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Gedichte



Berlin,:
Verlag von Duncker und Humblot.

1837.
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Meinem Bruder
Wilhelm Freiherrn von Eichendorff
zur Erinnerung

an gute und ſchlimme Tage.

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Inhalt.


Seite


I.Wanderlieder.


  • Friſche Fahrt  3
  • Allgemeines Wandern  4
  • Der frohe Wandersmann  5
  • Im Walde  6
  • Zwielicht  7
  • Nachtwanderer  8
  • Die Jäger  10
  • Der wandernde Muſikant  11
  • Die Zigeunerin  17
  • Der wandernde Student  18
  • Der Maler  19
  • Der Soldat  20
  • Seemann's Abſchied  21
  • Die Spielleute  22
  • Vor der Stadt  24
  • Dryander mit der Komödianten-Bande  25
  • Der verliebte Reiſende  26
  • Sehnſucht  35
  • Abſchied  36
  • Morgen  38
  • Mittagsruh  39
  • Abend  40
  • Nacht  41
  • Wegweiſer  42
  • Täuſchung  43
  • Schöne Fremde  44
  • Seite
  • Liebe in der Fremde  45
  • Wanderſprüche  48
  • Erinnerung  51
  • Heimweh  52
  • An der Gränze  53
  • Rückkehr  54
  • Zur Hochzeit  55
  • Der irre Spielmann  56
  • Letzte Heimkehr  57

II.Sängerleben.


  • Anklänge  61
  • Sonnette  66
  • Rettung  70
  • Hippogryph  73
  • Die zwei Geſellen  74
  • Das Bilderbuch  76
  • Mandelkerngedicht  77
  • Der Unverbeſſerliche  78
  • Die Werber  80
  • Wehmuth  82
  • Intermezzo  85
  • Laß das Trauern  86
  • Dichterfrühling  87
  • Intermezzo  89
  • Aufgebot  90
  • Intermezzo: der Bürgermeiſter  92
  • Terzett  94
  • Intermezzo: Chor der Schmiede  97
  • Morgenlied  98
  • Intermezzo: Chor der Schneider  100
  • Guter Rath  101
  • Umkehr  102
  • Liedesmuth  103
  • Der Iſegrim  104
  • Treue  105
  • Dichterloos  107
  • Spruch  108
  • Lockung  109
  • Rückblick  110
  • Zweifel  111
  • Seite
  • Dichterglück  112
  • Glückliche Fahrt  113
  • Sommerſchwüle  114
  • Friſch auf!  116
  • Kriegslied  118
  • Eldorado  120
  • Troſt  122
  • An die Dichter  123

III.Zeitlieder.


  • Die Freunde  129
  • Der Rieſe  134
  • Sänger-Fahrt  135
  • In das Stammbuch der M. H.  137
  • In E .. 's Stammbuch  138
  • Auf dem Schwedenberge  139
  • Lieber Alles  141
  • Sonnette  142
  • Der Geiſt  144
  • Klage 1809  145
  • An —  146
  • Nachtfeier 1810  147
  • Zorn 1810  149
  • Symmetrie 1810  150
  • Heimkehr 1810  151
  • Gebet 1810  154
  • Mahnung 1810  155
  • Der Tyroler Nachtwache 1810  157
  • An die Tyroler. Im Jahre 1810  158
  • An die Meiſten 1810  159
  • Der Jäger Abſchied  161
  • Troſt  163
  • Zeichen  164
  • Unmuth  165
  • Entſchluß  166
  • Abſchieds-Tafel  167
  • An meinen Bruder 1813  170
  • Aufbruch  172
  • Tuſch  174
  • Apell  175
  • Soldatenlied  176
  • Seite
  • Die ernſthafte Faſtnacht 1814  178
  • Auf der Feldwacht  180
  • [Waffenſtillſtand] der Nacht  181
  • In C. S. Stammbuch Decbr. 1814  182
  • Der Friedensbote  183
  • An meinen Bruder 1815  184
  • An Philipp  186
  • Germaniens Enkel  187
  • Tafellieder:
    • 1. Damen-Liedertafel in Danzig  190
    • 2. Viel Eſſen macht viel breiter  191
    • 3. Zum Abſchied  193
    • 4. Berliner Tafel  193
    • 5. Die Heymonskinder  195
    • 6. Der alte Held  196
    • 7. Toaſt  197
  • Der Liedſprecher  198
  • Der neue Rattenfänger  204
  • Der brave Schiffer  205
  • Im Herbſt  207
  • Entgegnung  208
  • Ablöſung  209
  • An die Lützow'ſchen Jäger  211
  • Weltlauf  212

IV.Frühling und Liebe.


  • Ankänge  217
  • Jagdlied  218
  • Das Zaubernetz  220
  • Der Schalk  222
  • Frühlingsgruß  223
  • Abendlandſchaft  224
  • Elfe  225
  • Frühlingsmarſch  226
  • Die Lerche  227
  • Nachtigall  228
  • Adler  229
  • Spaziergang  230
  • Mädchen  231
  • Steckbrief  232
  • Seite
  • Morgenſtändchen  233
  • Ausſicht  234
  • Abendſtändchen  235
  • Nacht  236
  • Wahl  237
  • Die Stille  238
  • Frühlings-Netz  239
  • Die Studenten  240
  • Der Gärtner  241
  • Jäger-Catechismus  242
  • Der Cadett  244
  • Der Polack  245
  • Der Jäger  246
  • Der Landreuter  247
  • Der Bote  248
  • Der Winzer  249
  • Der Poet  250
  • Die Kleine  251
  • Der Freiwerber  252
  • Das alte Mädchen  253
  • Der Tanzmeiſter  254
  • Die Braut  255
  • Der Fromme  256
  • Der Geniale  258
  • Der Glücksritter  259
  • Der verzweifelte Liebhaber  260
  • Der Glückliche  261
  • Der Nachtvogel  262
  • Die Nachtblume  263
  • Der Dichter  264
  • An eine Tänzerin  266
  • Der Knabe  267
  • Klage  269
  • Trauriger Frühling  270
  • Begegnung  271
  • Der Kranke  272
  • Die Hochzeitſänger  274
  • Der letzte Gruß  276
  • Bei einer Linde  277
  • Vom Berge  278
  • Verlorene Liebe  279
  • Das Ständchen  281
  • Seite
  • Neue Liebe  282
  • Frühlingsnacht  283
  • Frau Venus  284
  • Erwartung  285
  • Leid und Luſt  286
  • Trennung  288
  • Glück  291
  • Die Schärpe  292
  • Abſchied und Wiederſehen  293
  • Die Einſame  295
  • An die Entfernte  298
  • Das Flügelroß  302
  • Glückwunſch  305
  • Der junge Ehemann  306
  • Im Abendroth  307
  • Nachklänge  308

V.Todtenopfer.


  • Wehmuth  315
  • Sonnette  316
  • Treue  318
  • Gute Nacht  319
  • Am Strome  320
  • Nachruf an meinen Bruder  321
  • Auf meines Kindes Tod  324
  • An einen Offizier, der als Bräutigam ſtarb  331
  • Angedenken  332
  • In der Fremde  332

VI.Geiſtliche Gedichte.


  • Götterdämmerung  335
  • Mariä Sehnſucht  341
  • Jugendandacht  342
  • Lieder  349
  • An den heiligen Joſeph  350
  • Kirchenlied  351
  • Morgengebet  353
  • Mittag  354
  • Abend  355
  • Nachtgruß  357
  • Seite
  • Morgenlied  358
  • In der Nacht  359
  • Werktag  360
  • Sonntag  360
  • Frühling  361
  • Herbſt  362
  • Winter  363
  • Der Schatzgräber  364
  • Der Schiffer  365
  • Der Soldat  366
  • Der Wächter  367
  • Das Kind  368
  • Der Umkehrende  369
  • Der Kranke  372
  • Sterbeglocken  373
  • Der Pilger  374
  • Der Pilot  377
  • Das kranke Kind  378
  • Der Einſiedler  380
  • Der Sänger  381
  • Morgendämmerung  383
  • Das Gebet  384
  • Sonntag  386
  • Nachtgebet  387
  • Oſtern  388
  • Weihnachten  389
  • Abſchied  390
  • Mondnacht  391
  • Glück auf  392
  • Nachtlied  393
  • Durch  394

VII. Romanzen.


  • Die Zauberin im Walde  397
  • Die Rieſen  401
  • Der Götter Irrfahrt  403
  • Die Brautfahrt  407
  • Der Kühne  412
  • Der Wachtthurm  413
  • Jäger und Jägerin  415
  • Die Nonne und der Ritter  417
  • Seite
  • Vesper  419
  • Der ſtille Grund  420
  • Der Kämpe  422
  • Waldmädchen  423
  • Der Unbekannte  424
  • Der ſtille Freier  426
  • Waldgeſpräch  427
  • Das Mädchen  428
  • Der Schnee  429
  • Die weinende Braut  430
  • Das zerbrochene Ringlein  432
  • Der Gefangene  433
  • Der traurige Jäger  436
  • Der Bräutigam  437
  • Die falſche Schweſter  438
  • Der Reitersmann  439
  • Das kalte Liebchen  443
  • Die verlorene Braut  444
  • Parole  449
  • Zauberblick  450
  • Der verirrte Jäger  452
  • Die ſpäte Hochzeit  453
  • Die ſtille Gemeine  454
  • Die deutſche Jungfrau  459
  • Die wunderliche Prinzeſſin  461
  • Meeresſtille  468
  • Der zaubriſche Spielmann  469
  • Der armen Schönheit Lebenslauf  472
  • Die Hochzeitsnacht  475
  • Von Engeln und von Bengeln  479
  • Valet  482
[]

I. Wanderlieder.

Viele Boten geh'n und gingen

Zwiſchen Erd' und Himmelsluſt,

Solchen Gruß kann keiner bringen,

Als ein Lied aus friſcher Bruſt.
1[][]

Friſche Fahrt.

Laue Luft kommt blau gefloſſen,

Fruͤhling, Fruͤhling ſoll es ſeyn!

Waldwaͤrts Hoͤrnerklang geſchoſſen,

Muth'ger Augen lichter Schein;

Und das Wirren bunt und bunter

Wird ein magiſch wilder Fluß,

In die ſchoͤne Welt hinunter

Lockt dich dieſes Stromes Gruß.
Und ich mag mich nicht bewahren!

Weit von Euch treibt mich der Wind,

Auf dem Strome will ich fahren,

Von dem Glanze ſelig blind!

Tauſend Stimmen lockend ſchlagen,

Hoch Aurora flammend weht,

Fahre zu! ich mag nicht fragen,

Wo die Fahrt zu Ende geht!
1 *[4]

Allgemeines Wandern.

Vom Grund bis zu den Gipfeln,

So weit man ſehen kann,

Jetzt bluͤht's in allen Wipfeln,

Nun geht das Wandern an:
Die Quellen von den Kluͤften,

Die Stroͤm' auf gruͤnem Plan,

Die Lerchen hoch in Luͤften,

Der Dichter friſch voran.
Und die im Thal verderben

In truͤber Sorgen Haft,

Er moͤcht' ſie Alle werben

Zu dieſer Wanderſchaft.
Und von den Bergen nieder

Erſchallt ſein Lied in's Thal,

Und die zerſtreuten Bruͤder

Faßt Heimweh allzumal.
Da wird die Welt ſo munter

Und nimmt die Reiſeſchuh,

Sein Liebchen mitten drunter

Die nickt ihm heimlich zu.
Und uͤber Felſenwaͤnde

Und auf dem gruͤnen Plan

Das wirrt und jauchzt ohn' Ende —

Nun geht das Wandern an!
[5]

Der frohe Wandersmann.

Wem Gott will rechte Gunſt erweiſen,

Den ſchickt er in die weite Welt,

Dem will er ſeine Wunder weiſen

In Feld und Wald und Strom und Feld.
Die Traͤgen, die zu Hauſe liegen,

Erquicket nicht das Morgenroth,

Sie wiſſen nur vom Kinderwiegen

Von Sorgen, Laſt und Noth um Brodt.
Die Baͤchlein von den Bergen ſpringen,

Die Lerchen ſchwirren hoch vor Luſt,

Was ſollt' ich nicht mit ihnen ſingen

Aus voller Kehl' und friſcher Bruſt?
Den lieben Gott laß ich nur walten;

Der Baͤchlein, Lerchen, Wald und Feld

Und Erd' und Himmel will erhalten,

Hat auch mein' Sach' aufs Beſt' beſtellt!
[6]

Im Walde.

Es zog eine Hochzeit den Berg entlang,

Ich hoͤrte die Voͤgel ſchlagen,

Da blitzten viel' Reiter, das Waldhorn klang,

Das war ein luſtiges Jagen!
Und eh' ich's gedacht, war Alles verhallt,

Die Nacht bedecket die Runde,

Nur von den Bergen noch rauſchet der Wald

Und mich ſchauert im Herzensgrunde.
[7]

Zwielicht.

Daͤmmrung will die Fluͤgel ſpreiten,

Schaurig ruͤhren ſich die Baͤume,

Wolken zieh'n wie ſchwere Traͤume —

Was will dieſes Grau'n bedeuten?
Haſt ein Reh du, lieb vor andern,

Laß es nicht alleine graſen,

Jaͤger zieh'n im Wald' und blaſen,

Stimmen hin und wieder wandern.
Haſt du einen Freund hienieden,

Trau ihm nicht zu dieſer Stunde,

Freundlich wohl mit Aug' und Munde,

Sinnt er Krieg im tuͤck'ſchen Frieden.
Was heut muͤde gehet unter,

Hebt ſich morgen neugeboren.

Manches bleibt in Nacht verloren —

Huͤte dich, bleib' wach und munter!
[8]

Nachtwanderer.

I.

Ich wandre durch die ſtille Nacht,

Da ſchleicht der Mond ſo heimlich ſacht

Oft aus der dunklen Wolkenhuͤlle,

Und hin und her im Thal

Erwacht die Nachtigall,

Dann wieder alles grau und ſtille.
O wunderbarer Nachtgeſang:

Von fern im Land der Stroͤme Gang,

Leis Schauern in den dunklen Baͤumen —

Wirr'ſt die Gedanken mir,

Mein irres Singen hier

Iſt wie ein Rufen nur aus Traͤumen.
[9]

II.

Er reitet Nachts auf einem braunen Roß,

Er reitet voruͤber an manchem Schloß:

Schlaf' droben, mein Kind, bis der Tag erſcheint,

Die finſtre Nacht iſt des Menſchen Feind!
Er reitet voruͤber an einem Teich,

Da ſtehet ein ſchoͤnes Maͤdchen bleich

Und ſingt, ihr Hemdlein flattert im Wind:

Voruͤber, voruͤber, mir graut vor dem Kind!
Er reitet voruͤber an einem Fluß,

Da ruft ihm der Waſſermann ſeinen Gruß,

Taucht wieder unter dann mit Geſaus,

Und ſtille wird's uͤber dem kuͤhlen Haus.
Wenn Tag und Nacht in verworrenem Streit,

Schon Haͤhne kraͤhen in Doͤrfern weit,

Da ſchauert ſein Roß und wuͤhlet hinab,

Scharret ihm ſchnaubend ſein eigenes Grab.
[10]

Die Jäger.

Wir waren ganz herunter.

Da ſprach Diana ein,

Die blickt ſo licht und munter,

Nun geht's zum Wald hinein!
Im Dunkeln Aeuglein funkeln,

Kupido ſchleichet leis,

Die Baͤume heimlich munkeln —

Ich weiß wohl was ich weiß!
[11]

Der wandernde Muſikant.

I.

Wandern lieb' ich fuͤr mein Leben,

Lebe eben wie ich kann,

Wollt' ich mir auch Muͤhe geben,

Paßt' es mir doch gar nicht an.
Schoͤne alte Lieder weiß ich,

In der Kaͤlte, ohne Schuh'

Draußen in die Saiten reiß' ich,

Weiß nicht, wo ich Abend's ruh'.
Manche Schoͤne macht wohl Augen,

Meinet, ich gefiel' ihr ſehr,

Wenn ich nur was wollte taugen,

So ein armer Lump nicht waͤr'. —
Mag dir Gott ein'n Mann beſcheeren,

Wohl mit Haus und Hof verſehn!

Wenn wir zwei zuſammen waͤren,

Moͤcht' mein Singen mir vergehn.

II.

Wenn die Sonne lieblich ſchiene

Wie in Waͤlſchland, lau und blau.

Ging' ich mit der Mandoline

Durch die uͤberglaͤnzte Au.
In der Nacht dann Liebchen lauſchte

An dem Fenſter ſuͤß verwacht,

Wuͤnſchte mir und ihr — uns Beiden

Heimlich eine ſchoͤne Nacht.
[12]
Wenn die Sonne lieblich ſchiene

Wie in Waͤlſchland, lau und blau,

Ging ich mit der Mandoline

Durch die uͤberglaͤnzte Au.

III.

Ich reiſe uͤber's gruͤne Land,

Der Winter iſt vergangen,

Hab' um den Hals ein guͤlden Band,

Daran die Laute hangen.
Der Morgen thut ein'n rothen Schein,

Den recht mein Herze ſpuͤret,

Da greif ich in die Saiten ein,

Der liebe Gott mich fuͤhret.
So ſilbern geht der Stroͤme Lauf,

Fernuͤber ſchallt Gelaͤute,

Die Seele ruft in ſich: Gluͤck auf!

Rings gruͤßen frohe Leute.
Mein Herz iſt recht von Diamant,

Ein Blum' von Edelſteinen,

Die funkelt luſtig uͤber's Land

In tauſend ſchoͤnen Scheinen.
Vom Schloſſe in die weite Welt

Schaut eine Jungfrau runter,

Der Liebſte ſie im Arme haͤlt,

Die ſeh'n nach mir herunter.
[13]
Wie biſt du ſchoͤn! — Hinaus, im Wald

Gehn Waſſer auf und unter,

Im gruͤnen Wald ſing' daß es ſchallt,

Mein Herz, bleib' frei und munter!
Die Sonne uns im Dunklen laͤßt,

Im Meere ſich zu ſpuͤlen,

Da ruh' ich aus vom Tages-Feſt

Fromm in der rothen Kuͤhle.
Hoch fuͤhret durch die ſtille Nacht

Der Mond die goldnen Schaafe,

Den Kreis der Erden Gott bewacht,

Wo ich tief unten ſchlafe.
Wie liegt all' falſche Pracht ſo weit!

Schlaf wohl auf ſtiller Erde,

Gott ſchuͤtz' dein Herz in Ewigkeit,

Daß es nie traurig werde!

IV.

Biſt du manchmal auch verſtimmt,

Druͤck' dich zaͤrtlich an mein Herze,

Daß mir's faſt den Athem nimmt,

Streich' und kneif' in ſuͤßem Scherze,

Wie ein rechter Liebes-Thor,

Lehn' ich ſanft an dich die Wange

Und du ſingſt mir fein ins Ohr.

Wohl im Hofe bei dem Klange
[14]
Katze miaut, Hund heult und bellt,

Nachbar ſchimpft mit wilder Miene —

Doch was kuͤmmert uns die Welt,

Suͤße, traute Violine!

V.

Muͤrriſch ſitzen ſie und maulen

Auf den Baͤnken ſtumm und breit,

Gaͤhnend ſtrecken ſich die Faulen,

Und die Kecken ſuchen Streit.
Da komm' ich durch's Dorf geſchritten,

Fernher durch den Abend kuͤhl,

Stell' mich in des Kreiſes Mitten,

Gruͤß' und zieh' mein Geigenſpiel.
Und wie ich den Bogen ſchwenke,

Ziehn die Klaͤnge in der Rund'

Allen recht durch die Gelenke

Bis zum tiefſten Herzensgrund.
Und nun geht's ans Glaͤſerklingen,

An ein Walzen um und um,

Je mehr ich ſtreich', je mehr ſie ſpringen

Keiner fraͤgt erſt lang: warum? —
Jeder will dem Geiger reichen

Nun ſein Scherflein auf die Hand —

Da vergeht ihm gleich ſein Streichen,

Und fort iſt der Muſikant.
[15]
Und ſie ſeh'n ihn froͤhlich ſteigen

Nach den Waldeshoͤh'n hinaus,

Hoͤren ihn von fern noch geigen,

Und gehn All' vergnuͤgt nach Haus.
Doch in Waldes gruͤnen Hallen

Raſt' ich dann noch manche Stund',

Nur die fernen Nachtigallen

Schlagen tief aus naͤcht'gem Grund.
Und es rauſcht die Nacht ſo leiſe

Durch die Waldeseinſamkeit,

Und ich ſinn' auf neue Weiſe,

Die der Menſchen Herz erfreut.

VI.

Durch Feld und Buchenhallen,

Bald ſingend, bald froͤhlich ſtill,

Recht luſtig ſey vor allen

Wer's Reiſen waͤhlen will!
Wenn's kaum in Oſten gluͤhte,

Die Welt noch ſtill und weit:

Da weht recht durch's Gemuͤthe

Die ſchoͤne Bluͤthenzeit!
Die Lerch' als Morgenbote

Sich in die Luͤfte ſchwingt,

Eine friſche Reiſenote

Durch Wald und Herz erklingt.
[16]
O Luſt, vom Berg zu ſchauen,

Weit uͤber Wald und Strom,

Hoch uͤber ſich den blauen

Tiefklaren Himmelsdom!
Vom Berge Voͤglein fliegen

Und Wolken ſo geſchwind,

Gedanken uͤberfliegen

Die Voͤgel und den Wind.
Die Wolken zieh'n hernieder,

Das Voͤglein ſenkt ſich gleich,

Gedanken gehn und Lieder

Fort bis in's Himmelreich.
[17]

Die Zigeunerin.

Am Kreuzweg, da lauſche ich, wenn die Stern'

Und die Feuer im Walde verglommen,

Und wo der erſte Hund bellt von fern,

Da wird mein Braͤut'gam herkommen.
„Und als der Tag graut' durch das Gehoͤlz,

Sah ich eine Katze ſich ſchlingen,

Ich ſchoß ihr auf den nußbraunen Pelz,

Die macht' einmal weite Spruͤnge!“ —
's iſt Schad' nur um's Pelzlein, du kriegſt mich nit!

Mein Schatz muß ſeyn wie die andern:

Braun und ein Stutzbart auf ungriſchen Schnitt

Und ein froͤhliches Herze zum Wandern.
2[18]

Der wandernde Student.

Bei dem angenehmſten Wetter

Singen alle Voͤgelein,

Klatſcht der Regen auf die Blaͤtter,

Sing ich ſo fuͤr mich allein.
Denn mein Aug' kann nichts entdecken;

Wenn der Blitz auch grauſam gluͤht,

Was im Wandeln koͤnnt' erſchrecken

Ein zufriedenes Gemuͤth.
Frei von Mammon will ich ſchreiten

Auf dem Feld der Wiſſenſchaft,

Sinne ernſt und nehm' zu Zeiten

Einen Mund voll Rebenſaft.
Bin ich muͤde vom Studieren,

Wann der Mond tritt ſanft herfuͤr,

Pfleg' ich dann zu muſiziren

Vor der Allerſchoͤnſten Thuͤr.
[19]

Der Maler.

Aus Wolken, eh' im naͤcht'gen Land

Erwacht die Kreaturen,

Langt Gottes Hand,

Zieht durch die ſtillen Fluren

Gewaltig die Konturen,

Strom, Wald und Felſenwand.
Wach' auf, wach' auf! die Lerche ruft,

Aurora taucht die Strahlen

Vertraͤumt in Duft,

Beginnt auf Berg und Thalen,

Ringsum ein himmliſch Malen

In Meer und Land und Luft.
Und durch die Stille, Lichtgeſchmuͤckt,

Aus wunderbaren Locken

Ein Engel blickt. —

Da rauſcht der Wald erſchrocken,

Da gehn die Morgenglocken,

Die Gipfel ſtehn verzuͤckt.
O lichte Augen, ernſt und mild,

Ich kann nicht von euch laſſen!

Bald wieder wild

Stuͤrmt's her von Sorg' und Haſſen —

Durch die verworrnen Gaſſen

Fuͤhr mich, mein goͤttlich Bild!
2 *[20]

Der Soldat.

I.

Iſt auch ſchmuck nicht mein Roͤßlein,

So iſt's doch recht klug,

Traͤgt im Finſtern zu 'nem Schloͤßlein

Mich raſch noch genug.
Iſt das Schloß auch nicht praͤchtig:

Zum Garten aus der Thuͤr

Tritt ein Maͤdchen doch allnaͤchtig

Dort freundlich herfuͤr.
Und iſt auch die Kleine

Nicht die Schoͤnſt' auf der Welt,

So giebt's doch juſt Keine

Die mir beſſer gefaͤllt.
Und ſpricht ſie vom Freien:

So ſchwing' ich mich auf mein Roß—

Ich bleibe im Freien

Und ſie auf dem Schloß.

II.

Wagen mußt du und fluͤchtig erbeuten,

Hinter uns ſchon durch die Nacht hoͤr' ich's ſchreiten,

Schwing' auf mein Roß dich nur ſchnell

Und kuͤß' noch im Flug mich, wildſchoͤnes Kind,

Geſchwind,

Denn der Tod iſt ein raſcher Geſell.
[21]

Seemann's Abſchied.

Ade, mein Schatz, du mocht'ſt mich nicht,

Ich war dir zu geringe.

Einſt wandelſt du bei Mondenlicht

Und hoͤrſt ein ſuͤßes Klingen,

Ein Meerweib ſingt, die Nacht iſt lau,

Die ſtillen Wolken wandern,

Da denk' an mich, 's iſt meine Frau,

Nun ſuch dir einen andern!
Ade, ihr Landsknecht', Musketier'!

Wir ziehn auf wildem Roſſe,

Das baͤumt und uͤberſchlaͤgt ſich ſchier

Vor manchem Felſenſchloſſe,

Der Waſſermann bei Blitzesſchein

Taucht auf in dunklen Naͤchten,

Der Hayfiſch ſchnappt, die Moͤwen ſchrein —

Das iſt ein luſt'ges Fechten!
Streckt nur auf eurer Baͤrenhaut

Daheim die faulen Glieder,

Gott Vater aus dem Fenſter ſchaut,

Schickt ſeine Suͤndflut wieder,

Feldwebel, Reiter, Musketier

Sie muͤſſen all' erſaufen,

Derweil mit friſchem Winde wir

Im Paradies einlaufen.
[22]

Die Spielleute.

Fruͤhmorgens durch die Kluͤfte

Wir blaſen Victoria!

Eine Lerche faͤhrt in die Luͤfte:

„Die Spielleut' ſind ſchon da!“

Da dehnt ein Thurm und reckt ſich

Verſchlafen im Morgengrau,

Wie aus dem Traume ſtreckt ſich

Der Strom durch die ſtille Au,

Und ihre Aeuglein balde

Thun auf die Baͤchlein all',

Im Wald, im gruͤnen Walde

Das iſt ein luſt'ger Schall!
Das iſt ein luſt'ges Reiſen,

Der Eichbaum kuͤhl und friſch

Mit Schatten, wo wir ſpeiſen,

Deckt uns den gruͤnen Tiſch.

Zum Fruͤhſtuͤck muſiziren

Die muntern Voͤgelein,

Der Wald, wenn ſie pauſiren,

Stimmt wunderbar mit ein,

Die Wipfel thut er neigen,

Als geſegnet' er uns das Mahl,

Und zeigt uns zwiſchen den Zweigen

Tief unten das weite Thal.
Tief unten da iſt ein Garten,

Da wohnt eine ſchoͤne Frau,

Wir koͤnnen nicht lange warten,

Durch's Gitterthor wir ſchau'n,

[23]
Wo die weißen Statuen ſtehen,

Da iſt's ſo ſtill und kuͤhl,

Die Waſſerkuͤnſte gehen,

Der Flieder duftet ſchwuͤl.

Wir ziehn vorbei und ſingen

In der ſtillen Morgenzeit,

Sie hoͤrt's im Traume klingen,

Wir aber ſind ſchon weit.
[24]

Vor der Stadt.

Zwei Muſikanten ziehn daher

Vom Wald aus weiter Ferne,

Der eine iſt verliebt gar ſehr,

Der andre waͤr' es gerne.
Die ſtehn allhier im kalten Wind

Und ſingen ſchoͤn und geigen:

Ob nicht ein ſuͤßvertraͤumtes Kind

Am Fenſter ſich wollt' zeigen?
[25]

Dryander mit der Komödianten-Bande.

Mich brennt's an meinen Reiſeſchuh'n,

Fort mit der Zeit zu ſchreiten —

Was wollen wir agiren nun

Vor ſo viel klugen Leuten?
Es hebt das Dach ſich von dem Haus

Und die Kouliſſen ruͤhren

Und ſtrecken ſich zum Himmel raus,

Strom, Waͤlder muſiziren!
Und aus den Wolken langt es ſacht,

Stellt alles durcheinander,

Wie ſich's kein Autor hat gedacht:

Volk, Fuͤrſten und Dryander.
Da gehn die einen muͤde fort,

Die andern nah'n behende,

Das alte Stuͤck, man ſpielt's ſo fort

Und kriegt es nie zu Ende.
Und keiner kennt den letzten Akt

Von allen die da ſpielen,

Nur der da droben ſchlaͤgt den Takt,

Weiß, wo das hin will zielen.
[26]

Der verliebte Reiſende.

I.

Da fahr' ich ſtill im Wagen,

Du biſt ſo weit von mir,

Wohin er mich mag tragen,

Ich bleibe doch bei dir.
Da fliegen Waͤlder, Kluͤfte

Und ſchoͤne Thaͤler tief,

Und Lerchen hoch in Luͤften,

Als ob dein' Stimme rief'.
Die Sonne luſtig ſcheinet

Weit uͤber das Revier,

Ich bin ſo froh verweinet

Und ſinge ſtill in mir.
Vom Berge geht's hinunter,

Das Poſthorn ſchallt im Grund,

Mein' Seel' wird mir ſo munter,

Gruͤß' dich aus Herzensgrund!

II.

Ich geh' durch die dunkeln Gaſſen

Und wandre von Haus zu Haus,

Ich kann mich noch immer nicht faſſen,

Sieht alles ſo truͤbe aus.
Da gehen viel Maͤnner und Frauen,

Die alle ſo luſtig ſehn,

Die fahren und lachen und bauen,

Daß mir die Sinne vergehn.
[27]
Oft wenn ich blaͤuliche Streifen

Seh' uͤber die Daͤcher fliehn,

Sonnenſchein draußen ſchweifen,

Wolken am Himmel ziehn:
Da treten mitten im Scherze

Die Thraͤnen ins Auge mir,

Denn die mich lieben von Herzen

Sind alle ſo weit von hier.

III.

Lied, mit Thraͤnen halb geſchrieben,

Dorthin uͤber Berg und Kluft,

Wo die Liebſte mein geblieben,

Schwing' dich durch die blaue Luft!
Iſt ſie roth und luſtig, ſage:

Ich ſey krank von Herzensgrund;

Weint ſie Nachts, ſinnt ſtill bei Tage,

Ja dann ſag: ich ſey geſund!
Iſt vorbei ihr treues Lieben,

Nun, ſo end' auch Luſt und Noth,

Und zu allen, die mich lieben,

Fliege, ſage: ich ſey todt!

IV.

Ach Liebchen, dich ließ ich zuruͤcke,

Mein liebes, herziges Kind,

Da lauern viel Menſchen voll Tuͤcke,

Die ſind dir ſo feindlich geſinnt.
[28]
Die moͤchten ſo gerne zerſtoͤren

Auf Erden das ſchoͤne Feſt,

Ach koͤnnte das Lieben aufhoͤren,

So moͤgen ſie nehmen den Reſt.
Und alle die gruͤnen Orte,

Wo wir gegangen im Wald,

Die ſind nun wohl anders geworden,

Da iſt's nun ſo ſtill und kalt.
Da ſind nun am kalten Himmel

Viel tauſend Sterne geſtellt,

Es ſcheint ihr goldnes Gewimmel

Weit uͤbers beſchneite Feld.
Mein' Seele iſt ſo beklommen,

Die Gaſſen ſind leer und todt,

Da hab' ich die Laute genommen

Und ſinge in meiner Noth.
Ach waͤr' ich im ſtillen Hafen!

Kalte Winde am Fenſter gehn,

Schlaf ruhig, mein Liebchen, ſchlafe,

Treu' Liebe wird ewig beſtehn!

V.

Gruͤn war die Waide,

Der Himmel blau,

Wir ſaßen beide

Auf glaͤnziger Au.
[29]
Sind's Nachtigallen

Wieder, was ruft,

Lerchen, die ſchallen

Aus warmer Luft?
Ich hoͤr' die Lieder,

Fern, ohne dich,

Lenz iſts wohl wieder

Doch nicht fuͤr mich.

VI.

Wolken, Waͤlderwaͤrts gegangen,

Wolken, fliegend uͤber's Haus,

Koͤnnt' ich an euch feſt mich hangen,

Mit euch fliegen weit hinaus!
Taglang durch die Waͤlder ſchweif' ich,

Voll Gedanken ſitz' ich ſtill,

In die Saiten fluͤchtig greif' ich,

Wieder dann auf einmal ſtill.
Schoͤne, ruͤhrende Geſchichten

Fallen ein mir, wo ich ſteh,

Luſtig muß ich ſchreiben, dichten,

Iſt mir ſelber gleich ſo weh.
Manches Lied, das ich geſchrieben

Wohl vor manchem langen Jahr,

Da die Welt vom treuen Lieben

Schoͤn mir uͤberglaͤnzet war.
[30]
Find' ich's wieder jetzt voll Bangen:

Werd' ich wunderbar geruͤhrt,

Denn ſo lang iſt das vergangen,

Was mich zu dem Lied verfuͤhrt.
Dieſe Wolken ziehen weiter,

Alle Voͤgel ſind erweckt,

Und die Gegend glaͤnzet heiter,

Weit und froͤhlich aufgedeckt.
Regen fluͤchtig abwaͤrts gehen,

Scheint die Sonne zwiſchendrein,

Und dein Haus, dein Garten ſtehen

Ueber'm Wald im ſtillen Schein.
Doch du harrſt nicht mehr mit Schmerzen,

Wo ſo lang' dein Liebſter ſey —

Und mich toͤdtet noch im Herzen

Dieſer Schmerzen Zauberei.

VII.

Mit meinem Saitenſpiele,

Das ſchoͤn geklungen hat,

Komm' ich durch Laͤnder viele

Zuruͤck in dieſe Stadt.
Ich ziehe durch die Gaſſen,

So finſter iſt die Nacht,

Und alles ſo verlaſſen,

Hatt's anders mir gedacht.
[31]
Am Brunnen ſteh ich lange,

Der rauſcht fort, wie vorher,

Kommt mancher wohl gegangen‚

Es kennt mich keiner mehr.
Da hoͤrt' ich geigen, pfeifen,

Die Fenſter glaͤnzten weit,

Dazwiſchen drehn und ſchleifen

Viel' fremde, froͤhliche Leut'.
Und Herz und Sinne mir brannten‚

Mich trieb's in die weite Welt,

Es ſpielten die Muſikanten,

Da fiel ich hin im Feld.

VIII.
Auf einer Burg.

Eingeſchlafen auf der Lauer

Oben iſt der alte Ritter;

Druͤber gehen Regenſchauer,

Und der Wald rauſcht durch das Gitter.
Eingewachſen Bart und Haare,

Und verſteinert Bruſt und Krauſe,

Sitzt er viele hundert Jahre

Oben in der ſtillen Klauſe.
Draußen iſt es ſtill und friedlich,

Alle ſind in's Thal gezogen,

Waldesvoͤgel einſam ſingen

In den leeren Fenſterbogen.
[32]
Eine Hochzeit faͤhrt da unten

Auf dem Rhein im Sonnenſcheine,

Muſikanten ſpielen munter,

Und die ſchoͤne Braut die weinet.

IX.
Jahrmarkt.

Sind's die Haͤuſer, ſind's die Gaſſen?

Ach, ich weiß nicht, wo ich bin!

Hab' ein Liebchen hier gelaſſen,

Und manch Jahr ging ſeitdem hin.
Aus den Fenſtern ſchoͤne Frauen

Sehn mir freundlich in's Geſicht,

Keine kann ſo friſchlich ſchauen,

Als mein liebes Liebchen ſicht.
An dem Hauſe poch' ich bange —

Doch die Fenſter ſtehen leer,

Ausgezogen iſt ſie lange,

Und es kennt mich keiner mehr.
Und ringsum ein Rufen, Handeln,

Schmucke Waaren, bunter Schein,

Herr'n und Damen gehn und wandeln

Zwiſchendurch in bunten Reih'n.
Zierlich Buͤcken, freundlich Blicken,

Manches fluͤcht'ge Liebeswort,

Haͤndedruͤcken, heimlich Nicken —

Nimmt ſie all' der Strom mit fort.
[33]
Und mein Liebchen ſah ich eben

Traurig in dem luſt'gen Schwarm,

Und ein ſchoͤner Herr daneben

Fuͤhrt ſie ſtolz und ernſt am Arm.
Doch verblaßt war Mund und Wange,

Und gebrochen war ihr Blick,

Seltſam ſchaut' ſie ſtumm und lange,

Lange noch auf mich zuruͤck. —
Und es endet Tag und Scherzen,

Durch die Gaſſen pfeift der Wind —

Keiner weiß, wie unſre Herzen

Tief von Schmerz zerriſſen ſind.

X.
In der Fremde.

Ich hoͤr' die Baͤchlein rauſchen

Im Walde her und hin,

Im Walde in dem Rauſchen

Ich weiß nicht, wo ich bin.
Die Nachtigallen ſchlagen

Hier in der Einſamkeit,

Als wollten ſie was ſagen

Von der alten, ſchoͤnen Zeit.
Die Mondesſchimmer fliegen,

Als ſeh' ich unter mir

Das Schloß im Thale liegen,

Und iſt doch ſo weit von hier!
3[34]
Als muͤßte in dem Garten

Voll Roſen weiß und roth,

Meine Liebſte auf mich warten,

Und iſt doch lange todt.
[35]

Sehnſucht.

Es ſchienen ſo golden die Sterne,

Am Fenſter ich einſam ſtand

Und hoͤrte aus weiter Ferne

Ein Poſthorn im ſtillen Land.

Das Herz mir im Leib entbrennte,

Da hab' ich mir heimlich gedacht:

Ach wer da mitreiſen koͤnnte

In der praͤchtigen Sommernacht!
Zwei junge Geſellen gingen

Voruͤber am Bergeshang,

Ich hoͤrte im Wandern ſie ſingen

Die ſtille Gegend entlang:

Von ſchwindelnden Felſenſchluͤften,

Wo die Waͤlder rauſchen ſo ſacht,

Von Quellen, die von den Kluͤften

Sich ſtuͤrzen in die Waldesnacht.
Sie ſangen von Marmorbildern,

Von Gaͤrten, die uͤber'm Geſtein

In daͤmmernden Lauben verwildern,

Palaͤſten im Mondenſchein,

Wo die Maͤdchen am Fenſter lauſchen,

Wann der Lauten Klang erwacht

Und die Brunnen verſchlafen rauſchen

In der praͤchtigen Sommernacht. —
3 *[36]

Abſchied.

O Thaͤler weit, o Hoͤhen,

O ſchoͤner gruͤner Wald,

Du meiner Luſt und Wehen

Andaͤcht'ger Aufenthalt!

Da draußen, ſtets betrogen,

Sauſ't die geſchaͤft'ge Welt,

Schlag' noch einmal die Bogen

Um mich, du gruͤnes Zelt!
Wenn es beginnt zu tagen,

Die Erde dampft und blinkt,

Die Voͤgel luſtig ſchlagen,

Daß dir dein Herz erklingt:

Da mag vergehn, verwehen

Das truͤbe Erdenleid,

Da ſollſt du auferſtehen

In junger Herrlichkeit!
Da ſteht im Wald geſchrieben,

Ein ſtilles, ernſtes Wort

Von rechtem Thun und Lieben,

Und was des Menſchen Hort.

Ich habe treu geleſen

Die Worte ſchlicht und wahr,

Und durch mein ganzes Weſen

Ward's unausſprechlich klar.
[37]
Bald werd' ich dich verlaſſen,

Fremd in der Fremde geh'n,

Auf buntbewegten Gaſſen

Des Lebens Schauſpiel ſehn;

Und mitten in dem Leben

Wird deines Ernſt's Gewalt

Mich Einſamen erheben,

So wird mein Herz nicht alt.
[38]

Morgen.

Fliegt der erſte Morgenſtrahl

Durch das ſtille Nebelthal,

Rauſcht erwachend Wald und Huͤgel:

Wer da fliegen kann, nimmt Fluͤgel!
Und ſein Huͤtlein in die Luft

Wirft der Menſch vor Luſt und ruft:

Hat Geſang doch auch noch Schwingen,

Nun ſo will ich froͤhlich ſingen!
Hinaus, o Menſch, weit in die Welt,

Bangt dir das Herz in krankem Muth

Nichts iſt ſo truͤb in Nacht geſtellt,

Der Morgen leicht macht's wieder gut.
[39]

Mittagsruh.

Ueber Bergen, Fluß und Thalen,

Stiller Luſt und tiefen Qualen

Webet heimlich, ſchillert, Strahlen!

Sinnend ruht des Tags Gewuͤhle

In der dunkelblauen Schwuͤle,

Und die ewigen Gefuͤhle,

Was dir ſelber unbewußt,

Treten heimlich, groß und leiſe

Aus der Wirrung feſter Gleiſe,

Aus der unbewachten Bruſt,

In die ſtillen, weiten Kreiſe.
[40]

Abend.

Schweigt der Menſchen laute Luſt:

Rauſcht die Erde wie in Traͤumen

Wunderbar mit allen Baͤumen,

Was dem Herzen kaum bewußt,

Alte Zeiten, linde Trauer,

Und es ſchweifen leiſe Schauer

Wetterleuchtend durch die Bruſt.
[41]

Nacht.

Wie ſchoͤn hier zu vertraͤumen

Die Nacht im ſtillen Wald,

Wenn in den dunklen Baͤumen

Das alte Maͤhrchen hallt.
Die Berg' im Mondesſchimmer

Wie in Gedanken ſtehn,

Und durch verworrne Truͤmmer

Die Quellen klagend gehn.
Denn muͤd ging auf den Matten

Die Schoͤnheit nun zur Ruh,

Es deckt mit kuͤhlen Schatten

Die Nacht das Liebchen zu.
Das iſt das irre Klagen

In ſtiller Waldespracht,

Die Nachtigallen ſchlagen

Von ihr die ganze Nacht.
Die Stern' gehn auf und nieder—

Wann kommſt du, Morgenwind,

Und hebſt die Schatten wieder

Von dem vertraͤumten Kind?
Schon ruͤhrt ſich's in den Baͤumen,

Die Lerche weckt ſie bald —

So will ich treu vertraͤumen

Die Nacht im ſtillen Wald.
[42]

Wegweiſer.

Jetzt mußt du rechts dich ſchlagen,

Schleich' dort und lauſche hier,

Dann ſchnell drauf los im Jagen —

So wird noch was aus dir.“
Dank'! doch durch's Weltgewimmel,

Sagt mir, ihr weiſen Herrn,

Wo geht der Weg zum Himmel?

Das Eine wuͤßt' ich gern.
[43]

Täuſchung.

Ich ruhte aus vom Wandern,

Der Mond ging eben auf,

Da ſah ich fern im Lande

Der alten Tiber Lauf,

Im Walde lagen Truͤmmer,

Palaͤſte auf ſtillen Hoͤh'n

Und Gaͤrten im Mondesſchimmer —

O Welſchland, wie biſt du ſchoͤn!
Und als die Nacht vergangen,

Die Erde blitzte ſo weit,

Einen Hirten ſah ich hangen

Am Fels in der Einſamkeit.

Den fragt' ich ganz geblendet:

Komm' ich nach Rom noch heut?

Er dehnt' ſich halbgewendet:

Ihr ſeyd nicht recht geſcheut!

Eine Winzerin lacht' heruͤber,

Man ſah ſie vor Weinlaub kaum,

Mir aber ging's Herze uͤber —

Es war ja alles nur Traum.
[44]

Schöne Fremde.

Es rauſchen die Wipfel und ſchauern,

Als machten zu dieſer Stund'

Um die halbverſunkenen Mauern

Die alten Goͤtter die Rund'.
Hier hinter den Myrthenbaͤumen

In heimlich daͤmmernder Pracht,

Was ſprichſt du wirr wie in Traͤumen

Zu mir, phantaſtiſche Nacht?
Es funkeln auf mich alle Sterne

Mit gluͤhendem Liebesblick,

Es redet trunken die Ferne

Wie von kuͤnftigem großen Gluͤck! —
[45]

Liebe in der Fremde.

I.

Jeder nennet froh die Seine,

Ich nur ſtehe hier alleine,

Denn was fruͤge wohl die Eine:

Wen der Fremdling eben meine?

Und ſo muß ich, wie im Strome dort die Welle,

Ungehoͤrt verrauſchen an des Fruͤhlings Schwelle.

II.

Wie kuͤhl ſchweift ſich's bei naͤcht'ger Stunde,

Die Zitter treulich in der Hand!

Vom Huͤgel gruͤß ich in die Runde

Den Himmel und das ſtille Land.
Wie iſt da alles ſo verwandelt,

Wo ich ſo froͤhlich war, im Thal.

Im Wald wie ſtill! der Mond nur wandelt

Nun durch den hohen Buchenſaal.
Der Winzer Jauchzen iſt verklungen

Und all der bunte Lebenslauf,

Die Stroͤme nur, im Thal geſchlungen,

Sie blicken manchmal ſilbern auf.
Und Nachtigallen wie aus Traͤumen

Erwachen oft mit ſuͤßem Schall,

Erinnernd ruͤhrt ſich in den Baͤumen,

Ein heimlich Fluͤſtern uͤberall. —
[46]
Die Freude kann nicht gleich verklingen,

Und von des Tages Glanz und Luſt

Iſt ſo auch mir ein heimlich Singen

Geblieben in der tiefſten Bruſt.
Und froͤhlich greif ich in die Saiten,

O Maͤdchen jenſeits uͤber'm Fluß,

Du lauſcheſt wohl und hoͤrſt's von weiten

Und kennſt den Saͤnger an dem Gruß!

III.

Ueber die beglaͤnzten Gipfel

Fernher kommt es wie ein Gruͤßen,

Fluͤſternd neigen ſich die Wipfel

Als ob ſie ſich wollten kuͤſſen.
Iſt er doch ſo ſchoͤn und milde!

Stimmen gehen durch die Nacht,

Singen heimlich von dem Bilde —

Ach, ich bin ſo froh verwacht!
Plaudert nicht ſo laut, ihr Quellen!

Wiſſen darf es nicht der Morgen!

In der Mondnacht linde Wellen,

Senk' ich ſtille Gluͤck und Sorgen. —

IV.

Jetzt wandr' ich erſt gern!

Am Fenſter nun lauſchen

Die Maͤdchen, es rauſchen

Die Brunnen von fern.
[47]
Aus ſchimmernden Buͤſchen

Ihr Plaudern ſo lieb

Erkenn' ich dazwiſchen,

Ich hoͤre mein Lieb!
Kind huͤt' dich! bei Nacht

Pflegt Amor zu wandern,

Ruft leiſe die andern,

Da ſchreiten erwacht

Die Goͤtter zur Halle

In's Freie hinaus,

Es bringt ſie dir alle

Der Dichter in's Haus.
[48]

Wanderſpruͤche.

I.

Es geht wohl anders, als du meinſt,

Derweil du roth und froͤhlich ſcheinſt

Iſt Lenz und Sonnenſchein verflogen,

Die liebe Gegend ſchwarz umzogen;

Und kaum haſt du dich ausgeweint,

Lacht Alles wieder, die Sonne ſcheint —

Es geht wohl anders als man meint.

II.

Herz, in deinen ſonnenhellen

Tagen halt' nicht karg zuruͤck!

Allwaͤrts froͤhliche Geſellen

Trifft der Frohe und ſein Gluͤck.
Sinkt der Stern: alleine wandern

Magſt du bis an's End der Welt —

Bau' du nur auf keinen andern

Als auf Gott, der Treue haͤlt.

III.

Was willſt auf dieſer Station

So breit dich niederlaſſen!

Wie bald nicht blaͤſt der Poſtillon,

Du mußt doch alles laſſen.
[49]

IV.

Die Lerche gruͤßt den erſten Strahl,

Daß er die Bruſt ihr zuͤnde,

Wenn traͤge Nacht noch uͤberall

Durchſchleicht die tiefen Gruͤnde.
Und du willſt, Menſchenkind, der Zeit

Verzagend unterliegen?

Was iſt dein kleines Erdenleid!

Du mußt es uͤberfliegen!

V.

Der Sturm geht laͤrmend um das Haus,

Ich bin kein Narr, und geh' hinaus,

Aber bin ich eben draußen,

Will ich mich wacker mit ihm zauſen.

VI.
Am Meer.

Ewig muntres Spiel der Wogen!

Viele haſt du ſchon belogen,

Mancher kehrt nicht mehr zuruͤck.

Und doch weckt das Wellenſchlagen

Immer wieder friſches Wagen,

Falſch und luſtig, wie das Gluͤck.

VII.

Der Wandrer, von der Heimath weit,

Wenn rings die Gruͤnde ſchweigen,

Der Schiffer in Meeres Einſamkeit,

Wenn die Stern' aus den Fluten ſteigen:
4[50]
Die beide ſchauern und leſen

In ſtiller Nacht

Was ſie nicht gedacht,

Da es noch froͤhlicher Tag geweſen.
[51]

Erinnerung.

I.

Lindes Rauſchen in den Wipfeln,

Voͤglein, die ihr fernab fliegt,

Bronnen von den ſtillen Gipfeln,

Sagt, wo meine Heimath liegt?
Heut' im Traum ſah ich ſie wieder,

Und von allen Bergen ging

Solches Gruͤßen zu mir nieder,

Daß ich an zu weinen fing.
Ach, hier auf den fremden Gipfeln:

Menſchen, Quellen, Fels und Baum,

Wirres Rauſchen in den Wipfeln, —

Alles iſt mir wie ein Traum.

II.

Die fernen Heimathhoͤhen,

Das ſtille hohe Haus,

Der Berg, von dem ich geſehen

Jeden Fruͤhling in's Land hinaus,

Mutter, Freunde und Bruͤder,

An die ich ſo oft gedacht,

Es gruͤßt mich alles wieder,

In ſtiller Mondesnacht.
4 *[52]

Heimweh.

Wer in die Fremde will wandern,

Der muß mit der Liebſten gehn,

Es jubeln und laſſen die Andern

Den Fremden alleine ſtehn.
Was wiſſet Ihr, dunkele Wipfeln,

Von der alten ſchoͤnen Zeit?

Ach, die Heimath hinter den Gipfeln,

Wie liegt ſie von hier ſo weit.
Am liebſten betracht' ich die Sterne,

Die ſchienen, wenn ich ging zu ihr,

Die Nachtigall hoͤr' ich ſo gerne,

Sie ſang vor der Liebſten Thuͤr.
Der Morgen, das iſt meine Freude!

Da ſteig' ich in ſtiller Stund'

Auf den hoͤchſten Berg in die Weite,

Gruͤß Dich Deutſchland aus Herzensgrund!
[53]

An der Graͤnze.

Die treuen Berg' ſteh'n auf der Wacht:

„Wer ſtreicht bei ſtiller Morgenzeit

Da aus der Fremde durch die Haid'?“ —

Ich aber mir die Berg' betracht'

Und lach' in mich vor großer Luſt,

Und rufe recht aus friſcher Bruſt

Parol und Feldgeſchrei ſogleich:

Vivat Oeſtreich!
Da kennt mich erſt die ganze Rund,

Nun gruͤßen Bach und Voͤglein zart

Und Waͤlder rings nach Landesart,

Die Donau blitzt aus tiefem Grund,

Der Stephansthurm auch ganz von fern

Guckt uͤber'n Berg und ſaͤh' mich gern,

Und iſt er's nicht, ſo kommt er doch gleich,

Vivat Oeſtreich!
[54]

Ruͤckkehr.

Wer ſteht hier draußen? — Macht auf geſchwind!

Schon funkelt das Feld wie geſchliffen,

Es iſt der luſtige Morgenwind,

Der kommt durch den Wald gepfiffen.
Ein Wandervoͤglein, die Wolken und ich,

Wir reiſ'ten um die Wette,

Und jedes dacht': nun ſpute dich,

Wir treffen ſie noch im Bette!
Da ſind wir nun, jetzt alle heraus,

Die drinn noch Kuͤſſe tauſchen!

Wir brechen ſonſt mit der Thuͤr in's Haus:

Klang, Duft und Waldesrauſchen.
Ich komme aus Italien fern

Und will Euch alles berichten,

Vom Berg Veſuv und Roma's Stern

Die alten Wundergeſchichten.
Da ſingt eine Fey auf blauem Meer,

Die Myrthen trunken lauſchen —

Mir aber gefaͤllt doch nichts ſo ſehr,

Als das deutſche Waldesrauſchen!
[55]

Zur Hochzeit.

Was das fuͤr ein Gezwitſcher iſt!

Durch's Blau die Schwalben zucken

Und ſchrei'n: „ſie haben ſich gekuͤßt!“

Vom Baum Rothkehlchen gucken.

Der Storch ſtolzirt von Bein zu Bein;

„Da muß ich fiſchen gehen —“

Der Abend wie im Traum darein

Schaut von den ſtillen Hoͤhen.
Und wie im Traum von den Hoͤhen

Seh' ich Nachts meiner Liebſten Haus,

Die Wolken daruͤber gehen

Und loͤſchen die Sterne aus.
[56]

Der irre Spielmann.

Aus ſtiller Kindheit unſchuldiger Hut

Trieb mich der tolle, frevelnde Muth.

Seit ich da draußen ſo frei nun bin

Find' ich nicht wieder nach Hauſe hin.
Durch's Leben jag' ich manch truͤg'riſch Bild,

Wer iſt der Jaͤger da? wer iſt das Wild?

Es pfeift der Wind mir ſchneidend durchs Haar,

Ach Welt, wie biſt Du ſo kalt und klar!
Du frommes Kindlein im ſtillen Haus,

Schau' nicht ſo luͤſtern zum Fenſter hinaus!

Frag mich nicht, Kindlein, woher und wohin?

Weiß ich doch ſelber nicht wo ich bin!
Von Suͤnde und Reue zerriſſen die Bruſt,

Wie raſend in verzweifelter Luſt,

Brech ich im Fluge mir Blumen zum Strauß,

Wird doch kein froͤhlicher Kranz nicht daraus! —
Ich moͤcht' in den tiefſten Wald wohl hinein,

Recht aus der Bruſt den Jammer zu ſchrei'n,

Ich moͤchte reiten an's Ende der Welt,

Wo der Mond und die Sonne hinunter faͤllt.
Wo ſchwindelnd beginnt die Ewigkeit,

Wie ein Meer, ſo erſchrecklich ſtill und weit,

Da ſinken all' Stroͤm' und Segel hinein,

Da wird es wohl endlich auch ruhig ſein.
[57]

Letzte Heimkehr.

Der Wintermorgen glaͤnzt ſo klar,

Ein Wandrer kommt von ferne,

Ihn ſchuͤttelt Froſt, es ſtarrt ſein Haar,

Ihm log die ſchoͤne Ferne,

Nun endlich will er raſten hier,

Er klopft an ſeines Vaters Thuͤr.
Doch todt ſind, die ſonſt aufgethan,

Verwandelt Hof und Habe,

Und fremde Leute ſeh'n ihn an

Als kaͤm' er aus dem Grabe;

Ihn ſchauert tief im Herzensgrund,

Ins Feld eilt er zur ſelben Stund.
Da ſang kein Voͤglein weit und breit,

Er lehnt' an einem Baume,

Der ſchoͤne Garten lag verſchneit,

Es war ihm wie im Traume,

Und wie die Morgenglocke klingt,

Im ſtillen Feld er niederſinkt.
Und als er aufſteht vom Gebet,

Nicht weiß, wohin ſich wenden,

Ein ſchoͤner Juͤngling bei ihm ſteht,

Faßt mild ihn bei den Haͤnden:

„Komm' mit, ſollſt ruhn nach kurzem Gang.“ —

Er folgt, ihn ruͤhrt der Stimme Klang.
[58]
Nun durch die Bergeseinſamkeit

Sie wie zum Himmel ſteigen,

Kein Glockenklang mehr reicht ſo weit,

Sie ſehn im oͤden Schweigen

Die Laͤnder hinter ſich verbluͤhn,

Schon Sterne durch die Wipfel gluͤhn.
Der Fuͤhrer jetzt die Fackel ſacht

Erhebt und ſchweigend ſchreitet,

Bei ihrem Schein die ſtille Nacht

Gleichwie ein Dom ſich weitet,

Wo unſichtbare Haͤnde baun —

Den Wandrer faßt ein heimlich Graun.
Er ſprach: was bringt der Wind herauf

So fremden Laut getragen,

Als hoͤrt' ich ferner Stroͤme Lauf,

Dazwiſchen Glocken ſchlagen?

„Das iſt des Nachtgeſanges Wehn,

Sie loben Gott in ſtillen Hoͤh'n.“
Der Wandrer drauf: ich kann nicht mehr —

Iſt's Morgen, der ſo blendet?

Was leuchten dort fuͤr Laͤnder her? —

Sein Freund die Fackel wendet:

„Nun ruh zum letztenmale aus,

Wenn du erwachſt, ſind wir zu Haus.“
[]

II.Sängerleben.

Singen kann ich nicht wie Du

Und wie ich nicht der und jener,

Kannſt Du's beſſer, ſing' friſch zu!

Andre ſingen wieder ſchoͤner,

Droben an dem Himmelsthor

Wird's ein wunderbarer Chor.
[][]

Anklänge.

I.
Voͤglein in den ſonn'gen Tagen!

Luͤfte blau, die mich verfuͤhren!

Koͤnnt' ich bunte Fluͤgel ruͤhren,

Ueber Berg und Wald ſie ſchlagen!
Ach! es ſpricht des Fruͤhlings Schoͤne,

Und die Voͤgel alle ſingen:

Sind die Farben denn nicht Toͤne,

Und die Toͤne bunte Schwingen?
Voͤglein, ja ich laſſ' das Zagen!

Winde ſanft die Segel ruͤhren,

Und ich laſſe mich entfuͤhren,

Ach! wohin? mag ich nicht fragen.
II.
Ach! wie iſt es doch gekommen,

Daß die ferne Waldes-Pracht

So mein ganzes Herz genommen,

Mich um alle Ruh' gebracht!
[62]
Wenn von druͤben Lieder wehen,

Waldhorn gar nicht enden will,

Weiß' ich nicht, wie mir geſchehen,

Und im Herzen bet' ich ſtill.
Koͤnnt' ich zu den Waͤldern fluͤchten,

Mit dem Gruͤn in friſcher Luſt

Mich zum Himmelsglanz aufrichten —

Stark und frei waͤr' da die Bruſt!
Hoͤrnerklang und Lieder kaͤmen

Nicht ſo ſchmerzlich an mein Herz,

Froͤhlich wollt' ich Abſchied nehmen,

Zoͤg' auf ewig waͤlderwaͤrts.
Intermezzo.
Wie ſo leichte laͤßt ſich's leben!

Blond und roth und etwas feiſt,

Thue wie die andern eben,

Daß Dich jeder Bruder heißt,

Speiſe, was die Zeiten geben,

Bis die Zeit auch Dich verſpeiſt!
III.
Wenn die Klaͤnge nah'n und fliehen,

In den Wogen ſuͤßer Luſt,

Ach! nach tiefern Melodieen

Sehnt ſich einſam oft die Bruſt.
Wenn auf Bergen bluͤht die Fruͤhe,

Wieder buntbewegt die Straßen,

Freut ſich alles, wie es gluͤhe,

Himmelwaͤrts die Erde bluͤhe:
[63]
Einer doch muß tief erblaſſen,

Goldne Traͤume, Sternenluſt

Wollten ewig ihn nicht laſſen —

Sehnt ſich einſam nun die Bruſt.
Und aus ſolcher Schmerzen Schwellen,

Was ſo lange duͤrſtend rang,

Will an's Licht nun raſtlos quellen,

Stuͤrzend mit den Waſſerfaͤllen,

Himmelſtaͤubend, jubelnd, bang,

Nach der Ferne ſanft zu ziehen,

Wo ſo himmliſch Rufen ſang,

Ach! nach tiefern Melodieen.
Bluͤthen licht' nun Bluͤthen draͤngen,

Daß er moͤcht' vor Glanz erblinden;

In den dunklen Zaubergaͤngen,

Von den eigenen Geſaͤngen

Hold gelockt, kann er nicht finden

Aus dem Labyrinth der Bruſt.

Alles, alles will's verkuͤnden

In den Wogen ſuͤßer Luſt.
Doch durch dieſes Rauſchen wieder

Hoͤrt er heimlich Stimmen ziehen,

Wie ein Fall verlorner Lieder

Und er ſchaut betroffen nieder:

Wenn die Klaͤnge nah'n und fliehen

In den Wogen ſuͤßer Luſt,

Ach! nach tiefern Melodieen

Sehnt ſich einſam oft die Bruſt!“
[64]
IV.
Ewig's Traͤumen von den Fernen!

Endlich iſt das Herz erwacht

Unter Blumen, Klang und Sternen

In der dunkelgruͤnen Nacht.
Schlummernd unter blauen Wellen

Ruht der Knabe unbewußt,

Engel ziehen durch die Bruſt;

Oben hoͤrt er in den Wellen

Ein unendlich' Wort zerrinnen,

Und das Herze weint und lacht,

Doch er kann ſich nicht beſinnen

In der dunkelgruͤnen Nacht.
Fruͤhling will das Blau befreien,

Aus der Gruͤne, aus dem Schein

Ruft es lockend: Ewig Dein —

Aus der Minne Zaubereien

Muß er ſehnen ſich nach Fernen,

Denkend alter Wunderpracht,

Unter Blumen, Klang und Sternen

In der dunkelgruͤnen Nacht.
Heil'ger Kampf nach langem Saͤumen,

Wenn ſuͤßſchauernd an das Licht

Lieb' in dunkle Klagen bricht!

Aus der Schmerzen Sturz und Schaͤumen
[65]
Steigt Geliebte, Himmel, Fernen —

Endlich iſt das Herz erwacht

Unter Blumen, Klang und Sternen

In der dunkelgruͤnen Nacht.
Und der Streit muß ſich verſoͤhnen,

Und die Wonne und den Schmerz

Muß er ewig himmelwaͤrts

Schlagen nun in vollen Toͤnen:

Ewig's Traͤumen von den Fernen!

Endlich iſt das Herz erwacht

Unter Blumen, Klang und Sternen

In der dunkelgruͤnen Nacht.
5[66]

Sonnette.

I.
So viele Quellen von den Bergen rauſchen,

Die brechen zornig aus der Felſenhalle,

Die andern plaudern in melod'ſchem Falle

Mit Nymphen, die im Gruͤn vertraulich lauſchen

Doch wie ſie irrend auch die Bahn vertauſchen,

Sie treffen endlich doch zuſammen alle,

Ein Strom, mit bruͤderlicher Wogen Schwalle

Erfriſchend durch das ſchoͤne Land zu rauſchen.
An Burgen, die vom Felſen einſam grollen,

Aus Waldesdunkel zwiſchen Rebenhuͤgeln

Voruͤbergleitend in die duft'ge Ferne,

Entwandelt er zum Meer, dem wundervollen,

Wo traͤumend ſich die ſeel'gen Inſeln ſpiegeln

Und auf den Fluthen ruh'n die ew'gen Sterne.
II.
So eitel kuͤnſtlich haben ſie verwoben

Die Kunſt, die ſelber ſie nicht glaͤubig achten,

Und Suͤnde ſo in dieſe Unſchuld brachten.

Wer unterſcheidet, was noch ſtammt von oben?
Doch wer mag wuͤrdig jene Reinen loben,

Die in der Zeit hochmuͤth'gem Trieb und Trachten

Die heil'ge Flamme treu in ſich bewachten,

Aus der die alte Schoͤnheit neu erhoben!
[67]
O Herr! gib Demuth denen, die da irren,

Daß, wenn ihr' Kuͤnſte all' zu Schanden werden,

Sie thoͤricht nicht den Gott in ſich verfluchen!
Begeiſterung, was falſch iſt, zu entwirren,

Und Freudigkeit, wo's oͤde wird auf Erden,

Verleihe denen, die dich redlich ſuchen!
III.
Ein Wunderland iſt oben aufgeſchlagen,

Wo gold'ne Stroͤme geh'n und dunkel ſchallen,

Geſaͤnge durch das Rauſchen tief verhallen,

Die moͤchten gern ein hohes Wort dir ſagen.
Viel goldne Bruͤcken ſind dort kuͤhn geſchlagen,

Daruͤber alte Bruͤder ſinnend wallen —

Wenn Toͤne wie im Fruͤhlingsregen fallen,

Befreite Sehnſucht will dorthin dich tragen.
Wie bald laͤg' unten alles Bange, Truͤbe,

Du ſtrebteſt lauſchend, blickteſt nicht mehr nieder,

Und hoͤher winket ſtets der Bruͤder Liebe:
Wen einmal ſo beruͤhrt die heil'gen Lieder,

Sein Leben taucht in die Muſik der Sterne,

Ein ewig Zieh'n in wunderbare Ferne!
5 *[68]
IV.
Wer einmal tief und durſtig hat getrunken,

Den zieht zu ſich hinab die Wunderquelle,

Daß er melodiſch mit zieht, ſelbſt als Welle,

Auf der die Welt ſich bricht in tauſend Funken.
Es waͤchſt ſehnſuͤchtig, ſtuͤrzt und leuchtet trunken

Jauchzend im Innerſten die heil'ge Quelle,

Bald Bahn ſich brechend durch die Kluft zur Helle,

Bald kuͤhle rauſchend dann in Nacht verſunken.
So laſſ' es ungeduldig brauſen, draͤngen!

Hoch ſchwebt der Dichter drauf in goldnem Nachen,

Sich ſelber heilig opfernd in Geſaͤngen.
Die alten Felſen ſpalten ſich mit Krachen,

Von druͤben gruͤßen ſchon verwandte Lieder,

Zum ew'gen Meere fuͤhrt Er alle wieder.
V.
Nicht Traͤume ſind's und leere Wahn-Geſichte,

Was von dem Volk' den Dichter unterſcheidet.

Was er inbruͤnſtig bildet, liebt und leidet,

Es iſt des Lebens wahrhafte Geſchichte.
Er fragt nicht viel, wie ihn die Menge richte,

Der eignen Ehr' nur in der Bruſt vereidet;

Denn wo begeiſtert er die Blicke weidet,

Gruͤßt ihn der Weltkreis mit verwandtem Lichte.
[69]
Die ſchoͤne Mutter, die ihn hat geboren,

Den Himmel liebt er, der ihn auserkohren,

Laͤßt beide Haupt und Bruſt ſich heiter ſchmuͤcken.
Die Menge ſelbſt, die herbrauſt, ihn zu fragen

Nach ſeinem Recht, muß den Begluͤckten tragen,

Als Element ihm bietend ihren Ruͤcken.
VI.
Ihm iſts verlieh'n, aus den verworrnen Tagen,

Die um die andern ſich wie Kerker dichten,

Zum blauen Himmel ſich emporzurichten,

In Freudigkeit: Hie bin ich, Herr! zu ſagen.
Das Leben hat zum Ritter ihn geſchlagen;

Er ſoll der Schoͤnheit neid'ſche Kerker lichten,

Daß nicht ſich alle goͤtterlos vernichten,

Soll er die Goͤtter zu beſchwoͤren wagen.
Tritt erſt die Lieb' auf ſeine bluͤh'nden Huͤgel,

Fuͤhlt er die reichen Kraͤnze in den Haaren,

Mit Morgenroth muß ſich die Erde ſchmuͤcken;
Suͤßſchauernd dehnt der Geiſt die großen Fluͤgel,

Es glaͤnzt das Meer — die muth'gen Schiffe fahren,

Da iſt nichts mehr, was ihm nicht ſollte gluͤcken!
[70]

Rettung.

Ich ſpielt', ein frohes Kind, im Morgenſcheine,

Der Fruͤhling ſchlug die Augen auf ſo helle,

Hinunter reiſten Stroͤm' und Wolken ſchnelle,

Ich ſtreckt' die Arme nach in's Blaue, Reine.
Noch wußt' ich's ſelbſt nicht, was das alles meine:

Die Lerch', der Wald, der Luͤfte blaue Welle,

Und traͤumend ſtand ich an des Fruͤhlings Schwelle,

Von fern rief's immer fort: Ich bin die Deine!
Da kam ein alter Mann gegangen

Mit hohlen Augen und bleichen Wangen,

Er ſchlich gebogen und ſchien ſo krank;

Ich gruͤßt' ihn ſchoͤn, doch fuͤr den Dank

Faßt' er mich tuͤckiſch ſchnell von hinten,

Schlang um die Arme mir dreifache Binden,

Und wie ich rang und um Huͤlfe rief,

Geſchwind noch ein andrer zum Alten lief,

Und von allen Seiten kamen Menſchen gelaufen,

Ein dunkelverworr'ner, truͤbſeeliger Haufen.

Die draͤngten mich gar tuͤckiſch in ihre Mitte,

Fuͤhrten durch's Land mich mit eiligem Schritte.

Wie wandt' ich ſehnend mich oft zuruͤcke!

Die Heimath ſchickte mir Abſchiedsblicke;

Die Buͤſche langten nach mir mit gruͤnen Armen,

Es ſchrie'n alle Voͤglein recht zum Erbarmen.

Doch die Alten hoͤrten nicht die fernen Lieder,

Sumſten duͤſtere Worte nur hin und wieder,
[71]
Fuͤhrten mich endlich in ein altes Haus,

Da wogt' es unten in Nacht und Graus,

Da war ein Haͤmmern, ein Schachern und Rumoren,

Als haͤtte das Chaos noch nicht ausgegohren.

Hier hielt der Alte wuͤrdig und breit:

Mein Sohn, ſprach er zu mir, das iſt die Nuͤtzlichkeit!

Die haben wir ſo zum gemeinen Beſten erfunden.

Das betrachte huͤbſch fleißig und ſei geſcheut. —

So ließen ſie mich Armen allein und gebunden.
Da ſchaut' ich weinend aus meinem Kerker

Hinaus in das Leben durch duͤſtern Erker,

Und unten ſah ich den Lenz ſich breiten,

Bluͤhende Traͤume uͤber die Berge ſchreiten,

Druͤber die blauen unendlichen Weiten.

Durch's farbige Land auf blauen Fluͤſſen

Zogen bunte Schifflein, die wollten mich gruͤßen.

Voruͤber kamen die Wolken gezogen,

Voruͤber ſingende Voͤglein geflogen;

Es wollt' der große Zug mich mit faſſen,

Ach! Menſchen, wann werd't ihr mich wieder hinunter

laſſen!
Und im dunkelgruͤnen Walde munter

Schallte die Jagd hinauf und hinunter,

Eine Jungfrau zu Roß und blitzende Reiter —

Ueber die Berge immer weiter und weiter

Rief Waldhorn immer fort dazwiſchen:

Mir nach in den Wald, den friſchen!
[72]
Ach! weiß denn niemand, niemand um mein

Trauern?

Wie alle Fernen mir prophetiſch ſingen

Von meinem kuͤnft'gen wundervollen Leben!
Von innen fuͤhlt' ich blaue Schwingen ringen,

Die Haͤnde konnt' ich innigſt betend heben —

Da ſprengt' ein großer Klang ſo Band wie Mauern.
Da ward ich im innerſten Herzen ſo munter,

Schwindelten alle Sinne in den Lenz hinunter,

Weit waren kleinliche Muͤhen und Sorgen,

Ich ſprang hinaus in den farbigen Morgen.
[73]

Hippogryph.

Das iſt das Fluͤgelpferd mit Silberſchellen,

Das heitere Geſellen

Empor hebt uͤber Haidekraut und Kluͤfte,

Daß durch den Strom der Luͤfte,

Die um den Reiſehut melodiſch pfeifen,

Des Ernſt's Gewalt und Thoren-Laͤrm der Schluͤfte

Als Fruͤhlingsjauchzen nur die Bruſt mag ſtreifen;

Und ſo im Flug' belauſchen

Des trunknen Lieder-Gottes ruͤſt'ge Soͤhne,

Wenn alle Hoͤh'n und Thaͤler bluͤh'n und rauſchen,

Im Morgenbad des Lebens ew'ge Schoͤne,

Die in dem Glanz erſchrocken,

Sie gluͤhend anblickt aus den dunklen Locken.
[74]

Die zwei Geſellen.

Es zogen zwei ruͤſt'ge Geſellen

Zum erſten Mal von Haus,

So jubelnd recht in die hellen

Klingenden, ſingenden Wellen

Des vollen Fruͤhlings hinaus.
Die ſtrebten nach hohen Dingen,

Die wollten, trotz Luſt und Schmerz,

Was Rechts in der Welt vollbringen,

Und wem ſie voruͤber gingen,

Dem lachten Sinnen und Herz. —
Der Erſte, der fand ein Liebchen,

Die Schwieger kauft' Hof und Haus;

Der wiegte gar bald ein Buͤbchen,

Und ſah aus heimlichem Stuͤbchen

Behaglich in's Feld hinaus.
Dem Zweiten ſangen und logen

Die tauſend Stimmen im Grund,

Verlockend' Syrenen, und zogen

Ihn in der buhlenden Wogen

Farbig klingenden Schlund.
Und wie er auftaucht' vom Schlunde,

Da war er muͤde und alt,

Sein Schifflein das lag im Grunde,

So ſtill war's rings in die Runde

Und uͤber die Waſſer weht's kalt.
[75]
Es ſingen und klingen die Wellen

Des Fruͤhlings wohl uͤber mir;

Und ſeh' ich ſo kecke Geſellen,

Die Thraͤnen im Auge mir ſchwellen —

Ach Gott, fuͤhr' uns liebreich zu Dir!
[76]

Das Bilderbuch.

Von der Poeſie ſucht Kunde

Mancher im gelehrten Buch,

Nur des Lebens ſchoͤne Runde

Lehret Dich den Zauberſpruch,

Doch in ſtillgeweihter Stunde

Will das Buch erſchloſſen ſein;

Und ſo blick' ich heut hinein,

Wie ein Kind im Fruͤhlingswetter

Froͤhlich Bilderbuͤcher blaͤttert,

Und es ſchweift der Sonnenſchein

Auf den buntgemalten Lettern,

Und gelinde weht der Wind

Durch die Blumen, durch das Herz

Alte Freuden, alten Schmerz —

Weinen moͤcht' ich, wie ein Kind!
[77]

Mandelkerngedicht.

Zwiſchen Akten, dunkeln Waͤnden

Bannt mich, Freiheitbegehrenden,

Nun des Lebens ſtrenge Pflicht,

Und aus Schraͤnken, Akten-Schichten

Lachen mir die beleidigten

Muſen in das Amts-Geſicht.
Als an Lenz und Morgenroͤthe

Noch das Herz ſich erlabete,

O du ſtilles, heit'res Gluͤck!

Wie ich nun auch heiß mich ſehne,

Ach, aus dieſer Sandebene

Fuͤhrt kein Weg dahin zuruͤck.
Als der letzte Balkentreter

Steh' ich armer Enterbeter

In des Staates Symphonie,

Ach, in dieſem Schwall von Toͤnen

Wo faͤnd' ich da des eigenen

Herzens ſuͤße Melodie?
Ein Gedicht ſoll ich Euch ſpenden:

Nun, ſo geht mit dem Leidenden

Nicht zu ſtrenge ins Gericht!

Nehmt den Willen fuͤr Gewaͤhrung,

Kuͤhnen Reim fuͤr Begeiſterung.

Dieſen Unſinn als Gedicht!
[78]

Der Unverbeſſerliche.

Ihr habt den Vogel gefangen,

Der war ſo frank und frei,

Nun iſt ihm's Fliegen vergangen,

Der Sommer iſt lange vorbei.
Es liegen wohl Federn neben

Und unter und uͤber mir,

Sie koͤnnen mich alle nicht heben

Aus dieſem Meer von Papier.
Papier! wie hoͤr' ich Dich ſchreien,

Da alles die Federn ſchwenkt

In langen emſigen Reihen —

So wird der Staat nun gelenkt.
Mein Fenſter am Pulte ſteht offen,

Der Sonnenſchein ſchweift uͤber's Dach,

Da wird ſo uraltes Hoffen

Und Wuͤnſchen im Herzen wach.
Die luſtigen Kameraden,

Lerchen, Quellen und Wald,

Sie rauſchen ſchon wieder und laden:

Geſelle, kommſt du nicht bald?
Und wie ich durch die Gardinen

Hinausſah in keckem Muth,

Da hoͤrt' ich lachen im Gruͤnen,

Ich kannte das Stimmlein recht gut.
[79]
Und wie ich hinaustrat zur Schwelle,

Da bluͤhten die Baͤume ſchon all'

Und Liebchen ſo fruͤhlingshelle

Saß drunter beim Vogelſchall.
Und eh wir uns beide beſannen,

Da wiehert' das Fluͤgelroß —

Wir flogen ſelbander von dannen,

Daß es unten die Schreiber verdroß.
[80]

Die Werber.

O Fruͤhling, wie biſt du helle!

Ade nun Hof und Haus!“

Und jubelnd auf den Schwellen

Mit froͤhlichen Geſellen

Wandert der Dichter aus.
Doch ihre Lieder wecken

Rings leiſes Ziſcheln bald,

Kobold' aus allen Hecken

Erweiſen ſich mit Necken

Gar wunderbar im Wald.
Zu Roß, ſo ſchoͤn und wuͤſte,

Ein hohes Weib fliegt her,

Behelmt, entbloͤßt die Bruͤſte,

Ihr Aug' weckt wild Geluͤſte,

Sie heißt Soldaten-Ehr.
Ihr nach aus Felſenritzen

Schau'n graue Wichte klein,

Verſtreu'n von ihren Muͤtzen

Dukaten rings, die blitzen

Blutroth in's Land herein.
Der Schlauſte gar durch's Blaue

Als Fluͤgel-Buͤbchen ſchwirrt,

Fuͤhrt uͤber Berg und Aue

Daher die ſchoͤnſte Fraue —

Die macht erſt all' verwirrt.
[81]
Und der Dichter in dem Toben

Steht einſam auf der Hoͤh',

Die andern ſind zerſtoben,

So ſtill nun iſt's da oben,

Sein Herz thut ihm ſo weh.
Er hoͤrt der Quellen Gaͤnge

Durch die Waldeinſamkeit,

Da ſinnt er auf Geſaͤnge,

Die Welt giebt volle Klaͤnge,

Sein Herz wird ihm ſo weit.
Und jeden Fruͤhling wieder

Von der ſchoͤnen Jugendzeit

Singt er vom Berg hernieder,

Und Heimweh faßt die Bruͤder,

Die in dem Thal zerſtreut.
6[82]

Wehmuth.

I.
Ich kann wohl manchmal ſingen,

Als ob ich froͤhlich ſey,

Doch heimlich Thraͤnen dringen,

Da wird das Herz mir frei.
So laſſen Nachtigallen,

Spielt draußen Fruͤhlingsluft,

Der Sehnſucht Lied erſchallen

Aus ihres Kaͤfigs Gruft.
Da lauſchen alle Herzen,

Und alles iſt erfreut,

Doch keiner fuͤhlt die Schmerzen,

Im Lied das tiefe Leid.
II.
Sage mir mein Herz, was willſt du?

Unſtaͤt ſchweift dein bunter Will';

Manches andre Herz wohl ſtillſt du,

Nur du ſelbſt wirſt niemals ſtill.
„Eben, wenn ich munter ſinge,

Um die Angſt mir zu zerſtreun,

Ruh' und Frieden manchen bringe,

Daß ſich viele ſtill erfreun:
[83]
Faßt mich erſt recht tief Verlangen

Nach viel andrer beßrer Luſt,

Die die Toͤne nicht erlangen —

Ach, wer ſprengt die muͤde Bruſt?“
III.
Es waren zwei junge Grafen

Verliebt bis in den Tod,

Die konnten nicht ruh'n noch ſchlafen

Bis an den Morgen roth.
O trau' den zwei Geſellen,

Mein Liebchen, nimmermehr,

Die geh'n wie Wind und Wellen,

Gott weiß: wohin, woher. —
Wir gruͤßen Land und Sterne

Mit wunderbarem Klang,

Und wer uns ſpuͤrt von Ferne,

Dem wird ſo wohl und bang.
Wir haben wohl hienieden

Kein Haus an keinem Ort,

Es reiſen die Gedanken

Zur Heimath ewig fort.
Wie eines Stromes Dringen

Geht unſer Lebenslauf,

Geſanges Macht und Ringen

Thut helle Augen auf.
6 *[84]
Und Ufer, Wolkenfluͤgel,

Die Liebe hoch und mild —

Es wird in dieſem Spiegel

Die ganze Welt zum Bild.
Dich ruͤhrt die friſche Helle,

Das Rauſchen heimlich kuͤhl,

Das lockt dich zu der Welle,

Weil's draußen leer und ſchwuͤl.
Doch wolle nie dir halten

Der Bilder Wunderfeſt,

Todt wird ihr freies Walten,

Haͤltſt du es weltlich feſt.
Kein Bett darf er hier finden.

Wohl in den Thaͤlern ſchoͤn

Siehſt du ſein Gold ſich winden,

Dann ploͤtzlich Meerwaͤrts dreh'n.
[85]

Intermezzo.

Dein Bildniß wunderſelig

Hab' ich in Herzensgrund,

Das ſieht ſo friſch und froͤhlich

Mich an zu jeder Stund'.
Mein Herz ſtill in ſich ſinget

Ein altes, ſchoͤnes Lied,

Das in die Luft ſich ſchwinget

Und zu dir eilig zieht.
[86]

Laß das Trauern.

Laß, mein Herz, das bange Trauern

Um vergang'nes Erdengluͤck,

Ach, von dieſen Felſenmauern

Schweifet nur umſonſt der Blick!
Sind denn alle fortgegangen:

Jugend, Sang und Fruͤhlingsluſt?

Laſſen, ſcheidend, nur Verlangen

Einſam mir in meiner Bruſt?
Voͤglein hoch in Luͤften reiſen,

Schiffe fahren auf der See,

Ihre Seegel, ihre Weiſen

Mehren nur des Herzens Weh.
Iſt vorbei das bunte Ziehen,

Luſtig uͤber Berg und Kluft,

Wenn die Bilder wechſelnd fliehen,

Waldhorn immer weiter ruft?
Soll die Lieb' auf ſonn'gen Matten

Nicht mehr bau'n ihr praͤchtig Zelt,

Uebergolden Wald und Schatten

Und die weite, ſchoͤne Welt? —
Laß das Bangen, laß das Trauern,

Helle wieder nur den Blick!

Fern von dieſer Felſen Mauern,

Bluͤht Dir noch gar manches Gluͤck!
[87]

Dichterfruͤhling.

Wenn die Baͤume lieblich rauſchen,

An den Bergen, an den Seen,

Die im Sonnenſcheine ſtehen,

Warme Regen niederrauſchen,

Mag ich gern begeiſtert lauſchen.

Denn um die erfriſchten Huͤgel

Auf und nieder ſich bewegen

Fuͤhl' ich Winde, Gottes Fluͤgel,

Und mir ſelber wachſen Fluͤgel,

Athm' ich ſtill den neuen Segen.
Wie der Kranke von der Schwelle

Endlich wieder in die warme

Luft hinausſtreckt Bruſt und Arme,

Und es ſpuͤlt des Lebens Welle

Fort die Glieder in das Helle:

Alſo kommt ein neues Leben

Oft auf mich herab vom Himmel,

Und ich ſeh' vor mir mein Streben

Licht und unvergaͤnglich ſchweben

Durch des Lebens bunt Gewimmel.
Will erquickt nun alles prangen,

Irrt der Dichter durch die Schatten,

Durch die blumenreichen Matten,

Denkt der Zeiten, die vergangen,

Ferner Freunde voll Verlangen,
[88]
Und es weben ſich die Traͤume

Wie von ſelbſt zum Werk der Muſen,

Und rings Berge, Blumen, Baͤume

Wachſen in die heitern Raͤume

Nach der Melodie im Buſen.
[89]

Intermezzo.

Wohl vor lauter Sinnen, Singen

Kommen wir nicht recht zum Leben;

Wieder ohne rechtes Leben

Muß zu Ende geh'n das Singen;

Ging zu Ende dann das Singen:

Moͤgen wir auch nicht laͤnger leben.
[90]

Aufgebot.

Waldhorn bringt Kund' getragen,

Es hab' nun aufgeſchlagen

Auf Berg und Thal und Feld

Der Lenz ſeine bunte Zelt'!
In's Gruͤn zieh'n Saͤnger, Reiter,

Ein jeglich Herz wird weiter,

Moͤcht' jauchzend uͤber's Gruͤn

Mit den Lerchen in's Blaue zieh'n.
Was ſtehſt du ſo alleine,

Pilgrim, im gruͤnen Scheine?

Lockt dicht der Wunderlaut

Nicht auch zur fernen Braut?
„Ach! dieſe tauſendfachen

Heilig verſchlung'nen Sprachen

So lockend Luſt wie Schmerz

Zerreißen mir das Herz.“
„Ein Wort will mir's verkuͤnden,

Oft iſt's, als muͤßt' ich's finden,

Und wieder iſt's nicht ſo,

Und ewig frag' ich: Wo?“ —
[91]
So ſtuͤrz' dich einmal, Geſelle,

Nur friſch in die Fruͤhlingswelle!

Da ſpuͤrſt du's im Innerſten gleich

Wo's rechte Himmelreich.
Und wer dann noch mag fragen:

Freudlos in blauen Tagen

Der wandern und fragen mag

Bis an den juͤngſten Tag!
[92]

Intermezzo.
Der Buͤrgermeiſter.

Hochweiſer Rath, geehrte Kollegen!

Bevor wir uns heut aufs Rathen legen

Bitt' ich erſt reiflich zu erwaͤgen:

Ob wir vielleicht, um Zeit zu gewinnen,

Heut ſogleich mit dem Rathen beginnen,

Oder ob wir erſt proponiren muͤſſen,

Was uns verſammelt und was wir alle wiſſen? —

Ich muß pfiichtmaͤßig voranſchicken hierbei,

Daß die Art der Geſchaͤfte zweierlei ſey:

Die einen ſind die eiligen,

Die andern die langweiligen.

Auf jene pfleg' ich Cito zu ſchreiben,

Die andern koͤnnen liegen bleiben.

Die Liegenden aber, geehrte Bruͤder,

Zerfallen in wicht'ge und in hoͤchſtwicht'ge wieder.

Bei jenen — nun — man wird verwegen,

Man ſchreibt nach amtlichem Ueberlegen

More solito hier, und dort ad acta,

Die Diener rennen, man flucht, verpakt da,

Der Staat florirt und bleibt im Takt da.

Doch werden die Zeiten ſo ungeſchliffen,

Wild umzuſpringen mit den Begriffen,

Kommt gar, wie heute, ein Fall, der eilig

Und doch hoͤchſtwichtig zugleich — dann freilich

Muß man von neuem unterſcheiden:

Ob er mehr eilig oder mehr wichtig. —

Ich bitte, meine Herrn, verſtehn ſie mich richtig!
[93]
Der Punkt iſt von Einfluß. Denn wir vermeiden

Die species facti, wie billig, ſofort,

Find't ſich der Fall mehr eilig als liegend.

Iſt aber das Wichtige uͤberwiegend,

Waͤre die Eile am unrechten Ort.

Meine Herren, ſie haben nun die Praͤmiſſen,

Sie werden den Beſchluß zu finden wiſſen.
[94]

Terzett.

Hirt.


Wenn ſich der Sommermorgen ſtill erhebt,

Kein Woͤlkchen in den blauen Luͤften ſchwebt,

Mit Wonneſchauern naht das Licht der Welt,

Daß ſich die Aehrenfelder leiſe neigen,

Da ſink' ich auf die Knie im ſtillen Feld,

Und bete wenn noch alle Stimmen ſchweigen.

Jaͤger.


Doch Keiner athmet ſo den Strom von Luͤften,

Als wie der Jaͤger in den gruͤnen Kluͤften!

Wo Euch der Athem ſchwindelnd ſchon vergangen,

Hat ſeine rechte Luſt erſt angefangen,

Wenn tief das Thal auffunkelt durch die Baͤume

Der Aar ſich aufſchwingt in die klaren Raͤume.

Hirt.


Und ſinkt der Mittag muͤde auf die Matten,

Raſt' ich am Baͤchlein in den kuͤhlſten Schatten,

Ein leiſes Fluͤſtern geht in allen Baͤumen,

Das Baͤchlein plaudert wirre wie in Traͤumen,

Die Erde ſaͤuſelt kaum, als ob ſie ſchliefe,

Und mit den Wolken in den ſtillen Raͤumen

Schiff' ich ſtill fort zur unbekannten Tiefe.

Jaͤger.


Und wenn die Tiefe ſchwuͤl und traͤumend ruh't,

Steh' ich am Berg' wie auf des Landes Hut,
[95]
Seh' fern am Horizont die Wetter ſteigen,

Und durch die Wipfel, die ſich leiſe neigen,

Rauſcht droben ſchwellend ein gewaltig Lied,

Das ewig friſch mir durch die Seele zieht.

Hirt.


Es blitzt von fern, die Heimchen Staͤndchen bringen,

Und unter Bluͤthen, die im Wind ſich ruͤhren,

Die Maͤdchen plaudernd ſitzen vor den Thuͤren;

Da laß' ich meine Floͤte drein erklingen.

Daß ringsum durch die laue Sommernacht

In Fels und Bruſt der Wiederhall erwacht.

Jaͤger.


Doch wenn die Thaͤler unten laͤngſt ſchon dunkeln,

Seh' ich vom Berge noch die Sonne funkeln,

Der Adler ſtuͤrzt ſich jauchzend in die Gluten,

Es bricht der Strom mit feuertrunk'nen Fluten

Durch's enge Steingekluͤft, wie er ſich rette

Zum ew'gen Meer — ach, wer da Fluͤgel haͤtte!

Angela.


Wenn von den Auen

Die Floͤte ſingt,

Aus Waldesrauſchen

Das Horn erklingt,

Da ſteh' ich ſinnend

Im Morgenlicht —

Wem ich ſoll folgen,

Ich weiß es nicht.
[96]
Doch kehrt ihr beide

Im letzten Strahl

Der Sonne wieder

Zuruͤck ins Thal,

Schaut mir ſo freudig

In's Angeſicht:

Da weiß ich's ploͤtzlich —

Doch ſag' ich's nicht.
[97]

Intermezzo.
Chor der Schmiede.

Biſt zum kuͤnft'gen Holmgang

Nun gehaͤmmert, Nordmann!

Schlaͤngelt ſich im Todkampf

Gluthroth einſt dein Schwerdtblitz —

Sehr weint da die Heldbraut —

Denk! der Waffenmeiſter

Hammert, ſinget! Iſt's auch

Ungereimt, ſo klappt's doch!
7[98]

Morgenlied.

Ein Stern ſtill nach dem andern faͤllt

Tief in des Himmels Kluft,

Schon zucken Strahlen durch die Welt,

Ich wittre Morgenluft.
In Qualmen ſteigt und ſinkt das Thal;

Veroͤdet noch vom Feſt

Liegt ſtill der weite Freudenſaal,

Und todt noch alle Gaͤſt'.
Da hebt die Sonne aus dem Meer

Erathmend ihren Lauf:

Zur Erde geht, was feucht und ſchwer,

Was klar, zu ihr hinauf.
Hebt gruͤner Waͤlder Trieb und Macht

Neurauſchend in die Luft,

Zieht hinten Staͤdte, eitel Pracht,

Blau' Berge durch den Duft.
Spannt aus die gruͤnen Tepp'che weich,

Von Stroͤmen hell durchrankt,

Und ſchallend glaͤnzt das friſche Reich,

So weit das Auge langt.
Der Menſch nun aus der tiefen Welt

Der Traͤume tritt heraus,

Freut ſich, daß alles noch ſo haͤlt,

Daß noch das Spiel nicht aus.
[99]
Und nun geht's an ein Fleißigſein!

Umſumſend Berg und Thal,

Agiret luſtig Groß und Klein

Den Plunder allzumal.
Die Sonne ſteiget einſam auf,

Ernſt uͤber Luſt und Weh

Lenkt ſie den ungeſtoͤrten Lauf,

Zu ſtiller Glorie. —
Und wie er dehnt die Fluͤgel aus,

Und wie er auch ſich ſtellt:

Der Menſch kann nimmermehr hinaus

Aus dieſer Narrenwelt.
7 *[100]

Intermezzo.
Chor der Schneider.

Nur vom Ganzen friſch geriſſen,

Eh' die Waare ganz verſchliſſen,

Hier ein uralt guͤlden Stuͤck,

Giebt ſo'n gewiſſen frommen Blick,

Hier ein bunter welſcher Flick,

Drauf ein Stuͤck Hausleinewand,

Macht das Welſche erſt pikant

Hie 'nen Fetzen Baͤrenhaut,

Daß man auch das Teutſche ſchaut,

Druͤber einen ſpan'ſchen Kragen,

Das Erhab'ne wird behagen,

Friſch geſtichelt, fein zum Werke,

Und wird auch nichts Ganzes draus,

Sieht es doch gar niedlich aus!
[101]

Guter Rath.

Springer, der in luft'gem Schreiten

Ueber die gemeine Welt,

Kokettiret mit den Leuten,

Sicherlich vom Seile faͤllt.
Schiffer, der nach jedem Winde,

Blaſ' er witzig oder dumm,

Seine Seegel ſtellt geſchwinde,

Kommt im Waſſer ſchmaͤhlich um.
Weiſen Sterne doch die Richtung,

Hoͤrſt du Nachts doch fernen Klang,

Dorthin liegt das Land der Dichtung,

Fahre zu und frag' nicht lang.
[102]

Umkehr.

Leben kann man nicht von Toͤnen,

Poeſie geht ohne Schuh,

Und ſo wandt' ich denn der Schoͤnen

Endlich auch den Ruͤcken zu:
Lange durch die Welt getrieben

Hat mich nun die irre Haſt,

Immer doch bin ich geblieben

Nur ein ungeſchickter Gaſt.
Ueberall zu ſpaͤt zum Schmauſe

Kam ich, wenn die andern voll,

Trank die Neigen vor dem Hauſe,

Wußt' nicht, wem ich's trinken ſoll.
Mußt' mich vor Fortuna buͤcken

Ehrfurchtsvoll bis auf die Zeh'n,

Vornehm wandt' ſie mir den Ruͤcken,

Ließ mich ſo gebogen ſtehn.
Und als ich mich aufgerichtet

Wieder friſch und frei und ſtolz,

Sah ich Berg' und Thal gelichtet,

Bluͤhen jedes duͤrre Holz.
Welt hat eine plumpe Pfote,

Wandern kann man ohne Schuh —

Deck' mit Deinem Morgenrothe

Wieder nur den Wandrer zu!
[103]

Liedesmuth.

Was Lorbeerkranz und Lobestand!

Es duftet ſtill die Fruͤhlingsnacht

Und rauſcht der Wald vom Felſenrand,

Ob's jemand hoͤrt, ob niemand wacht.
Es ſchlaͤft noch alles Menſchenkind,

Da pfeift ſein luſt'ges Wanderlied

Schon uͤber's Feld der Morgenwind

Und fraͤgt nicht erſt, wer mit ihm zieht.
Und ob ihr all' zu Hauſe ſaßt,

Der Fruͤhling bluͤht doch, weil er muß,

Und ob ihr's leſ't oder bleiben laßt,

Ich ſinge doch aus friſcher Bruſt.
[104]

Der Iſegrimm.

Aktenſtoͤße Nachts verſchlingen,

Schwatzen nach der Welt Gebrauch

Und das große Tret-Rad ſchwingen

Wie ein Ochs, das kann ich auch.
Aber glauben, daß der Plunder

Eben nicht der Plunder waͤr',

Sondern ein hochwichtig Wunder,

Das gelang mir nimmermehr.
Aber Andre uͤberwitzen,

Daß ich mit dem Federkiel

Koͤnnt' den morſchen Weltbau ſtuͤtzen,

Schien mir immer Narrenſpiel.
Und ſo, weil ich in dem Drehen

Daſteh' oft wie ein Pasquill,

Laͤßt die Welt mich eben ſtehen —

Mag ſie's halten, wie ſie will!
[105]

Treue.

Friſch auf, mein Herz! wie heiß auch das Gedraͤnge,

Bewahr' ich doch mir kuͤhl und frei die Bruſt!

Schickt Wald und Flur doch noch die alten Klaͤnge,

Erſchuͤtternd mich mit wunderbarer Luſt.

Und ob die Woge feindlich mit mir raͤnge:

So froͤmmer nur ſing' ich aus treuer Bruſt;

Da bleicht das Wetter, Himmelblau ſcheint helle,

Das Meer wird ſtill und zum Delphin die Welle.
„Was wollt' Ihr doch mit Euer'm Lieder-Spaße!

Des Wuͤrd'gern beut die große Zeit ſo viel!“

So ſchallt's hoffaͤrtig nun auf jeder Gaſſe,

Und jeder ſteckt ſich dreiſt ſein glaͤnzend Ziel.

Die Lieder, die ich ſtammelnd hoͤren laſſe,

Ew'ger Gefuͤhle ſchwaches Wiederſpiel, —

Sie ſind es wahrlich auch nicht, was ich meine,

Denn ewig unerreichbar iſt das Eine.
Doch lieben oft, der Sehnſucht Gluth zu mildern,

Gefang'ne wohl, das ferne Vaterland

An ihres Kerkers Mauern abzuſchildern.

Ein Himmelsſtrahl faͤllt ſchweifend auf die Wand,

Da ruͤhrt's lebendig ſich in allen Bildern. —

Dem Auge ſcheint's ein lieblich bunter Tand —

Doch wer der lichten Heimath recht zu eigen,

Dem wird der Bilder ernſter Geiſt ſich zeigen.
[106]
So wachſe denn und treibe froͤhlich Bluͤthe,

Du kraͤftig gruͤner deutſcher Sangesbaum!

Rauſch' nur erfriſchend fort mir in's Gemuͤthe

Aus Deiner Wipfel klarem Himmelsraum!

Du aber, wunderbare, ew'ge Guͤte,

Die mir den Himmel wies im ſchoͤnen Traum,

Erhalt' auf Erden ruͤſtig mir die Seele,

Daß ich, wo's immer ehrlich gilt, nicht fehle!
[107]

Dichterloos.

Fuͤr Alle muß vor Freuden

Mein treues Herze gluͤh'n,

Fuͤr Alle muß ich leiden,

Fuͤr Alle muß ich bluͤh'n,

Und wenn die Bluͤthen Fruͤchte haben,

Da haben ſie mich laͤngſt begraben.
[108]

Spruch.

Bau nur auf Weltgunſt recht

Und paß' auf jeden Wink und Gruß,

Wirſt dabei nimmer froͤhlich werden!

Es hat's kein Hund ſo ſchlecht,

Der hinter ſeinem Herren muß,

Nicht frei ſpazieren kann auf Erden.
[109]

Lockung.

Hoͤrſt du nicht die Baͤume rauſchen

Draußen durch die ſtille Rund'?

Lockt's dich nicht hinabzulauſchen

Von dem Soͤller in den Grund,

Wo die vielen Baͤche gehen

Wunderbar im Mondenſchein

Und die ſtillen Schloͤſſer ſehen

In den Fluß vom hohen Stein.
Kennſt du noch die irren Lieder

Aus der alten ſchoͤnen Zeit?

Sie erwachen alle wieder

Nachts in Waldeseinſamkeit,

Wenn die Baͤume traͤumend lauſchen

Und der Flieder duftet ſchwuͤl

Und im Fluß die Nixen rauſchen —

Komm herab, hier iſt's ſo kuͤhl.
[110]

Ruͤckblick.

Ich wollt' im Walde dichten

Ein Heldenlied voll Pracht,

Verwickelte Geſchichten

Recht ſinnreich ausgedacht.

Da rauſchten Baͤume, ſprangen

Vom Fels die Baͤche drein,

Und tauſend Stimmen klangen

Verwirrend aus und ein.

Und manches Jauchzen ſchallen

Ließ ich aus friſcher Bruſt,

Doch aus den Helden allen

Ward nichts vor tiefer Luſt.
Kehr ich zur Stadt erſt wieder

Aus Feld und Waͤldern kuͤhl,

Da kommen all' die Lieder

Von fern durchs Weltgewuͤhl,

Es hallen Luſt und Schmerzen

Noch einmal leiſe nach,

Und bildend wird im Herzen

Die alte Wehmuth wach,

Der Winter auch derweile

Im Feld die Blumen bricht —

Dann giebt's vor Langerweile

Ein uͤberlang Gedicht!
[111]

Zweifel.

Koͤnnt' es jemals denn verbluͤhen,

Dieſes Glaͤnzen, dieſes Licht,

Das durch Arbeit, Sorgen, Muͤhen

Wie der Tag durch Wolken bricht,

Blumen, die ſo farbig gluͤhen,

Um das oͤde Leben flicht?
Golden ſind des Himmels Saͤume,

Abwaͤrts ziehen Furcht und Nacht,

Ruͤſtig rauſchen Stroͤm' und Baͤume

Und die heitre Runde lacht,

Ach, das ſind nicht leere Traͤume,

Was im Buſen da erwacht!
Bunt verſchlingen ſich die Gaͤnge,

Toſt die Menge her und hin,

Schallen zwiſchendrein Geſaͤnge,

Die durch's Ganze golden ziehn,

Still begegnet im Gedraͤnge

Dir des Lebens ernſter Sinn.
Und das Herz denkt ſich verloren,

Beſſer Andrer Thun und Wuſt,

Fuͤhlt ſich wieder dann erkohren,

Ewig einſam doch die Bruſt.

O des Wechſels, o des Thoren,

O der Schmerzen, o der Luſt!
[112]

Dichtergluͤck.

O Welt, bin dein Kind nicht von Hauſe,

Du haſt mir nichts geſchenkt,

So hab' ich denn friſch meine Klauſe

In Morgenroth mir verſenkt.
Fortuna, ſtreif' nur die Hoͤhen

Und wende dein Angeſicht,

Ich bleibe im Wald bei den Rehen,

Flieg' zu, wir brauchen dich nicht.
Und ob auf Hoͤh'n und im Grunde

Kein Streifchen auch meine blieb,

Ich ſegne dich, ſchoͤne Runde,

Ich habe dich dennoch ſo lieb!
[113]

Gluͤckliche Fahrt.

Wuͤnſche ſich mit Wuͤnſchen ſchlagen,

Und die Gier wird nie geſtillt.

Wer iſt in dem wuͤſten Jagen

Da der Jaͤger, wer das Wild?

Seelig, wer es fromm mag wagen,

Durch das Treiben dumpf und wild

In der feſten Bruſt zu tragen

Heil'ger Schoͤnheit hohes Bild!
Sieh, da brechen tauſend Quellen

Durch die felſenharte Welt,

Und zum Strome wird ihr Schwellen,

Der melodiſch ſteigt und faͤllt.

Ringsum ſich die Fernen hellen,

Gottes Hauch die Segel ſchwellt —

Rettend ſpuͤlen Dich die Wellen

In des Herzens ſtille Welt.
8[114]

Sommerſchwüle.

I.
Ich klimm' zum Berg und ſchau' zur niedern Erde,

Ich klimm' hinab und ſchau' die Berge an,

Suͤß-melancholiſch ſpitzt ſich die Geberde

Und gift'ge Weltverachtung ficht mich an;

Doch will aus Schmerz und Haß nichts Rechtes werden.

Ermanne Dich! — Ich bin doch wohl ein Mann? —

Und ach! wie traͤge Sylb' aus Sylbe ſchleichet,

Mit Noth hab' ich den letzten Reim erreichet.
O weg mit Reim und Leierklang und Singen!

Faß', Leben, wieder mich lebendig an!

Mit Deiner Woge will ich freudig ringen,

Die tief mich ſtuͤrzt, hebt mich auch himmelan.

Im Sturme ſpannt der Adler ſeine Schwingen —

Blaſ' zu! da ſpuͤr' ich wieder, daß ich Mann!

Viel lieber will ich raſchen Tod erwerben,

Als, ſo verſchmachtend, lebenslang zu ſterben.
II.
Die Nachtigall ſchweigt, ſie hat ihr Neſt gefunden

Traͤg' ziehn die Quellen, die ſo kuͤhle ſprangen,

Von truͤber Schwuͤle liegt die Welt umfangen,

So hat den Lenz der Sommer uͤberwunden.
Noch nie hat es die Bruſt ſo tief empfunden,

Es iſt, als ob viel' Stimmen heimlich ſangen:

„Auch Dein Lenz, froher Saͤnger, iſt vergangen,

An Weib und Kind iſt nun der Sinn gebunden!“
[115]
O komm, Geliebte, komm' zu mir zuruͤcke!

Kann ich nur Deine hellen Augen ſchauen,

Froͤhlich Geſtirn in dem verworr'nen Treiben:
Woͤlbt hoch ſich wieder des Geſanges Bruͤcke,

Und kuͤhn darf ich der alten Luſt vertrauen,

Denn ew'ger Fruͤhling will bei Liebe bleiben.
8 *[116]

Friſch auf!

Ich ſaß am Schreibtiſch bleich und krumm,

Es war mir in meinem Kopf ganz dumm

Vor Dichten, wie ich alle die Sachen

Sollte auf's allerbeſte machen.

Da guckt am Fenſter im Morgenlicht

Durch's Weinlaub ein wunderſchoͤnes Geſicht,

Guckt und lacht, kommt ganz herein

Und kramt mir unter den Blaͤttern mein.

Ich, ganz verwundert: „Ich ſollt' dich kennen“ —

Sie aber, ſtatt ihren Namen zu nennen:

„Pfui in dem Schlafrock, ſiehſt ja aus

Wie ein verfallenes Schilderhaus!

Willſt du denn hier in der Tinte ſitzen,

Schau, wie die Felder da draußen blitzen!“

So draͤngt ſie mich fort unter Lachen und Streit,

Mir that's um die ſchoͤne Zeit nur Leid.

Drunten aber unter den Baͤumen

Stand ein Roß mit funkelnden Zaͤumen.

Sie ſchwang ſich luſtig mit mir hinauf,

Die Sonne draußen ging eben auf,

Und eh' ich mich konnte bedenken und faſſen,

Ritten wir raſch durch die ſtillen Gaſſen,

Und als wir kamen vor die Stadt,

Das Roß auf einmal zwei Fluͤgel hatt',

Mir ſchauerte es recht durch alle Glieder:

„Mein Gott, iſt's denn ſchon Fruͤhling wieder?“ —

Sie aber wies mir, wie wir ſo zogen,

Die Laͤnder, die unten voruͤberflogen,
[117]
Und hoch uͤber dem allerſchoͤnſten Wald

Machte ſie laͤchelnd auf einmal Halt.

Da ſah ich erſchrocken zwiſchen den Baͤumen

Meine Heimath unten wie in Traͤumen,

Das Schloß, den Garten und die ſtille Luft,

Die blauen Berge dahinter im Duft

Und alle die ſchoͤne alte Zeit

In der wunderſamen Einſamkeit.

Und als ich mich wandte, war ich allein,

Das Roß nur wiehert' in den Morgen hinein,

Mir aber war's als waͤr' ich wieder jung,

Und wußte der Lieder noch genung!
[118]

Kriegslied.

Nicht mehr in Waldesſchauern

An jaͤher Kluͤfte Rand,

Wo dunkle Tannen trauern,

Siehſt du die Brut mehr lauern

Auf wuͤſter Felſenwand.
Die Greiffen nicht mehr fliegen,

Lindwuͤrm' auf heißem Sand

Nicht mehr mit Loͤwen kriegen,

Auf ihren Baͤuchen liegen

Die Drachen im platten Land.
Doch wo das Leben ſchimmelt,

So weit man reiſen kann,

Von Wuͤrmern es noch wimmelt,

Und was auf Erden himmelt,

Sie hauchen's giftig an.
Noch halten ſie in Schlingen

Die wunderſchoͤne Braut,

Bei Nacht hoͤrt man ihr Singen

Die ſtille Luft durchdringen

Mit tiefem Klagelaut.
Das iſt die Brut der Natter,

Die immer neu entſtand:

Philiſter und ihre Gevatter,

Die machen groß Geſchnatter

Im deutſchen Vaterland.
[119]
Sankt Georg, du blanker Streiter,

Leg' deine Lanze ein,

Und wo ein wackrer Reiter,

Dem noch das Herz wird weiter,

Der ſteche friſch mit drein!
[120]

Eldorado.

Es iſt von Klang und Duͤften

Ein wunderbarer Ort,

Umrankt von ſtillen Kluͤften,

Wir alle ſpielten dort.
Wir alle ſind verirret,

Seitdem ſo weit hinaus,

Unkraut die Welt verwirret,

Find't keiner mehr nach Haus.
Doch manchmal taucht's aus Traͤumen,

Als laͤg' es weit im Meer,

Und fruͤh noch in den Baͤumen

Rauſcht's wie ein Gruͤßen her.
Ich hoͤrt' den Gruß verfliegen,

Ich folgt' ihm uͤber Land,

Und hatte mich verſtiegen

Auf hoher Felſenwand.
Mein Herz ward mir ſo munter,

Weit hinten alle Noth,

Als ginge jenſeits unter

Die Welt in Morgenroth.
Der Wind ſpielt' in den Locken,

Da blitzt' es drunten weit,

Und ich erkannt' erſchrocken

Die alte Einſamkeit.
[121]
Nun jeden Morgenſchimmer

Steig' ich in's Bluͤthenmeer,

Bis ich Gluͤckſeel'ger nimmer

Von dorten wiederkehr'.
[122]

Troſt.

Es haben viel' Dichter geſungen

Im ſchoͤnen deutſchen Land,

Nun ſind ihre Lieder verklungen,

Die Saͤnger ruhen im Sand.
Aber ſo lange noch kreiſen

Die Stern' um die Erde rund,

Thun Herzen in neuen Weiſen

Die alte Schoͤnheit kund.
Im Walde da liegt verfallen

Der alten Helden Haus,

Doch aus den Thoren und Hallen

Bricht jaͤhrlich der Fruͤhling aus.
Und wo immer muͤde Fechter

Sinken im muthigen Strauß,

Es kommen friſche Geſchlechter

Und fechten es ehrlich aus.
[123]

An die Dichter.

Wo treues Wollen, redlich Streben

Und rechten Sinn der Rechte ſpuͤrt,

Das muß die Seele ihm erheben,

Das hat mich jedesmal geruͤhrt.
Das Reich des Glaubens iſt geendet,

Zerſtoͤrt die alte Herrlichkeit,

Die Schoͤnheit weinend abgewendet,

So gnadenlos iſt unſre Zeit.
O Einfalt gut in frommen Herzen,

Du zuͤchtig ſchoͤne Gottesbraut!

Dich ſchlugen ſie mit frechen Scherzen,

Weil Dir vor ihrer Klugheit graut.
Wo find'ſt Du nun ein Haus, vertrieben,

Wo man Dir Deine Wunder laͤßt,

Das treue Thun, das ſchoͤne Lieben,

Des Lebens fromm vergnuͤglich Feſt?
Wo findeſt Du den alten Garten,

Dein Spielzeug, wunderbares Kind,

Der Sterne heil'ge Redensarten,

Das Morgenroth, den friſchen Wind?
Wie hat die Sonne ſchoͤn geſchienen!

Nun iſt ſo alt und ſchwach die Zeit;

Wie ſteh'ſt ſo jung Du unter ihnen,

Wie wird mein Herz mir ſtark und weit!
[124]
Der Dichter kann nicht mit verarmen;

Wenn Alles um ihn her zerfaͤllt,

Hebt ihn ein goͤttliches Erbarmen —

Der Dichter iſt das Herz der Welt.
Den bloͤden Willen aller Weſen,

Im Irdiſchen des Herren Spur,

Soll er durch Liebeskraft erloͤſen,

Der ſchoͤne Liebling der Natur.
D'rum hat ihm Gott das Wort gegeben,

Das kuͤhn das Dunkelſte benennt,

Den frommen Ernſt im reichen Leben,

Die Freudigkeit, die Keiner kennt.
Da ſoll er ſingen frei auf Erden,

In Luſt und Noth auf Gott vertrau'n,

Daß Aller Herzen freier werden,

Erathmend in die Klaͤnge ſchau'n.
Der Ehre ſei er recht zum Horte,

Der Schande leucht' er ins Geſicht!

Viel Wunderkraft iſt in dem Worte,

Das hell aus reinem Herzen bricht.
Vor Eitelkeit ſoll er vor Allen

Streng huͤten ſein unſchuld'ges Herz,

Im Falſchen nimmer ſich gefallen,

Um eitel Witz und blanken Scherz.
[125]
O laßt' unedle Muͤhe fahren,

O klingelt, gleißt und ſchielet nicht

Mit Licht und Gnad' ſo ihr erfahren,

Zur Suͤnde macht ihr das Gedicht!
Den lieben Gott laß' in Dir walten,

Aus friſcher Bruſt nur treulich ſing'!

Was wahr in Dir, wird ſich geſtalten,

Das andre iſt erbaͤrmlich Ding. —
Den Morgen ſeh' ich ferne ſcheinen,

Die Stroͤme zieh'n im gruͤnen Grund,

Mir iſt ſo wohl! — die's ehrlich meinen,

Die gruͤß' ich All' aus Herzensgrund!
[][]

III.Zeitlieder.

Wo ruhig ſich und wilder

Unſtaͤte Wellen theilen,

Des Lebens ſchoͤne Bilder

Und Klaͤng' verworren eilen,

Wo iſt der ſichre Halt? —

So ferne, was wir ſollen,

So dunkel, was wir wollen,

Faßt alle die Gewalt.
[][]

Die Freunde.

I.
Wer auf den Wogen ſchliefe

Ein ſanft gewiegtes Kind,

Kennt nicht des Lebens Tiefe,

Vor ſuͤßem Traͤumen blind.
Doch wen die Stuͤrme faſſen

Zu wildem Tanz und Feſt,

Hoch auf den dunklen Straßen

Die falſche Welt verlaͤßt:
Der lernt ſich wacker ruͤhren,

Durch Nacht und Klippen hin

Lernt der das Steuer fuͤhren

Mit ſichrem, ernſten Sinn.
Der iſt vom echten Kerne,

Erprobt zu Luſt und Pein,

Der glaubt an Gott und Sterne,

Der ſoll mein Schiffmann ſein!
9[130]
II.
An L..
Vor mir liegen Deine Zeilen,

Sind nicht Worte, Schriften nicht,

Pfeile, die verwundend heilen,

Freundes-Augen, treu und ſchlicht.
Niemals konnte ſo mich ruͤhren

Noch der Liebſten Angeſicht,

Wenn uns Augen ſuͤß verfuͤhren,

Und die Welt voll Glanz und Licht:
Als in Freundes-Augen leſen

Meiner eignen Seele Wort,

Feſter Treue maͤnnlich Weſen,

In Betruͤbniß Troſt und Hort.
So verſchlingen in Gedanken

Sich zwei Staͤmme wundertreu,

Andre dran ſich muthig ranken

Kron' an Krone immer neu.
Praͤcht'ger Wald, wo's kuͤhl zu wohnen,

Stille wachſend Baum an Baum,

Mit den bruͤderlichen Kronen

Rauſchend in dem Himmelsraum!
[131]
III.
An L..
Mit Vielem will die Heimath mich erfreuen,

Ein heitres Schloß an blaugewund'nem Fluſſe,

Geſell'ge Luſt, Muthwill und frohe Muße,

Der Liebe heitres Spiel, ſuͤß zu zerſtreuen.
Doch wie die Tage freundlich ſich erneuen,

Fehlt doch des Freundes Bruſt in That und Muße,

Der Ernſt, der herrlich ſchwelget im Genuſſe,

Des reichen Blicks ſich wahr und recht zu freuen.
Wo Zwei' ſich treulich nehmen und ergaͤnzen,

Waͤchſt unvermerkt das freud'ge Werk der Muſen.

Drum laß mich wieder, Freund, an's Herz Dich

druͤcken!
Uns beide will noch ſchoͤn das Leben ſchmuͤcken

Mit ſeinen reichen, heitern, vollen Kraͤnzen,

Der Morgenwind wuͤhlt um den off'nen Buſen!
IV.
An Fraͤulein —.

Schalkhafte Augen reizend aufgeſchlagen,

Die Bruſt empoͤrt, die Wuͤnſche zu verſchweigen,

Sieht man den leichten Zelter Dich beſteigen,

Nach Luſt und Scherzen durch den Lenz zu jagen.
Zu jung, des Lebens Ernſte zu entſagen —

Kann ich nicht laͤnger ſpielen nun und ſchweigen,

Wer Herrlich's fuͤhlt, der muß ſich herrlich zeigen,

Mein Ruhen iſt ein ewig friſches Wagen.
9*[132]
Laß mich, ſo lang noch trunken unſre Augen,

Ein'n bluͤh'nden Kranz aus den vergang'nen Stunden

Dir heiter um die weiße Stirne winden;
Frag' nicht dann, was mich Deinem Arm' entwunden,

Druͤck' feſt den Kranz nur in die muntern Augen,

Mein Haupt will auch und ſoll den ſeinen finden!
An Fouqué.
I.
Seh ich des Tages wirrendes Beginnen,

Die bunten Bilder flieh'n und ſich vereinen,

Moͤcht' ich das ſchoͤne Schattenſpiel beweinen,

Denn eitel iſt, was jeder will gewinnen.
Doch wenn die Straßen leer, einſam die Zinnen

Im Morgenglanze wie Kometen ſcheinen,

Ein ſtiller Geiſt ſteht auf den dunklen Steinen,

Als wollt' er ſich auf alte Zeit beſinnen:
Da nimmt die Seele ruͤſtig ſich zuſammen,

An Gott gedenkend und an alles Hohe,

Was rings gedeihet auf der Erden Runde.
Und aus dem Herzen lang verhalt'ne Flammen

Sie brechen froͤhlich in des Morgens Lohe,

Da gruͤß' ich, Saͤnger, Dich aus Herzensgrunde!
II.
Von See'n und Waͤldern eine naͤcht'ge Runde

Sah ich, und Drachen zieh'n mit gluͤh'nden Schweifen,

In Eicheswipfeln einen Horſt von Greifen,

Das Nordlicht ſchraͤge leuchtend uͤber'm Grunde.
[133]
Durch Qualm dann klingend brach die Morgenſtunde,

Da ſchweiften Ritter blank durch Nebelſtreifen,

Durch Winde ſcharf, die auf der Haide pfeifen,

Ein Harfner ſang, lobt' Gott aus Herzensgrunde.
Tiefathmend ſtand ich uͤber dieſen Kluͤften,

Des Lebens Mark ruͤhrt' ſchauernd an das meine,

Wie ein geharn'ſchter Rieſe da erhoben.
Kein ird'ſcher Laut mehr reichte durch die Luͤfte,

Mir war's, als ſtaͤnde ich mit Gott alleine,

So einſam, weit und ſternhell war's da oben.
III.
In Stein gehau'n, zwei Loͤwen ſtehen draußen,

Bewachen ewig ſtumm die heil'ge Pforte.

Wer ſich, die Bruſt voll Weltluſt, naht dem Orte,

Den fuͤllt ihr ſteinern Blicken bald mit Grauſen.
Dir waͤchſt Dein Herz noch bei der Waͤlder Sauſen,

Dich ruͤhren noch die wilden Rieſenworte,

Nur Gott vertrau'nd, dem hoͤchſten Schirm' und

Horte —

So magſt Du bei den alten Wundern hauſen.
Ob auch die andern Deines Lieds nicht achten,

Der Heldenluſt und zarten Liebesbluͤthe,

Gedanken treulos wechſelnd mit der Mode:
So felſenfeſter ſei Dein großes Trachten,

Hau' klingend Luft Dir, ritterlich Gemuͤthe!

Wir wollen bei Dir bleiben bis zum Tode.
[134]

Der Rieſe.

Es ſaß ein Mann gefangen

Auf einem hohen Thurm,

Die Wetterfaͤhnlein klangen

Gar ſeltſam in den Sturm.
Und draußen hoͤrt' er ringen

Verworr'ner Stroͤme Gang,

Dazwiſchen Voͤglein ſingen,

Und heller Waffen Klang.
Ein Liedlein ſcholl gar luſtig:

Heiſa, ſo lang Gott will!

Und wilder Menge Toſen,

Dann wieder todtenſtill.
So tauſend Stimmen irren,

Wie Wind' im Meere geh'n,

Sich theilen und verwirren,

Er konnte nichts verſteh'n.
Doch ſpuͤrt' er, wer ihn gruͤße

Mit Schaudern und mit Luſt,

Es ruͤhrt ihm wie ein Rieſe

Das Leben an die Bruſt.
[135]

Saͤnger-Fahrt.

Kuͤhlrauſchend unter'm hellen

Tiefblauen Himmelsdom

Treibt ſeine klaren Wellen

Der ew'gen Jugend Strom.
Viel ruͤſtige Geſellen,

Den Argonauten gleich,

Sie fahren auf den Wellen

In's duft'ge Fruͤhlingsreich.
Ich aber faſſ' den Becher,

Daß es durch's Schiff erklingt,

Am Maſt ſteh' ich als Sprecher,

Der fuͤr euch alle ſingt.
Wie ſtehn wir hier ſo helle!

Wird mancher bald ſchlafen gehn,

O Leben, wie biſt du ſchnelle,

O Leben, wie biſt du ſchoͤn!
Gegruͤßt, du weite Runde,

Burg auf der Felſenwand,

Du Land voll großer Kunde,

Mein gruͤnes Vaterland!
Euch moͤcht' ich alles geben,

Und ich bin fuͤrſtlich reich,

Mein Herzblut und mein Leben,

Ihr Bruͤder, alles fuͤr Euch!
[136]
So fahr't im Morgenſchimmer!

Sei's Donau oder Rhein,

Ein rechter Strom bricht immer

In's ew'ge Meer hinein.
[137]

In das Stammbuch der M. H.

Akroſtichon mit aufgegebenen Endreimen.


Iſt hell der Himmel, heiter alle Wellen

Betritt der Schiffer wieder ſeine Wogen,

Voruͤber Wald und Berge ſchnell geflogen,

Er muß, wohin die vollen Segel ſchwellen.

In Duft verſinken bald all' liebe Stellen,

Cypreſſen nur noch ragen aus den Wogen,

Heruͤber kommt manch ſuͤßer Laut geflogen,

Es trinkt das Meer der Klagen ſanfte Quellen.

Nichts weilt. — Doch zaubern Treue und Verlangen,

Da muß ſich bluͤh'nder alte Zeit erneuern,

Oeffnet die Ferne drauf die Wunderlichtung,

Ruht Dein Bild drin bekraͤnzt in heil'ger Dichtung. —

Fern laß' den Freund nach Oſt und Weſt nur ſteuern,

Frei ſcheint er wohl — Du haͤltſt ihn doch gefangen!
[138]

In E..s Stammbuch.

Mit einem Blatte, ein Bergſchloß vorſtellend.


In klaren Ebenmaaßen ſchoͤn gefugt

Gleich dem Pallaſte freundlich ſich erhebend,

Stark wie die Burg, die von dem Feld dort lugt,

In ernſter Hoͤh der alten Freiheit lebend,

Gleich jenem Thurm ſtets nach dem Hoͤchſten ſtrebend,

Schloß, Burg und was da irdiſch, uͤberfluͤgelnd —

Dabei, ſtill wie die See dort, im Gemuͤth

Des Himmels Blau und was auf Erden bluͤht,

In frommer Klarheit ewig heiter ſpiegelnd;

Vor allem dann fern uͤber Strom und Land

Den alten Freunden treulich zugewandt!
[139]

Auf dem Schwedenberge.

Da hoben bunt und bunter

Sich Zelte in die Luft,

Und Faͤhnlein wehten munter

Herunter von der Kluft.
Und um die leichten Tiſche,

An jenem Baͤchlein klar,

Saß in der kuͤhlen Friſche

Der luſt'gen Reiter Schaar.
Eilt' durch die ruͤſt'gen Zecher

Die Marketenderin,

Reicht' fluͤchtig ihre Becher,

Nimmt fluͤcht'ge Kuͤſſe hin.
Da war ein Toben, Lachen,

Weit in den Wald hinein,

Die Trommel ging, es brachen

Die luſt'gen Pfeifen drein.
Durch die verworr'nen Klaͤnge

Stuͤrmt' fort manch' wilde Bruſt,

Da ſchallten noch Geſaͤnge

Von Freiheit und von Luſt.
Fort iſt das bunte Toben,

Verklungen Sang und Klang,

Und ſtille iſt's hier oben

Viel hundert Jahre lang.
[140]
Du Wald, ſo dunkelſchaurig,

Waldhorn, Du Jaͤgerluſt!

Wie luſtig und wie traurig

Ruͤhrſt Du mir an die Bruſt!
[141]

Lieber Alles.

Soldat ſein iſt gefaͤhrlich,

Studiren ſehr beſchwerlich,

Das Dichten ſuͤß und zierlich,

Der Dichter gar poſſierlich

In dieſen wilden Zeiten.

Ich moͤcht' am liebſten reiten,

Ein gutes Schwert zur Seiten,

Die Laute in der Rechten,

Studentenherz zum Fechten.

Ein wildes Roß iſt's Leben,

Die Hufe Funken geben,

Wer's ehrlich wagt, bezwingt es,

Und wo es tritt, da klingt es!
[142]

Sonnette.

An A —.
I.
Die Klugen, die nach Gott nicht wollten fragen,

Den heil'gen Kampf gern irdiſch moͤchten ſchlichten,

Zum Tod kein Herz, nicht Lieb', ſich aufzurichten,

Verzehren ſich nur ſelbſt in eitlen Klagen.
Sind alle Eure Schiffe denn zerſchlagen:

Sieht man die heil'ge Flagge Dich aufrichten,

Vom Liebesſturm, der jene mußt' vernichten,

Dein junges Schiff ſiegreich hinweggetragen.
Suͤdwinde ſpielen blau um Laut' und Locken,

In Morgenroth des Hutes Federn ſchwanken

Und Gottes Athem macht die Segel ſchwellen.
Wen noch die alten Heimath-Klaͤnge locken,

Dem fuͤllt der Segel wie der Toͤne Schwellen

Die Bruſt mit jungen, ewigen Gedanken.
II.
Wir ſind ſo tief betruͤbt, wenn wir auch ſcherzen,

Die armen Menſchen muͤh'n ſich ab und reiſen,

Die Welt zieht ernſt und ſtreng in ihren Gleiſen,

Ein feuchter Wind verloͤſcht die luſt'gen Kerzen.
[143]
Du haſt ſo ſchoͤne Worte tief im Herzen,

Du weißt ſo wunderbare, alte Weiſen,

Und wie die Stern' am Firmamente kreiſen,

Ziehn durch die Bruſt dir ewig Luſt und Schmerzen.
So laß' Dein' Stimme hell im Wald erſcheinen!

Das Waldhorn fromm wird auf und nieder wehen,

Die Waſſer geh'n und einſam Rehe weiden.
Wir wollen ſtille ſitzen und nicht weinen,

Wir wollen in den Rhein hinunterſehen,

Und, wird es finſter, nicht von ſammen ſcheiden.
III.
Es will die Zeit mit ihrem Schutt verdecken,

Den hellen Quell, der meiner Bruſt entſprungen,

Umſonſt Gebete himmelan geſchwungen,

Sie moͤgen nicht das Ohr der Gnade wecken.
So laß die Nacht die grauſen Fluͤgel ſtrecken,

Nur immerzu, mein tapfres Schiff, gedrungen!

Wer einmal mit den Wogen hat gerungen,

Fuͤhlt ſich das Herz gehoben in den Schrecken.
Schießt zu, trefft, Pfeile, die durch's Dunkel ſchwirren!

Ruhvoll um Klippen uͤber'm tuͤckſchen Grunde

Lenk' ich mein Schiff, wohin die Sterne winken.
Mag dann der Steuermann nach langem Irren,

Raſch ziehend alle Pfeile aus der Wunde,

Todt an der Heimathkuͤſte niederſinken!
[144]

Der Geiſt.

Naͤchtlich dehnen ſich die Stunden,

Unſchuld ſchlaͤft in ſtiller Bucht,

Fern ab iſt die Welt verſchwunden,

Die das Herz in Traͤumen ſucht.
Und der Geiſt tritt auf die Zinne,

Und noch ſtiller wird's umher,

Schauet mit dem ſtarren Sinne

In das weſenloſe Meer.
Wer ihn ſah bei Wetterblicken

Steh'n in ſeiner Ruͤſtung blank:

Den mag nimmermehr erquicken

Reichen Lebens friſcher Drang. —
Froͤhlich an den oͤden Mauern

Schweift der Morgenſonne Blick,

Da verſinkt das Bild mit Schauern

Einſam in ſich ſelbſt zuruͤck.
[145]

Klage.
1809.

O koͤnnt' ich mich niederlegen

Weit in den tiefſten Wald,

Zu Haͤupten den guten Degen,

Der noch von den Vaͤtern alt,
Und duͤrft' von allem nichts ſpuͤren

In dieſer dummen Zeit,

Was ſie da unten handthieren,

Von Gott verlaſſen, zerſtreut;
Von fuͤrſtlichen Thaten und Werken,

Von alter Ehre und Pracht,

Und was die Seele mag ſtaͤrken,

Vertraͤumend die lange Nacht.
Denn eine Zeit wird kommen,

Da macht der Herr ein End',

Da wird den Falſchen genommen

Ihr unaͤchtes Regiment.
Denn wie die Erze vom Hammer,

So wird das lockre Geſchlecht

Gehau'n ſein von Noth und Jammer

Zu feſtem Eiſen recht.
Da wird Aurora tagen

Hoch uͤber den Wald hinauf,

Da giebt's was zu ſingen und ſchlagen,

Da wacht, ihr Getreuen, auf.
10[146]

An

Wie nach feſten Felſenwaͤnden

Muß ich in der Einſamkeit

Stets auf Dich die Blicke wenden.

Alle, die in guter Zeit

Bei mir waren, ſah ich ſcheiden

Mit des falſchen Gluͤckes Schaum,

Du bliebſt ſchweigend mir im Leiden,

Wie ein treuer Tannenbaum,

Ob die Felder luſtig bluͤh'n,

Ob der Winter zieht heran,

Immer finſter, immer gruͤn —

Reich' die Hand mir, wackrer Mann!
[147]

Nachtfeier.
1810.

Decket Schlaf die weite Runde,

Muß ich oft am Fenſter lauſchen,

Wie die Stroͤme unten rauſchen,

Raͤder ſauſen kuͤhl im Grunde,

Und mir iſt ſo wohl zur Stunde;

Denn hinab vom Felſenrande

Spuͤr' ich Freiheit, uralt Sehnen,

Fromm zerbrechend alle Bande,

Ueber Waͤlder, Strom und Lande

Keck die großen Fluͤgel dehnen.
Was je Großes brach die Schranken,

Seh' ich durch die Stille gehen,

Helden auf den Wolken ſtehen,

Ernſten Blickes, ohne Wanken,

Und es wollen die Gedanken

Mit den guten Alten hauſen,

Sich in ihr Geſpraͤch vermiſchen,

Das da kommt in Waldes-Brauſen.

Manchem fuͤllt's die Bruſt mit Grauſen,

Mich ſoll's laben und erfriſchen!
Tag und Regung war entflohen,

Ueber'n See nur kam Gelaͤute

Durch die monderhellte Weite,

Und rings brannten auf den hohen

Alpen ſtill die bleichen Lohen,
10 *[148]
Ew'ge Waͤchter aͤchter Weihe,

Als, erhoben vom Verderben

Und vom Jammer, da die Dreie

Einſam traten in das Freie,

Frei zu leben und zu ſterben.
Und ſo wachen heute Viele

Einſam uͤber ihrem Kummer;

Unerquickt von falſchem Schlummer,

Aus des Wechſels wildem Spiele

Schauend fromm nach Einem Ziele.

Durch die oͤde, ſtumme Leere

Fuͤhl' ich mich Euch ſtill verbuͤndet;

Ob der Tag das Recht verkehre,

Ewig ſtrahlt der Stern der Ehre,

Kuͤhn in heil'ger Nacht entzuͤndet.
[149]

Zorn.
1810.

Seh' ich im verfall'nen, dunkeln

Haus die alten Waffen hangen,

Zornig aus dem Roſte funkeln,

Wenn der Morgen aufgegangen,
Und den letzten Klang verflogen,

Wo im wilden Zug der Wetter,

Auf's gekreuzte Schwert gebogen,

Einſt gehauſt des Landes Retter.
Und ein neu Geſchlecht von Zwergen

Schwindelnd um die Felſen klettern,

Frech, wenn's ſonnig auf den Bergen,

Feige kruͤmmend ſich in Wettern,
Ihres Heilands Blut und Thraͤnen

Spottend noch einmal verkaufen,

Ohne Klage, Wunſch und Sehnen

In der Zeiten Strom erſaufen;
Denk' ich dann, wie Du geſtanden

Treu, da niemand treu geblieben:

Moͤcht' ich, uͤber unſre Schande

Tiefentbrannt in zorn'gem Lieben,
Wurzeln in der Felſen Marke,

Und empor zu Himmels Lichten

Stumm anſtrebend wie die ſtarke

Rieſentanne mich aufrichten.
[150]

Symmetrie.
1810.

O Gegenwart, wie biſt du ſchnelle,

Zukunft, wie biſt du morgenhelle,

Vergangenheit ſo abendroth!

Das Abendroth ſoll ewig ſtehen,

Die Morgenhelle friſch drein wehen,

So iſt die Gegenwart nicht todt.
Der Thor, der lahmt auf einem Bein,

Das iſt gar nicht zu leiden,

Schlagt ihm das andre Bein entzwei,

So hinkt er doch auf beiden!
[151]

Heimkehr.
1810.

Heimwaͤrts kam ich ſpaͤt gezogen,

Nach dem vaͤterlichen Haus,

Die Gedanken weit geflogen

Ueber Berg und Thal voraus.

Nur noch hier aus dieſem Walde!

Sprach ich, ſtreichelt' ſanft mein Roß,

Gold'nen Haber kriegſt du balde,

Ruh'n wir aus auf lichtem Schloß.
Doch warum auf dieſen Wegen

Sieht's ſo ſtill und einſam aus?

Kommt denn keiner mir entgegen,

Bin ich nicht mehr Sohn vom Haus?

Kein' Hoboen hoͤr' ich ſchallen,

Keine bunte Truppe mehr

Seh' ich froh den Burgpfad wallen —

Damals ging es luſt'ger her.
Ueber die verguld'ten Zinnen

Trat der Monden eben vor,

Holla ho! iſt niemand drinnen?

Feſt verriegelt iſt das Thor.

Wer will in der Nacht mich weiſen,

Von des Vaters Hof und Haus!

Mit dem Schwerdt hau' ich die Eiſen,

Und das Thor ſpringt raſſelnd auf.
[152]
Doch was ſeh' ich! wuͤſt, verfallen

Zimmer, Hof und Bogen ſind,

Einſam meine Tritte hallen,

Durch die Fenſter pfeift der Wind.

Alle Ahnenbilder lagen

Glanzlos in den Schutt verwuͤhlt,

Und die Zitter drauf zerſchlagen,

Auf der ich als Kind geſpielt.
Und ich nahm die alte Zitter,

Trat an's Fenſter voller Gras,

Wo ſo ofte hinter'm Gitter

Sonſt die Mutter bei mir ſaß:

Gern mit Maͤhrlein mich erbaute,

Daß ich ſtill ſaß, Abendroth,

Strom und Waͤlder fromm beſchaute —

Mutter, biſt du auch ſchon todt?
So war ich in' Hof gekommen, —

Was ich da auf einmal ſah,

Hat den Athem mir benommen,

Bleibt mir bis zum Tode nah:

Aufrecht ſaßen meine Ahnen,

Und kein Laut im Hofe ging,

Eingehuͤllt in ihre Fahnen,

Da im ewig ſtillen Ring.
Und den Vater unter ihnen

Sah ich ſitzen an der Wand,

Streng und ſteinern ſeine Mienen,

Doch in tiefſter Bruſt bekannt;
[153]
Und in den gefalt'nen Haͤnden

Hielt er ernſt ein blankes Schwerdt,

Thaͤt die Blicke niemals wenden,

Ewig auf den Stahl gekehrt.
Da rief ich aus tiefſten Schmerzen:

Vater, ſprich ein einzig Wort,

Waͤlz' den Fels von deinem Herzen,

Starre nicht ſo ewig fort!

Was das Schwerdt mit ſeinen Scheinen,

Rede, was dein Schauen will;

Denn mir grauſt durch Mark und Beine,

Wie du ſo entſetzlich ſtill. —
Morgenleuchten kam geflogen,

Und der Vater ward ſo bleich,

Adler hoch daruͤber zogen

Durch das klare Himmelreich,

Und der Vaͤter ſtiller Orden

Sank zur Ruh in Ewigkeit,

Steine, wie es lichte worden,

Standen da im Hof' zerſtreut.
Nur der Degen blieb da droben

Einſam liegen uͤber'm Grab;

„Sei denn Hab' und Gut zerſtoben,

Wenn ich dich, du Schwerdt, nur hab'!“

Und ich faßt' es, — Leute wuͤhlten

Ueber'n Berg, hinab, hinauf,

Ob ſie fuͤr verruͤckt mich hielten —

Mir ging hell die Sonne auf.
[154]

Gebet.
1810.

Was ſoll ich, auf Gott nur bauend,

Schlechter ſein, als all' die Andern,

Die, ſo wohlbehaglich ſchauend,

Froh dem eigenen Nichts vertrauend,

Die gemeine Straße wandern?
Warum gabſt Du mir die Guͤte,

Die Gedanken himmelwaͤrts,

Und ein ritterlich Gemuͤthe,

Das die Treue heilig huͤte

In der Zeit treuloſem Scherz?
Was haſt Du mich blank geruͤſtet,

Wenn mein Volk mich nicht begehrt,

Keinem mehr nach Freiheit luͤſtet,

Daß mein Herz, betruͤbt, verwuͤſtet,

Nur dem Grabe zugekehrt? —
Laß die Ketten mich zerſchlagen,

Frei zum ſchoͤnen Gottesſtreit

Deine hellen Waffen tragen,

Froͤhlich beten, herrlich wagen,

Gieb zur Kraft die Freudigkeit!
[155]

Mahnung.
1810.

I.
In Wind verfliegen ſah ich, was wir klagen,

Erbaͤrmlich Volk um falſcher Goͤtzen Thronen,

Wen'ger Gedanken, deutſchen Landes Kronen,

Wie Felſen, aus dem Jammer einſam ragen.
Da mocht' ich laͤnger nicht nach Euch mehr fragen,

Der Wald empfing, wie rauſchend! den Entfloh'nen,

In Burgen alt, an Stromeskuͤhle wohnen,

Wollt' ich auf Bergen bei den alten Sagen.
Da hoͤrt' ich Strom und Wald dort ſo mich tadeln:

„Was willſt, Lebend'ger du, hier uͤber'm Leben,

Einſam verwildernd in den eignen Toͤnen?
Es ſoll im Kampf der rechte Schmerz ſich adeln,

Den deutſchen Ruhm aus der Verwuͤſtung heben,

Das will der alte Gott von ſeinen Soͤhnen!“
II.
Wohl mancher, dem die wirblichten Geſchichten

Der Zeit das ehrlich deutſche Herz zerſchlagen,

Mag, wie Prinz Hamlet, zu ſich ſelber ſagen:

Weh! daß zur Welt ich kam, ſie einzurichten!
Weich, aufgelegt zu Luſt und froͤhlichem Dichten,

Moͤcht' er ſo gern ſich mit der Welt vertragen,

Doch, Rache fordernd, aus den leichten Tagen

Sieht er der Vaͤter Geiſt ſich ſtets aufrichten.
[156]
Ruhlos und toͤdtlich iſt die falſche Gabe;

Des Großen Wink im tiefſten Marke ſpuͤren,

Gedanken raſtlos — ohne Kraft zum Werke.
Entſchließ Dich wie du kannſt nun, doch das merke:

Wer in der Noth nichts mag, als Lauten ruͤhren,

Deß Hand dereinſt waͤchſt mahnend aus dem Grabe.
[157]

Der Tyroler Nachtwache.
1810.

In ſtiller Bucht, bei finſtrer Nacht,

Schlaͤft tief die Welt im Grunde,

Die Berge rings ſteh'n auf der Wacht,

Der Himmel macht die Runde,

Geht um und um

Ums Land herum

Mit ſeinen goldnen Schaaren

Die Frommen zu bewahren.
Kommt nur heran mit Eurer Liſt,

Mit Leitern, Strick und Banden,

Der Herr doch noch viel ſtaͤrker iſt,

Macht Euern Witz zu Schanden.

Wie war't Ihr klug! —

Nun ſchwindelt Trug

Hinab vom Felſenrande —

Wie ſeid Ihr dumm! o Schande!
Gleichwie die Staͤmme in dem Wald

Woll'n wir zuſammenhalten,

Ein' feſte Burg, Trutz der Gewalt,

Verbleiben treu die alten.

Steig', Sonne, ſchoͤn!

Wirf von den Hoͤh'n

Nacht und die mit ihr kamen,

Hinab in Gottes Namen!
[158]

An die Tyroler.
Im Jahre 1810.

Bei Waldesrauſchen, kuͤhnem Sturz der Wogen,

Wo Heerden einſam laͤuten an den Kluͤften,

Habt ihr in eurer Berge heitern Luͤften

Der Freiheit Lebensathem eingeſogen.
Euch ſelbſt die Retter, ſeid ihr ausgezogen,

Wie helle Baͤche brechen aus den Kluͤften;

Hinunter ſchwindelt Tuͤcke nach den Schluͤften,

Der Freiheit Burg ſind eure Felſenbogen.
Hochherzig Volk, Genoſſe groͤßrer Zeiten!

Du ſinkſt nun in der eignen Haͤuſer Brande,

Zum Himmel noch geſtreckt die freien Haͤnde.
O Herr! laß dieſe Lohen weh'n, ſich breiten

Auffordernd uͤber alle deutſche Lande,

Und wer da faͤllt, dem ſchenk' ſo glorreich Ende!
[159]

An die Meiſten.
1810.

Iſt denn alles ganz vergebens?

Freiheit, Ruhm und treue Sitte,

Ritterbild des alten Lebens,

Zog im Lied durch eure Mitte

Hohnverlacht als Don Quixote;

Euch deckt Schlaf mit plumper Pfote,

Und die Ehre iſt euch Zote.
Ob ſich Kampf erneut', vergliche,

Ob ſich roh Gebirgsvolk raufe,

Sucht der Kluͤg're Weg' und Schliche,

Wie er nur ſein Haus erlaufe.

Ruhet, ſtuͤtzet nur und haltet!

Unterſinkt, was ihr geſtaltet,

Wenn der Mutterboden ſpaltet.
Wie ſo luſtig, ihr Poeten,

An den blumenreichen Hagen

In dem Abendgold zu floͤten,

Quellen, Nymphen nachzujagen!

Wenn erſt muth'ge Schuͤſſe fallen,

Von den ſchoͤnen Wiederhallen

Laßt ihr zart Sonnette ſchallen.
Wohlfeil Ruhm ſich zu erringen,

Jeder aͤngſtlich ſchreibt und treibet;

Keinem moͤcht' das Herz zerſpringen,

Glaubt ſich ſelbſt nicht, was er ſchreibet.
[160]
Seid ihr Maͤnner, ſeid ihr Chriſten?

Glaubt ihr Gott zu uͤberliſten,

So in Selbſtſucht feig zu niſten?
Einen Wald doch kenn' ich droben,

Rauſchend mit den gruͤnen Kronen,

Staͤmme bruͤderlich verwoben,

Wo das alte Recht mag wohnen.

Manche auf ſein Rauſchen merken,

Und ein neu Geſchlecht wird ſtaͤrken

Dieſer Wald zu deutſchen Werken.
[161]

Der Jaͤger Abſchied.

Wer hat dich du ſchoͤner Wald

Aufgebaut ſo hoch da droben?

Wohl den Meiſter will ich loben,

So lang noch mein' Stimm' erſchallt.

Lebe wohl,

Lebe wohl, du ſchoͤner Wald!
Tief die Welt verworren ſchallt,

Oben einſam Rehe graſen,

Und wir ziehen fort und blaſen,

Daß es tauſendfach verhallt:

Lebe wohl,

Lebe wohl, du ſchoͤner Wald!
Banner, der ſo kuͤhle wallt!

Unter Deinen gruͤnen Wogen

Haſt du treu uns auferzogen.

Frommer Sagen Aufenthalt!

Lebe wohl,

Lebe wohl, du ſchoͤner Wald!
Was wir ſtill gelobt im Wald,

Wollen's draußen ehrlich halten,

Ewig bleiben treu die Alten:

Deutſch Panier, das rauſchend wallt,

Lebe wohl!

Schirm' dich Gott, du ſchoͤner Wald!
11[162]
Kuͤhle auf dem ſchoͤnen Rheine,

Fuhren wir vereinte Bruͤder,

Tranken von dem goldnen Weine,

Singend gute deutſche Lieder.

Was uns dort erfuͤllt die Bruſt,

Sollen wir halten,

Niemals erkalten

Und vollbringen treu mit Luſt!

Und ſo wollen wir uns theilen,

Eines Fels verſchied'ne Quellen,

Bleiben ſo auf hundert Meilen

Ewig redliche Geſellen!
[163]

Troſt.

Sag' an, du helles Baͤchlein du,

Von Felſen eingeſchloſſen,

Du rauſchſt ſo munter immerzu,

Wo kommſt du hergefloſſen?
„Dort oben ſteht des Vaters Haus

Still in den klaren Luͤften,

Da ruh'n die alten Helden aus

In den kryſtall'nen Kluͤften.
Ich ſah den Morgen freudig ſtehn

Hoch auf der Felſenſchwelle,

Die Adler ziehn und Stroͤme gehn,

Und ſprang hinaus in's Helle.“
Sag' an, du koͤniglicher Strom,

Was geht mein Herz mir auf,

Seh' ich dich zieh'n durch Waldes Dom?

Wohin fuͤhrt dich dein Lauf?
„Es treibt und rauſcht der Eiſenquell

Noch fort mir durch die Glieder;

Die Felſenluſt, ſo kuͤhl und hell,

Lockt zu mir alle Bruͤder.“
11 *[164]

Zeichen.

So Wunderbares hat ſich zugetragen:

Was aus uralten Sagen

Mit tief verworrener Gewalt oft ſang,

Von Liebe, Freiheit, was das Herz erlabe,

Mit heller Waffen Klang

Es richtet ſich geharniſcht auf vom Grabe,

Und an den alten Heerſchild hat's geſchlagen,

Daß Schauer jede Bruſt durchdrang.
[165]

Unmuth.

O Herbſt! betruͤbt verhuͤllſt du

Strom, Wald und Blumenluſt,

Erbleichte Flur, wie fuͤllſt du

Mit Sehnſucht nun die Bruſt!
Weit hinter dieſen Hoͤhen

Die hier mich eng umſtellt,

Hoͤr' ich erathmend gehen

Den großen Strom der Welt.
In lichtem Glanze wandelt

Der Helden heil'ger Muth,

Es ſteigt das Land verwandelt

Aus ſeiner Soͤhne Blut.
Auch mich fuͤllt' maͤnnlich Trauern,

Wie Euch, bei Deutſchlands Weh'n —

Und muß in Sehnſuchts-Schauern

Hier ruhmlos untergehn!
[166]

Entſchluß.

Gebannt im ſtillen Kreiſe ſanfter Huͤgel,

Schlingt ſich ein Strom von ewig gleichen Tagen,

Da mag die Bruſt nicht nach der Ferne fragen

Und laͤchelnd ſenkt die Sehnſucht ihre Fluͤgel.
Viel andre ſtehen kuͤhn in Roſſesbuͤgel,

Des Lebens hoͤchſte Guͤter zu erjagen,

Und was ſie wuͤnſchen, muͤſſen ſie erſt wagen,

Ein ſtrenger Geiſt regiert des Roſſes Zuͤgel. —
Was ſingt ihr lockend ſo, ihr ſtillen Matten,

Du Heimath mit den Regenbogenbruͤcken,

Ihr heiter'n Bilder, harmlos bunte Spiele?
Mich faßt der Sturm, wild ringen Licht und Schatten,

Durch Wolkenriß bricht flammendes Entzuͤcken —

Nur zu, mein Roß! wir finden noch zum Ziele!
[167]

Abſchieds-Tafel.

So ruͤckt denn in die Runde!

Es ſchleicht die Zeit im Dunkeln,

Sie ſoll uns ruͤſtig finden

Und heiter, ſtark und gut!

Gar viel iſt zu vollbringen,

Gar vieles muß mißlingen.

So mag die letzte Stunde

Nachleuchten uns und funkeln!

Wo unſre Pfad' ſich winden,

Wir ſind in Gottes Hut.
Dem Bruder meines Lebens,

Der, fern, mit mir zuſammen,

Sei denn aus Herzensgrunde

Das erſte Glas gebracht!

Ich brauch' ihn nicht zu nennen,

Er aber wird mich kennen.

Viel Land trennt uns vergebens,

Ihm ſoll dies Wort, die Stunde,

Durch alle Adern flammen,

Wie ich an Ihn gedacht!
Zu Dir nun, heitre Schoͤne,

Wend' ich mich voll Gedanken.

Wie ſie zu Dir ſich wenden,

Muß ich ſo froͤhlich ſein.

So weit Poeten wohnen,

So weit der Waͤlder Kronen,
[168]
So weit kunſtreiche Toͤne

Die heiteren Gedanken

Und Himmelsgruͤße ſenden:

Iſt alles mein und Dein.
Laß' nie die Schmach mich ſehen,

Daß auch Dein Herz, der Luͤge

Des andern Volks zum Raube,

Bereuend feig und hohl,

An Licht und Schmuck mag zagen!

Nicht wahr iſt, was ſie ſagen:

Daß Lieb' und Luſt vergehen,

Nicht wahr, daß uns betruͤge

Der ſchoͤne, freud'ge Glaube,

Und alſo lebe wohl!
Ihr aber, klug' Geſellen,

Die hier mit in dem Kreiſe,

Wohl quaͤlt Ihr mich ſeit Jahren

Mit weiſem Rath und Wort. —

Stoßt an, es ſei vergeſſen!

Im Meere, ungemeſſen,

Sind viele tauſend Wellen

Und tauſend Schiffe fahren

Ein jedes ſeine Reiſe,

Komm' jedes in ſeinen Port!
Vom Berg' hinabgewendet,

Seh' ich die Stroͤme, Zinnen,

Der Liebſten Schloß darunter —
[169]
Nun, Morgenlohe, huͤlle,

In Glorien Dein Reich!

Dir, tieflebend'ge Fuͤlle,

Schleud'r' ich das Glas hinunter,

Mir ſchwindeln alle Sinnen,

So wend' ich mich geblendet,

Gott ſegne Dich und Euch!
[170]

An meinen Bruder 1813.

Steig' aufwaͤrts, Morgenſtunde!

Zerreiß' die Nacht, daß ich in meinem Wehe

Den Himmel wiederſehe,

Wo ew'ger Frieden in dem blauen Grunde!

Will Licht die Welt erneuen:

Mag auch der Schmerz in Thraͤnen ſich befreien.
Mein lieber Herzensbruder!

Still war der Morgen — Ein Schiff trug uns beide.

Wie war die Welt voll Freude!

Du faßteſt ritterlich das ſchwanke Ruder,

Uns beide treulich lenkend,

Auf froher Fahrt nur einen Stern bedenkend.
Mich irrte manches Schoͤne,

Viel reizte mich und viel mußt' ich vermiſſen.

Von Luſt und Schmerz zerriſſen,

Was ſo mein Herz hinausgeſtroͤmt in Toͤne:

Es waren Wiederſpiele

Von Deines Buſens ewigem Gefuͤhle.
Da ward die Welt ſo truͤbe,

Rings ſtiegen Wetter von der Berge Spitzen,

Der Himmel borſt in Blitzen,

Daß neugeſtaͤrkt ſich Deutſchland d'raus erhuͤbe. —

Nun iſt das Schiff zerſchlagen,

Wie ſoll ich ohne Dich die Fluth ertragen! —
[171]
Auf einem Fels geboren,

Vertheilen kuͤhlerrauſchend ſich zwei Quellen,

Die eigne Bahn zu ſchwellen.

Doch wie ſie fern einander auch verloren:

Es treffen aͤchte Bruͤder

Im ew'gen Meere doch zuſammen wieder.
So wolle Gott Du flehen,

Daß er mit meinem Blut und Leben ſchalte,

Die Seele nur erhalte,

Auf daß wir freudig einſt uns wiederſehen,

Wenn nimmermehr hienieden:

So dort, wo Heimath, Licht und ew'ger Frieden!
[172]

Aufbruch.

Silbern' Stroͤme zieh'n herunter,

Blumen ſchwanken fern und nah,

Ringsum regt ſich's bunt und bunter —

Lenz! biſt du ſchon wieder da?
„Reiter ſind's, die blitzend ziehen,

Wie viel glaͤnz'ger Stroͤme Lauf,

Fahnen, Liliengleich, erbluͤhen,

Lerchenwirbel, Trommelwirbel

Wecken rings den Fruͤhling auf.“
Horch! was hoͤr' ich draußen klingen

Wild verlockend wie zur Jagd?

Ach, das Herz moͤcht' mir zerſpringen,

Wie es jauchzt und weint und klagt.
„Und in Waldes gruͤnen Hallen,

Tiefe Schauer in der Bruſt,

Laſſen wir die Hoͤrner hallen,

In das Blau die Stimmen ſchallen,

So zum Schrecken wie zur Luſt.“
Wehe! dunkle Wolken decken

Seh' ich all' die junge Pracht,

Feur'ge Todeszungen ſtrecken

Durch die grimme Wetternacht.
[173]
„Wettern gleich bluͤht Kampfes-Fuͤlle,

Blitze zieht das gute Schwerdt,

Mancher wird auf ewig ſtille —

Herr Gott, es geſcheh' Dein Wille!

Blaſt Trompeten! Friſch mein Pferd!“
Regenbogen ſeh' ich ſteigen,

Wie von Thraͤnen ſpruͤh'n die Au,

Jenen ſich erbarmend neigen

Ueber den verweinten Gau.
„Alſo uͤber Graus und Wogen

Hat der Vater Gnadenreich,

Ein Triumphthor ſtill gezogen.

Wer da faͤllt, zieht durch den Bogen

Heim in's ew'ge Himmelreich.“
[174]

Tuſch.

Faͤngt die Sonne an zu ſtechen,

Tapfer ſchießen Gras und Kraͤuter

Und die Baͤume ſchlagen aus:

Muß des Feinds Gewalt zerbrechen,

Nimmt der Winter ſchnell Reißaus,

Erd' und Himmel glaͤnzen heiter;

Und wir Muſikanten fahren,

Luſtig auf dem Fluß hinunter,

Trommeln, pfeifen, blaſen, geigen

Und die Hoͤrner klingen munter.
[175]

Apell.

Ich hoͤrt' viel' Dichter klagen

Von alter Ehre rein,

Doch wen'ge mochten's wagen

Und ſelber ſchlagen drein.
Mein Herz wollt' mir zerſpringen,

Sucht' mir ein ander Ziel,

Denn anders ſein und ſingen,

Das iſt ein dummes Spiel.
So ſtieg ich mit Auroren

Still in's Gebirg hinan,

Ich war wie neugeboren,

So kuͤhle weht's mich an.
Und als ich, Bahn mir ſchaffend,

Zum Gipfel trat hinauf,

Da blitzten ſchon von Waffen

Ringsum die Laͤnder auf.
Die Hoͤrner hoͤrt' ich laden,

Die Luft war ſtreng und klar —

Ihr neuen Kammeraden,

Wie ſingt ihr wunderbar!
Friſch auf, wir wollen uns ſchlagen,

So Gott will, uͤber'n Rhein

Und weiter im froͤhlichen Jagen

Bis nach Paris hinein!
[176]

Soldatenlied.

Was zieht da fuͤr ſchreckliches Sauſen,

Wie Pfeifen durch Sturmes Wehn?

Das wendet das Herz recht vor Grauſen,

Als ſollte die Welt vergeh'n.
Das Fußvolk kommt da geſchritten,

Die Trommeln wirbeln voran,

Die Fahne in ihrer Mitten

Weht uͤber den gruͤnen Plan,

Sie prangt in ſchneeweißem Kleide

Als wie eine milde Braut,

Die giebt dem hohe Freude,

Wen Gott ihr angetraut.

Sie haben ſie recht umſchloſſen,

Dicht Mann an Mann geruͤckt,

So ziehen die Kriegsgenoſſen

Streng, ſchweigend und ungeſchmuͤckt,

Wie Gottes dunkeler Wille,

Wie ein Gewitter ſchwer,

Da wird es ringsum ſo ſtille,

Der Tod nur blitzt hin und her.
Wie ſeltſame Klaͤnge ſchwingen

Sich dort von der Waldeshoͤh'!

Ja, Hoͤrner ſind es, die ſingen

Wie raſend vor Luſt und Weh.
[177]
Die jungen Jaͤger ſich zeigen

Dort druͤben im gruͤnen Wald

Bald ſchimmernd zwiſchen den Zweigen,

Bald lauernd im Hinterhalt.

Wohl ſinkt da in ewiges Schweigen

Manch' ſchlanke Rittergeſtalt,

Die anderen uͤber ihn ſteigen,

Hurrah! in dem ſchoͤnen Wald,

„Es funkelt das Blau durch die Baͤume —

Ach, Vater, ich komme bald!“
Trompeten nur hoͤr' ich werben

So hell durch die Fruͤhlingsluft,

Zur Hochzeit oder zum Sterben

So uͤbermaͤchtig es ruft.
Das ſind meine lieben Reiter,

Die rufen hinaus zur Schlacht,

Das ſind meine luſtigen Reiter,

Nun, Liebchen, gute Nacht!

Wie wird es da vorne ſo heiter,

Wie ſpruͤhet der Morgenwind,

In den Sieg, in den Tod und weiter,

Bis daß wir im Himmel ſind!
12[178]

Die ernſthafte Faſtnacht 1814.

Wohl vor Wittenberg auf den Schanzen

Sind der edlen Werber viel,

Wollen da zur Faſtnacht tanzen

Ein gar ſeltſam Ritterſpiel.
Und die Stadt vom Felſen droben

Spiegelt ſich im Sonnenſchein,

Wie ein Jungfraͤulein erhoben —

Jeder will ihr Braͤut'gam ſein.
Jaͤger! laßt die Hoͤrner klingen

Durch den Morgen kalt und blank!

Wohl, ſie laͤßt ſich noch bezwingen,

Hoͤrt ſie alten deutſchen Klang.
Drauf ſie einen Reiter ſchnelle

Senden, der ſo froͤhlich ſchaut,

Der blaͤßt ſeinen Gruß ſo helle,

Wirbt da um die ſtolze Braut.
„Sieh, wir werben lang' verſtohlen

Schon um Dich in Noth und Tod,

Komm! ſonſt wollen wir Dich holen,

Wann der Mond ſcheint blutigroth!“
Bleich ſchon fallen Abendlichter —

Und der Reiter blaͤßt nur zu,

Nacht ſchon webt ſich dicht und dichter —

Doch das Thor bleibt immer zu.
[179]
Nun ſo ſpielt denn, Muſikanten,

Blaſt zum Tanz aus friſcher Bruſt!

Herz und Sinne mir entbrannten,

O du ſchoͤne, wilde Luſt!
Wer hat je ſo'n Saal geſehen?

Strom und Wilder ſpielen auf,

Sterne auf und nieder gehen,

Stecken hoch die Lampen auf.
Ja der Herr leucht't ſelbſt zum Tanze,

Friſch denn, Kameraden mein!

Funkelnd ſchoͤn im Mondesglanze

Strenges Lieb, mußt unſer ſein! —
Und es kam der Morgen heiter,

Mancher Taͤnzer lag da todt,

Und Victoria bließ der Reiter

Von dem Wall ins Morgenroth.
Schleſier wohl zu Ruhm und Preiſe

Haben ſich dies Lieb' gewonnen,

Und ein Schleſier dieſe Weiſe

Recht aus Herzensluſt erſonnen.
12 *[180]

Auf der Feldwacht.

Mein Gewehr im Arme ſteh' ich

Hier verloren auf der Wacht,

Still nach jener Gegend ſeh' ich,

Hab' ſo oft dahin gedacht!
Fernher Abendglocken klingen

Durch die ſchoͤne Einſamkeit;

So, wenn wir zuſammen gingen,

Hoͤrt' ich's oft in alter Zeit.
Wolken da wie Thuͤrme prangen,

Als ſaͤh' ich im Duft mein Wien,

Und die Donau hell ergangen

Zwiſchen Burgen durch das Gruͤn.
Doch wie fern ſind Strom und Thuͤrme!

Wer da wohnt, denkt mein noch kaum,

Herbſtlich rauſchen ſchon die Stuͤrme,

Und ich ſtehe wie im Traum.
[181]

Waffenſtillſtand der Nacht.

Windsgleich kommt der wilde Krieg geritten,

Durch das Gruͤn der Tod ihm nachgeſchritten,

Manch Geſpenſt ſteht ſinnend auf dem Feld,

Und der Sommer ſchuͤttelt ſich vor Grauſen,

Laͤßt die Blaͤtter, ſchließt die gruͤnen Klauſen,

Ab ſich wendend von der blut'gen Welt.
Praͤchtig war die Nacht nun aufgegangen,

Hatte alle muͤtterlich umfangen,

Freund und Feind mit leiſem Friedenskuß,

Und, als wollt' der Herr vom Himmel ſteigen,

Hoͤrt' ich wieder durch das tiefe Schweigen

Rings der Waͤlder feierlichen Gruß.
[182]

In C. S.. Stammbuch.
December 1814.

In verhaͤngnißſchweren Stunden,

Streitend fuͤr das Vaterland,

Haben wir uns bruͤderlich gefunden,

In der Menge ſtill erkannt.
Sieh! es ruhet nun der Degen

Und die hohe Brandung faͤllt,

Sich verlaufend auf den alten Wegen,

Und langweilig wird die Welt.
Doch der Ernſt der heil'gen Stunden

Waltet fort in mancher Bruſt,

Und was ſich wahrhaftig hat verbunden,

Bleibt geſellt in Noth und Luſt.
Unſichtbar geſchwungne Bruͤcken

Halten Lieb' und Lieb' vereint,

Und in allen hellen Lebensblicken

Gruͤß' ich fern den lieben Freund.
Und ſo mag der Herr Dich ſegnen!

Friſche Fahrt durch's Leben wild,

Gleichen Sinn und freudiges Begegnen,

Wo es immer Hohes gilt!
[183]

Der Friedensbote.

Schlaf ein, mein Liebchen, ſchlaf' ein,

Leis durch die Blumen am Gitter

Saͤuſelt des Laubes Gezitter,

Rauſchen die Quellen herein;

Geſenkt auf den ſchneeweißen Arm,

Schlaf ein, mein Liebchen, ſchlaf' ein,

Wie athmeſt du lieblich und warm!
Aus dem Kriege kommen wir heim;

In ſtuͤrmiſcher Nacht und Regen,

Wenn ich auf der Lauer gelegen,

Wie dachte ich dorten Dein!

Gott ſtand in der Noth uns bei,

Nun droben, bei Mondenſchein,

Schlaf ruhig, das Land iſt ja frei!
[184]

An meinen Bruder.
1815.

Was Großes ſich begeben,

Der Koͤn'ge Herrlichkeit,

Du ſahſt's mit freud'gem Beben,

Dir war's vergoͤnnt zu leben

In dieſer Wunderzeit.
Und uͤber dieſe Wogen

Kam hoch ein himmliſch Bild

Durch's ſtille Blau gezogen,

Traf mit dem Zauberbogen

Dein Herz ſo feſt und mild.
O wunderbares Grauen,

Zur ſelben Stund den Herrn

Im Wetterleuchten ſchauen,

Und uͤber den ſtummen Gauen

Schuldloſer Liebe Stern!
Und hat nun ausgerungen

Mein Deutſchland ſiegeswund:

Was damals Lieb' geſungen,

Was Schwerdter Dir geklungen,

Klingt fort im Herzensgrund.
Laß' bilden die Gewalten!

Was davon himmliſch war,

Kann nimmermehr veralten,

Wird in der Bruſt geſtalten

Sich manches ſtille Jahr.
[185]
Die Feſſeln muͤſſen ſpringen,

Ja endlich macht ſich's frei,

Und Großes wird gelingen,

Durch Thaten oder Singen,

Vor Gott iſt's einerlei.
[186]

An Philipp.

(Nach einer Wiener Redouten-Melodie.)


Kennſt Du noch den Zauberſaal,

Wo ſuͤß' Melodieen wehen,

Zwiſchen Sternen ohne Zahl

Frauen auf und nieder gehen?
Kennſt Du noch den Strom von Toͤnen,

Der ſich durch die bunten Reihen ſchlang,

Von noch unbekannten Schoͤnen

Und von fernen blauen Bergen ſang?
Sieh! die lichte Pracht erneut

Froͤhlich ſich in allen Jahren,

Doch die Bruͤder ſind zerſtreut,

Die dort froh beiſammen waren.
Und der Blick wird irre ſchweifen,

Einſam ſtehſt Du nun in Pracht und Scherz,

Und die alten Toͤne greifen

Dir mit tauſend Schmerzen an das Herz.
Uhren ſchlagen durch die Nacht,

Drein verſchlafne Geigen ſtreichen,

Aus dem Saale, uͤberwacht,

Sich die letzten Paare ſchleichen.
So iſt unſer Feſt vergangen,

Und die luſt'gen Kerzen loͤſchen aus,

Doch die Sterne draußen prangen,

Und die fuͤhren mich und Dich nach Haus.
[187]

Herrmanns Enkel.

Altdeutſch! — Altdeutſch? — Nun, das iſt,

Was man ſo in Buͤchern lieſt: —

Kluge Roſſe — praͤcht'ge Decken,

Haͤndel, Kruzifixe, Recken —

O, wie herrlich ſtrahlt dies Leben!

Goͤttlich! — Doch mit Unterſchied.

Es verſteht ſich, daß man's deute —

'S waͤr' doch gar zu unbequem,

Wenn man Alles woͤrtlich naͤhm',

Wie's da durcheinander bluͤht! —

Dieſe Ritter — gute Leute,

Ehrlich, tapfer, brave Reiter —

Gegen uns doch Baͤrenhaͤuter!

Eigentlich ſind wir wohl weiter.

Lehnstreu — Kloͤſter — Barbarei —

Davon machen wir uns frei. —

Fangen wir ſo an zu ſichten:

Fuͤrcht' ich, bleibt es bei Gedichten —

Nein doch! Eines, geht mir bei,

Eines bleibt doch: Dies Vernichten

Aller Mode-Sklaverei! —

Hohe Vaterlaͤnderei!

Schnittſt Du los nicht Herrmanns Soͤhne

Von des Halstuchs ſchnoͤden Schlingen,

In den'n, ſonder Kraft und Schoͤne,

Unſre Vaͤter ſchmaͤhlich hingen?

Gabſt Du nicht dem Loͤwen Maͤhne,

Die ihm frech die Zeit geſtohlen?
[188]
Statt des wind'gen Fracks Geflatter

Der Litefka Schurz aus Pohlen,

Statt des Franzen knabenglatter

Schnautze: ſeinen Henri quatre? —

Bruder, ich ſag's unverhohlen,

Und auch Du wirſt's nicht beſtreiten:

Große Zeichen großer Zeiten! —

Wahrlich, ſaͤh' ich nicht den Kragen

Ueber'n ſchwarzen Rock geſchlagen,

Schien' mir Alles Ironie.

Doch wie ſprech' ich da? Ironiſch —

Dieſes Wort iſt nicht teutoniſch.

Undeutſch iſt die falſche Freude:

Kuͤnſteln am wahrhaften Wort!

Ob auch feige Poeſie

Sauere Geſichter ſchneide:

Durch den waͤlſchen Luͤgenwitz

Schreitet ſtramm der Teutſche fort

Hinter ſeiner Naſenſpitz',

Aller Ehrlichkeiten Sitz,

Biderb immer gradeaus.

Alles Waͤlſche wird mir Graus,

Seit ich ſteck' im teutſchen Kleide:

Du auch Liebchen waͤhle gleich

Deine Tracht Dir altteutſch aus!

Wie's auf Bildern noch zu ſchauen:

Wedel von dem Schweif der Pfauen,

Dann von Spitzen, blumenreich,

Wie 'ne mittelmaͤß'ge Scheibe,

Eine ſteife Hals-Rotunde!
[189]
'S iſt ſo uͤber'm ſchlanken Leibe

Wie ein Regenſchirm geſpannt,

Oben drauf dann, ſtatt dem Knopf,

Schwebt der holde Frauenkopf,

In das Bluͤtenmeer von Kragen,

Ariadnen gleich, verſchlagen. —

O, und ein moral'ſcher Kragen!

Denn wer iſt da ſo gewandt,

Fluͤſternd was in's Ohr zu ſagen,

Was nicht gleich die Andern wiſſen?

Und — unmoͤglich iſt das Kuͤſſen!
[190]

Tafellieder.

l.

(Damen-Liedertafel in Danzig).


Die Frauen.


Gleich wie Echo frohen Liedern

Froͤhlich Antwort geben muß,

So auch nah'n wir und erwiedern

Dankend den galanten Gruß.

Die Maͤnner.


O, Ihr Guͤt'gen und Charmanten!

Fuͤr des Echo's holden Schwung

Nehm't der luſt'gen Muſikanten

Ganz ergeb'ne Huldigung!

Frauen.


Doch Ihr huldigt, will's uns duͤnken,

Andern Goͤttern nebenbei.

Roth und golden ſeh'n wir's blinken —

Sag't, wie das zu nehmen ſei?

Maͤnner.


Theure! zierlich, mit drei Fingern,

Sich'rer, mit der ganzen Hand —

Und ſo fuͤllt man aus den Dingern

'S Glas nicht halb, nein, bis zum Rand.
[191]

Frauen.


Nun, wir ſehen, Ihr ſeid Meiſter.

Doch wir ſind heut liberal;

Hoffentlich, als ſchoͤne Geiſter,

Treibt Ihr's etwas ideal.

Maͤnner.


Jeder nippt und denkt die Seine,

Und wer nichts Beſond'res weiß:

Nun — der trinkt in's Allgemeine

Friſch zu aller Schoͤnen Preis!

Alle.


Recht ſo! Kling't denn in die Runde

An zu Dank und Gegendank!

Saͤnger, Frau'n, wo die im Bunde,

Da giebt's einen hellen Klang!

II.

Viel Eſſen macht viel breiter

Und hilft zum Himmel nicht,

Es kracht die Himmelsleiter,

Kommt ſo ein ſchwerer Wicht.

Das Trinken iſt geſcheidter,

Das ſchmeckt ſchon nach Idee,

Da braucht man keine Leiter,

Das geht gleich in die Hoͤh'.

Chor.


Da braucht man keine Leiter,

Das geht gleich in die Hoͤh'.
[192]
Viel Reden iſt manierlich:

„Wohlauf?“ — Ein wenig flau. —

„Das Wetter iſt ſpazierlich.“ —

Was macht die liebe Frau? —

„Ich danke“ — und ſo weiter,

Und breiter als ein See —

Das Singen iſt geſcheidter,

Das geht gleich in die Hoͤh'.

Chor.


Das Singen iſt geſcheidter,

Das geht gleich in die Hoͤh'.
Die Fiſch' und Muſikanten

Die trinken beide friſch,

Die Wein, die andern Waſſer —

Drum hat der dumme Fiſch

Statt Fluͤgel Flederwiſche

Und liegt elend im See —

Doch wir ſind keine Fiſche,

Das geht gleich in die Hoͤh'.

Chor.


Doch wir ſind keine Fiſche,

Das geht gleich in die Hoͤh'.
Ja, Trinken friſch und Singen

Das bricht durch alles Weh,

Das ſind zwei gute Schwingen,

Gemeine Welt, ade!
[193]
Du Erd' mit deinem Plunder,

Ihr Fiſche ſammt der See,

'S geht alles, alles unter,

Wir aber in die Hoͤh'!

Chor.


'S geht alles, alles unter,

Wir aber in die Hoͤh'!

III.
Zum Abſchied.

Horcht! die Stunde hat geſchlagen,

Und ein Schiffer ſteht am Bord,

Gruͤßt noch einmal, und es tragen

Ihn die Wellen rauſchend fort.
Sturm wuͤhlt, und die Zeiten baͤumen

Sehnſuͤchtig ſich himmelan,

Hoch in ſolcher Wellen Schaͤumen

Segle, kuͤhner Steuermann!
Und den letzten Becher, Bruͤder,

Eh' wir hier verlaſſen ſtehn,

Und den letzten Klang der Lieder

Auf ein freudig Wiederſehn!

IV.
Berliner Tafel.

Viele Lerchen hellerwacht,

Die zum Himmel ſteigen,

Viele Sterne in der Nacht,

Vieler Wipfel Neigen,
13[194]
Viele friſche Herzen dann,

Die begeiſtert lauſchen —

Da bricht erſt der Lenz recht an,

Klang und Waldesrauſchen.
So ſind viele hier geſellt:

Ruͤſtige Geſellen,

Die ihr' Sach auf Klang geſtellt,

Schauſpiel und Novellen,

Viele dann, die recht ſich freun,

Wenn wir's loͤblich machen,

Und, greift einer falſch darein,

Auch von Herzen lachen.
Und wo ſolche Reſonnanz,

Klingt das Lied erſt helle,

Wie wir hier vereint zum Kranz,

Bluͤht die ſand'ge Schelle,

Kukuk ruft und Nachtigall

Und von Luſt und Schmerzen

Weckt der Schall den Wiederhall

Rings in tauſend Herzen
Ein Land, das ihr ſchweigend meint

Und wir freudig ſingen,

Und ein Meer, das uns vereint

Soll hinuͤberbringen.

Friſche Fahrt denn, nah und fern,

Allen muth'gen Seglern,

Die getreu dem rechten Stern,

Schleglern oder Heglern!
[195]

V.
Die Heymonskinder.

Auf feur'gem Roſſe kommt Bachus daher,

Den Becher hoch in der Hand,

Sein Roͤßlein wird wild, ſein Kopf iſt ihm ſchwer,

Er verſchuͤttet den Wein auf das Land.
Den Dichter erbarmet der Rebenſaft,

In den Buͤgel er kuͤhn ſich ſtellt

Und trinkt mit dem Gotte Bruͤderſchaft —

Nun geht's erſt, als ging's aus der Welt!
Ei ſieh da, ſo einſam Herr Komponiſt!

Steig' auf mit, 's iſt Schad' um die Schuh,

Du loͤſt erſt die Schwinge — und wo keine iſt,

Da mach' uns die Fluͤgel dazu!
Und was ſie erſonnen nun, ſingen die Drei'.

„O weh!“ ruft ein Saͤnger herauf,

„Ihr ſchreit ja die koͤſtlichſten Noten entzwei!“

Und ſchwingt zu den Dreien ſich auf.
Nun ſetzt der Tonkuͤnſtler, ſkandirt der Poet,

Der Saͤnger giebt himmliſchen Schall,

Es laͤchelt Herr Bachus: „wahrhaftig das geht,

Und's Trinken verſtehen ſie all'.“
Und wie ſie nun alle beiſammen ſind,

Hebt's ſachte die ſeeligen Leut',

Es wachſen dem Roſſe zwei Schwingen geſchwind,

Und uͤberfliegen die Zeit.
13 *[196]

VI.
Der alte Held.

(Tafellied zu Goethe's Geburtstag 1831.)


„Ich habe gewagt und geſungen,

Da die Welt noch ſtumm lag und bleich,

Ich habe den Bann bezwungen,

Der die ſchoͤne Braut hielt umſchlungen,

Ich habe erobert das Reich.“
„Ich habe geforſcht und ergruͤndet

Und that es euch treulich kund:

Was das Leben dunkel verkuͤndet,

Die heilige Schrift, die entzuͤndet,

Der Herr in der Seelen Grund.“
„Wie rauſchen nun Waͤlder und Quellen

Und ſingen vom ewigen Port:

Schon ſeh' ich Morgenroth ſchwellen,

Und ihr dort, ihr jungen Geſellen,

Fahrt immer immerfort!“
Und ſo, wenn es ſtill geworden,

Schaut er vom Thurm bei Nacht

Und ſegnet den Saͤnger-Orden,

Der an den bluͤhenden Borden

Das ſchoͤne Reich bewacht.
Dort hat er nach Luſt und Streiten

Das Panner aufgeſtellt,

Und die auf dem Strome der Zeiten

Am Felſen voruͤbergleiten,

Sie gruͤßen den alten Held.
[197]

VII.
Toaſt.

Auf das Wohlſein der Poeten,

Die nicht ſchillern und nicht goͤthen,

Durch die Welt in Luſt und Noͤthen

Segelnd friſch auf eig'nen Boͤten.
[198]

Der Liedſprecher*).

l.

Und wo ein tuͤchtig Leben

Und wo ein Ehrenhaus,

Da geht der Saͤnger eben

Gern gaſtlich ein und aus.
Der freudige Geſelle

Gruͤßt Pfaff und Rittersmann

Und friſche Morgenhelle

Weht all' im Liede an.
Und kuͤhn im Roſſesbuͤgel

Der Ritter waldwaͤrts zieht,

Und das Gebet nimmt Fluͤgel

Und uͤberfliegt das Lied.
Denn ob's mit Schwert, mit Liedern

Sich Bahn zum Himmel ſchafft;

'Siſt eine Schaar von Bruͤdern

Und eine Liebeskraft.
Wo die vereint, da ranken

Sich willig Stein und Erz,

Da pfeilern die Gedanken

Sich freudig himmelwaͤrts.
[199]
Die haben dieſen Bogen

Kuͤhn uͤber'n wilden Strom

Empoͤrter Zeit gezogen

Zum wunderbaren Dom.
Die Burgen ſah'n wir fallen,

Die Adler zogen aus,

Wehklagend durch die Hallen

Geh'n Winde ein und aus.
Doch droben auf der Zinne

Steht noch der Heldengeiſt,

Der — was die Zeit beginne —

Still nach dem Kreuze weiſ't.
Es wechſeln viel' Geſchlechter

Und ſinken in die Nacht —

Steh' feſt, Du treuer Waͤchter,

Und nimm Dein Land in Acht!
Schon hat zum Kreuzeslichte

Dein Volk ſich ernſt gewandt,

Im Sturm der Weltgerichte

Tief ſchauernd Dich erkannt.
Nun hebt ſich wieder froͤhlich

Dein Haus im Morgenſchein,

Die Jungfrau minneſeelig

Schaut weit ins Land hinein.
[200]
Geſaͤnge hoͤr' ich ſchallen,

Durch's Gruͤn geſchmuͤckte Gaͤſt'

Wallfahrten nach den Hallen —

Wem gilt das frohe Feſt?
Der Koͤnigsſohn, Ihr Preußen,

Weilt auf dem Ritterſchloß,

Das iſt nach Adlers Weiſen,

Daß er der Hoͤh' genoß.
Das iſt des Koͤnigs Walten,

Was herrlich, groß und recht,

Im Wechſel zu erhalten

Dem kommenden Geſchlecht.
Er hob die Heldenmale

Zu neuer Herrlichkeit,

Damit das Volk im Thale

Gedenk' der großen Zeit.
Das ewig Alt' und Neue,

Das mit den Zeiten ringt,

Das, Fuͤrſt, iſt's, was das treue

Herz Deines Volts durchdringt.
Wo das noch ehrlich waltet,

Da iſt zu Gottes Ruhm

Die Kreuzesfahn' entfaltet,

Und rechtes Ritterthum.
[201]
O, reicht dem Liederſprecher,

Bevor er ſcheiden muß,

Den hochgefuͤllten Becher

Zu ſeinem beſten Gruß!
Doch einzeln nicht verhallen

Darf, was ich jetzt gedacht.

Was Jeder meint, von Allen,

Sei's freudig auch gebracht!
All' ritterliche Geiſter

Umringen feſt den Thron,

Und auf zum hoͤchſten Meiſter

Dringt treuer Liebe Ton;
Dem ritterlichen Koͤnig

Heil, und dem Koͤnigsſohn!

II.

(Als die Kaiſerin von Rußland das Schloß Marienburg
beſuchte.)


Will Luſt die Thor' erſchließen,

Da bleib' ich draußen nicht,

Das Hohe zu begruͤßen,

Das iſt des Saͤngers Pflicht.
Das iſt die alte Halle,

Hier ſang ich manchesmal,

Die hohen Ritter alle

Rings um mich her im Saal.
[202]
Und von dem Helden-Streiten

Erklang manch kuͤhnes Lied,

Das noch in naͤcht'gen Zeiten

Den ſtillen Bau durchzieht.
Doch farbenlos vergrauen,

Ohn' Bluͤte, Fels und Au —

Es fehlt' der Schmuck der Frauen

Dem hochgewalt'gen Bau.
Die Staͤrke regt das Wilde,

Und nur, der Kraft geſellt,

Die koͤnigliche Milde

Bezwingt die ſtarre Welt. —
Welch' Glanz hat mich umflogen

Und fuͤllt das ganze Haus,

Als pfeilerten die Bogen

In's Himmelreich hinaus?!
Und was der Stein will ſagen,

Der Menſch in tiefſter Bruſt,

In Klaͤngen anzuſchlagen,

Das iſt des Saͤngers Luſt:
O Du — gleichbar der Hohen,

Die dieſes Haus bewacht

Und Morgenrothes Lohen

Im Norden angefacht —
[203]
Was Großes hier erſonnen,

All Segen, der hier weilt,

All Wohl, das hier begonnen,

Dir, hohe Frau, zum Heil!
Und ſo nun will ich neigen

Mich vor der Majeſtaͤt —

Dann laßt mich gehn und ſchweigen,

Bis ihr Sie wiederſeh't.
[204]

Der neue Rattenfaͤnger.

Juchheißa! und ich fuͤhr' den Zug

Hopp uͤber Feld und Graben.

Des alten Plunders iſt genug,

Wir wollen neuen haben.
Was! wir gering? Ihr vornehm, reich?

Planirend ſchwirrt die Scheere,

Seid Lumps' wie wir, ſo ſind wir gleich,

Huͤbſch breit wird die Miſere!
Das alte Lied das ſpiel' ich neu,

Da tanzen alle Leute,

Das iſt die Vaterlaͤnderei,

O Herr, mach' uns geſcheute! —
[205]

Der brave Schiffer.

Der Sturm wollt' uns zerſchmettern,

Was morſch war, lag zerſchellt,

Es ſchrieb mit feur'gen Lettern

Der Herr und ſprach in Wettern

Zu der erſchrockenen Welt.
Durch wilder Wogen Spritzen

Voruͤber manchem Riff,

Wo auf Korallen-Spitzen

Die finſtern Nornen ſitzen,

Flog da das Preußen-Schiff.
Das war von aͤchtem Kerne;

Gedankenvoll die Wacht

Schaut durch die wuͤſte Ferne

Zum koͤniglichen Sterne,

Der leuchtet aus der Nacht.
Und, ob ſie Nebel decken,

Was groß und heilig war,

Lenkten da aus den Schrecken

Gewaltig die treuen Recken —

Du mitten in dieſer Schaar.
Da ſah man wohl den ſchlanken

Wald kuͤhner Maſten ſich

Zum Himmel pfeilernd ranken!

Du lehnteſt voll Gedanken

Auf Deine Harfe Dich.
[206]
Bald maͤchtiger bald leiſe,

Mit wunderbarem Klang,

Zogſt Du Geſanges-Kreiſe,

Daß eine tiefe Weiſe

Das wilde Meer bezwang.
Und Sturm und Nacht verzogen,

Schon blitzt es hier und da,

Das Land ſtieg aus den Wogen

Und unter dem Friedensbogen

Die alte Victoria. —
Fahr' wohl! wie Adlerſchwingen

Wird in der Zeiten Schwung

Dein Ringen und Dein Singen

Durch deutſche Herzen klingen,

So bleibſt Du ewig jung!
[207]

Im Herbſt.

Der Wald wird falb, die Blaͤtter fallen,

Wie oͤd' und ſtill der Raum!

Die Baͤchlein nur geh’n durch die Buchenhallen

Lindrauſchend wie im Traum,

Und Abendglocken ſchallen

Fern von des Waldes Saum.
Was wollt ihr mich ſo wild verlocken

In dieſer Einſamkeit?

Wie in der Heimath klingen dieſe Glocken

Aus ſtiller Kinderzeit —

Ich wende mich erſchrocken,

Ach, was mich liebt, iſt weit!
So brecht hervor nur, alte Lieder.

Und brecht das Herz mir ab!

Noch einmal gruͤß' ich aus der Ferne wieder

Was ich nur Liebes hab',

Mich aber zieht es nieder

Vor Wehmuth wie in's Grab.
[208]

Entgegnung.

Sei antik doch, ſei teutoniſch,

Lern', ſkandire unverdroſſen,

Freundchen, aber nur ironiſch!

Und vor allem laß die Poſſen,

Die man ſonſt genannt: romantiſch.“ —

Alſo hoͤrt man's ringsher ſchallen;

Aber mich beduͤnkt: pedantiſch

Sei das Schlimmſte doch von allen.
Wem der Herr den Kranz gewunden,

Wird nach alle dem nicht fragen,

Sondern muß, wie er's befunden.

Auf die eig'ne Weiſe ſagen,

Stets auf's neu' mit freud'gem Schrecken,

Iſt ſie auch die alte blieben,

Sich die ſchoͤne Welt entdecken,

Ewig jung iſt, was wir lieben!
Oft durch des Theaters Ritzen

Bricht's mit wunderbarem Lichte,

Wenn der Herr in feur'gen Blitzen

Dichtend ſchreibt die Weltgeſchichte,

Und das iſt der Klang der Wehmuth,

Der durch alle Dichter-Geiſter

Schauernd geht, wenn ſie in Demuth

Ueber ſich erkannt den Meiſter.
[209]

Abloͤſung.

Wir ſaßen gelagert im Gruͤnen,

So traulich und luſtig geſellt,

Die Lichter des Fruͤhlings ſchienen

Hold ſpielend durch's gruͤne Gezelt.
Im Fruͤhlingsglanz ſtill auf und nieder

Ergingen der Frauen ſich viel,

Und liebliche Augen und Lieder

Sie hielten ein herzliches Spiel.
Und unten von Thaͤlern und Fluͤſſen

Ein ſchallendes, wirrendes Reich —

O freudiges erſtes Begruͤßen

Von Leben und Lieben zugleich!
Verlaſſen nun ſtehen die Raͤume,

Es ſchauen und rauſchen allein

Die groß gewordenen Baͤume

So ernſt in die Stille herein.
Von Allen, die dort ſonſt geſeſſen,

Es ſehnet ſich niemand hieher,

Sie haben den Fruͤhling vergeſſen,

Kennt keiner den andern mehr.
Und wie ich ſo ſinn' und erwachen

Die alten Lieder in mir!

Da hoͤr' ich auf einmal ein Lachen

Und Schallen im gruͤnen Revier.
14[210]
Und froͤhliche Lieder erklangen

Aus Herzensgrunde ſo recht,

Und unter den Baͤumen ergangen

Erblick' ich ein ander Geſchlecht.
Geoͤffnet bleibt ewig zum Feſte

Des Fruͤhlings luſtiges Haus,

Es ſchwaͤrmen ſo wechſelnd die Gaͤſte

Da immer herein und heraus.
Die vorigen Lieder verhallen,

Wir ſinken verbluͤhend hinab,

Und neue Geſaͤnge erſchallen

Hoch uͤber dem bluͤhenden Grab.
[211]

An die Luͤtzowſchen Jaͤger.

Wunderliche Spießgeſellen

Denkt ihr noch an mich,

Wie wir an der Elbe Wellen

Lagen bruͤderlich.
Wie wir in des Spreewalds Hallen,

Schauer in der Bruſt,

Hell die Hoͤrner ließen ſchallen

So zu Schreck wie Luſt?
Mancher mußte da hinunter

Unter den Raſen gruͤn,

Und der Krieg und Fruͤhling munter

Gingen uͤber ihn.
Wo wir ruhen, wo wir wohnen:

Jener Waldeshort

Rauſcht mit ſeinen gruͤnen Kronen

Durch mein Leben fort.
14 *[212]

Weltlauf.

Was Du geſtern friſch geſungen,

Iſt doch heute ſchon verklungen

Und beim letzten Klange ſchreit

Alle Welt nach Neuigkeit.
War ein Held, der legt verwegen

Einſtmals ſeinen blut'gen Degen

Als wie Gottes ſchwere Hand

Ueber das erſchrock'ne Land.
Mußt's doch bluͤh'n und rauſchen laſſen,

Und den todten Loͤwen faſſen

Knaben nun nach Jungen-Art

Ungeſtraft an Maͤhn' und Bart.
So viel Gipfel als da funkeln,

Sah'n wir abendlich verdunkeln,

Und es hat die alte Nacht

Alles wieder gleich gemacht.
Wie im Thurm der Uhr Gewichte

Rucket fort die Weltgeſchichte,

Und der Zeiger ſchweigend kreiſt,

Keiner raͤth, wohin er weiſt.
Aber wenn die eh'rnen Zungen

Nun zum letztenmal erklungen,

Auf den Thurm der Herr ſich ſtellt

Um zu richten dieſe Welt.
[213]
Und der Herr hat nichts vergeſſen,

Was geſchehen wird er meſſen

Nach dem Maaß der Ewigkeit —

O wie klein iſt doch die Zeit!
[][]

IV.Fruͤhling und Liebe.
An die Freunde.

Der Jugend Glanz, der Sehnſucht irre Weiſen,

Die tauſend Stroͤme durch das duft'ge Land,

Es zieht uns All' zu ſeinen Zauberkreiſen. –

Wem Gottesdienſt in tiefſter Bruſt entbrannt,

Der ſieht mit Wehmuth ein unendlich Reiſen

Zu ferner Heimath, die er fromm erkannt;

Und was ſich ſpielend wob als ird'ſche Blume,

Woͤlbt ſtill den Kelch zum ernſten Heiligthume.
So ſchauet denn das buntbewegte Leben

Ringsum von meines Gartens heitrer Zinn',

Daß hoch die Bilder, die noch daͤmmernd ſchweben —

Wo Morgenglanz geblendet meinen Sinn —

An Eurem Blick erwachſen und ſich heben.

Verwuͤſtend rauſcht die Zeit daruͤber hin;

In Euren treuen Herzen neu geboren

Sind ſie im wilden Strome unverloren.
[][]

Anklaͤnge.

I.

Liebe, wunderſchoͤnes Leben,

Willſt du wieder mich verfuͤhren

Soll ich wieder Abſchied geben

Fleißig ruhigem Studiren,
Offen ſtehen Fenſter, Thuͤren,

Draußen Fruͤhlingsboten ſchweben,

Lerchen ſchwirrend ſich erheben,

Echo will im Wald ſich ruͤhren.
Wohl da hilft kein Widerſtreben,

Tief im Herzen muß ich's ſpuͤren:

Liebe, wunderſchoͤnes Leben,

Wieder wirſt du mich verfuͤhren!

Il.

Hoch uͤber ſtillen Hoͤhen,

Stand in dem Wald ein Haus,

So einſam war's zu ſehen

Dort uͤber'n Wald hinaus.
[218]
Ein Maͤdchen ſaß darinnen

Bei ſtiller Abendzeit,

Thaͤt ſeiden Faͤden ſpinnen

Zu ihrem Hochzeitskleid.

III.
Jagdlied.

Durch ſchwankende Wipfel

Schießt guͤldener Strahl,

Tief unter den Gipfeln

Das neblichte Thal.

Fern hallt es am Schloſſe,

Das Waldhorn ruft,

Es wiehern die Roſſe,

In die Luft, in die Luft!
Bald Laͤnder und Seen

Durch Wolkenzug

Tief ſchimmernd zu ſehen

In ſchwindelndem Flug,

Bald Dunkel wieder

Huͤllt Reiter und Roß,

O Lieb' o Liebe

So laß' mich los! —
Immer weiter und weiter

Die Klaͤnge ziehn,

Durch Waͤlder und Heiden

Wohin, ach wohin?
[219]
Erquickliche Friſche

Suͤß-ſchaurige Luſt!

Hoch flattern die Buͤſche

Frei ſchlaͤgt die Bruſt.
[220]

Das Zaubernetz.

Fraue, in den blauen Tagen

Haſt ein Netz Du ausgehangen,

Zart gewebt aus ſeidnen Haaren,

Suͤßen Worten, weißen Armen.
Und die blauen Augen ſprachen,

Da ich waldwaͤrts wollte jagen:

„Zieh' mir, Schoͤner, nicht von dannen!“

Ach, da war ich Dein Gefangner!
Hoͤrſt Du nun den Fruͤhling laden? —

Jaͤgers Waldhorn geht im Walde,

Lockend gruͤßen bunte Flaggen,

Nach dem Saͤnger alle fragen.
Ach! von euch, ihr Fruͤhlings-Fahnen,

Kann ich, wie von Dir, nicht laſſen!

Reiſen in den blauen Tagen

Muß der Saͤnger mit dem Klange.
Fluͤgel hat, den Du gefangen —

Alle Schlingen muͤſſen laſſen

Und er wird Dir weggetragen,

Wenn die erſten Lerchen ſangen.
Liebſt Du, treu dem alten Sange

Wie dem Saͤnger, mich wahrhaftig:

Laß' Dein Schloß, den ſchoͤnen Garten,

Fuͤhr' Dich heim in Waldesprachten!
[221]
Auf dem Zelter ſollſt Du prangen,

Um die ſchoͤnen Glieder ſchlanke

Seide, himmelblau, geſpannet,

Als ein ſuͤßgeſchmuͤckter Knabe.
Und der Jaͤger ſieht uns fahren,

Und er laͤßt das Wild, das Jagen,

Will nun ewig mit uns wandern

Mit dem friſchen Hoͤrnerklange.
Wer von uns verfuͤhrt den andern,

Ob es Deine Augen thaten,

Meine Laut', des Jaͤgers Blaſen? —

Ach, wir koͤnnen's nicht errathen;
Aber um uns drei zuſammen

Wird der Lenz im gruͤnen Walde

Wohl ein Zaubernetze ſchlagen,

Dem noch keiner je entgangen.
[222]

Der Schalk.

Laͤuten kaum die Mayenglocken

Leiſe durch den lauen Wind,

Hebt ein Knabe froh erſchrocken

Aus dem Graſe ſich geſchwind,

Schuͤttelt in den Bluͤthenflocken

Seine feinen blonden Locken,

Schelmiſch ſinnend wie ein Kind.
Und nun wehen Lerchenlieder

Und es ſchlaͤgt die Nachtigall,

Rauſchend von den Bergen nieder

Kommt der kuͤhle Waſſerfall,

Rings im Walde bunt Gefieder: —

Fruͤhling, Fruͤhling iſt es wieder

Und ein Jauchzen uͤberall.
Und den Knaben hoͤrt man ſchwirren,

Gold'ne Faͤden zart und lind

Durch die Luͤfte kuͤnſtlich wirren —

Und ein ſuͤßer Krieg beginnt:

Suchen, Fliehen, ſchmachtend Irren,

Bis ſich alle hold verwirren. —

O begluͤcktes Labyrinth!
[223]

Fruͤhlingsgruß.

Es ſteht ein Berg in Feuer,

In feurigem Morgenbrand,

Und auf des Berges Spitze

Ein Tann'baum uͤber'm Land.
Und auf dem hoͤchſten Wipfel

Steh ich und ſchau vom Baum,

O Welt, Du ſchoͤne Welt Du,

Man ſieht Dich vor Bluͤten kaum!
[224]

Abendlandſchaft.

Der Hirt blaͤſt ſeine Weiſe,

Von fern ein Schuß noch faͤllt,

Die Waͤlder rauſchen leiſe

Und Stroͤme tief im Feld.
Nur hinter jenem Huͤgel

Noch ſpielt der Abendſchein —

O haͤtt' ich, haͤtt' ich Fluͤgel,

Zu fliegen da hinein!
[225]

Elfe.

Bleib' bei uns! wir haben den Tanzplan im Thal

Bedeckt mit Mondesglanze,

Johanniswuͤrmchen erleuchten den Saal,

Die Heimchen ſpielen zum Tanze.
Die Freude, das ſchoͤne leichtglaͤubige Kind,

Es wiegt ſich in Abendwinden:

Wo Silber auf Zweigen und Buͤſchen rinnt,

Da wirſt Du die Schoͤnſte finden!
15[226]

Fruͤhlingsmarſch.

Hoch uͤber euern Sorgen

Sah ich vom Berg in's Land

Voll tauſend guter Morgen,

Die Welt in Bluͤten ſtand.
Was zag't ihr traͤg und bloͤde?

Was ſchoͤn iſt, wird doch Dein!

Die Welt thut nur ſo ſproͤde

Und will erobert ſein.
Laßt die Trompeten laden,

Durch's Land die Trommeln geh'n,

Es wimmeln Kammeraden,

Wo rechte Banner weh'n.
Wir zieh'n durch die Provinzen,

Da funkelt manches Schloß,

Schoͤn Lieb, hol' Dich vom Zwinger

Und ſchwing' Dich mit auf's Roß!
Und wenn das Bluͤhen endet:

Noch taumelnd ſprengen wir,

Vom Abendroth geblendet,

In's letzte Nachtquartier.
[227]

Die Lerche.

Ich kann hier nicht ſingen,

Aus dieſer Mauern dunklen Ringen

Muß ich mich ſchwingen

Vor Luſt und tiefem Weh.

O Freude, in klarer Hoͤh

Zu ſinken und ſich zu heben,

In Geſang

Ueber die gruͤne Erde dahin zu ſchweben,

Wie unten die licht' und dunkeln Streifen

Wechſelnd im Fluge voruͤberſchweifen,

Aus der Tiefe ein Wirren und Rauſchen und Haͤmmern,

Die Erde aufſchimmernd im Fruͤhlingsdaͤmmern,

Wie iſt die Welt ſo voller Klang!

Herz, was biſt Du bang?

Mußt aufwaͤrts dringen!

Die Sonne tritt hervor,

Wie glaͤnzen mir Bruſt und Schwingen,

Wie ſtill und weit iſt's droben am Himmelsthor.
15 *[228]

Nachtigall.

Nach den ſchoͤnen Fruͤhlingstagen,

Wenn die blauen Luͤfte wehen,

Wuͤnſche mit dem Fluͤgel ſchlagen

Und im Gruͤnen Amor zielt,

Bleibt ein Jauchzen auf den Hoͤhen;

Und ein Wetterleuchten ſpielt

Aus der Ferne durch die Baͤume

Wunderbar die ganze Nacht,

Daß die Nachtigall erwacht

Von den irren Widerſcheinen,

Und durch alle ſeel'ge Gruͤnde

In der Einſamkeit verkuͤnde,

Was ſie alle, alle meinen;

Dieſes Rauſchen in den Baͤumen

Und der Menſch in dunkeln Traͤumen.
[229]

Adler.

Steig' nur, Sonne,

Auf die Hoͤh'n!

Schauer weh'n,

Und die Erde bebt vor Wonne.
Kuͤhn nach Oben

Greift aus Nacht

Waldespracht,

Noch von Traͤumen kuͤhl durchwoben.
Und vom hohen

Fels-Altar

Stuͤrzt der Aar

Und verſinkt in Morgenlohen.
Friſcher Morgen!

Friſches Herz,

Himmelwaͤrts!

Laß den Schlaf nun, laß die Sorgen!
[230]

Spaziergang.

Ochſe, wie biſt du ſo ſtattlich, bedachtſam, fleißig und

nuͤtzlich!

Wahrlich, ich brauche dich ſehr — aber du biſt doch

ein Ochs!
Ho da! Kartoffeln und ihr oͤkonomiſche Knollengewaͤchſe,

Schreiten kaum kann man; gemach! macht euch nicht

gar zu ſehr breit!
Gruͤß dich, Klatſchroſe und Gaͤnſeblum', Butterblum',

laͤndliches Voͤlkchen,

Schmucklos und ohne Geruch, unſchuldig — weiter

ſonſt nichts? —
Nelke, du reizendes Kind, wie haſt du ſo gar nichts

Beſcheid'nes!

Jauchzende Farben vor Luſt flammſt du in's trau¬

rige Gruͤn,

Tief von den eigenen Duͤften du ſelber luſtig berauſchet

Spiele denn, brenne, von dir laß ich berauſchen mich

gern!
[231]

Maͤdchen.

Gar oft ſchon fuͤhlt' ich's tief, des Maͤdchens Seele

Wird nicht ſich ſelbſt, dem Liebſten nur geboren.

Da irrt ſie nun verſtoßen und verloren,

Schickt heimlich Blicke ſchoͤn als Boten aus,

Daß ſie auf Erden ſuchen ihr ihr Haus.

Sie ſchlummert in der Schwuͤle, leicht bedeckt,

Laͤchelt im Schlafe, athmet warm und leiſe,

Doch die Gedanken ſind fern auf der Reiſe,

Und auf den Wangen flattert traͤum'riſch Feuer,

Hebt buhlend oft der Wind den zarten Schleier.

Der Mann, der da zum erſtenmal ſie weckt,

Zuerſt hinunterlangt in dieſe Stille,

Dem faͤllt ſie um den Hals vor Freude bang

Und laͤßt ihn nicht mehr all' ihr Lebelang.
[232]

Steckbrief.

Gruͤß' euch aus Herzensgrund:

Zwei Augen hell und rein,

Zwei Roͤslein auf dem Mund,

Kleid blank aus Sonnenſchein!
Nachtigall klagt und weint,

Wolluͤſtig rauſcht der Hain,

Alles die Liebſte meint:

Wo weilt ſie ſo allein?
Weil's draußen finſter war,

Sah ich viel hellern Schein,

Jetzt iſt es licht und klar,

Ich muß im Dunkeln ſein.
Sonne nicht ſteigen mag,

Sieht ſo verſchlafen drein,

Wuͤnſchet den ganzen Tag,

Daß wieder Nacht moͤcht' ſein.
Liebe geht durch die Luft,

Holt fern die Liebſte ein;

Fort uͤber Berg und Kluft!

Und Sie wird doch noch mein!
[233]

Morgenſtaͤndchen.

In den Wipfeln friſche Luͤfte,

Fern melod'ſcher Quellen Fall,

Durch die Einſamkeit der Kluͤfte

Waldeslaut und Vogelſchall,

Scheuer Traͤume Spielgenoſſen,

Steigen all' beim Morgenſchein

Auf des Weinlaubs ſchwanken Sproſſen,

Dir in's Fenſter aus und ein.

Und wir nah'n noch halb in Traͤumen,

Und wir thun in Klaͤngen kund,

Was da draußen in den Baͤumen

Singt der weite Fruͤhlingsgrund.

Regt der Tag erſt laut die Schwingen:

Sind wir Alle wieder weit —

Aber tief im Herzen klingen

Lange nach noch Luſt und Leid.
[234]

Ausſicht.

Komm zum Garten denn, Du Holde!

In den warmen, ſchoͤnen Tagen

Sollſt Du Blumenkraͤnze tragen,

Und vom kuͤhl kryſtall'nen Golde

Mit den friſchen, rothen Lippen,

Eh' ich trinke, laͤchelnd nippen.

Ohne Maaß dann, ohne Richter,

Kuͤſſend, trinkend ſingt der Dichter

Lieder, die von ſelbſt entſchweben:

Wunderſchoͤn iſt doch das Leben!
[235]

Abendſtaͤndchen.

Schlafe, Liebchen, weil's auf Erden

Nun ſo ſtill und ſeltſam wird!

Oben geh'n die gold'nen Heerden,

Fuͤr uns alle wacht der Hirt.
In der Ferne ziehn Gewitter;

Einſam auf dem Schifflein ſchwank,

Greif' ich draußen in die Zitter,

Weil mir gar ſo ſchwuͤl und bang.
Schlingend ſich an Baͤum' und Zweigen

In Dein ſtilles Kaͤmmerlein,

Wie auf gold'nen Leitern, ſteigen

Dieſe Toͤne aus und ein.
Und ein wunderſchoͤner Knabe

Schifft hoch uͤber Thal und Kluft,

Ruͤhrt mit ſeinem gold'nen Stabe

Saͤuſelnd in der lauen Luft.
Und in wunderbaren Weiſen

Singt er ein uraltes Lied,

Das in linden Zauberkreiſen

Hinter ſeinem Schifflein zieht.
Ach, den ſuͤßen Klang verfuͤhret

Weit der buhleriſche Wind,

Und durch Schloß und Wand ihn ſpuͤret

Traͤumend jedes ſchoͤne Kind.
[236]

Nacht.

Die Voͤglein, die ſo froͤhlich ſangen,

Der Blumen bunte Pracht,

'S iſt alles unter nun gegangen,

Nur das Verlangen

Der Liebe wacht.
Tritt nicht hinaus jetzt vor die Thuͤr,

Die Nacht hat eignen Sang,

Das Waldhorn ruft, als rief's nach Dir,

Betruͤglich iſt der irre Klang,

Endlos der Waͤlder Labyrinth —

Behuͤt' Dich Gott, Du ſchoͤnes Kind!
[237]

Wahl.

Der Tanz, der iſt zerſtoben,

Die Muſik iſt verhallt,

Nun kreiſen Sterne droben,

Zum Reigen ſingt der Wald.
Sind alle fortgezogen,

Wie iſt's nun leer und todt!

Du rufſt vom Fenſterbogen:

„Wann kommt der Morgenroth!“
Mein Herz moͤcht' mir zerſpringen,

Darum ſo wein' ich nicht,

Darum ſo muß ich ſingen

Bis daß der Tag anbricht.
Eh' es beginnt zu tagen:

Der Strom geht ſtill und breit,

Die Nachtigallen ſchlagen,

Mein Herz wird mir ſo weit!
Du traͤgſt ſo rothe Roſen,

Du ſchauſt ſo freudenreich,

Du kannſt ſo froͤhlich koſen,

Was ſtehſt Du ſtill und bleich?
Und laß ſie geh'n und treiben

Und wieder nuͤchtern ſein,

Ich will wohl bei Dir bleiben!

Ich will Dein Liebſter ſein!
[238]

Die Stille.

Es weiß und raͤth es doch Keiner,

Wie mir ſo wohl iſt, ſo wohl!

Ach, wuͤßt' es nur Einer, nur Einer,

Kein Menſch es ſonſt wiſſen ſoll!
So ſtill iſt's nicht draußen im Schnee,

So ſtumm und verſchwiegen ſind

Die Sterne nicht in der Hoͤhe,

Als meine Gedanken ſind.
Ich wuͤnſcht', es waͤre ſchon Morgen,

Da fliegen zwei Lerchen auf,

Die uͤberfliegen einander,

Mein Herze folgt ihrem Lauf.
Ich wuͤnſcht', ich waͤre ein Voͤglein

Und zoͤge uͤber das Meer,

Wohl uͤber das Meer und weiter,

Bis daß ich im Himmel waͤr'!
[239]

Fruͤhlings-Netz.

Im hohen Gras der Knabe ſchlief,

Da hoͤrt' er's unten ſingen,

Es war, als ob die Liebſte rief,

Das Herz wollt' ihm zerſpringen.
Und uͤber ihm ein Netze wirrt

Der Blumen leiſes Schwanken,

Durch das die Seele ſchmachtend irrt

In lieblichen Gedanken.
So ſuͤße Zauberei iſt los,

Und wunderbare Lieder

Geh'n durch der Erde Fruͤhlingsſchooß,

Die laſſen ihn nicht wieder.
[240]

Die Studenten.

Die Jaͤger zieh'n in gruͤnen Wald

Und Reiter blitzend uͤber's Feld,

Studenten durch die ganze Welt,

So weit der blaue Himmel wallt.
Der Fruͤhling iſt der Freudenſaal,

Viel tauſend Voͤglein ſpielen auf,

Da ſchallt's im Wald bergab, bergauf:

Gruͤß' dich, mein Schatz, viel tauſendmal!
Viel ruͤſt'ge Burſche ritterlich,

Die fahren hier in Stromes Mitt',

Wie wilde ſie auch ſtellen ſich,

Trau' mir, mein Kind, und fuͤrcht' dich nit!
Queruͤber uͤber's Waſſer glatt

Laß werben deine Aeugelein,

Und der dir wohlgefallen hat,

Der ſoll dein lieber Buhle ſein.
Durch Nacht und Nebel ſchleich' ich ſacht',

Kein Lichtlein brennt, kalt weht der Wind,

Riegl' auf, riegl' auf bei ſtiller Nacht,

Weil wir ſo jung beiſammen ſind!
Ade nun, Kind, und nicht geweint!

Schon gehen Stimmen da und dort,

Hoch uͤbern Wald Aurora ſcheint,

Und die Studenten reiſen fort.
[241]

Der Gaͤrtner.

Wohin ich geh' und ſchaue,

In Feld und Wald und Thal

Vom Berg' hinab in die Aue:

Viel ſchoͤne, hohe Fraue,

Gruͤß' ich Dich tauſendmal.
In meinem Garten find' ich

Viel Blumen, ſchoͤn und fein,

Viel Kraͤnze wohl d'raus wind' ich

Und tauſend Gedanken bind' ich

Und Gruͤße mit darein.
Ihr darf ich keinen reichen,

Sie iſt zu hoch und ſchoͤn,

Die muͤſſen alle verbleichen,

Die Liebe nur ohne Gleichen

Bleibt ewig im Herzen ſtehn.
Ich ſchein' wohl froher Dinge

Und ſchaffe auf und ab,

Und, ob das Herz zerſpringe,

Ich grabe fort und ſinge

Und grab' mir bald mein Grab.
16[242]

Jaͤger-Katechismus.

Was wollt ihr in dem Walde haben,

Mag ſich die arme Menſchenbruſt

Am Waldesgruße nicht erlaben,

Am Morgenroth und gruͤner Luſt?
Was tragt ihr Hoͤrner an der Seite,

Wenn ihr des Hornes Sinn vergaßt,

Wenn's euch nicht ſelbſt lockt in die Weite,

Wie ihr vom Berg' fruͤhmorgens blast?
Ihr werd't doch nicht die Luſt erjagen,

Ihr moͤg't durch alle Waͤlder geh'n;

Nur muͤde Fuͤß' und leere Magen —

Mir moͤcht' die Jaͤgerei vergeh'n!
O nehmet doch die Schneiderelle,

Guckt in der Kuͤche in den Topf!

Sonntags dann auf des Hauſes Schwelle,

Krau' euch die Ehfrau auf dem Kopf!
Die Thierlein ſelber: Hirſch und Rehen,

Was luſtig hauſt im gruͤnen Haus,

Sie flieh'n auf ihre freien Hoͤhen,

Und lachen arme Wichte aus.
Doch, kommt ein Jaͤger, wohlgeboren,

Das Horn irrt, er blitzt roſenroth,

Da iſt das Hirſchlein wohl verloren,

Stellt ſelber ſich zum luſt'gen Tod.
[243]
Vor allen aber die Verliebten,

Die lad' ich ein zur Jaͤgerluſt,

Nur nicht die weinerlich Betruͤbten;

Die recht von friſch' und ſtarker Bruſt.
Mein Schatz iſt Koͤnigin im Walde,

Ich ſtoß' in's Horn, in's Jaͤgerhorn!

Sie hoͤrt mich fern und naht wohl balde,

Und was ich blaſ', iſt nicht verlor'n! —
16 *[244]

Der Cadett.

Meine Liebſte die iſt von allen

Grade die Schoͤnſte nicht,

Doch hat mir eben gefallen

Ihr ſpielendes Augenlicht.
Da kann ich von Gluͤcke ſagen,

Denn waͤr' ſie die Schoͤnſte juſt,

Muͤßt' ich mit Allen mich ſchlagen

Um die Eine nach Herzensluſt.
[245]

Der Polack.

Und komm' ich, komm ich' ohne Pelz,

Mein' Liebſte fragt mich aus:

Wo haſt Du laſſen Deinen Pelz?

Und macht ſich doch nichts draus.
Da druͤben iſt gut Schnaps und Bier,

Der Wirth blaͤſt Clarinett,

Da ſtritten wir, drei oder vier,

Wer's ſchoͤnſte Liebchen haͤtt'.
Ich aber trank aus Deinem Schuh,

Ließ meinen Pelz im Haus

Und eine Handvoll Haar' dazu,

Ich mach' mir gar nichts draus.
[246]

Der Jaͤger.

Was Seegeln der Wuͤnſche durch luftige Hoͤh'!

Was bildendes Traͤumen im bluͤhenden Klee!

Was Hoffen und Bangen, was Schmachten, was Weh!
Und rauſcht nicht die Erde in Bluͤten und Duft?

Und ſchreitet nicht Hoͤrnerklang kuͤhn durch die Luft?

Und ſtuͤrzet nicht jauchzend der Quell von der Kluft?
Drum jage Du friſch auch Dein fluͤchtiges Reh

Durch Waͤlder und Felder, durch Thaͤler und See,

Bis Dir es ermuͤdet in Armen vergeh'!
[247]

Der Landreuter.

Ich ging bei Nacht einſt uͤber Land,

Ein Buͤrſchlein traf ich draußen,

Das hat 'nen Stutzen in der Hand

Und zielt auf mich voll Grauſen.

Ich renne, da ich mich erboſ'

Auf ihn in vollem Raſen,

Da druͤckt das kecke Buͤrſchlein los

Und ich ſtuͤrzt' auf die Naſen.

Er aber lacht mir in's Geſicht,

Daß er mich angeſchoſſen,

Cupido war der kleine Wicht —

Das hat mich ſehr verdroſſen.
[248]

Der Bote.

Am Himmelsgrund ſchießen

So luſtig die Stern',

Dein Schatz laͤßt Dich gruͤßen

Aus weiter, weiter Fern!
Hat eine Zitter gehangen

An der Thuͤr unbeacht',

Der Wind iſt gegangen

Durch die Saiten bei Nacht.
Schwang ſich auf dann vom Gitter

Ueber die Berge, uͤber'n Wald —

Mein Herz iſt die Zitter,

Giebt ein'n froͤhlichen Schall.
[249]

Der Winzer.

Es hat die Nacht geregnet,

Es zog noch grau in's Thal,

Und ruhten ſtillgeſegnet

Die Felder uͤberall;

Von Luͤften kaum gefaͤchelt,

Durch's ungewiſſe Blau

Die Sonne verſchlafen laͤchelt'

Wie eine wunderſchoͤne Frau.
Nun ſah ich auch ſich heben

Aus Nebeln unſer Haus,

Du dehnteſt zwiſchen den Reben

Dich von der Schwelle hinaus,

Da funkelt' auf einmal vor Wonne

Der Strom und Wald und Au —

Du biſt mein Morgen, meine Sonne,

Meine liebe, verſchlafene Frau!
[250]

Der Poet.

Bin ich fern Ihr: ſchau' ich nieder

Traͤumend in die Thaͤler hier,

Ach, erſinn' ich tauſend Lieder,

Singt mein ganzes Herz von Ihr.

Doch was hilft die Gunſt der Muſen,

Daß die Welt mich Dichter nennt?

Keiner fraͤgt, wie mir im Buſen

Sorge tief und Sehnſucht brennt.
Ja, darf ich bei Liebchen weilen:

Fuͤhl' ich froh der Stunden Schwall

Wohl melodiſcher enteilen

Als der ſchoͤnſte Sylbenfall,

Will ich ſingen, Lippen neigen

Sich auf mich, und leiden's nicht,

Und wie gerne mag ich ſchweigen,

Wird mein Leben zum Gedicht!
[251]

Die Kleine.

Zwiſchen Bergen, liebe Mutter,

Weit den Wald entlang,

Reiten da drei junge Jaͤger

Auf drei Roͤßlein blank,

lieb Mutter,

Auf drei Roͤßlein blank.
Ihr koͤnnt froͤhlich ſein, lieb' Mutter

Wird es draußen ſtill:

Kommt der Vater heim vom Walde,

Kuͤßt Euch wie er will,

lieb Mutter,

Kuͤßt Euch wie er will.
Und ich werfe mich im Bettchen

Nachts ohn' Unterlaß,

Kehr' mich links und kehr' mich rechts hin,

Nirgends hab' ich was,

lieb Mutter,

Nirgends hab' ich was.
Bin ich eine Frau erſt einmal,

In der Nacht dann ſtill

Wend' ich mich nach allen Seiten,

Kuͤß', ſo viel ich will,

lieb Mutter,

Kuͤß', ſo viel ich will.
[252]

Der Freiwerber.

Fruͤhmorgens durch die Winde kuͤhl

Zwei Ritter hergeritten ſind,

Im Garten klingt ihr Saitenſpiel,

Wach' auf, wach' auf, mein ſchoͤnes Kind!
Ringsum viel' Schloͤſſer ſchimmernd ſteh'n,

So ſilbern geht der Stroͤme Lauf,

Hoch, weit rings Lerchenlieder weh'n,

Schließ' Fenſter, Herz und Aeuglein auf!
So wie du biſt, verſchlafen heiß,

Laß allen Putz und Zier zu Haus,

Tritt nur herfuͤr im Hemdlein weiß,

Siehſt ſo gar ſchoͤn verliebet aus.
Ich hab' einen Fremden wohl bei mir,

Der lauert unten auf der Wacht,

Der bittet ſchoͤn dich um Quartier,

Verſchlaf'nes Kind, nimm dich in Acht!
[253]

Das alte Maͤdchen.

Mohrenritter, Mohrenritter!

Hier gefangen auf dem Schloſſe,

Steh' ich einſam an dem Gitter,

Warte wohl der ſuͤßen Roſen,

Schau' in's Thal beim Klang der Zitter;

Ob Du nah'ſt im Glanz des Morgens, —

Doch geſchloſſen bleibt das Gitter,

Und es fliegen Stunden, Wolken —

Mohrenritter, Mohrenritter!

Und es ſinken Lenz und Roſen —
[254]

Der Tanzmeiſter.

Wohlgeruͤſtet war ich kommen;

Siegsgewiß doch, wie zum Scherz,

Hat ein Blick mein Herz genommen —

Wer kann kaͤmpfen ohne Herz?
So vom Augenblick — geſchlagen,

Kniet' ich Armer vor ihr hin,

Hatt' kein Herz nun, ihr zu ſagen,

Daß ich ihr Entherzter bin.
[255]

Die Braut.

Wann die Baͤume bluͤh'n und ſproſſen

Und die Lerche kehrt zuruͤck,

Denkt die Seele der Genoſſen,

Fuͤhlet fern' und nahes Gluͤck.
Seelig Weinen ſeel'ger Herzen!

Wenn das Herz nichts weiter will,

Nicht weiß, ob es Luſt, ob Schmerzen,

Aber froͤhlich iſt und ſtill.
Friſcher ſich die Huͤgel kraͤnzen,

Heitrer lacht das weite Blau,

Alle Blumen ſchoͤner glaͤnzen

Durch des Auges ſuͤßen Thau.
Und ſoll denn das Lieben leiden,

Und, wer leidet, krank auch ſein,

Ach, ſo will ich keine Freuden,

Und mag nicht geſund mehr ſein!
[256]

Der Fromme.

Es ſaß ein Kind gebunden und gefangen,

Wo vor der Menſchen eitlem Thun und Schallen

Der Vorzeit Wunderlaute truͤb verhallen;

Der alten Heimath dacht' ſie voll Verlangen.
Da ſieht ſie draußen Stroͤme, hell ergangen,

Durch zaub'riſch Land viel Pilger, Saͤnger wallen,

Kuͤhl rauſcht der Wald, die luſt'gen Hoͤrner ſchallen,

Aurora ſcheint, ſo weit die Blicke langen. —
O laß die Sehnſucht ganz Dein Herz durchdringen!

So legt ſich bluͤhend um die Welt Dein Trauern

Und himmliſch wird Dein Schmerz und Deine Sor¬

gen.
Ein friſch Gemuͤth mag wohl die Welt bezwingen,

Ein recht Gebet bricht Banden bald und Mauern:

Und frei ſpringſt Du hinunter in den Morgen.
Willkommen, Liebchen, denn am Meeresſtrande!

Wie rauſchen lockend da an's Herz die Wellen

Und tiefe Sehnſucht will die Seele ſchwellen,

Wenn and're traͤge ſchlafen auf dem Lande.
So walte Gott! — ich loͤſ' des Schiffleins Bande,

Wegweiſer ſind die Stern', die ewig hellen,

Viel Seegel fahren da und friſch' Geſellen

Begruͤßend uns von ihrer Schiffe Rande.
[257]
Wir ſitzen ſtill, gleich Schwanen zieht das Seegel,

Ich ſchau' in Deiner Augen lichte Sterne,

Du ſchweigſt und ſchauerſt heimlich oft zuſammen.
Blick' auf! Schon ſchweifen Paradieſes-Voͤgel,

Schon wehen Wunderklaͤnge aus der Ferne,

Der Garten Gottes ſteigt aus Morgenflammen.
17[258]

Der Geniale.

Luſtig auf den Kopf, mein Liebchen,

Stell' dich, in die Luft die Bein'!

Heißa! ich will ſein dein Buͤbchen,

Heute Nacht ſoll Hochzeit ſein!
Wenn du Shakeſpear kannſt vertragen,

O du liebe Unſchuld du!

Wirſt du mich wohl auch ertragen

Und noch Jedermann dazu. —
[259]

Der Gluͤcksritter.

Wenn Fortuna ſproͤde thut,

Laß' ich ſie in Ruh,

Singe recht und trinke gut,

Und Fortuna kriegt auch Muth,

Setzt ſich mit dazu.
Doch ich geb' mir keine Muͤh:

„He, noch eine her!“

Kehr' den Ruͤcken gegen Sie,

Laß' hoch leben die und die —

Das verdrießt Sie ſehr.
Und bald ruͤckt ſie ſacht zu mir:

„Haſt Du deren mehr?“ —

Wie Sie ſehn. — „Drei Kannen ſchier,

Und das lauter Klebebier!“ —

'S wird mir gar nicht ſchwer.
Drauf ſie zu mir laͤchelt fein:

„Biſt ein ganzer Kerl!“

Ruft den Kellner, ſchreit nach Wein,

Trinkt mir zu und ſchenkt mir ein,

Aechte Blum' und Perl.
Sie bezahlet Wein und Bier,

Und ich, wieder gut,

Fuͤhre Sie am Arm mit mir

Aus dem Haus, wie'n Kavalier,

Alles zieht den Hut.
17 *[260]

Der verzweifelte Liebhaber.

Studiren will nichts bringen,

Mein Rock haͤlt keinen Stich,

Meine Zitter will nicht klingen,

Mein Schatz, der mag mich nicht.
Ich wollt', im Gruͤn ſpazierte

Die allerſchoͤnſte Frau,

Ich waͤr' ein Drach' und fuͤhrte,

Sie mit mir fort durch's Blau.
Ich wollt', ich jagt' geruͤſtet

Und legt' die Lanze aus,

Und jagte all' Philiſter

Zur ſchoͤnen Welt hinaus.
Ich wollt', ich ſaͤß' jetzunder

Im Himmel ſtill und weit,

Und fruͤg' nach all' dem Plunder

Nichts vor Zufriedenheit.
[261]

Der Gluͤckliche.

Ich hab' ein Liebchen lieb recht von Herzen.

Hellfriſche Augen hat's wie zwei Kerzen,

Und wo ſie ſpielend ſtreifen das Feld,

Ach wie ſo luſtig glaͤnzet die Welt!
Wie in der Waldnacht zwiſchen den Schluͤften

Ploͤtzlich die Thaͤler ſonnig ſich kluͤften,

Funkeln die Stroͤme, rauſcht himmelwaͤrts

Bluͤhende Wildniß — ſo iſt mein Herz!
Wie vom Gebirge in's Meer zu ſchauen,

Wie wenn der Seefalk, hangend im Blauen,

Zuruft der daͤmmerndern Erd', wo ſie blieb? —

So unermeßlich iſt rechte Lieb'!
[262]

Der Nachtvogel.

Liegt der Tag rings auf der Lauer,

Blickt ſo ſchlau auf Luſt und Trauer:

Kann ich kaum mich ſelbſt verſtehen.

Laß die Lauſcher ſchlafen gehen!

Nur ein Stuͤndchen unbewacht

Laß' in der verſchwiegenen Nacht

Mich in Deine Augen ſehen

Wie in ſtillen Mondenſchein.

In dem Park an der Rotunde,

Wenn es dunkelt, harr' ich Dein.

Still und fromm ja will ich ſein.

Liebſte, ach nur Eine Stunde! —

Sieh' mir nicht ſo boͤſe drein!

Willſt Du nie Dein Schweigen brechen,

Ewig ſtumm, wie Blumen, ſein:

O ſo laß mich das Verſprechen

Pfluͤcken Dir vom ſtillen Munde:

Liebſte, ach nur Eine Stunde!

In dem Park, an der Rotunde,

Wenn es dunkelt, harr' ich Dein.

Coda.


Und kann ich nicht ſein

Mit Dir zu zwei'n,

So will ich, allein,

Der Schwermuth mich weih'n!
[263]

Die Nachtblume.

Nacht iſt wie ein ſtilles Meer,

Luſt und Leid und Liebesklagen

Kommen, ſo verworren her

In dem linden Wellenſchlagen.
Wuͤnſche wie die Wolken ſind,

Schiffen durch die ſtillen Raͤume,

Wer erkennt im lauen Wind

Ob's Gedanken oder Traͤume? —
Schließ' ich nun auch Herz und Mund,

Die ſo gern den Sternen klagen:

Leiſe doch im Herzensgrund

Bleibt das linde Wellenſchlagen.
[264]

Der Dichter.

Nichts auf Erden nenn' ich mein,

Als die Lieder meiner Laute,

Doch nenn' den, der freud'ger ſchaute

In die ſchoͤne Welt hinein!

Alles Lebens tiefſte Schoͤne

Thun geheimnißvoll ja Toͤne

Nur dem frommen Saͤnger kund‚

Und die Freude ſagt kein Mund,

Die Gott wunderbar gelegt

In des Dichters Herzensgrund.

Wenn die Welt, ſo wild bewegt,

Aengſtlich ſchaut nach ihren Rettern:

Ueber aller Nebel Wogen

Woͤlbt Er kuͤhn den Friedensbogen‚

Und‚ wie nach verzog'nen Wettern,

Rauſcht die Erde wieder mild;

Alle Knospen Bluͤten treiben;

Und der Fruͤhling iſt ſein Haus‚

Und der Fruͤhling geht nie aus. —

O du lieblich Frauenbild!

Willſt Du bei dem Saͤnger bleiben? —

Blumen bind't ein ſtreng Geſchick:

Wenn die tauſend Stimmen ſingen‚

Alle Schmerzen, alles Gluͤck

Ewig lautlos zu verſchweigen.

Doch bei kuͤhlem Mondenblick

Regt ihr ſtiller Geiſt die Schwingen‚

Moͤcht' dem duft'gen Kelch entſteigen.
[265]
Sieh', ſchon iſt die Sonn' geſunken

Aus der dunkelblauen Schwuͤle,

Und zerſpringt in tauſend Funken

An den Felſen rings und Baͤumen,

Bis ſie alle ſeelig traͤumen.

Mit den Sternen in der Kuͤhle

Bluͤh'n da Wuͤnſche, ſteigen Lieder

Aus des Herzens Himmelsgrund,

Und ich fuͤhle alles wieder:

Alte Freuden, junges Wagen! —

Ach! ſo viel moͤcht' ich Dir ſagen,

Sagen recht aus Herzensgrund,

In dem Rauſchen, in dem Wehen

Moͤcht' ich froͤhlich mit Dir gehen,

Plaudern in der lauen Nacht,

Bis der Morgenſtern erwacht! —
[266]

An eine Taͤnzerin.

Caſtagnetten luſtig ſchwingen

Seh' ich Dich, Du zierlich Kind!

Mit der Locken ſchwarzen Ringen

Spielt der ſommerlaue Wind.

Kuͤnſtlich regſt Du ſchoͤne Glieder,

Gluͤhendwild

Zaͤrtlichmild

Taucheſt in Muſik Du nieder,

Und die Woge hebt Dich wieder.
Warum ſind ſo blaß die Wangen,

Dunkelfeucht der Augen Glanz,

Und ein heimliches Verlangen

Schimmert gluͤhend durch den Tanz?

Schalkhaft lockend ſchauſt Du nieder,

Liebesnacht

Suͤßerwacht,

Wolluͤſtig erklingen Lieder —

Schlag nicht ſo die Augen nieder!
Wecke nicht die Zauberlieder

In der dunklen Tiefe Schooß,

Selbſt verzaubert ſinkſt Du nieder,

Und ſie laſſen Dich nicht los.

Toͤdtlich ſchlingt ſich um die Glieder

Suͤndlich Gluͤh'n,

Und verbluͤh'n

Muͤſſen Schoͤnheit, Tanz und Lieder,

Ach, ich kenne Dich nicht wieder!
[267]

Der Knabe.

Es war ein zartes Voͤgelein,

Das ſaß in Lieb' gefangen,

Ein Knabe hegt' und pflegt' ſich's fein

Wohl hinter gold'nen Stangen.
Und draußen hoͤrt's auf gruͤnem Plan

Verſchied'ner Voͤgel Weiſen,

Sah Tag und Nacht den Knaben an,

Mocht' nicht mit ihnen reiſen.
Und als der Fruͤhling weit und breit

Von neuem ſchien und ſchwaͤrmte,

Da that dem Knaben 's Voͤglein leid,

Daß es kein Strahl erwaͤrmte.
Da nahm er aus dem ſtillen Haus

Das Voͤglein fromm und treue,

Und ſchweift' mit ihm durch's Feld hinaus

In's himmelblaue Freie.
Er ſetzt' es vor ſich auf die Hand,

Da wend't und putzt ſich's feine,

In bunten Farben ſpielt' und brannt'

Sein Kleid im Sonnenſcheine.
Doch aus dem Wald ein Singen rief,

Bunt' Voͤglein zieh'n und reiſen,

Das lockt ſo hell, das lockt ſo tief

In wunderſuͤßen Weiſen.
[268]
Das Voͤglein friſch die Fluͤgel ruͤhrt —

Es ruft: kommſt Du nicht balde? —

Das hat das Voͤgelein verfuͤhrt,

Fort flog's zum gruͤnen Walde —
Nun muß der Knabe einſam geh'n,

Klagt uͤber Thal und Huͤgel:

„Suͤß' Lieb', ſuͤß' Lieb', wie biſt Du ſchoͤn:

Ach, haͤttſt Du keine Fluͤgel!“ —
[269]

Klage.

Ich hab' manch Lied geſchrieben,

Die Seele war voll Luſt,

Von treuem Thun und Lieben,

Das beſte, was ich wußt'.
Was mir das Herz bewogen,

Das ſagte treu mein Mund,

Und das iſt nicht erlogen,

Was kommt aus Herzensgrund.
Liebchen wußt's nicht zu deuten

Und lacht mir in's Geſicht,

Dreht ſich zu andern Leuten

Und achtet's weiter nicht.
Und ſpielt mit manchem Tropfe,

Weil ich ſo tief betruͤbt.

Mir iſt ſo dumm im Kopfe,

Als waͤr' ich nicht verliebt.
Ach Gott, wem ſoll ich trauen?

Will Sie mich nicht verſteh'n,

Thun all' ſo fremde ſchauen,

Und alles muß vergeh'n.
Und alles irrt zerſtreuet —

Sie iſt ſo ſchoͤn und roth —

Ich hab' nichts, was mich freuet,

Waͤr' ich viel lieber todt!
[270]

Trauriger Fruͤhling.

Mir iſt's im Kopf ſo wuͤſte,

Die Zeit wird mir ſo lang,

Wie auch der Lenz mich gruͤßte

Mit Glanz und friſchem Klang,

Das Herz bleibt mir ſo wuͤſte,

Mir iſt ſo ſterbensbang.
Viel' Voͤglein lockend ſangen

Im bluͤhenden Revier,

Ich hatt' mir ein's gefangen,

Jetzt iſt es weit von mir,

Viel Voͤglein draußen ſangen,

Ach, haͤtt' ich mein's nur hier!
[271]

Begegnung.

Ich wandert' in der Fruͤhlingszeit,

Fern auf den Bergen gingen

Mit Geigenſpiel und Singen

Viel' luſt'ge Hochzeitsleut',

Das war ein Jauchzen und Klingen!

Es bluͤhte rings in Thal und Hoͤh'n,

Ich konnt' vor Luſt nicht weitergeh'n.
Am Dorfe dann auf gruͤner Au

Begannen ſie den Reigen

Und durch den Schall der Geigen

Lacht' laut die junge Frau,

Ihr Stimmlein klang ſo eigen,

Ich wußte nicht, wie mir geſcheh'n —

Da wandt' ſie ſich in wildem Dreh'n.
Es war mein Lieb! 's iſt lange her,

Sie blickt' ſo ohne Scheue,

Verloren iſt die Treue,

Sie kannte mich nicht mehr —

Da jauchzt' und geigt's auf's neue,

Ich aber wandt' mich fort in's Feld,

Nun wandr' ich bis an's End' der Welt!
[272]

Der Kranke.

Voͤgelein munter

Singen ſo ſchoͤn,

Laßt mich hinunter

Spazieren gehn!
„Nacht iſt's ja draußen;

'S war nur der Sturm,

Den Du hoͤrſt ſauſen

Droben vom Thurm.“
Liebchen im Garten

Seh' ich dort ſteh'n,

Lang' mußt' ſie warten,

O laßt mich geh'n.
„Still nur! der blaſſe

Tod iſt's, der ſacht

Dort durch die Gaſſe

Schleicht in der Nacht.“
Wie mir ergraute,

Bleiches Geſicht!

Geb't mir die Laute,

Mir wird ſo licht!
„Was willſt Du ſingen

In tiefſter Noth?

Lenz, Luſt vergingen,

Liebchen iſt todt!“ —
[273]
Laßt mich, Geſpenſter,

Lied, riegl' auf die Gruft!

Oeffnet die Fenſter,

Luft, friſche freie Luft!
18[274]

Die Hochzeitſaͤnger.

Fernher zieh'n wir durch die Gaſſen,

Steh'n im Regen und im Wind,

Wohl von aller Welt verlaſſen

Arme Muſikanten ſind.

Aus den Fenſtern Geigen klingen,

Schleift und dreht ſich's bunt und laut,

Und wir Muſikanten ſingen

Draußen da der reichen Braut.
Wollt' ſie doch keinen andern haben,

Ging mit mir durch Wald und Feld,

Praͤchtig in den blauen Tagen

Schien die Sonne auf die Welt.

Heißa: luſtig Dreh'n und Ringen,

Jeder haͤlt ſein Liebchen warm,

Und wir Muſikanten ſingen

Luſtig ſo, daß Gott erbarm.
Lachend reicht man uns die Neigen,

Auf Ihr Wohlſein trinken wir;

Wollt' ſie ſich am Fenſter zeigen,

'S waͤre doch recht fein von ihr.

Und wir fideln und wir ſingen

Manche ſchoͤne Melodei,

Daß die beſten Saiten ſpringen,

'S war als ſpraͤng' mir's Herz entzwei.
[275]
Jetzt iſt Schmauß und Tanz zerſtoben,

Immer ſtiller wird's im Haus,

Und die Maͤgde putzen oben

Alle luſt'gen Kerzen aus.

Doch wir blaſen recht mit Raſen

Jeder in ſein Inſtrument,

Moͤcht' in meinem Grimm ausblaſen

Alle Stern' am Firmament!
Und am Hauſe ſeine Runde

Tritt der Waͤchter gaͤhnend an,

Rufet aus die Schlafensſtunde,

Und ſieht ganz erboſt uns an.

Doch nach ihrem Kabinette

Schwing' ich noch mein Tambourin,

Fahr' wohl in Dein Himmelbette,

Weil wir muͤſſen weiter zieh'n!
18 *[276]

Der letzte Gruß.

Ich kam vom Walde hernieder,

Da ſtand noch das alte Haus,

Mein Liebchen ſie ſchaute wieder

Wie ſonſt zum Fenſter hinaus.
Sie hat einen andern genommen,

Ich war draußen in Schlacht und Sieg,

Nun iſt alles anders gekommen,

Ich wollt', 's waͤr wieder erſt Krieg;
Am Wege dort ſpielte ihr Kindlein,

Das glich ihr recht auf ein Haar,

Ich kuͤßt's auf ſein rothes Muͤndlein:

„Gott ſeg'ne dich immerdar!“
Sie aber ſchaute erſchrocken

Noch lange Zeit nach mir hin,

Und ſchuͤttelte ſinnend die Locken

Und wußte nicht, wer ich bin. —
Da droben hoch ſtand ich am Baume,

Da rauſchen die Waͤlder ſo ſacht,

Mein Waldhorn das klang wie im Traume

Hinuͤber die ganze Nacht.
Und als die Voͤgelein ſangen

Fruͤhmorgens, ſie weinte ſo ſehr,

Ich aber war weit ſchon gegangen,

Nun ſieht ſie mich nimmermehr!
[277]

Bei einer Linde.

Seh' ich Dich wieder, Du geliebter Baum,

In deſſen junge Triebe

Ich einſt in jenes Fruͤhlings ſchoͤnſtem Traum

Den Namen ſchnitt von meiner erſten Liebe?
Wie anders iſt ſeitdem der Aeſte Bug,

Verwachſen und verſchwunden

Im haͤrt'ren Stamm der vielgeliebte Zug,

Wie ihre Liebe und die ſchoͤnen Stunden!
Auch ich ſeitdem wuchs ſtille fort, wie Du,

Und nichts an mir wollt' weilen,

Doch meine Wunde wuchs — und wuchs nicht zu,

Und wird wohl niemals mehr hienieden heilen.
[278]

Vom Berge.

Da unten wohnte ſonſt mein Lieb,

Die iſt jetzt ſchon begraben,

Der Baum noch vor der Thuͤre blieb,

Wo wir geſeſſen haben.
Stets muß ich nach dem Hauſe ſeh'n

Und ſeh doch nichts vor Weinen,

Und wollt' ich auch hinunter geh'n,

Ich ſtuͤrb' dort ſo alleine!
[279]

Verlorene Liebe.

Lieder ſchweigen jetzt und Klagen,

Nun will ich erſt froͤhlich ſein,

All mein Leid will ich zerſchlagen

Und Erinnern — gebt mir Wein!

Wie er mir verlockend ſpiegelt

Sterne und der Erde Luſt,

Stillgeſchaͤftig dann entriegelt

All' die Teufel in der Bruſt,

Erſt der Knecht und dann der Meiſter

Bricht er durch die Nacht herein,

Wildeſter der Luͤgengeiſter,

Ring' mit mir, ich lache dein!

Und den Becher voll Entſetzen

Werf' ich in des Stromes Grund,

Daß ſich nimmer dran ſoll letzen

Wer noch froͤhlich und geſund!
Lauten hoͤr' ich ferne klingen,

Luſt'ge Burſche zieh'n vom Schmaus,

Staͤndchen ſie den Liebſten bringen,

Und das lockt mich mit hinaus.

Maͤdchen hinter'm bluͤh'nden Baume

Winkt und macht das Fenſter auf

Und ich ſteige wie im Traume

Durch das kleine Haus hinauf.

Schuͤtt'le nur die dunklen Locken

Aus dem ſchoͤnen Angeſicht!

Sieh, ich ſtehe ganz erſchrocken:

Das ſind ihre Augen licht,
[280]
Locken hatte ſie wie deine,

Bleiche Wangen, Lippen roth —

Ach, du biſt ja doch nicht meine,

Und mein Lieb iſt lange todt!

Haͤtteſt du nur nicht geſprochen

Und ſo frech geblickt nach mir,

Das hat ganz den Traum zerbrochen

Und nun grauet mir vor dir.

Da nimm Geld, kauf Putz und Flimmern,

Fort und lache nicht ſo wild!

O ich moͤchte dich zertruͤmmern,

Schoͤnes, luͤgenhaftes Bild!
Spaͤt von dem verlor'nen Kinde

Kam ich durch die Nacht daher,

Fahnen drehten ſich im Winde,

Alle Gaſſen waren leer.

Oben lag noch meine Laute

Und mein Fenſter ſtand noch auf,

Aus dem ſtillen Grunde graute

Wunderbar die Stadt herauf.

Draußen aber blitzt's von weiten,

Alter Zeiten ich gedacht',

Schauernd reiß' ich in den Saiten

Und ich ſing' die halbe Nacht.

Die verſchlaf'nen Nachbarn ſprechen,

Daß ich naͤchtlich trunken ſei —

O du mein Gott! und mir brechen

Herz und Saitenſpiel entzwei!
[281]

Das Staͤndchen.

Auf die Daͤcher zwiſchen blaſſen

Wolken ſchaut der Mond herfuͤr,

Ein Student dort auf der Gaſſen

Singt vor ſeiner Liebſten Thuͤr.
Und die Brunnen rauſchen wieder

Durch die ſtille Einſamkeit

Und der Wald vom Berge nieder,

Wie in alter ſchoͤner Zeit.
So in meinen jungen Tagen

Hab' ich manche Sommernacht

Auch die Laute hier geſchlagen

Und manch luſt'ges Lied erdacht.
Aber von der ſtillen Schwelle

Trugen ſie mein Lieb' zur Ruh —

Und du, froͤhlicher Geſelle,

Singe, ſing' nur immer zu!
[282]

Neue Liebe.

Herz, mein Herz, warum ſo froͤhlich,

So voll Unruh und zerſtreut,

Als kaͤm' uͤber Berge ſeelig

Schon die ſchoͤne Fruͤhlingszeit?
Weil ein liebes Maͤdchen wieder

Herzlich an dein Herz ſich druͤckt,

Schauſt du froͤhlich auf und nieder,

Erd' und Himmel dich erquickt.
Und ich hab' die Fenſter offen,

Neu zieh in die Welt hinein

Altes Bangen, altes Hoffen!

Fruͤhling, Fruͤhling ſoll es ſein!
Still kann ich hier nicht mehr bleiben,

Durch die Bruſt ein Singen irrt,

Doch zu licht iſt's mir zum ſchreiben,

Und ich bin ſo froh verwirrt.
Alſo ſchlendr' ich durch die Gaſſen,

Menſchen gehen her und hin,

Weiß nicht, was ich thu und laſſe,

Nur, daß ich ſo gluͤcklich bin.
[283]

Fruͤhlingsnacht.

Ueber'n Garten durch die Luͤfte

Hoͤrt' ich Wandervoͤgel zieh'n,

Das bedeutet Fruͤhlingsduͤfte,

Unten faͤngt's ſchon an zu bluͤh'n.
Jauchzen moͤcht' ich, moͤchte weinen,

Iſt mir's doch, als koͤnnt's nicht ſein!

Alte Wunder wieder ſcheinen

Mit dem Mondesglanz herein.
Und der Mond, die Sterne ſagen's

Und in Traͤumen rauſcht's der Hain

Und die Nachtigallen ſchlagen's:

Sie iſt Deine, ſie iſt Dein!
[284]

Frau Venus.

Was weckſt du, Fruͤhling, mich von neuem wieder?

Daß all' die alten Wuͤnſche auferſtehen,

Geht uͤber's Land ein wunderbares Wehen;

Das ſchauert mir ſo lieblich durch die Glieder.
Die ſchoͤne Mutter gruͤßen tauſend Lieder,

Die, wieder jung, im Brautkranz ſuͤß zu ſehen;

Der Wald will ſprechen, rauſchend Stroͤme gehen,

Najaden tauchen ſingend auf und nieder.
Die Roſe ſeh' ich geh'n aus gruͤner Klauſe

Und, wie ſo buhleriſch die Luͤfte faͤcheln,

Erroͤthend in die laue Fluth ſich dehnen.
So mich auch ruft ihr aus dem ſtillen Hauſe —

Und ſchmerzlich nun muß ich im Fruͤhling laͤcheln,

Verſinkend zwiſchen Duft und Klang vor Sehnen.
[285]

Erwartung.

O ſchoͤne bunte Voͤgel

Wie ſingt ihr gar ſo hell!

O Wolken, luft'ge Segel,

Wohin ſo ſchnell, ſo ſchnell?
Ihr alle, ach, gemeinſam

Flieg't zu der Liebſten hin,

Sag't Ihr, wie ich hier einſam

Und voller Sorgen bin.
Im Walde ſteh' und laur' ich,

Verhallt iſt jeder Laut,

Die Wipfel nur weh'n ſchaurig,

O komm, Du ſuͤße Braut!
Schon ſinkt die dunkelfeuchte

Nacht rings auf Wald und Feld,

Des Mondes hohe Leuchte

Tritt in die ſtille Welt.
Wie ſchauert nun im Grunde

Der tiefſten Seele mich!

Wie oͤde iſt die Runde

Und einſam ohne Dich!
Was rauſcht? — Sie naht von ferne! —

Nun, Wald, rauſch' von den Hoͤh'n,

Nun laß Mond, Nacht und Sterne

Nur auf und untergeh'n!
[286]

Leid und Luſt.

Euch Wolken beneid' ich

In blauer Luft,

Wie ſchwingt' Ihr Euch freudig

Ueber Berg und Kluft!
Mein Liebchen wohl ſeht Ihr

Im Garten geh'n,

Am Springbrunnen ſteht ſie

So morgenſchoͤn.
Und waͤſcht an der Quelle

Ihr goldenes Haar,

Die Aeugelein helle,

Und blickt ſo klar.
Und Buſen und Wangen

Duͤrft' Ihr da ſeh'n. —

Ich brenn' vor Verlangen,

Und muß hier ſteh'n!
Euch Wolken bedau'r ich

Bei ſtiller Nacht;

Die Erde bebt ſchaurig,

Der Mond erwacht:
Da fuͤhrt mich ein Buͤbchen

Mit Fluͤgelein fein,

Durch's Dunkel zum Liebchen,

Sie laͤßt mich ein.
[287]
Wohl ſchau't Ihr die Sterne

Weit, ohne Zahl,

Doch bleiben ſie ferne

Euch allzumal.
Mir leuchten zwei Sterne

Mit ſuͤßem Strahl

Die kuͤß' ich ſo gerne

Viel tauſendmal.
Euch gruͤßt mit Gefunkel

Der Waſſerfall,

Und tief aus dem Dunkel

Die Nachtigall.
Doch ſuͤßer es gruͤßet

Als Wellentanz,

Wenn Liebchen hold fluͤſtert:

„Dein bin ich ganz.“
So ſegelt denn traurig

In oͤder Pracht!

Euch Wolken bedaur' ich

Bei ſuͤßer Nacht.
[288]

Trennung.

I.
Denkſt Du noch jenes Abends, ſtill vor Sehnen,

Wo wir zum Letztenmal im Park beiſammen?

Kuͤhl ſtanden rings des Abendrothes Flammen,

Ich ſcherzte wild — Du laͤchelteſt durch Thraͤnen.

So ſpielt der Wahnſinn lieblich mit den Schmerzen

An jaͤher Schluͤfte Rand, die nach ihm trachten;

Er mag der lauernden Gefahr nicht achten;

Er hat den Tod ja ſchon im oͤden Herzen.
Ob Du die Mutter auch belogſt, betruͤbteſt,

Was andre Leute druͤber deuten, ſagen —

Sonſt ſcheu — heut mocht'ſt Du nichts nach allem

fragen,

Mir einzig zeigen nur, wie Du mich liebteſt.

Und aus dem Hauſe heimlich ſo entwichen,

Gabſt Du in's Feld mir ſchweigend das Geleite,

Vor uns das Thal, das hoffnungsreiche, weite,

Und hinter uns kam grau die Nacht geſchlichen.
Du gehſt nun fort, ſprach ſie, ich bleib' alleine;

Ach! duͤrft' ich alles laſſen, ſtill und heiter

Mit Dir ſo zieh'n hinab und immer weiter —

Ich ſah Dich an — es ſpielten bleiche Scheine

So wunderbar um Locken Dir und Glieder;

So ruhig, fremd warſt Du mir nie erſchienen,

Es war, als ſagten die verſteinten Mienen,

Was Du verſchwiegſt: Wir ſeh'n uns niemals wieder!
[289]
II.
Schon wird es draußen licht auf Berg und Thalen;

Aurora, ſtille Braut, ihr ſchoͤnen Strahlen,

Die farb'gen Rauch aus Fluß und Waͤldern ſaugen,

Euch gruͤßen neu die halbverſchlaf'nen Augen.

Verraͤth'riſch, ſagt man, ſei des Zimmers Schwuͤle

Wo Nachts ein Maͤdchen traͤumte vom Geliebten:

So komm herein, du rothe, friſche Kuͤhle,

Fliegt in die blaue Luft, ihr ſchoͤnen Traͤume!
Ein furchtſam Kind, im ſtillen Haus erzogen

Konnt' ich am Abendroth die Blicke weiden,

Tiefathmend in die laue Luft vor Freuden.

Er hat um dieſe Stille mich betrogen.

Mit ſtolzen Augen, fremden ſchoͤnen Worten

Lockt er die Wuͤnſche aus dem ſtillen Hafen

Wo ſie bei Sternenglanze ſeelig ſchlafen,

Hinaus ins unbekannte Reich der Wogen;

Da kommen Winde buhlend angeflogen,

Die zarte Hand zwingt nicht die wilden Wellen,

Du mußt, wohin die vollen Segel ſchwellen.
Da zog er heimlich fort. — Seit jenem Morgen

Da hatt' ich Noth, hatt' heimlich was zu ſorgen.

Wenn naͤchtlich unten lag die ſtille Runde,

Einfoͤrmig Rauſchen herkam von den Waͤldern,

Pfeifend der Wind ſtrich durch die oͤden Felder

Und hin und her in Doͤrfern bellten Hunde,

Ach! wenn kein gluͤcklich Herz auf Erden wacht

Begruͤßten die verweinten Augen manche Nacht!
19[290]
Wie oft, wenn wir im Garten ruhig waren,

Sagte mein Bruder mir vor vielen Jahren:

„Dem ſchoͤnen Lenz gleicht recht die erſte Liebe.

Wann draußen neu geſchmuͤckt die Fruͤhlingsbuͤhne,

Die Reiter blitzend unten zieh'n durch's Gruͤne,

In blauer Luft die Lerchen luſtig ſchwirren,

Laͤßt ſie ſich weit in's Land hinaus verfuͤhren.

Fragt nicht wohin, und mag ſich gern verirren,

Den Stimmen folgend, die ſie wirrend fuͤhren.

Da wendet auf den Feldern ſich der Wind,

Die Voͤgel hoch durch Nebel zieh'n nach Haus;

Es wird ſo ſtill, das ſchoͤne Feſt iſt aus.

Gar weit die Heimath liegt, das ſchoͤne Kind

Find't nicht nach Hauſe mehr, nicht weiter fort —

Huͤt' dich, ſuch' fruͤh dir einen ſichern Port!“
[291]

Gluͤck.

Wie jauchzt meine Seele

Und ſinget in ſich!

Kaum, daß ich's verhehle

So gluͤcklich bin ich.
Rings Menſchen ſich drehen

Und ſprechen geſcheut,

Ich kann nichts verſtehen,

So froͤhlich zerſtreut. —
Zu eng wird das Zimmer,

Wie glaͤnzet das Feld,

Die Thaͤler voll Schimmer,

Weit herrlich die Welt!
Gepreßt bricht die Freude

Durch Riegel und Schloß,

Fort uͤber die Haide!

Ach, haͤtt' ich ein Roß! —
Und frag' ich und ſinn' ich,

Wie ſo mir geſcheh'n?: —

Mein Liebchen herzinnig,

Das ſoll ich heut ſeh'n!
19 *[292]

Die Schaͤrpe.

Mein Schatz, das iſt ein kluges Kind,

Die ſpricht: „Willſt du nicht fechten:

Wir zwei geſchied'ne Leute ſind,

Erſchlagen dich die Schlechten:

Auch keins von beiden dran gewinnt.“

Mein Schatz, das iſt ein kluges Kind,

Fuͤr die will ich leben und fechten!
[293]

Abſchied und Wiederſehen.

I.
In ſuͤßen Spielen unter nun gegangen

Sind Liebchens Augen, und ſie athmet linde,

Stilllauſchend ſitz' ich bei dem holden Kinde,

Die Locken ſtreichelnd ihr von Stirn und Wangen.
Ach! Luſt und Mond und Sterne ſind vergangen,

Am Fenſter mahnen ſchon die Morgenwinde:

Daß ich vom Nacken leis die Arme winde,

Die noch im Schlummer lieblich mich umfangen.
O oͤffne nicht der Augen ſuͤße Strahle!

Nur einen Kuß noch — und zum Letztenmale

Geh' ich von Dir durch's ſtille Schloß hernieder.
Streng greift der eiſ'ge Morgen an die Glieder,

Wie iſt die Welt ſo klar und kalt und helle —

Tiefſchauernd tret' ich von der lieben Schwelle.
II.
Ein zart Geheimniß webt in ſtillen Raͤumen,

Die Erde loͤſt die diamant'nen Schleifen,

Und nach des Himmels ſuͤßen Strahlen greifen

Die Blumen, die der Mutter Kleid beſaͤumen.
Da rauſcht's lebendig draußen in den Baͤumen,

Aus Oſten langen purpurrothe Streifen,

Hoch Lerchenlieder durch das Zwielicht ſchweifen —

Du hebſt das bluͤh'nde Koͤpfchen hold aus Traͤumen.
[294]
Was ſind's fuͤr Klaͤnge, die an's Fenſter flogen?

So altbekannt verlocken dieſe Lieder,

Ein Saͤnger ſteht im ſchwanken Daͤmmerſchein.
Wach auf! Dein Liebſter iſt fernher gezogen,

Und Fruͤhling iſt's auf Thal und Bergen wieder,

Wach auf, wach auf, nun biſt Du ewig mein!
[295]

Die Einſame.

I.
Wenn Morgens das froͤhliche Licht bricht ein,

Tret' ich zum offenen Fenſterlein,

Draußen geh'n lau die Luͤft' auf den Auen,

Singen die Lerchen ſchon hoch im Blauen,

Rauſchen am Fenſter die Baͤume gar munter,

Zieh'n die Bruͤder in den Wald hinunter;

Und bei dem Sange und Hoͤrnerklange

Wird mir immer ſo bange, bange.
Wuͤßt' ich nur immer wo Du jetzo biſt,

Wuͤrd' mir ſchon wohler auf kurze Friſt.

Koͤnnteſt Du mich nur uͤber die Berge ſehen

Dein gedenkend im Garten gehen:

Dort rauſchen die Brunnen jetzt alle ſo eigen,

Die Blumen vor Trauern im Wind ſich neigen.

Ach! von den Voͤglein uͤber die Thale

Sei mir gegruͤßt viel tauſendmale!
Du ſagteſt gar oft wie ſuͤß und rein

Sind Deine blauen Aeugelein!

Jetzo muͤſſen ſie immerfort weinen,

Da ſie nicht finden mehr, was ſie meinen.

Wird auch der rothe Mund erblaſſen,

Seit Du mich, ſuͤßer Buhle, verlaſſen.

Eh Du wohl denkſt, kann das Blatt ſich wenden,

Geht alles gar bald zu ſeinem Ende.
[296]
II.
Die Welt ruht ſtill im Hafen,

Mein Liebchen, gute Nacht!

Wann Wald und Berge ſchlafen,

Treu' Liebe einſam wacht.
Ich bin ſo wach und luſtig,

Die Seele iſt ſo licht,

Und eh' ich liebt', da wußt' ich

Von ſolcher Freude nicht.
Ich fuͤhl' mich ſo befreiet

Von eitlem Trieb und Streit,

Nichts mehr das Herz zerſtreuet

In ſeiner Froͤhlichkeit.
Mir iſt, als muͤßt' ich ſingen

So recht aus tiefſter Luſt

Von wunderbaren Dingen,

Was niemand ſonſt bewußt.
O koͤnnt' ich alles ſagen!

O waͤr' ich recht geſchickt!

So muß ich ſtill ertragen,

Was mich ſo hoch begluͤckt.
III.
Waͤr's dunkel, ich lag' im Walde,

Im Walde rauſcht's ſo ſacht,

Mit ihrem Sternenmantel

Bedecket mich da die Nacht,
[297]
Da kommen die Baͤchlein gegangen:

Ob ich ſchon ſchlafen thu'?

Ich ſchlaf' nicht, ich hoͤr' noch lange

Den Nachtigallen zu,

Wenn die Wipfel uͤber mir ſchwanken,

Es klinget die ganze Nacht,

Das ſind im Herzen die Gedanken,

Die ſingen, wenn niemand wacht.
IV.
Im beſchraͤnkten Kreis der Huͤgel,

Aus des ſtillen Weihers Spiegel

Scheue, fromme Silberſchwaͤne —

Faſſend in des Roſſes Maͤhne

Mit dem Liebſten kuͤhn im Buͤgel —

Bloͤde Bande — muth'ge Fluͤgel

Sind getrennter Lieb' Gedanken!
[298]

An die Entfernte.

I.
Denk ich, Du Stille, an Dein ruhig Walten,

An jenes letzten Abends rothe Kuͤhle,

Wo ich die theure Hand noch durfte halten:

Steh' ich oft ſinnend ſtille im Gewuͤhle,

Und, wie den Schweizer heim'ſche Alphornslieder

Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen,

Oft unverhofft befallen,

Kommt tiefe Sehnſucht ploͤtzlich auf mich nieder.
Ich hab' es oft in Deiner Bruſt geleſen:

Nie haſt Du recht mich in mir ſelbſt gefunden,

Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Weſen,

Und ſo bin ich im Strome Dir verſchwunden.

O nenn' drum nicht die ſchoͤne Jugend wilde,

Die mit dem Leben und mit ſeinen Schmerzen

Mag unbekuͤmmert ſcherzen,

Weil ſie die Bruſt reich fuͤhlt und ernſt und milde!
Getrennt iſt laͤngſt ſchon unſ'res Lebens Reiſe,

Es trieb mein Herz durch licht' und dunkle Stunden.

Dem feſtern Blick erweitern ſich die Kreiſe,

In Duft iſt jenes erſte Reich verſchwunden —

Doch, wie die Pfade einſam ſich verwildern,

Was ich ſeitdem von Luſt und Leid bezwungen,

Geliebt, geirrt, geſungen:

Ich knie' vor Dir in all' den tauſend Bildern.
[299]
II.
Als noch Lieb' mit mir im Bunde,

Hatt' ich Ruhe keine Stunde;

Wenn im Schloß noch alle ſchliefen,

War's, als ob ſuͤß' Stimmen riefen,

Toͤnend bis zum Herzensgrunde:

„Auf! ſchon gold'ne Strahlen dringen,

Heiter funkeln Wald und Garten,

Neu erquickt die Voͤgel ſingen,

Laͤßt Du ſo Dein Liebchen warten?“

Und vom Lager mußt' ich ſpringen.
Doch kein Licht noch ſah ich grauen,

Draußen durch die naͤchtlich lauen

Raͤume und die Wolken flogen,

Daß die Seele, mitgezogen,

Gern verſank im tiefen Schauen —

Unten dann die weite Runde,

Schloͤſſer glaͤnzend fern erhoben,

Nachtigallen aus dem Grunde,

Alles wie im Traum verwoben,

Mit einander ſtill im Bunde.
Wach blieb ich am Fenſter ſtehen,

Kuͤhler ſchon die Luͤfte wehen,

Roth ſchon rings des Himmels Saͤume,

Regten friſcher ſich die Baͤume,

Stimmen hoͤrt' ich fernab gehen:

Und durch Thuͤren, oͤde Bogen,
[300]
Zuͤrnend, daß die Riegel klungen,

Bin ich heimlich ausgezogen,

Bis befreit auf's Roß geſchwungen,

Morgenwinde mich umflogen.
Laͤßt der Morgen von den Hoͤhen

Weit die rothen Fahnen wehen,

Wiederhall in allen Luͤften,

Losgeriſſen aus den Kluͤften

Silberner die Stroͤme gehen:

Spuͤrt der Mann die friſchen Geiſter,

Draußen auf dem Feld, zu Pferde

Alle Aengſten keck zerreißt er,

Dampfend unter ihm die Erde,

Fuͤhlt er hier ſich Herr und Meiſter.
Und ſo oͤffnet' ich die ſchwuͤle

Bruſt aufathmend in der Kuͤhle!

Locken fort aus Stirn und Wange,

Daß der Strom mich ganz umfange,

Frei das blaue Meer umſpuͤle,

Mit den Wolken, eilig fliehend,

Mit der Stroͤme lichtem Gruͤßen

Die Gedanken froͤhlich ziehend,

Weit voraus vor Wolken, Fluͤſſen —

Ach! ich fuͤhlte, daß ich bluͤhend!
Und im ſchoͤnen Garten droben,

Wie aus Traͤumen erſt gehoben,
[301]
Sah ich ſtill mein Maͤdchen ſtehen,

Ueber Fluß und Waͤlder gehen

Von der heitern Warte oben

Ihre Augen licht und helle,

Wann der Liebſte kommen werde. —

Ja! da kam die Sonne ſchnelle,

Und weit um die ganze Erde

War es morgenſchoͤn und helle!
[302]

Das Fluͤgelroß.

Ich hab' nicht viel hienieden,

Ich hab' nicht Geld noch Gut;

Was vielen nicht beſchieden,

Iſt mein: — der friſche Muth.
Was Andre mag ergoͤtzen,

Das kuͤmmert wenig mich,

Sie leben in den Schaͤtzen,

In Freuden lebe ich.
Ich hab' ein Roß mit Fluͤgeln,

Getreu in Luſt und Noth,

Das wiehernd ſpannt die Fluͤgel

Bei jedem Morgenroth.
Mein Liebchen! wie ſo oͤde

Wird's oft in Stadt und Schloß,

Friſch auf und ſei nicht bloͤde,

Beſteig' mit mir mein Roß!
Wir ſegeln durch die Raͤume,

Ich zeig' Dir Meer und Land,

Wie wunderbare Traͤume

Tief unten ausgeſpannt.
Hellblinkend zu den Fuͤßen

Unzaͤhl'ger Stroͤme Lauf —

Es ſteigt ein Fruͤhlingsgruͤßen

Verhallend zu uns auf.
[303]
Und bunt und immer wilder

In Liebe Haß und Luſt

Verwirren ſich die Bilder —

Was ſchwindelt Dir die Bruſt?
So froͤhlich tief im Herzen,

Zieh' ich all' himmelwaͤrts,

Es kommen ſelbſt die Schmerzen

Melodiſch an das Herz.
Der Saͤnger zwingt mit Klaͤngen

Was ſtoͤrrig, dumpf und wild,

Es ſpiegelt in Geſaͤngen

Die Welt ſich goͤttlich mild.
Und unten nun verbrauſet

Des breiten Lebens Strom,

Der Adler einſam hauſet

Im ſtillen Himmelsdom. —
Und ſeh'n wir dann den Abend

Verhallen und verbluͤh'n,

Im Meere, kuͤhlelabend,

Die heil'gen Sterne gluͤh'n:
So lenken wir hernieder

Zu Waldes gruͤnem Haus,

Und ruh'n vom Schwung der Lieder

Auf bluͤh'ndem Mooſe aus.
[304]
O Sterndurchwebtes Duͤſtern,

O heimlich ſtiller Grund!

O ſuͤßes Liebesfluͤſtern

So innig Mund an Mund!
Die Nachtigallen locken,

Mein Liebchen athmet lind,

Mit Schleier zart und Locken

Spielt buhleriſch der Wind.
Und ſchlaf' denn bis zum Morgen

So ſanft gelehnt an mich!

Suͤß ſind der Liebe Sorgen,

Dein Liebſter wacht fuͤr Dich.
Ich halt' die bluͤh'nden Glieder,

Vor ſuͤßen Schauern bang,

Ich laß' Dich ja nicht wieder

Mein ganzes Leben lang! —
Aurora will ſich heben,

Du ſchlaͤgſt die Augen auf,

O wonniges Erbeben,

O ſchoͤner Lebenslauf! —
[305]

Gluͤckwunſch.

Brich der luſtige Sonnenſchein

Mit der Thuͤr Euch in's Haus hinein,

Daß alle Stuben ſo fruͤhlingshelle!

Ein Engel auf des Hauſes Schwelle

Mit ſeinem Glanze ſaͤume

Hof, Garten, Feld und Baͤume,

Und geht die Sonne Abends aus,

Fuͤhr' er die Muͤden mild nach Haus.
20[306]

Der junge Ehemann.

Hier unter dieſer Linde

Saß ich viel tauſendmal

Und ſchaut' nach meinem Kinde

Hinunter in das Thal,

Bis daß die Sterne ſtanden

Hell uͤber ihrem Haus

Und weit in den ſtillen Landen

Alle Lichter loͤſchten aus.
Jetzt neben meinem Liebchen

Sitz' ich im Schatten kuͤhl,

Sie wiegt ein muntres Buͤbchen,

Die Thaͤler ſchimmern ſchwuͤl,

Und unten im leiſen Winde

Regt ſich das Kornfeld kaum

Und uͤber uns ſaͤuſelt die Linde —

Es iſt mir noch wie ein Traum.
[307]

Im Abendroth.

Wir ſind durch Noth und Freude

Gegangen Hand in Hand,

Vom Wandern ruh'n wir beide

Nun uͤber'm ſtillen Land.
Rings ſich die Thaͤler neigen,

Es dunkelt ſchon die Luft,

Zwei Lerchen nur noch ſteigen

Nachtraͤumend in den Duft.
Tritt her, und laß ſie ſchwirren,

Bald iſt es Schlafenszeit,

Daß wir uns nicht verirren

In dieſer Einſamkeit.
O weiter, ſtiller Friede!

So tief im Abendroth

Wie ſind wir wandermuͤde —

Iſt das etwa der Tod?
20 *[308]

Nachklaͤnge.
I.

Luſt'ge Voͤgel in dem Wald,

Sing't, ſo lang es gruͤn,

Ach wer weiß, wie bald, wie bald

Alles muß verbluͤh'n!
Sah ich's doch vom Berge einſt

Glaͤnzen uͤberall,

Wußte kaum warum Du weinſt,

Fromme Nachtigall.
Und kaum ging ich uͤber Land,

Friſch durch Luſt und Noth,

Wandelt' alles, und ich ſtand

Muͤd im Abendroth.
Und die Luͤfte wehen kalt,

Ueber's falbe Gruͤn,

Voͤglein, euer Abſchied hallt —

Koͤnnt' ich mit euch zieh'n!
II.
O Herbſt, in linden Tagen

Wie haſt Du rings Dein Reich

Phantaſtiſch aufgeſchlagen,

So bunt und doch ſo bleich!
[309]
Wie oͤde, ohne Bruͤder,

Mein Thal, ſo weit und breit,

Ich kenne Dich kaum wieder

In dieſer Einſamkeit.
So wunderbare Weiſe

Singt nun Dein bleicher Mund,

Es iſt, als oͤffnet' leiſe

Sich unter mir der Grund.
Und ich ruht' uͤberwoben,

Du ſaͤngeſt immerzu,

Die Linde ſchuͤttelt oben

Ihr Laub und deckt mich zu.
III.
Schon kehren die Voͤgel wieder ein,

Es ſchallen die alten Lieder,

Ach, die froͤhliche Jugend mein

Kommt ſie wohl auch noch wieder? —
Ich weiß nicht, was ich ſo thoͤricht bin!

Wolken im Herbſtwind jagen,

Die Voͤgel zieh'n uͤber die Waͤlder hin,

Das klang wie in Fruͤhlingstagen.
Dort auf dem Berge da ſteht ein Baum,

Drin jubeln die Wander-Gaͤſte,

Er aber, muͤde, ruͤhrt wie im Traum

Noch einmal Wipfel und Aeſte.
[310]
IV.
Mir traͤumt', ich ruhte wieder

Vor meines Vaters Haus

Und ſchaute froͤhlich nieder

In's alte Thal hinaus,

Die Luft mit lindem Spielen

Ging durch das Fruͤhlingslaub,

Und Bluͤten-Flocken fielen

Mir uͤber Bruſt und Haupt.
Als ich erwacht, da ſchimmert

Der Mond vom Waldesrand,

Im falben Scheine flimmert

Um mich ein fremdes Land,

Und wie ich ringsher ſehe:

Die Flocken waren Eis,

Die Gegend war vom Schnee,

Mein Haar vom Alter weiß.
V.
Es ſchauert der Wald vor Luſt,

Die Sterne nun verſanken,

Und wandeln durch die Bruſt

Als himmliſche Gedanken.
VI.
An meinen Bruder.
Gedenkſt Du noch des Gartens

Und Schloſſes uͤber'm Wald,

Des traͤumenden Erwartens:

Ob's denn nicht Fruͤhling bald?
[311]
Der Spielmann war gekommen,

Der jeden Lenz ſingt aus,

Er hat uns mitgenommen

In's bluͤh'nde Land hinaus.
Wie ſind wir doch im Wandern

Seitdem ſo weit zerſtreut!

Fraͤgt einer nach dem andern,

Doch niemand giebt Beſcheid.
Nun ſteht das Schloß verſunken

Im Abendrothe tief,

Als ob dort traumestrunken

Der alte Spielmann ſchlief'.
Geſtorben ſind die Lieben,

Das iſt ſchon lange her,

Die Wen'gen, die geblieben,

Sie kennen uns nicht mehr.
Und fremde Leute gehen

Im Garten vor dem Haus —

Doch uͤber'n Garten ſehen

Nach uns die Wipfel aus.
Doch rauſcht der Wald im Grunde

Fort durch die Einſamkeit

Und giebt noch immer Kunde

Von unſrer Jugendzeit
[312]
Bald maͤcht'ger und bald leiſe

In jeder guten Stund'

Geht dieſe Waldes-Weiſe

Mir durch der Seele Grund.
Und ſtamml' ich auch nur bange,

Ich ſing' es, weil ich muß,

Du hoͤrſt doch in dem Klange

Den alten Heimathsgruß!
[]

V.Todtenopfer.

Gewalt'ges Morgenroth,
Weit, unermeßlich — du verzehrſt die Erde!
Und in dem Schweigen nur der Flug der Seelen,
Die ſaͤuſelnd heimzieh'n durch die ſtille Luft. —


(Ezelin 5ter Aufz. 2te Sc. S. 241.)
[][]

Wehmuth.

Ich irr' in Thal und Hainen

Bei kuͤhler Abendſtund',

Ach, weinen moͤcht' ich, weinen

So recht aus Herzensgrund.
Und alter Zeiten Gruͤßen

Kam da, im Thal erwacht,

Gleichwie von fernen Fluͤſſen

Das Rauſchen durch die Nacht.
Die Sonne ging hinunter,

Da ſaͤuſelt' kaum die Welt,

Ich blieb noch lange munter

Allein im ſtillen Feld.
[316]

Sonnette.

I.
Es qualmt' der eitle Markt in Staub und Schwuͤle,

So klanglos oͤde wallend auf und nieder,

Wie dacht' ich da an meine Berge wieder,

An friſchen Sang, Felsquell und Waldeskuͤhle!
Doch ſteht ein Thurm dort uͤber dem Gewuͤhle,

Der andre Zeiten ſah und beſſ're Bruͤder,

Das Kreuz treu halten ſeine Rieſenglieder,

Wie auch der Menſchlein Fluth den Fels umſpuͤle.
Das war mein Hafen auf der weiten Wuͤſte,

Oft kniet' ich betend in des Domes Mitte,

Dort hab' ich Dich, mein liebes Kind, gefunden;
Ein Himmelsbote wohl, der ſo mich gruͤßte:

„Verzweif'le nicht! die Schoͤnheit und die Sitte

Sie ſind noch von der Erde nicht verſchwunden.“
II.
Ein alt Gemach voll ſinn'ger Seltſamkeiten,

Still' Blumen aufgeſtellt am Fenſterbogen,

Gebirg' und Laͤnder draußen blau gezogen,

Wo Stroͤme geh'n und Ritter ferne reiten.
Ein Maͤdchen, ſchlicht und fromm wie jene Zeiten,

Das, von den Abendſcheinen angeflogen,

Verſenkt in ſolcher Stille tiefen Wogen —

Das mocht' auf Bildern oft das Herz mir weiten.
[317]
Und nun wollt' wirklich ſich das Bild bewegen,

Das Maͤdchen athmet' auf, reicht aus dem Schweigen

Die Hand mir, daß ſie ewig meine bliebe.
Da ſah ich draußen auch das Land ſich regen,

Die Waͤlder rauſchen und Aurora ſteigen —

Die alten Zeiten all' weckt' mir die Liebe.
III.
Wenn zwei geſchieden ſind von Herz und Munde,

Da zieh'n Gedanken uͤber Berg' und Schluͤfte

Wie Tauben ſaͤuſelnd durch die blauen Luͤfte,

Und tragen hin und wieder ſuͤße Kunde.
Ich ſchweif' umſonſt, ſo weit der Erde Runde,

Und ſtieg' ich hoch auch uͤber alle Kluͤfte,

Dein Haus iſt hoͤher noch als dieſe Luͤfte,

Da reicht kein Laut hin, noch zuruͤck zum Grunde.
Ja, ſeit Du todt — mit ſeinen bluͤh'nden Borden

Wich eingsumher das Leben mir zuruͤcke,

Ein weites Meer, wo keine Bahn zu finden.
Doch iſt Dein Bild zum Sterne mir geworden,

Der nach der Heimath weiſt mit ſtillem Blicke,

Daß fromm der Schiffer ſtreite mit den Winden.
[318]

Treue.

Wie dem Wanderer in Traͤumen,

Daß er ſtill im Schlafe weint,

Zwiſchen gold'nen Wolken-Saͤumen

Seine Heimath wohl erſcheint:
So durch dieſes Fruͤhlings Bluͤhen

Ueber Berg' und Thaͤler tief,

Sah' ich oft Dein Bild noch ziehen,

Als ob's mich von hinnen rief,
Und mit wunderbaren Wellen

Wie im Traume, halbbewußt,

Gehen ew'ge Lieder-Quellen

Mir verwirrend durch die Bruſt.
[319]

Gute Nacht!

Die Hoͤh'n und Waͤlder ſchon ſteigen

Immer tiefer in's Abendgold,

Ein Voͤg'lein fraͤgt in den Zweigen:

Ob es Liebchen gruͤßen ſollt'?
O Voͤg'lein, du haſt dich betrogen,

Sie wohnet nicht mehr im Thal,

Schwing' auf dich zum Himmelsbogen,

Gruͤß' ſie droben zum Letztenmal!
[320]

Am Strom.

Der Fluß glitt einſam hin und rauſchte

Wie ſonſt, noch immer, immerfort,

Ich ſtand am Strand gelehnt und lauſchte,

Ach, was ich liebt', war lange fort!

Kein Laut, kein Windeshauch, kein Singen

Ging durch den weiten Mittag ſchwuͤl,

Vertraͤumt die ſtillen Weiden hingen

Hinab bis in die Wellen kuͤhl.
Die waren alle wie Syrenen

Mit feuchtem, langen, gruͤnen Haar,

Und von der alten Zeit voll Sehnen

Sie ſangen leis und wunderbar.

Sing' Weide, ſinge, gruͤne Weide!

Wie Stimmen aus der Liebſten Grab,

Zieht mich Dein heimlich Lied voll Leide

Zum Strom von Wehmuth mit hinab.
[321]

Nachruf an meinen Bruder.

Ach, daß auch wir ſchliefen!

Die bluͤhenden Tiefen,

Die Stroͤme, die Auen

So heimlich aufſchauen,

Als ob ſie all' riefen:

„Dein Bruder iſt todt!

Unter Roſen roth

Ach, daß wir auch ſchliefen!“
„Haſt doch keine Schwingen,

Durch Wolken zu dringen!

Mußt immerfort ſchauen

Die Stroͤme, die Auen —

Die werden Dir ſingen

Von Ihm Tag und Nacht,

Mit Wahnſinnes-Macht

Die Seele umſchlingen.“
So ſingt, wie Syrenen,

Von hellblauen, ſchoͤnen

Vergangenen Zeiten,

Der Abend von weitem,

Verſinkt dann im Toͤnen,

Erſt Buſen dann Mund,

Im bluͤhenden Grund.

O ſchweiget Syrenen!
O wecket nicht wieder!

Denn zaub'riſche Lieder
21[322]
Gebunden hier traͤumen

Auf Feldern und Baͤumen,

Und ziehen mich nieder

So muͤde vor Weh

Zu tiefſtillem See —

O weckt nicht die Lieder!
Du kannteſt die Wellen

Des Sees, ſie ſchwellen

In magiſchen Ringen.

Ein wehmuͤthig Singen

Tief unter den Quellen

Im Schlummer dort haͤlt

Verzaubert die Welt.

Wohl kennſt Du die Wellen! —
Kuͤhl wird's auf den Gaͤngen,

Vor alten Geſaͤngen

Moͤcht's Herz mir zerſpringen.

So will ich denn ſingen!

Schmerz fliegt ja auf Klaͤngen

Zu himmliſcher Luſt,

Und ſtill wird die Bruſt

Auf kuͤhlgruͤnen Gaͤngen.
Laß fahren die Traͤume!

Der Mond ſcheint durch Baͤume,

Die Waͤlder nur rauſchen,

Die Thaͤler ſtill lauſchen,
[323]
Wie einſam die Raͤume!

Ach, niemand iſt mein!

Herz, wie ſo allein!

Laß fahren die Traͤume!
Der Herr wird Dich fuͤhren.

Tief kann ich ja ſpuͤren

Der Sterne ſtill Walten.

Der Erde Geſtalten

Kaum hoͤrbar ſich ruͤhren.

Durch Nacht und durch Graus

Gen Morgen, nach Haus —

Ja, Gott wird mich fuͤhren.
21 *[324]

Auf meines Kindes Tod.

I.
Das Kindlein ſpielt' draußen im Fruͤhlingsſchein

Und freut ſich und hatte ſo viel zu ſehen,

Wie die Felder ſchimmern und die Stroͤme gehen —

Da ſah der Abend durch die Baͤume herein,

Der alle die ſchoͤnen Bilder verwirrt.

Und wie es nun ringsum ſo ſtille wird,

Beginnt aus den Thaͤlern ein heimlich Singen,

Als wollt's mit Wemuth die Welt umſchlingen,

Die Farben vergeh'n und die Erde wird blaß.

Voll Staunen fragt's Kindlein: ach, was iſt das?

Und legt ſich traͤumend in's ſaͤuſelnde Gras;

Da ruͤhren die Blumen ihm kuͤhle an's Herz

Und laͤchelnd fuͤhlt es ſo ſuͤßen Schmerz,

Und die Erde, die Mutter ſo ſchoͤn und bleich,

Kuͤßt das Kindlein und laͤßt's nicht los,

Zieht es herzinnig in ihren Schooß

Und bettet es drunten gar warm und weich

Still unter Blumen und Moos. —
„Und was weint ihr, Vater und Mutter, um mich?

In einem viel ſchoͤneren Garten bin ich,

Der iſt ſo groß und weit und wunderbar,

Viel Blumen ſteh'n dort von Golde klar

Und ſchoͤne Kindlein mit Fluͤgeln ſchwingen

Auf und nieder ſich drauf und ſingen. —

Die kenn' ich gar wohl aus der Fruͤhlingszeit,

Wie ſie zogen uͤber Berge und Thaͤler weit
[325]
Und mancher mich da aus dem Himmelblau rief,

Wenn ich drunten im Garten ſchlief. —

Und mitten zwiſchen den Blumen und Scheinen

Steht die ſchoͤnſte von allen Frauen,

Ein glaͤnzend Kindlein an ihrer Bruſt. —

Ich kann nicht ſprechen und auch nicht weinen,

Nur ſingen immer und wieder dann ſchauen

Still vor großer, ſeeliger Luſt.“
II.
Als ich nun zum erſtenmale

Wieder durch den Garten ging,

Buſch und Baͤchlein in dem Thale

Luſtig an zu plaudern fing.
Blumen halbverſtohlen blickten

Neckend aus dem Gras heraus,

Bunte Schmetterlinge ſchickten

Sie ſogleich auf Kundſchaft aus.
Auch der Kukuk in den Zweigen

Fand ſich bald zum Spielen ein,

Endlich brach der Baum das Schweigen:

„Warum kommſt du heut allein?“
Da ich aber ſchwieg, da ruͤhrt' er

Wunderbar ſein dunkles Haupt

Und ein Fluͤſtern konnt' ich ſpuͤren

Zwiſchen Voͤg'lein, Bluͤt' und Laub.
[326]
Thraͤnen in dem Graſe hingen,

Durch die abendſtille Rund

Klagend nun die Quellen gingen,

Und ich weint' aus Herzensgrund.
III.
Was iſt mir denn ſo wehe?

Es liegt ja wie im Traum

Der Grund ſchon wo ich ſtehe,

Die Waͤlder ſaͤuſeln kaum

Noch von der dunklen Hoͤhe.

Es komme wie es will,

Was iſt mir denn ſo wehe —

Wie bald wird alles ſtill.
IV.
Das iſt's, was mich ganz verſtoͤret:

Daß die Nacht nicht Ruhe haͤlt,

Wenn zu athmen aufgehoͤret

Lange ſchon die muͤde Welt.
Daß die Glocken, die da ſchlagen,

Und im Wald der leiſe Wind

Jede Nacht von neuem klagen

Um mein liebes, ſuͤßes Kind.
Daß mein Herz nicht konnte brechen

Bei dem letzten Todeskuß,

Daß ich wie im Wahnſinn ſprechen

Nun in irren Liedern muß.
[327]
V.
Freuden wollt' ich dir bereiten,

Zwiſchen Kaͤmpfen, Luſt und Schmerz

Wollt' ich treulich dich geleiten

Durch das Leben himmelwaͤrts.
Doch du haſt's allein gefunden

Wo kein Vater fuͤhren kann,

Durch die ernſte dunkle Stunde

Gingſt du ſchuldlos mir voran.
Wie das Saͤuſeln leiſer Schwingen,

Draußen uͤber Thal und Kluft,

Ging zur ſelben Stund ein Singen

Ferne durch die ſtille Luft.
Und ſo froͤhlich glaͤnzt der Morgen,

'S war als ob das Singen ſprach:

Jetzo laſſet alle Sorgen,

Liebt ihr mich, ſo folgt mir nach!
VI.
Ich fuͤhrt' dich oft ſpazieren

In Winter-Einſamkeit,

Kein Laut ließ ſich da ſpuͤren,

Du ſchoͤne, ſtille Zeit!
Lenz iſt's nun, Lerchen ſingen

Im Blauen uͤber mir,

Ich weine ſtill — ſie bringen

Mir einen Gruß von dir.
[328]
VII.
Die Welt treibt fort ihr Weſen,

Die Leute kommen und geh'n,

Als waͤrſt du nie geweſen,

Als waͤre nichts geſcheh'n.
Wie ſeh'n ich mich auf's neue

Hinaus in Wald und Flur!

Ob ich mich graͤm', mich freue,

Du bleibſt mir treu, Natur.
Da klagt vor tiefem Sehnen

Schluchzend die Nachtigall,

Es ſchimmern rings von Thraͤnen

Die Blumen uͤberall.
Und uͤber alle Gipfel

Und Bluͤtenthaͤler zieht

Durch ſtillen Waldes Wipfel

Ein heimlich Klagelied.
Da ſpuͤr' ich's recht im Herzen,

Daß du's, Herr, draußen biſt —

Du weißt's, wie mir von Schmerzen

Mein Herz zerriſſen iſt!
VIII.
Von fern die Uhren ſchlagen,

Es iſt ſchon tiefe Nacht,

Die Lampe brennt ſo duͤſter,

Dein Bettlein iſt gemacht.
[329]
Die Winde nur noch gehen

Wehklagend um das Haus,

Wir ſitzen einſam drinne

Und lauſchen oft hinaus.
Es iſt, als muͤßteſt leiſe

Du klopfen an die Thuͤr,

Du haͤtt'ſt dich nur verirret,

Und kaͤmſt nun muͤd zuruͤck.
Wir armen, armen Thoren!

Wir irren ja im Graus

Des Dunkels noch verloren —

Du fandeſt laͤngſt nach Haus.
IX.
Dort iſt ſo tiefer Schatten,

Du ſchlaͤfſt in guter Ruh,

Es deckt mit gruͤnen Matten

Der liebe Gott dich zu.
Die alten Weiden neigen

Sich auf dein Bett herein,

Die Voͤglein in den Zweigen

Sie ſingen treu dich ein.
Und wie in gold'nen Traͤumen

Geht linder Fruͤhlingswind

Rings in den ſtillen Baͤumen —

Schlaf wohl mein ſuͤßes Kind!
[330]
X.
Mein liebes Kind, Ade!

Ich konnt' Ade nicht ſagen

Als ſie dich fortgetragen,

Vor tiefem, tiefem Weh.
Jetzt auf lichtgruͤnem Plan

Stehſt du im Myrtenkranze

Und laͤchelſt aus dem Glanze

Mich ſtill voll Mitleid an.
Und Jahre nah'n und geh'n,

Wie bald bin ich verſtoben —

O bitt' fuͤr mich da droben,

Daß wir uns wiederſeh'n!
[331]

An einen Offizier, der als Braͤutigam ſtarb.

Friſch flogſt Du durch die Felder

Und faßteſt ihre Hand,

Ringsum der Kreis der Waͤlder

In Morgenflammen ſtand.
O falſches Roth! Verbluͤhen

Mußt' dieſes Bluͤthenmeer,

Wer dachte, daß dies Gluͤhen

Das Abendroth ſchon waͤr'!
Nun dunkeln ſchon die Fernen,

Du wirſt ſo ſtill und bleich,

Wie iſt da weit von Sternen

Der Himmelsgrund ſo reich!
Trompeten hoͤrt' ich laden

Fern durch die ſtille Luft,

Als zoͤgen Kameraden —

Der alte Feldherr ruft.
Es ſinken ſchon die Bruͤcken,

Heut Dir und morgen mir.

Du mußt hinuͤberruͤcken,

Kam'rad, mach' uns Quartier!
Treulieb iſt unverloren.

Empfaͤngſt — wie bald iſt's hin! —

Einſt an den Himmelsthoren

Die muͤde Pilgerin.
[332]

Angedenken.

Berg' und Thaͤler wieder fingen

Ringsumher zu bluͤhen an,

Aus dem Walde hoͤrt' ich ſingen

Einen luſt'gen Jaͤgersmann.
Und die Thraͤnen drangen leiſe:

So einſt bluͤht' es weit und breit,

Als mein Lieb dieſelbe Weiſe

Mich gelehrt vor langer Zeit.
Ach ein ſolches Angedenken,

'S iſt nur eitel Klang und Luft,

Und kann ſchimmernd doch verſenken

Rings in Thraͤnen Thal und Kluft!

In der Fremde.

Aus der Heimath hinter den Blitzen roth

Da kommen die Wolken her,

Aber Vater und Mutter ſind lange todt,

Es kennt mich dort keiner mehr.

Wie bald, wie bald kommt die ſtille Zeit,

Da ruhe ich auch, und uͤber mir

Rauſchet die ſchoͤne Waldeinſamkeit

Und keiner mehr kennt mich auch hier.
[]

VI.Geiſtliche Gedichte.

Andre haben andre Schwingen,

Aber wir, mein froͤhlich Herz,

Wollen grad' hinauf uns ſingen,

Aus dem Fruͤhling himmelwaͤrts!
[][]

Goͤtterdaͤmmerung.

I.
Was klingt mir ſo heiter

Durch Buſen und Sinn?

Zu Wolken und weiter

Wo traͤgt es mich hin?
Wie auf Bergen hoch bin ich

So einſam geſtellt

Und gruͤße herzinnig,

Was ſchoͤn auf der Welt.
Ja, Bachus, Dich ſeh' ich,

Wie goͤttlich biſt Du!

Dein Gluͤhen verſteh' ich,

Die traͤumende Ruh.
O roſenbekraͤnztes

Juͤnglingsbild,

Dein Auge, wie glaͤnzt es,

Die Flammen ſo mild!
Iſt's Liebe, iſt's Andacht,

Was ſo Dich begluͤckt?

Rings Fruͤhling Dich anlacht,

Du ſinneſt entzuͤckt. —
Frau Venus, Du Frohe,

So klingend und weich,

In Morgenroths Lohe

Erblick' ich Dein Reich
[336]
Auf ſonnigen Huͤgeln

Wie ein Zauberring. —

Zart' Buͤbchen mit Fluͤgeln

Bedienen Dich flink,
Durchſaͤuſeln die Raͤume

Und laden, was fein,

Als goldene Traͤume

Zur Koͤnigin ein.
Und Ritter und Frauen

Im gruͤnen Revier

Durchſchwaͤrmen die Auen

Wie Blumen zur Zier.
Und jeglicher hegt ſich

Sein Liebchen im Arm,

So wirrt und bewegt ſich

Der ſelige Schwarm. —
Die Klinge verrinnen,

Es bleichet das Gruͤn,

Die Frauen ſtehn ſinnend.

Die Ritter ſchaun kuͤhn.
Und himmliſches Sehnen

Geht ſingend durch's Blau,

Da ſchimmert von Thraͤnen

Rings Garten und Au. —
[337]
Und mitten im Feſte

Erblick' ich, wie mild!

Den Stillſten der Gaͤſte. —

Woher, einſam Bild?
Mit bluͤhendem Mohne,

Der traͤumeriſch glaͤnzt,

Und Lilienkrone

Erſcheint er bekraͤnzt.
Sein Mund ſchwillt zum Kuͤſſen

So lieblich und bleich,

Als braͤcht' er ein Gruͤßen

Aus himmliſchem Reich.
Eine Fackel wohl traͤgt er,

Die wunderbar prangt.

„Wo iſt Einer,“ fraͤgt er,

„Dem heimwaͤrts verlangt?“
Und manchmal da drehet

Die Fackel er um —

Tiefſchauernd vergehet

Die Welt und wird ſtumm.
Und was hier verſunken

Als Blumen zum Spiel,

Siehſt oben Du funkeln

Als Sterne nun kuͤhl. —
22[338]
O Juͤngling vom Himmel,

Wie biſt Du ſo ſchoͤn!

Ich laß das Gewimmel,

Mit Dir will ich gehn!
Was will ich noch hoffen?

Hinauf, ach hinauf!

Der Himmel iſt offen,

Nimm, Vater, mich auf!
II.
Von kuͤhnen Wunderbildern

Ein großer Truͤmmerhauf,

In reizendem Verwildern

Ein bluͤh'nder Garten drauf.
Verſunk'nes Reich zu Fuͤßen,

Vom Himmel fern und nah,

Aus anderm Reich ein Gruͤßen —

Das iſt Italia!
Wenn Fruͤhlingsluͤfte wehen

Hold uͤber'm gruͤnen Plan,

Ein leiſes Auferſtehen

Hebt in den Thaͤlern an.
Da will ſich's unten ruͤhren,

Im ſtillen Goͤttergrab,

Der Menſch kann's ſchauernd ſpuͤren

Tief in die Bruſt hinab.
[339]
Verwirrend in den Baͤumen

Geh'n Stimmen hin und her,

Ein ſehnſuchtsvolles Traͤumen

Weht uͤber's blaue Meer.
Und unter'm duft'gen Schleier,

So oft der Lenz erwacht,

Webt in geheimer Feier,

Die alte Zaubermacht.
Frau Venus hoͤrt das Locken,

Der Voͤgel heitern Chor,

Und richtet froh erſchrocken

Aus Blumen ſich empor.
Sie ſucht die alten Stellen,

Das luft'ge Saͤulenhaus,

Schaut laͤchelnd in die Wellen

Der Fruͤhlingsluft hinaus.
Doch oͤd' ſind nun die Stellen,

Stumm liegt ihr Saͤulenhaus,

Gras waͤchſt da auf den Schwellen,

Der Wind zieht ein und aus.
Wo ſind nun die Geſpielen?

Diana ſchlaͤft im Wald,

Neptunus ruht im kuͤhlen

Meerſchloß, das einſam hallt.
22 *[340]
Zuweilen nur Syrenen

Noch tauchen aus dem Grund,

Und thun in irren Toͤnen

Die tiefe Wehmuth kund. —
Sie ſelbſt muß ſinnend ſtehen

So bleich im Fruͤhlingsſchein,

Die Augen untergehen,

Der ſchoͤne Leib wird Stein. —
Denn uͤber Land und Wogen

Erſcheint, ſo ſtill und mild,

Hoch auf dem Regenbogen

Ein andres Frauenbild.
Ein Kindlein in den Armen

Die Wunderbare haͤlt,

Und himmliſches Erbarmen

Durchdringt die ganze Welt.
Da in den lichten Raͤumen

Erwacht das Menſchenkind,

Und ſchuͤttelt boͤſes Traͤumen

Von ſeinem Haupt geſchwind.
Und, wie die Lerche ſingend.

Aus ſchwuͤlen Zaubers Kluft

Erhebt die Seele ringend

Sich in die Morgenluft.
[341]

Mariaͤ Sehnſucht.

Es ging Maria in den Morgen hinein,

That die Erd' einen lichten Liebesſchein,

Und uͤber die froͤhlichen, gruͤnen Hoͤh'n,

Sah Sie den blaͤulichen Himmel ſtill ſteh'n.

„Ach, haͤtt' ich ein Brautkleid von Himmelsſchein,

Zwei goldene Fluͤglein — wie floͤg' ich hinein!“
Es ging Maria in ſtiller Nacht,

Die Erde ſchlief, der Himmel wacht',

Und durch's Herze, wie ſie ging und ſann und dacht',

Zogen die Sterne mit goldener Pracht.

„Ach, haͤtt' ich das Brautkleid von Himmelsſchein,

Und goldene Sterne gewoben drein!“
Es ging Maria im Garten allein,

Da ſangen ſo lockend bunt' Voͤgelein,

Und Roſen ſah ſie im Gruͤnen ſteh'n,

Viel' rothe und weiße ſo wunderſchoͤn.

„Ach, haͤtt' ich ein Knaͤblein, ſo weiß und roth,

Wie wollt' ich's lieb haben bis in den Tod!“
Nun iſt wohl das Brautkleid gewoben gar,

Und goldene Sterne in's dunkele Haar,

Und im Arme die Jungfrau das Knaͤblein haͤlt,

Hoch uͤber der dunkelerbrauſenden Welt,

Und vom Kindlein gehet ein Glaͤnzen aus,

Das ruft uns nur ewig: nach Haus, nach Haus!
[342]

Jugendandacht.

I.
Daß des verlor'nen Himmels es gedaͤchte,

Schlagen an's Herz des Fruͤhlings linde Wellen,

Wie ew'ger Wonnen ſchuͤchternes Vermuthen.

Geheimer Glanz der lauen Sommernaͤchte,

Du gruͤner Wald, verfuͤhrend Lied der Quellen,

Des Morgens Pracht, ſtillbluͤh'nde Abendgluthen,

Ihr fragt: wo Schmerz und Luſt ſo lange ruhten,

Die ſuͤß das Herz verdunkeln und es hellen?

Wie thut ihr zaub'riſch auf die alten Wunden,

Daß losgebunden in das Licht ſie bluten!

O ſeel'ge Zeit entfloſſ'ner Himmelblaͤue,

Der erſten Andacht ſolch inbruͤnſt'ger Liebe,

Die ewig wollte knieen vor der Einen!

Demuͤthig in der Glorie des Maien

Hob ſie den Schleier oft, daß offen bliebe

Der Augen Himmel, in das Land zu ſcheinen.

Und ſtand ich ſtill, und mußt' ich herzlich weinen

In Ihrem Blick gereinigt alle Triebe:

Da war nur Wonne, was ich mußte klagen,

Im Angeſicht der Stillen, Ewigreinen

Kein Schmerz, als ſolcher Liebe Lieb' ertragen!
II.
Wie in einer Blume himmelblauen

Grund, wo ſchlummernd traͤumen ſtille Regenbogen,

Iſt mein Leben ein unendlich Schauen,

Klar durch's ganze Herz Ein ſuͤßes Bild gezogen.
[343]
Stille ſaß' ich, ſah die Jahre fliegen,

Bin im Innerſten Dein treues Kind geblieben.

Aus dem duft'gen Kelche aufgeſtiegen,

Ach! wann lohnſt Du endlich auch mein treues Lieben!
III.
Was wollen mir vertrau'n die blauen Weiten,

Des Landes Glanz, die Wirrung ſuͤßer Lieder,

Mir iſt ſo wohl, ſo bang! Seid ihr es wieder

Der frommen Kindheit ſtille Blumenzeiten?
Wohl weiß ich's, — dieſer Farben heimlich Spreiten

Deckt einer Jungfrau ſtrahlend reine Glieder;

Es wogt der große Schleier auf und nieder,

Sie ſchlummert drunten fort ſeit Ewigkeiten.
Mir iſt in ſolchen linden, blauen Tagen,

Als muͤßten alle Farben auferſtehen,

Aus blauer Fern' Sie endlich zu mir gehen.
So wart' ich ſtill, ſchau in den Fruͤhling milde,

Das ganze Herz weint nach dem ſuͤßen Bilde,

Vor Freud', vor Schmerz? — ich weiß es nicht zu

ſagen.
IV.
Viel Lenze waren lange ſchon vergangen,

Voruͤber zogen wunderbare Lieder,

Die Sterne gingen ewig auf und nieder,

Die ſelbſt vor großer Sehnſucht golden klangen.
[344]
Und wie ſo tauſend Stimmen ferne ſangen,

Als riefen mich von hinnen ſeel'ge Bruͤder,

Fuͤhlt' ich die alten Schmerzen immer wieder,

Seit Deine Blicke, Jungfrau, mich bezwangen.
Da war's, als ob ſich ſtill Dein Auge huͤbe,

Lang'ſt ſehnſuchtsvoll nach mir mit off'nen Armen,

Fuͤhlſt ſelbſt den Schmerz, den Du mir ſuͤß gegeben. —
Umfangen fuͤhl' ich innigſt mich erwarmen,

Beruͤhrt mit gold'nen Strahlen mich das Leben,

Ach! daß ich ewig Dir am Herzen bliebe!
V.
Wann Lenzesſtrahlen golden niederrinnen,

Sieht man die Schaaren losgebunden ziehen,

Im Waldrevier, dem neu der Schmuck geliehen,

Die luſt'ge Jagd nach Lieb' und Scherz beginnen.
Den Saͤnger will der Fruͤhling gar umſpinnen,

Er, der Geliebteſte, darf nicht entfliehen,

Fuͤhlt rings ein Lied durch alle Farben ziehen,

Das ihn ſo lockend nimmer laͤßt von hinnen.
Gefangen ſo, ſitzt er viel' ſeel'ge Jahre;

Des Einſamen ſpottet des Poͤbels Scherzen,

Der aller Glorie moͤchte Lieb' entkleiden.
Doch er gruͤßt froͤhlich alle, wie ſie fahren,

Und muthig ſagt er zu den ſuͤßen Schmerzen:

„Gern ſterb' ich bald, wollt ihr von mir je ſcheiden!“
[345]
VI.
Wann friſch die buntgewirkten Schleier wallen,

Weit in das Land die Lerchen mich verfuͤhren,

Da kann ich's tief im Herzen wieder ſpuͤren,

Wie mich die Eine liebt und ruft vor allen.
Wenn Nachtigall'n aus gruͤnen Hallen ſchallen,

Wen moͤchten nicht die tiefen Toͤne ruͤhren;

Wen nicht das ſuͤße Herzeleid verfuͤhren,

Im Liebesſchlagen todt vom Baum zu fallen? —
So ſag' auch ich bei jedem Fruͤhlingsglanze:

Du ſuͤße Laute! laß' uns beide ſterben,

Beklagt vom Wiederhallen zarter Toͤne,
Kann unſer Lied auch nie den Lohn erwerben,

Daß hier mit eignem, friſchen Blumenkranze

Uns endlich kroͤne nun die Wunderſchoͤne! —
VII.
Der Schaͤfer ſpricht, wenn er fruͤhmorgens weidet:

„Dort druͤben wohnt Sie hinter Berg' und Fluͤſſen!“

Doch ſeine Wunden deckt Sie gern mit Kuͤſſen,

Wann lauſchend Licht am ſtillen Abend ſcheidet.
Ob neu der Morgenſchmuck die Erde kleidet,

Ob Nachtigallen Nacht und Stern' begruͤßen,

Stets fern und nah bleibt meine Lieb' der Suͤßen,

Die in dem Lenz mich ewig ſucht und meidet. —
[346]
Doch hoͤr' ich wunderbare Stimmen ſprechen:

„Die Perlen, die Du treu geweint im Schmerze,

Sie wird ſie ſorglich all' zuſammenbinden,
Mit eigner Kette ſo Dich ſuͤß umwinden,

Hinauf zieh'n Dich an Mund und bluͤhend Herze —

Was Himmel ſchloß, mag nicht der Himmel brechen.“
VIII.
Nun ziehen Nebel, falbe Blaͤtter fallen,

Oed' alle Stellen, die uns oft entzuͤcket!

Und noch einmal tief' Ruͤhrung uns begluͤcket,

Wie aus der Flucht die Abſchiedslieder ſchallen.
Wohl manchem bluͤht aus ſolchem Tod Gefallen:

Daß er nun eng an's bluͤh'nde Herz gedruͤcket,

Von rothen Lippen hold're Straͤuße pfluͤcket

Als Lenz je beut mit Waͤldern, Wieſen allen.
Mir ſagte niemals Ihrer Augen Blaͤue:

„Ruh' auch aus! Willſt Du ewig ſinnen?“

Und einſam ſah' ich ſo den Sommer fahren.
So will ich tief des Lenzes Bluͤthe wahren,

Und mit Erinnern zaubriſch mich umſpinnen,

Bis ich nach langem Traum erwach' im Maie.
IX.
Wenn Du am Felſenhange ſtand'ſt alleine,

Unten im Walde Voͤgel ſeltſam ſangen

Und Hoͤrner aus der Ferne irrend klangen,

Als ob die Heimath druͤben nach Dir weine,
[347]
War's niemals da, als rief die Eine, Deine?

Lockt' Dich kein Weh, kein bruͤnſtiges Verlangen

Nach andrer Zeit, die lange ſchon vergangen,

Auf ewig einzugeh'n in gruͤne Scheine?
Gebirge dunkelblau ſteigt aus der Ferne,

Und von den Gipfeln fuͤhrt des Bundes Bogen

Als Bruͤcke weit in unbekannte Lande.
Geheimnißvoll geh'n oben gold'ne Sterne,

Unten erbraust viel Land in dunk'len Wogen —

Was zoͤgerſt Du am unbekannten Rande?
X.
Es wendet zuͤrnend ſich von mir die Eine,

Verſenkt die Ferne mit den Wunderlichtern.

Es ſtockt der Tanz — ich ſtehe ploͤtzlich nuͤchtern,

Muſik laͤßt treulos mich ſo ganz alleine.
Da ſpricht der Abgrund dunkel: Biſt nun meine;

Zieht mich hinab an bleiernen Gewichtern,

Sieht ſtumm mich an aus ſteinernen Geſichtern,

Das Herz wird ſelber zum kryſtall'nen Steine.
Dann iſt's als ob es duͤrſtend Schmerzen ſauge

Aus lang vergeſſ'ner Zeit Erinnerungen,

Und kann ſich ruͤhren nicht, von Froſt bezwungen.
Verſteinert ſchweigen muß der Wehmuth Welle,

Wie willig auch, ſchmoͤlz' ihn ein waͤrmend Auge,

Kryſtall zerfließen wollt' als Thraͤnenquelle.
[348]
XI.
Durch's Leben ſchleichen feindlich fremde Stunden,

Wo Aengſten aus der Bruſt hinunterlauſchen,

Verworr'ne Worte mit dem Abgrund tauſchen,

Drin bodenloſe Nacht nur ward erfunden.
Wohl iſt des Dichters Seele ſtumm verbunden

Mit Maͤchten, die am Volk' voruͤberrauſchen;

Sehnſucht muß wachſen an der Tiefe Rauſchen

Nach hellerm Licht und nach des Himmels Kunden.
O Herr! Du kennſt allein den treuen Willen,

Befrei' ihn von der Kerkerluft des Boͤſen,

Laß' nicht die eig'ne Bruſt mich feig' zerſchlagen!
Und wie ich ſchreibe hier, den Schmerz zu ſtillen,

Fuͤhl' ich den Engel ſchon die Riegel loͤſen,

Und kann vor Glaͤnzung nicht mehr weiter klagen.
[349]

Lieder.

I.
Friſch eilt der helle Strom hinunter.

Drauf zieh'n viel bunte Schifflein munter,

Und Strom und Schiff und bunte Scheine,

Sie fragen alle: was ich weine?

Mir iſt ſo wohl, mir iſt ſo weh,

Wie ich den Fruͤhling fahren ſeh'.
Viel Lenze ſitz' ich ſchon da oben,

Ein Regenbogen ſteht im Land erhoben

Und durch die Thaͤler, Wieſen, Wogen

Still, wie ein fernes Lied, gezogen,

Schifft immerfort Dein himmliſch Bild —

Doch Strom und Schiff hielt niemals ſtill.
II.
Denk' ich Dein, muß bald verwehen

Alle Truͤbniß weit und breit,

Und die friſchen Blicke gehen

Wie in einen Garten weit.
Wunderbare Voͤgel wieder

Weiden dort auf gruͤner Au',

Einſam Engel, alte Lieder

Ziehen durch den Himmel blau.
Wolken, Stroͤme, Schiffe, alle

Segeln in die Pracht hinein —

Keines kehrt zuruͤck von allen

Und ich ſtehe ſo allein.
[350]

An den heiligen Joſeph.

Wenn truͤbe Schleier alles grau umweben,

Zur bleichen Ferne wird das ganze Leben,

Will Heimath oft ſich troͤſtend zeigen;

Aus Morgenroth die gold'nen Hoͤhen ſteigen,

Und aus dem ſtillen, wundervollen Duft

Eine wohlbekannte Stimm' hinuͤberruft.
Du warſt ja auch einmal hier unten,

Haſt ew'ger Treue Schmerz empfunden;

Laͤngſt war Maria fortgezogen,

Wie einſam rauſchten rings die dunklen Wogen!

Da breitet oben Sie die Arme aus:

Komm', treuer Pilger, endlich auch nach Haus!
Seitdem iſt wohl Viel anders worden,

Treulieb auf Erden iſt ausgeſtorben.

Wem koͤnnt' ich's, außer Dir, wohl klagen,

Wie oft in kummervollen Tagen

Mein ganzes Herz hier hofft und bangt,

Und nach der Heimath immer fort verlangt!
[351]

Kirchenlied.

O Maria, meine Liebe!

Denk' ich recht im Herzen Dein:

Schwindet alles Schwer' und Truͤbe,

Und, wie heller Morgenſchein,

Dringt's durch Luſt und ird'ſchen Schmerz

Leuchtend mir durch's ganze Herz.
Aus des ew'gen Bundes Bogen,

Ernſt von Glorien umbluͤht,

Stehſt Du uͤber Land und Wogen;

Und ein himmliſch Sehnen zieht

Alles Leben himmelwaͤrts

An das große Mutterherz.
Wo Verlaſſ'ne einſam weinen,

Sorgenvoll in ſtiller Nacht,

Den'n vor allen laͤßt Du ſcheinen

Deiner Liebe milde Pracht,

Daß ein troͤſtend Himmelslicht

In die dunk'len Herzen bricht.
Aber wuͤthet wildverkehrter

Suͤnder frevelhafte Luſt:

Da durchſchneiden neue Schwerdter

Dir die treue Mutterbruſt;

Und voll Schmerzen flehſt Du doch:

Herr! Vergieb ihn'n, ſchone noch!
[352]
Deinen Jeſus in den Armen

Ueber'n Strom der Zeit geſtellt,

Als das himmliſche Erbarmen

Huͤteſt Du getreu die Welt,

Daß im Sturm, der truͤbe weht,

Dir kein Kind verloren geht.
Wenn die Menſchen mich verlaſſen

In der letzten ſtillen Stund',

Laß mich feſt das Kreuz umfaſſen.

Aus dem dunkeln Erdengrund

Leite liebreich mich hinaus,

Mutter, in des Vaters Haus!
[353]

Morgengebet.

O wunderbares, tiefes Schweigen,

Wie einſam iſt's noch auf der Welt!

Die Waͤlder nur ſich leiſe neigen,

Als ging' der Herr durch's ſtille Feld.
Ich fuͤhl' mich recht wie neu geſchaffen,

Wo iſt die Sorge nun und Noth?

Was mich noch geſtern wollt' erſchlaffen,

Ich ſchaͤm' mich deß im Morgenroth.
Die Welt mit ihrem Gram und Gluͤcke

Will ich, ein Pilger frohbereit,

Betreten nur wie eine Bruͤcke

Zu Dir, Herr, uͤber'n Strom der Zeit.
Und buhlt mein Lied, auf Weltgunſt lauernd,

Um ſchnoͤden Sold der Eitelkeit:

Zerſchlag' mein Saitenſpiel und ſchauernd

Schweig' ich vor Dir in Ewigkeit.
23[354]

Mittag.

Vergeht mir der Himmel

Vor Staube ſchier,

Herr, im Getuͤmmel

Zeig' Dein Panier!
Wie ſchwank' ich ſuͤndlich,

Laͤßt Du von mir,

Unuͤberwindlich

Bin ich mit Dir!
[355]

Abend.

Geſtuͤrzt ſind die gold'nen Bruͤcken

Und unten und oben ſo ſtill!

Es will mir nichts mehr gluͤcken,

Ich weiß nicht mehr, was ich will.
Von uͤppig bluͤhenden Schmerzen

Rauſcht eine Wildniß im Grund,

Da ſpielt wie in wahnſinnigen Scherzen

Das Herz an dem ſchwindlichten Schlund. —
Die Felſen moͤchte ich packen

Vor Zorn und Wehe und Luſt

Und unter den brechenden Zacken

Begraben die wilde Bruſt.
Da kommt der Fruͤhling gegangen,

Wie ein Spielmann aus alter Zeit,

Und ſingt von uraltem Verlangen

So treu durch die Einſamkeit.
Und uͤber mir Lerchenlieder

Und unter mir Blumen bunt,

So werf' ich im Graſe mich nieder

Und weine aus Herzensgrund.
Da fuͤhl' ich ein tiefes Entzuͤcken,

Nun weiß ich wohl, was ich will,

Es bauen ſich andere Bruͤcken

Das Herz wird auf einmal ſtill.
23 *[356]
Der Abend ſtreut roſige Flocken,

Verhuͤllet die Erde nun ganz,

Und durch des Schlummernden Locken

Zieh'n Sterne den heiligen Kranz.
[357]

Nachtgruß.

Weil jetzo alles ſtille iſt

Und alle Menſchen ſchlafen,

Mein Seel' das ew'ge Licht begruͤßt,

Ruht wie ein Schiff im Hafen.
Der falſche Fleiß, die Eitelkeit,

Was Keinen mag erlaben,

Darin der Tag das Herz zerſtreut,

Liegt alles tief begraben.
Ein andrer Koͤnig wunderreich

Mit koͤniglichen Sinnen

Zieht herrlich ein im ſtillen Reich,

Beſteigt die ew'gen Zinnen.
[358]

Morgenlied.

Kein Stimmlein noch ſchallt von allen

In fruͤheſter Morgenſtund,

Wie ſtill iſt's noch in den Hallen

Durch den weiten Waldesgrund.
Ich ſtehe hoch uͤber'm Thale

Stille vor großer Luſt,

Und ſchau' nach dem erſten Strahle

Kuͤhl Schauer in tiefſter Bruſt.
Wie ſieht da zu dieſer Stunde

So anders das Land herauf,

Nichts hoͤr' ich da in der Runde

Als von fern der Stroͤme Lauf.
Und ehe ſich alle erhoben

Des Tages Freuden und Weh,

Will ich Herr Gott Dich loben

Hier einſam in ſtiller Hoͤh. —
Nun rauſchen ſchon ſtaͤrker die Waͤlder,

Morgenlicht funkelt herauf,

Die Lerche ſingt uͤber den Feldern,

Schoͤne Erde nun wache auf!
[359]

In der Nacht.

Das Leben draußen iſt verrauſchet,

Die Lichter loͤſchen aus,

Schauernd mein Herz am Fenſter lauſchet

Still in die Nacht hinaus.
Da nun der laute Tag zerronnen

Mit ſeiner Noth und bunten Luſt

Was haſt Du in dem Spiel gewonnen,

Was blieb der muͤden Bruſt? —
Der Mond iſt troſtreich aufgegangen,

Da unterging die Welt,

Der Sterne heil'ge Bilder prangen

So einſam hoch geſtellt!
O Herr! auf dunkelſchwankem Meere

Fahr' ich im ſchwachen Boot,

Treufolgend Deinem goldnen Heere

Zum ew'gen Morgenroth.
[360]

Werktag.

Wir wandern nun ſchon viel hundert Jahr,

Und kommen doch nicht zur Stelle —

Der Strom wohl rauſcht an die tauſend gar,

Und kommt doch nicht zur Quelle.

Sonntag.

Weit in das Land die Stroͤm' ihr Silber fuͤhren,

Fern blau Gebirge duftig hingezogen,

Die Sonne ſcheint, die Baͤume ſanft ſich ruͤhren,

Und Glockenklang kommt auf den linden Wogen;

Hoch in den Luͤften Lerchen jubiliren,

Und, ſo weit klar ſich woͤlbt des Himmels Bogen,

Von Arbeit ruht der Menſch rings in die Runde,

Athmet zum Herren auf aus Herzensgrunde.
[361]

Fruͤhling.

Und wenn die Lerche hell anſtimmt

Und Fruͤhling rings bricht an:

Da ſchauert tief und Fluͤgel nimmt,

Wer irgend fliegen kann.
Die Erde gruͤßt er hochbegluͤckt,

Die, eine junge Braut,

Mit Blumen wild und bunt geſchmuͤckt,

Tief in das Herz ihm ſchaut.
Den Himmel dann, das blaue Meer

Der Sehnſucht gruͤßt er treu,

Da ſtammen Lied und Saͤnger her

Und ſpuͤren's immer neu.
Die dunkeln Gruͤnde ſaͤuſeln kaum,

Sie ſchau'n ſo fremd herauf.

Tiefſchauernd fuͤhlt' er, 's war ein Traum —

Und wacht im Himmel auf.
[362]

Herbſt.

Es iſt nun der Herbſt gekommen,

Hat das ſchoͤne Sommerkleid

Von den Feldern weggenommen

Und die Blaͤtter ausgeſtreut,

Vor dem boͤſen Winterwinde

Deckt er warm und ſachte zu

Mit dem bunten Laub die Gruͤnde,

Die ſchon muͤde geh'n zur Ruh.
Durch die Felder ſieht man fahren

Eine wunderſchoͤne Frau,

Und von ihren langen Haaren

Gold'ne Faͤden auf der Au

Spinnet ſie und ſingt im Gehen:

Eya, meine Bluͤmelein,

Nicht nach andern immer ſehen,

Eya, ſchlafet, ſchlafet ein.
Und die Voͤglein hoch in Luͤften

Ueber blaue Berg' und Seen

Zieh'n zur Ferne nach den Kluͤften,

Wo die hohen Cedern ſteh'n,

Wo mit ihren gold'nen Schwingen

Auf des Benedeiten Gruft

Engel Hoſiannah ſingen

Naͤchtens durch die ſtille Luft.
[363]

Winter.

Wie von Nacht verhangen,

Wußt' nicht, was ich will,

Schon ſo lange, lange

War ich todtenſtill.
Liegt die Welt voll Schmerzen,

Will's auch draußen ſchnei'n:

Wache auf, mein Herze,

Fruͤhling muß es ſein!
Was mich frech wollt' faſſen,

'S iſt nur Wogen-Schaum,

Falſche Ehr', Noth, Haſſen,

Welt, ich ſpuͤr' dich kaum.
Breite nur die Fluͤgel

Wieder, ſchoͤnes Roß,

Frei laß ich die Zuͤgel,

So brich durch, Genoß!
Und hat ausgeklungen

Liebes-Luſt und Leid,

Um die wir gerungen

In der ſchoͤnſten Zeit;
Nun ſo trag' mich weiter,

Wo das Wuͤnſchen aus —

Wie wird mir ſo heiter,

Roß, bring' mich nach Haus!
[364]

Der Schatzgraͤber.

Wenn alle Waͤlder ſchliefen,

Er an zu graben hub,

Raſtlos in Berges Tiefen

Nach einem Schatz er grub.
Die Engel Gottes ſangen

Derweil in ſtiller Nacht,

Wie rothe Augen drangen

Metalle aus dem Schacht.
„Und wirſt doch mein!“ und grimmer

Wuͤhlt er und wuͤhlt hinab,

Da ſtuͤrzen Steine und Truͤmmer

Ueber dem Narren herab.
Hohnlachen wild erſchallte

Aus der verfall'nen Kluft,

Der Engelgeſang verhallte

Wehmuͤthig in der Luft.
[365]

Der Schiffer.

Die Luͤfte linde faͤcheln,

Aus ſtillen Meeres Schaum

Syrenen tauchend laͤcheln,

Der Schiffer liegt im Traum.
Da faßt der Sturm die Wellen

Durchwuͤhlt die Einſamkeit:

Wach't auf, ihr Traumgeſellen,

Nun iſt's nicht Schlafens Zeit! —
In jenen ſtillen Tagen

Wie war ich ſtolz und klug,

In ſichern Gluͤck's Behagen

Mir ſelber gut genug.
Du haſt das Gluͤck zerſchlagen.

Nimm wieder, was du gabſt,

Ich ſchweig' und will nicht klagen,

Jetzt weiß ich, wie du labſt.
Das ſind die maͤcht'gen Stuͤrme,

Die wecken, was da ruht,

Es ſinken Land und Thuͤrme

Allmaͤlig in die Flut.
Kein Meerweib will ſich zeigen,

Kein Laut mehr langt zu mir,

Und in dem weiten Schweigen

Steh' ich allein mit dir.
[366]

O fuͤhre an den Riffen
Allmaͤchtig deine Hand,
Wohin wir alle ſchiffen,
Uns zu dem Heimathsſtrand!

Der Soldat.

Und wenn es einſt dunkelt,

Der Erd' bin ich ſatt,

Durch's Abendroth funkelt

Eine praͤcht'ge Stadt:

Von den goldenen Thuͤrmen

Singet der Chor,

Wir aber ſtuͤrmen

Das himmliſche Thor.
[367]

Der Waͤchter.

Naͤchtlich macht der Herr die Rund',

Sucht die Seinen unverdroſſen,

Aber uͤberall verſchloſſen

Trifft er Thuͤr und Herzensgrund,

Und er wendet ſich voll Trauer:

Niemand iſt, der mit mir wacht. —

Nur der Wald vernimmt's mit Schauer,

Rauſchet fromm die ganze Nacht.
Waldwaͤrts durch die Einſamkeit

Hoͤrt' ich uͤber Thal und Kluͤften

Glocken in den ſtillen Luͤften,

Wie aus fernem Morgen weit —

An die Thore will ich ſchlagen,

An Pallaſt und Huͤtten: Auf!

Flammend ſchon die Gipfel ragen,

Wachet auf, wacht auf, wacht auf!
[368]

Das Kind.

Das Kind ruht aus vom Spielen,

Am Fenſter rauſcht die Nacht,

Die Engel Gott's im Kuͤhlen

Getreulich halten Wacht,

Am Bettlein ſtill ſie ſtehen,

Der Morgen graut noch kaum,

Sie kuͤſſen's, eh ſie gehen,

Das Kindlein lacht im Traum.
[369]

Der Umkehrende.

I.
Du ſollſt mich doch nicht fangen,

Duftſchwuͤle Zaubernacht!

Es ſteh'n mit goldnem Prangen

Die Stern' auf ſtiller Wacht,

Und machen uͤber'm Grunde,

Wo Du verirret biſt,

Getreu die alte Runde —

Gelobt ſei Jeſus Chriſt!
Wie bald in allen Baͤumen

Geht nun die Morgenluft,

Sie ſchuͤtteln ſich in Traͤumen,

Und durch den rothen Duft

Eine fromme Lerche ſteiget,

Wenn Alles ſtill noch iſt,

Den rechten Weg Dir zeiget —

Gelobt ſei Jeſus Chriſt!
II.
Hier bin ich, Herr! Gegruͤßt das Licht,

Das durch die ſtille Schwuͤle

Der muͤden Bruſt gewaltig bricht

Mit ſeiner ſtrengen Kuͤhle.

Nun bin ich frei! Ich taum'le noch

Und kann mich noch nicht faſſen —

O Vater, Du erkennſt mich doch,

Und wirſt nicht von mir laſſen!
24[370]
III.
Was ich wollte, liegt zerſchlagen,

Herr, ich laſſe ja das Klagen,

Und das Herz iſt ſtill.

Nun aber gieb auch Kraft, zu tragen,

Was ich nicht will!
IV.
Es wandelt, was wir ſchauen,

Tag ſinkt in's Abendroth,

Die Luſt hat eig'nes Grauen,

Und alles hat den Tod.
In's Leben ſchleicht das Leiden

Sich heimlich wie ein Dieb,

Wir alle muͤſſen ſcheiden

Von allem, was uns lieb.
Was gaͤb' es doch auf Erden,

Wer hielt' den Jammer aus,

Wer moͤcht' geboren werden,

Hielt'ſt Du nicht droben Haus!
Du biſt's, der, was wir bauen,

Mild uͤber uns zerbricht,

Daß wir den Himmel ſchauen —

Darum ſo klag' ich nicht.
[371]
V.
Waldeinſamkeit!

Du gruͤnes Revier,

Wie liegt ſo weit

Die Welt von hier!

Schlaf' nur, wie bald

Kommt der Abend ſchoͤn,

Durch den ſtillen Wald

Die Quellen gehn,

Die Mutter Gottes wacht,

Mit ihrem Sternen-Kleid

Bedeckt ſie Dich ſacht

In der Waldeinſamkeit,

Gute Nacht, gute Nacht! —
24*[372]

Der Kranke.

Soll ich Dich denn nun verlaſſen,

Erde, heit'res Vaterhaus?

Herzlich Lieben, muthig Haſſen,

Iſt denn alles, alles aus?
Vor dem Fenſter durch die Linden

Spielt es wie ein linder Gruß,

Luͤfte, wollt ihr mir verkuͤnden,

Daß ich bald hinunter muß? —
Liebe, ferne, blaue Huͤgel,

Stiller Fluß im Thales-Gruͤn,

Ach, wie oft wuͤnſcht' ich mir Fluͤgel,

Ueber euch hinweg zu zieh'n!
Da ſich jetzt die Fluͤgel dehnen

Schaur' ich in mich ſelbſt zuruͤck,

Und ein unbeſchreiblich Sehnen

Zieht mich zu der Welt zuruͤck.
[373]

Sterbeglocken.

Nun legen ſich die Wogen,

Und die Gewitter ſchwuͤl'

Sind all' hinabgezogen,

Mir wird das Herz ſo kuͤhl.
Die Thaͤler alle dunkeln,

Iſt denn das Morgenzeit?

Wie ſchoͤn die Gipfel funkeln.

Und Glocken hoͤr' ich weit.
So hell noch niemals klangen

Sie uͤber'n Waldes-Saum —

Wo war ich denn ſo lange?

Das war ein ſchwerer Traum.
[374]

Der Pilger.

I.
Man ſetzt uns auf die Schwelle

Wir wiſſen nicht, woher?

Da gluͤht der Morgen helle,

Hinaus verlangt uns ſehr.

Der Erde Klang und Bilder,

Tiefblaue Fruͤhlingsluſt,

Verlockend mild und wilder,

Bewegen da die Bruſt.

Bald wird es rings ſo ſchwuͤle,

Die Welt erathmet kaum,

Berg', Schloß und Waͤlder kuͤhle

Steh'n lautlos wie im Traum,

Und ein geheimes Grauſen

Beſchleichet unſern Sinn:

Wir ſehnen uns nach Hauſe

Und wiſſen nicht wohin?
II.
Dein Wille, Herr, geſchehe!

Verdunkelt ſchweigt das Land,

Im Zug der Wetter ſehe

Ich ſchauernd Deine Hand.

O mit uns Suͤndern gehe

Erbarmend in's Gericht!

Ich beug' im tiefſten Wehe

Zum Staub mein Angeſicht,

Dein Wille, Herr, geſchehe!
[375]
III.
Schlag' mit den flamm'gen Fluͤgeln!

Wenn Blitz aus Blitz ſich reißt:

Steht wie in Roſſesbuͤgeln

So ritterlich mein Geiſt.
Waldesrauſchen, Wetterblicken

Macht recht die Seele los,

Da gruͤßt ſie mit Entzuͤcken,

Was wahrhaft, ernſt und groß.
Es ſchiffen die Gedanken

Fern wie auf weitem Meer,

Wie auch die Wogen ſchwanken:

Die Segel ſchwellen mehr.
Herr Gott, es wacht Dein Wille!

Wie Tag und Luſt verweh'n,

Mein Herz wird mir ſo ſtille

Und wird nicht untergeh'n.
IV.
So laß herein nun brechen

Die Brandung, wie ſie will,

Du darfſt ein Wort nur ſprechen,

So wird der Abgrund ſtill

Und bricht die letzte Bruͤcke;

Zu Dir, der treulich ſteht,

Hebt uͤber Noth und Gluͤcke

Mich einſam das Gebet.
[376]
V.
Wie ein todeswunder Streiter,

Der den Weg verloren hat,

Schwank' ich nun und kann nicht weiter

Von dem Leben ſterbensmatt.

Nacht ſchon decket alle Muͤden

Und ſo ſtill iſt's um mich her,

Herr auch mir gieb endlich Frieden,

Denn ich wuͤnſch' und hoff' nichts mehr.
VI.
Wie oft wollt' mich die Welt ermuͤden,

Ich beugt' auf's Schwert mein Angeſicht

Und bat Dich frevelhaft um Frieden —

Du wußteſt's beſſer, gabſt ihn nicht.
Ich ſah in Nacht das Land vergehen,

In Blitzen Du die Wetter brachſt,

Da konnt' ich ſchauernd erſt verſtehen,

Was Du zu mir Erſchrock'nen ſprachſt:
„Meine Lieder ſind nicht Deine Lieder,

Leg' ab den falſchen Schmuck der Zeit

Und nimm das Kreuz, dann komme wieder

In Deines Herzens Einſamkeit.“
Und alle Bilder ferne treten

Und tief noch rauſchet kaum die Rund' —

Wie geht ein wunderbares Beten

Mir leuchtend durch der Seele Grund!
[377]

Der Pilot.

Glaube ſtehet ſtill erhoben

Ueber'm naͤcht'gen Wellenklang,

Lieſet in den Sternen droben

Fromm des Schiffleins ſichern Gang.
Liebe ſchwellet ſanft die Segel,

Daͤmmernd zwiſchen Tag und Nacht

Schweifen Paradieſesvoͤgel,

Ob der Morgen bald erwacht?
Morgen will ſich kuͤhn entzuͤnden,

Nun wird's mir auf einmal kund:

Hoffnung wird die Heimath finden

Und den ſtillen Ankergrund.
[378]

Das kranke Kind.

Die Gegend lag ſo helle,

Die Sonne ſchien ſo warm,

Es ſonnt' ſich auf der Schwelle

Ein Kindlein krank und arm.
Geputzt zum Sonntag heute

Zieh'n ſie das Thal entlang,

Das Kind gruͤßt alle Leute,

Doch niemand ſagt ihm Dank.
Viel Kinder jauchzen ferne,

So ſchoͤn iſt's auf der Welt!

Ging' auch ſpatzieren gerne,

Doch muͤde ſtuͤrzt's im Feld.
„Ach Vater, liebe Mutter,

Helft mir in meiner Noth! —“

Du armes Kind! die ruhen

Ja unter'm Graſe todt.
Und ſo im Gras alleine

Das kranke Kindlein blieb,

Frug keiner, was es weine,

Hat jeder ſein's nur lieb.
Die Abendglocken klangen

Schon durch die ſtille Welt,

Die Engel Gottes ſangen

Und gingen uͤber's Feld.
[379]
Und als die Nacht gekommen

Und alles das Kind verließ,

Sie haben's mitgenommen,

Nun ſpielt's im Paradies.
[380]

Der Einſiedler.

Komm, Troſt der Welt, Du ſtille Nacht!

Wie ſteigſt Du von den Bergen ſacht,

Die Luͤfte alle ſchlafen,

Ein Schiffer nur noch, wandermuͤd,

Singt uͤber's Meer ſein Abendlied

Zu Gottes Lob im Hafen.
Die Jahre wie die Wolken geh'n

Und laſſen mich hier einſam ſteh'n,

Die Welt hat mich vergeſſen,

Da tratſt Du wunderbar zu mir,

Wenn ich beim Waldesrauſchen hier

Gedankenvoll geſeſſen.
O Troſt der Welt, Du ſtille Nacht!

Der Tag hat mich ſo muͤd gemacht,

Das weite Meer ſchon dunkelt,

Laß' ausruh'n mich von Luſt und Noth,

Bis daß das ew'ge Morgenroth

Den ſtillen Wald durchfunkelt.
[381]

Der Saͤnger.

I.
Siehſt Du die Waͤlder gluͤhen,

Die Stroͤme flammend ſpruͤhen,

Die Welt in Abendgluten,

Wie traͤumeriſche Fluten,

Wo bluͤh'nde Inſeln trunken

Sich ſpiegeln in dem Duft? —

Es weht und rauſcht und ruft:

O komm, eh' wir verſunken!
Eh' noch die Sonn' verſunken:

Geh'n durch die gold'nen Funken

Still Engel in den Thalen,

Das giebt ſo leuchtend Strahlen

In Blumen rings und Zweigen. —

Wie frommer Wiederhall

Weht noch der Glocken Schall,

Wenn laͤngſt die Thaͤler ſchweigen.
Leis waͤchſt durch's dunkle Schweigen

Ein Fluͤſtern rings und Neigen

Wie ein geheimes Singen,

In immer weitern Ringen

Zieht's alle die da lauſchen

In ſeine duft'ge Rund',

Wo kuͤhl im ſtillen Grund

Die Waſſerkuͤnſte rauſchen.
[382]
Wie Wald und Strom im Rauſchen

Verlockend Worte tauſchen!

Was iſt's, daß ich ergrauſe? —

Fuͤhrt doch aus ſtillem Hauſe

Der Hirt die gold'ne Heerde,

Und huͤtet treu und wacht,

So lieblich weht die Nacht,

Lind ſaͤuſelt kaum die Erde.
II.
Und zu den Felſengaͤngen

Der naͤcht'ge Saͤnger flieht,

Denn wie mit Wahnſinns Klaͤngen

Treibt ihn ſein eig'nes Lied.
Bei leuchtenden Gewittern

Schreckt ihn das ſtille Land,

Ein wunderbar Erſchuͤttern

Hat ihm das Herz gewandt.
Bereuend ſinkt ſein Auge —

Da blickt durch Nacht und Schmerz

Ein unſichtbares Auge

Ihm klar in's tiefſte Herz.
Sein Saitenſpiel zur Stunde

Wirft er in tiefſten Schlund

Und weint aus Herzensgrunde,

Und ewig ſchweigt ſein Mund.
[383]

Morgendaͤmmerung.

Es iſt ein ſtill Erwarten in den Baͤumen,

Die Nachtigallen in den Buͤſchen ſchlagen

In irren Klagen, koͤnnen's doch nicht ſagen,

Die Schmerzen all' und Wonne, halb in Traͤumen.
Die Lerche auch will nicht die Zeit verſaͤumen,

Da ſolches Schallen bringt die Luft getragen,

Schwingt ſich vom Thal, eh's noch beginnt zu tagen,

Im erſten Strahl die Fluͤgel ſich zu ſaͤumen.
Ich aber ſtand ſchon lange in dem Garten

Und bin in's ſtille Feld hinausgegangen,

Wo leis die Aehren an zu wogen fingen.
O fromme Voͤglein, ihr und ich, wir warten

Auf's frohe Licht, da iſt uns vor Verlangen

Bei ſtiller Nacht erwacht ſo ſehnend Singen.
[384]

Das Gebet.

Wen hat nicht einmal Angſt befallen,

Wenn Truͤbniß ihn gefangen haͤlt,

Als muͤßt' er ewig raſtlos wallen

Nach einer wunderbaren Welt?

All' Freunde ſind lang fortgezogen,

Der Fruͤhling weint in einem fort,

Eine Bruͤcke iſt der Regenbogen

Zum friedlich ſichern Heimathsport.
Hinauszuſchlagen in die Toͤne,

Lockt Dich Natur mit wilder Luſt,

Zieht Minne, holde Frauenſchoͤne

Zum Abgrund ſuͤß die ſeel'ge Bruſt;

Den Tod ſiehſt Du verhuͤllet gehen

Durch Lieb' und Leben himmelwaͤrts,

Ein einzig Wunder nur bleibt ſtehen

Einſam uͤber dem oͤden Schmerz. —
Du ſeltner Pilger, laß Dich warnen!

Aus ird'ſcher Luſt und Zauberei,

Die freud- und leidvoll Dich umgarnen,

Strecke zu Gott die Arme frei!

Nichts mehr mußt Du hienieden haben,

Himmliſch betruͤbt, verlaſſen, arm,

Ein treues Kind, dem Vater klagen

Die ird'ſche Luſt, den ird'ſchen Harm.
[385]
Es breitet dieſe einz'ge Stunde

Sich uͤber's ganze Leben ſtill,

Legt bluͤhend ſich um Deine Wunde,

Die niemals wieder heilen will.

Treu bleibt der Himmel ſtets dem Treuen,

Zur Erd' das Ird'ſche niedergeht,

Zum Himmel uͤber Zaubereien

Geht ewig ſiegreich das Gebet.
25[386]

Sonntag.

Die Nacht war kaum verbluͤhet,

Nur eine Lerche ſang

Die ſtille Luft entlang.

Wen gruͤßt ſie ſchon ſo fruͤhe?
Und draußen in dem Garten

Die Baͤume uͤber's Haus

Sah'n weit in's Land hinaus,

Als ob ſie wen erwarten.
In feſtlichen Gewanden

Wie eine Kinderſchaar,

Thauperlen in dem Haar,

Die Blumen alle ſtanden.
Ich dacht': ihr kleinen Braͤute,

Was ſchmuͤckt ihr euch ſo ſehr? —

Da blickt' die eine her:

„Still, ſtill, 's iſt Sonntag heute.“
„Schon klingen Morgenglocken,

Der liebe Gott nun bald

Geht durch den ſtillen Wald.“ —

Da kniet' ich froherſchrocken.
[387]

Nachtgebet.

Es rauſchte leiſe in den Baͤumen,

Ich hoͤrte nur der Stroͤme Lauf,

Und Berg und Gruͤnde, wie aus Traͤumen,

Sie ſah'n ſo fremd zu mir herauf.
Drin aber in der ſtillen Halle

Ruht' Sang und Plaudern muͤde aus,

Es ſchliefen meine Lieben alle,

Kaum wieder kannt' ich nun mein Haus.
Mir war's als laͤgen ſie zur Stunde

Geſtorben, bleich im Mondenſchein,

Und ſchauernd in der weiten Runde

Fuͤhlt' ich auf einmal mich allein.
So blickt in Meeres oͤden Reichen

Ein Schiffer einſam himmelan —

O Herr, wenn einſt die Ufer weichen,

Sei gnaͤdig Du dem Steuermann!
25 *[388]

Oſtern.

Vom Muͤnſter Trauer-Glocken klingen,

Vom Thal ein Jauchzen ſchallt herauf.

Zur Ruh ſie dort dem Todten ſingen,

Die Lerchen jubeln: wache auf!

Mit Erde ſie ihn ſtill bedecken,

Das Gruͤn aus allen Graͤbern bricht,

Die Stroͤme hell durch's Land ſich ſtrecken,

Der Wald ernſt wie in Traͤumen ſpricht,

Und bei den Klaͤngen, Jauchzen, Trauern,

So weit in's Land man ſchauen mag,

Es iſt ein tiefes Fruͤhlingsſchauern

Als wie ein Auferſtehungstag.
[389]

Weihnachten.

Markt und Straßen ſteh'n verlaſſen,

Still erleuchtet jedes Haus,

Sinnend geh' ich durch die Gaſſen,

Alles ſieht ſo feſtlich aus.
An den Fenſtern haben Frauen

Buntes Spielzeug fromm geſchmuͤckt,

Tauſend Kindlein ſteh'n und ſchauen,

Sind ſo wunderſtill begluͤckt.
Und ich wandre aus den Mauern

Bis hinaus in's freie Feld,

Hehres Glaͤnzen, heil'ges Schauen!

Wie ſo weit und ſtill die Welt!
Sterne hoch die Kreiſe ſchlingen,

Aus des Schnees Einſamkeit

Steigt's wie wunderbares Singen —

O du gnadenreiche Zeit!
[390]

Abſchied.

Abendlich ſchon rauſcht der Wald

Aus den tiefen Gruͤnden,

Droben wird der Herr nun bald

An die Sterne zuͤnden,

Wie ſo ſtille in den Schluͤnden,

Abendlich nur rauſcht der Wald.
Alles geht zu ſeiner Ruh,

Wald und Welt verſauſen,

Schauernd hoͤrt der Wandrer zu,

Sehnt ſich recht nach Hauſe,

Hier in Waldes gruͤner Klauſe

Herz, geh' endlich auch zur Ruh!
[391]

Mondnacht.

Es war, als haͤtt' der Himmel

Die Erde ſtill gekuͤßt,

Daß ſie im Bluͤten-Schimmer

Von ihm nun traͤumen muͤßt'.
Die Luft ging durch die Felder,

Die Aehren wogten ſacht,

Es rauſchten leis die Waͤlder,

So ſternklar war die Nacht.
Und meine Seele ſpannte

Weit ihre Fluͤgel aus,

Flog durch die ſtillen Lande,

Als floͤge ſie nach Haus.
[392]

Gluͤck auf.

Gar viel hab' ich verſucht, gekaͤmpft, ertragen;

Das iſt der tiefen Sehnſucht Lebenslauf,

Daß bruͤnſtig ſie an jeden Fels muß ſchlagen,

Ob ſich des Lichtes Gnadenthuͤr thaͤt' auf,

Wie ein verſchuͤtt'ter Bergmann in den Kluͤften

Heraus ſich hauet zu den heitern Luͤften.
Auch ich gelang' einſt zu dem ſtillen Gipfel,

Vor dem mich ſchaudert in geheimer Luſt.

Tief unten rauſchen da des Lebens Wipfel

Noch einmal dunkelruͤhrend an die Bruſt,

Dann wird es unten ſtill im weiten Grunde

Und oben leuchtet ſtreng des Himmels Runde.
Wie klein wird ſein da, was mich hat gehalten,

Wie wenig, was ich Irrender vollbracht,

Doch was den Felſen glaͤubig hat geſpalten:

Die Sehnſucht treu ſteigt mit mir aus der Nacht

Und legt mir an die wunderbaren Schwingen,

Die durch die Stille mich nach Hauſe bringen.
[393]

Nachtlied.

Vergangen iſt der lichte Tag,

Von ferne kommt der Glocken Schlag;

So reiſ't die Zeit die ganze Nacht,

Nimmt manchen mit, der's nicht gedacht.
Wo iſt nun hin die bunte Luſt,

Des Freundes Troſt und treue Bruſt,

Des Weibes ſuͤßer Augenſchein?

Will keiner mit mir munter ſein?
Da's nun ſo ſtille auf der Welt,

Zieh'n Wolken einſam uͤber's Feld,

Und Feld und Baum beſprechen ſich, —

O Menſchenkind! was ſchauert Dich?
Wie weit die falſche Welt auch ſei,

Bleibt mir doch Einer nur getreu,

Der mit mir weint, der mit mir wacht,

Wenn ich nur recht an ihn gedacht.
Friſch auf denn, liebe Nachtigall,

Du Waſſerfall mit hellem Schall!

Gott loben wollen wir vereint,

Bis daß der lichte Morgen ſcheint!
[394]

Durch!

Ein Adler ſaß am Felſenbogen,

Den lockt' der Sturm weit uͤber's Meer,

Da hatt' er droben ſich verflogen,

Er fand ſein Felſenneſt nicht mehr,

Tief unten ſah er kaum noch liegen

Verdaͤmmernd Wald und Land und Meer,

Mußt' hoͤher, immer hoͤher fliegen,

Ob nicht der Himmel offen waͤr'.
[]

VII.Romanzen.

Aus ſchweren Traͤumen

Fuhr ich oft auf und ſah durch Tannenwipfel

Den Mond zieh'n uͤber'n ſtillen Grund und ſang

Vor Bangigkeit und ſchlummert' wieder ein. —

Ja, Menſchenſtimme, hell aus frommer Bruſt!

Du biſt doch die gewaltigſte, und triffſt

Den rechten Grundton, der verworren anklingt

In all' den tauſend Stimmen der Natur! —

(Ezelin, 4. Aufz. 2. Sc. S. 189.)
[][]

Die Zauberin im Walde.

Schon vor vielen, vielen Jahren

Saß ich druͤben an dem Ufer,

Sah manch' Schiff voruͤber fahren

Weit hinein in's Waldesdunkel.“
„Denn ein Vogel jeden Fruͤhling

An dem gruͤnen Waldes-Saume

Sang mit wunderbarem Schalle,

Wie ein Waldhorn klang's im Traume.“
„Und gar ſeltſam hohe Blumen

Standen an dem Rand der Schluͤnde,

Sprach der Strom ſo dunkle Worte,

'S war, als ob ich ſie verſtuͤnde.“
„Und wie ich ſo ſinnend athme

Stromeskuͤhl' und Waldesduͤfte,

Und ein wunderſam Geluͤſten

Mich hinabzog nach den Kluͤften:“
„Sah ich auf kryſtall'nem Nachen,

Tief im Herzensgrund erſchrocken,

Eine wunderſchoͤne Fraue,

Ganz umwallt von gold'nen Locken.“
[398]
„Und von ihrem Hals behende

Thaͤt ſie Ioͤſen eine Kette,

Reicht' mit ihren weißen Haͤnden

Mir die allerſchoͤnſte Perle.“
„Nur ein Wort von fremdem Klange

Sprach ſie da mit rothem Munde,

Doch im Herzen ewig ſtehen

Wird des Wort's geheime Kunde.“—
„Seitdem ſaß ich wie gebannt dort,

Und wenn neu der Lenz erwachte,

Immer von dem Halsgeſchmeide

Eine Perle ſie mir brachte.“
„Ich barg all' im Waldesgrunde,

Und aus jeder Perl der Fraue

Sproßte eine Blum' zur Stunde,

Wie ihr Auge anzuſchauen.“
„Und ſo bin ich aufgewachſen,

Thaͤt der Blumen treulich warten,

Schlummert' oft und traͤumte golden

In dem ſchwuͤlen Waldes-Garten.“
„Fortgeſpuͤlt iſt nun der Garten

Und die Blumen all' verſchwunden,

Und die Gegend, wo ſie ſtanden,

Hab' ich nimmermehr gefunden.“
[399]
„In der Fern' liegt jetzt mein Leben,

Breitend ſich wie junge Traͤume,

Schimmert ſtets ſo ſeltſam lockend

Durch die alten, dunklen Baͤume.“
„Jetzt erſt weiß ich, was der Vogel

Ewig ruft ſo bange, bange,

Unbekannt zieht ew'ge Treue

Mich hinunter zu dem Sange.“
„Wie die Waͤlder kuͤhle rauſchen,

Zwiſchendurch das alte Rufen,

Wo bin ich ſo lang' geweſen? —

O ich muß hinab zur Ruhe!“
Und es ſtieg vom Schloß hinunter

Schnell der ſuͤße Florimunde,

Weit hinab und immer weiter

Zu dem dunkelgruͤnen Grunde.
Hoͤrt' die Stroͤme ſtaͤrker rauſchen,

Sah in Nacht des Vaters Burge

Stillerleuchtet ferne ſtehen,

Alles Leben weit verſunken.
Und der Vater ſchaut' vom Berge,

Schaut' zum dunklen Grunde immer,

Regte ſich der Wald ſo grauſig,

Doch den Sohn erblickt' er nimmer.
[400]
Und es kam der Winter balde,

Und viel' Lenze kehrten wieder,

Doch der Vogel in dem Walde

Sang nie mehr die Wunderlieder.
Und das Waldhorn war verklungen

Und die Zauberin verſchwunden,

Wollte keinen andern haben

Nach dem ſuͤßen Florimunde. —
[401]

Die Rieſen.

Hoch uͤber blauen Bergen

Da ſteht ein ſchoͤnes Schloß,

Das huͤtet von Gezwergen

Ein wunderlicher Troß.
Da iſt ein Lautenſchlagen

Und Singen insgemein,

Die Luͤfte es vertragen

Weit in das Land hinein.
Und wenn die Laͤnder ſchweigen,

Funkelnd im Abendthau,

Soll manchmal dort ſich zeigen

Eine wunderſchoͤne Frau.
Da ſchworen alle Rieſen,

Zu holen ſie als Braut,

Mit Leitern da und Spießen

Sie ſtapften gleich durch's Kraut.
Da krachte manche Leiter,

Sie wunderten ſich ſehr:

Die Wildniß wuchs, je weiter

Je hoͤher ringsumher.
Sie waren recht bei Stimme

Und zankten um ihren Schatz,

Und fluchten in großem Grimme,

Und fanden nicht den Platz.
26[402]
Und bei dem Laͤrm ſie ſtunden

In Wolken bis an die Knie,

Das Schloß, das war verſchwunden,

Und wußten gar nicht wie. —
Aber wie ein Regenbogen

Glaͤnzt's druͤben durch die Luft,

Sie hatt' indeß gezogen

Neue Gaͤrten in den Duft.
[403]

Der Goͤtter Irrfahrt.

Nach einer Volksſage der Tonga-Inſeln.


I.
Unten endlos nichts als Waſſer,

Droben Himmel ſtill und weit,

Nur das Goͤtterland, das blaſſe,

Lag in Meereseinſamkeit,

Wo auf farbenloſen Matten

Gipfel wie in Traͤumen ſteh'n,

Und Geſtalten ohne Schatten

Ewig lautlos ſich ergeh'n.
Zwiſchen grauen Wolken-Schweifen,

Die verſchlafen Berg und Flut

Mit den langen Schleiern ſtreifen,

Hoch der Goͤttervater ruht.

Heut zu fiſchen ihn geluͤſtet,

Und vom zack'gen Felſenhang

In des Meeres gruͤne Wuͤſte

Senket er die Schnur zum Fang.
Sinnend ſitzt er, und es flattern

Bart und Haar im Sturme weit,

Und die Zeit wird ihm ſo lange

In der ſtillen Ewigkeit.

Da fuͤhlt er die Angel zucken:

„Ei, das iſt ein ſchwerer Fiſch!“

Freudig faͤngt er an zu rucken,

Stemmt ſich, zieht und windet friſch.
26 *[404]
Sieh, da hebt er Felſenſpitzen

Langſam aus der Waſſer Grund,

Und erſchrocken aus den Ritzen

Schießen ſchupp'ge Schlangen bunt;

Ringelnd Ungethuͤm der Tiefen,

Die im oͤden Wogen-Haus

In der gruͤnen Daͤmm'rung ſchliefen,

Stuͤrzen ſich in's Meer hinaus.
Doch der Vater hebt auf's neue,

Und Gebirge, Thal und Strand

Taucht allmaͤlig auf in's Freie;

Und es gruͤnt das junge Land,

Irrend farb'ge Lichter ſchweifen

Und von Blumen glaͤnzt die Flur,

Wo des Vaters Blick' ſie ſtreifen —

Da zerreißt die Angelſchnur.
Wie 'ne liebliche Syrene

Halb nun uͤber'm Wellenglanz,

Staunend ob der eig'nen Schoͤne,

Schwebt es mit dem Bluͤtenkranz,

Bei der Luͤfte lindem Faͤcheln

Sich im Meer, das roſig brennt,

Spiegelnd mit verſchaͤmtem Laͤcheln —

Erde ſie der Vater nennt.
[405]
II.
Staunend auf den Goͤtterſitzen

Die Unſterblichen nun ſtehn,

Seh'n den Morgen druͤben blitzen,

Fuͤhlen Duft heruͤberweh'n,

Und ſo ſuͤßes Weh ſie ſpuͤren,

Loͤſen leis ihr Schiff vom Strand,

Und die Luͤfte ſie verfuͤhren

Fern durch's Meer zum jungen Land.
O wie da die Quellen ſprangen

In die tiefe Bluͤtenpracht

Und Lianen dort ſich ſchlangen

Gluͤhend durch die Waldesnacht!

Und die Wandrer trunken lauſchen,

Wo die Waſſerfaͤlle geh'n,

Bis ſie in dem Fruͤhlings-Rauſchen

Ploͤtzlich all' erſchrocken ſteh'n:
Denn ſie ſeh'n zum Erſtenmale

Nun die Sonne niedergeh'n

Und verwundert Berg' und Thale

Tief im Abendrothe ſteh'n,

Und der ſchoͤnſte Gott von allen

Sank erbleichend in den Duft,

Denn dem Tode iſt verfallen,

Wer geathmet ird'ſche Luft.
Die Genoſſen faßt ein Grauen,

Und ſie fahren weit in's Meer,

Nach des Vaters Haus ſie ſchauen,

Doch ſie finden's nimmermehr.
[406]
Mußten aus den Wogenwuͤſten

Ihrer Schiffe Schnaͤbel dreh'n

Wieder nach des Eilands Kuͤſten,

Ach, das war ſo falſch und ſchoͤn!
Und fuͤr immer da verſchlagen

Blieben ſie im fremden Land,

Hoͤrten Nachts des Vaters Klagen

Oft noch fern vom Goͤtterſtrand. —

Und nun Kindeskinder muͤſſen

Nach der Heimath ſeh'n in's Meer,

Und es kommt im Wind ein Gruͤßen,

Und ſie wiſſen nicht woher.
[407]

Die Brautfahrt.

Durch des Meeresſchloſſes Hallen

Auf beſpuͤltem Felſenhang,

Weht der Hoͤrner feſtlich Schallen;

Froher Hochzeitgaͤſte Drang,

Bei der Kerzen Zauberglanze,

Wogt im buntverſchlung'nen Tanze.
Aber an des Fenſters Bogen,

Ferne von der lauten Pracht,

Schaut der Braͤut'gam in die Wogen

Draußen in der finſtern Nacht,

Und die trunk'nen Blicke ſchreiten

Furchtlos durch die oͤden Weiten.
„Lieblich,“ ſprach der wilde Ritter

Zu der zarten, ſchoͤnen Braut,

„Lieblich girrt die ſanfte Zitter —

Sturm iſt meiner Seele Laut,

Und der Wogen dumpfes Brauſen

Hebt das Herz in kuͤhnem Grauſen.
Ich kann hier nicht muͤßig lauern,

Treiben auf dem flachen Sand,

Dieſer Kreis von Felſenmauern

Haͤlt mein Leben nicht umſpannt;

Schoͤn're Laͤnder bluͤhen ferne,

Das verkuͤnden mir die Sterne.
[408]
Du mußt glauben, Du mußt wagen,

Und, den Argonauten gleich,

Wird die Woge fromm Dich tragen

In das wunderbare Reich;

Muthig ſtreitend mit den Winden,

Muß ich meine Heimath finden!
Siehſt Du, heißer Sehnſucht Fluͤgel,

Weiße Seegel dort geſpannt?

Hoͤrſt Du tief die feuchten Huͤgel

Schlagen an die Felſenwand?

Das iſt Sang zum Hochzeitsreigen —

Willſt Du mit mir niederſteigen?
Kannſt Du rechte Liebe faſſen,

Nun ſo frage, zaudre nicht!

Schloß und Garten mußt Du laſſen

Und der Aeltern Angeſicht —

Auf der Fluth mit mir alleine,

Da erſt, Liebchen, biſt Du meine!“
Schweigend ſieht ihn an die milde

Braut mit ſchauerlicher Luſt,

Sinkt dem kuͤhnen Ritterbilde

Trunken an die ſtolze Bruſt.

„Dir hab ich mein Loos ergeben

Schalte nun mit meinem Leben.“
Und er traͤgt die ſuͤße Beute

Jubelnd aus dem Schloß auf's Schiff,

Drunten harren ſeine Leute,

Stoßen froh vom Felſenriff;
[409]
Und die Hoͤrner leis verhallen,

Einſam rings die Wogen ſchallen.
Wie die Sterne matter blinken

In die morgenrothe Fluth,

Sieht ſie fern die Berge ſinken,

Flammend ſteigt die hehre Gluth,

Ueber'm Spiegel trunkner Wellen

Rauſchender die Seegel ſchwellen.
Monde ſteigen und ſich neigen,

Lieblich weht ſchon fremde Luft,

Da ſeh'n ſie ein Eiland ſteigen

Feenhaft aus blauem Duft,

Wie ein farb'ger Blumenſtreifen —

Meerwaͤrts fremde Voͤgel ſchweifen.
Alle faßt ein freud'ges Beben —

Aber dunkler rauſcht das Meer,

Schwarze Wetter ſchwer ſich heben,

Stille wird es ringsumher,

Und nur freudiger und treuer

Steht der Ritter an dem Steuer.
Und nun flattern wilde Blitze,

Sturm raſ't um den Felſenriff,

Und von grimmer Wogen Spitze

Stuͤrzt geborſten ſich das Schiff.

Schwankend auf des Maſtes Splitter,

Schlingt die Braut ſich um den Ritter.
[410]
Und die Muͤde in den Armen,

Springt er abwaͤrts, ſinkt und ringt,

Haͤlt den Leib, den bluͤhendwarmen,

Bis er alle Wogen zwingt,

Und am Blumenſtrand gerettet,

Auf das Gras ſein Liebſtes bettet.
„Wache auf, wach' auf, Du Schoͤne!

Liebesheimath ringsum lacht,

Zaubriſch ringen Duft und Toͤne,

Wunderbarer Blumen Pracht

Funkelt rings im Morgengolde —

Schau um Dich! wach auf, Du Holde!“
Aber frei von Luſt und Kummer

Ruht die liebliche Geſtalt

Laͤchelnd noch im laͤngſten Schlummer,

Und das Herz iſt ſtill und kalt,

Still der Himmel, ſtill im Meere,

Schimmernd rings des Thaues Zaͤhre.
Und er ſinkt zu ihr vor Schmerzen,

Einſam in dem fremden Thal,

Thraͤnen aus dem wilden Herzen

Brechen da zum Erſtenmal,

Und vor dieſem Todesbilde

Wird die ganze Seele milde.
Von der langen Taͤuſchung trennt er

Schauernd ſich — der Stolz entweicht,

Andre Heimath nun erkennt er,

Die kein Seegel hier erreicht,
[411]
Und an aͤchten Schmerzen ranken

Himmelwaͤrts ſich die Gedanken.
Schweigend ſcharrt er ein die Stille,

Pflanzt ein Kreuz hoch auf ihr Grab,

Wirft von ſich die ſeid'ne Huͤlle,

Leget Schwert und Mantel ab,

Kleidet ſich in rauhe Felle,

Haut in Fels ſich die Kapelle.
Ueber'm Rauſchen dunkler Wogen

In der wilden Einſamkeit,

Hauſend auf dem Felſenbogen,

Ringt er fromm mit ſeinem Leid,

Hat, da manches Jahr entſchwunden,

Heimath, Braut und Ruh' gefunden. —
Viele Schiffe drunten gehen

An dem ſchoͤnen Inſelland,

Sehen hoch das Kreuz noch ſtehen,

Warnend von der Felſenwand;

Und des ſtrengen Buͤßers Kunde

Gehet fromm von Mund zu Munde.
[412]

Der Kuͤhne.

Und wo noch kein Wandrer gegangen,

Hoch uͤber Jaͤger und Roß

Die Felſen im Abendroth hangen

Als wie ein Wolkenſchloß.
Dort zwiſchen den Zinnen und Spitzen

Von wilden Nelken umbluͤht,

Die ſchoͤnen Waldfrauen ſitzen

Und ſingen im Wind ihr Lied.
Der Jaͤger ſchaut nach dem Schloſſe:

Die droben das iſt mein Lieb! —

Er ſprang vom ſcheuenden Roſſe,

Weiß keiner, wo er blieb.
[413]

Der Wachtthurm.

Ich ſah im Mondſchein liegen

Die Felſen und das Meer,

Ich ſah ein Schifflein fliegen

Still durch die Nacht daher.
Ein Ritter ſaß am Steuer,

Ein Fraͤulein ſtand am Bord,

Im Winde weht ihr Schleier,

Die ſprachen kein einzig Wort.
Ich ſah verfallen grauen

Das hohe Koͤnigshaus,

Den Koͤnig ſteh'n und ſchauen

Vom Thurm in's Meer hinaus.
Und als das Schiff verſchwunden

Er warf ſeine Krone nach,

Und aus dem tiefen Grunde

Das Meer wehklagend brach.
Das war der kuͤhne Buhle,

Der ihm ſein Kind geraubt,

Der Koͤnig, der verfluchet

Der eig'nen Tochter Haupt.
Da hat das Meer mit Toben

Verſchlungen Ritter und Maid,

Der Koͤnig ſtarb da droben

In ſeiner Einſamkeit.
[414]
Nun jede Nacht vor Sturme

Das Schiff voruͤberzieht,

Der Koͤnig von dem Thurme

Nach ſeinem Kinde ſieht.
[415]

Jaͤger und Jaͤgerin.

Sie.


Waͤr' ich ein muntres Hirſchlein ſchlank,

Wollt' ich im gruͤnen Walde geh'n,

Spazieren geh'n bei Hoͤrnerklang,

Nach meinem Liebſten mich umſeh'n.

Er.


Nach meiner Liebſten mich umſeh'n

Thu' ich wohl, zieh' ich fruͤh von hier,

Doch Sie mag niemals zu mir geh'n

Im dunkelgruͤnen Waldrevier.

Sie.


Im dunkelgruͤnen Waldrevier,

Da blitzt der Liebſte roſenroth,

Gefaͤllt ſo ſehr dem armen Thier,

Das Hirſchlein wuͤnſcht, es laͤge todt.

Er.


Und waͤr' das ſchoͤne Hirſchlein todt,

So moͤcht' ich jagen laͤnger nicht;

Scheint uͤber'n Wald der Morgenroth:

Huͤt' ſchoͤnes Hirſchlein, huͤte dich!

Sie.


Huͤt' ſchoͤnes Hirſchlein, huͤte dich!

Spricht's Hirſchlein ſelbſt in ſeinem Sinn,

Wie ſoll ich, ſoll ich huͤten mich,

Wenn ich ſo ſehr verliebet bin?
[416]

Er.


Weil ich ſo ſehr verliebet bin,

Wollt' ich das Hirſchlein, ſchoͤn und wild,

Aufſuchen tief im Walde drinn

Und ſtreicheln, bis es ſtille hielt.

Sie.


Ja, ſtreicheln, bis es ſtille hielt,

Falſch locken ſo in Stall und Haus!

Zum Wald ſpringt's Hirſchlein frei und wild

Und lacht verliebte Narren aus.
[417]

Die Nonne und der Ritter.

Da die Welt zur Ruh' gegangen,

Wacht mit Sternen mein Verlangen;

In der Kuͤhle muß ich lauſchen,

Wie die Wellen unten rauſchen.
„Fernher mich die Wellen tragen,

Die an's Land ſo traurig ſchlagen

Unter Deines Fenſters Gitter,

Fraue, kennſt Du noch den Ritter?“
Iſt's doch, als ob ſeltſam' Stimmen

Durch die lauen Luͤfte ſchwimmen;

Wieder hat's der Wind genommen —

Ach, mein Herz iſt ſo beklommen!
„Druͤben liegt Dein Schloß verfallen,

Klagend in den oͤden Hallen

Aus dem Grund der Wald mich gruͤßte —

'S war, als ob ich ſterben muͤßte.“
Alte Klaͤnge bluͤhend ſchreiten!

Wie aus lang verſunk'nen Zeiten

Will mich Wehmuth noch beſcheinen,

Und ich moͤcht' von Herzen weinen.
„Ueber'm Walde blitzt's von Weitem,

Wo um Chriſti Grab ſie ſtreiten;

Dorthin will mein Schiff ich wenden,

Da wird alles, alles enden!“
27[418]
Geht ein Schiff, ein Mann ſtand drinne —

Falſche Nacht, verwirrſt die Sinne,

Welt, Ade! Gott woll' bewahren,

Die noch irr im Dunkeln fahren.
[419]

Vesper.

Die Abendglocken klangen

Schon durch das ſtille Thal,

Da ſaßen wir zuſammen

Da droben wohl Hundertmal.
Und unten war's ſo ſtille

Im Lande weit und breit,

Nur uͤber uns die Linde

Rauſcht' durch die Einſamkeit.
Was geh'n die Glocken heute

Als ob ich weinen muͤßt'?

Die Glocken, die bedeuten,

Daß meine Lieb' geſtorben iſt!
Ich wollt', ich laͤg' begraben,

Und uͤber mir rauſcht' weit

Die Linde jeden Abend

Von der alten, ſchoͤnen Zeit!
27 *[420]

Der ſtille Grund.

Der Mondenſchein verwirret

Die Thaͤler weit und breit,

Die Baͤchlein wie verirret

Geh'n durch die Einſamkeit.
Da druͤben ſah ich ſtehen

Den Wald auf ſteiler Hoͤh,

Die finſtern Tannen ſehen

In einen tiefen See.
Ein Kahn wohl ſah ich ragen,

Doch niemand, der es lenkt,

Das Ruder war zerſchlagen,

Das Schifflein halb verſenkt.
Eine Nixe auf dem Steine

Flocht dort ihr gold'nes Haar,

Sie meint', ſie waͤr' alleine,

Und ſang ſo wunderbar.
Sie ſang und ſang, in den Baͤumen

Und Quellen rauſcht' es ſacht

Und fluͤſterte wie in Traͤumen

Die mondbeglaͤnzte Nacht.
Ich aber ſtand erſchrocken,

Denn uͤber Wald und Kluft

Klangen die Morgenglocken.

Schon ferne durch die Luft.
[421]
Und haͤtt' ich nicht vernommen

Den Klang zu guter Stund',

Waͤr' nimmermehr gekommen

Aus dieſem ſtillen Grund.
[422]

Der Kaͤmpe.

Nach drei Jahren kam gefahren

Einſam auf dem Rhein ein Schiff,

Drin gebunden und voll Wunden

Lag ein Rittersmann und rief:
„Still den Garten ſchoͤn' thuſt warten

Bleibſt am Fenſter ofte ſteh'n,

Ruhig ſcheinſt Du, heimlich weinſt Du,

Wie die Schiffe unten geh'n.“
„Was vertrauſt Du, warum bauſt Du

Auf der Maͤnner wilde Bruſt,

Die das Blut ziert und der Streit ruͤhrt

Und die ſchoͤne Todesluſt!“
Oben ſpinnend, ſaß ſie ſinnend —

Schwanden Schiff und Tageslicht,

Was er ſunge, war verklungen,

Sie erkannt' den Liebſten nicht.
[423]

Waldmaͤdchen.

Bin ein Feuer hell, das lodert

Von dem gruͤnen Felſenkranz,

Seewind iſt mein Buhl' und fodert

Mich zum luſt'gen Wirbeltanz,

Kommt und wechſelt unbeſtaͤndig.

Steigend wild‚

Neigend mild,

Meine ſchlanken Lohen wend' ich:

Komm nicht nach mir, ich verbrenn' Dich!
Wo die wilden Baͤche rauſchen

Und die hohen Palmen ſteh'n,

Wenn die Jaͤger heimlich lauſchen‚

Viele Rehe einſam geh'n.

Bin ein Reh, flieg' durch die Truͤmmer,

Ueber die Hoͤh',

Wo im Schnee

Still die letzten Gipfel ſchimmern‚

Folg' mir nicht, erjagſt mich nimmer!
Bin ein Voͤglein in den Luͤften,

Schwing' mich uͤber's blaue Meer,

Durch die Wolken von den Kluͤften

Fliegt kein Pfeil mehr bis hieher,

Und die Au'n und Felſenbogen,

Waldeseinſamkeit

Weit, wie weit,

Sind verſunken in die Wogen —

Ach, ich habe mich verflogen!
[424]

Der Unbekannte.

Vom Dorfe ſchon die Abendglocken klangen,

Die muͤden Voͤglein gingen auch zur Ruh,

Nur auf den Wieſen noch die Heimchen ſangen

Und von den Bergen rauſcht der Wald dazu;

Da kam ein Wandrer durch die Aehrenwogen,

Aus fernen Landen ſchien er hergezogen.
Vor ſeinem Hauſe, unter bluͤh'nden Lauben

Lud ihn ein Mann zum froͤhl'chen Raſten ein,

Die junge Frau bracht' Wein und Brot und Trauben,

Setzt dann, umſpielt vom letzten Abendſchein,

Sich neben ihn und blickt halb ſcheu, halb loſe,

Ein lockigt Knaͤblein laͤchelnd auf dem Schooße.
Ihr duͤnkt, er waͤr' ſchon einſt im Dorf geweſen,

Und doch ſo fremd und ſeltſam war die Tracht,

In ſeinen Mienen feur'ge Schrift zu leſen

Gleich Wetterleuchten fern bei ſtiller Nacht,

Und traf ſein Auge ſie, wollt' ihr faſt grauen,

Denn 's war, wie in den Himmelsgrund zu ſchauen.
Und wie ſich kuͤhler nun die Schatten breiten,

Vom Berg Veſuv, der uͤber Truͤmmern raucht,

Vom blauen Meer, wo Schwaͤne ſingend gleiten,

Kryſtall'nen Inſeln, bluͤhend draus getaucht,

Und Glocken, die im Meeresgrunde ſchlagen,

Wußt' wunderbar der ſchoͤne Gaſt zu ſagen.
[425]
„Haſt viel erfahren, willſt Du ewig wandern?“

Sprach drauf ſein Wirth mit herzlichem Vertrau'n,

„Hier kannſt Du froh genießen wie die andern,

Am eig'nen Heerd Dein kleines Gaͤrtchen bau'n,

Des Nachbars Toͤchter haben reiche Truhen,

Ruh' endlich aus, brauchſt nicht allein zu ruhen.“
Da ſtand der Wandrer auf, es bluͤhten Sterne

Schon aus dem Dunkel uͤber'm ſtillen Land,

„Geſegn' euch Gott! mein Heimathland liegt ferne. —“

Und als er von den beiden ſich gewandt,

Kam himmliſch Klingen von der Waldeswieſe —

So ſternklar war noch keine Nacht wie dieſe.
[426]

Der ſtille Freier.

Mond, der Hirt, lenkt ſeine Heerde

Einſam uͤber'n Wald herauf,

Unten auf der ſtillen Erde

Wacht verſchwieg'ne Liebe auf.
Fern vom Schloſſe Glocken ſchlagen

Ueber'n Wald her von der Hoͤh

Bringt der Wind den Schall getragen,

Und erſchrocken lauſcht das Reh.
Naͤchtlich um dieſelbe Stunde

Hallet Hufſchlag, ſchnaubt ein Roß,

Macht ein Ritter ſeine Runde

Schweigend um der Liebſten Schloß.
Wenn die Morgenſterne blinken,

Todtenbleich der Hirte wird,

Und ſie muͤſſen all' verſinken:

Reiter, Heerde und der Hirt.
[427]

Waldgeſpraͤch.

Es iſt ſchon ſpaͤt, es wird ſchon kalt,

Was reit'ſt Du einſam durch den Wald?

Der Wald iſt lang, Du biſt allein,

Du ſchoͤne Braut! Ich fuͤhr' Dich heim!
„Groß iſt der Maͤnner Trug und Liſt,

Vor Schmerz mein Herz gebrochen iſt,

Wohl irrt das Waldhorn her und hin,

O flieh! Du weißt nicht, wer ich bin.“
So reich geſchmuͤckt iſt Roß und Weib,

So wunderſchoͤn der junge Leib,

Jetzt kenn' ich Dich — Gott ſteh' mir bei!

Du biſt die Hexe Loreley.
„Du kennſt mich wohl — von hohem Stein,

Schaut ſtill mein Schloß tief in den Rhein.

Es iſt ſchon ſpaͤt, es wird ſchon kalt,

Kommſt nimmermehr aus dieſem Wald!“
[428]

Das Maͤdchen.

Stand ein Maͤdchen an dem Fenſter

Da es draußen Morgen war,

Kaͤmmte ſich die langen Haare,

Wuſch ſich ihre Aeuglein klar.
Sangen Voͤglein aller Arten,

Sonnenſchein ſpielt vor dem Haus,

Draußen uͤber'm ſchoͤnen Garten

Flogen Wolken weit hinaus.
Und ſie dehnt' ſich in den Morgen

Als ob ſie noch ſchlaͤfrig ſei,

Ach, ſie war ſo voller Sorgen,

Flocht ihr Haar und ſang dabei:
Wie ein Voͤglein hell und reine,

Ziehet draußen muntre Lieb',

Lockt hinaus zum Sonnenſcheine,

Ach wer da zu Hauſe blieb'!
[429]

Der Schnee.

Wann der kalte Schnee zergangen,

Stehſt Du draußen in der Thuͤr,

Kommt ein Knabe ſchoͤn gegangen,

Stellt ſich freundlich da zu Dir,

Lobet Deine friſchen Wangen,

Dunkle Locken, Augen licht,

Wann der kalte Schnee zergangen

Glaub dem falſchen Herzen nicht!
Wann die lauen Luͤfte wehen,

Scheint die Sonne lieblich warm:

Wirſt Du wohl ſpazieren gehen,

Und er fuͤhret Dich am Arm,

Thraͤnen Dir im Auge ſtehen,

Denn ſo ſchoͤn klingt, was er ſpricht,

Wann die lauen Luͤfte wehen,

Glaub' dem falſchen Herzen nicht!
Wann die Lerchen wieder ſchwirren,

Trittſt Du draußen vor das Haus,

Doch er mag nicht mit Dir irren,

Zog weit in das Land hinaus;

Die Gedanken ſich verwirren,

Wie Du ſiehst den Morgen roth, —

Wann die Lerchen wieder ſchwirren,

Armes Kind, ach waͤrſt Du todt!
[430]

Die weinende Braut.

Du warſt ſo herrlich anzuſchauen,

So kuͤhn und wild und doch ſo lieb,

Dir mußt' ich Leib und Seel' vertrauen,

Ich mocht' nichts mehr, das meine blieb!

Da haſt Du, Falſcher, mich verlaſſen

Und Blumen, Luſt und Fruͤhlingsſchein,

Die ganze Welt ſah ich erblaſſen,

Ach Gott, wie bin ich nun allein!
Wohl Jahrlang ſah ich von den Hoͤhen

Und gruͤßte Dich viel tauſendmal,

Und unten ſah ich Viele gehen,

Doch Du erſchienſt nicht in dem Thal.

Und mancher Lenz mit bunten Scherzen

Kam und verflog im luſt'gen Lauf,

Doch ach! in dem betrog'nen Herzen

Geht niemals mehr der Fruͤhling auf.
Ein Kraͤnzlein trag' ich nun im Haare,

In reichen Kleidern ſchoͤn geſchmuͤckt,

Fuͤhrt mich ein andrer zum Altare,

Die Aeltern ſind ſo hoch begluͤckt.

Und froͤhlich kann ich mich wohl zeigen,

Die Sonne hell wie damals ſcheint,

Und vor dem Jauchzen und dem Geigen

Hoͤrt Keiner, wie die Braut ſtill weint.
[431]
Die Fruͤhlingslieder neu beginnen —

Du kehrſt nach manchem Jahr zuruͤck,

Und ſteheſt ſtill, Dich zu beſinnen,

Wie auf ein laͤngſtvergang'nes Gluͤck.

Doch wuͤſtverwachſen liegt der Garten,

Das Haus ſteht lange ſtill und leer,

Kein Lieb' will Dein am Fenſter warten,

Und Dich und mich kennt Niemand mehr.
Doch eine Lerche ſiehſt Du ſteigen

Vom Thal zum blauen Himmelsport,

Ein Baͤchlein rauſchet da ſo eigen,

Als weinte es in einem fort.

Dort haben ſie mich hingetragen,

Bedeckten mir mit Stein den Mund —

Nun kann ich Dir nicht einmal ſagen,

Wie ich Dich liebt' aus Herzensgrund.
[432]

Das zerbrochene Ringlein.

In einem kuͤhlen Grunde

Da geht ein Muͤhlenrad,

Mein' Liebſte iſt verſchwunden,

Die dort gewohnet hat.
Sie hat mir Treu verſprochen,

Gab mir ein'n Ring dabei,

Sie hat die Treu gebrochen,

Mein Ringlein ſprang entzwei.
Ich moͤcht' als Spielmann reiſen

Weit in die Welt hinaus,

Und ſingen meine Weiſen,

Und geh'n von Haus zu Haus.
Ich moͤcht' als Reiter fliegen

Wohl in die blut'ge Schlacht,

Um ſtille Feuer liegen

Im Feld bei dunkler Nacht.
Hoͤr' ich das Muͤhlrad gehen:

Ich weiß nicht, was ich will —

Ich moͤcht' am liebſten ſterben,

Da waͤr's auf einmal ſtill!
[433]

Der Gefangene.

In gold'ner Morgenſtunde,

Weil alles freudig ſtand,

Da ritt im heitern Grunde

Ein Ritter uͤber Land.
Rings ſangen auf das beſte

Die Voͤglein mannigfalt,

Es ſchuͤttelte die Aeſte

Vor Luſt der gruͤne Wald.
Den Nacken, ſtolz gebogen,

Klopft er dem Roͤſſelein

So iſt er hingezogen

Tief in den Wald hinein.
Sein Roß hat er getrieben,

Ihn trieb der friſche Muth:

„Iſt alles fern geblieben,

So iſt mir wohl und gut!“
Mit Freuden mußt' er ſehen

Im Wald' ein' gruͤne Au,

Wo Bruͤnnlein kuͤhle gehen,

Von Blumen roth und blau.
Vom Roß iſt er geſprungen,

Legt ſich zum kuͤhlen Bach,

Die Wellen lieblich klungen,

Das ganze Herz zog nach.
28[434]
So gruͤne war der Raſen,

Es rauſchte Bach und Baum,

Sein Roß thaͤt ſtille graſen

Und alles wie ein Traum.
Die Wolken ſah er gehen,

Die ſchifften immer zu,

Er konnt' nicht widerſtehen, —

Die Augen ſanken ihm zu.
Nun hoͤrt' er Stimmen rinnen,

Als wie der Liebſten Gruß,

Er konnt' ſich nicht beſinnen —

Bis ihn erweckt ein Kuß.
Wie praͤchtig glaͤnzt die Aue!

Wie Gold der Quell nun floß,

Und einer ſuͤßen Fraue

Lag er im weichen Schooß.
„Herr Ritter! wollt Ihr wohnen

Bei mir im gruͤnen Haus:

Aus allen Blumenkronen

Wind' ich Euch einen Strauß!
Der Wald ringsum wird wachen,

Wie wir beiſammen ſein,

Der Kukuk ſchelmiſch lachen,

Und alles froͤhlich ſein.“
[435]
Es bog ihr Angeſichte

Auf ihn den ſuͤßen Leib,

Schaut mit den Augen lichte

Das wunderſchoͤne Weib.
Sie nahm ſein'n Helm herunter,

Loͤſt' Krauſe ihm und Bund,

Spielt' mit den Locken munter,

Kuͤßt ihm den rothen Mund.
Und ſpielt' viel' ſuͤße Spiele

Wohl in geheimer Luſt,

Es flog ſo kuͤhl und ſchwuͤle

Ihm um die off'ne Bruſt.
Um ihn nun thaͤt ſie ſchlagen

Die Arme weich und bloß,

Er konnte nichts mehr ſagen,

Sie ließ ihn nicht mehr los.
Und dieſe Au zur Stunde

Ward ein kryſtallnes Schloß,

Der Bach ein Strom, gewunden

Ringsum, gewaltig floß.
Auf dieſem Strome gingen

Viel' Schiffe wohl vorbei,

Es konnt' ihn keines bringen

Aus boͤſer Zauberei.
28 *[436]

Der traurige Jaͤger.

Zur ew'gen Ruh ſie ſangen

Die ſchoͤne Muͤllerin,

Die Sterbeglocken klangen

Noch uͤber'n Waldgrund hin.
Da ſteht ein Fels ſo kuͤhle,

Wo keine Wandrer geh'n,

Noch einmal nach der Muͤhle

Wollt' dort der Jaͤger ſehn.
Die Waͤlder rauſchten leiſe,

Sein Jagen war vorbei,

Der blies ſo irre Weiſe,

Als muͤßt' das Herz entzwei.
Und ſtill dann in der Runde

Ward's uͤber Thal und Hoͤh'n,

Man hat ſeit dieſer Stunde

Ihn nimmer mehr geſeh'n.
[437]

Der Braͤutigam.

Von allen Bergen nieder

So froͤhlich Gruͤßen ſchallt —

Das iſt der Fruͤhling wieder,

Der ruft zum gruͤnen Wald!
Ein Liedchen iſt erklungen

Herauf zum ſtillen Schloß —

Dein Liebſter hat's geſungen

Der hebt Dich auf ſein Roß.
Wir reiten ſo geſchwinde,

Von allen Menſchen weit. —

Da rauſcht die Luft ſo linde

In Waldeseinſamkeit.
Wohin? Im Mondenſchimmer

So bleich der Wald ſchon ſteht. —

Leis rauſcht die Nacht — frag' nimmer,

Wo Lieb' zu Ende geht!
[438]

Die falſche Schweſter.

Meine Schweſter, die ſpielt' an der Linde —

Stille Zeit, wie ſo weit, ſo weit!

Da ſpielten ſo ſchoͤne Kinder

Mit ihr in der Einſamkeit.
Von ihren Locken verhangen

Schlief ſie und lachte im Traum,

Und die ſchoͤnen Kinder ſangen

Die ganze Nacht unter'm Baum.
Die ganze Nacht hat gelogen,

Sie hat mich ſo falſch gegruͤßt,

Die Engel ſind fortgeflogen,

Und Haus und Garten ſteh'n wuͤſt.
Es zittert die alte Linde

Und klaget der Wind ſo ſchwer,

Das macht, das macht die Suͤnde —

Ich wollt', ich laͤg' im Meer!
Die Sonne iſt untergegangen

Und der Mond im tiefen Meer,

Es dunkelt ſchon uͤber dem Lande,

Gute Nacht! ſeh' Dich nimmermehr!
[439]

Der Reitersmann.

Hoch uͤber den ſtillen Hoͤhen

Stand in dem Wald ein Haus,

Dort war's ſo einſam zu ſehen

Weit uͤber'n Wald hinaus.
Drin ſaß ein Maͤdchen am Rocken,

Den ganzen Abend lang,

Der wurden die Augen nicht trocken,

Sie ſpann und ſann und ſang:
„Mein Liebſter, der war ein Reiter,

Dem ſchwur ich Treu' bis in Tod,

Der zog uͤber Land und weiter,

Zu Krieges-Luſt und Noth.
Und als ein Jahr war vergangen,

Und wieder bluͤhte das Land,

Da ſtand ich voller Verlangen,

Hoch an des Waldes Rand.
Und zwiſchen den Bergesbogen,

Wohl uͤber den gruͤnen Plan,

Kam mancher Reiter gezogen,

Der meine kam nicht mit an.
Und zwiſchen den Bergesbogen,

Wohl uͤber den gruͤnen Plan,

Ein Jaͤgersmann kam geflogen,

Der ſah mich ſo muthig an.
[440]
So lieblich die Sonne ſchiene,

Das Waldhorn ſcholl weit und breit,

Da fuͤhrt' er mich in das Gruͤne,

Das war eine ſchoͤne Zeit! —
Der hat ſo lieblich gelogen

Mich aus der Treue heraus,

Der Falſche hat mich betrogen,

Zog weit in die Welt hinaus.“ —
Sie konnte nicht weiter ſingen,

Vor bitterem Schmerz und Leid,

Die Augen ihr uͤbergingen

In ihrer Einſamkeit.
Die Muhme, die ſaß beim Feuer

Und waͤrmet ſich am Kamin,

Es flackert und ſpruͤht das Feuer,

Hell uͤber die Stub' es ſchien.
Sie ſprach: „Ein Kraͤnzlein in Haaren,

Das ſtuͤnde Dir heut gar ſchoͤn,

Willſt draußen auf dem See nicht fahren?

Hohe Blumen am Ufer dort ſteh'n.“
Ich kann nicht holen die Blumen,

Im Hemdlein weiß am Teich

Ein Maͤdchen huͤtet die Blumen,

Die ſieht ſo todtenbleich.
[441]
„Und hoch auf des Sees Weite,

Wenn alles finſter und ſtill,

Da rudern zwei ſtille Leute, —

Der Eine Dich haben will.“
Sie ſchauen wie alte Bekannte,

Still, ewig ſtille ſie ſind,

Doch einmal der Eine ſich wandte,

Da faßt' mich ein eiskalter Wind. —
Mir iſt zu wehe zum Weinen —

Die Uhr ſo gleichfoͤrmig pickt,

Das Raͤdleiu, das ſchnurrt ſo in einem,

Mir iſt, als waͤr' ich verruͤckt. —
Ach Gott! wann wird ſich doch roͤthen,

Die froͤhliche Morgenſtund'!

Ich moͤchte hinausgeh'n und beten,

Und beten aus Herzensgrund!
So bleich ſchon werden die Sterne,

Es ruͤhrt ſich ſtaͤrker der Wald,

Schon kraͤhen die Haͤhne von Ferne,

Mich friert, es wird ſo kalt!
Ach, Muhme! was iſt Euch geſchehen?

Die Naſe wird Euch ſo lang,

Die Augen ſich ſeltſam verdrehen —

Wie wird mir vor Euch ſo bang! —
[442]
Und wie ſie ſo grauenvoll klagte,

Klopft's draußen an's Fenſterlein,

Ein Mann aus der Finſterniß ragte,

Schaut ſtill in die Stube herein.
Die Haare wild umgehangen,

Von blutigen Tropfen naß,

Zwei blutige Streifen ſich ſchlangen,

Wie Kraͤnzlein, um's Antlitz blaß.
Er gruͤßt' ſie ſo fuͤrchterlich heiter,

Er heißt ſie ſein' liebliche Braut,

Da kannt' ſie mit Schaudern den Reiter,

Faͤllt nieder auf ihre Knie.
Er zielt' mit dem Rohre durch's Gitter,

Auf die ſchneeweiße Bruſt hin;

„Ach, wie iſt das Sterben ſo bitter,

Erbarm' dich, weil ich ſo jung noch bin!“ —
Stumm blieb ſein ſteinerner Wille,

Es blitzte ſo roſenroth,

Da wurd' es auf einmal ſtille

Im Walde und Haus und Hof. —
Fruͤhmorgens da lag ſo ſchaurig

Verfallen im Walde das Haus,

Ein Waldvoͤglein ſang ſo traurig,

Flog fort uͤber den See hinaus.
[443]

Das kalte Liebchen.

Er. Laß mich ein, mein ſuͤßes Schaͤtzchen!

Sie. Finſter iſt mein Kaͤmmerlein.

Er. Ach, ich finde doch mein Plaͤtzchen.

Sie. Und mein Bett iſt eng und klein.
Er. Fern komm' ich vom weichen Pfuͤhle.

Sie. Ach, mein Lager iſt von Stein!

Er. Draußen iſt die Nacht ſo kuͤhle.

Sie. Hier wird's noch viel kuͤhler ſein.
Er. Sieh! die Sterne ſchon erblaſſen.

Sie. Schwerer Schlummer faͤllt mich an. —

Er. Nun, ſo will ich ſchnell Dich faſſen!

Sie. Ruͤhr' mich nicht ſo gluͤhend an.
Er. Fieberſchauer mich durchbeben.

Sie. Wahnſinn bringt der Todten Kuß. —

Er. Weh! es bricht mein junges Leben!

Sie. Mit ins Grab hinunter muß.
[444]

Die verlorene Braut.

Vater und Kind geſtorben

Ruhten im Grabe tief,

Die Mutter hatt' erworben

Seitdem ein ander Lieb.
Da droben auf dem Schloſſe

Da ſchallt das Hochzeitsfeſt,

Da lacht's und wiehern Roſſe,

Durch's Gruͤn zieh'n bunte Gaͤſt'.
Die Braut ſchaut' in's Gefilde

Noch einmal vom Altan,

Es ſah ſo ernſt und milde

Sie da der Abend an.
Rings waren ſchon verdunkelt

Die Thaͤler und der Rhein,

In ihrem Brautſchmuck funkelt

Nur noch der Abendſchein.
Sie hoͤrte Glocken gehen

Im weiten, tiefen Thal,

Es bracht' der Luͤfte Wehen

Fern uͤber'n Wald den Schall.
Sie dacht': „O falſcher Abend!

Wen das bedeuten mag?

Wen laͤuten ſie zu Grabe

An meinem Hochzeitstag?“
[445]
Sie hoͤrt' im Garten rauſchen

Die Brunnen immerdar

Und durch der Waͤlder Rauſchen

Ein Singen wunderbar.
Sie ſprach: „Wie wirres Klingen

Kommt durch die Einſamkeit,

Das Lied wohl hoͤrt' ich ſingen

In alter, ſchoͤner Zeit.“
Es klang, als wollt' ſie's rufen

Und gruͤßen tauſendmal —

So ſtieg ſie von den Stufen,

So kuͤhle rauſcht' das Thal.
So zwiſchen Weingehaͤngen,

Stieg ſinnend ſie in's Land

Hinunter zu den Klaͤngen,

Bis ſie im Walde ſtand.
Dort ging ſie, wie in Traͤumen,

Im weiten, ſtillen Rund,

Das Lied klang in den Baͤumen,

Von Quellen rauſcht' der Grund. —
Derweil von Mund zu Munde

Durch's Haus, erſt heimlich ſacht,

Und lauter geht die Kunde:

Die Braut irrt in der Nacht!
[446]
Der Braͤut'gam thaͤt erbleichen,

Er hoͤrt im Thal das Lied,

Ein dunkelrothes Zeichen

Ihm von der Stirne gluͤht.
Und Tanz und Jubel enden,

Er und die Gaͤſt' im Saal,

Windlichter in den Haͤnden,

Sich ſtuͤrzen in das Thal.
Da ſchweifen rothe Scheine,

Schall nun und Roſſeshuf,

Es hallen die Geſteine

Rings von verworr'nem Ruf.
Doch einſam irrt die Fraue

Im Walde ſchoͤn und bleich,

Die Nacht hat tiefes Grauen,

Das iſt von Sternen ſo reich.
Und als ſie war gelanget

Zum allerſtillſten Grund,

Ein Kind am Felſenhange

Dort freundlich laͤchelnd ſtund.
Das trug in ſeinen Locken

Einen weißen Roſenkranz,

Sie ſchaut' es an erſchrocken

Beim irren Mondesglanz.
[447]
„Solch' Augen hat das meine,

Ach meines biſt Du nicht,

Das ruht ja unter'm Steine,

Den niemand mehr zerbricht.
Ich weiß nicht, was mir grauſet,

Blick' nicht ſo fremd auf mich!

Ich wollt', ich waͤr' zu Hauſe,

Nach Hauſe fuͤhr' ich Dich.“
Sie geh'n nun miteinander,

So truͤbe weht der Wind,

Die Fraue ſprach im Wandern:

„Ich weiß nicht, wo wir ſind.
Wen tragen ſie beim Scheine

Der Fackeln durch die Schluft?

O Gott, der ſtuͤrzt' vom Steine

Sich todt in dieſer Kluft!“
Das Kind ſagt: „Den ſie tragen,

Dein Braͤut'gam heute war,

Er hat meinen Vater erſchlagen,

'S iſt dieſe Stund' ein Jahr.
Wir alle muͤſſen's buͤßen,

Bald wird es beſſer ſein,

Der Vater laͤßt Dich gruͤßen,

Mein liebes Muͤtterlein.“
[448]
Ihr ſchauert's durch die Glieder:

„Du biſt mein todtes Kind!

Wie funkeln die Sterne nieder,

Jetzt weiß ich, wo wir ſind.“ —
Da loͤſt' ſie Kranz und Spangen,

Und uͤber ihr Angeſicht

Perlen und Thraͤnen rannen,

Man unterſchied ſie nicht.
Und uͤber die Schultern nieder

Rollten die Locken ſacht,

Verdunkelnd Augen und Glieder,

Wie eine praͤchtige Nacht.
Um's Kind den Arm geſchlagen,

Sank ſie in's Gras hinein —

Dort hatten ſie erſchlagen

Den Vater im Geſtein.
Die Hochzeitsgaͤſte riefen

Im Walde auf und ab,

Die Gruͤnde alle ſchliefen,

Nur Echo Antwort gab.
Und als ſich leis erhoben

Der erſte Morgenduft,

Hoͤrten die Hirten droben

Ein Singen in ſtiller Luft.
[449]

Parole.

Sie ſtand wohl am Fenſterbogen

Und flocht ſich traurig ihr Haar,

Der Jaͤger war fortgezogen,

Der Jaͤger ihr Liebſter war.
Und als der Fruͤhling gekommen,

Die Welt war von Bluͤten verſchneit,

Da hat ſie ein Herz ſich genommen

Und ging in die gruͤne Haid.
Sie legt das Ohr an den Raſen,

Hoͤrt ferner Hufe Klang —

Das ſind die Rehe, die graſen

Am ſchattigen Bergeshang.
Und Abends die Waͤlder rauſchen,

Von fern nur faͤllt noch ein Schuß,

Da ſteht ſie ſtille, zu lauſchen:

„Das war meines Liebſten Gruß!“
Da ſprangen vom Fels die Quellen,

Da flogen die Voͤglein in's Thal.

„Und wo ihr ihn trefft, ihr Geſellen,

Gruͤßt mir ihn tauſendmal!“
29[450]

Zauberblick.

Die Burg die liegt verfallen

In ſchoͤner Einſamkeit,

Dort ſaß ich vor den Hallen

Bei ſtiller Mittagszeit.
Es ruhten in der Kuͤhle

Die Rehe auf dem Wall

Und tief in blauer Schwuͤle

Die ſonn'gen Thaͤler all.
Tief unten hoͤrt' ich Glocken

In weiter Ferne geh'n,

Ich aber mußt erſchrocken

Zum alten Erker ſeh'n.
Denn in dem Fenſterbogen

Ein' ſchoͤne Fraue ſtand,

Als huͤtete ſie droben

Die Waͤlder und das Land.
Ihr Haar, wie'n gold'ner Mantel,

War tief herabgerollt;

Auf einmal ſie ſich wandte,

Als ob ſie ſprechen wollt'.
Und als ich ſchauernd lauſchte —

Da war ich aufgewacht

Und unter mir ſchon rauſchte

So wunderbar die Nacht.
[451]
Traͤumt' ich im Mondesſchimmer?

Ich weiß nicht, was mir graut,

Doch das vergeß' ich nimmer,

Wie ſie mich angeſchaut!
29 *[452]

Der verirrte Jaͤger.

Ich hab' geſeh'n ein Hirſchlein ſchlank

Im Waldesgrunde ſteh'n,

Nun iſt mir draußen weh' und bang,

Muß ewig nach ihm geh'n.
Friſchauf, ihr Waldgeſellen mein!

In's Horn, in's Horn friſchauf!

Das lockt ſo hell, das lockt ſo fein,

Aurora thut ſich auf!“
Das Hirſchlein fuͤhrt den Jaͤgersmann

In gruͤner Waldesnacht,

Thalunter ſchwindelnd und bergan,

Zu niegeſeh'ner Pracht.
„Wie rauſcht ſchon abendlich der Wald,

Die Bruſt mir ſchaurig ſchwellt!

Die Freunde fern, der Wind ſo kalt,

So tief und weit die Welt!“
Es lockt ſo tief, es lockt ſo fein

Durch's dunkelgruͤne Haus,

Der Jaͤger irrt und irrt allein,

Find't nimmermehr heraus. —
[453]

Die ſpaͤte Hochzeit.

Der Mond ging unter — jetzt iſt's Zeit. —

Der Braͤut'gam ſteigt vom Roß,

Er hat ſo lange ſchon gefreit —

Da thut ſich auf das Schloß,

Und in der Halle ſitzt die Braut

Auf diamant'nem Sitz,

Von ihrem Schmuck thut's durch den Bau

Ein'n langen rothen Blitz. —
Blaſſ' Knaben warten ſchweigend auf,

Still' Gaͤſte ſteh'n herum,

Da richt't die Braut ſich langſam auf,

So hoch und bleich und ſtumm.

Sie ſchlaͤgt zuruͤck ihr Goldgewand,

Da ſchauert ihn vor Luſt,

Sie langt mit kalter, weißer Hand

Das Herz ihm aus der Bruſt.
[454]

Die ſtille Gemeine.

Von Bretagne's Huͤgeln, die das Meer

Bluͤhend hell umſaͤumen,

Schaute ein Kirchlein troſtreich her

Zwiſchen uralten Baͤumen.
Das Kornfeld und die Waͤlder weit

Rauſchten im Sonntagsglanze,

Doch keine Glocken klangen heut

Vom gruͤnen Felſenkranze.
Denn auf des Kirchhof's ſchatt'gem Grund

Die Jakobiner ſaßen,

Ihre Pferde alle Blumen bunt

Von den Grabeshuͤgeln fraßen.
Am Kreuze auf der ſtillen Hoͤh

Feldflaſch' und Saͤbel hingen,

Derweil ſie, ſtatt des Kyrie,

Die Marſeillaiſe ſingen.
Ihr Hauptmann aber lehnt' am Baum,

Todtmuͤde von ſchweren Wunden,

Und ſchaute wie im Fiebertraum

Nach dem tiefſchwuͤlen Grunde.
Er ſprach verwirrt: „Da druͤben ſtand

Des Vaters Schloß am Weiher,

Ich ſelbſt ſteckt's an; das war ein Brand,

Der Freiheit Freudenfeuer!“
[455]
„Ich ſeh' ihn noch: wie durch den Sturm

Zwiſchen den feur'gen Zungen

Mein ſtolzer Vater da vom Thurm

Sein Banner hat geſchwungen.“
„Und als es war entlaubt vom Brand,

Die Fahn' im Wind zerflogen:

Den Schaft als Kreuz nun in der Hand

Theilt' er die Flammenwogen.“
„Er ſah ſo wunderbar auf mich,

Ich konnt' ihn nicht ermorden —

Da ſank die Burg, er wandte ſich

Und iſt ein Pfaff geworden.“
„Seitdem hoͤr' ich in Traͤumen ſchwer

Von ferne Glocken gehen

Und ſeh' in rothem Feuermeer

Ein Kreuz allnaͤchtlich ſtehen.“
„Es ſollen keine Glocken geh'n,

Die Naͤchte zu verſtoͤren,

Kein Kreuz ſoll mehr auf Erden ſteh'n,

Um Narren zu bethoͤren!“
„Und dieſes Kirchlein hier bewacht,

Sie ſollen nicht Meſſe ſingen,

Wir reißen's nieder uͤber Nacht,

Licht ſei, wohin wir dringen!“ —
[456]
Und als die Nacht ſchritt leis daher,

Der Hauptmann ſtand am Strande,

So ſtill im Wald, ſo ſtill das Meer,

Nur die Wachen riefen im Lande.
Im Wind die Glock' von ſelbſt anſchlug,

Da wollt' ein Hauch ſich heben,

Wie unſichtbarer Engel Flug,

Die uͤber's Waſſer ſchweben.
Nun ſieht er auch im Meere fern

Ein Lichtlein hell entglommen;

Er dacht', wie iſt der ſchoͤne Stern

Dort in die Flut gekommen?
Am Ufer aber durch die Nacht

In allen Felſenſpalten

Regt ſich's und ſchluͤpft es leis und ſacht,

Viel' dunkle, ſchwanke Geſtalten.
Nur manchmal von den Buchten her

Schallt Ruderſchlag von weitem,

Auf Barken lautlos in das Meer

Sie nach dem Stern hin gleiten.
Der waͤchſt und breitet ſich im Nah'n

Und ſtreift mit Glanz die Wellen,

Es iſt ein kleiner Fiſcherkahn,

Den Fackeln mild erhellen.
[457]
Und einſam auf des Schiffleins Rand

Ein Greis kommt hergezogen

In wunderbarem Meßgewand

Als wie der Hirt der Wogen.
Die Barken eine weite Rund'

Dort um den Hirten machen,

Der laut nun uͤber'm Meeresgrund

Den Segen ſpricht im Nachen.
Da ſchwieg der Wind und rauſcht' das Meer

So wunderbare Weiſe

Und auf den Knieen lag ringsher

Die ſtille Gemeine im Kreiſe.
Und als er das Kreuz hob in die Luft,

Hoch zwiſchen die Fackeln trat er —

Den Hauptmann ſchauert im Herzensgrund,

Es war ſein alter Vater.
Da taumelt' er und ſank in's Gras

Betend im ſtillen Grunde,

Und wie Felſenquellen im Fruͤhling brach

Sein Herzblut aus allen Wunden.
Und als die Geſellen kommen zum Strand,

Einen todten Mann ſie finden —

Voll Graun ſie ſprengten fort durch's Land,

Als jagt' ſie der Tod in den Winden.
[458]
Die ſtuͤrzten ſich in den Krieg ſo weit,

Sie ſind verweht und zerſtoben,

Das Kirchlein aber ſteht noch heut

Unter den Linden droben.
[459]

Die deutſche Jungfrau.

Es ſtand ein Fraͤulein auf dem Schloß,

Erſchlagen war im Streit ihr Roß,

Schnob wie ein See die finſtre Nacht,

Wollt' uͤberſchrei'n die wilde Schlacht.
Im Thal die Bruͤder lagen todt,

Es brannt' die Burg ſo blutigroth,

In Lohen ſtand ſie auf der Wand,

Hielt hoch die Fahne in der Hand.
Da kam ein roͤm'ſcher Rittersmann,

Der ritt keck an die Burg hinan,

Es blitzt ſein Helm gar mannigfach,

Der ſchoͤne Ritter alſo ſprach:
„Jungfrau komm in die Arme mein!

Sollſt Deines Siegers Herrin ſein.

Will bau'n Dir einen Pallaſt ſchoͤn,

In praͤcht'gen Kleidern ſollſt Du geh'n.
Es thun Dein' Augen mir Gewalt

Kann nicht mehr fort aus dieſem Wald,

Aus wilder Flammen Spiel und Graus

Trag' ich mir meine Braut nach Haus!“
Der Ritter ließ ſein weißes Roß

Stieg durch den Brand hinauf in's Schloß,

Viel' Knecht' ihm waren da zur Hand,

Zu holen das Fraͤulein von der Wand.
[460]
Das Fraͤulein ſtieß die Knecht' hinab,

Den Liebſten auch in's heiße Grab,

Sie ſelbſt dann in die Flamme ſprang,

Ueber ihnen die Burg zuſammen ſank.
[461]

Die wunderliche Prinzeſſin.

Weit in einem Walde droben

Zwiſchen hoher Felſen Zinnen,

Steht ein altes Schloß erhoben,

Wohnet eine Zaub'rin drinne.

Von dem Schloß, der Zaub'rin Schoͤne

Gehen wunderbare Sagen,

Lockend ſchweifen fremde Toͤne

Ploͤtzlich her oft aus dem Walde.

Wem ſie recht das Herz getroffen,

Der muß nach dem Walde gehen,

Ewig dieſen Klaͤngen folgend,

Und wird nimmer mehr geſehen.

Tief in wunderſamer Gruͤne

Steht das Schloß, ſchon halb verfallen,

Hell die gold'nen Zinnen gluͤhen,

Einſam ſind die weiten Hallen.

Auf des Hofes ſtein'gem Raſen

Sitzen von der Tafelrunde

All' die Helden dort gelagert,

Ueberdeckt mit Staub und Wunden.

Heinrich liegt auf ſeinem Loͤwen,

Gottfried auch, Siegfried der Scharfe,

Koͤnig Alfred, eingeſchlafen

Ueber ſeiner gold'nen Harfe.

Don Quixot' hoch auf der Mauer

Sinnend tief in naͤcht'ger Stunde,

Steht geruͤſtet auf der Lauer

Und bewacht die heil'ge Runde.
[462]
Unter fremdes Volk verſchlagen,

Arm und ausgehoͤhnt, verrathen,

Hat er treu ſich durchgeſchlagen,

Eingedenk der Heldenthaten

Und der großen alten Zeiten,

Bis er, ganz von Wahnſinn trunken,

Endlich ſo nach langem Streiten

Seine Bruͤder hat gefunden.
Einen wunderbaren Hofſtaat

Die Prinzeſſin dorten fuͤhret,

Hat ein'n wunderlichen Alten,

Der das ganze Haus regieret.

Einen Mantel traͤgt der Alte,

Schillernd bunt in allen Farben

Mit unzaͤhligen Zierrathen,

Spielzeug hat er in den Falten

Scheint der Monden helle draußen,

Wolken fliegen uͤber'm Grunde:

Faͤngt er draußen an zu hauſen,

Kramt ſein Spielzeug aus zur Stunde.

Und das Spielzeug um den Alten

Ruͤhrt ſich bald beim Mondenſcheine,

Zupfet ihn beim langen Barte,

Schlingt um ihn die bunten Kreiſe

Auch die Bluͤmlein nach ihm langen,

Moͤchten doch ſich ſittſam zeigen,

Zieh'n verſtohlen ihn beim Mantel,

Lachen dann in ſich gar heimlich.

Und ringsum die ganze Runde
[463]
Zieht Geſichter ihm und rauſchet,

Unterhaͤlt aus dunklem Grunde

Sich mit ihm als wie im Traume.

Und er ſpricht und ſinnt und ſinnet,

Bunt verwirrend alle Zeiten,

Weinet bitterlich und lachet,

Seine Seele iſt ſo heiter.
Bei ihm ſitzt dann die Prinzeſſin,

Spielt mit ſeinen Seltſamkeiten,

Immer neue Wunder blinkend

Muß er aus dem Mantel breiten.

Und der wunderliche Alte

Hielt ſie ſich bei ſeinen Bildern

Neidiſch immerfort gefangen,

Weit von aller Welt geſchieden.

Aber der Prinzeſſin wurde

Mitten in dem Spiele bange

Unter dieſen Zauberblumen,

Zwiſchen dieſer Quellen Rauſchen.

Friſches Morgenroth im Herzen

Und voll freudiger Gedanken,

Sind die Augen wie zwei Kerzen,

Schoͤn die Welt dran zu entflammen.

Und die wunderſchoͤne Erde,

Wie Aurora ſie beruͤhret,

Will mit ird'ſcher Luſt und Schmerzen

Ewig neu ſie ſtets verfuͤhren.

Denn aus dem bewegten Leben

Spuͤret ſie ein Hochzeitsgruͤßen,
[464]
Mitten zwiſchen ihren Spielen

Muß ſie ſich bezwungen fuͤhlen.
Und es hebt die ewig Schoͤne,

Da der Morgen herrlich ſchiene,

In den Augen große Thraͤnen,

Hell die jugendlichen Glieder.

„Wie ſo anders war es damals,

Da mich, braͤutlich Ausgeſchmuͤckte,

Aus dem heimathlichen Garten

Hier herab der Vater ſchickte!

Wie die Erde friſch und jung noch,

Von Geſaͤngen rings erklingend,

Schauernd in Erinnerungen,

Helle in das Herz mir blickte,

Daß ich, ſchamhaft mich verhuͤllend,

Meinen Ring, vom Glanz geblendet,

Schleudert' in die praͤcht'ge Fuͤlle,

Als die ew'ge Braut der Erde.

Wo iſt nun die Pracht geblieben,

Treuer Ernſt im ruͤſt'gen Treiben,

Rechtes Thun und rechtes Lieben

Und die Schoͤnheit und die Freude?

Ach! ringsum die Helden alle,

Die ſonſt ſchoͤn und helle ſchauten,

Um mich in den lichten Tagen

Durch die Welt ſich froͤhlich hauten,

Strecken ſteinern nun die Glieder,

Eingehuͤllt in ihre Fahnen,

Sind ſeitdem ſo alt geworden,
[465]
Nur ich bin ſo jung wie damals. —

Von der Welt kann ich nicht laſſen,

Liebeln nicht von fern mit Reden,

In den Arm lebendig faſſen! —

Laß mich lieben, laß mich leben!“
Nun verliebt die Augen gehen

Ueber ihres Gartens Mauer,

War ſo einſam dort zu ſehen

Schimmernd Land und Stroͤm' und Auen.

Und wo ihre Augen gingen:

Quellen aus der Gruͤne ſprangen,

Berg und Wald verzaubert ſtanden

Tauſend Voͤgel ſchwirrend ſangen.

Golden blitzt es uͤber'm Grunde,

Selt'ne Farben irrend ſchweifen,

Wie zu lang entbehrtem Feſte

Will die Erde ſich bereiten.

Und nun kamen angezogen

Freier bald von allen Seiten,

Federn bunt im Winde flogen,

Jaͤger ſchmuck im Walde reiten.

Hoͤrner munter drein erſchallen

Auf und unter durch das Gruͤne,

Pilger fromm dazwiſchen wallen,

Die das Heimathsfieber ſpuͤren.

Auf vielſonn'gen Wieſen floͤten

Schaͤfer bei ſchneeflock'gen Schafen,

Ritter in der Abendroͤthe

Knien auf des Berges Hange,
30[466]
Und die Naͤchte von Guitarren

Und Geſaͤngen weich erſchallen,

Daß der wunderliche Alte

Wie verruͤckt beginnt zu tanzen.

Die Prinzeſſin ſchmuͤckt mit Kraͤnzen

Wieder ſich die ſchoͤnen Haare,

Und die vollen Kraͤnze glaͤnzen

Und ſie blickt verlangend nieder.
Doch die alten Helden alle,

Draußen vor der Burg gelagert,

Saßen dort im Morgenglanze,

Die das ſchoͤne Kind bewachten.

An das Thor die Freier kamen

Nun geſprengt, gehuͤpft, gelaufen,

Ritter, Jaͤger, Provenzalen,

Bunte, helle, lichte Haufen.

Und vor allen junge Recken

Stolzen Blicks den Berg berannten,

Die die alten Helden weckten,

Sie vertraulich Bruͤder nannten.

Doch wie dieſe uralt blicken,

An die Eiſenbruſt geſchloſſen,

Bruͤderlich die Jungen druͤcken,

Fallen die erdruͤckt zu Boden.

Andre lagern ſich zum Alten,

Grauſt ihn'n gleich bei ſeinen Mienen,

Ordnen ſein verworr'nes Walten,

Daß es jedem wohlgefiele;

Doch ſie fuͤhlen ſchauernd balde,
[467]
Daß ſie ihn nicht koͤnnen zwingen,

Selbſt zu Spielzeug ſich verwandelt,

Und der Alte ſpielt mit ihnen.

Und ſie muͤſſen thoͤricht tanzen,

Manche mit der Kron' geſchmuͤcket

Und im purpurnen Talare

Feierlich den Reigen fuͤhren.

Andre ſchweben liſpelnd loſe,

Andre muͤſſen maͤnnlich laͤrmen,

Rittern reißen aus die Roſſe

Und die ſchreien gar erbaͤrmlich.

Bis ſie endlich alle muͤde

Wieder kommen zu Verſtande,

Mit der ganzen Welt im Frieden,

Legen ab die Maskerade.

„Jaͤger ſind wir nicht, noch Ritter,“

Hoͤrt man ſie von fern noch ſummen,

„Spiel nur war das — wir ſind Dichter!“ —

So vertoſt der ganze Plunder,

Nuͤchtern liegt die Welt wie ehe,

Und die Zaub'rin bei dem Alten

Spielt' die vor'gen Spiele wieder

Einſam wohl noch lange Jahre. —
30 *[468]

Meeresſtille.

Ich ſeh' von des Schiffes Rande

Tief in die Fluth hinein:

Gebirge und gruͤne Lande

Und Truͤmmer im falben Schein

Und zackige Thuͤrme im Grunde,

Wie ich's oft im Traum mir gedacht,

Das daͤmmert alles da unten

Als wie eine praͤchtige Nacht.
Seekoͤnig auf ſeiner Warte

Sitzt in der Daͤmm'rung tief,

Als ob er mit langem Barte

Ueber ſeiner Harfe ſchlief';

Da kommen und gehen die Schiffe

Daruͤber, er merkt es kaum,

Von ſeinem Korallenriffe

Gruͤßt er ſie wie im Traum.
[469]

Der zaubriſche Spielmann.

Naͤchtlich in dem ſtillen Grunde,

Wenn das Abendroth verſank,

Um das Waldſchloß in die Runde

Ging ein lieblicher Geſang.
Fremde waren dieſe Weiſen,

Und der Saͤnger unbekannt,

Aber, wie in Zauberkreiſen,

Hielt er jede Bruſt gebannt.
Hinter bluͤh'nden Mandelbaͤumen

Auf dem Schloß das Fraͤulein lauſcht —

Drunten alle Blumen traͤumen,

Wolluͤſtig der Garten rauſcht.
Und die Wellen buhlend klingen,

Ringend in geheimer Luſt

Kommt das wunderbare Singen

An die ſuͤß vertraͤumte Bruſt.
„Warum weckſt Du das Verlangen,

Das ich kaum zur Ruh gebracht?

Siehſt Du hoch die Lilien prangen?

Boͤſer Saͤnger, gute Nacht!
Sieh', die Blumen ſteh'n voll Thraͤnen,

Einſam die Viole wacht,

Als wollt' ſie ſich ſchmachtend dehnen

In die warme Sommernacht.
[470]
Wohl von ſuͤßem rothen Munde

Kommt ſo holden Sanges Macht —

Bleibſt Du ewig dort im Grunde,

Unerkannt in ſtiller Nacht?
Ach, im Wind verfliegt mein Gruͤßen!

Einmal, eh' der Tag erwacht,

Moͤcht' ich Deinen Mund nur kuͤſſen,

Sterbend ſo in ſuͤßer Nacht!
Nachtigall, verliebte, klage

Nicht ſo ſchmeichelnd durch die Nacht! —

Ach! ich weiß nicht was ich ſage,

Krank bin ich und uͤberwacht.“
Alſo ſprach ſie, und die Lieder

Lockten ſtaͤrker aus dem Thal,

Rings durch's ganze Thal hallt's wieder

Von der Liebe Luſt und Qual.
Und ſie konnt' nicht widerſtehen,

Enge ward ihr das Gemach,

Aus dem Schloſſe mußt' ſie gehen

Dieſem Zauberſtrome nach.
Einſam ſteigt ſie von den Stufen

Ach! ſo ſchwuͤle weht der Wind:

Draußen ſuͤß die Stimmen rufen

Immerfort das ſchoͤne Kind.
[471]
Alle Blumen trunken lauſchen,

Von den Klaͤngen hold durchirrt,

Lieblicher die Brunnen rauſchen,

Und ſie eilet ſuͤß verwirrt. —
Wohl am Himmel auf und nieder

Trieb der Hirt die gold'ne Schaar,

Die Verliebte kehrt nicht wieder,

Leer nun Schloß und Garten war.
Und der Saͤnger ſeit der Stunde

Nicht mehr weiter ſingen will,

Rings im heimlich kuͤhlen Grunde

War's vor Liebe ſeelig ſtill.
[472]

Der armen Schoͤnheit Lebenslauf.

Die arme Schoͤnheit irrt auf Erden,

So lieblich Wetter draußen iſt,

Moͤcht' gern recht viel geſehen werden,

Weil jeder ſie ſo freundlich gruͤßt.
Und wer die arme Schoͤnheit ſchauet,

Sich wie auf großes Gluͤck beſinnt,

Die Seele fuͤhlt ſich recht erbauet,

Wie wenn der Fruͤhling neu beginnt.
Da ſieht ſie viele ſchoͤne Knaben,

Die reiten unten durch den Wind,

Moͤcht' manchen gern im Arme haben,

Huͤt' Dich, huͤt' Dich, Du armes Kind!
Da zieh'n manch' redliche Geſellen,

Die ſagen: Haſt nicht Geld, noch Haus,

Wir fuͤrchten Deine Augen helle,

Wir haben nichts zum Hochzeitſchmaus.
Von andern thut ſie ſich wegdrehen,

Weil keiner ihr ſo wohl gefaͤllt,

Die muͤſſen traurig weitergehen,

Und zoͤgen gern an's End' der Welt.
Da ſagt ſie: Was hilft mir mein Sehen,

Ich wuͤnſcht', ich waͤre lieber blind,

Da alle furchtſam von mir gehen,

Weil gar ſo ſchoͤn mein' Augen ſind. —
[473]
Nun ſitzt ſie hoch auf lichtem Schloſſe,

In ſchoͤne Kleider putzt ſie ſich,

Die Fenſter gluͤh'n, ſie winkt vom Schloſſe,

Die Sonne ſinkt, das blendet Dich.
Die Augen, die ſo furchtſam waren,

Die haben jetzt ſo freien Lauf,

Fort iſt das Kraͤnzlein aus den Haaren,

Und hohe Federn ſteh'n darauf.
Das Kraͤnzlein iſt herausgeriſſen,

Ganz ohne Scheu ſie mich anlacht;

Geh' Du vorbei: ſie wird Dich gruͤßen,

Winkt Dir zu einer ſchoͤnen Nacht. —
Da ſieht ſie die Geſellen wieder,

Die fahren unten auf dem Fluß,

Es ſingen laut die luſt'gen Bruͤder,

So furchtbar ſchallt des Einen Gruß:
„Was biſt Du fuͤr 'ne ſchoͤne Leiche!

So wuͤſte iſt mir meine Bruſt,

Wie biſt Du nun ſo arm, Du Reiche,

Ich hab' an Dir nicht weiter Luſt!“
Der Wilde hat ihr ſo gefallen,

Laut ſchrie ſie auf bei ſeinem Gruß,

Vom Schloß moͤcht' ſie herunter fallen,

Und unten ruh'n im kuͤhlen Fluß. —
[474]
Sie blieb nicht laͤnger mehr da oben,

Weil alles anders worden war,

Vor Schmerz iſt ihr das Herz erhoben,

Da ward's ſo kalt, doch himmliſch klar.
Da legt ſie ab die gold'nen Spangen,

Den falſchen Putz und Ziererei,

Aus dem verſtockten Herzen drangen

Die alten Thraͤnen wieder frei.
Kein Stern wollt' nicht die Nacht erhellen,

Da mußte die Verliebte geh'n,

Wie rauſcht der Fluß! die Hunde bellen,

Die Fenſter fern erleuchtet ſteh'n.
Nun biſt Du frei von Deinen Suͤnden,

Die Lieb' zog triumphirend ein,

Du wirſt noch hohe Gnade finden,

Die Seele geht in Hafen ein. —
Der Liebſte war ein Jaͤger worden,

Der Morgen ſchien ſo roſenroth,

Da blies er luſtig auf dem Horne,

Blies immerfort in ſeiner Noth.
[475]

Die Hochzeitsnacht.

Nachts durch die ſtille Runde

Rauſchte des Rheines Lauf,

Ein Schifflein zog im Grunde,

Ein Ritter ſtand darauf.
Die Blicke irre ſchweifen

Von ſeines Schiffes Rand,

Ein blutigrother Streifen

Sich um das Haupt ihm wand.
Der ſprach: „Da oben ſtehet

Ein Schloͤßlein uͤber'm Rhein,

Die an dem Fenſter ſtehet:

Das iſt die Liebſte mein.
Sie hat mir Treu' verſprochen,

Bis ich gekommen ſei,

Sie hat die Treu gebrochen,

Und alles iſt vorbei.“
Viel Hochzeitleute drehen

Sich oben laut und bunt,

Sie bleibet einſam ſtehen,

Und lauſchet in den Grund.
Und wie ſie tanzen munter,

Und Schiff und Schiffer ſchwand,

Stieg ſie vom Schloß herunter,

Bis ſie im Garten ſtand.
[476]
Die Spielleut' muſizirten,

Sie ſann gar mancherlei,

Die Toͤne ſie ſo ruͤhrten,

Als muͤßt' das Herz entzwei.
Da trat ihr Braͤut'gam ſuͤße

Zu ihr aus ſtiller Nacht,

So freundlich er ſie gruͤßte,

Daß ihr das Herze lacht.
Er ſprach: „Was willſt Du weinen,

Weil alle froͤhlich ſein?

Die Stern' ſo helle ſcheinen,

So luſtig geht der Rhein.
Das Kraͤnzlein in den Haaren

Steht Dir ſo wunderfein,

Wir wollen etwas fahren

Hinunter auf dem Rhein.“
Zum Kahn folgt' ſie behende,

Setzt ſich ganz vorne hin,

Er ſetzt' ſich an das Ende

Und ließ das Schifflein zieh'n.
Sie ſprach: „Die Toͤne kommen

Verworren durch den Wind,

Die Fenſter ſind verglommen,

Wir fahren ſo geſchwind.
[477]
Was ſind das fuͤr ſo lange

Gebirge weit und breit?

Mir wird auf einmal bange

In dieſer Einſamkeit!
Und fremde Leute ſtehen

Auf mancher Felſenwand,

Und ſtehen ſtill und ſehen

So ſchwindlich uͤber'n Rand.“ —
Der Braͤut'gam ſchien ſo traurig

Und ſprach kein einzig Wort,

Schaut in die Wellen ſchaurig

Und rudert immerfort.
Sie ſprach: „Schon ſeh' ich Streifen

So roth im Morgen ſteh'n,

Und Stimmen hoͤr' ich ſchweifen,

Vom Ufer Haͤhne kraͤh'n.
Du ſiehſt ſo ſtill und wilde,

So bleich wird Dein Geſicht,

Mir graut vor Deinem Bilde —

Du biſt mein Braͤut'gam nicht!“ —
Da ſtand er auf — das Sauſen

Hielt an in Fluth und Wald —

Es ruͤhrt mit Luſt und Grauſen

Das Herz ihr die Geſtalt.
[478]
Und wie mit ſteinern'n Armen

Hob er ſie auf voll Luſt,

Druͤckt ihren ſchoͤnen, warmen

Leib an die eiſ'ge Bruſt. —
Licht wurden Wald und Hoͤhen,

Der Morgen ſchien blutroth,

Das Schifflein ſah man gehen,

Die ſchoͤne Braut drin todt.
[479]

Von Engeln und von Bengeln.

Im Fruͤhling auf gruͤnem Huͤgel

Da ſaßen viel' Engelein,

Die putzten ſich ihre Fluͤgel

Und ſpielten im Sonnenſchein.
Da kamen Stoͤrche gezogen,

Und jeder ſich eines nahm,

Und iſt damit fortgeflogen,

Bis daß er zu Menſchen kam.
Und wo er anklopft' beſcheiden

Der kluge Adebar,

Da war das Haus voller Freuden —

So geht es noch alle Jahr.
Die Engel weinten und lachten

Und wußten nicht, wie ihn'n geſcheh'n, —

Die einen doch bald ſich bedachten

Und meinten: das wird wohl geh'n?
Die machten bald wichtige Mienen

Und wurden erſtaunlich klug,

Die Fluͤgel gar unnuͤtz ihn'n ſchienen,

Sie ſchaͤmten ſich deren genug.
Und mit dem Fluͤgelkleide

Sie ließen den Fluͤgelſchnack,

Das war keine kleine Freude:

Nun ſtattlich in Hoſen und Frack!
[480]
So wurden ſie immer geſcheuter

Und applizirten ſich recht —

Das wurden anſehnliche Leute,

Befanden ſich gar nicht ſchlecht.
Den andern war's, wenn die Aue

Noch daͤmmert' im Fruͤhlingsſchein,

Als zoͤge ein Engel durch's Blaue

Und rief' die Geſellen ſein.
Die ſuchten den alten Huͤgel,

Der lag ſo hoch und weit —

Und dehnten ſehnſuͤchtig die Fluͤgel,

Mit jeder Fruͤhlingszeit.
Die Fluͤgeldecken zerſprangen,

Weit, morgenſchoͤn ſtrahlt' die Welt,

Und uͤber's Gruͤn ſie ſich ſchwangen

Bis an das Himmelszelt.
Das fanden ſie droben verſchloſſen,

Verſaͤumten unten die Zeit —

So irrten die kuͤhnen Genoſſen

Verlaſſen in Luſt und Leid.
Und als es nun kam zum Sterben,

Gott Vater zur Erden trat,

Seine Kinder wieder zu werben,

Die der Storch vertragen hat.
[481]
Die einen konnten nicht fliegen,

So wohlleibig, traͤg' und ſchwer,

Die mußt' Er da laſſen liegen,

Das that ihm leid ſo ſehr.
Die andern ſtreckten die Schwingen

In den Morgenglanz hinaus,

Und hoͤrten die Engel ſingen,

Und flogen jauchzend nach Haus!
31[482]

Valet.

Ade nun, liebe Lieder,

Ade, du ſchoͤner Sang!

Nun ſing' ich wohl nicht wieder

Vielleicht mein Leben lang.
Einſt bluͤht' von Gottes Odem

Die Welt ſo wunderreich,

Da in den gruͤnen Boden

Senkt' ich als Reiſer euch.
Jetzt eure Wipfel ſchwanken

So kuͤhle uͤber mir,

Ich ſtehe in Gedanken

Gleichwie im Walde hier.
Da muß ich oft noch lauſchen

In meiner Einſamkeit,

Und denk' bei euerm Rauſchen

Der ſchoͤnen Jugendzeit.
[]

Appendix A Druckfehler.


S. 5 Z. 5 von oben ſtatt: In Feld l. In Berg.


" 125 " 2 " " ſchielet l. ſpielet.


" 138 " 5 " " Feld l. Fels.


" 258 " 1 " " Der Geniale l. Die Geniale


" 288 " 8 von unten " ſprach ſie l. ſprachſt Du.


" 389 " 6 " " Schauen! l. Schauern!


[]

Appendix B

Berlin, gedruckt bei Petſch.


[][][]
Notes
*)
Das vorſtehende Lied wurde am 20ſten Juni 1823 waͤh¬
rend der Tafel, welche des Kronprinzen von Preußen Koͤnigliche
Hoheit in dem großen Rempter des Marienburger Ritterſchloſſes
gab, von einem Freunde des Verfaſſers, in dem Koſtuͤm der alten
Liedſprecher, geſungen.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Eichendorff, Joseph von. Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjmb.0