[][][][][][][]
Napoleon
oder
die hundert Tage.

Ein Drama
in fünf Aufzügen


Frankfurt am Main,:
Joh. Chriſt. Hermann'ſche Buchhandlung.
G. F. Kettembeil
.

1831.

[][[1]]

Napoleon
oder
die hundert Tage
.

Ein Drama
in fünf Aufzügen
.



1
[[2]][[3]]

Erſter Aufzug.


Erſte Scene.


(Paris. Unter den Arcaden des Palais-royal. Vieles Volk
treibt ſich durch einander, darunter Buͤrger, Officiere,
Soldaten, Marktſchreier, Savoyardenknaben und Andere.
Die ſprechenden Perſonen halten ſich im Vorgrunde auf.
Vitry und Chaſſecoeur ſind zwei abgedankte Kaiſer-
gardiſten.)

Vitry.

Luſtig, Chaſſecoeur, die Welt iſt noch nicht
untergegangen, — man hört ſie noch — dort oben
im zweiten Stock wird entſetzlich gelärmt.


Chaſſecoeur.

So? — Ich hörte nichts — Warum lärmen ſie?


Vitry.

Der alte Kanonendonner ſteckt dir noch im
Ohr. Hörſt du denn nicht? Wie rollt das Geld,
wie zanken ſie ſich — ſie ſpielen.


[4]
Chaſſecoeur.

O mein Karabiner, dürft’ ich mit deiner Kolbe
wieder die Kiſten zerſchmettern wie die Gehirne!


Vitry.

Ja, ja, Vater Veilchen ſpielte um die Welt,
und wir waren ſeine Croupiers.


Chaſſecoeur.

Blut und Tod! Wären wir es noch!


Vitry.

Na, ſtill, nur ſtill — In unſrem ſchönen
Frankreich blüh’n jeden Lenz das Veilchen, der
Frohſinn und die Liebe wieder neu, — Veilchen-
vater kommt auch zurück.


Ausrufer einer Bildergallerie.

Hier, meine Herren, iſt zu ſehen Ludwig der
Achtzehnte, König von Frankreich und von Na-
varra, der Erſehnte.


Ausrufer einer Menagerie

(dem vorigen gegenuͤber:)

Hier, meine Herren, ſehen Sie einen der letzten
des ausſterbenden Geſchlechtes der Dronten, wac-
keligen Ganges, mit einem Schnabel gleich zwei
Löffeln, von Isle de France und Bourbon bei Ma-
[5] dagascar, lange von den Naturforſchern erſehnt,
ihn zu betrachten und zu zerlegen.


Ausrufer der Bildergallerie.

Hier iſt zu ſehen der Monſieur, der Herzog
von Angouleme, ſein Sohn, die Herzogin, deſſen
Gemahlin, der Herzog von Berry und das ganze
bourboniſche Haus.


Ausrufer der Menagerie.

Hier erblicken Sie den langen Orang-Outang,
gezähmt und fromm, aber noch immer beißig, den
Pavian, ähnlichen Naturells, die Meerkatze, etwas
toller als die beiden andern, und ſo genannt, weil
ſie über die See zu uns gekommen, den gewöhn-
lichen Affen, nach Linnée simia silvanus, und das
ganze Geſchlecht der Affen, wie es nicht einmal
in dem Pflanzengarten oder den Tuillerien leibt
und lebt.


Ein Polizeibeamter.

Menſch, du beleidigſt den König und die
Prinzen.


Ausrufer der Menagerie.

Wie, mein Herr, wenn ich Affen zeige? Hier
mein Privilegium.


[6]
Geſchrei.

Rettet! Helft dem Unglücklichen!


Chaſſecoeur.

Was da?


Vitry.

Aus dem zweiten Stock ſtürzt einer auf das
Pflaſter, und ſein Gehirn beſchmutzt die Kleider
der Umſtehenden. Wohl ein Spieler, der ſein
Alles verloren hat.


Chaſſecoeur.

Oder den die Mitſpieler aus dem Fenſter ge-
worfen haben, weil er betrogen oder zuviel gewon-
nen hat.


Vitry.

Wie du rathen kannſt. — Das Volk zittert und
faßt ihn nicht an. Ich will ihm beiſpringen.


Chaſſecoeur.

Pah, laß ihn liegen.


Vitry.

Freund, hätt’ er nun Frau und Kind, die ohne
ihn verhungern müßten?


Chaſſecoeur.

Mir recht lieb. Ich muß auch hungern, —
ich wollte die ganze Welt hungerte mit zur Geſell-
[7] ſchaft. — Vitry, Wir! Als wir Italien, Deutſch-
land, Spanien, Rußland, und Gott weiß was ſonſt,
plünderten und brandſchatzten, tauſend und aber
tauſend Damen dieſer Länder careſſirten oder noth-
züchtigten, das Geld in Haufen auf die Straße
warfen, den Kindern zum Spielwerk, weil wir jede
Minute neues bekommen konnten, — hätten wir
da gedacht, jetzt zuſammen keine vier Sous in der
Taſche zu haben, abgeſetzt, der Gage beraubt zu
ſeyn durch die ſchwammigen, ſeewäſſerigen, ſchwind-
ſüchtelnden —


Vitry.

Bonbons, oder wie es heißt. Kenne den Na-
men nicht genau. — Doch höre! der kleine Sa-
voyarde.


Savoyardenknabe

(mit Murmelthier und dem Dudelſack:)

La marmotte, la marmotte,

Avec si, avec là,

La marmotte iſt da.

Von den Alpen —

Schläft im Winter, —

Wacht im Sommer, —

Und tanzt in Paris.

La marmotte, la marmotte,

[8]
Avec si, avec là,

La marmotte iſt da.

Ausrufer bei einem Guckkaſten.

Meine Damen und meine Herren, hieher gefäl-
ligſt. — Etwas Beſſeres als eine elende Marmotte,
— die ganze Welt ſchauen Sie hier, wie ſie rollt
und lebt.


Savoyardenknabe.

Was ſchimpfſt du mein Thierchen? Es iſt wohl
eben ſo gut als dein Guckkaſten —


(zu ſeinem Murmelthiere:)

Armes Ding, ſiehſt ordentlich betrübt aus, —
der grobe Menſch hat dich beleidigt — O mein
Schätzchen, freue dich, ſey wieder munter, — Nie-
mand glaubt dem Schimpfen — ich gebe dir auch
zwei dicke, ſüße Wurzeln zu Mittag. Nur wieder
munter!


Ausrufer bei dem Guckkaſten.

Sieh da, Zuſchauer! — Willkommen! — Er-
laubniß, daß ich erſt die Gläſer abwiſche — So
— Treten Sie vor. — Da ſchauen Sie die große
Schlacht an der Moskwa — Hier Bonaparte —


Chaſſecoeur.

Napoleon heißt es!


[9]
Ausrufer bei dem Guckkaſten.

— Bonaparte auf weißem Schimmel —


Chaſſecoeur.

Du lügſt! Der Kaiſer war zu Fuß und com-
mandirte aus der Ferne. Ich hielt keine zwölf
Schritt von ihm als Ordonnanz.


Ausrufer bei dem Guckkaſten.

Und da, meine Herren und Damen, erblicken
Sie den großen, edlen Feldmarſchall Kutuſow —


Chaſſecoeur.

Die alte Schlafmütze, die den Löwen zu fangen
verſtand, aber nicht zu halten wußte. Hätt’ er
mit ſeinen Leuten jeden Tag nur viertauſend
Schritt mehr gemacht, ſo kam kein Franzoſe aus
Rußland.


Der Ausrufer bei dem Guckkaſten.

Und hier ſchauen Sie den Uebergang über die
Bereſina!


Vitry.

Eh, da ſchlug ich ja die Pontons mit auf!


Chaſſecoeur.

Bereſina! Eis und Todesſchauer! — Da war
ich auch — Laß doch ſehen!


(Er tritt an ein Glas des Guckkaſtens.)

[10]

Mein Gott, wie erbärmlich! — Vitry, guck’
einmal!


Vitry.

Ich gucke. Dummes Zeug. Ich hatte damals
nichts im Leibe und ſtand drei Fuß tief im Waſſer,
unter herüberfliegendem feindlichen Kanonenhagel.
Du gabſt mir einen Schnaps —


Chaſſecoeur.

Es war mein vorletzter —


Vitry.

Wie albern hier — weder Pioniere, Gardiſten,
Linie ſind zu unterſcheiden — Und wie wenig
Leichen und Verwundete!


Chaſſecoeur
(zum Ausrufer:)

Mann, kannſt du Froſt, Hunger, Durſt und
Geſchrei malen?


Der Ausrufer bei dem Guckkaſten.

Nein, mein Herr.


Chaſſecoeur.

So iſt das Malerhandwerk Lumperei.


Der Ausrufer bei dem Guckkaſten.

Ah, und da ſehen Sie die ſo braven, aber jetzt
geſchlagenen Franzoſen über die Bereſina flüchten.


[11]
Vitry.

Mein Herr und Freund, die Schläge, die wir
damals erhielten, will ich ſämmtlich auf meinen
Rücken nehmen, ohne daß er davon blau wird.


Chaſſecoeur.

Recht, Vitry! — Wir, nur achttauſend Mann,
umſtellt wie ein Wildprett, ſchlugen uns durch
ſechszigtauſend Schufte, und entkamen.


Vitry.

Und das nannten ſie Sieg!


Chaſſecoeur.

Die armen ruſſiſchen Teufel wiſſen wohl nicht,
was ein rechter Sieg iſt.


Der Ausrufer bei dem Guckkaſten.

Und hier, meine Damen und Herren, die große
Völkerſchlacht bei Leipzig — Schauen Sie: da die
bemooſeten grauen Thürme der alten Stadt, —
da die alte Garde zu Fuß, voran der Tambour
Major, mit dem großen Stab, wie er ihn todver-
höhnend luſtig in die Luft wirft, — hier die alte
Garde zu Pferde, im gelben Kornfelde haltend,
wie ein Pfeil, der abgeſchoſſen werden ſoll. —
Dort die braven Linientruppen ſchon im Gefechte.
Hier die preußiſchen Jäger mit den kurzen Flügel-
hörnern —


[12]
Vitry und Chaſſecoeur.

O Preußen und Patronen!


Der Ausrufer bei dem Guckkaſten.

— und da im Regen, unter dem Galgen, den
er verdient, der Blutſauger, der jämmerliche cor-
ſiſche Edelmann, jetzt entflohen vor dem gerechten
Zorne ſeines rechtmäßigen Fürſten, Ludwig’s des
Achtzehnten, der meuchelmörd’riſche Bonaparte —


Vitry.

Wer ſagt das?


Chaſſecoeur.

Schurke, mehr werth war Er, als alle deine
Ludwigs, — wenigſtens zahlte er den vollen Sold.


Vitry.

Den Kaiſer laß ich nicht beſchimpfen! Entzwei
den Guckkaſten!


Der Ausrufer bei dem Guckkaſten.

Hülfe! Hülfe! — Conſpiration! — Gensd’ar-
mes! — Man ſpricht hier von Kaiſern!


Vitry.

Ja, und die Könige zittern!


Poͤbel
(kommt:)

Kaiſer, Kaiſer, — iſt er wieder da?


[13]
Der Ausrufer bei dem Guckkaſten.

Was weiß ich. Meinen Kaſten haben ſie mir
in Stücken geſchlagen. Er koſtet funfzig Francs.


Vitry.

Bitte die Angouleme, daß ſie ihn dir bezahlt.
— Hier iſt deines Bleibens nicht mehr.


Das Volk

(auf den Ausrufer losdringend:)

Der Lump — Zerreißt ihn —


Ein Gensd’armes
(kommt:)

Guckkaſten-Kerl, fort mit dir, — du veranlaſ-
ſeſt Aufruhr —


Der Ausrufer bei dem Guckkaſten.

Ich lobe den König.


Der Gensd’armes.

Darum brauchſt du Andre nicht zu ſchimpfen
— Fort!


Das Volk.

Herrlich! Es lebe die Gensd’armerie!


Ein alter Officier in Civiltracht.

Chaſſecoeur.


Chaſſecoeur.

Die Stimme kenn’ ich von den Pyramiden her,
als wir da unſer Tricolor hoch über Cairos Mi-
narets aufpflanzten, und der Nil zu unſern Füßen
[14] rollte. — Mein Hauptmann, ſeit Aegypten ſah’
ich dich nicht.


Der alte Officier.

Ich focht während der Zeit bald in St. Do-
mingo, bald in Deutſchland, dann bei Cattaro, dann
in ſchwediſch Pommern, und zuletzt bei Riga und
Montereau.


Chaſſecoeur.

Na, ich war die Zeit über meiſtens in Oeſter-
reich, Italien und Spanien, zuletzt in Rußland und
Deutſchland. Und bei Montereau kämpft’ ich auch,
vielleicht in deiner Nähe.


Der alte Officier.

Chaſſecoeur, wir haben beide eine ſchlechte Car-
riere gemacht, — ich bin Hauptmann geblieben,
du, wie’s ſcheint, Gefreiter. Und nun ſind wir
überdem des Dienſtes entlaſſen.


Chaſſecoeur.

Wahr — du und ich könnten ſo gut als Mar-
ſchälle figuriren, wie die verrätheriſchen Schurken,
der Augereau und der Marmont, vielleicht Kaiſer
dazu ſeyn, wie der Napoleon.


Vitry.

La la! Den einen trägt, den andern erſäuft
[15] die Woge des Geſchicks. Das Herz nur friſch, es
iſt die Fiſchblaſe, und hebt uns, wenn wir wollen,
bis wir crepiren, ſey es ſo oder ſo.


(zu einer voruͤbergehenden Dirne:)

Einen Kuß, mein Kind!


Der alte Officier.

Was verwahrſt du an der Bruſt? Iſt es et-
was zu eſſen, Chaſſecoeur? Gib mir davon.


Chaſſecoeur.

Hauptmann, ich eſſ’ es nicht und doch macht es
mich bisweilen ſatt und dich vielleicht auch.


Vitry.

Nun geht es los mit ſeinen verwünſchten Phra-
ſen, und ſie rühren mich doch.


Chaſſecoeur.

Es iſt ein Adler der Garde, von mir gerettet,
als er unter tauſend Leichen hinſinken wollte bei
Leipzigs Elſterbrücke. Und — ſonſt hole mich der
Satan! (wenn es einen gibt) die Sonne kommt
zurück, zu der er wieder auffliegt.


Der alte Officier.

Ich glaub’ es auch: jetzt iſt es zwar Nacht,
und die Thoren wähnen, das Licht bliebe aus. Aber
ſo wenig wie die Sonne dort oben, kann eine
[16] Größe wie die Seinige untergehen und Er kommt
wieder.


Vitry.

Das wäre! Hier werf’ ich meine letzten Sous
in die Luft! Es lebe — Doch ſtill —


(Er haͤlt ſich die Hand auf den Mund.)

Chaſſecoeur.

Deine paar Sous konnteſt du ſparen. Was
hilft es uns, daß der Kaiſer zurückkommt, wenn
wir unterdeß verhungert ſind?


Der alte Officier.

Wer iſt der Mann, Camerad?


Chaſſecoeur.

Von der jungen Garde zu Fuß, drittes Regi-
ment, zweite Compagnie, heißt Philipp Vitry, und
denkt wie ich.


Der alte Officier.

Er ſcheint ſehr luſtig, ungeachtet ſeines Elends.


Vitry.

Das bin ich, mein Herr. Jetzt geht’s ſchlecht.
Aber gibt’s künftig Gelegenheit, ſo habe ich zwei
Hände zum Losſchlagen, und gibt’s keine, habe ich
zwei Füße zum Tanzen.


[17]
Kommt das Weh,

Scheuch’s mit Juchhe,

Schlag den König am Morgen todt,

Denke des Kaiſers beim Abendbrot!

Chaſſecoeur, laß dich umarmen!


Chaſſecoeur.

Ach, laß die ewigen Narrentheidun gen! —
Der ſpringt und lacht, und mir krümmen ſich die
Finger vor Wuth in die flache Hand, als wären
ſie zehn getretene Würmer und mir knirſchen die
Zähne nach — Die Angouleme mag ſich nach ihren
Pfaffen umſehen, kommt ſie in meinen Bereich —


Der alte Officier.

Camerad, hoffe —


Chaſſecoeur.

Würge! Alles Lumpenzeug, ſo weit wir uns
umſehen.


Der alte Officier.

Auch die ſechs tauſend verabſchiedeten Offiziere
der großen Armee, die ſich gleich uns unter dieſem
Haufen herumtreiben?


Chaſſecoeur[.]

Nein. Ich ſehe und ſchätze ſie wohl. Aber
daß auch ſie ſich ſo lumpen laſſen müſſen! — Sieh,
2
[18] der da iſt einer — und zwar von den Ingrim-
migen, nicht ſtill und traurig wie du —


Der alte Officier.

Freund, ich habe Familie —


Chaſſecoeur.

Ja ſo — Doch der da hat keine. — Am ab-
getragenen, faſerigen Ueberrock, den er ſo zornig
ſchüttelt, an den alten Militärcamaſchen, mit denen
er auftritt, als ging’ es über Leichen, und dem
blutdunkelnden Auge erkennt man ihn mitten in
dem Hefen des vornehmen und niedrigen Geſindels,
eines ſo ſchlecht als das andere. Tod und Hölle,
der iſt von anderem Stahl als die neuen königli-
chen Haustruppen, vor denen jetzt Sieger von Ma-
rengo das Gewehr präſentiren müſſen. Der lief
nicht den Bourbons nach, als ſie wegliefen — Ge-
ſchmiedet iſt er in den Batteriefeuern von Auſter-
litz oder Borodino!


Vitry.

Bruder, welch ein Tag, als unſere Lanzenreiter
durch die öſtlichen Thore von Moskau auf den We-
gen nach Aſien hinſprengten!


Chaſſecoeur.

Ja, da konnte man noch denken in den Schatz-
[19] gewölben und Harems von Perſien, China und Oſt-
indien zu ſchwelgen! Ach, es kommt Einem jetzt
auf der Welt ſo erbärmlich vor, als wäre man ſchon
ſechsmal dageweſen und ſechsmal gerädert worden.


(Die Emigranten Marquis Hauterive und Herr von Vil-
leneuve kommen.)

Marquis von Hauterive.

Nicht mehr das alte Palais royal, mein Theu-
rer. Alles anders —


Vitry.

Und darum auch wohl ſchlechter?


Marquis von Hauterive

(nach einigem Bedenken mit verachtender Miene antwor-
tend:)

Ja, mein Freund, — ſchlechter.


(zu dem Herrn von Villeneuve, mit dem er etwas weiter
zur Seite tritt:)

Was der Pöbel frech geworden iſt.


Herr von Villeneuve.

Er ſoll ſchon wieder werden wie ſonſt, bei
meinem Degen.


Marquis von Hauterive.

Es wird ſchwer halten. Denn, Herr von Vil-
leneuve, ſollte man nicht glauben die Welt wäre
ſeit den achtziger Jahren untergegangen? Es gibt
[20] nicht nur am Hofe bürgerliche Dames d’atour, ſon-
dern ſie ſollen auch wagen, ſogar in Gegenwart
des Königs ſich auf die Tabourets zu ſetzen!


Herr von Villeneuve.

Schändlich, entſetzlich! Bei Gott, wäre Lud-
wig der Achtzehnte nicht mein angeborener König,
ich könnt’ ihn wegen ſeiner ſchwächlichen Nachgie-
bigkeit auf dieſes Schwert fodern. Doch die Sache
wird, muß Verläumdung ſeyn, von Antiroyaliſten
ausgeſponnen, um den König zu erniedrigen.


Marquis von Hauterive.

Und, Herr von Villeneuve, was ſagen Sie zu
den neugebackenen Fürſten, Herzogen und ihren
Gemahlinnen, beſonders zu der Frau des Ney,
ſogenannten Fürſtin von der Moskwa?


Herr von Villeneuve.

Ich achte ſie des Wortes nicht werth.


Marquis von Hauterive.

Welche geſchmackloſe Kleidung, welches dumm-
dreiſte Benehmen, welche wüſte Converſation, wel-
che Arroganz! — Weiß denn die Perſon nicht,
daß wir recht wohl wiſſen, daß ſie eine Bäckers-
tochter iſt?


[21]
Herr von Villeneuve.

Mein Herr Marquis, das kommt alles davon
her, daß die hochſelige Maria Antoinette zu her-
ablaſſend mit der Canaille umging und den König
zum ſelben Benehmen verleitete. Nie etwas Gu-
tes aus Oeſterreich für Frankreich!


Marquis von Hauterive.

Ach, die gute alte Zeit — die damaligen ele-
ganten, zierlichen Salons — Nun überſchwemmt
von dem gemeinen Vieh!


Herr von Villeneuve.

Es muß anders, anders, und es ſoll anders
werden, Marquis, bei meinem Wappen. Schur-
ken haben uns alle unſere alten Rechte und Güter
geraubt, — jedes Gericht muß uns unſer Eigen-
thum wieder zuerkennen, denn wir haben ihm nie
entſagt — — Denken Sie, mein Herr, mein ſo
hübſcher Landſitz, la Merveille bei Tours, an dem
die Loire ſo lieblich ſich hinſchlängelt, in deſſen
Taxusgaͤngen wir beide ſo oft mit den Damen
der Nachbarſchaft uns im freundlichen Herbſte von
1783 bis zum ſchwindenden Abendroth ergötzten,
in dem ich ſchon als Kind ſtets die erſte Blume
des Frühlings für Adelaide, Vicomteſſe von Clary
brach, meiner todten aber nimmer vergeſſenen Ge-
[22] liebten, — gehört jetzt einem filzigen Fabrikherrn!
Niedergeriſſen ſind die hohen Hecken, Dampfma-
ſchinen brauſen in den Gewächshäuſern und Kar-
toffeln haben ſich an die Stelle der koſtbaren Tul-
penzwiebeln von Harlem gedrängt!


Marquis von Hauterive.

Nun, Blacas d’Aulps und die Angouleme wer-
den uns ſchon helfen und —


(Hauterive und Villeneuve gehen weiter.)

Vitry
(deutet ihnen nach:)

Die beiden Emigranten! Welche Rockſchöße,
welche Backentaſchen, welche altfränkiſche Mienen
und Gedanken, welche Geſpenſter aus der guten,
alten und ſehr dummen Zeit!


Der alte Officier.

Von der Revolution mit ihren blutigen Jahren
wiſſen ſie nichts, Philipp Vitry, — das iſt vor-
über, ſie aber ſind geblieben, wie bisweilen der
Bergſtrom verbrauſ’t und das Gräslein bleibt, und
vielleicht darum ſich für ſtärker hält, als die Flu-
then, welche es eben noch überſchütteten und die
Ufer auseinander riſſen. Nicht einen Strohhalm
weit ſind ſie aus ſich und ihrem ſtolzen Wahn her-
ausgegangen, und Ludwig der Achtzehnte ſelbſt da-
tirt ja ſeine Regierung ſeit fünf und zwanzig
Jahren —


[23]
Chaſſecoeur.

Was zum Todtlachen iſt! — Als er regiert
haben will, ſchoſſen wir in Vincennes auf obrig-
keitlichen Befehl ſeinen Vetter und Helfershelfer,
den Enghien, todt und ich ſelbſt band ihm, da es
Nacht war, die Laterne vor die Bruſt, um beſſer
zu zielen.


Der alte Officier.

O daß ich ſo alt geworden und nicht in einer
Schlacht gefallen bin, ehe die Bourbons in Paris
einzogen.


(Zu einer Stuhlvermietherin:)

Dame, darf ich mich niederſetzen? Meine Füße
ſind ſehr müde, ich kann aber nicht für den Sitz
zahlen.


Die Stuhlvermietherin.

Ich ſeh’ Ihnen an, Sie ſind ein Officier der
großen Armee. Gebieten Sie über meine Stühle
nach Belieben.


Zeitungsausrufer.

Was Wichtiges! Wichtiges! Vom Palais
Bourbon, aus der Deputirtenkammer! Hier die
Journale!


Viele Stimmen.

Her damit — Lies ſie vor!


[24]
Eine alte Putzhaͤndlerin.

Nein, hieher Ausrufer, — hieher — Deine
wichtige Nachricht gehört an dieſen Tiſch!


Zeitungsausrufer.

An das morſche, alte Brett?


Die alte Putzhaͤndlerin.

Reſpect vor ihm, Mann! Der Tiſch iſt claſ-
ſiſch — Auf dieſem Fleck fiel zuerſt das Fünkchen,
welches die Welt entzündete. Hier ſaß ich am
zwölften Juli des Jahres ſiebenzehnhundert neun
und achtzig, Nachmittags gegen halb vier Uhr, an
einem ſonnigen Tage, und ſelbſt noch jung und
heiter verkaufte ich einem fröhlichen Bräutchen
aus St. Marçeau einige Spitzen. Wir ſcherzten
über den Preis und dachten an nichts als den
Hochzeittag. Da kam ein Mann mit wild fluthen-
den Locken, brennenden Augen, herzzerſchmetternder
Stimme — es war Camille Desmoulins, — die
Thränen rannen ihm aus den Augen, zwei Piſto-
len riß er aus der Taſche und rief: Necker hat
den Abſchied, eine Bartholomäusnacht iſt wieder da,
nehmt Waffen und wählt Cocarden, daß wir ein-
ander erkennen. Und ſeitdem iſt er, ſind der ge-
waltige Danton, der erhabene Herault de Sechelles,
[25] der ſchreckliche Robespierre unter dem Meſſer der
Guillotine gefallen, ſeitdem hat der Kaiſer über
der Erde geleuchtet, daß man vor dem Glanze die
Hand vor die Augen hielt, und iſt doch dahin ge-
ſchwunden wie ein Irwiſch, drei meiner Söhne
ſind ſeitdem in den Schlachten geblieben, — viel,
viel Blut und unzählige Seufzer hat mir die Revo-
lution gekoſtet, aber ſie iſt mir um ſo theurer ge-
worden und an dieſem Tiſche lies die wichtigen
Zeitungen! — Das iſt ja jetzt mein letztes einziges
Vergnügen!


Volk.

Ja, braves Mütterchen, an deinem Tiſche ſoll
er ſie leſen!


Vitry.

Das ſoll er! Der Augenblick vom zwölften
Juli 1789, Nachmittags halb vier Uhr, an dieſem
Tiſche erlebt, war mehr werth, als die Jahrhun-
derte, die ihn vielleicht verderben!


Zeitungsausrufer.

Nicht nöthig, daß ich hier leſe, meine Herren.
— da kommt Einer, der es euch deutlich genug
ſagen wird.


[26]
Advocat Duͤchesne

(ſtuͤrmt durch die Menge an den Tiſch der Putzhaͤndlerin:)

Hört, hört, und nehmet euch in Acht, daß ich
euch nicht mit meiner Nachricht die Ohren zer-
ſprenge! Alles, alles wird bedroht, die dummſten
frechſten Hände greifen dreiſt in die Speichen des
Schickſalrades — In der Deputirtenkammer ge-
ſchehen vom Miniſterium Anträge gegen die Käu-
fer der Nationalgüter —


Volk.

Ha!


Chaſſecoeur
(lacht:)

Geht’s denen auch nicht beſſer als uns? Eh!


Duͤchesne.

Klöſter ſind wieder da, die Aechtung aller
Herren der Revolution iſt im Werke, Leibeigenſchaft
wird darauf folgen —


(Marquis von Hauterive und Herr von Villeneuve ſind
wieder naͤher getreten.)

Marquis von Hauterive.

Nun, mein Herr, das wäre alles noch ſo übel
nicht.


Herr von Villeneuve.

Das mein’ ich wahrlich auch.


[27]
Volk.

Was? »So übel nicht?« »Das mein ich
auch?« Zu Boden die altadligen Schurken, die
dummſtolzen Feiglinge!


Herr von Villeneuve.

Dumm, das mag ſeyn — ſtolz ſind wir ge-
wiß — Feiglinge aber zeugte Frankreichs Adel
nimmer. — Probirt das an uns — — Zücken
wir die Degen, Marquis, und laſſen Sie uns un-
tergehen wie Männer.


Marquis von Hauterive.

Mit Freuden — Für Gott, für meinen König
und mein Recht!


Herr von Villeneuve.

Und für die Damen unſerer Jugend!


Vitry.

Jetzt wohl alte Schachteln!


Herr von Villeneuve.

Schurke, du haſt dir den Tod an den Hals
geſprochen.


(Er will den Vitry durchbohren.)

Vitry.

Ich glaub’ es nicht — Dir aber und deinem
Freunde will ich den Hals retten.


(Er entwaffnet ihn und den Marquis.)

[28]
Chaſſecoeur.

Vitry, ſey kein Narr — Laß mich den Hunden
»Marquis und Herr von« im Gedränge Eins un-
ter die Rippen geben — Niemand merkt es und
ſie ſollen verrecken.


Vitry.

Nein, die Kerle mögen ſchlecht ſeyn, aber ſie
haben Courage — Die ſchätz’ ich uͤberall — Hoch
lebe der Muth, auch bei franzöſiſchen Emigranten!


Volk.

Er lebe!


Herr von Villeneuve

(zum Marquis von Hauterive, indem er mit ihm entfernt
wird:)

Wer ſollt’ es glauben, Marquis, daß gemei-
nes Volk doch noch ſo viel Gefühl für Muth und
Ehre haben könnte?


Marquis von Hauterive.

Ach, es iſt mehr augenblickliche Aufwallung
als echtes Gefühl.


Duͤchesne.

All dieſes Volk, bis zu dem Kanzler des Königs,
zu dem invaliden Advokaten d’Ambray hinauf,
kennt es uns, die Weltenſtürmer? Sieht es nicht
[29] die große Nation an, als wäre ſie ein albernes
Kind? Nicht uns, der Gnade Englands —


Volk.

Nieder die Beefſteaks!


Duͤchesne.

— der Gnade Englands verdankt ſeinem Irr-
wahn nach König Ludwig die Krone — Frank-
reichs Krone! ſo leuchtend und ſo gewaltig, daß
ſie ſelbſt einen Rieſen, der ſie trüge, und ſchwenkte
er den Trident des Neptuns noch leichter als die
großbrittanniſche Majeſtät, Aug’ und Haupt verblen-
den und zerſchmettern könnte! Und noch mehr: —
wenn der König uns unſere Rechte läßt, ſo nennt
er das nicht Gerechtigkeit, ſondern er ſagt: er ſetze
ſeiner durch Gott und Blut angeerbten —


Chaſſecoeur.

Schlachtenblut, nicht Weiberblut macht adlig.


Duͤchesne.

— angeerbten Machtvollkommenheit Schranken.
— Schranken! Schranken! — Wenn ſie ſich nur
vor dem Worte hüteten: Ludwig der Sechszehnte
ſtand vor den Schranken, die ihm das Volk
ſetzte und zerſchmetterte daran mit allen ſeinen
Höflingen zu blutigem Schaum! — Wie? können
[30] uns jeden Tag ein paar Ordonnanzen im Moni-
teur mit drei Zeilen nehmen, was wir in fünf und
zwanzig Jahren errangen? Iſt das Volk denn gar
nichts? Iſt es das Erbtheil einiger Familien?


Die alte Putzhaͤndlerin.

Ganz, ganz ſo, mein Sohn, wie Camille Des-
moulins!


Vitry.

Da kommen Gensd’armes!


Duͤchesne.

Laß ſie kommen, Freund. Ich muß es ausſprechen
und die Wahrheit verkünden. Selig ſind die, die
da blind ſind, und zu ſehen wähnen, aber unſelig
ſind die Sehenden, welche bemerken, daß Blinde
nichts erblicken, und dennoch handeln, als ſähen ſie.
Der König iſt gut, aber das Geſchmeiß der Aas-
fliegen aus den Zeiten der Pompadour’s verdun-
kelt ihm das Auge. — Hinter ruſſiſchen, hinter
preußiſchen Bayonetten wähnen ſie die Nation mit
Edicten niederſchlagen und ſich ſelbſt erheben zu kön-
nen — Aber wartet! —


Chaſſecoeur.

Nur nicht zu lange, mein Herr.


[31]
Duͤchesne.

Noch iſt es nicht aller Tage Abend, und wär’
er da, ſo möchte wieder gebadet in den Wogen
ſeines heimathlichen Mittelmeers mit neuem Glanze
ein ungeheurer Meerſtern aufſteigen, der die Nacht
gar ſchnell vertriebe!


Vitry.

Der Stern hat einen grünen Rock an, Obriſten-
epauletts, weiße Weſte, weiße Hoſen, einen kleinen
Degen, und ſchlägt in der Bataille die Arme unter.


Chaſſecoeur.

Wir ſchwingen ſie deſto beſſer für ihn!


Gensd’armes.

Aufruhrſchreier — Ihr werdet verhaftet.


Duͤchesne.

Zeigt ein Geſetz, welches das erlaubt. Frei zu
reden, iſt nirgends verboten.


Chaſſecoeur.

Frei eſſen wäre beſſer.


Volk.

Da kommt der Herzog von Orleans!


Chaſſecoeur.

Der iſt von der Bourboniſchen Raçe noch der Er-
träglichſte. Die krumme Naſe hat er aber auch.


[32]
Viele aus dem Volk.

Reſpect vor ihm, — Er iſt der Sohn Egali-
tés, und kämpfte für Frankreich, als ſein Vater auf
dem Schaffot fiel.


Herzog von Orleans.

Gensd’armes, was für Leute verhaftet ihr da?


Ein Gensd’armes.

Aufrühreriſche Redner, mein Fuͤrſt.


Herzog von Orleans.

So laßt ſie frei, auf der Stelle —


(Es geſchieht.)

Wehe dem Lande, das ſich vor Reden und Red-
nern zu fürchten hat.


Volk.

Hoch Orleans, einſt König.


Herzog von Orleans.

Das Letztere nie, — doch ſtets euer Freund.


(Er entfernt ſich.)

Viele Stimmen.

Welch ein trefflicher Prinz!


Chaſſecoeur.

Würde auch endlich weggejagt, wenn er je
König werden ſollte.


[33]
Volk.

Ha! da kommt auch der Herzog von Berry!


Chaſſecoeur.

Zu Fuß, von der Revue ſeiner Hausgarden,
der altadligen Zuckerhüte, die ihre Gewehre ver-
ſtecken, wenn es regnet. O Dreikaiſerſchlacht bei
Dresden!


Vitry.

Freilich, da regnete es ſehr, und wir trieben ſie
doch in die böhmiſchen Berghölen, wie das Vieh in
den Stall.


Chaſſecoeur.

Sieh einmal den großen weißen Federſtrauß,
den der Junge am Kopfe trägt! Mir thun die
Augen [davon] weh!


Vitry.

I, Freund, das iſt der Helmbuſch Heinrich’s des
Vierten, ſeines Ahnherrn — Seine Familie hat den
Strauß ſo oft im Maul, daß ich fürchte, er wird
endlich ſchmutzig.


Chaſſecoeur.

Heinrich der Vierte? Was war der? Was
that er?


3
[34]
Vitry.

Er war König von Frankreich und ſchlug ein
paarmal einige tauſend Rebellen.


Chaſſecoeur.

Der Knirps! — Weiter nichts?


Vitry.

Da frage die Gelehrten, ich weiß nicht Mehre-
res. — — Der Berry bemerkt dich, ſieht die Schmar-
ren in deinem Geſicht. — Er will dich anreden.


Chaſſecoeur.

Er will durch mich einen Coup auf das Volk
machen. Aber er irrt ſich, der herzogliche Gelb-
ſchnabel. Ich bin nicht darnach behandelt worden,
ihm entgegen zu kommen.


Vitry.

Und wenn er dir nun etwas verſpricht?


Chaſſecoeur.

In den Dreck damit. Sie halten es doch nur
ſo lange, als ſie müſſen.


Herzog von Berry.

Alter, braver Camerad —


Chaſſecoeur.

Danke. Ich weiß nicht, daß ich je mit Eurer
königlichen Hoheit zuſammen gefochten.


[35]
Herzog von Berry.

Woher haſt du die ehrenvollen Narben?


Chaſſecoeur.

Das können Sie an ihren Namen hören: die-
ſe heißt Quiberon, da ſtürzten wir die Emigran-
ten in das Meer, — dieſe heißt Marengo, da
packten wir Italien, — dieſe — ach!


Vitry
(fuͤr ſich:)

Ach, Leipzig!


Chaſſecoeur.

Und wenn es gerade ſchlechtes Wetter oder
ſchlechte Zeit iſt, wie jetzt eben, ſo ſchmerzen dieſe
Narben entſetzlich.


Einer aus dem Gefolge des Herzogs.

Menſch, wer biſt du, daß du ſo zu reden wagſt?


Chaſſecoeur.

Ach lieber, gnädiger Herr — Wer ich bin oder
ſeyn ſoll, weiß ich nicht, aber wer ich war, das
kann ich Ihnen ſagen:


(ſich ſtolz aufrichtend:)

Ein kaiſerlicher Gardegrenadier zu Pferde, zweite
Schwadron, dem Ehrenkreuze nahe.


[36]
Herzog von Berry

(zu ſeinem Begleiter:)

Still, rege nicht alte Wunden auf.


(Zu Chaſſecoeur:)

Ich ſchaffe dir eine Verſorgung im Dome der
Invaliden.


Chaſſecoeur.

Deren bedarf ich noch nicht, Ew. königliche
Hoheit.


Herzog von Berry.

So nimm mit meinem guten Willen vorlieb. —
Es lebe der König! —


Chaſſecoeur.

Hm! —


(Alles ſchweigt; der Herzog von Berry mit ſeinem Gefolge ab.)

Der alte Officier.

Warlich, wenn das ſo ſchlimm mit den Bour-
bons ſteht, wie jetzt —


Vitry.

So fallen ſie bald um.


Der alte Officier.

Ob ſie gehöhnt oder gelobt werden, das Volk
bekümmert ſich nicht einmal um ſie.


[37]
Vitry.

Deſto ſchlimmer, — es kennt ſie nicht.


Chaſſecoeur.

Dafür kennt es einen Andren deſto beſſer. —
Kommt, laßt uns ſehen, wo wir etwas zu eſſen
erringen. —


(Auf den Boden ſtampfend:)

Oh! verdammtes Pflaſter, das ſo viele Buben
trägt!


(Ab mit Vitry und dem alten Officier.)

Savoyardenknabe

(mit Murmelthier und Dudelſack:)

La marmotte, la marmotte


Avec si, avec là ect. ect.


[38]

Zweite Scene.


(Paris. Große Gallerie in den Tuillerien.)

(Gedraͤnge von Volk, viele altadelige Herren und Damen
darunter. Schweizergarden ſtehen auf Wache. Kammer-
herren und Kammerdiener eilen auf und ab.)

Madame de Serré.

Gleich kommt er, kommt er aus der heiligen
Meſſe, hier vorbei, er, das Glück Frankreichs! —
Amme halte meine kleine Enkelin hoch empor, daß
ſie ihn ja recht ſieht! Und beſtecke ſie mit Lilien,
— hier ſind noch vier!


Die Amme

(haͤlt ein Maͤdchen auf dem Arme:)

Madame, Mademoiſelle Victoire iſt mit den
weißen Cocarden ſchon über und über geſchmückt
und ich kann ihr keine mehr anheften.


Madame de Serré.

Thut nichts — Hefte, hefte — Verſuch’s! —
Das Weiße! welch eine Farbe — welche Rein-
heit, welche Tugend ſchimmert aus ihm. — Ach,
es iſt ja auch das bourboniſche Abzeichen.


[39]
Ein alter Marquis.

Madame, treten Sie vor — der König kommt
mit ſeinem Hauſe.


Schweizergardiſt.

Zuruͤck!


Der alte Marquis.

Wir ſind treue Unterthanen Sr. Majeſtät, wün-
ſchen gern Sein Antliz zu ſehen — Laß mindeſtens
dieſe Dame vor.


Schweizergardiſt.

Zurück!


Madame de Serré.

Das iſt ein nordiſcher Bär! Er droht uns
ſchon mit dem Bayonnet!


Der alte Marquis.

Da iſt die königliche Familie!


(Koͤnig Ludwig mit dem Herzog, der Herzogin von Angou-
leme, dem Prinzen Condé und Gefolge tritt auf.)

Mehrere Stimmen.

Monſieur und der Herzog von Berry fehlen!


Der alte Marquis.

Wir ſehen ja hier der Erlauchten genug —
Es lebe der König!


[40]
Manche der Anweſenden.

Es lebe der König!


Madame de Serré.

Enkelin, rufe, ruf’: es lebe der König!


Ein Buͤrger.

Das »lebe der König« tönt ſehr dünn!


Ein anderer Buͤrger.

Dafür kommt es aber aus adeligen Kehlen.


Madame de Serré.

Welch ein Mann! Das iſt, Herr Marquis,
das iſt noch ein König! Ein geborner! Dieſe
heitere Miene, dieſer Adel im Antlitz —


Der alte Marquis.

Die unwillkürliche Grazie —


Madame de Serré.

Selbſt in dem ſcheinbar nachläſſigen Gange —


Erſter Buͤrger
(zu dem andern:)

Der dicke Herr König hinkt ja wie der Teufel —


Zweiter Buͤrger
(zum erſten:)

Das kommt vom Podagra.


Erſter Buͤrger.

Und das Podagra kommt vom Saufen, Freſ-
ſen und —


[41]
Zweiter Buͤrger.

Sieh einmal, welch ein ernſthaftes Bocksgeſicht
geht ihm zur linken Seite —


Erſter Buͤrger.

Still, ſtill! Die hagere Dame auf der rech-
ten Seite iſt Frau des Bocksgeſichts, — ſie ſelbſt
ſteht unter der Jeſuitenkutte, er ſteht unter ihrem
Pantoffel, der König ſteht unter ihm, und Frank-
reich unter allen zuſammen.


Zweiter Buͤrger.

Mönchskutte alſo unſre Krone, Weiberpantoffel
unſer Scepter, und Schwächlinge, die ſich davon
beherrſchen laſſen, unſere Tyrannen! — — —
Dieſe Proceſſion mit ihren Pfaffen, — und der
Kaiſer mitten unter dem Generalſtabe zu Pferde
an den Linien der Sieger dahinfliegend — Ver-
gleiche!


Der alte Marquis

(zu der Madame de Serré:)

Die Herzogin von Angouleme iſt wirklich noch
immer ſehr ſchön.


Madame de Serré.

Wahr, Marquis! Habsburgs Adler ſcheint
über den Lilien Bourbons zu ſchweben, ſieht man
[42] den erhabenen Zug ihrer Naſe und den blendenden
Teint ihrer Wangen!


Der alte Marquis.

Sehr fein ausgedrückt, Madame — Wie fröh-
lich der König daſteht und in ſeiner treuen Na-
tion ſich umſchaut.


Zweiter Buͤrger.

Nation? Höre doch, Nachbar! die paar alten,
der Guillottine entlaufenen Weiber und Herren
nennen ſich Nation!


Madame de Serré.

Wie ſollte er nicht heiter ſeyn, Marquis? —
Wir alle, alle, ſind ja ſeine Kinder.


Erſter Buͤrger
(fuͤr ſich:)

Ja, ihr ſeyd alte Kinder, — junge hat er
nicht und kann ſie auch nicht mehr machen.


Zweiter Buͤrger.

Komm, laß uns fortgehen. Ich kann dieß
nicht mehr hören und anſchauen. Dieſes Geſchlecht
iſt ſchlimmer als ſchlimm, es iſt ekelhaft!


Madame de Serré.

Was ſeh’ ich? Der König winkt mir, tritt
auf mich zu!


[43]
Schweizergardiſt
(zum Koͤnige:)

Zurück!


Der Koͤnig.

Ich bin der König, Freund.


Schweizergardiſt.

Und dieß iſt mein Poſten, auf den mich mein
Officier geſtellt hat und für den ich bezahlt werde.
Zurück, oder —


Der Koͤnig.

Schon gut, gut, braver Krieger —


(fuͤr ſich:)

Was für ein treues, dummes Thier!


(laut:)

Madame de Serré, ich kenne Sie, und wünſchte
Sie zu grüßen — aber Sie ſehen, meine Krieger
ſind ſo felſentreu, daß ſie auch mich nicht zu Ihnen
kommen laſſen und im Stande wären, mich gegen
mich ſelbſt zu ſchützen.


Madame de Serré.

Sire, dieſes iſt der größte Tag meines Lebens
— Ich —


(Der Koͤnig mit ſeiner Begleitung ab.)

Der alte Marquis.

Sie fällt in Ohnmacht —


[44]
Madame de Serré.

O ſeliger Tod! Könnt’ ich jetzt ſterben!


Chorus der altadligen Emigranten, Damen
und Herren durcheinander
.

O welch ein Monarch! — Welche Worte: »ich
kenne Sie, wünſchte Sie zu grüßen!« »So felſen-
treu, mich gegen mich ſelbſt zu ſchützen«! — —
Man ſollte ſie in Erz graben, — hier ein Monu-
ment errichten! — Wie groß iſt er! wie huldvoll!
— O kennte ihn die Canaille! begriffe Sie dieſen
Geiſt! dieſen Adel! — Aber wir wollen ſie zü-
geln, und will ſie nicht begreifen, ſo wollen wir
es ſie lehren!


Ein kleiner Ofenheizer

(kommt aus dem Winkel:)

Ihr?


Mehrere.

Wer ſprach das?


Der alte Marquis.

Ein kleiner Ofenheizer — da ſpringt er mit ſei-
ner Gabel davon.


Viele Stimmen.

Der elende Junge! — Doch der König »ich
kenne Sie«, »felſentreu« — ungeheure Worte!


[45]
Der alte Marquis.

Erholen Sie ſich wieder, Madame de Serré!


Madame de Serré.

Mir iſt’s noch immer, als wär’ ich im Himmel.


Der alte Marquis.

Ich bitte ſehen ſie auf! Da geht der königliche
Oberceremonienmeiſter mit dem uralten Speiſe-
napfe der Bourbons, mit dem Nef vorbei.


Madame de Serré.

Mit dem Nef! — O Gott, auch das Nef iſt
wieder da! Ja, Chriſtus iſt erſtanden! jetzt erſt glaub’
ich es recht!


Chorus der altadligen Emigranten, Damen
und Herren durcheinander
.

Das Nef, das Nef! O Frankreich iſt gerettet!


(Alle ab bis auf die Schweizergardiſten.)

Ein Hauptmann der Schweizergarde

(tritt vor:)

Rudi, du haſt den König zu barſch behandelt.


Der Schweizergardiſt.

Dem Canton Lucern hab’ ich geſchworen, dir
muß ich gehorchen, und ſo lang du es nicht befiehlſt,
iſt es mir Eins, ob ich für oder wider dieſes ſchnat-
ternde Geſindel Jemand todtſchlage.


[46]

Dritte Scene.


(Koͤnigliche Zimmer in den Tuillerien.)
(Koͤnig Ludwig und die Herzogin von Angouleme kommen.)

Koͤnig Ludwig.

Wo iſt Berry?


Herzogin von Angouleme.

Auf der Revue, Sire, und mein Gemahl geht
ihm eben entgegen.


Koͤnig Ludwig.

Revue! Revue! ich traue den Truppen nicht;
ſie gehorchen uns nur aus Noth, ein Theil iſt feig,
ein anderer falſch. Das ſag’ ich dir: weit lieber
würd’ ich in Hartwell wieder meine Kräuter und
Blumen ſuchen, und nach Linné ihre Ordnungen
beſtimmen, als auf dem Thron Frankreichs ſitzen.


Herzogin von Angouleme.

Sire, der Thron von Frankreich iſt dein, — du
erbteſt ihn, und deinen ſpäteſten Enkeln biſt du
ſchuldig, daß du ihn bewahrſt. Gott führte dich
auf ihn zurück, — verſuche mit deinem Zagen
Gott nicht.


[47]
Koͤnig Ludwig.

Du ſchmerzbeladene Tochter Frankreichs, Kind
der beiden königlichen Menſchenopfer —


Herzogin von Angouleme.

Mein Vater! mein Vater! meine Mutter!


Koͤnig Ludwig.

— du lange Eingekerkerte, — wie kommt es,
daß gerade du, die des Schickſals Schwere am
härteſten empfand, von allen meines Stammes die
Stärkſte biſt, bloß im Vertrauen auf Gott?


Herzogin von Angouleme.

Gott? — Wo es an Menſchen fehlt, da erſcheint
er! — Oheim, ich lernt’ ihn kennen, dort in dem
Tempel, Tempel, ja des Abgrundes der Revolu-
tion, doch für mich des Lichts. — Wer ſo wie ich,
ein zartes Kind, da im Gefängniſſe ſchmachtet,
und bangen Ohrs die Häupter des Vaters und
der Mutter von den Schaffotten rollen hört —
o, wen ſo wie mich dieſes Paris umbrauſ’t, rebel-
liſch, jede Straße von dem Geſchrei der Mörder-
rotten aufdonnernd, knirſchend unter den Rädern
der ewig auf- und abziehenden Henkerkarren, —
wer ſelbſt eine Capet, Tag und Nacht nichts als
»Capet, Capet nieder« rufen hört, — wem, wie mir,
die letzten Sterne ſinken, und wer dann im uner-
[48] meßlichen Dunkel gar nichts mehr fühlt, als das
Zittern des eignen kleinen Herzens, — dem nahe
Gott, wie mir! — Er iſt der letzte, einzige, aber
größte Troſt. Mir nahte er, und ich ward ſtark
und ruhig.


Koͤnig Ludwig.

Theure Nichte, ich glaube, du ſagſt die Wahr-
heit, und Troſt ſinkt in meine Bruſt, wenn ich fern
von unſeren Diplomaten dich höre. Bei dem erſten
Tritt, den ich auf die Küſten meines Landes jüngſt
wieder that, durchſchauerte auch mich das unbe-
greifliche, aber gewaltige Walten der Vorſehung! —
Komm an das Fenſter: da breitet Paris ſich
aus! — Welche Stürme ſind nicht hingebrauſ’t
durch jene Straßen? Kein Fleckchen, das nicht
von dem Blute, welches darauf vergoſſen, Inſchrift
tragen könnte, von der Bluthochzeit bis zu der
Guillotine. Ungeachtet all des Scherzes, all des
Schimmers, die hier gaukeln, weht es mich an, wie
Moder, wenn ich dieſen Steinhaufen ſehe. — Noch
keine drei Jahre und dort rückten mit Siegesklän-
gen, mit feuerathmenden Geſchützen, Pferd an Pferd
gedrängt, und Bayonnet an Bayonnet, dicht wie
Blätter und Aehren im Frühling, die Weltbezwin-
ger ſtolzen Zuges von Spanien nach Moskau. Und
[49] mit ſeinem ruhmestrunkenen, nie geſättigten Auge
ſah Er in ihnen nur die Zeichen ſeiner Allmacht.
Die mächtigen Parlamente Englands wurden bang
und flüſterten wie Haufen furchtſamer Vögel, —
wollten Frieden machen, er möge koſten, was er
wolle, auch wenn ſie an mir das heilige Gaſtrecht
verletzen, mich aus ihrem Reiche weiſen ſollten. —
Und nun! — Die Schlachtendonner ſind verklun-
gen, — Europa iſt ſtill, — wo die Adler raſeten,
blühen wieder friedlich die drei Lilien, und Er,
der Große, ward ein armer Einſiedler von Elba,
ſtarrt vielleicht grade jetzt in das Meer, und er-
kennt in ihm das Element, welches er nie beſiegen
konnte, und das ihm, ein Spiegel, groß wie Er
ſelbſt, höhniſch ſein Antlitz zurückwirft.


Herzogin von Angouleme.

König, nenn’ ihn gewaltig, rieſenhaft, unge-
heuer, — doch nimmermehr groß den Mörder
d’Enghiens, — nun und nimmer der groß, welcher
Treue, Recht, Ehr’ und Liebe dem Ruhm und der
Macht aufopfert. Das kann auch der Dämon der
Hölle. Die wahre Größe gibt Ruhm, Macht, jeden
Außenſchein für Ehre, Recht und inneres Glück
dahin — Er aber that das nie — O, ich kenne
ihn — dieſer Kaiſertiger hätte ſich vor ſeinem
4
[50] Feinde, den er mit den Klauen nicht erreichen konnte,
zum Wurm verwandelt, ſich von ihm treten laſſen,
wenn er nur wußte, daß er ihm alsdann giftig in
die Ferſe ſtechen konnte.


Oberceremonienmeiſter
(tritt ein:)

Ihre königlichen Hoheiten, der Herzog von An-
gouleme und der Herzog von Berry.


Koͤnig Ludwig.

Meine geliebten Neffen mögen kommen.


(Oberceremonienmeiſter ab.)

(Herzog von Angouleme und Herzog von Berry treten ein.)

Herzog von Berry.

Sire, Sire, ich flehe, ſchonen Sie nicht mehr
die Canaille, das Volk!


Herzog von Angouleme.

Ja, Sire, es wird zu arg.


Koͤnig Ludwig.

Was iſt geſchehen?


Herzogin von Angouleme.

Gemahl, es iſt doch kein Blut gefloſſen?


Herzog von Angouleme.

Nein, Gemahlin.


Herzogin von Angouleme.

Alſo wieder Kindereien, mit denen ihr den
Oheim beläſtigt.


[51]
Herzog von Angouleme.

Vielleicht.


Herzog von Berry.

Sire, ich komme von dem Palais royal. Dort
ſeh’ ich einen Lump, den ich an ſeinen Narben,
oder, wie man es nennen ſollte, an den Brand-
maalen aus den Schlachten des corſiſchen Rebellen,
als einen ſeiner Söldner erkannte. Ich trat dem
Kerl höflich entgegen, redete ihn freundlich an,
und wähnte, ihn dadurch wieder auf den rechten
Weg zu führen, und dem Volke zu zeigen, wie
gütig ein Bourbon iſt. Der Schurke beantwortete
meine wohlgemeinteſten Anträge mit nichts als
Grobheiten, und als ich zuletzt rief »es lebe der
König«, ſchwieg er, und der Pöbel mit ihm. —
Das kann kein königlicher Prinz länger verbeißen,
Sire, er müßte denn Elephantenzähne haben. Ich
habe es noch [einmal] gethan, um Ihrem Wunſche
zu folgen, — aber, Sire, ich bürge nicht ſo weit
für mein Temperament, daß ich verſichern könnte,
es auch künftig zu thun.


Herzog von Angouleme.

Und, Sire, wie mir Bruder Berry erzählt, iſt
der Orleans vorher am nemlichen Orte, wo Berry
[52] mit Soldaten geſprochen, vorbeigekommen, und
alles Volk hat ihm ein Lebehoch zugerufen.


Herzog von Berry.

Ja, und noch mehr. Sie nannten ihn: »einſt
König«. Nun der Einſt-König hüte ſich vor uns
und vor Ihnen, Sire, wenn er conſpiriren ſollte,
und ich glaube, er thut es.


Herzogin von Angouleme.

Das wäre kein Wunder, Freund. Das Haus
der Orleans wimmelte ſtets von Mördern der
Bourbons. Sie wollen die erſten in dem Geſchlecht
ſeyn, wo ſie nur die zweiten ſind. Vergiftete der
Regent nicht die Nachkommenſchaft des großen
Ludwigs? Brachte der ſogenannte Egalité nicht
meinen Vater auf das Schaffot?


Herzog von Angouleme.

Doch der jetzige Orleans, Gemahlin, iſt beſſer
als ſeine Vorfahren.


Herzogin von Angouleme.

Er iſt — ein Orleans.


Herzog von Angouleme.

Und das —?


Herzogin von Angouleme.

Sagt alles. Jeder artet nach dem Geſchlecht,
aus dem er entſproſſen. Zeige mir in Bonapar-
[53] tes Blut ein Tröpfchen von dem ewigen Adelsſinn
der Montmorencys! Er war ſtets ein gemeiner
Corſe.


Koͤnig Ludwig.

Ein durch Jahrhunderte geheiligter Name iſt
der leuchtendſte Wegweiſer für den Enkel. Aber
es gibt Ausnahmen, und wahrlich! der einſt ſo
unbekannte Corſe ſchmückte mein Land mit einem
Ruhmeskranze, wie er kein anderes Reich dieſer
Erde ziert, und ich bin ihm dafür dankbar.


Herzogin von Angouleme.

Ja, Sire, Er ſchmückte oder befleckte es mit
einem Ruhmeskranze, wie kein anderes Land ihn
beſitzt. Kennſt du die Blätter daran? Sie triefen
blutroth, wie Schlachtfelder, und werden fallen,
wie die gelben Herbſtblätter. — O, lob’ ihn wie
du willſt, er war kleiner als ſein Glück, und dar-
um verließ es ihn.


Koͤnig Ludwig.

Er lebt noch, Beſte. — Wenn er es wieder
ergriffe?


Herzog von Berry.

So ſchlüg’ ich ihm auf die Hand. Die Haus-
truppen, welche ich befehlige, ſind auch tapfere
Franzoſen, noch dazu von echten Edelleuten com-
[54] mandirt, und ſeinen Abentheurern mehr als ge-
wachſen.


Koͤnig Ludwig.

Ich habe Nachrichten. Er ſoll oft an Elbas
nördlichem Ufer ſtehen, und nach Frankreich
ſchauen — Seine Blicke bedeuteten ſelten Heil.


Herzog von Berry.

Die Blicke des armen Teufels? Des Thoren,
dem ſein gutes Loos den Mund ſo voll warf, daß
er alles wieder ausſpeien mußte? Deſſen, der
jetzt als eine lebendige Schandſäule auf ſeiner
Inſel umherwandelt? Deſſen, den ich, wenn ich
damals erwachſen geweſen wäre, mit zwanzig-
tauſend Mann treuer Soldaten mitten in ſeiner
Glorie leicht hätte nach Vincennes führen wollen?


Herzogin von Angouleme.

Wo aber waren die zwanzigtauſend treuen
Soldaten?


Oberceremonienmeiſter
(tritt ein:)

Der Kanzler und der Miniſter des Hauſes
harren draußen.


Koͤnig Ludwig.

Ach, d’Ambray und Blacas. Laß ſie eintreten.


(Oberceremonienmeiſter ab.)
(Graf Blacas d’Aulps und d’Ambray treten ein.)

Jetzt, Neffe Berry, frage dieſe erfahrenen Ge-
[55] ſchäftsmänner, ob unſer Reich noch das alte iſt,
und wir den Corſen nicht zu fürchten brauchen?


Graf Blacas d’Aulps.

Das Reich iſt das alte, Sire, und wir brau-
chen ihn nicht zu fürchten, ſo gewiß ich hier mei-
nen alten Degen trage.


D’Ambray.

Sire, es iſt ſo, wie mein College ſagt. Die
Nation liebt und verehrt die königliche Familie
grenzenlos, — Jedermann ſehnt ſich nach der
Verfaſſung, wie ſie etwa 1786 noch makellos in
reiner Glorie prangte, — keine Stunde, wo ich
nicht Briefe von Präfecten, Generalen, Maires
erhielte, die dieſen Wunſch nicht ausſprächen, —
nur ein paar Schwindelköpfe, beſſer für das Irren-
als für das Zuchthaus, wagen anders zu denken.
Die Gensd’armerie wird auch ihnen Vernunft bei-
bringen.


Herzogin von Angouleme.

Herr d’Ambray, wenn Sie nicht zuerſt wieder
die alte Achtung für Religion, für die angeborenen
Herrſcher, für die geſetzlichen Ordnungen herſtellen,
hilft Ihnen keine Gensd’armerie.


D’Ambray.

Und, königliche Hoheit, wer ſonſt würde alles
das herſtellen?


[56]
Herzogin von Angouleme.

Die, welche die Herzen beherrſchen, ſie auf
dem Schaffot beſeeligen, — die tüchtigen Geiſtlichen,
und vor allen die vom Neide ſo oft verläumdeten
Väter Jeſu. — Sire, führe ſie wieder ein.


Koͤnig Ludwig.

Wieder! wieder! Nichte, das Wort iſt nur zu
ſehr in der Mode! — Verwechsle mir auch nicht
die Diener des Herrn mit dem Herrn ſelbſt.


Herzogin von Angouleme.

König und Menſch, fühle deine Schwäche —
Wie wollteſt du den Herrn kennen lernen, ohne
die auserwählten Diener, die dich zu ihm führen?


D’Ambray.

Sire, das »wieder« möchte bis jetzt eher zu
wenig, als zu ſehr Mode ſeyn — Die Revolution
riß frech ein, laſſen Sie uns kühn wieder auf-
bauen. Warum nicht auch die Collegien der Je-
ſuiten? Sire, die werden die heiligſten und feſte-
ſten Grundlagen Ihres Thrones bilden. Und dann
laſſen Sie uns in den Reihen unſerer Braven bis
auf den gemeinſten Tambour, alle die ausmerzen,
welche dem Adler des Corſen folgten, — weg mit
den etwa noch exiſtirenden Penſionen ſeiner Offi-
ciere, — wenn wir die Summen auch nur an
[57] loyale Präfecten und Maires verwenden, ſind ſie
beſſer benutzt als jetzt, — ſo lange dieſes Kriegs-
volk nicht darbt, ſo lange trotzt es.


Blacas d’Aulps.

Sire, und nehmen Sie den verruchten Käufern
der Nationalgüter, welche Sie, den Adel, die
Kirche und uns alle beraubt, — die Sie ſelbſt in
Hartwell ſo oft Räuber genannt haben, die Beute
wieder ab, — das Geſindel verwendet ſie nur,
daß es Feuer unter dem Thron anlegt.


Koͤnig Ludwig.

Mein lieber Blacas und d’Ambray, ihr habt
Recht. Doch auch das Recht will mit Klugheit
ausgeübt ſeyn. Greifen wir die Nationalgüter
voreilig an, ſo erregen wir einen Aufſtand, den
wir ein paar Jahre ſpäter vermeiden konnten. —
Was meinſt du, Angouleme?


Herzog von Angouleme.

Sire, ich denke, wie meine Gemahlin — Ich
ſehe und ſehe ſchon lange, — da auf dem Dache
ſitzt ein wunderſchöner Tauberich — könnte man
ihn fangen! —


D’Ambray.

Das öffentliche Recht, Sire, will allerdings
mit Politik gehandhabt ſeyn. Aber das eigne bür-
[58] gerliche Geſetz der Revolutionäre und Bonaparti-
ſten, ihr Code Napoléon, ſpricht gegen uſurpirten
Beſitz.


Blacas d’Aulps.

Und ſpricht das Geſetz nicht ſo, dann kehren
wir es um. Für elende Aſſignaten erſchacher-
ten die Plebejer unſere Ländereien!


Herzogin von Angouleme.

Aſſignaten! Nenne ſie nicht elend! Ich ſah
die zitternden Hände, welche ſie bei Lebensſtrafe,
für ihr Geld annehmen mußten. Die Aſſignaten
waren mit Königsblut geſchrieben, Blacas.


Koͤnig Ludwig.

Meine Herren, ich ergreife den Mittelweg. —


Blacas d’Aulps.

Der Mittelweg iſt oft doppeltgefährlich.


Koͤnig Ludwig.

Hier nicht. Es ſollen fürerſt nur Worte vom
Thron fallen, die den Nationalgutskäufern andeuten,
wie ſie für billigen Erſatz ihr Beſitzthum an deſſen
Herren zurückliefern können.


Herzogin von Angouleme.

Oheim, du biſt zu liberal.


D’Ambray und Blacas d’Aulps.

Wir [möchten] daſſelbe ſagen.


[59]
Koͤnig Ludwig.

Der König ſelbſt zu liberal?


Herzogin von Angouleme.

Ja, Sire, und deßhalb, weil er ſich zu ſtark
hält, als daß er glaubte, das Ungeheuer des Li-
beralismus fürchten zu müſſen.


Der Oberceremonienmeiſter
(tritt ein:)

Sire, der Brief einer Eſtaffette von Lyon.


Koͤnig Ludwig.

Gut — ich will ihn leſen.


(Oberceremonienmeiſter ab.)

Koͤnig Ludwig

(waͤhrend er den Brief lieſ’t:)

— Nachrichten von neuen Verſchwörungen.
Eine Geſellſchaft der eiſernen Nadel, die den Bo-
naparte wieder auf den Thron ſetzen will, iſt ent-
deckt.


D’Ambray.

Der Corſe muß fort vom nahen Elba, auf eine
abgelegene Inſel, weit weg, zum Beiſpiel nach
St. Helena oder St. Lucie.


Koͤnig Ludwig.

Nicht übel wäre das für uns und auch für ihn.
Ich merk’ es allgemach auch. — Wir wollen bei
Talleyrand in Wien anfragen, ob und wie es mit
[60] Einwilligung der fremden Monarchen möglich zu
machen iſt.


D’Ambray.

Der Talleyrand ſaß auch in der Nationalver-
ſammlung!


Blacas d’Aulps.

Nun, er iſt doch aus einem altadligen Geſchlecht
und zurückgekommen zu ſeiner Pflicht.


Koͤnig Ludwig.

Wo iſt Monſieur? Ich wünſch’ ihn in dieſer
Angelegenheit zu befragen.


Blacas d’Aulps.

Se. königliche Hoheit erholen ſich von den Wun-
den, welche Ihnen der Schmerz über die Nach-
richt des Todes Ihres treuen Dieners Buſſy ge-
ſchlagen hat, in der eben aufblühenden Natur auf
einer Jagd im Forſte von Fontainebleau.


Koͤnig Ludwig.

So will ich ihn nicht ſtören.


Herzogin von Angouleme.

Gemahl, der König geht — Laß uns folgen.


Herzog von Angouleme.

Wie du befiehlſt. — Der Tauberich, der Tau-
berich da oben — Welch einen Kropf hat er —
Und ſiehe die allerliebſten Täubchen, die ihn um-
[61] flattern — Ich hätt’ ihn längſt todtgeſchoſſen, aber
ich muß ihn lebendig haben. Unſer Houdet ſoll
ihn fangen.


Herzogin von Angouleme.

Haſt du von den neuen Verſchwörungen gehört?


Herzog von Angouleme.

Das alberne Zeug. Laß uns nicht daran denken.


Herzogin von Angouleme.

Ach!


(Alle entfernen ſich.)

[62]

Vierte Scene.


(Noͤrdliches Geſtade von Elba, nicht weit von Porto Ferrajo.)

(Anbrechender Abend.)

(Napoleon ſteht am Ufer, Bertrand neben ihm, — eine
Ordonnanz von der polniſchen Legion haͤlt zu Pferde in
der Naͤhe.)

Napoleon.

Bertrand, dies iſt ein herrlicher Platz — Ich
lieb’ ihn Abends — da das Meer, der Spiegel
der Sternenwelt, hinbrauſend nach den Küſten
von — Ach — Der Bergwerksdirektor zu Porto
Ferrajo iſt abgeſetzt. Er hat betrogen.


Bertrand.

Ew. Majeſtät, der Mann war doch —


Napoleon.

Ich hab’ es geſagt — — Pole in Gedanken?
wo denkſt du hin?


Der polniſche Legionsreiter.

Wegreiten möcht’ ich über das Meer, nach
Marſeille, Paris, und zuletzt nach meinem Vater-
[63] lande, aber nimmer ohne dich, mein Feldherr und
mein Vater.


Napoleon.

Ein Schiff erſcheint da — Welche Flagge
führt es?


Bertrand.

Man kann ſie nicht erkennen. Vermuthlich
ein franzöſiſcher Levantefahrer, der von Marſeille
kommt.


Napoleon.

Der Glückliche! er war an den Küſten Frank-
reichs. — Ob man im ſchönen Frankreich noch
meiner gedenkt?


Bertrand.

Kaiſer? Du fragſt? — So lange die Sonne
in die Prachtfenſter der Paläſte und in die
ſchmalen Glasſcheiben der Hütten funkelt, wird man
Deiner gedenken, oder Frankreich verdiente unter-
zugehen.


Napoleon.

Möglich. Aber die Leute ſind vergeßlich —
Der Marmont, Augereau —


Bertrand.

Die Veräther!


Napoleon.

Ha! ſtatt an Thaten zehrt man jetzt an Erin-
[64] nerungen! Zuckte nicht einſt das ſtolze Oeſterreich,
wie ein Wurm in dieſer Hand? Nicht Preußen?
Ließ ich ſie beide nicht leben und beſtehen? —
Wie undankbar die Welt, das elende, ſchlechte
Scheuſal! — Mein eigner Schwiegervater —


Bertrand.

Verzeih’ ihm, — er wurde es, weil du befahlſt
— Als er nicht mehr zu gehorchen brauchte, zerriß
er die Bande —


Napoleon.

Bande — ſage, das Herz ſeiner Tochter.


Bertrand.

Was kümmert das den Stolz und die Politik
der alten Herrſchergeſchlechter?


Napoleon.

Die Thoren! Sie ſehnen ſich noch einſt nach
dieſer kleinen Hand, wenn ſie längſt Aſche iſt, denn
Ich, Ich bin es, der ſie gerettet hat — Ließ ich den
empörten Wogen der Revolution ihren Lauf, dämmt’
ich ſie nicht in ihre Ufer zurück, — ſchwang’ ich
nicht Schwert und Scepter, ſtatt das Beil der
Guillotine immer weiter ſtürzen zu laſſen, — wahr-
haftig, wie dort am Strande die Muſcheln, wären
all die morſchen Throne, ſammt den Amphibien, die
darin vegetiren, hinweggeſchwemmt, und ſchöner
[65] als jenes Abendroth begrüßten wir vielleicht die
Aurora einer jungen Zeit. — Ich hielt mich zu
ſtark, und hoffte ſie ſelbſt ſchaffen zu können. —
O ich muß ſprechen, denn ich vermag ja jetzt nicht
anders. Dieſe Scholle Elba kenn’ ich nun auch
und habe ſie ſatt. Ein Bischen Dreck! — Wie
jämmerlich ein kleiner Fürſt, der nicht drein ſchla-
gen kann —


Bertrand.

Werde wieder ein großer.


Napoleon.

Iſt die Canaille es werth? Iſt ſie nicht zu
klein, um Größe zu faſſen? Weil ſie ſo niedrig
war, ward ich ſo rieſenhaft.


Bertrand.

Du warſt mehr als die Welt.


Napoleon.

Und jetzt! Bertrand, welch ein Ende! Hier
hingeſchmiedet, ein anderer Prometheus, den Geier
im Herzen. Hingeſchmiedet, nicht von der Kraft
und Gewalt, ſondern von der Ueberzahl der Schwa-
chen und Elenden — Sohn, Mutter, von mir ge-
riſſen — Thäte man das einem Bauer?


Bertrand.

Erderſchütterer, den Bauer fürchtet man nicht.


5
[66]
Napoleon.

Hat Rußlands Alexander ſo ganz vergeſſen, wie
er auf dem Niemen ſich beugte? Hat der Preu-
ßenkönig —


Bertrand.

O Sire, den tadle nicht. Er verlor durch
Deine Schlachten die ſchönſte Roſe im Schnee des
Nordlands. Ich habe ſie erblickt und das Auge
ward mir feucht, als ich ihren Tod erfuhr.


Napoleon.

Konnt’ ich davor? — Weswegen blühte ſie im
Gleiſe meines Siegeswagens? Das Geſchick trieb
ſeine Räder zermalmend über noch viel härtere
Herzen: Pichegrü, d’Enghien, Moreau —


Bertrand.

Du, ſelbſt ſo Gewaltiger, glaubſt ein Geſchick?


Napoleon.

Ja, es ſtand bei mir in Corſica, meiner meer-
umbrauſ’ten Wiege, und wird auch meinen Sarg
umbrauſen. In Moskaus Flammen, nachdem ich
lange es vergeſſen, ſah ich es mit ſeinen Fittichen
ſich wieder über mich erheben. — Nicht Völker
oder Krieger haben mich bezwungen — Das Schick-
ſal war es. — Was iſt dir?


[67]
Bertrand.

Mein Kaiſer, vielleicht — kaum wag’ ich es
zu ſagen —


Napoleon.

Sag’ es!


Bertrand.

— vielleicht mein Freund —


Napoleon.

Es könnte ſeyn. Doch glaubſt du es, ſo ſchweige
davon.


Bertrand.

— ich kann es nicht ertragen, Dich ſo zu ſehen,
wie jetzt, einen —


Napoleon.

Nun?


Bertrand.

— einen Löwen im Käfich. — Auch meine Ge-
mahlin härmt ſich ab. Ihre Schönheit, ihre Hei-
terkeit ſchwinden dahin ſeit Deinem Fall.


Napoleon.

Ich weiß. — Wie ſteht’s wohl in Frankreich?


Bertrand.

Schlecht, Sire. Der König ſchwach, die Prin-
zen übermüthig, die Ultras ſiegend, Deine alten
Krieger verhöhnt —


[68]
Napoleon.

O mein Land, mein Land! — Man ſage, was
man will, ich hab’ es ſtets geliebt! — Fühlten
meine Feinde den Schmerz, der mich ſeinetwillen
durchbrennt, — die Jämmerlinge ſtürben daran,
wie Mücken am Lichte!


Bertrand.

Es iſt geſtern ein Officier aus Frankreich an-
gekommen.


Napoleon.

Aus Frankreich? Er komme. — Aber bemerkte
ihn keiner der fremden Späher?


Bertrand.

Nein, — er ſchlich als italiäniſcher Matroſe
verkleidet bis zu uns.


Napoleon.

Wie heißt er?


Bertrand.

Graf St. P — le.


Napoleon.

Von dem hört’ ich früher. — Er focht brav
bei Champeaubert.


Bertrand.

Da iſt er, Sire.


(Der Officier tritt vor.)

[69]
Napoleon.

Wer ſind Sie?


Der Officier.

Graf St. P — le, Ew. Majeſtät.


Napoleon.

Was wollen Sie hier?


Der Officier.

Ewr. Majeſtät dienen.


Napoleon.

Geht nicht, mein Herr. Habe ſchon Officiere
genug. Ich kann Sie nicht beſolden.


Der Officier.

Sold verlang’ ich nicht.


Napoleon.

So? — Haben Sie Briefe?


Der Officier.

Nein, Sire.


Napoleon.

Adieu.


Der Officier.

Sire, Briefe mitzunehmen, war gefährlich.
Aber ich redete mit Fouché


Napoleon.

Fouché — Was ſagte er? Sagen Sie es
mir, — gleich und heimlich.


(Der Officier ſpricht heimlich mit ihm.)

[70]

Es iſt gut. — Wie iſt’s mit den Bourbons?
Mir zahlen ſie meine Gelder nicht. Ich könnte
ihnen, als ſouverainer Fürſt von Elba, Krieg er-
klären, wegen gebrochenen Vertrags.


Der Officier.

Der König überſetzt den Horaz, Monſieur geht
auf die Jagd, die Angouleme betet, ihr Mann
hört zu, Berry liebt die Damen.


Napoleon.

Das Volk?


Der Officier.

Aergert ſich, daß Pfaffen, Betſchweſtern und
emigrirte Edelleute es beherrſchen ſollen.


Napoleon.

Das unſelige Bourboniſche Haus! Es wird
noch einſt in einem adligen Nonnenkloſter ausſter-
ben. — Das Heer?


Der Officier.

Es ſchweigt.


Napoleon.

Und denkt?


Der Officier.

An Sie!


Napoleon.

Die Bourbons haben Haustruppen, rothe Com-
pagnien?


[71]
Der Officier.

Die Haustruppen ſind Greiſe oder Kinder.
An den rothen Compagnien iſt nichts Rothes als
ihre Montur, — bei Marengo oder Auſterlitz wur-
den ſie wahrlich nicht roth gefärbt.


Napoleon.

Die gefangenen Veteranen der großen Armee?


Der Officier.

Kommen täglich aus Rußland zurück —


Napoleon.

Ha, wieder da!


Der Officier.

— und werden ohne Penſion verabſchiedet,
oder mit halber Penſion, die nicht bezahlt wird,
entlaſſen —


Napoleon.

Beſſer, beſſer ſtets und beſſer! Hätt’ ich den
treueſten meiner Freunde nach Paris geſchickt,
mein Reich zu verwalten, er hätte nicht ſo gut
für mein Intereſſe geſorgt, als die Bourbons! —
O meine Gardegrenadiere, wandelnde Feſtungs-
wälle mir in der off’nen Schlacht, und alle, alle,
die ihr Bayonette für mich aufpflanztet, Säbel
für mich ſchwanget, bald ſonn’ ich mich wieder in
eurem Waffenglanze, und das Gleichgewicht Eu-
ropas fliegt bebend aus den Angeln!


[72]
Bertrand.

Kaiſer, endlich?


Napoleon.

Gleichgewicht! Als ob man Völker abwägen
und zählen könnte! Die Erde iſt am glücklichſten,
wenn das größte Volk das herrſchendſte iſt, ſtark
genug überall ſich und ſeine Geſetze zu erhalten,
und wer iſt größer, als meine Franzoſen? — Con-
greß zu Wien! Da ſtreiten ſie ſich um den Man-
tel des Herrn, den ſie hier am Kreuze wähnen —
mein Polen, mein Sachſen wird zertheilt, — Nie-
mand wird von dem halben Biſſen ſatt, ja, er
wird Gift im Munde — Aber der Herr erſtand!
— — Europa, der kindiſch gewordene Greis bedarf
der Zuchtruthe, und was meinen Sie, St. P — le,
wer könnte ſie beſſer ſchwingen, als Ich?


Bertrand.

Der Prinz von Meſſeriano fordert Elba als
ſein Eigenthum zurück.


Napoleon.

Der Knabe!


Bertrand.

Auch ſpricht man davon, Dich nach St. Hele-
na zu verſetzen.


Napoleon.

Wie? wenn es mir nun gefiele, den Fuß nach
[73] Frankreich zu ſetzen? Nicht zwei Tage und ich
bin dort.


Der Officier.

O Sire, Sire, dahin! Sie nur können es
erlöſen!


Napoleon.

Man denkt mit mir zu ſpaßen. Es iſt zum
Todtlachen! — Meine Herren, wird nicht, ſo wie
ich bei Toulon lande, der weltbekannte Klang mei-
ner Kriegstrompete wie ein Blitz durch alle Buſen
ſchmettern? Wird mein Adler nicht im Augenblick
von Thurm zu Thurm bis St. Denis hinfliegen?


Bertrand und der Officier.

O lande, lande!


Napoleon.

Graf St. P — le, wer ſendet Sie? Verſchwo-
rene wider die Bourbons?


Der Officier.

Sire, nein. Die Nation ruft ſie,


Napoleon.

Das wollt’ ich — Verſchworene ſind immer
Schurken, die nur ein Werkzeug für ihre Pläne
ſuchen, welches ſie nachher gerne wegwerfen.


Der Officier

Auch Italien, aus dem ich eben komme, iſt voll
[74] Unruhe. Selbſt der König von Neapel bereut
ſeinen Abfall.


Napoleon.

Ich weiß — Er wird vernünftig aus Noth.
Der und der Bernadotte — Bernadotte, welcher
vom nahen Rußland alles, vom fernen Frankreich
nichts zu fürchten hatte, der ſeine Schildwache,
wenn er mit mir hielt, dicht unter den Fenſtern
des Czaarenſchloſſes zu Petersburg aufſtellen konnte,
ſind untreu geworden, — Murat aus Tollheit, und
Bernadotte aus Eiferſucht auf mich — — Die Ar-
men! Mit mir ging die Sonne unter, die dieſe
Planeten im Schwunge erhielt — Nicht drei Jahre
und Europas Fürſtenhäuſer ſchämen ſich der unadli-
gen, bloß von meiner Größe ausgebrüteten Flie-
gen! — Wo iſt Cambronne?


Bertrand.

Hält dicht hinter uns, bei dem dich begleitenden
Detachement der Uhlanen.


Napoleon.

Pole, ruf den [Commandeur] der Garde!


Der polniſche Legionsreiter.

Ha! Gleich!


(Reitet fort und kommt bald darauf mit Cambronne zuruͤck.)

[75]
Napoleon.

General, ſind die Magazine verſorgt?


Cambronne.

Sire, wie Sie geboten.


Napoleon.

Theilen Sie an jeden Infanteriſten und jeden
Reiter Rationen auf vier Tage aus. — Sind die
Brigg und die beiden in Beſchlag genommenen
Kauffahrer im Stande, morgen mit den Truppen
abzuſegeln?


Cambronne.

Ja, Sire.


Bertrand.
(halb fuͤr ſich.)

Was wird das?


Napoleon.

Cambronne, Morgen früh fünf Uhr laſſen Sie
die Reveille ſchlagen.


Cambronne.

Welche? die alte oder die neue?


Napoleon.

Die von Jena!


Cambronne.

O, ſo ſtampft binnen ſechs Wochen das Pferd
jenes Reiters auf dem Pflaſter von Paris.


[76]
Der polniſche Legionsreiter.

Es bäumt ſich ſchon, General.


Napoleon.

Es ſtampft da früher: am 20. März, dem
Geburtstage meines Sohns.


Bertrand.

Campbell aber mit dem engliſchen Geſchwader?


Napoleon.

Hindert uns nicht. Ich hab’ ihn nach Livorno
locken laſſen, dort die Merkwürdigkeiten zu beſe-
hen, und heut’ Abend zecht er daſelbſt Madera mit
einigen ſeiner Landsleute, die nicht wiſſen, wie ſie
verleitet ſind, ihn einladen zu laſſen, ſo wenig als
er weiß, warum er eigentlich eingeladen iſt — O
das Gepack!


Der Officier.

Alſo da, der erſehnte, der große Augenblick!


Alle Anweſenden.

Es lebe der Kaiſer!


Bertrand
(zu dem Officier.)

Wie viel haben wir geſprochen, Er Selbſt mit,
und Er hat alles gethan, ehe wir ſprachen.


Der Officier.

Er iſt groß und gütig — iſt ein Gott.


[77]
Napoleon

(gegen das Meer gewendet).

Amphitrite, gewaltige, blauäugige Jungfrau, —
ſchon lange läßt du mich umſonſt um dich buhlen,
— ich ſoll dir ſchmeicheln, und ich möchte doch
lieber als Mann mit Waffen dich den Händen der
Krämer entringen, die dich, o Göttin, mit der
Elle meſſen und zur Sclavin machen wollen, —
aber ich weiß, du liebſt ihn doch, den Sohn der
Revolution, — einſt vergaßeſt du deine Launen
und trugſt ihn mit ſichren Armen von den Pyra-
miden nach dem kleinen Glockenthurm von Frejus,
— morgen trägſt du mich von Elba noch einmal
dahin. — Amphitrite, ſchlummre ſüß.


(Alle ab.)

[[78]]

Zweiter Aufzug.


Erſte Scene.


(Paris im Jardin des Plantes.)

(Ein alter Gaͤrtner und ſeine Nichte treten auf.)

Der alte Gaͤrtner.

Nicht ſo wild Kind, nicht geſprungen, — hier
ging einſt Büffon ſehr ruhig und ordnete ſein Syſtem.


Die Nichte.

Onkel, Onkel, welch ein Morgen! Wie durch-
ſchimmert ihn die Frühlingsſonne! Eintrinken möcht’
ich ihn!


Der alte Gaͤrtner.

Du Wilde, ſieh nach den Bäumen — Haben
Weide und Kaſtanie ſchon Knospen?


[79]
Die Nichte.

Ja! alle, alle, und die Silberpappeln knoſpen
dazu — O,


Ça ira, ça ira.


Der alte Gaͤrtner.

Nichte, das ſag’ ich dir ernſtlich, thu was du
willſt, aber ſinge mir keine politiſchen Lieder.


Die Nichte.

Ça ira? politiſch? Ich meinte, bald geht’s los,
und die Blumen brechen aus.


Der alte Gaͤrtner.

Wir können die Fenſter von den Beeten neh-
men — Ah, wie richten ſich ſchon die Gräſer auf.
Hier Phalaris canariensis.


Die Nichte.

Welch ein weitläuftiger Name für ein ſo klei-
nes, zierliches Ding. — Man möchte die Gräschen
ausreißen und küſſen, ſo allerliebſt ſtehen ſie da.


Der alte Gaͤrtner.

Die Kanone der Sternwarte donnert ſchon die
zehnte Stunde an. Wir müſſen fleißig ſeyn, wol-
len wir vor Mittag noch etwas beſchicken.


Die Nichte.

Etwas beſchicken? — Das überlaß heute den
[80] Leuten ringsum in der ſtaubigen Stadt — Wir
wollen hier das friſche Grün genießen. — — Die
ſchöne Kokosblüthe in jenem Gewächshauſe nehm’
ich mir zum Stickmuſter.


Der alte Gaͤrtner.

Stickmuſter, ja — Seit einem Jahre denkſt du
bei jeder Blume an Putz, Stickmuſter und den
unſeeligen Pierre. Ich glaube, du hingeſt ihm den
ganzen Gartenflor um den Hals, deines Onkels
Herz dazu.


Die Nichte.

Mein Herz gern, deines nicht, Onkel. In dei-
ner Bruſt, die für meine Mutter und mich ſo treu
ſorgte, ſäß’ es doch beſſer als an ſeinem Halſe. —
Aber, wahr iſt wahr, und ſchön iſt ſchön, und gut
iſt gut: wahr, ſchön und gut iſt er.


Der alte Gaͤrtner.

Er ſtört mich hier, und der Oberintendant des
Gartens hat es ſchon übel genommen, daß ich ihn
einlaſſe. Er iſt ein Bonapartiſt oder gar ein
Revolutionär. —


Die Nichte.

Wäre Pierre das (ich weiß wahrhaftig nicht,
ob er es iſt, denn auf ſein politiſches Geſchwatz
acht’ ich ſo wenig wie der ſchlafende Müller auf
[81] das rauſchende Rad), ſo müßten die Bonapartiſten
und Revolutionaire herrliche Leute ſeyn.


Der alte Gaͤrtner.

Kind, Kind, ehre mir die Bourbons, unſere
Herren.


Die Nichte.

Vor einem Jahre mußt’ ich ja das erſte Ka-
pitel des kaiſerlichen Katechismus auswendig ler-
nen, und Napoleon anbeten. Weißt du, wie du
mir drohteſt, als ich bei dem Aufſagen ſtotterte?


Der alte Gaͤrtner.

Vor einem Jahre, Kind! — Jetzt ſchreiben
wir 1815.


Die Nichte.

So — 1814 und 1815, das iſt der Unterſchied,
— Es geht wohl mit den Herrſchern, wie mit den
Blumen, — jedes Jahr neue. — Ach, ſieh’ da
meine wieder grünende Ulme!


Der alte Gaͤrtner.

Der König Ludwig der Achtzehnte gibt mir
mein Brot, — und da kommt der verwünſchte
Pierre mit Damen —


Die Nichte.

Damen? Was? Ha, der —


6
[82]
Der alte Gaͤrtner.

Damen der Halle.


Die Nichte.

So — die machen mich nicht eiferſüchtig.


(Pierre und Damen der Halle.)

Pierre.

Eliſe, meine Eliſe! — Und alle Lilien ausge-
rottet, mein Vater!


Der alte Gaͤrtner.

Warum?


Pierre.

Der König wird fortgejagt, — Napoleon
kommt wieder.


Die Damen der Halle.

Die Lilien weg! Die Lilien weg!


Der alte Gaͤrtner.

Stille, ſtille — Vor dem Garten ſtehen Gens-
d’armes, die dieſes hören möchten.


Die Damen der Halle.

Weg Gensd’armes und Lilien!


Der alte Gaͤrtner.

Meine Damen verwechſeln ſie nicht das Reich
der Natur mit dem Reiche der Bourbons, nicht
blühende Lilien mit gemalten.


[83]
Die Damen der Halle.

Gut geſagt!


Der alte Gaͤrtner.

Bedenken Sie, daß dort die Büſte Linné’s ſteht.
Auch Büff —


Eine Dame der Halle.

Linné, was war der?


Eine andere.

Ein herrlicher Mann, Madame. Erſt Schu-
ſterjunge in Lyon, dann Fürſt von Pommern,
Schweden und den Haidſchnucken, und immer da-
bei ein eifriger Republikaner und Beſchützer des
botaniſchen Gartens.


Die Damen der Halle.

Behalte deine Blumen, Gärtner. Hoch lebe
der Fürſt Linné!


(Die Damen der Halle ab.)

Der alte Gaͤrtner.

Mir wirbelt der Kopf: — Linné ein Schuſter-
junge, dann Fürſt, Republikaner, und das alles
ſo ſicher geſagt. — Ich will ſie eines Beſſeren be-
lehren — Linné war —


Pierre.

Still! — Rufe ſie nicht zurück. Ich ſelbſt
mußte ſie wider Willen hieher führen. Gott weiß,
[84] was ihnen einmal vom Linné in den Ohren ge-
klungen hat, und was klingt, glauben ſie, und er-
zählen es noch ſchallender wieder. — — Eliſe,
ſchmollſt du?


Die Nichte.

Revolutionsmenſch —


Pierre.

Das verſtehſt du nicht. — Geliebte —


Die Nichte.

Und das »Geliebte« verſtehſt du nicht. — Ha,
da die weißen Kirſchblüthen — ſitzen ſie nicht am
Baume wie junge Lämmer, die am grünen Berge
klettern? — Wie ſchön!


Pierre.

In deinem Auge blitzen ſie ſchöner. — Napo-
leon ſoll jetzt, wie man munkelt —


Die Nichte.

Folge mir unter den Kirſchbaum.


[85]

Zweite Scene.


(Paris. Unter den Arcaden des Palais-royal.)

(Vieles Volk, Buͤrger, Officiere, Soldaten u. ſ. w., etwa
wie in der erſten Scene des erſten Aufzuges.)

Vitry.

Biſt ſatt, Chaſſecoeur?


Chaſſecoeur.

Ja, von überreifen, überſüßen Kartoffeln.


Vitry.

Sollen wir zur Seelenmeſſe, welche die Ma-
dame über den Gebeinen ihres Vaters halten läßt?


Chaſſecoeur.

Lieber zur Hölle. — Madame iſt ſehr gnädig.
Wenn die Gebeine, für welche ſie jetzt betet, nicht
eher einem Schreckensmann angehören, als dem
längſt in Kalk vermoderten Capet, bin ich verflucht.


Vitry.

Gönn’ ihr die Knochen. Fleiſch iſt nicht daran.


Advocat Duͤchesne
(kommt:)

Was Neues!


[86]
Vitry.

Das Neue iſt heutzutag was Altes.


Die alte Putzhaͤndlerin.

An meinen Tiſch, Herr!


Vitry.

Immer die Politik am Putztiſche.


Duͤchesne.

Wieder tolle Streiche! — Die Emigranten
werden entſchädigt.


Vitry.

Wofür?


Duͤchesne.

Dafür, daß ſie zur Zeit der Noth wegliefen.


Vitry.

Wovon entſchädigt?


Duͤchesne.

Von dem Gelde und Blute der Nation.


Vitry.

Chaſſecoeur, wir wollen künftig auch weglaufen.


Chaſſecoeur.

O!


Vitry.

Alter Junge, ärgere dich nicht zu arg. Aus
dem jetzigen Spaß wird einmal wieder Ernſt.


[87]
Duͤchesne.

Die Ultra’s machen die offenbarſten Schritte,
die Conſtitution umzuſtürzen.


Vitry.

Iſt ſie ihnen noch nicht ſchlecht genug?


Duͤchesne.

Die Angouleme läßt die Jeſuiten zurückrufen.


Vitry.

Wir jagen ſie wieder fort.


Duͤchesne.

In Nismes ermordet man ſchon die Proteſtan-
ten, und Niemand wehrt.


Vitry.

Freund, daran zweifle ich: ſie genießen des
Schutzes unſeres legitimen Herrſchers.


Chaſſecoeur.

Teufel, was iſt denn legitim?


Vitry.

Das, was alt iſt.


Chaſſecoeur.

Wie alt?


Vitry.

Weiß nicht genau.


[88]
Savoyardenknabe

(mit dem Murmelthier und Dudelſack:)

La marmotte, la marmotte etc.


Chaſſecoeur.

Der verdammte Junge mit ſeiner Bettelei.
Man kann nichts vor ſeinem Singſang hören.


Vitry.

Laß ihn. Murmelthiere ſind vermuthlich legi-
tim. Wenigſtens waren ſie ſchon unter Heinrich
dem Vierten in Paris.


Louiſe.

O mein Philipp!


Vitry.

Bitte, Kind, nicht zu nahe, — mit Vorſicht.


Louiſe.

Wie, du kennſt mich nicht mehr? haſt du mich
nicht geliebt?


Vitry.

Kenn’ ich jedes Sousſtück, das mir durch die
Hand gegangen iſt? Eben ſo wenig jedes Mäd-
chen, das ich geliebt habe.


Louiſe.

Ach, Philipp, unter den Fahnen der großen
Armee ſchwurſt du mir Treue.


[89]
Vitry.

Auf wie lange?


Louiſe.

Auf ewig.


Vitry.

Das bedeutet ſeit dreißig Jahren ſo viel als
gar nichts. Fahre wohl, Geliebte.


Louiſe.

Ha, du —


Vitry.

Geſchwiegen, Mademoiſelle, geſchwiegen, ſag’
ich, — hier kommen Zeitungen.


Duͤchesne.

Was gibt es, Zeitungsverbreiter?


Zeitungsausrufer.

Sie ſprechen!


Duͤchesne.

Wer?


Zeitungsausrufer.

Die beiden Felſen im Meere!


Vitry.

Welche Zeit! Die Steine reden!


Zeitungsausrufer.

Carnot, Fouché — hier ihre Memoiren im
Auszuge in den Zeitungen, — ſie haben dem Kö-
[90] nige die Wahrheit geſagt, ihm die Albernheiten
der Reſtaurationsminiſter ſo deutlich vorgerückt,
als wir ſie uns hier ſagen —


Vitry.

Ach, das hilft nicht viel, denn gut ſagen iſt
leichter als recht hören.


Duͤchesne.

Her, her die Zeitungen! Ich muß ſie ſelbſt
ſehen!


Volk

Wir wollen ſie auch ſehen! Her, her damit!


Zeitungsausrufer.

Da habt ihr ſie!


(Er wirft die Zeitungen in die Luft.)

Duͤchesne

(ergreift, wie viele Andere, ein Blatt und lieſ’t:)

Ha — O — Richtig — Juchhe — ſchändlich
— Wie wahr — Ja, anders, anders muß es
werden, — Blut und Tod! — Gut, gut. — Herr-
lich! — Auf Elba rührt ſich’s allmählich — Im
Pflanzengarten iſt auch Lärm geweſen — Gut,
gut, je ſchlechter, ſo beſſer — Das Korn gibt erſt
Mehl, wenn es zermalmt iſt — Adieu, meine
Herren, — ich muß zu Freunden.


(Ab.)

[91]
Vitry.

Was iſt dir? Was treibſt du mit den Armen?


Chaſſecoeur.

«Auf Elba rührt ſich’s allmählich» — Ich
ſchwinge in Gedanken den Säbel!


Vitry.

Wo iſt Louiſe? Fort? — Nein, ſieh: ein
junger Engländer entführt mir ihre Reize. Wohl
bekomm’s, Mylord!


[92]

Dritte Scene.


(Paris. Tuillerien. Saal der Herzogin von Angouleme.)

(Die Herzogin von Angouleme, und ihre Dame d’Atour,
die Graͤfin von Choiſy.)

Herzogin von Angouleme.

Liebe Choiſy, lies mir etwas vor. Mir ſchmerzt
der Kopf.


Graaͤfin von Choiſy.

Gern, königliche Hoheit. — Soll ich etwas
neu Erſchienenes leſen?


Herzogin von Angouleme.

Thu’ es. Nur keine Zeitungen. — Was das
für ein öder, trüber Nachmittag iſt, — ſelbſt die
heilige Meſſe erfreute mich nicht.


Graͤfin von Choiſy.

Hier iſt ein Gedicht vom Herrn C — n, einem
der neuen Poeten.


Herzogin von Augouleme.

Lies den Seneca oder den C — n. Mir iſt’s
eins.


[93]
Graͤfin von Choiſy.

Ich leſe, Hoheit.


(Sie lieſ’t:)

»Es ſteht der Sultaninnen Erſte

Am Fenſter ihres Marmorſchloſſes.

O welche wohlgefügte Marmorquadern,

Wie ſchimmern ſie ſelbſt durch die Nacht!

O welche Roſen blühen in dem Zimmer,

O welche Ambradüfte hauchen da!

Doch was ſind Marmorquadern, Roſen, Ambra,

Wenn die Geſtalt der Sultanin, mit

Den prächt’gen Schultern, blendend weiß,

Als wäre friſcher Schnee darauf gefallen,

Mit ihren Lippen, dunkelroth,

Als wehten Flammen dir entgegen,

Mit ihrem Liebesflüſtern, wunderſüß,

Als hauchte Duft aus Edens Pforten,

Darunter ſteht in ihrer Schöne!

Die Diener und die Dienerinnen

Erwarten knieend ihre Worte,

Der Sultan ſelbſt vergißt das Reichsſchwert,

Harrt in dem Hintergrunde liebeſeufzend,

Und ſchwelgt in ihres Nackens Anſchau’n.

Sie blickt hinaus: vor ihren Augen ſteigt

Das Heer der Sterne freudetrunken auf,

[94]
Der Bosphorus jauchzt auf mit ſeinen Wogen,

Die große Stambul ahnet ihre Nähe

Und bebt vor wonnigem Gefühle,

Die Küſten Aſias und Europas ſchmeicheln

Zu den Sandalen ihres zarten Fußes, —

Sie blickt zurück, — ſie faßt ihr Herz —

Herzogin von Angouleme.

Wie ſinkt die Poeſie. Auch in ihr Revolution.
Was für falſche Verſe!


Graͤfin von Choiſy.

Wer hat denn den Verſen das Geſetz gegeben,
daß ſie gerade ſeyn müſſen, wie die des Racine
oder eines anderen Claſſikers?


Herzogin von Angouleme.

Auch du eine Empörerin, Choiſy? — Die Welt
iſt überreif. — Lies das Ende des Gedichtes.


Graͤfin von Choiſy.

Es iſt kurz:


(ſie lieſ’t:)

«Und Sie ſeufzt!»


Herzogin von Angouleme.

Und Sie ſeufzt — — Ja, das mag wahr
ſeyn, ungeachtet des zu kurzen Verſes.


Graͤfin von Choiſy.

Jeſus Maria, wenn Er gelandet wäre!


[95]
Herzogin von Angouleme.

Wie kommſt du auf den Gedanken?


Graͤfin von Choiſy.

Königliche Hoheit, der Gedanke kommt über
mich.


Herzogin von Angouleme.

Unſere Staatsmänner werden Ihn vor der Lan-
dung zu behüten wiſſen. — Aber die Bruſt iſt
auch mir überſchwer. — Ich gehe zu meinem
Oheim.


(Beide ab.)

[96]

Vierte Scene.


(Paris. Tuillerien. Die Zimmer des Koͤnigs.)

(Koͤnig Ludwig, der Herzog von Angouleme, der Herzog von
Berry.

Koͤnig Ludwig.

Recht abſcheulich — abſcheulich, da liegen die
Brochüren von Carnot und Fouché. Beide ver-
theidigen, jeder auf ſeine eigenthümliche, tückiſche
Weiſe, die ſogenannten Rechte der Königsmörder
und der Revolution, und beſchimpfen meine Maaß-
regeln und die meiner treuen Miniſter.


Herzog von Angouleme.

Ich mag die Papiere nicht anfaſſen.


Herzog von Berry.

Hängt die Kerle!


Oberceremonienmeiſter
(tritt ein:)

Die Herrn Blacas d’Aulps und d’Ambray.


Koͤnig Ludwig.

Mir willkommen.


(Oberceremonienmeiſter ab; Blacas d’Aulps und d’Ambray
treten ein.)

[97]
D’Ambray.

Sire, der gute Marquis von Brandenburg will
Sachſen haben.


Blacas d’Aulps.

Und Rußland greift nach Polen.


Koͤnig Ludwig.

Gönnet ihnen das.


Blacas d’Aulps.

Mit Erlaubniß, Sire: mit Polen mag es ſo
werden, aber Sachſen iſt ein uraltes Haus. Wir
hatten Dauphinen aus ihm.


D’Ambray.

Und, Sire, ein Theil unſeres europäiſchen Ein-
fluſſes beruht auf der fortdauernden Zerſtücktheit
Deutſchlands — Wir dürfen da keine Macht zu
ſehr anwachſen laſſen. — Auch Talleyrand denkt
ſo, und hat ſchon proteſtirt.


Koͤnig Ludwig.

Talleyrand? Ich gebe nach. — Er trifft ſtets
das Rechte.


Blacas d’Aaulps.

Zugleich warnt er vor Elba.


Herzog von Berry.

Elba, immer und ewig Elba! Laßt doch den
Namen verbieten! — Was will denn Elba? —
Wir beſitzen Frankreich.


7
[98]
D’Ambray.

Verzeihen Eure Königliche Hoheit: Bonaparte
ſoll mit Murat conſpiriren.


Herzog von Berry.

Und das?


D’Ambray.

Iſt lächerlich. Aber einige Vorſicht iſt auch
nicht ganz unnütz.


Herzog von Berry.

Lieber d’Ambray, Vorſicht! — Bei zwei ſimp-
len Glückskindern! — Murat iſt ein Narr, Bo-
naparte nicht viel Beſſeres, — darum figurirten
ſie unter dem Pöbel einige Jahre als große Hans-
würſte — Gottlob, die Zeit iſt vorbei.


Oberceremonienmeiſter
(tritt auf:)

Seine Königliche Hoheit Monſieur.


Koͤnig Ludwig.

Er komme.


(Oberceremonienmeiſter ab. Monſieur kommt.)

Woher Bruder?


Monſieur.

Von der Jagd und der Meſſe. Manches Wild-
prett hab’ ich geſchoſſen.


Koͤnig Ludwig.

Wenn wir es ſchmauſen, wollen wir der treff-
lichen Hand denken, die es ſchoß.


[99]
Monſieur.

Sire, ich bin müde und kann am Abendeſſen
nicht Theil nehmen. Ich bitte, mich entfernen zu
dürfen, nachdem ich Ihnen hiermit meine Aufwar-
tung gemacht. Das Wildprett iſt ſchon in den
Küchen. — — Apropos, was fällt mir doch ein?
— Ja, eben hör’ ich, Bonaparte iſt gelandet bei
Toulon.


Koͤnig Ludwig.

Wie?


Monſieur.

Es iſt ſo. Der Menſch ſcheint durchaus ſich
verderben zu wollen. — Sire und Bruder, ich
küſſe Ihnen die Hand. — Schlafen Sie gut, meine
Herren.


(Ab.)

Koͤnig Ludwig.

Blacas, d’Ambray? Hörten Sie?


Blacas d’Aulps.

Monſieur ſagt’s. Es wird wahr ſeyn.


D’Ambray.

Der Präfect Toulons muß ihn arretiren, kurz
verhören, und ſofort erſchießen laſſen.


Herzog von Berry.

Wie dumm ſind die Schurken! Wagt der
[100] Kronendieb an der Küſte eines Volkes zu landen,
welches er jahrelang tyranniſirte, — welches ge-
gen ihn nur erbittert, gegen uns nur dankbar iſt.


Koͤnig Ludwig.

Ich dächte doch, Berry, du zögeſt deine Haus-
truppen zuſammen.


Herzog von Berry.

Wie Sie befehlen, Sire. Sollte den Verwe-
genen aber nicht ſchon irgend ein Dorfmaire er-
wiſcht haben?


Koͤnig Ludwig.

Wohl möglich. Doch mache deine Haustrup-
pen immerhin marſchfertig.


Herzog von Angouleme.

Ach, bekümmern wir uns um den Raufbold
nicht.


Oberceremonienmeiſter
(tritt ein:)

Ihre Königliche Hoheit, die Herzogin von An-
gouleme.


Koͤnig Ludwig.

Mir ſehr erwünſcht.


(Oberceremonienmeiſter ab. — Die Herzogin von Angouleme
tritt ein.)

Herzogin von Angouleme.

Mein König, ich kann nicht eher ſchlafen, als
bis ich Deine Hand geküßt.


[101]
Koͤnig Ludwig.

Mein Bruder hat heute viel Wildprett geſchoſ-
ſen. Ich lade dich und die Prinzen zum Mahl.


Herzogin von Angouleme.

Wo iſt Monſieur?


Koͤnig Ludwig.

Wohl ſchon zu Bett. Er war ermüdet.


Herzogin von Angouleme.

Darf ich mich mit meinem Gemahl über eine
Kleinigkeit —


Herzog von Angouleme.

Den Tauberich, Gemahlin, hat Houdet erwiſcht!


Herzogin von Angouleme.

— unterhalten?


Koͤnig Ludwig.

Weshalb nicht? — Doch erſt noch Eins: Bo-
naparte iſt bei Toulon gelandet.


Herzogin von Angouleme.

Schütze mich der Heiland! Die Ahnung der
Choiſy! Gelandet! — Großer Gott, wer litt
das? — Und ihr ſteht hier ruhig, König, Angou-
leme, Berry, Blacas, d’Ambray? Seyd ihr Bild-
ſäulen?


Koͤnig Ludwig.

Nun, nun!


[102]
Herzog von Angouleme.

Gemahlin, nicht ſo heftig. Du bekommſt wie-
der die Migraine.


Herzogin von Angouleme.

Was Migraine — Er —!


Herzog von Berry.

Was will er denn mit ſeinen wenigen Leuten?


Blacas d’Aulps.

Königliche Hoheit, ruhig, — laſſen Sie es mit
der Perſonage gut ſeyn.


D’Ambray.

Ueberlaſſen Sie ihn den Jurys.


Herzogin von Angouleme.

Ihn den Jurys? — Menſchen, wißt ihr, wer
ſeine Jurys ſind? — Die Heere Europas, und
kein Anderer — O Waffen, Waffen, Waffen! —
Sturmglocken geläutet — Alles, alles aufgeboten,
in der Kirche wie auf dem Schlachtfelde! — Ge-
landet — — Weh’ mein Herz — — Nun macht
Er ſeine Tigerſprünge, wie einſt von Aegypten
nach Paris, von Eylau nach Madrid, von Madrid
nach Wien, nach Moskau — O, ich fühle ſchon
ſeine Krallen!


Herzog von Angouleme.

Diener, Diener, ſie wird ohnmächtig — cöllni-
ſches Waſſer —


[103]
Blacas d’Aulps.

Es wird ſchon geholt.


Herzogin von Angouleme.

Cöllniſches Waſſer — Franzöſiſches Feuer ſchafft
her für euch alle! — Ich bitte, bitte, ſchickt doch
nach dem Telegraphen! — Ach, er wird ſchon mit
Nachricht da ſeyn! —


Der Oberceremonienmeiſter
(tritt ein:)

Der Oberdirector des Telegraphen.


Koͤnig Ludwig.

Komme.


(Oberceremonienmeiſter ab. — Der Oberdirector des Tele-
graphen kommt.)

Oberdirector des Telegraphen.

Sire, Bonaparte ſteht ſeit etwa anderthalb
Stunden mit einigen tauſend Mann vor Lyon.


Herzog von Berry.

Je tiefer im Lande er iſt, ſo eher wird er ge-
fangen.


(Oberdirector des Telegraphen auf einen Wink des Koͤnigs ab.)

Herzogin von Angouleme.

Schon vor Lyon! Seit anderthalb Stunden!
— So iſt er jetzt darin — vielleicht ſchon dieſſeits,
uns ganz nahe! — Eure Couriere und telegraphi-
ſchen Depeſchen waren ſtets langſamer als Er!


[104]
Koͤnig Ludwig.

Was rathen Sie, meine Herren?


Blacas d’Aulps.

Laſſen Sie uns, Sire, einige hundert Verdäch-
tige, welche ihn in Lyon und Paris unterſtützen
könnten, verbannen, und er erliſcht von ſelbſt, wie
ein Licht ohne Brennſtoff.


D’Ambray.

Wahrlich, das Beſte. Ich will eine Liſte ſol-
cher Uebelgeſinnten aufſetzen, und ſie zu dem Fuße
des Throns legen.


Koͤnig Ludwig.

Thu’n Sie es — ich werde ſie nachſehen und
beurtheilen. — Indeß jetzt den Ney gerufen, Für-
ſten von — Ich weiß nicht, wie der Mann ſonſt
heißt.


(Blacas d’Aulps geht in den Vorſaal, ſpricht mit dem Ober-
ceremonienmeiſter, und kommt zuruͤck.)

Herzogin von Angouleme.

Der Ney, der Ney — Der unſere Zuflucht? —
Kleiner und häßlicher iſt ſie nicht zu finden!


Koͤnig Ludwig.

Er heißt der Brave der Braven, und alle al-
ten Krieger lieben ihn.


Herzogin von Angouleme.

Er iſt einer der Frechſten unter den Schlechten,
[105] und wenn die alten Krieger ihn lieben, müſſen
wir ihn haſſen.


Oberceremonienmeiſter
(tritt ein:)

Se. Durchlaucht der Fürſt von der Moskwa.


Koͤnig Ludwig.

Er trete ein.


(Oberceremonienmeiſter ab.)

Herzogin von Angouleme.

O hättet ihr ſelbſt Muth, ihr bedürftet des
elſaſſer Sergeanten nicht. Auch nicht mit einem
Blick werd’ ich ihn anſeh’n,


(an das Fenſter tretend)

lieber dort die Straßen.


Marſchall Ney
(tritt ein:)

Sire —


Koͤnig Ludwig.

Mein Marſchall —


Ney
(fuͤr ſich:)

Werden ſie höflich? — vermuthlich, weil ſie
etwas von mir wollen. Meine Gemahlin hat mir
das ſtets prophezeit.


Koͤnig Ludwig.

— und mein Vetter —


[106]
Ney
(fuͤr ſich:)

Vetter, Vetter — Hörte das meine Gemahlin
— ſie jubelte!


(wieder laut, aber verlegen:)

Monarch?


Blacas d’Aulps
(zu d’Ambray:)

Wie wenig kennt das Vieh die Etiquettenſpra-
che des Hofes.


D’Ambray.

Wie konnte er in Bonapartes Feldlagern Ver-
nunft lernen?


Koͤnig Ludwig
(zu Ney:)

Ja, Fürſt, — jeder Marſchall Frankreichs iſt
Vetter, und hoffentlich auch Freund des Königs.


Ney.

Bis in den Tod, Sire!


Blacas d’Aulps
(zu d’Ambray:)

Wie groß der König iſt — mit dem einzigen
Worte »Vetter« hat er ihn erobert.


Herzogin von Angouleme

(halb zu Blacas d’Aulps gewendet:)

Und wie klein der Sergeant iſt, daß ihn ſo
ein Wort beſticht! Wie ſchwach wir, daß wir ihn
beſtechen!


Blacas d’Aulps.

Königliche Hoheit, Sie hörten —?


[107]
Herzogin von Angouleme.

Alles, was Sie und d’Ambray flüſterten. Mein
Ohr iſt aus Verſailles.


(Sie tritt wieder an das Fenſter.)

Koͤnig Ludwig.

Vetter, der Bonaparte iſt bei Toulon gelandet.


Ney
(beſtuͤrzt:)

Wie — was? — Es iſt eine Erdichtung!


Koͤnig Ludwig.

Nichts weniger. Er iſt gelandet, und Sie ſol-
len uns von ihm befreien.


Ney.

Ich —? Von ihm? — Im Namen der —
im Namen Gottes denn, wenn es ſeyn — wenn
es geht.


Koͤnig Ludwig.

Wie ſollt’ es nicht gehen, wenn der Brave der
Braven, dem der Corſe ſeine größten Siege ver-
dankt, einmal gegen ihn ficht? Wir mindeſtens
trauen es Ihnen zu.


Ney.

Wirklich, Sire?


Koͤnig Ludwig.

Ich gebe Ihnen die Hand darauf.


Herzogin von Angouleme
(fuͤr ſich:)

Pfui!


[108]
Ney.

Das iſt zuviel, König, — das verdien’ ich
nicht. — Offen geſagt,

(denn ſo großer Güte ge-
genüber kann ich nichts mehr verbergen):

ich war
nicht der beſte Royaliſt, hatte zwar über den Kai-
ſer mich hart zu beſchweren, aber die Kaiſerzeit
nicht ganz zu vergeſſen — Sire, ich mach’ es
wieder gut — weg aus meiner Bruſt die letzte
Erinnerung an Ihn und ſeine Heerzüge — himmel-
tief ſteht er unter Ihnen — — Ja, geben Sie
mir Truppen, ich zieh’ ihm entgegen, und bring’
ihn Ihnen gefangen oder todt! — — Wie konnt’
ich ſo verblendet ſeyn — — Alles, alles an die-
ſem Hofe iſt edler, anmuthsvoller, erhabener als
am buntſcheckigen Lager zu St. Cloud!


Koͤnig Ludwig.

So eilen Sie, Vetter, von Familie und Freun-
den Abſchied zu nehmen, denn Ihre Beſtallung und
meine Befehle folgen Ihnen auf der Ferſe.


(Ney entfernt ſich.)

Herzogin von Angouleme.

Da abermals ein Pröbchen von der Treue und
der Kraft des neuen Adels!


Herzog von Berry.

Unter dem Ney dien’ ich in keinem Fall.


[109]
Herzog von Angouleme.

Ich auch nicht.


Koͤnig Ludwig.

Ihr behaltet die Haustruppen ausſchließlich.


Oberceremonienmeiſter
(tritt ein:)

Ein Courier, Majeſtät —


Koͤnig Ludwig.

Er komme.


(Oberceremonienmeiſter ab.)

Bald werd’ ich aber für heute der Audienzen müde.


(Der Courier tritt auf.)

Woher?


Courier.

Sire, von Wien.


Koͤnig Ludwig.

Ihre Botſchaft?


Courier.

Sie iſt mündlich und ſchriftlich.


Koͤnig Ludwig.

Die mündliche?


Courier.

Murat greift die Oeſterreicher an —


Herzogin von Angouleme

(wendet ſich vom Fenſter:)

Ha, klaffen bereits ſeine Hunde um Ihn?


[110]
Courier.

Bonaparte iſt in die Acht erklärt —


Koͤnig Ludwig.

Recht von dem Congreſſe. — Talleyrand?


Courier.

Iſt heiter.


Koͤnig Ludwig.

Das iſt ein gutes Zeichen. — Der Congreß
ſelbſt?


Courier.

Iſt bei der Nachricht von Bonapartes Landung
auseinander geflogen.


Koͤnig Ludwig.

Himmel, was?


Courier.

Ich ſelbſt ſah die Tauſende der Adjutanten
und Stallbedienten reiten, als Caleſchen hinter
Caleſchen, der Kaiſer von Rußland und der König
von Preußen mit den ihrigen unter ihnen, aus
dem Thor fuhren.


Herzog von Berry.

Die ſchwachen Menſchen. Fliehen vor einem
Abentheurer.


Herzogin von Angouleme.

Kannteſt du den Abentheurer bei Auſterlitz und
bei Jena?


[111]
Herzog von Berry.

Nein.


Herzogin von Angouleme.

Da lernten ihn die beiden Herrſcher kennen.


Herzog von Berry.

Ihn nicht, wohl aber ſein Glück.


Koͤnig Ludwig
(zu dem Courier:)

Ihre Schriften —


(Der Courier uͤbergibt ſie ihm.)

Sie ſelbſt ſind bis auf Weiteres entlaſſen.


(Courier ab.)

Talleyrand ſchreibt, er ſey beſorgter, als er in
ſeinen Mienen merken laſſen dürfe. Die Landung
von Elba würde zum Weltereigniß, erdrückten wir
es nicht im Keim.


Herzog von Berry.

Bonaparte iſt toll, Talleyrand iſt toll! Das
iſt Alles!


Herzogin von Angouleme.

Talleyrand toll? Ich weiß nicht. — Doch
Bonaparte, der das wirklich thut, was Talleyrand
oft heucheln ſoll, der kein Auge aufſchlägt, keinen
Schritt macht, ohne berechnet zu haben, wohin er
blickt, wohin er tritt? — Schlecht iſt er, ja oft
klein pfiffig, — aber toll? So möcht’ ich hören,
was klug iſt.


[112]
Koͤnig Ludwig.

Halt’ ihn nicht fuͤr zu gefährlich.


Herzogin von Angouleme.

Er iſt gefährlich. Frage nach bei Jacobinern
und Royaliſten, frage nach an den plötzlich von
ihm geraubten Küſten Aegyptens oder der Nordſee,
frage nach an den Mauern von Danzig und Sar-
ragoſſa — Wie die ſtilldunkle Wetternacht iſt er —
Erſt wenn du getroffen biſt, merkſt du: es hat ge-
blitzt. — Sieh, unter’m Buſen bricht mir die mit
Lilien geſchmückte Goldſpange jach auseinander —
Auch das kommt unerwartet, aus Angſt vor Ihm
— — Iſt ſelbſt dieſe Kleinigkeit nicht bedeutend?


Oberceremonienmeiſter
(tritt ein:)

Sire, das Nef iſt aufgeſetzt.


Koͤnig Ludwig.

So laßt uns ſpeißen.


(Oberceremonienmeiſter ab.)

Herzogin von Angouleme
(fuͤr ſich:)

Jetzt ſpeiſen! Welch unverwüſtlicher Appetit! —


(Laut:)

Majeſtät, darf ich Eines bitten?


Koͤnig Ludwig.

Fod’re.


[113]
Herzogin von Angouleme.

Laßt ſofort meinen Gemahl nach der Gegend
von Lyon eilen, Berry ihn mit einem Theil der
Haustruppen begleiten. Vielleicht treibt der An-
blick der königlichen Prinzen den Empörern die
Schaamröthe, falls ſie davon etwas haben, in das
Geſicht. Ich ſelbſt bitte um Urlaub nach meiner
treuen Stadt Bordeaux. Dieſe Perle an der See
ſoll er mir ohne Kampf nicht nehmen.


Koͤnig Ludwig.

Du verlangſt viel. Doch halb und halb hab’
ich Gewährung verſprochen — — Wenn die Prin-
zen nichts erinnern?


Herzog von Angouleme.

Ich bin conform mit meiner Gemahlin, Sire.


(fuͤr ſich:)

Unangenehme Reiſe. Das Wetter wird ſeit Mit-
tag auch ſchlecht.


Herzog von Berry.

Den Spazirritt nach Lyon mach’ ich zur Ab-
wechslung mit.


Koͤnig Ludwig.

Aber heute laßt uns erſt von dem Wildprett
Monſieurs koſten.


8
[114]
Herzogin von Angouleme.

Sire, ich komme mir ſelbſt wie ein gehetztes
Wild vor und mag dergleichen nicht eſſen. Ver-
ſchone mich mit dem Mahl — Laß mich noch dieſe
Nacht nach Bordeaux.


Koͤnig Ludwig.

Wünſcheſt du es, ſo muß ich es bewilligen, ſo
lang auch der kurze Abſchied meinem Herzen ſchmer-
zen wird.


Herzogin von Angouleme.

Ich küſſe Deine Hand, Sire — — Ach, wo
ſehen wir uns wieder?


Koͤnig Ludwig.

In Paris.


Herzogin von Angouleme.

Und wie?


Koͤnig Ludwig.

Du biſt zu furchtſam.


Herzogin von Angouleme.

Furchtſam? — Sire, Waffen, Waffen!
Waffen
!


(Ab. Der Koͤnig, der Herzog von Angouleme, und der
Herzog von Berry ebenfalls.)

[115]
Blacas d’Aulps.

(zu d’Ambray, indem er mit ihm folgt:)

Die Herzogin behandelt den Vorfall auf die
überſpannteſte Art.


D’Ambray.

Es iſt eine Dame, Herr Graf, — da hilft
nichts — die Damen laſſen ſich eher alles andere
ausreden, als ihre Schwächen.


(Beide auch ab.)

[116]

Fünfte Scene.


(Paris. Greveplatz, in der Gegend der Laterne.)

(Zwei Buͤrger kommen.)

Erſter Buͤrger.

Das iſt eine Nacht!


Zweiter Buͤrger.

Hut in’s Geſicht, Mantel enger um die Schul-
tern! — Oben regnet’s, unten marſchirt Ney mit
Truppen aus den Thoren. Gott weiß, was das
bedeutet!


Erſter Buͤrger.

Schade um den Ney. Er war ein anderer
Kerl, als er noch unter Napoleon im Feuer ſtand,
und nicht in den bourboniſchen Vorhöfen kroch.


Zweiter Buͤrger.

Still — Patrouillen —


Eine Linieninfanterie-Patrouille
(kommt:)

Wer da?


Erſter Buͤrger.

Bürger von Paris.


[117]
Patrouille.

Begeben Sie ſich nach Haus, meine Herren, —
im Namen des Königs!


(Patrouille zieht vorbei.)

Erſter Buͤrger.

Freund, was iſt das —? — Ha ſchon wieder
eine Patrouille. —


Zweiter Buͤrger.

Gensd’armes zu Pferde.


Ein Gensd’armes.

Wer da? Zu Haus Leute, in eure Betten, zu
euren Weibern — auf der Stelle —


Erſter Buͤrger.

Herr, ihr ſprecht als wären wir [Sclaven].


Der Gensd’armes.

In den Betten iſt es wärmer und beſſer als
hier.


Zweiter Buͤrger.

Der Mann hat Recht und Verſtand. Komm,
Freund. Es wird hier draußen mehr und mehr
unheimlich.


Erſter Buͤrger.

Nun, wär’ auch eine Empörung im Ausbruch,
— die Nationalgarde, wozu auch wir gehören —


[118]
Zweiter Buͤrger.

— und die ihre Officiere von den Vorſtädtern
an der Laterne da aufknüpfen läßt, weil ſie ſtets
an ihr Vermögen denkt, der Vorſtädter an ſein
Nichts?


Erſter Buͤrger.

Wahr, wahr! Zu Haus, zu Haus!


Der Gensd’armes.

Noch immer geſchwatzt? Tod und Hölle, fort!


(Patrouille und die beiden Buͤrger ab.)

(Fouché und Carnot begegnen ſich von verſchiedenen Seiten.
Beide ſind tief in Maͤntel gehuͤllt.)

Fouché.

Ha, du biſt es! — Ich ſchickte zu dir — du
wareſt nicht zu Haus. Hier dacht’ ich dich zu
finden.


Carnot.

Als ich hörte, daß du geſchickt hatteſt, ſucht’
ich dich auch hier, Otranto — oder, wie ich dich
lieber nenne, Fouché.


Gens’darmerie-Patrouille zu Fuß
(kommt:)

Wer hier?


Fouché
(zu Carnot:)

Die Narren will ich anführen. Ich kenne ihre
[119] Loſung. Sie ſollen uns für zwei Mouchards erſter
Sorte halten.


(Zu den Gensd’armes:)

Wo ihr Officier?


Officier.

Da bin ich.


(Nachdem ihm Fouché etwas in das Ohr geſagt hat:)

Wünſch’ Ihnen Glück im Geſchäft, meine Herren.


(Die Patrouille zieht weiter.)

Carnot.

Hm, bediene dich nicht des Betruges.


Fouché.

Muß man es jetzt nicht thun, wenn man unter
den Schurken das Gute durchſetzen will?


Carnot.

Ha, da —


Fouché.

Wie wird dir?


Carnot.

Ein unwillkührlicher Schauder iſt verzeihlich:
bedenke, wo wir ſtehen, hergebannt vom dunklen
Triebe.


Fouché.

Die berüchtigte Laterne des Greveplatzes faßt
mit ihrem Mörderarm über uns in die Nacht
und dort, in der Mitte raſſelte die permanente
[120] Guillotine, als auch du im Wohlfahrtsausſchuß
ſaßeſt.


Carnot.

Da ſtand ſie — das blutige Ungeheuer —


Fouché.

Du ſelbſt unterzeichneteſt die Todesurtheile der
Tauſende und aber Tauſende, welche unter ihr
fielen, mit.


Carnot.

Eben deshalb bin ich bewegter als du. —
Fouché, welche Eichen verloren hier ihre Kronen!
Dieſer Platz iſt der Opferaltar Frankreichs! —
Hier ſanken Danton, Herault de Sechelles, Robes-
pierre — auch der König fiel nicht weit von hier.


Fouché.

Gereut es dich?


Carnot.

Nimmer! Es ging nicht anders. — Was mit
den Leuten zu machen, wenn ihre Zeit vorüber
war, und ihre Anhänger doch trotzen und rückwir-
ken wollten?


Fouché.

Du haſt in deinem Memoire geſprochen.


Carnot.

Du in dem deinigen. — Wir ſind Eins, nur
[121] unſer Ausdruck iſt verſchieden. Aber ſprechen wir
auch mit den Zungen aller zwei und dreißig Winde,
es hilft nichts. Drum ſag’ an, was iſt zu thun?


Fouché.

Die Bourbons müſſen fort mit ihrer alten Zeit,
— ſie haben bewieſen, daß ſie nichts Neues lernen
können, und — erſchrick nicht, Republicaner —
Bonaparte muß zurück.


Carnot.

Bonaparte? Weißt du, was du ſagſt? Der
vertilgte die Freiheit mehr als alle Tyrannen von
Valois und Bourbon. Ja, man ſchelte den Wohl-
fahrtsausſchuß und ſein Blutſyſtem, wie man wolle:
ſeine Ideen waren größer als der Egoismus des
Generals Bonaparte.


Fouché.

Gewiß. Aber wir bedürfen irgend eines neuen
Menſchen an der Spitze, und können Napoleon
nicht übergeh’n. Auch iſt er nicht mehr der von
1811. Sein Ruhmesglanz war ſein Diadem. Im
Regen von Leipzig erblich es ſo ziemlich, und blieb
nur ſo viel Schimmer übrig, als wir gebrauchen
mögen, ohne zu fürchten, er blitze uns abermals
damit zu Boden. Er werde wieder Kaiſer, jedoch
kräftig gebändigt mit einer Conſtitution.


[122]
Carnot.

Die zerbricht er auf bekannte Manier, ſobald
er zwei Schlachten gewonnen hat.


Fouché.

Zwei — oder ſicherer drei Schlachten ſoll er
nicht auf der Reihe gewinnen.


Carnot.

Menſch — ehemaliger Polizeiminiſter —


Fouché.

Sprich den »Polizeiminiſter« nicht bitter aus.
Frankreich beſteht ohne ſolchen keine vier Wochen.


Carnot.

Bonaparte kann nicht zurückkommen. Ausge-
ſtoßen von aller Welt iſt er auf Elba.


Fouché.

War!


Carnot.

Wie?


Fouché.

Was ſchreiben wir heute?


Carnot.

Den ſiebenzehnten März.


Fouché.

Gut, ſo iſt er ſchon in Auxerre.


Carnot.

Raſerei!


[123]
Fouché.

Nein, — lies mein Tagebuch, hier bei dem
rothen Schein der furchtbaren Laterne, — am
dreizehnten reiſ’te er von Lyon ab.


Carnot.

Unmöglich!


Fouché.

Das Wort kennt Er nicht, oder will es nicht
kennen, was auch etwas ſagt. — — Siehſt du,
wie der Telegraph mit Feuerlichtern auch bei
Nacht geht? Und weißt du, welche Nachricht er
eben empfängt und ſie nach allen Ecken an Frank-
reichs Präfecten und Gouverneure weiter ver-
breitet?


Carnot.

Nein.


Fouché.

Wart’ einen Augenblick — Da hab’ ich den
Schlüſſel der Chiffre, — er verbreitet: Bonaparte
iſt dieſſeits Lyon gefangen, ſeine Leute ſind zer-
ſprengt und er iſt vor die Aſſiſen geſtellt.


Carnot.

Das klingt anders als deine Behauptungen.


Fouché.

O du unſchuldiges, kindliches Genie! — Wär’
[124] ich wie du, und kennte blos die Wiſſenſchaft und
die Tugend, nicht aber die Menſchen! — — Wiſſe:
in einer Stunde iſt halb Frankreich getäuſcht, —
denn die Telegraphenlinie von Toulon lügt, und
das äußerſt grob, wie es für den Verſtand von
Blacas d’Aulps paßt. Wahrſcheinlich hat Napo-
leon, um die Bourbons deſto ſicherer zu machen,
dabei ſelbſt die Hand im Spiel. Wie wäre er
über Lyon heraus gekommen, haͤtt’ er nicht ſchon
eine Armee um ſich, wären nicht Grenoble, nicht
alle Truppen zu ihm übergegangen? Noch wenige
Tage und er iſt in Paris.


Carnot.

So mag er regieren. Aber jeder Blutstropfen
empört ſich bei dem Gedanken, daß er den aſiati-
ſchen Despoten erneut.


Fouché.

Ich wiederhole, das ſoll er nicht, und wären
auch wir beide nur einig. — Folge mir, — ich
kenne eine Wirthſchaft in St. Martin, wo wir
uns unbeachteter ſprechen können als auf dieſem
Platz oder in unſren Hotels.


Carnot.

Alleswiſſender, was machen jetzt die Bourbons?


[125]
Fouché.

Sehen nach dem Telegraphen und glauben,
bis ſie fühlen, daß ſie irrten. Vielleicht iſt auch
zu dem Letzteren ihr Fell noch zu hart. Möglich,
daß ſie bald flüchten müſſen, und doch wähnen, es
ſey etwa nichts mehr als eine Promenade. —
Teufel, wer ſchnarcht da auf der Treppe? — Heda!
wer ſeyd ihr?


Chaſſecoeur

(mit Vitry aufſpringend:)

Zwei Kaiſergardiſten, ohne Brot und Obdach!


Fouché.

Ah, die thun uns nichts! — Habt ihr etwas
gehört, ſo ſagt es nicht wieder!


(Mit Carnot ab.)

Vitry.

Haſt du etwas gehört?


Chaſſecoeur.

Nichts Rechtes. Ich ſchlief ſchon ganz er-
träglich.


Vitry.

Ich auch. — Wir wollen uns wieder hinlegen.


(Sie thun es.)

[[126]]

Dritter Aufzug.


Erſte Scene.


(Paris. Greveplatz in der Naͤhe der Laterne. Es iſt Nach-
mittag.)

(Volk, zum Theil muͤßig, zum Theil beſchaͤftigt. Chaſſecoeur,
Vitry und ein Schneidermeiſter im Vorgrunde.)

Vitry.

Es iſt nicht richtig, Chaſſecoeur! Nachts wecken
uns verdächtige Geſpräch, Ney iſt fort mit den
Truppen, die Angouleme ſoll ſchon auf dem Wege
nach Bordeaux ſeyn, und dort geht ein kleiner
Emigrant mit ſeinem Reiſebündel — Adieu, mein
Herr!


Der Emigrant.

Wir kommen wieder, Herr von Namenlos —


[127]
(Fuͤr ſich:)

O Feuer, Schwert, Schaffotte — Das ganze ab-
trünnige Frankreich ſoll brennen und bluten!


(Ab.)

Chaſſecoeur.

Wer weiß, wohin der Emigrant betteln geht,
und die Angouleme wird in ihrem Bordeaux beten
wollen, daß ſie ein Kind bekömmt, wie die Jung-
frau Maria, ohne Hülfe ihres Mannes, weil ihr
dieſe Hülfe doch nicht helfen kann. — Hol’s der
Teufel!


Schneidermeiſter.

Meine Herren, meine Herren, die Herzoge
Angouleme und Berry fahren aus der Stadt, auch
die Herren Blacas d’Aulps und d’Ambray haben
ſeit einer Viertelſtunde Reiſepelze an. — Es wird
wieder luſtig.


Chaſſecoeur.

Convulſiviſcher Wurm, wer biſt du?


Schneidermeiſter.

Herr Menſch, ein pariſer Kleiderfabricant, der
Sie, wenn Sie ſeine Ehre beleidigen, mit dieſer
Nadel ſieben und ſiebenzigmal durchbohrt, ehe Sie
ihm eine einzige Wunde mit dem Degen anflicken!


Chaſſecoeur.

Ich zittre ſchon.


[128]
Fraudes Schneidermeiſters
(kommt:)

Mann, lieber Mann, find’ ich dich endlich, —
o nach Haus! Auch unſre Straße iſt voll Lärm
und Bewegung! Man ſagt der Kaiſer käme zurück.


Chaſſecoeur.

Sollt’ es ſeyn? — O!


Schneidermeiſter.

Dummes, infames Weib, ſprich leiſer —


(Leiſe:)

Käm’ er zurück, ſo wäre das viel für Frankreichs
Ehre und für meine Wohlfahrt. — Geh, Nadeln
und Zwirn angeſchafft, ſoviel du kannſt! Wir
machen bald Monturen! — Ich ſondire hier nur
noch ein bischen die Stimmung von Paris, — es
iſt der beſte Platz dazu. — Drum geh, ich komme
gleich nach.


Frau des Schneidermeiſters.

Gleich? — Iſt das gewiß?


Schneidermeiſter.

Meinſt du, ich würde dich und meine Würm-
chen in der Gefahr allein laſſen?


(Frau des Schneidermeiſters ab.)

Jeſus! heiliger Geiſt! Da kommt der König! Und
welchen Rock trägt er! De anno 1790 — Ge-
[129] ſchmack, Geſchmack, du ſinkſt in das Meer! Das
verſchulden die Engländer!


Eine Dame der Halle
(tritt auf:)

Ach Gott, ich weine — wie erſchütternd geht
es in der Deputirtenkammer her. — Alle Depu-
tirten wollen ſich für den König opfern —


Vitry.

Thun ſie es auch?


Die Dame der Halle.

Sie hätten es gewiß gethan, wenn er nicht
zu ſchnell Abſchied genommen hätte. Und wie
ſprach er! Thränen, ſag’ ich, Thränen im Auge!
Mit einem battiſtenen Schnupftuch voll geſtickter
Lilien wiſchte er ſie ab — ach, die Lilien werden
unter ſolchen Tropfen nur zu herbe genäßt.


Vitry.

Da hält der Königsmann mit ſeiner Kutſche
im Gedränge.


Chaſſecoeur.

Er wird etwas herſchwatzen, was wir in die-
ſer Entfernung gar nicht hören, und von den
Nächſtſtehenden kaum drei, ohne daß ſie es be-
greifen.


Vitry.

Deſto mehr Reſpect haben ſie davor.


9
[130]
Viele aus dem Volk.

Still! ſtill! — Der große Monarch!


Schneidermeiſter.

Erhöbe ſich der König nur nicht, bliebe er nur
ruhig ſitzen, und verdeckte ſeine Frackſchöße, denn
von allen im Univerſum ſind ſie die abſcheulichſten.
Weit auseinander klaffend! Iſt das franzöſiſch?
Es iſt nicht einmal engliſch — es iſt barbariſch!
An dem Kleide den Mann — wer ſich albern
kleidet, iſt albern — Aus mit unſerm ſchönen
Lande! — So gewiß die Revolution nicht entſte-
hen konnte, wenn man Reifrock, Perücke und Pu-
der beibehalten und ſich daher wohl gehütet hätte,
einander auf den Leib oder in die Haare zu kom-
men, ſo ſicher kann die königliche Würde nicht be-
ſtehen, wenn der König durch ſeine Frackſchöße
eine Sache zeigt, die zwar auch groß und gewal-
tig, aber nichts minder als majeſtätiſch iſt.


(Man hoͤrt den Koͤnig reden.)

Eine Dame der Halle.

Ach — das iſt zum Herzbrechen —


Volk.

Lang lebe der König!


(Die Kutſche des Koͤnigs faͤhrt weiter.)

Schneidermeiſter.

Was ſprach er?


[131]
Die Dame der Halle.

O, mein Herr, welche Zunge vermag es wieder
zu ſagen? »Die rührendſten Beweiſe der Liebe
hätt’ er von ſeinem Volke erhalten! wenige Ver-
räther ſtörten Frankreichs Glück! Er wolle ſich an
die Spitze der Armee ſtellen!« O, der wahre Sohn
Heinrichs des Vierten!


Chaſſecoeur.

Der alte podagriſche — will an die Spitze der
Armee?


Schneidermeiſter.

Alles ſehr gut, meine Dame, aber weshalb
läuft er fort, wenn ſo rührende Beweiſe der Liebe
und ſo wenig Verräther da ſind? — Volk, Volk,
laß dich durch Mitleid und Edelmuth nicht um
deine Klugheit betrügen! Der König will nach
Wien und dort auf dem Congreſſe Frankreichs
beſte Provinzen verſchenken! Dafür ſollen ihm die
Ruſſen helfen, alle Nicht-Emigranten zu un-
terdrücken! Das iſt ſchon lange im Werk ge-
weſen!


Volk
(wuͤthend:)

Der verfluchte bourboniſche Heuchler! Ihm
nach — fanget, feſſelt ihn!


[132]
Schneidermeiſter.

Recht ſo — und ſoll er verbluten, ſo thu’ er
es an unſeren treuen Herzen!


(Fuͤr ſich:)

Das verdirbt die Kleider und nützt meinem Ge-
ſchäft.


Mehrere Stimmen.

Er iſt ſchon fort — über alle Berge!


Ein aͤltliches Frauenzimmer.

Schimpft nach Belieben — Er war doch ein
guter Mann.


Chaſſecoeur.

Ja, er aß Roſtbeef, aber keine Ofenſchrauben.


Vitry.

Du ſchilderſt ihn. Was da?


Leute verſchiedenen Standes

(ſtuͤrzen herein:)

Napoleon iſt gelandet —


Chaſſecoeur.

Vitry!


Vitry.

Chaſſecoeur! das Veilchen blüht!


Schneidermeiſter.

Die beiden Gardiſten ſpringen auf, als ging’
es zum Tanze!


[133]
Die Leute.

— und bei Chalons für Saone iſt er gehängt
worden!


Chaſſecoeur.

Wer ſagt das?


Die Leute.

Der Moniteur und der Telegraph.


Vitry.

Sey ruhig, Chaſſecoeur. — Wenn die beiden
zuſammen es ſagen, ſo iſt es doppelte Lüge. War-
um liefe der König ſonſt weg?


Anderes Volk
(ſtuͤrzt herein:)

Der Kaiſer iſt in Fontainebleau!


Schneidermeiſter.

Donner und Hagel! — Neys Armee?


Volk.

Iſt zu ihm übergegangen, und hat ihm den
Marſchall mitgebracht!


Schneidermeiſter.

Die armen Bourbons!


Vitry
(zu Chaſſecoeur:)

Von nun an laß das Raiſonniren — nicht
mehr nöthig — denk’ an deine Waffen.


Chaſſecoeur.

Sie liegen geputzt und blank im Winkel.


[134]
Vitry.

Die meinigen auch!


Schneidermeiſter

(zu einem Nebenſtehenden:)

Paß auf, jetzt ſtift’ ich eine Revolution.


Der Nebenſtehende.

Wodurch?


Schneidermeiſter.

Narr, durch dieſen Pflaſterſtein — — Ich
blicke, blicke und blicke auf ihn hin.


Savoyardenknabe.

«La marmotte» —


(Er ſtockt und deutet auf den Schneidermeiſter:)

Was hat der Menſch?


Andere Umſtehende.

Was ſieht der?


Noch Andere.

Was geſchieht?


(Es draͤngt ſich allmaͤhlig eine große Volksmaſſe um den
Schneidermeiſter.)

Schneidermeiſter
(halb laut:)

Hm — Hum — Oh!


Volk.

Großer Gott! Was iſt?


[135]
Schneidermeiſter
(murmelt:)

Gefahr — Paris — Die Seine — Ariſtokra-
ten —


Einer aus der Maſſe.

Was ſagt er?


Ein Anderer.

Verſtehſt du nicht? Die Ariſtokraten wollen
Paris untergraben, es mit Pulver von Vincennes
in die Luft ſprengen, wollen die Seine ableiten,
und die Zufuhr ſperren!


Weiber.

Wir Unglücklichen! o, unſere Kinder!


Maͤnner.

Waffen! Waffen! — Die Arſenale erbrochen!
— Waffen! Waffen!


Ein Buͤrger
(kommt:)

Meine Herren, es iſt wahr — man will die
Seine ableiten — Hier hab’ ich eine Schaufel —
ſie lag an ihrem Ufer — Zeugniß genug!


Volk im Vordergrunde.

Die Schaufel — o, die Schaufeln!


Volk im Mittelgrunde.

Man minirt unter der Seine — Zehntauſend
Schaufeln ſind entdeckt!


[136]
Volk im Hintergrunde.

Auf! auf! Wir wollen uns wehren für Leben,
Weib und Kind, oder was es ſonſt ſeyn mag!


Schneidermeiſter
(fuͤr ſich:)

Das Letzte klingt luſtig — »Was es ſeyn
mag!« — Sie wiſſen nicht, was ſie wollen, und
werden nehmen, was ſie bekommen. — Ich aber
weiß mein Theil, — neue Regierung, neue Kleider!


(Halb fuͤr ſich:)

Das Brot — Gott, das Brot —


Volk.

Die Bäcker, die Müller erwürgt! Sie ſind von
den Miniſtern beſtochen, uns aushungern zu laſſen!
Es findet ſich kein Brot mehr in der Stadt! Brot,
Brot, Brot!


Schneidermeiſter.

Wie ſie auf einmal hungrig werden! — Aber
— o wer kommt da? — Weh! die Vorſtadt St.
Antoine! Die ganze Stadtſippſchaft, mit welcher
ich mich bis jetzt vergnügte, rettet weder mich noch
ſich gegen das Belieben dieſer Beſtien von Habe-
nichts und Herren von Schlagzu! — Ach, wir
lebten unter dem achtzehnten Ludwig ſo glücklich!


Ein Nebenſtehender.

Auch du?


[137]
Schneidermeiſter.

Freilich. Wie ſonſt hätt’ ich ſo kühn ſcherzen
können?


(Er horcht auf:)

Und Himmel! ſchon das alte, wilde ça ira — Mir
fröſtelt’s im Blut! Es wird weiß, wie Schnee!


Vorſtaͤdter von St. Antoine

(treten auf, ſingend:)

Ah! ça ira, ça ira,

Suivant les maximes de l’Evangile,

Ah ça ira, ça ira, ça ira,

Du legislateur tout s’accomplira.

Ein Buͤrger.

Wie paßt das heute?


Schneidermeiſter.

Ça ira, mein Herr, heißt ſo viel als «Kopf ab,
wo es uns gefällt». Mit dem Inhalt iſt es einer-
lei, aber die Bedeutung und Wirkung iſt dieſelbe.
— Wir Armen!


Vitry.

Ja, Chaſſecoeur, ſo etwas haſt du in Rußland
nicht geſehen, — das ſind die echten Ohnehoſen
und Schonungsloſen — Ihre Piken ſind ſchlimmer
als die der feigen Koſaken!


[138]
Vorſtaͤdter von St. Antoine.

Ah! ça ira, ça ira, ça ira,

Celui qui s’éleve, on l’abaissera,

Celui qui s’abaisse, on l’élevera,

Ah ça ira, ça ira, ça ira.

Le peuple armée toujours se gardera,

Le clergé regrette le bien qu’il a,

Ah ça ira, ça ira, ça ira,

Par justice la nation l’aura,

Ah! ça ira, ça ira, ça ira.

Schneidermeiſter.

Welche Orcheſterbegleitung! Ein zerlumpter
Bärenführer mit der Trommel und ein ſchmutziger
Junge mit einem Triangel! Na, Opern, jetzt iſt
es aus mit euch!


Vorſtaͤdter von St. Antoine.

Pierrot et Margot chantent à la guinguette,

Ah! ça ira, ça ira, ça ira,

Rejouissons nous, le bon tems viendra,

Ah! ça ira, ça ira, ça ira.

Schneidermeiſter.

Wie gern lief’ ich weg — die verwünſchte Neu-
gierde! Es ſieht zu curios aus — O — da iſt
Jouve, der Kopfabhacker von Verſailles und Avig-
non, wieder an der Spitze, eine ellenhohe rothe
[139] Mütze auf dem Kopfe — Seit zwanzig Jahren
ſah’ ich ihn nicht — — Und da tragen ſie auf
den Schultern eine Hure, in ihrer Jugend, als
Gott vom Wohlfahrtsausſchuß abgeſetzt war, Göt-
tin der Vernunft, und jetzt dieſelbe noch einmal,
aber recht gealtert.


Vorſtaͤdter von St. Antoine.

Hoch die Vernunft!


Andere.

Die Hölle mit ihr!


Wieder Andere.

Und der Himmel breche zuſammen!


Noch Andere.

Der Teufel ſoll Gott ſeyn!


Alle.

Das ſoll er, er iſt ein braver Kerl!


Jouve.

Das iſt er, Brüder, aber eben darum der Ver-
läumdete, der Unterdrückte —


(Zu dem Schneidermeiſter:)

Lumpenhund, was blinzelſt du mit den Augen?


Schneidermeiſter.

Vor Freude, mein Herr, daß in Frankreich
auch der Teufel zu Recht und Ehre kommt.


[140]
Viele Vorſtaͤdter.

Jouve, laß den Mann geh’n — er iſt ſo übel
nicht —


Jouve.

Dann iſt er ſchlecht genug — Wer nicht für
uns iſt, der iſt wider uns — Dieſer, merk’ ich, iſt
ein Schuft, der ſeine Courage da hat, wo er
nichts zu fürchten braucht, — der die Fahne auf
der einen Seite weiß, auf der anderen dreifarbig
trägt, und ſie nach dem Winde ſchwingt. — Seht,
wie er anfängt, ſich hin und her zu wenden — er
möchte jetzt gern fort, nach Haus, ſich dort mit
ſeiner Familie hinter dem Ofen verſtecken, biswei-
len an die Fenſterladen ſchleichen, durch die Ritzen
gucken, und ohne Gefahr bemerken, was es auf
der Straße für Unheil gibt, um gleich darauf in
Sicherheit darüber zu ſchwatzen — Derlei Memmen
ſind ſchändlicher als die öffentlichen Mordbrenner
— — Schneiderfetzen, (denn ſo etwas wirſt du
ſeyn) Courage, Scheere, Nadeln heraus, — hier
mein Schmiedehammer — Wehre dich oder crepire!


Schneidermeiſter.

Weh mir!


Jouve.

Nieder!


(Er ſchlaͤgt ihn zur Erde:)

[141]
Vorſtaͤdter und anderes Volk.

Ha! Blut! Blut! Blut! Schaut, ſchaut,
ſchaut, da fließt, da flammt es — Gehirn, Gehirn,
da ſpritzt es, da raucht es — Wie herrlich! Wie
ſüß!


Jouve.

Schneiderblut und Schneidergehirn — Beſſeres
Blut thut uns noth — Wer noch keine rothe Mütze
hat, färbe ſich, bis wir edleres haben, mit dieſem
Blute das Haar.


(Viele Vorſtaͤdter thun es.)

Vorwärts — die Tuillerien angeſteckt — Es lebe
die Freiheit!


Alle Vorſtaͤdter.

Sie lebe!


Ein Vorſtaͤdter.

Da kommt Nationalgarde!


Jouve.

Geh’ du hin, und ſag’ ihren Anführern, ſie
möchten ſich mit ihren Leuten auf der Stelle, und
zwar mit gekrümmtem Buckel nach Hauſe begeben,
ſonſt würd’ ich ihnen in der Manier, wie ich ſie
1789 in Verſailles lernte, ihre Köpfe, falls ſie et-
was von Kopf haben möchten, dergeſtalt abhacken,
[142] daß dieſelben, ehe ſie den Mund zum Schrei auf-
ſperren könnten, auf dem Boden lägen. —


(Der von Jouve Angeredete ab.)

— Wer ein guter Patriot iſt, folgt mir nach!
Hacket dem verrätheriſchen Schneider die Finger
ab, und ſteckt ſie in den Mund als Zigarren der
Nation!


Viele Vorſtaͤdter.

Her die Finger! — Ach, er hat nur zehn!


Jouve.

Geduld, es gibt Verräther genug, um noch
tauſende zu erhalten. Bekommen wir den König
oder den Kaiſer in die Hände, ſie gehören beide
mit dazu.


Chaſſecoeur.

Der Kaiſer?


Vitry.

Camerad, ſtill — den Kaiſer und uns hat die
Revolution gemacht, dieſe aber machten die Revo-
lution und den Kaiſer.


Jouve.

Welcher Bengel wagte mir in die Rede zu
fallen und nach dem Kaiſer zu fragen?


Vitry.

Da haſt du es, Chaſſecoeur.


[143]
Chaſſecoeur.

Ein kaiſerlicher Gardegrenadier zu Pferde.


Jouve.

Leute, der Kerl macht ſich Titel — An den
Arm der Laterne mit ihm!


Vorſtaͤdter.

An den Laternenarm den Verräther!


Vitry.

Bitte, bitte, ſchont ihn, ihr Helden der Revo-
lution —


Vorſtaͤdter.

Ah —


Vitry.

Schöne, allerſchönſte Göttin der Vernunft, leg’
ein Wort für den Unvernünftigen ein — Es ge-
ziemt der Vernunft, die Tollen zu bemitleiden.


Goͤttin der Vernunft.

Jouve, laß den Narren närriſch ſeyn. Er iſt
ſo geboren und in der Armee ſo erzogen — er
kann es nicht ändern.


Jouve.

Du ſagſt es, Göttin. — Aber du kaiſerlicher
Gardegrenadier zu Pferde, merke dir mit deinem
ſchwachen Verſtande die Kleinigkeit: ſoll dir nicht
[144] hineingeſchlagen werden, ſo reiße gegen franzöſiſche
Bürger das Maul nicht zu weit auf.


Chaſſecoeur.

Hölle —


Vitry.

Sacht! — der Kaiſer iſt gewiß bald da.


Advocat Duchesne
(kommt:)

Meine Herren —


Vitry
(beiſeit zu ihm:)

Herr Redner, ſtill — Die da verſtehen den
Teufel von Ihrem Brei, und wen ſie nicht verſte-
hen, den bewundern ſie nicht, wie unſre Bekannten
im Palais-royal, ſondern ſie bringen ihn um.


(Gensd’armerie zu Pferde kommt.)

Ein Hauptmann der Gensd’armes.

Auseinander, Pöbel!


Jouve

(zu einem ſeiner Nebenmaͤnner:)

Schleich’ dich hinter das Pferd des Gend’ar-
meshauptmanns, reiß’ ihn rücklings herunter — ich
falle ihn und ſeinen Gaul von vorn an


(Jouves Nebenmann ab.)

Was wollen Sie, mein Herr?


Hauptmann der Gensd’armes.

Nur Ruhe.


[145]
Jouve.

Die ſoll Ihnen werden, in zwei Minuten. —
Leute, habt ihr recht ſtarke Stricke? Der Kerl iſt
fett und ſchwer.


Hauptmann der Gensd’armes.

Empörung! Schießt, haut ein, Gensd’armes!


Jouve.

Wer iſt mehr, ein Gensd’armes oder ein Fran-
zoſe? Ihr hauet nicht ein, Bürger Gensd’armes,
aber euren elenden Hauptmann hängen wir an
jene Laterne, ſo gewiß als ihn mein Freund in
dieſem Augenblick vom Pferde reißt.


Hauptmann der Gensd’armes.

Rettet mich, Cameraden!


Jouve.

Findeſt deine Cameraden in der Hölle.


(Er ſchlaͤgt das Pferd des Hauptmanns der Gensd’armes
nieder.)

Vorſtaͤdter.

In die Luft den Kerl! Hopſa!


Hauptmann der Gensd’armes.

Schändlich — — Thut alles, nur meinem
Halſe nicht zu weh —


(Er haͤngt:)

Ach!


(Er ſtirbt.)

10
[146]
Jouve.

Wo ſind die anderen Gensd’armes?


Ein Vorſtaͤdter.

Schnell auseinander und fortgeritten.


Jouve.

Das war von ihnen weiſe gehandelt!


(Aufhorchend:)

Was für Trompeten?


Chaſſecoeur und Vitry

Ha!


(horchen auch auf:)

Volk.

Dort zahlloſe Reiterei!


Einige.

Kennt ihr die klirrenden Kalpaks von Blech
und Stahl? Es ſind polniſche Lanzenreiter.


Jouve.

In Ordnung, Brüder — Man will uns im
Namen des längſt hingerichteten Kaiſers überrum-
peln! — Da Trommeln?


Ein Ankommender.

Die Infanterie von Ney, an den Tſchackos das
Tricolor!


Jouve.

Satan, von jener Seite?


[147]
Der Angekommene.

Artillerie, bedeckt von den Kuiraſſiren Milhauds.


Jouve.

Wie konnte der kleine Corporal das alles ſo
ſchnell ordnen? — Er iſt doch ein tüchtigerer Kerl
als Mirabeau, Robespierre oder ich — Schade,
daß er tyranniſirt! — Links? und hinter uns?


Der Angekommene.

Links die Garde zu Fuß mit der alten Parade-
muſik, hinter uns die Garde zu Pferd, — ſo weit
man blickt nichts als Bärenmützen!


Chaſſecoeur und Vitry.

Unſre Cameraden, unſre Cameraden — In
Reih und Glied mit ihnen — Jetzt Pöbel zittre! —


(Sie eilen zu der vorbeiruͤckenden Garde.)

Jouve.

Vorſtädter, Ruhe! — Wir ſpielen nicht mehr
mit Ludwig’s Gensd’armes, ſondern mit Ihm.
Er iſt ein ſchlechter Kerl, aber ſein Handwerk ver-
ſteht er. Paris liegt in ſeinen Ketten, eh’ es ihn
nahe ahnte. —


Ein Vorſtaͤdter.

Da ’ne Kröte von einer Kutſche — Dragoner
um ſie her — Was wollen die bei dem erbärmli-
chen Dinge? Ich möcht’ es viſitiren.


[148]
Jouve.

Der Blick aus dem Kutſchſchlag war vom Au-
ge des Mannes von Auſterlitz.


Mehrere Stimmen.

Wieder zwei Kutſchen mit kaiſerlichen Wappen!


Jouve.

Voll von Prinzen und Prinzeſſinnen des kaiſer-
lichen Hauſes. — Wo Aas, da die Raben, ſonſt
begreif’s der Henker, wo dieſe Perſonen auf ein-
mal herkommen.


(Fuͤr ſich:)

Der Imperator zurück, und in der Mode, ſo lang
es dauert. Ich mache ſie mit und trage morgen
wieder einen eleganten Frack. Die Jacobinermü-
tzen überdauern am Ende doch Alles.


(Laut:)

Es beginnt zu dämmern! Hausbewohner, Lichter
an die Fenſter, zu Ehren des Kaiſers und der
Nation! — Damen von Paris, muß man euch
erinnern? Das Volk erwartet ſchon lange von
euren ſchönen Händen dreifarbige Cokarden!


(Die Fenſter werden erhellt, — Damen eilen an dieſelben und
werfen die Cokarden in Menge unter das Volk.)

Volk.

Heil den Damen von Paris!


[149]
Ein Kraͤmer tritt mit ſeiner Frau aus dem
Gewoͤlbe.

Liebe Frau, laß die weißen Cokarden, die ſie
wegwerfen, morgen mit dem Früheſten aufſuchen,
und ſorgfältig in einen Koffer packen — Vor ei-
nem Jahre macht’ ich es eben ſo mit den dreifar-
bigen, habe drei Koffer davon voll und paſſ’ auf,
ich ſetze ſie jetzt reißend ab.


(Ruft:)

Hier dreifarbige Cokarden, das Stück zu einem
Sous!


Jouve.

Hund, du wagſt die Farben der Nation zu ver-
kaufen?
— Du kommſt meiner Laune gelegen!


(Zu ſeinen Leuten:)

Nehmt ihm die Cokarden!


(Wieder zu dem Kraͤmer:)

Dir ſchaff’ ich dafür das Tricolor umſonſt: ſieh,
dieſe Fauſt ballt ſich unter deiner Naſe, und du
wirſt weiß, — jetzt erwürgt ſie dich und du wirſt
blau wie der heitere Himmel, — nunmehr zer-
ſtampf’ ich deinen Kopf, und du wirſt roth vor
Blut.


Frau des Kraͤmers.

Gott, o Gott!


[150]
Jouve.

Die Gans fällt in Ohnmacht — nothzüchtigt
ſie, wenn ſie ſo viel werth iſt, aber im Namen
des Kaiſers!


Alle.

Jouve hoch und abermals hoch!


Jouve.

Bährenführer pfeif’ und trommle, Triangler
klingle!


(Es geſchieht.)

Nach den Tuillerien!


(Alle ab.)

[151]

Zweite Scene.


(Vor den Tuillerien. — Abenddaͤmmerung. — Alte Garde-
grenadiere zu Fuß, und polniſche Lanzenreiter auf
Wache. Ueberall Volk.)

Alter Gardegrenadier.

Was haſt du da?


Ein anderer alter Gardegrenadier.

Betten aus dem Schloß.


Alter Gardegrenadier.

Wer ſchlief darin?


Der Andere.

Die königlichen Haustruppen.


Alter Gardegrenadier.

Die haben ja einen Geſchmack wie die Wickel-
kinder der — Ich wenigſtens kannte außer Stroh
und Straßenpflaſter ſeit vierzehn Jahren kein Bett,
und ſchlafe ſo beſſer, je härter ich liege.


Der Andere.

Volk, nimm dich in Acht! Es ſtäuben Federn!


(Er wirft die Betten unter das Volk, und legt ſich zum
Schlafe auf das Pflaſter, viele ſeiner Cameraden eben-
falls. — Das Volk ſtreitet ſich um die Betten und reißt
ſie bei der Gelegenheit zu Stuͤcken.)

[152]
Jouve,

(kommt mit ſeinen Vorſtaͤdtern. Fuͤr ſich:)

Wie es hier ſtehen mag? — Ha, ſchlimm —
Hat der Kaiſer hunderttauſend Mann, die ſo wie
dieſe für ihn ſich in den Dreck lagern, ſo macht
ganz Europa mit allen diplomatiſchen Sophas
nichts gegen ihn.


Ein Buͤrger.

Auf die Seite, Platz gemacht!


Ein Vorſtaͤdter.

Weshalb, Kerl?


Der Buͤrger.

Es ſprengen zwanzig, dreißig Eſtafetten aus
dem Thor des Pallaſtes.


Ein ander’er Buͤrger.

Und da kommen gerade dreißig wieder an —
Gleich und gleich hebt ſich!


Erſter Buͤrger.

Da fliegen Adjutanten heraus!


Zweiter Buͤrger.

Und da jagen Caleſchen herein!


Jouve
(fuͤr ſich:)

Er iſt da — und ſchon reißt er Frankreich in
ſeinen Strudel — — Aber hier ein kaiſerlicher
Wagen, die Hortenſe darin — Die Wache liegt
zum Theil ſchlafend auf dem Boden — Macht ſie
[153] nicht die Honneurs oder kommt ſie in Unordnung,
ſo faſſ’ ich friſchen Muth, ſtürme noch heute Nacht
die Tuillerien, und pflanze auf ſeiner Leiche den
Freiheitsbaum auf!


Schildwache
(ruft:)

In’s Gewehr! — Königin Hortenſe!


(Die ganze Wache kommt in Bewegung, und haͤlt gleich
darauf zu Pferde und zu Fuß in Ordnung.)

Officier der Gardegrenadiere zu Fuß.

Präſentirt das Gewehr! Trommel gerührt!


Officier der polniſchen Lanzenreiter.

Säbel heraus! Trompete geblaſen!


(Trommeln und Trompeten.)

Volk.

Es lebe Hortenſe!


Hortenſe

(blickt aus dem Wagenfenſter:)

Ich danke!


Viele des Volkes.

Die iſt doch hübſcher als die Angouleme.


Jouve
(fuͤr ſich:)

Hier iſt nichts zu machen — Die Leute ſind
zu einexercirt und zu begeiſtert — Weg meine
Träume — Es lebe der Kaiſer!


Volk.

Hoch der Kaiſer!


[154]
Officier der Gardegrenadiere zu Fuß.

Gewehr ab!


(Es geſchieht.)

Officier der polniſchen Lanzenreiter.

Säbel ein!


(Es geſchieht.)

Die Officiere.

Nun ſchlaft, bis die Schildwachen euch wecken.


[155]

Dritte Scene.


(Abend. Zimmer in den Tuillerien. Erleuchtet. Napoleon.
Viele dienſtthuende Officiere um ihn. Andere ſitzen und
ſchreiben.)

Napoleon.

Wo Cambronne?


Officier.

Sire, er viſitirt die Wachen.


Napoleon.

Dieſe Zimmer — Ich bin wieder zu Haus,
und Frankreich iſt mein! — Hier wandelten alſo
vor ein paar Stunden Blacas d’Aulps und d’Am-
bray? Ah,


(halb laut:)

S’il est un [temps] pour la folie,
il en est un pour la raison.


Wem gehörten dieſe Bücher?


Officier.

Dem König Ludwig.


Napoleon.

Ich bin doch neugierig —


(Er blickt in mehrere:)

[156]

Gebete! — Mit Gebeten und Jeſuiten zwingt
man nicht mehr die Welt — Die Bücher beiſeit,
und Landcharten auf den Tiſch —


(Zu einem Officier:)

Laſſen Sie in die Zeitungen ſetzen: binnen drei
Wochen würden die Kaiſerin und der König von
Rom hier ſeyn.


(Adjutant ab. Napoleon fuͤr ſich:)

O mein Sohn — in den Krallen von Habsburg
— Ich kann’s, ich mag’s nicht denken!


(Zu einem ſchreibenden Officier:)

Die Depechen?


Der Officier.

Sind fertig, Sire.


Napoleon.

Fort mit ihnen in die Provinzen. — — Hier
neue! — Welch ſonderbares Ding von einem Stuhl?


Ein Officier.

Des Königs Rollſtuhl.


Napoleon
(ſetzt ſich hinein:)

In dem ſitzt es ſich freilich bequem — in dem
konnte man leicht vergeſſen, daß es in Frankreich
und auf Elba ganz anders war, als in dieſem
Zimmer.


(Wieder aufſtehend:)

Schließt den Stuhl beiſeit.


[157]
Ein Kammerherr
(tritt ein:)

Sire, hier Depechen — ſchriftliche Nachrichten
von dem Telegraphen —


Napoleon.

Her damit — — Die Depeche iſt albern —


(Er wirft ſie weg.)

— Da Aufruhr in der Vendée — General Tra-
vot kennt den Diſtrikt ſeit zwanzig Jahren — Er
ſoll hin mit zehntauſend Mann — Schnell, ſchnell
das expedirt, ihr Schreibenden! Die Truppen
nimmt er aus Nantes und Angers. — — — Hier
— o, alles, alles ſeit dem April von 1814 in
Frankreich Ruin, Feſtungen und bürgerliche Ord-
nungen — bloß mit den Einkünften der Pfaffen
ſteht’s gut — wenigſtens beſchweren ſich die Ge-
meinden über das Unmaß derſelben.


(Zu den Schreibenden:)

Die Miſſionskreuze auf den Marktplätzen ſollen
fort, — kein Geiſtlicher unter Biſchofsrang erhält
mehr Gehalt als ein Bezirksrichter.


— Nochmals der Telegraph? — Murat mar-
ſchirt. Konnt’ er denn nicht warten, bis Ich ge-
rüſtet war? Die Uebereilung iſt ſchlimm für ihn
und etwas Schade für mich. — Zwölf Zimmer
ſollen in Toulon königlich eingerichtet, und ihm
[158] überlaſſen werden, kommt er auf der Flucht dahin. —
Bildet ſich der Menſch ein, er könne in Einem Feld-
zuge mit ſeinem neapolitaniſchen Geſindel Italien
organiſiren — Das iſt eine Arbeit für Jahrhunderte
— Geiſtliche und weltliche Politik haben zu fleißig
dafür geſorgt.


Kammerherr
(tritt ein:)

Der König flüchtet, wie man erfahren, über
Lille.


Napoleon.

Alle Behörden und alle Feſtungscommandanten
ſollen ihn laufen laſſen, ſo viel er kann. Hab’ ich
ihn, ſo macht er mir Plage, hab’ ich ihn nicht, ſo
bin ich mit der Plage verſchont und er thut mir
keinen Schaden.


(Kammerherr ab.)

Ein Officier.

Sire, das Volk ruft Ihnen immer donnernder
Vivat —


Napoleon.

Schon gut.


Der Officier.

Und es fleht, Sire, Sich einen Augenblick am
Fenſter zu zeigen, um ſein Sehnen nach Ihrem
Antlitz zu ſtillen.


[159]
Napoleon.

Die Canaille wird anmaßend — Die Bour-
bons haben, ſo hochadlig ſie ſind, die Zügel doch
recht ſchlaff gehalten — — Nun —


(Er geht einen Augenblick an das Fenſter, lautes Geſchrei:
„es lebe der Kaiſer“ erſchallt. Er tritt zuruͤck, und)

Der Kammerherr
(kommt wieder:)

Neue Depechen —


Napoleon.

Gut. Uebrigens verbitt’ ich, mir künftig jedes-
mal die Couriere und Depechen förmlich anzumel-
den. Wer Beruf oder Muth hat, mir etwas zu
bringen, mit mir zu ſprechen, komme unangemeldet.
Europa blickt voll Erwartung hieher, und läßt mir
keine Zeit zur Etiquette.


Kammerherr.

Wie Sie befehlen, Sire.


Napoleon.

Apropos — Standen Sie bei Ludwig dem
Achtzehnten im Dienſt?


Kammerherr.

Sire, ja — einige Zeit.


Napoleon
(fuͤr ſich:)

«Sire, ja — einige Zeit» — Ein ſtotternder
Zweideutler.


(Laut:)

[160]

Meines Dienſtes ſind Sie entlaſſen.


(Kammerherr ab. Couriere, Ordonanzen treten ein.)

Die Botſchaften — Ah, Gilly hat den Angouleme
bei Lyon gefangen —


(Zu einem Officier:)

Der Telegraph hat nach Lyon zu berichten, daß
General Gilly den Herzog von Angouleme im er-
ſten beſten Seehafen denen, die ihn zu beſitzen
wünſchen, ausliefre.


(Officier ab.)

Wieder der Telegraph — Die Angouleme iſt nach
tapferer Gegenwehr aus Bordeaux vertrieben. —
Sie iſt der einzige bourboniſche Sprößling, der
Hoſen zu tragen verdiente. — — Was bringſt du?


Eine Ordonanz.

Dieſes, Sire.


Napoleon.

Auch vom Telegraphen. — Pah, der Congreß
in Wien iſt auseinander. Daß der auseinander
lief, wußt’ ich, als ich von Elba den Fuß in das
Schiff ſetzte. — — Und du?


Eine andere Ordonanz.

Depechen von Montmedy.


Napoleon
(waͤhrend er lieſ’t:)

In Preußen marſchirt’s — Der ſonſt ſo ſpar-
[161] ſame Staat ſchickt ſeine Soldaten ſogar auf der
Poſt an unſre Nordgrenze — Die Niederlande
machen es eben ſo — — Nun, kommt ihr mir zu
voreilig entgegen, ſo rechnet’s euch ſelbſt zu,
wenn ihr mich zu früh findet.


(Zu den Schreibenden:)

Iſt alles fertig?


Die Schreibenden.

Ja, Sire.


Napoleon.

So ſchickt es fort.


(Mehrere ab.)

— — Du haſt?


Eine Ordonanz.

Telegraphiſche Nachrichten von Breſt und von
Toulon —


Napoleon.

Ha, England —


(Er lieſ’t:)

— Die engliſchen Flotten überall an Frankreichs
Küſten mit ausgeſteckter, rother, großer Krieges-
flagge — Orlogs, kommt meinen Strandbatterien
nicht zu nahe! — — Und ganz Frankreich iſt von
den Herren in St. James in den Blokadezuſtand
erklärt? — Ei, warum verbieten ſie uns nicht
auch das Athmen?


11
[162]
Bertrand
(kommt:)

Sire, hier die Ausfertigungen —


Napoleon.

Biſt fleißig geweſen; ich glaube, du haſt in
drei Tagen weder unterwegs noch hier geſchlafen.


Bertrand.

Konnt’ ich’s vor Freude? — Da wollt’ ich
denn doch bei dem Wachen auch etwas thätig ſeyn.


Napoleon.

Was macht deine Frau?


Bertrand.

Sitzt am Stickrahmen, ſpringt wieder auf,
tanzt, küßt ihr Kind, empfängt Bekannte, glüht
vor Freude und Geſundheit, und ruft einmal über
das andere: es lebe Gott, es lebe der Kaiſer, und
jetzt mögen wir dazu leben!


Napoleon.

Grüße ſie von mir — Nun?


Bertrand.

Sire, noch etwas —


Napoleon.

Ich merke, was Schlimmes — Entdeck’ es, —
ich bin kein Bourbon, — wer wie ſie das Schlim-
me nicht erblicken will, vermeidet es nicht.


[163]
Bertrand.

Die Telegraphen melden von allen Seiten, daß
nirgends, vom kleinſten deutſchen Fürſtenhofe bis
nach Wien, Berlin und der Newa deine Briefe
angenommen ſind.


Napoleon.

So will Ich Selbſt ſie den Herren bringen,
und dreimal hunderttauſend Mann dazu. — Künf-
tig läßt du in jedem officiellen Schreiben, das
«Wir» und das «von Gottes Gnaden» aus. Ich
bin Ich, das heißt Napoleon Bonaparte, der ſich
in zwei Jahren Selbſt ſchuf, während Jahrtauſend
lange erbrechtliche Zeugungen nicht vermochten,
aus denen, die ſich da ſcheuen, meine Briefe an-
zurühren, etwas Tüchtiges zu ſchaffen. — Jetzt
durchzuckt es mich wie ein Blitz, und ich ſehe klar
in die tiefſten Gefilde der Zukunft: es wäre klüger
von mir geweſen, hätt’ ich — — — — —
— — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — —
Sind einmal alle Vorurtheile der alten Zeit um-
gewälzt, ſo ſchadet es den Enkeln meines Sohnes
noch in ſpäten Jahrhunderten, daß ſie von einer
als kaiſerliche Prinzeſſin geborenen Mutter ent-
ſprungen und dadurch der Anhänglichkeit an lächer-
liche Ahnenideen verdächtig ſind!


[164]
Bertrand.

Auch haben alle Mitglieder des Congreſſes —


Napoleon.

Zaud’re nicht —


Bertrand.

— eine Art Acht über dich ausgeſprochen.


Napoleon.

Es iſt ſpaßhaft. Geächtet? Mich? Warum?


Bertrand.

Sire —


Napoleon.

Ich will dir es ſagen: alle die Leute mit all ih-
ren Generalen, den alten, tollen Blücher vielleicht
ausgenommen, beben nicht vor Frankreich, wie es
jetzt iſt, ſondern vor meinem Genie. — Geächtet!
Ich! Ich kann mir die ſchönen Phraſen denken,
in welchen die Aechtung auspoſaunt iſt — vom
«Störer des Weltfriedens, Eroberer, Tyrannen»
wird’s darin wimmeln. — Eh, eine treffliche Spra-
che im Munde der Theiler von Polen — Vermieden
ſie nur die politiſche Scheinſucht, — würden ſie
nur nicht zugleich kleinliche Heuchler, indem ſie
große Gewaltthaten begehen, — aber da wird alles
mit erlogenen Beweggründen motivirt, jeder Raub
mit glatten Worten ausgeputzt, und beides dient
blos die Bewältiger und Räuber verhaßter und
[165] verächtlicher und die Unterdrückten und Beraubten
erbitterter zu machen! — Geächtet! — Weil ich
als Kaiſer, als unabhängiger Fürſt von Elba, den
Bourbons, die mir meine Penſion nicht zahlten,
Krieg gemacht? Hat Rußland je ſo viel Urſach
zum Krieg mit den Osmanen gehabt? — O Gott
ſey gelobt, daß ich Waffen genug habe, um meinen
Grimm nicht wie ein armer Sultan verbeißen zu
müſſen! — Bertrand, am dreizehnten Juni, Abends
ſieben Uhr, ſteh’ ich mit meiner ganzen Armee bei
Avesnes und weder ſie ſoll wiſſen, wie ſie dort
zuſammengekommen iſt, noch der Feind mich eher
ahnen, als bis ich mitten in ſeinen Cantonnirungen
hauſe. — Nimm dieſe Charte, — die Marſchrouten
hab’ ich ſchon darauf bezeichnet, — laß bis morgen
früh an die Heertheile und Platzcommandanten die
nöthigen Befehle ergangen ſeyn.


(Bertrand ab. Fouché und Carnot treten auf)

Napoleon
(Fuͤr ſich:)

Die beiden zuſammen? — Ich hätte jeden lieber
einzeln — Doch der freie Eintritt iſt einmal er-
laubt.


Fouché.

Sire, unſre Glückwünſche zur Wiederbeſteigung
Ihres Thrones.


[166]
Napoleon.

Otranto, — Sie übernehmen wieder das Por-
tefeuille des Polizeiminiſters.


Fouché.

Sire —


Napoleon.

Und Ihnen, Graf Carnot, Dank für die Ver-
theidigung von Antwerpen.


Carnot.

Leider war ſie vergeblich, — ich mußt’ es auf
Befehl des Königs übergeben.


Napoleon.

Thut nichts. Belgien entläuft uns doch nicht.
Wiſſen Sie, meine Herren, daß bereits ganz Eu-
ropa gegen uns proclamirt und marſchirt.


Fouché.

Wir wiſſen es.


Napoleon.

Was thun wir?


Carnot.

Sire, geben Sie Frankreich eine liberale Con-
ſtitution, mit ſichren Garantien, und die Deſpoten
Europas erzittern, während der Bürger von Paris
fröhlich ſein Vaudeville ſingt.


[167]
Napoleon.

So auch ſprach neulich ein braver junger Mann,
Labedoyere. «Liberalismus», «Conſtitution» lauten
gut, aber Carnot, Sie erfuhren ſelbſt, wie wenig
die Menge davon verſteht. Der gute, wohlmei-
nende Advocat aus Arras, Robespierre, mußte zum
Schreckensmann werden, als er die Republik auf-
recht erhalten wollte, und Sie ſelbſt waren ſein
College. Dafür haben die Zeitungsſchreiber ihn
und Sie ſo mit Tinte übergoſſen, daß es lange wäh-
ren wird, ehe der Strom der Geſchichte beide wie-
der weiß wäſcht. — — — Was ich für den Au-
genblick thun kann, ſoll indeß geſchehen — Die
Zukunft ſchaffe weiter. Alles was in der neuen
bourboniſchen Charte nach Feudalismus und Pfaf-
fenthum ſchmeckt, will ich durch eine Zuſatzacte
wegſchaffen, und dieſe Acte auf einem Maifelde,
ähnlich jenem der fränkiſchen Kaiſer, publiciren
laſſen. Aber, aber, glauben Sie, meine Herren,
Charten und Conſtitutionen ſind zerreißbarer als
das Papier, auf welches man ſie druckt.


Fouché.

Sire, eine Druckerei bedeutet jetzt mehr als
eine römiſche Legion.


[168]
Carnot.

Und bedeutete ſie weniger als eine franzöſi-
ſche Compagnie — beſſer, das Gute wollen, als
das Schlechte thun.


Napoleon.

Sie, Carnot, ſind mein Miniſter des Innern.


Carnot.

Sire, Sie geben mir ein Amt, deſſen Geſchäfte
ich nicht kenne.


Napoleon.

Das Kriegsminiſterium wär’ ihnen lieber, aber
Davouſt iſt der dermaligen Armee bekannter als
Sie — Er hat es. — Drum nehmen Sie den
Miniſter des Innern an, wär’s auch nur als nicht
verſchmähtes Zeichen meines Zutrauens, und ſeyen
Sie ohne Sorge, ob Sie dazu paſſen, — Sie paſ-
ſen zu jedem großen Staatsdienſt, denn Sie ſind
weiſe, kühn und brav. — Meine Herren, für heute
gute Nacht.


Fouché

(mit Carnot abgehend, flüſtert dieſem zu:)

Die alte Manier, als wäre gar kein Elba
geweſen.


Napoleon.

Der liſtig kühne Fouché und der ehrliche Re-
[169] publicaner Carnot ſind immer zehnmal beſſer als
der klug feige Talleyrand, welcher mit dem Winde
ſchifft, und nachher ſagt, er hätte ihn gemacht.
Weh ihm, irrt er ſich einmal um die Breite eines
Haares, der Seiltänzer! Weh ihm, irrt er ſich
jetzt an mir!


(Hortenſe tritt ein.)

Warum kommſt du erſt jetzt? Du biſt ſeit einer
Stunde hier. — Ich hörte deinen Wagen.


Hortenſe.

So genau weiß das mein Kaiſer? Ich ſollte
mir ſchmeicheln.


Napoleon.

Und deine Reiſekleider abgelegt — in Goldſtoff
— Welch ein Gürtel, — eine Sammlung von
Diamanten.


Hortenſe.

Ich ſchmückte mich, um dich in würdiger Tracht
zu grüßen.


Napoleon.

Friſcher Lorbeer im Haar? — Davon muß ich
bald ein paar Blätter verdienen.


Hortenſe.

Ach, ſeit wir uns nicht geſehen, Kaiſer, iſt
manches, manches Schmerzliche über deine Familie
[170] ergangen, — du ſprühteſt Funken, wüßteſt du, wie
undankbar, wie ſchlecht die Menſchen ſind! Allein
das Geſchick that doch den härteſten Schlag —


Napoleon.

Hortenſe, ich bitte, laß deine Gewohnheit, ma-
che mich nicht ſchwermüthig — Ich habe andere
Geſchäfte. —


Hortenſe.

Einen Augenblick haſt du übrig für das Ange-
denken an Die, die Jahre lang nur dich dachte —
die beſcheidene Blume, welche du der prächtigen
Roſe des ſtolzen Oeſterreichs opferteſt, — ſank
dahin.


Napoleon.

Joſephine! — — Hortenſe, du biſt hart — O,
ihr Tod hat mir ſchon genug ſchmerzvolle Nächte
gekoſtet — Ja, Sie war mein guter Stern! —
Mit ihr erloſch mein Glück! — — — Selige Tage,
wo ich in Italiens Gefilden den Tod verachtete,
und nur ſiegte, um ihr meine Triumphe zu mel-
den! Das hat mich zum Helden geſchaffen! —
Sprach ſie von mir noch in den letzten Stunden?


Hortenſe.

Als ſie nicht mehr ſprechen konnte, blickte ſie
[171] auf das goldne N über ihrem Betthimmel, und
ließ ſich die Hand auf das Herz legen.


Napoleon.

Ha! — — Genug, Hortenſe. Es iſt überhaupt
alles anders geworden. Ich bin, wie in einer
Wuͤſte. Berthier iſt fern, Duroc, Beſſieres ſind
längſt gefallen, Junot hat ſich aus dem Fenſter
zu Tode geſtürzt, Louiſe und meinen Sohn hält
man zurück, und noch ſchlimmer als das alles,
viele ſind weder geſtorben, noch haben ſie ſich ent-
fernt, aber ſie wurden Verräther. Selbſt der Ney
— Er iſt der Muthigſte meiner Marſchälle, doch
an Character der Schwächſte. Du hätteſt das Ge-
ſicht ſehen müſſen, mit dem er vor mich trat, als
ſeine Truppen zu mir abfielen. Er hatte im Ernſt
gegen mich kämpfen wollen, und konnte nun nicht
das Auge aufſchlagen. Als ich ihm aber entgegen
ging und that als wüßt’ ich nichts, ward er wie
ein geretteter armer Sünder, wäre mir faſt zu
Füßen gefallen, und ich bin überzeugt, er ſtreitet
nächſtens verwegener für mich als je.


Hortenſe.

Ich würd’ ihn nicht wieder anſtellen.


Napoleon.

Ich muß es thun — Sein Name hat einen
guten Klang im Heere.


[172]
Hortenſe.

Es gibt Einen unter deinen Miniſtern, der
treuer iſt als alle deine Marſchälle — Er harrt
im Vorſaal, Wonne im Auge —


Napoleon.

Das iſt Maret.


Hortenſe.

Du erräthſt ihn.


Napoleon.

Keine Kunſt, — er iſt gewandt wie ein Aal,
klammert ſich aber auch eben ſo feſt an. — Er
bekommt das Staatsſecretariat zurück.


Hortenſe.

Auch deine Brüder: Lucian —


Napoleon.

Der Präſident der Fünfhundert naht ſich dem
Kaiſer? O weh, ich muß ihm hülfsbedürftig, ſei-
ner Großmuth würdig erſcheinen.


Hortenſe.

Auch Joſeph, Jerome —


Napoleon.

Die beiden unterſcheid’ ich nicht. Jeder fühlt
ſich in dem Teiche wohl, in den ich ihn ſetze.


[173]
Hortenſe.

Beurtheile nicht alle ſo hart. Bedenke, was
würde die Welt, wären wir alle wie du!


Napoleon.

Nun, die würde nicht ſo übel.


Hortenſe.

Ewiger Krieg und Lärm würde aus ihr —


Napoleon.

Hortenſe —


Hortenſe.

Verzeihe, Kaiſer — — Bin ich zu frei, iſt deine
Güte ſchuld. — Aber wie viele Kuiraſſiere, Dra-
goner, Batterien, Grenadiere, Voltigeurs, ziehen
wohl ſchon auf allen Straßen? — O geſteh’ es
nur — Ich kenne dich. — Dir donnern bereits
tauſend Kanonen im Haupte — — Schone, ſchone
die Jugend Frankreichs, ſchone die Mütter, welche
mit zerriſſ’nen Herzen ihre Söhne in den Tod
ſenden!


Napoleon.

Die Truppen, welche jetzt marſchiren, ſind
Veteranen aus Spanien und Rußland, haben
ſchwerlich noch Mütter, und hätten ſie deren, wel-
che Franzöſin wäre ſo ſchlecht, ihren Sohn nicht
gern dem Vaterlande auf dem Felde der Ehre
zu opfern? Wo ſtirbt er beſſer?


[174]
Hortenſe.

Feld der Ehre — ſage oft: Feld der —


(Sie ſtockt.)

Napoleon.

Sprich.


Hortenſe.

— der Eitelkeit.


Napoleon.

Der Albernheit beſchuldigen mich die faden
Zeitungsſchreiber. — Hortenſe, denke du beſſer
von mir: nie kämpft’ ich ohne Grund. Zog ich
nach Spanien, ſo war es, um die Heimtücke des
Cabinets von Madrid zu ſtrafen, die letzten Bour-
bonen des Continents, welche mich nie aufrichtig
lieben konnten, aus meinem Rücken zu entfernen,
den Engländern mit einem gewaltigen Bollwerk
das Mittelmeer zu ſchließen. Zog ich nach Ruß-
land, ſo war es, endlich mit einem Schlag zu ent-
ſcheiden, ob ſüdlicher Geiſt oder nordiſche Knuten
die Welt beherrſchen ſollten. Jetzt hätt’ ich indeß
gern Frieden — doch Groß und Klein iſt gegen
mich, und ich muß kämpfen.


Hortenſe.

Du mußt — ja, weil du willſt.


[175]
Napoleon.

Ihr Weiber! Wer euch belehren will, beſchwört
das Feuer. — Hortenſe tanze, — du verſtehſt es
meiſterhaft, — aber nie wieder ein Wort über
Politik.


Eine Ordonanz
(tritt ein:)

Paris iſt illuminirt.


Napoleon.

Mir lieb, — ſo haben die Lichtzieher vielen
Abſatz.


(Zu Hortenſe:)

Komm mit in den Vorſaal, Maret und die Brüder
zu überraſchen.


(Zu den Schreibenden:)

Meine Herren, ſchnell!


(Mit Hortenſe ab.)

[[176]]

Vierter Aufzug.


Erſte Scene.


(Paris. Das Marsfeld. Eine große, mit rothem Sammet
uͤberzogene Buͤhne iſt im Hintergrunde errichtet. Mitten
auf derſelben der Thronſitz des Kaiſers, — ringsum,
amphitheatraliſch geordnet, die Sitze der Pairs und der
Deputirten. Kanonen donnern, Truppen und National-
garden ziehen auf. Volk uͤberall. Jouve im blauen
Frack darunter.)

Ein Junge.

Eine Zigarre, mein Herr, à la reine Hortense.


Jouve.

Her damit, Bengel. Was koſtet der Stümmel?


Der Junge.

Zwei Sous, denn heute —


Jouve.

Denn heute machen wohlfeile Conſtitutionen
ſchlechte Zigarren theuer. Da — drei Sous!


[177]
Der Junge.

Gnädiger Herr —


Eine Dame.

Wie ſchrecklich donnern die Kanonen — von
allen Seiten, den ganzen Morgen ſchon.


Jouve.

Es ſind die beſtellten Salven vom Invaliden-
hauſe, von Montmartre und Vincennes.


Die Dame.

Heute iſt doch ein großer Tag.


Jouve.

Wenigſtens knallt er ſehr. — Mademoiſelle,
oder, wie ich glauben muß, Madame, weil Ihre
Schönheit ſchon irgend Jemand zur Heirath be-
zaubert haben wird, —


Die Dame
(fuͤr ſich:)

Wie galant der Herr iſt!


Jouve.

— laſſen Sie uns weiter links gehen — Von
hier aus erblicken wir nichts.


(Fuͤr ſich:)

Auch eine vor Eitelkeit lächelnde Beſtie, — viel-
leicht gut genug zur Zerſtreuung.


Die Dame.

Mein Herr, wie dringen wir ſo weit durch?
Es iſt überall Volk.


12
[178]
Jouve.

Volk! Weiter nichts? Auseinander der Dreck —


(Er ruft:)

Ein Adler! ein Adler! Da fliegt er — von der
Militärſchule herüber — Welches günſtige Zeichen!


Volk
(durcheinander:)

Ein Adler! ein Adler! — Siehſt du ihn? —
Nein — Da iſt er! — Das iſt ja eine Wolke —
— Wolke? Ein Haufen Adler, wollt ihr ſagen!


Jouve.

Nun, meine Dame, laſſen Sie die Herren den
Himmel betrachten, — wir kommen auf der Erde
deſto weiter.


Die Dame.

Sie ſind ein Genie, mein Herr, und ihre Hände
ſind ſehr kräftig.


Jouve.

Es geht mir wie einigen Monarchen: zum
Amuſement ſchmiede ich bisweilen.


Die Dame.

Mein Wagen hält nicht weit von uns. — Fah-
ren Sie mit mir nach Haus zum Souper?


Jouve.

Ohne andere Begleitung?


Die Dame.

Nur Ihre Ehre ſoll mich führen.


[179]
Jouve
(fuͤr ſich:)

Wer weiß, wohin wir dann gerathen.


(Laut:)

Ich nehme die Einladung an, und Sie ſollen mei-
ne Ehre Ihrer Erwartung gemäß finden. — —
Oh, — da ſtehen ſchon die allerliebſten Weihnachts-
puppen, die Nationalgarden, — dort ſprengen Ma-
melucken oder gut verkleidete Franzoſen heran —
da brüſtet ſich die alte, da die neue Garde zu
Pferd und zu Fuß mit dem ſchnöden Trabanten-
ſtolze —


Die Dame.

Wie Sie alles ſcharf und richtig bezeichnen!


Jouve.

Der Erzbiſchof von Paris mit ſeinen Pfaffen
fängt an die Ceremonie einzuräuchern — Wenn
die Religion von dem vielen Dampf, den ſie ma-
chen muß, nur nicht bald ſelbſt verdampft! —


Die Dame.

Sehen, ſehen Sie! Pairs, Deputirte, Sena-
toren ſetzen ſich auf ihre Plätze! — Welche präch-
tige Mäntel ſie tragen!


Jouve.

Und da ſteigt Bonaparte auf das Gerüſt mit
ſeinen gleichfalls aufgeputzten Miniſtern.


[180]
Donnerndes Geſchrei der Truppen und des
Volkes
.

Hoch lebe der Kaiſer!


Die Dame.

Er iſt wahrlich ein großer Mann.


Jouve.

Er verſtand, auf unſren Nacken ſich zu erheben.


Die Dame.

Wie Sie ſagen? — — Wie ernſt-majeſtätiſch
er blickt.


Jouve.

So lang er weiß, daß ihn die Menge anblickt.
Zu Hauſe iſt er nach den Umſtänden mürriſch, lu-
ſtig, ſchwatzhaft, wie jeder Andere. Geht er aus,
ſo überlegt er, wenn er im Zweifel iſt, erſt mit dem
Comödianten Talma Minenſpiel und Faltenwurf.


(Fuͤr ſich:)

’S iſt ja alles Comödie — Es wird nächſtens
ſchwer halten Theaterprinzeſſinnen von echten zu
unterſcheiden.


Die Dame.

Da tritt ein Herr vor, die additionelle Zuſatz-
note zu leſen.


Jouve.

Ja, er ſpuckt ſchon aus.


[181]
Die Dame.

Dieſe Note wird die Revolution beendigen.


Jouve.

Auf das Ende, Madame, folgt ſtets wieder ein
Anfang.


(Er horcht auf:)

Ah, er lieſ’t — Wahrhaftig, wie ich vermuthete,
der alte Brei in neuen Schüſſeln — «Die Pairs-
kammer erblich» — Daß grade ein Bonaparte
nicht ſpüren will, wie erbärmlich die ariſtokratiſche
Erblichkeit iſt — «Der Kaiſer ernennt die Pairs»
— Früher hieß es «der König ernennt ſie» —
«Kein Mitglied der Repräſentantenkammer kann
wegen Schulden verhaftet werden» — Da werden
ſich die Bankerotteurs in Maſſe hineinmachen —
«Der Kaiſer bezeichnet aus der Pairskammer die
Präſidenten der Wahlcollegien auf Lebenslang» —
Er wird ſeine Leute ſchon finden — «Der Gottes-
dienſt frei» — Das Präſent koſtet nichts — Ich
wollte, es hieße: «unbedingt freie Preſſe». —
Gottlob, der Herr Vorleſer iſt zu Ende.


Die Dame.

Der Kaiſer hebt die Hand in die Höhe und
beſchwört die Acte!


[182]
Jouve.

Und die Pairs und Deputirten der Wahlcolle-
gien äffen ihm nach.


Die Dame.

Das Volk erhebt ſich — Wir müſſen auch
ſchwören —


Savoyardenknabe.

La marmotte, la marmotte


Jouve.

Junge, laß das Singen, — man beſchwört hier
die Zuſatzacte der Charte der franzöſiſchen Nation.


Savoyardenknabe.

Weiter nichts? Ich bin auch ein patentirter
Franzoſe.


(Er reckt drei Finger empor.)

Jouve
(fuͤr ſich:)

Heiligkeit des Eides! — Schaffotte und Later-
nen an ſeine Stelle! Sie wirken beſſer!


Das Volk.

Wir beſchwören die Conſtitution und die addi-
tionelle Charte!


Jouve.

Madame, Madame, — wir ſchwören mit!


[183]
Die Dame.

Iſt’s Zeit? — Was die Dienſtmagd da präch-
tige Straußfedern trägt —


Jouve.

Geſchwind, geſchwind laſſen Sie ſich dadurch
nicht aufhalten —


(Er und die Dame:)

Wir ſchwören mit!


(Er fuͤr ſich:)

Fünfmal hunderttauſend Meineidige, mich ſelbſt
mit eingeſchloſſen, ohne daß ein Blitz auf ſie fällt,
ſind doch eine intereſſante Erſcheinung! Was ha-
ben wir nicht alles beſchworen und gebrochen, die
erſte, die zweite, die dritte Conſtitution, die Sa-
tzungen Napoleons, die Charte der Bourbons —


Die Dame.

Der Kaiſer entfernt ſich. Welch herrliche Muſik
die Truppen haben!


Jouve.

Madame, Ihren Arm?


Die Dame.

Mit Vergnügen, mein Herr.


Jouve
(fuͤr ſich:)

Die ehebrecheriſche Coquette! — — — Ob
nicht im unerforſchten Innern der Erde ſchwarze
[184] Höllenlegionen lauern und endlich einmal an das
Licht brechen, um all den Schandflitter der Ober-
fläche zu vernichten? Oder ob nicht einmal Come-
ten mit feuerrothen, zu Berge ſtehenden Haaren —
Doch was ſollten unſre Albernheiten, was ſollte
ein elendes, der Verweſung entgegentaumelndes
Gewimmel, wie dieſer Haufen, Erdentiefen oder
Sternhöhen empören?


(Laut:)

Kommen Sie, Madame.


[185]

Zweite Scene.


(Paris. Ein Zimmer in den Tuillerien.)

(Napoleon und Hortenſe treten ein.)

Napoleon.

Nun geht’s in das Feld, Hortenſe. — Ich und
meine Armee werden unſre Schuldigkeit zu thun
wiſſen.


Hortenſe.

Ahnt’ ich nicht, daß es ſo kommen würde? —
Bitte, Sire, nimm dieſes Etui.


Napoleon.

Wahrlich, ſchön überzogen — Adler, Bienen,
Veilchen darauf geſtickt. — Und darin? Allerlieb-
ſte Sachen! Ein ganzes koſtbares Schreibzeug en
miniature
darunter!


Hortenſe.

Länder, womit du zu ſpielen gewohnt biſt, kann
ich dir nicht geben. Nimm die Kleinigkeit, und
denke dabei der großen Liebe der armen Hortenſe.


Napoleon.

— Wann ſtickteſt du den Ueberzug?


[186]
Hortenſe.

Als — o — als du fern wareſt.


Napoleon.

Auch etwas wie Thränen darauf gefallen?


Hortenſe.

Harter, fragſt du? — Es waren trübe Stun-
den — ja, entſetzliche!


Napoleon.

Hätt’ ich doch nicht gefragt — — Dein Etui
vergeſſ’ ich nicht unter den Donnern der Schlacht.


Hortenſe.

Und, Kaiſer, ſchone deiner Geſundheit, — du
thuſt es leider nie.


Napoleon.

Was iſt auch zu ſchonen in einem Feldzuge?


Hortenſe.

Feldzug, Feldzug! — Ach, laß uns flüchten?


Napoleon.

Wohin?


Hortenſe.

Nach Nordamerika.


Napoleon.

Gute, dahin flüchte ein Bürger, der ſich einmal
[187] gegen ſeinen Monarchen empört hat; Napoleon
aber kann nicht flüchten, kann ſich nicht verſtecken.
Iſt er nicht vernichtet, oder nicht behütet wie
Feuer, ſo ſtürzt Europa zürnend oder liebend ihm
nach. — Nordamerika wird übrigens binnen vier-
zig Jahren ein größeres Carthago, der atlantiſche
Ocean ein größeres Mittelmeer, um welches die
alte und neue Welt ſich lagern — Wie lange,
liebe Hortenſe, währt das aber? Zwei, drei ärm-
liche Jahrhunderte und dann wandeln auf den In-
ſeln und Küſten der noch grenzenloſeren Südſee
die Herrſcher des Menſchengeſchlechts.


Hortenſe.

Bei jedem Anlaß in den entfernteſten politi-
ſchen Ideen!


(Bertrand kommt)

Napoleon.

Alles im Marſch?


Bertrand.

Ja, Sire.


Napoleon.

Die Truppen ſollen die Adler mit Flor um-
hängen, bis ſie einen Sieg errungen haben. Be-
ſonders das Augenmerk auf die Artillerie und
ſchwere Reiterei gerichtet, denn wir müſſen dieſes-
[188] mal raſcher als je niederſchmettern und zuſchlagen
— Drouot commandirt die erſtere, Milhaud die
andere, zu den Cavalleriſten meiſtentheils Elſaſſer
oder Normannen genommen, — ſie reiten am be-
ſten, aber einige Gascogner unter ſie gemengt,
damit ſie durch die verleitet werden, auch toll
darauf los zu reiten, — die Kuiraſſe ſollen ein
Drittel dichter als früher ſeyn, um recht nah dem
Feinde in’s Auge blicken zu können, — Kriegs-
manifeſte nicht nöthig, weil ich Formalien nicht
mehr beobachte, — für die Armee ein paar Pro-
clamationen gegen die Preußen und Engländer,
denen wir zuerſt begegnen, — meine Schnautzbärte
leſen ſie zwar nicht, wickeln ſie um die Patronen,
aber mancher meint doch unbeſehens, es wäre et-
was darin, — von den alten dotirten, zu Herzogen
und Fürſten gemachten Marſchällen bloß der Ney
mit mir nach Norden, — nützt’ es mir nicht, daß
Europa glaubt, er ſey freiwillig zu mir übergegan-
gen, auch ihn behielt’ ich vielleicht nicht, — die
Mehrzahl jener Herren waren tüchtigere und red-
lichere Corporale als Generale, — mehrere ſonſti-
ge Anordnungen kennſt du, und ich bitte, beſorg’
alles ſo gut wie du meine Marſchordres beſorgt
haſt, wofür ich dir auch danke.


[189]
Bertrand.

Den Dank verdien’ ich nicht, denn für dich zu
arbeiten iſt mir Ehre und Freude.


(Er entfernt ſich)

Hortenſe.

Wenn der Mann all das behält und expedirt,
was du ihm eben und jede Stunde aufträgſt, ſo
iſt er ein Genie, faſt größer als du ſelbſt!


Napoleon.

Käm’ es auf das bloße Talent, und nicht auf
die Thatkraft an, durch welche es in Bewegung
geſetzt wird, ſo wäre Berthier ſtatt meiner Kaiſer
der Franzoſen.


(Er klingelt. Ein Ordonnanz-Officier tritt ein:)

Sind die Mitglieder des Miniſteriums verſammelt?


Ordonnanz-Officier

Ja, Sire.


Napoleon.

So will ich noch einmal bei ihnen präſidiren,
und ſelbſt ſehen, was und wie ſie arbeiten.


Hortenſe.

Und dann —


Napoleon.

Mach’ ich einen Staatsbeſuch in der Pairs-
und einen in der Deputirtenkammer.


[190]
Hortenſe.

Zuletzt aber?


Napoleon.

Nehm’ ich Abſchied von dir und beſiege die
Coalition, oder erblicke dich nie wieder.


Hortenſe.

Trifft das Letztere ein, ſo ſey mir die Blind-
heit willkommen.


(Beide ab.)

[191]

Dritte Scene.


(Paris. Platz vor dem kaiſerlichen Marſtall.)

(Drei kaiſerliche Piqueurs treten auf.)

Erſter Piqueur.

Den jungen Araber vor.


Dritter Piqueur.

Das arme Geſchöpf!


(Geht ab.)

Erſter Piqueur.

Was hilft das Bedauern? Der Kaiſer zieht
vermuthlich in’s Feld, reitet ſchnell, aber ſchlecht,
und wir müſſen das Thier mit unſ’rem Unterricht
ſo lange quälen, bis wir ſicher ſind, daß es ihn
nicht abwirft.


Dritter Piqueur

(kommt mit dem Pferde zuruͤck:)

Da iſt der Araber.


Erſter Piqueur.

Ein treffliches Gewächs! — Huſſa, über den
Block!


(Das Pferd ſetzt uͤber einen Holzblock.)

[192]

Ha! muckt die Creatur? — Sie zuckte bei dem
Ueberſetzen mit dem linken Vorderbein.


(Er ſchlaͤgt heftig auf das Pferd.)

Dritter Piqueur.

Schone das Thier!


Erſter Piqueur.

Eh, junger Menſch — kennſt du den Kaiſer
genau?


Dritter Piqueur.

Nein. Ich bin ja erſt ſeit drei Tagen in ſei-
nem Dienſt.


Erſter Piqueur.

So wiſſe, er haut bisweilen mit ſeiner Reit-
peitſche ärger auf ſeinen Piqueur als dieſer auf
ſein Pferd, wenn es nicht ſo ſicher ſpringt als
dieſes da lernen ſoll.


Zweiter Piqueur.

Es iſt wahr, — ich weiß es von Eßlingen her.


Erſter Piqueur.

Die gelad’nen Piſtolen!


(Er ſchießt zwei Piſtolen vor den Ohren des Pferdes ab.)

Es bäumt ſich — Prügelt es!


(Es geſchieht.)

Die Kanonen herbei.


(Ein Commando der Artillerie faͤhrt mit einigen Kanonen
vor.)

[193]

Das Pferd mitten unter die Geſchütze ’ Brennt ab!


(Es geſchieht.)

Schlagt den Gaul — Er zittert!


Dritter Piqueur.

O Gott, das unſelige Pferd!


Erſter Piqueur.

Es muß mit dem Kaiſer in die Schlacht, und
da gilt keine Furcht vor Geknall. — Bayonette
her — Blinzelt ihm damit dicht vor den Augen.


(Es geſchieht.)

Ah, da erſchrickt es nicht mehr.


Zweiter Piqueur.

Bravo, Araber!


Erſter Piqueur.

Pſt! Laß das Schmeicheln — Es möchte ſich
verwöhnen — Der Kaiſer ſchmeichelt ihm auch
nicht. — Jetzt ſetze dich darauf und tumml’ es in
die Runde, bis es über und über Schweiß iſt!


(Der zweite Piqueur thut es.)

So — ſo — — Und nun mit ihm in die Schwem-
me, wo das Waſſer am kälteſten — Auch die
Sporen in ſeine Seiten, daß es lernt wie ſein
Blut fließt.


(Zweiter Piqueur mit dem Pferde ab.)

13
[194]

Bei Gott, des Kaiſers Pferd ſeyn, iſt eben ſo
ſchwer als ſein Piqueur oder ſein Miniſter. —
Teufel, da kommt der Oberſtallmeiſter — Gewiß
wieder Befehl über Befehl, einer eiliger als der
andere — Unter dem Kaiſer ſind die Stunden tau-
ſendmal kleiner als die Geſchäfte.


Oberſtallmeiſter

(mit Gefolge zu Pferde:)

Erſter Piqueur, in einer Stunde mit allen Reit-
pferden und Feldequipagen im ſchnellſten Marſch
nach Laon. Dort das Weitere.


Erſter Piqueur.

Hab’ ich Zeit zum Abſchied von Frau und
Kind?


Oberſtallmeiſter.

Nein.


Erſter Piqueur.

Auch gut. So ſpar’ ich meine paar Thränen
für ſchicklichere Gelegenheit. — — Aber das iſt
verflucht, Herr Oberſtallmeiſter: mein beſter Col-
lege ritt eben mit dem beſten Gaul in die Schwem-
me, und kehrt kaum in einer Stunde — — Doch
wartet — ich hohl’ ihn ein, oder —


(Zum dritten Piqueur:)

[195]

Den Soliman aus dem Stall, — iſt er auch der
eigenſinnigſte, ſteifſte aller Gäule, ſo iſt er doch
zugleich der tollſte und ſchnellſte, beinah wie —


(Dritter Piqueur fuͤhrt das Pferd Soliman vor.)

Erſter Piqueur

(ſich auf den Soliman ſetzend:)

Herr Oberſtallmeiſter, der Kaiſer liefert binnen
vierzehn Tagen eine große Bataille, oder ich kenne
ſeine Marſtallsgebote ſehr ſchlecht.


(Er brauſ’t mit dem Pferde davon.)

[196]

Vierte Scene.


(Nachmittag. Preußiſches Feldlager bei Ligny. Viele Feuer.
Soldaten aller Waffengattungen um und zwiſchen dem-
ſelben. Einige rauchen, andere kochen, andere ſtriegeln
ihre Pferde etc. Marketender und Marketenderinnen
an vielen Orten. An einem Feuer im Vordergrunde
ſitzen auf Holzbloͤcken ein oſtpreußiſcher Feldwebel und
ein Berliner Freiwilliger. Ein ſchleſiſcher Infanteriſt
ſteht bei ihnen. Ueber den Flammen haͤngt ein Keſſel.)

Der Berliner.

Schleſier, da haſt du zwei Münzgroſchen. Hole
mich von jene Marketenderin einen blauen Zwirn,
und vor dir einen halben.


(Der Schleſier geht)

Herr Feldwebel —


Feldwebel.

Was iſt?


Berliner.

Ihre Pfeife iſt leer — Darf ein Berliner Bür-
gerſohn Sie etwas Tabak anbieten?


Feldwebel.

Habe noch ſelbſt Tabak. Danke.


(Der Schleſier kommt zuruͤck.)

[197]
Berliner
(trinkt:)

Das wärmt! — — Herr Feldwebel, wir be-
kommen ſchlechtes Wetter — der Himmel iſt gräu-
lich grau.


Feldwebel.

Das iſt er.


Berliner.

Wie lange liegen wir wohl noch hier?


Feldwebel.

Bis wir aufſtehn.


Berliner
(fuͤr ſich:)

Der Kerl iſt, wie ein berühmter Autor ſagt,
göttlich grob. Statt mir mit ihm zu ennuyiren,
will ich leſen und mir bilden.


(Er zieht ein Buch aus der Taſche. Dann laut:)

Schleſier, wenn Huhn und Krieckente gar gekocht
ſind, verkündeſt du es mich.


Feldwebel.

Woher habt ihr das Geflügel?


Berliner.

Requirirt, requirirt — Herr Feldwebel, Sie
eſſen mit.


Feldwebel.

Gern.


[198]
Berliner.

Herr Feldwebel, was halten Sie von dieſe
Campagne?


Feldwebel.

Wir müſſen tüchtig auf die Franzoſen los-
ſchlagen.


Berliner.

Verſteht ſich, ſo weh es mich thun wird. —
Wann ſind wir wohl in Paris?


Feldwebel.

Sobald wir einrücken.


Berliner.

Waren Sie ſchon einmal da?


Feldwebel.

Ja, 1814.


Berliner.

Iſt es ſo ſchön wie unſre große Hauptſtadt?


Feldwebel.

So ziemlich.


Schleſier.

Huhn und Ente ſind gar.


Berliner.

Herr Feldwebel, ſo wollen wir die verfluchten
Luder mit einander theilen. — Da, Sie die Ente,
ich das Huhn — Kamm, Schnabel und Füße ſind
dein Theil, Schleſier.


[199]
Feldwebel.

Behandle den Burſchen nicht wie einen Hund.


Berliner.

Es iſt man ein Waſſerpole, ohne Bildung, aus
die Gegend von Ratibor. Der Kamm ſchmeckt ihm
wie Syrup.


Feldwebel.

Camerad Schleſier, hier haſt du von meiner
Ente das halbe Bruſtſtück.


Berliner.

Herr Feldwebel, kennen Sie die Gebrüder
Schlegel?


Feldwebel.

Nein.


Berliner.

Die kennen Ihnen auch nicht, aber kennten ſie
Ihnen, ſo würden ſie ſagen, Sie wären äußerſt
ſentimental.


Feldwebel.

Alle Donner, ein oſtpreußiſcher im Regiment
geborener und aufgewachſener vierzigjähriger Feld-
webel ſentimental?


Berliner.

Ja ja, Ihr Herz iſt weicher als ſie ahnen.
Es geht Sie, wie Alexander dem Großen, als er
ſeinen Freund zu geſchwind todtgeſchlagen hatte.


[200]
Feldwebel.

Warum nicht gar wie Napoleon, als er aus
Rußland flüchtete?


Berliner.

Napoleon? — O, der iſt auch noch lange kein
Iffland! — — Kannten Sie Iffland?


Feldwebel.

War er nicht Comödiant?


Berliner.

Comödiant! Sey Gott mich gnädig! — Ein
Schauſpieler, ein darſtellender Künſtler, ein Mime
war er wie keiner unter die Sonne. Leſen, ſtu-
diren Sie die Journale — — ach, Sie hätten die
großartige Characteriſtik ſehen ſollen, mit welcher
er wunderſam eindrang in den Geiſt der Rolle —
Na, Lemm, Beſchort ſind auch ſehr ſchätzbare Ta-
lente, aber — Wer kommt da zu Pferde?


Feldwebel.

Aufgeſtanden! Der Feldmarſchall und General
Gneiſenau!


Berliner.

Der Feldmarſchall iſt doch ein großer Kopf!


Feldwebel.

Woran merkſt du das?


[201]
Berliner.

Das ſieht man ja, ſo wie er die Mütze ab-
nimmt.


(Bluͤcher und Gneiſenau ſind bis in den Vorgrund geſprengt.
Adjutanten hinter ihnen.)

Bluͤcher.

Camerad, was für ein Buch das?


Berliner.

Iſabella von Mirando oder die Kuiraſſier-
beute —


Bluͤcher.

Wirf’s in das Feuer. — Feldwebel, Sie kenn’ ich.


Feldwebel.

An der Katzbach präſentirt’ ich Ewr. Durch-
laucht zwei von mir gefangene Franzoſen.


Bluͤcher.

Wahr. Und Sie haben kein eiſernes Kreuz?
— Hier das meinige. Heften Sie es ſogleich an
die Bruſt, und wenn die Kugeln pfeifen, denken
Sie bei ihm: es iſt doch alles Kreuz, Jammer
und Elend, aber das beſte Kreuz iſt doch immer
das des Königs — — Wiſſet Leute, Bonaparte
ſoll in der Nähe ſeyn, angekommen wie ein Dieb
in der Nacht. Iſt es ſo, ſo haben wir morgen
früh Bataille, und wenn das Heer will, morgen
Abend Sieg.


[202]
Gneiſenau.

Der Poſten von St. Amand muß verſtärkt
werden.


Bluͤcher.

Nicht vielmehr der von Sombref? Er liegt
dem Feinde näher.


Gneiſenau.

Der franzöſiſche Kaiſer —


Bluͤcher.

Nenne den Schurken nicht Kaiſer, der meiner
Königin das Herz brach.


Gneiſenau.

Napoleon wird uns gern von den Engländern
trennen, auf die Seite werfen wollen, und, du
kennſt ihn, da wird er ohne ſich umzuſehen die
Stellung zuerſt angreifen, die uns zunächſt mit
ihnen verbindet, und, dieſe iſt: St. Amand.


Bluͤcher.

Du haſt Recht, Freund. — St. Amand mit
fünf Infanterie- und drei Dragoner-Regimentern
verſtärkt.


(Mehrere Adjutanten ab.)

Couriere zu Wellington — Gruß ihm, und die
Bitte, er möge vorrücken — Andere zu Bülow:
der breche ſofort mit ſeinem Corps auf und ſey
morgen mit Tagesanbruch hier.


[203]
Gneiſenau.

Jetzt erfahren wir ein Mehreres. — Da ſchickt
Ziethen drei Huſaren von der Vorhut.


(Drei ziethenſche Huſaren jagen heran.)

Bluͤcher.

Es könnten verkleidete franzöſiſche Spione ſeyn.
Dem Bonaparte iſt keine Liſt fremd. — Die Pa-
role?


Ein ziethenſcher Huſar.

Zorndorf!


Bluͤcher.

Richtig. — Was gibt es?


Der ziethenſche Huſar.

Franzöſiſche Truppen zu Fuß und zu Pferde,
wie Sand am Meer, in Charleroi, Chatelet, Mar-
chienne, Avesnes. Ihre Voltigeurs drängen ſich
ſchon an uns und ſchießen aus Strauch und Buſch.


Gneiſenau.

Haben die Feinde viele Kanonen?


Der ziethenſche Huſar.

Unabſehbare Züge.


Bluͤcher.

Sogenannte Kaiſergardiſten unter ihnen?


Der ziethenſche Huſar.

Regiment an Regiment.


[204]
Bluͤcher.

So iſt Er mit ſeiner ganzen Armee da, und
hat uns überraſcht. Doch, es ſoll ihm wenig hel-
fen, denn er macht uns nicht beſtürzt. — Zurück
zu Ziethen — er ziehe ſich fechtend bis Sombref.


(Die drei ziethenſchen Huſaren wieder ab.)

Gneiſenau.

Allarm, Feldherr?


Bluͤcher.

Verſteht ſich, auf der Stelle! Ueberall Rappel!
Der Generalmarſch durch’s Lager — Neue Patro-
nen ausgetheilt, die Güte der alten unterſucht!


(Viele Adjutanten ab.)

Und wir beiden, Freund Gneiſenau, einen Ritt
nach Charleroi hin — Es ſieht ſich nicht beſſer
als mit eignen Augen.


(Mit Gneiſenau ab. Gleich darauf Rappel und General-
marſch im ganzen preußiſchen Bivouac. Alle zerſtreut
geweſenen Soldaten eilen zu ihren Compagnien und
Schwadronen, raſch ſich waffnend und ordnend.)

Feldwebel.

Adieu, Berliner und Schleſier — Gott mit
euch in der Schlacht!


(Ab.)

[205]
Berliner.

Herr Schleſier, holen Sie für uns beide noch
einen großen Kümmel.


(Schleſier geht.)

Mein Jeſus, welch ungeheurer Unterſchied, wenn
man erwartet, ob es losgeht, oder wenn es los-
geht. Vorher beſah ich die Gefahr halb mit Luſt,
faſt wie einen ſchön gemalten Bären, — jetzt wird
der Bär lebendig, und mich bebt der Hemdſchlapp.
O hätte meine Mutter mir bei ſich behalten, mir
nie geboren, ich brauchte doch nicht zu ſterben, —
oder wär’ ich doch kein Freiwilliger geworden —
Ach, der mußt’ ich werden, ſonſt hätten ſie mir
unfreiwillig dazu gemacht!


(Schleſier kommt mit dem Schnaps zuruͤck.)

Berliner.

Zittern Sie nicht vor die Bataille?


Schleſier.

Nein.


Berliner.

Gnädiger Himmel, wie kommt denn das?


Schleſier.

Es hilft ja zu nichts, — ich muß doch mit
vorrücken.


Berliner
(fuͤr ſich:)

Das geſteh’ ich, der weiß ſich in die Umſtände
[206] zu finden. Dieſem könnte die Polizei Rock und
Camiſol wegnehmen und er wäre grenzenlos zu-
frieden!


(Laut:)

Wiſſen Sie auch, warum wir kämpfen?


Schleſier.

Das hört man auf allen Wegen — Für Kö-
nig, Freiheit, Vaterland —


Berliner.

Was halten Sie von die Freiheit?


Schleſier.

Man ſagt, ſie wäre was Gutes.


Berliner
(fuͤr ſich:)

— — Wie ich ahnte, — pure Dummheit —
waſſerpolackiſches Vieh! — Der hat gut ſprechen,
hat gut crepiren! Ob der dahin ſinkt oder nicht,
— es iſt man ein Ochs weniger oder mehr, —
aber ein Kopf wie der meinige — Jammerſchade
wär’ es! —


(Laut:)

Da, trinken Sie das Glas aus.


Schleſier
(leert das Glas. Dann:)

Leben Sie wohl, — ich muß zu meinem Re-
giment.


(Ab.)

[207]
Verliner.

Was? Auch du Brutus, dem ich ſo viele halbe
Schnäpſe gegeben? — Gott, o Gott, nun bin ich
ſo ganz allein mit meiner Angſt!


Ein zweiter Berliner Freiwilliger
(kommt:)

Schul-, Kriegs-Camerad, was hier gezaudert?
Mit mir zu unſrer Compagnie. Man erſchießt
dich, biſt du nicht ſogleich da.


Erſter Berliner.

Herr Regierungsrath —


Der andere Berliner.

Zum Geier den Regierungsrath! Wer denkt
an Rang und Titel, wenn der Corſe mit ſeinen
Horden hereinbricht, um Preußens und Deutſch-
lands Ehre zu zertreten? — Ich bin Freiwilliger
und Gemeiner wie du.


Erſter Berliner.

Das iſt richtig mit Preußens Ehre, denn die
Franzoſen haben in Berlin erſchrecklich geſchändet
— Unſre Magd Lotte weiß auch davon zu ſagen
— — Aber vor dem Erſchießen, wenn ich zu ſpät
komme, iſt mich nun gar nicht bange, — zwiſchen
dem und mir ſteht noch ein deutſches Standrecht,
und das ſchont das Pulver.


[208]
Der andere Berliner.

Horch, der Zapfenſtreich unſres Regiments!


Erſter Berliner.

Sehr mißtönig! ſehr ſchlechte Noten!


Der andere Berliner.

Fort mit mir!


Erſter Berliner.

Ich wollte, Sie würden verwundet — Wie
ſchnell trüg’ ich Ihnen aus die Schlacht!


(Der andere Berliner reißt ihn mit ſich fort. Bluͤcher und
Gneiſenau kommen zuruͤck.)

Bluͤcher.

Teufel, man muß ſich in Acht nehmen — die
franzöſiſchen Tirailleure ſind ja ſchon überall wie
das Unkraut — Da tanzmeiſtert wieder ein Hau-
fen aus der Holzung! — — Heda, von jenem
brandenburgiſchen Huſarenregiment zwei Schwa-
dronen hieher!


(Die zwei Schwadronen ſprengen auf ſeinen Wink heran.)

Huſaren, in die Trompete geſtoßen, und heraus
die Preußenſchwerter!


(Es geſchieht.)

Ha, wie das blitzt — Es thut Einem wohl wie
ein warmer Sonnenſtrahl am kalten Wintertag. —
— Seht ihr jene vorausgelaufenen Franzoſenhunde?
Wetterleuchtet unter ihnen mit euren Säbeln und
jagt ſie zurück wie der Habicht die jungen Hühner.


[209]
Die Huſaren.

Wir jagen ſie!


(Sie ſprengen fort.)

Bluͤcher.

Haſt du geſeh’n, Gneiſenau, wie der welſche
Grünrock ſeine Raubrotten herausgeputzt hat?
Selbſt als er nach Rußland zog, prunkten ſeine
Reitergarden nicht mit ſo prachtvollen, hohen, ro-
then Federn!


Gneiſenau.

Auch die paar Kuiraſſiere, die ich erblickte,
waren wie mit Erz übergoſſen.


Bluͤcher.

Hatten aber auch dabei wieder die ſchöngeputz-
teſten Lappen Bärenfelles vorn am Helm —


Gneiſenau.

Ohne Flitter geht’s bei den Franzoſen nicht ab.


Bluͤcher.

Ein Narr verarg’ es ihnen, daß ſie bei Tüch-
tigem und Großem auch den Glanz lieben, wenn
ihnen der Schimmer nur nicht meiſtens die Haupt-
ſache würde. — Und ihre Reiter verdienen die
herrliche Montur wahrhaftig nicht, — ein gutes
Pferd ſchämt ſich einen von ihnen zu tragen, —
ſie reiten wie die Judenjungen, nicht bügel-, nicht
ſattelfeſt.


14
[210]
Gneiſenau.

Aber ſo wilder und verwegener.


Bluͤcher.

Ei was, die Verwegenheit einer ſchlechten Rei-
terei iſt einer guten gegenüber nichts als blindes
Feuer. Faſt all’ unſre Landwehruhlanen ſind eben
vom Pfluge genommene Bauern, aber keiner dar-
unter, der nicht die Zügel beſſer hält als ſieben-
tauſend Franzoſen, und könnt’ ich heute Nacht die
Herren mit einem Cavallerie-Ueberfall regaliren,
wie einſt bei Hainau und Laon, ſo wollt’ ich dir
beweiſen —


Gneiſenau.

Eine Ueberrumpelung iſt unmöglich — die feind-
lichen Vorpoſten ſind zu zahlreich.


Bluͤcher.

Leider, — ſorge du für die unſrigen. — Ich
ſehe mich derweilen im Heere um und finde hof-
fentlich überall den alten Kriegsmuth.


(Er und Gneiſenau auf entgegengeſetzten Seiten ab.)

[211]

Fünfte Scene.


(Andere Gegend des preußiſchen Feldlagers. Abenddaͤmme-
rung. Ein Bataillon freiwilliger Jaͤger in Reih’ und
Glied.)

Der Major.

Es fehlt Niemand — — Büchſen ab — Aus
dem Glied getreten und an den Wachtfeuern aus-
geruht, bis das Flügelhorn ruft.


Erſter Jaͤger.

Herr Major, ſetzen Sie ſich in den Kreis, der
ſich um dieſes Wachtfeuer lagert. Er enthält Ihre
beſten Bekannten.


Major.

Gern, Brüder, deren Major zu ſeyn, mir die
höchſte Ehre iſt. — Wann auch wohl ſäh’ man
ſich ſo gern bei dem Schein der geſelligen Flamme
noch einmal gegenſeitig in das befreundete, lebens-
friſche Antlitz als am Vorabend der Schlacht?


(Major und ſechs Jaͤger ſetzen ſich um das Feuer.)

Vierter Jaͤger.

Freunde, denken wir unſerer Lieben — Wie
[212] mancher zärtliche, beſorgte Blick von Müttern,
Schweſtern, Bräuten richtet ſich hierher!


Major.

Mit ihnen das Auge des Königs.


Dritter Jaͤger.

So umwölke der Himmel ſeine Sterne noch
dichter als er ſchon thut, — uns leuchten beſſere
Sonnen als er beſitzt.


Erſter Jaͤger.

Große Augenblicke erwecken große Erinnerungen:
es war doch eine wundervolle, Alles entflammende
Zeit, als wir im Februar 1813 den Aufruf des
Königes vernahmen und ſofort Breslaus Straßen
zu eng wurden für unſere bis zum Tode für das
Vaterland begeiſterten Schaaren, — als wir dann
in den furchtbaren Schlachten von Lützen und
Bautzen zurückgedrängt, aber nicht beſiegt, ſondern
immer kühner, immer ſtolzer wurden, als ſelbſt
Rußlands Kaiſer mit ſeinen Veteranen von Eylau
und Borodino, denen wir die Ehre des Vorkam-
pfes nicht gönnten, uns als ſtaunende Zuſchauer
ihr bewunderndes Hurrah zurufen mußten — Wel-
chen Klang hatten da alle großen Worte!


Zweiter Jaͤger.

Ja, das ganze Heer war wie electriſch, —
[213] Berliner und Schleſier, Pommer und Märker, alle
Eine freudige, aber übergewaltige Gluth, ſo wie
es hieß «auf den Feind!» — Jetzt iſt’s ziemlich
anders: die Feigheit unſerer Diplomaten ließ auf
Wiens Congreſſe ſich die Früchte unſerer Tapfer-
keit rauben. Hielt man den Congreß im Feldlager
der ſiegenden Nationen, ſo möchte für die Souve-
rainität Kniphauſens und für Aufbewahrung man-
ches anderen Zeugs nicht ſo außerordentlich beſſer
geſorgt ſeyn, als für das Intereſſe Europas, und
insbeſondere Preußens. Wir Preußen opferten das
Meiſte, den größern Lohn erhielten die Anderen.


Major.

Was bedeutet der Quadratmeilengewinn gegen
die Sternenkrone, die das dreimal erneuerte, aber
dreimal wieder mit ihr geſchmückte Preußenheer
der beiden vergangenen Jahre umflicht? Die Lap-
pen von Ländereien, welche Oeſterreich, Rußland,
England und Holland ſich anflickten, fallen einſtens
doch ab, aber wahrlich die blutrothen Arcture der
Schlachten, in denen wir vor allen die Kette des
Weltherrſchers zerreißen halfen, funkeln noch nach
Jahrhunderten vom Himmel, und zeigen, wenn
Preußen längſt untergegangen, den ſpäteſten Ge-
ſchlechtern die Stellen, wo es prangte.


[214]
Sechster Jaͤger.

Das, Herr Major, hilft alles nichts gegen den
Spruch «beſſer iſt beſſer», und beſſer war es,
wenn Preußen, wenn Deutſchland ſich mehr con-
ſolidirten.


Fuͤnfter Jaͤger.

Alter Bruder Studio, ich ſag’s auch: Ruhm
iſt gut, ein fideler Burſch iſt auch gut, aber ein
rundes Stück Land hält den Ruhm, ein rundes
Stück Geld den Burſchen am beſten zuſammen.


Zweiter Jaͤger.

Denken Sie an ſich ſelbſt, Herr Major —
Goldnere Träume als die jetzigen, umglaͤnzten uns,
als wir mit hochſchlagender, in der Hitze der
Schlacht entblößter Bruſt, durch die Gärten von
Leipzig dem Feinde in die Flanken drängten —
Preußens Hoheit, der Kaiſerthron Deutſchlands,
dem ſie als ſchützender Cherub zur Seite ſtand,
warfen ihre Stralen mitten durch den Qualm der
Geſchütze. Der Rhein war wieder frei und deutſch,
wie er geboren, in der Moſel und der Maas ſpie-
gelten ſich nur deutſche Gauen, — das ſchöne
Elſaß, das freundliche Lothringen, das herrliche
Burgund mit ſeinen ſonne- und weinglühenden Ge-
birgen, — wie grüßten wir ſie ſchon als zurückge-
[215] wonnene Glieder deutſcher Genoſſenſchaft! — Und
dermalen?


Major.

Unſer König iſt nicht Schuld, ward nicht alles,
wie wir wollten. Er wollte wie wir.


Fuͤnfter Jaͤger.

Er hätte ſeinen Willen nur durchſetzen und den
Augenblick ergreifen ſollen, — nichts in der Welt
konnte ihn damals hindern, und hätt’ er auch die
vom ſonſt ſo bedenklichen Oeſterreich ſo leichtſinnig
aufgegebene römiſch-deutſche Krone als ein herren-
los gewordenes Gut in Beſitz genommen und ſich
auf das Haupt gedrückt.


Dritter Jaͤger.

Er konnt’ es wagen, — wir wären gern für
ihn gefallen, und Hunderttauſende mit uns.


Major.

Wer fiele nicht gern für einen Herrſcher, ſo
ritterlich, gerecht und edel als Er?


Sechster Jaͤger.

Ja, Napoleon iſt auch groß, iſt rieſengroß, —
aber er iſt es nur für ſich, und iſt darum der
Feind des übrigen Menſchengeſchlechtes, — unſer
König iſt es für Alle.


[216]
Major.

Marketenderin!


(Marketenderin kommt.)

Führſt du einige Flaſchen erträglichen Weines? —
Guten haſt du nicht, und kannſt ihn auch im Felde
nicht haben.


Marketenderin.

Herr Major, ich hole Ihnen doch vier bis
fünf ſehr gute Flaſchen.


(Sie geht.)

Major.

Kinder, noch einmal wechſelſeitig die Hand —
Männerfreundſchaft in der Luſt wie in dem Kampf
— Es gibt nichts Höheres. — Da — da — Ihr
haltet Thränen zurück — Laßt ſie rinnen — ſie
fließen edlen Abſchiedsgefühlen, — wer ſich deren
ſchämt, wer die nicht beſitzt, hat ſie aus der Bruſt
verbannt, weil er ſich davor fürchtet.


Zweiter Jaͤger.

So kalt der Regen zu tröpfeln beginnt, ſo rauh
der Wind weht, ſo nahe der corſiſche Löwe liegt,
und vermuthlich ſchon auf den Hinterfüßen ſteht,
und die Vordertatzen nach uns ausreckt, — wahr-
haftig, mir iſt’s hier wohler um das Herz, als
wenn ich in der gut geheizten Stube am Theetiſch
[217] ſitze, daſelbſt Geſchwätz vernehme, was die Secunde
darauf vergeſſen iſt, oder gar ſelbſtgefällige belle-
triſtiſche Vorleſungen anhöre, bei denen ich mein
Aufgähnen in Bewunderungsausrufungen verſtecken
muß.


Fuͤnfter Jaͤger.

Ueberleb’ ich dieſen Feldzug, ſo wird mir das
Andenken an euch manche flaue Theeviſite, in der
ich ſonſt nichts gefühlt hätte, ſehr heiß machen.


Major.

Was bloß Theeviſiten! Nicht nur bei ihnen,
— auch in Sturm und Noth, unter Kanonenkugeln
und unter Friedensſonnen, vor dem Trauungsal-
tar und vor dem Grabeshügel, brenne in unſeren
Brüſten im erſten Glanze ſtets der Name eines
Jeden von uns — Seht, die Marketenderin hat
den Wein gebracht, und er iſt unendlich trefflicher
als ich vermuthete — das Weib iſt eine brave
Seele, ſie kennt unſere Art, und hat für einen
Augenblick, wie den gegenwärtigen, trefflichen Hoch-
heimer aus dem Mutterfäßchen aufgeſpart. — An-
geſtoßen!


Zweiter Jaͤger.

Zuerſt denn:
«die Todten ſollen leben»,
[218] und über alle hinaus die auf den Schlachtfeldern
von 1813 und 1814 hingeſunkenen vaterländiſchen
Helden!


Major.

«Die Todten ſollen leben», und mit ihnen der,
welcher es ſchrieb: der erhabene, wetterleuchtende
Schiller!


Alle.

Schiller hoch!


Fuͤnfter Jaͤger.

Schillers Jünger nicht vergeſſen, der grade
durch ſeinen Tod bewies, daß er ihm nicht nach-
klimperte, ſondern nachfühlte.


Major.

Theodor Körner, hoch trotz ſeiner ofenhockeri-
ſchen Recenſenten!


Erſter Jaͤger.

Wie wär’ es, wir ſängen ſeine wilde Jagd?


Major.

Ein herrlicher Einfall — Die Hornmuſik des
Bataillons begleite uns!


(Die Horniſten des Bataillons treten herbei.)

Angefangen!


[219]
Major und Jaͤger

(ſingen, unter Begleitung der Hoͤrner:)

«Was glänzt dort vom Walde im Sonnenſchein?

Hör’s näher und näher erbrauſen.

Es zieht ſich herunter in düſteren Reih’n,

Und gellende Hörner ſchallen darein,

Und erfüllen die Seele mit Grauſen.

Und wenn ihr die ſchwarzen Geſellen fragt,

Das iſt Lützows wilde, verwegene Jagd!»

Vierter Jaͤger.

Wer ließe ſich nicht gern von Kartätſchen zer-
ſchmettern bei dieſem Liede und ſeiner Muſik?


Major und Jaͤger.

«Was zieht dort raſch durch den finſtern Wald,

Und ſtreift von Bergen zu Bergen?

Es legt ſich in nächtlichen Hinterhalt,

Das Hurrah jauchzt, und die Büchſe knallt,

Es fallen die fränkiſchen Schergen.

Und wenn ihr die ſchwarzen Jäger fragt,

Das iſt Lützows wilde, verwegene Jagd.»

«Wo die Reben dort glühen, dort braußt der Rhein,

Der Wüthrich geborgen ſich meinte,

Da naht es ſchnell mit Gewitterſchein,

Und wirft ſich mit rüſt’gen Armen hinein,

Und ſpringt an’s Ufer der Feinde.

[220]
Und wenn ihr die ſchwarzen Schwimmer fragt,

Das iſt Lützows wilde, verwegene Jagd.»

«Was braußt dort im Thale die laute Schlacht,

Was ſchlagen die Schwerter zuſammen?

Wildherzige Reiter ſchlagen die Schlacht,

Und der Funke der Freiheit iſt glühend erwacht,

Und lodert in blutigen Flammen.

Und wenn ihr die ſchwarzen Reiter fragt,

Das iſt Lützows wilde, verwegene Jagd.»

Bluͤcher

(kommt zu Fuß von einigen Adjutanten begleitet.:)

Recht, Kinder — ihr haltet mit eurem Singen
und Muſiciren das Lager wacher als ich mit
zwanzig Tags- und Nachtsbefehlen.


Der Major und die Jaͤger
(ſpringen auf:)

Der Feldmarſchall hoch, und noch einmal und
tauſendmal hoch!


(Tuſch der Hoͤrner.)

Bluͤcher.

Danke, danke, — ich bitte, hört nur wieder
auf, — ſtill die Hörner, — es iſt genug.


Der Major.

Ich muß geſtehen, Feldherr, wir haben eben
bei unſeren Toaſten an alle Welt gedacht, und Sie,
das uns Nächſte, Liebſte vergeſſen.


[221]
Bluͤcher.

Major, das nehm’ ich nicht übel. Man ſucht
zuerſt das, was man nicht bei der Hand hat. —
Burſchen, bleibt morgen ſo luſtig wie heute.


(Ein preußiſcher Unterofficier und mehrere Gemeine treten
auf mit dem General Graſen Bourmont und einem Ad-
jutanten deſſelben.)

Der Unterofficier.

Herr Feldmarſchall —


Bluͤcher.

Was bringſt du?


Unterofficier.

Zwei Franzoſen.


Bluͤcher.

Weiter nichts?


(Er blickt ſeitwaͤrts uͤber die Achſeln nach Bourmont und
deſſen Adjutanten. Dann zu den Jaͤgern:)

Man wird finſter, wird man in eurer heiteren
Geſellſchaft durch ſolchen Anblick geſtört.


(Zu Bourmont:)

Wer ſind Sie und Ihr Nebenmann?


Bourmont.

Er iſt mein Adjutant, und ich, Herr Feldmar-
ſchall, erſcheine hier freiwillig, und bin Graf
Bourmont, General im ſogenannten kaiſerlichen
Heere —


[222]
Bluͤcher.

Dennoch nunmehr ein Ueberläufer aus dem ſel-
bigen Heere?


Bourmont.

Ich werde Ihnen alle Operationspläne Bona-
partes entdecken.


Bluͤcher.

Franzöſiſche Entdeckungen mag ich nicht, —
überdem ſehen Sie grade nicht darnach aus, als
hätt’ er Ihnen viel von ſeinen Operationen zum
Beſten gegeben.


Bourmont.

Solchen Empfang hätten treue Diener König
Ludwigs des Achtzehnten, für den auch Sie käm-
pfen, für den auch wir mit Ihnen und Ihren
Truppen ſtreiten wollen, nicht erwartet.


Bluͤcher.

Kennen Sie Deutſchland?


Bourmont.

Ich habe Achtung für die lobenswürdige, loyale
Nation, welche es bewohnt.


Bluͤcher.

So wiſſen Sie denn, Herr Graf, wenn wir
kämpfen, ſo kämpfen wir juſt für dieſes Land mit
der von Ihnen geachteten, lobenswürdigen, loyalen
[223] Nation, — unſer Blut opfern wir, daß nicht abermals
ein Tyrann, wie Bonaparte es iſt, von ſeinen
Bivouacs aus uns und die Welt wie Negerſclaven
commandirt, — aber Gott ſoll uns behüten, daß
wir für Ihren Sire Louis dix huit, den ich, als
er emigrirt war, in Hamm ſammt ſeinen Maitreſ-
ſen, recht gut kennen und ſchätzen lernte, nur an
ein Degengehenk faßten, — unſrethalb mag er auf
Frankreichs Thron oder auf ſeinem N — — ſitzen,
Kirſchen oder Roſtbeef eſſen, — abſcheulich, wenn
das Blut, welches wir verlieren, bloß für Herrn
Ludwig den Achtzehnten hingeſtrömt ſeyn ſollte.


Bourmont.

Ich erſuche, mich ſofort in das engliſche Lager
bringen zu laſſen, Herr Blücher.


Bluͤcher.

Ich heiße Blücher, Fürſt von Wahlſtadt, bin
königlich-preußiſcher Feldmarſchall, dutze mich gern
mit jedem braven deutſchen Füſelier, aber mit Ih-
nen und Ihres Gleichen nicht, — verlange daher
von Ihnen die geziemende Titulatur oder es —


Bourmont.

Eure Durchlaucht, es war verzeihliche Unvor-
ſicht, wenn ich —


[224]
Bluͤcher.

Schon gut. Machen Sie Ihre Unvorſicht durch
einen Schwanz von Entſchuldigungen nur nicht
länger.


(Zu dem Unterofficier und deſſen Soldaten.)

Schafft den Herrn mit ſeinem Begleiter zu den
Engländern, und meldet dem Wellington dabei, es
wäre mir eins, ob er ſie zu König Ludwig ſchickte
oder ſie feſthielte, — aber weder er noch ich dürf-
ten Ueberläufern trauen.


Bourmont.

Ha!


Bluͤcher.

Pah!


(Zu den Jaͤgern:)

Kinder, ſingt wieder darauf los!


(Bourmont und ſein Adjutant werden fortgefuͤhrt, — Bluͤ-
cher mit ſeiner Begleitung ab.)

Dritter Jaͤger.

Wetter, der Feldmarſchall iſt ein Mann von
Schrot und Korn. Wie ſchrumpften die beiden
Franzoſen zuſammen, als er mit dem Fürſten Wahl-
ſtadt herausrückte.


Sechster Jaͤger.

Ja, und er iſt darum ſo tüchtig, weil ſeine
[225] Naſe im Feuer der Schlacht nicht weiß wird, —
weil er immer grade aus ſieht, wo andere links
und rechts die Augen verdrehen, — weil er dem
Napoleon ohne Furcht auf den Leib geht, und da-
bei denkt: «hab’ ich dich, pack’ ich dich», — weil er
die Franzoſen ſo offenbar haßt, als er die Deut-
ſchen liebt, — und kurz und wahr: Blücher iſt
ein raſcher Mann, der mehr als ein Anderer 1813
und 1814 dem Corſen das Genick brach, weil er
ſo ehrlich und kühn in die Welt ſah, wie der
Corſe verſchmitzt und verwegen.


15
[226]

Sechste Scene.


(Wor Ligny. Das franzoͤſiſche Heer. Kanonen werden auf-
gefahren, die Kaiſergarden ſtehen in Schlachtordnung,
die Infanterie- und Cavallerieregimenter der Linie
marſchiren an beiden Seiten auf. Napoleon liegt,
bis an die Bruſt loſe von einem gruͤnen Mantel uͤber-
deckt, ſchlummernd auf der Lafette einer Kanone.
Eine Menge Adjutanten und Ordonnanzen zu Pferd
und zu Fuß, vom General bis zum Gemeinen, Chaſſe-
coeur und Vitrv darunter, in ſeiner Naͤhe. Desgleichen
viele Piqueurs mit geſattelten Handpferden. Bertrand
und Cambronne ſtehen, erſterer rechts, der zweite links
an ſeiner Seite, — der Obriſt und Adjutant Labedoyere
nicht weit von ihnen.)

Vitry.

Chaſſecoeur, nun haſt du, was du wollteſt —
Da ſchläft er, und die Gewitter der Schlacht um-
ziehen uns, als wären es ſeine Träume. — Wie
kann er ſchlafen? — Vor uns Preußen, vom Him-
mel Regen, um uns ſchlachtdurſtende, aufmarſchi-
rende Franzoſen.


Chaſſecoeur.

Der Kaiſer kann, was er will. So ſah’ ich
ihn ſchon oft.


[227]
Vitry.

Lies, bis der Lärm losgeht die Proclamation.


Chaſſecoeur.

Was ſteht darin?


(Die Proclamation fluͤchtig uͤberblickend:)

Die «Preußen» — Ja, die Hunde haſſ’ ich. —
Und «die Alliirten haben zwölf Millionen Polen,
eine Million Sachſen, ſechs Millionen Belgier an
ſich geriſſen» — Meinetwegen noch neun und
neunzig Millionen von all dem Volke dazu, aber
nur kein Haar des Kaiſers!


Vitry

(uͤbergibt die Proclamation einem Sergeanten der in der
Naͤhe haltenden Garde zu Fuß:)

Da — die heutige Proclamation.


Sergeant.

Proclamation? — Um die Patrone damit
und ſie den Preußen in den Leib gejagt — Die Ca-
naillen rücken doch ſchon von jenen Höhen heran.


Ein Capitain der Voltigeurs
(kommt:)

Den Kaiſer geweckt — Die Schlacht beginnt.


Cambronne.

Mein Herr, was ſchreien Sie dicht vor dem
Ohr des Kaiſers? Mit Ruhe und Anſtand ge-
ſprochen!


[228]
Der Capitain.

Die Preußen fahren dort Batterien auf.


Cambronne.

Laſſen ſie von den Preußen die ganze Hölle
auffahren — Der Kaiſer ſchlummert.


Bertrand.

Und die Raſt iſt ihm zu gönnen.


Der Capitain.

Aber, meine Herren, die Armee geräth in
Gefahr —


Bertrand.

Sie irren, Freund. Wäre das, ſo hätt’ er
dieſe Stunde nicht zum Schlafen gewählt.


(Der Capitain der Voltigeurs zieht ſich zuruͤck. — Mehrere
andere Officiere ſind im Geſpraͤch mit einander.)

Erſter Officier.

Die Preußen ſchieben uns Batterien unter die
Naſe — faſt riech’ ich die Lunten.


Zweiter Officier.

Man ſieht ihren Achtzehnpfündnern bereits tief
in die dunklen, hohlen Augen.


Erſter Officier.

Die Augen werden bald hell ſeyn und unſere
Reihen licht machen.


[229]
Dritter Officier.

In der That, ich wollte der Kaiſer wachte auf
oder würde geweckt, ehe die feindlichen Batterien
ſich feſtwurzeln — Aber man darf ja kaum vom
Erwecken etwas ſagen, denn der Cambronne und
Bertrand ſtehen neben ſeiner Lagerſtätte wie die
zurückdrohenden Cherubim an der Pforte des Pa-
radieſes.


Ein in der Ferne in die Schlachtlinie ruͤckendes
Regiment
(ſingt:)

Allons enfans de la patrie,

Le jour de glorie est arrivé.

Contre nous de la tyrannie

L’étendard sanglant est levé. —

Cambronne.

Ein Adjutant an jenes Regiment — Der Kai-
ſer liebt die Marſeillaiſe nicht — Man ſoll mit
ihr aufhören.


Labedoyere.

Herr General, die Marſeillaiſe iſt ein liberales
Lied, paſſend für den Zeitgeiſt — Das Volk ſiegte
mit ihm bei Valmy und Jemappes.


Cambronne.

Herr Obriſt — «Liberal»? «Zeitgeiſt» —
Die elende Kanonade von «Valmy» und das jäm-
merliche Tirailleurgefecht von «Jemappes»? —
[230] Wiſſen Sie, wo wir ſtehen? Unter den Waffen
der großen Armee. Da gibt es keinen anderen
Liberalismus als Ihm zu gehorchen, keinen anderen
Geiſt als den Seinigen, keine anderen Gefechte als
die à la Cairo, Auſterlitz, Jena und der Moskwa.


Labedoyere.

Weh, ich habe mich geirrt, — ich dachte, end-
lich die freiſinnige Zeit, von den Umſtänden ſelbſt
bedungen, leuchten zu ſehen, und es blinken ſchon
wieder nichts als Bayonette, Säbel, Kuiraſſe und
Kanonen.


Cambronne.

Sehen Sie, Herr Obriſt, ein wenig an den
Schwadronen und Bataillonen dieſer Schnautzbärte
hinunter, und zeigen Sie mir unter ihnen Einen,
dem der Kaiſer nicht lieber iſt, als alle die zeit-
geiſtigen Phraſen.


Bertrand.

Mein junger und tapferer Labedoyere, — ver-
zagen Sie nicht ganz, halten Sie Sich an den
Kaiſer — Er kann die Welt eher umgeſtalten als
die Welt ihn, und ich verſichere, er hat in ſeiner
großen Bruſt auch einen Platz für Ihren Libera-
lismus, und ſchützt und fördert ihn da, wo er des
Schutzes und der Förderung werth iſt.


[231]
Cambronne.

Der Kaiſer erwacht!


Ein Officier.

Nun bin ich neugierig, was er zu den preußi-
ſchen Batterien ſagt, deren Auffahren er verſchlief.


Napoleon

(ſteht auf, — der Mantel, welcher ihn bedeckte, faͤllt zur Seite:)

Alles wie ich befohlen?


Bertrand.

Jedes Regiment an ſeinem Poſten.


Napoleon.

Was iſt das dort?


Bertrand.

Sire, preußiſche Batterien.


Napoleon.

Albernes Zeug, — die ſollen die feindliche Ar-
mee maskiren und ſind zu weit vorgerückt. Sie
haben nicht Zeit zum Schuß, fällt man ihnen in
die Flanke. Das fünf und fünfzigſte Regiment
am rechten Flügel thue das, im Geſchwindſchritt,
— zwei Kuiraſſierſchwadronen begleiten es.


Vitry.

Chaſſecoeur, er iſt wach!


Chaſſecoeur.

Man merkt es: das Regiment und die Kuiraſ-
[232] ſiere marſchiren, die Batterien jagen zurück, und
da — ſehen wir die ganze preußiſche Armee.


Vitry.

Was wohl die Officiere, welche hier eben
ſchwazten, davon halten?


Napoleon.

Generalcommandant der Artillerie —


Drouot
(tritt vor:)

Sire —?


Napoleon.

Die preußiſchen Colonnen entwickeln ſich —
Ligny iſt die Mitte und der Schlüſſel ihrer Schlacht-
ordnung — merken Sie ſich das — — Und nun
laſſen Sie uns anfangen.


Drouot.

Sie befehlen —


(Zu der Artillerie:)

Abgeprotzt!


(Es geſchieht.)

Jener Zwölfpündner den Signalſchuß!


(Der Zwölfpfunder wird abgefeuert. Sofort donnern auch
alle franzoͤſiſchen Batterien, Heergeſchrei, Trommeln,
Trompeten, Janitſcharenmuſik dazwiſchen. Infanterie
und Cavallerie ruͤckt vor, nur die Garde bleibt ſtehen.
Die Preußen bewegen ſich gleichermaßen unter gewalti-
gem Artillerie- und Kleingewehrfeuer den Franzoſen
entgegen.)

[233]
Napoleon.

Ha! meine Schlachtendonner wieder — — In
mir wird’s ſtill — — —


(Er ſchlaͤgt die Arme uͤbereinander.)

Cambronne.

Wer ſollte ſich nicht freuen, der ihn jetzt ſieht?
— Welche Ruhe, welche ſtillglänzende Blicke!


Bertrand.

Ja, nun iſt’s mit ihm als ſtiegen heitere Som-
merhimmel in ſeiner Bruſt auf, und erfüllten ſie
mit Wonne und Klarheit. Still und lächelnd wie
jetzt, ſah’ ich ihn in jeder Schlacht, ſelbſt bei
Leipzig.


Napoleon
(fuͤr ſich;)

Joſephine — Hortenſe — Das Etui — —
Und mein Sohn!


Adjutanten
(ſprengen heran:)

Rechts, bei Sombref, drängen uns die Preußen
zurück.


Napoleon.

Die zurückgedrängten Truppen ſollen ſich an
den rechten Flügel der Garde ſchließen.


(Kanonenkugeln ſchlagen in die Erde.)

Vitry

(ergreift einige und wirft ſie fort:)

Canaillen, ihr könntet ricochettiren!


[234]
Napoleon.

Wie heißt du?


Vitry.

Philipp Vitry.


Napoleon.

Du biſt Hauptmann.


Chaſſecoeur.

Gift und Tod, was hat der Kerl für Glück.


Vitry.

Sire, trauen Sie mir Ehre zu?


Napoleon.

Hätt’ ich dich ſonſt zum Hauptmann gemacht?


Vitry.

So verſichr’ ich auf meine Ehre, hier dieſer
Chaſſecoeur verdient eher Hauptmann zu ſeyn als
ich. Er dient ſchon ſeit Quiberon und rettete bei
Leipzig einen Adler — Bitte, Sire, laſſen Sie mich
Gemeiner bleiben, und ernennen Sie ihn ſtatt mei-
ner zum Hauptmann.


Napoleon.

Ihr ſeyd beide Hauptleute.


Chaſſecoeur.

Mein Kaiſer, wobei?


Napoleon.

In meiner Suite.


[235]
Ein Fluͤgeladjutant
(ſprengt heran:)

Graf Vandamme muß das eben von ihm ge-
nommene St. Amand wieder räumen. Die Preu-
ßen ſind zahllos und wüthig wie die Teufel.


Napoleon.

Ob die Preußen St. Amand oder Otaheiti
haben, iſt in dieſem Augenblick gleichgültig. —
Aber melden Sie Vandamme: es wäre mir lieb,
wenn er durch wiederholte hartnäckige Angriffe
den Feind glauben machte, ich hielte etwas auf die
Stellung. Blüchers Generalſtab wär’ im Stande
die Poſition bei Ligny wegen St. Amands noch
mehr zu ſchwächen, als er ſchon gethan hat.


(Der Fluͤgeladjutant ab:)

Ordonnanzen zu Gerard: daß er bei Ligny all-
mählig auch die Truppen der ſchweren Waffengat-
tungen in das Gefecht führt.


(Mehrere Ordonnanzen ab.)

Ein Fußgardiſt

(wird von einer Kugel getroffen:)

Jeſus Maria!


Nebenſtehende Cameraden.

Karl wird fromm!


Wieder ein Gardiſt,

(dem eine Kanonenkugel den Leib aufreißt:)

Es lebe der Kaiſer!


[236]
Garde und Heer.

Er lebe!


Napoleon.

Dieſe Kugeln kommen von Sombref. Vier
Reſervebatterien vor, unſre von dorther weichen-
den Truppen beſſer zu bedecken.


Ein Adjutant
(hervorſprengend:)

Der Fürſt von der Moskwa bittet um Hülfe.
Die engliſche Armee enfilirt mit ihm bei Quatre-
bras eine Schlacht.


Napoleon.

Der Fürſt von der Moskwa iſt ein — Sie,
mein Herr, melden ihm: ich wüßte, Wellington
tanze noch in Brüſſel, und er, der Marſchall Ney,
hätt’ es nur mit dem engliſchen Vortrab zu thun.
Nicht erſchrecken ſoll er ſich von ihm laſſen, —
kühn zurückwerfen, oder doch aufhalten, bis ich hier
geſiegt habe, ſoll er ihn. Dann läuft er von ſelbſt.


(Der Adjutant ab.)

Daß doch die meiſten Menſchen Aug’ und geſunde
Vernunft verlieren, ſobald ſie das Glück haben,
mit zwanzig oder dreißigtauſend Mann ſelbſtſtändig
auf dem Schlachtfelde zu ſtehen.


(Zu mehreren Adjutanten:

Schnell zum General Erlon. Er trenne und be-
drohe mit ſeinem Corps zwiſchen Quatrebras und
[237] St. Amand die Engländer und die Preußen, —
er ſchont aber ſeine Truppen, oder Bülow möchte
bei St. Amand ankommen; wäre das, ſo ſtürzt er
ihm entgegen.


(Adjutanten ab. Zwei andere ſprengen noch hintereinander
heran.)

Erſter Adjutant.

General Gerard nimmt Ligny mit dem Bayon-
net —


Zweiter Adjutant.

Die Preußen treiben ihn Schritt vor Schritt
wieder hinaus —


Napoleon.

Drei Voltigeurregimenter ſollen ſich debandiren,
und dort die Preußen überall, von jedem Vor-
ſprung, jedem Fenſter her, beängſtigen helfen.


(Adjutanten ab.)

Ein Adjutant
(jagt herbei:)

Zwiſchen St. Amand und Ligny wird es ſchwarz
wie die Nacht von ſich anhäufender feindlicher
Cavallerie.


Napoleon.

Die reitende Artillerie mit Kartätſchen wider
ſie vor.


(Reitende Artillerie jagt vor und ſchießt, kommt aber gleich
darauf in Eile und Unordnung zuruͤck.)

[238]

Was? Der wilde Blücher bricht doch los? —
Milhauds Kuiraſſiermaſſen auf ihn ein.


(Milhauds Kuiraſſiere ſturmen los.)

Ein Officier.

Ah, wie leuchtet und klirrt auf einmal die Luft
von gezückten Schwertern.


Ein anderer Officier.

Und horch, jetzt treffen ſie Blüchers Horden —
Wie ingrimmig und gräßlich wiehern die gegen-
einander kämpfenden Pferde!


Napoleon.

Bertrand, was ſagſt du zu der Schlacht?


Bertrand.

Die Preußen fechten beſſer wie bei Jena.


Napoleon.

Geſchlagen werden ſie doch, nur ein paar
Stunden ſpäter.


(Adjutanten kommen.)

Erſter Adjutant.

Milhauds Kuiraſſiere treiben die feindliche Rei-
terei zurück —


Zweiter Adjutant
(ſpaͤter:)

Blücher erholt ſich und Milhaud weicht —


[239]
Napoleon.

Pajols Reiter dem Milhaud verhängten Zügels
zu Hülfe.


(Adjutanten ab.)

Ha, da Einer von Gerard mit ſiegtrunkenem Ant-
litz — Wie bei Ligny?


Der heranſprengende Adjutant.

Die weſtliche Seite iſt unter unſren Kolben,
und ganz Europa entreißt ſie uns nicht wieder!


Napoleon.

Ein Pferd!


(Es wird ihm ein Pferd gebracht, und er ſetzt ſich auf.)

Vitry.

Chaſſecoeur, nun muß die Garde daran, —
der Feind iſt mürbe.


Chaſſecoeur.

Mürb’ oder hart, die Garde macht ihn zu Brei.


Napoleon.

Lieber Drouot, ein Kreuzfeuer des ſchwerſten
Geſchützes auf Lignys Oſtſeite.


Drouot.

Wehe dem Mutterkinde, das noch darin iſt! —
Schwere Artillerie marſch!


(Mit der ſchweren Artillerie ab.)

[240]
Napoleon.

Cambronne, alle Garden zum Sturm auf Ligny!


Cambronne.

Alte und junge Garden, zu Pferd und zu Fuß:
den Kaiſer ſalutirt!


Die Officiere der Garde

(den Befehl Cambronnes weiter rufend:)

Den Kaiſer ſalutirt!


Die Garde
(ſalutirend:)

Der Kaiſer hoch!


Cambronne.

Und nun Bayonnette gefällt, Säbel geſchwun-
gen, — unſer der letzte Trümmer von Ligny, oder
der Tod!


(Ab mit der Garde.)

Napoleon.

Eſtafetten nach Paris: ich hätte geſiegt, —
während Blücher mir mit ſeiner Reiterei meinen
linken Flügel habe zerbrechen wollen, hätt’ ich ſein
Centrum durchbrochen, und ſo weiter, wie jedes
Auge es hier ſieht. Zugleich der Municipalität
durch den Moniteur angedeutet, ſie möchte mit Ab-
nahme der Vormundſchaftsrechnungen nicht ſo
nachläſſig ſeyn, wie im vorigen Jahr, oder mein
Zorn träfe ſie ärger als die Preußen.


[241]
(Adjutanten und Ordonnanzen ab. Sombref, Ligny, St.
Amand lodern vor der franzoͤſiſchen Schlachtlinie in lich-
ten Flammen, — hinter ihr Quatrebras, Pierrepont,
Frasnes, Geminoncourt und andere Ortſchaften eben ſo.)

Napoleon

(ſieht ſich nach den Feuersbruͤnſten um:)

Iſt’s nun meine Schuld, daß ich mit einem
unermeßlichen, weit und weiter ſich ausdehnenden
Flammendiadem, wie dieſes, meine Stirn ſchmücken
muß? Oder iſt es das trübſelige Fünkchen, die elende
Aechtungsacte von Wien, welche dieſen Weltbrand
veranlaßt?


Adjutanten
(heranſprengend:)

Sire, Drouots Batterien haben auch die Oſt-
ſeite von Ligny zu Staub gemacht — ſie ſchweigen,
weil die Garden ſchon über die Trümmer vor-
rücken, — nur einzelne preußiſche Jäger ſtecken
noch hier und da hinter Hecken und Gräben.


Napoleon.

Ligny ganz mein! — Das Thor Europas iſt
erbrochen und ich ſtürme hindurch bis —


Bertrand
(fuͤr ſich:)

Da ſpiegeln die goldglänzenden Kuppeln von
Moskau ſich ſchon wieder in ſeinem Auge.


16
[242]
Napoleon.

Den ſchwarzen Krepp von den Legionsadlern,
daß ſie die wieder aufſteigende Sonne des Sieges
ſehen!


(Zu Adjutanten und Ordonnanzen:)

Grouchy verfolgt mit ſeinem Corps die Preußen,
— unter ihm noch Vandamme und Pajol mit ih-
ren Heertheilen, — er kann nicht raſch und kühn
genug ſeyn, darf ſich durch keine Demonſtration,
keine Poſition aufhalten laſſen.


(Viele Adjutanten und Ordonnanzen ab.)

Wir, Bertrand, beſehen einige Augenblicke das
Schlachtfeld, und dann mit der großen Armee links,
um mit Ney den Vortrab der Engländer auf ihre
Hauptmacht zu werfen, dieſe zu vertilgen, und
übermorgen in Brüſſel zu ſchlafen.


(Napoleon, Bertrand und die kaiſerliche Suite ab.)

[[243]]

Fünfter Aufzug.


Erſte Scene.


(Abend. Ein Hotel in Bruͤſſel. Viele große Saͤle, praͤch-
tig erleuchtet. Herzog von Wellington mit Gefolge,
Damen und Officiere hoͤchſten Ranges darunter, tritt
ein. Der Herzog von Braunſchweig kommt etwas ſpaͤter,
den ſogenannten „ſchwarzen Becker“, ſeinen Kammer-
diener, zur Seite. Er ſetzt ſich in eine Niſche des vor-
derſten Saales. Der ſchwarze Becker bleibt neben ihm
ſtehen.)

Herzog von Braunſchweig.

Becker, haſt du alle meine Papiere in Ordnung?


Schwarzer Becker.

Ja, Eure Durchlaucht.


Herzog von Braunſchweig.

Du biſt ein braver Kerl, ſorgſt wohl zuerſt
für dich, dann aber zunächſt für mich — Mehr
kann man von einem Menſchenkinde nicht ver-
langen —


[244]
Schwarzer Becker.

Herr Herzog —


Herzog von Braunſchweig.

Laß das gut ſeyn — So braun dein Geſicht,
und ſo ſchwarz dein Haar iſt — du biſt mir lie-
ber als viele der Herren, welche mich in Braun-
ſchweig bei meiner Rückkehr mit ihren nichtsſagen-
den Fratzen und wohlfriſirten Perücken devoteſt
empfingen, und dennoch mit — und mit den —
unter einer Decke ſpielen möchten. Schwarzer
Becker, vernichte jedes Papier, von dem es dir
nicht gut ſcheint, daß es an das Licht komme —
die alten Correſpondenzen mit — — — —, und
Gott weiß, mit wem ſonſt noch — fort damit!
’S iſt alles Lumpenzeug.


Schwarzer Becker.

Sie befehlen Durchlaucht.


Herzog von Braunſchweig.

Becker, ich falle bald — mir ſagt’s die Ahnung
ſo deutlich, daß ich nicht zweiflen mag. Es thut
mir leid um meinen unmündigen älteſten Jungen,
— man wird ihn vielleicht ſo — — und ſich in
ſolche Schaaffelle zu kleiden wiſſen, daß, wenn er
in die welfiſchen Brauſejahre kommt und mündig
wird, und dann den ganzen Spuk der ausheimi-
[245] ſchen, einländiſchen und perſönlichen Intereſſen er-
blickt, er glaubt noch toller werden zu dürfen, als
die, welche — — Wenn ich nicht mehr bin, Becker,
ſo laß dich nicht im Braunſchweigiſchen nieder, —
gib dann das wild bewegte Leben auf, heirathe
irgend wo anderwärts eine tüchtige Perſon, und
denke bisweilen an mich, wenn du recht glücklich
biſt.


Schwarzer Becker.

Herzog —


Herzog von Braunſchweig.

Laß das Weinen. Nichts verlachenswerther.
— Ich ſage dir, in dieſen Tagen fall’ ich —


Schwarzer Becker.

Durchlaucht, gewiß Phantaſien —


Herzog von Braunſchweig.

Mag ſeyn, aber immer noch beſſer als Wel-
lingtons Tanzluſt — Er meint, er hätt’ es mit
einem Jourdan zu thun — Bonaparte wird ihm
den Unterſchied zeigen.


Schwarzer Becker.

Bonaparte iſt noch in Paris.


Herzog von Braunſchweig.

Leicht möglich und eben ſo leicht nicht. Er iſt
in der Regel da, wo man ihn nicht vermuthet.


[246]
Schwarzer Becker.

Durchlaucht, zerſtreuen Sie Sich — Hören
Sie die Muſik! Da das: God save the King!


Herzog von Braunſchweig.

So lang es dauert. — Sind die Braunſchwei-
ger bereit?


Schwarzer Becker.

Immer unter Waffen.


Herzog von Braunſchweig.

Gut.


Schwarzer Becker.

Durchlaucht, welch ein Schimmer von Uniformen
— Da ſelbſt der ehrliche Britte Picton in größ-
tem Staat — Und gar der Herzog von Welling-
ton, der Prinz von Oranien —


Herzog von Braunſchweig.

Der Herr Herzog halten immer den Mund auf,
und hören doch oft recht ſchwer. — Nehmen die
engliſchen Krebſe ſich nicht beſſer in Acht, ſo müſ-
ſen ſie bald nach gewohnter Manier zurück in die
See, wie bei Corunna und Vliſſingen.


Schwarzer Becker.

Da naht eine Damendeputation — Sie hat uns
an den Todtenköpfen der Tſchackos erkannt, und
will Ew. Durchlaucht mit Lorbeeren bekränzen.


[247]
Herzog von Braunſchweig.

Gehe zu den Damen, mache deine höflichſten Ver-
beugungen, und ſag’ ihnen: ich dankte für die Ehre.


Schwarzer Becker.

Wie Ew. Durchlaucht gebieten.


(Er richtet den Befehl des Herzogs mit groͤßter Hoͤflichkeit
aus, die Damen ziehen ſich zuruͤck, und er geht wieder
zum Herzog.)

Herzog von Braunſchweig.

Schaffe mir einen Whisky.


(Der ſchwarze Becker geht und bringt den Whisky.)

Ein engliſcher Artillerieobriſt

(eine junge Dame hereinfuͤhrend:)

Adeline — Was ich ſo lange in Londons erſten
Cirkeln geſucht, — hier, auf dem Feldzug, find’ ich
es auf einmal in Dir — entzückender Schönheits-
glanz und unverſiegbare Liebe.


Adeline.

Wer weiß, wie viele herrlichere Blumen du
vorbeigingſt, ohne ſie zu ſehen, und wie zufällig
dein Blick grade auf mich fiel.


Artillerieobriſt.

Nein, nein, — kein Zufall — Mein guter Ge-
nius ſelbſt führte mich in deine bräutlichen Arme.


Adeline.

Siehe dort die Fürſtin Ligne, die Herzogin
[248] von Chimay, die Gräfinnen von Barlaymont, und
ſo manche Andere — Welche Geſtalten! welche
Grazien! Welch überreicher Schmuck ſtrahlt von
ihrem Haar und Gewand, und wie armſelig iſt
er gegen ſie ſelbſt! — Edward, es iſt unmöglich,
daß du mich liebſt, wenn du ſolche Göttinnen ſiehſt.


Artillerieobriſt.

Deine Beſcheidenheit iſt göttlicher als all jener
Prunk. — Oft ſchrien die ehernen Stimmen der
Geſchütze um mich, flogen Pulverwagen, Reiter
und Pferde, Ingenieure und Bombenkeſſel in meiner
Nähe auf, — an keine Dame Europas hätt’ ich
gedacht in dem Getümmel, — aber an dein Auge
gewiß, ja an die Spitze deines kleinen Fingers.


Adeline.

Edward, nimm den Abſchied — mache den
Feldzug nicht mit.


Artillerieobriſt.

Es kommt zu keinem Feldzug, Geliebte. — Der
Corſe ſcheint keine Armee zuſammen bringen zu
können — Wir marſchiren wohl ohne Aufenthalt
nach Paris —


Adeline.

Ach, wären wir auf deiner Stammburg, in den
grünenden Auen von Sheffield!


[249]
Artillerieobriſt.

Der Prinz von Oranien faſſ’t die Hand der
Fürſtin Ligne, Wellington die der Herzogin von
Chimay — Alles arrangirt ſich — Der Ball be-
ginnt — Horch! die Muſik brauſ’t los, ein Aetna
feuerſprühender Töne — Treten wir in die Reihen.


Adeline.

Muſik! Muſik! — Was rufen all die Töne?
— mir nichts als deinen Namen!


(Der Artillerieobriſt tritt mit Adeline in die Tanzreihen.)

Herzog von Braunſchweig.

Noch einen Whisky, Becker.


(Der ſchwarze Becker holt den Whisky.)

Schwarzer Becker.

Da beginnen ſie eine Gallopade.


Herzog von Braunſchweig.

Wer weiß, ob nicht ſchon die Kuiraſſire des
Milhaud hieher gallopiren.


Herzog von Wellington.

Lauter die Muſik! — Herzogin, Sie glühen —
Der Tanz greift Sie an.


Herzogin von Chimay.

In den Armen des Siegers von Salamanca
nimmer.


(Dumpfe, aber ſehr entfernte Toͤne.)

[250]
Herzog von Braunſchweig
(ſpringt auf:)

Becker, was iſt das?


Schwarzer Becker

(aus einem Fenſter ſehend:)

Ein Gewitter zieht auf.


(Wieder entfernte, immer lautere Toͤne.)

Herzog von Braunſchweig.

Gewitter? Gewitter? — Ob aber am Himmel
oder auf der Erde? — Melde Wellington, ich
glaubte Kanonenſchüſſe zu hören.


Schwarzer Becker

(geht zu dem Herzog von Wellington:)

Der Herzog von Braunſchweig vernimmt Ka-
nonenſchüſſe —


Herzog von Wellington.

Ei, woher denn? — Hält er etwa dieſe Pau-
ken oder die Donner des Unwetters dafür? —
Vorwärts der Tanz! — Napoleon iſt noch in
Paris, oder daraus wieder nach Süden vertrieben.
— Seine paar Bataillone bei Charleroi haben
keine Kanonen, und unſere überſtarken Avantgar-
den ſind Blücher bei Ligny und meine Truppen-
theile bei Quatrebras — Vorwärts der Tanz!


[251]
Schwarzer Becker

(zu dem Herzog von Braunſchweig zuruͤckkehrend:)

Wellington hält die Töne nicht für Kanonen-
ſchüſſe.


(Lautere und ſtets lautere Klaͤnge.)

Herzog von Braunſchweig.

So kenn’ ich ſie beſſer als der Herr von Ciu-
dad Rodrigo — Es ſind die Klänge, unter denen
mein Vater fiel! Ein ſchlechter Sohn, der ſie hört
und nicht von Rache entflammt ihnen entgegen
ſtürzt — Folge mir!


(Mit dem ſchwarzen Becker ab. Gleich darauf die Allarm-
muſik der Braunſchweiger.)

Herzogin von Chimay.

Hören Sie —?


Herzog von Wellington.

Ruhig, Beſte, ſo ſchön Ihnen auch die Unruhe
ſteht. — Der Braunſchweig hat ſeine kriegeriſche
Laune, läßt Allarm ſchlagen, und übt ſeine Trup-
pen in der Wachſamkeit.


(Immer naͤhere Kanonenſchuͤſſe.)

Adeline.

Wehe, was donnert da? — Das ſind doch nicht
— Da ſchreckt auch der Herzog auf!


Artillerieobriſt.

Adeline, — vor deinem forſchenden Blick kann
[252] ich nicht lügen — Du hörſt — o Gott — feind-
liche Kanonen!


Adeline.

Jeſus Chriſtus! — Wie haſt du dich geirrt —
Napoleon marſchirt doch heran!


Artillerieobriſt.

Wer könnte in ihm ſich nicht irren? Er iſt
wie ein neuer plötzlich aufgetauchter, unerforſchter
Erdtheil —


Adeline.

Oh, wer ſtürzt da herein? — Das ſind nicht
Menſchen — Das ſind Teufel.


(Adjutanten Bluͤchers ſtuͤrzen in die Scene.)

Artillerieobriſt.

So nenne ſie nicht — preußiſche Cameraden
ſind’s, noch ſchwarz vom Pulverdampfe der Bataille.


Einer der preußiſchen Adjutanten.

Wo der Herzog Wellington?


Ein engliſcher Officier.

Dort ſteht er.


Preußiſcher Adjutant.

Durchlaucht —


Herzog von Wellington.

Sie kommen?


[253]
Preußiſcher Adjutant.

Aus der Schlacht.


Herzogin von Chimay.

Alſo dennoch —?


Herzog von Wellington.

Ruhig, ruhig, Herzogin!


Herzogin von Chimay.

Unmöglich, Herzog — Selbſt Ihr Befehl be-
zwingt meinen Schrecken nicht — Wie ſtäubt der
Ball auseinander —


Volk
(auf der Straße:)

Der Feind! der Feind! er kommt! er kommt!


Herzogin von Chimay.

Gott! ganz Brüſſel in Bewegung!


Volk.

Der Feind! der Feind! Brüſſel brennt ſchon
Feuer! Feuer! Feuer!


Herzog von Wellington.

Madame, trauen Sie dieſem tollen Straßenge-
ſchrei nicht — Aber fahren Sie zu Haus, — eine
zahlreiche Sauvegarde begleitet Sie.


(Herzogin von Chimay ab.)

Preußiſcher Adjutant.

Herzog, Napoleon erſchien mit ſeiner Armee
urplötzlich vor Ligny, Ney vor Quatrebras —


[254]
Herzog von Wellington.

Feldmarſchall Blücher und mein Vortrab?


Preußiſcher Adjutant.

Sind beide geſchlagen, und ziehen ſich hieher
zurück.


Herzog von Wellington.

Was meint der Feldmarſchall?


Preußiſcher Adjutant.

Er hofft, Ihr Heer vor Brüſſel ſchlagfertig
aufgeſtellt zu finden, ſonſt ſchlägt er die zweite
Schlacht auch ohne es.


Herzog von Wellington.

Bülows Corps?


Preußiſcher Adjutant.

Hat an der Schlacht nicht Theil genommen,
und ſtößt bald zu uns.


Herzog von Wellington.

Und Blücher kommt, wenn ich Stand halte?


Preußiſcher Adjutant.

Er ſagte es.


Herzog von Wellington.

So glaub’ ich es. — Sagen Sie ihm, Sie
hätten mich leider in erbärmlichen Tanzſchuhen ge-
troffen, die ich leichtſinnig genug angezogen, —
aber ich wollte ſelbſt dieſer Schuhe nicht werth
[255] ſeyn, träf’ er mein Heer nicht in Schlachtordnung
vor dem Walde von Soignies.


(Die preußiſchen Adjutanten ab.)

Allarm! Allarm! Alle Truppen vorgeſchoben nach
Waterloo!


Artillerieobriſt.

Geliebte —


Adeline.

Bleibe!


Artillerieobriſt.

Darf ich? — Schon raſſeln meine Batterien
über das Pflaſter!


Adeline.

Oh, dieſe Räder — Sie gehen durch mein
Herz!


Artillerieobriſt.

Adeline, auch durch das meinige — Doch ich
muß, ich muß — Wehe mir, die Roſenhimmel der
Liebe auf deinen Wangen erbleichen — Welch ein
ſchmerzliches Bild nehm’ ich mit in den Kampf —
— Lebe wohl! Vielleicht ſeh’n wir uns wieder! —
Diener, meine Braut zu ihrer Mutter geführt!


(Ab, — Adeline, in Ohnmacht, wird fortgefuͤhrt. — Draußen
marſchirt Cavallerie, Artillerie, Infanterie, unter letzterer

[256]
Die hochlaͤndiſchen Regimenter,

ſingend unter Begleitung der Sackpfeife:)

Clan Douglas, Clan Douglas,

Die Mutter, ſie weint —

Was »weint«!

Dort trotzet der Feind!

Clan Douglas, Clan Douglas,

Fluß Avon blinkt ſchön —

Was »ſchön«!

Die Sachſen dran ſteh’n!

Clan Douglas, Clan Douglas,

Wie ſtürzt er Berg ab —

Was »ab«!

Wir kühn in das Grab!

Clan Douglas, Clan Douglas,

Was jammert die Braut —

Was »Braut«!

Der Feind iſt ſchon laut!

Clan Douglas, Clan Douglas,

Wie ſteil unſer Stieg —

Was »Stieg«!

Zu Rache und Sieg,

Clan Douglas, Clan Douglas, Clan

Douglas!

[257]
Herzog von Wellington.

Wetter, die Bergſchotten ſind eine brave, treue
Nation, — Lieder auf die ſächſiſchen Eroberer de
anno 500
nach Chriſti Geburt begeiſtern ſie noch
heute gegen die Franzoſen. — — Meine Herren
vom Generalſtabe: Bonaparte hat uns getäuſcht
und überraſcht, aber das alles läßt ſich gut machen
durch Feſtigkeit. Wir waren eben im Tanz be-
griffen, und ſehr heiter, — ſeyen wir in der
Schlacht auch ſo, und die Franzoſen ſollen beſtürzt
ausſehen, wenn ſie ihre Erbfeinde nicht im Tanz,
ſondern gewaffnet und ruhig ſich gegenüber er-
blicken. Vertheilen Sie ſich in den Cantonnements,
ſorgen Sie, daß jeder Befehlshaber ſeine Schul-
digkeit thut. Ja keine Unordnung unter den Trup-
pen, — die ſtrengſte Disciplin geübt, — aber den
Leuten Lebensmittel gegeben, ſo viel aufzu[t]reiben.
Adieu!


(Ab, — die Officiere gleichfalls.)

Erſter Aufwaͤrter.

Abgeräumt — Das Volk iſt fort.


Zweiter Aufwaͤrter.

Alle Reſte in die Taſche — Da Kuchen über
Kuchen —


17
[258]
Erſter Aufwaͤrter.

Halbvolle Weinflaſchen ſtehen dabei. Nehmt
und trinkt ſie aus mit den Hausmamſellen.


(Fuͤr ſich:)

Ah, da find’ ich eine Brillantnadel —


Zweiter Aufwaͤrter.

Himmel, wie das marſchirt und trottirt!


Erſter Aufwaͤrter.

Ich hoffe, die Franzoſen gewinnen doch. Ich
ſage lieber «Monsieur» als «Myn Her» oder «Ih-
ro Hochedelmögenden». — — Daß die Küchenmäd-
chen die Teller beſſer putzen, keinen gelben Rand
darum laſſen, ſonſt ſoll die Canaillen — — Hur-
tig, mit mir hinunter — Eine Menge Officiere
ſprengt vor die Hausthür, und fordert noch einen
Schluck, die Courage zu begießen.


(Die Aufwaͤrter ab.)

[259]

Zweite Scene.


(Heerſtraße in der Gegend von Wavre. Die preußiſche
Armee auf dem Ruͤckzug. Bluͤcher, eine lange irdene
Pfeife rauchend, und Gneiſenau neben ihm, im Hinter-
grunde zu Pferde auf einem Huͤgel. Linie und Land-
wehr, hin und wieder in Schwadrone oder Compagnien
geordnet, meiſtens aber aufgeloͤſ’t, reiten und marſchieren
durcheinader. Artilleriezuͤge und Fuhrwerke jeder Art
darunter. Auf den Kanonen und Wagen liegen und
ſitzen Verwundete und Geſunde. Jeden Augenblick ſtuͤr-
zen Marode. Aus der Ferne ununterbrochener Kano-
nendonner. Alles eilt vorwaͤrts. Es regnet.)

Der Trainknecht einer Kanone

(zu ſeinen Pferden:)

Hot — ha! — Fritz, hot — links liegt ein
Verwundeter — Hans, ha — — rechts ein frei-
williger Jäger mit einem Hemde, ſo fein, daß Ei-
nem das Herz weh thut, darüber zu fahren.


Der berliner Freiwillige.

Dieſes iſt ſchrecklich erhaben — Ob mein Waſ-
ſerpolacke todt iſt?


Der oſtpreußiſche Feldwebel.

He, Berliner — wie geht’s?


[260]
Berliner.

Sieh, der Herr Feldwebel — leben Sie noch?
— Es ſchmerzt mir vor Freude.


Feldwebel.

Auch immer friſche Courag?


Berliner.

Courage? Weiter nichts? An die hab’ ich
mir bald gewöhnt. Es ſind mich geſtern tauſend
Kugeln um den Kopf geflogen, und keine traf mir.
Geht das ſo fort, ſo bin ich bald gar nicht mehr
vor mich bange.


Feldwebel.

Das iſt mir lieb — Adieu —


Berliner.

Herr Feldwebel —


Feldwebel.

Nun?


Berliner.

Sie ſteht die große Naſe, die Sie haben, ſehr
gut — Wahrhaftig, ich möcht’ Ihnen damit auf
dem Brandenburger Thore ſehen, neben die Siegs-
göttin, die jetzt wieder oben ſteht — Aber,
Herr Feldwebel, ich muß Sie doch an etwas er-
innern — Die deutſche Sprache, wie ich ſie bei
Herrn Profeſſor Heinſius gelernt, verſtehn Sie
[261] nicht im Mindeſten. Es heißt nicht wie ſie ſagen:
«es iſt mir lieb» ſondern «es iſt mich lieb.»


Feldwebel.

Weshalb?


Berliner.

Deshalb, Herr Feldwebel — — — Nämlich:
ſagen Sie nicht: «mich wurde die Kuh geſtoh-
len?» — He?


Feldwebel.

Ich ſage ſo ohngefähr.


Berliner.

Alſo? Verſtehn Sie? — «Mich wurde die
Kuh geſtohlen» und «mich iſt es lieb» — Das iſt
tout égal.


Feldwebel.

Möglich —


(Geht weiter.)

Berliner.

Daß dieſe arme Würmer aus der Provinz
durchaus nicht das Deutſche richtig ſprechen lernen,
oft gar zweifeln, daß in dieſe Hinſicht nichts über
die Reſidenzer geht!


(Feindliche Granaten und Haubitzen fallen, einige dicht neben
dem Berliner. Er ſpringt zuruͤck.)

Daß dir der Donner! — Ganz geſund iſt’s hier
[262] nicht! — — Was hilft’s aber! Ich bin im Tu-
mult, und kann nicht hinaus — Und am Ende
ſind die Franzoſen hinter die Königsmauer ſchlim-
mer, als die hinter uns — Ephrim! Ephrim! Was
läufſt du?


Ephraim.

Ferdinand, ſu meine Cumpanie —


Berliner.

Die iſt weit voraus.


Ephraim.

Weit voraus? — O wär’ ich dann doch ſo
eher bei ſie!


Berliner.

Ephrim! Haſt einen Schuh im Dreck ſtecken
laſſen.


Ephraim.

Laß ihn ſtecken, obgleich er koſtet anderthalb
Thaler — Ach, halte mir nicht auf, laß mir vor-
wärts, mein Jugendfreund!


Berliner.

Wir gehen ja vorwärts! — Wie kommt es,
Ephrim, daß du deinen Namen wieder kennſt?
Vor zwei Jahre in Berlin ſahſt du dir bei dem
«Ephrim» nicht um, — «Ibrahim, Ibrahim» hieß
es bei alle deine Bekannte, Mutter, Schweſter
und Bruder.


[263]
Ephraim.

Steckte der liebe Gott hier, er würde viel fra-
gen, wie er hieße, ſondern er nähme die Flügel
des Sturmwindes und flöge vor die Geſchoſſe da-
von wie ein Lämmergeier.


Berliner.

Spielt der kleine Moſes auch noch immer «auf
die Fleit?», und hören eure «Leit» noch immer
«ſu» mit offnem Maul und harten Ohren?


Ephraim.

Wie kann ich hier wiſſen, was meiner Schwe-
ſter Kind thut in die Hauptſtadt?


(Kartaͤtſchenſchuͤſſe ſchmettern in das fluͤchtige Heer.)

Au wai, was iſt alles Gold gegen einen Kartät-
ſchenſchuß?


Berliner.

Ephrim, lauf doch nicht ſo — — Biſt hungrig,
Ephrim?


Ephraim.

Ich bin es, ich bin es!


Berliner.

Ephrim, als wir noch auf die Schule gingen,
betrogſt du mir im Spiel um fünf Münzgroſchen
— Als ich ſie nicht bezahlen wollte, ſagteſt du es
meinem Vater, und ich bekam Prügel ärger als
ein junger Gott.


[264]
Ephraim.

Das iſt nicht wahr, iſt nicht wahr — irrſt
dir — eure Magd, eure Magd, die Lotte, hat es
geſagt an deinen Vater — Sie hatte belauſcht
unſer Spiel — Nie geſtand ich, daß ich deinem
Vater geſagt hätte von die Sache.


Berliner.

Daß du dieſes nicht geſtanden haſt, Ephrim,
glaub’ ich dich auf’s Wort — Willſt eſſen, Ephrim?


Ephraim.

Ja, ja, ja —


Berliner.

So ſiehe zu, wie du etwas bekommſt, denn
dieſes Stück Rindfleiſch —


Ephraim.

Iſt gut, iſt gut — Her damit!


Berliner.

Ich will es lieber ſelbſt eſſen, denn es iſt nicht
kauſcher, Ephrim — es könnte dir um Vater
Abrahams alten Schooß bringen und den gönn’
ich dich allzuſehr —


Ephraim.

Schweinehund, ich bin wohl ein Jude —


Berliner.

Nicht ganz, nicht ganz — Dein blondes Haar
[265] verräth einen Chriſten, der zwiſchen deinem Vater
und deine Mutter — na, Ephrim, du kennſt ja
die muſicaliſchen Intermezzos aus die Viſiten bei
Mauſchels kleinen Concerten —


Ephraim.

Du Hund, wenn ich auch bin ein Jude, bin
ich doch ein Bürger und ein Berliner Freiwilliger
wie du — da!


(Er gibt dem Berliner eine gewaltige Ohrfeige. Der Ber-
liner will ſie ihm grade wieder geben, als eine Kano-
nenkugel dem Ephraim den Kopf abreißt.)

Berliner
(ſtuͤrzt zur Seite:)

Ah, wie furchtbar rächt mir das Geſchick!


(Sich wieder aufrichtend:)

Ephrim, warſt doch ein guter Kerl — Biſt ja
todt! —


(Die verfolgenden Franzoſen beſchießen die preußiſche Armee
heftiger und die Fluͤchtigen ſuchen ſich raſcher vorwaͤrts
zu draͤngen. Bluͤcher und Gneiſenau ſprengen vor.)

Gneiſenau.

Halt!


(Viele Soldaten eilen ohngeachtet dieſes Commandos weiter.)

Steht, ſag’ ich, ſteht — Wer den Fuß rührt, eine
Waffe wegwirft, wird auf der Stelle erſchoſſen!


(Die Armee ſteht.)

Bluͤcher.

Kerle, ſeyd ihr furchtſamer als mein Gaul?
[266] Er bäumt ſich vor Luſt, da er Kanonen hört, und
ihr lauft krummen Buckels davon?


(Franzoͤſiſche Kugeln fallen dichter und dichter.)

Gneiſenau.

Feldherr, das Gehölz da — es niſtet ſich feind-
liche Artillerie hinein —


Bluͤcher.

So ſoll die unſrige ſich nach ihr umgucken —
Sie hat ohnehin mit ihren zerbrochenen Rädern
Zeit genug.


Berliner.

Der Blücher iſt göttlich!


Bluͤcher.

Nun, Kanoniere, losgebrennt! — — Ich will
mittlerweile ſehen, ob ich dem Volk im Holze nicht
einen Haufen Jäger unſerer Arrieregarde in den
Rücken werfe. — Du, Berliner —


Berliner.

Wie, Herr Feldmarſchall, Sie kennen mir?


Bluͤcher.

Ich ſah dich vorgeſtern im Bivouac — Halt’
einige Augenblicke meine Pfeife in Brand.


Berliner.

Nur einige Augenblicke? Viele Jahrtauſende,
wenn Sie befehlen.


[267]
Bluͤcher.

Gneiſenau, ich bin gleich zurück.


(Jagt fort.)

Gneiſenau.

Meine Herren Officiere — Eifriger, eifriger!
— Schneller, beſſer die Truppen geordnet — Unſre
Leute ſind tüchtig, ſtets ſo brav als ihre Anführer.
Vernichtete dieſer Rückzug irgend eine Compagnie,
die Schande fiele lediglich auf ihren Hauptmann.


Bluͤcher
(wieder heranſprengend:)

Höre zu, Gneiſenau — Die Jäger machen ſich
ſchon mit «Piff» und «Paff» in das Gebüſch —


Gneiſenau.

Die Kanoniere hier waren auch nicht faul —


Bluͤcher.

Wahrhaftig nicht, ſie haben den «Quivive’s»
ſo geantwortet, daß dieſelben umkehren und die
Schnauze halten, — unſer Rückzug bleibt eine
Stunde lang ungeſtört. — Meine Pfeife!


Berliner.

Hier, Herr Feldmarſchall! — — Und darf ich
bitten?


Bluͤcher.

Ja.


Berliner.

Laſſen Sie mir zu die freiwilligen Jäger, die
[268] da dicht mit dem Feinde ſcharmuziren. Seit die
Zeit, daß ich aus Ihre Pfeife rauchte, iſt’s mich,
als hätt’ ich mir an einem Vulkan voll geſogen,
wie ein unmündiges Kind, und ich crepire vor
Schlachtwuth, — denn außerdem daß mir dieſes
Rauchen begeiſtert hat, iſt’s zweitens klarer als
ein reines Bierglas bei Wiſotzky, daß mir hier die
Franzoſen unvermutheter und eher treffen, als wenn
ich die Hallunken in das Geſicht ſehe, ihre mörde-
riſche Bewegungen obſervire, mir hinter einen
Baum ſtelle, und, ſelbſt ziemlich geſichert, ſie zu-
erſt todt zu ſchießen verſuche.


Bluͤcher.

Du biſt ein klug-braver Kerl. Mache dich ſo-
gleich zu den freiwilligen Jägern.


Berliner.

Dann, Herr Feldmarſchall, brechen Sie ein
Endchen von Ihre Pfeife, und verehren Sie es
mich!


Bluͤcher.

Wozu?


Berliner.

Zum Andenken, und dann auch, um mir bei
die Jäger, da ich eine andere Uniform trage als
ſie, damit zu legitimiren.


[269]
Bluͤcher.

Da haſt du es, toller Patron.


Berliner.

Sehr gut geſagt, ſehr ſchön, wenn ich auch am
Inhalt des Ausdruckes zu zweifeln wage — Herr
Feldmarſchall, Sie ſollen von mir ſehr viel hören,
oder ſchlimmſtens doch gar nichts.


(Ab.)

Gneiſenau.

Feldmarſchall, rechts Muſik — jetzt der alte
Deſſauer — da «Uſo voran» — und nun wieder
ein neuer Walzer!


Bluͤcher.

Gott ſey gelobt, alſo endlich Bülow mit den
Pommern! Reit’ ihm entgegen, und lies ihm we-
gen ſeines ordnungswidrigen Ausbleibens die Le-
viten.


Gneiſenau.

Was helfen die bei ihm? — Er wiegt ſich in
den Steigbügeln, ſieht ſich in der Gegend um, und
läßt die Vorwürfe zum einen Ohr herein, zum an-
dern hinaus.


Bluͤcher.

Freilich, ſo thut er — Aber, bei Gott, der
leichte Sinn, welcher bei jedem Subalternen der
Todesſtrafe werth wäre, iſt nicht ſtrafbar bei dem
Helden von Dennewitz. Vielleicht rettete er jüngſt
[270] mit ihm Deutſchland. Als wir 1813 noch immer
zweifelten, den Corſen, ſobald er uns perſönlich
gegenüberſtand, anzugreifen, rief er nichts als:
«hole der Kuckkuck das Zaudern! drauf los! den
Verſuch gewagt! ihr ſollt ſehen, er iſt einer Mut-
ter Sohn wie wir!»


(Gneiſenau reitet zu Buͤlow, welcher, zu Pferde, mit ſeinem
Armeecorps unter Feldmuſik in groͤßter Ordnung in die
preußiſchen Linien ruͤckt.)

Buͤlow.

Guten Tag, lieber Gneiſenau.


Gneiſenau.

Bülow, des guten Tages bedürfen wir.


Buͤlow.

Ihr ſeyd abſcheulich mitgenommen. — Was
macht Blücher?


Gneiſenau.

Dort hält er, geſund und friſch.


Buͤlow.

Das freut mich. Er iſt ein Degen, den weder
Alter, Blut, noch Wetter blind oder roſtig machen.
— — Sapperment, wie iſt eure Artillerie, In-
fanterie, Cavallerie in Wirrwarr! ’Ne wahre Höl-
lenwirthſchaft! — Und was von dort? Flinten-
ſchüſſe? So nah habt ihr den Feind auf den
Hacken?


[271]
Gneiſenau.

Tirailleurgefechte —


Buͤlow.

Meine Pommern machen bald aus den Gefech-
ten wieder eine Schlacht. — Sieh’ einmal die
Teufelskerle an: beſchmutzt bis über das Ohr, aber
Geſichter friſch und kernig, wie eben ausgeſchältes
Obſt, und auf den Beinen munter, als ging’ es
auf der Jacobsleiter zum Himmel — Ein Gicht-
brüchiger wird bei dem Anblick geſund.. — Will
die alte Garde des Imperators Pommern freſſen,
bekommt ſie harte Nüſſe zu knacken.


Gneiſenau.

Du haſt gut reden — Unſere Corps ſind ſeit
zwei Tagen im Feuer — Deines ſah noch keine
franzöſiſche Lunte.


Buͤlow.

Im Feuer, Feuer — Feuer hätt’ euch bei die-
ſem Unwetter erwärmen und erfreuen ſollen. —
Meine Leute prügeln ſich noch, wer von ihnen zu-
erſt Napoleons Mörſer erſtürmt, ſie zu Kochkeſſeln
zu gebrauchen.


Gneiſenau.

Wir wollen das abwarten. — Der Feldmar-
ſchall hat aber, wie ich dir im Ernſt ſage, im
[272] Sinn, dich vor eine Militärcommiſſion zu ſtellen.
Du mußteſt geſtern, der Ordre gemäß, bei Ligny
ſeyn, und konnteſt da ſeyn, wenn auch ſpäter
als dir befohlen. Die Schlacht hätte eine andere
Wendung bekommen.


Buͤlow.

Wahrhaftig, eine ſchöne andere Wendung!
Abends, als ihr ſchon geſchlagen war’t, und uns in
der erſten Fluchtwuth angeſteckt und mitgeriſſen
hättet, wären wir eingetroffen, vom übermäßigen
Marſch marode, und leeren Magens dazu. — Eh,
ich hab’ erſt Mann und Pferd ſich ſättigen, alles
Tritt vor Tritt marſchiren laſſen, und da iſt nun
mein Corps, tüchtiger als je. — Der Feldmarſchall
achtet die Vernunft mehr als ſeine Ordres, und
ſomit bin ich entſchuldigt.


Gneiſenau.

Bilde den Vortrab des Heeres — Ziethen ſtößt
mit der Maſſe der Reiterei gleich zu dir. Der
Marſch geht über Wavre nach den Waldhöhen
von Soignies.


Buͤlow.

Gut, mein Freund.


(Gneiſenau ab.)

Tambours, den Armeemarſch! — So! — — Und
[273] nun einen Kirchmeßwalzer, Hautboiſten! — —
Brave pommerſche Jungen, iſt’s nicht als wären
wir auf einer Bauerhochzeit bei Paſewalk? Gibt’s
etwas luſtigeres als einen Feldzug?


(Er und die Pommern ziehen weiter.)

Gneiſenau
(wieder neben Bluͤcher:)

Feldmarſchall, der Bülow ſpricht und denkt
über ſein ſpätes Eintreffen ſo wie ich vermuthete —


Bluͤcher.

Aber ſein Corps?


Gneiſenau.

Iſt in einem herrlichen Zuſtande.


Bluͤcher.

Das iſt die Hauptſache, und ich nehm’ ihm ſein
geſtriges Ausbleiben nicht übel.


(Zu dem Heere:)

Cameraden, geſtern ſind wir mordmäßig geſchlagen
— Tröſtet euch, und ſchlaget die Franzoſen morgen
mordmäßiger wieder. — Die Engländer warten
auf uns vor dem Walde von Soignies. Kommen
wir bei ihnen nicht zeitig an, ſo ſind ſie verloren,
kommen wir zeitig, ſo helfen wir ihnen mitgewin-
nen. — Alſo, dreiſt in dieſen Dreck getreten, wir
treten ſo früher auf die gebohnten Dielen des
Louvre — — — Hölle, was für Phyſiognomien
18
[274] ſitzen ganz behaglich in ihren großen Halstüchern
auf jenen Feldwägen?


Gneiſenau.

Feldchirurgen.


Bluͤcher.

Herunter mit den Balbiergeſellen, in den Ku-
gelregen mit dem Volk, daß es dort die Verwun-
deten verbindet, und hier ihnen Platz macht — —
Ein paar gute Schuſter mit tüchtigen Geſellen
wären dem Heere nöthiger als dieſes ganze in Eil’
aufgeraffte Feldſcheerergeſindel.


Ein heranſprengender Adjutant.

Die Franzoſen drängen ſich näher und näher
in unſ’ren Rücken —


Bluͤcher.

Nur nicht all zu beſtürzt, — ſie können uns ja
deſto eher in — — Melden Sie ſo etwas der
Arrieregarde. Der Sieg liegt vor uns — Dorthin!


(Alle ruͤcken weiter.)

[275]

Dritte Scene.


(Hohlweg vor dem Walde von Soignies. Mitten durch ihn
die Straße nach Bruͤſſel. Gebuͤſche auf beiden Seiten.
Dieſe, ſo wie die Ufer des Hohlwegs ſind von Deta-
ſchements engliſcher Linientruppen, engliſcher Jaͤger und
hannoveriſcher Scharfſchuͤtzen beſetzt. Hinter der Schlucht
auf den Hoͤhen von Mont Saint Jean ſteht das Gros
des wellingtonſchen Heeres, — rechts von ihr das Vor-
werk Houguemont, — in einiger Entfernung vor ihr
das Gehoͤft la Haye Sainte, etwas weiter hin das Haus
la Belle Alliance, und noch entfernter die Meierei Cail-
lou, — links die Doͤrfer Planchenoit, Papellotte, Fri-
chemont etc.)

Ein engliſcher Jaͤger.

Wie heißt dieſe Gegend?


Ein Sergeant der engliſchen Jaͤger.

Weiß nicht, James, — wir taufen ſie bald mit
Schlachtenblut.


James.

Ja, Sergeant. Schlacht gibt’s. Die Vorpoſten
ſind darnach geſtellt.


Sergeant.

Gott verdamme, jedesmal, wenn man mit den
[276] Franzoſen zu thun hat, regnet’s wie aus zerſchla-
genen Fäſſern. War’s nicht auch in Spanien im-
mer ſo?


James.

’S iſt ja Suppenſchlucker-Volk.


Sergeant.

Siehe, wie da Einige von ihnen über den
Dreck hüpfen, jämmerlich leicht wie die Kibitze
über den Sand.


James.

Warte, jenen naſeweiſen Leichtfuß, will ich mit
einem ſchönen Stückchen Blei ſchwer machen.


Sergeant.

Proſit die Mahlzeit, James, — er riecht Lunte
und verſteckt ſich hinter einer Erdhöhe.


Der am Hohlweg commandirende engliſche
General
(ſprengt vor:)

Was iſt das da linker Hand? Nebel, Dampf
oder Feind? — Der verhenkerte Gußregen wäſcht
mir vor Aug’ und Fernrohr alle Gegenſtände
durcheinander.


James.

Herr General, ’s iſt der gewöhnliche große
Leichenqualm, der drei Tage lang vor der Schlacht
auf den Feldern umherzieht.


[277]
Sergeant.

James, ſey kein Narr — Es iſt Nebel, Ge-
neral, aber ſehr entfernt.


General.

Hum — Der Nebel hält mir zu lange auf ei-
nem Fleck.


Ein Hauptmann der hannoveriſchen Scharf-
ſchuͤtzen
.

Mein General —


General.

Nun?


Der Hauptmann.

Ich habe unter meiner Compagnie einen ſech-
zehnjährigen Burſchen von den Harzjägern — Er
ſieht und ſchießt unglaublich weit —


General.

Rufen Sie ihn.


Der Hauptmann.

Fritz! Fritz!


(Fritz kommt.)

Was dort links für Nebel?


Fritz.

Nebel? Nebel? — Herr Hauptmann, ich ſehe
keinen.


(Er wiſcht ſich die Augen.)

[278]
Sergeant.

James, der iſt ſcharfſichtig!


James.

Wie eine Nachteule.


Der Hauptmann.

Was ſiehſt du denn eigentlich?


Fritz.

Das iſt ja ganz deutlich. — Dort hält, tief in
graue Mäntel gehüllt, ein Regiment franzöſiſcher
Dragoner, und guckt mit lauernden Katzenaugen
hieher.


General.

Dacht’ ich’s doch!


Sergeant.

Wenn der Junge nicht lügt, ſo iſt —


James.

Er iſt —


General.

Das feindliche Geſindel will ſich an uns niſten,
um uns recht ſicher, zur ungelegenſten Zeit, mit
den Krallen zu faſſen.


Fritz.

Soll ich ihm zeigen, daß wir es ſehen? Schieß’
ich einen heraus?


[279]
Sergeant.

Der Bengel iſt toll. Auf dieſe Entfernung
treffen —


James.

Wie geſagt, der Junge iſt ein Kobold aus
Norddeutſchland, und ein chriſtlicher northumber-
ländiſcher Jäger hütet ſich ihn anzublicken.


General.

Schieß, Junge.


Fritz.

Wie gern!


(Er zielt kurze Zeit und ſchießt.)

Hahaha! Da liegt des Königs Wildprett, ſagt
mein Vater, und erquickt treuer Unterthanen Beu-
tel und Magen, wenn wir am Blocksberge ein
Sechzehnender wilddieben.


General.

Wer fiel?


Fritz.

Der Obriſt, und die Uebrigen galloppiren da-
von, wie ein Rudel Hirſchkühe, wenn der Bock
aus ihrer Mitte geſchoſſen wird.


General.

Gott verdamme, der vermeinte Nebel zerſtiebt
auch im Hui.


[280]
Ein alter hannoveriſcher Scharfſchuͤtz

(tritt vor:)

Verfluchter Dachshund, infamer Köter, was
belügſt du mich, deinen Vater? Das Hirn ſchlag’
ich dir ein!


(Zum General:)

Gnädiger Herr, wenn ich je mein Gewehr auf
ein königliches Wild abgedrückt habe, will ich nie
den Hahn auf eins geſpannt — — Ach, kurz und
gut, der Bengel lügt!


Der Schuͤtzenhauptmann.

Alter Borſtenkopf,
«wer ſich entſchuldigt, eh’
man klagt» —


General.

Beruhige dich, — triff du die Franzoſen ſo
brav wie dein Junge, und ihr ſeyd dem Könige
die liebſten Schützen in Schlacht und Wald.


Fritz.

Huſſa, hinter uns vom Berge kommt wieder
eine Menge Leute — Schieß’ ich darein?


General.

Biſt du toll, Junge? — Das ſind Linienba-
taillone von Mont Saint Jean, uns zur Hülfe
geſchickt.


[281]
Fritz.

O dürft ich nur immer ſchießen — Der Pul-
vergeruch iſt mir nun einmal in der Naſe.


General.

Was ſauſ’t?


Sergeant.

Eine bonapartiſche Paßkugel — Da ſchlägt ſie
in den Baum.


General.

Fritz, nun ſchieß, ſchieß in die Franzoſen, ſo
lang Athem und Pulver nicht ausgehn —


(Laut:)

Alles an die Ufer des Hohlwegs — Büchſen und
Flinten friſch geladen, — den Flinten die Bayo-
nette aufgeſchraubt! — Donner, da drängen ſie
ſich ſchon herein — Feuer!


Ein franzoͤſiſcher Hauptmann

(an der Spitze der ſich in den Hohlweg ſtuͤrzenden Colonne:)

Laßt ſie ſchießen, Cameraden! Hört ihr die
Paßkugeln über uns, und ſeht ihr, wie ſie dem
Feinde Pferd und Mann hinſchmettern? Sie kom-
men aus franzöſiſchen Geſchützen und ſind die ge-
waltigen, helfenden Begleiter, aus der Ferne uns
nachgeſandt von dem Kaiſer!


[282]
Ein andrer franzoͤſiſcher Hauptmann.

Schurke der, welcher einen Schuß thut, bevor
wir dieſen Chauſſéerand erklettert haben.


Ein engliſcher Linieſoldat.

Wächſt das Volk aus dem Boden wie die
Ameiſen? —


(Einen der am Chauſſéerande emporgekletterten Franzoſen mit
dem Bayonnett durchbohrend und wegſchleudernd:)

Zurück, du Hungerleider!


Ein franzoͤſiſcher Soldat

(vor Wuth ſchaͤumend, ſchwingt ſich auf die Hoͤhe des Chauſ-
ſéerandes und wirſt den Englánder auf die Bayonnette
der ihm nachdringenden Franzoſen:)

Und an den Spieß, du Sattfreſſer! — —
Mir nach — mir nach —


Franzoͤſiſche Adjutanten

(ſprengen heran:)

Im Namen des Kaiſers: zurück! Er ſieht eine
Ueberzahl engliſcher Linie und Artillerie ſich gegen
euch vom Berge ſtürzen — Zurück auf einige
Augenblicke —


Die Franzoſen.

Beefſteaks, wir kommen wieder!


(Sie ziehen ſich unter ſtark erwiederten Gewehrſalven zuruͤck.)

[283]
Ein engliſcher Obriſt

(zu ſeinem Adjutanten:)

Was für Flammen glänzen rechts hoch aus
dieſem Rauch?


Der Adjutant.

Der Lage nach das brennende Houguemont.


Der Obriſt?

Auch das ſchon? — Die Schlacht wird allge-
mein.


Adjutant.

Sie iſt es. Schauen Sie, la Haye Sainte lo-
dert auch ſchon. — Ha, was da?


Obriſt.

Das ohrzerſchneidende Geſchrei unſerer Ver-
wundeten — — Himmel, warum ſteht das rechte
Altengland da oben noch ſtets ruhig unter den
Waffen?


Adjutant.

Der Herzog pflegt, wie er es nennt, ſeinen
Augenblick zu erwarten.


Obriſt.

Bonaparte iſt erfinderiſcher und kühner: er
ſchafft ſich nöthigenfalls den Augenblick. — Ah,
wieder Kugeln über Kugeln hieher! Der Feind
vergißt uns nicht.


[284]
Adjutant.

Herr Obriſt, jetzt aber geht Altengland auf
Mont Saint Jean auch los — Da — alle Batte-
rien — Hören Sie!


Obriſt.

Es iſt, als raſſelten alle Heerſchaaren der Hölle
in eiſernen Harniſchen über unſere Häupter —
Ha, und jetzt wettert ihnen die Artillerie der Fran-
zoſen entgegen — Ohne feige zu ſeyn, bückt man
ſich unwillkührlich. — — Wahrlich, ich habe noch
keine Schlacht gekannt — Vittoria, wo man ſich
beſinnen und athmen konnte, war Kinderſpiel —
— Hier jedoch: meilenweit die Luft nichts als
zermalmender Donnerſchlag und erſtickender Rauch,
— darin Blitze der Kanonen, flammende Dörfer,
wie Irrlichter, immer verſchwunden, immer wieder
da — der Boden bebend unter den Sturmſchritten
der Heere, wie ein blutiges, ein zertretenes Herz,
— Geſchrei laut ausgeſtoßen, kaum vernommen —
— Adjutant, das Alles, weil dort bei Caillou der
kleine Mann ſteht? — Keine Antwort? — Gott,
er iſt gefallen! — Und dort naht wieder der feind-
liche Vortrab — Mir lieb — So fluth’ ich mit
unter die tobenden Waſſer, denn einſam ruhig
kann ich in dieſem ſturmempörten Ocean mich doch
nicht halten.


[285]
Fritz.

Vater, hier geht es ja gar nicht ſo her wie
auf dem Exercierplatz.


Der alte hannoverſche Scharfſchuͤtz.

Dummer Junge, auf dem Exercierplatz ſchießt
man blind, aber hier hat alles geladen.


[286]

Vierte Scene.


(Die Hoͤhen von Mont Saint Jean. Auf ihnen Wellingtons
Heer. Im Vor- und Mittelgrunde die Infanterie in
Quarrées, — zwiſchen dieſen die Artillerie, ununterbro-
chen feuernd, — im Hintergrunde, welcher von dem
Walde von Soignies umgraͤnzt wird, die Reiterei und
die Reſerven. Franzoͤſiſche Kanonenkugeln ſchmettern
uͤberall in die Heerhaufen.)

(Wellington mit ſeinem Generalſtabe, neben ihm General
Lord Somerſet.)

Lord Somerſet.

Ich beſchwöre dich, Herzog, laß uns nicht wei-
ter hier müſſig ſtehen, und die braven Leute, ohne
daß ſie einen Finger an den Hahn der Flinte le-
gen dürfen, hinſchmettern von den Geſchützen des
Corſen.


Herzog von Wellington.

Unſere Kanoniere ſind nicht müſſig.


Lord Somerſet.

Aber alle andern Truppen ſind’s, — laß ſie
endlich die Bayonette fällen, die Säbel ziehen, und
den galliſchen Hähnen entgegenſtürmen.


[287]
Herzog von Wellington.

Unmöglich — Europa’s, ja, des Erdkreiſes
Schickſal ſchwebt in dieſer Stunde auf dem Spiel
— wir dürfen nicht eher wagen, bis wir des Er-
folges gewiß ſind, und ich fürchte, wenn Blücher
nicht bald kommt, haben wir mit Ihm bei Cail-
lou
ſchon ſehr viel gewagt.


Lord Somerſet.

O träf’ ihn doch eine, eine von hunderttauſend
Kugeln, die dahin fliegen — — Herzog, ſollen
denn dieſe Höhen die rieſenhafte Schlachtbank wer-
den, auf welcher Altengland ſich opfert für die
undankbare Welt?


Herzog von Wellington.

Wenn es zum Aeußerſten kommt — ja.


Lord Somerſet.

O ſchau’ dort — wieder eine ganze Reihe der
braven Bergſchotten hinſinkend wie Aehren vor
der Sichel — — Und hier — das erſte Glied des
Leibregiments eben ſo — Das zweite marſchirt
lächelnd ein, Milch und Blut auf den Wangen,
die friſcheſte Jugend, die jemals im heiteren Eng-
land ſchimmerte — ha, und da winſeln ſie auch
ſchon im Staube — — Mutterherzen, Mutterher-
zen, wie wird’s euch zerreißen, — mein Herz iſt
ſchon zu Trümmer!


[288]
Herzog von Wellington.

Und zertrümmert das Gehirn dazu — wir
müſſen ausharren bis die Hülfe naht.


Adjutanten
(heranſprengend:)

Die Franzoſen nehmen Belle Alliance und drän-
gen auf der Chauſſée hieher vor.


Herzog von Wellington.

Kartätſchen über die Chauſſée!


(Engliſches Kartaͤtſchenfeuer, — auf einmal ein franzoͤſiſcher
Kanonendonner, der allen fruͤhern Schlachtlaͤrm, ſo arg
er geweſen iſt, uͤbertoͤnt. Die Englaͤnder ſtuͤrzen dichter
als zuvor.)

Lord Somerſet.

Teufel — meine Locken — reißt mich nicht mit
— Sechs-, Zwölf-, Vierundzwanzig-Pfündner
fliegen darüber hin. — — Wie? wird das Höllen-
getöſe, welches uns eben erſchütterte, noch ärger?


Herzog von Wellington.

Es wird’s. — Auch ich finde Ihn und ſeine
Mittel und die Art, wie er ſie gebraucht, gewal-
tiger als ich gedacht. Ich meinte einen etwas
beſſeren General als Maſſena oder Soult, die
wahrlich auch tüchtige Feldherrn ſind, in Ihm zu
treffen — — Aber da iſt gar keine Aehnlichkeit,
— wo die aufhören, fängt Er erſt an — Doch
darum nur ſo mehr Ruhe und Ausdauer — das
[289] Ungeheure überſtürzt am leichteſten — Er läßt
uns hier nur die Wahl zwiſchen Sieg und Tod,
— eben darum erringen wir vielleicht den erſteren.


Verſprengte engliſche Dragoner

(denen waͤhrend des folgenden Geſpraͤchs, bis Milhaud er-
ſcheint, — in ſtets dichtern Haufen andere folgen:)

Hinter unſere Batterien! hinter unſere Batte-
rien!


Herzog von Wellington.

Flüchtlinge, ſchämt euch, — haltet — Was
gibt’s?


Die Dragoner.

Bonapartes Kuiraſſiere in unſerem Rücken —
Nichts hält ihnen Stand!


Herzog von Wellington.

Hm, — da ſchweigen auch ſeine Kanonen, weil
ſie ſonſt in ſeine eigne jetzt herankommende Caval-
lerie ſchießen würden, — recht klar — erſt wollt’
er unſre Reihen mit Kugeln lüften, dann mit den
Haudegen der Kuiraſſiere vertilgen — So leicht
geht es nicht, mein Herr!


— Die Lücken der Quarrées gefüllt — in die
Quarrées Batterien — Die Reſerven näher ge-
rückt — Die vorderſte Reihe des Fußvolks auf die
Kniee — die zweite ſchießt — Bayonette vorge-
ſtreckt — die Reiterei fürerſt beiſeit!


19
[290]
Lord Somerſet.

Laß mich an die Spitze meiner Gardecavallerie!


Herzog von Wellington.

Nein, dazu iſt’s noch nicht Zeit, und die Kui-
raſſiere Milhauds, ungeſchwächt, wie ſie noch ſind,
hielteſt du doch nicht auf.


Lord Somerſet.

Wie? Mit Pferden und Reitern wie die mei-
nigen —


Herzog von Wellington.

Folge mir in jenes Quarrée —


(Mit ihm zu dem Quarrée gehend:)

Ja, ihr ſeyd brav — Aber Milhauds Kuiraſſiere,
ſo ſchlecht die Menge der franzöſiſchen Cavallerie
ſeyn mag, ſind die Elite der älteſten, faſt unter
jedem Himmelsſtrich, gegen jede Nation geprüften
Schlachtenreiter —


(Sich einen Augenblick umwendend:)

Da kommen ſie — Betrachte ſie — Sind ihre
Geſichter nicht gelb und hart wie der Meſſing ih-
rer Helme und Sturmketten? Sehen ſie nicht aus,
als hätten ſie unter Spaniens Sonne oder Ruß-
lands Schneegeſtöber ſich Tag für Tag mit Blut
abgewaſchen?


[291]
Milhaud

(zu ſeinen Kuiraſſierdiviſionen:)

Cameraden, eingehauen! — Ha, welche Wolluſt,
dieſen Narren, die Ihn nicht einmal kennen wollen,
dicht vor ihrer Fronte in die Zähne zu rufen:
hoch lebe der Kaiſer!


Die Kuiraſſiere.

Hoch lebe der Kaiſer!


Milhaud.

Und hoch unſre Schwerter, um ſo tiefer auf
die Lumpen niederzuflammen!


(Die Kuiraſſiere verſuchen einzuhauen, Gewehrſalven empfan
gen ſie. Manche ſtuͤrzen, aber an den Panzern der
Meiſten rollen die Flintenkugeln ab.)

Was? Hat uns der Kaiſer nicht feſte Weſten
gegeben? — — Und Schade, oder wir finden
Schlüſſel, die Thore dieſer Vierecke zu ſprengen!


(Mit der linken Hand ein Piſtol hervorreißend und es auf
einen engliſchen in Reih’ und Glied ſtehenden Haupt-
mann anſchlagend:)

Hauptmann da — wahre deine Epaulette, daß ſie
nicht ſchmutzig wird —


(Er ſchießt ihn zu Boden, und ſprengt uͤber den Leichnam
in das Quarrée:)

Hohuſſa!


Einer der Kuiraſſiere

(mit den uͤbrigen nachſprengend:)

Fahne her!


[292]
Engliſcher Fahnentraͤger.

Eher mein Leben!


Kuiraſſier.

So nimm den Tod!


(Haut ihn nieder und nimmt die Fahne. — Die Artillerie
des Quarrées ſchießt mit Kartaͤtſchen.)

Milhaud.

Dieſe Kanonen übergeritten!


(Er ſtuͤrmt mit den Kuiraſſieren auf ſie ein. Die Kano-
niere brennen noch einmal die Geſchuͤtze ab und fluͤchten.)

Ha, unſer die Kanonen! — Vernagelt ſie!


Mehrere Kuiraſſiere

(ſpringen von den Pferden:)

Das verſtehen wir! Der Teufel ſelbſt ſoll
ſie nicht weiter gebrauchen können!


Milhaud.

Vorwärts, vorwärts in und über die anderen
Quarrées! Das feindliche Heer aufgerollt vom
Aufgang bis zum Niedergang! Der Gott der
Siege umathmet unſre Helme!


Herzog von Wellington.

Lord Somerſet, jetzt an die Spitze der Garde-
cavallerie, und warte meines Wortes.


Lord Somerſet.

Endlich — Gott ſey gelobt!


[293]
Ein englicher Officier.

Da haut der Milhaud das vierte Quarrées
zuſammen!


Herzog von Wellington.

Dieſesmal ſcheitert er hier an dem fünften! —
Sechzig Reſervekanonen herein!


Milhaud.

Vier Quarrées zu Stücken — In das fünfte!


Herzog von Wellington.

Herr General, es öffnet ſich von ſelbſt —


(Das Quarrée oͤffnet ſich und ſechszig ſchwere Geſchuͤtze deſ-
ſelben geben Feuer.)

Milhaud.

Heiliger Name Gottes — — Vorwärts in dieſe
Höllenküche, und werden wir auch ſelbſt darin ge-
braten — — Camerad, wo dein rechter Fuß?


Ein Kuiraſſier.

Mein Fuß? — Sacrament, da fliegt er hin,
der Deſerteur!


Milhaud.

Halte dich am Sattelknopf, wirſt du ohnmäch-
tig — — Nur drauf und dran! — — Nein, es
geht nicht — Wir behalten ſonſt kein ganzes Pferd
zum Zurückkommen! — Adieu, meine Herren —
[294] wir ſprechen uns heute noch einmal, gleich nach
dem zweiten Kugelſegen des Kaiſers.


(Mit den Kuiraſſieren ab.)

Herzog von Wellington.

Jetzt, Somerſet, gib ihnen das Geleit!


Lord Somerſet.

Den Schurken nach, Cavallerie König Georgs
des Dritten!


(Ab mit der engliſchen Gardecavallerie.)

Herzog von Wellington.

Zwei Adjutanten nach dem linken Flügel —
Corke und Clinton ſollen Houguemont wieder zu
nehmen verſuchen — Der Feind wird vielleicht
durch die Diverſion verwirrt.


(Zwei Adjutanten eilen fort, — Lord Somerſet kommt mit
der Gardecavallerie zuruͤck.)

Herzog von Wellington.

Schon zurück?


Lord Somerſet.

Wir haben ſie bis unter die Bayonette ihrer
Infanterie getrieben — Mancher Kuiraß von
Nancy liegt im Koth. — — General Picton iſt
eben gefallen.


Herzog von Wellington.

Auch der? — So ſehr er mein Freund war,
ich kann ihn jetzt nicht betrauren — Es iſt keine
[295] Zeit dazu, und der Tod würgt heute ſo allgemein,
daß er etwas ganz Gewöhnliches ſcheint.


(Der franzoͤſiſche Kanonendonner hebt wieder ſo furchtbar
an, wie kurz vor der Ankunft der Milhaud’ſchen Kui-
raſſiere.)

Ha, von Caillou her zum zweiten Angriff geſchoſſen
und gebrüllt! — Seyd gefaßt! Milhaud ſprengt
bald neugeſtärkt hieher!


Ein Officier des Generalſtabes.

Noch ein paar ſolcher Angriffe, und unſere Ar-
mee iſt nicht mehr. Wäre kein Rückzug möglich
durch den Wald von Soignies?


Herzog von Wellington.

Mein Herr, ein Rückzug iſt doppelt unmöglich.
Erſtlich erlaubt ihn unſere Ehre nicht, und dann
iſt die Heerſtraße durch den Wald ſo voll von
flüchtigem Geſindel und Fuhrwerk, daß nicht eine
Compagnie, geſchweige ſiebenzig tauſend Mann
darauf zehn Schritt in Ordnung machen können.
— O wäre der alte Blücher erſt da! — — Was
iſt die Glocke, Somerſet?


Lord Somerſet.

Die Glocke von Waterloo ſchlug eben halb vier.


Herzog von Wellington.

Dorfthürmchen von Waterloo, du ſchlugſt den
[296] Beginn der ſchwerſten, unvergeßlichſten halben
Stunde meines Lebens! — Um vier Uhr wollte
Blücher im Forſt von Frichemont ſeyn. — —
Himmel, wenn er nun nicht — Ordonnanzen nach
dem Forſt, ob ſie nicht endlich eine preußiſche Land-
wehrkappe erblicken!


Lord Somerſet.

Der zweite feindliche Reiterſchwall naht!


Herzog von Wellington.

Altengland treibe ihn zurück wie den erſten. —
Ich ſetze mich auf dieſen Feldſtuhl und weiche nicht
davon, bis wir geſiegt haben oder eine Kugel mich
davon wirft.


[297]

Fünfte Scene.


(Kleine Anhoͤhe von Caillou. Napoleon haͤlt auf ihr zu
Pferde. Bertrand, Cambronne und ſeine Suite um
ihn. Die Garden hinter ihm. Neben ihm der Paͤchter
Lacoſte. Milhaud und ſeine Kuiraſſiere kommen eben
von ihrem zweiten abgeſchlagenen Angriff zuruͤck.)

Napoleon.

General, wie iſt’s da oben?


Milhaud.

Sire, die Engländer wehren ſich matter als
bei unſerer erſten Attaque.


Napoleon.

Bereiten Sie ſich zu der dritten — Alle irgend
überflüſſigen Regimentsgeſchütze dort zu Drouot —
Die Zeit drängt, und was ihr an Länge fehlt,
müſſen wir durch Schnelle und Stärke erſetzen.


(Adjutanten ab, — die franzoͤſiſche Kanonade wird immer
gewaltiger.)

Paͤchter Lacoſte.

Jeſus Maria!


Napoleon
(blickt ihn [finſter] an:)

Was gibt’s?


[298]
Paͤchter Lacoſte.

Sire, Verzeihung — ich fürchte mich — mir
iſt das nicht gewohnt!


Napoleon.

Wann kamen die Engländer hier an?


Paͤchter Lacoſte.

Geſtern, Sire — Morgens neun oder zehn Uhr.


Napoleon.

Waren ſie marode?


Paͤchter Lacoſte.

Die, welche auf meinem Pachthof ſich einquar-
tirten, waren es, und wie es mir ſchien, auch alle
übrigen, — aber es währte nicht lange, ſo re-
ſtaurirten ſie ſich bei zahlloſen Marketenderfeuern.


Napoleon.

Das Haus Belle Alliance vor uns — — Hat
es Gehöfte, Hecken um ſich?


Paͤchter Lacoſte.

Nein, es liegt offen an der Chauſſée.


Napoleon.

— Iſt Milhaud bereit?


Cambronne.

Ja, Sire.


Napoleon.

Kellermann ſtößt mit ſeinen Reitern zu ihm
[299] und er verſucht, während Drouots Batterien ſo
lange einhalten, den dritten Angriff.


(Adjutanten ab.)

Paͤchter Lacoſte.

Weh, meine Frau und meine Kinder!


Cambronne.

Bauer, halte das Maul.


Paͤchter Lacoſte.

Hier fallen engländiſche Kugeln!


Cambronne.

Laß dich das nicht kümmern. Verlierſt du dein
bischen Leben, was verlierſt du Großes?


Napoleon.

Wellingtons Heer wehrt ſich mit den Krämpfen
der Verzweiflung. Sechs reitende Batterien dem
Milhaud nachgeſandt. Man ſoll auf Mont Saint
Jean Poſto faſſen, es koſte was es will. Ney
ebenfalls dahin über la Haye Sainte, und mache
ſeine Ueberweisheit bei Quatrebras gut durch ſtren-
ge Befolgung meines Befehls. Kann er Haye
Sainte nicht nehmen, ſo läßt er es ſammt deſſen
feindlicher Beſatzung am Wege liegen. — In ei-
ner halben Stunde muß Mont Saint Jean mein
ſeyn, oder ich erneue die Tage von Lodi und ſtelle
mich ſelbſt an die Spitze der Colonnen!


(Viele Adjutanten ab.)

[300]

Auf unſrem rechten Flügel iſt’s zu ſtill — Dahin
zum Graf Erlon — ihm geſagt: auf dem Berge
jenſeits Papelotte, in den Vierecken des linken eng-
liſchen Flügels, wachſe ein Marſchallsſtab von
Frankreich.


(Adjutanten ab, — andere kommen.)

Ein Adjutant.

Der Fürſt von der Moskwa iſt über la Haye
Sainte hinaus, — da aber wehren ſich die Eng-
länder hinter Verhacken wie Raſende, und das
Blut fließt in Strömen.


Napoleon.

Und wogt es wie Meeresfluth, wenn wir nur
ſiegen! Der Sieg ſoll des Blutes werth ſeyn.
Der Stern des illegitimen, geächteten Napoleon
von 1815 ſoll den Völkern freundlicher leuchten,
als der Comet des Erderoberers von 1811.


(Viele Verwundete, auf Ambulancen, werden vorbei gefahren.)

Ihr Armen wißt auch nicht, weßhalb ihr ſeufzet
und ſtöhnt. — Nach vierzig Jahren commentirten
es euch Gaſſenlieder!


Adjutanten
(heranſprengend:)

Die letzten engliſchen Reſerven rücken in das
Feuer —


[301]
Napoleon.

Milhaud, Drouot und Ney ſollen deſto heftiger
ſie angreifen.


Was da links? In der Gegend von Hougue-
mont?


Bertrand.

Kanonendonner naht von dort — Prinz Jerome
wird bedrängt.


Napoleon.

Was bedrängt! — Der Feind iſt dort ſchwach,
und neckt ihn eben darum mit Manoeuvers! —
Zwei Schwadronen Gardelançiers mir nach!


(Er galloppirt in Begleitung zweier Schwadronen Garde-
lançiers nach Houguemont, — der Kanonendonner, wel-
cher von dort ſich naͤherte, verliert ſich bald darauf in
der Ferne.)

Ein Officier der Gardegrenadiere zu Pferde.

Der Milhaud macht heute beneidenswerthe
Chocs — wir bekommen zu thun, müſſen wir mit
ſeinen Kuiraſſieren wetteifern.


Ein anderer Officier der Gardegrenadiere zu
Pferde.

Er iſt im ſpaniſchen Kriege nicht umſonſt braun
geworden.


Der erſte Officier.

Er erinnert an Murat.


[302]
Der andere Officier.

So ziemlich — aber mehr an ſeinen Muth als
an ſeine Gewandtheit. Eine brillante Attaque, wie
die des Murat bei Wagram, erleben wir wohl
nicht wieder.


Der erſte Officier.

Murat that auch beſſer, ließ er, ſtatt um
Neapels Lumpenthron ſich zu raufen, ſeinen Feder-
buſch hier wehen!


Der andere Officier.

Kronen müſſen einen eignen verlockenden Glanz
haben, ſonſt begreif’ ich nie, wie ein Franzoſe
nicht lieber Gemeiner im erſten beſten Linienregi-
ment ſeines Vaterlandes ſeyn will, als König von
Neapel, oder Kaiſer von Rußland.


(Napoleon und Gefolge kommen zuruͤck.)

Bertrand.

Sire, es iſt doch wahr: vorgeſtern iſt der
Herzog von Braunſchweig gefallen — Gefangene
Officiere ſeines Corps verſicherten es mir eben in
Houguemont.


Napoleon.

Ein Huſarengeneral weniger. — — Lacoſte,
der Geſchützdonner rechts? Von Wavre?


Paͤchter Lacoſte.

Sire, ja.


[303]
Napoleon.

Grouchy treibt alſo die Preußen in die Dyle.


Bertrand.

Die Kanonade iſt lebhaft, Sire — die Preußen
leiſten ſtarken Widerſtand.


Napoleon.

Schwerlich, oder Grouchy wär’ ein äußerſt
erbärmlicher Verfolger geweſen, — ſie waren zu
ſehr geſchlagen, — ſelbſt Bülows Corps muß von
der flüchtigen Maſſe mit in den allgemeinen Stru-
del geriſſen ſeyn. — Graf Lobau ſchiebe jedoch
zur Vorſicht ſeine Teten bis in das Gehölz zwi-
ſchen hier und Wavre.


(Großes Krachen von Mont Saint Jean her, — ungeheure
Flammenmaſſen fliegen dort in die Luft.)

Cambronne.

Brav, Drouot, das war ein Meiſterſchuß —
zwanzig engliſche Pulverwagen gingen gewiß dar-
auf!


Napoleon.

Bertrand — Cambronne —


Cambronne.

Sire, iſt es Zeit?


Napoleon.

Ja.


[304]
Cambronne und Bertrand.

Garden, ſturmfertig!


Napoleon.

Es geht grade aus, über la Haye Sainte, wo
Milhaud und Ney ſich an euch ſchließen. — Was
pfeift da?


Lacoſte.

Wehe, Meuchelmörder in unſren Reihen —
ganz nahe Büchſenkugeln!


Ein Officier der Suite.

Sire — Flügelhörner — Preußiſche Jäger
keine zweihundert Schritt von uns.


Napoleon.

Einige Dragoner hin, die an der Dyle ver-
ſprengten jungen Tollköpfe zu ergreifen.


Ein Adjutant
(heranſprengend:)

Vom Graf Lobau: das ganze Gehölz von Fri-
chemont iſt voll von Preußen.


Zweiter Adjutant
(ſpaͤter:)

Von Lobau: ſchon leichtes preußiſches Geſchütz
im Walde von Frichemont. — Der General eilt
ihrem Angriff entgegen zu kommen.


Dritter Adjutant.

Vom Graf Erlon: am linken Flügel der Eng-
länder, auf der Höhe des Waldes von Frichemont
[305] erſcheinen Blücher und Bülow mit zahlloſen Heer-
haufen, und Raketen über Raketen verkünden Wel-
lington ihre Ankunft.


Napoleon.

Blücher? Bülow? — Ihre Corps müſſen Trüm-
mer ſeyn.


Adjutant.

Sire, nein. Zug auf Zug, endlos, rücken ſie
aus dem Walde — immer breiter wird ihre Fronte
— ein Geſchützfeuer entwickeln ſie auf den Anhö-
hen über dem anderen — ein durch die Wolken
brechender Strahl der Abendſonne zeigte ſie der
halben Armee in voller Kampfordnung.


Napoleon
(fuͤr ſich:)

Der Strahl war nicht von der Sonne von
Auſterlitz.


Bertrand.

Brechen Himmel und Erde ein? — Der Kaiſer
zuckte mit der Lippe! — — Sire, Sire, die
Schlacht geht doch nicht verloren?


Napoleon.

Grouchy hat viel daran verdorben —


(Fuͤr ſich:)

Daß das Schickſal des großen Frankreichs von
20
[306] der Dummheit, Nachläſſigkeit oder Schlechtigkeit
eines einzigen Elenden abhängen kann! —


Ein heranſprengender Adjutant.

Graf Lobau bittet Verſtärkung — Ziethen
kommt ihm und der Armee in den Rücken.


Napoleon.

Mouton ſoll ſich in Planchenoit ſo verzweifelt
wehren, wie einſtens auf der Inſel, von welcher
er den Namen Lobau trägt.


Andere Adjutanten.

Von Erlon: Bülow hat Papelotte erſtürmt.


Napoleon.

Meine ſchlechteſten Truppen geweſen, die Pa-
pelotte ſo ſchnell ſich nehmen ließen. — Erlon läßt
nur ſeine Arrieregarde den Preußen gegenüber,
und marſchirt links ab zu Ney.


(Adjutanten ab.)

Andere Adjutanten.

Vom Marſchall Ney und General Milhaud:
die ganze engliſche Linie ſetzt ſich gegen uns in
Bewegung.


Napoleon.

Zurück zum Marſchall und zu Milhaud: gleich
käm’ ich ſelbſt — ſie ſollten ſich halten bei la Haye
Sainte, bei Gefahr ihrer Köpfe!


(Zu den Adjutanten und Ordonnanzen ſeiner Suite:)

[307]

Meine Herren, im Fluge zu allen Corps, welche
nicht bei la Haye Sainte fechten, — ſie ſollen alle
dahin, ob auch die Feinde, mit denen ſie grade
fechten, ſie verfolgen oder nicht.


(Viele Adjutanten und Ordonnanzen ab nach allen Seiten.)

Ein ankommender Adjutant.

Drouot bittet um Munition —


Napoleon.

Alle Artilleriemunition zu ihm.


Ein anderer Adjutant.

General Drouots Kanonen drohen vor Hitze
zu ſpringen, und er wünſcht —


Napoleon.

Er ſchießt bis die Kanonen ſpringen.


Viele Adjutanten.

Ziethen pflanzt in unſrem Rücken Geſchütze auf.


Napoleon.

Das merk’ ich — Dort ſtürzt Friant mit zer-
ſchmetterter Stirn.


Andere Adjutanten.

Von Milhaud und Ney: Blücher treibt ſtarke
Colonnen auf Belle Alliance, und verſucht beide
Generale von hier abzuſchneiden.


Napoleon.

Die Engländer?


[308]
Ein Adjutant.

Rücken mehr und mehr vor. — Ney kämpft
in wilder Verzweiflung.


Napoleon.

Seine ſchwache, ſchädliche Manier. — Mil-
hauds Kuiraſſiere?


Der Adjutant.

Die Mehrzahl ſchon gefallen.


Napoleon

(wendet ſich zu den Garden, mit gewaltiger Stimme:)

Garden, kann es eine irdiſche Kraft, ſo könnt
ihr die Schlacht retten und Frankreich! Noch nie
ließt ihr mich in euch irren, — auch heute zähl’
ich auf euch —


Cambronne.

Kaiſer, zähle, und du findeſt lauter Treffer!


Napoleon.

Den Kaiſer werf’ ich weg von mir —


(vom Pferde ſpringend:)

ich bin wieder der General von Lodi, und mit
dem Degen in der Hand führ’ ich ſelbſt euch auf
Mont Saint Jean!


Die Garde.

Ueber die Sterne der Kaiſer!


[309]
Bertrand.

Kaiſer, Kaiſer — Entſetzlich — Da ſteht er,
der Hut vom Kopf gefallen, den Degen in der
Fauſt, wie der Gewöhnlichſte ſeiner Souslieute-
nants — Sire, die Pflicht gebietet dir, dein Leben
nicht ſo auszuſetzen, wie du im Begriff biſt!


Napoleon.

Wie ich im Begriff bin? Schmettern hier
nicht die Kugeln ſchon ſo dicht, wie irgendwo auf
dem Schlachtfelde?


Bertrand.

Gewiß, Sire, doch daß du grade ſo wie
jetzt —


Napoleon.

Wie «grade ſo?» Was heißt das? — Zeige
den Platz ehrenvoller als dieſer meinige, an der
Spitze meiner Garden, unter den Todesdonnern
der Schlacht?


Cambronne.

Hört ihr, was der Kaiſer ſagt? — Die Muſik
dazu.


Gardemuſik ſpielt.

«Où peut on être mieux,
Qu’au sein de sa famille!»


[310]
Bertrand.

Verdammt das Pferd, welches mich trägt, wenn
der Kaiſer zu Fuß iſt! Ich werde Gemeiner, und
kämpf’ als ſolcher!


Alle Officiere der Suite.

Wir auch!


(Sie ſpringen von den Pferden und ziehen die Degen.)

Napoleon.

Wo die Granitcolonne von Marengo?


Cambronne.

Sie tritt ſchon vor, und wünſcht dich zunächſt
zu begleiten.


Napoleon.

Das ſoll ſie auch. Ihre Soldaten waren die
Genoſſen meines ſchönſten Tages, — ſo ſollen ſie
auch Genoſſen und Helfer an meinem böſeſten ſeyn!
— — Garden aller Waffenarten mir nach!


Cambronne.

Herr Pächter Lacoſte, leben Sie nun recht
wohl und laufen Sie von hier was Sie können
— Grüßen Sie die Frau und die lieben Kinder,
und wenn Sie nach zehn Jahren mit denſelben
wieder zum tauſendſtenmale einen Kuchen eſſen,
oder ihren Töchtern neue Kleider ſchenken, ſo freuen
Sie ſich ja von Neuem über Ihre Exiſtenz und
[311] Ihr Glück — Wir gehen jenen Kanonenmündun-
gen entgegen und bedürfen Ihrer Elendigkeit nicht
mehr! —


— Donner, welch ein Kugelregen — Die
Melodie!


Gardemuſik ſpielt:

«Freuet euch des Lebens,
Weil noch das Lämpchen glüht!»


Einer der Gardehautboiſten
(ſtuͤrzt:)

O, wie ſüß iſt der Tod!


(Alle gegen Mont Saint Jean.)

[312]

Sechste Scene.


(Heerſtraße vor dem Hauſe Belle Alliance.)

Napoleon

(mit den Garden im Voruͤberziehen:)

Graf Lobau iſt bereits von den Preußen aus
Planchenoit geworfen — Er ſoll ſich auf uns zu-
rückziehen, und einige Compagnien ſeiner Arriere-
garde in dieſes Haus werfen, um den verfolgen-
den Feind aufzuhalten und zu necken.


(Adjutanten ab. Napoleon und die Garden marſchiren wei-
ter: — Das Corps des Grafen Lobau, im Gefecht mit
den Pommern unter Buͤlow, ruͤckt allmaͤhlig uͤber die
Scene, dem Kaiſer nach. Graf Lobau erſcheint ſelbſt.)

Lobau.

Verwünſchte Uebermacht — kann denn weder
Geiſt noch Verzweiflung gegen ſie retten?


Buͤlow
(mit den Pommern.)

Jungen, das Pulver nicht geſchont — Das iſt
heut ein herrlicher Tag!


Lobau.

Immer wieder vor, alle Regimenter!


[313]
Buͤlow.

Immer ihnen entgegen, alle Pommern! — —


Lobau.

Feuer!


Buͤlow.

Gleichfalls!


Lobau.

Unmöglich ſich gegen dieſe Unzahl zu halten —
— Drei Compagnien in jenes Haus — — Alle
Uebrigen mit nach Mont Saint Jean!


Buͤlow.

Vier Bataillone ſtürmen dieſes Haus, — alle
Uebrigen hinterdrein nach Mont Saint Jean!


(Das Buͤlow’ſche Corps folgt dem des Grafen Lobau, —
nur vier Bataillone bleiben zuruͤck, und erſtuͤrmen unge-
achtet der heftigen Gegenwehr der Franzoſen, welche
aus Thuͤren und Fenſtern ſchießen, waͤhrend des Fol-
genden Belle Alliance.)

Ziethen

(mit zahlloſen Reiterſchaaren:)

Bülow, gegrüßt! Es geht gut — wir ſind
Ihm von hier bis Mont Saint Jean im Rücken
und in der Seite, und die Engländer klopfen Ihm
auch ſchon vor die Bruſt!


Buͤlow.

Ja, Victoria, Ziethen! Höre, wie er auf dem
[314] Berge mit all ſeinen Kanonen noch einmal auf-
ſchreit von wegen des Rücken-, Seiten- und Bruſt-
weh’s!


Ziethen.

Ha, welch Geſchrei: »Die Garde flieht! Rette
ſich, wer ſich retten kann!«


Buͤlow.

Der ganze Mont Saint Jean wankt unter
flüchtig werdenden Franzoſen!


Ziethen.

Wie ſich das Volk durcheinanderwälzt — Ca-
vallerie, Infanterie, Artillerie — ein verwirrter,
unauflösbarer Knäuel!


Buͤlow.

Na, engliſche und preußiſche Geſchütze löſen
tüchtig am Knäuel, — ich will auch von dort ein
paar paſſable Batterien hinein ſpielen laſſen —


Ziethen.

Thu’ es, und ob auch einige von deinen Ku-
geln in meine Reihen ſchlagen werden, — ich ſtürze
mich doch mit der Cavallerie unter den Feind,
ihn ſo eher zu vertilgen.


Buͤlow.

Pommern, die Gewehre verkehrt genommen —
[315] zur Abwechslung! — Warum grade immer das
Bayonnet oben? — Die Franzoſen zu Brei!


Eine Maſſe franzoͤſiſcher Reiter

(im Vorbeiſauſen:)

Alles verloren — der Kaiſer todt! die Gar-
den todt! — zurück nach Genappes, nach Genappes!


Eine Maſſe franzoͤſiſcher Infanterie

(noch etwas geordnet:)

Zurück nach Genappes! nach Genappes!


Eine Maſſe franzoͤſiſcher reitender Artil-
lerie.

Fußvolk Platz da, Platz!


Ein franzoͤſiſcher Infanterieofficier.

Es geht nicht — Bayonnette vor gegen die
Unſinnigen!


Artilleriſten.

Was Bayonnette! Pferde und Kanonen dar-
über weg!


(Sie fahren uͤber einen Theil der Infanterie.)

Buͤlow.

Pommern! können wir die Kanonen nicht neh-
men? Sind denn unter euch nicht einige ehemalige
Ackerknechte, die beſſer als jene feindlichen Infan-
teriſten ein paar Pferde aufzuhalten und ein paar
Räder zu zerbrechen wiſſen?


[316]
(Viele Soldaten ſeines Corps ſprengen vor, und nehmen die
Kanonen)

Recht ſo! — Dreißig treffliche Zwölfpfündner! —
Laßt ſie ihren alten Herren mit ihren Kugeln Valet
ſagen! — Und, Burſchen, lauft, ſpringt, reitet und
ſtürzt da nicht das bonapartiſche Heer, ſoweit man
in der Dämmerung ſehen kann — dahin, wo es
am dickſten iſt!


(Ab mit ſeinem Corps.)

[317]

Siebente Scene.


(Blachfeld auf der andern Seite des Hauſes Belle Alliance.
Napoleon mit Bertrand und Officieren, zu Fuß, — zwei
Schwadrone der Gardegrenadiere in geſchloſſener Ord-
nung zur Bedeckung um ſie, und Cambronne mit dem
Ueberbleibſel der Granitcolonne von Marengo hinter
ihnen.)

Napoleon.

Wir müſſen hier mitten durch das Feld zurück,
— die Chauſſée iſt zerfahren und überdem von den
Preußen erſtürmt — — Der Abend wird kalt —
Meinen Mantel und mein Pferd.


(Bertrand haͤngt ihm den Mantel um, — ein Pferd wird
vorgefuͤhrt.)

Solch eine Flucht kennt die Geſchichte nicht —
Verrätherei, Zufall und Mißgeſchick machen das
tapferſte Heer furchtſamer als ein Kind — Es iſt
aus — Wir haben ſeit Elba etwa hundert Tage
groß geträumt — — Bertrand, was iſt? Du
ſchweigſt?


Bertrand.

Sire — ſprechen — jetzt — — — o Gott!
[318] — Sieh dieſe Gardegrenadiere — Congreven lo-
dern in ihren Reihen, und ſie ſchweigen doch! — —
Nur Eines, du, in deſſen Ruhmesglanz ich einzig
lebte, ſey billig, laß mich auch auf ewig dein künf-
tiges Unglück theilen.


(Er faͤllt dem Kaiſer zu Fuͤßen.)

Napoleon.

Steh’ auf — du brichſt mit mir das Brot des
Elendes. — Aber deine Frau?


Bertrand.

Sire, ſie wird dir in Thränen danken, wie ich?


Napoleon
(zuruͤckblickend:)

Da ſtürzen die feindlichen Truppen ſiegjubelnd
heran, wähnen die Tyrannei vertrieben, den ewi-
gen Frieden erobert, die goldne Zeit rückgeführt
zu haben — Die Armen! Statt eines großen Ty-
rannen, wie ſie mich zu nennen belieben, werden
ſie bald lauter kleine beſitzen, — ſtatt ihnen ewigen
Frieden zu geben, wird man ſie in einen ewigen
Geiſtesſchlaf einzulullen verſuchen, — ſtatt der
goldnen Zeit, wird eine ſehr irdene, zerbröckliche
kommen, voll Halbheit, albernen Lugs und Tandes,
— von gewaltigen Schlachtthaten und Heroen wird
man freilich nichts hören, deſto mehr aber von
diplomatiſchen Aſſembléen, Convenienzbeſuchen hoher
[319] Häupter, von Comödianten, Geigenſpielern und
Opernhuren — — bis der Weltgeiſt erſteht, an
die Schleuſen rührt, hinter denen die Wogen der
Revolution und meines Kaiſerthumes lauern, und
ſie von ihnen aufbrechen läßt, daß die Lücke gefüllt
werde, welche nach meinem Austritt zurückbleibt.


Cambronne.

Mein Kaiſer, gegenüber nahen die Engländer,
ſeitwärts die Preußen — Es iſt Zeit, daß du
flieheſt, oder daß —


Napoleon.

Oder?


Cambronne.

Imperator, falle!


Napoleon.

General, mein Glück fällt — Ich falle nicht.


Cambronne.

Verzeihung, Kaiſer! Du haſt Recht!


Napoleon.

Den Mantel mir feſter zugemacht. — Es reg-
net immer ſtärker. — — Bertrand, beſteige ein
Pferd, — thun Sie eben ſo meine Herren Offi-
ciere. — Reitende Gardegrenadiere, bahnt uns den
Weg! — Granitcolonne, lebe wohl!


(Er, Bertrand, die ihn begleitenden Officiere ſind zu Pferd
geſtiegen und reiten mit den Gardegrenadieren fort.)

[320]
Cambronne.

Er iſt fort — Was will der andere Dreck,
den man Erde, Stern oder Sonne nennt, noch
bedeuten? — Er hat uns »lebe wohl« geſagt, und
leicht das Auge gewiſcht — das heißt: ſterbt mei-
ner würdig! es geht nicht anders. — Alſo, Came-
raden, die Schnurrbärte hübſch zurecht gedreht —
bald ſind wir im Himmel oder in der Hölle, und
ein braver Franzoſe erſcheint im Himmel wie in
der Hölle geputzt!


(Engliſche und preußiſche Reiterei von allen Seiten.)

Seht ihr, wie unſere Spediteure uns umdrängen! —
Alſo, Tambour, tüchtig auf dein Kalbsfell geſchla-
gen — Bedenke, von all den hunderttauſend Trom-
meln, die in den glorreichen Feldzügen des Kaiſers
erklangen, iſt die deinige die letzte! — Und ſchlage
luſtig, — auch dazu haſt du Grund, — du quälſt
dich mit Trommelſchlag fortan nicht wieder!


(Der Tambour trommelt ununterbrochen laut und kraͤftig
darauf los.)

Schießt!


Ein engliſcher Dragonerofficier.

Unſinnige, laßt das Schießen —


Cambronne.

Schießt!


[321]
Der Dragonerofficier.

— ihr entkommt doch nicht —


Cambronne.

Schießt!


Der Dragonerofficier.

Wahnſinniges Volk — Ergebt euch!


Cambronne.

Laffe, die Garde ſtirbt, aber ſie ergibt ſich
nicht! — Schießt ſo lang ihr athmet!


Engliſche und preußiſche Reiterei

(einhauend:)

Nieder die grauen Trabanten des Tyrannen!


Cambronne.

Nieder —? Granitcolonne, hoch und ſtolz wie
die Sonne, und gefallen herrlich wie ſie!


Die Granitcolonne.

Schon gut — ſieh’ nur —


(Die Granitcolonne ſammt Cambronne wird nach verzwei-
feltem Kampfe zuſammengehauen. Die alliirte Reiterei
ruͤckt weiter, andere engliſche und preußiſche Truppen
gleichfalls.)

Bluͤcher

(mit Gneiſenau und Gefolge heranſprengend:)

Wo mein großer Waffenbruder von Saint
Jean?


Gneiſenau.

Da kommt er!


21
[322]
Herzog von Wellington

(heranſprengend:)

Guten Abend, Feldmarſchall!


Bluͤcher.

Herzog, der Abend iſt des Tages werth!


Herzog von Wellington.

Die Hand her, Helfer in der Noth!


Bluͤcher.

Zum «ſchönen Bunde», wie der Ort hier heißt!
— — Engländer, Preußen, Generale, Unterof-
ficiere, Gemeine — ich kann nicht weiter rücken bis
ich mir die Bruſt gelüftet, meine Feldmütze abge-
zogen, und euch geſagt habe: ihr alle, alle ſeyd
meine hochachtbaren Waffengefährten, gleich brav
in Glück und Noth — Wird die Zukunft eurer
würdig — Heil dann! — Wird ſie es nicht, dann
tröſtet euch damit, daß eure Aufopferung eine beſ-
ſere verdiente! — — Wellington, laß deine Leute
etwas raſten, — ſie hatten heute die drückendſte
Arbeit — Dafür übernehmen wir ſo eifriger die
Verfolgung, und verlaß dich darauf, ſie ſoll unſe-
ren Sieg vollenden, wie noch keinen andern! —
Vorwärts, Preußen!


[[323]]

Appendix A

Nachträgliche Anzeige der Verlags-
handlung.


Zufaͤllige aͤußere Umſtaͤnde haben das Erſchei-
nen des gegenwaͤrtigen Stuͤckes, deſſen Herausgabe
wir ſchon in der Mitte des vorigen Jahres ankuͤn-
digten und das auch bis dahin in der Hand des
Verfaſſers vollendet war, bis jetzt aufgehalten;
doch hoffen wir, daß daſſelbe nichts deſto weniger
eine eben ſo befreundete Aufnahme im Publicum
finden wird, wie die fruͤheren Dichtungen unſeres
Verfaſſers, welche ſaͤmmtlich ebenfalls in unſerem
Verlage erſchienen.


Es ſind dies:


Deſſen dramatiſche Dichtungen. Nebſt einer Abhand-
lung über die Shakſpearo-Manie. 2 Bde. geh.
1827. Rthlr. 3 : 12 gG. oder fl. 6.


„ Don Juan und Fauſt. Eine Tragödie. cart.
1829. Rthlr. 1 : 8 gGr. oder fl. 2 : 24 kr.


„ Hohenſtaufen. Ein Cyclus von Tragödien, 1r
Bd. Kaiſer Friedrich Barbaroſſa. 1829. Rthlr.
1 : 8 gGr. oder fl. 2 : 24 kr.


„ Hohenſtaufen. 2r Bd. Kaiſer Heinrich IV. 1830.
Rthlr. 1 : 8 gGr. oder fl. 2 : 24 kr.


Frankfurt a. M. im Maͤrz 1831.


J. Ch. Hermann’ſche Buchhandlung.


[][][][]

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Napoleon oder Die hundert Tage. Napoleon oder Die hundert Tage. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjkk.0