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Ueber
die
deutſche Litteratur,
die Maͤngel
die man ihr vorwerfen kann,
die Urſachen derſelben
und
die Mittel ſie zu verbeſſern.

Aus dem Franzoͤſiſchen uͤberſetzt.

Berlin,:
gedruckt bey G. Jac. Decker, Koͤnigl. Hof-Buchdr.
1780.
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Ueber die deutſche Litteratur; die Maͤngel,
die man ihr vorwerfen kann; die Ur-
ſachen derſelben; und die Mittel ſie zu
verbeſſern.

[figure]

Sie wundern ſich, mein Herr, daß ich immer
noch nicht meine Stimme mit der Ihrigen
vereinigen will, um den Fortſchritten, welche nach Ih-
rem Urtheil, die deutſche Litteratur faſt taͤglich macht,
Beyfall zu geben. Ich liebe unſer gemeinſchaftliches
Vaterland ſo ſehr wie Sie; aber gerade eben dieſes
iſt mir ein Beweggrund, ihm nicht eher Lob zu bewil-
ligen, bis es ſich deſſelben wuͤrdig gemacht hat. Man
erklaͤrt nicht einen Mann fuͤr Sieger, der noch mitten
in der Laufbahn iſt, es zu werden. Ich erwarte, daß
er das Ziel wird erreicht haben, und dann wird mein
Beyfall eben ſo aufrichtig, als gerecht ſeyn.


A 2Sie
[4]

Sie wiſſen, daß in der gelehrten Republik eine
vollkommene Freyheit der Meynungen herrſcht. Sie
ſehen die Gegenſtaͤnde aus einem, ich aus einem an-
dern
Geſichtspunkt. Erlauben Sie alſo, daß ich mich
erklaͤre, und Ihnen meine Art zu denken, ſo wie mei-
ne Ideen uͤber die alte und neue Litteratur, genauer
entwickele. Ich werde ſie in Abſicht der Sprachen,
der Wiſſenſchaften und des Geſchmacks betrachten.
Ich mache mit Griechenland, dieſer Wiege der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte, den Anfang. Die Sprache der griechi-
ſchen Nation iſt die harmoniſchſte von allen, welche je
geredet worden. Ihre erſten Theologen und Ge-
ſchichtſchreiber waren Dichter. Dieſe brachten gluͤck-
liche Wendungen in ihre Sprache, wurden Schoͤpfer
einer Menge mahleriſcher Ausdruͤcke, und fuͤr alle ihre
Nachfolger, Lehrer der Kunſt, ſich mit Anmuth, Fein-
heit und Wuͤrde auszudruͤcken.


Ich gehe von Athen nach Rom uͤber, und finde
hier eine Republik, welche zuerſt lange Zeit mit ihren
Nachbarn krieget, und dann fuͤr die Ehre und die Ver-
groͤſſerung ihres Reichs kaͤmpft. Alles in dieſem
Staat war Nerve und Kraft, und nicht eher, bis
Roms Nebenbuhlerin, Carthago, zerſtoͤrt war, fanden
hier die Wiſſenſchaften Eingang. Der große Scipio
der Afrikaner
, der Freund des Laͤlius und Polybius,
war der erſte Roͤmer, der die Wiſſenſchaften beſchuͤtzte.
Dann folgten die Gracchen; dann Antonius und
Craſſus
[5]Craſſus, zwey beruͤhmte Redner ihrer Zeit. Doch ge-
langten die Sprache und der Styl der roͤmiſchen Be-
redſamkeit nicht eher zu ihrer Reife, als zu den Zeiten
des Cicero, des Hortenſius, und der vortrefflichen Ge-
nies, welche die Zierde der Regierung Auguſts waren.


Dieſe kurze Ueberſicht bezeichnet mir den natuͤr-
lichen Gang der Litteratur. Ich bin uͤberzeugt, daß
kein Schriftſteller gut in einer Sprache ſchreiben koͤn-
ne, die noch nicht ausgebildet und verfeinert iſt. Ich
ſehe auch, daß man in allen Laͤndern mit dem Noth-
wendigen anfaͤngt, und erſt nachher das Angenehme
hinzufuͤgt. Die roͤmiſche Republik faͤngt damit an,
ſich zu bilden; dann kaͤmpft ſie, um Laͤnder zu bekom-
men; dann ſucht ſie dieſelben anzubauen; und nicht
eher, bis ſie nach den Puniſchen Kriegen, eine feſte und
dauerhafte Verfaſſung erhalten, entſteht der Geſchmack
fuͤr die Kuͤnſte, und gelangt die lateiniſche Sprache und
Beredſamkeit zu einiger Vollkommenheit. Ich be-
merke aber hiebey, daß zwiſchen dem Zeitalter des aͤl-
tern Scipio und dem Conſulat des Cicero ſich ein Zeit-
raum von hundert und ſechzig Jahren befindet. Ich
ſchließe hieraus, daß die Fortſchritte zur Vollkommen-
heit in allen Dingen, langſam ſind, und daß der Kern,
den man in die Erde pflanzt, erſt Wurzel faſſen, her-
vorkeimen, ſeine Zweige ausbreiten, Kraft und Staͤrke
gewinnen muͤſſe, ehe er Blumen und Fruͤchte hervor-
bringen koͤnne. Ich beurtheile dann Deutſchland nach
A 3dieſen
[6] dieſen Regeln, um den Standpunkt, in welchem wir
uns itzt wirklich befinden, mit Billigkeit zu beſtim-
men; ich befreye mich von allen Vorurtheilen und laſ-
ſe mich blos von der Wahrheit leiten. Und nun finde
ich eine noch halb-barbariſche Sprache, in ſo viele ver-
ſchiedene Dialekte vertheilt, als Deutſchland Provin-
zen hat. Jeder Kreiß haͤlt ſich uͤberzeugt, ſeine Sprache
ſey die wahre aͤchte und deutſche. Wir beſitzen noch
keine von der ganzen Nation gebilligte Sammlung,
in der man alle Worte und Redensarten faͤnde, nach
denen man die Reinigkeit der Sprache ſicher beurthei-
len koͤnnte. Was man in Schwaben ſchreibt, iſt in
Hamburg kaum verſtaͤndlich; und der oͤſterreichiſche
Styl iſt fuͤr die Sachſen dunkel. Es iſt alſo phyſiſch
unmoͤglich daß auch ein Schriftſteller von dem groͤß-
ten Geiſt, dieſe noch ungebildete Sprache vortrefflich
behandeln koͤnne. Verlangt man vom Phidias eine
Venus von Gnidus; ſo muß man ihm einen Marmor
ohne Fehler, feine Meißel und gute Grabſtichel geben.
Nur dann darf man von ſeiner Arbeit etwas erwarten;
aber ohne Werkzeuge laͤßt ſich kein Kuͤnſtler denken.
Man koͤnnte mir vielleicht den Einwurf machen, daß
auch die griechiſchen Republiken ehemals eben ſo viele
verſchiedene Dialekte hatten, als wir; und daß man
noch itzt das Vaterland eines Italiaͤners an ſeinem
Styl und ſeiner Ausſprache erkennen koͤnne, die immer
in einem Lande anders ſind, als in dem andern. Ich
zweifle
[7] zweifle an der Richtigkeit dieſer Behauptungen gar
nicht; aber ſie duͤrfen uns nicht abhalten, den fernern
Fortſchritten der Litteratur im alten Griechenland und
im neuern Italien, weiter nachzugehen. Die beruͤhm-
ten Dichter, Redner und Geſchichtſchreiber dieſer Laͤn-
der ſetzten die Sprache derſelben durch ihre Schriften
feſt. Das Publikum nahm nach einer ſtillſchweigen-
den Uebereinſtimmung, die Wendungen, Phraſen und
Metaphern, als die beſten und richtigſten an, welche
jene große Kuͤnſtler in ihren Werken gebraucht hatten.
Ihre Ausdruͤcke wurden nach und nach allgemein aus-
gebreitet, und die Sprachen wurden durch ſie verſchoͤ-
nert, veredelt und bereichert.


Werfen wir nun wieder einen Blick auf unſer
Vaterland, ſo finden wir ein Gewirre von Sprache,
ohne alle Anmuth, das jeder nach ſeinen Einfaͤllen be-
handelt. Man kennt hier keine Wahl der Ausdruͤcke,
man vernachlaͤßigt die eigentlichſten und ausdruͤckend-
ſten Worte; und man verſchwemmt oft allen Sinn
und Gedanken in einem Meer von Epiſoden. Ich ge-
be mir alle Muͤhe, um unſere Homere, unſere Virgile,
unſere Anacreons, unſere Horatze, unſere Demoſthene,
unſere Cicerone, unſere Thucydides, unſere Livius, aus-
zuforſchen; aber ich finde ſie nirgend, alle meine Muͤhe
iſt umſonſt. Ich daͤchte alſo, wir waͤren aufrichtig,
und geſtuͤnden nur ehrlich, daß bis itzt die ſchoͤnen
Wiſſenſchaften in unſerm Boden, noch nicht haben ge-
A 4deihen
[8] deihen wollen. Deutſchland hat Philoſophen gehabt,
welche die Vergleichung mit den Alten aushalten, und
ſie ſogar in mehr als einer Gattung uͤbertreffen. Ich
werde auch hierauf nachher noch zuruͤckkommen. Aber
in Abſicht der ſchoͤnen Wiſſenſchaften muͤſſen wir unſre
Duͤrftigkeit nur geſtehen. Alles was ich Ihnen, ohne
mich zum Schmeichler meiner Landsleute zu erniedri-
gen, zugeſtehn kann, iſt, daß wir in der kleinen Gat-
tung der Fabel einen Gellert gehabt haben, der ſich ne-
ben Aeſop und Phaͤdrus geſetzt. Die Gedichte des
Canitz ſind ertraͤglich, aber nicht von Seiten der
Sprache, ſondern mehr, weil er, jedoch nur ſchwach,
den Horatz nachahmt. Ich will auch die Idyllen des
Gesner nicht ganz uͤbergehen, die einige Vertheidiger
haben; aber ich muß mir doch die Erlaubniß ausbe-
dingen, ihnen die Werke des Tibull, Catull, und
Propertz vorzuziehn. Wenn ich die Geſchichtſchrei-
ber durchgehe, finde ich nur die deutſche Geſchich-
te von Maſcow, welche am wenigſten fehlerhaft iſt.
Und erwarten Sie wohl im Ernſt, daß ich Ihnen vom
Verdienſt unſrer Redner etwas ſagen ſoll? Ich wuͤßte
Ihnen wenigſtens keinen zu nennen, als den beruͤhmten
Quandt zu Koͤnigsberg, der die ſeltene und in ſeiner
Art einzige Gabe beſaß, ſeine Sprache harmoniſch zu
machen, und ich muß leider! zu unſrer Schande hin-
zuſetzen, daß dieſes Verdienſt gar nicht erkannt wor-
den, und ſeinen Namen nicht beruͤhmt gemacht habe.
Und
[9] Und wie kann man auch verlangen, daß die Menſchen
ſich beeifern ſollen, jeder in ſeiner Art vollkommen zu
werden, wenn der Ruhm nicht ihre Belohnung iſt?
Indeß will ich zu den Herrn, die ich genannt habe, noch
einen Ungenannten hinzuſetzen, von dem ich reimloſe
Verſe geſehn habe; die Cadenz und Harmonie der-
ſelben entſtand aus der Abwechſelung der Dactylen
und Spondaͤen; ſie waren voll von Verſtand; und
mein Ohr wurde ſehr angenehm durch einen Wohllaut
der Toͤne geſchmeichelt, deſſen ich unſre Sprache kaum
faͤhig geglaubt hatte. Ich moͤchte behaupten, daß die-
ſe Art von Verſification ſich am beſten fuͤr unſre Spra-
che ſchicke, und ſehr große Vorzuͤge vor dem Reim ha-
be. Wollte man ſich Muͤhe geben, ſie dadurch voll-
kommener zu machen; ſo wuͤrde man es wahrſcheinlich
hierinn weit bringen.


Vom deutſchen Theater moͤchte ich Ihnen lieber
gar nichts ſagen. Die Melpomene iſt bey uns von
ſehr ſeltſamen Leuten verehret worden; einige traben
auf hohen Stelzen einher, andre kriechen im Staube;
alle uͤbertreten die Regeln der Kunſt, koͤnnen daher nicht
intereſſiren und ruͤhren, und muͤſſen von den Altaͤren
der tragiſchen Muſe verwieſen werden. Die Liebhaber
der Thalia ſind etwas gluͤcklicher geweſen; ſie haben uns
wenigſtens eine wahre und originelle Comoͤdie geliefert,
ich meyne den Poſtzug. Der Dichter dieſes Stuͤcks hat
unſre Sitten und unſer eigenthuͤmliches Laͤcherliche auf
A 5das
[10] das Theater gebracht. Das Stuͤck iſt ſehr gut gemacht,
und Moliere ſelbſt haͤtte den Gegenſtand deſſelben nicht
gluͤcklicher bearbeiten koͤnnen. Es thut mir leid, daß
ich Ihnen nicht eine groͤßre Menge unſrer guten Pro-
dukte aufzaͤhlen kann. Ich mache deshalb der Nation
keine Vorwuͤrfe; es fehlt ihr nicht an Genie und Geiſt.
Aber gewiſſe Urſachen haben ſie zuruͤckgehalten und ver-
hindert, ſich zu gleicher Zeit mit ihren Nachbarn zu
erheben. Laſſen Sie uns bis zu der Wiederauflebung
der Wiſſenſchaften zuruͤckgehn, und die verſchiedene La-
ge gegen einander halten, in der ſich Italien, Frank-
reich
und Deutſchland, zur Zeit dieſer Revolution des
menſchlichen Geiſtes befanden.


Sie wiſſen, daß die Wiſſenſchaften zuerſt in Ita-
lien
wieder gebohren wurden, wo das Haus Eſte, die
Medicis und der Pabſt Leo X. ſie beſchuͤtzten und ihre
Fortſchritte beguͤnſtigten. Zu eben dieſer Zeit, da Ita-
lien
verfeinert wurde, war Deutſchland, durch die Zaͤn-
kereyen der Theologen, in zwey Partheyen getheilt, de-
ren jede durch erbitterten Haß gegen die andere, und
durch fanatiſchen Enthuſiaſmus, ſich auszeichnete. In
Frankreich bemuͤhte ſich dagegen Franz I. mit Italien
den Ruhm der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften
zu theilen. Aber ſeine Muͤhe war vergeblich, ſie in ſein
Vaterland heruͤberzubringen. Die franzoͤſiſche Mo-
narchie befand ſich damals in einem Zuſtande der Er-
mattung, erſchoͤpft durch die Loskaufung ihres Koͤ-
nigs
[11] nigs von Carl V. Die Kriege der Ligue hinderten nach
Franz I. Tode, die Franzoſen, ſich mit den ſchoͤnen Kuͤnſten
zu beſchaͤftigen. Nicht eher als gegen das Ende der Re-
gierung Ludwig XIII. da die Wunden der buͤrgerli-
chen Kriege geheilt und die Zeitumſtaͤnde, unter dem
Cardinal Richelieu, guͤnſtiger waren, kam man auf
den Plan Franz I. zuruͤck. Der Hof ermunterte die
Gelehrten und die ſchoͤnen Geiſter, die Nacheiferung
ward allgemein, und es dauerte nicht lange, ſo gab unter
Ludwig XIV.Paris weder Rom noch Florenz etwas nach.
Und nun, wie ſahe es um dieſe Zeit in Deutſchland
aus? Gerade damals, wie Richelieu ſich den hohen
Ruhm erwarb, ſeine Nation zu bilden, wuͤthete der
dreyßigjaͤhrige Krieg in ſeinem groͤßten Feuer. Deutſch-
land
wurde durch zwanzig verſchiedene Armeen verwuͤ-
ſtet und gepluͤndert, die Sieger oder Beſiegte, allemal
die Zerſtoͤrung hinter ſich fuͤhrten. Das Land wurde
verwuͤſtet und nicht wieder angebauet, die Staͤdte bey-
nahe ganz verlaſſen. Auch nach dem weſtphaͤliſchen
Frieden hatte Deutſchland noch nicht Zeit, ſich wieder
zu erholen. Bald mußte es der damals ſehr furchtba-
ren Macht des ottomanniſchen Reichs widerſtehen;
bald gegen die franzoͤſiſchen Armeen kaͤmpfen, welche
die Herrſchaft ihres Reichs uͤber Deutſchland auszu-
breiten ſuchten. Zu eben der Zeit, als die Tuͤrken Wien
belagerten, Melak die Pfalz verwuͤſtete, wo Staͤdte
und Doͤrfer von den Flammen verzehret wurden, und
wo
[12] wo ſelbſt die ſonſt heilige Freyſtatt des Todes durch
die ausgelaſſene Frechheit der Soldaten verletzt wurde,
welche, die Leichname der Churfuͤrſten aus ihrer Gruft
hervorzogen, um ihre elende Ueberbleibſel ſich zuzueig-
nen; wo verlaſſene Muͤtter mit ihren abgezehrten Kin-
dern auf dem Arm, ſich aus den Truͤmmern ihres Va-
terlandes retteten: zu eben dieſer Zeit, darf man nicht
erwarten, daß man zu Wien und Manheim, Sonnets
verfertigt und ſich mit witzigen Epigrammen beſchaͤf-
tigt habe. Die Muſen verlangen ruhige Zufluchtsor-
te; ſie fliehen die Gegenden, wo die Verwirrung herrſcht
und alles zerſtoͤrt wird. Erſt nach dem ſpaniſchen
Succeſſionskriege fieng man an einigermaſſen wieder-
herzuſtellen, was ſo vieles auf einander folgende Elend
vernichtet hatte. Nicht alſo dem Geiſte und Genie
der Nation muß man die ſchwachen Fortſchritte, die
wir bisher gemacht, beymeſſen; ſondern wir muͤſſen
die Urſache derſelben allein in einer Folge trauriger
Umſtaͤnde, in den faſt unaufhoͤrlichen Kriegen ſuchen,
die unſer Vaterland zerſtoͤrten, und eben ſo arm an
Menſchen, als an Gelde, machten.


Laſſen Sie uns den Faden der Begebenheiten nie
aus den Augen verliehren, ſondern itzt den Gang un-
ſrer Vaͤter beobachten. Sie werden mit mir die Weis-
heit loben, die ihr Betragen leitete. Sie handelten
gerade ſo, wie es der Lage, in der ſie ſich befanden, an-
gemeſſen war. Sie fiengen an, ſich auf den Landbau
zu
[13] zu legen, und aus Feldern, zu deren Bearbeitung bis-
her keine Haͤnde da waren, einen neuen Werth zu ziehn.
Sie ſtellten die zerſtoͤrten Haͤuſer wieder her; ſie be-
guͤnſtigten die Fortpflanzung und Vermehrung des
menſchlichen Geſchlechtes. Man iſt allenthalben be-
muͤht geweſen, wuͤſte und verlaſſene Laͤnder wieder ur-
bar zu machen; die vermehrte Bevoͤlkerung hat Indu-
ſtrie hervorgebracht; auch der Luxus hat ſich bey uns
eingefunden, ein Verderben fuͤr kleine Staaten, aber
nuͤtzlich fuͤr die großen, in denen er die Circulation des
Geldes befoͤrdert. Durchreiſen Sie itzt einmal Deutſch-
land
von einer ſeiner Graͤnzen bis zur andern; allent-
halben finden ſie ehemalige Flecken in bluͤhende Staͤdte
verwandelt. Hier liegt Muͤnſter, etwas weiter hin
Caſſel; hier Dresden und Leipzig. In Franken fin-
den Sie Wuͤrzburg, Nuͤrnberg. Wenn Sie ſich
dem Rhein naͤhern, kommen Sie uͤber Fulda und
Frankfurt am Mayn, nach Manheim, von da zu-
ruͤck uͤber Mainz nach Bonn. Jede dieſer Staͤdte
ſtellt dem erſtaunten Reiſenden Gebaͤude dar, die er an
der Stelle des ehmaligen hercyniſchen Waldes nicht
vermuthet haͤtte. Die maͤnnliche Thaͤtigkeit unſrer
Landsleute begnuͤgte ſich alſo damit nicht, nur blos den
Verluſt zu erſetzen, den das oͤffentliche Ungluͤck verur-
ſacht hatte; ſie erhob ſich weiter und brachte das zur
Vollkommenheit, wovon unſre Vorfahren nur die er-
ſten Entwuͤrfe verſucht hatten. Seit der Zeit dieſer
gluͤck-
[14] gluͤcklichen Veraͤnderungen ſehen wir den Wohlſtand
weit allgemeiner werden. Der niedere Stand des
Landmanns und Buͤrgers ſchmachtet nicht mehr in ei-
ner ſchaͤndlichen Unterdruͤckung; Vaͤter koͤnnen itzt ih-
re Soͤhne den Wiſſenſchaften widmen, ohne ſich zu
verſchulden. Dies ſind die Erſtlinge der gluͤcklichen
Revolution, die wir noch zu erwarten haben; itzt ſind
die Bande, welche das Genie unſrer Vorfahren feſſel-
ten, zerbrochen; ſchon bemerkt man, wie der Saame
einer edlen Nacheiferung unter uns zu keimen anfaͤngt.
Wir ſchaͤmen uns, in gewiſſen Gattungen noch nicht
mit unſern Nachbarn uns vergleichen zu duͤrfen; wir
wuͤnſchen mit unermuͤdeten Arbeiten die Zeit wieder zu
gewinnen, die wir durch unſre Widerwaͤrtigkeiten ver-
lohren haben. Ueberhaupt iſt itzt der Geſchmack der
Nation ſo eifrig auf alles gerichtet, was unſer Vater-
land beruͤhmt machen kann, daß man bey dieſen Ge-
ſinnungen gar nicht zweifeln darf, die Muſen werden
auch uns zu ſeiner Zeit in den Tempel des Ruhms einfuͤh-
ren. Wir wollen alſo unterſuchen, wie das noch uͤbrig
gebliebene Unkraut der Barbaren aus unſerm Boden
voͤllig auszurotten ſeyn moͤchte, und was noch zu thun
waͤre, um die Vollkommenheit zu beſchleunigen, zu der
ſich unſre Landsleute zu erheben wuͤnſchen. Ich wie-
derhole, was ich Ihnen ſchon geſagt habe; man muß
damit anfangen die Sprache zu verbeſſern. Sie muß
noch gefeilt, abgehobelt, und durch geſchickte Haͤnde
bearbei-
[15] bearbeitet werden. Deutlichkeit iſt die erſte Regel,
welche alle, die reden und ſchreiben, beobachten muͤſſen,
weil ihre Abſicht iſt, die Gedanken und Begriffe zu
mahlen, und durch Worte auszudruͤcken. Wozu dient
es, die richtigſten, ſtaͤrkſten und glaͤnzendeſten Ideen
zu denken, wenn man ſie nicht verſtaͤndlich ausdruͤcken
kann? Vielen von unſern Schriftſtellern gefaͤllt ein
verworrner Styl; ſie ſchließen eine Parentheſe in
die andere, und oft findet man erſt am Ende einer
Seite das Wort, von welchem der Sinn der ganzen
Periode abhaͤngt. Nichts verwirrt die Conſtruktion
mehr; anſtatt reich zu ſeyn, iſt man nachlaͤßig, und es
wuͤrde leichter ſeyn, das Raͤthſel des Sphynx aufzuloͤ-
ſen, als ihre Gedanken. Eben ſo ſchaͤdlich fuͤr die Fort-
ſchritte der Wiſſenſchaften, als die Fehler, welche ich
unſrer Sprache und unſerm Styl vorgeworfen, iſt der
Mangel eines gruͤndlichen Studirens. Man hat un-
ſerer Nation ehemals Pedanterie vorgeworfen, weil
wir eine Menge Commentatoren, und gar zu ſorgfaͤl-
tige Unterſucher von Kleinigkeiten unter unſern Ge-
lehrten hatten. Um ſich von dieſem Vorwurf zu be-
freyen, faͤngt man itzt an, das Studium der gelehrten
Sprachen ganz zu vernachlaͤßigen; und um nicht fuͤr
einen Pedanten gehalten zu werden, bleibt man in
allen Wiſſenſchaften nur bey der Oberflaͤche ſtehn.
Wenige unſrer heutigen Gelehrten koͤnnen ohne Schwie-
rigkeit die griechiſchen und lateiniſchen klaſſiſchen
Schrift-
[16] Schriftſteller leſen. Will man aber ſein Ohr durch
die Harmonie der homeriſchen Verſe bilden; ſo muß
man dieſen Dichter ganz fertig ohne Huͤlfe eines Woͤr-
terbuchs leſen koͤnnen. Eben dieſes gilt vom Demo-
ſthenes
, Ariſtoteles, Thucydides und Plato. Und
eben ſo wird eine vollkommene Kenntniß der Sprache
dazu erfodert, wenn man die lateiniſchen Claſſiker ge-
nau kennen lernen will. Aber unſre heutige Jugend
legt ſich faſt gar nicht auf das Griechiſche, und weni-
ge lernen ſo viel Latein, um die Werke der großen
Maͤnner aus dem Zeitalter des Auguſts, nur mittel-
maͤßig uͤberſetzen zu koͤnnen. Und doch ſind dieſe alten
Schriftſteller die reichen Quellen, aus denen unſre Vor-
gaͤnger, die Italiaͤner, die Franzoſen und Englaͤnder,
ihre Kenntniſſe geſchoͤpft haben. Sie haben ſich, ſo
viel ſie konnten, nach dieſen großen Muſtern gebildet;
ihre Art zu denken, ſich eigen gemacht, und bey Bewun-
derung der großen Schoͤnheiten, von denen die Werke
der Alten voll ſind, haben ſie auch die Fehler derſelben
nicht uͤberſehen. Denn billig muß man mit Einſicht
und Unterſcheidung ſchaͤtzen, und ſich nie einer blin-
den Schmeicheley uͤberlaßen. Jene gluͤckliche Zeiten, de-
ren die Italiaͤner, Franzoſen und Englaͤnder vor uns
genoſſen haben, fangen nun unvermerkt an ſich zu ver-
liehren. Das Publikum iſt gleichſam geſaͤttigt von
den Werken, die es erhalten hat; Kenntniſſe werden
weniger geſchaͤtzt, nachdem ſie mehr verbreitet worden.
Dieſe
[17] Dieſe Nationen glauben ſich ſchon im Beſitz des Ruhms,
den ihre Vorfahren erworben haben, und ſchlummern
auf ihren Lorbeeren ein. Aber ich finde, daß dieſe Di-
greſſion mich von meinem Gegenſtande ableitet; ich
kehre zu ihm zuruͤck, und fahre fort zu unterſuchen,
was vor Fehler mehr in unſrer Art zu ſtudiren ſich
finden?


Ich glaube zu bemerken, daß die Schulen nicht
ſo viele gute und geſchickte Lehrer haben, als ſie beduͤrf-
ten. Denn wir haben viele Schulen, und alle wollen
verſorgt ſeyn. Wenn die Lehrer Pedanten ſind, wenn
ihr beſchraͤnkter Geiſt ſich in Kleinigkeiten vertieft,
und uͤber denſelben wichtige Sachen vergißt; wenn
ihr Unterricht verworren, langweilig und leer von Sa-
chen iſt; ſo peinigen ſie ihre Schuͤler, und bringen ih-
nen oft auf immer einen Widerwillen fuͤr den Wiſſen-
ſchaften bey. Andre Schullehrer verrichten ihr Amt
wie bloße Miethlinge. Es kuͤmmert ſie wenig, ob die
Schuͤler von ihrem Unterricht Nutzen haben oder nicht;
ſie ſind zufrieden, wenn ſie nur ihren Gehalt richtig
ausgezahlt bekommen. Noch aͤrger iſt es, wenn die
Lehrer ſelbſt keine Kenntniſſe haben. Was koͤnnen ſie
andre lehren, wenn ſie ſelbſt nichts wiſſen? Ich weiß
freylich ſehr wohl, daß es gluͤcklicherweiſe noch Aus-
nahmen von dieſer Regel giebt, und daß man auch in
Deutſchland einige ſehr geſchickte Schulmaͤnner findet.
So wenig ich dieſes leugne, ſo wuͤnſche ich nur, daß
Bihre
[18] ihre Zahl groͤßer ſeyn moͤchte. Ueber die fehlerhafte
Methode der meiſten Lehrer, ihren Schuͤlern die Gram-
matik, Rhetorik und Dialektik beyzubringen, koͤnnte
ich noch Vieles ſagen. Wie kann man von ihnen er-
warten, daß ſie den Geſchmack ihrer Untergebnen bil-
den werden, wenn ſie einen verworrenen Styl fuͤr ei-
nen ideenreichen; wenn ſie das Triviale und Niedrige
fuͤr naiv, die fehlerhafte Nachlaͤßigkeit der Proſe
fuͤr edle Simplicitaͤt; Galimathias fuͤr erhaben hal-
ten; wenn ſie die Aufſaͤtze ihrer Schuͤler nicht mit Ge-
nauigkeit verbeſſern, und nicht ihnen ihre Fehler vorhal-
ten, ohne ſie niederzuſchlagen? wenn ſie ihnen nicht ſorg-
faͤltig die Regeln einſchaͤrfen, die ſie bey dem Schreiben
immer vor Augen haben muͤſſen? Gegen die genaue
Richtigkeit der Metaphern, werden eben ſo oft Fehler
von den Lehrern begangen. Ich erinnere mich in meiner
Jugend in einer Zueigungsſchrift des Prof. Heineccius
an eine Koͤnigin, folgende ſchoͤne Phraſe geleſen zu ha-
ben: „Ihro Majeſtaͤt glaͤnzen, wie ein Karfunkel,
„am Finger der itzigen Zeit“. Kann man ſich ſchlech-
ter ausdruͤcken? Warum iſt die Koͤnigin ein Karfunkel?
Wer hat der Zeit einen Finger gegeben? Wenn die
Kuͤnſtler die Zeit vorſtellen, ſo geben ſie ihr Fluͤgel,
weil ſie ohne Unterlaß davon fliegt; eine Waſſeruhr,
weil die Stunden die Zeit abtheilen; und ſie bewaff-
nen ihren Arm mit einer Sichel, um anzudeuten, daß
ſie alles, was da iſt, wegmaͤhet und zerſtoͤrt. Wenn
aber
[19] aber die Lehrer ſich auf eine ſo niedrige und laͤcher-
liche Art ausdruͤcken, was kann man denn von ihren
Schuͤlern ſich verſprechen?


Aber laſſen Sie uns von den niedern Schulen
auf die Univerſitaͤten uͤbergehen, und ſie gleichfalls un-
partheyiſch unterſuchen. Ein Fehler, der mir ſogleich
in die Augen faͤllt, iſt, daß man gar keine allgemeine
Methode hat, die Wiſſenſchaften zu lehren. Jeder
Profeſſor macht ſich ſelbſt ſeine eigne. Meiner Mey-
nung nach aber giebt es nur eine gute Methode, an die
man ſich halten ſollte. Aber wie verfaͤhrt man hier-
inn itzt? Ein Profeſſor der Rechte, z. E. hat einige
Lieblinge unter den beruͤhmten Rechtsgelehrten, und er-
klaͤrt nur dieſer ihre Meynungen: er haͤlt ſich allein an
ihre Schriften, ohne ſich um das zu bekuͤmmern, was
andre Schriftſteller uͤber das Recht geſchrieben haben;
er erhebt die Wuͤrde ſeiner Wiſſenſchaft, um ſeine
Kenntniſſe zu zeigen; er bemuͤht ſich mit Fleiß dunkel
in ſeinen Vorleſungen zu ſeyn, um fuͤr ein Orakel ge-
halten zu werden; er erklaͤrt die Geſetze von Memphis,
wenn von dem Herkommen des Stifts Oſnabruͤck die
Rede iſt; und er verbreitet ſich uͤber die Geſetze des
Minos, wenn er einen kuͤnftigen Beyſitzer der Gerich-
te von St. Gallen bilden ſoll.


Der Lehrer der Weltweisheit hat gewoͤhnlich auch
ſein Lieblingsſyſtem, an das er ſich nur allein haͤlt.
Seine Schuͤler verlaſſen ſeine Hoͤrſaͤle mit noch mehr
B 2Vor
[20] Vorurtheilen im Kopf, als ſie hineinbrachten; ſie ha-
ben nur einen kleinen Theil menſchlicher Meynungen
durchgelaufen, und kennen noch lange nicht alles Ir-
rige und Abgeſchmackte derſelben.


Ich habe bey mir ſelbſt die Frage noch nicht ent-
ſcheiden koͤnnen, ob die Medicin eine Kunſt ſey oder
nicht? Aber ich bin feſt uͤberzeugt, daß kein Menſch
in der Welt das Vermoͤgen habe, einen Magen, Lun-
ge oder Niere neu zu machen, wenn dieſe fuͤr das
menſchliche Leben weſentliche Theile einmal verletzt
ſind; und ich rathe meinen Freunden ſehr, wenn ſie
krank ſind, ihre Zuflucht zu einem Arzt zu nehmen,
der ſchon mehr als einen Kirchhoff angefuͤllt hat, und
nicht zu einem jungen Schuͤler von Hoffmann oder
Boerhave, der noch nicht Gelegenheit gehabt, irgend
einen Menſchen zu toͤdten.


An den Lehrern der Geometrie habe ich gar nichts
zu tadeln. Dieſe Wiſſenſchaft allein hat niemals Sek-
ten gehabt; ſie iſt auf die Analyſis, die Syntheſis und
den Calkul gegruͤndet; ſie beſchaͤftigt ſich nur mit ganz
unwiderſprechlichen Wahrheiten, und die Methode,
ſie zu lehren, iſt in allen Laͤndern dieſelbe.


Auch in Abſicht der Theologie will ich ein ehrer-
bietiges Stillſchweigen beobachten. Man ſagt, ſie ſey
eine goͤttliche Wiſſenſchaft, in deren Heiligthum ſich
die Layen nicht wagen duͤrfen.


Aber
[21]

Aber gegen die Herren Profeſſoren der Geſchich-
te, glaube ich etwas weniger Behutſamkeit beobachten
zu duͤrfen; und es wird mir erlaubt ſeyn, ihrer Pruͤ-
fung einige kleine Zweifel vorzulegen. Ich neh-
me mir alſo die Freyheit, ſie zu fragen: Ob das
Studium der Chronologie der nuͤtzlichſte Theil der
Geſchichte? und ob es ein unverzeilicher Fehler ſey, im
Todesjahr des Belus, oder in Abſicht des Tages zu
irren, da das Pferd des Darius durch ſein wiehern,
ſeinen Herrn auf den Thron von Perſien brachte? Ob
ſo viel darauf ankomme, zu wiſſen, ob die goldne
Bulle
um ſechs Uhr Morgens, oder um vier Uhr Nach-
mittags publicirt ſey? Was mich betrifft, ſo begnuͤge
ich mich den Inhalt der goldnen Bulle, und dieſes zu
wiſſen, daß ſie im Jahr 1356. bekannt gemacht worden.
Ich will hiemit gar nicht die Geſchichtſchreiber entſchul-
digen, welche Anachroniſmen begehen. Indeß wuͤrde
ich kleine Verſehen dieſer Art mit mehr Nachſicht be-
urtheilen, als die weit wichtigern Fehler, wenn ein Ge-
ſchichtſchreiber die Begebenheiten verwirrt erzaͤhlt
wenn er ihre Urſachen nicht mit Deutlichkeit entwickelt,
wenn er keine gute Methode beobachtet, wenn er ſich
lang bey Kleinigkeiten aufhaͤlt, und uͤber die wichtig-
ſten Gegenſtaͤnde leicht wegeilt. Ich denke ohngefehr
eben ſo uͤber die Genealogie, und glaube nicht, daß
man einen Gelehrten ſteinigen muͤſſe, weil er etwa die
Genealogie der heil. Helena, Mutter Kaiſer Conſtan-
B 3tins
[22] tins,
oder der Hildegard, der Gemahlinn oder Mai-
treſſe Carl des Großen,
nicht genau auseinander zu ſetzen
weiß. Der Lehrer der Geſchichte muß nur das lehren,
was zu wiſſen noͤthig iſt, und das uͤbrige uͤbergehn.
Vielleicht finden Sie meine Kritik zu ſtrenge? „Nichts,
werden Sie ſagen, „iſt hienieden in unſrer Welt
„ganz vollkommen, und unſre Sprache, unſre Schu-
„len und Univerſitaͤten haben alſo das Recht, es auch
„nicht zu ſeyn. Die Kritik; koͤnnten Sie hinzuſetzen,
„iſt eine leichte Sache, aber die Kunſt iſt ſchwer; man
„muͤſſe ſich nicht begnuͤgen, blos die Fehler anzuzeigen,
„ſondern auch die Regeln, die man befolgen ſollte, um
„es beſſer zu machen, angeben.“ Ich geſtehe die Rich-
tigkeit Ihrer Forderung ein, m. H. und bin ganz ge-
neigt Sie zu befriedigen. Eben die Mittel, duͤnkt
mich, durch welche andre Nationen zur Vollkommen-
heit gelangt ſind, haben wir auch, und es kaͤme nur
darauf an, ſie anzuwenden. Ich habe ſchon ſeit vieler
Zeit in meinen muͤßigen Stunden dieſe Materien durch-
gedacht; ſie ſind mir alſo gegenwaͤrtig genug, daß ich
ſie hier auseinanderſetzen und Ihrem erleuchtetem Ur-
theil vorlegen kann; es verſteht ſich von ſelbſt, daß ich
keinen Anſpruch darauf mache, in meinen Grundſaͤtzen
unfehlbar zu ſeyn.


Laſſen Sie uns wieder bey der deutſchen Sprache
anfangen, die nach meiner Beſchuldigung, verwirrt
und ſchwer zu bearbeiten iſt, wenig Wohllaut hat, und
auch
[23] auch nicht reich an Metaphern iſt, die doch nothwendig
ſind, um neue Wendungen und Anmuth in ausgebildete
Sprachen zu bringen. Wir werden den Weg, auf
dem wir dieſe Fehler verbeſſern koͤnnen, am beſten aus-
findig machen, wenn wir demjenigen nachgehen, auf
dem unſre Nachbarn zu dem Grade der Vollkommen-
heit gelangt ſind, den wir noch zu erreichen ſuchen.
In Italien redte man zur Zeit Carl des Großen, noch
einen barbariſchen Miſchmaſch von Sprache, der aus
Worten, die man von den Gothen und Longobarden
entlehnt hatte, zuſammengeſetzt, und mit lateiniſchen
Phraſen gemiſcht war, die fuͤr die Ohren von Cicero
und Virgil ganz unverſtaͤndlich wuͤrden geweſen ſeyn.
Indeß blieb dieſe Sprache in der Unvollkommen-
heit waͤhrend der Folge barbariſcher Jahrhunderte.
Erſt lange nachher erſchien Dante; ſeine Verſe be-
zauberten die Leſer, und die Italiaͤner fiengen nun an
zu glauben, daß ihre Sprache doch vielleicht wuͤrdig
ſeyn duͤrfte, auf die der Ueberwinder der Welt zu fol-
gen. Endlich kurz vor und waͤhrend der Wiederherſtel-
lung der Wiſſenſchaften bluͤhten Petrarka, Arioſt,
Sannazar und der Cardinal Bembo. Das Genie
dieſer beruͤhmten Maͤnner hat vornehmlich der italiaͤ-
niſchen Sprache ihre bleibende Geſtalt gegeben. Zu
gleicher Zeit bildete ſich die Akademie della Cruſca, die
fuͤr die Erhaltung, ſo wie fuͤr die Reinigkeit des
Styls, ſorgte.


B 4Ich
[24]

Ich gehe itzt nach Frankreich uͤber, und finde am
Hofe Franz I. eine eben ſo mißtoͤnende und unbeſtimm-
te Sprache, als itzt unſre deutſche ſeyn kann. Die
Verehrer von Marot, Rabelais und Montagne moͤgen
es mir verzeihn, wenn ich bekenne, daß ich bey den gro-
ben und ohne alle Anmuth geſchriebenen Werken jener
Schriftſteller nur Langeweile und Widerwillen empfun-
den habe. Nach ihnen, waͤhrend der Regierung Hein-
rich IV.
erſchien Malherbe. Er war Frankreichs er-
ſter Dichter, oder vielmehr, um genauer zu reden, er-
war als Versmacher weniger fehlerhaft, als ſeine Vor-
gaͤnger. Um zu beweiſen, wie wenig er die Vollkom-
menheit in ſeiner Kunſt erreicht hatte, darf ich Ihrer
Erinnerung nur folgende Stelle aus einer ſeiner Oden
zuruͤckrufen:


Prends ta foudre, Louis, et va comme un Lion,
Donner le dernier coup à la derniere tête de la
rebellion.

(Ergreif deinen Donner, Ludwig, und, wie ein
Loͤwe, verſetze dem letzten Haupt der Rebellion, den
letzten Schlag.)


Hat man wohl jemals einen Loͤwen mit einem Donner
bewaffnet geſehn? Die Fabel giebt ihn in die Haͤnde
des Oberſten der Goͤtter, ſie bewaffnet auch wohl ſeinen
Begleiter, den Adler, damit; aber nie hat der Loͤwe
dieſes Attribut gehabt. Doch laſſen Sie uns den Mal-
herbe mit ſeinen unſchicklichen Gleichniſſen verlaſſen,
und
[25] und zu den Corneille, den Racine, den Deſpreaux,
den Boſſuets, den Fleſchiers, den Paſcals, den Fene-
lons
, den Bourſaults, den Vaugelas uͤbergehn. Die-
ſe ſind die wahren Vaͤter der franzoͤſiſchen Sprache. Sie
haben den Styl gebildet, den Gebrauch der Woͤrter feſt-
geſetzt, die Perioden harmoniſch gemacht, und dem bar-
bariſchen und mißtoͤnenden Dialekt ihrer Vorfahren,
Kraft und Energie gegeben. Man nahm die Werke
dieſer ſchoͤnen Geiſter mit groͤſter Begierde und Bey-
fall auf. Was gefaͤllt, wird leicht im Gedaͤchtniß be-
halten. Wer Talent fuͤr die Wiſſenſchaften hatte,
ahmte ſie nach. Der Styl und Geſchmack dieſer groſ-
ſen Maͤnner theilte ſich nachher der ganzen Nation mit.
Erlauben Sie mir hier im Vorbeygehn noch die An-
merkung zu machen, daß in Griechenland, in Italien
und in Frankreich die Poeten allemal die erſten waren,
welche ihre Sprache biegſam und harmoniſch, und da-
durch auch zur Bearbeitung der Schriftſteller, welche
nach ihnen in Proſa ſchrieben, faͤhiger machten.


Gehe ich nach England uͤber, ſo finde ich dort eben
das Gemaͤhlde, wie das von Frankreich und Italien.
Dieſes Land wurde zuerſt von den Roͤmern, dann von
den Angelſachſen, den Daͤnen, und endlich von Wil-
helm dem Eroberer, Herzog der Normandie,
erobert.
Aus der Vermiſchung der Sprachen aller dieſer ver-
ſchiedenen Sieger, zu denen noch die Sprache der Be-
ſiegten hinzukam, welche noch itzt im Fuͤrſtenthum Wal-
B 5lis
[26] lis
geredt wird, entſtand das heutige Engliſche. Ich
darf Ihnen nicht ſagen, daß waͤhrend der barbariſchen
Jahrhunderte dieſe Sprache wenigſtens eben ſo roh
und ungebildet war, als die, von denen ich Ihnen ge-
redet habe. Die Wiederauflebung der Wiſſenſchaf-
ten hatte bey allen Nationen dieſelben Wirkungen.
Europa der dicken Unwiſſenheit muͤde, mit der es ſo viele
Jahrhunderte bedeckt geweſen war, wollte ſich itzt auf-
klaͤren. Auch England, das immer eiferſuͤchtig auf
Frankreich war, wollte ſelbſt gute Schriftſteller her-
vorbringen. Und da man, um zu ſchreiben, eine
Sprache haben muß, in der ſich ſchreiben laͤßt, ſo fieng
man mit der Verbeſſerung der Sprache an. Um die-
ſelbe zu beſchleunigen, nahm man aus dem Lateiniſchen,
Franzoͤſiſchen und Italiaͤniſchen alle Worte an, die
man noͤthig zu haben glaubte. Die engliſche Nation
hatte auch wirklich beruͤhmte Schriftſteller, die aber
nicht im Stande waren, die ſcharfen Toͤne ihrer Spra-
che, welche die Ohren der Fremden ſo ſehr beleidigen,
ſanft zu machen. Alle andre Sprachen verliehren,
wenn man ſie uͤberſetzt; die engliſche allein gewinnt
dabey. Ich erinnere mich hiebey einer Antwort, die
ich einmal einen Gelehrten, auf die Frage geben hoͤrte:
Welcher Sprache ſich die Schlange bedient habe, als
ſie unſre erſte Mutter verfuͤhrte? Der engliſchen, ant-
wortete jener, denn die Schlange ziſcht. Nehmen
Sie dieſen Einfall nach ſeinem Werthe.


Nachdem
[27]

Nachdem ich Ihnen nun gezeigt habe, wie andre
Nationen verfuhren, als ſie ihre Sprache bildeten und
vollkommner machten; ſo werden Sie von ſelbſt ſchlieſ-
ſen, daß es uns eben ſo gut gelingen werde, wie ihnen,
wenn wir nur dieſelben Mittel anwenden. Wir muͤſ-
ſen große Redner und große Dichter haben, die uns
dieſe Dienſte thun, welche ſie unſern Nachbarn geleiſtet
haben, und die wir nicht von unſern Philoſophen er-
warten duͤrfen. Dieſer ihr Geſchaͤft iſt, Irthuͤmer
auszurotten und neue Wahrheiten zu entdecken. Aber
Dichter und Redner muͤſſen uns durch ihre Harmonie
bezaubern, uns ruͤhren und uͤberreden. Da man aber
nicht befehlen kann, daß Genies zu beſtimmten Stun-
den geboren werden ſollen; ſo wollen wir ſehen, ob wir
nicht bis dahin, daß dieſe Genies unter uns erſcheinen
werden, unterdeß einige Mittel gebrauchen koͤnnen, un-
ſre Fortſchritte zu beſchleunigen. Um unſern Styl ge-
drungner zu machen, ſollten wir die unnuͤtzen Paren-
theſen wegwerfen, um Energie zu bekommen, ſollten
wir die alten Schriftſteller uͤberſetzen, die ſich mit der
meiſten Staͤrke und Anmuth ausgedruͤckt haben. Von
den Griechen waͤren beſonders Thucydides, Xenophon,
die Poetik des Ariſtoteles, das Handbuch des Epictets,
die Gedanken des Marc Aurels, gute Muſter. Be-
ſonders ſollte man ſich auch bemuͤhen, die Staͤrke des
Demoſthenes in unſre Sprache gut uͤberzutragen.
Von den Lateinern wuͤrde ich vorzuͤglich die Commen-
tarien
[28] tarien des Caͤſars, den Salluſt, Tacitus, und die Ar-
tem poeticam
des Horaz; von den Franzoſen aber die
Penſées de Rochefoucault, die Lettres Perſanes, den
Eſprit des Loix empfehlen. Die Schriften, welche
ich hier vorſchlage, ſind in einem kurzen, ſententioͤſen
Styl geſchrieben, werden alſo ihre Ueberſetzer zwin-
gen, muͤſſige Phraſen und unnuͤtze Worte zu meiden.
Unſre Schriftſteller werden allen ihren Scharfſinn an-
wenden muͤſſen, um ihre Ideen gedraͤngt und kurz zu-
ſammen zu ziehn, und dadurch ihrer Ueberſetzung eben
die Staͤrke zu geben, die man in den Originalen be-
wundert. Doch muͤſſen ſie bey ihrer Bemuͤhung, mit
Energie zu ſchreiben, ſich auch wohl huͤten, daß ſie nicht
dunkel werden. Immer muͤſſen ſie ſich erinnern, daß
Deutlichkeit die erſte Pflicht jedes Schriftſtellers ſey;
ſich daher nie von den Vorſchriften der Grammatik ent-
fernen, ſondern die Worte, welche die Phraſen regie-
ren, ſo ſtellen, daß niemals eine Zweydeutigkeit dar-
aus entſtehn koͤnne. Ueberſetzungen dieſer Art wuͤrden
dann die Muſter ſeyn, nach welchen unſre Schriftſtel-
ler bey ihren eignen Arbeiten ſich bilden koͤnnten. Als-
dann duͤrften wir uns ſchmeicheln, die Vorſchrift be-
folgt zu haben, welche Horatz in ſeiner Arte poetica
den Schriftſtellern giebt: Tot verba, tot pondera.


Eine noch weit ſchwerere Bemuͤhung aber wuͤrde
es ſeyn, die harten Toͤne ſanfter zu machen, die wir
noch ſo haͤufig in unſrer Sprache antreffen. Die Vo-
kale
[29] kale ſchmeicheln dem Ohr, aber zu viele Conſonanten
hintereinander beleidigen es, weil ſie ſchwer auszuſpre-
chen ſind, und gar keinen Wohlklang haben. Auch
haben wir unter unſern Huͤlfs- und Zeitwoͤrtern viele,
deren letzte Sylben faſt gar nicht gehoͤrt werden, und
dadurch ſehr unangenehm ſind, als ſagen, geben, neh-
men
. Man darf dieſen Worten nur noch am Ende
ein a hinzuſetzen, und ſie in ſagena, gebena, nehme-
na
verwandeln, ſo werden ſie unſerm Ohre gefallen.
Aber ich weiß ſehr wohl, wenn auch der Kaiſer ſelbſt
mit ſeinen acht Churfuͤrſten auf einem feyerlichen
Reichstage durch ein Geſetz dieſe Ausſprache anbefoͤh-
le; ſo wuͤrden doch die eifrigen Verehrer des aͤchten
alten Deutſchen ſich an dieſe Geſetze gar nicht gebun-
den halten, ſondern allenthalben in ſchoͤnem Latein
ausruffen: Caeſar non eſt ſuper Grammaticos, und das
Volk, das in allen Laͤndern uͤber die Sprachen entſchei-
det, wuͤrde immer fortfahren, ſagen und geben aus-
zuſprechen. Die Franzoſen haben durch ihre Aus-
ſprache viele Worte ſanfter gemacht, die ſonſt das Ohr
beleidigten, und die den Kaiſer Julian veranlaßten,
zu ſagen: Daß die Gallier, wie die Kraͤhen kraͤchzten.
Worte der Art, wie man ſie ſonſt ausſprach, ſind,
cro-jo-yent, voi-yai-yent. Itzt ſagt man croyent,
voyent
. Wenn dieſe Worte ſchon nicht dem Ohr
ſchmeicheln, ſo ſind ſie doch nicht ſo unangenehm mehr.
Mit gewiſſen Worten, duͤnkt mich, koͤnnten wir eben
ſo
[30] ſo verfahren. Noch einen Fehler darf ich nicht uͤber-
gehen, ich meyne den, daß unſre Schriftſteller oft nie-
drige und triviale Vergleichungen aus der Sprache
des Poͤbels entlehnen. Ein gewiſſer Dichter, z. E.
bediente ſich in ſeiner Zueignungsſchrift an einen Maͤ-
cenaten folgenden Ausdrucks: Schieß, großer Goͤn-
ner, ſchieß deine Strahlen Armdick auf deinen
Knecht hernieder
. Was halten Sie von dieſen arm-
dicken Strahlen? Haͤtte man nicht dem Dichter ſagen
ſollen- „Mein Freund, lerne denken, ehe du dich mit
„dem Schreiben abgiebſt.“ Bey dieſen Maͤngeln un-
ſrer Litteratur, daͤchte ich alſo, wir ahmten nicht die
Armen nach, die gern fuͤr reich gehalten ſeyn moͤchten;
und wir thaͤten beſſer, ganz aufrichtig unſre Duͤrftig-
keit zugeſtehn. Der Gedanke an dieſelbe muß uns
Muth einfloͤßen, durch unermuͤdete Arbeit die Schaͤtze
der Litteratur auch fuͤr uns zu erwerben. Ihr Beſitz
fehlt nur noch, um den Ruhm unſrer Nation ganz
vollkommen zu machen.


Nachdem ich Ihnen nunmehr gezeigt, wie man
unſre Sprache bilden koͤnnte; ſo erbitte ich mir nur noch
Ihre Aufmerkſamkeit, wegen der Maaßregeln, die man
nehmen muͤßte, um den Kreiß unſrer Kenntniſſe zu er-
weitern, die Erwerbung derſelben leichter und nuͤtz-
licher zu machen, und dabey zugleich den Geſchmack
der Jugend zu bilden. Ich ſchlage alſo zuerſt vor, daß
man mit mehr Ueberlegung die Rectoren waͤhlen moͤge,
denen
[31] denen man die Schulen anvertrauet, und daß man
ihnen eine verſtaͤndige und gute Methode vorſchreibe,
die ſie beym Unterricht der Grammatik, der Dialektik
und der Rhetorik beobachten muͤßten; daß man kleine
unterſcheidende Belohnungen fuͤr die Schuͤler, die ſich
hervorthun, und leichte Strafen fuͤr die Nachlaͤßigen
einfuͤhrte. Wolfs Logik iſt, meiner Meynung nach,
die beſte und deutlichſte von allen. Alle Rektoren ſoll-
ten ſich alſo bey ihrem Unterricht derſelben bedienen,
da auch die von Batteux nicht uͤberſetzt iſt, und jene
nicht uͤbertrifft. In Abſicht der Rhetorik ſollte man
ſich blos an Quinctilian halten. Wer ihn ſtudirt,
und nicht zur Beredſamkeit gelangt, wird ſie ſicher nie-
mals lernen. Der Styl dieſes Werks iſt hell und
deutlich, er enthaͤlt alle Vorſchriften und Regeln der
Kunſt. Bey dieſem Unterricht aber muͤſſen die Lehrer
nie verſaͤumen, die eignen Verſuche der Schuͤler ſorg-
faͤltig zu pruͤfen, ſich nicht begnuͤgen, ihre Fehler zu
verbeſſern, ſondern ihnen auch die Gruͤnde entwickeln,
warum die Verbeſſerung noͤthig ſey? auch die Stellen
loben, die ſie gut gemacht haben.


Wenn die Lehrer die Methode, welche ich hier
vorſchlage, befolgen, ſo werden ſie die Keime von Ta-
lenten entwickeln, welche die Natur geſaͤet hat; ſie
werden die Urtheilskraft ihrer Schuͤler bilden, wenn
ſie dieſelben gewoͤhnen, nie ohne Kenntniß der Sache
zu entſcheiden; aus Vorderſaͤtzen allemal richtige Fol-
gerungen
[32] gerungen zu ziehen. Die Rhetorik wird dann ihren
Geiſt methodiſch machen, ſie werden die Kunſt lernen,
ihre Ideen zu ordnen, ſie zu verbinden, eine an die an-
dre zu knuͤpfen, auch gluͤckliche, unmerkliche und na-
tuͤrliche Uebergaͤnge von einer zur andern zu finden.
Sie werden ihren Styl allemal dem Gegenſtande an-
gemeſſen einrichten, nur an ſchicklichen Orten Figuren
gebrauchen, ſowohl um die Monotonie des Styls zu
unterbrechen, als auch Blumen uͤber die Stellen auszu-
ſtreuen, die derſelben faͤhig ſind. Sie werden ſich be-
ſonders vor dem Fehler huͤten, zwey Metaphern mitein-
ander zu verwirren, welches den Sinn nothwendig
dunkel und zweydeutig machen muß. Noch wird die
Rhetorik ſie lehren, eine Auswahl von Worten zu ma-
chen, wie ſie ſich fuͤr das Auditorium ſchickt, an das ſie
gerichtet ſind. Sie werden lernen, wie ſie die Gemuͤ-
ther einnehmen, wie ſie gefallen, ruͤhren, Unwillen oder
Mitleiden erregen, uͤberreden, und alle Stimmen ge-
winnen koͤnnen. Sie werden dann empfinden, wie
goͤttlich die Kunſt ſey, mit der man blos durch den ge-
ſchickten Gebrauch der Worte, ohne Gewalt und Zwang,
die Seelen und Herzen beherrſchen, und in einer zahl-
reichen Verſammlung die Leidenſchaften erregen kann,
von denen man ſie eingenommen wiſſen will.


Waͤren die guten Schriftſteller der Alten und
Nachbarn einmal uͤberſetzt, ſo wuͤrde ich ihre Lektuͤre
als eine nothwendige und hoͤchſt wichtige Sache em-
pfehlen.
[33] pfohlen. Zur Bildung in der Logik giebt es keine beſ-
ſere Buͤcher, als Baylens Gedanken uͤber die Co-
meten
, und ſeinen Commentar uͤber die Worte: Noͤ-
thige ſie hereinzugehn
. Nach meiner Einſicht iſt
Bayle der erſte Dialektiker, den Europa je gehabt hat.
Er raiſonnirt nicht nur mit Staͤrke und Praͤciſion; ſon-
dern ſein Hauptvorzug beſteht beſonders darinn, daß
er immer mit einem Blick alles uͤberſieht, was nur ir-
gend an einem Gegenſtande geſehen werden kann;
nichts entgeht ihm, nicht die ſchwache, nicht die ſtarke
Seite. Er weiß ſogleich, wie ein Satz behauptet wer-
den, und wie man die Einwuͤrfe derer, die ihn angreif-
fen moͤchten, wiederlegen muͤſſe. In ſeinem großen
Dictionaire tadelt er den Ovid wegen ſeiner Erklaͤrung
vom Chaos; die Artikel uͤber die Manichaͤer, den Zoroa-
ſter
, den Epikur und ſo viele andre, ſind vortreflich.
Alle verdienen geleſen und ſtudirt zu werden. Es wuͤr-
de ein unſchaͤtzbarer Vortheil fuͤr junge Leute ſeyn,
wenn ſie die Staͤrke des Raiſonnements und den aus-
nehmenden Scharfſinn dieſes großen Mannes ſich ganz
eigen machten.


Sie errathen ſchon von ſelbſt, welche Schriftſteller
ich beſonders denen empfehlen werde, die ſich vorzuͤg-
lich auf die Beredſamkeit legen wollen. Damit ſie
den Grazien opfern lernen, wuͤrde ich ihnen rathen, die
großen Dichter Homer und Virgil zu leſen, und eini-
ge der auserleſenſten Oden vom Horatz, einige Lieder
Cvom
[34] vom Anakreon damit zu verbinden. Um ihren Ge-
ſchmack fuͤr die große Beredſamkeit zu bilden, wuͤrde
ich ihnen den Demoſthenes und Cicero in die Haͤnde
geben. Man bemerke ihnen die Verſchiedenheit des
Verdienſts dieſer beyden großen Redner. Bey dem
erſten darf man nichts zuſetzen, bey dem andern nichts
wegnehmen. Denn muͤßte die Lektuͤre der beſten Lei-
chenreden des Boſſuet und Flechiers, der franzoͤſiſchen
Demoſthenes und Cicero, und der Faſtenpredigten
des Maſſilon folgen, welche voll von Zuͤgen der er-
habenſten Beredſamkeit ſind. Um zu lernen, wie man
in der Geſchichte ſchreiben muͤſſe, wuͤrde ich den Li-
vius
, Salluſtius und Tacitus empfehlen. Man muͤßte
die erhabene Schreibart und die Schoͤnheit der Erzaͤh-
lung dieſer großen Schriftſteller den jungen Leſern
recht entwickeln, dabey aber auch die Leichtglaͤubigkeit
des Livius tadeln, der allemal am Ende jedes Jahrs
ein Verzeichniß von Wundern auffuͤhrt, deren immer
eines laͤcherlicher iſt, als das andre. Nachher konnte
man mit den jungen Leuten die Hiſtoire univerſelle von
Boſſuer und die Revolutions romaines von Vertot
durchlaufen, und auch noch die Einleitung von Robert-
ſon
s Geſchichte Carl V. hinzuſetzen. Dieſe Werke
wuͤrden ihren Geſchmack bilden, und ihnen lehren, wie
man ſchreiben muͤſſe. Hat aber ein Rektor ſelbſt kei-
ne Kenntniſſe; ſo wird er ſich begnuͤgen zu ſagen:
Hier hat Demoſthenes ein ſehr ſtarkes redneriſches
Argu-
[35] Argument gebraucht; da, und im groͤſten Theil
ſeiner Rede bedient er ſich des Enthymema; da iſt
eine Apoſtrophe; da eine Proſopopeia; da eine Me-
tapher; hier eine Hyperbel
. Dies alles iſt recht
gut, aber wenn der Lehrer die Schoͤnheiten ſeines
Schriftſtellers nicht beſſer zu entwickeln, und auch die
Fehler (welche doch den groͤſten Rednern entwiſchen)
zu bemerken weiß; ſo erfuͤllt er ſeine Pflicht nicht ganz.
Ich dringe auf alles dieſes ſo ſehr, weil ich wuͤnſchte,
daß unſre Juͤnglinge die Schulen mit deutlichen und
beſtimmten Ideen verlaſſen moͤchten, und daß die Leh-
rer ſich nicht begnuͤgten, ihr Gedaͤchtniß anzufuͤllen,
ſondern vornehmlich ihre Urtheilskraft zu bilden ſuch-
ten, damit ſie das Gute von dem Schlechten unterſchei-
den lernen, und nicht blos ſagen, dies gefaͤllt mir
nicht
, ſondern auch Gruͤnde angeben koͤnnen, warum
ſie etwas billigen oder verwerfen.


Um ſich zu uͤberzeugen, wie wenig Geſchmack noch bis
itzt in Deutſchland herrſche, duͤrfen Sie nur unſre oͤffent-
lichen Schauſpiele beſuchen. Sie finden daſelbſt die ab-
ſcheulichen Stuͤcke von Shakeſpear aufgefuͤhrt, die man
in unſre Sprache uͤberſetzt hat. Die ganze Verſamm-
lung findet ein ausnehmendes [Vergnuͤgen daran], dieſe
laͤcherlichen Farcen anzuſehn, die nur wuͤrdig waͤren, vor
den Wilden von Canada geſpielt zu werden. Ich [be-
urtheile]
dieſe Stuͤcke ſo hart, weil ſie wider alle Regeln
des Schauſpiels ſuͤndigen. Dieſe Regeln ſind nicht
C 2will-
[36] willkuͤhrlich. Sie finden dieſelbe in der Poetik des Ari-
ſtoteles
, wo die drey Einheiten der Zeit, des Orts
und der Handlung, als die einzigen und wahren
Mittel vorgeſchrieben ſind, die Tragoͤdien intereſſant zu
machen. In den Stuͤcken jenes engliſchen Schrift-
ſtellers aber geht die Handlung ganze Jahre fort. Wo
bleibt hier die Wahrſcheinlichkeit? Bald erſcheinen in
denſelben Laſttraͤger oder Todtengraͤber und reden, wie
es ſich fuͤr ſie ſchickt. Dann kommen Koͤniginnen und
Prinzen. Wie iſt es moͤglich, daß ein ſo wunderliches
Gemiſch von Großem und Niedrigem, vom Tragiſchen
und Harlequinspoſſen gefallen und ruͤhren koͤnne?
Dem Shakeſpear kann man indeß ſeine ſonderbare
Ausſchweifungen wohl verzeihen; denn er lebte zu ei-
ner Zeit, da die Wiſſenſchaften in England erſt gebo-
ren wurden, und man alſo noch keine Reife von denſel-
ben erwarten konnte. Aber erſt vor einigen Jahren iſt
ein Goͤtz von Berlichingen auf unſerm Theater er-
ſchienen, eine abſcheuliche Nachahmung jener ſchlechten
engliſchen Stuͤcke: und doch bewilligt unſer Publikum
dieſem eckelhaften Gewaͤſche ſeinen lauten Beyfall, und
verlangt mit Eifer ihre oͤftere Widerholung. Ich
weiß, daß man uͤber den Geſchmack nicht ſtreiten darf;
indeß werden Sie mir doch erlauben zu ſagen, daß die-
jenigen, welche gleiches Vergnuͤgen daran finden, Seil-
taͤnzer und Marionetten oder die Tragoͤdien des Raci-
ne
zu ſehn, nur ihre Zeit zu verbringen ſuchen. Sie
wollen
[37] wollen lieber, daß man zu ihren Augen als zu ihrem
Verſtande rede, und ſie ziehen ein bloßes Schauſpiel
dem vor, was das Herz ruͤhrt.


Aber laſſen Sie uns wieder zu unſerm Gegen-
ſtande zuruͤckkommen. Ich habe Ihnen bisher von den
niedern Schulen geredet, und werde nun eben ſo frey
uͤber die Univerſitaͤten urtheilen, Ihnen ſolche Ver-
beſſerungen vorſchlagen, die Denjenigen, welche ſich
die Muͤhe geben wollen, uͤber die Sache gruͤndlich nach-
zudenken, die nuͤtzlichſten und vortheilhafteſten ſcheinen
werden. Man darf nicht glauben, daß die Methode,
nach welcher die Profeſſoren die Wiſſenſchaften lehren,
gleichguͤltig ſey. Iſt in derſelben nicht Deutlichkeit und
Beſtimmtheit, ſo iſt alle uͤbrige Muͤhe vergebens. Aber
die meiſten Profeſſoren haben den Plan ihrer Vorleſun-
gen einmal entworfen, und halten ſich allein daran. Ob
er gut oder ſchlecht ſey, darum [bekuͤmmert] ſich nie-
mand. Man ſieht auch, wie wenig Vortheil bey die-
ſer Art des Studirens herauskoͤmmt, und wie wenige
junge Leute von dieſen Vorleſungen ſo viel Kenntniſſe
als ſie ſollten, zuruͤckbringen. Nach meiner Idee muͤß-
te man alſo jedem Profeſſor genau die Regeln vor-
ſchreiben, die er bey ſeinen Vorleſungen zu befolgen haͤtte.
Ich will verſuchen, dieſe Regeln in einem kurzen Ent-
wurfe anzugeben. Den Geometer und den Theolo-
gen uͤbergehe ich ganz, weil die Evidenz des erſtern gar
keiner Zuſaͤtze mehr faͤhig iſt, und man die einmal an-
C 3genom-
[38] genommenen Meynungen des andern nicht angreifen
darf. Ich wende mich alſo ſogleich zum Philoſophen.
Ich verlange, daß er ſeine Vorleſungen mit einer ge-
nauen Definition der Philoſophie anfange, daß er
alsdann bis zu den entfernteſten Zeiten zuruͤckgehe,
und alle die verſchiedenen Meynungen, welche die Men-
ſchen gehabt und gelehrt haben, nach der Ordnung der
Zeit, genau entwickele und beurtheile. Er muß, z. E.
ſich nicht begnuͤgen, bloß zu ſagen, daß nach dem Sy-
ſtem der Stoicker, die menſchliche Seelen, Theilchen der
Gottheit ſind. So ſchoͤn und erhaben dieſe Idee auch
bey dem erſten Anblick ſcheint; ſo muß unſer Profeſſor
doch zeigen, wie ſie einen wahren Widerſprnch enthaͤlt,
weil der Menſch, wenn er ein Theil der Gottheit waͤre,
unendliche Kenntniſſe haben muͤßte, die er doch nicht
hat; weil, wenn Gott in dem Menſchen waͤre, itzt der
engliſche Gott mit dem franzoͤſiſchen und ſpaniſchen
Krieg fuͤhren, und alſo die verſchiedenen Theile der Gott-
heit ſich gegenſeitig zu zerſtoͤren ſuchen wuͤrden; weil
endlich nach dieſer Lehre, die ſchaͤndlichſten Handlun-
gen und alle Verbrechen, welche die Menſchen begehn,
goͤttliche Werke ſeyn wuͤrden. Iſt es nicht abge-
ſchmackt, ſolche abſcheuliche Meinungen anzunehmen?
Sie koͤnnen eben deshalb, weil ſie ſo ungereimt ſind,
nicht wahr ſeyn.


Wenn
[39]

Wenn der Lehrer zum Syſtem des Epikurs uͤber-
geht, ſo wird er ſich beſonders dabey aufhalten, daß
dieſer Philoſoph ſeinen Goͤttern alle Empfindung ab-
leugnet, welches den Begriffen von der goͤttlichen Na-
tur geradezu widerſpricht. Er muß auch nicht vergeſ-
ſen die Ungereimtheit des Satzes von der Bewegung
der Atomen zu zeigen, und uͤberhaupt alles bemerken,
was dem Raiſonnement dieſes Philoſophen an Ge-
nauigkeit und richtigem Zuſammenhange fehlt. Er
wird ohne Zweifel auch der acataleptiſchen oder ſcepti-
ſchen Sekte erwaͤhnen, und frey geſtehen, daß ſich die
Menſchen oft in der Nothwendigkeit befinden, ihr Ur-
theil zuruͤck zu halten, wenn die Analogie und die Er-
fahrung ihnen keinen Leitfaden darbiethen, der ſie aus
dieſem Irrgarten fuͤhren kann. Wenn unſer Lehrer
viele andre philoſophiſche Syſteme durchgegangen,
wird er hernach zum Galilei kommen, deſſen Syſtem
er recht beſtimmt vortragen, und die Ungereimtheit des
Betragens der roͤmiſchen Cleriſey zeigen muß, die nicht
erlauben wollte, daß ſich die Erde um ihre Achſe dreh-
te, daß es Menſchen gaͤbe, die Antipoden von uns waͤ-
ren; und die, ſo unfehlbar ſie auch zu ſeyn glaubt, doch
diesmal vor dem Richterſtuhl der geſunden Vernunft
ihren Prozeß verlohr. Hierauf folgen Copernikus,
Tycho de Brache, und das Wirbelſyſtem des Descar-
tes
. Der Profeſſor muß ſeinen Zuhoͤrern zeigen, wie
unmoͤglich es ſey, daß ein angefuͤllter Raum ſich aller
C 4Bewe-
[40] Bewegung widerſetze; und er wird bis zur Evidenz
beweiſen, Descartes mag ſagen, was er will, daß die
Thiere keine Maſchienen ſind. Hierauf muͤßte dann
ein kurzer Abriß des Syſtems von Neuton folgen,
nach welchem man den leeren Raum annehmen muß,
ohne daß man beſtimmen kann, ob er eine bloße Nega-
tion alles Daſeyns, oder ein Weſen ſey, uͤber deſſen
Natur man durchaus keine beſtimmte Begriffe haben
kann. Dieſes darf den Lehrer nicht abhalten ſein Au-
ditorium zu belehren, wie vollkommen das Syſtem,
das Neuton durch ſeinen Calkul auf der Studierſtube
fand, mit den Phaͤnomenen uͤbereinſtimmt, die uns die
Natur zeigt, und wie daher die neuere Weltweiſen ge-
zwungen worden, die Schwere, die Centripetal- und
Centrifugalkraft anzunehmen, verborgene und unbe-
greifliche Eigenſchaften der Natur, von denen man bis
auf unſre Zeiten gar keinen Begriff hatte.


Nun wird die Reihe kommen, von Leibniz, dem
Syſtem der Monaden, und der vorherbeſtimmten
Harmonie zu reden. Unſer Lehrer wird ohne Zweifel
die Bemerkung machen, daß ſich keine Zahl ohne Ein-
heit denken laſſe, und er wird daraus die Folgerung
ziehen, daß die Materie zuletzt aus untrennbaren Koͤr-
pern zuſammengeſetzt ſey. Er wird auch noch ſeinen
Zuhoͤrern bemerken, daß ſich eine unendliche Theilbar-
keit der Materie zwar wohl denken laſſe, aber daß in
der Natur ſelbſt, die urſpruͤnglichen Beſtandtheile ſo
fein
[41] fein ſind, daß ſie unſern Sinnen entwiſchen und man
alſo nothwendig annehmen muͤſſe, daß die erſten Grund-
ſtoffe der Elemente unzerſtoͤrbar ſind. Denn aus nichts
kann nichts hervorgebracht werden, und nichts kann
vernichtet werden. Das Syſtem der vorherbe-
ſtimmten Harmonie wird unſer Weltweiſe als den
Roman eines Mannes von vielem Geiſte vorſtellen,
und dabey bemerken, wie die Natur allemal die kuͤrze-
ſten Wege waͤhle, um ihren Zweck zu erreichen, und
wie man niemals ohne Noth die Weſen vervielfaͤltigen
muͤſſe. Hernach wird er zum Spinoſa kommen, deſ-
ſen Wiederlegung ihm nicht viel Muͤhe koſten wird, da
hier eben die Gruͤnde zu gebrauchen ſind, deren man
ſich gegen die Stoicker bedienet. Nichts aber wird
unſerm Lehrer leichter ſeyn, als dieſes Syſtem von der
Seite zu zerſtoͤren, da es die Exiſtenz Gottes leugnet;
er darf nur zeigen, wie jede Sache in der Welt zu ei-
nem gewiſſen Zweck beſtimmt, und auf das vollkom-
menſte ſo eingerichtet iſt, dieſen Zweck zu erfuͤllen.
Alles, ſogar das Wachsthum des geringſten Graß-
halms
, beweiſet die Gottheit. Der Menſch beſitzet
einen Grad von Verſtand, den er ſich ſelbſt nicht
gegeben hat, hieraus folget unwiderſprechlich,
daß das Weſen, von dem er Alles hat, noch einen
viel tiefern und unermeßlichern Verſtand beſitzen
muͤſſe.


C 5Auch
[42]

Auch der Mallebranche muß nicht ganz vergeſ-
ſen werden. Bey der Entwickelung der Grundſaͤtze
dieſes gelehrten Moͤnchs findet man bald, daß die na-
tuͤrlichen Folgen derſelben, uns zu dem Syſtem der
Stoicker zuruͤckfuͤhren, nemlich zu der allgemeinen
Weltſeele, von der alle Weſen belebt und Theile ſind.
Wenn wir alles in Gott ſehen, wenn alle unſre Em-
pfindungen, unſre Gedanken, unſer Wollen und Begeh-
ren unmittelbar von ſeiner intellektuellen Einwuͤrkung
auf unſre Organen herruͤhren; ſo ſind wir bloße Ma-
ſchienen, die durch goͤttliche Haͤnde in Bewegung ge-
ſetzt werden. Die Gottheit bleibt alsdann nur allein
uͤbrig und der Menſch verſchwindet ganz.


Ich traue unſerm Herrn Profeſſor zu viel Ueber-
legung zu, als daß er den weiſen Locke vergeſſen ſoll-
te; er iſt der einzige Metaphyſiker, der die Einbildungs-
kraft der geſunden Vernunft ganz aufopfert, der nur
der Erfahrung folgt, und vorſichtig ſtille ſteht, ſo bald
dieſer ſichre Fuͤhrer ihn verlaͤßt. Bey der Moral wird
unſer Lehrer etwas vom Sokrates ſagen, dem Mar-
kus Aurelius
Gerechtigkeit wiederfahren laßen, und
ſich vorzuͤglich bey dem Buch des Cicerode officiis
verweilen, dem beſten, das je uͤber die Moral geſchrie-
ben worden, und jemals geſchrieben werden wird.


Mit den Aerzten habe ich nur zwey Worte zu re-
den. Sie muͤſſen beſonders ihre Schuͤler gewoͤhnen,
die Symptomen der Krankheiten ſorgfaͤltig zu unter-
ſuchen,
[43] ſuchen, um ihre Gattungen genau zu kennen. Dieſe
Symptomen ſind ein ſchneller oder ſchwacher, ein ſtar-
ker oder heftiger oder unterbrochner Puls; Trockenheit
der Zunge; Beſchaffenheit der Augen: die Natur der
Ausduͤnſtung; und alle Arten von Abſonderungen, ſowohl
durch den Urin als den Stuhlgang. Hieraus zieht der
Arzt Folgen, nach denen er mit einiger Sicherheit die
Art des Maraſmus beſtimmen kann, welcher die Krank-
heit verurſacht, und nach dieſen Kenntniſſen waͤhlt er als-
dann die ſicherſten Mittel ſie zu heilen. Der Lehrer der
Arzneykunſt muß auch beſonders ſich Muͤhe geben, ſeinen
Schuͤlern die ausnehmende Verſchiedenheit der Tem-
peramente und die Aufmerkſamkeit, die ſie erfordern,
zu zeigen. Er muß ihnen deutlich machen, wie dieſel-
be Krankheit bey jedem Temperament ganz verſchieden
ſich aͤuſere, und wie nothwendig es daher ſey, die Arz-
neymittel auch in derſelben Krankheit auf das genaue-
ſte nach der Conſtitution des Patienten, abzumeſſen.
Nach allen dieſem Unterricht wage ich es doch nicht zu
hoffen, daß unſere junge Aeſculape Wunder thun wer-
den; aber das Publikum wird doch den Vortheil da-
von haben, daß die Unwiſſenheit oder Traͤgheit der
Aerzte kuͤnftig einige Buͤrger des Staats weniger toͤd-
ten werden.


Um kurz zu ſeyn, uͤbergehe ich die Botanik, die
Chimie und Experimental-Phyſik, und komme daher de-
ſto eher zu dem Herrn Profeſſor der Rechte, der mir
eine
[44] eine ſehr unfreundliche Mine zu haben ſcheint. Mein
Herr, moͤchte ich zu ihm ſagen, wir leben nicht mehr in
dem Jahrhunderte der Worte, ſondern der Sachen.
Waͤre es Ihnen gefaͤllig, ſo wuͤnſchte ich, zum Beſten
des Publikums, Sie braͤchten in Ihre hochgelahrten
Vorleſungen, etwas weniger Pedantiſmus und dage-
gen deſto mehr geſunde Vernunft. Sie verderben nur
Ihre Zeit, wenn Sie ein Staatsrecht lehren, das
nicht einmal unter Privatperſonen gilt, das von den
Maͤchtigen nicht geachtet wird, und den Schwachen kei-
nen Schutz giebt; oder, wenn Sie Ihre Schuͤler ganz
vollſtaͤndig von den Geſetzen des Minos, des Solon,
des Likurg, den zwoͤlf Tafeln, dem Juſtinianiſchen Co-
dex unterrichten; und ihnen faſt gar nichts von den
Geſetzen und dem Herkommen unſrer Lande ſagen. Um
Sie zu beruhigen, wollen wir Ihnen gerne zugeben,
daß Ihr Gehirn eine Quinteſſenz der vereinigten Ge-
hirne des Bartolus und Cujacius ausmache; aber
bedenken Sie doch dagegen auch, daß nichts koſtbarer
als die Zeit iſt, und derjenige, der ſie mit unnuͤtzen
Phraſen hinbringt, fuͤr einen Verſchwender erklaͤrt
werden muͤſſe, uͤber den Sie eine Sequeſtration er-
kennen wuͤrden, wenn ihm vor Ihrem Richtſtuhl der
Prozeß gemacht werden ſollte. Erlauben Sie mir alſo,
ſo gelehrt Sie immer ſeyn moͤgen, daß ich als ein bloßer
Laye (wenn Sie mir einigen Muth machen werden,) es
wage, Ihnen einen juriſtiſchen Curſinn vorzuſchlagen.


Sie
[45]

Sie fingen, daͤcht ich, mit dem Beweiſe an,
daß Geſetze nothwendig ſind, weil keine Geſellſchaft
ohne ſie beſtehen kann. Sie zeigten hierauf, wie es
buͤrgerliche, Criminal- und bloſſe Conventionsgeſetze
gebe. Die erſten dienen dazu, alle Art von Beſitz zu
ſichren, als Erbſchaften, Heyrathsteuer, Leibge-
dinge, Kauf- und Verkaufskontrakte, u. ſ. w. Sie
enthalten die Grundſaͤtze, nach denen man die Graͤnzen
beſtimmen und ſtreitige Rechte erklaͤren und entſchei-
den muß. Die peinlichen Geſetze haben mehr den Zweck
von den Verbrechen abzuſchrecken, als ſie zu ſtrafen.
Die Strafen muͤſſen immer den Verbrechen angemeſ-
ſen, und die gelindeſten, ſo oft es nur moͤglich, den
haͤrteſten vorgezogen werden. Conventionsgeſetze ſind
diejenigen, welche die Regierungen einfuͤhren, um
die Handlung und den Fleiß ihrer Staaten zu befoͤr-
dern. Die beyden erſten Gattungen der Geſetze ſind
bleibend und ewig; die letztern aber ſind Veraͤnderun-
gen unterworfen, weil ſo wohl innere als aͤußere Ur-
ſachen die Regierungen veranlaſſen koͤnnen, einige die-
ſer Geſetze abzuſchaffen und neue einzufuͤhren. Hat
der Herr Profeſſor dieſe vorlaͤufigen Grundſaͤtze mit der
noͤthigen Deutlichkeit vorgetragen; ſo wuͤnſchte ich,
daß es ihm gefaͤllig ſeyn moͤchte, ohne den Grotius und
Puffendorff weiter um Rath zu fragen, die Geſetze
des Landes, in dem er lebt, genau durchzugehen und
zu entwickeln. Er muß ſich dabey ja huͤten, daß er
ſeinen
[46] ſeinen Schuͤlern keinen Geſchmack an der Streitſucht
beybringe, und nicht Leute aus ihnen bilde, welche
die Geſchaͤfte noch mehr verwickeln, ſtatt ſie zu entwi-
ckeln. Er wird ſich beſonders bemuͤhen, Richtigkeit,
Deutlichkeit und Praͤciſion in ſeine Vorleſungen zu
bringen. Um ſeine Zoͤglinge von fruͤher Jugend an
ſelbſt an dieſe Methode zu gewoͤhnen, wird unſer Leh-
rer alles anwenden, um ihnen Verachtung der Streit-
ſucht beyzubringen, die uͤber alles ſophiſtiſche Erklaͤ-
rungen macht, und ein unerſchoͤpfliches Repertorium
von Subtilitaͤten und Chikanen zu ſeyn ſcheint.


Ich wende mich itzt an den Profeſſor der Ge-
ſchichte, und ſtelle ihm zum Muſter den beruͤhmten
und gelehrten Thomaſius vor. Dieſem groſſen
Mann ſich nur zu naͤhern, wird unſerm Profeſſor einen
guten Ruf, ihm gleich zu werden, hohen Ruhm er-
werben. Er muß ſeine Vorleſungen mit der alten
Geſchichte anfangen, und mit der neuen beſchlieſſen;
aber auch kein Volk vergeſſen, das in der Folge der
Jahrhunderte ſich ausgezeichnet, ſo wie Boſſuet in
ſeinem ſonſt ſehr ſchaͤtzbaren Buch, die Sineſer, die
Ruſſen, Pohlen und den ganzen Norden uͤbergangen
hat. Vorzuͤglich muß ſich unſer Lehrer mit Deutſch-
land
beſchaͤftigen, weil dieſes fuͤr Deutſche das inte-
reſſanteſte Land iſt.


Bey dem dunkeln und ungewiſſen Urſprung der
Nation aber, muß der Lehrer ſich nicht zu lange auf-
halten,
[47] halten, weil wir zu wenig Denkmaale haben, und
die Kenntniß, die man allenfals hieruͤber erwerben
kann, wenig nuͤtzlich iſt. Er wird auch das neunte,
zehnte, eilfte und zwoͤlfte Jahrhundert nur durchlau-
fen ohne ſich dabey aufzuhalten. Im dreyzehnten wird
er anfangen tiefer einzudringen, weil hier die Ge-
ſchichte intereſſanter zu werden anfaͤngt. Je mehr er
ſich den neuern Zeiten naͤhert, deſto mehr muß er ſich
in das Detail der Begebenheiten einlaſſen, weil ſie im-
mer mehr mit der Geſchichte unſrer Zeit zuſammen-
haͤngen. Er muß dabey auch ein richtiges Verhaͤlt-
niß beobachten, und ſich immer laͤnger bey denen Be-
gebenheiten verweilen, welche Folgen gehabt, als bey
denen, welche (wenn ich mich ſo ausdruͤcken darf)
fuͤr die Nachkommen gleichſam todt ſind. Beſonders
wird der Profeſſor auch den Urſprung der Rechte,
Gebraͤuche und Geſetze bemerken, und zeigen bey wel-
chen Veranlaſſungen ſie im deutſchen Reiche eingefuͤhrt
ſind. Er muß die Epoken angeben, da die Kaiſerl.
Reichsſtaͤdte die Unmittelbarkeit erhielten; und worin
ihre Privilegien beſtanden? wie der Bund der Han-
ſeeſtaͤdte entſtanden? wie die Biſchoͤfe und Aebte Sou-
verains wurden? Er wird endlich, ſo gut er kann, es
erklaͤren, wie die Churfuͤrſten das Recht erhalten ha-
ben, den Kaiſer zu waͤhlen. Auch die Verſchie-
denheit der Rechtsverwaltung in dieſer Folge der
Jahrhunderte, darf nicht uͤbergangen werden. Aber
von
[48] von Carl V. an muß beſonders unſer Profeſſor zeigen,
daß er Beurtheilungskraft und Geſchicklichkeit be-
ſitze. Von dieſem Zeitpunkt an wird alles intereſſant
und denkwuͤrdig. Daher muß der Lehrer alle Muͤhe
anwenden, die Urſachen der großen Begebenheiten zu
entwickeln. Gleichguͤltig gegen die Perſonen, muß er
das Gute und Boͤſe, wo er es findet, loben und ta-
deln, wie ein jeder daſſelbe verdient. Nun kommt die
Zeit der Religionsunruhen, der Lehrer der Geſchich-
te muß ſie wie ein Philoſoph, beurtheilen. Hierauf
folgen die Kriege, zu welchen jene Unruhen Gelegen-
heit gaben, und Begebenheiten, welche mit der Wuͤr-
de behandelt werden muͤſſen, die ihr großes Intereſſe
erfordert. Schweden, z. E. nimmt im dreyßigjaͤhri-
gen Kriege die Parthey gegen den Kaiſer. Hier muß
alſo der Lehrer zeigen, was Guſtav Adolph bewog,
ſich nach Deutſchland zu begeben; und warum Frank-
reich
ſich fuͤr Schweden und die proteſtantiſche Sache
erklaͤrte; aber er muß ſich wohl in Acht nehmen, die alten
Unwahrheiten zu wiederholen, welche gar zu leichtglaͤubi-
ge Geſchichtſchreiber verbreitet haben. Er wird alſo
nicht ſagen, daß Guſtav Adolph von einem deutſchen Fuͤr-
ſten getoͤdtet ſey, der unter ſeiner Armee diente, weil
dieſes Vorgeben durch nichts bewieſen und ganz un-
wahrſcheinlich iſt. Der weſtphaͤliſche Friede verdient
eine noch umſtaͤndlichere Eroͤrterung, weil er die Haupt-
ſtuͤtze der deutſchen Freiheiten und ein Grundgeſetz ge-
worden
[49] worden iſt, auf welches ſich unſre heutige Verfaſſung
gruͤndet, und wodurch der Ehrgeiz der Kaiſer in ſei-
nen gebuͤhrenden Schranken erhalten wird. Nachher
muß der Lehrer der Geſchichte, die Begebenheiten unter
der Regierung der Kaiſer Leopold, Joſeph I. und Carl VI.
vortragen. Dieſes Feld von ſo weitem Umfange wird
ihm Gelegenheit genug geben, ſein Genie und ſeine
Gelehrſamkeit zu zeigen, wenn er nur nichts Weſent-
liches uͤbergeht. Hat unſer Profeſſor die Begeben-
heiten jedes Jahrhunderts auf dieſe Art auseinander-
geſetzt; ſo muß er auch nicht vergeſſen, von den herr-
ſchenden Meynungen deſſelben, und den wackern Maͤn-
nern Rechenſchaft zu geben, welche ſich durch ihre Ta-
lente, ihre Entdeckungen und ihre Schriften am meiſten
bekannt gemacht haben; er wird auch dabey die Auslaͤn-
der nicht uͤbergehn, welche Zeitgenoſſen jener Deut-
ſchen waren. Hat man auf dieſe Art die Geſchichte
behandelt, daß man ein Volk nach dem andern durch-
geht; ſo wuͤrde es fuͤr die Schuͤler ſehr nuͤtzlich ſeyn,
wenn man nun alle Materien wieder nach der Zeitord-
nung zuſammenſtellte und ſie ihnen in einem großen
Gemaͤhlde zeigte. Hier iſt beſonders die chronologi-
ſche Ordnung nothwendig, um nicht die Zeiten mit ein-
ander zu verwechſeln, und um zu lehren, daß man je-
de wichtige Begebenheit immer in die Stelle ſetzen
muͤſſe, in die ſie gehoͤrt; Zeitgenoſſen neben Zeitgenoſ-
ſen. Um das Gedaͤchtniß nicht zu ſehr mit Datis zu
Duͤber-
[50] laden, wuͤrde das beſte ſeyn, die wichtigſten Vorfaͤlle
zu Epoken zu machen. Dieſe ſind Standpunkte fuͤr
das Gedaͤchtniß, die man leicht behaͤlt, und welche ver-
hindern, daß das unermeßliche [Chaos] der Geſchichte
ſich nicht in dem Kopfe der jungen Leute verwirre.
Ein ſolcher Curſus der Geſchichte, wie ich ihn vorſchla-
ge, muß tief durchgedacht und wohl geordnet ſeyn,
auch durchaus keine Kleinigkeiten enthalten. Nicht
im Theatro Europaeo, nicht in der deutſchen Geſchich-
te von Buͤnau muß der Geſchichtslehrer Rath ſuchen;
ich wuͤrde ihn lieber auf die Hefte vom Thomaſius
verweiſen, wenn man ſie noch haben kann.


Wird die Geſchichte auf dieſe Art gelehret, ſo iſt
es unſtreitig das interreſſanteſte, unterrichtendſte und
nuͤtzlichſte Schauſpiel fuͤr einen jungen Menſchen, der
in die Welt tritt, dieſe Reihe von Veraͤnderungen
durchzugehen, die ſo oft die Geſtalt der Welt veraͤn-
dert haben. Nirgend lernt man das Nichts aller
menſchlichen Dinge beſſer kennen, als wenn man auf
den Truͤmmern ſo vieler Reiche und maͤchtigen Staa-
ten einherwandelt. Bey der unuͤberſehbaren Menge
von Verbrechen, die man dem Blick des edlen Juͤng-
lings vorbeyfuͤhrt, wird es ihm ein ausnehmendes
Vergnuͤgen machen, doch zuweilen große und goͤttliche
Seelen zu finden, die um Verzeihung fuͤr das uͤbrige
verderbte Menſchengeſchlecht zu bitten ſcheinen. Hier
findet er Muſter, denen er nachahmen muß. Dort
ſieht
[51] ſieht er gluͤckliche Menſchen, mit Schmeichlern um-
ringt; ſie fliehn, ſo bald der Tod ihren Goͤtzen beruͤhrt;
die Wahrheit erſcheint dann, und die laute Stimme
des oͤffentlichen Abſcheues macht den gedungenen Paͤ-
negyriſten verſtummen. Ich ſchmeichle mir, daß unſer
Profeſſor ſo viel Verſtand haben werde, um ſeinen Schuͤ-
lern deutlich zu machen, wie eine edle Nacheiferung
von einem ſtrafbaren Ehrgeitz verſchieden ſey, und daß
er ſie zum Nachdenken uͤber ſo viele ſchreckliche Leiden-
ſchaften anfuͤhren wird, die den maͤchtigſten Staaten
das groͤſte Ungluͤck bereitet haben. Mit hundert Exem-
peln kann er beweiſen, wie die guten Sitten die ſicher-
ſten Mittel zur Erhaltung der Staaten ſind, und wie
ihre Verderbniß, die Einfuͤhrung des Luxus, und unge-
maͤßigte Liebe der Reichthuͤmer zu allen Zeiten die Vor-
laͤufer ihres Falls waren.


Wenn der Profeſſor den Plan befolgt, den ich
ihm vorſchlage; ſo wird er ſich nicht darauf einſchraͤn-
ken, nur Begebenheiten in dem Gedaͤchtniß ſeiner
Schuͤler zu haͤufen; ſondern er wird ſich bemuͤhen, ih-
re Urtheilskraft zu bilden, und ihre Art zu denken, zu
berichtigen, beſonders aber ihnen Liebe zur Tugend ein-
zufloͤſſen, welches meiner Meinung nach, allen unver-
dauten Kenntniſſen weit vorzuziehen iſt, mit denen
man den Kopf eines jungen Menſchen anzufuͤllen
pflegt.


D 2Der
[52]

Der Schluß von Allem, was ich Ihnen bisher
vorgetragen, iſt, daß man ſich mit dem groͤßten Eifer
bemuͤhen muͤßte, alle claſſiſche Autoren der alten und
neuern Sprachen gut zu uͤberſetzen. Wir wuͤrden da-
von den doppelten Vortheil haben, daß unſre Sprache
gebildet, und die Kenntniſſe allgemeiner gemacht wuͤr-
den. Wenn wir die guten Schriftſteller unter uns
naturaliſirten, ſo wuͤrden ſie uns neue Ideen zufuͤhren;
ihre Diction und die Anmuth ihres Styls wuͤrde uns
bereichern, und wie viele wichtige Kenntniſſe wuͤrde
nicht das Publikum dadurch erhalten? Ich glaube
nicht, daß unter den ſechs und zwanzig Millionen
Menſchen, die man Deutſchland beylegt, ſich hundert-
tauſend
befinden, welche das Latein gut verſtehn, be-
ſonders wenn Sie den Haufen der Pfaffen und Moͤnche
abrechnen, die es kaum ſo weit gebracht haben, die Re-
geln des Syntax nur einigermaßen zu verſtehen. So
ſind alſo 25,900000 Menſchen von den wichtigſten
Kenntniſſen ganz ausgeſchloſſen, weil ſie dieſelben
nicht in ihrer Mutterſprache bekommen koͤnnen.
Welch eine gluͤckliche Veraͤnderung waͤre es alſo,
wenn unter dieſer Menge von Menſchen jene Kennt-
niſſe allgemeiner gemacht werden koͤnnten. Der Edel-
mann, der ſein Leben auf dem Lande zubringt, wuͤrde
ſich diejenigen Buͤcher auswaͤhlen, die ſich fuͤr ihn ſchick-
ten, und durch ſie ſich eben ſo ſehr unterrichten als be-
luſtigen. Der Buͤrger wuͤrde weniger roh werden,
und
[53] und die muͤſſigen Menſchen faͤnden im Leſen eine ſichere
Zuflucht wider die Langeweile. Der Geſchmack fuͤr
die Wiſſenſchaften wuͤrde allgemein werden, Anmuth
und Vergnuͤgen uͤber die menſchliche Geſellſchaft ver-
breiten, und eine unerſchoͤpfliche Quelle fuͤr die Con-
verſation ſeyn. Aus ſolchem beſtaͤndigen gegenſeitigen
Reiben der Geiſter wuͤrde der gute Geſchmack und das
feine Gefuͤhl entſtehen, das mit eben ſo richtiger als
geſchwinder Beurtheilung das Schoͤne empfindet, das
Mittelmaͤßige verwirft und das Schlechte verachtet.
Das Publikum wird alsdenn auch uͤber neue Werke
des Geſchmacks mit mehr Erleuchtung urtheilen, und
die Schriftſteller zwingen, ihre Werke mit groͤßerm
Fleiß und mit Sorgfalt auszuarbeiten, und ſie nicht
eher herauszugeben, bis ſie genau und oͤfterer gepruͤft
und gefeilt ſind.


Der Gang, den ich zur Verbeſſerung unſrer Lit-
teratur vorſchlage, iſt nicht aus meiner Einbildung ge-
nommen; er iſt der, den alle Voͤlker, die ſich aufge-
klaͤrt, gewaͤhlt haben. Jemehr der Geſchmack fuͤr die
Wiſſenſchaften allgemeiner werden wird, deſto mehr
Vorzuͤge und andre Vortheile werden die zu erwarten
haben, die ſie mit beſonderm Fleiß cultiviren; deſto
mehr wird das Beyſpiel einiger immer mehrere an-
feuern. Deutſchland hat ſchon Maͤnner genug, die
zu den muͤhſamſten Unterſuchungen ganz gemacht ſind,
es hat Philoſophen, Genies, und Alles, was man zu
D 3ihrer
[54] ihrer Entwicklung wuͤnſchen kann, nur ein Prometheus
fehlt noch, der das goͤttliche Feuer vom Himmel hole,
und ſie belebe. Eben das Land, welches den beruͤhm-
ten Petrus de Vineis, den Canzler des ungluͤcklichen
Kaiſers Friedrich II. und die Verfaſſer der bekannten
Epiſtolarum obſcurorum virorum (die uͤber ihr Zeit-
alter ſehr erhaben ſind) hervorgebracht hat; das Land,
in welchem Eraſmus geboren iſt, deſſen Lob der Narr-
heit
voll von Witz iſt, und noch beſſer ſeyn wuͤrde, wenn
man einige zu niedrige Stellen wegnaͤhme, an denen
man das Kloſter und den Geſchmack der Zeit erkennet;
ein Boden, der den eben ſo weiſen als gelehrten Me-
lanchton
, und ſo viel andere große Maͤnner hervorge-
bracht hat, iſt noch nicht erſchoͤpft, und kann noch im-
mer wieder Genies erzeugen, die den genannten gleich
kommen. Ich koͤnnte auch zu den angefuͤhrten noch
große Namen hinzuſetzen, denn ich rechne zu den unſri-
gen auch einen Copernik, deſſen Calkul das Plane-
tenſyſtem und dasjenige berichtigte, was Prolomaͤus
etliche tauſend Jahr vor ihm behauptet hatte. In ei-
nem andern Theile Deutſchlands entdeckte ein Moͤnch
durch ſeine chymiſche Proceſſe, die erſtaunenswuͤrdige
Wirkungen des Ausbruchs des Pulvers. Auch war
es ein Deutſcher, der die Buchdruckerey erfand, dieſe
herrliche Kunſt, welche die guten Buͤcher verewiger,
und das Publikum in den Stand ſetzt ſich mit gerin-
gen Koſten zu unterrichten. Dem erfinderiſchen Geiſte
eines
[55] eines Otto Guerike haben wir die Luftpumpe zu danken.
Und wie koͤnnte ich den großen Leibnitz uͤbergehen,
deſſen Name in ganz Europa ſo beruͤhmt iſt. Hat ihn
auch zuweilen die lebhafte Einbildung zu ſyſtematiſchen
Traͤumen verleitet; ſo muß man doch geſtehen, daß
ſelbſt ſeine Verirrungen ſeinen großen Geiſt beweiſen.
Ich koͤnnte dieſe Liſte noch mit den Namen von Tho-
maſius
, Bilfinger, Haller und ſehr vielen andern
vergroͤſſern, wenn ich nicht beſſer faͤnde, von der neue-
ſten und gegenwaͤrtigen Zeit nichts zu ſagen. Das
Lob der erwaͤhnten wuͤrde die Eigenliebe der uͤbergan-
genen beleidigen.


Ich ſehe voraus, daß man meinem Raiſonnement
vielleicht noch einen Einwurf entgegenſetzen wird, den
ich noch beantworten muß. Waͤhrend der buͤrgerlichen
Kriege, ſagt man vielleicht, bluͤhte in ItalienPico von
Mirandola
; ich geſtehe dieſes ein, aber der Mann
war auch nur ein bloßer Gelehrter. Waͤhrend daß
Cromwell, (kann man mir weiter einwerfen,) die Ver-
faſſung ſeines Vaterlandes umſtuͤrzte, und ſeinen Koͤ-
nig auf dem Schafot hinrichten ließ, erſchien Tindal
mit ſeinem Leviathan, und bald nachher Milton mit
ſeinem verlohrnen Paradieſe; ja ſchon zur Zeit der
Koͤnigin Eliſabeth und Jacob I. erleuchtete der Canz-
ler Bacon
ganz Europa, und wurde ein Orakel fuͤr
die Philoſophie, da er die noch moͤglichen Entdeckun-
gen und den Weg anzeigte, auf dem man zu ihnen ge-
D 4langen
[56] langen koͤnte. Auch in Frankreich waren die vortref-
lichſten Schriftſteller Zeitgenoſſen der blutigen Kriege
unter Ludwig XIV. Warum, kann man alſo ſagen,
waren unſre deutſche Kriege ſo viel fuͤrchterlicher fuͤr
die Wiſſenſchaften, als bey andern Nationen? Es
wird mir nicht ſchwer ſeyn hierauf zu antworten. In
Italien haben die Wiſſenſchaften nur zu der Zeit ge-
bluͤhet, als Lorenz von Medicis, der Papſt Leo X.
und das Haus Eſte ihnen Schutz gaben. Es fielen
in dieſe Zeit einige voruͤbergehende, aber nicht zerſtoͤ-
rende Kriege; und Italien, eiferſuͤchtig auf die Eh-
re die Wiſſenſchaften wieder hergeſtellt zu haben, un-
terſtuͤtzte ſie ſo ſehr, als es nur irgend ſeine Kraͤfte er-
laubten. In England zielte Cromwels durch den Fa-
natiſmus unterſtuͤtzte Politik, nur allein auf den Ihren;
grauſam gegen ſeinen Koͤnig regierte er die Nation
mit Weisheit. Daher war Englands Handel nie ſo
bluͤhend als waͤhrend ſeinem Protektorat. Der Be-
hemoth
war auch nur eine Partheyſchrift. Das ver-
lohrne Paradies von Milton
iſt unſtreitig von hoͤ-
herem Werth; der Dichter deſſelben beſaß eine unge-
mein ſtarke Einbildungskraft, und nahm das Sujet
aus einer der religioͤſen Farcen, die zu ſeiner Zeit noch
in Italien geſpielt wurden; aber man muß beſonders
bemerken, daß England damals ſchon wieder ruhig
und in bluͤhendem Wohlſtande war. Der Canzler
Bacon
lebte an dem feinen und aufgeklaͤrten Hofe
der
[57] der Eliſabeth; er beſaß die durchdringenden Augen
vom Adler des Jupiters, mit denen er die Wiſſenſchaf-
ten durchſchauete, und die Weisheit der Minerva, um
ſie zu ordnen. Bacons Genie gehoͤrt unter die ſelte-
nen Phaͤnomene, die immer nur einzeln und in weiter
Entfernung von einander erſcheinen, und die ihrem
Jahrhundert eben ſo viel Ehre machen, als dem menſch-
lichen Geſchlecht uͤberhaupt.


In Frankreich hatte Richelieus Miniſterium das
ſchoͤne Jahrhundert von Ludwig XIV. ſchon von ferne
bereitet. Die Wiſſenſchaften fiengen mit dem Anfang
ſeiner Regierung an ſich zu verbreiten, und konnten
durch den Krieg de la Fronde, der nur ein Kinderſpiel
war, nicht unterbrochen werden. Ludwig XIV. begie-
rig nach jeder Art von Ruhm, wollte ſeine Nation zur
erſten in Abſicht des Geſchmacks und der Litteratur
machen, wie ſie es durch ihre Macht, ihre Eroberun-
gen, ihre Politik und Handel ſchon war. Seine ſieg-
reichen Waffen drangen in die Lande ſeiner Feinde ein.
Frankreich war ſtolz uͤber das Gluͤck ſeines Monarchen,
ohne die Verwuͤſtungen des Krieges zu empfinden.
Ganz natuͤrlich alſo ließen die Muſen, die gern immer
neben Ruhe und Ueberfluß wohnen, ſich in ſeinem
Reiche nieder.


Aber ich muß Sie auf noch einen Unterſchied auf-
merkſam machen, der ſich zwiſchen uns und unſern Nach-
barn, die uns vorgegangen ſind, befindet. In Ita-
D 5lien,
[58] lien,
in Frankreich und England ſchrieben die erſten
Gelehrten und ihre Nachfolger allemal in der Landes-
ſprache. Das Publikum nahm ihre Werke mit groͤß-
ter Begierde auf, und die Kenntniſſe verbreiteten ſich
durch die ganze Nation. Bey uns war es hierinn ganz
anders. Die Religionszaͤnkereyen lieferten uns eini-
ge Streiter, welche ganz unverſtaͤndliche Materien auf
eine ſehr dunkle Art unterſuchten; dieſelben Saͤtze bald
behaupteten, bald beſtritten; und die Sophiſmen nur
mit Schimpfworten vermengten. Unſere erſten Ge-
lehrten waren, wie ſie es allenthalben geweſen, Maͤn-
ner, die nur Begebenheiten in ihrem Gedaͤchtniß an-
haͤuften; Pedanten ohne Beurtheilungskraft, wie die
Lipſius, die Freinshemius, die Gronovius, die Graͤ-
vius
, welche auf eine ſehr ſchwerfaͤllige Art einige dunk-
le Phraſen wieder herſtellten, die ſie in alten Manu-
ſcripten fanden. Dieſes konnte bis auf einen gewiſſen
Grad ganz nuͤtzlich ſeyn; aber man mußte nicht allen
ſeinen Fleiß und Aufmerkſamkeit auf dergleichen un-
wichtige Kleinigkeiten wenden. Und doch machte
die pedantiſche Eitelkeit dieſer Herren auf den Beyfall
von ganz Europa Anſpruch; theils um ihr ſchoͤnes La-
tein zu zeigen, theils um auch von fremden Pedanten
bewundert zu werden, ſchrieben ſie durchaus nicht an-
ders, als lateiniſch. Ihre Werke waren daher fuͤr
das ganze uͤbrige Deutſchland ungeſchrieben. Hier-
aus entſtanden zwey Unbequemlichkeiten. Die deutſche
Sprache
[59] Sprache wurde gar nicht cultivirt und blieb immer
mit ihrem alten Roſt bedeckt. Der Haupttheil der
Nation, der kein Latein verſtand, konnte ſich auf kei-
ne Weiſe unterrichten, und blieb immer mit dicker
Unwiſſenheit umhuͤllt. Dies ſind Wahrheiten, de-
nen Niemand etwas entgegenſetzen kann. Unſre
Herren Gelehrten ſollten ſich zuweilen erinnern, daß
die Wiſſenſchaften die Nahrungsmittel der Seele ſind;
das Gedaͤchtniß empfaͤngt ſie, wie der Magen die Spei-
ſen; wenn die Urtheilskraft aber nicht ihre Verdauung
befoͤrdert, ſo iſt Unverdaulichkeit des Geiſtes unver-
meidlich. Wenn die Wiſſenſchaften Schaͤtze ſind, ſo
muß man ſie nicht aufhaͤufen und verſchließen; ſondern
dadurch nutzen, daß man ſie in allgemeinen Umlauf-
bringt, und dieſes kann nur durch die Sprache geſche-
hen, welche alle Buͤrger des Staats verſtehn.


Noch nicht ſeit langer Zeit haben unſre Gelehr-
ten es gewagt, in ihrer Mutterſprache zu ſchreiben, und
ſchaͤmen ſich nicht mehr Deutſche zu ſeyn. Sie wiſ-
ſen, daß das erſte deutſche Woͤrterbuch noch nicht alt
iſt; ich erroͤthe faſt dafuͤr, wenn ich bedenke, daß ein
ſo ausnehmend nuͤtzliches Buch nicht wenigſtens hun-
dert Jahre vor mir in die Welt gekommen iſt. Bey
alle dem bemerkt man itzt, daß uns allmaͤhlich eine
Gaͤhrung und Veraͤnderung bevorſtehe. Man faͤngt
an von Ruhm der Nation zu reden; wir wollen uns
in gleiche Reihe mit unſern Nachbarn erheben, und
Wege
[60] Wege zum Parnaß, ſo wie zum Tempel des Anden-
kens bahnen. Wer ein feines Gefuͤhl hat, kann dieſes
ſchon bemerken. Man muß alſo nur die alten und
neuern klaſſiſchen Schriftſteller in unſre Sprache uͤber-
ſetzen. Soll das Geld bey uns circuliren, ſo muͤſſen
wir es ins Publikum bringen, und die Wiſſenſchaften,
die ehemals ſo ſelten waren, allgemeiner machen. Um
endlich nichts zu uͤbergehen, was die Fortſchritte un-
ſerer Litteratur aufgehalten hat, will ich auch noch den
Umſtand bemerken, daß an den meiſten Hoͤfen die
deutſche Sprache ſo wenig geredet wird. Unter Kai-
ſer Joſeph I.
redete man in Wien nur Italiaͤniſch;
unter Carl VI. wurde dieſes vom Spaniſchen verdrun-
gen; und waͤhrend der Regierung Franz I. eines ge-
bornen Lothringers, wurde am Wiener Hofe weit mehr
Franzoͤſiſch als Deutſch geredet. An den Churfuͤrſtli-
chen Hoͤfen gieng es eben ſo. Sie werden hievon kei-
ne andre Urſache finden, als die ich Ihnen ſchon oft an-
gefuͤhrt habe. Die ſpaniſche, italiaͤniſche und franzoͤ-
ſiſche Sprache waren gebildet und beſtimmt; die un-
ſre war es nicht. Aber es muß uns troͤſten, daß Frank-
reich
eben dieſes Schickſal erfahren hat. Unter [Franz I.,]
Carl IX. und Heinrich III. redte man in allen guten
Geſellſchaften mehr Spaniſch und Italiaͤniſch als Fran-
zoͤſiſch. Die Landesſprache bekam nicht eher die Ober-
hand, bis ſie feiner, deutlich und zierlich geworden, auch
von einer Menge klaſſiſcher Schriftſteller durch mah-
leriſche
[61] leriſche Ausdruͤcke verſchoͤnert war und grammatikali-
ſche Beſtimmtheit erhalten hatte. Unter der Regie-
rung Ludwig XIV. verbreitete ſich die franzoͤſiſche
Sprache durch ganz Europa, und dieß ruͤhrte zum
Theil daher, weil man begierig war, die ſchoͤnen Schrift-
ſteller und die guten Ueberſetzungen der Alten zu leſen,
welche man damals in dieſer Sprache fand. Itzt iſt
dieſelbe das allgemeinſte Mittel geworden, um in allen
Staͤdten und Haͤuſern Zutritt zu erhalten. Wer von
Liſſabon nach Petersburg und von Stockholm nach
Neapel reiſet, und franzoͤſiſch redet, wird allenthalben
verſtanden. Dieſe einzige Sprache macht uns eine
Menge andre entbehrlich, die wir ſonſt wiſſen muͤßten,
und die unſer Gedaͤchtniß mit Worten beladen wuͤr-
den, an deren Stelle wir itzt Sachen bringen koͤnnen,
welches gewiß ein erheblicher Vorzug iſt.


Ich habe Ihnen nun die verſchiedenen Hinder-
niſſe entwickelt, welche uns in der Litteratur nicht ſo
geſchwind haben gehen laſſen, als unſre Nachbarn.
Indeß uͤbertreffen die Spaͤtern zuweilen ihre Vorgaͤn-
ger. Dieß koͤnnte vielleicht bey uns eher der Fall ſeyn,
als man es glauben ſollte; wenn nur unſre Regenten
Geſchmack an den Wiſſenſchaften bekommen; diejenigen
ermuntern, die ſich mit denſelben beſchaͤftigen, und de-
nen Lob und Belohnungen ertheilen, welche es vorzuͤg-
lich weit bringen. Wenn wir Medicis haben, werden
auch unſre Genies hervorkeimen; und die Auguſte wer-
den
[62] den ſchon Virgile machen. Wir werden dann auch
unſre klaſſiſchen Schriftſteller bekommen; Jeder wird
ſie leſen wollen; unſre Nachbarn werden Deutſch ler-
nen und die Hoͤfe es mit Vergnuͤgen reden. Und viel-
leicht bringen unſre guten Schriftſteller es dahin, daß
unſre zur Vollkommenheit gebrachte und verfeinerte
Sprache noch einſt von einem Ende von Europa bis
zum andern wird geredet werden. Noch ſind dieſe ſchoͤ-
nen Tage unſrer Litteratur nicht gekommen; aber ſie
naͤhern ſich, und erſcheinen gewiß. Ich kuͤndige ſie
Ihnen an, obgleich mein Alter mir die Hoffnung nimmt,
ſie noch ſelbſt zu ſehen. Ich bin wie Moſes, ich ſehe
das gelobte Land von ferne, werde aber nicht ſelbſt
hereinkommen. Erlauben Sie mir dieſe Vergleichung.
Ich laſſe ſonſt den Moſes in allen ſeinen Wuͤrden, und
will mich auf keine Weiſe mit ihm in Vergleichung
ſetzen. Auch ſind die ſchoͤnen Tage unſrer Litteratur,
denen wir entgegen ſehen, gewiß weit mehr werth,
als die nackten und duͤrftigen Felſen des unfrucht-
baren Jdumaͤa.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Anonymous. Ueber die deutsche Litteratur, die Mängel die man ihr vorwerfen kann, die Ursachen derselben und die Mittel sie zu verbessern. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjk5.0