der
Logik.
Die
objective Logik.
bey Johann Leonhard Schrag
1812.
[[II]][[III]]
Vorrede.
Die voͤllige Umaͤnderung, welche die philoſophi-
ſche Denkweiſe ſeit etwa fuͤnf und zwanzig Jahren un-
ter uns erlitten, der hoͤhere Standpunkt, den das
Selbſtbewußtſeyn des Geiſtes in dieſer Zeitperiode
uͤber ſich erreicht hat, hat bisher noch wenig Einfluß
auf die Geſtalt der Logik gehabt.
Dasjenige, was vor dieſem Zeitraum Meta-
phyſik hieß, iſt, ſo zu ſagen, mit Stumpf und
Styl ausgerottet worden, und aus der Reihe der
Wiſſenſchaften verſchwunden. Wo laſſen, oder wo
duͤrfen ſich Laute der vormaligen Ontologie, der ratio-
nellen Pſychologie, der Kosmologie oder ſelbſt gar der
vormaligen natuͤrlichen Theologie noch vernehmen laſ-
ſen? Unterſuchungen, zum Beyſpiel uͤber die Imma-
terialitaͤt der Seele, uͤber die mechaniſchen und die
Endurſachen, wo ſollten ſie noch ein Intereſſe finden?
auch die ſonſtigen Beweiſe vom Daſeyn Gottes wer-
den nur hiſtoriſch, oder zum Behufe der Erbauung
und Gemuͤthserhebung angefuͤhrt. Es iſt diß ein
Factum, daß das Intereſſe theils am Inhalte, theils
an der Form der vormaligen Metaphyſik, theils an
beyden zugleich verlohren iſt. So merkwuͤrdig es iſt,
wenn
[IV]Vorrede.
wenn einem Volke z. B. die Wiſſenſchaft ſeines Staats-
rechts, wenn ihm ſeine Geſinnungen, ſeine ſittlichen
Gewohnheiten und Tugenden unbrauchbar geworden
ſind, ſo merkwuͤrdig iſt es wenigſtens, wenn ein Volk
ſeine Metaphyſik verliert, wenn der mit ſeinem reinen
Weſen ſich beſchaͤftigende Geiſt kein wirkliches Da-
ſeyn mehr in demſelben hat.
Die exoteriſche Lehre der Kantiſchen Philoſophie,
— daß der Verſtand die Erfahrung nicht
uͤber fliegen duͤrfe, ſonſt werde das Erkenntniß-
vermoͤgen theoretiſche Vernunft, welche fuͤr
ſich nichts als Hirngeſpinſte gebaͤhre, hat es von
der wiſſenſchaftlichen Seite gerechtfertigt, dem ſpecu-
lativen Denken zu entſagen. Dieſer populaͤren Lehre
kam das Geſchrey der modernen Paͤdagogik, die Noth
der Zeiten, die den Blick auf das unmittelbare Be-
duͤrfniß richtet, entgegen, daß, wie fuͤr die Erkenntniß
die Erfahrung das Erſte, ſo fuͤr die Geſchiklichkeit im
oͤffentlichen und Privatleben, theoretiſche Einſicht ſo-
gar ſchaͤdlich, und Uebung und praktiſche Bildung
uͤberhaupt das Weſentliche, allein Foͤrderliche ſey. —
Indem ſo die Wiſſenſchaft und der gemeine Men-
ſchenverſtand ſich in die Haͤnde arbeiteten, den Unter-
gang der Metaphyſik zu bewirken, ſo ſchien das ſon-
derbare Schauſpiel herbeygefuͤhrt zu werden, ein ge-
bildetes Volk ohne Metaphyſik zu ſehen; —
wie einen ſonſt mannichfaltig ausgeſchmuͤckten Tempel
ohne Allerheiligſtes. — Die Theologie, welche in
fruͤhern Zeiten die Bewahrerin der ſpeculativen My-
ſterien
[V]Vorrede.
ſterien und der obzwar abhaͤngigen Metaphyſik war,
hatte ſie gegen Gefuͤhle, gegen das Prattiſch-populaͤre,
und gelehrte Hiſtoriſche aufgegeben. Welcher Veraͤn-
derung entſprechend iſt, daß anderwaͤrts jene Einſa-
men, die von ihrem Volke aufgeopfert und aus der
Welt ausgeſchieden wurden, zu dem Zwecke, daß die
Contemplation des Ewigen und ihr allein dienendes
Leben vorhanden ſey, nicht um eines Nutzens, ſondern
um des Seegens willen, — verſchwanden; ein Ver-
ſchwinden, das in einem andern Zuſammenhange, dem
Weſen nach als dieſelbe Erſcheinung, wie das vorhin
erwaͤhnte, betrachtet werden kann. — So daß, nach
Vertreibung dieſer Finſterniſſe, der farbloſen Beſchaͤf-
tigung des in ſich gekehrten Geiſtes mit ſich ſelbſt, das
Daſeyn in die heitre Welt der Blumen verwandelt zu
ſeyn ſchien, unter denen es bekanntlich keine ſchwar-
ze gibt.
Ganz ſo ſchlimm als der Metaphyſik iſt es der
Logik nicht ergangen. Daß man durch ſie denken
lerne, was ſonſt fuͤr ihren Nutzen und damit fuͤr
den Zweck derſelben galt, — gleichſam als ob man
durch das Studium der Anatomie und Phyſiologie erſt
verdauen und ſich bewegen lernen ſollte —, diß Vorur-
theil hat ſich laͤngſt verlohren, und der Geiſt des
Praktiſchen dachte ihr wohl kein beſſeres Schikfal zu.
Deſſen ungeachtet, wahrſcheinlich um einigen formellen
Nutzens willen, wurde ihr noch ein Rang unter den
Wiſſenſchaften gelaſſen, ja ſie wurde ſelbſt als Gegen-
ſtand des oͤffentlichen Unterrichts beybehalten. Diß
beſſere
[VI]Vorrede.
beſſere Loos betrift jedoch nur das aͤuſſere Schickſal;
denn ihre Geſtalt und Inhalt iſt derſelbe geblieben,
als er ſich durch eine lange Tradition fortgeerbt, je-
doch in dieſer Ueberlieferung immer mehr verduͤnnt
und abgemagert hatte; der neue Geiſt, welcher der
Wiſſenſchaft nicht weniger als der Wirklichkeit aufge-
gangen iſt, hat ſich in ihr noch nicht verſpuͤren laſſen.
Es iſt aber ein fuͤr allemal vergebens, wenn die
ſubſtantielle Form des Geiſtes ſich umgeſtaltet hat,
die Formen fruͤherer Bildung erhalten zu wollen; ſie
ſind welke Blaͤtter, welche von den neuen Knoſpen,
die an ihren Wurzeln ſchon erzeugt ſind, abgeſtoſſen
werden.
Mit dem Ignoriren der allgemeinen Veraͤn-
derung faͤngt es nach gerade an auch im Wiſſenſchaft-
lichen auszugehen. Unbemerkterweiſe ſind ſelbſt den
Gegnern die andern Vorſtellungen gelaͤufig und eigen
geworden, und wenn ſie gegen deren Quelle und Prin-
cipien fortdauernd ſproͤde thun und ſich widerſprechend
dagegen benehmen, ſo haben ſie dafuͤr die Conſequen-
zen ſich gefallen laſſen, und des Einfluſſes derſelben
ſich nicht zu erwehren vermocht; zu ihrem immer un-
bedeutender werdenden negativen Verhalten wiſſen ſie
ſich auf keine andere Weiſe eine poſitive Wichtigkeit
und einen Inhalt zu geben, als daß ſie in den neuen
Vorſtellungsweiſen mitſprechen.
Von der andern Seite ſcheint die Zeit der Gaͤh-
rung, mit der eine neue Schoͤpfung beginnt, vorbey
zu ſeyn. In ihrer erſten Erſcheinung pflegt eine ſolche
ſich
[VII]Vorrede.
ſich mit fanatiſcher Feindſeeligkeit gegen die ausgebrei-
tete Syſtematiſirung des fruͤhern Princips zu verhal-
ten; theils auch furchtſam zu ſeyn, ſich in der Aus-
dehnung des Beſondern zu verlieren, theils aber die
Arbeit zu ſcheuen, die zur wiſſenſchaftlichen Ausbil-
dung erfordert wird, und im Beduͤrfniſſe derſelben zu-
erſt zu einem leeren Formalismus zu greifen. Die
Anfoderung der Verarbeitung und Ausbildung des
Stoffes wird nun um ſo dringender. Es iſt eine Pe-
riode in der Bildung einer Zeit, wie in der Bildung
des Individuums, wo es vornemlich um Erwerbung
und Behauptung des Princips in ſeiner unentwickel-
ten Intenſitaͤt zu thun iſt. Aber die hoͤhere Fode-
rung geht darauf, daß es zur Wiſſenſchaft werde.
Was nun auch fuͤr die Sache und fuͤr die Form
der Wiſſenſchaft bereits in ſonſtiger Ruͤckſicht geſchehen
ſeyn mag; die logiſche Wiſſenſchaft, welche die eigent-
liche Metaphyſik oder reine ſpeculative Philoſophie aus-
macht, hat ſich bisher noch ſehr vernachlaͤſſigt geſehen.
Was ich unter dieſer Wiſſenſchaft und ihrem Stand-
punkte naͤher verſtehe, habe ich in der Einleitung
vorlaͤufig angegeben. Die Nothwendigkeit, mit dieſer
Wiſſenſchaft wieder einmal von vorne anzufangen, die
Natur des Gegenſtandes ſelbſt, und der Mangel an
Vorarbeiten, welche haͤtten benutzt werden koͤnnen,
moͤgen bey billigen Beurtheilern in Ruͤckſicht kommen,
wenn auch eine vieljaͤhrige Arbeit dieſem Verſuche
nicht eine groͤßere Vollkommenheit geben konnte. —
Der weſentliche Geſichtspunkt iſt, daß es uͤberhaupt
um
[VIII]Vorrede.
um einen neuen Begriff wiſſenſchaftlicher Behandlung
zu thun iſt. Die Philoſophie, indem ſie Wiſſenſchaft
ſeyn ſoll, kann, wie ich anderwaͤrts erinnert habe, hie-
zu ihre Methode nicht von einer untergeordneten Wiſ-
ſenſchaft, wie die Mathematik iſt, borgen, ſo wenig
als es bey kategoriſchen Verſicherungen innerer An-
ſchauung bewenden laſſen, oder ſich des Raͤſonnements
aus Gruͤnden der aͤuſſern Reflexion bedienen. Son-
dern es kann nur die Natur des Inhalts ſeyn,
welche ſich im wiſſenſchaftlichen Erkennen bewegt,
indem zugleich dieſe eigne Reflexion des Inhalts
es iſt, welche ſeine Beſtimmung ſelbſt erſt ſetzt
und erzeugt.
Der Verſtand beſtimmt und haͤlt die Be-
ſtimmungen feſt; die Vernunft iſt negativ und
dialektiſch, weil ſie die Beſtimmungen des Ver-
ſtands in Nichts aufloͤst; ſie iſt poſitiv, weil ſie
das Allgemeine erzeugt, und das Beſondere dar-
unter ſubſumirt. Wie der Verſtand als etwas ge-
trenntes von der Vernunft uͤberhaupt, ſo pflegt auch
die dialektiſche Vernunft als etwas getrenntes von der
poſitiven Vernunft genommen zu werden. Aber in
ihrer Wahrheit iſt die Vernunft Geiſt, der hoͤher
als beydes, der verſtaͤndige Vernunft, oder vernuͤnfti-
ger Verſtand iſt. Er iſt das Negative, ſowohl das-
jenige, welches die Qualitaͤt der dialektiſchen Vernunft,
als des Verſtandes ausmacht; — er negirt das Ein-
fache, ſo ſetzt er den beſtimmten Unterſchied des Ver-
ſtandes, er loͤst ihn eben ſo ſehr auf, ſo iſt er dia-
lektiſch.
[IX]Vorrede.
lektiſch. Er haͤlt ſich aber nicht im Nichts dieſes Re-
ſultates, ſondern iſt darin eben ſo poſitiv, und hat ſo
das erſte Einfache damit hergeſtellt, aber als Allge-
meines; unter dieſes wird nicht ein gegebenes Beſon-
deres ſubſumirt, ſondern in jenem Beſtimmen und in
der Aufloͤſung deſſelben hat ſich das Beſondere ſchon
mit beſtimmt. Dieſe geiſtige Bewegung, die ſich in
ihrer Einfachheit ihre Beſtimmtheit, und in dieſer
ihre Gleichheit mit ſich ſelbſt gibt, die ſomit die im-
manente Entwicklung des Begriffes iſt, iſt die abſolu-
te Methode des Erkennens, und zugleich die imma-
nente Seele des Inhaltes ſelbſt. — Auf dieſem ſich
ſelbſt conſtruirenden Wege allein, behaupte ich, iſt
die Philoſophie faͤhig, objective, demonſtrirte Wiſſen-
ſchaft zu ſeyn. — In dieſer Weiſe habe ich das Be-
wußtſeyn, in der Phaͤnomenologie des Gei-
ſtes darzuſtellen verſucht. Das Bewußtſeyn iſt der
Geiſt als concreter Gegenſtand; aber ſeine Fortbewe-
gung beruht allein, wie die Entwicklung alles natuͤrli-
chen und geiſtigen Lebens, auf der Natur der reinen
Weſenheiten, die den Inhalt der Logik ausmachen.
Das Bewußtſeyn, als der erſcheinende Geiſt, welcher
ſich auf ſeinem Wege von ſeiner Unmittelbarkeit und
Concretion befreyt, wird zum reinen Wiſſen, das jene
reinen Weſenheiten ſelbſt, wie ſie an und fuͤr ſich ſind,
zum Gegenſtand hat. Sie ſind die reinen Gedanken, der
ſein Weſen denkende Geiſt. Ihre Selbſtbewegung iſt
ihr geiſtiges Leben, und iſt das, wodurch ſich die Wiſ-
ſenſchaft conſtituirt, und deſſen Darſtellung ſie iſt.
Es
[X]Vorrede.
Es iſt hiemit die Beziehung der Wiſſenſchaft,
die ich Phaͤnomenologie des Geiſtes nenne,
zur Logik angegeben. — Was das aͤuſſerliche Ver-
haͤltniß betrift, ſo war dem erſten Theil des Sy-
ſtems der Wiſſenſchaft (Bamb. und Wuͤrzb.
bey Goͤbhard 1807.), der die Phaͤnomenologie ent-
haͤlt, ein zweyter Theil zu folgen beſtimmt, welcher
die Logik und die beyden realen Wiſſenſchaften der Phi-
loſophie, die Philoſophie der Natur und die Philoſo-
phie des Geiſtes, enthalten ſollte, und das Syſtem der
Wiſſenſchaft beſchloſſen haben wuͤrde. Aber die noth-
wendige Ausdehnung, welche die Logik fuͤr ſich erhalten
mußte, hat mich veranlaßt, dieſe beſonders ans Licht
treten zu laſſen; ſie macht alſo in einem erweiterten
Plane die erſte Folge zur Phaͤnomenologie des Gei-
ſtes aus. Spaͤterhin werde ich die Bearbeitung der
beyden genannten realen Wiſſenſchaften der Philoſophie
folgen laſſen. — Dieſer erſte Band der Logik aber ent-
haͤlt als erſtes Buch die Lehre vom Seyn; das
zweyte Buch, die Lehre vom Weſen, als zweyte
Abtheilung des erſten Bands, iſt bereits unter der
Preſſe; der zweyte Band aber wird die ſubjective
Logik, oder die Lehre vom Begriff enthalten.
Nuͤrnberg, den 22. Maͤrz 1812.
Inhalts-
[[XI]]
Inhaltsanzeige.
- Einleitung S. I—XXVIII.
- Allgemeine Eintheilung der Logik S. 1—5.
- Erſtes Buch.
- Das Seyn. Womit muß der Anfang der Wiſſenſchaft
gemacht werden? S. 6—18. - Allgemeine Eintheilung des Seyns S. 19—20.
- Erſter Abſchnitt.
- Beſtimmtheit (Qualitaͤt)S. 21—129.
- Erſtes Kapitel.
- Das Seyn S. 22—46.
- A. Seyn S. 22.
- B. Nichts ebendaſ.
- C. Werden S. 23—46.
- 1. Einheit des Seyns und Nichts S. 23.
- Anmerkung 1. Der Gegenſatz von Seyn und
- Nichts in der Vorſtellung S. 23.
- Anm. 2. Seyn und Nichts, jedes fuͤr ſich
genommen S. 33. - Anm. 3. Andere Verhaͤltniſſe in der Bezie-
hung des Seyns und Nichts S. 38—40. - Anm. 4. Die gewoͤhnliche Dialektik gegen das
Werden und gegen das Entſtehen und
Vergehen S. 40. - 2. Die Momente des Werdens S. 43.
- 3. Aufheben des Werdens S. 44.
- Anmerkung. Das Aufheben S. 45.
- Zweytes Kapitel.
- Das Daſeyn S. 47—90.
- A. Daſeyn als ſolches S. 47—59.
- 1. Daſeyn uͤberhaupt S. 47.
- 2. Realitaͤt S. 48. a) Andersſeyn S. 49. b) Seyn-
fuͤr-anderes und Anſichſeyn S. 51. c) Realitaͤt
S. 53. — Anmerkung. Gewoͤhnliche Bedeu-
tung der Realitaͤt S. 54. - 3. Etwas S. 57.
- B. Beſtimmtheit S. 60—78.
- 1. Grenze S. 60.
- 2. Beſtimmtheit S. 65. a) Beſtimmung S. 66.
b) Beſchaffenheit ebendaſ. c) Qualitaͤt S. 67.
Anm. Gewoͤhnliche Bedeutung der Qualitaͤt S. 68.
3. Veraͤnderung S. 69. a) Veraͤnderung der Be-
ſchaffenheit S. 70. b) Sollen und Schranke S. 71.
Anm. Du ſollſt, weil du kannſt S. 74. c) Ne-
gation S. 75. - C. (Qualitative) Unendlichkeit S. 79—90.
- 1. Endlichkeit und Unendlichkeit S. 79.
- 2. Wechſelbeſtimmung des Endlichen und Unendli-
chen S. 81. - 3. Ruͤckkehr der Unendlichkeit in ſich S. 85.
- Anm. Gewoͤhnliche Entgegenſetzung des End-
lichen und Unendlichen S. 87. - Drittes Kapitel.
- Das Fuͤrſichſeyn S. 91—129.
- A. Das Fuͤrſichſeyn als ſolches S. 92—100.
- 1. Fuͤrſichſeyn uͤberhaupt S. 92.
- 2. Die Momente des Fuͤrſichſeyns ebendaſ. a) Sein
Anſichſeyn S. 93. b) Fuͤr eines ſeyn, ebendaſ.
Anm. Was fuͤr einer? S. 94. c) Idealitaͤt S. 95. - 3. Werden des Eins S. 99.
- B. Das Eins S. 101—111.
- 1. Das Eins und das Leere S. 101.
- Anm. Atomiſtik S. 103.
- 2. Viele Eins (Repulſion) S. 104.
- Anm. Vielheit der Monaden.
- 3. Gegenſeitige Repulſion S. 108.
- C. Attraction S. 112—129.
- 1. Ein Eins S. 113.
- 2. Gleichgewicht der Attraction und Repulſion S. 114.
- Anm. Kantiſche Conſtruction der Materie aus
Attractiv- und Repulſivkraft S. 119. - 3. Uebergang zur Quantitaͤt S. 128.
- Zweyter Abſchnitt.
- Groͤße (Quantitaͤt)S. 130—263.
- Erſtes Kapitel.
- Die Quantitaͤt S. 134—155.
- A. Die reine Quantitaͤt S. 134—150.
- Anmerk. 1. Spinoza’s Begriff der Quantitaͤt S. 136.
- Anmerk. 2. Kantiſche Antinomie der unendlichen
Theilbarkeit der Materie S. 138. - B. Continuirliche und diſcrete Groͤße S. 151—153.
- Anmerk. Gewoͤhnliche Trennung dieſer beyden Groͤſ-
ſen S. 152. - C. Begrenzung der Quantitaͤt S. 154—155.
- Zweytes Kapitel.
- Das Quantum S. 156—247.
- A. Die Zahl S. 157—168.
- Anmerk. 1. Raumgroͤße und Zahlgroͤße als Arten
S. 162. - Anmerk. 2. Ausdruck von Vernunftverhaͤltniſſen durch
Zahlen S. 163. - B. Extenſives und intenſives Quantum S. 169—181.
- 1. Unterſchied derſelben S. 169.
- 2. Identitaͤt beyder S. 174.
- Anm. Beyſpiele dieſer Identitaͤt S. 176.
- 3. Veraͤnderung des Quantums S. 179.
- C. Quantitative Unendlichkeit S. 182—247.
- 1. Begriff derſelben S. 182.
- 2. Der unendliche Progreß S. 183.
- Anmerk. 1. Der unendliche Progreß als ein
Letztes S. 187. - Anmerk. 2. Kantiſche Antinomie der Begrenzt-
heit oder Unbegrenztheit der Welt in
Zeit und Raum S. 194. - 3. Unendlichkeit des Quantums S. 200.
- Anmerk. Der Begriff des mathematiſchen Un-
endlichen S. 206. - Drittes Kapitel.
- Das quantitative Verhaͤltniß S. 248—263.
- A. Das directe Verhaͤltniß S. 249—252.
- B. Das umgekehrte Verhaͤltniß S. 253—258.
- C. Das Potenzenverhaͤltniß S. 258—264.
- Anmerk. Anwendung dieſes Verhaͤltniſſes auf
Begriffsbeſtimmungen S. 261. - Dritter Abſchnitt.
- Das MaaßS. 264.
- Erſtes Kapitel.
- Die ſpecifiſche Quantitaͤt S. 268—288.
- A. Das ſpecifiſche Quantum S. 268—270.
- B. Die Regel S. 271—283.
- 1. Die qualitative und quantitative Groͤßenbeſtimmt-
heit S. 271. - 2. Qualitaͤt und Quantum S. 274.
- 3. Unterſcheidung beyder Seiten als Qualitaͤten S. 278.
- Anmerkung. Naturmaaße S. 281.
- C. Verhaͤltniß von Qualitaͤten S. 284—288.
- Zweytes Kapitel.
- Verhaͤltniß ſelbſtſtaͤndiger Maaße S. 289—320.
- A. Das Verhaͤltniß ſelbſtſtaͤndiger Maaße S. 291—306.
- 1. Neutralitaͤt S. 291.
- 2. Specification der Neutralitaͤt S. 293.
- 3. Wahlverwandſchaft S 298.
- Anmerk. Die chemiſchen Stoffe als Maaßmo-
mente S. 301. - B. Knotenlinie von Maaßverhaͤltniſſen S. 307—314.
- Anmerk. Beyſpiele hievon S. 311.
- C. Das Maaßloſe S. 315—320.
- Drittes Kapitel.
- Das Werden des Weſens S. 321.
- A. Die Indifferenz S. 321—322.
- B. Das Selbſtſtaͤndige als umgekehrtes Verhaͤltniß ſei-
ner Factoren S. 323. - Anm. Anwendung dieſes Verhaͤltniſſes S. 328.
- C. Hervorgehen des Weſens S. 331.
Ein-
[[I]]
Einleitung.
Es fuͤhlt ſich bey keiner Wiſſenſchaft ſtaͤrker das
Beduͤrfniß, ohne vorangehende Reflexionen, von der
Sache ſelbſt anzufangen, als bey der logiſchen Wiſſen-
ſchaft. In jeder andern iſt der Gegenſtand, den ſie be-
handelt, und die wiſſenſchaftliche Methode von einander
unterſchieden; ſo wie auch der Inhalt nicht einen abſo-
luten Anfang macht, ſondern von andern Begriffen ab-
haͤngt, und um ſich herum mit anderem Stoffe zuſammen-
haͤngt. Dieſen Wiſſenſchaften wird es daher zugegeben,
von ihrem Boden und deſſen Zuſammenhang, ſo wie von
der Methode lemmatiſcher Weiſe zu ſprechen, die als be-
kannt und angenommen vorausgeſetzten Formen von De-
finitionen und dergleichen ohne weiteres anzuwenden, und
ſich der gewoͤhnlichen Art des Raͤſonnements zur Feſt-
ſetzung ihrer allgemeinen Begriffe und Grundbeſtimmun-
gen zu bedienen.
Die Logik dagegen kann keine dieſer Formen der
Reflexion oder Regeln und Geſetze des Denkens voraus-
ſetzen, denn ſie machen einen Theil ihres Inhalts aus
und haben erſt innerhalb ihrer begruͤndet zu werden.
AAuch
[II]Einleitung.
Auch der Begriff ſelbſt der Wiſſenſchaft uͤberhaupt, nicht
nur der wiſſenſchaftlichen Methode, gehoͤrt zu ihrem In-
halte, und zwar macht er ihr letztes Reſultat aus; was
ſie iſt, kann ſie daher nicht vorausſagen, ſondern ihre
ganze Abhandlung bringt diß Wiſſen von ihr ſelbſt erſt
als ihr Letztes und als ihre Vollendung hervor. Gleich-
falls ihr Gegenſtand, das Denken oder beſtimmter das
begreiffende Denken, wird weſentlich innerhalb ihrer ab-
gehandelt; der Begriff deſſelben erzeugt ſich in ihrem
Verlaufe, und kann daher nicht vorausgeſchikt werden.
Was daher in dieſer Einleitung vorausgeſchikt wird, hat
nicht den Zweck, den Begriff der Logik etwa zu begruͤn-
den, oder den Inhalt und die Methode derſelben zum
voraus wiſſenſchaftlich zu rechtfertigen, ſondern, durch
einige Erlaͤuterungen und Reflexionen, in raͤſonnirendem
und hiſtoriſchem Sinne, den Geſichtspunkt, aus welchem
dieſe Wiſſenſchaft zu betrachten iſt, der Vorſtellung naͤ-
her zu bringen.
Wenn die Logik als die Wiſſenſchaft des Denkens
im Allgemeinen angenommen wird, ſo wird dabey ver-
ſtanden, daß diß Denken die bloße Form einer Er-
kenntniß ausmache, daß die Logik von allem Inhalte ab-
ſtrahire, und das ſogenannte zweyte Beſtandſtuͤck,
das zu einer Erkenntniß gehoͤre, die Materie, anderswo-
her gegeben werden muͤſſe, daß ſomit die Logik, als von
welcher dieſe Materie ganz und gar unabhaͤngig ſey, nur
die formalen Bedingungen wahrhafter Erkenntniß ange-
ben, nicht aber reale Wahrheit ſelbſt enthalten, noch
auch nur der Weg zu realer Wahrheit ſeyn koͤnne, weil
gerade
[III]Einleitung.
gerade das Weſentliche der Wahrheit, der Inhalt, auſſer
ihr liege.
Vors erſte iſt es ſchon ungeſchikt zu ſagen, daß die
Logik von allem Inhalte abſtrahire, daß ſie nur die Re-
geln des Denkens lehre, ohne auf das Gedachte ſich ein-
laſſen und auf deſſen Beſchaffenheit Ruͤkſicht nehmen zu
koͤnnen. Denn da das Denken und die Regeln des Den-
kens ihr Gegenſtand ſeyn ſollen, ſo hat ſie ja unmittelbar
daran ihren eigenthuͤmlichen Inhalt; ſie hat daran auch
jenes zweyte Beſtandſtuͤck der Erkenntniß, eine Materie,
um deren Beſchaffenheit ſie ſich bekuͤmmert.
Allein zweytens ſind uͤberhaupt die Vorſtellungen,
auf denen der Begriff der Logik bisher beruhte, theils
bereits untergegangen, theils iſt es Zeit, daß ſie vol-
lends verſchwinden, daß der Standpunkt dieſer Wiſſen-
ſchaft hoͤher gefaßt werde, und daß ſie eine voͤllig veraͤn-
derte Geſtalt gewinne.
Der bisherige Begriff der Logik beruht auf der im
gewoͤhnlichen Bewußtſeyn ein fuͤr allemal vorausgeſetzten
Trennung des Inhalts der Erkenntniß und der Form der-
ſelben, oder der Wahrheit und der Gewißheit. Es wird
erſtens vorausgeſetzt, daß der Stoff des Erkennens,
als eine fertige Welt auſſerhalb dem Denken, an und fuͤr
ſich vorhanden, daß das Denken fuͤr ſich leer ſey, als
eine Form aͤuſſerlich zu jener Materie hinzutrete, ſich
damit erfuͤlle, erſt daran einen Inhalt gewinne und ein
reales Erkennen werde.
Alsdann ſtehen dieſe beyden Beſtandtheile, — (denn
ſie ſollen das Verhaͤltniß von Beſtandtheilen haben, und das
A 2Er-
[IV]Einleitung.
Erkennen wird aus ihnen mechaniſcher oder hoͤchſtens chemi-
ſcherweiſe zuſammengeſetzt —) in dieſer Rangordnung ge-
gen einander, daß das Object ein fuͤr ſich vollendetes,
fertiges ſey, das des Denkens zu ſeiner Wirklichkeit voll-
kommen entbehren koͤnne, da hingegen das Denken etwas
mangelhaftes ſey, das ſich erſt an einem Stoffe zu ver-
vollſtaͤndigen, und zwar als eine weiche unbeſtimmte Form
ſich ſeiner Materie angemeſſen zu machen habe. Wahr-
heit iſt die Uebereinſtimmung des Denkens mit dem Ge-
genſtande, und es ſoll, um dieſe Uebereinſtimmung her-
vorzubringen, — denn ſie iſt nicht an und fuͤr ſich vor-
handen, — das Denken nach dem Gegenſtande ſich fuͤgen
und bequemen.
Drittens, indem die Verſchiedenheit der Materie
und der Form, des Gegenſtandes und des Denkens nicht
in jener neblichten Unbeſtimmtheit gelaſſen, ſondern be-
ſtimmter genommen wird, ſo iſt jede eine von der andern
geſchiedene Sphaͤre. Das Denken kommt daher in ſei-
nem Empfangen und Formiren des Stoffs nicht uͤber ſich
hinaus, ſein Empfangen und ſich nach ihm Bequemen
bleibt eine Modification ſeiner ſelbſt, es wird dadurch
nicht zu ſeinem Andern; und das ſelbſtbewußte Beſtimmen
gehoͤrt ohnediß nur ihm an; es kommt alſo auch in ſeiner
Beziehung auf den Gegenſtand nicht aus ſich heraus zu
dem Gegenſtande, dieſer bleibt als ein Ding an ſich,
ſchlechthin ein Jenſeits des Denkens.
Dieſe Anſichten uͤber das Verhaͤltniß des Subjects
und Objects zu einander druͤcken die Beſtimmungen deſ-
ſelben aus, welche die Natur unſers gewoͤhnlichen, des
erſchei-
[V]Einleitung.
erſcheinenden Bewußtſeyns ausmachen; aber dieſe Vor-
urtheile, in die Vernunft uͤbergetragen, als ob in ihr
daſſelbe Verhaͤltniß Statt finde, als ob dieſes Verhaͤlt-
niß an und fuͤr ſich Wahrheit habe, ſo ſind ſie die Irr-
thuͤmer, deren durch alle Theile des geiſtigen und natuͤr-
lichen Univerſums durchgefuͤhrte Widerlegung die Philo-
ſophie iſt, oder die vielmehr, weil ſie den Eingang in
die Philoſophie verſperren, vor derſelben abzulegen ſind.
Die aͤltere Metaphyſik hatte in dieſer Ruͤkſicht einen
hoͤhern Begriff von dem Denken als in der neuern Zeit
gaͤng und gaͤb geworden iſt. Jene legte nemlich zu Grun-
de, daß das, was durchs Denken von und an den Din-
gen erkannt werde, das allein an ihnen wahrhaft Wahre
ſey; ſomit nicht ſie in ihrer Unmittelbarkeit, ſondern ſie
erſt in die Form des Denkens erhoben, als Gedachte.
Dieſe Metaphyſik hielt ſomit dafuͤr, daß das Denken und
die Beſtimmungen des Denkens nicht ein den Gegenſtaͤn-
den fremdes, ſondern vielmehr deren Weſen ſey, oder
daß die Dinge und das Denken derſelben, — (wie auch
unſere Sprache eine Verwandſchaft derſelben ausdruͤckt, —)
an und fuͤr ſich uͤbereinſtimmen, daß das Denken in ſei-
nen immanenten Beſtimmungen, und die wahrhafte Na-
tur der Dinge, ein und derſelbe Inhalt ſey.
Aber nachdem der gemeine Menſchenverſtand ſich
der Philoſophie bemaͤchtigte, hat er ſeine Anſicht geltend
gemacht, daß die Wahrheit auf ſinnlicher Realitaͤt be-
ruhe, daß die Gedanken nur Gedanken ſeyen, in dem
Sinne, daß erſt die finnliche Wahrnehmung ihnen Ge-
halt und Realitaͤt gebe, daß die Vernunft, inſofern ſie
an
[VI]Einleitung.
an und fuͤr ſich bleibe, nur Hirngeſpinnſte erzeuge. In
dieſem Verzichtthun der Vernunft auf ſich ſelbſt iſt der
Begriff der Wahrheit verlohren gegangen; ſie hat ſich
darauf eingeſchraͤnkt, nur ſubjective Wahrheit, nur die
Erſcheinung zu erkennen, nur etwas, dem die Natur der
Sache ſelbſt nicht entſpreche; das Wiſſen iſt zur Mey-
nung zuruͤkgefallen.
Allein dieſe Wendung, welche das Erkennen genom-
men hat, und die als Verluſt und Ruͤkſchritt erſcheint,
hat das Tiefere zum Grunde, worauf uͤberhaupt die Er-
hebung der Vernunft in den hoͤhern Geiſt der neuern Philo-
ſophie beruht. Der Grund jener allgemein gewordenen Vor-
ſtellung iſt nemlich in der Einſicht von dem nothwendigen
Widerſtreite der Beſtimmungen des Verſtands mit ſich
ſelbſt, zu ſuchen. — Die Reflexion geht uͤber das con-
crete Unmittelbare hinaus, und trennt daſſelbe beſtim-
mend. Aber ſie muß eben ſo ſehr uͤber dieſe ihre tren-
nenden Beſtimmungen hinausgehen, und ſie zunaͤchſt bezie-
hen. Auf dem Standpunkte dieſes Beziehens tritt der
Widerſtreit derſelben hervor. Dieſes Beziehen der Re-
flexion gehoͤrt der Vernunft an; die Erhebung uͤber jene
Beſtimmungen, die zur Einſicht ihres Widerſtreits ge-
langt, iſt der große negative Schritt zum wahrhaften
Begriffe der Vernunft. Aber die nicht durchgefuͤhrte
Einſicht faͤllt in den Misverſtand, als ob die Vernunft
es ſey, welche in Widerſpruch mit ſich gerathe; ſie er-
kennt nicht, daß der Widerſpruch eben das Erheben der
Vernunft uͤber die Beſchraͤnkungen des Verſtands und
das Aufloͤſen derſelben iſt. Statt von hier aus den letz-
ten
[VII]Einleitung.
ten Schritt in die Hoͤhe zu thun, iſt die Erkenntniß von
dem Unbefriedigenden der Verſtandesbeſtimmungen zu der
ſinnlichen Wirklichkeit zuruͤkgeflohen, an derſelben das
Feſte und Einige zu haben vermeinend. Indem aber auf
der andern Seite dieſe Erkenntniß ſich als die Erkennt-
niß nur von Erſcheinendem weiß, wird das Unbefriedi-
gende derſelben eingeſtanden, aber zugleich vorausgeſetzt,
als ob zwar nicht die Dinge an ſich, aber doch innerhalb
der Sphaͤre der Erſcheinung richtig erkannt wuͤrde; als
ob gleichſam nur die Art der erkannten Gegenſtaͤnde ver-
ſchieden waͤre, und zwar nicht die eine Art, nemlich die
Dinge an ſich, aber doch die andere Art, nemlich die
Erſcheinungen in die Erkenntniß fielen. Wie wenn ei-
nem Manne richtige Einſicht beygemeſſen wuͤrde, mit dem
Zuſatz, daß er jedoch nichts Wahres, ſondern nur Un-
wahres einzuſehen faͤhig ſey. So ungereimt das Letztere
waͤre, ſo ungereimt iſt eine wahre Erkenntniß, die den
Gegenſtand nicht erkaͤnnte, wie er an ſich iſt.
Die Kritik der Formen des Verſtandes
hat das angefuͤhrte Reſultat gehabt, daß dieſe Formen
keine Anwendung auf die Dinge an ſich ha-
ben. — Diß kann keinen andern Sinn haben, als daß
dieſe Formen an ihnen ſelbſt etwas Unwahres ſind. Al-
lein indem ſie fuͤr die ſubjective Vernunft und fuͤr die Er-
fahrung als geltend gelaſſen werden, ſo hat die Kritik
keine Aenderung an ihnen ſelbſt bewirkt, ſondern laͤßt ſie
fuͤr das Subject in derſelben Geſtalt, wie ſie ſonſt fuͤr
das Object galten. Wenn ſie ungenuͤgend fuͤr das Ding
an ſich ſind, ſo muͤßte der Verſtand, dem ſie angehoͤren
ſollen,
[VIII]Einleitung.
ſollen, noch weniger dieſelben ſich gefallen laſſen und da-
mit vorliebnehmen wollen. Wenn ſie nicht Beſtimmun-
gen des Dings an ſich ſeyn koͤnnen, ſo koͤnnen ſie
noch weniger Beſtimmungen des Verſtandes ſeyn, dem
wenigſtens die Wuͤrde eines Dings an ſich zugeſtanden
werden ſollte. Die Beſtimmungen des Endlichen und
Unendlichen ſind in demſelben Widerſtreit, es ſey, daß
ſie auf Zeit und Raum, auf die Welt angewendet werden,
oder daß ſie Beſtimmungen innerhalb des Geiſtes ſeyen;
ſo gut als Schwarz und Weiß ein Grau geben, ob ſie an
einer Wand, oder aber noch auf der Pallete mit einander
vereinigt werden; wenn unſre Weltvorſtellung ſich auf-
loͤst, indem die Beſtimmungen des Unendlichen und End-
lichen auf ſie uͤbergetragen werden, ſo iſt noch mehr der
Geiſt ſelbſt, welcher ſie beyde in ſich enthaͤlt, ein in ſich
ſelbſt widerſprechendes, ein ſich aufloͤſendes. — Es iſt
nicht die Beſchaffenheit des Stoffes oder Gegenſtands,
worauf ſie angewendet wuͤrden oder in dem ſie ſich be-
faͤnden, was einen Unterſchied ausmachen kann; denn
der Gegenſtand hat nur durch und nach jenen Beſtimmun-
gen den Widerſpruch an ihm.
Jene Kritik hat alſo die Formen des objectiven Den-
kens vom Ding nur entfernt, aber ſie im Subject gelaſ-
ſen, wie ſie ſie vorgefunden. Sie hat dabey nemlich die-
ſe Formen nicht an und fuͤr ſich ſelbſt, nach ihrem eigen-
thuͤmlichen Inhalt betrachtet, ſondern ſie lemmatiſch aus
der ſubjectiven Logik geradezu aufgenommen; ſo daß von
einer Ableitung ihrer an ihnen ſelbſt, oder einer Ablei-
tung der ſubjectiv-logiſchen Formen, noch weniger aber
von
[IX]Einleitung.
von der dialektiſchen Betrachtung derſelben die Rede
war.
Der conſequenter durchgefuͤhrte tranſcendentale Idea-
lismus hat die Nichtigkeit des von der kritiſchen Philoſo-
phie noch uͤbrig gelaſſenen Geſpenſts des Dings-an
‒ ſich, dieſes abſtracten von allem Inhalt abgeſchiede-
nen Schattens erkannt, und den Zweck gehabt, ihn vol-
lends zu zerſtoͤren. Auch machte dieſe Philoſophie den
Anfang, die Vernunft aus ſich ſelbſt ihre Beſtimmungen
darſtellen zu laſſen. Aber die ſubjective Haltung dieſes
Verſuchs ließ ihn nicht zur Vollendung kommen. Ferner-
hin iſt mit dieſer Haltung auch jener Anfang um die
Ausbildung der reinen Wiſſenſchaft aufgegeben worden.
Ganz ohne Ruͤkſicht auf metaphyſiſche Bedeutung
aber wird dasjenige betrachtet, was gemeinhin unter Lo-
gik begriffen wird. Dieſe Wiſſenſchaft, in dem Zuſtande,
worin ſie ſich noch befindet, hat freylich keinen Inhalt der
Art, wie er als Realitaͤt und als eine wahrhafte Sache
in dem gewoͤhnlichen Bewußtſeyn gilt. Aber ſie iſt nicht
aus dieſem Grunde eine formelle, inhaltsvoller Wahr-
heit entbehrende Wiſſenſchaft. In jenem Stoffe, der in
ihr vermißt, und deſſen Mangel das Unbefriedigende der-
ſelben zugeſchrieben zu werden pflegt, iſt ohnehin das
Gebiet der Wahrheit nicht zu ſuchen. Sondern das Ge-
haltloſe der logiſchen Formen liegt vielmehr allein in der
Art, ſie zu betrachten und zu behandeln. Indem ſie
nemlich als feſte Beſtimmungen aus einander fallen, und
nicht in organiſcher Einheit zuſammengehalten werden,
ſind ſie todte Formen, und haben den Geiſt in ihnen nicht
wohnen,
[X]Einleitung.
wohnen, der die lebendige concrete Einheit ausmachte.
Damit aber entbehren ſie des gediegenen Inhalts, einer
Materie, die Gehalt an ſich ſelbſt waͤre. Der Inhalt,
der an den logiſchen Formen vermißt wird, iſt nemlich
nichts anderes, als eine feſte Grundlage und Concretion
der abſtracten Beſtimmungen; und ein ſolches ſubſtantiel-
les Weſen pflegt auſſen geſucht zu werden. Aber die
Vernunft ſelbſt iſt das Subſtantielle oder Reelle, das alle
abſtracten Beſtimmungen in ſich zuſammenhaͤlt, und ihre
gediegene, abſolut-concrete Einheit iſt. Nach dem alſo,
was eine Materie genannt zu werden pflegt, brauchte
nicht weit geſucht zu werden; es iſt nicht Schuld des
Gegenſtands der Logik, wenn ſie gehaltlos ſeyn ſoll, ſon-
dern allein der Art, wie derſelbe gefaßt wird.
Dieſer Geſichtspunkt fuͤhrt mich naͤher auf die An-
ſicht, nach der ich dafuͤr halte, daß die Logik zu betrach-
ten iſt, inwiefern ſie ſich von der bisherigen Behand-
lungsweiſe dieſer Wiſſenſchaft unterſcheidet, und auf den
allein wahrhaften Standpunkt, auf den ſie in Zukunft fuͤr
immer zu ſtellen iſt.
In der Phaͤnomenologie des Geiſtes
(Bamb. und Wuͤrzb. 1807) habe ich das Bewußtſeyn in
ſeiner Fortbewegung von dem erſten unmittelbaren Ge-
genſatz ſeiner und des Gegenſtands bis zum abſoluten
Wiſſen dargeſtellt. Dieſer Weg geht durch alle Formen
des Verhaͤltniſſes des Bewußtſeyns zum Objecte durch,
und hat den Begriff der Wiſſenſchaft zu ſeinem
Reſultate. Dieſer Begriff bedarf alſo (abgeſehen davon,
daß er innerhalb der Logik ſelbſt hervorgeht) hier keiner
Recht-
[XI]Einleitung.
Rechtfertigung, weil er ſie daſelbſt erhalten hat; und er
iſt keiner andern Rechtfertigung faͤhig, als nur dieſer
Hervorbringung deſſelben durch das Bewußtſeyn, dem
ſich ſeine Geſtalten alle in denſelben als in die Wahrheit
aufloͤſen. — Eine raͤſonnirende Begruͤndung oder Erlaͤu-
terung des Begriffs der Wiſſenſchaft kann zum hoͤchſten
dieß leiſten, daß er vor die Vorſtellung gebracht und eine
hiſtoriſche Kenntniß davon bewirkt werde; aber eine De-
finition der Wiſſenſchaft oder naͤher der Logik hat ihren
Beweis allein in jener Nothwendigkeit ihres Hervorgangs.
Eine Definition, mit der irgend eine Wiſſenſchaft den ab-
ſoluten Anfang macht, kann nichts anders enthalten, als
den beſtimmten, regelrechten Ausdruck von demjenigen,
was man ſich zugegebener- und bekanntermaſ-
ſen unter dem Gegenſtande und Zweck der Wiſſenſchaft
vorſtellt. Daß man ſich gerade diß darunter vorſtelle,
iſt eine hiſtoriſche Verſicherung, in Anſehung deren man ſich
allein auf dieſes und jenes Anerkannte berufen, oder ei-
gentlich nur bittweiſe beybringen kann, daß man diß und
jenes als anerkannt gelten laſſen moͤge. Es hoͤrt gar
nicht auf, daß der eine daher, der andere dorther einen
Fall und Inſtanz beybringt, nach der auch noch et-
was mehr und anderes bey dieſem und jenem Ausdrucke
zu verſtehen, in deſſen Definition alſo noch eine naͤhere oder
allgemeinere Beſtimmung aufzunehmen und darnach auch
die Wiſſenſchaft einzurichten ſey. — Es kommt dabey
ferner auf Raͤſonnement an, was alles und bis zu wel-
cher Grenze und Umfang hereingezogen oder ausgeſchloſſen
werden muͤſſe; dem Raͤſonnement ſelbſt aber ſteht das
mannich-
[XII]Einleitung.
mannichfaltigſte und verſchiedenartigſte Dafuͤrhalten offen,
woruͤber am Ende allein die Willkuͤhr eine feſte Beſtim-
mung abſchlieſſen kann. Davon aber kann bey dieſem
Verfahren, die Wiſſenſchaft mit ihrer Definition anzu-
fangen, nicht einmal die Rede ſeyn, daß die Noth-
wendigkeit ihres Gegenſtandes und damit ihrer ſelbſt
aufgezeigt wuͤrde.
Der Begriff der reinen Wiſſenſchaft und ſeine De-
duction wird hier alſo inſofern vorausgeſetzt, als die
Phaͤnomenologie des Geiſtes nichts anderes als die De-
duction deſſelben iſt. Das abſolute Wiſſen iſt die Wahr-
heit aller Weiſen des Bewußtſeyns, weil, wie jener Gang
deſſelben es hervorbrachte, nur in dem abſoluten Wiſſen,
die Trennung des Gegenſtandes von der Gewißheit ſeiner
ſelbſt vollkommen ſich aufgeloͤst hat, und die Wahrheit,
dieſer Gewißheit, ſo wie dieſe Gewißheit, der Wahrheit
gleich geworden iſt.
Die reine Wiſſenſchaft ſetzt ſomit die Befreyung
von dem Gegenſatze des Bewußtſeyns voraus. Sie ent-
haͤlt den Gedanken, inſofern er eben ſo ſehr
die Sache an ſich ſelbſt iſt, oder die Sache an ſich
ſelbſt, inſofern ſie eben ſo ſehr der reine Gedanke iſt.
Oder der Begriff der Wiſſenſchaft iſt, daß die Wahr-
heit das reine Selbſtbewußtſeyn ſey, und die Geſtalt
des Selbſts habe, daß das an ſich ſeyende der
Begriff, und der Begriff das an ſich ſeyende
iſt.
Dieſes objective Denken iſt denn der Inhalt der
reinen Wiſſenſchaft. Sie iſt daher ſo wenig formell, ſie
entbehrt
[XIII]Einleitung.
entbehrt ſo wenig der Materie zu einer wirklichen und
wahren Erkenntniß, daß ihr Inhalt vielmehr allein das
abſolute Wahre, oder wenn man ſich noch des Worts
Materie bedienen wollte, die wahrhafte Materie iſt, —
eine Materie aber, der die Form nicht ein aͤuſſerliches
iſt, da dieſe Materie vielmehr der reine Gedanke, ſomit
die abſolute Form ſelbſt iſt. Die Logik iſt ſonach als das
Syſtem der reinen Vernunft, als das Reich des reinen
Gedankens zu faſſen. Dieſes Reich iſt die Wahrheit
ſelbſt, wie ſie ohne Huͤlle an fuͤr ſich ſelbſt iſt; man kann
ſich deßwegen ausdruͤcken, daß dieſer Inhalt die Darſtel-
lung Gottes iſt, wie er in ſeinem ewigen Weſen, vor
der Erſchaffung der Natur und eines endlichen Geiſtes
iſt.
Anaxagoras wird als derjenige geprieſen, der
zuerſt den Gedanken ausgeſprochen habe, daß der Nus,
der Gedanke, das Princip der Welt, daß das Weſen
der Welt als der Gedanke zu beſtimmen iſt. Er hat da-
mit den Grund zu einer Intellectualanſicht der Welt ge-
legt, deren reine Geſtalt die Logik ſeyn muß. Es iſt
in ihr nicht um ein Denken uͤber Etwas, das fuͤr ſich
auſſer dem Denken zu Grunde laͤge, zu thun, um For-
men, welche bloße Merkmahle der Wahrheit abgeben ſoll-
ten; ſondern die nothwendigen Formen und eigenen Be-
ſtimmungen des Denkens ſind die hoͤchſte Wahrheit ſelbſt.
Aber um diß in die Vorſtellung wenigſtens aufzu-
nehmen, iſt die Meynung auf die Seite zu legen, als ob
die Wahrheit etwas Handgreifliches ſeyn muͤſſe. Es iſt
zum Beyſpiel auch die ſonderbare Art aufzugeben, die
Plato-
[XIV]Einleitung.
Platoniſchen Ideen, die in dem Denken Gottes ſind, zu
faſſen, nemlich gleichſam als exiſtirende Dinge, aber in
einer andern Welt oder Region, auſſerhalb welcher die
Welt der Wirklichkeit ſich befinde und eine von jenen
Ideen verſchiedene, erſt durch dieſe Verſchiedenheit reale
Subſtantialitaͤt habe. Die Platoniſche Idee iſt nichts
anders, als das Allgemeine oder beſtimmter der Begriff
des Gegenſtandes; nur in ſeinem Begriffe hat Etwas
Wirklichkeit; inſofern es von ſeinem Begriffe verſchieden
iſt, hoͤrt es auf wirklich zu ſeyn, und iſt ein Nichtiges;
die Seite der Handgreiflichkeit und des ſinnlichen Auſſer-
ſichſeyns gehoͤrt dieſer nichtigen Seite an. — Von der
andern Seite aber kann man ſich auf die eigenen Vorſtel-
lungen der gewoͤhnlichen Logik berufen; es wird nemlich
angenommen, daß z. B. Definitionen nicht Beſtimmun-
gen enthalten, die nur ins erkennende Subject fallen,
ſondern die Beſtimmungen des Gegenſtandes, welche ſei-
ne weſentlichſte eigenſte Natur ausmachen. Oder wenn
von gegebenen Beſtimmungen auf andere geſchloſſen wird,
wird angenommen, daß das erſchloſſene nicht ein dem
Gegenſtande Aeuſſerliches und Fremdes ſey, ſondern daß
es ihm vielmehr weſentlich ſelbſt zukoͤmme, daß dieſem
Denken das Seyn entſpreche. — Es liegt uͤberhaupt bey
dem Gebrauche der Formen des Begriffs, Urtheils,
Schlußes, Definition, Diviſion u. ſ. f. zum Grunde,
daß ſie nicht bloß Formen des ſelbſtbewußten Denkens
ſind, ſondern auch des gegenſtaͤndlichen Verſtandes. —
Denken iſt ein Ausdruck, der die in ihm enthaltene
Beſtimmung vorzugsweiſe dem Bewußtſeyn beylegt.
Aber
[XV]Einleitung.
Aber inſofern geſagt wird, daß Verſtand, daß Ver-
nunft in der gegenſtaͤndlichen Welt iſt, daß
der Geiſt und die Natur Geſetze habe, nach welchen ihr
Leben und ihre Veraͤnderungen ſich machen, ſo wird zuge-
geben, daß die Denkbeſtimmungen eben ſo ſehr objectiven
Werth und Exiſtenz haben.
Die kritiſche Philoſophie machte zwar bereits die
Metaphyſik zur Logik, aber ſie wie der ſpaͤtere
Idealismus gab, wie vorhin ſchon erinnert worden, zu-
gleich aus Angſt vor dem Object den logiſchen Beſtim-
mungen eine weſentlich ſubjective Bedeutung, wodurch ſie
gerade mit dem Objecte, das ſie flohen, behaftet blieben,
und ein Ding-an-ſich, einen unendlichen Anſtoß,
als ein Jenſeits ſich uͤbrig ließen. Aber die Befreyung
von dem Gegenſatze des Bewußtſeyns, welche die Wiſ-
ſenſchaft muß vorausſetzen koͤnnen, erhebt ſie uͤber dieſen
aͤngſtlichen, unvollendeten Standpunkt, und fordert die
Betrachtung der Denkformen, wie ſie an und fuͤr ſich,
ohne eine ſolche Beſchraͤnkung und Ruͤkſicht, das Logi-
ſche, das Rein-vernuͤnftige ſind.
Kant preißt ſonſt die Logik, nemlich das Aggregat
von Beſtimmungen und Saͤtzen, das im gewoͤhnlichen
Sinne Logik heißt, daruͤber gluͤcklich, daß ihr vor an-
dern Wiſſenſchaften eine ſo fruͤhe Vollendung zu Theil ge-
worden ſey; ſeit Ariſtoteles habe ſie keinen Ruͤkſchritt ge-
than, aber auch keinen Schritt vorwaͤrts, das Letztere
deßwegen, weil ſie allem Anſehen nach geſchloſſen und
vollendet zu ſeyn ſcheine. — Wenn die Logik ſeit Ariſto-
teles keine Veraͤnderung erlitten hat, — wie denn in
der
[XVI]Einleitung.
der That die Veraͤnderungen faſt mehr nur in Weglaſ-
ſungen beſtehen — ſo iſt daraus eher zu folgern, daß
ſie um ſo mehr einer totalen Umarbeitung beduͤrfe; denn
ein zweytauſendjaͤhriges Fortarbeiten des Geiſtes, muß
ihm ein hoͤheres Bewußtſeyn uͤber ſein Denken und uͤber
ſeine reine Weſenheit in ſich ſelbſt, verſchaft haben.
Die Vergleichung der Geſtalten, zu denen ſich der Geiſt
der Welt und der Geiſt der Wiſſenſchaft in jeder Art
reellen und ideellen Bewußtſeyns, emporgehoben hat, mit
der Geſtalt, in der ſich die Logik, ſein Bewußtſeyn uͤber
ſein reines Weſen, befindet, zeigt einen zu großen Unter-
ſchied, als daß es nicht der oberflaͤchlichſten Betrachtung
ſogleich auffallen ſollte, daß diß letztere Bewußtſeyn den
erſtern Erhebungen durchaus unangemeſſen und ihrer
unwuͤrdig iſt.
In der That iſt das Beduͤrfniß einer Umgeſtaltung
der Logik laͤngſt gefuͤhlt worden. In der Form und In-
halt, wie ſie ſich in den Lehrbuͤchern zeigt, iſt ſie, man
darf ſagen, in Verachtung gekommen. Sie wird noch
mit geſchleppt mehr im Gefuͤhle, daß eine Logik uͤber-
haupt nicht zu entbehren ſey, und aus einer noch fort-
dauernden Gewohnheit an die Tradition von ihrer Wich-
tigkeit, als aus Ueberzeugung, daß jener gewoͤhnliche
Inhalt und die Beſchaͤftigung mit jenen leeren Formen,
Werth und Nutzen habe.
Die Erweiterungen, die ihr durch pſychologiſches,
paͤdagogiſches und ſelbſt phyſiologiſches Material eine
Zeitlang gegeben wurden, ſind nachher fuͤr Verunſtaltun-
gen ziemlich allgemein anerkannt worden. An und fuͤr
ſich
[XVII]Einleitung.
ſich muß ein großer Theil dieſer pſychologiſchen, paͤdago-
giſchen, phyſiologiſchen Beobachtungen, Geſetze und Re-
geln, ſie mochten in der Logik oder wo es ſey, ſtehen,
als ſehr ſchaal und trivial erſcheinen. Vollends ſolche
Regeln, als zum Beyſpiel, daß man dasjenige durchden-
ken und pruͤfen ſolle, was man in Buͤchern leſe oder
muͤndlich hoͤre; daß man, wenn man nicht genau ſehe,
ſeinen Augen durch Brillen zu Huͤlfe zu kommen habe —
Regeln, die von den Lehrbuͤchern in der ſogenannten an-
gewandten Logik, und zwar ernſthaft in Paragraphen ab-
getheilt gegeben wurden, auf daß man zur Wahrheit ge-
lange, — muͤſſen jedermann als uͤberfluͤſſig vorkommen,
nur hoͤchſtens dem Schriftſteller oder Lehrer nicht, der in
Verlegenheit iſt, den ſonſt zu kurzen und todten Inhalt
der Logik durch irgend etwas auszudehnen *).
Was dieſen Inhalt ſelbſt betrift, ſo iſt ſchon oben
der Grund angegeben worden, warum er ſo geiſtlos iſt.
Die Beſtimmungen deſſelben gelten in ihrer Feſtigkeit
unverruͤkt, und werden nur in aͤuſſerliche Beziehung mit-
einander gebracht. Dadurch daß bey den Urtheilen und
Schluͤſſen die Operationen vornemlich auf das Quantita-
tive
B
[XVIII]Einleitung.
tive der Beſtimmungen zuruͤckgefuͤhrt und gegruͤndet wer-
den, beruht alles auf einem aͤuſſerlichen Unterſchiede,
auf bloßer Vergleichung, wird ein voͤllig analytiſches
Verfahren und begriffloſes Kalkuliren. Das Ableiten
der ſogenannten Regeln und Geſetze, des Schlieſſens
vornemlich, iſt nicht viel beſſer, als ein Befingern von
Staͤbchen von ungleicher Laͤnge, um ſie nach ihrer Groͤße
zu ſortiren und zu verbinden, — als die ſpielende Be-
ſchaͤftigung der Kinder, von mannichfaltig zerſchnittenen
Gemaͤhlden die paſſenden Stuͤcke zuſammen zu ſuchen. —
Man hat daher nicht mit Unrecht dieſes Denken dem
Rechnen und das Rechnen wieder dieſem Denken gleich-
geſetzt. In der Arithmetik werden die Zahlen als das
Begriffloſe genommen, das auſſer ſeiner Gleichheit oder
Ungleichheit, das heißt, auſſer ſeinem ganz aͤuſſerlichen
Verhaͤltniſſe keine Bedeutung hat; das weder an ihm
ſelbſt, noch deſſen Beziehung ein Gedanke iſt. Wenn
auf mechaniſche Weiſe ausgerechnet wird, daß dreyviertel
mit zweydritteln multiplicirt, ein halbes ausmacht, ſo
enthaͤlt dieſe Operation ungefaͤhr ſo viel und ſo wenig
Gedanken, als die Berechnung, ob in einer Figur dieſe
oder jene Art des Schluſſes Statt haben koͤnne.
Auſſerdem, daß die Logik den Geiſt in ihren todten
Inhalt zu empfangen hat, muß ihre Methode dieje-
nige ſeyn, wodurch ſie allein faͤhig iſt, reine Wiſſen-
ſchaft zu ſeyn. In dem Zuſtande, in dem ſie ſich befin-
det, iſt kaum eine Ahnung von wiſſenſchaftlicher Metho-
de zu erkennen. Sie hat ungefaͤhr die Form einer Er-
fahrungswiſſenſchaft. Erfahrungswiſſenſchaften haben
fuͤr
[XIX]Einleitung.
fuͤr das, was ſie ſeyn ſollen, ihre eigenthuͤmliche Me-
thode, des Definirens und des Klaſſificirens ihres Stof-
fes, ſo gut es geht, gefunden. Auch die reine Mathe-
matik hat ihre Methode, die fuͤr ihre abſtracten Gegen-
ſtaͤnde und fuͤr die quantitative Beſtimmung, in der ſie
ſie allein betrachtet, paſſend iſt. Ich habe uͤber dieſe
Methode und uͤberhaupt das untergeordnete der Wiſ-
ſenſchaftlichkeit, die in der Mathematik Statt finden
kann, in der Vorrede zur Phaͤnomenologie des Geiſtes,
das Weſentliche geſagt; aber ſie wird auch innerhalb der
Logik ſelbſt naͤher betrachtet werden. Spinoza, Wolf und
andre haben ſich verfuͤhren laſſen, ſie auch auf die Philo-
ſophie anzuwenden, und den aͤuſſerlichen Gang der be-
griffloſen Quantitaͤt zum Gange des Begriffes zu ma-
chen, was an und fuͤr ſich widerſprechend iſt. Bisher
hat die Philoſophie ihre Methode noch nicht gefunden;
ſie betrachtete mit Neid das ſyſtematiſche Gebaͤude der
Mathematik und borgte ſie, wie geſagt, von ihr, oder
behalf ſich mit der Methode von Wiſſenſchaften, die nur
Vermiſchungen von gegebenem Stoffe, Erfahrungsſaͤtzen
und Gedanken ſind, — oder half ſich mit dem rohen
Wegwerfen aller Methode. Das Naͤhere desjenigen,
was allein die wahrhafte Methode der philoſophiſchen
Wiſſenſchaft ſeyn kann, faͤllt in die Abhandlung der Lo-
gik ſelbſt; denn die Methode iſt das Bewußtſeyn uͤber die
Form ihrer innern Selbſtbewegung. Ich habe in der
Phaͤnomenologie des Geiſtes ein Beyſpiel von dieſer Me-
thode, an einem concretern Gegenſtande, an dem Be-
wußtſeyn, aufgeſtellt. Es ſind hier Geſtalten des Be-
B 2wußt-
[XX]Einleitung.
wußtſeyns, deren jede in ihrer Realiſirung ſich zugleich
ſelbſt aufloͤst, ihre eigene Negation zu ihrem Reſultate
hat, — und damit in eine hoͤhere Geſtalt uͤbergegangen
iſt. Das Einzige, um den wiſſenſchaftlichen Fortgang
zu gewinnen, iſt die Erkenntniß des logiſchen Satzes,
daß das Negative eben ſo ſehr poſitiv iſt, oder daß das
ſich Widerſprechende ſich nicht in Null, in das abſtracte
Nichts aufloͤst, ſondern weſentlich nur in die Negation
ſeines beſondern Inhalts, oder daß eine ſolche Ne-
gation nicht alle Negation, ſondern die Negation der
beſtimmten Sache, die ſich aufloͤst, ſomit beſtimmte
Negation iſt; daß alſo im Reſultate weſentlich das ent-
halten iſt, woraus es reſultirt; — was eigentlich eine
Tavtologie iſt, denn ſonſt waͤre es ein Unmittelbares,
nicht ein Reſultat. Indem das Reſultirende, die Ne-
gation, beſtimmte Negation iſt, hat ſie einen Inhalt.
Sie iſt ein neuer Begriff, aber der hoͤhere, reichere Be-
griff als der vorhergehende; denn ſie iſt um deſſen Ne-
gation oder Entgegengeſetztes reicher geworden; enthaͤlt
ihn alſo, aber auch mehr als ihn, und iſt die Einheit
ſeiner und ſeines Entgegengeſetzten. — In dieſem Wege
hat ſich nun auch das Syſtem der Begriffe zu bilden, —
und in unaufhaltſamem, reinem, von Auſſen nichts herein-
nehmendem Gange, ſich zu vollenden.
Ich erkenne, daß die Methode, die ich in dieſem Sy-
ſteme der Logik befolgt, — oder vielmehr die diß Syſtem
an ihm ſelbſt befolgt, — noch vieler Vervollkommnung
faͤhig iſt; aber ich weiß zugleich, daß ſie die einzige
wahrhafte iſt. Und diß erhellt leicht daraus, daß ſie
von
[XXI]Einleitung.
von ihrem Gegenſtande und Inhalte nichts unterſchiede-
nes iſt; — denn es iſt der Inhalt in ſich ſelbſt, die
Dialektik, die er an ſich ſelbſt hat, wel-
che ihn fortbewegt. Es iſt klar, daß keine Darſtellun-
gen fuͤr wiſſenſchaftlich gelten koͤnnen, welche nicht den
Gang dieſer Methode gehen und ihrem einfachen Ryth-
mus gemaͤß ſind, denn es iſt der Gang der Sache ſelbſt.
In Gemaͤßheit dieſer Methode erinnere ich, daß
die Eintheilungen und Ueberſchriften der Buͤcher, Ab-
ſchnitte und Kapitel, die in der folgenden Abhandlung
der Logik ſelbſt vorkommen, ſo wie etwa die damit ver-
bundenen Angaben, zum Behuf einer vorlaͤufigen Ueber-
ſicht gemacht und eigentlich nur von hiſtoriſchem Werthe
ſind. Sie gehoͤren nicht zum Inhalte und Koͤrper der
Wiſſenſchaft ſelbſt, ſondern ſind Zuſammenſtellungen der
aͤuſſern Reflexion, welche das Ganze der Ausfuͤhrung
ſchon durchlaufen hat, daher die Folge ſeiner Momente
voraus angibt, ehe ſie noch durch die Sache ſelbſt ſich
herbeyfuͤhren.
In den andern Wiſſenſchaften ſind ſolche Voraus-
beſtimmungen und Eintheilungen gleichfalls nichts ande-
res, es heißt darin bloß aſſertoriſch, ſelbſt in der Logik
zum Beyſpiel, „die Logik hat zwey Hauptſtuͤcke, die Ele-
mentarlehre und die Methodik,“ alsdann unter der Ele-
mentarlehre findet ſich ohne weiters die Ueberſchrift:
Geſetze des Denkens; — alsdann erſtes Kapitel:
von den Begriffen. Erſter Abſchnitt: von der Klar-
heit der Begriffe u. ſ. f. — Dieſe ohne irgend eine De-
duction und Rechtfertigung gemachten Beſtimmungen und
Ein-
[XXII]Einleitung.
Eintheilungen machen aber das Geruͤſte und den ganzen
Zuſammenhang ſolcher Wiſſenſchaften aus. Eine ſolche
Logik ſpricht ſelbſt davon, daß die Begriffe und Wahrhei-
ten aus Principien muͤſſen abgeleitet ſeyn; aber bey dem,
was ſie Methode nennt, wird auch nicht von weitem
an ein Ableiten gedacht. Die Ordnung beſteht etwa in
der Zuſammenſtellung von Gleichartigem, in der Vor-
ausſchickung des Einfachern vor dem Zuſammengeſetzten
und andern aͤuſſerlichen Ruͤckſichten. Aber in Ruͤckſicht
eines innern, nothwendigen Zuſammenhangs ſind die Ab-
theilungsbeſtimmungen nicht anders neben einander, als
in einem Regiſter, und der ganze Uebergang beſteht
darin, daß es itzt heißt: Zweytes Kapitel; — oder
wir kommen nunmehr zu den Urtheilen, u. dgl.
So haben auch die Ueberſchriften und Eintheilun-
gen, die in dieſem Syſteme vorkommen, keine andere
Bedeutung, als einer Inhaltsanzeige. Auſſerdem aber
muß die Nothwendigkeit des Zuſammenhangs und imma-
nente Entſtehung der Unterſchiede vorhanden ſeyn, welche in
die Abhandlung der Sache ſelbſt, und in die eigene Fort-
beſtimmung des Begriffes faͤllt.
Das aber, wodurch ſich der Begriff ſelbſt weiter lei-
tet, iſt das Negative, das er in ſich ſelbſt hat; diß macht
das wahrhaft Dialektiſche aus. Die Dialektik, die
bisher als ein abgeſonderter Theil der Logik betrachtet,
und in Anſehung ihres Zwecks und Standpunkts, man
kann ſagen, gaͤnzlich verkannt worden, erhaͤlt dadurch
eine ganz andere Stellung. — Auch die platoniſche Dia-
lektik hat ſelbſt im Parmenides, und anderswo ohnehin
noch
[XXIII]Einleitung.
noch directer, theils nur die Abſicht, beſchraͤnkte Be-
hauptungen durch ſich ſelbſt aufzuloͤſen und zu widerlegen,
theils aber uͤberhaupt das Nichts zum Reſultate. Die
Dialektik erſchien gewoͤhnlich als ein aͤuſſerliches, und
negatives Thun, das nicht der Sache ſelbſt angehoͤre,
und das in bloßer Eitelkeit, als einer ſubjectiven Sucht,
ſich das Feſte und Wahre in Schwanken zu ſetzen und
aufzuloͤſen, ſeinen Grund habe, oder wenigſtens zu
Nichts fuͤhre, als zur Eitelkeit des dialektiſch behandel-
ten Gegenſtandes.
Kant hat die Dialektik hoͤher geſtellt, — und dieſe
Seite gehoͤrt unter die groͤßten ſeiner Verdienſte, — in-
dem er ihr den Schein von Willkuͤhr nahm, den ſie nach
der gewoͤhnlichen Vorſtellung hatte, und ſie als ein noth-
wendiges Thun der Vernunft darſtellte. Indem ſie nur
fuͤr die Kunſt, Blendwerke vorzumachen und Illuſionen
hervorzubringen, galt, ſo wurde ſchlechthin vorausgeſetzt,
daß ſie ein falſches Spiel ſpiele, und ihre ganze Kraft
allein darauf beruhe, daß ſie den Betrug verſtecke; daß
ihre Reſultate nur erſchlichen, und ein ſubjectiver Schein
ſeyen. Kants dialektiſche Darſtellungen in den Antino-
mien der reinen Vernunft, verdienen zwar, wenn ſie
naͤher betrachtet werden, wie diß im Verfolge dieſer Ab-
handlung an einigen weitlaͤufiger geſchehen wird, frey-
lich kein großes Lob; aber die allgemeine Idee, die er
zu Grunde gelegt und damit geltend gemacht hat, iſt die
Objectivitaͤt des Scheins und Nothwendigkeit des Wi-
derſpruchs, der zur Natur der Denkbeſtimmungen gehoͤrt:
zunaͤchſt nemlich inſofern dieſe Beſtimmungen von der
Ver-
[XXIV]Einleitung.
Vernunft auf die Dinge an ſich angewendet werden; aber
eben, was ſie in der Vernunft und in Ruͤckſicht auf das
ſind, was an ſich iſt, iſt ihre Natur. Es iſt diß Re-
ſultat in ſeiner poſitiven Seite aufgefaßt,
nichts anders, als die innere Negativitaͤt derſelben,
oder ihre ſich ſelbſtbewegende Seele, das Princip aller
natuͤrlichen und geiſtigen Lebendigkeit uͤberhaupt. Aber
ſo wie nur bey der negativen Seite des Dialektiſchen
ſtehen geblieben wird, ſo iſt das Reſultat nur das Be-
kannte, daß die Vernunft unfaͤhig ſey, das Unendliche
zu erkennen; — ein ſonderbares Reſultat, indem das
Unendliche das Vernuͤnftige iſt, zu ſagen, die Vernunft
ſey nicht faͤhig das Vernuͤnftige zu erkennen.
In dieſem Dialektiſchen, wie es hier genommen
wird, und damit in dem Faſſen des Entgegengeſetzten in
ſeiner Einheit, oder des Poſitiven im Negativen beſteht
das Speculative. Es iſt die wichtigſte, aber fuͤr
die noch ungeuͤbte, unfreye Denkkraft ſchwerſte Seite.
Wenn ſie noch darin begriffen iſt, ſich vom ſinnlichcon-
creten Vorſtellen und vom Raͤſonniren loszureiſſen, ſo
hat ſie ſich zuerſt im abſtracten Denken zu uͤben, Be-
griffe in ihrer Beſtimmtheit feſtzuhalten und aus ih-
nen erkennen zu lernen. Eine Darſtellung der Logik zu
dieſem Behuf haͤtte ſich in ihrer Methode an das oben-
beſagte Eintheilen und in Anſehung des naͤhern Inhalts
ſelbſt, an die Beſtimmungen, die ſich fuͤr die einzelnen
Begriffe ergeben, zu halten, ohne ſich auf das Dialekti-
ſche einzulaſſen. Sie wuͤrde der aͤuſſern Geſtalt nach
dem gewoͤhnlichen Vortrag dieſer Wiſſenſchaft aͤhnlich
werden,
[XXV]Einleitung.
werden, ſich uͤbrigens dem Inhalte nach ſehr davon un-
terſcheiden, und immer noch dazu dienen, das abſtracte,
ob zwar nicht das ſpekulative Denken, zu uͤben, welchen
Zweck die durch pſychologiſche und anthropologiſche Zu-
thaten populaͤr gewordene Logik nicht einmal erfuͤllen
kann. Sie wuͤrde dem Geiſte das Bild eines methodiſch
geordneten Ganzen geben, obgleich die Seele des Ge-
baͤudes, die Methode, die im Dialektiſchen lebt, nicht
ſelbſt darin erſchiene.
In Ruͤckſicht auf die Bildung und das Verhaͤltniß
des Individuums zur Logik, merke ich ſchließlich noch
an, daß ſie, wie die Grammatik, in zwey verſchiedenen
Anſichten oder Werthen erſcheint. Sie iſt etwas anderes
fuͤr den, der zu ihr und den Wiſſenſchaften uͤberhaupt
erſt hinzutritt, und etwas anderes fuͤr den, der von ih-
nen zu ihr zuruͤckkommt. Wer die Grammatik anfaͤngt
kennen zu lernen, findet in ihren Beſtimmungen und Ge-
ſetzen, trokne Abſtractionen, zufaͤllige Regeln, uͤber-
haupt eine iſolirte Menge von Beſtimmungen, die nur
den Werth und die Bedeutung deſſen zeigen, was in ih-
rem unmittelbaren Sinne liegt; das Erkennen erkennt in
ihnen zunaͤchſt nichts als ſie. Wer dagegen einer Spra-
che maͤchtig iſt und zugleich andere Sprachen in Verglei-
chung mit ihr kennt, dem erſt kann ſich der Geiſt und
die Bildung eines Volks in der Grammatik ſeiner Spra-
che ausgedruͤckt zeigen. Dieſelben Regeln und Formen
haben nunmehr einen erfuͤllten, reichen, lebendigen
Werth. Und endlich kann er durch die Grammatik hin-
durch den Ausdruck des Geiſtes uͤberhaupt, die Logik,
erken-
[XXVI]Einleitung.
erkennen. So wer zur Wiſſenſchaft hinzutritt, findet in
der Logik zunaͤchſt ein iſolirtes Syſtem von Abſtractionen,
das auf ſich ſelbſt beſchraͤnkt, nicht uͤber die andern
Kenntniſſe und Wiſſenſchaften uͤbergreift. Vielmehr, ge-
halten gegen den Reichthum der Weltvorſtellung, gegen
den realerſcheinenden Inhalt der andern Wiſſenſchaften,
und verglichen mit dem Verſprechen der abſoluten Wiſ-
ſenſchaft, das Weſen dieſes Reichthums, die innere Na-
tur des Geiſtes und der Welt zu enthuͤllen, hat dieſe
Wiſſenſchaft in ihrer abſtracten Geſtalt, in der Einfach-
heit ihrer reinen Beſtimmungen vielmehr das Anſehen,
alles eher zu leiſten als diß Verſprechen, und gehalt-
los jenem Reichthum gegenuͤber zu ſtehen. Die erſte Be-
kanntſchaft mit der Logik ſchraͤnkt ihre Bedeutung nur
auf ſie ſelbſt ein; ihr Inhalt gilt nur fuͤr eine iſolirte
Beſchaͤftigung mit den Denkbeſtimmungen, neben der die
andern wiſſenſchaftlichen Beſchaͤftigungen ein eigner Stoff
und Inhalt fuͤr ſich ſind, auf welche das Logiſche nur
einen formellen Einfluß hat, und zwar einen ſolchen, der
ſich mehr von ſelbſt macht, und fuͤr den die wiſſenſchaft-
liche Geſtalt und deren Studium auch zur Noth entbehrt
werden kann. Die andern Wiſſenſchaften haben die re-
gelrechte Methode, eine Folge von Definitionen, Axio-
men, Theoremen und deren Beweiſen u. ſ. f. zu ſeyn,
im Ganzen abgeworfen, die angebohrne Form des Den-
kens, die ſogenannte natuͤrliche Logik macht ſich fuͤr ſich
in ihnen geltend, und hilft ſich ohne beſondere auf ſie
gerichtete Erkenntniß fort. Vollends aber haͤlt ſich der
Stoff und Inhalt dieſer Wiſſenſchaften vom Logiſchen ver-
ſchieden
[XXVII]Einleitung.
ſchieden und voͤllig unabhaͤngig, und iſt fuͤr Sinn, Vor-
ſtellung, und praktiſches Intereſſe jeder Art anſpre-
chender.
So muß denn allerdings die Logik zuerſt gelernt
werden, als etwas, das man wohl verſteht und einſieht,
aber woran Umfang, Tiefe und weitere Bedeutung an-
fangs vermißt wird. Erſt aus der tiefern Kenntniß der
andern Wiſſenſchaften erhebt ſich fuͤr den ſubjectiven
Geiſt, das Logiſche, als ein nicht nur abſtract Allgemei-
nes, ſondern als das den Reichthum des Beſondern in
ſich faſſende Allgemeine; — wie derſelbe Sittenſpruch in
dem Sinne des Juͤnglings, der ihn ganz richtig verſteht,
nicht die Bedeutung und den Umfang beſitzt, welchen er
im Geiſte eines lebenserfahrnen Mannes hat, dem ſich
damit die ganze Kraft des darin enthaltenen ausdruͤckt.
So erhaͤlt das Logiſche erſt dadurch die Schaͤtzung ſeines
Werths, wenn es zum Reſultate der Erfahrung der
Wiſſenſchaften geworden iſt; es ſtellt ſich daraus als die
allgemeine Wahrheit, nicht als eine beſondere Kennt-
niß neben anderem Stoffe und Realitaͤten, ſondern
als das Weſen alles dieſes ſonſtigen Inhalts dem Geiſte
dar.
Ob nun das Logiſche zwar im Anfange des Stu-
diums nicht in dieſer bewußten Kraft fuͤr den Geiſt vor-
handen iſt, ſo empfaͤngt er durch daſſelbe darum nicht
weniger die Kraft in ſich, die ihn in alle Wahrheit lei-
tet. Das Syſtem der Logik iſt das Reich der Schatten,
die Welt der einfachen Weſenheiten, von aller ſinnlichen
Concretion befreyt. Das Studium dieſer Wiſſenſchaft,
der
[XXVIII]Einleitung.
der Aufenthalt und die Arbeit in dieſem Schattenreich iſt
die abſolute Bildung und Zucht des Bewußtſeyns. Es
treibt darin ein von ſinnlichen Zwecken, von Gefuͤhlen,
von der bloß gemeynten Vorſtellungswelt fernes Geſchaͤf-
te. Von ſeiner negativen Seite betrachtet, beſteht diß
Geſchaͤfte in dem Fernehalten der Zufaͤlligkeit des raͤſon-
nirenden Denkens und der Willkuͤhr, dieſe oder die ent-
gegengeſetzten Gruͤnde ſich einfallen und gelten zu laſſen.
Vornemlich aber gewinnt der Gedanke dadurch
Selbſtſtaͤndigkeit und Unabhaͤngigkeit vom Concreten.
Er wird in dem Abſtracten und in dem Fortgehen durch
Begriffe ohne ſinnliche Subſtrate, einheimiſch, und da-
durch die unbewußte Kraft, die ſonſtige Mannichfaltig-
keit der Kenntniſſe und Wiſſenſchaften in die vernuͤnftige
Form aufzunehmen, ſie in ihrem Weſentlichen zu erfaſ-
ſen und feſtzuhalten, das Aeuſſerliche abzuſtreifen und
auf dieſe Weiſe aus ihnen das Logiſche auszuziehen, —
oder was daſſelbe iſt, die vorher durch das Studium er-
worbene abſtracte Grundlage des Logiſchen mit dem Ge-
halte aller Wahrheit zu erfuͤllen, und ihm den Werth
eines Allgemeinen zu geben, das nicht mehr als ein Be-
ſonderes neben anderem Beſondern ſteht, ſondern uͤber
daſſelbe uͤbergreift und das Weſen deſſelben, das Abſo-
lut-wahre iſt.
[1]
Logik.
Ueber die
allgemeine Eintheilung
derſelben.
Ueber den Begriff dieſer Wiſſenſchaft, und wohin
ſeine Rechtfertigung falle, iſt in der Einleitung das Noͤ-
thige geſagt worden. Aus demſelben ergibt ſich auch
ihre vorlaͤufige allgemeine Eintheilung.
Die Logik, als die Wiſſenſchaft des reinen Denkens,
oder uͤberhaupt als die reine Wiſſenſchaft, hat zu ihrem
Elemente dieſe Einheit des Subjectiven und Objectiven,
welche abſolutes Wiſſen iſt, und zu der der Geiſt als zu
ſeiner abſoluten Wahrheit ſich erhoben hat. Die Beſtim-
mungen dieſes abſoluten Elementes, haben die Bedeu-
tung, weder nur Gedanken noch nur gegenſtaͤndliche Be-
ſtimmungen zu ſeyn, weder leere Abſtractionen und jen-
ſeits der Wirklichkeit ſich bewegende Begriffe, noch aber
dem Ich fremde Weſenheiten, und objectives An-ſich zu
ſeyn, noch auch bloß aͤuſſere Verbindungen und Vermi-
ſchungen von beydem. Sondern das Element dieſer
Wiſſenſchaft iſt die Einheit, daß das Seyn reiner Begriff
an ſich ſelbſt, und nur der reine Begriff das wahrhafte
Seyn iſt.
Indem
[2]Allgemeine Eintheilung
Indem nun die Einheit ſich beſtimmt und entwickelt,
ſo muͤſſen ihre Beſtimmungen die Form jener Trennung
haben, denn die Einheit iſt eben Einheit jenes Unterſchie-
des, und ihre Entwicklung iſt die Darſtellung deſſen, was
ſie in ſich enthaͤlt, alſo jenes Unterſchiedes von Seyn
und von Denken. Allein indem das Wiſſen darin beſteht,
daß die Wahrheit dieſes Unterſchiedes in ſeiner Einigung
beſteht, ſo hat er, indem das Wiſſen an und aus ſich
ſelbſt denſelben durch ſein Beſtimmen entwickelt, nicht
mehr die Bedeutung, die er auf ſeinem Wege hat-
te, oder indem er auſſer ſeiner Wahrheit war;
ſondern er kann nur als eine Beſtimmung dieſer Einheit,
als ein Moment innerhalb ihrer ſelbſt, auftre-
ten und dieſe Einheit kann nicht wieder in ihn ſich auf-
loͤſen.
Die Logik kann daher uͤberhaupt in die Logik des
Seyns und des Denkens, in die objective und
ſubjective Logik eingetheilt werden.
Die objective Logik wuͤrde dem Inhalte nach
zum Theil dem entſprechen, was bey Kant *)tran-
ſcen-
[3]der Logik.
ſcendentale Logik iſt. Er unterſcheidet dieſe ſo von
dem, was er allgemeine Logik nennt, oder was gewoͤhn-
lich Logik uͤberhaupt genannt wird, daß jene die Begriffe
betrachte, die ſich a priori auf Gegenſtaͤnde beziehen, ſo-
mit nicht von allem Inhalte der objectiven Erkenntniß
abſtrahire, oder daß ſie die Regeln des reinen Denkens
eines Gegenſtandes enthalte, und zugleich auf den Ur-
ſprung unſerer Erkenntniß gehe, inſofern ſie nicht den
Gegenſtaͤnden zugeſchrieben werden koͤnne. — Der
Hauptgedanke Kants iſt, die Kategorien dem Selbſtbe-
wußtſeyn, als dem ſubjectiven Ich, zu vindiciren.
Daher ſpricht er noch auſſer dem Empiriſchen, der Seite
des Gefuͤhls und der Anſchauung, beſonders von Gegen-
ſtaͤnden, oder von Etwas, das nicht durch das Selbſt-
bewußtſeyn geſetzt und beſtimmt iſt. Waͤre die Katego-
rie Form des abſoluten Denkens, ſo koͤnnte nicht ein
Ding-an-ſich, ein dem Denken fremdes und aͤuſſerli-
ches, uͤbrig bleiben. Wenn andere Kantianer ſich
uͤber das Beſtimmen des Gegenſtands durch Ich ſo aus-
gedruͤckt haben, daß das Objectiviren des Ich, als ein
urſpruͤngliches und nothwendiges Thun des Bewußtſeyns
anzuſehen ſey, ſo daß in dieſem urſpruͤnglichen Thun
noch nicht die Vorſtellung des Ich ſelbſt iſt, — als wel-
che erſt ein Bewußtſeyn jenes Bewußtſeyns, oder ſelbſt
ein Objectiviren jenes Bewußtſeyns ſey, — ſo iſt die-
ſes von dem Gegenſatze des Bewußtſeyns befreyte
objectivirende Thun naͤher dasjenige, was als abſo-
lutes Denken uͤberhaupt genommen werden kann.
Aber dieſes Thun ſollte dann nicht mehr Bewußtſeyn ge-
nannt werden, denn Bewußtſeyn ſchließt den Gegenſatz
des Ich und ſeines Gegenſtandes in ſich, der in jenem
urſpruͤnglichen Thun nicht vorhanden iſt; und die Be-
nennung Bewußtſeyn wirft noch mehr den Schein von
Subjectivitaͤt darauf, als der Ausdruck Denken, der
hier uͤberhaupt im abſoluten Sinne, oder wenn es ver-
meintlich
[4]Allgemeine Eintheilung
meintlich verſtaͤndlicher ſeyn ſollte, als unendliches Den-
ken genommen werden muß.
Die objective Logik begreift uͤbrigens nicht
bloß die Denkbeſtimmungen des unmittelbaren
Seyns in ſich, ſondern auch die des vermittelten
Seyns, die eigentlichen Reflexionsbeſtimmungen, oder
die Lehre vom Weſen; inſofern nemlich das Weſen
noch nicht der Begriff ſelbſt iſt, ſondern erſt das Gebiet
der Reflexion als der Bewegung zum Begriffe ausmacht,
indem es, aus dem Seyn herkommend, noch ein diffe-
rentes Inſichſeyn iſt.
Die objective Logik tritt ſomit uͤberhaupt an die
Stelle der vormaligen Metaphyſik. Erſtens unmit-
telbar an die Stelle der Ontologie, des erſten Theils
derſelben, der die Natur des Ens uͤberhaupt darſtellen
ſollte; — das Ens begreift ſowohl Seyn als Weſen
in ſich, fuͤr welchen Unterſchied unſere Sprache gluͤckli-
cherweiſe den verſchiedenen Ausdruck gerettet hat. —
Alsdann aber begreift die objective Logik auch die uͤbrige
Metaphyſik in ſich, inſofern als dieſe die reinen Denk-
formen auf beſondere, zunaͤchſt aus der Vorſtellung ge-
nommene Subſtrate, die Seele, die Welt, Gott, an-
gewendet enthielt, und dieſe Beſtimmungen des Den-
kens das Weſentliche der metaphyſiſchen Betrachtungs-
weiſe ausmachten. Die Logik betrachtet dieſe Formen
frey von jenen Subſtraten, und ihre Natur und Werth
an und fuͤr ſich ſelbſt. Jene Metaphyſik unterließ diß
und zog ſich daher den gerechten Vorwurf zu, ſie ohne
Kritik gebraucht zu haben, ohne die vorgaͤngige Unterſu-
chung, ob und wie ſie faͤhig ſeyen, Beſtimmungen des
Dings-an-ſich, nach Kantiſchem Ausdruck, — oder viel-
mehr des Vernuͤnftigen zu ſeyn. — Die objective Logik
iſt daher die wahrhafte Kritik derſelben, — eine Kritik,
die
[5]der Logik.
die ſie nicht bloß nach der allgemeinen Form der Aprio-
ritaͤt, gegen das Apoſterioriſche, ſondern ſie ſelbſt in ih-
rem beſondern Inhalte betrachtet.
Die ſubjective Logik iſt die Logik des Be-
griffs, — des Weſens, das die Beziehung auf ein Seyn,
oder ſeinen Schein aufgehoben hat, und in ſeiner Be-
ſtimmung nicht aͤuſſerlich mehr, ſondern das freye ſelbſt-
ſtaͤndige Subjective, oder vielmehr das Subject ſelbſt iſt.
Indem aber das Subjective das Misverſtaͤndniß
von Zufaͤlligem und Willkuͤhrlichem, ſo wie uͤberhaupt
von Beſtimmungen, die in die Form des Bewußtſeyns
gehoͤren, mit ſich fuͤhrt, ſo iſt auf den Unterſchied von
Subjectivem und Objectivem, der ſich ſpaͤterhin inner-
halb der Logik ſelbſt naͤher entwickeln wird, hier kein be-
ſonderes Gewicht zu legen. — Die Logik zerfaͤllt zwar
uͤberhaupt in objective und ſubjective Logik. Beſtimmter
aber hat ſie die drey Theile: I.die Logik des
Seyns; II.die Logik des Weſens und III.
die Logik des Begriffs.
CErſtes
[6]
Erſtes Buch.
Das Seyn.
Womit muß der Anfang der Wiſſenſchaft gemacht
werden?
Aus der Phaͤnomenologie des Geiſtes, oder der
Wiſſenſchaft des Bewußtſeyns, als des erſcheinenden
Geiſtes wird vorausgeſetzt, daß ſich als deſſen letzte, ab-
ſolute Wahrheit das reine Wiſſen ergibt. Die Lo-
gik iſt die reine Wiſſenſchaft, das reine Wiſſen in
ſeinem Umfange und ſeiner Ausbreitung. Das reine
Wiſſen iſt die zur Wahrheit gewordene Gewißheit, oder
die Gewißheit, die dem Gegenſtande nicht mehr gegen-
uͤber iſt, ſondern ihn innerlich gemacht hat, ihn als ſich
ſelbſt weiß, und die auf der andern Seite eben ſo, das
Wiſſen von ſich, als einem, das dem Gegenſtaͤndlichen
gegenuͤber und nur deſſen Vernichtung ſey, aufgegeben,
ſich entaͤuſſert hat, und Einheit mit ſeiner Entaͤuſſerung
iſt.
Das reine Wiſſen in dieſe Einheit zuſammengegan-
gen, hat alle Beziehung auf ein Anderes und die Ver-
mittlung aufgehoben, und iſt einfache Unmittel-
barkeit.
Die
[7]Erſtes Buch. Das Seyn.
Die einfache Unmittelbarkeit iſt ſelbſt ein Reflexions-
ausdruck, und bezieht ſich auf den Unterſchied von dem
Vermittelten. In ihrem wahren Ausdrucke iſt dieſe ein-
fache Unmittelbarkeit das reine Seyn, oder das
Seyn uͤberhaupt; Seyn, ſonſt nichts, ohne alle wei-
tere Beſtimmung und Erfuͤllung.
Dieſer Ruͤckblick auf den Begriff des reinen Wiſſens
iſt der Grund, aus welchem das Seyn herkommt,
um den Anfang der abſoluten Wiſſenſchaft auszuma-
chen.
Oder zweytens umgekehrt der Anfang der ab-
ſoluten Wiſſenſchaft muß ſelbſt abſoluter An-
fang ſeyn, er darf nichts vorausſetzen. Er
muß alſo durch nichts vermittelt ſeyn, noch einen Grund
haben; er ſoll vielmehr ſelbſt der Grund der ganzen
Wiſſenſchaft ſeyn. Er muß daher ſchlechthin ein Unmit-
telbares ſeyn, oder vielmehr das Unmittelbare ſelbſt.
Wie er nicht gegen anderes eine Beſtimmung haben kann,
ſo kann er auch keine in ſich, keinen Inhalt enthalten,
denn dergleichen waͤre ebenfalls eine Unterſcheidung, und
Beziehung von Verſchiedenem aufeinander, ſomit eine
Vermittlung. Der Anfang iſt alſo das reine Seyn.
In neuern Zeiten vornemlich wurde es als eine
Schwierigkeit angeſehen, einen Anfang in der Philoſo-
phie zu finden, und der Grund dieſer Schwierigkeit, ſo
wie die Moͤglichkeit, ſie zu loͤſen, vielfaͤltig beſprochen.
Der Anfang der Philoſophie muß entweder ein Vermit-
teltes oder Unmittelbares ſeyn, und es iſt leicht zu zei-
gen, daß er weder das Eine noch das Andere ſeyn koͤn-
ne; ſomit findet die eine oder die andere Weiſe des An-
fangens ihre Widerlegung.
C 2In
[8]Erſtes Buch.
In der erſten ſo eben gegebenen Darſtellung des
Seyns als des Anfangs iſt der Begriff des Wiſſens vor-
ausgeſetzt. Somit iſt dieſer Anfang nicht abſolut, ſon-
dern kommt aus der vorhergehenden Bewegung des Be-
wußtſeyns her. Die Wiſſenſchaft dieſer Bewegung, aus
der das Wiſſen reſultirt, muͤßte nun den abſoluten An-
fang haben. Sie macht ihn mit dem unmittelbaren
Bewußtſeyn, dem Wiſſen, daß etwas iſt. — Das Seyn
macht ſo hier gleichfalls den Anfang, aber als Beſtim-
mung einer concreten Geſtalt, des Bewußtſeyns;
erſt das reine Wiſſen, der Geiſt, der ſich von ſeiner Er-
ſcheinung als Bewußtſeyn befreyt hat, hat auch das
freye, reine Seyn zu ſeinem Anfang. — Aber jener An-
fang, das unmittelbare Bewußtſeyn, enthaͤlt das Ich als
bezogen auf ein ſchlechthin Anderes, und umgekehrt, den
Gegenſtand bezogen auf Ich; ſomit eine Vermittlung. —
Zwar enthaͤlt das Bewußtſeyn die beyden Vermittelnden,
— die auch wiederum die Vermittelten ſind, — ſelbſt,
weißt ſomit nicht uͤber ſich hinaus, und iſt in ſich be-
ſchloſſen. Aber indem die Vermittlung gegenſeitig iſt, ſo
iſt jedes Vermittelnde auch vermittelt, ſomit keine wahr-
hafte Unmittelbarkeit vorhanden. — Aber umgekehrt waͤre
eine ſolche vorhanden, ſo iſt ſie, da ſie nicht begruͤndet iſt,
etwas willkuͤhrliches und zufaͤlliges.
Die Einſicht, daß das Abſolut-Wahre ein Reſul-
tat ſeyn muͤſſe, und umgekehrt, daß ein Reſultat ein Er-
ſtes Wahres vorausſetzt, das aber, weil es Erſtes iſt,
objectiv betrachtet, nicht nothwendig, und nach der ſub-
jectiven Seite, nicht erkannt iſt, — hat in neuern Zeiten
den Gedanken hervorgebracht, daß die Philoſophie nur
mit einem hypothetiſchen und problematiſchen Wahren
anfangen, und das Philoſophiren daher zuerſt nur ein
Suchen ſeyn koͤnne.
Nach
[9]Das Seyn.
Nach dieſer Anſicht iſt das Vorwaͤrtsſchreiten in
der Philoſophie vielmehr ein Ruͤckwaͤrtsgehen und
Begruͤnden, durch welches erſt ſich ergebe, daß das,
womit angefangen wurde, nicht bloß ein willkuͤhrlich an-
genommenes, ſondern in der That theils das Wahre,
theils das erſte Wahre ſey.
Man muß zugeben, daß es eine weſentliche Be-
trachtung iſt, — die ſich innerhalb der Logik ſelbſt naͤher
ergeben wird, — daß das Vorwaͤrtsgehen ein Ruͤckgang
in den Grund und zu dem Urſpruͤnglichen iſt,
von dem das, womit der Anfang gemacht wurde, ab-
haͤngt. — So wird das Bewußtſeyn auf ſeinem Wege
von der Unmittelbarkeit aus, mit der es anfaͤngt, zum
abſoluten Wiſſen, als ſeiner Wahrheit, zuruͤckgefuͤhrt.
Diß letzte, der Grund, iſt denn auch dasjenige, aus
welchem das Erſte hervorgeht, das zuerſt als Unmittel-
bares auftrat. — So wird auch der Geiſt am Ende der
Entwicklung des reinen Wiſſens, ſich mit Freyheit ent-
aͤuſſern und ſich in die Geſtalt eines unmittelbaren Be-
wußtſeyns, als Bewußtſeyn eines Seyns, das ihm als
ein Anderes gegenuͤber ſteht, entlaſſen. Das Weſentli-
che iſt eigentlich, nicht daß ein rein Unmittelbares der
Anfang ſey, ſondern daß das Ganze ein Kreislauf in ſich
ſelbſt iſt, worin das Erſte auch das Letzte, und das
Letzte auch das Erſte wird.
Daher iſt auf der andern Seite eben ſo nothwendig,
dasjenige, in welches die Bewegung als in ſeinen
Grund zuruͤckgeht, als Reſultat zu betrachten.
Nach dieſer Ruͤckſicht iſt das Erſte eben ſo ſehr der
Grund, und das Letzte iſt ein Abgeleitetes. Denn in-
dem von dem Erſten ausgegangen und durch richtige Fol-
gerungen auf das Letzte, als auf den Grund, gekommen
wird, ſo iſt dieſer in der That Reſultat. Der Fort-
gang
[10]Erſtes Buch.
gang von dem, was den Anfang macht, iſt ferner nur
eine weitere Beſtimmung deſſelben, ſo daß diß
allem Folgenden zu Grunde liegen bleibt, und nicht dar-
aus verſchwindet. Das Fortgehen beſteht nicht darin,
daß ein Anderes abgeleitet, oder daß in ein wahrhaft
Anderes uͤbergegangen wuͤrde; — und inſofern diß Ue-
bergehen vorkommt, ſo hebt es ſich eben ſo ſehr wieder
auf. So iſt der Anfang der Philoſophie, die in allen
folgenden Entwicklungen gegenwaͤrtige und ſich erhaltende
Grundlage, der ſeinen weitern Beſtimmungen durchaus
immanente Begriff.
Durch dieſen Fortgang, worin der Anfang ſich
weiter beſtimmt, verliert er, was er in dieſer Beſtimmt-
heit, ein Unmittelbares zu ſeyn, einſeitiges hat, wird
ein Vermitteltes, und macht eben dadurch die Linie der
wiſſenſchaftlichen Fortbewegung zu einem Kreiſe. — Zu-
gleich wird das, was den Anfang macht, indem es
darin das noch Unentwickelte, Inhaltsloſe iſt, noch nicht
wahrhaft erkannt, denn ſo iſt es im Anfange, das heißt
noch vor der Wiſſenſchaft; erſt dieſe und zwar in ihrer
ganzen Entwicklung iſt ſeine vollendete, inhaltsvolle und
erſt wahrhaft begruͤndete Erkenntniß.
Darum aber, weil das Reſultat auch den abſoluten
Grund ausmacht, iſt das Fortſchreiten dieſes Erkennens
nicht etwas proviſoriſches, noch ein problematiſches und
hypothetiſches, ſondern es iſt durch die Natur der Sache
und des Inhaltes ſelbſt beſtimmt. Noch iſt jener Anfang
etwas willkuͤhrliches und nur einſtweilen angenomme-
nes, noch ein als willkuͤhrlich erſcheinendes und bittwei-
ſe vorausgeſetztes, von dem ſich aber doch in der Folge
zeigte, daß man Recht daran gethan habe, es zum An-
fange zu machen; — wie von den geometriſchen Con-
ſtructionen ſich freylich erſt hinterher in den Beweiſen er-
gibt,
[11]Das Seyn.
gibt, daß man wohlgethan habe, gerade dieſe Linien zu
ziehen, oder ſogar in den Beweiſen ſelbſt, daß es gut
geweſen ſey, mit der Vergleichung dieſer Linien oder
Winkel anzufangen; fuͤr ſich, an dieſem Linienziehen oder
Vergleichen ſelbſt, begreift es ſich nicht.
So iſt oben der Grund, warum in der reinen
Wiſſenſchaft vom reinen Seyn angefangen wird, unmit-
telbar an ihr ſelbſt angegeben worden. Diß reine Seyn
iſt die Einheit, in die das reine Wiſſen zuruͤckgeht, oder
es iſt auch der Inhalt deſſelben. Diß iſt die Seite, nach
welcher diß reine Seyn, diß Abſolut-Unmittelbare,
eben ſo abſolut Vermitteltes iſt. Aber eben ſo weſent-
lich iſt es das Rein-Unmittelbare; als ſolches nur iſt es
darum zu nehmen, eben weil es der Anfang iſt; in-
ſofern es nicht dieſe reine Unbeſtimmtheit, inſofern es
weiter beſtimmt waͤre, wuͤrde es als Vermitteltes genom-
men. Es liegt in der Natur des Anfangs ſelbſt,
daß er das Seyn ſey, und ſonſt nichts. Es bedarf da-
her keiner ſonſtiger Vorbereitungen, um in die Philoſophie
hineinzukommen; noch anderweitiger Reflexionen und An-
knuͤpfungspunkte.
Daß der Anfang, Anfang der Philoſophie iſt, dar-
aus kann nun keine naͤhere Beſtimmung oder ein
poſitiver Inhalt fuͤr denſelben genommen werden.
Denn die Philoſophie iſt hier im Anfange, wo die Sache
ſelbſt noch nicht vorhanden iſt, ein leeres Wort, oder ir-
gend eine angenommene ungerechtfertigte Vorſtellung.
Das reine Wiſſen gibt nur dieſe negative Beſtimmung,
daß er der abſtracte, oder abſolute Anfang ſeyn
ſoll. Inſofern das reine Seyn als der Inhalt des
reinen Wiſſens genommen wird, ſo hat dieſes von ſeinem
Inhalte zuruͤckzutreten, ihn fuͤr ſich ſelbſt gewaͤhren zu
laſſen und nicht weiter zu beſtimmen. — Oder indem
das
[12]Erſtes Buch.
das reine Seyn als die Einheit betrachtet werden muß,
in die das Wiſſen auf ſeiner hoͤchſten Spitze der Eini-
gung mit dem Objecte, zuſammengefallen iſt, ſo iſt das
Wiſſen in dieſe Einheit verſchwunden, und hat keinen
Unterſchied von ihr und ſomit keine Beſtimmung fuͤr ſie
uͤbrig gelaſſen.
Sonſt iſt auch nicht Etwas, oder irgend ein Inhalt
vorhanden, der gebraucht werden koͤnnte, um damit den
beſtimmtern Anfang zu machen. Es iſt nichts vorhanden,
als das reine Seyn als Anfang. In dieſer
Beſtimmung: als Anfang, iſt die reine Unmittelbarkeit
etwas concreteres, und es kann analytiſch entwickelt
werden, was in ihm unmittelbar enthalten iſt, um zu
ſehen, wohin diß weiter fuͤhre.
Ueberhaupt kann auch die bisher als Anfang an-
genommene Beſtimmung des Seyns ganz weggelaſſen
werden; es wird nur gefordert, daß ein reiner Anfang
gemacht werde; es iſt ſomit nichts vorhanden, als der
Anfang ſelbſt, und es iſt zu ſehen, was er iſt.
Es iſt noch Nichts, und es ſoll etwas werden.
Der Anfang iſt nicht das reine Nichts, ſondern ein
Nichts, von dem etwas ausgehen ſoll; es iſt zugleich das
Seyn ſchon in ihm enthalten. Der Anfang enthaͤlt alſo
beydes, Seyn und Nichts; iſt die Einheit von Seyn
und Nichts; — oder iſt Nichtſeyn, das zugleich Seyn,
und Seyn, das zugleich Nichtſeyn iſt.
Seyn und Nichts ſind im Anfange als unter-
ſchieden vorhanden; denn er weißt auf etwas ande-
res hin; — er iſt ein Nichtſeyn, das auf das Seyn als
auf ein anderes, bezogen iſt; das anfangende iſt noch
nicht; es geht erſt dem Seyn zu. Zugleich enthaͤlt der
Anfang
[13]Das Seyn.
Anfang das Seyn, aber als ein ſolches, das ſich von
dem Nichtſeyn entfernt oder es aufhebt, als ein ihm
entgegengeſetztes.
Ferner aber iſt das, was anfaͤngt, ſchon, eben
ſo ſehr aber iſt es auch noch nicht. Seyn und Nicht-
ſeyn ſind alſo in ihm in unmittelbarer Vereinigung; oder
er iſt ihre ununterſchiedene Einheit.
Die Analyſe des Anfangs gaͤbe ſomit den Begriff
der Einheit des Seyns und des Nichtſeyns, — oder in
reflectirterer Form, der Einheit des Unterſchieden- und
des Nichtunterſchiedenſeyns, — oder der Identitaͤt der
Identitaͤt und Nichtidentitaͤt. Dieſer Begriff koͤnnte als
die erſte, reinſte Definition des Abſoluten angeſehen wer-
den; — wie er diß in der That ſeyn wuͤrde, wenn es
uͤberhaupt um die Form von Definitionen und um den
Namen des Abſoluten zu thun waͤre. In dieſem Sinne
wuͤrden, wie jener abſtracte Begriff die erſte, ſo alle
weitern Beſtimmungen und Entwicklungen nur beſtimmte-
re und reichere Definitionen des Abſoluten ſeyn.
Allein dieſe Analyſe des Anfangs ſetzt denſelben
als bekannt voraus; ſie hat unſre Vorſtellung deſſel-
ben zur Grundlage. Es iſt diß ein Beyſpiel wie andere
Wiſſenſchaften verfahren. Sie ſetzen ihren Gegenſtand als
bekannt voraus, und nehmen dabey bittweiſe an, daß je-
dermann in ſeiner Vorſtellung ungefaͤhr dieſelben Beſtim-
mungen in ihm finden moͤge, die ſie durch Analyſe, Ver-
gleichung und ſonſtiges Raͤſonnement von ihm da und dort-
her beybringen und angeben. Das was den abſoluten
Anfang macht, muß zwar ein Bekanntes ſeyn; aber
wenn es ein Concretes, ſomit in ſich mannichfaltig Be-
ſtimmtes iſt, ſo gebe ich, indem ich dieſe ſeine Beziehun-
gen als etwas Bekanntes vorausſetze, ſie als etwas un-
mittel-
[14]Erſtes Buch.
mittelbares an, was ſie nicht ſind. An ihnen tritt da-
her die Zufaͤlligkeit und Willkuͤhr der Analyſe und des
verſchiedenen Beſtimmens ein. Weil einmal die Bezie-
hung als etwas unmittelbar Gegebenes zugeſtanden iſt,
hat jeder das Recht, die Beſtimmungen herbeyzubringen
oder wegzulaſſen, wie er in ſeiner unmittelbaren zufaͤlli-
gen Vorſtellung vorfindet.
Inſofern der Gegenſtand aber, wie ihn die Analyſe
vorausſetzt, ein Concretes, eine ſynthetiſche Einheit iſt,
ſo iſt die darin enthaltene Beziehung eine nothwendi-
ge, nur inſofern ſie nicht vorgefunden, ſondern durch die ei-
gene Bewegung der Momente, in dieſe Einheit zuruͤck
zu gehen, hervorgebracht iſt; — eine Bewegung, die
das Gegentheil der erwaͤhnten iſt, welche ein analyti-
ſches Verfahren, und ein der Sache ſelbſt aͤuſſerliches,
in das Subject fallendes Thun iſt.
Es ergibt ſich hieraus das vorhin Bemerkte naͤher,
daß das, womit der Anfang zu machen iſt, nicht ein
Concretes, nicht ein ſolches ſeyn kann, das eine Be-
ziehung innerhalb ſeiner ſelbſt enthaͤlt, denn ein ſolches
ſetzt eine Bewegung, ein Vermitteln und Heruͤbergehen
von einem zu einem andern innerhalb ſeiner ſelbſt, vor-
aus, von der das einfachgewordene Concrete das Reſul-
tat waͤre. Aber der Anfang ſoll nicht ein Reſultat ſeyn.
Was den Anfang macht, der Anfang ſelbſt, iſt daher
als ein Nichtanalyſirbares, in ſeiner einfachen unerfuͤll-
ten Unmittelbarkeit, alſo als Seyn, als das ganz Leere
zu nehmen.
Wenn man etwa gegen die Betrachtung des ab-
ſtracten Anfangs ungeduldig, ſagen wollte, es ſolle nicht
mit dem Anfange angefangen werden, ſondern mit der
Sache, ſo iſt dieſe Sache nichts als jenes leere Seyn;
denn
[15]Das Seyn.
denn was die Sache ſey, diß iſt es, was ſich eben erſt
im Verlaufe der Wiſſenſchaft ergeben ſoll, was nicht
vor ihr als bekannt vorausgeſetzt werden kann.
Welche Form ſonſt genommen werde, um einen an-
dern Anfang zu haben, als das leere Seyn, ſo leidet er
an den angefuͤhrten Maͤngeln. Inſofern darauf reflectirt
wird, daß aus dem erſten Wahren, alles Folgende ab-
geleitet werden, daß das erſte Wahre der Grund des
Ganzen ſeyn muͤſſe, ſo ſcheint die Forderung nothwendig,
den Anfang mit Gott, mit dem Abſoluten zu machen,
und alles aus ihm zu begreiffen. Wenn, ſtatt auf die
gewoͤhnliche Weiſe die Vorſtellung zu Grunde zu legen,
und eine Definition des Abſoluten derſelben gemaͤß vor-
auszuſchicken, — wovon vorhin die Rede war, — im
Gegentheil die naͤhere Beſtimmung dieſes Abſoluten aus
dem unmittelbaren Selbſtbewußtſeyn genommen, wenn
es als Ich beſtimmt wird, ſo iſt diß zwar theils ein Un-
mittelbares, theils in einem viel hoͤhern Sinne ein Be-
kanntes, als eine ſonſtige Vorſtellung; denn etwas ſonſt
Bekanntes gehoͤrt zwar dem Ich an, aber indem es nur
eine Vorſtellung iſt, iſt es noch ein von ihm unterſchie-
dener Inhalt; Ich hingegen iſt die einfache Gewißheit
ſeiner ſelbſt. Aber ſie iſt zugleich ein Concretes, oder
Ich iſt vielmehr das Concreteſte; es iſt das Bewußtſeyn
ſeiner, als unendlich mannichfaltiger Welt. Daß aber
Ich Anfang und Grund der Philoſophie ſey, dazu wird
vielmehr die Abſonderung des Concreten erfordert, — der
abſolute Akt, wodurch Ich von ſich ſelbſt gereinigt wird,
und als abſolutes Ich in ſein Bewußtſeyn tritt. Aber
diß reine Ich iſt dann nicht das bekannte, das gewoͤhn-
liche Ich unſeres Bewußtſeyns, woran unmittelbar und fuͤr
jeden die Wiſſenſchaft angeknuͤpft werden ſollte. Jener
Akt ſollte eigentlich nichts anderes ſeyn, als die Erhe-
bung auf den Standpunkt des reinen Wiſſens, auf wel-
chem
[16]Erſtes Buch.
chem eben der Unterſchied des Subjectiven und Objecti-
ven verſchwunden iſt. Aber wie dieſe Erhebung ſo un-
mittelbar gefordert iſt, iſt es ein ſubjectives Poſtulat;
um als wahrhafte Forderung ſich zu erweiſen, muͤßte die
Fortbewegung des concreten Ichs oder des unmittelba-
ren Bewußtſeyns zum reinem Wiſſen an ihm ſelbſt,
durch ſeine eigene Nothwendigkeit, aufgezeigt und darge-
ſtellt worden ſeyn. Ohne dieſe objective Bewegung er-
ſcheint das reine Wiſſen, die intellectuelle An-
ſchauung, als ein willkuͤhrlicher Standpunkt, oder
ſelbſt als einer der empiriſchen Zuſtaͤnde des Bewußt-
ſeyns, in Ruͤckſicht deſſen es darauf ankommt, ob ihn der
eine in ſich vorfinde oder hervorbringen koͤnne, ein
anderer aber nicht. Inſofern aber diß reine Ich das
weſentliche reine Wiſſen ſeyn muß, das reine Wiſſen
aber nur durch den abſoluten Akt der Selbſterhebung, im
individuellen Bewußtſeyn geſetzt wird, und nicht unmit-
telbar in ihm vorhanden iſt, ſo geht gerade der Vortheil
verlohren, der aus dieſem Anfange der Philoſophie ent-
ſpringen ſoll; daß er nemlich etwas ſchlechthin Beckann-
tes ſey, was jeder unmittelbar in ſich finde, und daran
die weitere Reflexion anknuͤpfen koͤnne; jenes reine Ich
iſt vielmehr in ſeiner abſoluten Weſenheit, etwas dem ge-
woͤhnlichen Bewußtſeyn Unbekanntes, etwas, das es
nicht darin vorfindet. Es tritt daher vielmehr die Taͤu-
ſchung ein, daß von etwas Bekanntem, von dem Ich
des empiriſchen Selbſtbewußtſeyns die Rede ſeyn ſoll,
in der That aber von etwas dieſem Bewußtſeyn Fernem
die Rede iſt. Die Beſtimmung des reinen Wiſſens als
Ich, fuͤhrt die fortdauernde Zuruͤckerinnerung an das
ſubjective Ich mit ſich, deſſen Schranken vergeſſen wer-
den ſollen, und erhaͤlt die Vorſtellung gegenwaͤrtig, als
ob die Saͤtze und Verhaͤltniſſe, die ſich in der weitern
Entwicklung vom Ich ergeben, in gewoͤhnlichen Bewußt-
ſeyn als etwas darin vorhandenes, da es ja das ſey,
von
[17]Das Seyn.
von dem ſie behauptet werden, vorkommen und darin
vorgefunden werden koͤnnen. Dieſe Verwechslung bringt
ſtatt unmittelbarer Klarheit vielmehr nur eine um ſo
grellere Verwirrung und gaͤnzliche Desorientirung hervor.
Das reine Wiſſen benimmt dem Ich ſeine be-
ſchraͤnkte Bedeutung, an einem Objecte ſeinen unuͤber-
windlichen Gegenſatz zu haben; aus dieſem Grunde waͤ-
re es wenigſtens uͤberfluͤſſig, noch dieſe ſubjective Hal-
tung und die Beſtimmung des reinen Weſens als Ich,
beyzubehalten. Aber dieſe Beſtimmung fuͤhrt nicht nur
jene ſtoͤrende Zweydeutigkeit mit ſich, ſondern bleibt
auch naͤher betrachtet, ein ſubjectives Ich. Die wirk-
liche Entwicklung der Wiſſenſchaft, die vom Ich ausgeht,
zeigt es, daß das Object darin die perennirende Beſtim-
mung eines Andern fuͤr das Ich hat und behaͤlt, daß alſo
das Ich, von dem ausgegangen wird, nicht das reine
Wiſſen, das den Gegenſatz des Bewußtſeyns in Wahr-
heit uͤberwunden hat, ſomit noch in der Erſcheinung, und
nicht das Element des Anundfuͤrſich-Seyns iſt.
Wenn aber auch Ich in der That das reine Wiſ-
ſen, oder wenn die intellektuelle Anſchauung in der That
der Anfang waͤre, ſo iſt es in der Wiſſenſchaft nicht um
das zu thun, was innerlich vorhanden ſey, ſondern
um das Daſeyn des Innerlichen im Wiſſen.
Was aber von der intellektuellen Anſchauung — oder
wenn ihr Gegenſtand das Ewige, das Goͤttliche, das
Abſolute genannt wird, — was vom Ewigen oder Ab-
ſoluten im Anfange der Wiſſenſchaft da iſt, diß iſt nichts
anderes, als eine erſte, unmittelbare, einfache Beſtim-
mung. Welcher reicherer Name ihm gegenuͤber werde,
als das bloße Seyn ausdruͤckt, ſo kann es nur in Be-
tracht kommen, wie es in das Wiſſen und in das Aus-
ſprechen des Wiſſens eintritt. Die intellektuelle An-
ſchauung iſt ſelbſt die gewaltſame Zuruͤckweiſung des
Ver-
[18]Erſtes Buch.
Vermittelns und der beweiſenden, aͤuſſerlichen Reflexion;
was ſie aber mehr ausſpricht, als einfache Unmittelbar-
keit, iſt ein Concretes, ein in ſich verſchiedene Beſtim-
mungen Enthaltendes. Das Ausſprechen und die Dar-
ſtellung eines ſolchen aber iſt eine vermittelnde Bewegung,
die von einer der Beſtimmungen anfaͤngt, und zu der
andern fortgeht, wenn dieſes auch zur erſten zuruͤckgeht; —
es iſt eine Bewegung, die zugleich nicht willkuͤhrlich oder
aſſertoriſch ſeyn darf. Von was daher in dieſer Dar-
ſtellung angefangen wird, iſt nicht das Concrete ſelbſt,
ſondern nur ein einfaches Unmittelbares, von dem die Be-
wegung ausgeht.
Wenn alſo im Ausdrucke des Abſoluten oder Ewigen
oder Gottes, wenn in deren Anſchauung oder Gedanken
mehr liegt, als im reinen Seyn, ſo ſoll das, was
darin liegt, ins Wiſſen hervortreten; das was darin
liegt, ſey ſo reich als es wolle, ſo iſt die Beſtimmung,
die ins Wiſſen zuerſt hervortritt, ein Einfaches; denn
nur im Einfachen iſt nicht mehr als der reine Anfang;
oder ſie iſt nur das Unmittelbare, denn nur im Unmittel-
baren iſt noch nicht ein Fortgegangenſeyn von einem zu ei-
nem andern, ſomit gleichfalls nicht mehr als der Anfang.
Was ſomit uͤber das Seyn ausgeſprochen oder enthalten
ſeyn ſoll, in den reichern Formen von Abſolutem oder
Gott, diß iſt im Anfange nur leeres Wort, und nur
Seyn; diß Einfache, das ſonſt keine weitere Bedeutung
hat, diß Leere iſt alſo der abſolute Anfang der Philoſophie.
Dieſe Einſicht iſt ſelbſt ſo einfach, daß dieſer An-
fang, wie erinnert, keiner Vorbereitung noch weitern Ein-
leitung bedarf; und dieſe Vorlaͤufigkeit von Raͤſonnement
uͤber ihn konnte nicht die Abſicht haben, ihn herbeyzu-
fuͤhren, als vielmehr alle Vorlaͤufigkeit zu entfernen.
Allge-
[19]Das Seyn.
Allgemeine
Eintheilung des Seyns.
Das Seyn iſt zuerſt gegen anderes beſtimmt;
Zweytens iſt es innerhalb ſeiner ſelbſt beſtimmt;
Drittens kehrt es aus dem Beſtimmen in ſich zu-
ruͤck, wirft dieſe Vorlaͤufigkeit des Eintheilens weg, und
ſtellt ſich zu der Unbeſtimmtheit und Unmittelbarkeit her,
in der es der Anfang ſeyn kann.
Nach der erſten Beſtimmung theilt das Seyn ſich
gegen das Weſen ab, wie bereits angegeben worden.
Nach der zweyten Eintheilung iſt es die
Sphaͤre, innerhalb welcher die Beſtimmungen und die
ganze Bewegung der Reflexion faͤllt. Das Seyn wird
ſich darin in den drey Beſtimmungen ſetzen
- 1) als Beſtimmtheit, als ſolche; Qualitaͤt;
- 2) als aufgehobene Beſtimmtheit; Groͤße,
Quantitaͤt; - 3) als qualitativ beſtimmte Quantitaͤt;
Maaß.
Dieſe Eintheilung iſt hier, wie in der Einleitung
von dieſen Eintheilungen uͤberhaupt erinnert worden,
eine vorlaͤufige Anfuͤhrung; ihre Beſtimmungen haben
erſt aus der Bewegung des Seyns ſelbſt zu entſtehen,
und ſich darin zu rechtfertigen. Ueber die Abweichung
derſelben von der gewoͤhnlichen Auffuͤhrung der Katego-
rien, — nemlich Quantitaͤt, Qualitaͤt, Relation und
Modalitaͤt, iſt uͤbrigens hier nichts zu erinnern, da die
ganze Ausfuͤhrung das uͤberhaupt von der gewoͤhnlichen
Ord-
[20]Erſtes Buch. Das Seyn.
Ordnung und Bedeutung der Kategorien Abweichende zei-
gen wird.
Nur diß kann naͤher bemerkt werden, daß ſonſt die
Beſtimmung der Quantitaͤt vor der Qualitaͤt auf-
gefuͤhrt wird, — und diß — wie das Meiſte — ohne
weitern Grund. Es iſt bereits gezeigt worden, daß der
Anfang ſich mit dem Seyn als ſolchem macht, und da-
her mit dem qualitativen Seyn. Aus der Vergleichung
der Qualitaͤt mit der Quantitaͤt erhellt leicht, daß jene
die der Natur nach erſte iſt; denn die Quantitaͤt iſt erſt
die negativ-gewordene Qualitaͤt. Die Groͤße iſt die Be-
ſtimmtheit, die nicht mehr mit dem Seyn eins, ſondern
ſchon von ihm unterſchieden, die aufgehobene, gleichguͤl-
tig gewordene Qualitaͤt iſt. Sie ſchließt die Veraͤnder-
lichkeit des Seyns ein, ohne daß die Sache ſelbſt, das
Seyn, deſſen Beſtimmung ſie iſt, veraͤndert werde; da
hingegen die qualitative Beſtimmtheit mit ihrem Seyn
eins iſt, nicht uͤber daſſelbe hinausgeht, noch innerhalb
deſſen ſteht, ſondern ſeine unmittelbare Beſchraͤnktheit iſt.
Die Qualitaͤt iſt daher, als die unmittelbare Be-
ſtimmtheit die erſte, und mit ihr der Anfang zu machen.
Das Maaß iſt eine Relation, aber nicht die
Relation uͤberhaupt, ſondern beſtimmt der Qualitaͤt und
Quantitaͤt zu einander. Es kann auch fuͤr eine Modali-
taͤt, wenn man will, angeſehen werden; indem dieſe
nicht mehr eine Beſtimmung des Inhalts ausmachen,
ſondern nur die Beziehung deſſelben auf das Denken, auf
das Subjective, angehen ſoll. Das Maaß enthaͤlt die
Aufloͤſung des Inhalts, ſeine Beziehung auf ein Anderes;
es macht den Uebergang ins Weſen aus.
Die dritte Eintheilung faͤllt innerhalb des
Abſchnittes, der Qualitaͤt.
Erſter
[21]
Erſter Abſchnitt.
Beſtimmtheit.
(Qualitaͤt.)
Das Seyn iſt das unbeſtimmte Unmittelbare; es iſt
frey von der erſten Beſtimmtheit gegen das Weſen, und
von der zweyten innerhalb ſeiner. Diß Reflexionsloſe
Seyn iſt das Seyn, wie es unmittelbar an und fuͤr ſich
iſt.
Weil es unbeſtimmt iſt, iſt es Qualitaͤtsloſes Seyn;
aber es kommt ihm der Charakter der Unbeſtimmtheit nur
im Gegenſatze gegen das Beſtimmte oder Qualitative zu.
Dem Seyn uͤberhaupt tritt daher das beſtimmte Seyn
als ſolches gegenuͤber; oder damit macht ſeine Unbeſtimmt-
heit ſelbſt ſeine Qualitaͤt aus. Es wird ſich daher zei-
gen, daß das erſte Seyn, an ſich beſtimmtes, alſo
Zweytens Daſeyn iſt oder daß es in das Da-
ſeyn uͤbergeht; daß aber dieſes als endliches Seyn ſich
aufhebt, und in die unendliche Beziehung des Seyns auf
ſich ſelbſt,
Drittens in das Fuͤrſichſeyn uͤbergeht.
DErſtes
[22]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Erſtes Kapitel.
Seyn.
A.
Seyn, reines Seyn, — ohne alle weitere
Beſtimmung. In ſeiner unbeſtimmten Unmittelbarkeit iſt
es nur ſich ſelbſt gleich, und auch nicht ungleich gegen
anderes, hat keine Verſchiedenheit innerhalb ſeiner, noch
nach Auſſen. Durch irgend eine Beſtimmung oder In-
halt, der in ihm unterſchieden, oder wodurch es als un-
terſchieden von einem andern geſetzt wuͤrde, wuͤrde es
nicht in ſeiner Reinheit feſtgehalten. Es iſt die reine
Unbeſtimmtheit und Leere. — Es iſt nichts in ihm an-
zuſchauen, wenn von Anſchauen hier geſprochen werden
kann; oder es iſt nur diß reine, leere Anſchauen ſelbſt.
Es iſt eben ſo wenig etwas in ihm zu denken, oder es
iſt ebenſo nur diß leere Denken. Das Seyn, das un-
beſtimmte Unmittelbare iſt in der That Nichts, und
nicht mehr noch weniger als Nichts.
B.
Nichts.
Nichts, das reine Nichts; es iſt einfache
Gleichheit mit ſich ſelbſt, vollkommene Leerheit, Beſtim-
mungs- und Inhaltsloſigkeit; Ununterſchiedenheit in ihm
ſelbſt. — Inſofern Anſchauen oder Denken hier erwaͤhnt
werden kann, ſo gilt es als ein Unterſchied, ob etwas
oder nichts angeſchaut oder gedacht wird. Nichts An-
ſchauen oder Denken hat alſo eine Bedeutung; Nichts iſt
in unſerem Anſchauen oder Denken; oder vielmehr es
das
[23]Qualitaͤt.
das leere Anſchauen und Denken ſelbſt; und daſſelbe leere
Anſchauen oder Denken, als das reine Seyn. — Nichts
iſt ſomit dieſelbe Beſtimmung oder vielmehr Beſtim-
mungsloſigkeit, und damit uͤberhaupt daſſelbe, was das
reine Seyn iſt.
C.
Werden.
Das reine Seyn und das reine Nichts
iſt daſſelbe. Was die Wahrheit iſt, iſt weder das
Seyn, noch das Nichts, ſondern daß das Seyn in
Nichts, und das Nichts in Seyn, — nicht uͤbergeht, —
ſondern uͤbergegangen iſt. Aber eben ſo ſehr iſt die
Wahrheit nicht ihre Ununterſchiedenheit, ſondern daß ſie
abſolut unterſchieden ſind, aber eben ſo unmittelbar je-
des in ſeinem Gegentheil verſchwindet. Ihre Wahrheit
iſt alſo dieſe Bewegung des unmittelbaren Verſchwindens
des einen in dem andern; das Werden; eine Bewe-
gung, worin beyde unterſchieden ſind, aber durch einen
Unterſchied, der ſich eben ſo unmittelbar aufgeloͤst hat.
Nichts pflegt dem Etwas entgegengeſetzt zu wer-
den; Etwas aber iſt ein beſtimmtes Seyendes, das ſich
von anderem Etwas unterſcheidet; ſo iſt alſo auch das
dem Etwas entgegengeſetzte Nichts, das Nichts von ir-
gend Etwas, ein beſtimmtes Nichts. Hier aber iſt das
Nichts in ſeiner unbeſtimmten Einfachheit zu nehmen;
das Nichts rein an und fuͤr ſich. — Das Nichtſeyn,
enthaͤlt die Beziehung auf das Seyn; es iſt alſo nicht
das reine Nichts, ſondern das Nichts, wie es bereits
im Werden iſt.
D 2Den
[24]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Den einfachen Gedanken des reinen Seyns
hatte Parmenides zuerſt als das Abſolute und als
einzige Wahrheit, und in den uͤbergebliebenen Fragmenten
von ihm, mit der reinen Begeiſterung des Denkens, das
zum erſtenmale ſich in ſeiner abſoluten Abſtraction erfaßt,
ausgeſprochen: nur das Seyn iſt, und das
Nichts iſt gar nicht. — Der tiefſinnige Heraklit
hob gegen jene einfache und einſeitige Abſtraction den
hoͤhern totalen Begriff des Werdens hervor, und ſagte:
das Seyn iſt ſo wenig, als das Nichts, oder
auch daß Alles fließt, das heißt, daß Alles Werden
iſt. — Die populaͤren, beſonders orientaliſchen Spruͤ-
che, daß alles, was iſt, den Keim ſeines Vergehens in
ſeiner Geburt ſelbſt habe, der Tod umgekehrt der Ein-
gang in neues Leben ſey, druͤcken im Grunde dieſelbe
Einigung des Seyns und Richts aus. Aber dieſe Aus-
druͤcke haben ein Subſtrat, an dem der Uebergang ge-
ſchieht; Seyn und Nichts werden in der Zeit auseinander
gehalten, als in ihr abwechſelnd vorgeſtellt, nicht aber
in ihrer Abſtraction gedacht, und daher auch nicht ſo,
daß ſie an und fuͤr ſich daſſelbe ſind.
Ex nihilo nihil fit — iſt einer der Saͤtze, denen in
der ſonſtigen Metaphyſik große Bedeutung zugeſchrieben
wurde. Es iſt aber darin entweder nur die gehaltloſe
Tavtologie zu ſehen: Nichts iſt Nichts; oder wenn das
Werden wirkliche Bedeutung darin haben ſollte, ſo iſt
vielmehr, indem nur Nichts aus Nichts wird, in
der That kein Werden darin vorhanden, denn Nichts
bleibt Nichts. Das Werden enthaͤlt, daß Nichts nicht
Nichts bleibe, ſondern in ſein Anderes, in das Seyn
uͤbergehe. — Wenn die ſpaͤtere vornemlich chriſtliche
Metaphyſik den Satz, aus Nichts werde Nichts, ver-
warf, ſo behauptete ſie ſomit einen Uebergang von Nichts
in Seyn; ſo ſynthetiſch oder bloß vorſtellend ſie auch die-
ſen
[25]Qualitaͤt.
ſen Satz nahm, ſo iſt doch auch in der unvollkommenſten
Vereinigung ein Punkt enthalten, worin Seyn und
Nichts zuſammentreffen, und ihre Unterſchiedenheit ver-
ſchwindet.
Wenn das Reſultat, daß Seyn und Nichts daſſelbe
iſt, auffaͤllt oder paradox ſcheint, ſo iſt hierauf nicht wei-
ter zu achten; es waͤre ſich vielmehr uͤber jene Verwun-
derung zu verwundern, die ſich ſo neu in der Philoſophie
zeigt, und vergißt, daß in dieſer Wiſſenſchaft ganz an-
dere Anſichten vorkommen, als im gewoͤhnlichen Bewußt-
ſeyn und im ſogenannten gemeinen Menſchenverſtande.
Es waͤre nicht ſchwer, dieſe Einheit von Seyn und
Nichts, in jedem Beyſpiele, in jedem Wirklichen oder
Gedanken aufzuzeigen. Aber dieſe empiriſche Erlaͤute-
rung waͤre zugleich ganz und gar uͤberfluͤſſig. Da nun-
mehr dieſe Einheit ein fuͤr allemal zu Grunde liegt, und
das Element von allem folgendem ausmacht, ſo ſind auſ-
ſer dem Werden ſelbſt, alle fernern logiſchen Beſtimmun-
gen: Daſeyn, Qualitaͤt, uͤberhaupt alle Begriffe der
Philoſophie, Beyſpiele dieſer Einheit.
Die Verwirrung, in welche ſich das gewoͤhnliche
Bewußtſeyn bey einem ſolchen logiſchen Satze verſetzt,
hat darin ihren Grund, daß es dazu Vorſtellungen von
einem concreten Etwas mitbringt, und vergißt, daß von
einem ſolchem nicht die Rede iſt, ſondern nur von den
reinen Abſtractionen des Seyns und Nichts, und daß
dieſe allein an und fuͤr ſich feſtzuhalten ſind.
Seyn und Nichtſeyn iſt daſſelbe; alſo iſt es daſ-
ſelbe, ob ich bin oder nicht bin, ob dieſes Haus iſt oder
nicht iſt, ob dieſe hundert Thaler in meinem Vermoͤgens-
zuſtand ſind oder nicht. — Dieſer Schluß, oder die An-
wendung jenes Satzes, veraͤndert ſeinen Sinn vollkom-
men.
[26]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
men. Der Satz enthaͤlt die reinen Abſtractionen des
Seyns und Nichts; die Anwendung aber macht ein be-
ſtimmtes Seyn und beſtimmtes Nichts daraus. Allein
vom beſtimmten Seyn iſt, wie geſagt, hier nicht die Rede.
Ein beſtimmtes, ein endliches Seyn iſt ein ſolches, das
ſich auf anderes bezieht; es iſt ein Inhalt, der im Ver-
haͤltniſſe der Nothwendigkeit mit anderem Inhalte, mit
der ganzen Welt ſteht. In Ruͤckſicht des wechſelbeſtim-
menden Zuſammenhangs des Ganzen konnte die Meta-
phyſik die — im Grunde tavtologiſche — Behauptung
machen, daß wenn ein Staͤubchen abſolut zerſtoͤrt wuͤrde,
das ganze Univerſum zuſammenſtuͤrzte. Aber dem be-
ſtimmten Inhalte ſeinen Zuſammenhang mit ande-
rem genommen, und ihn iſolirt vorgeſtellt, ſo iſt ſeine
Nothwendigkeit aufgehoben, und es iſt gleichguͤltig, ob
dieſes iſolirte Ding, dieſer iſolirte Menſch exiſtirt oder
nicht. Oder indem dieſer ganze Zuſammenhang zuſam-
mengefaßt wird, ſo verſchwindet gleichfalls das beſtimmte,
ſich auf anderes beziehende Daſeyn, denn fuͤr das Uni-
verſum gibt es kein Anderes mehr, und es iſt kein Un-
terſchied, ob es iſt oder nicht.
Es erſcheint alſo etwas als nicht gleichguͤltig, ob
es ſey oder nicht ſey, nicht um des Seyns oder Richt-
ſeyns willen, ſondern um ſeiner Beſtimmtheit, um ſeines
Inhalts willen, der es mit anderm zuſammenhaͤngt.
Wenn die Sphaͤre des Seyns vorausgeſetzt iſt, und
in dieſer ein beſtimmter Inhalt, irgend ein beſtimmtes
Daſeyn angenommen wird, ſo iſt diß Daſeyn, weil es
beſtimmtes iſt, in mannichfaltiger Beziehung auf an-
dern Inhalt; es iſt fuͤr daſſelbe nicht gleichguͤltig, ob ein
gewiſſer anderer Inhalt, mit dem er in Beziehung ſteht,
iſt, oder nicht iſt; denn nur durch ſolche Beziehung iſt
er weſentlich das, was er iſt. Daſſelbe iſt in dem Vor-
ſtellen (indem wir das Nichtſeyn in dem beſtimmtern
Sinne
[27]Qualitaͤt.
Sinne des Vorſtellens gegen die Wirklichkeit nehmen)
der Fall, in deſſen Zuſammenhange das Seyn oder die
Abweſenheit eines Inhalts, der als beſtimmt mit ande-
rem in Beziehung ſteht, nicht gleichguͤltig iſt. — Denn
uͤberhaupt faͤngt nur erſt in der Beſtimmtheit der reale
Unterſchied an: das unbeſtimmte Seyn und Nichts hat
ihn noch nicht an ihm, ſondern nur den gemeynten Un-
terſchied.
Dieſe Betrachtung enthaͤlt daſſelbe, was ein Haupt-
moment in der Kantiſchen Kritik des ontologiſchen Be-
weiſes vom Daſeyn Gottes ausmacht; naͤher iſt uͤbrigens
dieſe Kritik erſt beym Gegenſatze des Begriffes und der
Exiſtenz zu betrachten. — Bekanntlich wurde in dieſem
ſogenannten Beweiſe der Begriff eines Weſens voraus-
geſetzt, dem alle Realitaͤten zukommen, ſomit auch die
Exiſtenz, die gleichfalls als eine der Realitaͤten ange-
nommen wurde. Die Kantiſche Kritik hielt ſich vornem-
lich daran, daß die Exiſtenz keine Eigenſchaft oder
kein reales Praͤdikat ſey, das heiſſe, nicht ein
Begriff von etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges
hinzukommen koͤnne. — Kant will damit ſagen, daß
Seyn keine Inhaltsbeſtimmung ſey. — Alſo enthalte,
faͤhrt er fort, das Moͤgliche nicht mehr als das Wirk-
liche; hundert wirkliche Thaler enthalten nicht das Min-
deſte mehr, als hundert moͤgliche; — nemlich jene ha-
ben keine andere Inhaltsbeſtimmung als dieſe. Es iſt
fuͤr dieſen als iſolirt betrachteten Inhalt gleichguͤltig, zu
ſeyn oder nicht zu ſeyn; es liegt in ihm kein Unterſchied
des Seyns oder Nichtſeyns, dieſer Unterſchied beruͤhrt
ihn uͤberhaupt gar nicht; die hundert Thaler werden
nicht weniger, wenn ſie nicht ſind, und nicht [m]ehr,
wenn ſie ſind. Der Unterſchied muß erſt [...]derswoher
kommen. — „Hingegen, erinnert Kant, in meinem
Vermoͤgenszuſtande iſt mehr bey hundert wirklichen Tha-
lern,
[28]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
lern, als bey dem bloßen Begriff derſelben, oder bey ih-
rer Moͤglichkeit. Denn der Gegenſtand iſt bey der Wirk-
lichkeit nicht bloß in meinem Begriff analytiſch enthalten,
ſondern kommt zu meinem Begriffe, (der eine Beſtim-
mung meines Zuſtandes iſt,) ſynthetiſch hinzu,
ohne daß durch dieſes Seyn auſſer meinem Begriffe, die-
ſe gedachten hundert Thaler ſelbſt im mindeſten vermehrt
wuͤrden.“
Es werden hier zweyerley Zuſtaͤnde, um bey den
Kantiſchen Ausdruͤcken zn bleiben, vorausgeſetzt, der
reine, welchen Kant den Begriff nennt, darunter die
Vorſtellung zu verſtehen iſt, und einen andern, den Ver-
moͤgenszuſtand. Fuͤr den einen wie fuͤr den andern ſind
hundert Thaler eine weitere Inhaltsbeſtimmung, oder ſie
kommen, wie Kant ſich ausdruͤckt, ſynthetiſch hinzu;
und ich als Beſitzer von hundert Thalern, oder als
Nichtbeſitzer derſelben, oder auch, ich als hundert Thaler
vorſtellend oder ſie nicht vorſtellend, iſt ein verſchie-
dener Inhalt. Einerſeits iſt es ein Unterſchied, ob ich
mir dieſe hundert Thaler nur vorſtelle oder ſie beſitze,
ob ſie ſich alſo in dem einen oder dem andern Zuſtande
befinden, weil ich einmal dieſe beyden Zuſtaͤnde als ver-
ſchiedene Beſtimmungen vorausgeſetzt habe. Andrerſeits,
jeden dieſer Zuſtaͤnde beſonders genommen, ſind ſie in-
nerhalb deſſelben eine beſondere Inhaltsbeſtimmung, die
in Beziehung zu anderem tritt, und deren Verſchwinden
nicht ein bloßes Nichtſeyn iſt, ſondern ein Anders-
ſeyn ausmacht. Es iſt eine Taͤuſchung, daß wir den
Unterſchied bloß aufs Seyn und Nichtſeyn hinausſchie-
ben, ob ich die hundert Thaler habe oder nicht ha-
be. Dieſe Taͤuſchung beruht auf der einſeitigen Ab-
ſtraction, die das beſtimmte Daſeyn, das in ſol-
chen Beyſpielen immer vorhanden iſt, weglaͤßt und bloß
das Seyn und Nichtſeyn feſthaͤlt. Wie vorhin erinnert,
iſt
[29]Qualitaͤt.
iſt erſt das Daſeyn der reale Unterſchied von Seyn
und Nichts, ein Etwas und ein Anderes. — Die-
ſer reale Unterſchied, von Etwas und einem Andern
ſchwebt der Vorſtellung vor, ſtatt des reinen Seyns und
reinen Nichts.
Wie Kant ſich ausdruͤckt, ſo kommt durch die Exi-
ſtenz etwas in den Context der geſammten Erfahrung;
wir bekommen dadurch einen Gegenſtand der Wahrneh-
mung mehr, aber unſer Begriff von dem Gegenſtande
wird dadurch nicht vermehrt. — Diß heißt, wie aus
dem Erlaͤuterten hervorgeht, in der That ſo viel, durch
die Exiſtenz, weſentlich darum weil Etwas beſtimmte Exi-
ſtenz iſt, tritt es in den Zuſammenhang mit ande-
rem, oder ſteht es darin, und unter anderem auch mit
einem wahrnehmenden. — Der Begriff der hundert
Thaler, ſagt Kant, werde nicht durch das Wahrnehmen
vermehrt. — Der Begriff heißt hier die iſolirten auſſer
dem Contexte der Erfahrung und des Wahrnehmens vor-
geſtellten hundert Thaler. In dieſer iſolirten Weiſe ſind
ſie wohl eine und zwar ſehr empiriſche Inhaltsbeſtim-
mung, aber abgeſchnitten, ohne Zuſammenhang und Be-
ſtimmtheit gegen anderes; die Form der Identitaͤt mit
ſich, der einfachen ſich nur auf ſich beziehenden Beſtimmt-
heit, erhebt ſie uͤber die Beziehung auf anderes und
laͤßt ſie gleichguͤltig, ob ſie wahrgenommen ſeyen oder
nicht. Aber wenn ſie wahrhaft als beſtimmte und auf
anderes bezogene betrachtet, und ihnen die Form der ein-
fachen Beziehung auf ſich, die einem ſolchen beſtimmten
Inhalt nicht gehoͤrt, genommen wird, ſo ſind ſie nicht
mehr gleichguͤltig gegen das Daſeyn und Nichtdaſeyn, ſon-
dern in die Sphaͤre eingetreten, worin der Unterſchied
von Seyn und Nichtſeyn zwar nicht als ſolcher, aber als
von Etwas und Anderem guͤltig iſt.
Das
[30]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Das Denken oder vielmehr Vorſtellen, dem nur ein
beſtimmtes Seyn, oder das Daſeyn vorſchwebet, worein
die reale Verſchiedenheit des Seyns und Nichts faͤllt,
iſt zu dem Anfang der reinen Wiſſenſchaft zuruͤck zu wei-
ſen, welchen Parmenides gemacht hat, der unter den
Menſchen der erſte geweſen zu ſeyn ſcheint, welcher ſein
Vorſtellen und damit auch das Vorſtellen der Folgezeit
zu dem reinen Gedanken des Seyns gelaͤutert und erho-
ben, und damit das Element der Wiſſenſchaft erſchaffen
hat.
Es iſt aber, um zur Hauptſache zuruͤckzukehren, zu
erinnern, daß der Ausdruck des Reſultats, das ſich aus
der Betrachtung des Seyns und des Nichts ergibt, durch
den Satz: Seyn und Nichts iſt eins und daſ-
ſelbe, unvollkommen iſt. Der Accent wird nemlich
vorzugsweiſe auf das Eins- und Daſſelbe-ſeyn ge-
legt, und der Sinn ſcheint daher zu ſeyn, daß der Un-
terſchied geleugnet werde, der doch zugleich im Satze
ſelbſt unmittelbar vorkommt; denn der Satz ſpricht die
beyden Beſtimmungen, Seyn und Nichts, aus, und ent-
haͤlt ſie als unterſchiedne. — Es kann zugleich nicht ge-
meynt ſeyn, daß von ihnen abſtrahirt und nur die Einheit
feſtgehalten werden ſoll. Dieſer Sinn gaͤbe ſich ſelbſt
fuͤr einſeitig, da das, wovon abſtrahirt werden ſoll,
gleichwohl im Satze vorhanden iſt. — Inſofern der
Satz: Seyn und Nichts iſt daſſelbe, die Iden-
titaͤt dieſer Beſtimmungen ausſpricht, aber in der That
ſie eben ſo als unterſchieden enthaͤlt, widerſpricht er ſich
in ſich ſelbſt, und loͤst ſich auf. Es iſt alſo hier ein Satz
geſetzt, der naͤher betrachtet, die Bewegung hat, durch
ſich ſelbſt zu verſchwinden. Damit geſchieht an ihm das,
was ſeinen eigentlichen Inhalt ausmachen ſoll, nemlich
das Werden.
Der
[31]Qualitaͤt.
Der Satz enthaͤlt ſomit das Reſultat, er iſt an ſich
das Reſultat ſelbſt; aber es iſt nicht in ihm ſelbſt in ſei-
ner Wahrheit ausgedruͤckt; es iſt eine aͤuſſere Re-
flexion, welche es in ihm erkennt. — Der Satz, in
Form eines Urtheils, iſt uͤberhaupt nicht unmittelbar ge-
ſchikt, ſpeculative Wahrheiten auszudruͤcken. Das Ur-
theil iſt eine identiſche Beziehung zwiſchen Subject
und Praͤdicat; wenn auch das Subject noch mehrere Be-
ſtimmtheiten hat als die des Praͤdicats, und inſofern et-
was anderes iſt, als dieſes, ſo kommen ſie nur addirt
hinzu, und heben die identiſche Beziehung dieſes Praͤdi-
cats mit ſeinem Subjecte nicht auf, das ſein Grund und
Traͤger bleibt. Iſt aber der Inhalt ſpeculativ, ſo iſt
auch das Nichtidentiſche des Subjects und Praͤdicats we-
ſentliches Moment, und der Uebergang oder das Ver-
ſchwinden des erſten in das andere ihre Beziehung. Das
paradoxe und bizarre Licht, in dem vieles der neuern
Philoſophie den mit dem ſpeculativen Denken nicht Ver-
trauten erſcheint, faͤllt vielfaͤltig in die Form des einfachen
Urtheils, wenn ſie fuͤr den Ausdruck ſpeculativer Reſul-
tate gebraucht wird.
Das wahre Reſultat, das ſich hier ergeben hat,
iſt das Werden, welches nicht bloß die einſeitige
oder abſtracte Einheit des Seyns und Nichts iſt. Son-
dern es beſteht in dieſer Bewegung, daß das reine Seyn
unmittelbar und einfach iſt, daß es darum eben ſo ſehr
das reine Nichts iſt, daß der Unterſchied derſelben iſt,
aber eben ſo ſehr ſich aufhebt und nicht iſt. Das Reſul-
tat behauptet alſo den Unterſchied des Seyns und des
Nichts eben ſo ſehr, aber als einen nur gemeynten.
— Man meynt, das Seyn ſey vielmehr das ſchlechthin
Andre, als das Nichts iſt, und es iſt nichts klarer, als
ihr abſoluter Unterſchied, und es ſcheint nichts leichter,
als ihn angeben zu geben. Es iſt aber eben ſo leicht,
ſich
[32]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
ſich zu uͤberzeugen, daß diß unmoͤglich iſt. Denn haͤtte
Seyn und Nichts irgend eine Beſtimmtheit, wodurch ſie
ſich unterſchieden, ſo waͤren ſie, wie vorhin erinnert
worden, beſtimmtes Seyn und beſtimmtes Nichts, nicht
das reine Seyn und das reine Nichts, wie ſie es hier
noch ſind. Ihr Unterſchied iſt daher voͤllig leer, jedes
der beyden iſt auf gleiche Weiſe das Unbeſtimmte; er
beſteht daher nicht an ihnen ſelbſt, ſondern nur in einem
Dritten, im Meynen. Aber das Meynen iſt eine Form
des Subjectiven, das nicht in dieſe Reihe der Darſtel-
lung gehoͤrt. Das dritte aber, worin Seyn und Nichts
ihr Beſtehen haben, muß auch hier vorkommen; und es
iſt vorgekommen, es iſt das Werden. In ihm ſind ſie
als unterſchiedene; Werden iſt nur, inſofern ſie verſchie-
den ſind. Diß Dritte iſt ein andres als ſie; — ſie be-
ſtehen nur in einem Andern, diß heißt gleichfalls, ſie
beſtehen nicht fuͤr ſich. Das Werden iſt das Beſtehen
des Seyns ſo ſehr als des Nichtſeyns; oder ihr Beſtehen
iſt nur ihr Seyn in Einem; gerade diß ihr Beſtehen
iſt es, was ihren Unterſchied eben ſo ſehr aufhebt.
Man ſtellt ſich auch wohl das Seyn etwa unter
dem Bilde des reinen Lichts, als die Klarheit ungetruͤb-
ten Sehens, das Nichts aber als die reine Nacht vor,
und knuͤpft ihren Unterſchied an dieſe wohlbekannte ſinn-
liche Verſchiedenheit. In der That aber, wenn man
ſich diß Sehen genauer vorſtellt, ſo begreift ſich leicht,
daß man in der abſoluten Klarheit ſo viel und ſo wenig
ſieht, als in der abſoluten Finſterniß, daß das eine Se-
hen ſo gut das andere, reines Sehen, Sehen von
Nichts iſt. Reines Licht und reine Finſterniß ſind zwey
Leeren, welche daſſelbe ſind. Erſt in dem beſtimmten
Lichte — und das Licht wird durch die Finſterniß be-
ſtimmt, — alſo im getruͤbten Lichte, eben ſo erſt in der
beſtimmten Finſterniß, — und die Finſterniß wird
durch
[33]Qualitaͤt.
durch das Licht beſtimmt, — in der erhellten Finſterniß
kann etwas unterſchieden werden; weil erſt das getruͤbte
Licht und die erhellte Finſterniß den Unterſchied an ihnen
ſelbſt haben, und damit beſtimmtes Seyn, Daſeyn ſind.
Parmenides hielt das Seyn feſt, und ſagte vom
Nichts, daß es gar nicht iſt; nur das Seyn iſt. Das,
wodurch diß reine Seyn zum Werden fortgeleitet wurde,
war die Reflexion, daß es gleich Nichts iſt. Das Seyn
ſelbſt iſt das Unbeſtimmte; es hat alſo keine Beziehung
auf anderes; es ſcheint daher, daß von dieſem An-
fang nicht weiter fortgegangen werden koͤnne,
nemlich aus ihm ſelbſt, ohne daß von auſſen etwas Frem-
des daran geknuͤpft wuͤrde. Die Reflexion, daß das
Seyn gleich Nichts iſt, erſcheint alſo als ein zweyter,
abſoluter Anfang. Auf der andern Seite waͤre Seyn
nicht der abſolute Anfang, wenn es eine Beſtimmtheit
haͤtte, denn alsdann hinge es von einem andern ab und
waͤre in Wahrheit nicht Anfang. Iſt es aber unbeſtimmt
und damit wahrer Anfang, ſo hat es auch nichts, wo-
durch es ſich zu einem Andern uͤberleitet, es iſt damit
zugleich das Ende.
Jene Reflexion, daß das Seyn nicht ſich ſelbſt
gleich, ſondern vielmehr ſich ſchlechthin ungleich iſt, iſt,
von der letztern Seite betrachtet, allerdings inſofern ein
zweyter, neuer Anfang, aber zugleich ein anderer
Anfang, wodurch der erſte aufgehoben wird. Diß
iſt, wie ſchon oben erinnert worden, die wahre Bedeu-
tung des Fortgehens uͤberhaupt. Der Fortgang von dem,
was Anfang iſt, iſt in der Philoſophie zugleich der Ruͤck-
gang zu ſeiner Quelle, zu ſeinem wahrhaften Anfang.
Somit beginnt im Hinausgehen uͤber den Anfang zugleich
ein
[34]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
ein neuer Anfang, und das Erſte zeigt ſich damit als
nicht der wahrhafte. Dieſe Seite alſo, daß die Re-
flexion, welche das Seyn dem Nichts gleich ſetzt, ein
neuer Anfang iſt, wird zugegeben, und ſie iſt, wie er-
hellt, ſelbſt nothwendig. Aber umgekehrt iſt dieſer neue
Anfang, ſo ſehr als der erſte, nicht ein abſoluter; denn
er bezieht ſich auf den erſten. Aus dieſem Grunde aber
muß es in dem erſten ſelbſt liegen, daß ein anderes ſich
auf ihn bezieht; er muß alſo ein Beſtimmtes ſeyn. —
Er iſt aber das Unmittelbare, das noch ſchlechthin Unbe-
ſtimmte. Aber eben dieſe Unbeſtimmtheit iſt das,
was ſeine Beſtimmtheit ausmacht, denn die Unbeſtimmt-
heit iſt der Beſtimmtheit entgegengeſetzt, ſie iſt ſomit als
Entgegengeſetztes ſelbſt das Beſtimmte, oder Negative,
und zwar die reine Negativitaͤt. Dieſe Unbeſtimmt-
heit oder Negativitaͤt, welche das Seyn an ihm ſelbſt
hat, iſt es, was die Reflexion ausſpricht, indem ſie es
dem Nichts gleichſetzt. — Oder kann man ſich ausdruͤk-
ken, weil das Seyn das Beſtimmungsloſe iſt, iſt es
nicht die Beſtimmung, welche es iſt, alſo nicht Seyn,
ſondern Nichts.
Anſich alſo, das heißt, in der weſentlichen Re-
flexion iſt der Uebergang nicht unmittelbar; aber er iſt
noch verborgen. Hier iſt nur ſeine Unmittelbarkeit vor-
handen; weil das Seyn nur als unmittelbar geſetzt iſt,
bricht das Nichts unmittelbar an ihm hervor. — Eine
beſtimmtere Vermittlung iſt diejenige, von der die Wiſ-
ſenſchaft ſelbſt, und ihr Anfang, das reine Seyn, ihr
Daſeyn hat. Das Wiſſen hat das Element des reinen
Denkens dadurch erreicht, daß es alle Mannichfaltigkeit
des vielfach beſtimmten Bewußtſeyns in ſich aufgehoben
hat. Die ganze Sphaͤre des Wiſſens enthaͤlt alſo als ihr
weſentliches Moment, die abſolute Abſtraction und
Negativitaͤt; das Seyn, ihr Anfang iſt dieſe reine
Abſtra-
[35]Qualitaͤt.
Abſtraction ſelbſt, oder iſt weſentlich nur als abſolutes
Nichts.
Dieſe Erinnerung liegt aber hinter der Wiſſenſchaft,
welche innerhalb ihrer ſelbſt, nemlich vom Weſen aus,
jene einſeitige Unmittelbarkeit des Seyns als eine Ver-
mittelte darſtellen wird.
Inſofern aber jenes Hervorbrechen des Nichts und
die Betrachtung des Seyns, was es an ſich iſt, ver-
ſchmaͤht wird, ſo iſt nichts als das reine Seyn vor-
handen. Es wird an ihm feſtgehalten, wie es Anfang und
zugleich Ende iſt, und in ſeiner unmittelbaren Unmittel-
barkeit ſich der Reflexion weigert, welche es uͤber es
ſelbſt hinausfuͤhrt, daß es nemlich das Unbeſtimmte, das
Leere iſt. In dieſe reine Unmittelbarkeit ſcheint nichts
einbrechen zu koͤnnen.
Da dieſe Behauptung des Reflexionsloſen Seyns an
dem bloß unmittelbaren feſthaͤlt, an dem, als was das
Seyn geſetzt oder wie es vorhanden iſt, ſo iſt ſich auch
daran zu halten, und zu ſehen, wie diß Seyn denn vor-
handen iſt. Weil nun das Seyn das Nichts iſt, ſo muß
ſich diß an ſeiner Unmittelbarkeit darſtellen.
Nehmen wir die Behauptung des reinen Seyns
α) in der Form auf, wie ſie am weiteſten aus dem
Meynen herausgetreten iſt, als den Satz: Das Seyn
iſt das Abſolute; ſo wird vom Seyn etwas aus-
geſagt, das von ihm unterſchieden iſt. Das von ihm
Unterſchiedene iſt ein Anderes als es; das Andre aber
enthaͤlt das Nichts deſſen, deſſen Andres es iſt. Was
ſomit in dieſem Satze vorhanden iſt, iſt nicht das reine
Seyn, ſondern das Seyn eben ſo ſehr in Beziehung auf
ſein Nichts. — Das Abſolute wird von ihm unterſchie-
den;
[36]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
den; indem aber geſagt wird, es ſey das Abſolute, ſo
wird auch geſagt, ſie ſeyen nicht unterſchieden. Es iſt
alſo nicht das reine Seyn, ſondern die Bewegung vor-
handen, welche das Werden iſt.
β) Bedeutet nun das reine Seyn gerade ſo viel
als das Abſolute, oder auch bedeutet es nur eine Seite
oder Theil deſſelben, und wird nur dieſe feſtgehalten, ſo
wird ihr Unterſchied weggelaſſen, der vorhin die Reinheit
des Seyns truͤbte, und die Verſchiedenheit als bloß des
Wortes oder als Verbindung mit einem unnuͤtzen Theile
verſchwindet.
Der Satz heißt nunmehr: Das Seyn iſt das
Seyn. — Von dieſer Identitaͤt, wovon unten die Re-
de ſeyn wird, erhellt ſo viel unmittelbar, daß ſie, wie
jede Tavtologie, Nichts ſagt. Was alſo vorhanden iſt,
iſt ein Sagen, das ein Nichts-Sagen iſt; es iſt hier ſo-
mit dieſelbe Bewegung, das Werden, vorhanden, nur
daß ſtatt des Seyns ein Sagen ſie durchlaͤuft.
γ) Das tavtologiſche Praͤdikat weggelaſſen, ſo
bleibt der Satz: Das Seyn iſt. Hier iſt wieder das
Seyn ſelbſt, und das Seyn deſſelben unterſchieden;
es ſoll durch das iſt etwas weiteres und ſomit anderes
geſagt werden, als das Seyn. Wird aber durch das
iſt nicht ein Andersſeyn, und ſomit nicht ein Nichts des
reinen Seyns geſetzt, ſo iſt diß iſt als unnuͤtz gleichfalls
wegzulaſſen, und nur zu ſprechen: reines Seyn.
δ) Reines Seyn, oder vielmehr nur Seyn;
ſatzlos ohne Behauptung oder Praͤdikat. Oder die Be-
hauptung iſt in das Meynen zuruͤckgegangen. Seyn,
iſt nur noch ein Ausruf, der ſeine Bedeutung allein in
dem Subject hat. Je tiefer und reicher dieſe innre An-
ſchau-
[37]Qualitaͤt.
ſchauung iſt, wenn ſie das Heilige, Ewige, Gott u. ſ. w.
in ſich faſſen ſoll, — deſto mehr ſticht diß Innre von
dem ab, als was es da iſt, von dem ausgeſprochenen
leeren Seyn, das gegen jenen Inhalt Nichts iſt; es hat
an ſeiner Bedeutung und ſeinem Daſeyn, den Unterſchied
von ſich ſelbſt.
Von der andern Seite betrachtet, diß Seyn ohne
Beziehung auf Bedeutung, wie es unmittelbar iſt und
unmittelbar genommen werden ſoll, gehoͤrt es einem Sub-
jecte an; es iſt ein ausgeſprochenes, hat [...] empiriſches
Daſeyn uͤberhaupt, und gehoͤrt damit zum Boden der
Schranken und des Negativen. — Der geſunde Men-
ſchenverſtand, wenn er ſich gegen die Einheit des Seyns
und Nichts ſtraͤubt, und zugleich ſich auf das, was un-
mittelbar vorhanden iſt, beruft, wird eben in dieſer Er-
fahrung ſelbſt nichts als beſtimmtes Seyn, Seyn mit
einer Schranke oder Negation, — jene Einheit finden,
die er verwirft. So reducirt ſich die Behauptung des
unmittelbaren Seyns auf eine empiriſche Exiſtenz, deren
Aufzeigen ſie nicht verwerfen kann, weil es die Re-
flexionsloſe Unmittelbarkeit iſt, an die ſie ſich halten will.
Daſſelbe iſt der Fall mit dem Nichts, nur auf
entgegengeſetzte Weiſe; es zeigt ſich in ſeiner Unmittel-
barkeit genommen als ſeyend; denn ſeiner Natur nach
iſt es daſſelbe als das Seyn. Das Nichts wird gedacht,
vorgeſtellt; es wird von ihm geſprochen; es iſt alſo.
Das Nichts hat an dem Denken, Vorſtellen u. ſ. f. ſein
Seyn. Diß Seyn aber iſt von ihm unterſchieden; es
wird daher geſagt, daß das Nichts zwar im Denken,
Vorſtellen iſt, aber daß darum nicht es iſt, daß nur
Denken oder Vorſtellen dieſes Seyn iſt. Bey dieſem
Unterſcheiden iſt aber eben ſo ſehr nicht zu leugnen, daß
das Nichts in Beziehung auf ein Seyn ſteht; aber in
Eder
[38]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
der Beziehung, ob ſie gleich auch den Unterſchied enthaͤlt,
iſt eine Einheit deſſelben mit dem Seyn vorhanden.
Das reine Nichts iſt noch nicht das Negative, die
Reflexionsbeſtimmung gegen das Poſitive; noch auch die
Schranke; in dieſen Beſtimmungen hat es unmittelbar die
Bedeutung der Beziehung auf ſein Anderes. Sondern
das Nichts iſt hier die reine Abweſenheit des Seyns,
das nihil privativum, wie die Finſterniß die Abweſen-
heit des Lichts iſt. Wenn ſich nun ergab, daß das
Nichts daſſelbe iſt, als das Seyn, ſo wird dagegen feſt-
gehalten, daß das Nichts kein Seyn fuͤr ſich ſelbſt hat,
daß es nur, wie geſagt, Abweſenheit des Seyns iſt,
wie die Finſterniß nur Abweſenheit des Lichts, welche
Bedeutung nur hat in der Beziehung aufs Auge, in Ver-
gleichung mit dem poſitiven, dem Lichte. — Diß alles
heißt aber nichts anders, als daß die Abſtraction des
Nichts nichts an und fuͤr ſich iſt, ſondern nur in Be-
ziehung auf das Seyn, oder daſſelbe, was ſich ergeben
hat, daß die Wahrheit nur ſeine Einheit mit dem Seyn
iſt, — daß die Finſterniß nur etwas iſt in Beziehung auf
Licht, wie umgekehrt Seyn nur etwas iſt in Beziehung
auf Nichts. Wenn auch die Beziehung oberflaͤchlich und
aͤuſſerlich genommen und in ihr vornemlich bey der Unter-
ſchiedenheit ſtehen geblieben wird, ſo iſt doch die Einheit
der Bezogenen weſentlich als ein Moment darin enthalten,
und daß jedes nur etwas iſt in der Beziehung auf ſein
anderes, damit wird gerade der Uebergang des Seyns
und des Nichts ins Daſeyn ausgeſprochen.
Das Seyn iſt Nichts, das Nichts iſt
Seyn. Es iſt ſchon bemerkt worden, daß der Ausdruck
ſpeculativer Wahrheit durch die Form von einfachen
Saͤtzen,
[39]Qualitaͤt.
Saͤtzen, unvollkommen iſt. Hier muͤßten noch die Saͤtze
hinzugefuͤgt werden: Das Seyn iſt nicht Nichts, das
Nichts iſt nicht Seyn; damit auch der Unterſchied
ausgedruͤckt ſey, der in jenen Saͤtzen nur vorhan-
den iſt. — Dieſe Saͤtze geben das, was geſagt wer-
den ſoll, vollſtaͤndig, aber nicht wie es zuſammengefaßt
werden ſoll, und im Werden zuſammengefaßt iſt.
In jene erſten Saͤtze nun koͤnnen andere Denk-
verhaͤltniſſe hineingebracht werden. Sie koͤnnen ſo
ausgeſprochen werden:
Was iſt, wird darum zu Nichts, weil das
Seyn das Nichts iſt.
Was nicht iſt, wird darum zu Etwas, weil
das Nichts Seyn iſt.
Oder unmittelbar:
Was iſt, wird darum zunichte, weil es iſt.
Was nicht iſt, wird darum zum Seyenden, weil
es nicht iſt.
Der Grund, daß irgend Etwas zum Seyenden
werde, weil es nicht ſey, und daß das Seyende ver-
ſchwinde, weil es iſt, erſcheint ſchon deswegen als un-
befriedigend, weil er abſtract und leer iſt, unter dem Et-
was aber ein concretes, empiriſches Ding verſtanden
wird. So wahr jene Saͤtze ſind, ſo kann, wie von ei-
nem ſolchen Daſeyn die Rede iſt, der Grund nicht bloß
leeres Seyn oder Nichtſeyn oder eine leere Beziehung
derſelben aufeinander ſeyn, ſondern muß die vollſtaͤndige
Beſtimmtheit des Inhalts haben, um ihn daraus zu be-
greifen. Das Verhaͤltniß des Grundes uͤberhaupt iſt ei-
ne weitere, vollkommenere Beſtimmung der Beziehung
des Seyns und des Nichtſeyns aufeinander; es kann
E 2auf
[40]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
auf dieſe Beziehung, wie ſie hier iſt, nicht angewendet
werden, weil ſie vielmehr eine Einheit von reinen, be-
ſtimmungsloſen Abſtractionen, alſo weſentlich noch keine
Vermittlung iſt.
Wuͤrde das Verhaͤltniß der Bedingung herbey-
gezogen, ſo gaͤbe die Beziehung des Seyns und Nicht-
ſeyns die Saͤtze:
Etwas kann nur unter der Bedingung in
das Nichts uͤbergehen, daß es iſt;
und nur unter der Bedingung in das Seyn,
daß es nicht iſt.
Dieſe Saͤtze ſind leere Tavtologien; denn da darin
ein Uebergehen ins Entgegengeſetzte angenommen iſt, ſo
iſt gewiß, damit das Entgegengeſetzte, das Seyn ſey,
noͤthig, daß ſein Entgegengeſetztes, das Nichts, ſey.
Anderntheils inſofern der Zuſammenhang dieſes Ueber-
gangs in das Verhaͤltniß der Bedingung geſetzt wird,
wird ihre eigentliche Einheit aufgehoben; denn die Bedin-
gung iſt zwar ein Nothwendiges fuͤr das Bedingte, aber
nicht das Setzende deſſelben; es muß erſt ein Drittes
hinzukommen, welches den Uebergang bewirkt. Durch
die Einmiſchung der Bedingung werden alſo Seyn und
Nichts auseinander geruͤckt, und ein Drittes, das auſſer
ihnen faͤllt, fuͤr ihre Beziehung gefodert. Das Werden
aber iſt eine ſolche Einheit derſelben, die in der Natur
eines jeden ſelbſt liegt; das Seyn iſt an und fuͤr ſich
ſelbſt das Nichts, und das Nichts an und fuͤr ſich ſelbſt
das Seyn.
Es geht aus dem bisherigen hervor, welche Be-
wandniß es mit der gewoͤhnlichen Dialektik ge-
gen
[41]Qualitaͤt.
gen das Werden, oder gegen den Anfang und Un-
tergang, Entſtehen oder Vergehen hat. — Die Kanti-
ſche Antinomie uͤber die Endlichkeit oder Unendlichkeit der
Welt in Raum und Zeit wird unten bey dem Begriffe
der Unendlichkeit naͤher betrachtet werden. — Jene ein-
fache gewoͤhnliche Dialektik beruht auf dem Feſthalten des
Gegenſatzes von Seyn und Nichts. Es wird auf fol-
gende Art bewieſen, daß kein Anfang der Welt oder von
Etwas moͤglich ſey:
Es kann nichts anfangen, weder inſofern etwas iſt,
noch inſofern es nicht iſt; denn inſofern es iſt, faͤngt es
nicht erſt an; inſofern es aber nicht iſt, faͤngt es auch
nicht an. — Wenn die Welt oder Etwas angefangen
haben ſollte, ſo haͤtte ſie im Nichts angefangen, aber im
Nichts oder das Nichts iſt nicht Anfang; denn Anfang
ſchließt ein Seyn in ſich, aber das Nichts enthaͤlt kein
Seyn. — Aus demſelben Grunde kann auch Etwas nicht
aufhoͤren. Denn ſo muͤßte das Seyn das Nichts enthal-
ten, Seyn aber iſt nur Seyn, nicht das [Gegentheil] ſei-
ner ſelbſt.
Werden aber, oder Anfangen und Aufhoͤren ſind
gerade dieſe Einheit des Seyns und Nichts, gegen
welche dieſe Dialektik nichts vorbringt, als ſie aſſertoriſch
zu laͤugnen, und dem Seyn und Nichts, jedem getrennt
von dem andern, Wahrheit zuzuſchreiben. — Dem ge-
woͤhnlichen reflectirenden Vorſtellen, gilt es fuͤr vollkom-
mene Wahrheit, daß Seyn und Nichts, nicht eines
ſeyen; auf der andern Seite aber laͤßt es ein Anfangen
und Aufhoͤren, als eben ſo wahrhafte Beſtimmungen gel-
ten; aber in dieſen nimmt es in der That eine Einheit
des Seyns und Nichts fuͤr wahrhaft an.
Indem die abſolute Geſchiedenheit des Seyns vom
Nichts vorausgeſetzt wird, ſo iſt — was man ſo oft hoͤrt —
der
[42]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
der Anfang oder das Werden allerdings etwas unbegreif-
liches; denn man macht eine Vorausſetzung, welche den
Anfang oder das Werden aufhebt, das man doch auch
wieder zugibt.
Das Angefuͤhrte iſt dieſelbe Dialektik, die der Ver-
ſtand gegen den Begriff braucht, die hoͤhere Analyſis von
den unendlich-kleinen Groͤßen hat. Der Aus-
druck: unendlich-klein hat uͤbrigens etwas unge-
ſchicktes, und es wird von dieſem Begriffe weiter unten
ausfuͤhrlicher gehandelt. — Dieſe Groͤßen ſind als ſolche
beſtimmt worden, die in ihrem Verſchwinden
ſind, nicht vor ihrem Verſchwinden, denn alsdann
ſind ſie endliche Groͤßen; — nicht nach ihrem Ver-
ſchwinden, denn alsdann ſind ſie nichts. Gegen dieſen
reinen Begriff iſt bekanntlich eingewendet und immer
wiederhohlt worden, daß ſolche Groͤßen entweder Et-
was ſeyen, oder Nichts; daß es keinen Mittelzuſtand
(Zuſtand iſt hier ein unpaſſender, barbariſcher Ausdruck)
zwiſchen Seyn und Nichtſeyn gebe. — Es iſt hiebey
gleichfalls die abſolute Trennung des Seyns und Nichts
angenommen. Dagegen iſt aber gezeigt worden, daß
Seyn und Nichts in der That daſſelbe ſind, oder um in
jener Sprache zu ſprechen, daß es gar nichts gibt, das
nicht ein Werden, das nicht ein Mittelzuſtand zwi-
ſchen Seyn und Nichts iſt.
Da das angefuͤhrte Raͤſonnement die falſche Vor-
ausſetzung der abſoluten Getrenntheit des Seyns und
Nichtſeyns macht, iſt es auch nicht Dialektik, ſon-
dern Sophiſterey zu nennen; denn Sophiſterey iſt
ein Raͤſonnement aus einer grundloſen Vorausſetzung,
die man ohne Kritik und unbeſonnen gelten laͤßt; Dia-
lektik aber nennen wir die hoͤhere vernuͤnftige Bewegung,
in welche ſolche ſchlechthin getrennt ſcheinende, durch ſich
ſelbſt,
[43]Qualitaͤt.
ſelbſt, und darin in einander uͤbergehen. Es iſt die dia-
lektiſche Natur des Seyus und Nichts ſelbſt, daß ſie
ihre Einheit, das Werden, als ihre Wahrheit zeigen.
Momente des Werdens.
Das Werden iſt die Einheit des Seyns und Nichts;
nicht die Einheit, welche vom Seyn und Nichts abſtra-
hirt; ſondern als Einheit des Seyns und Nichts iſt es
dieſe beſtimmte Einheit, oder in welcher ſowohl Seyn
als Nichts iſt. Aber indem Seyn und Nichts, jedes in
der Einheit mit ſeinem Andern iſt, iſt es nicht. Sie
ſind alſo in dieſer Einheit, aber als verſchwindende,
nur als aufgehobene.
Sie ſind als nicht ſeyende; oder ſind Mo-
mente. — Der Vorſtellung bieten ſie ſich zunaͤchſt dar,
als ſolche, deren jedes fuͤr ſich getrennt von dem andern
ſelbſtſtaͤndig iſt, und ſie ſind nur Seyn und Nichts in
dieſer Trennung. Aber indem beyde daſſelbe ſind, ſinken
ſie von der Selbſtſtaͤndigkeit zu Momenten
herab, indem ſie uͤberhaupt zunaͤchſt noch als unterſchie-
dene, aber zugleich als aufgehobene betrachtet werden.
Indem Seyn und Nichts in Einem ſind, ſo ſind
ſie darin unterſchieden; aber ſo daß zugleich jedes in
ſeiner Unterſchiedenheit, Einheit mit dem andern
iſt. Das Werden enthaͤlt alſo zwey ſolche Einheiten;
jede iſt Einheit des Seyns und des Nichts; aber die eine
iſt das Seyn als Beziehung auf das Nichts; die andere
das Nichts als Beziehung auf das Seyn: die beyden
Beſtimmungen ſind in ungleichem Werthe in dieſen Ein-
heiten.
Das
[44]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Das Werden iſt auf dieſe Weiſe in gedoppelter Be-
ſtimmung; als anfangend vom Nichts, das ſich auf das
Seyn bezieht, das heißt, in daſſelbe uͤbergeht, oder vom
Seyn, das in das Nichts uͤbergeht, — Entſtehen
und Vergehen.
Aber dieſe ſo unterſchiedenen Richtungen durchdrin-
gen und paralyſiren ſich gegenſeitig. Die eine iſt Ver-
gehen; Seyn geht in Nichts uͤber, aber Nichts iſt
eben ſo ſehr das Gegentheil ſeiner ſelbſt und vielmehr
das Uebergehen in Seyn, oder Entſtehen. Diß Ent-
ſtehen iſt die andere Richtung; Nichts geht in Seyn uͤber,
aber Seyn hebt eben ſo ſehr ſich ſelbſt auf und iſt viel-
mehr das Uebergehen in Nichts, oder Vergehen.
Entſtehen und Vergehen ſind daher nicht ein ver-
ſchiedenes Werden, ſondern unmittelbar Eines und daſ-
ſelbe: Sie heben ſich auch nicht gegenſeitig, nicht das
eine aͤuſſerlich das andere auf; ſondern jedes hebt ſich
an ſich ſelbſt auf, und iſt an ihm ſelbſt das Gegentheil
ſeiner.
Aufheben des Werdens.
Das Gleichgewicht, worein ſich Entſtehen und Ver-
gehen ſetzen, iſt zunaͤchſt das Werden ſelbſt. Aber die-
ſes geht eben ſo in ruhige Einheit zuſammen.
Seyn und Nichts ſind in ihm nur als verſchwindende;
aber das Werden als ſolches iſt nur durch die Unter-
ſchiedenheit derſelben. Ihr Verſchwinden iſt daher das
Verſchwinden des Werdens, oder Verſchwinden des
Verſchwindens ſelbſt. Das Werden iſt alſo eine hal-
tungsloſe Unruhe, die in ein ruhiges Reſultat zuſammen-
ſinkt.
Diß
[45]Qualitaͤt.
Diß koͤnnte auch ſo ausgedruͤckt werden: Das
Werden iſt das Verſchwinden von Seyn in Nichts, und
von Nichts in Seyn, und das Verſchwinden von Seyn
und Nichts uͤberhaupt; aber es beruht zugleich auf dem
Unterſchiede derſelben. Es widerſpricht ſich alſo in ſich
ſelbſt, weil es ſolches in ſich vereint, das ſich entgegen-
geſetzt iſt; eine ſolche Vereinigung aber zerſtoͤrt ſich.
Diß Reſultat iſt das Verſchwundenſeyn nicht als
Nichts; ſo waͤre es nur ein Ruͤckfall in die eine der
ſchon aufgehobenen Beſtimmungen. Sondern es iſt die
zur ruhigen Einfachheit gewordene Einheit des Seyns
und Nichts.
Im Werden ſelbſt iſt ſowohl Seyn als Nichts, je-
des auf gleiche Weiſe vielmehr nur als das Nichts ſeiner
ſelbſt. Werden iſt die Einheit als Verſchwinden, oder
die Einheit in der Beſtimmung des Nichts.
Aber diß Nichts iſt weſentliches Uebergehen ins Seyn,
und das Werden alſo Uebergehen in die Einheit des
Seyns und Nichts, welche als ſeyend iſt, oder die
Geſtalt der unmittelbaren Einheit dieſer Momente
hat; das Daſeyn.
Aufheben und das Aufgehobene iſt einer der
wichtigſten Begriffe der Philoſophie, eine Grundbeſtim-
mung, die ſchlechthin allenthalben wiederkehrt, deren
Sinn beſtimmt aufzufaſſen, und beſonders vom Nichts zu
unterſcheiden iſt. — Was ſich aufhebt, wird dadurch
nicht zu Nichts. Nichts iſt das Unmittelbare; ein
Aufgehobenes dagegen iſt ein Vermitteltes, es iſt
das Nichtſeyende, aber als Reſultat, das von einem
Seyn ausgegangen iſt. Es hat daher die Beſtim-
mung, aus der es herkommt, noch an ſich.
Auf-
[46]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Aufheben hat in der Sprache den gedoppelten
Sinn, daß es ſo viel als aufbewahren, erhalten be-
deutet, und ſo viel als aufhoͤren laſſen, ein Ende ma-
chen. Das Aufbewahren ſchließt ſchon das Negative in
ſich, daß etwas ſeiner Unmittelbarkeit und damit einem
den aͤuſſerlichen Einwirkungen offenen Daſeyn entnom-
men wird, um es zu erhalten. — So iſt das Aufgeho-
bene ein zugleich Aufbewahrtes, das nur ſeine Unmittel-
barkeit verloren hat, aber darum nicht verſchwunden iſt.
Das Aufgehobene genauer beſtimmt, ſo iſt hier et-
was nur inſofern aufgehoben, als es in die Einheit mit
ſeinem Entgegengeſetzten getreten iſt; es iſt in dieſer naͤ-
hern Beſtimmung ein reflectirtes, und kann paſſend
Moment genannt werden. — Wie noch oͤfter die Be-
merkung ſich aufdringen wird, daß die philoſophiſche
Kunſtſprache, fuͤr reflectirte Beſtimmungen lateiniſche
Ausdruͤcke gebraucht.
Der naͤhere Sinn aber und Ausdruck, den Seyn
und Nichts, indem ſie nunmehr Momente ſind, er-
halten, hat ſich bey der Betrachtung des Daſeyns, als
der Einheit, in der ſie aufbewahrt ſind, naͤher zu erge-
ben. Seyn iſt Seyn, und Nichts iſt Nichts, nur in
ihrer Unterſchiedenheit von einander; in ihrer Wahrheit
aber, in ihrer Einheit ſind ſie als dieſe Beſtimmungen
verſchwunden, und ſind nun etwas anderes. Seyn und
Nichts ſind daſſelbe; darum weil ſie daſſelbe ſind, ſind
ſie nicht mehr Seyn und Nichts, und haben eine ver-
ſchiedene Beſtimmung; im Werden waren ſie Entſtehen
und Vergehen; im Daſeyn als einer anders beſtimmten
Einheit ſind ſie wieder anders beſtimmte Momente.
Zwey-
[47]Qualitaͤt.
Zweytes Kapitel.
Das Daſeyn.
Daſeyn iſt beſtimmtes Seyn. Das Daſeyn
ſelbſt iſt zugleich von ſeiner Beſtimmtheit unterſchie-
den. In der Beſtimmtheit tritt der Begriff der
Qualitaͤt ein. Aber die Beſtimmtheit geht in Be-
ſchaffenheit und Veraͤnderung, und dann in den Ge-
genſatz des Endlichen und Unendlichen uͤber, der
ſich in dem Fuͤrſichſeyn aufloͤst.
Die Abhandlung des Daſeyns hat alſo die drey
Abtheilungen
- A)des Daſeyns als ſolchen;
- B)der Beſtimmtheit;
- C)der qualitativen Unendlichkeit.
A.
Daſeyn als ſolches.
Das Daſeyn als ſolches beſtimmt ſich an ihm ſelbſt,
zu dem Unterſchiede der Momente des Seyns-fuͤr-an-
deres, und des Anſichſeyns, oder es beſtimmt ſich,
indem es deren Einheit iſt, als Realitaͤt; und weiter
zum Daſeyenden oder Etwas.
Daſeyn uͤberhaupt.
Daſeyn iſt das einfache Einsſeyn des Seyns
und Nichts. Es hat um dieſer Einfachheit willen, die
Form
[48]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Form von einem Unmittelbaren. Seine Vermitt-
lung, das Werden, liegt hinter ihm; ſie hat ſich aufge-
hoben, und das Daſeyn erſcheint daher als ein erſtes,
von dem ausgegangen werde.
Es iſt nicht bloßes Seyn, ſondern Daſeyn.
Etymologiſch genommen, Seyn an einem gewiſſen Or-
te; aber die Raumvorſtellung gehoͤrt nicht hieher. Da-
ſeyn iſt, nach ſeinem Werden, uͤberhaupt Seyn mit
einem Nichtſeyn, aber ſo daß diß Nichtſeyn in ein-
fache Einheit mit dem Seyn aufgenommen iſt; das Da-
ſeyn iſt beſtimmtes Seyn uͤberhaupt.
Um der Unmittelbarkeit willen, in der im Daſeyn,
Seyn und Nichts, eins ſind, gehen ſie nicht uͤbereinan-
der hinaus; ſondern ſo weit das Daſeyende ſeyend iſt,
ſo iſt es Nichtſeyendes, ſo weit iſt es Beſtimmtes. Das
Seyn iſt nicht das Allgemeine, die Beſtimmtheit
nicht das Beſondere. Die Beſtimmtheit hat ſich noch
nicht vom Seyn abgeloͤst; oder vielmehr wird ſie ſich
nicht mehr von ihm abloͤſen; denn das nunmehr zum
Grunde liegende Wahre iſt dieſe Einheit des Nichtſeyns
mit dem Seyn; auf ihr als dem Grunde ergeben ſich
alle fernern Beſtimmungen. Das Seyn, das der Be-
ſtimmtheit fernerhin entgegentritt, iſt nicht mehr das er-
ſte, unmittelbare Seyn.
Realitaͤt.
Das Daſeyn iſt Seyn mit einem Nichtſeyn. Als
unmittelbare Einheit aber des Seyns und Nichts iſt
es vielmehr in der Beſtimmung des Seyns, und das
Geſetztſeyn dieſer Einheit iſt daher unvollſtaͤndig; denn
ſie enthaͤlt nicht nur das Seyn, ſondern auch das Nichts.
2) An-
[49]Qualitaͤt.
Das Daſeyn iſt daher erſtens jene Einheit nicht
nur als Seyn, ſondern ſo weſentlich als Nichtſeyn.
Oder jene Einheit iſt nicht nur ſeyendes Daſeyn, ſondern
auch nichtſeyendes Daſeyn; Nichtdaſeyn.
Es iſt beym Uebergang des Seyns in Nichts erin-
nert worden, inwiefern er unmittelbar iſt. Das Nichts
iſt am Seyn noch nicht geſetzt, ob zwar Seyn we-
ſentlich Nichts iſt. Das Daſeyn hingegen enthaͤlt das
Nichts ſchon in ihm ſelbſt geſetzt, und iſt dadurch der
eigne Maßſtab ſeiner Unvollſtaͤndigkeit, und damit an
ihm ſelbſt die Nothwendigkeit, als Nichtdaſeyn geſetzt zu
werden.
Zweytens, das Nichtdaſeyn iſt nicht reines
Nichts; denn es iſt ein Nichts als des Daſeyns.
Und dieſe Verneinung iſt aus dem Daſeyn ſelbſt genom-
men; aber in dieſem iſt ſie vereinigt mit dem Seyn.
Das Nichtdaſeyn iſt daher ſelbſt ein Seyn; es iſt
ſeyendes Nichtdaſeyn. Ein ſeyendes Nichtda-
ſeyn aber iſt ſelbſt Daſeyn. Diß zweyte Daſeyn iſt
jedoch zugleich nicht Daſeyn auf dieſelbe Weiſe, wie als
zuerſt; denn es iſt eben ſo ſehr Nichtdaſeyn; Daſeyn als
Nichtdaſeyn; Daſeyn als das Nichts ſeiner ſelbſt, ſo
daß diß Nichts ſeiner ſelbſt gleichfalls Daſeyn iſt. —
Oder das Daſeyn iſt weſentlich Andersſeyn.
Oder kurz mit ſich ſelbſt verglichen, ſo iſt Daſeyn,
unmittelbare einfache Einheit des Seyns und Nichts;
aber weil es Einheit des Seyns und Nichts iſt, ſo
iſt es vielmehr nicht ſich ſelbſt gleiche Einheit, ſon-
dern ſich ſchlechthin ungleich, oder iſt das Anders-
ſeyn.
Das
[50]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Das Andersſeyn iſt zunaͤchſt Andersſeyn an und
fuͤr ſich, nicht das Andre von Etwas, ſo daß das Da-
ſeyn dem Andern noch gegenuͤber ſtehen geblieben waͤre,
und daß wir haͤtten, ein Daſeyn, und ein anderes
Daſeyn. Denn das Daſeyn iſt uͤberhaupt uͤbergegangen
in Andersſeyn. Das Andersſeyn iſt ſelbſt Daſeyn; aber
Daſeyn als ſolches iſt das Unmittelbare; dieſe Unmittel-
barkeit iſt aber nicht geblieben, ſondern das Daſeyn iſt
nur Daſeyn als Nichtdaſeyn, oder es iſt Andersſeyn.
Wie Seyn in Nichts uͤberging, ſo Daſeyn in An-
dersſeyn; Andersſeyn iſt das Nichts, aber als Bezie-
hung. Anderes iſt Nichtdiß; aber diß iſt
gleichfalls ein Anderes, alſo auch Nichtdiß. Es iſt
kein Daſeyn, das nicht zugleich als Anderes beſtimmt
waͤre, oder eine negative Beziehung haͤtte.
Die Vorſtellung gibt diß gleichfalls zu. Wenn wir
ein Daſeyn A nennen, das andere aber B; ſo iſt zu-
naͤchſt B als das Andere beſtimmt. Allein A iſt eben ſo
ſehr das Andere des B. Beyde ſind andere.
Hiebey erſcheint aber das Andersſeyn als eine dem
ſo beſtimmten Daſeyn fremde Beſtimmung, oder das An-
dere auſſer dem einen Daſeyn; theils ſo, daß ein Da-
ſeyn erſt durch die Vergleichung eines Dritten, als an-
deres beſtimmt werde, fuͤr ſich aber nicht ein anderes
ſey, theils ſo, daß es nur um des andern willen, das
auſſer ihm iſt, als anderes beſtimmt werde, aber nicht
an und fuͤr ſich. Allein in der That beſtimmt ſich jedes
Daſeyn auch fuͤr die Vorſtellung eben ſo ſehr als ein an-
deres Daſeyn, ſo daß ihm nicht ein Daſeyn bleibt, das
nur als ein Daſeyn, nicht als ein anderes beſtimmt waͤ-
re; oder nicht ein Daſeyn, das nicht auſſerhalb eines
Daſeyns, alſo nicht ſelbſt ein Anderes waͤre. — Die
Vor-
[51]Qualitaͤt.
Vorſtellung kommt zwar zur Allgemeinheit einer Beſtim-
mung, nicht zur Nothwendigkeit derſelben an und fuͤr ſich
ſelbſt. Dieſe Nothwendigkeit aber liegt darin, daß es
ſich am Begriffe des Daſeyns gezeigt hat, daß das Da-
ſeyn als ſolches an und fuͤr ſich das Andre iſt, daß es
ſein Andersſeyn in ſich ſelbſt enthaͤlt. — Aber das An-
dersſeyn iſt das Nichts weſentlich als Beziehung, oder
iſt das Trennen, Entfernen von ſich ſelbſt, daher dieſe
Beſtimmung des Andersſeyns ſich das Daſeyn gegenuͤber-
ſtellt; welche Seite allein der Vorſtellung vorſchwebt.
Drittens: Das Daſeyn ſelbſt iſt weſentlich An-
dersſeyn; es iſt darein uͤbergegangen. Das Andere iſt
ſo unmittelbar, nicht Beziehung auf ein auſſer ihm
Befindliches, ſondern Anderes anundfuͤrſich. Aber ſo
iſt es das Andre ſeiner ſelbſt. — Als das Andre
ſeiner ſelbſt iſt es auch Daſeyn uͤberhaupt oder unmittel-
bar. Das Daſeyn verſchwindet alſo nicht in ſeinem
Nichtdaſeyn, in ſeinem Andern; denn diß iſt das Andre
ſeiner ſelbſt; und das Nichtdaſeyn iſt ſelbſt Daſeyn.
Das Daſeyn erhaͤlt ſich in ſeinem Nichtdaſeyn;
es iſt weſentlich eins mit ihm, und weſentlich nicht eins
mit ihm. Das Daſeyn ſteht alſo in Beziehung auf
ſein Andersſeyn; es iſt nicht rein ſein Andersſeyn; das
Andersſeyn iſt zugleich weſentlich in ihm enthalten, und
zugleich noch davon getrennt; es iſt Seyn-fuͤr-
Anderes.
1. Seyn-fuͤr-Anderes macht die wahrhafte
Beſtimmung des Daſeyns aus. Daſeyn als ſolches iſt
Unmittelbares, Beziehungsloſes; oder es iſt in der Be-
ſtimmung des Seyns. Aber Daſeyn als das Nichtſeyn
in
[52]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
in ſich ſchlieſſend, iſt weſentlich beſtimmtes Seyn,
verneintes Seyn, Anderes, — aber weil es ſich in ſei-
ner Verneinung zugleich auch erhaͤlt, nur Seyn-fuͤr-
Anderes.
2. Als reines Seyn-fuͤr-Anderes iſt das Daſeyn
eigentlich nur uͤbergehend in das Andersſeyn. Es erhaͤlt
ſich aber auch in ſeinem Nichtdaſeyn, und iſt Seyn. Es
iſt aber nicht nur Seyn uͤberhaupt, ſondern im Gegen-
ſatze gegen ſein Nichtdaſeyn; ein Seyn als Beziehung
auf ſich gegen ſeine Beziehung auf Anderes, als Gleich-
heit mit ſich gegen ſeine Ungleichheit. Ein ſolches Seyn
iſt das Anſichſeyn.
3. Seyn-fuͤr-Anderes und Anſichſeyn machen die
zwey Momente des Daſeyns aus. Es ſind zwey
Paare von Beſtimmungen, die hier vorkommen: 1)
Daſeyn und Anderes; 2) Seyn-fuͤr-Anderes,
und Anſichſeyn. Die erſtern enthalten die gleichguͤl-
tige, beziehungsloſe Beſtimmung; Daſeyn und ein Ande-
res fallen auseinander. Aber ihre Wahrheit iſt ihre
Beziehung; das Seyn-fuͤr-Anderes, und das Anſich-
ſeyn ſind daher jene Beſtimmungen als Momente; als
Beſtimmungen, welche Beziehungen ſind, und in ihrer
Einheit, in der Einheit des Daſeyns bleiben; oder jedes
ſelbſt enthaͤlt an ihm zugleich auch ſein von ihm verſchie-
denes Moment.
Es iſt oben erinnert worden, daß Seyn und Nichts
in ihrer Einheit, welche Daſeyn iſt, nicht mehr Seyn
und Nichts ſind, — denn diß ſind ſie nur auſſer ihrer
Einheit; ſo Seyn und Nichts, in ihrer unruhigen Ein-
heit, im Werden, ſind Entſtehen und Vergehen. —
Seyn im Daſeyn, iſt Anſichſeyn. Denn Seyn iſt die
Beziehung auf ſich, die Gleichheit mit ſich, die aber itzt
nicht
[53]Qualitaͤt.
nicht mehr unmittelbar iſt, ſondern ſie iſt Beziehung auf
ſich nur als Nichtſeyn des Nichtdaſeyns; (als reflectirtes
Daſeyn). — Eben ſo iſt Nichtſeyn als Moment des Da-
ſeyns, in dieſer Einheit des Seyns und Nichtſeyns,
nicht Nichtdaſeyn uͤberhaupt, ſondern unmittelbar Ande-
res, und beſtimmter, Beziehung auf das Nichtdaſeyn oder
Seyn-fuͤr-Anderes.
Alſo Anſichſeyn iſt erſtlich negative Beziehung
auf das Nichtdaſeyn, es hat das Andersſeyn auſſer ihm
und iſt demſelben entgegen; inſofern etwas an ſich iſt,
iſt es dem Andersſeyn und dem Seyn-fuͤr-Anderes ent-
nommen. Aber zweytens hat es das Nichtſeyn auch
ſelbſt an ihm; denn es ſelbſt iſt das Nichtſeyn des
Seyns-fuͤr-Anderes.
Das Seyn-fuͤr-Anderes aber iſt erſtlich Ne-
gation des Seyns, im Daſeyn; inſofern etwas in einem
Andern oder fuͤr ein Anderes iſt, entbehrt es des eigenen
Seyns. Aber zweytens iſt es nicht das Nichtdaſeyn als
reines Nichts; es iſt Nichtdaſeyn, das auf das Anſich-
ſeyn hinweist, ſo wie umgekehrt das Anſichſeyn auf das
Seyn-fuͤr-Anderes hinweist.
Anſichſeyn und Seyn-fuͤr-Anderes ſind die Mo-
mente oder innern Unterſchiede des Daſeyns. Sie ſind
das Seyn und Nichts unterſchieden im Daſeyn. Oder
durch dieſen Unterſchied iſt das Daſeyn nicht aufgeloͤst;
ſondern dieſe Momente ſind weſentlich in der Einheit ge-
halten, welche Daſeyn iſt; denn ſie ſind ſelbſt, wie ſo
eben gezeigt, dieſe Einheiten.
Das Daſeyn ſelbſt iſt zunaͤchſt unmittelbare, ein-
fache Einheit des Seyns und Nichts. Inſofern ſich
FSeyn
[54]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Seyn und Nichts naͤher in ihm als die ſo eben betrach-
teten Momente beſtimmt haben, iſt es nicht mehr in der
erſten Form der Unmittelbarkeit, ſondern iſt reflectirtes
Daſeyn; es iſt Daſeyn, inſofern es ſich als Anſichſeyn
und als Seyn-fuͤr-Anderes beſtimmt hat, und die Ein-
heit von ihnen als ſeinen Momenten iſt. Als diß re-
flectirte Daſeyn iſt es Realitaͤt.
Realitaͤt kann ein vieldeutiges Wort zu ſeyn
ſcheinen, weil es von ſehr verſchiedenen, ja entgegenge-
ſetzten Beſtimmungen gebraucht wird. Wenn von Ge-
danken, Begriffen, Theorien geſagt wird, ſie haben
keine Realitaͤt, ſo heißt diß hier, daß ihnen kein
aͤuſſerliches Daſeyn, keine Wirklichkeit zukomme;
an ſich oder im Begriffe koͤnne die Idee einer platoni-
ſchen Republik z. B., wohl wahr ſeyn. — Umgekehrt
wenn z. B. nur der Schein des Reichthums im Aufwand
vorhanden iſt, wird gleichfalls geſagt, es fehle die
Realitaͤt, es wird verſtanden, daß jener Aufwand
nur ein aͤuſſerliches Daſeyn ſey, das keinen innern
Grund hat. Von gewiſſen Beſchaͤftigungen wird geſagt,
ſie ſeyen keine reelle Beſchaͤftigungen, nemlich keine
ſolche, die Werth an ſich haben; — oder von Gruͤnden,
ſie ſeyen nicht reell, inſofern ſie nicht aus dem Weſen
der Sache geſchoͤpft ſind.
Das einemal iſt alſo unter Realitaͤt das aͤuſſer-
liche Daſeyn, das anderemal das Anſichſeyn ver-
ſtanden. Allein diß iſt nicht eine verſchiedene oder ent-
gegengeſetzte Bedeutung der Realitaͤt, ſondern vielmehr
nur Eine, weil die Realitaͤt weſentlich jene beyde Beſtim-
mungen in ſich ſchließt. Wenn alſo nur das Anſich-
ſeyn, oder nur das Seyn-fuͤr-Anderes vorhanden iſt,
ſo
[55]Qualitaͤt.
ſo wird die Realitaͤt darum vermißt, weil jede dieſer
Beſtimmungen fuͤr ſich einſeitig, ſie aber die Totalitaͤt
iſt, welche beyde fodert.
Auch das An-ſich hat zum Theil dieſe Doppelbe-
deutung. An-ſich iſt etwas, inſofern es aus dem Seyn-
fuͤr-Anderes heraus, in ſich zuruͤckgekehrt iſt. Aber Et-
was hat auch eine Beſtimmung oder Umſtand an ſich
(hier faͤllt der Accent auf an) oder an ihm, inſofern
dieſer Umſtand aͤuſſerlich an ihm, ein Seyn-fuͤr-Ande-
res iſt.
Dieſes beydes iſt in dem Daſeyn oder der Realitaͤt
vereinigt. Das Daſeyn iſt ſowohl an ſich, als es etwas
an ihm hat, oder Seyn-fuͤr-Anderes iſt. Aber daß
das Daſeyn das, was es an ſich iſt, auch an ihm
hat, und umgekehrt, was es als Seyn-fuͤr-Anderes
iſt, auch an ſich iſt, — diß betrift die Identitaͤt des
Anſichſeyns und Seyns-fuͤr-Anderes, vornemlich einem
Inhalte nach, und ergibt ſich formell zum Theil ſchon
in der Sphaͤre des Daſeyns, inſofern die Beſtim-
mung in Beſchaffenheit uͤbergeht, aber ausdruͤck-
licher in der Betrachtung des Weſens und des Verhaͤlt-
niſſes der Innerlichkeit und Aeuſſerlichkeit,
und dann am beſtimmteſten in der Betrachtung der Idee,
als der Einheit des Begriffs und der Wirklichkeit.
Es zeigt ſich hier aber ſchon vorlaͤufig auch der
Sinn des Dings-an-ſich, das eine ſehr einfache Ab-
ſtraction iſt, aber eine Zeitlang eine ſehr wichtige Be-
ſtimmung, ſo wie, der Satz, daß wir nicht wiſſen, was
die Dinge an ſich ſind, eine vielgeltende Weisheit war. —
Die Dinge heiſſen an-ſich, inſofern von allem Seyn-
fuͤr-Anderes abſtrahirt wird, das heißt uͤberhaupt, in-
ſofern ſie ohne alle Beſtimmung, als Nichtſe gedacht
F 2wer-
[56]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
werden. In dieſem Sinn kann man freylich nicht wiſ-
ſen, was das Ding an-ſich iſt. Denn die Frage:
was? verlangt, daß Beſtimmungen angegeben werden;
indem es aber zugleich Dinge-an-ſich ſeyn ſollen, das
heißt eben ohne Beſtimmung, ſo iſt in die Frage gedan-
kenloſerweiſe die Unmoͤglichkeit der Beantwortung gelegt,
oder man macht eine widerſprechende Antwort. Das
Ding-an-ſich iſt daſſelbe, was jenes Abſolute, von dem
man nichts weiß, als daß Alles eins in ihm iſt. Was
aber das Ding-an-ſich in Wahrheit iſt, oder vielmehr
was uͤberhaupt an ſich iſt, davon iſt die Logik ſelbſt die
Darſtellung. Wenn von einem beſtimmten Dinge ge-
fragt wird, was es an ſich ſey, ſo iſt die einfache logi-
ſche Antwort, daß es das an ſich iſt, was es in ſeinem
Begriffe iſt.
Es kann hier der vormalige metaphyſiſche Begrif
von Gott, der vornemlich dem ſogenannten ontologi-
ſchen Beweiſe vom Daſeyn Gottes zu Grunde gelegt wur-
de, erwaͤhnt werden. Gott wurde nemlich als der
Inbegriff aller Realitaͤten beſtimmt, und von
dieſem Inbegriffe geſagt, daß er keinen Widerſpruch in
ſich enthalte, daß keine der Realitaͤten die andere auf-
hebe; denn ſie ſey nur als eine Vollkommenheit, als ein
Poſitives zu nehmen, das keine Negation enthalte. So-
mit ſeyen die Realitaͤten ſich nicht entgegengeſetzt und wi-
derſprechen ſich nicht.
Bey dieſem Begriffe der Realitaͤt wird alſo ange-
nommen, daß ſie dann noch bleibe, inſofern alle Nega-
tion, damit aber alle Beſtimmtheit derſelben aufgehoben
ſey. Allein ſie iſt das Daſeyn uͤberhaupt; ſie enthaͤlt
das Nichtſeyn als Seyn-fuͤr-Anderes, und naͤher die
Grenze oder Beſtimmtheit. Die Realitaͤt, die im
ſogenannten eminenten Sinne oder als unend-
liche
[57]Qualitaͤt.
liche, — in der gewoͤhnlichen Bedeutung des Worts, —
genommen werden ſoll, wird ins Beſtimmungsloſe erwei-
tert, und verliert ihre Bedeutung. Die Guͤte Gottes
ſolle nicht Guͤte im gewoͤhnlichen, ſondern im eminenten
Sinne, nicht verſchieden von der Gerechtigkeit, ſondern
durch ſie temperirt ſeyn, ſo wie umgekehrt die Ge-
rechtigkeit durch die Guͤte; ſo iſt weder Guͤte mehr Guͤte,
noch Gerechtigkeit mehr Gerechtigkeit. — Die Macht ſol-
le durch die Weisheit temperirt ſeyn, aber ſo iſt ſie nicht
abſolute Macht; — die Weisheit ſolle zur Macht er-
weitert ſeyn, aber ſo verſchwindet ſie als Zweck und
Maaß beſtimmende Weisheit. Es wird ſich ſpaͤter der
wahre Begriff des Unendlichen ergeben, ſo wie die ab-
ſolute Einheit ſich immer mehr naͤher beſtimmen
wird, die nicht in einem Temperiren, einem ge-
genſeitigen Beſchraͤnken oder Vermiſchen beſteht,
als welches eine hoͤchſt oberflaͤchliche, in unbeſtimmtem
Nebel gehaltene Beziehung iſt, mit der ſich nur das be-
griffloſe Vorſtellen begnuͤgen kann. — Die Realitaͤt,
wie ſie in jener Definition Gottes als beſtimmte Qualitaͤt
genommen wird, uͤber ihre Beſtimmtheit hinausgefuͤhrt,
hoͤrt auf Realitaͤt zu ſeyn; ſie wird das einſeitige Anſich,
das leer iſt; und Gott als das rein Reale in allem Rea-
len, oder als Inbegriff aller Realitaͤten, iſt daſſelbe
Beſtimmungs- und Gehaltloſe, was das vorhin erwaͤhnte
leere Abſolute iſt, in dem alles Eins iſt.
Etwas.
Das Daſeyn iſt als Realitaͤt die Unterſcheidung ſei-
ner ſelbſt in Anſichſeyn, und Seyn-fuͤr-Anderes. Hier-
in iſt das Anſichſeyn als unterſchieden vom Seyn-fuͤr-
Anderes; aber es iſt ſomit nur als darauf bezogen, und
in der Einheit mit ihm. Eben ſo das Seyn-fuͤr-Ande-
res
[58]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
res iſt nicht das Andersſeyn ſelbſt, ſondern enthaͤlt die
Beziehung auf ſich ſelbſt, das Anſichſeyn, in ſich. Dieſe
beyden Einheiten machen alſo in ihrem Unterſchiede ſelbſt
Eine Einheit aus, und ſind das Uebergehen in einander.
Das Daſeyn zunaͤchſt als ſolches iſt nur die un-
mittelbare Einheit des Seyns und Nichts. Die
Realitaͤt iſt dieſe Einheit in dem beſtimmten Unterſchiede
ihrer Momente, die an ihr verſchiedene Seiten aus-
machen, Reflexionsbeſtimmungen, die gegen einander
gleichguͤltig ſind. Aber weil jede nur iſt als in Bezie-
hung auf die andere, und jede die andere in ſich ſchließt,
ſo hoͤrt die Realitaͤt auf, eine ſolche Einheit zu ſeyn, in
welcher beyde gleichguͤltig beſtehen. Es iſt eine Einheit,
welche ſie nicht beſtehen laͤßt, ihre aufhebende ein-
fache Einheit. Das Daſeyn iſt Inſichſeyn, und als
Inſichſeyn iſt es Daſeyendes oder Etwas.
Das Inſichſeyn des Daſeyns iſt ſomit die einfache
Beziehung deſſelben auf ſich ſelbſt, wie das Anſichſeyn.
Aber das Anſichſeyn iſt dieſe Gleichheit mit ſich mehr auf
unmittelbare Weiſe; im Anſichſeyn iſt das Moment des
Seyns das zum Grunde liegende, und das Seyn-fuͤr-
Anderes ſteht ihm gegenuͤber. Diß kann ſo ausgedruͤckt
werden, das Anſichſeyn iſt die Beziehung des Daſeyns
auf ſich ſelbſt, nicht als eigene Reflexion des
Daſeyns in ſich, ſondern als eine aͤuſſerliche; oder
nur dadurch, daß das Seyn-fuͤr-Anderes von der Be-
ziehung auf ſich, abgetrennt wird. — Das Inſichſeyn
hingegen iſt nunmehr das eigene Anſichſeyn des Daſeyns;
es iſt ſeine Reflexion in ſich. Das Daſeyn iſt
die Einheit, welche Realitaͤt iſt, inſofern ſie verſchiedene
Seiten hat, das heißt, die Realitaͤt iſt die unmittel-
bare Einheit, aber bezogen auf jene aͤuſſerliche Reflexion,
welche verſchiedene Seiten unterſcheidet. Das Inſich-
ſeyn
[59]Qualitaͤt.
ſeyn dagegen iſt die Beziehung des Daſeyns auf ſich, in-
ſofern das Aufheben des Seyns-fuͤr-Anderes ſein eige-
nes iſt; das Seyn-fuͤr-Anderes geht an ihm ſelbſt in
das Anſichſeyn uͤber, und dieſes iſt dadurch nicht mehr
unmittelbares Anſichſeyn, ſondern das ſich gleichfalls mit
ſeinem andern Momente vereint hat, und in dem das
Seyn-fuͤr-Anderes aufgehoben iſt, oder Inſichſeyn.
Etwas beſtimmt ſich fernerhin naͤher als Fuͤrſich-
ſeyn, oder Ding, Subſtanz, Subject u. ſ. f. Allen
dieſen Beſtimmungen liegt die negative Einheit zu Grun-
de; die Beziehung auf ſich durch Negation des Anders-
ſeyns. Etwas iſt dieſe negative Einheit des Inſichſeyns
nur erſt ganz unbeſtimmt.
Das Daſeyn geht in Daſeyendes innerhalb ſeiner
ſelbſt uͤber, dadurch daß es als Aufheben des Seyns-
fuͤr-Anderes dieſen Punkt der negativen Einheit gewinnt.
Das Daſeyn iſt alſo als Etwas nicht die unmittel-
bare, ſeyende Einheit des Seyns und Nichts; ſon-
dern als Inſichſeyn hat es Beziehung auf ſich, inſofern
es Negation iſt. Das Seyn des Etwas beſteht alſo
nicht in ſeiner Unmittelbarkeit, ſondern im Nichtſeyn
des Andersſeyns, das Daſeyn iſt alſo im Etwas inſo-
fern in das Negative uͤbergegangen, daß dieſes nunmehr
zu Grunde liegt. Das Etwas iſt Daſeyn allein inſofern
es eine Beſtimmtheit hat.
B.Be-
[60]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
B.
Beſtimmtheit.
Daſeyn iſt Seyn mit einem Nichtſeyn. Es iſt
Seyn, einfache Beziehung auf ſich ſelbſt, aber nicht
mehr als Unmittelbarkeit, ſondern als negative Bezie-
hung auf ſich ſelbſt, dieſe macht ſein Seyn aus. So
iſt es Etwas. Hier kehrt ſich alſo am Daſeyn, das
Moment des Nichtſeyns heraus.
Etwas als Daſeyendes unterſcheidet erſtlich ſein
Moment der Negativitaͤt von ihm ſelbſt, als ſeine
Grenze.
Alsdann aber zeigt ſich die Grenze als die We-
ſentlichkeit des Etwas, und iſt ſeine Beſtimmtheit,
die ſich in Beſtimmtheit als an-ſich-ſeyende, in Be-
ſtimmung, und in Beſtimmtheit als ſeyende fuͤr-Ande-
res, in Beſchaffenheit, unterſcheidet. Die Be-
ſtimmtheit iſt als die Beziehung dieſer Momente Qua-
litaͤt.
Drittens aber geht die Qualitaͤt durch die Be-
ſchaffenheit in Veraͤnderung uͤber.
Grenze.
1. Das Etwas iſt erſtens ein uͤberhaupt um-
ſchloſſenes Daſeyn; es enthaͤlt das Nichtſeyn des An-
dersſeyns in ſich; ein Nichtſeyn, wodurch es iſt, als
Inſichſeyn.
Zwey-
[61]Qualitaͤt.
Zweytens iſt es als Daſeyn wohl Seyn-fuͤr-An-
deres; aber das Seyn-fuͤr-Anderes iſt in das Anſich-
ſeyn zuruͤckgenommen. Diß heißt einestheils das An-
dersſeyn iſt nicht verſchwunden; aber weil das Etwas
eben aus dem Grunde des Zuruͤckgekehrtſeyns in ſich
einfaches Inſichſeyn iſt, ſo faͤllt das Andersſeyn auſſer
ihm. Diß Andre iſt ein anderes Etwas, wogegen das
Etwas gleichguͤltig iſt; es iſt, ob diß Andere ſey,
oder nicht ſey, oder wie es ſey. Das Etwas iſt An-
ſichſeyn, und zwar gegen das Andre; diß Anſichſeyn
macht ſeine Gleichguͤltigkeit aus. — Das erſte
Anſichſeyn des Daſeyns iſt unmittelbares Anſichſeyn;
hingegen das Inſichſeyn iſt auch Anſichſeyn, aber als
nicht unmittelbares, ſondern ein Anſichſeyn, das negativ
iſt, gegen Anderes, oder das Anſichſeyn. Das heraus-
getreten iſt, in das Seyn-fuͤr-Anderes. — Darin al-
ſo, daß das Daſeyn beſtimmt iſt als gleichguͤltig, tritt
erſt das Andere einem Daſeyn eigentlich gegenuͤber;
in das Andersſeyn, wie es vorhin erſchien, war das
Daſeyn ſelbſt uͤbergegangen; dieſe Einheit beyder bildete
ſich zu den betrachteten Momenten aus, durch deren ne-
gative Einheit, das Inſichſeyn, ſich das Daſeyn
vom Andersſeyn abtrennt und in gleichguͤltige Beziehung
auf einander ſetzt.
Drittens deßwegen aber, weil das Inſichſeyn das
Nichtſeyn des Andersſeyns iſt, iſt das Etwas nicht
gleichguͤltiges uͤberhaupt, ſondern, das Nichtſeyn des
Andern iſt weſentliches Moment ſeiner Gleichguͤltigkeit;
es iſt das Aufhoͤren eines Andern in ihm.
Etwas enthaͤlt alſo die drey Momente 1) ſein
Nichtſeyn, das Andere iſt auſſer ihm; es ſelbſt iſt ſich
ſelbſt gleiche Beziehung auf ſich, 2) das Andere iſt nicht
Anderes uͤberhaupt, oder in einer aͤuſſerlichen Reflexion,
ſondern
[62]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
ſondern es hoͤrt im Etwas auf, Etwas iſt ſein Nicht-
ſeyn; 3) Etwas hat dadurch das Nichtſeyn ſelbſt an ihm,
aber als Aufhoͤren ſeines Andersſeyns, und damit als
Seyn ſeiner ſelbſt.
Es hat eine Grenze.
Etwas hat eine Grenze zunaͤchſt nur als gegen An-
deres; ſie iſt das Nichtſeyn des Andern, nicht des Et-
was ſelbſt; es begrenzt nicht ſich ſelbſt dadurch,
ſondern ſein Anderes.
2. Aber das Andre iſt ſelbſt ein Etwas uͤberhaupt,
denn es iſt gleichfalls Daſeyn. Die Grenze alſo, welche
das Etwas gegen das Andre hat, iſt auch Grenze des
Andern als Etwas, oder es iſt Grenze deſſelben, wo-
durch es das erſte Etwas als ſein Anderes von ſich ab-
haͤlt, oder iſt ein Nichtſeyn jenes Etwas. Sie
iſt alſo nicht nur Nichtſeyn des Andern, ſondern auch
des Etwas; ſie am Etwas ſelbſt.
Oder unmittelbar inſofern das Etwas nur iſt, als
Nichtſeyn des Andern, ſo iſt es an ihm ſelbſt Nichtſeyn,
und die Grenze iſt eben ſo ſehr das, wodurch es ſelbſt
begrenzt wird.
3. Sie iſt als Nichtſeyn das Aufhoͤren des Etwas,
Aber indem ſie weſentlich das Aufhoͤren des Andern iſt,
ſo iſt das Etwas zugleich durch ſeine Grenze. — Das
Andre iſt gleichfalls Nichtſeyn des Etwas, aber wenn
die Grenze nur diß Nichtſeyn waͤre, ſo hoͤrte Etwas
uͤberhaupt in ſeiner Grenze auf; aber ſie iſt nur ſo
Nichtſeyn des Etwas, daß ſie zugleich Nichtſeyn des An-
dern, alſo Seyn des Etwas iſt.
Inſofern nun Etwas in ſeiner Grenze iſt und
nicht iſt, und dieſe Momente in unmittelbarer Unter-
ſchiedenheit zunaͤchſt genommen werden, ſo faͤllt das
Nicht-
[63]Qualitaͤt.
Nichtdaſeyn und das Daſeyn des Etwas auſſer einander.
Etwas hat ſein Daſeyn auſſer ſeiner Grenze; eben ſo
iſt aber auch das Andre, weil es Etwas iſt, auſſer-
halb derſelben. Sie iſt die Mitte beyder, in der ſie
aufhoͤren. Sie haben das Daſeyn jenſeits von
einander und von ihrer Grenze; die Grenze als
das Nichtſeyn eines jeden iſt das Andre, jedes hat ſo
ſein Daſeyn auſſer ſeinem Nichtſeyn.
— Nach dieſer Verſchiedenheit des Etwas von ſei-
ner Grenze, erſcheint uns die Linie als Linie nur auſ-
ſerhalb ihrer Grenze, dem Punkte; die Flaͤche als
Flaͤche auſſerhalb der Linie; der Koͤrper als Koͤrper
nur auſſerhalb ſeiner begrenzenden Flaͤche. — Diß iſt
die Seite, von welcher die Grenze zunaͤchſt in die Vor-
ſtellung, — das Auſſerſichſeyn des Begriffes, — faͤllt,
alſo vornemlich auch in den raͤumlichen Gegenſtaͤnden ge-
nommen wird.
4. Ferner aber iſt das Etwas, wie es auſſer der
Grenze iſt, das unbegrenzte Etwas nur das Daſeyn uͤber-
haupt. Auſſer der Grenze iſt Etwas nicht von ſeinem
Andern unterſchieden; es iſt nur Daſeyn, es hat alſo
mit ſeinem Andern dieſelbe Beſtimmung; jedes iſt nur
Etwas uͤberhaupt, oder jedes iſt Anderes.
Etwas aber iſt Etwas nur durch Inſichſeyn; und
es iſt in ſich, nur durch Nichtſeyn eines Andern; ohne
Grenze iſt es ſein Anderes. Sein Hinausgekehrtſeyn
gegen Anderes, das Nichtſeyn, das ſeine Grenze iſt,
macht ſomit das Weſentliche des Etwas, oder ſein Da-
ſeyn aus. Etwas iſt, was es iſt, nur in ſei-
ner Grenze.
Das Inſichſeyn, als einfache Beziehung auf ſich
ſelbſt ſchließt zunaͤchſt das Andersſeyn und damit die
Grenze
[64]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Grenze ſelbſt — als die Beziehung auf das Andere —
von ſich und aus dem Etwas aus. Aber die Gleichheit
des Etwas mit ſich beruht auf ſeiner negativen Natur;
oder das Nichtſeyn iſt hier das Anſichſeyn ſelbſt;
alſo iſt die Grenze das Inſichſeyn. Es hatte ſich oben
das Inſichſeyn des Etwas ſo beſtimmt, daß es das in
das Anſichſeyn aufgenommene Seyn-fuͤr-Anderes iſt;
das Anſichſeyn gegen Anderes war die Gleichguͤltigkeit
des Etwas gegen Anderes. Aber umgekehrt iſt das An-
dersſeyn oder Nichtſeyn des Etwas damit als Anſichſeyn
geſetzt, das keinen andern Inhalt oder Beſtehen hat, als
die Grenze ſelbſt.
— Der Punkt iſt alſo nicht nur ſo Grenze der
Linie, daß dieſe in ihm nur aufhoͤrt, und ſie als Da-
ſeyn auſſer ihm iſt; — die Linie nicht nur ſo Grenze
der Flaͤche, daß dieſe in der Linie nur aufhoͤrt, eben ſo
die Flaͤche als Grenze des Koͤrpers. Sondern im
Punkte faͤngt die Linie auch an; er iſt ihr abſoluter
Anfang, er macht ihr Element aus, wie die Linie
das Element der Flaͤche; die Flaͤche das des Koͤrpers.
Dieſe Grenzen ſind ſo zugleich das Princip deſſen,
das ſie begrenzen; wie das Eins, z. B. als hundertſtes,
Grenze iſt, aber auch Element des ganzen Hundert.
Die Grenze iſt alſo von dem Etwas nicht unter-
ſchieden; diß Nichtſeyn iſt vielmehr ſein Grund, und
macht es zu dem, was es iſt; ſie macht ſein Seyn aus,
oder ſein Seyn geht nicht uͤber ſein Andersſeyn, uͤber
ſeine Negation hinaus. So iſt die Grenze Beſtimmt-
heit.
2. Be-
[65]Qualitaͤt.
Beſtimmtheit.
Die Grenze gehoͤrt dem Etwas ſelbſt an; es hat
kein Daſeyn auſſer ihr; ſie iſt das Anſichſeyn des Etwas
ſelbſt; iſt ſeinem Inſichſeyn nicht aͤuſſerlich, ſondern iſt
ſelbſt inſichſeyende Grenze. Ihre Wahrheit iſt die Be-
ſtimmtheit uͤberhaupt. — Diß iſt das Reſultat des
vorhergehenden. — Wenn die Grenze ſich veraͤndert,
ſo ſcheint das Etwas uͤberhaupt noch als ein Daſeyn zu
bleiben, und die Veraͤnderung auſſer ihm, nur in der
Grenze vorzugehen. Wie aber die Grenze in Wahrheit
iſt, nemlich als Beſtimmtheit, (die qualitative, noch
nicht quantitative Grenze) iſt ſie das, wodurch Etwas
das iſt, was es iſt; wenn die Beſtimmtheit verſchwin-
det, ſo verſchwindet Etwas ſelbſt, oder wenn eine an-
dere Beſtimmtheit an die Stelle einer andern tritt, ſo iſt
Etwas ſelbſt ein Anderes.
Etwas hat eine Beſtimmtheit. In dieſem Aus-
drucke wird das Etwas und ſeine Beſtimmtheit von ein-
ander unterſchieden. Dieſer Unterſchied gehoͤrt aber
der aͤuſſern Reflexion an. Etwas iſt das Beſtimmte;
es iſt in einfacher unmittelbarer Einheit mit ihr. Et-
was verſchwindet darum in ſeiner Beſtimmtheit; es iſt
daher eigentlich nicht ſowohl mehr von dem Etwas als
von ihr zu ſprechen. Denn Etwas iſt das Inſichſeyn in
einer Unmittelbarkeit; nach dieſer hat es die Regation,
die Grenze nur an ihm, als Seyn-fuͤr-Anderes, und
Etwas iſt an ſich gegen ſie; aber in der Einheit mit ihr
iſt es aufgehoben, denn ſeine Unmittelbarkeit iſt ver-
ſchwunden, und es iſt in die Beſtimmtheit uͤbergegangen.
Die einfache Beſtimmtheit iſt Einheit des In-
ſichſeyns und der Grenze. Sie enthaͤlt beyde in ihr als
auf-
[66]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
aufgehobene, als Momente, oder ſie iſt ſelbſt auf
dieſe gedoppelte Weiſe beſtimmt. Sie iſt ei-
nerſeits in ſich gekehrte Grenze, andererſeits aber auch
das Inſichſeyn, das in das Seyn-fuͤr-Anderes uͤberge-
gangen oder als Grenze iſt.
Als inſichgekehrte Grenze iſt die Beſtimmtheit an
ſich; ſie iſt das Beſtimmte als ſich nur auf ſich bezie-
hend; als das Nichtſeyn des Andern, ſo daß es dadurch
nicht ſelbſt begrenzt wird.
Die Beſtimmtheit kann nach dieſer Seite genauer
Beſtimmung genannt werden. In ſeiner Beſtim-
mung ruht Etwas in ſich ſelbſt; es iſt in ihr das, was
es ſeyn ſoll. Es iſt zwar Anderes auſſer ihm, aber ſo
daß Etwas nicht das, was es iſt, in dieſer Beziehung
auf Anderes iſt, ſondern es iſt aus der Beziehung auf
Anderes in ſich zuruͤckgenommen. Grenze als Be-
ſtimmung iſt nicht mehr die beziehende Mitte zwiſchen
ihm und Anderem, ſie gehoͤrt nur dem Etwas an,
das ſie nicht gemeinſchaftlich hat, ſondern ſie iſt ſeine
Beziehung auf ſich ſelbſt.
Die Beſtimmung macht das Anſichſeyn des Et-
was aus. Aber die Beſtimmtheit iſt nicht nur An-ſich-
ſeyn, ſondern iſt als Grenze, auch Seyn-fuͤr-Ande-
res, oder das in das Andersſeyn uͤbergegangene Inſich-
ſeyn. Die Beſtimmtheit iſt zuerſt Gleichguͤltigkeit gegen
Anderes, und das Andre faͤllt auſſer dem Etwas. Aber
zugleich indem die Grenze ihm ſelbſt angehoͤrt, hat es
das Andersſeyn an ihm ſelbſt. Die Beſtimmtheit iſt auf
dieſe
[67]Qualitaͤt.
dieſe Weiſe aͤuſſerliches Daſeyn des Etwas, das zwar
ſein Daſeyn iſt, aber das nicht ſeinem Anſichſeyn an-
gehoͤrt.
Die Beſtimmtheit iſt ſo Beſchaffenheit.
So oder anders beſchaffen, iſt Etwas nicht als in
ſich ſeyend, ſondern als in aͤuſſerem Einfluß und Ver-
haͤltniſſe begriffen. Dieſe Beſtimmtheit, die ihm zwar
angehoͤrt, iſt vielmehr ſein Andersſeyn, aber inſofern es
an ihm iſt. Die aͤuſſerliche Beziehung, von der die Be-
ſchaffenheit abhaͤngt, und das Beſtimmtwerden durch ein
Anderes erſcheint als etwas Zufaͤlliges, weil es als ein
Anderes, Aeuſſerliches erſcheint. Aber das Etwas be-
ſteht darin, dieſer Aeuſſerlichkeit preisgegeben zu ſeyn,
und eine Beſchaffenheit zu haben. — Die Beſtim-
mung iſt das in ſich zuruͤckgenommene Andersſeyn; eben
dadurch iſt vielmehr das Andersſeyn, ſtatt aufgehoben
zu ſeyn, zur Beſtimmung der Beſtimmtheit, zu ihrem
Anſichſeyn gemacht worden.
Die Beſtimmtheit iſt alſo zuerſt die einfache in-ſich-
ſeyende Grenze. Aber ſie hat dadurch die zwey Mo-
mente, die betrachtet worden ſind. Die Beſtimmtheit in
dieſer naͤhern Reflexion iſt Qualitaͤt, welche ſowohl
die Bedeutung von Beſtimmung als Beſchaffenheit in ſich
vereinigt. Die Qualitaͤt als dieſe Vereinigung iſt die
beſtimmte Natur von Etwas, nicht als eine in ſich ru-
hende, ſondern ſofern es zugleich eine durch die Beziehung
auf Anderes ſich beſtimmende Weiſe an ihm hat.
Inſofern bey ihrer beſondern Betrachtung Beſtim-
mung und Beſchaffenheit von einander unterſchieden wur-
den, ſo iſt Etwas nach ſeiner Beſtimmung gleichguͤltig
gegen
[68]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
gegen ſeine Beſchaffenheit. Aber beyde ſind weſentlich
Momente eines und deſſelben, oder naͤher iſt die Be-
ſchaffenheit eigentlich die in der Beſtimmung ſelbſt enthal-
tene Grenze. Die Beſchaffenheit, inſofern ſie zugleich
als in einem Aeuſſerlichen, einem Andern uͤberhaupt ge-
gruͤndet erſcheint, haͤngt alſo auch von der Beſtimmung
ab, und die fremde Beſtimmung iſt durch die eigene,
immanente zugleich beſtimmt. Umgekehrt gehoͤrt die Be-
ſchaffenheit zu dem, was das Etwas an ſich iſt; mit ſei-
ner Beſchaffenheit aͤndert ſich Etwas.
Die Qualitaͤt iſt in dieſer Ruͤckſicht vornemlich Ei-
genſchaft, als ſie in einer aͤuſſerlichen Bezie-
hung ſich als immanente Beſtimmung zeigt.
Denn unter Eigenſchaften z. B. von Kraͤutern verſteht
man Beſtimmungen, die einem Etwas nicht nur uͤber-
haupt eigen ſind, ſondern inſofern es ſich dadurch in
Beziehung auf andere Dinge auf eine eigenthuͤmliche
Weiſe verhaͤlt, und die fremden in ihm geſetzten Einwir-
kungen nicht in ſich gewaͤhren laͤßt, ſondern ſeine
Schranke als ein Inſichſeyn zeigt, und ſie in ſeinem An-
dersſeyn — ob es diß zwar nicht von ſich abhaͤlt —
geltend macht. Die mehr ruhenden Beſtimmtheiten,
z. B. Figur, Geſtalt, Groͤße, nennt man dagegen nicht
wohl Eigenſchaften.
Inſofern man von guter oder ſchlechter Qualitaͤt
ſpricht, ſo hat die Qualitaͤt die Bedeutung ſeines Mo-
ments, der Beſchaffenheit. Denn gut und ſchlecht
ſind Urtheilsbeſtimmungen uͤber die Uebereinſtim-
mung der Beſchaffenheit mit der Beſtimmung,
mit dem Begriffe. Zugleich aber iſt dieſe Beſchaffenheit
nicht eine bloße unweſentliche, abtrennbare Aeuſſerlich-
keit,
[69]Qualitaͤt.
keit, oder ein bloßer Zuſtand, ſondern Beſtimmtheit
des Seyns der Sache ſelbſt. Beſchaffenheit iſt nicht von
der Beſtimmung abgeſondert, ſondern wie die Sache
beſchaffen iſt, ſo iſt ſie auch. Die Qualitaͤt iſt eben
diß, daß die in Beſtimmung und Beſchaffenheit unter-
ſchiedene Beſtimmtheit, weſentlich die Einheit beyder
Momente iſt.
Die Qualirung oder Inqualirung einer in
die Tiefe aber in eine truͤbe Tiefe gehenden Philoſophie,
bezieht ſich auf die Beſtimmtheit, inſofern ſie an ſich,
aber zugleich ein Anderes an ſich iſt; oder auf die
naͤhere Natur des Gegenſatzes, wie er im Weſen iſt, in-
ſofern er die innere Natur der Qualitaͤt und weſentlich ihre
Selbſtbewegung in ſich ausmacht. Die Qualirung be-
deutet daher in jener Philoſophie die Bewegung einer
Beſtimmtheit in ihr ſelbſt, inſofern ſie in ihrer negativen
Natur (in ihrer Qual) ſich aus anderem ſetzt und be-
feſtigt, uͤberhaupt die Unruhe ihrer an ihr ſelbſt iſt, nach
der ſie nur im Kampfe ſich hervorbringt und erhaͤlt.
Veraͤnderung.
Die Beſtimmtheit iſt Qualitaͤt, reflektirte Beſtimmt-
heit, inſofern ſie die beyden Seiten, der Beſtimmung,
und der Beſchaffenheit, hat.
Die letztere iſt die Beſtimmtheit, inſofern ſie das
Andersſeyn an ihr ſelbſt iſt. Die Grenze, als Seyn
aͤuſſerer Beſtimmungen macht die Beſchaffenheit aus; aber
es iſt die Beſtimmtheit ſelbſt, welche dieſe Grenze iſt, die
Aeuſſerlichkeit iſt daher eigne Aeuſſerlichkeit ſeiner
ſelbſt. Indem alſo Etwas in ſeiner Beſtimmtheit an
ihm ſelbſt ſein Nichtſeyn iſt, oder ſeine Beſtimmtheit eben
ſo ſehr ſein Anderes, als die ſeinige iſt, ſo iſt hier ein
Werden geſetzt, welches Veraͤnderung iſt.
GDie
[70]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Die Veraͤnderung liegt nothwendig ſchon im Daſeyn
ſelbſt; es iſt Einheit des Seyns und Nichts, es iſt an
ſich Werden. Aber es iſt das zur unmittelbaren Einheit
gewordene Werden. Inſofern es ſich zum Werden wie-
der entwickelt, ſind es nicht die abſtracten Momente des
Seyns und Nichts, in die es auseinander tritt, die das
uͤbergehende ausmachen, ſondern die Momente als aus
dem Daſeyn, der Einheit des Seyns und Nichts, hervor-
gehend, als ſolche welche ſelbſt dieſe Einheiten ſind,
Dieſe Momente ſind das Inſichſeyn des Etwas, und das
Andere; — nicht als Momente der aͤuſſern Reflexion,
wie Anſichſeyn und Seyn fuͤr Anderes — ſondern als im-
manente Momente des Daſeyns ſelbſt. In der Beſtim-
mung iſt das Andersſeyn, das zunaͤchſt als Grenze iſt,
zur einfachen Beſtimmtheit zuruͤckgenommen, oder ſie iſt
ſelbſt die einfache Einheit beyder Momente. Aber die
Beſchaffenheit iſt die Beziehung derſelben als ſich einan-
der anders ſeyender oder als unterſchiedener, und ihn
Beziehung in einer und derſelben Ruͤckſicht; ſomit ihr
Aufheben an ihnen ſelbſt.
Die Veraͤnderung faͤllt zunaͤchſt nur in die Beſchaf-
fenheit; die Beſtimmung iſt die der Beziehung auf Ande-
res entnommene Grenze; die Beſchaffenheit dagegen die
dem Andern offene Seite, oder die Seite, in der das
Andre als Andres iſt. Es iſt inſofern in der Beſtim-
mung noch ein Inſichſeyn vorhanden, das von der Be-
ſchaffenheit und der Veraͤnderung verſchieden iſt; das
Etwas iſt noch vorhanden und gibt nur die eine ſeiner
Seiten preis. — Auch iſt das Werden darum hier naͤher
als Veraͤnderung beſtimmt, weil nicht rein abſtracte
Momente in Beziehung ſind, ſondern ſolche, welche ſelbſt
Einheiten von einander ſind, wodurch alſo die Beſtim-
mung
[71]Qualitaͤt.
mung ſich im Uebergehen zugleich erhaͤlt, und hier nicht
ein Verſchwinden, ſondern nur ein Anderswerden ge-
ſetzt iſt.
Zunaͤchſt iſt es alſo die Beſchaffenheit, welche ſich
ſo aͤndert, daß ſie nur eine andere Beſchaffen-
heit wird; indem nemlich eine Beſchaffenheit ei-
ne beſtimmte iſt, und die Beſtimmtheit in Veraͤnde-
rung uͤbergeht. Aber dieſe Veraͤnderung der Beſtimmt-
heit iſt es ſelbſt, die hier naͤher betrachtet wird; die Be-
ſtimmtheit geht darum in Veraͤnderung uͤber, weil ſie
Beſchaffenheit iſt.
Es iſt alſo die Beſchaffenheit als ſolche, die
ſich veraͤndert; nicht eine Beſchaffenheit, ſo daß die
Beſchaffenheit als ſolche bliebe; daher muß nicht ſowohl
geſagt werden, daß ſie ſich veraͤndert, ſondern iſt ſelbſt
die Veraͤnderung.
Etwas erhaͤlt ſich in der Veraͤnderung ſeiner Be-
ſchaffenheit; die Veraͤnderung trift nur dieſe unſtaͤte
Oberflaͤche des Andersſeyns, nicht die Beſtimmung des
Etwas ſelbſt. Es iſt aber die Beſchaffenheit des Et-
was, welche Veraͤnderung iſt: das heißt, das Anders-
ſeyn deſſelben, welches an ihm ſelbſt iſt. Die Be-
ſchaffenheit des Etwas iſt nicht nur Oberflaͤche, ſondern
die Grenze iſt das Inſichſeyn des Etwas; oder die Be-
ſchaffenheit iſt ſeine Beſtimmung ſelbſt. Beyde ergaben
ſich oben nur als verſchiedene Seiten fuͤr die aͤuſſere
Reflexion; aber ſie ſind an ſich in der Qualitaͤt vereinigt
und ungetrennt; die Aeuſſerlichkeit des Andersſeyns iſt
die eigene Innerlichkeit des Etwas. Etwas iſt beſtimmt,
es iſt in ſich nur durch ſeine Grenze; ſie iſt Negation des
G 2Anders-
[72]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Andersſeyns, aber damit iſt das Andersſeyn die an-ſich-
ſeyende immanente Beſtimmung des Etwas ſelbſt.
Es iſt nemlich im Etwas nicht nur vorhanden, das
Inſichſeyn und ſein Anderes uͤberhaupt, ſondern diß ſein
Anderes iſt ſeine anſichſeyende Beſtimmtheit, nemlich
die Beſtimmung ſelbſt. Dieſe iſt daher das ſich auf ſich
beziehende Inſichſeyn, das aber als dieſes Inſichſeyn
ſelbſt ſeine Grenze iſt. Das ſich ſelbſt gleiche Inſichſeyn
bezieht ſich daher auf ſich ſelbſt als auf ſein eigenes
Nichtſeyn. Die Grenze, die ſo die Beſtimmung des Et-
was ausmacht, aber ſo daß ſie zugleich als ſein Nicht-
ſeyn beſtimmt iſt, iſt Schranke.
Das Anſichſeyn der Beſtimmung aber in dieſer Be-
ziehung auf die Grenze, nemlich auf ſich als Schranke,
iſt Sollen.
Die Grenze, die am Daſeyn uͤberhaupt iſt, iſt
nicht Schranke. Daß ſie Schranke ſey, muß das Da-
ſeyn zugleich uͤber ſie hinausgehen. Es muß ſich
auf ſie als auf ein Nichtſeyendes beziehen.
Das Daſeyn des Etwas liegt nur ruhig gleichguͤltig
gleichſam neben ſeiner Grenze. Etwas geht aber uͤber
ſeine Grenze nur hinaus, inſofern es deren Aufgehoben-
ſeyn iſt. Und indem die Grenze die Beſtimmung
ſelbſt iſt, geht Etwas damit uͤber ſich ſelbſt hinaus.
Das Sollen enthaͤlt alſo die verdoppelte Beſtim-
mung, einmal ſie als anſichſeyende Beſtimmung;
das andremal aber dieſelbe als ein Nichtſeyn, als
Schranke. Das Sollen iſt die Beſtimmung und das
Aufgehobenſeyn ihrer ſelbſt, und zwar ſo daß eben diß
Aufgehobenſeyn ihrer ſelbſt in ihr iſt. Das Sollen iſt
alſo die Beziehung der Beſtimmung auf ſich als auf ihr
Nichtſeyn, oder auf das Nichtſeyn, das ſie ſelbſt iſt.
Was
[73]Qualitaͤt.
Was ſeyn ſoll, iſt und iſt zugleich nicht. Wenn
es waͤre, ſo ſollte es nicht bloß ſeyn. Alſo das
Sollen hat weſentlich eine Schranke. — Aber ferner die-
ſe Schranke iſt nicht ein Fremdes. Das, was ſeyn
ſoll, iſt die Beſtimmung, d. i. es iſt die Beſtimmt-
heit der Beſtimmung ſelbſt, welche nicht iſt. Diß iſt
das, was ſo eben ſo ausgedruͤckt wurde, daß das Sollen
die Beſtimmtheit iſt, aber eben ſo das Aufgehoben-
ſeyn dieſer Beſtimmtheit ſelbſt.
Was ſich alſo ergeben hat, beſteht darin: Etwas
hat eine Beſtimmung; d. h. eine Beſtimmtheit, welche
aber nicht ſeine Grenze, nicht ſein Aufhoͤren ſey, ſon-
dern vielmehr ſein Inſichſeyn ſelbſt. Aber es hat da-
mit zugleich eine Grenze oder iſt beſtimmt; die aufgeho-
bene Grenze iſt aufbewahrt. Dieſe Grenze iſt Schranke,
und die Beſtimmung iſt Sollen, inſofern die Beſtimmt-
heit in der einfachen Einheit des Inſichſeyns zugleich iſt
und nicht iſt.
Das In-ſich-Beruhen des Etwas in ſeiner Be-
ſtimmung ſetzt ſich alſo zum Sollen herab, dadurch
daß dieſelbe Beſtimmtheit, welche ſein Inſichſeyn aus-
macht, zugleich auch in einer und derſelben Ruͤckſicht
aufgehoben, als Nichtſeyn iſt. Die Schranke des
Etwas iſt daher nicht ein Aeuſſeres, ſondern ſeine eigene
Beſtimmung iſt auch ſeine Schranke.
Als Sollen geht das Etwas ferner uͤber ſeine
Schranke hinaus, d. h. das was nicht iſt in ihm, was
aufgehoben iſt, iſt auch in ihm; nemlich dieſelbe Be-
ſtimmtheit, als welche es aufgehoben iſt, iſt ſein Anſich-
ſeyn, und ſeine Grenze iſt auch nicht ſeine Grenze.
Als Sollen iſt ſomit Etwas uͤber ſeine
Schranke erhaben, umgekehrt hat es aber nur als
Sollen
[74]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Sollen ſeine Schranke. Beydes iſt untrennbar.
Es hat inſofern eine Schranke als es eine Beſtimmung
hat, und die Beſtimmung iſt auch das Aufgehobenſeyn
der Schranke.
Das Sollen hat neuerlich eine große Rolle in
der Philoſophie, vornemlich in Beziehung auf Morali-
taͤt, und uͤberhaupt auch als der letzte und abſolute Be-
griff von der Identitaͤt der Gleichheit mit ſich
ſelbſt und der Beſtimmtheit geſpielt.
Du kannſt, weil du ſollſt, — dieſer Aus-
druck, der viel ſagen ſollte, liegt im Begriffe des Sol-
lens. Denn das Sollen iſt das Hinausſeyn uͤber die
Schranke; die Grenze iſt in demſelben aufgehoben. —
Aber umgekehrt iſt es eben ſo richtig: Du kannſt
nicht, eben weil du ſollſt. Denn im Sollen liegt
eben ſo ſehr die Schranke als Schranke; die Beſtimmt-
heit macht die Beſtimmung aus als Inſichſeyn; aber das
Inſichſeyn iſt weſentlich als das Aufgehobenſeyn dieſer
Beſtimmtheit, welche doch das Inſichſeyn ſelbſt iſt, alſo
die Beſtimmtheit als Nichtſeyn, als Schranke.
Im Sollen beginnt uͤberhaupt der Begriff der
Endlichkeit, und damit zugleich das Hinausgehen uͤber
ſie, die Unendlichkeit. Das Sollen enthaͤlt dasjenige,
was ſich in weiterer Entwicklung als der Progreß ins Un-
endliche darſtellt, bey welchem die Natur der darin ent-
haltenen unvollkommenen Identitaͤt naͤher betrachtet wer-
den wird.
c.)Ne-
[75]Qualitaͤt.
1. Das Daſeyn, das beſtimmte Seyn, als
Einheit ſeiner Momente, des Anſichſeyns und des Seyns-
fuͤr-Anderes, war oben Realitaͤt.
Die freygewordene Beſtimmtheit iſt, gleichfalls als
Einheit der Beſtimmung und der Beſchaffenheit, Qua-
litaͤt. Der Realitaͤt ſteht die Negation gegenuͤber.
Die Qualitaͤt macht die Mitte und den Uebergang zwi-
ſchen Realitaͤt und Negation aus; ſie enthaͤlt dieſe bey-
den in einfacher Einheit. Aber in der Negation tritt das
Nichtſeyn als die Wahrheit hervor, in welche die Rea-
litaͤt uͤbergegangen iſt.
Dem Reellen ſteht auch das Ideelle entgegen,
und dem Negativen das Poſitive. Der Gegenſatz
des Reellen und Ideellen wird ſich unten beym Fuͤrſich-
ſeyn ergeben; der Gegenſatz des Poſitiven und Negativen
aber gehoͤrt unter die eigentlichen Reflexionsbeſtimmun-
gen, oder iſt der Gegenſatz, wie er im Weſen iſt, und
tritt dort hervor. — Inſofern der Negation die Poſition
uͤberhaupt entgegengeſetzt wird, ſo heißt dieſe nichts an-
deres als Realitaͤt.
Wie die Realitaͤt daſſelbe iſt, was das Daſeyn,
inſofern dieſes die Momente des Anſichſeyns und des
Seyn-fuͤr-Anderes an ihm hat, ſo kann die Negation
auch fuͤr die reflectirte Beſtimmtheit angenommen werden,
nach demjenigen nemlich, was ſich als die Wahrheit der-
ſelben ergeben hat, nemlich die Einheit von Sollen und
von Schranke zu ſeyn.
Die Beſtimmtheit uͤberhaupt iſt Nega-
tion, (Determinatio eſt negatio) ſagte Spinoza; —
ein
[76]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
ein Satz, der von durchgaͤngiger Wichtigkeit iſt; — der
ſich an der Betrachtung der Beſtimmtheit ergab. Denn
ſie iſt weſentlich die Grenze und hat das Andersſeyn zu
ihrem Grunde; das Daſeyn iſt nur durch ſeine Grenze
das, was es iſt; es faͤllt nicht auſſerhalb dieſer ſeiner
Negation. Daher war nothwendig, daß die Realitaͤt in
Negation uͤberging; ſie macht damit ihren Grund und
Weſen offenbar.
Es iſt bey der Realitaͤt bemerkt worden, daß der
Inbegriff aller Realitaͤten, wenn ſie ohne Gren-
ze gedacht werden, zum leeren Nichts wird. Werden
ſie aber als beſtimmte Realitaͤten erhalten, ſo wird der
Inbegriff aller Realitaͤten eben ſo zum Inbegriff
aller Negationen. Diß kann, da die Negation ſich
ſo eben zur Schranke und der Endlichkeit beſtimmt hat,
auch heiſſen, der Inbegriff aller Schranken und End-
lichkeiten. Aber Schranke und Endlichkeit ſind nur diß,
ſich ſelbſt aufzuheben; die Negation aber, daß ſie als
abſolute Negativitaͤt weſentliche Beſtimmung des abſoluten
Weſens, und die hoͤhere Beſtimmung als die Realitaͤt iſt,
wird gleich nachher vorlaͤufig erwaͤhnt werden.
Von dem Satze, daß die Beſtimmtheit Negation
iſt, iſt die Einheit der Spinoziſtiſchen Sub-
ſtanz, oder daß nur Eine Subſtanz iſt, — eine noth-
wendige Conſequenz. Denken und Seyn mußte er in die-
ſer Einheit in eins ſetzen, denn als beſtimmte Realitaͤ-
ten, ſind ſie Negationen, deren Unendlichkeit oder Wahr-
heit nur ihre Einheit iſt. Er begriff ſie daher als At-
tribute, d. h. als ſolche, die nicht ein beſonderes Beſte-
hen, ein An-und-fuͤr-ſich-Seyn haben, ſondern nur als
aufgehobene, als Momente ſind. — Eben ſo wenig
kann die Subſtantialitaͤt der Individuen, gegen jenen
Satz beſtehen. Denn das Individuum iſt ein nach allen
Ruͤck-
[77]Qualitaͤt.
Ruͤckſichten beſchraͤnktes; es iſt individuelle Beziehung
auf ſich, nur dadurch, daß es allem Andern Grenzen
ſetzt; aber dieſe Grenzen ſind damit auch Grenzen ſeiner
ſelbſt, Beziehungen auf Anderes, es hat ſein Daſeyn
nicht in ihm ſelbſt. Das Individuum iſt zwar mehr als
nur das nach allen Seiten beſchraͤnkte; aber inſofern es
als endliches genommen wird, ſo macht ſich dagegen,
daß das Endliche als ſolches als bewegungslos, als
ſeyend, an und fuͤr ſich ſey, die Beſtimmtheit weſent-
lich als Negation geltend, und reißt es in die negative
Bewegung, woraus es aber nicht ſein leeres Nichts, ſon-
dern vielmehr erſt ſeine Unendlichkeit und das An-und-
fuͤr-ſich-Seyn hervorgeht.
2. Die Beſtimmtheit iſt Negation uͤberhaupt. Aber
naͤher iſt die Negation das gedoppelte Moment der
Schranke und des Sollens.
Erſtens: Die Negation iſt nicht bloß das Nichts
uͤberhaupt, ſondern reflectirte, auf das Anſichſeyn bezo-
gene Negation; der Mangel als von Etwas, oder die
Schranke; die Beſtimmtheit, geſetzt als das was ſie
in Wahrheit iſt, als Nichtſeyn.
Zweytens: Die Negation als Sollen iſt die an
ſich ſeyende Beſtimmtheit, oder umgekehrt, das Sollen
iſt die Beſtimmtheit oder Negation als An-ſich-ſeyn.
Sie iſt inſofern die Negation jener erſten Be-
ſtimmtheit, welche als Nichtſeyn, als Schranke
geſetzt iſt. Sie iſt ſomit Negation der Negation,
und abſolute Negation.
So iſt die Negation das wahrhafte Reale und An-
ſichſeyn. Dieſe Negativitaͤt iſt es, die das Einfache iſt,
welches
[78]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
welches als Aufheben des Andersſeyns in ſich zuruͤckkehrt;
die abſtracte Grundlage aller philoſophiſchen Ideen, und
des ſpeculativen Denkens uͤberhaupt, von der man ſagen
muß, daß ſie erſt die neuere Zeit in ihrer Wahrheit auf-
zufaſſen begonnen hat. — Dieſe Einfachheit hat an die
Stelle des Seyns, oder jeder Beſtimmtheit zu treten,
die in unmittelbarer Form, als an-und-fuͤr-ſich-
ſeyend genommen wird. Wenn fernerhin von Regativi-
taͤt oder negativer Natur die Rede ſeyn wird, ſo iſt dar-
unter nicht jene erſte Negation, die Grenze, Schranke
oder Mangel, ſondern weſentlich die Negation des An-
dersſeyns zu verſtehen, die, als ſolche, Beziehung
auf ſich ſelbſt iſt.
Hier iſt die an-ſich-ſeyende Negation nur erſt
Sollen, zwar Negation der Negation, aber ſo daß diß
Negiren ſelbſt noch die Beſtimmtheit iſt. Es
iſt nemlich die Grenze oder Negation, welche ſich als
Anſichſeyn auf ſich als Nichtſeyn bezieht. Bey-
de Negationen, welche ſich aufeinander beziehen, machen
die Beziehung der Negation auf ſich ſelbſt aus,
aber ſie ſind noch andre fuͤr einander; ſie begrenzen ſich
gegenſeitig.
Dieſe Negationen nun, die ſich noch als andere
aufeinander beziehen, — die als Nichtſeyn geſetz-
te Negation und die anſichſeyende Negation — die
Schranke und das Sollen, machen das (qualitativ)
Endliche und (qualitativ) Unendliche, und deren
Beziehung aufeinander aus.
C. (Qua-
[79]Qualitaͤt.
C.
(Qualitative)
Unendlichkeit.
Endlichkeit und Unendlichkeit.
Das Daſeyn iſt beſtimmt; und die Beſtimmtheit
ſetzt ſich als Negation und Schranke dadurch, daß ſie
als inſichſeyende Beſtimmtheit zugleich uͤber ſich hinaus-
geht, und ſich auf ſich als auf ihre Negation bezieht.
Das Daſeyn iſt auf dieſe Weiſe nicht nur beſtimmt, ſon-
dern beſchraͤnkt; endlich, und es iſt nicht nur endlich,
ſondern es iſt die Endlichkeit.
Inſofern wir von den Dingen ſagen, ſie ſind end-
lich, ſo wird darunter verſtanden, daß ſie nicht nur eine
Beſtimmtheit enthalten, — denn die Qualitaͤt kann als
Beſtimmung oder auch als Realitaͤt genommen werden, —
ſondern daß nicht das Seyn, vielmehr das Nichtſeyn
als Schranke ihre Natur ausmacht.
Das Beſtimmte iſt aber nur im Sollen endlich;
das heißt, inſofern es uͤber ſich ſelbſt als uͤber ſeine
Negation hinausgeht. Das Endliche iſt Negation, inſo-
fern es ſich Negation iſt, ſich auf ſich als auf Nicht-
ſeyn bezieht, inſofern es alſo die Schranke eben ſo
ſehr aufhebt. Es iſt nemlich die Grenze, inſofern ſie
das Anſichſeyn, oder die Beſtimmung ausmacht, das
heißt, eben ſo ſehr inſofern es ſich auf ſich bezieht, alſo
ſich ſelbſt gleich iſt. In dieſer Beziehung der Negation
auf
[80]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
auf ſich ſelbſt aber beſteht das Aufheben der Negation
ſeiner, oder ſeiner Ungleichheit. Die Beſtimmtheit iſt
alſo nur inſofern Negation und Endlichkeit, als zugleich
darin die Beziehung auf ſich ſelbſt, die Gleichheit mit
ſich, das Aufheben der Schranke vorhanden iſt. Das
Endliche iſt alſo ſelbſt dieſes Aufheben ſeiner, es iſt ſelbſt
diß, unendlich zu ſeyn.
Wie ſich alſo der Begriff des Unendlichen er-
geben hat, ſo iſt es das Andersſeyn des Andersſeyns,
die Negation der Negation, die Beziehung auf ſich, durch
Aufheben der Beſtimmtheit. — Das Unendliche in die-
ſem ſeinem einfachen Begriffe kann als die zweyte Defi-
nition des Abſoluten werden; er iſt tiefer als das Wer-
den; aber hier noch mit einer Beſtimmtheit behafftet;
und die Hauptſache iſt, den wahrhaften Begriff der Un-
endlichkeit von der ſchlechten Unendlichkeit, das Unend-
liche der Vernunft von dem Unendlichen des Verſtandes
zu unterſcheiden.
Zuerſt hat es ſich am beſtimmten Daſeyn gezeigt,
daß es in ſeinem Anſichſeyn ſich als Endliches beſtimmt,
und uͤber ſich als die Schranke hinausgeht. Es iſt alſo
uͤberhaupt die Natur des Endlichen ſelbſt, uͤber ſich hin-
auszugehen, die Negation zu negiren und unendlich zu
werden. Das Unendliche ſteht alſo nicht als ein fuͤr ſich
fertiges uͤber dem Endlichen, ſo daß das Endliche auſ-
ſer oder unter jenem ſein Bleiben haͤtte und behielte.
Noch gehen wir nur als eine ſubjective Vernunft uͤber
das Endliche ins Unendliche hinaus. Wie wenn man
ſagt, daß das Unendliche der Vernunftbegriff ſey, und
wir uns durch die Vernunft uͤber das Zeitliche und End-
liche erheben, ſo geſchieht diß ganz unbeſchadet der End-
lichkeit, welche jene ihm aͤuſſerlich bleibende Erhebung
nichts angeht. Inſofern aber das Endliche ſelbſt in die
Unend-
[81]Qualitaͤt.
Unendlichkeit erhoben wird, ſo iſt es eben ſo wenig eine
fremde Gewalt, welche ihm diß anthut, ſondern es iſt diß
ſeine Natur, ſich auf ſich als Schranke zu beziehen, und
ſomit uͤber dieſelbe hinauszugehen. Denn wie ſich ge-
zeigt hat, iſt die Schranke nur, inſofern uͤber ſie hin-
ausgegangen wird. Alſo nicht im Aufheben der Endlich-
keit uͤberhaupt, beſteht die Unendlichkeit uͤberhaupt, ſon-
dern das Endliche iſt nur diß, ſelbſt durch ſeine Natur
dazu zu werden. Die Unendlichkeit iſt ſeine Beſtim-
mung, oder das was es an ſich iſt.
Wechſelbeſtimmung des Endlichen und Unendlichen.
Die Unendlichkeit iſt die Beſtimmung des Endlichen,
aber dieſe Beſtimmung iſt das Beſtimmte ſelbſt. Die
Unendlichkeit iſt alſo ſelbſt beſtimmt, Beziehung auf An-
deres. Das Andere aber, auf welches ſich das Unend-
liche bezieht, iſt das Endliche. Sie ſind aber nicht nur
andere uͤberhaupt gegeneinander, ſondern ſind beyde Ne-
gationen, aber das eine iſt die an-ſich-ſeyende Negation,
das andere die Negation, als nichtanſichſeyend, die Ne-
gation als Nichtſeyn, als aufgehobenes.
Nach dieſer ſeiner Beſtimmtheit gegen das Unend-
liche, iſt das Endliche die Negation als die Beſtimmtheit
am Daſeyn; es iſt nicht die Negation der Negation;
ſondern die erſte Negation, oder die welche das Seyn
zwar in ſich aufgehoben hat, aber es in ſich aufbewahrt,
nur die unmittelbare Negation. Das Endliche
ſteht daher als das reale Daſeyn dem Unendlichen
als ſeiner Negation gegenuͤber. Beyde ſtehen nur in
Beziehung aufeinander; das Endliche iſt noch nicht wahr-
haft aufgehoben, ſondern bleibt demſelben gegenuͤber ſte-
hen;
[82]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
hen; unmittelbar hat das Unendliche gleicherweiſe das
Endliche nicht wahrhaft in ſich aufgehoben, ſondern hat
es auſſer ſich.
So das Unendliche geſetzt, iſt es das Schlecht-
Unendliche, oder das Unendliche des Verſtandes. Es
iſt nicht die Negation der Negation, ſondern iſt zur ein-
fachen erſten Negation herabgeſetzt. Es iſt
das Nichts des Endlichen, welches das Reale iſt, es iſt
das Leere, beſtimmungsloſe Jenſeits des Daſeyns.
— Es iſt auf dieſe Weiſe wohl die Beſtimmung des
Endlichen, unendlich zu werden, aber es hat dieſe ſeine
Beſtimmung nicht an ihm ſelbſt; ſein Anſichſeyn iſt
nicht in ſeinem Daſeyn, ſondern ein Jenſeits ſeiner.
Diß Unendliche iſt dieſelbe leere Abſtraction, die
als Nichts im Anfange dem Seyn gegenuͤber ſtand. Dort
war es das unmittelbare Nichts; hier iſt es das Nichts,
das aus dem Daſeyn zuruͤckkommt und hervorgeht, und
als nur unmittelbare Negation in Beziehung auf daſſelbe
ſteht. Weil ihm das Endliche ſo als Daſeyn gegenuͤber
bleibt, ſo hat es ſeine Grenze an dieſem, und iſt ſomit
nur ein beſtimmtes, ſelbſtendliches Unendliches.
So erſcheint der Vorſtellung das Endliche als das
Wirkliche, und das Unendliche dagegen als das Unwirk-
liche, das in truͤber, unerreichbarer Ferne das Anſich
des Endlichen, aber zugleich nur ſeine Grenze ſey;
denn beyde ſind auſſer und jenſeits von einander.
Sie ſind auſſer einander, aber ihrer Natur nach
ſchlechthin aufeinander bezogen; jedes iſt die Grenze des
andern, und beſteht nur darin dieſe Grenze zu haben.
In ihrer Abſonderung hat daher jedes zugleich diß ſein
Anderes an ihm ſelbſt, aber als das Nichtſeyn ſeiner
ſelbſt,
[83]Qualitaͤt.
ſelbſt, es eben ſo unmittelbar von ſich abſtoſſend. Ihre
Einheit iſt ſomit nicht die an ihnen geſetzte Beziehung;
dieſe iſt vielmehr ihre Beziehung als ſchlechthin Anderer,
der Endlichkeit als der Realitaͤt, der Unendlichkeit als der
Negation. — Ihre Begriffseinheit iſt die Beſtim-
mung, in der das Sollen und die Schranke als daſſelbe
war, und aus der die Endlichkeit und Unendlichkeit ent-
ſprungen ſind. Aber dieſe Einheit hat ſich in dem An-
dersſeyn derſelben verborgen, ſie iſt die innerliche,
die nur zu Grunde liegt; — daher ſcheint das
Unendliche an dem Endlichen, und das Endliche an dem
Unendlichen, das Andere an dem Andern, nur hervor-
zutreten, das heißt, jedes ein eigenes unmittel-
bares Entſtehen zu ſeyn, und ihre Beziehung nur eine
aͤuſſerliche.
Es wird daher uͤber das Endliche hinausgegangen
in das Unendliche. Diß Hinausgehen erſcheint als ein
aͤuſſerliches Thun. In dieſem Leeren was entſteht?
Was iſt das Poſitive darin? Um der Einheit des Unend-
lichen und Endlichen willen, oder weil diß Unendliche
ſelbſt beſchraͤnkt iſt, entſteht die Grenze; das Unendliche
hebt ſich wieder auf, ſein Anderes, das Endliche iſt ein-
getreten. Aber diß Eintreten des Endlichen, erſcheint
als ein dem Unendlichen aͤuſſerliches Thun, und die neue
Grenze als ein ſolches, das nicht aus dem Unendlichen
ſelbſt entſtehe. Es iſt ſomit der Ruͤckfall in die vorheri-
ge, aufgehobene Beſtimmung vorhanden. Dieſe neue
Grenze aber iſt ſelbſt nur ein ſolches, das aufzuheben,
oder uͤber das hinaus zu gehen iſt. Somit iſt wieder
das Leere, das Nichts entſtanden, in welchem aber jene
Beſtimmung, eine neue Grenze geſetzt werden kann, und
ſofort ins Unendliche.
Es iſt die Wechſelbeſtimmung des Endli-
chen und Unendlichen vorhanden; das Endliche iſt
endlich
[84]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
endlich nur in der Beziehung auf das Sollen oder auf
das Unendliche, und das Unendliche iſt nur unendlich in
Beziehung auf das Endliche. Sie ſind ſchlechthin Ande-
re gegeneinander, und jedes hat das Andere ſeiner an
ihm ſelbſt.
Dieſe Wechſelbeſtimmung iſt es, welche naͤher im
Quantitativen als der Progreß ins Unendliche auf-
tritt, der in ſo vielen Geſtalten und Anwendungen als
ein Letztes gilt, uͤber das nicht mehr hinausgegangen
wird, ſondern angekommen bey jenem: Und ſo fort
ins Unendliche, pflegt der Gedanke ſein Ende erreicht zu
haben.
Der Grund, daß uͤber diß Hinausgehen
nicht ſelbſt hinausgegangen wird, hat ſich ergeben.
Es iſt nur das ſchlechte Unendliche vorhanden; uͤber daſ-
ſelbe wird allerdings hinausgegangen, denn es wird eine
neue Grenze geſetzt, aber damit eben wird vielmehr nur
zum Endlichen zuruͤckgekehrt. Die ſchlechte Unendlich-
keit iſt daſſelbe, was das perennirende Sollen, ſie iſt
zwar die Negation des Endlichen, aber ſie vermag ſich
nicht in Wahrheit davon zu befreyen; diß tritt an ihr
ſelbſt wieder hervor, als ihr Anderes, weil diß Un-
endliche nur iſt als in Beziehung auf das ihm andre
Endliche. Der Progreß ins Unendliche iſt daher nur die
ſich wiederhohlende Einerleyheit, eine und dieſelbe lang-
weilige Abwechslung dieſes Endlichen und Unendlichen.
Dieſe Unendlichkeit des unendlichen Progreſſes, die
mit dem Endlichen behafftet bleibt, hat an ihr ſelbſt ihr
Anderes, das Endliche; ſie iſt ſomit dadurch begrenzt
und ſelbſt endlich; ſie iſt darum die ſchlechte Unendlich-
keit, weil ſie nicht an und fuͤr ſich, ſondern nur iſt,
als Beziehung auf ihr Anderes.
Diß
[85]Qualitaͤt.
Diß Unendliche iſt ſelbſt endlich. — So-
mit waͤre es in der That die Einheit des Endlichen und
Unendlichen. Aber auf dieſe Einheit wird nicht reflectirt.
Allein ſie iſt es nur, welche im Endlichen das Unendliche,
und im Unendlichen das Endliche hervorruft, und, ſo zu
ſagen, die Triebfeder des unendlichen Progreſſes iſt. Er
iſt das Aeuſſere jener Einheit, bey welchem die Vor-
ſtellung ſtehen bleibt, bey jener perennirenden Wieder-
hohlung eines und deſſelben Abwechſelns, der leeren Un-
ruhe des Weitergehens uͤber die Grenze hinaus, das in
dieſem Unendlichen eine neue Grenze findet, auf der-
ſelben aber ſich ſo wenig halten kann, als in dem Un-
endlichen. Dieſes Unendliche hat einmal die feſte Deter-
mination eines Jenſeits, das alſo nicht erreicht wer-
den kann, darum weil es nicht erreicht werden ſoll,
weil es die Beſtimmung eines Jenſeits hat. Es hat
nach dieſer Beſtimmung das Endliche, als die Beſtim-
mung eines Diſſeits, ſich gegenuͤber; das ſich eben
ſo wenig ins Unendliche erheben kann, darum weil es
dieſe Determination eines Andern fuͤr es hat.
Ruͤckkehr der Unendlichkeit in ſich.
In der That aber iſt in dieſem heruͤber- und hin-
uͤbergehenden Wechſelbeſtimmen die Wahrheit dieſes Un-
endlichen ſchon enthalten. Es iſt nemlich, wie erinnert,
als ſchlechthin bezogen auf das Endliche ſelbſt endlich.
Die Einheit des Endlichen und Unendlichen
iſt alſo nicht nur das Innre, ſondern ſie iſt ſelbſt vor-
handen. Das Unendliche iſt nur als das Hinausgehen
uͤber das Endliche; ſo das Endliche nur als das, was
eine Grenze iſt, und uͤber das hinausgegangen werden
muß. In jedem ſelbſt liegt daher die Beſtimmung, wel-
Hche
[86]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
che in der Meynung des unendlichen Progreſſes oder des
Sollens, nur von ihm ausgeſchloſſen iſt, und ihm ge-
genuͤber ſteht.
Die Einheit des Endlichen und Unendlichen
aber hebt ſie auf; denn eben Endliches und Unendli-
ches ſind ſie nur in ihrer Trennung. Jedes aber iſt an
ihm ſelbſt dieſe Einheit und diß Aufheben ſeiner ſelbſt.
Die Endlichkeit iſt nur als Hinausgehen uͤber ſich; es iſt
alſo in ihr die Unendlichkeit, das Andre ihrer ſelbſt em-
halten. Eben ſo iſt die Unendlichkeit nur als Hinausge-
hen uͤber das Endliche; ſie hat nur Bedeutung als die
negative Beziehung auf das Endliche, ſie enthaͤlt alſo
weſentlich ihr Andres, und iſt ſomit an ihr das Andre
ihrer ſelbſt. Das Endliche wird nicht vom Unendlichen
als einem auſſer ihr ſeyenden aufgehoben, ſondern ſeine
Unendlichkeit beſteht darin, ſich ſelbſt aufzuheben. —
Ferner iſt diß Aufheben nicht das Andersſeyn uͤberhaupt;
ſondern das Endliche, nach ſeiner Beſtimmung, als
das was es an ſich ſeyn ſoll, iſt Negation, iſt
Andersſeyn, iſt das Daſeyn als ein Nichtſeyn. Indem
es alſo das Andersſeyn ſeiner Beſtimmung an ihm ſelbſt
hat, iſt es ſelbſt das Andersſeyn des Andersſeyns. —
So beſteht die Unendlichkeit nicht in dem leeren Jenſeits,
das nur aͤuſſerlich begrenzt wird und eine Beſtimmung er-
haͤlt, ſondern ſie iſt gleichfalls an ihr das Andre ihrer,
das ſich aus ſeiner Flucht zuruͤckruft, und ſomit als An-
deres des leeren Andersſeyns, als Negation der Nega-
tion, Ruͤckkehr zu ſich und Beziehung auf ſich ſelbſt iſt.
Weder das Endliche als ſolches, noch das Unend-
liche als ſolches haben daher Wahrheit. Jedes iſt an
ihm ſelbſt das Gegentheil ſeiner, und Einheit mit ſeinem
Andern. Ihre Beſtimmtheit gegen einander
iſt alſo verſchwunden. Es iſt hiemit die wahre Un-
end-
[87]Qualitaͤt.
endlichkeit, in der ſowohl die Endlichkeit, als die
ſchlechte Unendlichkeit aufgehoben iſt, eingetreten. Sie be-
ſteht in dem Hinausgehen uͤber das Andersſeyn, als der
Ruͤckkehr zu ſich ſelbſt; ſie iſt die Negation als
ſich auf ſich ſelbſt beziehend; das Andersſeyn,
inſofern es nicht unmittelbares Andersſeyn, ſon-
dern Aufheben des Andersſeyns, die wiederherge-
ſtellte Gleichheit mit ſich iſt.
Das Daſeyn iſt zunaͤchſt beſtimmtes Seyn,
weſentlich bezogen auf Anderes. Das Nichtſeyn iſt im
Daſeyn als Seyn; hiezu hat es ſich nun an ihm ſelbſt,
nemlich als Unendlichkeit gemacht. Die Beſtimmtheit des
Daſeyns iſt als Beziehung auf Anderes verſchwunden;
ſie iſt zur ſich auf ſich ſelbſt beziehenden Beſtimmtheit,
zum abſoluten, ſchrankenloſen Beſtimmtſeyn geworden.
Dieſes reine Beſtimmtſeyn in ſich, nicht durch Anderes,
die qualitative Unendlichkeit, das ſich ſelbſt gleiche Seyn,
als die negative Beziehung auf ſich iſt das Fuͤrſich-
ſeyn.
Das Unendliche, — nach dem gewoͤhnlichen Sinne
der ſchlechten Unendlichkeit, — und der Progreß ins Unend-
liche, wie das Sollen, ſind der Ausdruck eines Wi-
derſpruchs, der ſich ſelbſt fuͤr die Aufloͤſung, oder
fuͤr das Letzte haͤlt. Diß Unendliche iſt eine erſte Erhe-
bung des ſinnlichen Vorſtellens uͤber das Endliche in den
Gedanken, der aber nur den Inhalt von Nichts hat, —
eine Flucht uͤber das Beſchraͤnkte, die ſich nicht in ſich
ſammelt, und das Negative nicht zum Poſitiven zuruͤck-
zubringen weiß. Dieſe unvollendete Reflexion
hat die Negativitaͤt jenſeits, das Poſitive oder Reale aber
diſſeits. Obwohl die Erhebung des Endlichen ins Un-
H 2endli-
[88]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
endliche und die Zuruͤckrufung des Jenſeits in das Diſ-
ſeits, oder das Aufheben dieſer beyden unvollkommenen
Beſtimmungen vorhanden iſt, bringt ſie doch dieſe beyden
Gedanken nicht zuſammen. Die Natur des ſpeculativen
Denkens beſteht allein in dem Auffaſſen der entgegengeſetz-
ten Momente in ihrer Einheit. Indem jeder ſich an ſich
zeigt, ſein Gegentheil an ihm ſelbſt zu haben, ſo iſt ſeine
poſitive Wahrheit dieſe Einheit, das Zuſammenfaſſen
beyder Gedanken, ihre Unendlichkeit, die Beziehung auf
ſich ſelbſt, nicht die unmittelbare, ſondern die unendliche.
Das Weſen der Philoſophie iſt haͤufig, von ſolchen,
die mit dem Denken ſchon vertrauter ſind, in die Aufgabe
geſetzt worden, zu beantworten, wie das Unendli-
che aus ſich heraus und zur Endlichkeit
komme? — Das Unendliche, bey deſſen Begriff wir
angekommen ſind, wird ſich im Fortgange dieſer Darſtel-
lung, weiter beſtimmen, und ſomit an ihm das Ge-
foderte zeigen, wie es, wenn man ſich ſo ausdruͤcken
will, zur Endlichkeit komme. Hier betrachten
wir dieſe Frage nur in ihrer Unmittelbarkeit, und in
Ruͤckſicht des vorhin betrachteten Sinnes, den das Un-
endliche zu haben pflegt.
Von der Beantwortung dieſer Frage ſoll es uͤber-
haupt abhaͤngen, ob es eine Philoſophie gebe,
und indem man es hierauf noch ankommen laſſen zu
wollen vorgibt, glaubt man zugleich an der Frage ſelbſt
einen unuͤberwindlichen Talismann zu beſitzen, durch
den man gegen die Beantwortung und damit gegen die
Philoſophie uͤberhaupt feſt und geſichert ſey. — Auch bey
andern Gegenſtaͤnden ſetzt es eine Bildung voraus, um
zu fragen zu verſtehen, noch mehr aber bey philoſophi-
ſchen Gegenſtaͤnden, um eine andere Antwort zu erhal-
ten, als die, daß die Frage nichts tauge.
Es
[89]Qualitaͤt.
Es pflegt bey ſolchen Fragen in Anſehung des Aus-
drucks, die Billigkeit in Anſpruch genommen zu werden,
daß es auf die Worte nicht ankomme, ſondern in einer
oder andern Weiſe des Ausdrucks verſtaͤndlich ſey, wor-
auf es ankomme? Ausdruͤcke der ſinnlichen Vorſtellung,
wie herausgehen und dergleichen, die gern bey der
Frage gebraucht werden, erwecken den Verdacht, daß
die Heimath, aus der ſie ſtammt, der Boden des ge-
woͤhnlichen Vorſtellens iſt, und daß fuͤr die Beantwor-
tung auch Vorſtellungen, die im gemeinen Leben gangbar
ſind, und die Geſtalt eines ſinnlichen Gleichniſſes erwar-
tet werden.
Wenn ſtatt des Unendlichen das Seyn uͤberhaupt
genommen wird, ſo ſcheint das Beſtimmen des Seyns,
eine Negation an ihm, leichter begreiflich. Denn Seyn
iſt zwar ſelbſt das Unbeſtimmte; inſofern es alſo be-
ſtimmt iſt, iſt es das beſtimmte Unbeſtimmte, Einheit der
Beſtimmtheit und Unbeſtimmtheit. Aber es iſt nicht un-
mittelbar an ihm ausgedruͤckt, daß es das Gegentheil
des Beſtimmten ſey. Das Unendliche hingegen enthaͤlt
diß ausgedruͤckt; es iſt das Nicht-endliche. Die Ein-
heit des Endlichen und Unendlichen ſcheint ſomit unmit-
telbar ausgeſchloſſen; die unvollendete, vorſtellende Re-
flexion iſt daher am hartnaͤckigſten gegen dieſe Einheit.
Es iſt aber gezeigt worden, und es erhellt unmit-
telbar, daß das Unendliche, und zwar in dem Sinne, in dem
es von jenem Reflectiren genommen wird, — nemlich
als dem Endlichen gegenuͤberſtehend, — darum weil es
ihm gegenuͤberſteht, an ihm ſein Anderes hat, daher be-
grenzt und ſelbſt endlich iſt. Die Antwort auf die Frage,
wie das Unendliche endlich werde, iſt ſomit
dieſe, daß es nicht ein Unendliches gibt, das vorerſt
unendlich iſt, und das nachher erſt endlich zu werden,
zur
[90]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
zur Endlichkeit zu kommen noͤthig habe, ſondern es iſt fuͤr
ſich ſelbſt ſchon eben ſo ſehr endlich als unendlich. Oder
indem die Frage das Unendliche einerſeits fuͤr ſich an-
nimmt, und daß das Endliche, das aus ihm heraus in
die Trennung gegangen ſey, abgeſondert von ihm, wahr-
haft real ſey, oder daß wenn auch eben nicht diß End-
liche, wenigſtens jenes Unendliche die Wahrheit ſey, —
ſo koͤnnte man ſagen, dieſe Trennung ſey allerdings un-
begreiflich. Denn weder ſolches Endliches, noch ſolches
Unendliches hat Wahrheit; das Unwahre aber iſt unbe-
greiflich. Man kann alſo ſagen, jene Frage ſtellt einen
unwahren Inhalt auf, und enthaͤlt eine unwahre Be-
ziehung deſſelben. Somit iſt nicht auf ſie zu antworten,
ſondern vielmehr ſind die falſchen Vorausſetzungen, die
ſie enthaͤlt, oder die Frage ſelbſt zu negiren. Es iſt
aber, was ſchon oben von der Einheit des Seyns und
Nichts bemerkt worden iſt, in Erinnerung zu bringen,
daß auch der Ausdruck: Einheit des Unendlichen und End-
lichen, oder: daß Endliches und Unendliches daſſelbe ſind,
eine ſchiefe Seite hat; weil er das, was ein Werden iſt,
als ruhendes Seyn ausdruͤckt. So iſt auch das Unend-
liche das Werden zum Endlichen, und umgekehrt das End-
liche das Werden zum Unendlichen. Man kann ſo ſagen,
das Unendliche gehe zum Endlichen heraus, und zwar
darum, weil es keine Wahrheit, kein Beſtehen an ihm
ſelbſt hat; ſo umgekehrt geht das Endliche, aus demſel-
ben Grunde ſeiner Nichtigkeit, in das Unendliche hinein.
Die Frage aber nimmt das Unendliche, das dem Endli-
chen gegenuͤberſteht, als etwas Wahrhaftes an; oder
auch das beziehungsloſe Unendliche, das denn aber
nicht Unendliches, ſondern Seyn heiſſen ſollte; aber am
Seyn hat es ſich ſchon gezeigt, daß dieſe reine unmit-
telbare Einheit keine Wahrheit hat.
Drit-
[91]Qualitaͤt.
Drittes Kapitel.
Das Fuͤrſichſeyn.
Im Fuͤrſichſeyn iſt das qualitative Seyn
vollendet; es iſt das unendliche Seyn. Das Seyn
des Anfangs iſt beſtimmungslos. Das Daſeyn iſt das
aufgehobene Seyn, aber nur das unmittelbar aufgeho-
bene Seyn. Es enthaͤlt daher zunaͤchſt nur die erſte, un-
mittelbare Negation, das Seyn iſt gleichfalls als erhal-
ten, und die Beſtimmtheit iſt erſt Grenze. Die Bewe-
gung des Daſeyns beſteht darin, dieſe Grenze aus ihrer
Aeuſſerlichkeit in ſich hinein zu verlegen. Im Fuͤrſichſeyn
iſt dieſe Umkehrung vollendet. Das Negative als In-
ſichſeyn und das Negative als Grenze, als Andersſeyn
iſt als identiſch geſetzt; das Fuͤrſichſeyn iſt das ſich
auf ſich beziehende Negative, das abſolute
Beſtimmtſeyn.
Wie nun das Daſeyn ſich zum Daſeyenden beſtimmt
oder macht, ſo beſtimmt erſtens das Fuͤrſichſeyn ſich
zum Fuͤrſichſeyenden, oder zum Eins.
Zweytens iſt das Eins Repulſion und geht
in Vielheit der Eins uͤber.
Drittens aber hebt ſich diß Andersſeyn des Eins
durch die Attraction auf, und die Qualitaͤt, die
ſich im Fuͤrſichſeyn auf ihre Spitze trieb, geht in
Quantitaͤt uͤber.
A.Fuͤr-
[92]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
A.
Fuͤrſichſeyn als ſolches.
Der allgemeine Begriff des Fuͤrſichſeyns hat ſich
ergeben. Es unterſcheiden ſich in ihm die Momente ſei-
ner unendlichen Beziehung auf ſich ſelbſt, und
des Fuͤr-eines-ſeyns. Als diß reflectirte Fuͤrſich-
ſeyn iſt es Idealitaͤt. Aber als die an ihm ſelbſt in
ſich zuruͤckkehrende Einheit ſeiner Momente iſt es das
Eins.
Fuͤrſichſeyn uͤberhaupt.
Was fuͤr ſich iſt, iſt es dadurch, daß es das An-
dersſeyn, und die Beziehung und Gemeinſchaft mit An-
derem aufhebt. Das Andere iſt in ihm nur als ein
aufgehobenes, als ſein Moment. Das Fuͤrſichſeyn geht
nicht uͤber ſich hinaus, ſo daß es ſich eine Schranke, ein
Anderes waͤre, ſondern es beſteht vielmehr darin, uͤber
die Schranke, uͤber ſein Andersſeyn hinausgegangen,
und als dieſe Negation die unendliche Ruͤckkehr in
ſich zu ſeyn.
Die Momente des Fuͤrſichſeyns.
Das Fuͤrſichſeyn iſt als Negation des Andersſeyns,
Beziehung auf ſich; Gleichheit mit ſich. Diß macht
a.) das
[95[93]]Qualitaͤt.
aus. Diß Anſichſeyn iſt aber weiter beſtimmt als es im
Daſeyn war. Das Anſichſeyn des Daſeyns iſt traͤge,
wird beſtimmt, und erhaͤlt ſich nicht gegen die Grenze
und das Begrenztwerden; ſo wie auch das Anſichſeyn als
Beſtimmung zwar ſeiner Schranke gleich iſt, oder ſich
ſelbſt ſeine Schranke wird, aber ſo, daß es ſich darin
ſchlechthin das Nichtſeyn ſeiner iſt. Im Anſichſeyn des
Daſeyns iſt zwar gleichfalls das Seyn-fuͤr-Anderes auf-
gehoben; aber diß Aufheben beſteht vielmehr nur in dem
Unterſcheiden und Abſondern beyder von einander, und
zwar gehoͤrt diß Abſondern einer aͤuſſern Reflexion an. —
Die Beſtimmung oder das Sollen und die Schranke ſind
wohl an ſich eine und dieſelbe Beſtimmtheit, die aber
nur das einemal als das An-ſich-ſeyn gegen das Nicht-
ſeyn, und das andremal, als diß Nichtſeyn oder als ab-
ſolutes Andersſeyn geſetzt iſt; ſie ſind nur an ſich daſ-
ſelbe, darum weil ſie ſich noch nicht an ihnen ſelbſt in
ihrer Unterſchiedenheit, aufgehoben haben und noch nicht
fuͤr ſich daſſelbe ſind.
Das Anſichſeyn des Fuͤrſichſeyns dagegen hat die
Beſtimmung dieſes Aufhebens; das Fuͤrſichſeyn iſt da-
durch auch in der Unterſcheidung, im Daſeyn, die Ein-
heit, welche das Sollen und die Schranke, oder der un-
endliche Progreß nur an ſich iſt. Es iſt in ſich beſchloſ-
ſenes Daſeyn, unendliche Beziehung auf ſich ſelbſt. In-
dem es Beziehung auf Anderes iſt, iſt es Beziehung
darauf nur als auf ein aufgehobenes; es iſt alſo im An-
dern Beziehung nur auf ſich.
Die unendliche Beziehung des Fuͤrſichſeyns auf ſich
beſteht in der Gleichheit der Negation mit ſich ſelbſt.
Das
[94]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Das Andersſeyn iſt aber nicht verſchwunden, ſo daß das
Fuͤrſichſeyn nur die unmittelbare Beziehung des Seyns
auf ſich waͤre, ſondern es iſt ein aufgehobenes. Das
Andersſeyn iſt nicht zwiſchen dem Fuͤrſichſeyn und einem
Andern vertheilt; das Fuͤrſichſeyn hat nicht das Nicht-
ſeyn an ihm als Grenze oder Beſtimmtheit, und da-
mit auch nicht als ein von ihm anderes Daſeyn. Das
Andre iſt daher uͤberhaupt kein Daſeyn, kein Etwas; es
iſt nur im Fuͤrſichſeyn, iſt nichts auſſer der unendlichen
Beziehung deſſelben auf ſich ſelbſt, und hat damit nur
diß Daſeyn, fuͤr eines zu ſeyn.
Diß zweyte Moment des Fuͤrſichſeyns, druͤckt es
aus, wie das Endliche in ſeiner Einheit mit dem Unend-
lichen iſt. Auch das Seyn-fuͤr-Anderes im Daſeyn
oder das Daſeyn uͤberhaupt hat dieſe Seite fuͤr eines zu
ſeyn; aber auſſerdem iſt es auch an ſich, gleichguͤltig
gegen dieſe ſeine Grenze.
Der zunaͤchſt als ſonderbar erſcheinende Ausdruck
unſerer Sprache fuͤr die Frage nach der Qualitaͤt, was
fuͤr ein Ding etwas ſey, hebt das hier betrachtete
Moment vornemlich heraus. Die Beſtimmtheit iſt darin
ausgedruͤckt, nicht als ein an-ſich-ſeyendes, ſondern als
ein ſolches, das nur fuͤr eines iſt. Dieſer idealiſti-
ſche Ausdruck fragt dabey nicht, was diß Ding Afuͤr
ein anderes Ding B ſey, nicht was dieſer Menſch
fuͤr einen andern Menſchen ſey; — ſondern was iſt diß
fuͤr ein Ding, fuͤr ein Menſch? ſo daß diß Seyn
fuͤr eines zugleich zuruͤckgenommen iſt in diß Ding, in
dieſen Menſchen ſelbſt, oder daß dasjenige, welches
iſt, und das fuͤr welches es iſt, ein und daſſelbe
iſt, — eine Identitaͤt, welche itzt an der Idealitaͤt be-
trachtet werden wird.
c.) Idea-
[95]Qualitaͤt.
Das Fuͤrſichſeyn iſt die einfache Gleichheit mit ſich.
Es hat die beyden unterſchiedenen Momente in ſich, weil
die einfache Gleichheit mit ſich, nicht das Unmittelbare,
das Seyn, iſt, ſondern nur als Aufheben des Anders-
ſeyns; ſie enthaͤlt alſo zugleich eine Trennung, oder An-
dersſeyn, aber als verſchwindende Trennung, als ſich
aufhebendes Andersſeyn. Die beyden Momente ſind da-
her unzertrennlich. Die unendliche Beziehung auf ſich
iſt nur als Negation der Negation, und diß Aufheben
des Andersſeyns iſt unmittelbar ſich auf ſich beziehende
Einheit.
Das Fuͤrſichſeyn in dieſer Beſtimmung, daß es ſich
auf ſich bezieht, dadurch daß das Andre in ihm nur auf-
gehobenes iſt, iſt Idealitaͤt.
Die Idealitaͤt iſt alſo daſſelbe, was die Unend-
lichkeit iſt, oder ſie iſt der poſitive und reflectirte, be-
ſtimmte Ausdruck derſelben. Was unendlich iſt, iſt
ideell; es iſt nur inſofern ſchrankenlos, inſofern das
Andere nur fuͤr es iſt. Haͤtte das Andere ein Da-
ſeyn, ſo waͤre es nicht nur ein fuͤr eines, ſondern
machte eine Grenze aus.
Die Idealitaͤt und Realitaͤt iſt ein und
daſſelbe, iſt einer der ſchon geruͤgten ſchiefen Aus-
druͤcke. Die Idealitaͤt iſt vielmehr die Wahrheit der
Realitaͤt, oder wenn man unter Realitaͤt, das Subſtan-
tielle, das Wahre ſelbſt verſtehen will, ſo iſt die Ideali-
taͤt die wahrhafte Realitaͤt; inſofern nemlich das Daſeyn
oder die Realitaͤt ſich zur Idealitaͤt beſtimmt hat.
Wie die Realitaͤt nach ihren beyden Seiten, des
Anſichſeyns und des Seyns-fuͤr-Anderes, unterſchie-
dene
[96]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
dene Bedeutungen zu haben ſchien, ſo ſcheint auch das
Ideelle im Sinne des Anſichſeyns, als unendliche
Beziehung auf ſich, und im Sinne des Seyns-fuͤr-
Anderes, nemlich als Seyn-fuͤr-eines, unterſchie-
den zu ſeyn.
— So iſt der Geiſt, Gott, das Abſolute uͤber-
haupt, ein Ideelles, als unendliche Beziehung auf
ſich ſelbſt, als Einheit mit ſich, die nicht in die Aeuſſer-
lichkeit und in das Andersſeyn verloren iſt, ſondern fuͤr
welche alle Beſtimmtheit iſt. — Das Leibnitziſche
vorſtellende Weſen, die Monade, iſt weſentlich
Ideelles. Das Vorſtellen iſt ein Fuͤrſichſeyn, in wel-
chem die Beſtimmtheiten, nicht Grenzen, ſondern nur
Momente ſind. Vorſtellen iſt zwar eine concretere Be-
ſtimmung, die dem Bewußtſeyn angehoͤrt, aber es hat
hier keine weitere Bedeutung, als die der Idealitaͤt;
denn auch das Bewußtſeynsloſe uͤberhaupt iſt Vorſtellen-
des. Es iſt in dieſem Syſteme alſo das Andersſeyn
uͤberhaupt aufgehoben; Geiſt und Koͤrper, oder die Mo-
naden uͤberhaupt ſind nicht Andere fuͤr einander, ſie be-
grenzen ſich nicht, haben keine Einwirkung aufeinander;
es fallen uͤberhaupt alle Verhaͤltniſſe weg, welchen ein
Andersſeyn zum Grunde liegt. Daß es mehrere Mo-
naden gibt, daß ſie damit auch als Andere beſtimmt
werden, geht die Monaden ſelbſt nichts an; es iſt die
auſſer ihnen fallende Reflexion eines Dritten; ſie ſind
nicht an ihnen ſelbſt Andere. — Allein hierin
liegt zugleich das Unvollendete dieſes Syſtems. Die Mo-
naden ſind nur an ſich, oder in Gott, als der Mo-
nade der Monaden, oder auch im Syſteme, Vor-
ſtellendes. Aber das Andersſeyn iſt gleichfalls vorhan-
den; es falle wohin es wolle, in die Vorſtellung ſelbſt,
oder wie das Dritte beſtimmt werde, welches ſie als
Andere betrachtet. Das Andre iſt daher nicht an ſich
ſelbſt
[97]Qualitaͤt.
ſelbſt aufgehoben; es iſt nur ausgeſchloſſen, und die Mo-
naden nur durch die Abſtraction als ſolche geſetzt, welche
nicht Andre ſind. Oder wenn es ein Drittes iſt, wel-
ches ihr Andersſeyn ſetzt, ſo iſt es auch ein Drittes,
welches ihr Andersſeyn aufhebt; aber dieſe ganze Be-
wegung, welche ſie zu ideellen macht, faͤllt
auſſer ihnen.
Anderer Idealismus, wie zum Beyſpiel der Kanti-
ſche und Fichte’ſche kommt nicht uͤber das Sollen oder
den unendlichen Progreß hinaus, und erreicht
hiemit den Idealismus und das Fuͤrſichſeyn nicht. In
dieſen Syſtemen tritt das Ding-an-ſich oder der unend-
liche Anſtoß zwar unmittelbar in das Ich und wird nur
ein fuͤr daſſelbe; aber er geht von einem freyen An-
dersſeyn aus. Das Ich wird daher wohl als das
Ideelle von der Seite des Anſichſeyns als unendliche
Beziehung auf ſich beſtimmt; aber die Seite des Fuͤr-
eines-ſeyns iſt nicht vollendet, daher aber auch nicht
jene erſte.
Das Ideelle iſt zweytens auch das Seyn-
fuͤr-eines. Dieſer Sinn wird unterſchieden von dem
erſten, der unendlichen Beziehung auf ſich ſelbſt. Im
erſtern Sinne, wird Gott, Ich u. ſ. f. ein ideelles ge-
nannt, und das eigentliche Fuͤrſichſeyn, die Unendlich-
keit auf ihn eingeſchraͤnkt, ſo daß Gott, Ich ſo nur ein
Ideelles ſeyen, daß ſie ſchlechthin nicht fuͤr-eines
ſeyen. — In dieſem andern Sinne, wird eine leere
Theorie, ein nur ideelles genannt. Das Ideelle hat
dann ungefaͤhr die Bedeutung einer bloßen Einbildung,
wenigſtens einer bloßen Vorſtellung, der nichts Wirk-
liches entſpricht, deren Inhalt nichts fuͤr ſich ſelbſt
iſt.
Inſo-
[98]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Inſofern aber an dieſem Unterſchiede feſtgehalten
wird, ſo iſt der Vorſtellung, noch das Daſeyn und
ein Etwas geblieben, oder eben durch jenes Beſtim-
men ſelbſt zuruͤckgekehrt. Als ob nemlich ein Etwas vor-
handen, das als Grund oder Subject beſtuͤnde, und fuͤr
welches das Andre, ſo wie ein Etwas ſey, welches
nur das Bezogene waͤre; jenes das fuͤr-ſich-ſeyende, diß
aber nur das fuͤr-anderes ſeyende Etwas. Aber das
Fuͤr-eines-ſeyn und das Fuͤrſichſeyn machen
keine wahrhaften Beſtimmtheiten gegeneinander aus.
Das Fuͤr-eines-ſeyn druͤckt das Aufgehobenſeyn des
Andersſeyns aus; es iſt alſo weſentlich mit dem Fuͤrſich-
ſeyn eins. Das Fuͤrſichſeyn iſt unendliche Beziehung auf
ſich, dadurch daß es das aufgehobene Andersſeyn iſt.
Inſofern der Unterſchied auf einen Augenblick angenom-
men, und hier ſchon von einem Fuͤrſichſeyenden ge-
ſprochen wird, ſo iſt das Fuͤrſichſeyende es ſelbſt, auf
welches es ſich als auf das aufgehobene Andre bezieht,
welches alſo fuͤr-eines iſt. Das Fuͤrſichſeyn iſt Be-
ziehung auf ſich, aber unendliche; es iſt alſo die Nega-
tion darin enthalten. Oder das Fuͤrſichſeyende iſt nicht
Unmittelbares, nicht Seyendes; aber dieſes Nichtſeyn
iſt ſchlechthin aufgehoben; es iſt alſo ſich ſelbſt das auf-
gehobene Andere, das Fuͤr-eines-ſeyn; es bezieht
ſich dadurch in ſeinem Andern nur auf ſich. Das Ideelle
iſt alſo nothwendig fuͤr-eines, aber es iſt nicht fuͤr
ein anderes; oder das eine, fuͤr welches es iſt, iſt
nur es ſelbſt.
Ich alſo, der Geiſt uͤberhaupt, oder Gott, ſind
Ideelle, weil ſie unendlich ſind; aber ſie ſind ideell nicht,
als fuͤr-ſich-ſeyende, verſchieden von dem, das fuͤr-ei-
nes iſt. Denn ſo waͤren ſie nur unmittelbare, oder naͤ-
her waͤren ſie Daſeyn, ein Seyn-fuͤr-Anderes, weil
das, welches fuͤr ſie waͤre, nicht ſie ſelbſt, ſondern ein
Ande-
[99]Qualitaͤt.
Anderes waͤre, wenn das Moment, fuͤr-eines zu ſeyn,
nicht ihnen zukommen ſollte. Gott iſt daher fuͤr ſich,
inſofern er ſelbſt das iſt, das fuͤr ihn iſt.
Fuͤr-ſich-ſeyn und Fuͤr-eines-ſeyn ſind alſo nicht
verſchiedene Bedeutungen der Idealitaͤt, ſondern ſind
weſentliche, untrennbare Momente derſelben.
Werden des Eins.
Das Fuͤrſichſeyn iſt Idealitaͤt; und es iſt, wie ſich
ſo eben ergeben hat, die einfache Einheit ſeiner Mo-
mente, und eigentlich kein Unterſchied derſelben. Es
enthaͤlt das Andersſeyn als aufgehobenes; das Aufheben
des Andersſeyns und die Beziehung auf ſich ſelbſt ſind
daſſelbe; es iſt nur Eine Beſtimmung vorhanden, die
Beziehung-auf-ſich-ſelbſt des Aufhebens. Die innern
Momente des Fuͤrſichſeyns ſind daher in der That in
Unterſchiedsloſigkeit zuſammengeſunken.
Das Fuͤrſichſeyn iſt daher ein einfaches Einsſeyn
mit ſich, ein In-ſich-ſeyn, das keine Grenze oder Be-
ſtimmtheit hat, oder deſſen Beſtimmtheit das reine Negi-
ren iſt. Indem es uͤberhaupt das ſich auf ſich be-
ziehende Aufheben, dieſe einfache Gleichheit mit ſich
ſelbſt iſt, iſt es ſomit ein Inſichſeyn, das die Form der
Unmittelbarkeit hat; Etwas, aber ein unbeſtimmbares.
Nach dieſer Unmittelbarkeit iſt diß Inſichſeyn kein
Beziehen, ſondern ein Seyn. Aber als Unmittel-
barkeit, die ſich auf das Negiren gruͤndet, iſt es zu-
gleich weſentlich Beziehung, diß macht ſeine Beſtimmung
aus. Seine Unmittelbarkeit und dieſe ſeine Beſtimmung
unter-
[100]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
unterſcheiden ſich alſo von einander. Bey ſeiner einfa-
chen Unmittelbarkeit, oder als Seyn, iſt es zugleich rei-
nes Negiren, eine Beziehung nach Auſſen uͤberhaupt,
ein reines negirendes Beziehen; aber nicht auf ein An-
deres; denn es iſt hier kein Anderes mehr vorhanden,
ſondern vielmehr ſchlechthin aufgehoben. Dieſe Bezie-
hung iſt auch noch nicht Beziehung auf das Unmittelbare,
ſondern zunaͤchſt iſt dieſe Unmittelbarkeit nichts anderes
als das einfache Beziehen der Negation auf ſich ſelbſt.
Was alſo geſetzt iſt, iſt die Ruͤckkehr der Idealitaͤt
in das einfache Inſichſeyn, in eine Sichſelbſtgleichheit,
welche die Form von Unmittelbarkeit hat, und die ein
bloß negatives Beziehen, ein Beziehen auf Nichts uͤber-
haupt iſt. Das Fuͤrſichſeyn iſt, als dieſes Unmittelbare,
das reines Negiren iſt, das Fuͤrſichſeyende, das
Eins.
B.Das
[101]Qualitaͤt.
B.
Das Eins.
Das Eins und das Leere.
Das Eins iſt die einfache Beziehung des Fuͤrſich-
ſeyns auf ſich ſelbſt, die, indem ſeine Momente in ſich
zuſammengefallen ſind, die Form der Unmittelbar-
keit hat. Es iſt daher uͤberhaupt, ohne ein Daſeyn
zu haben; das beſtimmte Seyn oder Daſeyn iſt im Fuͤr-
ſichſeyn zum reinen Seyn zuruͤckgekehrt.
Weil Eins kein Daſeyn und keine Beſtimmtheit als
Beziehung auf Anderes hat, iſt es auch keine Beſchaffen-
heit und ſomit keines Andersſeyns faͤhig; es iſt unver-
aͤnderlich.
Es iſt unbeſtimmt, aber nicht wie das Seyn; ſon-
dern ſeine Unbeſtimmtheit iſt die Beſtimmtheit, welche Be-
ziehung auf ſich ſelbſt iſt, abſolutes Beſtimmt-
ſeyn. — Das abſolute Beſtimmtſeyn iſt die Beſtimmt-
heit, oder Negation, als Beziehung nicht auf Anderes,
ſondern auf ſich. Dieſe Gleichheit des Eins mit ſich hat
es alſo nur, inſofern es Verneinen, eine Richtung von
ſich ab, hinaus auf Anderes iſt, die aber unmittelbar
aufgehoben, umgewendet, weil kein Anderes iſt, auf
das ſie gehe, und die in ſich zuruͤckgekehrt iſt.
Weil um der Einfachheit dieſes In-ſich-zuruͤckge-
kehrtſeyns willen, das Eins die Geſtalt eines Unmit-
Jtelba-
[102]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
telbaren, Seyenden hat, ſo erſcheint ſein Aufheben,
oder die Negation, als ein auſſer ihm ſeyendes
Anderes, das nicht Etwas, ſondern das Nichts iſt, das
ſelbſt die Geſtalt der Unmittelbarkeit gegen jenes Seyen-
des hat, aber an ſich zugleich nicht das erſte Nichts,
nicht unmittelbar iſt, ſondern das Nichts als auf-
gehobenes Etwas — oder es iſt das Nichts als
Leeres.
Das Leere iſt alſo in Wahrheit nicht unmittelbar,
gleichguͤltig fuͤr ſich dem Eins gegenuͤber, ſondern es iſt
deſſen Sich-beziehen-auf-Anderes oder deſſen Grenze.
Das Eins aber iſt ſelbſt, als das abſolute Beſtimmt-
ſeyn, die reine Grenze, die reine Negation oder Leere.
Es iſt alſo, indem es ſich zum Leeren verhaͤlt, die un-
endliche Beziehung auf ſich. Es ſelbſt iſt aber die reine
Negation, als unmittelbar ſich ſelbſt gleich, als ſeyend;
die Leere aber iſt dagegen dieſelbe Negation, als Nicht-
ſeyn.
Das Fuͤrſichſeyn, indem es ſich auf dieſe Weiſe
als das Eins und das Leere beſtimmt hat, hat wieder
ein Daſeyn erlangt. Wie aber Etwas und ein Anderes,
ſo zu ſagen, zu ihrem Boden das Seyn haben, auf dem
die Beſtimmtheit derſelben geſetzt iſt, ſo hat das Eins
und das Leere, das Nichts zu ihrem gemeinſchaftlichen
oder vielmehr einfachen Boden. Das Fuͤrſichſeyn hat
zuerſt den Unterſchied in ihm ſelbſt, und die unterſchie-
denen als ſeine Momente, das Fuͤrſichſeyn als Anſich-
ſeyn, und das Seyn-fuͤr-eines, deren Einheit die Idea-
litaͤt iſt. Sie treten aus dieſer Einheit oder werden die
ſich Aeuſſerlichen, das Eins und das Leere, indem durch
die einfache Einheit der Momente ſelbſt, die Beſtimmung
des Seyns hereinkommt, wodurch das, was vorher Mo-
ment war, die Geſtalt eines Seyenden erhaͤlt. — Oder
es
[103]Qualitaͤt.
es ſind zwey Momente, das einfache Fuͤrſichſeyn, und
das Seyn-fuͤr-eines; jedes fuͤr ſich betrachtet, und je-
des iſt auch ſo fuͤr ſich, denn jedes iſt auch das Ganze,
ſinkt in der einfachen Beziehung auf ſich in die Unmit-
telbarkeit zuſammen, und damit in das Daſeyn gegen-
einander, in eine Beziehung von ſolchen, die nicht nur
als Bezogene, ſondern auch unmittelbar ſind.
Das Eins in dieſer Form von Daſeyn iſt die Stuf-
fe der Kategorie, die bey den Alten, als das Atomi-
ſtiſche Princip vorgekommen iſt, nach welchem das
Weſen der Dinge iſt, das Atome und das Leere,
(το ἀτομον oder τα ἀτομα και τοκενον.) Die Abſtraction
zu dieſer Form gediehen, hat eine groͤßere Beſtimmtheit
gewonnen, als das Seyn des Parmenides und das
Werden des Heraklits. So hoch ſie ſteht, indem ſie
dieſe einfache Beſtimmtheit des Eins und des Leeren zum
Princip aller Dinge macht, die unendliche Mannichfal-
tigkeit der Welt auf dieſen einfachen Gegenſatz zuruͤck-
fuͤhrt und ſie aus ihm zu erkennen ſich erkuͤhnt, ſo leicht
iſt es fuͤr das vorſtellende Reflectiren, ſich hier Atome
und daneben das Leere vorzuſtellen. Es iſt daher
kein Wunder, daß das atomiſtiſche Princip ſich jederzeit
erhalten hat; das gleich triviale und aͤuſſerliche Verhaͤlt-
niß der Zuſammenſetzung, das noch hinzukommen
muß, um zum Scheine einer Verſchiedenheit und Man-
nichfaltigkeit zu gelangen, iſt eben ſo populaͤr als die
Atome ſelbſt und das Leere. Das Eins und das Leere
iſt das Fuͤrſichſeyn, das hoͤchſte Inſichſeyn zur voͤlligen
Aeuſſerlichkeit herabgeſunken; denn im Eins iſt die Un-
mittelbarkeit oder das Seyn vorhanden, das, weil es
die Negation alles Andersſeyns iſt, nicht mehr beſtimm-
bar und veraͤnderlich iſt, alſo auch nicht wieder in ſich
J 2zuruͤck-
[104]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
zuruͤckkehren zu koͤnnen ſcheint, ſondern fuͤr das in ſeiner
abſoluten Sproͤdigkeit alle Beſtimmung, Mannichfaltig-
keit, Verknuͤpfung ſchlechthin aͤuſſerliche Beziehung bleibt.
In dieſer Aeuſſerlichkeit aber iſt das atomiſtiſche
Princip nicht bey den erſten Denkern deſſelben geblieben,
ſondern es hatte auſſer ſeiner Abſtraction, auch die ſpe-
culative Tiefe darin, daß das Leere als der Quell
der Bewegung erkannt worden iſt; was eine ganz
andere Beziehung des Atomen und des Leeren iſt, als
das bloße Nebeneinander und die Gleichguͤltigkeit dieſer
beyden Beſtimmungen gegeneinander. Daß das Leere
der Quell der Bewegung iſt, hat aber nicht den gering-
fuͤgigen Sinn, daß ſich etwas nur in ein Leeres hinein-
bewegen koͤnne, und nicht in einen ſchon erfuͤllten Raum;
in welchem Verſtande das Leere nur die Vorausſetzung
oder Bedingung, nicht der Grund der Bewegung waͤ-
re, ſo wie auch die Bewegung ſelbſt als vorhanden vor-
ausgeſetzt, und das Weſentliche, der Gedanke an einen
Grund derſelben vergeſſen iſt. Die Anſicht dagegen, daß
das Leere den Grund der Bewegung ausmacht, enthaͤlt
den tiefen Gedanken, daß im Negativen uͤberhaupt, der
Grund des Werdens, der Unruhe der Selbſtbewegung
liegt. Wobey aber das Negative nicht als das der Vor-
ſtellung am naͤchſten liegende Nichts, ſondern als die
wahrhafte Negativitaͤt, als das Unendliche zu nehmen iſt.
Viele Eins.
(Repulſion.)
Das Eins und das Leere macht das Fuͤrſichſeyn in
ſeinem Daſeyn aus.
Jedes
[105]Qualitaͤt.
Jedes dieſer Momente iſt zugleich die Negation;
das Eins und das Leere macht alſo die Beziehung der
Negation auf die Negation aus. Aber die Beſtimmtheit
dieſes Daſeyns, wie es ſich ergeben hat, iſt, daß das
Eins die Negation in der Beſtimmung des Seyns, das
Leere aber die Negation in der Beſtimmung des Nicht-
ſeyns iſt. Dieſer erſt abſtracte Unterſchied hat ſich wei-
ter zu beſtimmen.
Das Eins hat Unmittelbarkeit; es iſt Beziehung
auf ſich und gleichguͤltig fuͤr ſich, gegen das Nichts, das
auſſer ihm iſt. Aber das Eins iſt weſentlich nicht gleich-
guͤltig gegen das Leere; denn es iſt Beziehung auf ſich
nur als beziehende Negation, d. h. als dasjenige, was
das Leere auſſer ihm ſeyn ſoll. Inſofern daher er-
ſtens das Eins als unmittelbares ſich auf das Leere,
das gleichfalls die Geſtalt eines unmittelbaren hat, be-
zieht, ſo iſt die Beziehung des Daſeyns vorhanden, das
Eins bezieht ſich alſo auf das Leere als ein ihm An-
deres, und geht uͤber ſich hinaus in das Leere. Aber
da zweytens in der Idealitaͤt des Fuͤrſichſeyns kein
Anderes, da die Beziehung auf ſein Nichtſeyn weſentlich
Beziehung auf ſich ſelbſt iſt, ſo iſt das daſeyende Andere
zugleich es ſelbſt, und zugleich ſein Nichtſeyn. Das
Eins iſt ſomit Werden zu vielen Eins.
Dieſe Bewegung des Eins zu vielen Eins iſt aber
nicht ſowohl ein Werden; denn Werden iſt ein Ueberge-
hen ins Entgegengeſetzte, von Seyn in Nichts, und es
iſt eine Beziehung, die nicht unmittelbar das Bezogene
ſelbſt iſt. Hier hingegen wird Eins nur zu Eins; ferner
Eins, das Bezogene, iſt dieſe negative Beziehung ſelbſt.
Denn Eins iſt Beziehung auf ſich als negatives Be-
ziehen; ſo iſt es Fuͤrſichſeyn uͤberhaupt, ein Beziehen oh-
ne
[106]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
ne Bezogenes. Aber inſofern es Eins iſt, iſt es unmittel-
bar; und iſt damit weſentlich Beziehung auf ſich, als
auf ein unmittelbares; es iſt damit ein Bezo-
genes vorhanden, aber durch abſolut negative Bezie-
hung, welche unendliches Aufheben des Andersſeyns iſt.
Das Eins geht alſo nicht in ein Anderes uͤber;
ſondern es ſtoͤßt ſich ſelbſt von ſich ab. Die ne-
gative Beziehung des Eins auf ſich iſt Repulſion.
Die Repulſion iſt alſo wohl Werden der vielen
Eins, aber durch das Eins ſelbſt.
Das Eins iſt darum auch nicht als ein gewor-
denes; das Werden zu Vielen verſchwindet unmittelbar
als Werden; die gewordenen ſind Eins, ſind nicht fuͤr
Anderes, ſondern beziehen ſich unendlich auf ſich ſelbſt.
Das Eins ſtoͤßt nur ſich von ſich ſelbſt ab, es wird alſo
nicht, ſondern es iſt ſchon; diß Werden iſt daher
kein Uebergehen.
Die Vielheit iſt ſomit nicht ein Andersſeyn,
und eine dem Eins vollkommen aͤuſſere Beſtimmung.
Das Eins, indem es ſich ſelbſt repellirt, bleibt Bezie-
hung auf ſich, wird nicht Beziehen auf ein Anderes.
Daß die Eins andere gegeneinander, daß ſie in die Be-
ſtimmtheit der Vielheit zuſammengefaßt ſind, geht alſo
die Eins nichts an. Waͤre die Vielheit eine Beziehung
ihrer ſelbſt aufeinander, ſo begrenzten ſie einander oder
haͤtten ein Seyn-fuͤr-Anderes. Ihre Beziehung, inſo-
fern ſie als unmittelbare vorgeſtellt werden, iſt das Leere,
oder keine Beziehung. Die Grenze iſt das, worin die
Begrenzten eben ſo ſehr ſind als nicht ſind; aber das
Leere iſt als das reine Nichtſeyn beſtimmt, und nur diß
macht ihre Grenze aus.
Die
[107]Qualitaͤt.
Die Repulſion des Eins von ſich ſelbſt, iſt daher
die auſſer ſich gekommene Unendlichkeit; ſie iſt ein eben
ſo einfaches Beziehen des Eins auf Eins, als vielmehr
die abſolute Beziehungsloſ[i]gkeit der Eins. Oder die
Vielheit des Eins iſt das eigene Setzen des Eins; das
Eins iſt nichts als die negative Beziehung des Eins auf
ſich, und dieſe Beziehung, alſo das Eins ſelbſt iſt das
viele Eins. Aber eben ſo geht die Vielheit das Eins
nichts an, ſie iſt ihm ſchlechthin aͤuſſerlich; denn das
Eins iſt eben das Aufheben des Andersſeyns, die Re-
pulſion iſt ſeine Beziehung auf ſich, und einfache Gleich-
heit mit ſich ſelbſt.
Es iſt vorhin des Leibnitziſchen Idealismus
erwaͤhnt worden. Es kann hier hinzugeſetzt werden, daß
derſelbe von der vorſtellenden Monade, dem Fuͤr-
ſichſeyn, in der weitern Beſtimmung dieſes Fuͤrſichſeyns,
nur bis zu der ſo eben betrachteten Repulſion fortging,
und zwar zu der Vielheit, in der die Eins jedes nur
fuͤr ſich, gleichguͤltig gegen das Daſeyn und Fuͤr-ſich-ſeyn
anderer iſt, oder uͤberhaupt Andere gar nicht fuͤr das
Eins ſind. Die Monade iſt fuͤr ſich die ganze abgeſchloſ-
ſene Welt; es bedarf keine der andern. Die innre Man-
nichfaltigkeit, die ſie in ihrem Vorſtellen hat, geht uns
hier nichts an; denn ſie aͤndert in ihrer Beſtimmung,
fuͤr ſich zu ſeyn, nichts; die Monade, da die Mannich-
faltigkeit eine ideelle iſt, bleibt nur auf ſich ſelbſt bezogen,
die Veraͤnderungen entwickeln ſich innerhalb ihrer, und
ſind keine Beziehungen derſelben aufeinander; was nach
der realen Beſtimmung als Beziehung der Monaden auf-
einander genommen wird, iſt ein unabhaͤngiges nur
ſimultanes Werden. Der Leibnitziſche Idealismus nimmt
uͤbrigens die Vielheit unmittelbar als eine gegebe-
ne
[108]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
ne auf, und begreift ſie nicht als eine Repulſion der
Monade. Er hat daher die Vielheit nur nach der Seite
ihrer abſoluten Aeuſſerlichkeit, nicht nach der Seite, daß
die Beziehung der Monade auf ſich, als negative eben
ſo ſehr ſelbſt die Vielheit iſt; — welche beyde Momen-
te die Repulſion in ſich faßt. Die Atomiſtik hat
einerſeits den Begriff der Idealitaͤt nicht; ſie faßt das
Eins nicht als ein ſolches, das in ihm ſelbſt die beyden
Momente des Fuͤrſichſeyns und des Fuͤr-es-ſeyns ent-
haͤlt; alſo nicht als ideelles, ſondern nur als einfach,
unmittelbar Fuͤr-ſich-ſeyendes. Dagegen geht ſie uͤber
die bloß gleichguͤltige Vielheit hinaus; die Atomen kom-
men doch in eine weitere Beſtimmung gegeneinander,
wenn auch nicht durch die Repulſion ſelbſt; da hingegen
in jener gleichguͤltigen Unabhaͤngigkeit der Monaden, die
Vielheit, welche Grundbeſtimmung iſt, wie oben
ſchon erinnert, etwa nur in die Monade der Monaden,
oder in den betrachtenden Philoſophen faͤllt, und nicht
eine Beſtimmung der Monaden an ſich iſt. Oder eben
inſofern die Vielheit nicht eine Beſtimmung der Monaden
an ſich iſt, inſofern ſie nicht andere fuͤr einander ſind,
ſo gehoͤrt dieſe Beſtimmung nur der Erſcheinung an, iſt
ihrem Weſen aͤuſſerlich, und ihre Wahrheit iſt nur
die Subſtanz, die Eine iſt.
Gegenſeitige Repulſion.
1. Die Repulſion macht die Beziehung des Eins
auf ſich ſelbſt aus, aber iſt eben ſo ſehr ſein Auſſer-ſich-
kommen. Diß Auſſerſichkommen, die Vielheit der Eins
iſt die Repulſion des Eins von ſich ſelbſt; daher nicht ei-
ne dem Eins aͤuſſerliche Beſtimmung, nicht verſchieden
von der Repulſion als einfacher Beziehung auf ſich.
Diß
[109]Qualitaͤt.
Diß naͤher betrachtet, ſo bezieht das Eins ſich auf ſich
als auf ein unmittelbares; aber die Unmittelbarkeit iſt
Seyn; die Repulſion, als die ſich auf ſich beziehende
Negation aber iſt nicht Unmittelbarkeit oder Seyn. Eins
bezieht ſich daher auf ſich zugleich als ſein abſolutes
Nichtſeyn; es iſt Abſtoſſen ſeiner von ſich ſelbſt; das Ab-
geſtoſſene iſt einerſeits zwar es ſelbſt, aber eben ſo ſehr
ſein Nichtſeyn. Diß Abgeſtoſſene ſelbſt als Eins iſt
ein Unmittelbares, und zugleich als Nichtſeyn des ſich
auf ſich ſelbſt beziehenden beſtimmt; oder als ein abſolut
Anderes. Die Vielheit enthielt zunaͤchſt kein Anders-
ſeyn; die Grenze war nur das Leere, oder nur das,
worin die Eins nicht ſind. Aber ſie ſind auch in der
Grenze; ſie ſind im Leeren, oder ihre Repulſion iſt ihre
gemeinſame Beziehung.
Die Repulſion des Eins alſo, indem ſie Abſtoſſen
ſeiner von ſich ſelbſt iſt, iſt zugleich Abſtoſſen des
Eins als eines Andern von ſich, und damit ein
gegenſeitiges Repelliren der vielen Eins.
Die Vielen ſtehen auf dieſe Weiſe als einander ab-
ſtoſſend, in Beziehung auf einander; ſie erhalten ſich als
fuͤr ſich ſeyende in der Repulſion; ihre Beziehung beſteht
darin, ihre Beziehung zu negiren.
Dieſe gegenſeitige Repulſion macht erſt das Da-
ſeyn der vielen Eins aus; denn ſie iſt nicht ihr Fuͤrſich-
ſeyn, das nur in einem Dritten unterſchieden waͤre,
ſondern ihr eigenes ſich erhaltendes Unterſcheiden. Naͤ-
her beſtimmt iſt ſie, inſofern darin jedes gegen die An-
dern ſich erhaͤlt, ein gegenſeitiges Ausſchlieſſen.
Oder dieſe Beziehung iſt eine nur relative Repulſion.
Sie negiren ſich nemlich gegenſeitig, oder ſetzen ſich als
ſolche, die nur fuͤr-eines ſind. Aber ſie negiren
eben
[110]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
eben ſo ſehr zugleich diß, nur fuͤr-eines zu ſeyn;
ſie repelliren dieſe ihre Idealitaͤt.
2. In dieſem Daſeyn der vielen Eins trennen ſich
ſomit die Momente, die in der Idealitaͤt ſchlechthin verei-
nigt ſind. Das Eins iſt in ſeinem Fuͤrſichſeyn zwar auch
ſo fuͤr-eines, daß diß Aufgehobenſeyn des Anders-
ſeyns ſeine Beziehung auf ſich ſelbſt iſt. Aber zugleich
iſt das Seyn-fuͤr-eines, wie es in der relativen Repul-
ſion, dem Ausſchlieſſen beſtimmt iſt, ein Seyn-fuͤr-An-
deres. Jedes wird von dem Andern repellirt, aufgeho-
ben und zu einem gemacht, das nicht fuͤr ſich, ſondern
fuͤr-eines iſt. Sein Seyn-fuͤr-eines faͤllt ſonach nicht
nur in das Eins als ſolches ſelbſt, ſondern auch in ein
anderes Eins, und iſt Seyn-fuͤr-Anderes.
Das Fuͤrſichſeyn der vielen Eins iſt hiemit die Re-
pulſion derſelben gegeneinander, wodurch ſie ſo ſich er-
halten, daß ſie ſich gegenſeitig aufheben, und die andern
als ein bloßes Seyn-fuͤr-Anderes ſetzen. Aber zugleich
beſteht die Repulſion darin, dieſe Idealitaͤt zu repelliren,
und ſich zu ſetzen, nicht fuͤr-ein-Anderes zu ſeyn. Aber
beydes iſt wieder eine und dieſelbe Beziehung; die gegen-
ſeitige Repulſion iſt gegenſeitiges Aufheben, jedes erhaͤlt
ſich nur, indem es die Andern als ein Seyn-fuͤr-Ande-
res, als ein Nichtdaſeyn ſetzt, und eben ſo ſehr nur in-
dem es diß aufhebt, fuͤr ein Anderes zu ſeyn.
3. Das Seyn-fuͤr-Anderes iſt inſofern ſo ſehr
aufgehoben als vorhanden. Aber es iſt in verſchiedener
Ruͤckſicht geſetzt und aufgehoben. Die Eins ſind unmit-
telbare; ſie beziehen ſich repellirend, aufhebend gegenein-
ander; ſie ſetzen ſo gegenſeitig das Fuͤrſichſeyn der An-
dern auf das Seyn-fuͤr-Anderes herab; diß Moment
hat alſo Statt in Beziehung auf Andere. Aber
das
[111]Qualitaͤt.
das Eins hebt diß ſein Seyn-fuͤr-Anderes auf; diß
Moment iſt ſeine Beziehung auf ſich ſelbſt. Das
Eins iſt Seyn-fuͤr-Anderes nur in Andern; aber diß
Aufgehobenſeyn des Eins geht das Eins nichts an; in
ihm ſind die Andern nicht als daſeyende, unmittelbare
Andre, ſondern nur als Aufgehobene, dadurch bezieht
es ſich auf ſich.
Das Eins war Repulſion, indem es ſich von ſich
abſtoͤßt, und indem ſomit das Abgeſtoſſene nur es ſelbſt
iſt, iſt es damit unmittelbare Ruͤckkehr in ſich. Aber
dieſes Repelliren iſt uͤbergegangen in die Repulſion Ande-
rer und des Seyns-fuͤr-Andere von ſich. Das Eins
erhaͤlt ſich nur dadurch fuͤr ſich, daß es ſich auf Andere
negirend bezieht, und indem dieſe Negation gegenſeitig
iſt, daß es das Seyn-fuͤr-eins, das es darin erhaͤlt,
aufhebt. Die Repulſion, das Abſtoßen des Eins von
ſich, iſt ſomit uͤbergegangen in Abſtoßen der Andern, in
das Setzen der Andern als ſeyend nur fuͤr-eines, und
damit das Aufheben ſeines Seyns-fuͤr-Anderes, in die
Attraction.
C.At-
[112]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
C.
Attraktion.
Die Repulſion iſt die Selbſtzerſplitterung des Eins
zunaͤchſt in Viele, und dann um ihrer Unmittelbarkeit
willen, in Andre. Indem aber die Eins uͤberhaupt
Viele und eben ſo Andre ſind, ſo iſt dadurch kein Unter-
ſchied derſelben vorhanden, und das abſolute Beſtimmt-
ſeyn des Eins an ſich ſelbſt iſt noch nicht realiſirt. Das
Eins nemlich als das Ideelle, welches ebenſowohl fuͤr-
ſich, als auch fuͤr eines, beydes in einer Identitaͤt iſt,
faͤllt um dieſer Unterſchiedsloſigkeit willen in die Unmit-
telbarkeit des Seyns zuſammen. Weil in dieſer Ideali-
taͤt kein wahrhaftes Anderes vorhanden iſt, ſo findet
auch kein wahrhaftes Aufheben des Andersſeyns Statt,
und damit keine reelle Idealitaͤt. Dieſe wird nun in der
Attraction. Die Repulſion enthaͤlt zwar andere; aber
indem die vielen Eins uͤberhaupt ſich insgeſammt andere
ſind, ſo haͤlt ſich ihre Repulſion das Gleichgewicht; ſie
heben ihr gegenſeitiges Seyn-fuͤr-eines, ſelbſt auf.
Sie repelliren die Repulſion, oder das Andersſeyn.
Indem nun aber das Eins aufhoͤrt die bloß ein-
fache Beziehung der Negation auf ſich ſelbſt zu ſeyn, und
zu einem beſtimmten Unterſchiede in ſich gelangt, ſo wird
es zur Totalitaͤt, oder zur Identitaͤt der Idealitaͤt und
Realitaͤt. Das abſolute Beſtimmtſeyn hat dann ſeine
Spitze erreicht, es iſt in ſich zuruͤckgegangen; und die
Qualitaͤt, das unmittelbare Beſtimmtſeyn durch ein An-
deres, oder das Andersſeyn uͤberhaupt, wird ein gleich-
guͤltiges; die Qualitaͤt wird an dieſer in ſich gediegenen
Einheit zur Quantitaͤt.
1. Ein
[113]Qualitaͤt.
Ein Eins.
Die Repulſion macht die vielen Eins zu Seyenden-
fuͤr-Anderes. Aber es ſind die Vielen, denen diß Re-
pelliren zukommt, und zwar kommt es ihnen zu als Eins.
Aber als Eins ſind ſie unendliche Beziehung auf ſich ſelbſt,
als ſolche repelliren ſie eben ſo ſehr diß Seyn-fuͤr-An-
deres, oder jenes Repelliren. Dieſe Repulſion der Re-
pulſion iſt ſomit, als ſich ſelbſt aufhebend, Attraction.
Es tritt aber hier der erwaͤhnte Unterſchied ein;
Eins ſetzt nemlich die andern Eins, als Seyn-fuͤr-
Anderes, und hebt, — inſofern diß Repelliren gegen-
ſeitig waͤre, — ſein Seyn-fuͤr-Anderes, das es darin
erhielte, auf; es erhaͤlt aber das Seyn-fuͤr-Anderes
der Andern.
Die Attraction iſt naͤmlich Repulſion der Repulſion.
Das Eins ſetzt die andern Eins ideell, als Seyn-fuͤr-
Anderes, aber hebt diß Seyn-fuͤr-Anderes eben ſo ſehr
wieder auf. Es iſt ſomit die Ruͤckkehr des Eins in ſich
ſelbſt geſetzt, oder dieſelbe unendliche Beziehung auf ſich,
welche das Eins an ſich iſt. Aber es ſind damit
zweyerley Eins vorhanden; nemlich das unmittelba-
re Eins, oder das Eins, wie es an ſich iſt, und dann
das Eins, das aus ſeiner Zerſtreuung, aus der
Vielheit in ſich zuruͤckkehrt.
Dieſes Eins kann das reale Eins inſofern ge-
nannt werden, als es aus der Vielheit und dem Seyn-
fuͤr-Anderes in ſich zuruͤckkehrt, und diß Moment, aber
als aufgehobenes an ihm hat; oder inſofern das Moment
des Seyns-fuͤr-eines, das es in ſeiner Idealitaͤt ent-
haͤlt, nicht bloß diß abſtracte Moment mehr iſt, ſondern
die
[114]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
die unmittelbaren Eins es ausmachen. Das andere Eins
dagegen iſt diß unmittelbare nicht in ſich zuruͤckkehrende
Eins, das weſentlich als aufgehobenes iſt, und im Seyn-
fuͤr-Anderes bleibt.
Jenes Eins iſt das attrahirende Eins; das
ſich an den unmittelbaren Eins ſein Moment des Seyn-
fuͤr-eines gibt. Dieſe werden attrahirt. Sie
ſind unmittelbar; aber das Eins iſt weſentlich diß, nicht
ein unmittelbares Seyendes zu ſeyn; denn es iſt viel-
mehr die ſich auf ſich beziehende Negation. Indem ſie
alſo unmittelbare ſind, ſind ſie nur ſich ſelbſt ungleiche,
andre an ſich ſelbſt.
Es iſt hiemit auch das an-ſich-ſeyende An-
dersſeyn vorhanden, und das vorherige, nur aͤuſſer-
liche Andersſeyn verſchwunden. Das unmittelbare Eins
iſt nur als aufgehobenes, das nur fuͤr-anderes iſt.
Das Fuͤrſichſeyn aber, das nur fuͤr-anderes iſt, iſt eben
das Andersſeyn an ſich ſelbſt.
Ferner das attrahirende Eins, welches das Seyn-
fuͤr-Anderes in ſich aufhebt, und aus demſelben in ſich
zuruͤckkehrt, iſt eben damit nicht mehr das einfache
Fuͤrſichſeyn, ſondern das auch das Andersſeyn als Mo-
ment in ihm ſelbſt hat.
Das attrahirende Eins alſo als aus der Vielheit
in ſich zuruͤckkehrend, beſtimmt ſich ſelbſt als Eins,
es iſt Eins, als nichtſeyend Vieles, Ein Eins.
Gleichgewicht der Attraction und Repulſion.
Das Fuͤrſichſeyn, das ſich als Eins beſtimmt hat,
verliert ſich zuerſt als Vielheit in abſolute Aeuſſerlichkeit,
und
[115]Qualitaͤt.
und erhaͤlt ſich darin nicht ſowohl nach ſeiner Unmit-
telbarkeit, — inſofern die Vielen auch Eins ſind, —
als es ſich daraus zu Einem Eins wiederher-
ſtellt.
Diß in ſich zuruͤckgekehrte Eins iſt, nicht nur die
einfache Beziehung auf ſich ſelbſt, ſondern die Beziehung
auf ſich als aufgehobenes Andersſeyn. — Ferner iſt das
Andersſeyn, wie es hier vorkommt, nicht das unmittel-
bare Andersſeyn des Daſeyns als ſolchen, ſondern das
eigene Andersſeyn des Eins, die Vielheit. Das Fuͤr-
ſichſeyn iſt nach ſeinem Werden aus dem Daſeyn zwar
ſchon an ſich aufgehobenes Andersſeyn; aber es hatte
ſich hier wieder an ihm ſelbſt ſein Anderes zu ſetzen,
um das, was es an ſich iſt, auch im Fuͤrſichſeyn als
ſolchem zu ſeyn. Das Andersſeyn hat aber in ihm eine
andere Form, als im Daſeyn. Weil das Fuͤrſichſeyn
unendliche Beziehung auf ſich iſt, iſt das Andersſeyn
an ihm nur die Vielheit, es ſelbſt als anderes.
Indem das Fuͤrſichſeyn aber ſo ſeine Unmittelbar-
keit aufgehoben hat, und fuͤr-ſich-ſeyendes Fuͤr-ſich-
ſeyn iſt, hat in ihm das Beſtimmtſeyn ſich zwar zum ab-
ſoluten Beſtimmtſeyn an ihm ſelbſt, zum abſoluten Qua-
litativen gemacht; aber iſt in dieſer Realitaͤt ſchon uͤber
die Qualitaͤt hinausgegangen. Eins iſt nur Ein Eins,
inſofern in ihm die Vielheit, d. h. das Eins ſelbſt
aufgehoben iſt. — Oder Eins iſt als Ein Eins
mit ſich ſelbſt zuſammengegangen; es hat alſo,
ſtatt ausſchlieſſend zu ſeyn, ſich in Continuitaͤt ge-
ſetzt.
Die Attraction nemlich, oder das Eine Eins naͤ-
her betrachtet, ſo iſt es beſtimmt an ſich ſelbſt,
denn es iſt nicht eins der Vielen, es hat die Vielheit in
ſich
[116]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
ſich aufgehoben; es iſt alſo nicht ein Beſtimmtes gegen
Anderes, ſondern hat das Andere und die Beziehung
darauf an ihm ſelbſt. Als Ein Eins iſt aber ſeine ab-
ſolute Beſtimmtheit gleichfalls in die Unmittelbarkeit
zuruͤckgegangen, und bezieht ſich als ausſchlieſſend
auf die Vielen, als gegen andere, als gegen ſein Nicht-
ſeyn, das ſelbſt unmittelbar waͤre. Aber es iſt nur
Ein Eins; die Vielen ſind gar nicht, ſie haben ſich
aufgehoben; ſo ſind ſie mit Eins in eins geſetzt,
und dieſes iſt nicht mehr Eins als ſolches.
Das Eine Eins iſt an ſich Attraction, aufgehobene
Repulſion; aber dieſes Eins faͤngt ſelbſt damit an, ein
unmittelbares zu ſeyn; es iſt ein Eins, und ſeine Re-
flexion in ſich beſteht darin, eben die Unmittelbarkeit
aufzuheben. Die Repulſion der Repulſion hebt nur das
eigne Seyn-fuͤr-Anderes, erhaͤlt aber das Seyn-fuͤr-
Anderes der Andern; aber ein eignes ſolches Seyn,
das ſich unterſchiede von andern ſetzt eine urſpruͤng-
liche, eine unmittelbare Unterſchiedenheit
der Eins voraus, welche nicht vorhanden iſt. Die Re-
pulſion iſt alſo ein Seyn-fuͤr-eines der Vielen uͤber-
haupt, und inſofern ſie Repulſion der Repulſion iſt, ſo
iſt ſie Erhaltung eben ſo ſehr der Vielen Eins, deren
Seyn-fuͤr-eines von ihnen ſelbſt repellirt wird. Es
ſind daher alle gleich attrahirend, ſie ſetzen alle auf glei-
che Weiſe einander, als Seyn-fuͤr-Anderes, und re-
pelliren daſſelbe, heben es in ihrer unendlichen Beziehung
in ſich ſelbſt auf. Die Vielen Eins ſind ſomit erhalten.
— Schon in der ſinnlichen Vorſtellung der raͤum-
lichen Attraction dauert der Strom der attrahirt-wer-
denden Punkte fort; an die Stelle der Atome, die in dem
einen attrahirenden Punkte verſchwinden, tritt eine an-
dere Menge aus dem Nichts hervor. Diß Werden geht
nicht
[117]Qualitaͤt.
nicht in das Reſultat des Einen Eins ſo zuruͤck, daß
nur das Eine Eins und ſonſt nichts waͤre; auf dieſe Wei-
ſe wuͤrde nur die anfaͤngliche Beſtimmung, das Eins
und das Leere geſetzt, und die Realitaͤt des Eins, das
Zuruͤckkehren in ſich aus dem Vielen, verſchwunden ſeyn.
Sondern indem es ſich als Ein Eins durch dieſe Ruͤck-
kehr wird, ſo iſt es ausſchlieſſend, Ein Eins gegen Viele
und es erhaͤlt ſie damit eben ſo. Aber die Erhaltung
der Vielen heißt nichts anderes, als daß ſie attrahirend
ſind, daß ſie ihr Seyn-fuͤr-Anderes aufheben.
Attraction und Repulſion ſind auf dieſe Weiſe nicht
nur im Gleichgewicht, ſondern ſie ſind in der That iden-
tiſch und ununterſcheidbar daſſelbe. Die Repulſion er-
ſcheint zunaͤchſt als das Ausſchlieſſen der andern; aber
diß Ausſchlieſſen iſt Setzen derſelben als Seyender-fuͤr-
Andere. Aber die Attraction iſt daſſelbe, denn ſie be-
ſteht eben in der Selbſterhaltung des Eins gegen die
Andern, in dem Aufheben derſelben, im Setzen derſelben
als Seyender-fuͤr-Andere. Die Repulſion iſt ferner
umgekehrt das Aufheben dieſes Seyns-fuͤr-Anderes,
durch ſie erhaͤlt ſich das Eins, indem es ſein Negirtwer-
den aufhebt; aber die Attraction iſt eben diß Aufheben
ſeines Seyns-fuͤr-Andere, welches Aufheben es erhielt.
Die ſinnliche Vorſtellung erhaͤlt allein den Unterſchied von
Attraction und Repulſion, indem ſie einen unmittel-
baren Punkt feſthaͤlt, und die Unmittelbarkeit der an-
dern verſchwinden, aber in der That eben ſo ſehr auch
wieder entſtehen laͤßt.
Wie die Repulſion ſich ſelbſt repellirt, ſo attrahirt
die Attraction ſich ſelbſt, oder iſt Attraction der Attra-
ction. Denn ihrer Beſtimmung nach iſt ſie das Ideell-
ſetzen der vielen Eins, und dadurch das Werden Eines
Eins, das fuͤr ſich bleibe, und ſein Seyn-fuͤr-Anderes
Kauf-
[118]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
aufhebe. Aber unter den vielen Eins, die aufgehoben
werden ſollen, ſind alle Eins begriffen; die Attraction
hebt das eine Eins, deſſen Werden ſie ſeyn ſoll, eben ſo
ſehr auf. Oder umgekehrt indem ſie als Werden des
Einen Eins das Seyn-fuͤr-Anderes des Eins aufhebt,
ſo hebt ſie eben ſo ſehr das Setzen, wodurch die Eins-
Seyn-fuͤr-Anderes werden, das heißt wieder, ſich ſelbſt auf.
Dieſe Identitaͤt der Repulſion und Attraction hat
ſomit das Reſultat, daß die unendliche Beziehung des
Eins auf ſich, ſein Seyn-fuͤr-Anderes iſt; ſein Fuͤr-
ſichſeyn iſt unendliche Negation ſeiner ſelbſt, unendliches
Auſſerſichſeyn, und diß Auſſerſichſeyn iſt umgekehrt un-
endliches Zuruͤckgekehrtſeyn in ſich ſelbſt.
Das Eins iſt an ſich nur dieſe unendliche Bezie-
hung auf ſich, deren Reſultat die Identitaͤt der Attra-
ction und Repulſion iſt; — das Eins iſt nichts auſſer
der Repulſion und Attraction. Aber inſofern das Eins
die Geſtalt der Unmittelbarkeit erhalten hat, erſcheinen
ſie als Beziehungen deſſelben, ſo daß es auſſer ihnen
ſich fuͤr ſich erhielte; als ob ſein Seyn-fuͤr-ein-Anderes
unterſchieden waͤre von ſeinem Fuͤrſichſeyn, oder viel-
mehr von ſeinem Anſichſeyn, ſeiner unendlichen Bezie-
hung auf ſich ſelbſt. Eins aber als an ſich genommen,
unterſchieden von ſeiner negativen Beziehung, iſt es das
unmittelbare Eins, das Viele. Aber eben ſo unmittel-
bar faͤllt das Viele in Eins zuſammen, oder iſt das
Viele die Negation ſeiner ſelbſt. Denn von dem Vielen
iſt jedes Eins, oder jedes iſt ein Vieles, oder jedes un-
terſcheidet ſich ſchlechthin von den Andern, und ſchließt
ſie von ſich aus. Aber eben darin ſind ſie einander
gleich; jedes hat ganz und gar dieſelben Beſtimmungen,
welche das Andere hat; darin daß das eine der Viele
nicht ſey, was das andere, ſind ſie daſſelbe.
Die
[119]Qualitaͤt.
Die vorhin relative Repulſion und Attraction, wel-
che nur eine Beziehung der Eins war, wovon ſich
ihre Unmittelbarkeit, als Beziehung auf ſich
ſelbſt, unterſchied, iſt alſo in der That abſolute
Repulſion und Attraction; Repulſion und Attraction,
welche identiſch ſind. Was vorhanden iſt, iſt, daß Eins,
als ſich unendlich auf ſich ſelbſt beziehend, ſich auf
ſein abſolutes Andersſeyn bezieht, und indem es ſich
auf diß ſein Nichtſeyn bezieht, eben darin ſich
auf ſich ſelbſt bezieht, und daß das Eins ſelbſt nur
dieſes Beziehen iſt. Seine Unmittelbarkeit, ſein
Seyn iſt vielmehr ſein Andersſeyn, und diß ſein
Auſſerſichſeyn iſt ſein Seyn.
Attraction und Repulſion pflegen bekanntlich als
Kraͤfte angeſehen zu werden. Sie werden bey dieſer
Vorſtellung als ſelbſtſtaͤndig betrachtet, ſo daß ſie ſich
nicht durch ihre Natur aufeinander beziehen, d. h. daß
nicht jede nur ein in ihre entgegengeſetzte uͤbergehendes
Moment ſeyn, ſondern feſt der andern gegenuͤber be-
harren ſoll. Sie werden ferner vorgeſtellt, als in einem
Dritten, der Materie, zuſammenkommend; ſo je-
doch, daß diß in-eins-Werden nicht als ihre Wahrheit
gilt, ſondern jede vielmehr ein Erſtes und An-und-fuͤr-
ſich-ſeyendes, die Materie aber das durch ſie geſetzte
und hervorgebrachte iſt. Wenn geſagt wird, daß die
Materie dieſe Kraͤfte in ſich habe, ſo iſt unter dieſer
ihrer Einheit eine Verknuͤpfung verſtanden, wobey ſie
zugleich als in ſich ſeyende frey von einander vorausge-
ſetzt werden.
Kant hat bekanntlich die Materie aus der
Repulſiv- und Attractiv-Kraft conſtruirt,
K 2oder
[120]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
oder wenigſtens, wie er ſich ausdruͤckt, die metaphyſi-
ſchen Elemente dieſer Conſtruction aufgeſtellt. — Es
wird nicht ohne Intereſſe ſeyn, dieſe Conſtruction naͤher
zu beleuchten. Dieſe metaphyſiſche Darſtellung ei-
nes Gegenſtandes, der nicht nur ſelbſt, ſondern in ſei-
nen Beſtimmungen, nur der Erfahrung anzugehoͤren
ſchien, iſt einestheils dadurch merkwuͤrdig, daß ſie we-
nigſtens den Anſtoß zur neuern Naturphiloſophie gegeben
hat, — der Philoſophie, welche die Natur nicht als ein
ſinnlich gegebenes der Wahrnehmung zum Grunde der
Wiſſenſchaft macht, ſondern ihre Beſtimmungen aus dem
abſoluten Begriffe erkennt; anderntheils auch, weil bey
jener Kantiſchen Conſtruction noch haͤufig ſtehen geblie-
ben und ſie fuͤr einen philoſophiſchen Anfang und Grundlage
der Phyſik gehalten wird.
Es gehoͤrt hieher zwar noch nicht eine ſolche Exi-
ſtenz, wie die ſinnliche Materie, eben ſo wenig als der
Raum und Raumbeſtimmungen. Aber auch der Attra-
ctiv- und Repulſiv-Kraft, ſofern ſie als Kraͤfte der ſinn-
lichen Materie angeſehen werden, liegen die hier betrach-
teten reinen Beſtimmungen vom Eins und Vielen, und
deren Beziehungen aufeinander zu Grunde, die ich gleich-
falls Repulſion und Attraction genannt habe.
Kants Verfahren in der Deduction der Materie
aus dieſen Kraͤften, das er eine Conſtruction nennt,
verdient, naͤher betrachtet, dieſen Namen nicht, wenn
nicht anders jede Art von Reflexion, ſelbſt die analyſi-
rende, eine Conſtruction genannt wird, wie denn freylich
ſpaͤtere Naturphiloſophen auch das flachſte Raͤſonnement
und das grundloſeſte Gebraͤue einer willkuͤhrlichen Ein-
bildungskraft und gedankenloſen Reflexion, — das beſon-
ders die ſogenannten Faktoren der Attractivkraft und Re-
pulſivkraft gebrauchte und allenthalben vorbrachte, —
ein Conſtruiren genannt haben.
Kants
[121]Qualitaͤt.
Kants Verfahren iſt im Grunde analytiſch,
nicht conſtruirend. Er ſetzt die Vorſtellung der
Materie voraus, und fragt nun, welche Kraͤfte da-
zu gehoͤren, um ihre vorausgeſetzten Beſtimmungen zu
erhalten. So fodert er alſo einestheils die Attractivkraft
darum, weil durch die Repulſion allein, ohne
Attraction, eigentlich keine Materie da-
ſeyn koͤnnte. (Anfangsgr. der Natur-Wiſſenſch. S.
53. f.) Die Repulſion anderntheils, leitet er gleich-
falls aus der Materie ab, und gibt als Grund derſelben
an, weil wir uns die Materie undurch-
dringlich vorſtellen, indem dieſe nemlich dem Sin-
ne des Gefuͤhls, durch den ſie ſich uns offenbare,
ſich unter dieſer Beſtimmung praͤſentirt. Die Repulſion
werde alſo ſogleich im Begriffe der Materie gedacht,
weil ſie damit unmittelbar gegeben ſey; die Attraction
dagegen werde derſelben durch Schluͤſſe beygefuͤgt.
Dieſen Schluͤſſen aber liegt das ſo eben Geſagte zu
Grunde, daß nemlich eine Materie, die bloß Repulſiv-
kraft haͤtte, das, was wir uns unter Materie vorſtel-
len, nicht erſchoͤpfte.
Es iſt diß, wie erhellt, das Verfahren des ge-
woͤhnlichen, uͤber die Erfahrung reflectirenden Erkennens,
das zuerſt in der Erſcheinung Beſtimmungen wahr-
nimmt, dieſe nun zu Grunde legt, und fuͤr das ſoge-
nannte Erklaͤren derſelben Grundſtoffe auch
Kraͤfte annimmt, welche jene Beſtimmungen der Er-
ſcheinung hervorbringen ſollen.
In Anſehung des angefuͤhrten Unterſchieds, wie
die Repulſivkraft und wie die Attractivkraft von dem Er-
kennen in der Materie gefunden werde, bemerkt Kant
noch ferner, daß die Attractivkraft zwar eben ſo wohl
zum Begriffe der Materie gehoͤre, ob ſie gleich
nicht
[122]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
nicht darin enthalten ſey. Kant zeichnet dieſen
letztern Ausdruck aus. Es iſt aber nicht abzuſehen,
welcher Unterſchied darin liegen ſoll; denn eine Beſtim-
mung, die zum Begriffe einer Sache gehoͤrt, muß
wahrhaftig darin enthalten ſeyn. —
Was die Schwierigkeit macht, und dieſe leere Aus-
flucht herbeyfuͤhrt, beſteht darin, daß Kant zum Begrif-
fe der Materie bloß die Beſtimmung der Undurch-
dringlichkeit rechnet, die wir durch das Ge-
fuͤhl wahrnehmen ſollen, weswegen die Repulſiv-
kraft, als das Abhalten eines andern von ſich, unmit-
telbar gegeben ſey. Allein wenn die Materie ohne At-
tractivkraft nicht ſoll daſeyn koͤnnen, ſo liegt dabey
eine aus der Wahrnehmung genommene Vorſtellung der
Materie zu Grunde; die Beſtimmung der Attraction muß
alſo gleichfalls in der That aus der Wahrnehmung ge-
ſchoͤpft und daher in ihr anzutreffen ſeyn. Es iſt aber
wohl wahrzunehmen, daß die Materie auſſer ihrem Fuͤr-
ſichſeyn, welches das Seyn-fuͤr-Anderes aufhebt, auch
eine Beziehung des Fuͤrſichſeyenden aufein-
ander, raͤumliche Ausdehnung und Zuſammen-
halt hat. Aus dieſer Wahrnehmung, kann die Re-
flexion eben ſo unmittelbar die Attractivkraft ableiten,
oder ſie als gegeben annehmen, als ſie es mit der
Repulſivkraft that. In der That, wenn die Schluͤſſe,
aus denen die Attractivkraft abgeleitet werden ſoll, be-
trachtet werden, (S. den Beweis des Lehrſatzes: daß
die Moͤglichkeit der Materie eine Anziehungskraft als
zweyte Grundkraft erfodere a. a. O.) ſo enthalten ſie
nichts, als daß durch die bloße Repulſion die Materie
nicht raͤumlich ſeyn wuͤrde. Indem die Materie, als
Raumerfuͤllend vorausgeſetzt iſt, ſo iſt ihr damit die Con-
tinuitaͤt zugeſchrieben, als deren Grund die Anziehungs-
kraft angenommen wird.
Wenn
[123]Qualitaͤt.
Wenn nun dieſe ſogenannte Conſtruction der Ma-
terie, hoͤchſtens ein analytiſches Verdienſt haͤtte, das
noch durch die unreine Darſtellung geſchmaͤlert wuͤrde, ſo
iſt der Grundgedanke immer ſehr zu ſchaͤtzen, die Materie
aus dieſen zwey entgegengeſetzten Beſtimmungen als ih-
ren Grundkraͤften zu erkennen. Es iſt Kant vornemlich
um die Verbannung der gemein-mechaniſchen Vorſtel-
lungsweiſe zu thun, die bey der einen Beſtimmung,
der Undurchdringlichkeit, der fuͤr-ſich-ſeyenden
Punktualitaͤt, ſtehen bleibt, und die entgegengeſetzte
Beſtimmung, die Beziehung der Materie in ſich oder
mehrerer Materier, die wieder als beſondere Eins ange-
ſehen werden, aufeinander, zu etwas aͤuſſerlichem
macht; — die Vorſtellungsweiſe, welche, wie Kant
ſagt, ſonſt keine bewegenden Kraͤfte, als nur durch
Druck und Stoß, alſo nur durch Einwirkung von Aus-
ſen, einraͤumen will. Dieſe Aeuſſerlichkeit des Er-
kennens ſetzt die Bewegung immer ſchon als vorhanden
voraus, und denkt nicht daran, ſie als etwas innerliches
zu faſſen und ſie ſelbſt und in der Materie zu begreifen,
ſondern nimmt dieſe fuͤr ſich als bewegungslos und als
traͤge an. Indem nun Kant dieſe Aeuſſerlichkeit
zwar inſofern aufhebt, als er die Attraction, die Be-
ziehung der Materien aufeinander, inſofern ſie als
verſchieden angenommen werden, oder der Materie uͤber-
haupt in ihrem Auſſerſichſeyn, zu einer Kraft der
Materie ſelbſt macht, ſo bleiben jedoch auf der andern
Seite ſeine beyden Grundkraͤfte, innerhalb der Materie,
aͤuſſerliche und fuͤr ſich ſelbſtſtaͤndige gegen einander.
So nichtig der Unterſchied dieſer beyden Kraͤfte, der
ihnen in Ruͤckſicht auf das Erkennen beygelegt wurde,
war, eben ſo nichtig muß ſich jeder andere Unterſchied,
der in Anſehung ihrer Inhaltsbeſtimmung gemacht wird,
zeigen, weil ſie, wie ſie oben in ihrer Wahrheit betrach-
tet
[124]Erſtes Buch.I.Abſchnitt.
tet wurden, nur Momente ſind, die in einander ver-
ſchwinden. Ich betrachte dieſe fernern Unterſchiedsbe-
ſtimmungen, wie ſie Kant angibt.
Er beſtimmt die Attractivkraft als eine durch-
dringende, die Repulſivkraft, als eine Flaͤchen-
kraft. Der Grund, der angefuͤhrt wird, daß die letz-
tere nur eine Flaͤchenkraft ſeyn ſoll, iſt folgender: „Die
einander beruͤhrenden Theile begrenzen einer den
Wirkungsraum des andern, und die repulſive Kraft
koͤnne keinen entferntern Theil bewegen, ohne vermittelſt
der dazwiſchen liegenden, eine quer durch dieſe gehende
unmittelbare Wirkung einer Materie auf eine andere
durch Ausdehnungskraͤfte (das heißt hier Repulſivkraͤfte)
ſey unmoͤglich.“
Ich will mich nicht damit aufhalten, daß, indem
naͤhere oder entferntere Theile der Materie ange-
nommen werden, in Ruͤckſicht auf die Attra-
ction gleichfalls der Unterſchied entſtuͤnde, daß
ein Atom zwar auf ein anderes einwirkte, aber ein
drittes entfernteres, ſo daß daß andere zwiſchen
ihm und dem erſten attrahirenden ſich befaͤnde, zunaͤchſt
in die Anziehungsſphaͤre des dazwiſchen liegenden ihm
naͤhern traͤte, das erſte alſo nicht eine unmittelbare
einfache Wirkung ausuͤben wuͤrde; woraus eine eben ſo
vermittelte Wirkung fuͤr die Attractivkraft, als fuͤr die
Repulſivkraft entwickelt werden koͤnnte; — ferner, daß
uͤberhaupt das wahre Durchdringen der Attra-
ctivkraft allein darin beſtehen muͤßte, daß alle Theile der
Materie an und fuͤr ſich attrahirend waͤren, nicht
aber eine gewiſſe Menge paſſiv und nur Ein Atom activ
ſich verhielte. Ich bemerke aber unmittelbar in Ruͤckſicht
auf die Repulſivkraft, daß in der angefuͤhrten Stelle
ſich beruͤhrende Theile, alſo eine Gediegenheit
und
[125]Qualitaͤt.
und Continuitaͤt einer fertigen Materie vorkommt,
welche durch ſich hindurch ein Repelliren nicht geſtatte;
dieſe Gediegenheit der Materie aber, in welcher Theile
ſich beruͤhren, nicht mehr durch das Leere getrennt
ſind, ſetzt das Aufgehobenſeyn der Repulſiv-
kraft bereits voraus. Sich beruͤhrende Theile ſind
nach der hier herrſchenden ſinnlichen Vorſtellung der Re-
pulſion als ſolche zu nehmen, die ſich nicht repelliren.
Es folgt alſo ganz tavtologiſch, daß da, wo das Nicht-
ſeyn der Repulſion angenommen iſt, keine Repulſion
Statt finden kann. Daraus aber folgt nichts weiter fuͤr
eine Beſtimmung der Repulſivkraft.
Auf dieſelbe Weiſe iſt es dem ſinnlichen Vorſtellen
natuͤrlich, anzunehmen, indem es einen anziehenden
Punkt und andere, die nicht anziehen, ſondern nur an-
gezogen werden, vorausſetzt, daß jener etwas mit ſei-
nem Anziehen vor ſich bringe, und eine Dicke, als eine
Sphaͤre um ſich anlege, ſo daß in derſelben, weil ſie
unter der Herrſchaft ſeiner Attraction ſtehe, die Repul-
ſion aufgehoben ſey, ſomit nur auſſerhalb, gegen die
Oberflaͤche dieſer Sphaͤre Statt finden koͤnne. — Eines-
theils erſcheint die Oberflaͤche als das, was noch im
Verhaͤltniſſe zu einem unbezogenen Andern ſteht. An-
derntheils aber iſt die Repulſion ſelbſt inner-
halb jener Sphaͤre der Attraction. Diejenigen
Atome nemlich oder materiellen Theile, die als attrahir-
te fuͤr das Vorſtellen ſind, ſind fuͤr daſſelbe in der That
eben ſo ſehr auch repellirte (— indem wir nemlich Re-
pulſion als Entfernung, Attraction als Naͤherung zu ei-
nem beſtimmten Punkte gelten laſſen —). Denn die at-
trahirten, wenn ſie diß nur waͤren, waͤren im Punkte
der Attraction verſchwunden, es waͤre nur dieſer Atom,
nicht ein attrahirtes von ihm unterſchiede-
nes, ſomit nicht ſich beruͤhrende, d. h. auch zugleich
aus-
[126]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
auseinander gehaltene Theile. Inſofern aber ſolche an-
genommen werden, ſo iſt in der That die Repulſion nicht
aus jener Sphaͤre der Attraction ausgeſchloſſen, ſondern
innerhalb ihrer vorhanden.
Ferner nimmt Kant die weitere Beſtimmung an,
daß durch die Anziehungskraft die Materie einen Raum
nur einnehme, ohne ihn zu erfuͤllen. „Weil
die Materie durch die Anziehungskraft den Raum nicht
erfuͤlle, ſo koͤnne dieſe durch den leeren Raum wir-
ken, indem ihr keine Materie, die dazwiſchen laͤge,
Grenzen ſetze.“ — Dieſer Unterſchied iſt ungefaͤhr wie
der obige beſchaffen, wo eine Beſtimmung zum Begriffe
einer Sache gehoͤren, aber nicht darin enthalten ſeyn
ſollte. Durch die Anziehungskraft ſoll die Materie den
Raum nicht erfuͤllen, ſondern ſoll in Ruͤckſicht auf
dieſe Kraft, ſich durch den leeren Raum zu ſich ver-
halten; — es iſt ſomit nicht abzuſehen, wie ſie ihn ein-
nehmen ſoll, wenn er leer iſt. Aber ferner iſt es die
Repulſion, wenn wir bey ihrer erſten Beſtimmung
ſtehen bleiben, durch welche ſich die Eins abſtoſſen und
nur negativ, das heißt hier, durch den leeren
Raum, ſich aufeinander beziehen. Hier aber
erhaͤlt ſich die Attractivkraft den Raum leer, ſie
erfuͤllt den Raum durch ihre Beziehung der Atome
nicht, das heißt, ſie erhaͤlt die Atome in einer
negativen Beziehung auf einander. — Wir ſehen
ſomit, daß hier Kant bewußtlos das begegnet, was in
der Natur der Sache, in der Nichtigkeit des Unterſchieds
von Repulſion und Attraction, liegt, daß er der At-
tractivkraft gerade das zuſchreibt, was er der erſten Be-
ſtimmung nach, der entgegengeſetzten Kraft zuſchrieb.
Unter dem Geſchaͤfte der Feſtſetzung des Unterſchiedes
beyder Kraͤfte, war es geſchehen, daß eine in die an-
dere uͤbergegangen war. — So ſoll dagegen durch die
Repul-
[127]Qualitaͤt.
Repulſion die Materie einen Raum erfuͤllen, ſomit
durch ſie der leere Raum, den die Attractivkraft laͤßt,
verſchwinden. In der That hebt ſie ſomit, indem ſie
den leeren Raum aufhebt, die negative Beziehung der
Atome oder Eins, d. h. die Repulſion derſelben, auf;
oder die Repulſion iſt als das Gegentheil ihrer ſelbſt ge-
ſetzt.
Zu dieſer ſo eben aufgezeigten Verwiſchung der Un-
terſchiede kommt noch die Verwirrung hinzu, daß, wie
gleich anfangs bemerkt worden, dieſe Darſtellung der
entgegengeſetzten Kraͤfte analytiſch iſt, und in dem gan-
zen Vortrage, die Materie, die erſt aus ihren Elemen-
ten hergeleitet werden ſoll, bereits als fertig und con-
ſtituirt vorkommt. In der Definition der Flaͤchen- und
der durchdringenden Kraft werden beyde als bewegende
Kraͤfte angenommen, dadurch Materien auf die eine
oder die andere Weiſe ſollen wirken koͤnnen. — Sie ſind
alſo hier als Kraͤfte dargeſtellt, nicht durch welche die
Materie erſt zu Stande kaͤme, ſondern wodurch ſie,
ſchon fertig, nur bewegt wuͤrde. Inſofern aber von
Kraͤften die Rede iſt, wodurch verſchiedene Materien auf
einander einwirken und ſich bewegen, ſo iſt diß etwas
ganz anderes, als die Beſtimmung und Beziehung, die
ſie als die Momente der Materie haben ſollten.
Denſelben Gegenſatz, als Attractiv- und Repulſiv-
kraft machen in weiterer Beſtimmung Centripetal-
und Centrifugalkraft. Dieſe ſcheinen einen we-
ſentlichen Unterſchied zu gewaͤhren, indem in ihrer
Sphaͤre Ein Eins, ein Centrum, feſtſteht, gegen das
ſich die andern Eins als nicht fuͤrſichſeyende verhalten.
Inſofern ſie aber zur Erklaͤrung gebraucht werden — zu
welchem Behuf man ſie, wie auch ſonſt die Repulſiv-
und Attractivkraft, in entgegengeſetztem quantitativem
Ver-
[128]Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Verhaͤltniß annimmt, ſo daß die eine zunehme, wie die an-
dere abnehme, ſo ſoll die Erſcheinung und deren Ungleichheit
erſt aus ihnen reſultiren. Man braucht aber nur die
naͤchſte beſte Darſtellung einer Erſcheinung, z. B. die
ungleiche Geſchwindigkeit, die ein Planet in ſeiner Bahn
um ſeinen Centralkoͤrper hat, aus dem Gegenſatze jener
Kraͤfte, vor ſich nehmen, ſo erkennt man bald die Ver-
wirrung, die darin herrſcht, und die Unmoͤglichkeit, die
Groͤßen derſelben auseinander zu bringen, ſo daß immer
eben ſo gut diejenige als zunehmend anzunehmen iſt, wel-
che in der Erklaͤrung als abnehmend angenommen wird,
und umgekehrt.
Uebergang zur Quantitaͤt.
Das Qualitative hat zu ſeiner Grundbeſtimmung
das Seyn und die Unmittelbarkeit, in welcher das Seyn
und Nichts eins iſt; die Grenze und die Beſtimmtheit iſt
mit dem Seyn des Etwas ſo identiſch, daß mit ihrer Ver-
aͤnderung dieſes ſelbſt verſchwindet. Um der Unmittel-
barkeit dieſer Einheit willen, worin der Unterſchied ver-
ſchwunden iſt, der aber an ſich darin in der Einheit
des Seyns und Nichts, vorhanden iſt, faͤllt er als
das Andersſeyn auſſer jener Einheit. Dieſe Bezie-
hung auf Anderes aber widerſpricht der Unmittelbarkeit,
in der die qualitative Beſtimmtheit iſt. Sie hebt diß
Andersſeyn, hebt ſich in der Unendlichkeit des Fuͤrſich-
ſeyns auf, welches die Beziehung des Beſtimmtſeyns auf
ſich ſelbſt, das Beſtimmtſeyn an ſich iſt.
In dieſer Gleichheit mit ſich hat das Qualitative,
welches das Andre zunaͤchſt als ein Aeuſſeres hatte, ſich
zu ſeiner wahrhaften Einheit erhoben. Aber ſeine Be-
ſtimmtheit, die Unmittelbarkeit, iſt zugleich verſchwunden.
Das
[129]Qualitaͤt.
Das Fuͤrſichſeyn iſt zunaͤchſt nur der Begriff der
unendlichen Beziehung des Negativen auf ſich ſelbſt, ohne
das Negative als realen Unterſchied in dieſer Einheit zu-
gleich zu enthalten, ſo daß es durch dieſe einfache Einheit
ſelbſt wieder in die Unmittelbarkeit zuſammengeht, und
das Andre als Vieles auſſer ihm hat. Aber diß Viele
iſt ſelbſt Eins, oder das Eins iſt Vielheit in ihm ſelbſt.
Die Bewegung des Fuͤrſichſeyns hat darin beſtanden, ſich
zu realiſiren, oder das in ihm aufgehobene Andersſeyn
in ſich ſelbſt zu ſetzen, und damit ſich als die Identitaͤt
mit ſich im Andersſeyn darzuſtellen.
Was alſo nunmehr vorhanden iſt, iſt das Eins,
das mit ſich in Einheit, aber nicht unmittelbar iſt, ſon-
dern darin daß es ſich auf ſein Nichtſeyn bezieht, aber
damit auf ſich ſelbſt; ſeine unendliche Beziehung durch
ſein Nichtſeyn auf ſich ſelbſt. Das Eins iſt ſomit zur
Einheit erweitert; das Andersſeyn iſt eine Grenze ge-
worden, die in ihrer Negation in ſich zuruͤckgekehrt,
nicht mehr Beſtimmtheit als Beziehung auf Anderes, alſo
eine gleichguͤltige Grenze iſt. Die unmittelbare
Einheit des Qualitativen mit ſich iſt alſo uͤbergegangen in
die Einheit mit ſich durch ſein Andersſeyn. Dieſe Ein-
heit, in der das Andersſeyn in ſich zuruͤckgenommen, und
die Beſtimmtheit dadurch gleichguͤltig iſt, die aufgehobene
Qualitaͤt iſt die Quantitaͤt.
Zwey-
[130]
Zweyter Abſchnitt.
Groͤße.
(Quantitaͤt.)
Der Unterſchied der Quantitaͤt von der Qualitaͤt iſt
ſo eben angegeben worden. Die Qualitaͤt iſt die erſte,
unmittelbare Beſtimmtheit, die Quantitaͤt iſt die Be-
ſtimmtheit, die dem Seyn gleichguͤltig geworden, eine
Grenze, die eben ſo ſehr keine iſt.
Das Seyn hat die Beſtimmung erhalten, die ein-
fache Gleichheit mit ſich, in ſeinem Andersſeyn und nur
durch das Aufheben ſeines Andersſeyns zu haben.
Das Andersſeyn und die Beſtimmtheit, inſofern ſie
in dieſer Sphaͤre wieder hervortritt, iſt daher nicht mehr
als unmittelbare, bleibende, ſondern als aufgehobene,
etwas das nicht in einfacher Beziehung auf ſich ſelbſt,
ſondern vielmehr ein ſich ſchlechthin Aeuſſerliches iſt. Die
Quantitaͤt iſt die unendlich in ſich zuruͤckgekehrte Be-
ſtimmtheit; ſie iſt nicht mehr Seyn als Beziehung
auf Anderes und als Nichtſeyn eines Andern; die Be-
ſtimmtheit hat ſich in ihrem Andersſeyn, mit dem ſie in
Einheit iſt, aufgehoben; und die Quantitaͤt iſt die Gleich-
guͤltigkeit der Beſtimmtheit. — Inſofern aber die Be-
ſtimmt-
[131]Quantitaͤt.
ſtimmtheit als unterſchieden von dieſer ihrer Einheit wie-
der auftritt, ſo tritt ſie auf als das, was ſie in Wahr-
heit iſt, nemlich ſchlechthin nur als in Einheit mit ihrem
Andersſeyn. Als Qualitaͤt ſollte ſie eine ſeyende, in ein-
facher Beziehung mit ſich ſtehende ſeyn; aber als Quan-
titaͤt iſt ſie als die nur aufgehobene, aͤuſſerliche, nicht in
ſich, ſondern im andern ſeyende Beſtimmtheit.
Aber zunaͤchſt iſt die reine Quantitaͤt von ſich
als beſtimmter Quantitaͤt, vom Quantum zu un-
terſcheiden.
Die Quantitaͤt iſt erſtens das in ſich zuruͤck-
gekehrte, reale Fuͤrſichſeyn, das noch keine Beſtimmt-
heit an ihm hat; die gediegene unendliche Einheit.
Dieſe geht zweytens in die Beſtimmtheit uͤber,
aber in eine ſolche, die zugleich keine, nur aͤuſſerliche
iſt. Sie wird Quantum. Das Quantum iſt die
gleichguͤltige Beſtimmtheit, d. h. die uͤber ſich hinausge-
hende, ſich ſelbſt negirende; es wird als diß Anders-
ſeyn des Andersſeyn unendlich. Das unendliche
Quantum aber iſt die aufgehobene gleichguͤltige Beſtimmt-
heit, oder es iſt die Wiederherſtellung der Qualitaͤt.
Drittens, das Quantum in qualitativer Form
iſt das quantitative Verhaͤltniß. Das Quantum geht
nur uͤberhaupt uͤber ſich hinaus; im Verhaͤltniſſe aber
geht es ſo uͤber ſich in ſein Andersſeyn hinaus, daß es in
dieſem ſeine Beſtimmung hat, alſo zugleich in ſich zuruͤck-
gekehrt, und die Beziehung auf ſich in ſeinem Anders-
ſeyn vorhanden iſt. Im Verhaͤltniſſe iſt daher das
Quantum in die Quantitaͤt zuruͤckgekehrt, welche damit
zugleich als Qualitaͤt beſtimmt worden iſt.
Dieſem
[132]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Dieſem Verhaͤltniſſe liegt noch die Gleichguͤltigkeit
des Quantums zu Grunde, oder es iſt nur formelle Ein-
heit der Qualitaͤt und Quantitaͤt. Die Bewegung des
Verhaͤltniſſes iſt ſein Uebergang in ihre abſolute Einheit
in das Maaß.
Anmerkung.
Im qualitativen Seyn erſchien die Grenze zuerſt
als ein ſolches, das vom Inſichſeyn des Etwas unter-
ſchieden, als ein aͤuſſerliches iſt, wogegen das Etwas
ſelbſt gleichguͤltig iſt. Aber dieſe Aeuſſerlichkeit der Gren-
ze hob ſich ſogleich auf, und die Grenze zeigte ſich als
eins mit dem Inſichſeyn des Etwas, und als Beſtimmt-
heit. Aber jene Grenze war noch nicht die quantitative
Grenze; denn das Inſichſeyn des Etwas iſt nur erſt un-
mittelbar, welchem das Andere ſich gegenuͤber erhaͤlt;
es iſt noch nicht das unendliche Zuruͤckgekehrtſeyn der
Quantitaͤt, in welchem das Andersſeyn ſich an und fuͤr
ſich ſelbſt aufgehoben hat. Am Etwas iſt daher ſeine
Grenze weſentlich ſeine Beſtimmtheit.
Wenn wir ſonach unter Grenze die quantitative
Grenze verſtehen, und z. B. ein Acker ſeine Grenze,
nemlich die quantitative veraͤndert, ſo bleibt er Acker vor
wie nach. Wenn aber ſeine qualitative Grenze veraͤn-
dert wird, ſo iſt diß ſeine Beſtimmtheit, wodurch er
Acker iſt, und er wird Wieſe, Wald u. ſ. f. — Ein
Roth, das intenſiver oder ſchwaͤcher iſt, iſt immer Roth;
wenn es aber ſeine Qualitaͤt aͤndert, ſo hoͤrte es auf
Roth zu ſeyn; es wuͤrde Blau u. ſ. f. — Der wahre
und beſtimmte Begriff der Groͤße, wie er ſich hier erge-
ben hat, daß ein Bleibendes zu Grunde liegt, das ge-
gen die Beſtimmtheit, die es hat, gleichguͤl-
tig iſt, ergibt ſich an jedem andern Beyſpiel.
Gewoͤhn-
[133]Quantitaͤt.
Gewoͤhnlich wird eine Groͤße definirt, als etwas,
das ſich vermehren oder vermindern laͤßt. Ver-
mehren aber heißt, etwas mehr groß, vermindern
weniger groß machen, und das Mehr in mehr
groß, und das Weniger in weniger groß — loͤst
ſich wieder ſo auf. Es liegt darin ein Unterſchied
der Groͤße uͤberhaupt von ihr ſelbſt, und die Groͤße
waͤre alſo das, deſſen Groͤße ſich veraͤndern laͤßt.
Die Definition zeigt ſich deßwegen als ungeſchikt, weil
in ihr diejenige Beſtimmung ſelbſt gebraucht wird,
welche definirt werden ſollte. Es iſt jedoch in dieſem
unvollkommenen Ausdruck das Hauptmoment nicht zu
verkennen, worauf es ankommt; nemlich die Gleich-
guͤltigkeit der Veraͤnderung, daß in ihrem Begriff
ſelbſt ihr eigenes Mehr Minder liegt; ihre Gleichguͤl-
tigkeit gegen ſich ſelbſt.
LErſtes
[134]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Erſtes Kapitel.
Die Quantitaͤt.
A.
Die reine Quantitaͤt.
1. Die Groͤße iſt das aufgehobene Fuͤrſichſeyn;
das repellirende Eins, das ſich gegen anderes nur nega-
tiv verhielt, iſt in die Beziehung mit demſelben uͤberge-
gangen, es verhaͤlt ſich identiſch zu dem andern, und
hat damit ſeine Beſtimmung verlohren. Das Fuͤrſich-
ſeyn iſt Attraction geworden; aber dieſe iſt ſelbſt nicht
das Werden der Vielen zu Eins geblieben; denn der
Unterſchied Eines Eins zu andern iſt gleichfalls ver-
ſchwunden und diß Werden zur Ruhe geworden. At-
traction und Repulſion ſind in einer Einheit auf-
gehoben, oder zu Momenten herabgeſunken.
Das Eins iſt in Beziehung auf ſich ſelbſt, durch die At-
traction, und auf ſich zugleich als auf ein Anderes,
durch die Repulſion. Das Eins als diß mit den Eins,
die ſich repelliren, eben ſo ſehr zuſammengegangene Eins,
hat ſomit, ſo zu ſagen, eine Breite erhalten, und ſich
zur Einheit ausgedehnt. Die abſolute Sproͤdigkeit
des repellirenden Eins iſt in dieſe Einheit zerfloſſen, wel-
che aber als diß Eins enthaltend durch die innwohnende
Repulſion zugleich beſtimmt, und ſomit als Einheit
des Auſſerſichſeyns Einheit mit ſich ſelbſt
iſt. Die Attraction iſt auf dieſe Weiſe das Moment der
Continuitaͤt in der Groͤße geworden.
Die
[135]Quantitaͤt.
Die Continuitaͤt iſt alſo einfache, ſich ſelbſt
gleiche Beziehung auf ſich, die durch keine Grenze und
Ausſchlieſſung unterbrochen iſt, aber nicht unmittelbare
Einheit, ſondern Einheit der fuͤrſichſeyenden Eins.
Darin iſt alſo das Auſſereinander der Vielheit
enthalten, aber zugleich als eine nicht unterſchiedene,
ununterbrochene. Die Vielheit iſt in der Continui-
taͤt ſo geſetzt, wie ſie an ſich iſt; die Vielen ſind nemlich
eins was andere, jedes dem andern gleich, und die Viel-
heit daher einfache, unterſchiedsloſe Gleichheit. Die
Continuitaͤt iſt dieſes Moment der Sichſelbſtgleich-
heit des Auſſereinanderſeyns.
2. Unmittelbar hat daher die Groͤße in der Conti-
nuitaͤt das Moment der Diſcretion. Die Staͤtigkeit
iſt Sichſelbſtgleichheit aber des Vielen, das jedoch nicht
zum Ausſchlieſſenden wird; und die Repulſion dehnt erſt
die Sichſelbſigleichheit zur Continuitaͤt aus. Die Dis-
cretion iſt daher ihrerſeits zuſammenflieſſende Diſcretion,
deren Eins nicht das Leere, das Negative, zu ihrer Be-
ziehung haben, und die Staͤtigkeit, die Gleichheit mit
ſich ſelbſt im Vielen, nicht unterbrechen. Der Unter-
ſchied des Repellirens iſt daher nur als Unterſcheidbar-
keit vorhanden.
3. Die Groͤße, als die Einheit dieſer Momente,
der Continuitaͤt und Diſcretion kann Quantitaͤt ge-
nannt werden; indem bey dem Ausdruck Groͤße das
Unmittelbare derſelben, und die begrenzte Groͤße, das
Quantum, der Vorſtellung naͤher liegt, Quantitaͤt
aber mehr an das Reflectirte und den Begriff derſelben
erinnert.
Die Quantitaͤt iſt alſo Fuͤrſichſeyn, wie es in
Wahrheit iſt. Es war das ſich aufhebende Beziehen auf
L 2ſich
[136]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
ſich ſelbſt, perennirendes Auſſerſichkommen. Aber das
Abgeſtoſſene iſt es ſelbſt; die Repulſion iſt daher das er-
zeugende Fortflieſſen ſeiner ſelbſt. Um der Dieſelbigkeit
willen des Abgeſtoſſenen iſt diß Diſcerniren, ununterbro-
chene Continuitaͤt; und um des Auſſerſichkommens willen,
iſt dieſe Continuitaͤt, ohne unterbrochen zu ſeyn, zugleich
Vielheit, die eben ſo unmittelbar in ihrer Gleichheit mit
ſich ſelbſt bleibt.
Die reine Quantitaͤt hat noch keine Grenze, oder
iſt noch nicht Quantum; — auch inſofern ſie Quantum
wird, wird ſie durch die Grenze nicht beſchraͤnkt, denn
ſie beſteht eben darin, durch die Grenze nicht beſchraͤnkt
zu ſeyn, das Fuͤrſichſeyn als ein aufgehobenes in ſich zu
haben. Daß ſie die aufgehobene Diſcretion iſt, kann
auch ſo ausgedruͤckt werden, daß die Quantitaͤt ſchlecht-
hin in ihr allenthalben die reale Moͤglichkeit des
Eins iſt, aber umgekehrt, daß das Eins eben ſo ſchlecht-
hin nur als continuirliches iſt.
Der begriffloſen Vorſtellung wird die Continui-
taͤt leicht zur Zuſammenſetzung, nemlich einer
aͤuſſerlichen Beziehung der Eins aufeinander, worin
das Eins in ſeiner abſoluten Sproͤdigkeit und Ausſchlieſ-
ſung erhalten bleibt. Es hat ſich aber am Eins gezeigt,
daß es an und fuͤr ſich ſelbſt, in die Attraction, in ſeine
Idealitaͤt uͤbergeht, und daß daher die Continuitaͤt ihm
nicht aͤuſſerlich iſt, ſondern ihm ſelbſt angehoͤrt, und in
ſeinem Weſen gegruͤndet iſt. Dieſe Aeuſſerlichkeit
der Continuitaͤt fuͤr die Eins iſt es uͤberhaupt, an der
die Atomiſtik haͤngen bleibt, und die zu verlaſſen und in
den Begriff, in das Innre zu gehen, die Schwierigkeit
fuͤr das Vorſtellen macht.
Den
[137]Quantitaͤt.
Den Begriff der reinen Quantitaͤt gegen die bloße
Vorſtellung hat Spinoza, dem es vorzuͤglich auf den-
ſelben ankam, im Sinne, indem er (Eth. P. I. Prop.
XV. Schol.) auf folgende Weiſe von der Quantitaͤt
ſpricht:
Quantitas duobus modis à nobis concipitur, ab-
ſtracte ſcilicet ſive ſuperficialiter, prout nempe ipſam
imaginamur; vel ut ſubſtantia, quod a ſolo intellectu fit.
Si itaque ad quantitatem attendimus, prout in imagina-
tione eſt, quod ſaepe et facilius à nobis fit, reperietur
finita, diviſibilis et ex partibus conflata, ſi
autem ad ipſam, prout in intellectu eſt, attendimus, et
eam, quatenus ſubſtantia eſt, concipimus, quod difficil-
lime fit, — infinita, unica et indiviſibilis re-
perietur. Quod omnibus, qui inter imaginationem et
intellectum diſtinguere ſciverint, ſatis manifeſtum erit.
Beſtimmtere Beyſpiele der reinen Quantitaͤt, wenn
man deren verlangt, hat man an Raum und Zeit, auch
der Materie uͤberhaupt, Licht u. ſ. f. ſelbſt Ich; nur iſt,
wie ſchon bemerkt, darunter nicht das Quantum oder
Groͤße uͤberhaupt, inſofern dieſe zunaͤchſt an das Quan-
tum erinnert, zu verſtehen. Raum, Zeit u. ſ. f. ſind
Ausdehnungen, Vielheiten, die ein Auſſer-ſich-gehen,
ein Stroͤmen ſind, das aber nicht ins Entgegengeſetzte,
in die Qualitaͤt oder in das Eins uͤbergeht, ſondern als
Auſſerſichkommen ein perennirendes Selbſtproduciren
ſind. Der Raum iſt diß abſolute Auſſerſichſeyn,
das eben ſo ſehr ſchlechthin ununterbrochen, ein Anders-
und Wieder-Andersſeyn, das identiſch mit ſich iſt; die
Zeit ein abſolutes Auſſerſichkommen, ein Zunichte-
werden, das ſtaͤtig wieder das Zunichtewerden dieſes
Vergehens iſt; ſo daß diß ſich Erzeugen des Nichtſeyns
eben ſo ſehr einfache Gleichheit und Identitaͤt mit ſich iſt.
Was
[138]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Was die Materie als Quantitaͤt betrift, ſo be-
findet ſich unter den ſieben Propoſitionen, die
von der erſten Diſſertation Leibnitzens aufbewahrt
ſind, (l. Seite des I. Th. ſeiner Werke) eine hieruͤber,
die zweyte, die ſo lautet: Non omnino improbabile eſt,
materiam et quantitatem eſſe realiter idem. — In der
That ſind dieſe Begriffe auch nicht weiter verſchieden,
als darin, daß die Quantitaͤt die reine Denkbeſtimmung,
die Materie aber dieſelbe in aͤuſſerlicher Exiſtenz iſt. —
Auch Ich kommt die Beſtimmung der reinen Quantitaͤt
zu, als es ein abſolutes Anderswerden, eine unendliche
Entfernung oder allſeitige Repulſion zur negativen Frey-
heit des Fuͤrſichſeyns iſt, aber welche ſchlechthin einfache
Continuitaͤt bleibt. — Welche ſich dagegen ſtraͤuben,
die Vielheit als einfache Einheit zu faſſen,
und auſſer dem Begriffe, daß von den Vielen jedes daſ-
ſelbe iſt, was das Andere, nemlich eins der Vielen, —
indem nemlich hier nicht von weiter beſtimmtem Vielem,
von Gruͤnem, Rothem u. ſ. f. ſondern von dem Vielen
an-und-fuͤr-ſich betrachtet, die Rede iſt, — auch eine
Vorſtellung von dieſer Einheit verlangen, die finden der-
gleichen hinlaͤnglich an jenen Staͤtigkeiten, deren einfache
Anſchauung unmittelbar den deducirten Begriff der
Quantitaͤt gibt.
In die Natur der Quantitaͤt, dieſe einfache Ein-
heit der Diſcretion und der Continuitaͤt zu ſeyn, faͤllt der
Streit oder die Antinomie der unendlichen
Theilbarkeit des Raumes, der Zeit, der Materie
u. ſ. f.
Dieſe Antinomie beſteht allein darin, daß die Dis-
cretion eben ſo ſehr als die Continuitaͤt behauptet wer-
den
[139]Quantitaͤt.
den muß. Die einſeitige Behauptung der Diſcretion
gibt das unendliche oder abſolute Getheiltſeyn, ſo-
mit ein Untheilbares zum Princip; die einſeitige Behaup-
tung der Continuitaͤt dagegen die unendliche Theilbar-
keit.
Die Kantiſche Kritik der reinen Vernunft ſtellt be-
kanntlich vier (kosmologiſche) Antinomien auf,
worunter die zweyte den Gegenſatz betrift, der
die Momente der Quantitaͤt ausmacht.
Dieſe Kantiſchen Antinomien bleiben immer ein
wichtiger Theil der kritiſchen Philoſophie; ſie ſind es
vornemlich, die den Sturz der vorhergehenden Metaphy-
ſik bewirkten, und als ein Hauptuͤbergang in die neuere
Philoſophie angeſehen werden koͤnnen. Bey ihrem groſ-
ſen Verdienſte aber iſt ihre Darſtellung ſehr unvollkom-
men; theils in ſich ſelbſt gehindert und verſchroben,
theils ſchief in Anſehung ihres Reſultats. Wegen ihrer
Merkwuͤrdigkeit verdienen ſie eine genauere Kritik, die
ſowohl ihren Standpunkt und Methode naͤher beleuchten,
als auch den Hauptpunkt, worauf es ankommt, von der
unnuͤtzen Form, in die er hineingezwaͤngt iſt, befreyen
wird.
Zunaͤchſt bemerke ich, daß Kant ſeinen vier kosmo-
logiſchen Antinomien durch das Eintheilungsprincip, das
er von ſeinem Schema der Kategorien hernahm, einen
Schein von Vollſtaͤndigkeit geben wollte. Allein die tie-
fere Einſicht in die antinomiſche oder wahrhafter, in die
dialektiſche Natur der Vernunft faßt uͤberhaupt jeden Be-
griff als Einheit entgegengeſetzter Momente, denen man
die Form antinomiſcher Behauptungen geben koͤnnte.
Werden, Daſeyn u. ſ. f. und jeder andere Begriff koͤnnte
daher ſeine beſondere Antinomie liefern, und alſo ſo viele
Anti-
[140]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Antinomien aufgeſtellt werden, als Begriffe aufgeſtellt
werden.
Ferner hat Kant die Antinomie nicht in den Begrif-
fen ſelbſt, ſondern in der ſchon concreten Form
kosmologiſcher Beſtimmungen aufgefaßt. Um die Anti-
nomie rein zu haben und ſie in ihrem einfachen Begriffe
zu behandeln, mußten die Denkbeſtimmungen nicht in ih-
rer Anwendung und Vermiſchung mit der Vorſtellung
der Welt, des Raums, der Zeit, der Materie u. ſ. f.
genommen, ſondern ohne dieſen concreten Stoff, der
keine Kraft noch Gewalt dabey hat, rein fuͤr ſich be-
trachtet werden, indem ſie allein das Weſen und der
Grund der Antinomien ausmachen.
Kant gibt dieſen Begriff von der Antinomie, daß
ſie „nicht ſophiſtiſche Kuͤnſteleyen ſeyen, ſondern Wider-
ſpruͤche, auf welche die Vernunft nothwendig ſtoſſen
(nach Kantiſchem Ausdrucke) muͤſſe;“ — was eine wich-
tige Anſicht iſt. — „Von dem natuͤrlichen Scheine der
Antinomien werde die Vernunft, wenn ſie ſeinen Grund
einſieht, zwar nicht mehr hintergegangen, aber immer
noch getaͤuſcht.“ — Die kritiſche Aufloͤſung nemlich durch
die ſogenannte tranſcendentale Idealitaͤt der Welt der
Wahrnehmung hat kein anderes Reſultat, als daß ſie
den ſogenannten Widerſtreit zu etwas ſubjectivem macht,
worin er freylich noch immer derſelbe Schein, d. h. ſo
unaufgeloͤst bleibt als vorher. Ihre wahrhafte Aufloͤ-
ſung kann nur darin beſtehen, daß zwey Beſtimmungen,
indem ſie entgegengeſetzt und demſelben Begriffe nothwen-
dig ſind, nicht in ihrer Einſeitigkeit, jede fuͤr ſich, gel-
ten kann, ſondern daß ſie ihre Wahrheit nur in ihrem
Aufgehobenſeyn haben.
Die Kantiſchen Antinomien naͤher betrachtet, ent-
halten nichts anders, als die ganz einfache kategoriſche
Behaup-
[141]Quantitaͤt.
Behauptung eines jeden der zwey entgegengeſetzten Mo-
mente der Antinomie. Aber dabey iſt dieſe einfache kate-
goriſche oder eigentlich aſſertoriſche Behauptung in ein
ſchiefes, verdrehtes Geruͤſte von Raͤſonnement eingehuͤllt,
wodurch ein Schein von Beweiſen hervorgebracht, und
das bloß Aſſertoriſche der Behauptung verſteckt und un-
kenntlich gemacht werden ſoll; wie ſich diß bey der naͤ-
hern Betrachtung derſelben zeigen wird.
Die Antinomie, die hieher gehoͤrt, betrift die ſoge-
nannte unendliche Theilbarkeit der Materie,
und beruht auf dem Gegenſatze der Momente der Con-
tinuitaͤt und Diſcretion, welche der Begriff der Quan-
titaͤt in ſich enthaͤlt.
Die Theſis derſelben nach Kantiſcher Darſtellung
lautet ſo:
Eine jede zuſammengeſetzte Subſtanz
in der Welt beſteht aus einfachen Theilen,
und es exiſtirt uͤberall nichts als das Ein-
fache, oder was aus dieſem zuſammenge-
ſetzt iſt.
Es wird hier dem Einfachen, dem Atomen, das
Zuſammengeſetzte gegenuͤbergeſtellt, was gegen das
Staͤtige oder Continuirliche eine ſehr zuruͤckſtehende Be-
ſtimmung iſt. — Das Subſtrat, das dieſen Abſtractio-
nen gegeben iſt, nemlich empiriſche Subſtanzen in der
Welt, was hier weiter nichts heißt, als die Dinge,
wie ſie ſinnlich wahrnehmbar ſind, hat auf das Antino-
miſche ſelbſt keinen Einfluß; es konnte eben ſo gut auch
Raum und Zeit genommen werden. — Indem nun die
Theſis nur von Zuſammenſetzung ſtatt von Con-
tinuitaͤt lautet, ſo iſt ſie eigentlich ein analytiſcher
oder
[142]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
oder tavtologiſcher Satz. Daß das Zuſammenge-
ſetzte nicht an und fuͤr ſich, ſondern nur ein aͤuſſerlich
Verknuͤpftes iſt, und aus Anderem beſteht, iſt
ſeine unmittelbare Beſtimmung. — Das Andre aber des
Zuſammengeſetzten iſt das Einfache. Es iſt daher ein
tavtologiſcher Satz, daß das Zuſammengeſetzte aus Ein-
fachem beſieht. — Wenn einmal gefragt wird, aus
was Etwas beſtehe, ſo verlangt man ein Ande-
res, deſſen Verbindung jenes Etwas ausmache.
Laͤßt man die Dinte wieder aus Dinte beſtehen, ſo iſt
der Sinn der Frage nach dem Beſtehen verfehlt, ſie iſt
nicht beantwortet. Die Frage iſt denn allein noch, ob
das, wovon die Rede iſt, aus etwas beſtehen
ſoll, oder nicht. Aber das Zuſammengeſetzte iſt ſchlecht-
hin ein ſolches, das nicht unmittelbar, nicht an und fuͤr
ſich, ſondern ein vermitteltes, ein verbundenes iſt, und
aus anderem beſteht. Wenn es daher wieder aus Zu-
ſammengeſetztem beſtehen ſoll, ſo bleibt die Frage: aus
was das Zuſammengeſetzte beſtehe? vor wie nach; weil
ſie im Zuſammengeſetzten ſelbſt liegt. — Wird das Ein-
fache, welches das Andre des Zuſammengeſetzten und
dasjenige, nach welchem gefragt wird, nur fuͤr ein re-
lativ-einfaches genommen, das fuͤr ſich wieder zu-
ſammengeſetzt ſey, ſo wird die Antwort wieder in jene:
daß die Dinte aus Dinte beſtehe, verwandelt, und ſo-
mit die Frage nur wiederhohlt. Der Vorſtellung pflegt
nur diß oder jenes Zuſammengeſetzte vorzuſchweben, von
dem auch diß oder jenes Etwas als ſein Einfaches an-
gegeben wuͤrde, was etwa wieder fuͤr ſich ein Zuſam-
mengeſetztes waͤre. Aber es iſt von dem Zuſammen-
geſetzten als ſolchem die Rede. Es kann alſo
auch nicht wieder gefragt werden, aus was von neuem
das Einfache beſtehe, das ſelbſt ein Zuſammengeſetztes
ſey; denn das Einfache iſt nicht ein Zuſammengeſetztes,
ſondern vielmehr das Andre des Zuſammengeſetzten.
Was
[143]Quantitaͤt.
Was nun den Kantiſchen Beweis der Theſis
betrift, ſo macht er, wie alle Kantiſchen Beweiſe der
uͤbrigen antinomiſchen Saͤtze, den Umweg, der ſich als
ſehr uͤberfluͤſſig zeigen wird, apogogiſch zu ſeyn.
„Nehmet an, beginnt er, die zuſammengeſetzten
„Subſtanzen beſtaͤnden nicht aus einfachen Theilen; ſo
„wuͤrde, wenn alle Zuſammenſetzung in Gedanken auf-
„gehoben wuͤrde, kein zuſammengeſetzter Theil und da es
„(nach der ſo eben gemachten Annahme) keine einfache
„Theile gibt, auch kein einfacher, mithin gar nichts
„uͤbrig bleiben, folglich keine Subſtanz ſeyn gegeben
„worden.“ —
Dieſe Folgerung iſt ganz richtig: wenn es nichts
als Zuſammengeſetztes gibt, und man denkt ſich alles
Zuſammengeſetzte weg, ſo hat man gar nichts uͤbrig; —
man wird diß zugeben, aber dieſer tavtologiſche Ueber-
fluß konnte wegbleiben, und der Beweis ſogleich mit
dem folgenden anfangen:
„Entweder laͤßt ſich unmoͤglich alle Zuſammenſetzung
„in Gedanken aufheben, oder es muß nach deren Auf-
„hebung etwas ohne alle Zuſammenſetzung beſtehendes,
„d. i. das Einfache, uͤbrig bleiben.“
„Im erſtern Fall aber wuͤrde das Zuſammengeſetzte
„wiederum nicht aus Subſtanzen beſtehen (weil bey
„dieſen die Zuſammenſetzung nur eine zu-
„faͤllige Relation der Subſtanzen*)iſt, oh-
„ne
[144]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
„ne welche dieſe als fuͤr ſich beharrliche
„Weſen, beſtehen muͤſſen.) — Da nun dieſer
„Fall der Vorausſetzung widerſpricht, ſo bleibt nur der
„zweyte uͤbrig: daß nemlich das ſubſtantielle Zuſammen-
„geſetzte in der Welt aus einfachen Theilen beſtehe.“
Derjenige Grund, welcher nebenher in eine Paren-
theſe gelegt iſt, iſt in der That die Hauptſache, gegen
welche alles bisherige voͤllig uͤberfluͤſſig iſt. Das Dilem-
ma iſt dieſes: Entweder iſt das Zuſammengeſetzte das
Bleibende, oder nicht, ſondern das Einfach[e]. Waͤre
das erſtere, nemlich das Zuſammengeſetzte das Bleiben-
de, ſo waͤre das Bleibende nicht die Subſtanzen, denn
dieſen iſt die Zuſammenſetzung nur zufaͤllige Relation;
aber Subſtanzen ſind das Bleibende, alſo ſind ſie ein-
fach.
Es erhellt, daß ohne den apogogiſchen Umweg, an
die Theſis: Die zuſammengeſetzte Subſtanz beſteht aus
einfachen Theilen, unmittelbar jener Grund als Beweis
angeſchloſſen werden konnte, weil die Zuſammenſetzung
bloß eine zufaͤllige Relation der Subſtanzen iſt, wel-
che ihnen alſo aͤuſſerlich iſt, und die Subſtanzen ſelbſt
nichts angeht. — Hat es mit der Zufaͤlligkeit der Zu-
ſammenſetzung ſeine Richtigkeit, ſo iſt das Weſen frey-
lich das Einfache. Dieſe Zufaͤlligkeit aber, auf welche
es allein ankommt, wird nicht bewieſen, ſondern gera-
dezu, und zwar im Vorbeygehen, in Parentheſi ange-
nommen, als etwas das ſich von ſelbſt verſteht oder eine
Nebenſache iſt. Es verſteht ſich zwar allerdings von
ſelbſt, daß die Zuſammenſetzung die Beſtimmung der Zu-
faͤlligkeit und Aeuſſerlichkeit iſt; allein unter Zuſammen-
ſetzung ſollte die Continuitaͤt zu verſtehen ſeyn, und dieſe
dann freylich nicht in einer Parantheſe abgethan werden.
In
[145]Quantitaͤt.
In dem apogogiſchen Umwege ſehen wir ſomit die
Behauptung ſelbſt vorkommen, die aus ihm reſultiren
ſoll. Kuͤrzer laͤßt ſich der Beweis ſo faſſen:
Man nehme an, die zuſammengeſetzten Subſtanzen
beſtuͤnden nicht aus einfachen Theilen. Nun aber kann
man alle Zuſammenſetzung in Gedanken aufheben, (denn
ſie iſt nur eine zufaͤllige Relation;) alſo blieben nach de-
ren Aufhebung keine Subſtanzen uͤbrig, wenn ſie nicht
aus einfachen Theilen beſtuͤnden. Subſtanzen aber muͤſ-
ſen wir haben, denn wir haben ſie angenommen; es ſoll
uns nicht alles verſchwinden, ſondern Etwas uͤbrig blei-
ben, denn wir haben ein ſolches Beharrliches, das wir
Subſtanz nannten, vorausgeſetzt; diß Etwas muß alſo
einfach ſeyn.
Es gehoͤrt noch zum Ganzen, den Schlußſatz zu
betrachten; er lautet folgendermaſſen:
„Hieraus folgt unmittelbar, daß die Dinge der
„Welt insgeſammt einfache Weſen ſeyn, daß die Zu-
„ſammenſetzung nur ein aͤuſſerer Zuſtand
„derſelben ſey, und daß die Vernunft die Elemen-
„tarſubſtanzen, als einfaches Weſen denken muͤſſe.“
Hier ſehen wir die Zufaͤlligkeit der Zuſammen-
ſetzung als Folge aufgefuͤhrt, nachdem ſie vorher im
Beweiſe parenthetiſch eingefuͤhrt, und in ihm ge-
braucht worden war.
Kant proteſtirt ſehr, daß er bey den widerſtreiten-
den Saͤtzen der Antinomie nicht Blendwerke ſuche, um
etwa (wie man zu ſagen pflege) einen Advocatenbeweis
zu fuͤhren. Der betrachtete Beweis iſt nicht ſo ſehr ei-
nes Blendwerks zu beſchuldigen, als einer unnuͤtzen ge-
quaͤlten
[146]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
quaͤlten Geſchrobenheit, die nur noͤthig war, um die aͤuſ-
ſere Geſtalt eines Beweiſes hervorzubringen, und es
nicht in ſeiner ganzen Durchſichtigkeit zu laſſen, daß das
was als Folgerung hervortreten ſollte, in Parentheſe
der Angel des Beweiſes war.
Die Antitheſis lautet:
Kein zuſammengeſetztes Ding in der
Welt beſteht aus einfachen Theilen, und es
exiſtirt uͤberall nichts Einfaches in der-
ſelben.
Der Beweis iſt gleichfalls apogogiſch gewendet,
und auf eine andere Weiſe eben ſo tadelhaft als der
vorige.
„Setzet, heißt es, ein zuſammengeſetztes Ding
„(als Subſtanz) beſtehe aus einfachen Theilen. Weil
„alles aͤuſſere Verhaͤltniß, mithin auch alle Zu-
„ſammenſetzung aus Subſtanzen nur im Raume moͤg-
„lich iſt, ſo muß, aus ſo vielen Theilen das Zuſammen-
„geſetzte beſtehet, aus ſo vielen Theilen auch der Raum
„beſtehen, den es einnimmt. Nun beſteht der Raum nicht
„aus einfachen Theilen, ſondern aus Raͤumen. Alſo
„muß jeder Theil des Zuſammengeſetzten einen Raum
„einnehmen.“
„Die ſchlechthin erſten Theile aber alles Zuſammen-
„geſetzten ſind einfach.“
„Alſo nimmt das Einfache einen Raum ein.“
„Da nun alles Reale, was einen Raum einnimmt,
„ein auſſerhalb einander befindliches Mannichfaltiges in
„ſich faſſet, mithin zuſammengeſetzt iſt, und zwar aus
„Subſtanzen, ſo wuͤrde das Einfache ein ſubſtantielles
„Zuſammengeſetztes ſeyn. Welches ſich widerſpricht.“
Dieſer
[147]Quantitaͤt.
Dieſer Beweis kann ein ganzes Neſt (um einen
ſonſt vorkommenden Kantiſchen Ausdruck zu gebrauchen)
von fehlerhaftem Verfahren genannt werden.
Zunaͤchſt iſt die apogogiſche Wendung ein durchaus
grundloſer Schein. Denn die Annahme, daß alles
ſubſtanzielle raͤumlich ſey, der Raum aber
nicht aus einfachen Theilen beſtehe, iſt eine
directe Behauptung, die den unmittelbaren Grund des zu
Beweiſenden ausmacht und mit dem das ganze Beweiſen
fertig iſt.
Alsdann faͤngt dieſer apogogiſche Beweis mit dem
Satze an: „daß alle Zuſammenſetzung aus Subſtanzen,
ein aͤuſſeres Verhaͤltniß ſey,“ vergißt ihn aber ſon-
derbar genug, ſogleich wieder. Es wird nemlich fort-
geſchloſſen, daß die Zuſammenſetzung nur im Raume
moͤglich ſey, der Raum beſtehe aber nicht aus einfachen
Theilen, das Reale, das einen Raum einnehme, ſey mit-
hin zuſammengeſetzt. Da einmal die Zuſammenſetzung
als ein aͤuſſerliches Verhaͤltniß angenommen iſt, ſo iſt
die Raͤumlichkeit, als in der allein die Zuſammenſetzung
moͤglich ſeyn ſoll, eben darum ſelbſt ein aͤuſſerliches Ver-
haͤltniß, das die Subſtanzen nichts angeht, und ihre
Natur nicht beruͤhrt, ſo wenig als das uͤbrige, was man
aus der Beſtimmung der Raͤumlichkeit noch folgern kann.
Ferner iſt vorausgeſetzt, daß der Raum, in den
die Subſtanzen hier verſetzt werden, nicht aus einfachen
Theilen beſtehe; weil er eine Anſchauung, nemlich, nach
Kantiſcher Beſtimmung, eine Vorſtellung, die nur durch
einen einzigen Gegenſtand gegeben werden koͤnne, und
kein diſcurſiver Begriff ſey. — Bekanntlich hat ſich aus
dieſer Kantiſchen Unterſcheidung von Anſchauung und
Begriff viel Unfug mit dem Anſchauen entwickelt, und
um
[148]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
um das Begreifen zu erſparen, iſt der Werth und das
Gebiet derſelben ins Unendliche erweitert worden. Hie-
her gehoͤrt nur, daß der Raum, wie auch die An-
ſchauung ſelbſt zugleich begriffen werden muͤſſe; wenn
man nemlich uͤberhaupt begreifen will. Damit entſtuͤnde
die Frage, ob der Raum nicht, wenn er auch als An-
ſchauung einfache Continuitaͤt waͤre, nach ſeinem Begrif-
fe als aus einfachen Theilen beſtehend, gefaßt werden
muͤſſe, oder der Raum traͤte in dieſelbe Antinomie ein,
in welche nur die Subſtanz verſetzt wurde. In der That
wenn die Antinomie abſtract gefaßt wird, betrift ſie,
wie erinnert, die Quantitaͤt uͤberhaupt und ſomit Raum
und Zeit eben ſo ſehr.
Weil aber einmal im Beweiſe angenommen iſt, daß
der Raum nicht aus einfachen Theilen beſtehe, diß haͤtte
Grund ſeyn ſollen, das Einfache nicht in diß Element zu
verſetzen, welches der Beſtimmung des Einfachen nicht
angemeſſen iſt.
In der Anmerkung zu dem Beweis der Antitheſis
wird noch ausdruͤcklich die ſonſtige Grundvorſtellung der
kritiſchen Philoſophie herbeygebracht, daß wir von Koͤr-
pern nur als Erſcheinungen einen Begriff haben,
als ſolche aber ſetzen ſie den Raum, als die Bedingung
der Moͤglichkeit aller aͤuſſern Erſcheinung nothwendig
voraus. Wenn hiemit unter den Subſtanzen nur Koͤr-
per gemeynt ſind, wie wir ſie ſehen, fuͤhlen, ſchmecken
u. ſ. f., ſo iſt von dem, was ſie im Denken ſind, ei-
gentlich nicht die Rede; es handelt ſich nur vom ſinn-
lich Wahrgenommenen. Der Beweis der Antitheſis
war alſo kurz zu faſſen: Die ganze Erfahrung unſeres
Sehens, Fuͤhlens u. ſ. f. zeigt uns nur Zuſammengeſetz-
tes; auch die beſten Mikroſcope und die feinſten Meſſer
haben uns noch auf nichts einfaches ſtoßen laſſen.
Alſo
[149]Quantitaͤt.
Alſo ſoll auch die Vernunft nicht auf etwas einfaches
ſtoßen wollen.
Wenn wir alſo den Gegenſatz dieſer Theſis und An-
titheſis genauer betrachten, und ihre Beweiſe von allem
unnuͤtzen Ueberfluß und Verſchrobenheit befreyen, ſo ent-
haͤlt der Beweis der Antitheſis, — durch die Verſetzung
der Subſtanzen in den Raum, — die aſſertoriſche Annahme
der Continuitaͤt, ſo wie der Beweis der Theſis, —
durch die Annahme der Zuſammenſetzung, als der Art
der Beziehung des Subſtantiellen, — die aſſertoriſche An-
nahme der Zufaͤlligkeit dieſer Beziehung, und
damit der abſoluten Eins. Die ganze Antinomie
reducirt ſich alſo auf die Trennung und directe Behaup-
tung der beyden Momente der Quantitaͤt, inſofern ſie ge-
trennt ſind. Nach der bloßen Diſcretion genommen,
ſind die Subſtanz, Materie, Raum, Zeit u. ſ. f. ſchlecht-
hin getheilt, das Eins iſt ihr Princip. Nach der Con-
tinuitaͤt iſt dieſes Eins nur ein aufgehobenes; das Thei-
len bleibt Theilbarkeit, es bleibt die Moͤglichkeit zu
theilen, als Moͤglichkeit, ohne wirklich auf das Atome
zu kommen. — So aber enthaͤlt die Continuitaͤt ſelbſt
das Moment des Atomen; ſo wie jenes Getheiltſeyn al-
len Unterſchied der Eins aufgehoben hat, — denn die
einfachen Eins iſt eines was andere iſt, — ſomit eben
ſo ihre abſolute Gleichheit und damit ihre Continuitaͤt ent-
haͤlt. Indem jede der beyden entgegengeſetzten Seiten
an ihr ſelbſt ihre andere enthaͤlt, und keine ohne die an-
dere gedacht werden kann, ſo folgt daraus, daß keine
dieſer Beſtimmungen, allein genommen, Wahrheit hat,
ſondern nur ihre Einheit. Diß iſt die wahrhafte dia-
lektiſche Betrachtung derſelben, ſo wie das wahrhafte
Reſultat.
Unendlich ſinnreicher und tiefer, als die betrachtete
Kantiſche Antinomie ſind die dialektiſchen Beyſpiele der
Malten
[150]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
alten eleatiſchen Schule, beſonders die Bewegung
betreffend, die ſich gleichfalls auf den Begriff der Quan-
titaͤt gruͤnden, und in ihm ihre Aufloͤſung haben. Es
wuͤrde zu weitlaͤufig ſeyn, ſie hier noch zu betrachten; ſie
gehoͤren naͤher zu den Begriffen von Raum und Zeit, und
ſind bey dieſen und in der Geſchichte der Philoſophie ab-
zuhandeln. Sie machen der Vernunft ihrer Erfinder
die hoͤchſte Ehre; ſie haben das reine Seyn des Parme-
nides zum Reſultate, indem ſie die Aufloͤſung alles
beſtimmten Seyns in ſich ſelbſt aufzeigen, und ſind ſo-
mit an ihnen ſelbſt das Flieſſen des Heraklit. Sie
ſind darum auch einer gruͤndlichern Betrachtung wuͤrdig,
als der gewoͤhnlichen Erklaͤrung, daß es eben Sophis-
men ſeyen; welche Aſſertion ſich an die Wahrnehmung
nach dem, dem gemeinen Menſchenverſtande ſo einleuch-
tenden, Vorgange des Diogenes haͤlt, der, als ein Dia-
lectiker den Widerſpruch, den die Bewegung enthaͤlt,
aufzeigte, ſeine Vernunft weiter nicht angeſtrengt haben,
ſondern durch ein ſtummes Hin- und Hergehen auf den
Augenſchein verwieſen haben ſoll, — eine Aſſertion und
Widerlegung, die freylich leichter zu machen iſt, als ihre
wahrhafte Erkenntniß und Aufloͤſung, die eine Einſicht
in die dialektiſche Natur der Begriffe vorausſetzt.
Die Kantiſche Aufloͤſung der Antinomie beſteht allein
darin, daß die Vernunft die ſinnliche Wahrneh-
mung nicht uͤberfliegen und die Erſcheinung, wie ſie
iſt, nehmen ſolle. Dieſe Aufloͤſung laͤßt den Inhalt der
Antinomie ſelbſt auf der Seite liegen, ſie erreicht die Na-
tur des Begriffes nicht, der weſentlich die Einheit ent-
gegengeſetzter iſt, deren jedes, fuͤr ſich iſolirt, nichtig und
an ihm ſelbſt nur das Uebergehen in ſein Anderes iſt,
wie hier die Quantitaͤt dieſe Einheit und darin die Wahr-
heit der beyden die Antinomie ausmachenden Beſtimmun-
gen iſt.
B.Con-
[151]Quantitaͤt.
B.
Continuirliche und diſcrete Groͤße.
1. Die Quantitaͤt enthaͤlt die beyden Momente der
Continuitaͤt und der Diſcretion. Sie iſt zunaͤchſt, un-
mittelbare Einheit derſelben. Sie iſt ſomit ſelbſt in
der Beſtimmung der Continuitaͤt, und iſt continuir-
liche Groͤße.
Oder die Continuitaͤt iſt zwar zunaͤchſt nur eins der
Momente der Quantitaͤt, und die Quantitaͤt iſt erſt mit
dem andern, der Diſcretion, vollendet. Aber die Con-
tinuitaͤt iſt eben ſo weſentlich auch das Ganze; denn ſie
iſt nur die zuſammenhaͤngende, gediegene Einheit, als
Einheit des Diſcreten. Die Continuitaͤt iſt ſomit nicht
nur Moment, ſondern eben ſo ſehr ganze Quantitaͤt; und
dieſe in dieſer unmittelbaren, ſelbſt continuirlichen Ein-
heit iſt nicht ſo ſehr Quantitaͤt, als Groͤße; — alſo
continuirliche Groͤße.
2. Die unmittelbare Quantitaͤt iſt continuir-
liche Groͤße. Aber die Quantitaͤt iſt uͤberhaupt nicht ein
unmittelbares; oder die Unmittelbarkeit iſt eine Beſtimmt-
heit, eine Qualitaͤt derſelben, deren Aufgehobenſeyn ſie
ſelbſt iſt. Sie geht alſo aus der Unmittelbarkeit oder
Unbeſtimmtheit in die Beſtimmtheit uͤber; die ihr imma-
nente Beſtimmtheit aber iſt das Eins. — Oder die un-
mittelbare Quantitaͤt, die continuirliche Groͤße, iſt nicht
die Quantitaͤt als ſolche, ſondern als beſtimm-
te; aber die wahrhafte Beſtimmtheit derſelben iſt das
Eins, und die Quantitaͤt iſt als diſcrete Groͤße.
M 2Die
[152]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Die Diſcretion iſt uͤberhaupt Moment der Quanti-
taͤt, aber iſt ſelbſt auch die ganze Quantitaͤt, weil dieſe
weſentlich vermittelt, negativ in ſich ſelbſt, in der Be-
ſtimmtheit des Eins iſt, eine zunaͤchſt unbeſtimmte Viel-
heit von Eins. Die Quantitaͤt iſt Auſſereinanderſeyn,
und die continuirliche Groͤße iſt diß Auſſereinanderſeyn,
als ſich ohne Negation fortſetzend, als ein in ſich ſelbſt
gleicher Zuſammenhang. Die diſcrete Groͤße iſt diß Auſ-
ſereinander als nicht continuirlich, als unterbrochen.
Mit dieſer Menge von Eins aber iſt nicht die Menge
des Atomen, und das Leere wieder vorhanden. Son-
dern weil die diſcrete Groͤße Quantitaͤt iſt, iſt die in ihr
aufgehobene Continuitaͤt ſelbſt continuirlich. Dieſe Con-
tinuitaͤt am Diſcreten beſteht darin, daß die Eins das
einander gleiche ſind, oder daß ſie dieſelbe Einheit
haben. Die diſcrete Groͤße iſt alſo das Auſſereinander
des vielen Eins, als des Gleichen, nicht das viele
Eins uͤberhaupt, ſondern als das Viele einer Ein-
heit.
In der gewoͤhnlichen Vorſtellung von continuirli-
cher und diſcreter Groͤße wird es uͤberſehen, daß jede
dieſer Groͤßen beyde Momente, ſowohl die Continuitaͤt
als die Diſcretion an ihr hat, und ihr Unterſchied nur
dadurch conſtituirt wird, welches von beyden Momente
als die zum Grunde liegende Beſtimmung gilt, die aber
nicht allein in einer ſolchen Groͤße vorhanden iſt. Dabey
aber hat die continuirliche Groͤße die Diſcretion nicht ſo
an ihr, daß ſie aus Eins beſtuͤnde, denn die Eins ſind
in ihr aufgehoben, ſondern als Auſſereinanderſeyn; ſie iſt
nicht bloße Gleichheit mit ſich ſelbſt, ſondern die weſentlich
das Eins in ihr aufgehoben und aufbewahrt hat, die
Gleichheit des Auſſerſichſeyns der Repulſion. Raum,
Zeit, Materie u. ſ. f. ſind Quantitaͤten, die eine ſtaͤtige
Groͤße
[153]Quantitaͤt.
Groͤße haben, indem ſie Repulſionen von ſich ſelbſt, ein
ſtroͤmendes Auſſerſichkommen ſind, das nicht ein Ueber-
gehen in ein Anderes iſt. Sie haben die abſolute Moͤg-
lichkeit, daß das Eins allenthalben an ihnen geſetzt wer-
de; ſie haben dieſe Moͤglichkeit nicht, als die leere Moͤg-
lichkeit eines bloßen Andersſeyns (wie man ſagt, es waͤ-
re moͤglich, daß an der Stelle dieſes Steines ein Baum
ſtuͤnde) ſondern ſie enthalten das Princip des Eins an
ihnen ſelbſt.
Umgekehrt iſt an der diſcreten Groͤße die Continui-
taͤt nicht zu uͤberſehen; diß Moment iſt, wie gezeigt,
das Eins als Einheit.
Die continuirliche und diſcrete Groͤße koͤnnen als
Arten der Groͤße betrachtet werden, aber nur inſofern
die Groͤße nicht unter irgend einer aͤuſſerlichen Beſtimmt-
heit geſetzt iſt, ſondern unter der Beſtimmtheit ih-
rer eigenen Momente. In dem gewoͤhnlichen Ueber-
gange von Gattung zu Art, laͤßt man an jene nach irgend
einem ihr aͤuſſerlichen Eintheilungsgrunde aͤuſſerliche Be-
ſtimmungen kommen. — Ferner aber geht die continuir-
liche in die diſcrete Groͤße uͤber, weil jene zwar die
Groͤße in einer Beſtimmung iſt, aber die Unmittelbarkeit
oder Continuitaͤt iſt nicht die eigenthuͤmliche, immanente
Beſtimmtheit der Quantitaͤt, ſondern diß iſt das Eins.
Oder die Groͤße hat erſt als diſcrete eine reale Beſtim-
mung, denn damit tritt der Unterſchied oder das Anders-
ſeyn an ihr ſelbſt ein. Die continuirliche Groͤße iſt nur
ſtaͤtig, ununterſchieden an ihr ſelbſt, unterſchieden nur
gegen die ihr gegenuͤberſtehende diſcrete Groͤße. — Allein
die reale Beſtimmung iſt in der diſcreten Groͤße als ſol-
cher, den Eins, welche durch ihre Einheit ſtaͤtig ſind,
noch nicht vollendet; es gehoͤrt dazu noch die Beſtimmung
dieſer ihrer Continuitaͤt durch das Eins.
C.Be-
[154]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
C.
Begrenzung der Quantitaͤt.
Die diſcrete Groͤße hat erſtlich das Eins zum Prin-
cip, zweytens iſt ſie weſentlich ſtaͤtig, ſie iſt das Eins
zugleich als aufgehobenes, als Einheit, das gleichſam
breite, continuirte Eins. Inſofern aber das Eins, oder
die vielen Eins gleich weſentlich und unmittelbar Einheit
ſind, iſt damit nur Quantitaͤt uͤberhaupt, oder inſofern
das Eins in der Einheit aufgehoben iſt, und als viele
Eins in die Einheit zuſammenſinken, continuirliche Quan-
titaͤt geſetzt. Aber dieſe iſt umgekehrt in diſcrete Groͤße
uͤbergegangen, und die Continuitaͤt das im Eins aufge-
hobene Moment. Das Eins iſt ſomit zwar einerſeits
zur Einheit erweitert, und dieſe iſt nicht verſchwunden,
ſondern vielmehr weſentlich vorhanden, aber ſie iſt mit
einer Negation geſetzt; das Eins wird an der Einheit zur
Grenze. Die Continuitaͤt iſt weſentliches Moment, und
hat die Negation an ihr, aber iſt unterſchieden zugleich
von dieſer ihrer Negation, die in dieſer Beſtimmung
Grenze iſt. Dieſe Grenze, auſſer dem, daß ſie auf die
Einheit bezogen und die Negation an derſelben iſt,
iſt ſie auch auf ſich bezogen; ſie iſt als das, wie ſie
an ſich iſt, nemlich als Eins, umſchlieſſende, befaſ-
ſende Grenze. Die Grenze unterſcheidet ſich hier nicht
zuerſt von dem Inſichſeyn oder dem Etwas ihres Da-
ſeyns, ſondern als Eins iſt ſie unmittelbar dieſer negati-
ve Punkt ſelbſt. Auf der andern Seite iſt das Seyn,
das begrenzt iſt, weſentlich hier als Continuitaͤt, die
uͤber die Grenze und diß Eins hinausgeht. Die wahr-
hafte diſcrete Quantitaͤt iſt alſo eine Quantitaͤt, oder
Quantum.
Oder
[155]Quantitaͤt.
Oder die Groͤße iſt zuerſt unmittelbare Einheit der
Continuitaͤt und Diſcretion. Als Quantitaͤt iſt ſie die
in ſich zuruͤckgekehrte Einheit dieſer Momente; als
dieſe ihre negative Einheit hat ſie den in der unmittelba-
ren oder continuirlichen Groͤße nur verſchwundenen oder
nur moͤglichen Unterſchied an ihr.
Erſtens iſt dieſe negative Einheit nicht nur Ein-
heit der Continuitaͤt und Diſcretion, als abſtracter Mo-
mente, ſondern auch derſelben betrachtet als continuirli-
cher und diſcreter Groͤße. Es iſt uͤberhaupt kein wahr-
hafter Unterſchied der continuirlichen und diſcreten Groͤße.
— Zweytens aber iſt dieſe negative Einheit nicht eine
Beſtimmtheit, in welche die Groͤße uͤbergeht, ſondern die
ſie an ihr ſelbſt hat; ſie iſt das Eins, in welchem ſich als
ihrer eigenen Beſtimmtheit ſich die Quantitaͤt ſetzt. In-
dem uͤberhaupt die Quantitaͤt die aufgehobene Qualitaͤt,
indem ſie an ſich ſelbſt unendlich iſt, ſo iſt in ihrer Be-
wegung kein Uebergehen in abſolutes Andersſeyn vorhan-
den, ſondern ihr Beſtimmen beſteht eben ſo ſehr nur in
dem Hervortreten der in ihr bereits vorhandenen Momente.
Zwey-
[156]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Zweytes Kapitel.
Quantum.
Das Quantum iſt die reale Quantitaͤt, wie Daſeyn
das reale Seyn. Es iſt zunaͤchſt Quantitaͤt mit einer
Beſtimmtheit oder Grenze uͤberhaupt, aber in ſeiner
vollkommenen Beſtimmtheit iſt es Zahl. Das Quan-
tum unterſcheidet ſich
zweytens in extenſives und intenſives
Quantum, deren Unterſchied aber einerſeits gleichguͤltig
iſt, ſo daß dieſelbe Zahlbeſtimmtheit eben ſo ſehr auf die
eine als auf die andre Weiſe vorhanden iſt. Anderer-
ſeits aber liegt darin der Unterſchied des Quantums an
ſich ſelbſt, das
drittens als an ſich ſich ſelbſt aͤuſſerlich in die
quantitative Unendlichkeit uͤbergeht.
A.Die
[157]Quantitaͤt.
A.
Die Zahl.
Die Quantitaͤt iſt Quantum, oder hat eine Grenze.
Inſofern die continuirliche und diſcrete Groͤße als Arten
der Groͤße angeſehen werden, ſo iſt das Quantum ſo-
wohl die eine als die andere als begrenzt; oder jede von
ihnen hat eine Grenze; an der continuirlichen iſt die
Grenze als Grenze der Continuitaͤt; an der diſcreten als
Negation an der Vielheit, die fuͤr ſich ununterſchiedene
Menge uͤberhaupt iſt. Aber der Unterſchied dieſer Arten
hat hier keine Bedeutung mehr.
Zunaͤchſt als negative Einheit des Unterſchiedes,
der Continuitaͤt und der Diſcretion, iſt die Quantitaͤt
ein Inſichſeyn, in dem der Unterſchied aufgehoben iſt,
oder das ſich von ihm unterſcheidet. Die Quantitaͤt iſt
an ſich das aufgehobene Fuͤrſichſeyn; ſie iſt alſo ſchon an
und fuͤr ſich ſelbſt gegen ihre Grenze gleichguͤltig.
Aber ſo wenig als das Etwas eine von ſeinem In-
ſichſeyn unterſchiedene Grenze hat, ſo wenig iſt diß hier
der Fall. Die Grenze iſt das, wodurch ſich Etwas von
Anderem abſcheidet, und ſich auf ſich ſelbſt bezieht;
durch ſeine Grenze iſt alſo Etwas in ſich und nicht in
Andern; ſeine Grenze iſt alſo ſein Inſichſeyn. Der
Quantitaͤt iſt uͤberhaupt unmittelbar die Grenze, oder
ein Quantum zu ſeyn, nicht gleichguͤltig; denn ſie ent-
haͤlt das Eins, das abſolute Beſtimmtſeyn, in ſich
ſelbſt, als ihr eigenes Moment.
Diß
[158]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Diß Eins iſt das Princip des Quantums; es iſt
aber nicht das abſtracte Eins, ſondern das Eins als
der Quantitaͤt. Dadurch iſt es erſtlich continuir-
lich; es iſt Einheit; zweytens iſt es diſcret, da-
durch iſt es in ſich eine Vielheit der Eins, welche aber
die Gleichheit miteinander, jene Continuitaͤt, dieſelbe
Einheit haben. Drittens iſt diß Eins Negation der
Continuitaͤt und der Diſcretion; und indem ſie ſeine Mo-
mente ausmachen, ſo iſt es ſomit die Negation ſeiner
ſelbſt; indem es aber eben ſo unmittelbar iſt, ſo iſt die-
ſe Negation ſeiner zugleich ein Ausſchlieſſen ſeines Nicht-
ſeyns aus ſich, eine Beſtimmung ſeiner gegen andere
Quanta. Das Eins iſt inſofern ſich auf ſich beziehende,
umſchlieſſende, und anderes ausſchlieſſende Grenze.
Es iſt geſagt worden, daß die Momente der Con-
tinuitaͤt und der Diſcretion in dem begrenzenden Eins
enthalten ſind. Inſofern in dieſem Begrenzen das
Eins das Beſtimmende, oder das Ganze uͤberhaupt
in der Form der Diſcretion iſt, ſo iſt die Continuitaͤt als
die Einheit der vielen Eins vorhanden; ſie iſt das
Eins, inſofern es das Princip iſt, oder die Vielen
alle Eins ſind. Dieſe Einheit unterſcheidet ſich inſofern
zugleich von den Vielen als ſolchen. Die Continuitaͤt iſt
aber auch das Unbeſtimmte der Vielheit uͤberhaupt,
und inſofern iſt das Eins als Grenze an ihr. Die Vie-
len als diſcrete Viele oder als Eins ſind unbegrenzbar,
denn als Fuͤrſichſeyende enthalten ſie die Grenze als ein
aufgehobenes Moment, und ſind die abſolute Negativi-
taͤt gegen dieſelbe. Eine Menge als ſolche iſt keine Gren-
ze an den Vielen ſelbſt, es iſt eine ihnen voͤllig aͤuſſerliche
Beſtimmung. Die Grenze iſt an ihnen nur als den Vie-
len, die darin ſich gleich ſind, daß ſie Viele ſind; dieſe
ihre Continuitaͤt iſt das unbeſtimmte Seyn, an dem die
Negation als Grenze iſt. Zugleich aber iſt ſie nicht
Grenze
[159]Quantitaͤt.
Grenze an der Continuitaͤt, inſofern ſie als die Einheit iſt,
denn dieſe macht eben das von dem Vielen, dem Diſcre-
ten und damit dem Negativen uͤberhaupt unterſchiedene
Moment aus.
Das Quantum erſcheint daher in ſeinem
An-ſich-beſtimmtſeyn nicht als continuirliche ſon-
dern als diſcrete Groͤße, wie ſich auch im Ueber-
gange zu demſelben gezeigt hat. Das Quantum als be-
grenzte continuirliche Groͤße, iſt eine unbeſtimmte Grenze;
denn ſie enthaͤlt nicht das continuirliche als vieles Eins,
ſomit auch nicht in der Form des An-ſich-ſelbſt-be-
ſtimmtſeyns. — Die Momente der Continuitaͤt und
Diſcretion aber, indem ſie in dem Quantum als ihrer
Einheit ſind, ſind ſelbſt das Anſichbeſtimmtſeyn, das ihre
Einheit ausmacht. Die Continuitaͤt iſt als Einheit, als
auch als vieles Eins. Die Diſcretion oder der Unter-
ſchied iſt ferner darin nicht nur der unbeſtimmte der
Vielheit uͤberhaupt, ſondern als der Beſtimmte der Ein-
heit gegen die Vielheit. Diß iſt aber zugleich nicht ein
bloß qualitativer Unterſchied, denn die Vielen ſind Eins,
ſie haben dieſelbe Einheit. — Ferner iſt das Viele nicht
unterſchieden von der Grenze oder dem begrenzenden
Eins; es macht die Continuitaͤt ſowohl als die Diſcre-
tion des umſchlieſſenden Eins ſelbſt aus, denn es iſt
ſelbſt continuirlich und diſcret; das Quantum oder die
Grenze der Quantitaͤt als ſolche iſt ſelbſt Quantitaͤt.
Das Quantum auf dieſe Weiſe an ſich ſelbſt be-
ſtimmt, iſt die Zahl. Sie iſt das Quantum in ſeiner
Beſtimmtheit, weil ſie nur ein Verhalten des Eins, das
abſolut an-ſich-beſtimmten zu ſich ſelbſt iſt, das in ſei-
nem Unterſchiede von ſich, alſo dem Beſtimmtſeyn als
durch anderes ſich ſelbſt gleich bleibt, oder worin dieſer
Unterſchied eben ſo unmittelbar ein aufgehobener iſt.
Die
[160]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Die Zahl hat erſtens das Eins als Princip,
inſofern iſt es das continuirliche Eins, oder die Einheit.
Ferner iſt dieſe Einheit von ſich repell[i]rt; ſie iſt als
Viele Eins; aber dieſe Vielen machen ſelbſt nur das
Eins aus, inſofern es das begrenzende iſt. Die Vielen
der Zahl machen das Quantum aus; die Vielheit iſt Mo-
ment des begrenzenden Eins; die Vielen, die
durch die Grenze abgeſondert und umſchloſſen werden,
ſind nicht auſſerhalb ihrer Grenze; dieſe iſt
das Eins ſelbſt, und diß Eins iſt die Quantitaͤt und das
Diſcrete oder das Continuirliche ſelbſt, welches die Vie-
len ſind. Dieſe Vielen machen die Anzahl der Zahl
aus. Einestheils unterſcheidet ſie ſich von dem Eins
als der Einheit, aber zugleich iſt ſie nur eine Anzahl ſol-
cher Einheiten. Anderntheils iſt ſie nicht eine Vielheit
gegen das umſchlieſſende, begrenzende Eins; ſondern
die Anzahl macht ſelbſt dieſe Begrenzung aus, welche ein
beſtimmtes Quantum iſt; die Vielen machen eine Zahl,
Ein Zwey, Ein Zehen, Ein Hundert u. ſ. f. aus.
Die Zahl hat alſo zu ihren Momenten die Einheit
und die Anzahl, und iſt ſelbſt die Einheit derſelben.
Jene macht das Moment der Continuitaͤt, diß der Dis-
cretion aus, wie ſie, in dem Quantum, als Zahl ſind.
Die Einheit unterſcheidet ſich von der Anzahl, und zu-
gleich ſind ſie vereinigt in der Zahl ſelbſt als dem ne-
gativen Eins, im Zehen, im Hundert, welches eben
ſo ſehr ſelbſt Einheit als dieſe Anzahl iſt.
Das begrenzende Eins iſt das Beſtimmtſeyn gegen
anderes, die Unterſcheidung der Zahl von andern. Aber
dieſe Unterſcheidung wird nicht qualitative Beſtimmtheit,
ſondern bleibt quantitativ, faͤllt nur in die vergleichende
aͤuſſerliche Reflexion; die Zahl ſelbſt bleibt in ſich zu-
ruͤckgekehrt, und gleichguͤltig gegen das Andere, oder iſt
nicht darauf bezogen.
Dieſe
[161]Quantitaͤt.
Dieſe Gleichguͤltigkeit der Zahl gegen anderes iſt
die weſentliche Beſtimmung derſelben; ſie macht ihr
An-ſich-beſtimmtſeyn, aber zugleich ihre eigene
Aeuſſerlichkeit aus. — Was das erſte betrift, ſo
iſt die Quantitaͤt ſelbſt nicht gleichguͤltig gegen die Gren-
ze; ſie hat an ihr ſelbſt die Grenze in ihrem Momen-
te der Diſcretion. Aber dieſe Grenze iſt nicht die Be-
ziehung auf anderes als anderes, ſondern gleichguͤltig
dagegen. Dieſe Gleichguͤltigkeit beſteht darin, daß die
Negation der Quantitaͤt, das Eins, unendlich auf ſich
bezogen iſt, und das Andersſeyn als aufgehobenes an
ihm ſelbſt hat; ferner hat ſich auch die eigne Repulſion
des fuͤrſichſeyenden Eins aufgehoben. Das Eins der
Zahl iſt inſofern numeriſches Eins; ein abſolut an
und fuͤr ſich beſtimmtes, das zugleich die Form der Un-
mittelbarkeit hat, und dem daher die Beziehung auf an-
deres voͤllig aͤuſſerlich iſt. Als Eins, das Zahl iſt, hat
es ferner die Beſtimmtheit, inſofern ſie Bezie-
hung auf anderes iſt, in ihm ſelbſt, in ſeinem Un-
terſchiede der Einheit und der Anzahl. Die-
ſer Unterſchied iſt aber zugleich quantitativ, indem die
Anzahl Vielheit der Einheiten, und die Vielheit das
diſcrete Moment der Zahl ſelbſt, oder ihr Eins iſt.
Aber eben ſo ſehr iſt die Quantitaͤt ſelbſt die auf-
gehobene Beſtimmtheit, der aͤuſſerlich gewordene Unter-
ſchied. Das Eins iſt Princip der Zahl, als numeri-
ſches Eins, das heißt, als gleichguͤltiges, dem die Be-
ziehung auf anderes voͤllig aͤuſſerlich iſt. Die Zahl aber
iſt die Beziehung dieſes Eins; ſie iſt die Einheit, die
als viele Eins in ſich zuruͤckkehrt. Aber weil es nume-
riſche Eins ſind, ſo iſt ihnen dieſe Beziehung und Ruͤck-
kehr in ſich eben ſo ſehr ein gleichguͤltiges. Die Grenze
des Quantums beſteht in der Anzahl, in der ſich aͤuſſer-
lichen Vielheit, welche zu ihrem Princip oder Einheit
das
[162]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
das gleichguͤltige Eins hat. Die Zahl iſt auf dieſe Weiſe
das Anſichbeſtimmtſeyn, aber das Anſichbeſtimmtſeyn
der Aeuſſerlichkeit, oder ein Anſichbeſtimmtſeyn, das
eben ſo unmittelbar voͤllige Aeuſſerlichkeit des Beſtimmt-
ſeyns iſt. Die Quantitaͤt iſt die Unendlichkeit in ſich.
Die Zahl iſt naͤher dieſe Unendlichkeit als innerhalb ihrer
ſelbſt an ſich beſtimmt, und als eben ſo abſolutes Aufge-
hobenſeyn oder Aeuſſerlichkeit des Beſtimmtſeyns.
Gewoͤhnlich werden Raumgroͤße und die Zahlgroͤße,
ſo als zwey Arten betrachtet, als ob die Raumgroͤße fuͤr
ſich ſo ſehr beſtimmte Groͤße als die Zahlgroͤße waͤre; ihr
Unterſchied beſtuͤnde nur in den verſchiedenen Beſtimmun-
gen der Continuitaͤt und Diſcretion; als Quantum aber
ſtuͤnden ſie auf derſelben Stuffe. Die Geometrie hat
zwar im Allgemeinen in der Raumgroͤße die continuirliche,
und die Arithmetik in der Zahlgroͤße die diſcrete Groͤße
zum Gegenſtande. Aber bey dieſer Ungleichheit des Ge-
genſtandes haben ſie nicht eine gleiche Weiſe und Voll-
kommenheit der Begrenzung oder des Beſtimmtſeyns.
Die Wiſſenſchaft betrachtet weſentlich die Beſtimmtheiten
dieſer Gegenſtaͤnde, inſofern ſie Quanta ſind, und ſich
nach dieſer Seite verhalten. Die Weiſe der Begren-
zung aber iſt an beyden Gegenſtaͤnden gleichfalls verſchie-
den. Die Raumgroͤße hat nur eine Begrenzung uͤber-
haupt; inſofern ſie als an ſich beſtimmtes Quantum be-
trachtet werden ſoll, hat ſie die Zahl noͤthig. Auch be-
trachtet die Geometrie die Raumfiguren nicht nach einer
an und fuͤr ſich beſtimmten Groͤße; ſie mißt ſie nicht;
iſt nicht Meßkunſt; ſondern vergleicht ſie nur d. h.
ſie betrachtet ſie nur als relative Quanta, nach einer
Groͤßebeſtimmung, die ſie zu Andern haben. Auch
bey ihren Definitionen ſind die Beſtimmungen zum Theil
von
[163]Quantitaͤt.
von der Gleichheit der Seiten, Winkel, der glei-
chen Entfernung hergenommen. So bedarf der Kreis,
weil er allein auf der Gleichheit der Entfernung al-
ler in ihm moͤglichen Punkte von einem Mittelpunkte be-
ruht, zu ſeiner Beſtimmung keiner Zahl. Dieſe auf
Gleichheit oder Ungleichheit beruhenden Beſtimmungen ſind
aͤcht geometriſch. Aber ſie reichen nicht aus, und zu an-
dern z. B. Dreyeck, Viereck, iſt die Zahl erforderlich, die
das An-ſich-Beſtimmtſeyn, nicht das Beſtimmtſeyn
durch Huͤlfe eines Andern, alſo nicht durch Vergleichung
enthaͤlt.
Die Zahl aber enthaͤlt dieſe Beſtimmtheit an ſich,
weil das Eins ihr Princip iſt. Die Raumgroͤße hat
zwar an dem Punkte die dem Eins entſprechende Be-
ſtimmtheit; der Punkt aber wird, inſofern er auſſer ſich
kommt, ein Anderes wird, zur Linie; weil er weſentlich
nur als Eins des Raumes iſt, wird er in der Beziehung,
zu einer Continuitaͤt, in der die Punktualitaͤt, das An-
ſich-Beſtimmtſeyn, das Eins, aufgehoben iſt. Inſofern
das An-ſich-Beſtimmtſeyn im Auſſerſichſeyn ſich erhalten
ſoll, muß die Linie als eine Menge von Eins vorgeſtellt
werden, und die Grenze die Beſtimmung der Vie-
len Eins in ſich enthalten, d. h. die Groͤße der Linie —
eben ſo der andern Raum-Beſtimmungen — muß als
Zahl genommen werden.
Bekanntlich hat Pythagoras Vernunftver-
haͤltniſſe oder Philoſopheme in Zahlen dar-
geſtellt, und in neuern Zeiten iſt das Rechnen als gleich
bedeutend mit dem Denken, oder wie man ſich genauer
ausgedruͤckt hat, mit dem reinen realen Denken ge-
nommen worden. — Auch iſt in paͤdagogiſcher Ruͤckſicht
die
[164]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
die Zahl fuͤr den geeignetſten Gegenſtand des innern An-
ſchauens, und die rechnende Beſchaͤftigung mit Verhaͤlt-
niſſen derſelben, fuͤr die Thaͤtigkeit des Geiſtes gehalten
worden, worinn er ſeine eigenſten Verhaͤltniſſe und uͤber-
haupt die Grundverhaͤltniſſe des Weſens zur Anſchauung
bringe. — Wiefern der Zahl dieſer hohe Werth beykom-
men koͤnne, geht aus ihrem Begriffe hervor, wie er ſich
ergeben hat.
Die Zahl iſt die abſolute Beſtimmtheit der Quan-
titaͤt; ihr Element iſt der gleichguͤltig gewordene Unter-
ſchied. Sie iſt alſo die Beſtimmtheit an ſich, die zu-
gleich voͤllig nur aͤuſſerlich geſetzt iſt. Die Arithmetik iſt
daher analytiſche Wiſſenſchaft, weil alle Verknuͤpfungen
und Unterſchiede, die an ihrem Gegenſtande vorkommen,
nicht in ihm ſelbſt ſchon liegen, ſondern ihm voͤllig aͤuſſer-
lich angethan ſind. Sie hat keinen concreten Gegen-
ſtand, welcher innere Verhaͤltniſſe an ſich haͤtte, die zu-
naͤchſt fuͤr das Wiſſen verborgen, nicht in der unmittel-
baren Vorſtellung von ihm gegeben, ſondern erſt durch
die Bemuͤhung des Erkennens herauszubringen waͤren.
Sondern ſeine Verhaͤltniſſe ſind rein durch die Reflexion
ſelbſt in ihn hineingelegt; dieſe hat es daher in ihrem
rechnenden Geſchaͤfte nur mit ſolchen hineingelegten Be-
ſtimmungen zu thun. Weil in dieſen Beziehungen hiemit
nicht ein wahrhaftes Andersſeyn enthalten iſt, ſo hat ſie
es nicht mit Entgegengeſetztem zu thun; ſie hat uͤberhaupt
die Aufgabe des Begriffes nicht; geht nur an dem Faden
ihrer eigenen Identitaͤt fort, und verhaͤlt ſich in ihrer
Thaͤtigkeit rein analytiſch.
Um der Gleichguͤltigkeit des Verknuͤpften gegen die
Verknuͤpfung, der die Nothwendigkeit fehlt, willen, be-
findet ſich das Denken hier in einer Thaͤtigkeit, die zu-
gleich die aͤuſſerſte Entaͤuſſerung ſeiner ſelbſt iſt, in der
gewalt-
[165]Quantitaͤt.
gewaltſamen Thaͤtigkeit, ſich in der Gedankenloſig-
keit zu bewegen und das keiner Nothwendigkeit faͤhi-
ge zu verknuͤpfen. Denn der Gegenſtand, die Zahl, iſt
nur der Gedanke und der abſtracte Gedanke der Aeuſſer-
lichkeit ſelbſt. In jedem andern concreten Gegenſtande
iſt das Denken ſich gleichfalls aͤuſſerlich, aber er iſt zu-
gleich an ihm ſelbſt ein innerlich verknuͤpftes und noth-
wendiges; es findet alſo in ihm weſentliche Beziehungen;
die Zahl dagegen hat das weſentlich Beziehungsloſe zum
Princip.
Um dieſer reinen Aeuſſerlichkeit und eignen Beſtim-
mungsloſigkeit willen hat das Denken an der Zahl eine
unendliche beſtimmbare Materie, die nicht Widerſtand
durch eigenthuͤmliche Beziehungen leiſtet. Sie iſt zugleich
die Abſtraction von aller ſinnlichen Mannichfaltigkeit,
und hat vom Sinnlichen nichts als die abſtracte Beſtim-
mung der Aeuſſerlichkeit ſelbſt behalten. Durch dieſe Ab-
ſtraction liegt ſie, ſo zu ſagen, dem Gedanken am naͤch-
ſten; ſie iſt nur der reine Gedanke ſeiner eignen
Entaͤuſſerung.
Der Geiſt, der ſich uͤber die ſinnliche Welt erhebt,
und ſein Weſen erkennt, indem er ein Element fuͤr ſeine
reine Vorſtellung, fuͤr den Ausdruck ſeines
Weſens ſucht, kann daher darauf verfallen, ehe er
das Denken ſelbſt als diß Element faßt, und fuͤr ſeine
Darſtellung den rein geiſtigen Ausdruck gewinnt, die
Zahl, dieſe innerliche, abſtracte Aeuſſerlichkeit zu waͤhlen.
Daher ſehen wir in der Geſchichte der Wiſſenſchaft, ehe
das Denken den Ausdruck fand, der nur den abſtracten
Gedanken ſelbſt enthaͤlt, die Zahl zum Ausdruck von
Philoſophemen gebraucht werden. Sie macht die letzte
Stuffe der Unvollkommenheit dieſes Ausdrucks aus, mit
ihr verlaͤßt das Denken, das ſchon die ſinnliche Vorſtel-
Nlung
[166]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
lung fuͤr ſeine Darſtellung verlaſſen hat, vollends auch
ſelbſt den reinen Gedanken der Aeuſſerlichkeit.
Indem nun das Denken ſeine Beſtimmungen in diß
Element niederlegt, ſo fallen ſie um der betrachteten Na-
tur deſſelben willen, darin unmittelbar in die Begrifflo-
ſigkeit herab; oder die Gedanken werden in ihm als dem
gedankenloſen, zu Gedankenloſem. Die Gedanken, das
Lebendigſte, Beweglichſte, nur im Beziehen Begriffene,
werden in dieſem Elemente des Auſſerſichſeyns, zu todten,
bewegungsloſen Beſtimmungen. Je reicher an Beſtimmt-
heit und Beziehung die Gedanken werden, deſto verwor-
rener einerſeits und deſto willkuͤhrlicher und ſinnleerer an-
dererſeits wird ihre Darſtellung in Zahlen. Das Eins,
das Zwey, das Drey, das Vier, als Henas oder Mo-
nas, Dyas, Trias, Tetraktys, liegen noch einfachen
Begriffen ſehr nahe; aber wenn die Zahlen zu weitern
Verhaͤltniſſen des Begriffs uͤbergehen ſollen, ſo iſt es
vergeblich, ſie noch dem Begriffe nahe erhalten zu wollen.
Wenn aber auch nur im Eins, Zwey, Drey, Vier
der Begriff feſtgehalten, wenn ſie gedacht und bewegt
werden ſollen, ſo iſt diß die haͤrteſte Bewegung des Den-
kens; denn es hat, ſtatt rein mit ſich zu thun zu haben
und bey ſich einheimiſch zu ſeyn, zugleich unmittelbar
mit ſeiner Entaͤuſſerung zu kaͤmpfen. Es bewegt ſich im
Elemente ſeines Gegentheils, der Beziehungsloſigkeit;
ſein Geſchaͤfte iſt die Arbeit der Verruͤktheit. Daß z. B.
Eins Drey, und Drey Eins iſt, zu begreifen, iſt darum
eine ſo harte Zumuthung, weil das Eins, das in der
Zahl herrſchend iſt, das Beziehungsloſe iſt, das alſo
nicht an ihm ſelbſt die Beſtimmung zeigt, wodurch es in
ſein Entgegengeſetztes uͤbergeht, ſondern vielmehr diß iſt,
eine ſolche Beziehung ſchlechthin auszuſchlieſſen und zu
verweigern.
Indem
[167]Quantitaͤt.
Indem alſo der Gedanke ſich von dem ſinnlichen
Stoffe reinigt, iſt es die letzte Stuffe, daß ihm das
Sinnliche, das Aeuſſerliche zum reinen Gedanken dieſer
Aeuſſerlichkeit, zur Zahl wird, und daß er dieſe zum
Elemente und Materie ſeiner ſelbſt nimmt. Aber er hat
auch noch dieſe abſtracte Gedankenloſigkeit zu uͤberwin-
den, und ſeine Beſtimmungen in ſeiner eigenen unmittelba-
ren Form zu faſſen, nemlich als Seyn, Werden u. ſ. f.
als Weſen, Identitaͤt u. ſ. f.
Was die Anſicht des gemeinen Rechnens ſelbſt
betrift, daß es Denken ſey, weil es „eine Beſtim-
„mung der relativen Vielheit, oder der beſtimmbaren
„Wiederhohlbarkeit von Einem und Ebendemſelben in ei-
„nem Andern, durch die abſolute Einheit des Identiſchen
„ſey,“ ſo iſt inſofern das Rechnen freylich Denken.
Aber Leſen, Schreiben u. ſ. f. iſt eben ſo ſehr Denken;
denn auch in ihnen iſt eine Beſtimmung eines relativ
Vielen durch eine Identitaͤt. Das Rechnen hat vor an-
dern Functionen des Denkens oder Bewußtſeyns, wie
ſich ergeben hat, einerſeits das Abſtracte ſeiner Materie
oder Elementes voraus; aber auf der andern Seite ſteht
es ihnen durch das Begriffloſe des Eins nach, das zwar
ein rein mit ſich identiſches und im Andern, nemlich im
Vielen ſich wiederhohlendes iſt, aber darin ſich weſent-
lich als beziehungslos halten, und ſeinem Andern ſelbſt
aͤuſſerlich bleiben, ſomit die wahrhafte, nemlich die be-
greifende Einheit des Denkens in ihm abweſend ſeyn ſoll.
Was es mit dem Gebrauche der Zahl und des
Rechnens auf ſich hat, inſofern er eine paͤdagogiſche
Hauptgrundlage ausmachen ſoll, geht aus dem Bisheri-
gen von ſelbſt hervor. Die Zahl iſt ein unſinnlicher Ge-
genſtand, und die Beſchaͤftigung mit ihr und ihren Ver-
bindungen, ein unſinnliches Geſchaͤfte; der Geiſt wird
N 2ſomit
[168]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
ſomit dadurch zur Reflexion in ſich und einer innerlichen
abſtracten Arbeit angehalten. Auf der andern Seite
aber, indem der Zahl der aͤuſſerliche, gedankenloſe Un-
terſchied zu Grunde liegt, ſo wird jenes Geſchaͤfte zu-
gleich ein gedankenloſes, mechaniſches Geſchaͤft, und die
Kraftanſtrengung beſteht vornemlich darin, die Lebendig-
keit des Geiſtes zu toͤdten, den Begriff zu unterdruͤcken,
Begriffloſes feſtzuhalten, und begrifflos es zu verbinden.
Weil das Rechnen ein ſo ſehr aͤuſſerliches, ſomit mecha-
niſches Geſchaͤft iſt, ſo haben ſich bekanntlich Maſchi-
nen verfertigen laſſen, welche die arithmetiſchen Opera-
tionen aufs vollkommenſte vollfuͤhren. Wenn man uͤber
die Natur des Rechnens nur dieſen Umſtand allein kaͤnn-
te, ſo laͤge darin die Entſcheidung, was es damit fuͤr ei-
ne Bewandniß hat, wenn dem Geiſte das Rechnen zum
Hauptgeſchaͤft gemacht, und er auf die Folter, ſich zur
Maſchine zu vervollkommnen, gelegt wird.
B. Exten-
[169]Quantitaͤt.
B.
Extenſives und intenſives Quantum.
Unterſchied derſelben.
1. Das Quantum hat ſeine Beſtimmtheit als Gren-
ze in der Anzahl. Es iſt ein in ſich Diſcretes, ein
Vieles, das begrenzt iſt; dieſes Viele hat, wie ſich zeig-
te, nicht ein Seyn fuͤr ſich, das verſchieden waͤre von
ſeiner Grenze und ſie auſſer ſich haͤtte. Denn eben in-
nerhalb der Zahl macht die Vielheit die Beſtimmtheit ge-
gen die Einheit aus; das Eins als Einheit iſt zwar an
ſich beſtimmt als numeriſches Eins, aber als Einheit iſt
es die unbeſtimmte, in ſich unterſchiedsloſe Continuitaͤt;
Unterſchied, Andersſeyn enthaͤlt es durch die Vielheit.
Sie enthaͤlt alſo das Moment der Grenze, der Negation
in der Zahl ſelbſt; der Unterſchied-an-ſich beſteht daher
in der Anzahl.
Das Quantum iſt alſo ein Vielfaches, und dieſe
Vielheit iſt eins mit ſeiner Grenze; es iſt als Grenze,
als beſtimmtes Quantum, ein Vielfaches an ſich ſelbſt.
So iſt es extenſive Groͤße.
Die extenſive Groͤße iſt von der continuir-
lichen zu unterſcheiden; es ſteht ihr direct nicht die
diſcrete, ſondern die intenſive Groͤße gegenuͤber. Die
extenſive Groͤße iſt die auſſereinanderſeyende in ihrer Be-
ſtimmtheit, oder inſofern die Grenze ein Vielfaches iſt;
ſie hat das Moment der Continuitaͤt, inſofern an ihr und
auch
[170]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
auch in ihrer Grenze, als dieſes Viele ein continuirliches
und die Grenze als Negation an dieſer Gleichheit der
Vielen erſcheint. Die continuirliche Groͤße aber iſt die
ſich fortſetzende Quantitaͤt ohne Ruͤckſicht auf eine Grenze,
oder inſofern ſie mit einer Grenze vorgeſtellt wird, die
dieſe auſſer jener Continuitaͤt und iſt Begrenzung [...]ndig [...]r-
haupt, ohne daß die Diſcretion an ihr ge-
ſetzt ſey. — Die continuirliche Groͤße iſt noch nicht
die wahrhaft an ſich beſtimmte Groͤße, weil ſie des vielen
Eins, worin das an-ſich-Beſtimmtſeyn liegt, entbehrt;
ihre Grenze iſt daher auſſer ihr, und noch nicht Zahl. —
Eben ſo iſt die diſcrete Groͤße unmittelbar in ihrer Be-
ſtimmung nur unterſchiedenes Vieles uͤberhaupt, das,
inſofern es als ſolches eine Grenze haben ſollte, nur eine
Menge, d. h. ein unbeſtimmt und aͤuſſerlich begrenztes
waͤre. — Inſofern aber ſowohl continuirliche als diſcre-
te Groͤße Quantum ſind, ſind ſie nach deſſen wahr-
hafter Beſtimmung Zahl, und dieſes iſt zunaͤchſt als ex-
tenſives Quantum, — die Beſtimmtheit, die weſent-
lich als Anzahl, jedoch als Anzahl einer und derſelben
Einheit iſt.
2. Das extenſive Quantum iſt die in ſich vielfache
Grenze. Es hat das unterſchiedene Andere an ihm ſelbſt,
und deswegen iſt die Zahl das vollkommen an ſich ſelbſt
beſtimmte. Die Beſtimmtheit, wie groß etwas iſt,
durch die Zahl, bedarf nicht des Unterſchiedes von et-
was Anderem Großem, ſo daß zur Beſtimmtheit dieſes
Großen es ſelbſt und ein Anderes Großes gehoͤrte; es iſt
an-ſich-beſtimmte, und dadurch gleichguͤltige, einfach
auf ſich bezogene Grenze. Das Viele der Grenze aber
iſt wie das Viele uͤberhaupt, nicht ein in ſich ungleiches,
ſondern ein continuirliches; jedes der Vielen iſt was das
andere iſt; es als vieles auſſereinanderſeyendes, oder
diſcretes macht daher die Beſtimmtheit als ſolche nicht
aus.
[171]Quantitaͤt.
aus. Diß Viele faͤllt alſo fuͤr ſich ſelbſt in ſeine Conti-
nuitaͤt zuſammen und wird einfache Einheit. — Das
Viele war jedoch hier nicht uͤberhaupt Vieles fuͤr ſich,
ſondern die Beſtimmung des Vielen, Anzahl gegen die
Einheit. Allein die Zahl iſt Eins der Einheit und der
Anzahl, oder die aus der Verſchiedenheit dieſer Beſtim-
mungen in ſich zuruͤckgekehrte Einheit. Die Anzahl iſt
darin nur Moment, oder iſt aufgehoben; ſie macht al-
ſo nicht die Beſtimmtheit der Zahl aus, als
eine Menge von numeriſchen Eins; ſondern
dieſe als gleichguͤltige, ſich Aeuſſerliche ſind im Zuruͤckge-
kehrtſeyn der Zahl in ſich, aufgehoben; die Aeuſſerlich-
keit, welche die Eins der Vielheit ausmachte, verſchwin-
det in der Beziehung der Zahl auf ſich ſelbſt.
Das Quantum, das als extenſives ſeine Beſtimmt-
heit an der ſich ſelbſt aͤuſſerlichen Anzahl hatte, geht alſo
in einfache Beſtimmtheit uͤber. In dieſer einfa-
chen Beſtimmung der Grenze iſt es intenſive Groͤße;
und die Grenze oder Beſtimmtheit als ſolche, die vorher
als Anzahl war, iſt ein einfaches, der Grad.
Der Grad iſt alſo beſtimmte Groͤße, Quantum,
aber nicht zugleich Menge, oder Mehreres innerhalb ſei-
ner ſelbſt; er iſt nur eine Mehrheit; die Mehrheit
iſt das Mehrere in die einfache Beſtimmung zuſammen-
genommen. Seine Beſtimmtheit wird zwar durch eine
Zahl ausgedruͤckt, als dem an-ſich-Beſtimmtſeyn des
Quantums, aber iſt nicht eine Anzahl, ſondern ein-
fach, nur Ein Grad. Wenn von 10, 20 Graden ge-
ſprochen wird, ſo iſt das Quantum, das ſo viele Gra-
de hat, nicht die Anzahl und Summe derſelben; ſo waͤre
es ein extenſives; ſondern es iſt nur Einer, der zehente,
zwanzigſte Grad. Er enthaͤlt dieſelbe Beſtimmtheit,
welche in der Anzahl zehen, zwanzig liegt, aber er ent-
haͤlt
[172]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
haͤlt ſie nicht als Mehrere, ſondern iſt die Zahl als auf-
gehobene Anzahl, als einfache Beſtimmtheit.
Aber dieſe Form der Beziehung auf ſich, welche
das Quantum erreicht hat, iſt zugleich das Aeuſſer-
lichwerden deſſelben. Die Zahl hat als extenſives
Quantum die Beſtimmtheit an ſich ſelbſt nur in der nu-
meriſchen Vielheit; aber dieſe, als Vieles uͤberhaupt,
faͤllt in die Ununterſchiedenheit zuſammen, und als ſich
aͤuſſerliches Vieles hebt es ſich auf in dem Eins der Zahl,
in der Beziehung derſelben auf ſich ſelbſt. Das intenſive
Quantum bleibt beſtimmtes Quantum. Die Beſtimmt-
heit aber des Quantums iſt ſich aͤuſſerliches, gleichguͤlti-
ges Andersſeyn. Der Grad, der in ſich ſelbſt einfach
iſt, und diß aͤuſſerliche Andersſeyn nicht mehr
in ihm hat, hat es auſſer ihm, und bezieht ſich
darauf als auf ſeine Beſtimmtheit. Es iſt alſo eine aͤuſ-
ſerliche Vielheit; aber ſo daß dieſes Aeuſſerliche zugleich
die einfache Grenze, die Beſtimmtheit, welche er fuͤr ſich
iſt, ausmacht. Die Anzahl als ſolche bleibt alſo die Be-
ſtimmtheit der Zahl, aber auſſer der Zahl, deren Be-
ſtimmtheit ſie iſt. Daß ſomit die Anzahl, inſofern ſie
ſich innerhalb der Zahl im extenſiven Quantum befinden
ſollte, darin aufhob, diß beſtimmt ſich naͤher ſo, daß ſie
auſſerhalb derſelben geſetzt worden iſt. Indem die Zahl
Eins, in ſich reflectirte Beziehung auf ſich ſelbſt iſt, ſo
ſchließt ſie damit die Gleichguͤltigkeit und Aeuſſerlichkeit
der Anzahl aus ſich aus, und iſt Beziehung auf ſich als
Beziehung durch ſich ſelbſt auf ein Aeuſſerliches.
Hierin hat das Quantum die ſeinem Begriffe ge-
maͤße Realitaͤt. Das Quantum iſt beſtimmte Quantitaͤt.
Die Beſtimmtheit der Quantitaͤt iſt gleichguͤltige Be-
ſtimmtheit, die nicht iſt als auf anderes bezogen; ſie hat
damit das Andersſeyn an ihr ſelbſt, und iſt in ſich ſelbſt
aͤuſſer-
[173]Quantitaͤt.
aͤuſſerlich. So iſt ſie Anzahl, das beſtimmte Unterſchie-
denſeyn in ſich ſelbſt; die Anzahl macht eine beſtimmte
Groͤße aus, und diß Beſtimmtſeyn, — ob es drey,
oder vier u. ſ. f. ſind, faͤllt ganz innerhalb die Zahl
ſelbſt; es bedarf dazu nicht einer Vergleichung mit an-
dern, noch iſt es ein qualitativer Unterſchied von Ande-
rem. Da dieſe Aeuſſerlichkeit innerliche, ſich auf ſich
beziehende Aeuſſerlichkeit iſt, ſo iſt ſie die Aeuſſerlichkeit
ihrer ſelbſt. Sie iſt alſo intenſive Groͤße, einfache Be-
ſtimmtheit, als Beziehung auf ſich ſelbſt, welche eben ſo
ſehr ihre Beſtimmtheit in Aeuſſerlichem hat; die Be-
ſtimmtheit, die an ihr ſelbſt die ſich aͤuſſerliche Beſtimmt-
heit iſt.
Sonach iſt alſo der Grad einfache Groͤßenbeſtimmt-
heit, unter einer Mehrheit von Intenſitaͤten, die ver-
ſchieden, aber in weſentlicher Beziehung auf einander
ſind, ſo daß jede in dieſer Continuitaͤt mit den andern
ihre Beſtimmtheit hat. Dieſe Beziehung des Grades
durch ſich ſelbſt auf ſein Anderes, macht das Auf- und
Abſteigen der Scale der Grade zu einem ſtaͤtigen Fort-
gang, einem Flieſſen, das eine ununterbrochene, un-
theilbare Veraͤnderung iſt. Jedes der Mehrern, die
darin unterſchieden werden, wird damit nicht getrennt
von den Andern, ſondern es hat ſein Beſtimmtſeyn nur
in dieſen Andern. Als ſich auf ſich beziehende Groͤßebe-
ſtimmung iſt jeder der Grade gleichguͤltig gegen die an-
dern; aber er iſt eben ſo ſehr an ſich auf dieſe Aeuſſerlich-
keit bezogen, und hat darin ſeine Beſtimmtheit; ſeine
Beziehung auf ſich iſt alſo eben ſo ſehr die nicht gleich-
guͤltige Beziehung auf das Aeuſſerliche. Das Aeuſſer-
liche iſt in der Einfachheit des Grades aufgehoben; aber
es iſt eben ſo ſehr auch als aͤuſſerliches auſſer ihm auf-
gehoben; denn es iſt in weſentlicher Beziehung auf die
einfache Beſtimmtheit, alſo derſelben eben ſo ſehr nicht
aͤuſſerlich.
2. Iden-
[174]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Identitaͤt der extenſiven und intenſiven Groͤße.
Die intenſive Groͤße iſt die Anzahl der extenſiven
Groͤße in die Einfachheit zuſammengenommen; ein be-
ſtimmtes Eins, das ſeine Beſtimmtheit nicht als ein
Mehreres an ihm ſelbſt hat; der Grad iſt nicht innerhalb
ſeiner ein ſich Aeuſſerliches. Allein er iſt nicht nur das
unbeſtimmte Eins, das Princip der Zahl uͤberhaupt, das
nicht Anzahl iſt, als nur die negative, keine Anzahl zu
ſeyn. — Aber die intenſive Groͤße hat zugleich ihre Be-
ſtimmtheit nur in einer Anzahl. Sie iſt ein einfaches
Eins der Mehrern; es ſind mehrere Grade; aber be-
ſtimmt ſind ſie nicht weder als einfaches Eins, noch als
Mehrere, ſondern nur in der Beziehung dieſes Auſſerſich-
ſeyns, oder in der Identitaͤt des Eins und der Mehr-
heit. Wenn alſo die Mehrern als ſolche auſſer dem ein-
fachen Grade ſind, ſo beſteht in ſeiner Beziehung auf ſie
ſeine Beſtimmtheit; er enthaͤlt alſo die Anzahl. Wie
zwanzig als extenſive Groͤße, die zwanzig Eins, als di-
ſcrete in ſich enthaͤlt, ſo enthaͤlt der beſtimmte Grad ſie
als Continuitaͤt, welche dieſe beſtimmte Mehrheit einfach
iſt; er iſt der zwanzigſte Grad; und iſt der zwan-
zigſte Grad nur als dieſe Anzahl. Dieſe Anzahl aber,
die im Grade einfach iſt, iſt zugleich Aeuſſerlichkeit an
ſich ſelbſt; ſie iſt Anzahl nur als Menge von numeriſchen
Eins, die eben ſo ſehr auſſer jener Einfachheit des Gra-
des iſt.
Die Beſtimmtheit der intenſiven Groͤße iſt daher
von doppelter Seite zu betrachten. Sie iſt erſtens
beſtimmt durch andere intenſive Quanta; ſie iſt in Con-
tinuitaͤt mit ihrem Andersſeyn, und in dieſer Beziehung
auf ihr Andersſeyn beſteht ihre Beſtimmtheit. Inſofern
ſie die einfache Beſtimmtheit iſt, iſt ſie alſo beſtimmt
gegen
[175]Quantitaͤt.
gegen andere Grade; ſie ſchließt dieſelben aus ſich aus,
und hat ihre Beſtimmtheit in dieſem Ausſchließen.
Aber zweytens iſt ſie an ihr ſelbſt beſtimmt; in-
ſofern iſt ſie es in der Anzahl, als in ihrer Anzahl,
nicht als in der ausgeſchloſſenen oder nicht in der An-
zahl anderer Grade. Der zwanzigſte Grad enthaͤlt die
zwanzig an ſich ſelbſt; er iſt nicht nur beſtimmt als un-
terſchieden vom neunzehnten, ein und zwanzigſten u. ſ. f.
ſondern ſeine Beſtimmtheit iſt ſeine gleichguͤltige An-
zahl. Aber inſofern die Anzahl die ſeinige iſt, und zwar
iſt die Beſtimmtheit zugleich weſentlich als Anzahl, ſo iſt
er extenſives Quantum.
Extenſive und intenſive Groͤße ſind alſo eine und
dieſelbe Beſtimmtheit des Quantums, ſie ſind nur da-
durch unterſchieden, daß die eine daſſelbe iſt in einfacher
Beſtimmtheit, die andere in vielfacher. Die extenſive
Groͤße geht in intenſive Groͤße uͤber, weil ihr Vieles an
und fuͤr ſich in die Einheit zuſammenfaͤllt, und als Be-
ſtimmtheit des Vielen, ſich aͤuſſerlichen numeriſchen Eins
gegen die Einheit, in der Beziehung der Zahl auf ſich
ſelbſt gegen dieſe Einheit, auſſer ihr tritt. Aber umge-
kehrt hat dieſes Einfache ſeine Beſtimmtheit nur an der
Anzahl und zwar als ſeiner; denn es iſt zugleich gleich-
guͤltig gegen die anders beſtimmten Intenſitaͤten. Die
intenſive Groͤße iſt alſo eben ſo weſentlich extenſive Groͤße.
Der Unterſchied von extenſiver und intenſiver Groͤße
beruht auf dem Unterſchiede ihrer Momente, der Anzahl
und der Einheit; ſie iſt die eine und die andre Groͤße in
der Beſtimmung des einen oder des andern Moments
geſetzt. Aber weil dieſe Momente ihr weſentlich ſind,
weil die Beſtimmtheit eben ſo ſehr Beſtimmtheit des Vie-
len als eines continuirlichen oder einfachen Beziehung auf
ſich,
[176]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
ſich, wie als des diſcreten, des ſich aͤuſſerlichen iſt, ſo
iſt ihr Geſetztſeyn in einem derſelben, eben ſo ſehr ihr
Geſetztſeyn in dem Andern; oder ihr Daſeyn iſt dieſes
gedoppelte Daſeyn, das aber in Ruͤckſicht auf die Be-
ſtimmtheit des Quantums ſelbſt gleichguͤltig iſt.
In der gewoͤhnlichen Vorſtellung pflegen extenſi-
ves und intenſives Quantum ſo als Arten
von Groͤßen unterſchieden zu werden, als ob es Ge-
genſtaͤnde gaͤbe, die nur intenſive, andere, die nur ex-
tenſive Groͤße haͤtten. Ferner iſt die Vorſtellung einer
philoſophiſchen Naturwiſſenſchaft hinzugekommen, welche
das Mehrere, das Extenſive, z. B. in der Grundbe-
ſtimmung der Materie, einen Raum zu erfuͤllen, ſo wie
in andern Begriffen, in ein Intenſives verwan-
delte, in dem Sinne, daß das Intenſive, als das Dy-
namiſche die wahrhafte Beſtimmung ſey, und z. B.
die Dichtigkeit oder ſpecifiſche Raumerfuͤllung weſentlich
nicht als eine gewiſſe Menge und Anzahl materiel-
ler Theile in einem Quantum Raum, ſondern als ein
gewiſſer Grad der raumerfuͤllenden Kraft der Ma-
terie geſaßt werden muͤſſe.
Es ſind hiebey zweyerley Beſtimmungen zu unter-
ſcheiden; es kommt der Begriff von auſſereinander
beſtehenden ſelbſtſtaͤndigen Theilen, die nur
aͤuſſerlich in ein Ganzes verbunden ſind, und der davon
verſchiedene Begriff von Kraft vor. Was in der
Raumerfuͤllung einerſeits nur als eine Menge einander
aͤuſſerlichen Atome angeſehen wird, wird andererſeits
als die Aeuſſerung einer zu Grunde liegenden einfachen
Kraft betrachtet. — Dieſe Verhaͤltniſſe von Ganzem und
Theilen, der Kraft und ihrer Aeuſſerung gehoͤren aber
nicht
[177]Quantitaͤt.
nicht hieher, ſondern werden unten betrachtet werden. —
Das andere aber iſt die quantitative Beſtimmtheit,
die dabey vorkommt, und in Anſehung deren die Groͤße
als extenſives Quantum aufgehoben und in den Grad,
als die wahrhaft ſeyn ſollende Beſtimmung, verwandelt
wird.
In Anſehung dieſer vermeynten Weſentlichkeit des
Unterſchiedes iſt es hinreichend gezeigt zu haben, daß er
fuͤr die Beſtimmtheit des Quantums ſelbſt unweſentlich,
die eine Form aber fuͤr die andere weſentlich iſt,
und daher jedes Daſeyn ſeine Groͤßebeſtimmung eben ſo
ſehr als extenſives wie als intenſives Quantum dar-
ſtellt.
Als Beyſpiel hievon dient daher alles, inſofern es
in einer Groͤßebeſtimmung erſcheint. Die Zahl ſelbſt
hat dieſe gedoppelte Form nothwendig unmittelbar an ihr
ſelbſt. Sie iſt eine Anzahl, inſofern iſt ſie extenſive
Groͤße. Aber ſie auch ein Eins, ein Zehen, ein
Hundert; inſofern ſteht ſie auf dem Uebergange zur inten-
ſiven Groͤße, indem in dieſer Einheit das Vielfache in
Einfaches zuſammengeht. Das Zehente, das Hun-
dertſte iſt diß Einfache an ihm ſelbſt, das ſeine Beſtimmt-
heit an dem auſſer ihm fallenden Mehrern hat, und iſt
inſofern eigentlich intenſive Groͤße. Die Zahl iſt Zehen,
Hundert, und dieſelbe iſt zugleich die Zehnte, Hundert-
ſte im Zahlenſyſtem; beydes iſt daſſelbe; jede Beſtim-
mung kann fuͤr die andere genommen werden; die zehente
Zahl im Zahlenſyſtem iſt Zehen.
Das Eins im Kreiſe heißt Grad, weil ein Theil
des Kreiſes weſentlich ſeine Beſtimmtheit in einem
Mehrern auſſer ihm hat, nur als eines einer gewiſſen
Anzahl ſolcher Eins beſtimmt iſt. Der Grad des Krei-
ſes
[178]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
ſes iſt aber nur Princip der Zahl einer Groͤße des Krei-
ſes, nur ihr Eins. Ein Quantum ſelbſt vom Kreiſe iſt
ein Bogen von beſtimmter Groͤße, eine gewoͤhnliche Zahl,
nemlich eine Anzahl ſolcher Eins, die Grade ſind. Die-
ſe Zahl iſt extenſive Groͤße, und intenſive nur inſofern,
wie ſo eben erinnert, die Zahl diß uͤberhaupt iſt.
Die Groͤße wirklicher Gegenſtaͤnde, ſtellt ihre ge-
doppelte Seite, extenſiv und intenſiv zu ſeyn, an den
gedoppelten Beſtimmungen des Daſeyns des Gegenſtandes
dar, in deren einer er als ein aͤuſſerliches, in der
andern aber als ein innerliches erſcheint. So iſt z.
B. eine Maſſe als Gewicht, ein extenſiv-Großes,
inſofern ſie eine Anzahl von Pfunden, Centnern u. ſ. f.
ausmacht; ein intenſiv-Großes, inſofern ſie einen
gewiſſen Druck ausuͤbt; dieſe Groͤße des Drucks iſt ein
einfaches, ein Grad, der ſeine Beſtimmtheit an einer
Scale von Graden des Druckes hat. Als druͤckend er-
ſcheint die Maſſe als ein In-ſich-ſeyn, als Subject,
dem der intenſive Groͤßenunterſchied zukommt. — Um-
gekehrt was dieſen Grad des Drucks ausuͤbt, iſt ver-
moͤgend, eine gewiſſe Anzahl von Pfunden u. ſ. f. von
der Stelle zu bewegen, und mißt ſeine Groͤße hieran.
Oder die Waͤrme hat einen Grad; der Waͤr-
megrad, er ſey der 10te, 20ſte u. ſ. f. iſt eine einfache
Empfindung, ein ſubjectives. Aber dieſer Grad iſt eben
ſo ſehr vorhanden als extenſive Groͤße, als die Aus-
dehnung einer Fluͤſſigkeit, des Queckſilbers im Thermo-
meter, der Luft oder des Thons u. ſ. f. Ein hoͤherer
Grad der Temperatur druͤckt ſich aus als eine laͤngere
Queckſilberſaͤule, oder als ein ſchmaͤlerer Thoncylinder;
er erwaͤrmt einen groͤßern Raum auf dieſelbe Weiſe als
ein geringerer Grad den kleinern Raum.
Der
[179]Quantitaͤt.
Der hoͤhere Ton iſt als der intenſivere, zu-
gleich eine groͤßere Menge von Schwingungen, oder
ein lauterer Ton, dem ein hoͤherer Grad zugeſchrieben
wird, macht ſich in einem groͤßern Raume hoͤrbar. —
Mit der intenſivern Farbe laͤßt ſich eine groͤßere Flaͤ-
che, als mit einer ſchwaͤchern, auf gleiche Weiſe faͤr-
ben; oder das Hellere, eine andere Art von Intenſi-
taͤt, iſt weiter ſichtbar als das weniger Helle u. ſ. f.
Eben ſo im Geiſtigen iſt die hohe Intenſi-
taͤt des Charakters, Talents, Genies, von eben ſo
weitgreiffendem Daſeyn, ausgedehnter Wir-
kung und vielſeitiger Beruͤhrung. Der tiefſte
Begriff hat die allgemeinſte Bedeutung und An-
wendung.
Veraͤnderung des Quantums.
Der Unterſchied des extenſiven und intenſiven
Quantums iſt der Beſtimmtheit des Quantums an ihm
ſelbſt gleichguͤltig; er iſt nur ein Unterſchied ſeines Da-
ſeyns, oder es hat die Beſtimmungen, welche das Ex-
tenſive und Intenſive ausmachen, als ſeine Momente in
ihm ſelbſt. Aber wenn es dagegen als gegen einen Un-
terſchied des Daſeyns gleichguͤltig iſt, ſo ſind dafuͤr ſeine
Momente in einen innern Gegenſatz getreten. Das ex-
tenſive Quantum iſt als ſich auf ſich beziehendes Eins in
das intenſive Quantum uͤbergegangen. Dieſes aber,
welches ſomit allein zu betrachten iſt, iſt die Groͤße-
beſtimmtheit, die einfach in ſich, aber eben in dieſer
ſich auf ſich beziehenden Beſtimmtheit ſich aͤuſſerlich iſt,
nicht in ſich, ſondern in einem andern Mehrern be-
ſteht.
Die
[180]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Die intenſive Groͤße iſt alſo fuͤrſichſeyendes Quan-
tum und darin weſentlich auf ein Anderes bezogen. Diß
Andre iſt ein Anderes dieſer Groͤße; ein anderes
Quantum. Sie iſt alſo nur, als ihre Beſtimmung in ei-
ner andern Groͤße habend. Aber ſie hat ihre Beſtim-
mung, ihr Anſichſeyn, in einer andern Groͤße, heißt, ſie
iſt nicht ſie ſelbſt, ſondern ein anderes Quantum. Oder
ſie geht weſentlich in eine andere Groͤße uͤber.
Die intenſive Groͤße iſt aber uͤberhaupt das reale
Quantum. Das Quantum iſt die als aufgehoben geſetzte
Beſtimmtheit, die gleichguͤltige Grenze; das heißt alſo,
es iſt die Beſtimmtheit, welche eben ſo ſehr die Negation
ihrer ſelbſt iſt. So iſt das Quantum als Grad geſetzt.
Er iſt die einfache ſich auf ſich beziehende Beſtimmtheit,
welche die Negation ihrer ſelbſt iſt, indem ſie ihre Be-
ſtimmtheit nicht an ihr, ſondern in einem andern Quan-
tum hat; er iſt alſo, indem er dieſes beſtimmte Quan-
tum iſt, vielmehr weſentlich nicht er, ſondern ein ande-
res Quantum.
Ein Quantum iſt alſo uͤberhaupt in abſoluter Con-
tinuitaͤt mit ſeiner Aeuſſerlichkeit, mit ſeinem Anders-
ſeyn. Es kann daher nicht nur uͤber jede Groͤßebe-
ſtimmtheit hinausgegangen, ſie kann nicht nur veraͤn-
dert werden, ſondern ſie muß ſich veraͤndern. Die
Quanta erſchienen zuerſt als aͤuſſerliche gegeneinan-
der, in der Beſtimmung von numeriſchen Eins. Aber
ſie ſind nicht nur aͤuſſerlich gegeneinander, ſondern ſind
ſich ſelbſt aͤuſſerlich. Die Groͤßebeſtimmung conti-
nuirt ſich alſo ſo in ihr Andersſeyn, daß ſie ihr Seyn
nur in dieſer Continuitaͤt mit einem andern hat. Ein
Quantum iſt alſo es ſelbſt, und eben ſo weſentlich nicht
es ſelbſt, ſondern die Negation ſeiner, ein Anderes. Es
iſt nicht eine ſeyende, ſondern eine werdende
Grenze.
Das
[181]Quantitaͤt.
Das Eins iſt unendlich, oder die ſich auf ſich be-
ziehende Negation; es iſt daher die Repulſion ſeiner von
ſich ſelbſt. Das Quantum iſt gleichfalls unendlich und
repellirt ſich von ſich ſelbſt. Aber das Quantum iſt das
beſtimmte Eins, das Eins, welches in Daſeyn und
in die Grenze uͤbergegangen iſt. Das Quantum iſt alſo
die Repulſion der Beſtimmtheit von ſich ſelbſt; ſie iſt da-
her nicht das Erzeugen des ſich ſelbſt gleichen, wie die
Repulſion des Eins, ſondern ſeines Andersſeyns. Wie
uͤber das Eins nicht von einem Dritten hinausgegangen
wird, ſondern es ſelbſt ſich von ſich abſtoͤßt, ſo iſt es
auch der Begriff des Quantums uͤber ſich hinaus zu ſchi-
cken, und ein Anderes zu werden. Es beſteht darin,
ſich zu vermehren oder zu vermindern; es iſt die Aeuſſer-
lichkeit der Beſtimmtheit an ſich ſelbſt.
Das Quantum ſchickt ſich ſelbſt uͤber ſich hinaus;
diß Andre, zu dem es wird, iſt zunaͤchſt ſelbſt ein Quan-
tum; eine nicht ſeyende, ſondern ſich uͤber ſich ſelbſt hin-
austreibende Grenze; es continuirt ſich in ſein Anders-
ſeyn; es iſt ſich aͤuſſerlich; und dieſe Aeuſſerlichkeit ſei-
ner ſelbſt iſt es ſelbſt. Die in dieſem Hinausgehen wie-
der entſtandene Grenze iſt alſo ſchlechthin nur eine ſolche,
die ſich wieder aufhebt, und ſo fort ins Unend-
liche.
OC. Quan-
[182]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
C.
Quantitative Unendlichkeit.
Begriff derſelben.
Das Quantum veraͤndert ſich und wird ein anderes
Quantum; es iſt aber eine weitere Beſtimmung dieſer
Veraͤnderung, daß ſie ins Unendliche fortgeht.
Das Quantum wird ein Anderes; es continuirt
ſich in ſein Andersſeyn; das Andre iſt alſo auch ein
Quantum. Aber das Andre iſt zugleich das Andre nicht
nur eines Quantums, ſondern des Quantums ſelbſt.
Denn das Quantum iſt die gleichguͤltige Beſtimmtheit,
welche gegen Anderes, aber auch gegen ſich gleich-
guͤltig iſt. Wie ſich ſeine Momente in dem intenſiven
Quantum beſtimmt haben, iſt es die Beſtimmtheit, die
ſich nicht auf anderes, ſondern auf ſich ſelbſt bezieht;
eben ſo ſehr aber iſt dieſe Beſtimmtheit ſchlechthin nur
die Beſtimmtheit in einem Andern; die Beziehung auf
Anderes iſt ihm aͤuſſerlich, aber es iſt ſelbſt dieſe Aeuſ-
ſerlichkeit ſeiner. Es iſt alſo das Quantum ſelbſt, wel-
ches ſich widerſpricht, und ſomit ſich an ſich aufloͤst;
es ſelbſt iſt ſomit die Negation ſeiner ſelbſt; die Veraͤn-
derung betrift nicht nur ein Quantum, ſondern das
Quantum. Das Quantum iſt ein Sollen; es enthaͤlt,
an ſich beſtimmt zu ſeyn, und dieſes An-ſich-be-
ſtimmtſeyn ſelbſt iſt vielmehr das Beſtimmtſeyn in
einem Andern; und umgekehrt iſt es das aufgehobene
Beſtimmtſeyn in einem andern; es iſt gleichguͤltiges Be-
ſtimmt-
[183]Quantitaͤt.
ſtimmtſeyn. Es iſt alſo gegen ſich ſelbſt ein Anderes
und Aeuſſerliches; es enthaͤlt diß, endlich zu ſeyn,
und uͤber die Endlichkeit, uͤber das Beſtimmtſe [...]n in ei-
nem Andern hinauszugehen, und unendlich zu ſeyn.
Bey der qualitativen und quantitativen
Unendlichkeit iſt es weſentlich zu bemerken, daß
nicht von einem Dritten uͤber das Endliche hinausgegan-
gen wird, ſondern daß die Beſtimmtheit als ſich in ſich
ſelbſt aufloͤſend, uͤber ſich hinausgeht. Aber das quali-
tative und quantitative Unendliche unterſcheiden ſich da-
durch, daß im erſten der Gegenſatz des Endlichen und
Unendlichen qualitativ iſt, und der Uebergang des Endli-
hen in das Unendliche, oder die Beziehung beyder auf
einander nur im Anſich, in ihrem Begriffe liegt. Die
qualitative Beſtimmtheit iſt zunaͤchſt unmittelbar, ſeyend;
und bezieht ſich auf das Andersſeyn weſentlich als auf
ein ihr Anderes, ſie iſt nicht geſetzt, ihre Negation, ihr
Anderes an ihr ſelbſt zu haben. Die Groͤße hingegen iſt
als ſolche, aufgehobene Beſtimmtheit; ſie iſt geſetzt, die
Negation, ungleich mit ſich und das Veraͤnderliche zu
ſeyn. Das qualitative Endliche und Unendliche ſtehen
ſich daher abſolut gegeneinander uͤber; ihre Einheit iſt,
die zu Grunde liegende innerliche Beziehung; das
Endliche continuirt ſich daher nicht unmittelbar in ſein
Anderes. Hingegen das quantitative Endliche bezieht ſich
an ihm ſelbſt in ſein Unendliches. Ihre Beziehung iſt
daher der unendliche Progreß.
Der unendliche Progreß.
Der Progreß ins Unendliche iſt nichts anderes, als
der Ausdruck des Widerſpruchs, den das quantitativ-
O 2End-
[184]Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
Endliche oder das Quantum uͤberhaupt enthaͤlt. Er iſt
die Wechſelbeſtimmung des Endlichen und Unendlichen,
die in der qualitativen Sphaͤre betrachtet worden iſt,
aber mit dem Unterſchiede, daß wie ſo eben erinnert, im
Quantitativen ſich die Grenze an ihr ſelbſt in ihr Jenſeits
fortſetzt, und ſomit umgekehrt auch das quantativ-Un-
endliche geſetzt iſt, das Quantum, ſein Anderes an ihm
ſelbſt zu haben. Endliches und Unendliches iſt, das ei-
ne das Nichtſeyn des andern. Aber weil die quantita-
tive Beſtimmtheit der nur aufgehobene Unterſchied iſt, ſo
iſt das Quantitative in ſeinem Auſſerſichſeyn ſelbſt. Das
quantitativ-Unendliche iſt alſo zwar das aufgehobene
Quantum nicht nur als ein Quantum, ſondern als das
Quantum. Aber weil das Quantum ſich in ſein Aufge-
hobenſeyn continuirt, ſo iſt das Unendliche eben ſo ſehr
als das Gegentheil ſeiner ſelbſt, als Quantum beſtimmt.
Das Quantum alſo iſt die Beſtimmtheit-an-ſich,
die gegen anderes gleichguͤltige Beſtimmtheit, welche
aber eben ſo ſehr nur iſt, als ſich aͤuſſerlich. Der un-
endliche Progreß iſt der Ausdruck dieſes Wider-
ſpruchs, nicht die Aufloͤſung deſſelben; er bleibt
ſchlechthin im Widerſpruche ſtehen, und geht nicht uͤber
ihn hinaus.
Oder der Progreß ins Unendliche iſt nur die Auf-
gabe des Unendlichen, nicht die Erreichung deſſelben.
Er iſt das perennirende Erzeugen deſſelben, ohne
uͤber das Quantum ſelbſt hinauszukommen, und ohne daß
das Unendliche ein Poſitives und Gegenwaͤrtiges wuͤrde.
Das Quantum iſt ein ſolches, in deſſen Begriff es iſt,
ein Jenſelts ſeiner zu haben. Diß Jenſeits iſt erſt-
lich das reine Moment des Nichtſeyns des Quan-
tums; denn es loͤst es ſich an ſich ſelbſt auf. So be-
zieht es ſich auf ſein Jenſeits, auf ſeine Unend-
lich-
[185]Quantitaͤt.
lichkeit. Diß iſt das qualitative Moment des
Gegenſatzes. Aber zweytens ſteht das Quantum in
Continuitaͤt mit dieſem ſeinem Jenſeits, das ein Nicht-
[ſuner] [...][s] Nichtſeyn des Quantums iſt; denn das Quan-
tum [...][ſt]eht eben darin, das Andre ſeiner ſelbſt, ſich
ſelbſt aͤuſſerlich zu ſeyn; alſo iſt diß Andre, diß Aeuſſer-
liche eben ſo ſehr nicht ein Anderes als das Quantum.
Das Jenſeits, oder das Unendliche iſt alſo ſelbſt ein
Quantum. Das Jenſeits iſt auf dieſe Weiſe aus ſei-
ner Flucht zuruͤckgerufen, und das Unendliche erreicht.
Aber weil diß zum Diſſeits gewordene wieder ein Quan-
tum iſt, iſt nur wieder eine neue Grenze geſetzt worden.
Das wieder entſtandene Quantum iſt darum, weil es
Quantum iſt, auch wieder von ſich ſelbſt geflohen, iſt als
ſolches uͤber ſich hinaus, und hat ſich in ſein Nichtſeyn
von ſich ſelbſt repellirt; es hat ſomit ein perennirendes
Jenſeits. Aber das Quantum beſteht zugleich eben
darin, ſich aͤuſſerlich zu ſeyn. Alſo iſt jenes Jenſeits,
ſelbſt wieder das Quantum.
Wird diß, daß hierin das Jenſeits oder das Un-
endliche als Quantum und umgekehrt das Quantum als
Unendliches beſtimmt wird, in einen Ausdruck vereinigt,
ſo gibt dieſe Verbindung ein Unendlichgroßes oder
Unendlichkleines. Aber dieſe Verbindung iſt ſelbſt
nichts anderes als nur der falſche Ausdruck des Wider-
ſpruchs, oder des unendlichen Progreſſes. Denn das
Quantum und ſein Jenſeits ſind darin in ihrer abſoluten
Beſtimmtheit gegen einander, das eine als das Nichtſeyn
des andern, erhalten. Das Unendlichgroße und Unend-
lichkleine, wird als ein Quantum vorgeſtellt; es iſt
ein Großes oder Kleines; aber als Quantum hat es ſein
Jenſeits eben ſo ſehr von ſich abgeſtoßen; es iſt nicht
zum Unendlichen erweitert, ſondern im perennirenden
Gegenſatze gegen daſſelbe erhalten. Das Große noch
ſo
[186]Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
ſo ſehr erweitert, ſchwindet daher zur Unbetraͤchtlichkeit
zuſammen; denn inſofern es ſich auf das Unendliche als
auf ſein Nichtſeyn bezieht, iſt der Gegenſatz nach dieſem
Momente qualitativ; das erweiterte Quanturt, hat
alſo dem Unendlichen nichts abgewonnen; ſondere wieſes
iſt vor wie nach das Nichtſeyn deſſelben. Oder, die
Vergroͤßerung des Quantums iſt keine Naͤherung zum
Unendlichen, denn der Unterſchied des Quantum und
ſeiner Unendlichkeit hat weſentlich das Moment, ein nicht
quantitativer Unterſchied zu ſeyn. — Eben ſo das Un-
endlichkleine iſt als Kleines ein Quantum und bleibt da-
her abſolut d. h. qualitativ zu groß fuͤr das Unendliche,
und iſt dieſem entgegengeſetzt.
Das Unendlichgroße oder Kleine iſt daher nur ſelbſt
der unendliche Progreß. Dieſe Unendlichkeit, welche als
das Jenſeits des Endlichen beſtimmt iſt, iſt als die
ſchlechte quantitative Unendlichkeit zu bezeich-
nen. Sie iſt Unendlichkeit des Progreſſes und wie die
qualitative ſchlechte Unendlichkeit, nur das perennirende
Heruͤber- und Hinuͤbergehen von dem einen Gliede des
bleibenden Widerſpruchs zum andern, von der Grenze zu
ihrem Nichtſeyn, von dieſer aufs neue zuruͤck zu eben-
demſelben zur Grenze. Es iſt nicht ſowohl ein Fort-
gehen, ſondern ein Wiederhohlen von einem und eben
demſelben, Setzen, Aufheben, und Wiederſetzen und
Wiederaufheben; eine Ohnmacht des Negativen, dem
das, was es aufhebt, durch ſein Aufheben ſelbſt als ein
continuirliches wiederkehrt. Es ſind zwey ſo zuſammen-
geknuͤpft, daß ſie ſich ſchlechthin fliehen; und indem ſie
ſich fliehen, koͤnnen ſie ſich nicht trennen, ſondern ſind
in ihrer Trennung verknuͤpft.
Anmer-
[187]Quantitaͤt.
Die ſchlechte Unendlichkeit pflegt vornemlich in der
Form des Progreßes des Quantitativen ins
Unendliche, — diß fortgehende Ueberfliegen der
Grenze, das die Ohnmacht iſt, ſie aufzuheben, und der
perennirende Ruͤckfall in dieſelbe, — fuͤr etwas Erha-
benes und fuͤr eine Art von Gottesdienſt gehalten zu
werden, ſo wie derſelbe in der Philoſophie als ein Letz-
tes angeſehen worden iſt. Es finden ſich allenthalben
Tiraden ſolcher Art, die als erhabne Productionen be-
wundert worden ſind. In der That aber macht dieſe
moderne Erhabenheit nicht den Gegenſtand groß,
welcher vielmehr entflieht, ſondern nur das Subject,
das ſo große Quantitaͤten in ſich verſchlingt. Es thut
ſich aber die Duͤrftigkeit dieſer ſubjectiv bleibenden Erhe-
bung, die an der Leiter des Quantitativen hinaufſteigt,
damit kund, daß ſie in der vergeblichen Arbeit dem un-
endlichen Ziele nicht naͤher kommt, welches zu erreichen
ganz anders anzugreifen iſt.
Bey folgenden Tiraden dieſer Art iſt es zugleich
ausgedruͤckt, in was ſolche Erhebung uͤbergeht und auf-
hoͤrt. Kant z. B. fuͤhrt es als erhaben auf,
„wenn das Subject mit dem Gedanken ſich uͤber
„den Platz erhebt, den es in der Sinnenwelt einnimmt,
„und die Verknuͤpfung ins unendlich Große erweitert,
„eine Verknuͤpfung mit Sternen uͤber Sternen, mit
„Welten uͤber Welten, Syſtemen uͤber Syſtemen, uͤber-
„dem noch in grenzenloſe Zeiten ihrer periodiſchen Be-
„wegung, deren Anfang und Fortdauer. — Das Vor-
„ſtellen erliegt dieſem Fortgehen ins Unermeßlich-Ferne,
„wo die fernſte Welt immer noch eine fernere hat, die
„ſo weit zuruͤckgefuͤhrte Vergangenheit noch eine weitere
„hinter ſich, die noch ſo weit hinausgefuͤhrte Zukunft
„immer
[188]Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
„immer noch eine andere vor ſich; der Gedanke er-
„liegt dieſer Vorſtellung des Unermeßlichen; wie ein
„Traum, daß einer einen langen Gang immer weiter
„und unabſehbar weiter fortgehe, ohne ein Ende abzu-
„ſehen, mit Fallen oder mit Schwindel endet.“
Dieſe Darſtellung, auſſerdem daß ſie den Inhalt
des quantitativen Erhebens in einen Reichthum der Schil-
derung zuſammendraͤngt, verdient wegen der Wahrhaf-
tigkeit vornemlich Lob, mit der ſie es angibt, wie es
dieſer Erhebung am Ende ergeht: der Gedanke erliegt,
das Ende iſt Fallen und Schwindel. Was den Gedan-
ken erliegen macht, und das Fallen deſſelben und
Schwindel hervorbringt, iſt nichts anderes, als die
Langeweile jener Wiederhohlung, welche eine Grenze
verſchwinden und wieder auftreten und wieder verſchwin-
den, ſo immer das eine um das andere, und eins im
andern, in dem Jenſeits das Diſſeits, in dem Diſſeits
das Jenſeits perennirend entſtehen und vergehen laͤßt,
und nur das Gefuͤhl der Ohnmacht dieſes Unendlichen
oder dieſes Sollens gibt, das uͤber das Endliche Mei-
ſter werden will und nicht kann.
Auch die Hallerſche, von Kant ſogenannte ſchau-
derhafte Beſchreibung der Ewigkeit pflegt beſon-
ders bewundert zu werden, aber oft gerade nicht wegen
derjenigen Seite, die das wahrhafte Verdienſt derſelben
ausmacht:
„Ich
[189]Quantitaͤt.
Wenn auf jenes Aufbuͤrgen und Aufthuͤrmen von Zahlen
und Welten als auf eine Beſchreibung der Ewig-
keit der Werth gelegt wird, ſo wird uͤberſehen, daß
der Dichter ſelbſt dieſes ſogenannte ſchauderhafte Hin-
ausgehen fuͤr etwas vergebliches und hohles erklaͤrt, und
daß er damit ſchließt, daß nur durch das Aufge-
ben dieſes leeren unendlichen Progreſſes das wahrhafte
Unendliche ſelbſt zur Gegenwart vor ihn komme.
Bekanntlich thun ſich auch die Aſtronomen auf
das Erhabene ihrer Wiſſenſchaft gern darum viel zu Gute,
weil ſie mit einer unermeßlichen Menge von Ster-
nen, mit ſo unermeßlichen Raͤumen und Zeiten zu
thun habe, in denen Entfernungen und Perioden, die
fuͤr ſich ſchon ſo groß ſind, zu Einheiten dienen, welche
noch ſo vielmahl genommen, ſich wieder zur Unbedeu-
tenheit verkuͤrzen. Das ſchaale Erſtaunen, dem ſie ſich
dabey uͤberlaſſen, die abgeſchmackten Hoffnungen, erſt
noch in jenem Leben von einem Sterne zum andern zu
reiſen und ins Unermeßliche fort dergleichen neue
Kenntniſſe zu erwerben, geben ſie fuͤr ein Hauptmoment
der Vortreflichkeit ihrer Wiſſenſchaft aus, — welche al-
lerdings bewundernswuͤrdig iſt, aber nicht um der quan-
titativen Unendlichkeit willen, die in ihr vorkommt, ſon-
dern im Gegentheil um der Maaßverhaͤltniſſe und
der Geſetze willen, welche die Vernunft in dieſen Ge-
genſtaͤnden erkannt hat, und die das vernuͤnftige Unend-
liche gegen jene unvernuͤnftige Unendlichkeit ſind.
Der Unendlichkeit, die ſich auf die aͤuſſere ſinnliche
Anſchauung bezieht, ſetzt Kant die andere Unendlich-
keit gegenuͤber, wenn
„das
[190]Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
„das Individuum auf ſein unſichtbares Ich zuruͤck-
„geht, und die abſolute Freyheit ſeines Willens als ein
„reines Ich allen Schrecken des Schickſals und der Ty-
„ranney entgegenſtellt, von ſeinen naͤchſten Umgebungen
„anfangend, ſie fuͤr ſich verſchwinden, eben ſo das, was
„als dauernd erſcheint, Welten uͤber Welten in Truͤm-
„mer zuſammenſtuͤrzen laͤßt, und einſam ſich als ſich
„ſelbſt gleich erkennt.“
Ich in dieſer Einſamkeit mit ſich iſt zwar das er-
reichte Jenſeits; im reinen Selbſtbewußtſeyn iſt die ab-
ſolute Negativitaͤt zur Gegenwart gebracht und bey ſich
ſelbſt, welche in jenem Fortgehen uͤber das ſinnliche
Quantum, nur flieht. Aber indem diß reine Ich in ſei-
ner Abſtraction und Inhaltsloſigkeit ſich fixirt, hat es
das Daſeyn uͤberhaupt, die Fuͤlle des natuͤrlichen und
geiſtigen Univerſums als ein Jenſeits ſich gegenuͤber.
Es ſtellt ſich derſelbe Widerſpruch dar, der dem unendli-
chen Progreſſe zu Grunde liegt; nemlich ein Zuruͤckge-
kehrtſeyn in ſich, das unmittelbar zugleich Auſſerſichſeyn,
Beziehung auf ſein Anderes als auf ſein Nichtſeyn, iſt.
Welche Beziehung eine Sehnſucht bleibt, weil Ich ſich
ſeine Leere einerſeits, und die Fuͤlle als ſein Jenſeits
fixirt hat.
Kant fuͤgt dieſen beyden Erhabenheiten die Bemer-
kung bey, „daß Bewunderung (fuͤr die erſtere, aͤuſſerli-
„che) und Achtung (fuͤr die zweyte, innerliche) Erhaben-
„heit, zwar zur Nachforſchung reitzen, aber den
„Mangel derſelben nicht erſetzen koͤnnen.“ — Er er-
klaͤrt damit jene Erhebungen als unbefriedigend fuͤr die
Vernunft, welche bey ihnen und den damit verbundenen
Empfindungen nicht ſtehen bleiben, und das Jenſeits und
das Leere nicht fuͤr das Letzte gelten laſſen kann.
Als
[191]Quantitaͤt.
Als ein Letztes iſt der unendliche Progreß vornem-
lich in ſeiner Anwendung auf die Moralitaͤt genom-
men worden. Der ſo eben angefuͤhrte zweyte Gegenſatz
des Endlichen und Unendlichen, der mannichfaltigen
Welt und des in ſeine Freyheit erhobenen Ichs, iſt zu-
naͤchſt in ſeiner Reinheit qualitativ. Indem das Selbſt-
beſtimmen des Ich zugleich darin beſteht die Natur zu
beſtimmen und ſich von ihr zu befreyen, ſo bezieht es
ſich durch ſich ſelbſt auf ſein Anderes, welches als aͤuſ-
ſerliches Daſeyn ein Vielfaͤltiges und Quantitatives iſt.
Das Beſtimmen eines Quantitativen wird aber ſelbſt
quantitativ, und die negative Beziehung des Ich darauf,
die Macht des Ich uͤber das Nicht-Ich oder uͤber die
Sinnlichkeit und aͤuſſere Natur, wird daher ſo vorge-
ſtellt, daß die Moralitaͤt immer groͤßer, die Macht
der Sinnlichkeit aber immer kleiner werden koͤnne und
ſolle; die voͤllige Angemeſſenheit des Willens aber zum
moraliſchen Geſetze wird in den ins Unendliche gehenden
Progreß verlegt, das heißt, als ein abſolutes un-
erreichbares Jenſeits vorgeſtellt, und eben diß ſolle
der wahre Anker und der rechte Troſt ſeyn, daß es ein
unerreichbares iſt.
In dieſem Gegenſatze werden Ich und Nicht-Ich,
oder der reine Wille und die Natur und Sinnlichkeit
als vollkommen ſelbſtſtaͤndig und gleichguͤltig gegeneinan-
der vorgeſtellt. Der reine Wille hat ſein eigenthuͤmli-
ches Geſetz, das in weſentlicher Beziehung auf die Sinn-
lichkeit ſteht; eben ſo hat die Natur Geſetze, die weder
aus dem Willen genommen und ihm entſprechend ſind,
noch auch nur, wenn gleich verſchieden davon, an ſich
eine weſentliche Beziehung auf ihn haͤtten, ſondern ſie
ſind uͤberhaupt fuͤr ſich beſtimmt, in ſich fertig und ge-
ſchloſſen. Zugleich ſind beyde aber Momente eines
und deſſelben einfachen Weſens, des Ich; der
Wille
[192]Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
Wille iſt das Negative, das darin beſteht, die Natur
aufzuheben, alſo nur iſt, inſofern ein ſolches von ihm
verſchiedenes iſt, das von ihm aufgehoben werde. Er
ſetzt ſich in ein Verhalten gegen die Sinnlichkeit, ſie zu
beſtimmen; er geht dadurch uͤber ſich hinaus, beruͤhrt
ſie und iſt ſo ſelbſt von ihr aſſicirt. Die Natur und Sinn-
lichkeit iſt als ein ſelbſtſtaͤndiges Syſtem von Geſetzen
vorausgeſetzt; das Beſchraͤnken durch ein anderes iſt ihr
alſo gleichguͤltig; ſie erhaͤlt ſich in dieſem Begrenztwer-
den, tritt ſelbſtſtaͤndig in die Beziehung ein, und be-
grenzt den Willen eben ſo ſehr, als er ſie begrenzt. —
Es iſt Ein Act, daß der Wille ſich ſelbſt beſtimmt, und
das Andersſeyn einer Natur aufhebt, und daß diß An-
dersſeyn geſetzt iſt, oder daß es ſich in ſein Aufgehoben-
werden continuirt. Der Widerſpruch, der hierin liegt,
wird im unendlichen Progreſſe nicht aufgeloͤst, ſondern
im Gegentheil als unaufgeloͤst und unaufloͤsbar darge-
ſtellt und behauptet; der Kampf der Moralitaͤt und der
Sinnlichkeit wird vorgeſtellt, als das an und fuͤr ſich
feyende, abſolute Verhaͤltniß.
Die Ohnmacht uͤber den Gegenſatz des Endlichen
und Unendlichen Meiſter zu werden, nimmt zur Groͤße
ihre Zuflucht, um ſie als die Mittlerin zu gebrauchen,
weil ſie das aufgehobene Qualitative, der gleichguͤltig ge-
wordene Unterſchied iſt. Allein indem beyde Glieder des
Gegenſatzes als qualitativ verſchieden zu Grunde liegen,
ſo wird dadurch, daß ſie ſich in ihrer gegenſeitigen Be-
ziehung als Quanta verhalten, eben jedes gegen dieſe
Veraͤnderung gleichguͤltig. Die Natur wird durch Ich
beſtimmt; aber weil dieſe Negation nicht dem qualitati-
ven ſondern nur den quantitativen Unterſchied enthaͤlt, ſo
iſt es eben ein ſolcher, der die Natur nicht ſelbſt be-
trift, ſondern ſie als das beſtehen laͤßt, was ſie iſt.
In
[193]Quantitaͤt.
In der abſtractern Darſtellung der Kantiſchen Phi-
loſophie oder wenigſtens ihrer Principien, nemlich in der
Fichte’ſchen Wiſſenſchaftslehre, macht der unendliche Pro-
greß auf dieſelbe Weiſe die Grundlage und das Letzte aus.
Auf den erſten Grundſatz dieſer Darſtellung, Ich = Ich,
folgt ein zweyter davon unabhaͤngiger, die Entgegen-
ſetzung des Nicht-Ich; die Beziehung beyder wird als der
quantitative Unterſchied angenommen, daß Nicht-
Ich zum Theil durch Ich beſtimmt wird, zum
Theil auch nicht. Das Nicht-Ich continuirt ſich auf
dieſe Weiſe in ſein Nichtſeyn als ein ſeinem Nichtſeyn
entgegengeſetzt bleibendes, als ein nicht aufgehobenes.
Nachdem daher die Widerſpruͤche, die darin liegen, ent-
wickelt worden ſind, ſo iſt das ſchluͤßliche Reſultat dasje-
nige Verhaͤltniß, welches der Anfang war; das Nicht-
Ich bleibt ein unendlicher Anſtoß, ein abſolut-Anderes;
die letzte Beziehung ſeiner und des Ich aufeinander iſt
der unendliche Progreß, derſelbe Widerſpruch, mit wel-
chem angefangen wurde. Das Endliche, und das end-
liche Verhaͤltniß ſoll das abſolute Wahre ſeyn.
Weil das Quantitative uͤberhaupt die Negation
der Beſtimmtheit iſt, ſo glaubte man fuͤr die Einheit des
Abſoluten, fuͤr die Eine Subſtantialitaͤt, viel oder viel-
mehr Alles gewonnen zu haben, indem man den Gegen-
ſatz uͤberhaupt zu einem nur quantitativen Unterſchiede
herabſetzte. Aller Gegenſatz iſt nur quantita-
tiv, war einige Zeit ein Hauptſatz der neuern Philoſo-
phie; die entgegengeſetzten Beſtimmungen haben daſſelbe
Weſen, denſelben Inhalt; — ferner hat auch jede
Seite des realen Gegenſatzes beyde Beſtimmungen, beyde
Factoren in ihr; nur daß auf der einen Seite der eine
Factor, auf der andern der andre uͤberwiegend iſt;
und das Ueberwiegende wurde haͤufig auch in dem Sinne
genommen, daß in der einen Seite der eine Factor, ei-
ne
[194]Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
ne Materie oder eine Thaͤtigkeit, in groͤßerer Men-
ge oder in ſtaͤrkerem Grade vorhanden ſey, als in
der andern. Was das letztere betrift, inſofern verſchie-
dene Stoffe oder Thaͤtigkeiten vorausgeſetzt werden, ſo
beſtaͤtigt und vollendet der quantitative Unterſchied viel-
mehr ihre Aeuſſerlichkeit und Gleichguͤltigkeit gegeneinan-
der. Was aber das erſtere betrift, daß der Unterſchied
der abſoluten Einheit nur quantitativ ſeyn ſoll, ſo iſt
das Quantitative zwar die aufgehobene unmittelbare Be-
ſtimmtheit, aber es iſt die nur unvollkommene Negation;
denn es iſt erſt die erſte Negation, nicht die unend-
liche, nicht die Negation der Negation. — Oder indem
Seyn und Denken als quantitative Beſtimmungen der
abſoluten Subſtanz vorgeſtellt werden, ſo werden ſie,
als Quanta, eben dadurch, wie in untergeordneter Sphaͤ-
re der Kohlenſtoff, Stickſtoff u. ſ. f. ſich vollkommen aͤuſ-
ſerlich und beziehungslos. Es iſt ein Drittes, eine aͤuſ-
ſerliche Reflexion, welche von ihrem Unterſchiede abſtra-
hirt, und ihre innere, nur anſichſeyende Einheit
erkennt. Dieſe Einheit wird auf dieſe Weiſe nur als
erſte unmittelbare vorgeſtellt, oder nur als Seyn,
welches in ſeinem quantitativen Unterſchiede ſich gleich
bleibt, aber nicht ſich durch ſich ſelbſt gleich ſetzt;
oder es iſt nicht begriffen, als Negation der Negation,
als unendliche Einheit. Es iſt nur der qualitative Ge-
genſatz, welcher die wahrhafte Unendlichkeit enthaͤlt, und
der quantitative Unterſchied geht, wie ſich ſogleich naͤher
ergeben wird, in das Qualitative uͤber.
Es iſt oben erinnert worden, daß die Kanti-
ſchen Antinomien Darſtellungen des Gegenſatzes
des Endlichen und Unendlichen, in einer concretern
Geſtalt, auf ſpeciellere Subſtrate der Vorſtellung ange-
wendet,
[195]Quantitaͤt.
wendet, ſind. Die oben betrachtete Antinomie enthielt
mehr den Gegenſatz der qualitativen Endlichkeit und Un-
endlichkeit. In einer andern, der erſten der vier
kosmologiſchen Antinomien, iſt es mehr die quantitative
Grenze, die in ihrem Widerſtreite betrachtet wird. Ich
will die Unterſuchung dieſer Antinomie daher hier an-
ſtellen.
Sie betrift nemlich die Begrenztheit oder
Unbegrenztheit der Welt in Zeit und Raum.
— Es konnte eben ſo gut dieſer Gegenſatz auch in Ruͤck-
ſicht auf Zeit und Raum ſelbſt betrachtet werden, denn
ob Zeit und Raum Verhaͤltniſſe der Dinge ſelbſt, oder
aber nur Formen der Anſchauung ſind, aͤndert nichts fuͤr
das antinomiſche der Begrenztheit oder Unbegrenztheit.
Die naͤhere Auseinanderlegung dieſer Antinomie
wird gleichfalls zeigen, daß die beyden Saͤtze und eben
ſo ihre Beweiſe, die wie bey der oben betrachteten apo-
gogiſch gefuͤhrt ſind, auf nichts, als auf die zwey einfa-
chen, entgegengeſetzten Behauptungen hinauslaufen: es
iſt eine Grenze, und es muß uͤber die Grenze
hinausgegangen werden.
Die Theſis iſt:
„Die Welt hat einen Anfang in der
„Zeit, und iſt dem Raume nach auch in
„Grenzen eingeſchloſſen.“
Der eine Theil des Beweiſes, die Zeit be-
treffend, nimmt das Gegentheil an,
„die Welt habe der Zeit nach keinen Anfang, ſo iſt
„bis zu jedem gegebenen Zeitpunkt eine Ewig-
„keit abgelaufen, und mithin eine unendliche Reihe auf
„einander folgenden Zuſtaͤnde der Dinge in der Welt ver-
„floſ-
[196]Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
„floſſen. Nun beſteht aber eben darin die Unendlich-
„keit einer Reihe, daß ſie durch ſucceſſive Syntheſis nie-
„mals vollendet ſeyn kann. Alſo iſt eine unendliche
„verfloſſene Weltreihe unmoͤglich, mithin ein Anfang der
„Welt eine nothwendige Bedingung ihres Daſeyns; wel-
„ches zu erweiſen war.“
Der andere Theil des Beweiſes, der den
Raum betrift, wird auf die Zeit zuruͤckgefuͤhrt. Das
Zuſammenfaſſen der Theile einer im Raume unendlichen
Welt erforderte eine unendliche Zeit, welche als abge-
lauffen angeſehen werden muͤßte, inſofern die Welt im
Raume nicht als ein werdendes, ſondern als ein vollen-
detes gegebenes anzuſehen iſt. Von der Zeit aber wur-
de im erſten Theile des Beweiſes gezeigt, daß eine un-
endliche Zeit als abgelaufen anzunehmen unmoͤglich iſt.
Man ſieht aber ſogleich, daß es unnoͤthig war, den
Beweis apogogiſch zu machen, oder uͤberhaupt einen Be-
weis zu fuͤhren, indem in ihm ſelbſt unmittelbar die Be-
hauptung deſſen zu Grunde liegt, was bewieſen werden
ſollte. Es wird nemlich irgend ein oder jeder gegebe-
ne Zeitpunkt angenommen, bis zu welchem eine
Ewigkeit (— Ewigkeit hat hier nur den geringen Sinn
einer ſchlecht-unendlichen Zeit) abgelaufen ſey. Ein
gegebener Zeitpunkt heißt nichts anders, als eine
beſtimmte Grenze in der Zeit. Im Beweiſe wird alſo
eine Grenze der Zeit als wirklich vorausgeſetzt; ſie
iſt aber eben das, was bewieſen werden ſollte.
Denn die Theſis beſteht darin, daß die Welt einen An-
fang in der Zeit habe.
Nur der Unterſchied findet Statt, daß die ange-
nommene Zeitgrenze ein Jetzt, als Ende der vorher
verfloſſenen, die zu beweiſende aber Jetzt als Anfang
einer
[197]Quantitaͤt.
einer Zukunft iſt. Allein dieſer Unterſchied iſt unweſent-
lich. Jetzt wird als der Punkt angenommen, in wel-
chem eine unendliche Reihe auf einander folgender Zu-
ſtaͤnde der Dinge in der Welt verfloſſen ſeyn ſoll, al-
ſo als Ende, als qualitative Grenze. Wuͤrde diß
Jetzt nur als quantitative Grenze betrachtet, uͤber welche
hinaus zu gehen und die flieſſend ſey, ſo waͤre die un-
endliche Zeitreihe in ihr nicht verfloſſen, ſondern fuͤh-
re fort zu flieſſen, und das Raͤſonnement des Beweiſes
fiele weg. Dieſer als qualitative Grenze fuͤr die Ver-
gangenheit angenommene Zeitpunkt aber iſt zugleich An-
fang fuͤr die Zukunft, — denn an ſich iſt jeder Zeit-
punkt die Beziehung der Vergangenheit und der Zukunft,
— und zwar iſt er abſoluter Anfang fuͤr dieſelbe.
Denn es thut nichts zur Sache, daß vor ſeiner Zukunft
und vor dem Anfange derſelben ſchon eine Vergangenheit
iſt; indem dieſer Zeitpunkt qualitative Grenze iſt, —
und als qualitative ihn anzunehmen, liegt in der Be-
ſtimmung des Vollendeten, Abgelaufenen, alſo
ſich nicht continuirenden, — ſo iſt die Zeit in
ihm abgebrochen, und die Vergangenheit, von der die
Rede iſt, ohne Beziehung auf die Zeit, welche nur Zu-
kunft in Ruͤckſicht auf dieſe Vergangenheit genannt wer-
den konnte, und daher nur Zeit uͤberhaupt iſt, die einen
abſoluten Anfang hat. Stuͤnde ſie aber, — (wie ſie es
denn thut —) durch das Itzt, den gegebenen Zeitpunkt,
in einer Beziehung auf die Vergangenheit, waͤre ſie in
der That Zukunft, ſo waͤre auch dieſer Zeitpunkt von der
andern Seite keine Grenze, die unendliche Zeitreihe con-
tinuirte ſich in dem, was Zukunft hieß, und waͤre nicht,
wie angenommen worden, vollendet.
In Wahrheit iſt die Zeit reine Quantitaͤt; der im Be-
weiſe gebrauchte Zeitpunkt, in welchem ſie unterbro-
chen ſeyn ſollte, iſt vielmehr nur das ſich ſelbſt auf-
Pheben-
[198]Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
hebende Fuͤrſichſeyn des Itzt. Der Beweis leiſtet
nichts, als daß er die in der Theſis behauptete abſolute
Grenze der Zeit als einen gegebenen Zeitpunkt
vorſtellig macht und geradezu annimmt, eine populaͤre
Beſtimmung, welche das ſinnliche Vorſtellen leicht als ei-
ne Grenze paſſiren, ſomit im Beweiſe diß als Annah-
me gelten laͤßt, was vorher als das zu beweiſende aufge-
ſtellt wurde.
Die Antitheſis heißt:
„Die Welt hat keinen Anfang und kei-
„ne Grenzen im Raume, ſondern iſt ſowohl
„in Anſehung der Zeit als des Raumes un-
„endlich.“
Der Beweis ſetzt das Gegentheil:
„Die Welt habe einen Anfang. Da der Anfang
„ein Daſeyn iſt, wovor eine Zeit vorhergeht, darin das
„Ding nicht iſt, ſo muß eine Zeit vorhergegangen ſeyn,
„darin die Welt nicht war, d. i. eine leere Zeit. Nun
„iſt aber in einer leeren Zeit kein Entſtehen irgend
„eines Dings moͤglich; weil kein Theil einer ſolchen Zeit
„vor einem andern irgend eine unterſcheidende
„Bedingung des Daſeyns, vor der des Nichtdaſeyns
„an ſich hat. Alſo kann zwar in der Welt manche Rei-
„he der Dinge anfangen, die Welt ſelbſt aber keinen An-
„fang nehmen, und iſt in Anſehung der vergangenen
„Zeit unendlich.“
Dieſer apogogiſche Beweis enthaͤlt, wie die an-
dern, nur die direkte und unbewieſene Behauptung deſ-
ſen, was er beweiſen ſollte. Er nimmt nemlich zuerſt
ein Jenſeits des weltlichen Daſeyns, eine leere Zeit,
an; aber continuirt alsdann auch das weltliche
Daſeyn eben ſo ſehr uͤber ſich hinaus in dieſe
leere
[199]Quantitaͤt.
leere Zeit hinein, hebt dieſe dadurch auf, und ſetzt
ſomit das Daſeyn ins Unendliche fort. Die
Welt iſt ein Daſeyn; der Beweis ſetzt voraus, daß
diß Daſeyn entſtehe, und das Entſtehen eine in der
Zeit vorhergehende Bedingung habe. Darin
aber eben beſteht die Antitheſis ſelbſt, daß es
kein unbedingtes Daſeyn, keine abſolute Grenze gebe,
ſondern das weſentliche Daſeyn immer eine vorher-
gehende Bedingung fodere. Dieſe Bedingung iſt
zugleich ſelbſt bedingt; ſie wird in der leeren Zeit ge-
ſucht, was ſo viel heißt, als daß ſie ſelbſt als zeitlich
und ſomit als Daſeyn, und beſchraͤnktes angenommen
wird. Ueberhaupt alſo iſt die Annahme gemacht, daß
die Welt als Daſeyn ein anderes Daſeyn vorausſetze und
ſo fort ins Unendliche.
Der Beweis in Anſehung der Unendlichkeit der Welt
im Raume iſt daſſelbe. Apogogiſcher Weiſe wird die
raͤumliche Endlichkeit der Welt angenommen; „ſie befaͤnde
„ſich ſomit in einem leeren unbegrenzten Raume, und
„haͤtte ein Verhaͤltniß zu ihm; ein ſolches Verhaͤlt-
„niß der Welt zu keinem Gegenſtande aber iſt Nichts.“
Was bewieſen werden ſollte, iſt hier im Beweiſe
gleichfalls direct vorausgeſetzt. Es wird nemlich direct
angenommen, daß die begrenzte raͤumliche Welt ſich in
einem leeren Raume befinden und ein Verhaͤltniß
zu ihm haben ſollte, das heißt, daß uͤber ſie hinaus-
gegangen werden muͤſſe, einerſeits in das Leere, in
das Jenſeits und Nichtſeyn derſelben, andererſeits
aber daß ſie damit im Verhaͤltniß ſtehe, alſo ſich
darein hinein continuire, und das Jenſeits mit welt-
lichem Daſeyn erfuͤllt vorzuſtellen ſey. Was die Anti-
theſis behauptet, die Unendlichkeit der Welt im Raume,
iſt nichts anderes, als einestheils der leere Raum, an-
P 2dern-
[200]Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
derntheils das Verhaͤltniß der Welt zu ihm, das
heißt die Continuitaͤt derſelben in ihm, oder die Erfuͤllung
deſſelben; welcher Widerſpruch, der Raum zugleich als
leer und zugleich als erfuͤllt, der unendliche Progreß des
Daſeyns im Raume iſt. Aber dieſer Widerſpruch ſelbſt,
das Verhaͤltniß der Welt zum leeren Raume, iſt im Be-
weiſe direct angenommen.
Die Theſis und Antitheſis und die Beweiſe derſel-
ben ſtellen daher nichts dar, als die entgegengeſetzten
Behauptungen, daß eine Grenze iſt, und daß die
Grenze eben ſo ſehr nur eine aufgehobene iſt; daß
nemlich die Grenze ein Jenſeits hat, mit dem ſie in Be-
ziehung ſteht, wohin uͤber ſie hinauszugehen iſt, worin
aber wieder eine ſolche Grenze entſteht, die keine iſt.
Die Aufloͤſung dieſer Antinomien iſt, wie die
der obigen, tranſcendental, das heißt, ſie beſteht in der
Behauptung der Idealitaͤt des Raums und der Zeit, als
Formen der Anſchauung, in dem Sinne, daß die Welt
an ihr ſelbſt nicht im Widerſpruch mit ſich, nicht ein ſich
aufhebendes, ſondern das Bewußtſeyn in ſeinem An-
ſchauen und in der Beziehung der Anſchauung auf Ver-
ſtand und Vernunft, ein ſich ſelbſt widerſprechendes We-
ſen ſey.
Unendlichkeit des Quantums.
1. Das unendliche Quantum, als unend-
lichgroßes oder unendlichkleines, iſt ſelbſt der
unendliche Progreß; es iſt Quantum als ein Großes oder
Kleines, und iſt Nichtſeyn des Quantums als Unendli-
ches. Das Unendlichgroße und Unendlichkleine ſind da-
her Bilder der Vorſtellung, die bey naͤherer Betrach-
tung
[201]Quantitaͤt.
tung ſich als nichtiger Nebel und Schatten zeigen. Der
unendliche Progreß aber druͤckt nichts anders aus, als
die Natur des Quantums, das als intenſive Groͤße ſeine
Realitaͤt erreicht hat.
Das Quantum, in ſich zuruͤckgekehrt, iſt einfach,
auf ſich bezogen und als an ſich beſtimmt. Aber indem
durch dieſe Einfachheit das Andersſeyn und die Beſtimmt-
heit an ihm ſelbſt aufgehoben iſt, ſo iſt dieſe ihm aͤuſſer-
lich; es hat ſeine abſolute Beſtimmtheit vielmehr auſſer
ihm. Diß ſein Auſſerſichſeyn iſt zunaͤchſt das abſtracte
Nichtſeyn des Quantums uͤberhaupt, die ſchlechte Un-
endlichkeit. Aber ferner iſt es auch ein Großes, das
Quantum continuirt ſich in ſein Nichtſeyn, denn es hat eben
ſeine Beſtimmtheit in ſeiner Aeuſſerlichkeit; dieſe ſeine
Aeuſſerlichkeit iſt daher eben ſo ſehr ſelbſt Quantum,
nur ein anderes Quantum, das aber wieder wie das
erſte ſich aufhebt.
Das Quantum iſt alſo an ſich beſtimmtes; dieſe ſei-
ne Beſtimmtheit aber hat es auſſer ſich, es hebt ſich alſo
auf; umgekehrt iſt es in ſeinem Auſſerſichſeyn in ſich zu-
ruͤckgekehrt, ſein Auſſerſichſeyn iſt eben ſo ſehr aufge-
hoben.
Dieſer Kreis iſt das Wahrhafte, was im unendli-
chen Progreſſe geſetzt iſt. Es iſt vorhanden das Quan-
tum und ſein Jenſeits. Erſtens hebt ſich das Quan-
tum auf, es iſt an ſich ſelbſt das Hinausgehen uͤber ſei-
ne Grenze; das Jenſeits iſt die Unendlichkeit, aber es
iſt die ſchlechte Unendlichkeit, denn zweytens conti-
nuirt ſich das Quantum in ſie. Diß Jenſeits das Nicht-
ſeyn des Quantums, die Unendlichkeit wird
ſelbſt begrenzt, und von neuem ein Quantum ge-
ſetzt, das heißt, diß Jenſeits wird ſelbſt auf-
geho-
[202]Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
gehoben. Das Quantum iſt eben es ſelbſt durch ſein
Aeuſſerlichſeyn; diß macht gerade die Beſtimmtheit des
Quantums, oder das aus, was das Quantum iſt. Es
iſt alſo im unendlichen Progreſſe der Begriff des Quan-
tums, wie er an ſich iſt; und es iſt in dem Pro-
greſſe vorhanden, das Aufheben des Quan-
tums aber eben ſo ſehr ſeines Jenſeits;
oder die Negation des Quantums ſowohl,
als die Negation dieſer Negation.
Das Hinausgehen uͤber das Quantum iſt die Ne-
gation deſſelben, das Unendliche; aber es wird ein neues
Quantum geſetzt, diß iſt die Negation des Unendlichen,
dieſes ſchlechten Unendlichen, das der Vorſtellung als
ein Abſolutes gilt, als ein Letztes, das ſich nicht wieder
aufhebt, und uͤber das nicht mehr hinausgegangen wer-
den koͤnne. Die Wahrheit des unendlichen Progreſſes iſt
alſo, daß Quantum und ſein Jenſeits geſetzt ſind, aber
daß ſie geſetzt ſind, als aufgehobene. Seine Wahrheit
iſt alſo ihre Einheit, worin ſie ſind, aber als Mo-
mente.
Diß iſt ſomit die wahre Aufloͤſung des Wider-
ſpruchs, deſſen Ausdruck der unendliche Progreß iſt.
Sie beſteht in nichts anderem als in der Wiederher-
ſtellung des Begriffs der Groͤße, daß ſie gleich-
guͤltige oder aͤuſſerliche Grenze iſt. Im unendlichen
Progreſſe als ſolchem pflegt nur darauf reflectirt zu
werden, daß jedes Quantum, es ſey noch ſo groß oder
klein, verſchwinden, daß uͤber daſſelbe muß hinausgegan-
gen werden koͤnnen; aber nicht darauf, daß diß ſein
Aufheben, das Jenſeits, das ſchlecht-Unendliche ſelbſt
auch verſchwindet. Diß geſchieht aber darin, daß das
Quantum ſich in ſeine Negation hinein continuirt, daß
uͤber jedes Quantum hinaus, in ſein Aufheben,
ein
[203]Quantitaͤt.
ein neues Quantum geſetzt wird. Das erſte Aufheben
iſt zwar an ſich das Aufheben der Negation, — denn
das Quantum iſt aufgehobene Grenze, — aber es iſt zu-
gleich nur an ſich diß; diß Unendliche iſt nemlich fixirt,
als das Jenſeits des Quantums, das noch als ein Diſ-
ſeits beſtehen bleibt; oder das Quantum iſt nur genom-
men als ein unmittelbares, und das Unendliche
nur als die erſte Negation. Aber im unendlichen Pro-
greſſe iſt mehr vorhanden, — als nur das Aufheben des
unmittelbaren Quantums, oder als nur ein erſtes Auf-
heben; es wird darin auch diß ſchlechte Unendliche, —
durch die neue Begrenzung aufgehoben; es iſt alſo darin
vorhanden die Negation der Negation, oder das, was
das Unendliche in Wahrheit iſt. — Der Begriff des
Quantums aber iſt nicht nur wieder hergeſtellt, ſondern
er hat ſeine naͤhere Beſtimmung erhalten; es iſt das
durch ſeinen Begriff beſtimmte Quantum ent-
ſtanden, was verſchieden iſt, von dem unmittelba-
ren Quantum.
2. Das Jenſeits des Quantums hat nemlich eine
beſtimmtere, poſitive Bedeutung, als nur die des Nicht-
ſeyns des Quantums; und eben ſo das Aufheben dieſes
Jenſeits, und die Vereinigung deſſelben mit dem Quan-
tum ſelbſt.
Das Quantum iſt als gleichguͤltige Grenze an ſich
ſelbſt beſtimmt; dieſes ſich auf ſich beziehende Beſtimmt-
ſeyn iſt das Verſchwundenſeyn ſeiner Aeuſſerlichkeit, die
es an ihm ſelbſt hat; dieſe tritt damit auſſer demſelben;
ſein Hinausgehen uͤber ſich iſt ſein weſentliches Moment,
es bezieht ſich durch ſich ſelbſt auf ſeine Aeuſſerlichkeit;
dieſe aber macht ſein Anſich beſtimmt ſeyn aus, und
die Natur ſeines Anſichbeſtimmtſeyns beſteht in dieſer
Aeuſſerlichkeit. Das Jenſeits des Quantums iſt alſo
nicht
[204]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
nicht das bloße Nichtſeyn, die leere, unbeſtimmte
Negation deſſelben. Sondern das Quantum geht darum
uͤber ſich hinaus, inſofern es gleichguͤltige Grenze iſt;
es hebt dieſe Gleichguͤltigkeit auf, und ſetzt das Anſich-
ſeyn derſelben, als ein unendliches Jenſeits,
als das worin es negirt, worin es nicht es ſelbſt, ſon-
dern die Aeuſſerlichkeit ſeiner ſelbſt iſt. Aber vielmehr
iſt dieſe Aeuſſerlichkeit das Gegentheil ihrer ſelbſt;
ſie iſt abſolutes Moment der Groͤße ſelbſt;
denn das Quantum iſt nicht es in ſeiner Unmittelbarkeit,
ſondern iſt weſentlich Hinausgehen uͤber ſich; diß Hin-
ausgehen uͤber ſich, dieſe ſeine Aeuſſerlichkeit gehoͤrt alſo
ihm ſelbſt.
Sein Hinausgehen uͤber ſich aber iſt das Aufheben
ſeiner Gleichguͤltigkeit gegen das Aeuſſerliche, das ſeine
Beſtimmtheit iſt, es ſetzt damit dieſe als ſich ſelbſt. Es
hebt ſein Jenſeits, ſeine Negation auf, das heißt, es
hebt die Aeuſſerlichkeit ſeines Beſtimmtſeyns auf; verei-
nigt es mit ſich und macht ſich dadurch an ſich be-
ſtimmt.
Jedes der Momente der Bewegung des unendlichen
Progreſſes iſt das Gegentheil ſeiner ſelbſt; denn der un-
endliche Progreß iſt der geſetzte Widerſpruch. Das
Quantum geht erſtens uͤber ſich hinaus; diß heißt
alſo 1) es hebt ſich auf, ſetzt ſeine Negation, ſein Jen-
ſeits und 2) es ſetzt damit vielmehr ſein abſolutes
Beſtimmtſeyn, das was es an ſich iſt. Zweytens
diß Unendliche wird wieder beſtimmt, es wird eine neue
Grenze geſetzt; diß heißt ſomit 1) das Anſichſeyn des
Quantums wird aufgehoben, es entſieht nur wieder ein
gleichguͤltiges Quantum, 2) es wird die Negation des
Quantums, das Jenſeits deſſelben aufgehoben, ſein
Hinausgehen uͤber ſich wird alſo in es ſelbſt zuruͤck-
genom-
[205]Quantitaͤt.
genommen. Beyde Seiten druͤcken diß aus, daß das
Quantum, und daß die Negation des Quantums negirt
wird; es iſt alſo geſetzt ſeine unendliche Beziehung auf
ſich ſelbſt, oder ſein Anſichbeſtimmtſeyn. Die Unendlich-
keit, die nur die ſchlechte, und ein Jenſeits des Quan-
tums war, gehoͤrt ihm an, das Quantum iſt ſelbſt un-
endlich.
In dieſer Wiederherſtellung des Quantums iſt es
als gleichguͤltige Grenze, als diß perennirende Hinaus-
gehen uͤber ſich aufgehoben. Die Gleichguͤltigkeit und
Aeuſſerlichkeit des Quantums verſchwindet alſo nur inſo-
fern als das Jenſeits deſſelben aufgehoben iſt. Das
Quantum hat die Unendlichkeit, das Anſichbeſtimmtſeyn
nicht mehr auſſer ſich. Die Grenze iſt alſo als gleich-
guͤltige oder als aufgehobene aufgehoben. Sie iſt ſomit
wieder qualitativ geworden.
Das Unendliche alſo, welches im unendlichen Pro-
greſſe nur die leere Bedeutung eines Nichtſeyns, eines
Jenſeits hat, iſt in der That nicht anderes als die
Qualitaͤt. Das Quantum iſt gleichguͤltige Grenze; es
geht uͤber ſich hinaus ins Unendliche; es ſucht damit nichts
anderes, als das Anſichbeſtimmtſeyn, das qualitative
Moment. Aber diß qualitative Moment iſt nicht ein
Jenſeits ſeiner, es liegt in ihm ſelbſt. Denn eben diß
Hinausgehen ſelbſt, oder das Jenſeits, die Negation ſei-
ner iſt dasjenige, was das Quantum zum Quantum
macht; diß iſt ſeine Beſtimmtheit an ſich; eben ſeine
Gleichguͤltigkeit iſt ſeine Beſtimmung ſelbſt.
Oder das Quantum iſt die aufgehobene Qualitaͤt;
aber das Quantum iſt unendlich, geht uͤber ſich hinaus,
es iſt die Negation ſeiner. Es iſt alſo die Negation der
negirten Qualitaͤt, oder es iſt die Wiederherſtellung der-
ſelben.
Das
[206]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Das Quantum aber, das als gleichguͤltige Grenze
aufgehoben und qualitativ beſtimmt iſt, iſt das quanti-
tative Verhaͤltniß. Im Verhaͤltniſſe iſt das Quan-
tum ſich aͤuſſerlich, von ſich ſelbſt verſchieden; aber dieſe
ſeine Aeuſſerlichkeit, die Beziehung auf das andere Quan-
tum, macht zugleich ſeine Beſtimmtheit aus; es hat darin
nicht eine gleichguͤltige, ſondern qualitative Beſtimmung;
es iſt in ſeiner Aeuſſerlichkeit in ſich zuruͤckgekehrt.
Das mathematiſche Unendliche iſt eines-
theils intereſſant durch die Erweiterung der Mathematik
und die großen Reſultate, welche ſeine Einfuͤhrung in
dieſelbe hervorgebracht hat; anderntheils aber iſt es da-
durch merkwuͤrdig, daß es dieſer Wiſſenſchaft noch nicht
gelungen iſt, ſich uͤber den Gebrauch deſſelben durch den
Begriff zu rechtfertigen. Die Rechtfertigungen beruhen
auf der Richtigkeit der mit ſeiner Huͤlfe ſich ergebenden
Reſultate, welche aus ſonſtigen Gruͤnden
erwieſen iſt; nicht aber auf der Klarheit des Gegen-
ſtandes und der Operation, durch welche die Reſultate her-
ausgebracht werden, ſogar daß dieſe Operation vielmehr
als unrichtig zugegeben wird.
Diß iſt ſchon ein Mißſtand an und fuͤr ſich, denn
ein ſolches Verfahren iſt unwiſſenſchaftlich. Es fuͤhrt
aber auch den Nachtheil mit ſich, daß die Mathematik,
indem ſie die Natur dieſes ihres Inſtruments nicht kennt,
weil ſie mit der Metaphyſik oder Kritik deſſelben nicht
fertig iſt, den Umfang ſeiner Anwendung nicht beſtim-
men, und von Misbraͤuchen deſſelben ſich nicht ſichern
kann.
In philoſophiſcher Ruͤckſicht aber iſt das mathema-
tiſche Unendliche darum wichtig, weil ihm in der That
der
[207]Quantitaͤt.
der Begriff des wahrhaften Unendlichen zu Grunde liegt
und weil es viel hoͤher ſteht, als das gewoͤhnlich ſoge-
nannte metaphyſiſche Unendliche, von dem aus
die Einwuͤrfe gegen erſteres gemacht werden. Gegen
dieſe Einwuͤrfe weiß ſich die Wiſſenſchaft der Mathema-
tik gewoͤhnlich nur dadurch zu retten, daß ſie die Kom-
petenz der Metaphyſik verwirft, indem ſie behauptet,
daß ſie mit dieſer Wiſſenſchaft nichts zu ſchaffen und ſich
um ihren Begriff nicht zu bekuͤmmern habe, wenn ſie
nur auf ihrem eigenen Boden conſequent verfahre. Sie
habe nicht zu betrachten, was an ſich, ſondern was auf
ihrem Felde das Wahre ſey. Die Metaphyſik weiß die
glaͤnzenden Reſultate des Gebrauchs des mathematiſchen
Unendlichen nicht zu leugnen oder umzuſtoſſen, und die
Mathematik weiß mit der Metaphyſik ihres eigenen Be-
griffs und daher auch mit der Ableitung der Verfahrungs-
weiſen, die der Gebrauch des Unendlichen noͤthig macht,
nicht ins Reine zu kommen.
Wenn es die einzige Schwierigkeit des Begriffs
uͤberhaupt waͤre, von der die Mathematik gedruͤckt wuͤr-
de, ſo koͤnnte ſie dieſen ohne Umſtaͤnde auf der Seite lie-
gen laſſen, inſofern nemlich der Begriff mehr iſt, als
nur die Angabe der weſentlichen Beſtimmtheit einer Sa-
che; denn ſie iſt nicht eine Wiſſenſchaft, die es mit den
Begriffen ihrer Gegenſtaͤnde zu thun, und durch die Ent-
wicklung des Begriffs, wenn auch nur durch Raͤſonne-
ment, ihren Inhalt zu erzeugen hat. Allein bey der
Methode ihres Unendlichen findet ſie den Hauptwi-
derſpruch an der eigenthuͤmlichen Methode,
worauf ſie uͤberhaupt als Wiſſenſchaft beruht. Denn
die Rechnung des Unendlichen erlaubt und erfodert Ver-
fahrungsweiſen, welche die Mathematik ſonſt bey Ope-
rationen mit endlichen Groͤßen durchaus verwerfen muß,
und zugleich behandelt ſie ihre unendlichen Groͤßen, wie
endliche
[208]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
endliche Quanta, und will auf jene dieſelben Verfah-
rungsweiſen anwenden, welche bey dieſen gelten.
Die Mathematik zeigt bey ihrem Gebrauche des Un-
endlichen und bey den der mathematiſchen Verfahrungs-
art geradezu widerſtreitenden Operationen, die er noͤ-
thig macht, daß Reſultate, die ſie dadurch findet, ganz
mit denen uͤbereinſtimmen, welche durch die eigentlich
mathematiſche, die geometriſche und analytiſche, Methode
gefunden werden. Aber theils betrift diß nicht alle
Reſultate, und der Zweck der Einfuͤhrung des Unendli-
chen iſt nicht allein, den gewoͤhnlichen Weg abzukuͤrzen,
ſondern zu Reſultaten zu gelangen, die durch dieſen nicht
geleiſtet werden koͤnnen. Theils aber rechtfertigt der
Erfolg die Manier des Wegs nicht an und fuͤr
ſich. Dieſe Manier aber der Rechnung des Unendlichen
iſt immer durch den Schein der Ungenauigkeit ge-
druͤckt, den ſie ſich giebt, indem ſie endliche Groͤßen um
eine unendlich kleine Groͤße das einemahl vermehrt, ſie
in der fernern Operation zum Theil beybehaͤlt, aber ei-
nen Theil derſelben auch vernachlaͤſſigt. Diß Verfahren
zeigt die Sonderbarkeit, daß der eingeſtandenen Unge-
nauigkeit unerachtet, ein Reſultat herauskommt, das
nicht nur ziemlich und ſo nahe, daß der Unterſchied
auſſer Acht gelaſſen werden koͤnnte, ſondern
vollkommen genau iſt. In der Operation
ſelbſt aber, die dem Reſultate vorher geht, kann die
Vorſtellung nicht entbehrt werden, daß einiges
nicht gleich Null, aber ſo unbetraͤchtlich ſey, um
auſſer Acht gelaſſen werden zu koͤnnen. Bey dem aber,
was unter mathematiſcher Beſtimmtheit zu verſtehen iſt,
faͤllt aller Unterſchied einer groͤßern oder geringern Ge-
nauigkeit gaͤnzlich hinweg, wie in der Philoſophie nicht
von groͤßerer oder geringerer Wahrſcheinlichkeit, ſondern
von der Wahrheit allein die Rede ſeyn kann. Wenn die
Metho-
[209]Quantitaͤt.
Methode und der Gebrauch des Unendlichen durch den
Erfolg, und ſelbſt diß nur zum Theil, gerechtfertigt
wird, ſo iſt es nicht ſo uͤberfluͤſſig deſſen ungeachtet die
Rechtfertigung derſelben zu fordern, als es bey der Naſe
uͤberfluͤſſig ſcheint, nach dem Erweiße des Rechts, ſich
ihrer zu bedienen, zu fragen. Denn es iſt bey der ma-
thematiſchen als einer wiſſenſchaftlichen Erkenntniß we-
ſentlich um den Beweis zu thun, und auch in Anſehung
der Reſultate iſt es der Fall, daß die ſtreng mathemati-
ſche Methode nicht zu allen den Beleg des Erfolgs lie-
fert, der aber ohnehin nur ein aͤuſſerlicher Beleg iſt.
Es iſt der Muͤhe werth, den mathematiſchen Be-
griff des Unendlichen und einige der merkwuͤrdigſten Ver-
ſuche naͤher zu betrachten, welche die Abſicht haben, den
Gebrauch deſſelben zu rechtfertigen und die Schwierigkeit,
von der ſich die Methode gedruͤckt fuͤhlt, zu beſeitigen.
Die Betrachtung dieſer Rechtfertigungen und Beſtimmun-
gen des mathematiſchen Unendlichen, welche ich in dieſer
Anmerkung weitlaͤufiger anſtellen will, wird zugleich
das beſte Licht auf die Natur des wahren Begriffes ſelbſt
werfen, und zeigen, wie er ihnen vorgeſchwebt und zu
Grunde gelegen hat.
Die gewoͤhnliche Beſtimmung des mathematiſchen
Unendlichen iſt, daß es eine Groͤße ſey, uͤber wel-
che es keine groͤßere oder kleinere mehr ge-
be. — In dieſer Definition iſt zwar der wahre Begriff
noch nicht unmittelbar ausgedruͤckt, aber, wenn ſie naͤher
betrachtet wird, darin enthalten. Denn eine Groͤße
wird in der Mathematik ſo definirt, daß ſie etwas ſey,
das vermehrt und vermindert werden koͤnne; uͤberhaupt
alſo eine gleichguͤltige Grenze. Indem nun das Unend-
lichgroße oder kleine ein ſolches iſt, das nicht mehr ver-
mehrt oder vermindert werden kann, ſo iſt es in der
That kein Quantum als ſolches mehr.
Dieſe
[210]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Dieſe Conſequenz iſt nothwendig und unmittelbar.
Aber die Reflexion, daß das Quantum, — und ich nenne
in dieſer Anmerkung das endliche Quantum, nur Quan-
tum uͤberhaupt, — aufgehoben iſt, iſt es, die gewoͤhn-
lich nicht gemacht wird, welche fuͤr das gewoͤhnliche Be-
greifen die Schwierigkeit ausmacht, indem das Quan-
tum, indem es unendlich iſt, als ein aufgehobenes, als
ein ſolches zu denken gefodert wird, das zugleich nicht
ein Quantum iſt.
Um das anzufuͤhren, wie Kant jenen Begriff be-
urtheilt *), ſo findet er ihn nicht uͤbereinſtimmend mit
dem, was man unter einem unendlichen Ganzen verſtehe.
„Nach dem gewoͤhnlichen Begriffe ſey eine Groͤße unend-
lich, uͤber die keine groͤßere (d. i. uͤber die darin enthal-
tene Menge einer gegebenen Einheit) moͤglich iſt. —
Durch ein unendliches Ganzes ſey nicht vorgeſtellt, ſagt
er, wie groß es ſey, mithin ſey ſein Begriff nicht der
Begriff eines Maximums (oder Minimums) ſondern
es werde dadurch nur ſein Verhaͤltniß zu einer be-
liebig anzunehmenden Einheit gedacht, in Anſehung
deren daſſelbe groͤßer iſt, als alle Zahl. Je nachdem
dieſe Einheit groͤßer oder kleiner angenommen wuͤrde,
wuͤrde das Unendliche groͤßer oder kleiner ſeyn; allein
die Unendlichkeit, da ſie bloß in dem Verhaͤltniſſe
zu dieſer gegebenen Einheit beſtehe, wuͤrde immer dieſelbe
bleiben, obgleich freylich die abſolute Groͤße des Ganzen
dadurch gar nicht erkannt wuͤrde.“
Kant tadelt es alſo, daß unendliche Ganze als ein
Maximum, als eine vollendete Menge einer gegebe-
nen Einheit angeſehen werden. Das Maximum oder
Mini-
[211]Quantitaͤt.
Minimum iſt nemlich ſelbſt ein Quantum, eine Menge,
nicht bloß ein Verhaͤltniß. Die gewoͤhnliche Vorſtellung,
der das Unendlichgroße oder kleine als ein Etwas, das
ein Quantum ſey, erſcheint, kann die von Kant ange-
fuͤhrte Conſequenz, nicht ablehnen, die auf ein groͤßeres
oder kleineres Unendliches fuͤhrt, je nachdem die zum
Grunde liegende Einheit als groͤßer oder kleiner ange-
nommen wuͤrde, die ein veraͤnderliches iſt. Oder uͤber-
haupt indem das Unendliche als Quantum vorgeſtellt
wird, ſo gilt noch fuͤr daſſelbe der Unterſchied eines
groͤßern oder kleinern. Allein die Kritik trift nicht den
Begriff des wahrhaften mathematiſchen Unendlichen, der
unendlichen Differenz, denn dieſe iſt kein endliches Quan-
tum mehr.
Kants Begriff dagegen, den er den wahren tran-
ſcendentalen nennt, iſt, „daß die ſucceſſive Syntheſis
der Einheit in Durchmeſſung eines Quantums niemals
vollendet ſeyn koͤnne.“ Einerſeits iſt hier zwar ein
Quantum als gegeben vorausgeſetzt; aber diß ſolle erſt
ſyntheſirt und zwar ſolle diß Syntheſiren, wodurch es
zu einer Anzahl und einem Quantum gemacht wuͤrde,
niemals vollendet werden. Hiemit iſt, wie erhellt,
nichts als der Progreß ins Unendliche ausgeſprochen,
nur tranſcendental, oder eigentlich ſubjectiv und pſycho-
logiſch vorgeſtellt. An ſich ſoll zwar das Quantum vol-
lendet ſeyn, aber tranſcendentalerweiſe, nemlich im Sub-
jecte entſtehe nur ein ſolches Quantum, das unvollendet
und ſchlechthin mit einem Jenſeits behafftet ſey. Es
wird alſo hier uͤberhaupt beym Widerſpruche, den die
Groͤße enthaͤlt, ſtehen geblieben, aber vertheilt an das
Object und das Subject, ſo daß jenem die Begrenztheit,
dieſem aber das Hinausgehen uͤber ſie, das ſchlechte Un-
endliche, zukommt.
Das
[212]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Das wahrhafte unendliche Quantum aber iſt an ſich
ſelbſt unendlich; es iſt diß, wie ſich oben ergeben hat,
als ſolches, in welchem das endliche Quantum oder das
Quantum uͤberhaupt, und ſein Jenſeits, das ſchlechte
Unendliche, auf gleiche Weiſe aufgehoben ſind. Das
aufgehobene Quantum aber iſt in die Einfachheit und in
die Beziehung auf ſich ſelbſt zuruͤckgegangen, — nicht
nur wie das extenſive, indem es in intenſives Quantum
uͤberging, als welches ſeine Beſtimmtheit nur an ſich
an einer aͤuſſern Vielfachheit hat, gegen welches es jedoch
gleichguͤltig und wovon es verſchieden ſeyn ſoll. Das
unendliche Quantum dagegen enthaͤlt die Aeuſſerlichkeit
und die Negation ſeiner an ihm ſelbſt; ſo iſt es nicht
mehr irgend ein endliches Quantum, nicht eine Groͤße-
beſtimmtheit, die ein Daſeyn als Quantum haͤtte, ſon-
dern es iſt einfach als Moment; es iſt nur der Be-
griff ſeines Beſtimmtſeyns, oder eine Groͤßebeſtimmt-
heit in qualitativer Form. Als Moment iſt es in
weſentlicher Einheit mit ſeinem Andern, nur als be-
ſtimmt durch dieſes ſein Anderes. Oder es hat nur Be-
deutung in Beziehung auf ein im Verhaͤltniß mit
ihm ſtehendes. Auſſer dieſem Verhaͤltniſſe iſt
es Null; — da gerade das Quantum als ſolches gegen
das Verhaͤltniß gleichguͤltig ſeyn, und zu ſeiner Beſtim-
mung keines andern beduͤrfen ſoll. In dem Ver-
haͤltniſſe aber iſt es eben ſo kein Quantum, eben
darum, weil es nur Moment, nur etwas iſt im Ver-
haͤltniſſe, nicht ein fuͤr ſich gleichguͤltiges.
Indem das Quantum ſomit nach ſeiner Wahrheit
nur als Groͤßebeſtimmung iſt, hat es qualitative
Natur, und iſt unendlich, denn erſtlich enthaͤlt diß ſeine
Negation, — es hat nemlich aufgehoͤrt, das was es ſei-
ner Beſtimmung nach ſeyn ſollte, ein gleichguͤltiges zu
ſeyn. Zweytens hat es das An-ſich-beſtimmtſeyn
an
[213]Quantitaͤt.
an ihm, denn es hat ſie nicht mehr als ein Jenſeits
auſſer ihm.
Dieſer Begriff wird ſich zeigen, dem mathemati-
ſchen Unendlichen zu Grunde liegen, und er wird deutli-
cher werden, indem wir die verſchiedenen Stuffen des
Ausdrucks des Quantums als eines Verhaͤltniß-
Moments betrachten, von der unterſten an, wo es
zugleich Quantum als ſolches iſt, bis zu der hoͤhern, wo
es die Bedeutung und den Ausdruck eigentlicher unend-
licher Groͤße hat.
Nehmen wir zuerſt das Quantum in dem Verhaͤlt-
niſſe, wie es eine gebrochene Zahl iſt. Der Bruch
\frac{2}{7} z. B. iſt nicht ein Quantum, wie 1, 2, 3 u. ſ. f.,
er iſt zwar eine gewoͤhnliche endliche Zahl, jedoch nicht
eine unmittelbare, wie die ganzen Zahlen, ſondern als
Bruch iſt er mittelbar beſtimmt durch zwey Zahlen, die
Anzahl und Einheit gegeneinander ſind, ſo daß die Ein-
heit ſelbſt eine beſtimmte Anzahl iſt. Aber von dieſer
naͤhern qualitativen Beſtimmung derſelben gegeneinander,
abſtrahirt, und ſie bloß nach dem, was ihnen als Quan-
tum hier widerfaͤhrt, betrachtet, ſo ſind 2 und 7 ſonſt
gleichguͤltige Quanta, hier treten ſie aber nur als Mo-
mente eines andern auf. Aus dieſem Grunde ſoll nun
ſogleich 2 und 7 hier nicht als 2 und 7, ſondern als ihre
Beſtimmung gegeneinander gelten. Statt ihrer kann da-
her eben ſo gut 4 und 14, oder 6 und 21 u. ſ. f. ge-
ſetzt werden. Hiemit fangen ſie an, einen qualitativen
Charakter zu haben. Gaͤlten ſie als bloße Quanta, ſo
iſt 2 und 7, ſchlechthin nur 2 und 7; 4 und 14, 6
und 21 u. ſ. f. ſind ſchlechthin etwas anderes und koͤn-
nen nicht an die Stelle jener Zahlen geſetzt werden. In-
ſofern 2 und 7 nicht nach dieſer Beſtimmtheit gelten, ſo
iſt ihre gleichguͤltige Grenze aufgehoben, ſie haben ſomit,
Qob
[214]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
ob zwar noch unvollkommen, das Moment der Unend-
lichkeit an ihnen, indem ſie zugleich nicht bloß nicht ſind,
ſondern auch ihre Beſtimmtheit, als eine an ſich ſeyende
qualitative, — nemlich nach dem, was ſie im Verhaͤlt-
niſſe gelten, — bleibt. Es koͤnnen unendlich viele an-
dere an ihre Stelle geſetzt werden, ſo daß zugleich der
Werth des Bruches, die Beſtimmtheit, welche die Sei-
ten des Verhaͤltniſſes haben, ſich nicht aͤndert.
Die Darſtellung, welche die Unendlichkeit an einem
Zahlenbruche hat, iſt aber darum noch unvollkommen,
weil die beyden Seiten des Bruchs, 2 und 7, wenn ſie
aus dem Verhaͤltniſſe genommen werden, gewoͤhnliche
gleichguͤltige Quanta ſind; die Beziehung derſelben, im
Verhaͤltniſſe und Momente zu ſeyn, iſt ihnen etwas aͤuſ-
ſerliches und gleichguͤltiges.
Die Buchſtaben, mit denen in der allgemeinen
Arithmetik operirt wird, haben die Eigenſchaft nicht, daß
ſie einen beſtimmten Zahlenwerth haben, ſondern ſind
allgemeine Zeichen, und unbeſtimmte Moͤglichkeiten jedes
beſtimmten Werthes. Der Bruch ſcheint daher um
ſeiner Elemente willen ein paſſenderer Ausdruck des Un-
endlichen zu ſeyn, weil a und b aus ihrer Beziehung
aufeinander genommen, unbeſtimmt bleiben, und auch
getrennt keinen beſondern eigenthuͤmlichen Werth haben
— Allein dieſe Buchſtaben ſind zwar unbeſtimmte Groͤſ-
ſen; ihr Sinn aber iſt, daß ſie irgend ein endliches
Quantum ſeyen. Da ſie alſo zwar nur die allgemeine
Vorſtellung, aber von der beſtimmten Zahl ſind, ſo iſt
es ihnen ebenfalls gleichguͤltig, im Verhaͤltniſſe zu ſeyn,
und auſſer demſelben behalten ſie dieſen Werth.
Die beyden Seiten, die die Groͤßen im Bruche ha-
ben, beſtanden darin, endliche Groͤßen, Quanta, und
zugleich
[215]Quantitaͤt.
zugleich unendlich, keine Quanta zu ſeyn. Das Ver-
haͤltniß ſelbſt als ſolches iſt erſtlich ein Quantum;
zweytens aber nicht ein unmittelbares, ſondern das
den qualitativen Gegenſatz in ihm hat; ein gegen das
andere nicht gleichguͤltiges ſondern dadurch beſtimmtes,
in ſeinem Andersſeyn in ſich zuruͤckgekehrtes und ſomit
Unendliches zu ſeyn. Dieſe beyden Seiten ſtellen ſich
auf folgende Weiſe dar.
Der Bruch \frac{2}{7} kann ausgedruͤckt werden, als
0,285714 … wie als 1 + a + a2 + a3 u. ſ. f.
So iſt er als eine unendliche Reihe dargeſtellt,
und der Bruch ſelbſt heißt die Summe oder der end-
liche Ausdruck derſelben. Vergleichen wir dieſe bey-
den Ausdruͤcke, ſo ſtellt die unendliche Reihe den Bruch
nicht mehr als ein Verhaͤltniß, ſondern nur nach der
Seite dar, daß er ein Quantum iſt, als eine Menge
von ſolchen, die zu einander hinzukommen, als eine An-
zahl, oder hat wenigſtens die Beſtimmung ihn ſo darzu-
ſtellen. — Daß die Groͤßen, die ihn als Anzahl aus-
machen ſollen, wieder aus Decimalbruͤchen, alſo ſelbſt
aus Verhaͤltniſſen beſtehen, darauf kommt es hier nicht
an; denn dieſer Umſtand betrift ihre Einheit, nicht
ſie, inſofern ſie die Anzahl conſtituiren; wie eine aus
mehrern Ziffern beſtehende ganze Zahl des Decimalſy-
ſtems weſentlich als eine Anzahl gilt, und nicht dar-
auf geſehen wird, daß ſie aus Producten einer Zahl
und der Zahl Zehen und deren Potenzen beſteht. So
wie es hier auch nicht darauf ankommt, daß es andere
Bruͤche gibt als der zum Beyſpiel genommene \frac{2}{7}, die zu
Decimalbruͤchen gemacht, nicht eine unendliche Reihe ge-
ben; es iſt nur davon die Rede, daß jeder als eine ſol-
che ausgedruͤckt werden koͤnne.
In der unendlichen Reihe, die den Bruch weſent-
lich als Anzahl darſtellen ſoll, vrrſchwindet alſo die
Q 2Seite,
[216]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Seite, daß er Verhaͤltniß iſt, und wenn er auch als eine
Summe von Verhaͤltniſſen ausgedruͤckt wird, ſo wird,
indem dieſe als Glieder einer Summe genommen werden,
davon abſtrahirt, daß ſie Verhaͤltniſſe ſind. Mit dem
Verhaͤltniſſe ſchwindet alſo auch die Seite, nach welcher
der Bruch die Unendlichkeit an ihm hatte. Dieſe aber iſt
auf eine andere Weiſe hereingekommen; die Reihe iſt
nemlich ſelbſt unendlich.
Von welcher Art aber die Unendlichkeit der Reihe
ſey, erhellt von ſich ſelbſt; es iſt die ſchlechte Unendlich-
keit des Progreſſes. Denn die Reihe enthaͤlt den Wider-
ſpruch, etwas, das ein Verhaͤltniß und qualitativer
Natur iſt, als ein verhaͤltnißloſes, als ein bloßes
Quantum, als Anzahl darzuſtellen. An der An-
zahl, die in der Reihe ausgedruͤckt iſt, fehlt immer et-
was, ſo daß uͤber das, was geſetzt iſt, immer hinaus-
gegangen werden muß, um die gefoderte Beſtimmtheit zu
erreichen. Das Geſetz des Fortgangs iſt bekannt; es
liegt in der Beſtimmung des Quantums, die im Bruche
enthalten iſt, und in der Natur der Form, in der ſie
ausgedruͤckt werden ſoll. Sie kann durch Fortſetzung
der Reihe ſo genau gemacht werden, als man noͤthig
hat; aber immer bleibt die Darſtellung durch ſie nur ein
Sollen; ſie iſt mit einem Jenſeits behaftet, das
nicht aufgehoben werden kann, weil ein qualitatives als
Anzahl auszudruͤcken, der bleibende Widerſpruch iſt.
In dieſer unendlichen Reihe iſt jene Ungenauig-
keit wirklich vorhanden, von der am wahrhaften ma-
thematiſchen Unendlichen nur der Schein vorkommt.
Dieſe beyden Arten des mathematiſchen Un-
endlichen ſind ſo wenig zu verwechſeln, als die bey-
den Arten des philoſophiſchen Unendlichen. Bey der
Darſtellung des wahrhaften mathematiſchen Unendlichen
iſt
[217]Quantitaͤt.
iſt anfangs die Form der Reihe gebraucht oder auch
neuerlich wieder hervorgerufen worden. Aber ſie iſt fuͤr
daſſelbe nicht weſentlich; im Gegentheil iſt das Unendli-
che der unendlichen Reihe weſentlich von ihm unterſchie-
den, wie die Folge zeigen ſoll; es ſteht ſogar dem Aus-
drucke des Bruches nach.
Die unendliche Reihe enthaͤlt nemlich darum
die ſchlechte Unendlichkeit, weil das was ſie ausdruͤcken
ſoll, ein Sollen bleibt; und was ſie ausdruͤckt, mit
einem Jenſeits, das nicht verſchwindet, behaftet und ver-
ſchieden von dem iſt, was ausgedruͤckt werden ſoll. Sie
iſt unendlich nicht um der Glieder willen, die geſetzt ſind,
ſondern darum, weil ſie unvollſtaͤndig ſind, weil das An-
dere das zu ihnen weſentlich gehoͤrt, jenſeits ihrer iſt;
was in ihr da iſt, der geſetzten Glieder moͤgen ſo viele
ſeyn als wollen, iſt nur ein endliches, und zwar geſetzt
als endliches, als ſolches, das nicht iſt, was es ſeyn
ſoll. Dagegen iſt das, was der endliche Aus-
druck, oder die Summe einer ſolchen Reihe genannt
wird, ohne Mangel; er enthaͤlt vielmehr das, was die
Reihe nur ſucht, vollſtaͤndig; das Jenſeits iſt aus ſeiner
Flucht zuruͤckgerufen; was er iſt, und was er ſeyn ſoll,
iſt nicht getrennt, ſondern iſt daſſelbe. Er enthaͤlt alſo
keine Endlichkeit, nicht ein ſolches, uͤber das hinausge-
ſehen werden muß.
Diß kann auch ſo betrachtet werden, daß in der
unendlichen Reihe das Negative auſſerhalb ihrer Glie-
der iſt, welche Gegenwart haben, indem ſie nur als
Theile der Anzahl gelten. In dem endlichen Ausdrucke
dagegen, der ein Verhaͤltniß iſt, iſt das Negative im-
manent, als das Beſtimmtſeyn der Seiten des Verhaͤlt-
niſſes durcheinander.
In
[218]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
In der That iſt alſo die gewoͤhnlich ſogenannte
Summe, das \frac{2}{7} oder , ein Verhaͤltniß; und
der ſogenannte endliche Ausdruck iſt der wahrhaft
unendliche Ausdruck. Die unendliche Reihe
aber iſt in Wahrheit die Summe; ihr Zweck iſt, das
was an ſich Verhaͤltniß iſt, in der Form einer Summe
darzuſtellen, und die vorhandenen Glieder der Reihe ſind
nicht als Glieder eines Verhaͤltniſſes, ſondern eines
Aggregats. Ferner iſt ſie vielmehr der endliche Aus-
druck; denn ſie iſt das unvollkommene Aggregat, und
bleibt weſentlich ein Mangelhaftes. — Wird der Bruch
inſofern der endliche Ausdruck genannt, weil er ein be-
ſtimmtes Quantum iſt, ſo iſt die unendliche Reihe erſtens
nach dem, was in ihr da iſt, gleichfalls ein beſtimmtes
Quantum, zugleich aber ein geringeres, als ſie ſeyn
ſoll; alsdann auch das, was ihr fehlt, iſt ein beſtimmtes
Quantum; und das was in ihr da iſt, zuſammen mit
dem was ihr fehlt, iſt ein eben ſolches, daſſelbe, was
der Bruch iſt. Inſofern alſo der Bruch ein endliches,
d. h. ein beſtimmtes Quantum iſt, iſt ſie es gleichfalls
und noch mehr als er. Inſofern er aber unendlich, und
zwar im wahrhaften Sinne unendlich an ihm ſelbſt iſt,
weil er das negative Jenſeits an ihm ſelbſt hat, iſt ſie
mangelhaft, und hat das Unendliche nur als ein Jen-
ſeits auſſer ihr.
Mit unendlichen Reihen aber, die nicht ſummirbar
ſind, hat es eine andere Bewandniß; die Mathematik
bleibt jedoch bey dieſem Unterſchiede, als einem aͤuſſer-
lichen und zufaͤlligen Umſtande, ob ſie ſummirt werden
koͤnnen oder nicht, ſtehen. Sie enthalten nemlich eine
hoͤhere Art der Unendlichkeit, als die ſummirbaren; eine
Incommenſurabilitaͤt, oder die Unmoͤglichkeit, das darin
enthaltene quantitative Verhaͤltniß als ein Quantum —
ſey es auch als Bruch — darzuſtellen; die Form der
Reihe
[219]Quantitaͤt.
Reihe jedoch, die ſie haben, iſt dieſelbe ſchlechte Unend-
lichkeit, welche in der ſummirbaren Reihe iſt.
Dieſelbe hier am Bruch und an ſeiner Reihe bemerkte
Verkehrung findet Statt, inſofern das mathemati-
ſche Unendliche, nemlich das wahrhafte, das relati-
ve Unendliche, das gewoͤhnliche metaphyſiſche dage-
gen das abſolute Unendliche genannt worden iſt. In
der That iſt vielmehr das metaphyſiſche nur das relative,
weil die Negation, die es ausdruͤckt, nur im Gegenſatze
einer Grenze iſt, die von ihm nicht aufgehoben wird;
das mathematiſche Unendliche hingegen hat die endliche
Grenze wahrhaft in ſich aufgehoben, weil das Jenſeits
derſelben mit ihr vereinigt iſt.
In dem Sinne, in welchem ich aufgezeigt habe,
daß die ſogenannte Summe oder der endliche Ausdruck
einer unendlichen Reihe, vielmehr als der Unendliche
anzuſehen iſt, iſt es vornemlich, daß Spinoza den
Begriff der wahren Unendlichkeit gegen den der ſchlechten
aufſtellt, und durch Beyſpiele erlaͤutert. Sein Begriff
gewinnt am meiſten Licht, indem ich das, was er hier-
uͤber ſagt, an dieſe Entwicklung anſchließe.
Er definirt zunaͤchſt das Unendliche als die ab-
ſolute Affirmation der Exiſteuz irgend einer Natur,
das Endliche im Gegentheil als Beſtimmtheit als
Verneinung. Die abſolute Affirmation einer Exiſtenz iſt
nemlich als ihre Beziehung auf ſich ſelbſt zu nehmen,
nicht dadurch zu ſeyn, daß ein Anderes iſt; das End-
liche hingegen iſt die Verneinung, ein Aufhoͤren, inſo-
fern ein Anderes auſſer ihm anfaͤngt. Die abſolute Af-
firmation einer Exiſtenz erſchoͤpft nun zwar den Begriff
der Unendlichkeit nicht; dieſer enthaͤlt, daß die Unend-
lichkeit Affirmation iſt nicht als unmittelbare Affirmation,
ſondern
[220]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
ſondern nur als wiederhergeſtellte, durch die Reflexion
des Andern in ſich ſelbſt; oder als Negation des Negati-
ven. Aber bey Spinoza hat die Subſtanz und deren ab-
ſolute Einheit die Form von unbewegter Einheit, von
einer Starrheit, worin der Begriff der negativen Einheit
des Selbſts, die Subjectivitaͤt, ſich noch nicht findet.
Sein mathematiſches Beyſpiel vom wahren Unend-
lichen iſt bekanntlich ein Raum zwiſchen zwey ungleichen
Kreiſen, deren einer innerhalb des andern, ohne ihn zu
beruͤhren, faͤllt, und die nicht concentriſch ſind. Er
machte, wie es ſcheint, ſich viel aus dieſer Figur und
dem Begriff, als deren Beyſpiel er ſie gebrauchte, daß
er ſie zum Motto ſeiner Ethik machte. — „Die Mathe-
matiker, ſagt er, ſchließen, daß die Ungleichheiten, die
in einem ſolchen Raume moͤglich ſind, unendlich ſind,
nicht aus der unendlichen Menge der Theile, denn ſei-
ne Groͤße iſt beſtimmt und begrenzt, und ich
kann groͤßere und kleinere ſolche Raͤume ſetzen, ſondern
weil die Natur der Sache jede Beſtimmtheit uͤber-
trift.“ — Man ſieht, Spinoza verwirft jene Vorſtel-
lung vom Unendlichen, nach welchem es als Menge oder
als Reihe vorgeſtellt wird, die nicht vollendet iſt, und
erinnert, daß hier an dem Raume des Beyſpiels das
Unendliche nicht jenſeits, ſondern gegenwaͤrtig und voll-
ſtaͤndig iſt; dieſer Raum iſt darum ein unendlicher, „weil
die Natur der Sache jede Beſtimmtheit uͤberſteigt,“ weil
die darin enthaltene Groͤßenbeſtimmung zugleich nicht ein
Quantum iſt. Jenes Unendliche einer Reihe nennt Spi-
noza das Unendliche der Imagination; das
Unendliche hingegen als Beziehung auf ſich ſelbſt, das
Unendliche des Denkens oder infinitum actu.
Es iſt nemlich actu, es iſt wirklich unendlich, weil es
in ſich vollendet und gegenwaͤrtig iſt. So iſt die Reihe
0,285714 … oder 1 + a + a2 + a3 … das Unend-
liche
[221]Quantitaͤt.
liche bloß der Einbildung, oder des Meynens; denn es
hat keine Wirklichkeit, es fehlt ihm ſchlechthin etwas;
hingegen \frac{2}{7} oder iſt das wirklich, nicht nur
was die Reihe in ihren vorhandenen Gliedern iſt, ſon-
dern noch das dazu, was ihr mangelt, was ſie nur
ſeyn ſoll. Das \frac{2}{7} oder iſt gleichfalls eine be-
ſtimmte Groͤße, wie der zwiſchen den zwey Kreiſen ein-
geſchloſſene Raum Spinoza’s und deſſen Ungleichheiten;
und kann wie dieſer Raum groͤßer oder kleiner gemacht
werden. Aber es kommt damit nicht die Ungereimtheit
eines groͤßern oder kleinern Unendlichen heraus; denn
diß Quantum des Ganzen, geht das Verhaͤltniß ſeiner
Momente, die Natur der Sache, d. h. die qualitative
Groͤßenbeſtimmung nichts an. Die Einbildung dagegen
bleibt beym Quantum als ſolchem ſtehen, und reflectirt
nicht auf die qualitative Beziehung, welche den Grund
der vorhandenen Incommenſurabilitaͤt ausmacht.
Dieſe Incommenſurabilitaͤt im allgemeinern Sinne
iſt auch ſchon am \frac{2}{7} vorhanden, inſofern 2 und 7 Prim-
zahlen zu einander ſind, ſomit das Quantum \frac{2}{7} nicht als
ganze Zahl, oder nicht als ein unmittelbares, verhaͤlt-
nißloſes Quantum ausgedruͤckt werden kann. Die hoͤhe-
re, eigentliche Incommenſurabilitaͤt aber ſchließt das
Beyſpiel Spinoza’s, uͤberhaupt die Functionen krummer
Linien in ſich. Sie fuͤhrt uns naͤher auf das Unendliche,
das die Mathematik bey ſolchen Functionen, uͤberhaupt
bey den Functionen veraͤnderlicher Groͤßen
braucht, und welches das wahrhafte mathemati-
ſche Unendliche, uͤberhaupt das abſolute quantita-
tive Unendliche iſt, das auch Spinoza ſich dachte.
Der Begriff der Groͤßen, deren Beziehung dieſe
Functionen ausdruͤcken, nemlich der veraͤnderlichen
Groͤßen, iſt aber genauer zu faſſen, als es gewoͤhn-
lich
[222]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
lich geſchieht. Sie ſind nemlich veraͤnderlich nicht in
dem Sinne, wie im Bruche \frac{2}{7} die beyden Zahlen 2 und
7 veraͤnderlich ſind, indem eben ſo ſehr 4 und 14, 6
und 21 und ſo fort ins Unendliche andre Zahlen an ih-
re Stelle geſetzt werden koͤnnen, ohne die im Bruche ge-
ſetzte Groͤßenbeſtimmung zu aͤndern. So kann auch in
an die Stelle von a und b jede beliebige Zahl geſetzt
werden, ohne das zu aͤndern was ausdruͤcken ſoll.
In dem Sinne, daß jede beliebige Zahl an die Stelle
von dem x und y einer Function geſetzt werden koͤnne,
ſind a und b ſo ſehr veraͤnderliche Groͤße, oder ſind es
noch mehr, inſofern die Function das x und y in eine
Grenze uͤberhaupt, oder wenigſtens in Beziehung auf-
einander, einſchließt. Der Ausdruck: veraͤnderliche
Groͤßen, iſt daher oberflaͤchlich und ungeſchickt, das zu
beſtimmen, was die Groͤßen einer Function auszeichnet.
Ihr wahrhafter Begriff liegt in folgendem. In \frac{2}{7}
oder ſind 2 und 7, jedes fuͤr ſich, beſtimmte Quanta
und die Beziehung iſt ihnen nicht weſentlich; a und b
ſoll gleichfalls ſolche Quanta vorſtellen, die auch auſſer
dem Verhaͤltniſſe bleiben, was ſie ſind. Ferner iſt \frac{2}{7} und
ein fixes Quantum, ein Quotient; das Verhaͤltniß iſt
eine Anzahl, deren Einheit der Nenner, und die Anzahl
dieſer Einheiten der Zaͤhler — oder umgekehrt ausdruͤckt;
wenn auch 4 und 14 u. ſ. f. an die Stelle von 2 und 7
treten, bleibt das Verhaͤltniß auch als Quantum daſſel-
be. In der Function = p z. B. dagegen haben
x und y zwar den Sinn, beſtimmte Quanta ſeyn zu
koͤnnen; aber nicht x und y, ſondern nur x und y2 ha-
ben einen beſtimmten Quotienten. Dadurch ſind dieſe
Seiten des Verhaͤltniſſes erſtens nicht nur keine be-
ſtimmten Quanta, ſondern zweytens ihr Verhaͤltniß
iſt nicht ein fixes, ſondern ein veraͤnderliches Quantum.
Sie
[223]Quantitaͤt.
Sie ſind auch nicht bloß allgemeine Quanta, bey denen
ſo wie bey ihrem Verhaͤltniſſe ein beſtimmtes Quantum
gemeint ſeyn ſollte. Sondern ihr Verhaͤltniß ſelbſt iſt
als Quantum an und fuͤr ſich veraͤnderlich.
Diß iſt aber darin enthalten, daß x nicht zu y ein Ver-
haͤltniß hat, ſondern zum Quadrate von y, weil das
Verhaͤltniß einer Groͤße zur Potenz nicht ein Quan-
tum, ſondern ein Begriffsverhaͤltniß iſt. Das
Potenzenverhaͤltniß iſt nicht eine aͤuſſerliche, ſondern eine
durch ſich ſelbſt beſtimmte Begrenzung; alſo ein weſent-
lich qualitatives Verhaͤltniß; wovon unten weiter die
Rede ſeyn wird. Wenn dem x ein beſtimmter Werth
gegeben wird, ſo erhaͤlt auch y durch die Function einen
beſtimmten Werth; wenn aber x einen andern Werth
erhaͤlt, ſo bleibt das vorige Verhaͤltniß als Quantum
nicht, ſondern iſt veraͤndert. In der Function der ge-
raden Linie y = a x iſt = a ein gewoͤhnlicher Bruch
und Quotient; dieſe Function iſt daher nur formell eine
Function von veraͤnderlichen Groͤßen, oder x und y ſind
hier was a und b in , nicht wahrhaft das, was die ver-
aͤnderlichen Groͤßen in den eigentlichen Functionen ſind.
— Um der beſondern Natur der veraͤnderlichen Groͤßen
in den eigentlichen Functionen, waͤre es wohl zweckmaͤſig
geweſen, fuͤr ſie andere Bezeichnungen einzufuͤhren, als
die gewoͤhnlichen der unbekannten Groͤßen in je-
der endlichen, beſtimmten oder unbeſtimmten Gleichung,
indem ſie auch weſentlich verſchieden von ſolchen bloß un-
bekannten Groͤßen, die an ſich vollkommen beſtimmte
Quanta, oder ein beſtimmter Umfang von beſtimmten
Quantis ſind.
In Functionen wahrhaft veraͤnderlicher Groͤßen alſo
iſt das Verhaͤltniß als Quantum ein veraͤnderliches.
Was beſtaͤndig im Verhaͤltniß dieſer Groͤßen iſt, — denn
der Parameter oder die Conſtante druͤckt nicht ein unmit-
telba-
[224]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
telbares Verhaͤltniß derſelben aus, ſondern inſofern ſie,
wie geſagt, noch durch ein Potenzenverhaͤltniß gegenein-
ander beſtimmt ſind —, iſt nicht durch eine Zahl, oder
Zahlenbruch auszudruͤcken, oder auf die Function einer
geraden Linie zuruͤckzubringen, ſondern es iſt Quanti-
taͤtsverhaͤltniß, das nur qualitativer Natur iſt.
Die Seiten x und y einer ſolchen Function koͤnnen
aber auch noch Quanta bedeuten, allein ihre Beſtimmung
zu einander iſt qualitativer Natur und ihr Beſtimmtſeyn
durch das Verhaͤltniß macht ihre weſentliche Groͤße aus.
Sie ſollen die quantitative Beſtimmtheit, die ihnen zu-
kommt, nicht auſſer dem Verhaͤltniſſe fuͤr ſich ſchon un-
mittelbar haben, und ihnen die Beziehung nicht wie dem
2 und 7 in nur aͤuſſerlich ſeyn. Wenn 2 als Zaͤhler
eines Bruchs angenommen iſt, ſo iſt der Nenner dadurch
noch nicht beſtimmt. In eine Function aber verbunden,
iſt, wenn die eine Groͤße beſtimmt wird, die andere
gleichfalls dadurch beſtimmt; und zwar nicht nach einem
conſtanten Quotienten. Die quantitative Beſtimmtheit,
der Exponent des Verhaͤltniſſes der veraͤnderlichen Groͤſ-
ſe iſt alſo qualitativer Natur. Dabey haben jedoch die
veraͤnderlichen Groͤßen, als die Seiten des Verhaͤltniſ-
ſes, ob zwar nicht mehr der Exponent, noch die Bedeu-
tung von Quantis.
Dieſe Bedeutung aber geht vollends in den un-
endlich kleinen Differenzen gaͤnzlich verlohren.
d x, d y ſind kein Quantum mehr, noch ſollen ſie ein
ſolches bedeuten, ſondern haben allein in ihrer Bezie-
hung eine Bedeutung, einen Sinn blos als Mo-
mente. Sie ſind nicht mehr Etwas, das Etwas als
Quantum genommen, nicht endliche Differenzen; aber
auch nicht Nichts, nicht die beſtimmungsloſe Null.
Auſſer ihrem Verhaͤltniſſe ſind ſie reine Nullen, aber ſie
ſollen
[225]Quantitaͤt.
ſollen nur als Momente des Verhaͤltniſſes, als Be-
ſtimmungen des Differential-Coefficianten ge-
nommen werden.
In dieſem Begriff des Unendlichen iſt das Quan-
tum wahrhaft zu einem qualitativen vollendet; es iſt
wirklich unendlich gemacht; es iſt nicht nur als dieſes
oder jenes Quantum aufgehoben, ſondern als Quantum
uͤberhaupt. Es bleibt aber Quantitaͤtsbeſtimmtheit,
Element von Quantis, Princip, oder ſie in ihrem
erſten Begriffe.
Gegen dieſen Begriff des Unendlichen iſt aller An-
griff gerichtet, der auf die Mathematik des wahrhaft Un-
endlichen, die Differential- und Integralrechnung, ge-
macht worden iſt. Unrichtige Vorſtellungen der Mathe-
matiker ſelbſt veranlaßten es zuweilen, daß er nicht an-
erkannt worden iſt; vornemlich aber iſt die Unvermoͤgen-
heit, den Gegenſtand als Begriff darzuſtellen, Schuld
an dieſen Anfechtungen. Den Begriff kann aber die Ma-
thematik, wie ſchon oben erinnert worden, hier nicht
umgehen; denn als Mathematik des Unendlichen ſchraͤnkt
ſie ſich nicht auf die endliche Beſtimmtheit ihrer Gegen-
ſtaͤnde ein, — wie in der reinen Mathematik der Raum
und die Zahl und deren Beſtimmungen nur nach ihrer
Endlichkeit betrachtet und auf einander bezogen wer-
den —; ſondern ſetzt eine Beſtimmung in die Identitaͤt
mit ihrer entgegengeſetzten. Die Operationen, die ſie
ſich als Differential- und Integralrechnung erlaubt, ſind
daher der Natur bloß endlicher Beſtimmungen und deren
Beziehungen gaͤnzlich widerſprechend und haben darum
ihre Rechtfertigung allein in dem Begriff.
Wenn die Mathematik des Unendlichen daran feſt-
hielt, daß jene Quantitaͤts-Beſtimmungen verſchwinden-
de
[226]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
de Groͤßen, d. h. ſolche, die nicht mehr irgend ein
Quantum, aber auch nicht Nichts, ſondern noch eine
Beſtimmtheit gegen anderes ſind, ſo ſchien nichts klarer,
als daß es keinen ſolchen Mittelzuſtand, wie man
es nannte, zwiſchen Seyn und Nichts gebe. — Was
es mit dieſem Einwurfe und ſogenannten Mittelzu-
ſtande auf ſich habe, iſt oben bereits gezeigt. Al-
lerdings iſt die Einheit des Seyns und Nichts kein Zu-
ſtand; ein Zuſtand waͤre eine Beſtimmung des Seyns
und Nichts, in welchen dieſe Momente nur etwa zufaͤl-
ligerweiſe gleichſam als in eine Krankheit oder aͤuſſerliche
Affection gerathen ſollten; ſondern dieſe Mitte und Ein-
heit, das Verſchwinden oder eben ſo das Werden, iſt
vielmehr allein ihre Wahrheit.
Was unendlich ſey, iſt ferner geſagt worden, ſey
nicht vergleichbar als ein groͤßeres oder kleineres; es
koͤnne daher nicht ein Verhaͤltniß von Unendlichen zu Un-
endlichen, noch Ordnungen oder Dignitaͤten des Unend-
lichen geben, als welche Unterſchiede der unendlichen
Differenzen in der Wiſſenſchaft derſelben vorkommen. —
Es liegt bey dieſen Einwuͤrfen immer die Vorſtellung zu
Grunde, daß hier von Quantis die Rede ſeyn ſolle,
die als Quanta verglichen werden; daß Beſtimmungen,
die keine Quanta mehr ſind, kein Verhaͤltniß mehr zu
einander haben Vielmehr iſt aber das, was nur im
Verhaͤltniß iſt, kein Quantum; denn das Quantum iſt
eine ſolche Beſtimmung, die auſſer ihrem Verhaͤltniß ein
vollkommen gleichguͤltiges Daſeyn haben, der ihr Unter-
ſchied von einem andern gleichguͤltig ſeyn ſoll, da hin-
gegen das qualitative nur das iſt, was es in ſeinem Un-
terſchiede von einem Andern iſt. Jene unendlichen Groͤſ-
ſen ſind daher nicht nur vergleichbar, ſondern ſind nur
Momente der Vergleichung oder des Verhaͤltniſſes.
Ich
[227]Quantitaͤt.
Ich fuͤhre hier die wichtigſten Beſtimmungen an,
welche von Mathematikern uͤber diß Unendliche gegeben
worden ſind. Es wird daraus erhellen, daß dieſen ih-
ren Beſtimmungen der Gedanke der Sache, uͤbereinſtim-
mend mit dem hier entwickelten Begriffe, zu Grunde liegt,
daß ſie ihn aber als Begriff nicht ergruͤndeten und
deswegen bey der Anwendung wieder Auskunftsmittel
noͤthig hatten, welche ihrer beſſern Sache widerſprechen.
Der Gedanke kann nicht richtiger beſtimmt werden,
als Newton ihn gegeben hat. Ich trenne dabey die
Beſtimmungen ab, die der Vorſtellung der Bewegung
und der Geſchwindigkeit angehoͤren, (von welcher er vor-
nemlich den Namen Fluxionen nahm,) weil der Ge-
danke hierin nicht in der gehoͤrigen Abſtraction, ſondern
concret, vermiſcht mit auſſerweſentlichen Begriffen er-
ſcheint. — Dieſe Fluxionen erklaͤrt Newton naͤher (Princ.
mathem. phil. nat. L. 1. Lemma XI. Schol.) dahin, daß
er nicht untheilbare — eine Form deren ſich fruͤhere
Mathematiker, Cavalleri und andere, bedienten, und
welche den Begriff eines an ſich beſtimmten Quan-
tums enthaͤlt, — verſtehe, ſondern verſchwinden-
de Theilbare. Ferner nicht Summen und Verhaͤlt-
niſſe beſtimmter Theile, ſondern die Grenzen (limi-
tes) der Summen und Verhaͤltniſſe. Es werde
die Einwendung gemacht, daß verſchwindende Groͤßen
kein letztes Verhaͤltniß haben, weil es, ehe ſie
verſchwunden, nicht das Letzte, und wenn ſie verſchwun-
den, keines mehr iſt. Aber unter dem Verhaͤltniſſe ver-
ſchwindender Groͤßen ſey das Verhaͤltniß zu verſtehen,
nicht eh ſie verſchwinden, und nicht nachher, ſon-
dern mit dem ſie verſchwinden (quacum evaneſcunt).
Eben ſo iſt das erſte Verhaͤltniß werdender Groͤßen,
das, mit dem ſie werden.
Nach
[228]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Nach dem damaligen Stande der wiſſenſchaftlichen
Methode wurde nur erklaͤrt, was unter einem Ausdrucke
zu verſtehen ſey; daß nun diß oder jenes darunter zu
verſtehen ſey, iſt eigentlich eine ſubjective Zumuthung
oder auch eine hiſtoriſche Foderung, wobey nicht gezeigt
wird, daß ein ſolcher Begriff an und fuͤr ſich nothwen-
dig iſt und innere Wahrheit hat. Aber das Angefuͤhrte
zeigt, daß der von Newton aufgeſtellte Begriff dem ent-
ſpricht, wie die unendliche Groͤße ſich in der obigen Dar-
ſtellung aus der Reflexion des Quantums in ſich ergab.
Es ſind Groͤßen verſtanden, in ihrem Verſchwinden, d.
h. die nicht mehr Quanta ſind; ferner nicht Verhaͤlt-
niſſe beſtimmter Theile, ſondern die Grenzen des
Verhaͤltniſſes. Denn auch das unmittelbare Ver-
haͤltniß, inſofern es einen Exponenten hat, iſt ein Quan-
tum; es ſollen alſo ſowohl die Quanta fuͤr ſich, die
Seiten des Verhaͤltniſſes, als damit auch das Verhaͤlt-
niß, inſofern es ein Quantum waͤre, verſchwinden; die
Grenze des Groͤßen-Verhaͤltniſſes iſt, worin es iſt, und
nicht iſt; diß heißt genauer, worin das Quantum ver-
ſchwunden, und damit das Verhaͤltniß nur als qualita-
tives Quantitaͤts-Verhaͤltniß erhalten iſt. — Newton
fuͤgt hinzu, daß daraus, daß es letzte Verhaͤltniße der ver-
ſchwindenden Groͤßen gebe, nicht zu ſchließen ſey, daß
es letzte Groͤßen, Untheilbare, gebe. Diß waͤre
nemlich wieder ein Abſprung von dem Verhaͤltniſſe als
ſolchem auf die Seiten deſſelben, welche fuͤr ſich auſſer
ihrer Beziehung einen Werth haben ſollten, als Untheil-
bare, als etwas, das nicht ein relatives waͤre. — An
der Theilbarkeit haͤlt er darum feſt, um noch das Quan-
titative zu erhalten, weil das Untheilbare oder Atome,
das Eins, ein Verhaͤltnißloſes ſeyn wuͤrde.
Gegen jenen Misverſtand erinnert er noch, daß
die letzten Verhaͤltniſſe nicht Verhaͤltniſſe letzter
Groͤſ-
[229]Quantitaͤt.
Groͤßen ſeyen, ſondern Grenzen, denen die Ver-
haͤltniſſe der ohne Grenze abnehmenden Groͤßen naͤher
ſind als jeder gegebene, d. h. endliche Unterſchied,
welche Grenze ſie aber nicht uͤberſchreiten, ſo daß ſie
Nichts wuͤrden. — Unter letzten Groͤßen haͤtten
nemlich, wie geſagt, Untheilbare oder Eins verſtanden
werden koͤnnen. In der Beſtimmung des letzten Ver-
haͤltniſſes aber iſt ſowohl die Vorſtellung des gleichguͤlti-
gen Eins, des verhaͤltnißloſen, als auch des endlichen
Quantums entfernt. Es beduͤrfte aber weder des Ab-
nehmens ohne Grenze, in das Newton das Quan-
tum verſetzt und das nur den Progreß ins Unendliche
ausdruͤckt, noch der Beſtimmung der Theilbarkeit, wel-
che hier keine unmittelbare Bedeutung mehr hat, wenn
der gefoderte Begriff ſich zum Begriffe einer Groͤßebe-
ſtimmung, die rein nur Moment des Verhaͤltniſſes iſt,
fortgebildet haͤtte.
Gleich intereſſant iſt die andere Form der Newtoni-
ſchen Darſtellung dieſer Groͤßen, nemlich als erzeug-
ter Groͤßen. Eine erzeugte Groͤße (genita) iſt ein
Product oder Quotient, Wurzeln, Rechtecke, Quadrate,
auch Seiten von Rechtecken, Quadraten; — uͤberhaupt
eine endliche Groͤße. — „Sie als veraͤnderlich be-
trachtet, wie ſie in fortdauernder Bewegung und Flieſſen
zu- oder abnehmend iſt, ſo verſtehe er ihre momenta-
nen Incremente oder Decremente unter dem
Namen von Momenten. Dieſe ſollen aber nicht fuͤr
Theilchen von beſtimmter Groͤße genommen werden (par-
ticulae finitae). Solche ſind nicht ſelbſt Momente,
ſondern aus Momenten erzeugte Groͤßen; es ſind
vielmehr die werdenden Principien oder Anfaͤnge
endlicher Groͤßen zu verſtehen.“ — Das Quantum wird
hier von ſich ſelbſt unterſchieden, wie es als ein Pro-
duct, oder Daſeyendes, und wie es in ſeinem Wer-
Rden,
[230]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
den, in ſeinem Anfange und Princip, das heißt,
wie es in ſeinem Begriffe, oder was hier daſſelbe iſt,
in ſeiner qualitativen Beſtimmung iſt; in der letztern ſind
die quantitativen Unterſchiede, die unendlichen Incre-
mente oder Decremente nur Momente; erſt das gewor-
dene iſt in die Gleichguͤltigkeit des Daſeyns und in die
Aeuſſerlichkeit uͤbergegangen, in der es Quantum iſt. —
Die Incremente und Decremente fallen zwar innerhalb
der ſinnlichen Vorſtellung des Quantums; die angefuͤhr-
ten andern Beſtimmungen aber muß die Philoſophie des
Begriffs des wahrhaft mathematiſchen Unendlichen an-
erkennen.
Gegen die betrachteten Beſtimmungen ſteht die ge-
woͤhnliche Vorſtellung von unendlich-kleinen
Groͤßen weit zuruͤck. Nach derſelben ſollen ſie von
der Beſchaffenheit ſeyn, daß nicht nur ſie gegen endliche
Groͤßen, ſondern auch deren hoͤhere Ordnungen gegen
die niedrigere, oder auch die Producte aus mehrern gegen
eine einzelne zu vernachlaͤſſigen ſeyen. — Leib-
nitz, wie die vorhergehenden Erfinder von Methoden,
die ſich auf dieſe Groͤße bezogen, hielt ſich an dieſe Vor-
ſtellung; ſie iſt es vornemlich, die dieſem Calcul beym
Gewinne der Bequemlichkeit, den Schein von Ungenauig-
keit in dem Wege ſeiner Operationen gibt. — Wolf
hat ſie in ſeiner Weiſe, die Sachen populaͤr zu machen,
d. h. den Begriff zu verunreinigen und unrichtige ſinnliche
Vorſtellungen an deſſen Stelle zu ſetzen, verſtaͤndlich zu
machen geſucht. Er vergleicht nemlich die Vernachlaͤſ-
ſigung der unendlichen Differenzen hoͤherer Ordnungen
gegen niedrigere, mit dem Verfahren eines Geometers,
der bey der Meſſung der Hoͤhe eines Bergs um nicht we-
niger genau geweſen ſey, wenn der Wind indeß ein
Sandkoͤrnchen von der Spitze weggeweht habe.
Wenn
[231]Quantitaͤt.
Wenn die Billigkeit des gemeinen Menſchenverſtan-
des eine ſolche Ungenauigkeit erlaubt, ſo haben dagegen
alle Geometer dieſe Vorſtellung verworfen. — Es dringt
ſich von ſelbſt auf, daß in der Wiſſenſchaft der Mathe-
matik von einer ſolchen empiriſchen Genauigkeit ganz und
gar nicht die Rede iſt, daß das mathematiſche Meſſen
durch Operationen des Calculs oder durch Conſtructio-
nen und Beweiſe der Geometrie gaͤnzlich vom Feldmeſſen,
vom Meſſen empiriſcher Linien, Figuren u. ſ. f. unter-
ſchieden iſt. Ohnehin zeigen, wie oben angefuͤhrt, die
Analytiker durch die Vergleichung des Reſultats, wie es
auf ſtreng geometriſchem Wege und wie es nach der Methode
der unendlichen Differenzen erhalten wird, daß das eine
daſſelbe iſt als das andere, und daß ein Mehr oder We-
niger von Genauigkeit ganz und gar nicht Statt findet.
Und es verſteht ſich von ſelbſt, daß ein abſolut genaues
Reſultat nicht aus einem Verfahren herkommen koͤnne,
das ungenau waͤre. Jedoch kann auf der andern Seite
wieder das Verfahren ſelbſt, jener Vernachlaͤſſi-
gung aus dem Grunde der Unbedeutenheit nicht entbeh-
ren. Und diß iſt die Schwierigkeit, um welche die Be-
muͤhungen der Analytiker gehen, ſich ſelbſt das hierin
liegende Widerſinnige begreiflich zu machen.
Euler, indem er die allgemeine Newtoniſche Defi-
nition zu Grunde legt, dringt vornemlich darauf, daß
die Differentialrechnung die Verhaͤltniſſe der In-
cremente einer Groͤße betrachte, daß aber die un-
endliche Differenz als ſolche ganz als Null zu
betrachten ſey. — Es iſt zur Genuͤge erlaͤutert, wie diß
zu verſtehen iſt; die unendliche Differenz iſt Null nur des
Quantums, nicht eine qualitative Null, ſondern als Null
des Quantums iſt ſie vielmehr reines Moment nur des
Verhaͤltniſſes. Sie iſt nicht ein Unterſchied um eine
Groͤße; wie wenn ein Quantum von einem andern
R 2ſub-
[232]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
ſubtrahirt wird, wo ihr Unterſchied ſelbſt auch ein Quantum
iſt, dem es gleichguͤltig iſt, ob es als eine Differenz,
oder als eine Summe, Product u. ſ. f. angeſehen wird,
und das alſo nicht nur den Sinn einer Differenz hat.
Indem die Verhaͤltniſſe der unendlichen Differenzen aus
den Verhaͤltniſſen veraͤnderlicher aber als endlich betrach-
teter Groͤßen abgeleitet werden, ſo enthalten jene
Verhaͤltniſſe als Reſultate dasjenige als Moment
in ſich, was jene als daſeyend, oder in endlicher
Beſtimmung ausdruͤcken, — oder vielmehr nur in end-
licher Beſtimmbarkeit, denn die endlichen Groͤßen, die
ſolche Incremente haben, als hier betrachtet werden,
ſind veraͤnderliche, die nicht ſelbſt ein beſtimmtes Quan-
tum haben, aber eines haben koͤnnen. Einerſeits iſt es,
wie erinnert, uͤberhaupt ſchief und der ſinnlichen Vor-
ſtellung angehoͤrig, die unendlich-kleinen Groͤßen, als
Incremente oder Decremente, und als Differenzen aus-
zuſprechen. Denn dieſer Darſtellung liegt zu Grunde,
daß zu der zuerſt vorhandenen endlichen Groͤße, etwas
hinzukomme oder davon abgezogen werde, eine
Subtraction oder Addition, eine arithmetiſche, aͤuſ-
ſerliche Operation vorgehe; vielmehr iſt der Ueber-
gang von der veraͤnderlichen Groͤße in ihre unendliche
Differenz, oder der Function in ihr Differential von
ganz anderer Natur; es iſt als die Zuruͤckfuͤhrung der-
ſelben auf das qualitative Verhaͤltniß ihrer Quantitaͤts-
beſtimmungen zu betrachten. — Andererſeits hat es deß-
wegen eine ſchiefe Seite, wenn geſagt wird, daß die
Incremente fuͤr ſich Nullen ſeyen, daß nur ihre Verhaͤlt-
niſſe betrachtet werden. Denn eine Null hat uͤberhaupt
keine Beſtimmtheit mehr. Dieſe Vorſtellung kommt alſo
zwar bis zum Negativen des Quantums, und ſpricht es
beſtimmt aus, aber faßt diß Negative nicht zugleich in
ſeiner poſitiven Bedeutung auf, welche, wie gezeigt, da-
rin beſteht, daß die veraͤnderlichen Groͤßen, indem ihr
Ver-
[233]Quantitaͤt.
Verhaͤltniß in ſeine qualitative Beſtimmtheit zuruͤckgeht,
keine Quanta, aber auch nicht beſtimmungsloſe Nullen,
ſondern Momente ſind; es iſt ein Verhaͤltniß von Quan-
titaͤtsbeſtimmungen, die, wenn ſie aus dem Verhaͤltniſſe
geriſſen und als Quanta genommen werden wollten, nur
Nullen waͤren. — Lagrange urtheilt uͤber die Metho-
de, welche die Vorſtellung der Grenzen oder letzten Ver-
haͤltniſſe zu Grunde legt, — welche beſonders L’ Huil-
lier ausbildete, — daß wenn man gleich ſehr gut das
Verhaͤltniß zweyer Groͤßen ſich vorſtellen koͤnne, ſo lan-
ge ſie endlich bleiben, ſo gebe diß Verhaͤltniß dem Ver-
ſtande keinen deutlichen und beſtimmten Begriff, ſobald
ſeine Glieder zugleich Null werden. — In der That
muß der Verſtand uͤber dieſe bloß negative Seite, daß
die Verhaͤltnißglieder Nullen als Quanta ſind, hinaus-
gehen, und ſie poſitiv, als qualitative Momente auffaſſen.
In Ruͤckſicht der Erhaltung des Verhaͤltniſſes im
Verſchwinden der Quantorum findet ſich, z. B. bey
Carnot, der Ausdruck, daß vermoͤge des Ge-
ſetzes der Staͤtigkeit, die verſchwindenden Groͤſ-
ſen noch das Verhaͤltniß, aus dem ſie herkommen, ehe
ſie verſchwinden, behalten. — Dieſe Vorſtellung druͤckt
die wahre Natur der Sache aus, inſofern nicht diejenige
Staͤtigkeit des Quantums verſtanden wird, welche es im
unendlichen Progreß hat, wo es ſich in ſein Verſchwin-
den continuirt, nemlich im Jenſeits ſeiner wieder nur
ein endliches Quantum, ein neues Glied der Reihe, oder
die Summe deſſelben mit den vorhergehenden, entſteht.
In derjenigen Negation dagegen, welche das wahrhafte
Unendliche iſt, verſchwinden die Quanta als gleichguͤltige,
aͤuſſerliche Beſtimmungen, und werden nur Momente
des Verhaͤltniſſes. Das Verhaͤltniß iſt daher in dieſem
Uebergange ſo ſehr ſtaͤtig und ſich erhaltend, daß er
vielmehr allein darin beſteht, das Verhaͤltniß rein her-
aus-
[234]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
auszuheben, und die verhaͤltnißloſe Seite verſchwinden
zu machen. Dieſe Reinigung des quantitativen Verhaͤlt-
niſſes iſt nichts anders, als wenn ein empiriſches Da-
ſeyn begriffen wird. Diß wird hiedurch ſo uͤber ſich
ſelbſt erhoben, daß ſein Begriff dieſelben Beſtimmungen
enthaͤlt, als es ſelbſt, aber in ihrer Weſentlichkeit und
in die Einheit des Begriffes gefaßt, worin ſie ihr gleich-
guͤltiges, begriffloſes Beſtehen verlohren haben.
Ich enthalte mich, die Anfuͤhrungen zu vermehren,
indem die betrachteten Beſtimmungen zur Genuͤge gezeigt
haben, daß ihnen der wahrhafte Begriff des quantitati-
ven Unendlichen zu Grunde liegt, ob er gleich nicht in
ſeiner Beſtimmtheit herausgehoben und gefaßt worden iſt.
Aus dieſem Grunde aber geſchieht es, daß er ſich nicht
in ſeiner Anwendung erhaͤlt und die Operation ihm un-
getreu wird. Sie gruͤndet ſich vornemlich auf die Vor-
ſtellung eines bloß relativ-kleinen. Der Calcul
macht es nothwendig, die unendlichen Groͤßen den ge-
woͤhnlichen arithmetiſchen Operationen des Addirens u.
ſ. f., welche ſich auf die Natur endlicher Groͤßen gruͤn-
den, zu unterwerfen, und ſie ſomit als endliche Groͤßen
fuͤr einen Augenblick gelten zu laſſen und als ſolche zu
behandeln. Der Calcul haͤtte ſich einestheils daruͤber zu
rechtfertigen, daß er ſie das einemal in dieſe Sphaͤre
herabzieht, und daß er auf der andern Seite ſie hin und
wieder weglaͤßt und als Quanta vernachlaͤſſigt, nachdem
er ſo eben die Geſetze der endlichen Groͤßen auf ſie ange-
wendet hatte.
Ich fuͤhre noch einiges uͤber die Verſuche der Geo-
meter an, die Schwierigkeit, welche der Methode den
Schein von Ungenauigkeit gibt, zu beſeitigen.
Die aͤltern Analytiker machten ſich hieruͤber weni-
ger Scrupel; aber die Bemuͤhungen der Neuern gingen
vor-
[235]Quantitaͤt.
vornemlich dahin, den Calcul des Unendlichen zur Evi-
denz der eigentlich geometriſchen Methode zu-
ruͤckzubringen und in ihr die Strenge der Beweiſe
der Alten in der Mathematik zu erreichen. Allein da
das Princip der Analyſis des Unendlichen hoͤherer Na-
tur, als das Princip der Mathematik endlicher Groͤßen
iſt, ſo muß jene auf das geringere Verdienſt der Evi-
denz, das dieſe vornemlich der Begriffloſigkeit ih-
res Inhalts und ihrer Methode verdankt, nothwendig
Verzicht thun, wie die Philoſophie auch auf diejenige
Deutlichkeit keinen Anſpruch machen kann, die die Wiſ-
ſenſchaften des Sinnlichen, z. B. Naturgeſchichte hat,
und wie Eſſen und Trinken fuͤr ein verſtaͤndlicheres Ge-
ſchaͤfte gilt, als Denken und Begreifen.
Mehrere haben verſucht, den Begriff des Unend-
lichen ganz zu entbehren, und ohne ihn das zu leiſten,
was an den Gebrauch deſſelben gebunden ſchien. — La-
grange ſpricht z. B. von der Methode, die Landen
erfunden hat, und ſagt von ihr, daß ſie rein analytiſch
ſey und die unendlich kleinen Differenzen nicht gebrau-
che, ſondern zuerſt verſchiedene Werthe der ver-
aͤnderlichen Groͤßen einfuͤhre, und ſie in der Folge
gleichſetze. Er urtheilt uͤbrigens, daß darin die der
Differentialrechnung eignen Vorzuͤge, Einfachheit der Me-
thode und Leichtigkeit der Operationen verlohren gehe. —
Es erhellt aus dem angefuͤhrten, daß das Verſchwinden
des Quantums auch in dieſer Methode vorkommt, nem-
lich darin, daß die verſchiedenen angenommenen Werthe
veraͤnderlicher Groͤßen einander gleichgeſetzt werden;
denn ein Quantum einem andern ihm ungleichen gleich-
ſetzen, heißt nichts anderes, als ſie aufheben, und zwar
hier, um dadurch ihre allgemeine Verhaͤltnißbeſtimmung
zu gewinnen. — L’ Huilliers Methode, die ſich auf
die Vorſtellung der Grenzen eines Verhaͤltniſſes gruͤndete,
dringt
[236]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
dringt vornemlich darauf, d x und d y ſchlechthin nur als
Momente des Differential-Coefficienten, und als
ein einziges untheilbares Zeichen anzuſehen. Aber wenn
dieſe Methode dem philoſophiſchen Begriffe des quantita-
tiven Unendlichen am getreuſten bleibt, ſo leiſtet ſie nach
dem Urtheile der Geometer nicht dasjenige, was die
Rechnung des Unendlichen dadurch erreicht, daß ſie die
Seiten des Differential-Coefficienten von einander ab-
ſondert. Auſſerdem daß die Grenze immer das Poſi-
tive, hier nemlich ein Quantum, einerſeits, andererſeits
aber das Negative davon getrennt vorſtellt, und bey-
de nicht in die einfache Beſtimmung des qualitativen
Quantitaͤtsmoments vereinigt; — ſo ſcheint dieſe Methode
nicht den fuͤr die Rechnungsweiſe, die den Vorzug der
Leichtigkeit des Calculs des Unendlichen ausmacht, noth-
wendigen Uebergang der Verhaͤltnißmomente in die Ge-
ſtalt endlicher Groͤßen, und die Angabe der Geſetze, die
fuͤr ſie auf dieſem Boden und fuͤr den Ruͤckgang derſelben
in ihre Eigenthuͤmlichkeit erforderlich ſind; zu leiſten.
Die Aeltern unter den Neuern, wie z. B. Fer-
mat, Barrow und andre, die ſich zuerſt des Unend-
lich-kleinen in derjenigen Anwendung bedienten, welche
ſpaͤter zur Differential- und Integralrechnung ausgebildet
wurde, und dann auch Leibnitz und die Folgenden,
haben immer unverhohlen, die Producte von unendlichen
Differenzen, ſo wie ihre hoͤhern Potenzen nur aus dem
Grunde weglaſſen zu duͤrfen geglaubt, weil ſie relativ
gegen die niedrige Ordnung verſchwinden. Hierauf
beruht bey ihnen allein der Fundamentalſatz der ganzen
Lehre, was das Differential eines Products oder einer
Potenz iſt. Aus dem gleichen Grunde wird der Haupt-
ſatz, die Curven betreffend, angenommen, der darin be-
ſteht, daß die Elemente der Curven, nemlich die Incre-
mente der Abſciſſe und der Ordinate, das Verhaͤltniß
der
[237]Quantitaͤt.
der Subtangente und der Ordinate zu einander haben;
indem fuͤr die Abſicht, aͤhnliche Dreyecke zu erhalten, der
Bogen, der die dritte Seite eines Dreyecks zu den bey-
den Incrementen ausmacht, als eine gerade Linie, als
Theil der Tangente, und damit das eine der Incremente
bis an die Tangente reichend angeſehen wird. Dieſe An-
nahmen erheben dieſe Momente einerſeits uͤber die Natur
endlicher Groͤßen; andererſeits aber wird ein Verfahren auf
ſie angewendet, das nur von endlichen Groͤßen gilt, und
bey dem nichts aus Ruͤckſicht der Unbedeutenheit vernach-
laͤſſigt werden darf. Die Schwierigkeit, von der die
Methode gedruͤckt wird, bleibt in der angefuͤhrten Ver-
fahrungsweiſe in ihrer ganzen Staͤrke.
Newton hat (Princ. Math. phil. nat. Lib. II.
Lemma II. nach Propoſ. VII.) ein ſinnreiches Kunſtſtuͤck
gebraucht, um das arithmetiſch unrichtige Weglaſſen der
Producte unendlicher Differenzen oder hoͤherer Ordnun-
gen derſelben bey dem Finden der Differentialien, zu be-
ſeitigen. Er findet das Differential des Products —
woraus ſich dann die Differentialien der Quotienten,
Potenzen u. ſ. f. leicht herleiten, — auf folgende Art.
Das Product, wenn x, y, jedes um die Haͤlfte ſei-
ner unendlichen Differenz kleiner genommen wird, geht
uͤber in ; aber wenn
x und y um eben ſo viel zunimmt, in .
Von dieſem zweyten Product das erſte abge-
zogen, bleibt y d x + x d y als Ueberſchuß, und diß ſey
der Ueberſchuß des Wachsthums um ein gan-
zesd x und d y, denn um dieſes Wachsthum ſind beyde
Producte unterſchieden; es iſt alſo das Differential von
x y. — Man ſieht in dieſem Verfahren faͤllt das Glied,
welches die Hauptſchwierigkeit ausmacht, das Product
der beiden unendlichen Differenzen, d x d y durch ſich ſelbſt
hinweg. Aber es iſt unrichtig, daß
[238]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
oder daß der Ueberſchuß eines Products, deſſen Fa-
ctoren jeder um ein ganzes Increment zunimmt,
uͤber das Product der urſpruͤnglichen Factoren, — gleich
ſey dem Ueberſchuſſe des Products, wenn ſeine Facto-
ren jeder um die Haͤlfte des Increments waͤchſt,
uͤber das Product, inſofern ſeine Factoren um dieſe
Haͤlfte abgenommen haben.
Andere Formen, die Newton bey der Ableitung
des Differentials gebraucht, ſind an concrete Bedeutun-
gen der Elemente und deren Potenzen gebunden. —
Beym Gebrauche der Reihen, der ſeine Methode aus-
zeichnet, liegt die gewoͤhnliche Vorſtellung der Reihen zu
nahe, daß man es immer in ſeiner Macht habe, durch
das Hinzufuͤgen weiterer Glieder die Groͤße ſo genau
zu nehmen, als man noͤthig habe, und daß die
weggelaſſenen relativ unbedeutend, uͤberhaupt das
Reſultat nur eine Naͤherung ſey. — Der Fehler,
in welchen Newton bey der Aufloͤſung eines Problems
durch das Weglaſſen weſentlicher hoͤherer Potenzen ver-
fiel, der ſeinen Gegnern eine Gelegenheit des Triumphs
ihrer Methode uͤber die ſeinige gab, und von dem La-
grange in ſeiner neuerlichen Unterſuchung deſſelben
den wahren Urſprung aufgezeigt hat, — beweiſt wenig-
ſtens das Formelle und die Unſicherheit, die im
Gebrauche ſeines Inſtruments noch vorhanden war.
Lagrange (in ſeiner Theorie des Fonctions analyti-
ques) zeigt, daß Newton dadurch in den Fehler fiel,
daß er das Glied der Reihe vernachlaͤſſigte, das die
Potenz enthielt, auf welche es in der beſtimmten Auf-
gabe ankam.
Es
[239]Quantitaͤt.
Es iſt nemlich merkwuͤrdig, daß in der Mecha-
nik die Glieder der Reihe, in der die Function einer
Bewegung entwickelt wird, ihre beſtimmte Bedeu-
tung haben, ſo daß das erſte Glied, oder die Erſte
Function ſich auf das Moment der Geſchwindigkeit, die
zweyte auf die beſchleunigende Kraft, und die dritte auf
den Widerſtand von Kraͤften bezieht. Die Glieder der
Reihe ſind alſo hier nicht nur als Theile einer Sum-
me anzuſehen, ſondern als qualitative Momente
eines Ganzen des Begriffs. Hiedurch erhaͤlt
das Weglaſſen der uͤbrigen Glieder, die der ſchlecht-
unendlichen Reihe angehoͤren, eine gaͤnzlich ver-
ſchiedene Bedeutung, von dem Weglaſſen aus dem
Grunde der relativen Kleinheit derſelben. Sie
ſind wegzulaſſen, weil durch die Begriffsbeſtimmungen,
denen die erſtern Glieder angehoͤren, das Ganze des Ge-
genſtands als Begriff und dadurch auch als Summe,
uͤberhaupt ſeine Quantitaͤtsbeſtimmung vollendet iſt.
Die Newtonſche Aufloͤſung enthielt jenen Fehler, nicht
weil in ihr Glieder der Reihe, als Theile einer
Summe, ſondern weil ein Glied, das eine Be-
griffsbeſtimmung enthaͤlt, welche zum Ganzen
gehoͤrte, weggelaſſen wurde.
In dieſer Ruͤckſicht iſt es auch, daß das Differen-
tial von xn, durch das erſte Glied der Reihe, die durch
Entwicklung von (x + d x)n ſich ergibt, gaͤnzlich er-
ſchoͤpft iſt; — eine Anſicht, auf welche L’ Huillier
vornemlich drang. Daß die uͤbrigen Glieder nicht be-
ruͤckſichtigt werden, kommt nicht von ihrer relativen
Kleinheit her; — es wird dabey nicht eine Ungenauig-
keit, ein Fehler oder Irrthum vorausgeſetzt, der durch
einen andern Irrthum ausgeglichen und verbeſſert wuͤrde;
eine Anſicht, von welcher aus Carnot vornemlich die
gewoͤhnliche Methode der Infiniteſimalrechnung rechtfer-
tigt.
[240]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
tigt. Sondern indem hier nicht von einer Summe die
Rede iſt, ſondern von einem Verhaͤltniß, ſo iſt das
Differential vollkommen durch das erſte Glied er-
ſchoͤpft, indem die fernern Glieder, oder Differentiale
hoͤherer Ordnungen ſich auf dieſelbe Weiſe aus ihren
vorhergehenden entwickeln, als das Differential der ur-
ſpruͤnglichen Function aus derſelben, ſomit in ihnen
nichts, als nur die Wiederhohlung eines und deſ-
ſelben Verhaͤltniſſes, das man allein will, und das
ſomit im erſten Glied bereits vollkommen er-
reicht iſt.
Ich fuͤhre die Erlaͤuterungen, welche Carnot uͤber
die Methode der unendlichen Groͤßen gibt, nicht beſon-
ders an. Sie enthalten das gelaͤutertſte, was in den
oben angefuͤhrten Vorſtellungen vorkam. Aber bey dem
Uebergange zur Operation ſelbſt treten mehr oder weni-
ger die gewoͤhnlichen Vorſtellungen, von der unendlichen
Kleinheit der weggelaſſenen Glieder gegen die an-
dern ein. Er rechtfertigt die Methode vielmehr durch die
Thatſache, daß die Reſultate richtig werden, und durch
den Nutzen, den die Einfuͤhrung unvollkommner Glei-
chungen, d. h. ſolcher, in denen eine ſolche arithmetiſch
unrichtige Weglaſſung geſchehen iſt, fuͤr die Vereinfa-
chung und Abkuͤrzung des Calculs hat, als durch die Na-
tur der Sache ſelbſt.
Lagrange hat bekanntlich die urſpruͤngliche Me-
thode Newtons, die Methode der Reihen, wieder auf-
genommen, um der Schwierigkeiten, welche die Vorſtel-
lung des Unendlich-kleinen, ſo wie derjenigen, welche
die Methode der erſten und letzten Verhaͤltniſſe und Gren-
zen mit ſich fuͤhrt, uͤberhoben zu ſeyn. Es iſt von ſei-
nem Functionen-Calcul, deſſen ſonſtige Vorzuͤge in Ruͤck-
ſicht auf Praͤciſion, Abſtraction und Allgemeinheit hier
nicht
[241]Quantitaͤt.
nicht weiter auszuheben ſind, nur diß anzufuͤhren, daß
er auf dem Fundamentalſatze beruht, daß die Differenz,
ohne daß ſie Null werde, ſo klein angenommen
werden koͤnne, daß jedes Glied der Reihe
die Summe aller folgenden an Groͤße uͤber-
treffe. — Man ſieht, daß die wegzulaſſenden Glie-
der der Reihe hier nur in der Ruͤckſicht, daß ſie eine
Summe conſtituiren, in Betracht kommen, und der
Grund, ſie wegzulaſſen, in das Relative ihres Quan-
tums geſetzt wird. Die Weglaſſung iſt alſo hier auch
nicht fuͤr das Allgemeine auf denjenigen Grund zuruͤckge-
fuͤhrt, der in einigen Anwendungen vorkommt, worin
nemlich, wie vorhin erinnert, die Glieder der Reihe eine
beſtimmte qualitative Bedeutung haben, und folgende
Glieder auſſer Acht gelaſſen werden, nicht darum weil
ſie unbedeutend an Groͤße ſind, ſondern weil ſie unbedeu-
tend der Qualitaͤt nach ſind.
Ich ſtelle dieſen einzig richtigen Geſichtspunkt, die
qualitative Natur der unendlichen Differenzen, zum
Schluſſe dem Misverſtande entgegen, welcher beſonders
in den aͤltern Darſtellungen vorzukommen ſcheint, und der
die unendlichen Differenzen als gaͤnzlich verhaͤltnißloſe
Momente nimmt, und mit den Quantis auch die
Verhaͤltniß-Beſtimmung verſchwinden laͤßt.
Indem nemlich die unendlichen Differenzen das
Verſchwinden der Seiten des Verhaͤltniſſes, als Quan-
torum, ſind, ſo iſt das, was uͤbrig bleibt, ihr Quanti-
taͤtsverhaͤltniß, rein inſofern es von der qualitativen Be-
ſtimmung abhaͤngt. Das qualitative Verhaͤltniß geht
hierin ſo wenig verlohren, daß es vielmehr das Beſtim-
mende und dasjenige iſt, was eben durch die Verwand-
lung endlicher Groͤßen in unendliche reſultirt. Hierin
beſteht, wie gezeigt worden, die ganze Natur der Sa-
che.
[242]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
che. — So verſchwinden alſo im letzten Verhaͤlt-
niſſe die Quanta der Abſciſſe und der Ordinate; aber
die Seiten dieſes Verhaͤltniſſes bleiben weſentlich die ei-
ne, Increment oder Element der Ordinate, die andere
Increment oder Element der Abſciſſe. Indem man nach
der gewoͤhnlichen Vorſtellungsweiſe, die eine Ordinate
ſich der andern unendlich naͤhern laͤßt, ſo geht die vorher
unterſchiedene Ordinate in die andre Ordinate, und die
vorher unterſchiedene Abſciſſe in die andre Abſciſſe uͤber;
(— wie, nach dem obigen, Landen den veraͤnderlichen
Groͤßen zuerſt verſchiedene Werthe beylegt, und dieſe
dann gleichſetzt —) in dieſem Uebergehen verſchwindet
ihr endlicher Unterſchied, und es bleibt nur die unendli-
che Differenz, als Moment dieſes Uebergehens, das Ele-
ment der Ordinate und das Element der Abſciſſe. Es
geht weſentlich nicht die Ordinate in die Abſciſſe, oder
die Abſciſſe in die Ordinate uͤber. Das qualitative Ver-
haͤltniß continuirt ſich, wie diß oben ausgedruͤckt wurde,
ſo ſehr in die unendlich-werdenden, d. h. verſchwindenden
Quantumsunterſchiede, daß es allein das iſt, wodurch
die Quantitaͤtsbeſtimmung noch getragen wird.
Hiernach nun iſt es weſentlich, gegen den Geſichts-
punkt, den die gewoͤhnliche Anſicht von den unendlichen
Differenzen hat, und der es vornemlich erſchwert, den
richtigen Begriff der Sache zu faſſen, — zu bemerken,
daß das Element der Ordinate, — um bey dieſem Bey-
ſpiele von veraͤnderlichen Groͤßen ſtehen zu bleiben, —
nicht der Unterſchied einer Ordinate von ei-
ner andern Ordinate mehr iſt, denn dieſe ſind
keine verſchiedene Quanta mehr gegeneinander, indem ſie
unendlich einander genaͤhert ſind, ſondern es iſt vielmehr
der Unterſchied, oder die qualitative Groͤßenbeſtim-
mung gegen das Element der Abſciſſe; das
Princip der einen veraͤnderlichen Groͤße
gegen
[243]Quantitaͤt.
gegen das der andern ſteht im Verhaͤltniſſe mit-
einander. Der Unterſchied, indem er nicht mehr Unter-
ſchied endlicher Groͤßen iſt, hat aufgehoͤrt, ein Vielfa-
ches innerhalb ſeiner ſelbſt zu ſeyn; er iſt in die einfache
Intenſitaͤt zuſammengeſunken, in die Beſtimmtheit eines
qualitativen Verhaͤltnißmoments gegen das andere.
Die Betrachtung dieſer Elemente, als Differenzen
oder auch als Incremente haͤlt weſentlich nur den Unter-
ſchied des Quantums einer Ordinate zwiſchen dem Quan-
tum einer andern Ordinate feſt. Die Grenze wird
als der letzte Werth genommen, dem ſich eine andere
Groͤße, uͤbrigens von gleicher Art, beſtaͤndig naͤhere, ſo
daß ſie von ihm, ſo wenig als man will, unterſchieden
ſeyn koͤnne, und daß das letzte Verhaͤltniß, ein Verhaͤlt-
niß der Gleichheit ſey. So iſt die unendliche Differenz
ein Schweben als Unterſchied eines Quantums von einem
Quantum, und die qualitative Natur, nach welcher d x
weſentlich nicht eine Verhaͤltnißbeſtimmung gegen x, ſon-
dern gegen d y iſt, tritt in der Vorſtellung zuruͤck. Man
laͤßt d x2 gegen d x verſchwinden, aber noch vielmehr
verſchwindet d x gegen x, oder es hat nur ein Verhaͤlt-
niß zu d y. — Es iſt erinnert worden, daß am meiſten
in L’Huilliers Methode, dieſe Seite herausgehoben iſt.
Aber ſie iſt noch nicht auf den Begriff der qualitativen
Groͤßenbeſtimmung gebracht, und es iſt den Geometern, die
ſich an die Vorſtellung der Grenzen halten, immer vor-
zuͤglich darum zu thun, die Annaͤherung einer Groͤße an
ihre Grenze begreiflich zu machen, und ſich an dieſe Sei-
te des Unterſchiedes des Quantums vom Quantum, wie
er kein Unterſchied und doch noch ein Unterſchied iſt, zu
halten.
Indem es aber geſchehen iſt, daß die Incremente
oder unendlichen Differenzen bloß nach der Seite des
Quan-
[244]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Quantums und als verhaͤltnißloſe Momente genommen
wurden, ſo iſt die unſtatthafte Vorſtellung hieraus ent-
ſprungen, welche es ſich erlaubt, in dem letzten Verhaͤlt-
niſſe, Abſciſſe und Ordinate, oder auch Sinus, Coſi-
nus, Tangente, Sinus verſus und was alles noch, ein-
ander gleich zu ſetzen.
Auch der Bogen iſt wohl incommenſurabel
mit der geraden Linie, und ſein Element zunaͤchſt
von anderer Qualitaͤt als das Element der geraden
Linie. Es ſcheint ſomit noch widerſinniger und unerlaubter,
als die Verwechslung der Abſciſſe, Ordinate, des Si-
nus, Coſinus u. ſ. f. wenn quadrata rotundis, wenn ein
ob zwar unendlich kleiner Theil des Bogens, fuͤr einen
Theil der Tangente, oder uͤberhaupt als Hypotenuſe in
einem rechtwinklichten Dreyecke, worin die beyden Ka-
theten die Elemente der Abſciſſe und der Ordinate ſind,
genommen, und ſomit als gerade Linie behandelt wird.
— Allein dieſe Behandlung iſt von der geruͤgten Ver-
wechslung weſentlich zu unterſcheiden; ſie hat ihre Recht-
fertigung darin, daß in einem ſolchen Dreyeck, das Ver-
haͤltniß des Elementes eines Bogens zum Elemente der
Abſciſſe und der Ordinate, daſſelbe iſt, als wenn jenes
Element das Element einer geraden Linie, der Tangente,
waͤre; denn die Winkel, welche das weſentliche
Verhaͤltniß conſtituiren, nemlich dasjenige, das die-
ſen Elementen bleibt, nachdem die ihnen zugehoͤrigen
endlichen Groͤßen als Quanta verſchwunden ſind, ſind
die nemlichen. — Man kann ſich hieruͤber auch ſo aus-
druͤcken, gerade Linien, als unendlichklein, ſeyen in
krumme Linien uͤbergegangen, und das Verhaͤltniß ihrer
in ihrer Unendlichkeit ſey ein Curvenverhaͤltniß. Denn
wenn man die gewoͤhnliche Definition der geraden Linie
nimmt, daß ſie der kuͤrzeſte Weg zwiſchen zwey Punk-
ten iſt, ſo gruͤndet ſich ihr Unterſchied von krummer Li-
nie
[245]Quantitaͤt.
nie auf die Beſtimmung von Menge, auf die gerin-
gere Menge des Unterſcheidbaren auf dieſem Wege,
was alſo eine Beſtimmung von Quantum iſt. Aber
dieſe Beſtimmung verſchwindet in ihr, ſie als intenſive
Groͤße, als unendliches Moment, als Element genom-
men; ſomit auch ihr Unterſchied von der krummen Linie,
der bloß auf dem Quantumsunterſchiede beruhte. —
Oder, eine unendliche gerade Linie iſt die aufgehobene
gerade Linie, denn die unendliche gerade Linie iſt die
in ſich zuruͤckgehende, das iſt, eine Curve. Alſo als
unendlich, behalten gerade Linie und Kurve kein qualita-
tives Verhaͤltniß mehr gegeneinander, ſondern geht jene
vielmehr in dieſe uͤber.
Ganz anders aber iſt es mit den Verhaͤltniſſen von
Sinus, Tangente u. ſ. f. zu einander beſchaffen. Es iſt
leicht einzuſehen, und iſt auch von andern erinnert wor-
den, daß wenn man mit der allgemeinen Ausrede, daß
im letzten Verhaͤltniſſe alles gleich, d. h. auch das Ver-
haͤltniß ſelbſt aufgehoben ſey, ſich erlaubt, fuͤr die Ab-
ſciſſe die Ordinate zu ſetzen, das ungereimteſte ſich her-
ausbringen, oder wie es genannt wird, ſich beweiſen
laſſe. Durch eine ſolche Verwechslung wird der zu
Grunde liegende Begriff, daß den veraͤnderlichen Groͤſ-
ſen in ihrem Verſchwinden das Verhaͤltniß, aus dem
ſie herkommen, erhalten bleibt, gaͤnzlich zerſtoͤrt. Es
entſteht im eigentlichen Sinne ein Verhaͤltniß von Null
zu Null, dem es ganz willkuͤhrlich und zufaͤllig iſt, wel-
che qualitative und quantitative Bedeutung gegeben wer-
de. Mit der Erlaubniß ſolcher Gleichſetzung kann es
nicht ſchwer ſeyn, Formeln hervorzubringen, die als
Reſultat ergeben, daß der Diameter groͤßer ſey als die
Peripherie, die Hypotenuſe kleiner als ein Kathete u. ſ. f.
Es kann wohl keinen andern Grund geben, daß
man ſich Beweiſe, die auf jenes Gleichſetzen gebaut ſind,
Shat
[246]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
hat gefallen laſſen, als den, daß das, was herauskam,
immer ſchon vorher bekannt war, und der Beweis, der
ſo eingerichtet wurde, daß es herauskam, ungeachtet ſich
auf ſolche Art eben ſo gut das Gegentheil herausbrin-
gen ließ, wenigſtens den Schein eines Geruͤſtes
von Beweis zu Stande brachte; — einen Schein,
den man dem bloßen Glauben oder dem Wiſſen aus
ſinnlicher Erfahrung immer noch vorzog. Ich trage kein
Bedenken, dieſe Manier fuͤr nicht mehr als eine bloße
Taſchenſpielerey und Charlatanerie des Beweiſens anzu-
ſehen, und hierunter ſelbſt eine Menge der Newtoni-
ſchen Beweiſe zu rechnen, beſonders aber derjenigen,
wegen welcher man Newton bis an den Himmel und
uͤber Keppler erhob, das was dieſer bloß durch Erfah-
rung gefunden, mathematiſch dargethan zu haben. So
lange die Mathematik des Unendlichen, des gruͤndlichen
Begriffs ihres Gegenſtands entbehrt, vermag ſie die
Grenze nicht anzugeben, bis zu welcher jenes Gleich-
ſetzen gehen darf, und auch den richtigen ihrer Opera-
tionen haͤngt immer das Mistrauen an, welches aus
der Unſicherheit, und bey der angefuͤhrten Verwechs-
lung, — der Sinnloſigkeit dieſes Verfahrens entſpringt,
— eines Verfahrens, das dem ſchon oͤfters erwaͤhnten
Gerede neuerer Philoſophen, — das zugleich ihre ganze
Philoſophie auszumachen pflegt, — daß im Abſoluten
Alles Eins iſt, nichts vorzuwerfen hat.
Das leere Geruͤſte Newtoniſcher Beweiſe jener Art,
wurde vornemlich errichtet, um phyſiſche Geſetze zu be-
weiſen. Aber die Mathematik vermag uͤberhaupt nicht
Groͤßenbeſtimmungen der Phyſik zu beweiſen, inſofern
ſie Geſetze ſind, welche die qualitative Natur der
Momente zum Grunde haben; aus dem einfachen Grun-
de, weil dieſe Wiſſenſchaft nicht Philoſophie iſt, nicht
vom Begriffe ausgeht, und das qualitative daher,
inſo-
[247]Quantitaͤt.
inſofern es nicht lemmatiſcherweiſe aus der Erfahrung
aufgenommen wird, auſſer ihrer Sphaͤre liegt. Jenem
Geruͤſte wird ohne Zweifel noch daſſelbe Recht widerfah-
ren, das dem grundloſen Newtoniſchen Kunſtgebaͤude
von optiſchen Experimenten und damit verbunde-
nem Schließen kuͤrzlich angethan worden iſt. Die
angewandte Mathematik iſt noch voll von einem gleichen
Gebraͤue aus Erfahrung und Reflexion, aber wie von
jener Optik ſeit geraumer Zeit bereits ein Theil nach dem
andern anfing factiſch ignorirt zu werden, ſo iſt es auch
Factum, daß bereits ein Theil jener truͤgeriſchen Be-
weiſe, die ſich auf jenes regelloſe und ſinnleere Gleich-
ſetzen qualitativer Beſtimmungen unter dem Vorwande
ihrer unendlichen Kleinheit gruͤnden, wenn auch deren
Mangel nicht eingeſehen worden, von ſelbſt in Vergeſſen-
heit gerathen oder durch andere erſetzt worden iſt.
S 2Drit-
[248]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Drittes Kapitel.
Das quantitative Verhaͤltniß.
Das Quantum, unendlich geworden, hat das ne-
gative Jenſeits an ihm ſelbſt. Diß Jenſeits iſt das
Qualitative uͤberhaupt. Das unendliche Quantum iſt
die Einheit von beyden Momenten, der quantitativen
und der qualitativen Beſtimmtheit. Es iſt Ver-
haͤltniß.
Im Verhaͤltniſſe hat alſo das Quantum nicht mehr
eine gleichguͤltige Beſtimmtheit, ſondern iſt qualitativ be-
ſtimmt, als ſchlechthin bezogen auf ſein Jenſeits. Das
Quantum continuirt ſich in ſein Jenſeits; dieſes iſt zu-
naͤchſt ein anderes Quantum uͤberhaupt. Aber we-
ſentlich ſind ſie nicht bloß als aͤuſſerliche Quanta auf ein-
ander bezogen, das eine hat nicht ſeine Beſtimmtheit als
gleichguͤltig gegen die des andern, ſondern jedes hat ſie
in dieſer Beziehung auf das Andere. Sie ſind daher in
dieſem ihrem Andersſeyn in ſich zuruͤckgekehrt; denn das
was jedes iſt, iſt es nicht unmittelbar fuͤr ſich, ſondern
in dem Andern; das andere macht die Beſtimmtheit eines
jeden aus. — Ein Quantum geht uͤber ſich hinaus als
Quantum, aber weder daß es ſich nur in ein anderes
veraͤnderte, noch in ſein abſtractes Anderes, in ſein ne-
gatives Jenſeits; ſondern in ſeine Beſtimmtheit; es fin-
det ſich ſelbſt in ſeinem Jenſeits, welches ein anderes
Quantum iſt.
Diß Beſtimmtſeyn der Quantorum durch einander,
in welchem jedes die weſentliche Bedeutung hat, nicht
gleich-
[249]Quantitaͤt.
gleichguͤltig fuͤr ſich, ſondern Moment des Verhaͤltniſſes,
und nur in der Beziehung auf das Andere das zu ſeyn,
was es iſt, macht das qualitative Moment des Verhaͤlt-
niſſes aus. Das Verhaͤltniß bleibt aber zugleich quanti-
tativ. Es ſind Quanta, die zu Grunde liegen und die
Beziehung, die ſich ergab, auf einander haben; oder es
iſt ein Quantum uͤberhaupt, das die qualitative Be-
ſtimmtheit innerhalb ſeiner hat. Das Quantum, indem
es Verhaͤltniß iſt, druͤckt ſich als in ſich geſchloſſene Tota-
litaͤt und ſeine Gleichguͤltigkeit gegen die Grenze aus, da-
durch daß es die Aeuſſerlichkeit ſeines Beſtimmtſeyns in-
nerhalb ſeiner ſelbſt hat, und in ihr nur auf ſich bezogen
iſt. — Das Qualitative und Quantitative ſind hier noch
nicht auseinander getreten; das Qualitative iſt das des
Quantums ſelbſt, oder das, wodurch das Quantum,
Quantum iſt.
A.
Das directe Verhaͤltniß.
1. Im Verhaͤltniſſe iſt die Beſtimmtheit des einen
Quantums, die Beſtimmtheit des andern. Es iſt nur
Eine Beſtimmtheit oder Grenze beyder. Von zwey
verhaͤltnißloſen Quantis hat jedes ſeine eigene gegen die
des andern gleichguͤltige Beſtimmtheit. Aber die Quanta
des Verhaͤltniſſes haben nur Eine gemeinſchaftliche Be-
ſtimmtheit, den Exponenten des Verhaͤltniſſes.
Dieſer iſt in dem unmittelbaren Verhaͤltniſſe
ſelbſt eine unmittelbare quantitative Beſtim-
mung, oder irgend ein Quantum uͤberhaupt. Er macht
das eine Quantum aus, das allein als ſolches im
Verhaͤltniſſe iſt. Die Quanta, welche die Seiten des
Ver-
[250]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Verhaͤltniſſes ausmachen, ſind die als aufgehoben geſetzte
Quanta; ſie ſind nicht gleichguͤltige Quanta, alſo nicht
zwey; ſondern jedes hat ſeine Beſtimmtheit an dem an-
dern; ſie machen daher nur eines aus, den einfachen
Exponenten, und ſie ſelbſt ſind in dieſer Einheit als
gleichguͤltige geſetzt.
2. Der Exponent iſt die einfache Beſtimmtheit
des Verhaͤltniſſes. Aber ſo iſt er nicht die qualitative
Beſtimmtheit; ſondern irgend ein Quantum. Als das
qualitativ beſtimmte Quantum iſt er das Quantum, das
den Unterſchied ſeiner, ſein Jenſeits und Andersſeyn an
ihm ſelbſt hat. Diß iſt nicht der aͤuſſerliche Unterſchied
des Quantums, wodurch es groͤßer oder kleiner gegen
ein anderes iſt, ſondern ſeine qualitative Beſtimmtheit,
ſein eigner Unterſchied an ihm ſelbſt. Aber der Unter-
ſchied des Quantums an ihm ſelbſt, iſt der Unterſchied
der Einheit und der Anzahl. Die Einheit iſt ſelbſt
das einfache, abſolute Beſtimmtſeyn; die Anzahl aber
das gleichguͤltige Hin- und Hergehen an der Beſtimmt-
heit, die aͤuſſere Gleichguͤltigkeit des Quantums. Ein-
heit und Anzahl waren zuerſt die Momente des Quan-
tums; jetzt erſcheint zugleich jedes dieſer Momente als
ein eignes Quantum; ſie ſind die Beſtimmungen ſeines
Daſeyns, die Begrenzungen, in denen die ſonſt nur aͤuſ-
ſerliche, gleichguͤltige Groͤßen gegen einander geſetzt ſind.
Dieſe beyden Momente des Quantums machen die
Momente des quantitativen Verhaͤltniſſes ſelbſt aus;
denn es iſt die Einheit der qualitativen und der quanti-
tativen Beſtimmtheit. So iſt in ihm das Quantum
theils als an ſich beſtimmt theils als gleichguͤltig und aͤuſ-
ſerlich. Es iſt alſo die immanente Beſtimmtheit des
Quantums ſelbſt, oder ſeine Qualitaͤt, welche die Sei-
ten des Verhaͤltniſſes gegen einander haben. Das eine
Quan-
[251]Quantitaͤt.
Quantum deſſelben iſt nicht bloß Anzahl, ſondern dieſe
Anzahl iſt Einheit gegen die Anzahl, und hat weſentlich
dieſen Werth und Bedeutung, als Einheit zu gelten;
und das andere iſt eben ſo nicht bloß Anzahl uͤberhaupt,
als ein gleichguͤltiges Quantum uͤberhaupt, ſondern iſt
Anzahl als gegen das andere Quantum, inſofern dieſes
die Einheit iſt.
Der Exponent iſt dieſer Unterſchied als einfache
Beſtimmtheit; er iſt erſtens Quantum; ſo iſt er die
Seite der Anzahl. Wenn die eine Seite des Verhaͤlt-
niſſes, welche als Einheit genommen wird, als numeri-
ſches Eins ausgedruͤckt iſt, ſo iſt die andere, die Anzahl,
das Quantum des Exponenten ſelbſt; zweytens iſt er
die einfache Einheit, das qualitative der Quantorum,
welche Seiten des Verhaͤltniſſes ſind; ſie ſind Momente
in dieſer Einheit. Wenn das eine beſtimmt iſt, iſt auch
das andere durch den Exponenten beſtimmt, und es iſt
voͤllig gleichguͤltig, wie das erſte beſtimmt wird; es hat
als fuͤr ſich beſtimmtes, als gleichguͤltiges Quantum kei-
ne Bedeutung mehr, ſondern kann eben ſo gut jedes an-
dere ſeyn, ohne die Beſtimmtheit des Verhaͤltniſſes zu
aͤndern, die allein auf dem Exponenten beruht.
3. Indem die Seiten des Verhaͤltniſſes durch die
Momente des Quantums gegen einander beſtimmt ſind,
ſo machen ſie darin eigentlich nur Ein Quantum aus.
Sie ſind umgekehrt nicht qualitativ gegen einander be-
ſtimmt, inſofern ſie verſchiedene Quanta ſind. —
Was die erſte Ruͤckſicht betrift, ſo hat das eine Quan-
tum nur den Werth der Einheit, nicht einer Anzahl;
das andre nur den der Anzahl; nach ihrer Be-
ſtimmtheit alſo ſind ſie nicht vollſtaͤndige Quan-
ta. Wenn das eine veraͤndert wird, ſo wird das an-
dere um eben ſo viel vermehrt oder vermindert; das
heißt,
[252]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
heißt, es wird ſchlechthin nur das eine, die Einheit,
veraͤndert, und die andere beſtimmte Seite, die Anzahl,
bleibt immer daſſelbe Quantum. Sie ſind ſonach als
Quanta nicht qualitativ gegeneinander beſtimmt; oder
dieſe Veraͤnderung, in der ſich beyde als Quanta ver-
halten, iſt keine negative Beſtimmung am Verhaͤltniſſe
als ſolchem. — Der Exponent ſeiner Seits, iſt nur die
Anzahl des Verhaͤltniſſes, und hat keine negative Be-
ſtimmung an ihm ſelbſt. — Inſofern die andere Seite,
die der Einheit, ein Quantum iſt, ſo ſind zwey gleich-
guͤltige Quanta, der Exponent oder die Anzahl als ſol-
che, und jenes Quantum vorhanden, und als gleichguͤl-
tige, nicht durch das Verhaͤltniß beſtimmte. Inſofern
aber die andere Seite als Einheit gilt, ſo iſt die andere,
die Anzahl oder der Exponent, nicht durch ſie beſtimmt,
ſondern ein gleichguͤltiges Quantum uͤberhaupt.
Das Quantum aber iſt im Verhaͤltniſſe nur als un-
endlich geſetzt, inſofern es im andern Quantum ſein Jen-
ſeits, ſein Nichtſeyn hat. Die beyden Seiten des Ver-
haͤltniſſes ſind nicht nur beſtimmt als Einheit und An-
zahl; nach dieſen Momenten machen ſie nur Ein Quan-
tum; ſie ſind aber beyde Quanta, und indem ſie diß in
der einfachen Einheit des Verhaͤltniſſes ſind, ſo iſt darin
weſentlich ihre Negativitaͤt geſetzt. — Sie ſind qualita-
tiv auf einander bezogen; aber die Qualitaͤt iſt weſent-
lich Negation, und die eine Seite verhaͤlt ſich in der
That zu der andern nur als andere, inſofern ſie als
ein Nichtſeyn, als ein Aufheben derſelben iſt. Die
einfache Beſtimmtheit, der Exponent, iſt auf dieſe Weiſe
wahrhafte Beſtimmtheit, inſofern ſie nicht nur unmittel-
bares, ſeyendes Quantum iſt, ſondern zugleich nicht-
ſeyendes, und in ihrer Einfachheit nicht ein beſtimmtes
gegen Anderes, ſondern an ſich beſtimmtes, alſo das
negative ihrer ſelbſt iſt.
B.Das
[253]Quantitaͤt.
B.
Das umgekehrte Verhaͤltniß.
1. Das Verhaͤltniß hat ſich jetzt ſo beſtimmt, daß
das Geſetztſeyn eines Quantums zugleich als Nichtſeyn
dieſes Quantums iſt. Im umgekehrten Verhaͤlt-
niſſe iſt diß vorhanden, daß daſſelbe Quantum geſetzt
iſt, als ſeyend und als nichtſeyend. Die eine Seite
deſſelben verhaͤlt ſich ſo zu der andern, daß ſo groß die
eine iſt, ſo viel mangelt der andern. Um ſo viel die ei-
ne zunimmt, um ſo viel nimmt die andere ab.
Die eine der in dieſem Verhaͤltniſſe ſtehenden Groͤſ-
ſen continuirt ſich alſo nicht ſo in die andere hinein, daß
ſie die Einheit ihrer andern, der Anzahl, bliebe, ſondern
ſie continuirt ſich negativ in ſie; ſie hebt ſo viel in ihr
auf, als ſie ſelbſt iſt. Jede iſt als Anzahl die negative
der andern; jede iſt ſo groß als der andern abgeht.
Jede enthaͤlt auf dieſe Weiſe die andere, und iſt an ihr
gemeſſen; denn jede iſt nur das Quantum, das die an-
dere nicht iſt. — Die Continuitaͤt jeder in der andern
macht das Moment der Einfachheit in dieſem Ver-
haͤltniſſe aus. Das eine Quantum iſt Nichtſeyn des an-
dern; ſomit iſt keines ein gleichguͤltiges; ſondern es iſt
erſtlich, als es ſelbſt, zweytens iſt es als negirt, ſo iſt
es das andere. Inſofern es als es ſelbſt iſt, iſt es die
Negation des andern Quantums.
Dieſe beyden Seiten, die jede der beyden im Ver-
haͤltniß ſtehenden Groͤßen hat, fallen nicht auseinander,
oder in eine aͤuſſere Reflexion, welche ſie nur vergliche
und faͤnde, daß das eine Quantum Weniger iſt, als das
andere,
[254]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
andere, daß in einem ein Seyn ſey, das im andern ein
Nichtſeyn iſt. Das, was ein Quantum fuͤr dieſe aͤuſſere
Reflexion oder in der Vergleichung nicht iſt, geht daſſelbe
nichts an. Was in derſelben das kleinere Quantum iſt,
oder die poſitive Groͤße deſſelben iſt nicht ein Nichtſeyn,
ein Mangel des andern, des groͤßern; ſondern das Groͤſ-
ſere enthaͤlt das Kleinere in ſich.
In der negativen Beziehung der Quantorum aber,
in der ſie im umgekehrten Verhaͤltniſſe ſind, iſt das An-
dersſeyn eigene Einſchraͤnkung, und das Nichtſeyn ein
Mangel und Sollen der eigenen Vergleichung mit ſich.
Das Quantum hat darin ein anderes Quantum ſich ſo
gegenuͤber, daß es an ſich ſelbſt diß andere Quan-
tum iſt, aber zugleich als ſein Nichtſeyn. Die
Veraͤnderung des einen iſt alſo diß gedoppelte, daß ſie
erſtlich eine Veraͤnderung ſeiner als ſeyenden Quan-
tums iſt, und zugleich ſeiner andern Seite, nemlich ſei-
nes Nichtſeyns oder des andern Quantums; zweytens
aber, daß was dadurch Seyn des einen wird, Nicht-
ſeyn des andern iſt; alſo nicht wie im directen Verhaͤlt-
niß eigentlich nur die eine Seite, die Einheit, ſich aͤn-
dert.
2. Das Quantum im umgekehrten Verhaͤltniſſe geht
alſo ſo uͤber ſich hinaus, daß es ſeine Beſtimmtheit in
dem hat, worauf es bezogen iſt; es hat ſie darin als in
ſeinem Nichtſeyn, und eben damit, weil ſein Nichtſeyn
es zu dem macht, was es iſt, iſt diß ſein Nichtſeyn es
ſelbſt.
Das eine Quantum macht auf dieſe Weiſe mit ſei-
nem andern Eine Sphaͤre aus; jedes der beyden
Quantorum iſt ſelbſt dieſes Ganze. Diß Ganze iſt ſomit
hier der Exponent. Er iſt die Grenze und die einfa-
che
[255]Quantitaͤt.
che Beſtimmtheit dieſes Verhaͤltniſſes. Er iſt erſtlich die
einfache Beſtimmtheit deſſelben als unmittelbares
Quantum. So iſt er irgend eine gleichguͤltige Groͤße;
das Ganze als ſeyendes Quantum. Denn das
quantitative Verhaͤltniß hat uͤberhaupt das Quantum zu
ſeiner Grundlage. — Er iſt in dieſer unmittelbaren Be-
ſtimmtheit die Grenze der Seiten ſeines Verhaͤltniſſes,
innerhalb deren ſie gegeneinander zu- und abnehmen,
die ſie aber nicht uͤberſchreiten koͤnnen. Er macht ihre
Grenze, ihr Nichtſeyn aus, indem er das ſeyende Ganze,
die Seiten aber nur das Ganze ſind, nach einem Theile
ſeyend, nach dem andern aber nichtſeyend. Er iſt ſo ihr
Jenſeits, dem ſie ſich unendlich naͤhern, aber das
ſie nicht erreichen koͤnnen. Dieſe Unendlichkeit, in der ſie
ſich ihm naͤhern, iſt die ſchlechte Unendlichkeit des un-
endlichen Progreſſes; ſie iſt ſelbſt endlich, beſchraͤnkt
durch ihr Gegentheil, daher nur Naͤherung; denn eines
der Quantorum kann das andere nicht uͤberwinden, und
das Ganze erreichen, ſondern bleibt von dieſer ſeiner
Negation, ſeinem Andern, afficirt. Die ſchlechte Un-
endlichkeit iſt aber hier geſetzt, als das was ſie in Wahr-
heit iſt, nemlich nur als Moment des Ganzen, des
Exponenten. Sie iſt zugleich aufgehoben, das Jenſeits
iſt erreicht; denn die Sphaͤre iſt die Einheit des Jenſeits
und des Diſſeits jeder der beyden Groͤßen; das Jenſeits
einer jeden iſt die andere, und jede iſt an ſich ihre an-
dere, jede iſt an ſich diß Ganze.
3. Von den beyden Groͤßen des negativen Ver-
haͤltniſſes nimmt die eine zu, wie die andere abnimmt,
und umgekehrt; das Seyn der einen iſt weſentlich das
Nichtſeyn der andern. Diß macht aber keinen Unter-
ſchied derſelben aus; denn daſſelbe iſt der Fall bey der
einen wie der andern. Ihr quantitativer Unterſchied,
welche die groͤßere oder kleinere, oder ob ſie gleich ſeyen,
iſt
[256]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
iſt ohnehin ihr gleichguͤltiger Unterſchied; und zwar iſt
er im Verhaͤltniß als unweſentlicher geſetzt; ſie gelten
nur als ſolche, die zu- oder abnehmen koͤnnen. Es iſt
daher nicht einer der Seiten gegen die andere, ſondern
dem Zuſammen derſelben, der ganzen Sphaͤre, der der
Unterſchied zukommt.
Das Ganze nun, oder der Exponent iſt, wie er
ſich ergab, ein unmittelbares Quantum, das die Grenze
fuͤr die unter ihm enthaltene Quanta ausmacht. Er iſt
nicht nur unmittelbares Quantum, ſondern iſt das Un-
terſchiedenſeyn an ihm ſelbſt, in zwey Seiten zunaͤchſt,
deren jede an ſich die ganze Sphaͤre iſt, ſie ſelbſt iſt und
weſentlich auch die andere als ihre Negation an ihr hat.
Dadurch iſt das Ganze ſelbſt auf gedoppelte Weiſe geſetzt.
— Erſtlich iſt es die Summe der beyden Seiten, in-
ſofern ſie ſeyende Quanta ſind, das ganze ſeyende
Quantum. Aber zweytens iſt diß Ganze auch als
negatives. Denn jede der beyden Seiten iſt der Mangel
oder iſt als Negirtſeyn der andern; jede iſt ſo groß, als
der andern fehlt. Somit iſt auch das Ganze zugleich
als ein Sollen, als ein negirtes geſetzt. Wie erinnert
iſt jede nicht in einer aͤuſſerlichen Reflexion nur ein Nicht-
ſeyn der andern, ſondern diß iſt hier ihr Werth; daß
das Nichtſeyn einer jeden die andere iſt; beyde ſind ſo-
mit, und hierdurch das Ganze als ein Nichtſeyn geſetzt.
Hiemit iſt aber drittens diß Seyn und Nichtſeyn
ein und daſſelbe. Die ganze Sphaͤre iſt zunaͤchſt unmit-
telbares Quantum; alsdann iſt es als ein Nichtſeyn ge-
ſetzt; aber eben diß ſein Nichtſeyn iſt ſelbſt nur die ganze
ſeyende Sphaͤre. Denn jede der beyden Seiten, inſo-
fern ſie die Negation der andern iſt, hat ſie Daſeyn;
was von der andern verſchwindet, waͤchſt ihr zu; das
Nichtſeyn einer jeden macht alſo das aus, was die an-
dere
[257]Quantitaͤt.
dere iſt, und das Aufgehobenſeyn iſt in dieſer Gegenſei-
tigkeit das Daſeyn deſſen, das aufgehoben iſt.
Was alſo vorhanden iſt, beſteht darin, daß der
Exponent des Verhaͤltniſſes, ein unmittelbares Quantum,
als ſein Nichtſeyn, als Anderes iſt, aber daß diß An-
dersſeyn er ſelbſt iſt. Das Quantum continuirt ſich in
ſein Andersſeyn hinein, und die Negation iſt nur ein
Andersſeyn, in welchem es ſich als zu Grunde liegender
Sphaͤre erhaͤlt, und die Einheit in dieſem Andersſeyn
bleibt.
Somit iſt das umgekehrte Verhaͤltniß, wie es ſei-
ner Beſtimmung nach erſcheint, aufgehoben. Es beſteht
darin, daß das Quantum ſich darin ſo auf ſein Anderes
beziehen ſollte, daß dieſes nur ſein Nichtſeyn ſeye, daß
das Poſitive ſeines Jenſeits ein von ihm verſchiedenes
Quantum ſeyn ſollte. Aber die Natur des Quantums
iſt, eine gleichguͤltige Grenze zu ſeyn, ſomit diß Nicht-
ſeyn, die abſolute Grenze aufgehoben zu haben, und ſich
in derſelben zu erhalten.
Das umgekehrte Verhaͤltniß iſt alſo ein ſolches
Sollen, das ſeine Schranke, ſein Andersſeyn, aufgeho-
ben hat; eine Unendlichkeit, die als Jenſeits zugleich
verſchwunden, und in die Einheit mit ihrem Diſſeits zu-
ruͤckgekehrt iſt.
Indem das Quantum ſich auf dieſe Weiſe in ſein
Andersſeyn continuirt, iſt es die Einheit ſeiner und ſeines
Andersſeyns. Es liegt ſeinem Andersſeyn zu Grunde;
es iſt deſſen Einheit. Somit hat ſich das directe Ver-
haͤltniß wieder hergeſtellt. Aber ſo zugleich, daß das
Andere nicht ein unmittelbares Quantum iſt, ſondern
ſchlechthin ſeine Beſtimmtheit, ſein Andersſeyn nur in
der Einheit ſelbſt hat.
Das
[258]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Das Verhaͤltniß iſt zum Potenzenverhaͤltniß
uͤbergegangen.
C.
Potenzenverhaͤltniß.
1. Das Potenzenverhaͤltniß hat, nach dem was ſich
ergab, einerſeits die Aeuſſerlichkeit, womit das di-
recte behaftet iſt, nemlich die Gleichguͤltigkeit der Be-
ſtimmung des Quantums, welches Einheit iſt, gegen
das andere Quantum, welches Anzahl oder Exponent
iſt, — und das entgegengeſetzte Nichtſeyn, die abſtracte
qualitative Beſtimmtheit des umgekehrten Verhaͤlt-
niſſes, aufgehoben.
Das Andersſeyn oder der Unterſchied des Quan-
tums iſt zunaͤchſt die Mehrheit, aber qualitativ beſtimmt,
ſo, daß ſie ſich zu einem andern Quantum als Anzahl
zu ſeiner Einheit verhaͤlt. Nunmehr im Potenzenverhaͤlt-
niſſe iſt die Einheit, welche Anzahl an ihr ſelbſt iſt, zu-
gleich die Anzahl gegen ſich als Einheit. Oder das An-
dersſeyn, die Anzahl der Einheit, iſt die Einheit ſelbſt.
Das Quantum erhebt ſich in ſeine Potenz, inſofern
es ſich ein Anderes wird; aber diß ſein Andersſeyn iſt
zugleich rein durch ſich ſelbſt begrenzt. Inſofern es im
directen Verhaͤltniſſe Einheit iſt, iſt es auch die Einheit
der Anzahl; die Seite, welche Anzahl als ſolche iſt, hat
den Unterſchied des Quantums an ihr, ſie iſt eine Anzahl
von Einheiten, dieſe ſind Anzahl, und zwar die Anzahl,
welche die erſte Seite iſt. Aber von dieſer Anzahl, wel-
che die Einheit iſt, iſt die Anzahl der zweyten Seite un-
terſchieden; ſie iſt der Exponent oder ein unmittelbares
Quan-
[259]Quantitaͤt.
Quantum. In der Potenz aber iſt das Andersſeyn, die
Seite, welche im Verhaͤltniſſe als Anzahl iſt, von der
Anzahl, inſofern ſie ihre Einheit iſt, nicht unterſchieden;
oder umgekehrt die Potenz iſt eine Menge, von der jedes
dieſe Menge ſelbſt iſt. Dadurch enthaͤlt ſie zugleich das
Moment des umgekehrten Verhaͤltniſſes; das Anders-
ſeyn, die Anzahl als ſolche iſt durch ihr erſtes Quantum
beſtimmt. — Das Quantum iſt alſo in der Potenz in
ſich ſelbſt zuruͤckgekehrt; es iſt unmittelbar es ſelbſt und
auch ſein Andersſeyn.
Der Exponent dieſes Verhaͤltniſſes iſt nun nicht
mehr ein unmittelbares Quantum, wie im directen.
Auch im umgekehrten Verhaͤltniſſe iſt er als die Summe
betrachtet, zwar ein vermitteltes, aber zugleich nur ein
gleichguͤltiges Quantum, oder als Beziehung der Sum-
me zu einer der ſchlechthin veraͤnderlichen Seiten derſel-
ben genommen, iſt er nur dieſes ſchlechthin veraͤnderli-
che Quantum. — Im Potenzenverhaͤltniß aber iſt der
Exponent ganz qualitativer Natur, einfache Beſtimmt-
heit, daß die Anzahl die Einheit ſelbſt, die Identitaͤt des
Quantums in ſeinem Andersſeyn mit ſich ſelbſt iſt.
Darin liegt auch ſeine quantitative Natur, daß das An-
dersſeyn, die Grenze oder Negation, ſchlechthin nur als
aufgehobenes, das Daſeyn in ſein Andersſeyn conti-
nuirt iſt; denn die Wahrheit der Qualitaͤt iſt eben diß,
Quantitaͤt zu ſeyn.
2. Das Potenzenverhaͤltniß erſcheint als eine aͤuſſe-
re Veraͤnderung, in welche irgend ein Quantum verſetzt
wird, und als ob es ſo gut in jede andere Veraͤnderung
verſetzt werden koͤnnte. Allein diß Verhaͤltniß hat eine
engere Beziehung auf den Begriff des Quantums; das
Quantum iſt, nach dem Bisherigen, ſelbſt in dieſe Veraͤn-
derung uͤbergegangen, und hat in dieſem Daſeyn ſeinen
Begriff
[260]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Begriff erreicht, oder ſich darin auf vollſtaͤndige Weiſe
realiſirt. Diß Verhaͤltniß iſt die Darſtellung deſſen,
was das Quantum an ihm ſelbſt iſt; es druͤckt deſſen
Beſtimmtheit aus, wodurch es ſich von anderem unter-
ſcheidet. Das Quantum iſt nemlich die gleichguͤltige,
aufgehobene Beſtimmtheit, das heißt, die Beſtimmtheit,
welche in ihr Andersſeyn ſich continuirt, und darin ſich
ſelbſt gleich iſt. So aber iſt das Quantum als Poten-
zenverhaͤltniß; denn ſein Andersſeyn iſt darin es ſelbſt.
— Im directen Verhaͤltniſſe iſt dieſe Qualitaͤt des Quan-
tums, der Unterſchied ſeiner von ſich ſelbſt zu ſeyn, nur
erſt uͤberhaupt oder unmittelbar geſetzt, ſomit noch die
Gleichguͤltigkeit der beyden Seiten des Unterſchiedes, nicht
der Unterſchied ſeiner von ſich, ſondern von einem aͤuſ-
ſerlichen vorhanden. Im umgekehrten Verhaͤltniß iſt das
Quantum der Unterſchied ſeiner von ſich als von ſeinem
Nichtſeyn, das Verhalten zu ſich als zu ſeiner Nega-
tion. Im Potenzenverhaͤltniß endlich iſt es der Unter-
ſchied ſeiner als von ſich ſelbſt; ſein Andersſeyn durch es
ſelbſt beſtimmt, oder darein ſchlechthin continuirt.
Das Quantum hat ſich damit nicht bloß dargeſtellt
mit einer qualitativen Beſtimmtheit, ſondern als Quali-
taͤt. Es iſt aber inſofern zugleich in eine andere Be-
ſtimmung uͤbergegangen. Es hat nemlich das Moment
ſeiner Aeuſſerlichkeit oder Gleichguͤltigkeit aufgehoben,
welche ſeine Beſtimmung war, und iſt zu ſeinem An-
dern, der Qualitaͤt, geworden. Daß das Quantum in
das Verhaͤltniß, und beſtimmter in das Potenzen-Ver-
haͤltniß tritt, erſcheint zunaͤchſt als bloße Beſchaffen-
heit, als eine Aeuſſerlichkeit des Quantums. Aber in
dieſer Aeuſſerlichkeit wird die Beſtimmung des Quan-
tums, welche ſelbſt Aeuſſerlichkeit iſt, aufgehoben; dieſe
Aeuſſerlichkeit wird ſich ſelbſt aͤuſſerlich; — indem ſie
ſich damit aufhebt, ſo findet ſie eben ſo ſehr ſich darin,
oder
[261]Quantitaͤt.
oder kehrt darin in ſich zuruͤck, denn die Aeuſſerlichkeit
iſt die Beſtimmung des Quantums ſelbſt.
Das Quantum iſt ſomit jetzt Einheit ſeiner Beſtim-
mung und ſeines Anderswerdens oder ſeiner Beſchaffen-
heit, es iſt Qualitaͤt.
Zunaͤchſt erſcheint die Quantitaͤt als ſolche der Qua-
litaͤt gegenuͤber; aber die Quantitaͤt iſt ſelbſt eine Qua-
litaͤt; ſich auf ſich beziehende Beſtimmtheit, unterſchie-
den von der ihr andern Beſtimmtheit, von der Qualitaͤt
als ſolcher. Aber damit iſt ſie ſelbſt eine Qualitaͤt.
Allein ſie iſt nicht nur eine Qualitaͤt, ſondern
die Wahrheit der Qualitaͤt ſelbſt iſt die Quantitaͤt; jene
iſt in dieſe uͤbergegangen. Aber die Quantitaͤt iſt dage-
gen in ihrer Wahrheit die in ſich ſelbſt zuruͤckgekehrte,
nicht gleichguͤltige Aeuſſerlichkeit. So iſt ſie die Qualitaͤt
ſelbſt, ſo daß auſſer dieſer Beſtimmung nicht die Qualitaͤt
als ſolche noch etwas waͤre.
Die Quantitaͤt, welche zunaͤchſt Beſtimmtheit uͤber-
haupt, Quantum iſt, oder das Quantum iſt nunmehr
nicht mehr gleichguͤltige, oder aͤuſſerliche Beſtimmung,
ſondern das, wodurch etwas das iſt, was es iſt. Die
Wahrheit des Quantums iſt, Maaß zu ſeyn.
Das Potenzenverhaͤltniß wurde in neuerer
Zeit auf Begriffsbeſtimmungen angewendet. Der
Begriff in ſeiner Unmittelbarkeit iſt die erſte Potenz,
in ſeinem Andersſeyn oder der Differenz, dem Daſeyn
ſeiner Momente, die zweyte, und in ſeiner Ruͤckkehr
in ſich oder als Totalitaͤt die dritte Potenz genannt
Tworden.
[262]Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
worden. — Die naͤhere Bedeutung der beſondern Po-
tenzen gehoͤrt jedoch nicht hieher; die Potenz wird
ſelbſt wieder zu einem formellen Zahlen-Verhaͤltniß,
inſofern zur zweyten, dritten, vierten und ſo fort ins
Unendliche gegangen wird. Ihre Bedeutung als zwey-
ter, dritter, und ſo fort ins Unendliche, wuͤrde von
einem Begriffswerthe der Zahlen uͤberhaupt abhaͤngen,
wovon oben ſchon die Rede geweſen.
Was aber die Anwendung der Potenzenbeſtim-
mung ſelbſt betrift, um Begriffsmomente zu bezeich-
nen, ſo erhellt, daß die Potenz dem Quantum weſent-
lich angehoͤrt. Sie iſt ein Anderswerden deſſelben,
worin es ſelbſt bleibt. Der Unterſchied iſt ein Un-
terſchied der Einheit und Menge oder Anzahl,
ſchlechthin nur ein Andersſeyn des Quantums.
Es iſt ſein Unterſchied, worin es ſich als Qualitaͤt
ausdruͤckt, oder als diejenige Beſtimmtheit, die es we-
ſentlich iſt. Das Potenzenverhaͤltniß iſt alſo nur der
wahrhafte Unterſchied des beſondern Begriffs des
Quantums, nicht der Unterſchied des Begriffs
ſelbſt. Dem Begriffe aber iſt das Quantum ſehr un-
tergeordnet; es enthaͤlt die Negativitaͤt, welche zur
Natur des Begriffs gehoͤrt, nicht in ihrer eigenthuͤm-
lichen Beſtimmung; Unterſchiede, die dem Quantum
zukommen, ſind daher ſehr oberflaͤchliche Beſtimmungen
fuͤr den Begriff ſelbſt.
Inſofern der Potenzen-Ausdruck nur als Sym-
bol gebraucht wird, ſo iſt dagegen ſo wenig zu ſagen,
als gegen Symbole anderer Art fuͤr Begriffe; aber
zugleich eben ſo viel, als gegen alle Symbolik uͤber-
haupt, in welcher reine Begriffs- oder philoſophiſche
Beſtimmungen uͤberhaupt dargeſtellt werden ſollen.
Die Philoſophie bedarf einer ſolchen Huͤlfe nicht, we-
der
[263]Quantitaͤt.
der aus der ſinnlichen Welt, noch aus der vorſtellen-
den Einbildungskraft, auch nicht aus Sphaͤren ihres
eigenthuͤmlichen Bodens, welche untergeordnet ſind, de-
ren Beſtimmungen daher nicht fuͤr hoͤhere Kreiſe und
fuͤr das Ganze paſſen. Es iſt diß daſſelbe, als
wenn uͤberhaupt Kategorien des Endlichen auf das
Unendliche angewendet werden. Wie die gelaͤufigen
Beſtimmungen von Kraft, oder Subſtantialitaͤt, Ur-
ſache und Wirkung u. ſ. f. unpaſſende Symbole fuͤr
den Ausdruck z. B. lebendiger oder geiſtiger Verhaͤlt-
niſſe ſind, ſo noch mehr die Potenzen des Quantums
und gezaͤhlte Potenzen, fuͤr dergleichen und fuͤr ſpecu-
lative Verhaͤltniſſe uͤberhaupt.
T 2Drit-
[264]
Dritter Abſchnitt.
Das Maaß.
Im Maaße ſind Qualitaͤt und Quantitaͤt vereinigt.
Das Seyn als ſolches iſt unmittelbare Gleichheit mit ſich
ſelbſt. Dieſe Unmittelbarkeit hat ſich aufgehoben. Die
Quantitaͤt iſt das in ſich zuruͤckgekehrte Seyn; einfache
Gleichheit mit ſich als Gleichguͤltigkeit gegen die Be-
ſtimmtheit. Aber dieſe Gleichguͤltigkeit zeigt ſich reine
Aeuſſerlichkeit zu ſeyn, nicht an ſich ſelbſt, ſondern in
anderem die Beſtimmung zu haben. Das Dritte iſt nun
die ſich auf ſich ſelbſt beziehende Aeuſſerlichkeit; um der
Beziehung auf ſich willen iſt ſie zugleich aufgehobene
Aeuſſerlichkeit, Gleichguͤltigkeit gegen das Beſtimmtſeyn,
dadurch daß ſie an ihr ſelbſt ihren Unterſchied von ſich
hat.
Wenn das Dritte als bloße Aeuſſerlichkeit genom-
men wuͤrde, ſo waͤre es Modus. — In dieſem Sin-
ne iſt das Dritte nicht Ruͤckkehr in ſich, ſondern indem
das Zweyte die beginnende Beziehung auf Aeuſſerlich-
keit, ein Herausgehen iſt, das mit dem Urſeyn noch in
Beziehung ſteht, ſo iſt das Dritte der vollendete Abfall.
— Die Modalitaͤt, unter den Kategorien des tran-
ſcendentalen Idealismus, hat die Bedeutung, die Be-
ziehung des Gegenſtands auf das Denken zu ſeyn. Es
iſt
[265]Das Maaß.
iſt hierin von einer Seite nur die reine Aeuſſerlichkeit
enthalten; denn die Beziehung auf das Denken, welche
das Moment der Reflexion in ſich ſeyn koͤnnte, iſt viel-
mehr hier die Aeuſſerlichkeit ſelbſt; im Sinne des tran-
ſcendentalen Idealismus iſt das Denken nemlich dem
Ding-an-ſich weſentlich aͤuſſerlich. Inſofern aber auch
die andern Kategorien nur die tranſcendentale Beſtim-
mung haben, dem Bewußtſeyn anzugehoͤren, ſo enthaͤlt
die Modalitaͤt, als die Kategorie der Beziehung auf das
Subject, inſofern relativ die Beſtimmung der Reflexion
in ſich. — Bey Spinoza iſt der Modus nach Sub-
ſtanz, und Attribut gleichfalls das Dritte, er erklaͤrt
ihn fuͤr die Affectionen der Subſtanz, oder fuͤr das-
jenige, was in einem Andern iſt, durch welches es auch
begriffen wird. Dieſes Dritte iſt nach dieſem Begriffe
nur Aeuſſerlichkeit; wie ſonſt erinnert worden, daß bey
Spinoza uͤberhaupt der ſtarren Subſtantialitaͤt die Ruͤck-
kehr in ſich ſelbſt fehlt.
Nach dem vorhergehenden hat hier der Modus ſeine
beſtimmte Bedeutung als Maaß. Das Maaß iſt noch
nicht die abſolute Ruͤckkehr des Seyns in ſich, ſondern
vielmehr ſeine Ruͤckkehr in ſich innerhalb ſeiner Sphaͤre.
Es iſt die in ſich reflectirte Aeuſſerlichkeit des Quantums;
durch ſeine Reflexion hat ſich ſein Werth beſtimmt;
nemlich dafuͤr zu gelten, daß es das Anſichſeyn iſt.
Das Quantum iſt die Qualitaͤt. Das in ſich
reflectirte, das guͤltige Seyn beſteht alſo in der Art
und Weiſe, in dem Mehr oder Weniger, in dem
Maaße, in dem Etwas iſt. — Diß iſt die Wahrheit,
zu der das Seyn nunmehr ſich beſtimmt hat, die Gleich-
heit der Aeuſſerlichkeit mit ſich ſelbſt zu ſeyn.
Das Quantum hat in ſeiner Ruͤckkehr in ſich ſeine
Aeuſſerlichkeit und damit ſich ſelbſt als Quantum aufge-
hoben. Aber diß Aufheben hat zunaͤchſt das Quan-
tum
[266]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
tum zu ſeiner Grundlage; und die Form des Quan-
tums, die es erlangt hat, ſich auf ſich beziehende Gleich-
guͤltigkeit zu ſeyn, macht das Anſichſeyn aus. Das
Maaß iſt die Einheit der Qualitaͤt und der Quantitaͤt,
des an ſich und des aͤuſſerlich Beſtimmtſeyns, aber die
unmittelbare Einheit derſelben; dieſe unmittelbare
Einheit aber iſt hiemit qualitative Beſtimmtheit gegen
die Vermittlung und Aeuſſerlichkeit des Quantums; die
Einfachheit ſeines In-ſich-zuruͤckgekehrtſeyns ſteht dieſer
gegenuͤber. Das Maaß iſt daher eine Beziehung des
Qualitativen und Quantitativen, worin ſie noch unter-
ſchiedene ſind. In der Bewegung alſo, worin ſich das
Maaß realiſirt, vergleichen ſie ſich aneinander, in der
beſtimmten Bedeutung, die ſie gegeneinander haben; ſie
ſetzen ſich aber dadurch in die negative Identitaͤt, in der
die Beſtimmung der Unmittelbarkeit des Seyns
abſolut verſchwindet und zum Weſen wird.
Es liegt dem Maaße bereits die Idee des Weſens
vor, nemlich in der Unmittelbarkeit des Beſtimmtſeyns
identiſch mit ſich zu ſeyn; oder die Reflexion, deren Be-
ſtimmungen ſelbſtſtaͤndig beſtehen, aber in dieſer Selbſt-
ſtaͤndigkeit ſchlechthin nur Momente ihrer negativen Ein-
heit ſind. Im Maaße iſt das Qualitative quantitativ;
es hat ein gleichguͤltiges Beſtehen, der Unterſchied iſt ihm
gleichguͤltig; damit iſt es ein Unterſchied, der keiner iſt;
es iſt aufgehoben; dieſe Quantitativitaͤt iſt die Ruͤckkehr
in ſich, das An- und Fuͤrſichſeyn, welches das Weſen
iſt. Aber im Maaße haben das Qualitative und Quan-
titative, wie erinnert, zuerſt noch ihre Beſtimmtheit ge-
geneinander; es iſt die erſte Negation der Aeuſſerlichkeit
des Quantums; oder die Identitaͤt des Qualitativen
und Quantitativen, der Begriff des Weſens, der im
Maaße ſchon geworden iſt, iſt noch nicht in ſeinen Mo-
menten realiſirt und damit noch nicht geſetzt.
Das
[267]Das Maaß.
Das Maaß iſt zunaͤchſt unmittelbare Einheit
des Qualitativen und Quantitativen, ſo daß
erſtens ein Quantum es iſt, das qualitative
Bedeutung hat, und als Maaß iſt. — Das Maaß
aber beſtimmt ſich weiter, das an ſich beſtimmte in-
ſofern zu ſeyn, als an ihm ſelbſt der Unterſchied ſeiner
Momente, des qualitativen und quantitativen Beſtimmt-
ſeyns, iſt. Dieſe Momente beſtimmen ſich weiter zu
Ganzen des Maaßes, dem unmittelbar an ſich beſtimm-
ten, und dem anderes ſpecificirenden Verhaͤltniſſe; das
Maaß als Einheit von ihnen iſt Selbſtſtaͤndiges. —
Das Maaß wird hiedurch
zweytens Verhaͤltniß von ſpecifiſchen Quan-
tis, als ſelbſtſtaͤndigen Maaßen. Indem aber
ihre Selbſtſtaͤndigkeit nur auf dem quantitativen Verhaͤlt-
niſſe und dem Groͤßenunterſchiede beruht, ſo ſind ſie an
ſich daſſelbe, und das Uebergehen in einander. Naͤher
betrachtet geht damit das Maaß im Maaßloſen zu
Grunde. — Diß Jenſeits des Maaßes, iſt die Negati-
vitaͤt deſſelben nur an ſich ſelbſt; es iſt dadurch
drittens das Maaß geſetzt, als umgekehrtes
Verhaͤltniß von Maaßen. In dieſem Verhaͤltniſſe
wird der qualitative Unterſchied der Selbſtſtaͤndigen zu
ihrer identiſchen Beziehung, und ihre gleichguͤltige Un-
mittelbarkeit beſteht in der Reflexion in dieſe ihre negati-
ve Unmittelbarkeit und Einheit, welche das Weſen iſt.
Die Gleichguͤltigkeit und Unmittelbarkeit der ſelbſtſtaͤndi-
gen Seiten ſelbſt macht ihre negative Unmittelbarkeit aus,
die das Weſen iſt.
Erſtes
[268]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
Erſtes Kapitel.
Die ſpecifiſche Quantitaͤt.
Die qualitative Quantitaͤt iſt zunaͤchſt ein ſpe-
eifiſches Quantum. Aber ſie wird
zweytens zu einer Regel, welche nicht ſelbſt
Quantum, ſondern quantitatives Specificiren, ein Auf-
heben des gleichguͤltigen Quantums iſt. Die Regel ent-
haͤlt die beyden Momente des Maaßes unterſchieden,
nemlich die anſichſeyende quantitative Beſtimmtheit, und
das aͤuſſerliche Quantum. Durch dieſen Unterſchied
werden die beyden Seiten zu Qualitaͤten, und die Re-
gel zu einem Verhaͤltniſſe; das Maaß ſtellt ſich daher dar
drittens als Verhaͤltniß von Qualitaͤ-
ten, die zunaͤchſt Ein Maaß haben; aber ferner auch
ſich zu eigenthuͤmlichen Maaßen gegeneinander ſpecificiren.
A.
Das ſpecifiſche Quantum.
Das Maaß iſt die einfache Beziehung des Quan-
tums auf ſich, ſeine eigene Beſtimmtheit an ſich ſelbſt; ſo
iſt das Quantum qualitativ. In dieſer unmittelba-
ren Einheit mit ſich iſt es ein Quantum, welches die
Qualitaͤt von Etwas ausmacht; ein unmittelbares Maaß.
Es iſt ein Quantum, aber dieſe an ſich gleichguͤltige
Grenze mit der Beſtimmung, nicht gleichguͤltige, ſondern
ſich
[269]Das Maaß.
ſich auf ſich beziehende Aeuſſerlichkeit zu ſeyn, die nicht
uͤber ſich hinausgeht; ſo iſt es in die einfache Gleichheit
mit ſich zuruͤckgekehrte Beſtimmtheit, die mit ihrem Seyn
eins iſt, eine unmittelbare Beſtimmtheit, eine Qualitaͤt.
Inſofern man mit dieſer Unmittelbarkeit die For-
men des Daſeyns zuruͤckkehren laſſen und aus der erhal-
tenen Beſtimmung einen Satz machen will, ſo kann man
ſich ausdruͤcken: Alles, was iſt, hat ein Maaß.
Dieſe Groͤße gehoͤrt zur Natur von Etwas ſelbſt, oder
vielmehr ſie macht allein ſeine beſtimmte Natur und ſein
Inſichſeyn aus. Etwas iſt gegen dieſe Groͤße nicht gleich-
guͤltig, ſo daß wenn ſie geaͤndert wuͤrde, es bliebe was
es iſt, ſondern die Aenderung derſelben aͤnderte ſeine
Qualitaͤt. Das Quantum hat als Maaß aufgehoͤrt
Grenze zu ſeyn, die keine iſt; es iſt nunmehr die Beſtim-
mung der Sache, ſo daß ſie, uͤber diß Maaß vermehrt
oder vermindert, zu Grunde ginge. — Ein Maaß, als
Maaßſtab im gewoͤhnlichen Sinne, iſt ein Quantum, das
als die an ſich beſtimmte Einheit gegen aͤuſſerliche
Anzahl genommen wird, jedoch fuͤr ſich willkuͤhrlich iſt.
Eine ſolche Einheit kann zwar wohl auch in der That an
ſich beſtimmte Einheit ſeyn, wie Fuß und dergleichen ur-
ſpruͤngliche Maaße; inſofern ſie aber als Maaßſtab zu-
gleich fuͤr andere Dinge gebraucht wird, iſt ſie fuͤr dieſe
nur aͤuſſerliches, nicht ihr urſpruͤngliches Maaß. — So
mag der Erddurchmeſſer, oder die Pendellaͤnge, als ſpe-
cifiſches Quantum, fuͤr ſich genommen werden. Aber es
iſt willkuͤhrlich, den wievielſten Theil des Erddurchmeſſers
oder der Pendellaͤnge und dieſer unter welchem Breiten-
grade man nehmen wolle, um ſie als Maaßſtab zu ge-
brauchen. Noch mehr aber iſt fuͤr andere Dinge ein ſol-
cher Maaßſtab etwas aͤuſſerliches. Dieſe haben das all-
gemeine ſpecifiſche Quantum wieder auf beſondere Art
ſpecificirt, und ſich dadurch zu beſondern Dingen gemacht.
Ohne-
[270]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
Ohnehin ſoll aber ein allgemeiner Maaßſtab nur fuͤr die
aͤuſſerliche Vergleichung dienen; in dieſem oberflaͤchlichſten
Sinne, in welchem er als allgemeines Maaß ge-
nommen wird, iſt es voͤllig gleichguͤltig, was dafuͤr ge-
braucht wird. Er ſoll nicht ein Grundmaaß in dem Sin-
ne ſeyn, daß die Naturmaaße der beſondern Dinge dar-
an dargeſtellt und daraus nach einer Regel, als Specifi-
cationen Eines allgemeinen Maaßes, des Maaßes ihres
allgemeinen Koͤrpers, erkannt wuͤrden. Ohne dieſen
Sinn aber verliert ein abſoluter Maaßſtab ſeine Bedeu-
tung und ſein Intereſſe. —
Das unmittelbare Maaß iſt eine einfache Groͤßen-
beſtimmung; wie z. B. die ſpeciſiſche Schwere der Me-
talle, die Groͤße der organiſchen Weſen, ihrer Glied-
maſſen und ſo fort. — So aber als Quantum daſeyend
iſt es gleichguͤltige Groͤße, aͤuſſerlicher Beſtimmung offen
und des Auf- und Abgehens am Mehr und Weniger
faͤhig. Aber als Maaß zugleich iſt es Beſtimmtheit an
ſich, und iſt inſofern von ſich ſelbſt als Quantum, als
voͤllig gleichguͤltiger Beſtimmung, verſchieden und viel-
mehr das Negative dieſer gleichguͤltigen Unmittelbarkeit.
Das Maaß iſt das, was das Quantum an ſich iſt; es
hat alſo uͤberhaupt die gedoppelte Seite, Quantum zu
ſeyn als an-ſich-ſeyendes, und Quantum als aͤuſſerli-
ches oder unmittelbares. Als das letztere iſt es die
gleichguͤltige Grenze; das Maaß ſelbſt aber iſt einfache,
innere Quantitaͤtsbeſtimmtheit, welche die Veraͤnderung
des aͤuſſerlichen Quantums aufhebt, und dadurch ſich
als an ſich ſeyende Beſtimmtheit erweist und erhaͤlt.
Es iſt weſentlich nicht ſelbſt ein fixes Quantum,
ſondern eine Regel deſſelben.
B.Die
[271]Das Maaß.
B.
Die Regel.
Die Regel hat
erſtlich die qualitative und quantitative Groͤßen-
Beſtimmtheit zu ihren Momenten;
zweytens trennen ſich dieſe Momente in den Un-
terſchied von Qualitaͤt und ihrer quantitativen Beſtim-
mung;
drittens beſtimmen ſich dieſe beyden Seiten zu
Qualitaͤten gegeneinander.
Die qualitative und quantitative Groͤßen-
Beſtimmtheit.
Die Regel iſt zunaͤchſt ſpecifiſches Beſtimmen der
aͤuſſerlichen Groͤße. Sie enthaͤlt die beyden Beſtimmun-
gen des Qualitativen und Quantitativen. Dieſe ſind in
ihrem Unterſchiede zugleich in der Einheit der Regel.
In dieſer Einheit ſind ſie Momente, jede in weſentlicher
Beziehung auf die andre. Die Regel iſt ſomit das Maaß
als dieſe reflectirte Einheit ſeiner ſich unterſcheidenden
Momente.
Sie iſt alſo erſtlich die an ſich beſtimmte Groͤſ-
ſe oder vielmehr Groͤßebeſtimmtheit; diß Moment iſt nicht
ſelbſt Quantum, ſondern das Qualitative als das Quan-
tum beſtimmend. Zweytens hat ſie das Quantum als
Seite
[272]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
Seite der Aeuſſerlichkeit, des Seyns-fuͤr-anderes; die-
ſes geht an dem gleichguͤltigen Vermehren und Vermin-
dern hin und her; aber ſeine Beziehung auf das erſte
Moment iſt ſein weſentliches Seyn, nemlich nach ſeiner
Gleichguͤltigkeit aufgehoben zu werden.
An Etwas, inſofern es ein Maaß iſt, kommt aͤuſ-
ſerlich eine Veraͤnderung ſeiner Groͤße; es nimmt davon
nicht die arithmetiſche Menge an. Sein Maaß reagirt
dagegen, verhaͤlt ſich als ein intenſives gegen die Men-
ge, und nimmt ſie auf eine eigenthuͤmliche Weiſe auf.
Es veraͤndert die aͤuſſerlich geſetzte Veraͤnderung, macht
aus dieſem Quantum ein Anderes, und zeigt ſich durch
dieſe Specification als Fuͤrſichſeyn in dieſer Aeuſſerlich-
keit.
Es entſtehen in dieſem Verhalten zwey Quanta;
das eine iſt aͤuſſerliche Menge; das andere die
ſpecifiſch-aufgenommene. — Die letztere iſt ſelbſt
ein Quantum, und abhaͤngig von der erſtern. Sie iſt
daher auch veraͤnderlich; aber es iſt darum nicht ein
Quantum als ſolches, ſondern das aͤuſſere Quantum
als auf eine conſtante Weiſe ſpecificirt. Das Maaß hat
alſo ſein Daſeyn als ein Verhaͤltniß, und das Spe-
cifiſche deſſelben iſt uͤberhaupt der Exponent dieſes
Verhaͤltniſſes.
Im intenſiven und extenſiven Quantum iſt
es, wie ſich oben bey dieſen Beſtimmungen ergab, daſ-
ſelbe Quantum, welches das einemal in der Form der
Intenſitaͤt, das anderemal in der Form der Extenſitaͤt
vorhanden iſt. Das zu Grunde liegende Quantum erlei-
det in dieſem Unterſchiede keine Veraͤnderung, er iſt nur
eine aͤuſſere Form. In der Regel hingegen iſt das
Quantum das einemal in ſeiner unmittelbaren Groͤße,
das
[273]Das Maaß.
das anderemal aber wird es durch den Verhaͤltnißexpo-
nenten in einer andern Anzahl genommen.
Der Exponent, der das Specifiſche ausmacht, kann
zunaͤchſt ein fixes Quantum zu ſeyn ſcheinen, als Quo-
tient des Verhaͤltniſſes zwiſchen dem aͤuſſerlichen und dem
qualitativ beſtimmten Quantum. Aber ſo waͤre er
nichts als ein aͤuſſerliches Quantum; es iſt unter dem
Exponenten hier nichts anders als das Moment des Qua-
litativen ſelbſt zu verſtehen, welches das Quantum als
ſolches ſpecificirt. Denn was hier in Beziehung ſteht,
iſt das Quantum und das Qualitative; nicht zwey un-
mittelbare Quanta. — Aber das eigentliche immanente
Qualitative des Quantums iſt, wie ſich ergeben hat,
nur die Potenz-Beſtimmung. Sie zeigte ſich als die an
ſich ſeyende Beſtimmtheit des Quantums ſelbſt, ſo daß
das Quantum durch ſeine Natur oder Begriff es
iſt, welches ſich ſelbſt producirt und in die Potenz er-
hebt. Hier iſt dieſer Begriff als die an ſich ſeyende
Beſtimmung dem Quantum als der aͤuſſerlichen Beſchaf-
fenheit gegenuͤbergetreten. Denn indem, wie ſich oben er-
gab, das Maaß unmittelbare Einheit des Quan-
tums und der Qualitaͤt iſt, ſo iſt dieſe Einheit ſelbſt das
Qualitative und es ſteht dem Quantum als ſolches ge-
genuͤber. — Inſofern ſowohl das ſpecificirte als das
aͤuſſerliche als Quantum erſcheinen, ſo zeigen ſie den
Unterſchied ihrer Natur an ihrer Veraͤnderung. Das
aͤuſſerliche Quantum hat zu ſeinem Princip das numeri-
ſche Eins; diß macht ſein An-ſich-Beſtimmtſeyn aus,
und die Beziehung des numeriſchen Eins iſt die aͤuſſerli-
che. Die durch die Natur des unmittelbaren Quantums
als ſolchen beſtimmte Veraͤnderung deſſelben beſteht daher
in dem Hinzutreten eines ſolchen numeriſchen Eins und
wieder eines ſolchen und ſo fort. Wenn alſo das aͤuſſer-
liche Quantum in arithmetiſcher Progreſſion ſich veraͤn-
dert,
[274]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
dert, ſo bringt die ſpecificirende Reaction der qualitati-
ven Natur des Maaßes eine andere Reihe hervor, wel-
che ſich auf die erſte bezieht, mit ihr zu- und abnimmt,
aber nicht in einem durch einen Zahlexponenten beſtimm-
ten, ſondern in einem einer Zahl inkommenſurabeln Ver-
haͤltniſſe.
Qualitaͤt und Quantum.
Die Regel enthaͤlt das Quantum in der gedoppel-
ten Beſtimmung als unmittelbares und als ſpecificirtes
und beyde ſind verſchiedene Quanta. Das Qualitative
als ſpecificirend, der Exponent des Verhaͤltniſſes, iſt die
negative Beziehung auf das unmittelbare Quantum, er
hat ſein Daſeyn als das ſpecificirte Quantum, und iſt
das mit ſich identiſche Moment dieſes zweyten Quantums;
das Qualitative gegen die Unmittelbarkeit des erſten.
Beyde Seiten ſind Quanta, gehen uͤber ſich hinaus und
haben ihr Jenſeits an der andern; die qualificirte iſt
ſelbſt nicht gegen das Quantum gleichguͤltig; ſondern viel-
mehr ſchlechthin darauf bezogen, und eben dadurch ſelbſt
Quantum. Weil beyde Seiten Quanta, aͤuſſerliche Un-
terſchiede ſind, ſo iſt ihre Beziehung das an ſich beſtimm-
te, das Moment des Exponenten, inſofern er einfache
Einheit mit ſich iſt. In dieſer Beziehung ſind das un-
mittelbare und das ſpecificirte Quantum ſelbſt Momente;
ſie iſt die Continuitaͤt, in der beyde Quanta als die
gleichguͤltigen Beſtimmungen ſind. Wie das aͤuſſerliche
Quantum die unmittelbare Aeuſſerlichkeit iſt, ſo iſt ſie
das unmittelbare An-ſich-beſtimmtſeyn. Sie iſt eine
Qualitaͤt.
Dieſe Qualitaͤt und das Quantum machen zwey
Extreme gegeneinander aus, welche durch das ſpecificirte
Quan-
[275]Das Maaß.
Quantum ſich vermitteln, welches beyde Momente, das
Qualitative und Quantitative, vereinigt enthaͤlt. Das
Qualitative ſcheidet ſich inſofern zur abſtracten Qualitaͤt
aus, als das Quantum in ſeinem Andersſeyn, nemlich
in ſeiner Specification, die Gleichheit mit ſich erlangt,
und dieſe Gleichheit mit ſich ſein gegen das Quantum
gleichguͤltiges Anſichſeyn ausmacht. Dieſes Anſichſeyn hat
den Character der Unmittelbarkeit als des Seyns, im
Gegenſatze gegen die ſich aufhebende und vermittelnde Un-
mittelbarkeit des Quantums. Es iſt alſo ein Seyn, und
zwar ein gegen dieſe Vermittlung negatives, ein beſtimm-
tes Seyn; ſeine Beſtimmtheit geht ferner nicht uͤber ſein
Seyn hinaus; ſondern indem das Quantum uͤber ſich
hinausgeht, und das ſpecificirte Quantum ſelbſt nur im
Verhaͤltniſſe zum erſten iſt, iſt jene Beſtimmtheit das
negative Moment beyder, der mit ſich gleiche Exponent
als die einfache Beziehung derſelben. Es iſt alſo das
beſtimmte Seyn als Qualitaͤt.
Dieſe Qualitaͤt iſt ſo das unmittelbare Seyn, es
hat ein Daſeyn, und diß ſein Daſeyn iſt das Quanti-
tative, das aͤuſſerliches Quantum, und dann durch die
Qualitaͤt des Seyns, unmittelbar an ſich beſtimmt zu
ſeyn, beſtimmt iſt. — Es iſt alſo hier erſt die Qualitaͤt
entſtanden, als dasjenige, was ein Quantum hat; ſie
iſt die reine Quantitaͤt, an der die Beſtimmtheit als eine
gleichguͤltige iſt. Inſofern ſie erſtens unmittelbare
Beſtimmtheit iſt, iſt ſie irgend eine Qualitaͤt; aber ſie
iſt zweytens geſetzt als beſtimmt in Beziehung auf
das Quantum, ſo iſt ſie reine Quantitaͤt; das aͤuſſerlich
beſtimmbare, das gleichguͤltig dagegen iſt. Aber indem
das Quantum als an ihr aufgehobenes, indem ſie Qua-
litaͤt iſt, durch die Ruͤckkehr des Quantums in ſich ſelbſt
iſt, ſo iſt ſie die negative Einheit ihrer eignen erſten
Unmittelbarkeit und des Quantums; ſie iſt Aufheben-
des,
[276]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
des, reagirende Negation ihres aͤuſſerlichen Beſtimmt-
ſeyns. Es iſt ein Inſichſeyn gegen dieſe ſeine Grenze
und ein beſtimmendes Fuͤrſichſeyn gegen diß ſein Daſeyn
vorhanden.
Diß fuͤrſichſeyende Etwas hat eine Qualitaͤt, eine
Beſtimmtheit; dieſe iſt Beſchaffenheit, und zwar iſt dieſe
Beſchaſſenheit das Quantum. Die Qualitaͤt geht aber
nicht mehr in dieſe ihre Beſchaffenheit uͤber, ſondern er-
haͤlt ſich in ihr; denn dieſe iſt das Quantum, das ſich
ſelbſt aufhebt und in die Qualitaͤt zuruͤckgeht. Die Qua-
litaͤt ſelbſt iſt eigentlich nur dieſe Beſtimmtheit, die Un-
mittelbarkeit des Quantums aufzuheben und es zu ſpeci-
ficiren. Eine weitere Bedeutung, die ſie als ſonſt eine
Beſtimmtheit hat, iſt hier unweſentlich; eine ſolche Be-
deutung gehoͤrt nur jenem abſtracten Momente an, nach
welchem der qualitative Exponent, Qualitaͤt, unmittelba-
res, nicht reflectirtes An-ſich-beſtimmtſeyn uͤberhaupt,
oder nach welchem er nicht Exponent iſt. Das Quali-
tative aber, wie es weſentlich iſt, als Exponent, iſt das
Fuͤrſichſeyende, das ſomit ſeine Beſtimmung, wodurch
es ſich von andern unterſcheidet, allein darin hat, daß es
ſich als Maaßbeſtimmendes kund gibt; ſeine Natur beſteht
in dieſer Regel, die es iſt, und ſein Daſeyn in dieſem
negativen Verhalten gegen die aͤuſſerliche Unmittelbarkeit.
Dieſes Verhalten ſelbſt aber beſteht naͤher, wie ſich vor-
hin ergab, in dem Qualificiren, d. i. Potenziren des aͤuſ-
ſerlichen Quantums.
— So iſt um ein Beyſpiel anzufuͤhren, die Tempe-
ratur, eine Qualitaͤt, an der dieſe beyden Seiten,
aͤuſſerliches und ſpecificirtes Quantum zu ſeyn, ſich un-
terſcheiden. Als Quantum iſt ſie eine aͤuſſerliche Tem-
peratur, welche an der Scale der arithmetiſchen Pro-
greſſion fortgehend und als gleichfoͤrmig zu- oder abneh-
mend
[277]Das Maaß.
mend betrachtet, dagegen von den verſchiedenen in ihr
befindlichen Koͤrpern verſchieden aufgenommen wird, in-
dem dieſelben durch ihr immanentes Maaß die aͤuſſerlich
empfangene Temperatur beſtimmen. Inſofern verſchie-
dene Koͤrper in einer und derſelben Temperatur vergli-
chen werden, ſo geben die Verhaͤltnißzahlen der Verglei-
chung ihre ſpecifiſchen Waͤrmen, oder ihre Capacitaͤten.
Aber die Capacitaͤten der Koͤrper aͤndern ſich in verſchie-
denen Temperaturen. Es zeigt ſich in der Vermehrung
oder Verminderung der Temperatur eine beſondere Spe-
cification. Das Verhaͤltniß der Temperatur, die als
aͤuſſerliche vorgeſtellt wird, zur Temperatur eines be-
ſtimmten Koͤrpers hat nicht einen feſten Verhaͤltnißexpo-
nenten; die Vermehrung oder Verminderung der am Koͤr-
per daſeyenden Waͤrme geht nicht gleichfoͤrmig mit der
Zu- und Abnahme der aͤuſſerlichen fort. Wenn daher die
aͤuſſere als eine Abſciſſe, die andere als Ordinate vor-
geſtellt wuͤrde, ſo wuͤrde, indem jene gleichfoͤrmig wuͤch-
ſe, durch die entſprechende Veraͤnderung von dieſer eine
krumme Linie beſchrieben werden. — Es wird dabey ei-
ne Temperatur als aͤuſſerlich uͤberhaupt angenommen,
deren Veraͤnderung bloß aͤuſſerlich oder rein quantitativ
ſey. Aber ſie iſt Temperatur der Luft oder ſonſt ſpecifi-
ſche Temperatur, und naͤher betrachtet, wuͤrde daher
das Verhaͤltniß eigentlich nicht als Verhaͤltniß von einem
bloß quantitativen zu einem qualificirenden, ſondern von
zwey ſpecifiſchen Quantis zu nehmen ſeyn. Wie ſich
das ſpecificirende Verhaͤltniß gleich weiter beſtimmen
wird, daß die Momente des Maaßes nicht nur in einer
quantitativen und einer das Quantum qualificirenden
Seite einer und derſelben Qualitaͤt beſtehen, ſondern im
Verhaͤltniſſe zweyer Qualitaͤten, welche an ihnen ſelbſt
Maaße ſind.
U3. Un-
[278]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
Unterſcheidung beyder Seiten als Qualitaͤten.
Das Fuͤrſichſeyende hat ſeine Beſtimmung in ſei-
nem ſpecifiſchen Verhalten zum Quantum. Es hat zwey
Seiten, jene die qualitative, das Anſich-Beſtimmtſeyn;
dieſe die aͤuſſerlich quantitative. Aber jene iſt nur als
Beziehung auf dieſe; ſie iſt das aufgehobene Quantum;
ſie hat daher daſſelbe zur Vorausſetzung und faͤngt von
ihm an. Das Quantum iſt alſo zwar nur als aufgeho-
bene Unmittelbarkeit; aber damit hat es ſelbſt eine Un-
mittelbarkeit gegen ſein Aufgehobenſeyn, das Qualitative.
Das Qualitative und Quantitative iſt uͤberhaupt quali-
tativ von einander unterſchieden; die Quantitaͤt iſt ſelbſt
eine Qualitaͤt gegen die Qualitaͤt als ſolche. Hier an
dem Maaße verhaͤlt ſich das Quantitative ſelbſt als ein
Qualitatives; inſofern es bloß Quantum iſt, verhaͤlt es
ſich nur zu einem andern Quantum; hier aber verhaͤlt es
ſich zum Qualitativen. — Oder die quantitative Seite
fuͤr ſich betrachtet, ſo iſt ſie ſelbſt an ſich beſtimmt. Die
Qualitaͤt nemlich als ſolche, iſt das Moment der einfa-
chen Beſtimmtheit des Exponenten; dieſer ſteht gegen-
uͤber die andere Seite, die Beziehung des aͤuſſerlichen
Quantums auf das ſpecificirte. Dieſe Seite iſt die quan-
titative als ſolche; ſie enthaͤlt nicht ein unmittelbares
Quantum, ſondern daſſelbe als Verhaͤltniß und als quan-
titativen Exponenten; es iſt alſo das Quantitative
ſelbſt als Qualitaͤt uͤberhaupt.
Dieſe beyden Qualitaͤten ſind aber ferner noch im
Maaße begriffen, ſie haben es zur Grundlage und ma-
chen Ein Maaß aus. Denn erſtlich nach der erſten
Betrachtung, inſofern die beyden eigentlichen Seiten des
Maaßes, das ſpecificirte und das aͤuſſerliche Quantum,
ſich zu Qualitaͤten beſtimmen, machen dieſe beyden quanti-
tativen
[279]Das Maaß.
tativen Seiten die Beſtimmtheit aus, welche ihre Quali-
taͤten gegen einander haben. Zweytens nach der an-
dern Betrachtung iſt die eine Qualitaͤt zwar das unmit-
telbare Anſichbeſtimmtſeyn, und der ganze Unterſchied
des Quantitaͤten faͤllt auf die andere Seite, und dieſe iſt
nur inſofern ſelbſt Verhaͤltniß und Qualitaͤt, inſofern ſie
den ganzen Unterſchied des Quantums an ihr hat. Al-
lein jene iſt nun nicht mehr die reine Quantitaͤt, an der
der Unterſchied gleichguͤltig iſt; ſondern indem dieſer als
ſich auf ſich beziehender Unterſchied ſelbſt das Anſichbe-
ſtimmtſeyn iſt, ſo iſt jene erſt hiedurch wahrhafte Quali-
taͤt und beſtimmt gegen eine andere. Dieſe Beſtimmtheit
aber oder die Grenze, in der ſie ſich auf einander bezie-
hen, iſt das Quantitative uͤberhaupt; ſie haben daſſelbe
zu ihrer Grundlage; das Qualitative hat hier uͤberhaupt
keine andere Bedeutung, als dieſe, Beziehung des Quan-
tums auf ſich zu ſeyn.
Es ſind alſo nunmehr Qualitaͤten, welche in der
Beziehung des Maaßes auf einander ſind. Nach ihrer ab-
ſtracten Seite als Qualitaͤt uͤberhaupt, haben ſie irgend
eine beſondere Bedeutung, (z. B. Raum und Zeit).
Aber ferner treten ſie in das Maaßverhaͤltniß als Groͤße-
beſtimmtheiten, und von den Groͤßebeſtimmtheiten des
Maaßes iſt die eine die Anzahl, die in aͤuſſerlicher, arith-
metiſcher Progreſſion auf- und abgeht, die andere eine
Anzahl, welche durch das Maaß ſpecifiſch beſtimmt iſt.
Was den Unterſchied der Seiten in Vergleichung
ihrer qualitativen Beſtimmung zu ihrer quan-
titativen betrift, ſo iſt jede zunaͤchſt eine beſondere
Qualitaͤt uͤberhaupt. Inſofern liegt kein Unterſchied in
ihnen, welche von den beyden Qualitaͤten, in Ruͤckſicht
auf die quantitative Beſtimmung, als die bloß aͤuſſerlich
quantitative, und welche als die in quantitativer Spe-
U 2cifica-
[280]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
cification ſich veraͤndernd genommen werde. Wenn die
eine Seite, die nur als Quantum angeſehen wird, ſich
zur andern z. B. verhaͤlt als Wurzel zum Quadrat, ſo
iſt es gleichviel, an welcher die Vermehrung oder Ver-
minderung als bloß aͤuſſerlich, in arithmetiſcher Progreſ-
ſion fortgehend, und welche dagegen als an dieſem
Quantum ſich ſpecifiſch beſtimmend angeſehen wird.
Laͤßt man die Seite der Wurzel ſich in arithmetiſcher Pro-
greſſion fortgehen, ſo enthaͤlt die andere die entſprechen-
den Quadrate, welche die nicht arithmetiſch progredirende
Reihe ausmachen; laͤßt man hingegen die Seite des
Quadrats in der arithmetiſchen Progreſſion ſich veraͤn-
dern, ſo enthaͤlt die andere Seite die entſprechenden
Wurzeln, und ſtellt ihre Veraͤnderung als nicht in aͤuſ-
ſerlicher Progreſſion, ſondern ſpecifiſch beſtimmt dar.
Aber die Qualitaͤten ſind nicht unbeſtimmt verſchie-
den gegen einander, denn ſie gehen aus dem Maaße hervor
und es liegen ihnen die zwey Seiten des Maaßes zu
Grunde, des urſpruͤnglichen Verhaͤltniſſes von Quantis,
welche qualitative Bedeutung haben, das eine die gleich-
guͤltige, die andere die qualitative Quantitaͤtsbeſtimmt-
heit zu ſeyn. Die Qualitaͤten ſind daher weſentlich nach
dem beſtimmten Character der quantitativen Momente
des Maaßes unterſchieden. Die eine hat alſo die Be-
ſtimmtheit gegen die andere, das Extenſive, die Aeuſ-
ſerlichkeit an ihr ſelbſt zu ſeyn; die andere aber das
Intenſive, das Inſichſeyende oder Negative gegen je-
ne; jene die reelle, gleichguͤltige, dieſe die ideelle,
ſpecifiſche Seite. Das quantitative Moment von dieſer
iſt alſo auch als die Einheit, und das von jener als die
Anzahl, jenes als Diviſor, diß als Dividend im einfa-
chen Verhaͤltniſſe, oder jenes als Wurzel und diß als die
Potenz oder das Anderswerden, im ſpecificirenden Ver-
haͤltniſſe zu nehmen. — Inſofern nun auch ein ſolches
Ver-
[281]Das Maaß.
Verhaͤltniß an gleichguͤltigen Quantis ſeiner Seiten Da-
ſeyn hat, und an dem gleichguͤltigen Quantum Veraͤnde-
rungen vorgehen, ſo iſt die ſpecifiſche Seite als die
Grundlage in arithmetiſcher Progreſſion, die aͤuſſerliche
Seite hingegen in der ſpecificirten Reihe ſich veraͤndernd
darzuſtellen; denn jene als die an ſich ſpecifiſche, durch
ihr arithmetiſches Progrediren, zeigt das Quantum als
ein aͤuſſerliches zu haben; hingegen die aͤuſſerliche Seite
zeigt ſich durch ihre ſpecificirte Reihe als eine ſolche, de-
ren Quantum durch ein anderes beſtimmt iſt. — Oder
inſofern die arithmetiſche Progreſſion als natuͤrliche Re-
gel angeſehen wird, ſo geht die an ſich ſpecificirte Seite
in ihr fort, weil ſie ſelbſt das Qualificirende, Beſtim-
mende iſt; die andere aber in einer Reihe, welche ſich
zeigt in einem Andern ihre Regel zu haben.
Das hier Eroͤrterte in Ruͤckſicht des Zuſammen-
hangs der qualitativen Natur eines Daſeyns und ſeiner
Quantitaͤtsbeſtimmung im Maaße, hat ſeine Anwendung
zum Beyſpiel darin, daß in der Geſchwindigkeit,
als dem directen Verhaͤltniſſe von durchlaufenem Raume
und verfloſſener Zeit, die Groͤße der Zeit als Nenner,
die Groͤße des Raums dagegen als Zaͤhler, angenommen
wird. Wenn Geſchwindigkeit uͤberhaupt ein Verhaͤltniß
vom Raum und der Zeit einer Bewegung iſt, ſo iſt es
gleichguͤltig, welches von beyden Momenten als die Zahl
oder als die Einheit, als Ganzes oder als Moment des
Ganzen betrachtet werden ſoll. Aber Raum, wie in der
ſpecifiſchen Schwere das Gewicht, iſt Zahl, aͤuſſerliches,
reales Ganzes uͤberhaupt, die Zeit hingegen, wie das
Volumen, iſt das Ideelle, das Negative, die Seite der
Einheit. — Weiter gruͤndet ſich aber hierauf das wich-
tigere Verhaͤltniß, warum in der freyen Bewegung,
— zu-
[282]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
— zuerſt der noch bedingten —, des Falls, Zeit- und
Raum-Quantitaͤt, jene als Wurzel, dieſe als Quadrat, —
oder in der abſolutfreyen Bewegung der Himmelskoͤrper
die Umlaufszeit und die Entfernung, jene um eine Po-
tenz tiefer als dieſe, — jene als Quadrat, dieſe als
Kubus gegen einander beſtimmt ſeyen. Dergleichen
Grundverhaͤltniſſe beruhen auf der Natur der im Ver-
haͤltniß ſtehenden Qualitaͤten des Raums und der Zeit,
und der Art der Beziehung, in welcher ſie ſtehen, entwe-
der als mechaniſche Bewegung, oder als Fall oder als
freye himmliſche Bewegung; — inſofern nemlich uͤber-
haupt das Qualitative, zwar nicht als ſolches, ſondern
als beſtimmter Begriff, der ſowohl die Raum- und Zeit-
beſtimmung nach ihrer qualitativen als quantitativen Na-
tur enthaͤlt, zu Grunde zu legen iſt. —
In Ruͤckſicht auf die abſoluten Maaßverhaͤltniſſe iſt
uͤberhaupt zu erinnern, daß die Mathematik der Natur,
wenn ſie des Namens von Wiſſenſchaft wuͤrdig ſeyn
will, weſentlich die Wiſſenſchaft der Maaße ſeyn muͤſſe,
— eine Wiſſenſchaft fuͤr welche empiriſch wohl viel, aber
wiſſenſchaftlich wenig gethan iſt. Mathematiſche Princi-
pien der Naturphiloſophie, — wie Newton ſein Werk
genannt hat, — wenn ſie dieſe Beſtimmung in einem
tiefern Sinn erfuͤllen ſollten, als er und das ganze Ba-
coniſche Geſchlecht von der Philoſophie und Wiſſenſchaft
hatte, muͤßten noch ganz andere Dinge enthalten, um
ein Licht in dieſe noch dunkeln aber hoͤchſt betrachtungs-
wuͤrdige Regionen zu bringen. — Es iſt ein großes Ver-
dienſt, die empiriſchen Zahlen der Natur kennen zu ler-
nen, z. B. Entfernungen der Planeten von einander;
aber ein unendlich groͤßeres, die empiriſchen Quanta ver-
ſchwinden zu machen, und ſie in eine allgemeine
Form von Quantitaͤtsbeſtimmungen zu erheben, ſo daß
ſie Momente eines Geſetzes oder Maaßes werden; —
unſterb-
[283]Das Maaß.
unſterbliche Verdienſte, die ſich z. B. Galilei in Ruͤck-
ſicht auf den Fall, und Keppler in Ruͤckſicht auf die
Bewegung der himmliſchen Koͤrper erworben hat. Das
Hoͤhere aber iſt dieſe Geſetze zu beweiſen. Dieß
heißt aber nichts anders als ihre Quantitaͤtsbeſtimmungen
aus den Qualitaͤten, oder beſtimmten Begriffen, die be-
zogen ſind, (wie Zeit und Raum) zu erkennen. Von
dieſer Art des Beweiſens aber findet ſich in jenen mathe-
matiſchen Principien der Naturkenntniß, ſo wie in den
fernern Arbeiten dieſer Art, noch keine Spur. Es iſt
oben bey Gelegenheit des Scheins mathematiſcher Be-
weiſe von Naturverhaͤltniſſen, der ſich auf den Mis-
brauch des Unendlichkleinen gruͤndet, bemerkt worden,
daß der Verſuch, ſolche Beweiſe eigentlich mathematiſch
zu fuͤhren, ein widerſinniges Unternehmen iſt. Dieſe
Beweiſe ſetzen ihre Theoreme aus der Erfahrung voraus,
und was ſie leiſten, beſteht allein darin, dieſe auf ab-
ſtracte Ausdruͤcke und bequeme Formeln zu bringen.
Das ganze reelle Verdienſt, das Newton im Vorzug
gegen Keppler in Beziehung auf die nemlichen Gegen-
ſtaͤnde zugeſchrieben wird, wird, das Scheingeruͤſte von
Beweiſen abgezogen, — ohne Zweifel bey gereinigterer
Reflexion uͤber das, was die Mathematik zu leiſten ver-
mag und was ſie geleiſtet hat, einſt mit deutlicher Kennt-
niß auf jene Umformung des Ausdrucks eingeſchraͤnkt
werden.
C.Ver-
[284]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
C.
Verhaͤltniß von Qualitaͤten.
Das Maaß hat ſich zu einem Verhaͤltniß von Qua-
litaͤten beſtimmt. Die Regel iſt zunaͤchſt nur qualitatives
Verhalten gegen das Quantum als ſolches. Die Quali-
taͤten haben zunaͤchſt nur Ein Maaß, und ſind Momente
deſſelben.
Dieſe Qualitaͤten haben die beyden Seiten, als
Qualitaͤten erſtens gleichguͤltig gegen ihre Maaßbeziehung
als gegen die quantitative Seite zu ſeyn, und zweytens
in dieſer Beziehung zu ſtehen. Es iſt ſo eben gezeigt
worden, wie ihre rein qualitative Beſtimmung in Beziehung
ſteht auf diejenige Beſtimmung, die ſie im Maaßverhaͤlt-
niſſe zu einander haben. Aber ihre Gleichguͤltigkeit ge-
gen das Maaß hat noch eine andere Seite, nemlich die
directe Bedeutung ihres Heraustretens aus dem Maaße.
— Die Qualitaͤten ſind nemlich nur durch das Maaß
ſelbſt; denn in dieſem liegt das Moment der an ſich be-
ſtimmten Unmittelbarkeit. Aber diß Moment iſt als Un-
mittelbarkeit der einfache, unvermittelte Quotient des
Maaßes, oder er iſt das aufgehobene Maaß; denn das
Maaß iſt die Vermittlung, ein Anſichbeſtimmtſeyn durch
das Aufheben des unmittelbaren Quantums. Inſofern
ſie alſo auſſer dem Maaße und von ſeiner Beziehung freye
Seiten ſelbſt nur in Beziehung auf das Maaß ſind, ſo
ſind ſie nur das negirte Maaß, die wieder aufgehobene
qualitative Beſtimmung des Quantums oder das wieder-
hergeſtellte unmittelbare Quantum. Diß Mo-
ment gehoͤrt zur Vervollſtaͤndigung des Begriffs der Qua-
litaͤt, wie ſie hier beſtimmt iſt; denn ſie ergab ſich als
der
[285]Das Maaß.
der Exponent eines Verhaͤltniſſes, deſſen Seiten das un-
mittelbare und das ſpecificirte Quantum iſt; ſie enthaͤlt
alſo ſelbſt beyde Seiten. Wie die beyden Qualitaͤten als
Qualitaͤten Eines ſpecificirenden Maaßes und als die
Verhaͤltnißmomente deſſelben betrachtet wurden, ſo war
in dieſer Beſtimmung nur die eine ihrer Seiten vorhan-
den, nemlich die qualitativbeſtimmte, nicht aber die Seite
der Unmittelbarkeit. — Oder die Qualitaͤt iſt uͤberhaupt
die Einheit des Anſichſeyns, und des Seyns-fuͤr-ande-
res; jenes iſt das ſpecifiſche, diß das unmittelbare
Quantum.
Dieſe Seite iſt alſo ihre unbeſtimmte Beſchaffenheit,
das aͤuſſerliche Quantum, das ihnen auſſer der ſpecifi-
ſchen Beſtimmung zukommt. Aber die Seite des Quan-
tums kommt ihnen nur in Beziehung auf das Maaß zu.
Das Maaß iſt als abſtracte unmittelbare Beſtimmtheit,
eine Beſtimmtheit als Quantum, das aber Maaßbe-
ſtimmtheit oder Exponent eines unmittelbaren directen
Verhaͤltniſſes iſt, das ſeine Seiten an dem Momente
der Qualitaͤten, aͤuſſerliche Quanta zu ſeyn hat. Die
Qualitaͤten ſind alſo nur inſofern unmittelbare Quanta,
als ſie Seiten dieſes Verhaͤltniſſes ſind; oder umgekehrt,
die Quanta, in deren Unmittelbarkeit ſich die qualitati-
ven Maaßmomente herabſetzen, haben ihre Unmittelbar-
keit allein in der Beſtimmtheit gegen anderes.
Die Quanta naͤher betrachtet, wie ſie in dieſem
directen Verhaͤltniſſe beſtimmt ſind, ſo ſind es die Ein-
heiten derſelben, deren Maaßbeſtimmung gegen einan-
der es iſt; und dieſe Maaßbeſtimmung bleibt in aller uͤb-
rigen ſpecifiſchen Beſtimmung ihrer Anzahlen dieſelbe.
(— Es iſt das Verhaͤltniß, das z. B. in der Bewegung,
den Raum ausdruͤckt, den der Koͤrper in dem erſten
Zeitmoment durchlaufe; es iſt aber das eben ſo ſehr im
zwey-
[286]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
zweyten, dritten u. ſ. f. Zeitmomente bleibende Verhaͤlt-
niß, und druͤckt uͤberhaupt das Verhaͤltniß eines Quan-
tums des Raums aus, das einer Zeiteinheit entſpricht;
jenes Quantum des Raums iſt die Einheit zu der ſonſti-
gen durch das ſpecificirende Maaß beſtimmten Anzahl
deſſelben. —) — Diß ergibt ſich naͤher aus Folgendem.
Das ſpecificirende Maaß iſt das rein qualitative Verhaͤlt-
niß, das inſofern an und fuͤr ſich iſt, als in ihm das
Quantum in ſeiner weſentlichen Qualitaͤt iſt; es iſt die
Form der Beziehung deſſelben auf ſich in ſeinem Anders-
ſeyn; aber als dieſe Form ſetzt es das Quantum als
ein Unmittelbares voraus. Das Potenzenverhaͤltniß
hat irgend ein Quantum zu ſeiner Grundlage, das
ſich in ihm zu ſich verhaͤlt. Dieſe Unmittelbarkeit iſt
es, die das ſpecificirende Maaß an dem erſten oder
unmittelbaren Verhaͤltniſſe hat. — Das ſpecificirende
Verhaͤltniß beſteht ferner darin, ein aͤuſſerliches Quan-
tum zu ſpecificiren; eine unbeſtimmte Anzahl uͤberhaupt
wird in ein anderes qualificirtes Quantum veraͤndert;
es ſind Anzahlen, die einander gegenuͤber ſtehen, de-
ren Exponent, als Quantum ſchlechthin veraͤnderlich
iſt; ſie haben nur einen qualitativ beſtimmten. Die
Anzahlen ſind aber Anzahl von Einheiten; ſo ſind
ſie die Qualitaͤten, welche die Seiten des Maaßes
ausmachen; das Quantum iſt Qualitaͤt zunaͤchſt als
Beziehung von Anzahl und Einheit; die potenzirte oder
reale Qualification des Quantums iſt das Maaßver-
haͤltniß ſelbſt. — Sie ſind ferner im Verhaͤltniſſe be-
ſtimmte Seiten gegen einander; ſo haben ſie auch jede
ihre beſondere Einheit; und indem dieſe Einheiten
zugleich Anzahlen angehoͤren, die weſentlich im Ver-
haͤltniſſe ſind, oder indem uͤberhaupt die Qualitaͤten
im Maaßverhaͤltniſſe ſtehen, ſo iſt auch dieſe Seite
derſelben, die Einheiten, beſtimmt gegen ein-
ander; oder ſie haben ein Maaß. Diß ihr Maaß
iſt
[287]Das Maaß.
iſt alſo Verhaͤltniß ihrer als Einheiten, ſomit nicht
das ſpecificirende, ſondern ein unmittelbares directes
Verhaͤltniß. — Oder unmittelbar, das ſpecificirende
Verhaͤltniß iſt vorhanden nur als rein qualitatives;
ſeine einfache Beziehung auf ſich ſelbſt iſt ſeine Un-
mittelbarkeit. Dieſe aber als Unmittelbarkeit zugleich
des Maaßes iſt der Exponent als Quantum und als
Verhaͤltniß ein directes Verhaͤltniß; es iſt alſo das,
in dem das ſpecificirende in ſich zuruͤckgekehrt iſt.
Die Beziehung, die ſich ergeben hat, iſt hiemit
ſo vorhanden. Es iſt ein erſtes unmittelbares Ver-
haͤltniß, das zu Grunde liegt, und deſſen Exponent
nicht veraͤndert wird. Seine Seiten veraͤndern ihr
Quantum, und zwar ſo, daß die Veraͤnderung der ei-
nen Seite als aͤuſſerliche in arithmetiſcher Progreſſion
fortgeht, die der andern Seite aber qualitativ und ei-
ne Reihe von ſpecificirten Quantis iſt. Die Ein-
heiten dieſer beyden Quantorum aber treten als
Einheiten nicht in dieſe Veraͤnderung ihrer Anzahl
ein; ſie bleiben in ihrem erſten directen Verhaͤltniſſe,
indem ſie das unmittelbar an ſich beſtimmte Mo-
ment ihrer Seiten ausmachen, und in dem rein qua-
litativen Verhaͤltniſſe den Werth von verhaͤltnißloſen
Einheiten haben. Aber auſſer demſelben ſind dieſe
zwey Einheiten gegen einander ein beſtimmtes
Quantum, und ſtehen in einem unmittelbaren Verhaͤltniſſe.
Dieſe zwey Verhaͤltniſſe, das ſpecificirende und
das unmittelbare directe, zeigen ſich als die realiſirten
Momente des Maaßes. Das Maaß enthaͤlt nemlich
die Seite der Unmittelbarkeit des Quantums oder ſei-
ner als eines gleichguͤltigen. Indem das Moment
ſelbſt das Ganze iſt, iſt es Maaß, und in der Be-
ſtimmung des unmittelbaren Quantums, das unmittelba-
re directe Verhaͤltniß. — Auf der andern Seite enthaͤlt
das
[288]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
das Maaß die weſentlich qualitative Beſtimmung des
Quantums; ſo iſt es das qualitative Verhaͤltniß gegen
jenes erſte directe Verhaͤltniß. Beyde Seiten des Maaßes
ſind ſomit ſelbſt Maaßverhaͤltniſſe.
Das Maaß iſt durch dieſe Realiſirung in ſich zuruͤck-
gekehrt, es iſt in ſeinem Andern mit ſich gleich geworden.
Denn das Qualitative deſſelben bezog ſich zuerſt auf ein
aͤuſſerliches Quantum; nun aber iſt dieſe Seite ſelbſt
Maaß. Und zwar iſt ſie zu Grunde liegendes Maaß.
Das ſpecificirende Maaß, indem es ſich auf das unmit-
telbare Quantum bezieht und daſſelbe ſpecificirt, hat die
Anzahl zu ſeinem Inhalt; die qualificirte Groͤße iſt nach
dieſem Inhalt unbeſtimmt, und von der aͤuſſerlichen
Groͤße abhaͤngig. Hingegen im directen Maaßverhaͤltniß,
ſtehen die Einheiten der Seiten in Beziehung; die
Einheit iſt das an und fuͤr ſich beſtimmte des Quantums.
In der Regel iſt das Qualitative und das Quantita-
tive getrennt, und die Specification dasjenige, was das
Maaß ausmachte; aber das Maaß iſt ſeinem Begriffe
nach diß, daß das Quantum das Qualitative iſt. Hier
hat ſich diß wieder hergeſtellt, daß ein Quantum die
Grundlage des Maaßes ausmacht, aber ein Quantum,
das ſelbſt Exponent und als Verhaͤltniß beſtimmt iſt.
Das Maaß iſt Qualitaͤt uͤberhaupt, als Anſichbe-
ſtimmtſeyn. Sie iſt Einheit des Anſichſeyns und des
Seyns-fuͤr-anderes, der Beſtimmung und der Beſchaf-
fenheit. Dieſe ihre Momente haben nun den naͤhern
Inhalt, daß das Anſichſeyn oder die Beſtimmung ein di-
rectes Maaßverhaͤltniß, das Seyn-fuͤr-anderes oder die
Beſchaffenheit aber das ſpecificirende Maaß iſt. Indem
die beyden Seiten ſelbſt Maaße, alſo die Beſtimmung
und Beſchaffenheit an ſich daſſelbe ſind, ſo iſt die Qua-
litaͤt eine Selbſtſtaͤndigkeit geworden.
Zwey-
[289]Das Maaß.
Zweytes Kapitel.
Verhaͤltniß ſelbſtſtaͤndiger Maaße.
In dem unmittelbaren Maaße iſt das Quantum die
Qualitaͤt; die quantitative Beſtimmung liegt zum Grunde.
Wie das Maaß ſich aber zum Selbſtſtaͤndigen beſtimmt
hat, ſo iſt nunmehr die qualitative Beſtimmtheit das
Erſte; das Maaß iſt an ſich beſtimmte Einheit, welche
ſich zur Anzahl verhaͤlt. Die Selbſtſtaͤndigkeit des
Maaßes beruht alſo auf einem unmittelbaren zu Grunde
liegenden Verhaͤltniſſe; es iſt nicht mehr das einfache,
bloß aͤuſſerliche Quantum, das Qualitaͤt ſeyn ſoll; ſon-
dern es iſt Qualitaͤt, inſofern es an ſich ſelbſt Verhaͤltniß
iſt. Dieſes directe Verhaͤltniß iſt aber zugleich Verhaͤlt-
niß zu andern Maaßen, und inſofern iſt es ſpecificiren-
des. Es iſt alſo
erſtens ein ſelbſtſtaͤndiges Maaß, das ſich zu an-
dern verhaͤlt und in dieſem Verhalten dieſelben ſpecifi-
cirt. Dieſe Specification aber iſt das Hervorbringen
anderer directer Verhaͤltniſſe, ſomit anderer Maaße;
und die ſpecifiſche Selbſtſtaͤndigkeit beſteht nicht in ei-
nem directen Verhaͤltniſſe, ſondern in der ſpecifi-
ſchen Beſtimmtheit zu der Reihe ſelbſtſtaͤn-
diger Maaße.
Zweytens ſind die dadurch entſtehenden di-
recten Verhaͤltniſſe, an ſich beſtimmte und ausſchlieſ-
ſende Maaße; indem aber ihr Unterſchied von einan-
der
[290]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
der zugleich nur quantitativ iſt, ſo iſt ein Fortgang
von Verhaͤltniſſen vorhanden, der zum Theil bloß aͤuſ-
ſerlich quantitativ iſt, aber auch durch qualitative Ver-
haͤltniſſe unterbrochen wird, und eine Knotenlinie
von ſpecifiſchen Selbſtſtaͤndigen bildet.
Drittens aber tritt in dieſem Fortgange fuͤr
das Maaß die Maaßloſigkeit uͤberhaupt, und be-
ſtimmter die Unendlichkeit des Maaßes ein, in
welcher die ſich ausſchlieſſenden Selbſtſtaͤndigkeiten eins
mit einander ſind, und das Selbſtſtaͤndige in negative
Beziehung zu ſich ſelbſt tritt.
A.Das
[291]Das Maaß.
A.
Das Verhaͤltniß ſelbſtſtaͤndiger Maaße.
Neutralitaͤt.
Etwas das durch ſein Maaß ſelbſtſtaͤndig iſt, iſt
an ſich ein unmittelbares Verhaͤltniß, und diß macht
ſeine Natur und den Grund ſeines Unterſchieds gegen
andere aus. Es iſt ſeine Beſtimmung oder ſein An-
ſichſeyn; inſofern es Verhaͤltniß iſt, iſt es eine Qualitaͤt.
Alsdenn aber bezieht ſich diß Etwas auch auf andere, iſt
aber in dieſer Beziehung ſelbſtſtaͤndig, oder erhaͤlt ſich
darin; ſo ſpecificirt es das aͤuſſerliche Quantum, das
an daſſelbe kommt. — Dieſe Seite iſt ſeine Beſchaf-
fenheit oder Seyn-fuͤr-anderes. Sie iſt als Ver-
haͤltniß ſeiner Beſtimmung zu der Aeuſſerlichkeit ſelbſt
eine Qualitaͤt. Das Etwas iſt ein Selbſtſtaͤndiges, in-
dem es die Einheit dieſer ſeiner Qualitaͤten iſt. Es iſt
deßwegen hier nicht bloß eine Qualitaͤt, die in Beziehung
auf eine andere Qualitaͤt ſteht.
Das unmittelbare Verhaͤltniß, welches das Etwas
an ihm ſelbſt iſt, iſt nunmehr ſein wahrhaftes ſpecifi-
ſches Quantum. Der Exponent dieſes Verhaͤltniſſes iſt
ein unmittelbares Quantum, nur in Vergleichung
mit andern dergleichen Verhaͤltniſſen; aber dieſe Beſtim-
mung durch anderes geht daſſelbe nichts an; es iſt an
ſich ſelbſt, indem es Verhaͤltniß in ſich iſt. — Inſofern
ſeine Seiten als Quanta ſich veraͤndern, ſo erhaͤlt es
ſich in ihnen, wie ein unmittelbares Verhaͤltniß uͤber-
haupt;
[292]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
haupt; indem die eine Seite die Einheit iſt, iſt die an-
dere die Anzahl, und es veraͤndert ſich hierin nur die
Einheit, nicht die ſpecifiſche Anzahl oder der Exponent.
(— Ein ſolches Maaß iſt die ſpecifiſche Schwere der
Koͤrper.)
Aber ferner hat dieſes Maaß eine Seite des Ver-
haltens zu andern. Diß Verhalten betrift die Anzahl.
Durch daſſelbe vergleicht nemlich das Selbſtſtaͤndige ſich
ſelbſt mit andern; es hat darin die Aeuſſerlichkeit an ihm,
ſetzt ſich alſo nach dem Exponenten ſeines an ſich ſeyenden
Verhaͤltniſſes in Beziehung. Allein er iſt darin we-
ſentlich Exponent, qualitativer Natur; ſeine Be-
ziehung auf andere iſt weder die gleichguͤltige Unmittelbar-
keit eines Quantums gegen andere Quanta; noch auch
eine eben ſo aͤuſſerliche gleichguͤltige Veraͤnderung deſſel-
ben. Sondern indem er an ſich beſtimmtes Quantum
oder quantitative Qualitaͤt iſt, verhaͤlt er ſich als Maaß
gegen das aͤuſſerliche Quantum, und ſpecificirt daſ-
ſelbe. Aber umgekehrt, inſofern er ſelbſt Quantum
iſt, wird er darin ebenfalls veraͤndert. Es iſt ei-
ne gegenſeitige Specification, welche von unmittelbar
beſtimmten Maaßen ausgeht, und daher nicht an und
fuͤr ſich beſtimmtes, ſondern aͤuſſerliches Maaß iſt.
Das ſpecifiſche Verhalten zu andern iſt daher zwar eine
negative Richtung auf das unmittelbare Maaß, denn das
An-ſich-beſtimmte tritt durch diß Verhalten in die Aeuſ-
ſerlichkeit, aber das unmittelbare Maaß macht die
Grundlage des entſtandenen Verhaͤltniſſes der Beziehung
aus.
Dieſe Beziehung iſt eine Neutraliſirung bey-
der Seiten; durch ihre quantitative Natur, die in der
Beziehung zu Grunde liegt, continuiren ſie ſich in einan-
der, es iſt dadurch ihr gleichguͤltiger Unterſchied geſetzt,
und
[293]Das Maaß.
und indem darin zugleich die qualitative Beſtimmung liegt,
die ſie haben, ſo modificirt ſich auch dieſe. Die
Einheit des Qualitativen iſt hier nicht das Uebergehen
der einen Qualitaͤt in die andere, auch ihr Reſultat nicht
das bloß Negative ihres gegenſeitigen Aufhebens, ſon-
dern es iſt hier geſetzt, daß ſie in ihrem Aufgehobenſeyn
ſich auch erhalten; denn ihr Unterſchied iſt als quantita-
tiv, ein gleichguͤltiger und ein ſolcher, worin das Unter-
ſchiedne ſich auch in ſein Andersſeyn continuirt, und in
ſeiner Aenderung ſich erhaͤlt. Das Selbſtſtaͤndige bleibt
alſo in der Neutraliſation zwar nicht, was es unmittel-
bar iſt, es ſtellt ſein Anſichbeſtimmtſeyn nur als einen
Modus, als eine Art und Weiſe des Seyns-fuͤr-Ande-
res dar; aber umgekehrt iſt ſeine Veraͤnderung eben ſo nur
ein Modus fuͤr es, und betrift nicht ſeine Beſtimmung
an und fuͤr ſich.
Specification der Neutralitaͤt.
Das Grundmaaß eines Selbſtſtaͤndigen alſo, (ſein
Gewicht in ſich ſelbſt oder ſeine eigenthuͤmliche Schwere,)
iſt erſtens Quantum und in der Verbindung, die
es mit andern eingeht, veraͤndert ſich dieſes Quantum;
diß Quantum iſt zweytens Exponent; es macht die
Qualitaͤt des Selbſtſtaͤndigen aus, dieſe wird dadurch
veraͤndert; aber drittens iſt dieſe Veraͤnderung nur
eine Modification, es iſt nur als Anzahl, daß es ſpecifi-
cirt wird, und Anzahl iſt es nur in Vergleichung
mit anderem. Weil nun das Selbſtſtaͤndige gegen dieſe
Veraͤnderung in der Neutraliſation gleichguͤltig iſt, ſo
geht es mit Mehrern ſolche neutrale Verbin-
dungen ein. Wenn es nur qualitativer Natur waͤre,
ſo haͤtte es an dem andern nur ſein Nichtſeyn; eine
XQua-
[294]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
Qualitaͤt hat nur an einer andern ihre Beſtimmtheit.
Erſt in das Quantitative eingehuͤllt iſt ihr der Unterſchied
von einem andern auch gleichguͤltig. Das Selbſtſtaͤndige
iſt nicht eine Qualitaͤt ſondern negative Einheit von Qua-
litaͤten, und darin iſt es weſentliches Quantum. Dieſe
Verbindungen mit mehrern ſind nun verſchiedene Ver-
haͤltniſſe, die alſo verſchiedene Exponenten haben. Das
Selbſtſtaͤndige hat den Exponenten ſeines An-ſich-be-
ſtimmtſeyns nur in der Vergleichung mit andern; die
Neutralitaͤt mit andern macht ſeine wahrhafte Verglei-
chung mit denſelben aus, denn es iſt ſeine Vergleichung
mit ihnen durch ſich ſelbſt. — Die Exponenten dieſer Ver-
haͤltniſſe aber ſind verſchieden, und es ſtellt hiemit ſeinen
qualitativen Exponenten als die Reihe dieſer ver-
ſchiedenen Anzahlen dar, zu denen es die Einheit
iſt; — als eine Reihe von ſpecifiſchem Ver-
halten zu andern. Der qualitative Exponent iſt an
und fuͤr ſich nicht ein unmittelbares Quantum. Von an-
dern unterſcheidet ſich alſo das Selbſtſtaͤndige, durch die
eigenthuͤmliche Reihe der Exponenten, die es als
Einheit angenommen, mit andern Selbſtſtaͤndigen bildet,
indem ein anderes Selbſtſtaͤndiges mit ebendenſelben in
Beziehung gebracht und als Einheit angenommen, eine
andere Reihe formirt.
Das Selbſtſtaͤndige iſt, wie betrachtet worden, die
Einheit zu dieſen Exponenten oder Anzahlen, die ſein
Verhalten zu andrem ausdruͤcken. Denn es iſt das An-
ſichbeſtimmtſeyn gegen ſeine Beſchaffenheit, das iſt, ge-
gen ſich als Quantum. Sein Quantum iſt als ſolches
ſeine Aeuſſerlichkeit, welche modificirt wird; es ſtellt da-
her ſein quantitatives Beſtimmtſeyn nicht in einem Quan-
tum, ſondern vielmehr dieſes als ein veraͤnderliches dar,
und zeigt ſein Anſichbeſtimmtſeyn daher in einer Reihe
von Exponenten. Das Verhaͤltniß dieſer Reihe inner-
halb
[295]Das Maaß.
halb ihrer macht das Qualitative des Selbſtſtaͤndigen
aus, welches in dieſer Mannichfaltigkeit der quantitati-
ven Beſtimmung die Einheit mit ſich iſt. — Inſofern
alſo ein Selbſtſtaͤndiges mit einer Reihe von Selbſtſtaͤndi-
gen eine Reihe von Exponenten bildet, ſo iſt es zunaͤchſt
von einem Selbſtſtaͤndigen nicht dieſer Reihe, ſondern
einem andern, mit welchem es vergleichen wird, nur
dadurch unterſchieden, daß dieſes eine andere Reihe von
Exponenten mit denſelben Selbſtſtaͤndigen macht. Aber
auf dieſe Weiſe waͤren dieſe beyden Selbſtſtaͤndigen
nicht vergleichbar, inſofern jedes als Einheit
gegen ſeine Exponenten zu betrachten iſt, und die beyden
hiedurch entſtehenden Reihen unbeſtimmt andere
ſind. Das Selbſtſtaͤndige iſt aber nicht an ſich beſtimmt,
als die Einheit, welche einfaches Eins iſt, ſondern we-
ſentlich als Verhaͤltniß; es iſt Eins wohl gegenuͤber der
Zahlenreihe ſeiner Exponenten; an ſich beſtimmte Einheit
iſt es weder als diß Eins noch in dem Verhaͤltniſſe zu
einem derſelben, ſo haͤtte es ſeine Beſtimmtheit in ei-
nem Quantum als ſolchen; ſondern es hat ſein Anſich-
beſtimmtſeyn nur in dem Verhaͤltniſſe der Reihe, in dem
Verhaͤltniſſe, das dieſe in ihr ſelbſt hat. Dieſe iſt ſeine
Einheit, und inſofern das andere mit ihm vergleichbare
Selbſtſtaͤndige von derſelben Art uͤberhaupt iſt, nemlich
inſofern es an den Selbſtſtaͤndigen der andern Seiten
gleichfalls diejenigen hat, mit denen es ſich neutraliſirt,
ſo hat es eben ſo ſein Anſichbeſtimmtſeyn in ihr. Dieſe
aber iſt nur inſofern an ſich beſtimmt, als die Glieder
derſelben ein conſtantes Verhaͤltniß unter einander zu
beyden haben; ſo iſt ſie ihre gemeinſchaftliche
Einheit. In dieſer gemeinſchaftlichen Einheit liegt al-
lein die Vergleichbarkeit der beyden Selbſtſtaͤndigen, die
als ſich nicht mit einander neutraliſirend, ſondern als
gleichguͤltig gegen einander angenommen wurden. Sie
ſind in dieſer Ruͤckſicht Quanta gegen einander, als ſol-
X 2che
[296]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
che aber ſind ſie nur vergleichbar in der aufgezeigten ge-
meinſchaftlichen Einheit.
Diejenigen Selbſtſtaͤndigen aber, welche mit den
ihnen gegenuͤber ſtehenden unter ſich nur verglichenen,
ſich neutraliſiren, und die Reihe der Exponenten des
Verhaltens von jenen abgeben, ſind an ihnen ſelbſt,
gleichfalls Selbſtſtaͤndige; ſie ſind inſofern gleichfalls je-
des als Einheit zu nehmen, die an den erſt genannten
unter ſich bloß verglichenen Beyden oder vielmehr unbe-
ſtimmt Mehrern die Reihe ihrer Exponenten haben, wel-
che Exponenten die Vergleichungszahlen jener erſt ge-
nannten unter ſich ſind; ſo wie die Vergleichungszahlen der
zweyten Reihe unter ſich gleichfalls umgekehrt die Reihe
der Exponenten fuͤr die erſte Reihe iſt. Beyde Seiten
ſind auf dieſe Weiſe Reihen von Zahlen, in denen jede
erſtens Einheit iſt gegen ihre gegenuͤber ſtehende Reihe,
an der ſie ihr Quantum als eine Reihe von Exponenten
hat; zweytens iſt ſie ſelbſt einer der Exponenten fuͤr die
gegenuͤber ſtehende Reihe; und drittens Vergleichungs-
zahl zu den uͤbrigen Zahlen ihrer Reihe, und hat als
dieſe Anzahl ihr An-ſich-beſtimmtſeyn oder ihre Einheit
an der gegenuͤber ſtehenden Reihe. — Inſofern alſo je-
des der als ſelbſtſtaͤndig ſich verhaltenden Einheit mit ſich,
an ſich beſtimmt iſt, hat es dieſe ſeine Einheit an einer
Reihe gegenuͤber ſtehender Exponenten ſeines Verhaltens.
Inſofern es Quantum oder Anzahl iſt, iſt es ein ſpecifi-
cirtes Quantum unter andern, und unterſcheidet ſich da-
durch von ihnen. Alſo ſein Anſichbeſtimmtſeyn iſt die
gegenuͤber ſtehende Reihe, welche fuͤr die andern ſeiner
Seite nur die gemeinſchaftliche Einheit iſt; durch ſein
Anſichbeſtimmtſeyn alſo iſt es den andern gleich. Ein
Anderes gegen ſie aber iſt es, oder eine Vergleichungs-
zahl und gleichguͤltiges Quantum hat es, inſofern es
von einer fremden Einheit ſpecificirt und geſetzt iſt.
In
[297]Das Maaß.
In dieſe Aeuſſerlichkeit ſeiner ſelbſt alſo hat ſich die Na-
tur des ſelbſtſtaͤndigen Maaßes verkehrt, inſofern es ein
unmittelbares Verhaͤltniß ſeyn ſollte, das gegen anderes
ſpecificirend ſey, und ſich in dieſer Specification gleich-
guͤltig erhalte. Seine Beziehung auf ſich ſollte von ſei-
ner Beziehung zu anderem nicht leiden; aber ſeine Be-
ziehung auf ſich iſt zunaͤchſt unmittelbares Verhaͤltniß;
ſeine Gleichguͤltigkeit gegen anderes beſteht in dem Quan-
tum; darum iſt ſeine qualitative Seite gegen es ſelbſt
gerichtet; ſein Verhalten zu anderem, als
das wahrhaft Qualitative, wird zu dem, was
die ſpecifiſche Beſtimmung dieſes Selbſtſtaͤndigen aus-
macht; ſie beſteht daher ſchlechthin in der Art und Wei-
ſe ſich zu Anderem zu verhalten, und dieſe Art und Wei-
ſe iſt ſo ſehr durch das Andere als durch es ſelbſt be-
ſtimmt.
Die Aeuſſerlichkeit, in welche ſich die ſpecifiſche
Selbſtſtaͤndigkeit verkehrt, iſt, naͤher betrachtet, der Ue-
bergang des Qualitativen in das Quantitative, und um-
gekehrt des Quantitativen in das Qualitative, der hier
eingetreten iſt. Im Maaße ſind ſie uͤberhaupt in unmit-
telbarer Einheit; im realen Maaße, in der ſpecifiſchen
Selbſtſtaͤndigkeit ſind ſie unterſchieden, aber um ihrer
weſentlichen Einheit willen, wird dieſes Unterſcheiden zu
einem Uebergehen des einen Moments in das andere.
Die ſelbſtſtaͤndigen Maaße ſind an ſich unmittelbar be-
ſtimmt; ſo ſind ſie Quanta; aber dieſe Beſtimmung
ſchlaͤgt um in qualitatives Verhaͤltniß zu andern, in die
Neutraliſirung. Gegen dieſe negative Einheit ſind ſie
gleichguͤltig, ſie geht in quantitative Beſtimmung uͤber;
ſie ſind in dieſer Beziehung mit Mehrern; dieſe Meh-
rern ſind durch die qualitative Beziehung gegen einander
beſtimmt; aber ihr Unterſchied iſt nur die Verſchiedenheit
des Quantums. — Aber ſie ſind ſomit nur Mehrere,
und
[298]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
und verſchiedene Quanta uͤberhaupt gegen einander; es
iſt die ſpecifiſche Beſtimmtheit, die Ruͤckkehr dieſes Ver-
haltens in ſich, noch nicht vorhanden.
Allein die Neutraliſation gegenuͤber ſtehender Selbſt-
ſtaͤndiger iſt ſo ihre qualitative Einheit, daß das eine
darin nicht in das andere uͤbergegangen, alſo nicht nur
eine Negation uͤberhaupt, ſondern beyde darin nega-
tiv geſetzt ſind; oder daß indem jedes ſich gleichguͤltig
darin erhaͤlt, ſeine Negation auch wieder negirt
iſt. Ihre qualitative Einheit iſt ſomit fuͤr ſich ſeyende
ausſchlieſſende Einheit. Die Exponenten, welche
Vergleichungszahlen unter ſich ſind, haben in dem Mo-
mente ihres Ausſchlieſſens gegen einander, erſt ihre
wahrhaft ſpecifiſche Beſtimmtheit. — Ihr Unterſchied iſt
erſt ſo nicht bloß der gleichguͤltige des Quantums, ſon-
dern auch qualitativer Natur. Zugleich aber gruͤndet
er ſich, wie erhellt, auf das Quantitative; nemlich das
Selbſtſtaͤndige verhaͤlt ſich nur darum zu einem Mehrern
ſeiner qualitativ andern Seite, weil es in dieſem Ver-
halten zugleich gleichguͤltig iſt; und durch die Quantita-
tivitaͤt der neutralen Beziehung iſt dieſe in ihrer Natur
unendlich, nicht bloß Negation uͤberhaupt, ſondern Ne-
gation der Negation; fuͤr ſich ſeyende, ausſchlieſſende Ein-
heit. Dadurch iſt die Verwandtſchaft eines Selbſt-
ſtaͤndigen zu den Mehrern der andern Seite nicht nur
eine indifferente Beziehung, ſondern eine ausſchlieſſende,
eine Wahlverwandtſchaft.
Wahlverwandtſchaft.
In der Wahlverwandtſchaft hat das ſpecifiſch
Selbſtſtaͤndige ſeinen erſten Charakter vollſtaͤndig verloh-
ren,
[299]Das Maaß.
ren, unmittelbar an ſich beſtimmt zu ſeyn; es iſt
an ſich beſtimmt, nur als fuͤrſichſeyende negative Ein-
heit. Dieſe Einheit hat ſich gezeigt, als das in ſich zu-
ruͤckgegangene Uebergehen des Quantitativen und Quali-
tativen, die abſolute Einheit des Quantitativen und des
Qualitativen zu ſeyn. Sie iſt dadurch ſo beſtimmt, daß
ſie, als in ſich quantitativer Unterſchied, gegen ſich
ſelbſt gleichguͤltig in ſich zerfaͤllt, oder als in ſich qualita-
tiv ſich negativ gegen ſich verhaͤlt, — beydes iſt hier
daſſelbe, — und ſich auf die aufgezeigte Weiſe ſpecificirt.
In dieſem Abſtoſſen trennen ſich theils die Verhaͤltniſſe
in ihre allgemeinen qualitativen Seiten, theils ſpecifici-
ren dieſe einander und damit ſich ſelbſt, und ſchlieſſen
ſich von einander aus. Hieraus iſt dann erſt das
Selbſtſtaͤndige als Verhaͤltniß hervorgegangen, in
welchem das als gleichguͤltiges Quantum erſcheinende zu-
gleich nur Moment iſt. Diß Selbſtſtaͤndige hat die
gedoppelte Beziehung, ſich zu anderem neutraliſirend zu
verhalten, und einerſeits unmittelbar in dieſer ſeiner ſich
aufhebenden Beziehung nicht uͤberzugehen in das Andere,
ſondern ſich nur zu modificiren, andererſeits, ſich als
ſich rein auf ſich beziehend zu verhalten, andere Ver-
haͤltniſſe von dieſer ſeiner Modification auszuſchlieſſen
und die Neutralitaͤt mit ihnen von ſich abzuhalten. In
dieſem Verhalten zu Anderem beſteht die Selbſtſtaͤndig-
keit, und zwar ſo, daß es eben ſo ſehr Verhalten der an-
dern gegen es oder uͤberhaupt Aller gegen Alle iſt. Fer-
ner iſt jedes Moment eben ſo ſehr qualitativer als quan-
titativer Natur; ſo auch die letzte Beſtimmung, der Un-
terſchied der ſich ausſchlieſſenden iſt ein Unterſchied des
Quantums.
Die Continuitaͤt eines ſpecifiſchen Moments mit ſei-
nem Andern, iſt Neutraliſirung; ſie iſt auch negativer
Natur, ſpecificirend und ausſchlieſſend. Das von die-
fer
[300]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
ſer Wahlverwandtſchaft ausgeſchloſſene aber iſt
zugleich einer der Exponenten; es iſt als Quantum un-
terſchieden; und ſo iſt auch das Ausſchlieſſende ein ver-
ſchiedenes Quantum. Die Zahlen haben in dieſer Seite
des ausſchlieſſenden Verhaltens ihre Continuitaͤt und Zu-
ſammenfließbarkeit mit einander verloren; es iſt das
Mehr oder Weniger, was dieſen negativen Charak-
ter erhalten hat, und den Vorzug dem einen Expo-
nenten gegen andere, und unter dieſen wieder einem ge-
gen die uͤbrigen gibt. Allein indem es zugleich wieder
nur Quanta ſind, was ſich ausſchließt, ſo ſetzt ſich ein
Moment, das als ſelbſtſtaͤndig angeſehen werden kann,
ausſchlieſſend mit einem Exponenten, der ein Mehr fuͤr
daſſelbe iſt, in ſpecifiſche Neutralitaͤt; aber es iſt auch ei-
nem Momente wieder gleichguͤltig, von mehrern ihm ge-
genuͤber ſtehenden Momenten diß neutraliſirende Quan-
tum zu erhalten, von jedem nach ſeiner ſpecifiſchen Be-
ſtimmtheit gegen das Andere. Ob zwar das ausſchlieſ-
ſende Verhalten derſelben hier das Beſtimmende iſt, ſo
leidet doch dieſes negative Verhalten auch dieſen Eintrag
von der quantitativen Seite her.
Das reale Maaß fing alſo von einem an ſich be-
ſtimmten, directen Verhaͤltniſſe an, dem Verhaͤltniſſe
der Einheiten, des an-ſich-einfach-beſtimm-
ten der Seiten, das als das unmittelbare feſt zu Grunde
liegen und ſich von dem ſpecificirenden, dem qualificiren-
den Verhaͤltniſſe der Anzahlen unterſcheiden ſoll-
te. Allein es hat ſich gezeigt, daß vielmehr nur diß
ſpecificirende, als Verhalten zu Anderen ſich beſtimmen-
de, das totale Verhaͤltniß und jenes erſte unmittelbare in
dieſes andere uͤberging. Die an-ſich-beſtimmten Ein-
heiten, welche die Seiten des directen Verhaͤltniſſes
ausmachten, ſind ſelbſt zu Anzahlen geworden, zu
ſolchen, die ihre an-ſich-beſtimmte Einheit in einer ge-
gen-
[301]Das Maaß.
genuͤber ſiehenden Reihe haben, und als ſich unterſchei-
dende ausſchlieſſende Anzahlen nur Glieder einer ſpecifi-
cirten Reihe ſind. Die unmittelbare qualitative Einheit
des erſten Verhaͤltniſſes ſelbſt, iſt uͤbergegangen in die
negative ausſchlieſſende Einheit, welche nicht eine Be-
ziehung unmittelbarer an-ſich-beſtimmter Einheiten, ſon-
dern ein Specificiren derſelben iſt. Was eine Neutrali-
ſation unmittelbar vorhandener Selbſtſtaͤndiger war, iſt
eine Beziehung von Quantis, welche ihr Daſeyn allein
in dieſer qualificirenden Negation haben, die auch ihre
Neutraliſation ausmacht. Was hiemit vorhanden iſt,
iſt die negative Beziehung der unmittelbaren Einheit des
Verhaͤltniſſes und der ſpecificirten Einheit, und damit
der qualitative Unterſchied des Quantitati-
ven und Qualitativen ſelbſt. Jene unmittelbare
Einheit iſt damit als gleichguͤltige Unmittelbarkeit uͤber-
haupt, als Quantum als ſolches beſtimmt, und das
Specifiſche als das Qualitative. Indem ferner die Ver-
haͤltniſſe nun unter dieſen Beſtimmungen und dieſe Be-
ſtimmungen ſchlechthin auf einander bezogen ſind, ſo iſt uͤber-
haupt ein Umſchlagen von gleichguͤltigem, bloß quantita-
tivem Verhalten, umgekehrt ein Uebergehen des ſpecifi-
ſchen Beſtimmtſeyns in das bloß aͤuſſerliche Verhaͤltniß;
— eine Reihe von Verhaͤltniſſen, die bald bloß quanti-
tativer Natur, bald ſpecifiſche, und Maaße ſind.
Die chemiſchen Stoffe ſind ſolche Maaße oder
Maaßmomente, als ſich ſo eben ergeben haben, die das-
jenige, was ihre Beſtimmung ausmacht, allein im Ver-
halten zu andern haben. Saͤuren und Kalien oder Ba-
ſen uͤberhaupt erſcheinen als unmittelbar an ſich beſtimm-
te Dinge, aber zugleich vielmehr als unvollkommene Koͤr-
perelemente, als Beſtandtheile, die eigentlich nicht fuͤr
ſich
[302]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
ſich exiſtiren, ſondern nur dieſe Exiſtenz haben, ihr iſo-
lirtes Beſtehen aufzuheben, und ſich mit einem andern zu
verbinden. Ihr Unterſchied, wodurch ſie ſelbſtſtaͤndige
gegen einander ſind, beſteht nicht in unmittelbaren Qua-
litaͤten, ſondern in der quantitativen Art und Weiſe des
Verhaltens. Dieſer Unterſchied iſt ferner, nicht auf
den chemiſchen Gegenſatz von Saͤure, und Kali oder
Baſis uͤberhaupt eingeſchraͤnkt, ſondern iſt weiter zu ei-
nem Maaße der Saͤttigung ſpecificirt, und be-
ſteht in der ſpecifiſchen Beſtimmtheit der Quantitaͤt der
ſich neutraliſirenden Stoffe. Dieſe Quantitaͤts-Beſtim-
mung in Ruͤckſicht auf die Saͤttigung macht die qualita-
tive Natur eines Stoffes aus, ſie macht ihn zu dem,
was er fuͤr ſich iſt; die Zahl, die diß ausdruͤckt, iſt we-
ſentlich einer von mehrern Exponenten fuͤr eine gegen-
uͤber ſtehende Einheit. — Ein ſolcher Stoff ſteht mit ei-
nem andern in ſogenannter Verwandtſchaft. Inſofern
dieſe Beziehung rein qualitativer Natur bliebe, ſo waͤre,
— wie die Beziehung der magnetiſchen Pole oder der
Elektricitaͤten, — die eine Beſtimmtheit nur die nega-
tive der andern, und beyde nicht auch zugleich gleichguͤl-
tig gegen einander. Aber weil die Beziehung auch quan-
titativer Natur iſt, iſt jeder dieſer Stoffe faͤhig mit
Mehrern ſich zu neutraliſiren, und nicht auf einen ge-
genuͤber ſtehenden eingeſchraͤnkt. Es verhaͤlt ſich nicht
nur die Saͤure und das Kali oder Baſis, ſondern Saͤuren
und Kalien oder Baſen zu einander. Sie charakteriſiren
ſich in dem Unterſchiede der Saͤuren von Saͤuren und der
Kalien von Kalien dadurch gegen einander, je nachdem
ihre Verwandtſchaften ſich ausſchlieſſend gegen einander
verhalten und eine vor der andern den Vorzug hat, in-
dem fuͤr ſich eine Saͤure mit allen Kalien, und umge-
kehrt, eine Verbindung eingehen kann. Es macht da-
her den Hauptunterſchied einer Saͤure gegen eine andere
aus, ob ſie zu einer Baſis eine naͤhere Verwandtſchaft
habe,
[303]Das Maaß.
habe, als eine andere. Und die naͤhere Verwandt-
ſchaft beruht auf dem Unterſchied der Menge,
welche von ihr hinreicht, ein gegenuͤber ſtehendes quali-
tatives Moment zu ſaͤttigen; es iſt daher eine Ver-
haͤltnißzahl, durch welche die ſpecifiſche Eigenſchaft
eines ſolchen Stoffes ausgedruͤckt iſt.
Ueber die chemiſchen Verwandtſchaften der Saͤuren
und Kalien hat Richter und Guyton das Geſetz ge-
funden, daß wenn zwey neutrale Solutionen gemiſcht
werden und dadurch eine Scheidung entſteht, die Pro-
dukte gleichfalls neutral ſind. Es folgt hieraus, daß
die Mengen von zwey kaliſchen Baſen, die zur Saͤtti-
gung einer Saͤure erfodert werden, in demſelben
Verhaͤltniſſe zur Saͤttigung einer andern noͤthig ſind;
uͤberhaupt wenn fuͤr ein Kali als Einheit genommen die
Reihe der Verhaͤltnißzahlen beſtimmt worden
iſt, in denen die verſchiedenen Saͤuren daſſelbe ſaͤttigen,
ſo iſt fuͤr jedes andere Kali dieſe Reihe dieſelbe, nur daß
die verſchiedenen Kalien gegen einander in verſchiedenen
Anzahlen zu nehmen ſind; — Anzahlen, die wieder ih-
rerſeits eine eben ſolche beſtaͤndige Reihe von Exponenten
fuͤr jede der gegenuͤber ſtehenden Saͤuren bilden, indem
ſie eben ſo zu jeder einzelnen Saͤure ſich in demſelben
Verhaͤltniſſe beziehen, als zu jeder andern. — Fiſcher
hat dieſe Reihen aus den Richteriſchen Arbeiten in ih-
rer Einfachheit herausgehoben (ſ. in ſ. Anmerkungen zur
Ueberſetzung von Berthollets Abhandlung uͤber die
Geſetze der Verwandtſchaft in der Chemie, S. 232. und
Berthollet Statique chimique I. Part. p. 134. ff.)
Bekanntlich hat Berthollet ferner die allgemeine
Vorſtellung von der Wahlverwandtſchaft durch den Be-
griff von der Wirkſamkeit einer chemiſchen Maſſe
modificirt. Dieſe Modification hat auf die Quantitaͤts-
Ver-
[304]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
Verhaͤltniſſe der chemiſchen Saͤttigungs-Geſetze ſelbſt kei-
nen Einfluß, ſondern nur auf das qualitative Moment
der ausſchlieſſenden Wahlverwandtſchaft. Weil die
Grundlage des qualitativen Verhaltens Quantitaͤts-Be-
ſtimmungen ſind, ſo wird daſſelbe durch die gleichguͤltige
Natur von dieſen geſchwaͤcht. Wenn zum Beyſpiele
zwey Saͤuren auf ein Kali wirken, und diejenige, die
eine groͤßere Verwandtſchaft zu derſelben hat, auch in
dem Quantum vorhanden iſt, welches faͤhig iſt, das
Quantum der Baſis zu ſaͤttigen, ſo erfolgt nach der Vor-
ſtellung der Wahlverwandtſchaft nur dieſe Saͤttigung;
die andere Saͤure bleibt ganz unwirkſam und von der
neutralen Verbindung ausgeſchloſſen. Nach jenem Be-
griffe der Wirkſamkeit einer chemiſchen Maſſe hinge-
gen, iſt jede von beyden wirkſam in einem Verhaͤltniß,
das aus ihrer vorhandenen Menge und ihrer Saͤttigungs-
faͤhigkeit oder Affinitaͤt zuſammengeſetzt iſt. Berthollets
Unterſuchungen haben die naͤhern Umſtaͤnde angegeben,
unter welchen die Wirkſamkeit der chemiſchen Maſſe auf-
gehoben wird, eine ſtaͤrker verwandte Saͤure die andre
ſchwaͤchere auszutreiben und deren Wirkung auszu-
ſchlieſſen, ſomit nach dem Sinne der Wahlverwandt-
ſchaft thaͤtig zu ſeyn ſcheint. Er hat gezeigt, daß es
Umſtaͤnde, z. B. die Staͤrke der Kohaͤſion, Unaufloͤs-
barkeit der gebildeten Salze im Waſſer, ſind, unter
welchen jenes Ausſchlieſſen Statt findet, nicht die Na-
tur der Agentien ſelbſt, — Umſtaͤnde, welche durch an-
dere Umſtaͤnde z. B. die Temperatur in ihrer Wirkung
aufgehoben werden koͤnnen. Durch die Beſeitigung die-
ſer Hinderniſſe tritt die chemiſche Maſſe in Wirkſamkeit,
und das, was als rein qualitatives Ausſchlieſſen, als
Wahlverwandtſchaft erſchien, zeigt ſich nur in aͤuſſerli-
chen Modificationen zu liegen.
Das, was in der Darſtellung des Textes die un-
mittelbaren ſelbſtſtaͤndigen Maaße, die an ſich beſtimm-
ten
[305]Das Maaß.
ten Verhaͤltniſſe ſind, welche ſich von ihrem Verhalten
zu andern [unterſcheiden], iſt durch die ſpecifiſchen
Schweren der Koͤrper repreſentirt. — Sie ſind in-
nerhalb ihrer ſelbſt ein Verhaͤltniß von Gewicht zum Vo-
lumen. Der Verhaͤltnißexponent, welcher die Beſtimmt-
heit einer ſpecifiſchen Schwere zum Unterſchiede von an-
dern ausdruͤckt, iſt zunaͤchſt beſtimmtes Quantum nur der
Vergleichung; was ein ihnen aͤuſſeres Verhaͤltniß in
dem Beziehen einer aͤuſſern Reflexion iſt, und ſich nicht
auf das eigne qualitative Verhalten zu einer gegenuͤber
ſtehenden Einheit gruͤndet. Indem aber dieſe Unterſchie-
de als Beſtimmung uͤberhaupt, eine ſpecificirende Einheit
zu Grunde liegen haben, und das beſtimmte Qualificiren
eine Identitaͤt mit ſich in ihrem Unterſcheiden, eine Re-
gel, iſt, — ſo iſt die Aufgabe vorhanden, die Verhaͤlt-
nißexponenten der Reihe der ſpecifiſchen Schwe-
ren, als ein Syſtem aus einer Regel zu erkennen,
welche eine arithmetiſche Progreſſion zu einer Reihe har-
moniſcher Knoten ſpecificirt; jedem ſolchen Knoten haͤtte
ein Exponent zu entſprechen, der das Quantum der ſpe-
cifiſchen Schwere eines vorhandenen Koͤrpers iſt. Auf
dieſe Weiſe wuͤrden die einfachen Zahlen der ſpecifiſchen
Schweren, — Zahlen, welche fuͤr ſich eine begriffloſe
Unmittelbarkeit haben, und daher keine Ordnung zeigen
koͤnnen, — als die letzten Reſultate von Verhaͤlt-
niſſen erſcheinen, in welchen die zu Grunde liegende ſpe-
cificirende Regel erkennbar waͤre. — Dieſelbe Foderung
iſt fuͤr die Erkenntniß der angefuͤhrten chemiſchen Ver-
wandtſchaftsreihen vorhanden.
Die ſpecifiſchen Schweren, ob ſie gleich zunaͤchſt
kein qualitatives Verhaͤltniß zu einander zu haben
ſcheinen, zeigen ſich jedoch gleichfalls in einer quali-
tativen Beziehung. Indem die Koͤrper chemiſch ver-
bunden, auch nur amalgamirt oder ſynſomatirt werden,
(ſelbſt
[306]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
(ſelbſt ſchon indem nur die Temperatur ſich aͤndert) ſo
zeigt ſich die Vereinigung gleichfalls als eine Neu-
traliſation der ſpecifiſchen Schweren. Bekanntlich
iſt das Volumen auch des Gemiſches von vermengten,
chemiſch gegen einander eigentlich gleichguͤltigen Fluͤſſig-
keiten oder Baſen nicht von gleicher Groͤße mit der
Summe des Volumens der vermiſchten vor ihrer Ver-
miſchung. Sie modificiren in derſelben gegenſeitig das
Quantum ihrer Beſtimmtheit, mit dem ſie in die Be-
ziehung eintreten, und geben ſich auf dieſe Weiſe als
qualitative Beſtimmungen gegen einander kund. Hier
aͤuſſert ſich ſomit das Quantum der ſpecifiſchen Schwe-
re nicht blos als eine fixe Vergleichungszahl,
ſondern als eine Verhaͤltnißzahl, die verruͤckbar,
mit andern eine beſondere Neutralitaͤt eingeht.
B.Kno-
[307]Das Maaß.
B.
Knotenlinie
von Maaßverhaͤltniſſen.
Es iſt das Maaßverhaͤltniß vorhanden, das ſich
als ausſchlieſſend und dadurch als ſelbſtſtaͤndig erweist;
der Vorzug, den die Seite des Verhaͤltniſſes einem ihrer
Exponenten gegen andere gibt, beruht auf dem Quantum
deſſelben gegen andere. Das Mehr oder Weniger
iſt das ausſchlieſſende, qualitative. Umgekehrt aber iſt
es das Specifiſche, wodurch ein ſolches Mehr oder We-
niger beſtimmt iſt. Das Qualitative, das ſich auf dieſe
Weiſe zu einem quantitativen Unterſchiede macht, wird
ein aͤuſſerliches, voruͤbergehendes. Es iſt uͤberhaupt
vorhanden, der Uebergang des ſpecifiſchen in das bloß
quantitative, und des quantitativen in das ſpecifiſche
Verhaͤltniß. Indem das qualitative Verhaͤltniß ſich zu
einem quantitativen Unterſchiede macht, ſo beſteht es ei-
nerſeits in dieſem; es bleibt darin was es iſt, und das
Quantitative iſt die Gleichguͤltigkeit ſeines Beſtehens; es
iſt dieſe Einheit beyder, worin das Quantitative durch
das Specifiſche beſtimmt iſt, welche ein Selbſtſtaͤndiges
ausmacht. Andererſeits aber iſt es dadurch veraͤn-
dert; das Quantitative iſt ſein Anderes. Umgekehrt
macht das Quantitative ſeinerſeits eben ſo die Grundlage
des ſpecifiſchen Verhaͤltniſſes aus. Durch das quantitative
Moment erhaͤlt ſich das Selbſtſtaͤndige in ſeinem Anders-
ſeyn; andererſeits aber iſt das quantitative Moment in
ſeiner Einheit mit dem ſpecifiſchen gleichfalls veraͤn-
dert. — Jedes der beyden Momente tritt daher als
das Beſtimmende auf, in welchem das andere nur als
aufgehobenes iſt, und damit jedes auch als aufgehobenes.
Die
[308]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
Die ſchließliche Beſtimmung des Maaßverhaͤltniſ-
ſes war, daß es als ausſchlieſſend ſpecifiſch iſt. Aber
diß repellirende Ausſchlieſſen iſt theils an und fuͤr ſich
Beziehung auf das Ausgeſchloſſene und gegenſeitige At-
traction beyder; theils aber inſofern das gleichguͤltige Be-
ſtehen der Ausgeſchloſſenen das quantitative Moment iſt,
ſo iſt das Ausſchlieſſende gleichguͤltig unterſchieden von
dem Andern und continuirt ſich in daſſelbe. Es conti-
nuirt ſich darein einestheils als ſich ſelbſt erhaltend; ſein
Anderes iſt ein Quantitatives, alſo ein gleichguͤltiger
Unterſchied, der das Speciſiſche nicht afficirt; anderer-
ſeits aber iſt es qualitativ von ihm unterſchieden; es
wird in dieſem ſeinem Andersſeyn ein anderes Ver-
haͤltniß und damit ein anderes Maaß.
Die ſpecificirende Einheit beſtimmt, wie ſich erge-
ben hat, Zahlenverhaͤltniſſe, welche qualitativer Natur
und Maaße ſind. Aber die Seiten oder auch die Expo-
nenten derſelben ſind Anzahlen uͤberhaupt, daher das an
ſich unbeſtimmte und aͤuſſerliche. Einestheils bleibt das
Maaß unveraͤndert in dieſem Unterſchiede ſeiner Quan-
titaͤt; anderntheils wird es veraͤndert, und zwar nicht
durch ſich ſelbſt, oder ſo daß es ſich in ſeinem Anders-
ſeyn als in dem, worauf es ſich bezieht, erhielte; ſon-
dern das Quantitative, worein es uͤbergeht, iſt die Be-
ſchaffenheit, das an ſich aͤuſſerliche; es iſt alſo darin
nur untergegangen. Allein indem das Quantitative ſelbſt
eben ſo zugleich qualitative Natur hat, ſo wird ein an-
deres quantitatives Verhaͤltniß auch wieder ein Maaß,
und ein an-ſich-beſtimmtes, das nicht aus der Aeuſſer-
lichkeit und bloßen Beſchaffenheit kommt, ſondern mit
dem vorhergehenden Maaß zuſammenhaͤngt, und durch
eine Regel mit ihm in qualitativer Beziehung ſteht. Es
iſt alſo diß gedoppelte vorhanden. Der Uebergang von
einem Maaße in ein anderes iſt aͤuſſerlich, unzuſammen-
haͤn-
[309]Das Maaß.
haͤngend, eines iſt ohne das andere, jedes erſcheint als
ein unmittelbares; ſie unterſcheiden ſich durch ein Mehr
und Weniger, diß iſt die Beziehung derſelben in der
Vergleichung, die ihnen aͤuſſerlich und gleichguͤltig
iſt. Aber ſie haben auch eine Regel zu Grunde liegen,
und verhalten ſich als qualitative Unterſchiede zu einan-
der; denn das Quantum hat ſeine Beſtimmtheit in der
Specification.
Die ſelbſtſtaͤndigen Maaße alſo, ſowohl bloß quan-
titativ als auch qualitativ von einander unterſchieden, ſo-
wohl einander ganz aͤuſſerlich, als auch durch eine Regel
beſtimmt, bilden eine Knotenlinie von Maaßen auf
einer Scale des Mehr und Weniger. Es iſt ein Maaß-
verhaͤltniß vorhanden; diß iſt ein ſelbſtſtaͤndiges Daſeyn,
eine Realitaͤt, die qualitativ von andern unterſchieden
iſt. Ein ſolches Daſeyn iſt zugleich, weil es auf einem
Verhaͤltniſſe von Quantis beruht, der Aeuſſerlichkeit und
der Quantumsveraͤnderung offen, und inſofern iſt das,
wodurch es veraͤndert wird, ein unbeſtimmt Anderes
uͤberhaupt, Zufaͤlligkeiten, aͤuſſere Umſtaͤnde. Es hat
eine Weite, innerhalb deren es gegen dieſe Veraͤnderung
gleichguͤltig bleibt und ſeine Qualitaͤt nicht aͤndert. Aber
es tritt ein Punkt dieſer Aenderung des quantitativen
Verhaͤltniſſes ein, auf welchem die Qualitaͤt geaͤndert
wird, oder das Quantum ſich als ſpecificirend erweist,
wo ein ſolches anderes quantitatives Verhaͤltniß Statt
findet, welches ſelbſt Maaß und damit eine neue Quali-
taͤt und ein neues Etwas iſt. Inſofern das vorher-
gehende Verhaͤltniß auf ſein Anderes, das Quantitative,
worin es zu Grunde geht, ſich qualitativ bezieht, indem
das Qualitative und Quantitative uͤberhaupt ſich qualita-
tiv gegen einander verhalten, ſo iſt auch das Verhaͤltniß,
das an die Stelle des erſten getreten, durch dieſes be-
ſtimmt. Aber diß neue Etwas verhaͤlt ſich eben ſo
Ygleich-
[310]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
gleichguͤltig gegen das Vorhergehende, denn ihr Unter-
ſchied iſt der aͤuſſerliche des Quantums; es iſt alſo nicht
aus dem vorhergehenden, ſondern unmittelbar aus ſich
hervorgetreten. Die neue Qualitaͤt oder das neue Et-
was iſt demſelben Fortgange ſeiner Veraͤnderung unter-
worfen und ſo fort ins Unendliche.
Inſofern der Fortgang von einer Qualitaͤt in ſtaͤti-
ger Continuitaͤt der Quantitaͤt iſt, ſo ſind die einem qua-
lificirenden Punkte ſich naͤhernden Verhaͤltniſſe quantita-
tiv betrachtet, nur durch das Mehr und Weniger unter-
ſchieden. Die Veraͤnderung iſt nach dieſer Seite eine
allmaͤhlige. Aber die Allmaͤhligkeit betrift bloß das
Aeuſſerliche der Veraͤnderung, nicht das Qualitative
derſelben. Das vorhergehende quantitative Verhaͤltniß,
das dem folgenden unendlich nahe iſt, iſt noch eine an-
dere Realitaͤt. Von der qualitativen Seite wird daher
das bloß quantitative Fortgehen der Allmaͤhligkeit, das
keine Grenze an ſich ſelbſt iſt, abſolut abgebrochen, und
indem die neu eintretende Qualitaͤt um ihres quantitati-
ven Unterſchieds ſelbſt willen eine gegen die verſchwin-
dende unbeſtimmt andre, eine gleichguͤltige iſt, ſo iſt der
Uebergang ein Sprung; die verſchwundene und die neu
eintretende ſind voͤllig aͤuſſerliche. — Man ſucht ſich
gern durch die Allmaͤhligkeit des Uebergangs eine Veraͤn-
derung begreiflich zu machen; aber vielmehr iſt die All-
maͤhligkeit gerade die bloß gleichguͤltige Aenderung, gera-
de das Gegentheil der qualitativen. In der Allmaͤhlig-
keit iſt vielmehr der Zuſammenhang der beyden Realitaͤ-
ten, — ſie werden als Zuſtaͤnde, oder als ſelbſtſtaͤndige
Dinge genommen, — aufgehoben, es iſt geſetzt, daß
keine die Grenze der andern, ſondern eine der andern
ſchlechthin aͤuſſerlich iſt, daß in dem bloß quantitativen
Fortgange ſich Verhaͤltniſſe von Quantis zeigen, die ge-
gen ihre unmittelbar vorhergehenden und nachfolgenden
quali-
[311]Das Maaß.
qualitativ unterſchieden, und gegen ſie die bloß aͤuſſern
qualitativ gleichguͤltigen ſich als ſpecifiſche darſtellen.
Das natuͤrliche Zahlenſyſtem iſt ſchon eine ſolche
Knotenlinie von qualitativen Momenten, die ſich in
einem bloß aͤuſſerlichen Fortgang hervorthun. Es iſt ei-
nestheils ein bloß quantitatives Vor- und Zuruͤckgehen,
ein fortwaͤhrendes Hinzuthun oder Wegnehmen, ſo daß
jede Zahl daſſelbe arithmetiſche Verhaͤltniß zu ihrer
vorhergehenden und nachfolgenden hat, als dieſe zu ihrer
vorhergehenden und nachfolgenden u. ſ. f. Aber die hie-
durch entſtehenden Zahlen haben auch zu andern vorher-
gehenden oder folgenden ein ſpecifiſches Verhaͤltniß,
entweder ein ſolches vielfaches von einer derſelben als
eine ganze Zahl ausdruͤckt, oder Potenz oder Wurzel zu
ſeyn. — In den muſikaliſchen Verhaͤltniſſen, tritt
ein harmoniſches Verhaͤltniß in der Scale des quantitati-
ven Fortgehens durch ein Quantum ein, ohne daß dieſes
Quantum fuͤr ſich auf der Scale zu ſeinem vorhergehen-
den und nachfolgenden ein anderes Verhaͤltniß haͤtte, als
dieſe wieder zu ihren vorhergehenden und nachfolgenden.
Indem folgende Toͤne vom Grundtone ſich immer mehr
zu entfernen oder Zahlen durch das arithmetiſche Fortge-
hen nur noch mehr andere zu werden ſcheinen, thut ſich
vielmehr auf einmal eine Ruͤckkehr, eine uͤberraſchende
Uebereinſtimmung hervor, die nicht durch das unmittelbar
vorhergehende qualitativ vorbereitet war, ſondern als
eine actio in diſtans, als eine Beziehung zu einem ent-
fernten erſcheint. Der Fortgang an bloß gleichguͤltigen
Verhaͤltniſſen, welche die vorhergehende ſpecifiſche Rea-
litaͤt nicht aͤndern, oder auch uͤberhaupt keine ſolche bil-
den, unterbricht ſich auf einmal, und indem er in quan-
titativer Ruͤckſicht auf dieſelbe Weiſe fortgeſetzt iſt, tritt
Y 2ſomit
[312]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
ſomit durch einen Sprung ein ſpecifiſches Verhaͤltniß
ein.
In chemiſchen Verbindungen kommen al-
lenthalben bey der progreſſiven Aenderung der Miſchungs-
verhaͤltniſſe, ſolche qualitative Knoten und Spruͤnge vor,
daß zwey Stoffe auf beſondern Punkten der Miſchungs-
ſcale, Producte von beſondern Qualitaͤten bilden. Die-
ſe Producte unterſcheiden ſich nicht bloß durch ein Mehr
und Weniger von einander, noch ſind ſie mit den Ver-
haͤltniſſen, die jenen Knotenverhaͤltniſſen nahe liegen,
ſchon vorhanden, etwa nur in einem ſchwaͤchern Grade,
ſondern ſie ſind an ſolche Punkte ſelbſt gebunden. Z. B.
die Verbindungen von Sauerſtoff und Stikſtoff geben die
verſchiedenen Stikſtoffoxide und Salpeterſaͤuren, die nur
an beſtimmten Quantitaͤts-Verhaͤltniſſen der Miſchung
hervortreten und weſentlich verſchiedene Qualitaͤten ha-
ben, ſo daß in dazwiſchen liegende Miſchungsverhaͤltniſſe
keine Verbindungen und ſpecifiſche Exiſtenzen erfolgen. —
Die Metalloxide, z. B. die Bleyoxide bilden ſich auf
gewiſſen quantitativen Punkten der Oxidation, und un-
terſcheiden ſich durch Farben und andere Qualitaͤten.
Sie gehen nicht allmaͤhlig in einander uͤber, ſondern die
zwiſchen jenen Knoten liegende Verhaͤltniſſe kommen nicht
als ein ſpecifiſches Daſeyn vor, ſie vermoͤgen kein Pro-
dukt zu bilden. Ohne durch Zwiſchenverhaͤltniſſe durch-
gegangen zu ſeyn, tritt eine ſpecifiſche Verbindung auf,
die auf einem Maaßverhaͤltniſſe beruht, und eigene Qua-
litaͤten hat. — Oder das Waſſer, indem es ſeine
Temperatur aͤndert, wird damit nicht blos mehr oder
weniger warm, ſondern geht durch die Zuſtaͤnde der Haͤr-
te, der tropfbaren Fluͤſſigkeit und der elaſtiſchen Fluͤſſig-
keit hindurch; dieſe verſchiedenen Zuſtaͤnde treten nicht
allmaͤhlig ein, ſondern eben das bloß allmaͤhlige Fort-
gehen der Temperatur-Aenderung wird durch dieſe
Punkte
[313]Das Maaß.
Punkte mit einemmahle unterbrochen und gehemmt, und
der Eintritt eines andern Zuſtandes iſt ein Sprung. —
Alle Geburt und Tod, ſind ſtatt eine fortgeſetzte All-
maͤhligkeit zu ſeyn, vielmehr ein abſolutes Abbrechen
derſelben, und der Sprung aus dem Quantitativen in
das Qualitative.
Es gibt keinen Sprung in der Natur;
und die gewoͤhnliche Vorſtellung, wenn ſie ein Ent-
ſtehen oder Vergehen begreifen ſoll, meynt, wie
bereits erinnert, es damit begriffen zu haben, daß ſie
es als ein allmaͤhliges Hervorgehen oder Verſchwin-
den vorſtellt. Es hat ſich aber gezeigt, daß die Veraͤn-
derungen des Seyns uͤberhaupt nicht nur das Uebergehen
eines Quantums in ein anderes Quantum, ſondern Ue-
bergang vom Qualitativen in das Quantitative, und
umgekehrt ſind, ein Andreswerden, das ein Abbrechen
des Allmaͤhligen und ein Qualitativ-Anderes gegen das
vorhergehende Daſeyn iſt. — So wird das Waſſer
durch die Erkaͤltung nicht nach und nach hart, ſo daß es
breyartig wuͤrde und allmaͤhlig bis zur Conſiſtenz des
Eiſes ſich verhaͤrtete, ſondern es iſt auf einmal hart;
ſchon wenn es die ganze Temperatur des Eispunktes hat,
aber ruhig ſteht, hat es noch ſeine ganze Fluͤſſigkeit, und
eine geringe Erſchuͤtterung bringt es in den Zuſtand der
Haͤrte. — Bey der Allmaͤhligkeit des Entſtehens liegt
die Vorſtellung zu Grunde, daß das Entſtehende ſchon
ſinnlich oder uͤberhaupt wirklich vorhanden, nur wegen
ſeiner Kleinheit noch nicht wahrnehmbar, ſo wie bey
der Allmaͤhligkeit des Verſchwindens, daß das Nichtſeyn
oder das Andre an ſeine Stelle tretende gleichfalls vor-
handen, nur noch nicht bemerkbar ſey; — und zwar
vorhanden nicht in dem Sinne, daß das Andre in dem
vorhandenen Andern an ſich enthalten, ſondern daß es
als Daſeyn, nur unbemerkbar vorhanden ſey. Es wird
damit
[314]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
damit das Entſtehen und Vergehen uͤberhaupt aufgeho-
ben, oder das An-ſich, das Innere, in welchem etwas
vor ſeinem Daſeyn iſt, in eine Kleinheit des aͤuſſerlichen
Daſeyns verwandelt, und der weſentliche, oder der Be-
griffsunterſchied in einen aͤuſſerlichen, bloßen [Groͤßenun-]
terſchied. — Das Begreiflichmachen eines Entſtehens
oder Vergehens aus der Allmaͤhligkeit der Veraͤnderung
hat die der Tavtologie eigene Langweiligkeit, weil es das
Entſtehende oder Vergehende ſchon vorher ganz fertig
hat, und die Veraͤnderung zu einer bloßen Aenderung
eines aͤuſſerlichen Unterſchiedes macht, wodurch ſie in
der That nur eine Tavtologie iſt.
Im Moraliſchen, inſofern es in der Sphaͤre
des Seyns zu betrachten iſt, findet derſelbe Uebergang
des Quantitativen ins Qualitative ſtatt; oder verſchie-
dene Qualitaͤten gruͤnden ſich auf eine Verſchiedenheit
des Quantums. Es iſt ein Mehr oder Weniger, wo-
durch das Maaß des Leichtſinns uͤberſchritten wird, und
etwas ganz anderes, Verbrechen, hervortritt, wodurch
Recht in Unrecht, Tugend in Laſter uͤbergeht. — So
erhalten auch Staaten durch ihren Groͤßenunterſchied,
wenn das uͤbrige als gleich angenommen wird, einen ver-
ſchiedenen qualitativen Charakter. Geſetze und Verfaſ-
ſung werden zu etwas Anderem, wenn der Umfang des
Staats und die Anzahl der Buͤrger ſich erweitert. Der
Staat hat ein Maaß ſeiner Groͤße, uͤber welche hinaus-
getrieben, er haltungslos in ſich zerfaͤllt, unter derſelben
Verfaſſung, welche bey einem andern Umfang ſein Gluͤck
und ſeine Staͤrke ausmachte.
C.Das
[315]Das Maaß.
C.
Das Maaßloſe.
Das Maaß iſt an ſich ſeyende Groͤße, welche der
Aeuſſerlichkeit und Gleichguͤltigkeit des unmittelbaren
Quantums widerſteht und ſich dagegen erhaͤlt. Dieſe
gleichguͤltige Selbſtſtaͤndigkeit der ſpecifiſchen Maaße aber
beruht auf dem quantitativen Unterſchiede, und iſt darum
des Auf- und Abſteigens an der Scale des Quantums
faͤhig, auf welcher die Verhaͤltniſſe ſich aͤndern; Etwas
oder eine Qualitaͤt wird uͤber ſich hinaus in das Maaß-
loſe getrieben, und geht durch die bloße Aenderung ſei-
nes Quantums zu Grunde. Die Groͤße iſt die gleich-
guͤltige aͤuſſerliche Beſchaffenheit, an der ein Daſeyn er-
griffen und wodurch es zerſtoͤrt werden kann.
Das qualitative Verhaͤltniß geht uͤber in bloß quan-
titative Verhaͤltniſſe, die keine negative Einheit haben
und damit keine qualitative Verhaͤltniſſe ſind, die mit ih-
nen eingetretene Aenderung iſt nicht eine Qualitaͤts-Aen-
derung. Aber umgekehrt wird dieſe zunaͤchſt gleichguͤltige
Aeuſſerlichkeit des Verhaͤltniſſes wieder eine qualifici-
rende Beſtimmtheit und ſo fort ins Unendliche.
Es iſt inſofern die ſchlechte Unendlichkeit des unendlichen
Progreſſes vorhanden. — Das Maaßloſe beſteht in dem
bloß Quantitativen, in welches ein Maaß uͤbergeht; das
Quantum iſt als ſolches das Maaßloſe. Da aber um-
gekehrt das maaßloſe quantitative Verhaͤltniß ſelbſt wie-
der zu einem ſpecifiſchen wird, ſo hebt ſich das Maaßloſe ſo
wieder an ihm ſelbſt auf. Was alſo vorhanden iſt, iſt
nicht
[316]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
nicht nur die Negation des ſpecifiſchen Verhaͤltniſſes,
ſondern auch die Negation des quantitativen Fortgangs
ſelbſt. Das Unendliche iſt dieſe Negation beyder
Momente; es iſt die abſolute Beſtimmung, welche ihnen
fehlt. Das ſpecifiſche Verhaͤltniß iſt zunaͤchſt das an ſich
beſtimmte, weil es als Verhaͤltniß den Unterſchied an
ihm ſelbſt hat, und weil auch ſeine Seiten nicht unmit-
telbare Groͤßen, nicht Einheiten wie im unmittelbaren
directen Verhaͤltniſſe, ſondern ſpecificirte, geſetzte Quan-
titaͤtsbeſtimmungen ſind. Aber diß Beſtimmtſeyn an ſich
haͤlt ſich nicht, es kontinuirt ſich mit ſeinem andern, und
geht in den bloß quantitativen Unterſchied uͤber; einen
Unterſchied, der in unmittelbaren nicht durch die negati-
ve Einheit ſpecificirten Quantis beſteht; dieſer aber geht
vielmehr in das ſpecifiſche Verhaͤltniß zuruͤck. Keins
von beyden iſt alſo abſolutes Beſtimmtſeyn. Dieſe Un-
endlichkeit beſteht alſo uͤberhaupt in der Negation beyder
Seiten. Aber zugleich iſt dieſe Negation nicht das Jen-
ſeits einer jeden, ein auſſer ihnen befindliche oder nur
ihre innre Unendlichkeit, ſondern ihre an ihnen ſelbſt ge-
ſetzte Unendlichkeit. — Die qualitative Unendlich-
keit war nemlich das Hervorbrechen des Unendlichen am
Endlichen, der unmittelbare Uebergang und das Ver-
ſchwinden des Diſſeits in ſeinem Jenſeits. Die quanti-
tative Unendlichkeit hingegen iſt die Continuitaͤt des Quan-
tums, eine Continuitaͤt deſſelben uͤber ſich hinaus. Das
Qualitativ-Endliche wird zum Unendlichen; das Quan-
titativ-Endliche iſt ſein Jenſeits an ihm ſelbſt, und
weißt uͤber ſich hinaus. Aber die Unendlichkeit
der Specification des Maaßes iſt an ihr ſelbſt dieſe To-
talitaͤt, die das Andre nicht als ein Jenſeits ſeiner hat,
ſondern nur diß in ſeiner uͤber ſich hinausgehenden Ne-
gation ſetzt, daß es Totalitaͤt iſt, daß es nicht ein An-
deres gegen ſich hat oder ſetzt. Das ſpecifiſche Ver-
haͤltniß iſt die negative Einheit von Quantitaͤten, die
durch
[317]Das Maaß.
durch ſie beſtimmt ſind; es iſt als dieſe negative Einheit
das ſelbſtſtaͤndige gleichguͤltige Beſtehen. Aber zu was
es ſich ſpecificirt hat, ſind Quantitaͤtsbeſtimmungen; es
geht ſomit in das quantitative Verhaͤltniß nicht uͤber,
ſondern bezieht ſich darin nur auf ſich ſelbſt; und die
Maaßloſigkeit oder ſeine Negation, nemlich das Quantita-
tive des Verhaͤltniſſes, iſt ſeine negative Beziehung auf
ſich ſelbſt. Seine Unendlichkeit iſt alſo das Aufheben
nicht ſeiner ſelbſt, ſondern ſeiner, daß es ein Anderes
iſt; es iſt diß die Negation ſeiner, als das wodurch es
iſt. Das qualitative Verhaͤltniß alſo als Beziehung ſpe-
cifiſcher Quantitaͤten macht ſich dadurch aͤuſſerlich, zu ei-
nem qualitaͤtsloſen Beſtehen; aber eben-dieſe ſeine Ne-
gation iſt es, wodurch es iſt, was ſeine ſpecifiſche Be-
ſchaffenheit ausmacht. — Diß iſt ſeine Natur, aber es
iſt zugleich in dem unendlichen Progreß vorhanden. Nem-
lich das ſpecifiſche Verhaͤltniß, als gleichguͤltig gegen ſich
ſelbſt, ſtoͤßt ſich von ſich ſelbſt ab, und macht ſich zu ei-
nem andern ſpecifiſchen Verhaͤltniſſe. Dieſes iſt ein an-
deres quantitatives Verhaͤltniß; darum ſind beyde gleich-
guͤltig gegen einander, und ihre qualitative Beziehung
aufgehoben. Aber eben damit ſind ſie nur aͤuſſerlich un-
terſchieden; die Beziehung auf das andere iſt alſo eine
Beziehung auf ſein nicht unterſchiedenes, auf ſich ſelbſt,
als auf ſeine Negation. Diß Abſtoſſen des Specifiſchen
von ſich iſt ſeine Selbſtſtaͤndigkeit; ſie beſteht alſo darin
ſich auf ſein anderes, nur quantitativ unterſchiedenes ſo
zu beziehen, daß es in ſeiner Negation das iſt, was es
iſt. — So umgekehrt die quantitative Beſtimmung
ſchlaͤgt in ſpecifiſche Beſtimmung um, aber weil dieſe an
ihr ſelbſt das Quantitative iſt, ſo erhaͤlt dieſes ſich in ſei-
nem Anderswerden, und iſt ſomit in ſeiner Beſchaffen-
heit das, was es ſeiner Beſtimmung nach iſt, in ſeiner
Negation das zu ſeyn, was es iſt.
Der
[318]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
Der unendliche Progreß als ſolcher beſteht nur darin,
daß das ſpecifiſche Selbſtſtaͤndige in das Quantitative
uͤbergeht, und dieſes in jenes, und daß in dieſem Ueber-
gehen, das Uebergehen ſich ſelbſt aufhebt, indem das
neue Verhaͤltniß wieder als ein unmittelbares, gleichguͤl-
tiges iſt. Die Unendlichkeit ſelbſt aber iſt die Einheit des
Qualitativen und Quantitativen, die ſich von ſich ab-
ſtoͤßt, und unmittelbar nur dieſes Abſtoſſen ſelbſt iſt. —
Das Quantitative und Qualitative ſind im unmittelbaren
Maaße unmittelbare Einheit. Aber ſie ſind ſich eben ſo
qualitativ entgegengeſetzt, jedes iſt, was das andere
nicht iſt; ſo ſind ſie im unendlichen Progreſſe die Beſtim-
mungen der Verhaͤltniſſe gegen einander. In dieſer qua-
litativen Beſtimmung aber ſind ſie zugleich ſchlechthin je-
des an ihm ſelbſt das Uebergehen in ſein Anderes. Diß
Uebergehen iſt der Form nach betrachtet, daſſelbe, wo-
durch die Qualitaͤt uͤberhaupt zur Quantitaͤt, und dieſe
zu jener wird; nemlich das Specifiſche des Verhaͤltniſſes
geht als ausſchlieſſende Repulſion mit dem ausgeſchloſſe-
nen in eins zuſammen, oder wird Attraction und damit
Quantitaͤt. Umgekehrt dieſe als die Aeuſſerlichkeit an
ſich, die im Progreſſe die Aeuſſerlichkeit ihrer ſelbſt wird,
iſt damit in ſich zuruͤckgekehrt und Quantum als das,
was es an ſich iſt, Qualitaͤt.
Es iſt aber nicht nur diß Uebergehen der Qualitaͤt
und Quantitaͤt in einander vorhanden, das ſich an ihnen
als den Beſtimmungen des Seyns zeigt, ſondern es
kommt hier in der Beziehung beyder zuruͤck; ihr Ue-
bergehen in einander geſchieht auf dem Boden ih-
rer Einheit. Es iſt ein Uebergehen, welches zugleich
der Ruͤckſchlag ſeiner gegen ſich ſelbſt iſt, und ſich auf-
hebt. Das Qualitative geht nemlich uͤber in das Quan-
titative zunaͤchſt als in ſein Anderes; aber dieſes iſt hier
ſelbſt als ſolches, das an ſich Uebergehen in das Quali-
tative
[319]Das Maaß.
tative iſt; — und ſo gegenſeitig. Jedes geht alſo uͤber
in ſein Andres, das aber an ihm ſelbſt ſich aufhebt, und
nur das Werden zu ſeinem Andern iſt. Indem jedes
alſo ein Anderes wird, hebt es vielmehr nur diß
auf, ein anderes zu ſeyn; es geht in ſei-
ner Aenderung ſomit nur mit ſich ſelbſt zu-
ſammen.
Indem alſo das Uebergehen ſpecifiſch Selbſtſtaͤndi-
ger in einander zugleich das Negiren dieſes Uebergehens
als eines Anderswerdens iſt, ſo iſt dasjenige, was ſich
aͤndert, keine Selbſtſtaͤndigkeit; die Veraͤnderung iſt nur
Aenderung eines Zuſtandes, und das Uebergehende
bleibt an ſich daſſelbe. Die quantitative Beziehung,
das Specifiſche des Unterſchiedes von Qualitativem und
Quantitativem wird in dieſer Unendlichkeit aufgehoben.
Wie zuerſt das unmittelbare Maaßverhaͤltniß ſich in der
ſpecifiſchen Selbſtſtaͤndigkeit aufhob, ſo iſt dieſe nun eben-
falls verſchwunden, indem ſie zum Zuſtande herabge-
ſetzt iſt. Sie ſollte uͤberhaupt das aufgehobene unmittel-
bare Maaßverhaͤltniß, das Quantitative in ihr ſollte ein
qualitativ beſtimmtes, und als ausſchlieſſende negative
Einheit mit ſich abſolut an ſich beſtimmtes Fuͤrſichſeyn
ſeyn. Aber dieſe Selbſtſtaͤndigkeit hat ſich als uͤberge-
hend in das Quantitative, das in ihr nur aufgehoben
ſeyn ſollte, zum Momente herabgeſetzt. Aber indem das
Uebergehen ſich uͤberhaupt aufgehoben, iſt die Selbſtſtaͤn-
digkeit in ihrem Uebergehen nur mit ſich zuſammengegan-
gen. Dadurch, daß ſie im Uebergehen ihr Uebergehen
aufhebt, iſt ſie erſt wahrhafte Selbſtſtaͤndigkeit. Das
Selbſtſtaͤndige ſetzt in einer und derſelben Ruͤckſicht, wor-
in es ſeine ſpecifiſche Qualitaͤt aufhebt, ſich als ſelbſt-
ſtaͤndig; denn damit iſt es erſt die wahrhafte Beziehung
auf ſich ſelbſt.
Was
[320]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
Was alſo vorhanden iſt, iſt die Selbſtſtaͤndigkeit,
welche durch ihre Negation ſich mit ſich ſelbſt
vermittelt. Die ſpecifiſche Selbſtſtaͤndigkeit, die aus-
ſchlieſſende Beziehung auf ſich, hat ihre Gleichguͤltigkeit
gegen ſich, das Quantitative, als ihre Negation, zu ih-
rem vermittelnden Momente, und als dieſe Ruͤckkehr in
ſich iſt ſie abſolute Selbſtſtaͤndigkeit.
Drit-
[321]Das Maaß.
Drittes Kapitel.
Das Werden des Weſens.
A.
Die Indifferenz.
Das ſpecifiſche Selbſtſtaͤndige iſt durch ſeine Nega-
tion mit ſich ſelbſt vermittelt, ſo iſt es nicht mehr ſpeci-
fiſche, ſondern abſolute Selbſtſtaͤndigkeit. — Zunaͤchſt
iſt zwar das Specifiſche das unmittelbare Seyn uͤber-
haupt, das Qualitative, die Negation deſſelben aber iſt
das Quantitative, wodurch es in ſich zuruͤckkehrt. Al-
lein das Quantitative iſt eben ſo ſehr Qualitaͤt und damit
ſpecifiſches gegen die Qualitaͤt als ſolche, und dieſe iſt
ſeine Negation; beyde haben alſo nur noch eine unbe-
ſtimmte Bedeutung gegen einander. — Ferner iſt das
Specifiſche nicht mehr Selbſtſtaͤndiges zu nennen; das
Qualitative und das Quantitative ſind ſchlechthin nur
noch Momente. Das abſolute Selbſtſtaͤndige, das ihr
Unendliches iſt, in welchem ſie aufgehoben ſind, iſt ihre
Einheit, inſofern ſie aus ihnen herkommt. Sie iſt nicht
das Werden derſelben, — diß war die Knotenlinie und
der unendliche Fortgang derſelben, denn ſie iſt nicht ihre
Einheit, in der ſie noch ihren qualitativen Unterſchied
haͤtten. Noch iſt ſie auch in die Beſtimmung ihrer un-
mittelbaren Einheit zuruͤckgegangen; denn die Mo-
mente ſind als im Unterſchiede von einander eins,
oder es iſt nicht ihre Einheit vorhanden, in der ſie nur
als aufgehobene eins waͤren, ſondern ſie ſind diß, eines
im andern ſich zu continuiren. Ihre Einheit iſt daher
die
[322]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
die in ihnen gegen ſie gleichguͤltige Einheit, ihre
Indifferenz.
Dieſe Indifferenz des Qualitativen und Quantitati-
ven iſt die Gleichguͤltigkeit beyder Beſtimmungen uͤber-
haupt, deren jede in der andern nicht uͤber-, ſondern nur
mit ſich ſelbſt zuſammengeht. Darum iſt ſie aber ferner
auch nur die an-ſich-ſeyende, noch nicht die fuͤr-
ſich-ſeyende Selbſtſtaͤndigkeit. Indem ſie die Gleich-
guͤltigkeit gegen den Unterſchied der beyden Beſtim-
mungen iſt, ſo hat ſie denſelben noch nicht an ihr ſelbſt.
Sie iſt anſichſeyende, gleichguͤltige Einheit, ſo iſt in der
Beſtimmung der Quantitaͤt geſetzt, und der qualitative
Unterſchied ſteht ihr gegen uͤber, als das wogegen ſie
gleichguͤltig iſt. — Oder inſofern ſie das Unendliche iſt,
das aus dem Inſichgehen des Qualitativen und Quanti-
tativen reſultirt, ſo hat ſie dieſe Bewegung hinter
ſich, und iſt auf ſie bezogen. — Der Indifferenz man-
gelt alſo diß, an ihr ſelbſt die qualitative Einheit mit
ſich, die abſolute Negativitaͤt. Sie iſt in der Be-
ſtimmung der Gleichguͤltigkeit gegen das Negative; al-
ſo nicht das abſolut Selbſtſtaͤndige.
B. Das
[323]Das Maaß.
B.
Das Selbſtſtaͤndige als umgekehrtes Verhaͤltniß
ſeiner Factoren.
Die Indifferenz iſt nur die an ſich ſeyende Einheit
des Qualitativen und Quantitativen; ſie hat die be-
ſtimmte Beziehung auf ihr Anderes, gegen welches ſie
gleichguͤltig iſt; ſie iſt als anſichſeyend, zwar Unmit-
telbarkeit, aber von der ihre Vermittlung verſchieden iſt;
ſie iſt alſo in der That ſelbſt vermittelt. Somit iſt ſie
das ſpecifiſche Selbſtſtaͤndige, das ſich durch ſeine
Negation mit ſich vermittelt, und dadurch abſolute
Selbſtſtaͤndigkeit wird, ſo, daß ſie die beyden Beſtim-
mungen, die ſpecifiſche Selbſtſtaͤndigkeit und deren Ne-
gation, noch als Momente an ihr hat, die von ihrer
Indifferenz unterſchieden ſind; dieſe Momente erhalten
dadurch auf einen Augenblick wieder ihre beſtimmte Be-
deutung gegen einander. Aber nicht als Selbſtſtaͤndige,
welche es unmittelbar fuͤr ſich ſind, ſondern die ihre
Selbſtſtaͤndigkeit allein in ihrer Indifferenz haben, und
deren Momente ſind.
Es iſt zuerſt das Moment der ſpecifiſchen Selbſt-
ſtaͤndigkeit vorhanden, das in ſeiner Beſtimmtheit das
qualitative iſt; es iſt nicht an ihm ſelbſt die indifferente
Einheit mit ſich, ſondern iſt gegen ſie das Beſtimmte,
ſomit in ſich unterſchiedene. Es ſind alſo zwey Selbſt-
ſtaͤndigkeiten uͤberhaupt; ſie ſind ſelbſtſtaͤndig nur an ſich,
in ihrer Einheit; denn in ihr ſind ſie nicht beſtimmte ge-
gen anderes; nur in der Negation ſeiner iſt das Speci-
fiſche ſelbſtſtaͤndig. In ihrer ſpecifiſchen Beſtimmtheit
aber
[324]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
aber ſind ſie das eine, was das andre nicht iſt, und da-
her jedes zugleich nur inſofern das andere iſt. Aber ihre
beſtimmte Verſchiedenheit gegen einander, macht der
quantitative Unterſchied aus; der qualitative ſeine Be-
ſchaffenheit, ſeine ſpecifiſche Beziehung auf anderes, durch
das Quantum. Dieſes, das das Seyn der Seiten des
Verhaͤltniſſes ausmacht, iſt qualitativ gegen einander be-
ſtimmt, ſo daß das Seyn der einen das Nichtſeyn der
andern iſt. Sie ſtehen ſomit im umgekehrten Ver-
haͤltniſſe.
Das umgekehrte Verhaͤltniß kehrt hier zuruͤck; es
iſt aber nicht das erſte, formelle. In dieſem war die
qualitative Beziehung den Seiten ſelbſt, daß die eine nicht iſt,
was die andere, gleichguͤltig, denn ſie waren nur Quan-
ta uͤberhaupt. Hier in der Realitaͤt dieſes Verhaͤltniſſes
iſt es die eigene Qualitativitaͤt der Seiten, welche ſie ſo
bezieht; ihre ſpecifiſche Beſtimmung enthaͤlt das Moment
des Ausſchlieſſens, an ſich ſelbſt zu ſeyn, inſofern das
andere nicht iſt. Zugleich iſt dieſe Ruͤckkehr der Seiten
in ſich die gleichguͤltige Beziehung auf ſich, das Quan-
tum; ſie haben es zur Beſtimmung ihres gleichguͤltigen
Beſtehens gegen einander. So iſt das Quantum ſeiner-
ſeits als ſpecifiſches, nicht die unmittelbare aͤuſſerliche
Beſtimmtheit, ſondern qualitative Beziehung.
Die beyden Seiten dieſes umgekehrten Verhaͤltniſ-
ſes haben ihre Selbſtſtaͤndigkeit an der anſichſeyenden In-
differenz ihrer Momente; ſie ſind dieſe Einheit ſelbſt;
aber die differentiirte Einheit; ſie ſind ſpecificirte Selbſt-
ſtaͤndige. Als die Einheit des Qualitativen und Quanti-
tativen, ſind an ſich beyde daſſelbe und ſelbſtſtaͤndig,
aber ſie ſind dieſe Einheit als vermittelt durch ihre Ne-
gation oder das Andersſeyn; jedes hat an dem andern
ſeine Ruͤckkehr in ſich; das Qualitative iſt das an ſich
beſtimm-
[325]Das Maaß.
beſtimmte nur in der Quantitaͤt als dem gleichguͤltigen
Beſtehen, und das Quantitative nur ſpecifiſches in dem
Qualitativen. Dieſe negative Einheit, in der ſie Selbſt-
ſtaͤndiges ſind, iſt von ihrer abſoluten Indifferenz noch
unterſchieden; daher tritt das Negative in ſei-
ner Beſtimmtheit ſich gegenuͤber. Ihre Ein-
heit iſt daher als ihre Selbſtſtaͤndigkeit uͤberhaupt in
dem Unterſchied von zweyen vorhanden, die,
wie ſich bereits beſtimmt hat, im umgekehrten Verhaͤlt-
niſſe zu einander ſtehen. Sie ſind ſpecifiſch Selbſtſtaͤn-
dige, als beſtimmte, und jedes die Vermittlung ſeiner
mit ſich durch ſeine Negation; aber ſeine Negation iſt von
ſeiner nur erſt an ſich ſeyenden Selbſtſtaͤndigkeit unter-
ſchieden; ſie iſt alſo anderes Selbſtſtaͤndiges. Die
Ruͤckkehr in ſich beſteht damit auch nur erſt in der Unmit-
telbarkeit eines jeden, in der es ſich gegen ſeine Veraͤn-
derung erhaͤlt; die Unmittelbarkeit ſeines Beſtehens
und ſeine Gleichheit mit ſich als in der Veraͤnderung oder
ſeine Vermittlung mit ſich fallen aus einander. Es
iſt ein unmittelbarer Theil an jedem, der fuͤr ſich iſt,
und ihm nicht aus der Negation des andern zuwaͤchſt,
ein Theil, der groͤßer oder kleiner oder als unendlich
klein angeſehen werden kann, der uͤberhaupt das Moment
der ſpecifiſchen Selbſtſtaͤndigkeit iſt.
Was alſo im realen umgekehrten Verhaͤltniſſe vor-
handen iſt, ſind zwey ſpecifiſche Selbſtſtaͤndigkeiten; die
an ſich daſſelbe, und als Quanta unterſchieden ſind.
Somit iſt ihre anſichſeyende Indifferenz, nur ihre
Summe; ein beſtimmtes Quantum. Dieſe hat ihre
qualitative Beſtimmtheit an den unterſchiedenen Ver-
haͤltniſſen, in die die gleichguͤltigen Quanta mit einander
treten; denn die Beziehung, welche ſolche qualitativ be-
ſtimmten Quanta des Ganzen im Verhaͤltniſſe haben, iſt
die ſpecifiſche Verſchiedenheit dieſes Ganzen. Dieſe Sei-
ten des Verhaͤltniſſes ſind Factoren, die, an ſich daſ-
Zſelbe
[326]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
ſelbe Ganze, durch ihre beſtimmte quantitative Veraͤnde-
rung das Ganze beſtimmen, nicht nach ſeiner Indifferenz,
ſondern nach ſeiner Beſtimmtheit; denn eben dieſe
machen ſie aus.
Dieſe Beſtimmtheit der Factoren beſteht nun in dem
verſchiedenen Verhaͤltniſſe ihrer Quantorum. Aber ſie
ſind weſentlich zugleich qualitativ gegen einander be-
ſtimmt; ihre quantitative Verſchiedenheit iſt nicht ein
Auseinanderfallen derſelben, ſondern iſt in Einer Ein-
heit. Das eine hat alſo eine Groͤße nur inſofern die an-
dere Seite ſie nicht hat; ſo viel der einen abgeht, geht
der andern zu. Darum nun aber, weil ihre Quan-
titativitaͤt ſchlechthin von dieſer qualitati-
ven Natur iſt, ſo reicht jede nur ſo weit,
als die andere. Inſofern ſie als Quanta verſchie-
den und ein beſtimmtes Verhaͤltniß ausmachen ſollten,
ginge die eine uͤber die andere hinaus, und haͤtte in ih-
rem Mehr ein Seyn, welches die andre nicht haͤtte.
Aber in ihrer qualitativen Beziehung iſt jede nur inſofern
die andere iſt. — Sie ſind daher im Gleichgewicht, daß
um ſo viel die eine ſich vermehrte oder verminderte, die
andere gleichfalls zu- oder abnaͤhme, und in demſelben
Verhaͤltniſſe zu- oder abnaͤhme.
Aus dem Grunde ihrer qualitativen Beziehung kann
es alſo zu keinem quantitativen Unterſchiede kommen. —
Aber die quantitative Beſtimmung kann als die erſte,
alſo eines unmittelbar als groͤßer gegen das andere an-
genommen werden. So geht es aber uͤber ſich ſelbſt hin-
aus; denn in ſeiner Beſtimmung iſt es dem andern gleich;
als dem andern ungleich, geht es uͤber ſich hinaus und
enthaͤlt das andre. Mehr als das andre hat es nur
vom andern; aber dieſem bleibt nichts uͤbrig, denn um
der qualitativen Beſtimmung willen, die der quantitative
Unterſchied hat, iſt das, was das Eine uͤber das An-
dere hinaus waͤre, nur diß Andere ſelbſt.
Es
[327]Das Maaß.
Es iſt nur das Eine und Andere; inſofern das Eine ei-
nen Zuwachs erlitte, ſo iſt dieſer Zuwachs nur das
Andre.
Inſofern alſo von der quantitativen Vorſtellung aus
das Gleichgewicht geſtoͤrt, und eine Factor groͤßer ge-
nommen wird, ſo wird er ſo das uͤberwiegende, daß der
andere mit beſchleunigter Geſchwindigkeit abnimmt, und
von dem erſten uͤberwaͤltigt wird, ſo daß dieſer ſich zum
einzigen Selbſtſtaͤndigen macht, aber damit nicht mehr
ein ſpecifiſches, ſondern das Ganze iſt.
Inſofern alſo am Ganzen, deſſen Factoren die Sei-
ten des umgekehrten Verhaͤltniſſes ſeyn ſollen, eine Be-
ſtimmtheit vorhanden iſt, und eine Veraͤnderung vorgeht,
ſo geht ſie nur an ihm ſelbſt, nicht an den Factoren vor,
die keine Beſtimmtheit gegen einander haben. Ferner iſt
es, inſofern ſolche Factoren, — ob zwar, wie ſich ge-
zeigt, uͤberfluͤſſigerweiſe, — als Beſtimmungen des
Ganzen angenommen werden, vollkommen gleichguͤltig,
welchen man ſich veraͤndern laͤßt, oder der Andre ver-
aͤndert ſich eben ſo; es iſt nur eines uͤberhaupt, das
Ganze, das ſich veraͤndert; der Unterſchied der Factoren
iſt bedeutungslos.
Aber auch das Ganze veraͤndert ſich nicht; denn
dieſes Ganze, die an ſich ſeyende Indifferenz, iſt uͤber-
haupt nicht mehr qualitativ oder quantitativ beſtimmt;
es iſt nicht Summe oder Quantum, noch ſonſt eine qua-
litative Beſtimmtheit. Die Beſtimmtheit iſt nicht mehr
erſte Negation, ſondern abſolute Negativitaͤt. Die
Indifferenz iſt an ſich nur diß, gegen Qualitaͤt und
Quantum gleichguͤltig zu ſeyn. Die Beſtimmtheit aber,
die ſie noch als anſichſeyende hatte, und die in dem
Unterſchied ihrer Factoren beſtand, hat ſich dadurch vol-
lends aufgehoben, daß ſie ſich als die in ſich zuruͤckgehen-
de zeigte; dieſe Factoren ſind dadurch nicht nur an ſich
daſſelbe, ſondern in ihrem beſtimmten Anders-
Z 2ſeyn;
[328]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
ſeyn; es iſt ihre negative Beziehung, durch
welche ſie eins ſind.
Diß Verhaͤltniß eines Ganzen, das ſeine Be-
ſtimmtheit an dem Groͤßenunterſchiede qualitativ gegen
einander beſtimmter Factoren haben ſoll, wird zum Bey-
ſpiel bey der elliptiſchen Bewegung der Himmelskoͤrper
gebraucht. In dieſer Bewegung beſchleunigt ſich ihre
Geſchwindigkeit, indem ſie ſich dem Perihelium, und ſie
vermindert ſich, indem ſie ſich dem Aphelium naͤhern.
Zur ſogenannten Erklaͤrung dieſes Phaͤnomens werden
eine Centripetal- und Centrifugalkraft, als
qualitative Momente der Bewegung in der krummen Li-
nie angenommen. Ihr qualitativer Unterſchied beſteht in
der Verſchiedenheit der Richtung. In quantitativer
Ruͤckſicht werden ſie als ungleich und entgegengeſetzt be-
ſtimmt, daß wie die eine zu, die andere abnehmen ſoll,
und umgekehrt, und zugleich daß auch das Verhaͤltniß
derſelben wieder umſchlage, daß nachdem die Centripetal-
kraft eine Zeitlang zugenommen, die Centrifugalkraft aber
abgenommen, ein Punkt eintrete, wo die Centripetal-
kraft ab-, die Centrifugalkraft aber zunehme. Ich habe
in einer fruͤhern Diſſertation dieſen Gegenſtand beleuch-
tet, und das Nichtige dieſer Unterſcheidung und der dar-
auf gebauten Erklaͤrungen dargethan. Die naͤhere Be-
trachtung zeigt leicht, daß uͤberhaupt in den Operatio-
nen und Formeln, welche auf jene Unterſcheidung gebaut
werden, in der That nicht eine quantitative Verſchieden-
heit dieſer Momente vorkommt, ſondern vielmehr nur im-
mer das Ganze, die Geſchwindigkeit der Bewegung,
das in Rede ſtehende iſt; ſo daß, was ſich als Groͤße der
Wirkung des einen Factors ergibt, eben ſo ſehr Groͤße
des andern, ſo wie gleichfalls die Groͤße des Ganzen iſt.
Weil
[329]Das Maaß.
Weil ſie die qualitative Beſtimmtheit gegen einander ha-
ben, ſo ſind ſie ſchlechthin nicht aus einander zu bringen;
jede hat nur Bedeutung in Ruͤckſicht auf die andere; in-
ſofern alſo eine einen Ueberſchuß uͤber die andere haͤtte,
inſofern haͤtte ſie keine Beziehung auf die andere und
waͤre nicht vorhanden. — Bey der Annahme, daß die
eine das einemahl groͤßer ſey als die andere, wenn ſie
als groͤßere in Beziehung auf die kleinere ſtuͤnde, tritt
das oben geſagte ein, daß ſie abſolut das Uebergewicht
erhielte, und die andere verſchwaͤnde. Es iſt eine ſehr
einfache Betrachtung, daß wenn z. B. wie vorgegeben
wird, die Centripetalkraft des Koͤrpers, indem er ſich
dem Perihelium naͤhert, zunehmen, die Centrifugalkraft
hingegen um eben ſo viel abnehmen ſoll, die letztere nicht
mehr vermag, ihn der erſtern zu entreiſſen, und von ſei-
nem Centralkoͤrper wieder zu entfernen; im Gegentheil
da die erſtere einmal das Uebergewicht hat, ſo iſt die an-
dere uͤberwaͤltigt, und der Koͤrper wird mit beſchleunig-
ter Geſchwindigkeit ſeinem Centralkoͤrper zugefuͤhrt. Wie
umgekehrt wenn die Centrifugalkraft an der unendlichen
Naͤhe des Apheliums die Oberhand hat, es eben ſo wi-
derſprechend iſt, daß ſie nun im Aphelium ſelbſt von der
ſchwaͤchern uͤberwaͤltigt werden ſollte. — Es erhellt,
daß es eine fremde Kraft waͤre, welche dieſe Umkehrung
bewirkte; diß heißt, daß die bald beſchleunigte, bald re-
tardirte Geſchwindigkeit der Bewegung nicht aus jenen
Factoren erkannt werden koͤnne, welche gerade deswegen
angenommen worden ſind, um dieſen Unterſchied zu er-
klaͤren.
Daſſelbe Verhaͤltniß wurde ſpaͤter auf die Attractiv-
und Repulſivkraft angewendet, um die verſchiedene
Dichtigkeit der Koͤrper zu begreifen; auch das umgekehrte
Verhaͤltniß der Senſibilitaͤt und Irritabilitaͤt, hat dazu
dienen ſollen, um aus der Verſchiedenheit dieſer Factoren
des Lebens die verſchiedenen Beſtimmungen des Ganzen,
der
[330]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
der Geſundheit, wie auch die Verſchiedenheit der Gat-
tungen der Lebendigen zu begreifen. Aber die Verwir-
rung, und der Galimathias, in welchen ſich diß Erklaͤ-
ren in dem unkritiſchen Gebrauche dieſer Begriffsbeſtim-
mungen verwickelte, hat zur Folge gehabt, daß dieſer
Formalismus bald wieder aufgegeben worden zu ſeyn
ſcheint, da hingegen in der Wiſſenſchaft beſonders der
phyſikaliſchen Aſtronomie derſelbe in ſeiner ganzen Aus-
dehnung fortgefuͤhrt wird.
— In Anſehung der abſoluten Indifferenz, des
Grundbegriffs der Spinoziſtiſchen Subſtanz,
kann noch erinnert werden, daß dieſer Begriff die letzte
Beſtimmung des Seyns iſt, ehe es zum Weſen wird,
daß er aber das Weſen ſelbſt nicht erreicht. Die abſolu-
te Indifferenz enthaͤlt die abſolute Einheit der ſpe-
cifiſch Selbſtſtaͤndigen in ihrer hoͤchſten Beſtimmung, als
des Denkens und des Seyns, und darin uͤberhaupt aller
andern Modificationen dieſer Attribute. Allein damit iſt
nur das anſichſeyende nicht das fuͤrſichſeyende
Abſolute gedacht. Oder es iſt die aͤuſſere Refle-
xion, welche dabey ſtehen bleibt, daß die ſpecifiſch
Selbſtſtaͤndigen an ſich oder im Abſoluten daſſelbe
und eins ſind, daß ihr Unterſchied nur ein gleichguͤl-
tiger, kein Unterſchied an ſich iſt. Was hier noch fehlt,
beſteht darin, daß dieſe Reflexion, nicht die aͤuſſere
Reflexion des denkenden Subjects ſey, ſondern
daß ſie ſelbſt erkannt werde, und zwar als die eigene
Beſtimmung und Bewegung der Selbſtſtaͤndigen, ihren
Unterſchied aufzuheben, und nicht bloß an ſich eins, ſon-
dern in ihrem qualitativen Unterſchiede eins zu ſeyn, wo-
durch dann der Begriff des Weſens, nicht das
Negative auſſer ihm, zu haben, ſondern an ihm ſelbſt
die abſolute Negativitaͤt, Gleichguͤltigkeit gegen ſich ſelbſt
eben ſo ſehr als ſeines Andersſeyns gegen ſich, zu ſeyn.
C.Her-
[331]Das Maaß.
C.
Hervorgehen des Weſens.
Die abſolute Indifferenz beſtand darin, daß ſie das
ſpecifiſch Selbſtſtaͤndige ſey, welches ſich durch ſeine
Negation mit ſich ſelbſt vermittle, und durch dieſe ge-
reinigt das abſolut Selbſtſtaͤndige ſey. So iſt ſie die
Indifferenz, die das ſpecifiſche Selbſtſtaͤndige und deſſen
Negation vorausſetzt, und dadurch als das an-
ſichſeyende beſtimmt iſt.
Vors erſte iſt ihr dieſe Beſtimmtheit we-
fentlich; zuruͤckkommend aus jenen Momenten iſt die In-
differenz als die Beſtimmung oder als das Anſich-
ſeyn, von ihnen, als von ſeiner Beſchaffenheit
oder ſeinem Seyn-fuͤr-Anderes, unterſchieden.
Zweytens aber hat ſich dieſe Beſtimmtheit naͤher
als das umgekehrte Verhaͤltniß von Factoren ergeben.
Indem ſie nemlich weſentlich an dem abſolut Selbſtſtaͤn-
digen iſt, iſt jene ſpecifiſche Selbſtſtaͤndigkeit und deren
Negation nur in ihrer Beziehung auf daſſelbe
zu betrachten; oder vielmehr ſind ſie nur Momente
dieſer ihrer Einheit.
Drittens in dieſer Beſtimmung, Factoren der
Beſtimmtheit des Weſens zu ſeyn, hat ſich ihre unvoll-
kommene Einheit, ihr umgekehrtes Verhaͤltniß aufge-
hoben. Oder die Beſtimmtheit der abſoluten In-
differenz, hat ſich gezeigt, die negative Bezie-
hung auf ſich ſelbſt zu ſeyn. Die Beſtimmtheit iſt
der Unterſchied und die gegenſeitige Negation der Facto-
ren; aber die Negation iſt nicht mehr die Negation eines
Unmittelbaren, ſo daß ſie ſelbſt nur eine unmittel-
bare und beſtimmt durch ein anderes waͤre, ſondern
die
[332]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
die Negation des andern iſt Negation der eignen ſpecifi-
ſchen Selbſtſtaͤndigkeit gegen das andere; die negative
Beziehung auf das andere, welche als ſolche ein Be-
ſtimmtſeyn oder Uebergehen iſt, iſt vielmehr Aufheben der
eigenen Beſtimmtheit, das Uebergehen in ſich ſelbſt; Ne-
gation des Negativen.
Die Beſtimmtheit der anſichſeyenden In-
differenz iſt hiemit die Unendlichkeit ihrer Selbſt-
ſtaͤndigkeit, die abſolute Negativitaͤt. Es iſt alſo
nicht die ſpecifiſche Selbſtſtaͤndigkeit, welche ſich
durch ihre Negation mit ſich ſelbſt vermittelt, ſondern es
iſt die abſolute Selbſtſtaͤndigkeit, die nur diß iſt,
durch ihre, ihr gleiche, Negativitaͤt, ſich mit zu vermit-
teln. — Hierin iſt zwar eine erſte abſolute Selbſtſtaͤn-
digkeit ausgeſprochen gegen die andere, welche iſt als
mit ſich vermittelte. Inſofern iſt jene die unmittelbare oder
nur anſichſeyende; inſofern das Specifiſche, eine
beſtimmte uͤberhaupt. Aber das Reſultat iſt eben diß,
erſtens daß die anſichſeyende Selbſtſtaͤndigkeit,
die Indifferenz als ſolche, nicht abſolut, ſondern ſelbſt be-
ſtimmt iſt, und daß ſie diß weſentlich, aber daß ihre Be-
ſtimmtheit, die Negation der Negation, alſo fuͤrſich-
ſeyende Selbſtſtaͤndigkeit iſt, welche jene anſich-
ſeyende Selbſtſtaͤndigkeit, als aufgehobenes, als Mo-
ment enthaͤlt. Es iſt alſo die Selbſtſtaͤndigkeit vorhan-
den, die diß iſt, in der vollſtaͤndigen Negation ihrer ſelbſt,
nemlich in der Selbſtſtaͤndigkeit des Andersſeyns, das heißt
des erſten Unmittelbaren, einfache Beziehung auf ſich,
alſo zugleich negative Beziehung auf ſich zu ſeyn.
Hiemit iſt das Seyn abſolut in ſich zuruͤckgegan-
gen; es hat ſeine Beſtimmtheit, das einfache Unmit-
telbare zu ſeyn, aufgehoben und ſich erinnert.
Das Seyn iſt zuerſt Qualitaͤt, die ihrer Be-
ſtimmung nach das an ſich beſtimmte Seyn, ſeyende
Beſtimmtheit iſt, dadurch daß es die Negation des
Andern
[333]Das Maaß.
Andern iſt. Die Quantitaͤt iſt ihrer Beſtimmung
nach, die gleichguͤltige Beſtimmtheit, welche nicht Ne-
gation eines andern, ſondern dagegen gleichguͤltig und
der das Andre aͤuſſerlich iſt. Es hat ſich zunaͤchſt an
ihnen, in ihrer Unmittelbarkeit, gezeigt, daß die Qua-
litaͤt in die Quantitaͤt, dieſe aber in jene uͤbergeht.
Ihre Einheit iſt das Maaß; wie ſie vorhin jede fuͤr
ſich geſetzt war, ſo ſind ſie in dieſem in die Bezie-
hung getreten, zunaͤchſt nach ihrer Beſtimmtheit gegen
einander, ſomit nur in relativer Einheit. Durch die Be-
wegung des Maaßes aber wird das geſetzt, was ſie,
jede fuͤr ſich betrachtet, zeigten an ſich zu ſeyn, und es
geht daraus ihre abſolute Einheit hervor.
Dieſe Einheit des Qualitativen und Quantitativen,
zunaͤchſt Gleichguͤltigkeit gegen das eine und gegen das
andere, iſt weſentlich nicht Indifferenz als gegen das
eine und das andere, ſondern Gleichguͤltigkeit
gegen ſich ſelbſt, Zerfallen in ſich. Dieß iſt die
Quantitativitaͤt der Indifferenz, aber eben ſo ſehr ihre
Qualitativitaͤt; als Indifferenz iſt ſie nemlich an ſich
ſeyende und unmittelbare Selbſtſtaͤndigkeit; aber
eben diß Anſichſeyn oder die Unmittelbarkeit iſt Be-
ſtimmtheit; alſo die Negation der Indifferenz, ein
anderes Selbſtſtaͤndiges. Die negative Beziehung bey-
der Selbſtſtaͤndigen auf einander macht ihre qualitative
Beſtimmtheit aus, worin alſo jene erſte Unmittelbarkeit
nur als Beſtimmtheit geſetzt und damit aufgehoben iſt;
indem dieſes Aufheben nicht nur Aufheben der Unmittel-
barkeit, ſondern derſelben als Negation iſt, ſo iſt es Ne-
gation der Negation; die Beſtimmtheit, welche die Selbſt-
ſtaͤndigkeit des Ganzen iſt; die negative Indiffe-
renz.
Dieſe Einheit mit ſich der Beſtimmt-
heit und der Gleichguͤltigkeit gegen ſie iſt
die Wahrheit des Seyns. Sie iſt das einfache
Seyn,
[334]Erſtes Buch. III.Abſchnitt.
Seyn, gleichguͤltige Unmittelbarkeit, als vermittelt mit
ſich durch ſeine Negation, durch ſeine Gleichguͤltigkeit ge-
gen ſich ſelbſt; oder es iſt die Vermittlung als reine Gleich-
heit mit ſich, als einfache Unmittelbarkeit, — das Seyn
das nur diß iſt, in ſeiner Negation mit ſich zuſammenge-
gangen und hiemit reines Seyn zu ſeyn.
Das Seyn als diß ſchlechthin erinnerte Seyn iſt
das Weſen. Die Wahrheit des Seyns iſt ſo, unmit-
telbares zu ſeyn als abſolut aufgehobene Unmittelbar-
keit. Es iſt nur als negative Beziehung auf ſich; ſo
ſtoͤßt es ſich ab von ſich, diß Abſtoſſen iſt ſein Nichtſeyn,
ſo iſt es die erſte Unmittelbarkeit, qualitatives
Seyn. Aber diß Nichtſeyn iſt Gleichguͤltigkeit gegen
ſich, das Aufheben ſeiner, ſo iſt es zunaͤchſt quan-
titatives Seyn; — diß iſt ſchon an ſich die Ruͤckkehr
in ſich; inſofern nemlich jenes erſte, als Nichtſeyn
beſtimmt iſt; aber es iſt nur erſt quantitatives Seyn, in-
ſofern jenes erſte, unmittelbares Seyn iſt. Das
quantitative Seyn macht ſich zum Maaß und als die-
ſes zur fuͤrſichſeyenden Indifferenz; dieſe iſt eben diß,
das unmittelbare Seyn als ein Nichtſeyn, und das
Anſichſeyn als Beſtimmtheit, zu beſtimmen. Das
Seyn, indem es iſt, das nicht zu ſeyn, was es iſt,
und das zu ſeyn, was es nicht iſt; — als dieſe
einfache Negativitaͤt ſeiner ſelbſt, iſt das
Weſen.
ſenſchaft, „Syſtem der Logik von Fries,“ kehrt
zu den anthropologiſchen Grundlagen zuruͤck. Die Seich-
tigkeit der dabey zu Grunde liegenden Vorſtellung oder
Meynung an und fuͤr ſich, und der Ausfuͤhrung uͤberhebt
mich der Muͤhe, irgend eine Ruͤckſicht auf dieſe bedeu-
tungsloſe Erſcheinung zu nehmen.
ſem Werke darum haͤufig Ruͤckſicht nehme, (was manchen
uͤberfluͤſſig ſcheinen koͤnnte) weil ſie, — ihre naͤhere Be-
ſtimmtheit ſo wie die beſondern Theile der Ausfuͤhrung
moͤgen ſonſt und auch in dieſem Werke betrachtet werden,
wie ſie wollen, — die Grundlage und den Ausgangspunkt
der neuern Philoſophie ausmacht, und diß ihr Verdienſt
durch das, was an ihr ausgeſetzt werden moͤge, ihr unge-
ſchmaͤlert bleibt. Auch darum iſt auf ſie in der objectiven
Logik wenigſtens haͤufig Ruͤckſicht zu nehmen, weil ſie ſich
auf wichtige beſtimmtere Seiten des Logiſchen naͤher ein-
laͤßt, ſpaͤtere Darſtellungen der Philoſophie hingegen daſ-
ſelbe wenig beachtet, zum Theil oft nur eine rohe, — aber
nicht ungeraͤchte —, Verachtung dagegen bewieſen haben.
Ueberfluß der Sprache, — weil bey dieſen (den Subſtan-
zen naͤmlich) die Zuſammenſetzung nur eine zufaͤllige Re-
lation der Subſtanzen iſt.
Antinomie, in der Kritik der reinen Vernunft.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Wissenschaft der Logik. Wissenschaft der Logik. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjjw.0