jünglinge,
Wie rückten da die Mädchen knapp zuſammen,
Um ja kein Korn des Goldes zu verlieren.
Und wenn ſie nun begann: vom ſchönen Jüngling,
Der Liebesgöttinn liebeglüh'nden Sang,
Die Klage einſam hingewachter Nacht,
[13] Von Andromedens und von Atthis Spielen,
Wie lauſchte Jedes, ſeinen Athemzug,
Der luſterfüllt den Buſen höher ſchwellte,
Ob allzulauter Störung ſtill verklagend.
Dann legte wohl die ſinnige Theano
Das Haupt zurück an ihres Stuhles Lehne,
Und in der Hütte räumig Dunkel blickend
Sprach ſie: wie mag ſie ausſeh'n wohl, die Hohe?
Mir dünkt, ich ſehe ſie! Bey allen Göttern,
Aus tauſend Frauen wollt' ich ſie erkennen!
Da war der Zunge Feſſel ſchnell gelöſt,
Und Jedes quälte ſeine Phantaſie,
Mit einem neuen Reize dich zu ſchmücken.
Der gab dir Pallas Aug, der Here's Arm,
Der Aphroditens reizdurchwirkten Gürtel;
Nur ich ſtand ſchweigend auf und ging hinaus
In's einſam ſtille Reich der heil'gen Nacht.
Dort, an den Pulſen der ſüß ſchlummernden
Natur,
In ihres Zaubers magiſch-mächt'gen Kreiſen,
Da breitet' ich die Arme nach dir aus;
Und wenn mir dann der Wolken Flocken-Schnee,
Des Zephyrs lauer Hauch, der Berge Duft,
Des bleichen Mondes ſilberweißes Licht
In eins verſchmolzen um die Stirne floß,
Dann warſt du mein, dann fühlt' ich deine Nähe,
Und Sappho's Bild ſchwamm in den lichten Wol-
ken!
[14]
Du ſchmückeſt mich von deinem eignen Reichthum,
Weh! Nähmſt du das Gelieh'ne je zurück.
Und als der Vater nach Olympia
Mich zu des Wagenlaufes Streit nun ſandte,
Und auf dem ganzen Wege mir's erſcholl,
Daß Sappho's Leyer um der Dichtkunſt Krone
In dieſem Kampfe ſtreiten, ſiegen werde;
Da ſchwoll das Herz von ſehnendem Verlangen
Und meine Renner ſanken todt am Wege,
Eh' ich Olympia's Thürme noch erſchaut.
Ich langte an. Der Wagen flücht'ger Lauf,
Der Ringer Kunſt, des Diskus frohes Spiel
Berührten nicht den ahnungsvollen Sinn;
Ich fragte nicht, wer ſich den Preis errungen,
Hatt' ich den ſchönſten, höchſten doch erreicht.
Ich ſollte ſie ſehn, ſie, der Frauen Krone!
Jetzt kam der Tag für des Geſanges Kämpfe.
Alkäos ſang, Anakreon, umſonſt!
Sie konnten meiner Sinne Band nicht löſen.
Da, horch! da tönt Gemurmel durch das Volk,
Da theilt die Menge ſich. Jetzt war's geſchehn! —
Mit einer gold'nen Leyer in der Hand
Trat eine Frau durch's ſtaunende Gewühl.
Das Kleid, von weißer Unſchuld-Farbe, floß
Hernieder zu den lichtverſagten Knöcheln,
Ein Bach, der über Blumenhügel ſtrömt.
[15] Der Saum, von grünen Palm- und Lorbeerzweigen,
Sprach, Ruhm und Frieden ſinnig zart bezeichnend,
Aus, was der Dichter braucht und was ihn lohnt.
Wie rothe Morgenwolken um die Sonne
Floß rings ein Purpurmantel um ſie her,
Und durch der Locken rabenſchwarze Nacht,
Erglänzt, ein Mond, das helle Diadem,
Der Herrſchaft weithinleuchtend hohes Zeichen.
Da rief's in mir: die iſt es, und du warſt's.
Eh die Vermuthung ich noch ausgeſprochen,
Rief tauſendſtimmig mir des Volkes Jubel
Beſtätigung der ſüßen Ahnung zu.
Wie du nun ſangſt, wie du nun ſiegteſt, wie,
Geſchmückt mit der Vollendung hoher Krone,
Nun in des Siegs Begeiſterung die Leyer
Der Hand entfällt, ich durch das Volk mich ſtürze,
Und, von dem Blick der Siegerinn getroffen,
Der blöde Jüngling ſcham-entgeiſtert ſteht,
Das weißt du, Hohe, beſſer ja als ich,
Der ich, kaum halberwacht, noch ſinnend forſche,
Wie viel davon geſchehn, wie viel ich nur geträumt!
Wohl weiß ich's, wie du ſtumm und ſchüchtern ſtandſt,
Das ganze Leben ſchien im Auge nur zu wohnen,
Das, ſparſam aufgehoben von dem Grund,
Den nicht verlöſchten Funken laut genug bezeugte.
Ich hieß dich folgen und du folgteſt mir,
In ungewiſſes Staunen tief verſenkt.
[16]
Wer glaubte auch, daß Hellas erſte Frau
Auf Hellas letzten Jüngling würde ſchauen.
Dem Schickſal thuſt du Unrecht und dir ſelbſt!
Verachte nicht der Götter goldne Gaben,
Die ſie bey der Geburt dem Kinde, das
Zum Vollgenuß des Lebens ſie beſtimmt,
Auf Wang' und Stirn, in Herz und Buſen gie-
ßen!
Gar ſich're Stützen ſind's, an die das Daſeyn
Die leichtzerriſſ'nen Fäden knüpfen mag.
Des Leibes Schönheit iſt ein ſchönes Gut,
Und Lebensluſt ein köſtlicher Gewinn;
Der kühne Muth, der Weltgebiether Stärke,
Entſchloſſenheit und Muth an dem, was iſt,
Und Phantaſie, hold dienend, wie ſie ſoll,
Sie ſchmücken dieſes Lebens rauhe Pfade,
Und leben iſt ja doch des Lebens höchſtes Ziel!
Umſonſt nicht hat zum Schmuck der Muſen Chor
Den unfruchtbaren Lorbeer ſich erwählt,
Kalt, frucht- und duftlos drücket er das Haupt,
Dem er Erſatz verſprach für manches Opfer.
Gar ängſtlich ſteht ſich's auf der Menſchheit
Höh'n,
Und ewig iſt die arme Kunſt gezwungen,
Zu betteln von des Lebens Ueberfluß!
[17]
Was kannſt du ſagen, holde Zauberinn,
Das man für wahr nicht hielte, da du's ſagſt?
Laß uns denn trachten, mein geliebter Freund,
Uns beyder Kränze um die Stirn zu flechten,
Das Leben aus der Künſte Taumelkelch,
Die Kunſt zu ſchlürfen aus der Hand des Lebens.
Sieh dieſe Gegend, die der Erde halb
Und halb den Fluren, die die Lethe küßt,
An einfach ſtillem Reiz ſcheint zu gehören,
In dieſen Grotten, dieſen Roſenbüſchen,
In dieſer Säulen freundlichen Umgebung,
Hier wollen wir, gleich den Unſterblichen,
Für die kein Hunger iſt und keine Sättigung,
Nur des Genuſſes ewig gleiche Luſt,
Des ſchönen Daſeyns uns vereint erfreun.
Was mein iſt, iſt auch dein. Wenn du's gebrauchſt,
So machſt du erſt, daß der Beſitz mich freut.
Sieh um dich her, du ſtehſt in deinem Hauſe!
Den Dienern zeig' ich dich als ihren Herrn,
Der Herrinn Beyſpiel wird ſie dienen lehren.
Heraus ihr Mädchen! Sklaven! Hieher!
Sappho!
Wie kann ich ſo viel Güte je bezahlen?
Stets wachſend faſt erdrückt mich meine Schuld!
[18]
Vierter Auftritt.
- Eucharis.Melitta.Rhamnes.Diener
und Dienerinnen.Vorige.
Du riefſt, Gebietherinn!
Ja. Tretet näher!
Hier ſehet euern Herrn!
Herrn?
Wer ſpricht hier?
Was willſt du ſagen?
Nichts!
So ſpricht auch nicht!
Ihr ſeht hier euern Herrn. Was er begehrt,
Iſt euch Befehl, nicht minder als mein eigner.
Weh dem, der ungehorſam ſich erzeigt,
Den eine Wolke nur auf dieſer Stirn
Als Uebertreter des Geboths verklagt!
Vergehen gegen mich kann ich vergeſſen,
Wer ihn beleidigt, wecket meinen Zorn.
[19] Und nun, mein Freund, vertrau dich ihrer Sorgfalt,
Schwer liegt, ich ſeh's, der Reiſe Laſt auf dir.
Laß ſie des Gaſtrechts heilig Amt verſehen,
Genieße freundlich Sappho's erſte Gabe!
O, könnt' ich doch mein ganzes früh'res Leben
Umtauſchend, wie die Kleider, von mir werfen,
Beſinnung mir und Klarheit mir gewinnen,
Um ganz zu ſeyn, was ich zu ſeyn begehre
So lebe wohl! Auf lange, denk' ich, nicht!
Ich harre dein. Leb wohl! — Du bleib, Melitta
Fünfter Auftritt.
- Sappho.Melitta.
Melitta! nun?
Was, o Gebietherinn?
So wallt denn nur in dieſen Adern Blut,
Und rinnend Eis ſtockt in der Andern Herzen?
Sie ſahen ihn, ſie hörten ſeine Stimme,
Dieſelbe Luft, die ſeine Stirn gefächelt,
Hat ihre Leben-leere Bruſt umwallt,
[20] Und dumpf iſt ein: was, o Gebietherinn?
Der erſte Laut, der ihnen ſich entpreßt!
Führwahr, dich haſſen könnt' ich! — Geh!
Melitta
Und weiſt du mir ſo gar nichts denn zu ſagen
Was mich erfreuen könnte, liebes Kind?
Du ſahſt ihn doch, bemerkteſt du denn nichts,
Was werth geſehn, erzählt zu werden wäre?
Wo waren deine Augen, Mädchen?
Du weißt wohl noch, was du uns öfters ſagteſt,
Daß Jungfraun es in Fremder Gegenwart
Nicht zieme, frey die Blicke zu verſenden.
Und, armes Ding, du ſchlugſt die Augen nieder?
Das alſo war's? Mein Kind, die Lehre galt
Nicht dir, den ältern nur, den minder ſtillen;
Dem Mädchen ziemt noch, was der Jungfrau nicht.
Doch, ſieh einmahl! Wie haſt du dich verändert,
Seit ich dich hier verließ? — Ich kenne dich nicht mehr.
Um ſo viel größer und —
[21]
Du ſüßes Weſen!
Du hatteſt Recht, die Lehre galt auch dir!
Warum ſo ſtumm noch immer und ſo ſchüchtern?
Du warſt doch ſonſt nicht ſo. Was macht dich zagen?
Nicht Sappho, die Gebieth'rinn, ſteht vor dir,
Die Freundinn Sappho ſpricht mit dir, Melitta!
Der Stolz, die Ehrbegier, des Zornes Stachel
Und was ſonſt ſchlimm an deiner Freundinn war,
Es iſt mit ihr nach Hauſe nicht gekehret;
Im Schoos der Fluthen hab' ich es verſenkt,
Als ich an ſeiner Seite ſie durchſchiffte.
Das eben iſt der Liebe Zaubermacht,
Daß ſie veredelt, was ihr Hauch berührt,
Der Sonne ähnlich, deren gold'ner Strahl
Gewitterwolken ſelbſt in Gold verwandelt.
Hab' ich dich je mit raſcher Rede, je
Mit bitterm Wort gekränkt, o ſo verzeih!
In Zukunft wollen wir als traute Schweſtern
In ſeiner Nähe leben, gleichgepaart,
Allein durch ſeine Liebe unterſchieden.
O, ich will gut noch werden, fromm und gut!
Biſt du's nicht jetzt, und warſt du es nicht immer?
Ja gut, wie man ſo gut nennt, was nicht ſchlimm!
Doch g'nügt ſo wenig für ſo hohen Lohn?
Glaubſt du, er wird ſich glücklich fühlen, Mädchen?
[22]
Wer wär' es denn in deiner Nähe nicht!
Was kann ich, Arme, denn dem Theuern biethen?
In ſeiner Jugend Fülle ſteht er da,
Geſchmückt mit dieſes Lebens ſchönſten Blüthen.
Der erſt erwachte Sinn, mit frohem Staunen.
Die Zahl der eig'nen Kräfte überblickend,
Spannt kühn die Flügel aus und nach dem Höch-
ſten
Schießt gierig er den ſcharfen Adler-Blick.
Was ſchön nur iſt und groß und hoch und würdig,
Sein iſt's! Dem Kräftigen gehört die Welt!
Und ich! — O ihr des Himmels Götter alle!
O gebt mir wieder die entſchwund'ne Zeit!
Löſcht aus in dieſer Bruſt vergang'ner Leiden,
Vergang'ner Freuden tiefgetret'ne Spur;
Was ich gefühlt, geſagt, gethan, gelitten,
Es ſey nicht, ſelbſt in der Erinn'rung nicht!
Laßt mich zurücke kehren in die Zeit,
Da ich noch ſcheu mit runden Kinderwangen,
Ein unbeſtimmt Gefühl im ſchweren Buſen,
Die neue Welt mit neuem Sinn betrat;
Da Ahnung noch, kein quälendes Erkennen
In meiner Leyer gold'nen Saiten ſpielte,
Da noch ein Zauberland mir Liebe war,
Ein unbekanntes, fremdes Zauberland!
[23]
Was fehlt dir? Biſt du krank, Gebietherinn?
Da ſteh' ich an dem Rand der weiten Kluft,
Die zwiſchen ihm und mir verſchlingend gähnt;
Ich ſeh' das gold'ne Land herüber winken,
Mein Aug' erreicht es, aber nicht mein Fuß! —
Weh dem, den aus der Seinen ſtillem Kreiſe,
Des Ruhms, der Ehrſucht eitler Schatten lockt!
Ein wildbewegtes Meer durchſchiffet er
Auf leichtgefügtem Kahn. Da grünt kein Baum,
Da ſproſſet keine Saat und keine Blume,
Ringsum die graue Unermeßlichkeit.
Von ferne nur ſieht er die heit're Küſte,
Und mit der Wogen Brandung dumpf vermengt,
Tönt ihm die Stimme ſeiner Lieben zu.
Beſinnt er endlich ſich, und kehrt zurück,
Und ſucht der Heimath leichtverlaſſ'ne Fluren,
Da iſt kein Lenz mehr, ach! und keine Blume,
Nur dürre Blätter rauſchen um ihn her!
Der ſchöne Kranz! Wie lohnt ſo hohe Zier!
Von Tauſenden geſucht und nicht errungen.
Von Tauſenden geſucht und nicht errungen!
Nicht wahr, Melitta? Nicht wahr, liebes Mädchen?
Von Tauſenden geſucht und nicht errungen!
[24]
Es ſchmähe nicht den Ruhm, wer ihn beſitzt,
Er iſt kein leer-bedeutungsloſer Schall,
Mit Götterkraft erfüllet ſein Berühren!
Wohl mir! Ich bin ſo arm nicht! Seinem Reichthum
Kann gleichen Reichthum ich entgegen ſetzen,
Der Gegenwart mir dargeboth'nem Kranz
Die Blüthen der Vergangenheit und Zukunft!
Du ſtaunſt, Melitta, und verſtehſt mich nicht? —
Wohl dir! o lerne nimmer mich verſtehen!
Zürnſt du?
Nicht doch, nicht doch, mein liebes Kind!
Geh zu den Andern jetzt, und ſag' mir's an,
Wenn dein Gebiether wünſcht mich zu empfangen.
Sechster Auftritt.
Hand, dann ſetzt ſie ſich auf die Raſenbank und nimmt
die Leyer in den Arm, das Folgende mit einzelnen
Akkorden begleitend.)
B
[26]
Komm auch jetzt, und löſe den Kummer,
Der mir laſtend den Buſen beengt,
Hilf mir erringen nach was ich ringe,
Sey mir Gefährtinn im lieblichen Streit!
[27]
Zweyter Aufzug.
Erſter Auftritt.
Wohl mir! hier iſt es ſtill. Des Gaſtmahls Jubel,
Der Zimbelſpieler Lärm, der Flöten Töne,
Der losgelaſſ'nen Freude lautes Regen,
Es tönt nicht bis hier unter dieſe Bäume,
Die leiſe flüſternd, wie beſorgt zu ſtören,
Zu einſamer Betrachtung freundlich laden.
Wie hat ſich alles denn in mir verändert,
Seit ich der Aeltern ſtilles Haus verließ
Und meine Renner gen Olympia lenkte?
Sonſt konnt' ich wohl, in heiterer Beſinnu[ng]
Verworrener Empfindung leiſe Fäden
Mit ſcharfem Aug verfolgen und entwirren,
Bis klar es, als Erkennen vor mir lag:
Doch jetzt, wie eine ſchwüle Sommernacht,
B 2
[28] Liegt brütend, ſüß und peinigend zugleich,
Ein ſchwerer Nebel über meinen Sinnen,
Den der Gedanken fernes Wetterleuchten,
Jetzt hier, jetzt dort, und jetzt ſchon nicht mehr da,
In quälender Verwirrung raſch durchzuckt.
Ein Schleyer deckt mir die Vergangenheit,
Kaum kann ich heut des Geſtern mich erinnern,
Kaum in der jetz'gen Stund' der erſt geſchied'nen.
Ich frage mich: Warſt du's denn wirklich ſelber,
Der in Olympia ſtand an ihrer Seite?
An ihrer Seite in des Siegs Triumph?
War es dein Nahme den des Volkes Jubel,
Vermiſcht mit ihrem, in die Lüfte rief?
Ja, ſagt mir alles, und doch glaub' ich's kaum!
Was für ein ärmlich Weſen iſt der Menſch,
Wenn, was als Hoffnung ſeine Sinne weckte,
Ihm als Erfüllung ſie in Schlaf verſenkt!
Als ich ſie noch nicht ſah und kannte, nur
Die Phantaſie ihr ſchlechtgetroffnes Bild
In graue Nebel noch verfließend mahlte,
Da ſchien mir's leicht für einen Blick von ihr,
Ein güt'ges Wort, das Leben hinzuwerfen;
Und jetzt, da ſie nun mein iſt, mir gehört,
Da meiner Wünſche winterliche Raupen
Als gold'ne Schmetterlinge mich umſpielen,
Jetzt frag' ich noch, und ſteh' und ſinn' und zaud're!
Weh! ich vergeſſe hier mich ſelber noch
Und ſie und Aeltern und —
[29]
O meine Aeltern!
Muß ich erſt jetzt, jetzt eurer mich erinnern!
Konnt' ich ſo lang' euch ohne Bothſchaft laſſen?
Vielleicht beweint ihr meinen Tod, vielleicht
Gab des Gerüchtes Mund euch ſchon die Kunde,
Daß euer Sohn, den ihr zu lieben nicht,
Den ihr zum Kampfe nach Olympia ſandtet,
In Sappho's Arm —
Wer wagt es, ſie zu ſchmäh'n?
Der Frauen Zier, die Krone des Geſchlechts!
Mag auch des Neides Geifer ſie beſpritzen,
Ich ſteh' für ſie, ſey's gegen eine Welt!
Und ſelbſt mein Vater, ſieht er ſie nur erſt,
Gern legt er ab das alte Vorurtheil,
Das frecher Zitherſpielerinnen Anblick
Mit frommer Scheu ihm in die Bruſt geprägt.
Wer naht? der laute Haufen dringt hieher.
Wie widerlich! — Schnell fort! — Wohin? — Ach,
hier! —
Zweyter Auftritt.
- Eucharis.Melitta.Sklavinnen mit Blu-
men und Kränzen.
Ihr Mädchen, auf! Mehr Blumen bringt herbey!
[30] Zu ganzen Haufen Blumen. Schmückt das Haus
Und Hof und Halle, Säule, Thür und Schwelle,
Ja ſelbſt die Blumenbeere ſchmückt mit Blumen!
Thut Würze zum Gewürz, denn heute feyert
Das Feſt der Liebe die Gebietherinn.
Hier, ſieh!
zen und Blumenketten zu behängen.)
Recht gut! recht gut! doch du Melitta,
Wo haſt du, Mädchen, deine Blumen?
Ich?
Ja du! Ey ſeht mir doch die Träumerinn,
Kommſt du allein hierher mit leeren Händen?
Ich will wohl hohlen.
Ich will hohlen, ſpricht ſie,
Und regt ſich nicht vom Platz und will und hohlt nichts.
Du kleine Heuchlerinn, bekenne nur,
Was haſt du denn? Was war das heut bey Tiſch,
Daß die Gebietherinn ſo oft nach dir
Mit leiſem Lächeln ſchlau hinüberblickte,
[31] Und dann die Augen ſpottend niederſchlug?
So oft ſie's that, ſah ich dich heiß erröthen,
Und mit dem Zittern peinlicher Verwirrung
Des oftverſeh'nen Dienſtes dich vergeſſen.
Und als ſie nun dich ruft, den großen Becher
Dem ſchönen Fremden zu kredenzen und
Du ſcheu den Rand durch deine Lippen ziehſt,
Da rief ſie plötzlich aus: Die Augen nieder!
Und ach, des großen Bechers halber Inhalt
Ergoß mit Eins ſich auf den blanken Eſtrich.
Da lachte Sappho ſelbſt! Was war das alles?
Bekenne nur! Da hilft kein Läugnen, Mädchen!
O, laßt mich!
Nichts da, ohne Gnade, Kind!
Den Kopf empor und alles friſch bekannt!
O weh! da quillt wohl gar ein kleines Thränchen! —
Du arges Ding! — Ich ſage ja nichts mehr,
Doch weine nicht! Wenn du's ſo öfter treibſt,
So werd' ich noch ſo böſe — Weine nicht!
Sind eure Blumen alle? Nun ſo kommt;
Wir wollen neue hohlen! — Setz' dich hin,
Hier ſind noch Roſen, hilf uns Kränze winden!
Sey fleißig, Kind! doch hörſt du? Weine nicht.
[32]
Dritter Auftritt.
zu flechten. Nach einer Weile ſchüttelt ſie ſchmerzlich das
Haupt und legt das Angefangene neben ſich hin.)
Es geht nicht. — Weh! der Kopf will mir zerſpringen,
Und ſtürmiſch pocht das Herz in meiner Bruſt.
Da muß ich ſitzen, einſam und verlaſſen,
Fern von der Aeltern Herd im fremden Land,
Und Sklavenketten drücken dieſe Hände,
Die ich hinüber ſtrecke nach den Meinen.
Weh mir! da ſitz' ich einſam und verlaſſen,
Und Niemand höret mich und achtet mein!
Mit Thränen ſeh' ich Freunde und Verwandte
Den Buſen drücken an verwandte Bruſt,
Mir ſchlägt kein Buſen hier in dieſem Lande
Und meine Freunde wohnen weit von hier.
Ich ſehe Kinder um den Vater hüpfen,
Die fromme Stirn, die heil'gen Locken küſſen;
Mein Vater lebt getrennt durch ferne Meere,
Wo ihn nicht Gruß und Kuß des Kinds erreicht.
Sie thun wohl hier ſo, als ob ſie mich liebten
Und auch an ſanften Worten fehlt es nicht,
Doch iſt es Liebe nicht, 's iſt nur Erbarmen,
Das auch der Sklavinn milde Worte gönnt;
[33] Der Mund, der erſt von Schmeicheln überfloſſen,
Er füllt ſich bald mit Hohn und bitterm Spott.
Sie dürfen lieben, haſſen was ſie wollen,
Und was das Herz empfindet ſpricht die Lippe aus,
Sie zieret Gold und Purpur und Geſchmeide,
Nach ihnen wendet ſtaunend ſich der Blick;
Der Sklavinn Platz iſt an dem niedern Heerde,
Da trifft kein Blick ſie, ach, und keine Frage,
Kein Auge, kein Gedanke und kein Wunſch! —
Ihr Götter, die ihr mich ſchon oft erhört,
Mit reicher Hand Erfüllung mir geſendet,
Wenn ich mit frommen Sinne zu euch flehte,
O leiht auch dießmahl mir ein gnädig Ohr!
Führt gütig mich zurücke zu den Meinen,
Daß ich an des Vertrauens weiche Bruſt
Die kummerheiße Stirne kühlend preſſe,
Führt zu den Meinen mich, ach, oder nehmt mich
Hinauf zu euch! — Zu euch! — Zu euch!
Vierter Auftritt.
- Phaon.Melitta.
Eingange der Grotte erſchienen iſt, ſich aber lauſchend
zurückgezogen hat, tritt jetzt vor und legt Melitten von
hinten die Hand auf die Schulter.)
So jung noch, und ſo traurig, Mädchen?
[34]
Ah!
Ich hörte dich erſt zu den Göttern rufen
Um eines Freundes Bruſt. Hier iſt ein Freund.
Es bindet gleicher Schmerz wie gleiches Blut,
Und Trauernde ſind üb'rall ſich verwandt.
Auch ich vermiſſe ungern theure Aeltern,
Auch mich zieht's mächtig nach der Heimath zu;
Komm! laß uns tauſchen! daß des Einen Kummer
Zum Balſam werde für des Andern Bruſt.
Du ſchweigſt! — Woher dieß Mißtrau'n, gutes
Mädchen?
Blick auf zu mir! Nicht ſchlimm bin ich geſinnt.
Ey ſieh! du biſt wohl gar der kleine Mundſchenk,
Der ſtatt des Gaſt's den blanken Eſtrich tränkte?
Darum ſo bang? Nicht doch! Es hat der Unfall
So mich als die Gebietherinn beluſtigt.
ſchlägt nun die Augen empor und blickt ihn an, dann ſteht
ſie auf und will gehen.)
Nicht wollt' ich dich beleidigen, mein Kind.
Hat dieſes ſanfte Aug' ſo ernſte Blicke?
Du mußt mir Rede ſtehn, ich laß' dich nicht!
Schon unterm Mahle hab' ich dich bemerkt;
[35] Die jungfräuliche Stille glänzte lieblich
Durch all den wilden Taumel des Gelags.
Wer biſt du? und was hält dich hier zurück?
Du warſt nicht mit zu Tiſch, ich ſah dich dienen,
Es ſchien der Sklavinnen Vertraulichkeit
Gefährtinn dich zu nennen und —
Ich bin's!
Nicht doch!
Was willſt du von der Sklavinn, Herr?
Laß einer Sklavinn Bruſt ſie ſuchen, und —
Nehmt mich hinauf zu euch, zu euch, ihr Götter!
Du biſt bewegt, du zitterſt. Faſſe dich!
Es binden Sklavenfeſſeln nur die Hände,
Der Sinn, er macht den Freyen und den Knecht!
Sey ruhig, Sappho iſt ja gut und milde,
Ein Wort von mir und ohne Löſegeld
Gibt ſie den Deinen dich, dem Vater wieder.
Glaub' mir, ſie wird's gewiß. Wie, oder iſt
Die heiße Sehnſucht nach dem Vaterlande,
Die erſt dich ſo ergriff, ſo ſchnell verſchwunden?
[36]
Ach, ſag' mir erſt, wo iſt mein Vaterland?
Du kennſt es nicht?
In zarter Kindheit ſchon
Ward ich entriſſen ſeiner treuen Huth;
Nur ſeine Blumen, ſeine Thäler hat
Behalten das Gedächtniß, nicht den Nahmen.
Nur, glaub' ich, lag es, wo die Sonne herkömmt,
Denn dort war alles gar ſo licht und hell.
So iſt es weit von hier?
O weit, ſehr weit!
Von andern Bäumen war ich dort umgeben,
Und and're Blumen dufteten umher,
In blauern Lüften glänzten ſchön're Sterne
Und freundlich gute Menſchen wohnten dort.
In vieler Kinder Mitte lebt' ich da,
Ach, und ein Greis mit weißen Silberlocken,
Ich nannte Vater ihn, liebkoſte mir;
Dann noch ein and'rer Mann, ſo ſchön und hold
Mit braunem Haar und Aug', faſt ſo wie — du —
Du ſchweigſt? Der Mann?
Er auch —
[37]
Liebkoſte dir,
Nicht ſo?
Ich war ein Kind.
Ich weiß es wohl!
Ein ſüßes, liebes, unbefangnes Kind!
Nur weiter!
So ging alles ſchön und gut.
Doch einſt erwacht' ich Nachts. Ein wild Geſchrey
Drang laut von allen Seiten in mein Ohr.
Die Wärt'rinn naht, man rafft mich auf
Und trägt mich in die wilde Nacht hinaus.
Da ſah ich ringsherum die Hütten flammen,
Und Männer fechten, Männer flieh'n und fallen.
Jetzt naht ein Wüthrich, ſtreckt die Hand nach mir,
Nun war Geheul, Gejammer, Schlachtgeſchrey;
Ich fand mich erſt auf einem Schiffe wieder,
Das pfeilſchnell durch die dunkeln Wogen glitt.
Noch andre Mädchen, Kinder ſah' ich weinen,
Doch immer kleiner ward der Armen Zahl,
Je weiter wir uns von der Heimath trennten.
Gar viele Tag' und Nächte fuhren wir,
Ja Monden wohl. Zuletzt war ich allein
[38] Von all den Armen bey den wilden Männern.
Da endlich trat uns Lesbos Strand entgegen,
Man ſchifft mich aus, an's Land. Da ſah mich Sappho,
Da both ſie Geld und ihre ward Melitta.
War denn dein Loos ſo ſchwer in Sappho's Händen?
O, nein! Sie nahm mich gütig, freundlich auf,
Sie trocknete die Thränen mir vom Aug'
Und pflegte mein und lehrte mich voll Liebe;
Denn, wenn auch heftig manchmahl, raſch und
bitter,
Doch gut iſt Sappho wahrlich, lieb und gut.
Und doch kannſt du die Heimath nicht vergeſſen?
Ach! ich vergaß ſie leider nur zu bald!
In Tanz und Spiel und bey des Hauſes Pflichten,
Dacht' ich gar ſelten der verlaſſ'nen Lieben.
Nur manchmahl, wenn mich Schmerz und Kummer
drückt,
Dann ſchleicht die Sehnſucht mir ins bange Herz,
Und die Erinnerung mit ſchmerzlich ſüßer Hand
Enthüllt die goldumflorte, lichte Ferne.
Und ſo auch heut! Mir war ſo ſchwer und ängſtlich;
Ein jedes leisgeſprochne Wort fiel ſchmerzend
Hernieder, wie auf fleiſchentblößte Fibern,
Da — doch jetzt iſt es gut und ich bin froh!
[39]
Melitta!
Horch! Man ruft!
Man ruft? — Ich gehe.
Was haſt du hier?
Ey, Blumen!
Und für wen?
Für dich. — Für dich und Sappho.
Bleib!
an ruft.
Du ſollſt ſo finſtern Blicks nicht von mir gehn!
Zeig' deine Blumen!
Hier!
Nimm dieſe Roſe
Sie ſey Erinn'rung dir an dieſe Stunde,
[40] Erinnerung, daß nicht bloß in der Heimath,
Daß auch in fernem Land' es — Freunde gibt.
ſteht jetzt mit hochklopfender Bruſt, beyde Arme hinab-
hängend, mit geſenktem Haupt und Auge unbeweglich da.
Phaon hat ſich einige Schritte entfernt und betrachtet ſie
von Weitem.)
Melitta!
Riefſt du mir?
Ich nicht. — Im Hauſe!
Ich komme ſchon!
Biſt du ſo karg, Melitta?
Verdient denn meine Gabe kein Geſchenk?
Ich, ein Geſchenk? Was hätt' ich, Arme, wohl?
Gold ſchenkt die Eitelkeit, der rauhe Stolz,
Die Freundſchaft und die Liebe ſchenken Blumen.
Hier haſt du Blumen ja.
Wie? dieſe hier,
Die jene wilden Mädchen dort gepflückt,
Sie, die beſtimmt für — Nimmermehr!
[41]
Was ſonſt?
Daß ſie doch dieſe Sträuche ſo geplündert!
Da iſt auch nirgends einer Blume Spur.
An jenem Zweige hängt wohl eine Roſe,
Doch iſt ſie all zu hoch, ich reiche nicht.
Ich will dir helfen.
Ey, nicht doch!
Warum?
So leicht geb' ich nicht meinen Anſpruch auf.
So komm! Ich beuge dir den Zweig!
Ganz recht!
äußerſtem Ende die Roſe hängt, herabbeugend.)
Reichſt du?
tet hat.)
Noch nicht.
[42]
Doch jetzt! — Weh mir! ich gleite!
Ich falle!
Nein, ich halte dich!
ſie taumelt und ſinkt in Phaons Arme, die er ihr geöff-
net entgegen hält.)
O, laß mich!
Melitta!
Weh mir! Laß mich! — Ach!
Melitta!
Fünfter Auftritt.
- Sappho (einfach gekleidet, ohne Kranz und Leyer.)
Vorige.
Du läßt dich ſuchen, Freund? — Doch, ha! Was
ſeh' ich?
Horch! Die Gebietherinn!
[43]
Wie? Sappho hier?
Melitta!
Hohe Frau!
Was ſuchſt du hier?
Ich ſuchte Blumen.
Und nicht ohne Glück!
Die Roſe hier —
Sie brennt auf deinen Lippen.
Sie hängt ſo hoch.
Vielleicht nicht hoch genug!
Geh!
Soll ich etwa —?
Geh nur immer! Geh!
[44]
Sechster Auftritt.
- Sappho.Phaon.
Phaon!
Sappho!
Du ſtandſt ſo früh
Von unſerm Mahle auf. Du wardſt vermißt.
Den Becher lieb' ich nicht, noch laute Freuden.
Nicht laute. Das ſcheint faſt ein Vorwurf.
Wie?
Ich habe wohl gefehlt, daß ich die Feyer
Der Ankunft laut und rauſchend angeſtellt?
So war es nicht gemeint!
Das volle Herz,
Es ſucht oft lauter Freude vollen Jubel,
Um in der allgemeinen Luſt Gewühl
Recht unbemerkt, recht ſtille ſich zu freu'n.
[45]
Ja ſo!
Auch mußt' ich unſern guten Nachbarn
Für ihre Liebe wohl mich dankbar zeigen.
Das freut ſich nur bey Wein! Du weißt es wohl.
In Zukunft ſtört kein läſtig Feſt uns wieder
Die Stille, die du mehr nicht liebſt, als ich.
Ich danke dir.
Du gehſt?
Willſt du? Ich bleibe!
Zu gehn oder zu bleiben biſt du Herr.
Du zürneſt?
Phaon!
Willſt du etwas —?
Nichts! —
— Doch eins!
Ich ſah dich mit Melitten ſcherzen —
Melitta! — Wer? — Ey ja, ganz recht! Nur
weiter!
[46]
Es iſt ein liebes Kind.
So ſcheint's, o ja!
Die Liebſte mir von meinen Dienerinnen,
Von meinen Kindern möcht' ich ſagen, denn
Ich habe ſtets als Kinder ſie geliebt.
Wenn ich die Sklavenbande nicht zerreiße,
So iſt es nur, da die Natur uns ſüß're
Verſagt, um jene Aeltern-, Heimathloſen
Nicht vor der Zeit dem Aug' der Lehrerinn,
Der Mutter zarter Sorgfalt zu entziehn.
So war ich's ſtets gewohnt, und in dem Kreiſe
Von Mytilenes beſten Bürgerinnen
Iſt Manche, die in freudiger Erinn'rung,
Sich Sappho's Werk aus frühern Tagen nennt.
Recht ſchön! recht ſchön!
Von all den Mädchen,
Die je ein ſpielend Glück mir zugeführt,
War keine theurer mir, als ſie, Melitta,
Das liebe Mädchen mit dem ſtillen Sinn.
Obſchon nicht hohen Geiſt's, von mäß'gen Gaben
Und unbehülflich für der Künſte Uebung,
War ſie mir doch vor andern lieb und werth,
Durch anſpruchslofes, fromm beſcheid'nes Weſen,
[47] Durch jene liebevolle Innigkeit,
Die langſam, gleich dem ſtillen Gartenwürmchen,
Das Haus iſt und Bewohnerinn zugleich,
Sters fertig bey dem leiſeſten Geräuſche,
Erſchreckt ſich in ſich ſelbſt zurück zu ziehn,
Und um ſich fühlend mit den weichen Fäden,
Nur zaudernd waget, Fremdes zu berühren,
Doch feſt ſich ſaugt, wenn es einmahl ergriffen,
Und ſterbend das Ergriff'ne nur verläßt.
Recht ſchön, fürwahr, recht ſchön!
Ich wünſchte nicht, —
Verzeih, mein theurer Freund! Ich wünſchte
nicht,
Daß je ein unbedachtſam, flücht'ger Scherz
In dieſes Mädchens Buſen Wünſche weckte,
Die, unerfüllt, mit bitterm Stachel martern.
Erſparen möcht' ich gern ihr die Erfahrung,
Wie ungeſtillte Sehnſucht ſich verzehret,
Und wie verſchmähte Liebe nagend quält.
Mein Freund —
Wie ſagteſt du?
Du hörſt mich nicht!
Ich höre: Liebe quält.
[48]
Wohl quält ſie!
Mein Freund, du biſt jetzt nicht geſtimmt. Wir
wollen
Ein andermahl noch dieſen Punkt beſprechen!
Ganz recht! Ein andermahl!
Für jetzt, leb' wohl!
Ich pflege dieſe Stunde ſonſt den Muſen
In jener ſtillen Grotte dort zu weihn.
Hoff' ich gleich nicht die Muſen heut zu finden,
So iſt doch mind'ſtens Stille mir gewiß,
Und ich bedarf ſie. Leb' indeſſen wohl!
So gehſt du alſo?
Wünſcheſt du —?
Leb' wohl!
Leb' wohl!
Siebenter Auftritt.
Und haſt du wirklich —?
[49]
Sie iſt fort! —
Ich bin verwirrt, mein Kopf iſt wüſt und ſchwer!
Hier ſaß ſie, hier, das heiter blühende Kind;
Hieher will ich mein Haupt zur Ruhe legen!
[50]
Dritter Aufzug.
ſchlummernd auf der Raſenbank.
Erſter Auftritt.
Es iſt umſonſt! Weit ſchwärmen die Gedanken,
Und kehren ohne Ladung mir zurück.
Was ich auch thue, was ich auch beginne,
Doch ſteht mir jenes tiefverhaßte Bild,
Dem ich entfliehen möchte, wär' es auch
Weit über dieſer Erde dunkle Gränzen,
Mit friſchen Farben vor der heißen Stirn.
Wie er ſie hielt! Wie ſie ſein Arm umſchlang!
Und nun, dem Drange weichend hingegeben,
Auf ſeinem Mund ſie — fort! ich will's nicht denken!
Schon der Gedanke tödtet tauſendfach! —
Doch bin ich denn nicht thöricht, mich zu quälen,
Und zu beklagen, was wohl gar nicht iſt?
Wer weiß, welch leichtverwiſchter, flücht'ger Ein-
druck,
[51] Welch launenvolles Nichts ihn an ſie zog,
Das, ſchnell entſchwunden ſo wie ſchnell geboren,
Der Vorwurf wie der Vorſatz nicht erreicht?
Wer heißt den Maßſtab denn für ſein Gefühl
In dieſer tiefbewegten Bruſt mich ſuchen?
Nach Frauenglut mißt Männerliebe nicht,
Wer Liebe kennt und Leben, Mann und Frau.
Gar wechſelnd iſt des Mannes raſcher Sinn,
Dem Leben unterthan, dem wechſelnden.
Frey tritt er in des Daſeyns offne Bahn,
Vom Morgenroth der Hoffnung rings umfloſſen,
Mit Muth und Stärke, wie mit Schild und Schwert,
Zum ruhmbekränzten Kampfe ausgerüſtet.
Zu eng dünkt ihm des Innern ſtille Welt,
Nach außen geht ſein raſtlos, wildes Streben;
Und findet er die Lieb', bückt er ſich wohl,
Das holde Blümchen von dem Grund zu leſen,
Beſieht es, freut ſich ſein und ſteckt's dann kal[t]
Zu andern Siegeszeichen auf den Helm.
Er kennet nicht die ſtille, mächt'ge Glut,
Die Liebe weckt in eines Weibes Buſen;
Wie all ihr Seyn, ihr Denken und Begehren
Um dieſen einz'gen Punkt ſich einzig dreht,
Wie alle Wünſche, jungen Vögeln gleich,
Die angſtvoll ihrer Mutter Neſt umflattern,
Die Liebe, ihre Wiege und ihr Grab
Mit furchtſamer Beklemmung ſchüchtern hüthen;
Das ganze Leben als ein Edelſtein
C 2
[52] Am Halſe hängt der neugebornen Liebe!
Er liebt, allein in ſeinem weiten Buſen
Iſt noch für and'res Raum als bloß für Liebe,
Und manches, was dem Weibe Frevel dünkt,
Erlaubt er ſich als Scherz und freye Luſt.
Ein Kuß, wo er ihm immer auch begegnet,
Stets glaubt er ſich berechtigt ihn zu nehmen.
Wohl ſchlimm, daß es ſo iſt, doch iſt es ſo ! —
Ha ſieh, dort in des Roſenbuſches Schatten —
Er iſt es, ja, der liebliche Verräther! —
Er ſchläft, und Ruh' und ſtille Heiterkeit
Hat weich auf ſeine Stirne ſich gelagert.
So athmet nur der Unſchuld frommer Schlummer,
So hebt ſich nur die unbelad'ne Bruſt.
Ja, Theurer, deinem Schlummer will ich glauben,
Was auch dein Wachen Schlimmes mir erzählt.
Verzeihe, wenn im erſten Augenblicke,
Geliebter! mit Verdacht ich dich gekränkt,
Wenn ich geglaubt, es könne niedre Falſchheit
Den Eingang finden in ſo reinen Tempel!
Er lächelt — ſeine Lippen öffnen ſich —
Ein Nahme ſcheint in ihrem Hauch zu ſchweben.
Wach' auf, und nenne wachend deine Sappho,
Die dich umſchlingt. Wach' auf!
die Arme und ſpricht mit halbgeſchloſſenen Augen.)
Melitta!
[53]
Ha!
Ah! Wer hat mich geweckt? Wer ſcheuchte neidiſch
Des ſüßen Traumes Bilder von der Stirn? —
Du, Sappho? Sey gegrüßt! Ich wußt' es wohl,
Daß Holdes mir zur Seite ſtand, darum
War auch ſo hold' des Traumes Angeſicht.
Du biſt ſo trüb! Was fehlt dir? Ich bin froh!
Was mir den Buſen ängſtigend belaſtet,
Faſt wunderähnlich iſt's von mir geſunken,
Ich athme wieder unbeklemmt und frey;
Und gleich dem Armen, den ein jäher Sturz
Ins dunkle Reich der See hinabgeſchleudert,
Wo Grauſen herrſcht und ängſtlich dumpfes Bangen,
Wenn ihn empor nun hebt der Wellen Arm,
Und jetzt das heit're gold'ne Sonnenlicht,
Der Kuß der Luft, des Klanges freud'ge Stimme
Mit einemmahl um ſeine Sinne ſpielen:
So ſteh' ich freudetrunken, glücklich, ſelig,
Und wünſche mir, erliegend all' der Wonne,
Mehr Sinne, oder weniger Genuß.
Melitta!
Fröhlich, Liebe, ſey und heiter!
Es iſt ſo ſchön hier, o, ſo himmliſch ſchön!
Mit weichen Flügeln ſenkt der Sommer-Abend
[54] Sich hold ermattet auf die ſtille Flur;
Die See ſteigt liebedürſtend auf und nieder,
Den Herrn des Tages bräutlich zu empfangen,
Der ſchon dem Weſten zu die Roſſe lenkt;
Ein leiſer Hauch ſpielt in den ſchlanken Pappeln,
Die, koſend mit den jungfräulichen Säulen,
Der Liebe leiſen Gruß herüber liſpeln,
Zu ſagen ſcheinen: Seht, wir lieben! Ahmt uns nach.
Faſt will's von neuem mir die Bruſt beſchleichen,
Doch nein! zu tief hab' ich ſein Herz erkannt
Der Fiebertaumel iſt mit eins verſchwunden,
Der mich ergriffen ſeit ſo langer Zeit,
Und, glaube mir, ich war dir nie ſo gut,
So wahrhaft, Sappho, gut, als eben jetzt.
Komm, laß uns froh ſeyn, Sappho, froh und hei-
ter! —
Doch ſprich, was hältſt du wohl von Träumen, Sappho?
Sie lügen, und ich haſſe Lügner!
Sieh,
Da hatt' ich eben, als ich vorhin ſchlief,
Gar einen ſeltſam wunderlichen Traum.
Ich fand mich nach Olympia verſetzt,
Gerade ſo wie damahls, als ich dich
Zuerſt beym frohen Kampfſpiel dort geſehen.
[55] Ich ſtand im Kreis des fröhlich lauten Volks,
Um mich der Wagen und des Kampfs Getöſe.
Da klingt ein Saitenſpiel und alles ſchweigt;
Du warſt's, du ſangſt der goldnen Liebe Freuden,
Und tief im Innerſten ward ich bewegt.
Ich ſtürze auf dich zu, da — denke doch!
Da kenn' ich dich mit einemmahl nicht mehr;
Noch ſtand ſie da die vorige Geſtalt,
Der Purpur floß um ihre runden Schultern,
Die Leyer klang noch in der weißen Hand;
Allein das Antlitz wechſelt, ſchnell verfließend,
Wie Nebel, die die blauen Höhn umziehn;
Der Lorbeerkranz, er war mit eins verſchwunden,
Der Ernſt verſchwunden von der hohen Stirn,
Die Lippen, die erſt Götterlieder tönten,
Sie lächelten mit irdiſch-holdem Lächeln,
Das Antlitz, einer Pallas abgeſtohlen,
Verkehrt ſich in ein Kindes-Angeſicht,
Und kurz, du biſt's und biſt es nicht, es ſcheint
Mir Sappho bald zu ſeyn, und bald —
Melitta
Faſt baſt du mich erſchreckt! — Wer ſagte dir,
Daß ſie es war? — Ich wußt' es ſelber kaum —
— Du biſt bewegt und ich —
[56]
Wie? gehen ſoll ich?
Nur eines laß mich, Sappho, dir noch ſagen —
Du willſt nicht hören? Ich ſoll gehn? — Ich gehe!
Zweyter Auftritt.
Der Bogen klang,
es ſitzt der Pfeil! —
Wer zweifelt länger noch? Klar iſt es, klar!
Sie lebt in ſeinem ſchwurvergeſſ'nen Herzen,
Sie ſchwebt vor ſeiner ſchamentblößten Stirn,
In ihre Hülle kleiden ſich die Träume,
Die ſchmeichelnd ſich des Falſchen Lager nahn.
Sappho verſchmäht, um ihrer Sklavinn willen?
Verſchmähet! Wer? Beym Himmel! und von wem?
Bin ich dieſelbe Sappho denn nicht mehr,
Die Könige zu ihren Füßen ſah,
Und, ſpielend mit der dargebothnen Krone,
Die Stolzen ſah und hörte, und — entließ;
Dieſelbe Sappho, die ganz Griechenland
[57] Mit lautem Jubel als ſein Kleinod grüßte?
O Thörinn! Warum ſtieg ich von den Höhn,
Die Lorbeer krönt, wo Aganippe rauſcht,
Mit Sternenklang ſich Muſenchöre gatten,
Hernieder in das engbegränzte Thal,
Wo Armuth herrſcht und Treubruch und Verbrechen?
Dort oben war mein Platz, dort an den Wolken,
Hier iſt kein Ort für mich, als nur das Grab.
Wen Götter ſich zum Eigenthum erleſen,
Geſelle ſich zu Erdenbürgern nicht,
Der Menſchen und der Ueberird'ſchen Loos,
Es miſcht ſich nimmer in demſelben Becher.
Von beyden Welten Eine mußt du wählen,
Haſt du gewählt, dann iſt kein Rücktritt mehr;
Ein Biß nur in des Ruhmes goldne Frucht,
Proſerpinens Granatenkernen gleich,
Reiht dich auf ewig zu den ſtillen Schatten
Und den Lebendigen gehörſt du nimmer an!
Mag auch das Leben noch ſo lieblich blinken,
Mit holden Schmeichellauten zu dir tönen,
Als Freundſchaft und als Liebe an dich locken:
Halt ein, Unſel'ger! Roſen willſt du brechen
Und drückſt dafür dir Dornen in die Bruſt! —
Ich will ſie ſeh'n, die wundervolle Schönheit,
Die ſolchen Siegs ſich über Sappho freut.
Was ſoll ich glauben? Lügt denn mein Gedächtniß,
Das, wenn ich's frage, mir ein albern Kind
Mit blöden Mienen vor die Sinne bringt?
[58] Mit Augen, die den Boden ewig ſuchen,
Mit Lippen, die von Kinderpoſſen tönen,
Und leer der Buſen, deſſen arme Wellen
Nur Luſt zu ſpielen noch und Furcht vor Strafe
Aus ihrer dumpfen Ruhe manchmahl weckt.
Wie? oder meinem Aug' entging wohl jener Reiz,
Der ihn ſo mächtig zieht in ihre Nähe? —
Melitta! — Ja, ich will ſie ſehn! — Melitta! —
Dritter Auftritt.
Befiehlſt du hohe Frau?
Melitten rief ich.
Wo iſt ſie?
Wo? auf ihrer Kammer, denk' ich.
Sucht ſie die Einſamkeit? — Was macht ſie dort?
Ich weiß nicht. Aber ſeltſam iſt ihr Weſen,
Und fremd ihr Treiben ſchon den ganzen Tag.
Des Morgens war ſie ſtill und ſtets in Thränen,
Doch kurz nur erſt traf ich ſie heitern Blicks,
Mit Linnen ganz beladen und mit Tüchern,
Wie ſie hinabging zu dem klaren Bache,
Der kühl das Myrthenwäldchen dort durchſtrömt.
[59]
Sie freut ſich ihres Siegs! — Nur weiter, weiter!
Neugierig zu erfahren, was ſie ſuche,
Schlich leiſ' ich ihr in's ſtille Wäldchen nach.
Da fand ich ſie —
Mit ihm?
Mit wem?
Nur weiter!
Ich fand ſie dort im klaren Waſſer ſtehn.
Die Kleider lagen ringsumher am Ufer
Und hochgeſchürzt — ſie dachte keines Lauſchers —
Wuſch, mit den kleinen Händen Waſſer ſchöpfend,
Sie, ſorgſam reibend Arme und Geſicht,
Die von dem Schein der Sonne durch die Blätter,
Von ihrem Eifer und der rauhen Weiſe,
Mit der die Kleine eilig raſch verfuhr,
In hellem Purpur feurig glühten.
Wie ſie da ſtand, für eine ihrer Nymphen,
Der Jüngſten eine, hätte ſie Diana —
Erzählung wollt' ich hören und nicht Lob!
Als nun des Bades langes Werk vollbracht,
[60] Getrocknet Angeſicht und Bruſt und Wange,
Ging fröhlich ſingend ſie in's Haus zurück.
Alſo vertieft und ſo in ſich verloren,
Daß ſie der Blätter, die ich aus dem Dickicht
Nach ihr warf, ſie zu ſchrecken, nicht gewahrte.
Hier angelangt, trat ſie in ihre Kammer,
Schloß ab, und was ſie ſchafft, das weiß ich nicht,
Nur hört' ich ſie in Schränken emſig ſuchen,
Dazwiſchen tönte heiterer Geſang.
Sie ſingt und Sappho — Nein! ich weine nicht!
Bring ſie zu mir!
Melitten?
Ja, wen ſonſt? —
Melitten! — Ach, ein ſüßer, weicher Nahme,
Ein ohrbezaubernd, liebevoller Nahme!
Melitta — Sappho — — Geh, bring ſie zu mir!
Vierter Auftritt.
die Hand; Pauſe.)
Ich kann nicht! Weh! — Umſonſt ruf' ich den Stolz,
An ſeiner Statt antwortet mir die Liebe!
[61]
Fünfter Auftritt.
- Melitta.Sappho.
am Buſen und in den Haaren. Sie bleibt am Eingange
ſtehen, tritt aber, da Sappho ſich nicht regt, näher
hinzu.)
Hier bin ich.
Ah! — Beym Himmel, ſie iſt ſchön!
ſenbank. — Pauſe.)
Du riefſt nach mir?
Wie hat ſie ſich geſchmückt,
Die Falſche! ihrem Buhlen zu gefallen?
Mit Müh gebieth' ich meinem innern Zorn! —
Welch Feſt hat heut ſo feſtlich dich geſchmückt?
Ein Feſt?
Wozu dann dieſer Putz? die Blumen?
Du haſt wohl oft geſchmählt, daß ich die Kleider,
Mit denen du ſo reichlich mich beſchenkſt,
[62] So ſelten trage, ſtets auf andre Zeit,
Auf frohe Tage geitzig ſie verſparend.
Das fiel mir heute ein, und weil nun eben
Gerade heute ſo ein froher Tag,
So ging ich hin und ſchmückte mich ein wenig.
Ein froher Tag? Nicht weiß ich es, warum?
Warum? — Ey nu, daß du zurückgekehrt,
Daß du — ich weiß nicht recht, doch fröhlich bin ich.
Ha, Falſche!
Was ſagſt du?
Melitta komm,
Wir wollen ruhig mit einander ſprechen. —
Wie alt biſt du?
Du weißt wohl ſelbſt, o Sappho,
Welch trauriges Geſchick der Kindheit Jahre
Mir unterbrach; es hat ſie keine Mutter
Mit ſorglicher Genauigkeit gezählt.
Doch glaub' ich, es ſind ſechzehn.
Nein! du lügſt!
Ich?
[63]
Sprichſt nicht Wahrheit
Immer! hohe Frau!
Du zählſt kaum fünfzehn.
Leicht mag es ſo ſeyn.
So jung an Jahren, und ſie ſollte ſchon
So reif ſeyn im Betrug? Es kann nicht ſeyn,
So ſehr nicht widerſpricht ſich die Natur!
Unmöglich! Nein, ich glaub' es nicht! — Melitta,
Erinnerſt du dich noch des Tages, da
Vor dreyzehn Jahren man dich zu mir brachte?
Es hatten wilde Männer dich geraubt,
Du weinteſt, jammerteſt in lauten Klagen.
Mich dauerte der heimathloſen Kleinen,
Ihr Flehen rührte mich, ich both den Preis,
Und ſchloß dich, ſelber noch ein kindlich Weſen,
Mit heißer Liebe an die junge Bruſt.
Man will dich trennen, doch du wicheſt nicht,
Umfaßteſt mit den Händen meinen Nacken,
Bis ſie der Schlaf, der tröſtungsreiche, löſte.
Erinnerſt du dich jenes Tages noch?
O könnt' ich jemahls, jemahls ihn vergeſſen?
[64]
Als bald darauf des Fiebers Schlangen-Ringe
Giftathmend dich umwanden, o Melitta,
Wer war's, der da die langen Nächte wachte,
Sein Haupt zum Kiſſen machte für das deine,
Sein ſelbſt vergeſſend mit dem Tode rang,
Den vielgeliebten Raub ihm abzuringen,
Und ihn errang, in Angſt und Qual errang?
Du warſt's, o Sappho! Was beſäß' ich denn,
Das ich nicht dir, nicht deiner Milde dankte?
Nicht ſo, hierher an meine Bruſt! Hierher!
Ich wußt' es wohl, du kannſt mich nicht betrüben,
Mit Willen mich, mit Vorſatz nicht betrüben!
Laß unſre Herzen an einander ſchlagen,
Das Auge ſich in's Schweſteraug' verſenken,
Die Worte mit dem Athem uns vermiſchen,
Daß das getäuſchte Ohr, die gleichgeſtimmte Bruſt,
Von der Geſinnung Einklang ſüß betrogen,
In jedem Laut des lieblichen Gemiſches
Sein Selbſt erkenne, aber nicht ſein Wort.
O Sappho!
Ja, ich täuſchte mich. Nicht wahr?
Worin?
[65]
Wie könnteſt du? Du kannſt nicht! Nein!
Was, o Gebietherinn!
Du könnteſt! — Geh!
Leg' dieſe eiteln Kleider erſt von dir,
Ich kann dich ſo nicht ſehn. Geh! Andre Kleider!
Der bunte Schmuck verletzt mein Auge. Fort!
Einfach ging ſtets die einfache Melitta,
So viele Hüllen deuten auf Verhülltes.
Geh! Andre Kleider, ſag' ich dir! Nur fort! —
— Halt! Wohin gehſt du? — Bleib! — Sieh
mir ins Auge!
Warum den Blick zu Boden? Fürchteſt du
Der Herrinn Aug? Du biſt ſo blöde nicht!
Damahls als Phaon —
Ha! Errötheſt du?
Verrätherinn! Du haſt dich ſelbſt verrathen!
Und läugneſt du? Nicht deiner falſchen Zunge,
Dem Zeugniß dieſer Wangen will ich glauben,
Dem Widerſchein der frevelhaften Flammen,
Die tief dir brennen in der Heuchler-Bruſt.
Unſelige! Das alſo war's, warum
Du dich beym Mahle heut' ſo ſeltſam zeigteſt?
Was ich als Zeichen nahm der blöden Scham,
Ein Fallſtrick war's der liſt'gen Buhlerinn,
Die Spinnen-ähnlich ihren Raub umgarnte?
[66] So jung noch und ſo ſchlau, ſo heiter blühend
Und Gift und Moder in der argen Bruſt?
Steh nicht ſo ſtumm! Soll dir's an Worten fehlen?
Die Zunge, die ſo ſticht, kann ſie nicht ziſchen?
Antworte mir!
Ich weiß nicht, was du meinſt.
Nicht? armes Kind! Nun Thränen? Weine nicht!
Die Thränen ſind des Schmerzes heilig Recht!
Mit Worten ſprich! Sie ſind ja längſt entweiht,
Doch brauche nicht der Unſchuld ſtumme Sprache!
So ſchön geſchmückt, ſo bräutlich angethan!
Fort, dieſe Blumen! Fort! ſie taugen wenig
Die ſchlechtverſteckte Schlange zu verbergen!
Herab die Roſen!
Mir gib dieſen Kranz,
Bewahren will ich ihn dir zum Gedächtniß,
Und fallen frühverwelkt die Blätter ab,
Gedenk' ich deiner Treu' und meines Glücks.
Was ſchoneſt du die Roſe an der Bruſt?
Leg' ſie von dir!
Wohl gar ein Liebespfand?
Fort damit!
[67]
Roſe verhüllend.)
Nimmermehr!
Umſonſt dein Sträuben!
Die Roſe!
Nimm mein Leben!
Falſche Schlange!
Auch ich kann ſtechen!
Mir die Roſe!
Götter!
So ſchützt denn ihr mich! Ihr, erhab'ne Götter!
Sechster Auftritt.
- Phaon.Vorige.
Wer ruft hier? — du Melitta? Fort den Dolch!
Was war hier? Sappho du?
[68]
Frag' dieſe hier!
Melitta, hätteſt du —?
Die Schuld iſt mein,
Ich ſprach, wie es der Sklavinn nicht geziemt.
Du ſollſt mit falſcher Schuld dich nicht beladen,
Zu drückend liegt die wahre ſchon auf dir.
Weh mir! Bedürft' ich jemahls deiner Großmuth.
Die Roſe von der Bruſt hab' ich begehrt
Und ſie verſchmähte zu gehorchen!
That ſie's?
Bey allen Göttern! ſie hat recht gethan,
Und Niemand ſoll der Blume ſie berauben!
Ich ſelber gab ſie ihr als Angedenken
An eine ſchöne Stunde, als ein Zeichen,
Daß nicht in jeder Bruſt das Mitgefühl
Für unverdientes Unglück iſt erloſchen;
Als einen Tropfen Honig in den Becher,
Den fremder Uebermuth ihr an die Lippen preßt;
Als Bürgen meiner innern Ueberzeugung,
Daß ſtiller Sinn des Weibes ſchönſter Schmuck,
Und daß der Unſchuld heit'rer Blumenkranz
Mehr werth iſt, als des Ruhmes Lorbeerkronen.
[69] Sie weint! — O weine nicht, Melittion!
Haſt di ſe Thränen du auch mitbezahlt,
Als du ſie von dem Sklavenmäckler kaufteſt?
Der Leib iſt dein, komm her und tödte ſie,
Doch keine Thräne ſollſt du ihr erpreſſen! —
Schau'ſt du mich mit den milden Augen an,
Um Mitleid flehend für die Mitleidloſe?
Du kennſt ſie nicht, du kennſt die Stolze nicht!
Schau hin! Blinkt nicht ein Dolch in ihrer Hand?
Und noch zwey and're liegen tiefverſteckt
Dort unter den geſenkten Augenliedern.
Mir dieſen Stahl! Ich will ihn tragen
Hier auf der warmen, der betrognen Bruſt,
Und wenn mir je ein Bild verfloſſ'ner Tage
In ſüßer Wehmuth vor die Seele tritt,
Soll ſchnell ein Blick auf dieſen Stahl mich heilen!
Phaon!
O höre nicht den ſüßen Ton,
Er lockt dich ſchmeichelnd nur zu ihrem Dolch!
Auch mir iſt er erklungen. Lange ſchon
Eh ich ſie ſah, warf ſie der Lieder Schlingen
Von ferne leiſ' verwirrend um mich her,
An gold'nen Fäden zog ſie mich an ſich,
Und mocht ich ringen, enger ſtets und enger
[70] Umſchlangen mich die leiſen Zauberkreiſe.
Als ich ſie ſah, da faßte wilder Taumel
Den aufgeregten Sinn und willenlos
Stürzt' ich gebunden zu der Stolzen Füßen.
Dein Anblick erſt gab mich mir ſelber wieder,
Erbebend ſah ich mich in Zirze's Hauſe
Und fühlte meinen Nacken ſchon gekrümmt!
Doch war ich nicht gelöſt, ſie ſelber mußte,
Sie ſelber ihren eig'nen Zauber brechen.
Phaon!
O hör' ſie nicht! Blick nicht nach ihr,
Ihr Auge tödtet ſo wie ihre Hand.
Sie weint!
Fort! weinend ſpinnt ſie neuen Zauber.
Soll ich die Theure leidend vor mir ſehn?
Auch mich ergreift ſie, darum eilig fort,
Eh ſie noch ihre Schlingen um dich wirft!
Ich kann nicht. — Sappho!
[71]
Melitta, rufſt du mir?
Ich bin es, Sappho! Hier, die Roſe, nimm!
Nimm ihn! Mein Leben nimm! — Wo iſt dein
Dolch?
Melitten aufhebend.)
Dein iſt ſie, dein! Kein Gott ſoll dir ſie rauben!
Komm! Schnell aus ihrer Nähe! fort!
Phaon!
[72]
Vierter Aufzug.
Erſter Auftritt.
Nach einer Pauſe.)
Bin ich denn noch? und iſt denn Etwas noch?
Dieß weite All, es ſtürzte nicht zuſammen
In jenem fürchterlichen Augenblick?
Die Dunkelheit, die brütend mich umfängt,
Es iſt die Nacht und nicht das Grab!
Man ſagt ja doch, ein ungeheurer Schmerz,
Er könne tödten. — Ach, es iſt nicht ſo! —
Still iſt es um mich her, die Lüfte ſchweigen,
Des Lebens muntre Töne ſind verſtummt,
Kein Laut ſchallt aus den unbewegten Blättern,
Und einſam, wie ein ſpätverirrter Fremdling,
Geht meines Weinens Stimme durch die Nacht. —
[73] Wer auch ſo ſchlafen könnte, wie die Vögel,
Doch lang und länger, ohne zu erwachen,
Im Schooße eines feſtern, ſüßern Schlummers,
Wo alles — alles — ſelbſt die Pulſe ſchlafen,
Kein Morgenſtrahl zu neuen Qualen weckt,
Kein Undankbarer — Halt! — Tritt nicht die
Schlange!
Der Mord iſt wohl ein gräßliches Verbrechen,
Und Raub und Trug, und wie ſie alle heißen,
Die Häupter jener giftgeſchwollnen Hyder,
Die, an des Abgrunds Flammenpfuhl erzeugt,
Mit ihrem Geifer dieſe Welt verpeſtet;
Wohl gräßlich, ſchändlich, giftige Verbrechen!
Doch kenn' ich eins, vor deſſen dunkeln Abſtich
Die andern alle lilienweiß erſcheinen,
Und Undank iſt ſein Nahm'! Er übt allein
Was alle andern einzeln nur verüben,
Er lügt, er raubt, betrügt, ſchwört falſche Eide,
Verräth, und tödtet! — Undank! — Undank! —
Undank!
Beſchützt mich Götter! ſchützt mich vor mir
ſelber!
Des Innern düſtre Geiſter wachen auf
Und rütteln an des Kerkers Eiſenſtäben!
Ihn hatt' ich vom Geſchicke mir erbeten,
Von allen Sterblichen nur ihn allein;
Ich wollt' ihn ſtellen auf der Menſchhiet Gipfel,
D
[74] Erheben hoch vor Allen, die da ſind,
Und über Grab und Tod und Sterblichkeit,
Ihn tragen auf den Fittigen des Ruhms
Hinüber in der Nachwelt lichte Fernen.
Was ich vermag und kann und bin und heiße,
Als Kranz wollt' ich es winden um ſein Haupt,
Ein mildes Wort ſtatt allen Lohns begehrend,
Und er — lebt ihr denn noch gerechte Götter? —
Ihr 1. bet, ja! — Von euch kam der Gedanke,
Der leuchtend ſich vor meine Seele drängt.
Laß mich dich faſſen, ſchneller Götterbothe,
Vernehmen deines Mundes flüchtig Wort! —
Nach Chios, ſprichſt du, ſoll Melitta hin,
Nach Chios, dort getrennt von dem Verräther,
In Reue wenden ihr verlocktes Herz,
Mit Liebesqual der Liebe Frevel büſſen?
So ſey es! — Rhamnes! Rhamnes! — Ja, ſo
ſey's!
Unſterbliche habt Dank für dieſen Wink!
Ich eile zu vollführen!
Zweyter Auftritt.
- Rhamnes.Sappho.
Was gebeutſt du, Herrinn?
[75]
Sie iſt mein Werk, was wär' ſie ohne mich!
Und wer verwehrt dem Bildner wohl ſein Recht,
Das zu zerſtören, was er ſelber ſchuf?
Zerſtören! — Kann ich es? — Weh mir! ihr
Glück
Es ſteht zu hoch für meine ſchwache Hand!
Wenn ihr nach Chios ſeine Liebe folgt,
Iſt ſie am Sklavenheerd nicht ſeliger,
Als ich im goldnen, liebeleeren Haus?
Für das Geliebte leiden iſt ſo ſüß,
Und Hoffnung und Erinn'rung ſind ja Roſen
Von einem Stamme mit der Wirklichkeit,
Nur ohne Dornen! O verbannet mich
Weit in des Meeres unbekannte Fernen,
Auf einen Fels, der ſchroff und unfruchtbar,
Die Wolken nur und Wellen Nachbar nennt,
Von jedem Pfad des Lebens rauh geſchieden;
Nur löſchet aus dem Buche der Erinn'rung
Die letztentfloh'nen Stunden gütig aus;
Laßt mir den Glauben nur an ſeine Liebe,
Und ich will preiſen mein Geſchick, und fröhlich
Die Einſamkeit, ach, einſam nicht, bewohnen:
Bey jedem Dorn, der meine Füße ritzte,
In jeder Qual wollt' ich mir ſelber ſagen:
O wüßt er es! und: o, jetzt denkt er dein!
Was gäb' er, dich zu retten! Ach, und Balſam
Ergöße kühlend ſich in jede Wunde.
D 2
[76]
Du haſt gerufen, hocherhab'ne Frau!
O Phaon! Phaon! Was hab' ich dir gethan? —
Ich ſtand ſo ruhig in der Dichtung Auen
Mit meinem gold'nen Saitenſpiel allein;
Hernieder ſah ich auf der Erde Freuden
Und ſeine Leiden reichten nicht zu mir.
Nach Stunden nicht, nach holden Blumen nur,
Dem heitern Kranz der Dichtung eingewoben,
Zählt' ich die Flucht der nimmerſtillen Zeit.
Was meinem Lied ich gab, gab es mir wieder,
Und ew'ge Jugend grünte mir um's Haupt.
Da kommt der Rauhe und mit frechen Händen
Reißt er den gold'nen Schleyer mir herab,
Zieht mich hernieder in die öde Wüſte,
Wo rings kein Fußtritt, rings kein Pfad,
Und jetzt, da er der einz'ge Gegenſtand,
Der in der Leere mir entgegen ſtrahlt,
Entzieht er mir die Hand, ach, und entflieht!
O Herrinn! magſt du weilen ſo im Dunkeln,
Beym feuchten Hauch der Nacht, der Meeresluft?
Kennſt du ein ſchwärz'res Laſter, als den Undank?
Ich nicht.
[77]
Ein giftigers?
Nein, wahrlich nicht.
Ein fluchenswürd'geres, ein ſtrafenswerthers?
Fürwahr, mit Recht belaſtet's jeder Fluch! —
Nicht wahr? Nicht wahr? die andern Laſter alle,
Hyänen, Löwen, Tieger, Wölfe ſind's,
Der Undank iſt die Schlange. Nicht? Die Schlange
So ſchön, ſo glatt, ſo bunt, ſo giftig! — Oh! —
Komm mit hinein, drinn fühlſt du dich wohl beſſer,
Mit Sorgfalt iſt das Haus dir ausgeſchmückt
Und Phaon wartet deiner in der Halle.
Wie? Phaon harret meiner?
Ja, Gebieth'rinn.
Ich ſah ihn ſinnend auf- und niederſchreiten;
Bald ſtand er ſtill, ſprach leiſe vor ſich hin,
Trat dann an's Fenſter, ſuchend durch die Nacht.
Er harret meiner? Lieber, ſagt' er es?
Er harre meiner? Sappho's?
[78]
Das wohl nicht.
Doch ſah ich ihn erwartend, lauſchend ſtehn,
Und weſſen ſollt' er harren?
Weſſen? Weſſen?
Nicht Sappho's harrt er — doch er harrt umſonſt!
Rhamnes!
Gebietherinn!
Du weißt, zu Chios
Wohnt, noch vom Vater her, ein Gaſtfreund mir
Ich weiß es.
Löſe ſchnell vom Strand den Nachen,
Der dort ſich ſchaukelt in der nahen Bucht,
Denn dieſe Nacht noch mußt du fort nach Chios.
Allein?
Nein.
Und wer folget mir dahin?
Was ſagſt du?
[79]
Wer nach Chios mit mir —?
Komm!
Vorſichtig ſey und leiſe, hörſt du mich? —
Geh in Melittens Kammer und gebeut ihr
Hieher zu kommen; Sappho rufe ſie.
Doch ſtill, daß er dich nicht bemerke.
Wer?
Wer? — Phaon. — Folgt ſie dir —
Was dann?
Dann bringe
Sie, ſey's mit Güte, ſey es mit Gewalt,
Doch leiſe, in den losgebund'nen Nachen,
Und fort nach Chios, auf der Stelle fort!
Und dort?
Dort übergibſt du ſie dem Gaſtfreund,
Er ſoll ſie hüthen, bis ich ſie verlange,
Und ſtreng — nicht ſtrenge mög' er ſie mir halten,
Sie iſt ja doch geſtraft genug. Hörſt du?
[80]
Ich eile.
Zögre nicht!
Leb wohl, o Sappho!
Der Morgen findet uns ſchon fern von hier.
Zufrieden ſollſt du ſeyn mit deinem Diener!
Dritter Auftritt.
Er geht! — Noch — Nein! — Ach die Gewohn-
heit iſt
Ein läſtig Ding, ſelbſt an Verhaßtes feſſelt ſie!
Horch! — Tritte! — Nein, es war der Wind. —
Wie bange
Pocht mir das Herz in ſturmbewegter Bruſt! —
Jetzt Stimmen. — Ha, ſie kommt. — Sie folgt ſo
willig,
Sie ahnet nicht, daß ſie zum letztenmahle —
Fort! Ich will ſie nicht ſehn! — Ich will, ich kann
nicht!
[81]
Vierter Auftritt.
- Melitta.Rhamnes.
Hier, ſagteſt du, ſey die Gebietherinn.
Sie iſt nicht da.
Nicht? Nein, fürwahr, nicht da.
Noch erſt vor Kurzem war ſie hier! — So komm!
Wohin?
Sie mag wohl an der Meeresküſte
Hinaufgewandelt ſeyn, dort an die Bucht.
Dorthin geht ſie ja nie.
Vielleicht doch heute.
Und warum heute denn?
Warum? — Je nu —
Weil — daß ſie eben mir den Auftrag gab!
Nicht anſehn kann ich ſie. Was ſag' ich ihr?
Du biſt ſo ſonderbar. Du kehrſt dich ab,
Und deine Augen wagen nicht, die Worte,
[82] Die du mir gibſt, freyblickend zu bekräft'gen.
Was haſt du denn, daß du ſo bang und ängſtlich?
Sag mir, wo Sappho weilt, daß ich ihr nahe,
Und weißt du's nicht, ſo laß mich gehn.
Halt da!
Du darfſt nicht fort!
Warum?
Du mußt mit mir!
Wohin?
Nach — Komm nur mit zur nahen Bucht,
Du ſollſt ſchon ſeh'n.
Ihr Götter, was ſoll das?
Komm, Mädchen! Mitternacht iſt bald vorüber.
Die Stunde drängt! Mach' fort!
Was haſt du vor?
Fort, ſoll ich, fort? — An weitentlegne Küſten? —
Sey ruhig, Kind! — An weit entlegne Küſten?
Was fällt dir ein? Iſt Chios denn ſo weit?
[83]
Nach Chios? Nimmermehr!
Du mußt wohl, Kind
So will es die Gebieth'rinn.
Sappho, ſagſt du?
Fort! Hin zu ihr!
Nicht doch!
Zu ihren Füßen!
Sie hör' und richte mich!
Nicht von der Stelle!
Wie, Rhamnes, du?
Ey was, ich kann nicht anders!
Befohlen ward mir's ſo, und ich gehorche.
Laß dich erbitten!
Ey, was nützt es dir,
Wenn auch in meinen Augen Thränen blinken,
Es muß doch einmahl ſeyn! Drum, Kind, mach fort!
[84]
Hier lieg' ich auf den Knie'n! Laß dich erflehn!
— So iſt denn Niemand, der mich hört und rettet?
Umſonſt! du rufſt das Haus mir wach. Komm mit!
Nein, nimmermehr! Erbarmt ſich Niemand meiner?
Fünfter Auftritt.
- Phaon.Vorige.
Das iſt Melittens Stimme! — Ha! Verwegner!
Wagſt du's, die Hand zu heben gegen ſie?
So täuſchte mich doch meine Ahnung nicht,
Als ich dich ſah mit leiſeſpäh'nden Blicken,
Dem Wolfe gleich, in ihre Nähe ſchleichen;
Doch haſt du dich verrechnet, grimmer Wolf,
Es wacht der Hirt und dir naht das Verderben!
Herr, der Gebieth'rinn Auftrag nur befolg' ich.
Wie, Sappho's Auftrag? Sie befahl es dir?
O Sappho! Sappho! Ich erkenne dich!
Doch leider nur zu ſpät! Warum zu ſpät?
Noch iſt es Zeit, die Bande abzuſchütteln
[85] Von mir und ihr; beym Himmel, und ich will's!
Du allzufert'ger Diener fremder Bosheit!
Warum —? Melitta, du ſiehſt bleich, du zitterſt?
O, mir iſt wohl!
Dank du den Göttern, Sklave,
Daß ihr kein Steinchen nur den Fuß geritzt,
Beym Himmel! jede Thräne ſollteſt du
Mit einem Todesſeufzer mir bezahlen! —
Du ſcheinſt ermattet, lehne dich auf mich,
Du findeſt nirgends eine feſt're Stütze.
Blick her, Verruchter! dieſes holde Weſen,
Dies Himmelsabbild wollteſt du verletzen!
Verletzen nicht!
Was ſonſt?
Nur — doch verzeih,
Was ich gewollt, ich kann es nicht vollführen.
Drum laß mich geh'n!
Bey allen Göttern, nein!
Mich lüſtet's, eurer Bosheit Maß zu kennen!
Was wollteſt du?
Sie ſollte fort.
[86]
Wohin?
Nach — das iſt der Gebietherinn Geheimniß.
Du ſagſt es nicht?
Sie hat es hier verſchloſſen,
Und feſt bewahrt es ihres Dieners Bruſt.
So öffne denn dies Eiſen! Dank dir Sappho!
Du gabſt mir ſelber Waffen gegen dich!
Verhehle länger nichts: du ſiehſt mich fertig,
Die ſtreng verſchloſſ'ne Lade zu erbrechen.
O ſchone ſeiner! Hin nach Chios ſollt' ich.
Nach Chios?
Ja, ein Gaſtfreund Sappho's hauſet dort,
Er ſollte wohl Melitten ihr bewahren.
Wie, über's Meer?
Ein Kahn dort in der Bucht.
Ein Kahn?
[87]
So ſprach er, iſt's nicht alſo, Vater?
Nicht Vater nenne mich, du Undankbare,
Die frech du die Gebietherinn verräthſt!
Ein Kahn?
Was that ich denn, daß du mich ſchiltſt?
Er fragte ja!
Ein Kahn! — So ſey's! — das Zeichen
Ich nehm' es an! Von euch kommt's, gute Gör-
ter! —
Zu ſpät verſteh' ich eure treue Mahnung!
Sie iſt es, oder keine dieſer Erde,
Die in der Bruſt die zweyte Hälfte trägt,
Von dem, was hier im Buſen ſehnend klopfte.
Ihr zeigt mir ſelbſt den Weg. Ich will ihn gehn!
Melitta, ja, du ſollſt nach Chios, ja!
Doch nicht allein! — Mit mir, an meiner Seite!
Mit ihm!
Verlaß dies feindlich rauhe Land,
Wo Neid und Haß und das Meduſenhaupt
Der Rachſucht ſich in deine Pfade drängen,
Wo dir die Feindinn Todesſchlingen legt.
[88] Komm! dort der Kahn, hier Muth und Kraft und
Stärke,
Zu ſchützen dich, wär's gegen eine Welt!
Rhamnes!
Bedenkt doch, Herr!
Bedenk' du ſelber,
Was du gewollt, daß du in meiner Hand!
Herr, Sappho's iſt ſie!
Lügner! ſie iſt mein!
Komm folge!
Die Bewohner dieſer Inſel,
Sie ehren Sappho'n wie ein fürſtlich Haupt,
Sind ſtets bereit beym erſten Hülferuf
In Waffen zu beſchützen Sappho's Schwelle.
Ein Wort von mir und Hunderte erheben —
Du mahnſt mich recht, faſt hätt' ich es vergeſſen
Bey wem ich bin, und wo. — Du gehſt mit uns!
[89]
Ich, Herr?
Ja du! doch nur bis zum Geſtade.
Ich neide Sappho'n ſolche Diener nicht!
Wenn wir in Sicherheit, magſt du zurücke kehren,
Erzählen, was geſchehn und — doch genug,
Du folgſt!
Nein, nimmermehr!
Ich habe, denk' ich,
Was mir Gehorſam ſchaffen ſoll!
Gewalt!
ihn zu.)
So fahre hin denn, wie du ſelber willſt!
Geringer Preis für dieſer Reinen Rettung
Iſt des Verruchten Untergang!
Halt' ein!
Wenn er gehorcht!
[90]
O wehe, weh dem Alter,
Daß nicht mehr eins der Wille und die Kraft!
Jetzt, Mädchen, komm!
Wohin?
Zu Schiffe, fort!
Ihr Götter! Soll ich?
Fort! Es ſtreckt die Ferne
Uns ſchutzverheißend ihren Arm entgegen.
Dort drüben über'm alten, grauen Meer
Wohnt Sicherheit und Ruh' und Liebe!
O folge! Unterm breiten Lindendach,
Das ſtill der Aeltern ſtilles Haus beſchattet,
Wölbt, Theure, ſich der Tempel unſers Glücks.
Erzitterſt du? Erzitt're, holde Braut,
Die Hand des Bräutigams hält dich umſchlungen!
Komm mit! Und folgſt du nicht, bey allen Göt-
tern!
Auf dieſen Händen trag' ich dich von hinnen
Und fort und fort bis an das End' der Welt!
[91]
O Phaon!
Fort! die Sterne blinken freundlich.
Die See rauſcht auf, die lauen Lüfte wehn,
Und Amphitrite iſt der Liebe hold.
Voraus du!
Herr!
Es gilt dein Leben, ſag' ich dir!
Sechster Auftritt.
Rhamnes!
Mir war als hört' ich ſeine Stimme!
Nein, es iſt Niemand hier. Ich täuſchte mich.
Verwirrend ſcheint ein böſer Geiſt zu walten
Seit Sappho's Rückkehr über ihrem Haus.
Es fliehen ängſtlich, ſcheu ſich die Bewohner,
Verdacht und Kummer liegt auf jeder Stirn.
Melitten ſucht' ich, und fand leer ihr Lager.
[92] Einſam irrt die Gebieth'rinn durch die Nacht,
Hier Rhamnes Stimme und er ſelber nicht.
O, daß erſt Morgen wäre! — Horch!
Zu Hülfe!
Man ruft!
Herbey!
Ha, Rhamnes!
Sklaven Sappho's?
Er iſt ganz athemlos. Was iſt denn, Rhamnes?
Siebenter Auftritt.
Auf! auf vom weichen Lager! Hieher Freunde!
Den Flücht'gen nach! Zu Hülfe!
Sage doch!
O frage nicht! Ruf' Sappho'n und die Diener!
Warum?
[93]
Zu Worten iſt nicht Zeit! Geh nur!
Das ganze Haus erwache, eile, rette!
Was mag das ſeyn?
Ich kann nicht mehr! — Verräther!
Frohlocket nicht! des Meeres fromme Götter
Sie rächen gern ſo abſcheuwürd'ge That!
Eilt ſchnell hinab in's Thal, weckt die Bewohner,
Gebt laut der Noth, des Hülfeflehens Zeichen,
O fragt nicht! Fort! und laßt den Nothruf tönen!
Achter Auftritt.
- Sappho.Vorige.
Welch Schreckenslaut rönt durch die ſtille Nacht,
Und greift dem Schlafverſcheucher, Kummer, in ſein
Amt?
Wer hat hier noch zu klagen außer mir?
Ich, o Gebretherinn!
[94]
Du, Rhamnes, hier?
Und wo iſt ſie?
Melitta?
Ja doch!
Fort!
Sie fort und du doch hier?
Entflohen mit —
Halt ein!
Entflohn mit Phaon!
Nein!
Es iſt ſo.
Er überwältigte mein ſchwaches Alter,
Und in demſelben Kahn, der mir bereitet,
Führt er nun ſeine Beute durch die Wogen.
Du lügſt!
O daß ich löge! dießmahl löge!
[95]
Und wo blieb euer Donner, ew'ge Götter!
Habt ihr denn Qualen nur für Sappho's Herz?
Iſt taub das Ohr, und lahm der Arm der Rache?
Hernieder euren rächeriſchen Strahl,
Hernieder auf den Scheitel der Verräther!
Zermalmt ſie, Götter, wie ihr mich zermalmt! —
Umſonſt! kein Blitz durchzuckt die ſtille Luft,
Die Winde ſäuſeln buhleriſch im Laube,
Und auf den breiten Armen trägt die See
Den Kahn der Liebe ſchaukelnd vom Geſtade!
Da iſt nicht Hülfe! Sappho, hilf dir ſelbſt!
Sklaven und Landleuten angefüllt.)
Ha, dieſe hier! Habt Dank, ihr Treuen, Dank!
Gebt, Menſchen, was die Götter mir verweigern!
Auf, meine Freunde! Rächet eure Sappho!
Wenn ich euch jemahls werth, jetzt zeigt es, jetzt!
Du, Myron, ſchwurſt mir oft und du, Terpander, —
Gedenkſt du, Lychas, noch des Liedes — Pheres —
Und du Xenarchos — alle meine Freunde!
Hinunter zum Geſtad! Bemannet Schiffe,
Und folget windſchnell der Verräther Spur!
Denkt, daß ich eurer hier in Qualen harre,
Und jeder Augenblick, bis ihr zurückkehrt,
Mir hundert Dolche in den Buſen bohrt.
Wer mir ſie bringt, wer mir die Wonne ſchafft,
[96] Daß ich die Augen bohren kann in ſeine,
Ihn fragen kann: Was hab' ich dir gethan,
Daß du mich tödteſt! — Nein, nur Wuth und
Rache!
Wer mir ſie bringt, er nehme all mein Gold,
Mein Leben — fort! Auf Windesfittig fort!
Mit ihm nur kehren wir zurück!
Ich dank' euch!
Mein Leben iſt gelegt in eure Hand.
Laßt meine Wünſche euren Fuß beflügeln
Und meine Rache ſtärken euren Arm,
Nur ſchnell, nur ſchnell! Bey allen Göttern,
ſchnell!
Sie gehn! Nun iſt mir wohl! — Nun will ich
ruhn!
Du zitterſt!
Weh! du wankſt! — o Sappho!
[97]
Götter!
O laß mich ſinken! Warum hältſt du mich?
[98]
Fuͤnfter Aufzug.
Erſter Auftritt.
hinſtarrend. In einiger Entfernung ſteht Eucharis;
weiter zurück mehrere Sklavinnen.)
Still! ſtill!
Schläft ſie?
Die Augen ſtehen offen,
Der Körper wacht, ihr Geiſt nur ſcheint zu ſchlafen!
So liegt ſie ſeit drey Stunden regungslos.
Ihr ſolltet ſie ins Haus doch —
[99]
Ich verſucht' es,
Allein ſie will nicht. — Und noch nichts?
Noch nichts
So weit das Auge trägt, nur See und Wolken,
Von einem Schiffe nicht die kleinſte Spur.
Schiff! Wo?
Wir ſahn noch nichts, Gebietherinn
Noch nicht! — Noch nicht!
Die Morgenluft weht kühl,
Erlaube, daß wir dich in dein Gemach —
Laß dich erbitten! Folge mir ins Haus!
Du willſt's! — Ihr Anblick ſchneidet mir ins Herz.
Ey ſieh! Was drängt ſich dort das Volk?
Laß ſeh'n!
E 2
[100]
Es ſtrömt dem Ufer zu. Mir däucht, ſie kommen!
Ha!
Stellung zurückgebeugt.)
Dort tritt an den Felſen und ſieh zu,
Vielleicht erblickſt du ſie.
Wohl, ich will ſehn.
Nur ſchnell, nur ſchnell! Nun ſiehſt du?
Dank den Göttern!
Sie kommen!
Ah!
Die waldbewachſ'ne Spitze
Die links dort weit ſich in's Gewäſſer ſtreckt,
Verbarg mir vorher den willkomm'nen Anblick.
Ein Heer von Kähnen wimmelt durcheinander,
Mit raſchem Ruderſchlag dem Ufer zu.
Und die Entwich'nen, ſind ſie unter ihnen?
Die Sonne blendet, ich erkenn' es nicht!
[101] Doch halt! da naht dem Ufer ſchon ein Kahn
Vorausgeſendet mit der frohen Bothſchaft. —
Jetzt legt er an. — Der Hirte iſt's vom Thal —
Er ſchwenkt den Stab. Gewiß, ſie ſind gefangen! —
Hierher, mein Freund! Hierher! — Er kömmt
heran.
Gebietherinn, ſey ruhig, ſey gefaßt!
Zweyter Auftritt.
- Ein Landmann,Vorige.
Heil, Sappho, dir!
Iſt er gefangen?
Ja.
Wo denn?
Und wie?
Sie hatten tücht'gen Vorſprung
Und er verſteht zu rudern. Faſt ſchon glaubt' ich
Wir würden nun und nimmer ſie erreichen.
Doch endlich, ſchon in hoher See, erblickten
Wir ſeinen Kahn und drauf in raſcher Jagd!
[102] Bald iſt er eingehohlt und ſchnell umringt.
Wir heißen um ihn lenken, doch er will nicht,
Und faßt ſein Mädchen mit der linken Hand,
Das blanke Eiſen in der Rechten ſchwingend. —
Begehrt ihr was, erhab'ne Frau?
Nun denn,
Und ſchwingt das Eiſen drohend gegen uns;
Bis nur ein Ruderſchlag, der ihm gegolten,
Das kleine Mädchen an die Stirne trifft.
Sie ſinkt, er faßt ſie in die Arme, wir,
Den Augenblick benützend, raſch an Bord,
Und greifen ihn und bringen ihn zurück.
Sie ſteigen ſchon an's Land. Seht ihr die Beyden?
Das kleine Mädchen wankt noch taumelnd —
Ha,
Nicht hierher!
Wohin ſonſt? Sie kommen ſchon.
Wer rettet mich vor ſeinem Anblick? — Mädchen! —
Du, Aphrodite, ſchütze deine Magd!
ihre Dienerinnen ſtehen rings um ſie her.)
[103]
Dritter Auftritt.
- Phaon, Melitten führend. Landleute.
Sappho (mit ihren Dienern im Hintergrunde.)
Ha, wag' es keiner, dieſe zu berühren!
Nicht wehrlos bin ich, wenn auch gleich entwaffnet.
Zu ihrem Schutz wird dieſe Fauſt zur Keule,
Und jedes meiner Glieder wird ein Arm.
Hieher, Melitta, hieher! Zittre nicht!
Dir ſoll kein Leid geſcheh'n, ſo lang' ich athme! —
Verruchte, konntet ihr dies Haupt verletzen,
Das reine Haupt der Unſchuld, und ſeyd Männer?
So grauſam dacht' ich höchſtens mir ein Weib,
Ein ſchwaches, feiges, aufgereitztes Weib!
Du warſt's, der nach ihr ſchlug, ich kenne dich;
Fort, von mir, fort! Daß ich die Rachegötter
Vorgreifend nicht um ihren Raub betrüge!
Wie fühlſt du dich?
Wohl.
O, dein Blick verneint!
Dies Zittern, dieſe Bläſſe, laut verräth ſie
Die erſte Lüge, die dein Mund geſprochen.
Verſuche nicht den Grimm in mir zu dämpfen,
[104] Zu neuer Glut fachſt du die Flammen an!
Hier ſetze dich auf dieſen Raſenſitz,
Hier, wo dein mildes, himmelklares Auge
Zum erſtenmahle mir entgegen glänzte,
Und wie des Tages goldner Morgenſtrahl
Des Schlafes düſt're Bande von mir löſte,
In den mich jene Zauberinn geſungen;
Hier, wo die Lieb' ihr holdes Werk begann,
Auf dieſer Stelle ſey es auch vollendet!
Sprecht! wo iſt Sappho?
Phaon, ruf' ſie nicht!
Sey ruhig! Bin ich nicht ein freyer Mann?
Wer gab das Recht ihr, meinen Schritt zu hemmen?
Noch Richterſtühle gibt's in Griechenland,
Mit Schrecken ſoll die Stolze das erfahren.
Zu Sappho hin!
Du bleibſt!
Wer hält mich? Wer?
Wir alle hier!
Ich bin ein freyer Mann.
Du warſt's, jetzt biſt der Strafe du verfallen.
[105]
Der Strafe, und warum?
Der Sklavinn Raub
Ruft das Geſetz zur Rache wider dich.
Es fordre Sappho Löſegeld für ſie,
Und zahlen will ich's, wären's Kröſus Schätze.
Ihr ziemt's zu fordern, und nicht dir zu biethen.
Seyd ihr ſo zahm, daß eines Weibes Rache
Geduldig ihr die Männerhände leiht,
Und dienſtbar ſeyd der Liebe Wechſellaunen?
Mir ſtehet bey, denn Unrecht widerfährt mir!
Ob Recht, ob Unrecht, Sappho wird's entſchei-
den! —
So ſprichſt du, Alter, und errötheſt nicht?
Wer iſt denn Sappho, daß du ihre Zunge
Für jene achteſt an des Rechtes Wage?
Iſt ſie Gebieth'rinn hier im Land?
Sie iſt es,
Doch nicht weil ſie gebeut, weil wir ihr dienen.
So hat ſie denn euch alle auch umſponnen?
[106] Ich will doch ſehn, wie weit ihr Zauber reicht.
Zu ihr!
Zurück!
Vergebens dräuet ihr.
Ich muß ſie ſehen. — Sappho, zeige dich!
Wo biſt du? oder zitterſt du vor mir? —
Ha! dort am Altar ihrer Diener Reihen!
Sie iſt es, du entgehſt mir nicht! — Zu mir!
öffnet ſich. Sappho liegt hingegoſſen an den Stufen
des Altars.)
Du wagſt es, unbeſonnen frecher Knabe?
Was willſt du an den Stufen hier der Götter?
Sie hören nicht der Bosheit Fleh'n. — Steh auf!
empor, und eilt mit fliegenden Schritten, ohne ihn anzu-
ſehen, dem Vorgrunde zu.)
Entweichſt du mir? du mußt mir Rede ſtehn!
Ha, bebe nur! Es iſt jetzt Zeit zu beben!
Weißt du, was du gethan? Mit welchem Recht
Wagſt du es, mich, mich einen freyen Mann,
Der Niemand eignet, als ſich ſelber, hier
In frevelhaften Banden feſt zu halten?
[107] Hier, dieſe da, in ungewohnten Waffen,
Haſt du ſie ausgeſandt? Haſt du ſie? Sprich! —
So ſtumm! der Dicht'rinn ſüße Lippe ſtumm?
Es iſt zu viel!
Die Wange röthet ſich,
Von Zornes heißen Gluten überflammt.
Recht, wirf die Larve weg, ſey was du biſt,
Und tobe, tödte, heuchleriſche Zirze!
Es iſt zu viel! — Auf, waffne dich, mein Herz!
Antworte! Haſt du dieſe ausgeſandt?
Geh' hin und hohl' die Sklavinn mir zurück,
Nur ſie und Niemand anders ließ ich ſuchen.
Zurück! Es wage Niemand ihr zu nah'n!
Begehre Löſegeld! Ich bin nicht reich,
Doch werden Aeltern mir und Freunde willig ſteuern,
Mein Glück von deiner Habſucht zu erkaufen.
Nicht Gold verlang' ich, nur was mein. Sie bleibt!
Sie bleibet nicht! Bey allen Göttern, nein!
Du ſelber haſt dein Recht auf ſie verwirkt,
[108] Als du den Dolch auf ihren Buſen zückteſt;
Du kaufteſt ihre Dienſte, nicht ihr Leben.
Glaubſt du, ich ließe ſie in deiner Hand?
Noch einmahl, ford're Löſegeld, und laß ſie!
Erfülle was ich dir befahl!
Zurück!
Du rührſt an deinen Tod, berührſt du ſie! —
So iſt dein Buſen denn ſo ganz entmenſcht,
Daß er ſich nicht mehr regt bey Menſchenleiden?
Zerbrich die Leyer, gifterfüllte Schlange,
Die Lippe töne nimmerdar Geſang!
Du haſt verwirkt der Dichtung gold'ne Gaben!
Den Nahmen nicht entweihe mehr der Kunſt!
Die Blume ſoll ſie ſeyn aus dieſes Lebens Blättern,
Die hoch empor, der reinſten Kräfte Kind,
In blaue Luft das Balſamhaupt erhebt,
Den Sternen zu, nach denen ſie gebildet:
Du haſt als gift'gen Schierling ſie gebraucht
Um deine Feinde grimmig zu verderben!
Wie anders mahlt' ich mir, ich blöder Thor,
Einſt Sappho'n aus, in frühern, ſchönern Tagen!
Weich, wie ihr Lied, war ihr verklärter Sinn,
Und mackellos ihr Herz, wie ihre Lieder;
Derſelbe Wohllaut, der der Lipp' entquoll,
Er wiegte ſich auch wogend in der Bruſt,
Und Melodie war mir ihr ganzes Weſen.
[109] Wer hat dich denn mit Zauberſchlag verwandelt?
Ha! Wende nicht die Augen ſcheu von mir!
Mich blicke an! Laß mich dein Antlitz ſchauen,
Daß ich erkenne, ob du's ſelber biſt,
Ob dieß die Lippen, die mein Mund berührt,
Ob dieß das Auge, das ſo mild gelächelt,
Ob, Sappho, du es biſt, du Sappho?
empor, ihr Auge trifft das ſeinige.)
Weh mir!
Du biſt es noch, ja, das war Sappho's Stimme,
Was ich geſagt, die Winde tragen's hin!
Es ſoll nicht Wurzeln ſchlagen in dem Herzen!
O es wird helle, hell vor meinem Blick,
Und wie die Sonne nach Gewitterſturm,
Strahlt aus der Gegenwart entlad'nen Wolken
In altem Glanze die Vergangenheit.
Sey mir gegrüßt, Erinn'rung ſchöner Zeit!
Du biſt mir wieder, was du einſt mir warſt,
Eh ich dich noch geſehn, in ferner Heimath,
Dasſelbe Götterbild, das ich nur irrend,
So lange für ein Menſchenantlitz hielt,
Zeig' dich als Göttinn! Segne, Sappho! ſegne!
Betrüger!
[110]
Nein, fürwahr, ich bin es nicht!
Wenn ich dir Liebe ſchwur, es war nicht Täuſchung;
Ich liebte dich, ſo wie man Götter wohl,
Wie man das Gute liebet und das Schöne.
Mit Höhern, Sappho, halte du Gemeinſchaft,
Man ſteigt nicht ungeſtraft vom Göttermahle
Herunter in den Kreis der Sterblichen.
Der Arm, in dem die goldne Leyer ruhte,
Er iſt geweiht, er faſſe Nied'res nicht.
Hinab in Meeresgrund die goldne Leyer,
Wird ihr Beſitz um ſolchen Preis erkauft!
Ich taumelte in dumpfer Trunkenheit,
Mit mir und mit der Welt im düſtern Streite,
Vergebens rief ich die Gefühle auf,
Die ich in Schlummer glaubt' und die nicht waren;
Du ſtandſt vor mir, ein unbegreiflich Bild,
Zu dem's mich hin, von dem's mich fort
Mit unſichtbaren Banden mächtig zog;
Du warſt — zu niedrig glaubte dich mein Zorn,
Zu hoch nennt die Beſinnung dich — für meine
Liebe,
Und nur das Gleiche fügt ſich leicht und wohl.
Da ſah ich ſie und hoch ge'n Himmel ſprangen
Die tiefen Quellen alle meines Innern,
Die ſtockend vorher weigerten den Strahl.
[111] Komm her, Melittion, komm her zu ihr!
O ſey nicht bange, ſie iſt mild und gütig.
Enthüll' der Augen ſchimmernden Kriſtall,
Daß ſie dir blicke in die fromme Bruſt
Und freudig ohne Mackel dich erkenne!
Gebietherinn!
Fort von mir!
Ach, ſie zürnt!
So wär' ſie doch, was ich zu glauben ſcheute?
Komm her, Melittion, an meine Seite!
Du ſollſt nicht zu ihr flehn! Vor meinen Augen
Soll dich die Stolze nicht beleidigen,
Du ſollſt nicht flehn! Sie kennt nicht deinen Werth,
Nicht ihren, denn auf ihren Knieen würde
Sie ſonſt, die Schuld der Unſchuld, ſtumm dir
huld'gen!
Hierher zu mir! Hierher!
Nein, laß mich knie'n;
Wie's wohl dem Kinde ziemt vor ſeiner Mutter,
Und dünkt ihr Strafe recht, ſo ſtrafe ſie,
Ich will nicht murren wider ihren Willen.
Nicht dir allein, auch mir gehörſt du an,
[112] Und mich erniedrigſt du durch dieſe Demuth!
Noch gibt es Mittel, das uns zu erzwingen,
Was ſie der Bitte ſtörriſch rauh verſagt.
O wär' es auch! mich freut nur ihre Gabe,
Erzwungen wäre mir das höchſte Glück zur Laſt.
Hier will ich knie'n, bis mir ein milder Blick;
Ein gütig Wort Verzeihung angekündigt.
Wie oft ſchon lag ich hier an dieſer Stelle
Und immer ſtand ich freudig wieder auf;
Sie wird mich diesmahl weinend nicht entlaſſen!
Blick' auf dein Kind hernieder, theure Frau!
Kannſt du ſie hören, und bleibſt kalt und ſtumm?
Sie iſt nicht kalt, und wenn auch ſchweigt ihr Mund,
Ich fühl' ihr Herz zu meinem Herzen ſprechen!
Sey Richter, Sappho, zwiſchen mir und ihm!
Heiß' mich ihm folgen, und ich folge ihm,
Heiß' mich ihn fliehn! — o Götter! alles! alles!
Du zitterſt! — Sappho, höreſt du mich nicht?
Den Menſchen Liebe und den Göttern Ehrfurcht,
Gib uns was unſer, und nimm hin was dein!
Bedenke, was du thuſt und wer du biſt!
[113]
enden mit einem ſtarren Blicke an, wendet ſich dann
ſchnell um und geht.)
Weh mir! ſie flieht, ſie hat ihr Kind verſtoßen.
folgen.)
Vierter Auftritt.
- Vorige, ohne Sappho, und Eucharis.
Steh auf, mein Kind! Zu Menſchen flehe nicht,
Noch bleiben uns die Götter und wir ſelbſt!
Ich kann nicht leben, wenn ſie mich verdammt,
Ihr Auge war von jeher mir der Spiegel,
Vor dem ich all mein Thun und Fühlen prüfte,
Er zeigt mir jetzt die eig'ne Ungeſtalt.
Was muß ſie leiden, die gekränkte Frau!
Du leihſt ihr dein Gefühl. Ganz and're Wogen
Erheben ſich in dieſer Stolzen Bruſt!
Scheint ſie auch ſtolz, mir war ſie immer gütig,
[114] Wenn oft auch ſtreng, es barg die ſcharfe Hülle
Mir immer eine ſuße, holde Frucht.
Weh mir, daß ich das je vergeſſen konnte!
Ja wohl! weh dir, daß du es je vergeſſen!
Was zittert ihr? kennt ihr ſie gar ſo mild.
Sie zürnte als ſie ging und ohne Schranken
Wie ihre Liebe iſt ihr Zorn. D'rum weh euch!
Was kann ſie droh'n?
Der flücht'gen Sklavinn Tod.
Wer ſagt das?
Die Geſetze dieſes Landes.
Ich ſchütze ſie!
Du? und wer ſchützet dich?
Und gähnte hier die Erde vor mir auf,
Und donnerte die See mich zu verſchlingen,
Vermöchte ſie die Kräfte der Natur
In grauſes Bündniß wider mich zu einen,
[115] Feſt halt' ich dieſe, lachend ihres Zorns,
Sie ſelbſt und ihre Drohungen verachtend! —
Verachten? Sappho'n? Und wer biſt du denn,
Daß du dein Wort magſt in die Schale legen,
In der die Menſchheit ihre Erſten wiegt?
Zu ſprechen wagſt, wo Griechenland geſprochen?
Blödſicht'ger, frevler Thor, dünkt ſie dir werth-
los,
Weil ohne Maßſtab du für ihren Werth?
Nennſt du das Kleinod blind, weil es dein Auge?
Daß ſie dich liebte, daß ſie aus dem Staub
Die undankbare Schlange zu ſich hob,
Die nun mit gift'gem Zahn ihr Herz zerfleiſcht;
Daß ihren Reichthum ſie an dich vergeudet,
Der keinen Sinn für ſolcher Schätze Werth,
Das iſt der einz'ge Fleck in ihrem Leben
Und keines andern zeiht ſie ſelbſt der Neid. —
Sprich nicht! — Selbſt dieſer Trotz, in dem du nun
Dich auflehnſt wider ſie, er iſt nicht dein!
Wie hätteſt du aus deiner Niedrigkeit,
Von den Vergeſſ'nen der Vergeſſenſte,
Gewagt zu murren wider Hellas Kleinod?
Daß ſie dich angeblickt, gab dir den Stolz,
Mit dem du nun auf ſie hernieder ſiehſt.
Der Dichtung Ruhm nicht mag ich ihr beſtreiten. —
[116]
Du magſt es nicht? Ei doch! Als ob du's könnteſt!
Hoch an den Sternen hat ſie ihren Nahmen
Mit diamant'nen Lettern angeſchrieben,
Und mit den Sternen nur wird er verlöſchen!
In fernen Zeiten, unter fremden Menſchen,
Wenn längſt zerfallen dieſe morſchen Hüllen
Und ſelber unſre Gräber nicht mehr ſind,
Wird Sappho's Lied noch von den Lippen tönen,
Wird leben noch ihr Nahme — und der deine.
Der deine, ja! Sey ſtolz auf die Unſterblichkeit,
Die dir der Frevel gibt an ihrem Haupt!
In fremdem Land', bey kommenden Geſchlechtern,
Wenn ſchon Jahrhunderte, noch ungeboren,
Hinabgeſtiegen in das Grab der Zeit,
Wird es erſchallen noch aus jedem Munde:
Sappho hieß die, die dieſes Lied geſungen,
Und Phaon heißt er, der ſie hat getödtet!
O Phaon!
Ruhig! Ruhig!
Armer Tröſter
Gebeutſt du Ruh' mit unruhvoller Stimme?
Sie kenne ihr Verbrechen und erzitt're,
Die Rache wenigſtens vermiſſe Sappho nicht!
Du magſt der Dichtung Ruhm ihr nicht beſtreiten!
[117] Und welchen ſonſt beſtreiteſt du ihr denn?
Wagſt du's an ihrem Herzen wohl zu zweifeln,
Der, was er iſt, nur ihrem Herzen dankt?
Sieh um dich her! Es iſt kein Einz'ger hier,
Dem ſie nicht wohlgethan, der nicht an ſich,
In Haus und Feld, an Gut und bey den Seinen
Von ihrer Milde reiche Spuren trägt;
Nicht einer, deſſen Herz nicht höher ſchlüge,
Wenn er ſich Mitylene's Bürger,
Wenn er ſich Sappho's Landgenoſſe nennt.
Frag jene Bebende an deiner Seite,
Genoſſinn, ſcheint's, der That mehr, als der Schuld,
Wie gegen ſich die Herrinn ſie gefunden?
Was hatte wohl die Sklavinn dir zu biethen?
Wenn ſie dir wohlgefiel, ſo war es Sappho's Geiſt,
War Sappho's milder, mütterlicher Geiſt,
Der anſprach dich aus ihres Werkes Munde.
O preſſe nur die Stirn! du ſtrebſt vergebens,
Du löſcheſt die Erinn rung nimmer aus!
Und was willſt du beginnen? Wohin fliehn?
Kein Schutzort iſt für dich auf dieſer Erde;
In jedes M nſchen frommgeſinnter Bruſt
Erhebt ein Feind dem Feinde ſich des Schönen.
Vorangehn wird der Ruf vor deinen Schritten,
Und ſchreyen wird er in der Menſchen Ohr:
Hier Sappho's Mörder! Hier der Götter Feind!
Und vogelfrey wirſt du das Land durchirren,
Mit ihr, der du Verderben gabſt für Schutz.
[118] Kein Grieche öffnet dir ſein gaſtlich Haus,
Kein Gott gewährt dir Eintritt in den Tempel,
Erbebend wirſt du fliehn vom Opfer-Altar,
Wenn Prieſters Spruch Unheilige entfernt,
Und fliehſt du, wird die grauſe Eumenide,
Der Unterird'ſchen ſchwarze Rachebothinn,
Die Schlangenhaare ſchütteln um dich her,
Dir Sappho's Nahmen in die Ohren kreiſchen,
Bis dich das Grab verſchlungen, daß du grubſt!
Halt ein! Halt ein!
Willſt du mich raſend machen?
Du warſt's, als du die Hohe von dir ſtießeſt!
Genieße nun die Frucht, die du gepflanzt!
Zu ihr!
Wer rettet mich aus dieſer Qual?
Fünfter Auftritt.
- Eucharis.Vorige.
Biſt du hier, Rhamnes? Eilig komm!
Wohin?
[119]
Zu Sappho'n.
Was —?
Ich fürchte, ſie iſt krank.
Die Götter wenden's ab!
Ich folgte ihr von fern,
Hinauf zur großen Halle, und verſteckt
Bewacht' ich all ihr Thun mit ſcharfem Auge.
Dort ſtand ſie, an ein Säulenpaar gelehnt,
Hinunter ſchauend in die weite See,
Die an den Felſenufern brandend ſchäumt.
Sprach- und bewegungslos ſtand ſie dort oben,
Mit ſtarren Augen und erblaßten Wangen,
Im Kreis von Marmorbildern, faſt als ihres Glei-
chen.
Nur manchmahl regt ſie ſich und greift nach Blu-
men,
Nach Gold und Schmuck, und was ihr Arm er-
reicht,
Und wirft's hinunter in die laute See,
Den Sturz mit ſehnſuchtsvollem Aug' verfolgend.
Schon wollt' ich nah'n, da tönt ein Klingen durch's
Gemach,
Und zuckend fuhr es durch ihr ganzes Weſen.
[120] Die Leyer war's, am Pfeiler aufgehangen,
In deren Saiten laut die Seeluft ſpielte.
Schwer athmend blickt ſie auf und fährt zuſammen,
Wie von Berührung einer höhern Macht.
Die Augen auf die Leyer ſtarr geheftet,
Beleben ſich mit eins die todten Züge
Und fremdes Lächeln ſpielt um ihren Mund.
Jetzt öffnen ſich die ſtrenggeſchloſſ'nen Lippen,
Es tönen Worte, ſchauerlichen Klangs,
Aus Sappho's Munde, doch nicht Sappho's Worte.
Rufſt du mir, ſpricht ſie, Freundinn? Mahnſt du
mich?
O, ich verſteh' dich, Freundinn an der Wand!
Du mahnſt mich an verfloſſ'ne Zeit! Hab' Dank! —
Wie ſie die Wand erreicht, und wie die Leyer,
Hoch oben hängend, weiß ich nicht zu ſagen,
Denn wie ein Blitzſtrahl flirrte mich's vorüber.
Jetzt blick' ich hin, ſie halt das Saitenſpiel,
Und drückt es an die ſturmbewegte Bruſt,
Die hörbar laut den Athem nahm und gab.
Den Kranz dann, den Olympiſchen, des Sieges,
Dort aufgehangen an dem Hausaltar,
Schlingt ſie um's Haupt, und wirft den Purpur-
mantel,
Hochglühend, ſo wie er, um ihre Schultern.
Wer ſie jetzt ſah, zum erſtenmahle ſah,
Auf des Altares hohen Stufen ſtehend,
Die Leyer in der Hand, den Blick gehoben,
[121] Gehoben ihre ganze Lichtgeſtalt,
Verklärungsſchimmer über ſie gegoſſen,
Als Ueberird'ſche hätt' er ſie begrüßt,
Und zum Gebeth gebeugt die ſchwanken Kniee.
Doch regungslos und ſtumm, ſo wie ſie war,
Fühlt' ich von Schauder mich und Grau'n ergriffen,
Ihr lebend todter Blick entſetzte mich, —
Drum eilt' ich —
Und verließeſt ſie! — Zu ihr!
Doch ſieh! Naht nicht? — Sie iſt's, ſie ſelber kömmt!
Sechster Auftritt.
Purpurmantel um die Schultern, den Lorbeer auf dem
Haupte, die goldne Leyer in der Hand, erſcheint, von
ihren Dienerinnen umgeben, auf den Stufen des Säu-
lenganges, und ſchreitet ernſt und feyerlich herunter.)
(Lange Pauſe.)
O Sappho, o Gebietherinn!
Was willſt du?
Gefallen iſt die Binde meiner Augen!
O laß mich wieder deine Sklavinn ſeyn,
Was dir gehört, beſitz' es, und verzeih!
F
[122]
Glaubſt du ſo übel Sappho'n denn berathen,
Daß Gaben ſie von deiner Hand bedarf?
Was mir gehört, es iſt mir ſchon geworden!
O höre Sappho! —
Nicht berühre mich!
Ich bin den Göttern heilig!
Wenn du mich
Mit holdem Auge, Sappho, je betrachtet —
Du ſprichſt von Dingen, die vergangen ſind.
Ich ſuchte dich und habe mich gefunden!
Du faßteſt nicht mein Herz, ſo fahre hin!
Auf feſtern Grund muß meine Hoffnung fußen.
So haſſeſt du mich alſo?
Lieben! Haſſen!
Gibt es kein Drittes mehr? Du warſt mir werth
Und biſt es noch un wirſt mir's immer ſeyn,
Gleich einem lieben Reiſ'genoſſen, den
Auf kurzer Ueberfahrt des Zufalls Laune
In unſern Nachen führte, bis das Ziel erreicht
Und ſcheidend jeder wandelt ſeinen Pfad,
[123] Nur manchmahl aus der fremden weiten Ferne
Des freundlichen Gefährten ſich erinnernd —
O Sappho!
Still! Laß uns in Ruhe ſcheiden!
Ihr, die ihr Sappho'n ſchwach geſehn, verzeiht!
Ich will mit Sappho's Schwäche euch verſöhnen,
Gebeugt erſt zeigt der Bogen ſeine Kraft!
Die Flamme zündet Aphroditens an,
Daß hell ſie ſtrahle in das Morgenroth!
Und nun entfernt euch, laſſet mich allein,
Alleine mit den Meinen mich berathen!
Sie will's, laßt uns gehorchen, kommt, ihr alle!
Erhab'ne, heil'ge Götter!
Ihr habt mit reichem Segen mich geſchmückt!
In meine Hand gabt ihr des Sanges Bogen,
Der Dichtung vollen Köcher gabt ihr mir,
Ein Herz zu fühlen, einen Geiſt zu denken
F 2
[124] Und Kraft zu bilden, was ich mir gedacht.
Ihr habt mit reichem Segen mich geſchmückt,
Ich dank' euch!
Ihr habt mit Sieg dies ſchwache Haupt gekrönt,
Und ausgeſät in weitentfernte Lande
Der Dicht'rinn Ruhm, Saat für die Ewigkeit!
Es tönt mein goldnes Lied von fremden Zungen
Und mit der Erde nur wird Sappho untergehn.
Ich dank' euch!
Ihr habt der Dichterinn vergönnt zu nippen
An dieſes Lebens ſüß umkränzten Kelch,
Zu nippen nur, zu trinken nicht.
O ſeht! Gehorſam euerm hohen Wink
Setz' ich ihn hin den ſüß umkränzten Becher
Und trinke nicht!
Vollendet hab' ich, was ihr mir gebothen,
Darum verſagt mir nicht den letzten Lohn!
Die euch gehören, kennen nicht die Schwäche,
Der Krankheit Natter kriecht ſie nicht hinan,
In voller Kraft, in ihres Daſeyns Blüthe
Nehmt ihr ſie raſch hinauf in eure Wohnung —
Gönnt mir ein gleiches, kronenwerthes Loos! —
O gebt nicht zu, daß eure Prieſterinn
Ein Ziel des Hohnes werde eurer Feinde,
Ein Spott des Thoren, der ſich weiſe dünkt.
Ihr bracht die Blüthen, brechet auch den Stamm!
Laßt mich vollenden, ſo wie ich begonnen,
Erſparrt mir dieſes Ringens blut'ge Qual.
[125] Zu ſchwach fühl' ich mich länger noch zu kämpfen,
Gebt mir den Sieg, erlaſſet mir den Kampf! —
Die Flamme lodert und die Sonne ſteigt,
Ich fühl's, ich bin erhört! Habt Dank! ihr
Götter! —
Du Phaon, du Melitta, kommt heran!
Es küſſet dich ein Freund aus fernen Welten,
Die todte Mutter ſchickt dir dieſen Kuß!
Nun hin! dort an der Liebesgöttinn Altar
Erfülle ſich der Liebe dunkles Loos.
Was ſinnet ſie? Verklärt iſt all ihr Weſen,
Glanz der Unſterblichen umleuchtet ſie!
über die Beyden ausſtreckend.)
Den Menſchen Liebe und den Göttern Ehrfurcht!
Genießet, was euch blüht, und denket mein!
So zahle ich die letzte Schuld des Lebens,
Ihr Götter ſegnet ſie und nehmt mich auf!
[126]
Halt ein! Halt Sappho!
Weh! ſie ſtürzt, ſie ſtirbt!
Schnell Hülfe! Fort ans Ufer! Rettung! Hülfe!
Ihr Götter wendet ab! dort jene Klippe,
Berührt ſie die, iſt ſie zerſchellt, zerſchmettert! —
Tragt ſie vorüber! — Weh! — Es iſt geſchehn!
Was kreiſcheſt du? Nach Kähnen! Eilet! Rettet!
Halt ein! Es iſt zu ſpät! Gönnt ihr das Grab,
Das ſie, verſchmähend dieſe falſche Erde,
Gewählt ſich in des Meeres hell'gen Fluthen!
Todt?
Todt!
Weh mir! Unmöglich, nein!
[127]
Es iſt! —
Verwelkt der Lorbeer und das Saitenſpiel verklungen!
— Es war auf Erden ihre Heimath nicht.
Sie iſt zurückgekehret zu den Ihren.
Ende.
[]
Appendix A
Aus der Officin des Verlegers.
[][][]
- License
-
CC-BY-4.0
Link to license
- Citation Suggestion for this Edition
- TextGrid Repository (2025). Grillparzer, Franz. Sappho. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjmk.0