Ächte Ausgabe.
bey Georg Joachim Göſchen,
1790.
Fauſt.
Ein Fragment.
Goethe’s W. 7. B. A
[[2]][[3]]
Nacht.
Fauſt unruhig auf ſeinem Seſſel am Pulte.
Habe nun, ach! Philoſophie,
Juriſterey und Medicin,
Und leider auch Theologie
Durchaus ſtudirt, mit heißem Bemühn!
Da ſteh’ ich nun, ich armer Thor!
Und bin ſo klug als wie zuvor;
Heiße Magiſter, heiße Doctor gar,
Und ziehe ſchon an die zehen Jahr,
Herauf, herab und quer und krumm,
Meine Schüler an der Naſe herum —
A 2
[4]Fauſt
Und ſehe, daß wir nichts wiſſen können!
Das will mir ſchier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich geſcheidter als alle die Laffen,
Doctoren, Magiſter, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel —
Dafür iſt mir auch alle Freud’ entriſſen,
Bilde mir nicht ein was rechts zu wiſſen,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die Menſchen zu beſſern und zu bekehren.
Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt.
Es möchte kein Hund ſo länger leben!
Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
Ob mir, durch Geiſtes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimniß würde kund;
Daß ich nicht mehr, mit ſaurem Schweiß,
Zu ſagen brauche, was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innerſten zuſammen hält,
Schau’ alle Wirkenskraft und Samen,
Und thu’ nicht mehr in Worten kramen.
[5]Ein Fragment.
O ſähſt du, voller Mondenſchein,
Zum letztenmal auf meine Pein,
Den ich ſo manche Mitternacht
An dieſem Pult herangewacht:
Dann über Bücher und Papier,
Trübſel’ger Freund, erſchienſt du mir!
Ach könnt’ ich doch auf Berges Höh’n,
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöhle mit Geiſtern ſchweben,
Auf Wieſen in deinem Dämmer weben,
Von allem Wiſſensqualm entladen,
In deinem Thau geſund mich baden!
Weh! ſteck’ ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes, dumpfes Mauerloch!
Wo ſelbſt das liebe Himmelslicht
Trüb’ durch gemahlte Scheiben bricht.
Beſchränkt mit dieſem Bücherhauf,
Den Würme nagen, Staub bedeckt,
Den, bis an’s hohe Gewölb’ hinauf,
Ein angeraucht Papier umſteckt;
Mit Gläſern, Büchſen rings umſtellt,
[6]Fauſt
Mit Inſtrumenten vollgepfropft,
Urväter Hausrath drein geſtopft —
Das iſt deine Welt! Das heißt eine Welt!
Und fragſt du noch, warum dein Herz
Sich bang’ in deinem Buſen klemmt?
Warum ein unerklärter Schmerz
Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,
Da Gott die Menſchen ſchuf hinein,
Umgibt in Rauch und Moder nur
Dich Thiergeripp und Todtenbein.
Flieh! auf! hinaus in’s weite Land!
Und dieß geheimnißvolle Buch,
Von Noſtradamus eigner Hand,
Iſt dir es nicht Geleit genug?
Erkenneſt dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich unterweiſt,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie ſpricht ein Geiſt zum andern Geiſt.
Umſonſt, daß trocknes Sinnen hier
Die heil’gen Zeichen dir erklärt,
[7]Ein Fragment.
Ihr ſchwebt, ihr Geiſter, neben mir,
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
des Makrokosmus.
Ha! welche Wonne fließt, in dieſem Blick,
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen?
Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück,
Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.
War es ein Gott, der dieſe Zeichen ſchrieb,
Die mir das innre Toben ſtillen,
Das arme Herz mit Freude füllen,
Und, mit geheimnißvollem Trieb,
Die Kräfte der Natur ring’s um mich her
enthüllen?
Bin ich ein Gott? Mir wird ſo licht!
Ich ſchau’ in dieſen reinen Zügen
Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
Jetzt erſt erkenn’ ich was der Weiſe ſpricht:
„Die Geiſterwelt iſt nicht verſchloſſen;
„Dein Sinn iſt zu, dein Herz iſt todt!
„Auf bade, Schüler, unverdroſſen
„Die ird’ſche Bruſt im Morgenroth!“
[8]Fauſt
Wie alles ſich zum Ganzen webt!
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskräfte auf und nieder ſteigen
Und ſich die goldnen Eimer reichen!
Mit ſegenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmoniſch all das All durchklingen!
Welch Schauſpiel! aber ach! ein Schau-
ſpiel nur!
Wo faß’ ich dich, unendliche Natur?
Euch Brüſte, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde hängt,
Dahin die welke Bruſt ſich drängt —
Ihr quellt, ihr tränkt, und ſchmacht’ ich ſo
vergebens?
Zeichen des Erdgeiſtes.
Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!
Du, Geiſt der Erde, biſt mir näher;
Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,
[9]Ein Fragment.
Schon glüh’ ich wie von neuem Wein.
Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen,
Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
Mit Stürmen mich herum zu ſchlagen,
Und in des Schiffbruchs Knirſchen nicht zu
zagen.
Es wölkt ſich über mir —
Der Mond verbirgt ſein Licht —
Die Lampe ſchwindet!
Es dampft! — Es zucken rothe Strahlen
Mir um das Haupt — Es weht
Ein Schauer vom Gewölb’ herab
Und faßt mich an!
Ich fühl’s, du ſchwebſt um mich, erflehter
Geiſt!
Enthülle dich!
Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!
Zu neuen Gefühlen
All meine Sinnen ſich erwühlen!
Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
Du mußt! du mußt! und koſtet’ es mein
Leben!
[10]Fauſt
geheimnißvoll aus. Es zuckt eine röthliche Flamme,
der Geiſt erſcheint in der Flamme.
Wer ruft mir?
Schreckliches Geſicht!
Du haſt mich mächtig angezogen,
An meiner Sphäre lang geſogen,
Und nun —
Weh! ich ertrag’ dich nicht!
Du flehſt erathmend mich zu ſchauen,
Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu ſehn,
Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
Da bin ich! — Welch erbärmlich Grauen
Faßt Übermenſchen dich! Wo iſt der Seele
Ruf?
[11]Ein Fragment.
Wo iſt die Bruſt, die eine Welt in ſich erſchuf,
Und trug, und hegte? Die mit Freudebeben
Erſchwoll, ſich uns, den Geiſtern, gleich zu
heben?
Wo biſt du, Fauſt, deß Stimme mir erklang?
Der ſich an mich mit allen Kräften drang?
Biſt du es? der, von meinem Hauch um-
wittert,
In allen Lebenstiefen zittert,
Ein furchtſam weggekrümmter Wurm!
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
Ich bin’s, bin Fauſt, bin deines gleichen!
In Lebensfluthen, im Thatenſturm
Wall’ ich auf und ab,
Webe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechſelnd Weben,
Ein glühend Leben,
[12]Fauſt
So ſchaff’ ich am ſauſenden Webſtuhl der Zeit,
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
Der du die weite Welt umſchweifſt,
Geſchäftiger Geiſt, wie nah’ fühl’ ich mich
dir!
Du gleichſt dem Geiſt, den du begreifſt,
Nicht mir!
Nicht dir!
Wem denn?
Ich Ebenbild der Gottheit!
Und nicht einmal dir!
O Tod! ich kenn’s — das iſt mein Famulus —
Es wird mein ſchönſtes Glück zu nichte!
Daß dieſe Fülle der Geſichte
Der trockne Schleicher ſtören muß!
[13]Ein Fragment.
eine Lampe in der Hand. Fauſt wendet ſich unwillig.
Verzeiht! ich hör’ euch declamiren;
Ihr laſ’t gewiß ein Griechiſch Trauerſpiel?
In dieſer Kunſt möcht’ ich was profitiren,
Denn heut zu Tage wirkt das viel.
Ich hab’ es öfters rühmen hören,
Ein Kommödiant könnt’ einen Pfarrer lehren.
Ja, wenn der Pfarrer ein Kommödiant iſt;
Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.
Ach! wenn man ſo in ſein Muſeum gebannt iſt,
Und ſieht die Welt kaum einen Feiertag,
Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,
Wie ſoll man ſie durch Überredung leiten?
Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht er-
jagen.
[14]Fauſt
Wenn es nicht aus der Seele dringt,
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt,
Sitzt ihr nur immer! leimt zuſammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus,
Und blaſ’t die kümmerlichen Flammen
Aus eurem Aſchenhäufchen aus!
Bewund’rung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen ſteht.
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen ſchaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.
Allein der Vortrag macht des Redners Glück;
Ich fühl’ es wohl, noch bin ich weit zurück.
Such’ Er den redlichen Gewinn!
Sey Er kein ſchellenlauter Thor!
Es trägt Verſtand und rechter Sinn
Mit wenig Kunſt ſich ſelber vor;
Und wenn’s euch Ernſt iſt was zu ſagen,
Iſt’s nöthig Worten nachzujagen?
[15]Ein Fragment.
Ja, eure Reden, die ſo blinkend ſind,
In denen ihr der Menſchheit Schnitzel kräu-
ſelt,
Sind unerquicklich, wie der Nebelwind,
Der herbſtlich durch die dürren Blätter ſäu-
ſelt!
Ach Gott! die Kunſt iſt lang;
Und kurz iſt unſer Leben.
Mir wird, bey meinem kritiſchen Beſtreben,
Doch oft um Kopf und Buſen bang’.
Wie ſchwer ſind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen ſteigt!
Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,
Muß wohl ein armer Teufel ſterben.
Das Pergament, iſt das der heil’ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durſt auf ewig ſtillt?
Erquickung haſt du nicht gewonnen,
Wenn ſie dir nicht aus eigner Seele quillt.
[16]Fauſt
Verzeiht! es iſt ein groß Ergetzen,
Sich in den Geiſt der Zeiten zu verſetzen;
Zu ſchauen, wie vor uns ein weiſer Mann ge-
dacht,
Und wie wir’s dann zuletzt ſo herrlich weit ge-
bracht.
O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der Vergangen-
heit
Sind uns ein Buch mit ſieben Siegeln.
Was ihr den Geiſt der Zeiten heißt,
Das iſt im Grund der Herren eigner Geiſt,
In dem die Zeiten ſich beſpiegeln.
Da iſt’s dann wahrlich oft ein Jammer!
Man läuft euch bey dem erſten Blick davon.
Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,
Und höchſtens eine Haupt- und Staatsaction,
Mit trefflichen, pragmatiſchen Maximen,
Wie ſie den Puppen wohl im Munde ziemen!
[17]Ein Fragment.
Allein die Welt! des Menſchen Herz und
Geiſt!
Möcht’ jeglicher doch was davon erkennen.
Ja, was man ſo erkennen heißt!
Wer darf das Kind bey’m rechten Namen
nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
Die thöricht g’nug ihr volles Herz nicht wahr-
ten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offen-
barten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
Ich bitt’ euch, Freund, es iſt tief in der Nacht,
Wir müſſen’s dießmal unterbrechen.
Ich hätte gern bis morgen früh gewacht,
Um ſo gelehrt mit euch mich zu beſprechen.
Goethe’s W. 7. B. B
[18]Fauſt.
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung ſchwin-
det,
Der immerfort an ſchalem Zeuge klebt,
Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,
Und froh iſt, wenn er Regenwürmer findet!
[[19]]
— — — — — — —
Und was der ganzen Menſchheit zugetheilt iſt,
Will ich in meinen innern Selbſt genießen,
Mit meinem Geiſt das Höchſt’ und Tiefſte
greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Buſen häu-
fen,
Und ſo mein eigen Selbſt zu Ihrem Selbſt
erweitern,
Und, wie ſie ſelbſt, am End’ auch ich zerſchei-
tern.
B 2
[20]Fauſt
O glaube mir, der manche tauſend Jahre
An dieſer harten Speiſe kaut,
Daß in der Wieg’ und auf der Bahre
Kein Menſch den alten Sauerteig verdaut!
Glaub’ unſer einem, dieſes Ganze
Iſt nur für einen Gott gemacht;
Er findet ſich in einem ew’gen Glanze,
Uns hat er in die Finſterniß gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
Allein ich will!
Das läßt ſich hören!
Doch nur vor Einem iſt mir bang’;
Die Zeit iſt kurz, die Kunſt iſt lang.
Ich dächt’ ihr ließet euch belehren.
Aſſociirt euch mit einem Poeten,
Laßt den Herrn in Gedanken ſchweifen,
Und alle edle Qualitäten
Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
[21]Ein Fragment.
Des Löwen Muth,
Des Hirſches Schnelligkeit,
Des Italiäners feurig Blut,
Des Nordens Dau’rbarkeit.
Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
Großmuth und Argliſt zu verbinden,
Und euch mit warmen Jugendtrieben
Nach einem Plane zu verlieben.
Möchte ſelbſt ſolch einen Herren kennen,
Würd’ ihn Herr Mikrokosmus nennen.
Was bin ich denn, wenn es nicht möglich iſt
Der Menſchheit Kronen zu erringen,
Nach der ſich alle Sinne dringen?
Du biſt am Ende — was du biſt.
Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
Du bleibſt doch immer was du biſt.
[22]Fauſt
Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
Des Menſchengeiſt’s auf mich herbeygerafft,
Und wenn ich mich am Ende niederſetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
Bin dem Unendlichen nicht näher.
Mein guter Herr, ihr ſeht die Sachen,
Wie man die Sachen eben ſieht;
Wir müſſen das geſcheidter machen,
Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
Was Henker! freylich Händ und Füße
Und Kopf und H — — die ſind dein;
Doch alles was ich friſch genieße,
Iſt das drum weniger mein?
Wenn ich ſechs Hengſte zahlen kann,
Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
Drum friſch! laß alles Sinnen ſeyn,
[23]Ein Fragment.
Und g’rad’ mit in die Welt hinein.
Ich ſag’ es dir: ein Kerl, der ſpeculiert,
Iſt wie ein Thier, auf einer Heide
Von einem böſen Geiſt im Kreis herum ge-
führt,
Und rings umher liegt ſchöne grüne Weide.
Wie fangen wir das an?
Wir gehen eben fort.
Was iſt das für ein Marterort?
Was heißt das für ein Leben führen,
Sich und die Jungens ennüyieren?
Laß du das dem Herrn Nachbar Wanſt!
Was willſt du dich das Stroh zu dreſchen
plagen?
Das beſte, was du wiſſen kannſt,
Darfſt du den Buben doch nicht ſagen.
Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
[24]Fauſt
Mir iſt’s nicht möglich ihn zu ſehn.
Der arme Knabe wartet lange,
Der darf nicht ungetröſtet gehn.
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
Die Maske muß mir köſtlich ſtehn.
Nun überlaß es meinem Witze!
Ich brauche nur ein Viertelſtündchen Zeit;
Indeſſen mache dich zur ſchönen Fahrt bereit!
Verachte nur Vernunft und Wiſſenſchaft,
Des Menſchen allerhöchſte Kraft,
Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeiſt beſtärken,
So hab’ ich dich ſchon unbedingt —
Ihm hat das Schickſal einen Geiſt gegeben,
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
Und deſſen übereiltes Streben
[25]Ein Fragment.
Der Erde Freuden überſpringt.
Den ſchlepp’ ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit,
Er ſoll mir zappeln, ſtarren, kleben,
Und ſeiner Unerſättlichkeit
Soll Speiſ’ und Trank vor gier’gen Lippen
ſchweben;
Er wird Erquickung ſich umſonſt erflehn,
Und hätt’ er ſich auch nicht dem Teufel über-
geben,
Er müßte doch zu Grunde gehn!
Ich bin allhier erſt kurze Zeit,
Und komme voll Ergebenheit,
Einen Mann zu ſprechen und zu kennen,
Den alle mir mit Ehrfurcht nennen.
Eure Höflichkeit erfreut mich ſehr!
Ihr ſeht einen Mann wie andre mehr.
Habt ihr euch ſonſt ſchon umgethan?
[26]Fauſt
Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an.
Ich komme mit allem guten Muth,
Leidlichem Geld und friſchem Blut,
Meine Mutter wollte mich kaum entfernen,
Möchte gern ’was rechts hieraußen lernen.
Da ſeyd ihr eben recht am Ort.
Aufrichtig, möchte ſchon wieder fort:
In dieſen Mauern, dieſen Hallen,
Will es mir keineswegs gefallen.
Es iſt ein gar beſchränkter Raum,
Man ſieht nichts grünes, keinen Baum,
Und in den Sälen, auf den Bänken,
Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.
Das kommt nur auf Gewohnheit an.
So nimmt ein Kind der Mutter Bruſt
Nicht gleich im Anfang willig an,
[27]Ein Fragment.
Doch bald ernährt es ſich mit Luſt.
So wird’s euch an der Weisheit Brüſten
Mit jedem Tage mehr gelüſten.
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
Doch ſagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
Erklärt euch, eh’ ihr weiter geht,
Was wählt ihr für eine Facultät?
Ich wünſchte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern, was auf der Erden
Und in den Himmel iſt, erfaſſen,
Die Wiſſenſchaft und die Natur.
Da ſeyd ihr auf der rechten Spur,
Doch müßt ihr euch nicht zerſtreuen laſſen.
Ich bin dabey mit Seele und Leib;
Doch freylich würde mir behagen
[28]Fauſt
Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib
An ſchönen Sommerfeiertagen.
Gebraucht der Zeit, ſie geht ſo ſchnell von
hinnen,
Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum
Zuerſt Collegium Logicum.
Da wird der Geiſt auch wohl dreſſirt,
In Spaniſche Stiefeln eingeſchnürt,
Daß er bedächtiger ſo fort an
Hinſchleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa die kreuz und quer
Irlichtelire hin und her.
Dann lehret man euch manchen Tag,
Daß, was ihr ſonſt auf einen Schlag
Getrieben, wie Eſſen und Trinken frey,
Eins! Zwey! Drey! dazu nöthig ſey.
Zwar iſt’s mit der Gedanken-Fabrik
Wie mit einem Weber-Meiſterſtück,
Wo Ein Tritt tauſend Fäden regt,
[29]Ein Fragment.
Die Schifflein herüber hinüber ſchießen,
Die Fäden ungeſehen fließen,
Ein Schlag tauſend Verbindungen ſchlägt:
Der Philoſoph der tritt herein,
Und beweiſ’t euch, es müßt’ ſo ſeyn.
Das Erſt’ wär’ ſo, das Zweyte ſo,
Und drum das Dritt’ und Vierte ſo;
Und wenn das Erſt’ und Zweyt’ nicht wär’,
Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
Das preiſen die Schüler aller Orten,
Sind aber keine Weber geworden.
Wer will ’was lebendig’s erkennen und be-
ſchreiben,
Sucht erſt den Geiſt heraus zu treiben,
Dann hat er die Theile in ſeiner Hand,
Fehlt leider! nur das geiſtige Band.
Encheireſin naturae nennt’s die Chimie!
Spottet ihrer ſelbſt, und weiß nicht wie.
Kann euch nicht eben ganz verſtehen.
[30]Fauſt
Das wird nächſtens ſchon beſſer gehen,
Wenn ihr lernt alles reduciren
Und gehörig klaſſificiren.
Mir wird von allem dem ſo dumm,
Als ging’ mir ein Mühlrad im Kopf herum.
Nachher vor allen andern Sachen
Müßt ihr euch an die Metaphyſik machen!
Da ſeht, daß ihr tiefſinnig faßt,
Was in des Menſchen Hirn nicht paßt;
Für, was drein geht und nicht drein geht,
Ein prächtig Wort zu Dienſten ſteht.
Doch vorerſt dieſes halbe Jahr
Nehmt ja der beſten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
Seyd drinne mit dem Glockenſchlag!
Habt euch vorher wohl präparirt,
Paragraphos wohl einſtudirt,
[31]Ein Fragment.
Damit ihr nachher beſſer ſeht,
Daß er nichts ſagt, als was im Buche ſteht;
Doch euch des Schreibens ja befleißt,
Als dictirt’ euch der Heilig’ Geiſt!
Das ſollt ihr mir nicht zweymal ſagen!
Ich denke mir wie viel es nützt;
Denn, was man ſchwarz auf weiß beſitzt,
Kann man getroſt nach Hauſe tragen.
Doch wählt mir eine Facultät!
Zur Rechtsgelehrſamkeit kann ich mich nicht
bequemen.
Ich kann es euch ſo ſehr nicht übel nehmen,
Ich weiß wie es um dieſe Lehre ſteht.
Es erben ſich Geſetz’ und Rechte,
Wie eine ew’ge Krankheit, fort,
[32]Fauſt
Sie ſchleppen von Geſchlecht ſich zum Ge-
ſchlechte,
Und rücken ſacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unſinn, Wohlthat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel biſt!
Vom Rechte, das mit uns geboren iſt,
Von dem iſt leider! nie die Frage.
Mein Abſcheu wird durch euch vermehrt.
O glücklich der, den ihr belehrt!
Faſt möcht’ ich nun Theologie ſtudiren.
Ich wünſchte nicht euch irre zu führen.
Was dieſe Wiſſenſchaft betrifft,
Es iſt ſo ſchwer den falſchen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr ſo viel verborgnes Gift,
Und von der Arzeney iſt’s kaum zu unter-
ſcheiden.
Am beſten iſt’s auch hier, wenn ihr nur Einen
hört,
Und auf des Meiſters Worte ſchwört.
[33]Ein Fragment.
Im Ganzen — haltet euch an Worte!
Dann geht ihr durch die ſichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.
Doch ein Begriff muß bey dem Worte ſeyn.
Schon gut! Nur muß man ſich nicht allzu
ängſtlich quälen,
Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da ſtellt ein Wort zur rechten Zeit ſich ein.
Mit Worten läßt ſich trefflich ſtreiten,
Mit Worten ein Syſtem bereiten,
An Worte läßt ſich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt ſich kein Jota rauben.
Verzeiht, ich halt’ euch auf mit vielen Fragen,
Allein, ich muß euch noch bemüh’n.
Wollt ihr mir von der Medicin
Nicht auch ein kräftig Wörtchen ſagen?
Drey Jahr’ iſt eine kurze Zeit,
Und, Gott! das Feld iſt gar zu weit.
Goethe’s W. 7. B. C
[34]Fauſt
Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
Läßt ſich’s ſchon eher weiter fühlen.
Ich bin des trocknen Tons nun ſatt,
Muß wieder recht den Teufel ſpielen.
Der Geiſt der Medicin iſt leicht zu faſſen;
Ihr durchſtudirt die groß’ und kleine Welt,
Um es am Ende gehn zu laſſen,
Wie’s Gott gefällt.
Vergebens daß ihr ringsum wiſſenſchaftlich
ſchweift,
Ein jeder lernt nur was er lernen kann.
Doch der den Augenblick ergreift,
Das iſt der rechte Mann.
Ihr ſeyd noch ziemlich wohl gebaut,
An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,
Und wenn ihr euch nur ſelbſt vertraut,
Vertrauen euch die andern Seelen.
Beſonders lernt die Weiber führen;
Es iſt ihr ewig Weh und Ach
[35]Ein Fragment.
So tauſendfach
Aus Einem Puncte zu curiren,
Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
Dann habt ihr ſie all’ unter’m Hut.
Ein Titel muß ſie erſt vertraulich machen,
Daß eure Kunſt viel Künſte überſteigt,
Zum Willkomm’ tappt ihr dann nach allen
Siebenſachen,
Um die ein andrer viele Jahre ſtreicht,
Verſteht das Pülslein wohl zu drücken,
Und faſſet ſie, mit feurig ſchlauen Blicken,
Wohl um die ſchlanke Hüfte frey,
Zu ſeh’n, wie feſt geſchnürt ſie ſey.
Das ſieht ſchon beſſer aus! Man ſieht doch
wo und wie.
Grau, theurer Freund, iſt alle Theorie,
Und grün des Lebens goldner Baum.
C 2
[36]Fauſt
Ich ſchwör’ euch zu, mir iſt’s als wie ein
Traum.
Dürft’ ich euch wohl ein andermal beſchwe-
ren,
Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
Was ich vermag, ſoll gern geſchehn.
Ich kann unmöglich wieder gehn,
Ich muß euch noch mein Stammbuch über-
reichen.
Gönn’ eure Gunſt mir dieſes Zeichen!
Sehr wohl.
Eritis ſicut Deus ſcientes bonum et malum.
[37]Ein Fragment.
Folg’ nur dem alten Spruch und meiner Muh-
me der Schlange,
Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähn-
lichkeit bange!
Wohin ſoll es nun gehn?
Wohin es dir gefällt.
Wir ſehn die kleine, dann die große Welt.
Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
Wirſt du den Curſum durchſchmarutzen!
Allein mit meinem langen Bart
Fehlt mir die leichte Lebensart.
Es wird mir der Verſuch nicht glücken;
Ich wußte nie mich in die Welt zu ſchicken.
Vor andern fühl’ ich mich ſo klein;
Ich werde ſtets verlegen ſeyn.
[38]Fauſt.
Mein guter Freund, das wird ſich alles geben,
Sobald du dir vertrauſt, ſobald weißt du zu
leben.
Wie kommen wir denn aus dem Haus?
Wo haſt du Pferde, Knecht und Wagen?
Wir breiten nur den Mantel aus,
Der ſoll uns durch die Lüfte tragen.
Du nimmſt bey dieſem kühnen Schritt
Nur keinen großen Bündel mit.
Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
Hebt uns behend von dieſer Erde.
Und ſind wir leicht, ſo geht es ſchnell hinauf;
Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf.
[[39]]
Auerbachs Keller in Leipzig.
Will keiner trinken? keiner lachen?
Ich will euch lehren Geſichter machen!
Ihr ſeyd ja heut wie naſſes Stroh,
Und brennt ſonſt immer lichterloh.
Das liegt an dir; du bringſt ja nichts herbey,
Nicht eine Dummheit, keine Sauerey.
Da haſt du beydes.
[40]Fauſt
Doppelt Schwein!
Ihr wollt’ es ja, man ſoll es ſeyn!
Zur Thür hinaus wer ſich entzweyt!
Mit offner Bruſt ſingt Runda, ſauft und
ſchreyt!
Auf! Holla! ho!
Weh mir, ich bin verloren!
Baumwolle her! der Kerl ſprengt mir die
Ohren.
Wenn das Gewölbe wiederſchallt,
Fühlt man erſt recht des Baſſes Grundgewalt.
So recht, hinaus mit dem der etwas übel
nimmt!
A! tara lara da!
[41]Ein Fragment.
A! tara lara da!
Die Kehlen ſind geſtimmt.
Das liebe, heil’ge Röm’ſche Reich,
Wie hält’s nur noch zuſammen?
Ein garſtig Lied! Pfuy! ein politiſch Lied
Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Mor-
gen,
Daß ihr nicht braucht für’s Röm’ſche Reich zu
ſorgen!
Ich halt’ es wenigſtens für reichlichen Ge-
winn,
Daß ich nicht Kaiſer oder Kanzler bin.
Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht feh-
len;
Wir wollen einen Papſt erwählen.
Ihr wißt, welch eine Qualität
Den Ausſchlag gibt, den Mann erhöht.
[42]Fauſt
Schwing’ dich auf, Frau Nachtigall,
Grüß’ mir mein Liebchen zehentauſend-
mal.
Dem Liebchen keinen Gruß! ich will davon
nichts hören!
Dem Liebchen Gruß und Kuß! du wirſt
mir’s nicht verwehren!
Riegel auf! in ſtiller Nacht.
Riegel auf! der Liebſte wacht.
Riegel zu! des Morgens früh.
Ja, ſinge, ſinge nur, und lob’ und rühme ſie;
Ich will zu meiner Zeit ſchon lachen.
Sie hat mich angeführt, dir wird ſie’s auch
ſo machen.
Zum Liebſten ſey ein Kobold ihr beſcheert,
[43]Ein Fragment.
Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg ſchäkern;
Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
Ein braver Kerl von echtem Fleiſch und Blut,
Iſt für die Dirne viel zu gut.
Ich will von keinem Gruße wiſſen,
Als ihr die Fenſter eingeſchmiſſen!
Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
Ihr Herrn geſteht, ich weiß zu leben,
Verliebte Leute ſitzen hier,
Und dieſen muß, nach Standsgebühr,
Zur guten Nacht ich was zum Beſten geben.
Gebt Acht! Ein Lied vom neu’ſten Schnitt!
Und ſingt den Rundreim kräftig mit.
Es war eine Ratt’ im Kellerneſt,
Lebte nur von Fett und Butter,
Hatte ſich ein Ränzlein angemäſt,
Als wie der Doctor Luther.
[44]Fauſt
Die Köchinn hatt’ ihr Gift geſtellt,
Da ward’s ſo eng’ ihr in der Welt,
Als hätte ſie Lieb’ im Leibe.
Als hätte ſie Lieb’ im Leibe.
Sie fuhr herum, ſie fuhr heraus,
Und ſoff aus allen Pfützen,
Zernagt’, zerkratzt’ das ganze Haus,
Wollte nichts ihr Wüthen nützen,
Sie thät gar manchen Ängſteſprung,
Bald hatte das arme Thier genung,
Als hätt’ es Lieb’ im Leibe.
Als hätt’ es Lieb’ im Leibe.
Sie kam für Angſt am hellen Tag
Der Küche zugelaufen,
Fiel an den Herd und zuckt’ und lag,
Und thät erbärmlich ſchnaufen.
[45]Ein Fragment.
Da lachte die Vergifterinn noch:
Ha! ſie pfeift auf dem letzten Loch,
Als hätte ſie Lieb’ im Leibe.
Als hätte ſie Lieb’ im Leibe.
Wie ſich die platten Burſche freuen!
Es iſt mir eine rechte Kunſt,
Den armen Ratten Gift zu ſtreuen!
Sie ſteh’n wohl ſehr in deiner Gunſt?
Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
Das Unglück macht ihn zahm und mild;
Er ſieht in der geſchwollnen Ratte
Sein ganz natürlich Ebenbild.
[46]Fauſt
Ich muß dich nun vor allen Dingen
In luſtige Geſellſchaft bringen,
Damit du ſiehſt, wie leicht ſich’s leben läßt.
Dem Volke hier wird jeder Tag ein Feſt.
Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder ſich im engen Zirkeltanz,
Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
Wenn ſie nicht über Kopfweh klagen,
So lang’ der Wirth nur weiter borgt,
Sind ſie vergnügt und unbeſorgt.
Die kommen eben von der Reiſe,
Man ſieht’s an ihrer wunderlichen Weiſe;
Sie ſind nicht eine Stunde hier.
Wahrhaftig du haſt Recht! Mein Leipzig lob’
ich mir!
Es iſt ein klein Paris, und bildet ſeine Leute.
[47]Ein Fragment.
Für was ſiehſt du die Fremden an?
Laß mich nur gehn; bey einem vollen Glaſe,
Zieh’ ich, wie einen Kinderzahn,
Den Burſchen leicht die Würmer aus der Naſe.
Sie ſcheinen mir aus einem edlen Haus,
Sie ſehen ſtolz und unzufrieden aus.
Marktſchreyer ſind’s gewiß, ich wette!
Vielleicht!
Gib Acht, ich ſchraube ſie.
Den Teufel ſpürt das Völkchen nie,
Und wenn er ſie bey’m Kragen hätte.
Seyd uns gegrüßt, ihr Herrn!
[48]Fauſt
Viel Dank zum Gegengruß.
Was hinkt der Kerl auf Einem Fuß?
Iſt es erlaubt uns auch zu euch zu ſetzen?
Statt eines guten Trunks, den man nicht ha-
ben kann,
Soll die Geſellſchaft uns ergetzen.
Ihr ſcheint ein ſehr verwöhnter Mann.
Ihr ſeyd wohl ſpät von Rippach aufgebro-
chen?
Habt ihr mit Herren Hans noch erſt zu Nacht
geſpeiſ’t?
Heut ſind wir ihn vorbey gereiſ’t;
Wir haben ihn das letztemal geſprochen.
[49]Ein Fragment.
Von ſeinen Vettern wußt’ er viel zu ſagen,
Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
Da haſt du’s! Der verſteht’s!
Ein pfiffiger Patron!
Nun, warte nur, ich krieg’ ihn ſchon.
Wenn ich nicht irrte, hörten wir
Geübte Stimmen Chorus ſingen?
Gewiß, Geſang muß trefflich hier
Von dieſer Wölbung wieder klingen!
Seyd ihr wohl gar ein Virtuos?
O nein! Die Kraft iſt ſchwach, allein die Luſt
iſt groß.
Goethe’s W. 7. B. D
[50]Fauſt
Gebt uns ein Lied!
Wenn ihr begehrt, die Menge.
Nur auch ein nagelneues Stück!
Wir kommen erſt aus Spanien zurück,
Dem ſchönen Land des Weins und der Geſänge.
Es war einmal ein König,
Der hatt’ einen großen Floh —
Horcht! Einen Floh! Habt ihr das wohl ge-
faßt?
Ein Floh iſt mir ein ſaub’rer Gaſt.
Es war einmal ein König,
Der hatt’ einen großen Floh,
[51]Ein Fragment.
Den liebt’ er gar nicht wenig,
Als wie ſeinen eignen Sohn.
Da rief er ſeinen Schneider,
Der Schneider kam heran.
Da miß dem Junker Kleider,
Und miß ihm Hoſen an.
Vergeßt nur nicht dem Schneider einzuſchärfen,
Daß er mir auf’s genauſte mißt,
Und daß, ſo lieb ſein Kopf ihm iſt,
Die Hoſen keine Falten werfen!
In Sammet und in Seide
War er nun angethan,
Hatte Bänder auf dem Kleide,
Hatt’ auch ein Kreuz daran,
Und war ſogleich Miniſter,
Und hatt’ einen großen Stern.
Da wurden ſeine Geſchwiſter
Bey Hof’ auch große Herrn.
D 2
[52]Fauſt
Und Herrn und Frau’n am Hofe,
Die waren ſehr geplagt,
Die Königinn und die Zofe
Geſtochen und genagt,
Und durften ſie nicht knicken,
Und weg ſie jucken nicht.
Wir knicken und erſticken
Doch gleich wenn einer ſticht.
Wir knicken und erſticken
Doch gleich wenn einer ſticht.
Bravo! Bravo! das war ſchön!
So ſoll es jedem Floh ergehn!
Spitzt die Finger und packt ſie fein!
Es lebe die Freyheit! Es lebe der Wein!
[53]Ein Fragment.
Ich tränke gern ein Glas, die Freyheit hoch
zu ehren,
Wenn eure Weine nur ein Bißchen beſſer
wären.
Wir mögen das nicht wieder hören.
Ich fürchte nur der Wirth beſchweret ſich,
Sonſt gäb’ ich dieſen werthen Gäſten
Aus unſerm Keller ’was zum Beſten.
Nur immer her, ich nehm’s auf mich.
Schafft ihr ein gutes Glas, ſo wollen wir
euch loben.
Nur gebt nicht gar zu kleine Proben;
Denn wenn ich judiciren ſoll,
Verlang’ ich auch das Maul recht voll.
[54]Fauſt
Sie ſind vom Rheine, wie ich ſpüre.
Schafft einen Bohrer an.
Was ſoll mit dem geſchehn?
Ihr habt doch nicht die Fäſſer vor der Thüre?
Dahinten hat der Wirth ein Körbchen Werk-
zeug ſtehn.
Nun ſagt, was wünſchet ihr zu ſchmecken?
Wie meint ihr das? Habt ihr ſo mancherley?
Ich ſtell’ es einem jeden frey.
[55]Ein Fragment.
Aha! du fängſt ſchon an die Lippen abzulecken.
Gut, wenn ich wählen ſoll, ſo will ich Rhein-
wein haben.
Das Vaterland verleiht die allerbeſten Gaben.
den Tiſchrand bohrt.
Verſchafft ein wenig Wachs, die Pfropfen
gleich zu machen.
Ach das ſind Taſchenſpielerſachen.
Und ihr?
Ich will Champagner Wein,
Und recht muſſirend ſoll er ſeyn!
[56]Fauſt
und verſtopft.
Man kann nicht ſtets das Fremde meiden,
Das Gute liegt uns oft ſo fern.
Ein echter Deutſcher Mann mag keinen Fran-
zen leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern.
Ich muß geſtehn, den ſauren mag ich nicht,
Gebt mir ein Glas vom echten ſüßen!
Euch ſoll ſogleich Tokayer fließen.
Nein, Herren, ſeht mir in’s Geſicht!
Ich ſeh’ es ein, ihr habt uns nur zum Beſten.
[57]Ein Fragment.
Ey! Ey! Mit ſolchen edlen Gäſten
Wär’ es ein Bißchen viel gewagt.
Geſchwind! Nur g’rad’ heraus geſagt!
Mit welchem Weine kann ich dienen?
Mit jedem! Nur nicht lang’ gefragt.
Trauben trägt der Weinſtock!
Hörner der Ziegenbock;
Der Wein iſt ſaftig, Holz die Reben,
Der hölzerne Tiſch kann Wein auch geben.
Ein tiefer Blick in die Natur!
Hier iſt ein Wunder glaubet nur!
Nun zieht die Pfropfen und genießt.
Wein in’s Glas läuft.
O ſchöner Brunnen, der uns fließt!
[58]Fauſt
Nur hütet euch, daß ihr mir nichts vergießt.
Uns iſt ganz kannibaliſch wohl,
Als wie fünf hundert Säuen.
Das Volk iſt frey, ſeht an, wie wohl’s ihm
geht!
Ich hätte Luſt nun abzufahren.
Gib nur erſt Acht, die Beſtialität
Wird ſich gar herrlich offenbaren.
wird zur Flamme.
Helft! Feuer! helft! Die Hölle brennt!
Sey ruhig, freundlich Element!
[59]Ein Fragment.
Für dießmal war es nur ein Tropfen Fege-
feuer.
Was ſoll das ſeyn? Wart! ihr bezahlt es
theuer!
Es ſcheinet, daß ihr uns nicht kennt.
Laß er uns das zum zweytenmale bleiben!
Ich dächt’ wir hießen ihn ganz ſachte ſeitwärts
gehn.
Was Herr? Er will ſich unterſtehn,
Und hier ſein Hokuspokus treiben?
Still, altes Weinfaß!
Beſenſtiel!
Du willſt uns gar noch grob begegnen?
[60]Fauſt
Wart nur! es ſollen Schläge regnen.
entgegen.
Ich brenne! ich brenne!
Zauberey!
Stoßt zu! Der Kerl iſt vogelfrey!
Falſch Gebild und Wort
Verändern Sinn und Ort!
Seyd hier und dort!
Wo bin ich? Welches ſchöne Land!
Weinberge! Seh’ ich recht?
Und Trauben gleich zur Hand
[61]Ein Fragment.
Hier, unter dieſem grünen Laube,
Seht, welch ein Stock! Seht, welche Traube!
wechſelſeitig und heben die Meſſer.
Irrthum, laß los der Augen Band!
Und merkt euch, wie der Teufel ſpaße.
einander.
Was gibt’s?
Wie?
War das deine Naſe?
Und deine hab’ ich in der Hand!
Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
Schafft einen Stuhl, ich ſinke nieder.
[62]Fauſt.
Nein, ſagt mir nur, was iſt geſchehn?
Wo iſt der Kerl? Wenn ich ihn ſpüre,
Er ſoll mir nicht lebendig gehn!
Ich hab’ ihn ſelbſt hinaus zur Kellerthüre
Auf einem Faſſe reiten ſehn — —
Es liegt mir bleyſchwer in den Füßen.
Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?
Betrug war alles, Lug und Schein.
Mir däuchte doch als tränk’ ich Wein.
Aber wie war es mit den Trauben?
Nun ſag’ mir eins, man ſoll kein Wunder
glauben!
[[63]]
Hexenküche.
über dem Feuer. In dem Dampfe, der davon in die
Höhe ſteigt, zeigen ſich verſchiedne Geſtalten. Eine
Meerkatze ſitzt bey dem Keſſel und ſchäumt ihn,
und ſorgt, daß er nicht überläuft. Der Meerkater
mit den Jungen ſitzt darneben und wärmt ſich. Wände
und Decke ſind mit dem ſeltſamſten Hexenhausrath aus-
geſchmückt.
Mir widerſteht das tolle Zauberweſen!
Verſprichſt du mir, ich ſoll geneſen,
In dieſem Wuſt von Raſerey?
Verlang’ ich Rath von einem alten Weibe?
[64]Fauſt
Und ſchafft die Sudelköcherey
Wohl dreyßig Jahre mir vom Leibe?
Weh mir, wenn du nichts beſſers weißt!
Schon iſt die Hoffnung mir verſchwunden.
Hat die Natur und hat ein edler Geiſt
Nicht irgend einen Balſam ausgefunden?
Mein Freund, nun ſprichſt du wieder klug!
Dich zu verjüngen, gibt’s auch ein natürlich
Mittel;
Allein es ſteht in einem andern Buch,
Und iſt ein wunderlich Kapitel.
Ich will es wiſſen.
Gut! Ein Mittel, ohne Geld
Und Arzt und Zauberey zu haben:
Begib dich gleich hinaus auf’s Feld,
Fang’ an zu hacken und zu graben,
Erhalte dich und deinen Sinn
[65]Ein Fragment.
In einem ganz beſchränkten Kreiſe,
Ernähre dich mit ungemiſchter Speiſe,
Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es
nicht für Raub,
Den Acker, den du erndeſt, ſelbſt zu düngen;
Das iſt das beſte Mittel, glaub’!
Auf achtzig Jahr dich zu verjüngen.
Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich
nicht bequemen,
Den Spaten in die Hand zu nehmen,
Das enge Leben ſteht mir gar nicht an.
So muß denn doch die Hexe dran.
Sieh, welch ein zierliches Geſchlecht!
Das iſt die Magd! Das iſt der Knecht!
Es ſcheint die Frau iſt nicht zu Hauſe?
Goethe’s W. 7. B. E
[66]Fauſt
Bey’m Schmauſe,
Aus dem Haus
Zum Schorſtein hinaus!
Wie lange pflegt ſie wohl zu ſchwärmen?
So lang’ wir uns die Pfoten wärmen.
Wie findeſt du die zarten Thiere?
So abgeſchmackt, als ich nur etwas ſah!
Nein, ein Discurs wie dieſer da,
Iſt g’rade der, den ich am liebſten führe.
O würfle nur gleich,
Und mache mich reich,
[67]Ein Fragment.
Und laß mich gewinnen!
Gar ſchlecht iſt’s beſtellt,
Und wär’ ich bey Geld,
So wär’ ich bey Sinnen.
Wie glücklich würde ſich der Affe ſchätzen,
Könnt’ er nur auch in’s Lotto ſetzen!
großen Kugel geſpielt, und rollen ſie hervor.
Das iſt die Welt;
Sie ſteigt und fällt
Und rollt beſtändig;
Sie klingt wie Glas;
Wie bald bricht das?
Iſt hohl inwendig.
Hier glänzt ſie ſehr,
Und hier noch mehr,
Ich bin lebendig!
Mein lieber Sohn,
Halt dich davon!
E 2
[68]Fauſt
Du mußt ſterben!
Sie iſt von Thon,
Es gibt Scherben.
Was ſoll das Sieb?
Wärſt du ein Dieb,
Wollt’ ich dich gleich erkennen.
Sieh durch das Sieb!
Erkennſt du den Dieb,
Und darfſt ihn nicht nennen?
Und dieſer Topf?
Der alberne Tropf!
Er kennt nicht den Topf,
Er kennt nicht den Keſſel!
[69]Ein Fragment.
Unhöfliches Thier!
Den Wedel nimm hier
Und ſetz’ dich in Seſſel!
ſich ihm bald genähert, bald ſich von ihm entfernt hat.
Was ſeh’ ich? Welch ein himmliſch Bild
Zeigt ſich in dieſem Zauberſpiegel!
O Liebe, leihe mir den ſchnellſten deiner
Flügel,
Und führe mich in ihr Gefild.
Ach wenn ich nicht auf dieſer Stelle bleibe,
Wenn ich es wage nah’ zu gehn,
Kann ich ſie nur als wie im Nebel ſehn! —
Das ſchönſte Bild von einem Weibe!
Iſt’s möglich, iſt das Weib ſo ſchön?
Muß ich an dieſem hingeſtreckten Leibe
Den Inbegriff von allen Himmeln ſehn?
So etwas findet ſich auf Erden?
[70]Fauſt
Natürlich, wenn ein Gott ſich erſt ſechs Tage
plagt,
Und ſelbſt am Ende Bravo ſagt,
Da mußt’ es ’was geſcheidtes werden.
Für dießmal ſieh dich immer ſatt;
Ich weiß dir ſo ein Schätzchen auszuſpüren,
Und ſelig wer das gute Schickſal hat,
Als Bräutigam ſie heim zu führen!
pheles, ſich in den Seſſel dehnend und mit dem Wedel
ſpielend, fährt fort zu ſprechen.
Hier ſitz’ ich wie der König auf dem Throne,
Den Zepter halt’ ich hier, es fehlt nur noch
die Krone.
einander gemacht haben, bringen dem Mephiſtopheles
eine zerbrochne Krone mit großem Geſchrey.
O ſey doch ſo gut,
Mit Schweiß und mit Blut
Die Krone zu leimen!
[71]Ein Fragment.
brechen ſie in zwey Stücke, mit welchen ſie herum
ſpringen.
Nun iſt es geſchehn!
Wir reden und ſehn,
Wir hören und reimen;
Weh mir! ich werde ſchier verrückt.
Nun fängt mir an faſt ſelbſt der Kopf zu
ſchwanken.
Und wenn es uns glückt,
Und wenn es ſich ſchickt,
So ſind es Gedanken!
Mein Buſen fängt mir an zu brennen!
Entfernen wir uns nur geſchwind!
[72]Fauſt
Nun wenigſtens muß man bekennen,
Daß es aufrichtige Poeten ſind.
gelaſſen, fängt an überzulaufen; es entſteht eine große
Flamme, welche zum Schorſtein hinausſchlägt. Die
Hexe kommt durch die Flamme mit entſetzlichem
Geſchrey herunter gefahren.
Au! Au! Au! Au!
Verdammtes Thier! verfluchte Sau!
Verſäumſt den Keſſel, verſengſt die Frau!
Verfluchtes Thier!
Was iſt das hier?
Wer ſeyd ihr hier?
Was wollt ihr da?
Wer ſchlich ſich ein?
Die Feuerpein
Euch in’s Gebein!
[73]Ein Fragment.
ſpritzt Flammen nach Fauſt, Mephiſtopheles und den
Thieren. Die Thiere winſeln.
und unter die Gläſer und Töpfe ſchlägt.
Entzwey! entzwey!
Da liegt der Brey,
Da liegt das Glas!
Es iſt nur Spaß,
Der Tact, du Aas,
Zu deiner Melodey!
Erkennſt du mich, Gerippe! Scheuſal du!
Erkennſt du deinen Herrn und Meiſter?
Was hält mich ab, ſo ſchlag’ ich zu,
Zerſchmettre dich und deine Katzen-Geiſter!
Haſt du vor’m rothen Wamms nicht mehr
Reſpect?
Kannſt du die Hahnenfeder nicht erkennen?
Hab’ ich dieß Angeſicht verſteckt?
Soll ich mich etwa ſelber nennen?
[74]Fauſt
O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
Seh’ ich doch keinen Pferdefuß.
Wo ſind denn eure beyden Raben?
Für dießmal kommſt du ſo davon;
Denn freylich iſt es eine Weile ſchon,
Daß wir uns nicht geſehen haben.
Auch die Cultur, die alle Welt beleckt,
Hat auf den Teufel ſich erſtreckt;
Das Nordiſche Phantom iſt nun nicht mehr
zu ſchauen,
Wo ſiehſt du Hörner, Schweif und Klauen?
Und was den Fuß betrifft, den ich nicht miſſen
kann,
Der würde mir bey Leuten ſchaden;
Darum bedien’ ich mich, wie mancher junge
Mann,
Seit vielen Jahren falſcher Waden.
Sinn und Verſtand verlier’ ich ſchier,
Seh’ ich den Junker Satan wieder hier!
[75]Ein Fragment.
Den Nahmen, Weib, verbitt’ ich mir.
Warum? Was hat er euch gethan?
Er iſt ſchon lang’ in’s Fabelbuch geſchrieben;
Allein die Menſchen ſind nichts beſſer dran,
Den Böſen ſind ſie los, die Böſen ſind ge-
blieben.
Du nennſt mich Herr Baron, ſo iſt die Sache
gut;
Ich bin ein Cavalier, wie andre Cavaliere.
Du zweifelſt nicht an meinem edlen Blut;
Sieh her, das iſt das Wapen, das ich führe.
Ha! Ha! Das iſt in eurer Art!
Ihr ſeyd ein Schelm, wie ihr nur immer
war’t!
[76]Fauſt
Mein Freund, das lerne wohl verſtehn!
Dieß iſt die Art mit Hexen umzugehn.
Nun ſagt, ihr Herren, was ihr ſchafft.
Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!
Doch muß ich euch um’s ält’ſte bitten;
Die Jahre doppeln ſeine Kraft.
Gar gern! Hier hab’ ich eine Flaſche,
Aus der ich ſelbſt zuweilen naſche,
Die auch nicht mehr im mind’ſten ſtinkt;
Ich will euch gern ein Gläschen geben.
Doch wenn es dieſer Mann unvorbereitet
trinkt,
So kann er, wißt ihr wohl, nicht eine Stunde
leben.
[77]Ein Fragment.
Es iſt ein guter Freund, dem es gedeihen ſoll;
Ich gönn’ ihm gern das beſte deiner Küche.
Zieh deinen Kreis, ſprich deine Sprüche,
Und gib ihm eine Taſſe voll!
wunderbare Sachen hinein; indeſſen fangen die Gläſer
an zu klingen, die Keſſel zu tönen, und machen Muſik.
Zuletzt bringt ſie ein großes Buch, ſtellt die Meerkatzen
in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die Fackel
halten müſſen. Sie winkt Fauſten, zu ihr zu treten.
Nein! ſage mir, was ſoll das werden?
Das tolle Zeug, die raſenden Geberden,
Der abgeſchmackteſte Betrug,
Sind mir bekannt, verhaßt genug.
Ey Poſſen! Das iſt nur zum Lachen;
Sey nur nicht ein ſo ſtrenger Mann!
[78]Fauſt
Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,
Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
Hexe mit großer Emphaſe fängt an aus dem Buche zu
declamiren.
Du mußt verſtehn!
Aus Eins mach’ Zehn,
Und Zwey laß gehn,
Und Drey mach’ gleich,
So biſt du reich.
Verlier’ die Vier,
Aus Fünf und Sechs,
So ſagt die Hex’,
Mach’ Sieben und Acht,
So iſt’s vollbracht:
Und Neun iſt Eins,
Und Zehn iſt keins.
Das iſt das Hexen-Einmal-Eins!
Mich dünkt, die Alte ſpricht im Fieber.
[79]Ein Fragment.
Das iſt noch lange nicht vorüber,
Ich kenn’ es wohl, ſo klingt das ganze Buch;
Ich habe manche Zeit damit verloren,
Denn ein vollkommner Widerſpruch
Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie für
Thoren.
Mein Freund, die Kunſt iſt alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drey und Eins, und Eins und Drey
Irrthum ſtatt Wahrheit zu verbreiten.
So ſchwätzt und lehrt man ungeſtört!
Wer will ſich mit den Narr’n befaſſen?
Gewöhnlich glaubt der Menſch, wenn er nur
Worte hört,
Es müſſe ſich dabey doch auch was denken laſſen.
Die hohe Kraft
Der Wiſſenſchaft,
Der ganzen Welt verborgen!
[80]Fauſt
Und wer nicht denkt,
Dem wird ſie geſchenkt,
Er hat ſie ohne Sorgen.
Was ſagt ſie uns für Unſinn vor?
Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
Mich dünkt, ich hör’ ein ganzes Chor
Von hundert tauſend Narren ſprechen.
Genug, genug, o treffliche Sybille!
Gib deinen Trank herbey, und fülle
Die Schale raſch bis an den Rand hinan;
Denn meinem Freund wird dieſer Trunk nicht
ſchaden:
Er iſt ein Mann von vielen Graden,
Der manchen guten Schluck gethan.
Schale; wie ſie Fauſt an den Mund bringt, entſteht eine
leichte Flamme.
[81]Ein Fragment.
Nur friſch hinunter! Immer zu!
Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
Biſt mit dem Teufel du und du,
Und willſt dich vor der Flamme ſcheuen?
Nun friſch hinaus! Du darfſt nicht ruhn.
Mög’ euch das Schlückchen wohl behagen!
Und kann ich dir was zu Gefallen thun,
So darfſt du mir’s nur auf Walpurgis ſagen.
Hier iſt ein Lied! wenn ihr’s zuweilen ſingt,
So werdet ihr beſondre Wirkung ſpüren.
Goethe’s W. 7. B. F
[82]Fauſt
Komm nur geſchwind und laß dich führen,
Du mußt nothwendig tranſpiriren,
Damit die Kraft durch inn- und äußres dringt.
Den edlen Müßiggang lehr’ ich hernach dich
ſchätzen,
Und bald empfindeſt du mit innigem Ergetzen,
Wie ſich Cupido regt und hin und wieder
ſpringt.
Laß mich nur ſchnell noch in den Spiegel
ſchauen!
Das Frauenbild war gar zu ſchön!
Nein! Nein! Du ſollſt das Muſter aller
Frauen
Nun bald leibhaftig vor dir ſeh’n.
Du ſiehſt, mit dieſem Trank im Leibe,
Bald Helenen in jedem Weibe.
[83]Ein Fragment.
Straße.
Mein ſchönes Fräulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?
Bin weder Fräulein, weder ſchön,
Kann ungeleitet nach Hauſe gehn.
Bey’m Himmel, dieſes Kind iſt ſchön!
So etwas hab’ ich nie geſehn.
Sie iſt ſo ſitt- und tugendreich,
Und etwas ſchnippiſch doch zugleich.
Der Lippe Roth, der Wange Licht,
Die Tage der Welt vergeß’ ich’s nicht!
Wie ſie die Augen niederſchlägt,
Hat tief ſich in mein Herz geprägt;
Wie ſie kurz angebunden war,
Das iſt nun zum Entzücken gar!
F 2
[84]Fauſt
Hör, du mußt mir die Dirne ſchaffen!
Nun, welche?
Sie ging juſt vorbey.
Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
Der ſprach ſie aller Sünden frey;
Ich ſchlich mich hart am Stuhl vorbey.
Es iſt ein gar unſchuldig Ding,
Das eben für nichts zur Beichte ging;
Über die hab’ ich keine Gewalt!
Iſt über vierzehn Jahr doch alt.
Du ſprichſt ja wie Hans Liederlich,
Der begehrt jede liebe Blum’ für ſich,
[85]Ein Fragment.
Und dünkelt ihm, es wär’ kein’ Ehr’
Und Gunſt die nicht zu pflücken wär’;
Geht aber doch nicht immer an.
Mein Herr Magiſter lobeſan,
Laß er mich mit dem Geſetz in Frieden!
Und das ſag’ ich ihm kurz und gut,
Wenn nicht das ſüße junge Blut
Heut’ Nacht in meinen Armen ruht,
So ſind wir um Mitternacht geſchieden.
Bedenkt was gehn und ſtehen mag!
Ich brauche wenigſtens vierzehn Tag’
Nur die Gelegenheit auszuſpüren.
Hätt’ ich nur ſieben Stunden Ruh,
Brauchte den Teufel nicht dazu,
So ein Geſchöpfchen zu verführen.
[86]Fauſt
Ihr ſprecht ſchon faſt wie ein Franzos.
Drum bitt’ ich, laßt’s euch nicht verdrießen.
Was hilft’s nur gr’ade zu genießen?
Die Freud’ iſt lange nicht ſo groß,
Als wenn ihr erſt herauf, herum,
Durch allerley Brimborium,
Das Püppchen geknetet und zugericht’,
Wie’s lehret manche Welſche Geſchicht’.
Hab’ Appetit auch ohne das.
Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß:
Ich ſag’ euch, mit dem ſchönen Kind
Geht’s ein- vor allemal nicht geſchwind.
Mit Sturm iſt da nichts einzunehmen;
Wir müſſen uns zur Liſt bequemen.
Schaff’ mir etwas vom Engelsſchatz!
Führ’ mich an ihren Ruheplatz!
[87]Ein Fragment.
Schaff’ mir ein Halstuch von ihrer Bruſt,
Ein Strumpfband meiner Liebesluſt!
Damit ihr ſeht, daß ich eurer Pein
Will förderlich und dienſtlich ſeyn,
Wollen wir keinen Augenblick verlieren,
Will euch noch heut in ihr Zimmer führen.
Und ſoll ſie ſehn? ſie haben?
Nein!
Sie wird bey einer Nachbarinn ſeyn.
Indeſſen könnt ihr ganz allein
An aller Hoffnung künft’ger Freuden
In ihrem Dunſtkreis ſatt euch weiden.
Können wir hin?
Es iſt noch zu früh.
[88]Fauſt
Sorg’ du mir für ein Geſchenk für ſie.
Gleich ſchenken? Das iſt brav! Da wird er
reüſſiren! —
Ich kenne manchen ſchönen Platz
Und manchen alt vergrabnen Schatz,
Ich muß ein Bißchen revidiren.
Abend.
Ich gäb’ was drum, wenn ich nur wüßt’,
Wer heut der Herr geweſen iſt!
Er ſah gewiß recht wacker aus,
Und iſt aus einem edlen Haus,
[89]Ein Fragment.
Das konnt’ ich ihm an der Stirne leſen —
Er wär’ auch ſonſt nicht ſo keck geweſen.
Herein, ganz leiſe, nur herein!
Ich bitte dich, laß mich allein.
Nicht jedes Mädchen hält ſo rein.
Willkommen ſüßer Dämmerſchein,
Der du dieß Heiligthum durchwebſt!
Ergreif mein Herz, du ſüße Liebespein,
Die du vom Thau der Hoffnung ſchmachtend
lebſt!
Wie athmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit,
[90]Fauſt
In dieſer Armuth welche Fülle!
In dieſem Kerker welche Seligkeit!
O nimm mich auf, der du die Vorwelt ſchon
Bey Freud’ und Schmerz in offnen Arm em-
pfangen!
Wie oft, ach! hat an dieſem Väter-Thron
Schon eine Schaar von Kindern rings gehan-
gen!
Vielleicht hat, dankbar für den heil’gen Chriſt,
Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
Ich fühl’, o Mädchen, deinen Geiſt
Der Füll’ und Ordnung um mich ſäuſeln,
Der mütterlich dich täglich unterweiſ’t,
Den Teppich auf den Tiſch dich reinlich brei-
ten heißt,
Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuſeln.
O liebe Hand! ſo göttergleich!
Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
Und hier!
[91]Ein Fragment.
Was faßt mich für ein Wonnegraus!
Hier möcht’ ich volle Stunden ſäumen.
Natur! Hier bildeteſt in leichten Träumen
Den eingebornen Engel aus;
Hier lag das Kind, mit warmen Leben
Den zarten Buſen angefüllt,
Und hier mit heilig reinem Weben
Entwirkte ſich das Götterbild!
Und du! Was hat dich hergeführt?
Wie innig fühl’ ich mich gerührt!
Was willſt du hier? Was wird das Herz dir
ſchwer?
Armſel’ger Fauſt! ich kenne dich nicht mehr.
Umgibt mich hier ein Zauberduft?
Mich drang’s ſo g’rade zu genießen,
Und fühle mich in Liebestraum zerfließen!
Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?
Und träte ſie den Augenblick herein,
Wie würdeſt du für deinen Frevel büßen!
Der große Hans, ach wie ſo klein!
Läg’, hingeſchmolzen, ihr zu Füßen.
[92]Fauſt
Geſchwind! ich ſeh’ ſie unten kommen.
Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!
Hier iſt ein Käſtchen leidlich ſchwer,
Ich hab’s wo anders hergenommen.
Stellt’s hier nur immer in den Schrein;
Ich ſchwör’ euch, ihr vergehn die Sinnen,
Ich that euch Sächelchen hinein,
Um eine andre zu gewinnen.
Zwar Kind iſt Kind und Spiel iſt Spiel.
Ich weiß nicht, ſoll ich?
Fragt ihr viel?
Meint ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
Dann rath’ ich eurer Lüſternheit
Die liebe ſchöne Tageszeit,
Und mir die weitre Müh’ zu ſparen.
[93]Ein Fragment.
Ich hoff’ nicht daß ihr geitzig ſeyd!
Ich kratz’ den Kopf, reib’ an den Händen —
Schloß wieder zu.
Nur fort, geſchwind —
Um euch das ſüße junge Kind
Nach Herzens Wunſch und Will’ zu wenden;
Und ihr ſeht drein,
Als ſolltet ihr in den Hörſal hinein,
Als ſtünd’ leibhaftig vor euch da
Phyſik und Metaphyſika!
Nur fort —
Es iſt ſo ſchwül, ſo dumpfig hie,
Und iſt doch eben ſo warm nicht draus.
Es wird mir ſo, ich weiß nicht wie —
Ich wollt’, die Mutter käm’ nach Haus.
Mir läuft ein Schauer über’n Leib —
Bin doch ein thöricht furchtſam Weib!
[94]Fauſt
Es war ein König in Tule
Gar treu bis an das Grab,
Dem ſterbend ſeine Bule
Einen goldnen Becher gab.
Es ging ihm nichts darüber,
Er leert’ ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.
Und als er kam zu ſterben,
Zählt’ er ſeine Städt’ im Reich,
Gönnt’ alles ſeinem Erben,
Den Becher nicht zugleich.
Er ſaß beym Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Väter-Saale,
Dort auf dem Schloß am Meer.
[95]Ein Fragment.
Dort ſtand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensgluth,
Und warf den heiligen Becher
Hinunter in die Fluth.
Er ſah ihn ſtürzen, trinken
Und ſinken tief in’s Meer,
Die Augen thäten ihm ſinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.
und erblickt das Schmuckkäſtchen.
Wie kommt das ſchöne Käſtchen hier herein?
Ich ſchloß doch ganz gewiß den Schrein.
Es iſt doch wunderbar! Was mag wohl drin-
ne ſeyn?
Vielleicht bracht’s jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf?
Da hängt ein Schlüſſelchen am Band,
Ich denke wohl ich mach’ es auf!
[96]Fauſt
Was iſt das? Gott im Himmel! ſchau,
So was hab’ ich mein’ Tage nicht geſehn!
Ein Schmuck! Mit dem könnt’ eine Edelfrau
Am höchſten Feiertage gehn!
Wie ſollte mir die Kette ſtehn?
Wem mag die Herrlichkeit gehören?
Wenn nur die Ohrring’ meine wären!
Man ſieht doch gleich ganz anders drein.
Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
Das iſt wohl alles ſchön und gut,
Allein man läßt’s auch alles ſeyn.
Man lobt euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
Doch alles! Ach wir Armen!
[97]Ein Fragment.
Spatziergang.
Zu ihm Mephiſtopheles.
Bey aller verſchmähten Liebe! Bey’m hölli-
ſchen Elemente!
Ich wollt’ ich wüßte ’was ärgers, daß ich’s
fluchen könnte!
Was haſt? was kneipt dich denn ſo ſehr?
So kein Geſicht ſah’ ich in meinem Leben!
Ich möcht’ mich gleich dem Teufel übergeben,
Wenn ich nur ſelbſt kein Teufel wär’!
Hat ſich dir ’was im Kopf verſchoben?
Dich kleidet’s, wie ein Raſender zu toben!
Goethe’s W. 7. B. G
[98]Fauſt
Denkt nur, den Schmuck, für Grethchen ange-
ſchafft,
Den hat ein Pfaff’ hinweggerafft — —
Die Mutter kriegt das Ding zu ſchauen,
Gleich fängt’s ihr heimlich an zu grauen;
Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
Schnuffelt immer im Gebetbuch,
Und riecht’s einem jeden Möbel an,
Ob das Ding heilig iſt oder profan;
Und an dem Schmuck da ſpürt ſie’s klar,
Daß dabey nicht viel Segen war.
Mein Kind, rief ſie, ungerechtes Gut
Befängt die Seele, zehrt auf das Blut,
Wollen’s der Mutter Gottes weihen,
Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!
Margrethlein zog ein ſchiefes Maul,
Iſt halt, dacht’ ſie, ein geſchenkter Gaul,
Und wahrlich gottlos iſt nicht der,
Der ihn ſo fein gebracht hierher.
Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
Der hatte kaum den Spaß vernommen,
[99]Ein Fragment.
Ließ ſich den Anblick wohl behagen;
Er ſprach: So iſt man recht geſinnt!
Wer überwindet der gewinnt.
Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefreſſen,
Und doch noch nie ſich übergeſſen;
Die Kirch’ allein, meine liebe Frauen,
Kann ungerechtes Gut verdauen.
Das iſt ein allgemeiner Brauch,
Ein Jud’ und König kann es auch.
Strich drauf ein Spange, Kett’ und Ring,
Als wären’s eben Pfifferling,
Dankt nicht weniger und nicht mehr,
Als ob’s ein Korb voll Nüſſe wär’,
Verſprach ihnen allen himmliſchen Lohn —
Und ſie waren ſehr erbaut davon.
Und Grethchen?
G 2
[100]Fauſt
Sitzt nun unruhvoll,
Weiß weder, was ſie will noch ſoll,
Denkt an’s Geſchmeide Tag und Nacht,
Noch mehr an den, der’s ihr gebracht.
Des Liebchens Kummer thut mir leid.
Schaff’ du ihr gleich ein neu Geſchmeid!
Am erſten war ja ſo nicht viel.
O ja, dem Herrn iſt alles Kinderſpiel!
Und mach’, und richt’s nach meinem Sinn!
Häng’ dich an ihre Nachbarinn.
Sey Teufel doch nur nicht wie Brey,
Und ſchaff’ einen neuen Schmuck herbey.
Ja, gnäd’ger Herr, von Herzen gerne.
[101]Ein Fragment.
So ein verliebter Thor verpufft
Euch Sonne, Mond und alle Sterne
Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.
Der Nachbarinn Haus.
Gott verzeih’s meinem lieben Mann,
Er hat an mir nicht wohl gethan!
Geht da ſtracks in die Welt hinein,
Und läßt mich auf dem Stroh allein.
Thät’ ihn doch wahrlich nicht betrüben,
Thät’ ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.
Vielleicht iſt er gar todt! — O Pein! — —
Hätt’ ich nur einen Todtenſchein!
Frau Marthe!
[102]Fauſt
Grethelchen, was ſoll’s?
Faſt ſinken mir die Kniee nieder!
Da find’ ich ſo ein Käſtchen wieder
In meinem Schrein von Ebenholz,
Und Sachen herrlich ganz und gar,
Weit reicher als das erſte war.
Das muß ſie nicht der Mutter ſagen,
Thät’s wieder gleich zur Beichte tragen.
Ach ſeh’ ſie nur! ach ſchau’ ſie nur!
O du glückſel’ge Kreatur!
Darf mich, leider, nicht auf der Gaſſen,
Noch in der Kirche mit ſehen laſſen.
[103]Ein Fragment.
Komm du nur oft zu mir herüber,
Und leg’ den Schmuck hier heimlich an;
Spatzier’ ein Stündchen lang dem Spiegel-
glas vorüber,
Wir haben unſer Freude dran;
Und dann gibt’s einen Anlaß, gibt’s ein Feſt,
Wo man’s ſo nach und nach den Leuten ſehen
läßt,
Ein Kettchen erſt, die Perle dann in’s Ohr;
Die Mutter ſieht’s wohl nicht, man macht ihr
auch ’was vor.
Wer konnte nur die beyden Käſtchen bringen?
Es geht nicht zu mit rechten Dingen!
Ach Gott! mag das meine Mutter ſeyn?
Es iſt ein fremder Herr — Herein!
[104]Fauſt
Bin ſo frey g’rad’ herein zu treten,
Muß bey den Frauen Verzeihn erbethen.
Wollte nach Frau Marthe Schwerdlein fragen!
Ich bin’s, was hat der Herr zu ſagen?
Ich kenne Sie jetzt, mir iſt das genug;
Sie hat da gar vornehmen Beſuch.
Verzeiht die Freyheit die ich genommen,
Will nach Mittage wieder kommen.
Denk’, Kind, um alles in der Welt!
Der Herr dich für ein Fräulein hält.
Ich bin ein armes junges Blut;
Ach Gott! der Herr iſt gar zu gut,
Schmuck und Geſchmeide ſind nicht mein.
[105]Ein Fragment.
Ach! es iſt nicht der Schmuck allein.
Sie hat ein Weſen, einen Blick ſo ſcharf!
Wie freu’t mich’s, daß ich bleiben darf.
Was bringt Er denn? Verlange ſehr —
Ich wollt’ ich hätt’ eine frohere Mähr’!
Ich hoffe, Sie läßt mich’s drum nicht büßen:
Ihr Mann iſt todt und läßt Sie grüßen.
Iſt todt? das treue Herz! O weh!
Mein Mann iſt todt! Ach ich vergeh’!
Ach! liebe Frau, verzweifelt nicht!
So hört die traurige Geſchicht’!
Ich möchte drum mein’ Tag’ nicht lieben,
Würde mich Verluſt zu Tode betrüben.
[106]Fauſt
Freud’ muß Leid, Leid muß Freude haben.
Erzählt mir ſeines Lebens Schluß!
Er liegt in Padua begraben,
Bey’m heiligen Antonius,
An einer wohlgeweihten Stätte
Zum ewig kühlen Ruhebette.
Habt ihr ſonſt nichts an mich zu bringen?
Ja, eine Bitte, groß und ſchwer:
Laß Sie doch ja für ihn drey hundert Meſſen
ſingen!
Im übrigen ſind meine Taſchen leer.
Was! nicht ein Schauſtück? Kein Geſchmeid’?
Was jeder Handwerksburſch im Grund des
Säckels ſpart,
[107]Ein Fragment.
Zum Angedenken aufbewahrt,
Und lieber hungert, lieber bettelt!
Madam, es thut mir herzlich leid;
Allein er hat ſein Geld wahrhaftig nicht ver-
zettelt.
Auch er bereute ſeine Fehler ſehr,
Ja, und bejammerte ſein Unglück noch viel
mehr.
Ach! daß die Menſchen ſo unglücklich ſind!
Gewiß ich will für ihn manch Requiem noch
bethen.
Ihr wäret werth, gleich in die Eh’ zu treten:
Ihr ſeyd ein liebenswürdig Kind.
Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.
[108]Fauſt
Iſt’s nicht ein Mann, ſey’s derweil’ ein Galan.
Es iſt eine der größten Himmelsgaben,
So ein lieb Ding im Arm zu haben.
Das iſt des Landes nicht der Brauch.
Brauch oder nicht! Es gibt ſich auch.
Erzählt mir doch!
Ich ſtand an ſeinem Sterbebette,
Es war was beſſer als von Miſt,
Von halb gefaultem Stroh; allein er ſtarb als
Chriſt,
Und fand, daß er weit mehr noch auf der
Zeche hätte.
Wie, rief er, muß ich mich von Grund aus
haſſen,
So mein Gewerb, mein Weib ſo zu verlaſſen!
[109]Ein Fragment.
Ach die Erinnerung tödtet mich.
Vergäb’ ſie mir nur noch in dieſem Leben!
Der gute Mann! ich hab’ ihm längſt vergeben.
Allein, weiß Gott! ſie war mehr Schuld als
ich.
Das lügt er! Was! am Rand des Grab’s zu
lügen!
Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
Ich hatte, ſprach er, nicht zum Zeitvertreib zu
gaffen,
Erſt Kinder, und dann Brot für ſie zu
ſchaffen,
Und Brot im allerweit’ſten Sinn,
Und konnte nicht einmal mein Theil in Frie-
den eſſen.
[110]Fauſt
Hat er ſo aller Treu’, ſo aller Lieb’ vergeſſen,
Der Plackerey bey Tag und Nacht!
Nicht doch, er hat euch herzlich dran gedacht.
Er ſprach: Als ich nun weg von Malta ging,
Da bethet’ ich für Frau und Kinder brünſtig;
Uns war denn auch der Himmel günſtig,
Daß unſer Schiff ein Türkiſch Fahrzeug fing,
Das einen Schatz des großen Sultans führte.
Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
Und ich empfing denn auch, wie ſich’s gebührte,
Mein wohlgemeßnes Theil davon.
Ey wie? Ey wo? Hat er’s vielleicht ver-
graben?
Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
Ein ſchönes Fräulein nahm ſich ſeiner an,
Als er in Napel fremd umher ſpatzierte;
[111]Ein Fragment.
Sie hat an ihm viel Lieb’s und Treu’s gethan,
Daß er’s bis an ſein ſelig Ende ſpürte.
Der Schelm! Der Dieb an ſeinen Kindern!
Auch alles Elend, alle Noth
Konnt’ nicht ſein ſchändlich Leben hindern!
Ja ſeht! dafür iſt er nun todt.
Wär’ ich nun jetzt an euerm Platze,
Betraurt’ ich ihn ein züchtig Jahr,
Viſirte dann unterweil’ nach einem neuen
Schatze.
Ach Gott! wie doch mein erſter war,
Find’ ich nicht leicht auf dieſer Welt den an-
dern!
Es konnte kaum ein herz’ger Närrchen ſeyn.
Er liebte nur das allzuviele Wandern,
Und fremde Weiber, und fremden Wein,
Und das verfluchte Würfelſpiel.
[112]Fauſt
Nun, nun, ſo konnt’ es gehn und ſtehen,
Wenn er euch ungefähr ſo viel
Von ſeiner Seite nachgeſehen.
Ich ſchwör’ euch zu, mit dem Beding
Wechſelt’ ich ſelbſt mit euch den Ring.
O es beliebt dem Herrn zu ſcherzen!
Nun mach’ ich mich bey Zeiten fort!
Die hielte wohl den Teufel ſelbſt bey’m Wort.
Wie ſteht es denn mit Ihrem Herzen?
Was meint der Herr damit?
Du gut’s, unſchuldig’s Kind!
Lebt wohl ihr Frauen!
[113]Ein Fragment.
Lebt wohl!
O ſagt mir doch geſchwind!
Ich möchte gern ein Zeugniß haben,
Wo, wie und wenn mein Schatz geſtorben und
begraben.
Ich bin von je der Ordnung Freund geweſen,
Möcht’ ihn auch todt im Wochenblättchen leſen.
Ja, gute Frau, durch zweyer Zeugen Mund
Wird allerwegs die Wahrheit kund;
Habe noch gar einen feinen Geſellen,
Den will ich euch vor den Richter ſtellen.
Ich bring’ ihn her.
O thut das ja.
Und hier die Jungfrau iſt auch da?
Ein braver Knab’! iſt viel gereiſ’t,
Fräuleins alle Höflichkeit erweiſ’t.
Goethe’s W. 7 B. H
[114]Fauſt
Müßte vor dem Herren ſchamroth werden.
Vor keinem Könige der Erden.
Da hinter’m Haus in meinem Garten
Wollen wir der Herrn heut’ Abend warten.
Straße.
Wie iſt’s? Will’s fördern? Will’s bald gehn?
Ah bravo! Find’ ich euch im Feuer?
In kurzer Zeit iſt Grethchen euer.
Heut’ Abend ſollt’ ihr ſie bey Nachbars Mar-
then ſehn:
Das iſt ein Weib wie auserleſen
Zum Kuppler- und Zigeunerweſen!
[115]Ein Fragment.
So recht!
Doch wird auch was von uns begehrt.
Ein Dienſt iſt wohl des andern werth.
Wir legen nur ein gültig Zeugniß nieder,
Daß ihres Ehherrn ausgereckte Glieder
In Padua an heil’ger Stätte ruhn.
Sehr klug! Wir werden erſt die Reiſe machen
müſſen!
Sancta ſimplicitas! Darum iſt’s nicht zu thun;
Bezeugt nur ohne viel zu wiſſen.
Wenn Er nichts beſſers hat, ſo iſt der Plan
zerriſſen.
H 2
[116]Fauſt
O heil’ger Mann! Da wär’t ihr’s nun!
Iſt es das erſtemal in euerm Leben,
Daß ihr falſch Zeugniß abgelegt?
Habt ihr von Gott, der Welt und was ſich
d’rin bewegt,
Vom Menſchen, was ſich ihm in Kopf und
Herzen regt,
Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben,
Mit frecher Stirne, kühner Bruſt?
Und wollt ihr recht in’s Innre gehen,
Habt ihr davon, ihr müßt es g’rad’ geſtehen,
So viel als von Herrn Schwerdleins Tod
gewußt!
Du biſt und bleibſt ein Lügner, ein Sophiſte.
Ja, wenn man’s nicht ein Bißchen tiefer wüßte.
Denn morgen wirſt in allen Ehren
Das arme Grethchen nicht bethören,
Und alle Seelenlieb’ ihr ſchwören.
[117]Ein Fragment.
Und zwar von Herzen.
Gut und ſchön!
Dann wird von ewiger Treu’ und Liebe,
Von einzig überallmächt’gem Triebe —
Wird das auch ſo von Herzen gehn?
Laß das! Es wird! — Wenn ich empfinde,
Für das Gefühl, für das Gewühl
Nach Namen ſuche, keinen finde,
Dann durch die Welt mit allen Sinnen
ſchweife,
Nach allen höchſten Worten greife,
Und dieſe Gluth, von der ich brenne,
Unendlich, ewig, ewig nenne,
Iſt das ein teufliſch Lügenſpiel?
Ich hab’ doch Recht!
[118]Fauſt
Hör’ — merk’ dir dieß,
Ich bitte dich, und ſchone meine Lunge —
Wer Recht behalten will und hat nur eine
Zunge,
Behält’s gewiß.
Und komm, ich hab’ des Schwätzens Überdruß,
Denn du haſt Recht, vorzüglich weil ich muß.
Garten.
Marthe mit Mephiſtopheles auf und
ab ſpatzierend.
Ich fühl’ es wohl, daß mich der Herr nur
ſchont,
Herab ſich läßt, mich zu beſchämen.
Ein Reiſender iſt ſo gewohnt
Aus Gütigkeit fürlieb zu nehmen,
Ich weiß zu gut, daß ſolch’ erfahrnen Mann
Mein arm Geſpräch nicht unterhalten kann.
[119]Ein Fragment.
Ein Blick von dir, Ein Wort mehr unterhält,
Als alle Weisheit dieſer Welt.
Incommodirt euch nicht! Wie könnt’ ihr ſie
nur küſſen,
Sie iſt ſo garſtig, iſt ſo rauh!
Was hab’ ich nicht ſchon alles ſchaffen müſſen!
Die Mutter iſt gar zu genau.
Und ihr, mein Herr, ihr reiſ’t ſo immer fort?
Ach, daß Gewerb’ und Pflicht uns dazu
treiben!
Mit wie viel Schmerz verläßt man manchen
Ort,
Und darf doch nun einmal nicht bleiben!
[120]Fauſt
In raſchen Jahren geht’s wohl an,
So um und um frey durch die Welt zu ſtreifen;
Doch kömmt die böſe Zeit heran,
Und ſich als Hageſtolz allein zum Grab’ zu
ſchleifen,
Das hat noch keinem wohl gethan.
Mit Grauſen ſeh’ ich das von weiten.
Drum, werther Herr, berathet euch in Zeiten.
Ja, aus den Augen aus dem Sinn!
Die Höflichkeit iſt euch geläufig;
Allein ihr habt der Freunde häufig,
Sie ſind verſtändiger als ich bin.
O Beſte! glaube, was man ſo verſtändig
nennt,
Iſt oft mehr Eitelkeit und Kurzſinn.
[121]Ein Fragment.
Wie?
Ach, daß die Einfalt, daß die Unſchuld nie
Sich ſelbſt und ihren heil’gen Werth erkennt!
Daß Demuth, Niedrigkeit, die höchſten Gaben
Der liebevoll austheilenden Natur —
Denkt ihr an mich ein Augenblickchen nur,
Ich werde Zeit genug an euch zu denken haben.
Ihr ſeyd wohl viel allein?
Ja, unſre Wirthſchaft iſt nur klein,
Und doch will ſie verſehen ſeyn.
Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen,
ſtricken
Und nähn, und laufen früh und ſpat;
Und meine Mutter iſt in allen Stücken
So accurat!
[122]Fauſt
Nicht daß ſie juſt ſo ſehr ſich einzuſchränken hat;
Wir könnten uns weit eh’ als andre regen:
Mein Vater hinterließ ein hübſch Vermögen,
Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
Doch hab’ ich jetzt ſo ziemlich ſtille Tage:
Mein Bruder iſt Soldat,
Mein Schweſterchen iſt todt.
Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe
Noth;
Doch übernähm’ ich gern noch einmal alle
Plage,
So lieb war mir das Kind.
Ein Engel, wenn dir’s glich.
Ich zog es auf, und herzlich liebt’ es mich.
Es war nach meines Vaters Tod geboren.
Die Mutter gaben wir verloren,
So elend wie ſie damals lag,
Und ſie erhohlte ſich ſehr langſam, nach und
nach.
[123]Ein Fragment.
Da konnte ſie nun nicht d’ran denken
Das arme Würmchen ſelbſt zu tränken,
Und ſo erzog ich’s ganz allein,
Mit Milch und Waſſer; ſo ward’s mein,
Auf meinem Arm, in meinem Schoos
War’s freundlich, zappelte, ward groß.
Du haſt gewiß das reinſte Glück empfunden.
Doch auch gewiß gar manche ſchwere Stunden.
Des Kleinen Wiege ſtand zu Nacht
An meinem Bett, es durfte kaum ſich regen,
War ich erwacht;
Bald mußt’ ich’s tränken, bald es zu mir legen,
Bald, wenn’s nicht ſchwieg, vom Bett’ aufſtehn,
Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder
gehn,
Und früh am Tage ſchon am Waſchtrog ſtehn;
Dann auf dem Markt und an dem Herde
ſorgen,
Und immer fort wie heut ſo morgen.
[124]Fauſt
Da geht’s, mein Herr, nicht immer muthig zu;
Doch ſchmeckt dafür das Eſſen, ſchmeckt die
Ruh.
Sagt g’rad’, mein Herr, habt ihr noch nichts
gefunden?
Hat ſich das Herz nicht irgendwo gebunden?
Das Sprichwort ſagt: Ein eigner Herd,
Ein braves Weib, ſind Gold und Perlen werth.
Ich meine: ob ihr niemals Luſt bekommen?
Man hat mich überall recht höflich aufgenom-
men.
Ich wollte ſagen: ward’s nie Ernſt in euerm
Herzen?
[125]Ein Fragment.
Mit Frauen ſoll man ſich nie unterſtehn zu
ſcherzen.
Ach, ihr verſteht mich nicht!
Das thut mir herzlich leid!
Doch ich verſteh’ — daß ihr ſehr gütig ſeyd.
Du kannteſt mich, o kleiner Engel, wieder,
Gleich als ich in den Garten kam?
Saht ihr es nicht? Ich ſchlug die Augen nieder.
Und du verzeih’ſt die Freyheit, die ich nahm?
Was ſich die Frechheit unterfangen,
Als du jüngſt aus dem Dom gegangen?
[126]Fauſt
Ich war beſtürzt, mir war das nie geſchehn;
Es konnte niemand von mir übels ſagen.
Ach, dacht’ ich, hat er in deinem Betragen
Was freches, unanſtändiges geſehn?
Es ſchien ihn gleich nur anzuwandeln,
Mit dieſer Dirne g’rade hin zu handeln.
Geſteh’ ich’s doch! Ich wußte nicht was ſich
Zu euerm Vortheil hier zu regen gleich be-
gonnte;
Allein gewiß, ich war recht böſ’ auf mich,
Daß ich auf euch nicht böſer werden konnte.
Süß Liebchen!
Laßt einmal.
ab, eins nach dem andern.
Was ſoll das? Einen Strauß?
[127]Ein Fragment.
Nein, es ſoll nur ein Spiel.
Wie?
Geht! ihr lacht mich aus.
Was murmelſt du?
Er liebt mich — liebt mich nicht.
Du holdes Himmels-Angeſicht!
Liebt mich — Nicht — Liebt mich — Nicht —
Er liebt mich!
Ja, mein Kind! Laß dieſes Blumenwort
[128]Fauſt
Dir Götter-Ausſpruch ſeyn. Er liebt dich!
Verſtehſt du, was das heißt? Er liebt dich!
Mich überläuft’s!
O ſchaudre nicht! Laß dieſen Blick,
Laß dieſen Händedruck dir ſagen,
Was unausſprechlich iſt:
Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
Zu fühlen, die ewig ſeyn muß!
Ewig! — Ihr Ende würde Verzweiflung ſeyn.
Nein, kein Ende! Kein Ende!
Er ſteht einen Augenblick in Gedanken, dann folgt er
ihr.
Die Nacht bricht an.
Ja, und wir wollen fort.
[129]Ein Fragment.
Ich bäth’ euch länger hier zu bleiben,
Allein es iſt ein gar zu böſer Ort.
Es iſt als hätte niemand nichts zu treiben
Und nichts zu ſchaffen,
Als auf des Nachbarn Schritt und Tritt zu
gaffen,
Und man kommt in’s Gered’ wie man ſich im-
mer ſtellt.
Und unſer Pärchen?
Iſt den Gang dort aufgeflogen.
Muthwill’ge Sommervögel!
Er ſcheint ihr gewogen.
Und ſie ihm auch. Das iſt der Lauf der Welt.
Goethe’s W. 7. B. J
[130]Fauſt
Ein Gartenhäuschen.
die Thür, hält die Fingerſpitze an die Lippen, und guckt
durch die Ritze.
Er kommt!
Ach Schelm, ſo neckſt du mich!
Treff’ ich dich!
Beſter Mann! Von Herzen lieb’ ich dich!
Wer da?
Gut Freund!
Ein Thier!
[131]Ein Fragment.
Es iſt wohl Zeit zu ſcheiden.
Ja, es iſt ſpät, mein Herr.
Darf ich euch nicht geleiten?
Die Mutter würde mich — Lebt wohl!
Muß ich denn gehn?
Lebt wohl!
Ade!
Auf baldig Wiederſehn!
J 2
[132]Fauſt.
Du lieber Gott! was ſo ein Mann
Nicht alles alles denken kann!
Beſchämt nur ſteh’ ich vor ihm da,
Und ſag’ zu allen Sachen ja.
Bin doch ein arm unwiſſend Kind,
Begreife nicht was er an mir find’t.
[[133]]
Grethchens Stube.
Meine Ruh’ iſt hin,
Mein Herz iſt ſchwer,
Ich finde ſie nimmer
Und nimmermehr.
Wo ich ihn nicht hab’
Iſt mir das Grab,
Die ganze Welt
Iſt mir vergällt.
[134]Fauſt
Mein armer Kopf
Iſt mir verrückt,
Mein armer Sinn
Iſt mir zerſtückt.
Meine Ruh’ iſt hin,
Mein Herz iſt ſchwer,
Ich finde ſie nimmer
Und nimmermehr.
Nach ihm nur ſchau’ ich
Zum Fenſter hinaus,
Nach ihm nur geh’ ich
Aus dem Haus.
Sein hoher Gang,
Sein’ edle Geſtalt,
Seines Mundes Lächeln,
Seiner Augen Gewalt,
[135]Ein Fragment.
Und ſeiner Rede
Zauberfluß,
Sein Händedruck,
Und ach ſein Kuß!
Meine Ruh’ iſt hin,
Mein Herz iſt ſchwer,
Ich finde ſie nimmer
Und nimmermehr.
Mein Buſen drängt
Sich nach ihm hin,
Ach dürft’ ich faſſen
Und halten ihn!
Und küſſen ihn
So wie ich wollt’,
An ſeinen Küſſen
Vergehen ſollt’!
[136]Fauſt
Marthens Garten.
Verſprich mir, Heinrich!
Was ich kann!
Nun ſag’, wie haſt du’s mit der Religion?
Du biſt ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub’ du hält’ſt nicht viel davon.
Laß das, mein Kind! Du fühlſt ich bin dir
gut;
Für meine Lieben ließ’ ich Leib und Blut,
Will niemand ſein Gefühl und ſeine Kirche
rauben.
Das iſt nicht recht, man muß d’ran glauben!
[137]Ein Fragment.
Muß man?
Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!
Du ehrſt auch nicht die heil’gen Sacramente.
Ich ehre ſie.
Doch ohne Verlangen.
Zur Meſſe, zur Beichte biſt du lange nicht ge-
gangen.
Glaubſt du an Gott?
Mein Liebchen, wer darf ſagen,
Ich glaub’ an Gott?
Magſt Prieſter oder Weiſe fragen,
Und ihre Antwort ſcheint nur Spott
Über den Frager zu ſeyn.
So glaubſt du nicht?
[138]Fauſt
Mißhör’ mich nicht, du holdes Angeſicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen,
Ich glaub’ ihn?
Wer empfinden?
Und ſich unterwinden
Zu ſagen, ich glaub’ ihn nicht?
Der Allumfaſſer,
Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, ſich ſelbſt?
Wölbt ſich der Himmel nicht dadroben?
Liegt die Erde nicht hierunten feſt?
Und ſteigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht hierauf?
Schau’ ich nicht Aug’ in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimniß
Unſichtbar ſichtbar neben dir?
Erfüll’ davon dein Herz, ſo groß es iſt,
[139]Ein Fragment.
Und wenn du ganz in dem Gefühle ſelig biſt,
Nenn’ es dann wie du willſt,
Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl iſt alles;
Name iſt Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsgluth.
Das iſt alles recht ſchön und gut;
Ungefähr ſagt das der Pfarrer auch,
Nur mit ein Bißchen andern Worten.
Es ſagen’s aller Orten
Alle Herzen unter dem himmliſchen Tage,
Jedes in ſeiner Sprache;
Warum nicht ich in der meinen?
Wenn man’s ſo hört, möcht’s leidlich ſcheinen,
Steht aber doch immer ſchief darum;
Denn du haſt kein Chriſtenthum.
[140]Fauſt
Lieb’s Kind!
Es thut mir lang’ ſchon weh,
Daß ich dich in der Geſellſchaft ſeh’.
Wie ſo?
Der Menſch, den du da bey dir haſt,
Iſt mir in tiefer inn’rer Seele verhaßt:
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich in’s Herz gegeben,
Als des Menſchen widrig Geſicht.
Liebe Puppe, fürcht’ ihn nicht!
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
Ich bin ſonſt allen Menſchen gut;
Aber wie ich mich ſehne dich zu ſchauen,
[141]Ein Fragment.
Hab’ ich vor dem Menſchen ein heimlich
Grauen,
Und halt’ ihn für einen Schelm dazu!
Gott verzeih’ mir’s, wenn ich ihm Unrecht thu’!
Es muß auch ſolche Käuze geben.
Wollte nicht mit ſeines Gleichen leben!
Kommt er einmal zur Thür herein,
Sieht er immer ſo ſpöttiſch drein,
Und halb ergrimmt,
Man ſieht, daß er an nichts keinen Antheil
nimmt;
Es ſteht ihm an der Stirn’ geſchrieben,
Daß er nicht mag eine Seele lieben.
Mir wird’s ſo wohl in deinem Arm,
So frey, ſo hingegeben warm,
Und ſeine Gegenwart ſchnürt mir das Inn’re
zu.
Du ahndungsvoller Engel du!
[142]Fauſt
Das übermannt mich ſo ſehr,
Daß, wo er nur mag zu uns treten,
Mein’ ich ſogar, ich liebte dich nicht mehr.
Auch wenn er da iſt, könnt’ ich nimmer bethen,
Und das frißt mir in’s Herz hinein;
Dir, Heinrich, muß es auch ſo ſeyn.
Du haſt nun die Antipathie!
Ich muß nun fort.
Ach kann ich nie
Ein Stündchen ruhig dir am Buſen hängen,
Und Bruſt an Bruſt und Seel’ in Seele
drängen?
Ach wenn ich nur alleine ſchlief!
Ich ließ dir gern heut’ Nacht den Riegel offen;
Doch meine Mutter ſchläft nicht tief,
[143]Ein Fragment.
Und würden wir von ihr betroffen,
Ich wär’ gleich auf der Stelle todt!
Du Engel, das hat keine N[o]th.
Hier iſt ein Fläſchchen, drey Tropfen nur
In ihren Trank umhüllen
Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.
Was thu’ ich nicht um deinetwillen?
Es wird ihr hoffentlich nicht ſchaden!
Würd’ ich ſonſt, Liebchen, dir es rathen?
Seh’ ich dich, beſter Mann, nur an,
Weiß nicht was mich nach deinem Willen
treibt;
Ich habe ſchon ſo viel für dich gethan,
Daß mir zu thun faſt nichts mehr über bleibt.
[144]Fauſt
Der Grasaff’! iſt er weg?
Haſt wieder ſpionirt?
Ich hab’s ausführlich wohl vernommen.
Herr Doctor wurden da katechiſirt;
Hoff’ es ſoll Ihnen wohl bekommen.
Die Mädels ſind doch ſehr intereſſirt,
Ob einer fromm und ſchlicht nach altem
Brauch.
Sie denken, duckt er da, folgt er uns eben
auch.
Du, Ungeheuer, ſiehſt nicht ein,
Wie dieſe treue liebe Seele
Von ihrem Glauben voll,
[145]Ein Fragment.
Der ganz allein
Ihr ſelig machend iſt, ſich heilig quäle,
Daß ſie den liebſten Mann verloren halten
ſoll.
Du überſinnlicher, ſinnlicher Freyer,
Ein Mägdelein nasführet dich.
Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!
Und die Phyſiognomie verſteht ſie meiſterlich;
In meiner Gegenwart wird’s ihr ſie weiß
nicht wie,
Mein Mäskchen da weisſagt verborgnen
Sinn;
Sie fühlt, daß ich ganz ſicher ein Genie,
Vielleicht wohl gar der Teufel bin.
Nun heute Nacht —?
Goethe’s W. 7. B. K
[146]Fauſt
Was geht dich’s an?
Hab’ ich doch meine Freude d’ran.
Am Brunnen.
mit Krügen.
Haſt nichts von Bärbelchen gehört?
Kein Wort. Ich komm’ gar wenig unter Leute.
Gewiß, Sibille ſagt’ mir’s heute!
Die hat ſich endlich auch bethört.
Das iſt das Vornehmthun!
[147]Ein Fragment.
Wie ſo?
Es ſtinkt!
Sie füttert zwey, wenn ſie nun ißt und trinkt.
Ach!
So iſt’s ihr endlich recht ergangen.
Wie lange hat ſie an dem Kerl gehangen!
Das war ein Spatzieren,
Auf Dorf und Tanzplatz führen,
Mußt’ überall die erſte ſeyn,
Curteſirt’ ihr immer mit Paſtetchen und Wein;
Bild’t ſich was auf ihre Schönheit ein,
War doch ſo ehrlos ſich nicht zu ſchämen
Geſchenke von ihm anzunehmen.
War ein Gekoſ’ und ein Geſchleck’;
Da iſt denn auch das Blümchen weg!
K 2
[148]Fauſt
Das arme Ding!
Bedauerſt ſie noch gar!
Wenn unſer eins am Spinnen war,
Uns Nachts die Mutter nicht hinunter ließ;
Stand ſie bey ihrem Buhlen ſüß,
Auf der Thürbank und im dunkeln Gang
Ward ihnen keine Stunde zu lang.
Da mag ſie denn ſich ducken nun,
Im Sünderhemdchen Kirchbuß’ thun!
Er nimmt ſie gewiß zu ſeiner Frau.
Er wär’ ein Narr! Ein flinker Jung’
Hat anderwärts noch Luft genung.
Er iſt auch fort.
[149]Ein Fragment.
Das iſt nicht ſchön!
Kriegt ſie ihn, ſoll’s ihr übel gehn.
Das Kränzel reißen die Buben ihr
Und Häckerling ſtreuen wir vor die Thür!
Wie konnt’ ich ſonſt ſo tapfer ſchmählen,
Sah ich ein armes Mägdlein fehlen!
Wie konnt’ ich über andrer Sünden
Nicht Worte g’nug der Zunge finden!
Wie ſchien mir’s ſchwarz, und ſchwärzt’s noch
gar,
Mir’s immer doch nicht ſchwarz g’nug war,
[150]Fauſt.
Und ſegnet’ mich und that ſo groß,
Und bin nun ſelbſt der Sünde bloß!
Doch — alles was mich dazu trieb,
Gott! war ſo gut! ach war ſo lieb!
[[151]]
Wald und Höhle.
Erhabner Geiſt, du gabſt mir, gabſt mir alles,
Warum ich bath. Du haſt mir nicht umſonſt
Dein Angeſicht im Feuer zugewendet.
Gabſt mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft ſie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt ſtaunenden Beſuch erlaubſt du nur,
Vergönneſt mir in ihre tiefe Bruſt,
Wie in den Buſen eines Freund’s, zu ſchauen.
Du führſt die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbey, und lehrſt mich meine Brüder
Im ſtillen Buſch, in Luft und Waſſer kennen.
Und wenn der Sturm im Walde brauſ’t und
knarrt,
[152]Fauſt
Die Rieſenfichte, ſtürzend, Nachbaräſte
Und Nachbarſtämme, quetſchend, nieder ſtreift,
Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel don-
nert;
Dann führſt du mich zur ſichern Höhle, zeigſt
Mich dann mir ſelbſt, und meiner eignen
Bruſt
Geheime tiefe Wunder öffnen ſich:
Und ſteigt vor meinem Blick der reine Mond
Beſänftigend herüber, ſchweben mir
Von Felſenwänden, aus dem feuchten Buſch
Der Vorwelt ſilberne Geſtalten auf,
Und lindern der Betrachtung ſtrenge Luſt.
O daß dem Menſchen nichts Vollkomm’nes
wird,
Empfind’ ich nun. Du gabſt zu dieſer Wonne,
Die mich den Göttern nah’ und näher bringt,
Mir den Gefährten, den ich ſchon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und
frech,
[153]Ein Fragment.
Mich vor mir ſelbſt erniedrigt, und zu Nichts,
Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
Er facht in meiner Bruſt ein wildes Feuer
Nach jenem ſchönen Bild geſchäftig an.
So tauml’ ich von Begierde zu Genuß,
Und im Genuß verſchmacht’ ich nach Begierde.
Habt ihr nun bald das Leben g’nug geführt?
Wie kann’s euch in die Länge freuen?
Es iſt wohl gut, daß man’s einmal probirt!
Dann aber wieder zu was neuen.
Ich wollt’, du hätteſt mehr zu thun,
Als mich am guten Tag zu plagen.
Nun nun! ich laß’ dich gerne ruhn,
Du darfſt mir’s nicht im Ernſte ſagen.
An dir Geſellen unhold, barſch und toll,
[154]Fauſt
Iſt wahrlich wenig zu verlieren.
Den ganzen Tag hat man die Hände voll!
Was ihm gefällt und was man laſſen ſoll,
Kann man dem Herrn nie an der Naſe ſpü-
ren.
Das iſt ſo juſt der rechte Ton!
Er will noch Dank, daß er mich ennüyirt.
Wie hätt’ſt du, armer Erdenſohn,
Dein Leben ohne mich geführt?
Vom Kribskrabs der Imagination
Hab’ ich dich doch auf Zeiten lang curirt;
Und wär’ ich nicht, ſo wär’ſt du ſchon
Von dieſem Erdball abſpatzirt.
Was haſt du da in Höhlen, Felſenritzen
Dich wie ein Schuhu zu verſitzen?
Was ſchlurfſt aus dumpfen Moos und trie-
fendem Geſtein,
Wie eine Kröte, Nahrung ein?
[155]Ein Fragment.
Ein ſchöner, ſüßer Zeitvertreib!
Dir ſteckt der Doctor noch im Leib.
Verſtehſt du was für neue Lebenskraft,
Mir dieſer Wandel in der Öde ſchafft?
Ja würdeſt du es ahnden können,
Du wäreſt Teufel g’nug mein Glück mir nicht
zu gönnen.
Ein überirdiſches Vergnügen!
In Nacht und Thau auf den Gebirgen liegen,
Und Erd’ und Himmel wonniglich umfaſſen,
Zu einer Gottheit ſich aufſchwellen laſſen,
Der Erde Mark mit Ahndungsdrang durch-
wühlen,
Alle ſechs Tagewerk’ im Buſen fühlen,
In ſtolzer Kraft ich weiß nicht was genießen,
Bald liebewonniglich in alles überfließen,
Verſchwunden ganz der Erdenſohn,
Und dann die hohe Intuition —
[156]Fauſt
Ich darf nicht ſagen wie — zu ſchließen.
Pfuy über dich!
Das will euch nicht behagen,
Ihr habt das Recht geſittet pfuy zu ſagen.
Man darf das nicht vor keuſchen Ohren nen-
nen,
Was keuſche Herzen nicht entbehren können.
Und kurz und gut, ich gönn’ Ihm das Ver-
gnügen,
Gelegentlich ſich etwas vorzulügen;
Doch lange hält Er das nicht aus.
Du biſt ſchon wieder abgetrieben,
Und, währt es länger, aufgerieben
In Tollheit oder Angſt [und] Graus.
Genug damit! Dein Liebchen ſitzt dadrinne,
Und alles wird ihr eng’ und trüb’.
Du kommſt ihr gar nicht aus dem Sinne,
Sie hat dich übermächtig lieb.
[157]Ein Fragment.
Erſt kam deine Liebeswuth übergefloſſen,
Wie vom geſchmolznen Schnee ein Bächlein
überſteigt;
Du haſt ſie ihr in’s Herz gegoſſen,
Nun iſt dein Bächlein wieder ſeicht.
Mich dünkt, anſtatt in Wäldern zu thronen,
Ließ es dem großen Herren gut,
Das arme affenjunge Blut
Für ſeine Liebe zu belohnen.
Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;
Sie ſteht am Fenſter, ſieht die Wolken ziehn
Über die alte Stadtmauer hin.
Wenn ich ein Vöglein wär’! So geht ihr Ge-
ſang
Taglang, halbe Nächte lang.
Einmal iſt ſie munter, meiſt betrübt,
Einmal recht ausgeweint,
Dann wieder ruhig, wie’s ſcheint,
Und immer verliebt.
Schlange! Schlange!
[158]Fauſt
Gelt! daß ich dich fange!
Verruchter, hebe dich von hinnen,
Und nenne nicht das ſchöne Weib!
Bring’ die Begier zu ihrem ſüßen Leib
Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!
Was ſoll es dann? Sie meint, du ſeyſt entfloh’n,
Und halb und halb biſt du es ſchon.
Ich bin ihr nah’, und wär’ ich noch ſo fern,
Ich kann ſie nie vergeſſen und verlieren;
Ja, ich beneide ſchon den Leib des Herrn,
Wenn ihre Lippen ihn indeß berühren.
Gar wohl, mein Freund! Ich hab’ euch oft
beneidet
Um’s Zwillingspaar, das unter Roſen weidet.
[159]Ein Fragment.
Entfliehe, Kuppler!
Schön! Ihr ſchimpft und ich
muß lachen.
Der Gott, der Bub’ und Mädchen ſchuf,
Erkannte gleich den edelſten Beruf,
Auch ſelbſt Gelegenheit zu machen.
Nur fort, es iſt ein großer Jammer!
Ihr ſollt in eures Liebchens Kammer,
Nicht etwa in den Tod.
Was iſt die Himmelsfreud’ in ihren Armen?
Laß mich an ihrer Bruſt erwarmen!
Fühl’ ich nicht immer ihre Noth?
Bin ich der Flüchtling nicht, der Unbehauſ’te,
Der Unmenſch ohne Zweck und Ruh,
Der wie ein Waſſerſturz von Fels zu Felſen
brauſ’te
Begierig wüthend nach dem Abgrund zu?
[160]Fauſt
Und ſeitwärts ſie, mit kindlich dumpfen Sin-
nen,
Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
Und all ihr häusliches Beginnen
Umfangen in der kleinen Welt.
Und ich, der Gottverhaßte, hatte nicht genug,
Daß ich die Felſen faßte
Und ſie zu Trümmern ſchlug!
Sie, ihren Frieden mußt’ ich untergraben!
Du, Hölle, mußteſt dieſes Opfer haben!
Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angſt verkür-
zen,
Was muß geſchehn, mag’s gleich geſchehn!
Mag ihr Geſchick auf mich zuſammenſtür-
zen
Und ſie mit mir zu Grunde gehn!
Wie’s wieder ſiedet, wieder glüht!
Geh’ ein und tröſte ſie, du Thor!
Wo ſo ein Köpfchen keinen Ausgang ſieht,
Stellt er ſich gleich das Ende vor.
[161]Ein Fragment.
Es lebe wer ſich tapfer hält!
Du biſt doch ſonſt ſo ziemlich eingeteufelt.
Nichts abgeſchmackters find’ ich auf der Welt,
Als einen Teufel der verzweifelt.
Zwinger.
Mater doloroſa, Blumenkrüge davor.
Ach neige,
Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Noth!
Das Schwert im Herzen,
Mit tauſend Schmerzen
Blickſt auf zu deines Sohnes Tod.
Goethe’s W. 7. B. L
[162]Fauſt
Zum Vater blickſt du,
Und Seufzer ſchickſt du
Hinauf um ſein’ und deine Noth.
Wer fühlet,
Wie wühlet
Der Schmerz mir im Gebein?
Was mein armes Herz hier banget,
Was es zittert, was verlanget,
Weißt nur du, nur du allein!
Wohin ich immer gehe,
Wie weh, wie weh, wie wehe
Wird mir im Buſen hier!
Ich bin ach kaum alleine,
Ich wein’, ich wein’, ich weine,
Das Herz zerbricht in mir.
Die Scherben vor meinem Fenſter
Bethaut’ ich mit Thränen, ach!
Als ich am frühen Morgen
Dir dieſe Blumen brach.
[163]Ein Fragment.
Schien hell in meine Kammer
Die Sonne früh herauf,
Saß ich in allem Jammer
In meinem Bett’ ſchon auf.
Hilf! rette mich von Schmach und Tod!
Ach neige,
Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Noth!
L 2
[164]Fauſt
Dom.
Amt, Orgel und Geſang.
Geiſt hinter Grethchen.
Wie anders, Grethchen, war dir’s,
Als du noch voll Unſchuld
Hier zum Altar trat’ſt,
Aus dem vergriffnen Büchelchen
Gebethe lallteſt,
Halb Kinderſpiele,
Halb Gott im Herzen.
Grethchen!
Wo ſteht dein Kopf?
In deinem Herzen,
Welche Miſſethat?
[165]Ein Fragment.
Beth’ſt du für deiner Mutter Seele, die
Durch dich zur langen, langen Pein hinüber
ſchlief?
— Und unter deinem Herzen
Regt ſich’s nicht quillend ſchon,
Und ängſtet dich und ſich
Mit ahndungsvoller Gegenwart?
Weh! Weh!
Wär’ ich der Gedanken los,
Die mir herüber und hinüber gehen
Wider mich!
Dies irae dies illa
Solvet Saeclum in favilla.
Grimm faßt dich!
Die Poſaune tönt!
[166]Fauſt
Die Gräber beben!
Und dein Herz,
Aus Aſchenruh’
Zu Flammenqualen
Wieder aufgeſchaffen,
Bebt auf!
Wär’ ich hier weg!
Mir iſt als ob die Orgel mir
Den Athem verſetzte,
Geſang mein Herz
Im tiefſten löſ’te.
Iudex ergo cum ſedebit,
Quidquid latet adparebit,
Nil inultum remanebit.
Mir wird ſo eng’!
Die Mauern-Pfeiler
Befangen mich!
[167]Ein Fragment.
Das Gewölbe,
Drängt mich! — Luft!
Verbirg dich! Sünd’ und Schande
Bleibt nicht verborgen.
Luft? Licht?
Weh dir.
Quid ſum miſer tunc dicturus?
Quem patronum rogaturus?
Cum vix juſtus ſit ſecurus.
Ihr Antlitz wenden
Verklärte von dir ab.
Die Hände dir zu reichen,
Schauert’s den Reinen.
Weh!
[168]Fauſt.
Quid ſum miſer tunc dicturus?
Nachbarinn! Euer Fläſchchen! —
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- TextGrid Repository (2025). Goethe, Johann Wolfgang von. Faust. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjh5.0