und
Haus-Maͤrchen.
in der Realſchulbuchhandlung.
1812.
[[II]][[III]]
An
die Frau
Eliſabeth von Arnim
fuͤr
den kleinen
Johannes Freimund.
[[IV]][[V]]
Vorrede.
Wir finden es wohl, wenn Sturm oder
anderes Ungluͤck, vom Himmel geſchickt, eine
ganze Saat zu Boden geſchlagen, daß noch
bei niedrigen Hecken oder Straͤuchen, die
am Wege ſtehen, ein kleiner Platz ſich ge-
ſichert und einzelne Aehren aufrecht geblie-
ben ſind. Scheint dann die Sonne wieder
guͤnſtig, ſo wachſen ſie einſam und unbeach-
tet fort, keine fruͤhe Sichel ſchneidet ſie fuͤr
die großen Vorrathskammern, aber im Spaͤt-
ſommer, wenn ſie reif und voll geworden,
kommen arme, fromme Haͤnde, die ſie ſu-
chen; und Aehre an Aehre gelegt, ſorgfaͤltig
gebunden und hoͤher geachtet, als ganze
Garben, werden ſie heimgetragen und Win-
terlang ſind ſie Nahrung, vielleicht auch der
einzige Samen fuͤr die Zukunft. So iſt es
uns, wenn wir den Reichthum deutſcher
Dichtung in fruͤhen Zeiten betrachten, und
[VI] dann ſehen, daß von ſo vielem nichts leben-
dig ſich erhalten, ſelbſt die Erinnerung dar-
an verloren war, und nur Volkslieder, und
dieſe unſchuldigen Hausmaͤrchen uͤbrig ge-
blieben ſind. Die Plaͤtze am Ofen, der Kuͤ-
chenheerd, Bodentreppen, Feiertage noch ge-
feiert, Triften und Waͤlder in ihrer Stille,
vor allem die ungetruͤbte Phantaſie ſind die
Hecken geweſen, die ſie geſichert und einer
Zeit aus der andern uͤberliefert haben.
So denken wir jetzt, nachdem wir dieſe
Sammlung uͤberſehen; anfangs glaubten wir
auch hier ſchon vieles zu Grund gegangen,
und nur die Maͤrchen noch allein uͤbrig, die
uns etwa ſelbſt bewußt, und die nur ab-
weichend, wie es immer geſchieht, von an-
dern erzaͤhlt wuͤrden. Aber aufmerkſam auf
alles, was von der Poeſie wirklich noch da
iſt, wollten wir auch dieſes abweichende
kennen, und da zeigte ſich dennoch manches
neue und ohne eben im Stand zu ſeyn, ſehr
weit herum zu fragen, wuchs unſre Samm-
lung von Jahr zu Jahr, daß ſie uns jetzt,
nachdem etwa ſechſe verfloſſen, reich er-
ſcheint, dabei begreifen wir, daß uns noch
manches fehlen mag, doch freut uns auch
[VII] der Gedanke, das meiſte und beſte zu be-
ſitzen. Alles iſt mit wenigen bemerkten Aus-
nahmen faſt nur in Heſſen und den Main-
und Kinziggegenden in der Grafſchaft Ha-
nau, wo wir her ſind, nach muͤndlicher Ue-
berlieferung geſammelt; darum knuͤpft ſich
uns an jedes Einzelne noch eine angenehme
Erinnerung. Wenig Buͤcher ſind mit ſolcher
Luſt entſtanden, und wir ſagen gern hier
noch einmal oͤffentlich Allen Dank, die Theil
daran haben.
Es war vielleicht gerade Zeit, dieſe
Maͤrchen feſtzuhalten, da diejenigen, die ſie
bewahren ſollen, immer ſeltner werden (frei-
lich, die ſie noch wiſſen, wiſſen auch recht
viel, weil die Menſchen ihnen abſterben, ſie
nicht den Menſchen), denn die Sitte darin
nimmt ſelber immer mehr ab, wie alle heim-
lichen Plaͤtze in Wohnungen und Gaͤrten ei-
ner leeren Praͤchtigkeit weichen, die dem Laͤ-
cheln gleicht, womit man von ihnen ſpricht,
welches vornehm ausſieht und doch ſo we-
nig koſtet. Wo ſie noch da ſind, da leben
ſie ſo, daß man nicht daran denkt, ob ſie
gut oder ſchlecht ſind, poetiſch oder abge-
ſchmackt, man weiß ſie und liebt ſie, weil
[VIII] man ſie eben ſo empfangen hat, und freut
ſich daran ohne einen Grund dafuͤr: ſo herr-
lich iſt die Sitte, ja auch das hat dieſe
Poeſie mit allem unvergaͤnglichen gemein,
daß man ihr ſelbſt gegen einen andern Wil-
len geneigt ſeyn muß. Leicht wird man
uͤbrigens bemerken, daß ſie nur da gehaftet,
wo uͤberhaupt eine regere Empfaͤnglichkeit
fuͤr Poeſie oder eine noch nicht von den Ver-
kehrtheiten des Lebens ausgeloͤſchte Phantaſie
geweſen. Wir wollen in gleichem Sinn hier
die Maͤrchen nicht ruͤhmen, oder gar gegen
eine entgegengeſetzte Meinung vertheidigen:
jenes bloße Daſeyn reicht hin, ſie zu ſchuͤz-
zen. Was ſo mannichfach und immer wie-
der von neuem erfreut, bewegt und belehrt
hat, das traͤgt ſeine Nothwendigkeit in ſich,
und iſt gewiß aus jener ewigen Quelle ge-
kommen, die alles Leben bethaut, und wenn
auch nur ein einziger Tropfen, den ein klei-
nes zuſammenhaltendes Blatt gefaßt, doch
in dem erſten Morgenroth ſchimmernd.
Innerlich geht durch dieſe Dichtungen
dieſelbe Reinheit, um derentwillen uns Kin-
der ſo wunderbar und ſeelig erſcheinen; ſie
haben gleichſam dieſelben blaͤulich-weißen,
[IX] mackelloſen, glaͤnzenden Augen (in die ſich
die kleinen Kinder ſelbſt ſo gern greifen*)[),]
die nicht mehr wachſen koͤnnen, waͤhrend die
andern Glieder noch zart, ſchwach, und zum
Dienſt der Erde ungeſchickt ſind. So ein-
fach ſind die meiſten Situationen, daß viele
ſie wohl im Leben gefunden, aber wie alle
wahrhaftigen doch immer wieder neu und
ergreifend. Die Eltern haben kein Brod
mehr, und muͤſſen ihre Kinder in dieſer Noth
verſtoßen, oder eine harte Stiefmutter laͤßt
ſie leiden **), und moͤgte ſie gar zu Grunde
gehen laſſen. Dann ſind Geſchwiſter in des
[X] Waldes Einſamkeit verlaſſen, der Wind er-
ſchreckt ſie, Furcht vor den wilden Thieren,
aber ſie ſtehen ſich in allen Treuen bei, das
Bruͤderchen weiß den Weg nach Haus wie-
der zu finden, oder das Schweſterchen, wenn
Zauberei es verwandelt, leitet es als Reh-
kaͤlbchen und ſucht ihm Kraͤuter und Moos
zum Lager; oder es ſitzt ſchweigend und
naͤht ein Hemd aus Sternblumen, das den
Zauber vernichtet. Der ganze Umkreis die-
ſer Welt iſt beſtimmt abgeſchloſſen: Koͤ-
nige, Prinzen, treue Diener und ehrliche
Handwerker, vor allen Fiſcher, Muͤller, Koͤh-
ler und Hirten, die der Natur am naͤchſten
geblieben, erſcheinen darin; das andere iſt
ihr fremd und unbekannt. Auch, wie in
den Mythen, die von der goldnen Zeit re-
den, iſt die ganze Natur belebt, Sonne,
Mond und Sterne ſind zugaͤnglich, geben
Geſchenke, oder laſſen ſich wohl gar in Klei-
der weben, in den Bergen arbeiten[] die Zwer-
ge nach dem Metall, in dem Waſſer ſchla-
fen die Nixen, die Voͤgel[] (Tauben ſind die
geliebteſten und huͤlfreichſten), Pflanzen, Stei-
ne reden und wiſſen ihr Mitgefuͤhl auszu-
druͤcken, das Blut ſelber ruft und ſpricht,
[XI] und ſo uͤbt dieſe Poeſie ſchon Rechte, wor-
nach die ſpaͤtere nur in Gleichniſſen ſtrebt.
Dieſe unſchuldige Vertraulichkeit des groͤß-
ten und kleinſten hat eine unbeſchreibliche
Lieblichkeit in ſich, und wir moͤgten lieber
dem Geſpraͤch der Sterne mit einem armen
verlaſſenen Kind im Wald, als dem Klang
der Sphaͤren zuhoͤren. Alles ſchoͤne iſt gol-
den und mit Perlen beſtreut, ſelbſt goldne
Menſchen leben hier, das Ungluͤck aber eine
finſtere Gewalt, ein ungeheurer menſchenfreſ-
ſender Rieſe, der doch wieder beſiegt wird,
da eine gute Frau zur Seite ſteht, welche
die Noth gluͤcklich abzuwenden weiß, und
dieſes Epos endigt immer, indem es eine
endloſe Freude aufthut. Das Boͤſe auch iſt
kein kleines, nahſtehendes und das ſchlech-
teſte, weil man ſich daran gewoͤhnen koͤnnte,
ſondern etwas entſetzliches, ſchwarzes, ſtreng
geſchiedenes, dem man ſich nicht naͤhern
darf; eben ſo furchtbar die Strafe deſſelben:
Schlangen und giftige Wuͤrmer verzehren ihr
Opfer, oder in gluͤhenden Eiſenſchuhen muß
es ſich zu todt tanzen. Vieles traͤgt auch
eine eigene Bedeutung in ſich: die Mutter
wird ihr rechtes Kind in dem Augenblick
[XII] wieder im Arme haben, wenn ſie den Wech-
ſelbalg, den ihr die Hausgeiſter dafuͤr gege-
ben, zum Lachen bringen kann; gleichwie das
Leben des Kindes mit dem Laͤcheln anfaͤngt
und in der Freude fortwaͤhrt, beim Laͤcheln
im Schlaf aber die Engel mit ihm reden.
So iſt eine Viertelſtunde taͤglich uͤber der
Macht des Zaubers, wo die menſchliche Ge-
ſtalt frei hervortritt, als koͤnne uns keine
Gewalt ganz einhuͤllen, und es gewaͤhre je-
der Tag Minuten, wo der Menſch alles fal-
ſche abſchuͤttele und aus ſich ſelbſt heraus-
blicke; dagegen aber wird der Zauber auch
nicht ganz geloͤſt, und ein Schwanenfluͤgel
bleibt ſtatt des Arms, und weil eine Thraͤ-
ne gefallen, iſt ein Auge mit ihr verloren.
oder die weltliche Klugheit wird gedemuͤthigt
und der Dummling, von allen verlacht und
hintangeſetzt, aber reines Herzens, gewinnt
allein das Gluͤck. In dieſen Eigenſchaften
aber iſt es gegruͤndet, wenn ſich ſo leicht
aus dieſen Maͤrchen eine gute Lehre, eine
Anwendung fuͤr die Gegenwart ergiebt; es
war weder ihr Zweck, noch ſind ſie darum
erfunden, aber es erwaͤchſt daraus, wie eine
gute Frucht aus einer geſunden Bluͤthe ohne
[XIII] Zuthun der Menſchen. Darin bewaͤhrt ſich
jede aͤchte Poeſie, daß ſie niemals ohne Be-
ziehung auf das Leben ſeyn kann, denn ſie
iſt aus ihm aufgeſtiegen und kehrt zu ihm
zuruͤck, wie die Wolken zu ihrer Geburts-
ſtaͤtte, nachdem ſie die Erde getraͤnkt haben.
So erſcheint uns das Weſen dieſer Dich-
tungen; in ihrer aͤußeren Natur gleichen ſie
aller volks- und ſagenmaͤßigen: nirgends
feſtſtehend, in jeder Gegend, faſt in jedem
Munde, ſich umwandelnd, bewahren ſie treu
denſelben Grund. Indeſſen unterſcheiden ſie
ſich ſehr beſtimmt von den eigentlich loca-
len Volksſagen, die an leibhafte Oerter
oder Helden der Geſchichte gebunden ſind,
deren wir hier keine aufgenommen, wiewohl
viele geſammelt haben, und die wir ein an-
dermal herauszugeben denken. Mehrere
Aeußerungen einer und derſelben Sage we-
gen ihrer angenehmen und eigenthuͤmlichen
Abweichungen haben wir einigemal mitge-
theilt, das minder bedeutende in dem An-
hang, uͤberhaupt aber ſo genau geſammelt,
als uns moͤglich war. Gewiß iſt auch, daß
ſich die Maͤrchen in dem Fortgange der Zeit
beſtaͤndig neu erzeugt, eben darum aber muß
[XIV] ihr Grund ſehr alt ſeyn, bei einigen wird
es durch Spuren in Fiſchart und Rollenha-
gen, die an ihrem Ort bemerkt ſind, fuͤr bei-
nah drei Jahrhunderte beſonders bewieſen;
es iſt aber außer Zweifel, daß ſie noch gar
viel aͤlter ſind, wenn auch Mangel an Nach-
richten directe Beweiſe unmoͤglich macht.
Nur ein einziger, aber ſicherer ergiebt ſich
aus ihrem Zuſammenhang mit dem großen
Heldenepos und der einheimiſchen Thierfabel,
welchen auszufuͤhren natuͤrlich hier der Ort
nicht war, einiges iſt jedoch im Anhang
gleichfalls daruͤber geſagt worden.
Weil dieſe Poeſie dem erſten und ein-
fachſten Leben ſo nah liegt, ſo ſehen wir da-
rin den Grund ihrer allgemeinen Verbrei-
tung, denn es giebt wohl kein Volk, wel-
ches ſie ganz entbehrt. Selbſt die Neger
im weſtlichen Afrika vergnuͤgen ihre Kin-
der mit Erzaͤhlungen, und von den Grie-
chen ſagt es Strabo ausdruͤcklich (Man wird
dies Zeugniß am Ende finden bei den an-
dern, welche beweiſen, wie ſehr diejenigen,
die gewußt, was eine ſolche unmittelbar zum
Herzen redende Stimme werth iſt, ſolche
Maͤrchen geſchaͤtzt haben). Noch ein ande-
[XV] rer hoͤchſt merkwuͤrdiger Umſtand erklaͤrt ſich
daraus, naͤmlich die große Ausbreitung die-
ſer deutſchen. Sie erreichen hierin nicht
bloß die Heldenſagen von Siegfried dem
Drachentoͤdter, ſondern ſie uͤbertreffen dieſe
ſogar, indem wir ſie, und genau dieſelben,
durch ganz Europa verbreitet finden, ſo daß
ſich in ihnen eine Verwandtſchaft der edel-
ſten Voͤlker offenbart. Aus dem Norden
kennen wir nur die daͤniſchen Kaͤmpe-Viſer,
die vieles hierhergehoͤrige enthalten, wenn
gleich ſchon als Lied, welches nicht mehr
ganz fuͤr Kinder paßt, weil es geſungen
ſeyn will, doch laͤßt ſich hier die Graͤnze
eben ſo wenig genau angeben, als zu der
ernſthafteren, hiſtoriſchen Sage, und es giebt
allerdings Vereinigungspuncte. England be-
ſitzt die Tabartiſche eben nicht ſehr reiche
Sammlung, aber welche Reichthuͤmer von
muͤndlicher Sage muͤſſen in Wallis, Schott-
land und Irland noch vorhanden ſeyn, er-
ſteres hat in [seinem] (jetzt gedruckten) Ma-
binogion allein einen wahren Schatz. Auf
eine aͤhnliche Weiſe ſind Norwegen, Schwe-
den und Daͤnemark reich geblieben, weniger
vielleicht die ſuͤdlichen Laͤnder; aus Spanien
[XVI] iſt uns nichts bewußt, doch laͤßt eine Stelle
des Cervantes uͤber das Daſeyn und Erzaͤh-
len der Maͤrchen keinen Zweifel *). Frank-
reich hat gewiß noch jetzt mehr, als was
Charles Perrault mittheilte, der allein ſie
noch als Kindermaͤrchen behandelte (nicht
ſeine ſchlechteren Nachahmer, die Aulnoi,
Murat); er giebt nur neun, freilich die be-
kannteſten, die auch zu den ſchoͤnſten gehoͤ-
ren. Sein Verdienſt beſteht darin, daß er
nichts hinzugeſetzt und die Sachen an ſich,
Kleinigkeiten abgerechnet, unveraͤndert gelaſ-
ſen; ſeine Darſtellung verdient nur das Lob,
ſo einfach zu ſeyn, als es ihm moͤglich war;
an ſich iſt der franzoͤſiſchen Sprache, die ſich
ihrer jetzigen Bildung nach, faſt wie von
ſelbſt zu epigrammatiſchen Wendungen und
fein-
[XVII] feingeſchnitztem Dialog zuſammenkraͤuſelt (man
ſehe nur das Geſpraͤch zwiſchen Riquet à la
houpe und der dummen Prinzeſſin, ſo wie
das Ende von petit poucet), wohl nichts
ſchwerer, als naiv und gerad, das heißt in
der That, nicht mit der Praͤtenſion darauf,
Kindermaͤrchen zu erzaͤhlen; außerdem ſind
ſie manchmal unnoͤthig gedehnt und breit.
Eine Analyſe, die vor einer Ausgabe ſteht,
ſieht es ſo an, als habe Perrault ſie zuerſt
erfunden, und von ihm (geb. 1633, geſtor-
ben 1703.) ſeyen ſie zuerſt unter das Volk
gekommen; bei dem Daͤumling wird ſogar
eine abſichtliche Nachahmung Homers be-
hauptet, welche Kindern die Noth des Odyſ-
ſeus beim Polyphem habe verſtaͤndlich ma-
chen wollen; eine beſſere Anſicht hat Johan-
neau. Reicher als alle anderen ſind aͤltere
italiaͤniſche Sammlungen, erſtlich in den
Naͤchten des Straparola, die manches gute
enthalten, dann aber beſonders im Penta-
merone des Baſile, einem in Italien eben ſo
bekannten und beliebten, als in Deutſchland
ſeltenen und unbekannten, in neapolitaniſchen
Dialect geſchriebenen, und in jeder Hinſicht
vortrefflichen Buch. Der Inhalt iſt faſt oh-
Kindermärchen. b
[XVIII] ne Luͤcke und falſchen Zuſatz, der Stil uͤber-
fließend in guten Reden und Spruͤchen. Es
ganz lebendig zu uͤberſetzen gehoͤrte ein Fi-
ſchart *) und ſein Zeitalter dazu; wir den-
ken es indeſſen in dem zweiten Band der
vorliegenden Sammlung zu verdeutſchen, wo-
rin auch alles andere, was fremde Quellen
gewaͤhren, ſeinen Platz finden ſoll.
Wir haben uns bemuͤht, dieſe Maͤrchen
ſo rein als moͤglich war aufzufaſſen, man
wird in vielen die Erzaͤhlung von Reimen
und Verſen unterbrochen finden, die ſogar
manchmal deutlich alliteriren, beim Erzaͤhlen
aber niemals geſungen werden, und gerade
dieſe ſind die aͤlteſten und beſten. Kein Um-
ſtand iſt hinzugedichtet oder verſchoͤnert und
abgeaͤndert worden, denn wir haͤtten uns
geſcheut, in ſich ſelbſt ſo reiche Sagen mit
ihrer eigenen Analogie oder Reminiſcenz zu
vergroͤßern, ſie ſind unerfindlich. In die-
[XIX] ſem Sinne exiſtirt noch keine Sammlung in
Deutſchland, man hat ſie faſt immer nur
als Stoff benutzt, um groͤßere Erzaͤhlungen
daraus zu machen, die willkuͤhrlich erweitert,
veraͤndert, was ſie auch ſonſt werth ſeyn
konnten, doch immer den Kindern das Ihri-
ge aus den Haͤnden riſſen, und ihnen nichts
dafuͤr gaben. Selbſt wer an ſie gedacht,
konnte es doch nicht laſſen, Manieren, wel-
che die Zeitpoeſie gab, hineinzumiſchen; faſt
immer hat es auch an Fleiß beim Sammeln
gefehlt und ein paar wenige, zufaͤllig etwa
aufgefaßte, wurden ſogleich mitgetheilt *).
b 2
[XX] Waͤren wir ſo gluͤcklich geweſen, ſie in einem
recht beſtimmten Dialect erzaͤhlen zu koͤnnen,
ſo zweifeln wir nicht, wuͤrden ſie viel ge-
wonnen haben; es iſt hier ein Fall, wo alle
erlangte Bildung, Feinheit und Kunſt der
Sprache zu Schanden wird, und wo man
fuͤhlt, daß eine gelaͤuterte Schriftſprache, ſo
gewandt ſie in allem andern ſeyn mag, hel-
*)
[XXI] ler und durchſichtiger aber auch ſchmackloſer
geworden, und nicht mehr feſt an den Kern
ſich ſchließe.
Wir uͤbergeben dies Buch wohlwollen-
den Haͤnden, dabei denken wir uͤberhaupt an
die ſegnende Kraft, die in dieſen liegt, und
wuͤnſchen, daß denen, welche dieſe Broſamen
der Poeſie Armen und Genuͤgſamen nicht goͤn-
nen, es gaͤnzlich verborgen bleiben moͤge.
Caſſel, am 18ten October 1812.
[XXII]
Zeugniſſe fuͤr Kindermaͤrchen.
- Strabo I, 2. §. 3. ed. 1620. p. 19.
„Wir erzaͤhlen den Kindern, um ſie zu ermun-
tern, angenehme Geſchichten, und um ſie abzuhal-
ten, ſchreckliche Maͤrchen, wie die von der Lamia,
der Gorgone, von Ephialtes und Mormolyk.“ - Lamia, eine Frau, welche Kinder fraß. Gor-
gone, eine Frau mit Schlangenhaaren, eher-
nen Haͤnden und Zaͤhnen, ſo groß wie Eher-
hauer, ihr Anblick toͤdtete und verſteinerte.
Ephialtes, ein himmelſtuͤrmender Rieſe, der
den Oſſa auf den Olymp, den Pelion auf den
Oſſa ſetzte. Die Mormolyken ſind Geiſter
und Geſpenſter. - Luther hat geſagt:
„Ich moͤgt' mich der wunderſamen Hiſtorien, ſo
ich aus zarter Kindheit heruͤber genommen,
oder auch, wie ſie mir vorkommen ſind in
meinem Leben, nicht entſchlagen, um kein
Gold.“
Doctor Luther hat ſeine Muͤhe an den alten
und verunreinigten Eſopum legen und ſeinen
Deutſchen ein verneuertes und geſchwertes
Maͤrleinbuch zurichten wollen, daran der Zeit
viel guter Leut ein ſonderes Gefallen trugen,
— aber, weil ſich der theure Mann an der
Biblia neben viel Predigen und Schreiben ab-
gearbeitet, verblieb dies angefangene Werk,
welches Anfang gleichwohl Magiſter Georg
Roͤrer hernachmals in den neunten Theil der
[XXIII] deutſchen Buͤcher Lutheri hat bringen laſſen.
— Im ſchoͤnen Hofpſalm — — gedenkt der
Doctor des Affen, ſo Holzſpalten wollte und
des Keils vergaß, und da er die Axt auszog
daruͤber zu Schanden kam. Er gedenkt auch
des Froſches, ſo auf dem Heller ſaß und ſich
ruͤhmet, Geld braͤchte Ehre.
Ueber Tiſch hab ich etliche gute Fabeln von
ihm gehoͤrt, als von der Kraͤhe, ſo die Affen
ſtrafte, die aus einem Johanneswuͤrmchen Feuer
blaſen wollten, und daruͤber ihren Kopf ver-
lor. (Eine nicht unbekannte Fabel, die z. B.
in Walchs decas fab. ſteht.)
Schuppii Schriften. Fabul-Hans. S. 530. - Johannes Muͤller.
„Man ſollte die Weisheit der Voͤlker, bei denen
man lebt, in ihrer mannichfaltigen Geſtalt,
ſelbſt in Liedern,
quas ad ignem aniculae
narrant puellis,
aufſpuͤren und in Umlauf bringen.“
(Hiſtor. Critik I. 245.) - W. Scott. In den Anmerkungen zu ſeinem Ge-
dicht Lady of the lake. Edinb. 1810. p. 392.„A work of great interest might be com-
piled upon the origine of popular fiction and
the transmission of similar tales from age to age
and from country to country. The mythology of
one period would then appear to pass into the
romance of the next century, and that into the
nursery-tale of the subsequent ages. Such an
[XXIV] investigation, while it went greatly to dimi-
nish our ideas of the richness of human inven-
tion would also shew, that these fictions, how-
ever wild and childish, possess such charms
for the populace, as enable them to penetrate
into countries unconnected by manners and
language and having no apparent intercourse
tho afford the means of transmission. It would
carry me far beyond my bounds, to produce
instances of this community of fable, among
nations, who never borrowed from each other
any thing intrinsically worth learning. Indeed
the wide diffusion of popular fictions may be
compared to the facility, with wich straws and
feathers are dispersed abroad by the wind, while
valuable metals cannot be transported with-
out trouble and labour. There lives, I belie-
ve, only one gentleman, whose unlimited ac-
quaintance with this subiect might enable him
to do it justice; I mean my friend, Mr. Fran-
cis Douce, of the british museum, whose
usual Kindness will I hope pardon my mentio-
ning his name, whileon a subject so closely
connected with his extensive and curious re-
searches.“ - Eloi Johanneau. Mem. de l'acad. celti-
que. I. 162.
„On connait aussi les contes de fées, du
chat botté et du petit Poucet avec ses
bottes de 7. lieues, contes populaires de
la plus haute antiquité, qui ne sont point
de l'invention de Perrault.“
Inhalt
[[XXV]]
Inhalt.
- 1. Der Froſchkoͤnig oder der eiſerne Hein-
rich Seite 1 - 2. Katz und Maus in Geſellſchaft — 6
- 3. Marienkind — 8
- 4. Gut Kegel- und Kartenſpiel — 14
- 5. Der Wolf und die ſieben junge [Geiſ-
lein]— 17 - 6. Von der Nachtigall und der Blind-
ſchleiche — 20 - 7. Von dem geſtohlenen Heller — 21
- 8. Die Hand mit dem Meſſer — 23
- 9. Die zwoͤlf Bruͤder — 24
- 10. Das Lumpengeſindel — 30
- 11. Bruͤderchen und Schweſterchen — 33
- 12. Rapunzel — 38
- 13. Die drei Maͤnnlein im Walde — 43
- 14. Von dem boͤſen Flachsſpinnen — 47
- 15. Haͤnſel und Gretel — 49
- 16. Herr Fix und Fertig — 58
- 17. Die weiße Schlange — 63
- 18. Strohhalm, Kohle und Bohne auf der
Reiſe — 67 - 19. Van den Fiſcher un ſiine Fru — 68
- 20. Von einem tapfern Schneider — 77
- 21. Aſchenputtel Seite 88
- 22. Wie Kinder Schlachtens mit einander
geſpielt haben — 101 - 23. Von dem Maͤuschen, Voͤgelchen und der
Bratwurſt — 104 - 24. Frau Holle — 106
- 25. Die drei Raben — 110
- 26. Rothkaͤppchen — 113
- 27. Der Tod und der Gaͤnshirt — 118
- 28. Der ſingende Knochen — 119
- 29. Von dem Teufel mit drei goldenen
Haaren — 122 - 30. Laͤuschen und Floͤhchen — 130
- 31. Maͤdchen ohne Haͤnde — 132
- 32. Der geſcheidte Hans — 138
- 33. Der geſtiefelte Kater — 147
- 34. Hanſens Trine — 155
- 35. Der Sperling und ſeine vier Kinder — 156
- 36. Von dem Tiſchgen deck dich, dem Gold-
eſel und dem Knuͤppel in den Sack — 161 - 37. Von der Serviette, dem Torniſter, dem
Kanonenhuͤtlein und dem Horn — 172 - 38. Von der Frau Fuͤchſin — 176
- 39. Von den Wichtelmaͤnnern — 180
- I. Von dem Schuſter, dem ſie die Ar-
beit gemacht — ebd. - II. Von einem Dienſtmaͤdchen, das Ge-
vatter bei ihnen geſtanden — 182 - III. Von einer Frau, der ſie das Kind
vertauſcht haben — 183
- I. Von dem Schuſter, dem ſie die Ar-
- 40. Der Raͤuberbraͤutigam — 184
- 41. Herr Korbes Seite 187
- 42. Der Herr Gevatter — 189
- 43. Die wunderliche Gaſterei — 191
- 44. Der Gevatter Tod — 193
- 45. Des Schneiders Daumerling Wander-
ſchaft — 195 - 46. Fitchers Vogel — 200
- 47. Van den Machandel-Boom — 203
- 48. Der alte Sultan — 217
- 49. Die ſechs Schwaͤne — 220
- 50. Dornroͤschen — 225
- 51. Vom Fundevogel — 229
- 52. Koͤnig Droßelbart — 233
- 53. Sneewittchen (Schneeweißchen) — 238
- 54. Hans Dumm — 250
- 55. Rumpelſtilzchen — 253
- 56. Der Liebſte Roland — 255
- 57. Vom goldnen Vogel — 260
- 58. Vom treuen Gevatter Sperling — 270
- 59. Prinz Schwan — 273
- 60. Das Goldei — 278
- 61. Von dem Schneider, der bald reich
wurde — 280 - 62. Blaubart — 285
- 63. Goldkinder — 290
- 64. Von dem Dummling — 294
- I. Die weiße Taube — ebd.
- II. Die Bienenkoͤnigin — 296
- III. Die drei Federn — 300
- IV. Die goldene Gans — 303
- 65. Allerlei-Rauh — 308
- 66. Hurleburlebutz Seite 316
- 67. Der Koͤnig mit dem Loͤwen — 320
- 68. Von dem Sommer- und Wintergarten — 323
- 69. Jorinde und Joringel — 328
- 70. Der Okerlo — 332
- 71. Prinzeſſin Maͤuſehaut — 336
- 72. Das Birnli will nit fallen — 338
- 73. Das Mordſchloß — 340
- 74. Von Johannes-Waſſerſprung und Cas-
par-Waſſerſprung — 343 - 75. Vogel Phoͤnix — 348
- 76. Die Nelke — 350
- 77. Vom Schreiner und Drechsler — 354
- 78. Der alte Großvater und der Enkel — 355
- 79. Die Waſſernix — 356
- 80. Von dem Tod des Huͤhnchens — 358
- 81. Der Schmidt und der Teufel — 360
- 82. Die drei Schweſtern — [364]
- 83. Das arme Maͤdchen — 382
- 84. Die Schwiegermutter — 383
- 85. Fragmente — 385
- a) Schneeblume — ebd.
- b) Prinzeſſin mit der Laus — 386
- c) Vom Prinz Johannes — ebd.
- [Der gute Lappen]
- [86. Der Fuchs und die Gaͤnſe — 387]
[[1]]
1.
Der Froſchkoͤnig oder der eiſerne
Heinrich.
Es war einmal eine Koͤnigstochter, die ging
hinaus in den Wald und ſetzte ſich an einen
kuͤhlen Brunnen. Sie hatte eine goldene Ku-
gel, die war ihr liebſtes Spielwerk, die warf
ſie in die Hoͤhe und fing ſie wieder in der Luft
und hatte ihre Luſt daran. Einmal war die
Kugel gar hoch geflogen, ſie hatte die Hand
ſchon ausgeſtreckt und die Finger gekruͤmmt, um
ſie wieder zufangen, da ſchlug ſie neben vorbei
auf die Erde, rollte und rollte und geradezu in
das Waſſer hinein.
Die Koͤnigstochter blickte ihr erſchrocken
nach, der Brunnen war aber ſo tief, daß kein
Grund zu ſehen war. Da fing ſie an jaͤmmer-
lich zu weinen und zu klagen: „ach! wenn ich
meine Kugel wieder haͤtte, da wollt' ich alles
darum geben, meine Kleider, meine Edelgeſteine,
meine Perlen und was es auf der Welt nur
waͤr'.“ Wie ſie ſo klagte, ſteckte ein Froſch
Kindermärchen. A
[2] ſeinen Kopf aus dem Waſſer und ſprach: „Koͤ-
nigstochter, was jammerſt du ſo erbaͤrmlich?“ —
„Ach, ſagte ſie, du garſtiger Froſch, was kannſt
du mir helfen! meine goldne Kugel iſt mir in
den Brunnen gefallen.“ — Der Froſch ſprach:
„deine Perlen, deine Edelgeſteine und deine
Kleider, die verlang ich nicht, aber wenn du
mich zum Geſellen annehmen willſt, und ich
ſoll neben dir ſitzen und von deinem goldnen
Tellerlein eſſen und in deinem Bettlein ſchla-
fen und du willſt mich werth und lieb haben,
ſo will ich dir deine Kugel wiederbringen.“
Die Koͤnigstochter dachte, was ſchwaͤtzt der ein-
faͤltige Froſch wohl, der muß doch in ſeinem
Waſſer bleiben, vielleicht aber kann er mir meine
Kugel holen, da will ich nur ja ſagen; und ſag-
te: „ja meinetwegen, ſchaff mir nur erſt die goldne
Kugel wieder, es ſoll dir alles verſprochen ſeyn.“
Der Froſch ſteckte ſeinen Kopf unter das Waſſer
und tauchte hinab, es dauerte auch nicht lange,
ſo kam er wieder in die Hoͤhe, hatte die Kugel
im Maul und warf ſie ans Land. Wie die Koͤ-
nigstochter ihre Kugel wieder erblickte, lief ſie
geſchwind darauf zu, hob ſie auf und war ſo
froh, ſie wieder in ihrer Hand zu halten, daß
ſie an nichts weiter gedachte, ſondern damit nach
Haus eilte. Der Froſch rief ihr nach: „warte,
Koͤnigstochter, und nimm mich mit, wie du
verſprochen haſt;“ aber ſie hoͤrte nicht darauf.
[3]
Am andern Tage ſaß die Koͤnigstochter an
der Tafel, da hoͤrte ſie etwas die Marmortreppe
heraufkommen, plitſch, platſch! plitſch, platſch!
bald darauf klopfte es auch an der Thuͤre und
rief: „Koͤnigstochter, juͤngſte, mach mir auf!“
Sie lief hin und machte die Thuͤre auf, da war
es der Froſch, an den ſie nicht mehr gedacht hatte;
ganz erſchrocken warf ſie die Thuͤre haſtig zu
und ſetzte ſich wieder an die Tafel. Der Koͤnig
aber ſah, daß ihr das Herz klopfte, und ſagte:
„warum fuͤrchteſt du dich?“ — „Da drau-
ßen iſt ein garſtiger Froſch, ſagte ſie, der hat
mir meine goldne Kugel aus dem Waſſer ge-
holt, ich verſprach ihm dafuͤr, er ſollte mein
Geſelle werden, ich glaubte aber nimmermehr,
daß er aus ſeinem Waſſer heraus koͤnnte, nun
iſt er draußen vor der Thuͤr und will herein.“
Indem klopfte es zum zweitenmal und rief:
Der Koͤnig ſagte: „was du verſprochen haſt,
mußt du halten, geh und mach dem Froſch die
Thuͤre auf. Sie gehorchte und der Froſch huͤpfte
herein, und ihr auf dem Fuße immer nach, bis
A 2
[4] zu ihrem Stuhl, und als ſie ſich wieder geſetzt
hatte, da rief er: „heb mich herauf auf einen
Stuhl neben dich.“ Die Koͤnigstochter wollte
nicht, aber der Koͤnig befahl es ihr. Wie der
Froſch oben war, ſprach er: „nun ſchieb dein
goldenes Tellerlein naͤher, ich will mit dir da-
von eſſen.“ Das mußte ſie auch thun. Wie
er ſich ſatt gegeſſen hatte, ſagte er: „nun bin
ich muͤd' und will ſchlafen, bring mich hinauf
in dein Kaͤmmerlein, mach dein Bettlein zu-
recht, da wollen wir uns hineinlegen.“ Die
Koͤnigstochter erſchrack, wie ſie das hoͤrte, ſie
fuͤrchtete ſich vor dem kalten Froſch, ſie getraute
ſich nicht ihn anzuruͤhren und nun ſollte er bei
ihr in ihrem Bett liegen, ſie fing an zu weinen
und wollte durchaus nicht. Da ward der Koͤnig
zornig und befahl ihr bei ſeiner Ungnade, zu
thun, was ſie verſprochen habe. Es half nichts,
ſie mußte thun, wie ihr Vater wollte, aber ſie
war bitterboͤſe in ihrem Herzen. Sie packte den
Froſch mit zwei Fingern und trug ihn hinauf
in ihre Kammer, legte ſich ins Bett und ſtatt
ihn neben ſich zu legen, warf ſie ihn bratſch!
an die Wand; „da nun wirſt du mich in Ruh
laſſen, du garſtiger Froſch!“
Aber der Froſch fiel nicht todt herunter,
ſondern wie er herab auf das Bett kam, da
wars ein ſchoͤner junger Prinz. Der war nun
ihr lieber Geſelle, und ſie hielt ihn werth wie
[5] ſie verſprochen hatte, und ſie ſchliefen vergnuͤgt
zuſammen ein. Am Morgen aber kam ein praͤch-
tiger Wagen mit acht Pferden beſpannt, mit
Federn geputzt und goldſchimmernd, dabei war
der treue Heinrich des Prinzen, der hatte ſich
ſo betruͤbt uͤber die Verwandlung deſſelben, daß
er drei eiſerne Bande um ſein Herz legen muß-
te, damit es vor Traurigkeit nicht zerſpringe.
Der Prinz ſetzte ſich mit der Koͤnigstochter in
den Wagen, der treue Diener aber ſtand hinten
auf, ſo wollten ſie in ſein Reich fahren. Und
wie ſie ein Stuͤck Weges gefahren waren, hoͤrte
der Prinz hinter ſich ein lautes Krachen, da
drehte er ſich um und rief:
Noch einmal und noch einmal hoͤrte es der
Prinz krachen, und meinte: der Wagen braͤche,
aber es waren nur die Bande, die vom Herzen
des treuen Heinrich abſprangen, weil ſein Herr
erloͤſt und gluͤcklich war.
[6]
2.
Katz und Maus in Geſellſchaft.
Eine Katze und eine Maus wollten zuſam-
men leben und Wirthſchaft zuſammen haben;
ſie ſorgten auch fuͤr den Winter und kauften ein
Toͤpfchen mit Fett, und weil ſie keinen beſſern
und ſicherern Ort wußten, ſtellten ſie es unter
den Altar in der Kirche, da ſollt' es ſtehen, bis
ſie ſein beduͤrftig waͤren. Einſtmals aber trug
die Katze Geluͤſten darnach, und ging zur Maus:
„hoͤr' Maͤuschen, ich bin von meiner Baſe zu
Gevatter gebeten, ſie hat ein Soͤhnchen gebo-
ren, weiß und braun gefleckt, das ſoll ich uͤber
die Taufe halten, laß mich ausgehen und halt
heut allein haus.“ — „Ja, ja, ſagte die
Maus, geh hin, und wenn du was Gutes
iſſeſt, denk an mich, von dem ſuͤßen rothen Kind-
betterwein traͤnk ich auch gern ein Troͤpfchen.“
Die Katze aber ging geradeswegs in die Kirche
und leckte die fette Haut ab, ſpatzirte darnach
um die Stadt herum und kam erſt am Abend
nach Haus. „Du wirſt dich recht erluſtirt
haben, ſagte die Maus, wie hat denn das Kind
geheißen?“ — „[Hautab“], antwortete die
Katze.[] — „Hautab? das iſt ein ſeltſamer
Name, den hab' ich noch nicht gehoͤrt.“
Bald darnach hatte die Katze wieder ein
[7] Geluͤſten, ging zur Maus und ſprach: „ich [bin]
aufs neue zu Gevatter gebeten, das Kind hat
einen weißen Ring um den Leib, da kann ichs
nicht abſchlagen, du mußt mir den Gefallen
thun und allein die Wirthſchaft treiben.“ Die
Maus ſagte ja, die Katze aber ging hin und
fraß den Fetttopf bis zur Haͤlfte leer. Als ſie
heim kam, fragte die Maus: „wie iſt denn
dieſer Pathe getauft worden?“ — „Halb-
aus“ — „Halbaus? was du ſagſt! den Na-
men hab' ich gar noch nicht gehoͤrt, der ſteht
gewiß nicht im Calender.“
Die Katze aber konnte den Fetttopf nicht
vergeſſen: „ich bin zum drittenmal zu Gevat-
ter gebeten, das Kind iſt ſchwarz und hat bloß
weiße Pfoten, ſonſt kein weißes Haar am gan-
zen Leib, das trifft ſich alle paar Jahr nur ein-
mal, du laͤßt mich doch ausgehen?“ — Haut-
ab, Halbaus, ſagte die Maus, es ſind ſo ku-
rioſe Namen, die machen mich ſo nachdenkſam,
doch geh nur hin.“ Die Maus hielt alles in
Ordnung und raͤumte auf, dieweil fraß die
Katze den Fetttopf rein aus und kam ſatt und
dick erſt in der Nacht wieder. „Wie heißt denn
das dritte Kind?“ — „Ganzaus“ — Ganz-
aus! ei! ei! Das iſt der allerbedenklichſte Na-
men, ſagte die Maus; Ganzaus? was ſoll der
bedeuten? „gedruckt iſt er mir noch nicht vorge-
[8] kommen!“ damit ſchuͤttelte ſie den Kopf und
legte ſich ſchlafen.
Zum viertenmal wollte niemand die Katze
zu Gevatter bitten; der Winter aber kam bald
herbei. Wie nun draußen nichts mehr zu fin-
den war, ſagte die Maus zur Katze: „komm
wir wollen zum Vorrath gehen, den wir in der
Kirche unter dem Altar verſteckt haben.“ Wie
ſie aber hinkamen, war alles leer — „Ach!
ſagte die Maus, nun kommts an den Tag, du
haſt Alles gefreſſen, wie du zu Gevatter aus-
gegangen biſt, erſt Haut ab, dann Halb aus,
dann“ — „Schweig ſtill, ſagte die Katze, oder
ich freß dich, wenn du noch ein Wort ſprichſt“ —
„Ganz aus“ hatte die arme Maus im Mund,
und hatt' es kaum geſprochen, ſo ſprang die
Katz' auf ſie zu und ſchluckte ſie hinunter.
3.
Marienkind.
Vor einem großen Walde lebte ein Holz-
hacker mit ſeiner Frau und ſeinem einzigen
Kind, das war ein Maͤdchen und drei Jahr alt.
Sie waren aber ſo arm, daß ſie nicht mehr das
taͤgliche Brot hatten und nicht wußten, was ſie
ihm ſollten zu eſſen geben. Da ging der Holz-
hacker voller Sorgen hinaus in den Wald an
[9] ſeine Arbeit, und wie er da Holz hackte, ſtand
auf einmal eine ſchoͤne große Frau vor ihm, die
hatte eine Krone von leuchtenden Sternen auf
dem Haupt und ſprach zu ihm: „ich bin die
Jungfrau Maria, die Mutter des Chriſtkind-
leins, bring mir dein Kind, ich will es mit mir
nehmen, ſeine Mutter ſeyn und fuͤr es ſorgen.“
Der Holzhacker gehorchte und holte ſein Kind
und gab es der Jungfrau Maria, die nahm es
mit ſich hinauf in den Himmel. Da ging es
ihm wohl, es aß bloß Zuckerbrot und trank
ſuͤße Milch, und ſeine Kleider waren von Gold
und die Englein ſpielten mit ihm. So war es
vierzehn Jahre im Himmel, da mußte die Jung-
frau Maria eine große Reiſe machen; eh ſie
aber weg ging, rief ſie das Maͤdchen und ſag-
te: „liebes Kind, da vertrau ich dir die Schluͤſ-
ſel zu den dreizehn Thuͤren des Himmelreichs,
zwoͤlf darfſt du aufſchließen und betrachten, aber
die dreizehnte nicht, die dieſer kleine Schluͤſſel
oͤffnet.“ Das Maͤdchen verſprach ihren Befeh-
len zu gehorchen, wie nun die Jungfrau weg
war oͤffnete es jeden Tag eine Thuͤre, und ſah
die Wohnungen des Himmelreichs. In jeder
ſaß ein Apoſtel und war ſo viel Glanz umher,
daß es ſein Lebtag ſolche Pracht und Herrlich-
keit nicht geſehen. Als es die zwoͤlf Thuͤren auf-
geſchloſſen hatte, war die verbotene noch uͤbrig;
lange widerſtand es ſeiner Neugier, endlich aber
[10] ward es davon uͤberwaͤltigt und oͤffnete auch die
dreizehnte. Und wie die Thuͤre aufging, ſah es
in Feuer und Glanz die Dreieinigkeit ſitzen und
ruͤhrte ein klein wenig mit dem Finger an den
Glanz, da ward er ganz golden, dann aber
ſchlug es geſchwind die Thuͤre zu und lief fort;
ſein Herz klopfte und wollte gar nicht wieder
aufhoͤren. Nach wenigen Tagen aber kam die
Jungfrau Maria von ihrer Reiſe zuruͤck und
forderte die Himmelsſchluͤſſel von dem Maͤdchen,
und wie es ſie reichte, ſah ſie es an und ſagte:
„haſt du auch nicht die dreizehnte Thuͤre geoͤff-
net?“ — „Nein,“ antwortete es. Da legte
ſie ihre Hand auf ſein Herz, das klopfte und
klopfte, da ſah ſie, daß es ihr Gebot uͤbertre-
ten und die Thuͤre aufgeſchloſſen hatte: „haſt
du es gewiß nicht gethan?“ „Nein,“ ſagte
das Maͤdchen noch einmal. Da ſah ſie den gol-
denen Finger, womit es das himmliſche Feuer
angeruͤhrt hatte, und wußte nun gewiß, daß es
ſchuldig war und ſprach: „du haſt mir nicht
gehorcht und haſt gelogen, du biſt nicht mehr
wuͤrdig im Himmel zu ſeyn.“
Da verſank das Maͤdchen in einen tiefen,
tiefen Schlaf, und als es erwachte, war es auf
der Erde und lag unter einem hohen Baum,
der war rings mit dichten Gebuͤſchen umzaͤunt,
ſo daß es ganz eingeſchloſſen war, der Mund
war ihm auch verſchloſſen und es konnte kein
[11] Wort reden. In dem Baum war eine Hoͤhle,
darin ſaß es bei Regen und Gewitter, und
ſchlief es in der Nacht; Wurzeln und Waldbee-
ren waren ſeine Nahrung, die ſuchte es ſich, ſo
weit es kommen konnte. Im Herbſt ſammelte
es Wurzeln und Blaͤtter und trug ſie in die
Hoͤhle, und wenn es dann ſchneite und fror,
ſaß es darin. Seine Kleider verdarben auch
und fielen ihm ab, da ſaß es in die Blaͤtter
ganz eingehuͤllt, und wenn die Sonne wieder
warm ſchien ging es heraus, ſetzte ſich vor den
Baum, und ſeine langen Haare bedeckten es
von allen Seiten wie ein Mantel.
Einmal, als es ſo im Fruͤhjahr vor dem
Baume ſaß, draͤngte ſich jemand mit Gewalt
durch das Gebuͤſch, das war aber der Koͤnig,
der in dem Wald gejagt und ſich verirrt hatte.
Er war erſtaunt, daß in der Einoͤde ein ſo ſchoͤ-
nes Maͤdchen allein ſaß, und fragte es: ob es
mit auf ſein Schloß gehen wollte. Es konnte
aber nicht antworten, ſondern nickte bloß ein
wenig mit dem Kopf, da hob es der Koͤnig auf
ſein Pferd und fuͤhrte es mit ſich heim und bald
gewann er es ſo lieb, daß er es zu ſeiner Ge-
mahlin machte. Nach Verlauf eines Jahres
brachte die Koͤnigin einen ſchoͤnen Prinzen zur
Welt. In der Nacht erſchien ihr die Jungfrau
Maria und ſprach: „ſag' jetzt die Wahrheit, daß
du die verbotene Thuͤr aufgeſchloſſen haſt, dann
[12] will ich dir die Sprache wiedergeben, ohne die
du doch nicht recht vergnuͤgt leben kannſt, biſt
du aber hartnaͤckig und willſt es nicht geſtehen,
ſo nehm' ich dein Kind mit.“ Die Koͤnigin
aber blieb dabei, ſie habe die verbotene Thuͤre
nicht geoͤffnet. Da nahm die Jungfrau Maria
das kleine Kind und verſchwand damit. Am
andern Morgen aber, als das Kind fort war,
ging ein Gemurmel, die ſtumme Koͤnigin ſey
eine Menſchenfreſſerin und habe ihr eigen Kind
gegeſſen. — Nach einem Jahr gebar die Koͤni-
gin wieder einen Prinzen, die Jungfrau Maria
trat wieder vor ſie und bat ſie, nun die Wahr-
heit zu ſagen, ſonſt verliere ſie auch das zweite
Kind. Die Koͤnigin aber beharrte darauf, ſie
habe die verbotene Thuͤr nicht geoͤffnet, und die
Jungfrau nahm das Kind mit ſich fort. Am
Morgen, als es fehlte, ſagten des Koͤnigs Raͤ-
the laut, die Koͤnigin ſey eine Menſchenfreſſe-
rin und drangen darauf, daß ſie fuͤr ihre gott-
loſe Thaten gerichtet werde; der Koͤnig aber
hieß ſie ſtillſchweigen und wollte es nicht glau-
ben, weil er die Koͤnigin ſo lieb hatte. Im
dritten Jahr brachte ſie eine Prinzeſſin zur
Welt, da erſchien die Jungfrau Maria wieder,
nahm ſie mit in den Himmel und zeigte ihr da
ihre zwei aͤlteſten Kinder, die mit der Weltku-
gel ſpielten. Darauf bat ſie noch einmal, ſie
moͤgte ihren Fehler geſtehen und nicht laͤnger
[13] bei der Luͤge beharren. Aber die Koͤnigin war
nicht zu bewegen, und blieb bei ihrer Ausſage.
Da verließ ſie die Jungfrau Maria, und nahm
das juͤngſte Kind auch mit ſich.
Der Koͤnig konnte nun ſeine Raͤthe nicht
laͤnger zuruͤckhalten, ſie behaupteten, die Koͤni-
gin ſey eine Menſchenfreſſerin, das ſey gewiß,
und weil ſie ſtumm war, konnte ſie ſich nicht
vertheidigen, da ward ſie verdammt auf dem
Scheiterhaufen zu ſterben. Wie ſie nun darauf
ſtand, angebunden war, und das Feuer rings
ſchon zu brennen anfing, da ward ihr Herz be-
wegt und ſie gedachte bei ſich: „ach, wenn ich
auch ſterben muͤßte, wie gern wollt' ich der
Jungfrau Maria vorher noch geſtehen, daß ich
die verbotene Thuͤre im Himmel aufgeſchloſſen
habe, wie hab' ich ſo boͤſ' gethan, das zu leug-
nen!“ Und wie ſie das gedachte, in dem Au-
genblick, da that ſich der Himmel auf, und die
Jungfrau Maria kam herunter, zu ihren Sei-
ten die beiden aͤlteſten Kinder, auf ihrem Arm
das juͤngſte; das Feuer aber loͤſchte ſich von
ſelbſt aus, und ſie trat zur Koͤnigin und ſprach:
„da du die Wahrheit haſt ſagen wollen, iſt dir
deine Schuld vergeben,“ und reichte ihr die
Kinder, oͤffnete ihr den Mund, daß ſie von nun
an ſprechen konnte, und verlieh ihr Gluͤck auf
ihr Lebtag.
[14]
4.
Gut Kegel- und Kartenſpiel.
Es war einmal ein alter Koͤnig, der hatte
eine Tochter, die war die ſchoͤnſte Jungfrau auf
der Welt. Da ließ er bekannt machen: „wer
drei Naͤchte in meinem alten Schloß wacht, ſoll
die Prinzeſſin zur Gemahlin haben.“ Nun war
ein junger Burſch, arm von Haus aus, der ge-
dacht: ich will mein Leben daran wagen, nichts
zu verlieren, viel zu gewinnen, was iſt da lang
zu beſinnen! Alſo ſtellt' er ſich vor den Koͤnig
und bot ſich an, drei Naͤchte in dem Schloß zu
wachen. „Du darfſt Dir noch etwas ausbitten,
das Du mitnimmſt in das Schloß, aber von
lebloſen Dingen,“ ſagte der Koͤnig. — „So
bitt' ich mir eine Schnitzbank mit dem Schnitz-
meſſer aus, eine Drehbank und ein Feuer.“
Das wird ihm alles in das alte Schloß
getragen; darauf, wie es anfaͤngt dunkel zu
werden, geht er ſelbſt hinein. Anfangs iſt alles
ſtill darin, er macht ſich ſein Feuer an, ſtellt die
Schnitzbank mit dem Meſſer daneben und ſetzt
ſich auf die Drehbank. Wie es aber gegen Mit-
ternacht geht, faͤngt ein Geruͤmpel an, erſt ſach-
te, dann ſtaͤrker, bif! baf! hehe! holla ho! im-
mer aͤrger, dann iſts ein klein bischen ſtill, end-
lich kommt ein Bein den Schornſtein herunter
[15] und ſtellt ſich gerade vor ihn hin. „Heda, ruft
der Burſch, noch mehr, eins iſt zu wenig. Da
geht der Laͤrm von friſchem an, dann faͤllt noch
ein Bein herunter und noch eins und ſo fort,
bis es neun ſind. „Nun iſts genug und die
ſind gut zum Kegelſpiel, aber die Kugeln fehlen
noch, friſch!“ Da tobts entſetzlich und fallen
zwei Koͤpfe herunter. Die ſetzt er in die Dreh-
bank und dreht ſie rund: „daß ihr gut ſchuͤp-
pelt!“ dann macht er die Beine gleich und
ſtellt ſie wie die Kegel auf: „Heida! nun gehts
luſtig!“
Da kamen zwei große ſchwarze Katzen, gin-
gen ums Feuer herum und ſchrien: „au! mi-
au! was uns friert! was uns friert!“ — „Ihr
Narren, was ſchreit Ihr, ſetzt euch ans Feuer
und waͤrmt euch.“ Wie die Katzen ſich ge-
waͤrmt hatten, ſagten ſie: „Cammrad! wir
wollen eins in der Karte ſpielen.“ „Ja, ant-
wortete er, aber zeigt einmal eure Pfoten her,
Ihr habt ſo lange Naͤgel, die will ich Euch erſt
abſchneiden.“ Damit packte er ſie am Kragen
und hob ſie auf die Schnitzbank, da ſchraubte
er ſie feſt und ſchmiß ſie todt. Dann trug er
ſie hinaus und warf ſie in einen kleinen Teich,
dem Schloß gegenuͤber. Wie er die zur Ruh
gebracht, und ſich wieder zum Feuer ſetzen wolle
te und ſich waͤrmen, da kamen viele ſchwarz-
Katzen und Hunde, bald aus allen Ecken und
[16] immer mehr und mehr, daß er ſich nicht mehr
bergen konnte, die ſchrien, traten ihm auf ſein
Feuer, zerrten es auseinander und machten es
ganz aus. Da faßte er ſein Schnitzmeſſer: „fort
ihr Geſindel!“ und hieb ein. Ein großer Theil
lief weg, die andern ſchmiß er todt und trug
ſie auch hinaus in den Teich. Dann blies er
ſich das Feuer wieder an aus einem Funken und
waͤrmte ſich.
Als er ſich gewaͤrmt hatte, ward er muͤd'
und legte ſich in ein großes Bett, das in der
Ecke ſtand. Und als er eben einſchlafen wollte,
fing das Bett an zu fahren und fuhr im gan-
zen Schloß herum. „Das geht gut ſo, nur
beſſer zu!“ ſagte er. Da fuhr das Bett, als
zoͤgens ſechs Pferde, uͤber Schwellen und Trep-
pen: hopp! hopp! warf es um, das unterſt zu
oberſt und er drunter. Da ſchleudert' er Decken
und Kiſſen in die Hoͤh' und ſtieg heraus: „mag
fahren, wer Luſt hat!“ legte ſich zum Feuer
und ſchlief bis es Tag war.
Am Morgen kam der Koͤnig, und als er
den jungen Burſchen da liegen und ſchlafen
ſah, meint' er, der waͤre auch todt, und ſagte,
es ſey ſchade um ihn. Da erwachte der Burſch
von den Worten, und wie er den Koͤnig ſah,
ſtand er auf, der fragte ihn, wie es gegangen
waͤre in der Nacht? „Recht gut, eine waͤr'
herum, die zwei werden auch noch herum gehn.“
Die
[17] Die andern Naͤchte gings ebenſo, aber er wuß-
te ſchon, wie es anzugreifen war, und am vier-
ten Tag ward ihm die ſchoͤne Koͤnigstochter ge-
geben.
5.
Der Wolf und die ſieben jungen
Geiſlein.
Eine Geis hatte ſieben Junge, die ſie gar
lieb hatte und ſorgfaͤltig vor dem Wolf huͤtete.
Eines Tags, als ſie ausgehen mußte, Futter
zu holen, rief ſie alle zuſammen und ſagte:
„liebe Kinder, ich muß ausgehen und Futter
holen, wahrt euch vor dem Wolf und laßt ihn
nicht herein, gebt auch Acht, denn er verſtellt
ſich oft, aber an ſeiner rauhen Stimme und an
ſeinen ſchwarzen Pfoten koͤnnt ihr ihn erkennen;
huͤtet euch, wenn er erſt einmal im Haus iſt,
ſo frißt er euch alle miteinander.“ Darauf ging
ſie fort, bald aber kam der Wolf vor die Haus-
thuͤre und rief: „liebe Kinder, macht mir auf,
ich bin eure Mutter und hab' euch ſchoͤne Sa-
chen mitgebracht.“ Die ſieben Geiſerchen aber
ſprachen: „unſere Mutter biſt du nicht, die hat
eine feine liebliche Stimme, deine Stimme aber
iſt rauh, du biſt der Wolf, wir machen dir nicht
auf.“ Der Wolf ging fort zu einem Kraͤmer
und kaufte ſich ein groß Stuͤck Kreide, die aß
Kindermärchen. B
[18] er und machte ſeine Stimme fein damit. Dar-
nach ging er wieder zu der ſieben Geislein Haus-
thuͤre und rief mit feiner Stimme: „liebe Kin-
der, laßt mich ein, ich bin eure Mutter, jedes
von euch ſoll etwas haben.“ Er hatte aber ſeine
Pfote in das Fenſter gelegt, das ſahen die ſie-
ben Geiſerchen und ſprachen: „unſere Mutter
biſt du nicht, die hat keinen ſchwarzen Fuß, wie
du; du biſt der Wolf, wir machen dir nicht
auf.“ Der Wolf ging fort zu einem Baͤcker
und ſprach. „Baͤcker, beſtreich mir meine Pfote
mit friſchem Teig,“ und als das gethan war,
ging er zum Muͤller und ſprach: „Muͤller,
ſtreu mir fein weißes Mehl auf meine Pfote.“
Der Muͤller ſagte nein. — „Wenn du es nicht
thuſt, ſo freß ich dich.“ Da mußte es der Muͤl-
ler thun.
Darauf ging der Wolf wieder vor der ſie-
ben Geiſerchen Hausthuͤre und ſagte: „liebe
Kinder, laßt mich ein, ich bin eure Mutter, je-
des von euch ſoll etwas geſchenkt kriegen.“ Die
ſieben Geiſerchen wollten erſt die Pfote ſehen,
und wie ſie ſahen, daß ſie ſchneeweiß war und
den Wolf ſo fein ſprechen hoͤrten, glaubten ſie
es waͤre ihre Mutter und machten die Thuͤre
auf, und der Wolf kam herein. Wie ſie ihn
aber erkannten, verſteckten ſie ſich geſchwind, ſo
gut es ging, das eine unter den Tiſch, das
zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das
[19] vierte in die Kuͤche, das fuͤnfte in den Schrank,
das ſechste unter eine große Schuͤſſel, das ſie-
bente in die Wanduhr. Aber der Wolf fand ſie
alle und verſchluckte ſie, außer das juͤngſte in der
Wanduhr, das blieb am Leben.
Wie der Wolf ſeine Luſt gebuͤßt, ging er
fort, bald darauf kam die alte Geis nach Haus.
Was fuͤr ein Jammer! der Wolf war da gewe-
ſen und hatte ihre lieben Kinder gefreſſen. Sie
glaubte ſie waͤren alle todt, da ſprang das juͤngſte
aus der Wanduhr, und erzaͤhlte, wie das Un-
gluͤck gekommen war.
Der Wolf aber, weil er ſich vollgefreſſen,
war auf eine gruͤne Wieſe gegangen, hatte ſich
in den Sonnenſchein gelegt und war in einen
tiefen Schlaf gefallen. Die alte Geis dachte
daran, ob ſie ihre Kinder nicht noch erretten
koͤnnte, ſagte darum zu dem juͤngſten Geislein:
„nimm Zwirn, Nadel und Scheere und folg'
mir nach.“ Darauf ging ſie hinaus und fand
den Wolf ſchnarchend auf der Wieſe liegen:
„da liegt der garſtige Wolf,“ ſagte ſie und be-
trachtete ihn von allen Seiten, nachdem er zum
Vieruhrenbrot meine ſechs Kindlein hinunterge-
freſſen hat, gieb mir einmal die Scheere her:
„Ach! wenn ſie noch lebendig in ſeinem Leibe
waͤren!“ Damit ſchnitt ſie ihm den Bauch auf,
und die ſechs Geiſerchen, die er in der Gier
ganz verſchluckt hatte, ſprangen unverſehrt her-
B 2
[20] aus. Sie hieß ſie gleich hingehen und große und
ſchwere Wackerſteine herbeitragen, damit fuͤllten
ſie dem Wolf den Leib, naͤhten ihn wieder zu,
liefen fort, und verſteckten ſich hinter eine Hecke.
Als der Wolf ausgeſchlafen hatte, ſo fuͤhlt'
er es ſo ſchwer im Leib und ſprach: „es rum-
pelt und pumpelt mir im Leib herum! es rum-
pelt und pumpelt mir im Leib herum! was iſt
das? ich hab' nur ſechs Geiſerchen gegeſſen.“
Er dacht, er wollt einen friſchen Trunk thun,
das moͤgt' ihm helfen und ſuchte einen Brun-
nen, aber wie er ſich daruͤber buͤckte, konnte er
vor der Schwere der Steine ſich nicht mehr hal-
ten, und ſtuͤrzte ins Waſſer. Wie das die ſie-
ben Geiſerchen ſahen, kamen ſie herzu gelaufen,
und tanzten vor Freude um den Brunnen.
6.
Von der Nachtigall und der Blind-
ſchleiche.
Es waren einmal eine Nachtigall und eine
Blindſchleiche, die hatten jede nur ein Aug' und
lebten zuſammen in einem Haus lange Zeit in
Frieden und Einigkeit. Eines Tags aber wurde
die Nachtigall auf eine Hochzeit gebeten, da
ſprach ſie zur Blindſchleiche: „ich bin da auf
eine Hochzeit gebeten und moͤgte nicht gern ſo
mit einem Aug' hingehen, ſey doch ſo gut und
[21] leih mir deins dazu, ich bring dirs Morgen
wieder.“ Und die Blindſchleiche that es aus
Gefaͤlligkeit.
Aber den andern Tag, wie die Nachtigall
nach Haus gekommen war, gefiel es ihr ſo
wohl, daß ſie zwei Augen im Kopf trug und
zu beiden Seiten ſehen konnte, daß ſie der ar-
men Blindſchleiche ihr geliehenes Aug' nicht wie-
dergeben wollte. Da ſchwur die Blindſchleiche,
ſie wollte ſich an ihr, an ihren Kindern und
Kindeskindern raͤchen. „Geh nur, ſagte die
Nachtigall, und ſuch einmal:
Seit der Zeit haben alle Nachtigallen zwei Au-
gen und alle Blindſchleichen keine Augen. Aber
wo die Nachtigall hinbaut, da wohnt unten
auch im Buſch eine Blindſchleiche, und ſie
trachtet immer hinaufzukriechen, Loͤcher in die
Eier ihrer Feindin zu bohren oder ſie auszu-
ſaufen.
7.
Von dem geſtohlenen Heller.
Es ſaß ein Vater mit ſeiner Frau und
ſeinen Kindern, und einem guten Freund, der
ihn beſuchte, Mittags am Tiſch. Wie ſie ſo
[22] ſaßen und es zwoͤlf Uhr ſchlug, da ſah der
Fremde die Thuͤr aufgehen, und es kam ein
ſchneeweiß gekleidetes blaſſes Kindlein herein:
es blickte ſich nicht um, ſprach auch nichts, ſon-
dern ging ſtill in die Kammer neben an. Bald
darauf kam es zuruͤck, und ging eben ſo ſtill
wieder fort. Am zweiten und dritten Tag kam
daſſelbige Kind wieder; da fragte der Fremde
den Vater, wem das ſchoͤne Kind gehoͤre, das
alle Mittag in die Kammer gehe. Der Va-
ter antwortete, er wiſſe nichts davon, er hab
es auch noch nicht geſehen. Am andern Ta-
ge, als es zwoͤlf Uhr ſchlug und es wieder
hereintrat, ſo zeigte es der Fremde dem Vater,
der ſah aber nichts, und die Mutter und die
Kinder alle ſahen auch nichts. Der Fremde
ſtand auf, ging zu der Thuͤre, oͤffnete ſie ein
wenig und guckte hinein. Da ſah er das blaſ-
ſe Kindlein auf der Erde ſitzen und emſig mit
den Fingern in den Dielenritzen graben und
wuͤhlen, wie es aber den Fremden bemerkte,
verſchwand es. Darauf erzaͤhlte er, was er ge-
ſehen, und beſchrieb das Kindlein genau, da er-
kannte es die Mutter und ſagte: „ach! das iſt
mein liebes Kind, das vor vier Wochen geſtor-
ben iſt.“ Da brachen ſie die Dielen auf und
fanden zwei Heller, die hatte das Kind einmal
einem armen Mann geben ſollen, es hatte aber
gedacht, dafuͤr kannſt du dir einen Zwieback
[23] kaufen, die Heller behalten und in die Dielen-
ritzen verſteckt, und da hatte es im Grabe kei-
ne Ruh und mußte alle Mittage kommen und
die Heller ſuchen. Sie gaben darauf das Geld
einem Armen, und nachher iſt das Kindlein
nicht wieder geſehen worden.
8.
Die Hand mit dem Meſſer.
Es war ein kleines Maͤdchen, das hatte
drei Bruͤder, die galten bei der Mutter alles,
und es wurde uͤberall zuruͤckgeſetzt, hart ange-
fahren und mußte tagtaͤglich Morgens fruͤh
ausgehen, Torf zu graben auf duͤrrem Heide-
grund, den ſie zum Kochen und Brennen brauch-
ten. Noch dazu bekam es ein altes und ſtum-
pfes Geraͤth, womit es die ſauere Arbeit ver-
richten ſollte.
Aber das kleine Maͤdchen hatte einen Lieb-
haber, der war ein Elfe und wohnte nahe an
ihrer Mutter Haus in einem Huͤgel, und ſo
oft es nun an dem Huͤgel vorbei kam, ſo ſtreck-
te er ſeine Hand aus dem Fels, und hielt dar-
in ein ſehr ſcharfes Meſſer, das von ſonderli-
cher Kraft war und alles durchſchnitt. Mit
dieſem Meſſer ſchnitt ſie den Torf bald her-
aus, ging vergnuͤgt mit der noͤthigen Ladung
heim, und wenn ſie am Felſen vorbei kam,
[24] klopfte ſie zweimal dran, ſo reichte die Hand
heraus und nahm das Meſſer in Empfang.
Als aber die Mutter merkte, wie geſchwind
und leicht ſie immer den Torf heimbrachte, er-
zaͤhlte ſie den Bruͤdern, es muͤßte ihr gewiß
jemand anders dabei helfen, ſonſt waͤre es nicht
moͤglich. Da ſchlichen ihr die Bruͤder nach und
ſahen, wie ſie das Zaubermeſſer bekam, holten
ſie ein und drangen es ihr mit Gewalt ab.
Darauf kehrten ſie zuruͤck, ſchlugen an den Fel-
ſen, als ſie gewohnt war zu thun, und wie der
gute Elf die Hand herausſtreckte, ſchnitten ſie
ſie ihm ab mit ſeinem ſelbeigenen Meſſer. Der
blutende Arm zog ſich zuruͤck, und weil der Elf
glaubte ſeine Geliebte haͤtte es aus Verrath
gethan, ſo wurde er ſeitdem nimmermehr ge-
ſehen.
9.
Die zwoͤlf Bruͤder.
Es war einmal ein Koͤnig, der hatte zwoͤlf
Kinder, das waren lauter Buben, er wollte
auch kein Maͤdchen haben und ſagte zur Koͤni-
gin: „wenn das dreizehnte Kind, das du zur
Welt bringſt, ein Maͤdchen iſt, ſo laß ich die zwoͤlf
andern toͤdten, iſts aber auch ein Bube, dann
ſollen ſie alle miteinander leben bleiben.“ —
Die Koͤnigin gedachte es ihm auszureden. Der
[25] Koͤnig wollte aber nichts weiter hoͤren: „wenns
ſo iſt, wie ich geſagt habe, ſo muͤſſen ſie ſter-
ben, lieber hau' ich ihnen ſelber den Kopf ab,
als daß ein Maͤdchen darunter waͤre.
Da war die Koͤnigin traurig, denn ſie hat-
te ihre Soͤhne von Herzen lieb und wußte nicht,
wie ſie zu retten waren. Endlich ging ſie zu
dem juͤngſten, den ſie vor allen lieb hatte, of-
fenbarte ihm, was der Koͤnig beſchloſſen, und
ſagte: „allerliebſtes Kind, geh du mit deinen
eilf Bruͤdern hinaus in den Wald, da bleibt
und kommt nicht nach Haus, einer von euch
aber halte immer Wacht auf einem Baum und
ſehe nach dem Thurm hier, wenn ich ein Soͤhn-
chen zur Welt bringe, will ich obenauf eine
weiße Fahne ſtecken, iſts aber ein Toͤchterchen
eine rothe, und wenn ihr das ſeht, dann rettet
euch, flieht in die weite Welt, und der liebe
Gott behuͤt euch. Alle Nacht will ich aufſte-
hen und fuͤr euch beten, wenns kalt iſt im Win-
ter, daß ihr nicht friert und ein warmes Feuer
vor euch brennt, und wenns heiß iſt im Som-
mer, daß ihr in einem kuͤhlen Walde ruht und
ſchlaft.“
So geſegnete ſie die Kinder und ſie gingen
fort in den Wald. Oft guckten ſie nach dem
Thurm, und einer mußte beſtaͤndig auf einer
hohen Eiche ſitzen und Acht haben. Bald auch
wurde eine Fahne aufgeſteckt, es war aber nicht
[26] die weiße, ſondern die rothe Blutfahne, die ih-
nen den Untergang drohte. Wie die Buben
ſie erblickten, wurden ſie alle zornig und riefen:
„ſollen wir eines Maͤdchens willen das Leben
verlieren!“ da ſchwuren ſie zuſammen, mitten
in dem Wald zu bleiben, und aufzupaſſen, wenn
ſich ein Maͤdchen ſehen ließ, wollten ſie es ohne
Gnade toͤdten.
Darauf ſuchten ſie eine Hoͤhle, wo der
Wald am dunkelſten war, wo ſie wohnten. Alle
Morgen zogen elf hinaus auf die Jagd, einer
mußte aber zu Haus bleiben, kochen, und den
Haushalt fuͤhren. Jedes Maͤdchen aber, das
den eilfen begegnete, war ohne Barmherzigkeit
verloren; das dauerte viele Jahre.
Das Schweſterchen zu Haus aber ward
groß und blieb das einzige Kind. Einmal hat-
te es große Waͤſche, darunter waren auch zwoͤlf
Mannshemden. „Fuͤr wen ſind denn dieſe
Hemder, fragte die Prinzeſſin, meinem Vater
ſind ſie doch viel zu klein,“ da erzaͤhlte ihr die
Waͤſcherin, daß ſie zwoͤlf Bruͤder gehabt haͤtte,
die waͤren heimlich fortgegangen, kein Menſch
wiſſe wohin, weil ſie der Koͤnig habe wollen
toͤdten laſſen, und dieſen zwoͤlf Bruͤdern gehoͤr-
ten dieſe zwoͤlf Hemder. Das Schweſterchen
verwunderte ſich, daß ihm niemals von ſeinen
zwoͤlf Bruͤdern etwas zu Ohren gekommen und
wie es Nachmittags auf der Wieſe ſaß und die
[27] Waͤſche bleichte, da fielen ihm die Worte der
Waͤſcherin wieder ein, und es ward nachdenk-
ſam, und endlich ſtieg es auf, nahm die zwoͤlf
Hemder und ging in den Wald hinein, wo ſei-
ne Bruͤder lebten.
Das Schweſterchen kam gerade zu der
Hoͤhle, wo ſie ihre Wohnung hatten. Die.
eilf waren auf der Jagd und nur ein ein-
ziger daheim, der kochen mußte. Wie der das
Maͤdchen erblickte, faßte er es gleich, und
holte ſein Schwert: „knie nieder, dein ro-
thes Blut muß den Augenblick fließen.“ Das
Maͤdchen aber bat ihn: „lieber Herr, laßt mich
leben, ich will bei euch bleiben und euch redlich
dienen, ich will kochen und den Haushalt fuͤh-
ren.“ Es [w]ar gerade der juͤngſte Bruder, den
erbarmte die Schoͤnheit des Maͤdchens und er
ſchenkte ihr das Leben. Wie die eilfe nach Haus
kamen und ſich verwunderten, ein Maͤdchen le-
bendig in der Hoͤhle zu finden, ſagte er zu ih-
nen: „liebe Bruͤder, dies Maͤdchen iſt in die
Hoͤhle gekommen, und wie ich es niederhauen
wollte, da bat es ſo ſehr um ſein Leben, es
wollt uns treu dienen und den Haushalt fuͤh-
ren, daß ichs ihm geſchenkt habe.“ Die an-
dern gedachten, daß ihnen das vortheilhaft waͤ-
re und daß ſie nun alle zwoͤlf auf die Jagd
ausgehen koͤnnten, und warens zufrieden. Da
zeigte es ihnen die zwoͤlf Hemdlein und ſagte,
[28] es waͤr' ihre Schweſter; daruͤber freuten ſie ſich
alle, und waren froh, daß ſie es nicht getoͤdtet
hatten.
Das Schweſterchen uͤbernahm nun den
Haushalt, und wenn die Bruͤder auf der Jagd
waren, ſammelte es Holz und Kraͤuter, ſtellte
zu am Feuer, deckte die Bettlein huͤbſch weiß
und rein, und thaͤt alles unverdroſſen und flei-
ßig. Einmal geſchah es, daß es fertig war mit
aller Arbeit, da ging es in den Wald ſpazieren.
Es kam an einen Platz, wo zwoͤlf ſchoͤne hohe,
weiße Lilien ſtanden, und weil ſie ihr ſo wohl
gefielen, brach ſie alle miteinander ab. Kaum
aber war das geſchehen, ſo ſtand eine alte Frau
vor ihr: „ach meine Tochter, ſagte ſie, warum
haſt du die zwoͤlf Studentenblumen nicht ſte-
hen laſſen! das ſind deine zwoͤlf Bruͤder, die
ſind nun alle in Raben verwandelt worden und
ſind verloren auf ewig.“ Das Schweſterchen
fing an zu weinen, „ach! ſagte es, giebts denn
kein Mittel ſie zu erloͤſen?[“] „Nein, es iſt kein
Mittel auf der Welt, als ein einziges, das iſt
ſo ſchwer, das du ſie nicht damit befreien wirſt:
du mußt zwoͤlf ganzer Jahr ſtumm ſeyn, ſprichſt
du ein einziges Wort, und es fehlt nur eine
Stunde daran, ſo iſt alles umſonſt und deine
Bruͤder ſind in dem Augenblick todt.“
Das Schweſterchen ſetzte ſich da auf einen
hohen Baum im Wald und ſpann und wollte
[29] zwoͤlf Jahre ſtumm ſitzen, um ſeine Bruͤder zu
erloͤſen. Es geſchah aber, daß der Koͤnig auf
einer Jagd durch den Wald ritt, und als er
an dem Baum vorbei kam, ſtand ſein Hund
ſtill und bellte. Der Koͤnig hielt nun, ſah hin-
auf und war ganz verwundert uͤber die Schoͤn-
heit der Prinzeſſin. Er rief ihr zu, ob ſie ſei-
ne Gemahlin werden wollte. Sie ſchwieg
aber ſtill und nickte nur ein wenig mit dem
Kopf. Da ſtieg der Koͤnig ſelber hinauf und
hob ſie herunter, ſetzte ſie vor ſich auf ſein
Pferd und brachte ſie heim in ſein Schloß, wo
die Hochzeit praͤchtig gehalten ward. Die Prin-
zeſſin ſprach aber niemals ein Wort und der
Koͤnig glaubte ſie ſey ſtumm. Doch haͤtten ſie
vergnuͤgt mit einander gelebt, wenn nicht die
Mutter des Koͤnigs geweſen waͤre, die fing
an die Koͤnigin bei ihrem Sohn zu verlaͤum-
den: „es iſt ein gemeines Bettelmaͤdchen, das
du aus der Fremde mitgebracht haſt, die hin-
ter deinem Ruͤcken die ſchaͤndlichſten Dinge
treibt.“ Weil die Koͤnigin nun ſich nicht ver-
theidigen konnte, ließ ſich der Koͤnig verfuͤhren,
und glaubte ihr endlich und verurtheilte ſie zum
Tod. Da ward ein großes Feuer angemacht
im Hof, darin ſollte ſie verbrannt werden.
Schon ſtand ſie in den Flammen und die ſpiel-
ten an ihrem Kleide; da war eben die letzte
Minute von den zwoͤlf Jahren verfloſſen, man
[30] hoͤrte in der Luft ein Geraͤuſch, und es kamen
zwoͤlf Raben hergeflogen und ließen ſich nieder.
Wie ſie die Erde beruͤhrten, waren es zwoͤlf
ſchoͤne Prinzen, die riſſen das Feuer von ein-
ander und fuͤhrten ihre Schweſter heraus. Da
ſprach ſie ihr erſtes Wort wieder und ſagte
dem Koͤnig alles, wie es zugegangen und ſie
die zwoͤlf Bruͤder habe erloͤſen muͤſſen; und ſie
waren alle vergnuͤgt, daß es ſo wohl gewor-
den war.
Was ſollten ſie mit der boͤſen Stiefmutter
anfangen; ſie ward in ein Faß geſteckt von ſie-
dendem Oehl und von giftigen Schlangen an-
gefuͤllt, und ſtarb da eines boͤſen Todes.
10.
Das Lumpengeſindel.
Haͤhnchen ſprach zum Huͤhnchen: „die
Nuͤſſe ſind reif, da wollen wir mit einander
auf den Berg gehen, und uns einmal recht ſatt
daran eſſen, eh ſie das Eichhorn alle wegholt.“
Ja, antwortete das Huͤhnchen, „komm da wol-
len wir uns eine Luſt miteinander machen.“
Sie gingen zuſammen fort, und weil es ein hel-
ler Tag war, blieben ſie bis zum Abend; nun
weiß ich nicht, ob ſie ſich ſo dick gegeſſen oder
ob ſie ſo uͤbermuͤthig geworden waren, ſie woll-
ten nicht zu Fuß nach Haus gehen, und das
[31] Haͤhnchen mußte einen kleinen Wagen von Nuß-
ſchaalen bauen. Als er fertig war, ſetzte ſich
Huͤhnchen hinein und ſagte zum Haͤhnchen:
„du kannſt dich nur immer vorſpannen.“ —
„Nein, ſagte das Haͤhnchen, das waͤre mir
recht! lieber geh ich zu Fuß nach Haus, als
daß ich mich vorſpannen laſſe, ſo haben wir
nicht gewettet; Kutſcher will ich wohl ſeyn und
auf dem Bock ſitzen, aber ſelbſt ziehen, das thu
ich nicht.“
Wie ſie ſich ſo ſtritten, ſchnatterte eine En-
te daher: „ihr Diebsvolk, wer hat euch gehei-
ßen in meinen Nußberg gehen, das ſoll euch
ſchlecht bekommen“, ging damit auf das Haͤhn-
chen los. Aber Haͤhnchen war auch nicht faul,
und ſtieg der Ente tuͤchtig zu Leib, endlich hack-
te es mit [ſeinem] Sporn ſo gewaltig, daß ſie
um Gnade bat und ſich gern zur Strafe vor
den Wagen ſpannen ließ. Haͤhnchen ſetzte ſich
auf den Bock und war Kutſcher, und nun ging
es fort, im Gallop: Ente lauf zu was du
kannſt! Als ſie ein Stuͤck Wegs gefahren wa-
ren, begegneten ſie zwei Fußgaͤngern, einer
Stecknadel und einer Naͤhnadel. Die riefen
halt und ſagten, es werde gleich ſtichdunkel
werden, da koͤnnten ſie keinen Schritt weiter,
dabei waͤr es ſo ſchmutzig auf der Straße, ob
ſie nicht ein wenig einſitzen koͤnnten; ſie ſeyen
auf der Schneiderherberge vor dem Thor gewe-
[32] ſen und haͤtten ſich beim Bier verſpaͤtet. Das
Haͤhnchen, da es magere Leute waren, die nicht
viel Platz einnahmen, ließ ſie beide einſteigen,
doch mußten ſie verſprechen, ihm nicht auf die
Fuͤße zu treten. Spaͤt Abends kamen ſie zu ei-
nem Wirthshaus, und weil ſie die Nacht nicht
weiter fahren wollten, die Ente auch nicht gut
zu Fuß war und von einer Seite auf die an-
dere fiel, kehrten ſie ein. Der Wirth machte
anfangs viel Einwendungen, ſein Haus ſey
ſchon voll, gedachte auch wohl, es moͤgten keine
vornehme Paſſagiere ſeyn; endlich aber, da ſie
ſuͤße Reden fuͤhrten, er ſolle das Ei haben, wel-
ches das Huͤhnchen unterwegs gelegt hatte, auch
die Ente behalten, die alle Tage eins lege, ſo
gab er nach. Nun ließen ſie ſich wieder friſch
auftragen und lebten in Saus und Braus.
Fruͤh Morgens, als es erſt daͤmmerte und noch
alles ſchlief, weckte Haͤhnchen das Huͤhnchen,
holte das Ei, pickte es auf und ſie verzehrten
es zuſammen, die Schalen aber warfen ſie auf
den Feuerheerd. Dann gingen ſie zu der Naͤh-
nadel, die noch ſchlief, packten ſie beim Kopf
und ſteckten ſie in das Seſſelkiſſen des Wirths,
die Stecknadel aber in ſein Handtuch, darauf
flogen ſie, mir nichts dir nichts, uͤber die Heide
davon. Die Ente, die unter freiem Himmel
ſchlafen wollte und im Hof geblieben war, hoͤrte
ſie fortſchnurren, machte ſich munter und fand
ei-
[33] einen Bach, auf dem ſie hinunter ſchwamm, und
das ging geſchwinder als vor dem Wagen. Ein
paar Stunden darnach ſtieg der Wirth aus den
Federn, wuſch ſich und wollte ſich am Hand-
tuch abtrocknen, da zerriß er ſich das Geſicht
mit der Stecknadel, dann ging er in die Kuͤche
und wollte ſich eine Pfeife anſtecken, wie er aber
an den Heerd kam, ſprangen ihm die Eierſcha-
len in die Augen. „Heute Morgen trifft Alles
meinen Kopf,“ ſagte er, und ſetzte ſich aͤrger-
lich in ſeinen Großvaterſtuhl — auweh! da ward
er noch ſchlimmer getroffen von der Naͤhnadel
und nicht an den Kopf. Da ward er vollends
boͤſ' und hatte Verdacht auf die Gaͤſte, die ſo
ſpaͤt geſtern Abend gekommen waren, und wie er
ging und ſich nach ihnen umſah, waren ſie fort.
Da that er einen Schwur, kein Lumpengeſindel
mehr in ſein Haus zu nehmen, das viel ver-
zehrt, nichts bezahlt und obendrein zum Dank
Schabernack treibt.
11.
Bruͤderchen und Schweſterchen.
Bruͤderchen nahm ſein Schweſterchen an der
Hand und ſagte: „ſeit die Mutter todt iſt, ha-
ben wir keine gute Stunde mehr, die Stiefmut-
ter ſchlaͤgt uns alle Tage, und wenn wir zu ihr
kommen, ſtoͤßt ſie uns mit dem Fuß fort; ſie
Kindermärchen. C
[34] giebt uns auch nichts zu eſſen, als harte Brot-
kruſten; dem Huͤndlein unter dem Tiſch gehts
beſſer, dem wirft ſie doch manchmal was Gu-
tes zu, daß Gott erbarm, wenn das unſere
Mutter wuͤßte! Komm laß uns miteinander
fortgehen.“ Sie gingen zuſammen fort und
kamen in einen großen Wald, da waren ſie ſo
traurig und ſo muͤde, daß ſie ſich in einen hoh-
len Baum ſetzten und da Hungers ſterben
wollten.
Sie ſchliefen zuſammen ein, und wie ſie
am Morgen aufwachten, war die Sonne ſchon
lange aufgeſtiegen und ſchien heiß in den hoh-
len Baum hinein. „Schweſterchen, ſagte das
Bruͤderchen nach einer Zeit, mich duͤrſtet ſo ge-
waltig, wenn ich ein Bruͤnnlein in der Naͤhe
wuͤßte, ich ging hin und traͤnk einmal, es iſt
mir auch, als hoͤrte ich eins rauſchen.“ —
„Was hilft das, antwortete das Schweſterchen,
warum willſt Du trinken, da wir doch Hungers
ſterben wollen.“ — Bruͤderchen aber ſchwieg
ſtill und ſtieg heraus, und weil es das Schwe-
ſterchen immer feſt mit der Hand hielt, mußte
es mit heraus ſteigen. Die boͤſe Stiefmutter
aber war eine Hexe, und wie ſie die zwei Kin-
der hatte fortgehen ſehen, war ſie ihnen nach-
gegangen und hatte ein klares Bruͤnnlein in der
Naͤhe des Baums aus dem Felſen ſpringen laſ-
ſen, das ſollte durch ſein Rauſchen die Kinder
[35] herbeilocken und zum trinken reizen, wer aber
davon trank, der ward in ein Rehkaͤlbchen ver-
wandelt. Bruͤderchen kam bald mit dem Schwe-
ſterchen zu dem Bruͤnnlein, und als er es ſo
glitzerig uͤber die Steine ſpringen ſah, ward
ſeine Luſt immer groͤßer, und er wollte davon
trinken. Aber dem Schweſterchen war Angſt,
es meinte, das Bruͤnnlein ſpraͤche im Rauſchen
und ſagte: „wer mich trinkt, wird zum Reh-
kaͤlbchen; wer mich trinkt, wird zum Rehkaͤlb-
chen!“ da bat es das Bruͤderchen, nicht von
dem Waſſer zu trinken. „Ich hoͤre nichts, ſag-
te das Bruͤderchen, als wie das Waſſer ſo lieb-
lich rauſcht, laß mich nur gehen!“ Damit legte
es ſich nieder, beugte ſich herab und trank, und
wie der erſte Tropfen auf ſeine Lippen gekommen
war, da lag ein Rehkaͤlbchen an dem Bruͤnnlein.
Das Schweſterchen weinte und weinte, die
Hexe aber war boͤſe, daß ſie es nicht auch zum
Trinken hatte verfuͤhren koͤnnen. Nachdem es
drei Tage geweint, ſtand es auf und ſammelte
die Binſen in dem Wald, und flocht ein wei-
ches Seil daraus. Dann band es das Rehkaͤlb-
chen daran und fuͤhrte es mit ſich. Es ſuchte
ihm auch eine Hoͤhle, trug Moos und Laub hin-
ein und machte ihm ein weiches Lager; am Mor-
gen ging es mit ihm hinaus, wo zartes Gras
war und ſammelte das allerſchoͤnſte, das fraß es
ihm aus der Hand, und das Rehkaͤlbchen war
C 2
[36] dann vergnuͤgt und ſpielte auf den Huͤgeln.
Abends aber, wenn Schweſterchen muͤde war,
legte es ſeinen Kopf auf den Ruͤcken des Reh-
kaͤlbchens, das war ſein Kiſſen, und ſo ſchlief es
ein; und haͤtte das Bruͤderchen nur ſeine menſch-
liche Geſtalt gehabt, das waͤre ein herrliches Le-
ben geweſen.
So lebten ſie lange Jahre in dem Wald.
Auf eine Zeit jagte der Koͤnig und verirrte ſich
darin. Da fand er das Maͤdchen mit dem Thier-
lein in dem Wald und war erſtaunt uͤber ſeine
Schoͤnheit. Er hob es zu ſich auf ſein Pferd
und nahm es mit, und das Rehkaͤlbchen lief an
dem Seile nebenher. An dem koͤniglichen Hofe
ward ihm alle Ehre angethan, ſchoͤne Jungfrauen
mußten es bedienen, doch war es ſelber ſchoͤner,
als alle andern; das Rehkaͤlbchen ließ es nie-
mals von ſich, und that ihm alles Gute an.
Bald darauf ſtarb die Koͤnigin, da ward das
Schweſterchen mit dem Koͤnig vermaͤhlt und
lebte in allen Freuden.
Die Stiefmutter aber hatte von dem Gluͤck
gehoͤrt, das dem armen Schweſterchen begeg-
net; ſie dachte es waͤre laͤngſt im Wald von den
wilden Thieren gefreſſen worden, aber die hat-
ten ihm nichts gethan, und nun war es Koͤnigin
im Reich. Die Hexe war ſo boͤſe daruͤber, daß
ſie nur darauf dachte, wie ſie ihr das Gluͤck ver-
derben konnte. Als im folgenden Jahr die Koͤ-
[37] nigin einen ſchoͤnen Prinzen zur Welt gebracht
hatte, und der Koͤnig auf der Jagd war, trat
ſie in der Geſtalt der Kammerfrau in die Stu-
be, worin die Kranke lag. „Das Bad iſt fuͤr
euch bereitet, ſagte ſie, das wird euch wohlthun
und ſtaͤrken, kommt eh' es kalt wird.“ Sie
fuͤhrte ſie darauf in die Badeſtube; wie die Koͤ-
nigin hineingetreten war, ſchloß ſie die Thuͤre
hinter ihr zu, drin aber war ein Hoͤllenfeuer
angemacht, da mußte die ſchoͤne Koͤnigin erſtik-
ken. Die Hexe hatte eine rechte Tochter, der
gab ſie ganz die aͤußerliche Geſtalt der Koͤnigin
und legte ſie an ihrer Stelle in das Bett. Der
Koͤnig kam am Abend heim, und wußte nicht,
daß er eine falſche Frau habe. Aber in der
Nacht — ſah die Kinderfrau — trat die rechte Koͤ-
nigin in die Stube, ſie ging zur Wiege, nahm
ihr Kind heraus, hob es an ihre Bruſt und gab
ihm zu trinken, dann ſchuͤttelte ſie ihm ſein Bett-
chen auf, legte es wieder hinein und deckte es
zu. Darauf ging ſie in die Ecke wo das Reh-
kaͤlbchen ſchlief und ſtreichelte ihm uͤber den Ruͤk-
ken. So kam ſie alle Nacht und ging wieder
fort, ohne ein Wort zu ſprechen.
Einmal aber trat ſie wieder ein und ſprach:
mehr.“
und that alles, wie in den andern Naͤchten.
[38] Die Kinderfrau weckte aber den Koͤnig und ſagte
es ihm heimlich. Der Koͤnig wachte die andere
Nacht, und da ſah er auch, wie die Koͤnigin
kam und hoͤrte deutlich ihre Worte:
„Was macht mein Kind? was macht mein Reh?
nun komm' ich noch einmal und dann nimmer-
mehr.“
Aber er getraute ſich nicht, ſie anzureden. In
der andern Nacht wacht' er wieder, da ſprach
die Koͤnigin:
„Was macht mein Kind? was macht mein Reh?
nun komm' ich noch diesmal her und dann nim-
mermehr.“
Da konnte ſich der Koͤnig nicht laͤnger halten,
ſprang auf und umarmte ſie, und wie er ſie an-
ruͤhrte, ward ſie wieder lebendig, friſch und roth.
Die falſche Koͤnigin ward in den Wald gefuͤhrt,
wo die wilden Thiere ſie fraßen, die boͤſe Stief-
mutter aber ward verbrannt, und wie das Feuer
ſie verzehrte, da verwandelte ſich das Rehkaͤlb-
chen, und Bruͤderchen und Schweſterchen waren
wieder beiſammen und lebten gluͤcklich ihr Lebe-
lang.
12.
Rapunzel.
Es war einmal ein Mann und eine Frau,
die hatten ſich ſchon lange ein Kind gewuͤnſcht
[39] und nie eins bekommen, endlich aber ward die
Frau guter Hoffnung. Dieſe Leute hatten in
ihrem Hinterhaus ein kleines Fenſter, daraus
konnten ſie in den Garten einer Fee ſehen, der
voll von Blumen und Kraͤutern ſtand, allerlei
Art, keiner aber durfte es wagen, in den Gar-
ten hineinzugehen. Eines Tages ſtand die Frau
an dieſem Fenſter und ſah hinab, da erblickte ſie
wunderſchoͤne Rapunzeln auf einem Beet und
wurde ſo luͤſtern darnach, und wußte doch, daß
ſie keine davon bekommen konnte, daß ſie ganz
abfiel und elend wurde. Ihr Mann erſchrack
endlich und fragte nach der Urſache; „ach wenn
ich keine von den Rapunzeln aus dem Garten
hinter unſerm Haus zu eſſen kriege, ſo muß ich
ſterben.“ Der Mann, welcher ſie gar lieb hatte,
dachte, es mag koſten was es will, ſo willſt du
ihr doch welche ſchaffen, ſtieg eines Abends uͤber
die hohe Mauer und ſtach in aller Eile eine Hand
voll Rapunzeln aus, die er ſeiner Frau brachte.
Die Frau machte ſich ſogleich Salat daraus,
und aß ſie in vollem Heißhunger auf. Sie hat-
ten ihr aber ſo gut, ſo gut geſchmeckt, daß ſie
den andern Tag noch dreimal ſoviel Luſt bekam.
Der Mann ſah wohl, daß keine Ruh waͤre, alſo
ſtieg er noch einmal in den Garten, allein er
erſchrack gewaltig, als die Fee darin ſtand und
ihn heftig ſchalt, daß er es wage in ihren Gar-
ten zu kommen und daraus zu ſtehlen. Er ent-
[40] ſchuldigte ſich, ſo gut er konnte, mit der Schwan-
gerſchaft ſeiner Frau, und wie gefaͤhrlich es ſey,
ihr dann etwas abzuſchlagen, endlich ſprach die
Fee: „ich will mich zufrieden geben und dir ſelbſt
geſtatten Rapunzeln mitzunehmen, ſo viel du
willſt, wofern du mir das Kind geben wirſt,
womit deine Frau jetzo geht.“ In der Angſt
ſagte der Mann alles zu, und als die Frau in
Wochen kam, erſchien die Fee ſogleich, nannte
das kleine Maͤdchen Rapunzel und nahm es
mit ſich fort.
Dieſes Rapunzel wurde das ſchoͤnſte Kind
unter der Sonne, wie es aber zwoͤlf Jahr alt
war, ſo ſchloß es die Fee in einen hohen hohen
Thurm, der hatte weder Thuͤr noch Treppe, nur
bloß ganz oben war ein kleines Fenſterchen. Wenn
nun die Fee hinein wollte, ſo ſtand ſie unten
und rief:
„Rapunzel, Rapunzel!
laß mir dein Haar herunter.“
Rapunzel hatte aber praͤchtige Haare, fein wie
geſponnen Gold, und wenn die Fee ſo rief, ſo
band ſie ſie los, wickelte ſie oben um einen Fen-
ſterhaken und dann fielen die Haare zwanzig Ellen
tief hinunter und die Fee ſtieg daran hinauf.
Eines Tages kam nun ein junger Koͤnigs-
ſohn durch den Wald, wo der Thurm ſtand,
ſah das ſchoͤne Rapunzel oben am Fenſter ſte-
hen und hoͤrte ſie mit ſo ſuͤßer Stimme ſingen,
[41] daß er ſich ganz in ſie verliebte. Da aber keine
Thuͤre im Thurm war und keine Leiter ſo hoch
reichen konnte, ſo gerieth er in Verzweiflung,
doch ging er alle Tage in den Wald hin, bis
er einſtmals die Fee kommen ſah, die ſprach:
„Rapunzel, Rapunzel!
laß dein Haar herunter.“
Darauf ſah er wohl, auf welcher Leiter man in
den Thurm kommen konnte. Er hatte ſich aber
die Worte wohl gemerkt, die man ſprechen muß-
te, und des andern Tages, als es dunkel war,
ging er an den Thurm und ſprach hinauf:
[„]Rapunzel, Rapunzel,
laß dein Haar herunter![“]
da ließ ſie die Haare los, und wie ſie unten
waren, machte er ſich daran feſt und wurde hin-
aufgezogen.
Rapunzel erſchrack nun anfangs, bald aber
gefiel ihr der junge Koͤnig ſo gut, daß ſie mit
ihm verabredete, er ſolle alle Tage kommen und
hinaufgezogen werden. So lebten ſie luſtig und
in Freuden eine geraume Zeit, und die Fee kam
nicht dahinter, bis eines Tages das Rapunzel
anfing und zu ihr ſagte: „ſag' ſie mir doch Frau
Gothel, meine Kleiderchen werden mir ſo eng
und wollen nicht mehr paſſen.“ Ach du gottlo-
ſes Kind, ſprach die Fee, was muß ich von dir
hoͤren, und ſie merkte gleich, wie ſie betrogen
waͤre, und war ganz aufgebracht. Da nahm ſie
[42] die ſchoͤnen Haare Rapunzels, ſchlug ſie ein paar
Mal um ihre linke Hand, griff eine Scheere mit
der rechten und ritſch, ritſch, waren ſie abge-
ſchnitten. Darauf verwieß ſie Rapunzel in eine
Wuͤſtenei, wo es ihr ſehr kuͤmmerlich erging und
ſie nach Verlauf einiger Zeit Zwillinge, einen
Knaben und ein Maͤdchen gebar.
Denſelben Tag aber, wo ſie Rapunzel ver-
ſtoßen hatte, machte die Fee Abends die abge-
ſchnittenen Haare oben am Haken feſt, und als
der Koͤnigsſohn kam;
[„]Rapunzel, Rapunzel,
laß dein Haar herunter![“]
ſo ließ ſie zwar die Haare nieder, allein wie
erſtaunte der Prinz, als er ſtatt ſeines gelieb-
ten Rapunzels die Fee oben fand. „Weißt du
was, ſprach die erzuͤrnte Fee, Rapunzel iſt fuͤr
dich Boͤſewicht auf immer verloren!“
Da wurde der Koͤnigsſohn ganz verzwei-
felnd, und ſtuͤrzte ſich gleich den Thurm hinab,
das Leben brachte er davon, aber die beiden
Augen hatte er ſich ausgefallen, traurig irrte
er im Wald herum, aß nichts als Gras und
Wurzeln, und that nichts als weinen. Einige
Jahre nachher geraͤth er in jene Wuͤſtenei, wo
Rapunzel kuͤmmerlich mit ihren Kindern lebte,
ihre Stimme daͤuchte ihm ſo bekannt, in dem-
ſelben Augenblick erkannte ſie ihn auch und
faͤllt ihm um den Hals. Zwei von ihren Thraͤ-
[43] nen fallen in ſeine Augen, da werden ſie wie-
der klar, und er kann damit ſehen, wie ſonſt.
13.
Die drei Maͤnnlein im Walde.
Einem Mann war ſeine Frau geſtorben,
da war er unſchluͤſſig ob er ſich wieder eine
nehmen ſollte oder nicht. Endlich zog er ſei-
nen Stiefel aus, der hatte in der Sohle ein
Loch, und ſprach zu ſeiner Tochter, ſeinem ein-
zigen Kind: „nimm dieſem Stiefel, trag ihn
auf den Boden, da iſt ein großer Nagel, dar-
an haͤng ihn auf, dann hole Waſſer und gieß
es hinein; haͤlt er das Waſſer, ſo will ich wie-
der eine Frau nehmen, laͤufts aber durch, ſo
laß ichs bleiben.“ Das Maͤdchen that, wie ihm
geheißen war, das Waſſer aber zog das Loch
zuſammen und der Stiefel ward voll bis oben
hin. Der Mann ſah ſelber nach, obs richtig
war, dann ſagte er: da muß ich mir wohl eine
Frau nehmen; ging hin und freite eine Witt-
we. Dieſe brachte auch eine Tochter von ih-
rem erſten Mann mit ins Haus, und als ſie
ſah, daß ihr Stiefkind ſchoͤn war und jeder-
mann es lieb hatte, ihre Tochter aber haͤßlich,
ſo ward ſie neidiſch, ſetzte es uͤberall zuruͤck
und dachte nur darauf, wie ſie es recht quaͤlen
wollte.
[44]
Einmal mitten im Winter, als der Schnee
hoch lag, naͤhte ſie ein Kleid von feinem Pa-
pier, und als es fertig war, rief ſie das Stief-
kind und ſagte: „ich habe Luſt Erdbeeren zu
eſſen, da zieh das Kleid an, geh in den Wald
und ſuche mir das Koͤrbchen voll: und daß du
nicht eher nach Haus kommſt, bis du es voll
haſt!“ Das Maͤdchen weinte bitterlich und
ſagte: „im Winter wachſen keine Erdbeeren im
Walde, und wenn ſie auch da waͤren ſo liegt
der Schnee darauf, wie ſoll ich ſie finden; und
draußen iſts ſo kalt, daß der Athem friert, wie
kann ich in dem Papierkleid gehen, da weht
ja der Wind durch, und die Dornen reißen es
mir herunter.“ — Rede kein Wort mehr, ſag-
te die Mutter, und geh gleich hinaus und ſu-
che die Erdbeeren;“ in ihrem neidiſchen Her-
zen aber gedachte ſie, das Maͤdchen werde drau-
ßen erfrieren und nimmermehr heimkommen,
darum hatte ſie ihm auch das duͤnne Papier-
kleid gemacht. Das Maͤdchen aber war gehor-
ſam, that das Papierkleid um, ging in den
Wald, da war aber nichts als Schnee und nir-
gends auch nur ein gruͤn Haͤlmchen zu ſehen.
Es ging immer weiter, und als es mitten in
den Wald kam, da ſah es ein kleines Haus,
aus dem guckten drei kleine Maͤnner. Es ſagte
ihnen guten Tag, und weil es ſo artig gruͤßte,
fragten ſie, was es in dem leichten Papierklei-
[45] de im Walde zur Winterszeit ſuche. „Ach!“
ſagte es, „ich ſoll ein Koͤrbchen voll Erdbeeren
ſuchen und darf nicht eher nach Haus kommen
bis ich es mitbringe.“ Die drei Maͤnner ſag-
ten darauf: „geh hinter unſer Haus und raͤu-
me den Schnee weg, da haben ſie Schutz ge-
habt und ſind gewachſen, da wirſt du vollauf
finden.“ Das Maͤdchen bedankte ſich und that,
wie ſie es geheißen hatten. Waͤhrend es nun
den Schnee wegraͤumte und die Erdbeeren ab-
brach, ſprachen die drei Maͤnnlein unter ſich:
„was ſollen wir ihm ſchenken, weil es ſo ar-
tig gegen uns geweſen und ſo ſchoͤn iſt?“ da
ſagte das eine: „ich ſchenke ihm, daß es noch
ſchoͤner wird, „das andere ſagte: „ich ſchenke
ihm, daß die goldenen Ducaten aus ſeinem
Munde fallen, wenn es ſpricht;“ das dritte:
„ich ſchenke ihm, daß ein Koͤnig kommt und es
heirathe.“ Wie nun das Maͤdchen wieder her-
vorkam, ſchenkten ſie ihm das alles, und als es
ſich bedanken wollte, fielen ſchon Ducaten aus
ſeinem Munde. Da ging es nach Haus und
verwunderte ſich die Stiefmutter uͤber die Erd-
beeren, die es brachte, ſo verwunderte ſie ſich
noch mehr, als ſie ſah, wie ihm die Ducaten
aus dem Munde fielen; es dauerte auch nicht
lange, ſo kam ein Koͤnig und holte es ab, und
machte es zu ſeiner Gemahlin.
Die Mutter aber gedachte, ſie wollte ihrer
[46] Tochter auch ein ſo großes Gluͤck verſchaffen.
Da naͤhte ſie ihr einen praͤchtigen Pelzrock und
hieß ſie hinausgehen in den Wald, und die klei-
nen Maͤnner um ein Geſchenk bitten. Die
Maͤnner aber ſahen, daß ſie ein boͤſes Herz
hatte und ſtatt guter Geſchenke gaben ſie ihm
ſchlimme. Der erſte, daß ſie in ihrem Pelzrock
friere, als waͤr er aus Papier, der zweite, daß
ſie alle Tage garſtiger werde, der dritte, daß ſie
eines ungluͤcklichen Todes ſterbe. Zitternd vor
Froſt kam ſie nach Hauſe und erzaͤhlte der
Mutter, was ihr begegnet war, und als dieſe
ſah, daß die Verwuͤnſchungen der drei Maͤnner
anfingen einzutreffen, dachte ſie nur darauf, wie
ſie ſich raͤchen wollte. Sie ging zu ihrer Stief-
tochter, der Koͤnigin, und ſtellte ſich freundlich
und liebreich an, da ward ſie wohl aufgenom-
men und ward ihr eine eigene Wohnung gege-
ben. Bald darauf gebar die Koͤnigin einen
Prinzen, und als ſie in der Nacht allein, krank
und ſchwach war, da hob ſie das boͤſe Weib
mit ihrer Tochter aus dem Bett, und ſie tru-
gen ſie hinaus zu dem Fluß und warfen ſie
hinein. Am andern Morgen ſagten ſie dem
Koͤnig, die Koͤnigin ſey in der Nacht ge-
ſtorben.
In der folgenden Nacht ſah der Kuͤchen-
junge, wie eine Ente durch die Goſſe in die
Kuͤche hineinſchwamm. Sie fragte:
[47]„Was machen meine Gaͤſte?“ —
Er antwortete: „Sie ſchlafen feſte.“
„Was macht mein Kindelein?“
„Es ſchlaͤft in der Wiege fein.“
Da ging ſie hinauf in der Koͤnigin Geſtalt,
gab ihm zu trinken, pflegt' es, macht' ihm ſei-
ne Wiege, deckt es zu und ſchwamm als Ente
am Morgen wieder durch die Goſſe fort. So
kam ſie noch eine Nacht, in der dritten aber
ſagte ſie zu dem Kuͤchenjungen: „geh zu dem
Koͤnig und ſag ihm, er ſolle ſein Schwert drei-
mal auf der Schwelle uͤber mir ſchwingen.“
Der Kuͤchenjunge lief und ſagts dem Koͤnig,
und als der Koͤnig dreimal ſein Schwert ge-
ſchwungen, da ſtand die Koͤnigin wieder leben-
dig vor ihm. Die Falſchheit der Stiefmutter
und ihrer Tochter kam an den Tag und ſie
wurden den wilden Thieren im Walde zu freſ-
ſen gegeben.
14.
Von dem boͤſen Flachsſpinnen.
Vorzeiten lebte ein Koͤnig, dem war nichts
lieber auf der Welt als Flachsſpinnen, und die
Koͤnigin und ſeine Toͤchter mußten den ganzen
Tag ſpinnen, und wenn er die Raͤder nicht
ſchnurren hoͤrte, war er boͤſe. Einmal mußte
er eine Reiſe machen, und ehe er Abſchied
[48] nahm, gab er der Koͤnigin einen großen Kaſten
mit Flachs und ſagte: „der muß geſponnen
ſeyn, wann ich wieder komme.“ Die Prin-
zeſſinnen wurden betruͤbt und weinten: „wenn
wir das alles ſpinnen ſollen, muͤſſen wir den
ganzen Tag ſitzen und duͤrfen nicht einmal auf-
ſtehen.“ Die Koͤnigin aber ſprach: „troͤſtet
euch, ich will euch ſchon helfen. Da waren im
Lande drei beſonders haͤßliche Jungfern, die er-
ſte hatte eine ſo große Unterlippe, daß ſie uͤber
das Kinn herunterhing, die zweite hatte an der
rechten Hand den Zeigefinger ſo dick und breit,
daß man drei andere Finger haͤtte daraus ma-
chen koͤnnen, die dritte hatte einen dicken breiten
Platſchfuß, ſo breit wie ein halbes Kuchenbrett.
Die ließ die Koͤnigin zu ſich fordern und an
dem Tage, wo der Koͤnig heim kommen ſollte,
ſetzte ſie alle drei nebeneinander in ihre Stube,
gab ihnen ihre Spinnraͤder und da mußten ſie
ſpinnen, auch ſagte ſie einer jeden, was ſie auf
des Koͤnigs Fragen antworten ſolle. Als der
Koͤnig anlangte, hoͤrte er das Schnurren der
Raͤder von weitem, freute ſich herzlich und ge-
dachte ſeine Toͤchter zu loben. Wie er aber in
die Stube kam und die drei garſtigen Jungfern
da ſitzen ſah, erſchrack er erſtlich, dann trat er
hinzu und fragte die erſte, woher ſie die ent-
ſetzlich große Unterlippe habe? „vom Lecken,
vom Lecken!“ Darauf die zweite, woher der
dicke
[49] dicke Finger? „vom Faden drehen, vom Fa-
den drehen und umſchlingen!“ dabei ließ ſie
den Faden ein paarmal um den Finger laufen.
Endlich die dritte: woher den dicken Fuß?
„vom Treten, vom Treten!“ wie das der Koͤ-
nig hoͤrte, befahl er der Koͤnigin und den Prin-
zeſſinnen, ſie ſollten nimmermehr ein Spinnrad
anruͤhren und ſo waren ſie ihrer Qual los.
[15].
Haͤnſel und Gretel.
Vor einem großen Walde wohnte ein ar-
mer Holzhacker, der hatte nichts zu beißen und
zu brechen, und kaum das taͤgliche Brod fuͤr
ſeine Frau und ſeine zwei Kinder, Haͤnſel und
Gretel. Einmal konnte er auch das nicht mehr
ſchaffen, und wußte ſich nicht zu helfen in ſeiner
Noth. Wie er Abends vor Sorge ſich im Bett
herumwaͤlzte, da ſagte ſeine Frau zu ihm: „hoͤre
Mann, morgen fruͤh nimm die beiden Kinder,
gieb jedem noch ein Stuͤckchen Brod, dann
fuͤhr ſie hinaus in den Wald, mitten inne, wo
er am dickſten iſt, da mach ihnen ein Feuer an,
und dann geh weg und laß ſie dort, wir koͤn-
nen ſie nicht laͤnger ernaͤhren.“ „Nein Frau,
ſagte der Mann, das kann ich nicht uͤber mein
Herz bringen, meine eigenen lieben Kinder zu
den wilden Thieren zu fuͤhren, die ſie bald in
Kindermärchen. D
[50] dem Wald zerreißen wuͤrden.“ „Wenn du das
nicht thuſt, ſprach die Frau, ſo muͤſſen wir alle
miteinander Hungers ſterben;“ da ließ ſie ihm
keine Ruhe, bis er Ja ſagte.
Die zwei Kinder waren auch noch wach
von Hunger, und hatten alles gehoͤrt, was die
Mutter zum Vater geſagt hatte. Gretel dach-
te, nun iſt es um mich geſchehen und fing er-
baͤrmlich an zu weinen, Haͤnſel aber ſprach:
„ſey ſtill, Gretel, und graͤm dich nicht, ich will
uns helfen.“ Damit ſtieg er auf, zog ſein
Roͤcklein an, machte die Unterthuͤre auf und
ſchlich hinaus. Da ſchien der Mond hell und
die weißen Kieſelſteine glaͤnzten wie lauter Ba-
tzen. Haͤnſel buͤckte ſich und machte ſich ſein
ganz Rocktaͤſchlein voll davon, ſo viel nur hin-
ein wollten, dann ging er zuruͤck ins Haus-
„troͤſte dich, Gretel, und ſchlaf nur ruhig,“ leg-
te ſich wieder ins Bett und ſchlief ein.
Morgens fruͤh, ehe die Sonne noch aufge-
gangen war, kam die Mutter und weckte ſie
alle beide: „ſteht auf, ihr Kinder, wir wollen
in den Wald gehen, da habt ihr jedes ein Stuͤck-
lein Brod, aber haltets zu Rathe und hebts
euch fuͤr den Mittag auf.“ Gretel nahm das
Brod unter die Schuͤrze, weil Haͤnſel die Stei-
ne in der Taſche hatte, dann machten ſie ſich
auf den Weg in den Wald hinein. Wie ſie
ein Weilchen gegangen waren, ſtand Haͤnſel
[51] ſtill und guckte nach dem Haus zuruͤck, bald
darauf wieder und immer wieder. Der Vater
ſprach: „Haͤnſel, was guckſt du zuruͤck und
haͤltſt dich auf, hab Acht und marſchir zu.“ —
„Ach, Vater, ich ſeh nach meinem weißen Kaͤtz-
chen, das ſitzt oben auf dem Dach und will
mir Ade ſagen.“ Die Mutter ſprach: „ei
Narr, das iſt dein Kaͤtzchen nicht, das iſt die
Morgenſonne, die auf den Schornſtein ſcheint.“
Haͤnſel aber hatte nicht nach dem Kaͤtzchen geſe-
hen, ſondern immer einen von den blanken Kieſel-
ſteinen aus ſeiner Taſche auf den Weg geworfen.
Wie ſie mitten in den Wald gekommen
waren, ſprach der Vater, „nun ſammelt Holz,
ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, daß
wir nicht frieren.“ Haͤnſel und Gretel trugen
Reiſig zuſammen, einen kleinen Berg hoch. Da
ſteckten ſie es an, und wie die Flamme recht groß
brannte, ſagte die Mutter: „nun legt euch ans
Feuer und ſchlaft, wir wollen in dem Wald das
Holz faͤllen, wartet, bis wir wieder kommen,
und euch abholen.[“]
Haͤnſel und Gretel ſaßen an dem Feuer,
bis Mittag, da aß jedes ſein Stuͤcklein Brod,
und dann wieder bis an den Abend; aber Va-
ter und Mutter blieben aus, und niemand woll-
te kommen und ſie abholen. Wie es nun fin-
ſtere Nacht wurde, fing Gretel an zu weinen,
Haͤnſel aber ſprach: „wart nur ein Weilchen,
D 2
[52] bis der Mond aufgegangen iſt. Und als der
Mond aufgegangen war, faßte er die Gre-
tel bei der Hand, da lagen die Kieſelſteine
wie neugeſchlagene Batzen und ſchimmerten und
zeigten ihnen den Weg. Da gingen ſie die
ganze Nacht durch, und wie es Morgen war,
kamen ſie wieder bei ihres Vaters Haus an.
Der Vater freute ſich von Herzen, als er ſeine
Kinder wieder ſah, denn er hatte ſie ungern
allein gelaſſen, die Mutter ſtellte ſich auch, als
wenn ſie ſich freute, heimlich aber war ſie boͤs.
Nicht lange darnach, war wieder kein Brod
im Hauſe und Haͤnſel und Gretel hoͤrten wie
Abends die Mutter zum Vater ſagte: „einmal
haben die Kinder den Weg zuruͤckgefunden, und
da habe ichs gut ſeyn laſſen, aber jetzt iſt wie-
der nichts, als nur noch ein halber Laib Brod
im Haus, du mußt ſie morgen tiefer in den
Wald fuͤhren, daß ſie nicht wieder heim kom-
men koͤnnen, es iſt ſonſt keine Huͤlfe fuͤr uns
mehr.“ Dem Mann fiels ſchwer aufs Herz,
und er gedachte, es waͤre doch beſſer, wenn du
den letzten Biſſen mit deinen Kindern theilteſt,
weil er es aber einmal gethan hatte, ſo durfte
er nicht nein ſagen. Haͤnſel und Gretel hoͤrten
das Geſpraͤch der Eltern; Haͤnſel ſtand auf und
wollte wieder Kieſelſteine aufleſen, wie er aber
an die Thuͤre kam, da hatte ſie die Mutter zu-
geſchloſſen. Doch troͤſtete er die Gretel und
[53] ſprach: „ſchlaf nur, lieb Gretel, der liebe Gott
wird uns ſchon helfen.“
Morgens fruͤh erhielten ſie ihr Stuͤcklein
Brod, noch kleiner als das vorigemal. Auf
dem Wege broͤckelte es Haͤnſel in der Taſche,
ſtand oft ſtill, und warf ein Broͤcklein an die
Erde. [„Was] bleibſt du immer ſtehen, Haͤnſel,
und guckſt dich um, ſagte der Vater, geh dei-
ner Wege.“ — „Ach! ich ſeh nach meinem
Taͤubchen, das ſitzt auf dem Dach und will mir
Ade ſagen“ — „du Narr, ſagte die Mutter, das
iſt dein Taͤubchen nicht, das iſt die Morgenſon-
ne, die auf den Schornſtein oben ſcheint.“
Haͤnſel aber zerbroͤckelte all ſein Brod und warf
die Broͤcklein auf den Weg.
Die Mutter aber fuͤhrte ſie noch tiefer in
den Wald hinein, wo ſie ihr Lebtag nicht ge-
weſen waren, da ſollten ſie wieder einſchlafen
bei einem großen Feuer, und Abends wollten
die Eltern kommen und ſie abholen. Zu Mit-
tag theilte Gretel ihr Brod mit Haͤnſel, weil
der ſeins all auf den Weg geſtreut; der Mit-
tag verging und der Abend verging, aber nie-
mand kam zu den armen Kindern. Haͤnſel troͤ-
ſtete die Gretel und ſagte: „wart, wenn der
Mond aufgeht, dann ſeh ich die Broͤcklein
Brod, die ich ausgeſtreut habe, die zeigen uns
den Weg nach Haus.“ Der Mond ging auf,
wie aber Haͤnſel nach den Broͤcklein ſah, da
[54] waren ſie weg, die viel tauſend Voͤglein in dem
Wald, die hatten ſie gefunden und aufgepickt.
Haͤnſel meinte doch den Weg nach Haus zu
finden und zog die Gretel mit ſich, aber ſie ver-
irrten ſich bald in der großen Wildniß und
gingen die Nacht und den ganzen Tag, da
ſchliefen ſie vor Muͤdigkeit ein; und gingen
noch einen Tag, aber ſie kamen nicht aus den
Wald heraus, und waren ſo hungrig, denn ſie
hatten nichts zu eſſen, als ein paar kleine Beer-
lein, die auf der Erde ſtanden.
Am dritten Tage gingen ſie wieder bis zu
Mittag, da kamen ſie an ein Haͤuslein, das
war ganz aus Brod gebaut und war mit Ku-
chen gedeckt, und die Fenſter waren von hellem
Zucker. „Da wollen wir uns niederſetzen und
uns ſatt eſſen, ſagte Haͤnſel; ich will vom Dach
eſſen, iß du vom Fenſter, Gretel, das iſt fein
ſuͤß fuͤr dich.“ Haͤnſel hatte ſchon ein gut
Stuͤck vom Dach und Gretel ſchon ein paar
runde Fenſterſcheiben gegeſſen, und brach ſich
eben eine neue aus, da hoͤrten ſie eine feine
Stimme, die von innen herausrief:
Haͤnſel und Gretel erſchracken ſo gewaltig, daß
ſie fallen ließen, was ſie in der Hand hielten,
und gleich darauf ſahen ſie aus der Thuͤre eine
[55] kleine ſteinalte Frau ſchleichen. Sie wackelte
mit dem Kopf und ſagte: „ei, ihr lieben Kin-
der, wo ſeyd ihr denn hergelaufen, kommt her-
ein mit mir, ihr ſollts gut haben,“ faßte beide
an der Hand und fuͤhrte ſie in ihr Haͤuschen.
Da ward gutes Eſſen aufgetragen, Milch und
Pfannkuchen mit Zucker, Aepfel und Nuͤſſe,
und dann wurden zwei ſchoͤne Bettlein bereitet,
da legten ſich Haͤnſel und Gretel hinein, und
meinten ſie waͤren wie im Himmel.
Die Alte aber war eine boͤſe Hexe, die
lauerte den Kindern auf, und hatte um ſie zu
locken ihr Brodhaͤuslein gebaut, und wenn eins
in ihre Gewalt kam, da machte ſie es todt,
kochte es und aß es, und das war ihr ein Feſt-
tag. Da war ſie nun recht froh, wie Haͤnſel
und Gretel ihr zugelaufen kamen. Fruͤh, ehe
ſie noch erwacht waren, ſtand ſie ſchon auf,
ging an ihre Bettlein und wie ſie die zwei ſo
lieblich ruhen ſah, freute ſie ſich und gedachte,
das wird ein guter Biſſen fuͤr dich ſeyn. Sie
packte Haͤnſel und ſteckte ihn in einen kleinen
Stall, und wie er da aufwachte, war er von
einem Gitter umſchloſſen, wie man junge Huͤhn-
lein einſperrt, und konnte nur ein paar Schritte
gehen. Das Gretel aber ſchuͤttelte ſie und rief:
ſteh auf, du Faullenzerin, hol Waſſer und geh
in die Kuͤche und koch gut zu eſſen, dort ſteckt
dein Bruder in einem Stall, den will ich erſt
[56] fett machen, und wann er fett iſt, dann will
ich ihn eſſen, jetzt ſollſt du ihn fuͤttern. Gre-
tel erſchrack und weinte, mußte aber thun, was
die Hexe verlangte. Da ward nun alle Tage
dem Haͤnſel das beſte Eſſen gekocht, daß er
fett werden ſollte, Gretel aber bekam nichts,
als die Krebsſchalen, und alle Tage kam die
Alte und ſagte: „Haͤnſel, ſtreck deine Finger
heraus, daß ich fuͤhle, ob du bald fett genug
biſt.“ Haͤnſel ſtreckte ihr aber immer ein Knoͤch-
lein heraus, da verwunderte ſie ſich, daß er gar
nicht zunehmen wolle.
Nach vier Wochen ſagte ſie eines Abends
zu Gretel: „ſey flink, geh und trag Waſſer
herbei, dein Bruͤderchen mag nun fett genug
ſeyn oder nicht, morgen will ich es ſchlachten
und ſieden, ich will derweile den Teig anma-
chen, daß wir auch dazu backen koͤnnen. Da
ging Gretel mit traurigem Herzen und trug
das Waſſer, worin Haͤnſel ſollte geſotten wer-
den. Fruͤh Morgens mußte Gretel aufſtehen,
Feuer anmachen und den Keſſel mit Waſſer
aufhaͤngen. „Gieb nun Acht, bis es ſiedet, ſag-
te die Hexe, ich will Feuer in den Backofen
machen und das Brod hineinſchieben;“ Gretel
ſtand in der Kuͤche und weinte blutige Thraͤ-
nen, und dachte, haͤtten uns lieber die wilden
Thiere im Walde gefreſſen, ſo waͤren wir zu-
ſammen geſtorben und muͤßten nun nicht das
[57] Herzeleid tragen, und ich muͤßte nicht ſelber das
Waſſer zu dem Tod meines lieben Bruders,
ſieden, du lieber Gott, hilf uns armen Kin-
dern aus der Noth.
Da rief die Alte: „Gretel komm gleich
einmal hierher zu dem Backofen,“ wie Gretel
kam, ſagte ſie: [„]guck hinein, ob das Brod ſchon
huͤbſch braun und gar iſt, meine Augen ſind
ſchwach, ich kann nicht ſo weit ſehen, und wenn
du auch nicht kannſt, ſo ſetz dich auf das Brett,
ſo will ich dich hineinſchieben, da kannſt du
darin herumgehen und nachſehen.“ Wenn
aber Gretel darin war, da wollte ſie zumachen
und Gretel ſollte in dem heißen Ofen backen,
und ſie wollte es auch aufeſſen: das dachte die
boͤſe Hexe, und darum hatte ſie das Gretel ge-
rufen. Gott gab es aber Gretel ein und ſie
ſagte: „ich weiß nicht, wie ich das anfangen ſoll,
zeigs mirs erſt, ſetz dich drauf, ich will dich hin-
einſchieben.“ Und die Alte ſetzte ſich auf das Brett,
und weil ſie leicht war, ſchob ſie Gretel hinein
ſo weit ſie konnte, und dann machte ſie geſchwind
die Thuͤre zu, und ſteckte den eiſernen Riegel
vor. Da fing die Alte an in dem heißen Back-
ofen zu ſchreien und zu jammern, Gretel aber
lief fort, und ſie mußte elendiglich verbrennen.
Und Gretel lief zum Haͤnſel, machte ihm
ſein Thuͤrchen auf und Haͤnſel ſprang heraus,
und ſie kuͤßten ſich einander und waren froh.
[58] Das ganze Haͤuschen war voll von Edelgeſtei-
nen und Perlen, davon fuͤllten ſie ihre Taſchen,
gingen fort und fanden den Weg nach Haus.
Der Vater freute ſich als er ſie wieder ſah, er
hatte keinen vergnuͤgten Tag gehabt, ſeit ſeine
Kinder fort waren, und ward nun ein reicher
Mann. Die Mutter aber war geſtorben.
16.
Herr Fix und Fertig.
Fix und Fertig war lange Zeit Soldat ge-
weſen, weil aber der Krieg ein Ende hatte und
nichts mehr zu thun war, als einen und alle
Tage dasſelbe, nahm er ſeinen Abſchied und
wollte Lakai bei einem großen Herrn werden.
Da gabs Kleider mit Gold beſetzt, viel zu ſchaf-
fen und immer was Neues. Alſo machte er
ſich auf den Weg und kam an einen fremden
Hof, da ſah er einen Herrn, der in dem Gar-
ten ſpazieren ging. Fix und Fertig beſann ſich
nicht lang, trat friſch auf ihn zu und ſagte:
„mein Herr, ich ſuche Dienſte bei einem großen
Herrn, ſinds Ew. Majeſtaͤt ſelbſt, ſo iſt mirs
am liebſten, ich kann und weiß alles, was dazu
gehoͤrt, kurz und lang, wies befohlen wird.“
Der Herr ſagte: „recht, mein Sohn, das waͤre
mir lieb, ſag an, was iſt anjetzt mein Verlan-
gen?“ Fix und Fertig ohne zu antworten drehte
[59] ſich um, lief eilend und brachte eine Pfeife und
Taback. „Recht, mein Sohn, du biſt mein
Bedienter, aber nun gebe ich dir auf, mir die
Prinzeſſin Nomini zu ſchaffen, die ſchoͤnſte auf
der Welt, die will ich zu meiner Gemahlin ha-
ben.“ — „Wohlan, ſagte Fix und Fertig, das
iſt mir ein kleines, die ſollen Ew. Maj. bald
haben, geben Sie mir nur eine Chaiſe beſpannt
mit Sechſen, einen Leibkutſcher, Haiducken, Lau-
fer, Lakaien, Koch und einen voͤlligen Staat,
mir ſelbſt aber fuͤrſtliche Kleider, und jedermann
muß meinen Befehlen gehorchen.“ Nun fuh-
ren ſie ab, der Herr Bedienter ſaß in der Kut-
ſche und es ging immer dem koͤniglichen Hof zu,
wo die ſchoͤne Prinzeſſin war. Als die Chauſ-
ſee zu Ende war, fuhren ſie ins Feld hinein
und kamen bald vor einen großen Wald, der
war voll von vielen tauſend Voͤgeln, da war ein
grauſamer Geſang, praͤchtig in die blaue Luft
hinein. „Halt! halt! rief der Fix und Fertig,
die Voͤgel nicht geſtoͤrt! die preiſen ihren Schoͤ-
pfer und wollen mir wieder einmal dienen, links
um!“ der Kutſcher mußte alſo umdrehen und
um den Wald herumfahren. Darnach waͤhrte
es nicht lang, ſo kamen ſie an ein großes Feld,
da ſaßen an die tauſend Millionen Raben, die
ſchrien nach Speiſe uͤberlaut. „Halt! halt! rief
der Herr Fix und Fertig: bind eins von den
vorderſten Pferden los, fuͤhr es aufs Feld und
[60] ſtichs todt, daß die Raben geſpeiſt werden, die
ſollen meinetwegen keinen Hunger leiden.“
Nachdem die Raben geſaͤttigt waren, ging die
Reiſe weiter und ſie kamen an ein Waſſer, dar-
in war ein Fiſch, der klagte erbaͤrmlich: „um
Gotteswillen! ich habe keine Nahrung in die-
ſem ſchlechten Sumpf, ſetzt mich in ein fließen-
des Waſſer, dafuͤr will ich euch einmal gegen-
dienen.“ Eh er noch ausgeredet, hatte Fix und
Fertig halt! halt! gerufen; „Koch nimm ihn in
die Schuͤrze, Kutſcher fahr zu nach einem fließen-
den Waſſer.“ Fix und Fertig ſtieg ſelber aus
und ſetzte ihn hinein, daß der Fiſch vor Freude
mit dem Schwanz ſchlug. Herr Fix und Fer-
tig ſprach: „laßt nun die Pferde raſch laufen,
daß wir zu Abend noch an Ort und Stelle ſind.“
Als er in der koͤniglichen Reſidenz anlangte fuhr
er gerade nach dem beſten Gaſthof, der Wirth
und alle ſeine Leute kamen heraus, empfingen
ihn aufs beſte und meinten, ein fremder Koͤnig
ſey angekommen, und es war doch nur ein Herr
Bedienter. Fix und Fertig aber ließ ſich gleich
bei dem koͤniglichen Hof anmelden, ſuchte ſich be-
liebt zu machen und hielt um die Prinzeſſin an.
„Mein Sohn, ſagte der Koͤnig, dergleichen Freier
ſind ſchon viele abgewieſen worden, weil keiner
hat ausrichten koͤnnen, was ich ihnen auferlegt
hatte, um meine Tochter zu gewinnen.“ „Wohl-
an, ſprach Fix und Fertig, geben Ew. Majeſtaͤt
[61] mir nur was rechtes auf.“ Der Koͤnig ſagte:
„ich habe ein Viertel Mohnſamen ſaͤen laſſen,
kannſt du mir denſelben wieder herbei ſchaffen,
daß kein Korn fehlt, ſo ſollſt du die Prinzeſſin
fuͤr deinen Herrn haben. Hoho! dachte Fix und
Fertig, das iſt ein geringes fuͤr mich. Nahm
darauf ein Maaß, Sack und ſchneeweiße Tuͤcher,
ging hinaus, und die letztern breitete er neben
das beſaͤte Feld hin. Gar nicht lange, da ka-
men die Voͤgel, die im Walde bei ihrem Sin-
gen nicht waren verſtoͤrt worden, und laſen den
Samen, Koͤrnchen fuͤr Koͤrnchen auf und trugen
ihn auf die weißen Tuͤcher. Als ſie alles auf-
geleſen hatten, ſchuͤttete es Fix und Fertig zu-
ſammen in den Sack, nahm das Maaß unter
den Arm, ging zu dem Koͤnig und maaß ihm
ſeinen ausgeſaͤten Samen wieder zu, gedachte nun
die Prinzeſſin waͤre ſchon ſein — aber gefehlt:
„noch eins, mein Sohn, ſagte der Koͤnig, meine
Tochter hat einſtmals ihren goldnen Ring ver-
loren, denſelben mußt du mir erſt wiederſchaffen,
eh du ſie bekommen kannſt.“ Fix und Fertig
machte ſich keine Sorgen: „laſſen Ew. Majeſtaͤt
mir nur das Waſſer und die Bruͤcke zeigen, wo
der Ring verloren worden, ſo ſoll er bald her-
beigeſchafft ſeyn.“ Als er hingebracht war, ſah
er hinab, da ſchwamm der Fiſch herzu, den er
auf ſeiner Reiſe in den Fluß geſetzt hatte, ſtreck-
te den Kopf in die Hoͤhe und ſagte: „wart ei-
[62] nige Augenblicke, ich fahre hinunter, ein Wall-
fiſch hat den Ring unter der Floßfeder, da will
ich ihn holen;“ kam auch bald wieder und warf
ihn ans Land. Fix und Fertig bracht ihn zum
Koͤnig, dieſer aber antwortete: „nun noch eins,
in jenem Walde iſt ein Einhorn, das hat ſchon
vielen Schaden gethan, wenn du das toͤdten
kannſt, dann iſt nichts mehr uͤbrig. Fix und
Fertig bekuͤmmerte ſich auch hier nicht groß, ſon-
dern ging geradezu in den Wald. Da waren die
Raben, die er einmal gefuttert und ſprachen:
„noch eine kleine Weile Geduld, jetzt liegt das
Einhorn und ſchlaͤft, aber nicht auf der ſcheelen
Seite, wenn es ſich herumdreht, dann wollen
wir ihm das eine gute Auge, das es hat, aus-
picken, dann iſt es blind und wird in ſeiner
Wuth gegen die Baͤume rennen und mit ſeinem
Horn ſich feſtſpießen; dann kannſt du es leicht
toͤdten.“ Bald waͤlzte ſich das Thier ein paar
Mal im Schlaf herum und legte ſich auf die
andere Seite, da flogen die Raben herunter
und hackten ihm ſein geſundes Auge aus. Wie
es die Schmerzen empfand, ſprang es auf und
rennte unſinnig im Wald herum, bald auch hatte
es ſich in eine dicke Eiche feſtgerennt. Da ſprang
Fix und Fertig herbei, hieb ihm den Kopf ab,
und brachte ihn dem Koͤnig. Dieſer konnte nun
ſeine Tochter nicht laͤnger verſagen, ſie ward dem
Fix und Fertig uͤbergeben, der ſich gleich in vol-
[63] lem Staat, wie er gekommen war, mit ihr in
die Kutſche ſetzte, zu ſeinem Herrn fuhr und ihm
die liebevolle Prinzeſſin brachte. Da ward er wohl
empfangen, und in aller Pracht Hochzeit gehal-
ten; Fix und Fertig aber wurde erſter Miniſter.
Ein jegliches in der Geſellſchaft, wo dies
erzaͤhlt wurde, wuͤnſchte auch bei dem Vergnuͤ-
gen zu ſeyn, eins wollte Kammerjungfer, das
andere Garderobemaͤdchen werden, dafuͤr wollte
einer Kammerdiener, der andere Koch werden
u. ſ. w.
17.
Die weiße Schlange.
Auf des Koͤnigs Tafel ward alle Mittage
eine verdeckte Schuͤſſel geſetzt, wenn alle fort-
gegangen waren, aß der Koͤnig noch allein dar-
aus, und es wußte kein Menſch im ganzen
Reich, was das fuͤr eine Speiſe war. Einer
von den Dienern ward neugierig, was in der
Schuͤſſel ſeyn koͤnne, und wie ihm der Koͤnig
einmal befohlen hatte, die Schuͤſſel fortzutra-
gen, konnt' er ſich nicht mehr zuruͤckhalten,
nahm ſie mit auf ſeine Kammer und deckte ſie
auf. Und als er ſie aufgedeckt hatte, da lag
eine weiße Schlange darin, wie er die anſah,
bekam er auch Luſt davon zu eſſen und ſchnitt
ſich ein Stuͤck ab und aß es. Kaum aber hat-
[64] te das Schlangenfleiſch ſeine Lippen beruͤhrt,
ſo verſtand er die Thierſprache, und hoͤrte,
was die Voͤgel vor dem Fenſter zu einander
ſagten.
Denſelben Tag kam der Koͤnigin einer ih-
rer ſchoͤnſten Ringe fort, und der Verdacht fiel
auf ihn, der Koͤnig ſagte auch, wenn er nicht
bis Morgen den Dieb ſchaffe, ſolle er beſtraft
werden, als waͤre ers geweſen. Der Diener
ward traurig und ging herab auf des Koͤnigs
Hof. Da ſaßen die Enten am Waſſer und
ruhten ſich, und als er die ſo betrachtete, da
hoͤrte er eine ſprechen: „es liegt mir ſo ſchwer
im Magen, ich habe einen Ring gefreſſen, den
die Koͤnigin verloren hat.“ Er nahm die En-
te und trug ſie zum Koch: „ſchlacht doch die,
ſie iſt ſo fett,“ und als der Koch ihr den Hals
abgeſchnitten, und ſie ausnahm, da lag der
Koͤnigin Ring ihr im Magen. Der Diener
brachte ihn dem Koͤnig, der erſtaunte und war
froh, und weil es ihm leid war, daß er ihm
Unrecht gethan, ſagte er: „fordre wornach du
Luſt haſt, und was fuͤr eine Ehrenſtelle du an
meinem Hof haben willſt.“ Der Diener aber,
ob er gleich jung und ſchoͤn war, ſchlug alles
aus, war traurig in ſeinem Herzen und wollte
nicht laͤnger bleiben; er bat nur um ein Pferd
und um Geld in die Welt zu ziehen: das ward
ihm aufs beſte gegeben.
Am
[65]
Am andern Morgen ritt er fort und kam
an einen Teich, da hatten ſich drei Fiſche im
Rohr gefangen, die klagten, daß ſie da ſterben
muͤßten, wenn ſie nicht bald wieder ins Waſ-
ſer kaͤmen. Er ſtieg ab, nahm ſie aus dem
Rohr und trug ſie ins Waſſer: die Fiſche rie-
fen: „wir wollen daran gedenken und dirs ver-
gelten.“ Er ritt weiter, bald darauf hoͤrte er,
wie ein Ameiſenkoͤnig rief: „geh mit deinem
großen Thier fort, das zertritt mit ſeinen brei-
ten Fuͤßen uns alle miteinander.“ Er ſah zur
Erde, da hatte ſein Pferd in einen Ameiſen-
haufen getreten; er lenkte es ab und der Amei-
ſenkoͤnig rief ihm nach: „wir wollen daran ge-
denken und dirs vergelten.“ Darauf kam er
in einen Wald, da warfen die Raben ihre Jun-
gen aus den Neſtern, ſie waͤren groß genug,
ſprachen ſie, und koͤnnten ſich ſelber ernaͤhren.
Die Jungen lagen auf der Erde und ſchrieen,
ſie muͤßten Hungers ſterben, ihre Fluͤgel waͤren
noch zu klein, ſie koͤnnten noch nicht fliegen
und ſich etwas ſuchen. Da ſtieg er vom Pferd
ab, nahm ſeinen Degen und ſtach es todt und
warfs den jungen Raben hin, die kamen bald
herbeigehuͤpft und fraßen ſich ſatt und ſag-
ten: „wir wollen daran gedenken und dirs ver-
gelten.“
Er ging weiter und kam in eine große
Stadt, da ward bekannt gemacht, wer die Prin-
Kindermärchen. E
[66] zeſſin haben wolle, der ſolle ausfuͤhren, was ſie
ihm aufgeben werde, ſey er hernach nicht im
Stande, habe er ſein Leben verloren. Es wa-
ren aber ſchon viele Prinzen da geweſen, die
waren alle dabei umgekommen, daß niemand
ſich mehr daran wagen wollte; da ließ es die
Prinzeſſin von neuem bekannt machen. Der
Juͤngling gedachte, er woll' es wagen und mel-
dete ſich als Freier. Da ward er hinaus ans
Meer gefuͤhrt, und ein Ring hinabgeworfen,
den ſollt er wiederholen, und wenn er aus
dem Waſſer heraufkaͤme ohne den Ring, werde
er wieder hineingeſtuͤrzt und muͤſſe darin ſter-
ben. Wie er aber am Ufer ſtand, kamen die
Fiſche, die er aus dem Rohr in das Waſſer
geworfen hatte, und der mittelſte hatte eine
Muſchel im Munde, darin lag der Ring, die
Muſchel legte er zu ſeinen Fuͤßen an den
Strand. Da war der Juͤngling froh, brachte
dem Koͤnig den Ring und verlangte die Prin-
zeſſin. Die Prinzeſſin aber, als ſie hoͤrte, daß
es kein Prinz ſey, wollte ihn nicht, ſie ſchuͤtte-
te zehn Saͤcke Hirſen ins Gras: die ſolle er
erſt aufleſen, daß kein Koͤrnchen fehle, ehe die
Morgenſonne aufgegangen. Da kam der Amei-
ſenkoͤnig mit alle ſeinen Ameiſen, die der Juͤng-
ling geſchont hatte und laſen in der Nacht al-
len Hirſen auf, und trugen ihn in die Saͤcke,
und vor Sonnenaufgang waren ſie fertig. Wie
[67] die Prinzeſſin das ſah, erſtaunte ſie, und der
Juͤngling ward vor ſie gebracht, und weil er
ſchoͤn war, gefiel er ihr, aber ſie verlangte noch
zum dritten, er ſolle ihr einen Apfel vom
Baum des Lebens ſchaffen. Als er ſtand und
daruͤber nachdachte, wie er dazu gelangen koͤn-
ne, da kam einer von den Raben, die er mit
ſeinem Pferd gefuͤttert, und brachte den Apfel
in dem Schnabel. Da ward er der Gemahl
der Prinzeſſin und, als ihr Vater ſtarb, Koͤnig
uͤber das ganze Land.
18.
Strohhalm, Kohle und Bohne auf
der Reiſe.
Ein Strohhalm, eine Kohle und eine Boh-
ne ſchlugen ſich zuſammen, und wollten ge-
meinſchaftlich eine große Reiſe machen. Sie
waren ſchon durch viele Laͤnder gezogen, da
kamen ſie an einen Bach ohne Bruͤcke und
konnten nicht hinuͤber. Endlich wußte Stroh-
halm guten Rath, er legte ſich quer uͤber und
die andern ſollten uͤber ihn hingehen, erſt Koh-
le, dann Bohne. Kohle ging breit und lang-
ſam darauf, Bohne trippelte nach. Wie aber
die Kohle mitten auf den Strohhalm kam, fing
der an zu brennen, und brannte durch, Kohle
fiel ziſchend ins Waſſer und ſtarb, Strohhalm
E 2
[68] floß in zwei Theile zerſtuͤckt fort, Bohne, die
noch etwas zuruͤck war, rutſchte auch nach, und
fiel hinunter, half ſich aber ein bischen mit
Schwimmen. Sie mußte doch endlich ſo viel
Waſſer trinken, daß ſie zerplatzte, und ward in
dieſem Zuſtand ans Ufer getrieben. Zum Gluͤck
ſaß da ein Schneider, der auf ſeiner Wander-
ſchaft ausruhte, weil er nun Nadel und Zwirn
bei der Hand hatte, naͤhte er ſie wieder zuſam-
men; ſeit der Zeit aber haben alle Bohnen ei-
ne Naht.
Nach einer andern Erzaͤhlung ging die
Bohne zuerſt uͤber den Strohhalm, kam gluͤck-
lich hinuͤber und ſah auf dem gegenſeitigen
Ufer der Kohle zu wie die heruͤberzog. Mitten
auf dem Waſſer brannte ſie den Strohhalm
durch, fiel hinab und ziſchte. Wie das die
Bohne ſah, lachte ſie ſo ſtark, daß ſie platzte.
Der Schneider am Ufer naͤhte ſie wieder zu,
hatte aber gerade nur ſchwarzen Zwirn, daher
alle Bohnen eine ſchwarze Naht haben.
19.
Von den Fiſcher und ſiine Fru.
Daar was mal eens een Fiſcher un ſiine
Fru, de waanten toſamen in'n Pispott, dicht
an de See — un de Fiſcher ging alle Dage
hen un angelt, un ging he hen lange Tid.
[69]
Daar ſatt he eens an de See bi de Angel
un ſach in dat blanke Water, un he ſach uͤm-
mer na de Angel — daar ging de Angel to
Grun'n, deep unner, un as he ſe heruttreckt ſo
haalt he eenen groten Butt herut — de Butt
ſed' to em: „ick bidd di, dat du mi lewen lettſt,
ick bin keen rechte Butt, ick bin een verwuͤnſcht'
Prins, ſett mi wedder in dat Water un laat mi
ſwemmen“ — Nu, ſed' de Mann, du bruukſt
mich ſo veele Woord' to maken, eenen Butt,
de ſpreken kan, hadd ick doch woll ſwemmen
laten. Daar ſett't he en wedder in dat Water,
un de Butt ging fuurts weg to Grun'n un leet
eenen langen Stripen Bloot hinne ſich.
De Mann averſt ging to ſiine Fru in'n
Pispott un vertellt eer, dat he eenen Butt
fangen hadd, de hadd to em ſegt, he weer een
verwuͤnſcht' Prins, doon hadd he em wedder
ſwemmen laten. „Heſt du di den nix wuͤnſcht?“
ſed' de Fru. — „Nee! ſed de Mann, wat ſull
ick mi wuͤnſchen?“ — „Ach! ſed' de Fru, dat
is doch oͤvel, uͤmmer in'n Pispott to wanen, dat
is ſo ſtinkig un dreckig hier, ga du noch hen
un wuͤnſch uns ne luͤtte Huͤtt!“ den Mann
was dat nich ſo recht, doch ging he hen na de
See, un as he hen kamm, ſo was de See
gans geel un groͤn, da ging he an dat Water
ſtaan, un ſed:
[70]
Daar kam de Butt anſwemmen un ſed': „na
wat will ſe denn?“ — „Ach! ſed' de Mann,
ick hev di doch fangen haͤtt, nu ſed' mine Fru,
ick hadd mi doch wat wuͤnſchen ſullt, ſe mag
nich meer in Pispott wanen, ſe wull geern ne
Huͤtt hebben.“ — „Ga man hen, ſed de Butt,
ſe is all daar in.“ —
Daar ging de Mann hen, und ſiine Fru
ſtund in eene Huͤtt in de Doͤoͤr, un ſed to em:
„kumm man herin; ſuͤ, nu is dat doch veel be-
ter!“ Un daar was eene Stuwe un Kamer un
eene Koͤck daar in, un da achter was een luͤtte
Gaarn mit allerhand Groͤnigkeiten un een Hoff,
da weeren Hoͤner und Aanten. „Ach, ſed de
Mann, nu willn wi vergnoͤgt lewen“ — „Ja,
ſed de Fru, wi willnt verſoͤken.“
So ging dat nu wol een acht oder veer-
tein Daag, daar ſed' de Fru: „Mann! de
Huͤtt wart mi to eng, de Hoff un Gaarn is
to luͤtt, ick will in een grot ſteenern Slott wa-
nen; ga hen tum Butt, he ſall uns een Slott
ſchaffen.“ — „Ach Fru, ſed de Mann, de Butt
hett uns eerſt de Huͤtt gewen, ick mag nu nich
all wedder kamen, den Butt muͤgt et verdree-
ten.“ — J watt, ſed de Fru, he kann dat recht
[71] good, un deet dat geern, ga du man hen!“
Daar ging der Mann hen un ſiin Hart was
em ſo ſwar; as he awerſt bi de See kam, was
dat Water gans vigelett un grag un dunkel-
blag, doch was't noch ſtill, dar ging he ſtaan
un ſed:
„Na! wat will ſe denn?“ ſed de Butt. —
Ach, ſed de Mann, gans bedroͤvd, mine Fru
will in een ſtenern Slott wanen.“ — „Ga
man hen, ſe ſteit voͤr de Doͤoͤr“ ſed de
Butt.
Daar ging de Mann hen un ſiine Fru
ſtund voͤr eenen groten Pallaſt. „Suͤ Mann,
ſed ſe, wat is dat nu ſchoͤn!“ Mit des gin-
gen ſe toſamen herin, daar weeren ſo veel Be-
deenters, un de Waͤnde weeren all blank, un
goldne Stoͤoͤl un Diſche weeren in de Stuw,
un achter dat Slott was een Gaarn un Holt,
woll eene halve Miil lang, daar in weren Hir-
ſche, Reeh un Haſen, un up den Hoff Koͤh-
un Peerdſtaͤll. „Ach! ſed de Mann, nu willn
wi ook in dat ſchoͤne Slott bliwen, un tofre-
den ſin!“ — „Dat willn wi uns bedenken, ſed
de Fru, un willn't beſchlapen.“ Mit des gin-
gen ſe to Bed.
[72]
Den annern Morgen waakt de Fru up,
dat was all Dag: da ſtoͤdd' ſe den Mann mit
den Ellbagen in de Siid, un ſed: „Mann ſtah
up, wi moͤten Koͤnig warden oͤver all dat
Land.“ — „Ach! Fru, ſed de Mann, wat
wulln wi Koͤnig warden, ick mag nich Koͤnig
ſin;“ na denn will ick Koͤnig ſin. — „Ach!
Fru, ſed de Mann, wo kannſt du Koͤnig ſin,
de Butt muͤgt dat nich doon“ — „Mann, ſed
de Fru, ga ſtracks hen, ick moͤt Koͤnig ſin.“
Daar ging de Mann un was gans bedroͤvd,
dat ſin Fru Koͤnig warden wull. Un as he an
de See kamm, was ſe all gans ſwartgrag un
dat Water geert ſo van unner up. Daar ging
he ſtaan un ſed:
„Na wat will ſe denn?“ ſed de Butt. —
„Ach! ſed de Mann, mine Fru will Koͤnig
warden“ — „Ga man hen, ſe is't all,“ ſed
de Butt.
Daar ging de Mann hen, un as he na
den Pallaſt kamm, da weren daar ſo veele Sol-
daten un Pauken un Trumpeten, un ſiine Fru
ſatt up eenen hogen Troon van Gold un De-
mant un had eene grote goldne Kroon up un
up beiden Siiden bi eer daar ſtunden ſoͤs Jum-
[73] fern, uͤmmer eene eenen Kops luͤtjer as de ann-
re. „Ach, ſed de Mann, biſt du nu Koͤnig?“
— „Ja, ſed ſe, ick bin Koͤnig.“ Un as he
eer ſo ne Wile anſeen had, ſo ſed he: „ach Fru!
wat lett dat ſchoͤn, wenn du Koͤnig biſt, nu
willn wi ook nich meer wuͤnſchen.“ — „Nee
Mann, ſed ſe, mi duurt dat all to lang, ick kan
dat nich meer uthollen, Koͤnig bin ick, nu moͤt
ick ook Kaiſer warden!“ — „Ach! Fru, ſed de
Mann, wat wullſt du Kaiſer warden?“ —
„Mann, ſed ſe, ga tum Butt, ick wull Kaiſer
ſin“ — „Ach Fru, ſed de Mann, Kaiſer kan
he nich maken, ick mag den Butt dat nicht ſeg-
gen.“ — „Ick bin Koͤnig, ſed de Fru, un du
biſt min Mann, ga gliik hen!“ Da ging de
Mann weg, un as he ſo ging, dacht he: „dit
geit un geit nich good, Kaiſer is to utver-
ſchamt, de Butt ward am Ende moͤde.“ Mit
des kamm he an de See, dat Water was gans
ſwart un dick, un et ging ſo een Keekwind
aͤver hen, dat dat ſik ſo koͤret; daar ging he
ſtaan un ſed:
„Na wat will ſe denn?“ ſed de Butt. — „Ach,
ſed he, min Fru will Kaiſer warden.“ — „Ga
man hen, ſed de Butt, ſe is't all.“
[74]
Daar ging de Mann hen, un as he daar-
kamm, ſo ſatt ſiine Fru up eenen ſeer hogen
Troon, de was van een Stuͤck Gold, un had
eene grote Kroon up, de was wol twee Ellen
hoch, bi eer up de Siiden dar ſtunnen de Tra-
banten, uͤmmer een luͤttjer as de anner, von
den allergroͤtſten Riſen, bett to den luͤttſten
Dwark, de was man ſo lang, as miin luͤttje
Finger. Vor eer dar ſtunden ſo veele Fuͤrſten
un Graven, da ging de Mann unner ſtaan,
un ſed: „Fru! biſt du nu Kaiſer?“ — Ga ſed
ſe, ick bin Kaiſer.“ — „Ach! ſed de Mann,
un ſach ſe ſo recht an, Fru wat lett dat ſchoͤn,
wenn du Kaiſer biſt.“ — „Mann, ſed ſe, wat
ſteiſt du daar, ick bin nu Kaiſer, nu will ick
aͤwerſt ook Papſt warden.“ — „Ach! Fru,
ſed de Mann, wat wiſt du Pabſt warden,
Pabſt is man eenmal in de Chriſtenheit.“ —
„Mann, ſed ſe, ick moͤt huͤuͤt noch Pabſt war-
den.“ — „Ne Fru, ſed he, to Pabſt kan de
Butt nich maaken, dat geit nich good.“ —
„Mann, wat Snak, kan he Kaiſer maken, kan
he ook Pabſt maken, ga fuurts hen!“ Daar
ging de Mann hen, un em was gans flau,
dee Knee un de Waden ſlakkerten em, un bu-
ten ging de Wind, un dat Water was, as
kaakt dat, de Schep ſchoten in de Noot un dans-
ten un ſprungen up de Buͤlgen, doch was de
Himmel in de Midde noch ſo'n beeten blag,
[75] awerſt an de Siden, daar toog dat ſo recht rood
up as een ſwaar Gewitter. Dar ging he recht
voͤrzufft ſtaan un ſed:
„Na, wat will ſe denn?“ ſed de Butt. —
„Ach! ſed de Mann, miin Fru will Pabſt
warden.“ — „Ga man hen, ſed de Butt, ſe
is't all.“
Daar ging he hen, un as he daar kamm, ſatt
ſine Fru up eenen Tron, de was twee Mil'
hoch, un had dree groote Kroonen up, un um
eer da was ſo veel van geiſtlike Staat, un up
de Siden bi eer, daar ſtunden twee Reegen Lich-
ter, dat groͤtſte ſo dick un groot as de aller groͤt-
ſte Torm, bet to dat alle luͤttſte Koͤken-Licht.
„Fru, ſed de Mann, un ſach ſe ſo recht an,
biſt du nu Pabſt?“ — „Ja, ſed ſe, ick bin
Pabſt!“ — „Ach! Fru, ſed de Mann, wat
lett dat ſchoͤn, wenn du Pabſt biſt; Fru, nu
wes tofreden, nu du Pabſt biſt, kanſt du nix
meer warden.“ — „Dat will ick mi bedenken,
ſed de Fru, daar gingen ſee beede to Bed, awerſt
ſe was nich tofreden un de Girigkeit leet eer
nich ſlapen, ſe dacht uͤmmer, wat ſe noch wol
warden wull. Mit des ging de Suͤnn up; ha,
dacht ſe, as ſe ſe ut den Finſter ſo herup ka-
[76] men ſach, kann ick nich ook de Suͤnn upgaan
laten? daar wurd ſe recht ſo grimmig, un ſtoͤdd
eeren Mann an: „Mann ga hen tum Butt,
ick will warden, as de lewe Gott!“ de Mann
was noch meiſt im Slaap, averſt he verſchrack
ſich ſo, dat he ut den Bed feel. „Ach! Fru,
ſed he, gaa in di un bliw Pabſt.“ — „Ne,
ſed de Fru, un reet ſich dat Liivken up, ick bin
nich ruhig, un kan dat nich uthollen, wenn ick
de Suͤnn un de Maan upgaan ſee, un kan ſe
nich ook upgaan laten, ick moͤt warden, as de
lewe Gott!“ — „Ach Fru, ſed de Mann, dat
kan de Butt nich, Kaiſer un Pabſt kan he
maken, awerſt dat kan he nich.“ — „Mann,
ſed ſe, un ſach ſo recht graͤſig ut, ick will war-
den as de lewe Gott, gaa gliik hen to'm Butt.“
Dat fuur den Mann ſo doͤrch de Gleder,
dat he bewt voͤr Angſt; buten awer ging de
Storm, dat alle Boͤme un Felſen umweigten un
de Himmel was gans ſwart, un dat dunnert
un blitzt; daar ſach man in de See ſo ſwarte
hoge Buͤlgen as Barg' un hadden baben all
eene witte Kroon van Schuum up, da ſed he:
„Na wat will ſe den?“ ſed de Butt. — „Ach!
ſed he, ſe will warden as de leve Gott.“ —
[77] „Gah man hen, ſe ſitt all wedder in'n Piß-
pott.“ Daar ſitten ſe noch huͤt un diſſen Dag.
20.
Von einem tapfern Schneider.
I.
In einem Staͤdtlein Romandia war ein
Schneider geſeſſen, welcher auf ein Zeit, als er
gearbeitet, einen Apfel bei ſich liegen gehabt,
darauf viel Fliegen, wie dann Sommerszeiten
gewoͤhnlich, geſeſſen; das thaͤt dem Schneider
Zorn, nahm einen Fleck von Tuch und ſchlug
auf den Apfel und erſchlug der Fliegen ſieben.
Als ſolches der einfaͤltige Schneider geſehen, ge-
dacht er bei ſich ſelbſt, ſein Sach ſollte gut wer-
den, ließ ſich bald einen ſehr ſchoͤnen Harniſch
machen und darauf mit goldenen Buchſtaben
ſchreiben: ſieben auf einen Streich ge-
ſchlagen! zog mit ſeinem Harniſch auf der
Gaſſe, wer ihn beſahe, der meinte, er haͤtte ſie-
ben Menſchen auf einen Streich zu todt geſchla-
gen; ward darnach von jedermann uͤbel gefuͤrch-
tet. Nun war in derſelben Gegend ein Koͤnig,
deſſen Lob weit und uͤberall erſchallte, zu dem
ſich der faule Schneider fuͤgte, in den Hof trat,
ſich daſelbſt in das Gras niederlegte und ſchlief.
Die Hofdiener, die aus- und eingingen, den
Schneider in dem reichen Harniſch ſahen und
[78] die Ueberſchrift laſen, ſich ſehr verwunderten,
was dieſer ſtreitbare Mann, jetzt, zur Zeit des
Friedens, in des Koͤnigs Hof thun wollt'; ſie
gedachten, ohn Zweifel ſey es ein großer Herr.
Die Herren Raͤthe, ſo ihn gleichfalls geſehen,
koͤnigl. Majeſtaͤt ſolches zu wiſſen thaͤten mit
Anzeigung, daß, wo ſich Zwieſpalt begebe, er
ein ſehr nuͤtzlicher Mann waͤre. Dem Koͤnig die
Reden wohl gefielen, bald nach dem geharniſch-
ten Schneider ſchickte, ihn, ob er Dienſt begeh-
ret, fragte; dem der Schneider bald antwortete,
er darum allher kommen waͤre, und baͤte koͤnig-
liche Majeſtaͤt, wo ſie ihn zu brauchen haͤtte,
allergnaͤdigſt Dienſt mitzutheilen. Der Koͤnig
ihm bald Dienſt zuſagte und ihm ein beſonder
Loſament verordnete. Nun es ſtund nicht lange
Zeit, die Reuter wurden dem guten Schneider
gram, haͤtten gewollt, daß er beim Teufel waͤr,
denn ſie geforcht, wo ſie mit ihm ſollten uneins
werden, moͤgten ſie ihm keinen Widerſtand thun,
wann er allwegen ſieben auf einen Streich zu
todt ſchlagen wuͤrde; ſtets gedachten, wie ſie doch
von dem Kriegsmann kommen moͤgten, doch letzt-
lich zu Rath wurden und mit einander uͤberein
kamen, all miteinander vor den Koͤnig zu tre-
ten und um Urlaub zu bitten, welches auch ge-
ſchahe. Der Koͤnig, als er ſahe alle ſeine Die-
ner um eines Mannes willen Urlaub nehmen,
ein traurigerer Mann er nie ward, haͤt gewollt,
[79] er haͤtt den Kriegsmann nie geſehen, durft ihm
doch nicht Urlaub geben, dann er forchte, er ſammt
allem ſeinen Volk zu todt geſchlagen und hernach
ſein Reich von dem Krieger beſeſſen werde. Such-
te Rath und nach langem Hin- und Hergedenken
letztlich einen Sinn erfande, vermeinte dadurch des
Kriegsmannes (den niemand fuͤr einen Schnei-
der ſchaͤtzte), abzukommen, nach ihm ſchickte,
ihm vorhielt, wie er wohl vernommen, daß er
ein gewaltiger ſtarker Kriegsmann waͤre, nun
haͤtt er zwei Rieſen im Wald, die ihm außer-
maßen groß Schaden thaͤten mit rauben, mor-
den, brennen, einem und dem andern, und man
koͤnnte ihnen weder mit Waffen noch andern Din-
gen zukommen, denn ſie erſchluͤgen alles; und ſo
er ſich unterſtehn wollt, die Rieſen umzubrin-
gen und braͤchte ſie um, ſo wollt' er ihm ſeine
Tochter zu einem Weib und ſein halb Koͤnig-
reich zu einer Ehſteuer geben, wollt ihm auch
hundert Reuter zu Hilf wider die Rieſen geben.
Der Schneider war wohl zu Muth, daß er ſollt
eines Koͤnigs Tochtermann werden, ſprach, er
wollt gern die Rieſen umbringen, und wohl ohne
Hilf der Reuter ſie zu toͤdten wiſſe. Demnaͤchſt
zu Wald ſich verfuͤgte, die Reuter vor dem Wald
warten hieß, hineintrat, von weitem lugte, ob
er die Rieſen irgend ſehen moͤgte, doch nach lan-
gem Suchen ſie unter einem Baum ſchlafend
fand und ſchnarchelten, daß die Aeſt an den
[80] Baͤumen ſich bogen. Der Schneider ſich nicht
lange beſann, was ihm zu thun waͤre, ſchnell
ſein Buſen voll Stein laſe, auf den Baum,
darunter ſie lagen, ſtiege, anfing den einen mit
dem Stein auf ſeine Bruſt zu werfen, davon
er alsbald erwachte, uͤber den andern zuͤrnen
ward, und ſagte, warum er ihn ſchluͤg? der an-
dere aber entſchuldigte ſich ſo beſt' er mogte; in-
dem ſie wieder ſchlafen wollten, der Schneider
wieder einen Stein faßte und den andern warf,
darvon er uͤber ſein Mitgeſellen zuͤrnen ward
und ſagte, warum er ihn werfe? Als ſie aber
von ſolchem Zanken ließen und ihnen die Au-
gen zugangen waren, der Schneider gar heftig
auf den erſten warf, daß der Rieſe nicht mehr
vertragen mogte, ſeinen Geſellen heftig ſchluge
(dann er vermeinte, er waͤre von ihm geſchla-
gen), welches der andere auch nicht leiden wollt',
aufſtunden, Baͤum ausriſſen und einander ſelb
zu todt ſchlugen, doch zu allem Gluͤck den Baum,
darauf der Schneider ſaß, ſtehen ließen. Als
ſolches der Schneider ſahe, baß zu Muth ward,
dann er nie geweſen war, froͤhlichen ab dem
Baum ſtiege, jeglichem mit ſeinem Schwert ein
Wunden oder etlich ſchlug und wieder aus dem
Wald zu den Reutern ging. Die Reuter ihn
fragten, ob er die Rieſen nirgends geſehen haͤt-
te? „ja, ſagte der Schneider, ich hab ſie zu
todt geſchlagen und unter dem Baum liegen
laſſen.“
[81] laſſen.“ Sie wolltens aber nicht glauben, daß
er alſo unverletzt ſollt' von den Rieſen kom-
men, ſondern ritten in den Wald, dies Wun-
der zu beſichtigen, und fandens alſo, wie ihnen
der Schneider geſagt hatte. Darob ſie ſich ſehr
verwunderten, großen Schrecken empfingen und
noch uͤbler zu Muth waren, dann vor, dann ſie
mehr forchten, er wuͤrd ſie, wo er ihnen Feind
waͤr' all umbringen, ritten alſo heim und ſag-
ten dem Koͤnig die That an. Der Schneider
begerte die Tochter mit ſammt dem halben Koͤ-
nigreich; der Koͤnig, als er ſahe die Rieſen er-
wuͤrgt, deswegen er ſeine Tochter dem unbekann-
ten Krieger ſollt zur Eh geben, war ihn ſeines
Verheißens ſehr gereuen, gedacht, wie er doch
ſein mit Fuͤgen moͤgt abkommen, dann er ihm
die Tochter zu geben keineswegs geſinnet. Dem
Schneider noch einmal ſagte, wie er ein Ein-
horn im Walde haͤtte, das ihm ſo ſehr großen
Schaden an Fiſch und Leut thaͤt, wenn er das-
ſelbige fing, wollt er ihm die Tochter geben.
Der Schneider war deſſen wohl zufrieden, nahm
ein Stricklein, ging zum Wald, befahl ſeinen
Zugeordneten, heraußen zu warten, er wollt al-
lein hinein, ſpazierte alſo im Walde umher.
Indem erſah er das Einhorn gegen ihn daher
ſpringen, der Meinung ihn umzubringen; der
Schneider aber war nicht unbehend, wartete bis
das Einhorn gar nahe zu ihm kam, und als es
Kindermärchen. F
[82] nahe bei ihm war, ſtellte er ſich hinter den Baum
dabei er zu allernaͤchſt war; das Einhorn aber,
ſo ſich in vollem Lauf nicht wenden konnt, mit
dem Horn in den Baum lief und alſo darin un-
verwendt ſtecken blieb. Als ſolches der Schnei-
der ſah, herzuginge, dem Einhorn den Strick,
ſo er mit ſich genommen haͤtt, um den Hals thaͤt
und an den Baum bande, hinaus zu ſeinen Ge-
ſellen ging, ihnen ſeinen Sieg uͤber das Ein-
horn anzeigt, ſolches hernach dem Koͤnig zu wiſ-
ſen thaͤt, welcher außer der Maßen traurig war,
nicht wußt, wie ihm zu thun waͤre, dann der
Schneider der Tochter begert. Doch begert der
Koͤnig noch einmal an den Kriegsmann, er ſollt
ihm das wilde Schwein, ſo im Wald liefe, fa-
hen, hernach wollt er ihm die Tochter ohne al-
len Verzug geben, wollt' ihm auch ſeine Jaͤger
zuordnen, die ihm helfen ſollten das Wildſchwein
fahen. Der Schneider zog mit ſeinen Geſellen
zum Wald, wie ſie dazu kamen, befahl er ih-
nen heraußer zu bleiben, daß ſie gar wohl zu-
frieden waren, denn das Schwein ſie dermaßen
oft empfangen, daß ſie ihm nicht mehr begerten
nachzuſtellen, dankten ihm fleißig. Der Schnei-
der trat hinein, und als ihn das Schwein er-
ſahe, lief es gleich auf ihn mit ſchaumendem
Mund und wetzenden Zaͤhnen und wollt' ihn
zur Erde werfen. Zu allem Gluͤck aber ſtunde
eine Capelle in dem Wald, darin man vor Zei-
[83] ten Ablaß geholt, darbei eben der Schneider
war, und als der Schneider ſolches erſahe, zu-
naͤchſt in die Capelle lief, oben zum Fenſter wie-
der hinausſprang, dem die Sau alsbald nach-
folgte und in dem Capellein ſtand; der Schnei-
der aber lief gleich zu der Thuͤre, ſchlug die zu
und verſperrte das Gewild im Kirchlein. Dem-
naͤchſt er hinging und ſeinen Geſellen ſolches an-
zeigt, die mit einander heim ritten und es dem
Koͤnig anzeigten. Ob der Koͤnig ſolcher Maͤhr
froh oder traurig geweſen, mag ein jeglichs ge-
ring verſtaͤndig leichtlich abnehmen, dann er ſein
Tochter dem Schneider hat geben muͤſſen; zwei-
felt mir aber gar nicht, haͤtt' er gewußt, daß er
ein Schneider waͤre, er haͤtt' ihm eh' einen Strick
gegeben, als ſeine Tochter. Nun der Koͤnig
mußt ſeine Tochter einem Unbekannten geben,
nicht mit kleiner Bekuͤmmerniß; darnach aber
der gut Schneider wenig fragt, er allein ge-
dacht, wie er des Koͤnigs Tochtermann werden
moͤge. Alſo war die Hochzeit mit kleinen Freu-
den vollbracht und aus einem Schneider ein Koͤ-
nig gemacht. Nun als er etliche Naͤcht bei ſei-
ner Braut gelegen, hat er im Schlaf geredet
und geſagt: „Knecht, mach mir das Wamms,
flick mir die Hoſen, oder ich will dir das Ehl-
maß uͤber die Ohren ſchlagen.“ Welches die gut
Jungfrau wahr genommen hat, ſolches ihrem
Herrn Vater, dem Koͤnig, anzeigte, ihn darbei
F 2
[84] auch bat, er ſollt' ſie des Mannes abhelfen,
dann ſie wohl merke, daß er ein Schneider waͤre.
Solche Red dem Koͤnig ſein Herz durchſchnit-
ten, daß er ſeine einzige Tochter einem Schnei-
der gegeben haͤtte: doch troͤſtete er ſie aufs beſte
und ſagte, ſie ſollt die zukuͤnftig Nacht die Kam-
mer oͤffnen, ſo wollt' er etliche Diener vor die
Kammer ſtellen, und wann er mehr alſo ſagt,
muͤßten ſie hineingehen: ſolches der Frauen Ge-
fallen war. Nun haͤtt der Koͤnig am Hof einen
Waffentraͤger, der dem Schneider hold war und
des Koͤnigs Red zu der Frauen gehoͤrt hatte,
ſich ſchnell zum jungen Koͤnig fuͤgte, und ihm
das ſchwere Urtheil, ſo uͤber ihn gegangen, er-
oͤffnete mit Bitten, er wolle ſich ſo beſt er moͤgt,
verwahren. Der Schneider ſagt ihm ſeines War-
nens großen Dank: er wuͤßte dieſer Sachen wohl
zu thun. Wie nun die Nacht kommen war, der
Schneider ſich mit der jungen Koͤnigin legte nicht
anders thaͤte, als ob er ſchlief, die Frau aber ſtund
heimlich auf, oͤffnete die Kammer und legte ſich
wieder zu Bett. Der Schneider, der ſolches al-
les gehoͤrt, fing an zu reden, gleich als im Schlaf
mit heller Stimm, daß die vor der Kammer wohl
hoͤren moͤgten: „Knecht, mach mir die Hoſen,
bletz mir das Wammes, oder ich will dir das
Ehlmaß uͤber die Ohren ſchlagen, ich hab ſieben
auf ein [Streich] zu todt geſchlagen, ich hab ein
Einhorn ſammt einer wilden Sau gefangen, ſollt'
[85] ich dann die vor der Kammer fuͤrchten?“ Die
vor der Kammer, als ſie ſolche Wort vernom-
men, nicht anderſt flohen, oder als jagten ſie
tauſend Teufel, und keiner wollt' ſeyn, der ſich
an den Schneider richten wollt', alſo blieb der
Schneider ſein Lebtag ein Koͤnig.
II.
An einem Sommermorgen ſaß ein Schnei-
derlein auf ſeinem Tiſch vor dem Fenſter, da
kam eine Bauersfrau der Straße daher und
rief: „gut Mus feil! gut Mus feil!“ — da
ſtreckte das Schneiderlein ſeinen Kopf zum Fen-
ſter hinaus und rief: „Hier herauf, liebe Frau,
ihr macht einen guten Kauf.“ Als die Frau
hinauf kam, beſah es alle Toͤpfe, zuletzt kauft'
es ſich ein Viertelpfund. Darnach ſchnitt es ein
Stuͤck Brot uͤber den ganzen Laib, ſchmierte das
Mus darauf, legte es neben ſich auf den Tiſch
und gedacht, du wirſt gut ſchmecken, aber erſt
will ich das eine Camiſol fertig machen, eh ich
dich eſſe; fing an zu naͤhen und machte große
Stiche vor Freuden. Indeß ging der Geruch
von dem Mus auf und zu den Fliegen, da ka-
men ſie in Menge und ſetzten ſich auf ſein Mus-
brot. „Wer hat euch zu Gaſt gebeten,“ ſagte
es und jagte ſie fort; es dauerte aber nicht lan-
ge, ſo kamen ſie von neuem und ließen ſich noch
zahlreicher auf das Musbrot nieder. Mein Schnei-
[86] derlein ward boͤs, ergriff einen großen Tuchlap-
pen und: „euch will ichs geben“ ſchlug es drauf.
Darnach zog es ab und zaͤhlte, wie viel es ge-
troffen, da lagen neun und zwanzig todt vor
ihm. „Biſt du ſo ein Kerl!“ ſprach es und
verwundert ſich uͤber ſich ſelbſt und in der Freu-
de ſeines Herzens naͤhte es ſich einen Guͤrtel
und ſtickte darauf: 29 auf einen Streich!
„Du mußt in die Welt hinein!“ dacht das
Schneiderlein, band ſich den Guͤrtel um den
Leib und ſucht' im Haus, ob nichts da waͤr zum
mitnehmen, da fand es einen alten Kaͤs, den
ſteckt' es in die Taſche, unterwegs fing es einen
Vogel, der mußte auch hinein. Das Schneider-
lein ſtieg auf einen hohen Berg, wie es oben
hin kam, ſaß da auf der Spitze ein großer Rieſe,
zu dem ſprach es: „Cammerad, wie gehts, ihr
ſeht euch wohl hier oben in der Welt um, ich
will mich auch hinein begeben.“ Der Rieſe aber
blickte ihn veraͤchtlich an und ſprach: „du biſt
ein miſerabeler Kerl.“ Das Schneiderlein knoͤpf-
te ſeinen Rock auf, zeigte dem Rieſen den Guͤr-
tel: „da kannſt du ſehen, was du fuͤr einen
Mann vor dir haſt.“ Der Rieſe las die Worte:
29 auf einen Streich! und weil er meinte 29
Menſchen auf einen Streich erſchlagen, fing er
an Reſpect vor dem Schneiderlein zu kriegen,
doch wollt er es erſt pruͤfen. Da nahm er ei-
nen Stein und druͤckte ihn ſo ſtark, daß das
[87] Waſſer herauslief: „ſo ſtark biſt du doch nicht.“ —
„Wenns weiter nichts iſt, ſagte das Schneider-
lein, das kann ich auch.“ Darauf griff es in
die Taſche, holte den faulen Kaͤs und druͤckte
ihn, daß der Saft heraus lief: „gelt! das war
noch beſſer.“ Der Rieſe verwunderte ſich, nahm
einen Stein und warf ihn ſo hoch, daß man
ihn kaum mehr ſehen konnte: „das mach mir
nach.“ — „Der Wurf war gut, ſagte das
Schneiderlein, doch hat dein Stein wieder zur
Erde fallen muͤſſen, ich aber will dir einen wer-
fen, der ſoll gar nicht wiederkommen.“ Da
nahm es den Vogel aus der Taſche und warf
ihn in die Luft und der Vogel flog ganz fort:
„wie gefaͤllt dir das!“ der Rieſe erſtaunte, ſchlug
ſich zu ihm und ſie gingen zuſammen weiter.
Da kamen ſie an einen Kirſchbaum, der Rieſe
nahm die Krone und bog ſie herunter und gab
ſie dem Schneiderlein, daß es auch davon eſſen
koͤnnte. Das Schneiderlein aber war zu ſchwach
und konnte der Staͤrke des Baums nicht wider-
ſtehen und ward mit in die Hoͤhe geſchnellt.
„Was iſt das, ſagte der Rieſe, haſt du die
ſchwache Gerte nicht halten koͤnnen!“ — „Das
iſt ja nichts, antwortete das Schneiderlein dazu,
fuͤr einen der 29 auf einen Streich getroffen hat:
weißt du, warum ich es gethan habe? da unten
da ſchießen die Jaͤger in das Gebuͤſch, da bin
ich flugs uͤber den Baum hinuͤber geſprungen,
[88] das thuſt du mir nicht nach.“ Der Rieſe glaub-
te nun es uͤbertraͤf niemand auf der Welt das
Schneiderlein an Staͤrke und Klugheit.
(Das weitere fehlt.)
21.
Aſchenputtel.
Es war einmal ein reicher Mann, der leb-
te lange Zeit vergnuͤgt mit ſeiner Frau, und
ſie hatten ein einziges Toͤchterlein zuſammen.
Da ward die Frau krank, und als ſie todtkrank
ward, rief ſie ihre Tochter und ſagte: „liebes
Kind, ich muß dich verlaſſen, aber wenn ich
oben im Himmel bin, will ich auf dich herab
ſehen, pflanz ein Baͤumlein auf mein Grab,
und wenn du etwas wuͤnſcheſt, ſchuͤttele dar-
an, ſo ſollſt du es haben, und wenn du ſonſt
in Noth biſt, ſo will ich dir Huͤlfe ſchicken,
nur bleib fromm und gut.“ Nachdem ſie das
geſagt, that ſie die Augen zu und ſtarb; das
Kind aber weinte und pflanzte ein Baͤumlein
auf das Grab und brauchte kein Waſſer hin zu
tragen, und es zu begießen, denn es war ge-
nug mit ſeinen Thraͤnen.
Der Schnee deckte ein weiß Tuͤchlein auf
der Mutter Grab, und als die Sonne es wie-
der weggezogen hatte, und das Baͤumlein zum
zweitenmal gruͤn geworden war, da nahm ſich
[89] der Mann eine andere Frau. Die Stiefmut-
ter aber hatte ſchon zwei Toͤchter, von ihrem
erſten Mann, die waren von Angeſicht ſchoͤn,
von Herzen aber ſtolz und hoffaͤhrtig und boͤs.
Wie nun die Hochzeit geweſen, und alle drei
in das Haus gefahren kamen, da ging ſchlim-
me Zeit fuͤr das arme Kind an. „Was macht
der garſtige Unnuͤtz in den Stuben, ſagte die
Stiefmutter, fort mit ihr in die Kuͤche, wenn
ſie Brod eſſen will, muß ſies erſt verdient ha-
ben, ſie kann unſere Magd ſeyn.“ Da nah-
men ihm die Stiefſchweſtern die Kleider weg,
und zogen ihm einen alten grauen Rock an:
„der iſt gut fuͤr dich!“ ſagten ſie, lachten es
aus und fuͤhrten es in die Kuͤche. Da mußte
das arme Kind ſo ſchwere Arbeit thun: fruͤh
vor Tag aufſtehen, Waſſer tragen, Feuer an-
machen, kochen und waſchen und die Stief-
ſchweſtern thaten ihm noch alles gebrannte Her-
zeleid an, ſpotteten es, ſchuͤtteten ihm Erbſen
und Linſen in die Aſche, da mußte es den gan-
zen Tag ſitzen und ſie wieder ausleſen. Wenn
es muͤd war Abends kam es in kein Bett, ſon-
dern mußte ſich neben dem Heerd in die Aſche
legen. Und weil es da immer in Aſche und
Staub herumwuͤhlte und ſchmutzig ausſah, ga-
ben ſie ihm den Namen Aſchenputtel.
Auf eine Zeit ſtellte der Koͤnig einen Ball
an, der ſollte in aller Pracht drei Tage dauern,
[90] und ſein Sohn, der Prinz, ſollte ſich eine Ge-
mahlin ausſuchen; dazu wurden die zwei ſtol-
zen Schweſtern auch eingeladen. „Aſchenput-
tel riefen ſie, komm herauf, kaͤmme uns die
Haare, buͤrſt uns die Schuhe und ſchnalle ſie
feſt, wir gehen auf den Ball zu dem Prinzen.“
Aſchenputtel gab ſich alle Muͤhe und putzte ſie
ſo gut es konnte, ſie gaben ihm aber nur
Scheltworte dazwiſchen, und als ſie fertig wa-
ren, fragten ſie ſpoͤttiſch: „Aſchenputtel, du
gingſt wohl gern mit auf den Ball?“ — „Ach
ja, wie kann ich aber hingehen, ich habe keine
Kleider.“ — „Nein, ſagte die aͤlteſte, das waͤr
mir recht, daß du dich dort ſehen ließeſt, wir
muͤßten uns ſchaͤmen, wenn die Leute hoͤrten,
daß du unſere Schweſter waͤreſt; du gehoͤrſt in
die Kuͤche, da haſt du eine Schuͤſſel voll Linſen,
wann wir wieder kommen muß ſie geleſen ſeyn,
und huͤt dich, daß keine boͤſe darunter iſt, ſonſt
haſt du nichts Gutes zu erwarten.“
Damit gingen ſie fort, und Aſchenputtel
ſtand und ſah ihnen nach, und als es nichts
mehr ſehen konnte, ging es traurig in die Kuͤ-
che, und ſchuͤttete die Linſen auf den Heerd,
da war es ein großer, großer Haufen. „Ach,
ſagte es und ſeufzte dabei, da muß ich dran
leſen bis Mitternacht und darf die Augen nicht
zufallen laſſen, und wenn ſie mir noch ſo weh
thun, wenn das meine Mutter wuͤßte!“ Da
[91] kniete es ſich vor den Heerd in die Aſche und
wollte anfangen zu leſen, indem flogen zwei
weiße Tauben durchs Fenſter und ſetzten ſich
neben die Linſen auf den Heerd; ſie nickten
mit den Koͤpfchen und ſagten: „Aſchenputtel,
ſollen wir dir helfen Linſen leſen? „Ja, ant-
wortete Aſchenputtel:
Und pick, pick! pick, pick! fingen ſie an und
fraßen die ſchlechten weg und ließen die guten
liegen. Und in einer Viertelſtunde waren die
Linſen ſo rein, daß auch nicht eine falſche dar-
unter war, und Aſchenputtel konnte ſie alle ins
Toͤpfchen ſtreichen. Darauf aber ſagten die
Tauben: „Aſchenputtel, willſt du deine Schwe-
ſtern mit dem Prinzen tanzen ſehen, ſo ſteig
auf den Taubenſchlag.“ Aſchenputtel ging ih-
nen nach und ſtieg bis auf den letzten Leiter-
ſproß, da konnte es in den Saal ſehen, und
ſah ſeine Schweſtern mit dem Prinzen tanzen,
und es flimmerte und glaͤnzte von viel tauſend
Lichtern vor ſeinen Augen. Und als es ſich
ſatt geſehen, ſtieg es wieder herab, und es war
ihm ſchwer ums Herz, und legte ſich in die
Aſche und ſchlief ein.
Am andern Morgen kamen die zwei Schwe-
ſtern in die Kuͤche, und als ſie ſahen, daß
[92] Aſchenputtel die Linſen rein geleſen, waren ſie
boͤſe, denn ſie wollten es gern ſchelten, und da
ſie das nicht konnten, huben ſie an von dem
Ball zu erzaͤhlen und ſagten: „Aſchenputtel,
das iſt eine Luſt geweſen, bei dem Tanz, der
Prinz, der allerſchoͤnſte auf der Welt hat uns
dazu gefuͤhrt, und eine von uns wird ſeine Ge-
mahlin werden.“ — „Ja, ſagte Aſchenputtel,
ich habe die Lichter flimmern ſehen, das mag
recht praͤchtig geweſen ſeyn.“ — „Ei! wie haſt
du das angefangen,“ fragte die aͤlteſte. —
„Ich hab' oben auf den Taubenſtall geſtan-
den.“ — Wie ſie das hoͤrte, trieb ſie der Neid
und ſie befahl, daß der Taubenſtall gleich ſollte
niedergeriſſen werden.
Aſchenputtel aber mußte ſie wieder kaͤm-
men und putzen; da ſagte die juͤngſte, die noch
ein wenig Mitleid im Herzen hatte: „Aſchen-
puttel, wenns dunkel iſt, kannſt du hinzugehen
und von außen durch die Fenſter gucken!“ —
„Nein, ſagte die aͤlteſte, das macht ſie nur
faul, da haſt du einen Sack voll Wicken,
Aſchenputtel, da leſe die guten und boͤſen aus-
einander und ſey fleißig, und wenn du ſie mor-
gen nicht rein haſt, ſo ſchuͤtte ich dir ſie in die
Aſche und du mußt hungern, bis du ſie alle
herausgeſucht haſt.“
Aſchenputtel ſetzte ſich betruͤbt auf den
Heerd und ſchuͤttete die Wicken aus. Da flogen
[93] die Tauben wieder herein und thaten freund-
lich: „Aſchenputtel, ſollen wir dir die Wicken
leſen?“ „Ja, —
Pick, pick! pick, pick! gings ſo geſchwind, als
waͤren zwoͤlf Haͤnde da. Und als ſie fertig wa-
ren, ſagten die Tauben: „Aſchenputtel, willſt
du auch auf den Ball gehen und tanzen.“ —
„O du mein Gott, ſagte es, wie kann ich in
meinen ſchmutzigen Kleidern hingehen?“ —
„Geh zu dem Baͤumlein auf deiner Mutter
Grab, ſchuͤttele daran und wuͤnſche dir ſchoͤne
Kleider, komm aber vor Mitternacht wieder.“
— da ging Aſchenputtel hinaus, ſchuͤttelte das
Baͤumlein und ſprach:
Kaum hatte es das ausgeſagt, da lag ein praͤch-
tig ſilbern Kleid vor ihm, Perlen, ſeidene
Struͤmpfe mit ſilbernen Zwickeln und ſilberne
Pantoffel und was ſonſt dazu gehoͤrte. Aſchen-
puttel trug alles nach Haus, und als es ſich
gewaſchen und angezogen hatte, da war es ſo
ſchoͤn wie eine Roſe, die der Thau gewaſchen
hat. Und wie es vor die Hausthuͤre kam, ſo
ſtand da ein Wagen mit ſechs federgeſchmuͤck-
ten Rappen und Bediente dabei in Blau und
[94] Silber, die hoben es hinein, und ſo gings im
Gallop zu dem Schloß des Koͤnigs.
Der Prinz aber ſah den Wagen vor dem
Thor halten, und meinte eine fremde Prinzeſ-
ſin kaͤme angefahren. Da ging er ſelbſt die
Treppe hinab, hob Aſchenputtel hinaus und
fuͤhrte es in den Saal. Und als da der Glanz
der viel tauſend Lichter auf es fiel, da war es
ſo ſchoͤn, daß jedermann ſich daruͤber verwun-
derte, und die Schweſtern ſtanden auch da und
aͤrgerten ſich, daß jemand ſchoͤner war wie ſie,
aber ſie dachten nimmermehr, daß das Aſchen-
puttel waͤre, das zu Haus in der Aſche lag.
Der Prinz aber tanzte mit Aſchenputtel und
ward ihm koͤnigliche Ehre angethan. Er ge-
dachte auch bei ſich: ich ſoll mir eine Braut
ausſuchen, da weiß ich mir keine als dieſe.
Fuͤr ſo lange Zeit in Aſche und Traurigkeit
lebte Aſchenputtel nun in Pracht und Freude;
als aber Mitternacht kam, eh' es zwoͤlf geſchla-
gen, ſtand es auf, neigte ſich und wie der Prinz
bat und bat, ſo wollte es nicht laͤnger bleiben.
Da fuͤhrte es der Prinz hinab, unten ſtand
der Wagen und wartete, und ſo fuhr es fort
in Pracht wie es gekommen war.
Als Aſchenputtel zu Haus war, ging es
wieder zu dem Baͤumlein auf der Mutter
Grab:
[95]
Da nahm der Baum die Kleider wieder, und
Aſchenputtel hatte ſein altes Aſchenkleid an,
damit ging es zuruͤck, machte ſich das Geſicht
ſtaubig und legte ſich in die Aſche ſchlafen.
Am Morgen darauf kamen die Schwe-
ſtern, ſahen verdrießlich aus und ſchwiegen ſtill.
Aſchenputtel ſagte: „ihr habt wohl geſtern
Abend viel Freude gehabt“ — „Nein, es war
eine Prinzeſſin da, mit der hat der Prinz faſt
immer getanzt, es hat ſie aber niemand ge-
kannt und niemand gewußt, woher ſie gekom-
men iſt. — „Iſt es vielleicht die geweſen, die
in den praͤchtigen Wagen mit den ſechs Rap-
pen gefahren iſt?“ ſagte Aſchenputtel. — „Wo-
her weißt du das?“ — Ich ſtand in der Haus-
thuͤre, da ſah ich ſie vorbeifahren.“ — „In
Zukunft bleib bei deiner Arbeit, ſagte die aͤlte-
ſte und ſah Aſchenputtel boͤſe an, was brauchſt
du in der Hausthuͤre zu ſtehen.“
Aſchenputtel mußte zum drittenmal die
zwei Schweſtern putzen, und zum Lohn gaben
ſie ihm eine Schuͤſſel mit Erbſen, die ſollte ſie
rein leſen; „und daß du dich nicht unterſtehſt
von der Arbeit wegzugehen, rief die aͤlteſte
noch nach. Aſchenputtel gedachte: wenn nur
meine Tauben nicht ausbleiben, und das Herz
ſchlug ihm ein wenig. Die Tauben aber ka-
[96] men wie an dem vorigen Abend und ſagten:
„Aſchenputtel, ſollen wir dir die Erbſen le-
ſen?“ — „Ja,
Die Tauben pickten wieder die boͤſen heraus,
und waren bald damit fertig, dann ſagten ſie:
„Aſchenputtel, ſchuͤttele das Baͤumlein, das
wird dir noch ſchoͤnere Kleider herunter werfen,
geh auf den Ball, aber huͤte dich, daß du vor
Mitternacht wieder kommſt.“ Aſchenputtel
ging hin:
Da fiel ein Kleid herab noch viel herrlicher und
praͤchtiger als das vorige, ganz von Gold und
Edelgeſteinen, dabei goldgezwickelte Struͤmpfe
und goldene Pantoffel; und als Aſchenputtel
damit angekleidet war, da glaͤnzte es recht, wie
die Sonne am Mittag. Vor der Thuͤre hielt
ein Wagen mit ſechs Schimmeln, die hatten
hohe weiße Federbuͤſche auf dem Kopf, und die
Bedienten waren in Roth und Gold gekleidet.
Als Aſchenputtel ankam, ſtand ſchon der Prinz
auf der Treppe und fuͤhrte ſie in den Saal.
Und waren geſtern alle uͤber ihre Schoͤnheit er-
ſtaunt, ſo erſtaunten ſie heute noch mehr und
die
[97] die Schweſtern ſtanden in der Ecke und waren
blaß vor Neid, und haͤtten ſie gewußt, daß das
Aſchenputtel war, das zu Haus in der Aſche
lag, ſie waͤren geſtorben vor Neid.
Der Prinz aber wollte wiſſen, wer die
fremde Prinzeſſin ſey, woher ſie gekommen und
wohin ſie fahre, und hatte Leute auf die Stra-
ße geſtellt, die ſollten Acht darauf haben, und
damit ſie nicht ſo ſchnell fortlaufen koͤnne, hat-
te er die Treppe ganz mit Pech beſtreichen laſ-
ſen. Aſchenputtel tanzte und tanzte mit dem
Prinzen, war in Freuden und gedachte nicht
an Mitternacht. Auf einmal, wie es mitten
im Tanzen war, hoͤrte es den Glockenſchlag,
da fiel ihm ein, wie die Tauben es gewarnt,
erſchrack und eilte zur Thuͤre hinaus und flog
recht die Treppe hinunter. Weil die aber mit
Pech beſtrichen war, blieb einer von den golde-
nen Pantoffeln feſthaͤngen, und in der Angſt
dacht es nicht daran, ihn mitzunehmen. Und
wie es den letzten Schritt von der Treppe that,
da hatt' es zwoͤlf ausgeſchlagen, da war Wa-
gen und Pferde verſchwunden und Aſchenput-
tel ſtand in ſeinen Aſchenkleidern auf der dun-
keln Straße. Der Prinz war ihm nachgeeilt,
auf der Treppe fand er den goldenen Pantof-
fel, riß ihn los und hob ihn auf, wie er aber
unten hinkam, war alles verſchwunden; die
Leute auch, die zur Wache ausgeſtellt wa-
Kindermärchen. G
[98] ren, kamen und ſagten, daß ſie nichts geſehen
haͤtten.
Aſchenputtel war froh, daß es nicht ſchlim-
mer gekommen war, und ging nach Haus, da
ſteckte es ſein truͤbes Oel-Laͤmpchen an, haͤngte
es in den Schornſtein und legte ſich in die
Aſche. Es waͤhrte nicht lange, ſo kamen die
beiden Schweſtern auch und riefen: „Aſchen-
puttel, ſteh auf und leucht uns.“ Aſchenput-
tel gaͤhnte und that als wacht es aus dem
Schlaf. Bei dem Leuchten aber hoͤrte es, wie
die eine ſagte: „Gott weiß, wer die verwuͤnſch-
te Prinzeſſin iſt, daß ſie in der Erde begraben
laͤg! der Prinz hat nur mit ihr getanzt und
als ſie weg war, hat er gar nicht mehr blei-
ben wollen und das ganze Feſt hat ein Ende
gehabt.“ — „Es war recht, als waͤren alle
Lichter auf einmal ausgeblaſen worden,“ ſagte
die andere. Aſchenputtel wußte wohl wer die
fremde Prinzeſſin war, aber es ſagte kein
Woͤrtchen.
Der Prinz aber gedachte, iſt dir alles an-
dere fehlgeſchlagen, ſo wird dir der Pantoffel
die Braut finden helfen, und ließ bekannt ma-
chen, welcher der goldene Pantoffel paſſe, die
ſolle ſeine Gemahlin werden. Aber allen war
er viel zu klein, ja manche haͤtten ihren Fuß
nicht hineingebracht, und waͤren die zwei Pan-
toffel ein einziger geweſen. Endlich kam die
[99] Reihe auch an die beiden Schweſtern, die Pro-
be zu machen; ſie waren froh, denn ſie hatten
kleine ſchoͤne Fuͤße und glaubten, uns kann es
nicht fehlſchlagen, waͤr der Prinz nur gleich zu
uns gekommen. „Hoͤrt, ſagte die Mutter heim-
lich, da habt ihr ein Meſſer, und wenn euch
der Pantoffel doch noch zu eng iſt, ſo ſchnei-
det euch ein Stuͤck vom Fuß ab, es thut ein
bischen weh, was ſchadet das aber, es vergeht
bald und eine von euch wird Koͤnigin.“ Da
ging die aͤlteſte in ihre Kammer und probirte
den Pantoffel an, die Fußſpitze kam hinein,
aber die Ferſe war zu groß, da nahm ſie das
Meſſer und ſchnitt ſich ein Stuͤck von der Fer-
ſe, bis ſie den Fuß in den Pantoffel hinein-
zwaͤngte. So ging ſie heraus zu dem Prin-
zen, und wie der ſah, daß ſie den Pantoffel
anhatte, ſagte er, das ſey die Braut, fuͤhrte
ſie zum Wagen und wollte mit ihr fortfahren.
Wie er aber ans Thor kam, ſaßen oben die
Tauben und riefen:
Der Prinz buͤckte ſich und ſah auf den Pan-
toffel, da quoll das Blut heraus, und da merk-
te er, daß er betrogen war, und fuͤhrte die fal-
ſche Braut zuruͤck. Die Mutter aber ſagte zur
G 2
[100] zweiten Tochter: „nimm du den Pantoffel, und
wenn er dir zu kurz iſt, ſo ſchneide lieber vor-
ne an den Zehen ab. Da nahm ſie den Pan-
toffel in ihre Kammer, und als der Fuß zu
groß war, da biß ſie die Zaͤhne zuſammen und
ſchnitt ein groß Stuͤck von den Zehen ab, und
druͤckte den Pantoffel geſchwind an. Wie ſie
damit hervortrat, meinte er, das waͤre die rech-
te und wollte mit ihr fortfahren. Als er aber
in das Thor kam, riefen die Tauben wieder:
Der Prinz ſah nieder, da waren die weißen
Struͤmpfe der Braut roth gefaͤrbt und das
Blut war hoch herauf gedrungen. Da brachte
ſie der Prinz der Mutter wieder und ſagte:
„das iſt auch nicht die rechte Braut; aber iſt
nicht noch eine Tochter im Haus“ — „Nein,
ſagte die Mutter, nur ein garſtiges Aſchenput-
tel iſt noch da, das ſitzt unten in der Aſche,
dem kann der Pantoffel nicht paſſen. Sie
wollte es auch nicht rufen laſſen, bis es der
Prinz durchaus verlangte. Da ward Aſchen-
puttel gerufen und wie es hoͤrte, daß der Prinz
da ſey, wuſch es ſich geſchwind Geſicht und
Haͤnde friſch und rein; und wie es in die
Stube trat, neigte es ſich, der Prinz aber
[101] reichte ihr den goldenen Pantoffel und ſagte:
„probier ihn an! und wenn er dir paßt, wirſt
du meine Gemahlin.“ Da ſtreift es den ſchwe-
ren Schuh von dem linken Fuß ab, ſetzt ihn
auf den goldenen Pantoffel und druͤckte ein klein
wenig, da ſtand es darin, als waͤr er ihm an-
gegoſſen. Und als es ſich aufbuͤckte, ſah ihm
der Prinz ins Geſicht, da erkannte er die ſchoͤ-
ne Prinzeſſin wieder und rief: „das iſt die
rechte Braut.“ Die Stiefmutter und die zwei
ſtolzen Schweſtern erſchracken und wurden bleich,
aber der Prinz fuͤhrte Aſchenputtel fort und
hob es in den Wagen, und als ſie durchs Thor
fuhren, da riefen die Tauben:
22.
Wie Kinder Schlachtens mit einan-
der geſpielt haben.
I.
In einer Stadt Franecker genannt, gele-
gen in Weſtfriesland, da iſt es geſchehen, daß
junge Kinder, fuͤnf- und ſechsjaͤhrige, Maͤgdlein
und Knaben mit einander ſpielten. Und ſie
ordneten ein Buͤblein an, das ſolle der Metz-
[102] ger ſeyn, ein anderes Buͤblein, das ſolle Koch
ſeyn, und ein drittes Buͤblein, das ſolle eine
Sau ſeyn. Ein Maͤgdlein, ordneten ſie, ſolle
Koͤchin ſeyn, wieder ein anderes, das ſolle Un-
terkoͤchin ſeyn; und die Unterkoͤchin ſolle in ei-
nem Geſchirrlein das Blut von der Sau em-
pfahen, daß man Wuͤrſte koͤnne machen. Der
Metzger gerieth nun verabredetermaßen an das
Buͤblein, das die Sau ſollte ſeyn, riß es
nieder und ſchnitt ihm mit einem Meſſerlein
die Gurgel auf, und die Unterkoͤchin [empfing]
das Blut in ihrem Geſchirrlein. Ein Raths-
herr, der von ungefaͤhr voruͤbergeht, ſieht dies
Elend: er nimmt von Stund an den Metzger
mit ſich und fuͤhrt ihn in des Oberſten Haus,
welcher ſogleich den ganzen Rath verſammeln
ließ. Sie ſaßen all' uͤber dieſen Handel und
wußten nicht, wie ſie ihm thun ſollten, denn
ſie ſahen wohl, daß es kindlicher Weiſe geſche-
hen war. Einer unter ihnen, ein alter weißer
Mann, gab den Rath, der oberſte Richter ſolle
einen ſchoͤnen rothen Apfel in eine Hand neh-
men, in die andere einen rheiniſchen Gulden,
ſolle das Kind zu ſich rufen und beide Haͤnde
gleich gegen daſſelbe ausſtrecken: nehme es den
Apfel ſo ſoll es ledig erkannt werden, nehme
es aber den Gulden, ſo ſolle man es toͤdten.
Dem wird gefolgt, das Kind aber ergreift den
Apfel lachend, wird alſo aller Strafe ledig erkannt.
[103]
II.
Einſtmals hat ein Hausvater ein Schwein
geſchlachtet, das haben ſeine Kinder geſehen;
als ſie nun Nachmittag mit einander ſpielen
wollen, hat das eine Kind zum andern geſagt:
du ſollſt das Schweinchen und ich der Metzger
ſeyn;“ hat darauf ein bloß Meſſer genommen,
und es ſeinem Bruͤderchen in den Hals geſto-
ßen. Die Mutter, welche oben in der Stube
ſaß und ihr juͤngſtes Kindlein in einem Zuber
badete, hoͤrte das Schreien ihres anderen Kin-
des, lief alsbald hinunter, und als ſie ſah, was
vorgegangen, zog ſie das Meſſer dem Kind aus
dem Hals und ſtieß es im Zorn, dem andern
Kind, welches der Metzger geweſen, ins Herz.
Darauf lief ſie alsbald nach der Stube und
wollte ſehen, was ihr Kind in dem Badezuber
mache, aber es war unterdeſſen in dem Bad
ertrunken; deßwegen dann die Frau ſo voller
Angſt ward, daß ſie in Verzweifelung gerieth,
ſich von ihrem Geſinde nicht wollte troͤſten laſ-
ſen, ſondern ſich ſelbſt erhaͤngte. Der Mann
kam vom Felde und als er dies alles geſehen,
hat er ſich ſo betruͤbt, daß er kurz darauf ge-
ſtorben iſt.
[104]
23.
Von dem Maͤuschen, Voͤgelchen und
der Bratwurſt.
Es waren einmal ein Maͤuschen, ein Voͤ-
gelchen und eine Bratwurſt in Geſellſchaft ge-
rathen, hatten einen Haushalt gefuͤhrt, lang'
wohl und koͤſtlich im Frieden gelebt und treff-
lich an Guͤtern zugenommen. Des Voͤgelchens
Arbeit war, daß es taͤglich in Wald fliegen und
Holz beibringen muͤßte. Die Maus ſollte Waſ-
ſer tragen, Feuer anmachen und Tiſch decken,
die Bratwurſt aber ſollte kochen.
Wem zu wohl iſt, den geluͤſtert immer nach
neuen Dingen! Alſo eines Tages ſtieß dem
Voͤglein unterweges ein anderer Vogel auf, dem
es ſeine treffliche Gelegenheit erzaͤhlet und ge-
ruͤhmet. Derſelbe andere Vogel ſchalt es aber
einen armen Tropfen, der große Arbeit, die bei-
den zu Haus aber gute Tage haͤtten. Denn,
wenn die Maus ihr Feuer angemacht und Waſ-
ſer getragen hatte, ſo begab ſie ſich in ihr Kaͤm-
merlein zur Ruhe, bis man ſie hieße den Tiſch
decken. Das Wuͤrſtlein blieb beim Hafen, ſahe
zu, daß die Speiſe wohl kochte, und wann es
bald Eſſenszeit war, ſchlingte es ſich ein mal
viere durch den Brei oder das Gemuͤß, ſo war
es geſchmalzen, geſalzen und bereitet: kame
dann das Voͤglein heim und legte ſeine Buͤrde
[105] ab, ſo ſaßen ſie zu Tiſch und nach gehabtem
Mahl ſchliefen ſie ſich die Haut voll bis den an-
dern Morgen, und das war ein herrlich Leben.
Das Voͤglein anderes Tages wollte aus
Anſtiftung nicht mehr ins Holz, ſprechend: es
waͤre lang genug Knecht geweſt, und haͤtte gleich-
ſam ihr Narr ſeyn muͤſſen, ſie ſollten einmal
umwechſeln und es auf eine andere Weiſe auch
verſuchen. Und wie wohl die Maus heftig da-
fuͤr bate, auch die Bratwurſt, ſo war der Vo-
gel doch Meiſter, es mußte gewagt ſeyn, ſpiele-
ten derowegen und kam das Loos auf die Brat-
wurſt die mußte Holz tragen, die Maus ward
Koch, und der Vogel ſollte Waſſer holen.
Was geſchicht? das Bratwuͤrſtchen zog fort
gen Holz, das Voͤglein machte Feuer an, die
Maus ſtellte den Topf zu und erwarteten al-
lein, bis Bratwuͤrſtchen heim kaͤme und Holz
fuͤr den andern Tag braͤchte. Es blieb aber das
Wuͤrſtlein ſo lang unterweg daß ihnen beiden
nichts guts vorkam, und das Voͤglein ein Stuͤck
Lufts hinaus entgegen floge. Unfern aber fin-
det es einen Hund am Weg, der das arme
Bratwuͤrſtlein als freie Beut angetroffen, an-
gepackt und niedergemacht. Das Voͤglein be-
ſchwerte ſich auch deſſen als eines offenbaren
Raubs ſehr gegen den Hund, aber es half kein
Wort, denn ſprach der Hund, er haͤtte falſche
[106] Briefe bei der Bratwurſt gefunden, deswegen
waͤre ſie ihm des Lebens verfallen geweſen.
Das Voͤgelein, traurig, nahm das Holz
auf ſich und heim und erzaͤhlete, was es geſehn
und gehoͤret. Sie waren ſehr betruͤbt, vergli-
chen ſich aber das beſte zu thun und beiſammen
zu bleiben. Derowegen ſo deckte das Voͤglein
den Tiſch und die Maus ruͤſtete das Eſſen und
wollte anrichten, und in den Hafen, wie zuvor
das Wuͤrſtlein, und durch das Gemuͤß ſchlingen
und ſchlupfen, daſſelbige zu ſchmelzen; aber ehe
ſie in die Mitte kame, ward ſie angehalten und
mußte Haut und Haar und dabei das Leben laſſen.
Als das Voͤglein kam, wollte das Eſſen
auftragen, da war kein Koch vorhanden. Das
Voͤglein warf beſtuͤrzt das Holz hin und her,
rufte und ſuchte, kunnte aber ſeinen Koch nit
mehr finden. Aus Unachtſamkeit kam das Feuer
in das Holz, alſo daß eine Brunſt entſtunde;
das Voͤglein eilte Waſſer zu langen, da entfiel
ihm der Eimer in den Brunnen, und es mit
hinab, daß es ſich nit konnte mehr erholen, und
da erſaufen mußte.
24.
Frau Holle.
Eine Wittwe hatte zwei Toͤchter, davon
war die eine ſchoͤn und fleißig, die andere haͤß-
[107] lich und faul. Sie hatte aber die haͤßliche und
faule viel lieber, und die andere mußte alle Ar-
beit thun und war recht der Aſchenputtel im
Haus. Einmal war das Maͤdchen hingegan-
gen, Waſſer zu holen, und wie es ſich buͤckte
den Eimer aus dem Brunnen zu ziehen, buͤckte
es ſich zu tief und fiel hinein. Und als es er-
wachte und wieder zu ſich ſelber kam, war es
auf einer ſchoͤnen Wieſe, da ſchien die Sonne
und waren viel tauſend Blumen. Auf der
Wieſe gieng es fort und kam zu einem Back-
ofen, der war voller Brot; das Brot aber rief:
„ach! zieh mich 'raus, zieh mich 'raus, ſonſt
verbrenn' ich, ich bin ſchon laͤngſt ausgebacken!“
da trat es fleißig herzu und holte alles heraus.
Darnach ging es weiter und kam zu einem
Baum, der hing voll Aepfel und rief ihm zu:
„ach! ſchuͤttel mich! ſchuͤttel mich! wir Aepfel
ſind allemiteinander reif!“ Da ſchuͤttelt' es den
Baum, daß die Aepfel fielen, als regenten ſie,
ſolang bis keiner mehr oben war, darnach ging
es wieder fort. Endlich kam es zu einem klei-
nen Haus, daraus guckte eine alte Frau, weil
ſie aber ſo große Zaͤhne hatte, ward ihm Angſt
und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber
rief ihm nach: „fuͤrcht dich nicht, liebes Kind,
bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im Haus
ordentlich thun willſt, ſo ſoll dirs gut gehn:
nur mußt du recht darauf Acht geben daß du
[108] mein Bett gut machſt, und es fleißig aufſchuͤt-
telſt, daß die Federn fliegen, dann ſchneit es in
der Welt; *) ich bin die Frau Holle. Weil die
Alte ſo gut ſprach, willigte das Maͤdchen ein
und begab ſich in ihren Dienſt. Es beſorgte
auch alles nach ihrer Zufriedenheit und ſchuͤt-
telte ihr das Bett immer gewaltig auf, dafuͤr
hatte es auch ein gut Leben bei ihr, kein boͤſes
Wort und alle Tage Geſottenes und Gebrate-
nes. Nun war es eine Zeitlang bei der Frau
Holle, da ward es traurig in ſeinem Herzen
und ob es hier gleich viel tauſendmal beſſer
war, als zu Haus, ſo hatte es doch ein Ver-
langen dahin; endlich ſagte es zu ihr: „ich habe
den Jammer nach Haus kriegt, und wenn es
mir auch noch ſo gut hier geht, ſo kann ich
doch nicht laͤnger bleiben.“ Die Frau Holle
ſagte: „du haſt Recht und weil du mir ſo treu
gedient haſt, ſo will ich dich ſelbſt wieder hin-
aufbringen. „Sie nahm es darauf bei der
Hand und fuͤhrte es vor ein großes Thor. Das
ward aufgethan und wie das Maͤdchen darun-
ter ſtand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und
alles Gold blieb an ihm haͤngen, ſo daß es
uͤber und uͤber davon bedeckt war.“ Das ſollſt
du haben, weil du ſo fleißig geweſen biſt,“
[109] ſprach die Frau Holle. Darauf ward das Thor
verſchloſſen und es war oben auf der Welt, da
ging es heim zu ſeiner Mutter und weil es ſo
mit Gold bedeckt ankam, ward es gut aufge-
nommen.
Als die Mutter hoͤrte, wie es zu dem Reich-
thum gekommen, wollte ſie der andern ſchoͤnen
und faulen Tochter gern daſſelbe Gluͤck verſchaf-
fen, und ſie mußte ſich auch in den Brunnen
ſtuͤrzen. Sie erwachte, wie die andere auf der
ſchoͤnen Wieſe und ging auf demſelben Pfad
weiter. Als ſie zu dem Backofen gelangte, ſchrie
das Brod wieder: „ach! zieh mich 'raus, zieh
mich 'raus, ſonſt verbrenn ich, ich bin ſchon
laͤngſt ausgebacken!“ die Faule aber antworte-
te: „da haͤtt' ich Luſt, mich ſchmutzig zu ma-
chen!“ und ging fort. Bald kam ſie zu dem
Apfelbaum, der rief: „ach! ſchuͤttel mich! ſchuͤt-
tel mich! wir Aepfel ſind alle mit einander
reif“ ſie antwortete aber: „du kommſt mir
recht, es koͤnnt mir einer auf den Kopf fallen!“
ging damit weiter. Als ſie vor der Frau Holle
Haus kam, fuͤrchtete ſie ſich nicht, weil ſie von
ihren großen Zaͤhnen ſchon gehoͤrt hatte, und
verdingte ſich gleich zu ihr. Am erſten Tag
that ſie ſich Gewalt an und war fleißig und
folgte der Frau Holle, wenn ſie ihr etwas ſagte,
denn ſie gedachte an das viele Gold, daß ſie ihr
ſchenken wuͤrde; am zweiten Tag aber fing ſie
[110] ſchon an zu faullenzen, am dritten noch mehr,
da wollte ſie Morgens gar nicht aufſtehen, ſie
machte auch der Frau, Holle das Bett ſchlecht
und ſchuͤttelte es nicht recht, daß die Federn
aufflogen. Das ward die Frau Holle bald muͤd
und ſagte der Faulen den Dienſt auf. Die
war es wohl zufrieden und meinte nun werde
der Goldregen kommen, die Frau Holle fuͤhrte
ſie auch hin zu dem Thor als ſie aber darunter
ſtand, ward ſtatt des Golds ein großer Keſſel
voll Pech ausgeſchuͤttet. „Das iſt zur Beloh-
nung deiner Dienſte“ ſagte die Frau Holle
und ſchloß das Thor zu. Da kam die Faule
heim, ganz mit Pech bedeckt, und das hat ihr
Lebtag nicht wieder abgehen wollen.
25.
Die drei Raben.
Es war einmal eine Mutter, die hatte drei
Soͤhnlein, die ſpielten eines Sonntags unter der
Kirche Karten. Und als die Predigt vorbei
war, kam die Mutter nach Haus gegangen und
ſah, was ſie gethan hatten. Da fluchte ſie ih-
ren gottloſen Kindern und alſobald wurden ſie
drei kohlſchwarze Raben und flogen auf und
davon.
Die drei Bruͤder hatten aber ein Schwe-
ſterchen, das ſie von Herzen liebte, und es
[111] graͤmte ſich ſo uͤber ihre Verbannung, daß es
keine Ruh mehr hatte und ſich endlich auf-
machte, ſie zu ſuchen. Nichts nahm es ſich mit
auf die lange lange Reiſe, als ein Stuͤhlchen,
worauf es ſich ruhte, wann es zu muͤd gewor-
den war, und nichts aß es die ganze Zeit, als
wilde Aepfel und Birnen. Es konnte aber die
drei Raben immer nicht finden, außer einmal
waren ſie uͤber ſeinen [Kopf] weggeflogen, da hat-
te einer einen Ring fallen laſſen, wie es den
aufhob, erkannte ihn das Schweſterchen fuͤr den
Ring, den es einsmals dem juͤngſten Bruder
geſchenkt hatte.
Es ging aber immer fort, ſo weit, ſo weit
bis es an der Welt Ende kam, und es ging zur
Sonne, die war aber gar zu heiß und fraß die
kleinen Kinder. Darauf kam es zu dem Mond,
der war aber gar zu kalt, und auch boͤs, und
wie ers merkte, ſprach er: ich rieche, rieche
Menſchenfleiſch. Da machte es ſich geſchwind
fort und kam zu den Sternen, die waren ihm
gut und ſaßen alle jeder auf Stuͤhlerchen und
der Morgenſtern ſtand auf und gab ihm ein
Hinkelbeinchen, „wenn du das Beinchen nicht
haſt, kannſt du nicht in den Glasberg kommen,
und in dem Glasberg da ſind deine Bruͤder!“
da nahm es das Hinkelbeinchen, wickelte es
wohl in ein Tuͤchelchen und ging ſo lange fort,
bis es an den Glasberg kam, das Thor war
[112] aber verſchloſſen. Und wie es das Beinchen
hervorholen wollte, da hatte es das Beinchen
unterweges verloren. Da wußte es ſich gar
nicht zu helfen, weil es gar keinen Schluͤſſel
fand, nahm ein Meſſer und ſchnitt ſich das
kleine Fingerchen ab, ſteckte es in das Thor
und ſchloß gluͤcklich auf. Da kam ein Zwerg-
lein entgegen und ſagte: mein Kind, was ſuchſt
du hier? „ich ſuche meine Bruͤder, die drei
Raben.“ Die Herren Raben ſind nicht zu Haus,
ſprach das Zwerglein, willſt du aber hierinnen
warten, ſo tritt ein, und das Zwerglein brachte
drei Tellerchen getragen und drei Becherchen,
und von jedem Tellerchen aß Schweſterchen ein
Bischen und aus jedem Becherchen trank es
ein Schluͤckchen und in das letzte Becherchen
ließ es das Ringlein fallen. Auf einmal hoͤrte
es in der Luft ein Geſchwirr und ein Geweh,
da ſagte das Zwerglein: die Herren Raben
kommen heim geflogen. Und die Raben fingen
jeder an und ſprachen: wer hat von meinem
Tellerchen gegeſſen?
Wer hat aus meinem Becherchen getrunken?
wie der dritte Rab aber ſeinem Becherchen auf
den Grund kam, da fand er den Ring, und ſah
wohl, daß Schweſterchen angekommen war. Da
erkannten ſie es am Ring, und da waren ſie
alle wieder erloͤſt und gingen froͤlich heim.
[113]
26.
Rothkaͤppchen.
Es war einmal eine kleine ſuͤße Dirn, die
hatte jedermann lieb, der ſie nur anſah, am al-
lerliebſten aber ihre Großmutter, die wußte gar
nicht, was ſie alles dem Kind geben ſollte. Ein-
mal ſchenkte ſie ihm ein Kaͤppchen von rothem
Sammet, und weil ihm das ſo wohl ſtand, und
es nichts anders mehr tragen wollte, hieß es
nur das Rothkaͤppchen; da ſagte einmal ſeine
Mutter zu ihm: „komm, Rothkaͤppchen, da
haſt du ein Stuͤck Kuchen und ein Bouteille
mit Wein, die bring der Großmutter hinaus,
ſie iſt krank und ſchwach, da wird ſie ſich daran
laben; ſey huͤbſch artig und gruͤß ſie von mir,
geh auch ordentlich und lauf nicht vom Weg
ab, ſonſt faͤllſt du, und zerbrichſt das Glas,
dann hat die kranke Großmutter nichts.“
Rothkaͤppchen verſprach der Mutter recht
gehorſam zu ſeyn. Die Großmutter aber wohn-
te draußen im Wald, eine halbe Stunde vom
Dorf. Wie nun Rothkaͤppchen in den Wald
kam, begegnete ihm der Wolf, Rothkaͤppchen
aber wußte nicht, was das fuͤr ein boͤſes Thier
war, und fuͤrchtete ſich nicht vor ihm. „Guten
Tag, Rothkaͤppchen.“ — „Schoͤn Dank Wolf.“
— „Wo willſt du ſo fruͤh hinaus, Rothkaͤpp-
chen,“ — „zur Großmutter.“ — Was traͤgſt
Kindermärchen, H
[114] du unter der Schuͤrze? — „die Großmutter iſt
krank und ſchwach, da bring ich ihr Kuchen und
Wein, geſtern haben wir gebacken, da ſoll ſie
ſich ſtaͤrken.“ — „Rothkaͤppchen, wo wohnt
deine Großmutter?“ — „Noch eine gute Vier-
telſtunde im Wald, unter den drei großen Eich-
baͤumen, da ſteht ihr Haus, unten ſind die
Nußhecken das wirſt du ja wiſſen“ ſagte Roth-
kaͤppchen. Der Wolf gedacht bei ſich, das iſt
ein guter fetter Biſſen fuͤr mich, wie faͤngſt
dus an, daß du den kriegſt: „hoͤr Rothkaͤpp-
chen, ſagte er, haſt du die ſchoͤnen Blumen
nicht geſehen, die im Walde ſtehen, warum
guckſt du nicht einmal um dich, ich glaube, du
hoͤrſt gar nicht darauf, wie die Voͤglein lieblich
ſingen, du gehſt ja fuͤr dich hin als wenn du
im Dorf in die Schule gingſt, und iſt ſo luſtig
haußen in dem Wald.“
Rothkaͤppchen ſchlug die Augen auf, und
ſah wie die Sonne durch die Baͤume gebrochen
war und alles voll ſchoͤner Blumen ſtand; da
gedacht es: ei! wenn ich der Großmutter einen
Strauß mitbringe, der wird ihr auch lieb ſeyn,
es iſt noch fruͤh, ich komm doch zu rechter Zeit
an, und ſprang in den Wald und ſuchte Blu-
men. Und wenn es eine gebrochen hatte, meint
es, dort ſtuͤnd noch eine ſchoͤnere und lief dar-
nach und immer weiter in den Wald hinein.
Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem
[115] Haus der Großmutter und klopfte an die Thuͤ-
re. „Wer iſt draußen“ — „das Rothkaͤppchen,
ich bring dir Kuchen und Wein, mach mir
auf.“ — „Druͤck nur auf die Klinke, rief die
Großmutter, ich bin zu ſchwach und kann nicht
aufſtehen.“ Der Wolf druͤckte an der Klinke,
und die Thuͤre ſprang auf. Da ging er hin-
ein, geradezu an das Bett der Großmutter und
verſchluckte ſie. Dann nahm er ihre Kleider,
that ſie an, ſetzte ſich ihre Haube auf, legte ſich
in ihr Bett und zog die Vorhaͤnge vor.
Rothkaͤppchen aber war herum gelaufen
nach Blumen, und erſt als es ſo viel hatte, daß
es keine mehr tragen konnte, machte es ſich auf
den Weg zu der Großmutter. Wie es ankam
ſtand die Thuͤre auf, daruͤber verwunderte es
ſich, und wie es in die Stube kam, ſahs ſo
ſeltſam darin aus, daß es dacht: ei! du mein
Gott wie aͤngſtlich wird mirs heut zu Muth,
und bin ſonſt ſo gern bei der Großmutter.
Drauf ging es zum Bett und zog die Vorhaͤnge
zuruͤck, da lag die Großmutter und hatte die
Haube tief ins Geſicht geſetzt und ſah ſo wun-
derlich aus. „Ei Großmutter, was haſt du
fuͤr große Ohren!“ — „daß ich dich beſſer hoͤ-
ren kann.“ — „Ei Großmutter, was haſt du
fuͤr große Augen!“ — „daß ich dich beſſer ſe-
hen kann.“ — „Ei Großmutter was haſt du
fuͤr große Haͤnde!“ — „daß ich dich beſſer
H 2
[116] packen kann.“ — „Aber Großmutter, was haſt
du fuͤr ein entſetzlich großes Maul!“ — „daß
ich dich beſſer freſſen kann.“ Damit ſprang
der Wolf aus dem Bett, ſprang auf das arme
Rothkaͤppchen, und verſchlang es.
Wie der Wolf den fetten Biſſen erlangt
hatte, legte er ſich wieder ins Bett, ſchlief ein
und fing an, uͤberlaut zu ſchnarchen. Der Jaͤ-
ger ging eben vorbei und gedacht wie kann die
alte Frau ſo ſchnarchen, du mußt einmal nach-
ſehen. Da trat er hinein und wie er vors
Bett kam, da lag der Wolf den er lange ge-
ſucht, der hat gewiß die Großmutter gefreſſen
vielleicht iſt ſie noch zu retten, ich will nicht
ſchießen, dachte der Jaͤger. Da nahm er die
Scheere und ſchnitt ihm den Bauch auf, und
wie er ein paar Schnitte gethan, da ſah er das
rothe Kaͤppchen leuchten, und wie er noch ein
wenig geſchnitten, da ſprang das Maͤdchen her-
aus und rief: „ach wie war ich erſchrocken,
was wars ſo dunkel in dem Wolf ſeinem Leib;“
und dann kam die Großmutter auch lebendig
heraus. Rothkaͤppchen aber holte große ſchwere
Steine, damit fuͤllten ſie dem Wolf den Leib,
und wie er aufwachte, wollte er fortſpringen,
aber die Steine waren ſo ſchwer, daß er ſich
todt fiel.
Da waren alle drei vergnuͤgt, der Jaͤger
nahm den Pelz vom Wolf, die Großmutter aß
[117] den Kuchen und trank den Wein, den Roth-
kaͤppchen gebracht hatte, und Rothkaͤppchen ge-
dacht bei ſich: du willſt dein Lebtag nicht wie-
der allein vom Weg ab in den Wald laufen,
wenn dirs die Mutter verboten hat.
Es wird auch erzaͤhlt, daß einmal, als Roth-
kaͤppchen der alten Großmutter wieder Gebacke-
nes brachte, ein anderer Wolf ihm zugeſprochen
und es vom Weg ableiten wollen. Rothkaͤpp-
chen aber huͤtete ſich und ging gerad fort ihres
Wegs, und ſagte der Großmutter daß ſie den
Wolf geſehen, daß er ihm guten Tag gewuͤnſcht
aber ſo boͤs aus den Augen geguckt; „wenns
nicht auf offner Straße geweſen, er haͤtt mich
gefreſſen.“ — „Komm, ſagte die Großmutter
wir wollen die Thuͤre verſchließen, daß er nicht
herein kann.“ Bald darnach klopfte der Wolf
an und rief: „mach auf, Großmutter, ich bin
das Rothkaͤppchen, ich bring dir Gebackenes.“
Sie ſchwiegen aber ſtill und machten die Thuͤre
nicht auf, da ging der Boͤſe etlichemal um das
Haus und ſprang endlich aufs Dach, und wollte
warten bis Rothkaͤppchen Abends nach Haus
ging, dann wollt' er ihm nachſchleichen und
wollts in der Dunkelheit freſſen. Aber die
Großmutter merkte, was er im Sinn hatte;
da ſtand vor dem Haus ein großer Steintrog:
„hol' den Eimer, Rothkaͤppchen, geſtern hab ich
[118] Wuͤrſte gekocht, da trag das Waſſer, worin ſie
gekocht ſind, in den Trog.“ Rothkaͤppchen
trug ſo lange bis der große, große Trog ganz
voll war. Da ſtieg der Geruch von den Wuͤr-
ſten dem Wolf in die Naſe, er ſchnupperte und
guckte hinab, endlich machte er den Hals ſo
lang, daß er ſich nicht mehr halten konnte, er
fing an zu rutſchen, und rutſchte vom Dach
herab und gerade in den großen Trog hinein
und ertrank. Rothkaͤppchen aber ging froͤhlich
und ſicher nach Haus.
27.
Der Tod und der Gaͤnshirt.
Es ging ein armer Hirt an dem Ufer ei-
nes großen und ungeſtuͤmen Waſſers, huͤtend
einen Haufen weißer Gaͤnſe. Zu dieſem kam
der Tod uͤber Waſſer, und wurde von dem Hir-
ten gefragt, wo er herkomme, und wo er hin
wolle? Der Tod antwortete, daß er aus dem
Waſſer komme und aus der Welt wolle. Der
arme Gaͤnshirt fragte ferners: wie man doch
aus der Welt kommen koͤnne? Der Tod ſagte,
daß man uͤber das Waſſer in die neue Welt
muͤſſe, welche jenſeits gelegen. Der Hirt ſag-
te, daß er dieſes Lebens muͤde, und bate den
Tod, er ſollte ihn mit uͤber nehmen. Der Tod
ſagte, daß es noch nicht Zeit, und haͤtte er jetzt
[119] ſonſt zu verrichten. Es war aber unferne da-
von ein Geizhals, der trachtete bei Nachts auf
ſeinem Lager, wie er doch mehr Geld und Gut
zuſammenbringen moͤgte, den fuͤhrte der Tod
zu dem großen Waſſer und ſtieß ihn hinein.
Weil er aber nicht ſchwimmen konnte, iſt er zu
Grunde geſunken, bevor er an das Ufer kom-
men. Seine Hunde und Katzen, ſo ihm nach-
gelaufen, ſind auch mit ihm erſoffen. Etliche
Tage hernach kam der Tod auch zu dem Gaͤns-
hirten, fand ihn froͤhlich ſingen und ſprach zu
ihm: „willſt du nun mit?“ Er war willig und
kam mit ſeinen weißen Gaͤnſen wohl hinuͤber,
welche alle in weiße Schafe verwandelt worden.
Der Gaͤnshirt betrachtete das ſchoͤne Land und
hoͤrte, daß die Hirten der Orten zu Koͤnigen
wuͤrden, und indem er ſich recht umſahe, ka-
men ihm die Erzhirten Abraham, Iſaac und
Jacob entgegen, ſetzten ihm eine koͤnigliche Kro-
ne auf, und fuͤhrten ihn in der Hirten Schloß,
allda er noch zu finden.
28.
Der ſingende Knochen.
Ein Wildſchwein thaͤt großen Schaden in
dem ganzen Land, kein Menſch getraute ſich in
den Wald, wo es herum lief, und wer ſo kuͤhn
war und auf es einging und es toͤdten wollte,
[120] dem riß es den Leib mit ſeinen Hauern auf.
Da ließ der Koͤnig bekannt machen, wer das
Schwein erlege, der ſolle ſeine Tochter zur Ge-
mahlin haben. Nun waren in dem Koͤnigreich
drei Bruͤder, davon war der aͤlteſte liſtig und
klug, der zweite von gewoͤhnlichem Verſtand,
der dritte und juͤngſte aber war unſchuldig und
dumm. Die gedachten die Prinzeſſin zu ge-
winnen, wollten das Wildſchwein aufſuchen
und toͤdten.
Die zwei aͤlteſten gingen mit einander, der
juͤngſte aber ging allein. Als er in den Wald
hineinkam, trat ein kleiner Mann vor ihn, der
hielt eine ſchwarze Lanze in der Hand und ſag-
te zu ihm: „nimm dieſe Lanze und geh damit
auf das Schwein los, ohne Furcht, du wirſt
es leicht toͤdten.“ Alſo geſchah es, er traf mit
der ſchwarzen Lanze das Schwein, daß es zur
Erde fiel, nahm es dann auf die Schulter und
zog vergnuͤgt heim. Unterwegs kam er an ein
Haus, darin waren ſeine beiden aͤlteſten Bruͤ-
der, und machten ſich luſtig beim Wein; als ſie
ihn mit dem Schwein auf dem Ruͤcken daher
ziehen ſahen, riefen ſie ihn an: „komm herein
und trink mit uns, du wirſt doch muͤde ſeyn.“
Der unſchuldige Dumme denkt an nichts Boͤſes,
tritt ein, erzaͤhlt ihnen wie er das Schwein
durch die ſchwarze Lanze getoͤdtet habe, und
freut ſich uͤber ſein Gluͤck. Abends gingen ſie
[121] mit einander nach Haus, da machten die bei-
den aͤlteſten einen Anſchlag auf des andern Le-
ben, ließen ihn voran gehen, und als ſie vor
die Stadt an die Bruͤcke kamen, fielen ſie uͤber
ihn her, ſchlugen ihn todt und begruben ihn
tief unter die Bruͤcke. Dann nahm der aͤlteſte
das Schwein, trugs zu dem Koͤnig, gab vor
er habe es getoͤdtet und erhielt die Prinzeſſin
zur Gemahlin.
Das dauerte viele Jahre, doch ſollt es
nicht verborgen bleiben. Da ging einmal ein
Hirt uͤber die Bruͤcke und ſah unten im Sand
ein Knoͤchlein liegen, und weil es ſo rein
und ſchneeweiß war, wollt er ſich ein Mund-
ſtuͤck daraus machen, ging hinab und hob es
auf. Darnach machte er ſichs zum Mundſtuͤck
fuͤr ſein Horn, und wie er anſetzen und blaſen
wollte, da fing das Knoͤchlein an, von ſelbſt
zu ſingen:
Da nahm der Hirt das Horn und trug es vor
den Koͤnig, da ſang es wieder dieſelben Worte.
Als der Koͤnig das hoͤrte, ließ er unter der
Bruͤcke graben, da ward bald das Gerippe her-
[122] ausgegraben. Die zwei boͤſen Bruͤder geſtan-
den ihr Verbrechen und wurden ins Waſſer ge-
worfen. Das Gebein aber von dem Gemorde-
ten ward auf dem Kirchhof in ein ſchoͤnes
Grab gelegt.
29.
Von dem Teufel mit drei goldenen
Haaren.
Ein Holzhacker hackte vor des Koͤnigs
Haus Holz, oben am Fenſter ſtand die Prin-
zeſſin und ſah ihm zu. Als es Mittag war,
ſetzte er ſich in den Schatten und wollte ru-
hen, da ſah die Prinzeſſin, daß der Holzhacker
[ſehr] ſchoͤn war, und verliebte ſich in ihn, und
ließ ihn herauf rufen; und als er die Prinzeſ-
ſin erblickte, und ſah wie ſchoͤn ſie war, ver-
liebte er ſich wieder in ſie. Da waren ſie bald
in ihrer Liebe einig, aber dem Koͤnig ward ver-
rathen, daß die Prinzeſſin einen Holzhacker lieb
habe. Als der Koͤnig das hoͤrte, ging er zu
ihr und ſagte: „du weißt, daß der dein Braͤu-
tigam wird, der die drei goldenen Haare bringt,
die der Teufel auf dem Kopf hat, er mag nun
ein Prinz oder ein Holzhacker ſeyn; er gedach-
te aber, kein Prinz iſt noch ſo muthig gewe-
ſen, daß er es gekonnt, ſo wird ein ſchlechter
Holzhacker es noch weniger koͤnnen. Die Prin-
[123] zeſſin war betruͤbt, denn es waren ſchon viele
Prinzen umgekommen, welche die drei golde-
nen Haare beim Teufel holen wollten, weil
aber kein anderes Mittel uͤbrig blieb, ſo ent-
deckte ſie dem Holzhacker, was ihr Vater ge-
ſagt hatte. Der Holzhacker war gar nicht be-
truͤbt und ſagte: „das ſoll mir ſchon gelingen,
bleib mir nur getreu, bis ich wiederkomme, mor-
gen fruͤh zieh ich aus.“
Alſo begab ſich der Holzhacker auf die Reiſe
zum Teufel, und kam bald an eine große Stadt.
Vor dem Thor fragte ihn der Waͤchter, was
er fuͤr ein Handwerk verſtehe und was er wiſ-
ſe? „Ich weiß alles,“ antwortete er. „Wenn
du alles weißt, ſagte der Thorwaͤchter, ſo mach
unſere Prinzeſſin geſund, die kein Arzt in der
Welt curiren kann.“ — „Wenn ich wieder
komme.“ In der zweiten Stadt wurde er
auch gefragt, was er wiſſe? „Ich weiß alles.“
— „So ſag uns warum unſer ſchoͤner Markt-
brunnen vertrocknet iſt?“ — „Wenn ich wie-
der komme,“ ſagte der Holzhacker und ließ ſich
nicht aufhalten. Da kam er an einen Feigen-
baum, der wollte verdorren, nebenbei ſtand ein
Mann, der fragte ihn, was er wiſſe? „Ich
weiß alles.“ — „So ſag mir warum der Fei-
genbaum welkt und keine Fruͤchte traͤgt?“ —
„Wenn ich wieder komme.“ — Er ging wei-
ter und kam zu einem Fiſcher, der mußte ihn
[124] uͤberſchiffen, der fragte ihn, was er wiſſe? „Ich
weiß alles.“ — „So ſag mir, wann werd'
ich einmal abgeloͤſt werden und ein anderer
die Leute uͤberſchiffen?“ — „Wenn ich wieder
komme.“
Nachdem der Holzhacker druͤben war, kam
er in die Hoͤlle, da ſahs ſchwarz und ruſig aus,
der Teufel aber war nicht zu Haus, nur ſeine
Frau ſaß da. Der Holzhacker ſagte zu ihr:
„guten Tag, Frau Teufelin, ich bin hierher ge-
kommen und moͤchte die drei goldenen Haare
haben, die euer Mann auf dem Kopfe traͤgt;
auch moͤgt ich wiſſen, warum eine Prinzeſſin
nicht kann geheilt werden, warum ein tiefer
Marktbrunnen ohne Waſſer, und ein Feigen-
baum ohne Fruͤchte iſt, und warum ein Schif-
fer nicht abgeloͤſt wird. Die Frau erſchrack
und ſagte: „wenn der Teufel kommt und fin-
det dich hier, ſo frißt er dich gleich auf, die
drei goldenen Haare kannſt du nimmermehr
kriegen, weil du aber ſo jung noch biſt, ſo
dauerſt du mich, und ich will ſehen ob ich dich
erretten kann.“ — Der Holzhacker mußte ſich
unter das Bett legen, und kaum hatte er ein
Weilchen da gelegen, da kam der Teufel nach
Haus: „guten Abend Frau,“ und fing an ſich
auszuziehen und ſagte dann: „wie iſt mir in
der Stube! ich rieche, ich rieche Menſchenfleiſch,
da muß ich einmal nachſehen.“ — „Was wirſt
[125] du wohl riechen! ſagte die Frau, du haſt den
Schnupfen, und da ſteckt dir immer der Ge-
ruch von Menſchenfleiſch in der Naſe, wirf
mir nicht alles untereinander, ich habe eben
erſt gekehrt.“ — „Ich will nur ſtill ſeyn, ich
bin muͤde heut Abend, aber du goͤnnſt mir den
Biſſen nicht, den ich ins Maul ſtecke.“
Damit legte ſich der Teufel ins Bett und
ſeine Frau mußte ſich zu ihm legen. Bald
ſchlief er ein, erſt blies er, dann ſchnarchte er,
anfangs ſachte, dann ſo laut, daß die Fenſter
zitterten. Als die Frau ſah, daß er ſo feſt
ſchlief, packte ſie eins von den drei goldenen
Haaren feſt, riß es heraus und warf es dem
[Holzhacker] unter das Bett. Der Teufel fuhr
auf: „was haſt du vor, Frau, was raufſt du
mich?“ — „Ach! ich hatte einen ſchweren
Traum, da muß ich es in der Angſt gethan
haben.“ — „Wovon haſt du denn [getraͤumt]?“
— „Mir traͤumte von einer Prinzeſſin, die
war ſterbenskrank, und kein Arzt war auf der
Welt, der ſie heilen konnte.“ — „Warum thun
ſie nicht die weiße Unke weg, die unter ihrem
Bett ſteckt“ damit legte er ſich auf die andere
Seite und ſchlief wieder ein. Als ihn die
Frau ſchnarchen hoͤrte, faßte ſie das zweite
Haar, riß es aus und warf es unter das Bett.
Der Teufel ſprang auf: „ei ſo ſoll dich — biſt
du toll geworden, du reißt mich ja wieder ent-
[126] ſetzlich in den Haaren!“ — „Ach! lieber
Mann, ich ſtand vor einem großen Marktbrun-
nen, die Leute jammerten weil kein Waſſer
darin war, und fragten mich, ob ich keine Huͤl-
fe wiſſe, da guckte ich hinein, er war ſo tief,
daß mir ſchwindlicht wurde, ich wollte mich hal-
ten und da bin ich dir in die Haare gerathen.“
— „Du haͤtteſt nur ſagen ſollen, ſie muͤßten
den weißen Stein herausholen, der unten liegt,
aber laß mich mit deinen Traͤumen in Ruh.“
Er legte ſich wieder und ſchnarchte bald ſo ab-
ſcheulich wie vorher. Die Frau gedacht: du
mußt es noch einmal wagen, und riß auch das
dritte Goldhaar heraus und warfs hinunter.
Der Teufel fuhr in die Hoͤh und wollte uͤbel
wirthſchaften, die Frau aber beſaͤnftigte ihn,
kuͤßte ihn und ſagte: „das ſind boͤſe Traͤume!
Ein Mann zeigte mir einen Feigenbaum, der
verdorren wollte und klagte, daß er keine Fruͤch-
te trage, da wollte ich an dem Baum ſchuͤtteln,
ob wohl noch etwas herabfalle, und da habe
ich deine Haare geſchuͤttelt.“ — „Das waͤre
auch umſonſt geweſen, an der Wurzel nagt ei-
ne Maus, wenn die nicht getoͤdtet wird, ſo iſt
der Baum verloren, iſt die erſt todt, dann wird
er ſchon wieder friſch werden, und Fruͤchte tra-
gen; aber plag mich nicht mehr mit deinen
Traͤumen, ich will ſchlafen, und wenn du mich
noch einmal aufweckſt, ſo kriegſt du eine Ohr-
[127] feige.“ Der Frau war Angſt vor dem Zorn
des Teufels, aber der arme Holzhacker mußte
noch etwas wiſſen, das wußte der Teufel al-
lein. Da zupfte ſie ihn an der Naſe und zog
ihn in die Hoͤh. Der Teufel ſprang wie un-
ſinnig auf, und gab ihr eine Ohrfeige, daß es
ſchallte. Die Frau fing an zu weinen und ſag-
te; „willſt du, daß ich ins Waſſer falle? Ein
Fiſcher hatte mich uͤber den Strom gefahren,
und als der Nachen aus Ufer kam, ſtieß er an,
da fuͤrchtete ich mich zu fallen und wollte mich
an den Stamm halten, woran die Kette feſt-
gemacht wird, da hab ich mich an deine Naſe
gehalten.“ — „Warum haſt du nicht Acht ge-
geben? das thut der Nachen jedesmal.“ —
Der Fiſcher klagte mir, daß niemand komme,
ihn abzuloͤſen und er ſeiner Arbeit kein Ende
ſehe.“ — „Er muß den erſten, der kommt an-
halten, ſo lange zu fahren, bis ein dritter
kommt, der ihn wieder abloͤſt, ſo iſt ihm ge-
holfen; aber du traͤumſt curios, das iſt wahr
mit dem Schiffer und alles andere auch: jetzt
weck mich nicht wieder, der Morgen muß bald
anbrechen, ich will noch ſchlafen, ſonſt ſpring
ich uͤbel mit dir um.“
Wie nun der Holzhacker alles gehoͤrt hat-
te, und der Teufel wieder ſchnarchte, bedankte
er ſich bei der Frau Teufelin und zog fort.
Als er zu dem Fiſcher kam, wollte der Aus-
[128] kunft haben. „Fahr mich nur erſt hinuͤber.“
Druͤben aber ſagte er zu ihm: „der erſte, der
wieder kommt und will uͤbergefahren ſeyn, den
halt an, daß er ſo lange das Amt uͤbernimmt,
bis ihn wieder einer abloͤſt.“ Darauf kam er
zu dem Mann mit dem unfruchtbaren Feigen-
baum und ſagte ihm: „toͤdte nur die weiße
Maus, die an den Wurzeln nagt, ſo wird dein
Baum wieder Fruͤchte tragen wie vorher.“ —
„Was verlangſt du zur Belohnung,“ fragte
der Mann. „Ein Regiment Infanterie“ und
kaum hatte er das geſagt, ſo marſchirte ein
Regiment hinter ihm her. Der Holzhacker ge-
dacht, das geht gut, und kam in die Stadt, wo
der Marktbrunnen vertrocknet war: „holt den
weißen Stein heraus, der auf dem Grund
liegt.“ Da ſtieg einer hinab und holte den
Stein, und kaum war er oben, ſo fuͤllte ſich
der Brunnen wieder mit dem klarſten Waſſer.
„Womit ſollen wir dich belohnen,“ fragte der
Buͤrgemeiſter. — „Gebt mir ein Regiment
Cavallerie.“ Und als der Holzhacker zum
Thor hinausging, ritt auch ein Regiment Ca-
vallerie hintendrein. So kam er in die andere
Stadt, wo die Prinzeſſin krank lag, die kein
Arzt curiren konnte. „Macht nur die weiße
Unke todt, die unter dem Bett verſteckt iſt,“
und wie das geſchehen war, ſo fing die Prinzeſſin
an ſich zu erholen, friſch und roth zu werden.
„Was
[129] „Was willſt du zur Belohnung?“ fragte der
Koͤnig. „Vier Wagen mit Gold beladen,“
ſagte der Holzhacker.
Endlich kam der Holzhacker heim und hin-
ter ihm ein Regiment Infanterie, ein Regi-
ment Cavallerie und vier Wagen ganz mit Gold
beladen, die drei goldenen Haare aber trug
er bei ſich. Vor dem Thore hieß er ſeine Be-
gleitung warten, wenn er aber von dem Schloß
ein Zeichen gaͤbe, dann ſollten ſie ſchnell einzie-
hen. Darauf ging er vor der Prinzeſſin, ſei-
ner Geliebten, Vater, reichte ihm die drei gol-
denen Haare des Teufels und bat ihn, ſeinem
Verſprechen gemaͤß ihm die Prinzeſſin zu ge-
ben. Der Koͤnig erſtaunte, ſagte, mit den drei
goldenen Haaren habe es ſeine Richtigkeit, aber
wegen der Prinzeſſin muͤſſe er ſich bedenken.
Wie der Holzhacker das hoͤrte, ſtellte er ſich
zum Fenſter und pfiff hinaus, da kamen auf
einmal durch das Thor ein Regiment Infan-
terie, ein Regiment Cavallerie und vier ſchwer-
beladene Wagen marſchirt. „Herr Koͤnig, ſag-
te der Holzhacker, ſeht her, das ſind meine
Leute, die ich mitgebracht habe, und dort das
iſt mein Reichthum in den Wagen, die ſind
voller Gold: wollt ihr mir nun die Prinzeſſin
geben? „Der Koͤnig erſchrack und ſagte: ja
von Herzen gern“ Da wurden beide vermaͤhlt
und lebten in Gluͤckſeligkeit.
Kindermärchen. J
[130]
Darum- wer den Teufel nicht fuͤrchtet, der
kann ihm die Haare ausreißen und die ganze
Welt gewinnen.
30.
Laͤuschen und Floͤhchen.
Ein Laͤuschen und ein Floͤhchen die lebten
zuſammen in einem Haushalt, und brauten ſich
Bier in einer Eierſchale. Da fiel das Laͤus-
chen hinein und verbrennte ſich. Daruͤber fing
das Floͤhchen laut an zu ſchreien. Da ſprach
die kleine Stubenthuͤre:
„weil ſich Laͤuschen verbrennt hat.“
Da fing das Thuͤrchen an zu knarren. Da
ſprach ein Beſenchen in dem Hausehrn:
„ſoll ich nicht knarren?
Da fing der kleine Beſen an entſetzlich zu
kehren.
Da kam ein Waͤgelchen vorbei:
„Soll ich nicht kehren?
[131]
Da ſagt das Waͤgelchen, ſo will ich ent-
ſetzlich rennen und rennt entſetzlich. Da ſagt
das Miſtchen, an dem es vorbeirennt:
„Soll ich nicht rennen?
Da ſagt das Miſtchen, ſo will ich anfan-
gen zu brennen, und brennt entſetzlich.
Da ſtand ein Baͤumchen das ſagt:
„Soll ich nicht brennen?
Da ſagt das Baͤumchen, ſo will ich mich
ſchuͤtteln, und ſchuͤttelte all ſein Laub ab. Da
ſagt ein Maͤdchen mit dem Waſſerkruͤgelchen:
„Soll ich mich nicht ſchuͤtteln?
J 2
Da ſagt das Maͤdchen, ſo will ich mein
Waſſerkruͤgelchen zerbrechen, und zerbrach ſein
Waſſerkruͤgelchen; da ſagt das Bruͤnnlein:
„Soll ich mein Waſſerkruͤgelchen nicht zerbrechen?
Ei! ſagte das Bruͤnnchen, ſo will ich an-
fangen zu fließen, und fing ſo entſetzlich an zu
fließen, daß alles ertrunken iſt, das Maͤdchen,
das Baͤumchen, das Miſtchen, das Waͤgelchen,
das Beſenchen, das Thuͤrchen, das Floͤhchen,
und das Laͤuschen, alles miteinander.
30.
Maͤdchen ohne Haͤnde.
Ein Muͤller, der ſo arm war, daß er nichts
weiter hatte, als ſeine Muͤhle und einen gro-
ßen Apfelbaum dahinter, ging in den Wald
Holz holen. Da trat ihn ein alter Mann an,
[133] der ſprach: was quaͤlſt du dich ſo ſehr, ich will
dich reich machen, verſchreib mir dafuͤr, was
hinter deiner Muͤhle ſteht, in drei Jahren will
ichs abholen. Der Muͤller denkt: das iſt mein
Apfelbaum, ſagte ja, und verſchriebs dem Man-
ne. Wie er nach Haus kommt, ſagt ſeine Frau
zu ihm: „Muͤller, woher kommt der große
Reichthum, der auf einmal Kiſten und Kaſten
in unſerm Haus angefuͤllt hat?“ — das kommt
von einem alten Mann aus dem Wald, ich
hab ihm dafuͤr verſchrieben, was hinter der
Muͤhle ſteht. — „Ach Mann, ſprach die Frau
erſchrocken, das wird ſchlimm werden, der alte
Mann war der Teufel und er hat unſere Toch-
ter damit gemeint, die hat gerad hinter der
Muͤhle geſtanden und den Hof gekehrt.“
Die Muͤllerstochter war aber gar ſchoͤn und
fromm, und nach drei Jahren kam der Teufel
ganz fruͤh und wollte ſie holen, aber ſie hatte
mit Kreide einen Kranz um ſich gemacht und
ſich rein gewaſchen. Da konnte der Teufel nicht
zu ihr kommen, zornig ſprach er zu dem Muͤl-
ler: „thu ihr alles Waſchwaſſer weg, daß ſie
ſich nicht mehr waſchen kann, und ich Gewalt
uͤber ſie habe.“ Der Muͤller fuͤrchtete ſich und
that es. Am andern Tag kam der Teufel wie-
der, aber ſie hatte auf ihre Haͤnde geweint und
ſich mit ihren Thraͤnen gewaſchen, und war
ganz rein; da konnte ihr der Teufel abermals
[134] nicht nahen, aͤrgerte ſich ſehr und befahl dem
Muͤller: „hau ihr die Haͤnde ab, daß ich ihr
was anhaben kann. Der Muͤller aber entſetzte
ſich und antwortete: wie koͤnnte ich meinem
lieben Kind die Haͤnde abhauen, nein, das thu
ich nicht. „Weißt du was, ſo hol ich dich
ſelber, wenn dus nicht thuſt!“ Da fuͤrchtete
ſich der Muͤller gewaltig und verſprach ihm in
der Angſt, zu thun was er befohlen haͤtte.
Ging zu ſeiner Tochter und ſprach: mein Kind,
der Teufel wird mich holen, wenn ich dir nicht
beide Haͤnde abhaue, und da habe ich es ihm
verſprochen, ich bitte dich um Verzeihung.
„Vater, ſagte ſie, macht mit mir was ihr
wollt,“ legte ihre beiden Haͤnde hin und ließ
ſie abhauen. Zum drittenmal kam der Teu-
fel, allein ſie hatte ſo lang und viel auf ihre
Stuͤmpfe geweint, daß ſie doch ganz rein wur-
de, da hatte der Teufel alles Recht an ihr
verloren.
Der Muͤller, weil er ſo großes Gut durch
ſie gewonnen hatte, verſprach ihr nun, er wolle
ſie Zeitlebens aufs koͤſtlichſte halten, allein ſie
mochte nicht mehr dableiben: „ich will fort von
hier, mitleidige Menſchen werden mir ſchon ſo-
viel geben, als ich zum Leben brauche.“ Die
beiden abgehauenen Haͤnde ließ ſie ſich auf den
Ruͤcken binden; mit Sonnenaufgang zog ſie fort
und ging und ging den ganzen Tag, bis es
[135] Abend wurde, da kam ſie zu des Koͤnigs Gar-
ten. In der Gartenhecke war eine Luͤcke, durch
die ging ſie hinein, fand einen Obſtbaum, den
ſchuͤttelte ſie mit ihrem Leib, und wie die Aepfel
zur Erde fielen, buͤckte ſie ſich nieder und hob
ſie mit ihren Zaͤhnen auf und aß ſie. Zwei
Tage lebte ſie ſo, am dritten aber kamen die
Waͤchter des Gartens, die ſahen ſie, nahmen ſie
gefangen und warfen ſie ins Gefangenhaus,
des andern Morgens wurde ſie vor den Koͤnig
gefuͤhrt, und ſollte Landes verwieſen werden.
Ei, ſprach der Koͤnigsſohn, ſie kann ja lieber
die Huͤner auf dem Hof huͤten!
So blieb ſie eine Zeitlang da und huͤtete
die Huͤner, der Koͤnigsſohn aber ſah ſie oft
und gewann ſie von Herzen lieb; mittlerweile
kam nun die Zeit, daß er ſich vermaͤhlen ſollte.
Da wurde ausgeſchickt in alle weite Welt, um
ihm eine ſchoͤne Gemahlin auszuſuchen. „Ihr
braucht nicht weit zu ſuchen und zu ſenden,
ſprach er, ich weiß mir eine ganz in der Naͤ-
he.“ Der alte Koͤnig beſann ſich hin und her
und es war ihm keine Jungfrau im Land be-
kannt, die ſchoͤn und reich waͤre: „du wirſt
doch nicht etwa gar die da wollen heirathen,
die die Huͤner im Hofe huͤtet?“ Der Sohn
aber erklaͤrte, er wuͤrde nimmermehr eine andere
nehmen, da mußte es endlich der Koͤnig zuge-
ben, und bald darauf ſtarb er; der Koͤnigsſohn
[136] folgte ihm im Reich nach, und lebte in ſoweit
gluͤcklich mit ſeiner Gemahlin.
Nun mußte aber einmal der Koͤnig in den
Krieg ziehen und waͤhrend ſeiner Abweſenheit
gebar ſie ein ſchoͤnes Kind, und ſandte einen
Boten mit einem Brief ab, worin ſie ihrem
Gemahl die frohe Nachricht meldete. Der Bote
ruhte unterwegs an einem Bache und ſchlief
ein, da kam der Teufel, der ihr immer zu ſcha-
den trachtete, und vertauſchte den Brief mit ei-
nem andern, worin ſtand, daß die Koͤnigin ei-
nen Wechſelbalg zur Welt gebracht haͤtte. Der
Koͤnig, als er den Brief las, betruͤbte ſich ſehr,
doch ſchrieb er zur Antwort: man ſolle die Koͤ-
nigin und das Kind wohl halten, bis zu ſeiner
Ruͤckkunft. Der Bote ging mit dem Brief zuruͤck
und als er am naͤmlichen Platz ruhte und ein-
geſchlafen war, nahte ſich der boͤſe Teufel wie-
der, und ſchob einen andern Brief unter, worin
der Koͤnig befahl, Koͤnigin und Kind aus dem
Land zu jagen. Dies mußte nun ſo geſchehen,
ſo ſehr auch alle Leute vor Traurigkeit wein-
ten: „ich bin nicht hierhergekommen, um Koͤni-
gin zu werden, ich habe kein Gluͤck und ver-
lange auch keins, bindet mir mein Kind und
die Haͤnde auf den Ruͤcken, ſo will ich in die
Welt ziehen.“ Abends kam ſie in einen dicken
Wald zu einem Brunnen, wobei ein guter al-
ter Mann ſaß. „Seyd doch ſo barmherzig, ſprach
[137] ſie, und haltet mir mein Kind an die Bruſt, ſo
lange bis ich ihm zu trinken gegeben habe“
welches der Mann that, und darauf ſagte er
zu ihr: dort ſteht ein dicker Baum, zu dem geh
hin und ſchlinge deine abgeſtumpften Arme drei-
mal um ihn!“ und als ſie es gethan, wuchſen
ihr die Haͤnde wieder an. Darauf zeigte er
ihr ein Haus: „darin wohne und geh nicht
heraus und mache niemand die Thuͤr auf, der
nicht dreimal um Gotteswillen darum bittet.“
Indeſſen war der Koͤnig nach Haus gekom-
men und ſah ein, wie er betrogen worden war.
In der Begleitung eines einzigen Dieners mach-
te er ſich auf, und nach einer langen Reiſe ver-
irrte er ſich endlich gerade in der Nacht in dem-
ſelben Walde, wo die Koͤnigin wohnte, er wußte
aber nicht, daß ſie ihm ſo nah war. Dort hin-
ten, ſprach der Diener, glimmt ein Lichtchen in
einem Haus, gottlob, da koͤnnen wir ruhen. —
„ach nein, ſprach der Koͤnig, ich will nicht ſo
lange raſten, und weiter nach meiner geliebten
Frau ſuchen, eher habe ich doch keine Ruhe.“
Allein der Diener bat ſo viel und klagte ſo
uͤber Muͤdigkeit, daß der Koͤnig, aus Mitleid
einwilligte. Wie ſie zu dem Haus kamen, ſchien
der Mond und ſie ſahen die Koͤnigin am Fen-
ſter ſtehen. „Ach, das muß unſere Koͤnigin
ſeyn, ſo gleicht ſie ihr“ ſagte der Diener, aber
ich ſehe doch, daß ſie es nicht iſt, denn dieſe da
[138] hat Haͤnde. Der Diener ſprach ſie nun um
Herberg an, aber ſie ſagte es ab, weil er nicht
um Gotteswillen gebeten hatte. Er wollte wei-
ter gehen, und einen andern Platz zum Nacht-
lager ſuchen; da trat der Koͤnig ſelbſt hinzu:
laſſet mich ein, um Gotteswillen! nicht eher
darf ich euch einlaſſen, bis ihr mich dreimal um
Gotteswillen gebeten habt,“ und wie der Koͤ-
nig noch zweimal gebeten hatte, machte ſie auf,
da kam ſein Soͤhnlein herausgeſprungen fuͤhrte
ihn zur Mutter hin, und er erkannte ſie alſo-
bald fuͤr ſeine geliebte Frau. Den andern Mor-
gen reiſten ſie allemiteinander in ihr Land, und
wie ſie zum Haus heraus waren, war es hin-
ter ihnen verſchwunden.
32.
Der geſcheidte Hans.
I.
Hanſens Mutter ſpricht: „wohin Hans?“
Hans antwortet: „zur Grethel.“ — „Machs
gut Hans“ — „Schon gut machen, Adies,
Mutter“ — Hans kommt zur Grethel: „gu-
ten Tag Grethel.“ — Guten Hans: was
bringſt du Gutes?“ — „Bring nichts, gege-
ben han.“ —
Grethel ſchenkt dem Hans eine Nadel,
Hans ſpricht: Adies, Grethel.“ — „Adies,
[139] Hans.“ — Hans nimmt die Nadel und ſteckt
ſie in einen Heuwagen und geht hinterher nach
Haus. „Guten Abend, Mutter.“ — Guten
Abend Hans, wo biſt du geweſen?“ — “Bei
der Grethel.“ — „Was haſt du ihr gebracht?“
— „Nichts gebracht, gegeben hat“ — „Was
hat ſie dir gegeben?“ — „Nadel gegeben“ —
„wo haſt du die Nadel, Hans“ — „In Heu-
wagen geſteckt.“ — „Das haſt du dumm ge-
macht, mußts an Aermel ſtecken.“ — „Thut
nichts, beſſer machen.“
„Wohin Hans?“ — „zur Grethel.“ —
„Machs gut, Hans.“ — „Schon gut machen,
Adies, Mutter.“ — Hans kommt zur Grethel:
„guten Tag, Grethel:“ — guten Tag, Hans:
was bringſt du Gutes?“ — Bring nichts, ge-
geben han.“
Grethel ſchenkt dem Hans ein Meſſer.
„Adies, Grethel“ — „Adies, Hans“ — Hans
nimmt das Meſſer, ſteckts an den Aermel und
geht nach Haus. „Guten Abend, Mutter.“ —
„Guten Abend, Hans, wo biſt du geweſen?“
— „Bei der Grethel.“ — „Was haſt du ihr
gebracht!“ — „Nichts gebracht, gegeben hat?“
„Was hat ſie dir gegeben?“ — „Meſſer ge-
geben.“ — Wo haſt du das Meſſer Hans?“
— „An den Aermel geſteckt.“ — „Das haſt
du dumm gemacht, mußts in die Taſche ſtek-
ken.“ — „Thut nichts, beſſer machen.“
[140]
„Wohin, Hans?“ — „zur Grethel.“ —
„Machs gut, Hans.“ — „Schon gut machen,
Adies, Mutter.“ — Hans kommt zur Gre-
thel: „guten Tag, Grethel.“ — „Guten Tag,
Hans: was bringſt du Gutes?“ — „Bring
nichts, gegeben han.“
Grethel ſchenkt dem Hans eine junge Zie-
ge. „Adies, Grethel“ — „Adies, Hans.“
Hans nimmt die Ziege bindet ihr die Beine
und ſteckt ſie in die Taſche, wie er nach Haus
kommt, iſt ſie erſtickt. „Guten Abend, Mut-
ter.“ — „Guten Abend, Hans, wo biſt du
geweſen?“ — „bei der Grethel.“ — „Was
haſt du ihr gebracht?“ — „Nichts gebracht,
gegeben hat.“ — „Was hat ſie dir gegeben?“
— „Ziege gegeben.“ — „wo haſt du die Zie-
ge, Hans?“ — „In die Taſche geſteckt“ —
„das haſt du dumm gemacht, Hans, mußts
an ein Seil binden.“ — „Thut nichts, beſſer
machen.“
„Wohin Hans?“ — „zur Grethel.“ —
Machs gut, Hans.“ — „Schon gut machen,
Adies, Mutter.“ — Hans kommt zur Gre-
thel: „Guten Tag, Grethel.“ — „Guten Tag,
Hans: was bringſt du Gutes?“ — „Bring
nichts, gegeben han.“ —
Grethel ſchenkt dem Hans ein Stuͤck Speck.
Hans bindet den Speck an ein Seil und ſchleifts
hinter ſich, die Hunde kommen und freſſen es
[141] ab, wie er nach Haus kommt, iſt das Seil
leer. „Guten Abend, Mutter.“ — „Guten
Abend, Hans, wo biſt du geweſen?“ — „Bei
der Grethel.“ — „Was haſt du ihr gebracht?“
— „Nichts gebracht, gegeben hat.“ — „Was
hat ſie dir gegeben?“ — „Stuͤck Speck gege-
ben?“ — „wo haſt du den Speck, Hans?“ —
„Ans Seil gebunden, heim gefuͤhrt, fort gewe-
ſen.“ — „Das haſt du dumm gemacht, Hans,
mußts auf dem Kopf tragen.“ — „Thut nichts,
beſſer machen.“
„Wohin, Hans?“ — „zur Grethel.“ —
„Machs gut, Hans.“ — Schon gut machen,
Adies, Mutter.“ — Hans kommt zur Grethel:
„guten Tag, Grethel:“ — „guten Tag,
Hans: was bringſt du Gutes?“ „Bring nichts
gegeben han.“ —
Grethel ſchenkt dem Hans ein Kalb, Hans
ſetzt es auf den Kopf, und es zertritt ihm das
Geſicht. — „Guten Abend, Mutter.“ — „Gu-
ten Abend, Hans, wo biſt du geweſen?“ —
„Bei der Grethel.“ — „Was haſt du ihr ge-
bracht?“ — „Nichts gebracht, gegeben hat.“
„Was hat ſie dir gegeben?“ — „Kalb gege-
ben.“ — „Wo haſt du das Kalb, Hans?“ —
„Auf den Kopf geſetzt, Geſicht zertreten.“ —
„Das haſt du dumm gemacht, Hans, mußts
leiten und an die Raufe ſtellen-“ — „Thut
nichts, beſſer machen.“
[142]
„Wohin Hans?“ — „Zur Grethel.“ —
„Machs gut, Hans.“ — „Schon gut machen,
Adies Mutter.“ — „Guten Tag, Grethel.“ —
„Guten Tag, Hans: was bringſt du Gutes?“
— „Bring nichts, gegeben han.“
Grethel ſagt: „ich will mit dir gehen.“
Hans bindet die Grethel an ein Seil, leitet
ſie, fuͤhrt ſie vor die Raufe und knuͤpft ſie feſt.
„Guten Abend, Mutter.“ — „Guten Abend,
Hans: wo biſt du geweſen?“ — „Bei der
Grethel.“ — „Was haſt du ihr gebracht.“ —
„Nichts gebracht, gegeben hat.“ — „Was hat
ſie dir gegeben.“ — „Grethel mitgegangen.“
— „Wo haſt du die Grethel.“ — „Geleitet,
vor die Raufe geknuͤpft, Gras vorgeworfen.“
— „Das haſt du dumm gemacht, mußt ihr die
Augen freundlich zuwerfen.“ — „Thut nichts,
beſſer machen.“
Hans geht in den Stall, ſticht allen Kaͤl-
bern und Schafen die Augen aus und wirft
ſie der Grethel ins Geſicht; da wird Grethel
boͤs, reißt ſich los, und laͤuft fort und iſt Han-
ſens Braut geweſen.
II.
Im Geslinger Thal, da wohnt eine ſehr
reiche Wittfrau, die haͤtt' einen einigen Sohn,
der war einer groben und tollen Verſtaͤndniß:
er war auch der allernaͤrriſchte Menſch unter al-
[143] len Einwohnern desſelbigen Thals. Derſelbige
Geck ſahe auf eine Zeit zu Sarbruͤcken, eines
wohlgeachten herrlichen Manns Tochter, die
eine ſchoͤne, wohlgeſtalte, verſtaͤndige Jungfrau
war. Der Narr ward ihr gleich hold und la-
ge der Mutter an, daß ſie ihm dieſelbige zu ei-
ner Frauen ſchaffen wollte, wo nicht, ſo wollte
er Ofen und Fenſter einſchlagen und alle Stie-
gen im Haus abbrechen. Die Mutter wußt
und ſahe wohl ihres naͤrriſchen Sohns Kopf
und fuͤrcht, wenn ſie ihn gleichwohl um die
Jungfrau werben ließe und ihm ein groß Gut
dazu gebe, ſo waͤr er doch ein ſo ungehobelter
Eſel, daß nichts mit ihm auszurichten oder ver-
ſehen waͤre. Wiewohl aber der Jungfrauen
Eltern herrliche Leute und von gutem Ge-
ſchlecht, ſo waren ſie doch alſo gar arm, daß
ſie Armuth halber die Tochter ihrem Stande
nach nit wuͤßten zu verſorgen, derohalben die-
ſe Werbung deſto leichter Statt gewann. Die
Mutter furchte nun auch, dieweil ihr Sohn
alſo ein großer ungeſchickter Goͤtz waͤre, daß
ihn vielleicht die Jungfrau nit woͤllen haben,
gab ihm darum allerhand Lehren, damit er ſich
bei der Braut fein hoͤflich zuthun und hurtig
machen koͤnnte. Und als der Klotz erſtlich mit
der Jungfrau red't, da ſchankt ſie ihm ein
huͤbſch paar Handſchuh aus weichem Corduan-
leder gemacht. Lawel thaͤt ſie an, zog heim;
[144] ſo kommt ein großer Regen, er behielt die
Handſchuhe an: galt gleich, ob ſie naß wurden
oder nit. Wie er aber einen Steg will gan,
ſo glitſcht er aus und faͤllt ins Waſſer und
Moor, er kommt heim, war wohl beſudelt, die
Handſchuhe waren eitel Fleiſch; klagts der
Mutter, die gut alt Mutter ſchalt ihn und
ſagte, er ſollts ins Fazziletlin (Schnupftuch)
gewickelt und in Buſen geſtoßen haben. Bald
darnach zeucht der gut Loͤffel wieder zu der
Jungfrauen; ſie fragt nach den Handſchuhen,
er ſagt ihr, wie es ihm mit gegangen waͤre.
Sie lacht und merkt das erſt Stuͤck ſeiner
Weisheit und ſchenkt ihm ein Habicht. Er
nahm ihn, ging heim und gedacht an der Mut-
ter Rede, wuͤrgt den Habicht, wickelt ihn in
ſein Bruſttuch und ſtieß ihn in den Buſen.
Kam heim, wollt den huͤbſchen Vogel der Mut-
ter zeigen, zog ihn aus dem Buſen. Die Mut-
ter faͤhrt ihm wieder uͤber den Kamm, ſagt, er
ſollte ihn fein auf der Hand getragen haben.
Zum drittenmal kommt Jockel wieder zu der
Jungfrauen, ſie fragt, wie es um den Habicht
ſtaͤnde, er ſagt ihr, wie es ihm mit gegangen;
was ſie gedacht: er iſt ein lebendiger Narr;
ſah wohl, daß ihm nichts ſaͤuberlichs noch herr-
lichs gebuͤhrte, und ſchenkt ihm ein Egge, die
er brauchen ſollt, wenn er geſaͤt haͤtte. Er
nahm der Mutter Wort zu Herzen, und trug
ſie
[145] ſie auf den Haͤnden empor, wie ein anderer
Loffelbitz heim. Die Mutter war gar uͤbel zu-
frieden, ſprach, er ſollt ſie an ein Pferd gebun-
den haben und heim geſchleift. Letztlich ſahe
die Jungfrau, daß Chriſam und Tauf an ihm
verloren war, denn es war weder Vernunft
noch Weisheit in ihm, wußt nit, wie ſie des
Narren ledig werden ſollt, gab ihm daher ein
groß Stuͤck Specks, und ſtieß es ihm in den
Buſen: er wars wohl zufrieden. Er wollt
heim und fuͤrcht, er wuͤrds im Buſen verlieren,
und bands einem Roß an den Schwanz, ſaß
drauf und ritt heim, da liefen die Hunde hin-
ten nach und riſſen den Speck dem Pferd vom
Schwanz und fraßen ihn. Er kommt heim,
der Speck war auch hinweg. Hintennach ſahe
die Mutter ihres Sohns Weisheit, fuͤrcht, die
Heirath wuͤrd' nit vor ſich gehen, fuhr zu der
Jungfrau Eltern, begehrt den Tag der Bere-
dung zu wiſſen mit ihrem Sohn, und wie ſie
hinweg will, befiehlt ſie ihm ernſtlich, daß er
wohl Haushalt und kein groß Weſen mach,
denn ſie hab eine Gans uͤber Eiern ſitzen. Als
nun die Mutter aus dem Haus war, ſo zeucht
der Sohn fein in den Keller, ſauft ſich voller
Weins und verliert den Zapfen zum Faß, wie
er den ſucht, ſo lauft der Wein alle in den
Keller. Der gut Vetter nimmt einen Sack mit
Mehl, und ſchuͤtt' es in den Wein, daß es die
Kindermärchen. K
[146] Mutter nit ſaͤhe, wenn ſie kommt. Demnach
lauft er auf hin ins Haus, und hat ein wild's
Gebraͤcht: ſo ſitzt die Gans da und bruͤtelt,
die erſchrickt und ſchreit gaga! gaga! Den
Narren kommt ein Furcht an und meint, die
Gans haͤt geſagt: „ich wills ſagen,“ und
fuͤrcht, ſie ſchwaͤtzt, wie er im Keller Haus ge-
halten; nahm die Gans und hieb ihr den Kopf
ab. Nun furcht er, wo die Eier auch verduͤr-
ben, ſo waͤr er in tauſend Laͤſten, bedacht ſich
und wollt' die Eier ausbruͤten, meint doch, es
wuͤrd ſich nit wohl ſchicken, dieweil er nit voll
Federn waͤre, wie die Gans. Bedacht ſich
bald, zeucht ſich ganz aus und ſchmiert den Leib
zuring mit Honig, den haͤtt die Mutter erſt
neulich gemacht und ſchuͤtt darnach ein Bett
aus und walgert ſich allenthalb in den Federn,
daß er ſahe, wie ein Hanfbutz, und ſetzt ſich
alſo uͤber die Gaͤnseier und war gar ſtill, daß
er die jungen Gaͤns nit erſchreckt. Wie Hans-
wurſt alſo bruͤtet, ſo kommt die Mutter und
klopft an die Thuͤren: der Lawel ſitzt uͤber den
Eiern und will keine Antwort geben, ſie klopft
noch mehr, ſo ſchreit er gaga! gaga! und meint,
dieweil er junge Gaͤns (oder Narren) bruͤtelt,
ſo koͤnnt' er auch kein andre Sprach. Zuletzt
draͤut ihm die Mutter ſo ſehr, daß er aus dem
Neſt kroch und ihr aufthaͤt. Als ſie ihn ſahe,
da meint' ſie, es waͤr der lebendige Teufel,
[147] fragt, was das waͤre, er ſagt ihr alle Ding
nach der Ordnung. Der Mutter wars Angſt
mit dem Doppelnarren, dann die Braut ſollt
bald nachfolgen, und ſagt zu ihm, ſie wollts
ihm gern verzeihen, er ſollt ſich nur jetzt zuͤch-
tig halten, denn die Braut kaͤme, daß er ſie
fein freundlich empfahen und gruͤßen ſollte und
die Augen alſo hoͤflich und fleißig in ſie wer-
fen. Der Narr ſagt ja, er wollts alles thun,
wiſcht die Federn ab, und thaͤt ſich wieder an,
geht in den Stall und ſticht den Schafen al-
len die Augen aus, ſtoͤßt ſie in Buſen. So-
bald die Braut kommt, ſo geht er ihr entge-
gen, wirft ihr die Augen, alle, ſoviel er hat,
ins Angeſicht, meint, es muͤſſe alſo ſeyn. Die
gut Jungfrau ſchaͤmet ſich, daß er ſie alſo be-
ſchmutzt und verwuͤſt hat, ſah des Narren
Grobheit, daß er zu allen Dingen verderbt
war, zog wieder heim, ſagt ihm ab. Alſo blieb
er ein Narr nach wie vor und bruͤtelt junge
Gaͤns noch auf dieſen Tag aus. Ich beſorg
aber, wenn ſie ausſchliefen werden, ſo ſollten
es wohl junge Narren ſeyn. Gott behuͤt uns.
33.
Der geſtiefelte Kater.
Ein Muͤller hatte drei Soͤhne, ſeine Muͤh-
le, einen Eſel und einen Kater; die Soͤhne
K 2
[148] mußten mahlen, der Eſel Getreide holen und
Mehl forttragen und die Katz die Maͤuſe weg-
fangen. Als der Muͤller ſtarb, theilten ſich die
drei Soͤhne in die Erbſchaft, der aͤltſte bekam
die Muͤhle, der zweite den Eſel, der dritte den
Kater, weiter blieb nichts fuͤr ihn uͤbrig. Da
war er traurig und ſprach zu ſich ſelbſt: „ich
hab es doch am allerſchlimmſten kriegt, mein
aͤltſter Bruder kann mahlen, mein zweiter kann
auf ſeinem Eſel reiten, was kann ich mit dem
Kater anfangen? laß ich mir ein paar Pelz-
handſchuhe aus ſeinem Fell machen, ſo iſts
vorbei.“ „Hoͤr, fing der Kater an, der alles
verſtanden hatte, was er geſagt, du brauchſt
mich nicht zu toͤdten, um ein paar ſchlechte
Handſchuh aus meinem Pelz zu kriegen, laß
mir nur ein paar Stiefel machen, daß ich aus-
gehen kann und mich unter den Leuten ſehen
laſſen, dann ſoll dir bald geholfen ſeyn.“ Der
Muͤllersſohn verwunderte ſich, daß der Kater
ſo ſprach, weil aber eben der Schuſter vorbei-
ging, rief er ihn herein und ließ ihm ein paar
Stiefel anmeſſen. Als ſie fertig waren, zog
ſie der Kater an, nahm einen Sack, machte
den Boden desſelben voll Korn, oben aber eine
Schnur daran, womit man ihn zuziehen konnte,
dann warf er ihn uͤber den Ruͤcken und ging auf
zwei Beinen, wie ein Menſch, zur Thuͤr
hinaus.
[149]
Dazumal regierte ein Koͤnig in dem Land,
der aß die Rebhuͤhner ſo gern: es war aber
eine Noth, daß keine zu kriegen waren. Der
ganze Wald war voll, aber ſie waren ſo ſcheu,
daß kein Jaͤger ſie erreichen konnte. Das wuß-
te der Kater und gedacht ſeine Sache beſſer zu
machen; als er in den Wald kam, thaͤt er den
Sack auf, breitete das Korn auseinander, die
Schnur aber legte er ins Gras und leitete ſie
hinter eine Hecke. Da verſteckte er ſich ſelber,
ſchlich herum und lauerte. Die Rebhuͤhner ka-
men bald gelaufen, fanden das Korn und eins
nach dem andern huͤpfte in den Sack hinein.
Als eine gute Anzahl darin war, zog der Ka-
ter den Strick zu, lief herzu und drehte ihnen
den Hals um; dann warf er den Sack auf
den Ruͤcken und ging geradeswegs nach des
Koͤnigs Schloß. Die Wache rief: „halt! wo-
hin.“ — „Zu dem Koͤnig,“ antwortete der
Kater kurzweg. — „Biſt du toll, ein Kater
zum Koͤnig?“ — „Laß ihn nur gehen, ſagte
ein anderer, der Koͤnig hat doch oft lange Weil,
vielleicht macht ihm der Kater mit ſeinem
Brummen und Spinnen Vergnuͤgen.“ Als
der Kater vor den Koͤnig kam, machte er einen
Reverenz und ſagte: „mein Herr, der Graf,
dabei nannte er einen langen und vornehmen
Namen, laͤßt ſich dem Herrn Koͤnig empfehlen
und ſchickt ihm hier Rebhuͤhner, die er eben in
[150] Schlingen gefangen hat.“ Der Koͤnig erſtaun-
te uͤber die ſchoͤnen fetten Rebhuͤhner, wußte
ſich vor Freude nicht zu laſſen, und befahl dem
Kater ſo viel Gold aus der Schatzkammer in
den Sack zu thun, als er tragen koͤnne: „das
bring deinem Herrn und dank ihm noch viel-
mal fuͤr ſein Geſchenk.“
Der arme Muͤllersſohn aber ſaß zu Haus
am Fenſter, ſtuͤtzte den Kopf auf die Hand und
dachte, daß er nun ſein letztes fuͤr die Stiefeln
des Katers weggegeben, und was werde ihm
der großes dafuͤr bringen koͤnnen. Da trat der
Kater herein, warf den Sack vom Ruͤcken,
ſchnuͤrte ihn auf und ſchuͤttete das Gold vor
den Muͤller hin: „da haſt du etwas vor die
Stiefeln, der Koͤnig laͤßt dich auch gruͤßen und
dir viel Dank ſagen.“ Der Muͤller war froh
uͤber den Reichthum, ohne daß er noch recht be-
greifen konnte, wie es zugegangen war. Der Ka-
ter aber, waͤhrend er ſeine Stiefel auszog er-
zaͤhlte ihm alles, dann ſagte er: „du haſt zwar
jetzt Geld genug, aber dabei ſoll es nicht blei-
ben, morgen zieh ich meine Stiefel wieder an,
du ſollſt noch reicher werden, dem Koͤnig hab
ich auch geſagt, daß du ein Graf biſt.“ Am
andern Tag ging der Kater, wie er geſagt hat-
te, wohl geſtiefelt, wieder auf die Jagd, und
brachte dem Koͤnig einen reichen Fang. So
ging es alle Tage, und der Kater brachte alle
[151] Tage Gold heim, und ward ſo beliebt wie ei-
ner bei dem Koͤnig, daß er aus- und eingehen
durfte und im Schloß herumſtreichen, wo er
wollte. Einmal ſtand der Kater in der Kuͤche
des Koͤnigs beim Heerd und waͤrmte ſich, da
kam der Kutſcher und fluchte: „ich wuͤnſch' der
Koͤnig mit der Prinzeſſin waͤr beim Henker!
ich wollt ins Wirthshaus gehen und einmal
trinken und Karte ſpielen, da ſoll ich ſie ſpa-
zieren fahren an den See.“ Wie der Kater
das hoͤrte, ſchlich er nach Haus und ſagte zu
ſeinem Herrn: „wenn du willſt ein Graf und
reich werden, ſo komm mit mir hinaus an den
See und bad dich darin.“ Der Muͤller wuß-
te nicht, was er dazu ſagen ſollte, doch folg-
te er dem Kater, ging mit ihm, zog ſich ſplin-
ternackend aus und ſprang ins Waſſer. Der
Kater aber nahm ſeine Kleider, trug ſie fort
und verſteckte ſie. Kaum war er damit fertig,
da kam der Koͤnig dahergefahren; der Kater
fing ſogleich an, erbaͤrmlich zu lamentiren:
„ach! allergnaͤdigſter Koͤnig! mein Herr, der
hat ſich hier im See gebadet, da iſt ein Dieb
gekommen und hat ihm die Kleider geſtohlen,
die am Ufer lagen, nun iſt der Herr Graf im
Waſſer und kann nicht heraus, und wenn er
laͤnger darin bleibt wird er ſich verkaͤlten und
ſterben.“ Wie der Koͤnig das hoͤrte, ließ er
Halt machen und einer von ſeinen Leuten muß-
[152] te zuruͤckjagen und von des Koͤnigs Kleidern
holen. Der Herr Graf zog die praͤchtigſten
Kleider an, und weil ihm ohnehin der Koͤnig
wegen der Rebhuͤner, die er meinte von ihm
empfangen zu haben, gewogen war, ſo mußte
er ſich zu ihm in die Kutſche ſetzen. Die Prin-
zeſſin war auch nicht boͤs daruͤber, denn der
Graf war jung und ſchoͤn, und er gefiel ihr
recht gut.
Der Kater aber war vorausgegangen und
zu einer großen Wieſe gekommen, wo uͤber hun-
dert Leute waren und Heu machten. „Wem
iſt die Wieſe, ihr Leute?“ fragte der Kater. —
„Dem großen Zauberer.“ — „Hoͤrt, jetzt wird
der Koͤnig bald vorbeifahren, wenn der fragt,
wem die Wieſe gehoͤrt, ſo antwortet: dem Gra-
fen; und wenn ihr das nicht thut, ſo werdet
ihr alle todtgeſchlagen.“ — Darauf ging der
Kater weiter und kam an ein Kornfeld, ſo
groß, daß es niemand uͤberſehen konnte, da
ſtanden mehr als zweihundert Leute und ſchnit-
ten das Korn. „Wem iſt das Korn ihr Leu-
te?“ — „Dem Zauberer.“ Hoͤr[t], jetzt wird
der Koͤnig vorbeifahren, wenn er fraͤgt, wem
das Korn gehoͤrt, ſo antwortet: dem Grafen;
und wenn ihr das nicht thut, ſo werdet ihr
alle todtgeſchlagen.“ — Endlich kam der Kater
an einen praͤchtigen Wald, da ſtanden mehr
als dreihundert Leute, faͤllten die großen Ei-
[153] chen und machten Holz. — „Wem iſt der
Wald, ihr Leute?“ — „Dem Zauberer.“ —
„Hoͤrt, jetzt wird der Koͤnig vorbeifahren, wenn
er fraͤgt, wem der Wald gehoͤrt, ſo antwortet:
dem Grafen; und wenn ihr das nicht thut, ſo
werdet ihr alle umgebracht.“ Der Kater ging
noch weiter, die Leute ſahen ihm alle nach und
weil er ſo wunderlich ausſah, und wie ein
Menſch im Stiefeln daherging, fuͤrchteten ſie
ſich vor ihm. Er kam bald an des Zauberers
Schloß, trat kecklich hinein und vor ihn hin.
Der Zauberer ſah ihn veraͤchtlich an, und fragte
ihn, was er wolle. Der Kater machte einen
Reverenz und ſagte: „ich habe gehoͤrt, daß du
in jedes Thier nach deinem Gefallen dich ver-
wandeln koͤnnteſt; was einen Hund, Fuchs oder
auch Wolf betrifft, da will ich es wohl glau-
ben, aber von einem Elephant, das ſcheint mir
ganz unmoͤglich, und deshalb bin ich gekommen
und mich ſelbſt zu uͤberzeugen.“ Der Zaube-
rer ſagte ſtolz: „das iſt mir eine Kleinigkeit,“
und war in dem Augenblick in einen Elephant
verwandelt; „das iſt viel, aber auch in einen
Loͤwen?“ — „Das iſt auch nichts,“ ſagte der
Zauberer und ſtand als ein Loͤwe vor dem Ka-
ter. Der Kater ſtellte ſich erſchrocken und rief:
„das iſt unglaublich und unerhoͤrt, dergleichen
haͤtt' ich mir nicht im Traume in die Gedan-
ken kommen laſſen; aber noch mehr, als alles
[154] andere, waͤr es, wenn du dich auch in ein ſo
kleines Thier, wie eine Maus iſt, verwandeln
koͤnnteſt, du kannſt gewiß mehr, als irgend ein
Zauberer auf der Welt, aber das wird dir doch
zu hoch ſeyn. Der Zauberer ward ganz freund-
lich von den ſuͤßen Worten und ſagte: „o ja,
liebes Kaͤtzchen, das kann ich auch“ und ſprang
als eine Maus im Zimmer herum. Der Ka-
ter war hinter ihm her, fing die Maus mit ei-
nem Sprung und fraß ſie auf.
Der Koͤnig aber war mit dem Grafen und
der Prinzeſſin weiter ſpatzieren gefahren, und
kam zu der großen Wieſe. „Wem gehoͤrt das
Heu?“ fragte der Koͤnig — „dem Herrn Gra-
fen“ — riefen alle, wie der Kater ihnen be-
fohlen hatte. — „Ihr habt da ein ſchoͤn Stuͤck
Land, Herr Graf,“ ſagte er. Darnach kamen
ſie an das große Kornfeld. „Wem gehoͤrt das
Korn, ihr Leute?“ — „Dem Herrn Grafen.“
— „Ei! Herr Graf! große, ſchoͤne Laͤndereien!“
— Darauf zu dem Wald: „wem gehoͤrt das
Holz, ihr Leute?“ — „Dem Herrn Grafen.“
— Der Koͤnig verwunderte ſich noch mehr und
ſagte: „Ihr muͤßt ein reicher Mann ſeyn,
Herr Graf, ich glaube nicht, daß ich einen ſo
praͤchtigen Wald habe.“ Endlich kamen ſie an
das Schloß, der Kater ſtand oben an der Trep-
pe, und als der Wagen unten hielt, ſprang er
herab, machte die Thuͤre auf und ſagte: „Herr
[155] Koͤnig, Ihr gelangt hier in das Schloß meines
Herrn, des Grafen, den dieſe Ehre fuͤr ſein
Lebtag gluͤcklich machen wird.“ Der Koͤnig
ſtieg aus und verwunderte ſich uͤber das praͤch-
tige Gebaͤude, das faſt groͤßer und ſchoͤner war,
als ſein Schloß; der Graf aber fuͤhrte die
Prinzeſſin die Treppe hinauf in den Saal, der
ganz von Gold und Edelſteinen flimmerte.
Da ward die Prinzeſſin mit dem Grafen
verſprochen, und als der Koͤnig ſtarb, ward
er Koͤnig, der geſtiefelte Kater aber erſter Mi-
niſter.
34.
Hanſens Trine.
Hanſens Trine war faul und wollte nichts
thun. Sie ſprach zu ſich ſelber: „was thu'
ich? eß ich, oder ſchlaf ich, oder arbeit ich? —
Ach! ich will erſt eſſen!“ — Als ſie ſich dick
ſatt gegeſſen hatte, ſprach ſie wieder: „was
thu' ich? arbeit ich, [oder] ſchlaf ich? — Ach!
ich will erſt ein bischen ſchlafen.“ Dann leg-
te ſie ſich hin und ſchlief, und wenn ſie auf-
wachte, war es Nacht, da konnte ſie nicht mehr
zur Arbeit ausgehen. Einmal kam der Hans
Nachmittags nach Haus und fand die Trine
wieder in der Kammer liegen und ſchlafen, da
nahm er ſein Meſſer und ſchnitt ihr den Rock
[156] ab, bis an die Knie. Trine wachte auf und
gedacht: nun willſt du zur Arbeit gehn. Wie
ſie aber hinauskommt und ſieht, daß der Rock
ſo kurz iſt, erſchrickt ſie, wird irr, ob ſie auch
wirklich die Trine iſt, und ſpricht zu ſich ſel-
ber: „bin ichs oder bin ichs nicht?“ Sie
weiß aber nicht, was ſie drauf antworten ſoll,
ſteht eine Zeitlang zweifelhaftig, endlich denkt
ſie: „du willſt nach Haus gehen und fragen,
ob dus biſt, die werdens ſchon wiſſen.“ Alſo
geht ſie wieder zuruͤck, klopft ans Fenſter und
ruft hinein: „iſt Hanſens Trine drinnen?“;
die andern antworten, wie ſie meinen: „ja, die
liegt in der Kammer und ſchlaͤft.“ — „Nun
dann bin ichs nicht,“ ſagt die Trine vergnuͤgt,
geht zum Dorf hinaus und kommt nicht wie-
der, und Hans war die Trine los.
35.
Der Sperling und ſeine vier
Kinder.
Ein Sperling hatte vier Junge in einem
Schwalbenneſt, wie ſie nun fluͤck waren, ſtoßen
boͤſe Buben das Neſt ein; ſie kommen aber
alle in Windbraus davon. Nun iſt dem Alten
leide, weil ſeine Soͤhne in die Welt kommen,
daß er ſie nicht zuvor vor allerlei Gefahr ver-
warnet und ihnen gute Lehren fuͤrgeſagt habe.
[157]
Aufn Herbſt kommen in einem Weizen-
acker viel Sperlinge zuſammen, allda trifft der
Alte ſeine vier Jungen an, die fuͤhrt er mit
Freuden mit ſich heim: „ach, meine lieben
Soͤhne, was habt ihr mir den Sommer uͤber
Sorge gemacht, dieweil ihr ohne meine Lehre
in Winde kamet; hoͤret meine Worte, und fol-
get eurem Vater, und ſehet euch wohl vor:
kleine Voͤglein haben große Gefaͤhrlichkeit aus-
zuſtehn!“ Darauf fraget er den aͤltern, wo
er ſich den Sommer uͤber aufgehalten, und wie
er ſich ernaͤhrt haͤtte? „Ich habe mich in den
Gaͤrten gehalten, Raͤuplein und Wuͤrmlein ge-
ſucht, bis die Kirſchen reif wurden.“ — „Ach!
mein Sohn, ſagte der Vater, die Schnabelweid
iſt nicht boͤs, aber es iſt große Gefahr dabei,
darum habe forthin deiner wohl Acht und ſon-
derlich wenn Leut in Gaͤrten umher gehn, die
lange gruͤne Stangen tragen, die inwendig
hohl ſind und oben ein Loͤchlein haben.“ —
„Ja, mein Vater, wenn denn ein gruͤn Blaͤtt-
lein aufs Loͤchlein mit Wachs geklebt waͤre?“
ſpricht der Sohn. — „Wo haſt du das ge-
ſehn?“ — „In eines Kaufmanns Garten,“
ſagt der Junge. — „O! mein Sohn, ſpricht
der Vater, Kaufleut, geſchwinde Leut, biſt du
um die Weltkinder geweſen, ſo haſt du Welt-
geſchmeidigkeit genug gelernt, ſiehe und brauchs
nur recht wohl, und trau dir nicht viele.“
[158]
Darauf befragt er den andern: „wo haſt
du dein Weſen gehabt?“ — „Zu Hofe,“
ſpricht der Sohn. — „Sperling und alberne
Voͤglein dienen nicht an dieſem Ort, da viel
Gold, Sammet, Seiden, Wehr, Harniſch,
Sperber, Kautzen und Blaufuͤß ſind, halt dich
zum Roßſtall, da man den Haber ſchwingt,
oder wo man driſchet, ſo kann dirs Gluͤck mit
gutem Fried auch dein taͤglich Koͤrnlein be-
ſcheeren.“ — „Ja Vater, ſagt dieſer Sohn,
wenn aber die Stalljungen [Hebritzen] machen
und ihr Maſchen und Schlingen ins Stroh
binden, da [bleibt] auch mancher behenken.“ —
„Wo haſt du das geſehn?“ ſagte der Alte. —
„Zu Hof, beim Roßbuben.“ — „O! mein
Sohn, Hofbuben, boͤſe Buben, biſt du zu Hof
und um die Herren geweſen, und haſt keine Fe-
dern da gelaſſen, ſo haſt du ziemlich gelernet,
du wirſt dich in der Welt wohl wiſſen auszu-
reißen, doch ſiehe dich um und auf; die Woͤlfe
freſſen auch oft die geſcheidten Huͤndlein.“
Der Vater nimmt den dritten auch vor
ſich: „wo haſt du dein Heil verſucht?“ —
„Auf den Fahrwegen und Landſtraßen hab ich
Kuͤbel und Seil eingeworfen und da bisweilen
ein Koͤrnlein oder Graͤuplein angetroffen.“ —
„Dies iſt ja, ſagt der Vater, eine feine Nah-
rung, aber merk gleich wohl auf die Schanz,
und ſiehe fleißig auf, ſonderlich wenn ſich einer
[159] buͤcket, und einen Stein aufheben will, da iſt
dir nicht lang zu bleiben.“ — „Wahr iſts,
ſagt der Sohn; wenn aber einer zuvor einen
Wand oder Handſtein im Buſen oder Taſche
truͤge?“ — „Wo haſt du dies geſehn?“ —
Bei'n Bergleuten, lieber Vater, wenn ſie aus-
fahren fuͤhren ſie gemeinlich Handſtein bei ſich.“
— „Bergleut, Werkleut, anſchlaͤgige Leut, biſt
du um Bergburſchen geweſen, ſo haſt du was
geſehen und erfahren.“
Endlich kommt der Vater an juͤngſten
Sohn: „Du mein liebes Gackenneſtle, du
wareſt allzeit der alberſt und ſchwaͤcheſt, bleib
du bei mir, die Welt hat viel grober und boͤ-
ſer Voͤgel, die krumme Schnaͤbel und lange
Krallen haben, und nur auf arme Voͤglein
lauern, und ſie verſchlucken, halt dich zu dei-
nesgleichen, und lies die Spinnlein und Raͤup-
lein von den Baͤumen, oder Haͤuslein, ſo bleibſt
du lang zufrieden.“ — „Du, mein lieber Va-
ter, wer ſich naͤhrt ohn' ander Leut Schaden,
der kommt lang hin, und kein Sperber, Ha-
bicht, Aar oder Weih wird ihm nicht ſchaden,
wenn er zumal ſich und ſeine ehrliche Nahrung
dem lieben Gott all Abend und Morgen treu-
[160] lich befiehlt, welcher aller Wald- und Dorf-
voͤglein Schoͤpfer und Erhalter iſt, der auch
der jungen Raͤblein Geſchrei und Gebet hoͤret,
denn ohne ſeinen Willen faͤllt auch kein Sper-
ling oder Schneekuͤnglein auf die Erde.“ —
„Wo haſt du dies gelernt?“ — Antwortet der
Sohn: „Wie mich der große Windbraus von
dir wegriß, kam ich in ein Kirch, da las ich
den Sommer die Fliegen und Spinnen von
den Fenſtern ab, und hoͤret dieſe Spruͤch pre-
digen, da hat mich der Vater aller Sperlinge
den Sommer uͤber ernaͤhrt, und behuͤtet vor
allem Ungluͤck und grimmigen Voͤgeln.“ —
„Traun! mein lieber Sohn, fleuchſt du in die
Kirchen und hilfeſt Spinnen und die ſumſen-
den Fliegen aufraͤumen, und zirpſt zu Gott,
wie die jungen Raͤblein, und befiehlſt dich dem
ewigen Schoͤpfer, ſo wirſt du wohl bleiben,
und wenn die ganze Welt voll wilder tuͤckiſcher
Voͤgel waͤre.“
[161]
36.
Von dem Tiſchgen deck dich, dem
Goldeſel und dem Knuͤppel in
dem Sack.
I.
Es war einmal ein Schuſter, der hatte
drei Soͤhne und eine Ziege; die Soͤhne mußten
ihm beim Handwerk helfen, und die Ziege muß-
te ſie mit ihrer Milch ernaͤhren. Damit ſie
nun alle Tage gut ſaftig Futter bekaͤm, ſollten
die Soͤhne ſie der Reihe nach auf die Weide fuͤh-
ren. Der aͤlteſte fuͤhrte ſie auf den Kirchhof,
ließ ſie da herumſpringen und freſſen; am Abend,
als er heim wollte, fragte er: „Ziege, biſt du
ſatt?“ die Ziege antwortete:
„Nun ſo komm nach Haus“ ſagte er, zog
ſie in den Stall und band ſie feſt. Der alte
Schuſter fragte ſeinen Sohn, ob die Ziege auch
genug zu freſſen gekriegt haͤtte; der Sohn ant-
wortete: ſie iſt ſo ſatt, ſie mag kein Blatt.“
Er wollte aber ſelbſt ſehen, ob das wahr ſey,
ging in den Stall und fragte: „Ziege, biſt du
ſatt?“ die Ziege antwortete:
Kindermärchen. L
[162]
Wie der Schuſter das hoͤrte, glaubte er
ſein Sohn habe ihn belogen, ward zornig,
ſprang hinauf, nahm ſeinen Stock von der
Wand und pruͤgelte ihn fort. Tags darauf
mußte der zweite Sohn die Ziege weiden, er
fuͤhrte ſie unter lauter gute Kraͤuter, die fraß
die Ziege alle ab. Am Abend fragte er: „Zie-
ge, biſt du ſatt?“
„Nun ſo komm nach Haus,“ zog ſie in
den Stall und ſagte dem Alten, die Ziege ſey
ſatt und wohl gefuttert. Der Alte ging wie-
der hinunter und fragte: „Ziege biſt du ſatt?“
Der Schuſter ward zornig und pruͤgelte
auch ſeinen zweiten Sohn zum Haus hinaus.
Endlich mußte der dritte Sohn die Ziege auf
die Weide fuͤhren. Der wollt ſich auch huͤten,
und ſuchte das ſchoͤnſte Futter aus, die Ziege
ließ auch nichts uͤbrig. Abends fragte er: „Zie-
ge biſt du ſatt.“
[163]
„Nun ſo komm nach Haus“ damit zog er
ſie in den Stall und verſicherte den Vater, daß
ſie ſich ſatt gefreſſen. Der Alte aber ging wie-
der hin: „Ziege, biſt du ſatt?“
Da jagte er auch ſeinen dritten Sohn mit
Schlaͤgen zum Haus hinaus.
Der Schuſter wollte nun ſelber ſeine Ziege
auf die Weide treiben, band ſie an ein Seil
und fuͤhrte ſie mitten unter die beſten Kraͤuter;
die Ziege aber fraß darin den ganzen Tag.
Abends fragte er: Ziege, biſt du ſatt?“
„Nun ſo komm nach Haus“ ſagte er und
zog ſie in den Stall, als er ſie feſtgeknuͤpft
hatte, fragte er noch einmal: „Ziege, du biſt
doch ſatt?“ Die Ziege aber antwortete ihm,
nun auch:
Wie der Schuſter das hoͤrte, da ſah er
das er ſeine drei Soͤhne unſchuldig fortgejagt
hatte, und ward uͤber die boshafte Ziege ſo zor-
nig, daß er ſein Raſirmeſſer holte, ihr den gan-
zen Kopf kahl ſcheerte und ſie fortpeitſchte.
L 2
[164]
Der aͤlteſte Sohn war indeß zu einem
Schreiner in die Lehr gegangen, und als ſeine
Jahre herum waren, und er auf die Wander-
ſchaft wollte, gab ihm dieſer ein Tiſchgen deck
dich. Er brauchte nur zu ſagen: Tiſchgen deck
dich! ſo war das Tiſchgen mit weißem Tuch ge-
deckt, ein ſilberner Teller ſtand da, ſilberne Meſ-
ſer und Gabel lagen dabei, vorn ein Criſtall-
glas mit rothem Wein gefuͤllt, und rund herum
die ſchoͤnſten Schuͤſſeln voll Eſſen. Damit zog
er vergnuͤgt in die Welt, und wo er war, im
Feld, im Wald oder in einer Wirthsſtube, wenn
er ſein Tiſchgen hinſetzte und: „Tiſchgen deck
dich ſagte, ſo hatte er die praͤchtigſte Mahlzeit.
Einmal kam er in ein Wirthshaus, wo die Gaͤſte
ſchon alle verſammelt waren, ſie fragten ihn,
ob er miteſſen wollte, er antwortete: nein „aber
ihr ſollt mit mir eſſen.“ Damit ſtellte er ſein
Tiſchgen in die Stube, ſprach: „Tiſchgen, deck
dich!“ da ſtand es voll von dem koſtbarſten
Eſſen und wenn eine Schuͤſſel abgehoben war,
kam alsbald eine neue an ihre Stelle, und alle
Gaͤſte wurden herrlich tractirt. Der Wirth ge-
dachte, wenn du ein ſolches Tiſchgen haͤtteſt,
waͤrſt du ein reicher Mann, und Nachts als
der fremde Schreiner eingeſchlafen war, und ſein
Tiſchgen in eine Ecke geſtellt hatte, holte er ein
anderes, das ebenſo ausſah, und ſtellte es fuͤr
das aͤchte hin. Am Morgen fruͤh ſtand der
[165] gute Geſelle auf, nahm ſein Tiſchgen deck dich
auf den Ruͤcken, und merkte nicht, daß es ihm
vertauſcht war. Er ging heim und ſagte zu ſeinem
Vater: ſorgt nicht weiter und bekuͤmmert euch
nicht ich habe ein Tiſchgen deck dich, da koͤnnen
wir alle Tage im Ueberfluß leben.“ Der Vater
freute ſich, und ließ die Verwandten einladen
und wie alle beiſammen waren, ſetzte der Sohn
ſein Tiſchgen mitten in die Stube und ſprach:
„Tiſchgen deck dich!“ Aber das Tiſchgen blieb
leer nach wie vor, da ſah der Sohn, daß es
ihm vertauſcht war, ſchaͤmte ſich; die Verwand-
ten gingen ungetrunken und ungegeſſen fort
und Vater und Sohn mußten wieder zum
Handwerk greifen.
Der zweite Sohn war zu einem Muͤller
gegangen, als er ausgelernt hatte, gab ihm die-
ſer den Eſel Bricklebrit zum Geſchenk, ſo oft
man zu ihm ſagte: „Bricklebrit!“ ſo fing er
an Ducaten auszuſpeien hinten und vorn. Mit
dieſem Eſel kam er in dasſelbige Wirthshaus,
wo ſeinem Bruder das Tiſchgen deck dich ge-
ſtolen war. Er ließ ſich fuͤrſtlich tractiren, und
wie die Rechnung kam, ging er in den Stall zu
ſeinem Eſel und ſagte: „Briklebrit!“ da hat-
te er mehr Ducaten, als er brauchen konnte.
Der Wirth aber hatte das mit angeſehen, ſtand
auf in der Nacht, band das Goldeſelein los,
und ſtellte ſeinen Eſel dafuͤr hin. Mit dieſem
[166] zog am Morgen der Muͤllerspurſch fort, und
wußte nicht, daß er betrogen war. Als er heim
kam zu ſeinem Vater, ſagte er auch: „lebt lu-
ſtig, ich hab das Eſelein Bricklebrit und ſo viel
Gold, als ihr wuͤnſcht. Da ließ der Vater
wieder alle Verwandten einladen, ein großes
weißes Tuch ward mitten in die Stube ausge-
breitet, der Eſel aus dem Stall geholt, und auf
das Tuch geſtellt. Der Muͤller ſprach: „Brick-
lebrit!“ aber umſonſt, es kam kein Ducaten
zum Vorſchein. Da ſah er, daß er betrogen
war, ſchaͤmte ſich und trieb ſein Handwerk ſich
zu ernaͤhren.
Der dritte Sohn war zu einem Drechsler
gegangen, der ſchenkte ihm auf die Wander-
ſchaft einen Sack mit einem Knuͤppel. So oft
er ſprach: „Knuͤppel, aus dem Sack!“ ſo
ſprang der Knuͤppel heraus und tanzte unter
den Leuten herum, und ſchlug ſie erbaͤrmlich.
Der Drechsler aber hatte gehoͤrt, daß ſeine
Bruͤder in einem Wirthshauſe ihre erworbene
Schaͤtze verloren haͤtten: alſo zog er in daſſel-
bige, ſagte, daß ſeine Bruͤder ein Tiſchgen deck
dich, und den Eſel Bricklebrit bekommen, was
er aber da in dem Sack mit ſich fuͤhre, das ſey
noch koͤſtlicher und noch viel mehr werth. Der
Wirth war neugierig, meinte aller guten Dinge
waͤren drei, und wollt ſich in der Nacht den
Schatz auch noch holen. Der Drechsler aber
[167] hatte ſeinen Sack unter ſein Kopfkiſſen gelegt,
wie nun der Wirth kam und daran zog, ſprach
er: Knuͤppel aus dem Sack, da fuhr der Knuͤp-
pel aus dem Sack uͤber den Wirth her, tanzte
mit ihm und pruͤgelte ihn ſo erbaͤrmlich, daß
er gern verſprach das Tiſchgen deck dich und
den Eſel Bricklebrit wieder herauszugeben. Da-
mit zog nun der juͤngſte Sohn heim, brachte
alles ſeinem Vater, und lebte mit ihm und ſei-
nen Bruͤdern in Gluͤck und Freude.
Die Ziege aber war in eine Fuchshoͤhle ge-
laufen. Wie nun der Fuchs heim kam, und in
ſeine Hoͤhle guckte, funkelten ihm ein paar große
Augen entgegen. Vor Schrecken lief er fort,
da begegnete ihm der Baͤr und ſagte: „Bru-
der Fuchs, was machſt du fuͤr ein Geſicht?“ —
„Ein grimmig Thier ſitzt in meiner Hoͤhle mit
entſetzlichen feurigen Augen.“ — „Das will
ich dir heraustreiben, ſagte der Baͤr, und ging
zur Hoͤhle, wie er aber hinkam, und die Augen
ſchimmern ſah, kriegte er auch Furcht, und lief
wieder zuruͤck. Da kam eine Biene geflogen
und fragte:“ was ſiehſt du ſo verdrießlich aus
Baͤr? — „Es ſitzt ein grimmig Thier dem
Fuchs in ſeiner Hoͤhle, das koͤnnen wir nicht
verjagen.“ Die Biene ſagt: „ich bin ein gerin-
ges Thier, und ihr achtet mich nicht, vielleicht
kann ich euch aber helfen.“ Fliegt darauf in
die Fuchshoͤhle und ſticht die Ziege auf den plat-
[168] ten raſirten Kopf, da ſpringt ſie auf, ſchreit
meh! meh! lauft fort, und niemand weiß bis
auf den Tag, wo ſie hingelaufen iſt.
II.
Ein Schneider hatte drei Soͤhne, die wollt'
er nach einander in die Welt ſchicken, da ſoll-
ten ſie was rechtſchaffenes lernen, und damit ſie
nicht leer ausgingen, bekam jeder einen Pfann-
kuchen, und einen Heller mit auf den Weg.
Der aͤltſte zog aus und kam zu einem kleinen
Mann, der wohnte in einer Nußſchale, war
aber gewaltig reich. Er ſprach zu dem Schnei-
der: „wenn du meine Heerde an dem Berg
weiden und huͤten willſt, ſollſt du ein gut Ge-
ſchenk von mir haben; doch mußt du dich in
Acht nehmen, vor einem Haus am Fuße des
Bergs, da gehts luſtig zu, man hoͤrt immer Mu-
ſik und Tanzgeſchrei, trittſt du einmal hinein,
ſo iſts mit uns vorbei. „Der Schneider wil-
ligte ein, trieb die Heerde auf den Berg, huͤtete
ſie fleißig blieb auch immer weit von dem Haus.
Einmal aber, auf einen Sonntag hoͤrt' er, wie
gar luſtig es darin war, dacht, einmal iſt kein-
mal, ging hinein, tanzte, und war vergnuͤgt.
Als er aber wieder heraus kam, war es Nacht
und die ganze Heerde fort, da ging er mit
ſchwerem Herzen zu ſeinem Herrn und geſtand
ihm was er gethan. Der Herr in der Nuß-
[169] ſchale war gewaltig boͤs, doch weil er ſo lang
ſeinen Dienſt ordentlich verſehen und weil er
auch ſeinen Fehler offenherzig geſtanden, ſchenk-
te er ihm ein Tiſchgen deck dich. Der Schnei-
der war damit von Herzen zufrieden und mach-
te ſich auf den Heimweg zu ſeinem Vater. Un-
terwegs kam er in ein Wirthshaus, da ließ er
ſich von dem Wirth eine beſondere Stube ge-
ben, ſagte, er brauche kein Eſſen und ſchloß ſich
ein. Der Wirth dachte, was mag der wunder-
liche Gaſt vorhaben, ſchlich ſich hinauf, und
guckte durch das Schluͤſſelloch, da ſah er wie
der Fremde einen kleinen Tiſch vor ſich ſetzte,
„Tiſchgen deck dich!“ ſprach und alsbald das
beſte Eſſen und Trinken vor ſich ſtehen hatte.
Der Wirth meinte, das Tiſchen waͤr noch beſ-
ſer fuͤr ihn ſelber, und in der Nacht, als der
Fremde feſt ſchlief, holt' er es heraus, und ſtellte
ein anderes dahin, das ebenſo ausſah. Am
Morgen zog der Schneider fort und merkte
nichts von dem Betrug. Als er heim kam er-
zaͤhlte er ſeinem Vater ſein Gluͤck, der war
froh, und wollte gleich das Wunder probiren,
allein alles Sprechen, „Tiſchgen deck dich“ war
umſonſt, es blieb leer, und der junge Schneider
ſah nun, daß er beſtolen war.
Da bekam der zweite Sohn ſeinen Pfann-
kuchen und Heller, ſollt in die Welt gehn und
es beſſer machen. Er kam auch zu dem Herrn
[170] in der Nußſchale, diente ihm lange Zeit treu-
lich, zuletzt aber ließ er ſich auch verleiten, ging
in das Haus, machte ſich luſtig, tanzte und
verlor die Heerde. Da mußte er ſeinen Ab-
ſchied nehmen, der Herr aber ſchenkte ihm ei-
nen Eſel, wenn er zu dem ſprach: „ruͤttel und
ſchuͤttel dich, wirf Gold hinter dich und vor
dich“ da regnete es Gold von allen Seiten.
Der Schneider ging vergnuͤgt nach Haus, im
Wirthshaus aber vertauſchte ihm der Wirth
den Eſel mit einem gemeinen und wie er nach
Haus kam und ſeinen Vater reicher machen
wollte, wars vorbei und er um ſein Gluͤck
gebracht.
Endlich ward der dritte Sohn mit der Aus-
ſtattung in die Welt geſchickt und der verſprachs
beſſer zu machen. Er diente dem Herrn in der
Nußſchale getreulich, und damit er nicht in das
gefaͤhrliche Haus gerathe, verſtopfte er ſich die
Ohren mit Baumwolle und als das Jahr her-
um war, uͤberlieferte er ihm die ganze Heerde,
und kein Stuͤck fehlte. Da ſagte der Herr:
„ich muß dich beſonders belohnen, da haſt du
einen Ranzen darin ſteckt ein Knuͤppel, und ſo-
bald du ſprichſt: Knuͤppel aus dem Ranzen, ſo
ſpringt er heraus und weht die Leute durch und
durch.“ Der Schneider machte ſich damit auf
den Heimweg und kehrte bei dem Wirth ein,
der ſeinen beiden Bruͤdern ihre Geſchenke abge-
[171] nommen. Er warf ſeinen Ranzen auf den Tiſch
und erzaͤhlte von ſeinen Bruͤdern: „der eine
hat ein Tiſchgen deck dich, der andere einen
Goldeſel mitgebracht, das iſt alles recht gut,
aber nichts gegen das, was ich da im Ranzen
habe, das kann die ganze Welt nicht bezahlen.
Der Wirth ward neugierig und hoffte den
Schatz auch noch zu kriegen. Als es Nacht
ward, legte ſich der Schneider auf die Streu
und ſeinen Ranzen legte er unter den Kopf.
Der Wirth blieb auf und wartete, bis er dacht
der Schneider ſchlafe feſt, da ging er herzu,
holte einen andern Ranzen, und wollte dem
Schneider ſeinen unter dem Kopf wegziehen.
Der war aber wach geblieben, und als er die
Hand des Wirths merkte, rief er: „Knuͤppel
aus dem Ranzen!“ Da ſprang der Knuͤppel
heraus, auf den Wirth und pruͤgelte ihn ſo
wichtig, daß er auf die Knie fiel und ſehr um
Gnade ſchrie. Der Schneider ließ aber den
Knuͤppel nicht eher ruhen, bis der Dieb das
Tiſchgen deck dich und den Goldeſel heraus
gab. Dann zog er mit den drei Wunderſtuͤk-
ken heim und ſie lebten von nun an in Reich-
thum und Gluͤckſeeligkeit, und der Vater ſag-
te:“ meinen Pfannkuchen und meinen Heller
hab ich nicht umſonſt ausgegeben!“
[172]
37.
Von der Serviette, dem Torniſter,
dem Kanonenhuͤtlein und dem Horn.
Es waren drei Bruͤder aus dem Schwar-
zenfelſiſchen, von Haus ſehr arm, die reiſten
nach Spanien, da kamen ſie an einen Berg, der
ganz von Silber umgeben war. Der aͤlteſte
Bruder machte ſich bezahlt, nahm ſo viel als
er nur tragen konnte, nnd ging mit ſeiner Beu-
te nach Haus. Die andern zwei reiſten weiter
fort und kamen zu einem Berg, wo nichts als
Gold zu ſehen war. Nun ſprach der eine zu
dem andern: „wie ſollen wir es machen?“ und
der zweite nahm ſich auch ſoviel Gold als er
nur tragen konnte und ging nach Haus; der
dritte aber wollte ſein Gluͤck noch beſſer verſu-
chen und ging weiter fort. Nach drei Tagen
kam er in einen ungeheuren Wald, da hatte er
ſich muͤd gegangen, Hunger und Durſt plagten
ihn, und er konnte nicht aus dem Wald heraus.
Da ſtieg er auf einen hohen Baum und wollte
ſehen, ob er Waldes Ende finden moͤgte, er ſah
aber nichts als Baumſpitzen; da wuͤnſchte er
nur noch einmal ſeinen Leib zu ſaͤttigen und
begab ſich, von dem Baum herunter zu ſteigen.
Als er herunter kam, erblickte er unter dem
Baum einen Tiſch mit vielerlei Speiſe beſetzt,
[173] da ward er vergnuͤgt, nahte ſich dem Tiſch und
aß ſich ſatt. Und als er fertig gegeſſen hatte,
nahm er die Serviette mit ſich und ging wei-
ter, und wenn ihn wieder Hunger und Durſt
ankam, ſo deckte er die Serviette auf und was
er wuͤnſchte, das ſtund darauf. Nach einer
Tagreiſe kam er zu einem Koͤhler, der brannte
Kohlen und kochte Kartoffeln. Der Koͤhler bat
ihn zu Gaſt, er ſagte aber: „ich will nicht bei
dir eſſen, aber ich will dich zu Gaſt bitten,“
der Koͤhler fragte: „wie iſt das moͤglich, ich
ſehe ja nicht, daß du etwas bei dir haſt.“ —
„Das thut nichts, ſetz' dich nur her“ damit
deckte er ſeine Serviette auf, da ſtand alles,
was zu wuͤnſchen war. Der Koͤhler ließ ſichs
gut ſchmecken und hatte großen Gefallen an
der Serviette und als ſie abgegeſſen hatten ſag-
te er: tauſch mit mir, ich geb dir fuͤr die Ser-
viette einen alten Soldatentorniſter wenn du
mit der Hand darauf klopfſt, kommt jedesmal
ein Gefreiter und ſechs Mann Soldaten mit
Ober- und Untergewehr heraus, die koͤnnen mir
im Wald nichts helfen, aber die Serviette waͤr
mir lieb.“ Der Tauſch ging vor ſich, der Koͤh-
ler behielt die Serviette, der Schwarzenfelſer
nahm den Torniſter mit. Kaum war er aber
ein Stuͤck Wegs gegangen, ſo ſchlug er darauf,
da kamen die Kriegshelden heraus: „was ver-
langt mein Herr?“ — „Ihr marſchirt hin
[174] und holet bei dem Koͤhler meine Serviette, die
ich dort gelaſſen.“ Alſo gingen ſie zuruͤck und
brachten ihm die Serviette wieder. Abends
kam er zu einem andern Kohlenbrenner, der lud
ihn wiederum zum Abendeſſen ein und hatte
deßgleichen Kartoffeln ohne Fett. Der Schwar-
zenfelſer aber deckte ſeine Serviette auf und
bat ihn zu Gaſt, da war alles nach Wunſch.
Als die Mahlzeit vorbei war, hielt auch dieſer
Koͤhler um den Tauſch an, er gab fuͤr die Ser-
viette einen Hut, drehte man den auf dem
Kopf herum, ſo gingen die Canonen, als ſtuͤnd
eine Batterie auf dem Flecken. Als der Schwar-
zenfelſer ein Stuͤck Wegs fort war, klopfte er
wieder auf ſeinen alten Ranzen, und der Ge-
freite mit ſechs Mann mußte ihm die Serviet-
te wieder holen. Nun ging es weiter fort in
dem naͤmlichen Wald und er kam Abends zu dem
dritten Koͤhler, der lud ihn, wie die andern
auf ungeſchmelzte Kartoffeln, erhielt aber von
ihm ein Tractament und vertauſchte ihm die
Serviette fuͤr ein Hoͤrnchen, wenn man darauf
blies, fielen alle Staͤdte und Dorfſchaften, wie
auch alle Feſtungswerke uͤbern Haufen. Der
Koͤhler behielt aber die Serviette nicht laͤnger
als die andern, denn der Gefreite mit ſechs
Mann kam bald und holte ſie ab. Wie nun
der Schwarzenfelſer alles beiſammen hatte, kehr-
te er um nach Haus, und wollt ſeine beiden
[175] Bruͤder beſuchen. Dieſe waren reich von ih-
rem vielen Gold und Silber und wie er nun
kam, einen alten zerriſſenen Rock anhabend, da
wollten ſie ihn nicht fuͤr ihren Bruder erken-
nen. Alſobald ſchlug er auf ſeinen Torniſter
und ließ 150 Mann aufmarſchiren, die mußten
ſeinen Bruͤdern die Hucke (den Buckel) recht
vollſchlagen. Das ganze Dorf kam zu Huͤlfe,
aber ſie richteten wenig aus bei der Sache; da
ward es dem Koͤnig gemeldet, der ſchickte ein
militaͤriſch Commando ab, dieſe Soldaten ge-
fangen zu nehmen; aber der Schwarzenfelſer
ſchlug in einem hin auf ſeinen Ranzen und
ließ Infanterie und Cavallerie [aufmarſchiren],
die ſchlugen das militaͤriſche Commando wieder
[zuruͤck] an ſeinen Ort. Am andern Tag ließ
der Koͤnig noch viel mehr Volk ausmarſchiren
um den alten Kerl in Ruh zu ſetzen. Der
aber ſchlug auf ſeinen Ranzen ſo lang bis eine
ganze Armee herausgekommen, dazu drehte er
ſeinen Hut ein paar mal, da gingen die Cano-
nen und der Feind ward geſchlagen und in die
Flucht gejagt. Da ward Friede geſchloſſen und
er zum Vicekoͤnig gemacht, wie auch die Prin-
zeſſin ihm zur Gemahlin gegeben.
Der Prinzeſſin aber lag es beſtaͤndig im
Sinn, daß ſie ſo einen alten Kerl zum Gemahl
nehmen muͤſſen und wuͤnſchte nichts mehr, als
daß ſie ihn wieder los werden koͤnnte. Sie
[176] forſchte taͤglich in welchen Vortheilen ſeine
Macht beſtehe, er war auch ſo treu und ent-
deckte ihr alles. Da ſchwaͤzte ſie ihm ſeinen
Ranzen ab und verſtieß ihn, und als darauf
Soldaten gegen ihn marſchirten, war ſein Volk
verloren, aber noch hatte er ſein Huͤtgen, da
griff er daran und ließ die Kanonen gehen, ſo
ſchlug er den Feind und ward wieder Friede
gemacht. Darnach aber ließ er ſich wieder be-
truͤgen und die Prinzeſſin ſchwaͤzte ihm ſein
Huͤtchen ab. Und als nun der Feind auf ihn
eindrang, hatte er nichts als ſein Hoͤrnchen,
da blies er darauf, alsbald fielen Doͤrfer, Staͤd-
te und alle Feſtungswerke uͤbern Haufen. Da
war er Koͤnig allein und blieb, bis er geſtor-
ben iſt.
38.
Von der Frau Fuͤchſin.
I.
Es war einmal ein alter Fuchs mit neun
Schwaͤnzen, der wollte ſehen, ob ihm ſeine
Frau treu waͤre, ſtreckte ſich unter die Bank
und ſtellte ſich mauſetodt. Da ging die Frau
Fuͤchſin hinauf in ihre Kammer, ſchloß ſich ein
und ihre Magd die Katze ſaß auf dem Heerd
und kochte. Als es nun bekannt wurde, daß
der alte Fuchs geſtorben war, klopfte es an die
Hausthuͤr:
„was
[177]
Da ging die Katze und machte auf: ein junger
Fuchs ſtand haußen:
„Nein ich bedanke mich, was macht die Frau
Fuͤchſin?“
„Sag ſie, es waͤr ein junger Fuchs da, der
wollte ſie gern freien!“
Da ſprach die Frau Fuͤchſin:
hat er denn auch neun ſo ſchoͤne Zeiſelſchwaͤn-
ze, wie der ſelige Herr Fuchs?“ — ach nein,
er hat nur einen Schwanz. — „Da will ich
ihn nicht haben.“
Die Katz geht hinunter und ſchickt den
Freier fort; bald darauf klopft es wieder an,
Kindermärchen. M
[178] und es iſt ein anderer Fuchs, der hat zwei
Schwaͤnze, und es geht nun eben ſo, wie mit
dem erſten. Darauf kommen andere, immer
mit einem Schwanz mehr, bis zuletzt ein Freier
mit neun Schwaͤnzen da iſt. Nunmehr ſpricht
die Fuͤchſin zur Katze:
wie ſie aber eben Hochzeit halten wollen, kommt
der alte Fuchs wieder, pruͤgelt das ganze Ge-
ſindel zum Haus hinaus und jagt die Frau
Fuͤchſin fort.
II.
Der alte Fuchs iſt geſtorben, ein Freier
ein Wolf kommt vor die Thuͤr und klopft an:
Katz.
Wolf:
Katze:
Wolf.
Fr. Fuͤchſin: hat der Herr rothe Hoͤslein an
und ein ſpitz Maͤulchen?
Katze. „nein“
Fr. Fuͤchſin: ſo kann er mir nicht dienen.
Nun wird der Wolf abgewieſen, darauf
kommt ein Hund, dem geht es eben ſo, ein
Hirſch, ein Haſe, ein Baͤr, ein Loͤwe und alle
Waldthiere. Aber denen fehlt immer etwas,
was der alte Fuchs hatte, und die Katze muß
ſie alle wegſchicken. Endlich kommt ein junger
Fuchs:
Fr. Fuͤchſin: hat der Herr rothe Hoͤslein an
und ein ſpitz Maͤulchen?
Katze. „ja.“
Fr. Fuͤchſin: ſo ſoll er heraufkommen.
Nun wird Hochzeit gehalten und getanzt,
und wenn ſie nicht aufgehoͤrt haben zu tanzen,
ſo tanzen ſie noch.
[180]
39.
Von den Wichtelmaͤnnern.
I.Von dem Schuſter, dem ſie die Arbeit
gemacht.
Ein Schuſter war ſo arm geworden, daß
er nichts mehr hatte, als das Leder fuͤr ein
einziges paar Schuhe. Die ſchnitt er am
Abend zu, legte ſich ins Bett und wollte ſie
am andern Morgen in die Arbeit nehmen.
Wie er aber aufgeſtanden iſt, und ſich zur Ar-
beit ſetzen will, da ſtehen die beiden Schuhe
ſchon fertig und ſchoͤn gemacht auf ſeinem Tiſch.
Es kam auch bald ein Kaͤufer, der bezahlte ſie
ſo gut, daß ſich der Schuſter Leder zu zwei
paar Schuhen kaufen konnte, die ſchnitt er
wieder Abends zurecht, und wie er ſie am an-
dern Morgen arbeiten wollte, waren ſie eben
ſo wohl ſchon fertig, und fuͤr das Geld, das
er daraus loͤſte, konnte er Leder zu vier paar
Schuhen kaufen, die aber ſtanden am dritten
Morgen gemacht da. Und ſo gings weiter, ſo
viel der Schuſter am Abend zugeſchnitten hat-
te, ſo viel war am Morgen fertig, und er war
bald wieder ein wohlhabender Mann.
Wie er ſich eines Abends kurz vor Weih-
nachten zu Bett legen wollt, und wieder vieles
zurecht geſchnitten hatte, ſprach er zu ſeiner
[181] Frau: „wir wollen doch einmal aufbleiben und
ſehen, wer in der Nacht unſere Arbeit thut.“
Alſo ſteckten ſie ein Licht an, verbargen ſich in
den Stubenecken hinter die Kleider, die da auf-
gehaͤngt waren und gaben Acht. Um Mitter-
nacht kamen zwei kleine niedliche, nackte Maͤnn-
lein, die ſetzten ſich an den Arbeitstiſch, nah-
men alle zugeſchnittene Arbeit vor ſich, und ar-
beiteten ſo unglaublich geſchwind und behend,
daß der Schuſter vor Verwunderung die Au-
gen nicht von ihnen abwenden konnte. Sie
hoͤrten auch nicht auf, bis ſie alles fertig ge-
macht hatten, dann ſprangen ſie fort und es
war noch lange nicht Tag.
Die Frau aber ſprach zu ihrem Mann:
„die kleinen Maͤnner haben uns reich gemacht,
wir muͤſſen uns dankbar beweiſen, ſie dauern
mich, daß ſie ſo ohne Kleider herumgehen und
frieren; ich will Hemder, Rock, Camiſol und
Hoſen fuͤr ſie naͤhen, auch jedem ein paar
Struͤmpfe ſtricken, mach du jedem ein paar
kleine Schuhe.“ Der Mann war das zufrie-
den, und wie alles fertig war, legten ſie es am
Abend zurecht, ſie wollten auch ſehen, was die
Maͤnnlein dazu machten und verſteckten ſich
wieder. Die Kleinen kamen, wie gewoͤhnlich,
um Mitternacht; wie ſie die Kleider da liegen
ſahen, ſchienen ſie recht froͤhlich, mit der groͤß-
ten Geſchwindigkeit zogen ſie ſich an, und als
[182] ſie fertig waren, huben ſie an zu huͤpfen, zu
ſpringen, zu tanzen, und ſo tanzten ſie zur Thuͤr
hinaus, und ſind nicht wieder gekommen.
II.Von einem Dienſtmaͤdchen, das Ge-
vatter bei ihnen geſtanden.
Ein armes Dienſtmaͤdchen war fleißig und
reinlich, und kehrte alle Tage dem Schmutz vor
die Thuͤre auf einen großen Haufen. Eines
Morgens fand es einen Brief darauf liegen,
und weil es nicht leſen konnte, bracht es ihn
ſeiner Herrſchaft, da war es eine Einladung
von den Wichtelmaͤnnern an das Maͤdchen, es
moͤchte ihnen ein Kind aus der Taufe heben.
Das Maͤdchen beſann ſich, endlich auf vieles
Zureden, daß man das nicht abſchlagen duͤrfe,
ſagte es ja. Da kamen drei Wichtelmaͤnner
und fuͤhrten es in einen hohlen Berg. Da
war alles klein, aber ſo zierlich und praͤchtig,
daß es nicht zu ſagen iſt; die Kindbetterin lag
in einem Bett von ſchwarzem Ebenholz mit
Knoͤpfen von Perlen, die Decken waren ganz
golden, die Wiege von Elfenbein und die Wan-
ne von Gold. Das Maͤdchen ſtand nun Ge-
vatter und wollt darnach wieder fort, die Wich-
telmaͤnnlein baten es aber, drei Tage bei ihnen
zu bleiben. Die verlebt' es in Freuden, und
wie ſie herum ſind und es heim wollte, da
ſteckten ſie ihm die Taſchen ganz voll Gold und
[183] fuͤhrten es wieder aus dem Berg. Und als es
nach Haus kam, war es ſtatt drei Tage ein
ganzes Jahr darin geweſen.
III.Von einer Frau, der ſie das Kind
vertauſcht haben.
Einer Mutter war ihr Kind von den Wich-
telmaͤnnern aus der Wiege geholt, und [ein]
Wechſelbalg mit dickem Kopf und ſtarren Au-
gen hineingelegt, der nichts als trinken und
eſſen wollte. In ihrer Noth ging ſie zu ihrer
Nachbarin und fragte ſie um Rath. Die ſag-
te, ſie ſolle den Wechſelbalg in die Kuͤche tra-
gen, auf den Heerd ſetzen, Feuer anmachen
und in zwei Eierſchalen Waſſer kochen, das
bringe den Wechſelbalg zum Lachen, und wenn
er lache, dann ſey es aus mit ihm. Die
Frau thut alles; wie ſie die Eierſchalen mit
Waſſer uͤbers Feuer ſetzt, ſpricht der Klotzkopf:
und muß daruͤber lachen, und wie er lacht
kommt auf einmal eine Menge von Wichtel-
maͤnnerchen, die bringen das rechte Kind, ſetzen
es auf den Heerd, und nehmen ihren Geſellen
mit fort.
[184]
40.
Der Raͤuberbraͤutigam.
Eine Prinzeſſin war mit einem Prinzen
verſprochen, der bat ſie mehrmals, ſie moͤchte
ihn doch einmal in ſeinem Schloß beſuchen,
allein weil der Weg durch einen großen Wald
fuͤhrte, ſo lehnte ſie es immer ab, aus Furcht
ſich darin zu verirren. Wenn das ihre Sorge
waͤre, ſagte der Prinz, ſo wollte er ſchon hel-
fen, und an jeden Baum ein Band binden,
daß ſie den Weg gar nicht fehlen koͤnnte; eine
Zeitlang ſuchte ſie es dennoch aufzuſchieben,
als ob es ihr heimlich gegraut haͤtte, endlich
aber gingen ihr alle Ausreden aus, und ſie
mußte ſich eines Tags auf die Reiſe machen.
Von Morgen bis zu Abend ging ſie durch ei-
nen langen, langen Wald, und kam endlich
vor ein großes Haus, alles war ſtill darin,
bloß eine alte Frau ſaß vor der Thuͤre. „Kann
ſie mir nicht ſagen, ob hier der Prinz mein
Braͤutigam wohnt?“ — Gut, mein Kind, ant-
wortete die Frau, daß ihr jetzt kommt, da der
Prinz nicht zu Haus iſt; ich habe Waſſer muͤſ-
ſen tragen in einen großen Keſſel, da wollen
ſie euch umbringen, kochen und hernach eſſen.
Indem kam der Prinz mit ſeinen Spitz-
buben vom Raub heim, weil aber die Alte mit
[185] der Jugend und Schoͤnheit der Braut Mitleid
hatte, ſagte ſie, eh jemand darauf merkte: ge-
ſchwind hinunter in den Keller, hinter das gro-
ße Faß, da verſteckt euch! Kaum war die Prin-
zeſſin dahinter gewiſcht, ſo kommen auch die
Raubgeſellen in den Keller gegangen und fuͤhr-
ten eine alte Frau mit ſich gefangen, die Prin-
zeſſin ſah wohl, daß es ihre Großmutter war,
denn aus ihrer Ecke heraus konnte ſie alles
mit anſchauen, was da vorging, ohne daß ſie
von einem Auge bemerkt wurde. Die Spitz-
buben nahmen die alte Großmutter, ermorde-
ten ſie und zogen ihr alle Ringe von den Fin-
gern, einen nach dem andern ab, nur aber der
Ring vom Goldfinger, der wollte nicht herun-
ter, da griff einer ein Beil und hieb den Fin-
ger ab, der Finger aber ſprang hinters Faß
und fiel gerade in den Schooß der Prinzeſſin.
Nachdem die Spitzbuben lange vergebens um
den Finger herum geſucht haben, fing endlich
einer an: habt ihr wohl ſchon hinterm großen
Faß geſucht? — Laßt lieber das Suchen bei
Lichte ſeyn, ſagte ein anderer, morgen fruͤh wol-
len wir ſuchen, da werden wir den Ring bald
haben.“
Hierauf legten ſich die Spitzbuben in dem-
ſelben Keller zum Schlaf nieder, und wie ſie
ſchliefen nnd ſchnarchten, ging die Braut hin-
term Faß hervor, da lagen ſie alle reihenweiſe,
[186] und ſie mußte uͤber all die Schlafenden [wegge-
hen]
, bis zur Thuͤre. Behutſam ſetzte ſie im-
mer ihren Fuß in die Zwiſchenraͤume, und im-
mer war ihr bang, ſie moͤchte einen aufwecken,
allein es geſchah zum Gluͤck nicht, und als ſie
die Thuͤre erreicht hatte und in dem Wald wie-
der war, folgte ſie den Baͤndern, denn der
Mond ſchien ganz hell, ſo lange bis ſie wieder
nach Haus gelangte.
Ihrem Vater erzaͤhlte ſie nun alles, was
ihr begegnet war, der gab gleich Befehl, ein
ganzes Regiment ſollte das Schloß umzingeln,
ſobald der Braͤutigam eintraͤfe. Dieſes ge-
ſchah, der Braͤutigam kam desſelben Tags und
fragte gleich: warum ſie denn geſtern nicht zu
ihm gekommen waͤre, wie ſie doch verſprochen
gehabt haͤtte? So ſprach ſie: ich habe einen
ſo ſchweren Traum gehabt; mir traͤumte, ich
kaͤme in ein Haus, da ſaß eine alte Frau vor
der Thuͤre, welche zu mir ſprach: wie gut iſt
es doch fuͤr euch, mein Kind, daß ihr jetzt
kommt, dieweil niemand zu Haus iſt, denn ich
muß es euch nur ſagen, ich habe da Waſſer
tragen muͤſſen in einen großen Keſſel, da wol-
len ſie euch umbringen, ſieden und hernach eſſen.
Und wie ſie noch ſo ſprach, kamen die Spitz-
buben heim, da ſagte die Alte, eh mich jemand
merkte, geſchwind hinunter in den Keller, ver-
ſteckt euch hinter das große Faß, kaum aber
[187] war ich dahinter, ſo kamen die Spitzbuben auch
die Kellertreppe hinabgegangen, und ſchleppten
eine alte Frau mit ſich, die ergriffen und mor-
deten ſie. Und als ſie die alte Frau ermordet
hatten, fingen ſie an, und zogen ihr alle Ringe
von den Fingern, einen nach dem andern, nur
der Ring am Goldfinger wollte nicht herunter-
gehen, da griff einer zum Beil und hieb dar-
auf, daß der Finger in die Hoͤhe ſprang, und
kam gerade hinters Faß geſprungen in meinen
Schooß, und hier hab ich den Finger!
bei welchen Worten ſie ihn ploͤtzlich aus der
Taſche zog.
Wie der Braͤutigam das ſah und hoͤrte,
wurde er kreideweiß vor Schrecken, dachte alſo-
bald zu entfliehen, und ſprang zum Fenſter hin-
aus. Unten aber ſtand Wache, die fing ihn
und ſeine ganze Bande auf, und alle wurden
hingerichtet zum Lohn fuͤr ihre Bubenſtuͤcke.
41.
Herr Korbes.
Es war einmal ein Huͤhnchen und Haͤhn-
chen, die wollten zuſammen verreiſen, da baute
das Haͤhnchen einen ſchoͤnen Wagen mit vier
rothen Raͤdern, und ſpannte vier Maͤuschen da-
vor, dann ſetzte ſich das Huͤhnchen mit dem
Haͤhnchen auf, und ſo fuhren ſie fort. Da be-
[188] gegnete ihnen eine Katze, die ſprach: „wo wollt
ihr hin?“ da antwortete das Hahnchen:
Die Katze ſprach: „nehmt mich auch mit.“ Das
Haͤhnchen antwortete: „recht gern, ſetz dich hin-
ten auf, daß du vornen nicht herabfaͤllſt:
So kam nach und nach ein Muͤhlſtein, ein Ei,
eine Ente, eine Stecknadel und eine Naͤhnadel,
die ſetzten ſich auch alle auf den Wagen, wie
ſie aber zu des Herrn Korbes ſeinem Haus ka-
men, war der Herr Korbes nicht da. Die
Maͤuschen fuhren den Wagen in die Remiſe,
das Huͤhnchen flog mit dem Haͤhnchen auf eine
Stange, die Katze ſetzte ſich ins Kamin, die
Ente in die Bornſtande, die Stecknadel ſich ins
Stuhlkiſſen, die Naͤhnadel ins Bett ins Kopf-
kiſſen, der Muͤhlenſtein legte ſich uͤber die Thuͤ-
re, und das Ei wickelte ſich in das Handtuch.
Da kam der Herr Korbes nach Haus, ging ans
Kamin und wollte Feuer anmachen, da warf
ihm die Katze das ganze Geſicht voll Aſche; er
[189] ging geſchwind in die Kuͤche und wollte ſich ab-
waſchen, wie er an die Bornſtande kam, ſpruͤtz-
te ihm die Ente Waſſer ins Geſicht, als er ſich
abtrocknen wollte, rollte ihm das Ei aus dem
Handtuch entgegen, ging entzwei und klebte
ihm die Augen zu; er wollte ſich ruhen und
ſetzte ſich auf den Stuhl, da ſtach ihn die Steck-
nadel, daruͤber wurde er ganz verdrießlich und
ging ins Bett und wie er den Kopf aufs Kiſ-
ſen niederlegte, da ſtach ihn die Naͤhnadel; da
ward er ſo boͤs und toll, daß er zum Haus
hinaus laufen wollte, wie er aber an die Thuͤre
kam, ſprang der Muͤhlſtein herunter und ſchlug
ihn todt.
42.
Der Herr Gevatter.
Ein armer Mann hatte ſchon viel Kinder,
ſo daß er alle Welt zu Gevatter gebeten hatte,
und als er noch eins bekam, wußte er nicht,
wen er noch zu Gevatter bitten koͤnne, da wur-
de er ſehr betruͤbt und legte ſich hin und ſchlief
ein. Da traͤumte ihm, er ſolle vor das Thor
gehen, und den erſten, der ihm begegne, den
ſolle er zu Gevatter bitten. Das that der Mann,
da begegnete ihm einer, den bat er zum Ge-
vatter und der ſchenkte ihm ein Glaͤschen mit
Waſſer, „damit kannſt du alle Kranke curiren,
[190] wenn der Tod beim Kopf ſteht, ſteht er aber
bei den Fuͤßen, ſo muß der Kranke ſterben.“
Nun wurde des Koͤnigs Kind krank, und der
Tod ſtand beim Kopf, da curirte ers mit dem
Waſſer, und das zweitemal, als es krank wur-
de, da machte ers wieder geſund, weil der Tod
wieder beim Kopf ſtand, das dritte mal aber
ſtand er bei den Fuͤßen, da mußte es ſterben.
Da ging der Mann zu ſeinem Gevatter
und wollte es ihm alles erzaͤhlen, und als er
im Haus auf die erſte Treppe kam, ſo ſtanden
da die Schippe und der Beſen, und ſchmiſſen
ſich. Da fragte er ſie, wo der Gevatter woh-
ne; der Beſen ſagte: eine Treppe hoͤher.“
Wie er auf die zweite Treppe kam, ſah er eine
Menge todter Finger liegen. Da fragte er wie-
der, wo der Gevatter wohne? „eine Treppe hoͤ-
her.“ Auf der dritten Treppe lag ein Haufen
todter Koͤpfe die ſagten wieder: „eine Treppe
hoͤher.“ Auf der vierten ſah er Fiſche uͤber
dem Feuer ſtehen, die britzelten im Kochen und
backten ſich ſelber. Sie ſagten auch: „eine
Treppe hoͤher.“ Wie er auf die fuͤnfte kam
da war eine Stube, da guckte er durch das
Schluͤſſelloch, und ſah den Gevatter, der
ein paar lange, lange Hoͤrner auf hatte, und
als er hineinging, legte er ſie geſchwind
aufs Bett und deckte ſie zu. Da ſprach der
Mann: „Herr Gevatter, wie ich auf eure erſte
[191] Treppe kam, da ſah ich eine Schippe und ei-
nen Beſen ſtehen, die ſich ſchmiſſen“ — „wie
ſeid ihr ſo einfaͤltig, antwortete der Gevatter,
das waren der Knecht und die Magd, die ſpra-
chen zuſammen.“ — „Auf der zweiten Treppe
ſah ich todte Finger liegen.“ — „Ei, wie ſeid
ihr dumm, das waren Skorzenerwurzel.“ —
„Auf der dritten lag ein Haufen Todtenkoͤpfe.“
— „Dummer Mann, das waren Krautkoͤpfe.“
— „Auf der vierten ſah ich Fiſche im Koch-
topf, die britzelten und kochten ſich ſelber. Wie
er das Wort ſprach, kamen die Fiſche und tru-
gen ſich ſelber auf“ — „und auf der fuͤnften
guckte ich durchs Schluͤſſelloch, da ſah ich, daß
ihr lange, lange Hoͤrner hattet“ — “Ei, das
iſt nicht wahr.”
43.
Die wunderliche Gaſterei.
Auf eine Zeit lebte eine Blutwurſt und ei-
ne Leberwurſt zuſammen, und die Blutwurſt
bat die Leberwurſt zu Gaſt. Wie es Eſſenszeit
war, ging die Leberwurſt ganz vergnuͤgt zu der
Blutwurſt, als ſie aber in die Hausthuͤre trat,
ſah ſie allerlei wunderliche Dinge, auf jeder
Stiege der Treppe, deren viele waren, immer
etwas anderes, da war ein Beſen und eine
Schippe, die ſich miteinander ſchlugen, dann ein
[192] Affe mit einer großen Wunde am Kopf und
dergleichen mehr.
Die Leberwurſt war ganz erſchrocken und
beſtuͤrzt daruͤber, doch nahm ſie ſich ein Herz
ging in die Stube und wurde von der Blut-
wurſt freundſchaftlich empfangen. Die Leber-
wurſt hub an, ſich nach den ſeltſamen Dingen
zu erkundigen, die draußen auf der Treppe waͤ-
ren, die Blutwurſt that aber, als hoͤrte ſie es
nicht, oder als ſey es nicht der Muͤhe werth
davon zu ſprechen, oder ſie ſagte etwa von der
Schippe und Beſen: „es wird meine Magd ge-
weſen ſeyn, die auf der Treppe mit jemand ge-
ſchwaͤtzt,“ und brachte die Rede auf etwas
anderes.
Die Blutwurſt ging darauf hinaus, und ſag-
te, ſie muͤſſe in der Kuͤche nach dem Eſſen ſehen,
ob alles ordentlich angerichtet werde, und nichts
in die Aſche geworfen. Wie die Leberwurſt der-
weil in der Stube auf und abging, und immer die
wunderlichen Dinge im Kopf hatte, kam je-
mand, ich weiß nicht, wers geweſen iſt, herein
und ſagte: „ich warne dich, Leberwurſt, du biſt
in einer Blut- und Moͤrderhoͤhle, mach dich ei-
lig fort, wenn dir dein Leben lieb iſt.“ Die
Leberwurſt beſann ſich nicht lang, ſchlich die
Thuͤr hinaus und lief, was ſie konnte, ſie ſtand
auch nicht eher ſtill, bis ſie aus dem Haus mit-
ten auf der Straße war. Da blickte ſie ſich
um
[193] um, und ſah die Blutwurſt oben im Bodenloch
ſtehen mit einem langen, langen Meſſer, das
blinkte, als waͤrs friſch gewetzt, damit drohte
ſie, und rief herab:
„haͤtt ich dich, ſo wollt ich dich!“
44.
Der Gevatter Tod.
Es war einmal ein armer Mann, der hatte
ſchon zwoͤlf Kinder, wie das dreizehnte geboren
wurde, wußte er ſich nicht mehr zu helfen, und
lief in ſeiner Noth hinaus in den Wald. Da
begegnete ihm der liebe Gott und ſagte: „du
dauerſt mich, armer Mann, ich will dir dein
Kind aus der Taufe heben und fuͤr es ſorgen,
da wird es gluͤcklich auf Erden.“ Der Mann
antwortete: „ich will dich nicht zum Gevatter,
du giebſt den Reichen und laͤßt die Armen hun-
gern;“ damit ließ er ihn ſtehen und ging wei-
ter. Bald darauf begegnet ihm der Tod, der
ſprach gleichfalls zu ihm: „ich will dein Gevat-
tersmann werden, und dein Kind heben; wenn
es mich zum Freund hat, da kanns ihm nicht
fehlen, ich will es zu einem Doctor machen.“
Der Mann ſagte: „das bin ich zufrieden, du
machſt keinen Unterſchied und holſt den Reichen
wie den Armen; morgen iſt Sonntag, da wird
Kindermärchen. N
[194] das Kind getauft, ſtell dich nur zu rechter
Zeit ein.“
Am andern Morgen kam der Tod und hielt
das Kind uͤber die Taufe. Nachdem es groß
geworden war, kam er einmal wieder, und nahm
ſeinen Pathen mit in den Wald; da ſprach er
zu ihm: „jetzt ſollſt du ein Doctor werden;
du brauchſt nur Acht zu geben, wenn du zu ei-
nem Kranken gerufen wirſt und du ſiehſt mich
zu ſeinem Haupte ſtehen, ſo hats nichts zu ſa-
gen, laß ihn dann an dieſer Flaſche riechen
und ſalb ihm die Fuͤße damit, ſo wird er bald
wieder geſund ſeyn; ſteh ich aber zu den Fuͤ-
ßen, dann iſts aus, dann will ich ihn haben,
und unterſteh dich nicht eine Cur anzufangen.“
Damit gab der Tod ihm die Flaſche, und er
ward ein beruͤhmter Doctor; er brauchte nur
den Kranken zu ſehen, ſo ſagt' er ſchon voraus
ob er wieder geſund werde oder ſterben muͤſſe.
Einmal ward er zum Koͤnig gerufen, der an ei-
ner ſchweren Krankheit darnieder lag; wie der
Doctor eintrat, ſah er den Tod zu den Fuͤßen
des Koͤnigs ſtehen, und da konnte ſeine Flaſche
nichts mehr helfen. Doch fiel ihm ein, er woll-
te den Tod betruͤgen, packte alſo den Koͤnig an,
und legte ihn [verkehrt], ſo daß der Tod an ſeinem
Haupte zu ſtehen kam; es gluͤckte und der Koͤ-
nig wurde geſund. Wie der Doctor aber wie-
der zu Haus war, kam der Tod zu ihm, machte
[195] ihm boͤſe grimmige Geſichter und ſagte: „wenn
du dich noch einmal unterſtehſt mich zu betruͤ-
gen, ſo dreh ich dir den Hals um.“ Bald dar-
nach ward des Koͤnigs ſchoͤne Tochter krank,
niemand auf der Welt konnte ihr helfen, der
Koͤnig weinte Tag und Nacht, endlich ließ er
bekannt machen, wer ſie curiren koͤnne, der ſolle
ſie zur Belohnung haben. Da kam der Doc-
tor und ſah den Tod zu den Fuͤßen der Prin-
zeſſin ſtehen, doch weil er vor ihrer Schoͤnheit
ganz in Erſtaunen war, vergaß er alle War-
nung, drehte ſie herum und ließ ſie an der hei-
lenden Flaſche riechen und ſalbte ihr die Fuß-
ſohlen daraus. Kaum war er wieder zu Haus,
da ſtand der Tod mit einem entſetzlichen Ge-
ſicht vor ihm packte ihn, und trug ihn in eine
unterirdiſche Hoͤhle, worin viel tauſend Lichter
brannten. „Siehſt du, ſagte der Tod, das ſind
alle Lebende, und hier das Licht, das nur noch
ein wenig brennt und gleich ausloͤſchen will,
das iſt dein Leben; huͤt' dich!“
45.
Des Schneiders Daumerling Wan-
derſchaft.
Ein Schneider hatte einen Sohn, der war
klein gerathen und nicht groͤßer als ein Dau-
men, darum hieß er der Daumerling. Er hatte
N 2
[196] aber Courage im Leibe und ſagte zu ſeinem Va-
ter: „Vater, ich will auf die Wanderſchaft ge-
hen.“ — „Recht, mein Sohn,“ ſprach der Al-
te, nahm eine Stopfnadel und machte am Licht
einen Knoten von Siegellack daran: „da haſt
du auch einen Degen mit auf den Weg. „Das
Schneiderlein zog aus in die Welt und kam
zuerſt bei einem Meiſter in die Arbeit, da war
ihm aber das Eſſen nicht gut genug. „Frau
Meiſterin, wenn ſie uns kein beſſer Eſſen giebt,
ſagte der Daumerling, ſchreib ich morgenfruͤh
mit Kreide an ihre Hausthuͤre: „Kartoffel zu
viel, Fleiſch zu wenig, Adies, Herr Kartoffel-
koͤnig! und gehe fort.“ — „Was willſt du
wohl, du Huͤpferling, ſagte die Meiſterin, ward
boͤs, ergriff einen Lappen und wollte ihn ſchla-
gen, mein Schneiderlein kroch behend unter den
Fingerhut, guckte unten hervor und ſtreckte der
Frau Meiſterin die Zunge heraus. Sie hob
den Fingerhut auf, aber der Daumerling huͤpf-
te in die Lappen und wie die Meiſterin die
auseinander warf und ihn ſuchte, machte er ſich
in den Tiſchritz: „he! he! Frau Meiſterin.“
rief er und ſteckte den Kopf in die Hoͤhe, und
wenn ſie zuſchlagen wollte, ſprang er immer
in die Schublade hinunter. Endlich aber er-
wiſchte ſie ihn doch, und jagte ihn zum Haus
hinaus.
Das Schneiderlein wandert und kam in
[197] einen großen Wald, da begegnete ihm ein Hau-
fen Raͤuber, die wollten des Koͤnigs Schatz be-
ſtehlen; und als ſie das Schneiderlein ſehen,
denken ſie, der kann uns viel nuͤtzen, reden es
an, ſagen, es ſey ein tuͤchtiger Kerl, es ſolle
mit zur Schatzkammer gehen, ſich hineinſchlei-
chen und ihnen das Geld herauswerfen. Es
laͤßt ſich drauf ein, geht zu der Schatzkammer
und beſieht die Thuͤre, ob kein Ritzen darin;
gluͤcklicherweiſe findet es bald einen und will
einſteigen, da ſagt die Schildwache zur andern:
„was kriecht da fuͤr eine garſtige Spinne? die
muß man todt treten.“ — „Ei, laß ſie doch
gehen, ſagte die andere, ſie hat dir ja nichts
gethan.“ So kam der Daumerling in die
Schatzkammer, ging an das Fenſter, vor dem
die Raͤuber ſtanden und warf ihnen einen Tha-
ler nach dem andern hinaus. Wie der Koͤnig
ſeine Schatzkammer beſah, fehlte ſo viel Geld,
kein Menſch aber konnte begreifen, wer es ſoll-
te geſtohlen haben, da alle Schloͤſſer gut ver-
wahrt waren. Der Koͤnig ſtellte Wachen da-
bei, die hoͤrten es in dem Geld rappeln, gin-
gen hinein und wollten den Dieb greifen. Das
Schneiderlein ſetzte ſich in der Ecke unter einen
Thaler und rief: „hier bin ich!“ die Wachen
liefen dahin, indeß ſprang es in eine andere
Ecke, und wie die dort ankamen, ſchrie es da:
„hier bin ich!“ die Wachen liefen zuruͤck, es
[198] huͤpfte aber wieder in eine andere Ecke und
rief: „hier bin ich!“ Und ſo hatte es ſie zum
Narren und trieb es ſo lange, bis ſie muͤd wa-
ren, und davon gingen. Der Daumerling warf
nun die Thaler nach und nach alle hinaus und
auf den letzten ſetzte er ſich ſelber, und flog da-
mit durchs Fenſter hinunter. Die Raͤuber lob-
ten ihn gewaltig, und haͤtten ihn zu ihrem
Hauptmann gemacht, wenn er gewollt haͤtte,
darauf theilten ſie die Beute; das Schneider-
lein kann aber nicht mehr nehmen als einen
Kreuzer, weil es nicht mehr bei ſich tragen
kann.
Darauf nahm es den Weg wieder zwiſchen
die Beine, und endlich, weils mit dem Hand-
werk ſchlecht ging, verdingte es ſich als Haus-
knecht in einem Gaſthof. Die Maͤgde konnten es
aber nicht leiden, weil es alles ſah, was ſie im
Haus heimlich hielten, ohne daß ſie es merk-
ten, und ſie darnach angab, und haͤtten ihm
gern einen Schabernack angethan. Als es daher
einmal in der Wieſe ſpazieren ging, wo eine
maͤhte, maͤhte ſie es mit dem Gras zuſammen,
und warf es daheim den Kuͤhen vor, und die
ſchwarze ſchluckte es mit hinunter. Der Dau-
merling war nun in der Kuh eingeſperrt, und
hoͤrte Abends ſprechen, daß ſie ſollte geſchlach-
tet werden. Da war ſein Leben in Gefahr
und er rief: „ich bin hier?“ — „Wo biſt
[199] du?“ — „In der ſchwarzen.“ Er ward aber
unrecht verſtanden und die Kuh geſchlachtet;
gluͤcklicher Weiſe traf ihn kein Hieb, und er
kam unter das [Wurſtfleiſch]. Wie das nun ſoll-
te gehackt werden, rief er: „hackt nicht zu tief!
hackt nicht zu tief! ich ſtecke darunter!“ Vor
dem Laͤrmen aber hoͤrte das kein Menſch, doch
ſprang er ſo behend zwiſchen den Hackmeſſern
durch, daß ihm keins was ſchadete, aber ent-
ſpringen konnte er nicht, und ward in eine
Blutwurſt gefuͤllt. Mit der ward er in den
Schornſtein zum Raͤuchern aufgehaͤngt, und
mußte haͤngen, bis im Winter, wo die Wurſt
ſollte gegeſſen werden, und wie ſein Quartier
aufgeſchnitten ward, ſprang er heraus und lief
davon.
Das Schneiderlein wanderte wieder, da kam
es aber einem Fuchs in den Weg, der ſchnappte
es auf: „Herr Fuchs, rief es, ich bin hier,
laßt mich frei.“ — „Ja, ſagte der Fuchs, an
dir hab ich doch nicht viel: wenn du machſt,
daß dein Vater mir alle ſeine Huͤner im Hof
giebt.“ Das gelobte es, und da trug es der
Fuchs heim, und kriegte alle Huͤner im Hof;
das Schneiderlein aber brachte ſeinem Vater ſei-
nen erworbenen Kreuzer von der Wanderſchaft
mit. —
„Warum hat aber der Fuchs die armen
Piephuͤner zu freſſen kriegt?“ — „Ei, du
[200] Narr, deinem Vater wird ja ſein Kind lieber
ſeyn, als die Huͤner!“
46.
Fitchers Vogel.
Es war einmal ein Hexenmeiſter, der war
ein Dieb und ging in der Geſtalt eines armen
Mannes vor die Haͤuſer und bettelte. Da kam
ein Maͤdchen vor die Thuͤre, und brachte ihm ein
Stuͤck Brod; er ruͤhrte das Maͤdchen nur an, da
mußte es in ſeine Koͤtze ſpringen. Dann trug
er es fort und brachte es in ſein Haus, da
war alles praͤchtig, und er gab ihm alles, was
es wuͤnſchte. Darnach ſprach er einmal: „ich
habe auswaͤrts zu thun, und muß nothwendig
verreiſen, da haſt du ein Ei, das heb ſorgfaͤltig
auf und trag es beſtaͤndig bei dir, und da haſt
du auch einen Schluͤſſel, aber geh nicht in die
Stube, die er aufſchließt, bei Lebensſtrafe.“
Wie er aber fort war, ging ſie doch hin und
ſchloß die Stube auf, und wie ſie hineintrat,
ſah ſie in der Mitte ein großes Becken ſtehen,
darin lagen todte und zerhauene Menſchen. Sie
erſchrack ſo gewaltig, daß das Ei, das ſie in
der Hand hielt, hineinplumpte; ſie nahm es
zwar geſchwind wieder heraus und wiſchte das
Blut ab, das kam aber den Augenblick wieder
zum Vorſchein, und ſie konnte es nicht herun-
[201] ter kriegen, ſo viel ſie auch wiſchte und ſchabte.
Als der Mann wieder kam, verlangte er das
Ei und den Schluͤſſel, ſah beide an, und da
ſah er, daß ſie in der Blutkammer geweſen
war. „Haſt du auf meine Worte nicht geach-
tet, ſagte er zornig, ſo ſollſt du nun gegen dei-
nen Willen in die Kammer kommen;“ damit
ergriff er ſie, fuͤhrte ſie hin und zerhackte ſie,
und warf ſie zu den andern ins Becken. Nach
einiger Zeit ging der Mann wieder betteln und
fing die zweite Tochter aus dem Haus; der ge-
ſchah wie der erſten, ſie ſchloß auch die verbo-
tene Thuͤre auf, ließ das Ei ins Blut fallen,
und ward zerhackt und zu ihr in das Becken
geworfen. Da wollte der Hexenmeiſter auch
die dritte Tochter haben, faͤngt ſie auch in ſei-
ner Koͤtze, traͤgt ſie heim, und giebt ihr bei ſei-
ner Abreiſe das Ei und den Schluͤſſel. Die
dritte Schweſter aber war klug und liſtig; ſie
ſchloß das Ei erſt ein und ging dann in die
heimliche Kammer, und wie ſie ihre Schweſtern
in dem Blutbecken findet, ſucht ſie und ſucht
alles zuſammen und legts zurecht, Kopf, Leib,
Arm und Bein; da fangen die Glieder an ſich
zu regen, und ſchließen ſich aneinander und die
zwei werden wieder lebendig. Da fuͤhrte ſie
beide heraus und verſteckte ſie, und als der
Mann heim kam und das Ei ohne Blut fand,
bat er ſie, ſie moͤgte ſeine Braut werden. Sie
[202] ſagte ja, aber er muͤßte erſt einen Korb voll
Gold ihren Eltern auf dem Ruͤcken hintragen,
dieweil wollte ſie die Hochzeit beſtellen. Dar-
nach ſagte ſie zu ihren Schweſtern, ſie ſollten
ihr nur Huͤlfe von daheim kommen laſſen, ſetz-
te ſie in einen Korb und deckte ihn ganz mit
Gold zu: „den trag nun fort, aber unterſteh
dich nicht unterwegs zu ruhen, denn ich ſehs
hier durch mein Bretchen, wenn dus thuſt.“
Er nahm den Korb auf den Ruͤcken und ging
fort, der ward ihm aber ſo ſchwer, daß er ihn
faſt todt druͤckte, da wollte er ein wenig ruhen,
aber gleich rief eine im Korb: „ich ſeh durch
mein Bretchen, daß du ruhſt, willſt du gleich
weiter!“ Da meinte er ſeine Braut rief, mach-
te ſich wieder auf, und ſo oft er ruhen wollte,
rief es wieder, und da mußte er weiter. Die
Braut aber daheim nahm einen Todtenkopf,
thaͤt ihm einen Schmuck auf, und ſetzte ihn
oben vors Bodenloch; dann lud ſie die Freunde
des Hexenmeiſters zu der Hochzeit ein, und wie
das geſchehen war, ſteckte ſie ſich in ein Faß
mit Honig, ſchnitt das Bett auf und waͤlzte
ſich in den Federn, daß ſie niemand erkennen
konnte, ſo wunderlich ſah ſie aus und damit
ging ſie hinaus auf den Weg. Bald begegne-
te ihr ein Theil der Gaͤſte, die fragten ſie:
Darauf begegnete ihr auch der Braͤutigam, der
zuruͤckkam:
Der Braͤutigam ſah hinauf, und als er den
geputzten Todtenkopf oben ſitzen ſah, meinte er,
es waͤre ſeine Braut und gruͤßte ſie. Wie er
aber im Haus war, und alle ſeine Freunde auch,
da kam die Huͤlfe, die die Schweſtern geſchickt
hatten; und ſie ſchloſſen das Haus zu und ſteck-
ten es an, und da keiner heraus konnte, muß-
ten ſie alle verbrennen.
47.
Van den Machandel-Boom.
Dat is nu all lang her, woll twee duſent
Joor, do was daar een riik Mann, de hadde
eene ſchoͤne frame Fru, un ſe hadden ſick beede
ſeer leef, hadden averſt kene Kinner, ſe wuͤnſch-
ten ſick averſt ſeer welke, un de Fru bedt' ſo
[204] veel dorum Dag un Nacht, man ſe kregen keen
und kregen keen. Voͤr eeren Huſe was een
Hoff, darup ſtund een Machandelboom, uͤnner
den ſtund de Fru eens in'n Winter, un ſchellt
ſick eenen Appel, un as ſe ſick den Appel ſo
ſchellt, ſo ſneet ſe ſick in'n Finger, un dat
Blood feel in den Snee — ach! ſed de Fru,
un ſuͤft ſo recht hoch up, un ſach dat Blood
foͤr ſick an, un was ſo recht wehmoͤdig, hadd ick
doch een Kind ſo rood as Blood un ſo witt as
Snee! — un as ſe dat ſed, ſo wurd eer ſo
recht froͤlich to Moode, eer was recht, as ſull dat
wat warden; daar ging ſe to den Huſe un ging
een Maand hen, de Snee voͤrging, un twee
Maand, daar was dat groͤn, un dree Maand,
daar kemen de Bloͤmer ut de Eerde, un veer
Maand, daar drungen ſick alle Boͤmer in dat
Holt, un de groͤnen Twige weeren all in een
anner wuſſen; daar ſungen de Vaͤgelkens, dat
dat ganze Holt ſchallt, un de Bleujten felen van
de Boͤmer, daar was de fyfte Maand weg, un
ſe ſtund uͤnner den Machandelboom, de rook
ſo ſchoͤn; do ſprung eer dat Hart voͤr Freuden,
un ſe feel up eere Knee un kunde ſick nich la-
ten, un as de ſoͤſte Maand voͤrbi was, daar
wurden de Fruͤchte dick un ſtark, do wurd ſe
ganz ſtill, un de ſoͤwende Maand, do greep ſe
na de Machandelbeeren un att ſe ſo nidſch, do
wurd ſe trurig un krank; daar ging de achte
[205] Maand hen, un ſe reep eeren Mann, un wenn-
de un ſed: wenn ick ſtarve, ſo begrave my uͤn-
ner den Machandelboom! do wurde ſe ganz
getroſt un freute ſick, bett de neegte Maand
voͤrby was, daar kreeg ſe een Kind, ſo witt as
Snee un ſo rood as Blood; un as ſe dat ſach,
ſo freute ſe ſick ſo, dat ſe ſturv.
Daar begroof eer Maan ſe uͤnner den Ma-
chandelboom, un he fung an to weenen ſo
ſeer; eene Tyd lang do wurd dat wat ſachter,
un daar he noch wat weend hadd, do heel he up,
un noch eene Tyd, do nam he ſick wedder
eene Fru.
Mit de tweete Fru kreeg he eene Dochter,
dat Kind averſt van de eerſte Fru was een
luͤttje Soͤn, un was ſo rood as Blood un ſo
witt as Snee. Wenn de Fru eere Dochter ſo
anſach, ſo had ſe ſe ſo leef, averſt denn ſach
ſe den luͤttjen Jung an, un dat ging eer ſo
dorch't Hart, un eer duͤcht, as ſtund he eer al-
lerwegen in'n Weg, un dacht denn man uͤm-
mer, wo ſe eer Dochter all dat Voͤrmoͤgent to-
wenden wull, un de Boͤſe gav eer dat in, dat
ſe den luͤttjen Jung ganz gram wurd, un ſtoͤd
em heruͤm van een Ek in de anner, un buft
em hier un knuft em daar, ſo dat dat arme Kind
uͤmmer in Angſt was; wenn he denn ut de
School kam, ſo hadd he keene ruhige Stede.
Eens was de Fru up de Kamer gaan, do
[206] kamm de luͤttje Dochter ook herup un ſed:
Moder giv my eenen Appel! Ja myn Kind,
ſed de Fru, un gav eer eenen ſchoͤnen Appel
uut de Kiſt, de Kiſt averſt had eenen grooten
ſwaaren Deckel mit een groot ſchaarp yſern
Slott. Moder, ſed de luͤttje Dochter, ſchall
Broder nich ook eenen hebben? Dat voͤrdrot
de Fru, doch ſed ſe: ja, wenn he ut de School
kuͤmmt; un as ſe ut dat Finſter gewaar wur-
de, dat he kamm, ſo was dat recht, as wenn
de Boͤſe oͤver eer kamm, un ſe grapſt to, un
nam eerer Dochter den Appel wedder weg un
ſed: „du ſaſt nich eer eenen hebben, as Vro-
der.“ Daar ſmeet ſe den Appel in de Kiſt un
maakt de Kiſt to; daar kamm de luͤttje Jung in
de Doͤr, daar gav eer de Boͤſe in, dat ſe fruͤnt-
lich to em ſed: „myn Soͤn, wiſt du eenen Ap-
pel hebben?“ un ſach em ſo haſtig an. „Mo-
der, ſed de luͤttje Jung, wat ſuͤhſt du greſig
ut, ja giv my eenen Appel!“ Daar was eer,
as ſull ſe em toreden: „kumm mit my,“ ſed
ſe, un maakt den Dekkel up, „haal by eenen
Appel herut,“ un as ſick de luͤtt Jung henin
buͤckt, ſo reet eer de Boͤſe, bratſch — ſloog ſe
den Dekkel to, dat de Kop af floog un uͤnner
de rooden Appel feel. Daar aͤverleep eer dat in
de Angſt, un dacht: „kund ick dat van my
bringen.“ Daar ging ſe baben na eere Stuve
na eeren Draagkaſten un haalt ut de baͤvelſte
[207] Schuuflade eenen witten Dook, un ſett den
Kopp wedder up den Hals un bund den Hals-
dook ſo um, dat man niks ſeen kund, un ſett
em voͤr de Doͤr up eenen Stool un gav em
den Appel in de Hand.
Daar kamm daarna Marleenken to eere Mo-
der in de Koͤke, de ſtund by den Fuͤuͤr un had
eenen Pott mit heet Water foͤr ſik, den ruͤuͤrt
ſe uͤmmer um: „Moder, ſed Marleenken,
Broder ſitt voͤr de Doͤoͤr un ſuͤuͤt ganz witt ut,
un hedd eenen Appel in de Hand, ick hev em
beden, he ſull my den Appel geven, averſt
he antwoord my nich, da wurd my ganz gruu-
lig.“ „Ga nochmal hen, ſed de Moder, un
wenn he dy nich antwoorden will, ſo giv em
eens an de Ooren!“ Daar ging Marleenken hen
un ſed: „Broder giv my den Appel!“ averſt
he ſweeg ſtill, daar gav ſe em eens up de Oo-
ren, daar feel de Kop heruͤnn, daraͤver varſchrak
ſe ſick, un fung an to weenen un to raaren,
un leep to eere Moder un ſed: „ach, Moder,
ick hebb minen Broder den Kopp afſlagen!“ un
weend un weend un wull ſick nich tofreden
geven; „Marleenken, ſed de Moder, wat heſt
du daan — averſt ſwig man ſtill, dat er keen
Minſch markt, dat is nu doch nich to aͤnnern;
wi willen em in ſuur kaaken.“ Dear nam de
Moder den luͤttjen Jungen un hackt em in
Stuͤkken, ded de in den Pott un kaakt em in
[208] ſuur; Marleenken averſt ſtund daarby un weend
un weend, un de Traanen feelen all in den Pott,
un ſe bruukten gar keen Solt.
Daar kamm de Vader to Huus un ſett ſick
to Diſch, un ſed: „wo is denn min Soͤn?“
Dar drog de Moder eene groote, groote Schoͤt-
tel op mit ſwart Suur, un Marleenken weend
un kund ſick nich hollen. Da ſed de Vader
wedder: „wo is den min Soͤn?“ „Ach, ſed
de Moder, he is oͤver Land gaan, na Muͤt-
ten eer groot Oem, he wull daar wat bliven.“
„wat deit he denn daar? un hed my nich mal
Adjuͤs ſegd?“ „o he wuld geern hen, un bed
my, ob he daar woll ſoͤs Weken bliven kun, he
is jo woll daar uphaben.“ „Ach, ſed de Mann,
my is ſo recht trurig, dat is doch nich recht,
he had my doch Adjuͤs ſeggen ſchullt.“ Mit
des fung he an to eeten un ſed: „Marleenken,
wat weenſt du? Broder ward woll wedder ka-
men.“ „Ach Fru, ſed he do, wat ſmeckt my
dat Eten ſchoͤn, giv my meer!“ un je meer he
at, je meer wuld he hebben, un ſed: „gevt my
meer, gy ſoͤlt niks daaraf hebben, dat is as wenn
dat all myn weer,“ un he att un att, un de
Knaken ſmeet he all unner den Diſch, bett he
alles up had. Marleenken averſt ging hen na
eere Commode un namm uut de unnerſte Schuuf
eeren beſten ſyden Dook, un haalt all de Been-
ken un Knaken uͤnner den Diſch herut, un
bund
[209] bund ſe in den ſyden Dook, un drog ſe voͤr de
Doͤoͤr, un weente eere bloͤdigen Traanen; daar
legd ſe ſe unner den Machandelboom in dat groͤ-
ne Gras, un as ſe ſe daar henlegd hadd, ſo was
eer mit eenmal ſo recht licht, un weente nich
meer, do fung de Machandelboom an ſich to
bewegen, un de Twyge deden ſich uͤmmer ſo
recht van eenanner, un denn wedder tohop, ſo
recht, as wenn ſick eener ſo recht froͤit un mit
de Haͤnde ſo deit. Mit des, ſo ging daar ſo'n
Newel van den Boom, un recht in den Newel
da brennt dat as Fuͤuͤr, un ut dat Fuͤuͤr daar
flog ſo'n ſchoͤnen Vagel herut, de ſung ſo her-
lich un flog hoch in de Luft, un as he weg
was, do was de Machandelboom, as he voͤrheer
weſt was, un de Dook mit de Knaken was
weg, — Marleenken averſt was ſo recht licht
un vergnoͤgt, recht as wenn de Broder noch
leeft, daar ging ſe wedder ganz luſtig in dat
Huus by Diſch un att.
De Vagel averſt floog weg, un ſett' ſick up
eenen Goldſmitt ſiin Hus un fung an to ſingen:
Kindermärchen. O
[210]
De Goldfmitt ſatt in ſine Warkſtede un maakt
eene goldne Kede, daar hoͤrd he den Vagel, de
up ſin Dack ſatt un ſung, un dat duͤnkt em
ſo ſchoͤn; daar ſtund he up, un as he aͤver den
Suͤll ging, ſo voͤrloor he eenen Tuͤffel; he ging
aver ſo recht midden up de Strate, eenen Tuͤf-
fel un een Sock an, ſin Schortfell had he voͤr,
un in de een Hand had he de golden Kede, un
in de anner de Tang, un de Suͤnn ſchiint ſo
hell up de Strate, daar ging he recht ſo ſtaan
un ſach den Vagel an: „Vagel, ſegd he do,
wo ſchoͤn kanſt du ſingen, ſing my dat Stuͤk
nochmal.“ — Nee, ſegd de Vagel, tweemal
ſing ick nich umſuͤnſt, giv mi de golden Kede,
ſo wil ick di et nochmal ſingen. „Da, ſegd de
Goldſmitt, heſt du de golden Kede, nu ſing mi
dat nochmal.“ Daar kam de Vagel un nam de
golden Ked ſo in de rechte Krall, un ging voͤr
den Goldſmitt ſitten un ſung:
Daar flog de Vagel weg na eenen Schooſter un
ſett ſick up den ſiin Dack un ſung:
[211]
de Schooſter hoͤrd dat, un leep voͤr ſin Doͤoͤr, in
Hemdsarmel und ſach na ſiin Dack, un muſt
de Hand voͤr de Oogen holln, dat de Suͤnn em
nich blendt: „Vagel, ſegd he, wat kanſt du
ſchoͤn ſingen!“ Da reep he in ſiin Doͤoͤr herin:
„Fru, kumm mal herut, daar is een Vagel, ſuͤ
mal den Vagel de kann mal ſchoͤn ſingen, da
reep he ſiin Dochter un Kinner un Geſellen,
Jung un Magd, un keemen all up de Straat,
un ſegen den Vagel an, wo ſchoͤn he was, un
he hadd ſo recht roode, un groͤne Feddern, un um
den Hals was dat as luter Gold, un de Oo-
gen blinkten em in Kopp, as Steern. „Vagel,
ſed de Schoſter, nu ſing mi dat Stuͤk noch-
mal.“ Nee, ſegd de Vagel, twee mal ſing ick
nich umſuͤnſt, du moͤſt my wat ſchenken. „Fru
ſed de Mann, ga na de Doͤn-boͤhn up den boͤ-
velſten Boord, do ſtaan een paar roode Scho, de
bring herunn;“ daar ging de Fru hen un haalt
de Scho. „Da Vagel, ſed de Mann, nu ſing
mi dat Stuͤk noch mal,“ daar kamm de Vagel
O 2
[212] un namm de Scho in de linke Klau, und flog
wedder up dat Dack un ſung:
un as he utſungen hadd, ſo floog he weg, de
Kede hadd he in de rechte un de Scho in de
linke Klau, un he floog wyt weg na eene
Maͤhl, un de Maͤhl ging klippe klappe, —
klippe klappe — klippe klappe — un in de
Maͤhl daar ſeeten twintig Maͤhlenburſchen, de
haugten eenen Steen un hackten hick hack — hick
hack — hick hack, un de Maͤhl ging klippe klap-
pe, klippe klappe, klippe klappe. Daar ging de
Vagel up eenen Lindenboom ſitten, de voͤr de
Maͤhl ſtund un ſung:
daar heel de lezte vok up, un hadd dat lezte noch
hoͤrd. „Vagel, ſegd he, wat ſingſt du ſchoͤn,
laat my dat ook hoͤren, ſing my dat noch mal!“
Nee, ſegd de Vagel, twee mal ſing ick nich
umſuͤnſt, giv my den Maͤhlenſteen, ſo will ick
dat noch mal ſingen. „Ja, ſegd he, wenn he mi
alleen hoͤrd, ſo ſuſt du em hebben,“ „ja, ſeden
de annern, wenn he nochmal ſingt, ſo ſall he
em hebben;“ dar kamm de Vagel heruͤn, un
de Moͤllers faat'n all twintig mit Boͤoͤm an, un
boͤoͤrten den Steen up, hu uh up, hu uh ihp!
— hu uuh uhp! daar ſtack de Vagel den Hals
doͤoͤr dat Lock, un nam em uͤm as eenen Kragen
un floog wedder up den Boom, un ſung:
[214]
un as he dat utſungen hadd, da ded he de
Fluͤnk van eenanner, un had in de rechte Klau
de Kede un in de linke de Scho un uͤm den
Hals den Maͤhlenſteen un floog wiit weg na
ſines Vaders Huſe. —
In de Stuve ſatt de Vader, de Moder
un Marleenken by Diſch, un de Vader ſed:
ach wat waart mi licht, mi is recht ſo good to
Mode — nee! ſed de Moder, my is ſo angſt,
ſo recht, as wenn een ſwaar Gewitter kuͤmmt.
Marleenken averſt ſatt un weend un weend,
daar kamm de Vagel anflegen, un as he ſick up
dat Dack ſett — ach ſegd de Vader, mi is ſo
recht freudig un de Suͤnn ſchiint buten ſo
ſchoͤn, my is recht as ſuͤll ick eenen ollen Be-
kannten wedderſeen, — nee, ſed de Fru, my is
ſo Angſt, de Teene klappern mi un dat is mi
as Fuͤuͤr in de Adern, un ſe reet ſick eer Liifken
up un ſo meer; averſt Marleenken ſatt in een
Eck un weende un had eeren Platen vor de
Oogen, un weende den Platen gans meſſnatt;
daar ſett ſick de Vagel up den Machandelboom
un ſung:
daar heel de Moder de Oren to, un kneep de
Oogen to, un wold nich ſeen un hoͤren, aver
dat bruuſte eer in de Ooren, as de allerſtarkſt
Storm, un de Oogen brennten eer un zackten
as Bliz:
[215]
Ach Moder, ſegd de Mann, daar is een ſchoͤn
Vagel, de ſingt ſo herlich, de Suͤnn ſchiint ſo
warm, un dat ruͤckt as luter Zinnemamen
daar led Marleenken den Kopp up de Knee un
weende in eens weg, de Mann averſt ſed: ick
ga herut, ick mut den Vagel dicht by ſehn; —
„ach, ga nich, ſed de Fru, my is as bevt dat
ganze Huus, un ſtuͤnn in Flammen;“ aver de
Mann ging herut un ſach den Vagel an:
mit des leet de Vagel de golden Kede fallen,
un ſe feel den Mann juͤſt um den Hals, ſo
recht hier heruͤm, dat ſe recht ſo ſchoͤn paſt;
daar ging he herin un ſed: ſuͤ wat is dat voͤr
een ſchoͤn Vagel, hett mi ſo ne ſchoͤne goldne
Kede ſchenkt, un ſuͤht ſo ſchoͤne ut;“ de Fru
aver was ſo Angſt un feel langs in de Stuve
hen, un de Muͤtz feel eer van den Kopp — daar
ſung de Vagel wedder:
ach dat ick duſend Fuder unner de Eerde weer,
dat ick dat nich hoͤren ſull!
[216]
daar feel de Fru voͤr dood nedder,
ach, ſed Marleenken, ick wil ook herut gan un
ſeen op de Vagel mi wat ſchenkt, daar ging ſe
herut,
daar ſmeet he eer de Scho herun
Daar was eer ſo licht un froͤlich, daar truck ſe de
nien rooden Scho an, un danſt un ſpruͤng he-
rinn; ach, ſed ſe, ick was ſo trurig as ick herut
ging, un nu is mi ſo licht, dat is mal een
herlichen Vagel, het mi een Paar roode Scho
ſchenkt! „nee ſed de Fru, un ſprung up, un
de Har ſtunnen eer to Barge as Fuͤuͤrsflammen,
mi is as ſull de Werld unner gahn, ick wil
ook herut, op mi lichter warden ſull, un as ſe
ut de Doͤoͤr kamm — bratſch! — ſmeet eer de
Vagel den Maͤhlenſteen up den Kopp, dat ſe
ganz tomatſcht; de Vader un Marleenken hoͤr-
den dat un gingen herut, dar ging een Damp
un Flam un Fuͤuͤr up van de Steed, un as dat
vorby was, da ſtund de luͤttje Broder, un he
namm ſinen Vader un Marleenken bi de Hand,
[217] un weeren alldree ſo recht vergnoͤgt un gingen
in dat Huus by Diſch un eeten.
48.
Der alte Sultan.
Ein Bauer hatte einen getreuen Hund,
der war alt, und konnte nichts mehr feſt pak-
ken. Da ſagte der Bauer zu ſeiner Frau: „ich
will den alten Sultan todtſchießen, er iſt uns
doch zu nichts mehr Nutz,“ die Frau aber ant-
wortete: „thu das nicht und laß das treue
Thier das Gnadenbrod eſſen, es hat uns ſo
lange Jahre gedient.“ Der Mann ſagte: „du
biſt nicht recht geſcheidt, was fangen wir mit
ihm an, er hat keinen Zahn mehr im Maul,
und es fuͤrchtet ſich kein Dieb mehr vor ihm;
hat er uns gedient, ſo hat ers des Hungers
wegen gethan, um weil er hier gutes Freſſen
kriegte; morgen iſt ſein letzter Tag, dabei
bleibts.“ Der Hund hatte alles, was Mann
und Frau zuſammen geſprochen, mit angehoͤrt,
nun hatte er einen guten Freund, das war der
Wolf, zu dem ging er Abends hinaus und
klagte ihm ſein Leiden und daß ſein Herr ihn
Morgen todtſchießen wolle. „Mach dir keine
Sorgen, ſagte der Wolf, ich will dir einen gu-
ten Anſchlag geben: Morgen fruͤh geht dein
Herr mit ſeiner Frau hinaus ins Heu, da neh-
[218] men ſie auch ihr kleines Kind mit, bei der Ar-
beit legen ſie das draußen hinter die Hecke, da
leg du dich daneben, als wenn du es bewachen
und da ruhen wollteſt; alsdann will ich kom-
men und das Kind wegnehmen, und du mußt
mir nachſpringen, was du kannſt, und mir es
abjagen, dann werden ſie glauben, du habeſt
ihr Kind errettet, dadurch wirſt du in voͤllige
Gnade kommen und ſie werden dirs an nichts
fehlen laſſen dein Lebelang.“ Das gefiel dem
Hund gut und ward, wie es verabredet war,
ausgefuͤhrt; der Wolf lief ein Stuͤck Wegs,
und als ihn der Hund eingeholt hatte, ließ er
das Kind fallen, und der Hund trug es ſeinem
Herrn zuruͤck. Da rief der Bauer uͤberlaut:
„weil der alte Sultan unſer liebes Kind dem
Wolf wieder abgejagt hat, ſoll er leben bleiben
und das Gnadenbrod haben. Frau, geh heim
und koch ihm einen Weckbrei, den kann er gut
hinunterſchlucken, und mein Kopfkiſſen ſoll er
zu ſeinem Bett haben, ſo lang er lebt.“ Alſo
hatte es der Hund auf einmal ſo gut, daß er
ſichs nicht beſſer wuͤnſchen konnte. Der Wolf
kam zu ihm und freute ſich, daß es ſo wohl
gelungen war; „du wirſt nun auch nichts da-
gegen haben, und mir behuͤlflich ſeyn, wenn ich
deinem Herrn ein fett Schaf wegholen kann.“
Der Sultan aber war ſeinem Herrn treu und
ſagte ihm, was der Wolf im Schilde fuͤhre, da
[219] paßt' ihm dieſer in der Scheuer auf, und als
er kam und ſich einen guten Biſſen holen woll-
te, kaͤmmte er ihm tuͤchtig die Haare. Der
Wolf war daruͤber gewaltig aufgebracht, ſchalt
den alten Sultan einen ſchlechten Kerl und for-
derte ihn heraus, die Sache auszumachen.
Sie beſtellten ſich vor den Wald, und je-
der ſollte einen Secundanten mit ſich bringen.
Der Wolf war zuerſt auf dem Platz und hatte
das wilde Schwein zu ſeinem Beiſtand mitge-
nommen, der Hund hatte niemand als eine
lahme Katze bekommen koͤnnen, und ging end-
lich mit der ab. Wie ſie aber der Wolf und
das wilde Schwein von weitem kommen, und
die Katze beſtaͤndig huͤpfen ſahen, glaubten ſie
die Katze hoͤb jedesmal einen Stein auf, da
wurde ihnen beiden Angſt, und das wilde
Schwein verkroch ſich in das Laub, der Wolf
aber ſprang auf einen Baum. Der Gegenpart
kam heran, und beide wunderten ſich, daß nie-
mand da war. Das wilde Schwein aber in dem
Laub zwickte mit den Ohren; wie die Katze ſich
etwas regen ſah, ſprang ſie drauf zu, biß und
kratzte; da hob ſich das Schwein mit Geſchrei
in die Hoͤhe, lief fort und rief noch zuruͤck:
„dort oben auf dem Baum, da ſitzt der Schuld-
ner.“ Da kam es an den Tag, daß der Wolf
ſich verkrochen hatte, und wollte er herunter,
mußte er ſich zum Frieden bequemen.
[220]
49.
Die ſechs Schwaͤne.
Ein Koͤnig jagte in einem großen Wald,
verirrte ſich und konnte keinen Ausgang finden,
da kam er endlich zu einer Hexe, die bat er,
ſie moͤgte ihn wieder heraus leiten. Die Hexe
aber antwortete, das geſchaͤhe nimmermehr, er
muͤſſe darin bleiben und ſein Leben verlieren,
und nur das eine koͤnne ihn erretten, daß er
ihre Tochter heirathe. Dem Koͤnig war ſein
Leben lieb, und in der Angſt ſagte er ja; die
Hexe brachte ihm das Maͤdchen, es war jung
und ſchoͤn, er konnte es aber nicht ohne Grau-
ſen und ohne eine heimliche Furcht anſehen;
doch wollte er, was er verſprochen hatte, hal-
ten. Die Alte fuͤhrte dann beide auf den rech-
ten Weg, und daheim ward die Hexentochter
ſeine Gemahlin. Der Koͤnig aber hatte noch
ſieben Kinder von ſeiner erſten Frau, ſechs
Buben und ein Maͤdchen, und weil er fuͤrch-
tete, es koͤnne ihnen von der Stiefmutter ein
Leids angethan werden, brachte er ſie in ein
Schloß, das er mitten in einem Walde ſtehen
hatte. Es ſtand ſo verborgen, daß niemand den
Weg dahin wußte, und er ſelber haͤtte ihn
nicht gefunden, wenn ihm nicht eine weiſe Frau
einen Knauel von Garn gegeben, wenn er den
[221] vor ſich warf, wickelte er ſich auf und zeigte
ihm den Weg. Weil aber der Koͤnig ſeine Kin-
der gar lieb hatte, ging er oft hinaus, da ward
die Koͤnigin neugierig, und wollte wiſſen, was
der Koͤnig ſo viel allein in dem Wald zu thun
habe; ſie forſchte die Diener aus, und dieſe ver-
riethen ihr das ganze Geheimniß. Das erſte
war nun, daß ſie ſich mit Liſt den Knauel ver-
ſchaffte, dann nahm ſie ſieben kleine Hemdchen,
und ging hinaus in den Wald. Der Knauel
zeigte ihr den Weg, und als die ſechs kleinen
Prinzen ſie von weitem kommen ſahen, freuten
ſie ſich, meinten ihr Vater kaͤm und liefen her-
aus auf ſie zu. Da warf ſie uͤber jeden ein
Hemdchen, und kaum hatte es ihren Leib be-
ruͤhrt, da waren ſie in Schwaͤne verwandelt,
hoben ſich auf in die Luft und flogen davon
Sie meinte nun ſie haͤtte alle Stiefkinder weg-
geſchafft, und ging wieder heim, und ſo war
das Maͤdchen, das in ſeiner Kammer geblieben
war, errettet. Am andern Tag kam der Koͤnig
in das Waldſchloß, da erzaͤhlte es ihm, was ge-
ſchehen war, und zeigte ihm noch die Schwa-
nenfedern, die von ihren ſechs Bruͤdern auf
den Hof gefallen waren. Der Koͤnig erſchrack,
gedachte aber nimmermehr, daß die Koͤnigin die
boͤſe That vollbracht, und weil er beſorgte, die
Prinzeſſin moͤge ihm auch geraubt werden,
wollte er ſie mit ſich nach Haus nehmen. Sie
[222] fuͤrchtete ſich aber vor ihrer Stiefmutter und
bat ihn, er moͤgte ſie nur noch die Nacht in
dem Schloß laſſen; in der Nacht aber entfloh
ſie, und gerade zu in den Wald hinein.
Als ſie auch den ganzen Tag bis zum
Abend fortgegangen war, kam ſie zu einer Wild-
huͤtte. Sie ſtieg hinauf und fand eine Stube
mit ſechs kleinen Betten; weil ſie nun muͤde
war, legte ſie ſich unter eins und wollte da die
Nacht zubringen. Bei Sonnenuntergang aber
kamen ſechs Schwaͤne durch das Fenſter herein-
geflogen, ſetzten ſich auf den Boden und blieſen
einander an, und blieſen ſich alle Federn ab,
wie ein Tuch ſich abſtreift, und da waren es
ihre ſechs Bruͤder. Sie kroch unter dem Bett
hervor, und die Bruͤder waren beides erfreut
und betruͤbt, ſie zu ſehen: „du kannſt hier nicht
bleiben, ſagten ſie, das iſt eine Raͤuberherberg,
wenn die Raͤuber von ihrem Zuge heimkom-
men, dann wohnen ſie hier. Alle Abend koͤn-
nen wir uns aber eine Viertelſtunde lang die
Schwanenhaut gaͤnzlich abblaſen, und auf ſo
lange unſere menſchliche Geſtalt haben, hernach
aber iſt es wieder vorbei. Wenn du uns erloͤſen
willſt, mußt du in ſechs Jahren ſechs Hemd-
lein aus Sternblumen zuſammennaͤhen, waͤh-
rend der Zeit aber darfſt du nicht ſprechen und
nicht lachen, ſonſt iſt alle Arbeit verloren.“
Und als die Bruͤder das geſprochen hatten, war
[223] die Viertelſtunde herum, und ſie waren wieder
in Schwaͤne verwandelt.
Am andern Morgen aber ſammelte ſich das
Maͤdchen Sternblumen, ſetzte ſich dann auf einen
hohen Baum und fing an zu naͤhen: es redete
auch kein Wort und lachte nicht, ſondern ſahe
nur auf ſeine Arbeit. Auf eine Zeit jagte der
Koͤnig, dem das Land gehoͤrte in dem Wald,
und ſeine Jaͤger kamen zu dem Baum, auf
welchem es ſaß. Sie riefen ihm zu, es ſollte
herabſteigen, weil es ihnen nun nicht antwor-
ten durfte, wollte es ſie mit Geſchenken befrie-
digen, und warf ihnen ſeine goldene Halskette
herab. Sie riefen aber noch immer, da warf
es ſeinen Guͤrtel, als auch dies nichts half ſei-
ne Strumpfbaͤnder endlich, alles, was es ent-
behren konnte, herunter, ſo daß es nichts mehr
als ſein Hemdlein anbehielt. Den Jaͤgern war
aber das alles nicht genug, ſie ſtiegen auf den
Baum, hoben es herab und brachten es mir
Gewalt zum Koͤnig. Der Koͤnig war verwun-
dert uͤber ſeine Schoͤnheit, wickelte es in ſeinen
Mantel, ſetzte es vor ſich aufs Pferd, und
fuͤhrte es nach Haus, und ob es gleich ſtumm
war, liebte er es doch von Herzen, und es
ward ſeine Gemahlin. Des Koͤnigs Mutter
aber war boͤſe daruͤber, ſprach ſchlecht von ihr:
niemand wiſſe, woher die Dirne gekommen,
und ſie ſey des Koͤnigs unwerth. Als ſie nun
[224] den erſten Prinzen zur Welt brachte, nahm die
Schwiegermutter ihn weg, beſtrich ihr den
Mund mit Blut und gab dann bei dem Koͤnig
vor, die Koͤnigin habe ihr eigen Kind gefreſſen,
und ſey eine Zauberin. Der Koͤnig aber, aus
großer Liebe, wollte es nicht glauben; darnach
als ſie den zweiten Prinzen gebar, uͤbte die
gottloſe Schwiegermutter denſelben Betrug,
und klagte ſie wieder beim Koͤnig an, und weil
ſie nicht reden durfte, ſondern immer ſtumm
ſaß und an den ſechs Hemdern arbeitete, ſo
konnte ſie nichts mehr erretten, und ſie ward
zum Feuer verdammt. Der Tag kam heran,
wo das Urtheil ſollte vollzogen werden, es war
gerade der letzte Tag von den ſechs Jahren, und
ſie war mit den ſechs Hemdern fertig geworden,
nur an einem fehlte der linke Ermel. Wie ſie
nun zum Scheiterhaufen gefuͤhrt wurde, nahm
ſie die ſechs Hemder mit ſich, und wie ſie oben
ſtand und eben das Feuer ſollte angeſteckt wer-
den, ſah ſie ſechs Schwaͤne durch die Luft da-
her ziehen, und uͤber ihr ſich herabſenken. Da
warf ſie die Hemdlein hinauf, die fielen uͤber
die Schwaͤne hin, und kaum waren ſie davon
beruͤhrt, ſo fiel ihre Schwanenhaut ab, und die
ſechs Bruͤder ſtanden leibhaftig vor ihr, nur
dem ſechſten fehlte der linke Arm, und er hatte
dafuͤr einen Schwanenfluͤgel auf dem Ruͤcken.
Da war ihr auch die Sprache wiedergegeben,
und
[225] und ſie erzaͤhlte, wie die Schwiegermutter ſie
ſo boshaft verlaͤumdet, dafuͤr ward dieſe auf
den Scheiterhaufen gebracht und verbrannt, ſie
aber lebte lange mit dem Koͤnig und ihren ſechs
Bruͤdern in Freuden.
50.
Dornroͤschen.
Ein Koͤnig und eine Koͤnigin kriegten gar
keine Kinder, und haͤtten ſo gern eins gehabt.
Einmal ſaß die Koͤnigin im Bade, da kroch ein
Krebs aus dem Waſſer ans Land und ſprach:
„dein Wunſch wird bald erfuͤllt werden und du
wirſt eine Tochter zur Welt bringen.“ Das
traf auch ein, und der Koͤnig war ſo erfreut
uͤber die Geburt der Prinzeſſin, daß er ein
großes Feſt anſtellen ließ, und dazu lud er auch
die Feen ein, die im Lande waren, weil er nur
zwoͤlf goldene Teller hatte, konnte er eine nicht
einladen: es waren ihrer nemlich dreizehen. Die
Feen kamen zu dem Feſt, und beſchenkten das
Kind am Ende deſſelben: die eine mit Tugend,
die zweite mit Schoͤnheit und ſo die andern
mit allem, was nur auf der Welt herrlich und
zu wuͤnſchen war, wie aber eben die elfte ihr
Geſchenk geſagt hatte, trat die dreizehnte her-
ein, recht zornig, daß ſie nicht war eingeladen
worden und rief: „weil ihr mich nicht gebeten,
Kindermärchen. P
[226] ſo ſage ich euch, daß eure Tochter in ihrem
funfzehnten Jahre an einer Spindel ſich ſtechen
und todt hinfallen wird.“ Die Eltern erſchra-
cken, aber die zwoͤlfte Fee hatte noch einen
Wunſch zu thun, da ſprach ſie: „es ſoll aber
kein Tod ſeyn, ſie ſoll nur hundert Jahr in ei-
nen tiefen Schlaf fallen.“
Der Koͤnig hoffte immer noch ſein liebes
Kind zu erretten, und ließ den Befehl ausge-
hen, daß alle Spindeln im ganzen Koͤnigreich
ſollten abgeſchafft werden. Die Prinzeſſin aber
wuchs heran, und war ein Wunder von Schoͤn-
heit. Eines Tags, als ſie ihr funfzehntes Jahr
eben erreicht hatte, war der Koͤnig und die Koͤ-
nigin ausgegangen, und ſie ganz allein im
Schloß, da ging ſie aller Orten herum nach
ihrer Luft, endlich kam ſie auch an einen alten
Thurm. Eine enge Treppe fuͤhrte dazu, und
da ſie neugierig war, ſtieg ſie hinauf und ge-
langte zu einer kleinen Thuͤre, darin ſteckte ein
gelber Schluͤſſel, den drehte ſie um, da ſprang
die Thuͤre auf und ſie war in einem kleinen
Stuͤbchen, darin ſaß eine alte Frau und ſpann
ihren Flachs. Die alte Frau gefiel ihr wohl,
und ſie machte Scherz mit ihr und ſagte, ſie
wollte auch einmal ſpinnen, und nahm ihr die
Spindel aus der Hand. Kaum aber hatte ſie
die Spindel angeruͤhrt, ſo ſtach ſie ſich damit,
und alsbald fiel ſie nieder in einen tiefen Schlaf.
[227] In dem Augenblick kam der Koͤnig mit dem
ganzen Hofſtaat zuruͤck, und da fing alles an
einzuſchlafen, die Pferde in den Staͤllen, die
Tauben auf dem Dach, die Hunde im Hof, die
Fliegen an den Waͤnden, ja das Feuer, das
auf dem Heerde flackerte, ward ſtill und ſchlief
ein, und der Braten hoͤrte auf zu brutzeln, und
der Koch ließ den Kuͤchenjungen los, den er an
den Haaren ziehen wollte, und die Magd ließ
das Huhn fallen, das ſie rupfte und ſchlief,
und um das ganze Schloß zog ſich eine Dorn-
hecke hoch und immer hoͤher, ſo daß man gar
nichts mehr davon ſah.
Prinzen, die von dem ſchoͤnen Dornroͤs-
chen gehoͤrt hatten, kamen und wollten es be-
freien, aber ſie konnten durch die Hecke nicht
hindurch dringen, es war als hielten ſich die
Dornen feſt wie an Haͤnden zuſammen, und ſie
blieben darin haͤngen und kamen jaͤmmerlich
um. So waͤhrte das lange, lange Jahre: da
zog einmal ein Koͤnigsſohn durch das Land,
dem erzaͤhlte ein alter Mann davon, man glau-
be, daß hinter der Dornhecke ein Schloß ſtehe,
und eine wunderſchoͤne Prinzeſſin ſchlafe darin
mit ihrem ganzen Hofſtaat; ſein Großvater
habe ihm geſagt, daß ſonſt viele Prinzen ge-
kommen waͤren und haͤtten hindurchdringen wol-
len, ſie waͤren aber in den Dornen haͤngen ge-
blieben und todtgeſtochen worden. „Das ſoll
P 2
[228] mich nicht ſchrecken, ſagte der Koͤnigsſohn, ich
will durch die Hecke dringen und das ſchoͤne
Dornroͤschen befreien;“ da ging er fort, und
wie er zu der Dornhecke kam, waren es lauter
Blumen, die thaten ſich von einander, und er
ging hindurch, und hinter ihm wurden es wie-
der Dornen. Da kam er ins Schloß, und in
dem Hof lagen die Pferde und ſchliefen, und
die bunten Jagdhunde, und auf dem Dach ſa-
ßen die Tauben und hatten ihre Koͤpfchen in
den Fluͤgel geſteckt, und wie er hineinkam, ſchlie-
fen die Fliegen an den Waͤnden, und das Feuer
in der Kuͤche, der Koch und die Magd, da ging
er weiter, da lag der ganze Hofſtaat und ſchlief,
und noch weiter, der Koͤnig und die Koͤnigin;
und es war ſo ſtill, daß einer ſeinen Athem
hoͤrte, da kam er endlich in den alten Thurm,
da lag Dornroͤschen und ſchlief. Da war der
Koͤnigsſohn ſo erſtaunt uͤber ihre Schoͤnheit,
daß er ſich buͤckte und ſie kuͤßte, und in dem
Augenblick wachte ſie auf, und der Koͤnig und
die Koͤnigin, und der ganze Hofſtaat, und die
Pferde und die Hunde, und die Tauben auf
dem Dach, und die Fliegen an den Waͤnden,
und das Feuer ſtand auf und flackerte und koch-
te das Eſſen fertig, und der Braten brutzelte
fort, und der Koch gab dem Kuͤchenjungen ei-
ne Ohrfeige, und die Magd rupfte das Huhn
fertig. Da ward die Hochzeit von dem Koͤnigs-
[229] ſohn mit Dornroͤschen gefeiert, und ſie lebten
vergnuͤgt bis an ihr Ende.
51.
Vom Fundevogel.
Es war einmal ein Foͤrſter, der ging in
den Wald auf die Jagd, und wie er in den
Wald kam hoͤrte er ſchreien, als obs ein klei-
nes Kind waͤre, und ging dem Schreien nach,
ſo ſah er endlich einen hohen Baum und oben
darauf ſaß ein kleines Kind, unter dem Baum
aber lag eine Frau, die ſchlief. Und als die
Frau unter dem Baum eingeſchlafen war, hat-
te ein Raubvogel das Kind in ihrem Schooß
geſehen, flog hinzu, nahm es mit ſeinem Schna-
bel weg, und ſetzte es auf den hohen Baum.
Der Foͤrſter aber ſtieg hinauf, holte das
Kind herunter und dachte: „du willſt das Kind
mit nach Haus nehmen, und mit deinem Lehn-
chen zuſammen aufziehen;“ brachte es heim,
und die zwei Kinder wuchſen ſo mit einander
auf, das aber, das auf dem Baum gefunden
worden war, und weil es ein Vogel weggetra-
gen hatte, wurde Fundevogel geheißen.
Fundevogel und Lehnchen hatten ſich ſo lieb,
nein ſo lieb, daß wenn eins das andere nicht
ſah, wurde es traurig.
Der Foͤrſter hatte aber eine alte Koͤchin,
[230] die nahm eines Abends zwei Eimer und fing
an Waſſer zu ſchleppen und ging nicht einmal,
ſondern vielemal hinaus an den Brunnen und
Lehnchen ſah es: „hoͤr einmal, alte Sanne,
was traͤgſt du denn ſo viel Waſſer zu?“ —
wenn dus keinen Menſchen wieder ſagen willſt,
ſo will ich dirs wohl ſagen. Da ſagte Lehn-
chen, nein, ſie wollte es keinem Menſchen wie-
der ſagen, ſo ſprach die Koͤchin: „morgen fruͤh,
wenn der Foͤrſter auf die Jagd iſt, da koche ich
das Waſſer, und wenns in dem Keſſel ſiedet,
werf ich den Fundevogel 'nein, und will ihn
darin kochen.“
Und des andern Morgens in aller Fruͤhe
ſtieg der Foͤrſter auf und ging auf die Jagd,
und als er weg war, lagen die Kinder noch im
Bett, da ſprach Lehnchen zum Fundevogel:
verlaͤßt du mich nicht, ſo verlaß ich dich auch
nicht!“ ſo ſprach der Fundevogel: nun und
nimmermehr. Da ſprach Lehnchen: „ich will
es dir nur ſagen, die Sanne ſchleppte geſtern
Abends ſo viel Eimer Waſſer ins Haus, ſo
fragte ich ſie, warum ſie das thaͤte, ſo ſagte
ſie: wenn ichs keinem Menſchen ſagen wollte,
ſo wollte ſie es mir wohl ſagen; ſo ſprach ich:
ich wollte es gewiß keinem Menſchen ſagen, da
ſagte ſie, morgen fruͤh, wenn der Vater auf die
Jagd waͤre, wollte ſie den Keſſel voll Waſſer
ſieden, und dich hineinwerfen und kochen. Wir
[231] wollen aber geſchwind aufſteigen, uns anziehen
und zuſammen fortgehen.
Alſo ſtanden die beiden Kinder auf, zogen
ſich geſchwind an und gingen fort. Wie nun
das Waſſer im Keſſel kochte, ging die Koͤ-
chin in die Schlafkammer und wollte Funde-
vogel holen, um ihn hinein zu werfen. Al-
lein, als ſie hinein kam, und zu den Betten
trat, waren die Kinder alle beide fort, ſo
wurde ihr grauſam Angſt und ſprach vor ſich:
„was will ich nun ſagen, wenn der Foͤrſter
heim kommt und ſieht, daß die Kinder weg
ſind. Geſchwind hintennach, daß wir ſie wie-
der kriegen!“
Da ſchickte die Koͤchin drei Knechte nach,
die ſollten laufen und die Kinder einlangen.
Die Kinder aber ſaßen vor dem Wald, und
als ſie die drei Knechte von weitem laufen ſa-
hen, ſprach Lehnchen zum Fundevogel: „ver-
laͤßt du mich nicht, ſo verlaß ich dich auch
nicht!“ So ſprach Fundevogel: „nun und
nimmermehr!“ Da ſagte Lehnchen: „werde
du zum Roſenſtoͤckchen und ich zum Roͤschen
drauf!“ Wie nun die drei Knechte vor den
Wald kamen, ſo war nichts da, als ein Roſen-
ſtrauch und ein Roͤschen oben drauf, die Kin-
der aber nirgends, da ſprachen ſie: hier iſt
nichts zu machen und gingen heim, und ſagten
vor die Koͤchin, ſie haͤtten nichts in der Welt
[232] geſehen, als nur ein Roſenſtoͤckchen, mit einem
Roͤschen oben drauf. Da ſchalt die alte Koͤ-
chin: „ihr Einfaltspinſel, ihr haͤttet das Ro-
ſenſtoͤckchen ſollen entzwei ſchneiden, und das
Roͤschen abbrechen und mit nach Haus brin-
gen, geſchwind und thuts!“ Sie mußten alſo
zum zweitenmal hinaus und ſuchen. Die Kin-
der ſahen ſie aber von weiten kommen, da
ſprach Lehnchen: „Fundevogel, verlaͤßt du mich
nicht, verlaß ich dich auch nicht!“ Fundevogel
ſagte: „nun und nimmermehr.“ — So werde
du eine Kirche, und ich die Krone darin!“
Wie nun die drei Knechte dahin kamen, war
nichts da, als eine Kirche und eine Krone dar-
in. Sie ſprachen alſo zu einander: was ſollen
wir hier machen, laßt uns nach Hauſe gehen!
Wie ſie nach Haus kamen, fragte die Koͤchin,
ob ſie nichts gefunden, ſo ſagten ſie nein, ſie
haͤtten nichts gefunden, wie eine Kirche, da waͤ-
re eine Krone darin geweſen. „Ihr Narren,
ſchalt die Koͤchin, warum habt ihr nicht die
Kirche zerbrochen und die Krone mit heim ge-
bracht?“ Nun machte ſich die alte Koͤchin ſelbſt
auf die Beine, und ging mit den drei Knech-
ten den Kindern nach. Die Kinder ſahen aber
die drei Knechte von weitem kommen und die
Koͤchin wackelte hinten nach. Da ſprach Lehn-
chen: „Fundevogel, verlaͤßt du mich nicht, ſo
verlaß ich dich auch nicht.“ Da ſprach der
[233] Fundevogel: „nun und nimmermehr.“ So
ſprach Lehnchen: „werde du zum Teich und ich
die Ente drauf!“ Die Koͤchin aber kam herzu
und als ſie den Teich ſahe, legte ſie ſich druͤber
hin und wollte ihn ausſaufen. Aber die Ente
kam ſchnell geſchwommen, faßte ſie mit ihrem
Schnabel beim Kopf und zog ſie ins Waſſer
hinein, da mußte die alte Hexe ertrinken. Da
gingen die Kinder zuſammen nach Haus, und
waren herzlich froh, und wenn ſie nicht geſtor-
ben ſind, leben ſie noch.
52.
Koͤnig Droßelbart.
Ein Koͤnig hatte eine Tochter, die war
wunderſchoͤn, aber ſo ſtolz und uͤbermuͤthig, daß
ſie aus Eigenſinn einen Freier nach dem andern
abwies und Spott mit ihnen trieb. Der Koͤnig
ließ einmal ein großes Feſt anſtellen, und lud da-
zu alle heirathsluſtigen Maͤnner ein, die wurden
in eine Reihe, nach ihrem Rang und Stand
geordnet, erſt kamen die Koͤnige, dann die Her-
zogen, Fuͤrſten, Grafen und Barone, zuletzt
die Edelleute, da wurde die Koͤnigstochter durch
die Reihen gefuͤhrt, aber an jedem hatte ſie im-
mer etwas auszuſetzen. Beſonders machte ſie ſich
uͤber einen guten Koͤnig luſtig, der ganz oben
an ſtand und dem das Kinn krumm gewachſen
[234] war, da ſagte ſie: „ei, der hat ein Kinn, wie
die Droßel einen Schnabel,“ und ſeit der Zeit
bekam er den Namen Droßelbart. Als nun
der alte Koͤnig ſahe, daß ſeine Tochter nichts
that, als uͤber die Leute ſpotten, erzuͤrnte er
ſo, daß er ſchwur, ſie ſollte den erſten beſten
Bettler nehmen, der vor die Thuͤr kaͤme.
Eines Tages fing ein Spielmann an zu
ſingen unter ihrem Fenſter, den hieß der Koͤ-
nig gleich hereinkommen, und ſo ſchmutzig er
war, mußte ſie ihn fuͤr ihren Braͤutigam aner-
kennen, ein Pfarrer wurde alsbald gerufen und
die Trauung ging vor ſich. Wie die Trauung
vollzogen war, ſprach der Koͤnig zu ſeiner Toch-
ter: „es ſchickt ſich nun nicht weiter, daß du
hier im Schloß bleibeſt, du kannſt nur mit dei-
nem Mann fortziehen.“
Da zog der Bettelmann mit der Koͤnigs-
tochter fort, unterwegs kamen ſie durch einen
großen Wald, und ſie fragte den Bettelmann:
Darauf kamen ſie durch eine Wieſe:
Endlich kamen ſie durch eine Stadt:
der Spielmann wurde ganz muͤrriſch, daß ſie
ſich immer einen andern Mann wuͤnſchte und
ſich gar nichts aus ihm machte; endlich ſo ka-
men ſie an ein kleines Haͤuschen:
der Bettelmann ſagte: „das Haus iſt unſer
Haus, wo wir wohnen, mach nur gleich Feuer
an und ſtell Waſſer auf, daß du mir mein Eſ-
ſen kochſt, ich bin ganz muͤd.“ Die Koͤnigs-
tochter aber verſtand nichts vom Kochen, und
der Mann mußte ihr nur mit helfen, ſo ging
es noch ſo leidlich, und wie ſie gegeſſen hat-
ten, legten ſie ſich ins Bett ſchlafen. Des
Morgens aber mußte ſie ganz fruͤh aufſtehen
und arbeiten, und ſo wars ein paar Tage ſchlecht
genug, bis der Mann endlich ſagte: „Frau, ſo
[236] gehts nicht laͤnger, daß wir hier zehren und
nichts verdienen, du ſollſt Koͤrbe flechten.“ Da
ging er aus und ſchnitt Weiden, ſie aber muß-
te anfangen Koͤrbe zu flechten, die harten Wei-
den ſtachen ihr aber die Haͤnde wund. „Ich
ſehe du kannſt das nicht, ſagte der Mann, ſo
ſpinn lieber, das wird wohl beſſer gehen.“ Da
ſaß ſie und ſpann, aber ihre Finger waren ſo
zart, daß der harte Faden ihr bald tief hinein-
ſchnitt und das Blut daran herunterlief. „Du
taugſt zu keiner Arbeit recht, ſagte der Mann
verdrießlich, ich will einen Topfhandel anfan-
gen, und du ſollſt auf dem Markt die Waare
feilhalten und verkaufen.“ Das erſtemal gings
gut, die Leute kauften der ſchoͤnen Frau gern
Toͤpfe ab und bezahlten, was ſie forderte, ja
viele bezahlten und ließen ihr die Toͤpfe noch
dazu. Wie nun alles verkauft war, handelte
der Mann eine Menge neu Geſchirr ein, und
ſie ſaß wieder damit auf dem Markt, und hoff-
te guten Gewinn, da kam ein betrunkener Hu-
ſar daher geritten, mitten in die Toͤpfe hinein,
ſo daß ſie in tauſend Scherben ſprangen. Da
fuͤrchtete ſich die Frau, und getraute ſich den
ganzen Tag nicht heimzugehen, und als ſie nun
endlich nach Haus ging, war der Bettelmann
auf und davon.
So lebte ſie einige Zeit ganz armſelig und
in großer Duͤrftigkeit, da kam ein Mann und
[237] lud ſie zu einer Hochzeit. Sie wollte ſich aller-
lei von dem Ueberfluß mitbringen und eine zeit-
lang davon leben, ſie that alſo ihr Maͤntelchen
um, und nahm einen Topf darunter und ſteckte
eine große lederne Taſche an. Auf der Hoch-
zeit aber war alles praͤchtig und vollauf, ihren
Topf fuͤllte ſie mit Suppe und ihre Taſche mit
Brocken. Sie wollte nun damit fortgehen,
aber einer von den Gaͤſten verlangte, ſie ſolle
mit ihm tanzen, ſie ſtraͤubte ſich aus allen Kraͤf-
ten, das half aber nichts, er faßte ſie an und
ſie mußte mit fort. Da fiel nun gleich der
Topf, daß die Suppe auf die Erde floß, und
die vielen Brocken ſprangen aus der Taſche.
Als das die Gaͤſte ſahen, entſtand ein allgemei-
nes Gelaͤchter und Spotten; ſie war ſo be-
ſchaͤmt, daß ſie ſich lieber tauſend Klafter un-
ter die Erde gewuͤnſcht haͤtte, und ſprang zur
Thuͤre und wollte entfliehen. Auf der Treppe
aber holte ſie ein Mann ein, und fuͤhrte ſie
zuruͤck, und wie ſie ihn anſah, da war das der
Koͤnig Droßelbart, der ſprach: „ich und der
Bettelmann ſind eins, und ich bin auch der
Huſar geweſen, der dir die Toͤpfe entzwei ge-
ritten hat; und das alles iſt nur dir zur Beſ-
ſerung und zur Strafe geſchehen, weil du mich
ehedem verſpottet haſt, jetzt aber ſoll erſt unſe-
re Hochzeit gefeiert werden.“ Da kam auch
ihr Vater und der ganze Hof, und ſie ward
[238] praͤchtig geputzt nach ihrem Stand, und das
Feſt war ihre Vermaͤhlung mit dem Koͤnig
Droßelbart.
53.
Sneewittchen (Schneeweißchen).
Es war einmal mitten im Winter, und die
Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel,
da ſaß eine ſchoͤne Koͤnigin an einem Fenſter,
das hatte einen Rahmen von ſchwarzem Eben-
holz, und naͤhte. Und wie ſie ſo naͤhte und
nach dem Schnee aufblickte, ſtach ſie ſich mit
der Nadel in den Finger, und es fielen drei
Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das
Rothe in dem Weißen ſo ſchoͤn ausſah, ſo dach-
te ſie: haͤtt ich doch ein Kind ſo weiß wie
Schnee, ſo roth wie Blut und ſo ſchwarz wie
dieſer Rahmen. Und bald darauf bekam ſie
ein Toͤchterlein, ſo weiß wie der Schnee, ſo
roth wie das Blut, und ſo ſchwarz wie Eben-
holz, und darum ward es das Sneewittchen ge-
nannt.
Die Koͤnigin war die ſchoͤnſte im ganzen
Land, und gar ſtolz auf ihre Schoͤnheit. Sie
hatte auch einen Spiegel, vor den trat ſie alle
Morgen und fragte:
da ſprach das Spieglein allzeit:
[239]
Und da wußte ſie gewiß, daß niemand ſchoͤner
auf der Welt war. Sneewittchen aber wuchs
heran, und als es ſieben Jahr alt war, war es
ſo ſchoͤn, daß es ſelbſt die Koͤnigin an Schoͤn-
heit uͤbertraf, und als dieſe ihren Spiegel
fragte:
ſagte der Spiegel:
Wie die Koͤnigin den Spiegel ſo ſprechen hoͤr-
te, ward ſie blaß vor Neid, und von Stund
an haßte ſie das Sneewittchen, und wenn ſie
es anſah, und gedacht, daß durch ſeine Schuld
ſie nicht mehr die ſchoͤnſte auf der Welt ſey,
kehrte ſich ihr das Herz herum. Da ließ ihr
der Neid keine Ruhe, und ſie rief einen Jaͤger
und ſagte zu ihm: „fuͤhr das Sneewittchen
hinaus in den Wald an einen weiten abgelege-
nen Ort, da ſtichs todt, und zum Wahrzeichen
bring mir ſeine Lunge und ſeine Leber mit, die
will ich mit Salz kochen und eſſen.“ Der Jaͤ-
ger nahm das Sneewittchen und fuͤhrte es hin-
[240] aus, wie er aber den Hirſchfaͤnger gezogen hat-
te und eben zuſtechen wollte, da fing es an zu
weinen, und bat ſo ſehr, er moͤgt ihm ſein Le-
ben laſſen, es wollt nimmermehr zuruͤckkom-
men, ſondern in dem Wald fortlaufen. Den
Jaͤger erbarmte es, weil es ſo ſchoͤn war und
gedachte: die wilden Thiere werden es doch
bald gefreſſen haben, ich bin froh, daß ich es
nicht zu toͤdten brauche, und weil gerade ein
junger Friſchling gelaufen kam, ſtach er den
nieder, nahm Lunge und Leber heraus und
bracht ſie als Wahrzeichen der Koͤnigin mit,
die kochte ſie mit Salz und aß ſie auf, und
meinte ſie haͤtte Sneewittchens Lunge und Le-
ber gegeſſen.
Sneewittchen aber war in dem großen
Wald mutterſeelig allein, ſo daß ihm recht
Angſt ward und fing an zu laufen und zu lau-
fen uͤber die ſpitzen Steine, und durch die Dor-
nen den ganzen Tag: endlich, als die Sonne
untergehen wollte, kam es zu einem kleinen
Haͤuschen. Das Haͤuschen gehoͤrte ſieben Zwer-
gen, die waren aber nicht zu Haus, ſondern
in das Bergwerk gegangen. Sneewittchen
ging hinein und fand alles klein, aber niedlich
und reinlich: da ſtand ein Tiſchlein mit ſieben
kleinen Tellern, dabei ſieben Loͤfflein, ſieben
Meſſerlein und Gaͤblein, ſieben Becherlein, und
an der Wand ſtanden ſieben Bettlein neben ein-
ander
[241] ander friſch gedeckt. Sneewittchen war hungrig
und durſtig, aß von jedem Tellerlein ein wenig
Gemuͤs und Brod, trank aus jedem Glaͤschen
einen Tropfen Wein, und weil es ſo muͤd war,
wollte es ſich ſchlafen legen. Da probirte es
die ſieben Bettlein nach einander, keins war
ihm aber recht, bis auf das ſiebente, in das legte
es ſich und ſchlief ein.
Wie es Nacht war, kamen die ſieben Zwer-
ge von ihrer Arbeit heim, und ſteckten ihre ſie-
ben Lichtlein an, da ſahen ſie, daß jemand in
ihrem Haus geweſen war. Der erſte ſprach:
„wer hat auf meinem Stuͤhlchen geſeſſen?“
Der zweite: „wer hat von meinem Tellerchen
gegeſſen?“ Der dritte: „wer hat von meinem
Broͤdchen genommen?“ Der vierte: „wer hat
von meinem Gemuͤschen gegeſſen?“ Der fuͤnf-
te: „wer hat mit meinem Gaͤbelchen geſtochen?“
Der ſechſte: „wer hat mit meinem Meſſerchen
geſchnitten?“ Der ſiebente: „wer hat aus
meinem Becherlein getrunken?“ Darnach ſah
der erſte ſich um und ſagte: „wer hat in mein
Bettchen getreten?“ Der zweite: „ei, in mei-
nem hat auch jemand gelegen?“ und ſo alle
weiter bis zum ſiebenten, wie der nach ſeinem
Bettchen ſah, da fand er das Sneewittchen
darin liegen und ſchlafen. Da kamen die Zwer-
ge alle gelaufen, und ſchrieen vor Verwunde-
rung, und holten ihre ſieben Lichtlein herbei,
Kindermärchen. Q
[242] und betrachteten das Sneewittchen, „ei du
mein Gott! ei du mein Gott! riefen ſie, was
iſt das ſchoͤn!“ Sie hatten große Freude an
ihm, weckten es auch nicht auf, und ließen es
in dem Bettlein liegen; der ſiebente Zwerg aber
ſchlief bei ſeinen Geſellen, bei jedem eine Stun-
de, da war die Nacht herum. Als nun Snee-
wittchen aufwachte, fragten ſie es, wer es ſey
und wie es in ihr Haus gekommen waͤre, da
erzaͤhlte es ihnen, wie ſeine Mutter es habe
wollen umbringen, der Jaͤger ihm aber das Le-
ben geſchenkt, und wie es den ganzen Tag ge-
laufen, und endlich zu ihrem Haͤuslein gekom-
men ſey. Da hatten die Zwerge Mitleiden und
ſagten: „wenn du unſern Haushalt verſehen,
und kochen, naͤhen, betten, waſchen und ſtricken
willſt, auch alles ordentlich und reinlich halten,
ſollſt du bei uns bleiben und ſoll dir an nichts
fehlen; Abends kommen wir nach Haus, da
muß das Eſſen fertig ſeyn, am Tage aber ſind
wir im Bergwerk und graben Gold, da biſt du
allein; huͤt dich nur vor der Koͤnigin und laß
niemand herein.“
Die Koͤnigin aber glaubte, ſie ſey wieder
die allerſchoͤnſte im Land, trat Morgens vor den
Spiegel und fragte:
da antwortete der Spiegel aber wieder:
[243]
„Frau Koͤnigin, Ihr ſeyd die ſchoͤnſte hier:
aber Sneewittchen, uͤber den ſieben Bergen iſt
noch tauſendmal ſchoͤner als Ihr!“
wie die Koͤnigin das hoͤrte erſchrack ſie und ſah
wohl, daß ſie betrogen worden und der Jaͤger
Sneewittchen nicht getoͤdtet hatte. Weil aber
niemand, als die ſieben Zwerglein in den ſieben
Bergen war, da wußte ſie gleich, daß es ſich
zu dieſen gerettet hatte, und nun ſann ſie von
neuem nach, wie ſie es umbringen koͤnnte, denn
ſo lang der Spiegel nicht ſagte, ſie waͤr die
ſchoͤnſte Frau im ganzen Land, hatte ſie keine
Ruh. Da war ihr alles nicht ſicher und ge-
wiß genug, und ſie verkleidete ſich ſelber in ei-
ne alte Kraͤmerin, faͤrbte ihr Geſicht, daß ſie
auch kein Menſch erkannte, und ging hinaus
vor das Zwergenhaus. Sie klopfte an die Thuͤr
und rief: „macht auf, macht auf, ich bin die
alte Kraͤmerin, die gute Waare feil hat.“
Sneewittchen guckte aus dem Fenſter: „was
habt ihr denn?“ — „Schnuͤrriemen, liebes
Kind, ſagte die Alte, und holte einen hervor,
der war von gelber, rother und blauer Seide
geflochten: „willſt du den haben?“ — Ei ja,
ſprach Sneewittchen, und dachte die gute alte
Frau kann ich wohl hereinlaſſen, die meints
redlich; riegelte alſo die Thuͤre auf und handel-
te ſich den Schnuͤrriemen. „Aber wie biſt du
ſo ſchlampiſch geſchnuͤrt, ſagte die Alte, komm
Q 2
[244] ich will dich einmal beſſer ſchnuͤren.“ Sneewitt-
chen ſtellte ſich vor ſie, da nahm ſie den Schnuͤr-
riemen und ſchnuͤrte und ſchnuͤrte es ſo feſt,
daß ihm der Athem verging, und es fuͤr todt
hinfiel. Darnach war ſie zufrieden und ging fort.
Bald darauf ward es Nacht, da kamen
die ſieben Zwerge nach Haus, die erſchracken
recht, als ſie ihr liebes Sneewittchen auf der
Erde liegen fanden, als waͤr es todt. Sie ho-
ben es in die Hoͤhe, da ſahen ſie, daß es ſo
feſt geſchnuͤrt war, ſchnitten den Schnuͤrriemen
entzwei, da athmete es erſt, und dann ward es
wieder lebendig. „Das iſt niemand geweſen,
als die Koͤnigin, ſprachen ſie, die hat dir das
Leben nehmen wollen, huͤte dich und laß keinen
Menſchen mehr herein.
Die Koͤnigin aber fragte ihren Spiegel:
der Spiegel antwortete:
Sie erſchrack, daß das Blut ihr all zum Her-
zen lief, da ſie ſah, daß Sneewittchen wieder
lebendig geworden war. Darnach ſann ſie den
ganzen Tag und die Nacht, wie ſie es doch
noch fangen wollte, und machte einen giftigen
[245] Kamm, verkleidete ſich in eine ganz andere Ge-
ſtalt, und ging wieder hinaus. Sie klopfte an
die Thuͤr, Sneewittchen aber rief: „ich darf
niemand hereinlaſſen;“ da zog ſie den Kamm
hervor, und als Sneewittchen den blinken ſah
und es auch jemand ganz fremdes war, ſo machte
es doch auf, und kaufte ihr den Kamm ab. „Komm
ich will dich auch kaͤmmen,“ ſagte die Kraͤme-
rin, kaum aber ſtack der Kamm dem Snee-
wittchen in den Haaren, da fiel es nieder und
war todt. „Nun wirſt du liegen bleiben,“
ſagte die Koͤnigin, und ihr Herz war ihr leicht
geworden, und ſie ging heim. Die Zwerge aber
kamen zu rechter Zeit, ſahen was geſchehen,
und zogen den giftigen Kamm aus den Haa-
ren, da ſchlug Sneewittchen die Augen auf,
und war wieder lebendig, und verſprach den
Zwergen, es wollte gewiß niemand mehr ein-
laſſen.
Die Koͤnigin aber ſtellte ſich vor ihren
Spiegel:
der Spiegel antwortete:
Wie das die Koͤnigin wieder hoͤrte, zitterte und
[246] bebte ſie vor Zorn: „ſo ſoll das Sneewittchen
noch ſterben, und wenn es mein Leben koſtet!“
Dann ging ſie in ihre heimlichſte Stube, und
niemand durfte vor ſie kommen, und da mach-
te ſie einen giftigen, giftigen Apfel, aͤußerlich
war er ſchoͤn und rothbaͤckig, und jeder der ihn
ſah, bekam Luſt dazu. Darauf verkleidete ſie
ſich als Bauersfrau, ging vor das Zwerghaus
und klopfte an. Sneewittchen guckte und ſag-
te: „ich darf keinen Menſchen einlaſſen, die
Zwerge haben mirs bei Leibe verboten.“ „Nun,
wenn Ihr nicht wollt, ſagte die Baͤuerin, kann
ich euch nicht zwingen, meine Aepfel will ich
ſchon los werden, da, einen will ich euch zur
Probe ſchenken.“ — „Nein, ich darf auch
nichts geſchenkt nehmen, die Zwerge wollens
nicht haben.“ — „Ihr moͤgt Euch wohl fuͤrch-
ten, da will ich den Apfel entzwei ſchneiden
und die Haͤlfte eſſen, da den ſchoͤnen rothen
Backen ſollt Ihr haben;“ der Apfel war aber
ſo kuͤnſtlich gemacht, daß nur die rothe Haͤlfte
vergiftet war. Da ſah Sneewittchen, daß die
Baͤuerin ſelber davon aß, und ſein Geluͤſten
darnach ward immer groͤßer, da ließ es ſich end-
lich die andere Haͤlfte durchs Fenſter reichen,
und biß hinein, kaum aber hatte es einen Biſ-
ſen im Mund, ſo viel es todt zur Erde.
Die Koͤnigin aber freute ſich, ging nach Haus
und fragte den Spiegel:
[247]
da antworte er:
„Nun hab ich Ruhe“ ſprach ſie, da ich wieder
die ſchoͤnſte im Lande bin, und Sneewittchen
wird diesmal wohl todt bleiben.“
Die Zwerglein kamen Abends aus den Berg-
werken nach Haus, da lag das liebe Sneewitt-
chen auf dem Boden und war todt. Sie ſchnuͤr-
ten es auf und ſahen, ob ſie nichts giftiges in
ſeinen Haaren faͤnden, es half aber alles nichts,
ſie konnten es nicht wieder lebendig machen. Sie
legten es auf eine Bahre, ſetzten ſich alle ſieben
daran, weinten und weinten drei Tage lang,
dann wollten ſie es begraben, da ſahen ſie aber
daß es noch friſch und gar nicht wie ein Todter
ausſah, und daß es auch ſeine ſchoͤnen rothen
Backen noch hatte. Da ließen ſie einen Sarg
von Glas machen, legten es hinein, daß man
es recht ſehen konnte, ſchrieben auch mit golde-
nen Buchſtaben ſeinen Namen darauf und ſei-
ne Abſtammung, und einer blieb jeden Tag zu
Haus und bewachte es.
So lag Sneewittchen lange, lange Zeit
in dem Sarg und verweſte nicht, war noch ſo
weiß als Schnee, und ſo roth als Blut, und
[248] wenns die Aeuglein haͤtte koͤnnen aufthun, waͤ-
ren ſie ſo ſchwarz geweſen wie Ebenholz, denn
es lag da, als wenn es ſchlief. Einmal kam
ein junger Prinz zu dem Zwergenhaus und
wollte darin uͤbernachten, und wie er in die
Stube kam und Sneewittchen in dem Glas-
ſarg liegen ſah, auf das die ſieben Lichtlein ſo
recht ihren Schein warfen, konnt er ſich nicht
ſatt an ſeiner Schoͤnheit ſehen, und las die
goldene Inſchrift und ſah, daß es eine Koͤnigs-
tochter war. Da bat er die Zwerglein, ſie ſoll-
ten ihm den Sarg mit dem todten Sneewitt-
chen verkaufen, die wollten aber um alles Gold
nicht; da bat er ſie, ſie moͤgten es ihm ſchen-
ken, er koͤnne nicht leben ohne es zu ſehen, und
er wolle es ſo hoch halten und ehren, wie ſein
Liebſtes auf der Welt. Da waren die Zwerg-
lein mitleidig und gaben ihm den Sarg, der
Prinz aber ließ ihn in ſein Schloß tragen, und
ließ ihn in ſeine Stube ſetzen, er ſelber ſaß den
ganzen Tag dabei, und konnte die Augen nicht
abwenden; und wenn er aus mußte gehen und
konnte Sneewittchen nicht ſehen, ward er
traurig, und er konnte auch keinen Biſſen eſſen,
wenn der Sarg nicht neben ihm ſtand. Die
Diener aber, die beſtaͤndig den Sarg herum-
tragen mußten, waren boͤs daruͤber, und einer
machte einmal den Sarg auf, hob Sneewitt-
chen in die Hoͤh und ſagte: um ſo eines tod-
[249] ten Maͤdchens willen, werden wir den ganzen
Tag geplagt,“ und gab ihm mit der Hand ei-
nen Stumpf in den Ruͤcken. Da fuhr ihm
der garſtige Apfelgruͤtz, den es abgebiſſen hatte,
aus dem Hals, und da war Sneewittchen wie-
der lebendig. Da ging es hin zu dem Prin-
zen, der wußte gar nicht, was er vor Freuden
thun ſollte, als ſein liebes Sneewittchen le-
bendig war, und ſie ſetzten ſich zuſammen an
die Tafel und aßen in Freuden.
Auf den andern Tag ward die Hochzeit
beſtellt, und Sneewittchens gottloſe Mutter,
auch eingeladen. Wie ſie nun am Morgen vor
dem Spiegel trat und ſprach:
da antwortete er:
Als ſie das hoͤrte, erſchrack ſie, und es war ihr
ſo Angſt, ſo Angſt, daß ſie es nicht ſagen
konnte. Doch trieb ſie der Neid, daß ſie auf
der Hochzeit die junge Koͤnigin ſehen wollte,
und wie ſie ankam, ſah ſie, daß es Sneewitt-
chen war; da waren eiſerne Pantoffeln im Feuer
gluͤhend gemacht, die mußte ſie anziehen und
darin tanzen, und ihre Fuͤße wurden jaͤmmer-
[250] lich verbrannt, und ſie durfte nicht aufhoͤren bis
ſie ſich zu todt getanzt hatte.
54.
Hans Dumm.
Es war ein Koͤnig, der lebte mit ſeiner
Tochter, die ſein einziges Kind war, vergnuͤgt:
auf einmal aber brachte die Prinzeſſin ein Kind
zur Welt, und niemand wußte, wer der Vater
war; der Koͤnig wußte lang nicht, was er an-
fangen ſollte, am Ende befahl er, die Prinzeſ-
ſin ſolle mit dem Kind in die Kirche gehen, da
ſollte ihm eine Citrone in die Hand gegeben
werden, und wem es die reiche, ſolle der Va-
ter des Kinds und Gemahl der Prinzeſſin ſeyn.
Das geſchah nun, doch war der Befehl gege-
ben, daß niemand als ſchoͤne Leute in die Kir-
che ſollten eingelaſſen werden. Es war aber in
der Stadt ein kleiner, ſchiefer und buckelichter
Burſch, der nicht recht klug war, und darum
der Hans Dumm hieß, der draͤngte ſich unge-
ſehen zwiſchen den andern auch in die Kirche,
und wie das Kind die Citrone austheilen ſoll-
te, ſo reichte es ſie dem Hans Dumm. Die
Prinzeſſin war erſchrocken, der Koͤnig war ſo
aufgebracht, daß er ſie und das Kind mit dem
Hans Dumm in eine Tonne ſtecken und aufs
Meer ſetzen ließ. Die Tonne ſchwamm bald
[251] fort, und wie ſie allein auf dem Meere waren,
klagte die Prinzeſſin und ſagte: „du garſtiger,
buckelichter, naſeweiſer Bub, biſt an meinem
Ungluͤck Schuld, was haſt du dich in die Kir-
che gedraͤngt, das Kind ging dich nichts an.“
— „O ja, ſagte Hans Dumm, das ging mich
wohl etwas an, denn ich habe es einmal ge-
wuͤnſcht, daß du ein Kind bekaͤmſt, und was
ich wuͤnſche, das trifft ein.“ — „Wenn das
wahr iſt, ſo wuͤnſch uns doch, was zu eſſen
hierher.“ — „Das kann ich auch, ſagte Hans
Dumm, wuͤnſchte ſich aber eine Schuͤſſel recht
voll Kartoffel, die Prinzeſſin haͤtte gern etwas
Beſſeres gehabt, aber weil ſie ſo hungrig war,
half ſie ihm die Kartoffel eſſen. Nachdem ſie
ſatt waren, ſagte Hans Dumm: „nun will
ich uns ein ſchoͤnes Schiff wuͤnſchen!“ und
kaum hatte er das geſagt, ſo ſaßen ſie in ei-
nem praͤchtigen Schiff, darin war alles zum Ue-
berfluß, was man nur verlangen konnte. Der
Steuermann fuhr grad ans Land, und als ſie
ausſtiegen, ſagte Hans Dumm: „nun ſoll ein
Schloß dort ſtehen!“ Da ſtand ein praͤchtiges
Schloß und Diener in Goldkleidern kamen und
fuͤhrten die Prinzeſſin und das Kind hinein,
und als ſie mitten in dem Saal waren, ſagte
Hans Dumm: „nun wuͤnſch ich, daß ich ein
junger und kluger Prinz werde!“ Da verlor
ſich ſein Buckel, und er war ſchoͤn und gerad
[252] und freundlich, und er gefiel der Prinzeſſin gut
und ward ihr Gemahl.
So lebten ſie lange Zeit vergnuͤgt; da ritt
einmal der alte Koͤnig aus, verirrte ſich, und
kam zu dem Schloß. Er verwunderte ſich dar-
uͤber, weil er es noch nie geſehen und kehrte
ein. Die Prinzeſſin erkannte gleich ihren Va-
ter, er aber erkannte ſie nicht, er dachte auch,
ſie ſey ſchon laͤngſt im Meer ertrunken. Sie be-
wirthete ihn praͤchtig, und als er wieder nach
Haus wollte, ſteckte ſie ihm heimlich einen
goldenen Becher in die Taſche. Nachdem er
aber fortgeritten war, ſchickte ſie ein paar Reu-
ter nach, die mußten ihn anhalten und unter-
ſuchen, ob er den goldenen Becher nicht geſtoh-
len, und wie ſie ihn in ſeiner Taſche fanden,
brachten ſie ihn mit zuruͤck. Er ſchwur der
Prinzeſſin, er habe ihn nicht geſtohlen, und
wiſſe nicht, wie er in ſeine Taſche gekommen
ſey, „darum, ſagte ſie, muß man ſich huͤten,
jemand gleich fuͤr ſchuldig zu halten,“ und gab
ſich als ſeine Tochter zu erkennen. Da freute
ſich der Koͤnig und ſie lebten vergnuͤgt zuſam-
men, und nach ſeinem Tod, ward Hans Dumm
Koͤnig.
[253]
55.
Rumpelſtilzchen.
Es war einmal ein Muͤller, der war arm,
aber er hatte eine ſchoͤne Tochter. Und es traf
ſich, daß er mit dem Koͤnig zu ſprechen kam
und ihm ſagte: „ich habe eine Tochter, die weiß
die Kunſt, Stroh in Gold zu verwandeln.“
Da ließ der Koͤnig die Muͤllerstochter alſogleich
kommen, und befahl ihr, eine ganze Kammer
voll Stroh in einer Nacht in Gold zu ver-
wandeln, und koͤnne ſie es nicht, ſo muͤſſe ſie
ſterben. Sie wurde in die Kammer eingeſperrt,
ſaß da und weinte, denn ſie wußte um ihr Le-
ben keinen Rath, wie das Stroh zu Gold
werden ſollte. Da trat auf einmal ein klein
Maͤnnlein zu ihr, das ſprach: „was giebſt du
mir, daß ich alles zu Gold mache?“ Sie that
ihr Halsband ab und gabs dem Maͤnnlein, und
es that, wie es verſprochen hatte. Am andern
Morgen fand der Koͤnig die ganze Kammer
voll Gold; aber ſein Herz wurde dadurch nur
noch begieriger, und er ließ die Muͤllerstochter
in eine andere, noch groͤßere Kammer voll Stroh
thun, das ſollte ſie auch zu Gold machen. Und
das Maͤnnlein kam wieder, ſie gab ihm ihren
Ring von der Hand, und alles wurde wieder
zu Gold. Der Koͤnig aber hieß ſie die dritte
[254] Nacht wieder in eine dritte Kammer ſperren,
die war noch groͤßer als die beiden erſten und
ganz voll Stroh, „und wenn dir das auch ge-
lingt, ſollſt du meine Gemahlin werden.“ Da
kam das Maͤnnlein und ſagte: „ich will es
noch einmal thun, aber du mußt mir das erſte
Kind verſprechen, das du mit dem Koͤnig be-
kommſt.“ Sie verſprach es in der Noth, und
wie nun der Koͤnig auch dieſes Stroh in Gold
verwandelt ſah, nahm er die ſchoͤne Muͤllers-
tochter zu ſeiner Gemahlin.
Bald darauf kam die Koͤnigin ins Wochen-
bett, da trat das Maͤnnlein vor die Koͤnigin
und forderte das verſprochene Kind. Die Koͤ-
nigin aber bat, was ſie konnte und bot dem
Maͤnnchen alle Reichthuͤmer an, wenn es ihr
ihr Kind laſſen wollte, allein alles war verge-
bens. Endlich ſagte es: „in drei Tagen komm
ich wieder und hole das Kind, wenn du aber
dann meinen Namen weißt, ſo ſollſt du das
Kind behalten!“
Da ſann die Koͤnigin den erſten und zwei-
ten Tag, was doch das Maͤnnchen fuͤr einen
Namen haͤtte, konnte ſich aber nicht beſinnen,
und ward ganz betruͤbt. Am dritten Tag aber
kam der Koͤnig von der Jagd heim und erzaͤhl-
te ihr: ich bin vorgeſtern auf der Jagd gewe-
ſen, und als ich tief in den dunkelen Wald
kam, war da ein kleines Haus und vor dem
[255] Haus war ein gar zu laͤcherliches Maͤnnchen,
das ſprang als auf einem Bein davor herum,
und ſchrie:
Wie die Koͤnigin das hoͤrte, ward ſie ganz froh
und als das gefaͤhrliche Maͤnnlein kam, frug
er: Frau Koͤnigin, wie heiß ich? — „heißeſt
du Conrad?“ — Nein. — „Heißeſt du Hein-
rich?“ — Nein.
Heißt du etwa Rumpelſtilzchen?
Das hat dir der Teufel geſagt! ſchrie das
Maͤnnchen, lief zornig fort und kam nimmer-
mehr wieder.
56.
Der Liebſte Roland.
Es war einmal eine Mutter, die hatte nur
ihre rechte Tochter lieb und haßte ihre Stief-
tochter, die doch tauſendmal ſchoͤner und beſſer
war. Einmal hatte dieſe eine ſchoͤne Schuͤrze,
daruͤber war die andere neidiſch und verlangte
von der Mutter, ſie ſolle ihr dieſe Schuͤrze
verſchaffen. Die Mutter ſagte: „ſey ſtill, mein
liebes Kind, du ſollſt ſie haben, deine Stief-
[256] ſchweſter hat doch ſchon lange den Tod ver-
dient, heut Nacht leg dich hinten ins Bett und
ſchieb ſie recht vorne hin, dann will ich kom-
men, wenn ſie ſchlaͤft, und will ihr den Kopf
abhauen.“ Die Stiefſchweſter aber hatte in
einer Ecke geſtanden und alles mit angehoͤrt,
da ließ ſie die boͤſe Schweſter erſt zu Bett ge-
hen, daß ſie hinten hin kam, wie ſie aber ein-
geſchlafen war, hub ſie ſie auf und legte ſie
vorne hin, ſich aber ganz hinten. Da kam die
Mutter in der Nacht geſchlichen, fuͤhlte erſt ob
vorne jemand lag und ſchlief, dann faßte ſie
die Axt mit beiden Haͤnden und hieb und hieb
ihrem eigenen Kind den Kopf ab.
Wie ſie fortgegangen war, ſtand das Maͤd-
chen auf und ging zu ſeinem Liebſten Roland,
klopfte an und rief: „hoͤr, wir muͤſſen fort, die
Stiefmutter hat ihr eigen Kind todtgeſchlagen,
und meint ſie haͤtte mich getroffen, kommt der
Tag und ſie ſieht, was ſie gethan, ſo bin ich
verloren; da hab ich ihren Zauberſtab genom-
men, damit koͤnnen wir uns ſchon helfen.“
Der Liebſte Roland ſtand auf, und ſie nahmen
erſt den todten Kopf und troͤpfelten drei Bluts-
tropfen, einen vors Bett, einen in die Kuͤche
und einen auf die Treppe; darauf gingen ſie
fort. Am Morgen, als die Mutter aufgeſtan-
den war, rief ſie ihrer Tochter: „komm, du
ſollſt jetzt die Schuͤrze haben, die Tochter kam
aber
[257] aber nicht. „Wo biſt du?“ — „Ei! hier auf
der Treppe, die kehr ich,“ ſprach der eine
Blutstropfen. Da ging ſie hinaus; auf der
Treppe war niemand: „wo biſt du denn?“ —
„Ei! hier in der Kuͤche, beim Feuer, da waͤrm
ich mich!“ rief der zweite Blutstropfen; ſie
ging in die Kuͤche, aber ſie ſah niemand: „wo
biſt du denn aber?“ — „Ach! hier am Bett,
da ſchlaf ich!“ ſie lief in die Kammer ans
Bett, da ſah ſie ihr eigen Kind in ſeinem Blu-
te ſchwimmen. Da erſchrack ſie und merkte,
daß ſie betrogen war, und ward zornig, weil
ſie aber eine Hexe war, konnte ſie weit in die
Welt hineinſehen, und ſah ihre Stieftochter
mit ihren Liebſten forteilen, und ſie waren ſchon
weit weg. Alsbald zog ſie ihre Meilenſtiefeln
an, und ging ihnen nach, hatte ſie auch bald
eingeholt; das Maͤdchen aber hatte durch den
Zauberſtab gewußt, daß ſie verfolgt wuͤrden,
und ſich in einen See, ihren Liebſten Roland
aber in eine Ente verwandelt, die ſchwamm
darauf. Als nun die Stiefmutter herzu kam,
ſetzte ſie ſich an das Ufer und ſuchte die Ente
mit Brod zu locken, aber es war alle Muͤhe ver-
geblich, am Abend mußte ſie unverrichteter Sa-
che heimgehen. Die zwei nahmen ihre menſch-
liche Geſtalt wieder an, und gingen weiter, wie
aber der Tag anbrach wurden ſie wieder von
der Hexe verfolgt. Da verwandelte ſich das
Kindermärchen. R
[258] Maͤdchen in eine ſchoͤne Blume, die mitten in
einer Dornhecke ſtand, ihren Liebſten Roland
aber in einen Geigenſpieler. Wie die Alte an-
kam, fragte ſie den Spielmann, ob ſie ſich die
Blume abbrechen duͤrfe, „o ja, antwortete der,
nur will ich dazu aufſpielen.“ Da kroch ſie in
die Hecke und ſuchte zu der Blume zu reichen;
wie ſie aber mitten darin war, fing er an zu
ſpielen, und da mußte ſie darnach tanzen und
tanzen ohne Aufhoͤren, daß ihr die Dornen die
Kleider vom Leibe riſſen und ſie blutig ſtachen,
ſo lang, bis ſie todt hinfiel.
Da waren beide frei. Roland aber ſprach
zu dem Maͤdchen: „nun will ich heim gehen
zu meinem Vater, und die Hochzeit beſtellen.“ —
„Da will ich mich indeſſen in einen rothen Feld-
ſtein verwandeln, und hier bleiben und warten,
bis du wieder kommſt.“ Da ſtand es als ein
rother Stein und wartete lang auf ſeinen Lieb-
ſten, aber der kam nicht wieder und hatte ſie
vergeſſen, und als er gar nicht kommen wollte,
ward es ganz traurig und verwandelte ſich in
eine Blume, und dachte, es wird mich ja bald
jemand umtreten. Ein Schaͤfer aber fand die
Blume, und weil ſie ſo ſchoͤn war, nahm er
ſie mit ſich, und legte ſie daheim in ſeinen Ka-
ſten. Von nun an aber ging es wunderlich
bei dem Schaͤfer zu: wenn er des Morgens
aufwachte, ſo war alles im Haus gethan, ge-
[259] kehrt, geputzt, Feuer angemacht, und kam er
Mittags nach Haus, war das Eſſen gekocht,
der Tiſch gedeckt und aufgetragen; er konnte
aber nicht begreifen, wie das zuging, ſah auch
niemals einen Menſchen in ſeinem Haus. Und
ob es ihm gleich wohl gefiel, ſo ward ihm doch
zuletzt Angſt dabei, und er fragte eine weiſe
Frau daruͤber, die ſagte, das ſey Zauberei, er
ſolle einmal Morgens fruͤh Acht geben, ob ſich
etwas in der Stube bewege, und wenn er et-
was ſehe ein weißes Tuch daruͤber werfen.
Das that er, und am andern Morgen ſah er,
wie ſich der Kaſten aufthat und die Blume her-
auskam, er ſprang herzu und warf ein Tuch
daruͤber, da war die Verwandlung vorbei, und
das ſchoͤne Maͤdchen, das ſein Liebſter Roland
vergeſſen hat, ſtand vor ihm. Der Schaͤfer
wollte es heirathen, es ſagte aber nein, es
wolle ihm nur dienen und haushalten. Bald
darauf hoͤrte es, daß Roland Hochzeit halten
und eine andere heirathen wolle; dabei mußte
jeder im Land nach einem alten Gebrauch, ſin-
gen. Da kam das treue Maͤdchen auch hin, und
wollte immer nicht ſingen, bis zu allerletzt, da
mußte es; wie es aber anfing, da erkannte es
Roland gleich, ſprang auf und ſagte: das ſey
ſeine rechte Braut, er wolle keine andere und
vermaͤhlte ſich mir ihr; da war ſein Leid zu
End und ſeine Freude ging an.
[260]
57.
Vom goldnen Vogel.
Ein gewiſſer Koͤnig hatte einen Luſtgarten,
in dem Garten ſtund ein Baum und der Baum
trug goldne Aepfel. Wie ſie nun zeitig gewor-
den waren, fehlte gleich nach der erſten Nacht
ein Apfel, ſo daß der Koͤnig zornig war, und
ſeinen Gaͤrtner befahl, alle Naͤchte unter dem
Baum Wacht zu halten. Der Gaͤrtner hieß
ſeinen aͤlteſten Sohn wachen, aber um zwoͤlf
Uhr Mitternachts ſchlief er ein, und am an-
dern Morgen fehlte ſchon wieder ein Apfel.
Da ließ der Gaͤrtner ſeinen zweiten Sohn in
der folgenden Nacht wachen, aber um zwoͤlf
Uhr Mitternacht da ſchlief er auch ein, und
des Morgens fehlte noch ein Apfel. Da woll-
te nun der dritte Sohn wachen, und der Gaͤrt-
ner war es erſt nicht zufrieden, endlich gab ers
doch zu, und der dritte Sohn legte ſich unter
den Baum, und wachte und wachte, und als
es zwoͤlf ſchlug, da rauſchte es ſo durch die
Luft, und ein Vogel kam geflogen, der war
ganz von purem Gold, und wie er gerade mit
ſeinem Schnabel nach einem Apfel picken woll-
te, da war der Sohn des Gaͤrtners her, und
ſchoß eilends einen Pfeil auf ihn ab. Der
Pfeil aber that dem Vogel nichts, als daß er
[261] ihm eine goldne Feder ausſchoß, worauf er
ſchnell fortflog. Die goldne Feder wurde nun
des andern Morgens hin zum Koͤnig gebracht,
der alsbald ſeinen Rath verſammelte. Jeder-
mann erklaͤrte aber einmuͤthig, daß dieſe Feder
allein mehr werth waͤre, als das geſammte Koͤ-
nigreich. So ſprach der Koͤnig: „nun hilft
mir die eine Feder zu nichts, ſondern ich will
und muß den ganzen Vogel haben.“
Da machte ſich der aͤlteſte Sohn auf, und
gedachte den goldenen Vogel ſchon zu finden.
Und wie er eine Strecke gegangen war, kam er
an einen Wald; vor dem Wald ſaß ein Fuchs,
gleich nahm er ſeine Flinte und zielte auf ihn.
Da hub der Fuchs an: „ſchieß mich nicht, ſo
will ich dir guten Rath geben, ich weiß ſchon,
wo du hin willſt, du denkſt den goldenen Vo-
gel zu ſuchen, wenn du nun heut Abend in
ein Dorf kommſt, wirſt du zwei Wirthshaͤuſer
ſtehen ſehen, gegeneinander uͤber, im einem
gehts hell und luſtig her, geh aber nicht in
das hinein, ſondern ins andere, wenn es dich
ſchon ſchlecht anſieht!“ Der Sohn aber dach-
te: was kann mir ein Thier ordentliches ra-
then, nahm die Flinte und druͤckte ab, aber er
fehlte den Fuchs, der nahm den Schwanz auf
den Ruͤcken und lief ſchnell zum Wald hinein.
Der aͤlteſte Sohn ſetzte ſeine Reiſe fort, und
Abends kam er in das Dorf, wo die beiden
[[262]] Wirthshaͤuſer ſtanden, in dem einen wurde ge-
ſungen und geſprungen, das andere hatte ein
armſeliges, betruͤbtes Anſehen. „Ei, ich waͤr
wohl ein rechter Narr, daß ich in das lumpige
Wirthshaus ginge und das ſchoͤne liegen ließe!“
ging damit in das luſtige zur Thuͤre hinein,
lebte vollauf in Saus und Braus und vergaß
den Vogel und ſeine Heimath.
Die Zeit verſtrich, und wie der aͤlteſte Sohn
immer und immer nicht nach Haus kam, ſo
machte ſich der zweite auf, und alles begegnete
ihm gerade eben ſo, mit dem Fuchs und dem
guten Rath, aber wie er vor die zwei Wirths-
haͤuſer kam, ſtand ſein aͤlteſter Bruder im Fen-
ſter deſſen, wo der Jubel war, und rief ihn
hinein, ſo daß er nicht widerſtehen konnte und
es da guter Dinge ſeyn ließ.
Die Zeit verſtrich, da wollte der juͤngſte
Sohn auch in die Welt gehen, allein der Va-
ter wollte es lange nicht zulaſſen, denn er hat-
te ihn gar lieb und furchte ſich, es moͤchte ihm
auch ein Ungluͤck zuſtoßen, daß er auch nicht
wiederkaͤme. Doch endlich, wie keine Ruh mehr
war, ließ er ihn ziehen, und vor dem Wald be-
gegnete ihm auch wieder der Fuchs, und gab
ihm den guten Rath. Er war aber gutmuͤthig,
und ſchenkte ihm das Leben, da ſagte der Fuchs:
ſteig hinten auf meinen Schwanz, ſo gehts
ſchneller. Und wie er ſich darauf geſetzt hatte,
[263] fing der Fuchs an zu laufen, da gings uͤber
Stock und Stein, daß die Haare im Winde
pfiffen.
Und als ſie vor dem Dorf waren, ſtieg der
Sohn ab, folgte dem Rath und trat, ohne ſich
umzuſehen, in dem armen Wirthshaus ab, wo
er ruhig uͤbernachtete. Am andern Morgen
ſtand der Fuchs wieder auf dem Weg und ſag-
te: „gerade fort, endlich wirſt du an ein Schloß
kommen, vor dem ein ganz Regiment Solda-
ten liegt, die werden alle ſchlafen und ſchnar-
chen, kuͤmmere dich aber nicht darum, ſondern
tritt ins Schloß hinein, ſo wirſt du zuletzt in-
wendig in eine Stube kommen. In der Stu-
be wird der goldne Vogel in einem hoͤlzernen
Kaͤfig hangen, nebenan ſteht noch ein anderer
praͤchtiger Goldkaͤfig zum Staat, thu ihn aber
nicht etwa aus dem ſchlechten Kaͤfig heraus,
um ihn in den guten zu ſetzen, ſonſt moͤchte es
ſchlimm gehen.“ Nach dieſen Worten ſtreckte
der Fuchs wieder ſeinen Schwanz aus und der
Sohn ſetzte ſich drauf, da gings uͤber Stock
und Stein, daß die Haare im Wind pfiffen.
Vor dem Schloß traf nun alles ſo ein, er
trat in das Zimmer, da hing der goldne Vogel
im hoͤlzernen Kaͤfig, daneben ſtand ein goldener,
und die drei goldne Aepfel lagen in der Stube
herum. Da dachte er: das waͤre ja laͤcherlich,
wenn ich den ſchoͤnen Vogel in dem garſtigen
[264] Kaͤfig laſſen ſollte, machte die Thuͤre auf, pack-
te ihn und that ihn in den goldenen Kaͤfig.
Indem hub der Vogel ſo moͤrderlich an zu
ſchreien, daß die ganzen Soldaten davon er-
wachten, die nahmen ihn gefangen und fuͤhrten
ihn vor den Koͤnig. Den andern Morgen wur-
de ein Gericht gehalten, wo er alles bekennt,
und zum Tode verurtheilt wird, doch unter der
einen Bedingung ſoll ihm das Leben geſchenkt
ſeyn, wenn er dem Koͤnig das goldne Pferd
bringe, das ſchnell wie der Wind laufe, und
dazu ſolle ihm der goldne Vogel obendrein ge-
ſchenkt werden.
Betruͤbt machte er ſich auf den Weg und
ſeufzte; auf einmal ſtand der Fuchs wieder da
und ſagte: „ſiehſt du, ſo iſt es gekommen, weil
du mir nicht gehoͤrt haſt, doch will ich dir noch
einmal rathen, wie du das goldne Pferd be-
kommen kannſt, wenn du mir folgen willſt. Du
mußt gerades Wegs fortgehen, biſt du zu dem
Schloß kommſt, worin das Pferd im Stall
ſteht, vor dem Stall werden die Stallknechte
ſchlafen und ſchnarchen, da kannſt du geruhig
das goldne Pferd herausfuͤhren, allein leg ihm
nur den ſchlechten Sattel von Holz und Leder,
und nicht den goldenen, auf der dabei haͤngt.“
Darauf ſetzt er ſich auf den Fuchsſchwanz und
es ging weg uͤber Stock und Stein, daß die
Haare pfiffen.
[265]
Alles traf ſo ein, die Stallknechte ſchnarch-
ten und hielten goldne Saͤttel in den Haͤnden.
Und als er das goldne Pferd ſah, dauerte es
ihn, den ſchlechten Sattel aufzulegen: es wird
ganz verſchaͤndet, ich will ihm einen guten ge-
ben, wie ſichs gebuͤhrt. Und wie er dem einen
Stallknecht den guten Sattel nehmen wollte,
wachte er auf und die andern miteinander, daß
alles herzulief und er ins Gefaͤngniß geworfen
wurde. Den andern Morgen wurde er wieder
zum Tode verurtheilt, doch ſollte ihm das Le-
ben und dazu der Vogel und das Pferd ge-
ſchenkt ſeyn, wenn er die wunderſchoͤne Prin-
zeſſin herbeiſchaffe.
Traurig machte der Sohn ſich auf; und
bald, ſo ſtand der alte Fuchs da: „warum haſt
du mir nicht gehoͤrt, jetzt haͤtteſt du den Vogel
und das Pferd, doch will ich dir noch einmal
rathen: „geh geradezu, Abends wirſt du beim
Schloß anlangen, und Nachts um zwoͤlf Uhr
badet die Prinzeſſin im Badhaus, da geh hin-
ein und gieb ihr einen Kuß, hernach kannſt du
ſie mit fortnehmen, nur leide nicht, daß ſie vor-
her von ihren Eltern Abſchied nimmt.“ Der
Fuchs ſtreckte ſeinen Schwanz, und ſo ging es
uͤber Stock und Stein, daß die Haare pfiffen.
Als er beim Schloß ankam, war es alles
ſo, und Nachts gab er der Prinzeſſin den Kuß
im Badehaus, und ſie wollte gern mit ihm ge-
[266] hen, bat ihn aber mit vielen Thraͤnen, er ſollte
ihr vorher nur erlauben, von ihrem Vater Ab-
ſchied zu nehmen. Erſt ſchlug ers ab, allein
ſie weinte immer mehr und fiel ihm zu Fuß,
bis daß ers zuließ; kaum aber kam ſie zu ih-
rem Vater, ſo wachte er und jedermann auf,
und er wurde wieder gefangen geſetzt.
Der Koͤnig ſprach: „meine Tochter be-
kommſt du nun einmal nicht, es ſey denn, daß
du mir binnen acht Tagen den Berg ab-
traͤgſt, der mir vor meinem Fenſter die Aus-
ſicht nimmt.“ Dieſer Berg war aber ſo groß,
ſo groß, daß ihn die ganze Welt nicht haͤtte
abtragen koͤnnen. Wie er nun ſieben ganzer
Tage fortarbeitete und doch ſah, wie wenig zu
Stande kam, ſo fiel er in großen Kummer,
aber am Abend des ſiebenten Tages kam der
Fuchs und ſprach: „leg dich nur hin ſchlafen,
ich will die Arbeit fuͤr dich thun.“ Und wie
er des andern Morgens erwachte, war der
Berg fort, und froͤhlich ging er zum Koͤnig und
ſagte ihm, daß nun der Berg abgetragen waͤre,
er ſollte ihm nun die Prinzeſſin geben. Da
mußte es der Koͤnig wohl thun, und die beiden
zogen fort, der Fuchs aber kam und ſagte:
„nun muͤſſen wir ſie alle drei haben, die Prin-
zeſſin, das Pferd und den Vogel.“ — „Ja,
wenn du das machen koͤnnteſt, ſagte der Juͤng-
ling, das ſoll dir aber ſchwer werden.“ —
[267] „Wenn du nur hoͤren willſt, ſoll es ſchon ge-
hen, antwortete der Fuchs. Wenn du nun
zum Koͤnig kommſt, der die wunderſchoͤne Prin-
zeſſin verlangt, ſo ſag ihm: hier waͤre ſie. Dar-
auf wird graͤßliche Freude ſeyn; ſodann ſetz dich
aufs Pferd, das ſie dir geben muͤſſen, und reich
allen zum Abſchied die Hand, der Prinzeſſin
aber zuletzt, und zieh ſie dann mit einem
Schwung hinauf aufs Pferd und gieb die
Sporen.
Dies alles geſchah ſo. Da ſprach der Fuchs
weiter: jetzt, wenn wir vors Schloß kommen,
wo der Vogel iſt, ſo bleibe ich mit der Prin-
zeſſin vor dem Thor ſtehen, und du reiteſt hin-
ein und ſprichſt: ſie ſaͤhen doch nun, daß dies
das rechte Pferd waͤre, ſo werden ſie den Vo-
gel bringen, du aber bleib ſitzen, und ſag du
wollteſt ſehen, ob es auch der rechte Vogel waͤ-
re, und wenn du ihn in der Hand haſt, ſo
jage fort.
Alles ging gut, und wie er den Vogel hat-
te, ſetzte ſich die Prinzeſſin wieder auf, und ſie
ritten weiter bis in einen großen Wald. Da
kam der Fuchs und bat: „er moͤchte ihn doch todt-
ſchießen, und ihm Kopf und Pfoten abhauen.“
Allein der Juͤngling wollte es durchaus nicht
thun. „So will ich dir wenigſtens einen gu-
ten Rath geben: vor zwei Stuͤcken huͤte dich,
kauf kein Galgenfleiſch und ſetz dich an keinen
[268] Brunnenrand!“ — Nun wenns weiter nichts
iſt, dachte jener, das iſt nicht ſchwer.
Nun zog er weiter fort mit der Prinzeſſin,
bis er endlich in das Dorf kam, worin ſeine
Bruͤder geblieben waren. Da war gerade ein
großer Auflauf und Laͤrmen, und als er frag-
te: was da vorwaͤre? hieß es, es ſollten zwei
Leute aufgehaͤngt werden, und als er naͤher
hinzu kam, ſah er, daß es ſeine zwei Bruͤder
waren, die allerhand ſchlimme Streiche veruͤbt
und alles verthan hatten. „Koͤnnen ſie denn
gar nicht mehr vom Tode frei werden?“ —
Nein, es ſey denn, daß ihr euer Geld an die
Lumpenkerls haͤngen und ſie loskaufen wolltet.
Da beſann er ſich nicht lange, und zahlte, was
man verlangte; ſeine Bruͤder wurden freigege-
ben und ſetzten mit ihm die Reiſe fort.
Und als ſie in den Wald kamen, wo ihnen
der Fuchs zuerſt begegnet war, da wars ſo lu-
ſtig und lieblich in dem Wald, da ſprachen die
zwei Bruͤder: „laß uns hier bei dieſem Brun-
nen ein wenig ausruhen, eſſen und trinken!“
und er ſagte: ja. Unter dem Geſpraͤch vergaß
er ſich, und ſetzte ſich an den Brunnenrand,
und waͤhrend er ſich nichts Arges verſah, war-
fen ſie ihn hinterruͤcks in den Brunnen, nah-
men die Prinzeſſin, das Pferd und den Vogel,
zogen heim zum Koͤnig und ſprachen: das ha-
ben wir alles erbeutet und bringen es dir.“
[269] Da war eine Freude; aber das Pferd das fraß
nicht, der Vogel, der pfiff nicht und die Prin-
zeſſin die weinte.
Ihr juͤngſter Bruder lag unten im Brun-
nen, der zum Gluͤck trocken war, und wiewohl
er keins ſeiner Glieder gebrochen hatte, konnte
er doch keinen Weg finden, um heraus zu kom-
men. Indeſſen kam der alte Fuchs noch ein-
mal, ſchalt ihn aus, daß er ihm nicht gehoͤrt,
ſonſt waͤre ihm nichts davon begegnet: „doch
aber kann ichs nicht laſſen und muß dir her-
aushelfen; pack an meinen Schwanz und halte
feſt.“ Darauf kroch der Fuchs und ſchleppte
ihn zum Brunnen heraus. Wie ſie oben wa-
ren, ſagte der Fuchs: „deine Bruͤder haben
Waͤchter geſetzt, die dich toͤdten ſollen, wenn du
uͤber die Grenze kaͤmeſt.“ Da zog er armen
Mannes Kleider an, und kam unbekannt bis
an des Koͤnigs Hof, und kaum war er da, ſo
fraß das Pferd, ſo pfiff der Vogel und die
Prinzeſſin hoͤrte Weinens auf. Da trat er
vor den Koͤnig und offenbarte das Bubenſtuͤck
ſeiner Bruͤder und alles, wie es ſich zugetragen
hatte. Die Bruͤder wurden ergriffen und hin-
gerichtet, und er bekam die Prinzeſſin, und nach
des Koͤnigs Tode das Reich.
Lang danach ging er einmal wieder in den
Wald, da begegnete ihm der alte Fuchs und
bat aufs flehentlichſte, er moͤchte ihn todtſchie-
[270] ßen und ihm Kopf und Pfoten abſchneiden.
Alſo that ers endlich, und kaum war es geſche-
hen, als ſich der Fuchs in einen Menſchen ver-
wandelte, und war der Bruder der Koͤnigin,
der nun endlich erloͤſt worden war.
58.
Vom treuen Gevatter Sperling.
Es war einmal eine Hirſchkuh, die war
mit einem jungen Hirſch ins Kindbett gekom-
men, und bat den Fuchs, Gevatter zu ſtehen.
Der Fuchs aber lud noch den Sperling dazu,
und der Sperling wollte noch den Haushund,
ſeinen beſondern lieben Freund einladen. Der
Hund aber war von ſeinem Herrn ans Seil
gelegt worden, weil er einmal von einer Hoch-
zeit ganz betrunken nach Haus gekommen war.
Der Sperling meinte, das hat nicht viel auf
ſich, pickte und pickte am Seil einen Faden nach
dem andern los, ſo lang, bis der Hund frei
war. Nun gingen ſie zuſammen zum Gevat-
terſchmaus, machten ſich auch recht luſtig, denn
da war alles vollauf; der Hund aber verſahs
und uͤbernahm ſich wieder im Wein; als ſie
aufſtanden, war ihm der Kopf ſo ſchwer, daß
er ſich kaum auf den Beinen erhalten konnte,
doch taumelte er noch ein Stuͤck Wegs nach
Haus fort, endlich aber fiel er hin und blieb
[271] mitten auf der Straße liegen. Eben kam ein
Fuhrmann daher, und wollt' geradezu uͤber ihn
wegfahren. „Fuhrmann thus nicht, rief der
Sperling, es koſtet dein Leben!“ Der Fuhr-
mann aber hoͤrte nicht darauf, knallte mit der
Peitſche, und trieb die Pferde gerade auf den
Hund, daß die Wagenraͤder ihm die Beine zer-
brachen. Fuchs und Sperling ſchleppten den
Gevatter heim, der Herr ſah ihn an und ſprach:
„der iſt ja todt,“ und gab ihn dem Fuhrmann,
der ſollt ihn begraben. Der Fuhrmann dachte,
die Haut iſt zu brauchen, lud ihn auf und fuhr
fort. Der Sperling aber flog nebenher und
rief: „Fuhrmann, es koſtet dir dein Leben!
Fuhrmann, es koſtet dir dein Leben!“ Dann
ſetzte er ſich dem einen Pferde auf den Kopf
und rief: „Fuhrmann, es koſtet dir dein Le-
ben!“ Der Fuhrmann ward boͤs uͤber den klei-
nen Vogel, der ihn zum Narren hatte, griff
nach ſeiner Hacke und holte aus; der Sperling
aber flog in die Hoͤhe, und der Fuhrmann traf
ſein Pferd auf den Kopf, daß es todt hinfiel.
Er mußte es liegen laſſen und mit den zwei an-
dern weiter fahren; da kam der Sperling zu-
ruͤck, ſetzte ſich einem Pferd auf den Kopf und
rief: „Fuhrmann, es koſtet dir dein Leben!“
Der Fuhrmann lief herbei: „jetzt krieg ich
dich!“ ſchlug und traf wieder bloß das Pferd,
daß es todt liegen blieb. Nun war ihm noch
[272] eins uͤbrig. Der Sperling wartete nicht lange, ſetz-
te ſich auf den Kopf desſelben und rief: „Fuhr-
mann, es koſtet dir dein Leben!“ Der Fuhr-
mann aber war ſchon ſo zornig, daß er ſich gar
nicht beſann, ſondern gleich zuſchlug: da waren
nun alle ſeine drei Pferde todtgeſchlagen, und
er mußte den Wagen ſtehen laſſen. Boͤs und
giftig ging er nach Haus, und ſetzte ſich hinter
den Ofen; aber der Sperling war hinter ihm
drein geflogen, ſaß vor dem Fenſter und rief:
„Fuhrmann, es koſtet dir dein Leben!“ Der
Fuhrmann griff nach der Hacke, ſchmiß das
Fenſter ein, aber den Sperling traf er nicht.
Der Vogel huͤpfte nun herein, ſetzte ſich auf
den Ofen und rief: „Fuhrmann, es koſtet dir
dein Leben!“ Dieſer, toll und blind vor Wuth,
ſchlaͤgt den ganzen Ofen ein, und wie der Sper-
ling von einem Ort zum andern fliegt, ſein
ganzes Hausgeraͤth, Spieglein, Stuͤhle, Baͤn-
ke, Tiſch und zuletzt die Waͤnde ſeines Hauſes.
Da packt er endlich den Vogel: „jetzt hab ich
dich!“ nimmt ihn in den Mund und ſchluckt
ihn hinunter. Der Sperling aber im Leibe
des Fuhrmanns, faͤngt an zu flattern, flattert
wieder herauf, dem Fuhrmann in den Mund,
ſtreckt den Kopf heraus und ruft: „Fuhrmann,
es koſtet dir doch dein Leben!“ Da giebt der
Fuhrmann ſeiner Frau die Hacke: „Frau, ſchlag
mir den Vogel im Munde todt.“ Die Frau
ſchlaͤgt
[273] ſchlaͤgt fehl, dem [Mann] auf den Kopf, daß er
gleich todt hinfaͤllt, der Sperling aber fliegt
auf und davon.
59.
Prinz Schwan.
Es war ein Maͤdchen mitten in einem gro-
ßen Wald, da kam ein Schwan auf es zuge-
gangen, der hatte einen Knauel Garn, und
ſprach zu ihm: „ich bin kein Schwan, ſondern
ein verzauberter Prinz, aber du kannſt mich er-
loͤſen, wenn du den Knauel Garn abwickelſt,
an dem ich fortfliege; doch huͤte dich, daß du
den Faden nicht entzwei brichſt, ſonſt komm' ich
nicht bis in mein Koͤnigreich, und werde nicht
erloͤſt; wickelſt du aber den Knauel ganz ab,
dann biſt du meine Braut.“ Das Maͤdchen
nahm den Knauel, und der Schwan ſtieg auf
in die Luft, und das Garn wickelte ſich leicht-
lich ab. Es wickelte und wickelte den ganzen
Tag, und am Abend war ſchon das Ende des
Fadens zu ſehen, da blieb er ungluͤcklicherweiſe
an einem Dornſtrauch haͤngen und brach ab.
Das Maͤdchen war ſehr betruͤbt und weinte, es
wollt' auch Nacht werden, der Wind ging ſo
laut in dem Wald, daß ihm Angſt ward, und
es anfing zu laufen, was es nur konnte. Und
als es lang gelaufen war, ſah es ein kleines
Kindermärchen. S
[274] Licht, darauf eilte es zu, und fand ein Haus
und klopfte an. Ein altes Muͤtterchen kam
heraus, das verwunderte ſich, wie es ſah, daß
ein Maͤdchen vor der Thuͤre war: „ei mein
Kind, wo kommſt du ſo ſpaͤt her?“ — „Gebt
mir doch heut Nacht eine Herberg, ſprach es,
ich habe mich in dem Wald verirrt; auch ein
wenig Brod zu eſſen.“ — „Das iſt ein ſchwe-
res Ding, ſagte die Alte ich gaͤbe dirs gern,
aber mein Mann iſt ein Menſchenfreſſer, wenn
der dich findet, ſo frißt er dich auf, da iſt keine
Gnade; doch, wenn du draußen bleibſt, freſſen
dich die wilden Thiere, ich will ſehen, ob ich
dir durchhelfen kann.“ Da ließ ſie es herein,
und gab ihm ein wenig Brod zu eſſen, und
verſteckte es dann unter das Bett. Der Men-
ſchenfreſſer aber kam allemal vor Mitternacht,
wenn die Sonne ganz untergegangen iſt, nach
Haus, und ging Morgens, ehe ſie aufſteigt,
wieder fort. Es dauerte nicht lang, ſo kam er
herein: „ich wittre, ich wittre Menſchenfleiſch!“
ſprach er und ſuchte in der Stube, endlich griff
er auch unter das Bett und zog das Maͤdchen
hervor: „das iſt noch ein guter Biſſen!“ Die
Frau aber bat und bat, bis er verſprach, die
Nacht uͤber es noch leben zu laſſen, und mor-
gen erſt zum Fruͤhſtuͤck zu eſſen. Vor Sonnen-
aufgang aber weckte die Alte das Maͤdchen:
„eil dich, daß du fortkommſt, eh mein Mann
[275] aufwacht, da ſchenk ich dir ein goldenes Spinn-
raͤdchen, das halt in Ehren: ich heiße Son-
ne.“ Das Maͤdchen ging fort und kam Abends
an ein Haus, da war alles, wie am vorigen
Abend, und die zweite Alte gab ihm beim Ab-
ſchied eine goldene Spindel und ſprach: „ich heiße
Mond.“ Und am dritten Abend kam es an
ein drittes Haus, da ſchenkte ihm die Alte ei-
nen goldenen Haspel und ſagte: „ich heiße
Stern, und der Prinz Schwan, ob gleich der
Faden noch nicht ganz abgewickelt war, war
doch ſchon ſo weit, daß er in ſein Reich gelan-
gen konnte, dort iſt er Koͤnig und hat ſich
ſchon verheirathet, und wohnt in großer Herr-
lichkeit auf dem Glasberg; du wirſt heut Abend
hinkommen, aber ein Drache und ein Loͤwe lie-
gen davor und bewahren ihn, darum nimm
das Brod und den Speck und beſaͤnftige ſie
damit.“ So geſchahe es auch. Das Maͤdchen
warf den Ungeheuern das Brod und den Speck
in den Rachen, da ließen ſie es durch, und es
kam bis an das Schloßthor, aber in das Schloß
ſelber ließen es die Waͤchter nicht hinein Da
ſetzte es ſich vor das Thor, und fing an auf
ſeinem goldenen Raͤdchen zu ſpinnen; die Koͤ-
nigin ſah von oben zu, ihr gefiel das ſchoͤne
Raͤdchen, und ſie kam herunter und wollte es
haben. Das Maͤdchen ſagte, ſie ſolle es ha-
ben, wenn ſie erlauben wollte, daß es eine
S 2
[276] Nacht neben dem Schlafzimmer des Koͤnigs
zubraͤchte. Die Koͤnigin ſagte es zu, und das
Maͤdchen ward hinaufgefuͤhrt, was aber in der
Stube geſprochen wurde, das konnte man alles
in dem Schlafzimmer hoͤren. Wie es nun Nacht
ward, und der Koͤnig im Bett lag, ſang es:
Aber der Koͤnig hoͤrte es nicht, denn die liſtige
Koͤnigin hatte ſich vor dem Maͤdchen gefuͤrchtet,
und ihm einen Schlaftrunk gegeben, da ſchlief
er ſo feſt, und haͤtte das Maͤdchen nicht gehoͤrt,
und wenn es vor ihm geſtanden waͤre. Am
Morgen war alles verloren, und es mußte wie-
der vor das Thor, da ſetzte es ſich hin und
ſpann mit ſeiner Spindel, die gefiel der Koͤni-
gin auch, und es gab ſie unter derſelben Be-
dingung weg, daß es eine Nacht neben des
Koͤnigs Schlafzimmer zubringen duͤrfe. Da
ſang es wieder:
Der Koͤnig aber ſchlief wieder feſt von einem
Schlaftrunk, und das Maͤdchen hatte auch ſei-
ne Spindel verloren. Da ſetzte es ſich am drit-
ten Morgen mit ſeinem goldenen Haspel vor
das Thor und haspelte. Die Koͤnigin wollte
auch die Koſtbarkeit haben, und verſprach dem
Maͤdchen, es ſollte dafuͤr noch eine Nacht ne-
ben dem Schlafzimmer bleiben. Es hatte aber
den Betrug gemerkt, und bat den Diener des
Koͤnigs, er moͤgte dieſem heut Abend was an-
deres zu trinken geben. Da ſang es noch ein-
mal:
Da erwachte der Koͤnig; wie er ihre Stimme
hoͤrte, erkannte ſie und fragte die Koͤnigin:
„wenn man einen Schluͤſſel verloren hat und
ihn wieder findet, behaͤlt man dann den alten
oder den neugemachten?“ Die Koͤnigin ſagte:
„ganz gewiß den alten.“ — „Nun, dann kannſt
du meine Gemahlin nicht laͤnger ſeyn, ich habe
[278] meine erſte Braut wieder gefunden.“ Da
mußte am andern Morgen die Koͤnigin zu ih-
rem Vater wieder heimgehen, und der Koͤnig
vermaͤhlte ſich mit ſeiner rechten Braut, und
die lebten ſo lang vergnuͤgt, bis ſie geſtor-
ben ſind.
60.
Das Goldei.
Es waren einmal ein paar arme Beſenbin-
dersjungen, die hatten noch ein Schweſterchen
zu ernaͤhren, da ging es ihnen allen knapp und
kuͤmmerlich. Sie mußten alle Tage in den
Wald und ſich Reiſig holen, und wenn die Be-
ſen gebunden waren, verkaufte ſie das Schwe-
ſterchen. Einsmals gingen ſie in den Wald,
und der juͤngſte ſtieg auf einen Birkenbaum,
und wollte die Aeſte herabhauen, da fand er
ein Neſt, und darin ſaß ein dunkelfarbiges Voͤ-
gelchen, dem ſchimmerte etwas durch die Fluͤ-
gel, und weil das Voͤgelchen gar nicht wegflog,
und auch nicht ſcheu that, hob er den Fluͤgel
auf und fand ein goldenes Ei, das nahm er und
ſtieg da mit herab. Sie freuten ſich uͤber ih-
ren Fund, und gingen damit zum Goldſchmid,
der ſagte, es ſey feines Gold und gab ihnen
viel Geld dafuͤr. Am andern Morgen gingen
ſie wieder in den Wald, und fanden auch wie-
[279] der ein Goldei, und das Voͤglein ließ es ſich
geduldig nehmen, wie das vorigemal. Das
waͤhrte eine Zeitlang, alle Morgen holten ſie
das Goldei und waren bald reich: eines Mor-
gens aber ſagte der Vogel: „nun werde ich
keine Eier mehr legen, aber bringt mich zu dem
Goldſchmidt, das wird euer Gluͤck ſeyn. Die
Beſenbindersjungen thaten, wie es ſprach und
brachten es dem Goldſchmidt getragen, und als
es allein mit dieſem war, ſang es:
Wie der Goldſchmidt das hoͤrte, rief er die bei-
den Jungen und ſagte: „laßt mir den Vogel,
und ich will euer Schweſterlein heirathen.“
Die zwei ſagten ja, und da ward nun Hochzeit
gehalten. Der Goldſchmidt aber ſprach: „ich
will zu meiner Hochzeit den Vogel eſſen, ihr
zwei, bratet ihn am Spieße, und habt Acht, daß
er nicht verdirbt, und bringt ihn herauf, wenn
er gaar iſt;“ er dachte aber, dann wolle er Herz
und Leber herausnehmen und eſſen. Die bei-
den Bruͤder ſtanden am Spieß und drehten ihn
herum, wie ſie ihn ſo herumdrehen, und der
Vogel bald gebraten iſt, faͤllt ein Stuͤckchen her-
aus. „Ei, ſagt der eine, das muß ich probi-
[280] ren!“ und aß das auf. Bald darnach fiel noch
ein Stuͤckchen heraus: „das iſt fuͤr mich,“ ſag-
te der andere, und laͤßt ſich das ſchmecken. Das
war aber das Herzlein und Leberlein, was ſie
gegeſſen hatten, und ſie wußten nicht, was fuͤr
Gluͤck ihnen damit beſchert war.
Darnach war der Vogel gebraten, und ſie
trugen ihn zu der Hochzeitstafel; der Gold-
ſchmidt ſchnitt ihn auf, und wollte geſchwind
Herz und Leber eſſen, aber da war beides fort.
Da ward er giftig boͤs und ſchrie: „wer hat
Herz und Leber von dem Vogel gegeſſen?“
„Das werden wir gethan haben, ſagten ſie, es
ſind ein paar Stuͤckchen herausgefallen beim
Umwenden, die haben wir genommen.“ —
„Habt ihr Herz und Leber gegeſſen, ſo moͤgt
ihr auch eure Schweſter behalten!“ und jagte
ſie in ſeinem Zorn alle fort. —
(Fragment.)
61.
Von dem Schneider, der bald reich
wurde.
Ein armer Schneider ging einmal zur Win-
terszeit uͤber das Feld, und wollte ſeinen Bru-
der beſuchen. Unterwegs fand er eine erfrorne
Droßel, ſprach zu ſich ſelber: „was groͤßer iſt
als eine Laus, das nimmt der Schneider mit
[281] nach Haus!“ hob alſo die Droßel auf, und
ſteckte ſie zu ſich. Wie er an ſeines Bruders
Haus kam, guckte er erſt zum Fenſter hinein,
ob ſie auch zu Haus waͤren, da ſah er einen
dicken Pfaffen bei der Frau Schwaͤgerin ſitzen
vor einem Tiſch, auf dem ſtand ein Braten
und eine Flaſche Wein; indem klopfte es an
die Hausthuͤre, und der Mann wollte herein,
da ſah er, wie die Frau den Pfaffen geſchwind
in einen Kaſten ſchließt, den Braten in den
Ofen ſtellt, und den Wein ins Bett ſchob.
Nunmehr ging der Schneider ſelbſt ins Haus,
und bewillkommte ſeinen Bruder und ſeine
Schwaͤgerin, ſetzte ſich aber auf den Kaſten nie-
der, darin der Pfaff ſteckte. Der Mann ſprach:
„Frau, ich bin hungrig, haſt du nichts zu eſ-
ſen?“ — „Nein, es thut mir leid, es iſt aber
heute gar nichts im Haus.“ — Der Schnei-
der aber zog ſeine erfrorene Droßel heraus, da
ſprach ſein Bruder: „mein, was thutſt du mit
der gefrorenen Droßel?“ — „Ei! die iſt viel
Geld werth, die kann wahr ſagen!“ — „Nun
ſo laß ſie einmal wahrſagen.“ — Der Schnei-
der hielt ſie ans Ohr und ſprach: „die Droßel
ſagt: es ſtuͤnde eine Schuͤſſel voll Braten im
Ofen.“ — Der Mann ging hin und fand den
Braten: „was ſagt die Droßel weiter?“ —
„Im Bett ſtecke eine Flaſche Wein.“ Der
fand auch den Wein: „ei, die Droßel moͤgt ich
[282] haben, die verkauf mir doch.“ — „Du kannſt
ſie kriegen, wenn du mir den Kaſten giebſt,
worauf ich ſitze. Der Mann wollte gleich, die
Frau aber ſagte: „nein, das geht nicht, der
Kaſten iſt mir gar zu lieb, den geb ich nicht
weg; der Mann aber ſprach: „ſtell dich doch
nicht ſo dumm, was nuͤtzt dir ſo ein alter Ka-
ſten;“ gab damit dem Bruder den Kaſten fuͤr
den Vogel.
Der Schne der nahm den Kaſten auf einen
Schubkarren, und fuhr ihn fort: unterwegs
ſprach er: „ich nehm den Kaſten und werf ihn
ins Waſſer, ich nehm den Kaſten und werf ihn
ins Waſſer!“ Endlich regte ſich der Pfaff in-
wendig und ſagte: „ihr wißt viel was in dem
Kaſten iſt, laßt mich heraus, ich will euch 50
Thaler geben.“ — „Ja, dafuͤr will ich es ſchon
thun,“ ließ ihn heraus, und ging mit dem Gel-
de heim. Die Leute wunderten ſich, wo er das
viele Geld her habe, er aber ſprach: „ich will
euch ſagen, die Felle ſtehen in ſo hohem Preis,
da hab ich meine alte Kuh geſchlachtet und fuͤrs
Fell ſo viel geloͤſt.“ Die Leute im Dorf woll-
ten auch davon profitiren, waren her und ſchnit-
ten allen ihren Ochſen, Kuͤhen und Schafen
die Haͤlſe ab, und trugen die Felle in die Stadt,
wofuͤr ſie aber blutwenig loͤſten, weil ihrer ſo
viel auf einmal feilgeboten wurden. Da aͤrger-
ten ſich die Bauern uͤber den Schaden, und
[283] warfen dem Schneider Dreck und ander ſchlech-
tes Zeug vor ſeine Thuͤr. Der aber that alles
in ſeinen Kaſten, ging damit in die Stadt in
einen Gaſthof, und bat den Wirth, ob er ihm
nicht den Kaſten, worin die groͤßten Koſtbar-
keiten waͤren, eine Zeit lang verwahren wolle,
bei ihm waͤren ſie nicht ſicher? Der Wirth ſag-
te recht gern, und nahm den Kaſten zu ſich,
einige Zeit darnach kam der Schneider, forder-
te ihn wieder zuruͤck und machte ihn auf, um
zu ſehen, ob noch alles darin waͤre. Wie er
nun aber voll Dreck iſt, ſo tobte er abſcheulich,
beſchimpfte den Wirth und drohte ihn zu ver-
klagen, ſo daß der Wirth, welcher Aufſehen
ſcheute, und fuͤr ſeinen Credit fuͤrchtete, ihm
gern hundert Thaler gab. Die Bauern aͤrger-
ten ſich wieder, daß dem Schneider alles zum
Profit ausſchlug, was ſie ihm Leides anthaten,
nahmen den Kaſten, ſteckten ihn mit Gewalt
hinein, ſetzten ihn aufs Waſſer, und ließen ihn
fortfließen. Der Schneider ſchwieg eine Weile
ſtill, bis er eine Ecke fortgefloſſen war, dann
rief er uͤberlaut: „nein, ich thus nicht! und ich
thus nicht! und wenns die ganze Welt haben
wollte.“ Das Geſchrei hoͤrte ein Schaͤfer und
fragte: „was willſt du denn nicht thun?“ —
„Ei, ſagte der Schneider, da iſt ein Koͤnig, der
hat die naͤrriſche Grille und beſteht drauf, daß, wer
in dieſem Kaſten den Strom hinuntergeſchwom-
[284] men kommt, ſeine einzige ſchoͤne Tochter heira-
then ſoll, aber ich hab' einmal meinen Kopf
drauf geſetzt, und thus nicht, und wenns die
ganze Welt haben wollt.“ — „Hoͤrt einmal,
geht das nicht, daß ſich ein anderer in den Ka-
ſten ſetzt und die Koͤnigstochter kriegt?“ —
„O ja, das geht auch.“ — „So will ich mich
an eure Stelle hineinſetzen.“ Da ſtieg der
Schneider aus, der Schaͤfer ein; der Schnei-
der machte den Kaſten noch zu, und der Schaͤ-
fer ging bald unter. Der Schneider aber
nahm die ganze Heerde des Schaͤfers und trieb
ſie heim.
Die Bauern aber wunderten ſich, wie das
zugegangen, daß er wieder kaͤme, und obendrein
die vielen Schaafe haͤtte. Der Schneider ſagte:
„ich war untergeſunken, tief, tief! da fand ich
auf dem Grund die ganze Heerde, und nahm
ſie mit heraus. Die Bauern wollten ſich da
auch Schafe holen, und gingen mit einander
hinaus ans Waſſer; den Tag war der Himmel
ganz blau mit kleinen weißen Wolken, da rie-
fen ſie: „wir ſehen ſchon die Laͤmmer unten
auf dem Grund!“ Da ſprach der Schulz:
„ich will erſt hinunter, und mich umſehen, und
wenn es gut iſt, will ich euch rufen. Wie er
nun hineinſtuͤrzte, rauſchte es in dem Waſ-
ſer: plump! da meinten ſie er riefe ihnen
zu: kommt! und ſtuͤrzten ſich alle hinter
[285] ihm drein. Da gehoͤrte das ganze Dorf dem
Schneider.
62.
Blaubart.
In einem Walde lebte ein Mann, der hatte
drei Soͤhne und eine ſchoͤne Tochter- Einmal
kam ein goldener Wagen mit ſechs Pferden und
einer Menge Bedienten angefahren, hielt vor
dem Haus ſtill, und ein Koͤnig ſtieg aus und
bat den Mann, er moͤchte ihm ſeine Tochter
zur Gemahlin geben. Der Mann war froh,
daß ſeiner Tochter ein ſolches Gluͤck widerfuhr,
und ſagte gleich ja; es war auch an dem Freier
gar nichts auszuſetzen, als daß er einen ganz
blauen Bart hatte, ſo daß man einen kleinen
Schrecken kriegte, ſo oft man ihn anſah. Das
Maͤdchen erſchrack auch anfangs davor, und
ſcheute ſich ihn zu heirathen, aber auf Zureden
ihres Vaters, willigte es endlich ein. Doch
weil es ſo eine Angſt fuͤhlte, ging es erſt zu
ſeinen drei Bruͤdern, nahm ſie allein und ſag-
te: „liebe Bruͤder, wenn Ihr mich ſchreien
hoͤrt, wo ihr auch ſeyd, ſo laßt alles ſtehen und
liegen und kommt mir zn Huͤlfe.“ Das ver-
ſprachen ihm die die Bruͤder und kuͤßten es,“
leb wohl, liebe Schweſter, wenn wir deine
Stimme hoͤren, ſpringen wir auf unſere Pfer-
[286] de, und ſind bald bei dir.“ Darauf ſetzte es
ſich in den Wagen zu dem Blaubart und fuhr
mit ihm fort. Wie es in ſein Schloß kam,
war alles praͤchtig, und was die Koͤnigin nur
wuͤnſchte, das geſchah, und ſie waͤren recht
gluͤcklich geweſen, wenn ſie ſich nur an den
blauen Bart des Koͤnigs haͤtte gewoͤhnen koͤn-
nen, aber immer, wenn ſie den ſah, erſchrack
ſie innerlich davor. Nachdem das einige Zeit
gewaͤhrt, ſprach er: „ich muß eine große Reiſe
machen, da haſt du die Schluͤſſel zu dem ganzen
Schloß, du kannſt uͤberall aufſchließen und al-
les beſehen, nur die Kammer, wozu dieſer klei-
ne goldene Schluͤſſel gehoͤrt, verbiet' ich dir;
ſchließt du die auf, ſo iſt dein Leben verfallen.“
Sie nahm die Schluͤſſel, verſprach ihm zu ge-
horchen, und als er fort war, ſchloß ſie nach
einander die Thuͤren auf, und ſah ſo viel Reich-
thuͤmer und Herrlichkeiten, daß ſie meinte aus
der ganzen Welt waͤren ſie hier zuſammen ge-
bracht. Es war nun nichts mehr uͤbrig, als
die verbotene Kammer, der Schluͤſſel war von
Gold, da gedachte ſie, in dieſer iſt vielleicht das
allerkoſtbarſte verſchloſſen; die Neugierde fing
an ſie zu plagen, und ſie haͤtte lieber all das
andere nicht geſehen, wenn ſie nur gewußt,
was in dieſer waͤre. Eine Zeit lang widerſtand
ſie der Begierde, zuletzt aber ward dieſe ſo
maͤchtig, daß ſie den Schluͤſſel nahm und zu
[287] der Kammer hinging: „wer wird es ſehen, daß
ich ſie oͤffne, ſagte ſie zu ſich ſelbſt, ich will
auch nur einen Blick hineinthun.“ Da ſchloß
ſie auf, und wie die Thuͤre aufging, ſchwomm
ihr ein Strom Blut entgegen, und an den Waͤn-
den herum ſah ſie todte Weiber haͤngen, und von
einigen waren nur die Gerippe noch uͤbrig. Sie
erſchrack ſo heftig, daß ſie die Thuͤre gleich wie-
der zuſchlug, aber der Schluͤſſel ſprang dabei
heraus und fiel in das Blut. Geſchwind hob
ſie ihn auf, und wollte das Blut abwiſchen,
aber es war umſonſt, wenn ſie es auf der einen
Seite abgewiſcht, kam es auf der andern wie-
der zum Vorſchein; ſie ſetzte ſich den ganzen
Tag hin und rieb daran, und verſuchte alles
Moͤgliche, aber es half nichts, die Blutflecken
waren nicht herabzubringen; endlich am Abend
legte ſie ihn ins Heu, das ſollte in der Nacht
das Blut ausziehen. Am andern Tag kam der
Blaubart zuruͤck, und das erſte war, daß er
die Schluͤſſel von ihr forderte; ihr Herz ſchlug,
ſie brachte die andern und hoffte, er werde es
nicht bemerken, daß der goldene fehlte. Er aber
zaͤhlte ſie alle, und wie er fertig war, ſagte er:
„wo iſt der zu der heimlichen Kammer?“ da-
bei ſah er ihr in das Geſicht. Sie ward blut-
roth und antwortete: „er liegt oben, ich habe
ihn verlegt, morgen will ich ihn ſuchen.“ —
„Geh lieber gleich, liebe Frau, ich werde ihn
[288] noch heute brauchen.“ — „Ach ich will dirs
nur ſagen, ich habe ihn im Heu verloren, da
muß ich erſt ſuchen.“ — „Du haſt ihn nicht
verloren, ſagte der Blaubart zornig, du haſt
ihn dahin geſteckt, damit die Blutflecken her-
ausziehen ſollen, denn du haſt mein Gebot
uͤbertreten, und biſt in der Kammer geweſen,
aber jetzt ſollſt du hinein, wenn du auch nicht
willſt.“ Da mußte ſie den Schluͤſſel holen,
der war noch voller Blutflecken: „Nun berei-
te dich zum Tode, du ſollſt noch heute ſterben,“
ſagte der Blaubart, holte ſein großes Meſſer
und fuͤhrte ſie auf den Hausehrn. „Laß mich
nur noch vor meinem Tod mein Gebet thun,“
ſagte ſie; — „So geh, aber eil dich, denn ich
habe keine Zeit lang zu warten.“ Da lief ſie
die Treppe hinauf, und rief ſo laut ſie konnte
zum Fenſter hinaus: „Bruͤder, meine lieben
Bruͤder, kommt, helft mir!“ Die Bruͤder ſa-
ßen im Wald beim kuͤhlen Wein, da ſprach der
juͤngſte: „mir iſt als haͤtt' ich unſerer Schwe-
ſter Stimme gehoͤrt; auf! wir muͤſſen ihr zu
Huͤlfe eilen!“ da ſprangen ſie auf ihre Pferde
und ritten, als waͤren ſie der Sturmwind. Ih-
re Schweſter aber lag in Angſt auf den Knieen;
da rief der Blaubart unten: „nun, biſt du
bald fertig?“ dabei hoͤrte ſie, wie er auf der
unterſten Stufe ſein Meſſer wetzte; ſie ſah hin-
aus, aber ſie ſah nichts, als von Ferne einen
Staub,
[289] Staub, als kaͤm eine Heerde gezogen. Da ſchrie
ſie noch einmal: „Bruͤder, meine lieben Bruͤ-
der! kommt helft mir!“ und ihre Angſt ward
immer groͤßer. Der Blaubart aber rief: „wenn
du nicht bald kommſt, ſo hol ich dich, mein
Meſſer iſt gewetzt!“ Da ſah ſie wieder hin-
aus, und ſah ihre drei Bruͤder durch das Feld
reiten, als floͤgen ſie wie Voͤgel in der Luft,
da ſchrie ſie zum drittenmal in der hoͤchſten
Noth und aus allen Kraͤften: „Bruͤder, meine
lieben Bruͤder! kommt, helft mir!“ und der
juͤngſte war ſchon ſo nah, daß ſie ſeine Stim-
me hoͤrte: „troͤſte dich, liebe Schweſter, noch
einen Augenblick, ſo ſind wir bei dir!“ Der
Blaubart aber rief: „nun iſts genug gebetet,
ich will nicht laͤnger warten, kommſt du nicht,
ſo hol ich dich!“ „Ach! nur noch fuͤr meine
drei lieben Bruͤder laß mich beten.“ —, Er
hoͤrte aber nicht, kam die Treppe heraufgegan-
gen und zog ſie hinunter, und eben hatte er ſie
an den Haaren gefaßt, und wollte ihr das Meſ-
ſer in das Herz ſtoßen, da ſchlugen die drei
Bruͤder an die Hausthuͤre, drangen herein und
riſſen ſie ihm aus der Hand, dann zogen ſie
ihre Saͤbel und hieben ihn nieder. Da ward
er in die Blutkammer aufgehaͤngt zu den an-
dern Weibern, die er getoͤdtet, die Bruͤder aber
nahmen ihre liebſte Schweſter mit nach Haus,
und alle Reichthuͤmer des Blaubarts gehoͤrten ihr.
[290]
63.
Goldkinder.
Es war einmal ein armer Mann und eine
arme Frau, die hatten weiter nichts als eine
Huͤtte. Der Mann war ein Fiſcher, und wie
er einmal am Waſſer ſaß und ſein Netz ausge-
worfen hatte, da fing er einen goldenen Fiſch.
Der Fiſch aber ſprach: „wenn du mich wieder
in das Waſſer werfen willſt, ſo ſoll deine Huͤt-
te in einen praͤchtigen Pallaſt verwandelt ſeyn,
und in dem Pallaſt ſoll ein Schrank ſtehen,
wenn du den aufſchließſt, iſt Geſottenes und
Gebratenes darin, ſo viel du nur wuͤnſcheſt,
nur darfſt du keinem Menſchen auf der Welt
ſagen, von wem dein Gluͤck kommt, ſonſt iſt
alles vorbei.“ Der Fiſcher warf den Goldfiſch
wieder ins Waſſer, und wie er nach Haus kam,
da ſtand ein großes Schloß, wo ſonſt ſeine
Huͤtte geſtanden hatte, und ſeine Frau ſaß mit-
ten in einer praͤchtigen Stube. Dem Mann
gefiel das wohl, er haͤtte aber auch gern etwas
gegeſſen: „Frau, gieb mir doch etwas, ſagte er,
mich hungert ſo gewaltig.“ Die Frau aber
antwortete: „ich habe nichts und kann in dem
großen Schloß nichts finden.“ — „Geh nur
dort uͤber den Schrank,“ und wie die Frau
den Schrank aufſchloß, ſtanden da Kuchen, Fleiſch,
[291] Obſt, Wein: Herz, was verlangſt du? die Frau
verwunderte ſich und ſprach: „ſag mir doch
Mann, woher kommt denn dieſer Reichthum
auf einmal?“ — „Das darf ich dir nicht ſa-
gen, denn wenn ich dirs ſagte, ſo waͤre unſer
Gluͤck wieder dahin.“ Dadurch ward die Frau
nur neugieriger gemacht, und fragte ihren Mann,
und quaͤlte ihn, und ließ ihm Tag und Nacht
keine Ruhe, bis er es ihr endlich entdeckte, daß
das alles von einem Goldfiſch herkomme; kaum
aber hatte er ausgeſprochen, da war das Schloß
und aller Reichthum verſchwunden, und ſie ſa-
ßen wieder in der alten Fiſcherhuͤtte.
Der Mann ging nun wieder ſeinem Ge-
werbe nach, und fiſchte und fiſchte den Gold-
fiſch zum zweitenmal heraus; er verſprach ge-
gen Freilaſſung ihm aufs neue das ſchoͤne Schloß
und den Schrank voll Geſottenes und Gebra-
tenes, doch unter der naͤmlichen Bedingung, daß
er verſchwiegen ſey; der Mann hielt auch eine
Zeit lang aus, endlich aber quaͤlte ihn ſeine
Frau ſo gewaltig, daß er ihr das Geheimniß
offenbarte, und in dem Augenblick ſaßen ſie
auch wieder in ihrer ſchlechten Huͤtte. Der
Mann ging zu fiſchen, und fiſchte das Gold-
fiſchgen zum drittenmal: „hoͤr, ſagte das, nimm
mich nur mit nach Haus, und zerſchneid mich
dort in ſechs Stuͤcke; zwei gieb deiner Frau zu
eſſen, zwei deinem Pferd, und zwei pflanz' in
T 2
[292] die Erde, du wirſt Segen davon haben, deine
Frau wird zwei goldene Jungen zur Welt brin-
gen, das Pferd wird zwei goldene Fuͤllen be-
kommen, und aus der Erde werden zwei golde-
ne Lilien aufwachſen.“ Der Mann gehorchte,
und die Weiſſagung traf ein. Die zwei goldne
Kinder wuchſen heran und wurden groß, und
ſagten: „Vater, wir wollen ausziehen in die
Welt, wir ſetzen uns auf die goldenen Roſſe,
und an den goldenen Lilien koͤnnt ihr ſehen,
wie es uns geht: „ſind ſie friſch, ſo ſind wir
geſund; ſind ſie welk, ſind wir krank; fallen ſie
um, ſind wir todt.“ Damit ritten ſie fort
und kamen zu einem Wirthshaus, darin war
viel Volk, und als das die zwei Goldkinder
auf den Goldpferden ſah, fing es an zu ſpot-
ten; da wurden ſie boͤs, und der eine ſchaͤmte
ſich, kehrte um und ritt wieder nach Haus, der
zweite aber ritt fort. Da kam er zu einen
Wald, die Leute aber vor dem Walde ſagten
ihm, er duͤrfe nicht hindurchreiten, es ſey voll
Spitzbuben darin, die wuͤrden uͤbel mit ihm
umgehen; das Goldkind aber ließ ſich nicht
ſchrecken und ſprach: „ich muß und ſoll hin-
durch!“ Dann nahm er Baͤrenfelle und uͤber-
zog ſich und ſein Pferd damit, daß nichts mehr
von Gold zu ſehen war, und ſo ritt er in den
Wald hinein. Bald darauf hoͤrte er in den Gebuͤ-
ſchen rufen: „hier iſt einer!“ Ein anderer aber
[293] ſprach: „laß ihn laufen, was ſollen wir mit
dem Baͤrenhaͤuter anfangen, der iſt ſo arm und
kahl, wie eine Kirchenmaus!“ So kam er
gluͤcklich durch die Spitzbuben, und in ein Dorf,
da ſah er ein Maͤdchen ſo ſchoͤn, daß er nicht
glaubte, es koͤnne ein ſchoͤneres auf der Welt
ſeyn und fragte, ob es ihn heirathen wolle, und
das Maͤdchen ſagte ja, es wolle ihm treu blei-
ben ſein Lebelang. Sie hielten nun Hochzeit mit
einander und waren vergnuͤgt, da kam der
Braut Vater nach Haus, und als er ſahe, daß
ſeine Tochter einen Baͤrenfuͤhrer geheirathet,
denn er hatte die Baͤrenhaut noch nicht abge-
legt, da ward er zornig und wollte den Braͤu-
tigam ermorden. Die Braut aber bat ihn,
was ſie nur konnte: ſie haͤtte ihn doch ſo lieb,
und es ſey nun einmal ihr Mann, bis er ſich
zur Ruhe gab. Und am andern Morgen fruͤh
ſtand er auf, und wollte ſeinen Schwiegerſohn
noch einmal ſehen, da ſah er einen herrlichen,
goldenen Mann im Bette liegen. Dem Braͤu-
tigam aber traͤumte, er ſolle auf die Jagd ge-
hen nach einem praͤchtigen Hirſch, und als er
erwachte, wollt' er darnach ausgehen, aber ſei-
ne Verlobte bat ihn da zu bleiben, und fuͤrch-
tete fuͤr ihn; er aber ſprach: „ich ſoll und muß
fort.“ Damit ſtund er auf und ging in den
Wald, da hielt ein ſtolzer Hirſch vor ihm,
ganz nach ſeinem Traum, wie er aber anlegen
[294] und ſchießen wollte, fing er an zu fliehen. Der
goldene Mann war hinter ihm drein, und ver-
folgte ihn uͤber Graben und durch Gebuͤſche,
und ward nicht muͤd den ganzen Tag: da ent-
ſchwand ihm der Hirſch, er aber war vor einer
alten Hexe Haus. Er rief und fragte, ob ſie
keinen Hirſch geſehen, ſie antwortete: „ja,“
da bellte ihn aber ohne Aufhoͤren der Hexe
kleines Huͤndlein an, daruͤber ward er boͤs und
wollte es erſchießen, wie das die Hexe ſah, ver-
wandelte ſie ihn in einen Muͤhlenſtein, und in
dem Augenblick faͤllt zu Haus die eine goldene
Lilie. Wie das der andere Bruder zu Haus
ſah, ſetzte er ſich auf ſeinen goldenen Gaul und
jagte fort und kam zu der Hexe, und drohte
ihr mit dem Tod, wenn ſie ſeinem Bruder nicht
wieder die natuͤrliche Geſtalt gaͤbe. Da mußte
die Hexe gehorchen, und die zwei Bruͤder rit-
ten wieder heim, der eine zu ſeiner Braut, der
andere zu ſeinem Vater. Die eine Lilie aber
ſtand wieder auf, und wenn ſie nicht umgefallen
ſind, ſtehen ſie noch alle beide.
64.
Von dem Dummling.
I.
Die weiße Taube.
Vor eines Koͤnigs Pallaſt ſtand ein praͤch-
tiger Birnbaum, der trug jedes Jahr die ſchoͤn-
[295] ſten Fruͤchte, aber wenn ſie reif waren, wurden
ſie in einer Nacht alle geholt, und kein Menſch
wußte, wer es gethan hatte. Der Koͤnig aber
hatte drei Soͤhne, davon ward der juͤngſte fuͤr
einfaͤltig gehalten, und hieß der Dummling;
da befahl er dem aͤlteſten, er ſolle ein Jahr
lang alle Nacht unter dem Birnbaum wachen,
damit der Dieb einmal entdeckt werde. Der
that das auch und wachte alle Nacht, der Baum
bluͤhte und war ganz voll von Fruͤchten, und
wie ſie anfingen reif zu werden, wachte er noch
fleißiger, und endlich waren ſie ganz reif und
ſollten am andern Tage abgebrochen werden;
in der letzten Nacht aber uͤberfiel ihn ein Schlaf,
und er ſchlief ein, und wie er aufwachte, wa-
ren alle Fruͤchte fort, und nur die Blaͤtter noch
uͤbrig. Da befahl der Koͤnig dem zweiten Sohn
ein Jahr zu wachen, dem ging es nicht beſſer,
als dem erſten; in der letzten Nacht konnte er
ſich des Schlafes gar nicht erwehren, und am
Morgen waren die Birnen alle abgebrochen.
Endlich befahl der Koͤnig dem Dummling ein
Jahr zu wachen, daruͤber lachten alle, die an
des Koͤnigs Hof waren. Der Dummling aber
wachte, und in der letzten Nacht wehrt' er ſich
den Schlaf ab, da ſah er, wie eine weiße Tau-
be geflogen kam, eine Birne nach der andern
abpickte und fort trug. Und als ſie mit der
letzten fortflog, ſtand der Dummling auf und
[296] ging ihr nach; die Taube flog aber auf einen
hohen Berg und verſchwand auf einmal in ei-
nem Felſenritz. Der Dummling ſah ſich um,
da ſtand ein kleines graues Maͤnnchen neben
ihm, zu dem ſprach er: „Gott geſegne dich!“
— „Gott hat mich geſegnet in dieſem Augen-
blick durch dieſe deine Worte, antwortete das
Maͤnnchen, denn ſie haben mich erloͤſt, ſteig du
in den Felſen hinab, da wirſt du dein Gluͤck
finden.“ Der Dummling trat in den Felſen,
viele Stufen fuͤhrten ihn hinunter, und wie er
unten hinkam, ſah er die weiße Taube ganz
von Spinnweben umſtrickt und zugewebt. Wie
ſie ihn aber erblickte brach ſie hindurch, und
als ſie den letzten Faden zerriſſen, ſtand eine
ſchoͤne Prinzeſſin vor ihm, die hatte er auch
erloͤſt, und ſie ward ſeine Gemahlin und er
ein reicher Koͤnig, und regierte ſein Land mit
Weisheit.
II.
Die Bienenkoͤnigin.
Zwei Koͤnigsſoͤhne gingen auf Abentheuer
aus, und geriethen in ein wildes, wuͤſtes Le-
ben, ſo daß ſie gar nicht wieder nach Haus ka-
men. Der juͤngſte, der Dummling, ging aus
und ſuchte ſeine Bruͤder; wie er ſie fand, ſpot-
teten ſie ſein, daß er mit ſeiner Einfalt ſich
durch die Welt ſchlagen wolle, da ſie zwei nicht
[297] durchkaͤmen und waͤren doch viel kluͤger. Da
zogen ſie miteinander fort und kamen an einen
Ameiſenhaufen, die zwei aͤlteſten wollten ihn
aufwuͤhlen, und ſehen, wie die kleinen Ameiſen
in der Angſt herumkroͤchen und ihre Eier fort-
truͤgen; aber der Dummling ſagte: „laßt die
Thiere in Fried, ich leids nicht, daß ihr ſie
ſtoͤrt.“ Dann gingen ſie weiter und kamen an
einen See, auf dem ſchwammen viele, viele En-
ten; die zwei Bruͤder wollten ein paar fangen
und braten, aber der Dummling ſagte wieder:
„laßt die Thiere in Fried', ich leids nicht, daß
ihr ſie toͤdtet.“ Endlich kamen ſie an ein Bie-
nenneſt, darin war ſo viel Honig, daß er am
Stamm herunterlief; die zwei wollten Feuer
unter den Baum legen, daß die Bienen erſtick-
ten, und ſie den Honig wegnehmen koͤnnten.
Der Dummling hielt ſie aber wieder ab und
ſprach: „laßt die Thiere in Fried', ich leids
nicht, daß ihr ſie verbrennt.“ Da kamen die
drei Bruͤder in ein Schloß, wo in den Staͤl-
len lauter ſteinerne Pferde ſtanden, auch war
kein Menſch zu ſehen, und ſie gingen durch alle
Saͤle, bis ſie vor eine Thuͤre ganz am Ende
kamen, davor hingen drei Schloͤſſer; es war
aber mitten in der Thuͤre ein Laͤdlein, dadurch
konnte man in die Stube ſehen. Da ſahen ſie
ein grau Maͤnnchen an einem Tiſche ſitzen, das
riefen ſie an einmal, zweimal, aber es hoͤrte
[298] nicht; endlich riefen ſie zum drittenmal, und
da ſtand es auf und kam heraus. Es ſprach
kein Wort, faßte ſie aber an und fuͤhrte ſie zu
einem reichbeſetzten Tiſch, und als ſie gegeſſen
hatten, fuͤhrte es einen jeglichen in ein eigenes
Schlafgemach. Am andern Morgen kam es zu
dem aͤlteſten, winkte ihm und brachte ihn zu
einer ſteinernen Tafel, darauf ſtanden die drei
Aufgaben geſchrieben, wodurch das Schloß er-
loͤſt werden konnte. Die erſte war: in dem
Wald unter dem Moos lagen die tauſend Per-
len der Koͤnigstochter, die mußten aufgeſucht
werden, und vor Sonnenuntergang durfte nicht
eine einzige fehlen, ſonſt ward der, welcher es
unternahm zu Stein. Der Prinz ging hin
und ſuchte den ganzen Tag, als aber der Tag
zu Ende war, hatte er erſt hundert gefunden,
und ward in einen Stein verwandelt. Am fol-
genden Tag unternahm der zweite Bruder das
Abentheuer; er ward aber wie der aͤlteſte zu
Stein, weil er nicht mehr, als zweihundert ge-
funden. Endlich kam auch an den Dummling
die Reihe, der ſuchte im Moos, es war aber
ſo ſchwer, die Perlen zu finden, und ging ſo
langſam, da ſetzte er ſich auf einen Stein und
weinte. Und wie er ſo ſaß kam der Ameiſen-
koͤnig, den er einmal erhalten hatte mit fuͤnf-
tauſend Ameiſen, und es waͤhrte gar nicht lang,
ſo hatten die die Perlen miteinander gefunden
[299] und auf einen Haufen getragen. Die zweite
Aufgabe aber war, den Schluͤſſel zu der Schlaf-
kammer der Prinzeſſin aus der See zu holen.
Wie der Dummling zur See kam, ſchwammen
die Enten, die er einmal gerettet hatte, heran,
tauchten unter, und holten den Schluͤſſel aus
der Tiefe. Die dritte Aufgabe aber war die
ſchwerſte: aus den drei ſchlafenden Toͤchtern des
Koͤnigs ſollte die juͤngſte und die liebſte heraus-
geſucht werden, ſie glichen ſich aber vollkom-
men, und waren durch nichts verſchieden, als
daß die aͤlteſte ein Stuͤck Zucker, die zweite
Syrup, die juͤngſte einen Loͤffel voll Honig ge-
geſſen hatte, und es war bloß an dem Hauch
zu erkennen, welche den Honig gegeſſen. Da
kam aber die Bienenkoͤnigin von den Bienen,
die der Dummling vor dem Feuer geſchuͤtzt,
und verſuchte den Mund von allen dreien, zu-
letzt blieb ſie auf dem Mund ſitzen, der Honig
gegeſſen, und ſo erkannte der Prinz die rechte,
und da war aller Zauber vorbei, alles war aus
dem Schlaf erloͤſt, und wer von Stein war,
erhielt ſeine menſchliche Geſtalt wieder, und
der Dummling vermaͤhlte ſich mit der juͤngſten
und liebſten, und ward Koͤnig nach ihres Va-
ters Tod; ſeine zwei Bruͤder aber mit den bei-
den andern Schweſtern.
[300]
III.
Die drei Federn.
Es war einmal ein Koͤnig, der ſchickte ſei-
ne drei Soͤhne in die Welt, und welcher von
ihnen das feinſte Linnengarn mitbraͤchte, der
ſollte nach ſeinem Tode das Reich haben. Und
damit ſie wuͤßten, wo hinaus ſie zoͤgen, ſtellte
er ſich vor ſein Schloß und blies drei Federn
in die Luft, nach deren Flug ſollten ſie ſich
richten. Die eine flog nach Weſten, der folgte
der aͤlteſte, die andere nach Oſten, der folgte
der zweite, die dritte aber fiel auf einen Stein,
nicht weit von dem Pallaſt, da mußte der drit-
te Prinz, der Dummling zuruͤck bleiben, und
die andern lachten ihn aus und ſagten: er ſoll-
te bei dem Stein das Linnengarn aufſuchen.
Der Dummling aber ſetzte ſich auf den Stein
und weinte, und wie er ſo hin und her wank-
te, ſchob ſich der Stein fort, und darunter lag
eine Marmorplatte mit einem Ring. Der
Dummling hob ſie auf, und da war eine Trep-
pe, die fuͤhrte hinunter, darauf ging er fort
und kam in ein unterirdiſches Gewoͤlbe, da ſaß
ein Maͤdchen und ſpann Flachs. Es fragte ihn,
warum er ſo verweinte Augen haͤtte, da klagte
er ihm ſein Leid, daß er das feinſte Linnen ſu-
chen ſolle, und doch nicht darnach ausziehen
duͤrfe, da haspelte ihm das Maͤdchen ſein Garn
[301] ab, das war das allerfeinſte Linnengarn und
hieß ihn das hinauf zu ſeinem Vater bringen.
Wie er nun hinaufkam, war er lange Zeit weg-
geweſen, und ſeine Bruͤder waren eben zuruͤck-
gekommen und glaubten gewiß, ſie haͤtten das
feinſte mitgebracht. Als aber ein jeder das ſei-
nige vorzeigte, da hatte der Dummling noch
einmal ſo feines, und das Reich waͤr ſein ge-
weſen; aber die zwei andern gaben ſich nicht
zufrieden, und verlangten von dem Vater, er
ſolle noch eine Bedingung machen. Der Koͤ-
nig verlangte nun den ſchoͤnſten Teppich, und
blies die drei Federn wieder in die Luft, und
die dritte fiel wieder auf den Stein, und der
Dummling durfte nicht weiter gehen, die an-
dern aber zogen nach Oſten und Weſten. Er
hob den Stein auf und ging wieder hinab,
und fand das Maͤdchen geſchaͤftig, einen wun-
derſchoͤnen Teppich aus den brennendſten Farben
zu weben, und als er fertig war, ſprach es:
„der iſt fuͤr dich gewirkt, den trag hinauf, kein
Menſch auf der Welt wird einen ſo praͤchtigen
haben.“ Er ging damit vor ſeinen Vater,
und uͤbertraf wieder ſeine Bruͤder, die die ſchoͤn-
ſten Teppiche aus allen Laͤndern zuſammenge-
bracht hatten, aber dieſe brachten den Koͤnig
doch dahin, daß er die neue Bedingung mach-
te, wer das Reich erben wolle, muͤſſe die ſchoͤn-
ſte Frau mit nach Haus bringen. Die Federn
[302] werden wieder geblaſen, und Dummlings ſeine
bleibt auf dem Stein liegen. Da ging er hin-
unter und klagte dem Maͤdchen, was ſein Va-
ter wieder fuͤr ihn ſo ſchweres aufgelegt habe,
das Maͤdchen aber ſagte, es wolle ihm ſchon
helfen, er ſolle nur weiter in dem Gewoͤlbe ge-
hen, da werde er die ſchoͤnſte auf der Welt fin-
den. Der Dummling ging hin und kam an
ein Gemach, worin alles von Gold und Edel-
ſteinen ſchimmerte und flimmerte, aber ſtatt ei-
ner ſchoͤnen Frau, ſaß ein garſtiger Froſch mit-
ten darin. Der Froſch rief ihm zu: „umſchling
mich und verſenk dich!“ Er wollte aber nicht,
da rief der Froſch zum zweiten und dritten-
mal: „umſchling mich und verſenk dich!“ Da
faßte der Dummling den Froſch, und trug ihn
herauf zu einem Teich, und ſprang mit ihm
hinein, kaum aber hatte das Waſſer ſie beruͤhrt,
ſo hielt er die allerſchoͤnſte Jungfrau in ſeinen
Armen. Und ſie ſtiegen heraus, und er fuͤhrte
ſie vor ſeinen Vater, da war ſie tauſendmal
ſchoͤner, als die Frauen, die ſich die andern
Prinzen mitgebracht. Nun waͤre das Reich
wieder dem Dummling geweſen, aber die zwei
laͤrmten und verlangten, der ſollte den Vorzug
haben, deſſen Frau bis zu einem Ring, der
mitten im Saal feſthing, ſpringen koͤnnte; der
Koͤnig willigte auch endlich darein. Die Frau
des aͤlteſten konnte aber kaum halb ſo hoch
[303] hinaufkommen, die Frau des zweiten kam ein
wenig hoͤher, aber die Frau des dritten ſprang
bis in den Ring; da mußten ſie endlich zuge-
ben, daß Dummling nach ihres Vaters Tod
das Reich erben ſolle, und als der ſtarb, ward
er Koͤnig und hat lange in Weisheit regiert.
IIII.
Die goldene Gans.
Es war einmal ein Mann, der hatte drei
Soͤhne, der juͤngſte aber war ein Dummling.
Eines Tags ſprach der aͤlteſte: „Vater, ich will
in den Wald gehen, Holz hauen.“ — „Laß
das bleiben, antwortete der Vater, du kommſt
ſonſt mit einem verbundenen Arm heim.“ Der
Sohn aber achtete nicht darauf, dachte, er wiſſe
ſich ſchon zu huͤten, ſteckte einen Kuchen in die
Taſche und ging hinaus. In dem Walde be-
gegnete ihm ein graues altes Maͤnnchen, das
ſagte: „gieb mir doch ein Stuͤck von dem Ku-
chen, den du in der Taſche haſt, ich bin ſo
hungrig.“ Der kluge Sohn aber ſprach: „was
ſoll ich dir meinen Kuchen geben, dann hab'
ich ſelber nichts, pack dich deiner Wege!“ und
ging fort mit ſeiner Axt, und fing an einen
Baum zu behauen, nicht lange aber, da hieb er
fehl, die Axt fuhr ihm in den Arm, und er muß-
te heimgehen und ſich verbinden laſſen. Das
[304] war aber von dem alten grauen Maͤnnchen ge-
kommen.
Darauf ging der zweite Sohn in den Wald,
wo ihn das Maͤnnchen auch um ein Stuͤck Ku-
chen anſprach. Er ſchlugs ihm aber auch ab,
und hieb ſich dafuͤr ins Bein, daß er ſich mußte
nach Haus tragen laſſen. Endlich ging der
Dummling hinaus, das Maͤnnchen ſprach ihn,
wie die andern, um ein Stuͤck Kuchen an.
„Da haſt du ihn ganz,“ ſagte der Dummling,
und gab ihn hin. Da ſagte das Maͤnnchen:
„hau dieſen Baum ab, ſo wirſt du etwas fin-
den.“ Der Dummling hieb da zu, und als
der Baum umfiel, ſaß eine goldene Gans dar-
unter. Er nahm ſie mit ſich, und ging in ein
Wirthshaus und wollte da uͤbernachten, blieb
aber nicht in der großen Stube, ſondern ließ
ſich eine allein geben, da ſetzte er ſeine Gans
mitten hinein. Die Wirthstoͤchter ſahen die
Gans und waren neugierig, und haͤtten gar
zu gern eine Feder von ihr gehabt. Da ſprach
die aͤlteſte: „ich will einmal hinauf gehen, und
wenn ich nicht bald wieder komme, ſo geht mir
nach.“ Darauf ging ſie zu der Gans, wie ſie
aber kaum die Feder beruͤhrt hat, bleibt ſie
daran haͤngen; weil ſie nun nicht wieder her-
unter kam, ging ihr die zweite nach, und wie
ſie die Gans ſieht, kann ſie gar der Luſt nicht
widerſtehen, ihr eine Feder auszuziehen; die
aͤlteſte
[305] aͤlteſte raͤth ihr ab, was ſie kann, das hilft
aber alles nichts, ſie faßt die Gans an und
bleibt an der Feder haͤngen. Die dritte Toch-
ter, nachdem ſie unten lange gewartet, ging
endlich auch hinauf, die andern rufen ihr zu,
ſie ſollt ums Himmels willen der Gans nicht
nahe kommen, ſie hoͤrt aber gar nicht drauf,
meint, eine Feder muͤſſe ſie haben, und bleibt
auch daran haͤngen. Am andern Morgen nahm
der Dummling die Gans in den Arm und ging
fort, die drei Maͤdchen hingen feſt und muß-
ten hinter ihm drein. Auf dem Feld begegnet
ihnen der Pfarrer: „pfui, ihr garſtigen Maͤd-
chen, was lauft ihr dem jungen Burſchen ſo oͤf-
fentlich nach, ſchaͤmt euch doch!“ damit faßt er
eine bei der Hand, und will ſie zuruͤckziehen,
wie er ſie aber angeruͤhrt bleibt er an ihr auch
haͤngen, und muß nun ſelber hinten drein lau-
fen. Nicht lang, ſo kommt der Kuͤſter: „ei!
Herr Pfarrer, wo hinaus ſo geſchwind? heut
iſt noch eine Kindtaufe!“ er laͤuft auf ihn zu,
faßt ihn beim Ermel, bleibt aber auch haͤngen.
Wie die fuͤnf ſo hintereinander her marſchiren,
kommen zwei Bauern mit ihren Hacken vom
Feld, der Pfarrer ruft ihnen zu, ſie ſollten ſie
los machen, kaum aber haben ſie den Kuͤſter
nur angeruͤhrt, ſo bleiben ſie haͤngen, und wa-
ren ihrer nun ſieben, die dem Dummling mit
der Gans nachliefen.
Kindermärchen. U
[306]
Er kam darauf in eine Stadt, da regierte
ein Koͤnig, der hatte eine Tochter, die war ſo
ernſthaft, daß ſie niemand zum Lachen bringen
konnte. Da hatte der Koͤnig ein Geſetz gege-
ben, wer ſie koͤnnte zu lachen machen, der ſoll-
te ſie heirathen. Der Dummling, als er das
hoͤrte, ging mit ſeiner Gans und ihrem An-
hang vor die Koͤnigstochter; wie dieſe den Auf-
zug ſah, fing ſie uͤberlaut an zu lachen, und
wollte gar nicht wieder aufhoͤren. Er verlang-
te ſie nun zur Braut, aber der Koͤnig machte
allerlei Einwendungen und ſagte, er muͤßte ihm
erſt einen Mann bringen, der einen Keller voll
Wein austrinken koͤnnte. Da ging er in den
Wald, und auf der Stelle, wo er den Baum
abgehauen hatte, ſah er einen Mann ſitzen, der
machte ein gar betruͤbtes Geſicht, der Dumm-
ling fragte, was er ſich ſo ſehr zu Herzen naͤh-
me? „Ei! ich bin ſo durſtig, und kann nicht
genug zu trinken kriegen, ein Faß Wein hab
ich zwar ausgeleert, aber was iſt ein Tropfen
auf einen heißen Stein?“ — „Da kann ich
dir helfen, ſagte der Dummling, komm nur
mit mir, du ſollſt ſatt haben.“ Er fuͤhrte ihn
in des Koͤnigs Keller, der Mann machte ſich
uͤber die großen Faͤſſer, trank und trank, daß
ihm die Huͤften weh thaten, und ehe ein Tag
herum war, hatte er den ganzen Keller ausge-
trunken. Der Dummling verlangte nun ſeine
[307] Braut, der Koͤnig aber aͤrgerte ſich, daß ein
ſchlechter Burſch, den jedermann einen Dumm-
ling nannte, ſeine Tochter davon tragen ſollte,
und machte neue Bedingungen: er muͤſſe ihm
erſt einen Mann ſchaffen, der einen Berg voll
Brod aufeſſen koͤnnte. Der Dummling ging
wieder in den Wald, da ſaß auf des Baumes
Platz ein Mann, der ſchnuͤrte ſich den Leib mit
einem Riemen zuſammen, machte ein graͤmli-
ches Geſicht und ſagte: „ich habe einen ganzen
Backofen voll Raſpelbrod gegeſſen, aber was
hilft das bei meinem großen Hunger, ich ſpuͤr
doch nichts davon im Leib und muß mich nur
zuſchnuͤren, wenn ich nicht Hungers ſterben
ſoll.“ Wie der Dummling das hoͤrte, war er
froh und ſprach: „ſteig auf und geh mit mir,
du ſollſt dich ſatt eſſen.“ Er fuͤhrte ihn zu
dem Koͤnig, der hatte alles Mehl aus dem gan-
zen Reich zuſammenfahren, und einen unge-
heuern Berg davon backen laſſen, der Mann
aber aus dem Wald ſtellte ſich davor, und in
einem Tag und einer Nacht, war der ganze
Berg verſchwunden. Der Dummling forderte
wieder ſeine Braut, der Koͤnig aber ſuchte noch
einmal Ausflucht, und verlangte ein Schiff, das
zu Land wie zu Waſſer fahren koͤnnte; ſchaffe
er aber das, dann ſolle er gleich die Prinzeſſin
haben. Der Dummling ging noch einmal in
den Wald, da ſaß das alte graue Maͤnnchen,
U 2
[308] dem es ſeinen Kuchen gegeben, und ſagte: „ich
hab fuͤr dich getrunken und gegeſſen, ich will
dir auch das Schiff geben, das alles thu' ich,
weil du barmherzig gegen mich geweſen biſt.“
Da gab er ihm das Schiff, das zu Land und
zu Waſſer fuhr, und als der Koͤnig das ſah,
mußte er ihm ſeine Tochter geben. Da ward
die Hochzeit gefeiert, und er erbte das Reich,
und lebte lange Zeit vergnuͤgt mit ſeiner Ge-
mahlin.
65.
Allerlei-Rauh.
Es war einmal ein Koͤnig, der hatte eine
Frau, die war die ſchoͤnſte auf der Welt, und
hatte Haare von purem Gold; ſie hatten auch
eine Tochter mit einander, die war ſo ſchoͤn
wie ihre Mutter, und ihre Haare waren eben
ſo golden. Einmal ward die Koͤnigin krank,
und als ſie fuͤhlte, daß ſie ſterben muͤſſe, rief
ſie den Koͤnig und bat ihn, er moͤge nach ihrem
Tod doch niemand heirathen, der nicht eben ſo
ſchoͤn waͤre wie ſie, und eben ſo goldne Haare
haͤtte; und nachdem ihr der Koͤnig das verſpro-
chen hatte, ſtarb ſie. Der Koͤnig war lange
Zeit ſo betruͤbt, daß er gar an keine zweite
Frau dachte, endlich aber ermahnten ihn ſeine
Raͤthe, ſich wieder zu vermaͤhlen: da wurden
[309] Botſchafter abgeſchickt an alle Prinzeſſinnen,
aber keine war ſo ſchoͤn wie die verſtorbene Koͤ-
nigin, ſo goldenes Haar war auch gar nicht mehr
zu finden auf der Welt. Da warf der Koͤnig
einmal die Augen auf ſeine Tochter, und wie
er ſo ſah, daß ſie ganz ihrer Mutter glich und
auch ein ſo goldenes Haar hatte, ſo dachte er,
du kannſt doch auf der Welt niemand ſo ſchoͤn
finden, du mußt deine Tochter heirathen, und
fuͤhlte in dem Augenblick eine ſo große Liebe
zu ihr, daß er gleich den Raͤthen und der Prin-
zeſſin ſeinen Willen kund that. Die Raͤthe
wollten es ihm ausreden, aber das war um-
ſonſt. Die Prinzeſſin erſchrack von Herzen uͤber
dies gottloſe Vorhaben, weil ſie aber klug war,
ſagte ſie dem Koͤnig, er ſolle ihr erſt drei Klei-
der ſchaffen, eins ſo golden wie die Sonne, eins
ſo weiß wie der Mond, und eins ſo glaͤnzend
wie die Sterne, dann aber einen Mantel von
tauſenderlei Pelz zuſammengeſetzt, und alle
Thiere im Reich muͤßten ein Stuͤck von ihrer
Haut dazu geben. Der Koͤnig war ſo heftig
in ſeiner Begierde, daß er im ganzen Reich
daran arbeiten ließ, ſeine Jaͤger alle Thiere auf-
fangen, und ihnen die Haut abziehen mußten,
daraus ward der Mantel gemacht, und es dauer-
te nicht lang, ſo brachte er der Prinzeſſin, was
ſie verlangt hatte. Die Prinzeſſin ſagte nun,
ſie wolle ſich morgen mit ihm trauen laſſen, in
[310] der Nacht aber ſuchte ſie die Geſchenke, die ſie
von ihrem Braͤutigam hatte, zuſammen, das
war ein goldener Ring, ein golden Spinnraͤd-
chen und ein goldenes Haͤspelchen, die drei Klei-
der aber that ſie in eine Nuß, dann machte ſie
ſich Geſicht und Haͤnde mit Ruß ſchwarz, zog
den Mantel von allerlei Pelz an, und ging fort.
Sie ging die ganze Nacht, bis ſie in einen gro-
ßen Wald kam, da war ſie ſicher, und weil ſie
ſo muͤd war, ſetzte ſie ſich in einen holen Baum,
und ſchlief ein.
Sie ſchlief noch am hohen Tag, da jagte
gerade der Koͤnig, ihr Braͤutigam, in dem
Wald, ſeine Hunde aber liefen um den Baum,
und ſchnupperten daran. Der Koͤnig ſchickte
ſeine Jaͤger hin, die ſollten ſehen, was fuͤr ein
Thier in dem Baum ſteckte, die kamen wieder
und ſagten, es liege ein ſo wunderliches Thier
darin, wie ſie ihr Lebtag noch keins geſehen,
Rauhwerk allerlei Art ſey an ſeiner Haut, es
liege aber und ſchlafe. Da befahl der Koͤnig
ſie ſollten es fangen und hinten auf den Wa-
gen binden. Das thaten die Jaͤger, und wie
ſie es hervorzogen, ſahen ſie, daß es ein Maͤd-
chen war, da banden ſie es hinten auf und fuh-
ren mit ihm heim. „Allerlei-Rauh, ſag-
ten ſie, du biſt gut fuͤr die Kuͤche, du kannſt
Holz und Waſſer tragen, und die Aſche zuſam-
men kehren;“ dann gaben ſie ihm ein kleines
[311] Staͤllchen unter der Treppe, wohin kein Tags-
licht kam: „da kannſt du wohnen und ſchla-
fen.“ Nun mußte es in die Kuͤche, da half
es dem Koch, rupfte die Huͤner, ſchuͤrte das
Feuer, belas das Gemuͤs, und that alle ſchlech-
te Arbeit. Weil es alles ſo ordentlich machte,
war ihm der Koch gut und rief manchmal Al-
lerlei-Rauh Abends und gab ihm etwas von
den Ueberbleibſeln zu eſſen. Ehe der Koͤnig
aber zu Bett ging mußte es hinauf und ihm
die Stiefel ausziehen, und wenn es einen aus-
gezogen hatte, warf er ihn allemal ihm an
den Kopf.
So lebte Allerlei-Rauh lange Zeit recht
armſelig: ach, du ſchoͤne Jungfrau, wie ſolls
mit dir noch werden? Da war ein Ball in
dem Schloß, Allerlei-Rauh dachte, nun koͤnnt'
ich einmal wieder meinen lieben Braͤutigam
recht ſehen, ging zum Koch und bat ihn, er
moͤge ihr doch erlauben, nur ein wenig hinauf-
zugehen, um vor der Thuͤre die Pracht mit an-
zuſehen.“ Geh hin, ſagte der Koch, aber laͤn-
ger als eine halbe Stunde darfſt du nicht aus-
bleiben, du mußt noch die Aſche heut Abend
zuſammenkehren.“ Da nahm Allerlei-Rauh
ſein Oehllaͤmpchen und ging in ſein Staͤllchen,
und wuſch ſich den Ruß ab, da kam ſeine
Schoͤnheit hervor, recht wie die Blumen im
Fruͤhjahr; dann thaͤt es den Pelzmantel ab,
[312] machte die Nuß auf und holte das Kleid her-
aus, das wie die Sonne glaͤnzte. Und wie es
damit geputzt war, ging es hinauf, und jeder-
mann machte ihm Platz, und meinte nicht an-
ders, als eine vornehme Prinzeſſin kaͤme in den
Saal gegangen. Der Koͤnig reichte ihr gleich
ſeine Hand zum Tanz, und wie er mit ihr
tanzte, dachte er, wie gleicht dieſe unbekannte
ſchoͤne Prinzeſſin meiner lieben Braut, und je
laͤnger er ſie anſah, deſto mehr glich ſie ihr,
daß er es faſt gewiß glaubte, und wenn der
Tanz zu Ende waͤr, wollte er ſie fragen. Wie
ſie aber ausgetanzt hatte, verneigte ſie ſich und
war verſchwunden, ehe ſich der Koͤnig beſinnen
konnte. Da ließ er die Waͤchter fragen, aber
keiner hatte die Prinzeſſin aus dem Hauſe ge-
hen ſehen. Sie war geſchwind in ihr Staͤll-
chen gelaufen, hatte ihr Kleid ausgezogen, Ge-
ſicht und Haͤnde ſchwarz gemacht, und wieder
den Pelzmantel umgethan. Dann ging ſie in
die Kuͤche und wollte die Aſche zuſammenkehren,
der Koch aber ſagte: „laß das ſeyn bis mor-
gen, ich will auch ein wenig hinaufgehen und
den Tanz mit anſehen, koch derweil dem Koͤnig
ſeine Suppe, aber laß keine Haare hineinfallen,
ſonſt kriegſt du nichts mehr zu eſſen.“ Aller-
lei-Rauh kochte dem Koͤnig da eine Brodſup-
pe, und zuletzt legte es den goldenen Ring hin-
ein, den der Koͤnig ihr geſchenkt hatte. Wie
[313] nun der Ball zu Ende war, ließ ſich der Koͤ-
nig ſeine Brodſuppe bringen, die ſchmeckte ihm
ſo gut, daß er meinte, er haͤtte noch nie eine
ſo gute gegeſſen, wie er aber fertig war, fand
er den Ring auf dem Grund liegen, und wie
er ihn genau anſah, da war es ſein Treuring.
Da verwunderte er ſich, konnte nicht begreifen,
wie der Ring dahin kam, und ließ den Koch
rufen; der Koch ward boͤs uͤber [Allerlei-Rauh]:
„du haſt gewiß ein Haar hineinfallen laſſen,
wenn das wahr iſt, ſo kriegſt du Schlaͤge.“
Wie aber der Koch hinauf kam, fragte der Koͤ-
nig, wer die Suppe gekocht habe, die waͤr beſ-
ſer als ſonſt geweſen, da mußte er geſtehen,
daß es Allerlei-Rauh gethan, und da hieß ihn
der Koͤnig Allerlei-Rauh heraufſchicken. Wie
es kam, ſagte der [Koͤnig]: „wer biſt du und
was machſt du in meinem Schloß, woher haſt
du den Ring, der in der Suppe lag?“ Es
antwortete aber: „ich bin nichts als ein armes
Kind, dem Vater und Mutter geſtorben ſind,
habe nichts und bin zu gar nichts gut, als daß
die Stiefel mir um den Kopf geworfen werden,
und von dem Ring weiß ich auch nichts,“ da-
mit lief es fort.
Darnach war wieder ein Ball; da bat Aller-
lei-Rauh den Koch wieder, er ſolle es hinaufge-
hen laſſen. Der Koch erlaubte es auch nur auf
eine halbe Stunde, dann ſolle es da ſeyn und
[314] dem Koͤnig die Brodſuppe kochen. Allerlei-Rauh
ging in ſein Staͤllchen, wuſch ſich rein und
nahm das Mondkleid heraus, noch reiner und
glaͤnzender als der gefallene Schnee, und wie
es hinauf kam ging eben der Tanz an, da reich-
te ihm der Koͤnig die Hand, und tanzte mit
ihm, und zweifelte nicht mehr, daß das ſeine
Braut ſey, denn niemand auf der Welt hatte
außer ihr noch ſo goldene Haare; wie aber der
Tanz zu Ende war, war auch die Prinzeſſin
ſchon wieder draußen, und alle Muͤhe umſonſt,
der Koͤnig konnte ſie nicht finden, und hatte
auch kein einzig Wort mit ihr ſprechen koͤnnen.
Sie war aber wieder Allerlei-Rauh, ſchwarz
im Geſicht und an den Haͤnden, ſtand in der
Kuͤche, und kochte dem Koͤnig die Brodſuppe,
und der Koch war hinaufgegangen und guckte
zu. Und als die Suppe fertig war, that ſie
das goldne Spinnrad hinein. Der Koͤnig aß
die Suppe, und ſie daͤuchte ihm noch beſſer, und
als er zuletzt das goldene Spinnrad fand, er-
ſtaunte er noch mehr, denn das hatte er einmal
ſeiner Braut geſchenkt. Der Koch ward geru-
fen, und dann Allerlei-Rauh, aber die gab
wieder zur Antwort, ſie wiſſe nichts davon, und
ſey nur dazu da, daß ihr die Stiefel um den
Kopf geworfen wuͤrden.
Der Koͤnig ſtellte zum drittenmal einen
Ball an, und hoffte ſeine Braut ſollte wieder
[315] kommen, und da wollte er ſie gewiß feſthalten.
Allerlei-Rauh bat auch wieder den Koch, ob
ſie nicht duͤrfe hinaufgehen, der ſchalt aber und
ſagte: „du biſt eine Hexe, du thuſt immer et-
was in die Suppe, und kannſt ſie beſſer kochen
als ich;“ doch weil es ſo bat und verſprach,
ordentlich zu ſeyn, ſo ließ er es wieder auf ei-
ne halbe Stunde hingehen. Da zog es ſein
Sternenkleid an, das funkelte wie die Sterne
in der Nacht, ging hinauf und tanzte mit dem
Koͤnig; der meinte, ſo ſchoͤn haͤtte er es noch
niemals geſehen. Bei dem Tanz aber ſteckte er
ihm einen Ring an den Finger, und hatte be-
fohlen, daß der Tanz recht lang waͤhren ſollte.
Doch aber konnte er es nicht feſthalten, auch
kein Wort mit ihm ſprechen, denn als der Tanz
aus war, ſprang es ſo geſchwind unter die Leu-
te, daß es verſchwunden war, eh er ſich um-
drehte. Es lief in ſein Staͤllchen, und weils
laͤnger als eine halbe Stunde weggeweſen war,
zog es ſich geſchwind aus und machte ſich in
der Eile nicht ganz ſchwarz, ſondern ein Finger
blieb weiß, und wie es in die Kuͤche kam, war
der Koch ſchon fort, da kochte es geſchwind die
Brodſuppe und legte den goldenen Haspel hin-
ein. Der Koͤnig fand ihn, wie den Ring und
das goldne Spinnrad, und nun wußt' er ge-
wiß, daß ſeine Braut in der Naͤhe war, denn
niemand anders konnte die Geſchenke ſonſt ha-
[316] ben. Allerlei-Rauh ward gerufen, wollte ſich
wieder durchhelfen und fortſpringen, aber in-
dem es fortſprang, erblickte der Koͤnig einen
weißen Finger an ſeiner Hand, und hielt es
feſt daran; da fand er den Ring, den er ihm
angeſteckt, und riß den Rauchmantel ab, da ka-
men die goldenen Haare heraus gefloſſen, und
es war ſeine allerliebſte Braut, und der Koch
ward reichlich belohnt, und dann hielt er
Hochzeit, und ſie lebten vergnuͤgt bis an ih-
ren Tod.
66.
Hurleburlebutz.
Ein Koͤnig verirrte ſich auf der Jagd, da
trat ein kleines weißes Maͤnnchen vor ihn:
„Herr Koͤnig, wenn ihr mir eure juͤngſte Toch-
ter geben wollt, ſo will ich euch wieder aus dem
Wald fuͤhren.“ Der Koͤnig ſagte es in ſeiner
Angſt zu, das Maͤnnchen brachte ihn auf den
Weg, nahm dann Abſchied und rief noch nach:
„in acht Tagen komm ich und hol meine Braut.“
Daheim aber war der Koͤnig traurig uͤber ſein
Verſprechen, denn die juͤngſte Tochter hatte er
am liebſten; das ſahen ihm die Prinzeſſinnen
an, und wollten wiſſen, was ihm Kummer ma-
che. Da mußt ers endlich geſtehen, er habe die
juͤngſte von ihnen einem kleinen weißen Wald-
[317] maͤnnchen verſprochen, und das komme in acht
Tagen und hole ſie ab. Sie ſprachen aber, er
ſolle gutes Muths ſeyn, das Maͤnnchen wollten
ſie ſchon anfuͤhren. Darnach als der Tag kam,
kleideten ſie eine Kuhhirtstochter mit ihren Klei-
dern an, ſetzten ſie in ihre Stube und befahlen
ihr: „wenn jemand kommt, und will dich ab-
holen, ſo gehſt du mit!“ ſie ſelber aber gingen
alle aus dem Hauſe fort. Kaum waren ſie
weg, ſo kam ein Fuchs in das Schloß, und
ſagte zu dem Maͤdchen: „ſetz dich auf meinen
rauhen Schwanz, Hurleburlebutz! hinaus in
den Wald!“ Das Maͤdchen ſetzte ſich dem
Fuchs auf den Schwanz, und ſo trug er es
hinaus in den Wald; wie ſie aber auf einen
ſchoͤnen gruͤnen Platz kamen, wo die Sonne
recht hell und warm ſchien, ſagte der Fuchs:
„ſteig ab und laus mich!“ Das Maͤdchen ge-
horchte, der Fuchs legte ſeinen Kopf auf ihren
Schooß und ward gelauſt; bei der Arbeit ſprach
das Maͤdchen: „geſtern um die Zeit wars doch
ſchoͤner in dem Wald!“ — „Wie biſt du in
den Wald gekommen?“ fragte der Fuchs. —
„Ei, da hab ich mit meinem Vater die Kuͤhe
gehuͤtet.“ — „Alſo biſt du nicht die Prinzeſſin!
ſetz dich auf meinen rauhen Schwanz, Hurle-
burlebutz! zuruͤck in das Schloß!“ Da trug
ſie der Fuchs zuruͤck und ſagte zum Koͤnig: „du
haſt mich betrogen, das iſt eine Kuhhirtstoch-
[318] ter, in acht Tagen komm ich wieder und hol
mir deine.“ Am achten Tage aber kleideten
die Prinzeſſinnen eine Gaͤnſehirtstochter praͤch-
tig an, ſetzten ſie hin und gingen fort. Da
kam der Fuchs wieder und ſprach: „ſetz dich
auf meinen rauhen Schwanz, Hurleburlebutz!
hinaus in den Wald!“ Wie ſie in dem Wald
auf den ſonnigen Platz kamen, ſagte der Fuchs
wieder: „ſteig ab und laus mich.“ Und als
das Maͤdchen den Fuchs lauſte, ſeufzte es und
ſprach: „wo moͤgen jetzt meine Gaͤnſe ſeyn!“
— „Was weißt du von Gaͤnſen?“ — „Ei,
die hab ich alle Tage mit meinem Vater auf
die Wieſen getrieben.“ — „Alſo biſt du nicht
des Koͤnigs Tochter! ſetz dich auf meinen rau-
hen Schwanz, Hurleburlebutz! zuruͤck in das
Schloß!“ Der Fuchs trug ſie zuruͤck und ſag-
te zum Koͤnig: „du haſt mich wieder betrogen,
das iſt eine Gaͤnſehirtstochter, in acht Tagen
komm ich noch einmal, und wenn du mir dann
deine Tochter nicht giebſt, ſo ſoll dirs uͤbel ge-
hen.“ Dem Koͤnig ward Angſt, und wie der
Fuchs wieder kam, gab er ihm die Prinzeſſin.
„Setz dich auf meinen rauhen Schwanz, Hur-
leburlebutz! hinaus in den Wald.“ Da muß-
te ſie auf dem Schwanz des Fuchſes hinausrei-
ten, und als ſie auf den Platz im Sonnen-
ſchein kamen, ſprach er auch zu ihr: „ſteig ab
und laus mich!“ als er ihr aber ſeinen Kopf
[319] auf den Schooß legte, fing die Prinzeſſin an
zu weinen und ſagte: „ich bin eines Koͤnigs
Tochter und ſoll einen Fuchs lauſen, ſaͤß ich jetzt
daheim in meiner Kammer, ſo koͤnnt ich meine
Blumen im Garten ſehen!“ Da hoͤrte der
Fuchs, daß er die rechte Braut hatte, verwan-
delte ſich in das kleine, weiße Maͤnnchen, und
das war nun ihr Mann, bei dem mußt' ſie in
einer kleinen Huͤtte wohnen, ihm kochen und
naͤhen, und es dauerte eine gute Zeit. Das
Maͤnnchen aber that ihr alles zu Liebe.
Einmal ſagte das Maͤnnchen zu ihr: „ich
muß fortgehen, aber es werden bald drei weiße
Tauben geflogen kommen, die werden ganz nie-
drig uͤber die Erde hinſtreifen, davon fang die
mittelſte, und wenn du ſie haſt, ſchneid ihr
gleich den Kopf ab, huͤt' dich aber, daß du kei-
ne andere ergreifſt, als die mittelſte, ſonſt ent-
ſteht ein groß Ungluͤck daraus.“ Das Maͤnn-
chen ging fort; es dauerte auch nicht lang, ſo
kamen drei weiße Tauben daher geflogen. Die
Prinzeſſin gab Acht, ergriff die mittelſte, nahm
ein Meſſer und ſchnitt ihr den Kopf ab. Kaum
aber lag der auf dem Boden, ſo ſtand ein ſchoͤ-
ner junger Prinz vor ihr und ſprach: „mich
hat eine Fee verzaubert, ſieben Jahr lang ſollt
ich meine Geſtalt verlieren, und ſodann als ei-
ne Taube an meiner Gemahlin vorbeifliegen,
zwiſchen zwei andern, da muͤſſe ſie mich fan-
[320] gen und mir den Kopf abhauen, und fange ſie
mich nicht, oder eine unrechte, und ich ſey ein-
mal vorbeigeflogen, ſo ſey alles vorbei und kei-
ne Erloͤſung mehr moͤglich: darum hab ich dich
gebeten, ja recht Acht zu haben, denn ich bin
das graue Maͤnnlein und du meine Gemahlin.“
Da war die Prinzeſſin vergnuͤgt, und ſie gin-
gen zuſammen zu ihrem Vater, und als der
ſtarb, erbten ſie das Reich.
67.
Der Koͤnig mit dem Loͤwen.
Bei ſeiner Braut ſaß ein junger Prinz und
ſprach: „da geb ich dir einen Ring und mein
Bild, das trag zu meinem Andenken und bleib
mir treu; mein Vater iſt todtkrank und hat ge-
ſchickt, ich ſoll kommen, er will mich vor ſei-
nem Ende noch einmal ſehen, wann ich Koͤnig
bin, ſo hole ich dich heim.“ Darauf ritt er
fort, und fand ſeinen Vater ſterbend; er bat
noch den Prinzen, er moͤge eine gewiſſe Prin-
zeſſin nach ſeinem Tode heirathen. Der Prinz
war ſo betruͤbt, und hatte ſeinen Vater ſo lieb,
daß er ohne ſich zu bedenken, Ja ſagte, und gleich
darauf that der alte Koͤnig die Augen zu und
ſtarb. Wie er nun zum Koͤnig ausgerufen und
die Trauerzeit herum war, mußt er ſein Wort
halten, und ließ um die andere Prinzeſſin wer-
ben,
[321] ben, die ihm zugeſagt wurde. Indeß hoͤrte die
erſte Braut, daß der Prinz um eine andere ge-
freit, da graͤmte ſie ſich ſo ſehr, daß ſie faſt
verging. Ihr Vater fragte, warum ſie ſo trau-
rig ſey, ſie ſolle fordern, was ſie wolle, es ſolle
ihr gewaͤhrt ſeyn; da bedachte ſich die Prin-
zeſſin einen Augenblick, dann bat ſie ſich elf
Maͤdchen aus, die ihr vollkommen glichen, auch
an Groͤße und Wuchs. Der Koͤnig ließ die elf
Jungfrauen im ganzen Koͤnigreich aufſuchen,
und als ſie beiſammen waren, kleidete ſie die
Prinzeſſin in Jaͤger, ſich ſelber eben ſo, ſo daß
ihrer zwoͤlf vollkommen, eine wie die andere,
waren. Darauf ritt ſie zu dem Koͤnig ihrem
ehemaligen Braͤutigam, und verlangte fuͤr ſich
und die uͤbrigen Dienſt als Jaͤger. Der Koͤnig
erkannte ſie nicht, und weil es ſo ſchoͤne Leute
waren, gewaͤhrte er ihnen gern die Bitte, und
nahm ſie an ſeinen Hof.
Der Koͤnig hatte aber einen Loͤwen, dem
war nichts verborgen, und er wußte alles, was
heimlich am Hofe geſchah. Der ſagte eines
Abends zu ihm: „du glaubſt, du haͤtteſt da
zwoͤlf Jaͤger, das ſind aber lauter Maͤdchen.“
Der Koͤnig wollte es nicht glauben, da ſagte
der Loͤwe weiter: „laß nur einmal Erbſen in
dein Vorzimmer ſtreuen, Maͤnner, die haben
einen feſten Tritt, wenn die daruͤber hingehen,
regt ſich keine, Maͤdchen aber die trippeln und
Kindermärchen. X
[322] ſchlurfen, und die Erbſen rollen unter ihren
Fuͤßen.“ Dem Koͤnig gefiel das wohl. Es
war aber ein Diener des Koͤnigs, der liebte die
Jaͤger und hatte das mit angehoͤrt, da lief
er zu ihnen und ſagte: der Loͤwe haͤlt euch
fuͤr [Maͤdchen], und will Erbſen ſtreuen laſſen
und euch damit probiren; die Prinzeſſin befahl
darauf ihren elf Jungfrauen, ſie ſollten ſich
alle Gewalt anthun, und feſt auf die Erbſen
treten. Als nun am Morgen die Erbſen ge-
ſtreut waren, ließ der Koͤnig die zwoͤlf Jaͤger
kommen, ſie hatten aber einen ſo ſichern und
ſtarken Gang, daß ſich auch nicht eine Erbſe
bewegte. Am Abend machte der Koͤnig dem
Loͤwen Vorwuͤrfe, daß er ihn belogen, da ſag-
te der Loͤwe: „ſie haben ſich verſtellt, laß aber
nur zwoͤlf Spinnraͤder in das Vorzimmer ſtel-
len, da werden ſie ſich druͤber freuen, und das
thut kein Mann.“ Der Koͤnig folgte dem Loͤ-
wen noch einmal, und ließ die Spinnraͤder hin-
ſtellen. Der Diener aber hatte den Jaͤgern den
Anſchlag verrathen, da befahl die Prinzeſſin
ihren elf Jungfrauen die Spinnraͤder nicht ein-
mal anzuſehen. So thaten ſie auch, und der
Koͤnig wollte dem Loͤwen nicht mehr glauben.
Er gewann die Jaͤger immer lieber, und wenn
er auf die Jagd ritt, mußten ſie ihm folgen.
Wie ſie einmal mit ihm im Wald waren, kam
die Nachricht, die Braut des Prinzen ſey im
[323] Anzug, und werde bald da ſeyn; wie das die
rechte Braut hoͤrte fiel ſie in Ohnmacht. Der
Koͤnig meinte, ſeinem lieben Jaͤger ſey etwas
zugeſtoßen, lief herzu und wollte ihm helfen,
er zog ihm aber auch die Handſchuh aus, da
erblickte er den Ring, den er ſeiner erſten Braut
gegeben, und als er dann noch das Bildniß an
ihrem Hals ſah, erkannte er ſie, und ließ gleich
der andern Braut ſagen, ſie moͤge in ihr Reich
zuruͤckkehren, er habe ſchon eine Gemahlin, und
wenn man einen alten Schluͤſſel wieder gefun-
den, brauche man den neuen nicht. Da ward
die Hochzeit gefeiert, und der Loͤwe hatte nicht
gelogen, und kam wieder in Gnade bei dem
Koͤnig.
68.
Von dem Sommer- und Winter-
garten.
Ein Kaufmann wollte auf die Meſſe ge-
hen, da fragte er ſeine drei Toͤchter, was er
ihnen mitbringen ſollte. Die aͤlteſte ſprach:
„ein ſchoͤnes Kleid;“ die zweite: „ein paar
huͤbſche Schuhe;“ die dritte: „eine Roſe.“
Aber die Roſe zu verſchaffen, war etwas ſchwe-
res, weil es mitten im Winter war, doch weil
die juͤngſte die ſchoͤnſte war, und ſie eine ſo
große Freude an den Blumen hatte, ſagte der
X 2
[324] Vater, er wolle zuſehen, ob er ſie bekommen
koͤnne, und ſich rechte Muͤhe darum geben.
Als der Kaufmann wieder auf der Ruͤck-
reiſe war, hatte er ein praͤchtiges Kleid fuͤr die
aͤlteſte, und ein paar ſchoͤne Schuhe fuͤr die
zweite, aber die Roſe fuͤr die dritte hatte er
nicht bekommen koͤnnen, wenn er in einen Gar-
ten gegangen war, und nach Roſen gefragt,
hatten die Leute ihn ausgelacht: „ob er denn
glaube, daß die Roſen im Schnee wuͤchſen.“
Das war ihm aber gar leid, und wie er dar-
uͤber ſann, ob er gar nichts fuͤr ſein liebſtes
Kind mitbringen koͤnne, kam er vor ein Schloß,
und dabei war ein Garten, in dem war es
halb Sommer und halb Winter, und auf der
einen Seite bluͤhten die ſchoͤnſten Blumen groß
und klein, und auf der andern war alles kahl
und lag ein tiefer Schnee. Der Mann ſtieg
vom [Pferd] herab, und wie er eine ganze Hecke
voll Roſen auf der Sommerſeite erblickte, war
er froh, ging hinzu und brach eine ab, dann
ritt er wieder fort. Er war ſchon ein Stuͤck
Wegs geritten, da hoͤrte er etwas hinter ſich
herlaufen und ſchnaufen, er drehte ſich um, und
ſah ein großes ſchwarzes Thier, das rief: „du
giebſt mir meine Roſe wieder, oder ich mache
dich todt, du giebſt mir meine Roſe wieder, oder
ich mach dich todt!“ da ſprach der Mann: „ich
bitt dich, laß mir die Roſe, ich ſoll ſie meiner
[325] Tochter mitbringen, die iſt die ſchoͤnſte auf der
Welt.“ — „[Meinetwegen], aber gieb mir die
ſchoͤne Tochter dafuͤr zur Frau?“ Der Mann,
um das Thier los zu werden, ſagt ja, und
denkt, das wird doch nicht kommen und ſie for-
dern, das Thier aber rief noch hinter ihm
drein: „in acht Tagen komm ich und hol mei-
ne Braut.“
Der Kaufmann brachte nun einer jeden
Tochter mit, was ſie gewuͤnſcht hatten; ſie freu-
ten ſich auch alle daruͤber, am meiſten aber die
juͤngſte uͤber die Roſe. Nach acht Tagen ſaßen
die drei Schweſtern beiſammen am Tiſch, da
kam etwas mit ſchwerem Gang die Treppe her-
auf, und an die Thuͤre und rief: „macht auf!
macht auf!“ Da machten ſie auf, aber ſie er-
ſchracken recht, als ein großes ſchwarzes Thier
hereintrat: „Weil meine Braut nicht gekom-
men, und die Zeit herum iſt, will ich mir ſie
ſelber holen.“ Damit ging es auf die juͤngſte
Tochter zu und packte ſie an. Sie fing an zu
ſchreien, das half aber alles nichts, ſie mußte
mit fort, und als der Vater nach Haus kam,
war ſein liebſtes Kind geraubt. Das ſchwarze
Thier aber trug die ſchoͤne Jungfrau in ſein
Schloß, da wars gar wunderbar und ſchoͤn,
und Muſikanten waren darin, die ſpielten auf,
und unten war der Garten halb Sommer und
halb Winter, und das Thier that ihr alles zu
[326] Liebe, [was] es ihr nur an den Augen abſehen
konnte. Sie aßen zuſammen, und ſie mußte
ihm aufſchoͤpfen, ſonſt wollte es nicht eſſen, da
ward ſie dem Thier hold, und endlich hatte ſie
es recht lieb. Einmal ſagte ſie zu ihm: „mir
iſt ſo Angſt, ich weiß nicht recht warum, aber
mir iſt, als waͤr mein Vater krank, oder eine
von meinen Schweſtern, koͤnnte ich ſie nur ein
einzigesmal ſehen!“ Da fuͤhrte ſie das Thier
zu einem Spiegel und ſagte: „da ſchau hin-
ein,“ und wie ſie hineinſchaute, war es recht
als waͤre ſie zu Haus; ſie ſah ihre Stube und
ihren Vater, der war wirklich krank, aus Her-
zeleid, weil er ſich Schuld gab, daß ſein lieb-
ſtes Kind von einem wilden Thier geraubt und
gar von ihm aufgefreſſen ſey, haͤtt' er gewußt,
wie gut es ihm ging, ſo haͤtte er ſich nicht be-
truͤbt; auch ihre zwei Schweſtern ſah ſie am
Bett ſitzen, die weinten. Von dem allen war
ihr Herz ganz ſchwer, und ſie bat das Thier,
es ſollte ſie nur ein paar Tage wieder heim
gehen laſſen. Das Thier wollte lange nicht, end-
lich aber, wie ſie ſo jammerte, hatte es Mit-
leiden mit ihr und ſagte: „geh hin zu deinem
Vater, aber verſprich mir, daß du in acht Ta-
gen wieder da ſeyn willſt. Sie verſprach es
ihm, und als ſie fort ging, rief es noch: „bleib
aber ja nicht laͤnger als acht Tage aus.“
Wie ſie heim kam, freute ſich ihr Vater,
[327] daß er ſie noch einmal ſaͤhe, aber die Krankheit
und das Leid hatten ſchon zu ſehr an ſeinem
Herzen gefreſſen, daß er nicht wieder geſund
werden konnte, und nach ein paar Tagen ſtarb
er. Da konnte ſie an nichts anders denken vor
Traurigkeit, und hernach ward ihr Vater be-
graben, da ging ſie mit zur Leiche, und dann
weinten die Schweſtern zuſammen und troͤſte-
ten ſich, und als ſie endlich wieder an ihr lie-
bes Thier dachte, da waren ſchon laͤngſt die
acht Tage herum. Da ward ihr recht Angſt,
und es war ihr, als ſey das auch krank, und
ſie machte ſich gleich auf, und ging wieder hin
zu ſeinem Schloß. Wie ſie aber wieder ankam,
wars ganz ſtill und traurig darin, die Muſi-
kanten ſpielten nicht, und alles war mit ſchwar-
zem Flor behangen; der Garten aber war ganz
Winter und von Schnee bedeckt. Und wie ſie
das Thier ſelber ſuchte, war es fort, und ſie
ſuchte aller Orten, aber ſie konnte es nicht fin-
den. Da war ſie doppelt traurig, und wußte
ſich nicht zu troͤſten, und einmal ging ſie ſo
traurig im Garten, und ſah einen Haufen Kohl-
haͤupter, die waren oben ſchon alt und faul,
da legte ſie die herum, und wie ſie ein paar
umgedreht hatte, ſah ſie ihr liebes Thier, das
lag darunter und war todt. Geſchwind holte
ſie Waſſer und begoß es damit unaufhoͤrlich, da
ſprang es auf und war auf einmal verwandelt,
[328] und ein ſchoͤner Prinz. Da ward Hochzeit ge-
halten und die Muſikanten ſpielten gleich wie-
der, die Sommerſeite im Garten kam praͤchtig
hervor, und der ſchwarze Flor ward abgeriſſen,
und ſie lebten vergnuͤgt miteinander immerdar.
69.
Jorinde und Joringel.
Es war einmal ein altes Schloß, mitten
in einem großen, dicken Wald, darinnen wohn-
te eine alte Frau ganz allein, das war eine
Erzzauberin. Am Tage machte ſie ſich zur Kat-
ze, oder zu Nachteule, des Abends aber wurde
ſie wieder ordentlich wie ein Menſch geſtaltet.
Sie konnte das Wild und die Voͤgel herbeilok-
ken, und dann ſchlachtete ſie's, kochte und bra-
tete es. Wenn jemand auf hundert Schritte
dem Schloß nahe kam, ſo mußte er ſtille ſtehn,
und konnte ſich nicht von der Stelle bewegen,
bis ſie ihn losſprach: wenn aber eine keuſche
Jungfrau in dieſen Kreis kam, ſo verwandelte
ſie dieſelbe in einen Vogel und ſperrte ſie dann
in einen Korb ein, in die Kammern des Schloſ-
ſes. Sie hatte wohl ſieben tauſend ſolcher Koͤr-
be mit ſo raren Voͤgeln im Schloſſe.
Nun war einmal eine Jungfrau, die hieß
Jorinde; ſie war ſchoͤner als alle andere Maͤd-
chen, die, und dann ein gar ſchoͤner Juͤngling,
[329] Namens Joringel, hatten ſich zuſammen ver-
ſprochen. Sie waren in den Brauttagen, und
ſie hatten ihr groͤßtes Vergnuͤgen eins am an-
dern. Damit ſie nun einsmalen vertraut zu-
ſammen reden koͤnnten, gingen ſie in den Wald
ſpaziren. „Huͤte dich, ſagte Joringel, daß du
nicht ſo nahe an das Schloß kommſt!“ Es
war ein ſchoͤner Abend, die Sonne ſchien zwi-
ſchen den Staͤmmen der Baͤume hell ins dunkle
Gruͤn des Walds, und die Turteltaube ſang
klaͤglich auf den alten Maibuchen.
Jorinde weinte zuweilen, ſetzte ſich hin in
Sonnenſchein und klagte. Joringel klagte auch;
ſie waren ſo beſtuͤrzt, als wenn ſie haͤtten ſter-
ben ſollen; ſie ſahen ſich um, waren irre, und
wußten nicht, wohin ſie nach Hauſe gehen ſoll-
ten. Noch halb ſtand die Sonne uͤber dem
Berg, und halb war ſie unter: Joringel ſah
durchs Gebuͤſch, und ſah die alte Mauer des
Schloſſes nah bei ſich, er erſchrack und wurde
todtbang. Jorinde ſang:
Joringel ſah nach Jorinde. Jorinde war in
eine Nachtigall verwandelt, die ſang Zickuͤth!
Zickuͤth. Eine Nachteule mit gluͤhenden Augen
[330] flog dreimal um ſie herum, und ſchrie dreimal
Schu — hu — hu — hu! Joringel konnte
ſich nicht regen; er ſtand da wie ein Stein,
konnte nicht weinen, nicht reden, nicht Hand
noch Fuß regen. Nun war die Sonne unter;
die Eule flog in einen Strauch, und gleich dar-
auf kam eine alte krumme Frau aus dieſem
hervor, gelb und mager, große rothe Augen,
krumme Naſe, die mit der Spitze aus Kinn
reichte. Sie murmelte, fing die Nachtigall, und
trug ſie auf der Hand fort. Joringel konnte
nichts ſagen, nicht von der Stelle kommen;
die Nachtigall war fort, endlich kam das Weib
wieder und ſagte mit dumpfer Stimme: „Gruͤß
dich, Zachiel! Wenns Moͤndel ins Koͤrbel ſcheint,
bind los, Zachiel, zu guter Stund!“ Da
wurd Joringel los; er fiel vor dem Weib auf
die Knie, und bat, ſie moͤgte ihm ſeine Jorinde
wieder geben; aber ſie ſagte, er ſolle ſie nie
wieder haben, und ging fort. Er rief, er wein-
te, er jammerte, aber alles umſonſt. Uu! was
ſoll mir geſchehn? Joringel ging fort und kam
endlich in ein fremdes Dorf; da huͤtet er die
Schafe lange Zeit. Oft ging er rund um das
Schloß herum, aber nicht zu nahe dabei; end-
lich traͤumte er einmal des Nachts, er faͤnd ei-
ne blutrothe Blume, in deren Mitte eine ſchoͤ-
ne große Perle war; die Blume brach er ab,
ging damit zum Schloſſe; alles, was er mit
[331] der Blume beruͤhrte, ward von der Zauberei
frei; auch traͤumte er, er haͤtte ſeine Jorinde
dadurch wieder bekommen. Des Morgens, als
er erwachte, fing er an, durch Berg und Thal
zu ſuchen, ob er eine ſolche Blume faͤnde; er
ſuchte bis an den neunten Tag, da fand er die
blutrothe Blume am Morgen fruͤh. In der
Mitte war ein großer Thautropfe, ſo groß wie
die ſchoͤnſte Perle. Dieſe Blume trug er Tag
und Nacht bis zum Schloß. Wie er auf hun-
dert Schritt nahe zum Schloß kam, da wurd
er nicht feſt, ſondern ging fort bis ans Thor.
Joringel freute ſich hoch, beruͤhrte die Pforte
mit der Blume, und ſie ſprang auf; er ging
hinein, durch den Hof, horchte, wo er die vie-
len Voͤgel vernaͤhm. Endlich hoͤrt ers; er ging
und fand den Saal, darauf war die Zauberin,
und fuͤtterte die Voͤgel in den ſieben tauſend Koͤr-
ben. Wie ſie den Joringel ſah, ward ſie boͤs,
ſehr boͤs, ſchalt, ſpie Gift und Galle gegen
ihn aus, aber ſie konnt auf zwei Schritte nicht
an ihn kommen. Er kehrte ſich nicht an ſie,
und ging, beſah die Koͤrbe mit den Voͤgeln;
da waren aber viele hundert Nachtigallen; wie
ſollte er nun ſeine Jorinde wieder finden? In-
dem er ſo zuſah, merkte er, daß die Alte heimlich
ein Koͤrbchen mit einem Vogel nimmt, und damit
nach der Thuͤre geht. Flugs ſprang er hinzu,
beruͤhrte das Koͤrbchen mit der Blume, und
[332] auch das alte Weib; nun konnte ſie nichts
mehr zaubern und Jorinde ſtand da, hatte ihn
um den Hals gefaßt, ſo ſchoͤn, wie ſie ehemals
war. Da macht er auch alle die andern Voͤgel
wieder zu Jungfrauen, und da ging er mit ſei-
ner Jorinde nach Hauſe, und lebten lange ver-
gnuͤgt zuſammen.
70.
Der Okerlo.
Eine Koͤnigin ſetzte ihr Kind in einer gol-
denen Wiege aufs Meer, und ließ es fort-
ſchwimmen; es ging aber nicht unter, ſondern
ſchwamm zu einer Inſel, da wohnten lauter
Menſchenfreſſer. Wie nun ſo die Wiege ge-
ſchwommen kam, ſtand gerade die Frau des
Menſchenfreſſers am Ufer, und als ſie das Kind
ſah, welches ein wunderſchoͤnes Maͤdchen war,
beſchloß ſie, es groß zu ziehen fuͤr ihren Sohn,
der ſollte es einmal zur Frau haben. Doch
hatte ſie große Noth damit, daß ſie es ſorgfaͤl-
tig vor ihrem Mann, dem alten Okerlo ver-
ſteckte, denn haͤtte er es zu Geſicht bekommen,
ſo waͤre es mit Haut und Haar aufgefreſſen
worden.
Als nun das Maͤdchen groß geworden war,
ſollte es mit dem jungen Okerlo verheirathet
werden, es mochte ihn aber gar nicht leiden,
[333] und weinte den ganzen Tag. Wie es ſo ein-
mal am Ufer ſaß, da kam ein junger, ſchoͤner
Prinz geſchwommen, der gefiel ihm und es ge-
fiel ihm auch, und ſie verſprachen ſich mitein-
ander; indem aber kam die alte Menſchen-
freſſerin, die wurde gewaltig boͤs, daß ſie den
Prinzen bei der Braut ihres Sohnes fand,
und kriegte ihn gleich zu packen: „wart nun,
du ſollſt zu meines Sohnes Hochzeit gebraten
werden!“
Der junge Prinz, das Maͤdchen und die drei
Kinder des Okerlo ſchliefen aber alle in einer
Stube zuſammen, wie es nun Nacht wurde,
kriegte der alte Okerlo Luſt nach Menſchen-
fleiſch, und ſagte: „Frau, ich habe nicht Luſt
bis zur Hochzeit zu warten, gieb mir den Prin-
zen nur gleich her!“ Das Maͤdchen aber hoͤr-
te alles durch die Wand, ſtand geſchwind auf,
nahm dem einen Kind des Okerlo die goldene
Krone ab, die es auf dem Haupte trug, und
ſetzte ſie dem Prinzen auf. Die alte Men-
ſchenfreſſerin kam gegangen, und weil es dun-
kel war, ſo fuͤhlte ſie an den Haͤuptern, und
das, welches keine Krone trug, brachte ſie dem
Mann, der es augenblicklich aufaß. Indeſſen
wurde dem Maͤdchen himmelangſt, es dachte:
bricht der Tag an, ſo kommt alles heraus, und
es wird uns ſchlimm gehen.“ Da ſtand es
heimlich auf und holte einen Meilenſtiefel, eine
[334] Wuͤnſchelruthe und einen Kuchen mit einer
Bohne, die auf alles Antwort gab.
Nun ging ſie mit dem Prinzen fort, ſie
hatten den Meilenſtiefel an, und mit jedem
Schritt machten ſie eine Meile. Zuweilen fru-
gen ſie die Bohne:
„Bohne, biſt du auch da?“
„ja, ſagte die Bohne, da bin ich, eilt euch
aber, denn die alte Menſchenfreſſerin kommt
nach im andern Meilenſtiefel, der dort geblie-
ben iſt!“ Da nahm das Maͤdchen die Wuͤn-
ſchelruthe und verwandelte ſich in einen Schwan,
den Prinzen in einen Teich, worauf der Schwan
ſchwimmt. Die Menſchenfreſſerin kam und
lockte den Schwan ans Ufer, allein es gelang
ihr nicht, und verdrießlich ging ſie heim. Das
Maͤdchen und der Prinz ſetzten ihren Weg fort:
„Bohne, biſt du da?“
„ja, ſprach die Bohne, hier bin ich, aber die
alte Frau kommt ſchon wieder, der Menſchen-
freſſer hat ihr geſagt, warum ſie ſich habe an-
fuͤhren laſſen.“ Da nahm das Maͤdchen den
Stab, und verwandelte ſich und den Prinzen
in eine Staubwolke, wodurch die Frau Okerlo
nicht dringen kann, alſo kehrte ſie unverrichte-
ter Sache wieder um, und die andern ſetzten
ihren Weg fort.
„Bohne, biſt du da?“
ja, hier bin ich, aber ich ſehe die Frau Okerlo
[335] noch einmal kommen, und gewaltige Schritte
macht ſie. Das Maͤdchen nahm zum dritten-
mal den Wuͤnſchelſtab und verwandelte ſich in
einen Roſenſtock und den Prinzen in eine Bie-
ne, da kam die alte Menſchenfreſſerin, erkannte
ſie in dieſer Verwandelung nicht und ging wie-
der heim.
Allein nun konnten die zwei ihre menſchliche
Geſtalt nicht wieder annehmen, weil das Maͤd-
chen das letztemal in der Angſt den Zauberſtab
zu weit weggeworfen; ſie waren aber ſchon ſo
weit gegangen, daß der Roſenſtock in einem
Garten ſtand, der gehoͤrte der Mutter des Maͤd-
chens. Die [Biene] ſaß auf der Roſe, und wer
ſie abbrechen wollte, den ſtach ſie mit ihrem
Stachel. Einmal geſchah es, daß die Koͤnigin
ſelber in ihren Garten ging und die ſchoͤne
Blume ſah, woruͤber ſie ſich ſo verwunderte,
daß ſie ſie abbrechen wollte. Aber Bienchen
kam und ſtach ſie ſo ſtark in die Hand, daß ſie
die Roſe mußte fahren laſſen, doch hatte ſie
ſchon ein wenig eingeriſſen. Da ſah ſie, daß
Blut aus dem Stengel quoll, ließ eine Fee
kommen, damit ſie die Blume entzauberte. Da
erkannte die Koͤnigin ihre Tochter wieder, und
war von Herzen froh und vergnuͤgt. Es wurde
aber eine große Hochzeit angeſtellt, eine Men-
ge Gaͤſte gebeten, die kamen in praͤchtigen Klei-
dern, tauſend Lichter flimmerten im Saal, und
[336] es wurde geſpielt und getanzt bis zum hellen
Tag.
„Biſt du auch auf der Hochzeit geweſen?“
— „ja wohl bin drauf geweſen:
mein Kopfputz war von Butter, da kam ich
in die Sonne, und er iſt mir abgeſchmol-
zen;
mein Kleid war von Spinnweb, da kam ich
durch Dornen, die riſſen es mir ab;
meine Pantoffel waren von Glas, da trat
ich auf einen Stein, da ſprangen ſie ent-
zwei.“
71.
Prinzeſſin Maͤuſehaut.
Ein Koͤnig hatte drei Toͤchter; da wollte er
wiſſen, welche ihn am liebſten haͤtte, ließ ſie
vor ſich kommen und fragte ſie. Die aͤlteſte
ſprach, ſie habe ihn lieber, als das ganze Koͤ-
nigreich; die zweite, als alle Edelſteine und Per-
len auf der Welt; die dritte aber ſagte, ſie ha-
be ihn lieber als das Salz. Der Koͤnig ward
aufgebracht, daß ſie ihre Liebe zu ihm mit ei-
ner ſo geringen Sache vergleiche, uͤbergab ſie
einem Diener und befahl, er ſolle ſie in den
Wald fuͤhren und todten. Wie ſie in den Wald
gekommen waren, bat die Prinzeſſin den Diener
um ihr Leben; dieſer war ihr treu, und wuͤrde ſie
doch
[337] doch nicht getoͤdtet haben, er ſagte auch, er wolle
mit ihr gehen, und ganz nach ihren Befehlen
thun. Die Prinzeſſin verlangte aber nichts,
als ein Kleid von Mauſehaut, und als er ihr
das geholt, wickelte ſie ſich hinein und ging fort.
Sie ging geradezu an den Hof eines benach-
barten Koͤnigs, gab ſich fuͤr einen Mann aus,
und bat den Koͤnig, daß er ſie in ſeine Dienſte
nehme. Der Koͤnig ſagte es zu, und ſie ſolle
bei ihm die Aufwartung haben: Abends mußte
ſie ihm die Stiefel ausziehen, die warf er ihr
allemal an den Kopf. Einmal fragte er, wo-
her ſie ſey? — „Aus dem Lande, wo man den
Leuten die Stiefel nicht um den Kopf wirft.“
Der Koͤnig ward da aufmerkſam, endlich brach-
ten ihm die andern Diener einen Ring; Mau-
ſehaut habe ihn verloren, der ſey zu koſtbar,
den muͤſſe er geſtohlen haben. Der Koͤnig ließ
Mauſehaut vor ſich kommen und fragte, woher
der Ring ſey? da konnte ſich Mauſehaut nicht
laͤnger verbergen, ſie wickelte ſich von der Mau-
ſehaut los, ihre goldgelben Haare quollen her-
vor, und ſie trat heraus ſo ſchoͤn, aber auch ſo
ſchoͤn, daß der Koͤnig gleich die Krone von ſei-
nem Kopf abnahm und ihr aufſetzte, und ſie
fuͤr ſeine Gemahlin erklaͤrte.
Zu der Hochzeit wurde auch der Vater der
Mauſehaut eingeladen, der glaubte ſeine Toch-
ter ſey ſchon laͤngſt todt, und erkannte ſie nicht
Kindermärchen. Y
[338] wieder. Auf der Tafel aber waren alle Spei-
ſen, die ihm vorgeſetzt wurden, ungeſalzen, da
ward er aͤrgerlich und ſagte: „ich will lieber
nicht leben als ſolche Speiſe eſſen!“ Wie er
das Wort ausgeſagt, ſprach die Koͤnigin zu
ihm: „jetzt wollt ihr nicht leben ohne Salz,
und doch habt ihr mich einmal wollen toͤdten
laſſen, weil ich ſagte, ich haͤtte euch lieber als
Salz!“ da erkannt er ſeine Tochter, und kuͤßte
ſie, und bat ſie um Verzeihung, und es war
ihm lieber als ſein Koͤnigreich, und alle Edel-
ſteine der Welt, daß er ſie wiedergefunden.
72.
Das Birnli will nit fallen.
Y 2
73.
Das Mordſchloß.
Es war einmal ein Schuhmacher, welcher
drei Toͤchter hatte; auf eine Zeit als der Schuh-
macher aus war, kam da ein Herr, welcher ſehr
gut gekleidet war, und welcher eine praͤchtige
Equipage hatte, ſo daß man ihn fuͤr ſehr reich
hielt, und verliebte ſich in eine der ſchoͤnen Toͤch-
ter, welche dachte, ihr Gluͤck gemacht zu haben
[341] mit ſo einem reichen Herrn, und machte alſo
keine Schwierigkeit mit ihm zu reiten. Da es
Abend ward, als ſie unterwegs waren fragte
er ſie:
— „Nein, warum ſollt michs reuen? ich bin
immer bei Euch wohl bewahrt,“ da ſie doch
innerlich eine Angſt hatte. Als ſie in einem
großen Wald waren, fragte ſie, ob ſie bald da
waͤren? — „Ja, ſagte er, ſiehſt du das Licht
da in der Ferne, da iſt mein Schloß;“ endlich
kamen ſie da an, und alles war gar ſchoͤn.
Am andern Tage ſagte er zu ihr, er muͤßt
auf einige Tage ſie verlaſſen, weil er wichtige
Affairen haͤtte, die nothwendig waͤren, aber er
wolle ihr alle Schluͤſſel laſſen, damit ſie das
ganze Caſtell ſehen koͤnnte, von was fuͤr Reich-
thum ſie all Meiſter waͤr. Als er fort war,
ging ſie durch das ganze Haus, und fand alles
ſo ſchoͤn, daß ſie voͤllig damit zufrieden war,
bis ſie endlich an einen Keller kam, wo eine
alte Frau ſaß und Daͤrme ſchrappte. „Ei Muͤt-
terchen, was macht ſie da?“ — „Ich ſchrapp
Daͤrme, mein Kind, morgen ſchrapp ich eure
auch!“ Wovon ſie ſo erſchrack, daß ſie den
Schluͤſſel, welcher in ihrer Hand war, in ein
Becken mit Blut fallen ließ, welches nicht gut
[342] wieder abzuwaſchen war: „Nun iſt euer Tod
ſicher, ſagte das alte Weib, weil mein Herr ſe-
hen kann, daß ihr in der [Kammer] geweſen
ſeyd, wohin außer ihm und mir kein Menſch
kommen darf.
(Man muß aber wiſſen, daß die zwei vori-
gen Schweſtern auf dieſelbe Weiſe waren um-
gekommen.)
Da in dem Augenblick ein Wagen mit Heu
von dem Schloß wegfuhr, ſo ſagte die alte Frau,
es waͤre das einzige Mittel, um das Leben zu
behalten, ſich unter das Heu zu verſtecken, und
dann da mit weg zu fahren; welches ſie auch
thaͤt. Da inzwiſchen der Herr nach Haus kam,
fragte er, wo die Mamſell waͤre! „O, ſagte die
alte Frau, da ich keine Arbeit mehr hatte, und
ſie morgen doch dran mußte, hab ich ſie ſchon
geſchlachtet, und hier iſt eine Locke von ihrem
Haar, und das Herz, wie auch was warm Blut,
das uͤbrige haben die Hunde alle gefreſſen, und
ich ſchrapp die Daͤrme.“ Der Herr war alſo
ruhig, daß ſie todt war.
Sie kommt inzwiſchen mit dem Heuwagen
zu einem nah bei gelegenen Schloß, wo das
Heu hin verkauft war, und ſie kommt mit aus
dem Heu und erzaͤhlt die ganze Sache, und
wird erſucht, da einige Zeit zu bleiben. Nach
Verlauf von einiger Zeit noͤthigt der Herr von
dieſem Schloß alle in der Naͤhe wohnenden
[343] Edelleute zu einem großen Feſt, und das Ge-
ſicht und Kleidung von der fremden Mamſell
wird ſo veraͤndert, daß ſie nicht erkannt wer-
den konnte, weil auch der Herr von dem Mord-
Caſtell dazu eingeladen war.
Da ſie alle da waren, mußte ein jeder et-
was erzaͤhlen, da die Reihe an die Mamſell
kam, erzaͤhlte ſie die bewußte Hiſtorie, wobei
dem ſogenannten Herrn Graf ſo aͤngſtlich ums
Herz ward, daß er mit Gewalt weg wollte,
aber der gute Herr von dem adelichen Haus
hatte inzwiſchen geſorgt, daß das Gericht un-
ſern ſchoͤnen Herrn Grafen in Gefaͤngniß nahm,
ſein Caſtell ausrottete, und ſeine Guͤter alle der
Mamſell zu eigen gab, die nach der Hand mit
dem Sohn des Hauſes, wo ſie ſo gut empfan-
gen war, ſich verheirathete und lange Jahre
lebte.
74.
Von Johannes-Waſſerſprung und
Caspar-Waſſerſprung.
Ein Koͤnig beſtand darauf, ſeine Tochter
ſollte nicht heirathen, und ließ ihr in einem
Wald in der groͤßten Einſamkeit ein Haus
bauen, darin mußte ſie mit ihren Jungfrauen
wohnen, und bekam gar keinen andern Men-
ſchen zu ſehen. Nah an dem Waldhaus aber
war eine Quelle mit wunderbaren Eigenſchaf-
[344] ten, davon trank die Prinzeſſin, und die Folge
war, daß ſie zwei Prinzen gebar, die darnach
Johannes-Waſſerſprung und Caspar-Waſſer-
ſprung genannt wurden, und wovon einer dem
andern vollkommen aͤhnlich war. Ihr Groß-
vater, der alte Koͤnig, ließ ſie die Jaͤgerei ler-
nen, und ſie wuchſen heran, wurden groß und
ſchoͤn. Da kam die Zeit, wo ſie in die Welt
ziehen mußten; jeder von ihnen erhielt einen
ſilbernen Stern, ein Pferd und einen Hund
mit auf die Fahrt. Sie kamen zuerſt in einen
Wald, und ſahen zugleich zwei Haſen und woll-
ten darnach ſchießen, die Haſen aber baten um
Gnade und ſagten, ſie moͤgten ſie doch in ihre
Dienſte aufnehmen, ſie koͤnnten ihnen nuͤtzlich
ſeyn, und in jeder Gefahr Huͤlfe leiſten. Die
zwei Bruͤder ließen ſich bewegen, und nahmen
ſie als Diener mit; nicht lang ſo kamen zwei
Baͤren, wie ſie auf die zielten, riefen die gleich-
falls um Gnade, und verſprachen treu zu die-
nen: alſo ward auch damit das Gefolge ver-
mehrt. Nun kamen ſie auf einen Scheideweg,
da ſprachen ſie: „wir muͤſſen uns trennen, und
der eine ſoll rechts, der andere links weiter zie-
hen!“ aber jeder ſteckte ein Meſſer in einen
Baum am Scheideweg, an deren Roſt wollten
ſie erkennen, wie es dem andern ergehe, und
ob er noch lebe; dann nahmen ſie Abſchied, kuͤß-
ten einander und ritten fort.
[345]
Johannes-Waſſerſprung kam in eine Stadt,
da war alles ſtill und traurig, weil die Prin-
zeſſin einem Drachen ſollte geopfert werden, der
das ganze Land verwuͤſtete, und anders nicht
konnte beſaͤnftigt werden. Es war bekannt ge-
macht, wer ſein Leben daran wagen wolle und
den Drachen toͤdte, der ſolle die Prinzeſſin zur
Gemahlin haben, niemand aber hatte ſich ge-
funden; auch hatte man das Unthier hinterge-
hen wollen, und die Kammerjungfer der Prin-
zeſſin hinausgeſchickt, aber die hatte es gleich
erkannt und nicht gewollt. Johannes-Waſſer-
ſprung dachte: du mußt dein Gluͤck auf die
Probe ſtellen, vielleicht gelingt dirs und machte
ſich mit ſeiner Begleitung auf, gegen das Dra-
chenneſt. Der Kampf war gewaltig: der Dra-
che ſpie Feuer und Flammen, und zuͤndete das
Gras rings herum an, ſo daß Johannes-Waſ-
ſerſprung gewiß erſtickt waͤre, wenn nicht Has,
Hund und Baͤr das Feuer ausgetreten und ge-
daͤmpft haͤtten; endlich mußte der Drache aber
unterliegen, und Johannes-Waſſerſprung hieb
ihm ſeine ſieben Koͤpfe herunter, dann ſchnitt
er die Zungen heraus und ſteckte ſie zu ſich;
nun aber war er ſo muͤd, daß er ſich auf der
Stelle niederlegte und einſchlief. Waͤhrend er
da ſchlief, kam der Kutſcher der Prinzeſſin, und
als er den Mann da liegen ſah, und die ſieben
Drachenkoͤpfe daneben, dachte er, das mußt du
[346] dir zu nutz machen, ſtach den Johannes-Waſſer-
ſprung todt, und nahm die ſieben Drachenkoͤpfe
mit. Damit ging er zum Koͤnig, ſagte, er ha-
be das Ungeheuer getoͤdtet, die ſieben Koͤpfe
bringe er zum Wahrzeichen, und die Prinzeſſin
ward ſeine Braut.
Indeſſen kamen die Thiere des Johannes-
Waſſerſprung, die nach dem Kampf ſich in die
Naͤhe gelagert und auch geſchlafen hatten, wie-
der zuruͤck und fanden ihren Herrn todt. Da
ſahen ſie, wie die Ameiſen, denen bei dem
Kampf ihr Huͤgel zertreten war, ihre Todten
mit dem Saft einer nahen Eiche beſtrichen, wo-
von ſie ſogleich wieder lebendig wurden. Der
Baͤr ging und holte von dem Saft, und be-
ſtrich den Johannes-Waſſerſprung, davon er-
holte er ſich wieder, und in kurzem war er ganz
friſch und geſund. Er gedachte nun an die
Prinzeſſin, die er ſich erkaͤmpft hatte, und eilte
in die Stadt, da ward eben die Hochzeit mit
dem Kutſcher gefeiert, und die Leute ſagten, der
habe den ſiebenkoͤpfigen Drachen getoͤdtet. Hund
und Baͤr liefen ins Schloß, wo ihnen die
Prinzeſſin Braten und Wein um den Hals
band, und ihren Dienern befahl, ſie ſollten den
Thieren nachgehen, und den Mann, dem ſie
angehoͤrten zur Hochzeit laden. So kam Jo-
hannes-Waſſerſprung auf die Hochzeit, und ge-
rade ward die Schuͤſſel mit den ſieben Drachen-
[347] koͤpfen aufgetragen, die der Kutſcher mitge-
bracht hatte. Johannes-Waſſerſprung zog die
ſieben Zungen hervor, und legte ſie dabei, da
ward er als der rechte Drachentoͤdter erkannt,
der Kutſcher fortgejagt, und er der Gemahl der
Prinzeſſin.
Nicht lang darnach ging er auf die Jagd,
und verfolgte einen Hirſch mit ſilbernem Ge-
weih, er jagte ihm lange nach, konnte ihn aber
nicht erreichen, und kam endlich zu einer alten
Frau, und die verwandelte ihn ſammt ſeinem
Hund, Pferd und Baͤren in Stein. Indeſſen
kam Caspar-Waſſerſprung zu dem Baum, wo-
rin die beiden Meſſer ſtanden und ſah, daß das
Meſſer ſeines Bruders verroſtet war; ſogleich
beſchloß er ihn aufzuſuchen, ritt fort und kam
in die Stadt, wo die Gemahlin ſeines Bruders
lebte. Weil er aber dieſem ſo aͤhnlich ſah, hielt
ſie ihn fuͤr ihren rechten Mann, freute ſich ſei-
ner Wiederkunft, und beſtand darauf, daß er
bei ihr bleiben ſollte. Allein Caspar-Waſſer-
ſprung zog weiter, fand ſeinen Bruder mit ſei-
ner Begleitung verſteinert, und zwang die Frau,
den Zauber aufzuheben. Darauf ritten die bei-
den Bruͤder heim, und unterwegs machten ſie
aus, derjenige ſolle Gemahl der Prinzeſſin ſeyn,
dem ſie zuerſt um den Hals fallen werde, und
das geſchah dem Johannes-Waſſerſprung.
[348]
75.
Vogel Phoͤnix.
Eines Tags ging ein reicher Mann ſpazie-
ren an den Fluß, da kam ein kleines Kaͤſtchen
geſchwommen, dies Kaͤſtchen nahm er und mach-
te den Deckel auf, da lag ein kleines Kind da-
rin, welches er mit heim nahm und aufziehen
ließ. Der Verwalter konnte aber das Kind
nicht leiden, und einmal nahm ers mit ſich in
einem Kahn auf den Fluß, und als er mitten
darin war, ſprang er ſchnell heraus ans Land,
und ließ das Kind allein im Kahn. Und der
Kahn trieb immer fort, bis an die Muͤhle, da
ſah der Muͤller das Kind und erbarmte ſich,
nahm es heraus und erzog es in ſeinem Haus.
Einmal aber kam von ungefaͤhr der Verwalter
in dieſelbe Muͤhle, erkannte das Kind und nahm
es mit ſich. Bald darauf gab er dem jungen
Menſchen einen Brief zu tragen an ſeine Frau,
worin ſtand: „den Ueberbringer dieſes Briefs
ſollſt du den Augenblick umbringen.“ Unter-
wegs aber begegnete dem jungen Menſchen im
Walde ein alter Mann, welcher ſprach: weiſ'
mir doch einmal den Brief, den du da in der
Hand traͤgſt! Da nahm er ihn, drehte ihn bloß
einmal herum und gab ihn wieder, nun ſtand
darin: dem Ueberbringer ſollſt du augenblicks
[349] unſere Tochter zur Frau geben! So geſchah
es, und als der Verwalter das hoͤrte, gerieth
er in Aerger und ſagte: „he, ſo geſchwind gehts
nicht, eh ich dir meine Tochter laſſe, ſollſt du
mir erſt drei Federn vom Vogel Phoͤnix brin-
gen.“
Der Juͤngling machte ſich auf den Weg nach
dem Vogel Phoͤnix, und an derſelben Stelle
im Wald begegnete ihm wieder derſelbe alte
Mann und ſprach: geh den ganzen Tag weiter
fort, Abends wirſt du an einen Baum kommen,
darauf zwei Tauben ſitzen, die werden dir das
weitere ſagen! Wie er Abends an den Baum
kam, ſaßen zwei Tauben drauf. Die eine Tau-
be ſprach: wer da zum Vogel Phoͤnix will,
muß gehen den ganzen Tag, ſo wird er Abends
an ein Thor kommen, das iſt zugeſchloſſen.
Die andere Taube ſprach: unter dieſem Baum
liegt ein Schluͤſſel von Gold, der ſchließt das
Thor auf. Da fand er den Schluͤſſel und ſchloß
das Thor damit auf; hinterm Thor, da ſaßen
zwei Maͤnner, der eine Mann ſprach: wer den
Vogel Phoͤnix ſucht, muß einen großen Weg
machen uͤber den hohen Berg, und dann wird
er endlich in das Schloß kommen.
Am Abend des dritten Tags langte er end-
lich im Schloß an, da ſaß ein weißes Mamſell-
chen, und ſprach: was wollt ihr hier? — Ach,
ich will mir gern drei Federn vom Vogel Phoͤnix
[350] holen. Sie ſprach: ihr ſeyd in Lebensgefahr,
denn wo euch der Vogel Phoͤnix gewahr wuͤr-
de, fraͤße er euch auf mit Haut und Haar, doch
will ich ſehen, wie ich euch zu den drei Federn
verhelfe, alle Tage kommt er hierher, da muß
ich ihn mit einem engen Kamm kaͤmmen; ge-
ſchwind hier unter den Tiſch, der war rund um
mit Tuch beſchlagen.
Indem kam der Vogel Phoͤnix heim, ſetzte
ſich oben auf den Tiſch und ſprach: ich witte-
re, wittere Menſchenfleiſch! — „Ach was? ihr
ſeht ja wohl, daß niemand hier iſt“ — kaͤmm
mich nun, ſprach der Vogel Phoͤnix.
Das weiße Mamſellchen kaͤmmte ihn nun,
und er ſchlief daruͤber ein; wie er recht feſt
ſchlief, packte ſie eine Feder, zog ſie aus und
warf ſie unterm Tiſch. Da wachte er auf:
„was raufſt du mich ſo? mir hat getraͤumt,
es kaͤme ein Menſch und zoͤge mir eine Feder
aus.“ Sie ſtellte ihn aber zufrieden, und ſo
gings das anderemal und das drittemal. Wie
der junge Menſch die drei Federn hatte, zog er
damit heim und bekam nun ſeine Braut.
76.
Die Nelke.
Auf eine Zeit lebte ein Koͤnig, der wollte
ſich niemals verheirathen, da ſtand er einmal
[351] am Fenſter, und ſahe die Leute in die Kirche
gehen, da war ein Maͤdchen darunter von ſol-
cher Schoͤnheit, daß er in einem Augenblick ſei-
nen Vorſatz aufgab, das Maͤdchen zu ſich rief,
und es zu ſeiner Gemahlin waͤhlte. Nach Ver-
lauf eines Jahrs gebar ſie einen Prinzen, da
wußte der Koͤnig nicht, wen er zu Gevatter
bitten ſollte, endlich ſagte er: „der erſte, der
mir begegnet, wer es iſt, den bitte ich zu Ge-
vatter;“ ging aus, und der erſte, der ihm begeg-
nete, das war ein armer alter Mann, den bat
er auch darauf zu Gevatter. Der arme Mann
ſagte zu, bat ſich aber aus, daß er das Kind
allein in die Kirche trage, daß dieſe verſchloſſen
werde und niemand zuſehen duͤrfe; das ward
ihm alles bewilligt. Der Koͤnig aber hatte ei-
nen boͤſen, neugierigen Gaͤrtner, wie nun der
alte Mann das Kind in die Kirche trug, ſchlich
er ſich nach und verſteckte ſich in den Baͤnken.
Da ſah er, wie der Alte das Kind vor den
Altar trug, es ſegnete, und wie einer, der ge-
heime Kraͤfte verſteht, ihm die Gabe verlieh,
daß alles, was es ſich wuͤnſche, eintreffen ſolle.
Der boͤſe Gaͤrtner dachte gleich, welch' einen
Vortheil er ſich daraus verſchaffen koͤnnte, wenn
er das Kind haͤtte. Wie nun einmal die Koͤni-
gin in dem Garten ſpazieren ging, und es auf
dem Arme trug, riß er es weg, beſtrich ihr den
Mund mit Blut eines geſchlachteten Huhns,
[352] und klagte ſie bei dem Koͤnig an: er habe ge-
ſehen, wie ſie ihr Kind in dem Garten getoͤdtet
und aufgegeſſen. Der Koͤnig ließ ſie ins Ge-
faͤngniß werfen, der Gaͤrtner ſchickte das Kind
weit weg zu einem Foͤrſter in den Wald, der
ſollte es da groß ziehen. Der Prinz lernte die
Jaͤgerei; der Foͤrſter aber hatte eine ſchoͤne Toch-
ter, Namens Liſe, die zwei Kinder hatten ein-
ander ſehr lieb, und Liſe entdeckte ihm, daß er
ein Prinz ſey, und alles was er wuͤnſche, das
muͤſſe eintreffen. Da kam bald darauf der Gaͤrt-
ner zu dem Foͤrſter, wie ihn der Prinz ſah,
verwuͤnſchte er ihn gleich in einen Pudel, ſeine
liebe Liſe aber in eine Nelke, die ſteckte er vor,
der Pudel aber mußte neben ihm her laufen:
ſo ging er an ſeines Vaters Hof, und nahm
als Jaͤger bei ihm Dienſte. Er ward auch
bald bei ihm beliebt, wie keiner von den an-
dern Jaͤgern, weil er alles Wild ſchießen konn-
te, denn er brauchte nur zu wuͤnſchen, ſo kam
es vor ihn hingelaufen. Fuͤr alle Dienſte ver-
langte er gar keinen Lohn, bloß eine Stube
fuͤr ſich, die er immer verſchloſſen hielt, auch
wollte er fuͤr ſein Eſſen ſelber ſorgen. Das
kam ſeinen Cameraden wunderlich vor, daß der
umſonſt diene, und einer ſchlich ihm nach und
guckte durchs Schluͤſſelloch, da ſah er, wie der
neue Jaͤger vor einem Tiſch ſaß mit dem praͤch-
tigſten Eſſen beſetzt, und neben ihm ein ſchoͤnes
Maͤd-
[353] Maͤdchen, und daß beide ſehr freundlich und
vergnuͤgt miteinander waren. Das Eſſen aber
hatte ſich der Prinz nur auf den Tiſch gewuͤnſcht,
und das Maͤdchen war ſeine liebe Liſe, die ver-
wandelte er allezeit in ihre natuͤrliche Geſtalt,
und war in ihrer Geſellſchaft, ſo oft er allein
war, wenn er aber ausging, war es wieder eine
Nelke, die in einem Glas mit Waſſer ſtand.
Die Jaͤger meinten, er muͤſſe große Reichthuͤ-
mer haben, und brachen, als er auf der Jagd
war, in ſeine Stube ein, da fanden ſie aber
gar nichts, nur die Nelke vorm Fenſter. Weil
ſie ſo ſchoͤn war, brachten ſie dieſe zum Koͤnig,
der trug auch einen ſo großen Gefallen daran,
daß er ſie von dem Jaͤger verlangte. Der woll-
te ſie aber um alles Gold nicht hingeben, weil
es ſeine liebſte Liſe war, endlich, wie der Koͤ-
nig darauf beſtand, entdeckte er ihm alles, und
daß er ſein Sohn waͤre. Wie der Koͤnig das
hoͤrte, freute er ſich von Herzen, die Koͤnigin
ward aus dem Gefaͤngniß befreit, und die treue
Liſe des Prinzen Gemahlin; der gottloſe Gaͤrt-
ner mußte zur Strafe ein Pudel bleiben, und
ward von den Knechten unter den Tiſch ge-
ſtoßen.
[354]
77.
Vom Schreiner und Drechsler.
Ein Schreiner und ein Drechsler ſollten ihr
Meiſterſtuͤck machen. Da machte der Schreiner
einen Tiſch, der konnte von ſich ſelbſt ſchwim-
men, der Drechsler Fluͤgel, mit denen man flie-
gen konnte. Und alle ſagten, daß dem Schrei-
ner ſein Kunſtſtuͤck beſſer gelungen waͤre, der
Drechsler nahm alſo ſeine Fluͤgel, that ſie an
und flog fort aus dem Land, von Morgen bis
zu Abend in einem fort.
In dem Land war ein junger Prinz, der
ſah ihn fliegen, und bat ihn, er moͤchte ihm
doch ſeine paar Fluͤgel leihen, er wollts ihm
gut lohnen. Der Prinz bekam alſo die Fluͤgel
und flog, bis er in ein anderes Reich kam, da
war ein Thurm mit vielen Lichtern erleuchtet,
dabei ſenkte er ſich nieder zur Erde, fragte nach
der Urſache und hoͤrte, daß hier die allerſchoͤnſte
Prinzeſſin der Welt wohnte. Nun wurde er
hoͤchſt neugierig, und als es Abend wurde, flog
er in ein offenes Fenſter hinein; wie ſie aber nicht
lange Zeit beiſammen waren, wurde die Sache
verrathen, und der Prinz ſammt der Prinzeſſin
ſollten auf dem Scheiterhaufen ſterben.
Der Prinz nahm indeſſen ſeine Fluͤgel mit
hinauf, und als die Flamme ſchon zu ihnen
[355] heraufſchlug, band er ſich die Fluͤgel um und
entfloh mit der Prinzeſſin bis in ſein Vater-
land, da ließ er ſich nieder, und weil jeder-
mann uͤber ſeine Abweſenheit betruͤbt war, ſo
gab er ſich zu erkennen, und wurde zum Koͤnig
erwaͤhlt.
Nach einiger Zeit aber ließ der Vater der
entfuͤhrten Prinzeſſin bekannt machen, daß der-
jenige das halbe Koͤnigreich bekommen ſollte,
der ihm ſeine Tochter wiederbringe. Dies er-
faͤhrt der Prinz, ruͤſtet ein Heer aus und bringt
die Prinzeſſin ſelbſt ihrem Vater zu, den er
zwingt, ihm ſein Verſprechen zu erfuͤllen.
78.
Der alte Großvater und der Enkel.
Es war einmal ein alter Mann, der konn-
te kaum gehen, ſeine Knie zitterten, er hoͤrte
und ſah nicht viel und hatte auch keine [Zaͤhne]
mehr. Wenn er nun bei Tiſch ſaß, und den
Loͤffel kaum halten konnte, ſchuͤttete er Suppe
auf das Tiſchtuch, und es floß ihm auch etwas
wieder aus dem Mund. Sein Sohn und deſ-
ſen Frau ekelten ſich davor, und deswegen mußte
ſich der alte Großvater endlich hinter den Ofen
in die Ecke ſetzen, und ſie gaben ihm ſein Eſſen
in ein irdenes Schuͤſſelchen, und noch dazu nicht
einmal ſatt, da ſah er betruͤbt nach dem Tiſch,
Z 2
[356] und die Augen wurden ihm naß. Einmal auch
konnten ſeine zitterigen Haͤnde das Schuͤſſelchen
nicht feſt halten, es fiel zur Erde und zerbrach.
Die junge Frau ſchalt, er aber ſagte nichts und
ſeufzte nur. Da kauften ſie ihm ein hoͤlzernes
Schuͤſſelchen fuͤr ein paar Heller, daraus mußte
er nun eſſen: wie ſie nun da ſo ſitzen, ſo traͤgt
der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde
kleine Brettlein zuſammen. „Was machſt du
da?“ fragt der Vater. „Ei, antwortete das
Kind, ich mach ein Troͤglein, daraus ſollen Va-
ter und Mutter eſſen, wenn ich groß bin.“
Da ſahen ſich Mann und Frau eine Weile an,
fangen endlich an zu weinen, holten alſofort
den alten Großvater an den Tiſch, und ließen
ihn von nun an immer mit eſſen, ſagten auch
nichts, wenn er ein wenig verſchuͤttete.
79.
Die Waſſernix.
Ein Bruͤderchen und ein Schweſterchen ſpiel-
ten an einem Brunnen, und wie ſie ſo ſpiel-
ten, plumpten ſie beide hinein. Da war eine
Waſſernix, die ſprach: „jetzt hab ich euch, jetzt
ſollt ihr mir brav arbeiten!“ und dem Maͤd-
chen gab ſie verwirrten, garſtigen Flachs zu ſpin-
nen, und Waſſer mußte es in ein hohles Faß
ſchleppen, der Jung aber ſollte einen Baum mit
[357] einer ſtumpfen Axt hauen, und nichts zu eſſen
bekamen ſie, als ſteinharte Kloͤſe. Da wurden
zuletzt die Kinder ſo ungeduldig, daß ſie war-
teten, bis eines Sonntags die Nixe in der
Kirche war, da flohen ſie. Und als die Kirche
vorbei war, ſah die Nix, daß die Voͤgel ausge-
flogen waren, und ſetzte ihnen mit großen
Spruͤngen nach. Die Kinder erblickten ſie aber
von weitem, und das Maͤdchen warf eine Buͤr-
ſte hinter ſich, das gab einen großen Buͤrſten-
berg, mit tauſend und tauſend Stacheln, uͤber
den die Nix mit großer Muͤh klettern mußte,
endlich aber kam ſie doch daruͤber. Wie das
die Kinder ſahen, warf der Knabe einen Kamm
hinter ſich, das gab einen großen Kammberg,
mit tauſend mal tauſend Zinken, aber die Nix
wußte ſich daran feſtzuhalten, und kam zuletzt
doch druͤber. Da warf das Maͤdchen einen
Spiegel hinterwaͤrts, welches einen Spiegelberg
gab, der war ſo glatt, ſo glatt, daß ſie unmoͤg-
lich druͤber konnte. Da dachte ſie: ich will ge-
ſchwind nach Haus gehen und meine Art ho-
len, und den Spiegelberg entzwei hauen, bis
ſie aber wieder kam, und das Glas aufgehauen
hatte, waren die Kinder laͤngſt weit entflohen,
und die Waſſernix mußte ſich wieder in ihren
Brunnen trollen.
[358]
80.
Von dem Tod des Huͤhnchens.
Auf eine Zeit ging das Huͤhnchen mit dem
Haͤhnchen in den Nußberg, waren da luſtig und
aßen Nuͤſſe zuſammen. Einmal aber fand das
Huͤhnchen eine ſo große Nuß, daß es den Kern
davon nicht verſchlucken konnte, und blieb ihm
im Hals ſtecken, ſo feſt, daß ihm Angſt ward,
es muͤßte erſticken und ſchrie: „Haͤhnchen, ich
bitt dich, lauf, was du kannſt und hol mir
Waſſer, ſonſt erſticke ich.“ Das Haͤhnchen
lief, was es konnte zum Brunnen, und ſprach:
„Born, du ſollſt mir Waſſer geben, das Huͤhn-
chen liegt auf den Nußberg und will erſticken
an einem großen Nußkern.“ Der Brunnen
antwortete: „lauf erſt hin zur Braut und laß
dir rothe Seide geben.“ Das Haͤhnchen lief
zur Braut: „Braut, du ſollſt mir rothe Seide
geben, rothe Seide will ich dem Brunnen ge-
ben, der Brunnen ſoll mir Waſſer geben, das
Waſſer will ich dem Huͤhnchen bringen, das
liegt auf dem Nußberg und will erſticken an
einem großen Nußkern.“ Die Braut antwor-
tete: „lauf erſt und hol mir mein Kraͤnzlein,
das blieb an einer Weide haͤngen.“ Da lief
das Haͤhnchen zur Weide und zog das Kraͤnz-
lein von dem Aſt, und bracht es der Braut
[359] und die Braut gab ihm rothe Seide dafuͤr, die
bracht es dem Brunnen, der gab ihm Waſſer
dafuͤr, da bracht das Haͤhnchen das Waſſer zum
Huͤhnchen, wie es aber hinkam, da war dieweil
das Huͤhnchen erſtickt und lag da todt, und
regte ſich nicht. Da war das Haͤhnchen ſo
traurig, daß es laut ſchrie, und kamen alle
Thiere und beklagten das Huͤhnchen, und ſechs
Maͤuſe bauten einen kleinen Wagen, das Huͤhn-
chen darin zum Grab zu fahren, und als der
Wagen fertig war, ſpannten ſie ſich davor, das
Haͤhnchen aber fuhr. Auf dem Weg aber kam
Fuchs: „wo willſt du hin, Haͤhnchen?“ —
„Ich will mein Huͤhnchen begraben.“ — „Darf
ich mitfahren?“
Da ſetzte ſich der Fuchs hinten auf, dann der
Wolf, der Baͤr, der Hirſch, der Loͤwe und alle
Thiere in dem Wald. So ging die Fahrt fort,
da kamen ſie an einen Bach. „Wie ſollen wir
nun hinuͤber?“ ſagte das Haͤhnchen. Da war
ein Strohhalm, der ſagte: „ich will mich queer
druͤber legen, da koͤnnt ihr uͤber mich fahren;“
wie aber die ſechs Maͤuſe darauf waren, rutſch-
te der Strohhalm und fiel ins Waſſer, und die
ſechs Maͤuſe fielen alle hinein und ertranken.
Die Noth ging von neuem an, da kam eine
[360] Kohle und ſagte: „ich bin groß genug, ich will
mich daruͤber legen, und Ihr ſollt uͤber mich
fahren.“ Die Kohle legte ſich auch an das
Waſſer, aber ſie beruͤhrte es ungluͤcklicher Weiſe
ein wenig, da ziſchte ſie, verloͤſchte und war
todt. Wie das ein Stein ſah, wollte er dem
Haͤhnchen helfen, und legte ſich uͤber das Waſ-
ſer, da zog nun das Haͤhnchen den Wagen ſel-
ber, wie es ihn aber bald druͤben hatte, und
war mit dem todten Huͤhnchen auf dem Land
und wollte die andern, die hintenauf ſaßen auch
heraufziehen, da waren ihrer zu viel geworden,
und der Wagen fiel zuruͤck, und alles fiel mit-
einander in das Waſſer und ertrank. Da war
das Haͤhnchen noch allein mit dem todten Huͤhn-
chen, und grub ihm da ein Grab, und legte es
hinein, und machte einen Huͤgel daruͤber, auf
den ſetzte es ſich und graͤmte ſich ſo lang, bis
es auch ſtarb; und da war alles todt.
81.
Der Schmidt und der Teufel.
Es war einmal ein Schmidt, der lebte gu-
ter Dinge, verthat ſein Geld, proceſſirte viel
und wie ein paar Jahr herum waren, hatte er
keinen Heller mehr im Beutel. Was ſoll ich
mich lang quaͤlen auf der Welt, dachte er, ging
hinaus in den Wald und wollt' ſich da an ei-
[361] nen Baum haͤngen. Wie er eben den Hals in
die Schlinge ſteckte, kam ein Mann hinter dem
Baum hervor mit einem langen weißen Bart
und einem großen Buch in der Hand. Hoͤr
Schmidt, ſprach er, ſchreib deinen Namen da
in das große Buch, ſo ſoll dirs wohlgehen zehn
Jahre lang, aber darnach biſt du mein, da hol
ich Dich.“ — „Wer biſt du?“ ſprach der
Schmid — „Ich bin der Teufel.“ — „Was
kannſt du“ — „Ich kann mich ſo groß machen
als eine Tanne, und ſo klein als eine Maus“ —
„So thus einmal, daß ichs ſehe,“ ſagte der
Schmid, da machte ſich der Teufel ſo groß wie
eine Tanne und ſo klein wie eine Maus. „Es
iſt gut ſprach der Schmid, gib das Buch her,
ich will mich hineinſchreiben“ — Als er ſich
unterſchrieben ſagte der Teufel: Geh nur nach
Haus, du wirſt Kiſten und Kaſten voll finden,
und weil du keine lange Umſtaͤnde gemacht haſt,
ſo will ich dich auch in der Zeit einmal beſu-
chen. Der Schmid ging heim, da waren alle
Taſchen, Kaſten und Kiſten voll Ducaten, und
er mogte ſoviel davon nehmen als er wollte,
es ward nicht all, und auch nicht weniger; da
fing er ſein luſtiges Leben von vorne an, lud
ſeine Kameraden ein, und war der vergnuͤgteſte
Kerl von der Welt. Ein paar Jahre darauf
ſprach der Teufel einmal bei ihm ein, als er
verheißen, ſah zu wie die Wirthſchaft ging, und
[362] ſchenkte ihm beim Abſchied einen ledernen Sack,
wer da hinein ſprang, der konnte nicht wieder
heraus, bis ihn der Schmid ſelber wieder her-
aus holte; damit trieb dieſer ſeinen Spaß.
Nach den zehn Jahren aber kam der Teufel und
ſprach zum Schmidt „die Zeit iſt herum, jetzt
biſt du mein, mach dich reiſefertig.“ „Es iſt
gut, ſprach der Schmidt, hing ſeinen ledernen
Sack um den Ruͤcken und ging mit dem Teu-
fel fort; als ſie in den Wald kamen, zu der
Stelle wo er ſich aufhaͤngen wollte, ſprach er
zum Teufel: „ich muß auch gewiß wiſſen, daß
du der Teufel biſt, mach dich erſt wieder ſo
groß wie eine Tanne und ſo klein wie eine
Maus. Der Teufel war bereit und thats, und
wie er ſich in eine Maus verwandelt hatte,
packte ihn der Schmid und ſteckte ihn in den
Sack, dann ſchnitt er ſich einen Stock von dem
naͤchſten Baum, warf den Sack hin und pruͤ-
gelte auf den Teufel los. Der Teufel ſchrie
erbaͤrmlich, lief in der Taſche hin und her aber
umſonſt, er konnte nicht heraus. Endlich ſagte
der Schmid ich will dich loslaſſen, wenn du
mir das Blatt aus deinem großen Buch wieder
giebſt, auf das ich meinen Namen geſchrieben.
Der Teufel wollte nicht, doch endlich mußt' er
daran, da ward das Blatt herausgeriſſen und
der Teufel ging heim in die Hoͤlle, aͤrgerte ſich,
daß er betrogen und obendrein gepruͤgelt war.
[363]
Der Schmid ging auch wieder zu ſeiner
Schmiede und lebte vergnuͤgt fort, ſo lang Gott
wollte, endlich ward er krank und als er ſeinen
Tod merkte, befahl er, man ſollte ihm nur zwei
gute, lange, ſpitze Naͤgel und einen Hammer
mit in den Sarg geben. Das geſchah auch.
Wie er nun geſtorben war und vor die Him-
melsthuͤr kam, klopfte er an, aber der Apoſtel
Petrus wollt ihm nicht aufſchließen, weil er
mit dem Teufel im Bund gelebt haͤtte. Wie
der Schmidt das hoͤrte, dreht er ſich um und
ging zur Hoͤlle. Der Teufel aber wollt ihn
auch nicht einlaſſen, er begehre ihn nicht in der
Hoͤlle, da fange er doch nur Spectakel an. Der
Schmidt ward boͤs und hub an vor dem Hoͤl-
lenthor Laͤrmen zu machen, ein Teufelchen ward
neugierig und wollte ſehen, was der Schmidt
treibe, alſo machte es ein wenig das Thor auf,
guckte heraus, der Schmid aber packte es ge-
ſchwind bei der Naſe und nagelte es an dieſer
mit dem einen Nagel, den er bei ſich hatte, an
das Hoͤllenthor feſt. Das Teufelchen fing an
zu kreiſchen wie ein Krautloͤwe, da ward noch
ein anderes an das Thor gelockt, das ſteckte auch
den Kopf heraus, aber der Schmid war nicht
faul, kriegte es am Ohr und nagelte es mit
dieſem neben das erſte. Da fingen nun beide
ein ſolches entſetzliches Geſchrei an, daß der
alte Teufel ſelber gelaufen kam, und wie er die
[364] zwei Teufelchen feſtgenagelt ſah, ward er bitter-
boͤs, daß er vor Bosheit anfing zu weinen,
herumſprang, in den Himmel zum lieben Gott
lief, und ſagte, er muͤſſe den Schmid in den
Himmel nehmen, es moͤge gehen, wie es wolle,
der nagle ihm die Teufel alle an den Naſen
und Ohren an, und er ſey nicht mehr Herr in
der Hoͤlle. Wollte nun der liebe Gott und der
Apoſtel Petrus den Teufel los werden, ſo muß-
ten ſie den Schmid in den Himmel nehmen, da
ſitzt er nun in guter Ruh, wie aber die beiden
Teufelchen losgekommen, das weiß ich nicht.
82.
Die drei Schweſtern.
Es war einmal ein reicher Koͤnig, der war
ſo reich, daß er glaubte ſein Reichthum koͤnne
gar nicht all werden, da lebte er in Saus und
Braus, ſpielte auf goldenem Brett und mit
ſilbernen Kegeln, und als das eine Zeit lang
gewaͤhrt hatte, da nahm ſein Reichthum ab und
darnach verpfaͤndete er eine Stadt und ein Schloß
nach dem andern, und endlich blieb nichts mehr
uͤbrig, als ein altes Waldſchloß. Dahin zog er
nun mit der Koͤnigin und den drei Prinzeſſin-
nen und ſie mußten ſich kuͤmmerlich erhalten
und hatten nichts mehr als Kartoffeln, die ka-
men alle Tage auf den Tiſch. Einmal wollte
[365] der Koͤnig auf die Jagd, ob er etwa einen Ha-
ſen ſchießen koͤnnte, ſteckte ſich alſo die Taſche
voll Kartoffeln und ging aus. Es war aber in
der Naͤhe ein großer Wald, in den wagte ſich
kein Menſch, weil fuͤrchterliche Dinge erzaͤhlt
wurden, was einem all darin begegne: Baͤren,
die die Menſchen auffraͤßen, Adler die die Au-
gen aushackten, Woͤlfe, Loͤwen und alle grauſa-
men Thiere. Der Koͤnig aber fuͤrchtete ſich kein
bischen und ging geradezu hinein. Anfangs
ſah er gar nichts, große maͤchtige Baͤume ſtan-
den da, aber es war alles ſtill darunter; als er
ſo eine Weile herumgegangen und hungrig ge-
worden war, ſetzte er ſich unter einen Baum
und wollte ſeine Kartoffeln eſſen, da kam auf
einmal aus dem Dickicht ein Baͤr hervor, trabte
gerade auf ihn los und brummte: „was un-
terſtehſt du dich bei meinem Honigbaum zu
ſitzen? das ſollſt du mir theuer bezahlen!“ der
Koͤnig erſchrack, reichte dem Baͤren ſeine Kar-
toffeln, und wollte ihn damit beſaͤnftigen. Der
Baͤr aber fing an zu ſprechen und ſagte „deine
Kartoffeln, mag ich nicht, ich will dich ſelber
freſſen und davon kannſt du dich nicht anders er-
retten, als daß du mir deine aͤltſte Tochter giebſt,
wenn du das aber thuſt, geb ich dir noch oben-
drein einen Centner Gold.“ Der Koͤnig in der
Angſt gefreſſen zu werden, ſagte, die ſollſt du
haben, laß mich nur in Frieden. Da wies ihm
[366] der Baͤr den Weg, und brummte noch hinten-
drein: „in ſieben Tagen komm ich und hol
meine Braut.“
Der Koͤnig aber ging getroſt nach Haus
und dachte, der Baͤr wird doch nicht durch ein
Schluͤſſelloch kriechen koͤnnen, und weiter ſoll ge-
wiß nichts offen bleiben. Da ließ er alle Thore
verſchließen, die Zugbruͤcken aufziehen, und hieß
ſeine Tochter gutes Muths ſeyn, damit ſie aber
recht ſicher vor dem Baͤrenbraͤutigam war, gab
er ihr ein Kaͤmmerlein hoch unter der Zinne,
darin ſollte ſie verſteckt bleiben, bis die ſieben
Tage herum waͤren. Am ſiebenten Morgen aber
ganz fruͤh, wie noch alles ſchlief, kam ein praͤch-
tiger Wagen mit ſechs Pferden beſpannt und
von vielen goldgekleideten Reutern umringt
nach dem Schloß gefahren, und wie er davor
war, ließen ſich die Zugbruͤcken von ſelber herab
und die Schloͤſſer ſprangen ohne Schluͤſſel auf.
Da fuhr der Wagen in den Hof und ein jun-
ger ſchoͤner Prinz ſtieg heraus, und wie der Koͤ-
nig von dem Laͤrm aufwachte und zum Fenſter
hinaus ſah, ſah er, wie der Prinz ſchon ſeine
aͤlteſte Tochter oben aus dem verſchloſſenen Kaͤm-
merlein geholt und eben in den Wagen hob, und
er konnte ihr nur noch nachrufen:
[367]
Sie winkte ihm mit ihrem weißen Tuͤchlein
noch aus dem Wagen, und dann gings fort, als
waͤr der Wind vorgeſpannt, immer in den Zau-
berwald hinein. Dem Koͤnig aber wars recht
ſchwer ums Herz, daß er ſeine Tochter an einen
Baͤren hingegeben hatte, und weinte drei Tage
mit der Koͤnigin, ſo traurig war er. Am vier-
ten Tag aber als er ſich ausgeweint hatte,
dachte er, was geſchehen, iſt einmal nicht zu
aͤndern, ſtieg hinab in den Hof, da ſtand eine
Kiſte von Ebenholz und war gewaltig ſchwer
zu heben, alsbald fiel ihm ein, was ihm der
Baͤr verſprochen hatte, und machte ſie auf, da
lag ein Centner Goldes darin und glimmerte
und flimmerte.
Wie der Koͤnig das Gold erblickte, ward
er getroͤſtet und loͤſte ſeine Staͤdte und ſein
Reich ein, und fing das vorige Wohlleben von
vorne an. Das dauerte ſo lang als der Cent-
ner Gold dauerte, darnach mußte er wieder alles
verpfaͤnden und auf das Waldſchloß zuruͤckzie-
hen und Kartoffeln eſſen. Der Koͤnig hatte
noch einen Falken, den nahm er eines Tags
mit hinaus auf das Feld und wollte mit ihm
jagen, damit er etwas Beſſeres zu eſſen haͤtte.
Der Falk ſtieg auf, und flog nach dem dunkeln
Zauberwald zu, in den ſich der Koͤnig nicht
mehr getraute, kaum aber war er dort ſo ſchoß
ein Adler hervor und verfolgte den Falken, der
[368] zum Koͤnig floh. Der Koͤnig wollte mit ſeinem
Spieß den Adler abhalten, der Adler aber packte
den Spieß und zerbrach ihn wie ein Schilfrohr,
dann zerdruͤckte er den Falken mit einer Kralle,
die andern aber hackte er dem Koͤnig in die
Schulter und rief: „warum ſtoͤrſt du mein
Luftreich, dafuͤr ſollſt du ſterben oder du giebſt
mir deine zweite Tochter zur Frau!“ der Koͤnig
ſagte: ja die ſollſt du haben, aber was giebſt du
mir dafuͤr?“ — Zwei Centner Gold ſprach der
Adler, und in ſieben Wochen komm ich, und hol
ſie ab;“ dann ließ er ihn los und flog fort in
den Wald.
Der Koͤnig war betruͤbt, daß er ſeine zweite
Tochter auch einem wilden Thiere verkauft hatte
und getraute ſich nicht ihr etwas davon zu ſa-
gen. Sechs Wochen waren herum, in der ſie-
benten ging die Prinzeſſin hinaus auf einen
Raſenplatz vor der Burg und wollte ihre Lein-
wand begießen, da kam auf einmal ein praͤchti-
ger Zug von ſchoͤnen Rittern und zuvorderſt
ritt der allerſchoͤnſte, der ſprang ab und rief:
„ſchwing, ſchwing dich auf, du Fraͤulein traut,
komm mit, du ſchoͤne Adlerbraut!“
und eh ſie ihm antworten konnte, hatte er ſie
ſchon aufs Roß gehoben und jagte mit ihr in
den Wald hinein als floͤg ein Vogel: Ade!
Ade!!
In der Burg warteten ſie lang auf die
Prin-
[369] Prinzeſſin aber die kam nicht und kam nicht,
da entdeckte der Koͤnig endlich daß er einmal in
der Noth ſie einem Adler verſprochen, und der
werde ſie geholt haben. Als aber bei dem
Koͤnig die Traurigkeit ein wenig herum war,
fiel ihm das Verſprechen des Adlers ein und er
ging hinab, und fand auf dem Raſen zwei gold-
ne Eier, jedes einen Centner ſchwer. Wer Gold
hat, iſt fromm genug, dachte er, und ſchlug ſich
alle ſchwere Gedanken aus dem Sinn! Da fing
das luſtige Leben von neuem an, und waͤhrte ſo
lang, bis die zwei Centner Gold auch durchge-
bracht waren, dann kehrte der Koͤnig wieder ins
Waldſchloß zuruͤck, und die Prinzeſſin, die noch
uͤbrig war, mußte die Kartoffeln ſieden.
Der Koͤnig wollte keine Haſen im Wald
und keine Voͤgel in der Luft mehr jagen, aber
einen Fiſch haͤtt er gern gegeſſen. Da mußte
die Prinzeſſin ein Netz ſtricken, damit ging er
zu einem Teich, der nicht weit von dem Wald
lag. Weil ein Nachen darauf war, ſetzte er ſich
ein, und warf das Netz, da fing er auf einen
Zug eine Menge ſchoͤner rothgefleckter Forellen.
Wie er aber damit ans Land wollte, ſtand der
Nachen feſt und er konnte ihn nicht los kriegen,
er mochte ſich ſtellen wie er wollte. Da kam
auf einmal ein gewaltiger Wallfiſch daher ge-
ſchnaubt: „was faͤngſt du mir meine Untertha-
nen weg, das ſoll dir dein Leben koſten!“ dabei
Kindermärchen. A a
[370] ſperrte er ſeinen Rachen auf, als wollte er den
Koͤnig ſammt dem Nachen verſchlingen. Wie
der Koͤnig den entſetzlichen Rachen ſah, verlor
er allen Muth, da fiel ihm ſeine dritte Tochter
ein und er rief: „ſchenk mir das Leben und du
ſollſt meine juͤngſte Tochter haben“ — Meint-
wegen brummte der Wallfiſch, ich will dir auch
etwas dafuͤr geben; Gold hab ich nicht, das iſt
mir zu ſchlecht, aber der Grund meines Sees
iſt mit Zahlperlen gepflaſtert, davon will ich dir
drei Saͤcke voll geben: im ſiebenten Mond komm
ich und hol meine Braut.“ Dann tauchte er
unter.
Der Koͤnig trieb nun ans Land und brachte
ſeine Forellen heim, aber als ſie gebacken wa-
ren, wollt' er keine davon eſſen, und wenn er
ſeine Tochter anſah, die einzige die ihm noch
uͤbrig war und die ſchoͤnſte und liebſte von allen,
wars ihm, als zerſchnitten tauſend Meſſer ſein
Herz. So gingen ſechs Monat herum, die Koͤ-
nigin und die Prinzeſſin wußten nicht, was dem
Koͤnig fehle, der in all der Zeit keine vergnuͤgte
Miene machte In ſiebenten Mond ſtand die
Prinzeſſin gerade im Hof vor einem Roͤhrbrun-
nen und ließ ein Glas voll laufen, da kam ein
Wagen mit ſechs weißen Pferden und ganz ſil-
bernen Leuten angefahren, und aus dem Wagen
ſtieg ein Prinz, ſo ſchoͤn, daß ſie ihr Lebtag kei-
nen ſchoͤnern geſehen hatte, und bat ſie um ein
Glas Waſſer. Und wie ſie ihm das reichte, das
[371] ſie in der Hand hielt, umfaßte er ſie und hob
ſie in den Wagen, und dann gings wieder zum
Thor hinaus, uͤber das Feld nach dem Teich zu.
Die Koͤnigin ſtand am Fenſter und ſah den
Wagen noch in der Ferne, und als ſie ihre Toch-
ter nicht ſah, fiels ihr ſchwer aufs Herz, und ſie
rief und ſuchte nach ihr allenthalben; ſie war
aber nirgends zu hoͤren und zu ſehen. Da war
es gewiß und ſie fing an zu weinen und der
Koͤnig entdeckte ihr nun: ein Wallfiſch werde ſie
geholt haben, dem hab' er ſie verſprechen muͤſ-
ſen, und darum waͤre er immer ſo traurig ge-
weſen; er wollte ſie auch troͤſten, und ſagte ihr
von dem großen Reichthum, den ſie dafuͤr be-
kommen wuͤrden, die Koͤnigin wollt aber nichts
davon wiſſen und ſprach, ihr einziges Kind ſey
ihr lieber geweſen, als alle Schaͤtze der Welt.
Waͤhrend der Wallfiſchprinz die Prinzeſſin geraubt,
hatten ſeine Diener drei maͤchtige Saͤcke in das
Schloß getragen, die fand der Koͤnig an der
Thuͤr ſtehen, und als er ſie aufmachte, waren
ſie voll ſchoͤner großer Zahlperlen, ſo groß, wie
die dickſten Erbſen. Da war er auf einmal
wieder reich und reicher, als er je geweſen; er
loͤſte ſeine Staͤdte und Schloͤßer ein, aber das
Wohlleben fing er nicht wieder an, ſondern war
A a 2
[372] ſtill und ſparſam und wenn er daran dachte,
wie es ſeinen drei lieben Toͤchtern bei den wil-
den Thieren ergehen moͤgte, die ſie vielleicht
ſchon aufgefreſſen haͤtten, verging ihm alle Luſt.
Die Koͤnigin aber wollt ſich gar nicht troͤ-
ſten laſſen und weinte mehr Thraͤnen um ihre
Tochter, als der Wallfiſch Perlen dafuͤr gege-
ben hatte. Endlich wards ein wenig ſtiller, und
nach einiger Zeit ward ſie wieder ganz vergnuͤgt,
denn ſie brachte einen ſchoͤnen Knaben zur Welt
und weil Gott das Kind ſo unerwartet geſchenkt
hatte, ward es Reinald, das Wunderkind, ge-
nannt. Der Knabe ward groß und ſtark, und
die Koͤnigin erzaͤhlte ihm oft von ſeinen drei
Schweſtern, die in dem Zauberwald von drei
Thieren gefangen gehalten wuͤrden. Als er
ſechszehn Jahr alt war verlangte er von dem
Koͤnig Ruͤſtung und Schwert, und als er es nun
erhalten, wollte er auf Abentheuer ausgehen, ge-
ſegnete ſeine Eltern, und zog fort.
Er zog aber geradezu nach dem Zauberwald
und hatte nichts anders im Sinn als ſeine
Schweſtern zu ſuchen. Anfangs irrte er lange
in dem großen Walde herum, ohne einem Men-
ſchen oder einem Thiere zu begegnen. Nach
drei Tagen aber ſah er vor einer Hoͤhle eine
junge Frau ſitzen und mit einem jungen Baͤren
ſpielen: einen andern, ganz jungen, hatte ſie
auf ihrem Schooß liegen: Reinald dachte, das
[373] iſt gewiß meine aͤltſte Schweſter, ließ ſein Pferd
zuruͤck, und ging auf ſie zu: „liebſte Schweſter,
ich bin dein Bruder Reinald und bin gekom-
men dich zu beſuchen.“ Die Prinzeſſin ſah ihn
an, und da er ganz ihrem Vater glich, zweifelte
ſie nicht an ſeinen Worten erſchrack und ſprach:
ach liebſter Bruder, eil und lauf fort, was du
kannſt, wenn dir dein Leben lieb iſt, kommt
mein Mann, der Baͤr, nach Haus und findet
dich, ſo frißt er dich ohne Barmherzigkeit.“
Reinald aber ſprach: ich fuͤrchte mich nicht und
weiche auch nicht von dir, bis ich weiß, wie es
um dich ſteht. Wie die Prinzeſſin ſah, daß er
nicht zu bewegen war, fuͤhrte ſie ihn in ihre
Hoͤle, die war finſter und wie eine Baͤrenwoh-
nung; auf der einen Seite lag ein Haufen Laub
und Heu, worauf der Alte und ſeine Jungen
ſchliefen, aber auf der andern Seite ſtand ein
praͤchtiges Bett, von rothem Zeug mit Gold,
das gehoͤrte der Prinzeſſin. Unter das Bett
hieß ſie ihn kriechen, und reichte ihm etwas hin-
unter zu eſſen. Es dauerte nicht lang ſo kam
der Baͤr nach Haus: „ich wittre, wittre Men-
ſchenfleiſch und wollte ſeinen dicken Kopf unter
das Bett ſtecken. Die Prinzeſſin aber rief:“
ſey ruhig, wer ſoll hier hinein kommen! „Ich
hab ein Pferd im Wald gefunden und gefreſſen“
brummte er, und hatte noch eine blutige Schnau-
ze davon, „dazu gehoͤrt ein Menſch und den
[374] riech ich“ und wollte wieder unter das Bett.
Da gab ſie ihm einen Fußtritt in den Leib,
daß er einen Burzelbaum machte, auf ſein La-
ger ging, die Tatze ins Maul nahm und
einſchlief.
Alle ſieben Tage war der Baͤr in ſeiner
natuͤrlichen Geſtalt und ein ſchoͤner Prinz, und
ſeine Hoͤhle ein praͤchtiges Schloß und die
Thiere im Wald, waren ſeine Diener. An ei-
nem ſolchen Tage hatte er die Prinzeſſin ab-
geholt; ſchoͤne junge Frauen kamen ihr vor
dem Schloß entgegen, es war ein herrliches Feſt
und ſie ſchlief in Freuden ein, aber als ſie er-
wachte, lag ſie in einer dunkeln Baͤrenhoͤle und
ihr Gemahl war ein Baͤr geworden und brumm-
te zu ihren Fuͤßen, nur das Bett und alles
was ſie angeruͤhrt hatte, blieb in ſeinem natuͤr-
lichen Zuſtand unverwandelt. So lebte ſie ſechs
Tage in Leid aber am ſiebenten ward ſie getroͤ-
ſtet, und da ſie nicht alt ward und nur der
eine Tag ihr zugerechnet wurde, ſo war ſie zu-
frieden mit ihrem Leben. Sie hatte ihrem Ge-
mahl zwei Prinzen geboren, die waren auch
ſechs Tage lang Baͤren und am ſiebenten in
menſchlicher Geſtalt. Sie ſteckte ſich jedesmal
hr Bettſtroh voll von den koͤſtlichſten Speiſen
Kuchen und Fruͤchten, davon lebte ſie die ganze
Woche, und der Baͤr war ihr auch gehorſam
und that, was ſie wollte.
[375]
Als Reinald erwachte, lag er in einem ſei-
denen Bett, Diener kamen ihm aufzuwarten
und ihm die reichſten Kleider anzuthun, denn es
war gerade der ſiebente Tag eingefallen. Seine
Schweſter mit zwei ſchoͤnen Prinzen und ſein
Schwager Baͤr traten ein, und fre[u]ten ſich ſei-
ner Ankunft. Da war alles in Pracht und
Herrlichkeit und der ganze Tag voll Luſt und
Freude; am Abend aber ſagte die Prinzeſſin:
lieber Bruder, nun mach daß du fort kommſt,
mit Tages Anbruch nimmt mein Gemahl wie-
der Baͤrengeſtalt an, und findet er dich morgen
noch hier, kann er ſeiner Natur nicht widerſte-
hen und frißt dich auf.“ Da kam der Prinz Baͤr
und gab ihm drei Baͤrenhaare, und ſagte; wenn
du in Noth biſt ſo reib daran, und ich will dir
zu Huͤlfe kommen.“ Darauf kuͤßten ſie ſich und
nahmen Abſchied, und Reinald ſtieg in einen
Wagen mit ſechs Rappen beſpannt und fuhr
fort. So gings uͤber Stock und Stein, Berg
auf Berg ab, durch Wuͤſten und Waͤlder, Horſt
und Hecke, ohne Ruh und Raſt, bis gegen Mor-
gen, als der Himmel anfing grau zu werden,
da lag Reinald auf einmal auf der Erde und
Roß und Wagen war verſchwunden, und beim
Morgenroth erblickte er ſechs Ameiſen, die gal-
loppirten dahin und zogen eine Nußſchale.
Reinald ſah daß er noch in dem Zauber-
wald war, und wollte ſeine zweite Schweſter
[376] ſuchen. Wieder drei Tage irrte er umſonſt in
der Einſamkeit, am vierten aber hoͤrte er einen
großen Adler daher rauſchen, der ſich auf ein
Neſt niederließ. Reinald ſtellte ſich ins Ge-
buͤſch und wartete bis er wieder wegflog, nach
ſieben Stunden hob er ſich auch wieder in die
Hoͤhe. Da kam Reinald hervor, trat vor den
Baum und rief: „liebſte Schweſter biſt du dro-
ben, ſo laß mich deine Stimme hoͤren, ich bin
Reinald dein Bruder, und bin gekommen dich
zu beſuchen!“ Da hoͤrte er es herunter rufen,
„biſt du Reinald mein liebſter Bruder, den ich
noch nicht geſehen habe, ſo komm herauf zu
mir.“ Reinald wollte binauf klettern aber der
Stamm war zu dick und glatt, dreimal ver-
ſuchte ers, aber umſonſt, da fiel eine ſeidene
Strickleiter hinab, auf der ſtieg er bald zu dem
Adlerneſt, das war ſtark und feſt, wie eine Al-
tane auf einer Linde. Seine Schweſter ſaß un-
ter einem Thronhimmel von roſenfarbener Sei-
de und auf ihrem Schooß lag ein Adlerei, das
hielt ſie warm und wollt es ausbruͤten. Sie
kuͤßten ſich und freuten ſich, aber nach einer
Weile ſprach die Prinzeſſin: „nun eil, liebſter
Bruder, daß du fort kommſt, ſieht dich der Ad-
ler, mein Gemahl, ſo hackt er dir die Augen
aus und frißt dir das Herz ab, wie er dreien
deiner Diener gethan, die dich im Walde ſuch-
ten.“ Reinald ſagte, „nein ich bleibe hier,
[377] bis dein Gemahl verwandelt wird“ — „Das
geſchieht erſt in ſechs Wochen, doch wenn du
es aushalten kannſt, ſteck dich in den Baum,
der inwendig hohl iſt, ich will dir alle Tage
Eſſen hinunter reichen. Reinald kroch in den
Baum, die Prinzeſſin ließ ihm alle Tage Eſſen
hinunter, und wenn der Adler wegflog, kam er
herauf zu ihr. Nach ſechs Wochen geſchah die
Umwandlung, da erwachte Reinald wieder in
einem Bett, wie bei ſeinem Schwager Baͤr,
nur daß alles noch praͤchtiger war, und er lebte
ſieben Tage bei dem Adlerprinz in aller Freude.
Am ſiebenten Abend nahmen ſie Abſchied, der
Adler gab ihm drei Adlerfedern und ſprach:
wenn du in Noth biſt, ſo reib daran, und ich
will dir zu Huͤlfe kommen.“ Dann gab er ihm
Diener mit, ihm den Weg zu zeigen, als aber
der Morgen kam, waren ſie auf einmal fort,
und Reinald in einer furchtbaren Wildniß auf
einer hohen Felſenwand allein.
Reinald blickte um ſich her, da ſah er in
der Ferne den Spiegel einer großen See, auf
dem eben die erſten Sonnenſtrahlen glaͤnzten.
Er dachte an ſeine dritte Schweſter, und daß
ſie dort ſeyn werde. Da fing er an hinabzu-
ſteigen, und arbeitete ſich durch die Buͤſche und
zwiſchen den Felſen durch; drei Tage verbrachte
er damit, und verlor oft den See aus den
Augen, aber am vierten Morgen gelangte er
[378] hin. Er ſtellte ſich an das Ufer und rief: „lieb-
ſte Schweſter biſt du darin, ſo laß mich deine
Stimme hoͤren, ich bin Reinald dein Bruder
und bin gekommen dich zu beſuchen;“ aber es
antwortete niemand, und war alles ganz ſtill.
Er broͤſelte Brotkrumen ins Waſſer und ſprach
zu den Fiſchen: „ihr lieben Fiſche, geht hin zu
meiner Schweſter und ſagt ihr, daß Reinald
das Wunderkind da iſt und zu ihr will.“ Aber
die rothgefleckten Forellen ſchnappten das Brot
auf, und hoͤrten nicht auf ſeine Worte. Da ſah
er einen Nachen, alsbald warf er ſeine Ruͤſtung
ab, und behielt nur ſein blankes Schwert in
der Hand, ſprang in das Schiff und ruderte
fort. So war er lang geſchwommen, als er ei-
nen Schornſtein von Bergkriſtall uͤber dem Waſ-
ſer ragen ſah, aus dem ein angenehmer Geruch
hervor ſtieg. Reinald ruderte darauf hin und
dachte, da unten wohnt gewiß meine Schweſter,
dann ſetzte er ſich in den Schornſtein und rutſch-
te hinab. Die Prinzeſſin erſchrak recht als ſie
auf einmal ein paar Menſchenbeine im Schorn-
ſtein zappeln ſah, bald kam ein ganzer Mann
herunter, und gab ſich als ihren Bruder zu er-
kennen. Da freute ſie ſich von Herzen, dann
aber ward ſie betruͤbt und ſagte: „der Wall-
fiſch, hat gehoͤrt, daß du mich aufſuchen willſt,
und hat geklagt, wenn du kaͤmſt und er ſey
Wallfiſch, koͤnne er ſeine Begierde dich zu freſ-
[379] ſen nicht widerſtehen, und wuͤrde mein kriſtal-
lenes Haus zerbrechen, und dann wuͤrde ich auch
in den Waſſerfluten umkommen.“ — „Kannſt
du mich nicht ſo lang verbergen, bis die Zeit
kommt wo der Zauber vorbei iſt.“ — „Ach nein
wie ſollte das gehen, ſiehſt du nicht die Waͤnde
ſind alle von Kriſtall und ganz durchſichtig,“
doch ſann ſie und ſann, endlich fiel ihr die Holz-
kammer ein, da legte ſie das Holz ſo kuͤnſtlich
daß von außen nichts zu ſehen war und dahin-
ein verſteckte ſie das Wunderkind. Bald darauf
kam der Wallfiſch und die Prinzeſſin zitterte
wie Espenlaub, er ſchwamm ein paarmal um
das Kriſtallhaus und als er ein Stuͤckchen von
Reinalds Kleid aus dem Holz hervorgucken
ſah, ſchlug er mit dem Schwanz, ſchnaubte ge-
waltig und wenn er mehr geſehen, haͤtte er ge-
wiß das Haus eingeſchlagen. Jeden Tag kam er
einmal und ſchwamm darum, bis endlich im ſie-
benten Monat der Zauber aufhoͤrte. Da befand
ſich Reinald in einem Schloß, das an Pracht
gar des Adlers ſeines uͤbertraf, und mitten auf
einer ſchoͤnen Inſel ſtand; nun lebte er er ei-
nen ganzen Monat mit ſeiner Schweſter und
Schwager in aller Luſt, als der aber zu Ende
war, gab ihm der Wallfiſch drei Schuppen und
ſprach: „wenn du in Noth biſt, ſo reib daran
und ich will dir zu Huͤlfe kommen“ und ließ
[380] ihn wieder ans Ufer fahren, wo er noch ſeine
Ruͤſtung f[a]nd.
Das Wunderkind zog darauf ſieben Tage
in der Wildniß weiter und ſieben Naͤchte ſchlief
es unter freiem Himmel, da erblickte es ein
Schloß mit einem Stahlthor und einem maͤch-
tigen Schloß daran. Vorn aber ging ein ſchwar-
zer Stier mit funkelnden Augen und bewachte
den Eingang. Reinald ging auf ihn los und
gab ihm auf den Hals einen gewaltigen Streich
aber der Hals war von Stahl und das Schwert
zerbrach darauf, als waͤre es Glas. Er wollte
ſeine Lanze brauchen, aber die zerknickte wie ein
Strohhalm und der Stier faßte ihn mit den
Hoͤrnern und warf ihn in die Luft, daß er auf
den Aeſten eines Baums haͤngen blieb. Da
beſann ſich Reinald in der Noth auf die drei
Baͤrenhaare, rieb ſie in der Hand und in dem
Augenblick kam ein Baͤr daher getrabt, kaͤmpfte
mit dem Stier und zerriß ihn. Aber aus dem
Bauch des Stiers flog ein Entvogel in die
Hoͤhe und eilig weiter; da rieb Reinald die drei
Adlerfedern, alsbald kam ein maͤchtiger Adler
durch die Luft und verfolgte den Vogel, der ge-
rade nach einem Weiher floh, ſchoß auf ihn her-
ab, und zerfleiſchte ihn; aber Reinald hatte ge-
ſehen, wie er noch ein goldnes Ei hatte ins
Waſſer fallen laſſen. Da rieb er die drei Fiſch-
ſchuppen in der Hand, gleich kam ein Wall-
[381] fiſch geſchwommen, verſchluckte das Ei und ſpie
es ans Land. Reinald nahm es und ſchlug es
mit einem Stein auf, da lag ein kleiner Schluͤſ-
ſel darin, und das war der Schluͤſſel, der die
Stahlthuͤr oͤffnete. Und wie er ſie nur damit
beruͤhrte, ſprang ſie von ſelber auf, und er trat
ein, und vor den andern Thuͤren ſchoben ſich
die Riegel von ſelber zuruͤck, und durch ihrer
ſieben trat er in ſieben praͤchtige hellerleuchtete
Kammern, und in der letzten Kammer lag eine
Jungfrau auf einem Bett und ſchlief. Die
Jungfrau war aber ſo ſchoͤn, daß er ganz ge-
blendet davon ward, er wollte ſie aufwecken,
das war aber vergebens, ſie ſchlief ſo feſt als
waͤre ſie tod. Da ſchlug er vor Zorn auf eine
ſchwarze Tafel, die neben dem Bett ſtand; in
dem Augenblick erwachte die Jungfrau, fiel
aber gleich wieder in den Schlaf zuruͤck, da
nahm er die Tafel und warf ſie auf den ſtei-
nernen Boden, daß ſie in tauſend Stuͤcken
zerſprang. Kaum war das geſchehen, ſo ſchlug
die Jungfrau die Augen hell auf, und der Zau-
ber war geloͤſt. Sie war aber die Schweſter
von den drei Schwaͤgern Reinalds, und weil ſie
einem gottloſen Zauberer ihre Liebe verſagt,
hatte er ſie in den Todesſchlaf geſenkt, und ihre
Bruͤder in Thiere verwandelt, und das ſollte
ſo lang waͤhren, als die ſchwarze Tafel unver-
ſehrt blieb.
[382]
Reinald fuͤhrte die Jungfrau heraus und
wie er vor das Thor kam, da ritten von drei
Seiten ſeine Schwaͤger heran und waren nun
erloͤſt, und mit ihnen ihre Frauen und Kinder,
und die Adlerbraut hatte das Ei ausgebruͤtet
und ein ſchoͤnes Fraͤulein auf dem Arm; da zo-
gen ſie alle zu dem alten Koͤnig und der alten
Koͤnigin, und das Wunderkind brachte ſeine drei
Schweſtern mit nach Haus, und bald vermaͤhlte
es ſich mit der ſchoͤnen Jungfrau; da war
Freude und Luſt in allen Ecken; und die Katz
laͤuft nach Haus, mein Maͤhrchen iſt aus.
83.
Das arme Maͤdchen.
Es war einmal ein armes, kleines Maͤd-
chen, dem war Vater und Mutter geſtorben,
es hatte kein Haus mehr in dem es wohnen,
und kein Bett mehr, in dem es ſchlafen konn-
te, und nichts mehr auf der Welt, als die Klei-
der, die es auf dem Leib trug, und ein Stuͤck-
chen Brod in der Hand, das ihm ein Mitlei-
diger geſchenkt hatte; es war aber gar fromm
und gut. Da ging es hinaus, und unterwegs
begegnete ihm ein armer Mann, der bat es ſo
ſehr um etwas zu eſſen, da gab es ihm das
Stuͤck Brod; dann ging es weiter, da kam ein
Kind, und ſagte: „es friert mich ſo an meinem
[383] Kopf, ſchenk mir doch etwas, das ich darum
binde,“ da thaͤt es ſeine Muͤtze ab und gab ſie
dem Kind. Und als es noch ein bischen ge-
gangen war, da kam wieder ein Kind, und hat-
te kein Leibchen an, da gab es ihm ſeins; und
noch weiter, da bat eins um ein Roͤcklein, das
gab es auch von ſich hin, endlich kam es in
Wald, und es war ſchon dunkel geworden, da
kam noch eins und bat um ein Hemdlein, und
das fromme Maͤdchen dachte: es iſt dunkele
Nacht, da kannſt du wohl dein Hemd wegge-
ben, und gab es hin. Da fielen auf einmal
die Sterne vom Himmel und waren lauter
harte, blanke Thaler, und ob es gleich ſein
Hemdlein weggegeben, hatte es doch eins an,
aber vom allerfeinſten Linnen, da ſammelte es
ſich die Thaler hinein und ward reich fuͤr ſein
Lebtag.
84.
Die Schwiegermutter.
Es war ein Koͤnig und eine Koͤnigin, die
hatte eine bitterboͤſe Schwiegermutter. Einmal
zog der Koͤnig ins Feld, da ließ die alte Koͤni-
gin ihre Schwieger unten in einen dumpfigen
Keller einſperren, und ihre zwei Soͤhnlein zu
ihr. Eines Tags nun ſprach ſie zu ſich ſelbſt:
ich haͤtte ſo Luſt das eine von den Kindern zu
eſſen, rief ihren Koch und hieß ihn hinunter-
[384] ſteigen, das eine Soͤhnlein zu nehmen, zu ſchlach-
ten und zuzurichten.
„Mit was fuͤr einer Bruͤhe?“ fragte der
Koch. Mit einer braunen, ſprach die alte
Koͤnigin.
Da ging der Koch in den Keller und ſprach:
„ach Frau Koͤnigin, die alte Frau Koͤnigin will
haben, ich ſoll heut Abend Euren einen Sohn
ſchlachten und kochen.“ Da war die junge
Koͤnigin herzlich betruͤbt und ſagte: ach, wollen
wir nicht ein Schweinchen nehmen, das koch
doch ſo, wie ſies haben will, und ſprich, es waͤ-
re mein Kind geweſen.
Der Koch that ſo und trug das Schwein-
chen in brauner Bruͤhe auf, „da waͤre das
Kind,“ und ſie aß es auf mit großem Appetit.
Bald darauf dachte die Alte: das Kinder-
fleiſch hat mir ſo zart geſchmeckt, du willſt das
zweite auch eſſen, rief den Koch und hieß ihn
in den Keller gehen, und den zweiten Sohn
ſchlachten.
„Mit was fuͤr einer Bruͤhe ſoll ich ihn
kochen?“ ei, mit einer weißen, ſprach die alte
Koͤnigin.
Der Koch ging hinunter und ſagte: ach,
die alte Frau Koͤnigin hat mich geheißen, daß
ich nun auch euer zweites, kleines Soͤhnlein
ſchlachten und kochen ſoll. Die junge Koͤnigin
ſprach
[385] ſprach: nimm doch ein Spanferkelchen und koch
es, wie ſies gern haben will.
Das that der Koch, und ſetzte es der Alten
vor in einer weißen Bruͤhe, und ſie ſpeiſte es
mit noch groͤßerm Appetit.
Endlich dachte die Alte: nun ſind die Kin-
der in meinem Leib, du willſt nun auch die jun-
ge Koͤnigin eſſen, rief den Koch und befahl ihm
die junge Koͤnigin zu kochen. — —
(Fragment: beim drittenmal ſchlachtet der Koch eine
Hirſchkuh. Nun hat aber die junge Königin ihre Noth,
daß ſie ihre Kinder vom Schreien abhält, damit die
Alte nicht hört, ſie ſeien noch am Leben u. ſ. w.)
85.
Fragmente.
a) Schneeblume.
Eine junge Koͤnigstochter hieß Schneeblu-
me, weil ſie weiß, wie der Schnee war, und
im Winter geboren. Eines Tags war ihre Mut-
ter krank geworden, und ſie ging in den Wald
und wollte heilſame Kraͤuter brechen, wie ſie
nun an einem großen Baum voruͤber ging, flog
ein Schwarm Bienen heraus und bedeckten ih-
ren ganzen Leib von Kopf bis zu Fuͤßen. Aber
ſie ſtachen ſie nicht und thaten ihr nicht weh,
ſondern trugen Honig auf ihre Lippen, und
ihr ganzer Leib ſtrahlte ordentlich von Schoͤn-
heit. — —
Kindermärchen. B b
[386]
b) Prinzeſſin mit der Laus.
Es war einmal eine Prinzeſſin, die war
ſo reinlich, gewiß die reinlichſte von der ganzen
Welt, nie ſah man den kleinſten Schmutz oder
Flecken an ihr. Einmal aber fand man eine
Laus auf ihrem Kopf ſitzen, welches fuͤr ein
wahres Wunder galt, und man wollte darum
die Laus nicht umbringen, ſondern beſchloß ſie
mit Milch groß zu fuͤttern. Dies geſchah, die
Laus wuchs immer mehr, ſo daß ſie endlich
ſo groß wie ein Kalb war. Wie nun dieſe
Laus ſtarb, ließ ihr die Prinzeſſin das
Fell abziehen und ſich ein Kleid daraus
machen. Kam nun ein Freier und hielt um ſie
an, ſo gab ſie ihm aufzurathen, von welchem
Thier das Fell waͤre, das ſie zum Kleid trug.
Da dies nun keiner rathen konnte, mußten ſie
alle abziehen. Endlich kam ein ſchoͤner Prinz
auf folgende Art dahinter. — —
c) Vom Prinz Johannes.
Von ſeinem Wandeln in Sehnen und Weh-
muth, von ſeinem Flug mit der Erſcheinung,
von der rothen Burg, von den vielen herzbe-
wegenden Pruͤfungen, bis ihm der einzigſte
Anblick der ſchoͤnen Sonnenprinzeſſin gewaͤhrt
wurde.
[387]
d) der gute Lappen.
Zwei Naͤthersmaͤdchen hatten nichts geerbt,
als einen guten alten Lappen, der machte alles zu
Gold, was man hineinwickelte, damit hatten ſie
genug und naͤhten dabei noch zu kleinem Verdienſt.
Die eine Schweſter war ſehr klug, die andere
ſehr dumm. Eines Tags, war die aͤlteſte in die
Kirche gegangen, da kam ein Jude die Straße
her und rief: „ſchoͤne, neue Lappen zu verkaufen
oder zu vertauſchen gegen alte, nichts zu hand-
len?“ Wie die dumme das hoͤrte, lief ſie hin
und vertauſchte ihren guten alten Lappen fuͤr einen
neuen; das wollte der Jud gerad, denn er kannte
die Tugend des alten gar wohl. Als die aͤlteſte
nun heimkam, ſprach ſie: mit dem Naͤhverdienſt
geht's ſchlecht, ich muß uns ein bischen Geld
ſchaffen, wo iſt unſer Lappen?“ „Deſto beſſer,“
ſprach die dumme, „ich hab' auch waͤhrend du aus
warſt einen neuen und friſchen dafuͤr eingehandelt
fuͤr den alten. — — (Nachher wird der Jude
ein Hund, die zwei Maͤdchen Huͤhner, die Huͤh-
ner aber endlich Menſchen, und pruͤgeln den Hund
zu Tode.)
86.
Der Fuchs und die Gaͤnſe.
Der Fuchs kam einmal auf eine Wieſe, wo
eine Heerde ſchoͤner fetter Gaͤnſe ſaß, da lachte er
und ſprach: „Ei, ich komme ja wie gerufen, ihr
[388] ſitzt huͤbſch beiſammen, da kann ich eine nach der
andern auffreſſen.“ Die Gaͤnſe gackten vor
Schrecken, ſprangen auf und fingen an gar klaͤg-
lich um ihr Leben zu bitten, der Fuchs aber
ſprach: „da iſt keine Gnade, ihr muͤßt ſterben.“
Endlich nahm ſich eine das Herz und ſagte: „ſol-
len wir doch unſer jung friſch Leben laſſen, ſo er-
zeig uns die einzige Gnade und erlaub' uns noch
ein Gebet, damit wir nicht in unſern Suͤnden
ſterben, hernach wollen wir uns auch in eine Reihe
ſtellen, damit du dir immer die fetteſte ausſuchen
kannſt.“ „Ja, ſagte der Fuchs, das iſt billig
um eine fromme Bitte, betet, ich will ſo lange
warten.“ Alſo fing die erſte ein recht langes Ge-
bet an: ga! ga! und weil ſie gar nicht aufhoͤren
wollte, wartete die zweite nicht, bis die Reihe an
ſie kam, ſondern fing auch an ga! ga! (Und
wenn ſie alle ausgebetet haben, ſoll das Maͤrchen
weiter erzaͤhlt werden, ſie beten aber alleweile
noch immer fort.)
[[I]]
Anhang.
Kindermärchen. A
[[II]][[III]]
Zum Froſchkoͤnig. No. 1.
Eins der alleraͤlteſten und ſchoͤnſten Maͤrchen, das
man ſonſt in Deutſchland unter dem Namen: von
dem eiſernen Heinrich beſonders gekannt hat,
nach dem treuen Bedienten, der ſich ſein kummer-
volles Herz in Banden hatte legen laſſen. Rol-
lenhagen nennt es ſo unter den alten deutſchen
Hausmaͤrlein. Darauf bezieht ſich auch, was Phi-
lander v. Sittewald 3, 42. ſagt: „dann ihr Herz
ſtund in meiner Hand, feſter als in ein eiſen
Band.“ Vom Band der Sorge iſt noch allge-
meiner und oͤfter Rede, vom Stein der auf dem
Herzen liegt, ſchoͤn ſingt ein Minnedichter: „ſie
iſt mir recht ſtahelhart in mein Herz gedruͤckt.“
Heinrich von Sax (1, 36.) ſogar ausdruͤcklich:
„mein Herze in Banden litt,“ und ein Lied
von Heinrich dem Loͤwen Str. 59. „es lag ihr
Herz in Banden.“ — Allein der Hauptſage nach
lebt das Maͤrchen auch in Schottland fort. In
the complaynt of Scotland geſchrieben 1548. wird
unter andern alten Erzaͤhlungen the tale of
the wolf of the warldis end genannt, das
leider ganz verloren gegangen (vielleicht die Sa-
ge vom nordiſchen Loke) iſt. J. Leyden in ſ.
Ausg. des Complaynt Edinb. 1801. S. 234. 35.
glaubt, daß es in verſchiedene Lieder und Ammen-
maͤrchen zerſtuͤckt noch herumgehe, er habe Frag-
mente ſingen hoͤren, worin der Brunnen von
der Welt End (well of the warldis end) vor-
komme und the well Absolom und the cald
well sae weary heiße. Hieran ſchließt er nun
unſer Maͤrchen an, wiewohl der Weltbrunnen recht
gut in verſchiedene Sagen eingreifen kann, und
wir auch in dem deutſchen keine Anknuͤpfung zu
A 2
[IV] jenem Wolf (oder ſollte Wolf im Original ſtatt
well ſtehen?) ahnen. Leydens Worte lauten nun:
„according to the popular tale a lady is ſent
by her ſtepmother to draw water from the well
of the worlds end. She arrives at the well, af-
ter encountering many dangers; but ſoon per-
ceives that her [adventures] have not reached a
concluſion. A frog emerges from the well,
and, before it ſuffers her to draw water, obli-
ges her to betrothe herself to the monster, un-
der the penalty of being torn to pieces. The
lady returns safe: but at midnight the frog lo-
ver appears at the door and demands entrance,
according to promise to the great consternation
of the lady and her nurse.
the frog is admitted, and addresses her:
the frog is finally disenchanted and appears as a
prince in his original form.“
Die Stelle in the romance of Roswall and
Lilian:
„the knight that kept the pavent well
was not so fair as Roswall
ſpielt ſchwerlich hierher an.“
La grenouille bienfaisante der Ma-
dame d'Aulnoy, ein ſchlechtes Maͤrchen hat auch
gar keine Aehnlichkeit mit dem unſrigen.
Zu Katz und Maus in Geſellſchaft. No. 2.
Man erzaͤhlt es auch von Haͤhnchen und Huͤhn-
chen, die hatten einen Edelſtein im Miſt gefunden,
beim Juwelirer verkauft ein Fetttoͤpfchen auf den
Winter dafuͤr erhandelt, und auf einen Schrank
geſtellt. Das Huͤhnchen frißt es nun nach und
nach leer, wie das herauskommt, wird das Haͤhn-
[V] chen ganz wuͤthend und hackt das Huͤhnchen todt.
Darnach aber empfindet es Reue und nun wird
das Huͤhnchen begraben wie in No. 80.
Zum Marienkind. No. 3.
Aehnlichkeit damit hat die Legende von der
heil. Ottilie, zumal, wie ſie Naubert in ihren
Volksmaͤhrchen Th. 1. erzaͤhlt Die gruͤndliche
Idee von vielen erlaubten und der einen verbote-
nen Thuͤre kehrt vielmal und unter verſchiedener
Einleitung, wie bei der Todtenbraut und dem
Blaubart (No. 46 u. 62.) wieder. Eine andere
Erzaͤhlung iſt folgende: der arme Mann, da er
ſeine Kinder nicht ernaͤhren kann, geht in den
Wald und will ſich erhenken, da kommt eine ſchwar-
ze Kutſche mit vier ſchwarzen Pferden und eine
ſchoͤne ſchwarzgekleidete Jungfrau ſteigt aus und
ſagt ihm, er werde in einem Buſch vor ſeinem
Haus einen Sack mit Geld finden, dafuͤr ſolle er
ihr geben, was im Hauſe verborgen ſey. Der
Mann willigt ein, findet das Geld, das verborgene
aber iſt das Kind im Mutterleib; und wie das ge-
boren iſt, kommt die Jungfrau und will es abho-
len, doch, weil die Mutter ſo viel bittet, laͤßt ſie
es noch bis zum zwoͤlften Jahr. Da aber fuͤhrt
ſie es fort zu einem ſchwarzen Schloß, alles iſt
praͤchtig darin, es darf an alle Orte hin, nur
nicht in eine Kammer. Vier Jahre gehorcht das
Maͤdchen, da kann es der Qual der Neugierde
nicht laͤnger widerſtehen und guckt durch einen
Ritz hinein. Es ſieht vier ſchwarze Jungfrauen,
die, in Buͤcherleſen vertieft, in dem Augenblick zu
erſchrecken ſcheinen, ſeine Pflegemutter aber kommt
heraus und ſagt: „ich muß dich verſtoßen, was
willſt du am liebſten verlieren?“ — „Die Spra-
che, antwortete das Maͤdchen. Da ſchlaͤgt ſie ihm
auf den Mund, daß das Blut hervor quillt, und
treibt es fort. Es muß unter einem Baum uͤber-
nachten, da findet es am Morgen der Koͤnigsſohn,
fuͤhrt es mit ſich fort und vermaͤhlt ſich, gegen
ſeiner Mutter Willen, mit der ſtummen Schoͤnheit.
Als das erſte Kind zur Welt kommt, nimmt es die
[VI] boͤſe Schwiegermutter, wirft es ins Waſſer, be-
ſpritzt die kranke Koͤnigin mit Blut und giebt
vor, ſie habe ihr eigen Kind gefreſſen. So geht
es noch zweimal, da ſoll die Unſchuldige, die ſich
nicht vertheidigen kann, verbrannt werden. Schon
ſteht ſie in dem Feuer, da kommt der ſchwarze Wa-
gen, die Jungfrau tritt heraus, ſie geht in die
Flammen, die ſich gleich niederlegen und ausloͤ-
ſchen, hin zu der Koͤnigin, ſchlaͤgt ihr auf den
Mund und giebt ihr damit die Sprache wieder.
Die drei andern Jungfrauen bringen die drei
Kinder, aus dem Waſſer gerettet; der Verrath
kommt an den Tag, und die boͤſe Schwiegermut-
ter wird in ein Faß gethan, das iſt mit Schlan-
gen und giftigen Nattern ausgeſchlagen und einen
Berg herabgerollt.
Zum Wolf und den Geiſerchen. No. 5.
muß auch, wenigſtens ſonſt, in Frankreich ſeyn be-
kannt geweſen. Lafontaine hat offenbar die 15te
Fabel ſeines 4ten Buchs daraus gemacht, allein
wie mager erzaͤhlt er ſie; vielleicht hatte er auch
bloß die fruͤhere Bearbeitung Corrozets (le loup,
la chevre et le chevreau) vor ſich, wo ſich gleich-
falls die junge Ziege huͤtet und den Wolf gar
nicht einlaͤßt. Die Fabel iſt aber viel aͤlter, und
ſteht u. a. bei Boner XXXIII., wo jedoch der
Umſtand mit der weißen Pfote, deſſen ſchon La-
fontaine nebenbei gedenkt, fehlt. Dagegen erinnern
wir uns eines Bruchſtuͤckes aus dem vollſtaͤndi-
gen franzoͤſiſchen Kindermaͤrchen. Der Wolf geht
zum Muͤller, reicht ihm die graue Pfote hin und
ſpricht:
da thut es der Muͤller aus Furcht. — Auch Pſa-
mathe die Nereide ſandte den Wolf auf Peleus
und Telamons Heerden, der Wolf fraß ſie insge-
ſammt und wurde dann verſteinert, wie ihm hier
Steine eingenaͤht werden. Doch liegt die Sage
[VII] vom verſteinerten Wolf tiefer, als ſie hier ausge-
fuͤhrt werden kann.
Zur Nachtigall u. Bl. No. 6.
aus dem Franzoͤſiſchen uͤberſetzt, Mémoires de l'a-
cademie celtique. Tome 2, 204. 205. Vergl. T.
4, 102. Das Maͤrchen und der Glauben findet ſich
unter den Solognots. Die franzoͤſiſchen Reime
ahmen den Ton der Nachtigall gluͤcklicher nach:
Zur Hand mit dem Meſſer. No. 8.
ein ſchottiſches Maͤrchen oder Volkslied, das Mrs.
Grant in ihren essays on the superstitions of
the highlanders of Scotland, London 1811. vol.
1, 285 286. erzaͤhlt. Sie ſagt: „one of these
(stories) which J have heard sung by chil-
dren at a very early age, and which is just to
them the Babes in the wood, J can never for-
get. The affecting simplicity of the tune, the
strange wild imagery and the marks of remote
antiquity in the little narrative, gave it the
greatest interest to me, who delight in tracing
back poetry to its infancy.
Die zwoͤlf Bruͤder. No. 9.
Im Pentamerone doch ſehr abweichend IV, 8. le
sette cottenelle.
Zum Lumpengeſindel. No. 10.
Vergl. unten No. 41. Herr Korbes.
Zum Bruͤderchen und Schweſterchen. No. 11.
Eine aͤhnliche Erzaͤhlung kennen wir nur fragmen-
tariſch: Bruder und Schweſter gingen eines Tags
[VIII] in den Wald und weil die Sonne ſo heiß und der
Weg ſo weit war, ſo fing den Bruder an zu dur-
ſten. Sie ſuchten Waſſer und kamen zu einer
Quelle, daran ſtand geſchrieben: „wer aus mir
trinkt, iſt es ein Mann, wird er ein Tiger, iſt es
ein Weib, wird es ein Lamm.“ Da ſprach das
Maͤdchen: „ach! lieber Bruder, trink nicht aus
der Quelle, ſonſt wirſt du ein Tiger und zerreißeſt
mich.“ Da ſagte der Bruder, er wolle noch war-
ten, ob ihn gleich der Durſt ſo quaͤle bis zur naͤch-
ſten Quelle. Wie ſie aber an die naͤchſte Quelle
kamen, ſtand daran: „wer aus mir trinkt, wird
ein Wolf.“ Da ſprach das Maͤdchen wieder, „lie-
ber, ach lieber Bruder trink nicht, ſonſt frißt du
mich.“ Der Bruder ſprach: „noch einmal will
ich meinen Durſt bezaͤhmen, aber laͤnger kann ich
nicht mehr;“ und ſie kamen zu einer dritten Quel-
le, daran war geſchrieben: „wer aus mir trinkt
und iſt es ein Mann, wird er ein goldener Hirſch,
iſt es ein Maͤdchen, wird es groß und ſchoͤn.“ —
Da legt ſich der Bruder nieder und trinkt und
ſteht als ein goldener Hirſch auf, das Maͤdchen
trinkt auch und wird noch ſchoͤner und groß, als
waͤr es erwachſen. Dann legt es den Hirſch an
ein Seil und fuͤhrt ihn fort, der Koͤnig ſieht den
wunderbaren Hirſch und laͤßt ihn einfangen. Das
Maͤdchen bleibt bei ihm und wird einmal behorcht,
als ſie mit ihm ſpricht, da hoͤrt der Koͤnig, daß
es die Schweſter von dem Goldhirſch iſt, und ver-
maͤhlt ſich mit ihr. Die Mutter des Koͤnigs aber
iſt neidiſch und will ſie verderben, ſie giebt ihr
eine haͤßliche Geſtalt und macht, daß ſie ſoll ge-
toͤdtet, der Hirſch aber vom Metzger geſchlachtet
werden. — — Die Unſchuld aber kommt an den
Tag, die Schwiegermutter wird in eine mit ſchar-
fen Meſſern angefuͤllte Tonne gethan und einen
Berg herabgerollt.
Zu Rapunzel. No. 12.
im Pentamerone II, 1. (Petrosinella), wo vieles
anders und beſonders die zweite Haͤlfte lebendiger
iſt, als im deutſchen Maͤrchen. Dieſes hat ſchon
[IX] Friedr. Schulz in ſ. kleinen Romanen Bd. 5. Lpz.
1790. S. 269—88. nur zu weitlaͤuftig erzaͤhlt, wie-
wohl ohne Zweifel aus muͤndlicher Sage. Wie
weit uͤbertrifft es dennoch ſeine uͤbrigen Maͤr-
chen! Eins in Buͤſchings Sammlung hat an-
fangs S. 287. einige Zuͤge aus dem unſrigen, ge-
raͤth aber bald nachher heraus und in den fran-
zoͤſiſchen Stil.
Zu Haͤnſel und Gretel. No. 15.
haͤngt genau mit einigen Daumlingsſagen, beſonders
dem franzoͤſ. kleinen poucet zuſammen. Der ganz
doppelartige Charakter des Daumerling (pulga-
rejo [Pollux]) erſcheint ſchon in der uralten Mythe
und geht z. B. in unſerer Sprache nur halbrecht
in [Dummling], Duͤmmling uͤber, waͤhrend das alte
thumb, wie noch jetzt das Engliſche, eine mildere
Bedeutung hat. Die eigentliche Ausfuͤhrung ei-
ner ſo merkwuͤrdigen Fabel wuͤrde hier zu viel ab-
leiten.
Oberlin giebt ein Stuͤck dieſes Maͤrchens nach
dem Dialect der Gegend von Luͤneville iu ſeinem
Essais, sur le patois.
Auch in deutſchen Erzaͤhlungen wird Haͤnſel
als ein Daumling dargeſtellt. Es ſind ſechs Kin-
der, er iſt das ſiebente. Wie ſie im Wald beim
Menſchenfreſſer ſind, ſollen ſie ihn friſiren, der
Daumling aber ſpringt ihm ins Haar, zupft ihn
und kommt immer wieder. Darauf Nachts die
Verwechslung der ſieben Kronen mit den ſieben
rothen Kappen. In den Meilenſtiefel thut der
Daumling alle Geldbeutel und Koſtbarkeiten.
Zu Fix und Fertig. No. 16.
aͤhnlich damit No. 64, II. daſſelbe Maͤrchen aber
in dem juͤdiſchen Maaſaͤhbuch c. 134. vom Rabbi
Chanina, nur wird der Koͤnig aufmerkſam auf die
Prinzeſſin mit den goldenen Haaren, durch ein
einzelnes Haar, das ein Vogel einmal ihm auf
die Achſel fallen laͤßt. Bei Straparola mit eini-
ger Veraͤnderung in den Motiven von Livoret
[X]III, 2. Dann auch in den modernen franz. Maͤr-
chen der Aulnoi.
Zur weißen Schlange. No. 17.
Die Sagen von ſprechenden Voͤgeln, die den Men-
ſchen rathen und ihr Schickſal verkuͤndigen, ſind
unzaͤhlig und koͤnnen hier nicht abgehandelt wer-
den. Die Menſchen lernen dieſe Sprache haupt-
ſaͤchlich auf zwei Arten: 1) durch das Eſſen eines
Herzens von einem Drachen, z. B. Siegfried,
oder Vogel, ſ. unten No. 60.); 2) oder einer wei-
ßen Schlange, wie hier und in einer merkwuͤrdi-
gen, hannoͤveriſchen Volksſage von der Seeburg,
die wir anderwaͤrts mittheilen werden. Ganz hier-
her gehoͤrt auch die maͤrchenhafte, altnordiſche Sa-
ge von Kraka und ihren beiden Soͤhnen, Roller
und Erich.
Zum Strohhalm. No. 18.
Vergl. No. 80. Dieſes und aͤhnliche Maͤrchen
(No. 23. 43.) entſcheiden freilich den Punct, ob
außer den Thieren, auch Pflanzen und andere Dinge
zur Fabel gehoͤren koͤnnen.
Zum Fiſcher un ſine Fru. No. 19.
Dieſes Maͤrchen welches der ſeel. Runge aus
der pommerſchen Mundart treflich niedergeſchrie-
ben, theilte uns Arnim im Jahr 1809 freundſchaft-
lich mit, von demſelben durch v. d. Hagen erhielt
es auch Buͤſching und hat es in ſeiner Sammlung
wiewohl nicht ohne Fehler abdrucken laſſen. Die
Fabel ſelbſt, deren Eingang merkwuͤrdig an eine
der N. 1001, No. 9. ꝛc. ꝛc. ſo wie an die walli-
ſiſche von Talieſin erinnert, wird auch in hieſiger
Gegend ſehr haͤufig, aber unvollſtaͤndiger, doch mit
einigen Abaͤnderungen erzaͤhlt. Es heißt: vom
Maͤnnchen Dominē ſonſt auch von Hans Dudel-
dee) und Frauchen Dindĕrlindē. Domine klagt
uͤber ſein Ungluͤck und geht hinaus an den See,
da ſtreckt ein Fiſchchen den Kopf hervor:
[XI]
nun geht er heim, „wuͤnſch uns ein beſſeres Haus“
ſagt Dinderlinde. Am See ruft er:
nun gehen die Wuͤnſche an, aber es ſind mehr, erſt
Haus, dann Garten, dann Ochſen und Kuͤh, dann
Laͤnder, u. ſo fort alle Schaͤtze der Welt. Wie ſie
ſich ausgewuͤnſcht haben, ſagt das Maͤnnchen: „nun
moͤcht ich der liebe Herrgott ſeyn, und mein Frau-
chen Mutter Gottes“ Da ſtreckt das Fiſchchen den
Kopf heraus und ruft:
Das Motiv von der Frau, die ihren Mann
zu hohen Wuͤrden reitzt, iſt gewiß uralt, von Eva
und der etruriſchen Tanaquil (Livius 1, 47.) bis
zur Lady Macbeth.
Zu dem tapfern Schneider. No. 20.
Die erſte Erzaͤhlung iſt genommen aus einem
ziemlich ſeltenen, kleinen Buch: Wegkuͤrzer, ein ſehr
ſchoͤn luſtig und aus der Maßen kurzweilig Buͤch-
lein — durch Martinum Montanum von Straß-
burg 12. von 1557. Bl. 18 — 25. Wir kennen
noch eine andere Ausgabe von 1607. In einem
daͤniſchen Volksbuch iſt dieſelbe Geſchichte gereimt,
Nyerup ſpricht davon in ſeiner Abhandlung uͤber
die daͤniſchen Volksbuͤcher (Iris und Hebe 1796.
Octob. S. 36) Es iſt da ein Schuhmacher, der
mit ſeinem Knieriemen 15 Fliegen auf einen Schlag
toͤdtet. Er beſteht erſt den Eber, der eine ſchlaf-
erweckende Frucht frißt, dann das Einhorn, zuletzt
einen Baͤren, den er in einen Ziegelbrennerofen
einſperrt. Die hier folgende hollaͤndiſche Recenſion
iſt aus einem Amſterdammer Volksbuch: Van kleyn
Kobisje alias Koningh ſonder Onderzaten S. 7 —
14. Sie hat, wie man ſieht, wieder ihre Eigen-
[XII] thuͤmlichkeiten. Zu beklagen iſt, daß die zweite Er-
zaͤhlung, nach muͤndlicher Mittheilung, nur ein
Fragment giebt, ohne Zweifel waͤre das Ganze
recht gut. Bei der gluͤcklichen Jagd denkt man
auch an den feigen Waldemar in der Wilkinaſaga,
(235.) der auf den Hirſch zu ſitzen kam.
Van kleyn Kobisje.
Kleyn Kobisje ſittende aen de Naaybank hy
ſcheld een Appel ende laet de Schel van die op de
Naaybank liggen, hy maeckt een Vliegeſlager, en
alſoo 'er Vliegen op de Appelſchel quamen om die
af te keeren, ſlaet 'er net in eenen Slag ſeven ge-
lyk; ſpringt van de Naaybank, oordelde dit een
Romeyn-ſtuk te zyn, denkt noch hier door een
groot Man te worden, verkoopt al wat hy heeft,
en laet 'er een cierlyk Schild van maken, en liet
'er opſetten: jck heet Kobisjen den onver-
ſaagden, ick ſla der ſeven met eenen Slagh.
Treckt doen in een ver Landt, daer den Koningh
Meeſter was, bind doen dit Schild op ſyn Borſt,
ende gaet achter des Konings Paleys, tegen een
hoogen Heuvel aen leggen, daer hy wiſt dat de
Koningh gewoon was ordinaris heen te ſien; ende
alſo de Son ſterck ſcheen, en wiſt de Koningh
niet wat daer ſo flikkerde, ſend terſtond een Edel-
man derwaerds. Hy by hem komende wierd ver-
vaert in dit te leſen: ick heet Koningh onver-
ſaagd, ick ſla der ſeven met een Slagh.
Gaet wederom, verhaelt den Koningh dit vorgaen-
de, die terſtond 2 a 3 Compagnien Soldaten daer
henen ſond, om hem wacker te maken, en met een
beleeft Onthael ten Hove te geleyden, met ſooda-
nigh Reſpect, als ſulcken Cavalier toekomt Sy
trecken op's Koninghs Bevel henen, by hem ko-
mende en dorſten hem, ofte niemand en wil de
eerſte weſen, om hem aen te ſpreken. Maer eenen
uyt den Hoop was ſoo couragieus, dat hy een
Pieck nam ende ſtiet hem tegens de Sool van ſyn
Schoen. Hy ſpringht op met groote Kracht, ſy
vallen op haer Knyen, ende biddem hem, hy be-
liefden eens by den Koningh te komen, het welcke
[XIII] geſchieden. By den Koningh nu zynde, was hy
in groot Aenſien. Ondertuſſchen word hem voor-
gehouden, hy kon des Koninghs Zwager worden,
maer daer waren drie zware Dingen te doen, die
moeſt hy voor den Koningh uytwercken. Voor
eerſt ſoo was 'er een wild Vercken, dat ſeer veel
quaed dede, en niemand vangen kon. Ten twee-
den waren 'er drie Reuſen, die het in het Bosch
des Koninghs ſoo onvry maekten, dat 'er niemand
door konde r[e]yſen, of was een doodt Man. Ten
derden waren 'er ettelyke duyſend vreemde Volcke-
ren in het Landt gevallen, en ſoo't ſcheen, ſtond
het Ryck in groot Peryckel. Dit neemt hy aen om
uyt te voeren. Word den Wegh aengeweſen, daer
het wild Vercken was. Gaet met een groote Cou-
ragie uyt 't Hof. Hy was qualyck ſoo ver, dat
hy 't Vercken hoorde, of wenſchte ſich ſelve weer
aen ſyn Naaybank. 't Vercken komt met ſulcken
Furie op hem aenlopen, dat hy na een goed Heen-
komen ſagh, ſiet een vervallen Kapel, en vlucht
daer in. Het Vercken hem na. Hy met 'er Haaſt
vlieght door het Venſter over de Muur ende haelt
de Deur van de Kapel toe. Doen was 't Ver-
cken vaſt, en komt by den Koningh, die hem vraegh-
de, hoe hy 't Vercken gevangen had? voer altoos
uyt: ick greep het met groote Kracht by de Hai-
ren of Borſtelen en wierp 't in de Kapel, en ick
heb't niet willen dooden, om u voor een Preſent
te vereeren Groote Vreugd was 'er in 't Hof.
— Gaet na de Reuſen, en tot en Geluck vond haer
ſlapende. Neemt ſyn Sack, vult die met Steenen.
Klimt op eenen hoogen Boom, werpt den eenen,
die meenden dat het den anderen dede. Begint te
kyven, hy ſou ſyn werpen laten of hy ſoude hem
voor ſyn Ooren bruyen. Den tweeden word ook
geworpen, begint te vloecken. De derde word
met het ſelfde onthaelt. Staet op en treckt ſyn
Degen. Vlieght den anderen aen, en ſteekt hem,
dat hy doodt ter Aerden valt. Begint met den
anderen ook, en door't lang Worſtelen vallen bey-
de ter Aerden van Vermoeytheyd. Hy ſyn Kans
ſiende, komt af en neemt van die dood was ſyn
Rapier, en ſteekt die alle beyde doodt, en houdſe
[XIV] den Kop af, gaet ſo weder na't Hof. Den Ko-
ningh vraeghde hem, of het beſtelt was? antwoor-
de ja. Men vraeghde hem; hoe hy't beſtelt had?
Seyde aldus: ik nam den eenen by ſyn Beenen,
en ick ſlveger den ander met, dat hy doodt ter
Aerden viel, en den anderen heb ick met de ſelfde
Munt betaelt En die ick by de Beenen had, half
doodt zynde, ſmeet ick met ſulcken Kracht tegen een
Boom, dat den Boom wel ſes Voet uyt de Aerde
vloogh. De Vreughd was ſeer groot, ende men
hielt hem voor de grootſte in't Hof. Hy maeck-
ten hem wederom gereed, en den Adel van't Hof
met hem, en daer toe een braef Heyrleger, daer
hy Overſten van ſou zyn. Syn Afſcheyd geno-
men hebbende, vingh't derde Stuck aen. Liet het
Leger marcheeren, ende hy volghde te Paerd. Maer
alſoo hy noyt een Paerd gereden hadde, wiſt hen
qualyk in Poſtuur te houden. Gekomen zynde op
de Plaets daer de Vyandt was, laet hy het Leger
in Batalie ſtellen, hem wierd doe geboodſchapt,
dat het alles in Order was. Wiſt niet, hoe hy't
Paerd ſoude wenden. Treckt aen de verkeerde Zy-
de des Tooms, en geeft het Paerd de Sporen, ſo
dat het met een volle Galop na de Vyand liep.
En alſoo hy den Toom van het Paerd niet vaſt en
hield, greep hy onderwegen een houte Kruys, dat
onder afbrack, en hield het ſoo vaſt in den Arm.
Den Vyand hem ſiende, meende dat het de Duy-
vel was, ende begonden te vluchten, en die't niet
ontkomen en koſten, verdronken: ſtaken hare Sche-
pen van de Wal af ende voeren ſoo wegh. Hy
quam met den Zegen wederom by ſyn Adeldom,
en't heele Leger, die hy zyn Victorie verhaelde, en
hoe de Vyanden heel in Routen geſlagen waren.
Hy komt by den Koningh, en verhaelt ſyn Victo-
rie, die hem bedanckten. Voorts doet hy hem uyt-
roepen voor Navolger en Nazaat tot de Kroon.
Den Trouwdagh vaſt geſtelt zynde, maken daertoe
groote Preparatien. Den Trouw gehouden heb-
bende, was hy in groot Annſien, en altyd naeſt den
Koningh. 't Geviel, dat Kobisje meeſt alle Nach-
ten droomde, als dat hy noch aen de Naaybank
ſat, en hem quam altydt noch het een of't ander
[XV] in de Gedachten van ſyn Werck, luydkeels riep:
Luſtigh, luſtigh, rep-je! noch ſes of ſeven, ſoo heb-
je heyligh Avond! meende dat hy de Jongens
iet te vouwen of te naajen gaf. De Dochter wierd
vervaert, meenende dat den Duyvel in hem was,
om dat hy ſoo al relde van luſtigh, luſtigh.
Klaeght het haer Vader, dat hy haer een Boeke-
binder gegeven had, en geen Heer van Staet. De
Vader beſluyt een Compagnie Soldaten 2 a 3. by
zyn Slacpplaets te leggen, om (ſoo't weer gebeur-
de) hem gevangen te nemen, of dooden. Hy word
hiervan gewaerſchouwt. Te Bed zynde, vaert al-
dus uyt! ick heb een wildt Zwyn overwonnen, ick
heb drie Reuſen gedoodt, ick heb een Leger van
honderd duyſend Mannen verſlagen, en van deſe
Nagt ſal' er nog 2 a 3 Compagnien Soldaten aen.
Hy ten Bedde uytſtapt na haer toe, en gaet met
groote Kracht. Sy hem hoorende, vielen Bol over
Bol van boven neer. Die gene, die doodt bleven
en Armen en Beenen verloren hadden, waren in
groot Getal, en die het ontliepen, brochten den
Koningh ſulken Boodſchap, die aldus uytvoer-
myn Dochter behoord wyſer te weſen, datſe ſulken
grooten Cavelier ſoo ſal affronteren. Ondertuſſchen
den Koningh ſieck zynde, ſterft, laet hem tot Na-
zaat van de Kroon, die Kobisje aenneemt en heeft
ſyn Ryck in Ruſt geregeert.
Zum Aſchenputtel. N. 21
gehoͤrt unter die bekannteſten und wird aller En-
den erzaͤhlt.
Schon Zeiler von Kaiſersberg ſchrieb ſein
Eſchengrudel mit Beziehung darauf. S. Ober-
lin v. Gruidlecht. Rollenhagen in der Vorrede
zum Froſchmeuſeler unter den wunderbarlichen Haus-
maͤrlein erwaͤhnt des: „von dem verachten from-
men Aſchenpoͤßel und ſeinen ſtolzen ſpoͤttiſchen
Bruͤdern.“ Dieſe niederdeutſche Form des Namens
leitet Schuͤtz im hollſt Idiot. 1, p. 50. von poͤ-
ſeln, muͤhſam (die Erbſen aus der Aſche) ſuchen
her. Adelung hat Aſkenpoͤſel, Aſkenpuͤſter,
Aſkenboͤel und buͤel. Im hollſt. nach Schuͤtze:
[XVI]Aſchenpoͤſelken und Sudelſoͤdelken, von
ſoͤlen, ſudeln, weil es im Schmutz verderben
muß. Die hieſige Mundart beſtaͤtigt auch Eſtor in
ſ. oborheß. Woͤrterbuch v. Aſchepuddel, ein ge-
ringfuͤgiges, unreines Maͤgd[l]ein. Noch mehr ober-
deutſch iſt: Aſchenbroͤdel ſ. Adelung, und Ae-
ſcherling unter welchem Namen man es auch neu-
lich fuͤr die deutſche Buͤhne bearbeitet hat, freilich
nach ſchlechtem franzoͤſiſchen Muſter. Der daͤniſche
Name iſt Aſkefiis, ſchwed. Aſkefis. Verelius
in den Noten zu Gautraksſaga S. 70. gedenkt der
Volksſage: „huru Aſkefifen fick Konungs-
dottren till huſtru,“ es ſcheint daher umge-
kehrt auf den Juͤngling die unterdruͤckte Jugend
uͤbergetragen. Wie denn auch die Sprichwoͤrter-
ſitta hemma i aſku, liggia ſom kaltur i hreiſe, und
liggia vid arnen, meiſt von [Koͤnigsſoͤhnen] gelten.
ſ. Wilkinaſaga C. 91. von Thetleifr und Refsſaga
(C. 9. der Gothreks S.) aus welcher Verelius alles
andere herleiten will. Oberlin fuͤhrt eine Stelle
v. Aſchenproͤdel an, woraus erhellt, daß auch im
deutſchen auf Maͤnner der Namen bezogen wurde.
Perraults Cendrillon ou le petite pan-
toufle de verre gehoͤrt nicht unter ſeine am beſten
erzaͤhlten Maͤrchen, der Graͤfin d'Aulnoy Finnet-
te Cendron wiewohl noch geringer der Form
nach, enthaͤlt manche eigenthuͤmliche und reichere
Nebenumſtaͤnde Wir werden davon im zweiten
Band zu dem unvergleichbar ſchoͤneren Maͤhrchen
Cennerentola (Pentamerone I, 6.) das Noͤthi-
ge anmerken.
Auch eine polniſche Recenſion iſt uns bekannt,
u. d. T. Kopciuszek, von Kopec Ruß, Rauch,
in andern ſlav. Dialecten kopet, kopt, ſ. Linde v.
Kopciuch und Brudny (ſchmutzig, Broͤdel.)
S. auch Allerlei-Rauh. No. 65,
Zum Kinderſchlachtſpiel. No. 22.
Die erſte Recenſion iſt aus einem alten Buche in
den Berliner Abendblaͤttern von Kleiſt (1810. No.
39.) abgedruckt worden. Die zweite befindet ſich
in Martin Zeilers Miscell. Nuͤrnberg 1661. S.
388. der ſie aus J. Wolf lectiones memorabiles.
Laving.
[XVII]Laving. 1600. fol. genommen Es wird hinzuge-
ſetzt, der Papſt, der zur Zeit dieſer Geſchichte ge-
lebt und ein fertiger Poet geweſen, habe verſucht
ſie in ein Diſtichon zu bringen, es aber nicht ver-
mocht. Da habe er einen ſtattlichen Preis dar-
auf geſetzt, den ein armer Student verdienen wol-
len, dieſer habe ſich auch lange umſonſt gequaͤlt,
bis er endlich unmuthig die Feder weggeworfen
und ausgerufen: „kann ichs nicht, ſo mags der
Teufel machen!“ Dieſer ſey alsbald erſchienen,
habe geſagt er wolle es zu Stand bringen, die Fe-
der aufgenommen und geſchrieben:
sus, pueri bini, puer unus, nupta, maritus
cultello, lympha, fune, dolore cadunt.
Neuerdings hat Werner in ſeinem Trauerſpiel
der 24ſte Februar die alte Fabel benutzt und damit
die Macht menſchlicher Poeſie gegen den Teufel
bewaͤhrt.
Zum Maͤuschen, Voͤgelchen ꝛc. ꝛc. No. 23.
Aus Philanders von Sittewald Geſichten,
Theil 2. ganz am Ende des ſiebenten Geſichts. Das
Maͤrchen lebt aber auch noch muͤndlich fort, doch
mit veraͤnderten Umſtaͤnden, namentlich wird es
bloß vom Maͤuschen und Bratwuͤrſtchen erzaͤhlt,
ohne das Voͤgelchen; das eine muß dieſe Woche
kochen, das zweite die andere.
Zu der Frau Holle. No. 24.
Von dieſem Maͤrchen gibt es noch eine andere
Erzaͤhlung: Es war einmal eine Frau die liebte
nur ihre rechte, nicht aber ihre Stieftochter, hielt
dieſe immer hart und ſuchte ſie los zu werden.
Eines Tags ſetzte ſie beide Toͤchter an einen Brun-
nen, da ſollten ſie ſpinnen: „wer mir aber den
Rocken hinunter fallen laͤßt, den werf ich hinten
drein,“ ſagte fie und band ihrer Tochter den Ro-
cken feſt, der Stieftochter aber ganz loſe. Kaum
hat dieſe ein bischen geſponnen, faͤllt ihr der Ro-
ken hinab und die Stiefmutter iſt unbarmherzig
genug und wirft ſie hinterdrein. Sie faͤllt tief
Kindermärchen. B
[XVIII] hinunter, kommt in einen herrlichen Garten und in
ein Haus, wo niemand iſt, in der Kuͤche will die
Suppe uͤberlaufen, will der Braten eben verbren-
nen und der Kuchen im Backofen eben ſchwarz
werden. Sie ſetzt die Suppe geſchwind ab, gießt
Waſſer zum Braten, und nimmt den Kuchen her-
aus und richtet an; ſo hungrig ſie aber iſt, nimmt
ſie doch nichts davon außer ein paar Kruͤmchen,
die beim Anrichten vom Kuchen herabgefallen ſind.
Darauf kommt eine Nixe mit furchtbaren Haaren,
die gewiß in einem Jahr nicht gekaͤmmt waren,
und verlangt, ſie ſolle ſie kaͤmmen, aber nicht rup-
fen und nicht ein einzig Haar ausziehen, welches
ſie endlich mit vielem Geſchick zu Stande bringt.
Nun ſagt die Nixe, ſie wolle ſie gern bei ſich be-
halten, ſie koͤnne aber nicht, weil ſie die paar Kru-
men gegeſſen habe; doch ſchenkt ſie ihr einen Ring
und andere Sachen, wenn ſie den Nachts drehe,
wolle ſie zu ihr kommen. Die andere Tochter ſoll
nun auch zu der Nixe, und wird in den Brunnen
geworfen; ſie macht aber alles verkehrt, bezaͤhmt
ihren Hunger nicht, und kommt dafuͤr mit ſchlechten
Geſchenken zuruͤck.
Nach dieſer Recenſion iſt das Maͤrchen in der
Naubertiſchen Sammlung I, 136 — 179. bearbei-
tet und in der Manier der andern, aber recht an-
genehm, erweitert. In der jungen Amerikanerin
oder Verkuͤrzung muͤßiger Stunden auf dem Meer.
Ulm 1765. Th. 1 iſt auch dies Maͤhrchen benutzt.
Das Murmelthier (Ciron), ſo heißt das Stiefkind,
muß die groͤbſte Arbeit verrichten, die Schafe huͤ-
ten, und dabei eine gegebene Zahl geſponnener
Faden mit nach Haus bringen. Das Maͤdchen
ſetzt ſich oft an einen Brunnenrand, eines Tages
will es ſich das Geſicht waſchen und faͤllt hinein.
Als es wieder zu ſich kommt, befindet es ſich in
einer Criſtallkugel unter den Haͤnden einer ſchoͤnen
Brunnenfrau, der es die Haare kaͤmmen muß, da-
fuͤr bekommt es ein koſtbares Kleid und ſo oft es
ſeine Haare ſchuͤttelt und ſich kaͤmmt, ſollen glaͤn-
zende Blumen herausfallen und wenn es in Noth
iſt, ſoll es ſich herabſtuͤrzen und Huͤlfe bei ihr fin.
den. Dann giebt ſie ihm noch einen Schaͤferſtab,
[XIX] der die Woͤlfe und Raͤuber abwehrt, ein Spinn-
rad und einen Rocken, der allein ſpinnt, endlich
einen zahmen Biber, zu mancherlei Dienſten ge-
ſchickt. Als Murmelthier mit dieſen Gaben Abends
heim kommt, ſoll die andere Tochter ſich gleiche
erwerben, und ſpringt in den Brunnen hinab, ſie
geraͤth aber in Sumpfwaſſer, und wird wegen ih-
res Trotzes begabt, daß ſtinkendes Rohr und Schilf
auf ihrem Kopf waͤchſt, und wenn ſie eins aus-
reißt, waͤchſt nur noch viel mehr. Nur Murmel-
thier kann den haͤßlichen Schmuck auf 24 Stun-
den vertreiben, wenn es ſie kaͤmmt, das muß es
nun immer thun. — Hierauf folgt die weitere
Geſchichte des Murmelthiers, wozu wieder andere
Maͤrchen benutzt ſind, es ſoll allzeit etwas gefaͤhr-
liches ausrichten, aber durch Huͤlfe ſeiner Zauber-
dinge, vollbringt es alles gluͤcklich.
Einige Aehnlichkeit im Ganzen mit dieſem Maͤr-
chen hat auch das erſte in der Braunſchweiger
Sammlung, und eins im Pentamerone.
Zu den drei Raben. No. 25.
hierzu vergl. man No. 11. und von dem Glas-
berg wird ſonſt noch ſo erzaͤhlt: es war eine
verzauberte Koͤnigstochter, die konnte niemand er-
loͤſen, als wer den Glasberg erſtiegen haͤtte, wor-
ein ſie gebannt war. Da kam ein junger Geſell
ins Wirthshaus, zum Mittageſſen wurde ihm ein
gekocht Huͤhnchen vorgeſetzt, alle Knoͤchlein davon
ſammelte er ſorgfaͤltig, ſteckte ſie ein und ging
nach den Glasberg zu. Wie er dabei angekom-
men war, nahm er ein Knoͤchlein und ſteckte es in
den Berg und ſtieg darauf, und dann als ein
Knoͤchlein und als eins, bis er ſo faſt ganz hin-
aufgeſtiegen war, aber er hatte nur noch eine ein-
zige Stufe uͤbrig, da fehlte ihm ein Knoͤchelchen
vom Huͤhnchen, worauf er ſich den kleinen Finger
abſchnitt und in den Glasberg ſteckte, ſo kam er
vollends hinauf und erloͤſte die Prinzeſſin. — So
erloͤſt Sivard ſtolt Bryniel af Glarbierget, in-
dem er mit ſeinem Fohlen hinaufreitet; in einem
dithmarſer Lied kommt vor:
B 2
[XX]
Wolfdieterich wird in einen Graben gezaubert, da
waren:
nach dem Dresdn. Wolfd. ſtr. 289; im gedruckten
heißt es ſtr. 1171.:
Dies erinnert an die rabbiniſche Mythe vom Scha-
mir, womit der Auerhahn das Glas ſprengt, das
man ihm uͤber ſein Neſt gelegt. (ſ. auch Reinfried
v. Braunſchweig) Koͤnig Artus wohnt bei der
Fee Morgan auf der Glasinſel, und leicht iſt
gar ein Zuſammenhang, nicht bloß im Wort, mit
dem nordiſchen Glaͤſis woll, wovon anders-
wo. —
Zu dem ganzen Maͤrchen gehoͤrt aus dem Pen-
tamerone hierher IV, 8. lisette palommielle, wo
Cianna gleichfalls in der Welt herumzieht, ihre
7 Bruͤder zu erloͤſen, nebſt einer Menge eigenthuͤm-
licher, ſchoͤner Wendungen. Wenn das Schweſter-
chen hier an das Weltende gelangt, ſo vergl.
man dazu, was zu No. 1. aus dem ſchottiſchen
bemerkt worden. Auch Fortunatus reiſt ſo weit,
bis er endlich nicht mehr weiter konnte,
und Nierup S. 231. bemerkt dazu folgende Stelle
aus einem Lied:
hierzu ein anderes im Wunderhorn I, 300. ſonſt
auch von hohen Bergen, die bis an den Mond
reichen, im Titurel einmal:
Voß in ſeiner Abhandlung uͤber die alte Weltkun-
[XXI] de giebt folgende Fragmente: „die Spinnmaͤdchen
erzaͤhlen von einem jungen Schneidersgeſel-
len, der auf der Wanderſchaft immer weiter und
weiter ging, und nach mancherlei Abenteuern mit
Greifen, verwuͤnſchten Prinzeſſinnen, zaubernden
Zwergen und grimmigen bergeſchaufelnden Rieſen
zuletzt das Ende der Welt erreichte. Er fand ſie
nicht, wie die gewoͤhnliche Meinung iſt, mit Bret-
tern vernagelt, durch deren Fugen man die heil.
Engel mit Wetterbrauen, Blitzſchmieden, Verar-
beitung des alten Sonnenſcheins zu neuem Mond-
lichte und des verbrauchten Mond- und Sternen-
ſcheins zu Nordlichtern, Regenbogen und hellen
Daͤmmerungen der Sommernaͤchte beſchaͤftigt ſieht.
Nein, das blaue Himmelsgewoͤlbe ſenkte ſich auf
die Flaͤche des Erdbodens wie ein Backofen. Der
Mond wollte eben am Rande der hohlen Decke
aufgehn, und der Schneider ließ ſich geluͤſten, ihn
mit dem Zeigefinger zu beruͤhren. Aber es
ziſchte, und Haut und Fleiſch war bis an den Na-
gel hinweggeſengt.“ — Ein Theil der Fabel erin-
nert auch an das Altdaͤn. Lied von Verner Ravn,
der von der Stiefmutter verflucht war, und dem
die Schweſter ihr kleines Kind giebt, durch deſſen
Auge- und Herzblut er ſeine menſchliche Geſtalt
wieder erlangte.
Hieran ſchließen wir noch eine maͤrchenhafte
Erzaͤhlung vom Mond an, die in Menanders Frag-
menten oder in Plutarchs kleinen Abhandlungen
erhalten iſt, wozu man gleichfalls eine aͤſopiſche
Fabel (edid Furia 396.) vergleiche. — Der Mond
ſprach einmal zu ſeiner Mutter: „die Naͤchte ſind
ſo kalt, ich friere, mach mir doch ein warmes
Kleid!“ Sie nahm das Maaß, und er lief fort,
wie er aber wieder kam, war er ſo groß gewor-
den, daß das Roͤcklein nirgends paſſen wollte. Da
fing die Mutter an, und trennte die Naͤhte und
ließ aus, allein die Zeit waͤhrte dem Mond zu
lange, und er ging wieder fort ſeines Weges.
Emſig naͤhte die Mutter am Kleid, und ſaß man-
che Nacht auf beim Sternenſchein. Der Mond
kam zuruͤck, und hatte viel gelaufen, und hatte
[XXII] darum viel abgenommen, war ſchmaͤchtig und
bleich geworden, das Kleid war ihm alſo viel zu
weit, und die Ermel ſchlotterten uͤber die Knie.
Da war die Mutter boͤs, daß er ſie ſo zum Nar-
ren habe, und verbot ihm, je wieder ins Haus zn
kommen. Deswegen muß nun der arme Schelm
nackt und bloß am Himmel laufen, bis daß jemand
kommt und ihm ein Roͤcklein kauft.
Zum Rothkaͤppchen. No. 26.
Dieſes Maͤrchen haben wir außer unſerer muͤnd-
lichen Sage, was zu wundern iſt, nirgends ange-
troffen, als bei Perrault (chaperon rouge) wonach
Tiecks Bearbeitung.
Der Tod und der Gaͤnshirt. No. 27.
Aus Harsdoͤrfer, der große Schauplatz jaͤm-
merlicher Mordgeſchichten. Hamburg 1663. Seite
651. 652.
Zu dem ſingenden Knochen. No. 28.
In einem altſchottiſchen Lied kommt dieſelbe
Idee vor; aus dem Bruſtbein der erſaͤuften Schwe-
ſter macht ein Harfner eine Harfe, die ſpielt dar-
auf von ſelbſt, und ruft weh uͤber ihre Schweſter.
(Scotts minstrelsy II, 157—162.)
Zu dem Teufel mit den drei goldenen Haaren.
No. 29.
Ein aͤhnliches Maͤrchen theilt Herr Buͤſching in
ſeiner Sagenſammlung No. 59. mit, ebenfalls wie
er verſichert, aus muͤndlicher Ueberlieferung. Es
leidet aber keinen Zweifel, daß es, wie es dort er-
ſcheint, vorſaͤtzlich erweitert und vermuthlich nach
einem franzoͤſ. Buch erzaͤhlt worden. Der Paſte-
tenbaͤcker, der fuͤr Deutſche nirgends eine maͤrchen-
hafte Perſon iſt, noch ganz franzoͤſ. Wendungen
in der Sprache, vor allem aber die verwickelten
und angehaͤuften Bedingungen bei Aufloͤſung des
Zaubers, die ganz unepiſch find, machen dies klar.
[XXIII] Was wir hier nach muͤndlicher Erzaͤhlung mitthei-
len, iſt reiner, wiewohl immer noch etwas fremd-
artiges in dem Ganzen durchblickt. — Eine abwei-
chende Recenſion iſt No. 75. vom Vogel Phoͤnix.
Zum Maͤdchen ohne Haͤnde. No. 31.
mit andern Umſtaͤnden, doch nicht ſo ſchoͤn, im
Pentamerone III, 2. (la penta mano mozza). Un-
ſer Maͤrchen iſt die volksmaͤßige Quelle, woraus
die im Mittelalter ſo bekannten Fabeln von der
ſchoͤnen Helena, Mai und Beaflor u. a. entſprun-
gen ſind. Eine weitere Ausfuͤhrung dieſes Zuſam-
menhangs muͤßte bei der Ausgabe eines der bei-
den letztgenannten Gedichte gegeben werden. Der
unſerer Erzaͤhlung eigenthuͤmliche Umſtand mit dem
Verſprechen deſſen, was hinter der Muͤhle ſtand,
erinnert an die altnordiſche Alfskongs Sage cap 1.
wo Hott fodert, von der ſchwangern Signy, das
was zwiſchen ihr und dem Bierfaß ſey. In daͤni-
ſchen Volksliedern aͤhnliche Verſprechungen.
Zum geſcheidten Hans. No. 32.
Die zweite Erzaͤhlung iſt aus Frei's Garten-
geſellſchaft. cap. 1. In Kirchhofs Wendunmuth
I, No 81. ſteht ſie ebenfalls nur mit andern Wor-
ten. Im Pentamerone I, 4 (Vardiello) die naͤm-
liche Idee, mit ſchoͤnen Varianten. — Die ver-
ſchiedenen Thaten Hanſens in der erſten Erzaͤh-
lung werden bald mehr, bald weniger vollſtaͤndig,
oder in anderer Ordnung und Wendung gehoͤrt,
ſo erzaͤhlt man von einer Ziege, die er ins Bett
legt ꝛc. Vergl. auch facet. Bebel. Amsterd 1651.
12. p. 47 — 49.
Wahrſcheinlich bezieht ſich auf dieſes Maͤrchen
die Erwaͤhnung des Rollenhagen in der Vorrede
zum Froſchmeuſler: „vom albern und faulen Hein-
zen.“
Zum geſtiefelten Kater. No. 33.
Dies Maͤrchen gehoͤrt unter die bekannteſten
und verbreitetſten. Perrault hat es in ſ. chat
[XXIV] botté gut erzaͤhlt, aber Baſile mit vielen Abwei-
chungen aus der italieniſchen Sage, Pentam. II,
4. Gagliuso) wo nur zwei Soͤhne ſind. Der aͤl-
teſte, aber nicht beſte Erzaͤhler iſt Straparola N.
IX 1. von Conſtantino. Man hat auch deutſche
gedruckte Ueberſetzungen nach Perrault, wo nur
der Graf Carabas in einen Sabarak umgedreht
iſt. Tiek hat es dramatiſch bearbeitet.
Zu Sperling und ſeine vier Kinder.
No. 35.
Aus Schuppii Schriften. (Fabul Hans. S.
837. 38.)
Zum Tiſchchen deck dich. No. 36.
Bei dieſem und dem folgenden Maͤrchen erin-
nert man ſich an eine große Menge aͤhnlicher My-
then von wunderbaren Sachen, deren inne-
rer Zuſammenhang eine umſtaͤndliche Unterſuchung
verlangen wuͤrde. Mit dem Hauptgang der unſri-
gen hat ſonderlich das erſte Maͤrchen im Penta-
merone eine ſichtbare Aehnlichkeit.
Zu der Serviette, dem Kanonenhuͤtlein und
dem Horn. No. 37.
Der Schluß hat eine deutliche Uebereinſtim-
mung mit dem Fortunat. — Ein daͤniſches Volks-
blatt aus Kopenhagen: Lykkens flyvende Fane.
Hiſtorie om tre fattige Skrandere, der Ved Pille-
grimsrejſe kom til ſtor Vaerdighed og Velſtand:
erzaͤhlt das Maͤrchen folgendergeſtalt: drei arme
Schneider, die am Handwerk nicht viel verdienen,
nehmen Abſchied von Weib und Kind, wollen in
die Welt ziehen und ihr Gluͤck verſuchen Sie
kommen in eine Wuͤſte zu einem Berg, wo ein
Zauberer wohnt, der Berg ſteht Sommer und
Winter gruͤn, voll Blumen und Fruͤchten und um
Mittag und Mitternacht wird alles zu dem fein-
ſten Silber. Der aͤlteſte fuͤllt ſich ſeinen Buͤndel,
und alle Taſchen mit den ſchoͤnſten Silber-Blumen
[XXV] und Fruͤchten, geht nach Haus, wirft Nadel und
Buͤgeleiſen unter den Tiſch, und wird ein reicher
Handelsmann. Die zwei andern denken zu dem
Berg koͤnnen wir wieder, wenn wir wollen, zu-
ruͤckgehen, wir wollen unſer Gluͤck weiter verſu-
chen und wandern fort Sie kommen zu einer
großen Eiſenpforte, die geht von ſelbſt auf, nach-
dem ſie dreimal daran geklopft. Sie treten in ei-
nen Garten, da haͤngen die Baͤume voll Goldaͤpfel.
Der zweite Schneider bricht ſich ſo viel ab, als
ſein Ruͤcken tragen kann, nimmt Abſchied und geht
heim. Dort begiebt er ſich auch zum Handel, und
wird ein noch groͤßerer Kaufmann, als der erſte,
ſo daß man glaubt, der reiche Jude zu Hamburg
ſtamme von ihm ab. Der dritte aber meint, der
Garten mit den Goldaͤpfeln bleibt mir ſicher, ich
will noch weiter nach meinem Gluͤck gehen; er
irrt in der Wuͤſtenei umher, und als er den Gar-
ten und den Silberberg wieder ſucht, kann er ihn
nicht finden. Endlich kommt er zu einer großen
Anhoͤhe, und hoͤrt auf einer Pfeife blaſen, er geht
naͤher und findet eine alte Hexe, die pfeift vor ei-
ner Heerde Gaͤnſe, die bei dem Ton mit den Fluͤgeln
ſchlugen, und auf der Alten auf und nieder tanz-
ten. Sie hatte ſich ſchon 94 Jahre auf der Hoͤhe
mit dem Tod herumgezerrt, und konnte nicht ſter-
ben, bis die Gaͤnſe ſie todt getreten, oder ein
Chriſt kam, der ſie mit Waffen todt ſchlug. So-
bald ſie ſeine Schritte hoͤrt, und er ſo nah iſt,
daß ſie ihn ſieht, bittet ſie ihn, wenn er ein Chriſt
ſey, moͤge er ſie mit der Keule, die an ihrer Sei-
te da ſtehe, todtſchlagen. Der Schneider will nicht,
bis ſie ihm ſagt, er werde unter ihrem Haupt ein
Tuch finden, welches, wie er es wuͤnſche, auf ein
paar Worte, voll der koͤſtlichen Speiſen ſtehe; da
giebt er ihr einen Schlag auf den Hirnſchaͤdel,
ſucht und findet das Tuch, packt es gleich in ſei-
nen Buͤndel, und macht ſich auf den Heimweg.
Ein Reuter begegnet ihm und bittet ihn um ein
Stuͤck Brot, der Schneider ſagt: „liefere mir dei-
ne Waffen aus, ſo will ich mit dir theilen,“ der
Reuter, der doch Pulver und Blei im Krieg ver-
ſchoſſen, thut das gern, der Schneider breitet ſein
[XXVI] Tuch aus, und tractirt den hungrigen Kriegs-
mann. Dieſem gefaͤllt das Tuch, und er bietet
dem Schneider dafuͤr ſeine wunderbare Patronta-
ſche zum Tauſch, wenn man auf die eine Seite
klopft, kommen hunderttauſend Mann zu Fuß und
Pferd heraus, klopft man auf die andere aller Art
Muſikanten. Der Schneider willigt ein, aber nach-
dem er die Patrontaſche hat, beordert er zehn
Mann zu Pferd, die muͤſſen dem Reuter nachja-
gen und ihm das Tuch wieder abnehmen. Der
Schneider kommt nun nach Haus; ſeine Frau
wundert ſich, daß er ſo wenig auf der Wander-
ſchaft gewonnen. Er geht zu ſeinen ehemaligen
Cammeraden, die unterſtuͤtzen ihn reichlich, daß er
eine Zeitlang davon mit Frau und Kind leben
koͤnne. Er aber ladet ſie darauf zum Mittags-
eſſen, ſie moͤgten nicht ſtolz ſeyn, und ihn nicht
verſchmaͤhen, ſie machen ihm Vorwuͤrfe, daß er al-
les auf einmal verſchlemmen wolle, doch verſpre-
chen ſie zu kommen. Wie ſie ſich zur beſtimmten
Zeit einfinden, iſt nur die Frau zu Haus, die gar
nichts von den Gaͤſten weiß und fuͤrchtet, ihr
Mann ſey im Kopf verwirrt. Endlich kommt der
Schneider auch, heißt die Frau die Stube eilig
rein machen, gruͤßt ſeine Gaͤſte und entſchuldigt
ſich, ſie haͤtten es zu Haus beſſer, er habe nur ſe-
hen wollen, ob ſie nicht ſtolz durch ihren Reich-
thum geworden. Sie ſetzen ſich zu Tiſch, aber es
kommt keine Schuͤſſel zum Vorſchein, da breitet
der Schneider ſein Tuch aus, ſpricht ſeine Worte,
und im Augenblick ſteht alles voll der koſtbarſten
Speiſen. Ha! ha! denken die andern, iſts ſo ge-
meint, du biſt nicht ſo lahm, als du hinkſt, und
verſichern ihm Liebe und Bruͤderſchaft bis in den
Tod. Der Wirth ſagt, das ſey gar nicht noͤthig
zu verſichern, dabei ſchlaͤgt er der Patrontaſche
auf eine Seite, alsbald kommen Spielleute und
machen Muſik, daß es eine Art hat. Dann klopft
er auf die andere Seite, kommandirt Artillerie und
hunderttauſend Soldaten, die werfen einen Wall
auf und fuͤhren Geſchuͤtz darauf, und ſo oft die
drei Schneider trinken, feuern die Konſtabeler ab.
Der Fuͤrſt wohnte 4 Meilen davon und hoͤrt den
[XXVII] Donner, alſo meint er die Feinde waͤren gekom-
men, und ſchickt einen Trompeter ab, der bringt
die Nachricht zuruͤck, ein Schneider feiere ſeinen
Geburtstag, und mache ſich luſtig mit ſeinen gu-
ten Freunden. Der Fuͤrſt faͤhrt ſelbſt hinaus, der
Schneider tractirt ihn auf ſeinem Tuch; dem Fuͤrſt
gefaͤllt das, und er bietet dem Schneider Laͤnde-
reien und reichliches Auskommen dafuͤr, der will
aber nicht, ſein Tuch iſt ihm lieber, da hat er kei-
ne Sorge, Muͤh und Verdruß. Der Fuͤrſt faßt
ſich kurz, nimmt das Tuch mit Gewalt und faͤhrt
fort. Der Schneider haͤngt aber ſeine Patronta-
ſche um und geht damit an des Fuͤrſten Hof, und
bittet um ſein Tuch, bekommt aber einen Buckel
voll Schlaͤge. Da lauft er auf den Wall des
Schloſſes, laͤßt zwanzigtauſend Mann aufmarſchi-
ren, die muͤſſen ihre Stuͤcke gegen das Schloß
richten, und drauf los feuern. Da laͤßt der Fuͤrſt
das Tuch herausbringen und demuͤthig bitten mit
dem Feuer einzuhalten. Der Schneider laͤßt nun
ſeine Mannſchaft wieder ins Quartier ruͤcken, geht
heim und lebt vergnuͤgt mit den zwei andern
Schneidern.
Zur Frau Fuͤchſin. No. 38.
Dies gewiß uralte Maͤrchen, deſſen uͤberaus
wichtiger Zuſammenhang mit dem altfranzoͤſiſchen,
nie gedruckten, roman du renard in unſerer be-
vorſtehenden Ausgabe dieſes Gedichts abgehandelt
werden ſoll, iſt uns ſo vielmal erzaͤhlt worden,
daß jede Recenſion ihre Eigenthuͤmlichkeit hat.
Die zwei bedeutendſten Recenſionen, wovon die
letzte ſich noch faſt ganz in Reimen erhalten, ha-
ben wir mitgetheilt, die meiſten Abweichungen
laufen dahin aus, daß der alte Fuchs wirklich,
oder nur ſcheintodt (wie im altfranzoͤſ. Lied) iſt,
und daß entweder bloß Fuͤchſe, oder auch andere
Thiere Freiens vorgeben. Im letzten Fall ſind
die Fragen der Fuͤchſin oft genauer wie ſieht er
denn aus, hat er auch ein roth Kaͤppchen auf?
„ach nein, ein weiß Kaͤppchen“ (der Wolf) —
hat er denn ein roth Camiſoͤlchen an? — „nein,
[XXVIII] ein gelbes“ (der Loͤwe), die Anrede der Katze im
Eingang:
Auch:
Nachher:
Ach nein, ſagt Frau Fuͤchſin, und haͤlt dem alten
Herrn einen Lobſpruch, worin ſie ſeine mancherlei
Tugenden erwaͤhnt. Nach dem die verſchiedenen
Thiere ſind, wird immer etwas anderes vom Fuchs
gelobt.
Zum Herrn Gevatter. No. 42.
Dieſes und das folgende Maͤrchen haben in der
Hauptſache, große Aehnlichkeit. Der Umſtand mit
den Hexenhoͤrnern leitet auch ein anderes Maͤrchen
folgendergeſtalt ein: eine Hexe hatte ein junges
Maͤdchen bei ſich, und vertraute ihm alle Schluͤſſel
an, verbot ihm jedoch eine Stube wie im Blau-
bart) Allein aus Neugier machte es eines Tags
die Thuͤre auf, da ſah es die Hexe ſitzen, mit zwei
großen, großen Hoͤrnern auf dem Kopf. Die Hexe
wird wuͤthend und ſchließt es in einen hohen, ho-
hen Thurm gefangen ein, woran keine Thuͤre war,
wenn ſie ihm nun zu Eſſen bringt, ſo muß es ſei-
ne langen Haare aus dem Fenſter herunterlaſſen,
woran die Hexe hinaufſteigt, denn die Haare wa-
ren 20 Ellen lang, (ſo geht es in das Rapunzel-
maͤrchen uͤber.)
Zu dem Schneider Daumerling. No. 45.
Verwandt ſcheint damit ein daͤniſches kleines
Volksbuch, welches Nyerup, Iris und Hebe 1796.
Juli S. 88 anfuͤhrt, der Titel lautet:
[XXIX]
Svend Tommling ꝛc. (ein Menſch nicht groͤßer
als ein Daumen, der ſich verheirathen will mit ei-
ner Frau drei Ehlen und drei Quartier hoch;
kommt auf die Welt mit Hut und Degen an der
Seite; treibt den Pflug, wird von einem Gutsbe-
ſitzer gefangen, der ihn in ſeiner Schupftabacks-
doſe verwahrt, er huͤpft heraus und faͤllt auf ein
Ferkel, und das wird ſein Reitpferd.)
Zum Machandelboom. No. 47.
Machandel iſt Wachholder (nicht Mandel),
Marleenken Marianchen, Marie Annchen. Die-
ſes wunderſchoͤne Maͤrchen iſt uns von Runge
mitgetheilt worden. Die Geſchichte wird auch in
hieſigen Gegenden haͤufig, ſelten aber ſo vollſtaͤn-
dig erzaͤhlt, ſo daß ſich etwa nur noch hinzuſe-
tzen ließe, daß das Schweſterchen die Knochen an
einem rothſeidenen Faden zuſammenreiht. Der
Vers lautet:
In einer Stelle von Goͤthes Fauſt S. 225, wozu
unſer Maͤrchen den Commentar liefert, und die der
Dichter unſtreitig aus altem Hoͤrenſagen aufnahm,
lautet es ſo:
Die boͤſe Stiefmutter, wovon ein altes
Sprichwort (Stiefmutter, Teufels Unterfutter) ver-
[XXX] weiſt an gar viel andere Maͤhrchen, der Eingang
vom in Fingerſchneiden an Sneewittchen, und
an eine merkwuͤrdige Stelle im altdeutſchen Ge-
dicht Parcifal, [woruͤber] mit Zuziehung vieler an-
derer Parallelſagen naͤchſtens ein umſtaͤndlicher
Commentar gegeben werden ſoll. — Das Sam-
meln der zerſtreuten Knochen iſt in den My-
then von Oſiris, Orpheus, und der Legende von
Adalbert. Das Wiederbeleben in vielen an-
dern, z. B. der Negerſage von Nanni, den ſeine
Mutter lehrt, das Fleiſch eines jungen Huhns zu
eſſen und die Federn und Beine wieder zuſammen
zu ſetzen. So ſammelt Thor die Knochen der ge-
geſſenen Ziegen und belebt ſie ruͤttelnd. (ſ. auch
von Arnliot in der Heimskringla und manche an-
dere Sage, die hier anzufuͤhren zu umſtaͤndlich waͤre.
Zum alten Sultan. No. 48.
Das eigentliche Verhaͤltniß dieſes und aller an-
dern Maͤrchen der vorliegenden Sammlung, worin
Thiere auftreten, zur großen Thierfabel uͤberhaupt,
ſoll anderswo genau unterſucht werden.
Zu den ſechs Schwaͤnen. No. 49.
in der braunſchweiger Sammlung S. 349 — 379.
von ſieben Schwaͤnen, in ſchlechter Weitlaͤuftig-
keit erzaͤhlt, aber mit einigen guten Varianten:
ſie ſoll ſieben Jahr ſtumm ſeyn, in jedem Jahr
ein Mannshemd fertig naͤhen, und keine Thraͤnen
die ganze Zeit uͤber weinen. Allein beim dritten
Kind, das ihr weggenommen wird, vergießt ſie
eine Thraͤne, und bei der Erloͤſung fehlt dem letz-
ten Bruder ein Aug. — Dieſes ſchoͤne Maͤrchen
deutet uͤberall auf ein hohes Alterthum, das im
hohlen Baum-ſitzen des ſtummen Maͤdchens auch
in No. 3. Die ſieben fertigen Menſchenhemder
ſcheinen mit den ſieben Schwanenhemdern zuſam-
men zu haͤngen, uͤber dieſe werden wir bei der
Volundarquida ausfuͤhrlich ſeyn. Die Sage von
dem Schwanenſchiff auf dem Rhein (Parcifal,
Loherangrin) in Verbindung mit dem altfranzoͤf.
[XXXI]chevalier au cigne ſchließt ſich wiederum an, und
auch hier bleibt der letzte Schwan unerloͤſt, weil
das Gold von ſeinen Schwanenring ſchon verar-
beitet war.
Zu Dornroͤschen. No. 50.
Perraults belle au bois dormant, mit unſerm
Maͤrchen No. 82 verbunden. Die Jungfrau, die
im Schloß mit Dornenwall umgeben ſchlaͤft, bis
ſie der Koͤnigsſohn erloͤſt, iſt mit der ſchlafenden
Brynhild, die ein Flammenwall umgiebt, durch
den Sigurd dringt, inſofern identiſch. — Man
hat eine Blume, die Gretel im Buſch heißt, weil
ſie ganz von feinem, krauſem Laub eingehuͤllt iſt,
auch Gretel in der Staude, ſchwed. Jungfru i det
groͤna, engl. the devil in a bush. (migella da-
mascena). — Der Eingang mit der gefaͤhrlichen
Spindel iſt wie im Pentameron III, 3. mit einem
gefaͤhrlichen Knochen.
Zum Fundevogel. No. 51.
Die Koͤchin iſt wohl anderwaͤrts die boͤſe Frau
des Foͤrſters. Die Fragen und Antworten an die
Knechte, werden auch anders geſtellt, z. B. ihr
haͤttet die Roſe nur ſollen abbrechen, der Stock
waͤre ſchon nachgekommen. Dieſer Theil des Maͤr-
chens hat mit einem der folgenden (No. 70) große
Aehnlichkeit.
Zum Koͤnig Droßelbart. No. 52.
ſonſt auch Broͤſelbart, weil die Brotbroͤſeln
vom Eſſen in ſeinem Bart haͤngen blieben. Auch
macht die Koͤnigstochter bekannt: ſie wolle dem
ihre Hand allein geben, der rathen koͤnne, von
welchem Thier und welcher Gattung eine ohne
Kopf und Fuͤße ausgeſpannte Haut waͤre. Sie
war [aber] von einer Woͤlfin. Broͤſelbart aber er-
faͤhrt das Geheimniß, raͤth mit Fleiß fehl [und]
kommt dann verkleidet als Bettler wieder, um
recht zu rathen. — Im Pentamerone IV. 10. la so-
perbia eastecata, wo vieles anders iſt.
[XXXII]
Zu Sneewittchen. No. 53.
Dies Maͤrchen gehoͤrt zu den bekannteſten,
doch wird in Gegenden, wo beſtimmt hochdeutſch
herrſcht, der plattdeutſche Namen beibehalten,
oder auch verdorben in Schliwitchen. Im Ein-
gang faͤllt es mit dem Maͤrchen vom Machandel-
baum zuſammen, noch naͤher in einer andern Re-
cenſion, wo ſich die Koͤnigin, indem ſie mit dem
Koͤnig auf einem Jagdſchlitten faͤhrt, einen Apfel
ſchaͤlt und dabei in den Finger ſchneidet. Noch
ein anderer Eingang iſt folgender; Ein Graf und
eine Graͤfin fuhren an drei Haufen weißem Schnee
vorbei, da ſagte der Graf: „ich wuͤnſche mir ein
Maͤdchen, ſo weiß als dieſer Schnee.“ Bald
darauf kamen ſie an drei Gruben rothes Bluts,
da ſprach er wieder: „ich wuͤnſche mir ein Maͤd-
chen, ſo roth an den Wangen, wie dies Blut.“
Endlich flogen drei ſchwarze Raben voruͤber, da
wuͤnſchte er ſich ein Maͤdchen: „das Haare hat ſo
ſchwarz, wie dieſe Raben.“ Als ſie noch eine
Weile gefahren, begegnete ihnen ein Maͤdchen, ſo
weiß wie Schnee, ſo roth wie Blut und ſo
ſchwarzhaarig, wie die Raben und das war das
Sneewittchen. Der Graf ließ es gleich in die
Kutſche ſitzen und hatte es lieb, die Graͤfin aber
ſah es nicht gern und dachte nur, wie ſie es wie-
der los werden koͤnnte. Endlich ließ ſie ihren
Handſchuh hinausfallen, und befahl dem Snee-
wittchen ihn wieder zu ſuchen, in der Zeit aber
mußte der Kutſcher geſchwind fortfahren; nun iſt
Sneewittchen allein und kommt zu den Zwergen
u. ſ. w. In einer andern Erzaͤhlung, iſt das
bloß abweichend, daß die Koͤnigin mit dem Snee-
wittchen in den Wald faͤhrt, und es bittet ihm
von den ſchoͤnen Roſen, die da ſtehen, einen
Strauß abzubrechen, waͤhrend es bricht, faͤhrt ſie
fort und laͤßt es allein. Endlich kennen wir noch
eine dritte Recenſion: Ein Koͤnig verliert ſeine
Gemahlin, mit der er eine einzige Tochter Snee-
wittchen hat und nimmt eine andere, mit der er
drei Toͤchter bekommt. Dieſe haßt das Stiefkind,
auch wegen ſeiner wunderbaren Schoͤnheit, und
un-
[XXXIII] unterdruͤckt es, wo ſie kann. Im Wald in einer
Hoͤhle wohnen ſieben Zwerge, die toͤdten jedes
Maͤdchen, das ſich ihnen naht. Das weiß die Koͤ-
nigin, und weil ſie Sneewittchen nicht geradezu
toͤdten will, hofft ſie es dadurch los zu werden,
daß ſie es hinaus vor die Hoͤhle fuͤhrt und zu
ihm ſagt; „geh da hinein und wart bis ich wie-
der komme. Dann geht ſie fort, Sneewittchen
aber getroſt in die Hoͤhle. Die Zwerge kommen
und wollen es anfangs toͤdten, weil es aber ſo
ſchoͤn iſt, laſſen ſie es leben und ſagen, es ſolle
ihnen dafuͤr den Haushalt fuͤhren. Sneewittchen
hatte aber einen Hund, der hieß Spiegel, wie es
nun fort iſt, liegt der traurig im Schloß, die Koͤ-
nigin fragt ihn:
Der Hund antwortet: „Sneewittchen iſt ſchoͤner
bei ſeinen ſieben Zwergen, als die Frau Koͤnigin
mit ihren drei Toͤchtern.“ Da ſieht ſie, daß es
noch lebt und macht einen giftigen Schnuͤrriemen.
Damit geht ſie zur Hoͤhle, ruft Sneewittchen, es
ſolle ihr aufmachen. Sneewittchen will nicht,
weil die ſieben Zwerge ihm ſtreng verboten, kei-
nen Menſchen hereinzulaſſen, auch ſeine Stiefmut-
ter nicht, die es habe verderben wollen. Sie ſagt
aber zu Sneewittchen, ſie habe keine Toͤchter mehr,
ein Ritter habe ſie ihr entfuͤhrt, da wolle ſie bei
ihm leben und es putzen. Sneewittchen wird mitlei-
dig und laͤßt ſie herein, da ſchnuͤrt ſie es mit dem
giftigen Schnuͤrriemen, daß es todt zur Erde faͤllt,
und geht fort. Die ſieben Zwerge aber kommen,
nehmen ein Meſſer und ſchneiden den Schnuͤrrie-
men entzwei, da iſt es wieder lebendig. Die Koͤ-
nigin fragt nun den Spiegel unter der Bank, der
giebt ihr dieſelbe Antwort. Da macht ſie ein gifti-
ges Kopfband, geht mit dem hinaus und redet zu
Sneewittchen ſo beweglich, daß es ſie noch einmal
einlaͤßt: ſie bindet ihm das Kopfband um, und es
faͤllt todt nieder. Aber die ſieben Zwerge ſehen,
was geſchehen iſt, ſchneiden das Kopfband ab und
es hat das Leben wieder. Zum drittenmal fragt
Kindermärchen. C
[XXXIV] die Koͤnigin den Hund, und erhaͤlt dieſelbe Ant-
wort. Sie geht nun mit einem giftigen Apfel
hinaus, und ſo ſehr Sneewittchen von den Zwer-
gen gewarnt iſt, wird es doch von ihren Klagen
geruͤhrt, macht auf und ißt von dem Apfel, da iſt
es todt, und wie die Zwerge kommen, koͤnnen ſie
nicht helfen, und der Spiegel unter der Bank ſagt
der Koͤnigin ſie ſey die ſchoͤnſte. Die ſieben Zwer-
ge aber machen einen ſilbernen Sarg, legen das
Sneewittchen hinein und ſetzen es auf einen Baum
vor ihrer Hoͤhle. Ein Prinz kommt vorbei und
bittet die Zwerge, ihm den Sarg zu geben, nimmt
ihn mit und daheim laͤßt er es auf ein Bett le-
gen und putzen, als waͤr es lebendig, und liebt es
uͤber alle Maßen, ein Diener muß ihm auch be-
ſtaͤndig aufwarten. Der wird einmal boͤs daruͤ-
ber: „da ſoll man dem todten Maͤdchen thun, als
wenn es lebte!“ giebt ihn einen Schlag in den
Ruͤcken, da faͤhrt der Apfelbiſſen aus dem Mund,
und Sneewittchen iſt wieder lebendig.
Zu Hans Dumm. No. 54.
Ausfuͤhrlicher in Pentamerone I, 3. und bei
Straparola auch recht gut III, 1.
Zum Rumpelſtilzchen. No. 55.
Schon Fiſchart kann das Alter dieſes Maͤrchens
bezeugen, im Gargantua, wo die Spiele verzeich-
net werden, ſteht unter Num 363. ein Spiel-
„Rumpele ſtilt oder der Poppart.“ Man ſagt
auch Rumpenſtinzchen. Die Erzaͤhlung ſelbſt wird
auch folgendermaßen anders angefangen: einem
kleinen Maͤdchen dem wurde eine Kaute Flachs
gegeben, daraus ſollte es Flachs ſpinnen, aber
was es ſpann, war immer Goldfaden und kein
einziger Faden Flachs konnte aus ihrem Raͤdchen
kommen. Da wurde es traurig, ſetzte ſich aufs Dach
und ſpann und ſpann drei Tage lang, aber immer
nichts als Gold. Da kam ein klein Maͤnnchen ge-
gangen: ich will dir helfen aus aller deiner Noth,
ein junger Koͤnigsſohn ſoll da vorbei kommen,
[XXXV] und dich heirathen, aber du mußt mir dein erſtes
Kind verſprechen ꝛc. Auch wird das Maͤnnchen
anders entdeckt. Eine Magd der Koͤnigin geht
Nachts hinaus in den Wald, da ſieht ſie es auf ei-
nem Kochloͤffel um ein groß Feuer herum reiten ꝛc.
Zuletzt fliegt auch das Maͤnnchen auf dem Koch-
loͤffel zum Fenſter hinaus.
In vielen deutſchen Maͤrchen kommen Muͤller
und Muͤllerstoͤchter vor (ſ. No. 31.), das gegen-
waͤrtige erinnert aber ganz ſonderlich an die nor-
diſchen Fenia und Menia, die alles, was man ha-
ben wollte, mahlen konnten, und die der Koͤnig
Frode Frieden und Gold mahlen ließ. — Das Ab-
fodern der Kinder greift in ſehr viele Mythen ein.
Zu dem Liebſten Roland. No. 56.
Nach einer andern Erzaͤhlung, ſtecken die zwei
bei ihrer Flucht eine Bohne in einen Kuchen, der
eben auf dem Heerd liegt und backen ſoll, als die
Stiefmutter aufwacht und ihre Tochter ruft, ant-
wortet die Bohne fuͤr dieſe auf jede Frage, und
ſagt ſie ſey in der Kuͤche und koche; ſo lange aber
nur, als der Kuchen noch backt, als er gar iſt,
ſchweigt ſie ſtill, da iſt ihre Kraft vorbei, und
uͤber das Stillſchweigen wird die Mutter aufmerk-
ſam, und findet dann ihre todte Tochter.
In den Zaubereien bei der Flucht vor der
Stiefmutter kommt dies Maͤrchen mit dem vom
Fundevogel und Okerlo zuſammen: die letzte Ver-
wandlung, wo die Stiefmutter durch Tanzen in
einer Dornhecke umkommt, erinnert an das be-
kannte Fabliau, welches Hans Sachs auch drama-
tiſch behandelt hat, wo ſich ein Verurtheilter auf
dieſe Art vom Tod rettet.
Zum goldnen Vogel. No. 57.
No. 64, I. von der weißen Taube hat denſelben
Eingang, doch wird es auch ſehr haͤufig und wie
es ſcheint, wo nicht beſſer, doch aͤlter mit folgen-
dem erzaͤhlt: ein Koͤnig war krank, oder nach an-
dern blind geworden, und nichts in der Welt ver-
C 2
[XXXVI] mochte ihn zu heilen, bis er einſtmals hoͤrte (oder
es ihm traͤumte), daß weit davon der Vogel Phoͤ-
nix waͤre, durch deſſen Pfeifen (oder Geſang) er
allein geneſen koͤnne. Nun machen ſich die Soͤh-
ne nach einander auf, und nur in der Menge der
verſchiedenen Aufgaben, die der dritte Sohn zu
beſtehen hat, weichen die verſchiedenen Recenſio-
nen ab. Das nothwendige Pfeifen des Phoͤnix
iſt hier allerdings beſſer begruͤndet. Einmal wird
auch erzaͤhlt, daß der Fuchs, nachdem er den
Schuß zuletzt empfangen, ganz verſchwindet und
nicht zu einem Menſchen wird. Das Stuͤrzen in
den Brunnen (wofuͤr auch ein Steinbruch vor-
kommt) iſt mit der Sage von Joſeph, der ja auch
ſonſt ſelbſt der Phoͤnix, (d. h. der Goldvogel) iſt,
die Befreiung daraus durch den Fuchs mit der
von Ariſtomenes (nach Pauſanias), von Sindbad
(nach 1001 Nacht), und Gog und Magog (nach
Montevilla) merkwuͤrdig verwandt. —
In den Kindermaͤrchen aus muͤndlichen Erzaͤh-
lungen geſammelt, Erfurt bei Keyſer 1787. wird
unſer Maͤrchen S. 94 — 150. in falſchem Ton er-
zaͤhlt; im Norden iſt es aber ſchon fruͤh bekannt
geweſen, und ohne Zweifel auch in andern Thei-
len Europas.
Peringſkiold in ſeinem fuͤr Hickes gemachten
Catalog p. 315. fuͤhrt die Saga af Artus Fa-
gra an, und beſchreibt ihren Inhalt folgender-
maßen: hist. de tribus fratribus Carolo, Vil-
hialmo atque Arturo, cogn. fägra, regis angliae
filiis, qui ad inquirendum Phoͤnicem, ut ea ou-
raretur morbus immedicabilis patris illorum, in
ultimas usque Indiae oras missi sunt. (Viel-
leicht iſt auch in einem angelſaͤchſ. Codex, den
Wanley p. 281. angiebt: Liber VI. septem con-
stans capitulis, descriptionem tractat felicissi-
mae cujusdam regionis orientalis et de Phoͤni-
ce, quae ibi invenitur, etwas davon beruͤhrt).
Eine ſpaͤtere daͤniſche Bearbeitung in ſechszeiligen
Strophen iſt zum Volksbuch geworden, aber ohne
poetiſchen Werth. Nyerup handelt davon unter
Num. 15. Von dem daſelbſt angefuͤhrten Titel
iſt eine vor uns liegende Ausgabe etwas abwei-
[XXXVII] chend, und der Ueberſetzung aus dem Hollaͤndi-
ſchen, die wohl nur ein Vorgeben iſt, wird nicht
gedacht. (En meget maͤrkvaͤrdig Hiſtorie om Rong
Edvard af Engelland, der faldt i en ſvaͤr Syg-
dom, men helbrededes ved en viis Qvindes Raad,
og det ene ved hans yngſte Soͤns Prins Atti
(Arti) Ömhed og Mod, der havde ſin Fader ſaa
kjer, at han foretog en Rejſe til Dronningen af
Arabien, tilvendte ſig ved Liſt hendes Klenodier,
bortfoͤrde Dronningens dyrebare Fugl Phoͤnix, og
ſik til Slutning … Dronningen ſelv tilaͤgte.)
Die Soͤhne heißen auch hier Carl, Wilhelm und
Artus, vom huͤlfreichen Fuchs kommt nichts vor,
und faſt in allem iſt die deutſche Volkserzaͤhlung
weit vorzuͤglicher.
Zu dem treuen Gevatter Sperling. No. 58.
Ueber den Zuſammenhang dieſes Maͤrchens mit
dem Gedicht von Reinhart Fuchs. S. Schlegels
deutſches Muſeum 1812. Maiheft.
Zu Prinz Schwan. No. 59.
Aehnlich damit das Maͤrchen von den drei
Guͤrteln in der Braunſchw. Samml. S. 122 — 150.
Die Koͤnigin erhaͤlt von einer Fee, der ſie als ei-
ner alten boͤſen Hexe unermuͤdlich Beiſtand gelei-
ſtet, drei Guͤrtel, ſo lang die nicht entzwei gin-
gen, koͤnne ſie an die Liebe und Treue ihres ab-
weſenden Gemahls glauben. Als zwei davon ge-
platzt ſind, verkleidet ſie ſich in eine Pilgerin und
zieht ihm nach. In einem großen Wald, durch
den ſie geht, fallen ihr nach einander drei goldne
Nuͤſſe vor die Fuͤße, die ſie aufhebt und mitnimmt.
Sie kommt zu einem Muͤller, der ſie fuͤr ſeine
Baſe ausgeben will, und ihr einen andern Na-
men giebt. Hier findet ſie der Koͤnig, und ohne
ſie wiederzuerkennen, verliebt er ſich in ſie. Sie
zeigt ſich ihm geneigt, wie er ſie aber umarmen
will, platzt der dritte Guͤrtel, ſie erſchrickt und
bittet ihn die Hausthuͤre zuzumachen, deren Schla-
gen ſie nicht hoͤren koͤnne. Wie er aber eine zu-
[XXXVIII] macht, ſpringt eine andere wieder auf und ſo fort,
daß er die ganze Nacht nichts zu thun hat, als
Thuͤren zuzumachen. Der Koͤnig iſt dadurch ge-
kraͤnkt, kommt nicht wieder, und will ſich mit der
Prinzeſſin, die ſeine Braut iſt, vermaͤhlen. Die
Koͤnigin macht ihre erſte Goldnuß auf, da iſt das
praͤchtigſte Naͤhzeug und Naͤhkaͤſtchen darin, damit
geht ſie zum Schloß, ſetzt ſich den Fenſtern der
Prinzeſſin gegenuͤber und naͤht. Die Prinzeſſin
ſieht ſie und traͤgt großen Gefallen an dem Naͤh-
zeug, ſie tauſcht es fuͤr das Recht ein, die erſte
Nacht bei dem Koͤnig zubringen zu duͤrfen. Am
andern Tag oͤffnet dieſe die zweite Nuß, findet ei-
ne koͤſtliche Spindel darin, ſpinnt damit vor der
Prinzeſſin und vertauſcht ſie fuͤr die zweite Nacht,
endlich auch das Geſchmeide, welches die dritte
Nuß in ſich faßte, fuͤr die dritte Nacht. Wie der
Hochzeitstag nun vorbei iſt, wird die Koͤnigin
zum Koͤnig gefuͤhrt, da entdeckt ſie ſich als ſeine
Gemahlin; am dritten Morgen beruft er einen
Rath und legt die Frage von dem Schluͤſſel vor,
den er zu einem goldnen Vorlegeſchloß verloren,
und wiedergefunden, ob er den alten oder den
neuen gebrauchen ſolle. Die Prinzeſſin entſchei-
det ſelber fuͤr den alten und demnach fuͤr ihre
Trennung.
Zu dem Goldei. No. 60.
In der Erfurter Sammlung S. 1 — 58. aber
ſchlecht erzaͤhlt: der Vogel, der jeden Morgen ein
Goldei legt entflieht dem Prinzen Gunild, ein
Bauer faͤngt ihn und von dieſem bekommt ihn ein
Goldſchmidt, der auf den Fluͤgeln lieſt: „wer mei-
nen Kopf ißt unter deſſen Kopfkiſſen werden taͤg-
lich tauſend Ducaten liegen; wer mein Herz ißt,
wird Koͤnig in Akindilla werden,“ und ihn dar-
um dem Ynkas, ſeinem Schweſterſohn zum Bra-
ten giebt; dieſer ißt unſchuldig beides und ent-
flieht dann bei den Drohungen des zornigen
Goldſchmidts, der ſich getaͤuſcht ſieht. Indeß geht
der Ausſpruch in Erfuͤllung; hineingezogen iſt die
dem Fortunat aͤhnliche Sage von den zweierlei
[XXXIX] Aepfeln, wovon einer alt und haͤßlich, der andere
wieder jung und geſund macht und wodurch die
treuloſe Gemahlin beſtraft und gebeſſert wird.
Zu dem Schneider der bald reich wurde. No. 61.
Nach einer andern Erzaͤhlung heißt der Mann
Herr Haͤnde, den die Bauern wegen ſeiner Klug-
heit haſſen. Sie ſchlagen ihn aus Neid den Back-
ofen ein, er traͤgt aber den Schutt in einem Sack
zu einer vornehmen Dame und bittet ſie, den Sack
ihm aufzuheben, es ſey Gewuͤrz, Zimme[t], Naͤge-
lein und Pfeffer darin. Er kommt dann wieder,
ihn abzuholen und verfuͤhrt ein großes Geſchrei,
ſie habe ihn beſtolen, wodurch er ihr 300 Thaler
abzwingt. Die Bauern ſehen ihn das Geld zaͤh-
len und fragen, woher er das habe, er ſagt von
dem Backofenſchutt, da ſchlagen die Bauern all ih-
re Backoͤfen ein, tragen den Schutt in die Stadt,
kommen aber uͤbel an. Die Bauern wollen ihn
aus Rache toͤdten, er zieht aber ſeiner Mutter
Kleider an, dadurch entgeht er ihnen und ſeine
Mutter wird todt geſchlagen. Dieſe rollt er in
einem Faß zu einem Doctor, laͤßt ſie dort ein we-
nig ſtehen, kommt wieder und giebt ihm dann Schuld
er habe ſie getoͤdtet, ſo erpreßt er von dem Doctor
eine Summe Gelds. Er ſagt den Bauern, er ha-
be ſie fuͤr ſeine todte Mutter bekommen, nun ſchla-
gen dieſe auch ihre Mutter todt. Darauf die Be-
gebenheit mit einem Schaͤfer, der fuͤr ihn ſich in
die Tonne legt, erſaͤuft und dem die andern Bau-
ern alle nachſpringen.
In dem Maͤrchen vom Bauer Kibitz, welches
Buͤſching S. 296. mittheilt, ſind wieder einige Zuͤ-
ge verſchieden. Kibitz laͤßt ſeine Frau von den
Bauern todt ſchlagen, und ſetzt ſie dann mit einem
Korb voll Fruͤchte an ein Gelaͤnder, wo ſie ein Be-
dienter, dem ſie keine Antwort giebt, als er fuͤr ſei-
ne Herrſchaft bei ihr einkaufen ſoll, ins Waſſer
ſtuͤrzt; dafuͤr erhaͤlt Kibitz den Wagen, worin dieſe
gefahren mit allem Zubehoͤr. — Das Gelderpreſ-
ſen durch bloßes Laͤrmen gehoͤrt auch zu den Liſten
des Gonella (bei Floͤgel Geſch. der Hofnarren S.
[XL] 309). — Den Betrug mit dem Schaͤfer hat Stra-
parola I, 3. in der Erzaͤhlung vom Meſſire Scra-
pafigue. — In dem zu Erfurt 1794. gedruckten
Volksbuch: Rutſchki oder die Buͤrger zu Quarken-
quatſch ſind verſchiedene Zuͤge aus dieſem Maͤrchen
benutzt, das Erkaufen des alten Kaſtens, worin der
Liebhaber ſteckt, durch die Kuhhaut (S. 10.), das
Ausſtellen der todten Frau: Rutſchki gibt ihr But-
ter in den Schooß und ſetzt ſie auf den Brunnen-
rand, der Apotheker der ihr abkaufen will, aber
keine Antwort bekommt, ruͤttelt ſie und ſtuͤrzt ſie
hinunter, und muß dem Rutſchki tauſend Thaler
bezahlen (S. 18. 19.). Der Betrug an dem Schaͤ-
fer zuletzt, iſt wieder ganz verſchieden: Rutſchki iſt
zum Tod verurtheilt, und wird in einen Kleider-
ſchrank eingeriegelt, hinaus zu dem Teich getragen,
weil er aber zugefroren iſt, laſſen ſie ihn darauf
ſteben, und wollen erſt Aexte holen, um ein Loch
ins Eis zu hauen. Wie ſie fort ſind, hoͤrt Rutſchki
einen Viehhaͤndler vorbei ziehen und ruft: „ich
trinke keinen Wein! ich trinke keinen Wein! mich
durſtet nicht!“ der Viehhaͤndler fragt, was er vor-
habe, Rutſchki laͤßt ſich aufriegeln und erzaͤhlt, er
ſey zum Burgemeiſter erwaͤhlt, das Amt naͤhm er
gern, denn es ſey wenig Arbeit und 500 Thl. Be-
ſoldung dabei; dagegen die Sitte, daß jeder Bur-
gemeiſter beim Antritt ſeines Amts einen Becher
mit Burgunder austrinke, wolle er durchaus nicht
mitmachen, er trinke keinen Wein, da haͤtten ſie
ihn herausgeſetzt, daß er Froſt und Durſt nach einen
feurigen Trank bekommen ſollte; es helfe ihnen aber
alles nichts, er trinke doch nicht. Der Viehhaͤnd-
ler traͤgt einen Tauſch gegen ſeine Heerde an, er
legt ſich hinein, Rutſchki riegelt zu, die Bauern
kommen hauen ein Loch und laſſen den Schrank
hinab. Wie ſie zuruͤckkommen begegnet ihnen Rutſch-
ki mit dem Vieh und ſagt, er habe es auf dem
Grund gefunden, da ſey ein ſchoͤnes Sommerland.
Nun ſtuͤrzen ſie ſich alle in das Waſſer (S. 22.
23.). — Uebrigens ſind die allezeit betrogenen
Bauern offenbar mit den Calenbuͤrgern verwandt.
[XLI]
Zu dem Blaubart. No. 62.
Perraults la barbe bleue gehoͤrt zu ſeinem am
beſten erzaͤhlten Maͤrchen; ein ſchwediſches fliegen-
des Blatt. Blaſkaͤgget Fahlum 1810. iſt bloß eine
Ueberſetzung davon. Die franzoͤſiſche Sage kennt
noch eine Schweſter der Frau, Anne, als jene ſter-
ben ſoll, gewaͤhrt ihr der Blaubart eine halbe
Viertelſtunde, da ſchickt ſie die Anne auf den Thurm
laͤßt ſie nach den Bruͤdern ſehen und ruft ihr von
Zeit zu Zeit in ihrer Angſt zu: „Anne, ma soeur
Anne, ne vois tu rien venir?“ noch ganz volks-
maͤßig erſcheinen die Antworten derſelben,
In der deutſchen Erzaͤhlung, wenigſtens wie wir
ſie gehoͤrt haben, fehlt dies gaͤnzlich; dagegen
kommt der Zug vor, daß die Geaͤngſtigte den Blut-
ſchluͤſſel in das Heu legt, weil es wirklich Volks-
glauben iſt, das Heu ziehe Blut aus. — Ein deut-
ſches Volkslied (Wunderhorn I, 274. und Herder
Volkslieder I, 79) am ſchoͤnſten neulich in Graͤters
Idunna nach dem breslauiſchen Volksgeſang mit-
getheilt, enthaͤlt im Grund dieſelbe Sage, doch ſehr
abweichend und ohne des blauen Barts Erwaͤh-
nung zu thun, von Ulrich und Aennchen. Eben ſo
der Fitſchersvogel (No. 46.) auch wieder recht ei-
genthuͤmlich und gut, und das hollaͤndiſche Mord-
Schloß (No. 73). Tieks Bearbeitung iſt bekannt.
In Hamburg ſagt man von einem Starkbaͤrtigen,
er ſei ein Blaubart (Schuͤtze hollſt. Idiot. I, 112.),
daſſelbe gilt von dem ehemaligen Heſſen; hier in
Caſſel iſt ein verwachſener, halb alberner und tol-
ler Handwerksburſch unter dem Namen bekannt
genug. — Endlich haben ihre unverkennbare Aehn-
lichkeit mit der Sage: das ſchottiſche Lied von
Coſpatrik, der Koͤnig Porc bei Straparola und
der Eingang der 1001. Nacht, wo der Sultan
auch ſeine Weiber nach der erſten Nacht toͤdtet.
Zu den Goldkindern. No. 63.
Damit ſtimmt uͤberein No. 74. Vom Johan-
[XLII] nes Waſſerſprung und Caſpar-Waſſerſprung, und
dann auch im Pentamerone lo mercante I, 7. und
la cerva fatata I, 9. In den beiden deutſchen Er-
zaͤhlungen ſcheint hin und wieder eine Luͤcke zu
ſeyn, wenigſtens muͤßten in No. 74. die ſo eigen
erworbenen Thiere ſich thaͤtiger beweiſen, oder ſo
daß einmal bloß von ihnen nach der Reihe die
Huͤlfe kaͤme. In demſelben Maͤrchen bei Strapa-
rola Th. 2, S. 290. von Ceſarin erwecken ſie ih-
ren Herrn auch wieder vom Tod.
Zu dem Dummling. No. 64.
I. Die weiße Taube hat im Eingang Aehnlich-
keit mit dem goldenen Vogel. No. 57.
II. Die Bienenkoͤnigin hat offenbar viel Ueber-
einſtimmung in den Motiven mit dem Maͤhrchen
von Fix und Fertig (No. 16). III. Die drei Fe-
dern. Hier finden ſich haͤufig kleine Abweichungen
in andern Recenſionen, beſonders in den Aufgaben.
Der Vater gibt jedem der drei Soͤhne einen Ap-
fel, wer den ſeinen am weiteſten wegwirft, ſoll das
Reich erben. Der des juͤngſten fliegt am weiteſten,
weil der aber gar zu dumm iſt, will der Vater
ihm das Recht nicht laſſen und verlangt zwanzig
Steigen Leinwand in einer Nußſchale, der aͤlteſte
reiſt nach Holland, der zweite nach Schleſien, wo
feine Leinewand ſeyn ſoll, der dritte, der Dumme,
geht in den Wald, da faͤllt eine Nußſchale von ei-
nem Baum, worin das Linnen ſteckt. Darnach
verlangt er einen Hund, der durch ſeinen Trau-
ring ſpringen kann, dann drei Zahlen Garn, die
durch ein Nadeloͤhr gehen: alles bringt der Dumm-
ling. Nach einer andern Erzaͤhlung ſoll der des
Koͤnigs Gut erben, der den ſchoͤnſten Geruch mit-
bringt, der Dumme kommt vor ein Haus, da ſitzt
die Katz vor der Thuͤr und fragt; „was biſt du ſo
traurig?“ — „Ach! du kannſt mir doch nicht hel-
fen!“ — „Nun hoͤr einer! ſag nur was dir fehlt.“
Die Katz verſchafft ihm dann den beſten Geruch.
Wiederum iſt die Einleitung mannichfach: der Va-
ter jagt den dummen Hans fort, weil er gar zu
dumm iſt, da geht er an des Meeres Geſtade, ſetzt
[XLIII] ſich hin und weint; da kommt die Kroͤte, die eine
verzauberte ſchoͤne Jungfrau iſt, mit der ſpringt
er auf ihr Geheiß ins Waſſer und ringt mit ihr
und erwirbt ſich das Reich, indem ſie ihre menſch-
liche Geſtalt dadurch wieder gewinnt. — In der
braunſchweiger Sammlung ſteht das Maͤrchen S.
271 — 286. wieder mit andern Aufgaben 1) der
Kahn zu dem kein Spaͤnchen gehauen, den ein
Greis ihm giebt, weil er ihn gelabt. 2) Die
kleinſte, feinſte Webeleinwand. Dieſe giebt ihm
eine kluge Katze in einer Nuß, als dieſe aufge-
macht wird, liegt eine noch kleinere darin, in die-
ſer endlich ein Gerſtenkorn, und dieſes enthaͤlt erſt
das Gewebe. 3) Die ſchoͤnſte Braut, in die ſich
die Katze verwandelt.
Zu Allerlei-Rauh. No. 65.
Iſt die peau d'ane des Perrault, aber vollſtaͤn-
diger und beſſer. Die Prinzeſſin Maͤuſehaut No.
71. iſt dieſelbe mythiſche Perſon, aber die Sage
bis auf einiges ganz verſchieden. Nach einer
andern Recenſion wird Allerlei-Rauh von ihrer
Stiefmutter vertrieben, weil ihr ein fremder Prinz
einen Ring zum Liebeszeichen und nicht ihrer ei-
genen Tochter geſchenkt hatte. Sie kommt her-
nach an ihres Geliebten Hof als Schuhputzerin,
und wird entdeckt, indem ſie den Treuring unter
das Weißbrod legt. — Einige Aehnlichkeit hat das
Maͤrchen mit dem Aſchenputtel No. 21.
Zum Hurleburlebutz. No. 66.
Aehnlichkeit damit hat ein Maͤrchen in der
Braunſchweiger Sammlung S. 322 — 48. Eine
Prinzeſſin iſt ſo ſtolz auf ihre Schoͤnheit und wird
ganz uͤbermuͤthig, daß ſie alle Freier verſpottet,
und als Thiere abmahlen laͤßt, auch alle Wuͤnſche
erfuͤllt haben will. Einmal traͤumt ſie von dem
ſingenden, klingenden Baͤumchen, und ihr Vater
muß ausziehen und es ſuchen Er findet es gluͤck-
lich, wie er es aber ausreißt, ſpringt ein fuͤrchter-
licher Loͤwe aus der Erde, dem muß er dafuͤr das
[XLIV] angeloben, was ihm zuerſt zu Haus begegnen
wird. Das iſt nun die ſtolze Prinzeſſin, die das
ſingende, klingende Baͤumchen kommen hoͤrte. Der
Koͤnig erſchrickt und ſagt, daß ſie einem Loͤwen
jetzt zugefallen ſey, aber ſie bekuͤmmert ſich nicht
darum, laͤßt die Tochter einer Waͤſcherin mit ih-
ren Kleidern anthun und an ihren Platz ſetzen.
Nach drei Tagen kommt der Loͤwe: „ſetz dich auf
meinen Ruͤcken,“ ſpricht er, und traͤgt ſie in den
Wald. Das Maͤdchen weint, wie es eine Quelle
ſieht: „wer wird meiner Mutter jetzt waſchen hel-
fen!“ Der Loͤwe merkt den Betrug, traͤgt ſie zu-
ruͤck und kommt nach drei Tagen wieder, da ſitzt
eines Hirten Tochter in den Kleidern der Prinzeſſin,
„ſetz dich auf meinen Ruͤcken,“ ſagt der Loͤwe und
traͤgt ſie hinaus. Wie ſie auf die bunte Wieſe
kommen, ſeufzt das Maͤdchen: „ach! wer wird den
Hans troͤſten, wenn ich nicht bei ihm hier liegen
kann!“ Der Loͤwe kehrt wieder um, bringt dem
Koͤnig die falſche Braut, droht ihm, und laͤuft zur
Prinzeſſin, die ſich gleich auf ſeinen Ruͤcken ſetzen
und mit ihm fort muß. Er fuͤhrt ſie in eine Hoͤh-
le, wo ſie an elf Kranken die niedrigſten Arbeiten
thun muß und ihre eiternden Wunden heilen. Sie
empfindet da Reue uͤber ihren vorigen Hochmuth,
heilt dann auch den Loͤwen, der verwundet wird,
und mit dem allem buͤßt ſie ihre Suͤnden, befindet
ſich einmal, als ſie erwacht, wieder in dem praͤch-
tigen Schloß bei ihrem Vater, der Loͤwe aber iſt
ein ſchoͤner Juͤngling geworden, und ihr Braͤu-
tigam.
In dem Maͤrchen vom Weißtaͤubchen in der
Erfurtſchen Sammlung S. 87 88. wird auch der
Zauber geloͤſt, indem das Maͤdchen der Taube den
Kopf abreißt, und ihn gegen Morgen, den Rumpf
gegen Abend wirft.
In einer andern muͤndlichen Erzaͤhlung, fragt
der Fuchs immer, das Maͤdchen, das er forttraͤgt,
wie viel Uhr es ſey, die Hirtentoͤchter antworten,
zehn Uhr, wenn ich die Heerde ſonſt zuſammenge-
blaſen habe, die Koͤnigstochter aber, zehn Uhr,
wenn zur Tafel geblaſen wird, und nun bin ich
hier im Wald und habe nichts zu eſſen.
[XLV]
Zum Koͤnig mit dem Loͤwen. No. 67.
Das Vergeſſen der erſten Verlobten kehrt
auch im Prinz Schwan von der treuen Julian
und im Liebſten Roland wieder, auch wohl in Al-
lerlei-Rauh; aus dem Pentameron gehoͤrt mehre-
res hierher (II, 7. la palomma, wo der Prinz die
Filadoro vergißt; III, 3. la viso, wo Renza ver-
geſſen wird; III, 9. Rosella), der Grund aber
liegt tief in den Sagen. Wir wollen nur zwei
denkwuͤrdige Beiſpiele angeben: Duſchmanta ver-
gißt die Sacontala, und Sigurd die Brynhild.
Zum Sommer- und Wintergarten. No. 68.
Eigentlich die Fabel von der Pſyche, noch naͤ-
her in andern Recenſionen, wo die Schweſtern
boͤsartig ſind, und die juͤngſte, als ſie gekommen
iſt, ſie zu beſuchen, mit Gewalt zuruͤckhalten.
In einem Roman, die junge Amerikanerin Ulm
1765. I, 30 — 231. iſt auch dieſes Maͤrchen, aber
ſchlecht benutzt. Das Thier iſt ein Drache, aus
deſſen Garten (es iſt auch kein Winter) der Vater
ſich eine Roſe bricht und dafuͤr ſeine Tochter ver-
ſprechen muß. Die Tochter geht ſelbſt in des
Drachen Schloß, der ſtellt ſich dumm und unge-
ſchickt, in der Nacht aber traͤumt ſie von einem
ſchoͤnen Juͤngling, und allmaͤhlig gewoͤhnt ſie ſich
an ihn ſo, daß ſie ihn endlich lieb gewinnt. Sie
beſucht ihre Eltern und kommt zuruͤck durch Huͤlfe
eines Rings, der ein- und auswaͤrts gedreht wird.
Endlich geſteht ſie ihm in einer Nacht, daß ſie ihn
lieb habe, da iſt er am Morgen ein ſchoͤner Juͤng-
ling und ſein Zauber geloͤſt. Es entdeckt ſich auch,
daß ſie nicht des Kaufmanns Tochter, ſondern von
einer Fee untergeſchoben iſt.
In der Leipziger Sammlung iſt es das ſieben-
te Maͤrchen (S. 113 — 130). Die juͤngſte Tochter
bittet den Vater bei ſeiner Abreiſe um einen Ei-
chelzweig mit drei Eicheln an einem Stengel. Der
Vater verirrt ſich in dem Wald, kommt zu einem
praͤchtigen Schloß, das ganz leer ſteht, wo er aber
[XLVI] alles aufs beſte vorfindet. In der Nacht kommt
ein Baͤr, bringt die drei Eicheln an einen Sten-
gel und verlangt die Tochter, die der Vater end-
lich bewilligt. Zu Haus werden die Thuͤren ver-
ſchloſſen, der Baͤr aber kommt doch zweimal um
Mitternacht herein und fordert die Braut; in der
dritten ſind die Koffer von ſelbſt gepackt und drei
Eicheln ſtecken darauf, die Tochter ſelbſt iſt wie
eine Braut geputzt, ihr Haar von ſelbſt gekraͤuſelt
und weiß es nicht, der Baͤr aber ſteht neben ihr,
und ſteckt ihr einen Goldring mit einer Baͤrentatze
und drei Eicheln an den Finger. Da faͤhrt ſie
mit ihm hinaus, ſieht in der Folge Vater und
Schweſtern in einem Spiegel, geht aber nicht
heim, und nachdem ſie ein Kind geboren und dies
uͤber drei Jahre alt iſt, wird der Zauber geloͤſt,
und der Baͤr in einen ſchoͤnen Juͤngling verwan-
delt. Bloß der Anfang iſt gut und aͤcht, am Ende
ſcheint vieles gemacht zu ſeyn.
Zu Jorinde und Joringel. No. 69.
Aus Heinrich Stillings Jugend I, 104 — 108.
Zum Okerlo. No. 70.
Das ital. huorco, das franzoͤſ. ogre, Popanz.
In dieſem Maͤrchen ſind einzelne Zuͤge aus dem
Daumerling und Fundevogel. In der Braun-
ſchweiger Sammlung wird es S. 44 — 72. faſt
mit denſelben Umſtaͤnden, nur ſehr weitlaͤuf-
tig erzaͤhlt. Die Fliehenden laſſen einen Roſen-
ſtock daheim, der an ihrer Stelle antwortet; ſie
verwandeln ſich nur einmal in einen Pfirſichbaum
und eine Biene; ihren Wuͤnſchhuth, womit ſie alle
Zaubereien ausrichten, aber laſſen ſie auf dem
Gipfel des Baums ſitzen; ſie werden zwar auf
dieſe Art nicht von der Verfolgenden erkannt und
ſind geſichert, aber der Wind jagt den Wuͤnſchhut
herab, ſo daß ſie nicht wieder ihre menſchliche Ge-
ſtalt annehmen koͤnnen. Indeſſen wird die Prin-
zeſſin, die den Hut zugeweht bekommt, durch die
Stiche der Biene und durch das Blut, das aus
[XLVII] einem abgeriſſenen Blatt tropft, bewegt, ihn wie-
der darauf zu werfen und beide ſind nun erloͤſt.
Vergl. auch No. 56. der Liebſte Roland.
Prinzeſſin Maͤuſehaut. No. 71.
Iſt bei Perrault das Maͤrchen von der Eſels-
haut, wiewohl ſehr abweichend, woran auch die
Erweiterung Schuld haben mag, der Eingang
ſtimmt dort mit der Geſchichte der ſchoͤnen Helene
uͤberein; beſſer iſt, daß der Prinz den Ring in ei-
nem Kuchen findet, welchen peau d'ane gebak-
ken hat.
Das Birnli will nit fallen. No. 72.
Muͤndlich aus der Schweiz. In derſelben Art iſt
No. 30 und 80. Auch die Juden haben ein da-
mit zuſammenhaͤngendes Volkslied, welches Wa-
genſeil (juͤd. teutſche Red- und Schreibart Frankf.
1715. 4. S. 108 — 110.) mittheilt, und in den Kin-
derliedern S. 44 — 47. (Wunderhorn III.) abge-
druckt iſt.
[XLVIII]
Der vorſtehende Refrain iſt aus einem chaldaͤiſchen
Oſterlied der Juden, welches ſich wie auch das bei
Wagenſeil in Bodenſchatzens kirchlicher Verfaſſung
der Juden (II, 2. Sect. 8.) findet.
Herr Graͤter theilt dies alles in ſeiner Alter-
thumszeitung No. 40 u. 41. 1812. unſer Volkslied
aber nicht ganz vollſtaͤndig, mit, auch bemerkt er
ein anderes juͤdiſches, das durch eine etwas aͤhn-
liche Manier auf dieſes zu deuten ſcheint, indeſſen
ergiebt ſich durch das aus Wagenſeil der vermu-
thete Zuſammenhang viel naͤher. Die myſtiſche
Bedeutung eines Leberecht, die dort gleichfalls an-
gefuͤhrt wird, iſt uns nicht ſo wahrſcheinlich als
Herrn Graͤter: das Lied ſcheint die Macht Gottes,
als die letzte und groͤßte darſtellen zu wollen, nennt
man es albern, ſo ſind es die Mythen der Rabbiner,
und im Talmud noch mehr. Intereſſant iſt noch
die ebendaſelbſt abgedruckte lateiniſche Recenſion
des Volkslieds, welche nicht bloß an manche Stu-
dentenlieder (in dem bekannten: Laurentia ſchoͤnſte
Laurentia mein ꝛc., wachſen die Strophen gleich-
falls immer mehr an), ſondern an andere Kinder-
lieder erinnert, worin lateiniſche Brocken ange-
bracht ſind. Viele Rhein- und Mainbewohner ge-
denken wenigſtens noch des Lieds von einem Hund,
der in der Kuͤche die Bratwurſt frißt und dem der
Koch den Schwanz abhaut, worin auch aͤhnliche
Wiederholungen vorkommen.
Zum Mordſchloß. No. 73.
eine Art Blaubart, aber mit anderm, auch ſonſt
ſchon bekanntem Ausgang. Der Reim im Anfang
erinnert auch an das Todtenreiterlied. Das Ganze
aus dem Hollaͤndiſchen uͤberſetzt, das wir aus dem
Munde einer Fraͤulein aufgeſchrieben haben. Hier
moͤge das Original ſelbſt ſtehen:
't Moord-Caſtel.
Daar was eens een Schoen-Maker, welke drie
Dochters had, op een tyd, als de Schoen-Maker
uyt waar, kwaam daar een Heer, welke ſeer goed
gekled was, en welke prachtige Ekipagie hieldt,
zo
[XLIX] zo dat men hem voor ſeer ryk hield, er verliefde
zig in een der ſchone Dochters, welke dacht, haar
Fort[u]yn gemaakt te hebben, met zo een ryk Heer,
en maakte dus geen Swarigheid, met hem mede
te ryen; daar 't Avond wierde, toen zy onder
weges waren, vroeg er aan haar:
ny, warom ſoud' 't my rouwen? ik ben immers by
uw wel bewaard, — daar zy tog eenig Angſt in-
wendig had, wyl zy in een groot Bos waren,
vroeg zy: of zy haaſt daar waren? — „ja, ſegt
er, ſien zy dat Ligt daar in de Vernte, daar is
myn Caſteel;“ eindlyk qwamen zy dan daar aan,
en alles was even fraay.
'S anderen Daags ſeid er tot haar, er moeſt
op eenigen Daagen haar verlaten, wyl er Affai-
ren hadt, die noodtwendig waren, maar ſoude
haar alle Sleutels laten, met dat zy 't ganſche
Caſteel konde door zien; van wat Rykdom zy al
Meeſter was. Toen er vertrokken was, gink zy
door 't ganſche Huys, en vond alles ſo ſchoon,
dat zy er vollig met te vreden was, tot zy eindlyk
aan een Kelder qwaam, waar een oude Vrouw
zat, te Darm ſchrabben. Ey Moedertje, wat doen
zy daar? — ik ſchrab Darmen myn Kind, mor-
gen ſchrab ik uwe ook! — waar van zy zo ſchrik-
te, dat zy de Sleutel, welk in haar Hand was,
liet in een Pot met Bloed vallen, welk er niet
goed weder af te waſſchen was. Nu, ſeid 't oud
Wyfje, is uw Dood ſeker, wyl myn Heer nu zien
kan, dat gy in dit Vertrek geweeſt zyt, waar buy-
ten hem, en ik, geen Menſch mag komen,
(men moet weten, de 2 voryge Suſters op deze
wyze reeds waren omgekomen)
daar op dat moment net een Wagen met Hooy
van het Slot weg reed, zo ſeid de oude Vrouw,
dit nog het eenigſte middel was, om 't Leeven te
behouden, zig onder dat Hooy te verſteken, en
dan zo weg te ryden, 't welk zy dan ook deed;
daar intuſchen de Heer te Huys kwaam, vroeg
er, waar de Mamſel is? O — ſeid de oude
Kindermärchen. D
[L] Vrouw, daar ik geen Arbeid meer had, en zy
morgen er tog aan moeſt, heb ik ze maar geſlagt,
en hier is een Lok van haar Haar, en 't Hart,
als ook wat warm Bloed, de reſt hebben de Hon-
den al gevreten, en ik ſchrab de Darmen. De Heer
waar alſo geruſt, dat zy dood waar.
Zy komt intuſchen met de Hooywagen op een
naby gelegen Slot aan, waar 't Hooy aan ver-
kogt was, en zy met uyt 't Hooy komt, en zy de
ganſche Saak vertelt, — en verſogt wort, daar
eenigen Tyd te blyven; na verloop van eenige
Tyd nodigt de Heer van dezen adelyk Slot de
ganſche naby zynde Edelieden op een groot Feeſt,
en veranderen 't Geſigt en Kleding van de vreem-
de Mamſel, ſo dat zy niet gekend konde [w]or[d]en,
wyl ook de Heer van dat Moord-Caſteel daar ver-
ſogt was.
Toen zy alle daar waren, moeſt een jeder
een Vertelſel verhalen, thoen de Reie aan de
Mamſel kwaam, vertelde zy bewußte Hiſtorie.
Waar by 't den zogenaanden Heer Graaf zo be-
nauwd om 't Hert wierd, dat er met Gewalt weg
wilde, maar de goede Heer van 't adelyk Huys
hadt intuſchen geſorgd, dat 't Geregt onſen fraye
Heer Graaf in Hegtenis nam, zyn Caſteel uyt
roeyde en zyn Goederen alle aan de Mamſel toe
eigende, welke naderhand met de Soon des Huy-
ſes, waar zy zo good in ontfangen was, trouwde,
en Jaaren lang leefde.
Zur Nelke. No. 76.
damit ſcheint verwandt die Redensart unter dem
Volk:
„Wenn mein Schatz ein Nelkenſtock waͤr,
ſetzt ich ihn vors Fenſter, daß ihn jedermann
ſah.“
Zum Drechsler. No. 77.
nur unvollſtaͤndig erhalten; ſchon daß das Maͤr-
chen von dem Drechsler abſpringt, dem auch wohl
das folgende ſelbſt begegnen koͤnnte, iſt unrecht.
[LI] Es ſchlaͤgt uͤbrigens in die alten Sagen von hoͤl-
zernen Flugpferden, Entfuͤhrungen ꝛc. ein.
Zu dem alten Großvater und dem Enkel.
No. 78.
So erzaͤhlt es Stilling in ſeinem Leben II, 8.
9. wie wir es gleichfalls oft gehoͤrt, ſonſt wird
auch geſagt, das Kind habe die Scherben von der
irdenen Schuͤſſel aufgeleſen und ſie fuͤr ſeinen Va-
ter aufheben wollen. Ein alter Meiſtergeſang
(No. 83. in dem Codex den Arnim beſitzt) enthaͤlt
die Fabel ganz abweichend, und giebt eine Chro-
nik als ſeine Quelle an: Ein alter Koͤnig hat ſei-
nem Sohn das Reich abgetreten, der ihn aber le-
benslang erhalten ſoll. Der Sohn verheirathet
ſich, und die junge Koͤnigin klagt uͤber das Hu-
ſten des Alten. Der Sohn laͤßt den Vater unter
die Stiege auf Stroh legen, wo er viele Jahre,
nicht beſſer als die Hunde, leben muß. Der En-
kel wird groß, bringt ſeinem Großvater alle Tage
Eſſen und Trinken, einmal friert dieſer und bittet
um eine Roßdecke. Der Enkel geht in den Stall,
nimmt eine gute Decke, und ſchneidet ſie in Un-
muth entzwei; der Vater fragt, warum er das
thue? „die eine Haͤlfte bring ich dem Großvater,
die andere heb ich auf, dich einmal damit zu be-
decken.“ (S. Wunderhorn II, 269.) Ein altfran-
zoͤſ. Fabliau (bei Meon 4, S. 479. 485.) weicht
davon nur wenig ab: der Sohn verſtoßt auf Antrieb
ſeiner Frau den alten Vater, der bittet um ein
Kleid, das ſchlaͤgt er ihm ab, dann um eine Pfer-
dedecke, weil das Herz ihm vor Froſt zittere. Der
Sohn heißt ſein Kind mit dem Alten in den Stall
gehen und ihm eine geben, der Enkel ſchneidet ſie
mitten entzwei, der Großvater verklagt ihn des-
halb, der Enkel vertheidigt ſich aber bei ſeinem
Vater, er muͤſſe die Haͤlfte fuͤr ihn aufheben, wenn
er ihn erſt aus dem Haus treibe. Da geht der
Sohn in ſich und nimmt den Großvater in allen
Ehren wieder zu ſich. In Paulis Scherz und
Ernſt. (Daniſch: Lyſtig Skiemt og Alvor S. 73.)
bittet der Großvater um ein neues Kleid, der
D 2
[LII] Sohn giebt ihm zwei Ehlen Zeug, das alte da-
mit zu flicken. Darauf kommt der Enkel weinend
und will auch ſo zwei Ehlen Zeug haben, der Va-
ter giebt ſie ihm und das Kind verſteckt ſie unter
eine Latte am Dach, und ſagt dann: es hebe ſie
da fuͤr ſeinen Vater auf, wenn er alt werde. Da
bedenkt ſich dieſer eines beſſern.
Zu dem Tode des Huͤhnchens. No. 80.
Etwas anders in den Kinderliedern S. 23—26.
(Wunderhorn III.) Mit dem Ende hat Aehnlich-
keit No. 18.
Von dem Schmid [und] dem Teufel
No. 81.
Dieſes treffliche Maͤrchen ſcheint eine weitver-
breitete Volksſage zu ſeyn. Gewoͤhnlich erzaͤhlt
man es von einem Schmid zu Juͤterbock und
ausgezeichnet gut dargeſtellt iſt es in dem Deutſch-
franzos, der ſtellenweiſe uͤberhaupt zu den leben-
digſten Erzeugniſſen der erſten Haͤlfte des 18. Jahr-
hund gehoͤrt, befindlich. (Leipz. Ausg. v. 1736. S.
110 — 30 Nuͤrnberger von 1772. S. 80 — 95.)
Der fromme Schmied von Juͤterbock trug einen
ſchwarz und weißen Rock und hatte eines Abends
einen heiligen Mann gern und freudig geherbergt,
der ihm vor der Abreiſe geſtattete drei Bitten zu
thun. Er bat 1. daß ſein Lieblingsſtuhl hinter den
Ofen die Kraft bekaͤme, jeden ungebetenen Gaſt
auf ſich feſtzuhalten, bis ihn der Schmied ſelbſt
loslaſſe. 2. daß ſein Apfelbaum im Garten die
daraufſteigenden gleicherweiſe nicht herunter laſſe.
5. daß aus ſeinem Kohlenſack keiner heraus kaͤme,
den er nicht ſelbſt befreite. — Nach einiger Zeit
kommt der Tod, geraͤth auf den Seſſel und muß
dem Schmied noch 10 Jahre Leben ſchenken, wenn
er herunter will; nach 10 Jahren kehrt er wieder,
ſteigt auf den Apfelbaum und der Schmied ruft
ſeine Geſellen, die mit Stangen den Tod jaͤmmer-
lich zerſchlagen; diesmal wird er nur unter der
Bedingung los, daß er den Schmied ewig leben
[LIII] laſſen will. Betruͤbt glieder- und lendenlahm zieht
der Tod ab, begegnet unterwegs dem Teufel und
klagt dem ſein Herzeleid, der ihn auslacht und
meint mit dem Schmied bald fertig zu werden.
Der Schmied verweigert aber dem Teufel Nacht-
lager wenig ens werde die Hausthuͤr nicht mehr
geoͤffnet, er muͤſſe denn zum Schluͤſſelloch einfahren.
Das iſt dem Teufel ein leichtes, allein der [Schmied]
hatte den Kohlenſack vorgehalten, bindet ihn als-
bald zu, wie der Teufel darin iſt, und laͤßt auf
dem Ambos wacker drauf zuſchmieden. Als ſie ſich
nach Herzensluſt auf ihm muͤde geklopft und ge-
haͤmmert, wird der bearbeitete arme Teufel zwar
wieder befreit, muß aber zu demſelben Loch hinaus
ſeinen Weg nehmen, wodurch er hereingeſchluͤft
war.
Aehnliche Sage geht vom Schmied zu
Apolda, (vergl Falk Groteſken 1806. S. 3 — 88.)
der unſern Herrn ſammt St. Petrus uͤber Nacht
bewirtet und drei Wuͤnſche frei erhaͤlt. Die Wuͤn-
ſche, die er thut, ſind: 1. daß dem, der in ſeiner
Naͤgeltaſche fahre, die Hand ſtecken bleibe, bis die
Taſche zerfalle. 2. daß wer auf ſeinen Apfelbaum
ſteige, darauf ſitzen muͤſſe, bis der Apfelbaum zer-
falle. 3. desgleichen wer ſich auf den Armſtuhl
ſetze, nicht eher aufſtehen koͤnne bis der Stuhl zer-
falle. Nach und nach erſchienen drei boͤſe Engel,
die den [Schmied] wegfuͤhren wollen und die er ſaͤmmt-
liche in die geſtellten Fallen lockt, ſo daß ſie von
ihm ablaſſen muͤßen. Endlich aber kommt der Tod
und zwingt ihn zum Mitgehen, doch erhaͤlt er die
Gunſt, daß ſein Hammer in den Sarg gelegt wird.
Als er ſich der Himmelsthuͤr naht, will ſie Petrus
nicht aufthun, da iſt der Schmied her, geht in die
Hoͤlle und ſchmiedet da einen Schluͤſſel, verſpricht
auch im Himmel mit allerlei Arbeit nuͤtzlich an
Hand zu gehen, St. Georgs Pferd zu beſchlagen
ꝛc. und wird zuletzt eingelaſſen. — Findet ſich nicht
auch eine aͤhnliche Fabel bei Hans Sachs?
Zu unſerem, aus muͤndlichen Erzaͤhlung gege-
benen Text ſtimmt im Ganzen am meiſten das ge-
druckte Volksbuch, betitelt: das bis an den juͤng-
ſten Tag waͤhrende Elend, das jedoch wie es
[LIV] ſcheint aus folgendem franzoͤſiſchen uͤberſetzt iſt;
histoire nouvelle et divertissement du bon
homme Misere. Troyes etc. Garnier. 3.
S. 8, wiederum aber deuten manche Umſtaͤnde
auf einen italieniſchen Urſprung des letzteren,
oder wenigſtens hat ſie de la Riviere in Italien
erzaͤhlen gehoͤrt Peter und Paul gerathen bei
ſchlimmem Wetter in ein Dorf, ſtoßen auf eine
Waͤſcherin, die dem Himmel dankt, daß der
Regen kein Wein, ſonder Waſſer ſey, klopfen bei
dem reichen Mann an, der ſie ſtolz abweiſt, und
kehren zu dem armen Elend ein. Dieſes thut nur
den einen Wunſch mit dem Birnbaum, den ihm
gerade ein Dieb beſtohlen hatte Der Dieb wird
gefangen und ſogar noch andere Leute, die aus
Neugierde aufſteigen um den Jammernden zu be-
freien. Endlich kommt der Tod und Elend bittet
ihn, daß er ihm ſeine Sichel leihe, um ſich noch
eine der ſchoͤnſten Birnen mit zu nehmen. Der Tod
will ſein Waffen nicht aus der Hand laſſen, als
ein guter Soldat und die Muͤhe ſelbſt uͤbernehmen
Elend befreit ihn nicht eher, bis er ihm zuſagt, er
wolle ihn bis zum juͤngſten Tag in Ruhe laſſen,
und darum wohnt Elend noch immer fort in der
Welt.
Damit ſtimmt wieder zum Theil der Schluß
einer andern muͤndlichen Erzaͤhlung, die ſonſt ganz
wie der Schmied von Apolda lautet. Als Elend
geſtorben iſt und vor den Himmel kommt, wird er
von St. Petrus nicht eingelaſſen, weil er ſich von
ihm nichts beſſeres ausgebeten hatte, nicht das
Himmelreich, wie er erwartet. Elend geht alſo
zur Hoͤlle, aber der Teufel will ihn auch nicht, weil
er ihn genarrt, da muß er wieder zuruͤck auf die
Welt und Elend iſt ſo lange darauf als ſie ſteht.
— Durch dieſen Schluß aber knuͤpft ſich das Maͤr-
chen an die Sage von den Landsknechten, [d]ie im
Himmel kein Unterkommen finden koͤnnen, und [wel]-
che Frei in der Gartengeſellſchaft No. 44. und
Kirchhof im Wendunmuth I. N[o.] 08. erzaͤhlen.
Die Teufel wollen ſie nicht, weil ſie das rothe
Kreuz in der Fahne fuͤhren, und der [Apoſtel] Pe-
trus laͤßt ſie auch nicht ein, weil ſie Bluthunde,
[LV] arme Leut Macher, und Gotteslaͤſterer waͤren. Der
Hauptmann wirft dem Petrus ſeine Verraͤtherei
an dem Herrn vor, daß dieſer ſchamroth wird und
ihnen ein Dorf Beit ein Weil (wart ein Weil.)
zwiſchen Himmel und Hoͤlle anweiſt, wo ſie ſitzen
ſpielen und zechen; mit welcher Sage dann wieder
viele Andere von dem St Petrus und den Lan[d]s-
knechten zuſammenhaͤngen. — Endlich iſt noch zu
bemerken, daß Coreb und Fabel in dem luſtigen
Teufel von Edmonton Tieck altengl. Theater II.)
offenbar die Perſonen unſeres Maͤrchens ſind.
Das Reiſen der wohlthaͤtigen Maͤnner durch
das Dorf, wo ſie von den Reichen verſchmaͤht,
von dem Armen aufgenommen werden, erinnert
an die Sage von Lot und den Engeln, von Phi-
lemon und aucis bis auf viele neuere Traditio-
nen, z. B. von einem Zwerglein, daß im Berner
Oberland im Unwetter bei einem Armen einkehrte
und ihn und ſeine Huͤtte vor dem nahen Untergang
des Dorfs rettete. — Wegen der Intrigue vom
Groß- und Kleinmachen vergleiche man das Maͤr-
chen vom Blaubart.
Zu den drei Schweſtern. No. 82.
Dieſes Maͤrchen wird oft gehoͤrt, aber allezeit
ſtimmt es der Sache nach mit der auch zum Volks-
buch gewordenen Erzaͤhlung des Muſaͤus, ſo daß
man es auch hier ſo finden wird. Er ſcheint nur
die ihm eigenthuͤmliche etwas breite Manier und
die Epiſode von dem Zauberer Zornebock ferner
die Namen hinzugethan zu haben, Reinald, das
Wunderkind ausgenommen, welches der volksmaͤ-
ßige ſcheint, da in den drei daͤniſchen Liedern von
Rohm[er] dem Meermann (Kaͤmpe-Viſer S 52 —
160[. U]eberſetzung 201 — 206. die einen Theil des
Maͤrchens enthalten der Bruder einmal Roland
heißt, und beide Namen aͤußerliche Aehnlichkeit haben.
Auch ſonſt iſt aus Muſaͤus beibehalten was noch
[volksmaͤßig] ſchien. Li tre' rri anemale im Pen-
tamerone (IV. 3.) gehoͤrt hierher.
[LVI]
Zu der Schwiegermutter. No. 83.
Stimmt uͤberein mit einem Theil von Perraults
la belle au boy dormant. — In Pentamerone V. 5.
(sole, luna e talia) laͤſt eine eiferſichtige Frau ge-
rade ſo den Koch rufen, um ihre Nebenbuhlerin,
ſammt ihren Kindern zu kochen Der Eingang aber
iſt hier wie in Dornroͤschen von der gefaͤhrlichen
Spindel, und beſonders ſchoͤn und neu der Ue-
bergang beider Geſchichten in einander.
Zu dem armen Maͤdchen. No. 84.
Nach dunkeler Erinnerung aufgeſchrieben, moͤg-
te es jemand ergaͤnzen und berichtigen. Jean Paul
gedenkt ſeiner, unſichtb Loge I, 214. Auch Arnim
hat es in den Erzaͤhlungen S. 231. 232. benutzt.
Zu den Fragmenten. No. 85.
- a) Ein franzoͤſ. Volksmaͤrchen, perceneige, (Fruͤh-
lingsblume, Schneegloͤcklein, Primel) neulich in
ein Gedicht: Thibaut ou la [naissance] du com-
te de champagne. Paris 1811. pag. 97. 98. ver-
flochten. - b) Erinnert an eine Variante zu Droßelbart. Das
Ganze vollſtaͤndig im Pentamerone I, 5. la polece. - c) Dieſes Maͤrchen erinnert ſich Karl Graß in ſei-
ner Kindheit in Liefland von einer deutſchen
Amme, die Marie hieß, erzaͤhlen gehoͤrt zu ha-
ben. Er hat daraus ein Gedicht in 12 Geſaͤn-
gen gemacht, welches ſchwerlich dem Maͤrchen
beikommen wird S. Erheiterungen 1812. Stuͤck
5, 391—393. - d) In der 1001. N. von der kupfernen Lampe, die
auch aus Dummheit gegen eine neue gegeben
wird. Einigermaßen verwandt iſt auch das Fa-
bliau vom Sperber, den die Tochter kauft, waͤh-
rend die Mutter zur Kirche iſt.
Fuchs und Gaͤnſe. No. 86.
ein Vexiermaͤrchen, das man auch zuweilen erzaͤh-
len hoͤrt, ſtatt des gewoͤhnlicheren vom Schaͤfer,
der
[LVII] der viel hundert Schafe uͤber einen breiten Fluß
ſetzen will, in einem kleinen Nachen, worin jedes-
mal nur ein einziges Platz hat. Dieſes hat be-
kanntlich in dem Don Quixote I cap. 20. Cervan-
tes vortrefflich angebracht, und Avellaneda in ſei-
ner Fortſetzung cap. 21. es durch ein aͤhnliches von
Gaͤnſen, die uͤber eine ſchmale Bruͤcke gehen uͤber-
bieten wollen. An ſich iſt es viel aͤlter, die no-
velle antiche n. XXX. erzaͤhlen es ſchon und noch
fruͤher das altfranzoͤſ. [cartoiment] (fabliaux ed.
Meon. II, 89—91.) — eine aͤhnliche Idee liegt
dem demadiſchen Redner Aeſops zu Grund. (Furia
54. Coray 178.)
Einiges aus dem Kinderglauben.
1) Wenn ein Bruͤderchen oder Schweſterchen
geboren wird, und die Kinder fragen, woher es ge-
kommen ſey? ſo ſagt man ihnen: aus dem Brun-
nen, da hole man ſie heraus. Gewoͤhnlich iſt
aber an dem Ort ein gewiſſer Brunnen, auf den
man verweiſt, und wenn ſie hineingukken, ſehen
ſie ihre eignen Koͤpfe unten im Waſſer und glau-
ben deſto mehr daran.
Oder man ſagt: ein Engel bringe ſie, und
der habe zugleich das Zuckerwerk mitgebracht, das
ihnen bei der Kindtaufe oder vorher gegeben wird;
gewoͤhnlich ſind es bunte Zuckererbſen Oder: der
Storch fiſche die Kinder im Waſſer und bringe
ſie in ſeinem rothen Schnabel getragen, darum
wird er angeſungen:
Oder auch niederdeutſch:
Ebeer, Langbeen
wenneer wult dn to Lande teen ꝛc.
Der Name des Storchs Adebar, bedeutet ver-
muthlich Kindtraͤger, von baren, tragen und an-
dere erklaͤren Oudevar durch: alter Vater. Un-
Kindermärchen. E
[LVIII] ter den Nuͤrnberger Spielwaaren iſt der Storch
mit dem Wickelkind im Schnabel ſehr haͤufig.
Bronner erzaͤhlt in ſ. Leben Zuͤrch 1795. I,
23. 24.) „da fragte ich meinen Vater einſt bei
Tiſche: wo iſt denn unſer Bruͤderlein hergekom-
men? die Hebamme ſaß auch dabei. Dieſe Frau
da, ſagte er, hat es aus dem Krautgarten herein-
gebracht, du kannſt noch heute den hohlen Baum
ſehen, aus dem die kleinen Kinder immer heraus-
ſchauen, die man denn abholen laͤßt, ſobald man
ihrer verlangt, u. ſ. w. Es war eine hohle Wei-
de an einem Teich, Bronner ſchaute hinein und
ſah den Knaben im Waſſer, ſein Vater hieß ihn
rufen: Buben, wo ſeid ihr? und er zweifelte nicht
mehr. In einem Kinderlied:
die andere geht ans Bruͤnnchen
und findt ein goldnes Kindchen.
2) Wenn man Papier verbrennt, giebt man
Acht, wie die Funken auf dem ſchwarzen herumge-
hen und nach und nach verſchwinden, beſonders
auf den allerletzten. Man ſagt: das ſeyen die
Leute die aus der Kirche gingen, und der letz-
te ſey der Gloͤckner, (Kuͤſter der die Thuͤre zu-
ſchließe. Franzoͤſ. que l'est l'abbesse, qui fait
coucher les nonnains.
3) Wenn die Kinder Abends vor Muͤdigkeit mit
den Augen blinzen und gleichwohl noch gern wach
blieben, aber nicht koͤnnen, heißt es: das Sand-
maͤnnchen kommt! Baieriſch: Pechmaͤnnchen
(Schmidt weſterwald. Id) Schuͤtze (im holſtein.
Id. 4, p. 3. 4) meint es ſey aus Saͤmaͤnnchen ent-
ſtellt, wie Sandſaier, aus Saatſaier; „de Saat-
ſaier kumt,“ wenn einer ſchlaͤfert, und ſtill iſt, wie
im ſtillen Wetter geſaͤt wird. Offenbar gezwun-
gen. Nach der griech. Mythe ſprengt der Schlaf
Lethewaſſer in die Augen (wie dort Sand),
und weht mit ſeinen Fluͤgeln, bis man entſchlaͤft.
Bei Zeus ſetzt er ſich auf die hoͤchſte Tanne des
Ida in das ſtachelvolle Gezweig.
4) Friſches Brod aus neuem Korn heißt Haa-
ſenbrod, und der Haaſe hat es im Wald gebak-
ken. Wenn auf den Bergen Nebel liegt, ſo iſt es
der Rauch aus ſeiner Kuͤche: „der Haas kocht.“
[LIX]
5) Faͤllt Schnee, ſo ſind es Federn aus dem
großen Bett, das dem lieben Gott aufgegangen iſt;
oder Frau Holle macht ihr Bett. Hierzu gehoͤrt
eine merkwuͤrdige Stelle Herodots (Melpom. c. 7.
und 31.) wonach bereits die alten Skythen den
ſchneienden Himmel voller Federn glaubten.
Vom wehenden Schneien in großen Flocken:
„Muͤller und Becker ſchlagen ſich einander.“ (J.
Pauls Fixlein p. 94.) Der Schnee iſt Mehl. Hier
wird vielleicht eine Stelle Rumelands (alt Meiſters-
geſangbuch CCCXXII.) klar:
ſwan ſo der ſne gevallen iſt, ſo hor ich dat
vil dicke
man ſprichet: gib den wynden brot, er
hat geſnyget!
ſwer ſyne guten wynde laz in hungernot
verderben den ſumer lanc,
der mac des winters in dem ſne vil lutzel mite
ir (? in) erwerben, ir macht iſt krank.
ſoll hier der fallende Schnee das Mehl bedeuten,
woraus man den hungrigen Winden Brod backen
ſolle? Daß die Winde hungrig, vielfreſſend ſind,
erhellt aus der nordiſchen Mythe, Vafthrudnismal
37; der Wind heißt Hraͤſvelgr, cadaverum hel-
luo (ſvelgia, ſchwelgen, ſvelta, hungern) oder viel-
mehr: er kommt aus den Adlerfluͤgeln des
Hraͤſvelgr. Er iſt alſo ein Vogel und dies beſtaͤ-
tigt der latein. Name aquilo, der nach Festus
a vehementissimo volatu ad instar aquilae be
nannt wird, im Grund aber der Adler ſelbſt iſt,
denn wie dieſer der Voͤgel Koͤnig, ſo iſt aquilo
der Winde Koͤnig. Beſondere Erlaͤuterung gewaͤhrt
aber, was Praͤtorius in ſ. Weltbeſchreibung 1, 429
berichtet: „zu Bamberg in Franken zur Zeit eines
ſtarken Windes hat ein alt Weib ihren Mehl-
ſack in die Hand gefaßt, und denſelben aus dem
[Fenſter] in die freie Luft nebenſt dieſen Woͤrtern
ausgeſchuͤttet:
ſie wollte hiermit den Hunger des Windes
ſtillen, da ſie glaubte derſelbige wuͤthe darum,
wie ein fraͤßiger Loͤwe, oder ein grimmiger Wolf.“
[LX] In der Rockenphiloſophie p. 265. „wenn der Wind
ſehr wehet, ſo kann man ſolchen ſtillen, wenn man
einen Mehlſack ausſtaubet und darzu ſpricht:
Fiſchart, im 14. Capitel, von der Jugend des
Gargantua fuͤhrt folgendes an: die Wolken ſind
Wolle oder Blumendolder (wie man eine gewiſſe
Art weißer Wolken Laͤmmerchen nennt), das Ge-
woͤlk Spinnweb oder Schynhut (?, der Schnee
Mehl (ſo der Mehlthau, die Schloſen Zucker-
erbſen, die Waſſerblaſen Laternen, (Rabelais
IV 5. laͤßt den Hagel aus einem Land Lanternois
kommen, man ſchoͤpfe die Kinder aus dem Brun-
nen; es all noch eins vom Himmel; der Storch
bringe rothe Schuh mit; wann die Wolken fallen,
koͤnne man alle Lerchen ſehen; wann den Kindern
hungert: die Froͤſche murrten in ihrem Bauch
(stomachus latrat). (Nach Schuͤtze pflegt man
auch zu ſagen: Jung iß, ſonſt kommt der Hund
und frißt dir deinen Magen weg.)
[LXI]
Den vorhergehenden Anmerkungen iſt Folgendes
gehoͤrigen Orts einzuſchalten.
- Num. 2. (Katz und Maus.) wird auch vom Fuchs
und Hahn erzaͤhlt, die einen Honigtopf finden.
Die Kinder haben bedeutende Namen: Rand-
aus, Halbaus, Ganzaus. - Num. 3. (Marienkind.) Auch im Pentamerone
ſchließt Marchetta die verbotne Kammer der Orca
auf und wird darum von ihr ausgeſtoßen. - Num. 6. (Nachtigall und Blindſchleiche) ſi haut!
ſi haut! ahmt den Nachtigallgeſang nach, wie zi-
kuͤth! zikuͤth! im Maͤrchen von Joringel. S. 329. - Num. 12. (Rapunzel.) Das Einſchließen der Jung-
frau in den Thurm, kommt in viel alten Liedern
vor, z. B. Hildburg und Hug, Dieterich, Bryn-
hild und iſt daher nicht gerade fuͤr ein Gefaͤngniß
zu nehmen. - Num. 13. (die drei Maͤnnlein.) Auch im Daͤniſchen
Lied kommt die Mutter aus dem Grab ihr Kind
zu traͤnken und zu pflegen. (Ueberſetzung S. 148.
149.) Vgl. auch Nr. 1 [...]. S. 37. - Num. 14. (vom Flachsſpinnen. Praͤtor im Gluͤcks-
topf 404 — 406. erzaͤhlt das Maͤrchen auf folgende
Weiſe. Eine Mutter kann ihre Tochter nicht zum
Spinnen bringen und gibt ihr darum oft Schlaͤ-
ge; ein Mann der das einmal mit anſieht, fragt,
was das bedeuten ſolle. Die Mutter antwortet:
„ach, ich kann ſie nicht vom Spinnen bringen,
ſie verſpinnt mehr Flachs, als ich ſchaffen kann.“
Der Mann ſagt: „ei, ſo gebt ſie mir zum Weib,
ich will mit ihrem unverdroſſenen Fleiß zufrieden
ſeyn, wenn ſie auch ſonſt nichts mitbringt.“ Die
Mutter wars von Herzen gern zufrieden und der
Braͤutigam bringt der Braut gleich einen großen
Vorrath Flachs, davor erſchrickt ſie innerlich,
nimmts indeſſen an und legts in ihre Kammer
und ſinnt nach, was ſie anfangen ſoll. Da kom-
men drei Weiber vors Fenſter: eine ſo breit vom
Sitzen, daß ſie nicht zur Stubenthuͤre herein kann,
die zweite mit einer ungeheuern Naſe, die dritte
mit einem breiten Daumen, die bieten ihre Dien-
ſte an und verſprechen das aufgegebene zu ſpin-
Kindermärchen. F
[LXII] nen, wenn die Braut am Hochzeittage ſich ihrer
nicht ſchaͤmen, ſie fuͤr Baſen ausgeben und an
ihren Tiſch ſetzen wolle. Sie willigt ein, ſie
ſpinnen den Flachs weg, woruͤber der Braͤutigam
die Braut lobt. Als nun der Hochzeittag kommt,
ſo ſtellen ſich die drei abſcheulichen Jungfern auch
ein; die Braut thut ihnen Ehre an und nennt ſie
Baſen. Der Braͤutigam verwundert ſich und fragt,
wie ſie zu ſo garſtiger Freundſchaft komme, „ach,
ſagt die Braut, durchs Spinnen ſind alle drei ſo
zugerichtet worden, die eine iſt unten ſo breit vom
Sitzen, die zweite hat ſich den Mund ganz abge-
leckt, darum ſteht ihr die Naſe ſo heraus und die
dritte hat mit dem Daumen den Faden ſo viel ge-
dreht.“ Darauf iſt der Braͤutigam betruͤbt wor-
den und hat zur Braut geſagt, ſie ſollt nun ihr
Lebtage keinen Faden mehr ſpinnen, damit ſie kein
ſolches Ungethuͤm wuͤrde. — Eine muͤndliche Erzaͤh-
lung aus dem Corveiſchen ſtimmt im Ganzen da-
mit, nur ſind es zwei ſteinalte Frauen, welche drei
Kammern voll Flachs ſpinnen, die eine dreht das
Rad, die andere klopft blos mit dem Finger auf
den Tiſch, und ſo oft ſie klopft, faͤllt ein Strang
Garn fertig zur Erde. - Num. 15. (Haͤnſel und Gretel.) Vgl. den Eingang
von nennillo e nennella im Pentamerone. Man
hat dies ſchoͤne Maͤrchen auch ſo, daß ſtatt der
Alten ein Wolf im Zuckerhaͤuschen ſitzt und noch
mehr Reime dabei vorkommen. - Num. 16. (Fix und Fertig.) In den Ammen-Maͤr-
chen (Weimar 1791. 1792. 2. Bde.) ſteht ein aͤhn-
liches, aber wie alle in dieſer Sammlung nicht
rein aufgefaßtes Maͤrchen, worin jedoch einige gute
Umſtaͤnde ſind) Unterwegs ſieht er zwei Tauben,
eine weiß, die andere ſchwarz, ſich beißen, die
jagt er von einander. Als ihm nachher aufgegeben
wird, einen Kranz aus dem Himmel und einen
Brand aus der Hoͤlle zu ſchoffen, fliegen die Tau-
ben, die weiße jenen, die ſchwarze dieſen zu ho-
len. — Ameiſen, die er mit Brot gefuͤttert,
leſen ihm dankbar neun Malter neunerlei Getrai-
de in einer Nacht aus einander und kommen aus
allen Diehlenritzen hervor. - Num. 18. (Strohhalm, Kohle und Bohne) die nu-
gae venales von 1648. ſ. l. in 12. enthalten auch
crepundia poetica, daſelbſt p. 32. 33. unſer Maͤr-
chen kurz:Pruna, faba et ſtramen rivum tranſire laborant,
ſeque ideo in ripis ſtramen utrimque locat.Sic quafi per pontem faba tranfit, pruna ſed urit
ſtramen et in medias praecipitatur aquas.Hoc cernens nimio riſu faba rumpitur ima
parte ſui; hancque quaſi tacta pudore tegit.
In einem lat. Gedicht des Mittelalters (Handſchr.
zu Strasburg) kommt die Fabel von der reiſen-
den Maus und Kohle mit der Wendung vor, daß
beide ihre Suͤnden zu beichten in die Kirche wall-
fahrten, beim Uebergang faͤllt die Kohle in ein
Baͤchlein ziſcht und erliſcht. Vgl auch die aͤſop.
Fabel vom Dornſtrauch, Taucher und der Fleder-
maus (Furia 124. Coray 42.) - Num. 19. (Von dem Fiſcher.) In Kerners poet. Al-
manach fuͤr 1812. ſteht dies Maͤrchen unter dem
Titel: Hans Entendee, doch viel duͤrftiger. - Num. 20. (der tapfere Schneider.) Fiſcharts Gar-
gantua 254b. — „ich will euch toͤdten, wie die
Muͤcken neun auf einen Streich wie jener
Schneider.“ Simpliciſſimus B. 2. Cap. 28. und
den Titul eines Schneiders, ſieben auf einen
Streich uͤberſtiegen hatte. - Num. 21. (Aſchenputtel.) Kaiſerspergs Eſchengruͤn-
del enthaͤlt nichts fuͤr die Fabel, außer daß man
ſieht, das Wort ſey daher entlehnt und zwar iſt
es auch deutlich ein verachteter Kuͤchenknecht
(im Holzſchnitt dabei aber eine Kuͤchen magd).
Rollenhagen ſpricht gleichfalls von drei Bruͤ-
dern, nicht Schweſtern. — Es iſt ein alter Zug,
daß die Tauben (reine Thiere) rein leſen.
Schon in einem altdeutſchen Gedicht ſteht gleich-
nißweiſe: „mit linden ſpruͤchen ſuͤzen, als es di
turteltube habe erleſen.“ In Pauli's Schimpf
und Ernſt ed. 1535. fol. Cap. 315. f. 60a. eine Er-
zaͤhlung von einer Frau, die hinten in der Kirche
auf ihren Knien lag, betete und weinte vor An-
dacht, da ſah der Biſchoff wie „eine Taube kam
F 2
[LXIV] und las dieſelben Thraͤnen auf und flog darnach
hinweg.“ - Num. 22. (Kinderſchlachtſpiel.) Kinder lockt die
Rundheit und lachende Roͤthe der Aepfel vor allen
Dingen. Man vgl. das ſchott. Lied von der Ju-
dentochter; auch Fuͤrterer im Lanzilet Nr. 49.
„als kinden tut gezemen, den man peut ein
Apfel rot, laſſen das gold in aus den henden
nemen.“ Und im Schwank vom Haͤſelin 54. 55.
„ein kint den Apfel minnet und neme ein ei fuͤr
des riches lant.“ Alſo verſucht der Apfel im Pa-
radis die erſten Menſchenkinder. — Den latein.
Vers geben die nugae venales p. 97. ſo:hircus cum pueris, puer unus, ſponſa, ma-
ritus, etc. - Num. 32. (der geſcheidte Hans.) Vgl. Hans Sach-
ſens Schwank vom Kaͤlberbruͤten. - Num. 35. (Sperling und ſeine Kinder.) Steht ſchon
fruͤher im Froſchmeuſeler Magdeb. 1595. A a V. —
B b 1. - Num. 39. III. (Wichtelmaͤnner) zu dem Vers:
„old as de Bemer Wold“ von ſehr alten
Dingen. Daͤhnert plattd. Woͤrterbuch S. 556.
„Bremer Woold“ hat Schuͤtze im holſt. Idiot.
III. 173. 373. - Num. 44. (Gevatter Tod.) Erweis vom Alter der
Sage kann ſchon allein geben, daß ſie Jacob
Ayrer in einem Faßnachtsſpiel (dem 6ten im opus
theatr.) vom „Baur mit ſeim Gevatter Tod“ be-
arbeitet hat. Erſt bietet ſich Jeſus dem Kind-
taufvater an, der ihn aber verwirft, weil er ei-
nen reich, den andern arm mache. Drauf naht
ſich der Teufel, den er gleichfalls ausſchlaͤgt,
weil er vor dem Namen des Herrn und des
heiligen Kreuzes weglaufe, (gerade wie der h.
Chriſtoph, als er ſich einen Herrn ſucht) der Teu-
fel ſchickt ihm zuletzt den Tod auf den Hals,
der alle Leute gleich behandelt, Gevatter ſteht und
verſpricht ihn zum Arzt zu machen, als woraus
ihm uͤberreicher Lohn entſpringen werde:bey allen Kranken finſt du michund mich ſieht man nicht bey ihn ſeyn,dann du ſollſt mich ſehen allein;[LXV]wenn ich ſteh bey des Kranken Fuͤßenſo wird derſelbig ſterben muͤſſen,alsdann ſo nim dich ſein nicht an,ſichſtu mich aber beym Kopfen ſtahn ꝛc.
zum Schein der Arzenei ſolle er nur zwei ſchlechte
Aepfelkern in Brot geſteckt eingeben. Dem Bauer
gelingts damit, aber zuletzt holt der Tod ſeinen
Gevatter ſelbſt.
Dieſelbe Fabel, jedoch mit eigenthuͤmlichen Ab-
weichungen (worunter die beſte, daß nicht der
Vater, ſondern das neugeborene Kind ſelbſt die
Doctorgabe empfaͤngt), erzaͤhlt Praͤtorius im
Gluͤckstopf 1669. S. 147 — 149.
Aus heutiger Volksſage aufgenommen aber
weitlaͤuftig behandelt, ſteht ſie in G. Schillings
neuen Abendgenoſſen III. 145 — 286. Wie bei
Ayrer iſt nicht der Pathe, ſondern der Vater ſelbſt
Doctor. Merkwuͤrdig iſt der gewiß echte Schluß:
der uͤberliſtete Tod, um ſich zu raͤchen, fuͤhrt den
Gevattersmann in die Lichterhoͤhle, fuͤr Kinder
brennen große, fuͤr Eheleute halbe, fuͤr Greiſe
kleine. Des Gevatters eignes Lebenslicht iſt nur
ein kleines Endchen noch; da bittet er den Tod,
ein neues anzuzuͤnden, welches aber nicht geht,
da eins erloͤſchen muß, eh ein neues anbrennt;
alſo bittet er, unten anzuſetzen, damit es gleich
fortbrennen koͤnne. Der Tod thut, als willigte
er ein, langt ein großes friſches Licht, verſieht
es aber abſichtlich beim Unterſtecken, daß das
Stuͤckchen umfaͤllt und liſcht. Damit faͤllt der
Gevatter hin und iſt todt. (Dieſe Lichter, woran
das Leben gebunden wird, erinnern an den Nor-
nengaſt und die noch gangbare Redensart vom
„Ausblaſen des Lichts, der Lebenskerze“ fuͤr: um-
bringen.)
Alles in dieſem Maͤrchen weiſt auf ſehr tieflie-
gende Ideen hin. Der Tod und der Teufel
ſind die boͤſen Gottheiten und beide nur eine, wie
die Hoͤlle die Unterwelt und das Todtenreich, da-
her im Maͤrchen vom Schmiedt auch beide nach
einander auftreten. Aber der boͤſe heißt wie der
gute Gott, Vater und Tatta. Der Gevatter
nicht blos Vater, ſondern auch Pathe, Goth
[LXVI] und Dod oder Tot (das getaufte Kind eben ſo:
Pathe und Gothel, daher die Verwechſelung bei-
der in unſerer Sage folgerecht. Altd. Waͤlder I.
104) und auf dieſer Grundlage des Glaubens und
der Sprache wachſen die lebendigen Bilder der Fa-
bel auf; ſo verhaͤlt es ſich faſt immer damit, ſcheint
aber ſelten ſo durch. - Num. 45. (Schneider Daumerling.) Dies Maͤrchen
wird auch in der tabartſchen Sammlung (neuſte
Ausg. Lond. 1809. T. III. 37 — 52.) erzaͤhlt:
the life and adventures of Tom Thumb Ein
Schneiderskind iſt er hier nicht, ſondern bloßer
Daͤumerling und wiewohl ſonſt vieles uͤberein-
ſtimmt, hat doch auch die engliſche Sage ſchoͤne
Eigenthuͤmlichkeiten, z. B. S. 41. als die Mutter
die Kuh melkt und gerade ein windiger Tag iſt,
damit er ihr dieweil nicht fortgeweht werde, bindet
ſie ihn mit einem Zwirnsfaden an eine Diſtel,
welche hernach die Kuh frißt und ſo manches an-
dere. Was fuͤr die Geſchichte der Mythen noch
merkwuͤrdiger iſt, ſo ſcheint dieſer Tom Thumb mit
andern engliſchen und ſchottiſchen Sagen von Tam-
lane, Tomlin und ſelbſt Thomas dem mythiſchen
Dichter in Verbindung zu ſtehen. - Num. 47. (der Machandel-Boom.) Daß dies Maͤr-
chen auch in Schottland herumgeht, zeigt folgender
Reim, den Leyden aus einem nurſery tale aufbe-
wahrt: the ſpirit of a child in the form of a
bird whiſtle the following verse to its father:
„pew wew, pew wew, (pipi, wiwi,)
my minny me ſlew.“ - Num. 51. (Jundevogel.) Ein aͤhnliches Aufſuchen
der Fluͤchtigen iſt in Rolf Krake's Sage. Cap. 2. - Num. 52. (Koͤnig Droſſelbart.) Broſelbart und Dro-
ſelbart liegen ſich zwar zur Verwechſelung nah,
denn bei Ulfilas heißt ein Broſen: draus, man
darf aber den Namen ebenwohl von Droſſel, Druͤſ-
ſel, Ruͤſſel, Maul, Naſe oder Schnabel herleiten
und die Abweichung des Maͤrchens ſelber ſchickt ſich
zu beiden. - Num. 53. (Sneewittchen.) Vgl. Muſaͤus Richildis,
[LXVII] der den Reim etwas anders hat. Ueber das Ganze,
beſonders das Sitzen bei der immer friſch ausſe-
henden Leiche, Haralds haͤrf. Sage. Cap. 25. - Num. 55 (Rumpelſtilzchen.) Eine andere Erzaͤh-
lung leitet ſo ein: die Frau geht vor einem Gar-
ten vorbei, worin ſchoͤne Kirſchen haͤngen, be-
kommt ein Geluͤſten, ſteigt ein und ißt davon;
aber ein ſchwarzer Mann kommt aus der Erde und
ſie muß ihm fuͤr den Raub ihr Kind verſprechen.
Als es geboren iſt, dringt er durch alle Wachen,
die der Mann ausgeſtellt hat und will der Frau
nur dann das Kind laſſen, wenn ſie ſeinen Namen
weiß. Nun geht der Mann nach, ſieht, wie er in
eine Hoͤhle ſteigt, die von allen Seiten mit Koch-
loͤffeln behangen iſt und hoͤrt wie er ſich Fleder
Flitz nennt. — Unſer Maͤrchen iſt auch das fran-
zoͤſiſche Ricdinricdon in der Tour tenebreuſe der
Mlle L'heretier, wonach eine daͤniſche gedruckte
Bearbeitung: en ſmuk Hiſtorie om Roſanie …
tjent ved Fandens Hielp for Spindepige. (Iris
1795. Juny. 244 — 46.) — Das Spinnen des
Golds kann auch die ſchwere, kummervolle Arbeit
Golddraht zu verfertigen andeuten, welche armen
Jungfrauen uͤberlaſſen blieb, ſo heißt es im alt-
daͤn. Lied Kaͤmpe Viſer S. 165. V. 24.
Nu er min Sorg ſaa mangefold,
ſom Jongfruer, de ſpinde Guld.
Vgl. Wolfdieterich 89. und Iwein 6165. ff. - Num. 60 (Goldei.) Bey dem Herz, das die bei-
den unverſehens eſſen, iſt an Loki zu erinnern,
der das halbverbrannte (Hyndluliod 37.) und an
den Fuchs der aͤſopiſchen Fabel, (Furia 356. Coray
358.) der das von ohngefaͤhr herausfallende Herz
der Huͤndin verzehrt. Der Loͤwe fragt wie der
Goldſchmidt darnach, allein der Fuchs gibt ihm
hier eine moraliſch witzige, ſtatt der mythiſchen
Antwort. Vermuthlich gehoͤrt eben darum auch
die Fabel vom Koch und Hund hierher (Furia
227.). - Num. 62. (Blaubart.) Die Geſta Romanor. ent-
halten eine Erzaͤhlung, wo einer Mutter vier Trop-
[LXVIII] fen Blut ihres unſchuldigen, von ihr gemordeten
Kindes auf die Hand fallen, welche nicht fortzu-
bringen ſind, ſo daß ſie beſtaͤndig einen Handſchuh
traͤgt. - Num. 64. I. (Weiße Taube.) Das gedruckte daͤni-
ſche Maͤrchen: Hiſtorie om trende Broͤdre, iblandt
hvilke den yngſte efter han havde af ſine to broͤ-
dre lidt ſtor foragt … omſider blev en Fyrſte
u. ſ. w. ſcheint in dieſen Kreis zu gehoͤren. Nye-
rup (Iris, Juny 1795. S. 281.) Der es zu ſchnell
verurtheilte, hat ſich nur kurz daruͤber ausgelaſſen. - Num 64. III. (Die drei Federn.) Ueber das Feder-
aufblaſen denen man nachgebt. Vgl. Altd. Waͤlder
I. 91. Und Aventin bair. Chronik S. 98b. „Es
iſt auch ſonſt ein gemein Spruͤchwort vorhanden,
das gemeiniglich diejenigen brauchen, ſo fremde
Land bauen wollen oder ſollen: „ich will ein
Feder aufblaſen, wo dieſelbig hinaus
fleugt, will ich nachfahren.“ — S. auch
Voͤlnndurs Lied, wo der eine Bruder nach Oſten,
der zweite nach Suͤden auszieht, der dritte aber
daheim bleibt. - Num. 64. IV. (Goldne Gans.) Vgl. juͤngere Edda
Daͤmiſ. 51. - Num. 66. (Hurleburlebutz.) Wie die Soͤhne damit
erprobt werden, ob ſie ein Stuͤck Kuchen mitthei-
len, ſo erhaͤlt Engelhart (im Roman des Conrad
von Wuͤrzburg ſ. Eſchenburgs Denkmaͤlev S. 44.)
von ſeinem Vater auf die Reiſe drei Aepfel, wer
ihm begegne, dem ſolle er einen reichen; verzehre
ihn der Fremde ganz, ohne ihm einen Theil davon
zu geben, ſolle er ihn meiden, gaͤbe er aber
etwas, ſolle er ſeine Freundſchaft annehmen. Auch
der dritte zeigt ſich erſt gut. - Num. 71. (Maͤuſehaut.) wie der Vater hier, ſo
fragt Koͤnig Lear ſeine Toͤchter. - Num. 72. (das Birnli) S. Fiſcharts Spielverzeich-
niß im Gargantua. Nr. 398. - Num. 78. (der Großvater.) Vgl. Walter von der
Vogelweide I. 129a.
[IXIX[LXIX]]die jungen ſpotent alſe dar der alten:
„beitent unz uͤwer jugent zerge,
ſwaz ir nu tunt, daz rechent uͤwer
jungen.“ - Num. 80. (Tod des Huͤhnchens.) Nach einer bai-
riſchen Erzaͤhlung: das Haͤhnl lauft zum Brunnl,
ſagt: „ach Brunnl, gib mir ein Waͤſſerl, daß
mein Haͤhnl nicht erſtickt.“ Waͤſſerl ſagt: „geb
dir kein Brunnel, bis du zum Lindl gehſt und
bringſt mir ein Blaͤttl.“ Das Lindl ſagt: geb dir
kein Blaͤttl, bis du zum Braͤutl gehſt und bringſt
mir ein Baͤndl.“ Braͤutl ſagt: „geb dir kein Baͤn-
del, bis du zum Saͤul gehſt und bringſt mir ein
Buͤrſtel.“ Saͤul ſagt: „geb dir kein Buͤrſtl, bis
du zum Muͤller gehſt und bringſt mir ein Kleil.“
Muͤller ſagt: „geb dir kein Kleil, bis du zum
Baͤurl gehſt und bringſt mir ein Knoͤdel (Klos).“
Da gibt der Bauer ein Knoͤdel, nun befriedigt es
alle, kommt aber mit dem Waſſer zu ſpaͤt und
weint ſich todt auf dem Grab. — Ueber Hahnen-
berg und Hahnenſumpf hat man eine daͤni-
ſche Volksſage. Antiquariſke Annaler I. 331. - Num. 81. (Schmidt und Teufel.) Sobald man ſich
unter dem Schmidt mit ſeinem Hammer den Thor,
unter dem Tod und Teufel einen plumpen Rieſen
denkt, gewinnt das Ganze eine wohlgegruͤndete
alt nordiſche Anſicht. - Num. 82. (Die drei Schweſtern.) Die Aehnlichkeit
des Lieds von Roſmer (S. LV. ſteht durch Druck-
fehler Rohmer) wird durch eine Stelle in Jamie-
son's popular ballads Edinb. 1806. 1. 217. be-
ſtaͤrkt: „It may be observed, that there is a ſtri-
king resemblance between the ſtory of Rosmer
Hafmand and the romance of child Row-
land (not yet entirely lost in Scotland) which
is quoted by Mad Tom in Shakespeare:Child Rowland to the dark tower came —(the fairy comes in)with, fi, fi, fo and ſum!I ſmell the blood of a british man!be he dead, be he living, wi' my brand,I'll dash his harns frae his harn-pan
[LXX]the british ſtory is much finer in every respect
than the danish etc. etc. —
Wie hier der Adler. ſo reicht im Schahnameh
der Rieſenvogel Simurg dem Knaben Sal aus ſei-
nem Gefieder eine Feder; wenn er in Noth ſey, ſolle
er ſie ins Feuer werfen (auch das Reiben im Maͤr-
chen ſoll ſie entzuͤnden) und auf der Stelle werde
er ihm durch die Wolken zu Huͤlfe geflogen kom-
men. (Fundgruben des Or. III. 63.) - Num. 86. (Fuchs und Gaͤnſe.) Spruͤchwort: wenn
der Wolf die Gaͤnſe beten lehrt, frißt er ſie zum
Lehrgeld. Der Wolf iſt der Fuchs. Ofterdingen im
Wartburger Krieg 20: „ir habt Genſe-Wan, ſo
ſi den Wolf erkennent und wellent uz den zuͤnen
gan.“
[]
Appendix A Druckfehler zum erſten Theil.
- Vorr. Seite XV. Zeile 5. von unten ſtatt in ſeinem
lies in ſeinen. - S. 69. Z. 10. ſt. mich l. nich.
- — 74. — 11. nach ga ein Komma.
- — 75. ſt. Koͤkenlicht l. Koͤten- oder Koͤting-
licht (Reynaert de Vos V. 303. „bernende ſtal-
licht“ von Kothe, arme Huͤtte, Stall a. ſ. cyte
engl. und holl. cot, kot. Daͤhnert v.Koͤtken, das
letzte Endchen von einem abgebrannten Licht. Ueber
Stalllicht ſ. Huydecoper zu Stocke III. 189.) - S. 158. Z. 11 ſt. Hebeitzen l. Hebritzen. Ueber
dies Wort vgl. Aventin bair. Chronik 18a „Haͤ-
berritzen.“ - S. 217. Z. 11. v. unten ſt. um l. und.
- — 246. — 3. — — ſt. viel l. fiel.
- — 326. — 1. ſt. mas l. was.
- — 342. — 3. ſt. Kammrr l. Kammer.
- Anhang. S. VII. Nr. 9. ſt. le ſette cottenelle IV. 4.
l. li ſette palommielle IV. 8. - S. IX. Z. 13. ſt. Pollus l. Pollux.
- — — — 15. ſt. Dummlung l. Dummling.
- — — — 22. ſt. Essais l. Essai.
- — XVI. Z. 11. ſt. Gautraks l. Gautreks.
- — — — 13. — till l. til.
- — — — 16. — ſitta l. ſitia — ſt. Kaltur l.
Kattur. - — XX. — 23. — liſette l. li ſette.
- — XXIV. Z. 12. v. u. ſt. Skrandere l. Skrae-
dere — ſt. Ved l. ved. - — XXV. Z. 9. v. u. ſt. koͤſtlichen l. koͤſtlichſten.
- — XXXI. Z. 15. ſt. migella l. nigella.
- — XXXV. Z. 9. v. u. ſt. Hans Sachs l. Ayrer.
- — XXXVII. Z. 3. ſt. Rong l. Kong.
- — XL. letzte Z. ſt. Calenbuͤrgern l. Lalenbuͤr-
gern. - — XLI. Z. 15. v. u. ſt. Fitſchers l. Fitchers.
- — LII. Z. 9. v. u. ſt. 5 l. 3.
- — LIII. Z. 8. u. 28. ſt. Schied l. Schmied.
- — LIV. Z. 6. v. u. ſt. wenche l. welche.
- — LV. Z. 7. v. u. ſt. Rohmer l. Roſmer.
- — LVI. Z. 2. ſt. boy l. bois.
- — — — 3. — eiferſichtige l. eiferſuͤchtige.
- — — Nr. 85a. l. naissance
- — LVIII. Z. 12. ſt. demadiſchen Redner l. Redner
Demades. - — — — 24. ſt. l'est l. c'eſt.
[]
Appendix B An den Buchbinder.
- Seite 387, im erſten Theile, wird herausgeſchnit-
ten, und an deſſen Stelle das Blatt 387, wel-
ches an dieſem Bogen befindlich iſt, dafuͤr
eingeheftet. - Dieſer Bogen F wird an den Viertelbogen E ange-
bunden, nach dem Anhange des erſten Theils. - Der Viertelbogen D, welcher ſich am T Bogen befin-
det, wird nach dem Anhang des zweiten Theils
eingebunden.
[]
wohl die erſte Wolke, die an dem blauen Him-
mel eines Kinds aufſteigt und die erſten Thraͤ-
nen erpreßt, welche die Menſchen nicht ſehen,
aber die Engel zaͤhlen. Selbſt Blumen ha-
ben davon ihren Namen erhalten, die Viola
tricolor heißt Stiefmuͤtterchen, weil jedes der
gelben Blaͤtter unter ſich ein ſchmales, gruͤnes
Blaͤttchen hat, wovon es gehalten wird, das
ſind die Stuͤhle, welche die Mutter ihren rech-
ten luſtigen Kindern gegeben; oben muͤſſen die
zwei Stiefkinder, in dunkelviolett trauernd ſte-
hen und haben keine Stuͤhle.
cer profecias, no son sino palabras de con-
sejas, o cuentos de viejas, como aquel-
los del cavallo sin cabeça, y de la
varilla de virtudes, con que se en-
aretienen al fuego las dilatadas noches
del invierno.
Colloq. entre cip. y Berg.
unſrige haͤtte dieſer mit der damaligen Spra-
che und mit ſeinem bewunderungswuͤrdigen Ge-
daͤchtniß aufſchreiben koͤnnen, wenn er anders
den Werth einer getreuen, ungefaͤlſchten Auf-
zeichnung erkannt haͤtte.
was wir vorhin Localſage nannten, der viel
ſchaͤtzbarere Otmar nur lauter ſolche; eine
Erfurter Sammlung von 1787. iſt arm, eine
Leipziger von 1799. gehoͤrt nur halb hierher,
wiewohl ſie nicht ganz ſchlecht zu nennen, eine
Braunſchweiger von 1801. unter dieſen die
reichſte, obgleich mit ihnen in verkehrtem Ton.
Aus der neuſten Buͤſchingiſchen war fuͤr
uns nichts zu nehmen, ausdruͤcklich aber muß
noch bemerkt werden, daß eine vor ein paar
Jahren von einem Namensverwandten A. L.
Grimm unter dem Titel: Kindermaͤrchen zu
Heidelberg herausgekommene, nicht eben wohl
gen gar nichts gemein hat.
Die eben ausgegebenen Wintermaͤrchen
vom Gevatter Johann (Jena b. Voigt 1813.)
ſind nur dem Titel nach neu, und ſchon vor
zehn Jahren erſchienen. Sie haben mit der
Leipziger Sammlung einen Verfaſſer, der ſich
auch Peter Kling nennt, und ſind in derſelben
Manier geſchrieben. Nur das ſechſte und zum
Theil das fuͤnfte Maͤrchen haben Werth, die an-
dern ſind ohne Kern und, bis auf wenige Ein-
zelheiten hohle Erfindungen.
Wir bitten jeden, dem Gelegenheit und Nei-
gung es moͤglich macht, dieſes Buch im Einzel-
nen zu verbeſſern, die Fragmente zu ergaͤnzen,
beſonders aber neue und ſonderlich Thier-Maͤr-
chen zu ſammeln. Fuͤr ſolche Mittheilungen
wuͤrden wir ſehr dankbar ſeyn, und durch den
Verleger oder durch die Buchhandlungen in Goͤt-
tingen, Caſſel und Marburg ſie am beſten erhalten.
die Frau Holle macht ihr Bett.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Kinder- und Haus-Märchen. Kinder- und Haus-Märchen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjj2.0